Einführung in die Semantik 3534254333, 9783534254330

Die Semantik ist ein wichtiges Teilgebiet der Linguistik. Sie beschäftigt sich mit der Bedeutung sprachlicher Ausdrücke.

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German Pages [158] Year 2014

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Titel
Impressum
Inhalt
1. Der Gegenstandsbereich
1.1 Lexikalische Semantik
1.2 Bedeutungskomposition
1.3 Semantik vs. Pragmatik
1.4 Objekt- und Metasprache
Übungsaufgaben
2. Ambiguität und Bedeutungskomposition
2.1 Lexikalische Ambiguität
2.2 Klammerungsambiguitäten
2.3 Andere strukturelle Ambiguitäten
2.3.1 Relativsätze und indirekte Fragen
2.3.2 Skopus
2.3.3 Unspezifizität
2.3.4 Fokusassoziation
2.3.5 Lexikalische Zerlegung
2.4 Weitere Phänomene der kompositionellen Semantik
2.4.1 Faktivität und Negationsanhebung
2.4.2 Pronomina
2.5 Das Allgemeine Kompositionalitätsprinzip
Übungsaufgaben
3. Extensionen
3.1 Funktionen contra Vorstellungen
3.2 Referenzielle Ausdrücke
3.3 Multiple Referenz
3.3.1 Substantive und Mengen
3.3.2 Erweiterte Substantive und Teilmengen
3.3.3 Adjektive und Schnittmengen
3.3.4 Relativsätze und Erfüllungsmengen
3.4 Von Erfüllungsmengen zu Wahrheitswerten
3.4.1 Prädikate und ihre Extensionen
3.4.2 Valenz und Stelligkeit
3.4.3 Sättigung
3.4.4 Wahrheitswerte
3.5 Junktoren
3.6 Quantifikation
3.6.1 Quantifizierte Sätze
3.6.2 Quantifikation und Logische Form
Übungsaufgaben
4. Intensionen
4.1 Intensionalität
4.2 Propositionen
4.3 Von Propositionen zu Intensionen
4.3.1 Charakteristische Funktionen
4.3.2 Individualbegriffe und Eigenschaften
4.4 Intensionen und Kompositionalität
4.5 Intensionale Konstruktionen
4.5.1 Einstellungsberichte
4.5.2 Referenziell opake Verben
4.6 Einstellungsberichte de re
4.6.1 Ersetzbarkeit trotz Intensionalität
4.6.2 Gebundene Pronomina
4.6.3 Kennzeichnungen als Quantoren
Übungsaufgaben
5. Aspekte der Wortbedeutung
5.1 Grobklassifikation
5.1.1 Extensionstypen
5.1.2 Starrheit, Inhaltswörter und grammatische Bedeutung
5.2 Paradigmatische Beziehungen
5.2.1 Sinnrelationen
5.2.2 Komponentenanalyse
5.2.3 Bedeutungspostulate
5.3 Syntagmatische Beziehungen
5.3.1 Selektionsbeschränkungen
5.3.2 Umkategorisierung und Erzwingung
Übungsaufgaben
6. Bedeutung in der Kommunikation
6.1 Informationsübermittlung
6.1.1 Informationsfluss in Idealform
6.1.2 Erfolgsbedingungen
6.2 Implikaturen
6.2.1 Maximen
6.2.2 Implikatureffekte
Übungsaufgabe
7. Bedeutung und Kognition
7.1 Schwierige Sätze
7.2 Ausdruckserkennung
7.3 Erkennung und Verarbeitung sprachlicher Inhalte
Musterlösungen zu ausgewählten Übungen
Zitierte Literatur
Register
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Einführung in die Semantik
 3534254333, 9783534254330

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Thomas Ede Zimmermann

Einführung in die Semantik

Wissenschaftliche Buchgesellschaft

Einbandgestaltung: Peter Lohse, Büttelborn

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Das Werk ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung in und Verarbeitung durch elektronische Systeme. i 2014 by WBG (Wissenschaftliche Buchgesellschaft), Darmstadt Die Herausgabe dieses Werkes wurde durch die Vereinsmitglieder der WBG ermöglicht. Satz: Lichtsatz Michael Glaese GmbH, Hemsbach Einbandgestaltung: schreiberVIS, Bickenbach Printed in Germany Besuchen Sie uns im Internet: www.wbg-wissenverbindet.de

ISBN 978-3-534-25433-0 Elektronisch sind folgende Ausgaben erhältlich: eBook (PDF): 978-3-534-73558-7 eBook (epub): 978-3-534-73560-0

Inhalt 1. Der Gegenstandsbereich . . . . 1.1 Lexikalische Semantik . . 1.2 Bedeutungskomposition . 1.3 Semantik vs. Pragmatik . . 1.4 Objekt- und Metasprache Übungsaufgaben. . . . . . . . .

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2. Ambiguität und Bedeutungskomposition . . . . . . . . . . . 2.1 Lexikalische Ambiguität . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Klammerungsambiguitäten . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3 Andere strukturelle Ambiguitäten. . . . . . . . . . . . . 2.3.1 Relativsätze und indirekte Fragen . . . . . . . . 2.3.2 Skopus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.3 Unspezifizität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.4 Fokusassoziation . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.5 Lexikalische Zerlegung . . . . . . . . . . . . . . 2.4 Weitere Phänomene der kompositionellen Semantik . 2.4.1 Faktivität und Negationsanhebung. . . . . . . . 2.4.2 Pronomina . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.5 Das Allgemeine Kompositionalitätsprinzip . . . . . . . Übungsaufgaben. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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3. Extensionen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1 Funktionen contra Vorstellungen . . . . . . . . . 3.2 Referenzielle Ausdrücke . . . . . . . . . . . . . . 3.3 Multiple Referenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.1 Substantive und Mengen. . . . . . . . . . 3.3.2 Erweiterte Substantive und Teilmengen . 3.3.3 Adjektive und Schnittmengen. . . . . . . 3.3.4 Relativsätze und Erfüllungsmengen . . . 3.4 Von Erfüllungsmengen zu Wahrheitswerten . . 3.4.1 Prädikate und ihre Extensionen. . . . . . 3.4.2 Valenz und Stelligkeit . . . . . . . . . . . 3.4.3 Sättigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.4 Wahrheitswerte . . . . . . . . . . . . . . . 3.5 Junktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.6 Quantifikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.6.1 Quantifizierte Sätze . . . . . . . . . . . . 3.6.2 Quantifikation und Logische Form . . . . Übungsaufgaben. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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4. Intensionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1 Intensionalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2 Propositionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhalt

4.3 Von Propositionen zu Intensionen . . . . . . . 4.3.1 Charakteristische Funktionen . . . . . 4.3.2 Individualbegriffe und Eigenschaften . 4.4 Intensionen und Kompositionalität . . . . . . 4.5 Intensionale Konstruktionen . . . . . . . . . . 4.5.1 Einstellungsberichte . . . . . . . . . . . 4.5.2 Referenziell opake Verben . . . . . . . 4.6 Einstellungsberichte de re . . . . . . . . . . . . 4.6.1 Ersetzbarkeit trotz Intensionalität . . . 4.6.2 Gebundene Pronomina . . . . . . . . . 4.6.3 Kennzeichnungen als Quantoren . . . Übungsaufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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5. Aspekte der Wortbedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1 Grobklassifikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1.1 Extensionstypen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1.2 Starrheit, Inhaltswörter und grammatische Bedeutung 5.2 Paradigmatische Beziehungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.1 Sinnrelationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.2 Komponentenanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.3 Bedeutungspostulate . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3 Syntagmatische Beziehungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3.1 Selektionsbeschränkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3.2 Umkategorisierung und Erzwingung . . . . . . . . . . . Übungsaufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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6. Bedeutung in der Kommunikation . . . . . . 6.1 Informationsübermittlung . . . . . . . . 6.1.1 Informationsfluss in Idealform . 6.1.2 Erfolgsbedingungen . . . . . . . 6.2 Implikaturen . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2.1 Maximen . . . . . . . . . . . . . 6.2.2 Implikatureffekte . . . . . . . . . Übungsaufgabe . . . . . . . . . . . . . . . . .

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7. Bedeutung und Kognition . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.1 Schwierige Sätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2 Ausdruckserkennung. . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.3 Erkennung und Verarbeitung sprachlicher Inhalte

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Musterlösungen zu ausgewählten Übungen. . . . . . . . . . . . . . . .

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Zitierte Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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1. Der Gegenstandsbereich Das vorliegende Buch wendet sich in erster Linie an StudienanfängerInnen der Germanistik und will ihnen die grundlegenden empirischen Fragestellungen, theoretischen Begriffe und analytischen Methoden der linguistischen Semantik vermitteln. Grob gesprochen handelt es sich bei der Semantik um die Lehre von der sprachlichen Bedeutung. Wer niemals mit diesem Gebiet in Berührung gekommen ist, wird allerdings mit dieser Charakterisierung nicht viel anfangen können. Dieses einleitende Kapitel soll daher zunächst einen ersten Einblick in die Art von Fragestellungen geben, denen sich die Semantik widmet und die uns dann für den Rest des Buchs – vor allem aber in den Kernkapiteln 2–5 – beschäftigen werden.

1.1 Lexikalische Semantik Ob Wort, Phrase, Satz oder Text – ein sprachlicher Ausdruck besteht immer aus einer Verbindung von Form und Inhalt. Während sich Phonologie und Syntax mit der Formseite der Sprache beschäftigen, fällt ihre Inhaltsseite, die Bedeutung sprachlicher Ausdrücke, im Wesentlichen in den Zuständigkeitsbereich der Semantik. Genauer gesagt ist die Semantik für denjenigen Teil der sprachlichen Bedeutung zuständig, der über alle Verwendungen und Äußerungssituationen hinweg stabil bleibt und somit als Teil des Sprachsystems angesehen werden kann – also dessen, was Sprecherinnen und Sprecher aufgrund ihrer Sprachkenntnis beherrschen. Dazu gehören insbesondere die Bedeutungen einzelner Wörter – natürlich nicht aller Wörter, denn viele von ihnen sind Bestandteil spezifischer Gruppensprachen (Dialekte, Soziolekte, Fachsprachen, …); andere sind im Aussterben begriffen und nur noch wenigen geläufig; wieder andere sind noch nicht bei allen angekommen. Doch die Kenntnis eines gewissen Kernbestands des Wortschatzes darf und muss man allen SprecherInnen unterstellen. Diese Kenntnis, die die formale wie die inhaltliche Seite der Wörter umfasst, macht einen Teil der Sprachkompetenz aus. So ist uns deutschen MuttersprachlerInnen bekannt, dass die Wörter ,begradigen‘ und ,begnadigen‘ trotz ihrer lautlichen Ähnlichkeit – phonologisch handelt es sich um Minimalpaare – und ihres gleichen syntaktischen Verhaltens – beide sind transitive Verben – ganz unterschiedliche Bedeutungen haben. Ebenso bekannt ist uns, dass die Substantive ,Apfelsine‘ und ,Orange‘ zwar sehr unterschiedlich ausgesprochen und geschrieben werden, sich aber inhaltlich nicht voneinander unterscheiden. Und wir alle wissen nicht nur, welche uns vertrauten Wörter sich hinsichtlich ihrer Bedeutung unterscheiden; wir wissen auch, was diese Wörter jeweils bedeuten. Zumindest wissen wir dies insoweit, als wir in der Lage sind, die Wörter aufgrund ihrer jeweiligen Bedeutung zu verwenden und zu verstehen. In dieser Hinsicht unterscheidet sich unser Wissen um die Bedeutung der Wörter unserer Sprache nicht von unseren – ebenfalls impliziten – Kenntnissen der phonologischen und syntaktischen Strukturen. So wie wir die Auslautverhärtung, die

Wörter und ihre Bedeutungen

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1. Der Gegenstandsbereich

Paraphrasen

paradigmatisch / syntagmatisch

Sinnrelationen

Frage-Intonation, das Passiv und die Wortstellungsunterschiede zwischen Haupt- und Nebensatz beherrschen, so erfassen wir auch Bedeutungsunterschiede wie die zwischen den Verben ,glauben‘ und ,wissen‘ oder den Adjektiven ,weiß‘ und ,weise‘. Wir kennen und verstehen zwar viele Wörter, doch worin diese Kenntnis und dieses Verständnis bestehen, ist gar nicht so leicht zu erklären. In vielen Fällen kann man sich den Wortbedeutungen durch Paraphrasen nähern, also durch sprachliche Umschreibungen, die mehr oder weniger dasselbe besagen wie das zu erklärende Wort. So lässt sich das Verb ,begradigen‘ als ,gerade machen‘ umschreiben, während man sich für ,begnadigen‘ schon eine umständlichere Formulierung einfallen lassen muss – oder das weniger geläufige Verb ,amnestieren‘ heranzieht, dessen Bedeutung dann wiederum mit ,begnadigen‘ umschrieben werden kann. Man sieht an dieser Zirkularität der Paraphrasen, dass sie sich nicht eignen, um jemandem den gesamten Wortschatz einer Sprache beizubringen: wenn man keines der beiden Wörter kennt, hilft es auch nicht, wenn man erfährt, dass sie (mehr oder weniger) dasselbe bedeuten. Vielleicht lassen sich ja auf diese Weise alle Wörter auf einige wenige ,Urwörter‘ zurückführen, die allen Paraphrasen quasi als semantische Atome zugrunde liegen. Doch zumindest die Bedeutung dieser Atome kann dann nicht zirkelfrei durch Paraphrasen beschrieben werden. Insofern die Semantik beansprucht, zumindest prinzipiell die Bedeutung aller sprachlichen Ausdrücke erfassen zu können, kann sie sich also nicht in Paraphrasen erschöpfen – die wir in diesem Buch daher allenfalls als Hilfsmittel einsetzen. Wenn es in den folgenden Kapiteln darum geht, Bedeutungen anzugeben, werden wir nicht darauf angewiesen sein, sie durch andere Ausdrücke zu umschreiben. Die Bedeutungen einzelner Wörter werden ohnehin eine untergeordnete Rolle spielen. Denn die Wörter einer Sprache sind nicht isoliert voneinander, sondern müssen stets im Zusammenhang gesehen werden – genauer gesagt in zwei Arten von Zusammenhängen. Zum einen steht jedes Wort in Konkurrenz zu anderen, vergleichbaren Wörtern; zum anderen tritt jedes Wort mit anderen und zumeist andersartigen Wörtern in Beziehung, sobald es mit ihnen zu größeren Ausdrücken zusammengesetzt, also mit diesen kombiniert wird. Die Beziehungen zwischen konkurrierenden Wörtern bezeichnet man als paradigmatisch; die zwischen zu kombinierenden Wörtern als syntagmatisch. Uns interessieren hier natürlich in erster Linie die semantisch relevanten syntagmatischen und paradigmatischen Beziehungen zwischen den Wörtern, also diejenigen, die aufgrund ihrer Bedeutungen bestehen. Die oben angesprochenen Paraphrasen basieren auf einer paradigmatischen Beziehung zwischen einzelnen Wörtern, der Synonymie: ,begnadigen‘ und ,amnestieren‘, ,Orange‘ und ,Apfelsine‘, ,Sonnabend‘ und ,Samstag‘, ,obschon‘ und ,obgleich‘ etc. bedeuten jeweils dasselbe und sind damit Synonyme voneinander (oder zueinander synonym). Daneben gibt es eine ganze Reihe anderer, ebenfalls paradigmatischer Beziehungen zwischen Wörtern mit jeweils unterschiedlichen Bedeutungen. So besteht zwischen den Adjektiven ,heiß‘ und ,kalt‘ ein ähnlicher Bedeutungsgegensatz – die sog. Antonymie – wie zwischen ,groß‘ und ,klein‘, ,hoch‘ und ,niedrig‘ oder ,alt‘ und ,jung‘. Eine weitere paradigmatische Beziehung – die Hyponymie – besteht zwischen Substantiven, die unterschiedlich spezifisch sind – wie

1.1 Lexikalische Semantik

,Haus‘ vs. ,Gebäude‘, ,Eiche‘ vs. ,Baum‘, ,Frau‘ vs. ,Mensch‘, ,Kuh‘ vs. ,Tier‘ usw. Und manchmal drücken zwei Wörter gegensinnige Beziehungen aus: ,vor‘ vs. ,hinter‘, ,größer‘ vs. ,kleiner‘, ,Vorfahre‘ vs. ,Nachkomme‘ etc.; in der Semantik nennt man solche Wortpaare Konversen voneinander. Paraphrase, Antonymie, Hyponymie und Konverse sind somit allesamt Beispiele für semantisch relevante paradigmatische Beziehungen zwischen einzelnen Wörtern. Man bezeichnet solche Beziehungen auch als Sinnrelationen. Die Untersuchung der Sinnrelationen zwischen einzelnen Wörtern macht einen großen Teil eines Teilgebiets der Semantik aus, der lexikalischen Semantik – so genannt, weil es in ihr um das Lexikon geht, also den Wortschatz. In der lexikalischen Semantik werden Sinnrelationen herangezogen, um einzelne Wortbedeutungen voneinander abzugrenzen und miteinander in Beziehung zu setzen sowie um das Lexikon als Ganzes systematisch darzustellen und allgemeine Muster in diesem System zu erfassen. Gemeinsam ergeben diese Sinnrelationen ein komplexes (lexikalisches) Begriffsnetz. Angesichts der offenkundigen Tatsache, dass die Entwicklung des Wortschatzes allerlei historischen Zufällen unterliegt, ist es kein Wunder, dass sich die Begriffsnetze verschiedener Sprachen voneinander unterscheiden. Zu den offensichtlichen Kontrasten in den lexikalischen Strukturen von Sprachen gehören die durch kulturelle, klimatische oder andere äußerliche Faktoren bedingten Unterschiede in der Durchdringung einzelner inhaltlicher Bereiche: je differenzierter die Braukunst, desto mehr Bierbezeichnungen, je mehr es schneit, desto subtiler die lexikalisierten Unterschiede zwischen Schneesorten und weißen Farbtönen, usw. – wenn auch nicht annähernd so vielfältig wie gemeinhin angenommen. Andere Unterschiede kann man einfach nur zur Kenntnis nehmen. So unterscheidet sich das Begriffsnetz des Deutschen von denen skandinavischer Sprachen insofern, als es kein Adjektiv (wie norwegisch ,utørst‘) enthält, das in derselben semantischen Beziehung zu ,trinken‘ steht wie ,satt‘ zu ,essen‘. Hier klafft eine lexikalische Lücke, die bereits zu diversen erfolglosen (und nicht immer ganz ernst gemeinten) Versuchen geführt hat, aktiv in die Sprachentwicklung einzugreifen und die Lücke mit Neologismen wie ,schmöll‘ zu schließen (s. Fig. 1.1). Wir werden auf die Kartographierung des Lexikons durch Sinn- Fig. 1.1: Leserbrief

lexikalische Semantik

lexikalische Lücken

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10

1. Der Gegenstandsbereich

relationen im fünften Kapitel zurückkommen. Bis dahin werden die Bedeutungen einzelner Wörter und die paradigmatischen Beziehungen zwischen ihnen nur eine untergeordnete Rolle spielen. Aber mit Sinnrelationen werden wir dennoch zu tun haben. Denn diese können nicht nur zwischen Wörtern, sondern zwischen sprachlichen Ausdrücken beliebiger Komplexität bestehen. So sind z. B. die drei erweiterten Substantive in (1)a miteinander synonym, während die in (1)b eine Kette von Unter- und Oberbegriffen bilden: (1) a. weibliches Pferd – Stute – Pferd weiblichen Geschlechts b. schwarzes Turnierpferd männlichen Geschlechts – schwarzer Hengst – Säugetier Sinnrelationen machen auch vor Sätzen nicht Halt. Eine von ihnen erweist sich dabei als besonders interessant. Sie besteht zwischen zwei Aussagesätzen, wenn der Eine aus dem Anderen folgt: (2) a. Niemand hat ein Tier gesehen. b. Kein Bauer hat eine Kuh gesehen. Implikation

Offenbar kann man von (2)a auf (2)b schließen; denn (2)a kann nicht zutreffen, ohne dass auch (2)b richtig ist. Um diesen Schluss zu ziehen, sind keinerlei Kenntnisse der einschlägigen Tatsachen (Bauern, Tiere, Transaktionen) vonnöten. Er ergibt sich vielmehr ganz allein aufgrund des Verständnisses dieser beiden Sätze: er basiert auf einer Sinnrelation zwischen ihnen, einer Beziehung, die aufgrund ihrer Bedeutungen besteht. Diese Sinnrelation wird als Implikation (engl.: entailment) bezeichnet. Im vierten Kapitel werden wir sehen, wie sich die Implikationsbeziehungen zwischen Aussagesätzen unmittelbar aus ihren Bedeutungen ergeben. Während man im lexikalischen Bereich prinzipiell sämtliche Sinnrelationen durch Auflistung angeben kann, müssen wir zur systematischen Erfassung von Fällen wie in (1) und (2) grundsätzlich andere Wege beschreiten: was man braucht, ist eine Methode zur Beschreibung der Kombination von Bedeutungen. Allerdings findet man eine solche – das zeigt die Erfahrung – gerade nicht, wenn man von lexikalischen Bedeutungen und Strukturen ausgeht, um dann schrittweise zu komplexen Ausdrücken zu gelangen. Das umgekehrte Vorgehen, das beim Satz beginnt und sich nach unten vorarbeitet, ist erfolgreicher. Wir werden daher die Einzelheiten der lexikalischen Semantik zunächst aufschieben, bis wir Klarheit über die semantisch relevanten syntagmatischen Beziehungen gewonnen haben; das wird in den Kapiteln 3 und 4 geschehen.

Quellen

Die Unterscheidung zwischen syntagmatischen und paradigmatischen Beziehungen geht auf den Schweizer Sprachwissenschaftler Ferdinand de Saussure [1857–1913] zurück, den Begründer des Strukturalismus – einer Forschungstradition („Schule“), die vor allem für die Sprachwissenschaft der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts tonangebend war und in der Sinnrelationen in den Mittelpunkt der Semantik gestellt wurden. Einen Überblick gibt das 2. Kapitel von Geeraerts (2010). – Der (getürkte) Leserbrief in Fig. 1.1 wurde 1975 in der satirischen Zeitschrift pardon abgedruckt; als wahrer Autor hat sich später Robert Gernhardt (et al. 1979: 312) geoutet. Über das Eskimo-Vokabular für ,Schnee‘ kann man sich bei Pullum (1989) informieren.

1.2 Bedeutungskomposition

1.2 Bedeutungskomposition Sprachliche Bedeutung ist nicht allein eine Angelegenheit des Wortschatzes, sondern betrifft ebenso die Kombination von jeweils mehreren Wörtern zu größeren sprachlichen Einheiten. Dass es auch jenseits des Lexikons Bedeutung geben muss, zeigt ein Vergleich der folgenden beiden deutschen Sätze:

Bedeutung jenseits des Lexikons

(3) Ich habe jede Woche eine Zeitung gelesen. (4) Ich habe eine Woche jede Zeitung gelesen. Der für jede Sprecherin und jeden Sprecher des Deutschen unmittelbar erkennbare Bedeutungsunterschied zwischen (3) und (4) kann nicht allein von den sieben Wörtern herrühren, aus denen die beiden Sätze bestehen; denn (3) und (4) enthalten genau dieselben Wörter, und diese Wörter bedeuten in beiden Sätzen offenbar auch jeweils dasselbe. Der Bedeutungsunterschied zeigt sich vielmehr in der Abfolge der Wörter. Andererseits führt nicht jede (grammatisch korrekte) Umstellung auch gleich zu einem Bedeutungsunterschied. So bedeutet (5) dasselbe wie (3), und (6) besagt so viel wie (4): (5) Jede Woche habe ich eine Zeitung gelesen. (6) Eine Woche habe ich jede Zeitung gelesen. Der Unterschied zwischen (3) und (4) ergibt sich somit aus der Art und Weise, in der die genannten Wörter miteinander kombiniert werden, aus ihren unterschiedlichen syntagmatischen Beziehungen in diesen Sätzen. In (3) und (5) wird der indefinite Artikel ,eine‘ auf das Substantiv ,Zeitung‘ bezogen, während der (sogenannte) Determinator ,jede‘ eine Einheit mit dem Substantiv ,Woche‘ bildet; in (4) und (6) ist es genau umgekehrt. Die unterschiedlichen syntaktischen Bezüge und Strukturen in (3) und (4) führen also zu verschiedenen Bedeutungen. Der Zusammenhang zwischen Bedeutung und syntaktischer Struktur ist Gegenstand der kompositionellen Semantik. Der Terminus spielt darauf an, dass sich die Bedeutungen komplexer Ausdrücke – also solcher, die aus mehr als einem Wort bestehen – durch Kombination der Bedeutungen ihrer Teile ergeben; den Prozess der Kombination von Teil-Bedeutungen bezeichnet man dabei als Bedeutungskomposition. Wie dieser Prozess im Einzelnen aussieht, wird uns noch in den Kapiteln 2–4 beschäftigen. An dieser Stelle genügt es zu verstehen, dass bei der Bedeutungskomposition einzelne Wortbedeutungen so miteinander kombiniert werden, dass am Schluss die Bedeutung eines Gesamtausdrucks herauskommt und dass dabei die syntaktische Struktur dieses Gesamtausdrucks eingeht. Wie wir später noch im Detail sehen werden, läuft dieser Kompositionsprozess schrittweise ab, indem zunächst jeweils die Bedeutungen kleinerer Einheiten aus denen ihrer Teile ermittelt werden. So ergeben sich zunächst die Bedeutungen von ,jede Woche‘, ,eine Zeitung‘ und ,habe gelesen‘ durch Kombination der entsprechenden Wortbedeutungen; und aus diesen lässt sich dann (über ein paar Zwischenschritte) die Bedeutung von (3) bestimmen. Für (4) dagegen wird man zunächst die Bedeutungen von ,eine Woche‘, ,jede Zeitung‘ sowie (ebenfalls) ,habe gelesen‘ ermitteln und dann miteinander kombinieren. Insgesamt lassen sich auf diese Weise die Bedeutungen von (3) und (4) schrittweise – oder wie man in der Semantik sagt: kompositionell – aus denen der (hier alphabetisch aufgelisteten) Wörter ,eine‘, ,gelesen‘, ,habe‘, ,ich‘, ,jede‘,

kompositionelle Semantik

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1. Der Gegenstandsbereich

,Woche‘ und ,Zeitung‘ bestimmen, wobei die unterschiedlichen syntagmatischen Beziehungen zwischen ihnen dafür sorgen, dass sich die beiden Satzbedeutungen voneinander unterscheiden. Besonders deutlich wird der Einfluss der syntaktischen Struktur auf die Bedeutung bei strukturell ambigen Ausdrücken, also Phrasen und Sätzen, deren Bestandteile auf mehr als eine Weise strukturiert werden können. So kann ,alte Männer und Frauen‘ so viel bedeuten wie ,Frauen und alte Männer‘ oder aber gleichbedeutend sein mit ,alte Männer und alte Frauen‘. Die beiden folgenden alternativen Klammerungsmöglichkeiten machen dies deutlich: (7) alte Männer und Frauen a. [[alte Männer] und Frauen] b. [alte [Männer und Frauen]] Oberfläche Lesarten

Disambiguierung Ambiguität

Streng genommen haben wir es in (7) mit zwei verschiedenen sprachlichen Ausdrücken zu tun, die nur gleich aussehen – gleich geschrieben und (nahezu) gleich ausgesprochen werden: (7) ist, wie man in der Sprachwissenschaft sagt, die gemeinsame Oberfläche, die zwei Strukturierungen mit unterschiedlichen Bedeutungen zulässt, die Lesarten (7)a und (7)b. Die Klammerungen disambiguieren die (Oberflächen-)Phrase ,alte Männer und Frauen‘, d. h. sie machen sie eindeutig, indem sie ihr (alternative) Strukturen unterlegen. Die jeweilige Klammerung ist nicht die Bedeutung der Phrase, sondern Teil ihrer syntaktischen Struktur, also ihrer Form. Sie erfüllt damit eine ähnliche Funktion wie die in Wörterbüchern verwendete Indizierung von mehrdeutigen Wortformen: ,Bank1‘ [Sitzgelegenheit] vs. ,Bank2‘ [Finanzinstitut]. Auch diese Indizes dienen der Disambiguierung; allerdings ist in diesen Fällen die Mehrdeutigkeit – oder Ambiguität, wie man in der Semantik sagt – von anderer Art: sie ist lexikalisch, nicht strukturell. Die Klammerungen in (7) zeigen zudem an, wie der Kompositionsprozess jeweils vonstatten gehen muss. Die Bedeutung der Phrase (7)a ergibt sich, wenn man zunächst die Bedeutung des Adjektivs ,alte‘ mit der des einfachen Substantivs ,Männer‘ und dann das Ergebnis mit den Bedeutungen der restlichen beiden Wörter (,und‘ und ,Frauen‘) kombiniert. Bei (7)b dagegen verläuft die Bedeutungskomposition anders: hier müssen zunächst die Bedeutungen der (pluralischen) Substantive ,Männer‘ und ,Frauen‘ mit der der Konjunktion ,und‘ kombiniert werden; dann wird das Ergebnis dieser Kombination – also die Bedeutung von ,Männer und Frauen‘ – mit der Bedeutung des Adjektivs kombiniert. Nicht immer ist der Zusammenhang zwischen syntaktischer Struktur und Bedeutung so deutlich wie bei „Klammerungsambiguitäten“ à la (7). So sind die folgenden beiden (Oberflächen-)Sätze mehrdeutig, ohne dass die Quelle dieser Mehrdeutigkeit offenkundig ist: (8) Die Studierenden, die wenig Geld haben, müssen nichts zahlen. (9) Fritz sucht ein nahe gelegenes japanisches Restaurant.

appositive Lesart

Bevor Sie weiter lesen, sollten Sie sich zunächst klar machen, wie Sie (8) verstehen. Am besten denken Sie sich dazu eine Situation aus, auf die (8) zutrifft. Zum einen kann mit (8) gemeint sein, dass Studierende nichts zahlen müssen, wobei nebenher zu verstehen gegeben wird, dass Studierende im Allge-

1.2 Bedeutungskomposition

meinen minderbemittelt sind. In dieser, sog. appositiven Lesart lässt sich (8) annähernd wie folgt paraphrasieren: (10) Die Studierenden, die ja wenig Geld haben, müssen nichts zahlen. Wenn dies nicht die Lesart war, die Sie zuvor im Kopf hatten, sollten Sie sich an dieser Stelle davon überzeugen, dass (10) dennoch eine legitime Paraphrase für einen Sinn von (8) ist. Doch (8) kann man auch anders verstehen, nämlich als Aussage über einen Teil der Studierendenschaft. Das ist die restriktive Lesart, die paraphrasiert werden kann durch:

restriktive Lesart

(11) Diejenigen Studierenden, die wenig Geld haben, müssen nichts zahlen. Auch hier sollten sich die LeserInnen zunächst davon überzeugen, dass (11) eine mögliche Paraphrase von (8) ist. (8) ist offenbar ambig. In der Tat spricht einiges dafür, dass es sich dabei um eine strukturelle Ambiguität handelt, die sich ähnlich wie in (7) durch Klammerung erklären lässt. Doch in diesem Fall ist nicht offensichtlich, wie das funktionieren soll. Um des dramatischen Effekts willen (aber auch aus pädagogischen Gründen) vertagen wir die Antwort auf diese Frage auf das nächste Kapitel. Auch bei (9) liegt eine Ambiguität vor. Zum einen kann der Satz eine Situation beschreiben, in der Fritz gerne japanisch essen gehen würde, aber keinen weiten Weg dafür in Kauf nehmen möchte. In diesem Fall haben wir es mit einer unspezifischen Lesart zu tun, weil es sich nicht um ein bestimmtes (= spezifisches) Restaurant handelt, das Fritz sucht; vielleicht gibt es nicht einmal eines. Doch (9) hat auch eine andere, spezifische Lesart, die z. B. vorliegt, wenn Fritz ein bestimmtes Lokal sucht – etwa weil er dort etwas abholen muss; in diesem Fall muss er nicht einmal wissen, dass es sich um ein japanisches Restaurant handelt (vielleicht kennt er ja nur den Namen), aber es handelt sich um ein bestimmtes Restaurant. Die Ambiguität von (9) ist ebenfalls struktureller Natur, lässt sich allerdings nicht durch einfache Klammerung erklären; auch darauf kommen wir im nächsten Kapitel zurück. Um zu beschreiben, wie sich Bedeutungen kompositionell miteinander kombinieren lassen, muss man zunächst einmal wissen, was für Objekte Bedeutungen überhaupt sind. Wir hatten bereits bemerkt, dass dies aus SprecherInnen-Sicht alles andere als offensichtlich ist: selbst wer eine Sprache perfekt beherrscht, muss nicht in der Lage sein anzugeben, was genau die Bedeutung eines gegebenen Wortes oder Satzes ist. In dieser Hinsicht geht es der Semantik nicht anders als dem Rest der Grammatik: auch wer – wie jedeR MuttersprachlerIn – die Regeln des deutschen Satzbaus perfekt beherrscht, muss nicht in der Lage sein, diese Regeln explizit anzugeben: Sprachbeherrschung ist implizites Wissen. Die Wortstellungsregeln (und Grammatikregeln im Allgemeinen) können zwar für wissenschaftliche oder pädagogische Zwecke explizit gemacht werden; doch es gibt sie auch ohne Grammatikbücher, die sie lediglich rekonstruieren (oder normieren). Und was für syntaktische und phonologische Regeln und Prozesse gilt, gilt auch für die Inhaltsseite der Sprache, deren Beherrschung ebenfalls implizites Wissen darstellt, nämlich die Kenntnis der Wortbedeutungen und des Prozesses der Bedeutungskomposition. In der Semantik geht es darum, dieses Wissen explizit zu machen. Dafür sind insbesondere Annahmen darüber vonnöten, um was für Objekte es sich bei sprachlichen Bedeutungen han-

[un-]spezifische Lesart

13

14

1. Der Gegenstandsbereich

Extension und Intension

Quellen

delt. Dass dies nicht ganz einfach und offensichtlich ist, lassen schon die obigen Beispiele erahnen: was etwa soll die Bedeutung der Konjunktion ,und‘ sein oder die des unspezifischen Indefinitums ,ein japanisches Restaurant‘? Muttersprachliche Intuition und schulgrammatisches Vorwissen sind mit derlei Fragen offenkundig überfordert. Die Antworten der modernen Semantik – auf die wir erst im dritten und vierten Kapitel im Detail eingehen werden – basieren auf der Grundidee, dass sprachliche Bedeutung primär dem Zweck dient, Informationen auszutauschen und dass jeder einzelne Ausdruck – jedes Wort, jede Phrase, jeder Satz, jeder Text – seinen eigenen Beitrag zu diesem Zweck leistet. Aus Sicht der Bedeutungskomposition stellt es sich dabei als sinnvoll heraus, diesen Beitrag in zwei Anteile aufzuspalten: die Intension, die den Informationsgehalt eines Ausdrucks ausmacht, und die Extension, die festhält, auf wen oder was sich diese Information bezieht. Der Unterschied lässt sich am leichtesten anhand sog. Kennzeichnungen verstehen; das sind definite Nominale im Singular wie zum Beispiel ,die zweitgrößte Stadt Sloweniens‘ oder auch ,der Geburtsort des Sportdirektors des VfB Stuttgart‘. Beide Nominale beziehen sich auf denselben Ort, nämlich Maribor, identifizieren diesen aber anhand ganz unterschiedlicher Informationen. Aus semantischer Sicht heißt das, dass sie dieselbe Extension besitzen, aber verschiedene Intensionen. Die Konstruktion dieser beiden Bedeutungsanteile nimmt einen Großteil des vorliegenden Buchs ein. Dabei wird sich zum einen zeigen, dass in der Tat jeder Ausdruck sowohl eine Extension als auch eine Intension besitzt und dass diese beiden Bedeutungsanteile zum anderen die Hauptrolle bei der Bedeutungskomposition spielen. Die Bedeutungskomposition hat in der linguistischen Semantik lange Zeit keine nennenswerte Rolle gespielt. Einzelne Versuche, strukturalistische Methoden über die lexikalische Semantik hinaus zu erweitern, sind letztlich grandios gescheitert; vgl. z. B. Weinreichs (1966) oder Rohrers (1971: 81 ff.) Kritik des Ansatzes von Katz & Fodor (1963).

1.3 Semantik vs. Pragmatik wörtliche Bedeutung vs. Situationsbedeutung

Die sprachliche Bedeutung ist ein weites Feld – zu weit, als dass Extension und Intension es in all seinen Nuancen erfassen könnten. Insbesondere gibt es eine ganze Reihe von Bedeutungsaspekten, die nicht einmal Teil des grammatischen Systems sind, sondern sich in der Sprachverwendung ergeben. In der Linguistik (oder Sprachwissenschaft – das ist dasselbe) wird daher der Bereich der sprachlichen Bedeutung in zwei Teile untergliedert, von denen nur einer – die sog. wörtliche oder konventionelle Bedeutung – den Zuständigkeitsbereich der Semantik ausmacht; der andere Teil – die Situations- oder Gebrauchsbedeutung – ist Gegenstand der Pragmatik. Grob gesprochen besteht der Unterschied zwischen den beiden Bedeutungsaspekten darin, ob … (a) sie Teil der jeweiligen Einzelsprache (Deutsch, Englisch, Swahili …) sind und von deren Grammatik und Lexikon abhängen … oder ob … (b) sie sich aus Gesprächsstrategie und -ökonomie, gesellschaftlichen Konventionen oder anderen außersprachlichen Faktoren ergeben.

1.3 Semantik vs. Pragmatik

Um die Fälle unter (b) kümmert sich die Pragmatik; wörtliche Bedeutungen fallen dagegen unter (a). Die Abgrenzung ist nicht immer ganz einfach, manchmal sogar umstritten, in weiten Bereichen der Sprache jedoch unproblematisch. Wir werden im sechsten Kapitel darauf zurückkommen. An dieser Stelle müssen ein paar Beispiele genügen. Beim Verlassen der Mensa trifft Fritz, ein stadtbekannter Gourmet, seinen Freund Uwe, der sich nach der Qualität des heutigen Wahlessens erkundigt. Fritzens Antwort ist knapp:

Ironie

(12) Das Steak war wie immer zart und saftig. Wörtlich genommen spricht Fritz damit dem Mensaessen eine hohe Qualität zu. Aber wörtlich meint er seine Äußerung nicht; vielmehr will Fritz mit seinem Kommentar zu verstehen geben, dass das Steak wie immer war – also weder zart noch saftig. Und Uwe versteht seinen Freund nur allzu gut. Doch damit er ihn versteht, muss er zunächst einmal verstehen, was Fritz wörtlich gesagt hat. Aber weil eben Uwe seinen Freund gut kennt, weiß er, dass Fritz das, was er da gerade gesagt hat, kaum in dieser wörtlichen Form gemeint haben kann: nichts spricht dafür, dass Fritz urplötzlich unter Geschmacksverirrung oder Gedächtnisschwund leidet und das Mensa-Steak als schon immer zart und saftig einstuft. Außerdem kann Uwe bei Fritz einen leicht schelmischen Gesichtsausdruck ausmachen. Er schließt also zu Recht – wie Fritz es nicht anders erwartet – dass sein Freund ihm etwas Anderes mitteilen will, nämlich das blanke Gegenteil dessen, was er eigentlich – wörtlich – gesagt hat. Fritz‘ Äußerung war ironisch gemeint und kommt bei Uwe genauso an. Doch nur ihre wörtliche Bedeutung geht die Semantik etwas an. Einem Reisenden wird vor dem Einstieg ins Flugzeug kurz hintereinander zweimal dieselbe Frage gestellt – einmal von einer Mitreisenden, danach von einem Flughafenmitarbeiter: (13) Haben Sie vielleicht eine Uhr dabei? Die Mitreisende möchte nur wissen, ob noch Zeit für einen Kaffee ist – ihre Frage gilt eigentlich der Uhrzeit. Sie hätte also auch direkt – aber vielleicht etwas unvermittelt – fragen können: (14) Wie spät ist es eigentlich? Der Flughafenmitarbeiter dagegen möchte nur verhindern, dass der Metalldetektor unnötig Alarm schlägt und fordert mit seiner Äußerung der Frage (13) den Reisenden auf, seine Uhr gegebenenfalls auf das Transportband zu legen. Er hätte also auch die Aufforderung (15) geben können: (15) Legen Sie bitte auch Ihre Uhr auf das Band! Trotz dieser verschiedenen Verwendungen und beabsichtigten Reaktionen seitens des Adressaten ist die Frage in beiden Fällen dieselbe, nämlich (13); und sie hat auch dieselbe wörtliche Bedeutung. Die Tatsache, dass sie einmal im Sinn von (14) verwendet wird und das andere Mal auf (15) hinausläuft, ist ein Unterschied in der kommunikativen Absicht, die die Sprecher(innen) mit ihrer jeweiligen Äußerung verfolgen – und somit aus semantischer Sicht irrelevant.

kommunikative Absicht

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16

1. Der Gegenstandsbereich Angemessenheit

Die Leiterin des für das Mensaessen zuständigen Studentenwerks wird anlässlich einer angekündigten Preiserhöhung von der Studentenzeitschrift Campus-Courier interviewt. Der Nachwuchsredakteur eröffnet das Gespräch mit den folgenden Worten: (16) Willst Du allen Ernstes für den Fraß noch mehr Kohle verlangen? Der Mann hat noch einiges zu lernen. Denn seine Art zu fragen ist nicht gerade diplomatisch und wenig dazu geeignet, eine entspannte Gesprächsatmosphäre zu schaffen: seine Formulierung ist gänzlich unangemessen – kein Wunder, dass die Leiterin des Studentenwerks barsch reagiert. Doch das Anliegen des Redakteurs ist vollkommen legitim. Nur vielleicht hätte er es besser mit der folgenden Formulierung versucht: (17) Planen Sie tatsächlich eine Anhebung der Essenspreise? Auf diese Weise hätte er im Wesentlichen dieselbe Frage auf angemessenere Weise stellen können. Aber: so wichtig die Unterschiede zwischen den beiden Formulierungen für das Wohl des Campus-Couriers auch sind – aus semantischer Sicht kann man sie getrost vernachlässigen. Denn wörtlich besagen die beiden Fragen (nahezu) dasselbe. Die drei Beispiele stehen stellvertretend für Phänomene, die in verschiedenen Teilbereichen der Pragmatik untersucht werden. Wir werden diese Bereiche für den Rest des Buchs allerdings weitgehend ignorieren. Die wörtliche Bedeutung scheint regelrecht zu verblassen gegenüber dem bunten Katalog von Phänomenen und Beobachtungen, die den Gegenstandsbereich der Pragmatik ausmachen. Allerdings zeigen schon diese wenigen Beispiele, dass Situationsbedeutung überhaupt erst auf dem Hintergrund eines wörtlichen Vorverständnisses entsteht. Denn dem Verstehen der Situationsbedeutung geht immer das Erfassen der wörtlichen Bedeutung voraus. Für die Pragmatik heißt das, dass die Situationsbedeutung aus der wörtlichen Bedeutung hergeleitet werden muss. Die wörtliche Bedeutung bildet – neben allerlei kontextuellen Einflüssen – den Input der pragmatischen Analyse und ist somit für diese unverzichtbar. Mit dem Erfassen der wörtlichen Bedeutung sprachlicher Ausdrücke verhält es sich ähnlich wie mit der Wahrnehmung: die meisten von uns tun es mühelos, aber nur wenige können erklären, wie das passiert. Und für eine genaue Erklärung des Phänomens müssen auch eine ganze Reihe wissenschaftlicher Disziplinen bemüht werden. Eine von ihnen ist die Semantik, die zwar das Phänomen des sprachlichen Verstehens nicht ganz allein erklären kann, aber doch einen entscheidenden Beitrag dazu zu liefern vermag. Welcher Art dieser Beitrag ist, lässt sich an dieser Stelle nur andeuten. Aber wir werden im Schlusskapitel des Buchs noch einmal auf diese Frage zurückkommen, nachdem wir uns mit der Denk- und Arbeitsweise der Semantik vertraut gemacht haben. Das Folgende lässt sich allerdings jetzt schon sagen: die Semantik hat es nicht (oder allenfalls am Rande) mit dem subjektiven, psychologischen Aspekt des sprachlichen Verständnisses zu tun – also mit der Frage, was in den einzelnen Personen vorgeht, während sie etwas verstehen. Vielmehr geht es um die Frage, was diese Personen verstehen, was also diese ominöse wörtliche Bedeutung ist, die sie erfassen.

1.4 Objekt- und Metasprache Die heute in der Linguistik verbreitete Auffassung der Unterscheidung zwischen Semantik und Pragmatik lässt sich auf diverse sprachphilosophische Einflüsse zurückführen, vor allem Grice (1966–67), Searle (1969) und Stalnaker (1970).

Quellen

1.4 Objekt- und Metasprache Dem kleinen Vorgeschmack auf Themen und Inhalte dieses Buchs folgen nun noch ein paar vorbereitende Hinweise zu seiner Lektüre. Der erste betrifft die Doppelrolle, die die deutsche Sprache spielen wird (und oben schon gespielt hat). Zum einen nämlich ist das Buch auf Deutsch geschrieben, zum anderen handelt es vom Deutschen. Das Deutsche fungiert somit, wie man in der Semantik sagt, zum einen als Metasprache und zum anderen als Objektsprache. Dieser an sich einfache Sachverhalt führt gelegentlich zu Verwirrungen: (18) Jeder Satz beginnt mit einem Konsonanten. (19) ,Jeder Satz‘ beginnt mit einem Konsonanten. (18) ist offenkundig falsch, auch wenn der Satz selbst mit einem Konsonanten beginnt; (19) trifft dagegen zu, weil ,J‘ ein Konsonant ist. Der Unterschied zwischen den beiden Sätzen besteht darin, dass in (18) von Sätzen die Rede ist, während der gleichlautende Satz (19) ein bestimmtes Nominal betrifft – nämlich das Subjekt von (18). Um diesen Unterschied zu benennen, sagt man, dass die Wortfolge ,jeder Satz‘ in (18) verwendet (oder gebraucht), in (19) dagegen nur erwähnt (oder zitiert) wird. Im Schriftbild schlägt sich der Unterschied darin nieder, dass erwähnte Ausdrücke (im Fließtext) in einfachen Anführungszeichen ,…‘ erscheinen; das ist die Konvention, die wir in diesem Buch befolgen. Diese Markierung erwähnter Ausdrücke dient der Eindeutigkeit und hilft, möglichen Konfusionen vorzubeugen. Den LeserInnen wird dringend empfohlen, dieser Konvention nicht nur beim Lesen Beachtung zu schenken, sondern auch beim Bearbeiten der Übungsaufgaben. Neben den einfachen Anführungszeichen gibt es noch zwei weitere Formen der Hervorhebung: *

*

Doppelte Anführungszeichen markieren „uneigentliche“ Verwendungen, also Bezeichnungen und Phrasen, die verwendet (und nicht erwähnt) werden, aber mit einer gewissen Distanzierung – wie soeben das Wort ,uneigentlich‘. Die Kursivsetzung dient der Hervorhebung einzelner Ausdrücke (Emphase) sowie der Einführung von Fachtermini.

Dass das Deutsche als Metasprache fungiert, hat den Vorteil, dass den LeserInnen eine hinreichende Beherrschung der Objektsprache unterstellt werden kann; sonst wären sie ja kaum in der Lage, dem (metasprachlich-)deutschen Text zu folgen. Die Unterscheidung zwischen Objekt- und Metasprache stammt aus Tarski (1936).

Quellen

17

18

1. Der Gegenstandsbereich

- Übungsaufgaben zu 1.3 1. Listen Sie die Eigenschaften von (16) auf, aufgrund derer eine Äußerung dieses Satzes in der oben beschriebenen Interview-Situation unangemessen ist.

zu 1.4 2. Betrachten Sie die folgenden beiden Sätze. Treffen sie zu? Drücken sie triviale Sachverhalte aus? a. Ein Indefinitum ist ein Indefinitum. b. ,Ein Indefinitum‘ ist ein Indefinitum. 3. Übersetzen Sie (18) und (19) ins Englische. Achten Sie dabei darauf, dass Ihre Übersetzungen jeweils dasselbe besagen wie das deutsche Original; insbesondere sollte (19) durch die Übersetzung nicht falsch werden.

2. Ambiguität und Bedeutungskomposition Im Zentrum dieses Buchs steht die kompositionelle Semantik, die die grundlegenden Mechanismen der Bedeutungskomposition zu beschreiben und erklären sucht – also die Bedeutung beliebig komplexer sprachlicher Ausdrücke in Abhängigkeit von ihrer syntaktischen Struktur und den Bedeutungen der Wörter, aus denen sie bestehen. In diesem Kapitel werden wir uns zunächst einige für diesen Prozess typische Phänomene ansehen; erst am Schluss werden wir eine allgemeine Strategie zur Erklärung der Bedeutungskomposition kennen lernen. Im einfachsten Fall besteht ein sprachlicher Ausdruck aus einem einzigen, monomorphemischen (unzusammengesetzten) Wort; aus Sicht der kompositionellen Semantik gibt es dann hinsichtlich seiner Bedeutung nichts zu erklären. Das Adjektiv ,blond‘ zum Beispiel bezieht sich auf eine Haarfarbe. Warum sich dieses Adjektiv auf eine Haarfarbe bezieht (und nicht z. B. auf eine geistige Verfassung) und warum ausgerechnet dieses Adjektiv diese Bedeutung hat (und nicht z. B. ,blind‘), lässt sich zwar sprachhistorisch erklären, ist aber den SprecherInnen in aller Regel nicht bekannt. Sowieso spielt diese Erklärung keine Rolle für die tatsächliche Verwendung dieses Adjektivs. Dass ,blond‘ gerade die Bedeutung hat, die es im gegenwärtigen Deutschen hat, muss man als SprecherIn einfach hinnehmen; es handelt sich um eine nicht weiter erklärungsbedürftige Grund-Tatsache der deutschen Semantik, die uns SprecherInnen bekannt ist, weil wir sie irgendwann im Verlauf des Spracherwerbs gelernt haben. Ganz anders verhält es sich dagegen mit der Bedeutung von syntaktisch komplexen Ausdrücken. Dass z. B. der Satz (1) das bedeutet, was er bedeutet, wissen wir SprecherInnen des Deutschen nicht, weil wir das irgendwann einmal so gelernt haben: (1) Der blonde Mann sieht die blinde Frau. Vielmehr haben wir gelernt, was die einzelnen Wörter in diesem Satz bedeuten und wie man diese Wortbedeutungen miteinander zu der Bedeutung des Satzes (1) verbindet – und zwar so, dass er etwas anderes bedeutet als (2), obwohl dieser Satz aus denselben Wörtern mit denselben Wortbedeutungen besteht: (2) Der blinde Mann sieht die blonde Frau. Die Bedeutungskomposition ist gerade das, was beim Satzverständnis – und beim Verstehen komplexer Ausdrücke im Allgemeinen – zur Kenntnis der Wortbedeutungen hinzukommt. Es ist die Bedeutungskomposition – die Art, auf die die einzelnen Wortbedeutungen sich miteinander zur Satzbedeutung „aufaddieren“ – die den Unterschied zwischen unserem Verständnis dieser beiden Sätze ausmacht. Am deutlichsten zeigt sich der Effekt der Bedeutungskomposition dort, wo er auf unterschiedliche Weisen verlaufen kann und dann zu unterschiedlichen Ergebnissen führt. Die Rede ist von den bereits im vorangehenden Ka-

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2. Ambiguität und Bedeutungskomposition

pitel erwähnten strukturellen Ambiguitäten. Vor allem anhand solcher Fälle werden wir auf den folgenden Seiten Einiges von der Vielfalt der Bedeutungskomposition kennenlernen.

2.1 Lexikalische Ambiguität Zunächst sei aber daran erinnert, dass auch einzelne Wörter mitunter mehrdeutig sind: (3) Der Arzt, zu einem dringenden Hausbesuch gerufen, wird an der Haustür von einer schluchzenden Frau empfangen: „Sie sind umsonst1 gekommen, Herr Doktor!“ – „Nicht umsonst2, nur vergebens!“ Die ebenso geistreiche wie geschmacklose Antwort des Arztes nutzt eine Zweideutigkeit in der Form ,umsonst‘ aus, die sowohl im Sinne von ,unentgeltlich‘ (,umsonst2‘) als auch synonym mit ,vergebens‘ (,umsonst1‘) verwendet werden kann. In (3) haben wir die Mehrdeutigkeit durch disambiguierende Indizes aufgelöst. Das tötet zwar den Witz, macht aber zugleich deutlich, worin er besteht (bzw. bestand): die Dame des Hauses und der zynische Arzt verwenden unterschiedliche Wörter, die gleich ausgesprochen und geschrieben werden. Nur die Wortformen sind gleich, die Bedeutungen sind verschieden. Haben zwei Wortformen unterschiedliche Bedeutungen, spricht man von lexikalischer Ambiguität. Eine solche kann aus verschiedenen Gründen vorliegen: (4) Grade der lexikalischen Ambiguität a. Schwache Homonymie Zwei formal unterscheidbare Wörter besitzen eine gemeinsame (Oberflächen-)Form. b. Starke Homonymie Zwei erkennbar verschiedene Wörter sind formal ununterscheidbar. c. Polysemie Zwei formal ununterscheidbare Wörter sind nachweislich, aber nicht (unmittelbar) erkennbar verschieden. schwache Homonymie

Schwache Homonymien sind leicht nachweisbar und in der Regel den SprecherInnen einer Sprache bewusst. ,Gehalt‘ und ,Bank‘ sind typische Fälle. Natürlich handelt es sich bei dem Geld, das der Arbeitgeber monatlich überweist, nicht um einen Gehalt (von was auch immer), sondern um ein Gehalt – die Wortformen sind gleich, aber die beiden Wörter unterscheiden sich im Genus, dem „grammatischen Geschlecht“. Ebenso wirkt sich die politische Reglementierung der Finanzwirtschaft hoffentlich weniger auf die europäischen Bänke aus als auf die Banken – die Singularformen sind gleich, aber die Wörter unterscheiden sich in den Pluralformen. Einen ähnlichen, aber etwas subtileren Unterschied kann man zwischen zwei verschiedenen Verwendungen von ,Teil‘ ausmachen. Während man z. B. im Englischen mit ein und demselben Wort ,part‘ gleichermaßen Abschnitte von Büchern wie Funktionselemente von Maschinen bezeichnen kann, unterscheidet man im Deutschen zwischen dem ersten Teil einer Trilogie und dem schwer zu besorgenden Teil eines Vergasers. Wer nicht glaubt, dass es hier einen sprachli-

2.1 Lexikalische Ambiguität

chen Unterschied gibt, setze die beiden Teile in den Nominativ: der erste Teil ist langatmig, aber das Teil unter der Motorhaube findet man nirgends. Ganz klar: es gibt im Deutschen zwei Wörter der äußeren Gestalt ,Teil‘, die sich im Genus unterscheiden. Beide sind Substantive, aber das eine ist maskulin, das andere ein Neutrum. Doch schwache Homonymie kann auch über verschiedene Kategorien (Wortarten) hinweg bestehen, wie die Formen ,Ehe‘ und ,Rasen‘ belegen: ersteres kann ein Substantiv oder eine Konjunktion sein (die zumindest am Satzanfang ebenso groß geschrieben wird), letzteres eine Verbform oder ein Substantiv. In all diesen Fällen ist klar, dass es sich jeweils um verschiedene Wörter handelt; denn sie verhalten sich auf der Formseite, also morphologisch und syntaktisch, unterschiedlich. Eine starke Homonymie liegt dagegen vor, wenn zwei verschiedene Wörter derselben Kategorie angehören und dabei durchweg identische Formen aufweisen. Ein Standardbeispiel ist ,Schloss‘, bekanntlich ebenso eine Bezeichnung für Schließvorrichtungen wie für herrschaftliche Wohngebäude. In beiden Fällen handelt es sich um ein Substantiv neutralen Geschlechts, und auch die einzelnen Formen (,Schlosses‘, ,Schlössern‘ etc.) unterscheiden sich nicht voneinander. Der Unterschied liegt allein in der Bedeutung. Das hört sich zugegebenermaßen ein bisschen seltsam an: ,Schloss‘ soll nicht ein Wort sein, sondern zwei Wörter auf einmal? Doch ist das eine rein terminologische Angelegenheit ohne weiteren Tiefgang. In (4) ist der Terminus Wort in dem Sinn zu verstehen, dass damit die Bedeutung mit eingeschlossen ist. Denn in der Semantik geht man davon aus, dass ein sprachlicher Ausdruck, also auch ein Wort, immer nur eine (wörtliche) Bedeutung hat. Und das heißt also tatsächlich: ,Schloss‘ ist nicht ein Wort mit zwei Bedeutungen, sondern entspricht streng genommen zwei verschiedenen Wörtern mit je einer Bedeutung. Um unnötige terminologische Härten zu vermeiden, werden wir es allerdings in dieser Hinsicht nicht immer so genau nehmen und von verschiedenen Lesarten desselben Worts sprechen – wobei dann mit letzterem nur die Oberflächenform gemeint ist. Starke Homonyme wirken wie zufällige lautliche und orthographische Übereinstimmungen. In vielen Fällen wird dieser Eindruck durch die Etymologie bestätigt. Als Bezeichnung für (gewisse) mehrstimmige Musikstücke ist ,Fuge‘ eine Eindeutschung des italienischen bzw. lateinischen Worts ,fuga‘ (,Flucht‘) – so genannt, weil eine Stimme vor der anderen zu fliehen scheint; als Bezeichnung für einen Zwischenraum im Gemäuer dagegen stammt es von dem mittelhochdeutschen Wort ,vuoge‘ ab. Beide Wörter stimmen im heutigen Deutsch in allen ihren Formen überein; doch das ist offenbar ein Zufall der Sprachgeschichte. Ähnlich verhält es sich bei ,Base‘ (Verwandte vs. Stoffgruppe) und ,Weide‘ (Baum vs. Grasland). Doch nicht immer haben die unterschiedlichen Lesarten starker Homonyme verschiedene historische Ursprünge. So sind beide Lesarten von ,Schloss‘ ursprünglich Nominalisierungen des Verbs ,schließen‘. Bei der Bezeichnung für Schließvorrichtungen ist das wenig überraschend; bei der Gebäude-Lesart hängt dies wahrscheinlich mit der strategischen Lage von Schlössern zusammen, die oft so gebaut wurden, dass sie ein Tal abschlossen. Doch dieser Zusammenhang ist heutigen SprecherInnen in aller Regel nicht bewusst. Die beiden Lesarten werden als zwei verschiedene Wörter verwendet, auch wenn sie – nur scheinbar zufällig – gleich ausgesprochen, geschrieben und flektiert werden.

starke Homonymie

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2. Ambiguität und Bedeutungskomposition Ambiguitätstests

Zähltest

Woran kann man erkennen, dass es sich bei starken Homonymen wie ,Schloss‘ um zwei Wörter mit identischen Formen handelt? Indizien dafür liefern sog. Ambiguitätstests, mit denen belegt werden kann, dass dieselbe Form so verwendet wird, als handele es sich um zwei verschiedene Wörter – oder allgemeiner: zwei verschiedene sprachliche Ausdrücke; denn wie wir noch sehen werden, lassen sich solche Tests auch mit ganzen Phrasen oder Sätzen durchführen. So zum Beispiel der Zähltest. Wir vergleichen dafür die folgenden Fragen: (5) Wie viele Bücher besitzt Elisabeth II. insgesamt? (6) Wie viele Schlösser besitzt Elisabeth II. insgesamt? Keine Angst: die LeserInnen müssen diese Fragen nicht beantworten. Es geht nur darum, wonach man mit ihnen fragt, was sie also bedeuten. Mit (5) ist nach der Gesamtzahl der Bücher gefragt, die sich im Besitz der Königin von England befinden. Dabei sollte es keine Rolle spielen, ob es sich um antiquarische Folianten handelt, die sie dem Britischen Museum als Leihgabe zur Verfügung gestellt hat, oder um den Krimi, der auf dem Nachttisch des königlichen Schlafgemachs in Windsor Castle liegt – jedes Buch zählt, solange die Königin es besitzt. Auch wenn sich die korrekte Antwort auf (5) nicht ohne großen Aufwand ermitteln lässt, gibt es sie doch; denn die Frage ist eindeutig genug. Ganz anders (6). Zunächst einmal könnte hier eine Unklarheit hinsichtlich der genauen Abgrenzung von Schlössern zu anderen Gebäudearten bestehen – Palästen, Burgen, herrschaftlichen Landsitzen etc. Des Weiteren hängt die gefragte Zahl von der genauen Art des Besitzverhältnisses ab – eine komplizierte Angelegenheit im Fall der königlichen Schlösser. Derlei Unklarheiten in der Anwendung von „Begriffswörtern“ sind Belege einer allgegenwärtigen Kontextabhängigkeit und Vagheit sprachlicher Bedeutungen, die wir im Folgenden weitgehend ausblenden werden. In jedem Fall dürfte die korrekte Antwort auf (6) höchstens eine zweistellige Zahl sein. Allerdings gilt das nur, wenn wirklich nach Gebäuden gefragt wird. Geht es dagegen um Schließvorrichtungen, ist angesichts der Tatsache, dass allein der Buckingham-Palast 775 Räume hat, mit einer weitaus höheren Zahl zu rechnen; und natürlich gibt es auch in dieser Lesart einen Spielraum bezüglich der Besitzverhältnisse. Wie immer man die Frage nimmt, sie bedarf einer gewissen Präzisierung, um überhaupt beantwortet zu werden. Bemerkenswert ist nun, dass dabei immer nur eine der beiden Lesarten präzisiert werden kann: die Frage (6) kann wörtlich kaum so gemeint sein oder präzisiert werden, dass mit ihr nach der Gesamtzahl der Gebäude und Schließvorrichtungen gefragt wird. Als – reichlich kindischer – Scherz mag das natürlich angehen. Doch gerade dass dies als Kalauer empfunden wird, bestätigt den Verdacht, dass im Fall von ,Schloss‘ in der Tat eine Homonymie vorliegt. Denn wäre das Wort nicht ambig, könnte man es verwenden, um sich gleichzeitig auf Gebäude und Schließvorrichtungen zu beziehen. Doch mit der Scherzfrage (6) werden quasi zwei gleichlautende Fragen auf einmal gestellt. (6) erweist sich so als Test zum Aufdecken einer lexikalischen Ambiguität. Dabei spielt die Tatsache, dass es sich um eine Frage handelt, natürlich keine Rolle; ein entsprechender Aussagesatz würde denselben Befund bestätigen (wie in einer Übungsaufgabe gezeigt wird).

2.1 Lexikalische Ambiguität

Der Zähltest bestätigt, was man als SprecherIn ohnehin schon intuitiv ahnt: dass es sich bei ,Schloss‘ um ein (Oberflächen-)Wort mit mehr als einer Bedeutung handelt, also ein Homonym. Doch nicht immer, wenn eine Wortform einen Ambiguitätstest besteht und sich so verhält, als handele es sich um zwei sprachliche Ausdrücke, ist die muttersprachliche Intuition so eindeutig. Schon das oben angesprochene schwache Homonym ,Teil‘ ist so ein Fall. Noch deutlicher wird es aber bei sog. Polysemen, d. h. nach (4)c: bei Wörtern, deren Mehrdeutigkeit auch für MuttersprachlerInnen nicht offensichtlich ist. Ein solcher Fall liegt bei dem Wort ,Buch‘ vor, das (in einer pluralischen Form) in der Frage (5) verwendet wird. Um die Mehrdeutigkeit des Substantivs zu sehen, variieren wir (5) zunächst ein wenig: (7) Wie viele Bücher hat Elisabeth II. insgesamt gelesen? Das Substantiv ,Buch‘ wird in (7) anders verwendet als in (5). Denn dort war nach Exemplaren gefragt, während in (7) offenbar Texte gemeint sind. Der Unterschied wird deutlich, wenn etwa die Queen in jedem ihrer Schlösser eine Ausgabe von Barbara Vines The Blood Doctor besitzt: im Sinne von Frage (5) sind das lauter verschiedene Bücher, während es sich für die Belange von Frage (7) selbst dann um dasselbe Buch handelt, wenn die Königin von England es zunächst in Windsor und dann noch einmal in Balmoral vollständig liest; die erneute Lektüre erhöht nicht die Zahl der von ihr gelesenen Bücher. Obwohl die Fragen (5) und (7) sich jeweils eindeutig auf Exemplare bzw. Texte zu beziehen scheinen, illustrieren sie doch eine Ambiguität des Substantivs ,Buch‘; denn die Eindeutigkeit rührt lediglich daher, dass in beiden Fragen die jeweils andere Lesart keinen guten Sinn ergeben würde. Dahinter steckt eine semantische Eigenschaft der beiden Verben ,besitzen‘ und ,lesen‘, eine sog. Selektionsbeschränkung. Denn beide Verben sind auf unterschiedliche Weise wählerisch, was die Bedeutungen ihrer Objekte angeht: im Fall von ,besitzen‘ müssen sich diese auf konkrete Gegenstände wie etwa Buch-Exemplare beziehen; bei ,lesen‘ müssen dies Texte wie Romane sein. Andere Verben sind flexibler in der Auswahl ihrer nominalen Ergänzungen:

Selektionsbeschränkungen

(8) Heinrich interessiert sich für zwei Bücher, die älter als 100 Jahre sind. (8) kann man in dem Sinn verstehen, dass sich Heinrich für antiquarische Bücher interessiert; in diesem Fall liegt die Exemplar-Lesart von ,Buch‘ vor. Doch der Satz kann auch besagen, dass Heinrichs Interesse der älteren Literatur gilt; in dem Fall haben wir es mit der Text-Lesart zu tun. Dagegen kann der Satz nicht bedeuten, dass sich Heinrich sowohl für antiquarische Bücher als auch für ältere Literatur interessiert – obwohl das natürlich möglich wäre. Anders als bei den zuvor betrachteten Homonymen ist die Ambiguität von ,Buch‘ nicht gerade offensichtlich; und doch verhalten sich die beiden Lesarten, als seien sie verschiedene Wörter. In diesen Fällen spricht man in der Sprachwissenschaft von Polysemie. Der Übergang zur (starken) Homonymie ist dabei fließend: der Unterschied zwischen diesen beiden Erscheinungsformen lexikalischer Ambiguität liegt in erster Linie in der Wahrnehmung durch die SprecherInnen – Homonymien sind ihnen in aller Regel bewusst, Polysemien werden normalerweise gar nicht als Mehrdeutigkeiten empfunden. Das Phänomen der Polysemie ist sehr weit verbreitet, es durchzieht nahezu das gesamte Lexikon. Die meisten (Oberflächen-)Wörter sind sogar in

Polysemie

systematische Polysemie

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2. Ambiguität und Bedeutungskomposition

mehrfacher Weise polysem. Allerdings bestehen oft systematische Zusammenhänge zwischen den einzelnen Lesarten. So können sich in der Regel Bezeichnungen für Institutionen ebenso auf Gebäude beziehen, soweit diese vornehmlich der Beherbung dieser Institutionen dienen: Substantive wie ,Schule‘, ,Parlament‘, ,Firma‘ etc. sind in dieser Hinsicht ambig und somit Polyseme. Diese Ambiguität lässt sich wieder mit einem Zähltest belegen: (9) kann als Aussage über zwei Institutionen oder über zwei Gebäude verstanden werden, nicht aber über eine Institution und ein Gebäude: (9) Die beiden Schulen sind keine 20 Jahre alt. Quellen

(3) ist der Arztwitz # 191 in http://witze-ueber-witze.de. Eine klassische, kritisch kommentierte Sammlung von Ambiguitätstests ist Sadock & Zwicky (1975).

2.2 Klammerungsambiguitäten Nicht nur Wörter, auch Sätze und andere komplexe Ausdrücke können ambig sein. In vielen Fällen lässt sich eine solche Ambiguität auf eine ambige Wortform zurückführen – was bei den obigen Ambiguitätstests ausgenutzt wurde. Doch Ambiguitäten können sich auch unabhängig von der Mehrdeutigkeit der beteiligten Wörter ergeben, aufgrund der Art und Weise, in der sie miteinander kombiniert werden. Diese strukturellen Ambiguitäten werfen ein Licht auf den Prozess der Bedeutungskomposition – Grund genug, uns ein paar interessante Exemplare näher anzusehen. Die einfachste Form von struktureller Ambiguität haben wir schon im ersten Kapitel kennen gelernt: Klammerungsambiguitäten. Hier ist ein weiteres Beispiel, diesmal aus dem Immobilienbereich: (10) Die Häuser sind alle winzig und teuer oder verkauft. a. Die Häuser sind alle winzig und entweder teuer oder verkauft. b. Die Häuser sind alle entweder winzig und teuer oder verkauft. Adjektivgruppen

Dass (10) ambig ist, wird offenkundig, wenn man den (Oberflächen-)Satz zweimal laut liest und dabei einmal nach ,teuer‘ eine kurze Pause einlegt und das andere Mal nach ,winzig‘. Nach der ersten Lesart sind alle größeren Objekte verkauft; der zweiten Lesart zufolge gibt es gar keine. Die erste Lesart lässt sich mit (10)b paraphrasieren, für die zweite ist (10)a eine angemessene Paraphrase. Und es ist klar, was die Quelle dieser Ambiguität ist: der (Oberflächen-)Ausdruck (11) kann auf zwei Weisen strukturiert sein: (11) winzig und teuer oder verkauft a. [winzig und [teuer oder verkauft]] b. [[winzig und teuer] oder verkauft] Die beiden Strukturen kommen dadurch zustande, dass dieselbe syntaktische Regel angewandt wurde, aber auf unterschiedliche Teile. Die Regel besagt, dass man eine Adjektivgruppe bilden kann, indem man zwei Adjektivgruppen durch eine koordinierende Konjunktion verbindet. Nach dieser Regel ist zunächst ,teuer oder verkauft‘ eine Adjektivgruppe; denn sowohl ,teuer‘ als auch ,verkauft‘ sind Adjektive (und als solche auch kleine Adjektivgruppen), und ,oder‘ ist eine koordinierende Konjunktion. Eine erneute Anwendung derselben Regel ergibt dann, dass auch ,winzig und teuer oder ver-

2.2 Klammerungsambiguitäten

kauft‘ eine Adjektivgruppe ist; denn ,winzig‘ ist ein Adjektiv und ,teuer oder verkauft‘ hatten wir gerade als Adjektivgruppe identifiziert. In (11)a wird diese Abfolge der Regelanwendung durch die Klammerung nachvollzogen. Die Struktur (11)b dagegen ergibt sich, indem man die genannte Regel zunächst auf die Adjektive ,winzig‘ und ,teuer‘ anwendet und so die Adjektivgruppe ,winzig und teuer‘ bildet, die sich wiederum zu der Adjektivgruppe ,winzig und teuer oder verkauft‘ erweitern lässt. Unterschiedliche Strukturierungen führen zwar in der Regel zu unterschiedlichen Bedeutungen, sind aber nicht selber diese Bedeutungen. Dennoch legt in Fällen wie (11) die Strukturierung nahe, welcher Lesart sie jeweils entspricht, also welcher Bedeutung. Das ist bei Klammerungsambiguitäten auch der Regelfall. Eine erwähnenswerte Ausnahme bilden allerdings die bereits im vorangehenden Kapitel angesprochenen Relativsätze:

Relativsätze

(12) Der schwedische Teilnehmer, der Deutsch spricht, hat bestanden. a. [[der schwedische Teilnehmer] [der Deutsch spricht]] … b. [der [schwedische Teilnehmer [der Deutsch spricht]]] … Ähnlich wie das im ersten Kapitel betrachtete Beispiel besitzt (12) zwei Lesarten. In der appositiven Lesart gibt der (Oberflächen-)Satz zu verstehen, dass nur ein Schwede (bei was auch immer) teilgenommen hat, dass dieser Deutsch spricht und dass er (was auch immer) bestanden hat. In dieser Lesart ergänzt also der Relativsatz die Aussage (13) um eine Nebenbemerkung, nämlich dass die Person, von der die Rede ist, Deutsch spricht.

appositive Lesart

(13) Der schwedische Teilnehmer hat bestanden. Ganz anders die restriktive Lesart, die die Aussage in (13) nicht ergänzt, sondern dieser sogar zu widersprechen scheint. Denn (13) setzt voraus, dass es nicht mehr als einen schwedischen Teilnehmer gab; der restriktiven Lesart zufolge haben dagegen offenbar mehrere Schweden teilgenommen, aber nur einer von ihnen spricht Deutsch, und (zumindest) dieser hat bestanden. Bei der restriktiven Lesart kann also der Relativsatz von der Gesamtaussage nicht abgetrennt werden; er ergänzt diese nicht, sondern ist Bestandteil von ihr. Welche Struktur entspricht nun welcher Lesart? Das ist nicht offensichtlich. Es ist noch nicht einmal evident, dass es sich bei der Mehrdeutigkeit von (12) überhaupt um eine Klammerungsambiguität handelt. Einen Hinweis darauf liefert nun allerdings die Verbreitung dieser Ambiguität. Denn nicht immer dort, wo ein Relativsatz erscheint, kann dieser sowohl restriktiv als auch appositiv verstanden werden. Im Gegensatz zu (12) sind z. B. die folgenden beiden Sätze hinsichtlich der Funktion des Relativsatzes eindeutig: (14) Lasse, der Deutsch spricht, hat bestanden. (15) Jeder Schwede, der Deutsch spricht, hat bestanden. (14) besagt, dass Lasse (ein alter Schwede) bestanden hat, und gibt nebenbei zu verstehen, dass er Deutsch spricht. Mit dem Relativsatz wird also zusätzlich zur Aussage des Satzes ohne Relativsatz eine Nebenbemerkung gemacht; es liegt somit eine appositive Lesart vor. Das wird dadurch bestätigt, dass man dem Relativsatz ein (unbetontes) ,ja‘ oder ,bekanntlich‘ hinzufügen kann, was mit restriktiven Lesarten nicht vereinbar ist – wie in Beispiel (10)

restriktive Lesart

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2. Ambiguität und Bedeutungskomposition

im ersten Kapitel (S. 13). Andererseits ist diese appositive Lesart die einzige, die der Relativsatz in (14) hat; eine weitere, restriktive Lesart scheint es in diesem Fall nicht zu geben. Bei (15) ist das genau umgekehrt. Hier wird mit dem Relativsatz offenbar keine unabhängige Nebenbemerkung gemacht, die sich ohne Sinnverdrehung von der Gesamtaussage abtrennen lässt; es handelt sich also um eine restriktive Lesart: der Satz besagt ja gerade nicht, dass jeder Schwede bestanden hat. Vielmehr wird diese Aussage eingeschränkt – daher auch der Terminus restriktiv (L ,einschränkend‘). Und in der Tat klingt die Hinzufügung eines ,ja‘ oder ,bekanntlich‘ seltsam. Der Relativsatz in (15) besitzt also nur eine restriktive Lesart; eine appositive Lesart scheint es in diesem Fall nicht zu geben. Die eindeutigen Sätze (14) und (15) unterscheiden sich jeweils in unterschiedlicher Hinsicht von dem ambigen (Oberflächen-)Satz (12): *

*

Verbreitung der Ambiguität Verteilung der Lesarten

Anders als in (12) und (15) geht dem Relativsatz in (14) nur ein einzelnes Wort voran, der Eigenname ,Lasse‘. Anders als in (12) und (14), wo sich das Subjekt jeweils auf eine einzelne Person bezieht, ist in (15) von (schwedischen) Personen im Allgemeinen die Rede.

Diese Unterschiede sind jeweils für das Fehlen einer der beiden Lesarten in (14) und (15) verantwortlich. Denn die appositive Lesart eines Relativsatzes kommt (zumindest im Singular) nur dann zustande, wenn sich das Bezugsnominal auf ein einzelnes Objekt oder eine einzelne Person bezieht – wenn es, wie man in der Semantik sagt, referenziell ist. Das ist sowohl bei der Kennzeichnung ,der schwedische Teilnehmer‘ als auch bei dem Eigennamen ,Lasse‘ der Fall, aber eben nicht bei dem quantifizierenden Nominal ,jeder Schwede‘. Der appositive Relativsatz verbindet sich nun mit dem referenziellen Nominal, um eine (Neben-) Aussage über dessen Referenten zu machen, also das Objekt, auf das sich das Nominal bezieht – in unserem Fall einen Schweden. Diese Verbindung zwischen referenziellem Nominal und Relativsatz entspricht der Klammerung (12)a, die somit die Struktur der appositiven Lesart darstellt. Im Gegensatz dazu bezieht sich ein restriktiver Relativsatz nie auf ein vollständiges Nominal, sondern immer nur auf ein Substantiv – im Einklang mit der Klammerung (12)b. Dabei spielt es keine Rolle, ob dieses Substantiv Teil eines referenziellen oder eines quantifizierenden Nominals ist. Entscheidend für das Zustandekommen einer restriktiven Lesart ist einzig und allein, dass überhaupt ein Substantiv vorhanden ist, an das der Relativsatz angehängt werden kann. Und in dieser Hinsicht hat ein Eigenname wie ,Lasse‘ nichts zu bieten, wohl aber die Subjekte von (12) und (15). Was nun die genaue Funktion des restriktiven Relativsatzes angeht und speziell seine „Interaktion“ mit dem Bezugs-Substantiv, so werden wir auf diese Fragen erst im nächsten Kapitel eingehen können. Der Oberflächen-Satz (12) ist also ambig, weil einerseits die Kennzeichnung ,der schwedische Teilnehmer‘ referenziell ist und somit die Anbindung eines appositiven Relativsatzes zulässt und weil zum anderen ein restriktiver Relativsatz an das Substantiv ,Teilnehmer‘ angehängt werden kann. (14) lässt dagegen eine appositive Lesart zu, weil der Eigenname ,Lasse‘ referenziell ist, aber keine restriktive, denn es gibt kein Substantiv, an das der Relativsatz

2.3 Andere strukturelle Ambiguitäten

angehängt werden könnte. In (15) wiederum ist ,Schwede‘ das Substantiv, das die restriktive Lesart ermöglicht, aber das Subjekt ist nicht referenziell, weswegen keine appositive Lesart zustande kommt. Auf diese Weise trägt die in (12) angegebene alternative Klammerung zur Erklärung der Verbreitung der Ambiguität von Relativsätzen und der Verteilung ihrer Lesarten bei. Die Erklärung der für die Relativsätze charakteristischen Ambiguität ergibt sich aus den (mindestens) schon bei Frege (1892a) beobachteten Eigenschaften appositiver Relativsätze und der üblicherweise Quine (1960: §23) zugeschriebenen Analyse ihrer restriktiven Gegenstücke.

2.3 Andere strukturelle Ambiguitäten Viele strukturelle Ambiguitäten lassen sich auf Unterschiede in der Klammerung zurückführen. Es handelt sich dabei um gleichlautende Ausdrücke, die auf unterschiedliche Weise in Teile und Teilesteile zerlegt werden können. Doch bei manchen Ambiguitäten liegen die Ursachen tiefer; sie erfordern entsprechend andere Erklärungen. Im Folgenden sehen wir uns eine Reihe recht unterschiedlicher Fälle an. 2.3.1 Relativsätze und indirekte Fragen Mit dem folgenden (um ein Komma ergänzten) Slogan wird seit (gefühlten) zehn Jahren mehrmals täglich im Fernsehen für die Apotheken Umschau geworben: (16) Lesen, was gesund macht Ob als Werbespruch mit Appellcharakter verwendet, als Teil einer Behauptung (,Fritz wollte lesen, was gesund macht‘) oder als Antwort auf eine Frage (,Was machst du am liebsten in der Badewanne?‘): (16) hat immer drei deutlich voneinander unterschiedene Lesarten. Die LeserInnen mögen an dieser Stelle innehalten und sich das klar machen; nur wer mindestens zwei verschiedene Lesarten gefunden hat, darf zum nächsten Absatz übergehen! In allen drei Lesarten von (16) liegt ein Infinitiv vor, der eine Tätigkeit beschreibt. Nach der ersten Lesart kann man der Werbung zufolge durch einschlägige Lektüre herausfinden, was gesund macht. Die Lesart lässt sich in etwa paraphrasieren mit: (17) Lesen, welche Dinge gesund machen Diese Lesart ist im Zusammenhang mit der Anpreisung eines Druckerzeugnisses sicher die nächstliegende. Man kann also unterstellen, dass es sich um die intendierte Lesart handelt, also diejenige, die von der Werbeagentur gemeint ist und verstanden werden soll. Andererseits nehmen die MacherInnen des Slogans sicher billigend in Kauf, dass er bei einigen AdressatInnen anders ankommt, nämlich als implizite Behauptung über die heilsame Wirkung des beworbenen Periodikums. Diese zweite, zumindest im Wortsinn etwas abwegige Lesart lässt sich wie folgt umschreiben: (18) Alles lesen, was gesund macht

Quellen

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2. Ambiguität und Bedeutungskomposition

Die dritte Lesart ist von der Sache her etwas weniger abwegig, dafür aber aller Wahrscheinlichkeit nach nicht intendiert. Danach würde nämlich in (16) mitbehauptet, dass vom Erfassen geschriebener Texte an sich eine heilsame Wirkung ausgeht. In dieser Lesart könnte man sich (16) als Slogan für eine Alphabetisierungskampagne vorstellen. Wer die Lesart noch nicht „sieht“, möge (16) mit einer kleinen Pause nach ,Lesen‘ aussprechen – oder die folgende Paraphrase betrachten: (19) Lesen – eine Sache, die gesund macht Wie kommt nun diese Ambiguität zustande? Die einzelnen Wörter scheinen ja nicht ambig zu sein – zumindest nicht auf einschlägige Weise. Und auch die Klammerung ist in allen drei Lesarten dieselbe, nämlich: (20) [Lesen [was [gesund macht]]] freier Relativsatz

Dennoch liegt eine strukturelle Ambiguität vor; denn wir haben es mit drei verschiedenen grammatischen Konstruktionen zu tun, die sich aus zwei Besonderheiten des Verbs ,lesen‘ ergeben. Zunächst handelt es sich dabei um ein transitives Verb – das ist noch nichts Besonderes; und wie bei jedem transitiven Verb kann das Akkusativobjekt durch einen sog. freien Relativsatz besetzt werden, also einen Relativsatz ohne Bezugsnominal oder -nomen. Im Deutschen werden freie Relativsätze mit einem Fragepronomen ,wer‘, ,wem‘, ,was‘ etc. eingeleitet und stehen (mit einigen sehr komplizierten Einschränkungen) dort, wo normalerweise Nominale stehen, also an Subjektoder Objektstelle: (21) Was im Katalog aufgeführt ist, ist auch lieferbar. (22) Der Detektiv beschattet, wen er für verdächtig hält. Dass es sich beim Subjekt von (21) und dem Objekt von (22) überhaupt um Relativsätze handelt, zeigt sich vor allem in Paraphrasen wie den folgenden: (23) Jede Ware, die im Katalog aufgeführt ist, ist auch lieferbar. (24) Der Detektiv beschattet jede Person, die er für verdächtig hält.

indirekter Fragesatz Komplementsatz

Diese Paraphrasen legen den Verdacht nahe, dass freie Relativsätze letztlich restriktive Relativsätze sind, die sich auf ein „stummes“ Substantiv – in diesem Fall mit der (ungefähren) Bedeutung ,Ware‘ bzw. ,Person‘ – beziehen, das wiederum einem ebenfalls nicht explizit genannten „quantifizierenden Determinator“ – mit der Bedeutung ,jede(r)‘ – folgt. Auch wenn diese Darstellung eine ganze Reihe von heiklen Details offenlässt, liefert sie uns für unser Ausgangsbeispiel (16) die zweite Lesart, die wir ja auch in ähnlicher Weise mit (18) paraphrasiert hatten. Diese Lesart kommt also auf dieselbe Weise zustande wie (22), nämlich indem die Objektstelle des transitiven Verbs durch einen freien Relativsatz besetzt wird. Doch im Gegensatz zu (22) ist (16) ambig – und das liegt nun an den Besonderheiten des Verbs ,lesen‘. Denn es handelt sich um ein Verb, das an Objektstelle auch Sätze zulässt, und zwar sowohl ,dass‘-Sätze als auch indirekte Fragesätze. In dieser Hinsicht gleicht es Verben wie ,wissen‘ und ,berichten‘, unterscheidet sich aber von ,beschatten‘, weswegen eine solche Lesart für (22) nicht in Frage kommt. Ein als Objekt fungierender Nebensatz wird auch als Komplementsatz bezeichnet. Im Fall von ,lesen‘ charakterisiert

2.3 Andere strukturelle Ambiguitäten

er den Inhalt des Lesestoffs. Das folgende Satzpaar zeigt, dass in diesem Fall ein Zusammenhang zwischen dem ,dass‘-Satz und dem Fragesatz besteht: (25) Tom hat gewusst/berichtet/gelesen, wo Brian May promoviert hat. (26) Tom hat gewusst/berichtet/gelesen, dass Brian May am Imperial College promoviert hat. Grob gesprochen bezieht sich der eingebettete Interrogativsatz in jeder Variante von (25) auf eine Frage, die durch Toms Wissen, Bericht bzw. Lektüre beantwortet wird. Auf das Ausgangsbeispiel (16) bezogen heißt das, dass die indirekte Frage der intendierten Lesart entspricht: das Publikum wird aufgefordert, sich die Frage, was gesund macht, durch Lesen zu beantworten. Bei der ersten, durch (17) paraphrasierten Lesart ist also ,was gesund macht‘ ein Komplementsatz. Bliebe noch die dritte Lesart von (16), die zum Lesen im Allgemeinen auffordert und darüber aussagt, dass es gesund macht. In dieser Lesart bezieht sich das Pronomen ,was‘ auf ,Lesen‘ als ein vollständiges Prädikat – also ,lesen‘ im Sinne von ,irgendetwas lesen‘. Hier liegt ein sog. weiterführender Relativsatz vor, der in mancher Hinsicht einem appositiven Relativsatz gleicht; insbesondere wird auch mit ihm eine vollständige, vom Rest des Satzes unabhängige Nebenbemerkung gemacht. Die Tatsache, dass wir einen prädikatsbezogenen weiterführenden Relativsatz bei (16) haben können, nicht aber bei (22), erklärt sich wieder aus einer Eigenschaft des Verbs ,lesen‘: obwohl es transitiv ist, kann es durchaus auch ohne Objekt verwendet werden. In dieser Hinsicht unterscheidet es sich von ,beschatten‘, weswegen auch eine solche Lesart für (22) nicht in Frage kommt. 2.3.2 Skopus Das folgende Beispiel geistert (in einer englischen Version) seit Jahren durch die semantische Fachliteratur: (27) Jede Minute wird in New York ein Mann überfallen. Angeblich bildete (27) in einer US-amerikanischen Comedy-Show den Auftakt zu einem Scherz, der fortgeführt wurde mit: (28) Wir haben ihn zu einem Interview eingeladen. Zunächst versteht man (27) natürlich als statistische Aussage über die Anzahl der in New York überfallenen Personen. Die Fortführung (28) suggeriert dann aber, dass von nur einem einzigen Mann die Rede ist – und dass die vorangehende Äußerung von (27) bereits so zu verstehen war. Aber ist das überhaupt so: kann (27) wirklich so gemeint sein? In der Tat spricht einiges dafür, dass dies eine äußerst abwegige, aber immerhin mögliche Lesart des (Oberflächen-)Satzes (27) ist, dass er also in dieser Hinsicht ambig ist. Die folgende Variante macht diese Möglichkeit deutlicher: (29) Jedes Silvester wird im deutschen Fernsehen ein englischer Sketch gezeigt. Natürlich ist in diesem Fall die Möglichkeit, dass jahrein, jahraus dasselbe Stück gezeigt wird, durchaus real; die entsprechende Fortführung wirkt daher auch weniger überraschend als (28): (30) Er stammt aus der Feder von Lauri Wylie.

weiterführender Relativsatz

29

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2. Ambiguität und Bedeutungskomposition

Die strukturelle Ähnlichkeit von (27) und (29) lässt kaum einen anderen Schluss zu, als dass beide (Oberflächen-)Sätze so verstanden werden können, dass jeweils von nur einer Person bzw. nur einem Stück die Rede ist. Machen wir uns zunächst anhand geeigneter Paraphrasen klar, worin eigentlich der Unterschied zwischen den beiden Lesarten besteht. Dabei kümmern wir uns nur um (27) und überlassen die entsprechenden Paraphrasen von (29) den LeserInnen. (31) a. Für jede Minute gilt, dass es einen Mann gibt, so dass er in ihr überfallen wird. b. Es gibt einen Mann, so dass für jede Minute gilt, dass er in ihr überfallen wird. Skopus

Skopusambiguität

Abgesehen von den pedantischen Formulierungen, die in einer ComedyShow aus unabhängigen Gründen für Lacher gesorgt hätten, entspricht die Paraphrase (31)a der Art und Weise, wie (27) zunächst verstanden wird, während (31)b die bei der Fortführung (28) unterstellte Lesart ist. Der Vergleich zwischen den beiden Paraphrasen zeigt, dass sie in der „Kernaussage“ übereinstimmen, nach der der jeweilige Mann (= ,er‘) in der jeweiligen Minute (= ,ihr‘) überfallen wird, während sie sich in der „Rangfolge“ der beiden quantifizierenden Nominale unterscheiden: in (31)a rangiert ,jede Minute‘ in dem Sinn höher als ,einen Mann‘; bei (31)b ist es umgekehrt. In der Semantik spricht man statt von der „Rangfolge“ quantifizierender Nominale von ihrem Skopus. In dieser aus der Logik entlehnten Terminologie steht ,einen Mann‘ in (31)a im Skopus von ,jede Minute‘, womit ,jede Minute‘ gegenüber ,einen Mann‘ weiten Skopus besitzt; und entsprechend umgekehrt bei (31)b. Die beiden Lesarten von (27) unterscheiden sich also darin, wie die Skopusverhältnisse zwischen den beiden quantifizierenden Nominalen ,jede Minute‘ und ,einen Mann‘ verstanden werden. Es handelt sich um eine Skopusambiguität. Das Zustandekommen dieses Typs von Ambiguität werden wir uns noch in den nächsten beiden Kapiteln etwas näher ansehen. An dieser Stelle nehmen wir lediglich zur Kenntnis, dass sie strukturell ist – die Wortbedeutungen sind ja immer dieselben – und offenbar nicht per Klammerung erklärt werden kann. 2.3.3 Unspezifizität Gaby hat bald Geburtstag, und ihr Freund Heinz hat eine originelle Geschenkidee: er möchte ihr einen Kaschmir-Pullover kaufen, die gerade in Mode und billig sind. Gabys Lieblingsfarbe ist Rot, und so wühlt sich Heinz durch eine Reihe von Grabbeltischen. Kein Zweifel: (32) Heinz sucht einen roten Pullover. Drei Tage später, am Vorabend zu Gabys Geburtstag. Heinz hat inzwischen etwas Passendes und Günstiges gefunden und will das Geschenk nun noch einwickeln. Zurückkehrend von seinem Kaufhausbesuch hatte er den Pullover hastig in seinem Arbeitszimmer versteckt, da just in diesem Moment Gaby unangekündigt erschienen war. Aber wo hatte er ihn nur hingelegt? Heinz kann sich einfach nicht mehr erinnern und so beginnt er, sein Arbeitszimmer zu durchwühlen – mit anderen Worten: (32).

2.3 Andere strukturelle Ambiguitäten

Obwohl (32) auf beide Situationen zutrifft, gibt es doch einen gewaltigen Unterschied zwischen ihnen: die erste Suche ist unspezifisch, die zweite spezifisch. Denn die Suche im Kaufhaus galt keinem bestimmten Kleidungsstück – Heinz konnte nicht einmal sicher sein, dass es überhaupt einen Pullover gibt, der seinen Ansprüchen genügt; im Arbeitszimmer war er dagegen nur hinter einem ganz bestimmten Exemplar her – sein nahezu gleich aussehender eigener Pullover hätte es nicht getan. Die Ambiguität zwischen spezifischer und unspezifischer Lesart tritt nur bei ganz bestimmten Verben auf. Neben ,suchen‘ gehören ,ähneln‘, ,schulden‘, ,verhindern‘ und ,malen‘ zu diesen sog. (referenziell) opaken Verben: wer einem Pferd ähnelt, muss keinem bestimmten Pferd ähneln; wer mir eine Flasche Wein schuldet, muss mir keine bestimmte Flasche Wein schulden; etc. Bei der Mehrzahl der Verben dagegen lässt sich eine solche Ambiguität nicht entdecken – sie sind (referenziell) transparent. Bei ihnen können die indefiniten Objekte nicht auf dieselbe unspezifische Art verstanden werden wie bei opaken Verben: wer ein Buch liest, liest immer auch ein bestimmtes Buch; wer einen Nachbarn trifft, trifft einen bestimmten Nachbarn; etc. Es ist also die unspezifische Lesart, die den transparenten Verben fehlt und für die opaken Verben charakteristisch ist.

spezifische vs. unspezifische Suche

opake vs. transparente Verben

2.3.4 Fokusassoziation Am 2.11.2012 wurde in einem Prominentenspecial der RTL-Sendung 5 gegen Jauch den KandidatInnen die folgende Quizfrage gestellt: (33) Welche Sprache ist nur in einem europäischen Land Amtssprache? Diese Frage hat (gelinde gesagt) für einige Verwirrung bei allen Beteiligten gesorgt, was zum Teil – aber wirklich nur zum Teil – an einer in ihr versteckten strukturellen Ambiguität lag. Insbesondere stellte ein Kandidat (Günther Jauch) die Gegenfrage, ob für die korrekte Beantwortung von (33) die Tatsache relevant ist, dass das Spanische in mehreren südamerikanischen Staaten Amtssprache ist – womit er auf Befremden (vor allem bei seinem Gegenkandidaten Johann Lafer) gestoßen ist, ginge es doch in (33) offensichtlich nur um Europa. Ganz so klar ist das aber gar nicht. Denn ob es in (33) um Europa oder die ganze Welt geht, hängt davon ab, welche Lesart gemeint ist. Um das zu sehen, liest man (33) am besten zweimal laut vor – und zwar, indem man beim ersten Mal das Wort ,einem‘ stark betont und beim zweiten Mal das Wort ,europäischen‘. Alles klar? Wenn nicht, hilft es vielleicht, die möglichen Antworten auf (33) laut zu lesen – denn diese weisen dieselbe Ambiguität auf und lassen sich ebenfalls durch Betonung der genannten Wörter disambiguieren. Die Antworten haben jeweils die folgende Gestalt, wobei das am stärksten betonte Wort – der Satzakzent – mit KAPITÄLCHEN markiert ist: (34) a. L ist nur in EINEM europäischen Land Amtssprache. b. L ist nur in einem EUROPÄISCHEN Land Amtssprache. Sei L eine Sprache. Die Lesart (34)a besagt dann, dass es ein einziges europäisches Land gibt, in dem L Amtssprache ist. Für den Fall L = Spanisch ist das zum Beispiel richtig: das einzige europäische Land, in dem Spanisch

Satzakzent

31

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2. Ambiguität und Bedeutungskomposition

Fokusalternativen

Fokusassoziation

Amtssprache ist, ist Spanien. Für die Beantwortung von (33) in dieser Lesart sind offenbar tatsächlich nur die Verhältnisse in Europa von Belang; die Tatsache dass z. B. Portugiesisch Amtssprache in Brasilien ist, spielt dabei ebenso wenig eine Rolle wie der Umstand, dass es in Belgien drei Amtssprachen gibt. (34)b besagt dagegen, dass es kein außereuropäisches Land gibt, in dem L Amtssprache ist. Das trifft auf L = Spanisch nicht zu; die Sprache ist bekanntlich unter anderem in Argentinien Amtssprache. Das Beispiel zeigt, dass man grundsätzlich auch die Verhältnisse in den außereuropäischen Ländern kennen muss, um zu beurteilen, ob eine Antwort der Form (34)b zutrifft. Wenn die Frage (33) entsprechend betont wird, bezieht sie sich also nicht nur auf die Amtssprachen in Europa; insofern waren Jauchs Bedenken gerechtfertigt. Freilich stand das in der Quizsendung gar nicht zur Debatte: die Frage war im Sinne der Betonung in (34)a gemeint, wobei neben dem Spanischen nur Englisch, Schwedisch und Niederländisch zur Auswahl standen. Die richtige Antwort lautete daher: ,Spanisch‘. Wie kommt es nun, dass man die Frage (33) und ihre Antworten auf so unterschiedliche Weisen verstehen kann? Zwei Faktoren spielen dafür eine Rolle. Der eine ist der in (34) angedeutete Betonungsunterschied, der andere ist das Wörtchen ,nur‘. Die Funktion des Satzakzents ist es, eine bestimmte Konstituente – in diesem Fall jeweils ein einzelnes Wort – herauszuheben oder – wie man in der Sprachwissenschaft sagt: zu fokussieren. Die Funktion von ,nur‘ wiederum besteht darin, die Fokusalternativen als falsch zu deklarieren. Die Fokusalternativen zu (34)a sind die Aussagen, dass L in zwei, drei, vier, … europäischen Ländern Amtssprache ist; die Fokusalternativen zu (34)b dagegen sind die Aussagen, dass L in einem asiatischen, afrikanischen, südamerikanischen, … Land Amtssprache ist. Im Allgemeinen ergeben sich also die Fokusalternativen eines Satzes (mit ,nur‘), indem man die fokussierte Konstituente durch angemessene, vergleichbare Ausdrücke ersetzt (und das ,nur‘ weglässt). Mit dem Wort ,nur‘ wird dann über diese Fokusalternativen ausgesagt, dass sie falsch sind. Im Fall von (34)a heißt das, dass L weder in zwei noch in drei noch in vier … europäischen Ländern Amtssprache ist; für (34)b läuft diese Bedingung hinaus auf die Feststellung, dass L weder in einem asiatischen noch in einem afrikanischen noch in einem südamerikanischen … Land Amtssprache ist. So entsprechen die Betonungsunterschiede Unterschieden im Fokus, die wiederum zu unterschiedlichen Fokusalternativen führen. Auf diese Weise sorgt das Wörtchen ,nur‘ dafür, dass sich Unterschiede in der Betonung auf die Gesamtaussage und ihren Wahrheitsgehalt auswirken können. Diese Interaktion zwischen einem einzelnen Element wie ,nur‘ und den Fokusalternativen zu dem Satz, in dem es vorkommt, bezeichnet man in der Semantik als Fokusassoziation. Dieses Phänomen lässt sich bei einer Reihe von Partikelwörtern, Adverbien und Konjunktionen beobachten. Der folgende Kontrast illustriert es anhand von Kausalsätzen: (35) Hans hat Maria GEHEIRATET, weil er in den Genuss steuerlicher Vorteile kommen wollte, aber er hat MARIA geheiratet, weil seine Eltern eine standesgemäße Schwiegertochter wollten. Eine genauere Darstellung des Phänomens der Fokusassoziation liegt außerhalb der Reichweite dieser Einführung.

2.3 Andere strukturelle Ambiguitäten

2.3.5 Lexikalische Zerlegung Nach allem, was wir in 2.2 über die Verteilung der Lesarten von Relativsätzen gesagt haben, dürfte es den folgenden Satz eigentlich gar nicht geben: (36) Dieses Auto gehört niemandem, der hier wohnt. Denn in (36) wird der Relativsatz an das Wort ,niemand‘ angeschlossen, das weder ein Substantiv ist noch eine Benennung oder Beschreibung eines einzelnen Objekts. Nach der obigen Erklärung kann er dann weder restriktiv noch appositiv sein. Appositiv ist er wirklich nicht, wie wieder die Einsetzung solcher Partikeln oder Adverbien wie ,ja‘ und ,übrigens‘ zeigt, die allenfalls dazu führt, dass ,niemandem‘ als Personenname verstanden wird (was hier nicht gemeint ist). Dass der Relativsatz im Gegensatz zu der obigen Erklärung restriktiv ist, legt dagegen die folgende Paraphrase von (36) nahe: (37) Dieses Auto gehört keinem Menschen, der hier wohnt. (37) enthält denselben Relativsatz wie (36), ist aber kein Gegenbeispiel zu der oben beschriebenen Verteilung der Lesarten; denn in (37) ist der Relativsatz eindeutig restriktiv, was sich dadurch erklärt, dass er am Substantiv ,Mensch‘ hängt. Diese Erklärung scheint nun für (36) mangels Substantiv auszufallen. Schließlich lässt sich ja das Indefinitpronomen ,niemand‘ nicht in die beiden Bestandteile des Nominals ,kein Mensch‘ aufspalten, also in ,kein‘ und ,Mensch‘ (oder ein Synonym). Oder etwa doch? Die Aufspaltung von Wörtern und Wortformen in mehrere an der Oberfläche so nicht erkennbare Teile ist an sich in der Grammatik nichts Ungewöhnliches. So spricht vieles dafür, dass die Form ,im‘ (wie in ,im Fahrstuhl‘) zwei Bestandteile hat, die der Präposition ,in‘ und dem dativischen Artikel ,dem‘ entsprechen (der sich möglicherweise selbst wieder in diverse Merkmale zerlegen lässt). Genauso könnte man das Indefinitpronomen in den quantifizierenden Determinator ,kein‘ und das Substantiv ,Mensch‘ zerlegen. Dabei handelt es sich um eine spezielle Art der Zerlegung, die ihre Wirkung beim Anschluss von restriktiven Relativsätzen entfaltet und von anderen grammatischen Prozessen ausgeschlossen ist; beispielsweise lässt sich ja der substantivische Teil nicht durch ein Adjektiv modifizieren. Aber die Zerlegung ermöglicht es, Sätze wie (36) in Einklang zu bringen mit der in 2.2 gegebenen Erklärung der restriktiven Lesarten von Relativsätzen. Dieses Faktum allein ist für SemantikerInnen Motiv genug, die Form ,niemand‘ als einen komplexen Ausdruck zu behandeln – sie wird lexikalisch zerlegt. Das Gleiche gilt für die anderen Indefinitpronomina ,etwas‘, ,alles‘, ,jemand‘ usw., die sich ebenfalls um restriktive Relativsätze erweitern lassen. Auf die genaue Implementation dieser Zerlegungen können wir hier freilich nicht eingehen, zumal diese von Details des grammatiktheoretischen Rahmens abhängen, den wir hier nicht näher spezifizieren. Die lexikalische Zerlegung von ,niemand‘ ist mit der Aufspaltung in Determinator (,kein‘) und Substantiv (,Mensch‘) noch nicht abgeschlossen. Denn der Determinator lässt sich selbst wieder in zwei Bestandteile zerlegen, ein Negationselement (,nicht‘) und den indefiniten Artikel (,ein‘). Das Motiv für diese Abspaltung der Negation bilden allerdings nicht die Relativsätze, sondern (unter anderem) die referenziell opaken Verben. Wie wir oben (2.3.3) gesehen haben, kann ein indefinites Objekt von ,suchen‘ das Ziel einer spezifischen oder einer unspezifischen Suche beschreiben – wie z. B. in:

,niemand‘ Y ,kein‘ + ,Mensch‘

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2. Ambiguität und Bedeutungskomposition

(38) Helmut sucht ein Hemd, a. … weil er es zur Reinigung bringen will. b. … weil er Hella etwas zu Weihnachten schenken will. Diese Art von Ambiguität lässt sich nun auch beobachten, wenn an der Objektstelle ein „negiertes“ Indefinitum – also ein Nominal der Gestalt ,kein N‘ – steht: (39) Helmut sucht kein Hemd, a. … sondern seine helle Hose. b. … denn er kann sich keine neuen Klamotten leisten. Die mit den Fortführungen a. und b. angedeuteten Lesarten von (39) besagen jeweils, dass die entsprechende Lesart von (38) nicht zutrifft. Um zu sehen, inwiefern dieser eigentlich wenig überraschende Sachverhalt für eine lexikalische Zerlegung des Determinators ,kein‘ spricht, betrachten wir eine – zugegebenermaßen etwas umständliche – Paraphrase von (38). Der Sinn dieser Maßnahme wird sich ein paar Absätze später erschließen. (40) Helmut unternimmt eine Suche mit dem Ziel, dass er ein Hemd findet. (40) ist immer noch ambig, und zwar hinsichtlich der Frage der Spezifizität der Suche. Um Eindeutigkeit zu schaffen, können wir eine weitere bewährte Paraphrase-Technik anwenden, nämlich die von den „weitskopigen“ Objekten abgekupferte: (41) a. Es gibt ein Hemd, so dass Helmut eine Suche unternimmt mit dem Ziel, dass er es findet. b. Helmut unternimmt eine Suche mit dem Ziel, dass es ein Hemd gibt, so dass er es findet. Zwei Details dieser Paraphrasen sind erwähnenswert. Zum einen haben wir die Skopus-Markierung ,es gibt ein Hemd, so dass …‘ auch in der unspezifischen Lesart verwendet; andernfalls wäre nämlich das Ergebnis nach wie vor ambig. Zum anderen haben wir diese Paraphrase-Technik nicht auf das Indefinitum ,eine Suche‘ angewandt, da dieses kein Bestandteil des ursprünglichen Satzes (38) ist. Betrachten wir nun die Negationen der Sätze unter (41), die den beiden Lesarten von (39) entsprechen. Um deutlich zu machen, dass sie jeweils den gesamten Satz als falsch deklariert, drücken wir sie durch die satzeinbettende Konstruktion ,es trifft nicht zu, dass …‘ aus: (42) a. Es trifft nicht zu, dass es ein Hemd gibt, so dass Helmut eine Suche unternimmt mit dem Ziel, dass er es findet. b. Es trifft nicht zu, dass Helmut eine Suche unternimmt mit dem Ziel, dass es ein Hemd gibt, so dass er es findet. Vergleicht man die Paraphrasen mit dem ambigen Ausgangssatz (39), fällt auf, dass die (unterstrichenen) Anteile des Determinators ,kein‘ beide Male an verschiedenen Stellen des Satzes stehen. Doch ist das allein kein Grund für eine lexikalische Zerlegung. Denn eine ähnliche Paraphrase wie (42)a lässt sich auch z. B. für die Objektstellen transparenter Verben angeben: (43) Helmut besitzt kein Hemd.

2.3 Andere strukturelle Ambiguitäten

(44) Es trifft nicht zu, dass es ein Hemd gibt, so dass Helmut es besitzt. Auch in der – offenbar akkuraten – Paraphrase (44) von (43) erscheinen die beiden Bestandteile von ,kein‘ über den Satz verteilt. Doch im nächsten Kapitel werden wir eine semantische Analyse kennenlernen, die den der Paraphrase (44) zugrunde liegenden Effekt – dass mit ,kein‘ der positive Satz negiert wird – ganz ohne Negationsabspaltung beschreibt. Die Konstellation in (42)b lässt sich freilich nicht auf diese Weise erfassen. Der Grund dafür ist, dass die Rolle des Indefinitums ,ein Hemd‘ in den unspezifischen Lesarten von (38) und (39) jeweils dieselbe ist: in beiden Fällen charakterisiert es das Ziel der Suche. Die Negation ist dagegen nicht Bestandteil dieser Charakterisierung, sondern betrifft den gesamten Satz. Die Paraphrase (42)b macht das insofern klar, als in ihr das Indefinitum an derselben Stelle erscheint wie in der Paraphrase (41)b. Bei der spezifischen Lesart (42)a ist das insofern anders, als sich dort sowohl das Indefinitum als auch die Negation auf den gesamten Satz beziehen. Das Objekt von (39) kann in der unspezifischen Lesart nicht in Analogie zum Objekt in (38) interpretiert werden, während dies in der spezifischen Lesart durchaus möglich ist. Diese – zugegebenermaßen ungenauen – Angaben müssen genügen, um die Negationsabspaltung beim Determinator ,kein‘ zu motivieren – und damit auch die weitere Zerlegung von ,niemand‘. Denn wie in einer Übungsaufgabe nachzuweisen sein wird, tritt die entsprechende Konstellation auch bei diesem negativen Indefinitpronomen auf. Lexikalische Zerlegungen sind auch in anderen Bereichen der Grammatik anzutreffen. Einen in der Semantik viel diskutierten Fall bilden die sog. kausativen Verben wie ,töten‘, und ,schließen‘, mit denen zum Ausdruck gebracht werden kann, dass die durch das Subjekt bezeichnete Person bewirkt oder veranlasst, dass mit der durch das Objekt bezeichneten Person oder Sache etwas geschieht – etwa, dass sie stirbt oder zu ist. In Verbindung mit manchen Adverbien zeigt sich, dass die beiden Bedeutungsanteile dieser Verben – die Veranlassung und das Resultat – ein ähnliches Eigenleben in der Bedeutungskomposition führen wie die Anteile von ,kein‘ in den obigen Beispielen. Wir skizzieren die Motivation anhand des folgenden ambigen (Oberflächen-)Satzes:

,kein‘ Y ,nicht‘ + ,ein‘

,zumachen‘ Y ,zu‘ + ,machen‘

(45) Hans hat die Tür wieder zugemacht. Die beiden Lesarten lassen sich ebenfalls durch lautes Lesen unterscheiden, wobei einmal der Hauptakzent auf ,wieder‘ liegen sollte und beim anderen Mal auf ,zugemacht‘. Geht man davon aus, dass die beteiligten Wörter jeweils eindeutig sind – im Fall von ,wieder‘ ist das unter SemantikerInnen nicht ganz unumstritten –, dann lässt sich die Ambiguität strukturell erklären. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass das Wort ,zumachen‘ in zwei Teile zerlegt wird: ,zu‘ und ,machen‘. Die folgenden stilistisch grenzwertigen Paraphrasen geben die Richtung dieser Erklärung an: (46) a. Hans hat wieder gemacht, dass die Tür zu ist. b. Hans hat gemacht, dass die Tür wieder zu ist. Das Adverb ,wieder‘ bedeutet in beiden Paraphrasen dasselbe, nämlich dass etwas geschieht, das schon zuvor geschehen ist. Nach der Paraphrase (46)b handelt es sich bei diesem wiederholten Vorkommnis um den geschlossenen

restitutiv vs. repetitiv

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2. Ambiguität und Bedeutungskomposition

Zustand der Tür; die entsprechende Lesart von (45) wird als restitutiv bezeichnet, weil der genannte Zustand wiederhergestellt („restituiert“) wird. Nach der Paraphrase (46)a ist das wiederholte Vorkommnis das Zumachen der Tür; das entspricht der repetitiven Lesart von (45) – so genannt, weil die genannte Handlung wiederholt („repetiert“) wird. In diesem Fall besteht eine gewisse Hoffnung, dass die lexikalische Zerlegung letztlich eine morphologische ist. Doch dieselbe Ambiguität tritt auch bei monomorphemischen Verben auf – wie ,schließen‘. Quellen

Der Queen-Gitarrist Brian May hat tatsächlich am altehrwürdigen Londoner Imperial College promoviert, und zwar auf dem Gebiet der Astrophysik; vgl. May (2008). – Das englische Original der Sequenz (27)–(28) lautet: ,Every minute a man is mugged in New York City. We are going to interview him tonight.‘ und stammt lt. Barwise & Etchemendy (1999: 305) aus der NBC-Show Saturday Night Live. – Unspezifische Lesarten opaker Verben wie ,schulden‘ (lat. ,debere‘) haben schon mittelalterliche Semantiker zur Verzweiflung getrieben; vgl. Geach (1965) und Klima (1990). Die Beobachtung, dass sie sich durch Infinitiv- oder Satzeinbettende Konstruktionen paraphrasieren lassen, stammt von Quine (1956). – Fokusassoziation ist zum ersten Mal systematisch in Jackendoff (1972: 247 ff.) beschrieben worden, woher auch der Terminus association with focus stammt; die klassische kompositionelle Erklärung mithilfe von Fokusalternativen stammt aus Rooth (1985), wo die Beobachtung der Fokusassoziation in Kausalsätzen wie (35) Dretske (1972) zugeschrieben wird. Zur Zerlegung der Indefinitpronomina vgl. z. B. von Stechow (1980: 58). Argumente für die Negationsabspaltung findet man schon in Bech (1955/57: §80). Zwei Highlights der reichhaltigen Literatur pro und contra lexikalische Zerlegung kausativer Verben sind von Stechow (1996) bzw. Fabricius-Hansen (2001).

2.4 Weitere Phänomene der kompositionellen Semantik Bevor wir uns den theoretischen Aspekten der Bedeutungskomposition zuwenden, gehen wir noch kurz auf eine Reihe von Phänomenen und Beobachtungen ein, die sich nicht mit strukturellen Ambiguitäten belegen oder illustrieren lassen. 2.4.1 Faktivität und Negationsanhebung Im Einleitungskapitel wurde bereits die zentrale Stellung der Implikation als Sinnbeziehung erwähnt; ein Satz impliziert einen anderen, wenn der erste nicht wahr sein kann, ohne dass auch der zweite wahr ist. Implikationsbeziehungen können auch Aufschluss über die Bedeutung einzelner Wörter geben und insbesondere über Aspekte, die für die Bedeutungskomposition relevant sind. Wir illustrieren dies anhand einiger Beispiele aus dem Bereich von Verben mit (,dass‘-)Satzkomplementen: (47) (48) (49) (50) (51)

Fritz weiß, dass Eike in Berlin ist. Fritz glaubt, dass Eike in Berlin ist. Fritz ahnt, dass Eike in Berlin ist. Fritz bezweifelt, dass Eike in Berlin ist. Fritz schließt aus, dass Eike in Berlin ist.

In (47)–(51) wird jeweils die Einstellung einer Person, Fritz, zu einem Sachverhalt beschrieben, nämlich dass Eike in Berlin ist. Die Sätze unterscheiden

2.4 Weitere Phänomene der kompositionellen Semantik

sich in der Stärke, mit der Fritz davon überzeugt sein muss, dass dieser Sachverhalt besteht: wenn (47) zutrifft, muss diese Überzeugung sehr stark sein, bei (48) nicht unbedingt usw. bis (51), bei dessen Zutreffen er vom Gegenteil überzeugt sein muss, also dass sich Eike nicht in Berlin befindet. Die Sätze scheinen insofern eine Art Skala der Überzeugung zu bilden. Doch ist das nur bedingt richtig; denn eine nähere Betrachtung zeigt, dass das Verhältnis der Sätze untereinander recht unterschiedlich ist. So kann man von (47) auf (48) schließen, aber in keinem anderen Fall folgt aus der Wahrheit eines der Sätze in (47)–(51) die Wahrheit eines anderen – im Gegenteil: wenn einer der Sätze (48)–(51) zutrifft, scheinen die anderen falsch zu sein. ,Scheinen‘ – denn man kann hier einen pragmatischen Effekt nicht ganz ausschließen; wir kommen auf diese Art von Effekt – sog. skalare Implikaturen – in Kapitel 6 zu sprechen. Noch aufschlussreicher als die Implikationsverhältnisse der Sätze (47)–(51) untereinander sind die zwischen ihnen und ihrem gemeinsamen Komplement bzw. dessen Verb-Zweit-Variante: (52) Eike ist in Berlin. In zwei Fällen, nämlich (47) und (49) besteht dieses Implikationsverhältnis: Fritz kann weder wissen noch ahnen, dass Eike in Berlin ist, wenn sie sich in Wirklichkeit in Reutlingen aufhält. Die folgenden Sätze sind daher widersprüchlich, sie beschreiben keine möglichen Sachverhalte: (53) Fritz weiß, dass Eike in Berlin ist, aber sie ist nicht in Berlin. (54) Fritz ahnt, dass Eike in Berlin ist, aber sie ist nicht in Berlin. Für die anderen drei Sätze gilt die entsprechende Implikationsbeziehung nicht: (48), (50) und (51) können jeweils unabhängig davon zutreffen, ob (52) der Fall ist. Interessant daran ist, dass das Bestehen dieser Sinnrelation nichts mit der Stärke der Überzeugung zu tun hat: ,glauben‘ ist in dieser Hinsicht stärker als ,ahnen‘, aber schwächer als ,wissen‘, lässt aber den Schluss auf die Wahrheit des Komplements nicht zu. Im Fall von ,wissen‘ und ,ahnen‘ lässt sich noch eine weitere, für diese Verben charakteristische Implikationsbeziehung beobachten. Denn auch aus den Negationen von (47) und (49) kann man auf die Wahrheit der Komplementsätze schließen; wenn (55) oder (56) zutrifft, heißt das ja insbesondere, dass Eike in Berlin ist:

faktive Verben

(55) Fritz weiß nicht, dass Eike in Berlin ist. (56) Fritz ahnt nicht, dass Eike in Berlin ist. Verben wie ,wissen‘ und ,ahnen‘, bei denen man sowohl von der positiven als auch von der negierten Verwendung auf die Wahrheit ihres Komplements schließen kann, werden als faktiv bezeichnet. Faktivität ist insofern eine bemerkenswerte Eigenschaft, als sie mit einer Grundannahme der klassischen Logik in Konflikt zu stehen scheint, dem Tertium non datur (lat. für ,Etwas Drittes gibt es nicht [außer Wahrheit und Falschheit]‘), nach dem für jeden Satz gilt, dass entweder er selbst oder seine Negation zutrifft. Für (47) hieße das, dass Eike auf jeden Fall in Berlin sein müsste; denn das folgt ja sowohl

Tertium non datur

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2. Ambiguität und Bedeutungskomposition

aus dem Satz selbst als auch aus seiner Negation (55), und eine dritte Möglichkeit gäbe es nicht. Das ist natürlich absurd. In der Semantik wird aus dieser Überlegung gern der Schluss gezogen, dass die natürlichsprachliche Negation nicht die der klassischen Logik sein kann. Die anderen drei Verben lassen den Schluss von der Negation auf das Komplement nicht zu. Dennoch warten ihre negierten Formen zum Teil mit Überraschungen auf: (57) Fritz glaubt nicht, dass Eike in Berlin ist. (58) Fritz bezweifelt nicht, dass Eike in Berlin ist. (59) Fritz schließt nicht aus, dass Eike in Berlin ist.

Negationsanhebung

Lediglich (59) verhält sich so, wie man es von einer Negation erwarten würde: der Satz besagt, dass Fritz es für möglich hält, dass Eike in Berlin ist – das heißt, dass es falsch ist, dass er dies ausschließt. Wie die oben (in 2.3.5) im Zusammenhang mit der lexikalischen Zerlegung von ,kein‘ betrachteten Negationen verkehrt also (59) die Aussage (51) in ihr Gegenteil. (58) scheint dagegen nicht nur zu besagen, dass das positive Gegenstück (50) falsch ist. Nach letzterem ist ja Fritz nicht davon überzeugt, dass Eike in Berlin ist, schließt dies aber auch nicht aus – er hegt eben Zweifel. Wäre er nun vom Gegenteil überzeugt – etwa weil er Eike soeben in Reutlingen gesehen hat –, dann würde er keinerlei Zweifel in puncto Eikes Aufenthaltsort hegen; (50) wäre dann also falsch. Aber (58) wäre dennoch nicht richtig. Das liegt offenbar daran, dass mit (58) nicht nur gesagt wird, dass Fritz nicht nur nicht daran zweifelt, dass Eike in Berlin ist, sondern dass er sogar davon fest überzeugt ist. Dieser Bedeutungsaspekt von (58) ist insofern überraschend, als er über die eigentliche Negation von (50) hinausgeht. Allerdings ist es wieder gut möglich, dass es sich dabei um einen nicht-wörtlichen Bedeutungsanteil handelt. Noch seltsamer ist es um (57) bestellt; denn der Satz beschreibt nicht nur die Abwesenheit einer Überzeugung, sondern die Überzeugung vom Gegenteil: (48) ist ja bereits falsch, wenn Fritz einfach keine Ahnung hat, wo Eike steckt. Aber dann wäre (57) nicht richtig. Stattdessen besagt (57) so viel wie (51) – bzw. wie: (60) Fritz glaubt, dass Eike nicht in Berlin ist. Das Negationselement ,nicht‘ wird also in (57) nicht auf den Hauptsatz bezogen, in dem es steht, sondern auf den Nebensatz, wo es in (60) steht. Dieses Phänomen, das bei einer Reihe von Verben zu beobachten ist – u. a. bei ,hoffen‘ und ,wollen‘ (mit Infinitivkomplement) – wird als Negationsanhebung (engl. NEG-raising) bezeichnet. Der Terminus suggeriert, dass es sich um einen syntaktischen Prozess handelt, bei dem das Negationselement ,nicht‘ seine strukturelle Position verändert – und dies ist auch in der Frühzeit der generativen Grammatik so gesehen worden. In der neueren Literatur überwiegen dagegen semantische und pragmatische Erklärungsversuche, nach denen die Bedeutungen bzw. Verwendungsbedingungen dieser Verben Umstände „ausblenden“, in denen die betreffende Person dem durch den Komplementsatz beschriebenen Sachverhalt neutral gegenübersteht. Danach würde (57) normalerweise nur unter der Voraussetzung verwendet, dass Fritz überhaupt eine Meinung zu Eikes Aufenthaltsort hat.

2.4 Weitere Phänomene der kompositionellen Semantik

2.4.2 Pronomina Im traditionellen Grammatikunterricht wird oft gesagt, dass ein (Personal-) Pronomen immer für ein Nomen steht, was dann auch die Herkunft des Terminus aus dem lateinischen pro nomen (L ,für einen Namen‘) erklären soll; dabei ist Nomen (im Plural: Nomina) eine Alternative zu dem in diesem Buch bevorzugten Terminus Substantiv. Der etymologische Hinweis mag nicht ganz falsch sein, ist aber in der Sache aus mindestens zwei Gründen irreführend. Zum einen beziehen sich Pronomina (zumindest in der Regel) nicht auf Nomina zurück, wie das folgende Beispiel zeigt: (61) Der Nachbarsköter hat die ganze Nacht gekläfft. Er war ausgesperrt. In (61) bezieht sich das Pronomen ,er‘ (in der nächstliegenden Lesart) in dem Sinne zurück auf das Subjekt des vorangehenden Satzes, als es quasi als Abkürzung dafür verwendet wird, also auf ,der Nachbarsköter‘. Noch mal zum Mitschreiben: ,der Nachbarsköter‘. Diese Kennzeichnung wird durch das Pronomen abgekürzt, auf sie bezieht es sich zurück, sie ist das Subjekt, und sie ist kein Substantiv („Nomen“), sondern ein Nominal. ,Nachbarsköter‘ allein ist ein Substantiv, aber das Pronomen steht nicht für dieses Substantiv; denn (61) ist eine Abkürzung für (62) und nicht für die ungrammatische (und daher mit einem Stern versehene) Sequenz (63): (62) Der Nachbarsköter hat die ganze Nacht gekläfft. Der Nachbarsköter war ausgesperrt. (63) Der Nachbarsköter hat die ganze Nacht gekläfft. *Nachbarsköter war ausgesperrt. In (61) kann also allenfalls davon die Rede sein, dass sich das Personalpronomen auf ein Nominal zurückbezieht – vielleicht sollte es besser „Pronominal“ heißen. Die Unterscheidung zwischen Substantiv und Nominal mag pedantisch erscheinen, ist aber syntaktisch und semantisch von höchster Bedeutung: Substantive allein stehen in aller Regel nicht an Subjekt- oder Objektstelle, sie benötigen (in aller Regel) einen Artikel oder Determinator; und wie wir im nächsten Kapitel sehen werden, unterscheiden sich Substantive und Nominale massiv in ihren Bedeutungen. Der zweite Grund, aus dem die obige Erläuterung falsch ist, ist der, dass nicht jedes Pronomen stellvertretend für ein Nominal steht. Tatsächlich bilden die abkürzenden Faulheitspronomina wie in (61) eher die Ausnahme. In dem folgenden Satz z. B. kann von Faulheit keine Rede sein: (64) Im Eingang steht ein alter Stuhl. Er ist sehr wertvoll. Ersetzt man in (64) das Pronomen ,er‘ durch sein Bezugsnominal ,ein alter Stuhl‘, entsteht eine vollkommen andere Aussage: (65) Im Eingang steht ein alter Stuhl. Ein alter Stuhl ist sehr wertvoll. In diesem Fall könnte man einwenden, dass zwar das Pronomen nicht für das Nominal steht, auf das es sich zurückbezieht, dass aber beide für dasselbe Möbelstück stehen. Doch im Allgemeinen greift auch diese Erklärung zu kurz, wie der folgende Fall zeigt: (66) Kein Teilnehmer hofft, dass er Letzter wird.

Faulheitspronomen

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2. Ambiguität und Bedeutungskomposition gebundenes Pronomen

Das ,er‘ im Komplementsatz bezieht sich (wieder in der offensichtlichsten Lesart) auf das Subjekt des übergeordneten Satzes zurück; aber selbstverständlich bezieht sich das Pronomen nicht auf dieselbe Sache oder Person wie das Nominal ,kein Teilnehmer‘, das ja nicht einmal referenziell ist. Allenfalls könnte man sagen, dass sich ,er‘ in (66) auf die jeweiligen Teilnehmer bezieht, auf die sich das Subjekt bezieht – aber was genau sind jeweilige Teilnehmer im Gegensatz zu gewöhnlichen Teilnehmern? Wir werden auf die Funktion solcher sog. gebundener Pronomina – also solcher Pronomina, die sich auf dieselbe „jeweilige“ Sache oder Person beziehen wie ein quantifizierendes Nominal – gegen Ende des vierten Kapitels (Abschnitt 4.6) zurückkommen.

Quellen

Der Begriff der Faktivität stammt aus Kiparsky & Kiparsky (1970). Der Terminus Negationsanhebung geht auf Fillmore (1963) zurück, die klassische syntaktische Beschreibung des Phänomens; die Mutter der semantisch-pragmatischen Erklärungen ist Bartsch (1973). Der (leicht scherzhafte) Begriff Faulheitspronomen (engl. pronoun of laziness) stammt aus Geach (1962). Mit dem Terminus gebundenes Pronomen wird eine in der formalen Logik übliche Redeweise über Variablen auf die Semantik natürlicher Sprachen übertragen; sowohl der logische als auch der semantische Gebrauch von gebunden sind gängige Termini, deren Ursprung dem Verfasser nicht bekannt ist.

2.5 Das Allgemeine Kompositionalitätsprinzip In 2.2 haben wir anhand von ambigen Adjektivgruppen gesehen, dass durch verschiedene Vorgehensweisen beim Anwenden bestimmter Grammatikregeln unterschiedliche Konstituentenstrukturen für denselben oberflächlichen Ausdruck mit unterschiedlichen Bedeutungen entstehen können. Wenn dem so ist, lassen sich Klammerungsambiguitäten wie in dem im ersten Kapitel genannten Beispiel (67) alte Männer und Frauen a. [alte [Männer und Frauen]] L alte Männer und alte Frauen b. [[alte Männer] und Frauen] L Frauen und alte Männer dadurch erklären, dass jeder Grammatikregel eine Bedeutungskombination entspricht und dass die Reihenfolge der Anwendung dieser Kombinationen einen Einfluss auf das Ergebnis hat – ganz wie in der Mathematik. Bei dem 2 ambigen arithmetischen Term ,23 ‘ kommt es ja auch darauf an, in welcher Reihenfolge man die beteiligten Zahlen potenziert: entweder man setzt zuerst 2 hoch 3 und dann das Ergebnis ins Quadrat oder man quadriert die 3 und berechnet 2 hoch dem Ergebnis dieses Quadrats. Im Falle von (67) verbindet man entweder zuerst die Bedeutung von ,Männer‘ und ,Frauen‘ mit der von ,und‘ und modifiziert dann das Ergebnis mit der Bedeutung von ,alte‘. In diesem Falle erhält man zuerst ein erweitertes (pluralisches) Substantiv, das sich auf gemischte Gruppen von Personen verschiedenen Alters bezieht, von denen dann – als Ergebnis der genannten Modifikation – die jüngeren ausgenommen werden. So kommt die Lesart (67)a zustande. Umgekehrt hätte man das Substantiv ,Männer‘ durch das Adjektiv ,alte‘ erweitern können, um sich auf Gruppen von männlichen Personen fortgeschrittenen Alters zu beziehen etc. pp. Die Details dieser Vorgehensweise mögen unklar sein – sie sollten es sogar zu dieser frühen Stunde – aber die Strategie

2.5 Das Allgemeine Kompositionalitätsprinzip

ist hoffentlich klar geworden. In der Semantik bezeichnet man diese Vorgehensweise als kompositionell. Genauer gesagt nimmt man das folgende Prinzip an: (68) Allgemeines Kompositionalitätsprinzip Die Bedeutung eines zusammengesetzten Ausdrucks ergibt sich aus den Bedeutungen seiner unmittelbaren Teile und der Art ihrer Kombination. Man beachte, dass in diesem Prinzip von den unmittelbaren Teilen eines Ausdrucks die Rede ist, also von solchen, die selbst nicht wieder Teile größerer Teile sind. Was die unmittelbaren Teile eines Ausdrucks sind, hängt von seiner syntaktischen Struktur ab: Nimmt man die Klammerung in (67)a an, besteht der (Oberflächen-)Ausdruck (67) aus zwei unmittelbaren Teilen, nämlich dem Adjektiv ,alte‘ und dem erweiterten Substantiv ,Männer und Frauen‘. Bei der Strukturierung (67)b dagegen zerfällt der (Oberflächen-) Ausdruck ,alte Männer und Frauen‘ in drei Teile. Nach dem allgemeinen Kompositionalitätsprinzip hängt nun die Bedeutung des Gesamtausdrucks jeweils von seiner Zerlegung in seine unmittelbaren Teile ab. Wie man sich diese Abhängigkeit ungefähr vorzustellen hat, haben wir vorher gesehen. Das Allgemeine Kompositionalitätsprinzip sagt jetzt nur noch, dass man sich den Zusammenhang zwischen Struktur und Bedeutung immer so vorzustellen hat – dass also seine Struktur bestimmt, wie die Bedeutung eines komplexen Ausdrucks zustande kommt. Ferner ist im Allgemeinen Kompositionalitätsprinzip von der Art der Kombination der unmittelbaren Teile eines Ausdrucks die Rede. Der Grund dafür ist, dass man nicht immer allein anhand der Bedeutungen der Teile eines Ausdrucks die Bedeutung des Gesamtausdrucks bestimmen kann. Hier ist ein (vereinfachtes) Beispiel: (69) Fritz kommt. (70) Kommt Fritz? (69) und (70) bestehen aus denselben (unmittelbaren) Teilen, nämlich den Wörtern ,Fritz‘ und ,kommt‘, haben aber verschiedene Bedeutungen. Das liegt offenbar daran, dass in (69) diese beiden Bedeutungen zu einer Aussage kombiniert werden, in (70) dagegen zu einer Frage. Den verschiedenen Arten der Bedeutungskombination liegen also verschiedene syntaktische Konstruktionen zugrunde. Mit der Kompositionalität kann man im Prinzip jede strukturelle Ambiguität erklären – vorausgesetzt, man weiß, wie die betreffenden Strukturen aussehen, d. h. in welche Teile sich die ambigen Ausdrücke zerlegen lassen und welche syntaktischen Konstruktionen diese Teile eingehen. Dass dies nicht immer offensichtlich ist, hat die in 2.2 diskutierte Ambiguität der Relativsätze gezeigt, aber immerhin konnte die Klammerung hier weiterhelfen. Die in 2.3 präsentierten Ambiguitäten sind in dieser Hinsicht komplizierter. Bei ihnen muss man auf raffiniertere Strukturierungsmöglichkeiten zurückgreifen. So müssen die unterschiedlichen Strukturen von freien Relativsätzen und indirekten Fragen bei gleicher Klammerung zusätzliche Hinweise auf den Konstruktionsunterschied enthalten. Und bei Skopusambiguitäten muss die TeilGanzes-Struktur sogar radikal von ihrer Oberflächenstruktur abweichen, damit diese kompositionell gedeutet werden können. Beim New Yorker Witz

Logische Form (LF)

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2. Ambiguität und Bedeutungskomposition

(den wir hier nicht zu wiederholen brauchen) etwa muss der Satz – entsprechend der umständlichen Paraphrase – in die beiden unmittelbaren Teile ,ein Mann‘ und den lückenhaften Rest des Satzes zerlegt werden, also: ,In New York wird jede Minute … ermordet‘. Ähnlich komplexe Umstrukturierungen sind auch für die spezifischen Lesarten (die ja weitem Objekt-Skopus ähneln) und unterschiedliche Fokussierungen nötig. Bei lexikalischen Zerlegungen muss schließlich zusätzliche Struktur unterhalb der Wortebene eingeführt werden. All diese – hier nur grob angedeuteten – Prozeduren muss die syntaktische Oberflächenstruktur über sich ergehen lassen, um zur semantisch relevanten Struktur zu werden, der sog. Logischen Form (kurz: LF). Und diese LF unterteilt dann den sprachlichen Ausdruck so in seine Teile und Teilesteile, dass dem Allgemeinen Kompositionalitätsprinzip (68) Genüge getan wird. Die Herstellung der einem Ausdruck angemessenen LF ist ein komplexer, aber regelhafter Prozess, der im Wesentlichen die Schnittstelle zwischen (Oberflächen-)Syntax und Semantik ausmacht. Der eigentliche Interpretationsprozess, die Identifikation und Zuweisung der Bedeutung einfacher und komplexer Ausdrücke geschieht erst anschließend, wenn die relevanten Klammerungen und Konstruktionen vorliegen. Dann nämlich wird die Frage beantwortet, wie sich die Bedeutungen der so strukturierten Ausdrücke systematisch miteinander kombinieren – und was diese Bedeutungen eigentlich sind. Diese Fragen, die in der Beschreibung des Interpretationsprozesses beantwortet werden, stehen im Mittelpunkt der nächsten beiden Kapitel. Dabei werden wir uns weitestgehend auf Phänomene konzentrieren, bei denen die LF nicht allzu weit von der Oberflächenstruktur abweicht. Die Frage der Bestimmung der richtigen Klammerung – die Syntax-Semantik-Schnittstelle – wird gegenüber der Frage der Bestimmung der richtigen Bedeutung und Bedeutungskombinationen – der semantischen Interpretation – in den Hintergrund treten. Quellen

Die obige Formulierung des Allgemeinen Kompositionalitätsprinzips ist nur ein Schatten der in der Literatur verbreiteten mathematisch präzisen Varianten dieses Prinzips, dessen Ursprung wohl nicht eindeutig zu klären ist. In der älteren Literatur (1980 € 10 Jahre) ist auch die Bezeichnung Fregeprinzip verbreitet, in Anspielung an Frege (1892a), den Urtext der modernen Semantik, in dem das Prinzip unterstellt, aber nicht explizit erwähnt wird. Heute gängige Formulierungen orientieren sich zumeist an Montague (1970), wo der Terminus Kompositionalität allerdings nicht vorkommt. Dort findet man ebenfalls die Idee der Aufbereitung syntaktischer Strukturen für Zwecke der kompositionellen Deutung. Die Bezeichnung LF stammt allerdings (wohl) von Robert May (1985); bei Montague ist stattdessen von disambiguated languages die Rede.

- Übungsaufgaben zu 2.1 1. Inwiefern ist die Form ,Schloss‘ schwach homonym? 2. Klassifizieren Sie die folgenden mehrdeutigen Formen nach ihrem Grad der Ambiguität im Sinn von (4):

2.5 Das Allgemeine Kompositionalitätsprinzip ,abheben‘; ,Ausdruck‘; ,Band‘; ,Bar‘; ,Block‘; ,Dichtung‘; ,einräumen‘; ,Fest‘; ,Hahn‘; ,kosten‘; ,Lösung‘; ,Rezept‘; ,Rolle‘; ,Schalter‘; ,Star‘; ,überdacht‘; ,verlegen‘; ,weiß‘ Begründen Sie Ihre Entscheidung, und geben Sie jedes Mal die syntaktische Kategorie der einzelnen Lesarten an. Achtung: einige Formen besitzen mehr als zwei Lesarten. *

3. Belegen Sie die Ambiguität von ,Schloss‘ und ,Buch‘ mit je einem Zähltest; verwenden Sie dabei ausschließlich Aussagesätze. 4. Schwache Homonymie schließt nicht aus, dass zwei verschiedene Wörter in allen Oberflächenformen übereinstimmen, solange andere formale Unterschiede zwischen ihnen bestehen. Finden Sie ein Beispiel dafür!

zu 2.2 5. Erörtern Sie, inwiefern die folgenden (Oberflächen-)Sätze strukturell ambig sind: * Oliver hat die Frau mit dem Hut verwechselt. * Heinz kennt Gaby nicht, weil sie in Hamburg wohnt. * Niemand kennt bessere Schachspieler als Jan. * Erwin wollte einkaufen, bevor die Geschäfte zumachten. Paraphrasieren Sie jeweils die beiden Lesarten und versuchen Sie – soweit dies möglich ist – unterschiedliche Klammerungen zu finden. 6. Geben Sie die jeweils einzig möglichen Klammerungen für (14) und (15) an.

zu 2.3 7. Geben Sie für jeden der folgenden drei Sätze an, auf welche Arten er (strukturell) ambig ist, und paraphrasieren Sie die jeweiligen Lesarten: * Was die Piratenpartei fordert, finden Sie bei uns im Internet. [aus der ARD-Tagesschau, 12.5.2013] * Fritz isst, was ihm bekommt. * Der Polizist schreibt auf, wen er für verdächtig hält. 8. Paraphrasieren Sie (29) im Stil von (31). 9. Zeigen Sie anhand eines Zähltests, dass die verschiedenen Bezugsmöglichkeiten von ,japanisches Auto‘ keinen Grund für die Annahme darstellen, dass der Ausdruck ambig ist. 10. Zeigen Sie, dass die Verwendung von ,niemand‘ an Objektstelle des opaken Verbs ,suchen‘ eine Zerlegung in ,nicht‘ + ,ein‘ + ,Mensch‘ erforderlich macht. 11. Beschreiben Sie ein Szenario, auf ddas eine Lesart des folgenden (Oberflächen-) Satzes zutrifft, die andere aber nicht. * Heinz hat die Hose schon wieder ausgezogen. 12. Neben ,wieder‘ kann sich auch ,beinahe‘ auf die beiden Bedeutungsanteile eines kausativen Verbs beziehen. Erläutern Sie dies anhand des folgenden Beispiels: * Der Arzt hat die Patientin beinahe umgebracht.

zu 2.4 13. Verben, die (wie ,wissen‘) bei positiven Sätzen den Schluss auf die Wahrheit ihres Komplements zulassen, aber (anders als ,wissen‘) nicht bei negativen, nennt man implikativ. Finden Sie ein Beispiel!

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3. Extensionen Um zu einem genaueren Bild zu gelangen, wie sich Wortbedeutungen allmählich anhand der syntaktischen Struktur zu Satzbedeutungen kombinieren, müssen wir uns darüber Gedanken machen, was Wort- und Satzbedeutungen eigentlich sind. Dabei werden wir der Tradition der logischen Semantik folgen, die ursprünglich (Ende des 19. Jahrhunderts) für die Formelsprache der Mathematik entwickelt wurde, sich aber in der Folgezeit als flexibel genug für die linguistische Semantik erwiesen hat.

3.1 Funktionen contra Vorstellungen Psychologistischer Bedeutungsbegriff

Wenn jemand ein neues Wort lernt, lernt er dabei die Wortform(en) mit einer Bedeutung zu verbinden. Die vorher sinnlose Lautverbindung ,schmöll‘ füllt sich fortan für diesen Sprecher mit Leben, und so denkt er jetzt, sobald er das Wort hört, an Leute, die ihren Durst gestillt haben. Von daher liegt es nahe, die Frage, was sprachliche Bedeutungen im Allgemeinen sind, wie folgt zu beantworten: Die Bedeutung eines Ausdrucks ist die Vorstellung, die ein Sprecher mit diesem Ausdruck assoziiert. Gegen einen solchen psychologistischen Bedeutungsbegriff sprechen allerdings einige gewichtige Gründe. Denn die mit sprachlichen Ausdrücken assoziierten Vorstellungen sind … *

*

*

*

Funktionsorientierter Bedeutungsbegriff

subjektiv: Verschiedene Sprecher assoziieren mit einzelnen Ausdrücken zu verschiedenen Gelegenheiten verschiedene Dinge, ohne dass sich die Bedeutung dieser Ausdrücke dadurch ändert. Beim Wort Urlaub denkt man vielleicht an das Ziel des nächsten Jahresurlaubs oder das des letzten. Aber der kann ja schlecht Teil der Bedeutung eines deutschen Wortes sein. eingeschränkt: Bei Konkreta wie ,Tisch‘ oder ,Pferd‘ könnte man sich assoziierte „mentale Bilder“ als Bedeutungen vorstellen, aber was assoziiert man mit Wörtern wie ,und‘, ,meistens‘, ,nur‘, …? irrelevant: Sprecher können aufgrund persönlicher Erlebnisse alles Mögliche beim Nennen eines Wortes assoziieren, ohne dass dies Einfluss auf seine Bedeutung hätte: viele von uns denken beim Wort ,Föhn‘ an den Stromschlag in der Badewanne, aber das hat nichts mit seiner Bedeutung zu tun, sondern betrifft den bezeichneten Gegenstand. privat: Die Vorstellungen und Assoziationen des Einzelnen sind anderen Sprechern prinzipiell unzugänglich, wie können sie da zur Kommunikation zwischen den Sprechern dienen?

Angesichts dieser Einwände gegen die psychologistische Gleichsetzung von Bedeutungen mit Vorstellungen empfiehlt es sich, nach einer geeigneteren Alternative Ausschau zu halten. Wenn eine Sprecherin ein neues Wort wie ,schmöll‘ lernt, weckt diese Lautfolge nicht nur neue Assoziationen in ihr. Sie hat damit – und das ist entscheidend für das Erlernen der Bedeutung – die Fähigkeit erworben, dieses Wort in der sprachlichen Kommunikation

3.1 Funktionen contra Vorstellungen

einzusetzen: ein ihr angebotenes Glas Orangensaft kann sie jetzt z. B. ablehnen, indem sie sich selbst als ,schmöll‘ bezeichnet – immer vorausgesetzt, dass sich dieses Wort auch unter ihren Gesprächspartnern durchgesetzt hat. Der Ausgangspunkt der logischen Semantik besteht nun darin, sprachliche Bedeutung anhand der kommunikativen Funktionen sprachlicher Ausdrücke zu bestimmen. Dabei stehen zwei Aspekte der Kommunikation im Vordergrund: *

*

der Sachbezug: Sprache wird verwendet, um über Dinge, Personen, Ereignisse etc. zu sprechen; der Informationsgehalt: Sprache wird verwendet, um Informationen auszutauschen.

Wenn also die Sprecherin den Satz ,Danke schön, ich bin schon schmöll!‘ äußert, bezieht sie sich unter anderem auf sich selbst. Insofern stellt sie mit ihrer Äußerung einen Sachbezug her (im weitesten Sinn, der auch Personen umfasst). Die Herstellung dieses Sachbezugs verdankt sich der Bedeutung des Personalpronomens ,ich‘ und ist insofern ein Aspekt dieser Wortbedeutung. Zugleich gibt die Sprecherin mit ihrer Äußerung ihrem Gesprächspartner zu verstehen, dass sie kein Bedürfnis nach flüssiger Nahrung hat. Diese Information liegt in der Bedeutung des von ihr geäußerten Satzes und ist insofern ein Aspekt dieser Satzbedeutung. Sachbezug und Information sind natürlich nicht die einzigen Funktionen der Kommunikation, und sie sind auch nicht voneinander unabhängig. Aber sie basieren zweifellos darauf, dass sprachliche Ausdrücke nicht nur sinnlose Laut- oder Buchstabenfolgen sind, sondern dass sie Bedeutungen haben. Was auch immer Bedeutungen sind, sie müssen so geartet sein, dass sie diese beiden Funktionen der Kommunikation ermöglichen. Der Bedeutungsbegriff der logischen Semantik verbindet die beiden obigen Aspekte der kommunikativen Funktion sprachlicher Ausdrücke. Leicht vereinfacht kann man sagen, dass sprachliche Bedeutung danach aus zwei Komponenten besteht, von denen die erste – die Extension – den Sachbezug herstellt, während die zweite – die Intension – den Informationsgehalt bestimmt. Dass sich im obigen Beispiel die Sprecherin auf sich selbst bezieht, liegt danach an der Extension des Wortes ,ich‘; dass sie ihren Gesprächspartner über ihre momentanen Bedürfnisse informiert, verdankt sich der Intension des von ihr geäußerten Satzes. In den folgenden beiden Kapiteln wird es darum gehen, was Extensionen und Intensionen im Allgemeinen sind und wie sie sich im Einzelfall systematisch ergeben. Dabei konzentrieren wir uns in diesem Kapitel auf die erste Komponente sprachlicher Bedeutung, die Extension; auf Intensionen kommen wir dann in Kapitel 4 zu sprechen. Viele sprachliche Ausdrücke beziehen sich eindeutig auf Gegenstände oder Personen, für andere lässt sich mit ein bisschen Wohlwollen ein Sachbezug finden, bei wieder anderen scheint es, als bezögen sie sich auf gar nichts. Zu letzteren gehören beispielsweise Konjunktionen (,und‘, ,oder‘, ,dass‘,…), Artikelwörter (,der‘, ,ein‘, …) oder Indefinitpronomina (,nichts‘, ,irgendjemand‘,…). Dennoch ist es relativ leicht zu sehen, dass auch diese Ausdrücke zumindest potenziell dazu beitragen, dass man sich auf etwas bezieht. Ihr spezifischer Anteil am sprachlichen Sachbezug wird durch ihre Extension beschrieben. Etwas vereinfacht kann man sagen, dass die Extension eines Ausdrucks das ist, was er zum Sachbezug beitragen kann. Diese Cha-

Extension und Intension

Extensionen

45

46

3. Extensionen

rakterisierung der Extension mag reichlich nebulös klingen; doch wir werden im Verlauf des Kapitels sehen, wie sie sich mit Fleisch füllen lässt. Dafür werden wir uns von den einfachsten und klarsten Fällen sprachlichen Sachbezugs – den sog. referenziellen Ausdrücken – langsam bis zu den eben genannten, nahezu hoffnungslos erscheinenden Beispielen – Konjunktionen, Artikeln, Indefinitpronomina – durchbeißen, um für all diese Ausdrücke ihren spezifischen Anteil am Sachbezug zu bestimmen – also ihre jeweilige Extension. Quellen

Der an der Funktion sprachlicher Ausdrücke orientierte Bedeutungsbegriff geht letztlich zurück auf den bereits erwähnten Aufsatz Über Sinn und Bedeutung (1892a) von Gottlob Frege [1848–1925], einem vor allem im angelsächsischen Raum immens einflussreichen Philosophen, der auch als Begründer der mathematischen Logik gilt. Vor der Lektüre von Freges Original-Schriften sei allerdings gewarnt: seine Terminologie ist nur schwer nachvollziehbar und hat sich daher – mit einer Ausnahme, auf die wir noch kommen werden – nicht durchsetzen können; das Gleiche gilt übrigens auch für seine zweidimensionale formal-logische Notation. Klassische anti-psychologistische Argumente findet man außer bei Frege auch in den Philosophischen Untersuchungen (1953) von Ludwig Wittgenstein [1889–1951], der dort den Fregeschen Bedeutungsbegriff kritisiert!

3.2 Referenzielle Ausdrücke Eigennamen

Kennzeichnungen

Eigennamen vs. Kennzeichnungen

Eigennamen beziehen sich jeweils auf eine Person, eine Sache oder einen Ort. Der (disambiguierte) Name ,Frankfurt‘ bezieht sich z. B. auf eine Stadt; ,Frankreich‘ ist der Name eines Landes; ,Richard Nixon‘ ist der Name eines ehemaligen amerikanischen Präsideten und ,Checkers‘ der seines Hundes. Eigennamen sind, wie man in der Semantik sagt, referenzielle Ausdrücke par excellence; denn ihre semantische Funktion erschöpft sich weitestgehend in ihrem Sachbezug. (Der Terminus referenziell geht übrigens zurück auf das englische Wort für Sachbezug, reference.) Da die Extension eines Ausdrucks angeben soll, inwiefern dieser einen Sachbezug herstellt, liegt es nahe, die Extension eines Eigenamens mit seinem Träger gleichzusetzen; denn der Träger eines Namens ist sein Sachbezug. Im Folgenden gehen wir daher davon aus, dass der Träger eines Eigennamens zugleich denjenigen Bedeutungsanteil bildet, der den Sachbezug betrifft – also seine Extension. Ähnlich wie bei Eigennamen liegt bei Bezeichnungen wie ,das Nachbarhaus‘ der Sachbezug quasi auf der Hand. In der Semantik bezeichnet man solche Ausdrücke als Kennzeichnungen. Kennzeichnungen haben (im Nominativ) die Gestalt ,der/die/das N‘, wobei N ein Substantiv ist, das auch durch Adjektive, Relativsätze, Genitivattribute etc. erweitert sein darf: ,das Gebäude, in dem Sissi starb‘; ,der Präsident der Vereinigten Staaten‘; ,die fünftgrößte Stadt Frankreichs‘ etc. Auch bei diesen Ausdrücken ist klar, worauf sie sich beziehen: auf ein Gebäude (Hotel Beau-Rivage, Genf); eine Person (Barack Obama) bzw. einen Ort (Nizza). Und so liegt es auch bei den Kennzeichnungen nahe, ihre Extension mit ihrem Sachbezug zu identifizieren – was wir im Folgenden tun werden. Trotz aller Gemeinsamkeiten gibt es eine Reihe von semantisch relevanten Unterschieden zwischen Eigennamen und Kennzeichnungen, die folgende Aspekte betreffen:

3.2 Referenzielle Ausdrücke

1. Komplexität: Eigennamen sind (in der Regel) monomorphemisch – also weder morphologisch noch syntaktisch zusammengesetzt; Kennzeichnungen sind dagegen syntaktisch komplexe Nominalgruppen. 2. Konventionalität: Bei Eigennamen ergibt sich der Sachbezug allein aufgrund sprachlicher Konventionen; bei Kennzeichnungen spielen in aller Regel auch außersprachliche Gegebenheiten eine Rolle. 3. Deskriptivität: Kennzeichnungen stellen einen Sachbezug über die Erfüllung inhaltlicher Kriterien her; Eigennamen benennen dagegen ihre Träger direkt. 4. Veränderbarkeit: Der Sachbezug einer Kennzeichnung kann sich im Laufe der Zeit ändern, ohne dass sich die Sprache ändert; Eigennamen behalten dagegen ihren Sachbezug bei, solange sie überhaupt verwendet werden. 5. Referenzlücken: Eigennamen weisen (praktisch) immer einen Sachbezug auf; Kennzeichnungen können auch leer sein. Der unter 1. genannte Aspekt betrifft den trivialen Umstand, dass sich Eigennamen in der Regel nicht weiter zerlegen lassen. Aus semantischer Sicht bedeutet dies zunächst, dass die Kompositionalität für Eigennamen keine Rolle spielt; insbesondere hilft sie nicht bei der Bestimmung ihrer Extensionen. Kennzeichnungen bestehen dagegen definitionsgemäß immer aus mindestens zwei miteinander syntaktisch verknüpften Wörtern. Ihre Bedeutung sollte sich dementsprechend aus den Bedeutungen ihrer Bestandteile ergeben; wie dies geschieht, werden wir im Verlaufe dieses und des nächsten Kapitels noch sehen. Wie bei anderen Wörtern muss die Bedeutung eines Namens einzeln erlernt werden. Wenn Sprecher A einen Eigennamen von Sprecherin B aufschnappt, kann A den von B erlernten Namen weiter verwenden und dabei dessen Sachbezug – also die Extension – übernehmen. Mit dieser Übernahme setzt sich die Verwendungs-Tradition fort und A verfügt nun über ein neues Wort. Wie bei jedem Wort ist die Verbindung zwischen dem Namen und seiner Bedeutung Teil der Sprachkonvention. Insoweit diese Bedeutung weitgehend mit dem Sachbezug zusammenfällt, ist damit die Assoziation zwischen einem Eigennamen und seiner Extension Sache der Sprachkonventionen, die bei einem Eigennamen per Taufakt o. Ä. festgelegt werden. Dieser banale Sachverhalt ist überhaupt nur erwähnenswert, weil er einen fundamentalen Unterschied zwischen Eigennamen und Kennzeichnungen illustriert. Denn bei einer Kennzeichnung ergibt sich der Sachbezug nicht allein aufgrund der sprachlichen Konventionen. So bezieht sich die Kennzeichnung ,die viertgrößte Stadt Italiens‘ auf Turin. Dies liegt natürlich auch daran, dass die fünf Wörter, aus denen sie besteht, eine bestimmte, konventionell verankerte Bedeutung haben. Wenn z. B. ,Stadt‘ eine andere Bedeutung besäße (etwa die von ,Hochschule‘), bezöge sich die Kennzeichnung auf etwas anderes (nämlich auf die Università degli Studi di Milano – also die Universität Mailand). Doch diese Konventionen allein legen nicht den Sachbezug fest. Vielmehr hängt dieser ebenso von außersprachlichen Fakten ab: dass sich die genannte Kennzeichnung auf Turin und nicht auf Mailand bezieht, liegt vor allem daran, dass in Mailand mehr Leute wohnen als in Turin; und das ist natürlich keine Frage der sprachlichen Konventionen des Deutschen. Bei dem (deutschen) Namen derselben Stadt ist das anders: die Tatsache, dass sich ,Turin‘ auf diese Stadt bezieht, ist einzig und allein dem Um-

Komplexität

Konventionalität

47

48

3. Extensionen

Deskriptivität

Veränderbarkeit

Referenzlücken

stand geschuldet, dass sich dieser Name als Bezeichnung für eine gewisse oberitalienische Stadt eingebürgert hat – und das ist eine Frage der deutschen Sprachkonventionen. Das Beispiel illustriert auch den Unterschied Nr. 3 der obigen Liste. Denn die Kennzeichnung ,die viertgrößte Stadt Italiens‘ bezieht sich nicht einfach nur auf irgendeinen Ort. Vielmehr wird dieser Ort anhand seiner relativen Größe zu anderen Orten charakterisiert – ja, der Bezug wird überhaupt erst anhand dieser Charakterisierung hergestellt. Im Allgemeinen bezieht sich eine Kennzeichnung auf ein Objekt aufgrund irgendwelcher Eigenschaften, die dieses Objekt hat und die es hinreichend eindeutig charakterisieren; der Bezug wird hergestellt, weil das Objekt, die Extension der Kennzeichnung, ein von der Kennzeichnung zum Ausdruck gebrachtes Kriterium erfüllt. Ein Eigenname bezieht sich dagegen auf seinen Namensträger, ohne irgendwelche Informationen zu liefern, die es von anderen Objekten soweit abheben, dass es eindeutig charakterisiert würde. In diesem Sinne beschreibt die Kennzeichnung ihre Extension, während der Eigenname sie bloß benennt. Im Gegensatz zu Eigennamen besitzen also Kennzeichnungen ein deskriptives (= beschreibendes) Element. Wenn einmal eine Person auf einen Namen getauft ist, wird er sich auf diese Person beziehen, solange er in Umlauf bleibt, also Teil der Sprache ist. Bei Kennzeichnungen ist das anders; und das ist eine Folge ihrer Deskriptivität. Wie wir bereits (an einem anderen Beispiel) gesehen haben, hängt es zwar zum Teil auch von sprachlichen Konventionen ab, wer die Extension von ,der Präsident der Vereinigten Staaten‘ ist – was ,Präsident‘ genau bedeutet usw. – aber eben nur zum Teil; zum anderen Teil entscheiden dies die amerikanischen Wählerinnen und Wähler. Und nach den nächsten USWahlen wird sich auch die Extension der Kennzeichnung ändern, denn die Wahlen schaffen neue Fakten. Im Allgemeinen lässt sich sagen, dass die Extension einer Kennzeichnung tatsachenabhängig ist; und die Tatsachen können sich im Laufe der Zeit ändern. Das ist der vierte Unterschied zwischen Kennzeichnungen und Eigennamen. Wie wir noch sehen werden, bilden Eigennamen in dieser Hinsicht eine Ausnahme; denn die meisten sprachlichen Ausdrücke haben Extensionen, die tatsachenabhängig und somit veränderlich sind. Daran wird deutlich, dass die Extensionen allein keine Bedeutungen sind; denn offenkundig kann sich die Extension einer Kennzeichnung ändern, ohne dass sich ihre Bedeutung ändert. Die Extension einer Kennzeichnung ermittelt sich über bestimmte inhaltliche Kriterien, die sich aus ihrer Bedeutung ergeben. Aus diesem deskriptiven Element ergibt sich, dass Kennzeichnungen im Gegensatz zu Eigennamen gelegentlich der Sachbezug fehlt. Denn manchmal gibt es nichts, das den von einer Kennzeichnung auferlegten Kriterien genügt. Man spricht in diesen Fällen von leeren Kennzeichnungen oder allgemeiner von Ausdrücken mit Referenzlücken. Das in der Semantik beliebteste Beispiel für eine Kennzeichnung ohne Extension ist ,der [gegenwärtige] König von Frankreich‘. Durch die französische Revolution ist diese Kennzeichnung extensionslos geworden – jedenfalls wenn Sachbezug und Extension bei Kennzeichnungen zusammenfallen. Bei einem Eigennamen dagegen kann so etwas eigentlich nicht passieren; ihre Extension wird ja im Verlauf ihres Gebrauchs tradiert. Eine Ausnahme bilden allerdings Namen, bei denen irrtümlicherweise das Vorhandensein eines Trägers angenommen wurde – so geschehen im

3.3 Multiple Referenz

Fall des Namens ,Vulcan‘, mit dem im 19. Jahrhundert einige Astronomen einen angeblichen Planeten bezeichnen wollten, um damit Unregelmäßigkeiten der Umlaufbahn des Merkur zu erklären. Einen solchen Planeten gibt es nicht, die Unregelmäßigkeiten haben eine andere (kompliziertere) Erklärung. Der Name ,Vulcan‘ ist damit extensionslos, weil bei der Festlegung der entsprechenden sprachlichen Konventionen etwas schiefgelaufen ist; bei leeren Kennzeichnungen dagegen funktionieren diese Konventionen immer noch, nur die Fakten spielen nicht mit. Nur scheinbar leere Eigennamen sind dagegen Namen von fiktiven Gegenständen wie Romanfiguren. Natürlich hat es in Wirklichkeit nie einen Detektiv gegeben, der unter der Londoner Adresse Baker Street 221B gewohnt hat. Doch der Name ,Sherlock Holmes‘ wird nicht als Name eines Detektivs verwendet, sondern benennt eine Romanfigur, also einen wie auch immer gearteten (abstrakten, erdachten, unterdeterminierten) Gegenstand. Innerhalb der Geschichten wird der Name freilich von den dort lebenden (ebenfalls fiktiven) Personen als ganz normaler Personenname verwendet. Trotz all der oben beobachteten Unterschiede haben Eigennamen und Kennzeichnungen etwas gemeinsam, das sie von nahezu allen anderen Ausdrücken der Sprache unterscheidet: sie leisten einen direkten Beitrag zum sprachlichen Sachbezug, indem sie sich selbst (in der Regel) jeweils auf einen Gegenstand oder eine Person beziehen: den Namensträger bzw. das gekennzeichnete Individuum – oder im Allgemeinen: ihren Referenten. Das Charakteristikum referenzieller Ausdrücke ist somit die Tatsache, dass sie einen Referenten haben; und dieser Referent ist auch ihre Extension, also ihr Anteil am Sachbezug. Eigennamen und Kennzeichnungen spielen in der Semantik von jeher eine zentrale Rolle. Der König von Frankreich erlebte seinen ersten semantischen Auftritt in Russells (1905) Kritik an Frege (1892a). Weitere Klassiker zu diesem Thema sind die Aufsätze von Strawson (1950), Quine (1961) und Kripke (1972). Über fiktionale Namen kann man sich ausführlich bei Parsons (1980) informieren.

3.3 Multiple Referenz 3.3.1 Substantive und Mengen Nicht immer ist der Zusammenhang zwischen Sprache und Sachbezug so direkt und offenkundig wie bei referenziellen Ausdrücken. Angesichts einer Kennzeichnung wie ,der Tisch, an dem ich sitze‘ könnte man zwar zunächst auf die Idee kommen, dass sich das in ihr enthaltene Substantiv ,Tisch‘ auf ein Möbelstück bezieht – nämlich die (wechselnde) Extension der Kennzeichnung selbst. Doch das kann schlecht sein; denn das Substantiv ,Tisch‘ findet ja nicht nur innerhalb von Kennzeichnungen Verwendung, sondern ebenso in sog. Quantorenphrasen, wie die folgenden Beispiele illustrieren: (1) Unter jedem Tisch liegt ein Betrunkener. (2) Auf keinem Tisch liegt eine Zeitung. (3) In den meisten Räumen steht mehr als ein Tisch. Offensichtlich bezieht sich das Substantiv ,Tisch‘ in keinem dieser Sätze auf einen bestimmten Gegenstand. Dennoch ist bei allen drei Verwendungen

fiktionale Namen

Referenzialität

Quellen

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50

3. Extensionen

Mengentheoretische Grundbegriffe

ein gewisser Sachbezug erkennbar. Denn jedes Mal geht es um irgendwelche Tische, z. B. in einem Lokal, einem Zug, einer Bibliothek – je nach Verwendungskontext. Und in jedem dieser Fälle ist in gewisser Weise von all diesen Tischen die Rede. Bei (1) ist das ganz explizit. Etwas weniger offensichtlich ist das vielleicht in (2) – aber der Satz besagt ja, dass alle Tische leer sind. Bei (3) schließlich mag es zwar auf den ersten Blick so aussehen, als wäre nur von einem Teil der Tische die Rede – aber der Satz lässt ja offen, von welchen Tischen jeweils (pro Raum) die Rede ist, und bezieht sich insofern unbestimmt (oder „diffus“) auf alle Tische, die in einem der besagten Räume stehen. Das Substantiv ,Tisch‘ selbst stellt also im Allgemeinen – und anders als Kennzeichnungen, die es enthalten (,der Tisch neben dem Fenster‘) – mehr als einen Sachbezug her. Man spricht daher auch von multipler Referenz (also „mehrfachem Sachbezug“). Hat damit ein Substantiv wie ,Tisch‘ dementsprechend auch eine „multiple Extension“, also eine Extension pro Tisch? Nein, und zwar aus zwei Gründen. Zunächst ist die Extension im Allgemeinen nicht das, worauf sich ein Ausdruck bezieht, sondern das, was er zum Sachbezug beisteuert, also sein Anteil am Sachbezug. Im Fall referenzieller Ausdrücke fällt zwar beides zusammen – so nehmen wir jedenfalls an. Doch wäre es irreführend zu sagen, dass das Substantiv ,Tisch‘ in Sätzen wie (1), (2) oder (3) jeweils mehr als einmal zum Sachbezug beiträgt; sein einziger Beitrag besteht vielmehr darin, sich auf alle Tische zu beziehen. Schwerwiegender sind allerdings theoretische Gründe, die gegen multiple Extensionen sprechen; diese Gründe werden weiter unten (ab 3.4) klar werden. Sie motivieren letztlich die Entscheidung, ein einziges Objekt als Extension des Substantivs ,Tisch‘ anzuerkennen, nämlich die Gesamtheit aller Tische. Der Begriff der Gesamtheit lässt sich dabei durch den mathematischen Begriff der Menge (wie in Mengenlehre) präzisieren. Eine Menge hat man sich als etwas Abstraktes vorzustellen, als ein mathematisches Objekt wie eine Zahl oder eine (ideale) geometrische Figur. Ihre Elemente mögen zwar aus Holz sein, einer internationalen Kaffeehaus-Kette gehören und sich im Erdgeschoss eines großen Gebäudes befinden. Doch eine Menge besteht niemals aus Holz oder irgendeinem anderen Material; sie gehört auch niemandem; und da sie nicht in Raum und Zeit lokalisiert ist, kann man sie weder anfassen noch sehen. Die wichtigste Eigenschaft von Mengen ist ihre Extensionalität: eine Menge wird allein aufgrund dessen bestimmt, was ihre Elemente sind. (Bevor die geneigte Leserin ins Grübeln gerät: dieser Begriff hat nur indirekt etwas mit dem Extensionsbegriff der Semantik zu tun!) So unterscheidet sich die Menge aller deutschen Städte S von der Menge aller deutschen Millionenstädte M, weil z. B. Bielefeld ein Element von S ist, aber kein Element von M – symbolisch: * *

Bielefeld 2 S Bielefeld 2 =M

Also können S und M nicht dieselbe Menge sein: S 6¼ M. Andererseits enthält die Menge W aller deutschen Städte mit weniger als 10 Millionen Einwohnern dieselben Elemente wie S; denn es gibt sowieso keine Städte in Deutschland mit 10 Millionen oder mehr Einwohnern; also ist S = W. Um nun eine (einigermaßen kleine) Menge eindeutig zu benennen, kann man alle ihre Elemente auflisten und Nasenklammern um die Liste machen:

3.3 Multiple Referenz *

{Augsburg, Berlin, Cottbus}

… ist z. B. eine Menge mit drei Elementen, wobei jedes der Elemente eine deutsche Stadt ist. Bei der Auflistung kommt es – wegen der Extensionalität – weder auf die Reihenfolge noch auf die Häufigkeit der Listenmitglieder an – noch darauf, wie man sie benennt. Die soeben betrachtete dreielementige Menge ist also dieselbe Menge wie: *

{Cottbus, Augsburg, Berlin, die zweitgrößte Stadt Brandenburgs, Augsburg, die deutsche Hauptstadt}

Die eine Menge definierende Liste kann auch nur aus einem einzigen Element bestehen: *

{Bielefeld}

Man beachte, dass es sich hierbei immer noch um eine Menge handelt – eine sog. Einermenge – und nicht etwa um eine Stadt. Es gilt also: Bielefeld 2 {Bielefeld}, aber Bielefeld 6¼ {Bielefeld}. Die Elemente einer Menge können selbst wieder Mengen sein. Zum Beispiel ist *

{Chemnitz, {Cottbus, Celle, Cochem, Coburg}}

eine Menge mit zwei Elementen, von denen eines eine sächsische Stadt ist und das andere eine Menge deutscher Städte. Wenn wir diese Menge C nennen (warum bloß?), gilt: Chemnitz 2 C; denn Chemnitz ist eines der beiden aufgelisteten Elemente von C. Andererseits ist Cottbus 2 = C; denn Cottbus ist keines dieser beiden Elemente, auch wenn Cottbus Element eines der Elemente von C ist. Man beachte, dass auch C 6¼ {C}; denn C hat zwei Elemente (s. o.), aber {C} ist eine Einermenge. Schließlich gibt es auch den Grenzfall einer Auflistung von 0 (i. W.: null) Elementen einer Menge: { }. Eine solche Menge nennt man leer. Wegen der Extensionalität kann es nur eine leere Menge geben: alle leeren Mengen haben ja haargenau dieselben Elemente (nämlich keine) und sind also miteinander identisch! Diese einzige leere Menge spielt in der Mengenlehre und ihren Anwendungen (also auch in der Semantik) eine wichtige Rolle – so wichtig, dass man für sie ein eigenes Symbol hat, nämlich: *

Ø

Man beachte, dass stets gilt: *

x2 =Ø

… und zwar egal, was x ist: Ø besitzt ja per definitionem keine Elemente. Insbesondere gilt also auch: *

Ø2 =Ø

Andererseits ist natürlich: *

Ø 2 {Ø}

… denn {Ø} besteht aus der einzigen, innerhalb der Nasenklammern aufgelisteten Menge, und das ist die leere Menge, Ø. {Ø} hat also im Gegensatz zu Ø ein (in Ziffern: 1) Element. Was hier wie eine spitzfindige Spielerei anmuten mag, wird sich bald schon als wichtig erweisen. Aber fürs Erste muss so viel Mengenlehre reichen; die leere Menge wird uns allerdings gleich wieder begegnen!

leere Menge

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52

3. Extensionen

3.3.2 Erweiterte Substantive und Teilmengen Modifikatoren

Zuvor machen wir uns aber noch ein wenig mehr mit der multiplen Referenz und ihrer Modellierung durch Mengen vertraut. Nicht nur die Extensionen einfacher, lexikalischer Substantive lassen sich so erfassen. Auch erweiterte Substantive beziehen sich grundsätzlich auf mehrere Objekte; denn auch für sie lassen sich Sätze wie (1)–(3) finden, in denen sie jeweils auf mehr als ein Objekt Bezug nehmen: (4) Fritz interessiert sich für jede blonde Sängerin. (5) Ich habe jedenfalls keine Frau mit Hut gesehen. (6) Eike besitzt mehr als ein Buch, das mir gefällt.

In Analogie zu den Überlegungen zu (1)–(3) sieht man leicht ein, dass sich die in (4)–(6) unterstrichenen erweiterten Substantive jeweils auf die Menge aller blonden Sängerinnen, die Menge der Frauen mit Hut bzw. die Menge der Bücher, die mir gefallen, beziehen. Die Erweiterung geschieht in diesen Fällen durch ein Adjektiv, eine Präpositionalphrase bzw. einen (restriktiven) Relativsatz. Man bezeichnet solche Erweiterungen auch als Modifikatoren des Substantivs. Ihnen ist gemeinsam, dass sie sich grundsätzlich auch bereits erweiterten Substantiven hinzufügen lassen; auf diese Weise lassen sich beliebig lange erweiterte Substantive bilden wie ,blonde, blauäugige Sängerin mit Hut, die mir gefällt‘. Darin unterscheiden sich Modifikatoren grundlegend von Artikeln, die ein Substantiv (erweitert oder nicht) zu einer Nominalgruppe vervollständigen, welche dann etwa an Subjekt- oder Objektstelle im Satz stehen kann; diese Vervollständigung kann man nur einmal vornehmen, wie die Ungrammatikalität von *,der der Mann‘ und *,eine die Frau‘ belegen. Teilmengen Vergleicht man nun die Extensionen eines erweiterten Substantivs vor und nach der Erweiterung – z. B. ,Sängerin‘ vs. ,blonde Sängerin‘ –, drängt sich ein einfacher Zusammenhang auf: die Elemente des letzteren sind stets auch Elemente des ersteren. Denn eine blonde Sängerin ist immer auch eine Sängerin; d. h. eine Person in der Extension des erweiterten Substantivs ,blonde Sängerin‘ ist immer auch Element der Extension von ,Sängerin‘. Analoges lässt sich bei Erweiterungen mit anderen Modifikatoren beobachten. Das Verhältnis zwischen den beiden Extensionen wird in der Mengenlehre – auch das sollte nicht wirklich neu sein – als Teilmengenbeziehung bezeichnet. Genauer gesagt ist eine Menge A Teilmenge einer Menge B, wenn es kein Element von A gibt, das nicht auch Element von B ist – oder, mit anderen Worten: wenn jedes Element von A auch ein Element von B ist. Die gängige symbolische Abkürzung für diesen Sachverhalt ist: A  B [Lies: „A ist eine Teilmenge von B“ oder auch: „B ist eine Obermenge von A“]. Graphisch lässt sich dieses Verhältnis mit einem sog. Venn-Diagramm veranschaulichen, in dem Mengen als begrenzte Flächen dargestellt sind (vgl. Fig. 3.1). Die Buchstaben A und B bezeichnen darin die Mengen, für die die elliptischen FläFig. 3.1: Teilmengenbeziehung im chen stehen; dabei stellt man sich vor, dass Venn-Diagramm

3.3 Multiple Referenz

die Elemente dieser Mengen irgendwo innerhalb der jeweiligen Begrenzungen liegen. Die Objekte, die sowohl Elemente von A als auch von B sind, – und nur diese – befinden sich dementsprechend im Überlappungsbereich. Die Anordnung der anderen Elemente innerhalb der Mengen ist beliebig. Auch die Anzahl der Elemente der einzelnen Mengen kann man am VennDiagramm nicht ablesen; insbesondere geben die Größen der einzelnen Flächen darüber keinerlei Auskunft. Das Diagramm in Fig. 3.2: Teilmengenbeziehung im vereinfachten Fig. 3.1 schließt z. B. auch nicht aus, dass Venn-Diagramm außer dem linken Teil von A noch andere Abteilungen leer sind, solange kein Element von A nicht auch in B liegt. Anstatt die linke Teilfläche mit „Ø“ zu markieren kann man sie übrigens auch weglassen, wie in Fig. 3.2 – das ist vielleicht etwas eingängiger; aber auch hier gilt, dass die anderen Flächen durchaus der leeren Menge entsprechen können. In Fig. 3.1 und 3.2 entspricht die Menge A der des erweiterten Substantivs semantische (,blonde Sängerin‘; ,Frau mit Hut‘; ,Buch, das mir gefällt‘), und B der Exten- Klammern sion des lexikalischen Kopfes (wie man in der Syntax sagt), also der Menge aller Sängerinnen, aller Frauen bzw. aller Bücher. Im Allgemeinen ist also die Extension eines erweiterten Substantivs immer eine Teilmenge der Extension des zu erweiternden Substantivs. Wir werden ab jetzt die Extension eines Ausdrucks mit sog. semantischen Klammern angeben und damit „die Extension von ,blonde Sängerin‘“ abkürzen als: *

[[blonde Sängerin]]

3.3.3 Adjektive und Schnittmengen Die obige Beobachtung über den Zusammenhang zwischen Substantiven mit und ohne Erweiterung durch Modifikatoren lässt sich mit der neuen Notation folgendermaßen formulieren: (7) a. [[ blonde Sängerin ]]  [[ Sängerin ]] b. [[Frau mit Hut]]  [[Frau]] c. [[Buch, das mir gefällt]]  [[Buch]] An (7) sieht man, dass die Erweiterung des Substantivs in der Regel zu einer Einengung der Extension führt. Modifikatoren, die sich im Sinne von (7) verhalten, werden in der Semantik als subsektiv bezeichnet. (Das Wort kommt von engl. subsection, was so viel wie Unterabteilung heißen kann und auf die Teilmengen der jeweiligen Extensionen anspielt.) Bei subsektiver Modifikation gilt also die Devise: je länger das erweiterte Substantiv, desto kleiner seine Extension. Weitaus die meisten Adjektive sind subsektiv. Neben ,blond‘ sind dies z. B. auch ,schwanger‘, ,klein‘ und ,erfolgreich‘. Wie wir allerdings noch sehen werden, liegt das nicht in der Natur der adjektivischen Modifikation: es gibt auch Gegenbeispiele.

Subsektive Adjektive

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3. Extensionen

Doch zunächst sehen wir uns im Detail an, wie sich die Erweiterung eines Substantivs um einen der in (7) angeführten Modifikatoren auf seine Extension auswirkt. Wir stellen uns dazu ein Szenario mit fünf Sängerinnen (Adele, Beate, Christa, Doris, Erika) und ihrem blonden Impresario Ferdinand vor; die Namen kürzen wir im Folgenden durch ihre kleingeschriebenen Anfangsbuchstaben ab. Unter der Annahme, dass außer diesen keine weiteren Fig. 3.3: Blonde Sängerinnen im Venn-Diagramm Personen zur Debatte stehen, wäre die Extension des Substantivs ,Sängerin‘ dementsprechend die Menge {a, b, c, d, e}. Wenn nun die Extension von ,blonde Sängerin‘ aus den drei erstgenannten Damen bestünde, hätten also a, b und c dieselbe Haarfarbe wie ihr Manager, wohingegen d und e beispielsweise brünett und grauhaarig sind. Insgesamt ergäbe sich dann das Bild in Fig. 3.3, wobei die Menge B gerade die Personen mit blondem Haar umfasst. Extensionen Der Deutlichkeit halber haben wir dabei die Elemente der uns interessievon Modifikatoren renden Mengen explizit lokalisiert. Das Diagramm ist aus zwei Gründen aufschlussreich. Zunächst zeigt es, dass dem Adjektiv ,blond‘ ebenso eine Menge von Personen entspricht wie dem Substantiv ,Sängerin‘ (und dem erweiterten Substantiv ,blonde Sängerin‘). Es liegt von daher nahe, die Extension des Adjektivs mit der Menge der blonden Personen zu identifizieren, in unserem Szenario also mit {a, b, c, f}. Mit ganz ähnlichen Überlegungen kann man sich nun anhand exemplarischer Szenarien klar machen, dass auch den anderen beiden o. g. Modifikatoren-Typen – Präpositionalphrasen und restriktiven Relativsätzen – Mengen entsprechen. So können wir davon ausgehen, dass die Extension der Präpositionalphrase ,mit Hut‘ die Menge der Personen ist, die einen Hut aufhaben; und die des Relativsatzes ,das ich mag‘ ist die Menge der Gegenstände, die mir gefallen. Multiple Referenz, so zeigt diese Überlegung, ist also keineswegs ein Alleinstellungsmerkmal von (erweiterten) Substantiven. Schnitt An Fig. 3.3 erkennt man auch, dass die Extension des erweiterten Substantivs gerade den Überlappungsbereich der Extensionen des Adjektivs und des lexikalischen Substantivs bildet: a, b und c sind in der Extension von ,blonde Sängerin‘, weil sie sowohl in der Menge der blonden Personen als auch in der Extension von ,Sängerin‘ sind. Dieser Überlappungsbereich wird in der Mengenlehre als Schnitt der beiden Extensionen bezeichnet; auch das sollte der Leserschaft geläufig sein, ist doch in den Medien bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit von Schnittmengen die Rede. Für den Schnitt zweier Mengen A und B, dessen Elemente gerade die A und B gemeinsamen Elemente sind, wird in der Mengenlehre ein eigenes Symbol verwendet: A \ B – gelesen als ,A geschnitten mit B‘. Operationen vs. Beziehungen

Zu beachten ist, dass der Schnitt eine mengentheoretische Operation (oder Kombination) ist, d. h.: mit Hilfe des Schnitts wird aus zwei Mengen A und B eine dritte Menge: *

A\B

3.3 Multiple Referenz

Im Gegensatz dazu ist die Teilmenge eine Beziehung, die zwischen zwei Mengen A und B entweder besteht oder nicht: *

AB

,A \ B‘ steht also für eine Menge, von der man z. B. sagen kann, dass sie ein bestimmtes Element enthält oder selbst Element einer anderen Menge ist etc. pp. ,A  B‘ ist dagegen eine Aussage, die entweder stimmt oder nicht. Das ist so wie mit der Addition und der Kleiner-Beziehung in der Arithmetik: ,x + y‘ steht für eine Zahl; ,x < y‘ ist dagegen eine Aussage. Um Missverständnissen und Verwirrungen vorzubeugen, sollte man sich diesen Unterschied an dieser Stelle unbedingt klar machen. Mit dieser Notation können wir jetzt den Zusammenhang zwischen den genannten Extensionen in die folgende griffige Formel bringen:

intersektive Adjektive

(8) [[blonde Sängerin]] = [[blond]] \ [[Sängerin]] Der Gleichung (8) liegt offenbar eine allgemeine Regularität zugrunde: (9) Kompositionsregel Wenn A ein intersektives Adjektiv ist und N ein (möglicherweise erweitertes) sortales Substantiv, dann gilt: * [[A + N]] = [[A]] \ [[N]] (9) ist in dem Sinne eine Kompositionsregel, als sich nach ihr die Extension gewisser komplexer Ausdrücke (A + N) mit Hilfe der Extensionen ihrer unmittelbaren Teile bestimmen lässt; das ist ja das Charakteristikum der Bedeutungskomposition. Allerdings handelt es sich bei den kombinierten Extensionen gar nicht um die Bedeutungen der Ausdrücke selbst, sondern lediglich um Aspekte oder Anteile dieser Bedeutungen. Damit befindet sich diese Kompositionsregel im Einklang mit einer verschärften Version des Allgemeinen Kompositionalitätsprinzips: (10) Extensionales Kompositionalitätsprinzip Die Extension eines zusammengesetzten Ausdrucks ergibt sich durch Kombination der Extensionen seiner unmittelbaren Teile. In (9) wird verlangt, dass das zu erweiternde Substantiv sortal ist, was heißt, dass seine Extension überhaupt eine Menge ist; die Bezeichnung rührt daher, dass es dazu dient, Dinge und Personen in verschiedene Sorten einzuteilen. (Andere Termini sind „Gemeinname“ oder „Zählnomen“.) Nicht alle Substantive sind sortal. Die wichtigsten Ausnahmen sind sog. Massennomina wie ,Milch‘ und relationale Substantive wie ,Gegenteil‘, ,Oberfläche‘ oder ,Freund‘. Die Mehrheit der Substantive ist jedoch – wie unser Beispiel ,Sängerin‘ – sortal und hat eine Menge als Extension. Sortale Substantive (oder einfach: Sortale) unterscheiden sich von Massennomina u. a. darin, dass sie im Plural mit Zahlwörtern auftreten können: ,fünf Sängerinnen‘, aber nicht *,fünf Milche‘. Massennomina dagegen bezeichnen Substanzen, die man nicht zählt, sondern (ab)misst; sie treten daher typischerweise – und im Gegensatz zu Sortalen – mit Maßangaben auf: ,ein Fass Milch‘, aber *,ein Fass Tisch‘. Sortale unterscheiden sich auch von relationalen Substantiven, weil sie keiner (genitivischen oder präpositionalen) Ergänzung bedürfen: ein Tisch ist einfach ein Tisch, aber das Gegenteil ist immer das Gegenteil von etwas. Nun sind die Übergänge zwischen diesen drei Unterarten der Sub-

sortale Substantive

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3. Extensionen

nicht-subsektive Adjektive

stantive in dem Sinne fließend, als die meisten Massennomina und relationalen Substantive auch sortale Lesarten besitzen und umgekehrt sortale Nomina hin und wieder wie Massennomina verwendet werden. Wir werden auf diese Phänomene im fünften Kapitel zurückkommen, uns bis dahin aber auf einen Typ von Substantiven beschränken, nämlich die sortalen. Das Adjektiv in (9) muss definitionsgemäß intersektiv sein, d. h. seine Extension muss eine Menge von Individuen sein. Intersektive Adjektive sind – anders als z. B. ,angeblich‘ – immer zugleich subsektiv, was man nicht von jedem Adjektiv behaupten kann. So kann man z. B. nicht von (12)a auf (12)b schließen: (12) a. Kachelmann ist ein angeblicher Vergewaltiger. b. Kachelmann ist ein Vergewaltiger. Auch wenn die Sätze unter (12) beide wahr sein können, ist mit (12)a bekanntlich nicht automatisch die Wahrheit von (12)b gegeben. Möglicherweise besteht hier ein Zusammenhang zu der Tatsache, dass sich das Adjektiv ,angeblich‘ durch das gleichlautende Satzadverb paraphrasieren lässt; so besagt (12)a so viel wie (13): (13) Angeblich ist Kachelmann ein Vergewaltiger. 3.3.4 Relativsätze und Erfüllungsmengen

Intersektivität von Relativsätzen

Im Gegensatz zu Adjektiven sind (restriktive) Relativsätze durchgängig intersektive Modifikatoren. Das heißt insbesondere, dass ihre Extensionen Mengen sind. Um zu sehen, um welche Mengen es sich dabei im Einzelnen handelt, machen wir uns an einem x-beliebigen Beispiel klar, dass sich intersektive Adjektive durch Relativsätze paraphrasieren lassen: (14) a. Fritz kennt eine blonde Sängerin. b. Fritz kennt eine Sängerin, die blond ist. (14) legt nahe, dass die Extension des Relativsatzes ,die blond ist‘ dieselbe ist wie die des Adjektivs ,blond‘ – nämlich die Menge der blonden Personen – und dass bei der Erweiterung des Substantivs ,Sängerin‘ durch den Relativsatz mit den Extensionen dasselbe geschieht wie bei der Erweiterung um das Adjektiv – Schnittbildung: (15) = = = =

Relativsatzextensionen

[[Sängerin, die blond ist]] [[Sängerin]] \ [[die blond ist]] [[die blond ist]] \ [[Sängerin]] [[blond]] \ [[Sängerin]] [[blonde Sängerin]]

Beim zweiten Übergang in (15) haben wir übrigens von einem elementaren mengentheoretischen Prinzip Gebrauch gemacht, der Kommutativität („Vertauschbarkeit“) des Schnitts, nach der stets gilt: A \ B = B \ A; das ist so, weil die Objekte, die sowohl in A als auch in B sind, dieselben sind wie die, die sowohl in B als auch in A sind. Der letzte Übergang in (15) basiert dagegen auf dem Spezialfall (8) der Kompositionsregel (9). Nicht jeder Relativsatz entspricht einem Adjektiv; aber jedem Relativsatz entspricht eine Menge, die mit der Extension des Substantivs geschnitten

3.3 Multiple Referenz

wird, um die Extension des um den Relativsatz erweiterten Substantivs zu erhalten. Das kann man sich an den folgenden Beispielen klar machen: (16) a. [[Sängerin, die in Mailand wohnt]] = [[Sängerin]] \ WM b. [[Sängerin, der Fritz gerne zuhört]] = [[Sängerin]] \ FGZ c. [[Sängerin, deren Vater in Rom wohnt]] = [[Sängerin]] \ VWR Die Extension des in (16)a genannten erweiterten Substantivs ist offenbar die Menge der Sängerinnen, die in Mailand wohnen. Diese Menge ergibt sich als Schnitt der Extension von ,Sängerin‘ mit der Menge WM derjenigen, die in Mailand wohnen. Das spricht dafür, sie als Extension des Relativsatzes ,die in Mailand wohnt‘ zu betrachten; denn wie man an (16)a unmittelbar erkennt, entspricht sie dem Beitrag, den der Relativsatz zum Sachbezug des erweiterten Substantivs leistet. Auf ähnliche Weise sieht man, was die Extensionen der anderen Relativsätze in (16) sind: FGZ ist die Menge derjenigen, denen Fritz gerne zuhört; und VWR ist die Menge derjenigen, deren Vater in Rom wohnt. Die in (16) verwendeten Abkürzungen verraten noch nicht, worin die Extension eines Relativsatzes im Allgemeinen besteht. Doch die Bedingungen, unter denen eine Person x in der Extension des jeweiligen Relativsatzes ist, verschaffen Klarheit: (17) a. x 2 [[die in Mailand wohnt]] heißt: x wohnt in Mailand b. x 2 [[der Fritz gerne zuhört]] heißt: Fritz hört x gerne zu c. x 2 [[deren Vater in Rom wohnt]] heißt: x‘ens Vater wohnt in Rom Aus (17) lässt sich ersehen, dass das Relativpronomen für eine beliebige (weibliche) Person x steht, die Element der Extension des Relativsatzes ist, falls dieser auf x zutrifft. So ist nach (17)b Eike in der Extension von ,der Fritz gerne zuhört‘, sofern die folgende Aussage zutrifft: (18) Fritz hört Eike gerne zu. Diese Aussage ergibt sich aus dem Relativsatz, indem das Relativpronomen durch den Namen ,Eike‘ ersetzt (und in die Hauptsatzstellung gebracht) wird; natürlich hätte es auch eine andere Bezeichnung für Eike getan, etwa die Kennzeichnung ,die Gattin von Fritz‘. Allgemeiner bilden also diejenigen x die Extension des Relativsatzes ,der Fritz gerne zuhört‘, für die (19) zutrifft: (19) Fritz hört x gerne zu. Noch allgemeiner lässt sich dann die Extension eines Relativsatzes als Menge derjenigen Individuen x beschreiben, auf die der Satz zutrifft, wenn man das Relativpronomen durch eine Bezeichnung für x ersetzt (und in Hauptsatzstellung bringt). Man beachte, dass (19) selbst natürlich kein richtiger Satz ist, sondern erst zu einem solchen wird, wenn die Variable x geeignet ersetzt wird: (19) ist also ein lückenhafter oder, wie man in der Logik sagt, ein offener Satz. Auch den Zusammenhang zwischen einem offenen Satz und einem Objekt, auf das dieser zutrifft, werden wir mit einem aus der Logik stammenden Terminus beschreiben, indem wir sagen, dass das Individuum x den schematischen Satz (19) erfüllt, wenn sich (19) mithilfe eines (beliebigen) referenziellen Subjekts, welches sich auf x bezieht, zu einem zutreffenden (Aussage-)Satz vervollständigen lässt. Die Menge der x, die den

offene Sätze und Erfüllungsmengen

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3. Extensionen

Relativsatz erfüllen, werden wir als seine Erfüllungsmenge bezeichnen; und diese Erfüllungsmenge ist seine Extension. Quellen

Die Bezeichnung Venn-Diagramm spielt auf Venn (1881) an; Darstellungen von Mengen als Flächen gab es aber schon vorher. Das Adjektiv ,angeblich‘ (bzw. sein englisches Gegenstück ,alleged‘) hat mit Montague (1970) Einzug in die semantische Literatur gehalten. Erfüllungsmengen spielen eine zentrale Rolle in der (algebraischen) Erklärung der Bedeutung von gebundenen Variablen in der Logik und wurden dafür erstmals in Tarski (1936) eingeführt. Der Zusammenhang zwischen ihnen und (restriktiven) Relativsätzen als intersektiven Modifikatoren wird für gewöhnlich Quine (1960) zugeschrieben.

3.4 Von Erfüllungsmengen zu Wahrheitswerten Bislang haben wir zwei Typen von Extensionen kennen gelernt. Zum einen waren dies die Objekte, auf die sich Eigennamen und Kennzeichnungen beziehen; zum anderen waren da die Ausdrücke, die sich jeweils auf mehr als ein Objekt beziehen können und deren Extensionen daher Mengen von Objekten sind: einfache (sortale) Substantive, (intersektive) Adjektive und Relativsätze. Dabei hat sich herausgestellt, dass sich manchmal – genauer: bei intersektiver Modifikation – die Extensionen erweiterter Substantive kompositionell aus denen ihrer (unmittelbaren) Teile ermitteln lassen. Im Folgenden werden wir sehen, dass diese extensionale Kompositionalität kein Einzelfall ist. 3.4.1 Prädikate und ihre Extensionen Prädikate

Mengen eignen sich nicht nur als Extensionen gewisser Substantive und Modifikatoren, sondern kommen ebenso im Bereich der Verben und Prädikate zum Einsatz. Unter einem Prädikat verstehen wir hier (zunächst) einen Ausdruck, dem zum vollständigen Satz nur noch das Subjekt fehlt – also z. B. die Verbform ,arbeitet‘, aber auch so etwas wie ,verspeist gerade eine Sahnetorte‘. Prädikate in diesem Sinn bestehen also nicht nur aus Verb(form)en, sondern können auch Objekte und Adverbien enthalten. Zunächst einmal liegt es nahe, bei prädikativen Adjektiven oder Substantiven deren Extension mit der des gesamten Prädikats zu identifizieren: (20) Der Moderator von Wer wird Millionär ist verheiratet. (21) Der Sänger der Rolling Stones ist ein Profiboxer. In (20) wäre damit die Extension des (unterstrichenen) Prädikats gerade die Menge der verheirateten Personen; in (21) die der Profiboxer: (22) [[ist verheiratet]] = [[verheiratet]] (23) [[ist ein Profiboxer]] = [[Profiboxer]] Ein Motiv für die in (22) und (23) vorgenommenen Identifikationen kann man darin sehen, dass in vielen Sprachen in den entsprechenden Sätzen weder die sog. Kopula ,ist‘ noch der indefinite Artikel verwendet werden (müssen): Substantiv und Adjektiv bilden selbst das Prädikat, womit sich der Verdacht nahelegt, dass sie in diesem Zusammenhang redundant sind. Freilich

3.4 Von Erfüllungsmengen zu Wahrheitswerten

drückt die Verbform einen Zeitbezug aus, den wir hier und im Folgenden jedoch vernachlässigen. Nach (22) und (23) kann also die Extension eines Prädikats eine Menge sein – die Menge derjenigen, auf die zutrifft, was das Prädikat aussagt. Das Prädikat ,ist verheiratet‘ sagt z. B. über eine Person aus, dass sie mit jemandem verheiratet ist; und so besteht seine Extension aus den Personen x, für die es zutrifft, dass x verheiratet ist. Analog dazu muss, damit eine Person x in der Extension des Prädikats ,ist ein Profiboxer‘ ist, die Aussage zutreffen, dass x ein Profiboxer ist. Es geht also in beiden Fällen um die Aussage, die entsteht, wenn das Prädikat um (eine Bezeichnung für) das Subjekt x ergänzt wird. Ähnlich wie beim Relativsatz haben wir es hier also mit einer Erfüllungsmenge zu tun. Der Unterschied ist lediglich, dass beim Prädikat kein Relativpronomen ersetzt, sondern eine Lücke gefüllt werden muss – nämlich die für das Subjekt. Doch das Füllen einer Lücke kann natürlich auch als ein Ersetzungsvorgang verstanden werden, etwa wenn die Lücke durch eine Variable explizit gemacht wird und wir das Prädikat in (22) als ,x ist verheiratet‘ notieren. Jedes Prädikat besitzt offenbar eine Erfüllungsmenge. Dies gilt z. B. für finite Formen intransitiver Verben. So erfüllt Fritz das Prädikat ,schläft‘, wenn der Satz ,Fritz schläft‘ zutrifft, d. h. wenn Fritz schläft. Im Allgemeinen erfüllt ein Individuum x dieses Prädikat, wenn x schläft. Die Erfüllungsmenge des Finitums ,schläft‘ ist somit die Menge der Personen, die schlafen. Und die Erfüllungsmengen der Verben ,hustet‘, ,lacht‘ und ,arbeitet‘ sind die Mengen der Personen, die husten bzw. lachen bzw. arbeiten. Doch auch komplexere Ausdrücke mit transitiven oder ditransitiven Verben besitzen Erfüllungsmengen: Fritz erfüllt das komplexe Prädikat ,grüßt den Bürgermeister‘ (bzw. ,schenkt der Kanzlerin einen Ring‘), wenn Fritz den Bürgermeister grüßt (bzw. wenn Fritz der Kanzlerin einen Ring schenkt). Im Allgemeinen erfüllt ein Individuum x dieses Prädikat, wenn x den Bürgermeister grüßt (bzw. wenn x der Kanzlerin einen Ring schenkt). Die Erfüllungsmenge dieses Prädikats ist also die Menge der Personen, die den Bürgermeister grüßen (bzw. die Menge der Personen, die der Kanzlerin einen Ring schenken). Es liegt nun nahe, auch bei diesen Prädikaten die Extension mit ihrer Erfüllungsmenge zu identifizieren. Auf diese Weise wird sichergestellt, dass alle Prädikate dieselbe Art von Beitrag zum Sachbezug leisten. Wir werden gleich sehen, wie sich diese Entscheidung auf die kompositionelle Deutung auswirkt. Bislang hatten wir Mengen durch Auflistung ihrer Mitglieder definiert. Dieses Benennungsverfahren erweist sich allerdings als wenig praktikabel, wenn die zu definierenden Mengen zu groß oder ihre Elemente nicht vollständig bekannt sind. Der erste Fall liegt z. B. bei unendlichen Mengen vor, aber auch bei der Menge der deutschen Städte. Mit dem zweiten Fall haben wir es bei nahezu allen Extensionen im täglichen Leben zu tun: in der Regel weiß niemand ganz genau, wie viele Elemente die Extensionen von Substantiven wie ,Sandkorn‘ und ,Mörder‘ haben – geschweige denn welche. Dennoch können wir uns auf diese Mengen beziehen, indem wir ein Kriterium angeben, das ein Objekt erfüllen muss, um Element der jeweiligen Menge zu sein: Primzahl, Mörder, Sandkorn etc. In diesen Fällen kann man das Kriterium mit einem einzelnen Substantiv formulieren, doch nicht alle Mengen lassen sich so einfach charakterisieren – man denke etwa an:

Erfüllungsmengen von Prädikaten

Aussonderung

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60

3. Extensionen * *

*

die Menge der lebenden Personen, die vor dem 1.1.1990 geboren wurden; die Menge der Tische, die entweder drei Beine oder eine grüne Tischfläche haben; die Menge der Ärzte, für die gilt: Fritz hofft, dass Hans jemanden kennt, der weiß, dass diese Person (= Arzt) ihm (= Fritz) helfen kann.

Die Kriterien für die Mitgliedschaft in einer Menge können beliebig komplex sein. Das dritte Beispiel zeigt, dass man sie oftmals nur schwer eindeutig ausdrücken kann. Doch hier hilft die Verwendung von Variablen: die obigen Kriterien lassen sich mithilfe offener Sätze formulieren. Und nach einem zentralen Prinzip der Mengenlehre (dem sog. Aussonderungsaxiom) lassen sich aus einer (hier und im Folgenden nicht weiter spezifizierten) Grundmenge stets die Elemente herausfiltern, die einen gegebenen offenen Satz ,…x…‘ erfüllen. Die Abkürzung für die so definierte Menge ist: ,{x | …x…}‘ – gelesen als: ,die Menge der x (aus der Grundmenge), für die gilt: …x…‘. Mit dieser Notation lassen sich die obigen drei Mengen wie folgt hinschreiben: * *

*

{x | x ist eine lebende Person, und x wurde vor dem 1.1.1990 geboren} {x | x ist ein Tisch, und: entweder hat x drei Beine, oder x hat eine grüne Tischfläche} {x | x ist ein Arzt, und Fritz hofft, dass Hans jemanden kennt, der weiß, dass x ihm (Fritz) helfen kann}

Mit der Aussonderungsnotation können wir jetzt auch die Extensionen der weiter oben betrachteten Prädikate definieren: (24) a. b. c. d. e.

[[ist verheiratet]] = {x | x ist verheiratet} [[ist ein Profiboxer]] = {x | x ist ein Profiboxer} [[schläft]] = {x | x schläft} [[grüßt den Bürgermeister]] = {x | x grüßt den Bürgermeister} [[schenkt der Kanzlerin einen Ring]] = {x | x schenkt der Kanzlerin einen Ring}

3.4.2 Valenz und Stelligkeit Valenz/Wertigkeit

Lexikalische Verben werden traditionell nach ihrer Valenz (oder Wertigkeit) klassifiziert, also der Anzahl ihrer notwendigen Ergänzungen – inklusive dem Subjekt. Ein intransitives Verb wie ,schlafen‘ ist also einwertig; ,grüßen‘ ist transitiv und somit zweiwertig; das Verb ,schenken‘, das neben Subjekt und direktem Objekt auch noch ein indirektes (Dativ-)Objekt verlangt, ist dementsprechend dreiwertig. Ob es im Deutschen höhere Wertigkeiten gibt, ist unter SyntaktikerInnen umstritten, weil nicht immer eindeutig zu entscheiden ist, ob eine gegebene Ergänzung des Verbs notwendig ist; wir werden die Frage hier offenlassen. Wir werden allerdings den Begriff der Valenz auch auf komplexe Konstellationen anwenden und in diesem Zusammenhang von mehrwertigen Prädikaten sprechen: so sind die Prädikate in (24) allesamt einwertig, während sowohl das transitive Verb ,grüßt‘ als auch das komplexe Syntagma ,schenkt der Kanzlerin‘ zweiwertige Prädikate sind, weil ihnen beiden noch ein Subjekt und ein direktes Objekt fehlen. In diesem Abschnitt geht es darum, grundsätzlich auch für mehrwertige Prädikate Extensionen zu ermitteln. Dazu werden wir den Begriff der Erfüllungsmenge verallgemeinern.

3.4 Von Erfüllungsmengen zu Wahrheitswerten

Obwohl das Prädikat in (24)d das transitive Verb ,grüßt‘ enthält, ist es selbst kein transitives Verb. Das ist deshalb so, weil wir Prädikate (zunächst) so definiert hatten, dass ihnen nur noch das Subjekt fehlt: dem transitiven Verb fehlt ja neben dem Subjekt auch noch das direkte Objekt; es ist also ein Satz mit zwei Lücken. Wenn wir diese wieder mit Variablen explizit machen, entspricht das Verb ,grüßt‘ einem doppelt offenen Satz, nämlich:

Paare

(25) x grüßt y Dabei haben wir für die beiden Lücken zwei unterschiedliche Variablen gewählt, um nicht zu suggerieren, dass sie durch die gleichen Ausdrücke gefüllt werden müssen, wie das sonst bei mehrfachem Vorkommen derselben Variablen in einem offenen Satz der Fall ist. (Die obige Definition der Menge der dreibeinigen Tische mit grüner Fläche war so ein Fall.) In aller Regel sind ja bei einem transitiven Verb Subjekt und Objekt verschieden besetzt. Nun scheint aber ein doppelt offener Satz wie (25) gar keine Erfüllungsmenge zu besitzen; denn wenn man eine der Lücken schließt, bleibt ja immer noch die andere. Wenn man wie in (25) zwei Lücken schließen muss, um einen vollständigen Satz zu erhalten, hat man es mit einem zweiwertigen Prädikat zu tun. Und zweiwertige Prädikate unterscheiden sich von einwertigen nun dadurch, dass sie nicht von einzelnen Individuen erfüllt werden, sondern von Paaren solcher Individuen. Wir werden also sagen, dass das Paar bestehend aus Fritz und Eike – notiert als: (Fritz; Eike) – den offenen Satz (25) erfüllt, wenn Fritz Eike grüßt. Dementsprechend besteht die Erfüllungsmenge des transitiven Verbs ,grüßen‘ aus lauter Paaren von Individuen, nämlich solchen Paaren (x;y), in denen das Individuum y von dem Individuum x gegrüßt wird. Letzteres heißt natürlich nicht unbedingt, dass auch x von y gegrüßt wird. So wird das Paar (Fritz; Eike) in der Erfüllungsmenge von ,grüßen‘ liegen, aber das Paar (Eike; Fritz) nicht, wenn Eike den Gruß ihres Gatten Fritz nicht erwidert. Man sieht an diesem Beispiel, dass das Paar (Fritz; Eike) von der Menge {Fritz, Eike} unterschieden werden muss; denn letztere ist ja dieselbe wie {Eike, Fritz}. Bei einem ditransitiven Verb wie ,schenken‘ kommt man natürlich mit Paaren als Erfüllern nicht aus. Das Verb ist dreiwertig, d. h. dem Verb entspricht somit ein dreifach offener Satz: (26) x schenkt y z Allerdings sieht man – mangels Kasusmorphologie – (26) nicht an, wer oder was be- bzw. verschenkt wird; diesen Mangel an Eindeutigkeit könnte man durch eigene Indizes an den Variablen beheben (,x1‘, ,xNominativ‘, ,xAGENS‘ etc.), worauf wir aber aus Gründen der Lesbarkeit verzichten. Gemeint ist in (26), dass die y-Lücke (wie schon in (25)) dem direkten Objekt entspricht: ,der x schenkt den y dem z‘. So besehen wird (26) von einem sog. Tripel (Walter; Waldi; Waltraud) erfüllt, wenn Förster Walter seiner Frau Waltraud den Hund Waldi schenkt. Und wie beim Paar kommt es natürlich auch beim Tripel auf die Reihenfolge an: das Tripel (Walter; Waldi; Waltraud) ist nicht das Tripel (Waltraud; Waldi; Walter), und beide sind zu unterscheiden von der Menge {Waltraud, Waldi, Walter} (= {Walter, Waldi, Waltraud}). Die Erfüllungsmenge eines ditransitiven Verbs ist dementsprechend eine Menge von Tripeln von Individuen.

Tripel

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3. Extensionen n-Tupel

Im Allgemeinen enthält also die Erfüllungsmenge eines n-wertigen Prädikats Objekte der Gestalt (x1;…;xn), die den mit dem Prädikat gebildeten offenen Satz in dem Sinne erfüllen, dass er zutrifft, wenn seine Lücken mit Bezeichnungen für x1,…,xn gefüllt werden. In Analogie zu den einwertigen Prädikaten werden wir jetzt auch bei mehrwertigen Verben und Prädikaten davon ausgehen, dass ihre Extensionen mit ihren Erfüllungsmengen zusammenfallen. Mit der weiter oben eingeführten Aussonderungsnotation ergeben sich damit die folgenden Extensionen: (27) a. [[grüßt]] = {(x;y) | x grüßt y} b. [[schenkt (der) Waltraud]] = {(x;y) | x schenkt y (der) Waltraud} c. [[schenkt]] = {(x;y;z) | x schenkt y (dem) z}

Relationen und Stelligkeiten

Nach (27)c enthält also, wenn Walter seiner Frau Waltraud den Dackel Waldi schenkt, die Extension von ,schenkt‘ in der Tat das Tripel (Walter; Waldi; Waltraud). Und unter denselben Umständen enthält die Extension von ,schenkt (der) Waltraud‘ das Paar (Walter; Waldi). Natürlich können diese Extensionen noch eine ganze Reihe anderer Paare bzw. Tripel enthalten, wie in dem Szenario aus der Übungsaufgabe 6. weiter unten, der sich die LeserInnen unbedingt widmen sollten, bevor sie mit dem nächsten Unterabschnitt beginnen. Die Objekte (x1;…;xn) in den Prädikatsextensionen werden in der Mengenlehre als n-Tupel bezeichnet; Paare sind also 2-Tupel und Tripel 3Tupel – die beiden Terminologien koexistieren friedlich miteinander. Die Zahl n heißt dabei die Länge des n-Tupels. Aus Gründen, die gleich klar werden dürften, verallgemeinert man den Begriff des n-Tupels auch auf die Länge n = 1, wobei das aus einem einzigen Individuum bestehende 1-Tupel mit diesem identifiziert wird: (x) = x. Wenn eine Menge ausschließlich aus n-Tupeln derselben Länge n besteht, nennt man sie eine Relation; und die Zahl n heißt dann die Stelligkeit dieser Relation. (27)a illustriert, dass die Extensionen transitiver Verben zweistellige Relationen sind; (27)b zeigt, dass dies für die Extensionen zweiwertiger Prädikate im Allgemeinen gilt; an (27)c kann man sehen, dass ein ditransitives Verb, also ein dreiwertiges Prädikat, eine dreistellige Relation zur Extension hat. Und im Lichte der soeben getroffenen Festlegung zu 1-Tupeln erweisen sich die Extensionen von gewöhnlichen, einwertigen Prädikaten, die wir in (24) aufgelistet haben, als Mengen von 1-Tupeln von Individuen. Auch wenn wir hier keine Verben und Prädikate höherer Stelligkeit als 3 betrachten werden, sollte aus diesen Beobachtungen der folgende allgemeine Zusammenhang klar sein, der uns im nächsten Unterabschnitt weiter beschäftigen wird: (28) Parallelismusprinzip Die Extension eines n-wertigen Prädikats ist immer eine n-stellige Relation. Der in (28) beschriebene Zusammenhang ergibt sich aus der Identifikation der Extensionen von Prädikaten mit ihren Erfüllungsmengen; letztere bestehen ja per definitionem aus n-Tupeln, die die potenziellen Lückenbüßer auflisten. Man beachte, dass dieser Parallelismus nicht ausschließt, dass die Extension eines Prädikats leer ist. Wenn z. B. niemand irgendjemanden grüßt, ist die in (27)a angegebene Extension die leere Menge.

3.4 Von Erfüllungsmengen zu Wahrheitswerten

3.4.3 Sättigung Am Beispiel der intersektiven Modifikation hatten wir gesehen, dass sich die Extension eines komplexen Ausdrucks (des erweiterten Substantivs, in dem Fall) durch Kombination (Schnittbildung) aus den Extensionen seiner unmittelbaren Teile (Substantiv plus Adjektiv oder Relativsatz) bestimmen lässt. Diese extensionale Kompositionalität gilt nun auch im Bereich der Prädikate. Das wird klar, wenn wir uns ansehen, wie sich die Extensionen komplexer Prädikate allmählich aus denen ihrer Teile ermitteln lassen, was wir anhand des folgenden Satzes tun werden:

Extensionale Kompositionalität

(29) [Benni [[[zeigt] Silvio] den Vatikan]] Die Klammern sollen die unterstellte Konstituentenstruktur anzeigen. Danach gibt es in (29) drei ineinander verschachtelte Prädikate der Valenzen 1 bis 3, bestehend aus entsprechend unterschiedlich langen Listen von Individuen – den jeweiligen Aktanten: (30) a. [[zeigt]] = {(x;y;z) | x zeigt y (dem) z} b. [[zeigt (dem) Silvio]] = {(x;y) | x zeigt (dem) Silvio y} c. [[zeigt (dem) Silvio den Vatikan]] = {(x) | x zeigt (dem) Silvio den Vatikan} Der in (30) beschriebene Prozess der allmählichen Valenzreduktion wird auch als (schrittweise) Sättigung bezeichnet, weil sich das Prädikat jeweils eine der von ihm verlangten Ergänzungen zuführt. Um zu sehen, was bei diesem Sättigungsprozess genau passiert, ist es ratsam, ein kleines Szenario aufzubauen. Wir betrachten dazu einmal 3 Personen – Benni, Silvio und Ruby – sowie 2 Orte: Arcore und den Vatikan. Die zugrunde gelegten relevanten „Fakten“ ergeben sich dann aus der folgenden Extension von ,zeigt‘: *

[[zeigt]] = {(B;V;R), (B;V;S), (R;A;B), (R;A;S), (R;V;S), (S;s;R)}

Dabei entspricht nach (30)a in jedem Tripel der dritte Aktant jeweils der Person, der der erste Aktant den zweiten Aktanten zeigt. Da Silvio dreimal in den Genuss kommt, etwas gezeigt zu bekommen, enthält das zweiwertige Prädikat aus (30)b drei Paare in seiner Extension: *

[[zeigt Silvio]] = {(B;V), (R;A), (R;V)}

Beim Übergang von (30)a zu (30)b sind daher nur noch die Tripel relevant, in denen Silvio – die Extension des indirekten Objekts – dritter Aktant ist; und diese Tripel werden dann gekappt. Die folgende Gegenüberstellung macht diesen Übergang deutlich: *

[[zeigt]] = {(B;V;R),(B;V;S),(R;A;B),(R;A;S),(R;V;S),(S;s;R)} [[zeigt Silvio]] = {(B;V),(R;A),(R;V)}

Man sieht, dass nur die Tripel (als Paare) überleben, bei denen Silvio an dritter Stelle steht; [[zeigt Silvio]] besteht aus allen Paaren, die – um S an dritter Stelle verlängert – Elemente von [[zeigt]] ergeben: (31) [[zeigt Silvio]] = {(x;y) | (x;y;S) 2 [[zeigt]]} Notationell (noch) ungeübte LeserInnen sollten sich an dieser Stelle klar machen, dass (31) den oben beschriebenen Übergang korrekt erfasst! Beim

Sättigung

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64

3. Extensionen

nächsten Übergang findet diese Prozedur noch einmal statt – außer dass es jetzt nicht mehr um den Aktanten Silvio geht, sondern um den Vatikan, denn der ist die Extension des direkten Objekts: *

[[zeigt Silvio]] = {(B;V), (R;A), (R;V)} [[zeigt Silvio den Vatikan]] = {(B), (R)}

Das mittlere Paar ist irrelevant: der gezeigte Ort ist Arcore; die anderen beiden Paare sind einschlägig und überleben als 1-Tupel. Das Ergebnis ist eine Menge von 1-Tupeln, die natürlich zugleich Individuen sind, nämlich Benni und Ruby; [[zeigt Silvio den Vatikan]] besteht also aus allen 1-Tupeln, die – um V (an zweiter Stelle) verlängert – in der Extension von ,zeigt Silvio‘ sind: (32) [[zeigt Silvio den Vatikan ]] = {(x) | (x;V) 2 [[zeigt Silvio]]} Die Übergänge erfolgen also beide Male nach demselben Schema. Auf der (syntaktischen) Ausdrucksseite haben wir es mit einem n+1-wertigen Prädikat P und seiner n+1. (notwendigen) Ergänzung E zu tun: einmal ist P = ,zeigt‘, beim nächsten Übergang ist P = ,zeigt Silvio‘; und einmal ist E = ,Silvio‘, beim nächsten Übergang ist E = ,den Vatikan‘. Auf der Extensionsseite hat P jeweils eine n+1-stellige Relation [[P ]] vorzuweisen, während sich E auf ein Individuum [[E ]] bezieht. In der Extension des Gesamt-Prädikats P + E bleiben dann die n-Tupel übrig, die sich aus n+1-Tupeln in [[P ]] ergeben, wenn man ihren letzten Aktanten weglässt – vorausgesetzt es handelt sich um [[E ]]; d. h. diejenigen n-Tupel, die in [[P ]] waren, wenn man sie um [[E ]] verlängert. Beide Übergänge fallen damit unter das folgende allgemeine Schema für den Sättigungsvorgang: (33) Kompositionsregel Wenn P ein n+1-wertiges Prädikat ist und E seine n+1. Ergänzung, dann gilt: * [[P + E]] = {(x ;…;x ) | (x ;…;x ;[[E]]) 2 [[P]]} 1 n 1 n 3.4.4 Wahrheitswerte Satzextensionen

Erst jetzt wenden wir uns der bisher sorgsam ausgesparten Frage zu, was nun eigentlich der Sachbezug eines ganzen Satzes ist; denn sie lässt sich mit Hilfe des Parallelismusprinzips beantworten– und zwar auf höchst erstaunliche Weise. Der Weg dorthin ist nun allerdings nicht jedermanns Sache. Wer Mühe hat, dem verwickelten Argument auf Anhieb zu folgen, kann – im Vertrauen darauf, dass das schon alles seine Richtigkeit hat – den vorliegenden Unterabschnitt überfliegen oder sogar überspringen und nur die „Pointe“ im letzten Absatz zur Kenntnis nehmen. Sätze sind ganz offensichtlich Ausdrücke, denen keine Ergänzungen mehr fehlen, um vollständige Sätze zu sein. Insofern ist ein Satz der Grenzfall eines Prädikats, nämlich ein Prädikat der Valenz 0, also nullwertig. Um das Parallelismusprinzip auf Sätze anzuwenden, muss man nur die 0 als Wert für n zulassen und erhält: (34) Erweitertes Parallelismusprinzip Die Extension eines Satzes ist eine nullstellige Relation.

0-Tupel

Da eine n-stellige Relation im Allgemeinen eine Menge von n-Tupeln ist, müsste eine nullstellige Relation eine Menge von 0-Tupeln sein. Aber gibt es

3.4 Von Erfüllungsmengen zu Wahrheitswerten

überhaupt 0-Tupel? Und wenn ja, wie sehen sie aus? Aber natürlich gibt es 0-Tupel. In einem n-Tupel werden n Individuen zwischen 2 Klammern aufgelistet: (x1;…;xn). Wenn n = 1 ist, dann bleibt nur noch ein Individuum in der Liste; das hatten wir schon gesehen, und wir hatten (letztlich aus Einheitlichkeitsgründen) angenommen, dass dieses Individuum dann auch die Liste ausmacht: (x1;…;xn) = (xn) = (x1) = x1. Wenn nun aber n = 0 ist, dann ist die Liste leer und besteht nur noch aus den Klammern drum herum: ( ). So ein 0Tupel ist einfach eine Liste, auf der nichts eingetragen ist. Von dieser Sorte Liste gibt es nur ein einziges Exemplar: ( ) ist also das 0-Tupel! Aus Traditionsgründen identifizieren wir es mit der leeren Menge; das hat keinen Tiefgang, erweist sich aber später als ganz praktisch. Die Tatsache, dass es nur ein einziges 0-Tupel gibt, bedeutet nun aber nicht, dass es auch nur eine einzige nullstellige Relation gäbe – und damit eine einzige Satzextension. In der Tat gibt es doppelt so viele nullstellige Relationen, wie es 0-Tupel gibt. Denn zum einen gibt es die Menge aller 0-Tupel, also: {Ø}; und zum anderen gibt es die leere Menge, also: Ø, deren Elemente ja auch allesamt 0-Tupel sind – Kunststück, bei 0 Elementen. Wir hatten aber schon vorher gesehen, dass {Ø} und Ø verschiedene Mengen sind; also gibt es auch zwei verschiedene Satzextensionen. Mehr Satzextensionen gibt es nicht, denn jede von {Ø} und Ø verschiedene Menge enthält mindestens ein Element, das kein 0-Tupel ist; und so eine Menge wäre keine 0-stellige Relation und mit (34) dann auch keine Satzextension. Jeder Satz hat also eine von 2 möglichen Extensionen: entweder Ø oder {Ø}. Wie verteilen sich nun diese beiden Extensionen auf die Sätze des Deutschen? Das wird klar, wenn wir den im vorangehenden Unterabschnitt betrachteten Prozess fortsetzen und das Satzprädikat mit dem Subjekt sättigen: (35) = = =

[[Benni zeigt Silvio den Vatikan]] {( ) | ([[Benni]]) 2 [[zeigt Silvio den Vatikan]]} {(B), (R)} {Ø}

Gestrichen wurde dabei das irrelevante 1-Tupel (R), und von (B) bleiben nur noch die Klammern. Auf diese Weise ergibt sich in der Tat die eine der beiden möglichen Satzextensionen, {Ø}. Dass in (35) überhaupt etwas in der Extension des Satzes übrig bleibt, liegt daran, dass die Extension (B) des Subjekts Element (und damit auch letzter Aktant in einem 1-Tupel) des Prädikats ist. Andernfalls wäre die Satzextension leer ausgefallen; denn alle anderen 1-Tupel in der Prädikatsextension verschwinden bei der Sättigung spurlos. Von diesem Beispiel aus verallgemeinernd kann man also sagen, dass der Satz die Extension {Ø} hat, wenn die Extension des Subjekts ein Element der Prädikatsextension ist; andernfalls ist die Satzextension Ø. Dass die Subjektsextension in der Prädikatsextension liegt, heißt wiederum, dass der Satz zutrifft. Wiederum verallgemeinernd ergibt sich daraus die folgende Verteilung der Satzextensionen: (36) Frege-Carnapsches Bivalenzprinzip Die Extension eines wahren Satzes ist {Ø}, die eines falschen Satzes Ø. Die beiden 0-stelligen Relationen werden dementsprechend als Wahrheitswerte bezeichnet. Zufälligerweise sind die Mengen Ø und {Ø} die mengentheoretischen Entsprechungen der Zahlen 0 und 1. Und in der Tat ist es Usus

Wahrheitswerte

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66

3. Extensionen

in der Semantik, die Extension der wahren Sätze mit der Zahl 1 zu identifizieren und die der falschen mit der 0. Wir werden uns dieser notationellen Vereinbarung anschließen. Fassen wir zusammen – auch für diejenigen, die die obige Passage übersprungen haben! Der in 3.4.3 beschriebene Sättigungsprozess deckt auch den Fall ab („n = 0“), in dem das Subjekt S ein einwertiges Prädikat P zum vollständigen Satz ergänzt. Für diesen Fall besagt die allgemeine Kompositionsregel (33): * *

[[S + P]] = 1, falls [[S]] 2 [[P]] [[S + P]] = 0, falls [[S]] 2 = [[P]]

Das Parallelismusprinzip führt also in letzter Konsequenz dazu, dass es nur zwei Satzextensionen gibt, die sog. Wahrheitswerte: alle wahren Sätze haben dieselbe Extension, nämlich die Zahl 1; und die gemeinsame Extension aller falschen Sätze ist die Zahl 0. Dies ist ein krasser Beleg dafür, dass die Extensionen selbst keine Bedeutungen sind, sondern eben nur einen, freilich wichtigen Aspekt sprachlicher Bedeutung repräsentieren, den Sachbezug – einen Aspekt, der bei Sätzen offenbar reichlich unterentwickelt ist. Quellen

Die Verwendung von Wahrheitswerten als Satzextensionen geht auf Frege (1891; 1892a) zurück, wo der traditionelle Begriff der syntaktischen Sättigung mit dem mathematischen Funktionsbegriff in Verbindung gebracht und für die semantische Analyse fruchtbar gemacht wird. Wahrheitswert ist übrigens (soweit dem Autoren bekannt) der einzige noch heute gebräuchliche Fregesche Originalterminus. Freges Motiv für die Verwendung von Wahrheitswerten als Extensionen – Freges „Bedeutungen“ – ist unklar und umstritten; vgl. die Darstellung in Künne (2010: 307 ff.). Die oben gegebene Konstruktion der Wahrheitswerte aus der Erweiterung des Parallelismusprinzips stammt von Carnap (1947: §6) und ist verwandt mit einer Überlegung in Tarski (1936: §3).

3.5 Junktoren Wahrheitstafeln

Dass Wahrheitswerte Satzextensionen sind, bestätigt sich darin, dass sie sich – zumindest in bestimmten Umgebungen – kompositionell verhalten. Verbindet man etwa zwei Sätze mit ,und‘, so bestimmt sich der Wahrheitswert dieser Verbindung allein aufgrund der Wahrheitswerte der verbundenen Sätze: wenn beide Teilsätze wahr sind, also den Wahrheitswert 1 haben, dann auch der Gesamtsatz; andernfalls ist der Gesamtsatz falsch, hat also den Wahrheitswert 0. Man kann diese simple Beobachtung in Form einer Tabelle, einer sog. Wahrheitstafel, darstellen: A

B

A und B

1

1

1

1

0

0

0

1

0

0

0

0

Tabelle 3.1: Wahrheitstafel für die Konjunktion

3.5 Junktoren

In Tabelle 3.1 stehen ,A‘ und ,B‘ für beliebige (Aussage-)Sätze. Die ersten beiden Spalten decken je Zeile die vier Möglichkeiten ab, welche Wahrheitswerte diese beiden Aussagen haben können. Die dritte Spalte sagt dann, welcher Wahrheitswert herauskommt, wenn man unter diesen Umständen die Sätze mit ,und‘ verknüpft. Zeile 3 der Tabelle besagt also: Wenn ein falscher Satz A und ein wahrer Satz B mit ,und‘ verbunden werden, ist das Ergebnis dieser Verbindung ein falscher Satz. Damit das Extensionale Kompositionaltitätsprinzip (10) erfüllt ist, müssen nun allerdings alle unmittelbaren Teile eines Satzes der Form ,A und B‘ ihre Extension zum Wahrheitswert des Gesamtsatzes beitragen – also auch die Konjunktion ,und‘. Was aber soll deren Extensionen sein? Da sich der Wahrheitswert des Satzes ,A und B‘ aus denen der Sätze A und B sowie der Tabelle 3.1 ergibt, kann eigentlich nur diese Wahrheitstafel selbst die Extension der Konjunktion ,und‘ sein – genauer gesagt: die durch diese Wahrheitstafel dargestellte Kombination von Wahrheitswerten. Diese Kombination lässt sich selbst wieder als Menge auffassen, deren Elemente den Zeilen der Tafel entsprechen – auf deren Reihenfolge es ja offenbar nicht ankommt. Um eine Zeile darzustellen, kann man wiederum die linke Spalte zu einem Paar zusammenfassen, das seinerseits gemeinsam mit der rechten Spalte ein Paar bildet – klingt komplizierter als es ist: (37) [[und]] = {((1;1);1), ((1;0);0), ((0;1);0), ((0;0);0)} Nach (37) ist die Extension von ,und‘ eine Menge. Es ist klar, dass und in welchem Sinne diese Menge der Tabelle 1 entspricht. Damit ist ebenso klar, dass sich mit Hilfe dieser Menge und der Wahrheitswerte zweier Sätze A und B der Wahrheitswert von ,A und B‘ kompositionell ermitteln lässt, nämlich indem man in der entsprechenden Wahrheitstafel nachsieht. Im Folgenden werden wir es bei der übersichtlicheren Darstellung in Tabellenform belassen. Wahrheitstafeln bilden den Kern eines Teilgebiets der formalen Logik, das bereits im Altertum begründet wurde: der Aussagenlogik, in der es darum geht, wie sich unterschiedliche Satzverknüpfungen auf die Möglichkeiten, Schlüsse zu ziehen, auswirken. Der aussagenlogische Terminus für die in Tabelle 3.1 dargestellte ,und‘-Verknüpfung ist Konjunktion – im Unterschied zur Disjunktion, der in Tabelle 3.2 dargestellten ,oder‘-Verknüpfung. A

B

A oder B

1

1

1

1

0

1

0

1

1

0

0

0

Aussagenlogik

Tabelle 3.2: Wahrheitstafel für die Disjunktion Nach dieser Wahrheitstafel ist also die Verknüpfung zweier Sätze durch ,oder‘ nur dann falsch, wenn beide verknüpfte Teil-Aussagen falsch sind. Man mag einwenden, dass dies nicht dem alltäglichen Verständnis von ,oder‘ entspricht, nach dem auch in der ersten Zeile der Wahrheitswert 0 herauskommen sollte. Denn wer z. B. sagt, dass Fritz zu Hause ist oder dass er noch unterwegs ist, schließt damit normalerweise aus, dass Fritz sowohl zu

[nicht] ausschließendes ,oder‘

67

68

3. Extensionen

Junktoren

Hause als auch unterwegs ist. Wir werden auf diese Frage im Zusammenhang mit pragmatischen Effekten (in Kapitel 6) kurz zurückkommen. Fürs Erste halten wir nur fest, dass das in Logik und Semantik vorherrschende Verständnis von ,oder‘ zulässt, dass die beiden verbundenen Sätze wahr sind; es handelt sich um ein nicht ausschließendes ,oder‘. Satzverknüpfungen, die sich durch Wahrheitstafeln darstellen lassen, nennt man in der Logik Junktoren. Insgesamt gibt es – aus kombinatorischen Gründen – 16 Junktoren, die jeweils zwei Aussagen zu einer neuen verschmelzen. Den meisten von ihnen entsprechen freilich keine Wörter des Deutschen. Umgekehrt entsprechen den meisten Konjunktionen des Deutschen keine Junktoren; ,und‘ und ,oder‘ sind also echte Ausnahmen. So lässt sich z. B. die Konjunktion weil nicht durch eine Wahrheitstafel erfassen – wie wir im nächsten Kapitel sehen werden (im Rahmen einer Übungsaufgabe). Die extensionale Kompositionalität der Junktoren zeigt sich vor allem, wenn sie in verschachtelten Konstellationen erscheinen wie: (38) Eike arbeitet oder Fritz schläft und Gaby liest Zeitung. (38) ist strukturell ambig. In einer Lesart handelt es sich um eine Konjunktion, deren linker Teil wiederum eine Disjunktion ist. Der Wahrheitswert hängt somit von dem der Disjunktion und des rechten Teils der Konjunktion ab – und lässt sich mit Hilfe der beiden Wahrheitstafeln in den Tabellen 3.1 und 3.2 ermitteln: E

F

G

E oder F

(38)

1

1

1

1

1

1

1

0

1

0

1

0

1

1

1

1

0

0

1

0

0

1

1

1

1

0

1

0

1

0

0

0

1

0

0

0

0

0

0

0

Tabelle 3.3: Wahrheitstafel für eine Lesart von (38) Die ersten drei Spalten in Tabelle 3.3 geben alle 8 Möglichkeiten an, wie die Wahrheitswerte auf die drei Teilsätze von (38) verteilt sein können. Die vierte Spalte gibt für jeden dieser Fälle den Wahrheitswert der Disjunktion an, die den linken Teil von (38) bildet (in der hier betrachteten Lesart); dieser Wahrheitswert ermittelt sich nach der Disjunktions-Tabelle 3.2. Die letzte Spalte in Tabelle 3.3 wendet nun die Konjunktions-Tabelle 3.1 fallweise auf die Wahrheitswerte des linken Teils von (38) an, wie er in der vierten Spalte bestimmt wurde, und den des rechten Teils G, der sich in der dritten Spalte findet. Auf ganz analoge Weise lässt sich eine verschachtelte Wahrheitstafel für die andere Lesart von (38) konstruieren, nach der der Satz eine Disjunktion ist mit einer Konjunktion als rechtem Teil; diese Konstruktion und der Vergleich mit Tabelle 3.3 findet im Rahmen einer Übungsaufgabe statt. Ein anderer Typ von Junktor, der für die Logik besonders wichtig ist, ist die Negation, die dem deutschen Wort ,nicht‘ entspricht. In der Logik geht man

3.5 Junktoren

davon aus, dass der Satz ,Fritz hustet nicht‘ durch Kombination des Satzes ,Fritz hustet‘ mit der Negation ,nicht‘ entsteht. Da der eine der beiden gerade dann wahr ist, wenn der andere falsch ist, lässt sich auch für diese Kombination eine Wahrheitstafel angeben: A

A nicht

1

0

0

1

Tabelle 3.4: Wahrheitstafel für die Negation Tabelle 3.4 ist kleiner als die für Konjunktion und Disjunktion, weil die Negation nicht zwei Sätze miteinander verknüpft, sondern nur einen Satz modifiziert. Die Wahrheitstafeln sind ein wesentlicher Bestandteil der semantischen Analyse von ,und‘, ,oder‘ und ,nicht‘. Etwas überspitzt könnte man sagen: viel mehr als das, was in den Wahrheitstafeln steht, ist an der wörtlichen Bedeutung dieser Wörter nicht dran. Einen Aspekt decken die Wahrheitstafeln allerdings nicht direkt ab: die Tatsache, dass diese Wörter nicht immer nur Sätze verbinden bzw. modifizieren. So können sie, wie wir im Zusammenhang mit Klammerungsambiguitäten gesehen haben (in 2.2), auch zwischen Adjektiven stehen. Weitere Möglichkeiten werden in den folgenden Beispielen illustriert: (39) a. In diesem Zoo leben ein Pinguin und zwei Eisbären. b. Sie lacht oder weint. c. Eines der Mädchen schläft nicht. In Fällen wie (39) spricht man von Konstituentenkoordination bzw. -negation; denn die Junktoren verbinden nicht Sätze, sondern andere (Teil-)Ausdrücke. So steht das ,und‘ in (39)a zwischen zwei Nominalgruppen; das ,oder‘ in (39)b verbindet zwei Verben. Und in einer Übungsaufgabe wird geklärt, dass es sich bei dem ,nicht‘ in (39)c auch nicht um die Negation des Satzes ohne ,nicht‘ handelt. Dennoch kann man in diesen Fällen per Paraphrase einen systematischen Zusammenhang zu den jeweiligen satzverbindenden Junktoren herstellen, wie die folgenden umständlichen Paraphrasen von (39) zeigen: (40) a. In diesem Zoo lebt ein Pinguin, und in diesem Zoo leben zwei Eisbären. b. Sie lacht oder sie weint. c. Für eines der Mädchen gilt: es schläft nicht. In (40) funktionieren die drei unterstrichenen Wörter als aussagenlogische Junktoren. Und der Zusammenhang zu (39) ist systematisch genug, um die Behauptung, es handele sich auch dort im Wesentlichen um Junktoren, zu rechtfertigen; auf den genauen Zusammenhang kommen wir im fünften Kapitel (5.3.2) zurück. Es wurde bereits angedeutet, dass man einige Bedeutungsaspekte des Wortes ,oder‘ – insbesondere den „Ausschließlichkeitseffekt“ – in der Pragmatik abhandelt. Ähnliches gilt für gewisse mit ,und‘ einhergehende Effekte. So sollte die Reihenfolge der verknüpften Sätze nach der Wahrheitstafel die-

Konstituentenkoordination

69

70

3. Extensionen

ses Wortes keinen Unterschied machen. Dennoch empfindet man einen klaren Bedeutungsunterschied zwischen den folgenden beiden Aussagen: (41) Sie heiratete und [sie] wurde schwanger. (42) Sie wurde schwanger und [sie] heiratete. Auch dieser Unterschied lässt sich pragmatisch erklären. Und auch darauf kommen wir zurück, aber erst in Kapitel 6 (S. 141). Quellen

Die Wahrheitsfunktionalität der Junktoren war schon den Stoikern aufgefallen; mehr dazu findet man in Bobzien (2008) sowie in dem Standardwerk zur Geschichte der Logik von Kneale & Kneale (1962). Nach der letztgenannten Quelle werden Wahrheitstafeln zum ersten Mal in Wittgenstein (1921) verwendet, basierend auf tabellarischen Darstellungen in Frege (1879), dem Urtext der modernen formalen Logik. Der Zusammenhang zwischen (39) und (40) wird in der syntaktischen Literatur seit Ross (1967) als conjunction reduction bezeichnet; dabei wird conjunction im grammatischen Sinn von Konjunktion („Bindewort“) verwendet, nicht im logischen Sinn (Junktor ,und‘).

3.6 Quantifikation Das direkte Objekt von (43) ist offensichtlich nicht referenziell; seine Extension kann also nicht der Gegenstand sein, auf den es sich bezieht: (43) Fritz kauft nichts. Was aber ist dann seine Extension? Hat es überhaupt eine? Wenn ja, würde dann (43) nicht gerade besagen, dass diese Extension ein Element der Extension von ,wurde von Fritz gekauft‘ ist? Aber dann könnte man ja aus (43) schließen, dass Fritz doch etwas gekauft hat, nämlich die Extension von ,nichts‘… Betrachtungen wie diese können tiefe Verwirrung stiften, wie die folgende – wohl ernst gemeinte – Passage aus einem philosophischen Werk des frühen 20. Jahrhunderts illustriert: + Erforscht werden soll das Seiende nur und sonst – nichts; das Seiende allein und weiter – nichts; das Seiende einzig und darüber hinaus – nichts. […] Wo suchen wir das Nichts? Wie finden wir das Nichts? […] Wie steht es um das Nichts? – – Das Nichts selbst nichtet. 3.6.1 Quantifizierte Sätze Quantoren

Die Sache verhält sich weniger mysteriös, als es den Anschein haben mag. Anders als ein Eigenname oder eine Kennzeichnung bezieht sich das Wort ,nichts‘ auf kein bestimmtes Objekt. Dennoch leistet es zweifellos einen Beitrag zum sprachlichen Sachbezug. In dieser Hinsicht verhält es sich wie eine Reihe anderer Ausdrücke, die den Gegenstand dieses Abschnitts bilden: die sog. Quantoren, zu denen auch die Subjekte der folgenden Sätze gehören, die einem fiktiven Verlagsprospekt entnommen sind: (44) a. Jedes Kochbuch hat einen abwaschbaren Umschlag. b. Kein Lehrbuch kostet mehr als 30 Euro. c. Drei Sachbücher sind auch als Hörbücher erhältlich.

3.6 Quantifikation

Wie das Wort ,nichts‘ beziehen sich diese Nominalgruppen nicht auf einzelne Gegenstände, sie sind also nicht referenziell. So geht es in (44)a nicht um ein einzelnes Kochbuch, sondern um die Kochbücher insgesamt, die der Verlag anbietet – also um die Extension, die das Substantiv ,Kochbuch‘ in diesem Prospekt-Zusammenhang hat. Ganz offensichtlich wird diese Extension in (44)a mit der des Prädikats ,hat einen abwaschbaren Umschlag‘ in Beziehung gesetzt, also mit der Menge der Objekte mit abwaschbarem Umschlag. Und welche Beziehung mit dem Satz hergestellt wird, ist ebenfalls offensichtlich, nämlich die Teilmengenbeziehung; denn diese besteht ja gerade zwischen zwei Mengen, wenn jedes Element der einen auch ein Element der anderen ist (aber nicht unbedingt umgekehrt). Auch in den anderen beiden Sätzen unter (44) werden jeweils zwei Mengen zueinander in Beziehung gesetzt. In (44)b geht es einerseits um die Menge der Lehrbücher und zum anderen um die Menge der Objekte, die teurer als 30 Euro sind – also um die Extension des Substantivs ,Lehrbuch‘ bzw. die des Prädikats ,kostet mehr als 30 Euro‘. Die Beziehung, die in dem Satz hergestellt wird, ist nun allerdings nicht die Teilmengenbeziehung; (44)b besagt vielmehr, dass sich diese beiden Mengen nicht überlappen, also kein gemeinsames Element besitzen. Diese Beziehung zwischen (beliebigen) Mengen A und B wird auch als Disjunktheit bezeichnet (was man nicht mit Disjunktion verwechseln darf, der Wahrheitstafel für ,oder‘). Da die gemeinsamen Elemente den Schnitt der beiden Mengen bilden, besteht die Disjunktheit zwischen A und B gerade dann, wenn dieser Schnitt leer ist: A \ B = Ø. In (44)c schließlich wird ausgedrückt, dass die Anzahl der vertonten Sachbücher drei beträgt. Auch dies lässt sich als ein Verhältnis zwischen der Extension eines Substantivs (,Sachbuch‘) und der des Prädikats von (44)c verstehen – nämlich dass der Schnitt der beiden drei Elemente enthält. Schreiben wir ,#‘ für Anzahl (der Elemente), lassen sich die in den drei Sätzen unter (44) ausgedrückten Sachverhalte jetzt wie folgt beschreiben:

Beziehungen zwischen Mengen

Disjunktheit

Kardinalität

(45) a. [[Kochbuch]]  [[hat einen abwaschbaren Umschlag]] b. [[Lehrbuch]] \ [[kostet mehr als 30 Euro]] = Ø c. #([[Sachbuch]] \ [[als Hörbuch erhältlich]]) = 3 Es ist leicht zu sehen, warum die drei Sätze unterschiedliche Mengenverhältnisse ausdrücken. Ihre Subjekte bestehen ja nicht nur aus den Substantiven, deren Extension jeweils mit der des Prädikats in Beziehung gesetzt wird. Vielmehr geht diesen jeweils ein sog. Determinator voran: die Wörter ,jedes‘ und ,kein‘ bzw. der Superlativ ,die meisten‘. Der Determinator bestimmt offenbar, welches Mengenverhältnis ausgedrückt wird. Ersetzt man nämlich jeweils die Substantive oder Prädikate in (44) und behält den Determinator bei, ändert sich auch nichts an dem ausgedrückten Mengenverhältnis. So drückt (46) genau wie (45)b eine Disjunktheit zwischen Substantiv- und Prädikatsextension aus – nämlich die in (47) angegebene, zu (45)b analoge Beziehung:

Determinatoren

(46) Kein Sachbuch hat einen abwaschbaren Umschlag. (47) [[Sachbuch]] \ [[hat einen abwaschbaren Umschlag]] = Ø Die Beispiele illustrieren, dass Sätze wie die in (44) oder (46) eine Beziehung zwischen der Extension des Substantivs und des Prädikats herstellen, wobei

Extensionen von Determinatoren

71

72

3. Extensionen

es vom Determinator abhängt, um welche Beziehung es sich handelt. Damit ergibt sich der Wahrheitswert solcher Sätze – also ihre Extension – daraus, ob die jeweilige Substantiv- und Prädikatsextension in dieser vom Determinator abhängenden Beziehung stehen. Es liegt von daher nahe, diese Beziehung selbst als Extension des jeweiligen Determinators anzusehen – also [[jedes]] mit der Teilmengenbeziehung gleichzusetzen, [[kein]] mit der Disjunktheit und [[drei]] mit der Überlappung in drei gemeinsamen Elementen. Die Frage, was für Objekte denn nun solche Beziehungen sind, ist dabei leicht beantwortet: Beziehungen sind (in diesem Fall zweistellige) Relationen, also Mengen von Paaren. Demnach ist die Teilmengenbeziehung die Menge, die aus allen Paaren (X;Y) besteht, für die gilt: X ist eine Teilmenge von Y. X und Y selbst müssen dabei natürlich potenzielle Substantiv- und Prädikatsextensionen sein, also Mengen von Individuen. Dieser Idee folgend bekommen wir für unsere Beispiele die folgenden Determinatoren-Extensionen: (48) a. [[jedes]] = {(X;Y) | X  Y} b. [[kein]] = {(X;Y) | X \ Y = Ø} c. [[drei]] = {(X;Y) | #(X \Y) = 3}

transitive und quantifizierte Sätze

Zu den Determinatoren gehören neben den in (48) genannten Wörtern auch definite und indefinite Artikel, auf die wir aber erst später zu sprechen kommen. Nach (48) gleichen Determinatoren insofern zweiwertigen Prädikaten, als ihre Extensionen ebenfalls zweistellige Relationen sind – mit dem Unterschied, dass die Objekte, die in der Relation stehen, keine Individuen sind, sondern Mengen von Individuen. Die Extensionen von Determinatoren sind also „abstrakter“ als die zweiwertiger Prädikate. Trotz dieses Unterschieds ist die Gemeinsamkeit zwischen Determinatoren und zweiwertigen Prädikaten hilfreich bei der Erklärung der Bedeutungskomposition. Denn so wie ein transitiver Satz besagt, dass sich Subjekts- und Objekts-Extension (in dieser Reihenfolge) in der Prädikats-Extension befinden, so besagt ein quantifizierter Satz, dass Substantiv- und Prädikats-Extension in der Extension des Determinators sind: (49) Wahrheitsbedingungen transitiver und quantifizierter Sätze a. [[Subjektref + Prädikat2w + Objektref ]] = 1, falls gilt: ([[Subjektref]]; [[Objektref]]) 2 [[Prädikat2w]] b. [[Determinator + Substantivsort + Prädikat1w]] = 1, falls gilt: ([[Substantivsort]]; [[Prädikat1w]]) 2 [[Determinator]] So trifft der transitive Satz (50)a zu, wenn sich das Paar (h;p), bestehend aus Hans und Paula (in dieser Reihenfolge), in der Extension des (zweiwertigen) Prädikats ,jagt‘ befindet; denn diese Extension umfasst gerade alle Paare (x;y) aus Jägern x und den von ihnen jeweils Gejagten y. Genauso trifft der quantifizierte Satz (50)b zu, wenn das Paar (H;P), bestehend aus der Menge der Handbücher und der Menge der preisreduzierten Waren (in dieser Reihenfolge), in der Extension des Determinators ,jedes‘ ist; denn diese Extension umfasst gerade alle Paare (X;Y) von Mengen von Individuen, für die gilt: X  Y. (50) a. Hans jagt Paula. b. Jedes Handbuch ist preisreduziert.

3.6 Quantifikation

So wie sich die Extension eines transitiven Satzes durch schrittweise Sättigung der Extension des zweiwertigen Prädikats ergibt, so kann man jetzt auch den Wahrheitswert eines quantifizierten Satzes ermitteln, indem man die Extension des Determinators zunächst mit der Substantiv-Extension und dann mit der Prädikatsextension „füttert“. Im ersten Schritt werden dabei die Objekt- bzw. Substantiv-Extension der (zweistelligen) Relation zugeführt, die die Extension des (zweiwertigen) Prädikats bzw. des Determinators bildet:

Sättigung in quantifizierten Sätzen

(51) (Teil-)Sättigung in transitiven und quantifizierten Sätzen a. [[Prädikat2w + Objektref]] = {x | (x;[[Objektref]]) 2 [[Prädikat2w]]} b. [[Determinator + Substantivsort]] = {Y | ([[Substantivsort ]];Y) 2[[Determinator]]} (51)a ist ein Spezialfall der allgemeinen Kompositionsregel (33), die wir bereits auf S. 64 kennengelernt haben. (51)b ist insofern ganz analog, als auch aus einer zweistelligen Relation – der Extension des Determinators – durch Sättigung einer ihrer Stellen eine einstellige Relation entsteht. Neben der schon erwähnten Stufung gibt es allerdings einen weiteren Unterschied zwischen den beiden Fällen in (51): während nach (51)a die Extension des Objekts die zweite (durch y markierte) Stelle der Prädikatsextension okkupiert, sättigt das Substantiv nach (51)b die erste Stelle der Determinatorenextension. Dieser kleine Unterschied ergibt sich einzig aus dem Umstand, dass wir die Paare in den Extensionen von Verben und Determinatoren stets in der Reihenfolge auflisten, in der die ihnen entsprechenden Ausdrücke im Satz erscheinen. Dabei handelt es sich letztlich um eine willkürliche, wenn auch intuitive (oder „natürliche“) Entscheidung – eine sog. Linearisierungskonvention, die wir auch im Folgenden beibehalten werden. Doch darf dieser kleine Unterschied nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich bei den beiden in (51) beschriebenen Extensions-Kombinationen um Spielarten desselben Sättigungsprozesses handelt. Für die Beispiele unter (52) ergeben sich danach die folgenden Prädikatsbzw. Subjekts-Extensionen: (52) a. = = b. = =

[[jagt Paula]] = {x | (x; [[Paula]]) 2 [[jagt]]} {x | (x;Paula) 2 [[jagt]]} {x | x jagt Paula} [[jedes Handbuch]] {Y | ([[Handbuch]];Y) 2 [[jedes]]} {Y | [[Handbuch]]  Y }

Nach (52)a umfasst die Extension des Prädikats von (50)a die Individuen, die Paula jagen. Und (52)b zufolge enthält die in Analogie dazu gebildete Extension des Subjekts von (50)b die Mengen von Individuen, die die Menge der Handbücher abdecken, also Obermengen derselben sind. Anders als ein referenzielles Nominal, dessen Extension ein Individuum ist, nämlich sein Referent, ist die Extension eines Quantors somit eine Menge von Mengen von Individuen. Für die Subjekte der Beispiele (44) etwa ergeben sich analog zu (52)b und unter Rückgriff auf die Determinatoren-Extensionen in (48) die folgenden Extensionen: (53) a. [[jedes Kochbuch]] = {Y | ([[Kochbuch]];Y) 2 [[jedes]]} = {Y | [[Kochbuch]]  Y }

Extensionen von Quantoren

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74

3. Extensionen

b. = c. =

[[kein Lehrbuch]] = {Y | ([[Lehrbuch]];Y) 2 [[kein]]} {Y | [[Lehrbuch]] \ Y = Ø} [[drei Sachbücher]] = {Y | ([[Sachbuch]];Y) 2 [[drei]]} {Y | #([[Sachbuch]] \ Y) = 3}

Die Extensionen in (53) sind sehr große Mengen; und sie besitzen eine reichhaltige interne Struktur. Doch die Einzelheiten dieser Extensionen spielen für uns keine weitere Rolle. Es kommt lediglich darauf an, dass mit ihrer Hilfe die Wahrheitswerte quantifizierter Sätze kompositionell bestimmt werden können, was wieder in Analogie zu den transitiven Sätzen geschieht. In (52)a sieht man, dass die Sättigung der (zweistelligen) Relation [[jagt]] mit der Objektsextension Paula in der Prädikatsextension gerade die x übrig lässt, die die Aussage ,x jagt Paula‘ erfüllen. Genauer gesagt handelt es sich bei diesen x um die Referenten der Subjekte N wahrer Sätze mit dem Prädikat ,jagt Paula‘. Somit ergibt sich für einen gegebenen Satz dieser Form der Wahrheitswert 1, wenn die Extension seines Subjekts so ein x ist: *

[[N jagt Paula]] = 1, falls [[N]] 2 [[jagt Paula]]

Ganz analog bleiben nach der in (52)b beschriebenen Sättigung der Determinatoren-Extension [[jedes]] in der Subjektsextension diejenigen Prädikatsextensionen Y übrig, die die Aussage ,Jedes Handbuch Y‘ erfüllen. Genauer gesagt handelt es sich bei diesen Yum die Extensionen der (einwertigen) Prädikate P wahrer Sätze mit dem Subjekt ,jedes Handbuch‘. Somit ergibt sich für einen gegebenen Satz dieser Form der Wahrheitswert 1, wenn die Extension seines Prädikats so ein Y ist: *

[[Jedes Handbuch P]] = 1, falls [[P]] 2 [[jedes Handbuch]]

Das Beispiel lässt sich unmittelbar zu einer allgemeinen Regel der Bestimmung des Wahrheitswerts von Sätzen mit Quantoren an Subjektstelle verallgemeinern: (54) Kompositionsregel Wenn Q ein Quantor ist und P ein einwertiges Prädikat, dann gilt: * [[Q + P]] = 1, falls [[P]] 2 [[Q]]; und: * [[Q + P]] = 0, falls [[P]] 2 = [[Q]]. Analogie zwischen transitiven und quantifizierten Sätzen

Extension von ,nichts‘

Fassen wir zusammen! Semantisch gesehen gleicht ein quantifizierter Satz insofern einem transitiven Satz, als in beiden Fällen die Extensionen zweier Konstituenten in eine Beziehung zueinander gesetzt werden, die die Extension der dritten Konstituente bildet. Kurz: was dem transitiven Satz das transitive Verb, ist dem quantifizierten Satz der Determinator; und was dem transitiven Satz das Prädikat, ist dem quantifizierten Satz das Subjekt. Und so wie sich die Prädikatsextension durch Sättigung der Extension des transitiven Verbs mit der des Objekts gewinnen lässt, erhält man die Extension eines quantifizierenden Subjekts (also eines Quantors an Subjektstelle) durch Sättigung des Determinators mit der Substantiv-Extension. Der letztgenannte Aspekt der Analogie zwischen transitiven und quantifizierten Sätzen wirft nun endlich auch ein Licht auf den ominösen Quantor ,nichts‘. Denn auch wenn dieser keinen Determinator enthält, besteht seine Extension – wie die jedes Quantors – aus den Extensionen der Prädikate, die mit ihm als Subjekt einen wahren Satz ergeben. Wenn also der folgende Satz zutrifft, enthält die Extension von ,nichts‘ die Menge aller Gegenstände,

3.6 Quantifikation

die nichts kosten – die entsprechende Lesart des Prädikats einmal vorausgesetzt: (55) Nichts ist umsonst. Umgekehrt ist (55) dann falsch, wenn irgendetwas nichts kostet, wenn also die Extension des Prädikats ,ist umsonst‘ mindestens ein Element enthält. Und im Allgemeinen trifft ein Satz der Form ,Nichts P‘ zu, wenn sein Prädikat P eine leere Extension hat, wenn also [[P]] = Ø. Die Extension des Quantors ,nichts‘ – die ja gerade die Extensionen der Prädikate P enthält, für die ,Nichts P‘ wahr ist – enthält also ein einziges Element, nämlich die leere Menge: (56) [[ nichts]] = {Ø} Mit ähnlichen Überlegungen kann man auch die Extensionen anderer sogenannter Indefinitpronomina herleiten, was wir den LeserInnen (in einer Übungsaufgabe) überlassen. 3.6.2 Quantifikation und Logische Form Die Extensionen von Quantoren sind also Mengen von Prädikatsextensionen, und wenn ein Quantor das Subjekt eines Satzes bildet, besagt letzterer, dass die Extension seines Prädikats ein Element der Subjekts-Extension ist. Doch Quantoren können auch in anderer Funktion im Satz auftreten. So ist das eingangs betrachtete – unten als (57) wiederholte – Beispiel weder ein transitiver noch ein quantifizierter Satz im obigen Sinn: sein Hauptverb ist zwar transitiv, aber das Objekt ist nicht referenziell; und sein Subjekt ist referenziell und damit kein Quantor: (57) Fritz kauft nichts. Um nun den Wahrheitswert von (57) kompositionell herzuleiten, müsste man den Satz statt in Subjekt und Prädikat in (quantifiziertes) Objekt und Prädikat zerlegen – analog zu der passivischen Paraphrase: (58) Nichts wird von Fritz gekauft. Der Wahrheitswert von (58) lässt sich mit Hilfe der Kompositionsregel (54) aus der Extension (56) des Quantors ,nichts‘ und der des Prädikats ,wird von Fritz gekauft‘ ermitteln. Diesen Zusammenhang kann man für eine kompositionelle Herleitung der Extension von (57) ausnutzten, indem man (57) zu diesem Zweck in das quantifizierende Objekt und ,Rest-Satz‘ zerlegt: also in den Quantor ,nichts‘ und den unvollständigen Satz ,Fritz kauft‘, der dann dieselbe Extension hat wie das Prädikat von (58): (59) = = =

[[Fritz kauft __]] [[wird von Fritz gekauft]] {x | x wird von Fritz gekauft} {x | Fritz kauft x}

Die unterstrichene Lücke in der ersten Zeile von (59) zeigt die Unvollständigkeit des Satzes an: sie klafft, wo das direkte Objekt fehlt. Die zweite Zeile gibt die Idee der Analogie zwischen dem unvollständigen Satz und dem passivischen Prädikat wieder, dessen Extension in der dritten Zeile seiner Erfüllungsmenge entspricht. Die letzte Zeile ist lediglich eine Umformulierung:

75

76

3. Extensionen

die Waren, die von Fritz gekauft werden, sind offenbar die Waren, die Fritz kauft. Im Zusammenhang mit der ersten Zeile der Gleichungskette (59) macht diese Umformulierung allerdings deutlich, dass die Extension des lückenhaften Satzes gerade seine Erfüllungsmenge ist. Diese Erfüllungsmenge spielt also dieselbe Rolle bei der Bestimmung des Wahrheitswerts von (57) wie die Extension des Prädikats in (58): (57) ist wahr, wenn die in (59) angegebene Menge ein Element der Extension des Objekts ist, also der Extension (56) von ,nichts‘. Im Allgemeinen ergibt sich der Wahrheitswert T eines Satzes mit quantifizierendem Objekt (und referenziellem Subjekt) aus der Extension Q dieses Quantors und der Erfüllungsmenge E des Satzes abzüglich Q: T = 1, falls E 2 Q; andernfalls ist T = 0. Zur Übung sehen wir uns dazu noch ein Beispiel an: (60) Fritz kennt jedes Kochbuch. Um den Wahrheitswert T von (60) zu ermitteln, zieht man zunächst das Objekt vom Satz ab und ermittelt die Extension des verbleibenden, offenen Satzes ,Fritz kennt __‘, also die Menge E der Dinge und Personen, die Fritz kennt; (60) ist wahr (T = 1), wenn E ein Element der Extension Q von ,jedes Kochbuch‘ ist. Und Letzteres ist nach (53)a gerade dann der Fall, wenn E alle Kochbücher enthält: (61) gdw. gdw. gdw. gdw.

Abstraktionsprinzip

[[Fritz kennt jedes Kochbuch]] = 1 [[Fritz kennt __]] 2 [[jedes Kochbuch]] {x | Fritz kennt x} 2 {Y | [[Kochbuch]]  Y } [[Kochbuch]]  {x | Fritz kennt x}

Die in (61) verwendete Abkürzung ,gdw.‘ steht für ,genau dann, wenn‘ – was bedeutet, dass man vom Oberen aufs Untere schließen kann und umgekehrt, dass also die beiden Aussagen dasselbe besagen. Die Abkürzung ist in der deutsch-sprachigen Logik und Semantik allgemein gebräuchlich, und wir werden sie im Folgenden ebenfalls verwenden; im Englischen schreibt man übrigens dafür – kein Scherz, auch kein Druckfehler: ,iff‘. Der letzte Übergang in (61) verdient besondere Beachtung: er basiert auf der Beobachtung, dass eine Menge X gerade dann ein Element der Menge der Y ist, für die eine bestimmte Bedingung gilt, wenn X selbst diese Bedingung erfüllt. In diesem Fall ist X die Erfüllungsmenge des offenen Satzes ,Fritz kennt __‘, und die Bedingung, um die es geht, ist die, eine Obermenge der Extension von ,Kochbuch‘ zu sein. Dahinter steckt ein allgemeines Schema, das sich unmittelbar aus der Notation für Mengen ergibt: (62) Abstraktionsprinzip a 2 {u | … u …} gdw. … a … Dabei stehen die Auslassungspunkte für eine beliebige Aussage, und a ist irgendein Objekt. Die Menge {u | … u …} enthält dann alle Objekte, auf die diese Aussage zutrifft; in unserem Fall war die Aussage, dass das Objekt eine Obermenge von [[Kochbuch]] ist. Das Prinzip besagt dann, dass man aus der Tatsache, dass ein Objekt a Element dieser Menge ist, schließen kann, dass die besagte Aussage auf a zutrifft – denn die Menge enthält ja alle diese Objekte; und dass man umgekehrt aus der Tatsache, dass die Aussage auf a zutrifft, schließen kann, dass a ein Element der besagten Menge ist, denn diese

3.6 Quantifikation

Menge enthält ja nur solche Objekte. In unserem Fall war natürlich a selber wieder eine Menge, nämlich: {x | Fritz kennt x}. (59) und (61) illustrieren zwar, wie man die Wahrheitswerte von (gewissen) Sätzen mit quantifizierenden Objekten systematisch bestimmen kann – aber ist diese Extensionsbestimmung auch kompositionell? Die Frage lässt sich mit einem klaren ,Jein‘ beantworten. Zunächst scheint diese Art, den Wahrheitswert zu bestimmen, ganz einfach nicht kompositionell zu sein, weil Objekt und Rest-Satz nicht die unmittelbaren Konstituenten der betreffenden Sätze sind. Andererseits wäre es aber immerhin denkbar, dass die nächstliegende, „oberflächensyntaktische“ Einteilung der Sätze nach Subjekt und Prädikat gar nicht maßgeblich für die Semantik ist. Wir hatten ja bereits in Kapitel 2 gesehen, dass die semantische Zerlegung eines Satzes – seine Logische Form (LF) – nicht immer mit der nächstliegenden syntaktischen Zerlegung übereinstimmen muss. Und tatsächlich sprechen eine Reihe von Gründen dafür, dass auch bei (59) und (61) ein solcher Fall vorliegt. Die Grundlage der semantischen Analyse bildet also statt der naheliegenden Klammerung (63) die umgeklammerte Struktur (64), nach der das Objekt einer von zwei unmittelbaren Teilen des Satzes ist: (63) Fritz [kennt [jedes Kochbuch]] (64) [jedes Kochbuch: x] [Fritz [kennt x]] (Die äußersten Klammern um den gesamten Satz haben wir hier weggelassen.) Außer in der Frage, welches die unmittelbaren Teile sind, unterscheidet sich die LF (64) von der sog. Oberflächenstruktur (63) in zwei weiteren Details: (64) enthält zusätzlich (gleich zweimal) eine Variable ,x‘; und die Reihenfolge der Wörter ist eine andere als in (63). Letztere ist für die semantische Analyse nicht von Belang und folgt lediglich der logisch-semantischen Tradition, nach der sich (64) leichter auf Mathematikerdeutsch lesen lässt: ,Für jedes Kochbuch x gilt: Fritz kennt x‘. Damit wird auch die Rolle der Variablen im rechten Teil klar: sie zeigt die Lücke an, die der Quantor hinterlässt. Die Variable im linken Teil stellt den Zusammenhang zwischen der Lücke und dem sie hinterlassenden Quantor her; warum sie überhaupt nötig ist, werden wir gleich sehen. Zunächst halten wir erst einmal fest, dass sich der Wahrheitswert eines Satzes mit quantifizierendem Objekt kompositionell anhand seiner LF bestimmen lässt. Diese LF (66) ergibt sich aus der Oberflächenstruktur (65), indem das quantifizierende Objekt aus seiner ursprünglichen Position „herausbewegt“ wird und dort eine „Spur“ in Form einer Variablen hinterlässt:

Quantorenanhebung

(65) Subjektref [Verbtrans Objektquant] (66) [Objektquant: x] [Subjektref [Verbtrans x]] Die Konstruktion der LF (66) aus der Struktur (65) wird als Quantorenanhebung (engl.: quantifier raising) bezeichnet. Diese Bezeichnung spielt auf eine graphische Darstellung des Übergangs von (65) zu (66) mit Baumdiagrammen statt Klammern an, wobei der Quantor eine Aufwärtsbewegung zu machen scheint:

Fig. 3.4: Anhebung des direkten Objekts

77

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3. Extensionen

Hier ist eine weitere Anwendung der Quantorenanhebung: (67) [Fritz] [liest [kein Kochbuch]] (68) [kein Kochbuch: x] [Fritz [liest x]] Mit der LF (68), die offensichtlich unter das allgemeine Schema (66) fällt, wird der (strukturierte) Satz (67) durch Anhebung des Quantors ,kein Kochbuch‘ in Objekt und Rest zerlegt. Auf diese Weise lässt sich die Extension jetzt wie bei einem gewöhnlichen quantifizierten Satz (mit Quantor an Subjektstelle) bestimmen: der Determinator ,kein‘ trägt dazu eine Relation bei, in der die Extension des Substantivs ,Kochbuch‘ und die Erfüllungsmenge des Rest-Satzes ,Fritz liest x‘ stehen müssen, damit der Satz wahr ist. Nach (48)b ist diese Relation die Disjunktheit, so dass die Extension von (68) – und damit auch die von (67) – gerade dann der Wahrheitswert 1 ist, wenn die Menge der Kochbücher sich nicht mit der Menge der x überlappt, für die gilt: Fritz liest x. In (69) kann man diese Herleitung noch einmal Schritt für Schritt nachvollziehen: (69) gdw. gdw. … gdw. gdw. gdw. Kompositionsregel für die Quantorenanhebung

[[Fritz liest kein Kochbuch ]] = 1 [[ [kein Kochbuch: x] [Fritz [liest x]] ]] = 1 {x | [[Fritz liest x]] = 1} 2 [[ kein Kochbuch ]] … {x | Fritz liest x} 2 {Y | ([[Kochbuch]];Y) 2 [[ kein ]]} ([[Kochbuch]]; {x | Fritz liest x}) 2 [[ kein ]] [[Kochbuch]] \ {x | Fritz liest x} = Ø

Sehen wir uns die Herleitung (69) genauer an! Der Lesbarkeit halber wurde in der ersten Zeile die ohnehin eindeutige Oberflächenklammerung von (67) weggelassen. Um die Extension anhand der LF zu bestimmen, wird zunächst im ersten Schritt die Quantorenanhebung von (67) nach (68) vorgenommen. Beim nächsten Übergang wird der angehobene Quantor so behandelt, als wäre er das Subjekt eines quantifizierten Satzes und der Rest-Satz sein Prädikat. Der Übergang folgt also dem folgenden allgemeinen Schema: (70) Kompositionsregel Wenn Q ein (angehobener) Quantor ist und S ein (Rest-)Satz, dann gilt: * [[ [Q:x] + S]] = 1, falls {x | [[S]] = 1} 2 [[Q]]; und: * [[ [Q:x] + S]] = 0, falls {x | [[S]] = 1} 2 = [[Q]]. Logik-vorbelastete LeserInnen werden feststellen, dass die Regel (70) eine grobe Vereinfachung enthält: die Variable ,x‘ kommt in den Gleichungen ,[[S]] = 1‘ nur implizit vor; wir übergehen diese Komplikation und verweisen auf einschlägige Lehrbücher. Ansonsten entspricht die Kompositionsregel (70) der Regel (54) für quantifizierende Subjekte (S. 74); das war ja die Idee hinter der ganzen Quantoren-Anheberei. (70) rechtfertigt also den zweiten Übergang in der Herleitung (69). Die nächsten paar Schritte sind ausgelassen und werden in einer Übungsaufgabe nachgeholt. Der vorletzte Übergang macht wieder vom Abstraktionsprinzip Gebrauch, und im letzten Schritt wird die Gleichung (48)b bemüht, nach der die Extension des Determinators ,kein‘ die mengentheoretische Beziehung der Disjunktheit ist. Am Ende dieser Kette steht also die – sicher korrekte – Feststellung, dass der Satz (67) genau dann wahr ist, wenn sich die Menge

3.6 Quantifikation

der Kochbücher nicht mit Fritz‘ Lektüre überlappt. Unsere semantischen Regeln funktionieren also für diesen Fall – und werfen ein Licht auf das positive Gegenstück: (71) [Fritz] [liest [ein Kochbuch]] Offensichtlich ist (71) falsch, wenn (67) wahr ist und umgekehrt. Angesichts der in (69) ermittelten Wahrheitsbedingungen heißt das, dass (71) gerade dann wahr ist, wenn sich die Extension des Substantivs ,Kochbuch‘ mit der Erfüllungsmenge des offenen Satzes ,Fritz liest x‘ überlappt. Dies legt nun den Verdacht nahe, dass es sich – möglicherweise entgegen dem ersten Anschein – bei dem Indefinitum ,ein Kochbuch‘ um ein quantifizierendes Nominal handelt und der indefinite (unbestimmte) Artikel ,ein‘ die zur Disjunktheit entgegengesetzte Beziehung der Überlappung ausdrückt: (72) [[ein]] = {(X;Y) | X \ Y 6¼ Ø} Denn wie man unschwer (wieder in einer Übungsaufgabe) nachprüft, ergibt sich aufgrund der Extension (72) und nach Anwendung einer Quantorenanhebung für (71) tatsächlich der gegenteilige Wahrheitswert von (67). Quantorenanhebungen sind nicht auf Sätze der bisher betrachten Art beschränkt, bei denen der Quantor Objekt eines transitiven Verbs ist und an Subjektstelle ein referenzielles Nominal steht. Grundsätzlich lässt sich diese Um-Klammerung z. B. auch dann durchführen, wenn auch das Subjekt ein Quantor ist – so etwa auf den folgenden Typ von Satz, den wir bereits im vorangehenden Kapitel kennengelernt haben: (73) [Jede Zuschauerin] [mag [einen Schauspieler]] Ausgehend von der Klammerstruktur (73) kann man das Objekt ,einen Schauspieler‘ in Analogie zum Schema (66) anheben – obwohl natürlich das Subjekt ,jede Zuschauerin‘ hier nicht referenziell ist; aber die Operation an sich lässt sich durchführen, mit folgendem Resultat: (74) [einen Schauspieler: x] [jede Zuschauerin mag x] Um zu sehen, wie sich die Quantorenanhebung in diesem Fall auswirkt, konsultieren wir zunächst die Kompositionsregel (70), nach der – in Verbindung mit (72) – die LF (74) besagt, dass sich die Extension des Substantivs ,Schauspieler‘ mit der Erfüllungsmenge des folgenden offenen Satzes überlappt: (75) Jede Zuschauerin mag x. Nach den Kompositionsregeln aus dem vorangehenden Abschnitt ist (75) wahr, wenn die Menge der Zuschauerinnen eine Teilmenge der Personen ist, die x mögen; die Erfüllungsmenge umfasst also die Personen, Objekte, Filme etc., die sich der allgemeinen Zuneigung seitens der Zuschauerinnen erfreuen. Damit sich die Menge der Schauspieler mit dieser Erfüllungsmenge überlappt, müssen beide (mindestens) ein gemeinsames Element haben; es muss also dann (mindestens) einen Schauspieler geben, den alle Zuschauerinnen mögen. Das ist die Wahrheitsbedingung, die sich für (74) ergibt. Die LF (74) erfasst damit nur eine der beiden Lesarten des Satzes (73). Die andere, nach der nicht (unbedingt) alle Zuschauerinnen denselben Schau-

Extension des indefiniten Artikels

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3. Extensionen

spieler mögen, muss irgendwie anders erklärt werden. Erstaunlicherweise hilft auch hier die Quantorenanhebung weiter, wenn man sie nämlich auf das Subjekt in (74) anwendet: (76) [jede Zuschauerin: y] [einen Schauspieler: x] [y mag x] Dabei wurde das Subjekt ,jede Zuschauerin‘ aus seiner ursprünglichen Position an den Anfang des Satzes – genauer: der LF – gerückt und die hinterlassene Lücke wieder mit einer Variablen gefüllt. Jetzt sollte auch klar sein, warum diese Variable auch beim herausgehobenen Quantor selbst erwähnt wird: diese sog. Koindizierung – die Markierung des angehobenen Quantors und der Lücke mit derselben Variablen – dient dazu auseinanderzuhalten, welcher Quantor woher kommt. Diese Information ist wichtig, wenn es daran geht, die Extension der LF (76) zu ermitteln. Angewandt auf die LF (76) besagt die für angehobene Quantoren zuständige Kompositionsregel (70), dass der Satz wahr ist, wenn die Erfüllungsmenge von (77) in der Extension des Quantors ,jede Zuschauerin‘ liegt: (77) [einen Schauspieler: x] [y mag x] Die Erfüllungsmenge von (77) ist nun die Menge der y, auf die (77) zutrifft. Diese Erfüllungsmenge ergibt sich wiederum aus einer erneuten Anwendung der Kompositionsregel (70), nach der (77) auf ein beliebiges y zutrifft, wenn sich die Menge der Schauspieler mit der Menge der Personen und Dinge überlappt, die y mag – wenn es also (mindestens) einen Schauspieler gibt, den y mag. Insgesamt ergibt sich damit für die LF (76), dass sie wahr ist, wenn die Menge der Zuschauerinnen eine Teilmenge derjenigen Personen ist, die mindestens einen Schauspieler mögen. Und das ist offenbar die zweite Lesart von (73). Die Ambiguität von (73) lässt sich also erklären, indem die Quantorenanhebung auch für quantifizierende Subjekte zugelassen wird. Damit erhalten wir für die beiden Lesarten von (73) die LFs (74) und (76). Die Mehrdeutigkeit erweist sich somit als strukturelle Ambiguität, die erst bei der Konstruktion der LF auftritt. Diese Konstruktion ist also kein deterministischer Prozess: ausgehend von (73) kann man per Quantorenanhebung zur LF (74) oder zur LF (76) gelangen. Und man könnte sogar noch eine weitere LF herleiten, nämlich: (78) [einen Schauspieler: x] [jede Zuschauerin: y] [y mag x] Skopus

Wie man sich leicht überlegt, ergibt sich (78) aus (73), indem zunächst das Subjekt und erst dann das Objekt angehoben wird – also in umgekehrter Reihenfolge zu (76). Allerdings entspricht (78) keiner weiteren Lesart des (Oberflächen-)Satzes (73), sondern stimmt in seinem Wahrheitswert zwingend mit der einfacheren LF (74) überein. Dennoch ist (78) insofern eine interessante Struktur, als der Vergleich mit (76) zutage bringt, worin genau der Unterschied zwischen den beiden Lesarten besteht, nämlich in ihrer Rangordnung. In (76) ist der Quantor ,jede Zuschauerin‘ – also das Subjekt – insofern der höherrangige, als seine Extension unmittelbar zur Bestimmung des Wahrheitswerts des gesamten Satzes herangezogen wird, während die Extension des Objekts ,einen Schauspieler‘ nur bei der Ermittlung der Erfüllungsmenge des Restsatzes (77) eine Rolle spielt. In (78) ist diese Rangord-

3.6 Quantifikation

nung gerade umgekehrt. Wie schon in 2.3.2 erwähnt, spricht man in Logik und Semantik in diesem Zusammenhang vom relativen Skopus der Quantoren und sagt, dass in (76) das Objekt im Skopus des Subjekts liegt. Im Allgemeinen ist der Skopus eines Quantors Q in einer LF der Form ,(Q: x) …‘ gerade der Teil ,…‘. Ambige (Oberflächen-)Sätze wie (73), deren LFs sich dadurch unterscheiden, dass zwei (oder mehr) Quantoren in unterschiedlichen Skopus-Konstellationen stehen, werden als Skopusambiguitäten bezeichnet – ein Terminus, den wir ebenfalls schon im 2. Kapitel kennengelernt haben. Dabei ist zu beachten, dass Skopusambiguitäten in dem Sinne strukturelle Ambiguitäten sind, als die LF Teil der syntaktischen Struktur der Sätze ist, nämlich der Teil, der ihre Bedeutung determiniert. Insbesondere sind also LFs selbst keine Bedeutungen. Die Bedeutung eines sprachlichen Ausdrucks (zu dem immer auch seine Struktur gehört) besteht vielmehr aus seiner Extension und seiner Intension. Die philosophische Passage am Anfang des Abschnitts stammt aus Heidegger (1929) und war Gegenstand einer scharfen Kritik in Carnap (1931). Die oben (und auch bei Carnap) zitierten Heidegger-Stellen sind im Original auf den S. 10, 13, 17 bzw. 19 zu finden. Die hier vorgeführte Analyse einfacher quantifizierter Aussagen geht auf Frege (1892b) zurück, hat sich aber erst ab den 1970er Jahren in der Semantik durchgesetzt, vor allem in Folge der einflussreichen Arbeiten des US-amerikanischen Logikers Richard Montague [1930–1971], insbesondere Montague (1973). Auch die Quantorenanhebung geht letztlich auf Montague (1973) zurück, wobei die Terminologie und ein Teil der Motivation von Robert May (1985) stammen; mehr dazu bringt das siebte Kapitel des Lehrbuchs von Heim & Kratzer (1998). Die Details der Kompositionalität der Quantorenanhebung (70) sind erstaunlich komplex; unerschrockene LeserInnen mögen dafür das zehnte Kapitel von Zimmermann & Sternefeld (2013) konsultieren.

- Übungsaufgaben zu 3.2 1. Betrachten Sie die Nominalgruppe ,Walters Porsche‘ und entscheiden Sie jeweils, ob sie sich hinsichtlich der Eigenschaften 1.–5. eher wie ein Eigenname oder wie eine Kennzeichnung verhält.

zu 3.3 2. Geben Sie für die folgenden Adjektive jeweils an, ob sie intersektiv und/oder subsektiv sind: * abwegig * freundlich * potenziell Begründen Sie ihre Entscheidung anhand von Beispielen. 3. Formulieren Sie eine allgemeine Eigenschaft, die ,vermeintlich‘ besitzt, ,angeblich‘ aber nicht. Tipp: Betrachten Sie mögliche Schlüsse. 4. Formulieren Sie die zu (9) analoge Kompositionsregel für die Modifikation von (sortalen) Substantiven durch restriktive Relativsätze.

Skopusambiguitäten

Quellen

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3. Extensionen

zu 3.4 5. Charakterisieren Sie die Extensionen der folgenden Prädikate im Stil von (24): * isst ein Stück Kuchen * isst Gebäck * isst nichts * isst nicht * isst Welche (mengentheoretischen) Beziehungen bestehen zwischen ihnen? 6. Weihnachten bei Förster-Familie Huber; es gibt reichlich Geschenke. Förster Walter und Tochter Vroni sind schlecht koordiniert und verschenken je einen Dackel, Waldi bzw. Tecki, an die Förstersfrau. Waltraud schenkt ihrer Tochter und ihrem Gatten je einen Lodenmantel. Die Tochter schenkt ihrem Vater und ihrer Mutter je ein selbstgemaltes Ölbild, Röhrender Hirsch am Baggersee bzw. Betrunken im Wald. Die Hunde werden nicht beschenkt, verschenken aber auch nichts. Geben Sie für dieses Szenario die Extensionen der folgenden drei Prädikate an: * schenkt * schenkt [der] Waltraud * schenkt Waltraud einen Dackel

zu 3.5 7. Konstruieren Sie eine Wahrheitstafel für die zweite Lesart von (38) und vergleichen Sie das Ergebnis mit Tabelle 3.3. 8. Beschreiben Sie ein Szenario, auf das (39)c zutrifft, in dem aber der nach Tabelle 3.4 ermittelte Wahrheitswert der Negation des Satzes ,Eines der Mädchen schläft‘ = 0 ist. 9. Welcher Rechenoperation entspricht die Konjunktion, wenn man bedenkt, dass Wahrheitswerte Zahlen sind? 10. Geben Sie im Stil von (37) die Extensionen von ,oder‘ und ,nicht‘ als Mengen an.

zu 3.6 11. Bestimmen Sie die Extensionen der folgenden, traditionell als Indefinitpronomina bezeichneten Quantoren: * etwas * alles * jemand Geben Sie diese Extensionen in Form einer Gleichung im Stil von (56) an. Dabei können Sie abkürzende Bezeichnungen für die Menge aller Gegenstände bzw. aller Personen verwenden – z. B. ,Dinx‘ bzw. ,Pers‘. 12. Vervollständigen Sie die Herleitung (69). Gehen Sie dabei davon aus, dass die Variable ,x‘ ein referenzielles Nominal ist. 13. Leiten Sie den Wahrheitswert von (71) im Stil von (69) kompositionell her.

4. Intensionen Im vorangehenden Kapitel haben wir gesehen, wie man für verschiedenartige sprachliche Ausdrücke Extensionen ermitteln kann, die sich dann kompositionell miteinander verbinden lassen, um die Extensionen immer komplexerer Ausdrücke zu bilden. Allerdings kann sich die Bedeutung eines Ausdrucks nicht in seiner Extension erschöpfen; sonst würden ja insbesondere alle wahren Sätze dasselbe bedeuten. Die Extension macht daher auch nur einen Teil der wörtlichen Bedeutung aus, eben den Teil, der dafür zuständig ist, dass sich sprachliche Ausdrücke auf die Welt beziehen. Der andere, in gewisser Weise umfassendere Teil der Bedeutung ist die Intension, die dafür sorgt, dass man mit Sprache Informationen austauschen kann. Diesem Aspekt der Bedeutung wenden wir uns jetzt zu.

4.1 Intensionalität Bei der Ermittlung so abstrakter Extensionen wie Wahrheitstafeln und Quantoren haben wir uns stets auf die extensionale Kompositionalität verlassen und nach Objekten Ausschau gehalten, die sich gemeinsam mit den Extensionen anderer Ausdrücke ergänzen. Das Vorgehen hat sich als ausgesprochen nützlich erwiesen, zumal gerade bei Wörtern wie und und niemand ja zunächst kein offenkundiger Beitrag zum Sachbezug auszumachen war. Wir hatten also die folgende Variante des allgemeinen Kompositionalitätsprinzips unterstellt und bestätigt gefunden: (1) Extensionales Kompositionalitätsprinzip Die Extension eines komplexen Ausdrucks ergibt sich aus den Extensionen seiner unmittelbaren Teile und der Art ihrer Kombination. In dieser allgemeinen Form ist das Prinzip (1) jedoch nicht richtig. Um das einzusehen, betrachten wir zunächst zwei Beispiele, in denen es durchaus funktioniert: (2) Hamburg ist größer als Köln. (3) Pfäffingen ist größer als Breitenholz. (2) und (3) sind Sätze, deren Extensionen sich systematisch aus denen ihrer Teile ermitteln lassen. (2) ist z. B. wahr, weil die Extension des Subjekts, die Hansestadt Hamburg, in der Extension des Prädikats liegt, der Menge aller Orte, die größer sind als Köln. Aus einem parallelen Grund ist auch (3) wahr. Beide Sätze haben also mit dem Wahrheitswert 1 dieselbe Extension, die sich jeweils kompositionell aus den Extensionen ihrer Teile ergibt. Umgekehrt ist diese Extension gerade der Beitrag, den die beiden Sätze zum Wahrheitswert anderer Sätze leisten, in denen sie durch Junktoren verknüpft werden: (4) Hamburg ist größer als Köln, oder es ist nicht so, dass Pfäffingen größer ist als Breitenholz.

extensionale Kompositionalität

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4. Intensionen

Der Wahrheitswert von (4) ergibt sich kompositionell aus den Wahrheitswerten von (2) und (3), unter Rückgriff auf die in 3.5 dargestellten Wahrheitstafeln. Dabei gehen wir davon aus, dass die Formulierung ,es ist nicht so, dass S‘ die Negation des Satzes S ausdrückt; den Unterschied in der Wortstellung (Verbzweit vs. Verbletzt) vernachlässigen wir. Da (2) und (3) denselben Wahrheitswert haben, leisten sie auch denselben Beitrag zur Bestimmung des Wahrheitswerts von (4). Insbesondere kann man sie also durcheinander ersetzen, ohne dass sich der Wahrheitswert des Gesamtsatzes ändert; so hat (5) denselben Wahrheitswert wie (4): (5) Hamburg ist größer als Köln, oder es ist nicht so, dass Hamburg größer ist als Köln. (5) ergibt sich aus (4), indem man dort (3) durch (2) ersetzt; da beide denselben Wahrheitswert, nämlich 1, haben, ist auch der Wahrheitswert von (5) derselbe wie der von (4). Natürlich heißt dies nicht, dass (5) dasselbe bedeutet wie (4): im Gegensatz zu (4) ist (5) eine gänzlich triviale Aussage. Aber die beiden Sätze unterscheiden sich nicht im Wahrheitswert; sie haben dieselbe Extension. Etwas allgemeiner gesprochen können wir beobachten, dass extensionsgleiche Ausdrücke stets für einander ersetzt werden können, ohne dass sich etwas an der Extension des Gesamtausdrucks (z. B. des Satzes) ändert. Genau darin äußert sich die extensionale Kompositionalität, mit der wir bislang immer gut gefahren sind. … bis jetzt. Denn nicht immer funktionieren Ersetzungen extensionsgleicher Ausdrücke so, wie man es aus Sicht des extensionalen Kompositionalitätsprinzips erwarten würde. Zu den offenkundigen Gegenbeispielen gehören Konstruktionen wie in (6): (6) Fritz meint, Hamburg ist größer als Köln. Einstellungsberichte

In (6) fungiert Satz (2) als Ergänzung – genauer als Objekt oder Komplement – des Verbs ,meinen‘. In der Semantik bezeichnet man solche „satzeinbettenden“ Verben Einstellungsverben (engl. attitude verbs), weil sie typischerweise – aber keineswegs immer – eine Einstellung (der Extension) des Subjekts zum Ausdruck bringen. Sätze wie (6) mit referenziellem Subjekt und einem Einstellungsverb als Hauptverb heißen dementsprechend Einstellungsberichte (engl. attitude reports). Dass Einstellungsberichte Gegenbeispiele zum extensionalen Kompositionalitätsprinzip darstellen, zeigt ein sog. Substitutionsargument. Ersetzt man nämlich den Komplementsatz in (6) durch den extensionsgleichen Satz (3), ergibt sich für den Gesamtsatz nicht unbedingt derselbe Wahrheitswert: (7) Fritz meint, Pfäffingen ist größer als Breitenholz.

Substitutionsargument

Sehen wir uns das Scheitern des extensionalen Kompositionalitätsprinzips genauer an! Wollte man die Extension, also den Wahrheitswert, des Einstellungsberichts (6) nach diesem Prinzip bestimmen, müsste man ihn zunächst in seine Teile zerlegen. Die folgende Klammerung bietet sich dafür an: (8) [Fritz [meint [Hamburg ist größer als Köln]]] (Die Klammern innerhalb des Komplementsatzes fehlen, weil sie für das Folgende keine Rolle spielen.) Der Wahrheitswert von (6) lässt sich zunächst

4.2 Propositionen

auf die übliche Art und Weise aus den Extensionen seiner unmittelbaren Teile bestimmen: der Satz ist wahr, wenn der Träger des Namens ,Fritz‘ Element der Extension des Prädikats ,meint, Hamburg ist größer als Köln‘ ist. Wenn nun auch das Prädikat dem extensionalen Kompositionalitätsprinzip folgen soll, müsste sich seine Extension aus der Extension des Verbs ,meint‘ mit der Extension seines Komplements ergeben. Da es sich bei dem Komplement um den Satz (2) handelt, dessen Extension wiederum sein Wahrheitswert ist, müsste es sich folglich durch (3) ersetzen lassen, ohne dass sich an der Prädikatsextension etwas ändert; denn (2) und (3) haben dieselbe Extension, nämlich den Wahrheitswert 1. Doch wenn die Prädikatsextensionen von (6) und (7) gleich sind, dann sind es auch die Wahrheitswerte; denn die Subjekte stimmen ja überein. Demnach müsste also aus der Tatsache, dass (2) und (3) wahr sind, folgen, dass (6) denselben Wahrheitswert hat wie (7). Doch das ist offenkundig Quatsch! Denn aus der Wahrheit von (6) kann man natürlich keineswegs auf die Wahrheit von (7) schließen; und ebenso wenig gilt der Umkehrschluss. (6) könnte ja durchaus zutreffen, weil Fritz über die Größenordnungen der deutschen Millionenstädte informiert ist; damit muss er sich noch lange nicht bei der Gemeinde Ammerbuch (Kreis Tübingen) auskennen, zu der die beiden Dörfer Pfäffingen und Breitenholz gehören. Und der umgekehrte Fall ist ebenso denkbar. Einstellungsberichte wie (6) sind somit Gegenbeispiele zum extensionalen Kompositionalitätsprinzip. Das ist die Lehre aus dem Substitutionsargument. Wann immer sich Extensionen nicht nach dem extensionalen Kompositionalitätsprinzip richten, spricht man in der Semantik von einer intensionalen Konstruktion. Intensionale Konstruktionen zeichnen sich dadurch aus, dass in ihnen eine Ersetzung extensionsgleicher Teil-Ausdrücke die Extension des Gesamtausdrucks verändern kann. Das obige Substitutionsargument zeigt also, dass die Komplementierung von Einstellungsverben wie ,meinen‘ (oder z. B. ,wissen‘) eine intensionale Konstruktion ist. In einer intensionalen Konstruktion kann der Beitrag, den der betreffende Teilausdruck zur Bestimmung der Extension des Gesamtausdrucks leistet, nicht – oder zumindest nicht nur – in seiner Extension bestehen. Komplementsätze tragen also mehr zur Extension bei als ihre Wahrheitswerte. Intensionalität ist damit eigentlich nur die Abwesenheit von Extensionalität, also Nicht-Extensionalität, und hat zunächst nichts mit den – noch genauer zu charakterisierenden – Intensionen zu tun. Der nächste Abschnitt wird einen Zusammenhang herstellen. Substitutionsargumente zum Nachweis der Nicht-Kompositionalität von Extensionen finden sich erstmals bei Frege (1892a).

4.2 Propositionen Worin, wenn nicht in seinem Wahrheitswert, besteht nun der Beitrag, den der Komplementsatz zur Extension eines Einstellungsberichts leistet? Um diese Frage zu beantworten, vergleichen wir die Einstellungsberichte (6) und (7), die sich nur im Komplement unterscheiden. In beiden Fällen ist dieser eingebettete Satz wahr. Im Fall von (6) – so wollen wir annehmen – ist aber der Einstellungsbericht wahr, in (7) ist er falsch. Dieser Unterschied im Wahrheitswert der Einstellungsberichte scheint nichts mit dem Wahrheitswert der

intensionale Konstruktionen

Quellen

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4. Intensionen

beiden Komplementsätze zu tun zu haben. Andererseits gibt es durchaus Sätze, die man gefahrlos anstelle des Komplements in (6) einsetzen kann, z. B.: (9) Köln ist kleiner als Hamburg. Denn offenbar kann man aus der Wahrheit von (6) unmittelbar auf die Wahrheit von (10) schließen, und umgekehrt: (10) Fritz meint, Köln ist kleiner als Hamburg. Kompositionalität von Einstellungsberichten

Infomation

Natürlich hat auch (9) denselben Wahrheitswert wie (2). Doch die beiden Sätze stimmen nicht nur hinsichtlich des Sachbezugs überein, sondern sind auch für Zwecke des Informationsaustauschs gleichwertig: wer nicht über das Größenverhältnis zwischen den beiden Städten Bescheid weiß, kann diese Wissenslücke vermittels (2) ebenso gut schließen wie mit Hilfe von (9). Denn die Sätze besagen dasselbe, sie haben denselben Informationswert. Anders als der gemeinsame Wahrheitswert reicht diese inhaltliche Übereinstimmung offenbar aus, um ihre gegenseitige Ersetzbarkeit in einem Einstellungsbericht wie (6) und (10) zu garantieren, ohne dass sich der Wahrheitswert des Berichts ändert. Und das ist offenbar kein Zufall. Denn ob diese Berichte zutreffen, hängt davon ab, ob nach Fritz‘ Meinung die in den Komplementsätzen enthaltene Information über das Größenverhältnis der beiden Städte korrekt ist. Somit besteht offenbar ein Zusammenhang zwischen dem (gemeinsamen) Wahrheitswert der Einstellungsberichte (6) und (10) einerseits und dem (gemeinsamen) Informationsgehalt der Sätze (2) und (9). Allgemeiner gesprochen hängt die Extension des Einstellungsberichts (unter anderem) von der Intension des Komplements des Einstellungsverbs ab. Wie wir noch sehen werden, bildet dieser Zusammenhang den Kern der kompositionellen Bestimmung der Extensionen von Einstellungsberichten und intensionalen Konstruktionen überhaupt. Bevor wir ihn uns näher anschauen, müssen wir allerdings den Informationsbegriff etwas präzisieren, um so zu einer allgemeinen Charakterisierung von Intensionen zu gelangen. So wie Extensionen den Sachbezug betreffen, haben Intensionen etwas mit Information zu tun. Dieser Begriff ist dabei in dem weiten Sinn zu verstehen, als er nicht nur auf aktuelle und zutreffende Informationen angewandt wird, sondern Fehlinformationen ebenso umfasst wie Altbekanntes. In diesem Sinn enthalten die folgenden beiden Sätze dieselbe Information, auch wenn diese nicht zutrifft: (11) Köln ist größer als Hamburg. (12) Hamburg ist kleiner als Köln.

Proposition

In der Semantik bezeichnet man die in einem (Haupt- oder Neben-)Satz enthaltene Information als die von ihm ausgedrückte Proposition (von engl. proposition [„Aussage“]). Die Proposition, die ein Satz ausdrückt, ist also der Teil seiner Bedeutung, der für den Austausch von Informationen benutzt wird. Was ist nun eine Proposition? Was ist die in einem Satz enthaltene Information? Was ist überhaupt Information? Um Antworten auf diese Fragen zu finden, vergleichen wir die folgenden Beispiele: (13) Vier Münzen wurden geworfen. (14) Mindestens eine der vier geworfenen Münzen fiel auf Kopf.

4.2 Propositionen

(15) Mindestens eine der vier geworfenen Münzen fiel auf Zahl. (16) Genau zwei der vier geworfenen Münzen fielen auf Kopf. (17) Genau zwei der vier geworfenen Münzen fielen auf Zahl. (13) ist der uninformativste dieser fünf Sätze, die anderen besagen jeweils mehr; (14) ist wiederum weniger informativ als (16), und zumindest unter der Voraussetzung, dass jede der vier geworfenen Münzen auf Kopf oder Zahl gefallen ist, sind (16) und (17) gleich informativ. Ob man (14) und (15) dagegen auch als gleich informativ einschätzt, hängt davon ab, was genau man unter Informativität verstehen will: in einem gewissen Sinn steckt in (14) und (15) gleich viel Information – die Sätze sind quantitativ gleich informativ. Andererseits besagen sie nicht dasselbe, d. h. sie beinhalten unterschiedliche Informationen und sind somit qualitativ verschieden informativ. Das Werfen von Münzen erinnert an Wahrscheinlichkeiten, und das ist hier kein Zufall. Wie man nämlich anhand der obigen Beispiele leicht nachprüft, stimmt die quantitative Informativität eines Satzes mit der Wahrscheinlichkeit des durch ihn beschriebenen Ereignisses überein. Diese Wahrscheinlichkeit lässt sich an der Anzahl dieser günstigen Fälle (relativ zur Anzahl aller möglichen Fälle) bemessen. Insbesondere ist ein Satz quantitativ informativer als ein anderer, wenn die Anzahl der für ihn günstigen Fälle geringer ist. Was nun die qualitative von der quantitativen Informativität abhebt, ist ihre Sensibilität für die Art der günstigen Fälle: obwohl es zwar gleich viele mögliche Ausgänge der Münzwerferei gibt, in denen (mindestens) einmal Zahl geworfen wird, wie solche, in denen (mindestens) einmal Kopf herauskommt – obwohl also (14) und (15) quantitativ gleich informativ sind – ist es doch keineswegs so, dass die Fälle, in denen einmal Kopf herauskommt, zugleich auch die Fälle sind, in denen einmal Zahl geworfen wird: wenn etwa alle vier Münzen mit dem Kopf nach oben landen, wird nämlich gar keine Zahl geworfen. Der qualitative Unterschied im Informationsgehalt zwischen (14) und (15) besteht also darin, dass die jeweiligen Mengen der günstigen Fälle nicht identisch sind, auch wenn sie gleichmächtig sind (= gleich viele Elemente besitzen). Die quantitative Informativität vergleicht also die Mächtigkeit von Mengen günstiger Fälle, während die qualitative Informativität diese Mengen direkt miteinander in Beziehung setzt. Insbesondere entspricht dem Mehr oder Weniger an qualitativer Informativität die Teilmengen-Beziehung: (16) ist qualitativ informativer als (14), weil in jedem Fall, in dem genau zwei der geworfenen Münzen auf dem Kopf landen, zugleich auch mindestens eine der vier Münzen auf dem Kopf landet – weil also die Menge der für (16) günstigen Falle eine Teilmenge der für (14) günstigen Fälle ist. Es sollte inzwischen klar sein, welche Art von Informativität für eine Präzisierung des Propositionsbegriffs einschlägig ist: zwei Sätze, die qualitativ gleich informativ sind, besagen offensichtlich in dem Sinne dasselbe, als sie auf dieselben Fälle zutreffen. Ihr jeweiliger Informationsgehalt lässt sich also mit diesen Mengen von (günstigen) Fällen erfassen oder sogar identifizieren. Wir gelangen auf diese Weise zu einer ersten Charakerisierung des Propositionsbegriffs: *

Die durch einen Satz ausgedrückte Proposition ist die Menge der Fälle, auf die er zutrifft.

qualitative vs. quantitative Informativität

87

88

4. Intensionen

Was hat man sich nun unter Fällen vorzustellen? Schauen wir uns dazu noch einmal unser Münzwurfbeispiel an! Der Satz (13) ist am wenigsten informativ, weil er auf alle Fälle zutrifft, auf die die anderen Sätze zutreffen. Es liegt demnach nahe, die einzelnen Fälle einfach danach zu unterscheiden, welche Münzen wie gelandet sind. Ein Fall wäre dann KKKK (= 4mal Kopf), ein anderer wäre KKKZ etc. Die durch (13) ausgedrückte Proposition würde dann alle 16 Fälle von KKKK bis ZZZZ enthalten, während gerade der letztgenannte Fall nicht in der von (14) ausgedrückten Proposition auftaucht. Im Allgemeinen greift allerdings eine solche Bestimmung von Fällen zu kurz: (18) Vier Münzen wurden geworfen, während jemand hustete. (19) Vier Münzen wurden geworfen, während niemand hustete.

mögliche Welten Logischer Raum

Wie (14)–(17) enthalten auch (18) und (19) mehr Information als (13). Wenn sich dieses Mehr an Information wieder in den Fällen niederschlagen soll, auf die die Sätze zutreffen, müsste (13) auf jeden der Fälle zutreffen, auf die (18) oder (19) zutrifft. Aber diese Fälle – und Fälle im Allgemeinen – müssten dann auch danach unterschieden werden, ob jemand hustet (H) oder nicht (N): KKKKH, ZZZZN etc. pp. Doch damit nicht genug: (18) und (19) kann man ja beliebig verfeinern, womit die Fälle immer differenzierter würden. Und wohlgemerkt: all diese differenzierten Fälle müssten schon in der durch (13) ausgedrückten Proposition stecken. Wo ist die Grenze dieser Differenzierungsmöglichkeiten? So seltsam es klingen mag: Die Grenze ist die Welt. Denn erst wenn man jedes einzelne Detail ausbuchstabiert hätte – vom Urknall bis in alle Ewigkeit, von der Anzahl meiner Haare bis zum Tod von Olof Palme – erst dann könnte man sicher sein, dass sich der so spezifizierte Fall nicht weiter differenzieren lässt. Der spezifischste Fall umfasst demnach die gesamte Welt – vorausgesetzt der Fall tritt ein. Denn sollte sich irgendein Detail als irrig erweisen, hat man es immer noch mit einem maximal spezifischen Fall zu tun, aber eben nur mit einem hypothetischen. Aus diesen Betrachtungen schließen wir, dass Fälle, wie sie in Propositionen benötigt werden, im Allgemeinen hochgradig spezifisch sind. In der Semantik spricht man deswegen statt von Fällen von möglichen Welten. Die Menge aller möglichen Welten ist der Logische Raum. Er enthält jeden auch noch so abwegigen Fall – vorausgesetzt, dieser Fall ist bis in jede Einzelheit ausbuchstabiert. Die einzelnen Punkte im Logischen Raum, die möglichen Welten, unterscheiden sich voneinander in irgendwelchen Details: im Zeitpunkt des Entstehens unseres Universums, in der Anzahl von Sandkörnern in der Sahara usw. Nur eine dieser vielen Möglichkeiten tritt wirklich ein, das ist die wirkliche Welt. Da wir über die Details dieser Wirklichkeit nicht in allen Einzelheiten unterrichtet sind, wissen wir nicht, welchem Punkt im Logischen Raum sie genau entspricht. Wir können die Wirklichkeit nicht bis ins letzte Detail lokalisieren. Mögliche Welten sind also hochgradig spezifische Fälle. In dieser Hinsicht unterscheiden sie sich von Fiktionswelten wie der Welt des Sherlock Holmes. Denn Conan Doyles‘ Geschichten lassen sehr viele Details offen – ob Holmes ein Muttermal auf dem Rücken hatte, zum Beispiel. In einer möglichen Welt muss dagegen jedes dieser Details ausgefüllt sein. Der „Welt des Sherlock Holmes“ entsprechen somit ganz viele mögliche Welten – und

4.2 Propositionen

zwar alle, in denen es sich wie in Conan Doyles‘ Geschichten verhält. „Die Welt des Sherlock Holmes“ ist demnach eine Menge möglicher Welten – eine Proposition. Auch die ursprünglich anhand der Münzwurf-Beispiele betrachteten 16 Fälle erweisen sich aus Sicht des Logischen Raums als Propositionen. Denn wie wir anhand von (18) und (19) gesehen haben, kann jeder dieser Fälle beliebig verfeinert werden, und jede vollständige Verfeinerung ist eine mögliche Welt. So besehen enthalten die Propositionen, die von den Sätzen (13)–(17) ausgedrückt werden, die 16 Münzwurf-Fälle nicht als Elemente, sondern als Teilmengen. Der Fall KKZZ etwa tritt in unzähligen möglichen Welten auf, und in jeder dieser Welten trifft z. B. (14) zu; die von (14) ausgedrückte Proposition ist somit eine Obermenge dieses Falls; und natürlich enthält diese Proposition darüber hinaus noch weitere Welten, wie etwa die in dem Fall KKKK. Die von (14) ausgedrückte Proposition ist aber auch eine Obermenge der von (17) ausgedrückten Proposition: wir hatten bereits gesehen, dass die für (17) günstigen Fälle eine Teilmenge der für (14) günstigen Fälle ist; und daher gilt (14) auch in allen Welten, in denen (17) gilt. Allgemeiner gesprochen gilt ein (qualitativ) weniger informativer Satz in allen Welten, in denen ein (qualitativ) informativerer Satz gilt. Aus semantischer Sicht ist die Teilmengenbeziehung zwischen Propositionen somit von besonderem Interesse. Denn sie entspricht der in Kapitel 1 und 2 angesprochenen grundlegenden Sinnrelation der Implikation zwischen (Aussage-)Sätzen. Dass man von der Wahrheit eines Satzes S1 auf die Wahrheit eines Satzes S2 schließen kann, heißt ja gerade, dass S1 nicht wahr sein kann, ohne dass S2 wahr ist; dass also die Umstände, unter denen S1 wahr ist, auf jeden Fall so sein müssen, dass unter ihnen auch S2 wahr ist. Diese „Umstände“ müssen natürlich nicht eintreten, es kann sich um rein hypothetische Umstände handeln; denn nicht alle Sätze müssen zutreffen. Insofern nun die (möglichen) Umstände, unter denen ein Satz wahr ist, alle Begleitumstände umfassen, kann man sie mit den möglichen Welten in der durch ihn ausgedrückten Proposition gleichsetzen. So besehen besteht die Implikation zwischen Sätzen S1 und S2 gerade dann, wenn jede Welt in der von S1 ausgedrückten Proposition p1 auch in der Proposition p2 liegt, die von S2 ausgedrückt wird: *

S1 impliziert genau dann S2, wenn p1  p2.

Man beachte, dass die Implikationsbeziehung auch dann besteht, wenn beide Sätze dieselbe Proposition ausdrücken; denn man kann ja z. B. von (16) auf (17) schließen – und natürlich von jedem Satz auf ihn selbst. Dass die im Komplementsatz enthaltene Information – sein „Erkenntniswert“ – für den Wahrheitswert von Einstellungsberichten entscheidend ist, ist ein zentraler Punkt in Frege (1892a). Die Modellierung von Information durch Mengen günstiger Fälle geht auf das Buch Meaning and Necessity (1947) des deutsch-amerikanischen Philosophen Rudolf Carnap [1891–1970] zurück, der sich dabei von Wittgensteins Tractatus (1921) inspirieren ließ, aus dem auch die Bezeichnung Logischer Raum stammt. Mögliche Welten sind seit den Schriften von Richard Montague fester Bestandteil der semantischen Theoriebildung.

Quellen

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4. Intensionen

4.3 Von Propositionen zu Intensionen Die Intension eines Ausdrucks ist der für den Informationsaustausch zuständige Bedeutungsanteil. Es liegt von daher nahe, sie im Falle eines (Aussage-) Satzes mit der durch ihn ausgedrückten Proposition gleichzusetzen. Um nun aber auch für andere Arten von Ausdrücken geeignete Intensionen zu finden, empfiehlt es sich, die Propositionen durch andere gleichwertige Objekte zu ersetzen, ihre sog. charakteristischen Funktionen, die wir zunächst einführen werden. 4.3.1 Charakteristische Funktionen Die durch einen Satz ausgedrückte Proposition besteht aus allen Fällen, auf die er zutrifft, also aus allen Welten, die er (korrekt) beschreibt. Damit legt eine Proposition gewissermaßen einen Schnitt durch den Logischen Raum. Die durch den Satz (20) ausgedrückte Proposition trennt z. B. die Welten, in denen Montague ermordet wurde – die für den Satz (wenn auch nicht für Montague) günstigen Fälle – von denen, in denen er nicht ermordet wurde, sondern noch lebt, durch Unfall oder Krankheit starb, Selbstmord begangen hat oder nie geboren wurde: (20) Montague wurde ermordet.

Fig. 4.1: Spaltung des Logischen Raums durch die von (20) ausgedrückte Proposition Die durch (20) ausgedrückte Proposition lässt sich also statt als Menge auch als eine Art „Spaltung“ des Logischen Raums verstehen. Das Kriterium, nach dem diese Spaltung vorgenommen wird, hängt dabei eng mit der Extension des Satzes zusammen. Denn diese Extension ist – wie Extensionen im Allgemeinen – faktenabhängig. Wenn die Fakten so sind wie in den Welten auf der rechten Seite von Fig. 4.1, ist der Satz wahr, seine Extension also der Wahrheitswert 1; andernfalls ist 0 seine Extension. Diese Spaltung des Logischen Raums lässt sich auch in Form einer Tabelle darstellen, in der jeder möglichen Welt ein entsprechender Wahrheitswert gegenübergestellt wird:

4.3 Von Propositionen zu Intensionen Welt

Wahrheitswert

w1

0

w2

0

w3

1





wn

1





Tabelle 4.1: Wahrheitswertverlauf von (20) Tabelle 4.1, die man sich natürlich ins Unendliche des Logischen Raums vervollständigt vorstellen muss, ist zunächst einfach nur eine Darstellung der durch den Satz (20) ausgedrückten Proposition. Darüber hinaus zeigt sie aber auch den Zusammenhang zwischen dieser Proposition und dem Wahrheitswert des Satzes, indem sie diesen in Abhängigkeit vom jeweiligen Punkt im Logischen Raum darstellt. Was Tabelle 4.1 also (unvollständig) darstellt, ist eine Funktion, die jedem Punkt im Logischen Raum – also jeder möglichen Welt – einen Wahrheitswert zuweist, und zwar den Wahrheitswert, den (20) in dieser Welt hat. Der Funktionsbegriff dürfte aus der Schulmathematik bekannt sein. So ordnet z. B. die Quadratfunktion jeder Zahl n ihre Quadratzahl n2 zu, also das Produkt von n mit sich selbst. Auch die Quadratfunktion lässt sich durch eine (ebenfalls unvollständige) Tabelle darstellen: Zahl

Quadrat

0

0

1

1

2

4

3

9





Funktionen

Tabelle 4.2: Wertverlauf der Quadratfunktion Die tabellarische Darstellung einer Funktion beschreibt ihren Wertverlauf, indem in ihrer linken Spalte ein bestimmter Bereich aufgelistet und in der rechten Spalte jedem Element dieses Bereichs ein ihm entsprechendes Objekt gegenübergestellt wird. Die Elemente in der linken Spalte bilden gemeinsam eine Menge, den Definitionsbereich der Funktion, dessen Elemente als Argumente der Funktion bezeichnet werden. Bei den in Tabellen 4.1 und 4.2 dargestellten Funktionen bildet der Logische Raum bzw. die Menge der (natürlichen) Zahlen den Definitionsbereich. Die Objekte in der rechten Spalte sind die Werte der Funktion – genauer: rechts neben jedem Argument findet sich der Wert der Funktion für dieses Argument. Wie in der Schulmathematik schreiben wir den Wert einer Funktion ƒ für ein Argument x als ,ƒ(x)‘. So ist der Wert der Quadratfunktion ƒ für das Argument 5 die Zahl 25: ƒ(5) = 25. Und wenn g die in Tabelle 4.1 dargestellte Funktion ist, gilt: g(wn) = 1. Diese Notation setzt natürlich voraus, dass jedes Argument genau einen Wert hat – nicht mehr und nicht weniger: 25 ist das Quadrat von 5, und 1 ist der Wahrheitswert des Satzes (20) in der Welt wn. Diese Eindeutigkeit des Werts ist eine wesentliche Eigenschaft von Funktionen, ob in der Mathematik oder in der Semantik.

Argumente und Werte

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92

4. Intensionen

Auch die im vorangehenden Kapitel betrachteten Wahrheitstafeln sind Darstellungen von Funktionen. Bei Konjunktion und Disjunktion ist der Definitionsbereich jeweils die Menge aller Paare von Wahrheitswerten, während die Wahrheitswerte selbst als Funktionswerte fungieren; letzteres gilt auch für die Negation, bei der allerdings auch der Definitionsbereich die Menge der Wahrheitswerte ist. Mit der soeben erwähnten Notation kann man dann auch die Kompositionsregel für koordinierte und negierte Sätze schreiben, die wir im letzten Kapitel unterschlagen hatten; dies sei jedoch der Leserschaft überlassen. Der in Tabellen (meistens unvollständig) dargestellte Wertverlauf einer Funktion besteht lediglich aus der Paarung von Argumenten mit ihren Werten. In der Mengenlehre werden Wertverläufe von Funktionen ƒ daher mit Mengen von Paaren (x;ƒ(x)) identifiziert – mehr noch: sogar die Funktion selbst wird als Menge von Paaren aufgefasst und somit mit ihrem Wertverlauf identifiziert. So ist aus mengentheoretischer Sicht die Quadratfunktion (über den natürlichen Zahlen ø) nichts anderes als die Menge {(0;0), (1;1), (2;4), (3;9),…} – oder genauer: (21) {(x;y) | x2ø, y = x2} Ebenso entspricht der in Tabelle 4.1 dargestellten Funktion eine Menge von Paaren, nämlich {(w1;0), (w2;0), (w3;1),…,(wn;1),…} – oder genauer: (22) {(w;v) | in Welt w wurde Montague ermordet, und v = 1} [ {(w;v) | in Welt w wurde Montague nicht ermordet, und v = 0} (22) zeigt, dass die Funktion den Logischen Raum in zwei Teile zerlegt: der eine Teil besteht aus den Welten, auf die (20) zutrifft und die daher den Wahrheitswert 1 als Funktionswert erhalten; für die restlichen Welten dagegen ist der Funktionswert 0. Die Funktion lässt sich also auch auf etwas kürzere Weise darstellen: (23) {(w;v) | v ist der Wahrheitswert von (20) in Welt w} Die Beispiele machen deutlich, dass (zumindest aus mengentheoretischer Sicht) Funktionen Mengen von Paaren und damit zweistellige Relationen sind. Allerdings handelt es sich nicht um beliebige Relationen, sondern solche mit der bereits erwähnten Eindeutigkeitseigenschaft. Im Allgemeinen werden Funktionen mengentheoretisch wie folgt definiert: (24) ƒ ist eine Funktion von einer Menge A in eine Menge B, falls gilt: a. alle Elemente von ƒ sind Paare (x;y), wobei x2A und y2B; b. für jedes x2A gibt es ein Paar (x;y)2ƒ; c. für kein x2A gibt es mehr als ein Paar (x;y)2ƒ. Bedingung (24)a besagt insbesondere, dass eine Funktion eine zweistellige Relation ist; die Bedingung (24)b stellt sicher, dass die Funktion ƒ den Definitionsbereich A – die „linke Spalte“ – vollständig durchläuft; und (24)c ist die Eindeutigkeit des Werts für jedes Argument („links von ihm“). Zusammengenommen besagen die Bedingungen, dass eine Funktion (von A nach B) eine Art abstrakte Tabelle ist, deren linke Spalte die Menge A wiederholungsfrei auflistet und rechts jeweils einen „Wert“ aus B verzeichnet. Nach (24) ist also die Quadratfunktion (21) eine Funktion von ø nach ø, während (23) eine Funktion vom Logischen Raum in die Menge {0,1} der Wahrheitswerte ist.

4.3 Von Propositionen zu Intensionen

Wir hatten gesagt, dass Tabelle 4.1 eine Darstellung der von (20) ausgedrückten Proposition ist. Da die Tabelle für die Funktion (23) steht, entspricht letztere also auch dieser Proposition. Aber natürlich handelt es sich um verschiedene Mengen; denn die durch (20) ausgedrückte Proposition ist: (25) {w | der Wahrheitswert von (20) in Welt w ist 1} d. h.: {w | in Welt w wurde Montague ermordet} Auch wenn (25) im Gegensatz zu (23) keine Funktion ist, besteht ein enger Zusammenhang zwischen Propositionen und Funktionen vom Logischen Raum in die Menge der Wahrheitswerte: jeder Weltenmenge entspricht die Funktion, die den Elementen dieser Menge die 1 zuweist und allen anderen Welten die 0. Das ist genau die Entsprechung zwischen der Proposition (25) und der Funktion (23): jeder Welt, in der Montague ermordet wurde, wird von der Funktion in (23) der Wert 1 zugewiesen, während die Welten, die nicht in der Menge (25) sind, alle den Wert 0 erhalten. Umgekehrt kann man aus jeder Funktion von Welten in Wahrheitswerte wieder die Menge rekonstruieren, der diese Funktion entspricht: dazu muss man einfach nur die Welten in einer Menge „aufsammeln“, denen die Funktion die 1 zuordnet. Bei (23) betrachtet man also zunächst die in der ersten Zeile von (22) angegebene Menge, also die Paare, bei denen rechts die 1 steht; sammelt man nun alle linken Komponenten dieser Paare auf, erhält man gerade die Welten, in denen Montague ermordet wurde – also die Proposition (25). Der hier beobachtete Zusammenhang hat nichts speziell mit dem Logischen Raum zu tun, sondern besteht immer zwischen beliebigen Teilmengen einer Grundmenge und den Funktionen von dieser Grundmenge in die Menge der Wahrheitswerte. Man nennt die einer Teilmenge entsprechende Funktion ihre charakteristische Funktion; der Wert der charakteristischen Funktion einer Menge M ist also 1 für alle Elemente von M und 0 für alle anderen Elemente der Grundmenge. Angesichts der Entsprechung zwischen Mengen und ihren charakteristischen Funktionen können wir die Intension eines Satzes statt mit einer Menge möglicher Welten mit einer Funktion vom Logischen Raum (als Grundmenge) in die Wahrheitswerte gleichsetzen: *

Die Intension eines Satzes ist die charakteristische Funktion der durch ihn ausgedrückten Proposition, also die Funktion, deren Wert für jede mögliche Welt der Wahrheitswert des Satzes in dieser Welt ist.

Diese Gleichsetzung weist nun den Weg zu einem allgemeinen Intensionsbegriff. Bevor wir sehen, warum das so ist, sei noch eine terminologische Klarstellung angebracht. Wenn hier vom Wahrheitswert eines Satzes in einer möglichen Welt die Rede ist, so ist das nicht so zu verstehen, dass dieser Satz in der betreffenden Welt geäußert wird. Er muss in dieser Welt nicht einmal existieren. Der Logische Raum enthält alle auch noch so abwegigen Szenarien und damit insbesondere auch solche, in denen es die deutsche Sprache nicht gibt – z. B. weil es überhaupt keine Menschen gibt. In einer solchen Welt hätte also auch niemand für den folgenden Satz Verwendung: (26) Niemand spricht deutsch. Dennoch trifft der deutsche Satz (26) auf jede solche Welt zu. Die Redeweise vom Wahrheitswert eines Satzes in einer Welt ist genau in diesem Sinn zu verstehen.

charakteristische Funktionen

Intensionen von Sätzen

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94

4. Intensionen

4.3.2 Individualbegriffe und Eigenschaften

Intensionen

Wie wir im sechsten Kapitel sehen werden, sind am Informationsaustausch lediglich die Intensionen der für ihn verwendeten Sätze beteiligt, nicht die ihrer Teile. Dennoch kommen wir nicht umhin, auch für andere Typen von Ausdrücken Intensionen anzusetzen. Denn welche Proposition ein gegebener Satz ausdrückt – und damit auch: welche Intension er hat – lässt sich nur unter Rückgriff auf die Bedeutungen seiner Teile erklären, genauer: die für den Informationsaustausch relevanten Aspekte der Bedeutungen, also die Intensionen. Was sind nun aber die Intensionen anderer Ausdrücke? Wer jetzt erwartet, dass wir – ähnlich wie bei den Extensionen – für verschiedene Ausdruckstypen einzeln ihre Intensionen finden müssen, muss leider enttäuscht werden (oder vielleicht eher beruhigt). Die Intensionen beliebiger Ausdrücke lassen sich nämlich auf einen Schlag konstruieren, und zwar in Analogie zu den Satz-Extensionen. Nach der obigen Festlegung beschreibt die Intension eines Satzes, wie seine Extension vom Logischen Raum abhängt, indem sie für jede mögliche Welt den entsprechenden Wahrheitswert angibt. Und genau so funktionieren Intensionen im Allgemeinen: (27) Carnaps Idee Die Intension eines Ausdrucks A ist eine Funktion, deren Definitionsbereich der Logische Raum ist, und deren Wert für jede Welt w die Extension von A in w ist. Nach (27) lassen sich Intensionen durch Tabellen darstellen, in deren linker Spalte der Logische Raum durchlaufen wird. Das ist also genauso wie bei der in Tabelle 4.1 dargestellten Intension von (20). Wie nun allerdings die rechte Spalte aussieht, hängt vor allem davon ab, um was für einen Typ von Ausdruck es geht: bei Eigennamen und Kennzeichnungen stehen dort Individuen, bei sortalen Substantiven Mengen von Personen oder Dingen, bei transitiven Verben zweistellige Relationen usw. – je nach dem, was für Extensionen die betreffenden Ausdrücke haben. Sehen wir uns das an ein paar Beispielen an. Die Extension der Kennzeichnung ,der höchste Berg Niedersachsens‘ ist tatsächlich der Wurmberg (im Harz), wäre aber der Haferberg (im Kaufunger Wald), wenn die Landesgrenze ein kleines Stück weiter Welt Extension westlich verliefe. Natürlich ist … … diese Möglichkeit aus historischer Sicht einigermaßen entw12 Wurmberg legen – ebenso wie Szenarien, w13 Wurmberg in denen das relative Größen… … verhältnis der beiden genannw1234 Haferberg ten Berge ein anderes ist. w1235 Haferberg Doch im Logischen Raum ist … … genug Platz für alle Abwegigkeiten. Ein kleiner Ausschnitt W9876 Zugspitze aus der Intension der genannW9877 Zugspitze ten Kennzeichnung sieht also … … in Tabellenform so aus: Tabelle 4.3: Intension von ,der höchste Berg Niedersachsens‘

4.3 Von Propositionen zu Intensionen

Man sieht, dass die Intension einer Kennzeichnung insofern einer Satzinten- Individualbegriffe sion wie der in Tabelle 4.1 dargestellten gleicht, als in beiden Fällen der Logische Raum durchlaufen und dabei für jeden Punkt die entsprechende Extension eingetragen wird. Andererseits unterscheiden sich die beiden Tabellen in einer entscheidenden Hinsicht: während die rechte Spalte von Tabelle 4.1 den beiden Wahrheitswerten vorbehalten ist, enthält die von Tabelle 4.3 verschiedene Individuen (genauer gesagt: Berge). Wie schon erwähnt ist dieser Unterschied den verschiedenen Ausdruckstypen und ihren (möglichen) Extensionen geschuldet. Insbesondere wirkt er sich dahingehend aus, dass Intensionen nicht immer charakteristische Funktionen sind und daher auch nicht immer Propositionen entsprechen. Intensionen wie die in Tabelle 4.3 dargestellte werden als Individualbegriffe bezeichnet – weil sie jeweils dem Begriff entsprechen, aufgrund dessen eine Kennzeichnung in Abhängigkeit von den Umständen jeweils ein Individuum beschreibt. Denn Kennzeichnungen – das hatten wir zu Anfang des dritten Kapitels gesehen – besitzen im Unterschied zu Namen ein deskriptives Element. Ob sich eine Kennzeichnung auf ein gegebenes Objekt bezieht, liegt in einer für die Kennzeichnung typischen Eigenschaft des Objekts: wer diese Eigenschaft hat – und nur wer die Eigenschaft hat – kommt als Referent in Frage. Diese Deskriptivität schlägt sich unmittelbar in der Intension der Kennzeichnung nieder: in aller Regel hängt es von den außersprachlichen Fakten ab, wer die einschlägige Eigenschaft hat; dementsprechend bunt sieht der Wertverlauf der Funktion aus, die jede mögliche Tatsachenkonstellation mit einem entsprechenden Objekt paart. Bei dem obigen Beispiel waren dies diverse Berge, die jeweils in verschiedenen Welten w das für die Kennzeichnung ,der höchste Berg Niedersachsens‘ einschlägige Kriterium erfüllen – nämlich ein Berg zu sein, der in der Welt w höher ist, als alle anderen Berge, die sich in der Welt w auf niedersächsischem Territorium befinden. Die Intension einer Kennzeichnung gibt also die Tatsachenabhängigkeit des von ihr beschriebenen Objekts unmittelbar wieder, indem sie für jeden Punkt im Logischen Raum angibt, welches Objekt dem einschlägigen Kriterium genügt. Ganz anders die Eigennamen! Zwar lassen sich auch ihre Intensionen in Form von Tabellen darstellen, doch sind diese Tabellen wenig abwechslungsreich. Denn auf was sich ein (disambiguierter) Städtename wie ,Bielefeld‘ bezieht, hängt von keiWelt Extension nerlei außersprachlichen Fakten ab. Zwar enthält … … der Logische Raum haufenweise Welten, in denen w12 Bielefeld Bielefeld anders heißt. Dennoch bezieht sich der deutsche Name ,Bielefeld‘ auch in diesen Welten Bielefeld w13 auf die ostwestfälische Metropole – wie der vorher… … gehende Satz beweist! Die Extension, die von der Inw1234 Bielefeld tension des Namens für eine Welt w festgelegt wird, w Bielefeld 1235 entspricht nicht dem Referenten des Namens, wie er … … in w verwendet wird, sondern unserer tatsächlichen Verwendung. Die Intension eines Eigennamens hat W9876 Bielefeld daher etwas Monotones: links wird der Logische Bielefeld W9877 Raum durchwandert, rechts wiederholt sich stetig … … dasselbe Objekt – der Namensträger: Tabelle 4.4: Intension von ,Bielefeld‘

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4. Intensionen

Derartig langweilige Intensionen bezeichnet man auch als starr (engl.: rigid). Sofern sie sortal, intersektiv bzw. einwertig sind, sind die Extensionen von Substantiven, Adjektiven und Prädikaten Mengen von Individuen. Dementsprechend haben sie auch ähnlich strukturierte Intensionen. Welten können sich darin unterscheiden, wer in ihnen (zu einem gegebenen Zeitpunkt) Makler ist oder ledig oder einen Bentley besitzt; und diese Unterschiede werden in den Intensionen entsprechender Ausdrücke festgehalten: Welt

Extension von ,Makler‘

Extension von ,ledig‘

Extension von ,besitzt einen Bentley‘

{… Dora Montag, Richard Montague, Romeo Montague …}

{… Lee Montague, Richard Montague, Romeo Montague …}





w12

{… Ralph Montagu, Richard Montague, Romeo Montague …}





w1234

Ø

{… Ralph Montagu, Richard Montague, Rosalyn Montague …}

Ø









W9876

{… Dora Montag, Robert Moore …}

{… Richard Montague, Rosalyn Montague …}

{… Dora Montag, Richard Montague, Robert Moore …}









Tabelle 4.5: Eigenschaften als Intensionen Anders als bei einem Individualbegriff ist bei den in Tabelle 4.5 nur sehr auszugsweise zusammengefassten Intensionen die jeweilige rechte Spalte mit Mengen von Individuen besetzt. Diese Mengen verändern sich jeweils über den Logischen Raum hinweg. Der Grund für diese Veränderbarkeit ist derselbe wie bei den Individualbegriffen – außer dass hier mehr als ein Objekt das jeweils zum Ausdruck gebrachte Kriterium erfüllen kann. Während also die Extension eines Substantivs, Adjektivs oder Prädikats alle Objekte aufsammelt, die unter gegebenen Umständen „zufällig“ das einschlägige Kriterium erfüllen, verfolgt seine Intension, welche Objekte ihm unter anderen Umständen genügt hätten. So haben in der Welt w1234 das Substativ ,Makler‘ und das Prädikat ,besitzt einen Bentley‘ dieselbe Extension, nämlich Ø; dieser Extension kann man daher nicht ansehen, welches Kriterium ihr zugrunde liegt: (28) {x | x ist Makler in w1234 } = {x | x besitzt in w1234 einen Bentley} = Ø Eigenschaften

Dass die Extension von ,Makler‘ sich nicht danach richtet, wer einen Bentley besitzt, zeigt sich erst an den Welten, in denen diese beiden Kriterien zu unterschiedlichen Extensionen führen. Denn rechts von jeder Welt w findet sich in der Intensionstabelle für ,Makler‘ eine Menge von Individuen, die immer genau die Makler in w enthält – und diese Menge stimmt nicht immer mit der Menge der Bentley-Besitzer in w überein. Auf diese Weise gibt die Intension Aufschluss darüber, welche Kriterien nicht einschlägig sind für die Bestimmung der Extension von ,Makler‘. Und bei genügend großer und geschickter Auswahl von Szenarien lassen sich andere Auswahlkriterien aus-

4.4 Intensionen und Kompositionalität

schließen, so dass nur das tatsächlich einschlägige Kriterium übrig bleibt, wonach sich Extension von ,Makler‘ gerade die Personen umfasst, die Makler sind. Ob sich mit jeder beliebigen „wilden“ Auswahl von über den Logischen Raum verteilten Mengen immer ein klares Kriterium verbindet und ob dieses immer eindeutig bestimmbar ist, steht allerdings auf einem anderen Blatt. Doch gibt die Intension zumindest in den Fällen, in denen ein solches Kriterium zur Extensionsbestimmung eindeutig erkennbar ist, genügend von diesem preis – und deutlich mehr als die Extension. Da diese Kriterien im Allgemeinen darauf abheben, die Elemente der Extension über eine Gemeinsamkeit zu bestimmen – Makler zu sein, einen Bentley zu besitzen etc. – bezeichnet man Intensionen wie die in Tabelle 4.5 dargestellten, bei denen jeder Welt eine Menge von Individuen entspricht, als Eigenschaften. In ähnlicher Weise kann man nun die Intensionen anderer Ausdrücke konstruieren. Wir überlassen dies der Leserschaft und weisen nur darauf hin, dass das Phänomen der Starrheit keineswegs auf die Eigennamen beschränkt ist: mehr dazu in einer Übungsaufgabe! Die Verallgemeinerung (27) von Propositionen zu Intensionen wurde erstmals von Carnap (1947) vollzogen – der auch die Termini Individualbegriff (engl. individual concept) und Eigenschaft (property) verwendet hat – und dann von Montague (1970) systematisiert. Das Beispiel (20) spielt auf die unklaren Umstände an, unter denen letzterer ums Leben kam und die Anlass zu mehreren (spekulativen) Romanen gaben; vgl. Arnold (2007; 2008). Verlässlichere Darstellungen finden sich in Feferman & Feferman (2004), S. 331 ff., sowie bei Campbell (2008) unter dem Stichwort the inspiration. – Starrheit (bzw. rigidity) ist seit Kripke (1972) ein gängiger semantischer Terminus, der sowohl auf Individualbegriffe (wie hier) als auch auf entsprechende referenzielle Ausdrücke (wie bei Kripke) bezogen wird; für letztere ist seit Kaplan (1977) auch direkt referenziell (engl.: directly referential) gebräuchlich.

Quellen

4.4 Intensionen und Kompositionalität Da sprachliche Ausdrücke in verschiedenen Welten verschiedene Extensionen haben, werden wir dies ab jetzt festhalten und die Extension eines Ausdrucks A in einer Welt w als [[A]]w schreiben. Für die Intension erübrigt sich die Bezugnahme auf eine spezielle Welt: sie durchwandert ja den gesamten Logischen Raum. Wir notieren sie mit einem kleinen Hütchen (engl.: cap) anstelle der Welt: [[A]]^. Da die Intension eine Funktion ƒ ist und die Extension ihr Wert für eine gegebene Welt w, lässt sich dieser auch in der mathematischen Schreibweise ,f(w)‘ angeben, d. h. es gilt für jede Welt w: *

[[A]]w = [[A]]^(w)

Die Gleichung hat die Form y = ƒ(x), wobei y die Extension von A in w ist und ƒ die Intension von A. Sie besagt damit, dass (für einen beliebigen Ausdruck A) die Extension in einer Welt (w) gleich dem Wert der Intension für diese Welt ist – was deswegen stimmt, weil die Intension gerade so definiert ist. Man beachte, dass – anders als in der Schulmathematik suggeriert – die obige Gleichung selbst keine Funktion benennt, sondern eine allgemeingültige Aussage über den Wertverlauf einer Funktion macht, nämlich den der Intension [[A]]^.

Notationen für Extension & Intension

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4. Intensionen

Ausgerüstet mit diesen notationellen Unterscheidungen können wir uns nun an die Frage der Kompositionalität der Intensionen machen. Nicht immer verhalten sich Extensionen kompositionell – das war die Erkenntnis aus dem eingangs des Kapitels vorgebrachten Substitutionsargument. Die dort betrachteten Gegenbeispiele waren Einstellungsberichte wie (6) – hier wiederholt als: (29) Fritz meint, Hamburg ist größer als Köln. Wir hatten gesehen, dass sich eine Ersetzung des Komplements durch einen extensionsgleichen Satz auf den Wahrheitswert des Berichts auswirken kann. Andererseits scheint eine Ersetzung durch einen informationsgleichen Satz gefahrlos möglich zu sein: (30) Fritz meint, Köln ist kleiner als Hamburg. Was immer der Wahrheitswert von (29) auch sein mag: es ist auf jeden Fall derselbe wie der von (30); und das liegt offenbar daran, dass die beiden Komplementsätze in ihrem Informationsgehalt übereinstimmen. Da dieser der Intension der Sätze entspricht, liegt der Verdacht nahe, dass diese – und nicht der Wahrheitswert – den Beitrag des Komplementsatzes zur Extension des Prädikats bildet: (31) = = =

[[meint, Hamburg ist gößer als Köln]]w [[meint]]w  [[Hamburg ist gößer als Köln]]^ [[meint]]w  [[Köln ist kleiner als Hamburg]]^ [[meint, Köln ist kleiner als Hamburg]]w

Das Symbol ,‘ steht dabei für geeignete semantische Operation, auf die wir gleich zurückkommen. Im Moment ist nur wichtig, was hier miteinander kombiniert wird: nämlich die Extension des Verbs mit der Intension des (Komplement-)Satzes zur Extension des Prädikats; und da beide Komplemente dieselbe Intension haben, sind auch die beiden Prädikatsextensionen in (29) und (30) gleich – daher die Gleichungskette (31). Im Allgemeinen können wir also von der folgenden Art von Kompositionsregel ausgehen: *

[[VerbEinst + Satz]]w = [[VerbEinst]]w  [[Satz]]^

Solange wir nicht wissen, was genau die Extension eines Einstellungsverbs ist und was die ominöse Operation „“ macht, ist das natürlich noch keine Kompositionsregel. Aber wir sehen hier bereits, dass sie nicht dem Extensionalen Kompositionalitätsprinzip genügt: anstatt die Extensionen der (unmittelbaren) Teile miteinander zu kombinieren, zieht sie in einem Fall (beim Komplementsatz) ersatzweise die Intension heran, um auf diese Weise das Substitutionsargument zu umgehen. Das dahinterstehende Prinzip ist somit eine „aufgeweichte“ Version des Extensionalen Kompositionalitätsprinzips: (32) Fregesches Kompositionalitätsprinzip Die Extension eines zusammengesetzten Ausdrucks ergibt sich aus den Extensionen oder Intensionen seiner unmittelbaren Teile. In dieser Form ist das Prinzip etwas vage, aber eine präzise Formulierung wäre weniger griffig. Gemeint ist, dass die Intensionen als Ersatz für die Extensionen einspringen, sobald die Extensionale Kompositionalität nicht ausreicht.

4.5 Intensionale Konstruktionen Das Hütchen erinnert an den Intensions-Operator in Montague (1970), der seinerseits auf eine Notation aus Whitehead & Russell (1910) anspielt. (32) entspricht der Strategie zur Deutung intensionaler Konstruktionen in Frege (1892a); allerdings spricht Frege verwirrenderweise bei den Intensionen („Sinnen“), soweit diese in intensionalen („ungeraden“) Konstruktionen als Extensions-Ersatz herangezogen werden, von Extensionen („Bedeutungen“). Mehr über den Zusammenhang zwischen verschiedenen Varianten des Kompositionalitätsprinzips erfährt man in Abschnitt 8.6 von Zimmermann & Sternefeld (2013).

4.5 Intensionale Konstruktionen Um zu sehen, wie die Fregesche Kompositionalität im Einzelnen funktioniert, sehen wir uns in diesem Abschnitt ein paar intensionale Konstruktionen etwas genauer an – mit der Betonung auf ,etwas‘, denn auf eine vertiefte Darstellung der intensionalen Semantik müssen wir hier verzichten. 4.5.1 Einstellungsberichte Die Idee, dass die in einem Satz enthaltene Information eine Rolle spielt, wenn er als Komplement eines Einstellungsverbs fungiert, kam nicht von ungefähr: ob ein Einstellungsbericht wie (33) zutrifft, hat ja etwas damit zu tun, über welche Informationen Fritz verfügt: (33) Fritz meint, Eike ist in Berlin. Insofern sollte es nicht verwundern, dass sich die Modellierung von Information durch Propositionen für die Analyse von Einstellungsberichten fruchtbar machen lässt. Um zu sehen, wie das geht, sollte man sich zunächst klar machen, dass das Einstellungsverb ,meinen‘ ambig (genauer: polysem) ist zwischen den Lesarten ,seine Meinung kundtun‘ und ,der Meinung sein‘; nur die zweite Lesart soll uns hier beschäftigen. (Der Nachweis der Polysemie wird in einer Übungsaufgabe geführt.) Dieser hier betrachtete Sinn von ,meinen‘ wiederum bezeichnet keine Aktivität, nicht einmal einen ,inneren‘ Denk-Vorgang: (33) kann ja durchaus zutreffen, obwohl Fritz friedlich und traumlos schläft. Der Satz beschreibt lediglich eine geistige Verfassung von Fritz, die sich darin äußert, dass er – unter bestimmten Bedingungen – auf Befragung über Eikes Aufenthaltsort mit ,Berlin‘ antworten würde; dass er – ebenfalls unter bestimmten Bedingungen – Anzeichen von Überraschung aufweisen würde, wenn er erführe, dass Eike in Frankfurt ist; dass er bei einer Wette darum, wo sich Eike gerade befindet, auf Berlin setzen würde; etc. pp. Bei der in (33) zugeschriebenen geistigen Verfassung handelt es sich nicht um ein von Fritz tatsächlich an den Tag gelegtes Verhalten, sondern lediglich um ein potenzielles Verhalten, eine Verhaltensdisposition. Diese Disposition ist Teil eines ganzen Netzes von Überzeugungen, die insgesamt Fritz‘ Weltsicht ausmachen. Seine Überzeugungen wiederum betreffen die Wirklichkeit und damit die Welt, in der er sich befindet, von der er ein bestimmtes Bild hat, das teilweise zutreffen mag, teilweise nicht, einige Details ausspart, andere nicht. Auf den Logischen Raum bezogen heißt das, dass sich Fritz‘ Weltbild mit manchen möglichen Welten im Einklang befindet, mit anderen dagegen nicht. Zu letzteren gehören alle Welten, in denen Eike derzeit in Frankfurt (aber nicht in Berlin) ist, aber auch alle Welten, in denen Deutsch-

Quellen

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4. Intensionen

doxastische Alternativen

land eine Monarchie ist, in denen Schweine Flügel haben etc.; zu ersteren gehören dagegen nur Welten, in denen Deutschland eine Republik ist und Schweine Vierbeiner sind. Die Welten, in denen zu leben Fritz nicht ausschließt, bezeichnet man als seine doxastischen Alternativen (von doxa, dem altgriechischen Wort für Meinung). Letztere unterscheiden sich in vielerlei Hinsicht voneinander, aber dies nur in Aspekten, von denen Fritz keine Ahnung hat: in manchen von ihnen wurde Montague ermordet, in anderen war er Opfer eines Unfalls; in manchen ist die Anzahl der Haare auf seinem Kopf gerade, in anderen ungerade; etc. Nun besagt (33) gerade, dass Fritz davon ausgeht, dass Eike in Berlin ist – und somit ausschließt, dass sie sich nicht in Berlin befindet. Damit wird offenkundig, dass (33) einen Zusammenhang herstellt zwischen der von seinem Komplementsatz ausgedrückten Proposition und Fritz‘ doxastischen Alternativen: *

(33) ist genau dann wahr, wenn der Satz ,Eike ist in Berlin‘ in allen doxastischen Alternativen von Fritz wahr ist.

Diese Beobachtung bildet den Ausgangspunkt einer Semantik der Einstellungsberichte, die wir hier freilich nur skizzieren können. Danach ist die Extension von ,meinen‘ (in einer Welt w) eine Menge von Paaren (x;w‘), wobei x eine Person ist und w‘ eine doxastische Alternative für x, also eine Welt, in der zu leben x nach seinen Überzeugungen in w nicht ausschließt. Die entsprechende Kompositionsregel lautet dann: (34) Kompositionsregel [[VerbEinst + Satz]]w = {x | für alle w‘ gilt: [[Satz]]w‘ = 1, falls (x;w‘) 2 [[VerbEinst]]w}

epistemische und buletische Alternativen

Nach (34) enthält die Extension des Prädikats von (33) alle Personen, in deren doxastischen Alternativen Eike in Berlin ist; und das sind genau die Personen, die ausschließen, dass Eike woanders ist (oder gar nicht existiert). Man beachte, dass dafür keineswegs alle Welten, in denen Eike in Berlin ist, auch doxastische Alternativen sein müssen: viele von ihnen können ja aus anderen Gründen ausgeschlossen werden, obwohl sich in ihnen Eike in Berlin befindet. Um die Kompositionsregel (34) auch auf andere Einstellungsverben anwenden zu können, müssen diesen ebenfalls „alternative Welten“ im Logischen Raum entsprechen. So spricht man bei den Verben ,wissen‘ und ,wollen‘ von epistemischen bzw. buletischen Alternativen (von Altgriechisch epistemein [,wissen‘] bzw. boulestai [,wollen‘]); das sind die Welten, die mit dem Wissen einer Person im Einklang stehen bzw. ihren Wünschen entsprechen. Bei der genaueren Bestimmung der für ein Verb einschlägigen Alternativen stellt sich heraus, dass zwischen ihnen z. T. recht komplexe Zusammenhänge bestehen. So sind die doxastischen Alternativen einer Person immer auch epistemische Alternativen; denn was man aufgrund seiner Überzeugungen nicht ausschließen kann, kann man erst recht nicht aufgrund seines Wissens ausschließen: wer es z. B. für möglich hält, dass Wien östlich von Budapest liegt, kann nicht gleichzeitig wissen, dass es sich umgekehrt verhält. Der umgekehrte Fall ist dagegen durchaus denkbar. So kann man aufgrund seines Wissens vielleicht nicht ausschließen, dass der Nachbar im Lotto gewonnen hat, aber man ist eigentlich davon überzeugt, dass das nicht

4.5 Intensionale Konstruktionen

so ist, weil er es einem andernfalls wohl gesagt hätte. Die doxastischen Alternativen bilden demnach immer eine – in aller Regel echte – Teilmenge der epistemischen Alternativen. Wir können hier allerdings nicht auf die verschiedenen Typen von Alternativen und ihre Beziehungen zueinander eingehen und verweisen interessierte LeserInnen auf die weiterführende Literatur.

4.5.2 Referenziell opake Verben Einstellungsberichte sind keineswegs die einzigen Konstruktionen, bei denen die Ersetzungen einzelner extensionsgleicher Teile zu einer Veränderung der Extension des Gesamtausdrucks führen kann. Intensionalität lässt sich ebenfalls bei einigen der in den vorangehenden Kapiteln (wenn auch unter anderen Gesichtspunkten) betrachteten Beispiele nachweisen. In Kapitel 3 hatten wir gesehen, dass das Adjektiv ,angeblich‘ nicht intersektiv, ja nicht einmal subsektiv, ist. Hinzu kommt nun, dass die Modifikation eines Substantivs mit diesem Adjektiv nicht extensional sein kann. Der Nachweis erfolgt wieder mit einem Substitutionsargument – in einer Übungsaufgabe. Auch die im zweiten Kapitel schon angesprochenen Objekte referenziell opaker Verben wie ,suchen‘ widersprechen dem Extensionalen Kompositionalitätsprinzip: (35) Fritz sucht ein billiges französisches Restaurant. Wir hatten gesehen, dass Sätze wie (35) ambig sind. In seiner unspezifischen Lesart kann der Satz wahr sein, ohne dass es auch nur ein einziges billiges französisches Restaurant gibt. In diesem Fall wäre die Extension des Akkusativ-Objekts die leere Menge: nach der im vorangehenden Kapitel gegebenen Deutung des indefiniten Artikels besteht die Extension eines Nominals der Form ,ein N‘ aus allen Mengen, die sich mit der Extension von N überlappen; solche Mengen kann es aber nicht geben, wenn N eine leere Extension hat. Aber dann ist natürlich die Extension jedes Nominals dieser Form leer, bei dem N eine leere Extension hat – also auch die von ,ein siebzehnbeiniges Pferd‘. Die Anbindung des direkten Objekts bei opaken Verben erweist sich somit als intensionale Konstruktion; denn trotz der Extensionsgleichheit der beiden Objekte brauchen natürlich (35) und (36) nicht in ihrem Wahrheitswert übereinzustimmen: (36) Fritz sucht ein siebzehnbeiniges Pferd. Die Details dieses Substitutionsarguments bleiben den LeserInnen überlassen. Wir nehmen hier lediglich zur Kenntnis, dass für die Anbindung des direkten Objekts von ,suchen‘ die im vorangehenden Kapitel eingeführte Quantorenanhebung versagt, da sie extensional ist. Die Substitutionsargumente zeigen zunächst, dass es sich bei der Modifikation durch ,angeblich‘ und die Objekt-Anbindung bei ,suchen‘ nicht um extensionale Konstruktionen handelt; und sie legen angesichts des Fregeschen Kompositionalitätsprinzips den Verdacht nahe, dass stattdessen die Intensionen der modifizierten Substantive bzw. der referenziell opaken Objekte eine Rolle bei der kompositionellen Bestimmung der Extension spielen. Welche Rolle das ist, erschließt sich, wenn man die Konstruktionen durch

Modifikation durch ,angeblich‘

referenziell opake Objekte

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4. Intensionen

Satz- und Infinitiv-Einbettungen paraphrasiert. Für den obigen Satz (35) sieht das z. B. folgendermaßen aus: (37) Fritz bemüht sich, ein billiges französisches Restaurant zu finden. Kontrollverb

Um zu sehen, was der Witz an der – zugegebenermaßen nicht ganz akkuraten – Paraphrase ist, mache man sich zunächst klar, dass der Infinitiv in (37) in dem Sinne „satzwertig“ ist, als man ihn auf das Subjekt des Gesamtsatzes bezieht: der intendierte Finder des Restaurants ist Fritz selbst. Dieser – hier nicht weiter vertiefte – Zusammenhang zwischen Hauptsatz- und Infinitivobjekt wird in der Syntax als Kontrolle bezeichnet und das Verb ,sich bemühen‘ dementsprechend als Kontrollverb. (37) gleicht also einem Einstellungsbericht, in dem der Infinitiv für die durch (38) ausgedrückte Proposition steht: (38) Fritz findet ein billiges französisches Restaurant. In (37) und (38) fungiert das referenziell opake Objekt von (35) als Objekt eines gewöhnlichen transitiven Verbs (,finden‘) und lässt sich insofern auch problemlos mit den bisherigen Kompositionsregeln deuten – per Quantorenanhebung. Die Quelle der Intensionalität ist hier der Infinitiv, der (wie gerade erläutert) Teil eines Einstellungsberichts ist. Die Paraphrase erklärt auch die im zweiten Kapitel beobachtete Unspezifizität des indefiniten Objekts. Zwar muss es, damit (38) in einer Welt w wahr ist, in w ein bestimmtes Restaurant geben, das Fritz in w findet. Doch (37) macht – wie wir in 4.5.1 gesehen haben – eine Aussage über verschiedene Welten, in denen (38) wahr ist – die (für das Verb ,sich bemühen‘ einschlägigen) Alternativen für Fritz; und wenn (37) wahr ist in einer Welt, findet Fritz in diesen alternativen Welten mal dieses, mal jenes Restaurant, aber kein bestimmtes. Genauer gesagt ist (37) nach der Kompositionsregel (34) wahr in einer Welt w, wenn es in jeder einschlägigen Alternative ein billiges französisches Restaurant gibt, welches Fritz findet. Die gefühlte Unspezifizität des Restaurants ist somit eine Sache des Quantorenskopus – vergleichbar mit der vermeintlichen „Unspezifizität“ der Frau, die von jedem Mann geliebt wird, wenn (39) in der Lesart (40) zutrifft, nach der es keine Frau geben muss, die von allen Männern geliebt wird: (39) Jeder Mann liebt eine Frau. (40) [jeder Mann: x] [eine Frau: y] [x mag y] Einstellungsberichte wie (37) sind also Konstellationen à la (40) ähnlich, die wir am Ende des vorangehenden Kapitels kennengelernt haben – außer dass bei ihnen der Quantor implizit in der Konstruktion steckt, der nach (34) gedeuteten Satzkomplementierung. Sätze mit referenziell opaken Verben lassen sich durch Einstellungsberichte paraphrasieren, bei denen sich ihrerseits die Intensionalität der Konstruktion und die Unspezifizität des indefiniten Objekts leicht erklären lässt. Um diese Erklärungen für die Analyse von Sätzen wie (35) nutzbar zu machen, müsste man das Verb ,suchen‘ so interpretieren, als stünde es für die Konstellation ,bemüht sich, ____ zu finden‘, wobei die Lücke die Position angibt, in die das direkte Objekt „eigentlich“ hingehört: (41) [[sucht + Q]]w = {x|in w gilt für jede von xens einschlägigen Alternativen w‘: [[[Q:y] x findet y]]w‘ = 1}

4.6 Einstellungsberichte de re

(41) ist noch keine Kompositionsregel, unter anderem weil das Verb ,suchen‘ keine eigene Extension beisteuert, sondern stattdessen nur der Effekt beschrieben wird, den das Verb in Verbindung mit einem Objekt auf die Extension des Prädikats hat. Dennoch lässt sich mit etwas Formalin und Gehirnschmalz aus (41) eine kompositionelle Deutung der Konstruktion gewinnen – aber nicht hier. Die Deutung von Einstellungsverben mit Hilfe von doxastischen, epistemischen etc. Alternativen im Logischen Raum ist in erster Linie dem finnischen Logiker Jaakko Hintikka (1969) zu verdanken; wichtige Vorarbeiten waren Kripke (1963) sowie Hintikka (1962). Die erste kompositionelle Ausformulierung der von Quine (1956) gegebenen Paraphrasen wie (37) findet man in Montague (1970).

4.6 Einstellungsberichte de re 4.6.1 Ersetzbarkeit trotz Intensionalität Nicht immer sind extensionale und intensionale Konstruktionen so klar voneinander abzugrenzen, wie es bislang den Anschein hat; denn Substitutionsargumente greifen nicht bei jeder intensionalen Konstruktion. So kann unter Umständen der weiter oben betrachtete Einstellungsbericht (33), hier wiederholt als (42), auch wie in (43) formuliert werden: (42) Fritz meint, Eike ist in Berlin. (43) Fritz meint, dass sich die Klassenlehrerin in der Hauptstadt befindet. (43) unterscheidet sich von (42) darin, dass innerhalb des Komplementsatzes zwei Eigennamen durch extensionsgleiche Kennzeichnungen und das Hilfsverb ,ist‘ durch das Vollverb ,sich befinden‘ ersetzt wurden. Die letztgenannte Substitution ist insofern unproblematisch, als man davon ausgehen kann, dass die beiden Verben (in der relevanten, lokalen Lesart) miteinander synonym sind und daher insbesondere dieselbe Intension haben; denn die Ersetzung intensionsgleicher Ausdrücke erhält stets – auch innerhalb intensionaler Konstruktionen – die Extension (ja sogar die Intension) des Gesamtausdrucks: intensionsgleiche Ausdrücke haben ja in allen Welten dieselbe Extension, insbesondere auch in Fritz‘ doxastischen Alternativen, auf die es in den obigen Berichten ankommt. Wir hatten das bereits an einem anderen Spezialfall beobachtet, nämlich beim Übergang von (29) zu (30). Die Ersetzung des Namens ,Berlin‘ durch die (dativische Form der) Kennzeichnung ,die Hauptstadt‘ ist unproblematisch, solange letztere (a) im Sinne von ,die (gegenwärtige) Hauptstadt Deutschlands‘ verstanden wird und sich (b) in Fritz‘ doxastischen Alternativen durchweg auf Berlin bezieht. (a) ist für viele Verwendungen der Kennzeichnung sicher plausibel; warum das so ist, wird im nächsten Abschnitt erläutert. Was (b) betrifft, so kann man bei einem erwachsenen Deutschen wie Fritz natürlich voraussetzen, dass er weiß, welche Stadt die Hauptstadt ist. Unter diesen Umständen lässt sich die Ersetzbarkeit des Namens ,Berlin‘ in (42) leicht erklären. Zwar gibt es Welten, in denen z. B. noch immer Bonn die Hauptstadt ist, aber nicht unter Fritz’ doxastischen Alternativen. Also sind diejenigen Alternativen, in denen Eike in Berlin ist, dieselben wie die, in denen Eike in der Hauptstadt ist. Und nur über diese Alternativen macht (42) nach der in (34) gegebenen Komposi-

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4. Intensionen

tionsregel für Einstellungsberichte eine Aussage. Unter den genannten Umständen läuft also (42) auf dasselbe hinaus wie: (44) Fritz meint, Eike befindet sich in der Hauptstadt. Die dritte Ersetzung lässt sich nun allerdings nicht auf diese Weise erklären. Denn weder ist der Eigenname ,Eike‘ intensionsgleich mit der Kennzeichnung ,die Klassenlehrerin‘ – Eike hätte ja auch Schriftstellerin oder Astronautin werden können. Noch kann man Fritz unterstellen, dass er über dieses berufliche Detail seiner Frau Eike unterrichtet ist. Vielleicht weiß er nicht einmal, dass sie überhaupt Klassenlehrerin ist – geschweige denn die der Klasse 9a, auf die sich ein Sprecher mit (43) beziehen kann (ähnlich wie er sich mit ,die Hauptstadt‘ auf die Hauptstadt der BRD bezieht). Dennoch kann dieser Sprecher den Satz (43) verwenden, um seiner hinreichend informierten Adressatin dasselbe zu verstehen zu geben wie mit dem Einstellungsbericht (42) – etwa wenn es sich bei letzterer um die Schuldirektorin handelt. Die Ersetzung, so scheint es, ist hier lediglich durch den Umstand gerechtfertigt, dass sich der Name und die Kennzeichnung auf dieselbe Person beziehen – also aufgrund ihrer Extensionsgleichheit. Wie lässt sich dies angesichts der Fregeschen Kompositionalität erklären? Die genannten Nominale stehen ja innerhalb eines Einstellungsberichts, und dieser sollte eigentlich die Substituierbarkeit allein aufgrund von Extensionsgleichheit verbieten. Der Sachverhalt klärt sich ein Stückweit auf, wenn wir die – zugegebenermaßen etwas sperrige – Paraphrase (45) von (42) betrachten: (45) Fritz meint von Eike, sie ist in Berlin. (Für manche SprecherInnen mag der Indikativ im Komplementsatz eine stilistische Härte bilden; wir ignorieren diese Subtilität hier.) In (45) wird das Einstellungsverb außer durch den Komplementsatz noch um eine (unterstrichene) Präpositionalphrase erweitert. Bei dieser Erweiterung handelt es sich offenkundig um eine extensionale Konstruktion; denn die Ersetzung des Namens ,Eike‘ durch ein extensionsgleiches Nominal erhält den Wahrheitswert des Berichts. Wenn also Eike die Klassenlehrerin ist, haben (45) und (46) denselben Wahrheitswert: (46) Fritz meint von der Klassenlehrerin, sie ist in Berlin. de re

Eine gängige Erklärung für die zuvor beobachtete Ersetzbarkeit des Namens ,Eike‘ in (42) besteht nun darin, den (Oberflächen-)Satz als strukturell ambig zu analysieren, wobei eine der Lesarten der Paraphrase (46) entspricht, während die andere wie zuvor als Einstellungsbericht analysiert wird, bei dem das Substitutionsargument nach wie vor greift. Ein Einstellungsbericht, der so gemeint ist, dass er die Substitution eines bestimmten, in der Regel referenziellen Ausdrucks durch einen extensionsgleichen Ausdruck gestattet, wird in der Semantik – einer mittelalterlichen Terminologie folgend – als de re bezeichnet; das ist Latein und heißt „über den Gegenstand“, in diesem Fall über den Referenten des Namens ,Eike‘. Die Analyse dieser Lesart kann hier nicht im Detail verfolgt werden. Es sei aber darauf hingewiesen, dass die in diesem Zusammenhang gemachten Beobachtungen zur Ersetzbarkeit extensionsgleicher Ausdrücke nicht bedeuten, dass Einstellungsberichte stets de re sind. So kann der folgende Satz von zwei ganz unterschiedlichen Sachverhalten berichten:

4.6 Einstellungsberichte de re

(47) Fritz meint, dass Goethe in der Hauptstadt Hessens geboren wurde. Angenommen, Fritz ist der Überzeugung, dass Frankfurt die Hauptstadt Hessens ist. Unter diesen Umständen kann (47) zutreffen, wenn er weiß, dass Goethe aus Frankfurt stammt, fälschlicherweise aber davon ausgeht, dass die größte Stadt Hessens zugleich Landeshauptstadt ist. In diesem Fall kann keine Lesart de re vorliegen; denn der tatsächliche Referent der Kennzeichnung ,die Hauptstadt Hessens‘ ist Wiesbaden. Die intendierte Lesart ist vielmehr diejenige, die sich aufgrund der oben gegebenen kompositionellen Deutung von Einstellungsberichten von selbst ergibt; sie wird in der Literatur als de dicto („über den Inhalt“) bezeichnet. 4.6.2 Gebundene Pronomina Ein Aspekt von Paraphrasen wie (46) ist besonders aufschlussreich für eine systematische Deutung der Lesarten de re, aber auch aus unabhängigen Gründen interessant: der Pronominalbezug. Das Pronomen ,sie‘ bezieht sich auf den Referenten der Kennzeichnung ,die Klassenlehrerin‘ zurück. Interessanterweise lässt es sich aber auch verwenden, wenn die Präpositionalphrase statt der Kennzeichnung einen Quantor enthält: (48) a. Fritz meint von einer Schülerin, sie ist in Berlin. b. Fritz meint von jeder Schülerin, sie ist in Berlin. In den Sätzen unter (48) bezieht sich das Pronomen ,sie‘ jeweils auf den Quantor ,einer Schülerin‘ bzw. ,jeder Schülerin‘ zurück. Anders als in (46) besteht dieser Rückbezug nicht in einer Stellvertreterfunktion: ersetzt man das Pronomen durch den Quantor, auf den es sich zurückbezieht, so wird die Aussage verfälscht – in diesem Fall sogar obskur. Vielmehr handelt es sich um ein gebundenes Pronomen, dessen semantische Funktion klar wird, wenn man den Quantor anhebt: (49) a. [eine Schülerin: x] Fritz meint von x, sie ist in Berlin b. [jede Schülerin: x] Fritz meint von x, sie ist in Berlin Nach den Kompositionsregeln für angehobene Quantoren sind die Sätze unter (49) wahr, wenn sich die Menge der Schülerinnen mit der Erfüllungsmenge des offenen Rest-Satzes überlappt bzw. wenn erstere eine Teilmenge von letzterer ist: (50) a. [[Schülerin]]w \ [[Fritz meint von x, sie ist in Berlin]]w 6¼ Ø b. [[Schülerin]]w  [[Fritz meint von x, sie ist in Berlin]]w Was ist nun die Erfüllungsmenge des Rest-Satzes? Natürlich hängt das im Allgemeinen davon ab, auf wen sich das Pronomen ,sie‘ bezieht. Doch hier ist der Fall klar; denn das Pronomen soll ja zurückbezogen werden und sich auf die jeweilige Schülerin x beziehen. Die gesuchte Erfüllungsmenge ist somit: (51) = = =

[[Fritz meint von x, sie ist in Berlin]]w [[Fritz meint von x, x ist in Berlin]]w {x | Fritz meint von x, x ist in Berlin} {x | Fritz meint, x ist in Berlin}

Der erste Übergang in (51) macht den Rückbezug des Pronomens explizit. Anders als in (48) läuft er auf eine Ersetzung durch die Variable hinaus, auf

de dicto

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die sich das Pronomen zurückbezieht. Dass das funktioniert, liegt daran, dass Variablen keine Quantoren sind, sondern referenziell. Jetzt ist der Weg frei für die Bestimmung der Erfüllungsmenge, was im zweiten Übergang geschieht. Diesen Prozess haben wir nicht im Detail vorgeführt, weil er zusätzliche Kompositionsregeln (für die Präpositionalphrase und ihre Anbindung) erfordert, auf die wir hier nicht eingehen können. Es sollte aber klar sein, dass auf der Grundlage solcher Regeln diese Erfüllungsmenge herauskommt. Der letzte Übergang reflektiert lediglich, dass die Formulierung ,von x meinen, x ist in Berlin‘ redundant ist. Auf dem Hintergrund von (51) besagt also (48)a, dass es eine Schülerin x gibt, so dass sich x in allen doxastischen Alternativen von Fritz in Berlin befindet. Insbesondere muss Fritz dafür nicht wissen, dass es sich bei dieser Person um eine Schülerin handelt. Dies ist offenbar die korrekte Wahrheitsbedingung nicht nur des Satzes (48)a, sondern auch einer Lesart von: (52) Fritz meint, eine Schülerin ist in Berlin. Und ganz offenkundig kann man diese Lesart nun auch direkt durch Anhebung des Quantors ,eine Schülerin‘ aus (52) erhalten: (53) [eine Schülerin: x] Fritz meint, x ist in Berlin Ähnlich wie oben kann man nun einsehen, dass (53) unter der in (50)a angegebenen Bedingung zutrifft. Doch es gibt einen Unterschied: während die Quantorenanhebung in (48)a alternativlos war – der Quantor steht ja nicht in Subjektposition – hätte man sie in (52) auch weglassen oder nur bis zur Grenze des Komplementsatzes vollziehen können (was auf dasselbe hinausläuft): (54) Fritz meint, [eine Schülerin: x] x ist in Berlin In diesem Fall erhält man für (52) eine andere Lesart als bei der Analyse (53); denn nach (54) muss es in allen doxastischen Alternativen von Fritz eine Schülerin geben, die sich in Berlin aufhält; insbesondere muss es nicht immer dieselbe Person sein, aber es muss sich stets um eine Schülerin handeln. Nach dieser Lesart besagt also (52) lediglich, dass Fritz der Meinung ist, dass irgendeine Schülerin in Berlin ist; nach der Analyse (53) muss es sich dagegen um eine bestimmte Schülerin handeln. Der Unterschied zwischen (53) und (54) ist offensichtlich ganz analog zu der oben beobachteten Ambiguität: (53) ist die Logische Form eines Einstellungsberichts de re, (54) ist de dicto. Diese Analysestrategie funktioniert auch in anderen Fällen, in denen Quantoren Pronomina binden – ganz egal, ob diese innerhalb intensionaler Konstruktionen stehen. Wie wir bereits im zweiten Kapitel anhand ähnlicher Konstellationen gesehen hatten, ist ein von einem Quantor gebundenes Pronomen weder ein Stellvertreter noch eine Abkürzung für den Quantor selbst. Wie man nun an der obigen Analyse – und insbesondere am ersten Übergang in (51) – erkennt, wird es auch nicht wirklich auf den Quantor zurückbezogen, sondern auf die Lücke, die er nach seiner Anhebung hinterlässt. Diese Lücke dient dazu, eine Erfüllungsmenge zu konstruieren, also eine Menge aller Objekte, die den (lückenhaften) Satz erfüllen, mit dem dann eine Aussage über diese Menge gemacht wird – im obigen Fall etwa, dass sie sich mit der Menge der Schülerinnen überlappt. Die gebundenen Pronomina beziehen sich somit nicht auf bestimmte Objekte, sondern helfen, eine mul-

4.6 Einstellungsberichte de re

tiple Referenz auf die Elemente einer Erfüllungsmenge herzustellen. Eine genauere Charakterisierung der logischen Funktion gebundener Pronomina liegt allerdings weit außerhalb des Stoffs dieser Semantik-Einführung. 4.6.3 Kennzeichnungen als Quantoren Es bietet sich nun an, auch den oben angesprochenen Unterschied zwischen den beiden Lesarten von (55) in Analogie zu (53) und (54) zu erklären: (55) Fritz meint, die Klassenlehrerin ist in Berlin. Allerdings gibt es jetzt ein kleines Hindernis: anders als das Subjekt von (52) ist die Kennzeichnung ,die Klassenlehrerin‘ gar kein Quantor und kann also auch nicht angehoben werden! Grundsätzlich könnte man daher neben der Quantorenanhebung eine Anhebung für referenzielle Nominale definieren; eine andere Strategie besteht darin, die Kennzeichnungen selbst als Quantoren zu behandeln. Dieser zweiten Strategie werden wir uns jetzt kurz zuwenden, da sie – ähnlich wie die Bindung von Pronomina – von generellem Interesse ist. Wir waren bisher davon ausgegangen, dass die Extension einer Kennzeichnung mit ihrem Referenten zusammenfällt. Das ist jedoch keine zwingende Notwendigkeit. Ähnlich wie bei anderen Determinatoren können wir uns nämlich auch beim definiten Artikel fragen, welche Beziehung er zwischen der Extension eines Substantivs und eines Prädikats herstellt. Sehen wir uns dazu ein Beispiel an: (56) Die türkische Kursteilnehmerin fehlt. Damit der Satz (56) zutrifft, muss es offenbar überhaupt eine türkische Kursteilnehmerin geben – und auch nicht mehr als eine; außerdem muss diese Dame, damit der Satz (56) zutrifft, abwesend sein. Es ist üblich, diese Bedingungen für die Wahrheit von solchen Sätzen in drei unabhängige Bedingungen über die beteiligten Extensionen aufzuspalten: * * *

[[türkische Kursteilnehmerin]]w 6¼ Ø #([[türkische Kursteilnehmerin]]w )  1 [[türkische Kursteilnehmerin]]w  [[fehlt]]w

Die Bedingungen werden auch als Existenz-, Einzigkeits- und Prädikationsbedingung bezeichnet. Diese Bezeichnungen stammen aus der sprachphilosophischen Tradition und haben sich in der Semantik allgemein durchgesetzt. Durch Verallgemeinerung auf beliebige Kennzeichnungen ergibt sich dann die folgende Extension des bestimmten Artikels ,der/die/das‘: (57) [[d-]]w = {(X;Y) | X 6¼ Ø, #(X)  1, und X  Y} Mit dieser Analyse lässt sich nun (55) als Einstellungsbericht de re analysieren: (58) [die Klassenlehrerin: x] Fritz meint, x ist in Berlin. Danach ist der Satz wahr, wenn es mindestens (Existenz) und höchstens (Eindeutigkeit) eine Klassenlehrerin gibt und diese Person – die dann ja jede Klassenlehrerin ist! – in allen doxastischen Alternativen von Fritz in Berlin ist. Wenn also Eike die (einzige) Klassenlehrerin ist, besagt (55) in der Lesart

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4. Intensionen

(58), dass Eike in allen doxastischen Alternativen von Fritz in Berlin ist, d. h. dass er ausschließt, dass sie nicht in Berlin ist; dazu muss er nicht wissen, dass sie die Klassenlehrerin ist. Quellen

Die Idee, Substituierbarkeit innerhalb intensionaler Konstruktionen über spezielle Lesarten de re nach dem Vorbild von Paraphrasen wie (46) zu ermöglichen, geht auf Quine (1956) zurück und bildete eine wesentliche Motivation für Montagues (1973) Version der Quantorenanhebung. Die Analyse der semantischen Funktion gebundener Pronomina wird üblicherweise Frege (1879) zugeschrieben, für dessen logisches System (Begriffsschrift) sie von zentraler Bedeutung ist; mehr dazu in Geach (1962). Die Analyse von Kennzeichnungen als Quantoren geht auf Russells (1905) Kritik an Frege (1892a) zurück; die kompositionelle Formulierung stammt von Montague (1970). Die Russellsche Kennzeichnungstheorie ist immer wieder herangezogen worden, um bestimmte philosophische Thesen durch logische Sprachanalyse zu untermauern – so etwa in Quine (1961); die Einleitung von Parsons (1980) enthält eine scharfsinnige (und letztlich vernichtende) Kritik an diesem Vorgehen.

- Übungsaufgaben zu 4.1 1. Weisen Sie anhand von Substitutionsargumenten nach, dass es sich bei den folgenden syntaktischen Konstruktionen um intensionale Kontexte handelt: * Adjunktion eines kausalen Nebensatzes wie in: Donovan ist verzückt, weil Astrud singt. * Direktes Objekt des Verbs ,suchen‘: Nicholas sucht ein französisches Restaurant. * Modifikation eines Substantivs durch ,angeblich‘: Herbert ist ein angeblicher Ostagent.

zu 4.3 2. Die folgende Fangfrage soll Abraham Lincoln angeblich gerne gestellt haben – freilich ohne expliziten Bezug auf den Logischen Raum: * Wie viele Beine hat ein gesundes Kalb in einer Welt, in der ,Bein‘ eine Bezeichnung für den Schwanz eines Kalbs ist? Als Antworten scheinen 1, 4 oder 5 in Frage zu kommen – aber nur eine Antwort ist richtig. Hinweis: Wir sprechen nur über Welten, in denen sich Kälber genetisch nicht von tatsächlichen Kälbern unterscheiden. 3. Erweitern Sie Tabelle 4.5 um die (unvollständigen) Intensionen von ,Junggeselle‘ und ,besitzt ein englisches Auto‘. 4. Welche Ausdrücke besitzen neben Eigennamen starre Intensionen?

zu 4.4 5. Warum kann es nicht sein, dass in (31) – wie der Komplementsatz – auch das Einstellungsverb seine Intension zur Prädikatsextension beisteuert?

zu 4.5 6. Belegen Sie die zu Beginn von 4.5.1 erwähnte Polysemie von ,meinen‘ anhand eines Ambiguitätstests. 7. Inwiefern genügt (34) dem Fregeschen Kompositionalitätsprinzip (32)? 8. Warum ist die Welt, in der eine Person lebt, stets unter ihren epistemischen, aber nicht immer unter ihren doxastischen Alternativen?

4.6 Einstellungsberichte de re

zu 4.6 9. Was wäre der Fall, wenn (47) in der Lesart de re zuträfe? 10. Mit der in 4.6.3 angegebenen Deutung von Kennzeichnungen lassen sich auch Sätze wie der folgende als ambig erklären: * Der Hund der Nachbarin hat mich nicht geweckt. Dazu muss man der Kennzeichnung in der LF einen flexiblen Skopus einräumen: * [der Hund der Nachbarin: x] [nicht] x hat mich geweckt * [nicht] [der Hund der Nachbarin: x] x hat mich geweckt Was ist der Unterschied zwischen den beiden Lesarten? Belegen Sie ihn mit einem Szenario! NB: Diese Art von Skopusambiguität diente Russell als ein zentraler Beleg für seine Kennzeichungstheorie. 11. Zeigen Sie, dass die folgende Gleichung auf dasselbe hinausläuft wie (57): * [ d-]] = {(X;Y) | #(X)  1, und X \ Y 6¼ Ø}

109

5. Aspekte der Wortbedeutung Die vorangehenden Kapitel waren in erster Linie der Bedeutungskomposition gewidmet und enthielten nur ein paar verstreute Beobachtungen zu den Bedeutungen einzelner Wörter. In diesem Kapitel gehen wir etwas systematischer auf einige Aspekte der lexikalischen Semantik ein.

5.1 Grobklassifikation Nach dem Allgemeinen Kompositionalitätsprinzip wird die Bedeutung eines Ausdrucks durch die Bedeutungen seiner unmittelbaren Teile bestimmt, die sich ihrerseits wieder kompositionell aus den Bedeutungen ihrer Teile bestimmen lassen – und so weiter, bis man zu den Ausdrücken kommt, die selbst keine Teile besitzen und deren Bedeutungen somit nicht kompositionell bestimmt werden können. In den letzten Kapiteln haben wir die Bedeutungen solcher „atomaren“ Ausdrücke – ihre Extensionen und Intensionen – in der Regel nur en passant angegeben oder implizit gelassen. Die folgenden Gleichungen zeigen, wie man diese Angaben expliziter formulieren kann: (1) (2) (3) (4) (5)

[vgl. 3.2] [[Frankfurt&]]w = Frankfurt am Main [[Tisch]]w = {x | x ist ein Tisch in w} [vgl. 3.3.1] [[und]]w = {((1;1);1), ((1;0);0), ((0;1);0), ((0;0);0)} [vgl. S. 67, (37)] [[ein]]w = {(X;Y) | X \ Y 6¼ Ø} [vgl. S. 79, (72)] [[meint]]w = {(x;w‘) | in w ist w‘ eine doxastische Alternative für x} [vgl. 4.5.1]

Die Variable ,w‘ steht dabei für beliebige Welten; der Index in (1) dient lediglich der Disambiguierung. Damit das Kompositionalitätsprinzip überhaupt greift, muss für jeden „atomaren“ Ausdruck eine Gleichung im Stil von (1)–(5) angegeben werden; denn diese Gleichungen geben die Extension des jeweiligen Worts für jede Welt an, und damit seine Intension. Nur aufgrund solcher Angaben lassen sich die Bedeutungen der komplexen Ausdrücke – und das heißt hier: ihre Extensionen und Intensionen – aus denen ihrer Bestandteile ermitteln. Neben den Regeln der Bedeutungskomposition bedarf es also einer Liste von Angaben zu den Extensionen und Intensionen der einzelnen Wörter. Diese Liste macht den semantischen Teil des Lexikons aus. Natürlich sind (1)–(5) nur ein winziger Ausschnitt aus diesem gigantischen Gleichungssystem, doch die Auswahl ist insofern aufschlussreich, als sie einige grundlegende Unterschiede zwischen den Intensionen verschiedener Wörter illustriert, die Anlass zu einer groben Klassifikation des Lexikons aus Sicht der kompositionellen Semantik geben. 5.1.1 Extensionstypen Zunächst einmal unterscheiden sich alle fünf Beispiele voneinander darin, dass die jeweiligen Extensionen ganz unterschiedliche Arten von Gegen-

5.1 Grobklassifikation

ständen sind: ein einzelnes Individuum; eine Menge von Individuen; eine Wahrheitstafel; eine Relation zwischen Mengen von Individuen; eine Relation zwischen Individuen und möglichen Welten. Diese Unterschiede rühren daher, dass es sich um die Extensionen von Wörtern verschiedener syntaktischer (Unter-)Kategorien handelt: Eigenname; Substantiv; koordinierende Konjunktion; Determinator; Einstellungsverb. Im Allgemeinen entspricht einer syntaktischen Kategorie eine bestimmte Art von Extension, ihr Extensionstyp. Neben den in (1)–(5) illustrierten Fällen haben wir in den beiden vorangehenden Kapiteln weitere Korrelationen zwischen syntaktischen Kategorien und Extensionstypen kennengelernt: die Extensionen von n-wertigen Prädikaten sind n-stellige Relationen (zwischen Individuen); die Extensionen von (Aussage-)Sätzen sind Wahrheitswerte; die Extensionen von Quantoren sind Mengen von Mengen von Individuen etc. Extensionstypen spielen eine tragende Rolle in der Bedeutungskomposition. Besonders deutlich ist dies bei der Bestimmung der Satzextension aus den Extensionen von Subjekt und Prädikat: ist das Subjekt ein Quantor, muss seine Extension die des Prädikats enthalten, damit der Satz wahr wird; ist das Subjekt dagegen referenziell, kommt es darauf an, ob seine Extension in der des Prädikats liegt. Wie Subjekts- und Prädikatsextension miteinander kombiniert werden, hängt also vom Extensionstyp des Subjekts ab – ob es sich um eine Menge von Mengen von Individuen handelt oder um ein einzelnes Individuum. Aber auch bei anderen Konstruktionen sind die beteiligten Extensionstypen wichtig. Ein direktes Objekt kann zur Sättigung der Extension eines transitiven Verbs beitragen, wenn seine Extension ein Individuum ist und die des Verbs eine Relation zwischen Individuen. Ebenso müssen die an der Extensionsbestimmung von Quantoren beteiligten Extensionstypen zueinander passen: die Determinatoren-Extension kann nur durch eine Menge von Individuen gesättigt werden, und die Substantivextension ist gerade eine solche Menge. Und Ähnliches gilt für die Junktoren, deren Extensionen Wahrheitstafeln sind – und damit geradezu dafür prädestiniert, sich mit Wahrheitswerten, also Satzextensionen, zu verbinden. Die Bedeutungskomposition funktioniert in diesen Fällen gerade deshalb, weil die beteiligten Ausdrücke jeweils vom einschlägigen Extensionstyp sind. Insofern ist der Extensionstyp eines Ausdrucks ein für die Bedeutungskomposition zentraler Aspekt seiner Bedeutung. Und genau in dieser Hinsicht unterscheiden sich die in (1) – (5) angegebenen Beispiele voneinander; aus kompositioneller Sicht handelt es sich bei den genannten Wörtern also um Ausdrücke mit sehr unterschiedlichen Bedeutungen. Sie illustrieren damit eine grobe semantische Strukturierung des Lexikons – die Einteilung der Wörter nach ihren Extensionstypen. Diese Einteilung stellt zugleich auch ein – ebenfalls grobes – Komplexitätsmaß für Bedeutungen dar. Denn die Unterschiede zwischen den Extensionstypen zeigen sich in erster Linie in der Art und dem Grad der mengentheoretischen Verschachtelung. Während z. B. ein Individuum keine interne mengentheoretische Struktur besitzt, ist die Extension eines Determinators ein komplexes Objekt, bestehend aus Paaren von Mengen von Individuen. Die Extensionen von Substantiven und Prädikaten sind dagegen weit weniger komplex, wobei es bei letzteren wiederum Unterschiede in der Stelligkeit gibt. Einige dieser mengentheoretischen Komplexitätsunterschiede sind Artefakte der mathematischen Modellierung,

Komplexität von Bedeutungen

111

112

5. Aspekte der Wortbedeutung

doch manche von ihnen haben möglicherweise auch einen kognitiven Bezug. Wir kommen auf diese Frage im letzten Kapitel zurück. Fassen wir zusammen. Das Lexikon lässt sich aus Sicht der kompositionellen Semantik grob einteilen nach den Extensionstypen der Wörter, die wiederum mit ihrer syntaktischen Feinkategorisierung korrelieren. So naheliegend diese Einteilung auch ist – in der Praxis der lexikalischen Semantik spielt sie eine weniger bedeutende Rolle als die im nächsten Abschnitt getroffenen Unterscheidungen. 5.1.2 Starrheit, Inhaltswörter und grammatische Bedeutung starre Intensionen

Inhaltswörter

geschlossene Klassen

Abgesehen von den Extensionstypen unterscheiden sich die in (1)–(5) angeführten Wortbedeutungen noch in anderer Hinsicht. Besonders auffällig ist die Tatsache, dass die Extensionen in (1), (3) und (4) nicht von der jeweiligen Welt abhängen: die dort beschriebenen Intensionen sind starr – ein Begriff, den wir bereits im letzten Kapitel (im Zusammenhang mit Eigennamen) kennengelernt haben. Aus formaler Sicht sind starre Intensionen gewissermaßen degeneriert: sie weisen zwar jeder Welt eine Extension zu, aber diese Extension hängt nicht wirklich von der Welt ab. Um eine starre Intension zu beschreiben, genügt es, ihren Wert für eine einzige, beliebige Welt zu kennen – der Rest ist Wiederholung. Die Intension lässt sich in diesem Fall vollständig aus der einzelnen Extension konstruieren, d. h. sie wird von ihr determiniert. Insofern könnte man sagen, dass Wörter mit starren Intensionen „eigentlich“ nur Extensionen haben und ihre Intensionen lediglich aus Gründen der theoretischen Einheitlichkeit angenommen werden: die „eigentliche“ Bedeutung eines Junktors liegt in der Wahrheitstafel; und ein Eigenname steht „eigentlich“ nur für seinen Träger. Hätten alle Wörter starre Intensionen, käme man ohne diese aus. Doch Fälle wie (3) und (4) sind vergleichsweise selten. Die Extensionen der meisten Wörter variieren heftig im Logischen Raum. (2) und (5) sind typische Beispiele: andere Welten, andere Tische und andere Meinungen. Für solche Wörter sind Intensionen unverzichtbar; sie werden daher auch als Inhaltswörter bezeichnet. Umgekehrt kann man ohne Inhaltswörter keine nennenswerten Propositionen ausdrücken; denn mit starren Intensionen allein lassen sich keine Differenzierungen im Logischen Raum vornehmen. Erst die Inhaltswörter sorgen dafür, dass die Informationsdimension der Sprache mit Leben gefüllt wird. Und diese Inhaltswörter machen bei weitem den größten Teil des Lexikons aus. Bevor wir uns diesen Teil näher ansehen, werfen wir aber noch einen kleinen Blick in die Abteilung der starren Intensionen. Auch wenn sie ebenfalls starr sind, unterscheiden sich doch die Intensionen in (3) und (4) deutlich von der des Eigennamens in (1): anders als Städte, Personen und andere Individuen sind die Konjunktion (im Sinne der Wahrheitstafel) und die Überlappung abstrakte, logisch-mengentheoretische Objekte. Das liegt daran, dass Wörter wie ,und‘ und ,ein‘ weder selbst einen Sachbezug herstellen noch einen eigenen Informationsgehalt haben. Vielmehr dienen sie dazu, Sachbezüge und Informationsgehalte anderer sprachlicher Ausdrücke miteinander zu verbinden und in Beziehung zu setzen. Die in (3) und (4) beschriebenen abstrakten Bedeutungen sind typisch für denjenigen Bereich des Lexikons, vor dem die sprachliche Kreativität Halt macht. Ein Vergleich verschiedener Auflagen handelsüblicher Wörterbücher

5.1 Grobklassifikation

zeigt, dass sich der Vorrat an Substantiven, Verben und Adjektiven beständig ändert: ,Komasaufen‘, ,fremdschämen‘ und ,unkaputtbar‘ sind erst seit ein paar Jahren im Rechtschreibduden zu finden. Ein Großteil dieser Neubildungen sind morphologisch regelhafte Komposita oder Derivationen, die nur zuvor nicht gängig waren. Die anderen haben phantasievoll gebildete oder einfach entlehnte Wortstämme – wie ,Blog‘; auch per Taufakt neu eingeführte Eigennamen fallen unter diese Rubrik. Viele von diesen Wortschöpfungen sind kurzlebig, andere nisten sich im allgemeinen Sprachgebrauch ein. Doch trotz dieser großen Fluktuation findet man unter den neuen Wörtern äußerst selten Determinatoren, Konjunktionen, Pronomina oder Präpositionen. Diese Wortarten werden daher als geschlossene Klassen bezeichnet. In den geschlossenen Klassen trifft man vor allem Wörter mit so abstrakten Bedeutungen an wie in (3) und (4). Genauer gesagt handelt es sich um Wörter mit starren Intensionen und mit Extensionen, die sich rein strukturell beschreiben lassen, d. h. ausschließlich mit mengentheoretischen Begriffen oder allenfalls, wie im Fall von lokalen und temporalen Präpositionen, mit Bezugnahme auf allgemeine raum-zeitliche Strukturen. Strukturelle Bedeutungen dieser Art spielen auch außerhalb des Lexikons eine Rolle – und zwar oberhalb wie unterhalb der Wortebene, genauer: (a) in der Morphologie und (b) an der Syntax-/Semantik-Schnittstelle. Als Beispiel für (a) muss die Präfigierung von Adjektiven mit ,un-‘ reichen, die in gewisser Weise eine Negation ausdrückt: was unklar ist, ist nicht klar; was ungeeignet ist, ist nicht geeignet usw. Da die Negation selbst – als Junktor – eine rein strukturelle Bedeutung hat, sollte dies auch für das Derivationspräfix ,un-‘ gelten; eine Übungsaufgabe wird dies bestätigen. Ansonsten werden wir allerdings auf Fragen der Wortbildung und Formenlehre aus Platzgründen nicht weiter eingehen. Insbesondere klammern wir die semantische Rolle unselbständiger sprachlicher Einheiten („gebundener Morpheme“) ebenso wie die in 2.3.5 angesprochene lexikalische Zerlegung aus und betrachten weiterhin nur vollständige Wortformen als Atome des semantischen Kompositionsprozesses. Was (b), die Schnittstelle zwischen Syntax und Semantik betrifft, so hatten wir in den beiden vorangehenden Kapiteln die semantischen Pendants syntaktischer Konstruktionen stets mit rein mengentheoretischen Mitteln definiert. Ein typisches Beispiel ist das allgemeine Schema der Sättigung, von dem wir bei der Anknüpfung der Objekte von Prädikaten Gebrauch gemacht haben: (6) Wenn P ein n+1-wertiges Prädikat ist und E seine n+1. Ergänzung, dann gilt: [vgl. S. 64, (33)] [[P + E]]w = {(x1;…;xn) | (x1;…;xn;[[E]]w) 2[[P]]w} Die Gleichung in (6) definiert eine Kombination von Extensionen – und damit eine Funktion ƒ, die jeweils zwei Extensionen, [[E]]w und [[P]]w, eine Prädikatsextension zuweist. In 4.3.1 hatten wir gesehen, dass sich Funktionen als Mengen geordneter Paare darstellen lassen – wie z. B. die Quadratfunktion, die dann herauskommt als: (7) {(x;y) | x2ø, y = x2}

[= (21),S. 92]

Im Sinne dieser Darstellung entspricht die in (6) definierte Extensionskombination der Menge:

113

114

5. Aspekte der Wortbedeutung

(8) {((X1;X2);Y) | Y = {(x1;…;xn) | (x1;…;xn;X2) 2 X1}}

grammatische Bedeutung

Quellen

(8) ist etwas komplizierter als (7), weil die in (6) beschriebene Funktion – ähnlich wie die Wahrheitstafel in (3) – jeweils zwei Extensionen miteinander verbindet, nämlich die eines n+1-wertigen Prädikats P mit der seiner Ergänzung E; die Argumente der Funktion sind also geordnete Paare (X1;X2), die im konkreten Anwendungsfall die Gestalt ([[P]]w; [[E]]w) haben. Und die Werte Y sind die Mengen, die durch Sättigung der Prädikatsextension mit der Extension der (nominalen) Ergänzung hervorgehen. Die etwas barocke Darstellungsweise (8) dieser Extensionskombination ist deswegen interessant, weil sie zum einen zeigt, dass (und wie) man sie als ein eigenständiges Objekt verstehen kann – eine Funktion; zum anderen macht die Formulierung (8) deutlich, dass die genannte Funktion allein auf mengentheoretischer Basis definiert werden kann. Das Gleiche lässt sich für die anderen Extensions- und Intensionskombinationen zeigen, sobald man sie als Funktionen auffasst. Damit rücken die Extensionen „logischer“ Wörter wie ,und‘, ,kein‘ etc. in die Nähe der Bedeutungskombinationen an der Syntax-Semantik-Schnittstelle: beide erweisen sich als mengentheoretisch beschreibbare „Rechenoperationen“, die auf Extensionen (bzw. Intensionen) angewandt werden. Gemeinsam machen sie den Bereich der sog. grammatischen Bedeutung aus, die „eigenständigen“ Bedeutungen gegenüber stehen, die selbst Sachbezüge herstellen und Inhalte ausdrücken – im lexikalischen Bereich vertreten durch die Inhaltswörter. Letztere machen den Kern des Lexikons aus, um den es in der lexikalischen Semantik und auch im Folgenden nahezu ausschließlich geht. Die Eigennamen, die zwar – aufgrund ihrer starren Intensionen – keine Inhaltswörter sind, aber dennoch einen unmittelbaren Sachbezug herstellen, nehmen insofern eine Sonderstellung ein, als die meisten von ihnen nicht als echte Wörter der Sprache empfunden werden: die Unkenntnis eines Namens wie ,Goethe‘ kann zwar eine Bildungslücke sein, gilt aber im Allgemeinen nicht als Beleg für mangelnde Sprachkenntnisse. Die Einteilung der Ausdrücke innerhalb und außerhalb des Lexikons nach Extensionstypen hat eine bis zu Whitehead & Russells (1910) Untersuchungen zur Sprache der Mathematik zurückreichende Tradition. Oft wird dafür ein eigenes Notationssystem nach Montague (1970) herangezogen. – In der semantischen Literatur ist eine etwas andere Charakterisierung grammatischer Bedeutung als die oben angedeutete mengentheoretische Definierbarkeit üblich: das sog. Invarianzkriterium. Eine knappe Darstellung bietet der – überhaupt sehr lesenswerte – Überblicksartikel von Fanselow und Staudacher (1991: 55 ff.).

5.2 Paradigmatische Beziehungen 5.2.1 Sinnrelationen Bereits im ersten Kapitel hatten wir gesehen, dass sich das Lexikon aus semantischer Sicht als ein Beziehungsgeflecht aus Sinnrelationen darstellen lässt. Mit dem formalen Rüstzeug der vorangehenden Kapitel lässt sich dieses lexikalische Begriffsnetz etwas genauer fassen; denn viele Sinnrelationen basieren auf einfachen mengentheoretischen Beziehungen zwischen Extensionen.

5.2 Paradigmatische Beziehungen

So schlägt sich zum Beispiel die Hyponymie zwischen ,Haus‘ und ,Gebäude‘ darin nieder, dass die Extension des einen eine Teilmenge der Extension des anderen ist:

Hyponymie

(9) [[Haus]]w  [[Gebäude]]w Ähnliches gilt für andere Hyponymien wie die zwischen ,Junggeselle‘ und ,Mann‘; ,Auto‘ und ,Fahrzeug‘; ,Pferd‘ und ,Tier‘ etc. Insofern liegt der Verdacht nahe, dass die Hyponymiebeziehung zwischen zwei Substantiven A und B gerade dann besteht, wenn [[A]]w  [[B]]w. Allerdings reicht diese Charakterisierung nicht ganz aus. Denn das in (9) angegebene Verhältnis zwischen zwei Substantiven kann auch bestehen, ohne dass eine Hyponymie vorliegt: (10) [[Fußballprofi]]w  [[Spitzenverdiener]]w Die – hier einmal als Tatsache unterstellte – Teilmengenbeziehung in (10) ergibt sich nicht aus den Bedeutungen der betreffenden Substantive, sondern aus Zufälligkeiten in der Einkommensverteilung. Man kann sich ja durchaus vorstellen, dass zumindest manche Fußballprofis nur einen durchschnittlichen Jahresverdienst hätten. Doch was denkbar ist, ist auch an irgendwelchen Punkten im Logischen Raum der Fall; und solche Welten sind dann Gegenbeispiele zu (10): für sie enthält die Extension von ,Fußballprofi‘ Elemente, die nicht zugleich Elemente der Extension von ,Spitzenverdiener‘ sind. Nach Gegenbeispielen zu (9) wird man dagegen im ganzen Logischen Raum vergeblich suchen. Zwar gibt es unzählige Welten, in denen es keine Häuser gibt, in denen Häuser nicht durch das Wort ,Haus‘ bezeichnet werden oder in denen dieses Wort (als Lautform) eine ganz andere Bedeutung hat. Doch keine solche Welt ist ein Gegenbeispiel zu (9); denn dazu müsste es in ihr (mindestens) ein Haus – also ein Gebäude – geben, das kein Gebäude ist! Der Unterschied zwischen (9) und (10) illustriert, dass Hyponymie nicht nur eine Angelegenheit der tatsächlichen Extensionen ist. Vielmehr besteht diese Sinnrelation erst dann zwischen zwei Ausdrücken A und B, wenn bei jeder möglichen Tatsachenkonstellation As Extension eine Teilmenge der Extension von B ist: (11) A ist ein Hyponym von B gdw. für jede mögliche Welt w gilt: [[A]]w  [[B]]w. Nach (11) ist die Hyponymie eine über den Logischen Raum verbreitete Teilmengenbeziehung zwischen den Extensionen der beteiligten Ausdrücke – und betrifft damit ihre gesamten Intensionen. Die Aussage (9) belegt also nur insofern eine Hyponymiebeziehung, als sie – im Gegensatz zu (10) – auf alle Welten w des Logischen Raums zutrifft. Auch andere Sinnrelationen lassen sich durch Ausbreitung von Beziehungen zwischen Extensionen definieren. So ist die Hyperonymie die zur Hyponymie gegensinnige (konverse) Beziehung, wie sie etwa zwischen ,Gebäude‘ und ,Haus‘ besteht. Sie wird natürlich ganz analog zur Hyponymie definiert: (12) A ist ein Hyperonym von B gdw. für jede mögliche Welt w gilt: [[B]]w  [[A]]w.

Hyperonymie

115

116

5. Aspekte der Wortbedeutung Inkompatibilität

Eine Inkompatibilität besteht dagegen zwischen zwei Substantiven, deren Intensionen einander ausschließende Eigenschaften sind – wie z. B. ,Schnitzel‘ und ,Tiger‘; ,Haus‘ und ,Fahrbahn‘; ,Theorie‘ und ,Gartenzwerg‘; etc., aber nicht ,Professor‘ und ,Minister‘ (deren Extensionen sich de facto überschneiden) oder ,Chirurg‘ und ,Jugendlicher‘ (deren Extensionen wohl nur in entlegenen Regionen des Logischen Raums überlappen): (13) A ist inkompatibel mit B gdw. für jede mögliche Welt w gilt: [[A]]w \ [[B]]w = Ø. Die Definitionen (11)–(13) lassen sich nicht nur auf lexikalische Substantive A und B anwenden, sondern auf Ausdrücke beliebiger Kategorien, solange ihre Extensionen stets Mengen sind: (14) a. ,dunkelrot‘ ist ein Hyponym von ,rot‘; b. ,Genie‘ ist ein Hyponym von ,klug‘. In (14)a können wir davon ausgehen, dass es sich bei den beiden Farbwörtern um intersektive Adjektive handelt, deren Extensionen dementsprechend Mengen von Individuen sind. Natürlich ist dann das Erste spezieller als das Zweite: was dunkelrot ist, ist insbesondere rot. – In (14)b wird für ,klug‘ ebenfalls Intersektivität unterstellt – mit dem Ergebnis, dass die Extension stets eine Obermenge der Extension von ,Genie‘ ist; damit ist der Definition (11) Genüge getan, auch wenn die beiden Ausdrücke unterschiedlichen Kategorien angehören. Die in (14) angegebenen Sinnrelationen bestehen jeweils zwischen Ausdrücken, deren Extensionen Mengen von Individuen sind. Doch die Definitionen (11)–(13) lassen sich auch dann anwenden, wenn es sich bei den Extensionen der beteiligten Ausdrücke um Relationen handelt, wie z. B. in: (15) a. ,grüßt‘ ist inkompatibel mit ,ignoriert‘; b. ,überragt‘ ist inkompatibel mit ,schläft‘.

relationale Substantive

(15)a spielt darauf an, dass die Extensionen beider transitiver Verben zweistellige Relationen sind, bestehend aus Paaren von Grüßern und Gegrüßten bzw. Ignorierern und Ignorierten; da man niemanden zugleich grüßen und ignorieren kann (obwohl man es manchmal gerne täte), können sich die beiden Paarmengen niemals überlappen, womit die Inkompatibilitätsbedingung in (13) erfüllt ist. – Leider gilt dies auch für den Fall (15)b – aus dem trivialen Grund, dass die beiden Verben aufgrund ihrer unterschiedlichen Valenz auch unterschiedliche Extensionstypen haben; auf solche Fälle wird der Begriff der Inkompatibilität in der Praxis freilich nicht angewandt. Nicht nur die Extensionen von Verben enthalten Paare von Individuen. Wir hatten bereits in Abschnitt 3.3.3 (S. 55 f.) bemerkt, dass manche Substantive sich nicht auf einzelne Gegenstände beziehen; ein Beispiel war ,Oberfläche‘. Solche relationalen Substantive drücken vielmehr Beziehungen zwischen je zwei Gegenständen aus (etwa zwischen dem Meer und seiner Oberfläche). Sie können insbesondere der Bezeichnung von Verwandtschaftsbeziehungen dienen: ,Mutter‘, ,Schwester‘, ,Onkel‘, ,Großvater‘ usw. sind allesamt relational; denn eine Tante ist immer Tante von jemandem, etc. Als Extensionen dieser Substantive drängen sich (zweistellige) Relationen zwischen Individuen auf: (16) [[Vaterrel]]w = {(x;y) | in w ist x der Vater von y}

5.2 Paradigmatische Beziehungen

Der Index ,rel‘ soll darauf hinweisen, dass es sich um die relationale Verwendung dieses Substantivs handelt; es lässt sich nämlich auch sortal verstehen, worauf wir in 5.3.2 zurückkommen. Der Zusatz ,in w‘ mag seltsam klingen, aber wer wessen Vater ist, ist ja tatsachenabhängig (und nicht immer bekannt); insbesondere wird damit sichergestellt, dass ,Vater‘ keine starre Intension hat. Auf ähnliche Weise lassen sich auch die anderen Verwandtschaftsbezeichnungen als Inhaltswörter beschreiben. Und die in (11)–(13) definierten Sinnrelationen lassen sich auch für sie konstatieren: (17) ,Bruderrel‘ ist inkompatibel mit ,Vaterrel‘. (17) besagt, dass niemand zugleich Bruder und Vater derselben Person sein kann; d. h. es kann kein Paar (x;y) geben, so dass (x;y) 2 [[Bruder]]w \ [[Vater]]w. Denn (x;y) 2 [[Bruder]]w heißt ja, dass x und y denselben Vater haben (jedenfalls in der hier gemeinten Lesart des Substantivs ,Bruder‘, in der es sich von ,Halbbruder‘ unterscheidet); und wenn dann auch (x;y) 2 [[Vater]]w gelten würde, wäre x dieser (einzige) gemeinsame Vater, d. h. x wäre sein eigener Vater, was ja wohl nicht sein kann. Damit (17) zutrifft, müsste diese Überlegung allerdings auch für beliebige Welten des Logischen Raums gelten; angesichts der Möglichkeit von Zeitreisen ist das gar nicht so klar, soll hier jedoch nicht weiter vertieft werden. Die in (11)–(13) definierten Sinnrelationen sind sehr allgemein und lassen sich gleichermaßen auf einstellige wie auf zweistellige Prädikate und auf sortale wie auf relationale Substantive anwenden. In dieser Hinsicht ist die ebenfalls schon im ersten Kapitel angesprochene Konversenbeziehung spezieller: (18) A ist konvers zu B gdw. für jede mögliche Welt w gilt: * [[A]]w = {(y;x)|(x;y) 2 [[B]]w}. Diese Definition setzt voraus, dass es sich bei den Extensionen der Ausdrücke A und B um zweistellige Relationen handelt. Die folgenden Beispiele illustrieren den Begriff: (19) a. b. c. d.

,besitzen‘ ist konvers zu ,gehören‘; ,Vorfahre‘ ist konvers zu ,Nachkomme‘; ,unterlegen‘ ist konvers zu ,überlegen‘; ,länger‘ ist konvers zu ,kürzer‘.

(19)c und (19)d legen nahe, dass auch die Extensionen mancher Adjektive Relationen sein könnten. Zum einen gilt dies für solche relationalen Adjektive, die – ähnlich wie relationale Substantive – einer Ergänzung bedürfen. Dazu gehören z. B. ,ähnlich‘ (mit dativischer Ergänzung); ,stolz‘ (mit ,auf‘-Ergänzung); und eben auch die in (19)c genannten Adjektive: wer unter- oder überlegen ist, ist immer jemandem unter- bzw. überlegen; die Extension von ,unterlegen‘ besteht dementsprechend aus Paaren (x;y), wobei x dem y unterlegen ist – und somit y dem x überlegen, womit das Paar (y;x) in der Extension von ,überlegen‘ ist. Da die relative Unter- und Überlegenheit von Personen faktenabhängig ist, haben wir es in (19)c insbesondere mit Inhaltswörtern zu tun. Zudem hängt die Extension davon ab, welche Art der Unterbzw. Überlegenheit gemeint ist: Überlegenheit im Tischtennisspielen, im Umgang mit Fremden etc.

relationale Adjektive

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5. Aspekte der Wortbedeutung

Antonymie

Auch die Extensionen komparativer Adjektive wie in (19)d lassen sich als zweistellige Relationen auffassen. Danach besteht [[länger]]w aus allen Paaren (x;y), bei denen x länger ist als y – und zwar in der betrachten jeweiligen Welt w; denn auch ,länger‘ ist ein Inhaltswort, dessen Extension faktenabhängig ist. Und natürlich gilt (19)d, weil x gerade dann länger ist als y, wenn y kürzer ist als x – egal, was x und y für Gegenstände sind (… und ob es sich bei der Länge um eine zeitliche oder räumliche Dimension handelt: dieser letztgenannte Unterschied ist freilich ein Fall von Polysemie). Dass (19)d gilt, ist insofern kein Zufall, als zwischen den Adjektiven ,lang‘ und ,kurz‘ eine spezielle Sinnrelation besteht: die Antonymie. Auch diese Sinnrelation hatten wir bereits im ersten Kapitel angesprochen. Sie besteht zwischen zwei (steigerbaren) Adjektiven, wenn sich diese auf die beiden „Pole“ derselben „Skala“ beziehen. Wir werden diese Begriffe hier nicht definieren, sondern stattdessen ein paar Beispiele anführen, die zeigen sollen, was hier gemeint ist: (20) a. ,lang‘ und ,kurz‘ sind Antonyme; b. ,schnell‘ und ,langsam‘ sind Antonyme; c. ,spät‘ und ,früh‘ sind Antonyme. In den Antonymenpaaren in (20) ist das erstgenannte Adjektiv jeweils die neutrale Form, die in Angaben zu sowie Fragen nach einem Wert auf der betreffenden Skala verwendet wird: (21) a. b. (22) a. b.

Wie lang ist der Stab? Der Stab ist einen Meter lang. Wie kurz ist der Stab? Der Stab ist einen Meter kurz.

Wer sich über die Länge eines Stabs informieren möchte, kann dies mit (21)a tun; wer darüber Auskunft geben will, verwendet z. B. (21)b. (22)a dagegen fragt allenfalls, wer Grund zu der Annahme hat, dass der Stab kurz ist; und mit (22)b wird zu verstehen gegeben, dass der Stab kürzer ist als erwartet oder erforderlich. Die neutralen Formulierungen sind in jedem Fall die in (21). Analoge Beobachtungen lassen sich für andere Antonymenpaare machen, insbesondere die in (20)b und (20)c. Zwischen den beiden zuletzt betrachteten Sinnrelationen besteht nun der folgende, mit (20)a und (19)d bereits illustrierte Zusammenhang: *

Synonymie

Die Komparative zweier Antonyme sind immer Konversen voneinander.

Dieser Zusammenhang lässt sich mit einer detaillierten Analyse der Extensionen und Intensionen steigerbarer Adjektive herleiten, in deren Rahmen sich auch der Antonymiebegriff präzisieren lässt, die aber weit über diesen Einführungsstoff hinausführt. Sinnrelationen – wie die in (11)–(13) exemplarisch definierten, aber auch die hier nicht weiter vertiefte Antonymie – spielen sich typischerweise auf der Intensionsebene ab: wenn zwei Wörter dieselbe Intension haben, stehen sie auch in denselben Sinnrelationen zu allen Wörtern. Solche Wortpaare sind daher – zumindest hinsichtlich des lexikalischen Begriffsnetzes – semantisch gleichwertig: (23) A ist synonym mit B gdw. für jede mögliche Welt w gilt: [[A]]w = [[B]]w.

5.2 Paradigmatische Beziehungen

Synonymie im Sinne von (23) ist natürlich selbst wieder eine Sinnrelation; und wie die Sinnrelationen in (11)–(13) läuft sie auf eine einfache Beziehung hinaus, die an jedem Punkt des Logischen Raums jeweils zwischen den dortigen Extensionen besteht – in diesem Fall die Gleichheit. Dass die Extensionen zweier Ausdrücke in jeder möglichen Welt übereinstimmen, heißt aber gerade, dass der Wert der beiden Intensions-Funktionen für jede Welt derselbe ist. Da Funktionen Paarmengen sind, bedeutet dies, dass die Intensionen zweier synonymer Ausdrücke dieselben Paare von (Welt-)Argumenten und (Extensions-)Werten enthalten und damit selbst miteinander zusammenfallen. (23) läuft damit auf das folgende einfache Synonymie-Kriterium hinaus: *

A ist synonym mit B gdw. [[A]]^=[[B]]^.

Synonymie im Sinne von (23) kann zwischen Ausdrücken beliebiger Art bestehen – innerhalb wie außerhalb des Lexikons; allerdings muss der Extensionstyp – welcher auch immer – derselbe sein. Die folgenden Beispiele vermitteln einen Eindruck von der Tragweite dieses Synonymiebegriffs: (24) a. b. c. d.

,Zündholz‘ ist synonym mit ,Streichholz‘; ,schlafen‘ ist synonym mit ,pennen‘; ,Tisch‘ ist synonym mit ,ist ein Tisch‘; ,Es regnet oder es schneit‘ ist synonym mit ,Es schneit oder es regnet‘.

Zwischen den beiden Substantiven in (24)a gibt es offenbar keine nennenswerten Unterschiede in der Verwendung, sie sind in praktisch jeder Hinsicht füreinander austauschbar. Insbesondere können SprecherInnen des Deutschen ohne weitere Tatsachenkenntnisse feststellen, dass ihre Extensionen dieselben sind: es kann einfach keine Streichhölzer geben, die nicht zugleich auch Zündhölzer sind, und umgekehrt; denn Streichhölzer und Zündhölzer sind dieselben Objekte. Die Extensionen der beiden Wörter fallen also an allen Punkten des Logischen Raums zusammen – und damit auch ihre Intensionen. Auch (24)b ist ein klarer Fall von Synonymie. Denn für die Bestimmung der Extension der beiden Verben spielt der offensichtliche Verwendungsunterschied zwischen ihnen keine Rolle. Damit illustriert (24)b, dass der in (23) definierte Synonymiebegriff nicht unbedingt die intuitive Bedeutungsgleichheit widergibt, wohl aber mit der Gleichheit der wörtlichen Bedeutung zusammenfällt – jedenfalls, soweit diese selbst mit der Intension zusammenfällt. Die in (24)c festgestellte Synonymie ist vielleicht nicht ganz offensichtlich, ergibt sich aber aus der in Kapitel 3 gemachten Annahme, dass die Extensionen einwertiger Prädikate mit ihren Erfüllungsmengen zusammenfallen. (24)d ist eine unmittelbare Konsequenz aus der ebenfalls im dritten Kapitel (Abschnitt 3.5) entwickelten Junktoren-Analyse der koordinierenden Konjunktion ,und‘: die Wahrheitstafel in Tabelle 3.1 ist kommutativ: eine Vertauschung der beiden koordinierten Sätze führt stets zum selben Resultat. Für die am Ende von 3.5 angesprochenen scheinbaren Gegenbeispiele zur Kommutativität der Konjunktion werden wir im nächsten Kapitel eine pragmatische Erklärung kennenlernen.

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5. Aspekte der Wortbedeutung

5.2.2 Komponentenanalyse

Merkmalsmengen

Sinnrelationen werden traditionell mit Hilfe sog. semantischer Merkmale oder Bedeutungskomponenten beschrieben. Dabei wird die Bedeutung eines (Begriffs-)Worts mit einer Menge von Eigenschaften identifiziert, die (aus Sicht der kompositionellen Semantik) in dem Sinne allgemeiner als seine Intension sind, als sie in jeder Welt auf mehr Objekte zutreffen können. So könnte etwa die Wortbedeutung von ,Junggeselle‘ als Bedeutungskomponenten die Intensionen der Adjektive ,männlich‘, ,erwachsen‘ und ,unverheiratet‘ enthalten. Die Hyponymiebeziehung zwischen ,Junggeselle‘ und ,Mann‘ lässt sich dann als eine Obermengenbeziehung zwischen den so verstandenen Wortbedeutungen auffassen: jede Bedeutungskomponente von ,Mann‘ ist auch eine Bedeutungskomponente von ,Junggeselle‘; das Umgekehrte gilt natürlich nicht, weil die Intension von ,unverheiratet‘ keine Komponente der Bedeutung von ,Mann‘ ist. Auch Inkompatibilität lässt sich mit Hilfe dieser Komponentenanalyse beschreiben, wenn man dafür annimmt, dass es zu jeder Komponente ein negatives Gegenstück gibt – also z. B. die Intension von ,nicht männlich‘, ,nicht erwachsen‘ und ,verheiratet‘. Eine Inkompatibilität zwischen zwei Ausdrücken zeigt sich dann, wenn einer der beiden das negative Gegenstück zu einem Merkmal des anderen als Bedeutungskomponente aufweist. In Komponentenanlysen ist es daher üblich, Merkmale M in der Form [€ M] anzugeben, wobei [+ M] das positive Merkmal ist und [– M] sein negatives Gegenstück Die Substantive ,Frau‘, ,Junge‘, ,Kind‘, ,Mädchen‘ und ,Mann‘ sind – jeweils in ihren nächstliegenden Lesarten – Hyponyme von ,Mensch‘. Im Rahmen einer Komponenentenanalyse liegt es daher nahe, die Intension des letzteren als Merkmal jedes dieser Substantive anzusetzen. Zudem unterscheiden sich die genannten Wörter hinsichtlich des Alters oder Geschlechts ihrer (multiplen) Referenten, ob es sich also um Erwachsene oder um Kinder bzw. um Männer oder um Frauen handelt. Wenn /N/ die einem Substantiv N entsprechende Merkmalsmenge ist, ergibt sich auf diese Weise: (25) /Mensch/ = {[+ HUMAN]} (26) /Frau/ = {[+ HUMAN], [+ ADULT], [+ FEMALE]} (27) /Junge/ = {[+ HUMAN], [– ADULT], [– FEMALE]} Wir haben dabei die Merkmale mit entsprechenden englischen Bezeichnungen notiert, um Verwechslungen mit den betreffenden deutschen Wörtern vorzubeugen. Es gilt also: *

Verwandtschaftsbezeichnungen relationale Merkmale

[+ HUMAN] = [[Mensch]]^; [+ FEMALE] = [[weiblich]]^; etc.

Die Hyponymie zwischen ,Frau‘ und ,Mensch‘ ergibt sich aus (26) und (25), wonach /Mensch/  /Frau/; und die Inkompatibilität zwischen ,Frau‘ und ,Junge‘ lässt sich z. B. daran ablesen, dass [+ ADULT] 2 /Frau/, während [– ADULT] 2 /Junge/ – oder dass [+ FEMALE] 2 /Frau/ und [– FEMALE] 2 /Junge/. Zu den typischen Anwendungsfeldern von Komponentenalysen gehören die Sinnrelationen zwischen Verwandtschaftsbezeichnungen – also relationalen Substantiven wie ,Onkel‘ und ,Großmutter‘. Dazu muss freilich der Bestand an verfügbaren Merkmalen erweitert werden um relationale Merkmale, die (wiederum aus Sicht der kompositionellen Semantik) Intensionen

5.2 Paradigmatische Beziehungen

von transitiven Verben oder relationalen Substantiven oder Adjektiven entsprechen: *

[+ DIRECT] = [[direkt verwandt]]^; [+ OLDER] = [[älter]]^; etc.

Mit einer Kombination aus solchen relationalen Merkmalen und den in (25)–(27) verwendeten „absoluten“ Merkmalen lassen sich Verwandtschaftsbezeichnungen wie folgt in ihre Komponenten zerlegen: (28) /Onkel/ = {[+ HUMAN], [– FEMALE], [– DIRECT], [+ OLDER], [– SAMEGEN]} (29) /Nichte/ = {[+ HUMAN], [+ FEMALE], [– DIRECT], [– OLDER], [– SAMEGEN]} (30) /Bruder/ = {[+ HUMAN], [– FEMALE], [+ DIRECT], [+ SAMEGEN]} Das relationale Merkmal [+ SAMEGEN] lässt sich wohl nicht als Intension eines (deutschen) Ausdrucks darstellen, lässt sich aber dennoch als eine zweistellige Relation definieren, die von der jeweiligen Welt w abhängt: (31) [+ SAMEGEN] (w) = {(x;y) | in w gehören x und y derselben Generation an} Da es sich bei Verwandtschaftsbeziehungen um relationale Substantive handelt, scheinen die „gewöhnlichen“ Merkmale wie [€ HUMAN] und [€ FEMALE] in (28)–(30) fehl am Platz zu sein; denn die Extensionen dieser Substantive enthalten ja ausschließlich Paare von Personen. Da diese Paare selbst keine Menschen sind, müssten sie eigentlich das Merkmal [– HUMAN] tragen. Doch so sind die Zerlegungen in (28)–(30) natürlich nicht gemeint. Vielmehr müssen die nicht-relationalen Merkmale in diesem Zusammenhang jeweils auf die linken Komponenten der Paare in den Extensionen bezogen werden: wenn das Paar (x;y) in der Extension von ,Onkel‘ ist, dann ist x der Onkel von y und somit ein Mann, aber y kann natürlich auch eine Frau sein – darüber sagt die Zerlegung (28) nichts aus. Die in (25)–(30) angegebenen Merkmale sollen nur die Grundidee hinter dem Verfahren der Komponentenanalyse illustrieren. Welche Merkmale letztlich in einer umfassenden Beschreibung des Begriffsnetzes einer Sprache – oder eines Ausschnitts, einem sog. Wortfeld – gebraucht werden, hängt nicht zuletzt davon ab, welche Sinnrelationen erfasst werden sollen. Will man z. B. alle Verwandtschaftsbezeichnungen im Deutschen abdecken, bräuchte man prinzipiell unbegrenzt viele Merkmale, allein um ,Großvater‘, ,Urgroßvater‘, ,Ururgroßvater‘ etc. voneinander abzugrenzen. Doch selbst wenn man diese Ahnenreihe aus dem Lexikon in die kompositionelle Morphologie-Semantik-Schnittstelle verweist, nimmt der benötigte Vorrat an semantischen Merkmalen mit der Anzahl der zu analysierenden Wörter drastisch zu. Dies gilt insbesondere dann, wenn auch das folgende naheliegende Synonymiekriterium für alle Wörter A und B gelten soll: *

A ist synonym mit B gdw. /A/ = /B/.

Im Umkehrschluss besagt nämlich dieses Kriterium, dass sich jeder Bedeutungsunterschied zwischen zwei Wörtern mit Merkmalen belegen lassen muss. Prinzipiell ist das natürlich kein Problem; denn wenn sich die Intensionen zweier Wörter unterscheiden, kann man diese selbst als Bedeutungskomponenten verwenden – als Eigen-Merkmale. Wir hatten bereits bei der Analyse (25) von ,Mensch‘ von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht. Eine Komponentenanalyse des Lexikons, die allzu häufig auf Eigen-Merkmale zu-

Eigen-Merkmale

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5. Aspekte der Wortbedeutung

rückgreift, läuft allerdings Gefahr, witzlos und unökonomisch zu werden – insbesondere im Vergleich zu einer bloßen Auflistung der Intensionen. Und wenn diese Gefahr auch im Zusammenhang mit den Verwandtschaftsbeziehungen nicht besonders akut sein mag, zeigt ein Blick auf andere Wortfelder, dass mit der Einbeziehung der eigenen Intension als semantischer Komponente eines Wortes durchaus häufig zu rechnen ist – so etwa bei der Gattungsbezeichnungen: (32) /Tiger/ = {[– HUMAN], [+ BIGCAT], [+ TIGER]} (33) /Löwe/ = {[– HUMAN], [+ BIGCAT], [+ LION]} (34) /Hund/ = {[– HUMAN], [– BIGCAT], [+ DOG]} Die Eigen-Merkmale in (32) und (33) stellen sicher, dass die beiden Bezeichnungen für Großkatzenarten nicht als synonym im Sinne des obigen Kriteriums herauskommen. Ein naheliegender, aber letztlich irregeleiteter Einwand gegen die Analysen (32)–(34) besagt, dass diese Eigen-Merkmale durch bekannte Unterschiede zwischen den bezeichneten Arten ersetzt werden könnten – etwa so: (35) /Tiger/ = {[– HUMAN], [+ STRIPES], [– MANE]} (36) /Löwe/ = {[– HUMAN], [– STRIPES], [+ MANE]} (37) /Hund/ = {[– HUMAN], [+ BARKING]} Doch ,Tiger‘ ist nur die Bezeichnung für eine bestimmte Tierart. Dass die Vertreter dieser Art Streifen haben, ist eine Frage der Zoologie und nicht der Wortbedeutung; zudem trifft dies nicht einmal auf alle Vertreter der Spezies panthera tigris zu: es gibt ja auch Albinos. Ähnliches lässt sich über das Kopffell männlicher Löwen und die von Hunden produzierten Laute sagen. 5.2.3 Bedeutungspostulate Typendeklarationen

Die Redundanzen der Komponentenanalyse lassen sich vermeiden, wenn im Lexikon alle einschlägigen Sinnrelationen direkt aufgelistet werden – und zwar ohne eine zusätzliche Auflistung aller Wortbedeutungen (oder -intensionen). Eine Methode, dies zu erreichen, ist die der sog. Bedeutungspostulate. Im Rahmen dieser Methode werden zunächst Gleichungen wie (1)–(5) durch Angaben zum Extensionstyp ersetzt – sogenannte: (38) Typendeklarationen a. [[Frankfurt&]]w ist ein Individuum. b. [[Tisch]]w ist eine Menge von Individuen. c. [[und]]w ist eine (zweistellige) Wahrheitstafel. d. [[ein]]w ist eine (zweistellige) Relation zwischen Mengen von Individuen. e. [[meint]]w ist eine (zweistellige) Relation zwischen Individuen und möglichen Welten.

Typenzuweisung

Angesichts der Tatsache, dass der Extensionstyp eines Ausdrucks durch seine syntaktische (Fein-)Kategorie determiniert wird, müssen Typendeklarationen nicht unbedingt explizit angegeben werden. Stattdessen kann dies mit einer sog. Typenzuweisung geschehen, die für jede Kategorie angibt, welchen Extensionstyp die Ausdrücke dieser Kategorie haben. Eine Typenzuweisung ist also eine Funktion, die syntaktischen (Fein-)Kategorien Extensionstypen zu-

5.2 Paradigmatische Beziehungen

weist. Die folgende, in Tabellenform dargestellte Typenzuweisung deckt offenbar die Typendeklarationen in (38) ab: Kategorie

Extensionstyp

Eigenname

Individuum

sortales Substantiv

Menge von Individuen

relationales Substantiv

zweistellige Relation zwischen Individuen

n-wertiges Prädikat

n-stellige Relation zwischen Individuen

Satz

Wahrheitswert

zweistelliger Junktor

zweistellige Wahrheitstafel

Quantor

Menge von Mengen von Individuen

Determinator

zweistellige Relation zwischen Mengen von Individuen

Einstellungsverb

Relation zwischen Individuen und möglichen Welten





Tabelle 5.1: Typenzuweisung Die Typenzuweisung betrifft nicht nur Wörter, sondern beliebig komplexe Ausdrücke; sie ist insofern Teil der Syntax-/Semantik-Schnittstelle. Die lexikalische Semantik reduziert sich damit auf die Angabe der Sinnrelationen. Dafür sind nun die Bedeutungspostulate zuständig. Ein Bedeutungspostulat ist eine rein strukturelle, also logisch-mengentheoretische, Aussage über die Intension eines oder mehrerer lexikalischer Ausdrücke. Üblicherweise werden Bedeutungspostulate in Form von Verallgemeinerungen über alle Extensionen der betreffenden Wörter formuliert: (39) Für alle möglichen Welten w gilt: a. [[Haus]]w  [[Gebäude]]w b. [[grüßt]]w \ [[ignoriert]]w = Ø c. [[besitzt]]w = {(x,y) | (y,x) 2 [[gehört]]w} d. [[Zündholz]]w = [[Streichholz]]w

[= (9)] [Y (15)a] [Y (19)a] [Y (24)a]

Der Witz an Postulaten wie in (39) ist, dass sie – genau wie die Typendeklarationen in (38) – nicht Intensionszuweisungen wie (1)–(5) voraussetzen. (39)a ist also im folgenden Sinn zu lesen: *

Was immer die Extensionen von ,Haus‘ und ,Gebäude‘ in w sein mögen, erstere ist eine Teilmenge von letzterer.

Dennoch schließt die Methode der Bedeutungspostulate nicht aus, dass für einzelne Wörter die Intensionen vollständig spezifiziert werden. Zumindest gilt dies für Wörter mit rein grammatischer Bedeutung; denn deren Intensionen lassen sich rein strukturell charakterisieren: Gleichungen wie (3) und (4) sind somit auch Bedeutungspostulate. Für die Charakterisierungen der Intensionen von Inhaltswörtern gilt dies dagegen nicht. Ihre Intensionen werden durch Typendeklarationen wie in (38) und „relationale“ Postulate wie in (39) lediglich „approximiert“, aber nicht vollständig spezifiziert. Dennoch genügen diese partiellen Beschreibungen, um die Struktur des lexikalischen Be-

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5. Aspekte der Wortbedeutung

griffsnetzes und den Beitrag der Wortbedeutungen zur Bedeutungskomposition zu erfassen. Quellen

Die Auffassung vom Lexikon als Netz aus Sinnrelationen hat in den 1960er und frühen 1970er Jahren die lexikalische Semantik beherrscht; vgl. etwa Lyons (1968: ch. 10). – Die Komponentenanalyse zur Darstellung von (lexikalischen) Sinnrelationen wurde im Rahmen der strukturalistischen Sprachwissenschaft entwickelt – in bewusster Analogie zu merkmalsbasierten Analysen in der Phonologie; als früheste Quelle gilt Hjelmslev (1943). Ein Klassiker der Komponentenanalyse deutscher Verwandtschaftsbezeichnungen ist Bierwisch (1969), woher auch die Analysen (28)–(30) entlehnt sind. Auf die Notwendigkeit von Eigen-Merkmalen (distinguishers) haben bereits Katz & Fodor (1963) hingewiesen. Gattungsbezeichnungen spielen eine zentrale Rolle in Hilary Putnams (1975) kritischer Auseinandersetzung mit der Frege-CarnapSemantik. – Die Methode der Bedeutungspostulate (engl. meaning postulates) wurde von Carnap (1952) entwickelt und von Montague (1970) für die kompositionelle Semantik adaptiert.

5.3 Syntagmatische Beziehungen Sinnrelationen wie Synonymie, Hyponymie und Antonymie bestehen in erster Linie zwischen Wörtern derselben Kategorie. Doch auch Wörter unterschiedlicher Extensionstypen können semantische Beziehungen miteinander eingehen – insbesondere wenn sie sich syntaktisch kombinieren lassen. 5.3.1 Selektionsbeschränkungen Der Wortschatz steckt voller Mehrdeutigkeiten. Umso erstaunlicher ist es, dass sich diese zahlreichen lexikalischen Ambiguitäten vergleichsweise selten bemerkbar machen oder gar die Kommunikation beeinträchtigen. Einer der Hauptgründe dafür ist, dass der sprachliche Kontext, in dem eine mehrdeutige Form vorkommt, in vielen Fällen disambiguierend wirkt. Besonders deutlich ist das bei solchen (schwachen) Homonymen, die sich syntaktisch voneinander unterscheiden: (40) Ehe ihre Ehe geschieden wurde, hatte das Paar bereits getrennte Wohnsitze. In (40) kann das erste Vorkommen der ambigen Form ,Ehe‘ nur eine Konjunktion sein, während das zweite ein Substantiv sein muss; andernfalls wäre der Satz ungrammatisch und uninterpretierbar. Der syntaktische Unterschied zwischen den beiden Wörtern sorgt in diesem Fall dafür, dass sich die lexikalische Ambiguität nicht auf den Satz „vererbt“. Doch selbst wenn sich zwei oberflächlich gleiche Ausdrücke syntaktisch nicht voneinander unterscheiden, muss sich dies nicht zwangsläufig auf die Sätze auswirken, in denen sie vorkommen. Wir hatten das bereits in 2.1 anhand des folgenden Beispiels beobachtet: (41) Wie viele Bücher hat Elisabeth II. insgesamt gelesen?

[= (7), S. 23]

Obwohl das Substantiv ,Buch‘ ambig ist, kommt (mindestens) eine seiner Lesarten hier nicht in Frage – die „Exemplar-Lesart“: ,Buch‘ kann sich in (41) nicht auf konkrete Gegenstände aus Papier beziehen; denn was man liest, ist der Text, nicht das Papier. (41) kann also nicht als Frage nach Buchexempla-

5.3 Syntagmatische Beziehungen

ren gemeint sein. Dass das so ist, liegt an dem Verb ,lesen‘, an dessen Objektstelle offenbar nicht beliebige Nominale stehen können, sondern nur solche, die sich auf Texte beziehen. Genauer gesagt handelt es sich um eine semantische Eigenschaft des Verbs; denn die Extensionen seiner (referenziellen) Objekte sind ja Bestandteil seiner Extension. Und natürlich gilt das nicht nur für die tatsächlichen Extensionen, sondern für die Extensionen des Verbs ,lesen‘ unter beliebigen, auch hypothetischen Umständen. Die Möglichkeit, dass bei der Beantwortung von (41) auch Exemplare gemeint sind, wird also durch die folgende allgemeine Beobachtung ausgeschlossen: (42) Für jede Welt w und alle Individuen x und y gilt: wenn (x;y) 2 [[lesen]]w, ist x eine Person und y ein Text in w. (42) ist eine allgemeine Feststellung über die Bedeutung des Verbs ,lesen‘, aber kein Bedeutungspostulat; denn es schreibt der Intension des Verbs ,lesen‘ nicht nur rein strukturelle Eigenschaften zu. Allerdings lässt sich (42) in ein Bedeutungspostulat umformulieren, das dann u. a. auch die Intension von ,Person‘ betrifft; dies geschieht in einer Übungsaufgabe. Was aber (42) in jeder Formulierung von den im vorangehenden Abschnitt angesprochenen Postulaten unterscheidet, ist die Tatsache, dass hier keine Beziehung zwischen dem betreffenden Verb und anderen seinesgleichen hergestellt wird. Vielmehr betrifft (42) die Beziehung zwischen dem Verb und seinen Ergänzungen: (42) beschreibt, dass das Verb sich nicht mit beliebigen (referenziellen) Subjekten kombinieren lässt, sondern nur mit solchen, die Personen bezeichnen; und dass es nicht beliebige (referenzielle) Objekte zu sich nimmt, sondern nur solche, die sich auf Texte beziehen. Nach (42) ist das Verb ,lesen‘ also „wählerisch“ oder „selektiv“. Aussagen dieser Art werden daher als Selektionsbeschränkungen bezeichnet. Selektionsbeschränkungen betreffen syntagmatische Beziehungen, bilden jedoch einen Teil der lexikalischen Semantik. Streng genommen besagt (42) in der vorliegenden Form nicht wirklich, dass das Verb ,lesen‘ nur Subjekte oder Objekte der genannten Art zu sich nehmen kann, sondern nur dass die Referenten anderer Subjekte und Objekte nicht (als erste bzw. zweite Aktanten) in der Extension des Verbs vorkommen können. Insbesondere folgt daraus, dass Sätze wie die folgenden – wörtlich genommen – nicht wahr sein können:

Selektionsbeschränkungen

(43) Die Freizeit hat Krieg und Frieden gelesen. (44) Fritz hat das Fenster gelesen. Diese beiden Sätze sind in der Tat merkwürdig und ergeben keinen wörtlichen Sinn; auf mögliche Uminterpretationen werden wir gleich zu sprechen kommen. Nach (42) sind Sätze wie (43) und (44) notwendigerweise – d. h. von allen möglichen Welten – falsch. Angesichts der in 3.5 angegebenen Deutung der Negation sind demnach die folgenden beiden Sätze notwendigerweise wahr: (45) Die Freizeit hat Krieg und Frieden nicht gelesen. (46) Fritz hat das Fenster nicht gelesen. Nun wirken (45) und (46) ebenso befremdlich wie ihre positiven Gegenstücke (43) und (44). Die Gemeinsamkeit der Sätze (43)–(46) liegt darin, dass

triviale Propositionen

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5. Aspekte der Wortbedeutung

Kategorienfehler

sie triviale Propositionen ausdrücken, die keine Differenzierungen im Logischen Raum vornehmen: [[(43)]]^ ist (bzw. charakterisiert) die leere Menge, [[(45)]]^ deckt den gesamten Logischen Raum ab. In dieser Trivialität ihrer Inhalte mag ein Grund für die Befremdlichkeit der Sätze (43)–(46) liegen: warum sollte jemand solche Widersinnigkeiten bzw. Banalitäten äußern? Ein anderer Grund könnte darin liegen, dass sie überhaupt keinen Sinn machen, dass sie gar keine Proposition ausdrücken und insbesondere weder wahr noch falsch sind. Es würde sich dann, wie man in der Sprachphilosophie sagt, um Kategorienfehler (engl. category mistakes) handeln – quasi sprachliche Irrtümer nahe am Wortsalat, deren Charakteristikum es ist, dass Wörter miteinander kombiniert werden, deren (wörtliche) Bedeutungen für diese Kombination nicht geschaffen sind. Wir werden der in Semantik und Philosophie umstrittenen Frage, ob Sätze wie (43)–(46) triviale Propositionen ausdrücken oder gar keine, hier nicht weiter nachgehen. In jedem Fall verhält es sich mit Sätzen wie dem folgenden anders: (47) Der Tisch hat Krieg und Frieden gelesen. (47) versteht man am ehesten im Sinne einer Personifizierung eines Möbelstücks, wie sie etwa in Märchen vorkommen könnte. Insofern Märchenwelten denkende und lesende Tische enthalten können, kann in ihnen der Referent des Subjekts von (47) durchaus eine Person sein. Die Selektionsbeschränkung (42) schließt somit nicht aus, dass (47) auf gewisse entlegene Punkte im Logischen Raum zutrifft. Aber auch in diesem Fall ist die Negation ebenso befremdlich, obwohl sie keine triviale Proposition ausdrückt: (48) Der Tisch hat Krieg und Frieden nicht gelesen. Die Seltsamkeit von (47) und (48) kann nicht allein aufgrund ihrer semantischen Eigenschaften erklärt werden. Hier spielt offensichtlich ein allgemeines Wissen um die Beschaffenheit der Welt eine Rolle: es gibt keine lesenden Möbelstücke. Anders als in (43) liegt also in (47) keine Verletzung der Selektionsbeschränkung (42) vor. Der Unterschied zwischen den beiden Sätzen wird deutlicher, wenn man sie in Einstellungsberichte einbettet: (49) Fritz denkt, dass die Freizeit Krieg und Frieden gelesen hat. (50) Fritz denkt, dass der Tisch Krieg und Frieden gelesen hat. Während (49) ebenso seltsam wirkt wie der eingebettete Satz (43) oder seine Negation (45), kann man (50) so verstehen, dass von einer sehr verwirrten oder naiven Person die Rede ist, die ein Artefakt für eine Person hält – oder eben von einer fiktiven Situation. Die Übergänge zwischen Unsinnigkeiten oder Unmöglichkeiten wie (43) auf der einen Seite und Abstrusitäten wie (47) sind freilich fließend, was gelegentlich gegen die Verwendung von Selektionsbeschränkungen in der Semantik eingewandt wird. Selektionsbeschränkungen sind vielfältig einsetzbar, wenn es darum geht, die Merkwürdigkeit von Sätzen zu beschreiben, die ansonsten – und insbesondere syntaktisch – makellos scheinen: (51) Das Ehrenmitglied versammelt sich. (51) wirkt seltsam, weil zu einer Versammlung mehr als EineR gehört. Die folgende Selektionsbeschränkung trägt dafür Sorge:

5.3 Syntagmatische Beziehungen

(52) Für jede Welt w und alle x gilt: wenn x 2 [[sich versammeln]]w, ist x eine aus mindestens zwei Individuen bestehende Gruppe in w. (Wir gehen davon aus, dass das obligatorische Reflexivum Teil des lexikalischen Verbs ist.) (52) zufolge ist (51) notwendigerweise falsch; denn ein Ehrenmitglied ist niemals eine Gruppe. Die folgenden Sätze sind dagegen auch nach (52) in Ordnung: (53) Die Mannschaft versammelt sich. (54) Die Mitglieder versammeln sich. Mannschaften bestehen in aller Regel aus mehr als einer Person; und wenn dies einmal nicht der Fall sein sollte, ist (53) genauso unangemessen wie (51). Das Subjekt von (53) erfüllt somit im Allgemeinen die Selektionsbeschränkung (52). Das Gleiche gilt für (54), wenn man einmal davon ausgeht, dass pluralische Kennzeichnungen Gruppen bezeichnen. Man beachte, dass der Plural in (54) keine syntaktische Anforderung des Verbs darstellt: das Subjekt in (53) ist ja singularisch. Selektionsbeschränkungen betreffen nicht nur die Ergänzungen von Verben: (55) Die Quadratwurzel aus meinem Rasierapparat ist sehr viereckig und links von der Lichtgeschwindigkeit. In (55) gibt es gleich mehrere Quellen der Merkwürdigkeit, die zumindest teilweise durch die folgenden Selektionsbeschränkungen erfasst werden: (56) Für jede Welt w und alle Individuen x und y gilt: a. wenn (x;y) 2 [[Quadratwurzel]]w, sind x und y Zahlen in w; b. wenn (x;y) 2 [[links]]w, sind x und y räumlich lokalisierte Objekte in w; c. wenn x 2 [[viereckig]]w, ist x ein konkreter Gegenstand in w. Wir sollten das Thema Selektionsbeschränkungen nicht verlassen, ohne den – auch außerhalb der Linguistik – berühmtesten und zugleich umstrittensten Beleg für ihre Existenz zu erwähnen: (57) Farblose grüne Ideen schlafen heftig. (57) illustriert einmal mehr, dass Selektionsbeschränkungen nicht nur für Verben und ihre Ergänzungen gelten, sondern auch für Adjektive und Adverbien wie ,heftig‘: Ideen können weder farbig noch farblos sein; und heftig können nur Handlungen oder Bewegungen sein. Eine detaillierte Beschreibung der Unmöglichkeit von (57) erfordert allerdings unter anderem eine genauere Auseinandersetzung mit der Semantik von Adverbien, die den Rahmen der vorliegenden Einführung sprengen würde. 5.3.2 Umkategorisierung und Erzwingung Die Objekte von Verben können zuweilen weggelassen werden, was je nach Verb unterschiedliche semantische Effekte haben kann: (58) Maria hat angerufen. (59) Maria hat telefoniert.

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5. Aspekte der Wortbedeutung

In (58) ist der Angerufene ein implizites Argument; d. h. es muss aus dem Zusammenhang klar sei, wer angerufen wurde. In (59) liegt dagegen eine implizite Quantifikation vor: es wird gesagt, dass Maria mit irgendjemandem telefoniert hat. Auch bei relationalen Substantiven kann die (genitivische oder präpositionale) Ergänzung in den meisten Fällen wegfallen: (60) Die Mutter hat sich bei der Polizei gemeldet. (61) Keine Mutter würde sich das gefallen lassen.

relationale Nomen

Bei einer angemessenen Äußerung von (60) muss klar sein, wessen Mutter gemeint ist; es liegt also ein implizites Argument vor – wie bei (58). In (61) ist dagegen nicht von Müttern bestimmter Personen die Rede, sondern von Müttern im Allgemeinen, also von Frauen, die jeweils Mutter (mindestens) eines Kindes sind; es handelt sich also wie in (59) um eine implizite Quantifikation: ,Mutter‘ L ,Mutter von jemandem‘. Den Sätzen (58)–(61) ist gemeinsam, dass jeweils ein Wort anders verwendet wird, als es seine syntaktische (Fein-)Kategorie erwarten ließe: von Haus aus sind ,anrufen‘ und ,telefonieren‘ zweiwertige Prädikate, aber in (58) bzw. (59) werden sie wie intransitive Verben verwendet; von Haus aus ist ,Mutter‘ ein relationales Substantiv, aber in (60) und (61) wird es wie ein Sortal verwendet. (58)–(61) belegen in diesem Sinn die Möglichkeit der Umkategorisierung lexikalischer Ausdrücke: dasselbe Wort kann seine Kategorie und dabei seinen Extensionstyp wechseln. Soweit dieser Prozess innerhalb des Lexikons stattfindet – das unterstellen wir hier einmal – handelt es sich bei den in (58)–(61) illustrierten Umkategorisierungen um eine Quelle der (systematischen) Polysemie. Die Umkategorisierung in (60) würde wegen der hier vernachlässigten Kontextabhängigkeit eine Erweiterung des theoretischen Rahmens erfordern. Die sortale Lesart von (61) lässt sich dagegen durch den folgenden allgemeinen Prozess beschreiben: (62) Wenn Nrel ein relationales Substantiv ist, gilt für die quantifizierte Lesart Nquant: [[Nquant]]w = {x | es gibt (mindestens) ein y, so dass gilt: (x;y) 2 [[Nrel]]w} (= {x | {y | (x;y) 2 [[Nrel]]w} 6¼ Ø}) Die mit (62) erfasste Umkategorisierung kann sich dramatisch auf Sinnrelationen auswirken: (63) ,Großmutterquant‘ ist ein Hyponym zu ,Mutterquant‘.

Konstitutentenkoordination

(63) trifft zu, weil man, um Großmutter – also: jemandes Großmutter – zu werden, zunächst einmal Mutter sein muss: unabhängig vom Logischen Raum ist also die Extension von ,Großmutterquant‘ eine Teilmenge der Extension von ,Mutterquant‘. Aber in ihren ursprünglichen, relationalen Lesarten sind die Extensionen der beiden Substantive nahezu disjunkt; denn ein Paar (x;y) ist nur dann in beiden Extensionen – also in [[Großmutterrel]]w \ [[Mutterrel]]w – wenn x zugleich Großmutter und Mutter derselben Person y ist, was eine seltene (aber nicht unmögliche) inzestuöse Beziehung voraussetzt. In 3.5 waren wir kurz auf sog. Konstituentenkoordinationen eingegangen, bei denen Junktoren – die von Haus aus Sätze verbinden – zwischen Konstituenten anderer Extensionstypen stehen. Dabei hatten wir beobachtet, dass sich Konstituentenkoordinationen in vielen Fällen durch entsprechende Satzverknüpfungen paraphrasieren lassen:

5.3 Syntagmatische Beziehungen

(64) a. Alain schläft oder arbeitet. b. Alain schläft oder Alain arbeitet. Dieser Zusammenhang lässt sich ausnutzen, um Konstituentenkoordinationen als systematische Umkategorisierungen der jeweiligen Junktoren zu beschreiben. Bei Prädikats-Koordinationen wie in (64)a muss dazu der Junktor ,oder‘ für eine Vereinigung der Prädikatsextensionen stehen – denn: (65) [[schläft oder arbeitet]]w = {x | x schläft in w oder x arbeitet in w} = [[schläft]]w [ [[arbeitet]]w Auch bei Koordinationen von transitiven Verben bzw. relationalen Substantiven wirkt ,oder‘ vereinigend: (66) = = (67) = =

[[kauft oder mietet]]w {(x;y) | x kauft y in w oder x mietet y in w} [[kauft]]w [ [[mietet]]w [[Lehrer oder Freund]]w {(x;y) | x ist in w ein Lehrer von y oder x ist in w ein Freund von y} [[Lehrerrel]]w [ [[Freundrel]]w

Das dahinter stehende allgemeine Schema ist: (68) Wenn A und B Ausdrücke derselben Kategorie mit Mengen als Extensionen sind, gilt für alle möglichen Welten w: [[A oder B]]w = [[A]]w [ [[B]]w (68) lässt sich auch auf die Koordination ditransitiver Verben, quantifizierender Nominale und sogar Determinatoren anwenden: (69) [[schenkt oder leiht]]w = [[schenkt]]w [ [[leiht]]w (70) [[ein Mann oder eine Frau]]w = [[ein Mann]]w [ [[eine Frau]]w (71) [[kein oder jeder]]w = [[kein]]w [ [[jeder]]w Nach (70) zum Beispiel ergibt sich die Paraphrasenbeziehung zwischen Konstituentenkoordination und Satzkoordination: (72) [[ein Mann oder eine Frau ruft an]]w = 1 nach S. 74, (54) gdw. [[ruft an]]w 2 [[ein Mann oder eine Frau]]w gdw. [[ruft an]]w 2 [[ein Mann]]w [ [[eine Frau]]w nach (68) gdw. [[ruft an]]w 2 [[ein Mann]]w oder [[ruft an]]w 2 [[eine Frau]]w Def. [ gdw. [[ein Mann ruft an]]w = 1 oder [[eine Frau ruft an]]w = 1 nach S. 74, (54) gdw. [[ein Mann ruft an oder eine Frau ruft an]]w = 1 nach 3.5 Die Überprüfung der anderen Fälle ist einer Übungsaufgabe vorbehalten. Ganz analog kann man zeigen, dass Konstituentenkoordinationen mit ,und‘ im Sinne eines Schnitts verstanden werden können; d. h., es gilt das zu (68) analoge Schema: (73) Wenn A und B Ausdrücke derselben Kategorie mit Mengen als Extensionen sind, gilt für alle möglichen Welten w: [[A und B]]w = [[A]]w \ [[B]]w Der Zusammenhang zwischen den Verwendungen von Junktoren in Konstituentenkoordinationen und ihrer satzverknüpfenden Funktion erschließt sich bei einer Rückbesinnung auf die Konstruktion von Wahrheitswerten als

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5. Aspekte der Wortbedeutung

Satzextensionen in 3.4.4, nach der es sich bei ihnen um Mengen von 0-Tupeln handelt: die Extension wahrer Sätze ist die nicht-leere Menge {Ø}; falsche Sätze haben dagegen die leere Menge Ø als Extension. Wendet man nun die Schemata (68) und (73) auf (Aussage-)Sätze A und B an, ergeben sich die Wahrheitstafeln aus Abschnitt 3.5: [[A]]w

[[B]]w

[[A]]w [ [[B]]w

[[A]]w \ [[B]]w

{Ø}

{Ø}

{Ø}

{Ø}

{Ø}

Ø

{Ø}

Ø

Ø

{Ø}

{Ø}

Ø

Ø

Ø

Ø

Ø

Tabelle 5.2: Schnitte und Vereinigungen von Wahrheitswerten Die Verwendung von Junktoren zur Verknüpfung von Prädikaten, Quantoren, Determinatoren etc. führt also nicht zwingend zu semantischer Abweichung oder gar Unverständlichkeit. Vielmehr können sich Junktoren – zumindest in vielen Fällen – anpassen: wenn sie nicht zwischen Sätzen stehen und deren Wahrheitswerte kombinieren, können dieselben Kombinationen auf andere Extensionstypen übertragen (oder verallgemeinert) werden. Damit verschiebt sich der Extensionstyp des Junktors von Funktionen über Wahrheitswerten auf Funktionen über (nahezu) beliebigen Mengen. Eine solche Flexibilität lexikalischer Ausdrücke lässt sich auch in anderen Zusammenhängen beobachten. In den bisher betrachteten Fällen hat die Verletzung einer Selektionsbeschränkung stets zu einer unverständlichen oder irgendwie semantisch abweichenden Aussage geführt. Doch das muss nicht so sein. So wird das Prädikat ,schlafen‘ normalerweise dazu verwendet, um Aussagen über den Bewusstseinszustand von Lebewesen zu machen. Sätze wie der folgende sind daher nicht ohne Weiteres interpretierbar: (74) Die Gleichung schläft. Diese Beobachtung legt eine Selektionsbeschränkung nahe: (75) Für jede Welt w und alle Individuen x gilt: wenn x 2 [[schläft]]w, ist x in w ein Lebewesen. Dessen ungeachtet kann man den folgenden Satz unmittelbar verstehen: (76) London schläft noch. Metonymie

Dass (76) nicht so seltsam ist wie (74), kann daran liegen, dass man das Prädikat ,schlafen‘ in diesem Zusammenhang auf Orte überträgt und dabei die Stadt „personifiziert“. Ähnlich wie die soeben betrachteten Verwendungen von Junktoren in Konstituentenkoordinationen passt es sich in (76) an seine Umgebung an, indem seine Extension erweitert wird. In diesem Fall liegt eine Bedeutungsverschiebung des Prädikats durch Begriffserweiterung vor: während das Verb ,schlafen‘ normalerweise von Personen ausgesagt wird, die sich (unter anderem) verhältnismäßig wenig bewegen, kann es in nichtwörtlicher Verwendung auch eine herabgesetzte Aktivität unbelebter Gegenstände zum Ausdruck bringen. Durch diesen Umdeutungs-Prozess wird

5.3 Syntagmatische Beziehungen

die Selektionsbeschränkung (75) außer Kraft gesetzt; und das Verb bedeutet danach etwas anderes. Begriffserweiterungen dieser Art, bei der ein Prädikat auf einen Gegenstand bezogen wird, für den es aufgrund einer Selektionsbeschränkung wörtlich nicht bezogen werden kann, werden in der Semantik als Metonymien bezeichnet; sie bilden die Quelle zahlreicher, sog. metonymischer Polysemien. Eine etwas andere Deutung von (76) liegt vor, wenn man den Satz als Aussage über die BewohnerInnen von London versteht. In diesem Fall passt sich das Subjekt ,London‘ an das Prädikat ,schläft‘ an, indem es sich statt auf einen Ort auf die Personen an diesem Ort bezieht; auf diese Weise wird die Selektionsbeschränkung des Verbs letztlich doch erfüllt. Solche Fälle von Anpassung einer Bedeutung zwecks Erfüllung einer Selektionsbeschränkung werden in der Semantik als Erzwingung (engl.: coercion) bezeichnet. Das Prädikat ,schläft‘ erzwingt also in (76) eine andere Lesart des Subjekts ,London‘, weil sonst die Beschränkung (75) greifen würde, nach der der Satz offenkundig falsch oder sogar unsinnig wäre. Offen ist dabei, ob es sich bei Erzwingungen um innerlexikalische oder pragmatische Prozesse handelt. Im ersten Fall wären sie eine Quelle der Polysemie; im zweiten Fall wäre die Bestimmung der Äußerungsbedeutung eng mit dem Prozess der Bedeutungskomposition verwoben. In beiden Fällen bliebe zu erklären, unter welchen Umständen Erzwingungen überhaupt möglich sind und wie sie im Einzelnen zustande kommen. All dies sind weitgehend offene Probleme der lexikalischen Semantik und der Semantik-Pragmatik-Schnittstelle, die auch Anlass zu heftigen Kontroversen in der jüngeren Sprachphilosophie gegeben haben. Das englische Pendant zu (57) stammt aus Chomsky (1957: 15) und lautet: ,Colorless green ideas sleep furiously‘. Der mit den Selektionsbeschränkungen eng verwandte Begriff des Kategorienfehlers ist älter und geht auf Ryle (1949) zurück. Zweifel an einer scharfen Abgrenzbarkeit zwischen Abstrusität und Sinnlosigkeit – und damit an der Signifikanz von Selektionsbeschränkungen – werden in Quine (1951) aufgeworfen. – Frühe Analysen von Konstituentenkoordinationen durch Umkategorisierung finden sich bei Geach (1970) und von Stechow (1975). – Der Begriff der Erzwingung – also der Anpassung der wörtlichen Bedeutung an eine für sie ungeeignete Umgebung – geht auf Pustejovsky (1993) zurück, der sich durch Analogien zur Konstituentenkoordination inspirieren ließ. – Seit Recanati (1995: 223) werden Varianten von (76) in der neueren Sprachphilosophie als Probleme für die Abgrenzung der Semantik von der Pragmatik diskutiert. Einen Überblick über die sprachphilosophische Debatte um Situationsbedeutung und Bedeutungskomposition bietet der Sammelband von Ezcurdia und Stainton (2013), insbesondere die Beiträge im zweiten Teil.

- Übungsaufgaben zu 5.1 1. Beschreiben Sie die Extension von ,un-‘ als eine Funktion, die Extensionen intersektiver Adjektive ihre entsprechenden „negativen“ Gegenstücke zuweist.

zu 5.2 2. Was ist die zur Inkompatibilität konverse Sinnrelation (so wie die Hyperonymie zur Hyponymie)?

Erzwingung

Quellen

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132

5. Aspekte der Wortbedeutung 3. Welche der folgenden Aussagen treffen zu? * ,Haus‘ ist ein Hyponym zu ,Haus‘. * ,Köter‘ ist synonym mit ,Hund‘. * ,Hund‘ ist inkompatibel mit ,Katze‘. * ,wissen‘ ist ein Hyponym zu ,meinen‘. * ,wissen‘ ist ein Hyperonym zu ,meinen‘. Halten Sie sich im Zweifelsfall an die Definitionen (11)–(13), und begründen Sie Ihre Antworten! 4. Ein Ausdruck heißt symmetrisch, wenn er zu sich selbst konvers ist. Finden Sie je ein symmetrisches Verb, Substantiv und Adjektiv. 5. ,alt‘ hat zwei Antonyme. Welche? Was ist jeweils die neutrale Form? 6. Geben Sie Komponentenanalysen für ,Kind‘, ,Mädchen‘ und ,Mann‘ im Stil von (25)–(27) an und leiten Sie die Hyponymien und Inkompatibilitäten zwischen allen sechs Beispiels-Substantiven her. 7. Nennen Sie ein Substantiv, das weder [+ HUMAN] noch [– HUMAN] als Merkmal enthält. 8. Erweitern Sie die Komponentenanalysen in (28)–(30) um entsprechende Gleichungen für ,Tante‘ und ,Mutter‘. Geben Sie eine Verwandtschaftsbeziehung an, für die die dort verwendeten Merkmale nicht ausreichen.

zu 5.3 9. Obwohl die in dem folgenden Satz unterstrichenen Wörter mehrdeutig sind, wirkt sich dies nicht auf den Satz aus: Reiche sind nicht immer zufriedener als Arme. Warum nicht? 10. Formulieren Sie (42) als Bedeutungspostulat um. 11. Geben Sie Selektionsbeschränkungen an, die die Merkwürdigkeit der folgenden Sätze erfassen: * Der Koch singt ein Gewürz. * Die Gabel bezweifelt das. 12. Nehmen Sie die folgende Kompositionsregel für die Sättigung relationaler Substantive durch referenzielle Argumente an: Sei Nrel ein relationales Substantiv und E seine (referenzielle) Ergänzung. Dann gilt für alle Welten w: [[Nrel E]]w = {x | (x; [[E]]w) 2 [[Nrel]]w} Zeigen Sie, dass nach dieser Regel und (62) Nrel E stets ein Hyponym von Nquant ist. 13. Übertragen Sie den in (62) beschriebenen Prozess auf die Umkategorisierung des transitiven Verbs ,essen‘. Kommt danach ,isst eine Gurke‘ als Hyponym von ,isstquant‘ heraus? 14. Zeigen Sie, dass nach (69) und (71) die folgenden beiden Sätze synonym mit Satzkoordinationen sind: * Hans schenkt oder leiht Maria ein Auto. * Hans isst keinen oder jeden Apfel. Tipp: Ermitteln Sie zunächst schematisch die Wahrheitsbedingungen für Sätze der Form ,Hans V Maria ein Auto‘ bzw. ,Hans isst D Apfel‘, wobei V und D für (möglicherweise komplexe) ditransitive Verben bzw. Determinatoren stehen. Achtung: Für beide Sätze wird eine Quantorenanhebung benötigt!

6. Bedeutung in der Kommunikation Ein Hauptanliegen des vorliegenden Lehrbuchs ist es, den LeserInnen die Einsicht zu vermitteln, dass die sprachliche Bedeutung ebenso systematischen Regeln folgt wie etwa die Wortstellung, die Beugung (Flexion) oder die Wortbetonung: die Semantik ist m. a. W. genauso ein Teil des Sprachsystems wie die Syntax, die Morphologie oder die Phonologie. Allerdings hatten wir schon im ersten Kapitel darauf hingewiesen, dass sprachliche Bedeutung nicht allein eine Sache des Sprachsystems ist. Vielmehr ergeben sich eine Reihe von Bedeutungsaspekten erst aufgrund der Umstände und Bedingungen, unter denen sprachliche Äußerungen gemacht werden – wobei der vom Sprachsystem determinierten, wörtlichen Bedeutung eine Schlüsselrolle zukommt. Der Interaktion von wörtlicher Bedeutung und Äußerungssituation und der systematischen Bestimmung sich daraus ergebender kommunikativer Effekte ist ein Zweig der Sprachwissenschaft gewidmet, der über das grammatische System hinausweist: die Pragmatik. Dieses Kapitel skizziert, wie man sich den Beitrag der Semantik zur Pragmatik grundsätzlich vorzustellen hat.

Semantik und Pragmatik

6.1 Informationsübermittlung 6.1.1 Informationsfluss in Idealform Im vierten Kapitel waren Intensionen eingeführt worden, um einen zentralen Aspekt sprachlicher Bedeutung zu erfassen: wie ist es möglich, dass wir uns mit Hilfe sprachlicher Ausdrücke verständigen und insbesondere einander informieren? Wir haben dabei zwar gesehen, dass Propositionen dem Informationsgehalt von Sätzen entsprechen, aber wie man sich den Austausch von Informationen vorzustellen hat, ist dennoch weitgehend offen geblieben. Wir wollen diese Lücke nun anhand eines stark idealisierten (= für die wissenschaftliche Analyse vereinfachten) Szenarios füllen. Dazu betrachten wir eine Form von Kommunikation, für deren Beschreibung sich das bisher eingeführte semantische Instrumentarium besonders gut eignet: den (einseitigen) Informationsfluss, bei dem eine Person eine andere Person erfolgreich über etwas informiert. Eine solche Situation liegt z. B. vor, wenn Walter seinem Sohn Paul die Frage beantwortet, was es denn heute zum Abendessen gäbe. Walters Antwort lautet kurz und knapp: (1) Lasagne. Im Kontext von Pauls Frage kann man Walters Ein-Wort-Äußerung offensichtlich als Abkürzung für einen ganzen Satz verstehen: (2) Heute gibt es Lasagne zum Abendessen. In der beschriebenen Situation hat Walter mit seiner im Sinne des (Aussage-) Satzes (2) gemeinten Äußerung von (1) seinen Gesprächspartner Paul offen-

Informationsfluss

134

6. Bedeutung in der Kommunikation

kundig informiert. Die Situation weist insbesondere die folgenden drei Eigenschaften auf: *

* *

kommunikativer Effekt

Vor Walters Äußerung reichen Pauls Informationen nicht aus, um die Wahrheit oder Falschheit von (2) zu beurteilen. Walter weiß dagegen, dass (2) zutrifft. Nach Walters Äußerung weiß auch Paul, dass (2) zutrifft.

Da es um die Veränderung eines Informationsstands geht, empfiehlt sich zunächst eine Rückbesinnung auf die Semantik der Einstellungsberichte in 4.5.1. In diesem Zusammenhang hatten wir gesehen, dass sich verschiedene Typen von Einstellungen, die Personen gegenüber tatsächlichen oder hypothetischen Sachverhalten einnehmen können, mit Hilfe verschiedener Typen von „alternativen Welten“ darstellen lassen. Beim (idealen) Informationsaustausch geht es darum, Wissen zu vermitteln. Insofern sind für ihn die epistemischen Alternativen einer Person x besonders einschlägig, also diejenigen Welten w, die nach Wissen von x mit der Wirklichkeit übereinstimmen könnten: nichts, was x weiß, schließt aus, dass w die Welt ist, in der sich x tatsächlich befindet. In unserem Szenario geht es um den jeweiligen Informationsstand – das Wissen, die epistemischen Alternativen – von Paul und Walter vor und nach der Äußerung von (1). So weiß Paul auch vor Walters Äußerung, dass es am Abend auf keinen Fall Himbeereis oder Regenwürmer zu essen geben wird. Aber genau weiß er nicht, was auf den Tisch kommt: vielleicht gibt es Spinat, vielleicht Pizza, vielleicht auch Lasagne. Und das ist natürlich nicht Pauls gesamter Informationsstand vor Beantwortung seiner Frage. Paul weiß ja noch eine Menge anderer Sachen, die mit dem Abendessen nichts zu tun haben – zum Beispiel, dass seine Klassenlehrerin heute krank ist (was sein Vater Walter nicht weiß). Die Möglichkeit, dass Frau Weber gesund ist, kann Paul also genauso ausschließen wie die, dass es heute Abend Regenwürmer gibt. Damit Walter Paul überhaupt über das Abendessen informieren kann, muss er selbst Bescheid wissen; und wenn er dafür den Satz (2) – bzw. die Kurzform (1) – benutzen will, muss er wissen, dass dieser wahr ist. Walters Informationsstand muss also alle Fälle ausschließen, nach denen (2) falsch wäre, in denen es also keine Lasagne gäbe. Der Schnitt durch den Logischen Raum verläuft also bei Walter ganz woanders als bei Paul. Manches, was der eine für möglich hält, schließt der andere aus. Entscheidend für den reibungslosen Informationsfluss ist in unserem Szenario nur, dass der epistemische Schnitt bei Walter so verläuft, dass alle Welten, auf die (2) nicht zutrifft, ausgeschlossen sind. Damit kommen wir zum kommunikativen Effekt von (2). Wenn Paul – was wir annehmen wollen – seinem Vater vertraut, wird er dessen Worten Glauben schenken. In diesem Falle verändert sich sein Informationsstand: während er vorher nicht wusste, ob (2) wahr ist, kann er jetzt ausschließen, dass (2) falsch ist. Darin liegt eine gewisse Vereinfachung. Denn streng genommen ändert sich Pauls Informationsstand auch in anderer Hinsicht: z. B. kann er jetzt ausschließen, dass Walter seine Frage nicht beantwortet hat etc. Ansonsten bleibt für ihn alles beim Alten; denn sein Vater hat ihn über nichts als die abendliche Lasagne informiert. Nach Aufnahme von Walters Antwort hat sich demnach Pauls Informationsstand dergestalt entwickelt, dass er nunmehr alle Welten ausschließt, auf die (2) nicht zutrifft.

6.1 Informationsübermittlung

Damit haben wir am Beispiel gesehen, wie sich die wesentlichen Aspekte des Informationsflusses auf der Basis semantischer Analysen modellieren lassen. Beim Informationsaustausch zwischen zwei (oder mehr) Personen wechseln im einfachsten Fall Sprecher und Hörer immer wieder die Rollen. Tatsächliche Gesprächsabläufe, selbst wenn sie nur dem Austausch von Informationen dienen, sind aber ungleich komplizierter. Denn sie bestehen nicht nur aus einer Abfolge von Behauptungen, sondern z. B. aus Fragen, Antworten, Rückfragen, Erläuterungen usw. Die Untersuchung solcher Gesprächsstrukturen macht einen Großteil der Pragmatik aus.

6.1.2 Erfolgsbedingungen Wer Walter kennt, weiß, dass er seinen Sohn Paul über das Abendessen korrekt unterrichtet hat. Es gibt wirklich Lasagne, und Paul hatte keine Ahnung davon. Bei dem obigen Szenario handelte es sich also um einen Fall von erfolgreichem Informationsfluss, der die weiter oben genannten Bedingungen – die Erfolgsbedingungen – erfüllte: *

*

*

Hörervoraussetzung H Vor der Äußerung reichen die Informationen des Hörers nicht aus, um über Wahrheit und Falschheit der Aussage des Sprechers zu entscheiden. Sprechervoraussetzung S Der Sprecher weiß dagegen, dass seine Aussage wahr ist. Effekt E Nach der Äußerung weiß dies auch der Hörer.

Wir haben gesehen, wie sich diese drei Bedingungen mit Hilfe des Logischen Raums ausdrücken lassen, der durch die jeweiligen Informationszustände von Sprecher und Hörer geteilt wird: H Die epistemischen Alternativen des Hörers (auf der KANN-SEIN-Seite) vor der Äußerung enthalten sowohl Welten, auf die die Aussage zutrifft, als auch Welten, auf die sie nicht zutrifft (vgl. Fig. 6.1). S Der Informationsstand des Sprechers vor (wie nach) der Äußerung schließt alle Welten aus, auf die seine Aussage nicht zutrifft (vgl. Fig. 6.2). E Als epistemische Alternativen des Hörers bleiben nach der Äußerung nur noch Welten übrig, auf die die Aussage zutrifft (vgl. Fig. 6.3).

Fig. 6.1: Hörervoraussetzung für den erfolgreichen Informationsfluss

Informationsaustausch

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136

6. Bedeutung in der Kommunikation

Fig. 6.2: Sprechervoraussetzung für den erfolgreichen Informationsfluss

Fig. 6.3: Effekt des erfolgreichen Informationsflusses

Wann immer Sprache benutzt wird, um Informationen zu übermitteln, sollten zumindest die drei genannten Erfolgsbedingungen erfüllt sein; ist, mit anderen Worten, eine der drei Bedingungen nicht erfüllt, liegt kein idealer Informationsfluss vor. Die Vermutung liegt nahe, dass H, S und E nicht nur notwendige, sondern zusammen genommen auch hinreichende Bedingungen für den idealen Informationsfluss sind, dass die Aussage – die Proposition, die den wörtlichen Sinn der Äußerung ausmacht – als Information vom Sprecher zum Hörer fließt, sobald diese drei Bedingungen erfüllt sind. Doch dem ist nicht so. Die Bedingungen schließen nämlich nicht aus, dass der Informationszuwachs beim Hörer sozusagen zufällig, also unabhängig von der Äußerung des Sprechers, geschieht. Um das zu verhindern, wird eine weitere notwendige Voraussetzung für den erfolgreichen Informationsfluss benötigt: R Reflexionsbedingung Sprecher und Hörer wissen, dass die Bedingungen S, H und E erfüllt sind. Die Reflexionsbedingung bringt zum Ausdruck, dass sich Sprecher und Hörer darüber im Klaren sind, dass die Voraussetzungen für einen erfolgreichen Informationsfluss erfüllt sind. Dies war zum Beispiel in unserem LasagneSzenario der Fall: Walter hat nicht nur gewusst, dass es Lasagne geben wird (S), sondern auch, dass Paul dies noch nicht wusste (H) – Paul hat ihn ja gefragt, was es zum Essen gibt; und ihm war ebenso klar, dass sich Pauls Informationsstand durch seine, Walters, Äußerung in dieser Hinsicht vervollständigt (E). Umgekehrt war natürlich Paul sein unzureichender Kenntnisstand vor Walters Äußerung (H) ebenso bewusst wie der Wissenszuwachs (E), den

6.2 Implikaturen

er der Aussage seines Vaters verdankt; und er wusste natürlich auch, dass diese Aussage nicht aus dem hohlen Bauch kam, sondern Walters fundiertem Wissen um den abendlichen Menüplan entsprang (S). Mit anderen Worten: beide Gesprächsteilnehmer wussten, dass die drei obigen Bedingungen erfüllt waren. Der Gegenstand dieses Abschnitts fällt in das Gebiet der Sprechakttheorie, bei der es um sprachliche Handlungen geht – engl. speech acts (daher der grauenhafte deutsche Terminus). Die Sprechakttheorie bildet zusammen mit der sogleich thematisierten Implikaturtheorie den Kern der linguistischen Pragmatik; in ihrer klassischen Form wurde sie von Austin (1962) und Searle (1969) formuliert. Die Rolle der wörtlichen (Satz-)Bedeutung für die Übermittlung von Informationen steht seit Stalnaker (1970; 1978) im Fokus der Untersuchungen zur Semantik-Pragmatik-Schnittstelle. Aus didaktischen Gründen weicht die obige Darstellung insofern von Stalnakers Ansatz ab, als hier Sprecher- und Hörerwissen getrennt betrachtet werden – anstelle des sog. common ground, den Informationen, die allen Kommunikationspartnern gemeinsam und bekanntermaßen zur Verfügung stehen.

Quellen

6.2 Implikaturen Um zu erklären, wie ein Sprecher über die wörtliche Bedeutung seiner Äußerung hinaus etwas zu verstehen geben kann, bezieht sich die Implikaturtheorie auf allgemeine Prinzipien sprachlichen Handelns. Eine wichtige Voraussetzung für diese Prinzipien ist die Annahme, dass Kommunikation – zumindest in der Regel – insoweit kooperativ ist, als Sprecher und Hörer das gemeinsame Ziel der gegenseitigen Verständigung verfolgen. Kooperativität wird in der Implikaturtheorie als ein wesentliches, nicht nur zufälliges Merkmal von Kommunikation angesehen. Ohne ein Mindestmaß an Kooperativität wäre demnach im Allgemeinen eine funktionierende Kommunikation nicht vorstellbar. Die Idee dahinter kann man sich am Fall des Lügens klar machen: der Sprecher hat nur deshalb eine Chance, den Hörer in Irre zu führen, weil letzterer normalerweise davon ausgeht, dass er nicht belogen wird; die Lüge ist also die Ausnahme, die Verletzung der Regel. 6.2.1 Maximen Nach der klassischen Formulierung der Implikaturtheorie lässt sich die in der sprachlichen Kommunikation unterstellte Kooperativität in eine Reihe von „Geboten“ zerlegen, an die der Sprecher implizit gehalten ist, worauf sich der Hörer wiederum implizit verlässt: (3) Gricesche Maximen a. Qualität * Sage nichts, was du für falsch hältst! * Sage nichts, wofür dir die Gründe fehlen! b. Quantität * Gebe so viel Informationen wie nötig! * Gebe nicht mehr Informationen als nötig! c. Relation * Sprich zum Thema!

Kooperativität

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138

6. Bedeutung in der Kommunikation

d. Modalität * Sei klar im Ausdruck! * Vermeide Ambiguitäten! * Fasse dich kurz! * Drücke dich geordnet aus! Die Maximen a der Qualität haben wir bereits im vorangehenden Abschnitt kennengelernt – als Sprechervoraussetzung. Hält sich der Sprecher nicht an die erste Maxime, kann man ihn der Lüge bezichtigen; einen Verstoß gegen die zweite Maxime könnte man dagegen als Anmaßung bezeichnen. Die Maximen ergeben sich aus der Kooperativität, weil es dem gemeinsamen Ziel nicht dienlich sein kann, wenn der Hörer unzuverlässige oder gar falsche Informationen aufgetischt bekommt. Die Maximen b der Quantität und c der Relation betreffen den Zweck der Kommunikation, den wir bisher weitgehend vernachlässigt haben. Worum es dabei geht, kann man sich wieder am Lasagne-Szenario klar machen. Walter gab seinem Sohn Paul über das Abendessen Auskunft, weil letzterer ihn darum gebeten hatte. Damit hat Paul erstens zu erkennen gegeben, dass sein Informationsstand bezüglich des Abendessens lückenhaft ist (sonst müsste er nicht fragen); zweitens, dass er diese Lücke gerne gefüllt sähe (sonst würde er sich nicht die Mühe geben zu fragen); und drittens, dass er davon ausgeht, dass sein Vater ihm dabei behilflich sein kann (sonst würde er nicht Walter fragen). Walter ist mit seiner Antwort Pauls Bitte um Aufklärung nachgekommen, indem er gerade die von Paul verlangte Information geliefert hat. Insofern hat sich Walter an die Maxime der Relation gehalten; denn er hat über das Abendessen (und nicht zum Beispiel über das Fernsehprogramm) gesprochen. Und er hat sich auch den Quantitätsmaximen gemäß verhalten; denn er hat genügend Informationen geliefert, um Pauls Wissenslücke zu schließen (anstatt etwa nur zu sagen, dass es etwas Warmes gibt), aber auch nichts Überflüssiges gesagt (wie zum Beispiel, dass die Béchamelsoße schon fertig ist). Die Maximen d der Modalität grenzen die Wortwahl ein. Wer sich im Sinne des Kooperationsprinzips verhalten will, muss sicherstellen, dass er richtig verstanden wird. Unklare Ausdrücke, Mehrdeutigkeiten, Weitschweifigkeit und konfuse Darstellung sind diesem Ziel nicht dienlich und sollten deshalb vermieden werden. Auch wenn sich die Maximen aus dem Kooperationsprinzip ergeben, kann man seine Zweifel anmelden, dass sich der Sprecher – selbst wenn er die besten kooperativen Absichten hegt – auch wirklich immer an sie hält. Vielleicht ist er gerade abgelenkt, vielleicht fällt ihm das passende Wort nicht ein. Doch für die Erklärung der meisten Implikatur-Effekte genügt die Annahme, dass sich der Sprecher weitgehend an die Maximen hält und nicht in offensichtlicher Weise oder gar absichtlich gegen sie verstößt. 6.2.2 Implikatureffekte Implikaturen

Implikaturen – also über das Wortwörtliche hinausgehende kommunikative Effekte – kommen im Allgemeinen zustande, weil Sprecher und Hörer zum einen in einer geeigneten Kommunikationssituation sind, zum anderen sich dessen bewusst sind, weiterhin wissen, was wörtlich ausgesagt wird, und

6.2 Implikaturen

schließlich vernünftig genug sind, dass – für beide erkennbar – der genannte Implikatur-Effekt eintritt. Die folgenden Beispiele illustrieren dies. Ein typischer Anwendungsfall der Quantitäsmaximen b ergibt sich, wenn Professor Teufel seiner Studentin Engel Auskunft über die von ihr versäumte Seminarsitzung erteilt:

Quantitätsimplikaturen

(4) Einige Studenten sind gestern nicht erschienen. Frau Engel kann aus dieser Äußerung schließen, dass zumindest einige Studenten doch erschienen sind – sonst hätte es der Professor ja sagen können und sollen: hätte er mit relevanten Informationen hinter dem Berg gehalten, hätte er gegen die erste Quantitätsmaxime verstoßen. Der bei (4) zu beobachtende Effekt wird auch als skalare Implikatur bezeichnet, da Ausdrucksalternativen für ,einige‘ hinsichtlich ihres Informationsgehalts eine Skala bilden. Genauer gesagt kommt eine skalare Implikatur dann zustande, wenn die Äußerung einen Ausdruck A (wie ,einige‘) enthält, der einer in der Äußerungssituation wohlbekannten und offensichtlichen Skala (von ,alle‘ bis ,[mindestens] ein‘) angehört, auf dieser aber nicht den obersten Rang einnimmt. Grob gesprochen besagt dann die skalare Implikatur, dass der tatsächlich genannte Wert der höchste ist, für den der Sprecher die entsprechende Behauptung aufstellen kann, dass also alle Ausdrucksalternativen – wie (4)a –, in denen A durch einen höheren Wert (,alle‘) ersetzt wird, durch das Sprecherwissen nicht gedeckt sind:

skalare Implikatur

(4) a. Alle Studenten sind gestern nicht erschienen. In vielen Fällen läuft das darauf hinaus, dass diese Alternativen dann falsch sind und somit der tatsächlich genannte Wert (,einige‘) nicht nur der höchste ist, für den der Sprecher die Behauptung machen kann, sondern auch der höchste, für den sie korrekt ist. Fasst man auch die Junktoren ,und‘ und ,oder‘ als skalierte Ausdrucksalternativen voneinander auf, müsste eine Äußerung eines Satzes wie (5) normalerweise so verstanden werden, dass der Sprecher nicht in der Lage ist, die stärkere Behauptung (6) aufzustellen – was wiederum in vielen Fällen darauf hinausläuft, dass diese stärkere Behauptung falsch sein muss: (5) Fritz hat angerufen oder Uwe hat angerufen. (6) Fritz hat angerufen und Uwe hat angerufen. In diesen Fällen lässt sich die in Abschnitt 3.5 (S. 67 f.) angesprochene ausschließende Deutung von ,oder‘ als pragmatischer Nebeneffekt verstehen, nämlich als skalare Implikatur. Ob auf diese Weise wirklich alle Fälle abgedeckt werden, in denen eine solche Interpretation intendiert ist, wollen wir hier dahingestellt sein lassen. Die Qualitätsmaximen a sind insbesondere grundlegend für einen verlässlichen Informationsaustausch, indem sie sichern, dass die von SprecherInnen aufgestellten Behauptungen nicht nur so dahergesagt sind. Diese Unterstellung wird für die Herleitung von Implikatureffekten jeder Art herangezogen. Implikaturen, die hauptsächlich aufgrund der Qualitätsmaximen zustande kommen, sind dagegen nicht so leicht zu finden – wohl aber andere kommunikative Effekte. So ist die erste Qualitätsmaxime dafür verantwortlich, dass man Sätze wie den folgenden nicht sinnvollerweise behaupten kann: (7) Es regnet, aber ich glaube nicht, dass es regnet.

Qualitätsimplikaturen

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140

6. Bedeutung in der Kommunikation

Ironie

(7) wirkt widersprüchlich, obwohl die durch den Satz ausgedrückte Proposition durchaus zutreffen kann. Doch wer (7) äußert, gibt mit dem ersten Halbsatz – aufgrund der ersten Qualitätsmaxime – zu verstehen, dass er meint, dass es regnet, was er mit dem zweiten Halbsatz bestreitet. Der Widerspruch liegt also in der Verwendung von (7), nicht im Inhalt. Ein besonderer Fall, bei dem die erste Qualitätsmaxime für das Zustandekommen einer nicht-wörtlichen Bedeutung sorgt, ist der der Ironie. Blicken wir dazu noch einmal auf die beiden Gourmets des ersten Kapitels zurück. Fritz‘ ironische Äußerung lautete: (8) Das Steak war wie immer zart und saftig.

Relationsimplikaturen

Uwe hat diese Äußerung nicht wörtlich genommen, weil er wusste, dass Fritz unmöglich der Meinung sein kann, dass das Mensasteak bisher immer zart und saftig war – wie in (8) ausgesagt wird. Da Uwe außerdem davon ausgeht, dass Fritz ihn nicht belügt, sieht er sich gezwungen, dessen Äußerung von (8) so umzuinterpretieren, dass sie mit seinen Vor-Informationen in Einklang zu bringen ist. Der hervorgehobene Nebensatz beschreibt dabei gewissermaßen eine Anwendung der ersten Qualitätsmaxime – dass Fritz ihn belügt, heißt ja, dass er ihm bewusst die Unwahrheit sagt. Wie allerdings Uwe von der Weigerung, (8) wörtlich zu interpretieren, auf die von Fritz intendierte ironische Interpretation kommt, ist alles andere als durchsichtig; wir werden dieser Frage hier nicht weiter nachgehen. Es gibt einen grundlegenden Unterschied zwischen der Ironie und allen anderen bislang betrachteten Effekten. Während nämlich Implikaturen die aus der wörtlichen Bedeutung stammende Information ergänzen oder weiter spezifizieren, wird im Falle der Ironie die wörtliche Bedeutung durch ihr Gegenteil ersetzt. Denn Uwe versteht ja Fritz nicht in dem Sinne, dass das Steak sowohl (a) zart und saftig als auch das Gegenteil, also (b) weder zart noch saftig, war. Uwe versteht nur (b), und genau so will Fritz auch verstanden werden. Die wörtliche Bedeutung wird also durch den ironischen Effekt „überblendet“. Zur Maxime der Relation c müssen wir hier nicht viel sagen. Wenn jemand auf eine Frage oder eine Bitte etwas entgegnet, kann man davon ausgehen, dass er damit die Frage beantwortet bzw. der Bitte nachkommt; wenn nicht, muss er dies irgendwie signalisieren; tut er auch das nicht, kann es zu Missverständnissen kommen. Interessante Relationsimplikaturen findet man, wenn man über den Tellerrand der Aussagesätze und des einseitigen Informationsaustauschs hinausschaut. Einen einschlägigen Fall aus dem Bereich der Fragen hatten wir im ersten Kapitel kennengelernt: Mitreisende und Flughafenmitarbeiter erkundigen sich nur scheinbar danach, ob der Reisende eine Uhr besitzt; in beiden Fällen wollen sie etwas ganz anderes wissen bzw. erreichen. Dass dies für den Reisenden erkennbar ist, liegt nicht zuletzt daran, dass die erfragte Information an sich offenbar wertlos für die Fragenden ist – und insofern irrelevant. Auf den genauen Zusammenhang zwischen der (wörtlich) gestellten Frage und der tatsächlichen kommunikativen Absicht können wir hier leider nicht eingehen; interessierte LeserInnen seien stattdessen auf gängige Pragmatik-Einführungen verwiesen, die das Phänomen unter dem Stichwort indirekte Sprechakte abhandeln.

6.2 Implikaturen

Auch die Modalitätsmaximen d können Anlass zu Implikaturen geben. Ein einschlägiges Beispiel haben wir schon im dritten Kapitel gesehen. Das [satzverbindende] ,und‘ wird gern im Sinne von ,und dann‘ verwendet: (9) Sie heiratete und [sie] wurde schwanger.

Modalitätsimplikaturen

[= S. 70, (41)]

Nach der letzten Maxime lässt sich dies allein aufgrund der Kooperativität der Sprecherin erklären – wenn man geordnet im Sinne von entsprechend der Reihenfolge der beschriebenen Ereignisse versteht. Denn wäre diese anders gewesen, hätte sie gemäß vierter Modalitätsmaxime (10) äußern müssen: (10) Sie wurde schwanger und [sie] heiratete.

[ebd., (42)]

Und selbst wenn ihr die Reihenfolge der Ereignisse nicht bekannt gewesen wäre, hätte sie, um den Eindruck zu vermeiden, die von ihr gewählte Darstellung folge der letzten Maxime, ihre Äußerung von (10) ergänzen müssen – z. B. durch: (11) … aber nicht notwendigerweise in dieser Reihenfolge. Mit (11) gibt die Sprecherin zu verstehen, dass sie mit ihrer vorangehenden Äußerung keinen Implikatureffekt hinsichtlich der Reihenfolge der berichteten Ereignisse intendiert hat: sie zieht die Implikatur zurück. Dass sie damit gegen die vierte Modalitätsmaxime verstoßen hat, wird als Indiz verstanden, dass ihr Wissen nicht ausreicht, um die von der vierten Maxime verlangte Reihenfolge einzuhalten. An diesem Beispiel lässt sich erahnen, dass die Rolle der Maximen für das Zustandekommen und Ausbleiben von Implikaturen eine äußerst diffizile Angelegenheit sein kann. In der hier zugrunde gelegten Form geht die Implikaturtheorie auf Grice (1966–67) zurück; ihre Entstehungsgeschichte wird im 5. Kapitel von Chapman (2005) dargelegt. Detailliertere Darstellungen insbesondere der Herleitung von Implikaturen mit Hilfe der Griceschen Maximen findet man z. B. bei Meibauer (2008: Kap. 3) – Die scheinbare Widersprüchlichkeit von Sätzen wie (7) wird als Moores Paradox bezeichnet – nach Moore (1942). Der Terminus skalare Implikaturen geht auf Gazdar (1979) zurück, der sich auf Horn (1972) beruft; die einschlägigen lexikalischen Skalen werden in der linguistischen Literatur auch als Horn-Skalen (engl. Horn scales) bezeichnet.

- Übungsaufgabe zu 6.1 1. Beschreiben Sie eine Situation, in der die Bedingungen S, H und E erfüllt sind, nicht aber die Reflexionsbedingung R.

Quellen

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7. Bedeutung und Kognition Intersubjektivität

Bedeutungen – das hatten wir zu Beginn des dritten Kapitels (Abschnitt 3.1) klar gemacht – dürfen nicht mit den inneren Bildern oder Vorstellungen verwechselt werden, die sprachliche Ausdrücke im einzelnen Individuum hervorrufen. Um für die zwischenmenschliche Kommunikation tauglich zu sein, müssen sie vielmehr allen SprecherInnen prinzipiell gleichermaßen zugänglich sein. Die im vierten Kapitel eingeführten Intensionen erfüllen dieses Kriterium zumindest soweit, als sie sich – wie in 6.1 ausgeführt – unmittelbar in die Beschreibung des Informationsaustauschs einfügen. Zudem gestatten sie es zu erklären, wie sich SprecherInnen durch die Verwendung sprachlicher Ausdrücke auf Personen und Gegenstände beziehen können; denn jede Intension determiniert eine entsprechende Extension. Intensionen und die in ihnen quasi enthaltenen Extensionen sind damit gute Kandidaten für intersubjektive Bedeutungen; denn sie bestehen unabhängig vom Sprechen und Denken Einzelner, als Konstruktionen im Logischen Raum. Insbesondere sind Intensionen keine geistigen Produkte oder Aktivitäten; und sie sind auch keine Gehirnprozesse oder -zustände: sprachliche Bedeutungen sind nicht Bestandteile des Innenlebens von SprecherInnen, sondern befinden sich quasi zwischen ihnen – eben intersubjektiv – oder in den Worten des amerikanischen Philosophen Hilary Putnam: + Man kann‘s drehen und wenden wie man will, Bedeutungen sind einfach nicht im Kopf! Dass sprachliche Bedeutungen intersubjektiv sind, heißt natürlich nicht, dass Sprachverwendung und -verstehen keine kognitiven Vorgänge wären; nur sind diese Vorgänge nicht selbst die sprachlichen Bedeutungen. Vielmehr sind SprecherInnen vermittels ihrer kognitiven Fähigkeiten in der Lage, Bedeutungen zu verarbeiten. Sprachliche Bedeutungen verhalten sich zu ihrer kognitiven Verarbeitung ein wenig wie arithmetische Operationen (Addition, Multiplikation etc.) zum Kopfrechnen: beim Rechnen operieren wir mit Zahlen – das ist ein kognitiver Vorgang; aber die Zahlen selbst sind (kognitiv zugängliche) abstrakte Objekte – und nicht etwa in unserem Kopf. Letzteres zeigt sich etwa darin, dass sich das Resultat einer arithmetischen Operation nicht dadurch definiert, was herauskommt, wenn man sie ausrechnet.

7.1 Schwierige Sätze Wie komplex der Vorgang der Bedeutungsverarbeitung ist, lässt sich erahnen, wenn er schiefgeht. Das kann in Ausnahmesituationen etwa aufgrund von Beeinträchtigungen durch Drogen oder Hirnschäden geschehen. Doch auch ohne solche äußeren Störungen kann sich die Verarbeitung sprachlicher Bedeutung mitunter schwierig gestalten – und zwar aufgrund des sprachlichen Materials selbst. So waren wir im ersten Kapitel davon ausgegangen, dass die wörtliche Bedeutung eines Ausdrucks ähnlich wie eine

7.1 Schwierige Sätze

sinnliche Wahrnehmung in der Regel unmittelbar und mühelos erfasst wird. Und das stimmt auch – in der Regel, aber nicht immer. Denn so wie wir mit der Wahrnehmung bestimmter Objekte Probleme haben können – manche Geräusche sind einfach zu leise, manche Aromen zu subtil – so gibt es auch Sätze, deren wörtlicher Sinn sich uns SprecherInnen nur mit Mühe erschließt. Das gilt zum Beispiel für Satzbandwürmer wie: (1) Die Frau, deren Schwester, deren Sohn, dessen Freundin in Frankreich studiert, nach Australien ausgewandert ist, in Italien lebt, wohnt nebenan. Wer wohnt hier wo? Mit ein bisschen Geduld kriegt man das heraus, aber der Sinn erschließt sich nicht so unmittelbar wie bei „normalen“ Sätzen. Es sind übrigens weder sein Inhalt noch seine Länge, die (1) so schwer verständlich machen. Der folgende Satz schildert in etwa denselben Sachverhalt und enthält sogar mehr Wörter, ist aber wesentlich leichter zu verstehen: (2) Die in Italien lebende Schwester der Frau nebenan hat einen Sohn, dessen Freundin in Frankreich studiert und der selbst nach Australien ausgewandert ist. Was (1) vor allem so schwer verständlich macht, ist offenbar seine verschachtelte syntaktische Struktur. Doch die Bedeutung eines Satzes kann auch aus ganz anderen Gründen schwer zu ermitteln sein. Dem amerikanischen Altphilologen Moses Hadas [1900–1966] wurde nachgesagt, eine Rezension mit dem folgenden Satz begonnen zu haben: (3) This book fills a much-needed gap. was man – einigermaßen frei – übersetzen könnte mit: *

Dieses Buch füllt eine bitter benötigte Lücke.

Dieses auf den ersten Blick positiv wirkende Urteil entpuppt sich bei näherem Hinsehen als vernichtende Kritik: nicht das Buch, sondern die Lücke, die es füllt, wird bitter benötigt! Warum versteht man den Satz zunächst genau umgekehrt? An seiner syntaktischen Struktur kann es kaum liegen, denn die ist ja ausgesprochen überschaubar. Eher spielen hier wohl Erwartungen und Gewohnheiten eine Rolle. Dass ein Buch eine Lücke füllt, wird normalerweise als Teil einer Lobpreisung gesagt, und auch das Attribut ,bitter benötigt‘ wirkt im Zusammenhang einer Rezension zunächst positiv – denn es wird üblicherweise dem besprochenen Buch zugesprochen. Ein ähnlicher, aber noch verwirrenderer Fall von Schwerverständlichkeit ist das folgende Beispiel aus dem neurochirurgischen Bereich: (4) Keine Hirnverletzung ist zu harmlos, um vernachlässigt zu werden. Auf den ersten Blick scheint (4) zu besagen, dass man mit Hirnverletzungen nicht leichtfertig umgehen soll. Doch der Schein trügt. In Wahrheit handelt es sich um eine ausgesprochen zynische Aussage, nach der man jede Hirnverletzung getrost vernachlässigen darf. Denn was ist eine Hirnverletzung, die zu harmlos ist, um vernachlässigt zu werden? Nun, ein Getränk, das zu kalt ist, um getrunken zu werden, soll man nicht trinken. Dementsprechend besagt der Satz: (5) Kein Getränk ist zu kalt, um getrunken zu werden.

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7. Bedeutung und Kognition

dass man jedes Getränk getrost trinken kann. Ganz analog soll man eine Hirnverletzung, die zu harmlos ist, um vernachlässigt zu werden, nicht vernachlässigen. Und dementsprechend besagt (4), dass man jede Gehirnverletzung getrost vernachlässigen kann: der Satz ist wie verhext! Wieso bedarf es dieser langen Erläuterung? Warum versteht man den Satz nicht auf Anhieb richtig? Das hat wahrscheinlich mehrere Gründe, von denen einer ist, dass er zu viele „negative“ Ausdrücke – ,kein‘, ,harmlos‘, ,vernachlässigen‘ – miteinander in Beziehung setzt. Aber noch etwas ist sehr seltsam an diesem Satz und steht einem glatten Verständnis entgegen: er scheint vorauszusetzen, dass besonders harmlose Hirnverletzungen besonders ernst genommen werden müssen. Komplexe syntaktische Strukturen, unorthodoxe Kombinationen von Ausdrücken und Anhäufungen von Negativität können sich also störend auf den Prozess der Bedeutungsverarbeitung auswirken. Diese anekdotischen Beobachtungen zeigen freilich nicht, wie man sich diesen Prozess im Allgemeinen vorzustellen hat. Die systematische Untersuchung der Bedeutungsverarbeitung ist Gegenstand psycho- und neurolinguistischer Forschung. Quellen

Das Putnam-Zitat findet sich auf S. 37 der Spohn-Übersetzung von Putnam (1975) und lautet im Original: ,Cut the pie any way you like, „meanings“ just ain‘t in the head!‘ [Putnam (1975: 227]. Putnam fasst damit allerdings seine weit über einen bloßen Antipsychologismus hinausgehende These zusammen, nach der SprecherInnen im Allgemeinen nicht in der Lage sind, sprachliche Bedeutungen vollständig zu identifizieren; vgl. Haas-Spohn (1995) zu dieser sog. Externalismusfrage. Die gegenteilige (internalistische) Auffassung, dass sprachliche Bedeutungen – insbesondere Propositionen („Gedanken“) – trotz ihrer Objektivität von SprecherInnen „erfasst“ werden können und müssen, geht auf Frege (1892a: 30) zurück. – Ein frühes kognitionspsychologisches Modell zur Erklärung der Verarbeitungsschwierigkeiten bei sog. Zentraleinbettungen (central embeddings) wie (1), findet sich in Yngve (1960). – Eine verlässliche Quelle für (3) lässt sich offenbar nicht auftreiben: vgl. O‘Toole (2010). – Das englische Original zu (4) stammt aus Wason & Reich (1979) und lautet: ,No head injury is too trivial to be ignored‘. Die Bezeichnung ,verhexter Satz‘ ist von Angelika Kratzer (p. c.).

7.2 Ausdruckserkennung lexikalische Disambiguierung

Um eine sprachliche Äußerung zu verstehen, muss man zunächst wissen, was geäußert wurde. Angesichts der überwältigenden Zahl potenzieller Ambiguitäten reicht dafür die bloße Erkennung der Laut- oder Schriftform nicht aus: erkannt werden muss vielmehr der sprachliche Ausdruck als solcher. Wir hatten im fünften Kapitel gesehen, dass hierfür im Fall von lexikalischen Ambiguitäten morpho-syntaktische Gegebenheiten sowie Selektionsbeschränkungen eine Rolle spielen können, indem sie Lesarten ausschließen oder zumindest sehr unwahrscheinlich machen. Auch der sprachliche Kontext und die Äußerungssituation können dem Hörer oder der Hörerin hilfreiche Hinweise zur intendierten Lesart geben: wenn in den Nachrichten von der Finanzkrise die Rede ist, wird wohl mit ,Bank‘ keine Sitzgelegenheit gemeint sein; wenn der Sprecher bei einem Spaziergang im Park vorschlägt, sich zu einer Bank zu begeben, bezieht er sich wahrscheinlich nicht auf ein Geldinstitut. Und die Hörerin wird den Sprecher verstehen, ohne zuvor ab-

7.2 Ausdruckserkennung

zuwägen, welches Wort er denn benutzt haben mag. Einer kognitionspsychologischen Theorie zufolge liegt das daran, dass disambiguierende Faktoren dafür sorgen, dass jeweils irrelevante Lesarten regelrecht ausgeblendet – also quasi „vergessen“ – werden. Ein Indiz dafür liefern Experimente zur Reaktionszeit auf Äußerungen von Homonymen. So scheinen SprecherInnen deutlich länger zu brauchen, um eine Abfolge wie (6)a zu verstehen, bei der die Lesart wechselt, als solche Abfolgen wie (6)b oder (6)c, wo die Lesart von ,Schloss‘ in beiden Sätzen dieselbe ist (bzw. sein kann): (6) a. Das Schloss ist verrostet. Sie wohnt im Schloss. b. Das Schloss hat vier Stockwerke. Sie wohnt im Schloss. c. Das Schloss ist geöffnet. Sie wohnt im Schloss. Mit der Vorerwähnung wird die Hörerin offenbar auf eine Lesart „eingestimmt“ (engl. ,primed‘) und scheint dadurch die andere Lesart zu verdrängen; man spricht hier von einem Priming-Effekt. Wenn nun die verdrängte Lesart – wie in der Abfolge (6)a – doch wieder hervorgekramt werden muss (in diesem Fall, um eine Selektionsbeschränkung zu erfüllen), entsteht ein kognitiver Aufwand, der sich auf die im Experiment gemessene Verstehenszeit auswirkt. Obwohl der Einfluss einzelner disambiguierender Faktoren – wie hier der Vorerwähnung – oft relativ sicher nachweisbar ist, ist über ihre Interaktion wenig bekannt. Klar ist lediglich, dass die lexikalische Disambiguierung weitestgehend unbewusst abläuft und sich in aller Regel nicht auf die Verständigung auswirkt. Mit der lexikalischen Disambiguierung ist es nicht getan: um einen ganzen Satz zu verstehen, muss auch dieser zuvor identifiziert werden; und dazu muss über die Erkennung der lexikalischen Ausdrücke hinaus die syntaktische Struktur bestimmt werden, auf die der Prozess der Bedeutungskomposition angewiesen ist. Die Erkennung der syntaktischen Struktur – das sog. Parsing – ist eine ungleich komplexere Aufgabe als die lexikalische Disambiguierung; denn der Suchraum der syntaktischen Strukturen ist – anders als das Lexikon – prinzipiell unbegrenzt. Während SprecherInnen die Information über die verschiedenen Lesarten der einzelnen lexikalischen Formen grundsätzlich wie in einer langen Liste im Gedächtnis gespeichert haben könnten, versagt dieses Verfahren bei der Zuordnung von syntaktischer Struktur und Bedeutung bereits an der Unendlichkeit der (Gesamtheit der) syntaktischen Strukturen selbst. Stattdessen geht man in der Grammatik – und speziell in der Syntaxtheorie – davon aus, dass den SprecherInnen die Information über die syntaktischen Strukturen ihrer Sprache in Form endlich vieler Wohlgeformtheitsbedingungen oder Regeln vorliegt. Die Aufgabe der Strukturerkennung reduziert sich dementsprechend darauf, die tatsächlich vernommenen Wortfolgen auf ihre Strukturierbarkeit zu überprüfen: entspricht der Abfolge der geäußerten (und identifizierten) Wörter eine regelgemäße syntaktische Struktur, und wenn ja, welche? Zudem muss eine erfolgreiche Strukturerkennungs-Strategie auch in der Lage sein, aus mehreren möglichen Strukturierungen die intendierte herauszupicken. Denn wie wir im zweiten Kapitel gesehen haben, bestehen auch auf dieser strukturellen Ebene zahlreiche Ambiguitäten, die in der Regel im Kommunikationsprozess ebenso unbeobachtet „aufgelöst“ werden wie lexikalische Homonymien und Polysemien.

Priming

Parsing

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7. Bedeutung und Kognition Strategien der Strukturerkennung

Es bedarf also schon für die Erkennung der syntaktischen Strukturen einer geeigneten Strategie: A. So wäre es denkbar, dass SprecherInnen überhaupt erst nach Abschluss jedes Satzes anfangen, nach geeigneten und plausiblen syntaktischen Strukturen Ausschau zu halten. B. Alternativ dazu könnten sie bereits während sie noch zuhören damit beginnen, mögliche Strukturen zu „projizieren“. Strategie A. widerspricht allen bisherigen psycholinguistischen Erkenntnissen und kann daher getrost ignoriert werden: Sprache wird „online“ verarbeitet und erkannt. Doch auch so gibt es eine Fülle von Möglichkeiten, dies im Einzelnen zu bewerkstelligen: B1. So könnte man sich vorstellen, dass jeweils mehrere mögliche Strukturen parallel verfolgt und nach und nach eliminiert werden, bis im Idealfall nur noch eine Lesart übrig bleibt. B2. Alternativ dazu könnte man sich auch vorstellen, dass HörerInnen immer erst eine Struktur „erraten“, von der sie erst dann ablassen, wenn es nötig ist.

selbstgetaktetes Lesen

Grundsätzlich ist auch vorstellbar, dass SprecherInnen zwischen verschiedenen Strategien abwechseln oder dass verschiedene SprecherInnen verschiedene Strategien verfolgen. Nach neueren psycholinguistischen Erkenntnissen ist beides jedoch unwahrscheinlich. Wie will man überhaupt herausfinden, welche Strategien SprecherInnen tatsächlich verfolgen, um syntaktische Strukturen zu identifizieren? Kognitive Vorgänge sind ja als solche nicht direkt beobachtbar. Es bedarf daher wissenschaftlicher Methoden, die – mehr oder weniger zuverlässige – Rückschlüsse auf ihren Ablauf gestatten. Eine in diesem Zusammenhang einschlägige psycholinguistische Methode ist das selbstgetaktete Lesen (engl. self-paced reading) eines Texts am Bildschirm. Dabei müssen Versuchspersonen nach dem Lesen jedes einzelnen Wortes klicken, um das nächste Wort sichtbar zu machen. Auf diese Weise kann man messen, wie viel Zeit sie für das Lesen verschiedener Textabschnitte brauchen und dadurch Hinweise auf lokale Verarbeitungsschwierigkeiten bekommen. Legt man ProbandInnen z. B. Sätze wie die folgenden vor, stellt sich heraus, dass sie für das Lesen der unterstrichenen Präpositionalphrase unterschiedlich lang brauchen: (7) Filo nahm die rote Briefmarke mit der Pinzette aus dem Album. (8) Filo nahm die rote Briefmarke mit der Königin aus dem Album.

PP-attachment

Der Unterschied zwischen (7) und (8) besteht in der Anbindung der Präpositionalphrase (engl.: PP-attachment): in (7) bezieht sie sich auf das Prädikat und gibt das Instrument an; in (8) dagegen wird der Referent des Objekts näher beschrieben. Dass letzteres von den selbstgetakteten LeserInnen offenbar als Komplikation empfunden wird, deutet darauf hin, dass sie eine Vorliebe für die Struktur von (7) haben und diese zunächst auch (8) unterstellen – bis eine Selektionsbeschränkung ihnen in die Quere kommt: die Königin ist kein Greifhilfswerkzeug. Diese strukturelle Präferenz lässt sich auch bei echt ambigen Sätzen wie (9) nachweisen, bei denen SprecherInnen typischerweise die Lesart bevorzugen, nach der Ignaz das Motorrad benutzt: (9) Ignaz verfolgte den Mann mit dem Motorrad.

7.2 Ausdruckserkennung

Die Verzögerung in der Verarbeitung von (8) ergibt sich also daraus, dass die ursprünglich unterstellte Strukturierung zugunsten einer weniger erwarteten Struktur aufgegeben werden muss, und zwar in einem als Rückverfolgung (oder engl.: Backtracking) bezeichneten Revisionsprozess, für den offenbar die Lektüre kurzzeitig unterbrochen werden muss – daher die längere Lesezeit, ein Indiz für die obige Strategie B2. Nach dieser Einschätzung der experimentellen Daten handelt es sich bei (8) um einen Holzwegsatz (engl.: garden path sentence). Allgemein gesprochen sind dies Sätze, bei denen sich die zunächst vom Hörer (typischerweise) erwartete syntaktische Strukturierung ab einem gewissen Punkt – in den folgenden Beispielen durch ,…‘ markiert – als irrig erweist:

Rückverfolgung

Holzwegsätze

(10) Im Juni scheint die Sonne sehr spät … … unterzugehen. (11) Der Dissident wurde verurteilt, weil er mehrere Bücher über die Berliner Mauer … … geworfen hat. Raffiniertere und aufwändigere Untersuchungen erhärten den Verdacht, dass auch (8) ein Holzwegsatz ist – wenn auch einer der unauffälligeren Art. Insbesondere erweist sich bei einer Vermessung der Blickbewegungen (engl. Eye-tracking), dass LeserInnen bei der Lektüre von Sätzen wie (8) länger bei der Präpositionalphrase verweilen als bei (7). Das Leseverhalten lässt sich also ebenfalls als Indiz für eine Strukturerkennungs-Strategie des Typs B2 deuten. Zudem legt es nahe, dass die Bedeutungskomposition einsetzt, bevor die Strukturerkennung abgeschlossen ist; denn die Komplikation in (8) ergibt sich ja aus einem Konflikt mit einer Selektionsbeschränkung, und dieser ist erst anhand der Intensionen der entsprechenden Teilausdrücke erkennbar. Doch selbst wenn diese Deutung der psycholinguistischen Experimente korrekt ist, bleiben eine ganze Reihe von Fragen offen. So ist z. B. nicht klar – und in der psycholinguistischen Literatur auch heftig umstritten – worin genau die strukturelle Präferenz besteht, die (7) und (8) voneinander unterscheidet. Ebenso bleibt offen, in welcher Form, in welchem Ausmaß und an welcher Stelle außer-syntaktische Faktoren – wie die genannten Selektionsbeschränkungen – in den Strukturerkennungs-Prozess herangezogen werden. In der Psycholinguistik werden derzeit große Anstrengungen unternommen, um die Struktur dieses Prozesses zu ergründen. Dabei geraten zunehmend Strukturelemente in den Blickpunkt, die über Klammerung syntaktischer Konstituenten hinausgehen – wie etwa die in Quantorenanhebung oder implizite Argumente (vgl. Abschnitt 3.6 bzw. 5.3).

Eye-tracking

Experimente zur Ausblendung von Lesarten durch explizite Vorerwähnung im Stil von (6) werden in Gernsbacher et al. (2001) beschrieben. (9) stammt aus Schluroff et al. (1986: 341). Belege für Verarbeitungsunterschiede durch selbstgetaktetes Lesen und Augenbewegungen werden u. a. in Clifton et al. (1991) vorgelegt. (10) ist inspiriert von einem Gedicht von Ernst Jandl (1970: 68). Styles (2012) bietet eine graphische Darstellung des Holzweg-Phänomens anhand des klassischen englischen Beispiels ,The horse raced past the barn fell‘. Ein guter Einstieg in die Literatur zur Strukturerkennung ist das Buch von Frazier & Clifton (1996). – Selbsttaktungs-LeseExperimente zur Quantorenanhebung werden in Hackl et al. (2012) beschrieben; einen Überblick über psycho- und neurolinguistische Untersuchungen zur Ergänzung impliziter Argumente gibt Pylkkänen (2008).

Quellen

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7. Bedeutung und Kognition

7.3 Erkennung und Verarbeitung sprachlicher Inhalte

Komplexität von Kompositionsmechanismen

Auch wenn seine Struktur korrekt erkannt wurde, ist ein Ausdruck nicht schon verstanden. Dass hier eine Diskrepanz besteht, hat schon der „verhexte“ Satz (4) im ersten Abschnitt gezeigt: zum Sprachverstehen gehört mehr als das bloße Erkennen des strukturierten Ausdrucks; auch sein Inhalt, seine Bedeutung, muss ermittelt werden. Wie hat man sich diesen über die Strukturerkennung hinausgehenden Prozess der Inhaltserkennung vorzustellen? Wir hatten gerade gesehen, dass dieser Prozess zumindest teilweise Hand in Hand mit der Strukturerkennung zu gehen scheint. Die Verletzung einer Selektionsbeschränkung kann zur Revision einer provisorischen Analyse führen. Und das Erkennen einer solchen Verletzung setzt wiederum voraus, dass die betreffenden Teilausdrücke (,nahm … mit der Königin‘) verstanden wurden, dass also erkannt wurde, was sie bedeuten. Über den genauen Vorgang der Bedeutungserkennung ist wenig bekannt. Das liegt zum Teil daran, dass nicht einmal klar ist, in welcher Weise sprachliche Inhalte geistig repräsentiert sind, geschweige denn, was ihre neuronalen Korrelate sind. Vor allem was letztere betrifft, hat sich die Forschung lange Zeit fast ausschließlich auf lexikalische Bedeutungen von Inhaltswörtern konzentriert. Erst in jüngerer Zeit sind Fragen der grammatischen Bedeutung und der Bedeutungskomposition in den Blickpunkt kognitionswissenschaftlicher Untersuchungen gerückt. Dabei stehen unter anderem Unterschiede in der Komplexität verschiedener Typen von Kompositionsmechanismen auf der Agenda. Aus Sicht der kompositionellen Semantik steht zu vermuten, dass die für einfache Sätze zentrale Sättigungsoperation [= (33) in 3.4] auch fundamental für die Inhaltserkennung ist und kognitiv grundlegender sein sollte als z. B. die verschiedenen Formen der Modifikation, die wir am Beispiel von Adjektiven und Relativsätzen gestreift hatten (Abschnitt 3.3); denn für die Bestimmung der Satzbedeutung kommt man im einfachsten Fall – neben den lexikalischen Inhalten – mit dem Sättigungsschema aus. Ob dieser Unterschied auch ein kognitives Korrelat hat, etwa in Form eines geringeren Verarbeitungsaufwands, ist allerdings offen. Die Frage ist von nicht geringer Brisanz angesichts der Tatsache, dass die intersektive Modifikation in der traditionellen Semantik – und auch in Teilen der Kognitionswissenschaft – immer als die zentrale Begriffsverknüpfung galt. Aufschluss über die kognitive Komplexität verschiedener kompositioneller Mechanismen geben auch Untersuchungen zum Spracherwerb. So verstehen Kinder im Alter von 5 Jahren Anweisungen wie die folgende systematisch anders als Erwachsene: (12) Nimm das dritte rote Auto. Konfrontiert mit einer Reihe von Spielzeugautos, nehmen sie das dritte in der Reihe – vorausgesetzt, es ist rot. Die Kinder verstehen also (12) im Sinn der appositiven Lesart der – im restriktiven Sinn korrekten – Paraphrase: (13) Nimm das dritte Auto, das rot ist. Eine Interpretation dieses kindlichen Sprachverhaltens ist, dass das Zahlwort ,dritte‘ als intersektives Adjektiv verstanden wird – weil die einzige den Kindern zugängliche Form der Modifikation die Schnittbildung ist.

7.3 Erkennung und Verarbeitung sprachlicher Inhalte

Das Erkennen oder (mit Frege gesprochen) „Erfassen“ des Satzinhalts ist nicht immer leicht von seiner Verarbeitung zu unterscheiden, die ebenfalls in der kognitiven Psychologie und der Kognitionswissenschaft untersucht wird. Ein auch außerhalb der Fachwelt viel beachtetes Beispiel ist Wasons Auswahlaufgabe. Dabei werden den Versuchspersonen Karten vorgelegt, auf denen jeweils ein Buchstabe oder eine Ziffer stehen. Durch Umdrehen möglichst weniger Karten sollen die Versuchspersonen nun feststellen, ob der folgende Satz zutrifft:

Wasons Auswahl

(14) Wenn auf einer Seite einer Karte ein Vokal steht, steht eine gerade Zahl auf der Rückseite. Um die Korrektheit von (14) zu beurteilen, müssten also sowohl alle Karten umgedreht werden, auf denen ein Vokal steht, als auch all diejenigen Karten, auf denen eine ungerade Zahl zu sehen ist: erstere müssten nach (14) auf der Rückseite eine gerade Zahl aufweisen, letztere einen Konsonanten. Wenn dagegen auf einer Karte ein Konsonant oder eine gerade Zahl steht, braucht man sie nicht umzudrehen; denn egal, was dabei herauskommt: das Zutreffen von (14) ist davon nicht tangiert. In dem von Peter Wason in den 1960er Jahren konzipierten und seither immer wieder reproduzierten Experiment hat aber die überwältigende Mehrheit der Versuchspersonen die Karten umgedreht, auf denen ein Vokal oder eine gerade Zahl zu sehen war, und die Karten mit den ungeraden Zahlen liegenlassen. Wenn man einmal davon ausgeht, dass alle den zur Debatte stehenden Satz (14) – bzw. sein englischsprachiges Pendant – verstanden haben, kann der Fehler eigentlich nur in der Verarbeitung seines Inhalts liegen. Ist (14) also auch verhext? Die Antwort auf diese Frage ist trotz – oder vielleicht gerade wegen – zahlreicher Untersuchungen zur Auswahlaufgabe und ihrer Varianten – nicht offensichtlich. Vielleicht verstehen ja die vielen Versuchspersonen, die die Aufgabe angeblich falsch lösen, den Satz anders, als es die obige „Musterlösung“ suggeriert. Oder sie verstehen ihn gar nicht, weil er irgendwie gekünstelt ist und am tatsächlichen Sprachgebrauch vorbei geht. In ansonsten strukturgleichen, aber realistischeren Szenarien – insbesondere wenn es um tatsächliche oder wahrscheinliche Regularitäten geht – schneiden Versuchspersonen bei der Auswahlaufgabe deutlich besser ab. Anstatt zu belegen, dass der Umgang mit Satzinhalten nicht immer ganz einfach ist, zeigt die Auswahlaufgabe vielleicht nur, dass kontextfreies Sprachverständnis eine Illusion ist – wenn nicht sogar ein Ding der Unmöglichkeit. Zur Frage der kognitiven Komplexität von Kompositionsmechanismen vgl. Pylkkänen & McElree (2006: 546 ff.). Einschlägige Beobachtungen zum kindlichen Verständnis von Sätzen wie (12) stammen aus Mattei (1982) und werden bereits in Hamburger & Crain (1984) mit semantischer Komplexität in Verbindung gebracht. (Dank an Corinna Koch für die Literaturhinweise!) Das Experiment mit der Auswahlaufgabe zur Beurteilung von (14) stammt aus Wason (1979). Eine kritische Auseinandersetzung mit den Rahmenbedingungen findet sich in Stenning & van Lambalgen (2004).

Quellen

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Musterlösungen zu ausgewählten Übungen … zum ersten Kapitel 2. Beide Sätze treffen zu, aber nur a. ist so trivial wie ,Versprochen ist versprochen‘; b. enthält eine Information über die deutsche Syntax. 3. (18): Every sentence starts with a consonant. (19): ,Jeder Satz‘ starts with a consonant.

… zum zweiten Kapitel 1. ,Schloss‘ ist ja auch eine Verbform (,Schloss er daraus, dass …‘) und insofern syntaktisch von dem Substantiv ,Schloss‘ verschieden. Die Oberflächenform ,Schloss‘ ist also sowohl stark homonym als auch schwach homonym! 4. Beispiele findet man am ehesten im Bereich der nicht-flektierenden Wörter: ,je‘ ist ein Adverb (,Wird er je wieder gesund?‘) oder eine Präposition (,ein Euro je angebrochene Minute‘); ,zu‘ ist ein Gradadverb (,zu groß‘), prädikatives Adjektiv (,Der Laden ist zu.‘) oder eine Präposition (,zu keiner Zeit‘). 5.

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Oliver hat [die Frau mit dem Hut] verwechselt: Oliver hat die Frau, die den Hut trug, (mit jemandem) verwechselt. Oliver hat die Frau [mit dem Hut verwechselt]: Die Frau wurde von Oliver mit dem Hut verwechselt. [Heinz kennt Gaby nicht] [weil sie in Hamburg wohnt]: Heinz kennt Gaby nicht; denn sie wohnt in Hamburg. [Heinz kennt Gaby] [nicht [weil sie in Hamburg wohnt]]: Nicht weil sie in Hamburg wohnt, kennt Heinz Gaby (sondern aus einem anderen Grund). Niemand kennt bessere Schachspieler als Jan [keine Klammerungsambiguität]: Niemand kennt bessere Schachspieler als Jan einer ist. Niemand kennt bessere Schachspieler als Jan kennt. [Erwin wollte einkaufen], [bevor die Geschäfte zumachten]: Bevor die Geschäfte zumachten, hatte Erwin den Wunsch, einzukaufen. [Erwin wollte [[einkaufen], [bevor die Geschäfte zumachten]]]: Erwin wollte, dass er, bevor die Geschäfte zumachten, einkauft.

8. a. Für jedes Silvester gilt, dass es einen Sketch gibt, so dass er dann gezeigt wird. b. Es gibt einen Sketch, so dass für jedes Silvester gilt, dass er dann gezeigt wird. 11. Wenn Heinz in der Umkleidekabine eines Herrenausstatters eine Hose anprobiert, die er noch niemals anhatte, und sie dann wieder auszieht, ist der Satz in seiner restitutiven Lesart wahr, nicht aber in der repetitiven. 13. ,Beweisen‘ ist implikativ: aus ,Graf Zahl hat bewiesen, dass 4 eine Primzahl ist‘ kann man (fälschlicherweise) schließen, dass 4 eine Primzahl ist – nicht aber aus der Negation ,Graf Zahl hat nicht bewiesen, dass 4 eine Primzahl ist‘.

… zum dritten Kapitel 1. ,Walters Porsche‘ verhält sich in jeder Hinsicht wie eine Kennzeichnung. 3. Wenn jemand ein angeblicher Verbrecher ist, ist er nicht unbedingt ein Verbrecher, kann aber einer sein; wenn jemand hingegen ein vermeintlicher Verbrecher ist, ist er kein Verbrecher. Die Extension von ,vermeintlicher Verbrecher‘ über-

Musterlösungen zu ausgewählten Übungen lappt sich also nicht mit der Extension von ,Verbrecher‘. Und was für ,Verbrecher‘ gilt, gilt für alle (sortalen) Substantive N: * [ [vermeintlich + N]] \ [ N]] = Ø Für ,angeblich‘ gilt diese Gleichung nicht in dieser Allgemeinheit. 4. Wenn N ein (möglicherweise erweitertes) sortales Substantiv ist und R ein restriktiver Relativsatz, dann gilt: * [ [N + R]] = [ N]] \ [[R]] 5.

* * * * * * * *

[[isst ein Stück Kuchen]] = {x | x isst ein Stück Kuchen} [[isst Gebäck]] = {x | x isst Gebäck} [[isst nichts]] = {x | x isst nichts} [[isst nicht]] = {x | x isst nicht} [[isst]] = {x | x isst} [[isst ein Stück Kuchen]]  [ isst Gebäck]]  [ isst]] [[isst]] \ [ isst nichts]] = Ø [[isst nichts]] = [ isst nicht]]

6. Wir kürzen die Protagonisten sinnfällig ab: Förster Walter, Vroni, Waltraud, Dackel waldi und tecki; die Bilder sind R und B, und L1 und L2 sind die namenlosen Lodenmäntel. Dann gilt: * [ [schenkt]] = {(F;w;W), (V;t;W), (W; L1;F), (W; L2;V), (V; R;F), (V; B;W)} * [ [schenkt [der] Waltraud]] = {(F;w), (V;t), (V; B)} * [ [schenkt Waltraud einen Dackel]] = {F, V} 9. Die Multiplikation; denn das Ergebnis ist 0, sobald einer der Faktoren 0 ist und 1, wenn beide 1 sind. 10. [[oder]] = {((1;1);1), ((1;0);1), ((0;1);1), ((0;0);0)} [[nicht]] = {(1;0), (0;1)} 11. [[etwas]] = {X | X 6¼ Ø & X  Dinx} [[alles]] = {Dinx} (6¼ Dinx!) [[jemand]] = {X | X 6¼ Ø & X  Pers} 12. … gdw. gdw. gdw. gdw. gdw. gdw. …

… {x | [ Fritz liest x]] = 1} 2 [ kein Kochbuch]] {x | [ Fritz]] 2 [ liest x]] } 2 [ kein Kochbuch]] {x | ([[Fritz]];[[x]]) 2 [ liest]]} 2 [[kein Kochbuch]] {x | (Fritz; x) 2 {(y; z) | y liest z}} 2 [[kein Kochbuch]] {x | Fritz liest x} 2 [[kein Kochbuch]] {x | Fritz liest x} 2 {Y | ([[Kochbuch]];Y) 2 [[kein]]} …

Sättigungsregel (33) Sättigungsregel (33) Lexikon Abstraktionsprinzip (62) Sättigungsregel (51)b

… zum vierten Kapitel 2. Die korrekte Antwort lautet: 4; denn die Anzahl der Beine eines gesunden Kalbs ist unabhängig von den Sprachkonventionen. 4. Die sog. logischen Wörter – Junktoren und Determinatoren. 5. Weil dann die Prädikatsextension unabhängig von der Welt wäre. 8. x kann durchaus von etwas überzeugt sein, das in xens Welt w nicht der Fall ist – und somit aufgrund seiner Überzeugungen w als mögliche „Heimat“ ausschließen. Wenn z. B. x davon überzeugt ist, Rindfleisch zu essen, tatsächlich aber Pferdefleisch verspeist, dann schließt x aufgrund seiner Überzeugungen aus, sich in einer Welt zu befinden, in der x Pferdefleisch isst. Insbesondere schließt x also (in w) aus, sich in w zu befinden; d. h. w gehört nicht zu xens doxastischen Alternativen in w. – Andererseits muss w immer noch eine epistemische Alternative von x sein. Denn andernfalls würde xens Wissen ausschließen, dass x in w lebt; d. h. x müsste wissen, dass x nicht in w lebt – was nicht sein kann, denn x lebt (nach Voraussetzung) in w.

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Musterlösungen zu ausgewählten Übungen 10. In der ersten Lesart ist der Satz wahr, wenn die Nachbarin genau einen Hund hat und mich dieser Hund nicht geweckt hat. In der zweiten Lesart ist es nicht der Fall, dass die Nachbarin genau einen Hund hat und mich dieser Hund geweckt hat. Der zweite Fall deckt den ersten ab, ist aber allgemeiner; denn er ist auch gegeben, wenn die Nachbarin keinen Hund hat oder mehr als einen. Ein Beleg für diese zweite Lesart ist die Beobachtung, dass man den Satz unter den eben genannten Umständen wahrheitsgemäß äußern kann – zumindest wenn man eine entsprechende Erläuterung hinzufügt: ,… denn meine Nachbarin hat gar keinen Hund‘.

… zum fünften Kapitel 1. [ un-]]w (A) = {x | x 2/ A} 2. Die Inkompatibilität selbst; denn wenn A inkompatibel ist mit B, dann ist B inkompatibel mit A. Die Inkompatibilität ist also „selbst-konvers“ oder symmetrisch im Sinne der Aufgabe 4. 3.

,Haus‘ ist ein Hyponym zu ,Haus‘. ,Köter‘ ist synonym mit ,Hund‘. * ,Hund‘ ist inkompatibel mit ,Katze‘. * ,wissen‘ ist kein Hyponym zu ,meinen‘. * ,wissen‘ ist ein Hyperonym zu ,meinen‘. Letzteres gilt, weil [[wissen]]w aus den Paaren (x;w‘) aus Individuen x und ihren epistemischen Alternativen w‘ (in w) besteht – und jede doxastische Alternative auch eine epistemische Alternative ist: wenn w‘ eine doxastische Alternative ist, geben xens Überzeugungen keinen Grund, w‘ auszuschließen; aber dann wird w‘ erst recht nicht aufgrund von xens Wissen ausgeschlossen! Also ist [[meinen]]w  [ wissen]]w. Dass diese Ungleichung seltsam anmutet, liegt daran, dass man sie unwillkürlich liest als: was man meint, das weiß man – was natürlich falsch ist. Aber der freie Relativsatz ,was man meint‘ referiert auf eine Menge von Propositionen und nicht auf die epistemischen Alternativen. * *

5. Die Antonyme sind ,jung‘ (vor allem für Lebewesen) und ,neu‘ (für Artefakte). In beiden Fällen ist ,alt‘ die neutrale Form: ,drei Jahre alt‘, nicht ,drei Jahre neu/ jung‘. 7. ,Lebewesen‘ zum Beispiel. 10. Für alle möglichen Welten w gilt: [[lesen]]w  {(x;y) | x 2 [[Person]]w & y 2 [[Text]]w}. Für die letztgenannte Menge schreibt man übrigens auch: [ Person]]w × [ Text]]w. 14.

*

gdw. gdw. gdw.

gdw. gdw. gdw. gdw. gdw. gdw.

[ Hans V Maria ein Auto]]w = 1 [[[ein Auto: x] Hans V Maria x]]w = 1 {x | [ Hans V Maria x]]w = 1} 2 [[ein Auto]]w {x | (Hans; x; Maria) 2 [[V]]w} \ [ Auto]]w 6¼ Ø Insbesondere ist also: V = ,schenkt oder leiht‘ [[Hans schenkt oder leiht Maria ein Auto]]w = 1 {x | (Hans; x; Maria) 2 [[schenkt oder leiht]]w} \ [ Auto]]w 6¼ Ø {x | (Hans; x; Maria) 2 [ schenkt]]w [ [[leiht]]w} \ [[Auto]]w 6¼ Ø es ein x 2 [ Auto]]w gibt, so dass gilt: (Hans; x; Maria) 2 [[schenkt]]w oder (Hans; x; Maria) 2 [[leiht]]w es ein x 2 [[Auto]]w gibt, so dass gilt: (Hans; x; Maria) 2 [[schenkt]]w oder es ein x 2 [ Auto]]w gibt, so dass gilt: (Hans; x; Maria) 2 [[leiht]]w {x | (Hans; x; Maria) 2 [[schenkt]]w} \ [[Auto]]w 6¼ Ø oder V = ,schenkt‘ bzw. V = , leiht‘ {x | (Hans; x; Maria) 2 [[leiht]]w} \ [ Auto]]w 6¼ Ø [[Hans schenkt Maria ein Auto oder Hans leiht Maria ein Auto]]w = 1

Musterlösungen zu ausgewählten Übungen [ Hans isst D Apfel]]w = 1 [ [D Apfel: x] Hans isst x]]w = 1 {x | [ Hans isst x]]w = 1} 2 [[D Apfel]]w ({x | [ Hans isst x]]w = 1}; [ Apfel]]w) 2 [[D]]w ({x | Hans isst x in w}; {x | x ist ein Apfel in w}) 2 [[D]]w Insbesondere ist also: D = ,keinen oder jeden‘ [ Hans isst keinen oder jeden Apfel]]w = 1 gdw. ({x | Hans isst x in w}; {x | x ist ein Apfel in w}) 2 [[keinen oder jeden]]w gdw. ({x | Hans isst x in w}; {x | x ist ein Apfel in w}) 2 [[keinen]]w [ [[jeden]]w gdw. ({x | Hans isst x in w}; {x | x ist ein Apfel in w}) 2 [[keinen]]w oder ({x | Hans isst x in w}; {x | x ist ein Apfel in w}) 2 [ jeden]]w *

gdw. gdw. gdw. gdw.

D = ,keinen‘ bzw. D = ,jeden‘

gdw. [ Hans isst keinen Apfel]]w = 1 oder [ Hans isst jeden Apfel]]w = 1 gdw. [ Hans isst keinen Apfel oder Hans isst jeden Apfel]]w = 1

… zum sechsten Kapitel 1. Hier ist ein einschlägiges Szenario: Fritz sieht das Aufstiegsspiel im Stadion, während sein Freund Walter – wie Fritz ein Arminia-Fan – krank im Bett liegt. Nach dem Spiel ruft Fritz seinen Freund an, um ihm das Ergebnis mitzuteilen: * 11:0 für Arminia. Walter kann den Worten seines Freundes keinen Glauben schenken; zu hoch scheint ihm der Sieg, er kann sich eigentlich nur verhört haben. Doch zeitgleich mit Fritz‘ Äußerung wird auf dem Bildschirm im Rahmen der Nachrichten eines seriösen Privatsenders eben dasselbe unfassliche Resultat eingeblendet – und Walter nimmt es glücklich zur Kenntnis. Der Fall ist so konstruiert, dass alle drei oben genannten Erfolgsbedingungen erfüllt sind: Fritz weiß etwas (S), was Walter nicht weiß (H), und teilt ihm dies mit, woraufhin sich Walters Wissensstand entsprechend ändert (E). Doch das ,woraufhin‘ ist ein rein zeitliches, kein kausales; denn die Information fließt zwar, aber nicht von Fritz zu Walter, sondern vom Fernseher aus.

Danksagung Abschließend sei Jacob Schmidkunz für Illustrationen sowie Jan Köpping und Dina Voloshina für Korrekturen und diverse Verbesserungsvorschläge gedankt.

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Register Absicht, kommunikative 15, 140 Adjektiv s. a. Intersektivität u. Subsektivität – relationales 117 Aktant 63 Alternative s. a. Fokus – buletische 100 – doxastische 100, 110 – epistemische 100 f., 134 f. Ambiguität 12, 20–36 – lexikalische 12, 20–24, 124, 144 f. – strukurelle 12–14, 24–36, 40f., 68, 80 f., 104 f. Ambiguitätstest 22–24 Angemessenheit 16 Artikel 72 – definiter 107 f. – indefiniter 11, 33, 79, 101 Antonymie 8 f., 118 Aussonderung 59 f. Auswahlaufgabe s. Wasons Auswahl Bedeutungskomponente s. Komponentenanalyse De re s. u. Einstellungsbericht Deskriptivität 48, 95 Determinator 11, 28, 33–35, 39, 71 f., 123, 129 Disambiguierung 12, 20, 31, 124, 144–146 Disjunktheit 71, 79 Disjunktion 67 f., 92, 128 f., 139 Effekt s. a. Implikatur – kommunikativer 134–137 Eigenname 26, 46–49, 95 f., 112–114, 123 Eigenschaft 96–97, 120 Einermenge 51 Einstellungsbericht 84–86, 98–101, 126, 134 – de re 103–108 Erfüllungsmenge 57–66, 75 f., 105–107 Erzwingung 131 Extension 14, 44–82, 86, 90, 94–97, 110–114, 122 f., 130 Extensionstyp 110–112, 119, 122 f., 128–130 Faktivität 36–38 Faulheitspronomen 39 f. Fokus 31 f. Form, Logische s. LF Funktion 66, 90–92, 97, 113 f., 119, 130 – charakteristische 93 – kommunikative 44–46 Gebrauchsbedeutung s. Situationsbedeutung Grammatische Bedeutung 112–114, 123 f., 148

Holzwegsatz 147 Homonymie s. lexikalische Ambiguität Hörervoraussetzung 135–137 Hyperonymie 115 Hyponymie 8 f., 115 f., 120, 128 Implikation 10, 36 f., 89 Implikatur 137–141 – skalare 37, 139 Implikatureffekt s. Implikatur Implikaturtheorie s. Implikatur Indefinitpronomen 33–36, 75 Indefinitum 14, 31, 79, 102 Individualbegriff 94–97 Information 14, 45, 85–89, 99–101, 112 Informationsaustausch 14, 45, 133–137 Informationsgehalt s. Information Informationsübermittlung s. Information Informativität 86–89 Inhaltswort 112, 114, 123 f., 148 Inkompatibilität 116 f., 120 Intension 14, 45, 83–109, 112 f., 115, 118 f., 120–124, 133, 142, 147 Intensionalität 83–85, 99–108 Intersektivität 55–58, 96, 101, 116 Intersubjektivität 142 Ironie 15, 140 Junktor 66–70, 83 f., 111–113, 123, 128–130, 139 Kardinalität 71 Kategorienfehler 126 f. Kennzeichnung 14, 25–27, 39, 46–49, 94 f., 103–105, 107 f., 127 Klammerungsambiguität 12, 24–27, 40 Klassen, geschlossene 112 f. Komponentenanalyse 120–122 Kompositionalität 11, 40–42, 47, 58, 63, 66–68, 83–86, 97–104, 113, 148 Kompositionalitätsprinzip 67, 83, 110 – Allgemeines 41 – Extensionales 55, 84 – Fregesches 98 Kompositionsregel 55, 64, 66, 73 f., 78, 92, 98, 100, 102 f., 113 f. Konjunktion – Bindewort 12, 14, 24, 32, 45 f., 68, 70 – ,und‘-Verknüpfung 66 f., 92, 112, 129 Konstituentenkoordination 69, 128 f. Kontrollverb 102 Konverse 9, 115, 117 f. Konversenbeziehung s. Konverse

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Register LF 42, 77–81 Logische Form s. LF Logischer Raum s. Welt Lücke, lexikalische 9 Maximen, Gricesche 137 f. Menge 50 f. – leere 51 Merkmal, semantisches s. Komponentenanalyse Metasprache 17 Metonymie 130 f. Modalitätsimplikatur 141 Negation 33–35, 37 f., 68 f., 92, 113, 120, 125 f., 143 f. Negationsanhebung 38 Nomen [s. Substantiv] Nominal – definites s. Kennzeichnung – indefinites s. Indefinitum – referenzielles 26 f., 46–49, 94–97, 104 f., 111 – quantifizierendes 26, 30, 40, 70–81, 107 f., 129 n-Tupel 62 Objektsprache 17 ,oder‘ s. Disjunktion Opakes Verb s. Unspezifizität Paar 61 Paradigmatisch 8, 10, 114–124 Parsing s. Strukturerkennung Polysemie 20, 99, 118, 145 – metonymische 130 f. – systematische 23 f., 128 PP-attachment 146 f. Prädikat 58–64, 96, 111, 123 Pragmatik 14–17, 37 f., 131, 133–141 Priming 145 Pronomen 39 f. – gebundenes 40, 105–107 Proposition 85–89 Psychologismus 44 Qualitätsimplikatur 139 f. Quantifizierend s. u. Nominal bzw. Determinator Quantifiziert s. u. Satz Quantitätsimplikatur 139 Quantor s. Nominal, quantifizierendes Quantorenanhebung 77–81, 101, 106–108, 147 Referent 26, 49 Referenz s. a. Extension – multiple 49–58, 106 f. Referenziell s. u. Nominal Referenzlücke 48 f. Reflexionsbedingung 136 f.

Relation 62, 64 f., 71 f., 92, 123 Relationsimplikatur 140 Relativsatz 12 f., 25–29, 33, 52, 54, 56–58 – freier 28 – weiterführender 29 Sachbezug s. Extension Sättigung 63–66, 72–74, 111–114, 148 Satz – offener 57, 60–62, 76, 79, 105 – quantifizierter 72–74 – transitiver 72–74 ,schmöll‘ 9, 44–45 Schnitt 54 f. Schnittmenge s. Schnitt Selektionsbeschränkung 23, 124–127, 130 f., 145–147 Sinnrelation 8–10, 114–124, 128 Situationsbedeutung 14–16, 131 Skopus 29 f., 34, 41 f., 80 f., 102 Skopusambiguität s. Skopus Sprechervoraussetzung 135–137 Starrheit 96 f., 112–114 Stelligkeit 62, 64 f., 111, 123 Strukturerkennung 145–147 Subsektivität 53, 56, 101 Substantiv 21–28, 39, 46, 49–53, 96 – erweitertes 10, 52 f., 63 – relationales 55 f., 116 f., 121 f., 123, 128 f. – sortales 55 f., 123 Substitutionsargument 84 f., 98, 101–104 Synonymie 8, 10, 118–122 Syntagmatisch 8, 10, 124–131 Teilmenge 52–55 Transparentes Verb 31 Tripel 61 Typ s. Extensionstyp Typendeklaration 122 Typenzuweisung 123 Überlappung 79 Umkategorisierung 127–130 ,und‘ s. Konjunktion Unspezifizität 13 f., 30 f., 33–35, 101–103 Valenz s. Wertigkeit Verwandtschaftsbezeichnung 116 f., 120 f. Wahrheitstafel 66–70, 92, 111–114, 123, 130 Wahrheitswert 64–70, 83, 90–93, 123, 130 Wasons Auswahl 149 Welt, mögliche 88–93, 97, 99–101, 115, 118 f., 125–127, 134–136 Wertigkeit 60–62, 64 f., 111 f., 123 Zähltest 22–24 Zerlegung, lexikalische 34–36