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German Pages [166] Year 2010
Simon Peng-Keller
Einführung in die Theologie der Spiritualität
Wissenschaftliche Buchgesellschaft
Einbandgestaltung: Peter Lohse, Büttelborn Abbildung: Symbolische Darstellung der Durchbrechung des mittelalterlichen Weltbildes, 1888. Aus: Camille Flammarion: L’atmosphère, et la météorologie populaire, Paris 1888. i akg-images.
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Das Werk ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung in und Verarbeitung durch elektronische Systeme. i 2010 by WBG (Wissenschaftliche Buchgesellschaft), Darmstadt Die Herausgabe dieses Werkes wurde durch die Vereinsmitglieder der WBG ermöglicht. Satz: Lichtsatz Michael Glaese GmbH, Hemsbach Einbandgestaltung: schreiberVIS, Seeheim Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Papier Printed in Germany Besuchen Sie uns im Internet: www.wbg-wissenverbindet.de
ISBN 978-3-534-23048-8
Inhalt Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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I. Spiritualität im Fokus akademischer Theologie . . . . . . . . 1. Der Begriff ,Spiritualität‘ . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Begriffsgeschichtliche Aspekte . . . . . . . . . . . . . 1.2 Theologische Begriffsbestimmungen . . . . . . . . . . 2. Theologie der Spiritualität als Lehr- und Forschungsgebiet . 2.1 Geschichtliche Stationen . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Geistliche Literatur und Praxis als locus theologicus . 3. Spiritualitätsforschung im Konflikt der Interpretationen . . 3.1 Historische Forschung . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2 Human- und sozialwissenschaftliche Studien . . . . . 3.3 Theologische Hermeneutik des geistlichen Lebens . .
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II. Geistesgegenwart als Quelle christlicher Spiritualität . . 1. Präsenz des Heiligen Geistes . . . . . . . . . . . . . 1.1 Gottes Einwohnung im Menschen . . . . . . . . 1.2 Pneumatische Erfahrungen . . . . . . . . . . . . 1.3 Unterscheidung der Geister . . . . . . . . . . . 2. Dimensionen des Christwerdens . . . . . . . . . . . 2.1 Umkehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Taufe als Anfang des Christseins und Ruf zum Christwerden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3 Christsein als Christwerden . . . . . . . . . . . . 3. Die responsorische Struktur geistbestimmten Lebens 3.1 Indikativ der Geistesgabe – Imperative des geistlichen Lebens . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2 Nachfolge Christi . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3 Christliche Askese . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.1 Askese als Übung . . . . . . . . . . . . . 3.3.2 Askese als Kampf . . . . . . . . . . . . . . 3.3.3 Askese als Passion . . . . . . . . . . . . .
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III. Spirituelle Lebensformen . . . . . . . . . . . . . . . 1. Hermeneutik der Lebensformen . . . . . . . . . 2. Reguliertes Leben in der Nachfolge Christi . . . . 3. Spirituelle Lebensstände . . . . . . . . . . . . . 3.1 Ehe als spirituelle Lebensform . . . . . . . . 3.1.1 Ehespiritualität? . . . . . . . . . . . . 3.1.2 Ehe als Ort gegenseitiger Heiligung . . 3.1.3 Ehe als Zeugnisgestalt . . . . . . . . . 3.2 Evangelische Räte und kommunitäres Leben 3.2.1 Geschichtliche Stationen . . . . . . .
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Inhalt
3.2.2 Theologische Begründungen . . . . . . . . . . . . 3.2.3 Inklusive Interpretation der Rätetrias . . . . . . . . 3.3 Vita activa und vita contemplativa . . . . . . . . . . . . . IV. Spirituelle Grundvollzüge. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Grundformen christlichen Betens . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Liturgie und Spiritualität . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1.1 Verborgenheit und eschatologische Öffentlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1.2 Liturgie und Leben . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1.3 Liturgie als Schule des Betens . . . . . . . . . . 1.2 Lob, Dank, Klage und Bitte . . . . . . . . . . . . . . . 1.3 Problemfeld Bittgebet . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Meditation: Geistige Übung und geistlicher Vollzug . . . . 2.1 Meditation biblisch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Die wechselvolle Geschichte christlicher Meditation . 2.3 Meditation im Horizont säkularer Herausforderungen 3. Kontemplation und mystische Erfahrung . . . . . . . . . . 3.1 Christliche Kontemplation als Geistgebet . . . . . . . 3.2 Christliche Kontemplations- und Mystikkritik . . . . . 3.3 Neubewertung mystischer Traditionen im 20. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Epilog: Spiritualität als Hermeneutik . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Personenregister. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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V. Lebens- und glaubensgeschichtliche Dimensionen . 1. Theologisch-mystagogische Wegmodelle . . . . 1.1 Die triplex via . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Zweite Umkehr . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3 Tägliche Umkehr und ordo salutis . . . . . . 1.4 Geisttaufe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Psychologische Konzepte spiritueller Entwicklung 2.1 Psychoanalytische Konzeptionen . . . . . . 2.2 James W. Fowlers ,Stufen des Glaubens‘ . . . 3. Theologisch-anthropologische Modelle . . . . . 3.1 Luigi M. Rulla: Theologische Anthropologie der Berufung . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2 Wolfhart Pannenberg: Egozentrizität und wahres Selbst . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Vorwort ,Spiritualität‘ steht für eine vielgestaltige Suche nach einem „Ort der Fülle“ (Ch. Taylor). Spirituell leben heißt, sich von einer selbstzentrierten und materialistischen Orientierung lösen. Manche verstehen heute ,Spiritualität‘ darüber hinaus auch im Kontrast zu ,Religiosität‘. Das erste Kapitel der vorliegenden Einleitung geht der Herkunft dieses merkwürdigen Kontrastes nach. Auf dem Hintergrund der paulinischen Wurzeln des Begriffs wird ,Spiritualität‘ pneumatologisch als ars spiritualis bzw. als Kunst geistbestimmten Lebens bestimmt. Im Kreise der akademischen Disziplinen erscheint die Theologie der Spiritualität heute als junger Spross. Wenige wissen, dass dieser Benjamin bereits gut 400 Jahre zählt. Im zweiten Kapitel soll deshalb die Geschichte dieses Faches rekonstruiert werden. Ein kurzer Überblick über gegenwärtige Versuche, das Fach in den theologischen Fächerkanon einzuordnen, vergegenwärtigt die Möglichkeiten seiner künftigen Entwicklung. Im Ausgang an diese erste Selbstvergewisserung und Kontextualisierung wird vorgeschlagen, das Fach als theologische Hermeneutik des geistbestimmten Lebens zu konzipieren. Was der I. Teil in Form einer Metareflexion entwickelt, wird in den darauf folgenden Kapiteln in verschiedene Richtungen entfaltet und veranschaulicht: Ausgehend von der Vorstellung, dass Gottes Geist in den Glaubenden wohnt und wirkt, werden zunächst die unterschiedlichen Aspekte des Christwerdens und die responsorische Struktur des christlichen Lebens untersucht (II.). Anschließend werden einige spirituelle Lebensformen und die Unterscheidung zwischen aktivem und kontemplativem Leben erkundet (III.). Unter der Überschrift ,Spirituelle Grundvollzüge‘ kommen die unterschiedlichen Formen christlichen Betens, zu denen auch die Meditation und die Kontemplation gehören, in den Fokus der Untersuchung (IV.). Der letzte Teil widmet sich den lebensgeschichtlichen Dimensionen christlicher Spiritualität. Analysiert werden ältere und jüngere Vorschläge, die Wachstumsdynamik des spirituellen Weges zu systematisieren. In allen Abschnitten wird versucht, die ,Ökumene der Gaben‘ ernst zu nehmen und verschiedene konfessionelle Traditionen zu Wort kommen zu lassen. Dass dabei ein katholischer Autor am Werk ist, kann und soll dennoch nicht verborgen bleiben. Was das vorliegende Buch nicht bieten kann, sind konkrete Anregungen zur spirituellen Methodik. Eine Theologie der Spiritualität hat nicht die Aufgabe einer Praxisanleitung. Sie ist Praxisreflexion im Kontext der Wissenschaft. Einleitung ist das Buch deshalb nicht in einem mystagogischen Sinne. Es handelt sich vielmehr um eine Hinführung zu einem methodischen Nachdenken über das weitgefächerte Gebiet christlich-spiritueller Praxis. Die Disziplin des Denkens kann aber als eigene Form der Askese und insofern ebenfalls als geistliche Übung vollzogen werden.
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Vorwort
Vielfältige Anregungen und redaktionelle Unterstützung habe ich erhalten von Dr. phil. Iso Baumer, Dr. phil. Ingeborg Peng-Keller, Dr. theol. Albert Schmucki OFM und Dr. theol. Bruno Rieder OSB. Ihnen sei an dieser Stelle herzlich gedankt. Zürich, 8. Januar 2010
Simon Peng-Keller
I. Spiritualität im Fokus akademischer Theologie Das erste Kapitel dieser Einführung in die Theologie der Spiritualität dient einem ersten Abschreiten des thematischen Feldes: Angesichts der vielfach beklagten Begriffsdiffusion, die die heutige Rede von ,Spiritualität‘ kennzeichnet, ist es unumgänglich, mit einer sorgfältigen Klärung des Begriffs einzusetzen. Danach umreiße ich das Aufgabenfeld einer ,Theologie der Spiritualität‘ und verorte das Fach im Ganzen der Theologie. In einem dritten Schritt werfe ich einen kurzen Blick in die außertheologische Spiritualitätsforschung und frage nach dem Eigenprofil des Faches.
1. Der Begriff ,Spiritualität‘ Was Dieter Henrich vor bald drei Jahrzehnten im Blick auf den Identitätsbegriff vermerkte, dass er nämlich „über unkontrollierte Bedeutungsverschiebungen“ entstand und eine Vorstellung sei, „in der sich Assoziationen stärker geltend machen als ausgearbeitete Gedanken“ (427:136), trifft ohne Einschränkung auch auf den Spiritualitätsbegriff zu. Orientiert man sich am gängigen Wortgebrauch, so wird man mit dem merkwürdigen Faktum konfrontiert, dass im westeuropäischen Kontext die Begriffe ,spirituell‘ und ,religiös‘ in ein kontrastives Verhältnis geraten sind. Während sich gemäß zuverlässigen Studien im Bewusstsein der meisten US-Amerikaner/innen Religiosität und Spiritualität nicht nur nicht ausschließen, sondern sich die befragten Personen in der Mehrzahl um so spiritueller einschätzen, je häufiger sie die Kirche besuchen, haben die Befragungen von 190 Studierenden der Universitäten Freiburg/Schweiz und Salzburg zu anderen Ergebnissen geführt: Nur 26 % der Befragten sind gemäß ihrer Selbsteinschätzung gleichzeitig spirituell und religiös, während sich 36 % als spirituell, aber nicht als religiös und 16 % als religiös, aber nicht als spirituell bezeichneten. Die restlichen 22 % nahmen für sich weder das eine noch das andere Prädikat in Anspruch (Bucher/315:51 f.). Nach Meinung der Forscher wird sich dieser Trend sowohl in Europa wie in den USA verstärken, wobei er, wie sich ebenfalls zeigen lässt, mit einem deutlichen Wandel der jeweiligen ,religiösen‘ bzw. ,spirituellen‘ Praxis korreliert. Die meisten Personen, die sich als spirituell, aber nicht als religiös bezeichnen, haben sich von den kirchlichen Gemeinschaften entfremdet und sind gegenüber christlichen Glaubensinhalten reserviert. Für sie stehen Spiritualität und Religion in einem kontrastiven Verhältnis. Wie ist es zu diesem Gegensatz von ,spirituell‘ und ,religiös‘ gekommen?
spirituell vs. religiös
1.1 Begriffsgeschichtliche Aspekte Nicht erst die jüngere Entwicklung des Spiritualitätsbegriffs zeichnet sich durch starke semantische Verschiebungen und aufschlussreiche Überlagerungen aus: Schon seine Geschichte verläuft eigentümlich und verrät etwas
Biblische Wurzeln
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I. Spiritualität im Fokus akademischer Theologie
,spiritualitas‘ als begriffliche Innovation
Scholastische und volkssprachliche Rezeption
,nouvelle spiritualité‘
darüber, wie sich das religiöse Koordinatensystem Europas im Laufe der Jahrhunderte verschiebt. ,Spiritualitas‘ tritt in drei Hauptbedeutungen auf: Neben der pneumatologischen Grundbedeutung des Wortes, die selber markanten Umakzentuierungen ausgesetzt ist, kommt im Mittelalter auch eine philosophische und eine juristische Gebrauchsweise auf, wobei deutliche Interferenzen festzustellen sind. Die biblische Vorgeschichte des Ausdrucks führt in das corpus paulinum, in welchem dem Adjektiv pneumatikos eine begriffliche Schlüsselstellung zukommt. ,Pneumatisch‘ sind nach dem Apostel Christen, in denen das heilige Pneuma des erhöhten Christus als endzeitliche Gabe einwohnt und die sich von dieser pneumatischen Wirkkraft bestimmen lassen (Röm 8). Alle anderen bezeichnet Paulus in einem scharfen Kontrast als vom ,Fleisch‘ bestimmte Menschen (sarkikoi ), wobei er damit nicht einen anthropologischen Dualismus markiert, sondern in prophetischer Tradition (Jer 17,5 ff.) und im Horizont des Ostergeschehens die eschatologische Neubestimmung des Lebens bezeichnet. Bereits im frühesten bekannten Beleg für ,spiritualitas‘, der aus dem 5. Jahrhundert stammt, ist die Distanz zu den paulinischen Wurzeln schon deutlich spürbar. Es ist nicht ohne Ironie für die abendländische Spiritualitätsgeschichte, dass er sich in einem Brief findet, der vermutlich von Pelagius stammt. Der Adressat, ein neugetaufter Christ, wird darin ermahnt, eifrig in der Heiligen Schrift zu lesen und nach ihren Geboten zu leben, um so in der ,Spiritualität‘ fortzuschreiten (ut in spiritualitate proficias; PL 30,114 f.). Wenn Pelagius dem Neugetauften zudem nahe legt, in der verbleibenden Lebenszeit im Geiste (in spiritu) zu säen, um so die Ernte an geistigen Gütern (in spiritualibus) einzubringen, zeigt sich eine deutliche Abweichung vom neutestamentlichen Sprachgebrauch: Während es nach Paulus das heilige Pneuma ist, das sät und in dem von ihm bewohnten Leben vielfältige Frucht hervorbringt, spricht Pelagius nicht vom Pneuma als eschatologischer Gabe oder göttliche Lebenskraft, sondern nähert sich der späteren Gleichsetzung von spiritualitas mit incorporalitas an. Die begriffliche Innovation des Pelagius bleibt vorerst Episode. Erst im 12. Jahrhundert, im Umfeld der aufkommenden Scholastik, bürgert sich die Rede von der ,spiritualitas‘ als ontologisch-anthropologischer Kontrastbegriff zu ,corporalitas‘ ein. Die Oszillation zwischen der pneumatologisch-eschatologischen Bedeutung, die dem Begriff von seiner neutestamentlichen Herkunft anhaftet, und der anthropologisch-philosophischen Gebrauchsweise gehört nach Bernard McGinn „zu den am wenigsten glücklichsten Folgen der Scholastik“ (137: 339). In der gleichen Zeit wird die Metapher von den ,geistlichen Gütern‘ ins Rechtliche übertragen: ,Spiritualitas‘ ist forthin auch der Überbegriff für den Bereich der kirchlichen Rechtssprechung. Es ist diese Bedeutung, die die Volkssprachen aufnehmen: Als ,espiritualité‘ taucht der Begriff im 13. Jahrhundert erstmals im Französischen auf (Leclercq/90:292). In der gleichen, juristisch orientierten Sinnrichtung ist die Rede von der ,Geistlichkeit‘ zu verstehen, die sich spätmittelalterlich im Deutschen als Bezeichnung für den Klerus einbürgert und sich in katholischen Gegenden bis heute gehalten hat. Es ist bemerkenswert, dass trotz der damit entstandenen Dominanz des rechtlichen und philosophischen Gebrauchs der französische Terminus ,spiritualité‘ im 17. Jahrhundert wieder eine stärker theologische Färbung be-
1. Der Begriff ,Spiritualität‘
kommt. Der Begriff, der mit positiven oder negativen Akzenten versehen werden konnte, steht nun für eine neue Form spiritueller Praxis. Die pejorative Verwendung ist dabei die dominante: Der Jesuit Maximilian Sandaeus unterscheidet beispielsweise in seiner 1640 in Köln erscheinenden Rechtfertigung der mystischen Theologie die reine Kontemplation von einer imaginativ überwucherten ,spiritualité‘. Ein halbes Jahrhundert später bezeichnet Bossuet die von ihm bekämpfte mystische Strömung als ,nouvelle spiritualité‘. Diderot erläutert hingegen in seiner Enzyklopädie den Begriff in einem überschwänglich positiven Sinne (Solignac/99:1149). Die Spuren seiner französischen Neuprägung im 17. Jahrhundert bleiben dem Spiritualitätsbegriff für die kommenden Jahrhunderte eingeschrieben. Wenn sich auch der Verdacht des Quietismus, der vorübergehend seine Verbreitung blockiert, lange anhält, setzt sich im 20. Jahrhundert die positive Bedeutung durch. Die folgenreiche Konfusion zwischen einem pneumatologisch und einem philosophisch-anthropologisch akzentuierten Spiritualitätsverständnis bleibt dem Wort allerdings als Altlast eingezeichnet. Bezeichnend dafür ist die programmatische Definition, mit der Etienne Gilson 1943 das Forschungsgebiet der Theologie der Spiritualität festlegt. Von einem spirituellen Leben könne geredet werden, insofern es um einen Vollzug gehe, der den körperlichen Bereich übersteige und sich allein im reinen Denken zeige (126:12). Parallel zu dieser Entwicklung, die sich weitgehend auf die katholische Welt beschränkt, bildet sich im angelsächsischen Raum ein Verständnis von ,spirituality‘ aus, das durch eine transreligiöse Färbung gekennzeichnet ist. Diese Begriffsverwendung, die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts erstmals bei amerikanischen Spiritualisten und Unitariern aufkommt, wird dadurch populär, dass sie von Helena Petrovna Blavatsky, der Vorreiterin der modernen Esoterik, und Swami Vivekânanda aufgenommen wird. In seiner 1893 auf dem ersten World’s Parliament of Religions in Chicago gehaltenen Rede kritisiert Vivekânanda den materialistisch geprägten Westen und preist Indien als „the land of toleration and of spirituality“ (410:387). Nicht allein die darin angelegte Verbindung mit der Toleranzidee war es, die dem Spiritualitätsbegriff sein modernes Gepräge gab, sondern ebenso die damit einhergehende Betonung von ,unmittelbarem‘ religiösem Erleben anstelle von Ritual, Institution und Reflexion. Spiritualität und Religion geraten so in das eingangs beschriebene kontrastive Verhältnis. Breitenwirksam wurde das transreligiöse Verständnis von Spiritualität allerdings erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts durch die Vordenker des New Age. Marilyn Ferguson plädiert in ihrem 1980 erscheinenden Kultbuch The Aquarian Conspiracy für eine Transformation der traditionellen Religionen in eine universalistische Spiritualität, die den Fortschritt der naturwissenschaftlichen Welterkenntnis zu integrieren und den religiösen Glauben durch ein unmittelbares ,mystisches‘ Erfahrungswissen zu ersetzen vermöge. Spiritualität steht in diesem Zusammenhang für einen „Geist-Monismus“ (105:16), der in einer eigentümlichen Synthese von prämodernen Korrespondenzvorstellungen, modernem Fortschrittsdenken, spätmoderner Kosmologie und postmoderner Mythenfreundlichkeit ein Gefühl lebensweltlicher Geborgenheit und weltanschaulicher Orientierung vermittelt. Aus theologischer Sicht springt der markante Gegensatz zwischen der christlichen und der esoterischen Besetzung des Spiritualitätsbegriffs ins
,Spirituality‘ als transreligiöser Begriff
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I. Spiritualität im Fokus akademischer Theologie ,Spiritualität‘ als Antwort auf ein veräußerlichtes Christentum
Theologische Aufgabenstellung
Auge, auch wenn diese Differenz oft durch einen vagen Rekurs auf die ,mystischen‘ Traditionen des Christentums überspielt wird. Dass es im großen Strom christlicher Spiritualität vielfältige gnostische, hermetische, neuplatonische, spiritualistische und theosophische Unterströmungen gegeben hat, die von den Kirchenleitungen und der Schultheologie meist mit großem Argwohn betrachtet wurden, ist allerdings nicht zu bestreiten. Der Kontrast zwischen einer veräußerlichten Religiosität und einer ,spirituellen‘ Verinnerlichung, der in der neospirituellen Kritik kirchlicher Religiosität heute in Anspruch genommen wird, gehört zudem zur Konstitutionsgeschichte jüdisch-christlicher Religion (Am 5,21 f.; Mt 6,5 f.). Auch die reformatorischen Erneuerungsbewegungen traten im Namen einer schlichten und verinnerlichten Glaubenspraxis gegen ein veräußerlichtes Christentum auf. Kennzeichnend für die protestantische Entwicklung ist, dass sich der religiös motivierte Aufstand gegen eine amtskirchliche oder volksfromme Werkgerechtigkeit innerhalb der reformatorischen Kirchen selber mehrfach wiederholte und so unterschiedliche Bewegungen wie die Quäker, den Pietismus oder Emmanuel Swedenborgs ,Neue Kirche‘ hervorbrachte. Dass die reformatorische Theologie bis in die siebziger Jahre des letzten Jahrhunderts davor zurückschreckte, sich den Spiritualitätsbegriff positiv anzueignen, und bis heute teilweise die von Luther in die deutsche Sprache eingeführte Rede von Frömmigkeit vorzieht (Axmacher/80; Bobert/118), darf den reformatorischen Einfluss auf den heutigen Gebrauch des Spiritualitätsbegriffs nicht verdecken. Die begriffsgeschichtliche Rekonstruktion macht deutlich, dass die Mehrsinnigkeit heutiger Rede von Spiritualität und die Tendenz zur Abgrenzung von einer kirchlich gebundenen Religionsform weit zurückliegende Ursprünge besitzen. Das sachliche Problem ist mit dieser Einsicht allerdings noch nicht gelöst. Eine theologisch reflektierte Rede von Spiritualität steht vor der Aufgabe, den Begriff in einer klaren theologischen Bestimmtheit zu gebrauchen, ohne dabei die interdisziplinäre Kommunikabilität zu verlieren. Der folgende Abschnitt erkundet einige Möglichkeiten, diese Aufgabe anzugehen. 1.2 Theologische Begriffsbestimmungen
,Spiritualität‘ als theologischanthropologischer Begriff
Die Mehrdeutigkeit heutiger Rede von Spiritualität zeigt sich nicht zuletzt daran, dass der Begriff auch theologisch verschieden gebraucht wird. Es ist zu beobachten, dass in der theologischen Fachliteratur zwei unterschiedliche Verwendungsweisen nebeneinander laufen. Das vorherrschende Verständnis lässt sich als theologisch-anthropologisch beschreiben. Doch kann der Begriff auch pneumatologisch akzentuiert werden. Eine vorwiegend theologisch-anthropologische Verwendung des Begriffs findet sich bei so unterschiedlichen Autoren wie Hans Urs von Balthasar, Sandra Schneiders und Dietmar Mieth. Kennzeichnend für diesen Verständniszugang ist es, dass zunächst nach der Bedeutung von ,Spiritualität‘ im Allgemeinen gefragt wird und dann in einem zweiten Schritt das christliche Spezifikum herausgearbeitet wird. So schlägt Balthasar vor, unter Spiritualität die „je praktische oder existentielle Grundhaltung eines Menschen“ zu verstehen, „die Folge und Ausdruck seines religiösen – oder allgemeiner:
1. Der Begriff ,Spiritualität‘
ethisch-engagierten Daseinsverständnisses“ sei: „eine akthafte und zuständliche (habituelle) Durchstimmtheit seines Lebens von seinen objektiven Letzteinsichten und Letztentscheidungen her“ (82:247). Die anthropologisch-normative Prämisse, von der Balthasar ausgeht, ist die These, „daß der Mensch sich als Geist versteht und durch Geist definiert – und nicht durch Materie, nicht durch Leib, nicht durch Trieb“ (82:248). Unter den Spiritualitätsbegriff fallen demnach – in Kierkegaard’schen Kategorien – sowohl die religiöse wie die ethische Existenz, nicht aber eine ästhetisch-selbstbezogene, mag diese noch so innerlich und reflektiert sein. Spiritualität in diesem Sinne findet sich nach Balthasar nicht nur im Christentum, dem Buddhismus und dem Islam, sondern auch in den nicht-materialistischen philosophischen Schulen der Antike, die die christliche Spiritualität präformierten und mitprägten. Die theologische Pointe besteht darin, dass von Balthasar die christliche Spiritualität als transformierende Aufnahme des Platonismus (Transzendenzstreben), Aristotelismus (sittliche Entschiedenheit) und Stoizismus (Gelassenheit) versteht, die von der Christusoffenbarung eine „Neubegründung aus einem für sie selbst unzugänglichen Ursprung“ erfahren (82:255). Christus ist nach Balthasar der synthetische Zielpunkt und die maßgebliche und konkrete Integration von Gott und Welt, worauf alle wahre Spiritualität hinstrebt: „Die menschlichen Spiritualitäten überstiegen sich alle in die Letzthaltung Christi hinein, so daß für den Christen – auch für den heutigen – die Frage nicht die ist, wie er eine menschliche mit der christlichen Spiritualität zu einer Synthese bringe, sondern wie er aus dem Geist Christi seine menschliche Situation bewältigen soll“ (82:262). Ähnlich wie Balthasar, aber mit deutlich anderen Akzenten geht auch Sandra Schneiders davon aus, dass Spiritualität anthropologisch zu bestimmen ist und ebenso in religiösen wie in nicht (explizit) religiösen Formen auftritt. Sie beschreibt Spiritualität in diesem grundlegenden Sinne als „actualization of the basic human capacity for transcendence“ bzw. „as the experience of conscious involvement in the project of life-integration through self-transcendence toward the horizon of ultimate value one perceives“ (143:16). Auch Schneiders Spiritualitätsbegriff ist normativ. Er gewinnt sein Profil durch die Abgrenzung von „spiritually negative life-organizations’’ wie beispielsweise Sucht, Machtstreben und Ausbeutung (143:17). Das Spezifikum christlicher Spiritualität ist nach Schneiders die Ausrichtung auf den in Jesus Christus sich offenbarenden Gott und die Transformation des Lebens durch den Heiligen Geist. Was das Verhältnis zwischen christlicher und nicht-christlicher Spiritualität betrifft, vertritt die nordamerikanische Theologin im Unterschied zu von Balthasar nicht einen christologischen, sondern einen schöpfungstheologisch-anthropologischen Inklusivismus: „If nothing human is foreign to the Christian, then nothing spiritual is foreign to Christian spirituality“ (143:26). Einen dritten Weg innerhalb der anthropologischtheologischen Modelle wählt Dietmar Mieth, wenn er Spiritualität zunächst als Inbegriff einer Haltung beschreibt, in der sich Bewusstsein und Sein zusammenschließen, und diese Haltung dann näherbestimmt als „eine sowohl im Denken wie im Leben ausgeprägte Einheit des Strebens nach Vollkommenheit und der Nachfolge Christi“ (444:24 f.). Ein deutlich anders konturierter Spiritualitätsbegriff findet sich, wo in einer pneumatologischen Orientierung spiritus primär nicht auf den
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I. Spiritualität im Fokus akademischer Theologie ,Spiritualität‘ als pneumatologischer Begriff
Spiritualität als ars spiritualis
Spiritualität im Singular und im Plural
,Spiritualität‘ nach dem ÖRK
menschlichen Geist, sondern auf Gottes Geist bezogen wird. Einen solchen Zugang wählt beispielsweise Bertram Stubenrauch, der angesichts der Vieldeutigkeit des Spiritualitätsbegriffs tautologisch-verdeutlichend für eine „bewußt pneumatisch orientierte Spiritualität“ plädiert (101:146). Anders als Schneiders, die die Erfahrungsdimension der Spiritualität fokussiert, betont Stubenrauch, ähnlich wie von Balthasar und Mieth, die Dimension des Logos bzw. des Ethos: „Sofern der Heilige Geist die Getauften mit Gott vereinigt, offenbart er ihnen den Sinn der Welt und den Sinn der menschlichen Existenz. Sofern er die Getauften zugleich untereinander verbindet und auf alle Menschen hin entgrenzt, bildet er die Richtschnur und die Quelle der Moral. In diesem zweifachen Sinn dient der Heilige Geist als Wegbegleiter: Was die Christen im Glauben erkennen, soll in ihrer Haltung und ihrem Handeln zum Ausdruck kommen“ (101:147). Das Potential eines pneumatologisch gefüllten Spiritualitätsbegriffs tritt deutlich hervor, wenn man ihn mit dem Begriff ,Frömmigkeit‘, an dessen Stelle er getreten ist, vergleicht. Auf dem Hintergrund seiner neutestamentlichen Matrix bringt ,Spiritualität‘ in diesem Sinne den Primat von Gottes Handeln gegenüber der religiösen Aktivität des Menschen zur Geltung. Anders als ,Frömmigkeit‘ zielt eine biblisch-pneumatologische Rede von Spiritualität nicht primär auf das religiöse Tun bzw. die religiöse Haltung des Menschen, sondern auf das lebenserneuernde Wirken des Heiligen Geistes. Die beiden skizzierten Möglichkeiten, den Spiritualitätsbegriff theologisch zu bestimmen, sind zwar im Ansatz deutlich voneinander zu unterscheiden, lassen sich aber in der Näherbestimmung miteinander kombinieren. Liest man den Begriff als Kürzel für ,Leben aus dem Geist Gottes‘, so ist das ethische Moment – das ,Leben‘ im Sinne von ,Lebensführung‘ – in die pneumatologische Grundbestimmung eingezeichnet. Ein solcher Spiritualitätsbegriff bezeichnet ebenso die Formkraft, die ein solches Leben bestimmt, wie die Grundhaltung und die Praxis, die sich der Präsenz des Geistes verdanken. ,Spiritualität‘ bedeutet in diesem Sinne eine vom Geist Gottes bestimmte Lebensform und Lebensführung, oder noch kürzer: ars spiritualis – die Kunst, geistbestimmt zu leben (s. Regula Benedicti 4,75). Insofern sich die je konkrete Weise, sein Leben aus dem Geist Jesu zu gestalten und sich von ihm bestimmen zu lassen, zudem geformt wird durch konfessionelle Traditionen, Frömmigkeitsstile und gemeinschaftliche Praktiken, kann von christlicher Spiritualität auch im Plural gesprochen werden. Geistbestimmtes Leben verwirklicht sich faktisch immer im Kontext von vorgeprägten Spiritualitäten, die dadurch adaptiert und weiterentwickelt werden. Da das universal wirksame Pneuma Gottes als Geist der Liebe individualisierend wirkt und das Leben derer, die sich von ihm bestimmen lassen, auf singuläre Weise prägt, ist das, was jeweils konkret als Spiritualität beschreibbar ist, eine je einzigartige Gestaltwerdung des neuen Seins in Christus. Es spricht auf diesem Hintergrund theologisch viel dafür, den Begriff in erster Linie im Singular zu gebrauchen: „Wenn das Wirken des Heiligen Geistes für die gesamte Christenheit angenommen werden darf, dann muß auch die in ihr zutage tretende Spiritualität – trotz aller Vielfalt – unteilbar sein“ (Barth/56:8 f.). In einem 1991 auf der Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen in Canberra vorgelegten Sektionsbericht findet sich ein gelungener Ver-
2. Theologie der Spiritualität als Lehr- und Forschungsgebiet
such, das Wesen christlicher Spiritualität in einer biblischen Sprache zu umschreiben: „Spiritualität wurzelt in der Taufe und in der Nachfolge. Durch sie sind wir in das Sterben und die Auferstehung Christi hineingenommen, werden Glieder seines Leibes und empfangen die Gaben des Heiligen Geistes, damit wir ein Leben führen, das in den Dienst für Gott und für Gottes Kinder gestellt ist. (…) Spiritualität ist die Feier der Gaben Gottes, Leben in Fülle, Hoffnung in Jesus Christus, dem gekreuzigten und auferstandenen Herrn, und Verwandlung durch den Heiligen Geist. Spiritualität ist auch das unablässige, oft mühsame Ringen um das Leben im Licht inmitten von Dunkelheit und Zweifel. Spiritualität bedeutet, das Kreuz um der Welt willen auf sich nehmen, an der Qual aller teilhaben und in den Tiefen menschlichen Elends Gottes Antlitz suchen. (…) Spiritualität – in ihren vielfältigen Formen – heißt lebensspendende Energie empfangen, geläutert, inspiriert, frei gemacht und in allen Dingen in die Nachfolge Christi gestellt werden. (…) Eine ökumenische Spiritualität für unsere Zeit sollte hier und jetzt inkarniert, lebensspendend, in der Schrift verwurzelt und vom Gebet genährt, in der Gemeinschaft und der Feier Gestalt finden, ihre Mitte in der Eucharistie haben und in Vertrauen und Zuversicht ihren Ausdruck im Dienst und im Zeugnis finden“ (93:116). Nach dieser Umschreibung ist christliche Spiritualität bestimmt durch ihre Herkunft aus dem Christusereignis und der Taufe, ihren Gemeinschaftsbezug (Teilhabe am Leib Christi), ihren Vollzug (Nachfolge Christi, Dienst am Menschen, Gebet) sowie durch Grundhaltungen wie Vertrauen, Zuversicht und Geduld. Das zentrale Moment dieser unterschiedlichen Umschreibungen bildet der dynamisierende Geist Christi, dessen Wirken sich die beschriebenen Bezüge, Vollzüge und Haltungen verdanken. Einer Theologie der Spiritualität kommt auf dem Hintergrund einer solchen Phänomenbestimmung die Aufgabe zu, sowohl die pneumatische Orientierung, die geschichtlichen Kontinuitäten und die anthropologisch bedingten Gesetzmäßigkeiten herauszuarbeiten, als auch das je einzigartige und eschatologisch neue Wirken des Geistes zu bedenken. Die methodologischen Probleme, die eine solche Aufgabe beinhaltet, dürften neben dem divergenten Verständnis von ,Spiritualität‘ ein wichtiger Grund dafür sein, dass die stärkere Etablierung des theologischen Faches, das sich dieser vielschichtigen Aufgabe widmet, sich gegenwärtig eher schwierig gestaltet. In den nächsten Abschnitten sollen die Möglichkeiten, das Profil und den Aufgabenbereich einer Theologie der Spiritualität zu umreißen, genauer betrachtet werden.
2. Theologie der Spiritualität als Lehr- und Forschungsgebiet 2.1 Geschichtliche Stationen Als eigenständige akademisch-theologische Disziplin taucht die Theologie des geistlichen Lebens unter verschiedenen Bezeichnungen erstmals im 17. Jahrhundert an katholischen Ordenshochschulen auf. Im Gegenzug zur
Scholastische Spiritualitätstheologie
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I. Spiritualität im Fokus akademischer Theologie
Die Kompendien des 17. Jahrhunderts
G. Voetius’ theologia ascetica
spätmittelalterlichen Tendenz, der scholastischen Theologie eine stärker affektiv bestimmte Erfahrungstheologie entgegenzusetzen, wurde in dieser Zeit erstmals versucht, der theologia spiritualis im Rahmen der nachtridentinischen Schultheologie einen Ort zu verschaffen. Der Keim zu dieser Entwicklung ist bereits im Bauplan der thomasischen Summa theologiae und ihren Vorläufern angelegt: Die im Umfeld der neuen Orden und Gemeinschaften intensiv diskutierten Fragen nach der geistlichen Lebensform, der Prophetie und der mystischen Entrückung werden von Thomas von Aquin in eigenständigen Traktaten behandelt, die ihren Platz am Ende seiner theologischen Ethik finden (S.th. II-II, 171 ff.). Die im 17. Jahrhundert stattfindende Ausdifferenzierung verdankt sich jedoch auch einem äußeren Impuls. Es sind die spirituellen Aufbrüche des 16. Jahrhunderts, die die spiritualitätstheologischen Reflexionen der folgenden Jahrhunderte befruchten. So weckte das Werk der Teresa von Avila nicht nur das Misstrauen der Inquisition, sondern ebenso das Interesse von führenden Gelehrten wie Domingo Báñez und Luis de León. Impulsgebend war die ,neue‘ Mystik nicht zuletzt durch die erbitterten Kontroversen, die sie auslöste, und zwar sowohl im aufstrebenden Jesuitenorden wie auch bei den Karmeliten, wo sich die Auseinandersetzung um die radikale Lehre des Johannes vom Kreuz konzentrierte. In dessen Hauptwerken, konzipiert als scholastisch geprägte, aber mystagogisch ausgerichtete Kommentare zu seiner mystischen Poesie, findet sich ein Modell für die neuartigen mystisch-scholastischen Werke des 17. Jahrhunderts. Für die Entwicklung innerhalb des Jesuitenordens spielte der gelehrte Ordensgeneral Claudio Aquaviva eine Schlüsselrolle. Er leitete die Gesellschaft Jesu von 1581 bis 1615 und leitete ein patristisches ressourcement ein (256:219 ff.). Die theologia spiritualis des 17. Jahrhunderts ist als Versuch zu verstehen, den spirituellen Erfahrungen und Wegen, die in der geistlichen Literatur dieser Zeit neu erschlossen und in mystagogischer Absicht thematisiert wurden, eine systematische und reflektierte Gestalt zu geben. Die maßgeblichen Referenzwerke der neuen Magister dieser theologischen Disziplin sind zum einen Thomas von Aquins Summa theologiae und zum anderen die quasikanonischen geistlichen Schriften älteren und jüngeren Datums. Als erstes großes und maßgebliches Handbuch der neuen scholastischen Teildisziplin erscheint 1608 in Lyon das Werk De vita spirituali ejusque perfectione aus der Feder des in Peru tätigen Jesuiten Jacques Álvarez de Paz. In Sprache und Strukturierung ist das umfangreiche Opus einem scholastischen Kompendium nachgebildet und damit eindeutig als Lehrbuch und nicht als geistliche Schrift konzipiert. Von den vielen Manualen, die in der Folge entstehen, seien nur zwei einflussreiche Werke erwähnt: 1640 gibt Maximilian Sandaeus unter dem Titel Pro theologia mystica clavis eine Art spirituelles Lexikon heraus, während der Karmelit Philipp von der Trinität 1656 in Lyon seine modellgebende Summa theologiae mysticae veröffentlicht. Kennzeichnend für die neuartige Theologie des geistlichen Lebens, die sich in diesen Werken niederschlägt, ist die Orientierung am Modell des dreifachen Weges zur christlichen Vollkommenheit, wobei den einzelnen Läuterungs- und Reifungsstufen in der Regel bestimmte Gebetsgrade zugeordnet werden. Auch auf evangelischer Seite kommt es im 17. Jahrhundert zu einer ersten Grundlegung einer theologischen Disziplin, die sich speziell mit den Fragen
2. Theologie der Spiritualität als Lehr- und Forschungsgebiet
des geistlichen Lebens beschäftigt. Anders als auf der katholischen Seite wird sie von Anfang an der praktischen Theologie zugeordnet. Nach Gisbert Voetius, dem führenden Theologen der reformierten Orthodoxie in den Niederlanden, gehört die theologia ascetica neben der Lehre von der Predigt, der Seelsorge und der Kirchenleitung zu den vier Hauptdisziplinen der praktischen Theologie. Ihr Aufgabengebiet umschreibt er folgendermaßen: „Die ,ascetica‘ ist eine theologische Wissenschaft, und zwar derjenige Teil der Theologie, welcher eine systematische Beschreibung der Praxis der Gottseligkeit [exercitiorum pietatis] beinhaltet“ (117:114). Voetius belässt es nicht bei einer abstrakten Gebietszuteilung, sondern gibt in seinen Vorlesungen und Disputationen der neuen Disziplin eine differenzierte Gestalt. Das Ergebnis seiner Forschungen veröffentlicht er 1664 unter dem Titel TA ARKETIKA sive Exercitia pietatis. Das umfangreiche Werk (879 Seiten!), das wie seine katholischen Vorgänger durch Quaestionen strukturiert ist, beschäftigt sich nach der Klärung der Grundbegriffe u. a. mit der Meditation, dem Gebet, der Bekehrung, den Tränen und dem Lachen, der lectio divina, der Kontemplation und der geistlichen Erfahrung, der Sabbatpraxis, den Übungen des Fastens, Wachens und Schweigens, dem geistlichen Kampf, der Erfahrung der geistlichen Trostlosigkeit und der ars moriendi. Voetius’ beeindruckende Synthese blieb innerhalb der reformierten Theologie ohne direkte Nachfolger. An den theologischen Ausbildungsstätten der reformatorischen Kirchen setzte sich das Modell Johann Andreas Quenstedts durch, das die Aszetik als Ethica pastorum behandelte. Zwar geriet auch diese zweite Form einer evangelischen Aszetik in den Studienreformen des 19. Jahrhunderts ins Abseits, doch hatte die Zuordnung zur Seelsorgeausbildung eine lange Nachwirkung. So trug beispielsweise der Verein der reformierten Pfarrer im Kanton Zürich seit seiner Gründung im Jahre 1768 bis 1913 den Namen ,Asketische Gesellschaft‘. Auch an den katholischen Ausbildungsstätten finden die großen Entwürfe des 17. Jahrhunderts in den nachfolgenden zwei Jahrhunderten nur spärliche Weiterführungen. Die politischen und geistigen Umbrüche bringen die Theologie des geistlichen Lebens als eigenständige theologische Disziplin im 19. Jahrhundert weitgehend zum Verschwinden, so dass sie im 20. Jahrhundert neu entdeckt und etabliert werden muss. Die Wiederanknüpfung an die großen Synthesen des 17. und 18. Jahrhunderts geschieht zunächst außerhalb der universitären Schultheologie. Von Anfang an steht sie im Zeichen einer Kontroverse um die mystische Kontemplation, die Auguste Saudreau 1896 mit seinem Buch Les degrés de la vie spirituelle initiiert. Saudreau hinterfragt drei für die barocke theologia spiritualis zentrale Unterscheidungen: Die Differenz zwischen Aszetik und Mystik, zwischen erworbener und eingegossener Kontemplation und zwischen allgemeinem Heilsweg und mystischem Sonderweg. Die durch Saudreau entfachte Diskussion forderte die Schultheologen zur Stellungnahme heraus und stimulierte die akademische Beschäftigung mit den strittigen Fragen. Auf institutioneller Ebene zeigt sich das Wiedererwachen des Faches in der Einrichtung entsprechender Lehrstühle an den führenden Ordenshochschulen. So schaffen die Dominikaner bereits 1917 am Angelicum in Rom einen Lehrstuhl für aszetische und mystische Theologie, der von Réginald Garrigou-Lagrange besetzt wird. Zwei Jahre später ziehen die Jesuiten nach und errichten an der Grego-
Neubelebung der theologia spiritualis zu Beginn des 20. Jh.
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I. Spiritualität im Fokus akademischer Theologie
Systematischtheologische und historische Zugänge
Katholische Theologie der Spiritualität nach dem II. Vatikanum
riana einen Lehrstuhl für mystisch-aszetische Theologie, dessen erster Inhaber Joseph de Guibert sich deutlich gegen Saudreau und Garrigou-Lagrange positioniert. Bei allen Unterschieden im Einzelnen verstehen diese Theologen ihr Fachgebiet als denjenigen Bereich „der Theologie, der von der christlichen Vollkommenheit handelt und den Wegen, die zu ihr führen“ (Pierre Pourrat; 142:343). Emblematisch für die gesamtkirchliche Breitenwirkung des renouveau mystique ist die 1926 erfolgte Erhebung des Johannes vom Kreuz zum Kirchenlehrer. Ein erster lehramtlicher Versuch, das neue Fach im Lehrplan des regulären katholischen Theologiestudiums einzuordnen, findet sich in der Apostolischen Konstitution Deus scientiarum Dominus, die Pius XI. 1931 veröffentlicht. Darin wird unterschieden zwischen der Aszetik, die als Hilfsdisziplin der Moraltheologie gelehrt werden solle, und der theologia mystica, die eine disciplina specialis darstelle. Die Abtrennung der aszetischen von der mystischen Theologie und die Zuordnung der Aszetik zur Moraltheologie dürfte einer der Gründe sein, weshalb sich nach dem vielversprechenden Neuaufbruch zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Theologie der Spiritualität als eigenständiges Lehrfach nur zögerlich entwickelt. Die Integration in den Fächerkanon der katholischen Theologie wird dadurch erschwert, dass sich die Theologie des geistlichen Lebens innerhalb des neuscholastischen Lehrgefüges zunächst als systematisch-theologische Disziplin etabliert, es aber von Beginn an eine starke Tendenz gab, sie im Blick auf die je eigene Ordenstradition primär historisch zu betreiben. Garrigou-Lagrange versuchte, dieses Problem dadurch zu lösen, dass er zwischen einer induktiv-beschreibenden und einer deduktiv-dogmatischen Methode unterschied und sich für eine Kombination der beiden Zugänge stark machte (125:13 ff.). Sein Appell, die exklusive Anwendung der beschreibenden Methode lasse vergessen, „daß die aszetische und mystische Theologie ein Teil der Theologie ist“ (125:15), konnte allerdings nicht verhindern, dass die weitere Entwicklung in diese Richtung läuft. Eine ausgewogene Begründung dafür, dass die Erforschung der christlichen Spiritualität ebenso auf die Geschichtswissenschaft wie die Dogmatik angewiesen ist, findet sich in der Inauguralvorlesung, die Étienne Gilson im Kriegsjahr 1943 anlässlich der Errichtung eines Lehrstuhl für Theologie und Geschichte der Spiritualität hielt. Stärker als Garrigou-Lagrange betont Gilson, dass es christliche Spiritualität nur in einer Vielfalt von singulären Lebensgestalten gibt und dass von diesen geschichtlich erforschbaren individuellen Ausformungen keine allgemeinen Regeln über das spirituelle Leben abgeleitet werden dürfen. Der eine Geist Gottes wirkt auf je singuläre Weise. Die Spiritualitätsgeschichte verlöre ihren Gegenstand, würde sie vom individualisierenden Wirken der Gnade absehen (126:23). Die Theologie des geistlichen Lebens gehörte nicht zu den Disziplinen, die im nachkonziliaren Umbau des katholischen Theologiestudiums gestärkt wurden. Der Abschied von der Neuscholastik, der sich im Zeichen einer neuen Orientierung an der Schrift und der patristischen Literatur vollzog, sowie die neuen pastoralen Herausforderungen führten zur Konzentration auf die theologischen Hauptdisziplinen und begünstigten stärker den Ausbau der Religionspädagogik und der Liturgiewissenschaft. Die Gründe für die nachkonziliare Marginalisierung der Theologie der Spiritualität dürften aber
2. Theologie der Spiritualität als Lehr- und Forschungsgebiet
auch mit dem gesellschaftlichen und kirchlichen Klima dieser Zeit zusammenhängen: Die mit großer Entschiedenheit vollzogene Wende zur ,Welt‘ sowie die neue Situation nach den Unruhen von 1968 fokussieren das theologische Interesse stärker auf ethische und politische Fragen. Die bisher selbstverständlichen Fragestellungen einer Theologie des geistlichen Lebens geraten in dieser bewegten Zeit unter den Verdacht einer defensiven Innerlichkeit. Die spiritualitätstheologischen Kompendien der Nachkonzilszeit wählen den Weg einer sanften Erweiterung der bisherigen Disziplin durch neue exegetische und systematisch-theologische Einsichten (Bernard/57; Weismayer/76). Die jüngeren katholischen Entwürfe betonen demgegenüber stärker den praktischen und interdisziplinären Charakter des Faches (Möde/66; Rotzetter/68; Waaijman/72–74). Auf evangelischer Seite war es Rudolf Bohren, der die Aszetik als eigenes Lehrfach neu ins Gespräch brachte. In seiner 1964 erschienenen Einführung in das Studium der evangelischen Theologie schlug er vor, das Fach Aszetik bzw. die „Lehre vom christlichen Leben“ wieder in den Lehr- und Forschungsplan der evangelischen Fakultäten aufzunehmen (119:25 f.). Auf institutioneller Ebene wurde dieser Vorschlag im deutschsprachigen Raum erst in jüngster Zeit aufgenommen. So wurde an der Augustana-Hochschule Neuendettelsau 2007 ein Institut für evangelische Aszetik und evangelische Frömmigkeitsforschung eingeweiht. Dass die Idee einer evangelischen Aszetik nicht vergessen ging, verdankt sich v. a. dem praktischen Theologen Manfred Seiz. Eine Reihe von programmatischen jüngeren Publikationen zeigen, dass sich eine solche Disziplin als Unterfach der praktischen Theologie an evangelischen Fakultäten zu etablieren beginnt (Bobert/118; Dahlgrün/60; Josuttis/132; Zimmerling/78). Parallel zur Neuerschließung der Aszetik als Thema praktischer Theologie beginnt auch die evangelische Ethik, den Begriff Spritualität für sich zu entdecken. So schlägt z. B. Johannes Fischer vor, die Geist-Dimension als den umfassendsten Horizont sittlicher Orientierung und christlicher Ethik zu betrachten (123:132 ff.). Wenn christliches Handeln grundsätzlich in diesem Horizont zu verstehen ist, dann drängt es sich auch auf, die christliche Aszetik als Aspekt evangelischer Ethik zu behandeln. Diese Folgerung zieht Günter Baader: „Soll (…) jeder Anschein vermieden werden, als könne A[skese] irgend etwas zum Entstehen von Glauben beitragen, so ist sie aus der Lehre vom Glauben der Lehre von den Folgen des Glaubens zu überstellen. Ist der Glaube in seinem Wesen unasketisch (sofern der Bräutigam da ist, Mt 9,15), dann kann sich A[skese] nur noch als Thema der allg. Ethik halten“ (115:837). Baders Kritik an den jüngeren Versuchen einer evangelischen Aszetik zeigt auf, inwiefern es theologisch unbefriedigend ist, bei der christlichen praxis pietatis anzusetzen. Eine pneumatologisch bestimmte Rede von Spiritualität bietet gegenüber einer solchen Kritik eine aussichtsreiche Alternative. 2.2 Geistliche Literatur und Praxis als locus theologicus Wie bereits erwähnt, kommt es mit der Blüte der scholastischen Theologie im Hochmittelalter zu einer Differenzierung zwischen geistlicher Literatur und schultheologischen Werken über Fragen des geistlichen Lebens. Die Traktate der thomasischen Summa über die Gabe der Prophetie, die mysti-
Neue evangelische Aszetik
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I. Spiritualität im Fokus akademischer Theologie
K. Rahners These
sche Entrückung und das kontemplative Leben unterscheiden sich deutlich von den geistlichen Werken dieser Zeit, die in praktischer Orientierung zu einem kontemplativen oder apostolischen christlichen Leben hinzuführen versuchen. Neben der bereits behandelten Frage nach der Aufgabe einer Theologie der Spiritualität innerhalb des theologischen Fächerkanons stellt sich damit auch die Frage nach der Bedeutung der geistlichen Literatur für die theologische Reflexion. Dass diese Frage für die Theologie der Spiritualität von besonderer Bedeutung ist, dürfte leicht ersichtlich sein: Wenn auch die anderen Disziplinen bei Gelegenheit gleichfalls auf diese Quellen zurückgreifen, ist ihr doch die Beschäftigung mit ihnen in besonderer Weise aufgegeben. Im Anschluss an Karl Rahner kann argumentiert werden, dass die geistliche Literatur als eigener locus theologicus zu betrachten sei. In seiner 1956 erstmals veröffentlichten Schrift Die Logik der existentiellen Erkenntnis bei Ignatius von Loyola reflektiert Rahner nicht allein auf die noch unausgeschöpften theologischen Impulse des ignatianischen Exerzitienbuchs, sondern er fragt auch in grundsätzlicher Hinsicht nach dem Verhältnis zwischen spiritueller Unterweisung und systematisch-theologischer Reflexion. Dabei unterscheidet er zwischen zweierlei Typen von Frömmigkeitsliteratur: „Es gibt (…) fromme Literatur zu Händen von allen und jedermann, die gegenüber der hohen Theologie sekundär ist, weil sie in vereinfachter Weise bloß wiederholt, was schon in den Büchern der Schultheologie steht. Es gibt aber auch eine fromme Literatur, die ein anderes Verhältnis zur gelehrten Theologie hat. (…) Es gibt fromme Literatur, die der Reflexion der Theologie vorausgeht, die ursprünglicher ist als diese, die weiser und erfahrener ist als die Schulweisheit, eine Literatur, in der der Glaube der Kirche, das Wort Gottes und die Tat des Heiligen Geistes, der nicht aufhört in der Kirche zu wirken, sich ursprünglicher zu Wort melden als in den Abhandlungen der Theologen“ (138:75).
Hermeneutische Herausforderungen
Im Blick auf solche Zeugnisse müsse sich der Theologe fragen, „ob er schon über die Mittel in seiner Theologie verfüge, dasjenige, was hier gelebt wird, wirklich zu einem reflexen Bewusstsein zu bringen, genauer verständlich zu machen und zu rechtfertigen, oder ob es so ist, dass (…) seine Theologie erst noch wachsen müsste (…), bevor sie (…) den Dienst leisten kann, die der unreflexe Vollzug des christlichen Daseins an sich von der Theologie erwarten darf“ (138:95 f.). Nach Rahner bilden geistliche Literatur und die sich daraus speisende Praxis christlicher Mystagogie, wo sie sich nicht in schlichter Repetition und Trivialisierung erschöpfen, einen eigenständigen locus theologicus, einen Fundort theologischer Erkenntnis, der der wissenschaftlichtheologischen Reflexion vorausliegt und dem bei allen Wechselbezügen Eigenständigkeit zukommt. Die von Rahner selbst untersuchten Werke bilden nicht nur ein Scharnier zwischen christlicher Existenz und theologischer Reflexion, sondern sie enthalten auch zukunftsweisende theologische Einsichten und Erfahrungen. Solche Schriften erfassen und regulieren christliche Lebensvollzüge in einer Weise, die als sapiential zu bezeichnen ist. Für eine Hermeneutik des christlichen Lebens bietet dieser theologische Fundort reichhaltiges Material für ,dichte Beschreibungen‘. Dabei stellen sich methodisch gesehen eigene Herausforderungen. Um den Vollzugssinn
3. Spiritualitätsforschung im Konflikt der Interpretationen
von verschriftlichter Mystagogie zu erfassen, muss eine solche theologische Hermeneutik insbesondere die Performanz der (Selbst-)Artikulation ins Auge fassen, also den Zeugnischarakter der Texte ebenso beachten wie ihre mystagogische Intention. Von schlichter Bekenntnisliteratur oder aszetischen Handlungsanweisungen unterscheiden sich die mystagogischen Texte, die in Rahners zweite Kategorie passen, durch eine indirekte Form, neue Lebensmöglichkeiten zu erschließen: etwa durch poetische Verschlüsselung, allegorische Exegese oder durch regulative Modelle, die nach persönlicher Adaptation verlangen. Die These von der geistlichen Literatur und Praxis als einem eigenständigen locus theologicus lässt sich theologiegeschichtlich vielfach belegen. Ich nenne nur drei Beispiele: Die kappadokische Pneumatologie, die die theologische Grundlage für die lehramtliche Definition der Göttlichkeit des Geistes legte, entwickelte sich unter dem Eindruck neuer spiritueller Aufbrüche in Kappadokien, Ägypten und Mesopotamien (Staats/463:94 ff.). Über tausend Jahre später war es die Lektüre der Predigten Taulers und der Theologia Deutsch, die dem Augustinermönch Martin Luther wesentliche Einsichten seiner späteren Theologie vermittelte (Leppin/437:72 ff.). Als drittes Beispiel ließe sich Rahner selbst anführen, dessen intensive Beschäftigung mit der geistlichen Literatur und dem ignatianischen Erbe sein Denken nachhaltig prägte (Zahlauer/482).
3. Spiritualitätsforschung im Konflikt der Interpretationen Dass eine Theologie der Spiritualität auf außertheologische Disziplinen angewiesen ist, um ihre Aufgabe zu erfüllen, ist eine alte Einsicht. Bereits Evagrios Pontikos adaptierte für seine spirituelle Lehre Einsichten der stoischen Psychologie. Der Jesuit Joseph de Guibert, ein Pionier der theologischen Spiritualitätsforschung des 20. Jahrhunderts, bemerkte 1920, dass das psychologische Bemühen um ein tieferes Verstehen bestimmter Phänomene so alt sei wie die Spiritualität selber, wenn auch die empirische Erforschung in einem strengen Sinne erst in jüngerer Zeit eingesetzt habe (128:8). Dass eine Theologie der Spiritualität von der Spiritualitätsforschung, die an anderen Fakultäten betrieben wird, profitieren und im günstigen Fall selber etwas zum interdisziplinären Gespräch beitragen kann, ist unbestritten. Sie steht dabei vor ähnlichen Herausforderungen, wie sie sich der Religionspädagogik oder der Liturgiewissenschaft hinsichtlich der Erziehungswissenschaft und der Kunstgeschichte stellen: Dass die gleichen Termini in den verschiedenen Disziplinen eine unterschiedliche Bedeutung tragen (,Spiritualität‘, ,Glaube‘ etc.), ist in einem solchen interdisziplinären Diskurs ebenso zu beachten wie die perspektivischen Differenzen, die nicht nochmals in einer Metaperspektive überschaut werden können. Der Einfachheit halber beschränke ich mich im Folgenden auf die zwei wichtigsten Forschungszweige: die historische Erforschung der Spiritualitätsgeschichte und human- und sozialwissenschaftliche Untersuchungen zur Spiritualität der Gegenwart. In einem dritten Schritt soll schließlich das methodische Instrumentarium entwickelt
Historische Beispiele
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I. Spiritualität im Fokus akademischer Theologie
werden, das es einer Theologie der Spiritualität erlaubt, die außertheologische Spiritualitätsforschung in konstruktiver Weise zu rezipieren. 3.1 Historische Forschung Bewährte Interdisziplinarität
Die historische Erforschung der Quellen und der Geschichte christlicher Spiritualität dürfte für eine Theologie der Spiritualität der wichtigste benachbarte Forschungszweig sein. Wie eine unüberschaubare Fülle von Einzelstudien, Monographien, Gesamtdarstellungen und Texteditionen zeigen, bildet das Quellenstudium einen Schwerpunkt der neueren Spiritualitätsforschung. Die interdisziplinäre Zusammenarbeit verläuft in diesem Bereich meist ohne größere Verständnisschwierigkeiten. Wo die unterschiedlichen Zugänge zu einer historischen Gestalt christlicher Spiritualität überhaupt als solche hervortreten, werden sie in der Regel als befruchtend empfunden. Ein besonders eindrückliches Beispiel für eine solche interdisziplinäre Zusammenarbeit ist die Mystikforschung der letzten Jahrzehnte. An den beiden großen internationalen Symposien ,Abendländische Mystik im Mittelalter‘ (Ruh/384) und ,Deutsche Mystik im abendländischen Zusammenhang‘ (Haug/371) waren Historiker, Literaturwissenschaftler, Philosophiehistoriker und Theologen gleichermaßen vertreten. Die Diskussion um den Mystikbegriff, die sich auf dem ersten Symposium entfachte, hat sich für die weitere Forschung als äußerst fruchtbar erwiesen und spiegelt sich auch in den unterschiedlichen Zugängen, den die beiden neuen Standardwerke der historischen Mystikforschung wählen: Während sich der Altgermanist Kurt Ruh in seiner Geschichte der abendländischen Mystik (47–50) am Kanon der Forschungsgeschichte orientiert, wählt der Kirchenhistoriker Bernard McGinn einen stärker theologisch profilierten Zugang (39–42). Das hohe Niveau interdisziplinärer Verständigung, das die historische Erforschung christlicher Mystik auszeichnet, dürfte auch für andere Bereiche der Spiritualitätsforschung vorbildhaft wirken. Dass sich eine Theologie der Spiritualität nicht darauf beschränken kann, sich an der historischen Erforschung der Geschichte und der Quellen christlicher Spiritualität mit eigenen Beiträgen zu beteiligen, liegt auf der Hand. Im Unterschied zur Geschichtsund Literaturwissenschaft betrachtet sie die Dokumente und Texte nicht nur als historische Zeugnisse, sondern als Artikulationen geistgewirkten Lebens. Auf die hermeneutischen Probleme, die mit einer solchen Fragerichtung gegeben sind, werde ich im übernächsten Abschnitt eingehen. 3.2 Human- und sozialwissenschaftliche Studien
Kontrastreiche Perspektiven
Weniger entspannt gestaltet sich der interdisziplinäre Dialog zwischen der Theologie der Spiritualität und den Human- und Sozialwissenschaften. In dem bereits zitierten programmatischen Artikel von de Guibert beklagt sich der französische Jesuit darüber, dass die psychologische Erforschung von spirituellen Phänomenen weitgehend von Leuten betrieben werde, die selber dem Glauben entfremdet seien und einer religiösen Praxis grundsätzlich skeptisch gegenüberstehen (128:8). Die existentielle Spannung zwischen gläubiger Beteiligtenperspektive und skeptischer Außensicht wiederholt sich im Bereich der Wissenschaften als Spannung zwischen der Beobachterper-
3. Spiritualitätsforschung im Konflikt der Interpretationen
spektive der Human- und Sozialwissenschaften und den Beschreibungen, die eine theologische Hermeneutik aus einer Beteiligtenperspektive entwirft. Seit dem Erscheinen von de Guiberts Artikel konnte vielfach gezeigt werden, dass sich die Spannung zwischen diesen nicht aufeinander reduzierbaren Perspektiven anregend auf die unterschiedlichen Disziplinen auswirken kann. Wie anspruchsvoll die interdisziplinäre Verständigung in diesem Bereich aber nach wie vor ist, soll an zwei prominenten Beispielen verdeutlicht werden. Das erste findet sich im Standardwerk von Christian Scharfetter zur Allgemeinen Psychopathologie. Der Zürcher Psychiater schreibt darin: „Das Ich ist ein Abstraktum, das für menschliches Selbstsein steht. In diesem Sinne werden hier Ich und Selbst auch zusammen gebraucht. Denn die religiös-philosophische ,Erfahrung‘ eines ,Selbst‘ (Atman) ,hinter‘, ,vor‘, ,unter‘, ,jenseits‘ jedes vergänglichen Ich, das mit dem Über-Selbst (maha-Atman, Brahman) eins ist, ist eine Transego-Erfahrung“ (344:73). Scharfetters Anleihen an die buddhistische Weltsicht ist typisch für eine bestimmte Gruppe von Human- und Sozialwissenschaftlern, die sich im Rahmen ihrer jeweiligen Disziplin gegen eine reduktionistische Deutung von spirituellen Erfahrungen wenden. Auf der anderen Seite des Spektrums stehen Autoren, die die gleichen Erfahrungen konstruktivistisch deuten. Eine sehr gemäßigte Variante eines religionspsychologischen Konstruktivismus findet sich bei dem vorsichtig argumentierenden Religionssoziologen Hubert Knoblauch. Im Anschluss an eine breit angelegte empirische Studie, die auf signifikante Unterschiede zwischen Nahtoderfahrungen in Ost- und Westdeutschland aufmerksam machte, schreibt er: „Die Nahtoderfahrung ist also weniger ein Fenster ins Jenseits – sie ist vor allen Dingen ein Spiegel dessen, was unser Bewusstsein als Jenseits erfahren kann. (…) Dass Menschen Nahtoderfahrungen machen, scheint ein dem Menschen eigenes Vermögen zu sein (…), eine transzendente Wirklichkeit wahrzunehmen, die anders ist als das, was unser Organismus an Reizen aufnimmt. Dieses Vermögen scheint zum Wesen des Menschen zu gehören. Was aber dann als transzendente Wirklichkeit erfahren wird, wie die Inhalte aussehen, das lernen wir von unseren Mitmenschen, von der Kultur und vom Leben selbst“ (331:179/193 f.). Dass die Nahtoderfahrung kulturell geformt ist, kann Knoblauch vielfältig belegen. Doch rechtfertigt sich dadurch seine Schlussfolgerung? Sind solche ausschließlich kulturell bedingt? Kommen ihre Inhalte nur aus dem Speicher des Gelernten und Angeeigneten? Verkennt das konstruktivistische Deutungsmodell nicht gerade die überraschende und neuartige Qualität der gedeuteten Widerfahrnisse? Die zurückhaltenden Formulierungen des ersten Satzes dürften allerdings eine grundsätzliche Offenheit gegenüber einer nicht soziologischen Deutung solcher Erfahrungen markieren. Angesichts der Komplexität des Phänomenfeldes und der damit verbundenen Fragestellungen ist im interdisziplinären Gespräch zwischen der Theologie der Spiritualität und den Human- und Sozialwissenschaften der Konflikt der Interpretationen unvermeidlich. Die Theologie der Spiritualität par-
Deutungskonflikte
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I. Spiritualität im Fokus akademischer Theologie
Zwei Perspektivendifferenzen
Fruchtbare Rezeptionsprozesse
tizipiert auf diese Weise an den Deutungskonflikten, mit der sich auch die von ihr untersuchten spirituellen Selbst- und Weltdeutungen auseinandersetzen. Von allem Anfang an gehört es zum Signum christlicher Spiritualität, dass sie sich mit neutralen und kritischen Außenperspektiven konfrontiert sieht. Die Attraktion der Beobachterperspektive bleibt solange beschränkt, wie die religiöse und kulturelle Homogenität das interne Auftauchen einer radikalen Außenperspektive verhindert. Wenn die neutral beobachtende oder die un- und andersgläubige Sicht als derartig fremd und exotisch erlebt wird, dass sie als eigene Möglichkeit nicht ernsthaft in Erwägung gezogen wird, vermag sie keine Anziehungskraft zu entwickeln. Sobald aber diese Homogenität schwindet, wird die aktive Auseinandersetzung mit den sich aufdrängenden Außenperspektiven unvermeidlich. Die im 17. Jahrhundert aufkommenden Substantivierungen ,Spiritualität‘ und ,Mystik‘ verweisen auf den äußeren Beobachter, der skeptisch, neugierig oder wissenschaftlichobjektivierend dem Christen bei seiner praxis pietatis zuschaut und seinen mystischen Verzückungen und dämonischen Entrückungen auf den Grund zu kommen versucht. Dass die neutrale oder kritische Außenbeobachtung zudem die beobachtete Praxis verändert, wurde vielfach bemerkt. Die Fremd- und Selbstbeobachtung verändert das Selbsterleben derer, die beobachtet werden, und zwar auch dort noch, wo die Legitimität der Außenperspektive fundamentalistisch oder durch einen Sprung in eine vermeintliche Unmittelbarkeit spirituellen Erlebens negiert wird. Die Theologie der Spiritualität hat sich auf diesem Hintergrund mit zwei unterschiedlich gelagerten Perspektivendifferenzen zu beschäftigen: Erstens mit der Differenz zwischen der Beteiligtenperspektive des Glaubens und der Beobachterperspektive der Human- und Sozialwissenschaften; zweitens mit der Unterscheidung zwischen divergenten Beteiligtenperspektiven, die im Streit der Weltanschauungen aufeinander treffen. Während die erste Unterscheidung eine Perspektivendifferenz betrifft, die im interdisziplinären Gespräch zwischen der Theologie der Spiritualität und den anderen Wissenschaften von vornherein gegeben ist, so betrifft letztere die jeweils kontingenten Divergenzen zwischen unterschiedlichen Welt- und Selbstdeutungen. Wenn sich auch beide Interpretationskonflikte häufig vermischen, so sind sie dennoch so weit als möglich auseinanderzuhalten. Der Konflikt der Interpretationen muss dem interdisziplinären Gespräch zwischen der Theologie der Spiritualität und den Human- und Sozialwissenschaften nicht abträglich sein. In vielerlei Hinsicht ist es in den letzten Jahrzehnten zur Selbstverständlichkeit geworden, die Erkenntnisse der humanund sozialwissenschaftlichen Forschung in die spiritualitätstheologische Reflexion einzubeziehen. Zwei wichtige Bereiche einer solchen fruchtbaren interdisziplinären Zusammenarbeit werden in dieser Einführung noch zur Sprache kommen: Während in der Reflexion auf spirituelle Lebensformen soziologische Aspekte zu berücksichtigen sein werden, wirft die Frage nach der Bedeutung von spiritueller Reifung Probleme auf, die kaum ohne einen Blick auf die entwicklungspsychologische Forschung zu beantworten sind. Zuvor müssen allerdings die methodologischen Voraussetzungen geklärt werden, die eine Theologie der Spiritualität dazu befähigen, die Forschungsergebnisse außertheologischer Disziplinen auf angemessene Weise zu rezipieren.
3. Spiritualitätsforschung im Konflikt der Interpretationen
3.3 Theologische Hermeneutik des geistlichen Lebens Interdisziplinarität erfordert von den beteiligten Disziplinen, dass sie das je eigene Erkenntnisinteresse und die damit verbundenen methodischen Entscheidungen und Beschränkungen in einer reflexiv geklärten Form ausweisen, und zwar in der Bereitschaft, auch in dieser Hinsicht von den anderen Disziplinen etwas zu lernen. In der vorliegenden Einführung wird dazu die Theologie der Spiritualität als eine theologische Hermeneutik des geistlichen Lebens konzipiert. Prototypisch findet sich eine solche Aufgabenstellung bereits bei Bernhard von Clairvaux, der seine Mönche zu einer geistlichen Hermeneutik hinführt: Sie sollen nicht nur im Buch der Welt und dem Buch der Hl. Schrift lesen lernen, sondern ebenso im Buch ihrer (geistlichen) Erfahrung (Predigten zum Hohelied 1,5,9 ff.). Um das Spezifikum einer theologischen Hermeneutik des geistlichen Lebens herauszuarbeiten, konturiere ich sie auf dem Hintergrund einer philosophischen Hermeneutik des Lebens. Anders als die klassische Hermeneutik, die sich auf die Auslegung von Texten, Kunstwerken und Artefakten konzentrierte, wendet sich in einer Hermeneutik des Lebens der Betrachtungsfokus auf die Auslegenden selbst zurück. Im Anschluss an Wilhelm Dilthey (420:235 ff.) lässt sich die Grundstruktur alltäglicher Selbstauslegung triadisch beschreiben: Menschliches (Selbst-)Verstehen vollzieht sich im Ausgang von interpretationsbedürftigem Erleben mittels sprachlicher Artikulation. Dass wir das, was wir erleben und was uns widerfährt, artikulierend zu verstehen suchen und uns selber im Spiegel unserer Artikulationen deuten, formalisiert Diltheys Trias als reziprokes Verhältnis von Erleben und Verstehen, wobei der Artikulation die Rolle eines (eigen-)dynamischen Verbindungsglieds zukommt. Während Dilthey selbst die aktive Verstehenskompetenz des Menschen hervorhebt, sind im Hinblick auf eine Hermeneutik des geistlichen Lebens die passivischen Dimensionen zu betonen: Als ein artikulierend nach Verstehen Suchender verfügt der vom Geist bewegte Mensch weder über das Woher, noch über das Medium, noch über das Gelingen seiner hermeneutischen Bemühungen. Der erste Term der diltheyschen Triade fasst zwei zu unterscheidende Dimensionen zusammen: ,Erleben‘ kann nämlich sowohl für den Lebensvollzug als dem Worin des Deutens stehen als auch für Widerfahrnisse verschiedenster Art, also für das unverfügbare Woher unserer Deutungsaktivitäten. Betrachten wir diese beiden Dimensionen im Hinblick auf das geistbestimmte Leben etwas genauer: Jedes Artikulieren und Verstehen ist situiert in eingespielten Lebensvollzügen und spirituellen Praktiken und kommt von Ereignissen her, die in einem durch sie mitbestimmten Erwartungshorizont zu reden und zu denken geben (Umkehr, Anfechtungen, Trosterfahrungen etc.). Dass wir uns, soweit wir uns erinnern mögen, immer schon in halbwegs Verstandenem bewegen, darf die basale Intransparenz dessen, was uns widerfährt und was wir durchleben, nicht verdecken. Nicht nur das, was uns unvorbereitet trifft, widersetzt sich in dem unmittelbaren Verstehen. Auch das Leben, das wir führen, ist uns in vielerlei Hinsicht undurchsichtig. Nicht nur die Passionen, die uns heimsuchen, sondern auch unsere eigenen Aktionen können uns, bei näherem Zusehen, als fremd entgegentreten. Wir verstehen uns auf manches, ohne zu bemerken, dass es dabei etwas zu verste-
Hermeneutik des Lebens
Erleben
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I. Spiritualität im Fokus akademischer Theologie
Artikulation
Verstehen
hen gäbe. So beherrschen wir viele lebensweltliche und geistliche Praktiken spielend, ohne sie – in einem anspruchsvolleren Sinne des Wortes – zu verstehen. Nicht jede Kenntnisnahme (notitia) ist als Erkennen (cognitio) zu beschreiben. Oft nehmen wir etwas wahr, ohne es genau erkennen und artikulieren zu können. Einer Hermeneutik des spirituellen Lebens kommt nicht zuletzt die kritische Funktion zu, gegen eine deutende Überwältigung des Lebens bzw. einer interpretativen Normalisierung des Widerfahrenen die Grenzen des verstehenden Zugriffs bewusst zu halten und den Blick auf das wahrnehmbare, aber (noch) nicht verstehbare bzw. der Wahrnehmung grundsätzlich entzogene Jenseits des Verstehens zu reflektieren. Wenn die Erlebnisdimension als das Woher und Worin des Verstehens beschrieben werden kann, so die Artikulation – das zweite Glied von Diltheys Trias – als ihr Wodurch. Wir verstehen etwas, indem wir es artikulieren und kommunizieren. Auch uns selbst, die wir mit uns in bestimmtem Sinne ,unmittelbar‘ vertraut sind, verstehen wir nur mittels unserer Selbstartikulation. Wir identifizieren uns – spontan oder reflektiert –, indem wir uns mit Hilfe von Deutungsschemata und Narrativen im Hinblick auf reale oder imaginierte Kommunikationspartner in bestimmter Weise präsentieren und uns dadurch auch affirmativ oder ablehnend zu den Deutungsangeboten verhalten, die andere uns zuspielen. Lebenshermeneutisch bedeutsam ist dabei insbesondere das merkwürdige Wechselverhältnis zwischen Erleben und Sprachfindung. Nach Bernhard Waldenfels sind Eindruck und Ausdruck dynamisch verschränkt: „Der Eindruck lebt nur im nachträglichen Ausdruck“ (471:385). Um zu artikulieren, was uns in besonders gewichtigen Ereignissen widerfahren ist und im Ausgang an sie bestimmt, müssen wir auf schon Gesagtes zurückgreifen, das dem, was wir zu sagen möchten, nur selten derart entspricht, dass wir nicht immer wieder neu um Ausdruck ringen müssten. Die wirklichkeitsbildende Kraft der Artikulation beschränkt sich nicht auf die kreative Umformung von vorgegebenen Ausdruckmitteln, sondern findet sich auch in hochgradig konventionellen Kommunikationsformen und -medien, insofern gerade ritualisierte Sprechakte Beziehungsräume eröffnen und prägen. Indem wir uns artikulieren, bringen wir nicht nur etwas zur Sprache, sondern präsentieren und kommunizieren wir uns. Dass Artikulation und Erleben in einem Rückkoppelungsverhältnis stehen, wird in kopräsentischer Kommunikation besonders deutlich: Der Ausdruck und sein Medium bilden und formen das Erleben wie das Beziehungsfeld, das bestimmte Erfahrungen ermöglicht und andere verhindert. Was wir erleben, gewinnt dadurch Gestalt, dass wir es so oder anders artikulieren. Wie wir uns sehen und empfinden, wird geprägt durch die Begriffe und Bilder, durch die Deutungsmuster und Wertungen, die uns zur Selbstartikulation zur Verfügung stehen. Damit partizipieren auch die persönlichsten Selbstverständigungsprozesse an intersubjektiven Wertsphären, Erinnerungsräumen und Erwartungshorizonten. Im Verstehen, dem dritten Glied von Diltheys Trias, kommt die Suche nach einer angemessenen Artikulation von unverständlichen Widerfahrnissen oder selbstverständlichen, aber unaufgehellten Lebensvollzügen zu einem vorläufigen Abschluss. Verstehen ereignet sich in spontaner oder reflektierter Interpretation des Erlebten. Dabei sind zwei Fälle zu unterscheiden: Da wir neue Erfahrungen nur im Horizont des schon Verstandenen deu-
3. Spiritualitätsforschung im Konflikt der Interpretationen
ten können, diese aber mitunter die eingespielten Verstehenszusammenhängen fraglich werden lassen, bedeutet Verstehen entweder eine Vertiefung dessen, was wir bereits verstanden haben, oder aber eine grundlegende Revision des vorgängigen Verständnisses. Einen für eine Hermeneutik des geistlichen Lebens bedeutsamen Grenzfall bilden Widerfahrnisse, die einen Horizontwechsel herbeiführen und gerade als solche sich nicht fugenlos in einen neuen Horizont einpassen lassen. Bemerkenswert ist insbesondere, dass solche horizontüberschreitende Erfahrungen es nahe legen, die gewohnte hermeneutische Fragerichtung, die das Neue vom Bekannten her deutet, umzukehren: Die eingespielten Erlebnis- und Deutungswelten werden dann von den neuen Erfahrungen her interpretiert, die sie umsäumen und durchkreuzen. Von einer philosophischen Hermeneutik des Lebens unterscheidet sich eine theologische Hermeneutik des geistlichen Lebens sowohl durch den eingeschränkteren Bezugsbereich – allein das Leben, das sich als christlich versteht, ist ihr primäres Thema –, als auch durch die religiöse Bestimmtheit des Interpretationshorizonts: Christliches Leben legt sich aus coram Deo revelante, angesichts von Gottes Selbstauslegung und der darin sich ereignenden Auslegung menschlichen Lebens durch Gott. Die Hermeneutik des Lebens erfährt dadurch nicht allein eine Einschränkung hinsichtlich des Bezugsbereichs, sondern verbindet sich mit der Hermeneutik des Glaubens, die die Urkunden des Glaubens im Licht der Gegenwart (Gottes) und die Gegenwart im Horizont des Glaubens auslegt. Wo glaubende Menschen das, was ihnen widerfährt und was sie lebenspraktisch zu gestalten haben, im Horizont ihres Glaubens deuten, da legen sie in ein und demselben Vollzug sowohl ihr Leben wie ihren Glauben aus. Auf diesem Hintergrund gewinnt auch die Trias von Erleben, Artikulation und Verstehen eine spezifische Gestalt: Aus der Vielfalt dessen, was Christen als Christen erleben, stechen drei Grunderfahrungen hervor, die intensive Deutungsaktivitäten hervorrufen: Erstens der Prozess des Christwerdens, zweitens das Widerfahrnis der Angefochtenheit und drittens – als positiver Gegenpol dazu – pneumatische Erfahrungen aller Art. Lebenshermeneutisch und theologisch ist davon auszugehen, dass diesen Grunderfahrungen christlichen Lebens ein anfängliches Nicht-Verstehen und eine basale Mehrdeutigkeit innewohnt. Was die Mühe des Verstehens und Unterscheidens hervorruft, ist ebensosehr die Einzigartigkeit von Gottes individualisierendem Heilswirken wie das Faktum, dass das, was christliches Leben initiiert, gefährdet und erneuert, an der Undurchsichtigkeit menschlicher Selbst- und Weltverhältnisse teilhat. Das „Dunkel des gelebten Augenblicks“ (Bloch/409:285) ist auch im christlichen Leben schwer aufzuhellen und eröffnet vielfältige Räume des Neuverstehens und des Missverstehens. Wenn sich auch der Ursprung des eigenen Glaubens und die Widerfahrnisse von Anfechtung und geistlichem Trost sich in wesentlichen Hinsichten dem deutenden Zugriff entziehen, so ist es doch für die Selbstdeutung der Glaubenden unerlässlich, die Grunderfahrungen, denen sie sich verdankt bzw. die sie gefährden oder bekräftigen, deutend nachzuvollziehen und reflexiv zu erhellen. Die Schwierigkeit und Komplexität dieser Deutungsaufgabe besteht darin, dass sie Erfahrungen mit Erfahrungen (Jüngel/431:40) zu interpretieren hat: Was diese auszeichnet und
Hermeneutik des geistlichen Lebens
Spirituelle Grunderfahrungen
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I. Spiritualität im Fokus akademischer Theologie
Geistliche Selbstartikulation
Geistgewirktes Verstehen
was interpretativ erschlossen werden muss, ist das Faktum, dass es bei diesen Erfahrungen um die Genese, die Gefährdung und die Bestärkung eines Wahrnehmungshorizontes geht, der gleichzeitig neue Erfahrungen und neue Deutungen erschließt. Öffnet sich im Prozess des Christwerdens eine neue Sicht auf sich selbst und die (Mit-)Welt, so gerät diese in Anfechtungs- und Geisterfahrungen in spezifische Kontrastverhältnisse. Eine Hermeneutik des christlichen Lebens kann sich deshalb nicht darauf beschränken, nur den Erfahrungsgehalt deutend zu erhellen, sondern muss sich auch mit den Wahrnehmungshorizonten beschäftigen, ohne die es die spezifischen Kontrasterfahrungen eines geistlichen Lebens nicht gäbe. Die lebenshermeneutisch geweckte Aufmerksamkeit für die Artikulation als kreatives Medium zwischen Erleben und Verstehen stößt im Zusammenhang einer Hermeneutik des geistlichen Lebens auf eine Vielfalt von eigentümlichen Vollzügen und Sprachformen. Die sprachlichen Artikulationsmöglichkeiten, derer sich die christliche Selbstdeutung bedient, umfassen ein breites Spektrum von Formen, denen gemeinsam ist, dass sie Selbstthematisierung und Glaubensrede verschränken. Das Verhältnis zwischen geistlichem Leben, den Symbolisierungen des Glaubens und der geistgewirkten Kommunikation in Verkündigung, Zeugnis und Gebet ist, genauer betrachtet, hochkomplex. Wenn Ausdruck und Eindruck verschränkt sind und das Sagen unter dem Anspruch des Zu-Sagenden kreative Züge annimmt, dann kann sich eine Hermeneutik christlichen Lebens ebensowenig auf die Auslegung des Gesagten beschränken wie sich die Verkündigung mit schlichter Repetition des Geglaubten begnügen kann. Eine theologische Hermeneutik des geistlichen Lebens, die auf die Selbstverständigungsprozesse christlichen Lebens und das existentielle Verstehen des Glaubens reflektiert, wiederholt dessen hermeneutische Struktur nicht einfach auf höherer Ebene, sondern formalisiert sie, um sie kritisch zu reflektieren. Hinsichtlich des dritten Glieds von Diltheys Trias lassen sich drei ineinander greifende Verstehensprozesse unterscheiden: „das Verstehen der Evangeliumsverkündigung (…), das Verstehen der Gegenwart Gottes aufgrund des Verstehens der Evangeliumsverkündigung (…), das Verstehen des eigenen Lebens aufgrund des Verstehens des Evangeliums“ (Dalferth/ 415:32 f.). Da Letzteres wiederum anknüpft an vorgängige lebenshermeneutische Prozesse, kommt es in spiritueller Selbstauslegung zu einer Überkreuzung zweier hermeneutischer Zirkel: Zum einen deuten und verstehen Christen ihr Leben im Licht ihres Glaubens. Zum anderen deuten und verstehen sie ihren Glauben im Licht von lebensweltlichen Erfahrungs- und Deutungsvollzügen. Dass eine solche Verschränkung ein Nest von potentiellen Deutungskonflikten in sich birgt, liegt auf der Hand. Einer theologischen Hermeneutik des geistlichen Lebens kommt u. a. die Aufgabe zu, diese lebensweltlichen Deutungskonflikte reflexiv zu durchdringen und zu klären.
II. Geistesgegenwart als Quelle christlicher Spiritualität Auf dem Hintergrund des im vorangegangenen Kapitel entwickelten Profils einer Theologie der Spiritualität legt es sich nahe, die erfahrene und geglaubte Präsenz des Heiligen Geistes zum Ausgangspunkt der thematischen Entfaltung zu machen. Eine theologische Hermeneutik des geistlichen Lebens hat zunächst die pneumatische Präsenz reflexiv zu erschließen, der sich ein spirituelles Leben verdankt. Dieser Zugang, der den Aufbau des vorliegenden Bandes bestimmt, ist nicht der einzig mögliche: Mit gleichem Recht könnte man das Christusereignis als Quelle christlicher Spiritualität bezeichnen. Welchen Weg man auch immer wählt: Im Hinblick auf die Stärkung des Eigenprofils des Faches dürfte es in jedem Fall von Vorteil sein, einen Leitgesichtspunkt zu wählen, unter den die heterogenen Teilgebiete in möglichst kohärenter Weise zusammengeführt werden können. Der vorliegende Versuch geht davon aus, dass sich die neutestamentliche Rede von der Präsenz und der Einwohnung des Heiligen Geistes bestimmten Erfahrungen verdankt, die für das Christsein konstitutiv sind (1.) und die ebenso sehr das Christwerden (2.) wie das christliche Leben aus dem Geist betreffen (3.). Gegenüber den übrigen Kapiteln des Buches kommt dem folgenden Kapitel eine grundlegende Funktion zu: Es entwirft den Rahmen, in den sich die später behandelten Fragen einfügen werden.
1. Präsenz des Heiligen Geistes Gottes Geist ist nach Ausweis der biblischen und nachbiblischen Zeugnisse in vielerlei Weise präsent und wirksam. Im folgenden Abschnitt soll zunächst die für christliche Spiritualität grundlegende eschatologische Aussage entfaltet werden, dass der Heilige Geist in den Glaubenden einwohnt und sie von innen her bewegt (1.1). In einem zweiten Schritt soll nach den Möglichkeiten und Formen der Erfahrung des Heiligen Geistes gefragt werden (1.2). Abschließend wende ich mich der spirituellen Aufgabe zu, zwischen verschiedenerlei Geistern unterscheiden zu müssen (1.3). 1.1 Gottes Einwohnung im Menschen Spirituell zu leben heißt nach christlichem Verständnis, ein Leben zu führen, das auf unverfügbare Weise von Gottes Geist bestimmt wird (Gal 5,8; Röm 8,9.11.15 f.26) bzw. sich aus freien Stücken von diesem Geist bestimmen lässt (Gal 5,16; Röm 8,14). Es spricht traditionsgeschichtlich gesehen einiges dafür, dass Paulus dort, wo er die christliche Existenz als pneumatisch qualifiziert, auf eine bereits geprägte Sprechweise zurückgreift, die sprachgeschichtlich gesehen eine bemerkenswerte Innovation darstellt (Bar-
Altes und neues Leben
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II. Geistesgegenwart als Quelle christlicher Spiritualität
Gabe des Geistes
clay/83). Nach urchristlicher Selbstdeutung ist die pneumatische Neubestimmung des Lebens ein eschatologisches Ereignis: Insofern ein Leben vom Geist neubestimmt wird, partizipiert es am Anfang des guten Endes der Heilsgeschichte, hat es schon Teil am Auferstehungsleben Jesu Christi. Zugleich steht dieses neue Leben unter einem eschatologischen Vorbehalt: Es ist erst ein Anfang gesetzt, der zudem so verborgen ist, dass die christliche Verkündigung ständig neu an ihn erinnern muss. Eine theologische Hermeneutik des christlichen Lebens sieht sich damit konfrontiert, dass sich dieses Leben kontrastiv versteht: Die pneumatische Präsenz Gottes im Leben der Menschen schafft nach der paulinischen Deutung des christlichen Lebens nicht nur Neues, sondern sie deckt, indem sie das tut, auch Altes auf. Da Gott Neues hervorbringt, überwindet er das Alte, das sich diesem Neuschaffen widersetzt, indem er es begrenzt und entkräftet. Gottes Pneuma wirkt auf diese Weise kontrastbildend: Die Präsenz des Geistes macht den Anfang von Gottes neuer Schöpfung, aber auch die Persistenz der Abergeister wahrnehmbar. Wo sich durch die Ankunft Gottes dasjenige ereignet, über das hinaus nichts Größeres geschehen kann (Schelling/459:423) und Menschen sich im Licht von Gottes guter Selbstvergegenwärtigung neu sehen und verstehen lernen, wird ihr Leben „irreversibel in das vergehende alte und das kommende neue Leben unterschieden“ (Dalferth/419:471). Das Werden des Neuen im Alten macht offenbar, was keine Zukunft hat und keine Verheißung in sich trägt. Als bereits endgültig Überwundenes und Vergangenes bildet es einen kontrastiven Hintergrund, als nach wie vor Persistierendes einen unheimlichen und beunruhigenden Untergrund christlicher Existenz. Dass Gott inmitten einer altgewordenen und altwerdenden Welt eschatologisch Neues wirkt, lässt sich in einer Hermeneutik des geistbestimmten Lebens in zweifacher Richtung artikulieren: Im Blick auf die Gegenwart als Entdeckung der verborgenen, aber wirksamen und verheißungsträchtigen Gegenwart Gottes, im Rückblick auf das bereits gelebte Leben als Spur des Neuen im Alten. Unter den verschiedenen Möglichkeiten, die pneumatische Präsenz Gottes im menschlichen Leben auszusagen, kommt der Rede von der Gabe des Geistes eine vorrangige Bedeutung zu. Sie erfüllt die grundlegende Funktion, zu benennen, was christliches Leben aktuell ermöglicht und trägt. Versteht man Gaben als glückliche Ereignisse lebensweltlicher Kommunikation, die Menschen Lebensmöglichkeiten zuspielen, die sie sich selbst nicht eröffnen können, so liegt die pneumatologische Pointe der Gabemetaphorik darin, dass dem göttlichen Geben auf Seiten des Menschen eine glückliche Passivität entspricht (Dalferth/417). Die Rede von Gottes Gabe verweist auf Phänomene des Überschusses und Erfahrungen unverhoffter Fülle: Es geht um Gaben, die nicht nur einen Mangel beseitigen, sondern die etwas überraschend Neues hervorbringen, das alle Erwartungen zugleich durchkreuzt und übersteigt. In dieser Gebrauchsweise fungiert ,Gabe‘ in der christlichen Theologie als die zentrale Gnadenmetapher: Gottes Gnade ist nicht nur in dem Sinne Gabe, als wir sie uns nicht verdienen können und wir keinen Anspruch auf sie haben: Sie ist auch mehr, als wir uns erhoffen können. Von dieser gnadentheologischen Verwendung der Gabemetapher ist ihr pneumatologischer Gebrauch in dreifacher Hinsicht zu unterscheiden: In ihrer trinitätstheologischen und soteriologischen Entfaltung betont die Rede von
1. Präsenz des Heiligen Geistes
der Gabe des Geistes, dass im Geist Gott sich selbst den Menschen gibt. In seinem Geist gibt Gott den Menschen Anteil an sich, holt sie hinein in sein beziehungsreiches Leben. Die Selbstgabe Gottes im Geist, die sich durch die Selbsthingabe Christi vermittelt, ist die Gabe schlechthin: die „Gabe, über die hinaus Größeres nicht gegeben werden kann“ (Werbick/479:26). Zweitens ist der Heilige Geist nicht allein Gabe, sondern selber auch Geber guter Gaben, indem er Glaube, Liebe und Hoffnung weckt, Freude, Friede, Langmut, Freundlichkeit, Güte und Treue als pneumatische Frucht reifen lässt und Charismen leuchtender und verborgener Art austeilt. An die Stelle der biblischen Synekdoche, die das universale eschatologische Wirken des Geistes als ,Ausgießung über alles Fleisch‘ aussagt, ist in der Pneumatologie der Gegenwart die Metapher des pneumatischen ,Feldes‘ oder ,Milieus‘ getreten. Die als ,Wirkfeld‘ bestimmte Präsenz des Geistes kann als transformative und inspirative Wirkmacht verdeutlicht werden, die negative Eigendynamismen unterbricht und unverhoffte Möglichkeitshorizonte erschließt. Die Gabe des Geistes zeigt sich drittens in der Erschließung des Christusereignisses und in seiner Vergegenwärtigung. Die hermeneutisch-kognitiven Gaben, die der Geist weckt, befähigen dazu, in der Sprache des alten Äons das Neue anzusagen und Jesus als den Christus, den Gott Israels als den Vater Jesu Christi, den erhöhten Christus als gegenwärtig in seinem Geist und den Geist als die eschatologische Gabe Gottes wahrzunehmen. Alle eben beschriebenen Momente gehen in die Rede von der ,Einwohnung‘ des Geistes ein und werden von ihr weiter präzisiert. ,Einwohnung‘ verweist zunächst auf eine bestimmte Gegebenheitsweise des Pneumas. Die frühchristliche Pneumatologie hat deutliche Berührungspunkte mit der antiken Vorstellung vom Pneuma als einer dynamischen und belebenden Wirklichkeit, die sich ebenso durch ihre Un(be)greifbarkeit auszeichnet wie durch die „Fähigkeit, anderes zu durchdringen, zu erfüllen und so beim anderen zu sein“ (Härle/425:361). Doch während etwa bei Seneca die unmittelbare Einwohnung des göttlichen Geistes in einem polemischen Gegensatz zu der kultischen Vermittlung steht (ep. 41) und sich die mantische Inspiration auf medial begabte Einzelne beschränkt, bezeichnet die neutestamentliche Rede von der Einwohnung des Geistes in den Getauften eine ekklesiale Wirklichkeit. Der christliche Glaube, dass sich die prophetische Verheißung der endzeitlichen Geistausgießung (Joël 3,1–5) nachösterlich erfüllt habe, bindet die Einwohnung des göttlichen Geistes im Einzelnen an die Gemeinschaft der Glaubenden. Die christlichen pneumatikoi finden sich in gemeinsamer Orientierung am geistgesalbten Messias von Anfang an in eine communio hineingenommen. Die Einwohnung des einen Geistes Christi manifestiert sich u. a. darin, dass er die Menschen, die er erfüllt, unabhängig von Status, Geschlecht und Herkunft miteinander verbindet und zu einer weiten „Wohnung Gottes erbaut“ (Eph 2,22). Es ist auffällig und bedeutsam, dass das alttestamentlich vorgeformte Motiv, dass Gottes Name im Tempel wohnt (1 Kön 8,16 etc.), in der pneumatologischen Fortbestimmung des Neuen Testaments ebenso auf den Einzelnen wie auf die Gemeinschaft der Glaubenden übertragen wird (1 Kor 3,16; 6,19; 2 Kor 6,16; Eph 2,21 f.). Zur christlichen Grammatik der Einwohnungsmetaphorik gehört zudem, dass niemand aus sich selbst Kenntnis gewinnt, über den Geist, der ihn oder sie erfüllt. Die Gewissheit, vom Heiligen Geist bewohnt zu werden, ergibt
Einwohnung des Geistes als ekklesiale Wirklichkeit
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II. Geistesgegenwart als Quelle christlicher Spiritualität
Gegebensein des Geistes im Modus der Annahme
Singuläre Nähe und unverbrüchliche Gemeinschaft
sich aus dem Hineingenommensein in die Gemeinschaft derer, die die pneumatische Präsenz des Kyrios bekennen und bezeugen. Dass der Geist in ihnen wohnt, wissen die Glaubenden nicht aufgrund von enthusiastischen Erfahrungen oder Introspektion, sondern aus der Selbstbezeugung des Geistes im Gottesdienst (Röm 8,15 f.) und dem gemeinschaftlich gefeierten Wort Gottes. Damit sind wichtige Differenzen gesetzt: Auch als einwohnendes Pneuma bleibt der Geist Gottes vom Pneuma der Einzelnen und dem Gemeingeist einer bestimmten Kirche unterschieden. Gegen die naheliegende Vorstellung eines ,Geistbesitzes‘ wird neutestamentlich die Unverfügbarkeit des göttlichen Pneumas unterstrichen. Wenn jemandem das Pneuma ,gehört‘, dann dem auferweckten Gekreuzigten, der sich von ihm selbst restlos in Anspruch nehmen ließ. Die Metapher der Einwohnung steht für das Gegebensein des über ,alles Fleisch‘ ausgegossenen Geistes im Modus der Annahme. Der Einwohnung des Geistes in den Glaubenden entspricht das neue Sein der Glaubenden in Christus. Die reziproken, aber nicht symmetrisch strukturierten paulinischen und johanneischen Immanenzaussagen verweisen sowohl auf das passive In-Christus-versetzt-Werden als auch das ,kooperative‘ Sich-ergreifen-Lassen und In-Christus-Bleiben der vom Geist Ergriffenen. Die johanneische Sprechweise von der Einwohnung der Liebe (bzw. des Geliebten) im Liebenden erwies sich spiritualitätsgeschichtlich besonders geeignet, um den kooperativen Aspekt der Einwohnungsmetaphorik herauszustreichen. Nach Thomas von Aquin weilt Gott aufgrund des Heiligen Geistes nicht nur in uns, sondern wir ebenso in ihm, insofern wir durch den Heiligen Geist Gott zu lieben beginnen und die/der Geliebte im Liebenden ist (S. c. Gent. IV,21). Mit der Metapher der pneumatischen Einwohnung wird ein besonderes Näheverhältnis ausgesagt. Die Wirksamkeit des Geistes im Leben der Glaubenden wird dadurch unterschieden von allen anderen Beziehungen. Nichts anderes, keine geschöpfliche Wirklichkeit vermag sie in derselben Weise innerlich zu bestimmen. Da das zugeeignete Pneuma zugleich eine gegenüber dem Menschen eigenständige Wirkmacht bleibt, ist das Näheverhältnis von göttlichem und menschlichem Pneuma als personale Relation zu beschreiben. Was die ,absolute Metapher‘ eines göttlichen Pneumas aussagt: Gottes ungegenständliche und dynamisierende Gegenwart im menschlichen Leben, wird durch die Einwohnungsmetaphorik unterstrichen. Gott kommt uns in seinem Pneuma heilsam nahe, ohne sich zu verendlichen. Er wird uns in einer Weise gegenwärtig, die uns seiner selbst gewärtig, ihm gegenwärtig werden lässt. In der Präsenz des Geistes erkennen wir Gottes „persönliche Gegenwart: Gott ist nicht nur in uns, sondern mit uns, und wir sind mit ihm“ (Congar/412:229). Wenn vom Geist zudem gesagt wird, dass er ein für allemal gegeben ist und in den von ihm Ergriffenen Wohnung nimmt, so betont dies nicht nur die Verlässlichkeit dieser Geistespräsenz, sondern signalisiert Endgültigkeit. Die Ankunft des Geistes ist definitiv. Mit der Einwohnung des Geistes ist in der Vergänglichkeit menschlicher Existenz die endzeitliche Gemeinschaft mit Gott am Werden. Das einwohnende Pneuma Gottes stiftet unverbrüchliche Gemeinschaft mit dem auferstandenen Christus, den die Evangelien als den Geistträger des neuen Äons bezeugen. Durch seine pneumatische Einwohnung gibt Gott den Menschen Anteil an seinem
1. Präsenz des Heiligen Geistes
Leben. Die Geschichte, in die Gott pneumatisch eingeht, „kann so wenig aufhören, wie Gott selbst aufhört“ (Thielicke/106:49). 1.2 Pneumatische Erfahrungen Nach Udo Schnelle nimmt Paulus innerhalb antiker Sinnentwürfe „eine Neudefinition göttlicher Gegenwart vor, indem er den Geist als uneingeschränkte schöpferische Präsenz des Kommenden definiert“ (460:555). Schnelle schließt sich einer jüngeren Tendenz der deutschsprachigen Paulusforschung an, die betont, ,Pneuma‘ sei im corpus paulinum vornehmlich als kerygmatische Deutungskategorie zu verstehen. Diese Deutung richtet sich gegen Hermann Gunkels einflussreiche These, den pneumatischen Erlebnissen der Urkirche komme eine geschichtliche und sachliche Prävalenz gegenüber den theologischen Deutungen zu. Dass die biblischen Schriften eine Fülle von Geisterfahrungen bezeugen und die metaphorische Rede vom Pneuma Gottes auf eine dynamische und als solche erfahrbare Wirklichkeit verweist, ist allerdings schwerlich zu bestreiten. Diese jüngere Forschungskontroverse ist in gewisser Weise in der Sache selbst begründet, bezeichnet doch die Rede vom ,Pneuma‘ eine ebenso wirkmächtige wie ungreifbare Realität. Die Wahrnehmungsschwierigkeiten ergeben sich durch ein besonderes Näheverhältnis. Der Geist Gottes ist unbeobachtbar und zeigt sich nur indirekt an den Wirklichkeiten, die er heilsam verändert: an der Leidenschaft, die er weckt, und der Frucht, die er hervorbringt. Die beiden exegetischen Thesen sind deshalb als komplementär zu verstehen: ,Präsenz des Pneumas‘ ist eine kerygmatische Deutungskategorie, die sich pneumatischen Erfahrungen verdankt und solche zu erkennen hilft. Die Erfahrung einer (neuen) Gegenwart des Geistes ist im Kontext des christlichen Glaubens an die schöpferische Allgegenwart Gottes und die erlösende Selbstvergegenwärtigung in Leben, Tod und Auferweckung Jesu Christi als spezifische Differenzerfahrung zu bestimmen. ,Gegenwart‘ bedeutet in diesem Zusammenhang weder temporale Gleichzeitigkeit noch räumliches Beieinandersein, sondern eine durch Gott frei gewirkte Relation: ein schöpferisches und freies Sich-in-Beziehung-Setzen zu Zeitlichem, das ohne ihn nicht wäre. Spezifisch christlich ist dabei nicht, dass Christen glauben, Gott sei allem Zeitlichen gegenwärtig, sondern wie sie diese Gegenwart verstehen und auf welche Weise sie diese wahrzunehmen glauben. Im Anschluss an die paulinischen Aussagen über die Gegenwart des Geistes im Herzen der Glaubenden lässt sich zwischen Gottes Allgegenwart und den vielfältigen Weisen seiner eschatologisch qualifizierten Einwohnung unterscheiden. Gott ist allem gegenwärtig, doch nur Menschen vermögen diese wirksame Gegenwart zu erkennen und ihr zu entsprechen. Gott vergegenwärtigt sich allen Menschen, doch nicht allen auf die gleiche Weise, und nicht alle erkennen es und sind bereit, sich von dieser Gegenwart bestimmen und Gottes Geist bei sich ,einwohnen‘ zu lassen. Dass der Geist einwohnt, manifestiert sich nicht nur in besonderen Gebetserfahrungen (Röm 8,26; 1 Kor 14), der Geisttaufe (Apg 2,1 ff. und 10,44 ff.) oder den Auswirkungen eines christusförmigen Lebens (Gal 5,22 f.), sondern ebenso in einer neuen Selbst- und Weltwahrnehmung. Wenn es wahr ist, was Christen glauben, nämlich dass Gott als schöpferische Liebe gegenwärtig ist, dann er-
Deutungskategorie oder Erfahrung?
Geisterfahrung als Differenzerfahrung
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II. Geistesgegenwart als Quelle christlicher Spiritualität
Geisterfahrung als Kontrasterfahrung
Geistesgegenwart im Zeitalter der Beschleunigung
schöpft sich die gläubige Wahrnehmung der Gegenwart Gottes nicht in einer religiösen Interpretation weltlicher Faktizität. Sie ist vielmehr selbst als geistgewirkt zu verstehen und damit eine Konkretionsform von Gottes transformativem Wirken am Menschen. Diesseits der Kontroverse um die Geisttaufe, auf die noch zurückzukommen sein wird, sind sich die Lehrer des geistlichen Lebens darin einig, dass besondere Geisterfahrungen nicht gesucht werden sollen. Der primäre Ort christlicher Pneumaerfahrung ist die Bedrängnis, Schwachheit und Zerbrechlichkeit der Zeugen und Zeuginnen der Geistesgegenwart. Während der ideale Pneumatiker sich nach gemeinantiker Vorstellung durch Machttaten und Stärke ausweist, beruft sich Paulus auf seine Leiden und Anfechtungen. Gerade im paradoxen Beieinander von Schwäche und Kraft erweist sich sein Apostolat als dem Geschick Christi gemäß und als aufbauender Trost für seine Adressaten (Horn/429:413). Mit der pneumatologischen Metapher vom ,Angeld des Geistes‘ verweist Paulus ebenso auf die schon erfahrbare neue Präsenz des Geistes wie auf seine noch ausstehende Fülle. Als Zeit der Bedrängnis trägt die lebens- und geschichtszeitliche Gegenwart eines geistbestimmten Lebens das Signum des Kreuzes. Sie ist geprägt von einer Hoffnung, in der das spannungsvolle Miteinander von der Präsenz des Geistes und der Persistenz der Abergeister erkannt wird als die Gleichzeitigkeit einer vergehenden und einer neuen Zeit. Die altgewordene und dennoch nicht vergehen wollende Zeit menschlicher Selbstbezogenheit ist durchbrochen von der neuen Zeit Gottes, die als letztgültige Wirklichkeit den Absolutismus des Faktischen durchbricht und als wirksame Gegenwart neue Anfänge und unverhoffte Ausgänge erschließt. Im Hinblick auf das Zeiterleben, in dem sich Selbst- und Welterleben verschränken, ist die neue Zeit des geistesgegenwärtigen Lebens zugleich geprägt von Zeitbefristung und Zeitgewährung. Während nämlich, biblisch gesprochen, die Macht des alten Äons radikal befristet wird, erfahren sich Glaubende als Menschen, denen sich aller Befristung zum Trotz Gegenwart neu erschließt, indem sie von der Last des Vergangenen und der Sorge um das Künftige befreit werden. So kann Meister Eckhart schreiben, Gott sei „ein Gott der Gegenwart. Wie er dich findet, so nimmt und empfängt er dich, nicht als das, was du gewesen, sondern als das, was du jetzt bist“ (9b:373). Deshalb ist auch die apokalyptische oder gnostische Tendenz, die auf ihr Ende zulaufende Geschichts- und Weltzeit schlechthin mit dem alten Äon zu identifizieren, ebenso problematisch wie die spiritualistische Ankündigung eines neuen Zeitalters des Geistes. Die geistgewirkte Erfahrung, Zeit für ein neues Leben eingeräumt zu bekommen, entfaltet dort ihr kritisches Potential, wo sie Alternativen zu erschließen vermag zur scheinbar unaufhaltsamen geschichtszeitlichen Beschleunigung. Denn sollte die Diagnose stimmen, dass uns durch die neuzeitliche Fixierung auf die Zukunft die Gegenwart abhanden gekommen ist und uns zwischen „dem bisherigen NochNicht und dem bevorstehenden Nicht-Mehr (…) nur das unglückliche Bewusstsein“ bleibt, „immer zur Unzeit gelebt zu haben“ (Sloterdijk/462: 333), so ist es dennoch fraglich, ob ein ,eurotaoistisches‘ „Sein als Sein-zurRuhe-in-der-Bewegung“ (462:93) eine wirkliche Alternative oder lediglich eine Variante der mobilisierenden ,Ontologie des Noch-Nicht‘ darstellt. Anders als ein solcher „Geist des Weltbürgertums“, der beansprucht, „als auf-
1. Präsenz des Heiligen Geistes
geklärter Akosmismus über sich ins klare“ zu kommen, und mit „authentischer Mystik“ identifiziert wird (462:344), bezieht sich der christliche Glaube auf die geschichtswirksame Gegenwart Gottes, die in Gegenstellung zum untergründig wirksamen Großmythos einer „evolutionistisch entfristete(n) Zeit“ (Metz/442:170) lebenszeitlich befristete Gegenwart erschließt und in wenig aussichtsreichen Umständen eine tätige Gelassenheit freisetzt, die nicht verloren gibt, was ihr geschichtlich aufgegeben wurde (2 Kor 4,8 ff.). Wenn Glaubende auch an der ,Schrumpfung der Gegenwart‘ teilhaben, die sich die mobile Gesellschaft durch den Versuch einhandelt, die Kürze des Lebens durch Beschleunigung des Erlebens wettzumachen, so leben sie doch zugleich in einer anders bestimmten Gegenwart, die sich zwischen dem vergangenen alten Leben und der Hoffnung auf den endgültigen Durchbruch des neuen ausspannt. Diese eschatologische Neubestimmung der Gegenwart bringt ihre Spannungen nicht zum Verschwinden, sondern ans Licht, indem sie aufgrund der kontrasterzeugenden und Handlungsspielräume erschließenden Zeitgewährung konkret fragen lässt, „wer wen oder was, wo und warum beschleunigt – oder verzögert“ (Koselleck/435:202) und wer unter dieser Beschleunigung oder Verzögerung leidet oder gar durch sie zu Tode kommt. Das durch den Schöpfungs- und Erlösungsglauben geschärfte Kontingenzbewusstsein, dass die Welt nicht sein müsste und nicht so sein müsste, wie sie ist, dass die „Zeit kurz ist (…) und die Gestalt dieser Welt vergeht“ (1 Kor 7,29.31), führt nicht notwendigerweise zu einer spiritualistischen Entwertung des irdisch Vergänglichen oder zu einer apokalyptischen Abbruchsehnsucht, die im „Sog des Endgültigen (…) alles unwichtig werden (lässt), was als Unterscheidung an der Gegenwart zu treffen wäre“ (Weder/473:55). Eine solche Vergleichgültigung des Vorläufigen und Befristeten kann als religiöse Variante der menschlichen Versuchung gesehen werden, seine Vergänglichkeit imaginativ zu überspielen. Als eine von der verborgenen Gegenwart Gottes erfüllte hat die befristete Gegenwart des Menschen eine eigene Kostbarkeit. Während sie ihre Fülle dem verbirgt, der ungeduldig über sie hinausdrängt, offenbart sie sich der Kontemplation des Glaubens als pneumatisch qualifizierte Stunde, die bei aller Offenheit für das noch Ausstehende Anfang, Mitte und Ende in sich trägt. 1.3 Unterscheidung der Geister Die christliche Berufung auf eine neue Präsenz des Geistes und besondere Geistesgaben stellt vor Interpretationsprobleme. Eine erste folgenreiche Verstehensschwierigkeit, die uns bereits in der Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Spiritualitätsbegriffen begegnet ist, liegt darin, dass das Wort pneuma auch für die Grundbestimmtheit des Menschen, für die ihn prägende Geisteshaltung gebraucht werden kann. Dieses Problem reicht bis zu den Anfängen christlicher Spiritualität zurück. So heißt es in Röm 8,16: „Und er selbst, Gottes Geist, bezeugt unserem Geist, dass wir Gottes Kinder sind.“ Wie ist das Verhältnis zwischen menschlichem und göttlichem Pneuma zu bestimmen? Und worin unterscheidet sich das christliche Verständnis vom göttlichen Pneuma von demjenigen des Stoikers Chrysipp, nach dem die göttliche Kraft in der Vernunft und in der Seele und dem Geist der gesamten Natur liegt und der die Weltseele mit Gott identifizierte (Cicero, nat. deor.
Von welchem Geist ist die Rede?
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II. Geistesgegenwart als Quelle christlicher Spiritualität
Gottes Geist und der Geist des Menschen
I,39)? Eine zweite Schwierigkeit ergibt sich daraus, dass das Neue Testament in modifizierender Aufnahme frühjüdischer und gemeinantiker Motive nicht nur vom guten Geist Gottes und dem Geist des Menschen spricht, sondern ebenso von unreinen Geistern (Mk 1,23 etc.) und vom bösen Geist der Welt (1 Kor 2,12). Wie soll man das Wesen dieser Geister verstehen? Und wie lassen sie sich unterscheiden von der Wirklichkeit von Gottes Geist? Damit zusammenhängend tut sich ein dritter Fragekreis auf: Wie lässt sich eine echte Geistbegabung unterscheiden von einer nur vermeintlichen, der wahre Prophet vom Falschpropheten, der seine Prophezeiungen aus Eigenem schöpft? Und in welchem Verhältnis stehen die unterschiedlichen Formen von Geistbegabung zueinander (etwa der Prophet zu seinem Interpreten)? Im Rahmen einer theologischen Hermeneutik des geistlichen Lebens muss vorgängig geklärt werden, von welchem Geist und welchen Geistern überhaupt die Rede ist und wie sich die unterschiedlichen pneumatischen Wirklichkeiten zueinander verhalten. Die pneumatologische Frage nach dem Wesen des Heiligen Geistes überkreuzt sich hier mit dem Aufgabenfeld der Angelologie bzw. der Dämonologie und der theologischen Anthropologie, die den Pneumabegriff in je spezifischer Weise gebrauchen. Entgegen der philosophischen Neigung, den göttlichen und den menschlichen Geist, das Geistliche und das Geistige miteinander zu identifizieren, betonte Paulus und die ihm folgende christliche Theologie bei aller Nähe deren Unterschiedenheit. Dass unter dem Einfluss neuplatonischer und stoischer Gedanken ein Hauptstrom christlicher Mystik eine ausgesprochen intellektualistische Spiritualität entwickelte und den (rezeptiven) Intellekt als besonderes Empfangsorgan für Gottes Wirken auszeichnete, steht im Gegensatz zu den neutestamentlichen Urkunden, die das Herz und damit den ganzen Menschen als Wohnort des Geistes auszeichneten. Die Theologie tut sich allerdings bis heute schwer, die paulinischen Aussagen zum Verhältnis zwischen menschlichem und göttlichem Pneuma kohärent zu interpretieren (Vollenweider/109). Jürgen Werbick schlug kürzlich vor, die pneumatische Selbstgegenwart Gottes im anderen seiner selbst durch eine christologisch vorgeformte Begrifflichkeit zu artikulieren. Man könne „vielleicht sagen, das heilige Pneuma sei der Reich-Gottes-Leidenschaft hypostatisch geeint, die die Menschen ergreift und mit dem guten Willen erfüllt, Gottes gutem Willen Raum zu geben, seinem Geschehen zu dienen, es herbeizurufen“ (478:566). Werbick konzipiert die eschatologische Ausgießung des Geistes sowohl als göttliche Kenose als auch als Assumption der menschlichen Leidenschaft(en): Gott habe sich einerseits in vollkommener Kenose „in die ReichGottes-Leidenschaft hineingegeben, die den Messias Jesus zuinnerst beseelte, da er ganz aus diesem Pneuma lebte. Der Messias Jesus lebte die ReichGottes-Leidenschaft, und sie ging von ihm aus: Er teilte sie den Seinen mit, da er ihnen seinen Geist und den Geist des Vaters ,zuhauchte‘“ (478:567). Die hypostatische Einung mit der jesuanisch geprägten Reich-Gottes-Leidenschaft deutet Werbick andererseits als die Assumption des passionierten Menschen: „Im heiligen Pneuma (…) öffnet sich Gott selbst den Menschen, damit sein Pneuma die Leidenschaften der Menschen, ihre Hoffnungen wie ihre Hoffnungslosigkeiten in sich aufnehme und ihrer Sehnsucht den Ort gebe, an dem sie lebendig werden und sich entfalten kann“ (478:567). Der
1. Präsenz des Heiligen Geistes
Gewinn dieser begrifflichen Innovation dürfte darin liegen, dass sie die semantisch offene Rede von der pneumatischen Gegenwart Gottes im Menschen in mehrfacher Hinsicht näher zu konturieren vermag: eschatologisch (,Reich-Gottes‘), ekklesiologisch (,Geist-Atmosphäre‘), anthropologisch (,leidenschaftliche Bejahung‘) und freiheitsphilosophisch („Freiheit zu einem Guten, über dem Besseres weder gedacht, noch gesollt, noch gewollt werden kann“; 478:446). Die welthafte Wirklichkeit der Reich-Gottes-Leidenschaft, die vom Heiligen Geist geweckt wird und mit der er sich vereinigt, eint die Menschen, die sich von ihr ergreifen lassen, auf die endzeitliche Wirklichkeit hin und macht sie zu deren Zeugen. Während der Geist Gottes zum menschlichen Geist in einem besonderen Näheverhältnis steht, ist sein Verhältnis zu allen übrigen Geistern konflikthaft. Nach dem Hirten des Hermas, einer spiritualitätsgeschichtlich bedeutsamen Schrift aus dem 2. Jahrhundert, flieht der Heilige Geist die unreinen Geister: „(…) wenn du langmütig bist, wird der heilige Geist, der in dir wohnt, rein sein, nicht verdunkelt durch einen anderen, bösen Geist, sondern in weitem Raum lebend, wird er jubeln und sich freuen mit dem Gefäß, in dem er wohnt, und Gott dienen in großer Fröhlichkeit, weil er Wohlbehagen in sich hat. Wenn aber Jähzorn hinzukommt, gerät sogleich der heilige Geist, der zart ist, in Angst, da er den Ort nicht (mehr) rein hat, und sucht sich von dem Ort zu entfernen. Denn er wird gewürgt von dem schlechten Geist, weil er keinen Ort hat, dem Herrn so zu dienen, wie er will, befleckt durch den Jährzorn“ (mand. V,1,1 f.; 16:203/5). Diese ethisch orientierte Deutung der unreinen Geister kommt dem Wirklichkeitsverständnis der Gegenwart insofern entgegen, als die dämonologischen Redeformen unter dem Verdacht stehen, lebensweltliche Erfahrungen zu mythologisieren und so die Wirklichkeit vorfindlicher ,Mächte und Gewalten‘ zu verschleiern. Dass die theologische Rede vom Bösen zum Metaphorischen neigt und auch auf dämonologisches Vokabular zurückgreift, hat jedoch seine guten Gründe. In ausschließlicher Konzentration auf die Objektivationen des Bösen käme nicht in den Blick, was diesem eine dämonische Qualität gibt: das Böse als nicht objektivierbare Wirklichkeit, die alle schon heimgesucht und affiziert hat und wovon sich niemand aus eigenen Kräften zu distanzieren vermag. Das Dämonische hat seinen Wirkraum in einem nicht zu vergegenständlichenden ,Dazwischen‘. Es geht um Schwellenphänomene (Gen 4,7): Die Dämonen sind „eine Macht des ,Zwischen‘, dem der Mensch auf Schritt und Tritt konfrontiert ist, ohne daß er es dingfest machen kann. (…) Hier wird eine ganz spezifische Eigenart des Dämonischen klar: seine Antlitzlosigkeit, seine Anonymität“ (Ratzinger/ 456:229). Eine Stärke der von Joseph Ratzinger ins Spiel gebrachten Kategorie des (Da-)Zwischen ist es, dass sie auch pneumatologisch gebraucht werden kann und es so ermöglicht, das Verhältnis zwischen Heiligem Geist und Abergeist prägnant zu benennen. In der Kraft des Heiligen Geistes als jenem „Zwischen, in dem Vater und Sohn eins sind als der eine Gott“ trete der Christ auch „jenem dämonischen Zwischen gegenüber, das allenthalben ,dazwischen‘ steht und Einheit hindert“ (456:230). Was die ,pneumati-
Gottes Geist und die ,Abergeister‘
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II. Geistesgegenwart als Quelle christlicher Spiritualität
Pneumatische Anspruchskonflikte
Spiritualitätsgeschichtliche Entfaltungen
schen‘ Mächte und Gewalten des Bösen so gefährlich macht, ist gerade ihre Unsichtbarkeit und Ungegenständlichkeit, die sie mit Gottes pneumatischer Gegenwart teilen und mit ihr verwechselbar macht. Die Abergeister haben mit dem Heiligen Pneuma gemeinsam, dass sie ungreifbare, aber hoch wirksame und lebensbestimmende Mächte sind, über die der Mensch nicht verfügt. Diese Verwechselbarkeit ist es, was die Kunst der Unterscheidung der Geister so dringlich macht. Die vergegenständlichende und versachlichende Sprache, die den ,Objektivationen der Sünde‘ angemessen ist, vermag nicht zu thematisieren, was am Bösen, das den Menschen zu übermächtigen droht, nicht verobjektivierbar ist und deshalb auch unbegreiflich und unbehandelbar bleibt. Die Rede von den Strukturen des Bösen kommt dort an ihre Grenzen, wo das transpersonal Böse in chaotischer Unförmigkeit widerfährt. Widerspiegeln schon die Schriften der hebräischen Bibel eine Unzahl von schlechten Erfahrungen mit bestechlichen Propheten, so spitzte sich der Konflikt zwischen den wirklich oder nur vermeintlich Geistbegabten in der Missionstätigkeit des Paulus nochmals zu: Die Fülle der Charismen, zu der der Apostel seiner Gemeine gratulierte (1 Kor 1,5), schuf Probleme neuer Art: In der korinthischen Konkurrenz der Charismatiker wiederholten sich nicht nur die bekannten Autoritätskonflikte. Es musste vielmehr auch geklärt werden, wie sich die Geistbegabung, die allen Getauften zugesprochen war, zu besonderen Charismen wie der Glossolalie oder der Prophetie verhielt. Mochte Paulus mit seinen Unterscheidungs- und Regelungsversuchen in der Gemeinde von Korinth wenig Erfolg beschieden sein, so legte er doch damit eine theologische Grundlage, auf die in späterer Zeit aufgebaut werden konnte. Sie stärkte zum einen den Vorrang dessen, was das heilige Pneuma in allen wirkt, in denen es einzuwohnen vermag: den Glauben an den Auferweckten, die Hoffnung auf die Erneuerung der ganzen Schöpfung und die Liebe, die sich, wie die pneumatische Bestimmtheit überhaupt, in der Frucht des Geistes (Gal 5,22 f.) und Werken der Barmherzigkeit (Mt 25,34–46) manifestiert. Den besonderen Charismen wies er die dienende Funktion zu, die Verkündigung des Evangeliums zu befördern, das Gebet zu intensivieren und das gemeinschaftliche Leben in der Gemeinde zu befestigen. Zudem sah er eine gegenseitige Ergänzung und Korrektur der Charismatiker vor: Wie der Zungenredner auf den Ausleger angewiesen ist, um sein Charisma fruchtbar einbringen zu können, so der Prophet auf den geistbegabten Ausleger (1 Kor 14,27 ff.). Die Echtheit von Prophetie und pneumatischer Auslegung zeigt sich gemäß paulinischer Lehre an der Treue zum überlieferten Osterglauben (2 Kor 11,4). Hauptaufgabe christlicher Prophetie ist nicht die Ankündigung des Kommenden und noch Verborgenen, sondern die Erinnerung an das bereits Offenbare und schon Zugeeignete. Der Apostel dämpfte den hellenistisch-christlichen Enthusiasmus, indem er die Geisterfahrung in den Bedrängnissen der Nachfolge verortete und die absteigend-kenotische Bewegung des göttlichen Geistes betonte (Vollenweider/109:180 f.). Die paulinische Lehre von der Ordnung der Charismen und der Unterscheidung der Geister wurde im Laufe der Spiritualitätsgeschichte vielfältig angereichert und neuen Konstellationen angepasst (Schlosser/399). So findet sich im Hirt des Hermas der kluge Hinweis, dass man nicht nur den Propheten selber, sondern auch seine Anhänger prüfen solle (mand. 11). Evagrios
1. Präsenz des Heiligen Geistes
Pontikos (gest. 399) entwickelt im Anschluss an die Erfahrungen des frühen Mönchtums ein differenziertes Instrument zur Diagnostik der Abergeister. Ein paar Jahrzehnte später warnt Diadochus von Photike davor, Trostentzug und Geistentzug miteinander zu verwechseln. Er schreibt dem Misstrost, wie später Ignatius von Loyola und Johannes vom Kreuz, zudem eine läuternde und erkenntnisleitende Funktion zu (perf. 87 ff.). Maßgeblich für die westkirchliche Praxis der Unterscheidung der Geister wurde die Visionenlehre, die Augustin im zwölften Buch seines großen Genesiskommentars entwickelte. Insbesondere Augustins Unterscheidung zwischen einer truggefährdeten visio imaginaria und der weitgehend trugsicheren visio intellectualis normiert den christlichen Umgang mit prophetischen und mystischen Erfahrungen in der katholischen Theologie bis in die Gegenwart (Rahner/ 383). Die drei beschriebenen grundlegenden Unterscheidungsaufgaben christlicher Spiritualität, die Unterscheidung zwischen Gottes Geist und menschlichem Geist, zwischen Gottes Geist und Abergeist sowie die unterscheidende Evaluation von besonderen pneumatischen Erfahrungen und die damit verbundene Unterscheidung zwischen Deutung und Gedeutetem stellen sich heute in gewandelten kirchlichen und gesellschaftlichen Kontexten, die neue Deutungs- und Anspruchskonflikte hervorbringen. So wird etwa im Namen einer mystisch-ganzheitlichen Spiritualität die erste Unterscheidung oft als dualistisch kritisiert (Runggaldier/458:36). Hinsichtlich des zweiten Bereichs der geistlichen Unterscheidung stellt sich die Frage nach dem Verhältnis zwischen psychotherapeutischer Bearbeitung von seelischen Konflikten und geistlicher Begleitung (Frielingsdorf/389; Larchet/ 390 f.). Im Hinblick auf pfingstlich-charismatische und meditative Bewegungen stellt sich schließlich die Frage nach dem Stellenwert und der Normativität von besonderen Geisterfahrungen im kirchlichen Leben (Zimmerling/79). Eine Hermeneutik des geistbestimmten Lebens kann sich in diesen Zusammenhängen nicht auf eine Problembeschreibung beschränken, sondern wird als theologische Disziplin unweigerlich in den Deutungsstreit hineingezogen. Für die vorliegende Einleitung sind dabei die folgenden Einsichten leitend: (1.) Die Unterscheidung zwischen schöpferischem und geschöpflichem Geist, zwischen göttlichem und menschlichem Bewusstsein, ist für den christlichen Glauben und damit auch für die christliche Spiritualität fundamental und unhintergehbar. Diese Unterscheidung bedeutet keine Trennung oder Dualität, sondern ist die Möglichkeitsbedingung von personaler Nähe und Beziehung. Ließe sich nicht zwischen dem schöpferischen und dem geschöpflichen Geist unterscheiden, der an der Kreativität des göttlichen Geistes teilhat, verlören wichtige Ausdrucksformen christlicher Spiritualität ihren Sinn: das Bitt- und Bußgebet, das Bekenntnis zur personalen Gegenwart Christi und zur Auferstehung des Leibes u. a. m. Die Aufgabe christlicher Mystagogie besteht deshalb nicht zuletzt in einer „geistgewirkte(n) Einübung des wohltuenden Unterschieds zwischen Gott und Mensch“ (Fuchs/88:267). (2.) Die spirituelle ,Dimension‘ des Lebens ist nicht auf einen gesonderten Bereich neben anderen zu reduzieren, sondern bedeutet, dass das Leben als
Heutige Unterscheidungsaufgaben
Beziehungsreiche Differenz zwischen Schöpfer und Schöpfung
Eine Ganzheitsbestimmung
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II. Geistesgegenwart als Quelle christlicher Spiritualität
Geistbestimmtes Leben = charismatisch begabtes Leben
Ganzes durch Gottes Geist bestimmt wird. Die pneumatische Neubestimmung des Menschen ereignet sich jedoch unter den Bedingungen geschöpflichen Lebens. Im Hinblick auf die Unterscheidung der Geister ist im Zusammenhang einer geistlichen Begleitung deshalb auch die psychologische Eigengesetzlichkeit menschlichen Lebens zu berücksichtigen. (3.) Jeder Christ ist nicht nur berufen, ein geistliches Leben zu führen, sondern auch gesandt, es anderen zu bezeugen und weiterzugeben. Deshalb gilt: „,Jeder Christ ist ein Charismatiker‘, auch wenn viele ihre Gaben nicht verwirklichen“ (Moltmann/446:194). Zum Charisma wird eine Begabung allerdings erst dann, wo jemand diese für andere einsetzt. Ein „Charisma ist (…) das, was jeder und jede ,wirklich ganz von sich aus‘ und unvertretbar nur er oder sie alleine zum Gespräch und zum Leben in der Gemeinde beitragen kann“ (Röhser/97:264). Ein Charisma ist nicht, was einen besonderen Eindruck macht, sondern allein das, was anderen die Nähe Gottes und die Güte des Evangeliums vermittelt. Die charismatische Begabung, die Christen miteinander teilen, ist verbunden mit der Erfahrung einer dreifachen Enteignung: Christen sind erstens bleibend auf die Charismen der anderen angewiesen. Sie haben Anteil an den Charismen der anderen und dürfen sich freuen an deren Gaben und Begabungen. Daraus folgt zweitens, dass ,mein‘ Charisma nicht in erster Linie mir, sondern den anderen gegeben ist. Denn, so schreibt Basilius der Große, „was jeder besitzt, das hat er nicht so sehr um seinetwillen als um der übrigen wegen empfangen“ (reg. fus. 7). Ein Charisma ist drittens dem, der es empfängt und weitergibt, oft verborgen und nur für die anderen sichtbar. Erkennbar ist es im Spiegel der anderen, die von ihm genährt werden.
2. Dimensionen des Christwerdens Der folgende Abschnitt betrachtet drei Dimensionen des Christwerdens: Nach urchristlichem Verständnis ist der Weg zum Christsein verbunden mit einer fundamentalen Lebenswende. Christwerden heißt umkehren (2.1). Dieser Prozess der Umkehr, der personalen Transformation und der Neusituierung findet seinen zeichenhaften Ausdruck in der Taufe: Christwerden heißt auf den Tod und die Auferstehung Christi getauft werden (2.2). Umkehr und Taufe sind jedoch nicht nur der Anfang des Christseins, sondern seine bleibende Signatur: Christsein heißt Christwerden (2.3). 2.1 Umkehr Umkehr und Horizontwechsel
Das Wirken Jesu beginnt mit dem Ruf zur Umkehr und zum glaubenden Sich-Einlassen auf die Nähe Gottes (Mk 1,15). Die Metapher der Umkehr verweist auf einen grundlegenden Wechsel der Blickrichtung, auf einen Sinneswandel und eine Neuorientierung des Lebens. Wer umkehrt, wechselt den Horizont, von dem her er oder sie sich versteht. Die Radikalität der von Jesus im Anschluss an den Täufer verkündeten Umkehr hat damit zu tun, dass es bei einer solchen nicht nur darum geht, eine neue Sichtweise auf einen bereits bekannten Sachverhalt einzuüben oder einen neuen Aspekt in einer vertrauten Welt zu entdecken, sondern die Wirklichkeit als ganze und
2. Dimensionen des Christwerdens
damit auch sich selber neu sehen zu lernen. Es handelt sich nicht nur darum, eine neue Sprache zu erlernen für Dinge, die man bereits kennt, sondern um das Erschließen eines Horizonts, den man bisher nicht wahrgenommen hat und in den hineingestellt alles in ein anderes Licht kommt. Nach dem Anspruch des Evangeliums Jesu eröffnet sich in einer solchen Umkehr zudem nicht nur ein neuer Erkenntnishorizont, sondern auch und vor allem die heilsame Beziehung zum personalen Urgrund alles Geschaffenen. Dass ein geistbestimmtes Leben einen Prozess der Umkehr voraussetzt, wurde zwar selten bestritten, jedoch unter volkskirchlich-katholischen Verhältnissen meist nicht mit dem Christwerden, sondern mit einer Berufung zum ,Geistlichen‘ oder zum ,Stand der Vollkommenheit‘ verknüpft. In den Kirchen der Reformation, die diese Zweiteilung christlicher Existenz kritisierten, bildet das Verständnis der Umkehr bis in die Gegenwart einen zentralen Streitpunkt: Gehört zu einem bekehrten Christsein eine singuläre Bekehrungserfahrung oder genügt es, sich als Glaubender zu identifizieren, der mehr oder weniger erfolgreich mit seinem Unglauben ringt? Die Frage nach dem Anfang des auf seine Weise je einzigartigen ,neuen‘ Lebens gehört zu den Grundproblemen einer Hermeneutik des geistlichen Lebens. Aus der Perspektive der Beteiligten sind dabei sowohl der Ereignischarakter des Umkehrprozesses als auch seine identitätsbestimmende Kraft zu bedenken. Entgegen der eingespielten Gewohnheit, Umkehr als menschliche oder göttliche Tat zu konzipieren, soll sie im Folgenden als ein Ereignis beschrieben werden, das den Lebensprozess eines Menschen auf unverfügbare Weise unterbricht und neu orientiert. Ob es sich in einem punktuellen Widerfahrnis verdichtet oder sich über mehrere Etappen erstreckt, ist theologisch betrachtet nebensächlich. Eine Umkehr im theologischen Sinne umfasst immer den ganzen Prozess des Zum-Glauben-Findens. Der Ereignischarakter dieses Prozesses liegt im glücklichen Zusammenspiel verschiedener Größen: der Ruf Gottes vermittelt sich durch vielfältige Formen der Kommunikation den Hörerinnen und Hörern des Wortes, denen die Ohren dafür durch das Wirken des Pneumas geöffnet werden müssen. Im selbstdeutenden Rückblick der Zum-Glauben-Gekommenen sind Interpretamente wie ,Handeln Gottes‘, ,Vorsehung‘ und ,himmlische Fügung‘ für das jeweils komplexe Geflecht von Wirkfaktoren insofern passend, als es zum Ereignis der Umkehr gehört, sein Leben neu von einem geschichtsmächtigen Gott her zu verstehen, der Menschen als „der wohltuend ganz Andere“ (Fuchs/88:264) anspricht und durch seinen Geist das Klima dafür schafft, dass sie von der „Reich-Gottes-Leidenschaft“ ergriffen werden können. Als Durchbruch zu einem neuen Leben lässt sich Umkehr damit als ,Schwellenereignis‘ denken, das sich hinsichtlich der betroffenen Menschen dadurch auszeichnet, dass „kein identischer Jemand zu finden ist, (…) der hinüber- und herüberwandert nach identitäts- und kontinuitätsverbürgenden Regeln“ (Waldenfels/469:30). Im Hinblick auf die noch zu erörternde Frage nach einem passenden Modell spiritueller Reifung (Kap. V) ist dabei zu beachten, dass ein solcher Identitätswandel aus soziologischer und psychologischer Perspektive etwas anderes beschreibt als aus der Beteiligtenperspektive des Glaubens. Während Erstere von einem kontinuierlichen Lebensprozess ausgehen, der allerdings radikal unterbrochen und neubestimmt werden kann, artikuliert sich aus der theologischen Perspektive eine radikale
Ereignischarakter der Umkehr
Umkehr als Identitätswandel
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II. Geistesgegenwart als Quelle christlicher Spiritualität
Diskontinuität: „Wenn also jemand in Christus ist, dann ist er eine neue Schöpfung: Das Alte ist vergangen, Neues ist geworden“ (2 Kor 5,17). Solche Rede verweist auf das ereignishafte Neuwerden des Selbst aus einem unverhofften Widerfahrnis. Das neue Sein, das darin hervorgerufen wird, ist nicht aus dem ableitbar, was das alte Selbst bisher angestrebt und gesucht hat, mag sich auch das neue Selbst im alten schon angekündigt haben. Heilsam ist ein solches Schwellenereignis allerdings nur dann, wenn jemand das, was ihm bzw. ihr widerfuhr, als befreienden Neuanfang wahrzunehmen vermag, mit dem er oder sie sich uneingeschränkt identifizieren kann. Wie die Deutung der Umkehr als göttliches Handeln, so ist auch die Rede vom Neuwerden nur aus der Perspektive der Beteiligten nachvollziehbar: Aus der Beobachterperspektive sind lediglich Veränderungen des Lebensvollzugs und des Selbstverständnisses zu konstatieren. 2.2 Taufe als Anfang des Christseins und Ruf zum Christwerden Sakramentale Sichtbarmachung der metanoia
Antizipation eschatologischer Öffentlichkeit
Nach Raphael Schulte ist die Taufe als „sakramentale Sichtbarmachung der metanoia“ zu verstehen (349: 142). Oder noch stärker formuliert: In der Taufe kommt nicht nur ans Licht, was sich bereits im Leben des Täuflings ereignet hat, sondern sie ist selber ein Schwellenereignis, das eine neue Wirklichkeit schafft. Nach der drastischen Metaphorik des Römerbriefs vollzieht sich in ihr ein Herrschaftswechsel: Wer auf Christus getauft wurde, gehört nicht mehr sich selbst (oder den Mächten, die sein Leben bisher bestimmten), sondern Christus (Röm 7,4; 14,7 f.; 2 Kor 5,15). Indem Paulus im Kontext des pneumatischen Enthusiasmus der Korinther auf die Taufe verweist, macht er darauf aufmerksam, dass die Quelle der Erlösung nicht eingemeindet wer~ den kann: „In der Taufe konstituiert sich die neue Wirklichkeit des ei´mai Em ~ Vqirsx (,Sein in Christus‘), das sich die Korinther nicht aneigneten, sondern ´ zugeeignet wurde“ (Schnelle/460:210). Die Täuflinge empfangen, das ihnen was sie sich nicht erwerben können: Sie werden im Zeichen des Taufbades von der Last vergangener Verstrickung befreit und hineingenommen in die Gemeinschaft Christi. Versteht man die Taufe als ein Ereignis, das für das ihr entspringende christliche Leben konstitutiven und nicht nur bestätigenden Charakter hat, so stellt sich die Frage, ob damit die oben eingeführte Rede von der Umkehr als Schwellenereignis nicht auf problematische Art und Weise verdoppelt wird. Es müsste gezeigt werden können, dass sich im Akt der Taufe das, was sich in der Umkehr ereignet, in einer ausgezeichneten Weise verdichtet. Nach Reinhard Meßner liegt das qualitative Mehr in der besonderen Öffentlichkeit der sakramentalen Feier, die als antizipative Teilhabe an der ,eschatologischen Öffentlichkeit‘ zu bestimmen ist. Bereits die Umkehrtaufe des Johannes am Jordan war nach Meßner gekennzeichnet durch eine eschatologisch qualifizierte Öffentlichkeit. Johannes verkündete und taufte bewusst nicht im Verborgenen, sondern öffentlich und mit einem prophetischen Anspruch, der ganz Israel vor eine letzte Entscheidung stellte: „Die Johannestaufe analogisiert (…) die Gegenwart mit der heilsgeschichtlichen Vergangenheit (dem ersten Exodus), aber dies auf eine neue Zukunft hin, an der man nur durch die Umkehr und die Taufe Anteil erhält“ (200:390). In ihrer Taufpraxis, die die johanneische Umkehrtaufe aufnimmt und transformiert,
2. Dimensionen des Christwerdens
vergegenwärtigt die frühe Kirche ihre passive Genesis aus der unverhofften Gegenwart des Auferweckten und dem pfingstlichen Kommunikationswunder. Im Gegenüber von Taufspender und Taufempfänger ruft Gott durch Christus den Täufling beim Namen, reinigt ihn von seinen Sünden, salbt ihn mit seinem Geist und umkleidet ihn mit seiner Liebe wie mit einem Gewand. In der liturgischen Ausgestaltung des Taufvollzugs überwiegt die therapeutischen Symbolik: Der kopräsentisch handelnde Christus, der wie der von den Evangelien bezeugte Menschensohn dem Täufling als Heiler und Arzt gegenübersteht, zieht diesen, bei aller erforderlichen Radikalität von Absage und Untertauchen, auf sanfte und behutsame Weise ins neue Leben und führt ihn in die Gemeinschaft der von ihm Geheiligten. Aus der Sicht einer Hermeneutik des geistlichen Lebens ist bemerkenswert, wie die Taufliturgie – in der Vollgestalt der Erwachseneninitiation der Osternachtsfeier – die Gabe des Geistes als ,Uraffektion‘ der Kirche und des neuen Seins des Täuflings feiert. Im Leben der Einzelnen konkretisiert sich, was die Kirche insgesamt konstituiert: die anfangshafte Erneuerung der Welt durch die Kommunikation des Evangeliums in eschatologischer Öffentlichkeit. Die Taufliturgie verweist den Täufling in die Rolle des über alle Maße Beschenkten: Seine glückliche Passivität zeigt an, dass er die Herauslösung aus dem Bösen und das neue Sein in Christus und seiner Lebensgemeinschaft nicht selbst zu erwirken vermag. Die Taufe macht sichtbar, was allem responsorischen Mitwirken vorausliegt und es ermöglicht: Das pneumatische Handeln Christi an den zu Taufenden setzt ihr Tun und Bekennen, ihr neues Wahrnehmen und Annehmen erst frei. Deshalb gilt im Hinblick auf die Entstehung einer ,Mitgliedschaft‘ in der Kirche als Leib Christi: „Zur Kirche gehört man nicht durch eigenen Entschluss und den Willen zum Beitritt, der Mensch macht sich nicht zum Glied der Kirche, sondern er wird dazu gemacht, er tritt nicht ein, sondern wird hineingenommen (1 Kor 12,13), er wird durch die Taufe ,hinzugefügt‘ (Apg 2,41)“ (Neuner/448:20). In einer grundlegenden Korrektur überkommener Verkürzungen betonte das II. Vatikanische Konzil, dass geistliches Leben von der Taufe her zu verstehen sei, die alle Christen am Paschamysterium teilhaben lässt und zu ,Geistlichen‘, also zu geisterfüllten und charismatisch begabten Menschen macht (Lumen Gentium 10 f.). Von ihrem Ursprung her ist christliche Spiritualität deshalb als „Taufspiritualität“ zu bezeichnen (Meyer/201:270). Im Ritengefüge der Taufe bildet sich vorweg ab, was sich im Laufe eines Lebens aus Glauben, Hoffnung und Liebe ereignet. Sie schenkt einen Anfang, an dem man sich orientieren, auf den man zeitlebens zurückkommen kann. Insofern ist die Taufe auch als „Dauersakrament“ zu verstehen: Sie ist „nicht nur Anfang des Christseins, sondern der beständige Ruf zum Christwerden“ (ÖAK/404:442).
Therapeutische Metaphorik
Taufspiritualität
2.3 Christsein als Christwerden Geistbestimmt zu leben ist ein Vollzug, der zugleich Widerfahrnis (Bestimmtsein durch den Heiligen Geist) und Tun ist (nämlich eine bestimmte Art, sein Leben zu führen). Dass damit auch eine eschatologische Aussage gemacht wird – geistbestimmtes Leben bezeichnet ein eschatologisch ,neu-
Einseitige Auslegungen
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II. Geistesgegenwart als Quelle christlicher Spiritualität
Sein im Werden
es‘ Dasein –, bedarf der besonderen Erinnerung. Im geistigen Klima der Spätantike lag es nahe, den paulinischen Kontrast zwischen einem ,Leben nach dem Fleisch‘ und einem ,Leben nach dem Geist‘ anthropologisch, statt eschatologisch auszulegen und Letzteres als philosophisches Leben zu interpretieren, das die niederen Bedürfnisse und Affekte in Ausrichtung aufs rein Geistige unter Kontrolle gebracht hat. In Abgrenzung zu einer solch platonischen Konzeption des christlichen Lebens setzte sich in der Moderne eine entgegengesetzte Deutung durch: Das Christsein wird nun als die Erfüllung des Humanum verstanden. Es bringt zur Entfaltung, was immer schon im Menschen angelegt worden ist. Geistbestimmtes Leben, so wird von dieser Seite zu Recht betont, darf nicht mit einer monastisch-asketischen Lebensführung gleichgesetzt werden. Während die altkirchliche und mittelalterliche Theologie dazu neigte, die Differenzen zwischen einem geistlichen und einem philosophisch-asketischen Leben zu verwischen, tendierte allerdings die neuzeitliche Theologie dazu, geistliches Leben auf christliche Ethik zu reduzieren und die Diskontinuität zwischen altem und neuem Leben herunterzuspielen. Um solche Einseitigkeiten zu vermeiden und die Schwierigkeiten des Lebensbegriffes zu umgehen, bietet es sich an, auf einen dynamisierten Seinsbegriff auszuweichen und das Christsein als Christwerden zu konzipieren. Ansätze zu einer solchen Deutung der christlichen Existenz finden sich bereits in den paulinischen Briefen: Der Apostel beschreibt seine eigene Existenz als dynamische Bewegung der Abwendung vom Vergangenen und Hinwendung zum Kommenden (Phil 3,13) und als tägliches Sterben und Neuwerden (2 Kor 4,16). Nach Paulus ist christliche Existenz zweifach bestimmt: Als Dasein zum Tode ist sie heteroaffektive Teilhabe am Todesgeschick Jesu (Röm 6). Als tägliche Erneuerung des ,inneren Menschen‘ ist sie ebenso ein Zu-sich-Kommen in Christus, neues Sein im Aufkeimen. Damit überkreuzen sich im gleichen Leben zwei Geschichten: das leise Werden des neuen Selbst und das langsame Entwerden des alten, das im Sein beharrt und sich seinem Vergehen widersetzt. Dass Paulus, anders als viele seiner späteren Interpreten, das neue Leben nicht mit dem geistigen und das alte Leben nicht schlechthin mit dem biologischen identifiziert, ist eine bedeutsame theologische Weichenstellung. Aus paulinischer Sicht kreuzt die eschatologische Realdistinktion zwischen altem und neuem Leben die verschiedenen ,Schichten‘ menschlichen Daseins. Sie führt nicht nur zum Kontrast zwischen alten und neuen Affekten (2 Kor 7,10), sondern zu einem Gegensatz von altem und neuem Denken. Sie zeigt sich nicht zuletzt darin, dass sie die Selbstdifferenzierung in alt und neu, in äußeren und inneren Menschen ermöglicht: Nur ein erneuertes Denken und Wahrnehmen, das sich selbst von Gott her zu verstehen lernt, ist fähig, sich von einem alten, an die herrschenden Schemen angepassten zu unterscheiden (Röm 12,2). Der neue Blick vermag die guten und verheißungsträchtigen Anfänge zu erkennen, in denen „der anfängt, dessen Anfangen nicht aufhört anzufangen“ (Werbick/ 476:613). Der ,innere Mensch‘, von dem Paulus in 2 Kor 4,16 in transformierender Aufnahme einer hellenistischen Metapher spricht (Heckel/426), ist kein anderer als die konkrete Person, insofern Gott sie erneuert und trägt. Im Laufe der Geschichte christlicher Spiritualität taucht diese dynamische Sicht des Christseins in mehreren Varianten auf. Bekannt geworden ist der
2. Dimensionen des Christwerdens
von Athanasius überlieferte Ausspruch des sterbenden Antonios, man solle bei jedem Atemzug in Christus leben und täglich seine Bereitschaft erneuern, als würde man eben erst damit beginnen (v. Ant. 91). Meister Eckhart, der ein religiöses Besitz- und Standesdenken mit dem Sein-in-Christus kontrastiert, dynamisiert letzteres im Blick auf Mk 9,34 mit der Aussage, dass groß zu sein, gering zu werden bedeute: „Jenes Sein ist nur zu finden in diesem Werden. Wer der Geringste wird, der ist fürwahr der Größte“ (9b:423). Christsein ist nach Eckharts Lieblingsmetapher ein aus Gott und in Gott hinein Geboren-Werden. Auch bei Martin Luther finden sich mehrere Formulierungen, die die christliche Existenz als eine im Werden (in fieri ) beschreiben (WA 56,442,5) oder den christlichen ,Fortschritt‘ als semper incipere (WA 56,486,6). Deshalb ist das christliche Leben nach dem Reformator „nicht Gerechtigkeit, sondern Rechtfertigung, nicht Heiligkeit, sondern Heiligung, nicht Endpunkt, sondern ein Vorübergehen des Herrn, nicht ein Land, sondern eine Wanderschaft und geradezu fortlaufende Reinigung von der Sünde und Übergang von Tugend zu Tugend“ (WA 7,107; 23:105). Systematisch entfaltet wird der Gedanke des Christseins als Christwerden in der Unwissenschaftlichen Nachschrift zu den Philosophischen Brocken von Sören Kierkegaard. Johannes Klimakus, Kierkegaards Pseudonym, kennt die traditionellen Antworten auf die Frage nach dem wahren Christsein und kritisiert sie in scharfsinniger Weise. Weder die Antwort der ,Klosterbewegung‘, die die Mönchsprofess als zweite Taufe deutet, noch diejenige des Pietismus, gemäß der es viele getaufte, aber nur wenige erweckte Christen gebe, hält er für überzeugend. Auch gegenüber der versöhnlichen Antwort Schleiermachers ist er reserviert. Er erkennt darin den alten, schon vorchristlich begangenen Weg, durch Selbsterkenntnis zu werden, was man schon ist. Nach Kierkegaards Klimakus verhält es sich mit dem Christwerden genau umgekehrt: Christ sei nicht der, der wird, was er schon ist, sondern derjenige, der ist, was er in Christus wird. Nach Ingolf U. Dalferths Interpretation ist man nach Kierkegaard „nur dann Christ, wenn, indem und solange man Christ wird. Niemand wird als Christ geboren, jeder muss es werden. Aber nicht das Resultat (das Christ-Sein), sondern der Weg (das Christ-Werden) ist die Wahrheit. (…) Man wird also nicht zunächst vom Nichtchristen zum Christen, um dann als Christ etwas zu werden, sondern man wird überhaupt nur dadurch zum Christen, dass man, auch als Christ, unablässig Christ wird. In diesem Sinn gilt: Das Sein des Christen ist im Werden“ (418:224). Gottes je neue Selbstvergegenwärtigung im Leben eines Einzelnen verändert nicht nur das gewordene Leben zum Guten, sondern lässt es zu einem neuen Leben werden, das sich nicht von seiner Herkunft, sondern von seiner Zukunft her identifiziert. Der delphische Imperativ ,Erkenne dich selbst!‘ wird dadurch zu einer evangelischen Einladung transformiert: ,Erkenne denjenigen, der Dich jederzeit erkennt und Dich neu werden lässt!‘ Umkehr ist ein unabgeschlossenes Ereignis: Sie ist der Anfang des Christseins als status conversionis. Die Metanoia, die in der Taufe ihre zeichenhafte Gestalt bekommt, ist nicht nur Anfang des christlichen Lebens, sondern auch seine bleibende Form. Luthers These, dass dies nicht nur für einen besonderen Stand gilt, sondern für alle Christen, ist inzwischen auch von Seiten des katholischen Lehramtes rezipiert worden: Nach Johannes Paul II. ist die „wahre Kenntnis Gottes in seinem Erbarmen und seiner wohlwollenden
Spiritualitätsgeschichtliche Variationen
in statu conversionis
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II. Geistesgegenwart als Quelle christlicher Spiritualität
Liebe (…) eine ununterbrochene und nie versiegende Quelle der Bekehrung, die nicht als nur vorübergehender innerer Akt zu verstehen ist, sondern als ständige Haltung, als Zustand der Seele. Denn wer Gott auf diese Weise kennenlernt, ihn so ,sieht‘, kann nicht anders, als in fortwährender Bekehrung zu ihm zu leben. Er lebt also in statu conversionis, im Zustand der Bekehrung“ (Dives in misericordia 13/402).
3. Die responsorische Struktur geistbestimmten Lebens Gottes vorgängiges Wirken am Menschen
Es ist ein Leitgedanke der Gnadentheologie, dass allem Leben aus dem Glauben das neuschaffende Wirken Gottes zugrunde- und vorausliegt, das die Glaubenden zu Glaubenden macht und sie mit einer Fülle von Charismen begabt. Allem kooperativen Mitwirken des Menschen an seinem Heil geht das Wirken Gottes an ihm voraus. Die Taufe macht sichtbar, worin dieses Wirken besteht, das allem responsorischem Sich-bestimmen-Lassen vorausliegt: Getauft zu werden heißt, von Christus geläutert, erleuchtet, gesalbt und in eine neue, pneumatische Gemeinschaft hineingeholt zu werden, in die communio mit ihm. Das pneumatische Handeln Christi setzt ein neues Tun und Wahrnehmen frei. Dass das selbstverantwortliche Bekenntnis des Glaubens und die Absage an lebensbeherrschende Abergeister kein selbstgesetzter Akt sein kann, wird im Ritengefüge der katholischen Feier der Erwachsenentaufe dadurch ausgedrückt, dass zum einen der Taufe Gebetshandlungen und zeichenhafte Vollzüge vorausgehen, die die Befreiung vom Bösen erbitten und bezeichnen, und zum anderen das Glaubensbekenntnis und die Absage an das Böse responsorisch gestaltet sind, also nicht der Initiative des Bekennenden entspringen. In der Taufhandlung selbst wird dem Täufling, der seine Umkehrbereitschaft durch Absage, Bekenntnis und das Ablegen der alten Kleider bezeugt, Gottes unbedingte Vergebung sowie das neue Sein in Christo et ecclesia zugesprochen. Das Taufbekenntnis und die darin enthaltene Selbstidentifikation und -bindung ist die erste Artikulation dieses neuen Seins. Mit der Chrisamsalbung und der Auflegung der Hände wird den Getauften die bleibende Präsenz des Heiligen Geistes zugesagt, die die vollzogene Ab- und Zukehr befestigt und zu vertiefen hilft. Das responsorisch freigesetzte baptismale Ja und Nein bleibt in seiner Genese und seiner lebensgeschichtlichen Entfaltung eine pneumatisch zugeeignete und ekklesial vermittelte Möglichkeit. Die responsorische Gestalt geistbestimmten Lebens, die sich im Vollzug der Taufe zeichenhaft verwirklicht, soll im Folgenden dreifach konturiert werden: Ich reflektiere zunächst auf das Verhältnis zwischen dem Indikativ der Gnade und den Imperativen eines christlichen Ethos, wende mich anschließend der neutestamentlichen Leitmetapher der ,Nachfolge Christi‘ zu und frage schließlich nach den Formen christlicher Askese. 3.1 Indikativ der Geistesgabe – Imperative des geistlichen Lebens
Neutestamentliche Grundlagen
Dass der heilsame Indikativ des Evangeliums durch eine Fülle moralisch-religiöser Imperative verstellt werde, war die Hauptkritik Luthers an der kirch-
3. Die responsorische Struktur geistbestimmten Lebens
lichen Verkündigung seiner Zeit. Er konnte sich dafür besonders auf den Römer- und den Galaterbrief berufen, in denen Paulus die Tora mit Verweis auf das Evangelium Jesu relativierte. Doch nicht nur bei Paulus, der das Scheitern des Menschen am Gesetz am eigenen Leib erfuhr, sondern auch im Matthäusevangelium, das die christliche Bedeutung der Tora deutlich hervorhebt, steht der Indikativ des Heils vor dem Imperativ neuer Gebotserfüllung: Den Forderungen der Bergpredigt gehen nach Gerhard Lohfink die Taten des Messias voran, nämlich die in Mt 4,23 f. geschilderten Krankenheilungen. Die in der Bergpredigt geforderte Radikalität steht im Zeichen einer neuen Heilserfahrung und unter dem Zuspruch der Seligpreisungen: „Radikalität im Sinne des Matthäusevangeliums setzt die Faszination am Reich Gottes voraus. Weil sie aus der Faszination entspringt, hat sie nichts mit Heroismus zu tun. Matthäus macht diesen Bezug zwischen Faszination und Radikalität im Gleichnis vom Schatz im Acker deutlich. Der Mann, der hingeht und alles verkauft, damit ihm der Acker mitsamt dem Schatz gehört, handelt nicht heroisch, sondern voll Freude. Er kann gar nicht anders, oder besser: Er will gar nicht anders. Er kann sich gar nichts Besseres denken“ (438:97). Im Wirken Jesu vermittelt sich Gott „nicht im Modus der Anweisung (…), sondern im Modus der Austeilung“ (Weder/474:175), als Geschenk und Einladung, seine Lebensfülle zu empfangen. Den Vorrang des Indikativs des Heils vor den Imperativen der Freiheit ist exegetisch ebenso unbestritten, wie das Faktum, dass die Verkündigung Jesu die Tora zwar relativierte, sie jedoch keineswegs aufhob, ja ihre Forderungen in manchen Punkten sogar noch verschärfte. Wie ist aber die Beziehung zwischen Heilszusage und den radikalen Forderungen Jesu genauer zu bestimmen? An diesem Punkt bedarf es einer kurzen Zwischenreflexion auf das Verhältnis zwischen einer theologischen Ethik und der Theologie der Spiritualität, die sich beide, wenn auch auf unterschiedliche Weisen, mit dieser Frage beschäftigen. Aufgabe der theologischen Ethik ist es, die Frage nach dem guten Handeln, nach Recht und Gerechtigkeit im Horizont des Evangeliums und im Hinblick auf bestimmte moralische Konflikte der Gegenwart zu stellen. Insofern die Verpflichtung auf das gerechte und barmherzige Tun ebenso wie der Einsatz für Frieden und Gerechtigkeit wesentliche Aspekte eines geistbestimmten Lebens darstellen, hat auch eine Theologie der Spiritualität mit diesen Fragen zu tun. Versteht man die Theologie der Spiritualität, wie weiter oben vorgeschlagen, in Parallelität und Komplementarität zur Liturgiewissenschaft, so liegt der Unterschied zur theologischen Ethik in einer anderen Schwerpunktsetzung. Geistbestimmtes Leben beschränkt sich nicht auf moralische Praxis, sondern umfasst ebenso Gebet und Meditation, Fasten und Feiern etc. Um eine Verdoppelung zu vermeiden und das Fachprofil zu schärfen, ist es in materialer Hinsicht sinnvoll, die Theologie der Spiritualität von den Aufgaben zu entlasten, die bereits zum festen Arbeitsfeld der theologischen Ethik gehören. Wichtiger noch ist die Klärung des Verhältnisses zwischen den beiden Disziplinen in formaler Hinsicht. Man kann den Unterschied an den Fachbezeichnungen festmachen: Während die theologische Ethik das menschliche Handeln und die ihm zugrundeliegenden habituellen Bestimmtheiten in den Blick nimmt, fokussiert eine Theologie der Spiritualität das lebenserneuernde und lebensbestimmende Wirken des Heiligen Pneumas.
Ethik und Spiritualität
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II. Geistesgegenwart als Quelle christlicher Spiritualität ,Responsives Selbst‘
Ansprüche im Horizont der Verheißung
Geistbestimmtes Sich-BestimmenLassen
Eine Theologie der Spiritualität hat die Aufgabe, den Indikativ der Geistesgegenwart und die Ansprüche eines geistbestimmten Lebens konstruktiv aufeinander zu beziehen. Dazu soll zunächst der bereits verwendete Begriff der Responsivität geklärt werden, der dazu dienen soll, die Genese geistlichen Tuns aus der wirksamen Gegenwart des Heiligen Geistes phänomenologisch nachvollziehbar zu machen. Nach Bernhard Waldenfels bedeutet Responsivität, auf das einzugehen, von dem ich ausgehe bzw. auf Ereignisse zu antworten, „an denen ich selbst und die Anderen zwar beteiligt sind, aber eben nicht als Autoren“ (472:106). Der Respondent ist demnach zunächst Patient, jemand, dem etwas widerfährt, was ihn zur Antwort herausfordert und befähigt. Wie das Sollen dem Anspruch, so entspringt das Wollen einer Einwilligung in ein Wünschen, das von außen geweckt wird, bzw. einer Bejahung von Werten, die uns überzeugen. In reflektierten Stellungnahmen antworten wir dem, was uns gesucht oder ungesucht widerfährt. Ein anschauliches Beispiel für Responsivität in diesem Sinne ist der durch Anrede und Namensgebung initiierte Prozess der Selbstwerdung, in dem wir als Angeredete zu Antwortenden werden, die in ihrer eigenen An- und Widerrede auf das Pathos zurückverwiesen bleiben, das ihnen als identitätsstiftender Anfang eingeschrieben bleibt. Das Interpretament eines responsiven Selbst erlaubt es, das Verhältnis zwischen dem Indikativ der Geistesgabe und den Imperativen des christlichen Lebens genauer zu fassen. Der Anspruch, unter den sich ein Leben aus dem Geist gestellt sieht, ist schlicht formuliert: dem zu entsprechen, was einem unverhofft zuteil wurde. Die Imperative des christlichen Ethos kommen dann nicht nachträglich von außen hinzu, sondern ergeben sich aus dem verheißungsvollen Anfang des Glaubens und dem Geschenk eines neuen Seins. Die christliche Urerfahrung, dass man nicht aus eigenen Kräften für das neue Leben aufzukommen vermag, ist zugleich die bleibende Grunderfahrung eines geistlichen Lebens: Den Anforderungen und Herausforderungen eines Lebens in der Nachfolge Jesu vermögen nur diejenigen zu entsprechen, die aus der fremden Kraft des Geistes leben und die im Imperativ, der sie beansprucht, „die Verheißung des Zukünftigen“ heraushören: „Er hat nicht nur den Klang von ,Du-sollst‘, sondern auch von ,Du-wirst-sein‘“ (Thielicke/106:99). Die Freude an der Tora Gottes, die in Ps 19 und Ps 119 zum Ausdruck kommt, kehrt in neuer Gestalt wieder in der urchristlichen Freude, in aller Bedrängnis den Anfang des Gottesreiches bezeugen zu können. Die früheste christliche Aussage über den Heiligen Geist ist deshalb nicht zufällig die Bemerkung, dass er Freude gibt (1 Thess 1,6) und in einer dadurch bestimmten Weise das Werk des Glaubens, die Hingabe der Liebe und die Standhaftigkeit der Hoffnung begründet (1,3). Das neue Tun, das sich an den Imperativen der Bergpredigt orientiert, ist als geistgewirkte Responsivität zu verstehen. Als responsives Tun ist spirituelle Praxis ein Tun aus dem (Sich-)Lassen, ein Wirken aus der Gelassenheit des Glaubens. In der Suche nach dem SichLassen-Können scheinen sich die Wege verschiedener religiöser Traditionen und neureligiöser, ,spiritueller‘ Bewegungen zu kreuzen. Es fragt sich allerdings, ob sich die vertrauten Ermutigungen zum Lassen und zur Gelassenheit nicht in einem Intentionalitätsparadox verfangen. Philipp Stoellger formuliert das Problem folgendermaßen: „Die Aporie, das Tun nicht Lassen zu
3. Die responsorische Struktur geistbestimmten Lebens
können, weil Lassen noch Tun ist, kann nicht mit einer Forcierung des Lassens oder einer Annihilation des Tuns ,gelöst‘ werden“ (465:182). Dieser Einwand zwingt dazu, die mystagogische Rede vom Lassen zu präzisieren: Dass auch dem Lassen ein Moment von Eigenaktivität zukommt, ist kaum zu bestreiten. Dennoch lässt es sich deutlich vom Tun unterscheiden: Während wir im Tun bei allen bewegenden Umständen und Motiven selbst die Bewegenden sind, sind wir im Lassen die Bewegten. Ein bewusstes (Sich-) Lassen ist mehr als ein Verzicht auf Eigenaktivität: Es umfasst ebenso die Bejahung dessen, was einen bestimmt und bewegt, und die entschiedene Abkehr von allem, was dieser Bestimmtheit zuwiderläuft. Spirituell zu leben, bedeutet in diesem Sinne: sich vom Geist Gottes und nicht von anderen Geistern bestimmen zu lassen. Eine solche Interpretation hat sich allerdings noch mit einem weiteren Einwand auseinanderzusetzen: Es fragt sich nämlich, ob damit das spirituelle Leben nicht in eine problematische Nähe zu einer fremdbestimmten Existenz gerückt wird. Müsste eine heutige Theologie des geistlichen Lebens nicht aufzeigen können, dass der Geist Gottes den Menschen zu Verantwortlichkeit und Autonomie, zu mündigen Christen befreit, die sich nicht fremdbestimmen lassen? Offenkundig ist dabei dem Faktum Rechnung zu tragen, dass zur autonomen Selbstbestimmung die Anerkennung und Bejahung dessen gehört, was sie als Voraussetzung und Begleitbedingung zugleich ermöglicht und begrenzt. Nach Martin Seel wäre die Rede von „personaler Autonomie“ gar nicht wirklich verständlich ohne „den Anteil der vita passiva an einer selbstbestimmten vita activa“ (461:630 f.). Selbstbestimmung hieße dann, unter den jeweils gegebenen Voraussetzungen zu bestimmen, wovon ich mich bestimmen lasse. Auch handlungsunterbrechende Ereignisse sind als weckende Momente zu bedenken, die ein selbstbestimmtes Leben nicht nur initiieren, sondern ihm Möglichkeiten der Erneuerung einstiften. Zu autonomer Lebensführung gehört neben der Fähigkeit, die faktischen Bestimmtheiten wahrzunehmen und die „Ansprechbarkeit durch Güter“ zu erhalten, eben auch die Bereitschaft, „sich von der Welt, von den anderen und erst recht von sich selbst überraschen zu lassen“ (461:629). Beispiele dafür sind heilsame Enttäuschungen, glückliche Durchkreuzungen und die befreiende Umformung bisheriger Wünsche durch eine neue Lebenssituation. Im Anschluss an dieses modifizierte Konzept personaler Autonomie ließe sich spirituelles Leben als geistbestimmtes Sich-Bestimmen-Lassen beschreiben. Die absolute Vorgängigkeit des Geistwirkens vor allem menschlichen Tun und Lassen ist in dieser Formel ebenso gewahrt wie der relative Vorrang des Sich-Lassens vor dem gelassenen Tun. 3.2 Nachfolge Christi Ein christologisches Pendant zur pneumatologisch geprägten Rede von einem geistbestimmten Sich-Bestimmen-Lassen findet sich in der urchristlichen Schlüsselmetapher der Nachfolge Christi. Abgesehen von ihrer großen spiritualitätsgeschichtlichen Bedeutung drängt sie sich einer Hermeneutik geistbestimmten Lebens schon deshalb auf, weil sie eine konkrete christliche Lebenspraxis beschreibt, deren Anfänge in historisch deutlich erkennbarer Weise auf die Jesusbewegung zurückgehen. Die Eigentümlichkeiten die-
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II. Geistesgegenwart als Quelle christlicher Spiritualität
Berufung Ursprung der Nachfolge
ser nonkonformen Lebensform lassen sich exegetisch deutlich herausarbeiten. In der folgenden systematisch-theologischen Interpretation des exegetischen Befunds konzentriere ich mich auf vier zentrale Momente: Die Nachfolge entspringt erstens dem schöpferischen und je singulären Ruf Christi. Zweitens beinhaltet sie die unwiderrufliche und exklusive Selbstbindung an den Weg Jesu, die Selbstübereignung an Christus, der diejenigen, die ihm nachfolgen, mit dem Heiligen Geist versiegelt. Als Kreuzesnachfolge umfasst sie drittens auch die Einwilligung in das Leiden, das mit einer solchen Lebensoption verbunden ist. Der Sinn der Nachfolge liegt viertens sowohl in der persönlichen Anteilhabe am Leben Jesu, als auch an der Aufgabe, im Mitgehen seines Weges das Evangelium von der Nähe Gottes zu verkünden und zu bezeugen. (1.) Der Ruf Jesu in die Nachfolge kann, wie ein genauer Vergleich der Quellen zeigt, nicht aus dem Judentum seiner Zeit abgeleitet werden (Hengel/260:96). Anders als im frührabbinischen Lehrer-Schüler-Verhältnis, das die Initiative des Schülers vorsah, geht die Berufung zur Nachfolge allein von Jesus aus. Das dadurch gestiftete Verhältnis war auch nicht in erster Linie durch Lehre und Lernen bestimmt. Das hauptsächliche Ziel der Nachfolgegemeinschaft war nicht, den Jüngern eine Lehrbefähigung zu vermitteln. Es ging vielmehr vor allem um „das Leben mit und wie Jesus“ (Luz/274: 679), um die Teilhabe an seiner Sendung. Das rückt die Nachfolge in die Nähe zu prophetisch-apokalyptischen Gruppierungen. Doch auch die apokalyptische Prophetie bietet nur eine ferne Ähnlichkeiten zum Ruf Jesu in die Nachfolge, der nach Martin Hengel als ,charismatisch-eschatologisch‘ zu charakterisieren ist. Einzig in der Berufung der alttestamentlichen Propheten durch den Gott Israels findet sich nach Hengel eine echte Analogie zur Berufung der Jünger Jesu, die anbrechende Gottesherrschaft in einer Lebens- und Schicksalsgemeinschaft mit ihm zu bezeugen (260:41/98). Wie bei der Berufung Elischas durch Elija (1 Kön 19,19–21), der nächsten alttestamentlichen Parallele, sind das Verlassen von Familie und Besitz, die Befähigung mit besonderen Charismen sowie der Dienst an der gemeinsamen Aufgabe eng miteinander verknüpft. Jesu Ruf ergeht mit derselben autoritativen Bestimmtheit, die keinen Aufschub duldet, wie der Ruf Gottes an Elischa oder an Amos (Am 7,15). Dass die Nachfolge nicht der menschlichen Initiative entspringt und nicht an Bedingungen geknüpft werden kann, verdeutlicht das Lukasevangelium in typologischer Weise (Lk 9,57–62): Weder der Mann, der aus eigenem Willen in die Nachfolge Jesu treten möchte, noch derjenige, der zunächst seine familiären Pflichten erfüllen will, noch der dritte, der seinen Abschied selber in die Hand zu nehmen wünscht, findet in die Nachfolgegemeinschaft Jesu. Die geglückten Berufungen, von denen die Evangelien berichten, haben das eigentümliche Merkmal gemeinsam, dass der Ruf Jesu die Menschen in einer Weise trifft, dass sie ihm ohne Zögern und Ringen Folge leisten (vgl. Mt 4,18–22; 9,9): „Wo Jesus in die Nachfolge ruft, da geschieht auch die Nachfolge“ (Landmesser/270:151). Der Ruf in die Nachfolge kommt einem schöpferischen Wort gleich, das neues Sein hervorruft und so die Nachfolge ermöglicht. Im Rückgriff auf die augustinische Idee der gratia victrix sprach Dietrich Bonhoeffer in diesem Zusammenhang von einer unwiderstehlichen Gnade. Gott selbst schafft die Bedingungen dafür, dass
3. Die responsorische Struktur geistbestimmten Lebens
Menschen ihr Ja gelingt: „Nachfolge ist kein Angebot des Menschen. Allein der Ruf schafft die Situation“ (234:49/52). Die neue Situation, die Jesus durch sein Auftreten und seinen Ruf in die Nachfolge schafft, ist die Ankunft von Gottes Herrschaft unter den Menschen. Indem er nicht allein Fischer und Leute vom Land in seine Nachfolge ruft, sondern auch Zöllner und Sünder, handelt Jesus mit göttlicher Vollmacht: „In dem erfolgreichen Ruf in die Nachfolge konkretisiert sich das Heilshandeln Jesu, der in Mt 1,23 als der ,Gott mit uns‘ vorgestellt wird“ (Landmesser/270:85). (2.) Nachfolge Jesu bedeutet, „alle Aspekte seiner Sendung und seines kompromißlosen Lebensstils nachzuvollziehen“ (Sim/299:4). Allerdings kündet sich schon in den Evangelien selber ein weiteres Verständnis von Nachfolge an, das alle an Christus Glaubenden umfasst. Beide Aspekte sind zu berücksichtigen, wenn versucht werden soll, die unterschiedlichen Deutungen der Nachfolge Christi im Laufe der Geschichte zu würdigen und sie im Blick auf die Spiritualität der Gegenwart als Leitmodell ins Spiel zu bringen. Nachfolge Christi bedeutet zunächst, sich um des Himmelreiches willen auf den Weg Jesu einzulassen, seinen Fußspuren zu folgen (1 Petr 2,21), und der Ankunft des Reiches Gottes in radikaler Armut und Sorglosigkeit zu entsprechen. Die vielfältigen Formen radikaler Jesusnachfolge, die das Neue Testament bezeugt, sprechen nach Ulrich Luz gegen eine „schematische Aufteilung des Urchristentums in ,Wanderradikale‘ und ,Sympathisanten‘“, wie sie v. a. von Gerd Theißen (301) vertreten wurde: „Es gibt in der Umgebung Jesu nicht zwei Stufen von Jesusjüngern/innen und bloßen Sympathisanten/innen mit unterschiedlichem Verpflichtungsgrad, sondern es gibt nur das zur Gottesherrschaft gerufene Volk Israel und Menschen mit einem besonderen Auftrag“ (274:681 f.). In den Evangelien finden sich viele Erzählungen einer konsequenten Nachfolge Jesu, in denen sich die urchristlichen Gemeinden wiederfinden können. Sie machen deutlich, dass der Ruf in die Nachfolge nicht an die vorösterliche Situation geknüpft ist (Joh 21,20.22). Neben den Identifikationsfiguren aus dem engeren Jüngerkreis, zu dem auch Frauen gehören (Lk 9,58), sind es Symbolgestalten wie der geheilte Bartimäus, der Jesus auf dem Weg nach Jerusalem folgt, oder der bekehrte Zöllner Matthäus, die als Identifikationsfiguren für die Adressaten der Evangelien herausgearbeitet werden. Im Johannesevangelium dient der Nachfolgebegriff gerade zur Profilierung der nachösterlich-christlichen Existenz, da er in Frontstellung gegenüber gnostischen Interpretationen „zugleich das ,Extra nos‘ des Glaubens, seinen Geschehenscharakter und seine Verpflichtung zu irdisch-konkretem Tun des Willens Gottes“ unterstreicht (Betz/231:42). Der Ort, an dem der Ruf Jesu in die Nachfolge in nachösterlicher Zeit weitergegeben wird, ist die Taufe auf den Namen Jesu. Mit ihrem Bekenntnis binden sich die Täuflinge, die Christus übereignet werden, in definitiver Weise an dessen Lebensgeschick. Wolfhart Pannenberg sieht in der unwiderruflichen Selbstübereignung das Spezifikum des christlichen Glaubens und der ihm entsprechenden Lebensform: „Das Moment des Definitiven, das dem christlichen Taufbekenntnis in Analogie zur Bedeutung der Homologie in der griechischen Rechtssprache eignet, charakterisiert das Bekenntnis als eine für den christlichen Glauben spezifische und ihn in der Welt der Religionen unterscheidende Besonderheit“ (453:131).
Nachfolge als kompromissloser Lebensstil
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II. Geistesgegenwart als Quelle christlicher Spiritualität Nachfolge und Nachahmung
Kreuzesnachfolge
Die neutestamentliche Paränese belegt, dass die Gefahr eines nur äußerlichen Bekenntnisses von allem Anfang an gegeben war und als solche erkannt wurde. Viel länger dauerte es, bis die Problematik wahrgenommen wurde, die mit der naheliegenden Verwechslung zwischen der Nachfolge Christi mit der von Paulus empfohlenen Nachahmung Christi (1 Thess 1,6; 1 Kor 11,1) gegeben war und die um so schwerer wog, als Letztere bald einmal zur dominierenden Leitvorstellung wurde. Folgenreich war die Interpretation der Nachfolge als imitatio Christi nicht nur deswegen, weil sie das Leben Jesu eher als Modell denn als Sakrament des Heils verstand. Mit dem Gedanke der Nachahmung war auch das Problem einer äußerlich bleibenden Imitation gegeben. Durch die Veränderung der Lebensform wird das Leben noch nicht neu. Die reformatorische Hermeneutik christlichen Lebens traf mit ihrer Kritik einen sensiblen Nerv mittelalterlicher Spiritualität, wenn sie diese Tendenz zur Veräußerlichung nicht nur als Nachlässigkeit, sondern als Werkgerechtigkeit diagnostizierte. Dass die Kritik an einer solchen Veräußerlichung wiederum zum Anlass wurde, den Nachfolgegedanken auf fragwürdige Weise zu spiritualisieren, darauf verweist Dietrich Bonhoeffer in der scharfen Kritik der evangelischen Kirche seiner Zeit, die sein Buch Nachfolge zu einem kirchen- und spiritualitätsgeschichtlichen Manifest machen. Gnade ohne Nachfolge ist billige Gnade. Die reformatorische Kritik an einer missverstandenen imitatio Christi wird von Bonhoeffer dabei nicht aufgegeben: „Als äußeres Tun bleibt die neue Existenz durchaus die alte (…). Der Trinker, der den Alkohol läßt, der Reiche, der sein Geld weggibt, wird dadurch wohl vom Alkohol und vom Gelde frei, aber nicht von sich selbst“ (234:54). Im umfassenden Horizont der Nachfolge ist die Nachahmung Christi als Bereitschaft zu verstehen, sich an seiner Lebenshaltung verbindlich zu orientieren und sich von ihr prägen zu lassen. (3.) Bei Paulus und in der alten Kirche bedeutet ,Nachahmung Christi‘ in erster Linie, das Leiden, das einem als Christ widerfährt, nach dem Vorbild Christi geduldig und bereitwillig zu ertragen. In dieser Hinsicht konvergieren die paulinischen Aussagen mit der Rede der Evangelien von der Kreuzesnachfolge. Besonders das Markusevangelium stellt den Weg der Jünger mit Jesus unter das Vorzeichen des Martyriums: „Das ,Leiden wie Jesus‘ ist der entscheidende Punkt. So kommt es, daß nicht nur wenige, sondern alle Christen Nachfolger/innen Jesu werden können (vgl. Mk 2,15: pokkoi´), ohne daß die Nachfolge ihre Radikalität verliert“ (Luz/274:683). Sollte die These zutreffen, dass hinter dem Wort Jesu vom Kreuztragen eine bereits von ihm selbst vollzogene eschatologische Versiegelung mit dem Tau-Kreuz steht (Meßner/200:392 f.), so wäre damit die Kontinuität zwischen vorösterlicher Nachfolge Jesu und der nachösterlichen Existenz aus der pneumatischen Gegenwart des Auferweckten durch einen rituellen Vollzug gegeben, der die Nachfolgenden in doppelter Hinsicht kennzeichnet: Die Versiegelung mit dem Tau-Kreuz soll sie zum einen in der endzeitlichen Bedrängnis schützen. Zum anderen lässt sich das Tau auch als Eigentumsmarke lesen, die die Zugehörigkeit der damit Bezeichneten zu Christus ausweist. ,Sein‘ Kreuz in der Nachfolge des Gekreuzigten auf sich zu nehmen, bedeutet dann nicht nur, das Leiden, in das einen die Nachfolge Christi führt, bereitwillig zu tragen, sondern ebenso, sich unter dem Schutz des auferweckten Gekreuzigten zu wissen.
3. Die responsorische Struktur geistbestimmten Lebens
(4.) Christus nachzufolgen, heißt, an seinem Leben und seiner Sendung zu partizipieren. Wer antwortend auf den Ruf Christi in seine Nachfolge tritt, wird sich selbst enteignet und Christus zugeeignet, ihm zugesellt. Jüngerin oder Jünger Jesu zu sein, bedeutet zugleich, aus seiner Nähe leben zu dürfen und sie bezeugen zu müssen (Mt 28,16–20). Die Nachfolge, die einem je einzigartigen Ruf entspringt, mündet in die Sendung. Im Anschluss an das II. Vatikanische Konzil wird heute auch auf katholischer Seite allgemein betont, dass diese Sendung von allen Getauften mitgetragen wird. Nach Johannes Paul II. bezeugt die Kirche das Evangelium „nicht nur mit den Worten ihrer Lehre, sondern vor allem mit dem lebendigen Pulsschlag des ganzen Volkes Gottes. Durch dieses Lebenszeugnis erfüllt die Kirche die dem Volk Gottes eigene Mission, die an der messianischen Sendung Christi teilhat und diese in gewissem Sinne fortsetzt“ (Dives in misericordia 13). Durch die zeichenhafte und stellvertretende Existenz der Nachfolgenden vergegenwärtigt sich der Auferstandene den Völkern. Der wirksame Ruf Christi, der die Menschen, die er trifft, verwandelt, holt sie in die Wirkeinheit mit dem Auferstandenen hinein, so dass Sendung als ein „Ruhen in der Bewegung Gottes“ beschrieben werden kann (Hallensleben/259:1). Die dabei unweigerlich auftretenden Spannungen zwischen kirchlichen Institutionalisierungsprozessen und charismatischem Zeugnis dürfen nicht mit dem Gegensatz von weltförmiger Großkirche und „konsequenter Nachfolge Jesu“ gleichgesetzt werden (Moltmann/445:348). Denn während die Spannung zwischen Charisma und Institution als gegenseitige Herausforderung fruchtbar gestaltet werden kann, mutiert christliches Leben zu einer äußerlichen Konvention, wo es den Sinn für die Radikalität der Nachfolge verliert und ihm der Geschmack an der herben Frucht christlicher Askese vergeht. Denn der „Weg der Sendung ist ein Weg der Askese“ (Bohren/232:65) – nicht nur für frühchristliche und mittelalterliche Wanderprediger.
Aktive Teilhabe am Weg und der Sendung Christi
3.3 Christliche Askese Das Wort, dem die Theologie der Spiritualität bis weit ins 20. Jahrhundert hinein seinen früheren Namen ,Aszetik‘ verdankte, kommt im Neuen Testament nur einmal vor. Nach Apg 24,16 bekennt Paulus vor dem römischen Statthalter Felix, er bemühe sich (a´rje´x), vor Gott und den Menschen immer ein reines Gewissen zu haben. Der spätere christliche Gebrauch verdankt sich hauptsächlich Klemens von Alexandrien und Origenes, die den Begriff als terminus technicus für exercitia spiritualia aller Art aus der hellenistischen Literatur übernehmen (Guibert/255: 939 ff.). Wie Philo von Alexandrien betrachtet auch Klemens die alttestamentliche Jakobsgestalt als Urbild des Asketen (paed. I,7,57; strom. I,5,31). Dieser Sprachgebrauch wird in der Neuzeit wieder aufgenommen, zunächst in latinisierter Form: Das Adjektiv asceticus bürgert sich im 17. Jahrhundert sowohl in der katholischen Scholastik als auch in der reformatorischen Schultheologie ein. Was genau als Askese zu bezeichnen ist und welche Bedeutung der mit diesem Wort bezeichneten Sache für den christlichen Glaubensvollzug zukommt, gehört zu den bis heute umstrittenen Themen einer Theologie des geistlichen Lebens. Karl Rahner beschreibt in einem 1949 erstmals publizierten Aufsatz drei unterschiedliche Formen der Askese, die nicht spezifisch christlich sind:
Begriffliche Fragen
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II. Geistesgegenwart als Quelle christlicher Spiritualität
die moralische Askese, die der Einübung in eine bestimmte Lebensweise und Haltung dient, die kultische Askese, die zu besonderen religiösen Vollzügen disponiert und schließlich die mystische Askese, die die Sinne für Gottes Gegenwart öffnen soll. Eine spezifisch christliche Form von Askese sieht Rahner dort gegeben, wo Christen im Blick auf die Passion Jesu ihre Sterblichkeit als Möglichkeit bejahen, sich in die Hingabe des Glaubens einzuüben. Eine solche Glaubensaskese kann sich nach Rahner mit den drei genannten Formen von Askese verbinden, die dann von ihr überformt und relativiert werden: „Die ,fuga saeculi‘ ist immer durchkreuzt durch die Liebe zur Welt, die sich – sie selbst! – durch die Gnade, die sie verklärt, bestätigt und ewig gültig weiß“ (285:103). Rahners Interpretationsvorschlag wurde innerhalb der katholischen Theologie vielfach aufgenommen und ausgebaut. So arbeitete Friedrich Wulf das eschatologische Moment christlicher Askese heraus. Die besondere Heilssituation ,zwischen den Zeiten‘ verlange nach einer besonderen, als asketisch zu bezeichnenden Haltung, nämlich geduldiges Ausharren, Aufbruchsbereitschaft und Wachsamkeit (306:365). Ebenfalls von Rahner beeinflusst ist Raphael Schultes Definition, Askese in einem christlichen Sinne umfasse alles, „was sich auf das vorsätzliche und beharrliche Bemühen des Christen um die Erfüllung seines Christseins bis zum persönlichen Tod bezieht“ (349:210). Schulte unterscheidet drei Grundgestalten christlicher Askese: Askese als geistliche Einübung, Askese als geistlicher Kampf und Askese als Passion des Sterbens mit Christus. Die folgenden Ausführungen orientieren sich an diesem hilfreichen Versuch, die unterschiedlichen Gestalten christlicher Askese in eine übersichtliche Darstellung zu bringen. Dabei wird besonders auch auf Übergänge und Überlagerungen zu achten sein. 3.3.1 Askese als Übung Askese zwischen Mystagogie und Pädagogik
Der biblische Leitvers für die erste Gestalt christlicher Askese findet sich in 1 Tim 4,7: „Übe dich in Frömmigkeit!“ Dass ein geistbestimmtes Leben der Einübung bedarf, ist weithin unbestritten. Schon das Erlernen der christlichen Grundgebete geschieht in einem Prozess der Einübung, den man je nach Perspektive stärker der Pädagogik oder der Mystagogik zuordnen kann. Wird aus religionspädagogischer Sicht die anthropologische Dimension spiritueller Vollzüge betont (Granzer/423; Klappenecker/330), so aus mystagogischer Perspektive die Notwendigkeit, sich dem Geheimnis Gottes in Stufen anzunähern und sich für die Ankunft Christi zu bereiten. Die Mahnungen Jesu zu Wachsamkeit, Geduld und Aufbruchsbereitschaft können als Einladungen zu einer eschatologisch geprägten Askese verstanden werden. Dass sich pädagogische Kunst und mystagogische Sensibilität auf fruchtbare Weise verbinden lassen, darauf hat Romano Guardini bereits in der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts hingewiesen. Die neuen Formen geistlichen Übens, mit denen er auf der Burg Rothenfels experimentierte, sollten einer allzu willensbetonten katholischen Aszetik entgegenwirken. Dabei stellte Guardini die Übung der Sammlung ins Zentrum, die er sowohl als „stille Aufmerksamkeit nach innen hin“ verstand wie als „Aufmerksamkeit hinüber“, also als Sammlung in und vor Gottes Gegenwart (179:79–81).
3. Die responsorische Struktur geistbestimmten Lebens
Auch die oben vermerkte Rückkehr einer evangelischen Aszetik steht nicht im Zeichen einer Kreuzesaskese, sondern einer Einübung ins Christsein und einer Kultur der Sinne. Die evangelische Theologie kann dabei darauf hinweisen, dass zum einen Luther selber zeitlebens eine methodisch reflektierte Schriftmeditation praktizierte und vermittelte (Nicol/203) und zum anderen die Confessio Augustana es jedem Christen ans Herz legte, es „mit leiblicher Übung, als Fasten und ander Arbeit, also zu halten, daß er nicht Ursach zu Sünden gebe“ (BSLK 106 f.). Anders als das Augsburger Bekenntnis betont die evangelische Aszetik der Gegenwart im gleichen Maße sowohl die Askese des Verzichts, die Übung des Loslassens und die Mäßigung im Verbrauch der ökologischen Ressourcen wie auch die positive Askese als ein Einüben in evangeliumsgemäße Lebenshaltungen und geistliche Vollzüge. Bemerkenswert ist dabei, dass nicht nur die klassischen Begründungen für eine christliche Askese reformuliert werden, sondern sich auch neue Argumente finden. So begründet beispielsweise Christian Möller die geistliche Einübung als Nachvollzug der inkarnatorischen Bewegung Gottes: „,Geist wird Leib‘; ,Geist wird Lebensgestalt‘; ,Geist wird Tat‘. In dieser katabatischen Bewegung meint ,spiritualité‘ geradezu das Gegenteil jener anabatischen Bewegung, die dem deutschen Wort ,Spiritualisierung‘ zueigen ist.“ (91:39). Einübung in spirituelle Praktiken bedeutet Verleiblichung. Solche Askese ist der Versuch, „der Sehnsucht nach Gott ,ein Gewand zu geben‘“ (Schaupp/398:89). Auch die evangelische Sensibilität dafür, dass die gesetzmäßig geregelten Ordnungen spiritueller Übungen und die Unverfügbarkeit des Geistes zueinander in Spannung oder miteinander in Koflikt geraten können, lässt sich zu dem zählen, was geistlich einzuüben ist: die Unterscheidung der Geister. Nach Jürgen Werbick besteht Askese gerade in der Konzentration und Disziplin, „die Anfänge sorgfältig aufzunehmen, die Gottes Geist mit glaubenden und den Glauben suchenden Menschen macht, und ihnen Wachstumsmöglichkeiten einzuräumen“ (477:195). Dass die beste ,geistliche‘ Übung zum falschen Zeitpunkt oder aus einer falschen Motivation vollzogen dem Wirken des Geistes widerstreitet, ist eine alte Einsicht christlicher Aszetik. Die frühmonastische Askese, die eher für ihre Übertreibungen bekannt geworden ist, zeichnet sich durch eine bemerkenswerte Flexibilität aus. So relativieren die Apophtegmata patrum nicht nur die äußere Askese gegenüber der inneren Haltung. Sie betonen auch die Notwendigkeit, die besondere, situations- und darum geistgemäße Form der Einübung zu finden: „Altvater Poimen sprach: ,Wenn drei zusammenwohnen, von denen der eine die Herzensruhe bewahrt, der andere krank ist, aber dafür dankt und der dritte in reiner Gesinnung dient, dann haben sie alle drei das gleiche Werk“ (Nr. 603; 1:216). Viele Sprüche der Altväter heben zudem hervor, dass nicht das Ergebnis oder die affektive Resonanz zählt, sondern die Liebe und die Treue, mit der eine Übung vollzogen wird. Dass das Wissen um die evangelische Freiheit auch bei den großen Asketen der ägyptischen Wüste vorhanden war, manifestiert sich schließlich auch in ihrem trockenen Humor und ihrem Sinn für spielerische Aktionen und Zeichenhandlungen. Die jüngere Theologie der Spiritualität hat diesen spärlichen Zeugnissen humorvoller Selbstrelativierung vermehrt Aufmerksamkeit geschenkt und auf den Zusammenhang zwischen Askese und Spiel hingewiesen. Nach Ru-
Inkarnatorische Askese
Übung im Unterscheiden
Askese und Spiel
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II. Geistesgegenwart als Quelle christlicher Spiritualität
dolf Bohren ist Askese, verstanden als Integral der aufzuwendenden Mühe und der zu beachtenden Regeln, die Kehrseite jeden Spiels und jeder Kunst. Verknüpft man diese anthropologische Einsicht mit der heilsgeschichtlichen Erfahrung, dass die Tora die Bedingung der Freiheit ist, so lässt sich nach Bohren die christliche Askese weisheitlich begründen. Der Wiedergeborene komme nicht in Ägypten, sondern als Bergbewohner auf dem Zion zur Welt: „Askese heißt dann, sich an die Höhe des Zion gewöhnen – wie sich vor der Olympiade in Mexiko die Sportler an die Höhenluft gewöhnen mußten. Im Wind der Freiheit übt sich die Askese so im weisheitlichen Spiel, daß ihr der Zufall zur zufallenden Gnade wird“ (232:77 f.). Die von Bohren gewählte Metaphorik ist älter, als es zunächst scheint: Bereits Paulus vergleicht in 1 Kor 9,24 und Phil 3,13 f. das geistliche Leben mit einem sportlichen Ereignis. Er betont dabei allerdings stärker ein anderes Moment der Askese: den Kampf. 3.3.2 Askese als Kampf Asketen als Athleten
Der Jakobskampf und Augustins Bekehrungskampf als Leitmodelle
Im Blick auf die Frage nach dem christlichen Verständnis von Askese ist es nicht unwichtig, dass Paulus die Metaphorik des Kampfes aus einem sportlichen und nicht aus einem kriegerischen Zusammenhang bezieht. Der wirkmächtige Gedanke einer militia Christi, eines Kriegsdienstes für Christus, taucht zwar bereits in Eph 6,10 ff. auf. Bei Paulus selbst aber sind Spiel und Kampf noch verbunden. Wer in der Nachfolge Christi läuft, tut es nicht verbissen und grimmig, sondern in Vorfreude und Dankbarkeit. Er müht sich nicht im Schlachtgetümmel, sondern in der beflügelnden Atmosphäre eines Wettkampfes. Und er hat nicht einen blutigen Triumph über den Feind oder die Kriegsbeute, sondern den Siegespreis vor Augen (Phil 3.13 f.). Das im Folgenden näher zu betrachtende zweite Moment christlicher Askese steht bei aller Mühe, die damit verbunden ist, unter einem friedlichen Vorzeichen: „Auch das dürfte notwendig zu Verständnis christlicher Askese gehören: Wegen des Taufgeschehens ist der zu bestehende Kampf bis hin zum persönlichen Tod ,leicht‘, weil der Todes-Ernst des Gesetzes von Sünde und Tod gebrochen ist“ (Schulte/349:211). Ein Leitmodell für den asketischen Kampf unter dem Indikativ der Verheißung findet sich beispielsweise in 2 Kor 4,7 ff. Doch auch Jakobs Kampf am Jabboq bietet reichhaltige Identifikationsmöglichkeiten. Die Mehrdeutigkeit dieses Kampfes – Jakob kämpft ebenso mit sich selbst, mit seinem Bruder wie mit Gott, ebenso mit einem gesichtslosen Dämonen wie mit einem segnenden Engel – legt es nahe, ihn als Interpretament für die Anfechtungserfahrung zu benutzen, für Widerfahrnisse also, die als feindlich erfahren werden, sich aber im Rückblick als besondere Weise der Gottesbegegnung entpuppen. In einem solchen Kampf treten latenter Zwiespalt, uneingestandene Halbheiten und Schwächen ins Bewusstsein. Dem menschlichen Wollen kommt dabei eine merkwürdige Rolle zu. Nach der klassischen Darstellung christlicher Anfechtung, die Augustin in seinen Bekenntnissen entfaltet, kämpft – anders als im platonischen Gleichnis vom Pferdewagen – nicht die Vernunft mit einer ungeordneten Sinnlichkeit, sondern der volitiv gespaltene Mensch mit sich selbst: Er steht auf beiden Seiten und kämpft sowohl für das Gute wie gegen es. Wo sich der Knoten auflöst, wo das neue Wollen über
3. Die responsorische Struktur geistbestimmten Lebens
das alte siegt und die volitive Einheit sich im Guten festigt, geschieht dies nach Augustin aus der Übermacht der Gnade gegenüber der Sogkraft der Selbstsucht. Die Spannung zwischen Augustins Theologie der Gnade und seinem anthropologischen Voluntarismus bzw. das sich darin manifestierende Sachproblem führte im Laufe der abendländischen Spiritualitätsgeschichte immer wieder neu zu Spannungen zwischen einer voluntaristischen Aszetik und einer mystischen Emphase des Lassens (Guibert/255:988 f.). Diesseits der Extreme von Asketismus und Quietismus, der Verkennung der Zwiespältigkeit menschlichen Wollens auf der einen und der Bedeutung der tätigen Selbstentäußerung auf der anderen Seite, finden sich mehrere Möglichkeiten, auf dieses zentrale Problem christlicher Aszetik zu antworten. Die vorgeschlagenen Lösungen sind meist kennzeichnend für die jeweilige Spiritualität insgesamt. So zeichnet sich Luthers Antwort auf die antinomischen Bewegungen der Reformation durch ein paradoxes Zugleich von Kampf und vertrauensvoller Selbstpreisgabe aus: Auf der einen Seite werden Christen durch das fordernde und oft überfordernde Gesetz beansprucht, das ihren Tatwillen im Blick auf Kirche und Welt herausfordert. Auf der anderen Seite ist der Anspruch des Gesetzes radikal relativiert durch das freisprechende Evangelium, dessen wohltuender Kraft sie sich überlassen dürfen. Der geistgeschenkte Glaube an das Evangelium bringt allerdings die Stimme des alten Adam im neuen Leben nicht völlig zum Verstummen: Gleich einem gefangenen Räuber fristet er sein Leben, indem er mit seinen verbleibenden Kräften gegen das gute Gebot aufbegehrt (WA 8,91). Die Persistenz des Alten im neuen Leben soll nicht aktiv bekämpft, sondern geduldig getragen werden. Bei aller Betonung des Kampfes dominiert bei Luther das dritte Moment christlicher Askese: das Pathos der Kreuzesnachfolge. Ein bemerkenswerter Versuch, die Metaphorik des christlichen Kampfes neu aufzunehmen, findet sich bei Frère Roger. Hinter seiner Formel ,Kampf und Kontemplation‘ steckt die Erfahrung eines zweifachen Kampfes. Der sozialpolitische Kampf um Gerechtigkeit und Frieden, von dem sich Christen nach Frère Roger nicht dispensieren dürfen, ist durch einen inneren Kampf vorbereitet und begleitet. Die kontemplative Form und Lösung des inneren Kampfes macht sich wiederum im äußeren Kampf bemerkbar als Versöhnungsbereitschaft und Gewaltlosigkeit. In einem programmatischen Text aus dem Jahre 1970 beschreibt der Gründer von Taizé den inneren Kampf als eine Konfrontation mit den eigenen Abgründen und verborgenem Leid. Anders als bei den gewohnten Abwehrkämpfen, die dazu dienen, sich vom Leiden an diesen Realitäten abzuschotten, besteht der von Frère Roger beschriebene Kampf in einem Ringen mit diesen eingespielten Verdrängungsmechanismen bzw. um das Vertrauen in die Wirksamkeit Christi. Der Text endet mit einer Verheißung: „Wenn wir Christus mit kindlichem Vertrauen in uns beten lassen, werden eines Tages die Abgründe bewohnbar sein. Eines Tages, später einmal, werden wir feststellen, daß sich in uns eine Revolution vollzogen hat. Dieses Glück freier Menschen ist der Motor in unserem Kampf für alle Menschen, mit allen Menschen. Es bedeutet Mut, Energie, um Wagnisse einzugehen. Es ist überströmende Freude“ (298:115).
Jenseits von Asketismus und Quietismus
Kampf und Kontemplation
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II. Geistesgegenwart als Quelle christlicher Spiritualität
3.3.3 Askese als Passion Kreuzesaskese als Grundform christlicher Askese
Askese der Schwachheit
Glückliche Passionen
Das dritte Hauptmoment christlicher Askese, die Teilhabe an der Passion Christi, war in den bisher betrachteten Formen christlicher Askese bereits keimhaft präsent. Nicht nur der gewaltfreie Kampf, sondern auch die Einübung in ein geistbestimmtes Leben ist unter den Bedingungen dieser Welt mit der Erfahrung der Passion verbunden. Es gehört zur Freiheit des Spiels, dass man es gegebenenfalls auch lassen kann; es bedeutet hingegen Passion, wenn man es lassen muss, wenn es am schönsten ist (Mechthild v. Magdeburg, Das fließende Licht der Gottheit I,2). Man kann die Askese in Gestalt der Leidensübernahme im Anschluss an Martin Luther oder Karl Rahner als die grundlegendste Form christlicher Askese betrachten, ohne die alle Übungen und aller geistlicher Kampf ihren christlichen Sinn verlören. Eine solche Auszeichnung als grundlegende Form, die alle anderen Formen christlicher Askese prägt, darf aber nicht darüber hinwegsehen lassen, dass auch die ,Kreuzesaskese‘ in sehr konkreten und zu unterscheidenden Gestalten auftritt. Eine besondere Form einer solchen Kreuzesaskese, auf die möglicherweise auch die erste Seligpreisung anspielt, beschrieb André Louf als ,Askese der Schwachheit‘ (392:44 ff.). Es ist die Erfahrung, die im obigen Zitat von Frère Roger aufscheint und von der Paulus in 2 Kor 12,7–9 erzählt: die Entdeckung der Gnade in der Abgründigkeit des Unvermögens und der Not. Die Askese der Schwachheit besteht in einer Form von Einwilligung und ungeschminkter Selbstannahme vor Gott. Sowohl Luther als auch Johannes vom Kreuz haben einer solchen passivischen Askese eine läuternde Funktion zugeschrieben. Offenkundig stehen die Askese der Schwachheit und die darin erfahrene Gnade in einem Förderungsverhältnis: Die glückliche Erfahrung, dass die Wahrheit frei macht und dass das Eingeständnis der eigenen Schwachheit einen mit Gottes Kraft verbindet, weckt die Bereitschaft, sich auf noch tieferer Ebene einem Prozess heilsamer Selbsternüchterung auszusetzen. In einem bekannten späten Aufsatz hat Karl Rahner solche Erfahrungen einer Askese der Schwachheit als paradigmatische Gestalt christlicher Geisterfahrung beschrieben (96:242). Askese als Passion, so zeigen gerade die von Frère Roger, André Louf und Karl Rahner beschriebenen Erfahrungen, umfasst nicht nur die leidvollen, sondern auch die glücklichen Passionen. Sie besteht nicht nur im Ja zur eigenen Sterblichkeit und Armut, sondern im ,Verzicht‘, das Entscheidende selbst tun zu wollen. Es war wiederum Rudolf Bohren, der diesen Aspekt vor einigen Jahrzehnten in den Vordergrund rückte. Nicht nur die Kreuzesaskese ist als die grundlegende Form allen asketischen Übens, Kämpfens und Lassens zu betrachten. Die Passion der Freude ebenso. Die Spannung von Fasten und Feiern werde davor bewahrt, in Leistungsdruck, Zwängerei oder Hektik auszuarten, wo sie als Teilnahme des Glaubens am Schmerz und an der Freude Gottes begriffen werde: „Der Mensch wird hineingezogen in den Schmerz Gottes, damit er in dessen Freude wohne. Nach Jesu Wort soll das Fasten schon vorspringen in die Freude. Ja, es ist selbst schon ein Vor-Sprung hinein in die Freude: ,Du aber salbe, wenn du fastest, dein Haupt und wasche dein Angesicht‘ (Mt 6,17). Das Fasten ist schon Feiern“ (232:11 f.).
3. Die responsorische Struktur geistbestimmten Lebens
Christliche Askese, so lässt sich zusammenfassend festhalten, nimmt in dreigestaltiger Weise am Leben Gottes teil: Als Übung nimmt sie am Spiel von Gottes Weisheit teil (Spr 8,30 f.; vgl. Rahner/284), am Spiel Gottes mit dem Leviathan (Ps 104,26); als Kampf partizipiert sie an Gottes aktivem Widerstand gegen das Böse, dessen Macht bereits gebrochen ist; als Passion teilt sie den Schmerz Gottes an seiner Schöpfung und leidet mit ihm die Folgen menschlicher Verfehlung aus.
Zusammenfassung
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III. Spirituelle Lebensformen Lebensform Christi – christliche Lebensformen – geistbestimmtes Leben
Was das Christentum in den ersten Jahrhunderten seiner Geschichte für viele Menschen attraktiv machte, war nicht zuletzt die Tatsache, dass es alternative Lebens- und Sozialformen anzubieten hatte, die sich von anderen antiken Modellen markant unterschieden und neue Lebensmöglichkeiten eröffneten. In mehreren Schüben entwickelten sich im Laufe der Geschichte weitere spirituelle Lebensformen, die sich in ihrem Anspruch, eine bessere Alternative zum Althergebrachten anzubieten, nun nicht mehr von einer heidnischen Umwelt, sondern von eingewöhnten Weisen des christlichen Lebens abhaben: das Mönchtum, die Armutsbewegungen und die Reformation sind die wohl bekanntesten Beispiele dafür. Auf dem Hintergrund der zweitausendjährigen Geschichte christlicher Spiritualität, der zunehmenden Pluralisierung christlicher Lebensformen und der nur schwer überblickbaren Entwicklungen in der Gegenwart kommt einer Theologie der Spiritualität zunächst die Aufgabe zu, grundlegend zu klären, inwiefern geistbestimmtes Leben in der Nachfolge Christi überhaupt als spezifische Lebensform zu beschreiben ist. Ein Einwand gegen eine solche Redeweise könnte ja lauten, dass es geistbestimmtes Leben nur in einer unüberschaubaren Vielfalt von kulturell und situativ geprägten Lebensformen gibt, die zumindest auf den ersten Blick wenig miteinander verbindet: Die Lebensform einer Christin in Äthiopien unterscheidet sich offenkundig stärker von derjenigen einer reformierten Christin in Zürich, als Letztere sich von dem abhebt, wie eine postchristliche Zürcherin aus derselben Bevölkerungsschicht und Berufsgruppe lebt. Es dürfte in diesem Zusammenhang hilfreich sein, zu unterscheiden zwischen der Lebensform Christi (Diadache 11,8; Lumen Gentium 44), der Vielfalt an kulturell und kirchlich geprägten christlichen Lebensformen und dem je singulär geformten geistbestimmten Leben, das auf vorgeprägte Formen angewiesen ist und sie auf einzigartige Weise aneignet. Während christliche Lebensformen (und in bestimmten Grenzen auch die Lebensform Christi) soziologisch analysierbare Größen darstellen, ist mit dem Singular ,geistbestimmtes Leben‘ eine Wirklichkeit bezeichnet, die sich auf empirisch fassbare Weise manifestiert, sich selber jedoch einer Beschreibung aus der Beobachterperspektive entzieht. Bevor diese Unterscheidungen im Rahmen einer theologischen Hermeneutik geistlichen Lebens entfaltet werden können, soll in einem ersten Schritt der Begriff der ,Lebensform‘ geklärt und nach der Möglichkeit einer Hermeneutik der Lebensformen gefragt werden.
1. Hermeneutik der Lebensformen Orientierung am Guten
Im weitesten Sinne bezeichnet der Begriff der Lebensform eine „sichtbare und erfahrbare Signatur“ eines menschlichen Lebens, „dasjenige, was als Gestaltungsprinzip die wahrgenommene Wirklichkeit durchwaltet“ (Wils/ 481:99). Nach Platon ergibt sich die Lebensform, die politeia, aus dem, was
1. Hermeneutik der Lebensformen
in einer Gemeinschaft als höchstes Gut betrachtet wird. Aristoteles nahm diesen Gedanken auf und individualisierte ihn, indem er zwischen drei alternativen Existenzformen unterschied, zwischen denen der freie Bürger zu wählen hatte: das unfreie Leben des Hedonisten, für den der Genuss das höchste Gut darstellt; das praktische Leben im Dienst der Polis, das zumindest im Idealfall nicht von Ehrsucht, sondern vom Streben nach Gerechtigkeit geleitet ist; und schließlich das kontemplative Leben, dem die Erkenntnis das höchste Gut ist (EN I,3). Gemäß dieser klassischen Konzeption partizipieren wir an dem Gut(en), das wir erstreben, und werden von ihm geprägt: Der Genusssüchtige von seiner Lust, der nach Tugend Strebende von der Gerechtigkeit, der Kontemplative von der Wahrheit, die er sucht und betrachtet. Die Verchristlichung dieses Gedankens lag nahe. Es bedurfte nur der kleinen semantischen Verschiebung vom unpersönlichen zum personalen Guten: Das lebensregulierende höchste Gut wird nun in dem uneingeschränkt Guten gesehen, der sich in Christus zugänglich gemacht hat. Die Einsicht, dass sich eine bestimmte Lebensform aus einer spezifischen, gemeinschaftlich abgestützten Orientierung am Guten ergibt, lässt sich aus der antiken Vorstellungswelt, die sie hervorgebracht hat, herauslösen. Lebenshermeneutisch lässt sie sich im Anschluss an Charles Taylor folgendermaßen reformulieren: Ethische Orientierung, verstanden im weitesten Sinne des Wortes, vollzieht sich in gemeinschaftlich geteilten Werthorizonten. Insofern diese axiomatischen Deutungsrahmen unserer Selbstwerdung vorausgehen und sie ermöglichen, steht unser Leben von Anfang an im Zeichen des ,Guten‘. Da die Werthorizonte nicht nur plural sind, sondern sich auch miteinander reiben, erfordert die Orientierung am Guten einen Prozess der deutenden Artikulation und der Identifikation: Wir identifizieren uns – mehr oder weniger reflexiv – mit bestimmten Wertorientierungen, indem wir uns als Personen verstehen, die sich nicht nur dieses für sich wünschen und jenes ablehnen, sondern die auch gewisse Dinge an sich wünschenswert bejahen (Freiheit, Solidarität, Gerechtigkeit) und andere verurteilen (Folter, Lüge, Rassismus). Dass die ausdrücklichen zur Sprache gebrachten Selbstidentifikationen von den faktischen wirksamen Handlungsmotiven stark abweichen können, ist nicht zu bestreiten, stellt aber die Bedeutung der Artikulation nicht in Frage: Sie kann eben auch zum Zwecke der Selbsttäuschung benutzt werden. Die Gründe, die wir als handlungsbestimmend anführen, sind dann nicht diejenigen, die unser Handeln bestimmen und die wir, um uns damit nicht konfrontieren zu müssen, lieber unartikuliert lassen. In der Selbsttäuschung verwickeln wir uns in einen Selbstwiderspruch. Genauer betrachtet verstoßen wir selbst gegen unseren Wunsch, nicht hinters Licht geführt zu werden. Dabei dürfte dieser grundlegende Wunsch in der Regel nicht auf der gleichen Ebene liegen, wie der Wunsch, der unser Handeln faktisch bestimmt. Um dem Sachverhalt Rechnung zu tragen, dass nicht jedem handlungsbestimmenden Präferenzurteil das Gewicht einer identitätsbildenden Selbstbindung zukommt, hat Taylor die Unterscheidung zwischen schwachen und starken Wertungen eingeführt: Während sich schwache Wertungen an persönlichen Präferenzen orientieren, beinhalten starke Wertungen eine qualitative Unterscheidung zwischen dem für mich Wünschenswerten und einem nicht auf persönliche Setzungen reduzierbaren Guten (Taylor/466).
Geteilte und konfliktuöse Werthorizonte
Handlungsbestimmende Wertungen
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III. Spirituelle Lebensformen
commitments
H. U. v. Balthasars Typologie der Lebensformen
Die Entzogenheit von starken Wertungen gegenüber subjektiver Beliebigkeit und ihr damit verbundenes regulatives Gewicht spricht gegen die verbreitete Ansicht, eine Lebensform ausschließlich als eine Frage der Wahl zu betrachten. Anders als der Lebenstil, in dem sich die persönlichen Präferenzen zeigen, sind Lebensformen, in einem anspruchsvollen Sinne des Wortes, mit Selbstbindungen und Verpflichtungen verknüpft, die für jemanden nicht mehr zur Disposition stehen. Das commitment, das eine Lebensform konstituiert, fußt auf starken Wertungen, die sich nicht einer schlichten Wahl verdanken. Um wählen zu können, mich von einem bestimmten Lebensideal leiten zu lassen, muss es mir im Licht dessen, was ich schon als wertvoll erachte, als verheißungsvolle Möglichkeit aufgegangen sein. Die Wahl beschränkt sich damit auf den – für die Frage der Lebensform allerdings entscheidenden – Punkt, ob ich die guten Gründe, die dafür sprechen, mich auf etwas einzulassen, auch praktisch werden lasse. Gute Handlungsoptionen bedürfen der Sättigung durch eine Praxis, deren Folgen in der Regel unabsehbar sind und die deshalb immer risikobehaftet ist. Die Bereitschaft, ein solches Risiko einzugehen, ist an die Einsicht gebunden, dass ein bestimmtes Gut nicht anders zu verwirklichen ist, als durch ein gewisses Maß an Kontrollverzicht und ein verbindliches Sich-Einlassen. Was das commitment, das eine Lebensform konstituiert, von anderen unterscheidet, ist sein umfassender Charakter. Es reguliert und koordiniert alle Praktiken des Lebens von einzelnen Menschen oder von Gemeinschaften. Das hier nur grob skizzierte Zusammenspiel zwischen einer vorgängigen Partizipation an Wertsphären, identitätsstiftender Selbstartikulation und lebensformbestimmender Selbstbindung kann auch einer Hermeneutik geistbestimmten Lebens als Ausgangspunkt dienen. In dem bereits zitierten programmatischen Beitrag, den Hans Urs von Balthasar 1965 im ersten Jahrgang der Zeitschrift Concilium veröffentlichte, findet sich ein beachtenswerter Versuch einer solchen Hermeneutik. Balthasar unterscheidet in einem ersten Schritt zwischen einer platonischen Spiritualität des strebenden Eros, einer aristotelischen Spiritualität der Tat und einer Spiritualität des Geschehenlassens, die er in der Stoa maßgeblich verwirklicht sieht. Die christliche Spiritualität kann nach Balthasar an dieses dreifach akzentuierte „menschliche Vorverständnis von Spiritualität“ anknüpfen. Dabei kommt es zu grundlegenden Transformationen: „Der (,platonische‘) Eros-desiderium (als absolutes Vorziehen Gottes vor allem Weltlichen)“ findet in der Darstellung Balthasars seine Erfüllung, seinen „Letztsinn“, in der Liebeshingabe Gottes; die aristotelische Spiritualität der Tat ihre Konkretion in der christlichen Nächstenliebe; die stoische Leidensbereitschaft in der Kreuzesnachfolge (82:255 f.). Offenkundig ist nach Balthasar das Verhältnis zu anderen religiösen Lebensformen der Gegenwart ähnlich zu beschreiben wie die christliche Aufnahme antikphilosophischer Lebensmodelle. Mit einer solchen Typologie ist allerdings hermeneutisch noch nicht viel gewonnen. Im Blick auf die Pluralität christlicher Lebensformen stellt sich dabei ein doppeltes Problem: Zum einen fragt sich, ob die Doppeldeutigkeit, die im Begriff einer Orientierung am Guten steckt, nicht die Unterschiede verdeckt, die zwischen der Hingabe des Glaubens – verstanden als eine personale Beziehung zu Gott als dem unüberbietbar Guten – und einem commitment, das sich bestimmten Wertbindungen
1. Hermeneutik der Lebensformen
verdankt. Zum anderen stellt sich das Problem eines christlichen Kommunitarismus, der die kirchliche Gemeinschaft gegenüber einer nichtchristlichen Umwelt als Wertegemeinschaft profiliert. Was das erste Problem betrifft, so lässt sich argumentieren, dass es sinnvoll sein dürfte, die Gemeinsamkeiten und Differenzen zwischen der Hingabe des Glaubens und einem commitment, das auf nicht religiös geprägten Wertbindungen beruht, im gleichen Maße zu beachten: Dass sie auf vorgegebene Urteilshorizonte bezogen sind, über die sie nicht verfügen, ist beiden gemeinsam. Die konkretisierende Ausgestaltung einer bestimmten religiösen oder areligiösen Lebensform geht von axiomatischen Ordnungen aus, die jemand nicht grundsätzlich zur Disposition stellen kann, weil sie selber den Orientierungsrahmen für sein praktisches Überlegen bilden. Was die Orientierung reguliert und die Lebensform prägt, ist selber nicht Gegenstand der Wahl. Was das commitment des Glaubens auszeichnet, ist zum einen der bereits beschriebene Sachverhalt, dass es eine Umkehr voraussetzt und aus der Beteiligtenperspektive selber nochmals als geistgewirkte Gabe interpretiert werden kann. Zum anderen kann man zwar auch das christliche commitment in einer sächlichen Sprache beschreiben, etwa als Hingabe an die Sache Jesu, doch hat es als Selbstübereignung an den dreieinen Gott eine Struktur, die es von anderen commitments unterscheidet. Es ist eine Orientierung an einem Guten, dessen Heilswollen nur unzureichend in handlungsleitende Regeln zu bringen ist. Der skizzierte Versuch, den antiken Gedanken der lebensformprägenden Orientierung am Guten neu zu artikulieren, könnte als Argument für einen christlichen Kommunitarismus gelesen werden, wie er beispielsweise von George Lindbeck vertreten wird. Lindbeck versteht Religion im Allgemeinen und den christlichen Glauben im Besonderen als ein umfassendes kulturelles System, das die Wirklichkeitsperspektive und Lebensform derjenigen prägt, die an ihm teilnehmen, und das sie von ihrer säkularen Umwelt unterscheidet (271). Nicht schon diese allgemeine Selbstbeschreibung, sondern erst deren inhaltliche Konkretisierung sowie die Konsequenzen, die Lindbeck daraus zieht, weckten die Kritik an seinem theologischen Programm, das mit Ingolf U. Dalferth als „postmoderne Tribalisierung des Glaubens im Licht eines funktionalen Religionsbegriffs“ interpretiert werden kann (413:19). Die eschatologische Differenz zwischen altem und neuem Leben wird so auf eine kulturelle Alternative reduziert, die die Bedingtheiten der christlichen Lebensformen verkennt. Die „,identitäre‘ Versuchung“ (Ricœur/ 457:138), das Selbst ausschließlich von religiösen und sozialen Zugehörigkeiten her zu bestimmen, liegt jedenfalls bei Lindbecks Deutungsvorschlag – im Unterschied zur Typologie Balthasars – nahe. Um solche Engführungen zu vermeiden, muss beim folgenden Versuch, die christliche Lebensform von ihrer Geistbestimmtheit her zu fassen, darauf geachtet werden, sorgfältig zu unterscheiden zwischen dem lebensformenden Wirken des Geistes und dem responsorischen Mitwirken des Menschen. Versteht man die christliche Orientierung am Guten – und damit die christliche Lebensform – als vertrauensvolles Sich-bestimmen-Lassen durch den Geist Jesu, so dürfte einer Verwechslung dieses Geistes mit einem kirchlichen Gemeingeist ebenso vorgebeugt sein wie der Verkürzung, das Christwerden mit einer neuen sozialen Identität gleichzusetzen: Würden sich Wahl und Wechsel
Nichtreligiöse und gläubige commitments
Christliche Lebensformen und geistbestimmtes Leben
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III. Spirituelle Lebensformen
der Lebensform auf ein äußeres Tun beschränken, so bliebe nach Dietrich Bonhoeffer „die neue Existenz durchaus die alte; es wird bestenfalls ein neues Lebensgesetz, ein neuer Lebensstil erreicht, der aber nichts mit dem neuen Leben mit Christus zu tun hat“ (Bonhoeffer/234:54).
2. Reguliertes Leben in der Nachfolge Christi Pilgerschaft als Lebensform?
,Politeia‘ als Integral von Lebensform und Lebensführung
Dass es keine christliche Spiritualität ohne commitment gibt, ohne ein verbindliches Sich-Einlassen auf die Nachfolge Christi und die Gemeinschaft der Nachfolgenden, dürfte kaum bestritten werden. Doch, so kann man einwenden, bedeutet dies denn notwendigerweise auch die dauerhafte Selbstverpflichtung auf eine bestimmte Lebensform? Angesichts der unüberschaubaren Vielfalt christlicher Lebensformen und dem individualisierenden Wirken von Gottes Pneuma stellt sich die Frage, ob es für ein geistbestimmtes Leben nicht gerade kennzeichnend ist, dass jemand gegenüber der von ihm vorgegebenen und gewählten Lebensform in einem gelassenen Verhältnis steht: Ist es nicht das Merkmal eines geistbestimmten Lebens, dass es frei ist gegenüber von allen Lebensformen und damit auch frei ist für viele Formen (vgl. 1 Kor 7,17 ff.)? Besonders lutherische Autorinnen und Autoren betonen den Aspekt der evangelischen Freiheit gegenüber von gemachten und gewählten Ordnungen. So beschreibt es Eberhard Jüngel als ein Spezifikum christlicher Existenz, dass sie die Ordnungen der Welt unterbricht: Als gottesdienstliches Volk habe die Gemeinschaft der Heiligen in der Welt keine bleibende Polis. Es sei vielmehr als wanderndes Gottesvolk unterwegs zur kommenden Polis Gottes (Hebr 13,12–14; Phil 3,20): „Indem die Gemeinschaft der Heiligen durch ihre gottesdienstliche Existenz den Lebenszusammenhang der Welt unterbricht, dient sie der Welt und sucht sie ,der Stadt Bestes‘ (vgl. Jer 29,7)“ (433:553). Die christliche Pilgerexistenz hat ihr regulatives Zentrum in dem, worauf sie zugeht, und das auch dann, wenn sie am Leben der Polis teilnimmt und seine Formen für sich adaptiert. Doch hat aber nicht auch der Pilgerstand seine eigenen Gesetze und Regeln? Eine Lebensform jenseits der weltlichen Polis, mit der sich ein Christ vorbehaltlos zu identifizieren vermag? Dass sie die Spannungen zwischen Tora und Evangelium, zwischen der Beispielhaftigkeit des Lebens Jesu und seiner Unnachahmlichkeit, zwischen christlicher Weltdistanz und Weltverantwortung, zwischen den Bedingungen der vorletzten und den Ansprüchen und Verheißungen der letzten Wirklichkeit bewusst gestalten, ist ein gemeinsamer Zug aller Versuche, das Leben vom Geist Christi formen zu lassen. Aus der Vielfalt der gefundenen und gelebten Antworten wiederum allgemeine Regeln ableiten zu wollen, wäre ein vermessenes Unterfangen. Mit aller nötigen Vorsicht sollte es eine Hermeneutik des geistlichen Lebens dennoch nicht unterlassen, im Blick auf exemplarische Antwortversuche nach epochenübergreifenden Konstanten zu fragen. Das soll im Folgenden an einem einzelnen Aspekt veranschaulicht werden: an der Frage nach der persönlichen Lebensregel, der ,politeia‘. Dabei knüpfe ich an einige Gedanken an, die im vorangegangenen Kapitel im Zusammenhang mit der Askese als Übung eingeführt wurden. Bereits im antiken philosophischen Gebrauch stand der Begriff der ,politeia‘ sowohl für
2. Reguliertes Leben in der Nachfolge Christi
die Staatsform wie für die Lebensform des Einzelnen. Im einen wie im andern Fall ist die politeia nicht schlechthin identisch mit der Grundverfassung bzw. den Lebensprinzipien. Sie betrifft ebenso die Art und Weise, wie diese praktiziert werden (Strauss/464:140). Die politeia ist gewissermaßen das Integral von Staatsform und politischer Praxis, von Lebensform und Lebensführung. Frühchristliche Texte übernahmen den Begriff für das Leben nach dem Evangelium (Phil 1,27; 1 Clem 2,8). Im monastischen Kontext bezeichnete er später den besonderen asketischen ,Stil‘ eines Altvaters. In je eigener Gewichtung umfasste sie sowohl besondere Regeln und Vorsätze, wie den Umgang mit diesen (Hausherr/187:162 ff.). Ein anschauliches Beispiel gibt das folgende Apophthegma: „Man erzählte von dem Altvater Dioskuros Nachiastes, daß sein Brot aus Gerste war oder aus Linsen. Jedes Jahr begann er mit einer neuen Übung: ,Dieses Jahr werde ich niemand besuchen‘, oder: ,ich werde nicht sprechen‘, oder: ,nichts Gekochtes genießen‘, oder: ,kein Obst oder Gemüse essen‘. Bei all seiner Tätigkeit macht er es so, und wenn er mit etwas fertig war, dann nahm er etwas anderes vor. So tat er Jahr für Jahr“ (Apophth. Patr. 191; 1:80). Ist das Leben des ,idiorhythmischen‘ Anachoreten fast nur durch die persönliche politeia reguliert, so muss der zönobitische Mönch diese an die politeia seiner Gemeinschaft anpassen, die nicht nur die schriftlich festgelegten Regeln, sondern auch von den eingespielten Gewohnheiten der Gemeinschaft und dem Führungsstil des jeweiligen Abtes bestimmt ist. Die Pioniere christlichen Mönchtums, die sich noch nicht als einen eigenen christlichen Stand verstanden, sondern lediglich „die Regeln beobachten wollten, von denen sie wussten, dass die Apostel sie für den ganzen Leib der Kirche aufgestellt hatten“ (Cassian, coll. 18,5,3), schufen damit ein Grundmodell eines regulierten geistlichen Lebens, das für die christliche Spiritualität bis heute paradigmatisch wirkt. Die problematischen Seiten, die diese Exemplarität mit sich brachte, werden im Abschnitt über die Evangelischen Räte erörtert werden. Was die politeia betrifft, kann man festhalten, dass das christliche Mönchtum nicht nur die Bedeutung, sondern auch die Gefährdungen geistlicher Selbstregulierung exemplarisch ausgelotet hat. Sollte die Vermutung stimmen, dass die christliche Spiritualität der Gegenwart eher unter Unterregulierung, Arhythmie und Formlosigkeit als unter dem Gegenteil davon leiden, so kann die spiritualitätstheologische Erinnerung an vergangene christliche Lebensexperimente zum einen eine Korrekturfunktion erfüllen. Zum anderen können die Extremformen der Nachfolge Christi einer Hermeneutik des geistbestimmten Lebens als Vergrößerungsglas dienen, das bestimmte Phänomene und Zusammenhänge deutlicher hervortreten lässt. Es schärft die Wahrnehmung für die notwendigen Voraussetzungen und Rahmenbedingungen geistlichen Lebens und die Grenzen seiner Regulierbarkeit. Die lebenshermeneutische Aufgabe, ausdrücklich zu machen, was faktisch und oft unreflektiert lebenregulierend wirkt, bringt die Komplexität der geistlichen politeia ans Licht: Sie kann als geglückter oder auch missglückter Versuch beschrieben werden, in den Anspruchskonflikten des Alltags das große commitment des Glaubens zu leben und in konkreten Verbindlichkeiten und handlungsleitenden Grundhaltungen zu verleiblichen. Aus hermeneutischer Sicht ist dabei von besonderem Gewicht, dass eine solche politeia selbst hermeneutische Prozesse umfasst: Die schlichte Aufgabe, konkret
Die politeia des Altvaters Dioskuros
Spiritualitätstheologische Bedeutung des Mönchtums
Selbsthermeneutik als Moment geistbestimmten Lebens
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III. Spirituelle Lebensformen
Frère Rogers Lebensregel
zu leben, wozu man sich berufen glaubt, erfordert, genau betrachtet, eine komplexe Vielzahl von sich gegenseitig bedingender Auslegungs- und Aneignungsprozesse. Vereinfacht gesagt, umfasst eine solche geistbestimmte Selbstbestimmung einerseits die mehr oder weniger reflektierte Selbstauslegung im Blick auf das Evangelium und andererseits die Selbstfestlegung im Blick auf eine je einzigartige Lebenssituation. In beiderlei Hinsicht spielt auch hier die Artikulation eine zentrale Rolle: Als Medium des Verstehens ermöglicht sie einerseits die Selbstthematisierung im Blick auf den uns bestimmenden Urteilshorizont. Das gesprochene und geschriebene Wort ist andererseits auch Medium der Selbstverpflichtung: Durch das gegebene und niedergelegte Wort verwirklicht sich im Raum sozialer Verbindlichkeit, wozu wir dauerhaft stehen, woran wir uns erinnern, worauf wir zurückkommen möchten. Auf diesem Hintergrund ist leicht nachzuvollziehen, weshalb Pädagogen des geistbestimmten Lebens, angefangen von Antonius dem Großen (v. Ant. 55) bis zu Frère Roger, nicht nur zu einer ordnungsstiftenden politeia, sondern auch zum Führen eines geistlichen Tagebuchs raten, in dem sich diese reflexiv klären und verflüssigen kann. Der Gründer der Gemeinschaft von Taizé ist in diesem Zusammenhang insofern ein bedeutsames Beispiel, als er seine Tagebücher auch als Medium heutiger Mystagogie entdeckte. Er wies zudem häufig darauf hin, dass ein verbindliches Leben nach dem Evangelium auf eine persönlich formulierte Regel angewiesen sei. In der für ihn charakteristischen zeugnishaften Sprachform heißt es einmal: „In meiner Jugend gelangte ich zu der festen Überzeugung, dass man, will man etwas Dauerhaftes aufbauen, unbedingt einige Leitlinien finden muss, auf die man sein ganzes Leben lang zurückgreifen kann. Mit etwa 18 Jahren war ich überzeugt, dass der Mensch sich nur dann voll entwickelt und zu einer personalen Einheit findet, wenn er seinem Leben einige wesentliche Grundlinien vorgibt. Ohne wesentliche und dauerhafte Bezugspunkte, an die man sich ein ganzes Leben hält, kann man nichts Entscheidendes vollbringen“ (239:182). Ein langsam gereifter und selbst formulierter Leitsatz, der den Gedanken Christi in möglichst eindringlicher und persönlicher Weise zum Ausdruck bringe, könne die Rolle des Erziehers spielen, der uns auf sanfte Weise daran erinnert, was uns als Einsicht und Berührung geschenkt wurde und wozu wir uns entschieden haben: „Er schließt alle Alternativen aus und befähigt uns, entschlossen aufzubauen, weil er dem inneren Leben Einheit verleiht und uns dadurch unser Leben lang in eine bestimmte und kontinuierlich durchgehaltene Richtung führt“ (297:42). Die Lebensregel, die Frère Roger selbst leitete und die zur Keimzelle für die Gemeinschaftsregel von Taizé wurde, besteht aus drei einfachen Merksätzen: „Lass in deinem Tag Arbeit und Ruhe vom Wort Gottes ihr Leben empfangen; wahre in allem die innere Stille, um in Christus zu bleiben; lass dich durchdringen vom Geist der Seligpreisungen: Freude, Barmherzigkeit, Einfachheit“ (300:75).
3. Spirituelle Lebensstände In der Verhältnisbestimmung zwischen der exemplarischen Lebensform Christi, der Vielfalt christlicher Lebensformen und der je singulären geistli-
3. Spirituelle Lebensstände
chen Lebensform des Einzelnen fehlte bisher ein wichtiger Aspekt: die ekklesiale Prägung und Rückbindung. Wenn geistliches Leben bedeutet, sich vom Geist des auferweckten Gekreuzigten bestimmen zu lassen, und wenn die Kirche all jene Menschen versammelt, die dies tun und für andere bezeugen, dann hat jede spirituelle Lebensform auch eine ekklesiale Bedeutung: Sie hilft nicht nur den einzelnen Gläubigen, in der Spur Christi zu bleiben, sondern ermöglicht der Gemeinschaft der Glaubenden, ihren Aufgaben in angepassten Sozial- und Zeugnisgestalten nachkommen zu können. Christliche Lebensformen stehen insofern in einem komplementären, relativierenden und korrigierenden Verhältnis zueinander: Sie bezeugen, dass ein Leben aus dem einen Geist Christi in vielen Formen gelebt werden kann und keine von ihnen zum absoluten Maß gemacht werden darf. Die konkreten Formen christlichen Lebens tragen immer auch das Signum ihrer Zeit. Sie entstehen in bestimmten geschichtlichen und gesellschaftlichen Kontexten und sind eine Antwort auf sie. Das corpus paulinum bezeugt die urchristliche Transformation antiker Lebensformen als spannungsvollen und komplexen Prozess ekklesialer Identitätsfindung, der sich insbesondere am Dual von jüdischer und hellenistischer Lebenskultur abzureiben hatte. Während sich das Christentum im Kontext des römischen Weltreichs als neue Lebensform im Widerstreit gegen die herkömmlichen Lebensformen zu behaupten hatte, erscheint es im europäischen Kontext der Gegenwart als altehrwürdiger modus vivendi schlechthin. Im Vergleich zu der sich rasch wandelnden Pluralität an religiösen und areligiösen Lebensformen wirken zumindest die kirchlich etablierten Formen des Christseins als relativ statisch. Dass dieser Schein trügt und gerade auch die christlichen Lebensformen sich gegenwärtig stark wandeln, ist allerdings vielfach zu belegen. Die Beschleunigung des sozialen Wandels, die durch die Individualisierung der Lebensbahnen bzw. die Funktionalisierung von Lebensordnungen mitbedingt wird, setzt auch die tradierten christlichen Lebensformen unter Transformationsdruck. Die Aufgabe, die einer Theologie der Spiritualität in diesem Zusammenhang zukommt, lässt sich durch eine doppelte Abgrenzung bestimmen: Weder die empirische Erforschung der sozialen Umwälzungen, noch die handlungsbezogene Suche nach konstruktiven Antworten auf die gegenwärtigen Herausforderungen gehört zu ihrem primären Arbeitsfeld. Ihre Aufgabe besteht vielmehr in der kritischen Erinnerung, der konstruktiven Systematisierung und dem lebenshermeneutischen Ausloten gegenwärtiger Möglichkeitsspielräume. Soll die theologische Orientierung an spirituellen Lebensmodellen, die sich in vergangenen Epochen entwickelt und bewährt haben, nicht restaurativen Charakter bekommen, und soll die empirisch geschärfte Wahrnehmung des sozialen Wandels nicht den Blick für die Wirklichkeit des Möglichen verstellen, so tut eine Theologie der Spiritualität gut daran, die christlichen ,Lebensstände‘, um die es im Folgenden geht, nicht nur im Blick auf ihre geschichtliche Herkunft und ihre zeitgeschichtliche Situiertheit, sondern auch und vor allem sub ratione Dei, also im Blick auf den heute sich neu vergegenwärtigenden Gott zu befragen. Der etwas antiquierte Ausdruck ,spiritueller Lebensstand‘ eignet sich als Überbegriff aufgrund seiner sinnreichen Mehrdeutigkeit: Damit kann nämlich sowohl der Stand des ,Christenmenschen‘ im Allgemeinen bezeichnet werden, das ,Sein in Chris-
Ekklesiale Bedeutung spiritueller Lebensformen
Christliche Lebensformen als Antworten auf epochale Herausforderungen
Spiritualitätstheologische Aufgabe
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III. Spirituelle Lebensformen
tus‘, als auch institutionalisierte christliche Lebensformen wie die Ehe oder das Ordensleben. Schließlich kann der Begriff auch dafür gebraucht werden, zwei Grundtypen christlichen Lebens zu unterscheiden, das aktive und das kontemplative Leben. 3.1 Ehe als spirituelle Lebensform Kein geistlicher Stand?
Neutestamentliche und altkirchliche Zeugnisse
Nach einer katholischen Sprachregelung, die sich bis in die Gegenwart hält, gehören Eheleute nicht zum ,geistlichen Stand‘. Aber auch in den reformatorischen Kirchen wird die Ehe nur selten als spirituelle Lebensform wahrgenommen. Dass sie in diesem Abschnitt als eine solche betrachtet wird, ist deshalb erklärungsbedürftig. Es lassen sich mehrere Gründe dafür anführen, die die Ansicht, dass auch die Ehe als geistliche Lebensform zu begreifen sei, stützen: Aus katholischer Perspektive kann man darauf verweisen, dass die Ehe als Sakrament eine geistliche Wirklichkeit darstellt, die sich nicht auf die Liturgie der Trauung beschränkt, sondern das Eheleben insgesamt betrifft. Nach Klaus Demmer lässt sich die Ehe „unter Christen (…) nicht mit den Maßstäben weltlicher Institutionen messen, als ecclesiola ist Geistlichkeit ihr erstes Merkmal, sie ist so pneumatisch verfasst wie die Kirche selbst“ (243:51). Auch wenn man die Ehe wie Luther und die Mehrzahl evangelischer Christinnen und Christen als ein „weltlich Ding“ versteht (WA 30/ 3,205,12), entspricht sie doch, biblisch gesehen, Gottes Willen und erhält durch das in einer kirchlichen Feier gesprochene Ja-Wort eine Prägung, die sie als spirituell qualifizieren. In Luthers Worten ist sie deshalb ein „geistlicher und göttlicher Stand“ (WA 12,107,34). Neben dem Trauversprechen coram Deo ist es insbesondere der Segen über die Brautleute, der einer zivilrechtlich geschlossenen Ehe eine Verheißung einstiftet, Gottes Treue und Liebe erfahrbar und wirksam werden zu lassen. Dem entspricht es, dass aus paulinischer Sicht die Ehe nach 1 Kor 7,7 als Gnadengabe betrachtet werden darf und dass bei einer Ehe zwischen einem christlichen und einem nichtchristlichen Ehepartner letzterer geheiligt wird durch den getauften Partner (1 Kor 7,14). In den deuteropaulinischen Briefen schließlich erscheint die christliche Familie als die geistliche Existenzform schlechthin. Inbesondere die Bischöfe werden als vorbildliche Familienväter porträtiert. Der paulinische Rat, wenn immer möglich, dem ehelosen Leben den Vorzug zu geben, scheint hier nicht aufgenommen worden zu sein. Auch in altkirchlicher Zeit finden sich Autoren, die der Ehe die Würde einer spirituellen Lebensform zubilligen. So beschreibt Tertullian in der Schrift an seine Frau das Zusammenleben in einer christlichen Ehe als eine spirituelle Gemeinschaft innigster Art: „Welch schönes Zweigespann sind ein Paar Gläubige, die eine Hoffnung, ein Ziel ihrer Wünsche, einerlei Lebensweise und dieselbe Art des Dienstes haben! (…) Sie beten zu gleicher Zeit, sie werfen sich zusammen nieder, sie halten zu gleicher Zeit das Fasten, sie belehren, sie ermahnen, sie tragen sich gegenseitig. Sie finden sich in gleicher Weise in der Kirche Gottes und beim Tische des Herrn ein, so wie sie sich auch in Bedrängnissen, bei Verfolgungen und in guten Tagen in gleicher Weise verhalten“ (uxor. II,9). Trotz solcher Anknüpfungspunkte in Schrift und Tradition stellt sich für eine Theologie der Spiritualität gegenwärtig eine anspruchsvolle Aufgabe: Sie muss einerseits versuchen, die beiden theolo-
3. Spirituelle Lebensstände
gie- und spiritualitätsgeschichtlich nur selten in Zusammenhang gebrachten Wirklichkeiten ,Ehe‘ und ,geistliches Leben‘ konstruktiv zusammenzudenken. Diese Reflexionsarbeit wird andererseits dadurch erschwert, dass die sozialen Wirklichkeiten, in denen sich christliches Eheleben heute vollzieht, der Aussage, die Ehe sei ein spiritueller Lebensstand, oft nur wenig zu entsprechen scheinen. 3.1.1 Ehespiritualität? Eine naheliegende Möglichkeit, Ehe und Spiritualität zusammenzudenken, findet sich im Vorschlag, beides zu einer ,Ehespiritualität‘ zu kombinieren: Wenn es eine Spiritualität des Weltpriesters oder des Mönchtums gibt, so liegt es nahe, auch eine Spiritualität der Ehe zu entwickeln. Thomas KniepsPort le Roi definiert Ehespiritualität als „Glaubensvollzug unter den Bedingungen der ehelichen Lebensform“ (266:251). Geprägt wurde der Begriff spiritualité conjugale Mitte des letzten Jahrhunderts im Umfeld der von Henri Caffarel gegründeten Equipes Notre-Dame (267:17 f.). Anfangs der neunziger Jahre führt die US-amerikanische Theologin Mary Anne McPherson Oliver den Begriff, den sie in Abgrenzung zu einer zölibatären Spiritualität profiliert, in die neuere akademische Diskussion ein. Die Zeit dafür, die Spiritualität von Eheleuten nach dem Maßstab von Ordensspiritualitäten zu modellieren, ist nach McPherson endgültig abgelaufen. Sie lässt sich nicht einfach in die Formen einpassen, die für zölibatäre Christen entwickelt wurden. Nach McPherson ist spiritualitätstheologisch bisher kaum bedacht und positiv gewürdigt worden, dass christliche Ehepartner zwar gleich wie zölibatär lebende Christen ihren Glauben persönlich und innerhalb der kirchlichen Gemeinschaft vollziehen, jedoch zudem auch in besonderer Weise zu zweit vor Gott stehen und leben. Die singuläre und in gewisser Weise exklusive Beziehung, die Ehepartner verbindet, galt im Anschluss an 1 Kor 7,33 f. als etwas, was im besten Fall den persönlichen Glaubensvollzug der einzelnen nicht störte. Dass das gemeinsame Werden zu ,einem Fleisch‘, das mit der Trauung beginnt, eine positive Auswirkung auf das Christwerden der Ehepartner hat, wurde, wenn überhaupt, vornehmlich in tugendethischen Kategorien gedacht. Demgegenüber schlagen McPherson und Knieps-Port le Roi vor, die Ehe als „Ort sui generis der Glaubenserschließung, der Gottessuche und -begegnung sowie der Heilserfahrung“ zu entdecken (266:253). Entsprechend soll auch eine eigene Form von Spiritualität entwickelt werden, die diesem besonderen Lebensort des Glaubens entspricht. Das Anliegen, die geistliche Qualität der Ehe als Bundesgemeinschaft vor Gott stärker zu würdigen, ist heute weithin unbestritten. Die Vorstellung, das Ordensleben sei der privilegierte Weg zur christlichen Vollkommenheit, ist seit dem II. Vatikanum auch für die katholische Spiritualität Vergangenheit (Lumen Gentium 41). Ob es sinnvoll ist, diesem Anliegen durch die Konzeption einer spezifischen ,Ehespiritualität‘ entsprechen zu wollen, ist allerdings umstritten. Es lassen sich mindestens drei Gründe anführen, die gegen ein solches Programm sprechen: Zum einen fragt sich, ob die Rede von einer Ehespiritualität der kulturellen und individuellen Vielfalt von christlichen Ehemodellen und -stilen gerecht zu werden mag. Zu dieser Vielfalt gehören beispielsweise auch in Zukunft Ehespiritualitäten, die sich an
Die Forderung nach einer Spiritualität der Ehe
Die Problematik der Sonderspiritualitäten
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III. Spirituelle Lebensformen
bestimmten Ordenstraditionen orientieren. Konsequenterweise müsste man dann beispielsweise von einer ,franziskanischen Ehespiritualität‘ sprechen, die man wiederum näher bestimmen könnte im Hinblick auf den konkreten Lebensort etc. Zum anderen stoßen wir hier auf ein grundsätzliches Problem, das sich auch im Zusammenhang mit anderen Sonderspiritualitäten stellt (Bouyer/58:32): Ist die Auffächerung der einen christlichen Spiritualität in eine Vielfalt von Spiritualitäten nicht sowohl sprachlich als auch sachlich fragwürdig? Müsste nicht vielmehr das betont werden, was Christen in unterschiedlichen Lebensständen miteinander verbindet: dass sie auf je eigene Weise aus dem gleichen Geist leben, den sie in der Taufe empfangen haben? Und schließlich stellt sich auch die Frage, ob es nicht gerade ein Spezifikum christlicher Spiritualität ist, dass sie Ehe, Sexualität und Familie als vorletzte Wirklichkeiten relativiert (Wollbold/305). Der Unterschied zwischen zölibatär lebenden Christen und christlichen Eheleuten bestünde dann lediglich darin, dass diese Relativierung sich anders manifestiert. Man kann diesen Einwänden dadurch begegnen, dass man darauf verzichtet, eine allgemeinchristliche ,Ehespiritualität‘ entwickeln zu wollen, und sich darauf beschränkt, zu erschließen, was die Ehe als besonderen Ort geistlichen Lebens auszeichnet.
3.1.2 Ehe als Ort gegenseitiger Heiligung Berufung zur Ehe?
In der katholischen Theologie war es lange Zeit fraglich, ob man nur zum Ordensleben oder auch zur Ehe berufen werden könne (Balthasar/227). Es ist jedoch nicht recht ersichtlich, weshalb man aus der Tatsache, dass es zur Ehe keine Berufung braucht, die Folgerung ziehen soll, dass die Ehe unter christlichen Vorzeichen nicht ebenfalls eine Berufung darstellen kann. Die Eignung und Neigung, die man auch bei einer Ordensberufung verlangt, entspricht in diesem Fall dann lediglich stärker biologischen und kulturellen Konstanten – theologisch gesprochen: die Berufungsordnung geht in die Schöpfungsordnung ein (Congar/241:702). Im Blick auf die sehr unterschiedlichen Motive, die Menschen dazu führen, kirchlich zu heiraten, dürfte es wenig sinnvoll sein, jede kirchlich geschlossene Ehe pauschal als Berufung zu qualifizieren. Es spricht jedoch meines Erachtens grundsätzlich nichts dagegen, dort, wo jemand sie in geistbestimmter Freiheit eingeht und lebt, von einer Berufung zu sprechen. In vielen Fällen dürfte es allerdings passender sein, von der Ehe bzw. der Familie als Moment einer christlichen Berufung zu sprechen. Anders als das Ordensleben, bei dem der Beruf und ein spezifischer kirchlicher Dienst meist schon mit der Berufung vorgegeben ist, umfasst ja die Ehe in der Regel noch keinen Beruf, mag einen auch die Familienarbeit ganz auszufüllen. Berufung zur Ehe heißt dann schlicht: Gott beruft mich zu einem geistbestimmten Leben in dieser konkreten Form und gibt mir einen Partner oder eine Partnerin an die Seite, den oder die zu achten und zu lieben zu einem Teil meiner Lebensaufgabe werden soll. Die Aussage, dass auch das Eheleben eine Antwort auf eine göttliche Berufung darstellen kann, findet sich inzwischen auch in offiziellen kirchlichen Dokumenten. So heißt es in der Einführung zum aktuellen katholischen Ordo Celebrandi Matrimonium, Gott berufe die Brautleute zur Ehe (ad Matrimonium
3. Spirituelle Lebensstände
vocavit) und höre nicht auf, sie in der Ehe zu berufen (in Matrimonio pergit vocare; 281:176). Eine Berufung zur Ehe ereignet sich im Horizont der Verheißung Gottes, für die Menschen unbedingt da zu sein. Betrachtet man die Liebeshingabe Christi als die „sakramentale Urwirklichkeit des Ehesakraments“ (Werbick/ 475:274), so ist die gelebte Hingabe ehelicher Liebe ein erinnerndes, vergegenwärtigendes und vorwegnehmendes Zeichen dieser Urwirklichkeit, die sich Menschen nicht aus eigenen Kräften zu erschließen vermögen. Die Verheißung des ,Ehebundes‘ (in einem nicht trivialen Sinne dieses Wortes) besteht darin, im Raum zwischenmenschlicher Treue Gottes bedingungslose Treue bezeugen und erfahren zu dürfen. Das Versprechen zu unbedingter Treue, das sich Menschen im Ja-Wort der Trauung geben, partizipiert am wirksamen Ja-Wort Gottes zu ihnen, das im Letzten Christus selbst ist (2 Kor 1,20). Die besonderen Verheißungen des Eros werden durch dieses göttliche Ja nicht durchkreuzt, sondern geheiligt. Dass sie zugleich entabsolutiert und relativiert werden, muss noch nicht als Symptom christlicher Sexualitätsund Leibfeindlichkeit gewertet werden, auch wenn scharfsichtige Christentumskritiker das Problem bereits an dieser Stelle auftauchen sehen dürften. Im Anspruch der göttlichen Verheißung wird offenkundig nicht nur die humane und humanisierende Fähigkeit, sich zu versprechen, in ihren äußersten Möglichkeiten beansprucht, sondern ebenso die Fähigkeit, sich zu vergeben: Da die Menschen, die sich die Treue unbedingt versprechen, begrenzte und versehrte Menschen sind, in denen der ,alte Adam‘ bzw. die ,alte Eva‘ in gebrochener Weise fortlebt, werden sie ihr gegenseitiges Ja selten so zu leben vermögen, wie sie es sich voneinander wünschen würden. Der Gabe der Vergebung, die sie in der Spur der Verheißung hält, bedarf es nicht erst bei den großen Treuebrüchen, sondern schon bei den kleinen Verletzungen des Alltags, die sich aufsummieren und eine Beziehung zerstören können. Die besondere Askese der Ehe besteht dann auch nicht nur im zärtlichen Spiel der Liebe und der Einübung in eine gemeinsame geistbestimmte Lebensform, sondern auch im Ringen um Vergebung und Neuanfang, in der Achtsamkeit darauf, dass der glimmende Docht der Liebe nicht verlöscht, im Ausreifen-Lassen der Liebe. Die Passion der Ehe, die Durchkreuzung der Liebe durch Unverständnis und Untreue oder durch Krankheit und Tod, macht sie auch zum Ort der Kreuzesaskese. Die allgemein-menschliche Erfahrung, dass größere zwischenmenschliche Nähe auch größere Verletzlichkeit bedeutet und die Verheißung der Liebe unter den Bedingungen dieser Welt auch im Zeichen des Abschieds stehen, kann christlich durchlebt werden als besondere Weise, an der Passion Christi teilzuhaben. Indem sich die Eheleute füreinander zum Zeichen von Gottes Gegenwart werden – so die Aussage des katholischen Trauungssegens (Form II) –, wird die Ehe zum Ort der Heiligung. Damit konkretisiert sich in der ehelichen Gemeinschaft, was für die ganze Kirche gilt: dass Gott es gefällt, „die Menschen nicht einzeln, unabhängig von aller wechselseitigen Verbindung, zu heiligen und zu retten“ (Lumen Gentium 9). Die besonderen Gaben der Ehe, durch die die Partner sich gegenseitig zum Geschenk werden, helfen ihnen, die Taufgnade zu entfalten und zu vertiefen. Die Gatten sollen sich, so heißt es bereits in der Enzyklika Casti connubii von 1930, „gegenseitig unterstützen, den inneren Menschen von Tag zu Tag in reicherem Maße auszuformen
Bundesverheißung
Askese der Ehe
Ehe als Ort der Heiligung
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III. Spirituelle Lebensformen
Familie als Ekklesiola
und zu vollenden“ (DH 3707). Das II. Vatikanum nimmt diese Aussage auf und konkretisiert sie: „Im Geist Christi, durch den ihr ganzes Leben mit Glaube, Hoffnung und Liebe durchdrungen wird, gelangen sie mehr und mehr zu ihrer eigenen Vervollkommnung, zur gegenseitigen Heiligung und so gemeinsam zur Verherrlichung Gottes“ (Gaudium et spes 48). Der besonderen Weise, zu zweit vor und zu Gott unterwegs zu sein, die in der paarweisen Aussendung der Jünger Jesu ein fernes Vorbild hat, wohnt eine besondere geistliche Aufgabe füreinander inne. Soll die Selbsthingabe an den andern und die Annahme des anderen nicht zur Überforderung werden, dürfte die erste Aufgabe darin bestehen, den anderen von Gott her wahrzunehmen. So rät schon Luther den Wittenbergern, sie sollen lernen, ihre Frauen recht ansehen nach Gottes Wort, so dass ein jeder über sie sagen könne: „Diese hat mir Gott selbs geschenkt und inn die arm gegeben“ (WA 32,372). Nach der feierlichen Rede des Konzils ist die Ehe noch in einem weiteren Sinn als Ort der Heiligung zu bezeichnen: Nicht nur heiligen sich die Ehepartner gegenseitig – auch die Kinder tragen zur Heiligung der Eltern bei. Zwar bezieht die bereits zitierte Pastoralkonstitution Gaudium et spes dies sogleich auf die Pflichten der Nachkommen gegenüber den Eltern, doch lässt sich diese Aussage auch in dem Sinne verstehen, dass Kinder auch als Gabe zu betrachten sind, durch die Eltern ihren Glauben neu entdecken können. Von wem sollten sie denn Jesu Weisung, zu werden wie die Kinder, eher lernen als von ihnen? Mit ihnen zusammen bilden sie nach altkirchlichem Verständnis eine ,Ekklesiola‘, eine Hauskirche (Lumen Gentium 11), einen Ort also, wo der Glaube an Christi Auferstehung geweckt, die Gegenwart seiner Liebe gefeiert und die Hoffnung auf seine Wiederkunft wachgehalten wird. Hauskirchen kennen ihre eigenen Kulturen des Feierns, Erzählens und Segnens. 3.1.3 Ehe als Zeugnisgestalt Als Zeichen für Gottes unverbrüchlichen Bund ist die Ehe eine öffentliche Zeugnisgestalt göttlicher Liebe. In diesem sakramentalen und undramatischen Sinne soll eine Ehe durchaus ein ,Martyrium‘ sein: eine besondere „Figur der Christusnachfolge“ (Werbick/475:274), die auch für Außenstehende als Zeichen für Gottes Menschenfreundlichkeit lesbar ist. In manchen Fällen hat dieses Zeichen sogar einen prophetischen Gehalt: So verstand Hosea seine Ehe als ein solches Zeichen (Hos 1,2 f.). Auch Luthers Heirat hatte nicht nur eine kirchenpolitische und theologische, sondern im Kontext grassierender Endzeiterwartung auch eine prophetische Note. In ähnlicher Weise deutete auch Dietrich Bonhoeffer seine Entscheidung, sich in der apokalyptischen Zeit des Zweiten Weltkriegs zu verloben. Bonhoeffer fühlte sich über längere Zeit stärker zu einem ehelosen Leben hingezogen (Gollwitzer/ 251:125) und experimentierte im ,Bruderhaus‘ von Finkenwalde mit einer evangelischen vita communis (Bethge/230:533 ff.). Erst in den Kriegsjahren reifte der Wunsch, sich trotz gefahrvoller Gegenwart und ungewisser Zukunft auf eine intime Beziehung einzulassen. Seine Verlobung mit Maria von Wedemeyer deutete Bonhoeffer als ein Zeichen des Vertrauens auf die Zukunftsmacht Gottes, als Bejahung von Gottes guter Schöpfung in Zeiten der Zerstörung: „Unsere Ehe“, so schreibt er seiner Verlobten aus dem Ge-
3. Spirituelle Lebensstände
fängnis, „soll ein Ja zu Gottes Erde sein, sie soll uns den Mut, auf der Erde etwas zu schaffen und zu wirken, stärken“ (235:38). Wie auch Bonhoeffers Formulierung nahelegt, richtet sich das Zeugnis der Ehe nicht nur nach außen: Die Ehepartner bezeugen sich vielmehr gegenseitig das Ja Gottes zum Menschen. Nach Luther haben sie auch den Auftrag, es ihren Kindern zu bezeugen: „Denn Vater und Mutter sind gewiß der Kinder Apostel, Bischöfe, Pfarrer, indem sie ihnen das Evangelium kundmachen“ (WA 10,2,301; 22:304). 3.2 Evangelische Räte und kommunitäres Leben Die Vielfalt an institutionalisierten christlichen Lebensformen neben der Ehe lässt sich nur schwer unter einen gemeinsamen Begriff fassen: Die meisten von ihnen verbindet eine zeitlich unbegrenzte Verpflichtung auf die sogenannten evangelischen Räte. Vielfach handelt es sich um kommunitäre Lebensformen, doch gibt es gewichtige Ausnahmen: das Einsiedlertum, geweihte Jungfrauen und nicht zuletzt die zölibatär lebenden katholischen Diözesanpriester. Die Frage nach der Genese und der theologischen Begründung dieser Lebensformen gehört zu den am intensivsten diskutierten Themen der katholischen Theologie der Spiritualität. Dass es sich dabei nicht nur um innerkatholische Fragen handelt, zeigt ein Blick in das 2007 veröffentlichte Votum des Rates der EKD „zur Stärkung evangelischer Spiritualität“, das sich vornehmlich mit den Kommunitäten und geistlichen Gemeinschaften in der Evangelischen Kirche in Deutschland beschäftigt (408). Die soziale Auffälligkeit dieser Lebensformen, ihre besondere Stellung innerhalb der Kirche und der damit verbundene Regelungs- und Legitimationsbedarf führte in den letzten Jahrzehnten zu einer Fülle von historischen und systematisch- bzw. praktisch-theologischen Beiträgen. Die folgende Darstellung muss sich auf einige Aspekte dieses breiten Themenfeldes beschränken. Ich konzentriere mich auf die Genese und Begründung des Modells von drei evangelischen Räten als einem Leitmodell christlichen (Zusammen-)Lebens. Der Einfachheit halber beschränke ich mich auf die kommunitären Lebensformen und fasse sie terminologisch unter dem Oberbegriff des Ordenslebens, auch wenn die apostolischen Gemeinschaften in der katholischen Kirche und die evangelischen Kommunitäten streng genommen keine Orden darstellen.
Eine Vielfalt an Formen
3.2.1 Geschichtliche Stationen Die Entscheidung Jesu, nicht nur für sich selber ein Leben in Ehelosigkeit, Armut und Hauslosigkeit zu wählen, sondern auch andere Menschen in diese Lebensform zu berufen, ist zwar religionsgeschichtlich nicht ohne Parallelen, in mancherlei Hinsicht jedoch gleichwohl singulär. Wie Johannes der Täufer stellt sich Jesus in die Tradition alttestamentlicher Prophetie. Während der Täufer mit seiner Existenz einen neuen Exodus symbolisiert, versinnbildlicht Jesus eine endzeitliche Pilgerschaft, Sammlung und Ankunft. Anders als der Täufer sieht er seine Prophetie schon anfänglich erfüllt: Sein Auftreten markiert den Beginn einer neuartigen Heimkehr Israels. Dass die Lebensform Jesu auch nach Ostern noch vorbildlich wirkte, bezeugen die
Die Exemplarität der Lebensform Jesu
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III. Spirituelle Lebensformen
Zölibat als Unterscheidungszeichen
Eusebius‘ Lehre von den zwei Lebensformen
paulinischen Briefe ebenso wie die Evangelien. Arm, hauslos und zölibatär zu leben wie Jesus selbst, erscheint zwar nirgends als Bedingung des Christwerdens, wird aber als hervorragende Möglichkeit der Nachfolge (1 Kor 7,32.40) oder als Konsequenz eines missionarischen Auftrags (Mk 6,6 ff.) gesehen. Die Orientierung an der beispielhaften Lebensform Jesu (Joh 13,15), an der Nachfolgepraxis der Apostel und an der Gütergemeinschaft der Urkirche (Apg 4,34 f.) bildet die Matrix, aus der sich im Laufe der Jahrhunderte institutionalisierte christliche Lebensformen entwickeln, die analog zur Ehe durch eine unwiderrufliche Entscheidung konstituiert werden und die innerhalb der kirchlichen Gemeinschaft zu neuen Formen des gemeinschaftlichen Zusammenlebens führen. Sozialgeschichtlich gesehen war die in der Lebensform Jesu grundgelegte Möglichkeit einer freiwilligen, religiös motivierten Ehelosigkeit für Frauen und Männer revolutionär. Nach Galen gehört sie bereits im zweiten Jahrhundert zu den hervorstechendsten Merkmalen der Christen: „Ihre Todesverachtung steht uns täglich vor Augen und ebenso ihre Zurückhaltung vom Geschlechtsverkehr. Denn zu ihnen gehören nicht nur Männer, sondern auch Frauen, die sich ihr ganzes Leben lang des Verkehrs enthalten“ (237:47). Was aus der Außenperspektive des griechischen Arztes Galen ein Zeichen besonderer Tugend darstellt, wird aus der christlichen Innenperspektive als Möglichkeit besonderer Gottesnähe gepriesen. So schreibt Athenagoras um 177 n. Chr.: „Indes kann man unter unseren Glaubensgenossen viele finden, Männer und Frauen, die alt werden, ohne zu heiraten, in der Hoffnung auf um so innigeren Verkehr mit Gott“ (leg. 33). Nach Ansicht von Athenagoras bringt das Verharren im jungfräulichen Stande den Menschen Gott näher. Damit war ein zusätzliches Motiv gefunden, das mit der Zeit dazu beitrug, dass das Charisma der Ehelosigkeit zunehmend als Kennzeichen einer höherstehenden christlichen Lebensform interpretiert wurde. In der ersten Hälfte des 4. Jahrhunderts schematisiert Eusebius von Cäsarea die ihm vorausgehende Überlieferung zur These, es seien für die Kirche von Anfang an zwei Lebensformen festgesetzt worden. Die eine bestehe darin, zu heiraten, Kinder zu zeugen, seinem Beruf nachzugehen und die Aufgaben des normalen Bürgers zu erfüllen. Die andere hingegen führe über die Natur hinaus und habe nichts zu tun mit der gewohnten Lebensweise: „Sie gestattet die Ehe nicht, noch das Zeugen von Kindern. Den Erwerb von Eigentum duldet sie nicht. Sie verwandelt die Lebensgewohnheiten der Menschen von Grund auf und macht, daß sie, von himmlischer Liebe angespornt, nur noch Gott dienen“ (dem. I,8; 250:6). Als Repräsentanten dieser christlichen vita contemplativa stehen Eusebius einzelne Asketen und Jungfrauen vor Augen. Das ägyptische Mönchtum, das sich gerade in seinen ersten Anfängen befindet und das sich fugenlos in das von Eusebius gezeichnete Bild einfügt, scheint er selber noch nicht wahrgenommen zu haben. Die frühen Mönche selber verstehen sich allerdings nicht in diesem Schema. Nach Cassian, der selbst einige Jahre in der ägyptischen Wüste lebte, beabsichtigten die ägyptischen Anachoreten nichts anderes, als in konsequenter Weise zu leben, was die Apostel „für den ganzen Leib der Kirche aufgestellt hatten“ (coll. 18,5,3). Cassians integrale Sichtweise des christlichen Lebens, die nie ganz in Vergessenheit geriet, hatte jedoch ebenfalls zwei Seiten: Sie betont die gemeinsame Berufung aller Christen, misst aber das Leben der
3. Spirituelle Lebensstände
Verheirateten an einem monastischen Ideal. Die Unterscheidung in zwei gleichermaßen legitime christliche Lebensformen, die Eusebius vornahm, entlastete im Vergleich dazu die christlichen Eheleute davor, sich an einem mönchischen Lebensstil orientieren zu müssen. Einen Ansatz dazu, die Differenz der Lebensformen als Unterscheidung zwischen verschiedenen Vollkommenheitsgraden zu interpretieren, findet sich in der paulinischen Höherstufung des ehelosen Lebens und seiner Unterscheidung zwischen Geboten und Räten in 1 Kor 7,25: „Was die Frage der Ehelosigkeit angeht, so habe ich kein Gebot vom Herrn. Ich gebe euch nur einen Rat.“ Ambrosius von Mailand griff auf diese Unterscheidung zurück, um die jungfräuliche Lebensform gegenüber der ehelichen als vollkommenere auszuzeichnen (vid. 12), und schuf damit die theologische Grundlage, auf der man später den Rätestand von demjenigen der Weltchristen abheben konnte. Die Grenze zwischen diesen beiden Lebensformen verschob sich im Laufe der Jahrhunderte. Sie deckt sich nicht mit der Unterscheidung zwischen Klerus und Laien. So heißt es in einer Bulle, die Urban II. im Jahre 1092 veröffentlicht, die Kirche habe seit ihren Ursprüngen zwei Lebensweisen eingerichtet, die eine siedle sich im Tal der Welt an, die andere führe zu den Gipfeln geistlichen Lebens. Bemerkenswert ist, wie der Papst die Zuordnungen festlegt: „Jene Lebensform, die durch Gottes Gnade von den irdischen Dingen wegführt, umfaßt ihrerseits zwei Wege, die etwa das gleiche Vorhaben verfolgen, den Weg der Kanoniker und den Weg der Mönche“ (PL 151,338; 303:190). Urban II., der zunächst Regularkanoniker, dann Mönch in Cluny war, stellte die vita contemplativa der Mönche und die vita mixta der pastoral aktiven Regularkanoniker auf die gleiche Stufe und kontrastierte sie mit dem weltlichen Leben, das die verheirateten Christen und die meist nicht zölibatär lebenden Weltkleriker führten. Für die Aufnahme in die Mönchsgemeinschaft sieht die Benediktsregel (Kap. 58) ein dreifaches Gelübde vor. Es umfasst die Verpflichtung auf Beständigkeit (stabilitas), klösterlichen Lebenswandel (conversatio morum) und Gehorsam dem Abt gegenüber. Die benediktinische Professformel summiert damit den Zölibat, den Verzicht auf Privatbesitz (RB 58,24 f.) und anderes unter dem Begriff der conversatio und betonte neben dem Gehorsam die an erste Stelle gesetzte Beständigkeit, die sich sowohl in der Treue zur gewählten Mönchsgemeinschaft als im beharrlichen Voranschreiten auf dem Weg Christi konkretisiert. Die Unterscheidung zwischen Räten und Geboten ist der Benediktsregel insofern fremd, als sie den Weg des Mönches als ein Leben nach den Geboten zeichnet (RB 58,10.15 f.). Es war denn auch nicht das benediktinische Mönchtum, das dem Modell der drei evangelischen Räte zum Durchbruch verholfen hat. Als Professformel taucht die Trias der evangelischen Räte erstmals im 12. Jahrhundert auf. Odo von St. Viktor, der 1148 von Suger von Saint-Denis zum Abt des Pariser Chorherrenstifts S. Genoveva eingesetzt wird, erwähnt sie in einem Brief, der auf seine Einsetzung Bezug nimmt. Er und seine Mitbrüder, so schreibt Odo, hätten Keuschheit, (Güter-)Gemeinschaft und Gehorsam versprochen (PL 196, 1399B). In der von Innozenz III. 1198 approbierten Regel der Trinitarier, die auf der Augustinusregel aufbaut, findet sich die Rätetrias erstmals innerhalb eines offiziellen kirchlichen Dokuments (Hertling/261:172). Für die weitere Entwicklung noch folgenreicher ist es, dass Franziskus die Trias an den An-
Gebote und Räte
Von der Professformel der Benediktsregel zur Trias der evangelischen Räte
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III. Spirituelle Lebensformen
Ordenstheologische Begründungen
Reformatorische Kritik
fang seiner Regel stellt: „Regel und Leben dieser Brüder ist dieses, nämlich zu leben in Gehorsam, in Keuschheit und ohne Eigentum und unseres Herrn Jesu Christi Lehre und Fußspuren zu folgen“ (Regula non bullata 1; 12:87). Es ist die Verpflichtung auf den Rat der evangelischen Armut, die im 13. Jahrhundert zum theologischen Hauptstreitpunkt zwischen den schnell wachsenden Bettelorden und dem klassischen Mönchtum auf der einen Seite und dem Weltklerus auf der anderen wird. Die großen Theologen der neuen religiösen Bewegungen begründen die Armutsverpflichtung durchaus verschieden: Während Bonaventura unterstreicht, dass die Bettelarmut für die Mendikantenorden konstitutiv ist, betont Thomas von Aquin ihre Instrumentalität: Die Vollkommenheit bestehe nicht in der Armut, sondern in der Nachfolge Christi. Wie andere asketische Übungen sei die Armut der Bettelmönche ein Werkzeug, um zur Vollkommenheit zu gelangen (Summa theologiae II–II 188,7). Anders als Urban II. zählt Thomas neben den Ordensleuten auch die Bischöfe zum status perfectionis (Horst/263). Der Einwand, dass deren Lebensweise dem Rat der evangelischen Armut nur selten entspreche, wird mit einer Spiritualisierung des Armutsgedankens beantwortet. Nicht die Weggabe des Besitzes ist entscheidend, sondern die Bereitschaft, es im gegebenen Fall zu tun (S. th. II–II, 184,7 ad 1). Auch die Frage nach dem Verhältnis zwischen den evangelischen Geboten und Räten löst Thomas salomonisch: Die Räte stünden im Dienst des Liebesgebots, das allen Christen gelte. Als biblische Begründung für die Dreizahl der Räte verweist Thomas auf 1 Joh 2,16. Die drei Räte sind demnach Gegenmittel gegen die Tendenz des Menschen, die Güter der Welt (materielle Güter, sinnliche Lust und Ehre) fälschlicherweise als Endziele zu interpretieren. Bemerkenswerterweise deutet Thomas auch die Möglichkeit an, die Bedeutung der drei evangelischen Räte zu generalisieren: Jeder Christ, gleich welchen Standes, könne im Rahmen der von ihm gewählten Lebensform nach ihnen leben (I–II 108,4). Die Reformation kritisierte nicht nur die Degeneration des Mönchtums, sondern stellte die theologische Legitimität des Ordenslebens grundsätzlich in Frage. Die reformatorische Kritik an der mittelalterlichen Ordenstheologie konzentrierte sich auf drei Hauptpunkte: erstens auf die Zweistufung der Christenheit in Weltchristen und solche, die auf dem Weg der Vollkommenheit wandeln; zweitens auf die damit einhergehende Tendenz einer asketischen Werkfrömmigkeit; drittens auf die Konkurrenz zwischen Taufversprechen und Ordensgelübden (Lohse/273, Halkenhäuser/258). Obwohl sich bereits bei Luther und Bucer erste Ansätze zu einer evangelischen Neugestaltung des kommunitären Lebens finden, setzte sich im Raum der Reformation zunächst die Meinung durch, dass sich Mönchtum und evangelisches Christentum grundsätzlich ausschließen. Die Idee einer evangelischen Form gemeinschaftlichen Lebens bleibt jedoch in den reformatorischen Kirchen virulent. Im Umfeld des radikalen Pietismus finden sich früh schon erste Experimente mit einer evangelisch geprägten vita solitaria (Benz/229). Mit der Gründung von diakonischen Gemeinschaften und evangelischen Kommunitäten kommt es im 19. und 20. Jahrhundert zu einer überraschenden Blüte von ordensähnlichen Gemeinschaften reformatorischer Provenienz. Auf katholischer Seite trägt das II. Vatikanum dem reformatorischen Einwand gegen eine hierarchisierende Zweiteilung der Christenheit dadurch
3. Spirituelle Lebensstände
Rechnung, dass es die gemeinsame Berufung aller Christen zu einem Leben in Vollkommenheit unterstreicht. Es wird ausdrücklich festgehalten, dass die Heiligkeit, zu der alle berufen sind, sich vielgestaltig ausdrücke. Sie finde in einem Leben nach den evangelischen Räten, das wiederum auf vielerlei Weise (nicht nur in den Orden!) gelebt werden könne, einen besonderen Ausdruck: „In den verschiedenen Verhältnissen und Aufgaben des Lebens wird die eine Heiligkeit von allen entfaltet, die sich vom Geist Gottes leiten lassen und, der Stimme des Vaters gehorsam, Gott den Vater im Geist und in der Wahrheit anbeten und dem armen, demütigen, das Kreuz tragenden Christus folgen und so der Teilnahme an seiner Herrlichkeit würdig werden. (…) Alle Christgläubigen also werden in ihrer Lebenslage, ihren Pflichten und Verhältnissen und durch dies alles von Tag zu Tag mehr geheiligt, wenn sie alles aus der Hand des himmlische Vaters im Glauben entgegennehmen und mit Gottes Willen zusammenwirken und so die Liebe, mit der Gott die Welt geliebt hat, im zeitlichen Dienst selbst allen kundmachen“ (Lumen Gentium 41).
Die Antwort des II. Vatikanums auf die reformatorische Kritik
3.2.2 Theologische Begründungen Für das katholische Ordensleben bedeuteten die Reformen des II. Vatikanischen Konzils einen tiefgreifenden Einschnitt. Dass die Schematisierung der christlichen Lebensformen nach Gebot und Rat aufgegeben, die Rätetrias relativiert und die Zeichen- und Dienstfunktion der Orden für Kirche und Welt betont wurde, kam einer ordenstheologischen Neubesinnung gleich, die in nachkonziliarer Zeit institutionell, existentiell und theologisch eingeholt werden musste (Schmiedl/293). Diese Herausforderung führte zu einer fruchtbaren Beschäftigung mit den Quellen und den theologischen Grundlagen eines Lebens nach den evangelischen Räten. Die Antworten auf die Frage nach dem Spezifikum der Ordensberufung fallen, entsprechend der Vielfalt der Ordensgemeinschaften unterschiedlich aus. Das Konzil wandte sich im Dekret über das Ordensleben gegen eine Nivellierung der verschiedenen Orden und Gemeinschaften (Perfectae Caritatis 8) und sah das gemeinsame Merkmal in der besonderen Zeichenhaftigkeit. Damit war ein neuer ekklesiologischer Akzent gesetzt: Hatte man über Jahrhunderte eher das Heilsverlangen der Einzelnen im Blick, denen das Leben nach den evangelischen Räten als Weg zur christlichen Vollkommenheit nahegelegt wurde, so betonte man nun die konstitutive Bedeutung des Gemeinschaftslebens sowie den Dienstcharakter und den Weltauftrag der Orden. Theologisch strittig blieben insbesondere vier Fragen, auf die im Folgenden näher eingegangen werden soll: Ist das Leben nach den evangelischen Räten als Grundprinzip oder als Sonderform christlicher Spiritualität zu verstehen? Was ist der innere Sinn der Rätetrias? Wie lässt sich die evangelische Ehelosigkeit heute theologisch begründen? In welchem Verhältnis stehen Taufversprechen und Ordensgelübde? a) Grundprinzip oder Sonderform christlicher Spiritualität? Um das Spezifikum des Ordenslebens herauszustreichen, wählte das II. Vatikanum oft den Komparativ. So heißt es an einem zentralen Ort: „Auch die Lebensform (formam vitae), die der Sohn Gottes annahm, als er in die Welt
Herausforderungen, Klärungen, Streitpunkte
Größere Ausdrücklichkeit
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III. Spirituelle Lebensformen
Signum in Ecclesia – signum Ecclesiae
eintrat, um den Willen des Vaters zu tun, und die er den Jüngern, die ihm nachfolgten, vorgelegt hat, ahmt dieser Stand ausdrücklicher nach (pressius imitatur) und bringt sie ständig in der Kirche zur Darstellung (repraesentat)“ (Lumen Gentium 44). Was das Leben nach den evangelischen Räten auszeichnet, ist demnach zweierlei: eine größere Ausdrücklichkeit der Nachahmung Christi und die damit verbundene Repräsentationsfunktion. Verwirklicht also das Ordensleben keine Sonderform christlicher Spiritualität, sondern ihr Grundprinzip in einer sichtbareren und öffentlicheren Weise? Dem steht entgegen, dass die verschiedenen Gemeinschaften ihre je eigenen Akzente setzen und insofern offenkundig die Lebensform Christi nur in einzelnen Aspekten und in abgeschatteten Gestalten, also nie umfassend zur Darstellung bringen. Man kann gerade im Wissen um diese Bruchstückhaftigkeit ein Authentizitätskriterium sehen: „Wo die Ordensgemeinschaften meinen, ihre Lebensform würde universal (…) das Ganze der Kirche darstellen, verfehlen sie gerade ihre Sendung“ (Herzig/262:410). Die Rede von dem Ordensleben verdunkelt die Vielfalt der Ordenscharismen, die als solche auch partikular sind. Dennoch bringt sie etwas Bedeutsames zum Ausdruck: Die Orden erfüllen ihre Zeugnisaufgabe nicht nur dadurch, dass sie ihrem eigenen Gründungscharisma treu bleiben, sondern ebenso durch das Zeichen, das sie mit anderen Gemeinschaften gemeinsam setzen. Wenn auch die spezifische Lebensform der verschieden Gemeinschaften nur eine unter vielen möglichen Weisen authentischen Christseins ist, so verweist das Zeugnis, das in einem gemeinsamen Leben nach den evangelischen Räten angelegt ist, auf die Mitte christlicher Spiritualität. „Orden bringen nicht der Kirche fremde Elemente ins Spiel, sondern machen etwas ausdrücklich, was der ganzen Kirche zu eigen ist. Deshalb bedeutet die Existenz der Orden keine ,Entlastung‘, sondern eine herausfordernde Erinnerung der Kirche an ihr eigenes Wesen“ (Herzig/262:237). Als dauerhaftes und öffentliches Zeichen in der Kirche (signum in Ecclesia) erinnern die Orden an die Radikalität der Nachfolge und Vorläufigkeit aller weltzeitlichen Ordnungen. Sie konfrontieren Christen mit einer produktiven Herausforderung: „Insofern das Ordensleben realisiert, was es heißen kann, im Glauben der Berufung zu antworten, ist es eine lebendige Erinnerung daran, daß es für alle Christen darum geht, je ihre Berufung zu erkennen und zu ergreifen“ (Lippert/272:667). Das Ordensleben ist ein Zeichen in der Kirche, das die Frage nach der radikalen Nachfolge Christi wachhält. Sein Zeugnis gehört aber zugleich zum Zeichen, das die Kirche selbst ist (signum Ecclesiae). Nach Hermann Josef Pottmeyer wird die Kirche als Zeichen des Reiches Gottes u. a. auch dadurch sichtbar, dass „es in ihr solche gibt, die in der besonderen Nachfolge Jesu unter Verzicht auf Familie und Besitz ihr Leben ganz für das Kommen des Reiches Gottes einsetzen“ (455:177). Zeichen der Kirche sind die Orden auch insofern, als sie durch ihr kommunitäres Leben und ihre weltkirchliche Vernetzung ein Sinnbild und Erfahrungsort für die universale Communio der Kirche darstellen. Dieser letzte Aspekt wird auch von evangelischen Kommunitäten betont. So gehörte es zu den leitenden Gedanken Frère Rogers, in Taizé eine brüderliche Kommunität zu begründen, die in ihrem Zusammenleben ein Gleichnis versöhnter Gemeinschaft darstellt. Nach Wolfgang Huber ist in den Kirchen der Reformation die „Einsicht (…) gewachsen, dass auch evangelische Spirituali-
3. Spirituelle Lebensstände
tät auf Gemeinschaften angewiesen ist, die dem gemeinsamen geistlichen Leben gewidmet sind“ (408:5). Die Kirche brauche Orte der geistlichen Konzentration und der spirituellen Einübung. Auf der anderen Seite sind die Orden und Gemeinschaften auf die kirchliche Anerkennung und Unterstützung angewiesen, um ihre Aufgabe wahrnehmen zu können. Die Verantwortlichkeit liegt auf beiden Seiten: „Die Orden müssen sich tatsächlich als Charisma für den Aufbau der Kirche erweisen, die Kirche aber hat die ihr gegebene Gnadengabe des Ordenslebens zu kultivieren, zu fördern, ihr Raum zu geben und sie immer neu zu entfachen“ (Herzig/262: 243). Im Hinblick auf die noch zu behandelnde Frage nach dem Verhältnis zwischen aktivem und kontemplativem Leben ist es bedeutsam, dass die Zeichenhaftigkeit der Orden weniger in dem liegen dürfte, was sie tun, als in dem, was sie leben. Das verbindliche Leben in einer Gemeinschaft, die sich die Nachfolge Christi zu ihrem Hauptziel gesetzt hat, bringt zum Ausdruck, dass das „Sein in Christus (…) vor dem Tun für Christus“ steht (408:17). Die evangelischen Räte beanspruchen Ordensleute in ihrer ganzen Existenz – vorgängig zu den Aufgaben, die sie im Rahmen einer spezifischen Sendung wahrnehmen. Die komparativische Aussage, dass das Ordensleben die Nachfolge Christi sichtbarer und ausdrücklicher zur Darstellung bringe, bedeutet keine Abwertung anderer christlicher Lebensformen, wenn sie zum einen nicht als moralische Qualifikation des Einzelnen verstanden wird und zum anderen betont wird, dass auch die übrigen kirchlichen Lebensformen Zeugnisgestalten darstellen, die einen besonderen Aspekt des Christseins stellvertretend für alle verwirklichen und repräsentieren. b) Sinngehalt der Rätetrias? Die Trias der evangelischen Räte, die für das katholische Ordensleben lange ein wenig befragtes Faktum darstellte, wurde in den Diskussionen des II. Vatikanums neu begründungsbedürftig. Zwar bezeichnet sie die Kirchenkonstitution als „göttliche Gabe, welche die Kirche von ihrem Herrn empfangen hat und in seiner Gnade immer bewahrt“ (Lumen Gentium 43,1), doch wird zugleich eingeräumt, dass Jesus seinen Jüngern auch noch viele andere Räte mitgegeben hat (42,3). Im Blick auf das Neue Testament legt sich weder die Beschränkung auf nur drei Räte noch die getroffene Auswahl nahe. Wie das Beispiel des Simon Petrus zeigt, hat Jesus nicht allen Jüngern, die er in eine besondere Nachfolgeexistenz berief, die Ehelosigkeit auferlegt. Auch den Rat, den er dem reichen Jüngling erteilt, gibt Jesus nicht allen, die ihm nachfolgen wollten. Und vom Gehorsam spricht Jesus nach dem Zeugnis der Evangelien erstaunlich selten. Bemerkenswerterweise hat die exegetische Relativierung der Rätetrias ihrer Akzeptanz und ihrer Verbreitung keinen Abbruch getan: Nicht nur die meisten katholischen Gemeinschaften, sondern auch die Mehrzahl der evangelischen Kommunitäten haben sie übernommen. Die Infragestellung der Trias hatte allerdings den positiven Effekt, dass sie ein intensives Nachdenken über ihren Sinngehalt auslöste. Zwei Hauptfragen waren zu klären: (1.) Was rechtfertigt die Konzentration auf drei besondere Räte? (2.) In welchem Verhältnis stehen die drei Räte zueinander? (1.) Die Entscheidung, aus der Vielzahl jesuanischer Räte drei besonders hervorzuheben, hat offenkundig einen pragmatischen Sinn: Die Beschränkung dient synekdochisch der geistlichen Konzentration. Im Brennspiegel
Die Priorität des Seins in Christus
Entselbstverständlichung der Rätetrias
Klassische Begründungen
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III. Spirituelle Lebensformen
Heutige Begründungen
Verhältnis und Rangordnung
der drei Räte soll sich die Fülle der Lebensermutigung Jesu verdichten. Die konkrete Auswahl ist damit natürlich noch nicht gerechtfertigt. Würde nicht der Rat der evangelischen Gewaltlosigkeit die Botschaft Jesu ebenso gut verdichten wie der Rat des Gehorsams? Die Auswahl ist jedoch, entgegen dem ersten Anschein, nicht ohne biblisches Fundament. Nimmt man nämlich ihre historische Genese zum Leitfaden, so verweist die im 12. Jahrhundert aufkommende Trias zurück auf die dreifache baptismale Absage und die „asketische Spekulation“ (Hertling/261:170). Bereits Cassian konturiert das christliche Leben, das der Mönch in radikaler Form zu verwirklichen sucht, durch eine dreifache Absage: Wie Abraham (Gen 12,1) müsse der Christ sein ,Land‘, nämlich die Güter dieser Welt, seine ,Verwandtschaft‘, d. h. seinen früheren Lebenswandel, und auch sein ,Vaterhaus‘ hinter sich zurücklassen, also den familiär bestimmten Gehorsam (coll. 3,6). Thomas von Aquin interpretiert diese dreifache Absage als eine konkrete Antwort auf die dreifache Begehrlichkeit, die in 1 Joh 2,16 genannt wird: Die Keuschheit ist als Absage an die Begierde des ,Fleisches‘ zu verstehen; die Armut antwortet der Begierlichkeit der Augen, die sich an weltlichen Gütern festmacht; die Neigung zu Hochmut und Protzsucht wird durch den ,Dienst des Gehorsams‘ kuriert (S.th. I-II 108,4). An anderer Stelle verknüpft Thomas die drei Räte mit den fundamentalen Sorgen des Menschen. Er unterscheidet zwischen der Sorge um sich selbst, von der der Gehorsam befreit; der Sorge um die Gattin und die Kinder, die durch die Ehelosigkeit ,beseitigt‘ werden; und der Sorge um die Verwaltung materieller Güter, die durch die evangelische Armut therapiert werden kann (S. c. G. III 130). Damit ist der Rahmen vorgegeben, in dem sich auch die heutigen theologischen Begründungsversuche der Rätetrias bewegen: Die meisten Ordenstheologinnen und -theologen verstehen die Trias in Entsprechung zu den drei menschlichen Grundbedürfnissen nach Besitz, Sexualität und Selbstbestimmung. Dass eine Relativierung dieser Urwünsche des Menschen bzw. die Kritik an ihrer Verabsolutierung nicht zu einer Geringschätzung guter Schöpfungsgaben führen darf, wird besonders im Blick auf die traditionelle Abwertung von Ehe und Sexualität betont. Nach Karl Rahner kann die in den evangelischen Räten vorgezeichnete Entsagung nur dann in authentischer Weise vollzogen werden, wenn das, worauf man verzichtet, wertgeschätzt und gewürdigt wird: „Nur wer den Reichtum des Lebens liebt, für den die ökonomischen Güter Ausdruck und Mittel sind, nur wer die Tapferkeit der Selbstverantwortung besitzt, nur wer echter personaler Liebe fähig ist, kann ein wirkliches Verständnis für den Verzicht der evangelischen Räte haben“ (286:366). (2.) Deutet man die Räte von den Grundbedürfnissen des Menschen her, so liegt es nahe, ihr Verhältnis als ein gleichgeordnetes zu verstehen. Nach Rahner ist die Eigenart und Verschiedenheit der evangelischen Räte „so groß und bedeutend, daß man sich fragen könnte, ob sie wirklich unter einen gemeinsamen Begriff gebracht werden können“ (286:365). Die klassische Voranstellung der Ehelosigkeit, die sich auch in den Dokumenten des II. Vatikanums findet, wäre dann lediglich ein historisch zu erklärender Ehrenplatz dieses Rates. Doch finden sich eine Reihe von Versuchen, das Verhältnis zwischen den Räten als ein gestuftes zu bestimmen, wobei meist entweder der Ehelosigkeit oder dem Gehorsam die integrierende Funktion zugespro-
3. Spirituelle Lebensstände
chen wird. Bei Thomas wird der Gehorsam als der grundlegende Rat ausgezeichnet, der die Armut und Keuschheit nach sich zieht. Im Gehorsam, der alle Handlungen umgreift, verdichte sich die Ganzhingabe an Gott und damit die Haltung, die das Leben nach den evangelischen Räten insgesamt auszeichnet (S.th. II-II 186,8). Auf der anderen Seite sprachen sich viele Theologen dafür aus, die Ehelosigkeit als den grundlegenden Rat zu betrachten. So meinte etwa Johannes Bours, dass dieser Rat an den Anfang gehöre, weil er mit der größten Deutlichkeit darauf hinweise, „daß die christlichen Räte nur gelebt werden können in der personalen Beziehung auf Christus hin. Ehe ist Liebesbeziehung; auch christliche Ehelosigkeit ist ,Liebesbeziehung‘“ (Bours/236:57 f.). Hans Urs von Balthasar synthetisiert diese beiden Interpretationsmodelle, wenn er die drei Räte als dreieinigen Ausdruck der liebenden Ganzhingabe beschreibt. Wie beim Eheversprechen sei der Inhalt des triplex votum nicht als Verzicht, sondern als Bereitschaft zur Hingabe zu beschreiben: „Der Inhalt dieses Entschlusses ist primär positiv Gott in Jesus selbst: ihm gelobt sich der Nachfolgende an, zu immerwährender Treue, was sich im Befolgen der ,Räte‘ ausspricht: ,kein anderer als Du‘ (Jungfräulichkeit), ,nichts anderes als Dich‘ (Armut), ,nicht mein Wille, sondern der Deine‘ (Gehorsam)“ (228:415 f.). Der Synthese Balthasars entspricht der thomasische Gedanke, dass die Räte Wirkungen und Anzeichen (effectus et signa) eines glühenden Gottverlangens (S. c. G. III 130) sind – modern gesprochen: verleiblichter Ausdruck der Hingabe an Gott aus der befreienden Erfahrung göttlicher Liebe. c) Evangelische Ehelosigkeit? Dass die Zeichenhaftigkeit der Räte, die die Theologie der letzten Jahrzehnte in den Vordergrund gerückt hat, nicht selbst schon ein hinreichender Grund darstellt, sie sich selbst zu eigen zu machen, zeigt sich vielleicht am deutlichsten bei der evangelischen Ehelosigkeit: Sie für sich wählen, um damit für andere ein Zeichen zu setzen, dürfte kein besonders aussichtsreiches Unterfangen sein. Was aber sind heute stichhaltige Gründe dafür, ein für alle Mal darauf zu verzichten, sich den Wunsch nach gelebter Sexualität, partnerschaftlicher Intimität und familiärer Prokreativität zu erfüllen? Ist die evangelische Ehelosigkeit, zumindest unter gegenwärtigen westeuropäischen Bedingungen, sinnvoll allein für Menschen, bei denen entweder der Wunsch nach Ehe und Familie nicht besonders ausgeprägt ist oder bei denen der Wunsch zwar da ist, aber dessen Erfüllung außer Reichweite ist? Worin besteht das Charisma der Ehelosigkeit eigentlich genau? In der Befähigung zum Verzicht? Oder in der Gabe, die Verheißungen der Liebe anders zu verwirklichen? Ist das Zölibat ein – im günstigen Fall schöpferischer – Verzicht oder ist es etwas, was auch eine Attraktion eigener Art in sich birgt? Die Probleme beginnen bereits auf der begrifflichen Ebene. Selbst in den Dokumenten des II. Vatikanums schwankt die Terminologie zwischen castitas, virginitas und coelibatus (Lumen Gentium 42,3 u. 43,1; Perfectae Caritatis 1,3 u. 12,1). Der Begriff der Keuschheit (castitas), auf den sich der katholische Codex Iuris Canonici von 1983 festlegt, fokussiert den genitalen Aspekt der Geschlechtlichkeit. Er ist insofern mehrdeutig, als Keuschheit begrifflich nicht unbedingt mit dauerhafter sexueller Enthaltsamkeit (continen-
Die Fraglichkeit evangelischer Ehelosigkeit heute
Begriffliche Klärungen
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III. Spirituelle Lebensformen
Absolutheit und Exklusivität der evangelischen Ehelosigkeit
Motive und Begründungen
Problematische Generalisierungen
tia perpetua; S.th. II-II 186,4 Antw.) identisch ist, sondern als Gegenbegriff zu Unkeuschheit eine Tugend darstellt, die Eheleuten zugesprochen werden kann (1 Thess 4,3 f.; Mieth/443:130 ff.). Jungfräulichkeit (virginitas) bietet sich als Begriff an, der biblisch fundiert und spiritualitätsgeschichtlich bedeutsam ist. Die primäre Bedeutung des Begriffs, die sexuelle Unberührtheit einer Frau, sowie seine belastete Geschichte machen es jedoch im kulturellen Kontext der Gegenwart schwierig, ihn als Leitbegriff christlichen Ordenslebens zu verwenden. Auch der Begriff coelibatus ist missverständlich, weil er auch für ein zölibatäres Leben gebraucht werden kann, dem jede religiöse Motivation fehlt. Am präzisesten dürfte es sein, schlicht von der evangelischen Ehelosigkeit zu sprechen, womit zugleich auf die neutestamentliche Grundlage wie auf die Sinnrichtung dieser Lebensform verwiesen wird: Es geht um die Form des ehelosen Lebens, die das Neue Testament mehrfach empfiehlt und die durch einen besonderen Bezug zum Evangelium Christi seine Prägung erhält. Die besondere Stellung der evangelischen Ehelosigkeit innerhalb der Rätetrias erklärt sich aus zwei Besonderheiten: Zum einen konstituiert nur die evangelische Ehelosigkeit eine eigene Lebensform, während die Räte der Armut und des Gehorsams in bestimmten Formen auch in der Ehe befolgt werden können. Zum anderen eignet der evangelischen Ehelosigkeit eine Absolutheit, die den anderen beiden Räten fehlt: Armut und Gehorsam können mehr oder weniger radikal gelebt werden, evangelische Ehelosigkeit jedoch nur ganz oder gar nicht. Wie es nicht möglich ist, nur ein wenig schwanger zu sein, so ist der Verzicht, den die evangelische Ehelosigkeit beinhaltet, nicht graduell, sondern exklusiv (Schneiders/295:129). Die Gründe und Motive, die Menschen dazu bewegen, ein Leben in evangelischer Ehelosigkeit wählen, sind schwer zu überschauen. Im Blick auf die ältere und jüngere Ordensgeschichte ist zu vermuten, dass Nebenmotivationen in diesem Zusammenhang besonders zahlreich sind. Theologisch betrachtet lassen sich drei Haupttypen von Beweggründen unterscheiden, die alle, wenn auch in je besonderer Weise in einer eschatologischen Sicht des Lebens fundiert sind. Im ersten Fall wird die zölibatäre Lebensform als Mittel gesehen, um im Vorletzten dem Letzten dienen und einer bestimmten Aufgabe besser entsprechen zu können. Bereits Paulus argumentierte, dass das zölibatäre Leben einen ungeteilten Dienst ermögliche (1 Kor 7,34). Ein zweiter Typus der Begründung ergibt sich aus der christlichen Berufung zum Reich Gottes als einer universalen Gemeinschaft. Das zölibatäre Leben dient nach dieser Sicht dazu, eine neue Gemeinschaft antizipativ verwirklichen zu können: in einer spirituellen Kommunität oder in besonderen Gestalten der Solidarität mit den Armen. Drittens kann die zölibatäre Lebensform auch mystisch begründet werden: Sie ist nach einer solchen Konzeption entweder Ausdruck einer exklusiven personalen Hingabe an Christus, die als geistliche Vermählung gedeutet werden kann (2 Kor 11,2b). Oder sie versteht sich als besonders intensive Weise, den Fußstapfen Jesu Christi zu folgen (1 Petr 2,21), sich ihm anzugleichen (1 Kor 11,1) und seiner Ankunft entgegenzuharren (Mt 25,1-12). Das weit verbreitete Unbehagen gegenüber einem religiös begründeten Zölibat dürfte neben den besonderen Problemen, die sich aus dem Pflichtzölibat der katholischen Diözesanpriester ergeben, vor allem mit einer pro-
3. Spirituelle Lebensstände
blematischen Generalisierung zu tun haben. Die Behauptung, dass der Zölibat immer zu einer größeren Verfügbarkeit führe und Menschen generell selbstloser und gemeinschaftsfähiger mache und sie intensiver mit Christus verbinde, dürfte zum einen kaum zutreffen und führt zum anderen zu der bereits beschriebenen Abwertung der Ehe. Die oben genannten Gründe für ein zölibatäres Leben bedürfen besonderer Lebens- und Berufungskontexte: „Wenn (…) von den evangelischen Räten als dem ,besseren Mittel‘ zur Erreichung der Reife der Liebe zu Gott und den Menschen die Rede ist, dann ist dies zunächst einmal eine relative Aussage, nämlich in Bezug auf die, denen es gegeben ist, dies in Freiheit tun zu können“ (Rahner/286:363). Dass der Zölibat grundsätzlich eine größere Unmittelbarkeit zu Christus bedeutet, ist theologisch kaum zu begründen. Nicht nur deswegen, weil auch Zölibatäre auf kirchliche und zwischenmenschliche Formen der Vermittlung zur Gottunmittelbarkeit angewiesen sind, sondern weil die Berufung zur innigsten Gottesgemeinschaft allen Getauften zugesprochen wird (Herzig/262:120 f.). Dem widerspricht nicht, dass Menschen, die die Berufung zum zölibatären Leben ergriffen haben, diese Lebensform als den besten Weg zu einem intensiven Leben mit Christus erfahren. Für sie ist die Wahl, zölibatär zu leben, keine beliebige. Sie ist insofern nicht allein Antwort auf einen Rat, sondern auf einen verbindlichen Ruf. Denn „wo das ,bessere Mittel‘ konkret angeboten wird“, gibt Karl Rahner zu bedenken, „und als solches wirklich und zwar für hier und jetzt erkannt wird, [ist] mit ihm nicht nur eine sittliche Möglichkeit, sondern eine sittliche Forderung für den betreffenden Menschen gegeben (und gleichzeitig ermöglicht), obwohl der andere Weg an sich auch einen positiven sittlichen Wert darstellt“ (286:362). d) Gelübde auf Lebenszeit? Die theologische Hauptkritik der Reformatoren an den evangelischen Räten betraf ihre Verknüpfung mit kirchlich sanktionierten Gelübden, die dazu noch auf Lebenszeit abgelegt werden. Widerspricht eine solche Selbstbindung nicht der Freiheit des Evangeliums? Steht die Professfeier, die auch als zweite Taufe gedeutet wurde, nicht in einer höchst problematischen Konkurrenz zu dem, was christliches Leben grundlegt? Ist nicht „durch die Taufe jeder Christ schon ,Gott geweiht‘ (Deo sacratus: LG 44,1), Christus ,gleichgestaltet‘ (LG 7,2)? (…) Ist diese Ordensweihe etwas ,Neues‘, das zur Weihe in der Taufe ,hinzukommt‘?“ (Herzig/262:42). Die reformatorische Theologie tut sich mit dem Gedanken einer besonderen ,Weihe‘ nach wie vor schwer, und auch auf katholischer Seite ist der Begriff nicht unumstritten. Um das Problemfeld überblicken zu können, ist begrifflich zu unterscheiden zwischen Gelübde (votum), Weihe (consecratio) und den evangelischen Räten, die auch ohne Gelübde und Weihe gelebt werden können, so wie man Gelübde auch ohne Weiheliturgie ablegen kann. Im Bezug auf die Gelübde selber ist nochmals zu differenzieren zwischen zeitlich begrenzten und solchen, die auf Lebenszeit abgelegt werden. Die folgende Darstellung beschränkt sich auf Letztere, die als Entscheidung für ein ganzes Leben gewichtigere Fragen aufwerfen. Dass die evangelischen Kommunitäten in der Regel die Rede von Gelübden meiden und lieber von Engagement, Versprechen, Bindung, Verpflich-
Das Problemfeld
Biblische Grundlagen
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III. Spirituelle Lebensformen
Die Entstehung der monastischen Gelübde
Gelübdefeier als Weihe?
tung, Hingabe usw. sprechen (Joest/265:183), darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass es auch in den reformatorischen Kirchen heute institutionell geregelte Formen gibt, die ein religiöses Versprechen auf Lebenszeit beinhalten. Die biblische Grundlage dafür ist nicht sehr breit, aber inhaltlich gewichtig. Die alttestamentliche Urform einer solchen religiösen Selbstbindung ist das Nasiräergelübde, durch das sich jemand Gott weiht und das zu einem bestimmten Lebensstil verpflichtet (Num 6). Obwohl das Nasirat biblisch nicht mit der Verpflichtung zu Ehelosigkeit verknüpft wird – auch der Prophet Samuel, der durch das Gelübde seiner Mutter zum Nasiräer wurde, war z. B. verheiratet (1 Sam 1,11 u. 8,1) –, kommt es bei Johannes dem Täufer zu einer für die christliche Entwicklung prototypischen Synthese von Zölibat und Nasirat. Die Gelübdepraxis scheint allerdings von der Jesusbewegung zunächst nicht aufgenommen worden zu sein. Das ehelose Leben in der Nachfolge Christi ist nach Ausweis des Neuen Testaments nicht an ein besonderes Gelübde geknüpft. Paulus, der möglicherweise über eine bestimmte Zeit als Nasiräer lebte (Apg 18,18), empfiehlt zwar die Ehelosigkeit als Lebenswahl, verbindet dies jedoch nicht mit der Verpflichtung zu einem Gelübde. Die früheste christliche Form eines Gelübdes zu lebenslänglicher Ehelosigkeit dürfte der in 1 Tim 5,12 bezeugte Fall von Witwen sein, die sich um Christi Willen verpflichten, nicht mehr zu heiraten. Die christliche Zurückhaltung gegenüber besonderen Gelübden zeigt sich nicht zuletzt daran, dass im Mönchtum, das sich im vierten Jahrhundert zu entwickeln beginnt, eine solche Praxis zunächst fehlt. Die ersten Mönche leben ohne ausdrückliche Gelübde. Um Mönch zu werden, genügt es, die feste Absicht dazu zu haben (propositum) und sich der Leitung eines geistlichen Vaters zu unterstellen. Auch bei Pachomius müssen die Mönchsanwärter zwar die Ernsthaftigkeit ihrer Absicht unter Beweis stellen, um in die Gemeinschaft aufgenommen zu werden, es wird jedoch kein feierliches Gelübde von ihnen verlangt. Erst Basilius geht aus praktischen Gründen dazu über, den ihm unterstellten Mönchen ein Gelübde abzuverlangen (ep. 199,19). Mit der feierlichen Form der Gelübdeablegung entwickelte sich im 5. Jahrhundert auch eine neue theologische Begründung dieser Praxis. Gegen Ende des Jahrhunderts bezeugt Dionysius Ps.-Areopagita, dass in der syrischen Kirche die Mönchsprofess als Weihehandlung verstanden wird (c. h. 6). Das Verständnis der Gelübde als Weihe, das sich bis heute in der katholischen und der orthodoxen Kirche findet, ist erläuterungsbedürftig. Nach dem II. Vatikanum wurzelt die „gleichsam besondere Weihe“ der Ordensleute „zutiefst in der Taufweihe“ und bringt „diese voller zum Ausdruck“ (Perfectae Caritatis 5,1). Die zentrale Frage, wer das aktive Subjekt dieser besonderen Weihe ist, wird von den Konzilsdokumenten nicht eindeutig beantwortet. In der Konstitution über die Kirche findet sich die folgende, mehrdeutige Formulierung: „Durch die Gelübde (…) verpflichtet sich der Christgläubige zu den drei genannten evangelischen Räten und gibt sich dadurch dem über alles geliebten Gott vollständig zu eigen (totaliter mancipatur), so daß er selbst durch einen neuen und besonderen Titel auf Gottes Dienst und Ehre hingeordnet wird. Er ist zwar durch die Taufe der Sünde gestorben und Gott geweiht (sacratus). Um aber reichere Frucht aus der Taufgnade empfangen zu können, will er durch die Verpflichtung auf die evangelischen Räte in
3. Spirituelle Lebensstände
der Kirche von den Hindernissen, die ihn von der Glut der Liebe und der Vollkommenheit der Gottesverehrung zurückhalten könnten, frei werden und wird dem göttlichen Dienst inniger geweiht (consecratur)“ (Lumen Gentium 44,1). Grammatikalisch kann consecratur sowohl passiv (von Gott geweiht) als auch reflexiv (sich Gott weihen) verstanden werden. Für beide Lesarten finden sich in der nachkonziliaren Diskussion Belege (Herzig/ 262:122 f.). Der Gegensatz löst sich auf, wenn man consecratio primär als liturgischen Begriff versteht und terminologisch zwischen dem liturgisch vermittelnden Handeln Gottes (consecratio) und der menschlichen Selbsthingabe (devotio, mancipatio) unterscheidet (Balthasar/228). Um den Eindruck zu vermeiden, dass mit einer solchen Weihehandlung die Taufe überboten wird, kann man auf eine analoge Situation bei der Trauung verweisen. Die Liturgie der Mönchsprofess oder der Jungfrauenweihe bringt zum Ausdruck, dass Gott an den Menschen, die sich zu einem Leben nach den evangelischen Räten verpflichten, in vergleichbarer Weise handelt wie an denjenigen, die sich das eheliche Jawort geben. Menschen, die im Zeichen der Taufe bereits geheiligt worden sind, werden nun in eine besondere Sendung hineingestellt und in ihrer Selbsthingabe gesegnet. Aufgabe der Kirche ist es, das feierliche Versprechen öffentlich zu bestätigen und betend zu bekräftigen. Das Neue der religiösen Weihe gegenüber der Taufe ist nicht kumulativ, sondern qualifizierend zu verstehen. Nach Anneliese Herzig liegt es in der Konkretheit der Sendung und der Gestalt der Nachfolge: „Nicht die Tatsache der conscecratio religiosa ist es somit, die den Ordenschristen von den anderen Gläubigen unterscheidet, sondern die bestimmte Form seines Lebens aus Taufe und Firmung sowie seine Sendung in der Kirche“ (262:125). Damit ist allerdings die grundsätzliche Frage noch nicht beantwortet, was im Falle der Ordensprofess eine unwiderrufliche Bindung auf Lebenszeit rechtfertigt. Anders als bei der Ehe fehlt dafür eine ausdrückliche neutestamentliche Grundlage. Handelt es sich bei einer solchen Selbstbindung nicht, wie Luther kritisierte, um ein ,ewiges Gefängnis‘, das mit der Freiheit des Evangeliums unverträglich ist (WA 6,440)? Das psychologische Argument, dass Menschen mit solchen Gelübden erfahrungsgemäß häufig überfordert sind, findet sich im Umfeld der Wittenberger Reformation bei Philipp Melanchthon und Andreas Karlstadt. Luther selbst hingegen argumentierte theologisch, wenn er die klassischen Belegstellen der Gelübdetheologie (Ps 50,15, 63,12, 66,13, 76,12, 116,14.18, 119,106 etc.) auf das Taufgelübde interpretiert und betont, dass die Radikalität und Größe dieses Gelübdes, das täglich erneuert werden müsse, unüberholbar sei (Halkenhäuser/ 258:47 f.). Wo wir in der „allergeistlichsten und überaus tätigen Freiheit der Taufe“ bleiben, sind weitere Gelübde nicht nur überflüssig, sondern schädlich: „Es ist gar nicht zu sagen, wie sehr dieser mehr als zuviel verbreitete Gelübdewahn der Taufe Abbruch tut und die Kenntnis der christlichen Freiheit verdunkelt“ (WA 6,538; 22:75). Wegen ihrem Gefälle zur Werkgerechtigkeit seien besondere religiöse Gelübde grundsätzlich abzulehnen. Luther schlug deshalb vor, durch einen allgemeinen Erlass die Gelübde aufzuheben, „besonders die auf Lebenszeit, und alle zum Taufversprechen zurück[zu]rufen“ (22:76). Es erstaunt nicht, dass die evangelischen Kommunitäten zunächst davor zurückschreckten, zeitlich unbegrenzte Gelübde einzufüh-
Unwiderrufliche Selbstbindung?
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III. Spirituelle Lebensformen
Anthropologisches Argument
Theologisches Argument
ren. Dass viele diesen Schritt dennoch vollzogen haben, ist ein spiritualitätsgeschichtlich aufschlussreiches Faktum. Während auf evangelischer Seite die Notwendigkeit, sich mit den Einwänden der Reformatoren auseinanderzusetzen, zu einer intensiven Reflexion auf den Sinn einer religiösen Selbstbindung auf Lebenszeit führte, waren es auf katholischer Seite stärker die spätmoderne Flexibilisierung der Lebensbahnen und der Protest gegenüber kirchlichen Institutionen, die ein vertieftes Nachdenken über die Bedeutung der Gelübde vorantrieben. Die Begründungsversuche konzentrieren sich auf zwei Hauptargumente: Aus anthropologischer Sicht lässt sich argumentieren, zur menschlichen Reifung gehöre die Bereitschaft zu einem unbedingten Engagement. Ein Gelübde bedeutet aus dieser Sicht eine Hilfe dafür, „bei auftretenden Schwierigkeiten und Konflikten nicht einfach zu fliehen, sondern durchzuhalten“ (Gründel/254:196). Eine unbedingte Selbstbindung ist als eine selige Nötigung zu verstehen, die zum Besseren hin führt (Augustinus, ep. 127). Das Gelübde dient der heilsamen Selbstbindung und ist zugleich ein Memoriale, das die Erinnerung wachhält und mit der Kraft des Ursprungs verbindet. Es kann schließlich auch als Ausdruck der Selbstannahme gesehen werden und ist als solche eine notwendige Voraussetzung für die Konzentration und die Vertiefung des Lebensvollzugs (Demmer/242). Wie die evangelischen Räte selber lässt sich deshalb auch das Institut der Gelübde als Mittel verstehen, das dem geistbestimmten Leben dienen soll. Der Sinn zeitlich unbegrenzter Gelübde lässt sich auch theologisch begründen. Die Unbedingtheit der Gelübde ist aus dieser Sicht als responsorische Entsprechung zu einem je einzigartigen und letztgültigen Ruf Gottes zu verstehen, der einen Menschen ganzheitlich in Anspruch nimmt. Zeitlich unbegrenzte Gelübde sind ein Ausdruck dafür, dass jemand diesen Ruf uneingeschränkt bejaht. Thomas von Aquin fasst dieses Argument wie folgt: „Der Mensch kann Gott sein Gesamtleben nicht in einem einzigen Akt übergeben, weil es nicht auf einmal, sondern im zeitlichen Nacheinander gelebt wird. Deshalb kann er Gott sein gesamtes Leben nicht anders darbringen als durch die Bindung in einem Gelübde“ (S.th. II–II 186,6 ad 2). In heutiger Sprache: Ein religiöses Gelübde auf Lebenszeit abzulegen bedeutet, der Liebe Gottes „nicht nur mit einem einzelnen Akt, sondern mit unserem Selbst, mit unserem ganzen Leben“ zu antworten (Schillebeeck/291:127). Um ein passender Ausdruck der vorbehaltlosen Selbsthingabe sein zu können, darf sich das Gelübde allerdings nicht auf Partikuläres beziehen. In dieser Hinsicht kann Luthers Kritik am Gelübdewahn heute auch von katholischer Seite aufgenommen werden. Nach Hans Urs von Balthasar würde es das Leben vergesetzlichen, das zum Inhalt eines Gelübdes zu machen, wonach wir in der Freiheit der Liebe streben sollen (228:415). Das theologische Argument für die Legitimität eines zeitlich unbegrenzten Gelübdes lässt sich problemlos mit dem anthropologischen kombinieren. Man kann nämlich, was sich schon in der oben zitierten Aussage von Thomas ankündigt, auf die inkarnatorische Tendenz christlicher Spiritualität hinweisen. Die Liebe will sich verleiblichen. Die geistgeschenkte Freiheit ermöglicht ein verbindliches SichEinlassen und die schöpferische Treue zur unwiderruflichen Entscheidung, Gottes Ruf in einer konkreten Lebensform und Gemeinschaft zu antworten (Halkenhäuser/258:326).
3. Spirituelle Lebensstände
Gegenüber dem Eheversprechen und in bestimmter Weise auch gegenüber dem Gelübde, das jemand bei der Diakonats- oder der Priesterweihe ablegt, liegt die Besonderheit der Ordensprofess darin, dass sie primär einen Akt der Selbstübereignung an Christus darstellt. Das verbindliche Ja zu einer bestimmten Gemeinschaft, das das Gelübde ebenfalls zum Ausdruck bringt, kann als Konkretisierung dieser grundlegenden Selbsthingabe interpretiert werden. In ihr verdichtet sich eine besondere Berufungsgeschichte (Kramer/ 269:277). Dass die beiden Verbindlichkeiten, die jemand bei der Profess eingeht, nicht auf der gleichen Ebene liegen, zeigt sich u. a. darin, dass sogar in der benediktinischen Tradition, die auf die stabilitas loci besonderes Gewicht legt, die Möglichkeit gegeben ist, einvernehmlich in eine andere Gemeinschaft überzutreten. Solange jemand die Lebensform wahrt, wird ein solcher Wechsel nicht als Gelübdebruch verstanden. Der Übertritt von der gemeinschaftlichen zur eremitischen Lebensweise bzw. von einem apostolischen Orden in ein kontemplatives Kloster stellte seit Alters her eine Option dar, die, wenn auch nicht unbedingt aktiv gefördert, so doch zumindest als Möglichkeit bejaht wurde, die der Logik des geistlichen Weges entspricht (S.th. II-II 189,8). In diesem Sinne ist zwar die Übereignung an Christus, die jemand in seiner Profess zum Ausdruck bringt, unbedingt, nicht aber die ebenfalls feierlich eingegangene Bindung an eine bestimmte Gemeinschaft. Dass dem Ja zur Gemeinschaft nicht derselbe Unbedingtheitscharakter zukommt wie der Übereignung an Christus, bedeutet nicht, dass dieses Ja ein vorbehaltliches sein könnte. Das kommunitäre Leben ist nicht lediglich ein mehr oder weniger förderlicher Rahmen für das Vollkommenheitsstreben des Einzelnen, sondern konstitutiv für den kirchlichen Auftrag der Orden und der ordensähnlichen Gemeinschaften.
Zweifache Verbindlichkeit
3.2.3 Inklusive Interpretation der Rätetrias Eine inklusive Interpretation der evangelischen Räte, die in diesen eine Leitlinie für christliches Leben überhaupt sieht, kann sich darauf berufen, dass ein solches Verständnis nicht völlig neu ist. Entgegen einem monastischen Elitedenken strebte etwa Basilius der Große in seinen Regulae Morales die Einheit in der Nachfolge an. Im Mittelalter gab es, genauer betrachtet, vielfältige Zwischenstufen zwischen dem Rätestand und den Weltchristen. Besonders die Humiliaten und Beginen des 12. und 13. Jahrhunderts sprengten das eingespielte Schema von Ordens- und Weltchristen. Auch das Aufkommen von Ritterorden, in denen verheiratete Männer sich zu einem Leben in der Nachfolge Christi zusammenschlossen, relativierte eine starre Entgegensetzung von Ordenswesen und Eheleben (S.th. II-II, 186,4 zu 3.). In den ,Dritten Orden‘ dominikanischer oder franziskanischer Prägung, in denen sich verheiratete Männer und Frauen zu spirituellen Weggemeinschaften zusammenfanden, entwickelten ebenfalls verbindliche Formen der Nachfolge Christi, die sich in vielen Punkten am Räteleben orientierten. Angestoßen durch die Betonung einer allgemeinen Berufung zur Heiligkeit festigte sich in der katholischen Theologie der Nachkonzilszeit die Meinung, dass die evangelischen Räte, insofern sich in ihnen der Geist der Bergpredigt verdichtet, allen Christen gelten, auch wenn sie nicht für alle Teil eines besonderen Gelübdes sind (Rahner/286:361). Im Beschluss der Würz-
Historische Vorläufer
Nachkonziliare Ausweitungen
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III. Spirituelle Lebensformen
Christliche Antworten auf menschliche Urwünsche
Allgemeinchristlicher Rat und besonderes Charisma
burger Synode zum Ordensleben heißt es beispielsweise, dass jede christliche Berufung von dem lebe, „was man in der katholischen Überlieferung evangelischen Rat genannt hat. Sein Kern besteht darin, daß der Mensch um Christi und seiner Botschaft willen und auf seinen Ruf hin sich von irdischen Sicherungen und Erfüllungen losreißt, um sich auf das eine Notwendige (vgl. Lk 10,42) einzulassen“ (401:562). Der Synodentext lässt offen, ob auch die klassische Rätetrias in dieser Weise generalisiert werden kann. In der jüngeren Literatur finden sich demgegenüber eine Reihe von Vorschlägen, die evangelischen Räte anthropologisch zu fundieren und zu einem Grundmodell für die christliche Existenz überhaupt zu machen. Der bekannteste Versuch einer solchen Übertragung findet sich bei Paul Michael Zulehner. Gemäß seiner Interpretation sind die evangelischen Räte „innere Momente eines jeglichen christlichen Glaubens, denn Glauben meint Verwurzelung im ewigen Leben, in Gottes Verheißung, und damit Leben aus dieser erhofften Zukunft her“ (307:91). Die drei Räte entsprechen nach dieser Deutung einer Trias von Urwünschen: Dem ersten Rat entspricht der Wunsch nach einem einmaligen Namen, Ansehen und Zuwendung; dem Rat des Gehorsams der Wunsch nach Wachstum, Freiheit und Macht; dem Rat der Armut der Wunsch nach Verwurzelung, Beheimatung und Besitz (307:11). Zulehner fordert eine gläubige „Kultur menschlicher Urwünsche“ und sieht in der exklusiven Interpretation der evangelischen Räte auf das Ordensleben eine der Hauptursachen der gegenwärtigen Glaubenskrise: „Die Eingrenzung der Reichweite der evangelischen Räte ist eine, vielleicht sogar eine der wichtigsten Ursachen für die Ermäßigung des christlichen Glaubens, für den Verlust seiner Kraft“ (307:8). Für seinen Deutungsvorschlag muss Zulehner besonders den Rat der Ehelosigkeit ausweiten. Im Rückgriff auf das Gleichnis von den zehn wartenden Jungfrauen (Mt 25,1–13) interpretiert er ,Jungfräulichkeit‘ als eine liebende Erwartungshaltung, als ein „gemeinsames ,Dem-Herrn-Entgegengehen‘“, das jedes wahre christliche Leben auszeichne (307:52; ähnlich Fraling/249:40 f.). Die Relativierung der Ehe durch diesen eschatologischen Vorbehalt tue nicht zuletzt der Liebesbeziehung zwischen Eheleuten gut: „Es ist gut für Eheleute, sich gegenseitig zwar als Gabe Gottes, aber dennoch als begrenzte Gabe zu erleben, also nicht alles voneinander zu erwarten, sondern miteinander das Entscheidende, die letzte und bleibende Seligkeit von Gott zu erwarten. Solche Eheleute wären im biblischen Sinn ,jungfräulich‘“ (307:53). Zulehners Modell ist nicht als Verabschiedung des Ordenslebens zu lesen. Die zeichenhaft gelebte Ehelosigkeit kann nach diesem Modell als exemplarische Verdeutlichung dessen verstanden werden, was alle Christen angeht. Nach Johann Baptist Metz und Johannes Bours leben Zölibatäre auf zeichenhafte Weise das Noch-Nicht der Erfüllung, um die Erwartung für die endgültige Ankunft wachzuhalten: „So ist die Ehelosigkeit (…) ein stellvertretender Hoffnungsdienst in und an der Gemeinde“ (Bours/236:31). Dass auch die christliche Ehe ein stellvertretend für andere gelebtes Zeichen ist, braucht auf dem Hintergrund von Eph 5,32 und des weiter oben Ausgeführten nicht nochmals eigens betont werden: Wo sie auf Christus hin gelebt wird, bezeugt sie seine Treue zu dem, was er ein für allemal erlöst und geheiligt hat. Der evangelische Rat, ein Leben in Ehe und Partnerschaft unter den Segen Gottes zu stellen, ist allerdings nur schwer in die klassische Rätetrias einzu-
3. Spirituelle Lebensstände
ordnen. Eine inklusive Interpretation der evangelischen Räte findet ihre Grenze ebenso an der Eigenart einer christlichen Ehe wie an der charismatischen Gestalt evangelischer Ehelosigkeit. 3.3 Vita activa und vita contemplativa Die Unterscheidung zwischen einer christlichen vita activa und einer christlichen vita contemplativa bot über Jahrhunderte eine Metakategorie, um die Pluralität der institutionalisierten christlichen Lebensformen in eine übersichtliche und funktionale Einheit zu bringen und zugleich mit einem Modell geistlicher Reifung zu vermitteln. So einfach diese Unterscheidung wirkt, sie steckt voller Probleme: Zum einen stellte sich die Frage, wie sich dieser Dual zur Unterscheidung zwischen Ordenschristen und Weltchristen verhält. Bereits im Mittelalter zeigte sich durch die Ausdifferenzierung in apostolische und kontemplative Orden, dass sich die beiden Unterscheidungen nicht entsprechen, sondern kreuzen. Hält man an beiden Unterscheidungen fest, so stellen sich eine Reihe von Anschlussfragen: In welchem Verhältnis stehen dann aber das aktive und das kontemplative Ordensleben zueinander? Und ist eine solche Unterscheidung nur für das Ordensleben sinnvoll? Nach der sich im Mittelalter herauskristallisierenden Schematisierung christlicher Lebensstände scheint die vita contemplativa grundsätzlich keine Möglichkeit für Christen zu sein, die eine Familie zu betreuen haben und einem weltlichen Beruf nachgehen. Ist das kontemplative Leben, das sich auch außerhalb von Ordensgemeinschaft findet, als spiritualitätstheologisch zu vernachlässigende Ausnahme zu behandeln? Ein weiteres Problem hängt mit der aristotelischen Herkunft dieses Duals zusammen. Das unbestreitbare Faktum, dass hier ein begriffliches Schema aus der griechischen Philosophie in die christliche Theologie und Lebenslehre übernommen wurde, bedeutete für Luther und andere Reformatoren den untrüglichen Beleg für eine problematische Hellenisierung des Christentums. Doch inwiefern ist die Verabschiedung des kontemplativen Ideals im Namen des Evangeliums aus heutiger Sicht noch zu begrüßen? Gibt es nicht auch biblische Wurzeln für eine christliche vita contemplativa? Das Gewicht, das dem Dual von aktivem und kontemplativem Leben im Laufe der Geschichte zuwächst, macht es nötig, ihm sowohl in historischer als auch in systematisch-theologischer Hinsicht nachzugehen. Wenige Themen einer Theologie der Spiritualität eignen sich so gut für eine genealogische Nachzeichnung wie diese Unterscheidung. In ihrem Bedeutungswandel und der gegen sie gerichteten Kritik zeigt sich nicht nur, wie sich die Leitparadigmen christlicher Spiritualität wandeln, sondern ebenso ihre Abhängigkeit von gesellschaftlichen und geistesgeschichtlichen Entwicklungen. Die aristotelische Unterscheidung zwischen dem bios praktikos und dem bios theoretikos bot der altkirchlichen und mittelalterlichen Mystagogie die Möglichkeit, die Vielfalt der Lebensformen durch ein einfaches Ordnungsmodell zu erfassen. Die biblische Matrix, die für die christliche Aufnahme dieser Unterscheidung zur Verfügung stand, ist reichhaltiger, als oft vermutet wird. Die alttestamentliche Sabbatkultur relativiert das praktische Leben in seiner werktäglichen und politischen Gestalt im Horizont von Schöpfung und Erlösung. Das ruhevolle Leben ist als Teilhabe an der Ruhe Gottes nicht
Anfagen an die klassische Unterscheidung
Biblische Quellen einer christlichen vita contemplativa
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III. Spirituelle Lebensformen
Frühpatristische Rezeption des aristotelischen Duals
Die evagrianische Zweiteilung des spirituellen Lebens
nur ein ausgezeichneter Modus menschlicher Existenz, sondern zumindest nach Gen 1 deren Zielgestalt. Die christlichen Interpreten des geistlichen Lebens konnten an die alttestamentliche Kultivierung der Ruhe und der Beschaulichkeit anknüpfen. Aelred von Rievaulx beschreibt die christliche Kontemplation als ,sabbatizatio‘: als Einschwingen in eine sabbatliche Existenz (Ruh/47:338). Auch im Neuen Testament finden sich Ansatzpunkte zu dem, was später als christliche vita contemplativa bezeichnet wurde. Die radikale Ausrichtung des Lebens auf die anbrechende Endzeit führt zu einer folgenreichen Relativierung aller menschlichen Aktivitäten. Im Horizont des Endgültigen konturiert sich die christliche vita activa als eine, die Gottes Reich, das sie ,kontemplativ‘ erwartet und ersehnt, vorzubereiten und zu bezeugen hat. Charakteristisch für die Schriften des Neuen Testaments ist es, dass sie noch diesseits aller Ausdifferenzierung unterschiedlicher christlicher Lebensformen durchgängig die Einheit von Glaube und Werken, Erkenntnis und Tun der Wahrheit, Hören und Fruchtbringen betonen. Der um 200 n. Chr. einsetzende Versuch, die Potentiale der aristotelischen Unterscheidung christlich zu nutzen, ist noch spürbar vom neutestamentlichen Einheitsideal bestimmt. Bei Klemens von Alexandrien, der als erster Kirchenvater das Begriffspaar theoria und praxis ausgiebig verwendet und im Anschluss an Philo die Unterscheidung zwischen einem bios theoretikos und einem bios praktikos in die christliche Theologie übernimmt, finden sich zwar schon die ersten Ansätze einer Höherstellung des kontemplativen Lebens, doch bleibt das Leitbild einer harmonischen Einheit von Leben und Lehre bestimmend. Wie bei Philo ist es auch bei Klemens die Vorstellung eines ebenso schöpferischen wie ruhenden Gottes, die die Konzeption des religiösen Lebens bestimmt. Bei Origenes wird dieses Interpretationsmodell nur zum Teil aufgenommen. Nach einer umfangreichen Studie von Wolfgang Vogl entwirft dieser zwar ebenfalls ein christliches Kontemplationsideal, vertritt jedoch „keine Lehre von der Überlegenheit des kontemplativen Lebens“ (302:625). Origenes, dem das Martyrium als Höchstform christlicher Nachfolge vor Augen stand, zeichnete den Weg des christlichen Reifens nicht als einlinige Bewegung von der Praxis zur Kontemplation des Glaubens, sondern als deren wachsende Integration. Den Vorzug Marias vor Martha besteht nach Origenes nicht darin, dass sie dem kontemplativen Leben den Vorzug gibt, sondern dass sie dem Primat der Liebe mehr entspricht. Auch das christliche Mönchtum ist, sieht man vom Messalianismus und gnostisch beeinflussten Gruppen einmal ab, nicht umstandslos als kontemplative Bewegung zu interpretieren. Die frühen Anachoreten verstanden sich vor allem als Asketen, also als konsequente Praktiker, die von ihrer Handarbeit lebten und auf ihre Weise die Nächstenliebe zu verwirklichen suchten. Während die politische Praxis, die bei Aristoteles die ausgezeichnete Form des praktischen Lebens darstellte, in den christlichen Konzeptionen zunächst in den Hintergrund trat, wuchsen dem Begriff im monastischen Kontext neue Bedeutungen zu: Zum einen wird auch die mühevolle Erwerbsarbeit als Praxis verstanden. Zum anderen bekommt der Begriff bei Philo eine religiöse Einfärbung, die auch christlich übernommen wird: Praxis als Toragehorsam. Bei Evagrios Pontikos, der die ihm vorausgehende Tradition systematisiert und die weitere Entwicklung normiert, steht der Begriff
3. Spirituelle Lebensstände
für die erste, asketisch geprägte Phase des christlichen Weges zur Vollkommenheit. Die Therapie der Passionen, die die ,praktike‘ anzielt, dient als Vorbereitung zur ,gnostike‘, den kontemplativen Stufen des spirituellen Lebens (pract. 1 u. 78). Die ,gnostike‘, die sich nach Evagrios sowohl der sichtbaren als auch göttlichen Wirklichkeit zuwenden kann, wird ähnlich wie bei Aristoteles als höchste Aktivität des Intellekts konzipiert. Das utopische bzw. nostalgische Moment, das der Vorstellung vom beschaulichen Leben schon in der griechisch-römischen Antike eignete, erfuhr insofern eine christliche Umprägung, als die Suche nach dem hesychion bion (1 Tim 2,2) und die Sehnsucht nach der kontemplativen Erfahrung in einem eschatologisch bestimmten Horizont interpretiert wurden. Der ewige Sabbat und die glückselige Gottesschau werfen ihr Licht bereits in die vergehende Weltzeit. Die christliche Praxis dient der Polis nach diesem Verständnis am meisten, wenn sie schon an der künftigen Welt baut, deren Ruhe und Lichtfülle die kontemplative Schau bereits wahrnehmen zu können glaubt. Obwohl das Mönchtum zunehmend als die institutionalisierte Verwirklichung einer christlichen vita contemplativa interpretiert wird, die sich ganz der zukünftigen Welt widmet, sind die Verhältnisbestimmungen zwischen den beiden Grundtypen christlichen Lebens auch im Mittelalter differenzierter, als es oft wahrgenommen wird. Nicht erst die Armutsbewegungen des zwölften und dreizehnten Jahrhunderts und – in ihrer Folge – auch Gelehrte wie Meister Eckhart unterstreichen den Vorrang der vita apostolica. Schon Gregor der Große kommt in seinem Vergleich zwischen der kontemplativen Rachel und der aktiven Lea zu einem differenzierten und unmissverständlichen Ergebnis: „Rachel hatte glänzende Augen und war unfruchtbar, Lea hatte matte Augen und war fruchtbar, denn das beschauliche Leben ist eine Liebkosung der Seele, aber da es in der Stille nach Ruhe strebt, zeugt es keine Söhne aus der Glaubensverkündigung“ (in Ezech. 40,5; 14:290 f.). Die Dialektik zwischen dem überschwänglichen Gewinn der vita contemplativa und der apostolischen und karitativen Notwendigkeit eines Engagements in der Welt und für sie wird auch von Thomas von Aquin herausgestellt, der die vita mixta jener Orden auszeichnet, die zum Lehren und Predigen bestimmt sind (S.th. II-II 188,6; 182,1 zu 3.). In spätmittelalterlicher Zeit tritt zunehmend ins Bewusstsein, dass die vita apostolica als Nachfolge des Gekreuzigten nicht nur als vita activa, sondern ebenso und grundlegender als vita passiva zu beschreiben ist. Für Predigermönche wie Heinrich Seuse und Johannes Tauler, die sich in bewegten Zeiten von der klösterlich geregelten vita contemplativa zugunsten eines apostolischen Auftrags verabschiedet haben, verliert die klassische Unterscheidung zwischen aktivem und beschaulichem Leben an Bedeutung. Was sie lebten und predigten, war weder das eine noch das andere, sondern deren Einheit in einem ,leidentlichen‘ Leben. In transformierender Rezeption mittelalterlicher Mystik und Passionsfrömmigkeit rückt schließlich bei Luther eine solche apostolische vita passiva in den Horizont der Rechtfertigungslehre und der reformatorischen Kirchen- und Scholastikkritik. Nach dem Reformator ist es nicht biblisch zu begründen, das christliche Leben in ein aktives und ein kontemplatives zu unterteilen. Zum anderen sei die vita activa nicht die Vorstufe christlicher Vollkommenheit, sondern die Frucht der ,rein passiv‘ empfangenen Rechtfertigung (Stoellger/465).
vita apostolica – vita mixta – vita passiva
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III. Spirituelle Lebensformen Neuzeitliche Kritik am kontemplativen Ideal
Erosion der vita contemplativa in der Moderne
Neubewertung des kontemplativen Lebens im 20. Jh.
Das Ideal einer monastisch geprägten vita contemplativa gerät wenig später auch von anderer Seite unter Kritik. Die neuzeitliche Hochschätzung des aktiven Lebens, die weltbezogene und ,nützliche‘ Kontemplation der aufkommenden Naturwissenschaften und das ,Pathos‘ der Weltveränderung bringen die zweckfreie Kontemplation der Mönche zunehmend in den Verdacht einer faulen Weltflucht. Der einsamen Innenschau wird die auf technische Umgestaltung hin orientierte Welterforschung entgegengesetzt. An Stelle einer ungezwungenen Methodik geistlicher Schriftlesung und der unverfügbaren kontemplativen Erfahrung tritt das methodische Experiment, welches das Buch der Schöpfung, das nach Galilei in mathematischer Sprache geschrieben ist, zu entziffern versucht. Die neuzeitliche Infragestellung des kontemplativen Lebens kulminiert in den Säkularisationsschüben des 19. Jahrhunderts, die in der Aufhebung von Klöstern ihr Symbol finden. Es war nicht nur die starke Verbindung von ständischer Ordnung und klösterlichem Leben, die das kontemplative Leben in den Ruf des Vor- oder Antimodernen brachte. Die Beschaulichkeit selbst wirkte unter den Vorzeichen der anbrechenden Moderne als Bremsklotz des sozialen Wandels und wissenschaftlichen Fortschritts. Das aktive Leben in seiner bürgerlichen Gestalt findet in der Arbeit seine Grundart des Seins, Lebens und Strebens (Halder/ 257:88). Die bleibende Verwiesenheit von Arbeit und Kampf auf zweckfreie Muße und Beschaulichkeit, die sich auch noch in den utopischen Entwürfen von Karl Marx, Ernst Bloch und Theodor W. Adorno findet, überlebt in der modernen Arbeitswelt in Gestalt einer Freizeit, die von der Beschleunigung des Lebenstempos nicht verschont bleibt. Zu den Kennzeichen der gegenwärtigen Epoche gehört, dass im Zuge dieser Beschleunigungsdynamik auch das alte Ideal der vita contemplativa wieder an Attraktivität gewinnt. Auch in dieser Hinsicht ist Nietzsche ein Vordenker der Postmoderne: „Zu keiner Zeit haben die Tätigen, das heißt die Ruhelosen, mehr gegolten. Es gehört deshalb zu den notwendigen Korrekturen, welche man am Charakter der Menschheit vornehmen muß, das beschauliche Element in großem Maße zu verstärken“ (24:232). Innerhalb der katholischen Theologie, die die Legitimität einer christlichen vita contemplativa nie grundsätzlich in Frage gestellt hat, kommt es im 20. Jahrhundert zu einer bemerkenswerten Neuakzentuierung dieses Ideals. Zum einen setzte sich im Laufe einer intensiv geführten theologischen Diskussion diejenige Position durch, die eine allgemeine Berufung zur Kontemplation vertrat (Rahner/287:527 f.). In der Liturgie als dem Ort, an dem sich die verschiedenen Lebensweisen feiernd, schauend und anbetend treffen, kommt diese gemeinsame kontemplative Berufung besonders deutlich zum Ausdruck (Halder/257:83). Da nicht alle Christen ihre kontemplative Berufung verwirklichen, ist es für das kirchliche Leben bedeutsam, dass es Menschen gibt, die sich in besonderer Weise dem kontemplativen Leben verschreiben. Eine breite Aufnahme erfährt auch das jesuitische Leitbild des contemplativus in actione: Bereits vor dem II. Vatikanischen Konzil wurde es nicht nur von neuen religiösen Gemeinschaften übernommen, sondern auch auf das christliche Leben in der Welt im Allgemeinen übertragen. Das Band zwischen Weltflucht und kontemplativem Leben wird damit endgültig durchschnitten. In der Folge der fernöstlich inspirierten Meditationsbewegung und der schockartig einsetzenden Einsicht in die Grenzen des Wachstums
3. Spirituelle Lebensstände
kommt es schließlich zu einer weiteren Aufwertung des kontemplativen Lebens, das sich nun auch als Weg der heilsamen Entschleunigung anbietet. In systematisch-theologischer Hinsicht sind mehrere Fragen zu erörtern: Klärungsbedürftig ist zum einen der Kontemplationsbegriff. Darauf werde ich weiter unten zurückkommen (IV.2). Eine zweite Frage betrifft das Verhältnis zwischen dem Dual ,Kampf und Kontemplation‘ und dem Singular der vita passiva. Karl Rahner schlug vor, den aristotelischen Dual der Lebensweisen paulinisch zu interpretieren: Die vita contemplativa sei als Sterben mit Christus, die vita activa als Leben mit ihm zu verstehen (139:44 f.). Läge es aber nicht näher, dem Sterben die vita passiva zuzuordnen, dem neuen Leben hingegen zwei Formen neugeschenkten Lebens, das ebenso aktiv wie kontemplativ, werktäglich wie sonntäglich sein kann? Vita passiva kann auch als grundlegende Bestimmung christlichen Lebens verstanden werden. Als geistbestimmtes Leben steht christliche Existenz, vor allem geistbestimmte Tun und Lassen, im Zeichen der transformierenden Gabe des Geistes. Schließlich stellt sich auch die Frage, wie die eschatologische Dimension des christlichen Lebens, die der vita contemplativa in besonderer Weise zugeschrieben wurde, im Rahmen einer heutigen Theologie der Spiritualität so artikuliert werden kann, dass sie nicht nur als abstraktes Postulat erscheint. Von den frühen Zisterziensern, Bonaventura und auch von Voetius, der im Rahmen seiner Aszetik zwei Kapitel der Sonntagskultur widmete, legt es sich nahe, die kontemplative Dimension des christlichen Lebens vom innerzeitlichen und ewigen Sabbat her zu bestimmen. Als sabbatizatio ist christliche Kontemplation mehr als eine notwendige Unterbrechung und Entschleunigung einer selbstzerstörerischen vita hyperactiva: Sie weist auch voraus auf ein Ausstehendes, auf Leben, das im Kommen ist. Der überlieferte Dual von aktivem und kontemplativem Leben findet sich heute als zweifaches Verhältnis zur Zeit wieder: als geduldiges Engagement in der vergehenden Zeit und als kontemplative Wertschätzung des Gegenwärtigen und in der Gegenwart Ankommenden. An die Stelle der angstvollbegehrlichen Prospektivität, durch die man sich und andere in Zeitnot bringt und die eigene und meist auch fremde Lebenszeit nutzlos verschlingt, tritt dort, wo die verborgene Gegenwart Gottes lebensbestimmend wird, eine hoffende Gelassenheit, die im Fragment des Alltags den Anbruch der messianischen Zeit wahrzunehmen vermag. Das Evangelium von der Nähe Gottes, das die Gegenwart vom Druck der Sorge um die eigene Zukunft entlastet, eröffnet auch eine neue, nicht an „Fristen und Zeiten“ (Apg 1,7) gebundene Prospektivität, die mehr erhofft, als die bisherige Weltgeschichte verspricht.
Systematischtheologische Fragen
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IV. Spirituelle Grundvollzüge Wie sich das Leben der Kirche in ihren liturgischen Feiern verdichtet, so das geistliche Leben der Glaubenden im persönlichen Gebet. Nach Romano Guardini ist das Gebet der Atem des Glaubens: „Das Gebet (…) ist der elementarste Akt des Glaubens, so wie der Atem der unmittelbarste Akt des Lebens ist (…). Es ist wirklich wie mit dem Atem: sobald Leben da ist, atmet es, und aus dem Atem lebt es wiederum. Wird es schwach, dann hört es nicht auf, sondern atmet fort, soviel es kann und erholt sich daheraus“ (178:245). Wenn ich mich in den folgenden Abschnitten unter der Überschrift ,spirituelle Grundvollzüge‘ allein auf das Gebet, die Meditation und die Kontemplation konzentriere, ist dies als fokussierende Beschränkung auf das zentrale Thema zu verstehen. Im Gebet zeigt sich en miniature, was geistliches Leben insgesamt ausmacht (I. T. Ramsey; 168:13).
1. Grundformen christlichen Betens Beginnen wir wiederum mit einigen begrifflichen Bestimmungen. Im weitesten Sinne umfasst das christliche Gebet neben ausdrücklichen Gebetsakten (Lob, Dank, Bitte und Klage) auch Formen der Meditation und der Kontemplation. Im engeren Sinne ist Gebet als symbolisierende Handlung zu bestimmen, durch die Menschen sich bewusst in Beziehung setzen zu dem Gott Jesu Christi (kommunikativer Sinn) bzw. in Worten, Gesten und Haltungen vor Gott etwas zum Ausdruck bringen, was sie bewegt (expressiver Sinn). Betende öffnen sich Gottes Gegenwart, indem sie ihr Herz ausschütten, loben und klagen, bitten und danken und so in einen Austausch treten mit Gott als dem Adressaten ihres Gebetsvollzugs (Härle/185:232 f.). Ich konzentriere mich im folgenden Abschnitt auf das Gebet im engeren Sinne und frage zunächst nach dem Verhältnis zwischen persönlichem Gebet und kirchlicher Liturgie. In einem zweiten Schritt erkunde ich den inneren Zusammenhang von Lob, Dank, Bitte und Klage. Den besonderen Problemen, die die Praxis des Bittgebets aufwirft, ist das dritte Unterkapitel gewidmet. 1.1 Liturgie und Spiritualität Entfremdung zwischen Liturgie und Spiritualität
„Darf man während der Messe beten oder meditieren?“ Diese merkwürdige Frage, die eine tiefgreifende Entfremdung von Liturgie und persönlichem Gebet zum Ausdruck bringt, ist im Kontext der vorkonziliaren katholischen Liturgie verortet (Barile/157: 50 f.). Während der Priester vor dem Hochaltar die lateinischen Messgebete las, versenkte sich ein Teil der Gläubigen in das Rosenkranzgebet. Andere zogen ein Gebetsbüchlein hervor oder meditierten im ,Schott‘. Jacques Maritain, ein führender katholischer Intellektueller dieser Zeit, vertrat noch kurz vor dem Zweiten Vatikanum die Ansicht, die Qualität einer Liturgie zeige sich daran, dass sie die persönliche Kontempla-
1. Grundformen christlichen Betens
tion fördere (195). Die Entfremdung von Liturgie und persönlicher Spiritualität ereignet sich nicht erst in der Moderne. Um nur ein prominentes Beispiel aus früherer Zeit herauszugreifen: Ignatius von Loyola las, als er noch nicht ordiniert war, während der Messe gewöhnlich die Leidensgeschichte Jesu (Bericht d. Pilgers 20). Die Einheit von liturgischem und persönlichem Gebet zerbrach bereits im Mittelalter. Nach Hans-Bernhard Mayer lässt sich die Geschichte des Verhältnisses von Liturgie und Spiritualität in vier Epochen aufteilen: „1. Die Zeit der Frühen Kirche und der Väter, wo Liturgie und Spiritualität in Theologie und Lebenspraxis eine selbstverständliche Einheit bildeten; 2. Das frühe und hohe Mittelalter, wo diese Einheit vor allem in der sapientialen Theologie und im Leben der Mönche noch fortbestand; 3. Das späte Mittelalter und die Neuzeit, wo sie brüchig wurde und schließlich zerfiel; 4. Die Neuste Zeit, wo man versucht, die ursprüngliche Einheit wiederzugewinnen“ (201:276). Trotz intensiven theologischen und pastoralen Bemühungen ist die Zusammengehörigkeit von Liturgie und Spiritualität nach wie vor wenig selbstverständlich. Der Eindruck eines Gegensatzes zwischen kirchlicher Objektivität und spiritueller Subjektivität, zwischen ,starrer‘ Äußerlichkeit und ,weicher‘ Innerlichkeit gehört zu den mentalitätsprägenden Vorstellungen, die die spirituelle Suche der Gegenwart bestimmen. Eine Theologie der Spiritualität steht hier vor der Aufgabe, nicht nur die Ursachen dieser Entfremdung zu analysieren, sondern auch auf die Möglichkeiten zu reflektieren, das Schisma von Liturgie und Spiritualität zu überwinden. Um das Problemfeld abzuschreiten, erkunde ich zunächst das biblische Zeugnis und versuche anschließend, das Verhältnis zwischen Liturgie und Spiritualität positiv zu bestimmen. 1.1.1 Verborgenheit und eschatologische Öffentlichkeit In der Bergpredigt ermahnt Jesus die Jünger und das ihm zugewandte Volk, nicht in der Öffentlichkeit, sondern in der Verborgenheit zu beten (Mt 6,5 f.). Was das heißt, lebt er ihnen vor. Für sein Gebet sucht er die Einsamkeit. Er zieht sich zurück an Orte, wo ihn niemand sieht und stört: Wüsten, Berge und Gärten. Gleichzeitig übernimmt er in der von ihm begründeten Mahlund Weggemeinschaft die Rolle des Vorbeters und besucht mit seinen Jüngern auch die Synagoge und den Tempel. In der frühen Christenheit ist eine ähnliche Zweipoligkeit zu beobachten. Bei Paulus sind persönliches Beten und liturgisches Gebet eng miteinander verwoben. Das Seufzen des Geistes im Herzen der Gläubigen (Röm 8,26) dürfte dem gottesdienstlichen Gebetsruf „Abba, Vater!“ (Röm 8,15, Gal 4,6) entsprechen, der möglicherweise „eine Verselbständigung der Gebetsanrede des Vaterunsers“ darstellt (Wilkens/480:137). Eine ähnliche Verschränkung findet sich auch im lukanischen Doppelwerk, das mit der Beschreibung einer persönlichen Gebetserfahrung in einem liturgischen Kontext beginnt: Im Tempel von Jerusalem bei der Darbringung des Rauchopfers widerfährt dem Priester Zacharias etwas, was ihm vorübergehend die Stimme verschlägt: eine Engelsschau, die sogleich mit der Vision parallelisiert wird, die Maria im ,stillen Kämmerlein‘ von Nazareth zuteil wird (Lk 1,5–38). Auch in der Apostelgeschichte, die im Zeichen des gemeinsamen Betens und Lebens beginnt (Apg 1,14 u. 2,1 ff.), kennt als Gegenpol das persönliche Gebet. So erzählt sie beispielsweise
Wüste und Tempel
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IV. Spirituelle Grundvollzüge
vom intensiven Gebetsleben des römischen Hauptmanns Kornelius und davon, dass Petrus, der bei ihm zu Gast ist, auf das Dach steigt, um ungestört beten zu können (Apg 10,9). Die Zweipoligkeit von Kirche und Kämmerlein bzw. von liturgischer Öffentlichkeit und der Verborgenheit persönlichen Betens ist für das christliche Gebet von Anfang an konstitutiv. Man könnte von einem produktiven Spannungsverhältnis reden: Auf der einen Seite führt das persönliche Beten die Nachfolgerinnen und Nachfolger Christi in die Wüste, in die Einsamkeit und Gottunmittelbarkeit. Das Gebet im Verborgenen ist dabei eher der Ort des geistlichen Kampfes, der Klage und der Bitte, des betenden Suchens und Fragens. Auf der anderen Seite führt das Gebet zur Gemeinschaft. In der kirchlichen Versammlung, im feierlichen Brechen des Brotes wird eine besondere Solidarität vor Gott, wird seine Präsenz unter den Menschen erfahrbar. An diesem Gebetsort überwiegen die Danksagung, die Anbetung und das Lob. Das kirchliche Gebet vollzieht sich, anders als das Gebet im Verborgenen, in „eschatologischer Öffentlichkeit“. Es antizipiert zeichenhaft die endzeitliche Sammlung vor Gott (Meßner/199:151). Offenkundig können sich öffentliches und verborgenes Beten verschränken. Oft werden beide Formen des christlichen Gebets am gleichen Ort (gleichzeitig oder im Wechsel) vollzogen. Die Benediktsregel, die auch in dieser Hinsicht exemplarisch ist, beschreibt das Oratorium ebenso als Raum des gemeinsamen Chorgebets wie des stillen Betens und Verweilens (RB 52). Besonders in orthodoxer und katholischer Tradition sind liturgische Räume meist auch als einladende Orte für das persönliche Gebet gestaltet: Die Gegenwart Christi und seiner sichtbaren und unsichtbaren Kirche wird erfahrbar in besonderen Zeichen: Kerzen und das ,ewige Licht‘, Ikonen und der Tabernakel verbinden das persönliche Beten mit der kirchlichen Liturgie und verlängern diese in das alltägliche Gebet der Gläubigen. 1.1.2 Liturgie und Leben Liturgie und Leben als Wirkgefüge
Während sich die enge Verschränkung von liturgischem und persönlichem Gebet im Rückgriff auf biblische Vorgaben leicht aufzeigen lässt, ist es bedeutend schwieriger, das Verhältnis zwischen kirchlicher Liturgie und persönlicher Spiritualität angemessen zu beschreiben. Die klassische Schultheologie konzipierte es in erster Linie als Beziehung zwischen Wirkursache und Wirkung: Im alltäglichen Lebensvollzug der Glaubenden soll zur Auswirkung kommen, was ihnen durch die Sakramente zugeeignet wird. Der Primat von Gottes Gabe vor der menschlichen Aufgabe bzw. der Vorrang des göttlichen Wirkens am Menschen vor dessen eigener Wirksamkeit wird in dieser Konzeption deutlich hervorgehoben (Barile/157:56 f.). Die scholastische Verhältnisbestimmung vermag das reiche Beziehungsgeflecht zwischen liturgischem Vollzug und geistbestimmtem Leben jedoch nur verkürzt zu erfassen. Da geistliches Leben nicht erst nach der Liturgie beginnt, sondern ihr vorausgeht und ihren Mitvollzug ermöglicht, dürfte es angemessener sein, Liturgie und geistliches Leben als ein einziges Handlungs- und Erfahrungsgefüge zu betrachten: „Die sakramentlichen Feiern der Kirche (…) sind ein Geschehen, in dem sich liturgisches Handeln und geistliches Tun ,ungetrennt und unvermischt‘ miteinander verbinden. (…) Von daher kann man sagen, daß die Feier der Liturgie eine Hochform geistlich-geistvol-
1. Grundformen christlichen Betens
len Handelns ist“ (Meyer/201:269). Liturgie und Spiritualität sind nach Meyer zwei „unverzichtbare und gleichwertige, aufeinander verwiesene, ja teilweise einander durchdringende Ausdrucksformen christlich-kirchlichen Lebens“ (201:270). Umstritten ist, ob christliche Spiritualität im Vollsinn immer auch ,liturgische Spiritualität‘ ist. Gegen eine solche Gleichsetzung, wie sie die liturgische Bewegung des letzten Jahrhunderts postulierte, spricht nicht zuletzt die Tatsache, dass sich in den Schriften bedeutender Vertreter christlicher Spiritualität, etwa bei Meister Eckhart, nur spärliche Bezüge zur Liturgie finden. Unklar ist auch, was genau erfüllt sein müsste, damit von einer ,liturgischen Spiritualität‘ gesprochen werden kann. Fasst man den Begriff genügend weit und berücksichtigt zudem, dass nicht alles, was eine bestimmte Ausdrucksgestalt christlicher Spiritualität prägt, von dieser ausdrücklich reflektiert wird, so kann das Postulat der liturgischen Bewegung als Erinnerung an die kirchlich-gemeinschaftliche Formierung christlicher Spiritualität verstanden werden. Insofern geistliches Leben in der Nachfolge Christi grundlegend auf Taufe und Eucharistie verwiesen ist, kann gesagt werden, dass sich christliche Spiritualität aus liturgischen Feiern nährt bzw. in ihnen zum Ausdruck kommt und insofern als liturgische Spiritualität zu bezeichnen ist. Die Forderung, das Schisma von Spiritualität und Liturgie zu überwinden und nach einer ,liturgischen Spiritualität‘ suchen, bedeutet dann noch nicht, einen bestimmten, stark liturgisch geformten Frömmigkeitsstil besonders auszuzeichnen. Einer ,liturgischen Spiritualität‘ im engeren Sinne dürfte aber die Aufgabe zukommen, die lebensprägende Bedeutung der Liturgie in Erinnerung zu halten. Fragt man nach der besonderen Bedeutung der Liturgie für die Spiritualität der Christen, so kann man gleichermaßen auf ihre mystagogische wie auf ihre pädagogische Funktion verweisen. Da ich auf die mystagogische Dimension der Liturgie bereits im Zusammenhang mit der Taufe eingegangen bin, werde ich im Folgenden stärker ihre gebetspädagogische Rolle betonen.
Christliche Spiritualität als ,liturgische Spiritualität‘?
1.1.3 Liturgie als Schule des Betens Menschen finden zur Sprache, indem sie Vorgesprochenes nachsprechend mitvollziehen: „Wer nicht nachsprechen will, lernt nicht nur niemals mitzusprechen, er bleibt stumm und findet nie zum eigenen Wort“ (Häussling/ 187:263). Was für den Spracherwerb gilt, trifft auch auf das Gebet zu: Beten lernt man durch Nachbeten. Die Praxis christlichen Gebetes tradiert sich in der Weitergabe von Grundgebeten und den mit ihnen verbundenen Gebetsgesten und -haltungen: „Von Generation zu Generation geben Religionen einige Gebete weiter, die durch viele Zeiten hindurch ihre Sprach- und Gemeinschaftskraft nicht eingebüßt haben und mit ihrer Breviloquenz (knappen Formulierung) jedes schwadronierende Betgerede beschämen“ (Marti/ 439:13). Neben dem Psalter ist es besonders das liturgische Gebet, durch das die ,Grammatik‘ des christlichen Gebets angeeignet werden kann. Nach Huub Oosterhuis vermittelt die Liturgie „uns Formen der Expressivität, während wir selbst oft noch formlos und ohne inspirative Kraft sind“ (206:159). Im Erlernen einer Gebetssprache finden Betende zu differenzierten Ausdrucksformen, in denen sie sich und ihre Anliegen vor Gott zur Sprache
Beten heißt Nachbeten
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IV. Spirituelle Grundvollzüge
Christus als Vorbeter
Durch Christus im Heiligen Geist zum Vater beten
bringen können. Das Nachbeten soll zu einem Mit- und Vorbeten werden, in dem sich die eigene Stimme entfalten kann. Dass Menschen nur durch antwortendes Nachsprechen zu ihrem Gebetswort finden, ist ekklesiologisch bedeutsam. Herausgeführt aus einer monologischen Existenz werden betende Menschen hineingeführt in den Erinnerungsraum einer zeitüberdauernden Gebetsversammlung. Christinnen und Christen lernen in der Liturgie mit Christus aus der Kraft des Geistes zum Vater zu beten. Sie treten so in die ,Gebetsnachfolge‘ Christi als dem christlichen Vorbeter schlechthin, der seinerseits mit den Worten des Psalters zum Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs, zum Gott Saras, Rebekkas, Leas und Rahels betete. Nach Augustinus findet sich seine Stimme „in allen Psalmen – eine glücklich singende Stimme, eine stöhnende Stimme, eine Stimme, jubelnd in Hoffnung, seufzend in ihrem gegenwärtigen Zustand –, wir sollten diese Stimme gut kennen, zuinnerst spüren, sie zu unserer eigenen machen“ (enarr. in Ps. 42,1; 238:226). Im antwortenden Nachsprechen und ihrer Orientierung am gemeinsamen Vorbeter stimmen Glaubende ein ins Gebetsgemurmel, das sich durch die Jahrhunderte zieht, in den „Hundert-Stimmen-Strom“, in dem „die EINE, die verlässliche Stimme, der geselligen Gottheit laut“ wird (Marti/196:11 f.). Im Nach- und Mitbeten vorgeprägter Gebete lernen Christen den dreieinen Gott beim Namen zu nennen. Sie üben sich ein, im Namen Jesu Christi zu beten und nicht nur mit ihm, sondern auch durch ihn und in ihm zum Vater zu beten. Im Gebet durch Christus kommen zwei Aspekte zusammen, die zu unterscheiden sind: Zum einen nimmt ein solches Beten die durch Jesus geschehende Selbstoffenbarung Gottes in Anspruch, die ihn als den endzeitlichen Messias, den von Gott Gesalbten, den Christus, ausweist. Gottes Selbstidentifikation mit dem Gekreuzigten macht diesen zum Ursakrament, durch das Menschen Gottes Zuwendung und Liebe erfahren dürfen. Sie lässt ihn zur Türe werden, durch die Menschen zur Gemeinschaft mit Gott gelangen. Durch Christus zum Vater zu beten, bedeutet zum anderen, sich darauf zu verlassen, dass Jesus als der Erstgeborene von vielen Geschwistern heute noch Vorbeter und Fürbitter ist, auf den man sich im Gebet vertrauensvoll beziehen darf. „Diese Fürbitte des zu Gott Erhöhten bedeutet für unser Beten (…), daß wir seine Hilfe zum Beten brauchen und daß wir auf Grund des Seins des Sohnes beim Vater unsererseits mit unserem Beten in direkter Verbindung mit dem Vater stehen“ (Cullmann/169:132). Im Heiligen Geist betet, wer wahrnimmt und zulässt, dass Gottes Geist in ihm seufzt und seine Schwachheit betend umfängt (Röm 8,26). Christliches Beten ist nach seinem eigenen Verständnis inspiriert, vom Geist eingegeben und getragen – oder es verkommt zu einem selbstbezogenen Geplapper. An Gott den Vater, welcher der Gott der Väter und Mütter Israels und der Gott Jesu Christi ist, richtet sich christliches Beten, insofern es „das Gebet Jesu Christi in seinen Gliedern“ ist (J. M. Tillard; 76:96). Im Beten des Vaterunsers treten Menschen ein in das Gespräch Jesu mit Gott. Sie erhalten Anteil an seiner Gebetsintimität, die sich im vertraulichen Abba-Ruf artikuliert. Durch die Aufnahme der Gottesanrede Jesu, in der sich seine Gottesbeziehung und die Erfahrung der heilsamen Nähe des Himmelreiches verdichten, erschließt sich der geheimnisvolle Gott als personale und vertrauenswürdige Gegenwart.
1. Grundformen christlichen Betens
Die Liturgie vermittelt nicht nur eine konkrete Gebetssprache, sondern weckt und nährt auch die Sehnsucht und formt das Wünschen der Betenden. Im Nach- und Mitbeten verbinden sich Christen zum einen mit dem Ursprung ihres Gebets, zum anderen aber strecken sie sich in geistgeweckter Sehnsucht aus nach der vollen Verwirklichung der messianischen Zeit (Röm 8,19 ff.). Das Neue Testament endet nicht zufällig mit der Einladung, das sehnsüchtige Gebet um das Kommen des messianischen Bräutigams mitzusprechen und mitzuseufzen: „Der Geist und die Braut aber sagen: ,Komm!‘ Und wer es hört, der rufe: ,Komm!‘“ (Offb 22,17). Das letzte Buch der Heiligen Schrift zeichnet ein einprägsames Bild, wie solches Beten vermittelt wird: In seinen auf Patmos empfangenen Visionen nimmt Johannes hörend und sehend teil an der himmlischen Liturgie und stimmt in eigenen Worten ein in den Vollzug von Lobpreis und Bitte. Aus den Nachbetern sollen nicht nur Mitbeter, sondern auch Vorbeter werden. Liturgisches Beten ist insofern auch Einübung in stellvertretendes Gebet. Wer sich, berührt und geweckt durch den lebendigen Geist Gottes, in die lange Kette derer einreiht, die vor ihm dieselben Gebete gesprochen haben, wird dadurch zum Zeugen und Stellvertreter, der andern den Zugang zum Gespräch mit dem Ewigen offenhält und ,Gebetsnachfolge‘ ermöglicht: „Er tritt ein in den Auftrag, stellvertretend für die Vielen zu sprechen, und macht den Vielen, die er nicht kennt, das Eintreten möglich in die Korrelation zu Gott, die ihm (…) gewährt worden ist. So stiftet der Beter zugleich die Möglichkeit einer Gebetsnachfolge: Sein Gotteslob kann von Generation zu Generation weitergegeben werden“ (Schaeffler/211:201). Die Liturgie atmet im Wechsel von Schweigen und Wort, von vollzogener und geschauter Symbolhandlung, von Hören und Antworten. In ihr verdichtet sich nach der Liturgiekonstitution des II. Vatikanums zeichenhaft, dass „das Sichtbare auf das Unsichtbare, die Tätigkeit auf die Beschauung [contemplationi vacantem], das Gegenwärtige auf die künftige Stadt, die wir suchen“ hingeordnet ist (Sacrosanctum Concilium 2). Als Kultur der Sinnlichkeit führt die Liturgie ein in eine achtsame Wahrnehmung des Gegenwärtigen. Als festliche Unterbrechung des Alltags eröffnet sie Freiräume des gemeinschaftlichen Verweilens vor Gott. Dass die Liturgie auch heute noch in einer schlichten Weise zur Kontemplation hinzuführen vermag, lässt sich am Beispiel der Liturgie der Gemeinschaft von Taizé belegen: In den Minuten des Schweigens nach den Lesungen und Wechselgesängen öffnet sich, getragen von einer Atmosphäre dichter Gemeinschaft, ein Raum für das kontemplative Beten, für das anbetende Verweilen in der Gegenwart des Auferstandenen. Eine ähnliche Erfahrung bezeugt Carlo M. Martini, der als Erzbischof von Mailand eine ,Schule des Wortes‘ ins Leben rief, um die Praxis der lectio divina neu zu erschließen: „Wenn ich in den Pfarreien meiner Diözese einen feierlichen Gottesdienst halte, bemerke ich oft, dass wir auf eine ,ekstatische‘ Ebene kommen, wo jeder gewissermassen sich selbst vergisst und sich in einem gemeinsamen Aufschwung mit den anderen dem Geheimnis nähert. In solchen Momenten entfaltet die Liturgie geradezu greifbar ihre Wirkung. (…) Auch in der ,Schule des Wortes‘ lässt sich eine solche ,ekstatische‘ Dimension erkennen: Wenn auf die Verkündigung und Erklärung des
Schule der Sehnsucht
Einübung in Stellvertretung
Einübung in Stille und Kontemplation
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IV. Spirituelle Grundvollzüge
biblischen Textes in dem Dreischritt lectio – meditatio – contemplatio die Zeit der Stille folgt, erfährt man sich oft vereint in der Kontemplation des Angesichts Gottes und angezogen von der Macht des Heiligen Geistes. Auch dies ist eine lebendige ,liturgische‘ Erfahrung, in diesem Fall außerhalb der Eucharistiefeier.’’ (197:47) 1.2 Lob, Dank, Klage und Bitte Der Psalter als Antwort Israels
Christliches Gebet als Antwort auf das Christusereignis
Das Wechselverhältnis von gemeinschaftlichem und persönlichem Gebet, von Liturgie und geistlichem Leben manifestiert sich im biblischen Psalmenbuch auf besonders deutliche Weise: Die Ich-Rede des Psalmisten, deren Sitz im Leben teils persönliche und familiäre, teils kultische Gebetssituationen sind, ist eingefügt in das Wir der Gebetsgemeinschaft Israels. ,David‘, der königliche Mensch und der Sünder schlechthin, stimmt als Vorbeter Israels und der ganzen Schöpfung das Gotteslob an. Stellvertretend antwortet er „auf die erfahrene Zuwendung und auf die erlittene Verborgenheit seines Gottes“ (Zenger/483:323). Seine Antwort ist vielgestaltig und spannungsreich: In das Lob mischt sich die Klage, in den Dank die Bitte, das bedrohte Heilswerk nicht preiszugeben. Die von Hermann Gunkel eingeführte Unterscheidung in Klage-, Bitt-, Dank- und Lobpsalmen darf nicht vergessen lassen, dass diese Hauptgattungen meist gemischt vorkommen. Der spannungsreiche Wechsel der Gebetsformen ist nach Erich Zenger „ein Spiegel der widersprüchlichen Vielfalt des Lebens selbst, das in den sich immer neu und anders einstellenden Konstellationen mit Lob, Klage, Dank, Bitte, Reflexion, Zeugnis u. a. ausgehalten werden soll“ (483:323). Die Abfolge der Gebetstypen, die oft zufällig und sprunghaft wirkt, verrät aufs Ganze gesehen eine sinnreiche Struktur: „Wie die einzelnen Klagepsalmen in ihrem Aufbau von der Klage zum Bekenntnis des Vertrauens bzw. zum Gotteslob (…) schreiten, so ist auch der Psalter in seiner Gesamtarchitektur (in den ersten drei Büchern überwiegt die Klage, die letzten zwei Bücher sind vom Hymnus/Lobpreis bestimmt) eine Bewegung von der Klage zum Lobpreis Gottes“ (483:324). Der vielgestaltige Gebetsstrom mündet in den letzten fünf Psalmen in einen wachsenden Jubel, der im letzten Psalm mit einem großen Finale ausklingt. Die im Judentum übliche Bezeichnung des Psalters als ,(Buch der) Lobpreisungen‘ (sefer tehilim) unterstreicht, dass er „trotz seiner zahlreichen Klagepsalmen ein ins Überdimensionale gesteigerter Lobpreis Gottes ist“ (Janowski/190:401). Die dynamische Bewegung von der Klage zum Lob findet sich auch im Gebetsprozess, den viele Einzelpsalmen beschreiben: Auf dem Höhepunkt der Klage bricht plötzlich das Lob durch (Ps 3,8; 4,8 f.; 6,9 ff.; 22,22; 36,13; 64,8–10). Die meisten Klagepsalmen enden mit einer Vertrauensäußerung (Ps 17,15) oder mit einem Lobgelübde (Ps 7,18; 13,6). Wenn Christinnen und Christen psalmodierend in das Gebet Israels einstimmen, vollziehen sie es im Horizont des Christusereignisses und aus der neuen Präsenz des Geistes. Der königliche Vorbeter ist nun der Messias selbst, der klagt und bittet, der lobt und dankt. Israels Klage wird zur Passionsklage, Israels Lob zum Osterlob und zur geistgewirkten Jubilatio, das Dankgebet kulminiert in der Danksagung für Gottes Selbstgabe in Christus, die Bitte im Seufzen des Geistes, der als Vorgabe der noch ausstehenden
1. Grundformen christlichen Betens
Fülle gegeben ist (Röm 8,26). Christliches Beten respondiert der Anrede Gottes in Jesus Christus: „Die nachösterliche Gemeinde kommt in ihrem Gebet von Gottes Zusage her, die in Jesus Christus Gestalt gewonnen hat“ (Mössinger/202:114). Als „sprechender Glaube“ (Pesch/207) ist das christliche Gebet ein Bekenntnis, das durch eine doppelte Blickrichtung gekennzeichnet ist: Im Blick auf Gott ist es dankendes und lobendes Bekenntnis von Gottes Heil; im Rückblick des Beters auf sich selbst hingegen ist es auch ein Bekenntnis von Unheil und Schuld, das sich in Klage und Bitte artikuliert. Der Blickwechsel von der göttlichen misericordia zur menschlichen miseria und wieder zurück kennzeichnet christliches Beten und bewahrt es ebenso vor Selbsttäuschung wie vor Verzweiflung. Es macht sich so die Gebetserfahrung des Psalmisten zueigen, dass sich die Klage im Blick auf Gottes Heilswirken in Lob und Dank verwandeln kann – und ebenso, dass im Licht von Gottes Barmherzigkeit die menschliche Misere deutlicher hervortritt, was die Klage und Bitte weckt. Zum Klagegebet, das die Psalmen reich entfalten, entwickelte die christliche Gebetstradition ein zwiespältiges Verhältnis. Das Klagegebet gerät in Verdacht, als selbstbezogenes Jammern Zeichen fehlenden Gottvertrauens und mangelnder Dankbarkeit, ja eine Manifestation von Unglauben zu sein. Verträgt sich denn „die eschatologische Hoffnung des Glaubens mit der Trauer, die sich in der Klage ausspricht?“ (Harasta/183:VII). Doch was geht verloren, wenn die Klage, wie bereits bei manchen Kirchenvätern (Dassmann/170), verstummt? An die Stelle des früheren christlichen Unbehagens gegenüber der Klage ist heute ein Unbehagen gegenüber der christlich-theologischen ,Kriminalisierung‘ des Klagegebets (Holzem/188) getreten. Die Neubewertung der Klage in der jüngeren theologischen Literatur hat mehrere Gründe. Von praktisch-theologischer Seite wird auf die kathartische und heilende Kraft der Klage hingewiesen (Beirer/161). Exegetisch konnte überzeugend belegt werden, dass die Klage auch für das Neue Testament von zentraler Bedeutung ist (Ebner/172; Öhler/205). Der systematischen Theologie schließlich ist es suspekt geworden, mit Verweis auf die bereits geschehene Erlösung bzw. auf Gottes Vorsehung gegen die Klage zu argumentieren. Das christliche Klagegebet kann nicht auf die Bußklage, die Selbstanklage des sich an die Brust klopfenden Sünders, reduziert werden, sondern umfasst auch die Klage um unverschuldetes Leid, um zerstörtes Leben, um zerbrochene Liebe und Freundschaft. Die großen Katastrophen der letzten Jahre haben in den Kirchen den Sinn für die Klage neu geweckt. In den öffentlichen Trauer- und Gedenkgottesdiensten für die Opfer des 11. Septembers, des Amoklaufs im Kantonsparlament von Zug oder des ICE-Unglücks in Eschede war es das Klagegebet, das allein der gemeinsamen Bestürzung entsprach. Mit gutem Grund spielt oft der 22. Psalm in solchen Klageliturgien eine zentrale Rolle. Christliche Klage kommt von der Klage Christi her. Das Klagen vor Gott ist legitim, weil der Menschgewordene selbst geklagt hat: um den toten Freund (Joh 11,35) ebenso wie um das verstockte Jerusalem (Lk 19,41–44; 23,28). In der abgründigen Gottesfinsternis des Karfreitags stirbt er mit einem Klagegebet auf den Lippen (Mk 15,34). Im Anschluss an die Klage Christi äußert sich die christliche Klage sowohl als Klage gegenüber Gott („Warum hast Du mich verlassen?“) als auch als Klage mit Christus, die
Marginalisierung und Neubewertung der Klage
Christliche Klage und die Klage Christi
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IV. Spirituelle Grundvollzüge
Vor- und übersprachliche Grenzformen christlichen Betens
Deutungen der Glossolalie
an seinem Leiden an der Gottlosigkeit der Welt teilnimmt. Sie ist ebenso Gerechtigkeitsklage, die die ausstehende Erfüllung von Gottes Bundesverheißung einklagt, wie Liebesklage und als solche Ausdruck der „Trauer über die gefallene und vergehende Schöpfung“ (Harasta/184:224). Paradigmatisch für die christliche Liebesklage ist die Gestalt der weinenden Maria unter dem Kreuz, die durch die Pietà Michelangelos und das Stabat mater bleibend in die abendländische Spiritualitäts-, Kunst- und Kulturgeschichte eingegangen ist. Als „ernste Schwester des Lobes“ widersetzt sich die Klage der billigen Vertröstung und hält die Erinnerung an den Skandal des Kreuzes wach. In der christlichen Klage kann sich aber bereits das Osterlob anmelden. Als „die sanfte und helle Schwester der Klage“ erinnert das Lob „diese an die Hoffnung (…), aus der heraus der Schmerz erst in das Sprechen zum dreieinigen Gott finden kann“ (Harasta/183:XIII). Als nachösterliches Gebet bringt die christliche Klage den schmerzlichen Kontrast zwischen Heilserfahrung und Ausstand des Heils zur Sprache. Im Zeugnis der paulinischen Briefe erscheint die Klage derer, die in der Nachfolge des Gekreuzigten stehen, als Ausdruck der Sehnsucht des Geistes, als Teilhabe am Seufzen Gottes, der mit seiner Schöpfung in Geburtswehen liegt (Röm 8,18–27). In der Klage des Apostels artikuliert sich die Stimme der Hoffnung auf die Zukunft Christi. In ihr verbindet sich Aufschrei und Sehnsucht, Heilsgewissheit und Heilsverlangen (Öhler/205). Im Blick auf die erhoffte und herbeigesehnte endgültige Ankunft Christi, spricht sie „nicht nur aus, was beklagenswert ist, sondern spricht auch herbei, was ersehnt wird’’, und wird so zum „Weg, auf dem die Trauer Schritt für Schritt von der Freude eingeholt und zuletzt überholt werden kann’’ (Welz/222:136 f.). Christliches Gebet artikuliert sich nicht nur sprachlich, sondern auch somatisch. Im Lob und in der Klage drängt es in seinen sprachlichen Ausdrucksformen über die Sprache hinaus und verkörpert sich auf eigentümliche Weise. Wie die Klage in ein wortloses Seufzen und Weinen übergehen kann, so der Lob in Jubel und Zungenrede. Not und Freude wollen sich auch dort noch äußern, wo sie unsagbar werden. Die Zungenrede nimmt unter den vor- oder übersprachlichen Gebetsformen insofern eine besondere Stellung ein, als sie gegenwärtig in vielen Pfingstkirchen nicht nur als besondere Gebetsgabe, sondern als Erkennungszeichen wahren Christseins und als das Geistgebet schlechthin interpretiert wird. Wenn auch die neutestamentlichen Grundlagen eine solche Gleichsetzung nicht nahelegen, so ist gleichwohl nicht zu bestreiten, dass Paulus die Glossolalie nicht nur relativiert, sondern auch legitimiert. Er korrigiert zwar die in der Liturgie sich manifestierende Selbstüberschätzung der korinthischen Zungenredner, belässt der Glossolalie jedoch die Würde eines ,leuchtenden‘ Charismas. Das Phänomen der Zungenrede ist nicht einfach zu deuten. Im Streit der Interpretationen dürfen psychologische Erklärungsversuche und theologische Interpretationen nicht gegeneinander ausgespielt werden. Man kann die Glossolalie aus psychodynamischer Perspektive als eine oft heilsame „Regression auf ein aduales Welterleben“ (Theißen/468:312 f.) beschreiben und gleichzeitig die Selbstinterpretation der Betroffenen teilen, es handle sich dabei um eine besondere Geisterfahrung. So schreibt z. B. Norbert Baumert: „Der Betende kann darin [in der Glossolalie] mit größerer Leichtigkeit aussagen, was ihn vor Gott – bewußt oder unbewußt – bewegt, sei es Lob,
1. Grundformen christlichen Betens
Freude, Dank, Bitte, Klage, v. a. aber seine Liebe zu Gott. (…) Diese Gebetsgabe erleichtert die ganzheitliche Beziehung zu Gott; sie bringt leiblichen Ausdruck und seelische Tiefenschichten mit ins Spiel, löst Spannungen und hilft zur Integration der Gesamtpersönlichkeit“ (160:756 f.). In kriterieller Hinsicht bedeutsam ist, dass Paulus die von ihren Gebetsgaben begeisterten Glossolalen von Korinth ermahnt, das intellektuell geprägte Gebet (1 Kor 14,15) und die verständliche Rede (14,19) nicht gering zu schätzen. Das Zungengebet ist, so kann man den komplexen Gedankengang des Apostels resümieren, eine von vielen Gaben, deren Echtheit sich in sozialer Fruchtbarkeit, kirchlicher Selbstrelativierung und der Offenheit für nüchterne Reflexion zu erweisen hat. 1.3 Problemfeld Bittgebet „Das Charakteristikum des urchristlichen Betens ist die einzigartige Erhörungsgewißheit“ (Greeven/176:802). Auf das christliche Beten der Gegenwart dürfte diese Aussage allerdings nur mit Einschränkungen zu übertragen sein. Dass das Bittgebet und die Zusage seiner Erhörung im Zentrum der Gebetslehre Jesu steht, bereitet der christlichen Theologie und Gebetspädagogik der Gegenwart beträchtliche Schwierigkeiten. Bereits der frühste umfassende Gebetstraktat des Christentums, Origenes‘ De oratione, hat ein Problem zum Anlass, das sich am Bittgebet entzündet: Wenn Gott, wie Christen doch glauben, uneingeschränkt gütig, allmächtig und allwissend ist, erscheint es unsinnig, zu meinen, man könne und müsse ihn durch besondere Bitten dazu bewegen, das Gute, das man sich wünscht, herbeizuführen. Origenes führt die beiden Hauptargumente seiner Gegner an: Wenn zum einen Gott die zukünftigen Ereignisse vorher wisse und diese gemäß dem Ratschluss des Allmächtigen auch eintreten müssen, dann sei das Gebet zwecklos. Wenn zum anderen alles nach dem uneingeschränkt guten Willen Gottes geschehe, dann sei das Gebet überflüssig (or. 5,6). Im Laufe der letzten Jahrhunderte haben sich die Argumente gegen das Bittgebet weiter vermehrt: Verträgt sich diese Form christlichen Betens mit der Autonomie der Welt? Müsste Gott nicht gegen die von ihm selbst geschaffenen Naturgesetze verstoßen, wollte er in das Weltgeschehen eingreifen, um die Bitten der Menschen zu beantworten? Dient das Bittgebet nicht der Flucht vor selbstverantwortlichem Handeln? Ist das Bittgebet nicht eine kindliche Form des Betens, die einem mündigen Christen nicht gut ansteht? Gehört es nicht zur notwendigen Trauerarbeit, zum religiösen Erwachsenwerden, sich von einem Gott zu verabschieden, der scheinbar dazu herhalten muss, die unersättlichen Bedürfnisse des Menschen zu stillen? Diese Fragen berühren den christlichen Gottesglauben an einem zentralen Nerv und können ihn, wie unzählige Biographien zeigen, bleibend erschüttern. Die neuzeitlich-moderne Kritik des Bittgebets hat viele Christen in eine Gebetsparalyse gestürzt. Zwar müsste christliches Beten, das sich auch in Lob, Dank und Klage artikulieren kann, nicht verstummen, wenn es auf die Bitte verzichtete. Doch bedeutete ein solcher Verzicht zweifellos einen tiefgreifenden Traditionsbruch: Kann man nach einer Verabschiedung des Bittgebets die konkret gefassten Bitten des Vaterunsers noch aus ganzem Herzen mitbeten? Dass die Mühe mit dem Bittgebet nicht auf individuelle
Argumente gegen das Bittgebet
Neuzeitlichmoderne Gebetsparalyse
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IV. Spirituelle Grundvollzüge
Funktionale Begründungen
Gottes Handeln in der Welt
Problemlagen reduzierbar ist, wird theologisch allgemein unterstrichen. Man hat diese kollektive Gebetskrise sowohl als Verhängnis beschrieben als auch als Herausforderung, das althergebrachte Gebetsverständnis zu vertiefen. In letztere Richtung geht die Bemerkung Joseph Ratzingers, dass auch Christen am Verstummen ihrer Generation Gott gegenüber Anteil haben: „Und das ist gut so, weil gerade so, durch uns und unser Mühen hindurch dieses Verstummen an dem Beten aller Jahrhunderte Anteil gewinnen, ein Teil davon werden kann“ (208:131). Um den Argumenten gegen das Bittgebet Rechnung zu tragen, ohne die eingewurzelte Praxis des Bittgebets verabschieden zu müssen, betonten seit Kant und Schleiermacher viele Autoren den therapeutischen und pädagogischen Wert dieses Gebets: Das Bittgebet helfe, sich selber über seine tiefsten Wünsche Klarheit zu verschaffen. Und es schärfe das Gewissen. Was sich ins Gewand eines Redens zu Gott kleidet, habe genauer besehen den Status eines nützlichen Sprechens und Meditierens vor Gott. Eine solche Deutung kann sich darauf berufen, dass auch maßgebliche Theologen wie Augustin und Thomas auf diese Bedeutung des Bittgebets hingewiesen haben. So heißt es in Augustins berühmtem Brief an Proba: „Uns also sind Worte notwendig, damit wir durch sie uns selbst ermahnen und auf den Gegenstand des Gebetes achten, nicht aber als ob wir glauben, wir müßten den Herrn durch sie belehren oder erweichen. Wenn wir also sprechen: ,Geheiligt werde Dein Name‘, so ermahnen wir uns zur Sehnsucht“ (ep. 130,11,21). Wenn Augustin mit vielen anderen hervorhebt, dass das Bittgebet eine selbsttransformative Wirkung auf die Betenden ausübt, bedeutet das noch nicht, dass er meint, es finde seinen Sinn ausschließlich darin. Eine exklusive Festlegung des Bittgebets auf Selbsttransformation ist in zweierlei Hinsicht unbefriedigend: Zum einen widerspricht eine solche Interpretation offenkundig der Gebetslehre Jesu, dass Gott die Bitten derer, die ihn vertrauensvoll anrufen, erhört. Zum anderen fragt sich, ob der gewünschte therapeutische oder moralpädagogische Effekt eintritt, wenn jemand die Anredeform seiner Gebete insgeheim als unangemessen betrachtet (Brümmer/168:23 ff.). Soll der Sinn des Bittgebets nicht in seiner selbsttherapeutischen Funktion aufgehen, muss theologisch dargelegt werden können, inwiefern mit einem besonderen Wirken Gottes in der Welt gerechnet werden darf. Das Hauptargument gegen die Möglichkeit einer weltlichen Wirksamkeit Gottes besteht neuzeitlich im Hinweis auf den eigengesetzlichen Zusammenhang der Weltwirklichkeit. Gott, so wird gesagt, müsste von außen in die von ihm geschaffene gesetzmäßige Ordnung eingreifen, wollte er auf die Gebete der Menschen antworten. Die Vorstellung eines in seine eigene Schöpfung eingreifenden Gottes macht jedoch nicht nur die Güte der Schöpfung fraglich, sondern verschärft auch die Theodizeeproblematik: Warum greift er denn nur hier ein und nicht auch dort? Die hinter solchen Thesen und Antithesen stehende theistische Prämisse, Gott könne als Erstursache alles Seienden allenfalls ,von außen‘ in die von ihm geschaffene und aus ihm entlassene Wirklichkeit ,eingreifen‘, ist jedoch problematisch. Zum einen ist schon ontologisch betrachtet die Vorstellung von der ,Welt‘ bzw. dem ,Kosmos‘ als kausal geschlossenem System fragwürdig. Zum anderen ist es angemessener zu sagen: Gott schafft und erhält die Welt gerade dadurch, dass er sich auf seine Geschöpfe in intensiver und differenzierter Weise bezieht. Nach
1. Grundformen christlichen Betens
Raphael Schulte ist es theologisch unangebracht, geschöpflich-menschliches Sein und Leben als von Gott ins Eigene ,entlassenes‘ Dasein zu beschreiben. Gott entfernt sich nicht von seiner Schöpfung, sondern ruft sie zu sich und ermöglicht ihr, seinen Ruf auch wahrzunehmen. Wenn menschliches Leben aber zu beschreiben ist als „partizipatives con-esse und con-vivere cum Deo“ (214:143 f.), dann verhält sich Gott fortwährend zum Menschen und seiner Schöpfung, ohne in sie ,eingreifen‘ zu müssen. Eine theistische Metaphysik, die das Verhältnis zwischen Gott und Welt in der Kategorie der Wirkursächlichkeit zu denken versucht, verkennt die einzigartige, dreipersonale Beziehung Gottes zu seiner Schöpfung: Gott ist nicht nur allen seinen Geschöpfen als lebensweckender und seinserhaltender Schöpfer gegenwärtig, sondern vergegenwärtigt sich seinen menschlichen Geschöpfen als erlösende Liebe, die in ihnen wohnen möchte. Dass eine allein auf physikalische Wirkzusammenhänge gerichtete Beobachterperspektive solche Relationen nicht zu Gesicht bekommt, ist kein Argument gegen den Glauben an Gottes Weltpräsenz, sondern hat mit der methodischen Beschränkung der naturwissenschaftlichen Betrachtungsweise zu tun. Denkt man Gottes Präsenz bei seinen Geschöpfen als pneumatische Selbstvergegenwärtigung, als erleuchtende und erneuernde Einwohnung im Innersten des Menschen, so lässt sich die Frage nach dem Sinn des Bittgebets differenziert beantworten. Die schlichte Frage, ob Gott handelt, wenn ich ihn bitte (Menke/198), ist vor diesem Hintergrund doppelt les- und beantwortbar. Entgegen der gewohnten Fragerichtung ist nämlich Gottes Handeln am bittenden Menschen nicht nur als nachträgliche Antwort zu konzipieren, sondern ebenso als vorausgehendes und erweckendes Wirken. Gott ist bereits in den Bitten wirksam, die ich an ihn richte. Gottes Antwort geht meinem Beten voraus. Für diese Umkehrung der gewohnten Reihenfolge von Anruf und Antwort finden sich mindestens drei bekannte biblische Belege: Jes 65,24 („Schon ehe sie rufen, gebe ich Antwort, während sie noch reden, erhöre ich sie!“), Mk 11,24 („Alles, worum ihr betet und bittet – glaubt nur, dass ihr es schon erhalten habt!“) und 1 Joh 5,15 („Wenn wir wissen, dass er uns bei allem hört, was wir erbitten, dann wissen wir auch, dass er unsere Bitten schon erfüllt hat“). Die Theo-logik dieser Umkehrformulierungen lässt sich sowohl christologisch als auch pneumatologisch entfalten. Dass christliches Beten auf Gottes Selbstmitteilung antwortet, gilt nicht nur für das Dank- und Lobgebet, sondern ebenso für das Bitt- und Klagegebet, mag auch hier die responsorische Struktur verborgener sein. Christen bitten und klagen als von Gott Angesprochene und Herausgerufene. Ihr Bitten folgt der Einladung Jesu, den die Evangelien selbst als (Für-)Bitter zeichnen. Sie bitten in seinem Namen und im Blick auf die göttliche Verheißung, das in ihm den Menschen ein für allemal gegebene Wort zu bewahrheiten. Die in Christus gegebene göttliche Antwort auf die Not des Menschen geht dem christlichen Bittgebet voraus und formt es. Der kommunikative Sinn des (für-)bittenden Gebets im Namen Jesu, der es von einem selbstbezogenen und monologischen Wünschen unterscheidet, besteht in dieser Perspektive darin, dem in Christus offenbaren göttlichen Wunsch zu entsprechen, Mitliebende zu haben. Wie Jesus selbst nicht unaufgefordert Menschen heilte, sondern sie, auch wenn ihr Leiden offenkundig war, nach ihren Wünschen und Bedürfnissen fragte (Lk 18,41 u. a.), so überrennt Gott, dessen
Handelt Gott, wenn ich ihn bitte?
Bittgebet als Antwort auf Gottes WORT
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IV. Spirituelle Grundvollzüge
Bitten als Einstimmen in das Geistgebet
Wirksamkeit von Fürbitten?
Wesen Liebe ist, die menschliche Freiheit nicht und will sich ihr nicht ungebeten mitteilen. Diese christologische Antwort auf die Frage nach dem Sinn des Bittgebets korrigiert die Vorstellung, dass man sich von Gott nur Großes, Gott selbst, erbitten dürfe und nicht auch vergänglich-schattenhafte Güter (Origenes, or. 16 f.). Das Bittgebet Jesu vor seiner Verhaftung legitimiert auch das Gebet um Leib und Leben. Vor Gott darf nicht ausgeblendet werden, worunter Menschen in einer von Leid und Ungerechtigkeit gezeichneten Welt leiden. Auch der Wünsche, die ihr eigenes Leben, ihr tägliches Brot betreffen, müssen sich betende Menschen nach der Gebetslehre und -praxis Jesu nicht schämen. Der liebenden Kommunikation, welche die mitteilsame dreieinige Gottheit in sich ist, entsprechen Menschen dann, wenn sie sich in den von ihr eröffneten Beziehungsraum hineinholen lassen. Sie antworten auf Gottes Ruf, wenn sie es wagen, im Blick auf den auferweckten Gekreuzigten aus ihrer Verschlossenheit auszubrechen und ihre Seele klagend und bittend auszuschütten (Ps 102,1). Dazu gehört auch, die chaotische Vielfalt menschlicher Wünsche vor Gott zu tragen. Auch in pneumatologischer Perspektive kann davon gesprochen werden, dass Gottes Antwort dem menschlichen Anruf vorausgeht. Wenn christliches Beten darin gipfelt, Gott selbst in seinen Gaben zu suchen und Gott um seinen Geist zu bitten, dann ist diese Bitte im Augenblick, in dem sie geäußert wird, schon im Ansatz erfüllt. Ist es doch das Seufzen des Geistes (Röm 8,26), der bereits ausgegossen ist in die Herzen der von Gottes Liebe berührten Menschen (Röm 5,5), das ein solches Gebet weckt und trägt. Dass Gott handelt, wenn Menschen ihn bitten, bedeutet in pneumatologischer Hinsicht: Gott wirkt pneumatisch in und an den Betenden. Wo Menschen im Blick auf den erhöhten Christus Bitten vor Gott tragen, stehen sie bereits im Wirkfeld seines Geistes, der an ihnen arbeitet und sie mit seinen guten Gaben stärkt. In dem Maße wie Menschen, bewegt durch die Kraft des Geistes, sich bittend auf Gottes Wege einlassen und sich seinem Wirken überlassen, kann Gott sein pneumatisches Wirken an ihnen vertiefen. In diesem Sinne lässt sich dann auch davon sprechen, dass Gott in Antwort auf meine Bitten handelt. Dass Gott in und an den Menschen wirkt, die mit ihren Bitten vor sein Angesicht treten und sich seiner Gegenwart öffnen, lässt die schwierigere Frage nach dem Sinn der Fürbitte noch unbeantwortet. Die Bedeutung der Fürbitte einzig darin festzumachen, dass ich mich dabei für die anderen, für die ich bete, öffne, scheint hinter dem zurückzubleiben, was die Fürbitte selbst aussagt. Die Fürbitte als eine indirekte Bitte um Selbstveränderung zu interpretieren, ist theologisch unbefriedigend. Doch weshalb sollten fehlbare Menschen sich mit ihren Bitten für andere in das uneingeschränkt gute Heilswirken Gottes einmischen? Hat Gott es nötig, dass Menschen wie Abraham vor ihm für andere einstehen, damit Schlimmes verhindert wird (Gen 18,16 ff.)? Dient das persönlich und kirchlich gepflegte Fürbittgebet nicht vor allem der Selbstentlastung? Erfahren wir das Bitten um Weltveränderung vor allem deshalb als sinnvoll, weil wir auf diese Weise eine bedrängende Not vor Gott tragen, sie ihm übergeben und überlassen können? Es fragt sich, ob die Alternative Selbstentlastung oder Weltveränderung sinnvoll ist. Es könnte ja auch sein, dass Gott durch die Fürbitter die Welt verändern möchte. In diese
1. Grundformen christlichen Betens
Richtung argumentiert Karl-Heinz Menke, wenn er christliches Beten als Inklusion in das Beten Christi interpretiert. Der Beter tritt „mit und in Christus ,für-seiend‘ an die Stelle seines Nächsten (des Anderen)“ (441:431). Menschen, die betend für andere einstehen, gleichen Poren, durch die lebendiges Wasser auf den trockenen Boden der Welt fließen kann. Denn: „Jeder Mensch ist in dieser Welt so etwas wie eine Öffnung, durch die der in Christus inkarnierte Gott all das realisieren kann, was seine unbedingte Liebe will“ (198:27). Im betenden Eintreten für andere öffnen sich Menschen für Gottes Wirken an der Welt. Fürbittend nehmen sie teil an Gottes Leben, das sich in Liebe pneumatisch verströmt (Röm 5,5). Sie beten nicht als isolierte Individuen, sondern als Glieder eines Beziehungsgefüges, das sich verändert, wenn sie sich verändern. Die Frage nach der Wirksamkeit des Bittgebets droht den Ausdrucks- und Beziehungscharakter, den es mit den anderen Formen des Betens teilt, zu überdecken. Der Sinn des Betens als Expression und kommunikative Anrede liegt in ihm selber, nicht in dem, was es erreicht. Die Bitte, in der der Mensch in Freiheit zu seiner Bedürftigkeit steht und die Andersheit und Freiheit Gottes anerkennt, ist ein „selbstzweckliches Vollendungsgeschehen, das durch nichts ersetzt und nicht überholt werden kann“ (Bachl/152:192). Will der betende Mensch sich ganz in diese Beziehung hineingeben, sein Herz ausschütten vor Gott, so kann er nicht anders, als auch seine Wünsche und Sorgen zur Sprache zu bringen. Eine Selbstzensur, die sich verbietet, bestimmte Wünsche im Gebet zu artikulieren, ist nicht nur psychologisch, sondern auch theologisch fragwürdig. Denn zum einen ist das Gebet ein Weg zu selbstloser Liebe, nicht ein Vollzug, für den diese schon vorauszusetzen ist. Nur was in den Gebetsvollzug einbezogen wird, kann sich in ihm klären. Zum anderen beinhaltet die von Jesus nahegelegte Rückhaltlosigkeit des Bittens auch, sich Gott so zuzumuten, wie es einem gerade zumute ist. Die bisherigen Überlegungen zum (Für-)Bittgebet lassen sich in dem Gedanken zusammenfassen, dass es in doppelter Hinsicht responsiv ist: Es antwortet nämlich einerseits auf Gottes verheißungsvollen Anruf und auf sein pneumatisches Wirken, andererseits aber auch auf eigene und fremde Not, die den Beter bedrängt. Lässt sich auf diesem Hintergrund noch mehr darüber sagen, wie Gott mit den Bitten der Menschen umgeht? Dürfen Beter damit rechnen, dass Gott zumindest einige ihrer Bitten erfüllt? – Eine zurückhaltende Antwort auf diese Frage findet sich in dem Geburtstagsbrief, den Dietrich Bonhoeffer am 14. August 1944 aus dem Gefängnis an Eberhard Bethge schreibt. Am Schluss seiner Geburtstagswünsche kommt Bonhoeffer auf unerfüllte Wünsche und Hoffnungen zu sprechen. Im Blick auf sie gelte nach 2 Kor 1,20: „nicht alle unsere Wünsche, aber alle seine Verheißungen erfüllt Gott, d. h. er bleibt der Herr der Erde, er erhält seine Kirche, er schenkt uns immer neuen Glauben, legt uns nie mehr auf, als wir tragen können, macht uns seiner Nähe und Hilfe froh, erhört unsere Gebete und führt uns auf dem besten und geradesten Weg zu sich“ (165:421). Zu den Verheißungen Gottes gehört nach Bonhoeffers Aufzählung auch, dass Gott die an ihn gerichteten Gebete erhört, unabhängig davon, ob sich die darin artikulierten Wünsche erfüllen oder nicht. Wie ist die damit angezeigte Differenz zwischen Erhörung und Erfüllung zu verstehen? Sie findet sich auch im Bereich der zwischenmenschlichen Kommunikation: Es gehört zur
Jenseits von Nützlichkeitserwägungen
Erfüllung und Erhörung
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IV. Spirituelle Grundvollzüge
Geglaubte und erfahrene Erhörung
,Grammatik‘ der Bitte, dass sie auf Manipulation verzichtet und es dem anderen überlässt, ob und wie der oder die Andere die Bitte erfüllt. Wenn sich meine Bitte nicht so erfüllt, wie ich mir ihre Erfüllung vorgestellt habe, so bedeutet das weder, dass sie nicht gehört wurde, noch dass ihr Adressat sich nicht auf seine Weise bemüht hat, ihr zu entsprechen. In analoger Weise gehört es zur ,Grammatik‘ des Bittgebets, dass der Beter, die Beterin darauf zählt, erhört zu werden, und es gleichzeitig offen lässt, ob bzw. in welcher Form der darin geäußerte Wunsch erfüllt wird. Das Bittgebet setzt auf Gottes Güte und auf die öffnende und freilassende Kraft der Bitte. Ein eindrückliches Beispiel einer Gebetserhörung jenseits einer unmittelbaren Wunscherfüllung findet sich in 2 Kor 12,7–10. Paulus hat mit einem Leiden zu kämpfen und bittet Gott inständig – in biblischer Symbolik: dreimal, wie Jesus am Ölberg –, ihn davon zu befreien. Wenn sich auch diese Bitte nicht erfüllt, so wird das Gebet gleichwohl erhört. Sein Leiden wird nicht geheilt, doch erfährt er sich in seinem Leiden bestärkt und ermutigt. Die Antwort, die Paulus zuteil wird, übersteigt das Gewünschte und erschließt den Trost im Misstrost: „Lass dir an meiner Gnade genügen; denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig!“ An dieser Stelle schließt sich ein letztes Problem an, das in spezifischer Weise mit dem Bittgebet verknüpft ist. Die Gewissheit, dass seine Bitte erhört wurde, verdankt Paulus einer geistlichen Erfahrung, wobei man es offenlassen kann, ob sie eher den Charakter einer Audition, einer spontanen Eingebung oder aber einer affektiv bestimmten Trosterfahrung hatte. In welchem Verhältnis stehen aber Erhörungsgewissheit und Erhörungserfahrung? Gibt es nicht auch eine Erhörungsgewissheit ohne besondere Gebetserfahrungen, ähnlich wie es den Osterglauben auch ohne eigene Ostererscheinungen gibt (Joh 20,29)? Die Frage ist insofern kompliziert, als nicht nur die Erhörungsgewissheit selbst als geistliche Erfahrung beschrieben werden kann, sondern auch ihre Anfechtung (Cassian, coll. 9,32–34). Das Problem klärt sich, wenn man bedenkt, dass eine solche Gewissheit auch dort, wo sie sich erfahrungshaft einstellt, nicht in dieser selber begründet ist, sondern in der Verheißung Jesu, dass Gott die Gebete der Glaubenden erhört (Mk 11,24; Mt 21,22; Lk 11,9 f.; 1 Joh 5,14 f.). Der als Gebetserhörung erfahrene Trost des Betens ist, lebenshermeneutisch betrachtet, responsives Erleben: Resonanz des ereignishaften Geschehens, dass im betenden Sich-Ausstrecken nach Gott der Mensch in die ihm gemäße Grundausrichtung findet und dass schon sein hilfloses Bemühen, „in rechter Weise zu beten“, umfangen ist vom Gebet des Geistes in ihm (Röm 8,26).
2. Meditation: Geistige Übung und geistlicher Vollzug Dass Meditation christlich sowohl als Übung als auch als Gebet verstanden und praktiziert wird, macht eine genauere Verhältnisbestimmung dieser beiden Vollzugsformen von Meditation nötig. Nach Henri Bremond neigte die katholische Spiritualität der Neuzeit zu einer asketischen Verzweckung der Meditation. Ein ,aszetistische‘ Ausrichtung der Meditation verhindere gerade ihr eigentliches Ziel: hinzuführen zur Selbstvergessenheit der reinen Gottesliebe (Bremond/167:32 ff.; Böminghaus/164). Dass der Gebetscharakter
2. Meditation: Geistige Übung und geistlicher Vollzug
christlicher Meditation leicht vergessen geht, rührt zum einen daher, dass sich die gebetsförmige Grundhaltung gleichsam hinter dem Vollzug von Sammlung und Vollzug verbirgt. Der Meditation fehlt meist die direkte Anrede, die dem Gebet im engeren Sinne zu eigen ist. Zum anderen wird Meditation nicht erst neuzeitlich verweckt oder säkularisiert. Bereits in der Antike finden sich philosophische Meditationen und Sammlungspraktiken, die nicht ohne Einfluss auf die christliche Meditation bleiben (Wulf/225; Hadot/ 180). 2.1 Meditation biblisch Die Wurzel der christlichen Meditationspraxis findet sich jedoch nicht in den Exerzitien der hellenistischen Philosophen, von denen spätere Generationen von Christen einiges übernahmen, sondern in der frühjüdischen Torafrömmigkeit und Weisheitsliteratur. Das lateinischen Verb meditari, das eine intensive und wiederholte Beschäftigung mit einer Sache anzeigt, steht in der lateinischen Bibelübersetzung für das hebräische haga, das ,murmeln‘ bedeutet, bzw. für das griechische meletein, das soviel wie ,üben‘ und ,etwas sorgfältig ausführen‘ heißt. Biblisches Meditieren ist zunächst und vor allem ein Murmeln in den Heiligen Schriften Israels. So beginnt der Psalter mit einer Aufforderung zur Meditation, wenn er denjenigen selig preist, der Tag und Nacht in der Tora murmelt (Ps 1,2; vgl. auch Jos 1,8). Das murmelnde Rezitieren von Schriftworten soll gemäß dem programmatischen Eröffnungspsalm nicht nur alle Bereiche des Alltags, Tag und Nacht, sondern auch alle Dimensionen des Menschen mit dem guten und nährenden Gotteswort durchwirken. Der Psalm verheißt denjenigen, die durch ihr halblautes Meditieren an murmelnde Bäche erinnern, sie würden gleich fruchtbaren und widerstandskräftigen Bäumen heranwachsen, die am Wasser gepflanzt sind. Durch die verinnerlichende Vergegenwärtigung des Wortes, die Mund und Herz gemeinsam vollziehen (Ps 1,3), erfahren die meditierenden Murmler Klärung und Stärkung. Demgegenüber beschreibt die biblische Weisheitsliteratur das Meditieren als ein Nachsinnen über Gottes Größe und des Menschen Endlichkeit: „Hör dir dies an, Hiob! Steh still, um die Wunder Gottes zu betrachten“ (Hiob 37,14). Wenn die spätere christliche Meditation an diese beiden Traditionsstränge anknüpft, hat sie einen Traditionsbruch zu überbrücken. Besonders auffallend ist, dass das frühe Christentum die Praxis des Murmelns in der Schrift nur sehr zurückhaltend aufnimmt. Emmanuel von Severus vermutet, „daß die Apostel darin die Frömmigkeitshaltung der Pharisäer sahen, von der sie sich distanzieren wollten. Die jungen Christen sollten nicht nach deren veräußerlichter Art das Gesetz Gottes dauernd auf den Lippen haben und dabei die großen Gebote der Gottes- und Nächstenliebe vergessen“ (215:375). Der meditative Umgang mit dem (Schrift-)Wort, das Bewahren und Bewegen im Herzen (Lk 2,19.51), findet sich im Neuen Testament aber sehr wohl. Der Schwerpunkt liegt dabei auf der kognitiven Seite, die von der Weisheitsliteratur stärker betont wurde. Der Traditionsbruch liegt an dieser Stelle darin, dass sich für Christen durch das Osterereignis der hermeneutische Horizont ihrer Schriftlektüre radikal gewandelt hat. Sie lesen die Schriften Israels auf den auferweckten Gekreuzigten hin. Sie deuten sie im Licht von Ostern
Murmeln in der Schrift und weisheitliche Meditation
Christliche Weiterführungen
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IV. Spirituelle Grundvollzüge
und ergänzen sie schließlich durch die reifsten literarischen Früchte dieses nachösterlichen Wiederlesens und meditativen Neuverstehens. 2.2 Die wechselvolle Geschichte christlicher Meditation
lectio divina – lectio spiritualis – ars contemplativa
Es gehört zur spiritualitätsgeschichtlichen Bedeutung des Mönchtums, die somatisch-sinnliche Dimension der Meditation für das Christentum wiederentdeckt zu haben. Ab dem 4. Jahrhundert häufen sich die Zeugnisse, die von einem neuen christlichen Murmeln in der Schrift berichten. Pachomios setzt in seiner Regel fest, dass jeder Mönch einen großen Teil der Schrift auswendig kennen muss und dass das Erlernte beim gemeinsamen Arbeiten murmelnd wiedergekäut und verkostet werden soll (Bacht/153:366). Während sich in den pachomianischen Klöstern die persönliche Meditation hauptsächlich als halblaute Rezitation von auswendig gelernten Schriftworten vollzieht, entwickelt sich in den etwa zweihundert Jahre später gegründeten Klöstern von Benedikt von Nursia und Cassiodor eine reiche Kultur des meditativen Lesens. Die Zeit, die Benedikt dafür einräumt, ist großzügig bemessen: In der Fastenzeit sieht er ganze drei Stunden dafür vor (RB 48,14). Da die Mönche in gemeinsamen Räumen meditieren, weist die Benediktsregel sie an, leise zu lesen, um sich nicht zu stören (48,5). Die meditative Lesung beschränkt sich nicht auf die Hl. Schrift (lectio divina), sondern umfasst auch die Schriften der Kirchen- und Altväter (lectio spiritualis). Benedikt nennt am Ende seiner Regel eine Reihe von empfehlenswerten Schriften. Neben den Kirchenvätern empfiehlt er besonders die Werke Cassians (73,4–7). Mit der monastischen lectio divina bzw. lectio spiritualis war eine Grundform christlich-abendländischer Meditation gefunden, die sich über Jahrhunderte bewähren sollte. Durch die Illuminierung von Handschriften wurde das meditative Lesen im Laufe der Zeit zudem durch ein kontemplatives Element bereichert: Die diskursiv voranschreitende Lektüre kommt im Betrachten der Illuminationen zur Ruhe, das meditative Nachsinnen mündet in die Schau eines Vorglanzes des himmlischen Lichts (Illich/189). Seine kanonische Form findet diese geistliche Bücherkultur in dem von Guigo II. (gest. 1188) ausformulierten Vierschritt lectio, meditatio, oratio, contemplatio: „Lesung ist: wenn der Blick des Geistes aufmerksam und eifrig die heiligen Schriften durchwandert. Meditatio ist eine Tätigkeit des Geistes, der sich bemüht, der verborgenen Wahrheit unter Führung der Vernunft nachzuspüren. Gebet ist: wenn das Herz sich innig Gott zuwendet, um vom Bösen befreit zu werden und Gutes zu erlangen. Contemplatio ist gewissermaßen eine Erhebung des Geistes über sich hinaus in Gott hinein, wobei die Freuden der ewigen Wonne verkostet werden.“ (Scala Claustralium 2; 5:26)
Intellektualisierung und Methodisierung
So klassisch und überzeitlich Guigos Aufstiegsweg von der lectio bis zur contemplatio heute wirken mag, so ist er gleichwohl nicht nur eine Synthese der vorangegangenen Entwicklung, sondern weist auch in die Zukunft. Der neue Geist des 12. Jahrhunderts hat auch den in Abgeschiedenheit lebenden Kärtauserprior erreicht. Unverkennbar ist die starke intellektuelle Prägung seiner Umschreibung von Meditiation. Sie ist nun nicht mehr, wie in altmo-
2. Meditation: Geistige Übung und geistlicher Vollzug
nastischer Zeit, das verkostende Wiederholen einzelner Schriftworte, sondern in erster Linie ein kognitiver Prozess: ein verstandesmäßiges Ergründen der Schrift. Die neue, scholastische Form der Lektüre, die sich an den Kathedralschulen dieser Zeit entwickelt, verbreitet sich, allen Widerständen zum Trotz, auch in den Klöstern und Chorherrenstiften und beeinflusst den persönlichen Umgang mit der Schrift. Hugo von St. Viktor (gest. 1141), ebenfalls ein theologischer und spiritueller Meister dieser Zeit, beschreibt schon einige Jahrzehnte vor Guigo die Meditation als „wohlüberlegtes und anhaltendes Nachdenken, das auf verständige Weise den Grund, den Ursprung und die Art und den Nutzen jeder Sache erforscht“ (Didasc. 3,10; 17:245). Im Gegenzug zu einer solchen Intellektualisierung der Meditation entwickeln Autoren wie der Zisterzienserabt Aelred von Rievaulx (gest. 1167) Betrachtungsmethoden, die durch gezielten Einsatz von Repräsentationstechniken die compassio der Betrachtenden zu wecken versucht. Nach Kurt Ruh dürfte Aelred „der erste gewesen sein, der die memoria vitae et passionis Christi ausgeformt hat“ (47:332). Damit begründete er eine Meditationsweise, welche die compassio mit dem Gekreuzigten ins Zentrum stellte und die Imagination und Affekte auf neue Weise einzubeziehen wusste. In seiner Schrift De institutione inclusarum, verfasst für seine Schwester, die als Inklusin lebte, leitet er dazu an, Gottes vergangene, gegenwärtige und künftige Wohltaten zu meditieren. Die Erinnerung (memoria) führt zur Danksagung für Gottes erfahrbare Gegenwart (experientia) und zu hoffnungsvollem Erwägen künftiger Vollendung (expectatio). Aelreds Passionsmeditation zielt darauf, das Leben der Betrachtenden methodisch zu verwandeln: In Erinnerung, Affekt und sehnsüchtiger Imagination soll das eigene Leben in den heilsgeschichtlichen Erinnerungsraum und Erwartungshorizont hineingestellt und dadurch transformiert werden. Seiner Schwester weist der Zisterzienser die Aufgabe zu, Maria teilnehmend und einfühlsam auf ihrem Weg zu begleiten. Weil Mitleid nur empfunden werden kann, wo einem das fremde Leiden nahe kommt, verlangt die compassio mit dem Gekreuzigten eine imaginative Verlebendigung seines Leidens. Was die Karfreitagsliturgie in bedeutungsschweren Gesten und Gesängen vergegenwärtigt, erweckt die persönliche Passionsmeditation durch imaginative Aufmerksamkeitslenkung, involvierende Identifikation mit den geschichtlichen Zeuginnen der Passion und der deutenden Ausgestaltung des biblischen Textes. Nach Aelreds Anleitung soll die Klausnerin im leidenden Jesus einerseits den Menschen in Gott und andererseits Gott im Menschen wahrnehmen. Und sie soll sich in Gottes compassio mit seinen gottvergesslichen Geschöpfen einfühlen. In der Menschwerdung und Selbsterniedrigung Christi kommt Gott dem in seelischer Blindheit gefangenen Menschen entgegen, um die menschliche Selbstverschlossenheit auf dem Wege der Affekte zu öffnen. Damit sind die Weichen für die folgenden Jahrhunderte gestellt: Nicht nur die frühe franziskanische Passionsmystik (13./14. Jh.) nimmt diese zisterziensischen Impulse in vielfältiger Weise auf und führt sie auf originelle Weise weiter, sondern ebenso die Meditationsbücher der Devotio moderna (14./ 15. Jh.) und das Exerzitienbuch des Ignatius von Loyola (16. Jh.). In einer eindrücklichen Synthese, die in den folgenden Jahrhunderten teilweise wieder verloren geht, gelingt es Ignatius, die Vereinseitigungstendenzen der vorangehenden Jahrhunderte auszubalancieren. Affekt, Imagination und Intellekt
Passionsmeditation
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IV. Spirituelle Grundvollzüge
Sammlung als Gebet und als Gebetsvorbereitung
werden in seinen Exerzitien gleichermaßen angesprochen. Die Abfolge der fünf Übungen eines Exerzitientages entspricht zudem weitgehend dem von Guigo systematisierten Weg von der lectio divina zur contemplatio: „[V]on der Erwägung bis zur Beschauung, von der Betätigung der eigenen seelischen Kräfte (Gedächtnis, Verstand, Wille) bis zur mehr passiven Hingabe, und auf allen Stufen wird die innere Einbildungskraft aufgerufen“ (Wulf/ 225:207) und letztlich auf Gott hin überschritten. Ignatius ist nicht der erste, der versucht, die im 12. Jahrhundert aufbrechenden Gegensätze zu überwinden. Entgegen den Tendenzen, die Meditation entweder als rein intellektuellen Vorgang zu betrachten oder sie durch Imaginationstechniken und Affektsteigerung zu überfrachten, entwickeln sich bereits im 13. Jahrhundert Formen des schweigenden Betens, die das diskursive Betrachten ebenso zurücklassen oder umgehen wie auch die imaginative Intensivierung der Affekte. Die im 14. Jahrhundert verfasste Wolke des Nichtwissens leitet dazu an, sich zu Gott in einem entblößten Verlangen zu erheben, ohne dabei den Verstand oder die Vorstellungskraft anzustrengen. Die Begründung: „Gott selbst kann kein Mensch gedanklich erfassen. Und daher will ich alles, was ich denken kann, hinter mir lassen und zum Gegenstand meiner Liebe das erwählen, das nicht gedacht werden kann“ (c. 6; 30:45). Der Autor schlägt vor, das Gottverlangen in ein einsilbiges Wort zu legen, das nach der Art eines Stoßgebetes gebraucht werden kann: „Mit Hilfe dieses Wortes sollst du alle Arten von Gedanken so heftig unter die Wolke des Vergessens werfen, daß du einem Gedanken, der sich an dich herandrängt und dich fragt, was du willst, mit nicht mehr Worten als diesem einen entgegnest“ (c. 7; 30:48). Francisco de Osuna (gest. 1540), der mit seinem Tercer Abecedario Espiritual Teresa von Avila nachhaltig beeinflusste, methodisiert und verteidigt zwei Jahrhunderte später die Praxis der bild- und gedankenlosen Sammlung in einer für die weitere Entwicklung maßgeblichen Weise. Er begründet sie nämlich, gut neuzeitlich, psychologisch: „Um sich zu versenken, muß man zunächst bei sich selber sein, muß in sich selbst eintreten und die Stufen bauen, die in die eigene Tiefe führen“ (Tercer Abecedario 18,3; 13:91). Wie auf seine Weise schon Augustinus betrachtet der spanische Reformfranziskaner die Einkehr zu sich als Vorbereitung zum betenden Überstieg über sich. Dabei ist er sich der philosophischen Ursprünge abendländischer Sammlungsmethodik wohl bewusst (Tercer Abecedario 15,1; vgl. Platon, Phaidon 67c). Der Streit um das kontemplative Gebet wird in den darauf folgenden Jahrhunderten nicht abreißen. Wie im ersten Kapitel beschrieben, lassen sich die spiritualitätstheologischen Kompendien des 17. Jahrhunderts nicht zuletzt als Versuche vorstehen, diesen Richtungsstreit innerhalb der katholischen Reform zu schlichten. Zumindest einige Aspekte dieser Auseinandersetzung sind auch in der heutigen spiritualitätstheologischen Diskussion noch präsent. 2.3 Meditation im Horizont säkularer Herausforderungen Die neuzeitlich-katholischen Auseinandersetzungen um das innere Gebet kreisten zum einen um die Legitimität einer gänzlich bild- und gedankenfreien Meditation, die als methodischer Weg zur mystischen Erfahrung verstanden werden konnte. Zum anderen betrafen sie auch das Verhältnis zwi-
2. Meditation: Geistige Übung und geistlicher Vollzug
schen der Meditation als aszetischer Übung und dem Gebetscharakter der meditativen Sammlung. Das Aufkommen von nicht religiös geprägten Sammlungs- und Meditationsmethoden wie das Autogene Training oder das katathyme Bilderleben sowie die zunehmende christliche Rezeption von buddhistischen und hinduistischen Versenkungswegen führen im 20. Jahrhundert zu einer neuen und teilweise heftig geführten Diskussion um das Wesen und die Transformationsgestalten christlicher Meditation. Die kritische Auseinandersetzung konzentriert sich auf vier Problemfelder: 1. Die Eigendynamik der Methoden: Die methodischen Hilfsmittel können sich verselbständigen. Was als Hilfe und als Vorbereitung für das Gebet gedacht war, wird, wie die Erfahrung zeigt, leicht zum Selbstzweck. 2. Die Gefahr einer neuen Form von Leistungsfrömmigkeit: Das meditative Üben kann zu einem mentalen und selbstzentrierten Aktivismus verkommen. 3. Die Eigendynamik affektiven Erlebens: Die Wohlgefühle, die sich in körperlicher Entspannung und geistlicher Sammlung einstellen, können dazu verführen, in der Meditation solche Gefühle zu suchen und festzuhalten, statt sie als unverfügbares Geschenk zu empfangen und wieder loszulassen. 4. Das Verhältnis von Übungspraxis und religiöser Deutung: Religiöse Formen der Meditation sind geprägt von einem bestimmten Wirklichkeitsverständnis und lassen sich weder restlos säkularisieren, noch einfach in eine andere Religion übertragen. Die christliche Reaktion auf diese Problemfelder ist gespalten: Während traditionell eingestellte Gläubige aller Konfessionen die Adaption neuer Meditationsmethoden mit Argwohn betrachten, erhoffen sich andere auf diesem Wege eine grundlegende Erneuerung christlicher Spiritualität. Von Seiten des katholischen Lehramtes wird die Möglichkeit einer fruchtbaren Rezeption grundsätzlich eingeräumt. So lädt das Dekret über die Missionstätigkeit der Kirche, das in der letzten Sitzungsperiode des II. Vatikanischen Konzils verabschiedet wurde, die Ordensleute ein, „sorgfältig (zu) überlegen, wie die Traditionen des aszetischen und kontemplativen Lebens, deren Keime manchmal alten Kulturen schon vor der Verkündigung des Evangeliums von Gott eingesenkt wurden, in ein christliches Ordensleben aufgenommen werden können“ (Ad Gentes 18). Die Theologie der Spiritualität darf sich im Blick auf die eben benannten Auseinandersetzungen nicht auf die Aufgabe der Deskription, der Analyse und der Kritik beschränken. Sie ist auch gefordert, Modelle einer differenzierten Verhältnisbestimmung des zu Unterscheidenden zu entwerfen. Im Ausgang an die Unterscheidung zwischen der Meditation als geistig-somatischer Methodik und der Meditation als einem ausdrücklich geistlich bestimmten Vollzug ist das Verhältnis zwischen Übung und Gebet mindestens zweifach bestimmbar: Zum einen können geistlich-somatische Übungen als Sammlungshilfe dienen: Ohne eine gewisse mentale Konzentration, die wiederum von leiblicher Wohlspannung und affektiver Beruhigung abhängt, ist es kaum möglich, in einen fruchtbaren Vollzug des Meditierens und Betens zu finden. In einem unruhigen und bewegten Fluss, so gibt Luther zu bedenken, kann
Verhältnisbestimmungen
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IV. Spirituelle Grundvollzüge
sich die Sonne nicht widerspiegeln, noch vermag sie ihn aufzuwärmen (WA 10 I,1,62; 203:146). Das meditierende Beten – auch wenn es letztlich ein Sprung des Kindes in die Arme des Vaters ist, der kein Antichambrieren voraussetzt (Balthasar/156:19) – bedarf der Nüchternheit des Geistes und der sorgfältigen Vorbereitung und Einstimmung. Bereits Gregor der Große beschrieb die meditative Einkehr als ein Geschehen, das bei der achtsamen Selbstwahrnehmung beginnt: „Der erste Schritt besteht (…) darin, daß die Seele sich in sich selbst sammelt, der zweite, daß sie sich in dieser Sammlung wahrnimmt, der dritte, daß sie sich über sich selbst hinausschwingt“ (in Ezech. II 5,9; 14:343). Zum anderen dienen meditative Praktiken im Kontext christlicher Spiritualität der Vertiefung des Verstehens und der persönlichen Aneignung des Evangeliums. Der ,Geist des Übens‘ (Bollnow 163; Klappenecker/ 330:159 ff.) dient dem Geist, der christliches Gebetsleben durchatmet, wenn die achtsame Vertiefung dazu beiträgt, dass das zugesprochene Evangelium sich Glaubenden vertieft erschließt und so ihr Gebet zu wecken und ihr Leben zu durchdringen vermag. Meditation ist dann beides zugleich: geistige Übung und geistlicher Vollzug. Evagrios Pontikos fasst diese Einsicht in ein schönes Wortspiel: „Sucht die Aufmerksamkeit [prosoche] das Gebet [proseuche], wird sie das Gebet finden. Denn nichts anderes geht so sehr mit dem Gebet Hand in Hand wie die Aufmerksamkeit. Um sie müssen wir uns bemühen“ (Evagrios, or. 149; 26:309). Mit ,Gebet‘ (proseuche) bezeichnet Evagrios eine ganz besondere Weise des Betens, die mehr als alle anderen Formen Geschenkcharakter hat: das kontemplative Gebet, oder wie er es selber nennt: das Geistgebet.
3. Kontemplation und mystische Erfahrung 3.1 Christliche Kontemplation als Geistgebet Dass das kontemplative Gebet häufig entweder als eine nur wenigen zugängliche Reifestufe des Gebetlebens oder aber als eher seltenes Charisma betrachtet wurde, dürfte damit zu tun haben, dass die neutestamentlichen Aussagen über das Geistgebet lange Zeit unterschätzt wurden. Eine scharfe Grenzziehung zwischen menschlichem Bemühen (,Askese‘) und gnadenhafter Kontemplation (,Mystik‘) wird fragwürdig, wenn man das christliche Gebet in all seinen Formen als einen Vollzug versteht, der von Gottes Geist geweckt und getragen ist. Nach Friedrich Wulf ist es kennzeichnend für die neutestamentliche Gebetslehre, dass sie die Initiative Gottes und sein gnadenhaftes Wirken im Herzen des Menschen betont: „Im NT steht jeder Christ unter dem ständigen Gnadenanruf Gottes (Christi) im Heiligen Geist“ (225:203). Als Einstimmen in den Abba-Ruf des Geistes (Gal 4,6; Röm 8,15), als Mitseufzen mit dem Seufzen des Geistes (Röm 8,26) ist christliches Gebet durchdrungen von einem kontemplativen Moment, das sich stärker oder schwächer ausprägen, jedoch nicht völlig fehlen kann. Als Gebet, auf das die Betenden gerade dort stoßen, wo sie selber nicht mehr recht zu beten wissen (Röm 8,26; 2 Kor 12,9), ist es alles andere als elitär. Gott vergegenwärtigt sich durch seinen Geist gerade in den Tiefen, der Niedrigkeit und
3. Kontemplation und mystische Erfahrung
Brüchigkeit menschlicher Existenz (2 Kor 4,7–5,5) und ermöglicht so ein Leben in täglicher Erneuerung. Die für eine christliche Gebetslehre bedeutsame Unterscheidung zwischen meditativem und kontemplativem Gebet lässt sich in zweifacher Weise ausarbeiten: Inhaltlich gesehen kann das meditative Gebet im klassischen Sinne als thematische Vertiefung in die Schrift und das von ihr Bezeugte beschrieben werden, während das kontemplative Gebet von solchen vermittelten Bezügen abstrahiert. Kontemplativ beten bedeutet in diesem Sinne, frei von gedanklicher Aktivität in Gottes Gegenwart zu verweilen. Zwischen dem (meditativen) Psalmodieren und dem (kontemplativen) Geistgebet besteht nach Evagrios Pontikos genau dieser Unterschied. Für Letzteres gelte: „Wer im Geist und in der Wahrheit betet, verherrlicht den Schöpfer nicht mehr durch die Schöpfung, sondern preist ihn aufgrund seiner selbst“ (or. 60; 26:296). Doch nicht nur durch ihren Inhalt, sondern auch in ihrem Vollzug unterscheiden sich Meditation und Kontemplation: Die klassische Tradition verstand Meditation meist als diskursiven Vorgang, während sie der Kontemplation die intuitive Schau zuordnete. Franz von Sales verdeutlicht den Unterschied durch ein einprägsames Bild:
meditatio und contemplatio
„Bei der Betrachtung [méditation] verfährt man ähnlich wie jemand, der nacheinander und einzeln den Duft der Nelke, der Rose, des Rosmarins, des Thymians, des Jasmin und der Orangenblüte einatmet; bei der Beschauung [contemplation] aber gleicht man solchen, die den Duft des Parfüms in sich aufnehmen, das aus all diesen Blumen bereitet wird. So atmen sie vereint alle Düfte ein, die der andere getrennt und gesondert wahrgenommen hat. Zweifellos ist dieser eine, aus der Vermengung aller Wohlgerüche herrührende Duft angenehmer und köstlicher als die einzelnen Düfte hintereinander eingeatmet, aus denen er zusammengesetzt ist. (…) Wie glücklich sind jene, die ihren Geist in der Einheit der Beschauung [contemplation] verweilen lassen“ (Theotimus 6,5; 11:284 f.). Ein drittes Unterscheidungsmerkmal zwischen Meditation und Kontemplation besteht darin, dass Meditation einen stärker aktiven Vollzug bezeichnet, während in der Kontemplation das aktive Bemühen des Menschen weitgehend zur Ruhe kommt. Die Frage, ob der Zustand der kontemplativen Ruhe aktiv herbeigeführt werden kann und ob er den natürlichen Endpunkt des meditativen Prozesses darstellt oder eine besondere Gnadengabe, bildete einen der zentralen Streitpunkte der barockscholastischen Spiritualitätstheologie. Zumindest zu einem Teil handelte es sich dabei auch um ein terminologisches Problem. Bereits Thomas von Aquin machte darauf aufmerksam, dass ,Kontemplation‘ in zwei Bedeutungen gebraucht wird. Es kann sowohl die mystische Entrückung bezeichnen, die eine besondere Gnadengabe darstellt, als auch eine Grunddimension des Gebetsvollzugs: „Beschauung [contemplatio] wird gelegentlich im engeren Sinn genommen für den Akt der Vernunft, die Göttliches betrachte. (…) Anders im weitern Sinn für jeden Akt, durch den jemand sich den äußern Geschäften abzieht, um für Gott frei zu sein, was auf doppelte Weise geschieht: wenn der Mensch auf den in der Schrift redenden Gott hört, was durch die Lesung [lectio] geschieht, oder wenn er zu Gott spricht, was im
Aktives und passives Gebet
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IV. Spirituelle Grundvollzüge
mündlichen Gebet [oratio] geschieht. Die Betrachtung [meditatio] aber verhält sich zu beidem wie ein Mittelding: denn insofern Gott in den Schriften zu uns redet, werden wir durch die Betrachtung im Verstand und im Gemüt Ihm vergegenwärtigt [praesentamur], und so Ihm vorgestellt oder Ihn gegenwärtig habend, können wir durch das mündliche Gebet zu Ihm reden. Daher stellt Hugo drei Teile der Beschauung [contemplatio] auf: 1. die Lesung, 2. die Betrachtung, 3. das mündliche Gebet“ (Sent. komm. 4 d 15; 29:551 f.) Wer sich betend und meditierend auf Gottes Gegenwart hin öffnet und damit rechnet, dass sie ihn verwandeln kann, der übt sich auch in der Kontemplation. Dreihundert Jahre nach Thomas rechtfertigt Teresa von Avila ihr misstrauisch beobachtetes Vorhaben, einen ganzen Konvent zum kontemplativen Gebet hinzuführen, mit dem Argument, dass jedes richtig vollzogene, d. h. wirklich auf Gott ausgerichtete Gebet bereits im Keim kontemplativ sei (Camino de Perf. 37,3). Und Jerónimo Gracián, Teresas engster Vertrauter und Mitstreiter, empfiehlt, sich vor jedem Gebet kontemplativ auf Gottes Gegenwart einzustimmen. Dies gleiche dem Stimmen der Instrumente vor einem Konzert. Denn „wenn nur der Mund spricht, aber das Herz nicht auf den gerichtet ist, zu dem er spricht, dann ist dies im eigentlichen Sinne kein Beten“ (191:345). 3.2 Christliche Kontemplations- und Mystikkritik Auseinandersetzung um die Kontemplation im 17. Jahrhundert
Trotz diesen Klärungen entzündete sich im 17. Jahrhundert erneut ein Streit um das kontemplative Gebet. Der Streit endete mit der kirchlichen Verurteilung wichtiger Vertreter einer kontemplativ geprägten Spiritualität, die als ,Quietismus‘ gebrandmarkt wurde. Die bedeutendsten unter ihnen waren der spanische Priester Miguel de Molinos (1628–1696), die geistliche Schriftstellerin Jeanne-Marie Guyon (1648–1717) und der französische Erzbischofs François de Salignac de la Mothe Fénelon (1651–1715), dessen Schriften auf Druck des französischen Königs zensuriert wurden. Das kirchliche Urteil alledings nicht das kontemplative Gebet als solches. Die Kritik richtete sich vielmehr gegen die tatsächliche oder vermeintliche Abwertung von anderen Gebetsformen sowie gegen die Behauptung, das Ziel des geistlichen Lebens bestünde darin, jegliches Streben nach Tugend und persönlichem Heil aus selbstloser Liebe zu Gott aufzugeben (DH 2212). Dass es sich bei dieser querelle mystique um eine Auseinandersetzung zwischen verschiedenen spirituellen Strömungen innerhalb der katholischen Kirche handelte, zeigt der Entwurf zu einer Instruktion des Hl. Offiziums. In dem 1682 von Kardinal G. Casanate verfassten Text heißt es u. a.: „Da es (…) im Hause des himmlischen Vaters viele Wohnungen gibt, sollen die, welche sich der Meditation widmen, (…) in keiner Weise die, welche auf die Kontemplation bedacht sind, verachten, Müßiggänger nennen oder, was noch übler ist, mit dem Makel der Häresie brandmarken; vielmehr sollen sie die Geschenke, die einem jeden von ihnen von Gott durch die Meditation gewährt wurden, heilig und fromm gebrauchen und genießen, zumal da die Gnade der Kontemplation oft die Höchsten, oft die Geringsten, öfter Fernstehende, bisweilen sogar Ver-
3. Kontemplation und mystische Erfahrung
heiratete empfangen. (…) Damit aber die Lehre vom kontemplativen Gebet, durch das die Seelen der Gläubigen zur höchsten Einheit mit Gott emporgehoben werden, von Irrtümern gereinigt, unversehrt und unverletzt bleibe, sollen sich vor allem die Kontemplativen hüten, zu behaupten oder festzuhalten, die Gegenwart Gottes allein sei an jedem Ort Gegenstand der Kontemplation bzw. des Gebetes, das sie der Ruhe nennen: denn alle Gegenstände der Meditation können, wenn auch in unterschiedlicher Weise, Gegenstände der Kontemplation sein; ebenso sollen sie auch nicht zu behaupten wagen, diejenigen, die sich in der Meditation üben, könnten niemals zu irgendeiner Stufe der Vollkommenheit emporsteigen, wenn sie nicht zum Gebet der Kontemplation übergingen“ (DH 2182, 2185). Die Verurteilung von Molinos, Fénelon und anderer ,Quietisten‘ hatte zur Folge, dass man Aszetik mit der ihr zugeordneten Meditation feinsäuberlich von der Mystik mit ihren besonderen kontemplativen Gnaden zu unterscheiden suchte. Bis weit ins 20. Jahrhundert hinein wurden in der katholischen Kirche alle Versuche, das kontemplative Gebet methodisch zu vermitteln, mit großer Skepsis beobachtet. Die Lage änderte sich erst, als sich, ausgelöst durch ein neues Studium der Quellentexte, allmählich die Meinung durchsetzte, alle Christen seien dazu berufen, die kontemplative Dimension ihres Glaubenslebens zu entfalten (Garrigou-Lagrange/125:19). Redete man im Mittelalter von ,mystischer Kontemplation‘, um besonders intensive Gebetserfahrungen zu beschreiben, so beginnt man im 17. Jahrhundert von ,Mystik‘ und ,Mystikern‘ bzw. ,Mystikerinnen‘ zu sprechen und meint damit zunächst eine bestimmte Strömung innerhalb der Kirche. Das vermutlich erste offizielle Dokument, in dem dieser neue Sprachgebrauch auftaucht, ist bezeichnenderweise die Konstitution Caelestis Pastor vom 20. Nov. 1687, die 68 Sätze von Miguel de Molinos verurteilt. Er findet sich, zusammen mit anderen Schlüsselbegriffen der damaligen Kontroverse, in der folgenden, zensurierten Aussage von Molinos: „Die Mystiker [Mystici ] unterscheiden mit dem Hl. Bernhard [sc. Guigo II.] in der Scala Claustralium vier Stufen: die Lesung, die Meditation, das Gebet und die eingegossene Kontemplation. Wer immer auf der ersten bleibt, geht niemals zur zweiten über. Wer immer auf der zweiten bleibt, gelangt niemals zur dritten, die unsere erworbene Kontemplation [contemplatio acquisita] ist, in der man das ganze Leben hindurch bleiben muß, solange Gott nicht die Seele (ohne daß sie dies selbst erwartete) zur eingegossenen Kontemplation [contemplatio infusa] zieht; und wenn diese aufhört, muß die Seele zur dritten Stufe zurückkehren und auf ihr bleiben, ohne daß sie noch weiter zur zweiten oder ersten zurückginge“ (DH 2223). Leider gibt die Konstitution keine Auskunft darüber, was genau zur Zensur dieser Aussage geführt hat. Ansatzpunkt für die Beanstandung der Aussage war vermutlich weniger der umstrittene Begriff der ,erworbenen‘ (d. h. methodisch erschlossenen) Kontemplation, als die Hierarchisierung der Gebetsformen. Aufgeschreckt haben dürfte die römischen Zensoren besonders die Behauptung, man solle nicht mehr zur Lesung und Meditation zurück-
Neue ,Mystik‘
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IV. Spirituelle Grundvollzüge
Lutherische Kontemplationskritik
tentatio statt contemplatio
kehren, wenn man einmal auf dieser dritten Stufe angelangt sei. Damit werden die geistliche Lesung und das meditative Gebet als niedrige Gebetsstufen gekennzeichnet, die von den Fortgeschrittenen zurückzulassen sind. Wenn man bedenkt, dass es sich bei den zu übersteigenden Gebetsformen um solche handelt, die für Ordensleute und Weltpriester verpflichtend sind, erstaunt es nicht, dass Molinos‘ Lehre das kirchliche Lehramt alarmiert hat. Während man die Möglichkeit einer christlichen Gestalt der Kontemplation auf katholischer Seite nie grundsätzlich in Frage stellte und wichtige Vertreter der neuen mystischen Strömung des 16. und 17. Jahrhunderts heiliggesprochen wurden, setzte die Kontemplationskritik der Reformation grundsätzlicher an. Luther kritisierte nicht nur die linksreformatorische Berufung auf Geistunmittelbarkeit als ,schwärmerisch‘. Er problematisierte ebenso die Vorstellung eines asketisch-mystischen Aufstiegs. Luthers Urteil ist insofern besonders aussagekräftig, als bei ihm die mittelalterlich-mystische Tradition auch positiv zur Geltung kommt. In der Vorrede zur Wittenberger Ausgabe seiner deutschen Schriften von 1539 entwirft Luther ein Modell, das Guigos Vierschritt aufnimmt und auf bezeichnende Weise abwandelt. Da Luther die meditatio mit der lectio identifiziert, unterscheidet er nur drei Schritte: oratio, meditatio und tentatio (= Versuchung, Erprobung, Anfechtung). Dass die oratio am Anfang steht, bedeutet noch keine Abweichung von der Tradition. Es unterstreicht den Gebetscharakter der meditativen lectio divina, die Luther hochschätzt. Auch Luthers Aufnahme des tentatio-Begriffs bedeutet noch keine Abwendung von der monastischen Vorstellungswelt. Ein Bruch geschieht erst dadurch, dass Luther nicht nur den Kontemplationsbegriff aus dem Wortschatz christlicher Gebetslehre streichen möchte, sondern die Möglichkeit einer authentisch-christlichen Form von Kontemplation negiert. Luther vollzieht diesen Schritt in einer antiplatonischen bzw. antiaristotelischen Wendung, die kreuzestheologisch motiviert ist: Der Begriff contemplatio, welcher der antiken Philosophie entstammt, legt nach Luther die Vorstellung eines intellektuellen Aufstiegs nahe, der in seinen Augen mit dem Abstiegsweg christlicher Kreuzesnachfolge nicht vereinbar ist. Mit dem biblischen Begriff der tentatio bringt Luther in gewisser Hinsicht auch ein neuzeitliches Moment ins Spiel: die experimentelle Erforschung, konkret: die Aneignung des Evangeliums im Experiment der Kreuzesnachfolge. Von den aufkommenden Verfahren naturwissenschaftlichen Experimentierens unterscheidet sich Luthers tentatio jedoch in einem Punkt grundlegend: Der Mensch tritt in ihr nicht als aktiv Prüfender auf, sondern als derjenige, der geprüft wird. Mit dem Begriff der tentatio unterläuft Luther die Entgegensetzung von aktivem und kontemplativem Leben, ohne das Erfahrungsmoment preiszugeben: Gottes Wort versteht, wer sich durch dieses Wort auslegen und erproben lässt. Das Evangelium erschließt sich, wo jemand es zu leben versucht und der Bedrängnis nicht ausweicht, die ein solches Leben mit sich bringt. Mit seiner Sicht des christlichen Lebens als vita passiva steht Luther in der Tradition spätmittelalterlicher Mystik. Dieser Strang des lutherischen Denkens wird von seinen Nachfolgern aber kaum aufgenommen. Die reformatorischen Vorbehalte gegen die mystisch-kontemplative Tradition bestätigten und verstärkten sich noch, als man durch die historisch-kritischen Forschungen des 18. und 19. Jahrhunderts den Einfluss der hellenistischen Philosophie auf die christliche
3. Kontemplation und mystische Erfahrung
Mystik noch deutlicher erkannte. Für führende lutherische Theologen wie Albrecht Ritschl und Adolf von Harnack lag es nahe, die mittelalterliche bzw. die neuzeitlich-katholische Mystik als die fernen Ausläufer eines christlichen Neuplatonismus zu interpretieren und damit als eine zu überwindende Entfremdung des reinen Evangeliums (McGinn/39:386 ff.). 3.3 Neubewertung mystischer Traditionen im 20. Jahrhundert In den ersten drei Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts kommt es zu einer konstruktiven theologischen Neuentdeckung christlicher Mystik. Auf katholischer Seite führt das erklärte Bestreben, der Mystik ihren Platz im christlichen Leben und in der theologischen Lehre wiederzugeben, zur Errichtung neuer Lehrstühle für aszetische und mystische Theologie. Diese Bewegung wurde von höchster kirchlicher Seite unterstützt. Dass der lange Zeit umstrittene Johannes vom Kreuz im Jahre 1926 zum Kirchenlehrer erhoben wird, bedeutete eine indirekte Rehabilitation einer geistlichen Tradition, die seit dem 18. Jahrhundert unter Quietismusverdacht stand. Auf evangelischer Seite machten Theologen wie Ernst Troeltsch und Rudolf Otto auf die mystischen Quellen der Reformation aufmerksam, während Albert Schweitzer die mystischen Aspekte der paulinischen Briefe herausarbeitete. Hinter der akademischen Neubewertung der mystischen Tradition, die teilweise schon auf ein erstarktes Interesse an fernöstlichen Religionen reagierte, steckte nicht zuletzt auch ein pastorales Anliegen. Die starke Intellektualisierung und Moralisierung der religiösen Praxis hatte in beiden Konfessionen ihre Spuren hinterlassen. Von einer Neubesinnung auf die Quellen christlicher Spiritualität versprach man sich eine Erneuerung des geistlichen Lebens. Réginald Garrigou-Lagrange, der über Jahrzehnte zu den beherrschenden Gestalten der katholischen Neuscholastik gehörte und maßgeblich an der Neubewertung der mystischen Tradition beteiligt war, beschreibt 1923 in der Einleitung seines spiritualitätstheologischen Hauptwerks die disparate Situation folgendermaßen:
Der ,renouveau mystique‘
Pastorale Anliegen
„Das vorliegende Buch will den Weg der Vereinigung weisen und anleiten, daß alle diesen Weg einschlagen und keine Anstrengung scheuen, ihn zu Ende zu gehen. Manche reden viel von Mystik, verstehen sie falsch und treiben Mißbrauch mit ihr, wie man das Beste, selbst die Heilige Schrift, mißbrauchen kann. (…) Andere, in viel größerer Zahl, kennen die Mystik nicht, wollen sie anscheinend nicht kennen. Sie bauen nur auf eigene Anstrengung und gewöhnlichen Gnadenbeistand. Deshalb trachten sie nach gewöhnlicher Tugend, nicht nach Vollkommenheit. Sie scheint ihnen zu hoch. Das Wirken vieler Ordensleute und Priester, das sehr fruchtbar sein könnte, geht darum nicht über ein gewisses Mittelmaß hinaus. Zum Teil wenigstens rührt das von der ersten Erziehung her, von ungenauen Vorstellungen über die göttliche Vereinigung, nach der jeder Christ zu Recht streben kann und soll“ (125:2). Der von Garrigou-Lagrange vertretenen dominikanischen Schule kommt das Verdienst zu, im Rückgriff auf mittelalterliche und frühneuzeitliche Quellen die allgemeine Berufung zur Kontemplation neu bewusst zu machen. Zur gleichen Zeit begannen Jesuiten wie Joseph Maréchal, religionspsychologi-
Das Konzept der ,natürlichen Mystik‘
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IV. Spirituelle Grundvollzüge
,Perennialisten‘ und ,Konstruktivisten‘
sche und religionsvergleichende Fragestellungen in die theologische Diskussion einzubringen. Maréchal beschäftigte sich als Religionspsychologe bereits früh mit der islamischen Mystik, dem Hinduismus und dem Buddhismus. Zur Erklärung der religionsgeschichtlichen Parallelen postulierte Maréchal eine natürliche Mystik, „die durch die gnadenhafte Mystik vollendet wird, aber deshalb nicht (…) bloße Pseudo-Mystik ist, sondern in sich Gültigkeit besitzt“ (Baier/154:572). Das Argument, das Maréchal zur Begründung seiner Sicht entwickelte, sollte in der katholischen Theologie des 20. Jahrhunderts großen Nachhall finden. Es beruht auf dem nicht neuen Gedanken, dass der menschliche Geist sich in der Erkenntnis des Seienden immer schon auf ein umfassendes Sein, auf ein esse commune, transzendiert, das auf das absolute Sein Gottes verweist. Bei Karl Rahner, der Maréchals Konzept einer natürlichen Mystik aufnimmt und weiterentwickelt, kommt die Unterscheidung zwischen natürlicher und übernatürlicher Mystik ins Fließen. Nach Rahner ist nämlich die dem menschlichen Geist eigene Tendenz zur Selbsttranszendenz durch die zuvorkommende Gnade immer schon potentiell auf die göttliche Unmittelbarkeit hin finalisiert und radikalisiert. Deshalb hält er es für denkbar, dass jeder „naturale Akt der Versenkung (…) immer und überall gnadenhaft erhoben ist“ (382:436). Innerhalb des Jesuitenordens diente das Konzept der natürlichen Mystik u. a. dazu, Versuche einer christlichen Aneignung der Zen-Meditation theologisch zu rechtfertigen. So unterscheidet Hugo Enomiya-Lassalle (1898–1990), der Pionier der christlichen Zenbewegung, zwischen der konkreten Meditationmethodik, die dem naturalen Bereich zuzuordnen sei, und der religiösen Ausdeutung der meditativ erschlossenen Erfahrungen. Der Zen, dessen Geschichte und Gegenwart er ausgiebig studiert hatte, sei „mehr ein psychosomatisches Phänomen denn eine Philosophie“ und darum „durch seine geistigen Hintergründe allein nicht hinreichend [zu] erklären“ (367:239). Die Wirksamkeit des Zazen bestehe in einer „geschickten Ausnutzung der natürlichen Kräfte“ (368:88). Das Satori ordnet EnomiyaLassalle entsprechend der „erworbenen Beschauung“ zu (368:94). Der Versuch, die christliche Zen-Praxis durch den Rekurs auf eine ,natürliche Mystik‘ zu rechtfertigen, hat verschiedenerlei Kritik auf sich gezogen. So lässt sich beispielsweise fragen, ob die Methodik des Zen nicht viel enger mit dem buddhistischen Wirklichkeitsverständnis verschränkt ist, als Enomiya-Lassalle es darstellt. Welche Sicht man in dieser Frage einnimmt, hängt u. a. davon ob, wie man das Verhältnis zwischen mystischer Erfahrung und religiöser Deutung bestimmt. Einflussreiche Autoren wie Aldous Huxley und Walter T. Stace deuteten die Unaussprechlichkeit mystischer Erfahrung als Hinweis auf einen gemeinsamen Kern aller Mystik. Nach diesem ,perennialistischen‘ Modell liegt die mystische Erfahrung jenseits der unterschiedlichen religiösen Konzeptionen und Ausdeutungen. In gewisser Weise gehört auch das oben erwähnte Konzept einer natürlichen Mystik auf diese Seite, mit dem Zusatz allerdings, dass es die ,übernatürliche‘ Mystik durch das christliche Offenbarungsereignis vermittelt sieht. Der mystische Weg, so wird argumentiert, lebt in seinen christlichen und nicht-christlichen Ausprägungen von einer existentiell vollzogenen via negationis. Durch Selbstentleerung und dem Überschreiten konzeptionell geformter Erfahrungsmodi komme es zu einer überbegrifflichen und intuitiven Wahrnehmung einer
3. Kontemplation und mystische Erfahrung
umfassenden Einheit. Nach der perennialistischen Mystikdeutung hat die scharfe Unterscheidung zwischen ursprünglicher Erfahrung und nachträglicher Interpretation eine wahrnehmungsleitende Funktion für religiöses Selbstverständnis überhaupt. Religionen und spirituelle Praktiken sollen nach dieser Deutung helfen, das mystische Einheitsbewusstsein durch Askese und Mystagogie vorzubereiten und es im Blick auf eine verantwortungsvolle Lebenspraxis auszudeuten. Das perennialistische Verständnis von Mystik ist sowohl von philosophischer als auch von theologischer und religionswissenschaftlicher Seite kritisiert worden. Aus philosophischer Sicht ist die Vorstellung einer Wahrnehmung jenseits von kulturell geformten Konzepten einigermaßen naiv. Die oft bemühte Analogie zwischen mystischer Erfahrung und sinnlicher Wahrnehmung markiert die Achillesferse des perennialistischen Modells. Das Gefühl von Unmittelbarkeit und Fülle, das sowohl das sinnliche als auch das mystische Erleben auszeichnet, berechtigt keinen Schluss auf eine transkategoriale Erfahrungsebene. Denn bekanntlich ist auch sinnliches Erleben auf hochkomplexe Weise kulturell geformt. Aus religionswissenschaftlicher Seite wurde eingewandt, dass die perennialistische Sicht die Differenzen zwischen den unterschiedlichen mystischen Traditionen überspiele und ihre Eingebundenheit in eine bestimmte religiöse Tradition verwische. Gershom Scholem betonte z. B. in diesem Zusammenhang, dass es keine „Mystik an sich“ gebe, „sondern nur Mystik von etwas, Mystik einer bestimmten religiösen Form“ (385:6). Nach Scholems ,konstruktivistischer‘ Deutung taucht Mystik nicht am Anfang, sondern in einer Spätphase einer Religion auf und setzt eine bereits fortgeschrittene religiöse Selbstreflexion voraus. Das Gemeinsame der verschiedenen Formen mystischer Erfahrung sieht er in der besonders intensiven Verinnerlichung der vorgegebenen religiösen Tradition. Aus theologischer Sicht wird zu bedenken gegeben, dass die Betonung mystischer Unmittelbarkeit die positive Bedeutung verkenne, die dem vermittelnden Wort in der christlichen Tradition zukomme. Am schärfsten artikulierte diese Kritik Emil Brunner, wobei er perennialistisches Mystikverständnis und ,Mystik‘ identifiziert. Zwischen christlichem Glaube und mystischer Religiosität besteht nach Brunner ein tiefer Gegensatz. Zwar spreche auch die Mystik vom Wort, „aber nicht vom äußeren, geschichtlichen, nie vom einmaligen Faktum (…). Anderseits spricht auch der christliche Glaube vom Geist. Aber nur der kann behaupten, ,Wer Geist sagt, der sagt Mystik‘ [R. Otto], der nicht bemerkt hat, daß der christliche Glaube nie anders vom Geist spricht als im Zusammenhang mit dem äußeren Wort und der Tatsache des einmaligen Versöhnungsgeschehens“ (364:385). Bei aller Einseitigkeit, mit der Brunner seinen Kampf gegen die Reduktion des christlichen Glaubens auf eine ,mystische‘ Gefühlsreligion führt, macht er auf eine Grundspannung aufmerksam, die für christliche Mystik kennzeichnend ist. Die contemplatio mystica, die Guigo II. an die Spitze seiner vierstufigen Leiter platzierte, kommt, wie alle christliche Spiritualität, aus dem glaubensschaffenden Hören auf Gottes Wort, ist selber aber ein Widerfahrnis, das in gewisser Weise jenseits aller Worte liegt. Der Weg von der meditativen Lesung der Hl. Schrift bis zur mystischen Kontemplation, den Guigo als Vierstufenweg beschreibt, ist nach diesem klassischen Verständnis
Mystische Unmittelbarkeit und worthafte Vermittlung
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IV. Spirituelle Grundvollzüge
ein Weg vom Hören zur verkostenden Schau, vom verheißungsvollen Wort von Gottes Nahekommen zur ,unmittelbaren‘ Wahrnehmung seiner Gegenwart. Dass dieses Wegmodell nicht unbedingt als platonischer Aufstieg zur unmittelbaren ,Schau‘ der Wahrheit gelesen werden muss, sondern biblische Wurzeln hat, wird oft übersehen. Nicht nur die Neuplatoniker, sondern auch die Schriften des Alten Testaments reden von einer ,unmittelbaren Schau‘, um die höchste Erfüllung menschlichen Strebens zu umschreiben. Die intensivste Form, Gottes Gegenwart zu erfahren, wird alttestamentlich als ein Schauen von Angesicht zu Angesicht beschrieben. Die Unmittelbarkeit dieses face-to-face hat ihre Pointe nicht im Fehlen von Kommunikationsmedien, sondern in ihrer Eindeutigkeit sowie der ungetrübten Nähe und der Kopräsenz der ungleichen Kommunikationspartner. Während das ,Gesicht‘ Gottes für seine dem Menschen zugewandte Gegenwart steht (Gen 32,31, Num 6,25 f.), bezeichnet das gottzugewandte Gesicht den erlösten Menschen (Ex 34,29). Wie bei Guigo ist diese unmittelbare Schau der Endpunkt eines langen Prozesses, der mit dem gläubigen Hören beginnt. So kann Hiob resümieren: „Vom Hörensagen nur hatte ich von dir vernommen; jetzt aber hat mein Auge dich geschaut“ (42,5). Ihre Prägnanz erhält alttestamentliche Metaphorik der unmittelbaren Gottesschau durch den Kontrast zur Rede vom abgewandten oder verborgenen Antlitz Gottes (Ps 13,2 u. ö.). Sie steht für die leidvolle Erfahrung der Abwesenheit Gottes, für seine sehnsuchtserweckende Selbstverbergung. Bei Paulus taucht die Schau von Angesicht zu Angesicht in eschatologischer Neuakzentuierung wieder auf: „Jetzt schauen wir in einen Spiegel und sehen nur rätselhafte Umrisse, dann aber schauen wir von Angesicht zu Angesicht. Jetzt erkenne ich unvollkommen, dann aber werde ich durch und durch erkennen, so wie ich auch durch und durch erkannt worden bin“ (1 Kor 13,12). Der Schlusssatz überführt das Nacheinander – jetzt: Schau in einen matten Spiegel; dann: Schau von Angesicht zu Angesicht – in eine spannungsvolle Gleichzeitigkeit: Wir sind schon erkannt, auch wenn wir selber noch nicht voll erkennen. Die Nähe zu Gott, auf die sich Glaubende hoffend ausstrecken, ist ihnen verborgen schon gegeben. In pointierter Aufnahme der Gesichts- und Spiegelmetaphorik wird das in 2 Kor 3 weiter entfaltet. Während Mose sein Gesicht verhüllte, „damit die Israeliten das Verblassen des Glanzes nicht sahen“ (3,13), schauen und widerspiegeln Menschen, die sich Christus zuwenden, „mit enthülltem Angesicht die Herrlichkeit des Herrn und werden so in sein eigenes Bild verwandelt“ (3,18). Die einzigartige Gotteserfahrung des Mose wird in dieser Deutung universalisiert und überboten. Als sich bereits realisierende Verheißung ist sie allen geschenkt, die sich in die Wirklichkeit Christi hineinholen lassen. Legt man 2 Kor 3,18 neben Guigos Stufenweg, so unterscheiden sich die beiden Modelle nicht darin, dass der Kartäuser die kontemplative Wahrnehmung vom Hören auf das Wort abhebt, sondern dass er sie an den Schluss einer mühsam zu erklimmenden Leiter stellt. Die Entrückung christlicher Kontemplation in ferne Höhen, die der gewöhnliche Christ kaum je erreichen kann, führte zu ihrer Marginalisierung. Als Gebet von Gottes lebendigem Geist, der das menschliche Herz mit seinem Seufzen und Rufen in Bewegung bringt, ist die kontemplative Erfahrung nicht erst am Endpunkt, son-
3. Kontemplation und mystische Erfahrung
dern bereits am Anfang des christlichen Gebetsweges gegeben. Dass es der Geduld und der Mühe bedarf, um dem Beten des Geistes in sich Raum geben zu können, ist die bleibende Wahrheit der Metapher von der Himmelsleiter. Um ihr den Anstrich des Elitären zu nehmen und den Gegensatz von vermittelndem Wort und unmittelbarem Bewusstsein von Gottes Gegenwart aufzuheben, paradoxiert Hans Urs von Balthasar das Modell des geistlichen Aufstiegs: „Am Wort der Schrift beginnt die Himmelsleiter der Kontemplation, und keine Stufe führt über das Hören des Wortes hinaus“ (155:6). Balthasars Deutung findet einen Rückhalt in Guigos Werk selbst, das die Leitmetapher von einer viersprossigen Himmelsleiter weniger schematisch ausdeutet, als man es erwarten könnte. Die vier Gebetsformen, die als Einzelstufen unterschieden und hierarchisiert werden, spielen nach Guigos Erläuterungen dynamisch ineinander. Guigo beschreibt nicht nur Stufen des Gebetes, sondern auch einen christlichen Reifungsweg. Im folgenden Kapitel soll untersucht werden, ob sich auch aus heutiger Sicht allgemeine Gesetzmäßigkeiten ausmachen lassen, die den Weg spiritueller Reifung charakterisieren.
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V. Lebens- und glaubensgeschichtliche Dimensionen Was im ersten Kapitel als Hermeneutik des geistbestimmten Lebens entworfen wurde, findet seinen Prüfstein in der Darstellung der lebens- und glaubensgeschichtlichen Dimensionen christlicher Spiritualität. Zunächst sollen die wichtigsten Wegmodelle rekonstruiert werden, die die christliche Selbstauslegung bis ins 20. Jahrhundert bestimmten. Diese klassischen Versuche, die Entwicklungsdynamik eines geistlichen Lebens aus der gläubigen Innenperspektive zu beschreiben, werden dann in einem zweiten Schritt mit einigen Modellen jüngeren Datums ins Gespräch gebracht, die sich an entwicklungspsychologischen Konzeptionen menschlicher Reifung orientieren. Der letzte Abschnitt wendet sich zwei Entwürfen zu, die die Gesetzmäßigkeiten eines geistlichen Wegs im Rahmen einer theologischen Anthropologie zu begreifen suchen.
1. Theologisch-mystagogische Wegmodelle Die Schriften des Neuen Testaments sprechen vom geistlichen Fortschritt in einer offenen, bildhaft geprägten Sprache. Während die Evangelien den christlichen Weg als mühevollen Prozess der Umkehr sowie der Bewährung und Vertiefung des Glaubens schildern, kennzeichnet die Briefliteratur das Bemühen, die Grundunterscheidung zwischen altem und neuem Leben bzw. zwischen dem Weg zum Glauben und dem Weg aus dem Glauben in Erinnerung zu halten und zur Beharrlichkeit auf dem begonnenen neuen Weg zu ermutigen (Röm 12,2; 13,11–14; 2 Kor 5,17–19 etc.). Aufs Ganze gesehen dominiert hier die Diskontinuität von Einst und Jetzt, von Alt und Neu. Gleichzeitig finden sich eine Reihe von aussagekräftigen Metaphern, die das authentische christliche Leben als eines beschreiben, das mehr und mehr zur Fülle heranreifen möchte: Die Christinnen und Christen, die in den neutestamentlichen Briefen angesprochen werden, sollen sich von Säuglingen und unmündigen Kindern (1 Kor 3,1; 14,20; vgl. auch Kol 4,12; Hebr 5,14) zu erleuchteten Glaubenden entwickeln (1 Kor 2,6; 14,20; Phil 3,15). Sie sollen Wachsen im Glauben, in Gnade und in Gotteserkenntnis (2 Kor 10,15; vgl. auch Eph 4,15; Kol 1,10; 2 Petr 3,18), ihr Denken und ihre Lebenspraxis erneuern (Röm 12,2) und so zur vollen Reife in der Fülle Christi gelangen (Eph 4,13). Die in den nächsten Abschnitten betrachteten Versuche, die Konstanten des christlichen Weges zu schematisieren, lassen sich dadurch voneinander abheben, dass sie die beiden neutestamentlichen Grundaussagen, nämlich die Diskontinuität zwischen altem und neuem Leben auf der einen Seite und die Kontinuität des Wachsens im Glauben auf der anderen Seite, in unterschiedlicher Weise gewichten und miteinander vermitteln.
1. Theologisch-mystagogische Wegmodelle
1.1 Die triplex via Im Prolog zu seinem Hoheliedkommentar skizziert Origenes ein Modell des geistlichen Weges, das in der Geschichte christlicher Spiritualität eine lange und reiche Wirkungsgeschichte entfalten wird. In den Kirchen des Ostens kommt ihm bis in die Gegenwart eine normative Funktion zu (Larchet/390; Ware/75). Ausgangspunkt der origenischen Reflexion über die Stufen geistlicher Entwicklung sind die drei Hauptdisziplinen griechischer Philosophie, die bereits in vorchristlicher Zeit in pädagogischer Absicht mit den Initiationsphasen der Eleusinischen Mysterien parallelisiert wurden: Ethik, Physik und Epoptik, was man mit ,Schaulehre‘ (disciplina inspectiva) übersetzen kann (comm. in Hld, Prol. 3; Hadot/325:436 ff.). Nach Origenes entsprechen diesen drei Etappen philosophischer ,Einweihung‘, die über den Weg der ethischen Läuterung und der Welterkenntnis zur Gotteserkenntnis führt, drei biblische Schriften, die in der von Origenes benutzten Ausgabe des Alten Testaments aufeinander folgen: die Sprichwörter, das Buch Kohelet und das Hohelied. Während die Sprichwörter zu einer gottgemäßen Lebensführung anleiten und der Prediger hilft, die Grenzen der Welterkenntnis und des weltlichen Strebens zu erkennen, flößt das Hohelied der Seele die Liebe für Gottes Reich ein und weckt die Sehnsucht nach ihm. Der Weg, den die drei Bücher beschreiben, führt von der Läuterung (purificatio) über das Erwerben der Unterscheidungsgabe (discretio) zur kontemplativen Schau (contemplatio mystica; 3,16). Es ist, so führt Origenes weiter aus, der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs, der Christen auf diesen Weg ruft: Durch seine Bereitschaft, seine Heimat, seine Verwandtschaft und seinen Besitz zurückzulassen, präfiguriere Abraham die Läuterungsphase. Isaak, der die zugeschütteten Brunnen wieder ausgraben ließ (Gen 26,18), symbolisiere die Suche nach dem Grund der Dinge. Jakob schließlich, der die Himmelsleiter erblickte (Gen 28,12) und Gott von Angesicht zu Angesicht sehen durfte (Gen 32,31), könne als das Innbild der kontemplativen Stufe betrachtet werden (3,18 f.). Diese allegoretisch erschlossene Dreiteilung, die von Origenes selber nicht weiter ausgebaut wird, erhält eineinhalb Jahrhunderte später im Werk des Evagrios Pontikos eine Schlüsselstellung. Der geistliche Weg führt nach Evagrios, der jeder Stufe ein eigenes Werk widmet, von der asketisch-ethischen Läuterungsphase (praktike) über die Stufe der Welterkenntnis (gnostike physike) zur Gotteserkenntnis (gnostike theologike). Als treuer Schüler des Origenes übernimmt Evagrios auch die Methode der heilsgeschichtlichen Typologie. Der geistliche Weg des Einzelnen wiederholt den Weg Israels ins gelobte Land: „Ägypten bedeutet das Laster, die Wüste die Praktike, das Land Juda die Kontemplation der sichtbaren Welt, Jerusalem die der unsichtbaren Welt, und der Zion ist Symbol der Dreifaltigkeit“ (keph. gnost. VI,49; 10:221). Kanonisch wird das Modell der drei Wege aber weniger durch die asketisch-mystagogischen Schriften des Evagrios, als durch seine theologische Begründung im etwa hundert Jahre später entstandenen Corpus Dionysiacum. Den drei Stufen entsprechen bei Dionysios Ps.-Areopagita drei sakramentale Vollzüge: Taufe, Eucharistie und Myronweihe (e. h. 2–4). Entgegen der Tendenz, das Modell der drei Wege primär dem asketischen Streben der Einzelnen zuzuordnen, bindet Dionysios die Reinigung, Er-
Das Modell des Origenes
Systematisierung durch Evagrios und Dionysios Areopagita
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V. Lebens- und glaubensgeschichtliche Dimensionen
Abendländische Rezeption
leuchtung und Vervollkommnung an das kirchliche Leben zurück und interpretiert sie als Gaben, die in der gemeinsamen Feier des Heilsmysteriums empfangen werden. Ihre über Jahrhunderte unbestrittene Geltung verdankte das areopagitische Wegmodell nicht nur dem Faktum, dass Dionysios bis in die frühe Neuzeit als Apostelschüler galt, sondern ebenso seiner synthetischen Kraft und Geschlossenheit. Die areopagitische Verknüpfung von kirchlich-sakramentaler Ordnung und geistlichem Wegmodell wird auch von den Schultheologen des Westens übernommen und gehört in Thomas‘ Summa zu den systembildenden Gedanken (Horst/264). Vielleicht noch bedeutsamer für die westkirchliche Spiritualitätsgeschichte ist die Gestalt, die die DreiWege-Lehre in Bonaventuras Werk De triplici via erhält. Diese nach 1259 verfasste ,Summe der mystischen Theologie‘ entwickelt die dionysische Vorlage in origineller Weise weiter. Schon Bonaventuras singularische Rede vom ,dreifachen Weg‘ ist bemerkenswert. Sie korrigiert die dem Modell innewohnende Gefahr, sich die Sequenz der Stufen allzu schematisch vorzustellen. Bonaventura betont demgegenüber, dass der christliche Weg, den er durch die Abfolge meditatio, oratio, contemplatio charakterisiert, stets die drei Momente von Läuterung, Erleuchtung und Vereinigung enthält. Marianne Schlosser erläutert Bonaventuras Vorstellung folgendermaßen: „Welche Weise man auch wählt, um sich Gott zu nähern, der geistliche Weg ist immer durch die Elemente der Reinigung (denn Gott ist der unveränderlich Heilige), der Erkenntnis (denn er ist die Wahrheit) und der Beglückung gekennzeichnet (denn er ist die Liebe)“ (5:22). In seiner anreichernden Ausgestaltung des Modells orientiert sich Bonaventura ebenso an der zisterziensischen wie der franziskanischen Tradition. Von Bernhard von Clairvaux, der in seiner berühmten dritten Predigt zum Hohelied den Weg zur Gottesliebe mit drei Küssen vergleicht (Fußkuss, Handkuss, Mundkuss), übernimmt er den Gedanken, dass der dreifache Weg von der reinigenden Selbsterkenntnis über die Dankbarkeit, die erleuchtet und in Staunen versetzt, zur liebenden Vereinigung führt. Die franziskanische Färbung zeigt sich besonders in Bonaventuras Interpretation der via unitiva als wachsende Entflammung zur Gottesliebe. Sie entspricht der Weise, wie Franziskus in seinem ,Brief an den Orden‘ den dreifachen Weg aufnimmt. Der Brief endet mit dem Gebet, Gott möge in den Brüdern den Willen zum Guten erwecken, damit sie „innerlich geläutert (mundati ), innerlich erleuchtet (illuminati ) und vom Feuer des Heiligen Geistes entflammt (accensi ), den Fußspuren deines geliebten Sohnes unseres Herrn Jesus Christus folgen können“ (12:154). Der feurigfranziskanische Akzent wird von Bonaventura unterstrichen: Der geistliche Weg finde seine Erfüllung in einer dreifachen Entflammung am „Feuerfunken der Weisheit“: „Zuerst muß dieser Funke sich sammeln, sodann angefacht werden, drittens hoch auflodern“ (1,15; 5:113). In der ebenfalls franziskanisch beeinflussten dreiteiligen Divina Commedia findet die triplex via im 14. Jahrhundert ihr dichterisches Denkmal. Dante, der auch mit dem corpus dionysiacum vertraut ist, stellt den Erleuchtungsweg voran, indem er der Durchquerung des Purgatoriums einen descensus ad inferos, einen Abstieg in die menschlichen Abgründe voranstellt. Dass dieser Abstiegsweg der Selbsterkenntnis in der Lebensmitte zu lokalisieren ist, wie Dante ganz zu Beginn seines Meisterwerks andeutet, ist eine Beobachtung, die weiter
1. Theologisch-mystagogische Wegmodelle
unten im Zusammenhang mit der Zweiten Bekehrung zu bedenken sein wird. In den barockscholastischen Kompendien zur theologia spiritualis fungiert die triplex via als Leitfaden und organisierendes Strukturprinzip. Dass diese spiritualitätstheologische Kanonisation des Modells nicht unbestritten war oder es zumindest in seiner Auslegung Meinungsverschiedenheiten gab, zeigt die von Innozenz XI. verurteilte Aussage von Miguel de Molinos, die Rede von den drei Wegen sei „der größte Unsinn, der in der Mystik gesagt wurde“. Es gebe nämlich nur einen einzigen Weg, nämlich den inneren Weg (DH 2226). Die lehramtlichen Vorbehalte gegen Molinos‘ Kritik dürften von der Befürchtung getragen sein, hier werde die mühselige via purgativa umgangen und ein direkter Sprung ins mystische Leben versucht. Dass die triplex via bis weit ins 20. Jahrhundert hinein das maßgebliche katholische Interpretationsmodell für die christliche Reifung darstellt, lässt sich daran ablesen, dass sie nicht nur Adolphe Tanquereys vielgelesenen Précis de théologie ascétique et mystique strukturiert (1923–1925), sondern Louis Bouyer noch zu Beginn der Konzilszeit darauf zurückgreift. Seine Introduction à la vie spirituelle, die 1965 auch auf Deutsch erscheint, ist ein Werk des Übergangs. Beeinflusst vom renouveau biblique et patristique und von neuen geistlichen Bewegungen innerhalb der katholischen Kirche lässt es die barockscholastische Denkform hinter sich zurück, ohne sich allerdings auf die entwicklungspsychologischen Konzeptionen einzulassen, die in den folgenden Jahrzehnten die Diskussion bestimmen werden. Dass in den spiritualitätstheologischen Handbüchern der Gegenwart das traditionsreiche und einst quasi-kanonische Modell des dreifachen Weges bestenfalls noch als historische Reminiszenz auftaucht, dürfte verschiedene Gründe haben: Zum einen folgt es einer mystagogischen Logik, die sich mit den gängigen entwicklungspsychologischen Modellen nur schwer vereinbaren lässt. Zum anderen ist für viele Christen sowohl der Gedanke einer asketischen Läuterung als auch die Idee einer mystischen Vereinigung mit Gott suspekt geworden (Außerleitner/308). Bemerkenswerterweise kommt es in der gleichen Zeit, in der die triplex via aus dem Bewusstsein christlicher Spiritualität verschwindet, zur christlichen Rezeption von therapeutischen und fernöstlichen Modellen, die in pointierter Weise von Läuterung, Erleuchtung und Einswerdung sprechen. Angesichts der Popularität von synkretistischen Synthesen, in denen die verschiedenen Traditionsströme zu mitunter hochkomplexen Stufenmodellen verschmolzen werden, erstaunt es, dass es die christliche Spiritualitätstheologie bisher weitgehend versäumt hat, die Drei-Wege-Lehre im Kontext der Gegenwart neu zu entfalten. Im Horizont einer Taufspiritualität läge es nahe, sie als baptismale Sequenz zu interpretieren, die den christlichen Weg symbolisch vorwegnimmt und bleibend bestimmt. Das Modell der triplex via kommt auch der neuen Sensibilität für Übergangsriten entgegen. In seiner Struktur entspricht es der dreigestuften Abfolge von Trennungs-, Schwellen- und Angliederungriten, die helfen, lebensgeschichtliche Übergänge, aber auch die Schwellenerfahrungen des Alltags kreativ zu gestalten (337:212 ff.). Aus dieser Perspektive fällt es auch nicht schwer, die Drei-Wege-Lehre biblisch zu fundieren: als heilsgeschichtliche Sequenz von Exodus, Wüste und Heimkehr oder als Pilgerrhythmus von Aufbruch, Unterwegssein und Ankunft (Ps 84,6–8).
Neuzeitliche Kanonisierung des Modells
Heutige Rezeptionsmöglichkeiten
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V. Lebens- und glaubensgeschichtliche Dimensionen André Louf: Unglaube – Umkehr – Gnade
Eine bemerkenswerte Neuinterpretation des dreifachen Weges findet sich beim belgischen Zisterzienser André Louf. Sein Deutungsversuch unterscheidet sich dadurch von der klassischen Sicht des dreifachen Weges, dass er das Modell paulinisch reformuliert. Auch Louf unterscheidet zwischen drei sich überlagernden Etappen des christlichen Weges, doch benennt er diese in paulinisch-augustinischer Tradition als Zeit des Unglaubens, der Umkehr und der Heiligung. Christen befinden sich nach diesem Deutungsmodell zeitlebens im Übergang vom Unglauben zum Glauben. Sünde, Umkehr und Heiligung sind nach Louf das tägliche Brot und Los der Christen. Für diese Dynamik des Übergangs findet er eine Formel, die an das lutherische ,Gerecht und sündig zugleich‘ erinnert, sich von ihr aber dadurch unterscheidet, dass sie das Streben nach Vollkommenheit positiver auszeichnet: „Wir bleiben immer Sünder, wir sind unablässig dabei, uns zu bekehren, und in dieser Umkehrbewegung werden wir beständig geheiligt durch den Heiligen Geist“ (194:14 f.). Loufs Deutung des christlichen Weges könnte sich, ähnlich wie Luthers ,Simul iustus et peccator‘, den Vorwurf einhandeln, er unterschätze die verwandelnde Kraft der Heiligung und verwische den Unterschied zwischen faktischem Unglauben und der Anfechtung des Glaubens durch den Unglauben. Der Gedanke, dass im Glauben Fortschreiten ein tägliches Beginnen bedeutet, hat allerdings, wie weiter oben aufgezeigt wurde, eine illustre monastische Vorgeschichte. Seine lutherische Nachgeschichte wird im übernächsten Abschnitt zu bedenken sein. Es gehört zu den wenig bemerkten Ereignissen der geistlichen Ökumene, dass sich dieser Gedanke auch, wie schon erwähnt, in einer frühen Enzyklika von Johannes Paul II. findet: Christsein heißt, leben in statu conversionis et viatoris (Dives in misericordia 13/ 402). 1.2 Zweite Umkehr
Die Ursprünge des Modells
Das Modell des geistlichen Weges, welches das Moment der ,Zweiten Umkehr‘ ins Zentrum der mystagogischen Aufmerksamkeit stellt, kann als Variation des dreifachen Weges betrachtet werden. Das Motiv ist christlich durch die Umkehr des Paulus vorgeprägt, die ja keine einfache Bekehrung vom Unglauben zum Glauben war, sondern von einer gläubigen Verblendung zum erleuchteten Christusglauben. Katharina von Siena verweist auf den Weg des Apostels Petrus, der nach seiner dreifachen Verleugnung Jesu einer zweiten Bekehrung bedurfte (Dial. II,60; 6:72; vgl. Lk 22,32.61 f.). Seine für die westkirchliche Tradition paradigmatischen Ausgestaltungen findet die Vorstellung einer Zweiten Umkehr in den Confessiones Augustins und, weniger auffällig, in der Regel des Benedikt von Nursia. Während Augustinus seinen langen Weg vom Irr- und Kleinglauben zum radikalen Christsein autobiographisch nachzeichnet, beschreibt Benedikt im Prolog seiner Regel den Weg des Mönches als ein Voranschreiten, das an einem bestimmten Punkt von den Mühen des Anfangs in die Freuden des Bewährten übergeht: „Wer aber im klösterlichen Leben und im Glauben voranschreitet, dem weitet sich das Herz, und mit der unsagbaren Freude der Liebe eilt er voran auf dem Weg der Gebote Gottes“ (4:45). Benedikt artikuliert eine Erfahrung, die im Kontext des Mönchtums bereits eine gewisse Tradition hat. Von der
1. Theologisch-mystagogische Wegmodelle
,Wüstenmutter‘ Synkletika (gest. um 400) wird beispielsweise der folgende Ausspruch überliefert: „Die Amma Synkletika sprach: Die zu Gott gehen, haben am Anfang Kampf und vielerlei Beschwerde. Hernach jedoch ist die Freude unaussprechlich. Wie nämlich diejenigen, die Feuer anzünden wollen, zuerst vom Rauch belästigt werden und weinen müssen und auf diese Weise das Gewünschte erreichen – denn es steht geschrieben: Unser Gott ist ein verzehrendes Feuer (Hebr 12,29) –, so müssen auch wir das göttliche Feuer in uns entfachen mit Tränen und Mühen“ (Apophth. Patr. 892; 1:291). Der Gedanke, dass es bei ernsthaftem Bemühen um ein geistbestimmtes Leben irgendwann zu einem Durchbruch kommt, der eine radikalere Form der Lebenshingabe eröffnet, wird in spätmittelalterlicher Zeit psychologisch vertieft. Der von Meister Eckhart geprägte Predigermönch Johannes Tauler (gest. 1361), der später auch von Luther und den Pietisten mit großer Zustimmung gelesen werden wird, thematisiert die Zweite Umkehr im Kontext einer lebensgeschichtlichen Betrachtung des geistlichen Weges. Nach Taulers Beobachtung steht nicht der Kampf, sondern die jubilatio, der Frühling der Gotttrunkenheit und Schöpfungsfreude, am Anfang eines intensiven geistlichen Weges. Erst in einer zweiten Phase führt Gott den Menschen auf die via purgativa: Er nimmt ihm, um ihn in die Freiheit zu führen, die Süße des Frühlings und gibt ihm statt Milch hartes Roggenbrot zu essen (Predigt 40). Im Sommer des geistlichen Lebens findet sich der Mensch plötzlich in Bedrängnis, Anfechtung und Not. Nach Tauler führt der geistliche Weg notwendigerweise durch eine Krise der Lebensmitte: „Der Mensch tue, was er wolle, und fange es an, wie er wolle, er kommt niemals zu wahrem Frieden, noch wird er dem Wesen nach ein Mensch des Himmels, bevor er an sein vierzigstes Lebensjahr kommt. Bis dahin ist der Mensch mit so vielerlei beschäftigt, und die Natur treibt ihn hierhin und dorthin (…). Dann soll der Mensch noch zehn Jahre warten, ehe ihm der Heilige Geist, der Tröster, in Wahrheit zuteil werde, der Geist, der alle Dinge lehret“ (Predigt 19; 28:136 f.). Seine Beobachtung, dass Menschen, mögen sie ein noch so religiös durchdrungenes Leben führen, vor Vierzig selten zur Reife kommen und im fünften Lebensjahrzehnt oft in eine geistliche Krise geraten, erläutert Tauler in biblischer Symbolsprache: Wie Christus vierzig Tage nach Ostern seine Jünger verlässt und erst zehn Tage später seinen Geist sendet, so ereilt die Jüngerinnen und Jünger späterer Generationen in der Mitte ihres Lebens, nachdem sie sich bereits für ein gutes Wegstück auf die Nachfolge Christi eingelassen haben, eine Zeit der Prüfung. Unversehens entzieht sich ihnen die fühlbare Gegenwart Gottes, und sie sehen sich mit Schwächen und Ambivalenzen konfrontiert, die sie längst überwunden glaubten. Wo sie in der Bedrängnis zu sich einkehren und sich Gott übergeben, wo sie die ,Arbeit der Nacht‘ (Predigt 42; 28:321) auf sich nehmen, werden sie von den alten ,Schlacken‘ und ,Ochsenhäuten‘, die ihren Seelengrund überdeckt und überwachsen haben, befreit und gänzlich zu Gott bekehrt. Die Zweite Umkehr, in welcher der extravertierte Überschwang der ersten Umkehr und der
Psychologische Vertiefung des Modells
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V. Lebens- und glaubensgeschichtliche Dimensionen
Methodik der Zweiten Bekehrung nach Louis Lallemant
Jubilatio-Phase geläutert wird, nimmt nach Tauler einen längeren Zeitraum in Anspruch. Die zehn Jahre, von denen er spricht, ergeben sich nicht nur aus der Zeitsymbolik der Apostelgeschichte, sondern sind ein Hinweis darauf, dass mit einem sich über Jahre hinziehenden Prozess zu rechnen ist. Während Tauler die Zweite Bekehrung als glücklichen Ausgang einer geistlichen Midlife Crisis darstellt, als Lebenswende, die nicht aktiv herbeizuführen ist, betrachtet sie der französische Jesuit Louis Lallemant (1588–1635) als anzustrebenden Zielpunkt jesuitischer Ordensausbildung. Der Sitz im Leben von Lallemants Lehre ist das sogenannte Terziat der Jesuiten, das nach dem zweijährigen Noviziat, den darauf folgenden mehrjährigen philosophischen und theologischen Studien und den ersten beruflichen Erfahrungen die ordensinterne Ausbildung abschließt. Der Höhepunkt des Terziats bilden die dreißigtägigen Exerzitien, die nun nicht mehr dem Finden einer bestimmten christlichen Lebensform dienen, sondern die bereits getroffene Wahl überprüfen und vertiefen sollen. Als Leiter des Terziats in Rouen hält Lallemant den ihm anvertrauten Ordensleuten vor Augen: „Die meisten Heiligen und auch Ordensleute, die zur Vollkommenheit gelangen wollen, erleben für gewöhnlich zwei Bekehrungen: eine erste, bei der sie sich dem Dienste Gottes weihen, eine weitere, wenn sie sich endgültig zur Vollkommenheit entschließen. Dies können wir bei den Aposteln feststellen, einmal, als der Herr sie rief, und dann, als er ihnen den Heiligen Geist sandte; desgleichen bei der heiligen Theresia [von Avila] und ihrem Beichtvater P. Alvarez und bei verschiedenen andern. Diese zweite Bekehrung erfolgt nicht bei allen Ordensleuten und dies infolge ihrer Nachlässigkeit. Der Zeitpunkt dieser Bekehrung fällt im Allgemeinen ins Terziat“ (20:62). Lallemants Mystagogie fußt auf drei Pfeilern: Sie zeigt erstens den Gewinn auf, den eine größere geistliche Entschiedenheit mit sich bringt. Zweitens erörtert sie die Mittel und Wege, die den entscheidenden Durchbruch vorbereiten können. Und drittens versucht sie die inneren Widerstände aufzudecken, die dabei zu überwinden sind. Die besondere Attraktionskraft von Lallemants Vorträgen liegt in dem, was sie verheißen: den Überschritt über die Halbheiten und Inkonsequenzen, die das religiöse Leben seiner Adressaten gefährden und kompromittieren. Es liegt ein hymnischer Ton, ein enthousiasme conquérant“ (Guibert/256:345), in der Radikalität von Lallemants Lehre. Das Lebensglück, das die Zweite Umkehr erschließt, ist ein schon diesseitiges: „Die eigentliche Seligkeit auf Erden besteht darin, Gott zu besitzen, und je gründlicher wir uns selbst entsagen, um eins zu werden mit Gott, desto eher nimmt unser Elend ein Ende und wir werden glücklich“ (20:21). Um dieses Glück zu erreichen, bedarf es nach dem Meister von Rouen eines letzten Opfers, eines definitiven commitments. „Franchir le pas“, den Schritt zur restlosen Lebenshingabe wagen, lautet Lallemants Motto. Seine Sprache nimmt in diesem Zusammenhang einen drängenden Ton an: „Darum müssen wir zum Entschluss kommen, großen Herzens auf alle selbstgeplanten Vorhaben, alle menschlichen Ansichten, Wünsche, alle Hoffnungen auf Dinge, die unsre Eigenliebe befriedigen könnten, ja ganz allgemein auf alles zu verzichten, was in uns der je größeren Verherrlichung Gottes im Wege steht“ (20:19).
1. Theologisch-mystagogische Wegmodelle
Lallemants Lehre hat zwei entgegengesetzte Anfragen auf sich gezogen: Zum einen kann man sich fragen, ob Lallemants Mystagogie nicht zu viel Gewicht auf das aktive Bemühen des Menschen legt: Geht es im Prozess der Zweiten Umkehr nicht eher um ein (Zu-)Lassen als um ein Tun? Wäre es nicht angemessener, hier von einem Bekehrtwerden oder einer passiven Läuterung zu sprechen? Der Hauptverdacht, der von seinen Mitbrüdern gegen den Tertiatsleiter von Rouen erhoben wurde, ging allerdings in die gegenteilige Richtung. Man beargwöhnte nicht Lallemants Voluntarismus, sondern seine Neigung zur kontemplativen Lebensform. Dass dieser Verdacht unbegründet war, bezeugt das bemerkenswerte Faktum, dass einige der eifrigsten Jesuiten-Missionare des 17. Jahrhunderts durch die Schule Lallemants gegangen sind. Drei von ihnen erlitten in Kanada den Märtyrertod und wurden 1930 heiliggesprochen: Jean de Brébeuf, Antoine Daniel und Isaac Jogue. Dass das Modell der Zweiten Umkehr in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wiederentdeckt wird, dürfte sich zu einem Teil einer wachsenden psychologischen Aufmerksamkeit für das Phänomen der Midlife Crisis verdanken. Auf der anderen Seite rückte durch die westkirchliche Neuerschließung ostkirchlicher Spiritualität das mit der Zweiten Umkehr verbundene Phänomen der Akedia neu ins Bewusstsein. Und schließlich finden sich in der geistlichen Literatur dieses Jahrhunderts vielbeachtete Lebenszeugnisse, die die Krise der Lebensmitte als Chance zur geistlichen Reifung beschreiben. So schreibt Carlo Carretto im verallgemeinernden Rückblick auf seine eigenen Erfahrungen: „Man macht sie [die Erfahrung der geistlichen Krise] gewöhnlich, wenn man so um die vierzig Jahre alt ist. Vierzig Jahre: ein großes liturgisches Datum des Lebens, ein biblisches Datum, Datum des Mittagsdämons, Datum der zweiten Jugend, ein Entscheidungsdatum für den Menschen. Das ist das Datum, das Gott gewählt hat, um den Menschen mit dem Rücken an die Wand zu stellen, der sich bis dorthin unter dem Dornschleier eines ,halb ja und halb nein‘ durchzuschlängeln sucht. Mit den Rückschlägen kommt die Ernüchterung, der Ekel, die Finsternis und tiefer noch das Sehen oder das Erfahren der Sünde. Der Mensch entdeckt, was er ist: ein armes Ding, ein zerbrechliches, schwaches Wesen, ein Gemisch von Hochmut und Bosheit, ein Wesen der Unbeständigkeit, der Faulheit, der Unlogik. Dieses Elend des Menschen kennt keine Grenzen und Gott läßt es ihn bis zur Neige verkosten.“ (240:81 f.) Im deutschsprachig-katholischen Raum war es Heinz Schürmann, der die Zweite Bekehrung in der Konzilszeit neu zum Thema geistlicher Unterweisung machte. Der in Erfurt lehrende Neutestamentler erinnerte nicht nur an die Schriften Taulers und Lallemants, sondern beruft sich auch auf eigene pastorale Erfahrungen. Der geistliche Weg zeichne sich durch zwei entscheidende Wendepunkte aus: „Jeder Seelsorger kennt sie: In unserer seelsorglichen Bemühung stoßen wir immer wieder auf Menschen, die sich eigentlich erstmalig zu Gott bekehren müßten, aber auch auf solche, die vor den Toren einer abermaligen, tieferen Bekehrung zu stehen scheinen. (…) Irgendwo im geistlichen Wachstum gibt es (…) einen Punkt, wo die stete
Wiederaufnahmen im 20. Jahrhundert
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V. Lebens- und glaubensgeschichtliche Dimensionen
Kontinuierlichkeit des Fortschritts gebrochen ist, wo das geistliche Leben entweder einen gewaltigen Sprung vorwärts tut oder hoffnungslos zurücksinkt. Dieser Sprung ist die Zweite Bekehrung“ (350:11 f./15). Schürmann zog aus seiner Beobachtung die pastorale Folgerung, dass die Seelsorge sich vorrangig um Menschen bemühen solle, die vor der Ersten oder der Zweiten Bekehrung stehen (350:12). Seine programmatische Gedanken zur Zweiten Bekehrung wirken nach in der Forderung nach einer Theologie der Krisis (Schneider/348) bzw. einer Pastoral der Lebenswende und der Zweiten Entscheidung (Eckmann/318). 1.3 Tägliche Umkehr und ordo salutis Tägliche Erneuerung der Umkehr
Martin Luther, dessen reformatorische Wende als Zweite Umkehr interpretiert werden kann, war durch seine monastische Ausbildung mit der triplex via ebenso vertraut wie mit Taulers Transformation des Modells. In seinen frühen Jahren als Augustinermönch sympathisierte er mit der Vorstellung eines geistlichen Aufstiegswegs, die ihren sprechendsten Ausdruck im Symbol der Himmelsleiter fand. Nach seiner reformatorischen Wende erscheint ihm das Bemühen um geistlichen ,Aufstieg‘ als Irrweg: „Ich bin auch auf derselben Treppe gewesen, ich habe aber ein Bein darüber zerbrochen“ (WA 23,732,8; vgl. auch WA 9,404 ff.). Während das klassische Wegmodell nicht zu Luthers ausgereifter Theologie passt, hinterlässt die begeisterte TaulerLektüre nachhaltige Spuren im Denken des Reformators. Was Tauler als lebensgeschichtliche Sequenz von Jubilus und Bedrängnis entwickelte, interpretiert Luther, inspiriert durch Schriftworte wie 2 Kor 4,16 – als bleibende Verschränkung von Anfechtung und Trost, von mortificatio und vivificatio, von Rechtfertigung und Heiligung. Mit dem Gedanken der täglichen Rückkehr zur Taufe generalisiert er Taulers mittlere Phase auf das christliche Leben insgesamt, das er als vita passiva charakterisiert. Nach Luther bedeutet Fortschritt auf dem Glaubensweg ständiger Neubeginn. Doch, so fügt er präzisierend hinzu, nur zu beginnen, ohne dann auch fortzuschreiten, bedeutete einen Rückschritt (WA 4,350,14). Luthers paradoxe Beschreibung des christlichen ,Fortschritts‘ wurde in der evangelischen Theologie des 20. Jahrhunderts mehrfach wiederaufgenommen. Helmuth Thielicke pointiert den Gedanken als ein Hineinwachsen in den Ursprung des Glaubens: „Ich schreite nur in dem Maße fort, wie ich an den Ausgangspunkt, zum initium fidei zurückkehre. Ich muß dorthin gehen, wo ich empfange, wo ich beschenkt werde, dorthin, wo Gottes Geist mich in seinem Worte anrührt und mich verwandelt. Das Verwandeltwerden ist der Inhalt eines Vertrauens, das das Verheißungswort mir abgewinnt; es ist so selber Gegenstand des Glaubens, aber nicht des Schauens, nicht der Beobachtung und erst recht nicht der Selbstbeobachtung. (…) Nur indem ich so an den Anfang zurückkehre und ständig zurück ,in meine Taufe krieche’, es aber nicht bei diesem Anfang bleiben lasse, kann sich der Fortschritt meines geistlichen Lebens begeben. (…) Wir wachsen nicht über den Beginn unseres Glaubens hinaus, sondern mehr und mehr in ihn hinein“ (106:60 f.).
1. Theologisch-mystagogische Wegmodelle
Während Luther die paradoxe Gleichzeitigkeit von bleibender Sünde und Gerechtfertigtsein herausarbeitet, entwickeln sich innerhalb der reformatorischen Theologie der späteren Jahrhunderte Modelle des geistlichen Weges, die die Möglichkeit eines geistlichen Fortschritts bedeutend stärker akzentuieren. Die lutherische Orthodoxie des 17. Jahrhunderts entwickelt die Vorstellung eines ,ordo salutis‘, einer gleichbleibenden Abfolge der Schritte zur christlichen Vollkommenheit: Umkehr, Rechtfertigung, Wiedergeburt und Heiligung. In der pietistischen und methodistischen Aufnahme dieses Modells wird der Bußkampf psychologisch näher konturiert und die Heiligung als stufenweise fortschreitender Prozess betrachtet. So interpretiert John Wesley die Heiligung als graduellen Weg zur christlichen Vollkommenheit. Im Gedanken einer fortschreitenden Perfektionierung des Menschen traf sich eine solche Vorstellung mit dem neuzeitlich-humanistischen Bildungsideal. Nach Eilert Herms ist das „neuzeitliche Bildungsdenken (…) bereits im 17. Jahrhundert von der lutherischen Reformbewegung und ihrem Interesse an der gelebten Frömmigkeit kräftig beeinflußt worden“ (326:144). Herms verweist auf Johann A. Comenius’ Große Unterrichtslehre, die die reformatorische Lehre vom Heilsweg pädagogisch ummünzte. Seine Beliebtheit im Protestantismus der Neuzeit verdankt das Progressmodell nicht den theologischen Abhandlungen über den ordo salutis, sondern einem biographisch gefärbten Werk, das ihn narrativ ausgestaltet: John Bunyans The Pilgrim’s Progress.
ordo salutis
1.4 Geisttaufe Im Anschluss an einige Motive, die sich bereits bei John Wesley finden (Schmieder/347:116 ff.), entwickelt sich gegen Ende des 18. Jahrhunderts in England ein weiteres Modell des geistlichen Weges, das in manchem an Taulers und Lallemants Vorstellung von einer Zweiten Umkehr erinnert. Der aus der Schweiz stammende Methodist John William Fletcher (1729–1785) prägt den Begriff der ,Geisttaufe‘, um den Durchbruch zur völligen Heiligung (entire sanctification) zu bezeichnen (347:141). Als persönliches Pfingstereignis bedeutet die Geisttaufe ein diskontinuierliches Moment, das das Bemühen um geistlichen Fortschritt und Bewährung ebenso unterbricht wie erfüllt. Fletchers Lehre von der Vollkommenheit inspirierte die methodistische Erweckungsbewegung, die sich im ausgehenden 18. Jahrhundert unter den nordamerikanischen Siedlern ausbreitete. „Go on to perfection“, riefen die Erweckungsprediger in den camp-meetings den Leuten zu. Sie entsprachen damit den „vitalen Bedürfnisse(n) der Siedler, die nach einem ,muskulösen Christentum‘ verlangten“ (347:143 f.). 1833 gründeten zwei presbyteranische Pastoren, die sich für die Abschaffung der Sklaverei engagierten, im nordamerikanischen Bundesstaat Ohio das Oberlin-College. Es sollte Studierenden Unterschlupf bieten, denen aufgrund ihres sozialpolitischen Einsatzes der Zugang zu etablierten Lehrstätten verwehrt wurde. In einem Wechselspiel von theoretischer Reflexion, spiritueller Erfahrung und politischem Engagement entwickelten die Oberliner Theologen eine perfektionistische Heiligkeitslehre, die die Bedeutung der Geisttaufe weiter herausarbeitete. Asa Mahan, der erste Direktor des Oberlin-College, beschreibt in seinem Werk The Baptism oft the Holy Ghost die
Methodistische Erweckungsbewegung
Von der Oberliner Heiligungslehre zur Pfingstbewegung
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V. Lebens- und glaubensgeschichtliche Dimensionen
läuternden und erneuernden Wirkungen der Geisttaufe. Damit waren die theoretischen Grundlagen für die spätere Pfingstbewegung gelegt. Der letzte Schritt zum pfingstlerischen Verständnis der Geisttaufe ereignet sich zu Beginn es 20. Jahrhunderts in einer von Charles Fox Parham gegründeten Bibelschule. Agnes Ozman, eine Schülerin von Parham, erfährt am Neujahrstag 1901 ihre von Glossolalie begleitete Geisttaufe. Den Gipfelpunkt dieser Durchbruchserfahrung beschreibt sie folgendermaßen: „Es war am 1. Januar elf Uhr nachts als mein Herz mich trieb und ich bat, man möge mir die Hände auflegen, damit auch ich eine Taufe des Heiligen Geistes empfange. Da war es, als legten sich Hände auf mein Haupt – es waren die Hände der Leitung der Bibelschule – und der Heilige Geist fiel auf mich, ich sprach in neuen Zungen und pries den Herrn. Mein Herz war mit langersehnter Freude erfüllt, und die wunderbare Gegenwart des Herrn erfüllte mein Herz in bisher unbekannter Weise. Es war, als ob Ströme lebendigen Wassers aus meinem Innersten hervorbrächen“ (79:46; 347:310).
Alte und neue Diskussionen um den Status der Geisttaufe
Im Rückgriff auf Apg 2,4 deutete Parham die Zungenrede als Erweis für die Geisttaufe und erhebt Ozmans Erfahrung zum Paradigma einer neuen Epoche des Geistwirkens. Die Verbreitung des Modells geschieht allerdings nicht durch Parham selber, sondern durch seinen Schüler William J. Seymor. In seiner legendär gewordenen Apostolic Faith Gospel Mission verbreitet Seymor die neue Heiligungspraxis in Los Angeles, von wo aus der pfingstkirchliche Funke auf andere Städte der Vereinigten Staaten überspringt. Die meisten Pfingstkirchen, die im 20. Jahrhundert weltweit aufblühten, übernahmen Parhams Ansicht, dass sich die Geisttaufe und die sich darin vollziehende Heiligung in besonderen Charismen, vornehmlich der Zungenrede, manifestieren. Eine solche normative Verknüpfung von Geistgabe und Zungenrede, die das Gros der Christen in das Lager der Halbbekehrten verweist, steht exegetisch auf einem schwachen Fundament. Nach dem Urteil von Peter Zimmerling lassen die Texte der Apostelgeschichte, auf den sich die Pfingstkirchen meist berufen, „nicht den Schluss zu, dass die Zungenrede das äußere Kennzeichen des Geistempfangs ist. Schon beim Pfingstereignis steht nicht das Reden in neuen Sprachen, sondern das universale Verstehen im Vordergrund“ (79:67). Spiritualitätsgeschichtlich betrachtet hat das pfingstkirchliche Verständnis des christlichen Weges ferne Vorläufer im syrischen Mönchtum des 4. und 5. Jahrhunderts. Ähnlich wie viele Pfingstler der Gegenwart relativierten syrische Asketen, die man als ,Beter‘ (syrisch: Messalianer) charakterisierte, die Wassertaufe mit Verweis auf die Taufe im Heiligen Geist. Geschenkt werde die pneumatische Taufe nur denen, die in intensivem Gebet und konsequenter Askese ausharren. Die vielleicht differenzierteste Auseinandersetzung mit den Anliegen der Messalianer findet sich Mitte des 5. Jahrhunderts bei Diadochus von Photike. Der Bischof von Epirus, dessen Zenturie in die Philokalie aufgenommen und 1570 durch den Jesuit Franziskus Torres ins Lateinische übersetzt wird, möchte die geistlichen Anliegen des Messalianismus retten und gleichzeitig dessen Extrempositionen austarieren. Im Zusammenhang mit der Frage, ob der Geistempfang geistlich er-
2. Psychologische Konzepte spiritueller Entwicklung
fahrbar sein müsse, führt Diadochus einen Gedanken ein, der auch in den gegenwärtigen Diskussionen um die Geisttaufe hilfreich sein könnte. Nach Diadochus ist die Einwohnung des Geistes nicht mit der Erfahrung dieser Geistpräsenz zu identifizieren. Seine Begründung: Gottes Geist, der in der Taufe gegeben werde, verstecke sich in der Tiefe der Seele und sei über lange Strecken nur indirekt und kontrastiv erfahrbar: im sehnsüchtigen Verlangen nach Gottes Gegenwart ebenso wie im Widerfahrnis der Anfechtung. Was die Messalianer als Geisttaufe beschreiben, konzipiert Diadochus als Zweite Umkehr, die mit einem besonderen geistlichen Empfinden verbunden sei: „Wenn sich der Mensch (…) ganz und gar zum Herrn bekehrt hat, zeigt sie [die Gnade] in unaussprechlichem Gefühl ihre Gegenwart dem Herzen an“ (perf. 85; 7:106). In den charismatischen Bewegungen innerhalb der traditionellen Kirchen findet sich heute eine mit Diadochus verwandte Interpretation des Geistempfangs. Statt von einer Geisttaufe wird von einer Geisterneuerung gesprochen, die als „ein Bewusstwerden des durch die Initiationssakramente (…) vermittelten Geistempfangs“ gedeutet wird (Schmieder/347:460). Auch das Motiv der Zweiten Umkehr kehrt an dieser Stelle wieder: Nach Heribert Mühlen entspringt aus „der anfänglichen Umkehr, die noch nicht gereift ist an der Widerständigkeit der Botschaft, (…) die zweite, wahre Erfahrung dieser ersten Umkehrerfahrung und wird so zu einer durchgemachten, tiefer erlittenen Geisterfahrung“ (92:33).
2. Psychologische Konzepte spiritueller Entwicklung Deutlich zu unterscheiden von den eben betrachteten Wegmodellen, die einer gläubigen Selbstinterpretation erwachsen sind und eine mystagogische Funktion erfüllen, sind die jüngeren Versuche, die spirituelle Entwicklung aus einer psychologischen Außenperspektive zu beschreiben. Für die in den folgenden Abschnitten ständig präsente Frage, wie sich diese beiden Perspektiven vermitteln lassen, ist es bemerkenswert, dass die Religionspsychologie des 20. Jahrhunderts aus dem Geist der Erweckungsbewegungen des 18. und 19. Jahrhunderts entstand. So publizierte der einflussreiche puritanische Prediger Jonathan Edwards bereits im Jahre 1746 einen umfangreichen Treatise concerning religous affections. Religion sei, so die leitende These, maßgeblich durch „holy affections“ bestimmt (326:157). Mit seinem Werk, das zu den ersten empirisch-psychologischen Abhandlungen der Psychologiegeschichte gezählt werden kann, möchte Edwards puritanischen Seelsorgern Kriterien an die Hand geben, die helfen, echte spirituelle Erfahrungen von falschem Enthusiasmus zu unterscheiden. Die gegen Ende des 19. Jahrhunderts sich konstituierende moderne Religionspsychologie verdankt der von Edwards inaugurierten Psychologie der Bekehrung und der Heiligung wesentliche Impulse. Autoren wie Edwin D. Starbuck und William James stellen wie Edwards „den alten theologischen Gegenstand des Umbruchs in den Fundamenten der Person ins Zentrum der Betrachtung, fassen ihn dann freilich durch das für akzidentiell gehaltene protestantische Beiwerk hindurch als allgemein notwendiges und normales Durchgangsstadium im Werden der reifen Persönlichkeit auf und versuchen die Gesetze seiner psy-
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V. Lebens- und glaubensgeschichtliche Dimensionen
chischen Dynamik zu erfassen“ (Herms/326:158). Neben der empirischen Religionspsychologie sind es vor allem psychoanalytische und kognitionspsychologische Einsichten, die zu neuen Modellen religiöser Entwicklung führen. Der folgende Überblick muss sich auf diejenigen Entwürfe konzentrieren, die als klassische Konzeptionen in die Literatur eingegangen sind. Zumindest am Rand soll jedoch auch auf die neuere Diskussion hingewiesen werden. Im Hinblick auf eine theologische Hermeneutik des geistlichen Lebens sind drei Fragerichtungen auseinanderzuhalten: Zum einen ist die psychologische Angemessenheit eines bestimmten Modells zu diskutieren. Davon zu unterscheiden ist zum andern die Frage nach den philosophischanthropologischen Voraussetzungen und Implikationen einer bestimmten Konzeption. Und schließlich müssen die Möglichkeiten einer theologischen Rezeption erkundet und geprüft werden. In den ersten beiden Abschnitten wird es vor allem um die erste und die dritte Frage gehen. Im letzten Unterkapitel werde ich mich dann zwei theologischen Versuchen zuwenden, die Rezeption psychologischer Erkenntnisse anthropologisch zu fundieren. 2.1 Psychoanalytische Konzeptionen C. G. Jung: Spirituelle Reifung als Individuation
Nach Sabine Bobert zählt es „zum Konsens der psychoanalytischen Religionspsychologie, daß der Gottesglaube, falls er sich mit der Persönlichkeit mitentwickelt, in allgemeine Entwicklungskrisen hineingezogen wird“ (118:303). Während die klassische Psychoanalyse sich gegenüber den Möglichkeiten einer positiven religiösen Entwicklung eher spröde zeigte, entwickelte die Tiefenpsychologie Carl Gustav Jungs eine reiche Palette an Deutungsangeboten, deren Einfluss auf spirituelle Selbstdeutungen der Gegenwart kaum zu überschätzen sind. Die Attraktivität von Jungs Konzeption religiöser Reifung liegt wohl besonders in ihrer Verheißung, jenseits der institutionellen Formen von Religion eine moderne Weisheitslehre bieten zu können. Die klassischen religiösen Symbole werden darin als Medien der Selbstwerdung interpretiert. Die religiöse Entwicklung, die als Integrationsund Individuationsprozess beschrieben wird, betrachtet Jung als die besondere Aufgabe der zweiten Lebenshälfte. In einer im Wintersemester 1939/40 an der ETH Zürich gehaltenen Vorlesung veranschaulicht Jung seine Vorstellungen des spirituellen Reifungsprozesses am Beispiel von Ignatius von Loyola (Kügler/335; Becker/313). Die Größe dieses frühneuzeitlichen Pioniers der Selbsterforschung sieht Jung in dessen besonderer Fähigkeit, sich von seinem Unbewussten leiten zu lassen. Den theologischen Bildungsprozess, den Ignatius durchläuft, beurteilt Jung hingegen negativ. Während seine frühen Visionen authentisch gewesen seien, habe er mit der Zeit gelernt, sein Unbewusstes zu manipulieren. Die ignatianischen Exerzitien wertet Jung gleichwohl als einen ausgezeichneten Weg zur Selbstwerdung. Zwar beschäftige sich der Exerzitand hauptsächlich mit dem Leben Christi, doch sei ,Christus‘, ähnlich wie der Buddha, ein Symbol für das Selbst. Der spirituelle Sucher könne am Beispiel der ignatianischen Gottesverehrung lernen, sich dem Unbewussten zu unterwerfen: „Wenn der Mensch seinem Unbewussten keine Ehrfurcht erweist und sich ihm nicht unterwirft, wird er seine Seele verlieren, was heißt, dass er seine Verbindung zur Seele und zum Unbewussten verliert“ (Jung/327:75).
2. Psychologische Konzepte spiritueller Entwicklung
Die theologische und religionsphilosophische Kritik von Jungs Verschmelzung von Selbst und göttlicher Wirklichkeit ließ nicht lange auf sich warten. So bemerkt Martin Buber bereits anfangs der fünfziger Jahre, Jungs Lehre habe nicht empirischen, sondern weltanschaulichen Charakter. Sie verkünde eine gnostisierende „Religion der reinen psychischen Immanenz“ (411:89). Vierzig Jahre später kommt es, ausgelöst durch das Werk Eugen Drewermanns, erneut zu einer hitzigen Kontroverse um Jungs Konzeption der religiösen Entwicklung. Im Anschluss an Jung betont Drewermann, der mythologisch-symbolischen Sprache von Träumen, Märchen und biblischen Geschichten komme eine psychologische Wahrheit zu, die tiefenpsychologisch zu entschlüsseln sei. Ähnlich wie Jung kontrastiert Drewermann den psychoreligiösen Reifungs- und Heilungsweg des Einzelnen mit den institutionell verfassten Formen von Religion und deren Theologien. Theologie und Kirche, so die scharfe Diagnose, neigen entweder zum Moralismus oder sie verschütten die Quellen religiöser Inspiration durch einen seelenlosen Intellektualismus. Ein Sinnbild für einen spirituell gehaltvollen Individuationsprozesses findet Drewermann u.a . in der alttestamentlichen Gestalt des Tobias, der sich von der rigiden und blindmachenden Frömmigkeit seines Vaters entfernt, um auf einem gefahrvollen Weg seine Anima – in Gestalt der Sara – wiederzufinden (317). Wurde C. G. Jungs tiefenpsychologische Modellierung des religiösen Wegs aufgrund seines spekulativ-gnostischen Beiwerks vom Mainstream der akademischen Theologie nur mit großer Skepsis aufgenommen, so fand die psychoanalytisch inspirierte Entwicklungstheorie, die Erik H. Erikson (1902–1994) anfangs der fünfziger Jahre vorlegte, eine außerordentlich breite und nachhaltige theologische Resonanz. Erikson ergänzte Freuds Modell der frühkindlichen Entwicklung um wichtige psychosoziale Aspekte und interpretierte die schon von Freud beschriebenen Wachstumskrisen und Reifungsaufgaben in einem umfassenderen Horizont. Sein Modell unterscheidet acht Phasen menschlicher Reifung, die sich über die ganze Lebensspanne verteilen und durch krisenhafte Übergänge voneinander abgehoben sind: Orales Säuglingsalter, anales Kleinkindalter, infantil-genitales Spielalter, vorpubertäres Schulalter, Adoleszenz, frühes Erwachsenenalter, prokreatives Erwachsenenalter und die Reifezeit des Alters. Jeder Entwicklungsschritt durchläuft demnach eine krisenhafte Phase, in der es darum geht, durch Differenzierung zwei je spezifische ambivalente Strebungen zu integrieren. In diesem Zusammenhang bringt Erikson die religiöse Entwicklung ins Spiel. Die früheste Wachstumskrise des Menschen besteht aus seiner Sicht in einer quasi-religiösen Herausforderung: Der Säugling bzw. das Kleinkind muss in einem krisenhaften Prozess lernen, das durch die mütterliche Präsenz vermittelte Gefühl des Urvertrauens gegenüber Trennungserfahrungen aufrechtzuerhalten. In dieser frühkindlichen Verlässlichkeitserfahrung liegt nach Erikson der Ansatzpunkt für die spätere religiöse Erziehung und Entwicklung (320:74). Während eine große Zahl von Religionspädagogen und einflussreiche systematische Theologen wie Hans Küng und Wolfhart Pannenberg Eriksons Modell mit großer Zustimmung rezipierten, kritisierten andere die von ihm vorgeschlagene Verwurzelung der Religion in der mütterlichen Geborgenheitserfahrung (Bußmann/316:154 ff.; Bucher/314:97 f.). Nach Lothar Kuld
E. H. Erikson: Urvertrauen und Lebenszyklus
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V. Lebens- und glaubensgeschichtliche Dimensionen
Ich-Entwicklung und geistliche Reifung
sind Eriksons Überlegungen „für die Religionspädagogik süß, aber bitter. Seine Rede vom Urvertrauen erschien wie der quasi psychologische Beweis, als große Analogie zu einem religiösen Grundphänomen, ist es aber nicht. Man kann religiös sein, aber dem Leben misstrauen“ (336:276). Probleme ergeben sich auch daraus, dass sich Erikson nicht auf die empirische Deskription beschränkt, sondern ein Gesamtmodell menschlicher Entwicklung entwirft, dem als solchem ein normativer Anspruch innewohnt. In Eriksons Skala, deren graphische Darstellung an das Motiv der Himmelsleiter erinnert, artikuliert sich eine Vision gelingenden Lebens, die geprägt ist von den Idealen und Erwartungen einer bestimmten Kultur und sozialen Schicht. Aus feministischer Sicht ist bemängelt worden, dass es vor allem männliche Ideale und Erfahrungen sind, die in Eriksons Theorie Eingang gefunden haben (Thierfelder/355:82 f.). Im Blick auf die Frage, wie sich ein solcher Stufenweg zu innerweltlicher Vollendung zu dem verhält, was paulinisch als Transformation in das Ebenbild Christi beschrieben werden kann (2 Kor 3,18), sind zwei Aspekte zu unterscheiden: Zum einen ist auch aus der Beteiligtenperspektive des Glaubens mit psychodynamisch bedingten Deformationen der Glaubensentwicklung zu rechnen. Wie J. Edwards seine Untersuchung der religiösen Gefühle als Beitrag zur Unterscheidung der Geister verstand, so bietet Eriksons Modell ein diagnostisches Raster, an dem sich auch eine ,spirituelle‘ Entwicklung klären kann. Auf der anderen Seite wäre es aus der Perspektive einer Hermeneutik des geistbestimmten Lebens fragwürdig, die Entwicklung von Ich-Stärke und einer festen und integrierten Identität zum Leitziel geistlicher Entwicklung zu erheben und den Glauben „als Ermöglichungsgrund oder als letzter, abrundender Abschluß der Ich-Identität“ verstehen zu wollen (Luther/337:165). Nach Henning Luther könnte die entwicklungspsychologische Fokussierung auf die Ich-Entwicklung dazu verführen, das bleibend Fragmentarische menschlichen Lebens auszublenden. Die spirituelle Reife, die durch eine Askese der Schwachheit zu gewinnen ist, zeichnet sich gerade durch eine Sensibilität fürs Versehrte und Bruchstückhafte des eigenen und fremden Lebens aus. Christlicher Fortschritt im Sinne von Phil 3,13 f. zielt nicht auf ein abgerundetes Leben, sondern erkennt im Fragment des Gewordenen den Anfang des neuen Lebens: „In jedem Stadium der Ich-Entwicklung sind wir (…) immer auch Ruinen der Zukunft, Baustellen, von denen wir nicht wissen, ob und wie an ihnen weitergebaut wird“ (337:170). Oder in einer weniger melancholischen Formulierung: Wir sind Werkstätten des Heiligen Geistes, der in uns wirkt und uns auf eine noch verborgene Integrität hin wandelt, ohne dass wir dessen gewahr werden. Denn wer wir sein werden, ist nach 1 Joh 3,2 noch nicht offenbar geworden. 2.2 James W. Fowlers ,Stufen des Glaubens‘
Kognitionspsychologischer Ansatz
Eriksons psychodynamisches Konzept der Identitätsbildung prägte die Religionspädagogik der letzten Jahrzehnte nicht nur auf direktem Wege, sondern auch indirekt durch Modelle, die von ihm beeinflusst wurden. Das vielleicht bekannteste unter ihnen findet sich in dem Werk Stages of Faith, das James W. Fowler 1981 veröffentlichte. Der Sohn eines methodistischen Pastors entwickelt darin eine sechsstufige Glaubensentwicklungstheorie, die er
2. Psychologische Konzepte spiritueller Entwicklung
in den darauffolgenden Jahren weiter verfeinerte und anreicherte. Als systembildender Gedanke dient Fowler die Beobachtung Jean Piagets, dass sich kognitive Strukturen, wenn sie aus dem Gleichgewicht geraten, durch Differenzierung und höherstufige (Re-)Integration fortentwickeln. In Anlehnung an Erikson und Robert Kegan berücksichtigt Fowlers Modell aber nicht nur die kognitive Entwicklung, sondern auch die Rolle der affektiven Reifung. Die Glaubensentwicklung umfasst demnach sowohl bewusste als auch unbewusste Prozesse und speist sich aus der Dynamik von Vernunft und Leidenschaft (322:32). Wie Erikson entwirft auch Fowler eine Skala von Reifungsstufen. Nach seiner Sicht entwickelt das Kind in den ersten Lebensjahren einen intuitiv-projektiven Glauben (Stufe 1). Im Alter von etwa sieben Jahren bildet sich in der Regel ein mythisch-wörtliches Glaubensverständnis heraus, das von anthropomorphen Gottesvorstellungen bestimmt wird (Stufe 2). Mit zwölf oder dreizehn Jahren beginnt die Zeit des synthetisch-konventionellen Glaubens, der weitgehend durch tradierte Vorstellungen bestimmt ist (Stufe 3). Nicht mehr mit einer bestimmten Altersstufe verknüpft sind die folgenden Stufen, die gemäß Fowlers Darstellung nicht von allen Erwachsenen erreicht werden: Der individuierend-reflektiverende Glaube setzt sich von den konventionellen Sichtweisen ab und wagt sich auf einen eigenständigen Erfahrungsweg (Stufe 4). Im verbindenden Glauben wird die Relativität des eigenen Glaubens wahrgenommen, was zu einer Öffnung hin auf andere Glaubenstraditionen bzw. -deutungen führe (Stufe 5). Die letzte Stufe beschreibt Fowler als universeller Glaube. Die Menschen, die zu dieser seltenen Reifestufe finden, verwirklichen eine restlose Selbsthingabe an den Nächsten. Fowlers ebenso ausbalanciertes wie spannungsreiches Konzept ist sowohl aus empirisch-psychologischer wie aus theologischer Warte kritisiert worden. Für Empiriker stellt sich besonders die Frage nach dem Erklärungsanspruch und der Kohärenz des Modells. Nach der genauen Analyse von Anton Bucher wechselt Fowler bei seiner Charakterisierung der verschiedenen Stufen mehrfach die Perspektive und verfährt in der Zuordnung der von ihm untersuchten Personen teilweise willkürlich (314:277 f.). Zum anderen wurde Fowler vorgeworfen, den Beleg durch eine Longitudinalstudie schuldig geblieben zu sein (Wink/Dillon/361:112). Tatsächlich konnte er nur die ersten fünf Stufen im strengen Sinne empirisch nachweisen (Parks/340:98 ff.). Schließlich stellt sich auch die Frage, ob Fowlers optimistisches Fortschrittsmodell der Gebrochenheit und Fragmentarität der Glaubensentwicklung gerecht wird (Streib/354:34). In einem späteren Werk ermäßigt Fowler seinen empirischen Anspruch dadurch, dass er sein Modell zu den modernen „Mythen des Werdens“ rechnet (322:37). Die Beschreibung der menschlichen Entwicklung, so gibt er zu bedenken, bedürfe eben, wo sie das Leben als Ganzes zu erfassen versucht, einer normativen Vision: „Ohne eine Konzeption der höchsten Entwicklungsform des Glaubens können wir die ,Glaubensentwicklung‘ nicht erforschen“ (322:46). Doch widerspiegelt sich in Fowlers Konzeption eines universalistischen Glaubens nicht schlicht das, was er selbst als wünschbares Ziel religiöser Entwicklung erachtet? Von theologischer Seite hat sich Fowler unter anderem den Vorwurf eingehandelt, den Glauben in strukturgenetischer Abstraktion von seinen Inhalten zu entleeren (Streib/354:19 f.). In Antwort auf diese Kritik unterscheidet
Empirische Anfragen
Theologische Anfragen
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V. Lebens- und glaubensgeschichtliche Dimensionen
Fortschreibungen der Glaubensentwicklungstheorie
Jüngere empirische Studien zur spirituellen Entwicklung
er in dem 1984 veröffentlichten Buch Becoming Adult, becoming Christian deutlicher als in seinem Hauptwerk zwischen der psychologisch beschreibbaren Entwicklung und der „Bekehrung im Sinne einer den Zusammenhang unterbrechenden und neu ausrichtenden Begegnung mit Gottes Gnade als einer befreienden Äußerung Gottes, der die Macht der Zukunft ist“ (322:37). Psychosoziale Reifung sei auch ohne Umkehr möglich. In einem solchen Fall ist sie „eine Bewegung (…), die eine in-sich-selbst-gründende Haltung lediglich verfeinert, geschickter macht und tiefer verwurzelt. Entwicklung kann ein bloß effektiveres und zielstrebigeres Verfolgen der eigenen Auffassung von der Bestimmung des einzelnen oder der Gruppe bedeuten“ (322:38). Auch mit der Möglichkeit einer Bekehrung, die nicht mit einer psychosozialen Entwicklung verbunden sei, ist nach Fowler zu rechnen: Eine Bekehrung könne sogar destruktiv sein, wenn man sich nicht bemühe, „den Menschen zu helfen, beschädigende und entstellende Erfahrungen aus der Vergangenheit im Licht der neuen Zuneigung und Ausrichtung des Herzens zu heilen, zu bearbeiten und zu reintegrieren“ (322:35; vgl. 324:285 f.). Fowlers Annahmen wurden in den letzten beiden Jahrzehnten in mehrfacher Richtung weiterentwickelt. Ein allgemeiner Trend ging zum einen dahin, die Unterschiede der von Fowler eng miteinander verflochtenen Perspektiven der Theologie und der Religionspsychologie stärker herauszuarbeiten. So wurde darauf hingewiesen, dass die Unterscheidung zwischen Entwicklung und Bekehrung nicht zur Differenzierung der theologischen und der religionspsychologischen Perspektive taugt, weil beide Begriffe in beiden Perspektiven gebraucht werden können (Schweitzer/351; Wenger/356). Zum anderen lässt sich die Tendenz beobachten, Fowlers Modell hermeneutisch zu verflüssigen. So formuliert Heinz Streib Fowlers Stufentheorie im Horizont von Paul Ricœurs philosophischer Hermeneutik. Er beschreibt sie als Sequenz transformierender Selbstdeutungen, bei der die betreffende Person zugleich als responsive Leserin und als (co-)kreative Autorin ihrer Lebensgeschichte auftritt (353). In jüngeren Publikationen schlägt Streib vor, zwischen verschiedenen religiösen Stilen zu unterscheiden und stärker ihre besondere lebensgeschichtliche Dynamik zu untersuchen, als sich auf ein einziges Stufenmodell zu konzentrieren. Entwicklungsrelevant seien nicht nur kognitive Strukturveränderungen, sondern ebenso lebensweltlich vermittelte Narrative. Während Streib auf diese Weise Fowlers Modell pluralisierend öffnet, arbeitet Gabriele Kappenecker dessen normativen Gehalt heraus. In ihrer Dissertation rekonstruiert sie Fowlers Theorie lebensgeschichtlicher Entwicklung als Verantwortungsethik. Verantwortung sei das Ergebnis der von Fowler aufgezeigten Entwicklungsprozesse. Jeder Stufe entspricht nach Klappeneckers Darstellung eine bestimmte Form der Verantwortung (329:264 ff.). Die empirische Forschung der letzten beiden Jahrzehnte verabschiedete sich mehrheitlich vom Versuch, ein kulturübergreifendes Entwicklungsmodell zu entwickeln, das die ganze Lebensspanne abzudecken beansprucht. Die meisten Untersuchungen konzentrieren sich auf einen Teilaspekt der religiösen Entwicklung, etwa die frühkindliche Entwicklung oder das Phänomen der religiösen Konversion in der Adoleszenzzeit (Bucher/315:74 ff.). Paul Wink und Michele Dillon, die diesbezüglich zu den wenigen Ausnahmen gehören, kritisieren in ihrer Longitudinalstudie Fowlers Fixierung auf
3. Theologisch-anthropologische Modelle
die kognitiven Konstruktionen. Spirituelle Entwicklung sei nicht allein an der Veränderung des religiösen Bewusstseins abzulesen. Man müsse stärker die spirituellen Praktiken ins Auge fassen (360:80). Die beiden Autoren gehen unter anderem der Frage nach, ob die spirituelle Reifung in der zweiten Lebenshälfte eher jungianisch als positives Ergebnis eines Reifungsprozesses zu betrachten sei oder eher die Antwort auf die Herausforderungen des Alters darstelle. Ihre Studie zeichnet ein eher nüchternes Bild der spirituellen Reifung im Alter. Sie zeigt, dass zwar widrige Lebenserfahrungen in der ersten Lebenshälfte die Entwicklung von spirituellen Einstellungen und Praktiken begünstigen, sich aber in Bezug auf die zweite Hälfte statistisch keine Korrelation aufweisen lässt (360:92). Generell finden besonders diejenigen Menschen im Alter zu einer spirituellen Reifung, die bereits als junge Erwachsene widrige Erfahrungen spirituell zu bewältigen vermochten.
3. Theologisch-anthropologische Modelle Die in den vorangegangenen Abschnitten skizzierten Modelle spiritueller Reifung stehen, in mehr oder weniger ausdrücklicher Weise, im Horizont einer je anders akzentuierten Gesamtsicht des menschlichen Lebens. Für eine spiritualitätstheologische Rezeption solcher Modelle ist es bedeutsam, die anthropologischen Implikationen des jeweiligen Konzeptes ausdrücklich zu machen und zu befragen. In der Folge der ,anthropologischen Wende‘, die die Theologie des 20. Jahrhunderts zu weiten Teilen prägte, lag es zudem nahe, die geistliche Entwicklung in den Rahmen einer zuvor entworfenen anthropologischen Bestimmung des Menschen einzuzeichnen. Im Folgenden betrachte ich zwei bedeutende Versuche eines solchen anthropologischen Zugangs. 3.1 Luigi M. Rulla: Theologische Anthropologie der Berufung Luigi M. Rulla (1922–2002), der nach seiner Ausbildung zum Chirurgen in den Jesuitenorden eintrat, gründete 1971 an der päpstlichen Universität Gregoriana ein bis heute bestehendes Institut für Psychologie. Auf dem Hintergrund der nachkonziliaren Krise der Priester- und Ordensberufung stellte es sich die Aufgabe, die Psychodynamik des Berufungsprozesses zu untersuchen. Rulla wollte durch empirische Studien herausfinden, auf welche psychologischen Faktoren bei der Ausbildung von Weltpriestern und Ordensleuten besonders zu achten ist. Bereits in seiner Dissertation Psychological Significance of Religious Vocation (1967) konstatierte er, dass die Psychodynamik der Berufungsklärung noch unzureichend erforscht sei. Das Institut für Psychologie sollte helfen, diese Lücke zu schließen, und zwar ebenso durch empirische Studien wie durch eine theoretische Reflexion auf die anthropologischen Grundlagen spiritueller Entwicklung. In Anknüpfung an Bernard Lonergans Method of Theology entwarf Rulla ein anthropologisches Modell, das den Menschen von seiner Möglichkeit zur Selbsttranszendenz zu begreifen sucht. Das Verwiesensein auf den Andern hin, das menschliches Dasein charakterisiert, zeigt sich nach Rulla be-
Der Ausgangspunkt von Rullas Forschung
Das theoretische Modell
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V. Lebens- und glaubensgeschichtliche Dimensionen
Empirische Forschung
reits an den unterschiedlichen Stufen des intentionalen Bewusstseins. Was in diesen elementaren menschlichen Selbstvollzügen, in der erkennenden und handelnden Selbsttranszendenz des Menschen grundgelegt ist, findet nach Rulla seine Erfüllung in der liebenden Selbsthingabe (342:142 ff.). Im Anschluss an Viktor Frankl betont er, dass Selbstverwirklichung nicht auf direktem Wege gefunden werden könne, sondern sich als Frucht einer wertbezogenen Selbsthingabe einstelle (342:269 f.). Ähnlich wie psychoanalytisch inspirierte Entwicklungsmodelle lokalisiert Rulla die zu bewältigende Reifungsaufgabe in der Integration und Transformation von selbstbezogenen Bedürfnissen einerseits und der Ausrichtung auf selbsttranszendente Werte andererseits. Zwischen dem transzendierenden und wertbezogenen Selbst, das Rulla als ideal self bezeichnet (342:167), und dem realen Selbst mit seinen bewusst wahrgenommenen und unbewusst wirksamen Bedürfnissen baut sich eine Spannung auf, die in einem egozentrischen, philantropischen oder theozentrischen Horizont ausgetragen werden könne. Rullas besonderes Augenmerk gilt den Versuchen einer theozentrisch orientierten Lösung des menschlichen Grundkonflikts. Die Entscheidung, sich auf einen Berufungsweg einzulassen, erhöht nach Rullas Beobachtung die Spannungen, die für die Adoleszenzphase typisch sind. In seiner Forschung analysiert Rulla die besonderen Probleme, die sich aus dem Konflikt zwischen selbstbezogenem Wünschen und selbsttranszendierendem Wollen innerhalb einer theozentrischen Gesamtorientierung ergeben. In diagnostischer Absicht wird dabei zwischen psychologischen und sozialen Inkonsistenzen unterschieden. Die psychologische Inkonsistenz besteht in einer Kluft zwischen unbewusstem Wünschen einerseits und bewusstem Streben andererseits, wobei sich eine solche Inkonsistenz hinter einem konformen Verhalten verstecken kann. Demgegenüber zeigt sich eine soziale Inkonsistenz darin, dass jemand sich verbal zu bestimmten Werten bekennt, sich aber in seinem Handeln nicht von ihnen bestimmen lässt (342:323). Wachstum im Glauben setzt nach Rulla ein gewisses Maß an innerer Konsistenz voraus, weil nur so die selbsttranszendenten Werte verinnerlicht werden können. Deshalb gehört nach Rulla das Bemühen um Selbsterkenntnis und die Bereitschaft, Inkonsistenzen zu klären und zu durchleiden, zu den grundlegenden Voraussetzungen des Prozesses der Berufungsfindung. Zwischen 1969 und 1973 befragte Rulla in den USA 946 junge Frauen und Männer (257 Seminaristen und Ordensmänner; 446 angehende Ordensfrauen; 243 College-Studierende). Die Ergebnisse dieser umfangreichen Untersuchung erregten Aufsehen. Sie konnte nämlich zum einen belegen, dass ein wichtiges Ziel der spirituellen Ausbildung, die psychosoziale Reifung, nur von wenigen der Befragten während der vierjährigen Ausbildungszeit erreicht wurde. Zum anderen diagnostizierte Rulla als spezifische Gefährdung der Priesterausbildung die Neigung, einen Mangel an Reifung durch eine starke Rollenidentifikation zu kompensieren (343:197 f.). Klemens Schaupp fasst Rullas Analyse einer solchen ,foreclosure‘ folgendermaßen zusammen: „Ein Einüben von bestimmten Rollen durch verschiedene berufliche oder praktische Ausbildungen allein trägt nicht zum Wachstum in der Berufung bei; im Gegenteil: überstarkes Betonen einer bestimmten Tätigkeit (Rolle) bringt die Gefahr mit sich, in einem Menschen zwei mit-
3. Theologisch-anthropologische Modelle
einander konkurrierende Wertsysteme (das der beruflichen Rolle und das von einer konkreten Rolle unabhängige Ideal der Berufung) aufzubauen“ (397:438 f.). Das von Rulla initiierte internationale Forschungsprojekt ist auf seine Weise einzigartig: Zum einen ist es in seiner institutionellen Verknüpfung von theologischer Reflexion, empirischer Forschung und praktischer Ausbildung für eine Hermeneutik des geistbestimmten Lebens wegweisend. Zum anderen besticht es durch die empirisch sinnvolle Konzentration auf eine bestimmte Phase bzw. einen bestimmten Kontext geistlicher Entwicklung. Die Arbeit des Rulla-Instituts hat zudem Wesentliches dazu beigetragen, dass in der Ausbildung von katholischen Priestern und Ordensleuten den psychodynamischen Gesetzmäßigkeiten des Berufungsprozesses größere Aufmerksamkeit geschenkt wird. Zumindest im deutschsprachigen Raum ist Rulla denn auch weniger durch seine Schriften wirksam geworden, als durch den von ihm initiierten Ausbildungsgang für angehende geistliche Begleiterinnen, Novizenmeister und Verantwortliche für die pastorale Ausbildung. In konzeptioneller Hinsicht wirft der Versuch einer Anthropologie der christlichen Berufung einige Fragen auf. Ähnlich wie Erikson und Fowler hat auch Rulla den Vorwurf auf sich gezogen, über der strukturellen Betrachtung der religiösen Entwicklung die Inhalte aus den Augen zu verlieren. Es fragt sich auch, ob der gewählte Ansatz bei der Wertorientierung ein angemessenes Modell bietet, um das Leben aus dem Geist Christi zu erfassen. Ist der Ruf Gottes nicht eher als Ereignis zu beschreiben, das alle vorgegebenen Absichten und Wertbezüge des Menschen unterbricht (Jüngel/342)? Und ist die geistbestimmte Selbstbestimmung in der Nachfolge Jesu nicht konkreter und gehaltvoller zu beschreiben, als es die Rede von der Selbsttranszendenz vermag? Rullas Sicht der geistlichen Reifung gewinnt an Konturen, wenn man sein Modell im Blick auf seine jesuitischen Hintergründe als tiefenpsychologisch und empirisch angereicherte Version einer ignatianischen Hermeneutik des geistlichen Lebens interpretiert (Meures/394). Was Rulla als Inkonsistenz beschreibt, entspricht beispielsweise weitgehend dem, was in klassischignatianischer Terminologie ,ungeordnete Anhänglichkeit‘ (afección desordenada) heißt. Ebenso findet sich die Unterscheidung zwischen einer psychologischen und einer sozialen Inkonsistenz der Sache nach bereits im Exerzitienbuch des Ignatius. Als Vorbereitung auf den Wahlprozess sieht es nämlich ein Gedankenexperiment vor, das zur Aufdeckung solcher Inkonsistenzen dient (Nr. 150–156): Die Exerzitanten sollen sich drei Menschengruppen imaginieren. Jede von ihnen hat sich ein Vermögen von zehntausend Dukaten erworben. Alle drei Gruppen suchen die Übereinstimmung mit Gottes Willen und nehmen sich vor, sich von ihrer Anhänglichkeit zu befreien. In der Strategie, die sie wählen, zeigen sich die von Rulla beschriebenen Formen von Inkonsistenz und Selbsttäuschung. Sich seinen ,ungeordneten Anhänglichkeiten‘ zu stellen, ist auch bei Ignatius der erste Schritt zu ihrer Überwindung. Die Kraft dazu gewinnen die Exerzitanden nicht durch eine Orientierung an abstrakten Werten, sondern im Blick auf den Gekreuzigten bzw. im Hören auf seinen individualisierenden Ruf in die Nachfolge.
Würdigung, Rezeption und Kritik
Ignatianische Hermeneutik des geistlichen Lebens
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V. Lebens- und glaubensgeschichtliche Dimensionen
3.2 Wolfhart Pannenberg: Egozentrizität und wahres Selbst Selbsttranszendenz und Egozentrizität
Kritik protestantischer Bußfrömmigkeit
Wenige Jahre nach Rulla entwickelt Wolfhart Pannenberg ein in vielen Punkten ähnlich gelagertes theologisch-anthropologisches Konzept geistlich-personaler Reifung. Als Ausgangspunkt dient Pannenberg der biblische Gedanke, das Wesen des Menschen bestehe in einer ihm aufgegebenen Bestimmung zur Gottebenbildlichkeit. Pannenberg liest diesen Gedanken in der Version Johann Gottfried Herders, der in dem biblischen Motiv das Bildungsideal der Moderne vorgeprägt sah. Diese Bestimmung ist nach Pannenbergs Interpretation in der menschlichen Weltoffenheit, dem Sein-beimAndern, bereits im Ansatz verwirklicht. Zugleich ist sie aber durch die menschliche Neigung zur egozentrischen Selbstabschließung beeinträchtigt und gefährdet. Wo der Mensch sich weigere, „die Einheit seiner mit sich selber (und so sich selbst) in jedem Augenblick seiner Existenz aufs Neue zu empfangen“, und sich stattdessen auf sich selber zu gründen versuche, verfehle er sich im vermeintlichen Selbstgewinn (449:103). Ein solcher Selbstwiderspruch findet sich nach Pannenberg bereits in den vorbewussten Ursprüngen menschlicher Existenz, im narzisstischen Lust-Ich im Sinne Freuds (449:104 f.). Seiner exzentrischen Natur entspreche der Mensch nur, wenn er das, was er von Natur aus ist, „unter der Direktive letztlich religiöser Sinnerfahrungen“ überwindet und aufhebt (449:105). Obwohl die sündhafte Egozentrizität ontogenetisch vorgegeben sei, gleiche sie nicht einem Schicksal, in das sich der Mensch zu fügen habe. Er ist aufgerufen, sie im Glauben zu überschreiten. Das Gottvertrauen, das die narzisstische Egozentrizität überwindet, versteht Pannenberg im Anschluss an Erikson als religiöse Ausformung eines bereits implizit auf Gott bezogenen Grundvertrauens. In ausgeprägterer oder schwächerer Form entwickle es sich ontogenetisch aus einem Differenzierungsprozess der Symbiose von Kind und Mutter (449:224). Auf dem Hintergrund seiner anthropologisch fundierten Konzeption der Glaubensentwicklung zeichnet Pannenberg ein auffällig kritisches Bild der protestantischen Bußfrömmigkeit, die für den Pietismus ebenso charakteristisch war wie für die methodistischen Erweckungsbewegungen und noch heute in manchen freikirchlichen Milieus nachwirkt. Damit wendet sich Pannenberg nicht gegen die reformatorischen Ursprünge, sondern gegen deren neuzeitliche Transformation. Luthers Bindung der Rechtfertigungsgewissheit an den aktuellen Zuspruch der Vergebung konnte leicht aktualistisch missverstanden werden. Nach Pannenberg wurde dieser Aktualismus zu dem Zeitpunkt zu einem akuten Problem, als die Autorität der Schrift, die die Kontinuität der christlichen Existenz gewissermaßen objektiv verbürgte, in der Folge einer rationalistischen Exegese ihre unbestrittene öffentliche Geltung verlor. In den pietistischen Kreisen sei anstelle des verbürgenden Schriftwortes die Erfahrung der eigenen Sündhaftigkeit und Bekehrung getreten. Die Predigt des Gesetzes habe in der Verkündigung der Erweckungsprediger die Funktion bekommen, das Sündenbewusstsein zu wecken und wachzuhalten. Der pietistische Versuch, die Sensibilität des Sündenbewusstseins „durch kräftige Schläge mit dem Hammer des göttlichen Gesetzes“ zu erhalten, führte nach Pannenberg zu einer Entfremdung von neuzeitlicher Selbsterfahrung und kirchlicher Verkündigung. Und was noch schwerer
3. Theologisch-anthropologische Modelle
wiegt: „Die immer größere Mühe, die man auf die Sicherung des Sündenbewusstseins verwenden mußte, das für die Verkündigung der umsonst gewährten Vergebung nun einmal die Voraussetzung bildete, brachte eine spezifisch protestantische Form der Selbstgerechtigkeit hervor“ (450:18). Anders als die von Luther kritisierte Werkfrömmigkeit stützt sie sich nicht auf gute Taten, sondern auf die Kontrolle des eigenen Sündenbewusstseins. Wo aber getaufte Christen auf eine reumütige Betrachtung ihres Sünderseins fixiert werden, werden sie nach Pannenberg angeredet, „als ob sie nicht in der Kirche säßen, sondern außerhalb. Dadurch wird wenig mehr erreicht als eine Verstärkung des Teufelskreises von vagem Schuldbewußtsein und selbstgerechtem Glauben an die eigene Rechtfertigung“ (450:20). Doch nicht die Erweckung des Sündenbewusstseins, sondern die Erneuerung des Taufbewusstseins ist nach Pannenberg die vordringliche Aufgabe christlicher Verkündigung. „Wo die Taufe den ihr zukommenden Platz im christlichen Bewußtsein hat, da liegt der Ton der christlichen Frömmigkeit auf dieser Freude des neuen Lebens in Christus. Denn Sünde und Tod liegen durch die Taufe im Prinzip hinter uns“ (451:56). Als zeichenhafte Antizipation der ganzen, in Christus geborgenen Lebensgeschichte des Getauften bringt die Taufe den Menschen vorausweisend in die Übereinstimmung mit seiner natürlichen, in seiner Schöpfung begründeten selbsttranszendenten Bestimmung. Die Taufe bewirke eine prinzipielle und beständige Neubegründung des menschlichen Seins in Christo. ,Buße‘ sei demnach zu interpretieren als erinnerndes und erneuerndes Zurückkommen auf die Taufe, als lebenslange Aneignung des zugeeigneten neuen Lebens. Dass die Taufe sowohl von Gott gestifteter Anfang des Christseins als auch beständiger Ruf zum Christwerden ist, belegt Pannenberg am eigenen Beispiel:
Erneuerung des Taufbewusstseins
„Gottes Handeln an uns, das unser Leben in Anspruch nimmt, wie es in der Taufe geschieht, geht unserem Glauben voraus, und der Glaube ist darauf bezogen. Ich persönlich wurde zwar als Kind getauft, blieb aber wie so viele andere ohne viel christliche Erziehung, und meine Familie entfremdete sich so sehr von der Kirche, daß sie schließlich austrat. Als ich dann aber als Heranwachsender zum christlichen Glauben zurückfand, wurde es für mich zunehmend wichtig, daß Gott in meinem Leben von Anfang an dabei gewesen ist und es durch den Akt der Taufe für seinen Dienst in Anspruch genommen hat. In vielen individuellen Fällen wird die persönliche Aneignung der empfangenen Taufe durch den Glauben erst mehr oder weniger später im Leben stattfinden. (…) Der prozessuale Charakter der persönlichen Aneignung der empfangenen Taufe korrespondiert mit der antizipatorischen Bedeutungsstruktur des Taufritus selber.“ (454:80) Menschliche Reifung, verstanden als wachsende Befähigung zur Selbsthingabe, und das Wachsen im Glauben, das als fortwährende Aneignung der in der Taufe grundgelegten neuen Wirklichkeit interpretiert wird, werden von Pannenberg nicht schlechthin identifiziert. An vielen Stellen werden sie aber derart eng miteinander korreliert, dass sich fragt, ob dabei die Differenzen zwischen einer philosophisch-anthropologischen Analyse des Selbst und einer theologischen Beschreibung des neuen Seins in Christus nicht verwischt werden. Als Nagelprobe von Pannenbergs Interpretationsmodell
Christliche und buddhistische Selbstlosigkeit
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V. Lebens- und glaubensgeschichtliche Dimensionen
Anthropologie und Hermeneutik
kann sein Versuch gelten, auf anthropologischer Basis christliches und buddhistisches Denken miteinander ins Gespräch zu bringen. Die besondere Herausforderung des Buddhismus für abendländische Konzeptionen vom Menschen besteht aus Pannenbergs Sicht darin, dass er verneine, was diese ins Zentrum stellen: Während der Hauptstrom neuzeitlich-moderner Philosophie den Menschen als selbstbestimmtes Wesen auszeichnete, rückt der Buddhismus die Nichtigkeit des empirischen Selbst in den Vordergrund und betrachtet seine Autonomie als Illusion. Die Betonung der personalen Einzigartigkeit jedes Menschen, das christliche Erbe der Moderne, ist aus buddhistischer Sicht schwer nachzuvollziehen. Die Pointe von Pannenbergs Korrelation von christlicher Spiritualität und buddhistischem Denken besteht nun darin, dass er im Rückgang auf Paulus die Vorstellung eines mit sich identischen Subjekts problematisiert. Der Gegensatz zwischen der christlichen und der buddhistischen Konzeption vom Selbst des Menschen erscheine nur dann unüberbrückbar, wenn nicht beachtet werde, dass das neuzeitliche Subjekt- und Freiheitsdenken nur die selbstbejahende, nicht aber die selbstkritische Seite der paulinischen Sicht aufgenommen habe. Zwischen der buddhistischen Anatta-Lehre, die die Substanzialität des menschlichen Selbst bestreitet und eine radikale Dekonstruktion des alltäglichen Selbstverständnisses bedeutet, und der radikalen Anthropologie, die Luther in den paulinischen Schriften wiederentdeckt hat, besteht nach Pannenberg eine bisher zu wenig beachtete Konvergenz. Setzt man bei Paulus oder Luther an, ist das empirische Ich, mit dem sich Menschen meist identifizieren, gefangen in einer trügerischen Selbstgewissheit, deren Haltlosigkeit erst im Rückblick zu erkennen ist. Christwerden bedeute deshalb ,Entwerden‘ und ,Subjektwechsel‘ (Gal 2,20). Stärker als in seiner Anthropologie betont Pannenberg an dieser Stelle die Diskontinuität zwischen natürlicher psychologischer Entwicklung und dem Prozess des Christwerdens. In der Innenperspektive des Glaubenden erscheint die Kontinuität zwischen altem und neuem Selbst als eine radikal gebrochene: „Das in dieser Perspektive gesehene Selbst der Person, die ich vor meiner Bekehrung gewesen bin, ist sehr verschieden davon, was ich selber damals als mein Selbst betrachtet, und noch einmal verschieden davon, was jetzt in meinen Augen mein Selbst ausmacht“ (452:87). Eine schmale Brücke zwischen altem und neuem Selbst findet sich, wo im Rückblick erkennbar wird, dass das neue im alten bereits spurenhaft präsent war. Pannenbergs Überlegungen zur buddhistischen Anatta-Lehre markieren den Punkt, in dem seine Anthropologie in eine theologische Hermeneutik übergeht. Wie das ,Wesen‘ des Menschen nicht beobachtet, sondern allein im Ausgang von strittigen Selbstdeutungen bestimmt werden kann, so zeigen sich auch anthropologische Konstanten nur innerhalb der voneinander abweichenden Deutungshorizonten. Betrachtet man den Prozess des Christwerdens in dem Horizont, den die paulinische Verkündigung entwirft, so legt es sich für die spirituelle Selbstdeutung nahe, die Diskontinuität von altem und neuem Leben gegenüber der Kontinuität des Lebensprozesses stärker zu akzentuieren. Die Grenze von anthropologischen Konzeptionen des christlichen Weges liegt in ihrer Schwierigkeit, die eigentümliche Verschränkung von ,alt‘ und ,neu‘ angemessen artikulieren zu können. Die lutherische Tradition, in der Pannenberg steht, liebt deshalb, wie wir gesehen
3. Theologisch-anthropologische Modelle
haben, paradoxe Formulierungen, um vom christlichen ,Fortschritt‘ zu sprechen. Dennoch: Bei aller berechtigter Skepsis gegenüber Phasenmodellen und bei allem Gewicht des Einwands, der christliche Weg führe nicht aufwärts, sondern abwärts ins ,Tal der Demut‘, kann das religionsgeschichtlich breit bezeugte Stufenschema, das die resümierten entwicklungspsychologischen Entwürfe auf ihre Weise konzeptionalisieren, auch heutige christliche Spiritualität noch inspirieren. Zu seiner Legitimierung lassen sich, als gewichtige Traditionszeugen, die Wallfahrtspsalmen (Ps 120–134) anführen, die als „Aufstiegslieder“ entfalten, was es heißt, „Pilgerwege“ im Herzen zu haben (Ps 84,6).
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Epilog: Spiritualität als Hermeneutik ,Spiritualität‘, so wurde im ersten Kapitel der vorliegenden Einleitung vorgeschlagen, ist als ars spiritualis, als Kunst des geistbestimmten Lebens zu konzipieren. Ein solcher Zugang trägt zum einen der geschichtlichen Wandelbarkeit, der kulturellen Vielfalt und der individuellen Formung christlicher Spiritualität Rechnung. Zum andern wird damit benannt, was die Vielgestaltigkeit spiritueller Vollzüge und Lebensformen gemeinsam prägt und verbindet: der eine Geist Christi. Im Anschluss an diese Grundbestimmung wurde die Theologie der Spiritualität als theologische Hermeneutik des geistbestimmten Lebens entfaltet. Sie reflektiert auf die eschatologische Bestimmtheit (Anfänge des neuen Lebens), die geschichtliche Kontinuität und Diversität (christliche Spiritualität in der Vielfalt von Spiritualitäten) sowie die Gesetzmäßigkeiten eines geistbestimmten Lebens (Gebetspädagogik, Modelle spiritueller Reifung). Zu einer theologischen Hermeneutik des geistlichen Lebens gehört schließlich auch die Aufgabe, die Deutungskonflikte, die die spirituelle Suche der Gegenwart begleiten, reflexiv zu durchdringen und zu klären. Eine Einführung in die Theologie der christlichen Spiritualität, so wurde eingangs betont, kann eine mystagogische Hinführung zur spirituellen Praxis nicht ersetzen. Insofern sie ihre Aufgabe erfüllt und einen kritischen Überblick vermittelt über das weite Feld geistbestimmter Lebensvollzüge und deren besonderen Herausforderungen, schafft eine Theologie der Spiritualität eine gute Grundlage für konkrete Anleitungen zu spirituellem Leben. Schließlich bedarf die ars spiritualis selbst der hermeneutischen Kompetenz: Um in einer widersprüchlichen, unübersichtlichen und sich schnell wandelnden Welt geistbestimmt leben zu können, braucht es die Fähigkeit, sich in wechselnden Situationen im Licht des Glaubens neu zu verstehen und im Hinblick auf zu fällende Entscheidungen die Geister unterscheiden zu können. Die Verstehensmodelle, Metaphern und Narrative, die im Rahmen dieser Einleitung dargestellt und analysiert wurden, können einer solchen Selbstauslegung als Artikulationshilfen dienen. Sie ermöglichen es heutigen spirituellen Pilgerinnen und Pilger, sich im Wechselspiel zwischen Deutungshorizonten und deutungsbedürftigen Widerfahrnissen genauer wahrzunehmen und besser zu verstehen. Indem eine solche artikulierende Selbstdeutung prägnanzbildend, selbstdistanzierend und klärend wirkt, stellt sie selbst einen geistlichen Vollzug dar, in dem wir auslegen, was uns faktisch bestimmt, und festlegen, wovon wir uns bestimmen lassen wollen: von den Passionen des alten Adams, die auch im neuen Leben nachwirken, oder dem Geist, der im Menschen wohnen und ihn lebendig machen möchte (Röm 8,11).
Literatur Abkürzungen für antike Werke richten sich nach dem Abkürzungsverzeichnis des LThK (3. Aufl.) und dem Lexikon der antiken christlichen Literatur (3. Aufl.). Sonstige Abkürzungen folgen dem Verzeichnis der Abkürzungen in der TRE. Die Übersetzung patristischer Zitate entstammt, wo nichts anderes vermerkt, der Bibliothek der Kirchenväter (www.unifr.ch/bkv). Die Texte des II. Vatikanum sind zitiert nach: K. Rahner/H. Vorgrimler, Kleines Konzilskompendium. Freiburg i. Br. 261994.
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Literatur tik und Transzendenzerfahrung. Hrsg. von J. Sudbrack. Freiburg i. Br. 1989. 384. Ruh, Kurt (Hrsg.), Abendländische Mystik im Mittelalter. Stuttgart 1986. 385. Scholem, Geshom, Die jüdische Mystik in ihren Hauptströmungen. Frankfurt/M. 61996. 386. Vollenweider, Samuel, Großer Tod und Großes Leben. Ein Beitrag zum buddhistisch-christlichen Gespräch im Blick auf die Mystik des Paulus, in: EvTh 51 (1991), 365–382.
10. Geistliche Begleitung 387. Bäumer, Regina/Michael Plattig, Aufmerksamkeit ist das natürliche Gebet der Seele. Geistliche Begleitung in der Zeit der Wüstenväter und der personzentrierte Ansatz nach Carl R. Rogers – eine Seelenverwandtschaft?! Würzburg 1998. 388. Dufner, Meinrad/André Louf, Geistliche Begleitung im Alltag. Münsterschwarzach 22006. 389. Frielingsdorf, Karl, Mein Leben mit Gott versöhnen. Ein Kursbuch für geistliches Wachsen und Begleiten. Unter Mitarbeit von A. Lanfermann. Würzburg 2008. 390. Larchet, Jean-Claude, Thérapeutique des maladies spirituelles. Une introduction à la tradition ascétique de l’ Église orthodoxe (2 Bd.e). Paris 1991. 391. Ders., L’inconscient spirituel. Paris 2005. 392. Louf, André, Demut und Gehorsam bei der Einführung ins Mönchsleben. Münsterschwarzach 1979. 393. Ders., Die Gnade kann mehr … Geistliche Begleitung. Münsterschwarzach 1995. 394. Meures, Franz, Sich frei machen von allen ungeordneten Anhänglichkeiten. Ein interdisziplinärer Beitrag zur Anthropologie der ignatianischen Exerzitien, in: Korrespondenz zur Spiritualität der Exerzitien 35 (1985), 2–69. 395. Nouwen, Henri J. M., Schöpferische Seelsorge. Freiburg i. Br./Basel/Wien 1989. 396. Prokschi, Rudolf/Marianne Schlosser (Hrsg.), Vater, sag mir ein Wort. Geistliche Begleitung in den Traditionen von Ost und West. Würzburg 2007. 397. Schaupp, Klemens, Geistliche Berufung: Gabe und Aufgabe. Die Bedeutung der Tiefenpsychologie für die Ausbildung von Priestern und Ordensleuten, in: ZKTh 106 (1984), 402–439. 398. Ders., Gott im Leben entdecken. Einführung in die geistliche Begleitung. Kevelaer 2006. 399. Schlosser, Marianne (Hrsg.), Die Gabe der Unterscheidung. Texte aus zwei Jahrtausenden. Würzburg 2008.
400. Ders., Zur Praxis der geistlichen Begleitung. Hilfen und Hinweise. Köln 2003.
11. Offizielle Dokumente und ökumenische Dialogtexte 401. Gemeinsame Synode der Bistümer in der Bundesrepublik Deutschland. Beschlüsse der Vollversammlung. Offizielle Gesamtausgabe. Freiburg i. Br. 41978. 402. Johannes Paul II, Enzyklika Dives in misericordia. Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls 26, Bonn 1980. 403. Kongregation für die Glaubenslehre, Schreiben an die Bischöfe der katholischen Kirche über einige Aspekte der christlichen Meditation vom 15. Oktober 1989. Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls 95, Bonn 1989. 404. Ökumenischer Arbeitskreis evangelischer und katholischer Theologen, Gerecht und Sünder zugleich? Hrsg. v. Th. Schneider/G. Wenz. Freiburg i. Br./Basel/Wien 2001. 405. Päpstliche Bibelkommission, Die Interpretation der Bibel in der Kirche. Rom 1993. Hrsg. v. Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (Verlautbarungen des Apostolischen Stuhles Nr. 115). 406. Pontifical Council for Culture/Pontifical Concil for Interreligious Dialogue, Jesus Christ the Bearer of the Water of Life. A Christian reflection on the “New Age’’. Rom 2003. 407. Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland (Hrsg.), Evangelische Spiritualität. Überlegungen und Anstöße zur Neuorientierung. Gütersloh 1979. 408. Ders., Verbindlich leben. Kommunitäten und geistliche Gemeinschaften in der Evangelischen Kirche in Deutschland. Ein Votum des Rates der EKD zur Stärkung evangelischer Spiritualität, EKD-Texte 88. Hannover 2007.
12. Übrige Literatur: 409. Bloch, Ernst, Geist der Utopie. Bearbeitete Neuauflage der zweiten Fassung von 1923. Frankfurt a. M. 1985. 410. Bochinger, Christoph, „New Age“ und moderne Religion. Gütersloh 1994. 411. Buber, Martin, Gottesfinsternis. Mit einer Entgegnung von C. G. Jung. Gerlingen 21994. 412. Congar, Yves, Der Heilige Geist. Freiburg i. Br. 1982. 413. Dalferth, Ingolf U., Gedeutete Gegenwart. Zur
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Personenregister Adorno, Theodor W. 92 Aelred v. Rievaulx 90, 111 Álvarez, Balthasar 130 Álvarez de Paz, Jacques 16 Ambrosius v. Mailand 75 Antonios d. Gr. 45, 66 Aquaviva, Claudio 16 Aristoteles 61, 89–91 Athanasios d. Gr. 45 Athenagoras 74 Augustin 39, 56 f., 86, 97, 104, 128 Außerleitner, Waltraud 127 Axmacher, Elke 12 Baader, Günter 19 Bachl, Gottfried 107 Bacht, Heinrich 110 Baier, Karl 120 Balthasar, Hans Urs v. 12–14, 62 f., 70, 81, 85 f., 114, 123 Báñez, Domingo 16 Barclay, John M. G. 29 f. Barile, Riccardo 94, 96 Barth, Karl 14 Basilius d. Gr. 40, 84, 87 Baumert, Norbert 102 f. Becker, Kenneth 136 Beirer, Georg 101 Benedikt v. Nursia 110, 128 Benz, Ernst 76 Bernard, Charles A. 19 Bernhard v. Clairvaux 25, 117, 126 Bethge, Eberhard 72, 107 Betz, Hans Dieter 51 Blavatsky, Helena P. 11 Bloch, Ernst 27, 92 Bobert-Stützel, Sabine 12, 19, 136 Bohren, Rudolf 19, 53, 56, 58 Bollnow, Otto F. 114 Böminghaus, Ernst 108 Bonaventura 76, 93, 126 Bonhoeffer, Dietrich 50–52, 64, 72 f., 107 Bossuet, Jacques B. 11 Bours, Johannes 88
Bouyer, Louis 70, 127 Brébeuf, Jean de 131 Bremond, Henri 108 Brümmer, Vincent 104 Brunner, Emil 121 Buber, Martin 137 Bucer, Martin 76 Bucher, Anton 9, 137, 139 f. Buddha 136 Bunyan, John 133 Bußmann, Gabriele 137 Caffarel, Henri 69 Carretto, Carlo 131 Casanate, G. 116 Cassian, Johannes 65, 74, 80, 108, 110 Cassiodor 110 Cicero 35 Comenius, Johann A. 133 Congar, Yves 32, 70 Cullmann, Oscar 98 Dahlgrün, Corinna 19 Dalferth, Ingolf U. 28, 30, 45, 63 Daniel, Antoine 131 Dante Alighieri 126 Dassmann, Ernst 101 Demmer, Klaus 68, 86 Diadochus v. Photike 39, 134 f. Diderot, Denis 11 Dillon, Michele 139 f. Dilthey, Wilhelm 25–28 Dionysios (Ps-)Areopagita 84, 125 f. Dioskuros Nachiastes 65 Drewermann, Eugen 137 Ebner, Martin 101 Eckhart 45, 91, 97, 129 Eckmann, Dieter 132 Edwards, Jonathan 135, 138 Enomiya-Lassalle, Hugo 120 Erikson, Erik E. 137–139, 144 Eusebius v. Cäsarea 74 Evagrios Pontikos 21, 39, 91, 114 f.
Fénelon, François 116 f. Ferguson, Marilyn 11 Fischer, Johannes 19 Fletcher, John W. 133 Fowler, James W. 138–140 Fraling, Bernhard 88 Francisco de Osuna 112 Frankl, Viktor 142 Franz v. Sales 115 Franziskus v. Assisi 75, 126 Frère Roger s. Schutz, R. Frielingsdorf, Karl 39 Fuchs, Gotthard 39, 41 Galen 74 Galilei, Galileo 92 Garrigou-Lagrange, Réginald 17 f., 117, 119 Gilson, Étienne 11, 18 Gollwitzer, Helmut 72 Gracián, Jerónimo 116 Granzer, Dietlinde 54 Greeven, Heinrich 102 Gregor d. Große 91, 114 Gründel, Johannes 86 Guardini, Romano 54, 94 Guibert, Joseph de 18, 21f., 53, 57, 130 Guigo II. 110, 117 f., 121–123 Gunkel, Hermann 33, 100 Guyon, Jeanne-M. 116 Hadot, Pierre 109, 125 Halder, Alois 92 Halkenhäuser, Johannes 76, 85 f. Hallensleben, Barbara 53 Harasta, Eva 101 Härle, Wilfried 94 Harnack, Adolf v. 119 Haug, Walter 22 Hausherr, Irénée 65 Häußling, Angelus A. 97 Heckel, Theo K. 44 Hengel, Martin 50 Henrich, Dieter 9 Herder, Johann G. 144 Hermas 37–39 Herms, Eilert 133, 136
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Personenregister Hertling, Ludwig 75, 80 Herzig, Anneliese 78 f., 83, 85 Horst, Ulrich 76, 126 Huber, Wolfgang 78 Hugo v. St. Viktor 111, 116 Huxley, Aldous 120 Ignatius v. Loyola 20, 39, 95, 111f., 136, 143 Illich, Ivan 110 Innozenz III. 75 Innozenz XI. 127 James, William 135 Janowski, Bernd 100 Joest, Christoph 83 Jogue, Isaac 131 Johannes Paul II. 45 f., 53, 128 Johannes v. Kreuz 16, 18, 39, 58, 119 Josuttis, Manfred 19 Jung, Carl G. 135 f. Jüngel, Eberhard 27, 64, 143 Katharina v. Siena 128 Karlstadt, Andreas 85 Kegan, Robert 139 Kierkegaard, S¢ren 45 Klappenecker, Gabriele 54, 114, 140 Klemens v. Alexandrien 53, 90 Knieps-Port le Roi, Thomas 69 Knoblauch, Hubert 23 Kramer, Hans 87 Kügler, Hermann 136 Kuld, Lothar 137 Küng, Hans 137 Lallemant, Louis 130 f. Landmesser, Christof 50 f. Larchet, Jean-Claude 39, 125 Leclercq, Jean 10 Leppin, Volker 21 Lindbeck, Georg A. 63 Lippert, Peter 78 Lohfink, Gerhard 47 Lohse, Bernhard 76 Lonergan, Bernard 141 Louf, André 58, 128 Luis de León 16 Luther, Henning 138 Luther, Martin 21, 45, 55, 57 f., 68, 72 f., 76, 85 f., 89, 91, 113, 118, 128 f., 132 f., 144 f. Luz, Ulrich 50–52
Mahan, Asa 133 Maréchal, Joseph 119 f. Maritain, Jacques 94 Marti, Kurt 97 f. Martini, Carlo M. 99 f. Marx, Karl 92 McGinn, Bernard 10, 22, 119 McPherson, Mary A. 69 Mechthild v. Magdeburg 58 Melanchthon, Philipp 85 Menke, Karl-Heinz 105, 107 Meßner, Reinhard 42, 52, 96 Metz, Johannes B. 35, 88 Meures, Franz 143 Meyer, Hand-Bernhard 43, 95, 97 Michelangelo 102 Mieth, Dietmar 12 f., 82 Möde, Erwin 19 Molinos, Miguel de 116–118, 127 Möller, Christian 55 Moltmann, Jürgen 40, 53 Mössinger, Richard 101 Mühlen, Heribert 135 Neuner, Peter 43 Nicol, Martin 55 Nietzsche, Friedrich 92 Odo v. St. Viktor 75 Öhler, Markus 101f. Oosterhuis, Huub 97 Origenes 53, 90, 102, 106, 125 Otto, Rudolf 119, 121 Ozman, Agnes 134 Pachomius 84 Pannenberg, Wolfhart 51, 137, 144–147 Parham, Charles F. 134 Parks, Sharon 139 Pelagius 10 Pesch, Otto Hermann 101 Philipp v. d. Trinität 16 Philo v. Alexandrien 53, 90 Piaget, Jean 139 Pius XI. 18 Platon 60, 112 Poimen (Abba) 55 Pottmeyer, Hermann J. 78 Pourrat, Pierre 18 Quenstedt, Johann A. 17
Rahner, Hugo 59 Rahner, Karl 20, 39, 53 f., 58, 80, 83, 88, 92 f., 120 Ramsay, Ian T. 94 Ratzinger, Josef 37 f., 104 Ritschl, Albrecht 119 Röhser, Günter 40 Ricœur, Paul 63, 140 Rotzetter, Anton 19 Ruh, Kurt 21, 90, 111 Rulla, Luigi M. 141–143 Runggaldier, Edmund 39 Sandaeus, Maximilian 11, 16 Saudreau, Auguste 17 f. Schaeffler, Richard 99 Scharfetter, Christian 23 Schaupp, Klemens 55, 142 Seel, Martin 49 Schelling, Friedrich W. 30 Schillebeeckx, Edward 86 Schlosser, Marianne 38, 126 Schmiedel, Joachim 77 Schmieder, Lucida 133, 135 Schneider, Michael 132 Schneiders, Sandra 12 f., 82 Schnelle, Udo 33, 42 Scholem Gershom 121 Schulte, Raphael 42, 54, 56, 104 f. Schürmann, Heinz 131f. Schutz, Roger 57 f., 66, 78 Schweitzer, Albert 119 Schweitzer, Friedrich 140 Seitz, Manfred 19 Seneca 41 Seuse, Heinrich 91 Severus, Emmanuel v. 109 Seymor, William J. 134 Sim, David 51 Solignac, Aimé 11 Stace, Walter T. 120 Staats, Reinhart 21 Starbuck, Edwin D. 135 Stoellger, Philipp 48, 92 Strauss, Leo 65 Streib, Heinz 139 f. Stubenrauch, Betram 12 Suger v. St. Denis 75 Swedenborg, Emmanuel 12 Synkletika (Amma) 129 Tanquerey, Adolphe 127 Tauler, Johannes 21, 91, 129–132
Personenregister Taylor, Charles 7, 61 Teresa v. Avila 16, 112, 116, 130 Tertullian 68 Theißen, Gerd 51, 102 Thielicke, Helmut 33, 48, 132 Thierfelder, Constanze 138 Thomas v. Aquin 16, 76, 80 f., 86 f., 91, 104, 115 f., 126 Tillard, Jean-Marie 98 Torres, Franziskus 134 Troeltsch, Ernst 119 Urban II. 75 f.
Vivekânanda, Swami 11 Voetius, Gisbertus 17, 93 Vogl, Wolfgang 90 Vollenweider, Samuel 36 Waaijman, Kees 19 Waldenfels, Bernhard 25, 41, 48 Ware, Kallistos 125 Wedemeyer, Maria v. 72 Weder, Hans 35, 47 Weismayer, Josef 19 Welz, Claudia 102 Wenger, Ines 140
Werbick, Jürgen 31, 36 f., 44, 55, 71f. Wesley, John 133 Wilkens, Ulrich 95 Wils, Jean-Pierre 60 Wink, Paul 139 f. Wollbold, Andreas 70 Wulf, Friedrich 54, 109, 112, 114 Zahlauer, Arno 21 Zenger, Erich 100 Zimmerling, Peter 19, 39, 134 Zulehner, Paul M. 88
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Sachregister Affekte 111–113, 135 Akedia 131 Anachoret s. Einsiedler Anatta-Lehre 146 Anfechtung 27, 34, 56, 118 Apophthegmata Patrum 55, 65, 126 Armut, evangel. 74–76 Armutsbewegung 60, 75 f. ars spiritualis 14, 147 Artikulation 25–28, 66, 102 f. Askese 53–59 Asketen 74, 90 Asketik/Aszetik 16 ff., 53 f. Atman 23 Aufstieg 110, 118, 122 f., 125 f., 132, 147 Augustinusregel 75 Autogenes Training 112 Autonomie 49, 146 Barmherzigkeit 66 Beginen 87 Begleitung, geistliche Benediktsregel 14, 75, 96 Bergpredigt 47 Berufung 42 f., 50, 70, 141–143 Bittgebet 100–108 Brahman 23 Buddhismus 23, 120, 146 Buße 144 f. Charisma 40 Charismatische Erneuerung 135 commitment 61, 63, 65, 130 compassio 111 Confessio Augustana 55 Dämonen 37 f. Dankgebet 100–102 Devotio moderna 111 Didache 60 Dominikaner 16 f., 91 Dreifacher Weg 16, 125–128, 132 Dritter Orden 87 Ehe 68–73
Ehelosigkeit s. Zölibat Einfachheit 66 Einsiedler 65, 73 f., 76, 90 Einwohnung des Geistes 29–32, 135 Enthaltsamkeit 74, 81 f. Enthusiasmus 38, 42, 135 Entrückung 16, 20, 24, 115 Entschleunigung 93 Erhörung d. Betens 107 f. Erleben 25, 27 f. Erleuchtung 125–127 Eros 62, 71 eschatologische Öffentlichkeit 42, 96 Esoterik 11 Evangelische Räte 73–89 Exerzitien 130, 143 Franziskaner 75 f., 111 f. Freude 57 f., 66 Frömmigkeit 12 Frömmigkeitsliteratur 20 Fürbittgebet 106 f. Gabe(n) des Geistes 30 f. Gebet 94–123 Gegenwart Gottes 29–35, 115 f., 122 Gehorsam 75 f., 79–81, 88 Geister 35–39 Geistgebet 95, 102, 106, 108, 114 f. Geisttaufe 33 f., 133–135 Gelübde 75, 83–87 Gesetz 47 f., 57, 64, 91, 144 Glossolalie 38, 102 f., 134 Gnade 47, 52 Gnosis 90 Gottesdienst s. Liturgie Gotteserfahrung 33–39, 114–123 Grundhaltung(en) 12, 15 Heiligung 71 f., 128, 133–135 Hermeneutik 25–28, 65 f., 143, 146 f. Hinduismus 120
Humanwissenschaften 22–24 Humilaten 87 Humor 55 Identität 41 f., 63, 136–147 Imagination 111 f. Imitatio Christi s. Nachahmung Christi Inhabitatio, s. Einwohnung innerer Mensch 44 Interdisziplinäre Forschung 21–25 Interpretation 26 f. Jesuiten 16–18, 120, 130, 141–143 Jubilatio 100, 129 Jungfrauen 73 f. Jungfräulichkeit 82 Kampf 56 f., 59 Karmeliten 16 Katathymes Bilderleben 113 Keuschheit 81 Klage 100–102 Kommunitarismus 63 Kommunitäten 73, 76 Kontemplation 99 f., 110, 112, 114–123 Konversion s. Umkehr Lebensform 14, 60–93 Lebensführung 14 lectio divina 99 f., 109 f., 115 lectio spiritualis 110 Leib 55 Leiden s. Passion Liturgie 94–100 liturgische Spiritualität 97 Lobgebet 100–103 locus theologicus 19–21 Martyrium 90, 131 Meditation 100, 108–117 Messalianismus 90, 134 f. Midlife Crisis 126, 129–132 Mönchtum 60, 65, 74–92 Mystagogie 20, 54
Sachregister Mystik 16–18, 22, 24, 91, 114–123 Nachahmung Christi 52 Nachfolge Christi 15, 48–53, 72 Nasiräer 84 Neuscholastik 17 f. New Age 11 Orden 73–93 Ordensprofess 75, 83–87 ordo salutis 133 ÖRK 15 Passion 34, 58 f., 93 Passionsfrömmigkeit 91, 111 Passivität 115 Pfingstkirchen 102, 134 f. Philokalie 134 Pietà 102 Pietismus 12, 45, 129, 144 Pneumatologie 14, 29–40 politeia 60, 64 f. Prophetie 16, 20, 38 f. Psalmen 100, 147 Psychoanalyse 136–139 Psychologie 135–143 Puritanismus 135 Quäker 12 Quietismus 11, 57, 116 f. Rechtfertigung 144 f. Regularkanoniker 75 Reinigungsweg 125–127 Responsivität 46–59 Ritterorden 87
Sabbat 90 sabbatizatio 90, 93 Sammlung 112 f. Satori 120 Schöpfer/Schöpfung 39 Schweigen 99 Schwellenereignis 41 Sehnsucht 99 Selbst 23, 41 f., 44, 48, 63, 136–138, 142, 144–147 Selbstannahme 58 Selbstbestimmung 49 Selbstübereignung 87 Sendung 53 Sexualität 70 f. Simul iustus et peccator 128 Sozialwissenschaften 22–24 Spiel 55 f., 59 Spiritualitätsbegriff 9 ff. stabilitas loci 87 status perfectionis 76 Stände 66 ff. Sterben 93 Stufenmodelle 124–141 Sufismus 120 Sünde 144 f. Tagebuch 66 Tau(-Kreuz) 52 Taufe 42 f., 46, 84 f., 125, 127, 145 Theismus 104 Theodizee 104 Theologia deutsch 21 Tora s. Gesetz Tradition 97 f. triplex via s. Dreifacher Weg
Trost 27, 39, 108 Übung 54–56, 59, 108–114 unio mystica 119, 125–127 Unterscheidung der Geister 35–40 Umkehr 42–45, 128–135, 144 Versöhnung 57 Verstehen 25–28 Versuchung s. Anfechtung via illuminativa s. Erleuchtung via purgativa 125–127, 129 via unitiva s. unio mystica visio imaginaria 39 visio intellectualis 39 vita activa 49, 89–93 vita apostolica 91 vita contemplativa 74 f., 89–93 vita mixta 75, 91 vita passiva 49, 91–93 Wegmodelle 125–147 Weihe 83–85 Weltflucht 92 Werkgerechtigkeit 52 Wertorientierung 61 f. Witwen 84 Wolke des Nichtwissens 112 Würzburger Synode 88 Zen-Meditation 120 Zisterzienser 93 Zölibat 74, 81–83 Zönobiten 65 Zungenrede s. Glossolalie
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