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German Pages [210] Year 2022
Daniel A. Di Liscia
Eine Wiener Expositio zum Traktat De latitudinibus formarum Edition und Kommentar
Eine Wiener Expositio zum Traktat De latitudinibus formarum Edition und Kommentar
Quelleneditionen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung Band 20
2022 Böhlau Verlag Wien
Daniel A. Di Liscia
Eine Wiener Expositio zum Traktat De latitudinibus formarum Edition und Kommentar
2022 Böhlau Verlag Wien Köln
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://portal.dnb.de abrufbar. © 2022 Böhlau, Zeltgasse 1, A-1080 Wien, ein Imprimt der Brill-Gruppe (Koninklijke Brill NV, Leiden, Niederlande; Brill USA Inc., Boston MA, USA; Brill Asia Pte Ltd, Singapore; Brill Deutschland GmbH, Paderborn, Deutschland; Brill Österreich GmbH, Wien, Österreich) Koninklijke Brill NV umfasst die Imprints Brill, Brill Nijhoff, Brill Hotei, Brill Schöningh, Brill Fink, Brill mentis, Vandenhoeck & Ruprecht, Böhlau, V&R unipress und Wageningen Academic. Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fallen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Umschlagabbildung: Von Michael Lochmair angefertigte Abschrift der Expositio zum Tractatus de latitudinibus formarum, Wien, ÖNB, Hs. 4953, fol. 8v. Umschlaggestaltung: Michael Haderer, Wien Wissenschaftlicher Satz: satz&sonders GmbH, Dülmen Druck und Bindung: Hubert & Co. GmbH Göttingen Printed in the EU Vandenhoeck & Ruprecht Verlage www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISBN 978-3-205-21689-6
Inhalt Vorwort und Danksagung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Teil I
Teil II
Voraussetzungen und Zusammenhänge § 1. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 1.1. Mathematik, Logik, Naturphilosophie: die Kalkulatoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 1.2. Die Geometrisierung der Naturphilosophie . . . . . . § 1.3. Die Verbreitung der Formlatitudenlehre . . . . . . . . § 1.4. Die Formlatitudenlehre in Wien . . . . . . . . . . . . . § 2. Die Erforschung der Expositio zum Tractatus de latitudinibus formarum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 3. Die Handschriften: Freiburg, UB 238 (F) und Wien, ÖNB 4953 (W) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1. Die Handschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2. Die Beziehung zwischen beiden Abschriften der Expositio . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 4. Der Schreiber der Wiener Abschrift: Michael Lochmair de Heydeck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 4.1. Lochmairs Lebenslauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 4.2. Die artistischen Schriften von Michael Lochmair . . § 4.3. Zum Inhalt von Lochmairs artistischen Schriften in Verbindung mit der Lehre der Formlatituden . . . . . § 5. Um die Mitte des 15. Jahrhunderts: Die scientia media der Formlatituden, Humanismus und Sophismata . . . . . . . . . § 6. Editorische Vorbemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 6.1. Der edierte Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 6.2. Die lateinische Sprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 6.3. Verwendete Abkürzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 6.4. Die Fußnoten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 6.5. Die Figuren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abbildungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Tractatus de latitudinibus formarum communis cum expositione eiusdem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Inhalt
Teil III Kommentar § 1. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 2. Das „Prohemium“ der Expositio: Die scientiae mediae und der wissenschaftliche Status der Formlatituden (Zz. 1–124) . § 3. Zum Prohemium von LF (Zz. 125–180) . . . . . . . . . . . . . . § 4. Die erste Einteilung der latitudines (Zz. 181–382) . . . . . . . § 5. Zweite und dritte Einteilung der latitudines (Zz. 384–451) . § 6. Die vierte Einteilung der latitudines: Sophismata, Grenze und „Merton-Regel“ (Zz. 452–872) . . . . . . . . . . . . . . . . . § 6.1. Einleitung (Zz. 452–467) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 6.2. Einwände und Erwiderungen (Zz. 470–594) . . . . . . § 6.3. Die Bestimmung des mittleren Grades (Zz. 595–872) § 6.4. Die geometrischen Figuren (Zz. 875–Ende) . . . . . .
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Schlussbemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 Abkürzungen und Siglen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 Quelleneditionen und Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 Namenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 Liste der erwähnten Handschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209
Vorwort und Danksagung Die hier vorgelegte Untersuchung befasst sich an erster Stelle mit einem Text, der bisher in der Fachliteratur kaum berücksichtigt wurde, obwohl seine Bedeutung für die Philosophie- und Wissenschaftsgeschichte des Spätmittelalters, wie es sich zeigen wird, unumstritten ist. Als ich vor einigen Jahren in Wien am Institut für Österreichische Geschichtsforschung über meine eigenen Vorarbeiten zu diesem Text berichtet habe1, machte mir die Kollegin Edit Lukács den wohlwollenden Vorschlag, die Vorarbeiten, die im Großen und Ganzen schon längst ausformuliert vorlagen, den „Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung“ vorzulegen. Angesichts ihres Inhalts, der mit der Ideengeschichte der Universität Wien direkt zusammenhängt, erschien mir dieser Vorschlag mehr als geeignet. Da die wünschenswerte Edition des hier maßgeben‐ den Texts den Umfang eines Zeitschriftenaufsatzes weit überschritten hätte, wurde die Arbeit in die „Quelleneditionen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung“ aufgenommen. Der Text, um den es hier geht und der die angesprochene Verbindung zur Universität Wien aufweist, ist ein Kommentar in Form einer Auslegung oder Expositio zum Trac‐ tatus de latitudinibus formarum (LF), dessen Autor nicht restlos gesichert ist, den man aber, vor allem nach den Studien von Anneliese Maier, Jacobus de Santo Martino (nach Maier auch Jacobus de Napoli) zuzuschreiben pflegt. Wie schon lange bekannt, erfuhr diese Abhandlung im Spätmittelalter große Verbreitung, tatsächlich eine viel größere, als bisher angenommen. LF wurde oft kopiert, zusammengefasst und kommentiert, ja sogar mit anderen Texten zu einem weiteren Textkomplex zusammengefügt. Meine Absicht im hier vorgelegten Beitrag besteht nicht darin, alle damit zusammenhängenden Texte und Nuancen der Überlieferung zu behandeln. Vielmehr werde ich mich allein auf dieses eine Dokument zu konzentrieren, die Expositio zu LF, welche mit Sicherheit unmittelbar mit der spätmittelalterlichen Ideengeschichte der Wiener Artistenfakultät zusammenhängt und sehr wohl das interessanteste Zeugnis für die Verbreitung dieser Lehre im 15. Jahr‐ hundert ist. Obwohl es meine Absicht war, die ganze Thematik großzügig zu präsentieren, musste ich bald einsehen, dass eine allzu breit ausgelegte Berücksichtigung aller implizierten Elemente den Rahmen dieses Beitrages sprengen würde. Vor allem was die wichtigsten Fakten und Fragen der Universitätsgeschichte angeht, muss ich vorausschicken, dass diese Arbeit nur die wichtigsten Aspekte zur Kontextualisierung des Textes berücksichti‐ gen konnte. Dasselbe gilt auch für einige Voraussetzungen im Bereich der Wissenschafts-
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„Die Formlatitudenlehre und die Verbindung zwischen Mathematik, Philosophie und Logik an der Wiener Universität des Spätmittelalters“, Vortrag gehalten am 15. Januar 2018 am Institut für Österreichische Geschichtsforschung, Universität Wien.
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Vorwort und Danksagung
und Philosophiegeschichte, die ich natürlich nicht a principio behandeln kann, sondern nur soweit sie für unseren Text unmittelbar relevant sind. Im Gesamten besteht die Arbeit aus drei Teilen. Im Teil I habe ich versucht, die wichtigsten Voraussetzungen und Zusammenhänge für ein angemessenes Verständnis der Expositio zu LF zu beschreiben. Dabei werden die Textzeugen der Überlieferung im Einzelnen analysiert und miteinander verglichen. Ich habe auch hier einige Angaben zu Michael Lochmair de Heydeck – dem Schreiber der Wiener Abschrift – beigegeben, die eine spätere, umfangreichere Untersuchung rechtfertigen. Zum Zweck dieser Arbeit habe ich mich nur auf die Problematik der Aufnahme der Formlatitudenlehre in die Wiener Universität beschränkt. Eine künftige Edition und Analyse seiner Werke zur Naturphilosophie und zur Logik sind wünschenswert. Allerdings möchte ich bezüglich dieses letzten Punktes auf meine frühere Arbeit über die drei in Wien entstandenen Texte latitudines breves (LB 1–3) verweisen, ohne alle Einzelheiten noch einmal schil‐ dern zu müssen. Ich hätte mir gewünscht, dieser Teil der Arbeit wäre kürzer geworden, aber viele Kolleg/innen und nicht zuletzt die Redaktion haben mich daran erinnert, dass es auf‐ grund der etwas technischen Beschaffenheit des Hauptgegenstands dieser Untersuchung ratsam wäre, eine kurze Einführung in die Lehre der Formlatituden im Kontext der Kal‐ kulatoren-Tradition voranzustellen. Es verstehe sich von selbst, dass ich in dem Rahmen einer solchen Einführung nicht auf die zahlreichen Einzelprobleme eingehen kann, auf die man schon bei den ersten Kalkulatoren aus Oxford stößt. Gehört Walter Burley wirk‐ lich zu dieser Gruppe? Wann „genau“ hat dieser neue Ansatz angefangen? Warum waren sophismata so entscheidend und welche Rolle spielen sie zur Bestimmung dieses Denkan‐ satzes? Was ist überhaupt eine calculatio in diesem Kontext? Gibt es einen allgemeinen, durchgehend akzeptierten philosophischen Hintergrund für die calculatores? Diese und andere Fragen werden ich nicht als solche behandeln können, obwohl ich mir da und dort einige Bemerkungen erlaubt habe, die mehr als Anregung für weitere Untersuchungen denn als Antwort auf bestehende Fragen gelten wollen. Ganz allgemein möchte ich jedoch darauf hinweisen, dass nach meiner Überzeugung viel für die For‐ schung gewonnen wäre, wenn wir nicht allein von den „Oxford-Kalkulatoren“ sprechen würden, sondern eher von der Tradition der Kalkulatoren als solche, die natürlich viele Veränderungen etwa von Bradwardine bis Leibniz erfahren hat. So gesehen besteht ein Zweig an diesem großen Baum im Versuch, der Geometrie eine entscheidendere Rolle zu verleihen. Hierbei sind Oresmes De configurationibus und der oben erwähnte Text De latitudinibus formarum die wichtigsten Quellen, die diesen geometrisierenden Ansatz getragen haben. Unsere Wiener Expositio gehört natürlich zu dieser Gruppe von Texten, da sie aber – wie gesagt – einen Kommentar zum letztgenannten Text darstellt, nimmt sie eine untergeordnete Stellung ein. Nichtsdestotrotz verdient sie unsere Aufmerksamkeit, schon deshalb, weil in ihr Gedanken deutlich ausgedrückt werden, die in dem kommen‐ tieren Text LF nicht vorkommen. Die geeignete Begrifflichkeit zur Analyse dieses Textes soll daher nicht der Problematik der „Vorläufer Galileis“ oder „der galileischen Geo‐ metrisierung der Bewegung“ entnommen werden. Diese soll vielmehr aus der Analyse der Tradition der Kalkulatoren gewonnen werden. Wie weit beide, die mittelalterliche und die galileische Geometrisierung der Bewegung, miteinander zusammenhängen, ist keineswegs selbstverständlich, sondern noch immer eine z. T. offene Frage, zu deren Dis‐ kussion diese Arbeit beitragen mag, auch wenn die Untersuchung nicht primär daran orientiert ist, dieses Problem anzugehen.
Vorwort und Danksagung
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Darüber hinaus erschien es mir passender, einige spezielle Probleme der Formlati‐ tudenlehre nicht in der Einführung, sondern im Teil III zu behandeln, zumal sie zum spezifischeren thematischen Umfeld der Diskussion der Expositio gehören. Bei dieser zusammenfassenden Darstellung der Formlatitudenlehre ist meine Absicht, den Lesern zu einem etwas glatteren Einstieg in den großen Kontext zu verhelfen, indem ich ihnen einen Überblick über den Inhalt dieser Lehre und ihre Textüberlieferung vermittle. Ken‐ ner / innen des Themas werden damit fast so unzufrieden sein wie ich selbst. In den Teilen II und III der Arbeit steht der Text selbst, die Expositio zu LF, im Vordergrund. Teil II enthält eine kritische Edition des lateinischen Textes. Außer den editorischen Vorbemerkungen, die man am Ende des Teils I finden kann, möchte ich gerne klarstellen, dass diese Edition auch den Text LF einschließt, und zwar nur nach den beiden Handschriften, die die Expositio mitüberliefern. Als eine kritische Edition von LF kann dies nicht gelten. Diese Version kann jedoch, so unbefriedigend sie ist, eine gewisse Hilfe darstellen, wenn der Leser sie als Ergänzung zur Lektüre dieses Textes in der halbkritischen Edition von Thomas Smith heranziehen möchte. Diese Version vom LF wird auf jeden Fall das Verständnis der Expositio selbst erleichtern. Im Teil III wird eine durchgehende inhaltliche Analysis der Expositio geliefert. In der Überzeugung, dass die Hauptaufgabe darin besteht, diesen Text so gut wie möglich verständlich zu machen, habe ich versucht, meine Fragestellungen hauptsächlich an ihm selbst zu orientieren und den Fragen nach den großen historischen Voraussetzungen oder Folgen weniger Raum zu geben. Hoffentlich werden noch weitere Arbeiten folgen, in denen auch andere Texte im Anschluss an diese und die oben genannte Arbeit über die LB untersucht werden. Es sei schließlich darauf hingewiesen, dass seit der Vorbereitung der ersten Fassung dieser Edition die Erforschung der Kalkulatoren-Tradition weitere Fortschritte gemacht hat und natürlich auch ich selbst weitere Beiträge veröffentlicht habe. Aus den oben erwähnten Gründen werde ich jedoch nur eine kleine Auswahl davon erwähnen, die ich für unbedingt notwendig und nützlich für unseren Zweck halte. Die ersten Versionen dieser Arbeit liegen viele Jahre zurück; die ersten Schritte mei‐ nes Werdegangs, die dazu geführt haben dürften, reichen noch tiefer in die Vergan‐ genheit, als ich – jung in der Forschung und unerfahren im Leben – die fragwürdige Entscheidung traf, mich mit solchen Dingen zu beschäftigen. Meine erste Reverenz sei deshalb an meinen Betreuer in Argentinien, Guillermo Ranea (damals Universidad de La Plata), gerichtet, der von mir verlangte, Marshall Clagetts Edition von Oresmes De configurationibus mit der größten Aufmerksamkeit zu studieren. Meine Dankbarkeit gilt auch Silvia Magnavacca und Francisco Bertelloni (Universidad de Buenos Aires), weil sie mir mit Liebe und Verstand die ersten methodischen und inhaltlichen Grundlagen zur Erforschung der mittelalterlichen Philosophie vermittelt haben. Ich danke auch Heribert Nobis und Helmuth Trischler für ihre freundliche Auf‐ nahme als Gast des Forschungsinstitutes des Deutschen Museums, wo ich viele Jahre ruhiger Arbeit verbringen durfte. Insbesondere bin ich Menso Folkerts für die Vermitt‐ lung vieler Kenntnisse über die Euklid-Tradition und die mittelalterliche Mathematik dankbar, Eckhard Keßler für seine Beibringung der Grundzüge der Renaissance-Na‐ turphilosophie und Ulises Moulines für seine Hinweise auf wissenschaftstheoretische Probleme in meinen Texten. Diese Arbeit wurde auch durch den Austausch mit vielen Studierenden und vor allem Kollegen bereichert. Ich danke dem ERASMUS-Programm für die Möglichkeit, einige
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Vorwort und Danksagung
meiner Ideen an verschiedenen Institutionen in Argentinien, Spanien, Italien, Portugal, Frankreich und Österreich zu präsentieren. Der LMU München und vor allem Hannes Leitgeb, dem Leiter meines „Hausinstitutes“ (Munich Center for Mathematical Philo‐ sophy), sei für seine ständige Unterstützung und Kollegialität besonders gedankt. Auch Till Überrück-Fries, Ben Heuser und Ignacio Prina bin ich für ihre Hilfe bei der Bear‐ beitung des Satzes vom Teil II mit LaTeX zu Dank verpflichtet. Schließlich, da es in dieser Arbeit um eine intensive Größe gehen wird, möchte ich sozusagen als Vorbereitung für die kommenden Seiten einen höheren Grad an Dank‐ barkeit – ja, ein maximum quod sic, wenn sich keine Widersprüche ergeben würden! – insbesondere gegenüber sechs Personen ausdrücken: Zunächst einmal möchte ich Edit Lukács dafür danken, dass sie diese Publikation angeregt und viele nützliche Vorschläge zum Inhalt des Textes gemacht hat. Mein Dank gilt auch Sabine Rommevaux-Tani für die kritische Lektüre des lateinischen Textes und Harald Berger für viele nützliche Hinweise zu Albert von Sachsen und der Philosophie der ersten Wiener Universität, weiters der MIÖG-Redaktion, vertreten durch Andrea Sommerlechner und Herwig Weigl, für ihr Engagement und ihre Hilfe bei allen Aspekten, die mit der Veröffentlichung in dieser prestigeträchtigen Reihe verbunden sind. Ich bin Herrn Weigl ganz besonders dankbar für seine aufmerksame Lektüre des gesamten Textes und seine redaktionelle Hilfe bei der Drucklegung dieses komplizierten Textes. Allerdings wäre die Produktion und der Druck dieser Arbeit ohne die großzügige Unterstützung der Deutschen Forschungsge‐ meinschaft nicht möglich gewesen2. „Last but not least“ möchte ich mich bei Ana Stella Ebbersmeyer für ihre sorgfältigen Korrekturvorschläge meines eigenwilligen Deutsch sehr herzlich bedanken. Diese Kolleginnen und Kollegen haben den höchsten Grad an Gütigkeit und Geduld bewiesen und stehen deshalb ganz oben in einer entsprechenden latitudo entium. Selbstverständlich bin ich allein verantwortlich für die Fehler, die nicht vermieden werden konnten.
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Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG), Projektnummer 282682744; zum Projekt siehe https://gepris. dfg.de/gepris/projekt/282682744.
Teil I Voraussetzungen und Zusammenhänge § 1. Einführung Etwa in der dritten Dekade des 14. Jahrhunderts entstand in Oxford ein neuer phi‐ losophischer Ansatz, der für jene Denkströmung charakteristisch ist, die man heute als die calculatores oder „Tradition der Kalkulatoren“ bezeichnet. Ihre Untersuchung, die Bestimmung der Hauptquellen nach ihren Inhalten und deren komplizierter Vernet‐ zung, hat seit den wegbereitenden Arbeiten von Pierre Duhem das Bemühen zahlreicher Forscher in Anspruch genommen. Freilich gilt es bezüglich der Benennung selbst „Kal‐ kulatoren“ viele Nuancen zu berücksichtigen und sekundäre Probleme zu diskutieren, auf die man im Rahmen dieser Arbeit nicht eingehen kann und die in Wirklichkeit nicht hier behandelt werden müssen. Deshalb wird meine Absicht auf den folgenden Seiten sein, nur einige ausgewählte Aspekte aus der großen Menge von Texten und Autoren zu‐ sammenfassend anzusprechen, die für eine sinnvolle Kontextualisierung unseres Textes, der Expositio zu LF, von Nutzen sind1. Selbstverständlich ist dieser neue Ansatz der Kalkulatoren nicht ex nihilo entstan‐ den. Der Hintergrund der neuen Logik, der besonderen Art, wie in Oxford die libri naturales des Aristoteles rezipiert wurden, und vor allem die sogenannte „Lichtmeta‐ physik“ von Grosseteste und seiner Nachfolger werden sehr wohl eine Rolle gespielt haben. Dennoch hat die Forschung schon längst erkannt, dass diese besondere Art des Philosophierens, die sich schon vor der Mitte des 14. Jahrhunderts in Oxford etablierte und sich zugleich rasch auf dem Kontinent auszudehnen begann, einige charakteristische Merkmale ausweist, die diese Gruppenbezeichnung „Kalkulatoren“ rechtfertigen, eine Benennung, die übrigens schon im Spätmittelalter und in der Renaissance spezifisch genug angewandt wurde. Die Bezeichnung selbst ergab sich möglicherweise als Verall‐ gemeinerung aus der gezielten Bezeichnung hauptsächlich für Richard Swineshead, oft genannt „der calculator“, den Verfasser eben des Liber calculationum, eines vor allem in Italien sehr verbreiteten Werkes – oder Sammlung von Einzeltraktaten –, das gegen 1350 entstanden sein soll und sozusagen das non plus ultra des kalkulatorischen Ansatzes dar‐ stellte.
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In dieser Arbeit werde ich durchgehend die deutsche Bezeichnung „Kalkulatoren“ verwenden. Bis auf ei‐ nige gezielte Hinweise über einige Punkte, die mir wichtig, aber noch immer klärungsbedürftig erscheinen, werde ich auf eine allgemeine Problematisierung und auf eine ausführliche Diskussion verzichten müssen.
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Voraussetzungen und Zusammenhänge
Es gibt allerdings viele Anzeichen und Motive, die uns erlauben, diesen logisch-ma‐ thematischen Denkstil, natürlich mit inneren Veränderungen und Entwicklungen, min‐ destens bis Leibniz, ja bis zum Anfang des 18. Jahrhunderts hinein zu verfolgen2. Daher ist es auch sinnvoll, wenn man nicht die monolithische Geschlossenheit einer „Schule“ verlangt, die „Kalkulatoren-Tradition“ als Ganzes, als eine Einheit zu betrachten, die zwar zugegebener Weise ein historisches Konstrukt ist, das aber der Sache nach sinnvoll und methodengemäß berechtigt ist3. Es scheint jedenfalls außer Diskussion zu stehen, dass eine ausgewählte Gruppe von Autoren und Haupttexten das „Herz“ oder den „Kern“ dieser Tradition bildeten. Diese waren sowohl Anstoß- als auch Taktgeber für die spätere Entwicklung, zumal sie eine besondere Rolle bei der Entstehung dieses Denkansatzes spielten und diese für längere Zeit in unterschiedlichen Kontexten beibehielten. Viele dieser Autoren und Texte sind miteinander sehr eng vernetzt. Insofern sie mit der Universität Oxford in Verbindung gebracht werden können, ist man dann berechtigterweise dazu veranlasst, von den „Ox‐ ford-Kalkulatoren“ zu sprechen. Zu diesem Kern gehören zuerst die Sophismata von Richard Kilvington, die Quästion De primo et ultimo instanti und die Abhandlung De intensione et remissione formarum (oder Tractatus secundus) von Walter Burley, und der 1328 entstandene Traktat De proportionibus velocitatum in motibus von Thomas Bradwardine4. Hinzu kommen auch die Sophismata und vor allem die Regulae solvendi sophismata von William Heytesbury, die umfangreiche Summa logicae und philosophiae naturalis von John Dumbleton, und Richard Swinesheads Liber calculationum5.
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Zwischen den verschiedenen Referenzen von Leibniz zum Calculator Richard Swineshead, dessen mathe‐ matische Philosophie er so sehr schätzte und dessen Hauptwerk er suchte, schließlich fand und sogar in der Ausgabe von Venedig 1520 abschreiben ließ, kann man auf den in diesem Zusammenhang berühmten Brief zu Remond von 1714 verweisen, in dem er seinen Korrespondenten auf „einen gewissen Suisset, der die Scholastik von Seiten der Mathematik betrachtete“, verwies (Leibniz, Hauptschriften 478). Für eine neue Analyse der Verbindung von Leibniz zu den Kalkulatoren siehe den jüngsten Beitrag von Sylla, Leibniz. Als Hintergrund für diese kurze Präsentation steht vor allem die Standard-Arbeit über die Oxford-Kal‐ kulatoren von Sylla, Oxford Calculators. Dem Forschungsforschritt der letzten Jahre, dem konkreten Zweck dieser Arbeit und nicht zuletzt einigen meiner eigenen Ansichten entsprechend habe ich mir er‐ laubt, das Gewicht der Autoren und Themen etwas zu verlegen und einige ergänzende – manchmal auch abweichende – Bemerkungen hinzuzufügen. Burley stellt einen schwierigen, nuancenreichen Fall dar (siehe auch hierüber die nächste Anm. und Anm. 27). Sylla, Oxford Calculators 540, schließt hierzu auch den Tractatus primus mit ein. Das ist richtig, insofern dieser Text (auch als De quattuor conclusionibus bekannt) bezüglich des Entstehungskontexts mit dem anderen (späteren) „zweiten Traktat“ zusammenhängt (und beide wiederum mit Burleys Sentenzen‐ kommentar). Jedoch denke ich, dass vor allem der Tractatus secundus (oft genauer als De causa intrinseca intensionis et remissionis formarum accidentalium betitelt), der einen der ausführlichsten spätmittelalter‐ lichen Texte zum Problem der Zu- und Abnahme der Qualitäten darstellt – bei allen Mängeln, auf die schon Anneliese Maier hingewiesen hat –, der Text von Burley zu diesem Thema ist. Die Bezeichnungen Tractatus primus und secundus gehen auf Burley selbst zurück. Vielleicht kann man beide Texte als jeweils Pars I und Pars II einer beide Teile umfassenden Betitelung De formis accidentalibus verstehen, de Rijk, Tractatus primus 162. Für eine ausführliche Analyse des Inhaltes von Burleys Traktat De intensione et re‐ missione formarum siehe Maier, Grundprobleme 315–352. Nur der Tractatus secundus, der auch in vielen Handschriften vorliegt, wurde in der Renaissance (Venedig 1496) gedruckt. Von keinem der beiden Texte liegt eine moderne kritische Ausgabe vor, vgl. Vittorini, Life N° 23 und 24. Da diese fünf Autoren mindestens während einer gewissen Zeit ihrer Karriere mit dem Merton College in Verbindung standen, hat man in der Literatur oft von „Merton-Kalkulatoren“ gesprochen. Diese GruppenBezeichnung ist jedoch auf „Oxford-Kalkulatoren“ zu erweitern, wenn hierzu andere Autoren, wie z. B.
§ 1. Einführung
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§ 1.1. Mathematik, Logik, Naturphilosophie: die Kalkulatoren An erster Stelle sei das Wichtigste für diese Arbeit erwähnt: Dieser neue Ansatz der Kalkulatoren (calculatores) konzentriert sich, ja ist fast ausschließlich bezogen, auf die quantitativen Aspekte der Probleme, sowohl bei der Auswahl der zu behandelnden Fra‐ gen, wie auch bei der Betrachtungs- und Vorgehensweise selbst, wie man versucht, sie zu beantworten. Somit lautet üblicherweise die leitende Fragestellung nicht „quid sit“,
Roger Swineshead, gezählt werden sollten. Roger Swineshead verfasste ein Werk zur Naturphilosophie (De primo motore oder De motibus naturalibus), über das nur wenige gezielte Untersuchungen vorliegen, siehe Sylla, Mathematical physics. Wenn dieses Werk eine geringe Verbreitung erfahren zu haben scheint, wirkte Roger Swineshead eher als Logiker, insbesondere als Verfasser von Texten über obligationes (Dr.: Spade, Obligationes) und insolubilia (Dr.: Spade, Insolubilia). Dass allerdings vor allem diese zwei Ar‐ beiten von Burley, De primo et ultimo instanti und die Abhandlung De intensione et remissione formarum, zum Kern der Oxford calculatores gehören, ist zwar vom Ansatz und Nachwirkung her richtig, aber nichts‐ destotrotz ein historisches Konstrukt, bezüglich dessen man einige Bemerkungen hinzufügen muss: a) Da die berühmte Quästion über den Augenblick, die zu einem Standardtext in diesem Gebiet wurde, nicht in Oxford, sondern in Toulouse entstanden ist, ist streng genommen eine „lokale“ Bestimmung der Kal‐ kulatoren fraglich (man darf allerding nicht vergessen, dass Burleys Beziehung zu Oxford nur einen Teil seiner Karriere darstellt. Siehe hierzu Ottman–Wood, Burley 4–9); b) die Zugehörigkeiten dieser bei‐ den Texte zum Kern der Kalkulatoren-Tradition erlauben jedoch nicht die Behauptung einer allgemeinen und ausschließlichen Identifizierung Burleys mit Gedankengut der Kalkulatoren. Das ist eher der Fall bei William Heytesbury, Richard Swineshead oder auch zu einem großen Teil bei John Dumbleton. Möglicher‐ weise trifft eine solche verallgemeinte Identifizierung nicht auf Kilvington und Bradwardine zu und kann man ganz sicher nicht für Burley geltend machen. Es gibt bei Burley sämtliche Werke und Lehrstücke, die von dem kalkulatorischen Ansatz nicht betroffen sind; c) Außer diesen zwei Hauptwerken sind natürlich auch in anderen Werken einige Bemerkungen und Ansätze enthalten, die mit den Kalkulatoren zusam‐ menhängen. Als „works at the core of this collection“ (von in Oxford produzierten charakteristischen Kalkulatoren-Texten) erwähnt Edith Sylla nur Bradwardines De proportionibus, Heytesburys Regulae und Swinesheads Liber calculationum. Die zwei erwähnten Werke von Burley (und dessen Tractatus primus), Kilvingtons Sophismata und Dumbletons Summa zählt Sylla unter anderen Abhandlungen „linked with the three through common interest and approaches in logic, in mathematics, and in physics or natural phi‐ losophy“, Sylla, Oxford Calculators 542. Unter dieser Gruppe fügt Sylla weitere Texte hinzu: a) Richard Billinghams Conclusiones, eine Gruppe von sophismata, die möglicherweise nicht so verbreitet war wie sein berühmtes Speculum puerorum (für Billinghams Werke siehe Weber-Schroth, Billingham 319–321); b) die Sophismata von Heytesbury und die sogenannten Probationes conclusiones der Regulae von Heytes‐ bury – die vielleicht nicht von Heytesbury selbst stammen, sondern von einem seiner Schüler; c) den oben erwähnten Text von Roger Swineshead über Naturphilosophie; d) die bisher sehr wenig untersuchte Sophis‐ mata-Sammlung A est unum calidum von John Bode (für eine Liste der sophismata siehe jedoch Busard, Unendliche Reihen 390–397); d) die anonyme Abhandlung De sex inconvenientibus, welche wohl zwischen 1335 und 1339 entstanden ist und – wie wir erst jetzt wissen – nach der Prager Abschrift in Paris disputiert worden ist; und e) John Dumbletons Summa. Hinzu kämen natürlich auch einige weitere Traktate über Lo‐ gik und Naturphilosophie, die üblichen Gegenstände des Universitätslehrstoffes deckend. Während letzte Behauptung weiterer Bestimmung bedarf, sei es in diesem Kontext zu erinnern, dass die Abhandlung De sex inconvenientibus auf die scola oxoniensis verweist, was nach Rommevaux-Tani, Influence 153f., ein Hinweis darauf sein könnte, dass deren Autor, der die Namen von Bradwardine und Heytesbury erwähnt, doch nicht zur Oxforder Gruppe der Kalkulatoren gehöre, Sabine Rommevaux-Tani, Influence. Diese hat jetzt eine vollständige kritische Edition dieses Textes aus allen bekannten Handschriften mit einer ausführlichen Studie angefertigt: Dies., De sex inconvenientibus. Die Stellung Dumbletons in diesem Zu‐ sammenhang und vor allem die Tragweite seines Werkes ist noch näher zu bestimmen. Für einige nützliche Ansätze siehe Weisheipl, Place of John Dumbleton, und Sylla, Oxford Calculators and Mathematical Physics. Allerdings hat Dumbleton auch weitere, kleinere Werke zur Logik und Naturphilosophie verfasst, siehe dazu Weisheipl, Repertorium 210f. Für eine neue Untersuchung dieser Gruppe von Denkern siehe ´ die jüngste Arbeit von Jung–Podkonski, Theory of Motion.
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Voraussetzungen und Zusammenhänge
sondern vielmehr „penes quid attenditur . . . ?“. Eine allgemeine positive Bewertung der Mathematik ist dem Mittelalter nicht fremd, mindestens bis sich die Ansichten des Ari‐ stoteles und dessen Kommentator in einer besonderen Weise – eher Mathematik abgren‐ zend – fixiert haben. Äußert positiv ist die Aufnahme mathematischer Methoden und Prinzipien bei Robert Kilwardby und, insbesondere zur Untersuchung des Lichtes (also vor allem in der Optik), bei Robert Grosseteste, Roger Bacon, John Pecham und Witelo. Dennoch, niemand hat diesen Ansatz so deutlich, so bejahend und so programmatisch wie Thomas Bradwardine im Vorwort seines Tractatus de proportionibus velocitatum in motibus zum Ausdruck gebracht: „Jede sukzessive Bewegung kann in Geschwindigkeit einer anderen [Bewegung] proportioniert werden. Deshalb darf die Naturphilosophie, die von der Bewegung handelt, die Proportion der Bewegungen und der Geschwindig‐ keiten in den Bewegungen nicht vernachlässigen.“ Auf Boethius zurückgreifend, warnt Bradwardine noch an derselben Stelle: „Wer die mathematischen Wissenschaften übergeht, hat die ganze Lehre der Philosophie zu‐ grunde gerichtet“6. Den mathematischen Ansatz will er also für jede philosophische Disziplin gelten lassen; als Erstes – und das ist der entscheidende Unterschied zur frühe‐ ren platonisierenden Tradition – für die Physik, derer wichtigster Forschungsgegenstand die Bewegung ist. Somit legt diese Abhandlung von Bradwardine zum ersten Mal die Grundlagen für eine neue Behandlung einiger der Hauptthemen dieser Disziplin vor, die sowohl eine starke Veränderung in die spätere Kommentartradition zur Physica und De caelo von Aristoteles herbeigeführt und vor allem eine besondere Textgattung eingeleitet hat, auf der später, zur Zeit unserer Expositio zu LF, eine ähnliche selbständige Disziplin basiert: die scientia de proportionibus7. Aber die Mathematik ist nicht alles und, abgesehen von den Proportionentraktaten, kommt sie selten in reinem Zustand zur Anwendung vor. Auch der Logik kommt eine sehr wichtige Rolle zu, die in diesem Kontext nicht vernachlässigt werden darf. Zumal gerade diese Seite der Kalkulatoren-Tradition in der traditionellen Wissenschaftsge‐ schichte wenig Aufmerksamkeit erhalten hat, ist an dieser Stelle eine ganze Reihe von Bemerkungen anzuschließen, auch wenn nicht im Einzelnen auf sie eingegangen wer‐ den kann. Erstens muss man sich in diesem Kontext daran erinnern, dass die Logik, so wie sie schon Aristoteles selbst verstanden hat, keine eigentliche Wissenschaft ist, sondern ein „Organon“, ein Arbeitsinstrument für jeden rationalen Diskurs8. Deshalb
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Omnem motum successivum alteri in velocitate proportionari contingit; quapropter philosophia naturalis, quae de motu considerat, proportionem motuum et velocitatum in motibus ignorare non debet . . . testante Boethio, quisquis scientias mathematicas praetermiserit, constat eum omnem philosophiae perdisse doctrinam, Bradwar‐ dine, Tractatus 65. Eine ähnliche „commendation of mathematics“ – wie Murdoch, Geometry 59, es genannt hat – kommt auch im Traktat De continuo vor, ein Werk von Bradwardine, das in der modernen Forschung viel Aufmerk‐ samkeit erhalten hat, aber im Mittelalter bei weitem nicht so verbreitet war wie sein Proportionentraktat: Nullus enim physico certamine se speret gavisurum triumpho nisi mathematice utatur consilio et auxilio confor‐ tetur. Ipsa est enim revelatrix omnis veritatis sincere et novit omne secretum absconditum at omnium litteratum subtilium clavem gerit. Quicunque igitur ipsa neglecta physicari presumpserit, sapientie ianuam se nunquam ingressurum agnoscat (ebd. 401). Ohne den Eindruck erwecken zu wollen, diese sei eine neue Frage, diskutiert Michael Lochmair, der uns im Verlaufe dieser Arbeit oft begegnen wird, als Erstes in seinen Questiones in veterem artem, die sicherlich mit dem Logikunterricht an der Wiener Artistenfakultät zusammenhängt, die Frage utrum logica sit scientia (siehe unten S. 58 Anm. 12).
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ist sie einerseits eine höchst anspruchsvolle intellektuelle Beschäftigung, die jedoch kei‐ nen wissenschaftlichen Status wie die anderen Disziplinen vorzuweisen hat. Zugleich kann (und muss) sie überall eingeführt und angewandt werden, wo es um Erkenntnis geht9. Historisch gesehen, stellt diese Bestimmung der Logik eine große Stärke dar, die aber eine gewisse Spannung mit sich bringt. Da die mittelalterliche Logik ohne (oder nur mit minimalen) symbolischen Mitteln auskommen muss, ist sie deshalb auf die natürliche Sprache angewiesen. Unter diesen Umständen wird eine Reflexion über die Bedeutung der Termini unausweichlich. Es ist deshalb sehr natürlich, dass sich die Logik markant an die Sprachphilosophie anlehnt und oft auf die Untersuchung von Begriffen fokussiert, die besonders deshalb interessant sind, weil sie aufgrund ihrer semantischen Eigenschaften ganz besondere Schwierigkeiten herbeiführen können. Wenn aber diese Begriffe einer anderen Disziplin gehören, oder feldübergreifend sind – motus, altera‐ tio, continuum, infinitum, incipit, desinit, intensio, forma, latitudo [!], etc. – sind die aus der logischen Untersuchung gewonnenen Resultate erstmal „nur Logik“. Ein weiterer Schritt der Legitimierung ist noch vonnöten, damit diese Erkenntnisse einen stärkeren wissenschaftlichen Status erhalten. Zweitens ist darauf hinzuweisen, dass die Logik selbst während des 14. und 15. Jahr‐ hunderts schon längst über die Grenze des aristotelischen Organons gegangen war. Eine nicht zu unterschätzende Anzahl neuer Abhandlungen zirkulierte gerade im 13. Jahr‐ hundert. Die Abhandlungen gewannen nach und nach an Bedeutung, bis sie als ge‐ wöhnlicher Stoff in den Lehrbetrieb aufgenommen wurden. Mit der Entwicklung der sogenannten parva logicalia kamen weitere Themenkreise hinzu, die ein neues Licht auf einige Aspekte der Logik und Sprachphilosophie warfen. Auf der Basis der Arbeiten des 12. und 13. Jahrhunderts – es seien vor allem die Namen von Pierre Abélard, William of Sherwood und Petrus Hispanus erwähnt – vertieften sich die Logiker des ausge‐ henden Mittelalters in Untersuchungen zu den Eigenschaften der Termini (proprietates terminorum), wie die ampliatio, die significatio oder, für die Naturphilosophie besonders bedeutsam, die suppositio10. Hinzu kam eine massive Produktion von Abhandlungen über syncategoremata, obligationes, expositiones, insolubiliae, consequentiae, de terminis confundentibus, de relativis, de sensu composito et diviso und, sogar das Spektrum der epistemischen Logik mitdeckend, de scire et dubitare, um nur die wichtigsten Themen zu erwähnen. Für den Kontext unseres Textes sind vor allem zwei logisch-sprachphilo‐ sophische Themenfelder besonders wichtig: (a) die Methode, die sich mit der expositio
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Allerdings etwas, das den scholastischen Logikern selbst nicht entkommen ist. Beim Kommentieren des dictum: dialectica est ars artium, scientia scientiarum in Petrus Hispanus’ Summulae notiert Jean Buridan an zweiter Stelle: dialectica (id est logica) dicitur ars artium, secundum quandam excellentiam eius ad omnes alias artes, secundum utilitatem et communitatem in eius applicatione ad omnes alias artes et scientias, propter quam communitatem ipsa, sicut et metaphysica, viam habet ad disputandum non solum circa conclusiones, sed etiam circa principia omnium scientiarum, quamvis ipsa et metaphysica modo po‐ testatis differant, sicut dicitur quarto Metaphysicae, quod illic plenius est declarandum (Buridan, Summulae de dialectica, http://www.logicmuseum.com/wiki/Authors/Buridan/Summulae_de_dialectica/Liber_1/ Cap1 [15. 7. 2022], meine Hervorhebung). Für eine noch immer nützliche Einführung mit besonderer Berücksichtigung von William of Sherwood – und deshalb auch die appellatio und die copulatio erwähnend –, aber auch von Petrus Hispanus und Wil‐ liam of Ockham, siehe Kneale, Development 246. Die Rolle der suppositio in der Naturphilosophie hat Murdoch, Factors 284, hervorgehoben, indem er sie zu einer der „analytical languages“ der Philosophie des 14. Jahrhunderts gezählt hat.
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von Termini, Sätzen und vor allem Definitionen beschäftigt, und (b) die Lehre der con‐ sequentiae, die etwa die Erörterung der aussagenlogischen Deduktionstheorie darstellt. Beide eignen sich hervorragend für eine Auslegung von Texten und können deshalb mit sehr guten Ergebnissen im Unterricht eingesetzt werden. Beim „exponieren“ eines tech‐ nischen Terminus, z. B. maximum quod sic, der schon in sich selbst komplex ist, aber auf den ersten Blick wirklich wenig sagend wirkt, kann uns der Logiker deutlich machen, was dieser wirklich bedeutet. Beim sozusagen „Auseinander-Rollen“ aller miteinbezogenen Bedeutungen führt er eine Umformulierung des Terminus in einem Satz durch, sodass der Terminus eine eindeutige Bedeutung gewinnt. Ein nützlicher Vorteil kommt dabei noch heraus: Da wir jetzt aus den schwierigen Termen Sätze gemacht haben, können wir mit diesen Sätzen Implikationen oder Demonstrationsketten bauen und so Theorien analysieren, erklären oder widerlegen. Dies ist allerdings in unserem Zusammenhang die wichtigste Aufgabe der Konsequenzenlehre, welche einen übermächtigen Druck auf die Darstellung von den Inhalten macht, oft mit guten Ergebnissen, manchmal aber auch mit unnötigen Komplikationen und einer gewissen Künstlichkeit (was bei Formalisie‐ rungen kaum vermeidbar ist). Die Lehrer bzw. Ausleger des Spätmittelalters pflegen die Diskussion ganzer Theorien durch consequentiae zu führen. Wird die Ablehnung einer Theorie gesucht, so formuliert man sie oft deutlich als antecedens einer Implikation (con‐ sequentia), derer consequens es zu verneinen gilt, so dass (natürlich nur in dem einfachsten Fall!) die Verneinung der Theorie erreicht wird. Sucht man hingegen die Behauptung einer Theorie, so wird sie oft als consequens vorkommen, und eine Behauptung des ante‐ cedens wird jetzt gesucht. Es muss natürlich immer feststehen – oder auch noch bewiesen werden –, dass die Implikation gilt (consequentia vera). Je nach Bedarf oder Interesse kann man selbstverständlich auch längere Ketten von Implikationen aufbauen, derer antecedentes oder consequentes wieder aus Konjunktionen oder Disjunktionen bestehen dürfen. Der nicht gewohnte Leser kann schnell den Überblick verlieren, vor allem, weil es oft darum geht, „mögliche“ Konsequenzen zu ziehen, die für die Theorie selbst irrelevant sind, aber die Kunstfertigkeit des Logikers aufzeigen11. Der dritte Aspekt, den man in Bezug auf die Bedeutung der Logik erwähnen muss, geht eigentlich schon über die Logik selbst hinaus, aber hat eine große historische Trag‐ weite. Nicht nur in Oxford selbst, sondern auch später auf dem Kontinent spielte die Diskussion von sophismata eine wichtige Rolle. Das ist für unsere Expositio entscheidend. Bei den sophismata handelt sich um Sätze, die selbst besonders verblüffend anmuten oder derer Beweis (bzw. derer Widerlegung) besondere Tricks, oft semantischer Natur, erfordern bzw. voraussetzen. Ein sophisma ist in der Regel seltsam, vieldeutig und klä‐ rungsbedürftig12. Aus dem Satz „Alle Aposteln sind zwölf“ scheint zu folgen, dass „Peter ist zwölf“, „Judas ist zwölf“ etc., was natürlich falsch oder sinnlos ist. Dieses ist ein rein lo‐ gisches Beispiel. Aber sobald man Begriffe der Physik ins Spiel bringt, und insbesondere diejenigen Begriffe der aristotelischen Physik, die eine quantitative Betrachtung zulas‐ sen (Geschwindigkeiten, zurückgelegte Strecke, Kontinuum, Unendliche, etc.), wird der 11 12
Ein Beispiel hiervon ist in Di Liscia, Ethik 89, dargestellt. Nach J. Spruyt „a sophisma has several important characteristics. First of all, a sophisma proper is a sentence rather than an argument. In particular, a sophisma is a sentence that 1. is odd or has odd consequences, 2. is ambiguous, and can be true or false depending on how it is interpreted (or is taken to be ambiguous when in fact it is not), or 3. is puzzling not in itself but only when it occurs in a specific context (or „case“, casus)“, https://plato.stanford.edu/entries/sophismata/ [15. 7. 2022].
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Rahmen der Logik gesprengt. Davon findet man schon eine ganze Menge in Kilvingtons Sammlung, z. B. wenn er die Komparative „weißer“ der Qualität „weiß“ (albior, Soph. 1– 11) unter die Lupe nimmt, oder die Ausdrücke für das Zurücklegen einer Strecke (Soph. 12–15), die Intensivierung einer Qualität nach partes proportionales (Soph. 21) und zahl‐ reiche Fälle von Schwierigkeiten, die sich mit den Begriffen „Anfangen“ und „Enden“ ergeben (Soph. 22–27), analysiert. Auch die Begriffe von Gleichförmigkeit (uniformitas; Soph. 34), Geschwindigkeitsgrad (Soph. 35) und Unendlichen (Soph. 42–43) machen einen wesentlichen Bestandteil der Diskussion aus. Einige wenige sophismata würde man heute der epistemischen Logik zuordnen (Soph. 44–48)13. In Wirklichkeit waren nur sehr wenige sophismata dieser Sammlung rein „logisch“, obwohl fast alle sozusagen „sprachphilosophisch“ gemeint sind14. Auch die Sophismata von Bode schließen über‐ wiegend physikalische Begriffe ein15. Heytesburys Regulae kombinieren beide Ansätze zugleich. Ihre ersten drei Teile handeln über Logik und Sprachphilosophie (einschließ‐ lich der epistemischen Logik in De scire et dubitare); der Rest ist stark an der Naturphi‐ losophie orientiert: Teil 4 über Anfang und Ende (de incipit et desinit), Teil 5 über die Grenzen von Kräften (potentiae) oder „Fähigkeiten“ (de maximo et minimo) und Teil 6 über die Bewegung nach ihren drei Kategorien, d. h. über die qualitative, quantitative und die Bewegung nach dem Ort oder Lokalbewegung. Nach dem heutigen Forschungs‐ stand scheint es festzustehen, dass dieser der unmittelbare Zusammenhang ist, in dem die „Merton-Regel“ – genannt auch „mean speed Theorem“ oder „middle degree Rule / Theorem“ –, welche die Aufmerksamkeit der Wissenschaftsgeschichte auf sich gezogen hat, entstanden ist16. Dasselbe lässt sich möglicherweise über viele der spätmittelalter‐ 13
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Ich folge der Zählung in der Edition des lateinischen Textes von Sophismata Kilvington, ed. Kretz‐ mann–Kretzmann. Als Beispiele von jeder der erwähnten Gruppen seien jetzt nur die folgenden sophis‐ mata angegeben: Soph. 1: Socrates est albior quam Plato incipit esse albus (2f.); Soph. 14: Socrates incipiet pertransire A spatium, et Socrates incipiet pertransivisse A spatium, et non prius incipiet pertransire A spatium quam incipiet pertransivisse A spatium (27f.); Soph. 21: A incipit intendere albedinuem in aliqua parte B, et quaelibet pars proportionalis in B sine medio remittetur (45–48); Soph. 24: D incipiet simul esse divisum et non divisum (53f.), Soph. 35: Plato potest moveri uniformiter per aliquod tempus et aeque velociter sicut nunc movetur Socrates (86–90); Soph. 42: In infinitum facilius est B facere quod ista propositio sit vera – ‚infinitae partes A sunt pertransitae‘ – quam facere quod ista propositio sit vera – ‚totum A est pertransitum‘ (112–115); Soph. 46: Tu scis hoc esse Socratem (122–125). Diese Gruppierung ist nur zum Illustrationszweck tendiert und beansprucht nicht, eine vollständige thematische Beschreibung von Kilvingtons Sophismata zu sein. In Wirklichkeit beginnt die Behandlung von incipit schon von vorne herein und es klingt ein humoristi‐ scher Ton an, wenn Kilvington in dem Vorwort bekundet: „Ich werde es auf mich nehmen, diese Arbeit zuerst mit sophismata zu beginnen, die mit dem Verb ‚beginnt‘ zu tun haben“ (Et primo a sophismatibus hoc verbum ‚incipit‘ concernentibus huius operis exordium mihi sumam, Sophismata Kilvington, ed. Kretz‐ mann–Kretzmann 1). „Although Kilvington manifestly belongs to the same school of thought and is, in his Sophismata, con‐ cerned with concepts important in the development of mathematics, he introduces no overt calculations, employing only the conceptual analysis and detailed argumentation that have been part of the method of philosophy in almost every period of its history“, Kretzmann–Kretzmann, Introduction, in: Sophis‐ mata Kilvington, transl. dies. XX. Diese Sammlung zeigt eine größere Unabhängigkeit der Logik als sogar die Sophismata von Kilvington. Zu den üblichen Fällen zur Analyse von Qualitäts- und Lokalbewegungen kommen auch einige sophismata hinzu, die sich auf das Phänomen der Intensivierung bzw. Abschwächung des Lichtes beziehen, wie Soph. 56: A est luminosum infinite remissionis; Soph. 57: A est luminosum infinite intensionis quo B est luminosius; Soph. 58 Aliquid acquiret aliquam latitudinem quam non acquiret. Vgl. Busard, Unendliche Reihen 394. Grundlegend dazu Clagett, Science of Mechanics 254–329. Von einem Theorem in mathematischem Sinne über „Mechanik“ (ein Begriff, den anscheinend auch Maier, Grenze 262, mit derselben Bedeutung
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lichen Spekulationen sagen, die in der Mathematikgeschichte als „unendliche Reihen“ bekannt sind. Viele dieser Texte sind so tiefsinnig und erstaunlich, dass wir deshalb, weil wir sie in die Begrifflichkeit der moderneren Mathematik und ihrer Symbolik übersetzen können, in ihnen manchmal gerne nur „Mathematik“ oder gar eine mathematisierende Naturphilosophie zu finden glauben. Das hat zweifellos seinen Teil an Wahrheit. Aber, wie gesagt, das ist längst nicht alles, was wir mit der Tradition der Kalkulatoren verbinden müssen. Die Sophismata-Sammlungen bieten tiefsinnige Analysen von Problemen dar, in denen das Kontinuum und das Infinitum im Mittelpunkt stehen und somit Logik, Naturphilosophie und Mathematik oft undifferenziert zum Einsatz kommen. Bezüglich der wichtigen Stellung, die die Sophismata als philosophisch-literarische Gattung des Mittelalters einnehmen, muss man noch zwei Bemerkungen hinzufügen. Erstens, es ist darauf hinzuweisen, dass die Sophismata-Literatur keine Erfindung des 14. Jahrhunderts ist, so wichtig sie während dieser Zeit sein mag, und das insbesondere für die Kalkulatoren-Tradition17. Möglicherweise ist jedoch während des 14. Jahrhun‐ derts die Sophismata-Literatur zu einem Vehikel der Diskussion naturphilosophischer Ansichten geworden. Auf jeden Fall kann kaum von einer sauberen Trennung zwischen „logischen“ und „physikalischen“ Sophismata (sophismata logicalia / physicalia) die Rede sein18. Zweitens, und besonders bedeutsam für unseren Text, ist der institutionelle Zu‐ sammenhang der Sophismata-Sammlungen. Schon an der Universität Oxford hängen die sophismata unmittelbar mit den grundlegenden Unterrichtsstufen zusammen. Stu‐ denten erhielten ein regelrechtes Trainingsprogramm für das Disputieren nach verschie‐ denen Methoden, zu denen als sehr wesentliche die Disputationen de sophismatibus ge‐ hörten. Eine solche Verbindung zwischen Lehreraktivität, Lehrmethode und Lehrinhalt kann als festigender Faktor wirken, der das Bestehen der Kalkulatoren-Tradition über längere Zeit sicherte, ohne jedoch unbedingt ihre Kreativität und innere Entwicklung zu fördern. Die wichtigsten Arbeiten in diesem Bereich, z. B. von Kilvington und Heytes‐ bury, sind mit den akademisch entsprechenden Bedürfnissen direkt verbunden19. Einige spätere Texte zeigen, wie diese Beschäftigung mit den sophismata zu einem unerlässlichen Bestandteil der Universitätsausbildung geworden ist, ja vielleicht sogar zu einem Teilge‐
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wie Clagett verstanden hat) kann meiner Ansicht nach bei den Oxford-Kalkulatoren schwerlich die Rede sein. Erst etwas später bei Oresme erhält dieser Satz einen deutlicheren mathematischen Beweis und zwar im Rahmen der Anwendung der Geometrie. Ich werde mich darauf durchgehend mit der Benennung „Mer‐ ton-Regel“ beziehen. Zur Sophismata-Tradition vor dem 14. Jahrhundert siehe die Pionierarbeit von Grabmann, Sophismata‐ literatur, die von de Rijk edierten Traktate (de Rijk, Tracts), die Sophistaria von Mattheus von Orléans (Dr.: Spruyt, Matthew) und Ebbesen–Goubier, Catalogue. Diese Frage bedarf der Untersuchung weiterer Sophismata-Sammlungen. Schon Michalski, Criticisme 14f., hat darauf hingewiesen, dass die zwei letzten der zweiunddreißig sophismata von Heytesbury im Kolo‐ phon einer Handschrift als sophismata phisicalia bezeichnet wurden. Diese zwei (sehr langen) Sophismata beziehen sich auf Probleme von Qualitäten und Bewegungen, bei denen jedoch die Modallogik eine wesent‐ liche Rolle spielt: Necesse est aliquid condensari si aliquid rarefiat (Heytesbury, Sophismata fol. 155v) und Impossibile est aliquid calefieri nisi aliquid frigefiat (ebd. fol. 171v). Dieser dürfte der entschei‐ dende Gesichtspunkt bei Heytesbury sein. Siehe auch dazu Maier, Grenze 264–266, und Sylla, Oxford Calculators 546f. Dieser Aspekt wurde vor allem von Weisheipl, Curriculum, und Sylla untersucht, vor allem in Sylla, Oxford Calculators, und dies., Science for Undergraduates. Dies., Fate, hat darauf hingewiesen, dass die Abschwächung dieser Tradition im Lehrbetrieb ein wichtiger Faktor für das Nachlassen der KalkulatorenTradition darstellt.
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biet der Logik, der sophisteria, bezüglich der man sich Fragen zu ihrem wissenschaftlichen Status stellen durfte20. Auch in Wien – das können wir jetzt schon voranschicken – wurde im Entstehungskontext der Expositio zu LF das Studium der sophismata gepflegt. Richtet man nun das Augenmerk auf die Physik oder Naturphilosophie, so findet man überwiegend fünf Bereiche, in denen sich das Interesse der Kalkulatoren vom 14. bis zum 16. Jahrhundert meistens konzentrierte. Alle diese Bereiche haben gemeinsam einen quantifizierenden Ansatz mittels einer überall durchgreifenden logisch-mathema‐ tischen Begrifflichkeit, bei der das Problem des Kontinuums und des Unendlichen im Hintergrund stehen. Dabei wird oft das Moment der kategorialen Bestimmung ent‐ weder der Diskussion der Einzelfälle untergeordnet oder ganz ausgelassen. Zwei dieser Bereiche wurden oben schon erwähnt: (1) Der Bereich der Analyse des Anfangs und des Endes eines zeitlichen Kontinuums, der in der Quästion De primo et ultimo instanti von Burley und in dem vierten Teil von Heytesburys Regule (De incipit und desinit) emblema‐ tisch diskutiert wird21. (2) Der Bereich De maximo et minimo über die Bestimmung von Grenzen für Kräfte und physikalische Fähigkeiten im Allgemeinen, worauf sich nicht nur der oben erwähnte Teil von Heytesburys Regulae bezieht, sondern auch eine geson‐ derte Abhandlung des Liber calculationum von Richard Swineshead22. (3) Ein dritter Bereich, der mehr Anbindung an die Naturphilosophie und vor allem an die Medizin als zur Logik zeigt, ist die Diskussion de actione et reactione. Bei diesem Bereich geht es um die Quantifizierung der Qualitäten in ihrer Wirkung und Rückwirkung aufeinander. Grundlegend in diesem Bereich ist vor allem Swinesheads Liber calculationum, obwohl auch andere Theorien diskutiert wurden, wie die von Heytesbury und Dumbleton23. (4) Der Bereich der Analyse De proportionibus motuum wurde sehr stark von Thomas Bradwardine beeinflusst. Dabei geht es vor allem um die „richtige“ Bewegungsregel, wel‐ che aus einem Verhältnis zwischen den die Bewegung fördernden (Ursachen) und den die Bewegung hemmenden (Widerständen) Faktoren stammt. Thomas Bradwardines Proportionentraktat wurde gleich in Oxford als maßgebend angesehen und bald auf dem Kontinent bis zum ausgehenden 16. Jahrhundert in Universitäten Frankreichs, Italiens und des Römisch-deutschen Reichs eingehend diskutiert. In der Wiener Artistenfakultät wurde dieser Text eifrig studiert, wie die kurze Fassung bekannt als Proportiones breves
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Im ersten Traktat De sophistria ut scientia (45–63) der von Bos, Logica, edierten Sophistria werden u. a. die folgenden Quästionen diskutiert: Q. 2: Utrum sophistria sit scientia (48–50); Q. 4: Utrum sophistria sit pars loyce (52f.). Q. 7: Utrum sophistria sit ab aliis scientiis partialibus nove logice distincta (54); Q. 8: Utrum sophistria debeat sequi alias scientias partiales loyce (55f.). Im Unterschied zu Murdoch, Factors 284, bin ich der Meinung, dass es sich um dasselbe Problem han‐ delt, obwohl es natürlich deutlich ist, dass Heytesburys Ansatz eher logisch-sprachphilosophisch, während Burleys naturphilosophisch ist. Siehe Longeway, Heytesbury; Wilson, Heytesbury 87–93. Der Tractatus X vom Richard Swinesheads Liber calculationum handelt De maximo et minimo (Dr. Venedig 1520, fol. 34ra–35vb). Für die Pariser Autoren der Buridan-Gruppe siehe Caroti, Nuovi linguaggi, und für Albert von Sachsen Di Liscia, A tract. Es handelt sich um einen typischen Bereich der Kalkulatoren, der noch zur Zeit Newtons Diskussions‐ gegenstand gewesen ist, Russell, Action. Er erweckte große Aufmerksamkeit bei den Medizinern, insb. an der Universität Padua, wo der Liber calculationum wiederholt kommentiert und gedruckt wurde (die Ausgabe von Venedig 1520 enthält auch eine Abhandlung De reactione von dem damaligen Herausgeber, dem Mediziner Victor Trincavellus). Zur Diskussion bei den englischen Autoren siehe Caroti, Burley. Für einige Autoren der Spätrenaissance im Collegio Romano, in Padua und Pisa siehe Lewis, Merton Tradition.
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oder auch der Kommentar zum tractatus longus – d. h. zum ganzen Text – belegen24. (5) Der allgemeinste Bereich und auch der, der selbständiger in Bezug auf den aristo‐ telischen Entstehungshintergrund war, ist die Diskussion über Ab- und Zunahme der „Formen“ oder Qualitäten, d. h. De intensione et remissione formarum. Hierbei fanden die Theologen und Naturphilosophen des Spätmittelalters ein weites Feld zum Austausch ihrer Ansichten über die Art und Weise, wie sich eine Qualität intensiviert und wie sie auf ihrem Träger verteilt ist25. (6) Schließlich, um diese gedrängte Präsentation abzu‐ runden, sei auf den Bereich der Diskussionen um die perfectio specierum hingewiesen, in dem es um die lückenlose Anordnung aller Entitäten in einem auf Graden basierten System von Vollkommenheit geht. Dieser Bereich hat sich innerhalb der Theologie und Metaphysik entwickelt, er hatte aber auch seine Bedeutung innerhalb der Natur- und der Moralphilosophie26. In all diesen Bereichen wurden Sonderabhandlungen verfasst, die sicherlich oft eine mehr oder weniger direkte Beziehung zum aristotelischen Corpus hatten, aber an und für sich selbst nicht als Kommentar zu irgendeinem Werk des Aristo‐ teles konzipiert worden waren. Dieses wesentliche Merkmal, welches in keinem geringen
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Siehe hierfür Di Liscia, LB 66f. Für eine ausführliche Studie der spätmittelalterlichen Proportionenlehre siehe Rommevaux, Théories 15–170. Maier, Grundprobleme 79, hat hingewiesen, es ließe sich mit dem fortschreitenden 14. Jahrhundert eine „Neigung zur Mathematisierung des philosophischen Denkens und Argumentierens“ feststellen, wobei auch diese Thematik „zum Gegenstand von calculationes“ gemacht wurde. Grundsätzlich handelt es sich hierin nur um die formae bzw. qualitates accidentales, welche überhaupt eine solche intensive Veränderung zulassen. Da eine solche intensive Qualität aus Graden besteht, kann man sich dementsprechend fragen, welche die „richtige Beschreibung“ für den Vorgang ihrer Zu- und Abnahme ist. Für das 15. Jahrhundert gelten die zwei entgegengesetzten und im 14. Jahrhundert aufgestellten Theorien als grundlegend: Bei der Intensivierung handelt es sich um eine successio, bei der die stärkere Form die schwächere vollständig ersetzt, oder es handelt sich um die additio neuer Grade innerhalb einer und derselben Form, die bestehend bleibt. Die erste Theorie wurde von Albertus Magnus und Gottfried von Fontaines antizipiert und vor allem von Walter Burley vertreten. Die bekanntesten Vertreter der zweiten – der am weitesten verbreiteten – Theorie sind Vertreter von sonst sehr unterschiedlichen philosophischen Ansichten, wie Duns Scotus, Ockham, Gregor von Rimini und Buridan. Selbstverständlich gibt es eine ganze Reihe von anderen Problemen und Ansätzen, auf die hier nicht eingegangen werden kann; i. A. siehe hierzu Duhem, Études III 314–345, und vor allem Maier, Grundprobleme 3–109, 315–359; für die Oxford Kalkulatoren siehe Sylla, Medieval Concepts. Das ursprüngliche Feld für die Diskussion de intensione et remissione formarum ist bekanntlich die Theologie, und zwar vor allem im Rahmen der Sentenzenkommentare. Über die Weiterentwicklung der Sentenzenkommentare zur Zeit unserer Expositio zu LF in Wien siehe Nicholas of Dinkelsbühl, ed. Brinzei. In Bezug auf den allgemeinen Bereich der Zu- und Abnahme der Qualitäten sei noch auf zwei Eigentümlichkeiten hingewiesen, die für diese Arbeit von Bedeutung sind: 1) Für die scholastische Philo‐ sophie kommen hierbei nicht nur Qualitäten der Körper, wie eine Farbe oder eine Temperatur, in Frage, sondern ebenso auch „spirituelle“ oder „psychologische Qualitäten“ (siehe ein Beispiel hiervon in Di Lis‐ cia–Ebbersmeyer, Gaetano 18f.). Zweitens, der Bereich der intensio und remissio formarum schließt natürlich auch einen Fachbegriff mit ein – und auf jeden Fall einen der wichtigsten –, den Begriff latitudo. Das bedeutet längst nicht, dass es um die Diskussion de latitudinibus formarum geht, d. h. über die Formla‐ tituden, die sich auf die geometrische Darstellung der Qualitäten beziehen. Selbstverständlich stehen beide Gebiete fachlich in enger Beziehung, aber es kann sehr wohl geschehen, dass ein Traktat über die Ab- und Zunahme der Qualitäten nicht die Problematik der geometrischen Darstellung miteinbezieht. Diese Thematik ist direkt mit der Formlatitudenlehre insofern verbunden, als sie auch die Frage diskutiert, welche die mathematisch beste Einordnung alles Seienden sei. Neben einer Antwort, die auf die Arithmetik zurückgreift und die Benutzung von Zahlen vorschlägt, gibt es eine andere, die geometrische Gebilde zu be‐ nutzen vorzieht und deshalb eine Art spezielle Anwendung der Formlatitudenlehre auf dieses theologischmetaphysisches Problem ausmacht. Für weitere Einzelheiten hierüber siehe Murdoch, Mathesis 238– 248, und Di Liscia, Perfections.
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Maße mit der oben erwähnten Vermeidung oder Auslassung kategorialer Wesensbestim‐ mungen zusammenhängt, wird sich im Verlaufe der Zeit bei der Weiterentwicklung der Kalkulatoren-Tradition stark verändern27. Nach der Rezeption der Haupttraktate und der Sophismata-Sammlungen der Kalkulatoren auf dem Kontinent, möglicherweise allen voran an der Pariser Universität, werden die neuen quantifizierenden Ansichten, ja der Ansatz der Kalkulatoren, ein beliebtes Mittel, um die aristotelischen Texte zu ergänzen und verbessern. Dabei erhalten sie jetzt einen wissenschaftlichen Status, den sie nicht unbedingt von vorne herein hatten. Unsere Expositio macht dies in dem Vorwort deut‐ lich: diese „Wissenschaft der Formlatituden“ ist nützlich, um sophismata zu lösen und das dritte Buch – ja, das Buch, in dem Aristoteles von der Definition der Bewegung schlechthin handelt – zu verstehen.
§ 1.2. Die Geometrisierung der Naturphilosophie Wenige Dekaden nach Bradwardines Abhandlung über die Proportionen entstand in Paris ein revolutionäres Werk, die Abhandlung von Nicole Oresme De configurationibus qualitatum et motuum, die zu einem großen Teil – aber nicht nur – ähnliche Interes‐ sen wie die Kalkulatoren von Oxford verfolgte und jedoch einen sehr unterschiedlichen Weg in der Behandlung der Bewegung einschlug28. Diesem neuen Weg entsprechend ist der Geometrie der Vorrang in der Behandlung vieler der Probleme zu geben, die 27
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Burley ist natürlich auch Verfasser zahlreicher Kommentare zu Aristoteles, Weisheipl, Repertorium 185– 208; diese stellen aber nicht den Hauptgrund dar, warum man ihn zu den ersten Kalkulatoren zählt (siehe Anm. 4). Dumbletons Summa stellt einen besonderen Fall dar. Zu einem großen Teil kann man dieses Werk der Aristoteles-„Kommentartradition“ zuordnen, indem es über weitere Strecken an die Grundtexte des naturphilosophischen Corpus anknüpft. Natürlich hat Dumbleton das Material nach seinem Interesse ge‐ ordnet. Der dritte Teil handelt von der Bewegung und von der Zeit, also von zweien der Hauptgegenstände, die Aristoteles in den Büchern III und IV seiner Physik erörtert (in Hs. Vat. lat. 954 auf fol. 18v –37r. In dieser Kopie wird allerdings Dumbletons Summa Ockham zugeschrieben, vgl. Weisheipl, Reperto‐ rium 211). Hier diskutiert Dumbleton nicht nur die quantitativen Aspekte bezüglich der Geschwindigkeit in den verschiedenen predicamenta des Ortes, der Qualität und der Quantität – wie auch Heytesbury, aber nach einer anderen Reihenfolge –, sondern er schließt auch eine ausführliche Auseinandersetzung mit der traditionelleren Frage quid sit motus mit ein: Quid et qualis res sit motus quatuor sunt opiniones: Una dicit motum esse accidens in subiecto. Hec positio bipartita est: una dicit motum esse accidens fixum; secunda dicit motum esse accidens fluxibile, ita quod solum de eo manet unum indivisibile, sicut instans manet in tempore et continue est alius motus et alius. Sed tertia dicit motum nihil esse sed privationem. Quarta dicit motum esse mobile prout mobile est actualiter acquirendo aliquem terminum (ebd. fol. 31r). Es ist also ersichtlich, dass er in diesem Kontext auf „alte Fragen“ – die man schon bei Albertus Magnus findet – der Wesensbestimmung der kategorialen Bestimmung der Bewegung als forma fluens oder fluxus formae eingeht. Nach Maier, Philosophie 131f., Anm. 90, beantwortet Dumbleton im Sinne von Ockham. Eine solche Diskussion fin‐ det jedenfalls bei keinem der anderen Autoren statt, nicht einmal in den Quästionen zur Physik, die man Richard Kilvington zuschreibt. Für eine Liste dieser Quästionen aus allen bisher bekannten Handschriften siehe Jung, New Interpretation. Ich danke El˙zbieta Jung für die Bestätigung dieser Angaben über Kilving‐ ton. Siehe diesbezüglich auch Maier, Philosophie 133, Anm. 91. Eine definitive Datierung dieses Textes gibt es bisher nicht. Clagett, DC 122–125, hat zwei Mög‐ lichkeiten vorgeschlagen, die zwischen 1351 und 1363/64 liegen. Für weitere Informationen siehe Di Liscia–Panzica, Writings II.6. Zur geistesgeschichtlichen Entstehungszeit von Oresmes DC seien die ausdruckvollen Worte von Anneliese Maier zitiert: „Etwa um die Mitte des 14. Jahrhunderts, als die Wis‐ senschaft der Calculationes in voller Blüte stand – und vermutlich um dieselbe Zeit, als Suissets Liber calculationum geschrieben wurde –, hat sich von ihr, anknüpfend an eine bestimmte Begriffs- und Pro‐ blemgruppe, eine neue Sonderwissenschaft abgezweigt, die sich dann unter dem Namen einer Scientia oder
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Voraussetzungen und Zusammenhänge
man gewöhnlich mit logisch-sprachphilosophischen Methoden angegangen war. Oresme selbst hat sein eigenes Programm in einem Quästionenkommentar zu Euklid antizipiert und die Grundlage seiner neuen Lehre in DC niedergelegt. Die Idee der Geometrisie‐ rung selbst breitete sich schnell aus und gewann in vereinfachtem Format ihren Platz in der Ausbildung an einigen Universitäten, allen voran in Wien. Wie wir sehen werden, wussten die Wiener Lehrer, die sich mit dieser Disziplin beschäftigten, eigentlich wenig von Oresme selbst und dessen configurationes. Die Ausbreitung dieses geometrisierenden Ansatzes lief kaum über Oresmes DC. Außerdem steht es fest, dass Oresme in dieser Hinsicht seine eigenen Vorgänger hatte, so dass die Motivation zu einer Anwendung der Geometrie auch aus anderen Quellen bezogen werden konnte. Aber darauf kommt es jetzt nicht an. Entscheidend ist hier nur, dass nun ab ca. der Mitte des 14. Jahr‐ hunderts, während fast überall das Training in sophismata – bei denen, wie erwähnt, quantitative Schwerpunkte auf Fragen der aristotelischen Physik gesetzt wurden – zur gängigen Grundausbildung gehörte, ein neuer Ansatz zur Verfügung stand. Dieser neue, geometrisierende Ansatz war teilweise als Ergänzung, teilweise aber auch als Konkurrenz gegenüber den sophismata geschaffen. Allgemein ausgedrückt und mit einer anachronis‐ tischen Begrifflichkeit geht es bei diesem geometrisierenden Ansatz um die Beschreibung von Bewegungen nach Zeit und Strecke mittels eines „Koordinatensystems“. Man hat nicht ganz ohne gewisse Berechtigung geglaubt, hierin nicht nur die analytische Geome‐ trie, sondern auch die moderne Kinematik finden zu können29. Welche sind die Hauptideen, die impulsgebenden Motivationen und die Haupttexte, die wir mit diesem geometrisierenden Ansatz verbinden und die im Hintergrund der Expositio zu LF stehen? Als erstes sei die Hauptidee des Programms erwähnt, welche sowohl in Oresmes De configurationibus (DC) als auch im Traktat De latitudinibus for‐ marum (LF), dem der Expositio zugrundeliegenden Text, direkt ausgedrückt wird. Bei Oresme heißt es, dass bei der „mensura“ – das hat natürlich nichts mit irgendeinem empirischen Messverfahren zu tun, das ist bekannt – und dem Vergleich der Qualitäten oder Geschwindigkeiten auf die Geometrie zurückzugreifen sei30. In LF wird es in den zwei ersten proömialen Sätzen so ausgedrückt, dass angesichts der großen Vielfalt von
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Mathematica de latitudinibus formarum bald verbreitet hat. Ihr Begründer ist Nicolaus von Oresme, der zweifellos genialste Naturphilosoph des 14. Jahrhunderts, der uns schon aus anderen Zusammenhängen bekannt ist. Über seine Mathematik der Formlatituden hat er sich in zweien seiner Werke ausgesprochen: in dem Traktat De configurationibus intensionum, der um 1350 entstanden sein dürfte, und außerdem in den Quästionen über Euklids Geometrie, die bisher unbekannt waren“, Maier, Grenze 270. Es ist jedoch nicht definitiv sicher, dass Oresme der Begründer dieses geometrisierenden Ansatzes ist. Historisch gesehen ist das auch verständlich. In einer Zeit, in der die Erforschung der Naturphiloso‐ phie des 14. Jahrhunderts und der mittelalterlichen Logik weit entfernt von der Entwicklung der letzten Jahre war und das erste Sammeln der Quellen von noch immer geltenden aufklärerischen Vorurteilen ge‐ gen „das Mittelalter“ getrübt war, musste diese Anwendung der Geometrie einen zum Teil sensationellen Eindruck erwecken, der bis in die jüngere Forschung andauerte. Die Untersuchungen von Curtze, Duhem, Wieleitner und vor allem von Maier – der wir nicht nur eine große Menge an Textforschung zu verdanken haben, sondern auch eine so konsequente wie durchdachte Diskussion von Duhems Ansichten – mün‐ deten schließlich in Clagetts kritische Edition von De configurationibus, die ein neues Forschungskapitel bestimmte. Vgl. Curtze, Handschrift; ders., Algorismus; ders., Handschriften; ders., Studienreise; Duhem, Études, bes. III 375–398; bes. Wieleitner, Tractatus; ders., Funktionsbegriff; bes. Maier, Vorläufer 111–131; dies., Grundprobleme 89–109. Pro mensuris igitur et proportionibus qualitatum seu velocitatum habendis remittendum est et recurrendum ad geometriam, Oresme, DC 405, Z. 6–8.
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Variationen bei den Latituden der Formen ihre Unterscheidung ohne die Verwendung von geometrischen Figuren äußerst schwierig sei31. Mit einer leichten Bedeutungsver‐ schiebung findet man diese Idee auch in Oresmes DC. Im Vorwort von Oresmes DC kommt auch ein kritischer Ton vor, der sehr wohl als bezogen auf die sophismata und calculationes der englischen Kalkulatoren interpretiert werden kann. Er tadelt andere für deren undeutliche Behandlung des Gegenstandes; insbesonde vermisst er bei ihnen ein richtiges Verständnis des wichtigen Begriffspaars der „Gleich- und Ungleichförmigkeit der intensiones“. Jedenfalls, möchte er mit seinen configurationes viel mehr als eine rei‐ che Übungssammlung zur Verfügung stellen. Was er beabsichtigte, war es, daraus eine neue nützliche disciplina zu machen. Wie auch immer er diesen Begriff verstanden haben kann, erscheint es jedoch sehr wahrscheinlich, dass es sehr – wenn er sich in dieser Art und Weise schon im Proemium des Werkes äußerte – um den wissenschaftlichen Status dieser in diesem Werk ausgelegten Disziplin geht: „Als ich anfing, meine Vorstellung von der Gleichförmigkeit und Ungleichförmigkeit der Intensitäten zu ordnen, fielen mir andere Dinge ein, um das Thema zu ergänzen, so dass diese Abhandlung nicht nur als Übung, sondern auch als Disziplin nützlich sein würde. Darin habe ich versucht, jene Themen klar und geordnet zu behandeln, die manche andere verwirrend zu verstehen, dunkel auszudrücken und auf unbequeme Weise anzuwenden scheinen, und nützlicher‐ weise sie sogar auf andere Themen anzuwenden.“32 Im vierten Kapitel des ersten Teils bei der Behandlung des zentralen Begriffes der Quantität der Qualität betont Oresme vor allem die Anschaulichkeit der neuen Lehre. Durch die Darstellung in figura sensibile kommen wir citius, facilius et clarius zum Ver‐ ständnis dieser schwer fassbaren Gegenstände, wie zum Beispiel, wenn wir zu verstehen versuchen, was eine qualitas uniformiter difformis ist. Das scheint satis difficilis zu sein, aber – so fragt erwidernd Oresme – quid facilius quam quod trianguli rectanguli altitudo est uniformiter difformis? Certe hoc apparet ad sensum33. Eine solche kritische Bemerkung wie im Oresmes Vorwort zu DC entspricht dem Stil vom LF nicht. Dennoch ist die programmatische Verwandtschaft beider Texte un‐ bestreitbar. Es kann daher nicht überraschend sein, wenn wir finden, dass LF schon im Mittelalter oft Oresme zugeschrieben wurde und diese Meinung sich hartnäckig erhalten hat, sogar wenn in der Forschung allgemein bekannt ist – oder sein sollte –, dass Oresme nicht der Verfasser von LF ist34. Anneliese Maier hat die These aufgestellt, nach der 31
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Quia formarum latitudines multipliciter variantur, que multiplicitas difficile discernitur nisi ad figuras geo‐ metricas consideratio referatur. Siehe unten S. 91 Zz. 127f. Cum ymaginationem meam de uniformitate et difformitate intensionum ordinare cepissem, occurrerunt michi quedam alia que huic proposito interieci ut iste tractatus non solum exercitationi prodesset sed etiam discipline. In quo ea que aliqui alii videntur circa hoc confuse sentire et obscure eloqui ac inconvenienter aptare studii dearticulatim et clare tradere et quibusdam aliis materiis utiliter applicare, Oresme, DC 158, Z. 1–7. Das heißt längst nicht, dass diese Kritik nur darauf bezogen ist. Oresme, DC 174, Z. 8–18. Auch an einer anderen Stelle, wo Oresme das rechtwinklige Viereck der gleich‐ förmigen Qualität und das rechtwinklige Dreieck der gleichförmig-ungleichförmigen Qualität einführend zuordnet (DC I, cap. 11), ergänzt er noch: Omnis autem alia qualitas linearis dicitur difformiter difformis et est ymaginabilis per figuras aliter dispositas secundum multifariam variationem, cuius aliqui modi postea videbuntur. Predicte vero differentie intensionum non melius nec clarius neque facilius notificari possunt quam per tales ymaginationes et relationes ad figuras, quamvis quedam alie descriptiones seu notificationes possint dari que etiam per huiusmodi figurarum ymaginationes fiunt note, DC 190–192. Wie auch u. a. Lhotsky, Wiener Artistenfakultät 113f., behauptete. Ferner enthält auch das wichtige Werk von Grössing über humanistische Wissenschaft grundlegende Fehler zu unserem Thema, u. a. eine
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der Verfasser von LF „Jacobus de Sancto Martino“ sei, den sie mit dem Verfasser des von ihr entdeckten Tractatus de perfectione specierum, Jacobus de Napoli, AugustinerEremit, von dem bisher keine weiteren Schriften bekannt sind, identifiziert35. Der Text der Expositio spricht nur durchgehend von auctor, wenn er sich auf den Verfasser von LF bezieht36. Im Gegensatz zu DC ist LF ein sehr kurzer Text, in dem sich sein Verfasser einen ziemlich einheitlichen und beschränkten Gegenstand zu erschließen vorgenommen hat. Er hängt ja mit DC zusammen, aber wie dieser Zusammenhang auszusehen hast, ist kei‐ neswegs restlos geklärt. Die gängige Meinung ist nämlich die, dass LF etwa zwanzig oder sogar vierzig Jahre später als eine bewusste Vereinfachung von Oresmes DC entstanden sei. Aber für eine solche Überzeugung gibt es keine definitiven Beweise und, wie es mir scheint, ist es sehr wohl möglich, dass die Reihenfolge andersherum aussieht37. Worum geht es in LF? Einige besondere Inhalte dieses Traktats wurden in der Litera‐ tur schon oft genug präsentiert und diskutiert, so dass wir uns hier auf das Wesentliche beschränken dürfen, und zwar nur als Hintergrund für die hier zu edierende Expositio, welche einer Auslegung dieses Textes ist. Tractatus de latitudinibus formarum ist ein prägender, aber nicht unmittelbar ver‐ ständlicher Titel. Im Allgemeinen kann man annehmen, dass mit forma ein der Substanz inhärierendes Akzidens gemeint ist, eine Qualität (in Oresmes Fachterminologie), die eine intensive Zu- bzw. Abnahme erfahren kann, welche wiederum durch Grade statt‐
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offensichtliche Verwechslung der Traktate De latitudinibus formarum und De configurationibus (diesen letzten allerdings mit der Betitelung nach der alten Arbeit von Borchert). Diesen Fehler findet man selbst‐ verständlich nicht bei Anneliese Maier, die Grössing oft zitiert, und die (hier leider vergeblich) dazu beitragen hat, genau diesen und andere solche Fehler zu beheben (Grössing, Naturwissenschaft 61f.; 248, Anm. 192). Ich darf ferner hinzufügen, dass die berühmte kritische Edition Clagetts von Oresmes De configurationibus schon lange genug gedruckt vorlag, als das Buch von Grössing erschien. Maier, Grenze 371f. Die Freiburger Abschrift enthält keine Angaben zum Verfasser von LF. Die Wiener Abschrift enthält hin‐ gegen die Zuschreibung zu Iacobus de Florentia ordinis fratrum heremitarum Sancti Augustini, was natürlich für weitere Probleme sorgt (siehe unten S. 43, Expl2.). In dieser Arbeit werde ich nicht die Problematik der Verfasserschaft von LF selbst diskutieren und die These von A. Maier annehmen, die allgemeine Akzeptanz in der Forschung erfahren hat. Duhem, Études III 400f. Nach Maier, Grenze 370f., sei LF keine „Verflachung der Oresme’schen Ideen“, sondern „das Werk eines nüchternen und praktischen Mathematikers, der aus der Füller der metaphy‐ sischen Spekulationen, mit denen Oresme selbst seinen Gedanken überlastet hatte, . . . die eigentliche Methode herausschält und klar und übersichtlich zusammenfasst“. Ich halte diese Meinung für fragwürdig. Erstens, weil der Autor von LF keine besonderen mathematischen Kompetenzen aufweist, wie Clagett, DC, Introd. 88, begründet hat. Zweitens, weil diese Ansicht mit der Vorstellung sehr schwer zu vereinbaren ist, dass dieser derselbe Autor sei, der sich mit dem metaphysisch-theologischen Problem der Vollkommen‐ heit der Spezies beschäftigt hat – eine These, die A. Maier unmittelbar darauf schildert. Zuerst kann LF entstanden sein, und zwar als „Lösung“ oder „Antwort“ auf die Probleme, die man in der Theologie gestellt hat, innerhalb der man schon vor Oresmes DC angefangen hatte, die Geometrie auf diese Begrifflichkeit anzuwenden, wohl gemerkt: auf ein Diskussionsspektrum um den Begriff der latitudo. In DC (170 18–23), indem er eine Umformulierung der Fachterminologie verlangt, tadelt Oresme diesbezüglich die Theologie: Sed multi theologi loquuntur improprie de latitudine caritatis (ebd. 19f.). Nachdem Oresme sich in seine Quästionen zu Euklid mit der Entwicklung dieser Lehre auf einem höheren mathematischen Niveau als seine Vorgänger beschäftigt hatte, kann er sich entschieden haben, das Ganze erneut durchzudenken, sodass ihm dabei – wie er ja sagte – diese neue Lehre eingefallen ist. Dementsprechend würde es sich in dieser Phase nicht um einen Prozess des Verflachens und Vereinfachens von DC zu LF handeln, sondern umgekehrt des Vertiefens und Verkomplizierens.
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finden kann, oder welche mehr oder weniger Grade aufweist. Ebenso kann man im Allgemeinen die für das Spätmittelalter durchgehend gültige Bedeutung von latitudo annehmen, durch die die „intensive Spannweite“ oder der „intensive Spielraum“ zwi‐ schen einem minimalen und einem maximalen Grad einer intensiven Form ausgedrückt wird. So gesehen, und auch wenn der Auctor von LF vor allem bei dem Begriff der lati‐ tudo nicht immer konsistent zu bleiben vermag, scheint schon der Titel des Traktats LF einen speziellen Forschungsgegenstand mit einer gewissen Schärfe bestimmen zu wollen. Die Erfüllung dieser Forderung stellt eine Grundbedingung für den wissenschaftlichen Status einer Disziplin dar, vor allem wenn es darum geht, sie in den Lehrbetrieb aufzu‐ nehmen. Dass hierin jedoch mehrere Probleme versteckt liegen, das haben der Verfasser der Expositio und seine Kollegen erkannt und angeführt, obwohl sie leider nicht immer imstande waren, diese Probleme zu lösen. LF ist grundsätzlich in zwei Teile gegliedert. Der erste Teil besteht aus der äußert kurzen einführenden Aussage über die Nützlichkeit der Verwendung der Geometrie für das Verständnis der Latituden, die wir als „Proömium“ oder Vorwort bezeichnen dürfen, und einem Kapitel, in dem man sechs Einteilungen (divisiones) der Latituden liefert, wobei jedes Glied der Einteilung knapp definiert ist38. Eine Latitude kann gleichförmig (uniformis) oder ungleichförmig (difformis) sein, je nachdem, ob sie dieselben Grade per totum aufweist oder nicht (1. divisio). Ist sie ungleichförmig, so kann sie in ihrer ganzen Ausdehnung so sein, oder nur teilweise, d. h. secundum se tota difformis oder nicht (2. divisio). Ist das der Fall, d. h. ist sie ist nicht durchgehend ungleichförmig (non secundum se tota difformis), so hat sie mindestens einen gleichförmigen Teil. In diesem Fall (3. divisio) kann diese Ungleichförmigkeit selbst gleichförmig (uniformiter difformis) oder ungleichförmig (difformiter difformis) sein. Bei den gleichförmig-ungleichförmigen La‐ tituden bringt der Verfasser von LF eine wichtige Fallunterscheidung als 4. divisio, was auch ein Zeichen dafür ist, dass die Grundgedanken nicht ganz ausgereift sind und un‐ ter dem systematischen „Aufteilungsdrang“ des Verfassers leiden, denn es gibt keinen eigentlichen Grund, um diese Begrifflichkeit auf den Sonderfall von uniformiter diffor‐ mis zu reduzieren. Dieser Aufteilung gemäß können eben diese Latituden auch nach ihrem Anfang und Ende unterschieden werden, je nachdem, ob im ersten bzw. letzten Augenblick ein Grad vorhanden ist (ad gradum oder ad certum gradum) oder nicht (ad non gradum). Rein theoretisch sind hier natürlich die vier folgenden Fälle möglich: (1) ad non gradum – ad gradum; (2) ad gradum – ad non gradum; (3) ad gradum – ad gra‐ dum; (4) ad non gradum – ad non gradum. Freilich wird sofort festgestellt: „non potest dari quartum“, denn eine Latitude ohne Grade weder am Anfang noch am Ende wäre ja unsinnig. Diese Unterscheidung ist jedoch wichtig, denn sie ist der deutlichste Beleg dafür, dass man damit einige der Probleme, die man im Rahme der Sophismata-Tradition diskutiert hatte, jetzt mit Verwendung der Geometrie in Angriff nehmen will. Man will sie nicht anders lösen – nichts in dem Text von LF erlaubt uns den Schluss zu ziehen, sein Verfasser hätte eine besondere Meinung zum Problem des incipit et desinit einer Latitude zu verteidigen –, sondern man versucht durch diesen neuen Ansatz deutlicher zu erörtern. Es ist eben diese quarta divisio der Latituden, die im Zentrum steht, wenn der Verfasser der Expositio zur Diskussion von sophismata und der Merton-Regel kommt. 38
Diese allgemeine Einteilung hat Michael Lochmair, der Wiener Magister und Kopist der Wiener Hand‐ schrift, auf den ich später zurückkommen werde, versucht in einer systematischen Darstellung, welche hier reproduziert wurde, zusammenzufassen (siehe unten S. 85. Für die Edition siehe S. 40 Fig. 29).
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Die dritte Einteilung kann noch weitergeführt werden, indem man bei der gleichför‐ mig-ungleichförmigen Latitude die zwei Hauptmerkmale wie bisher anwendet: Diese ist entweder secundum se totam gleichförmig-ungleichförmig oder nicht (Div. 5). Ist sie es nicht, d. h. gibt es hierin die Möglichkeit einer weiteren Gleichförmigkeit, so darf man dann weiterunterscheiden, und zwar zwischen uniformiter difformiter difformis und dif‐ formiter difformiter difformis (6. Div.). Hier hört LF mit den Aufteilungen auf. Gerade diese letzte Unterscheidung, die man weder bei den Oxford-Kalkulatoren findet, noch bei Oresme, scheint ein typisches Merkmal dieses Werkes zu sein. Dieses Merkmal ist spä‐ ter von einem Autor aufgegriffen worden, der im Rahmen seines naturphilosophischen Kompendiums den perfectiones und latitudines sehr weiten Raum gegeben hat, und zwar nicht im Sinne einer Wiederholung, was selbstverständlich wäre, sondern im Sinne einer weiter- und uneingeschränkten Anwendung39. Der zweite Teil, der in der Kommentartradition wesentlich weniger Aufmerksamkeit bekommen hat, besteht aus drei Kapiteln. Der erste, den man De figuris geometricis beti‐ teln dürfte, gibt eine Einteilung in sieben Glieder mit den entsprechenden Definitionen der zu verwendenden geometrischen Figuren40. Demgemäß ist eine Figur (1) angularis oder nicht; (2) wenn angularis, dann monoangula oder plurium angulorum; (3) Wenn das der Fall ist, dann ist sie biangularis (diese Figur kann nie rectilinea sein) oder multiangu‐ laris; (4) Wenn die Figur biangularis ist, dann ist diese Figur nur von krummen Linien umschlossen, oder aus krummen und geraden Linien; (5) Ist die Figur multiangularis, dann besteht diese Figur aus geraden (rectilinea), aus krummen Linien (curvilinea) oder beiden. (6) Wenn die Figur curvilinea ist, dann ist sie rein aus krummen Linien bestehend oder aus einer Zusammensetzung von krummen und geraden Linien41. Das zweite Kapitel beinhaltet eine Reihe von Annahmen (suppositiones), welche in unserem Text fünfzehn sind42. Es ist das einzige Kapitel, in dem der Verfasser einige – auch sehr knappe – philosophische Bemerkungen formuliert. Als Erstes stellt man fest, dass alles, was sich secundum aliquam proportionem verhält, zur Quantität gehört, wo‐ bei es keine Rolle spiele, ob es sich um eine vera oder eine nur ymaginata Quantität handelt. Daraus gewinnt der Verfasser das Grundprinzip für eine verallgemeinerte An‐ wendung der Geometrie, sei, dass es sich um Dinge handelt, die in der Zeit existieren (res successivae), oder nicht (res permanentes); und noch mehr: gleichgültig, ob diese Dinge wirklich existieren (res vere existentes) oder ob sie nur secundum ymaginationem
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Der angesprochene Autor ist der Augustiner-Eremit Jacques Legrand, der am Anfang des 15. Jahrhun‐ derts – also, als die Formlatitudenlehre in Wien voll im Gange war – ein Compendium der Naturphiloso‐ phie verfasste, in dem er meinte, dass die Unterscheidung zwischen uniformiter difformiter difformis und difformiter difformiter difformis bei Bedarf weitergeführt werden kann, so dass wir anschließend hätten: uniformiter difformiter difformiter difformis und difformiter difformiter difformiter difformis, usw. ohne Ende. Siehe hierzu Di Liscia, Perfections 295–304. Ich bereite eine vollständige Edition dieses Textes vor. Für eine Zusammenfassung des Inhaltes des gesamten Traktats siehe die Einführung der Edition bei Smith, LF XXXIII–LI. Weitere Einzelheiten zum Inhalt werde ich unten im Kommentarteil zur Expositio disku‐ tieren. Warum an dieser Stelle der Schreiber der Wiener Abschrift, Michael Lochmair, der sich sehr um die Figuren bemüht hat, die Abbildung eines geradlinigen Sternes bringt, ist für mich unverständlich. In einem anderen Zusammenhang werden Sternpolygone von Bradwardine, Geometria speculativa 36–40, behandelt (siehe hierin auch Mollands Verweise auf Campanus und andere Autoren, ebd. 157). In Smith. LF, Introduction XXXIV und Text 11–18, sind es aber 13.
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sind (Sup. 1). Ganz besonders gilt dies für alles, was einen gradualen Überschuss (ex‐ cessus gradualis) aufweist: Überschüsse von Graden können per modum quantitatis dar‐ gestellt werden (Sup. 2). Auch die Fachterminologie wird bestimmt: excessus gradualis, latitudo gradualis und intensio forme haben nach dem gewöhnlichen Gebrauch, an den sich der Autor von LF halten will, dieselbe Bedeutung (Sup. 4 und 5). Ein quantum kann als bestehend aus mehreren Dimensionen dargestellt werden, wobei in jeder dieser Dimensionen Überschüsse vorkommen können (Sup. 5 und 7). Auf diesen Prinzipien basierend, beschreiben die folgenden Suppositiones das in LF vorgeschlagene Darstel‐ lungssystem, das grundsätzlich mit Oresmes Systemen der configurationes kompatibel ist: Die Überschüsse in nur einer Dimension können durch die Länge einer Linie dargestellt werden. Handelt es sich um Überschüsse nach der Ausdehnung (extensio) der Teile, so ist diese Linie die Länge (longitudo). Wenn Überschüsse oder Veränderungen nicht nur nach Ausdehnung, sondern auch nach der Intensität (intensio) vorkommen, so kommt bei der Darstellung in einer Fläche (superficies) eine weitere Dimension hinzu (latitudo) (Sup. 8). Für die Ausdehnung sind nur gerade Linien zulässig, über die dann eine figura plana entstehen soll (Sup. 9). Hier findet man eine sehr knappe aber unmissverständliche Zusage der Additionstheorie. Sie ist wichtig, denn sie stellt eine der wenigen Aussagen dar, die eine Verbindung zwischen dem geometrisierenden Ansatz der latitudines forma‐ rum und dem weiten Feld der intensio et remissio formarum herzustellen versucht. Sie lautet: sicut intensio forme est additio forme in eadem parte subiecti, ita latitudo forme est additio superficie super eandem longitudinem43. Anschließend wird festgelegt, dass jedem Punkt auf der Linie, die als Basis der Figur dient, d. h. auf der Linie der Aus‐ dehnung, eine bestimmte Höhe in der Figur entspricht (Sup. 10), so dass jeder Punkt in der extensio auch eine intensio aufweist (Sup. 11). Das Endergebnis ist dann die Dar‐ stellung der totalis intensio auf der so aufgestellten Figur (Sup. 12). Diese Figur ist also ein imaginatives, darstellendes Maß für die „gesamte Intensität“ der Form. Hierfür wird auch eine Begründung herangezogen, die Oresme eher fremd wäre: So wie eine Anzahl von Punkten Linien wiedergibt, so geben die senkrecht aufgestellten Linien die Fläche
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LF, Edition, hier S. 119 Zz. 991f.; meine Hervorhebung). Gegen Duhems Versuche, einen Zusammenhang zwischen Oresmes Konfigurationen und der additiven These zu sehen, hat Maier, Grundprobleme 82, hervorgehoben, dass Oresme diese These in DC ziemlich deutlich ablehnte (siehe DC 300 lin. 9–28). Maiers überkritische Einstellung zu Duhem ist hier wenig vertretbar. So meinte sie: „Tatsächlich ist auch von den Autoren des 14. Jahrhunderts die Theorie der additiven Intension niemals mit der Wissenschaft von den Formlatituden auf dieselbe Linie gestellt worden“ (Grundprobleme 86). Es ist wahr, dass die Formlatitudenlehre als solche nicht auf die Diskussion der ontologischen Hintergründe eingeht, wie es im Bereich der intensio et remissio formarum üblich war. Aber dass der Autor von LF die additive These akzeptiert, kommt doch ziemlich deutlich, obwohl leider zu knapp, in der erwähnten Stelle zum Vorschein. Unter der Annahme, dass Oresme diese Theorie in keiner Weise vertreten hat, ist das Vorkommen dieser Meinung in LF ein weiterer Beleg dafür, dass LF nicht von Oresme stammt. Darüber hinaus ist dies ein guter Hinweis darauf, dass der geometrisierende Ansatz, sei es jener der configurationes in DC oder jener der latitudines in LF, nicht unmittelbar mit einer bestimmten Lösung bezüglich der Frage der Ab- und Zunahme der Qualitäten zusammenhängen muss. Davon unabhängig ist es jedoch nicht einfach zu be‐ stimmen, ob Oresme in allen seinen Werken durchgehend ein und dieselbe Theorie vertreten hat. Maier, Grundprobleme 71f., 86, hat auf die Ähnlichkeit von Oresmes Ansichten mit Durandus de St. Pourçain hingewiesen. Mit Heranziehung von anderen Texten hat Clagett, DC 468f., jedoch gemeint, dass es keineswegs deutlich ist, inwiefern Oresme die additive Theorie ablehnte. Mindestens in seinem Physik‐ kommentar scheint Oresme eine Variante von Burleys These – also: die Sukzessionstheorie – behaupten zu wollen. Siehe hierzu Kirschner, Oresme.
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wieder. Und da diese die verschiedenen Intensionen auf jeweils einem Punkt darstellen, so muss dann die ganze Fläche die totalis intensio, die gesamte Intensität, repräsentieren und geometrisch „messen“. Die letzte Gruppe von Annahmen (13–14) macht deutlich, dass das Darstellungssystem sowohl auf „permanente oder als permanent darzustellende Formen“ als auch auf „sukzessive oder als sukzessiv darzustellende Formen“ angewandt werden kann, je nachdem, was man bei der extensio darstellt. Im ersten Fall handelt es sich um eine Ausdehnung des Subjektes (secundum extensionem subiecti), in zweiten um die zeitliche Ausdehnung, d. h. um die Dauer (secundum extensionem durationis). Beide Darstellungsweisen sind äußerst wichtig, denn sie wollen ja die Gesamtheit aller Naturphänomen miteinbeziehen, sofern diese so erschöpfend in permanentia und suc‐ cessiva auszuteilen sind. Somit sind die wichtigsten figürlichen Darstellungen entweder die intensive Verteilung einer Form auf einem Subjekt, z. B. die Wärme, oder der zeitli‐ che Veränderungsprozess bei der Zu- bzw. Abnahme einer Form. Das setzt voraus – so fügt der Verfasser von LF am Ende des Kapitels hinzu, und zwar nur auf das Subjekt bezogen, obwohl er für beide Fälle meinen muss –, dass das Subjekt teilbar ist. Das muss nicht immer der Fall sein: Auch wenn nur sehr knapp, erwähnt LF den einen Fall, der dem Spätmittelalter beschäftigt hat und in den einführenden Anordnungen der Formen sowohl bei der Expositio als auch bei LF berücksichtigt hat. Die Formen, die in der intel‐ lektiven Seele ihren „Platz“ finden, sozusagen: die Geisteskräfte, könnten auch intensiver oder schwächer werden. Natürlich will er hier auf dieses Problem nicht näher eingehen44. Das dritte Kapitel, das längste von allen, enthält einunddreißig Propositiones. Den zwei letzten Propositionen sind sieben notanda angefügt, von denen das letzte wiederum fünf corrolaria enthält. Die spätere Kommentartradition hat diesem Kapitel kaum Auf‐ merksamkeit geschenkt, denn, wenn das Interesse an den zwei ersten Kapiteln darin bestand, Deutlichkeit bei den verschiedenen Sonderfällen von Intensitätsveränderung durch Anwendung der Geometrie der Latituden zu gewinnen, so steht eine nähere, ausle‐ gende Beschäftigung mit den Verquickungen und Schwierigkeiten dieser Propositionen in direktem Widerspruch dazu. Unsere Expositio liefert nur einige wenige und zurück‐ haltende Bemerkungen hierzu. Die Propositionen selbst sind nicht uninteressant, zumal sie auf einige besondere Probleme eingehen bzw. einige vorher festgelegte Aussagen erklären oder vertiefen, die für das Verständnis des Darstellungssytems von Bedeutung sind. So wird z. B. festgelegt, dass die zu benutzenden Figuren immer nur auf der Ebene (figura plana) gemeint sind und auf einer Gerade stehen müssen (Prop. 1). Damit ist auch eine Reihe von metho‐ dischen Verboten verbunden: Keine richtige Darstellung finde durch eine Figur statt, die nur aus krummen Linien besteht (Prop. 2), deshalb auch keine durch einen Kreis (Prop. 3) oder durch eine Figur ohne Winkel (Prop. 4) oder mit nur einem Winkel (Prop. 5). Die Darstellung benötigt also Figuren mit vielen Winkeln (Prop. 6). Betrach‐ tet von einem ontologischen Gesichtspunkt, ist diese Gruppe von Proposition (2–6) mit dem Prinzip verbunden, das auch in Oresmes CD sehr deutlich formuliert und begrün‐ det wird: Stumpfe Winkel (angulus obtusus) bzw. im Allgemeinen „Winkel größer als ein rechter Winkel“ sind nicht zulässig. Ein solcher Winkel bei einer Darstellung wäre absurd, denn – begründet der Verfasser von LF – „es wäre, als ob man eine latitudo ohne longitudo setzen würde“ (Prop. 7). Aus demselben Grund werden auch Darstellungen
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Siehe die Angaben zu Gaetano da Thiene in Anm. 25.
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von Latitudinen per portionem circuli maiorem semicirculo ausgeschlossen (Prop. 8). Die Figuren in der Wiener Abschrift, die auch in vielen anderen Abschriften von LF und in DC vorkommen, sind hierfür sehr anschaulich bezüglich der gemeinten Schwierigkeit. Die Begründung ist jedoch auf das Darstellungssystem selbst beschränkt. Aber warum sollte dies absurd sein? Darüber schweigt LF. Oresme hingegen spricht deutlich das on‐ tologische Problem an: „Denn das, was dieser Darstellung nach auf dem Subjekt liegt, liegt der Sache nach in dem Subjekt, und andersherum. Aus diesem Grund, wenn etwas auf dem Subjekt, aber nicht senkrecht dargestellt werden sollte, wäre das der Sache nach außerhalb des Subjektes“45. Es ist hierbei offensichtlich: Man kann vieles – und dieses System gehört auch dazu – mit dem Funktionsbegriff interpretieren und in ihn umwan‐ deln. Das zeigt aber hauptsächlich, was für ein mächtiges Werkzeug die moderne Idee der funktionalen Abhängigkeit ist. Das spätmittelalterliche Geometrisierungsprojekt ist fest in der aristotelischen Ontologie der Substanz und den Akzidenzien verankert. Für die aristotelische ousia, die man in der gängigen Übersetzung als substantia wiedergege‐ ben hat, gilt das hypokeimenon, eben das subiectum, als die direkteste und intuitivste – sicherlich nicht die einzige und nicht unbedingt als die wichtigste – Bedeutung im Sinne des „Substrates“ de quo alia dicuntur46. Daher würde ja ein angulus obtusus oder einfach: ein Winkel, der größer als ein rechter Winkel ist, mindestens einen Punkt, der für den Grad einer Qualität steht, außerhalb des Subjektes darstellen, also die Intensität einer Eigenschaft, der nichts zugrunde liegt. Auf diesen Sachverhalt geht die knappe Formu‐ lierung in LF zurück. Die restlichen Propositionen untersuchen gesonderte Einzelhei‐ ten bezüglich der verschiedene Latitudinen, die vorher definiert und auseinandergesetzt wurden. Besonders wichtig und problematisch sind die sozusagen höchsten Stufen der Difformität, die der Verfasser mit dem Halbkreis und kreisförmigen Segmenten zu be‐ schreiben versucht, jedoch ohne über ordentliche Kenntnisse der Geometrie des Kreises zu verfügen. Von einem modernen Begriff der Parabel und anderer Kegelschnitte ist er weit entfernt. Weder der Verfasser von LF noch der der Expositio wissen wirklich genau, welche proportionale Beziehung die auf einem Kreis senkrecht stehenden Vertikalen auf‐ weisen. Darauf werden wir bei der Kommentierung der Expositio zurückkommen. Zum Schluss dieser allgemeinen Präsentation von LF seien noch drei Aspekte er‐ wähnt, die sehr typisch für diesen Text sind und ihn von Oresmes DC auf das Schärfste unterscheiden. Alle drei Punkte sind in der Literatur schon erwähnt worden: Erstens handelt die von Oresme in DC formulierte Lehre nicht allein von der Darstellung von intensiven Veränderungen. Sein DC ist viel anspruchsvoller als LF und sogar als seine eigenen Quästionen zu Euklid. Oresme meint eine bisher nicht ordentlich beachtete Komponente in der Natur gefunden zu haben, die Intensitäten und die Intensivierungs‐ vorgänge, deren Untersuchung er mithilfe der Geometrie wissenschaftlich konstituieren wird. Deshalb beinhaltet die Konfigurationenlehre von Oresme einen kausalen Cha‐ rakter, den die Formlatitudenlehre nicht hat. Es ist nämlich die ausgedehnte Natur der
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. . . quia illud quod secundum istam ymaginationem est supra subiectum est secundum rem in subiecto, et econ‐ verso, propter quod si quid ymagineretur super subiectum et non perpendiculariter, illud esset secundum rem extra subiectum, Oresme DC 178 lin. 10–13. Die entsprechende Stelle in Moerbeckes Übersetzung lautet: Dicitur autem substantia si non multiplicius, de quatuor maxime. Et enim quid erat esse et universale et genus videtur substantia esse cuiusque, et quarrum horum subiectum. Subiectum vero est de quo alia dicuntur, et illud ipsum non adhuc de alio (Metaphysica VII.3 1028 b34-1029 a1, AL 134).
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Intensitäten, die Oresme begründen möchte und daher auch die Tatsache, dass diese eben in der Form von geometrischen Gestalten auftreten, die wir eine configuratio nennen können, welche wir darstellen, aber nicht sehen können. Dieser Faktor würde uns ermög‐ lichen, eine Reihe von außergewöhnlichen Naturphänomenen (z. B. der „Sympathie“ und „Antipathie“) in der Natur, in den Heilungsprozessen und sogar auf psychologischer Ebene zu erklären47. Kurz gesagt: bei der Konfigurationenlehre geht es um viel mehr als um eine Umarbeitung der Sophismatatradition und um die Analyse „schwieriger“ Bewe‐ gungsfälle mit Hilfe geometrischer Figuren. Diese ganze ontologische Dimension und ihre epistemologischen Folgen kommen überhaupt nicht zur Sprache in LF. Zweitens weist LF auch hier, gerade in diesem Bereich der Analyse der Bewegung, zwei extrem auffällige Mängel auf. Zunächst einmal enthält dieser Text nicht die Mer‐ ton-Regel, die nach der gängigen Meinung schon längst bekannt war, und zwar nicht nur in Oxford, sondern auch in Paris und höchstwahrscheinlich auch in Prag und Nordita‐ lien. Der Verfasser der Expositio hat sie im Rahmen der Formlatitudenlehre zur Diskus‐ sion gebracht, wie auch Biagio Pelacani in Italien. Aber sie gehört nicht zum Inhalt von LF. Ferner, enthält dieser Text nichts von der wunderbaren Oresme’schen Behandlung des Unendlichen in der Art von „unendlichen Reihen“, die man der Sophismatatradi‐ tion zuordnen kann. Das Thema hat Oresme auch in anderen Texten behandelt, sogar in einem weiteren kurzen Beweis, auf den er in DC verweist48. Im Allgemeinen – und das ist ein auffälliger Unterschied zum dritten Teil von Oresmes DC – kommen in LF keine Äquivalenzsätze zwischen Figuren, Bewegungen, Strecken oder Geschwindigkeiten vor. Drittens und sehr wichtig zum Verständnis der hier edierten Expositio verwendet LF den entscheidenden Begriff der latitudo in verschiedenen Bedeutungen, die nicht kon‐ sistent sind und z. T. auch in einer Art und Weise vermengt werden, die von Oresme expressis verbis ausgeschlossen wurden49. (a) Erstens ist dieser ein geometrischer Begriff, der für die „Breite“ neben der longitudo (Länge) und profunditas (Tiefe) bei der Bezeich‐ nung der drei Dimensionen verwendet wird. Diese Bedeutung ist nicht problematisch; sie spielt aber eine Rolle bei der Diskussion des wissenschaftlichen Status der scientia de latitudinibus formarum, denn sie stellt den Stützpunkt für die geometrische Seite der Argumentation dar. Allerdings ist es auch die Bedeutung, die Oresme aufrechterhalten wollte, indem er die Verwendung der miteinbezogenen Begriffe sehr deutlich festlegte; der physikalisch-ontologische Bestandteil der extensio (dem tempus oder dem subiectum nach) wird durch den geometrischen Begriff der latitudo in der Figur repräsentiert; hin‐ gegen: der physikalisch-ontologische Bestandteil der intensio durch den geometrischen Begriff der latitudo. Die ganze Fläche der Konfiguration stellt die quantitas qualitatis dar, für eine Bewegung, die velocitas totalis. Anscheinend herrschte große Verwirrung und Oresme wollte nun ihr mit dieser deutlichen Festlegung der Termini entgegen‐ treten50. Dagegen hat LF neben der geometrischen Bedeutung mindestens auch zwei
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An dieser Stelle siehe das Kapitel über Oresmes Konfigurationenlehre in Maier, Grundprobleme 89–109, und in dies., Grenze 289–352. In DC 36–340 zeigt Oresme auch, wie diese Lehre ein erhebliches Potenzial für eine Ablehnung der magischen Künste und der Divinationen aufweist. Das ist der Fall der conclusio mirabilis. Siehe hierzu Di Liscia, Conclusio, und Di Liscia–Panzica, Wri‐ tings. Smith, LF XXXV, unterscheidet grundsätzlich zwischen drei Bedeutungen. Das ist meiner Ansicht nach nicht ausreichend. Für weitere Einzelheiten siehe Di Liscia, Perfections 293, Anm. 29.
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weitere Hauptbedeutungen: (b.1.) Die latitudo ist der Unterschied zwischen den Graden einer Intensität (den excessus graduum), und somit (b.2.) die in der Figur senkrecht dar‐ gestellte Linie, die diesen Unterschied ausdrückt. Hinzu und viel gravierender kommt in LF noch die folgende Bedeutung vor: (c.1.) Da die intensio totalis die gesamte Quantität der Intensität – entsprechend etwa Oresmes quantitas qualitatis, aber anders verstan‐ den – sei, ist die Fläche der Figur auch eine latitudo (c.2.). Das ist der Hintergrund, weshalb man in diesem Text und in der Kommentartradition zu ihm von dem, was man in der gesamten Figur darstellt, als einer latitudo spricht51. Neben diesen Bedeutungen und der üblichen, traditionellen Bedeutung der latitudo als „intensiver Spielraum“ der Qualität hat der Autor der Expositio auch ein bis zwei Neologismen eingeführt: Er ver‐ wendet das Verb latitudinatur und das Adjektiv latitudinabilis, um die Darstellbarkeit einer Latitude zu beschreiben.
§ 1.3. Die Verbreitung der Formlatitudenlehre Mit über fünfzig Handschriften und mehreren alten Drucken war LF viel erfolg‐ reicher als DC von Oresme und zweifellos einer der am weitesten verbreiteten Texte der neuen „mathematischen Physik“ des Spätmittelalters52. Diese große Menge an Ab‐ schriften lässt sich jedoch geographisch ziemlich ausgeglichen in zwei Hauptgruppen aufteilen: Dreiundzwanzig Abschriften sind italienischer Herkunft, weitere fünfund‐ zwanzig stammen aus dem deutschen und „osteuropäischen“ Sprachraum. Auffällig ist es, dass sich in diesem großen Konvolut von Kopien nur eine einzige Abschrift finden lässt, die mit Sicherheit in Frankreich entstanden ist53.
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Im Anschluss zu diesen drei Bemerkungen möchte ich den Leser mit der Frage konfrontieren, obwohl dieses – wie gesagt – nicht das Hauptthema dieser Arbeit ist: Unter welchen Bedingungen ist dies mit der späteren Datierung von LF vereinbar? Man möchte sich einen Autor (sei es Jacobus de Napoli, de Florentia und / oder Jacobus de Sancto Martino, oder einen anderen, aber ganz sicher nicht Oresme) vor‐ stellen, welcher entweder Oresmes DC nicht gekannt hat (was immer möglich, aber meiner Ansicht nach für unwahrscheinlich zu halten ist) oder DC kannte und dessen Inhalte nicht nur extrem trivialisiert, son‐ dern auch völlig missverstanden hat. Mangels definitiver Informationen kann man sich nur im Bereich von Annahmen und Vermutungen bewegen. Dagegen ist wenig zu sagen (immerhin, die Abschrift in Thorn / Toru´n, Gymnasialbibliothek, R. 4° 2, pag. 198–206, ist sehr wohl auf 1359 datierbar [!]). Aber ist diese Annahme sinnvoll? Wäre es nicht sinnvoller, einfach zu akzeptieren, dass LF früher, ja eine „primitivere“ Version des geometrisierenden Ansatzes ist, den Oresme mit seinem Konfigurationenprojekt verbessert, vertieft und ausgebaut hat, genauso, wie er es auch mit der bradwardinischen Regel getan hat? Ich möchte auch bei dieser Gelegenheit ein Versehen in einer Arbeit von mir korrigieren, in der ich darauf hingewiesen habe: Im Satz „. . . no hay ningún motivo para afirmar esa pre-datación de LF con respecto a DC“ (Di Liscia, Latitud 101) sind die Siglen vertauscht bzw. sollten als „post-datación“ gelesen werden. Für eine Liste der Handschriften von LF und De perfectione specierum siehe Di Liscia, Geometrie 417– 432, und ders., Perfections 282–295. Zu den in Österreich verwahrten Handschriften vgl. https://ma‐ nuscripta.at/. Es kommt hier nicht auf jede Einzelheit dieser komplizierten Überlieferung an. Dennoch seien einige we‐ nige Bemerkungen hierzu gemacht: (1) Bei der Zählung habe ich außer Abschriften auch Bearbeitungen des Textes berücksichtigt. (2) Bei der zweiten Gruppe sind noch zwei verlorene Kopien hinzuzufügen: Warschau, Biblioteka Narodwa, Hs. 30 (fol. 92 u. f.: Tractatus de latitudinibus formarum), und Halber‐ stadt, Bibliothek des Königlichen Dom-Gymnasiums, Hs. 217, Text N°2). (3) In der ersten Gruppe sind auch die zwei Abschriften in Oxford (Bodleian Library, Canon Misc. 177, fol. 14r –16v – ein für die Kal‐ kulatoren-Forschung wichtiges Stück, das Nicoletto Vernias Theatino gehörte – und Canon Misc. 506, fol. 458r –462v), die zwei Abschriften der Biblioteca Colombina in Sevilla (Hs. 5-1-10, fol. 27ra–29vb und
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Es ist sicherlich kein Zufall, dass LF so eifrig in Italien und Deutschland abgeschrie‐ ben wurde. Die Verbreitung der Textzeugen stimmt ziemlich genau mit dem Sachinter‐ esse überein, das die Formlatitudenlehre vor allem in diesen beiden Regionen erweckte. Um hier nur die auffälligsten Fälle der italienischen Rezeption festzuhalten, muss man als erstes die Quästionen zu LF des berühmten Naturphilosophen und Logikers Bia‐ gio Pelacani da Parma, die mehrfach abgeschrieben und neben LF gedruckt wurden, erwähnen54. Abhängig von ihm ist nach Maier die in einer venezianischen Handschrift anonym enthaltene Quästion Utrum omnis forma habeat latitudinem nobis presentabilem per figuras geometricas55. Der etwa zeitgenössisch tätige Logiker Mesino de Condrochi hat sich im Rahmen seines Kommentars zu Giovanni da Casales Quästio De velocitate auch mit LF beschäftigt56. Zur italienischen Rezeption von Oresmes Konfigurationen zählt Maier auch den Franziskaner Rogerius Thomae, bei dem meiner Ansicht nach Kenntnisse der Formlatituden nicht auszuschließen sind57. Der spätere Philosoph Agos‐ tino Nifo schließt sich dieser Tradition an: Er hat nicht nur LF benutzt, sondern sich auch im Rahmen seiner Kritik an den Kalkulatoren reichlich an Biagios Quästionen be‐ dient58. Schließlich sei auch erwähnt, dass auch die sogenannten Iuvenilia von Galilei deutlich Spuren dieses Textes zeigen59. Noch massiver scheint die Rezeption von LF im deutschen Sprachraum gewesen zu sein, insbesondere wenn man berücksichtigt, wie eng diese mit dem Lehrbetrieb zusammenhing. Hier sind Textzeugen aus Erfurt, Freiburg, Heidelberg, Leipzig, Prag, Greifswald / Rostock und natürlich Wien zu verzeichnen. In den meisten Universitäten des Römisch-deutschen Reichs – auch in Köln – hat man über die Formlatitudenlehre
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Hs. 7-7-13, fol. 131ra–132vb) und die Abschrift in Sankt Petersburg (früher Leningrad), Saltykova-Sce‐ drina, Obscestvo ljubitelej drevnej pis’mennosti, Q. 791, fol. 71r –74v. (4) Hs. Madrid, BN, 6004 (L 221), fol. 38r –42v, ist möglicherweise auch in Italien entstanden, aber weitere Untersuchungen sind für eine definitive Festlegung vonnöten. Es sei darauf hingeweisen, dass dieser Abschrift ein kurzer Kommentar folgt, in dem die Bezeichnung brevis für LF verwendet wird, wobei LF Bradwardine zusgeschrieben wird ( Inc.: Nunc restat de formarum latitudinibus aliqua visti dilucidare (fol. 42v). Expl.: Multa alia possunt hic de materia poni . . . . Explicit tractatus de latitudinibus formarum brevis secundum magistrum Braguardini). (5) Die einzige bisher bekannte Abschrift sicherer französischer Herkunft von LF befindet sich in Paris, Bi‐ bliothèque de l’Arsenal, Lat. 522, fol. 29ra–33ra. Für eine Beschreibung dieser Handschrift siehe Di Liscia, Excerpta. Wie mir Edit Lukács freundlicherweise mitteilte (27. 4. 2020), habe ich in meiner Beschreibung den Text von Heinrich von Langenstein, Tractatus de dici de omni (fol. 106r –109v) übersehen. Ich bin ihr sehr dankbar für diese Verbesserung. Zu diesem Text und dessen Abschriften und Fassungen siehe Di Liscia, Biagio 130–132, und die dort erwähnte Literatur. Venedig, BNM, lat. VI, 62 fol. 63ra–68ra. Vgl. Maier, Grenze 377. Wie Clagett, DC, Introd. 96, nach‐ weisen konnte, enthält dieser Text einen direkten Verweis auf LF. Vgl. Maier, Grenze 378–380; Clagett, DC, Introd. 91–94. Über Mesino als Logiker siehe Roncaglia, Mesino. Maier, Grenze 365–368. Das Problem von Roger Thomae bedarf weiterer Untersuchungen. Im Prinzip sind zwei Texte von der Diskussion betroffen: Erstens der Proportionentrakt, der sicherlich von Roger stammt und in der Handschrift Venedig, BNM, lat. VIII, 19 fol. 144v –164v (und möglicherweise auch in Oxford, Bodleian Library, Lyell 79, fol. 36v –46v) überliefert wird; zweitens die Quästion Utrum velocitas in motibus sit attendenda penes latitudinem acquirendam, an penes gradum latitudinis, an penes latitudinem et extensionem simul, welche sich in derselben Handschrift in Venedig (fol. 213–219v) befindet, als deren Verfasser Maier Roger Thomae als wahrscheinlichen ansieht. Vgl. auch Clagett, DC, Introd. 91–94. Di Liscia, Perfections 318–324. Galileo, Iuvenilia 119f.
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unterrichtet60. LF lieferte die Grundlage für eine neue Disziplin, die scientia de lati‐ tudinibus formarum, welche insofern mit Oresmes disciplina verwandt ist, als er auch eine Geometrisierung der Bewegungsvorgänge vorschlägt, und zwar auch zum Zweck der Deutlichkeit. Dabei hat man oft aliquem tractatum genommen, womit sicherlich derartige verkürzte Versionen gemeint sind, wie es für andere Texte üblich war.
§ 1.4. Die Formlatitudenlehre in Wien Allen voran in dem Studium der Formlatitudenlehre ging die Universität Wien. Wie schon darauf hingewiesen wurde, hat man ziemlich früh angefangen, diese Lehre zu studieren61. Der Zusammenhang der Naturphilosophie und der Logik war auch von Anfang an schon bei der ersten Gründung der Rudolphina (1365) in Gestalt von Albert von Sachsen sehr gut vertreten62. Er und seine Kollegen haben die Weiterentwicklung dieser Gebiete der Artistenfakultät vorbereitet und gefördert. Albert verfasste nicht nur erfolgreiche Texte zu Logik und Naturphilosophie, sondern auch einen Proportionen‐ traktat, in dem er in schulmäßiger Manier die Tradition von Bradwardine und Oresme weiterführte, eine Tradition, die dabei war, sich neben der Formlatitudenlehre zu einer neuen scientia media zu entwickeln63. Alberts großes logisches Handbuch integriert viele Elemente der modernen Logik in den größeren Zusammenhang des aristotelischen Or‐ ganons64. Darüber hinaus hat Albert auch eine Sammlung von Sophismata verfasst, die, mehr an der Logik als an der neuen mathematischen Naturphilosophie orientiert, große Verbreitung gefunden hat65. Wenn Albert eine wichtige Rolle bei der Einführung der neuen Denkrichtungen in Wien während der ersten Phase der Universität zukommen dürfte, ist vor allem Hein‐ 60
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Für einen Überblick der Lehrplaninhalte an den Artistenfakultäten um die Wende vom 14. zum 15. Jahr‐ hunderts siehe Lorenz, Libri. Ich folge grundsätzlich meinen Vorarbeiten in Di Liscia, LB, die ich hier mit einigen Angaben zum Ver‐ ständnis der Expositio zu LF ergänzt habe, vor allem im Zusammenhang mit den sophismata. Der Wiener Universität wurde 1365 noch keine theologische Fakultät zugestanden. Für die Rolle Alberts bei der ersten Gründung siehe Lhotsky, Wiener Artistenfakultät 35–37. Für Alberts Naturphilosophie in ihrem Pariser Kontext siehe vor allem Sarnowsky, Theorie. In zahlreichen bestens dokumentierten Arbeiten hat Harald Berger zu unserer Kenntnis der Gruppe von Gelehrten und potenziellen Lehrer um Albert beigetragen. Siehe bes. Berger, Belege; ders., Personen; ders., Zu zwei Gelehrten; ders., Licht, und ders., Albertus. Mit seiner Analyse der Geschwindigkeit nach den Ursachen und nach den Effekten stellte Alberts Tracta‐ tus proportionum (Edition nach einer Auswahl von Handschriften und alten Drucken in Busard, Tracta‐ tus) ein wichtiges Vehikel für die Verbreitung der Ideen der Kalkulatoren in Frankreich, Italien und Spanien dar (Di Liscia, Velocidad). Er hat sicherlich auch in Wien studiert, wo andere Traktate – darunter auch Bradwardines Traktat – berücksichtigt wurden, siehe Livesey, Proportions; Di Liscia, LB 66f. Harald Berger bietet eine Edition des Textes mit deutscher Übersetzung mit einer Einleitung in: Albert von Sachsen, Logik. Während die ersten Teile von Alberts Logik den üblichen Weg von den Termen über die Sätze zu den Folgerungen durchgehen, handeln die zwei letzten Teile im sechsten Traktat über insolubilia und obligationes, zwei Fachgebiete, die in Wien besonders gepflegt wurden. Für einen alten Druck Albert von Sachsen, Sophismata. Eine kritische Edition von Harald Berger und Mischa von Perger ist jetzt im Druck. An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass Duhem der Überzeugung war (z. B. ders., Études III 401), dass Albert die Konfigurationen von Oresme gekannt und benutzt hat. Maier, Grenze 357, hingegen war der Meinung, dass Albert die Konfigurationen von Oresme sicherlich gekannt, aber sehr zurückhaltend eingesetzt hat: „wir können nicht sagen, dass er die Lehre von den Con‐ figurationen wirklich übernommen habe“.
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richs von Langenstein Wirkung an der 1389 ihre „zweite Gründung“ erfahrenden In‐ stitution von entscheidender Bedeutung. Heinrichs philosophische Arbeiten haben eine ganz andere Ausrichtung als jene von Albert. Er konzentrierte sich nicht auf „StandardGattungen“ der Logik und der Aristoteles-Kommentierung, sondern drückte seine An‐ sichten in kürzeren, dem aristotelischen Corpus gegenüber selbständigen Abhandlungen wie De reductione effectuum und De habitudine causarum aus66. In diesen noch in Paris verfassten Texten erwähnt Heinrich die Formlatitudenlehre, und zwar als scientia media. In seiner Katharinenpredigt von 1396 liefert er eine auffällige Begründung dafür. Natur‐ philosophie kann nicht ohne mathematische Wissenschaften erfolgen; das ist die Lehre, die wir schon bei Bradwardine programmatisch ausgedrückt gefunden haben. Doch zur Begründung greift Heinrich nicht auf Boethius zurück, sondern auf Aristoteles. Alles Wissen – erklärt er – wird durch das Sehen oder durch das Hören erworben. Während auditus est sensus discipline, ist es vor allem per visum, wie der berühmte Anfang der Meta‐ physik aussagt, dass wir mehr Unterschiede erkennen. Heinrich basiert seine Aufteilung der mathematischen Disziplinen auf die Rolle der Sinneswahrnehmungen im Erkennen. Das Hören mündet in der Musik, zu der die Arithmetik den mathematischen Hinter‐ grund bildet. Aus dem Sehen ergibt sich hingegen die Geometrie, der eine wichtigere Stellung als Quelle und Motivation des mathematischen Wissens überhaupt zukommt. Deshalb sei eben das Sehen von Aristoteles in seiner Metaphysik erwähnt worden. Diese Ansicht bekräftigt Heinrich noch mit der Fähigkeit der Geometrie, „mirabilia“ (die Oresme’sche Färbung ist unverkennbar hier) und verschiedene optische Phänomene zu erklären. Die Anlehnung zur Optik im Bereich der Naturphilosophie habe schon Ari‐ stoteles in dessen Meteora eingeleitet, meint Heinrich (sicherlich mit Recht). Genau an dieser Stelle hätte Heinrich mit solchen Überlegungen über das Sehen und seiner Verbindung zur Geometrie die Formlatitudenlehre wunderbar hintermauern können. Aber nein: Zum Sehen und Hören will Heinrich noch den Tastsinn hinzufügen und dementsprechend neue Disziplinen. Erst dann kommen die latitudines formarum zur Sprache: „Und nicht nur das Sehen ist für die Philosophie gefordert, sondern auch der Tastsinn, wie für [die Wissenschaft] der Gewichte und der Formlatituden“. Eine höchst‐ merkwürdige Begründung, falls der lateinische Text stimmt. Die Formlatituden erwähnt er jedenfalls und zwar mit der Ergänzung, dass „alle erwähnten [Wissenschaften] für gewöhnlich mittlere Wissenschaften zwischen den physikalischen und mathematischen genannt werden“67. Dass der Tastsinn mit dem Begriff des Schweren und Leichten zu‐ sammenhängen kann, welche z. T. in einer speziellen Art und Weise den Gegenstand der 66
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Die neueste Arbeit von Panzica, Réductionnisme, bietet nicht nur eine aufschlussreiche Interpretation der epistemologischen und naturphilosophischen Grundansichten Heinrichs, sondern auch eine fundierte Dokumentation der einschlägigen Texte. Wenn diese Disziplinen nicht für andere nützlich sein würden, würden sie immer noch für sich selbst Gegenstand von delectatio und perfectio für den menschlichen Intellekt sein, schließt Heinrich am Para‐ graphenende an: Sed circa predicta notandum quod philosophia de rebus naturalibus haberi non potest sine scienciis mathematicalibus. Ideo et iste sunt hominibus necessarie. Unde fere omnis philosophia acquiritur aut per visum aut per auditum; per visum, quia hic maxime sensuum cognoscere nos facit et multas différencias demonstrat, ut habetur in prologo Metaphysice 1; et auditum vero quia auditus est sensus disci‐ pline, ut habetur in De sensu et sensato 2. Modo philosophia, que per visum acquiritur, acquiritur per viam artis geometrie, tam quoad visibile quam quoad visionem secundum se. Quoad visibile, quia philosophia astrorum sine geometria nequit haberi. Et puto quod ista fuit prima occasio invencionis artis mathematice. Et ad hoc satis propinque loquitur Aristoteles in prohemio Metaphysice. Similiter necessaria est geometria ad philosophandum de aliis visibilibus, ut quoad ea mirabilia, que causantur in varia luminis incidencia super
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scientia de ponderibus – die schon früher als eine mittlere Wissenschaft angesehen wor‐ den war – ausmachen, ist gut ersichtlich. Doch nicht die Lehre der Formlatituden. Wäre hier nicht dieser Missgriff, so könnte man das Ganze für ein Meisterstück der Wissen‐ schaftsrhetorik halten. Auf jeden Fall ist Heinrich von Langenstein höchstwahrschein‐ lich nicht der erste, der die Formlatituden als eine mittlere Wissenschaft gekennzeichnet hat, aber er ist möglicherweise derjenige gewesen, der sie zum Studienfach in Wien ge‐ macht hat. Seine Rolle in der Gestaltung des Lehrplans ab 1389 ist unumstritten68. Da sich Heinrich in Wien ausschließlich mit Theologie beschäftigt hat, ist es auch denkbar, dass sich dort sein Einfluss auf andere Kollegen ausgestreckt hat, sodass auch in diesem Gebiet – und von daher ebenso auf die Ethik – die Formlatitudenlehre die Verwendung fand69. Seine Bibel-Vorlesungen, zu denen der einführende „Baum der Wissenschaften“
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corpora opaca, ut sunt yris halo parelii et similia. Et hec est philosophia perspectualis quam nobis tradidit phi‐ losophus Metheorum. Necessaria est geometria ad philosophandum de visione secundum se, quam communiter perspectualem vocamus. Et non solum ad philosophiam visus requiritur geometria, sed eciam ad philosophiam tactus, ut ad philosophiam de ponderibus et formarum latitudinibus. Et ad omnes illas eciam valet arismetrica, que eciam necessaria est pro musica. Et ideo omnes nominate vocari solent scientie medie inter naturales et mathematicales. Verum eciam quod si mathematicales non valerent ad alias, adhuc ex se ipsis multum essent de‐ lectabiles et perfective humani intellectus, Heinrich von Langenstein, Katharinenpredigt 150f. Einige Stelle deuten darauf hin, dass die Edition des Textes nicht fehlerfrei ist. Siehe auch die Stellen, auf die ich schon in Di Liscia, LB 63f., hingewiesen habe. Siehe Lhotsky, Wiener Artistenfakultät 37; Steneck, Science 10. Lhotsky, ebd. 114, hält für „durch‐ aus wahrscheinlich“, dass die von Paris nach Wien kommenden Lehrer Albert von Sachsen und Heinrich von Langenstein die Formlatitudenlehre in Wien „verpflanzten“. Meiner Ansicht nach gilt diese Ansicht mehr für Heinrich als für Albert, schon deshalb, weil wir die Formlatitudenlehre sehr oft bei Heinrich finden, aber nicht bei Albert. Dabei verwendete Heinrich nicht nur die üblichen Begriffe von intensio und extensio, sondern auch die Merton-Regel in Verbindung mit Figuren: Stat duas miserias penales esse equales intensive et extensive, et tamen unam esse fugibiliorem quam aliam. Patet, quia una potest esse uniformis, et alia uniformiter diffor‐ mis per equale tempus, cuius gradui medio correspondet illa uniformis: ita de aliis latitudinibus diversarum figurationum (Utrum sit magis fugibile simpliciter non esse quam damnabiliter misere esse, Basel, Universi‐ tätsbibliothek, A-X-44, fol. 14r–v). Ich bin Edit Lukács (Email 24. 9. 2020) für den Hinweis auf diese sehr interessante Stelle sehr dankbar. Als viel später, in der Mitte des 15. Jahrhunderts, der berühmte Humanist Eneas Sylvius Piccolomini – später Papst Pius II. – sein Stadtportrait Wiens verfasst, muss er natürlich auf die Universität Wiens eingehen und dann an Heinrich von Langenstein (hier, wie auch sonst nicht ungewöhnlich, als Heinrich von Hessen genannt) vor allem als Theologe (neben Nikolaus von Dinkels‐ bühl) erinnern: Duos hic claruisse compertum habeo prestantes theologos, Henricum de Hassia, qui Parisius edoctus huc in principio universitatis advolavit primusque cathedram rexit ac plurima volumina notatu digna conscripsit . . . , zitiert bei Lhotsky, Wiener Artistenfakultät 136. Zum theologischen Programm in Wien siehe Courtenay, Dinkelsbühl’s Questiones 271–283, der außerdem über Angrer „engaged with Herz, debating the latitude of forms, rarefaction and related issues“ berichtet und eine Stelle aus der Handschrift Wien, ÖNB 5067 zitiert (ebd. 290 und Anm. 69). Im Prinzip gibt es keinen Grund daran zweifeln zu müssen, dass diese Inhalte in einer solchen Diskussion vorkommen können, nur die in der Fußnote zitierte Stelle belegt es nicht. Ferner, auch wenn es nicht thematisiert wird, soll es zumindest mit Lhotsky, Wiener Artistenfakultät 31f., darauf hingewiesen werden, dass zwei große spätmittelalterliche Theologen Thomas de Argentina und Gregor da Rimini, beide dem Orden der Augustiner-Eremiten angehörig, in Wien aktiv waren, wo sie jeweils 1357 und 1358 gestorben sind. Neben den schottischen Benediktinern dürften auch die Augustiner-Eremiten, von denen sich manche wie Jacobus von Neapel (der angebliche Verfasser von LF), Jacques Legrand und Paulus Venetus – um nur einige Beispiele zu nennen – mit der Problematik der Vollkommenheit der Spezies und somit oft ihrer geometrischen Darstellung beschäftigt haben, eine außerordentliche Rolle in der Kulturorganisation Wiens zur Zeit der Universitätsgründung(en) gespielt haben. Zur Lehrrichtung der theologischen Fakultät zu Wien siehe Frank, Hausstudium 144–151. Für
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(Arbor scientiarum) gehört, schließen die Formlatituden als mathematica secundaria ne‐ ben weiteren mittleren Wissenschaften und „subtilen Kalkulationen“ ein, alle wiederum von der mathematica primaria (arithmetica und geometria) unterschieden70. Die Bedeutung der Formlatitudenlehre in Wien lässt sich darüber hinaus durch meh‐ rere Handschriften des Grundtextes LF, durch einige Universitätsdokumente und vor allem durch den Inhalt spezieller Texte, die im Kontext des Lehrbetriebs entstanden sind, belegen und einschätzen. Einige dieser Handschriften enthalten den Traktat LF selbst, andere sind Textbe‐ arbeitungen. Zu der ersten Gruppe zählen natürlich auch eine Reihe von Abschriften von LF selbst, welche nicht mehr in Wien aufbewahrt werden, deren Ursprung bzw. Vorbesitzer aber ziemlich deutlich auf Wien hindeuten71. Auch Universitätsdokumente legen Zeugnis von der Einbeziehung der Formlatituden vor allem an der Artistenfakul‐ tät, wo diese Thematik naturgemäß hingehört. Zu diesen Dokumenten zählen als erstes die Statuten von 1389, aber auch die Akten und Universitätsregister, aus denen man sogar Namen und genauere Daten der Vorlesungen gewinnen kann. Ferner sind einige Veranstaltungslisten der Artistenfakultät überliefert, in denen die Behandlung von der Formlatitudenlehre vorkommt72. Alle diese Informationen sind deshalb wichtig, weil sie uns de facto zeigen, dass der Geometrisierungsansatz der Formlatituden an der Univer‐ sität Wien geläufig war. Sie sind jetzt vielleicht etwas genauer und ausführlicher, aber nicht neu73. Dadurch ist jedoch nicht zu erfahren, wie die Aufnahme der Formlatituden inhalt‐ lich ausgesehen hat. Welche Fragen hat man damals gestellt und welche ausgelassen? Wie groß war dabei das mathematische Verständnis und welche Rolle hat die Logik gespielt? Auf welche Intensivierungsvorgänge hat man bei der Anwendung der Formlatituden Wert gelegt? Und vor allem: Wozu hat man diese Lehre studiert? Um diese und ähnliche Fragen zu beantworten, benötigt man Texte über LF, die über alleinige Dokumentation
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die Wiener Theologie in Verbindung mit einigen logischen Problemen und bes. für Heinrich von Langen‐ steins und Heinrich Totting von Oyta siehe Shank, Unless. Tamen praecipue hoc faciunt istae duae scientiae, scilicet geometria et arithmetica; et hoc cum aliis scientiis quae pullulant ex eis, scilicet astronomia, musica, perspectiva, scientia de ponderibus, [et scientia] de formarum latitudinibus et subtilibus calculationibus, Steneck, Arbor 254 Anm. 30 und 250 für die schematische Darstellung der Wissenschaften. Hierzu zählen natürlich nicht nur die in der ÖNB aufbewahrten Handschriften Lat. 2433 (fol. 21v –22v) und die Abschrift von Lochmair mit der Expositio (Lat. 4953, für eine Beschreibung siehe § 3. 1.), sondern auch Bamberg, Staatsbibliothek, Astr. 2 (H.J. V. 2), fol. 79r –80v; Kremsmünster, Stiftsbibliothek (HMML 82) CC 89, fol. 86r –92r, und (HMML 125), CC 134, fol. 115v –126r; Melk, Stiftsbibliothek, 1097 (240, E 30), S. 699–717; und München, BSB, Clm 18800, fol. 132vb–133rb; Clm 18985, fol. 52r –53r; Clm ˇ 19850, fol. 7r –10r. Die Prager Handschrift Národní knihovna Ceské republiky, VIII. G.19, in der LF, De sex inconvenientibus und weitere wichtige Texte zur Optik, Logik, Mathematik und Naturphilosophie enthalten sind, ist auch mit Wien verbunden, zumal sein Vorbesitzer Jan Šindel an der Wiener Universität tätig war. Rommevaux-Tani, Influence 178–185, zu diesem Text schließt im Anhang eine vollständige Beschreibung der Prager Abschrift mit ein, die zur Privatbibliothek des in Prag und Wien aktiven Magisters Jan Šindel gehörte. Vgl. Di Liscia, LB 64–72, 79–80. Wichtige Vorarbeiten wurden schon im 19. Jahrhundert von Günther, Geschichte des mathematischen Unterrichts, bes. 210–213, geleistet. Der heutige Leser soll jedoch davor gewarnt sein, dass Günther – den Kenntnissen und Kriterien der Zeit entsprechend – LF für ein Werk von Oresme hielt und die ganze The‐ matik der Geometrisierung in Verbindung mit der Entwicklung der analytischen Geometrie ansah. Siehe hierzu noch ders., Le origini, und ders., Geschichte der Mathematik.
§ 1. Einführung
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de facto hinausgehen. So zum Beispiel geben uns zwei anonyme Quästionen Auskunft über die Art und Weise, wie am Anfang des 15. Jahrhunderts die Formlatituden in Hei‐ delberg aufgenommen wurden74. Eine weitere Quästion, bisher bekannt als Tractatus bonus, kann mit der Universität Erfurt und vielleicht auch mit der Universität Greifs‐ wald / Rostock in Verbindung gebracht werden75. Angesichts der vorherigen Informationen über die handschriftliche Überlieferung von LF und die genannte Universitätsdokumentation darf daher die Feststellung nicht überraschen, dass diesbezüglich auch die Universität Wien Einiges vorzuweisen hat. Als erstes sind die hier oft herzuziehenden LB 1–3 (Latitudines breves) zu erwähnen. Be‐ züglich dieser drei kurzen Texte muss man klarstellen, dass sie keine eigentlichen „Texte“ darstellen, sondern nur Beispiele der Art und Weise, wie man LF für den Lehrbetrieb gekürzt hat, etwas, das aus den Statuten von 1389 direkt hervorgeht. Denn, wie Lhotsky erinnert, die Prüfungsordnung verlangt, „beim Examen nicht zu lange bei einer Sache [zu] verweilen, [sondern] vielmehr die wesentlichen Punkte des ganzen Stoffes zur Spra‐ che zu bringen“76. Zweitens ist natürlich die Expositio zu LF, die ich hier herausgeben und kommentieren werde, zu erwähnen. Wie die jeweils einführenden Vorworte von LB und der Expositio stehen alle diese Texte in einem und demselben Zusammenhang. Drittens ist das kleine Kompendium der mathematischen Disziplinen zu erwähnen, in das man eine kurze Zusammenfassung der Formlatitudenlehre (auch mit einer systema‐ tischen Darstellung) integriert hat. Dieser Text, der aber die scientiae mediae erwähnt, ist höchstwahrscheinlich auch in Wien entstanden77. Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass man die Formlatitudenlehre auch im Rahmen anderer Texte oder kurzer Disputa‐ tionen benutzt haben kann, wie z. B. in den quaestiones quodlibetales von Christoph von Essen-Eschenbach belegt78. Vom Inhalt her ist bei weitem diese Expositio textus (beide Handschriften überlie‐ fern, wenn auch in sehr unterschiedlicher Weise, den Text der Expositio und den Traktat LF) als der wichtigste, inhaltsreichste Text dieser Gruppe anzusehen. An einigen Stellen ist sie leider nicht ausführlich genug; an anderen schien ihr Verfasser sich wiederum allzu sehr in Nebensächlichkeiten – vielleicht aufgrund seiner Orientierung an der Unter‐ richtsmethode – verlieren zu müssen. Dennoch ist sein Versuch anspruchsvoll und das Resultat in vielen Aspekten sehr lehrreich für unsere Thematik.
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Das sind die Questiones Heidelbergenses (Ed. und Analyse in Di Liscia, Geometrie 103–172). Ed. aus einer Handschrift in Clagett, DC 576–621. Eine weitere Handschrift, die den vollständigen Text überliefert, hat gezeigt, dass er kein Tractatus ist, sondern eine Quästion. Siehe hierzu Di Liscia, Perfections 308. Successive vadant per libros supradictos non nimis laxe nec nimis rigorose tangendo puncta principalia, Lhotsky, Wiener Artistenfakultät 46. Für den Text der Statuten siehe Kink, Geschichte II 170–226, und Lhotsky, Wiener Artistenfakultät 23–73. Das ist das Compendium introductorium in mathematicas disciplinas (Ed. und Analyse in Di Liscia, Geo‐ metrie 357–414). Di Liscia, LB 72–75.
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Voraussetzungen und Zusammenhänge
§ 2. Die Erforschung der Expositio zum Tractatus de latitudinibus formarum Das Vorhandensein dieses Textes ist in der Forschung nicht unbekannt. In seiner Ein‐ führung zur Edition des Tractatus de configurationibus von Oresme geht Clagett auf die Verbreitung der Oresme’schen Lehre der geometrischen Darstellung im Einzelnen ein und von daher notwendigerweise auch auf die Rezeption des Traktats LF, welcher nach der allgemeinen Vorstellung, die Clagett selbst befürwortete, eine simplifizierte Fortset‐ zung des großen Oresme’schen Traktats sei79. Obwohl in Clagetts Rekonstruktion die italienische Rezeption der Formlatituden im Vordergrund steht – die Frage nach der Rolle der mittelalterlichen Rezeption von Oresme für die Bewegungsanalyse der Neu‐ zeit, und natürlich insbesondere für die des Galilei, ist für ihn ja bestimmend –, werden dort einige wertvolle Hinweise auf die Verbreitung in – wie Clagett sagte – „Central and Eastern Europe“ gegeben, die zweifellos als ein Anstoß für weitere Studien gemeint wa‐ ren. Dadurch regte Clagett in der Tat die vorliegende Untersuchung an, die im Grunde genommen aus der Vertiefung seiner Ergebnisse entstanden ist80. Diese Vertiefung be‐ gann zuerst mit einer Überprüfung von Clagetts Angaben. Und daraus ergab sich gleich das erste Problem, das jetzt zu besprechen ist. Um dies deutlich zu machen, sei nun an dieser Stelle erlaubt, auf Clagetts Darstellung zurückzukommen, um einige Punkte zur Diskussion nachzuholen, die für die Untersuchung dieses Textes wichtig sind. An der oben genannten Stelle erwähnt Clagett die schon damals bekannte Tatsache, dass nach den Universitätsdokumenten mehrere Vorlesungen in Heidelberg und Köln über den Traktat LF gehalten worden sein müssen81, und er hält natürlich die Exis‐ tenz einer großen Anzahl von Handschriften des Traktats De latitudinibus formarum in „Eastern Libraries“ für einen Beweis dafür, dass dieses Werk im 15. Jahrhundert große Verbreitung gefunden hat82. Außerdem ließe sich dieses Phänomen mit weiteren Anga‐ ben belegen: a) Einige Handschriften von De latitudinibus formarum kommen bereits im Katalog von Amplonius Rating (1412) vor, b) der Traktat wurde bekanntlich 1515 in Wien gedruckt und – insbesondere – c) sowohl eine Wiener Handschrift (ÖNB 4953) als auch eine Freiburger Handschrift (UB 238) enthalten nicht nur den Text des Trak‐ tats, sondern auch Kommentare (des 15. Jahrhunderts) zu ihm. Genau genommen beinhaltet dieser letzte Punkt jedoch einen Fehler, der nur vor‐ kommen kann, wenn man beide Handschriften nicht verglichen hat. Clagett, der eine Stelle – natürlich nur die Stelle über die Merton-Regel – aus der Freiburger Hand‐ schrift zitiert und auf die Wiener Handschrift in einer Fußnote verweist, geht hierbei voreilig ans Werk: Er behandelt tatsächlich beide Handschriften, als würden sie zwei unterschiedliche Kommentare überliefern83. Aber gerade das stimmt nicht. Beide Hand‐ schriften überliefern den gleichen Inhalt, d. h. den gleichen Grundtext (den Traktat De
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Es sei an dieser Stelle daran erinnert, dass Clagett den Traktat De latitudinibus provisorisch um 1390 datiert. Clagett, DC, Introd. 102f. Maier, Grenze 380, Anm. 37, verweist auf LF in Heidelberg und Köln. Wie oben gezeigt, gilt dies insbesondere für Italien und für den deutschen Sprachraum, und zwar in einem Ausmaß, das selbst Clagett nicht gekannt hat (siehe Anhang I). Andernfalls würde unverständlich bleiben, warum seine Darstellung der Merton-Regel nur auf der Frei‐ burger Handschrift basiert. Über die Wiener Hs. siehe Clagett, DC, Introd. 102, Anm. 42. Hingegen schreibt Clagett in seinem Text: „Attention should also be called to a commentary on the De latitudinibus
§ 3. Die Handschriften: Freiburg, UB 238 (F ) und Wien, ÖNB 4953 (W )
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latitudinibus formarum) und den gleichen Kommentar dazu. Man muss an dieser Stelle einräumen, dass beide Handschriften ziemlich verschieden aussehen, denn die je‐ weiligen Schreiber wandten unterschiedliche Arbeitsweisen an84, und außerdem fehlt in der Wiener Abschrift das erste Blatt, so dass ein einfaches Erkennen durch das Incipit unmöglich wird. Es gibt jedenfalls eine Reihe von Unterschieden zwischen beiden Ab‐ schriften, die ein solches Versehen gut verständlich machen. Aber daran, dass es sich um denselben Text handelt, besteht kein Zweifel, und wenn man diese Expositio genauer be‐ trachtet, kann man einige Fortschritte in der Erforschung der Lehre der Formlatituden erzielen.
§ 3. Die Handschriften: Freiburg, UB 238 (F) und Wien, ÖNB 4953 (W) Wie schon darauf hingewiesen, wird der Traktat LF in einer übergroßen Anzahl von Handschriften überliefert; es macht also im Großen und Ganzen keinen Unterschied, wenn wir nun feststellen, dass dieser Traktat auch in diesen beiden späteren Handschrif‐ ten enthalten ist. Bezüglich der Expositio sieht die Sachlage jedoch ganz anders aus. Denn es bedeutet schon einen qualitativen Unterschied, ob ein Text in einer oder zwei Hand‐ schriften überliefert wird. Beim ersten Fall kann man nur die Feststellung machen, dass jemand diesen Text für interessant genug gehalten hat, um ihn zu kopieren. Handelt es sich um ein Autograph, ist nicht einmal dieser Schluss zulässig. Zusammenfassend: Man hätte es in diesem Fall mit einem Text zu tun, der gar keine Nachwirkung erfuhr, egal wie interessant sein Inhalt sein mag. Beim zweiten Fall darf hingegen eine Nachwir‐ kung behauptet werden. Und das ist hier der Fall: da zwei Abschriften von der Expositio vorhanden sind, dürfen wir den Schluss ziehen, dass nicht nur der Traktat LF, sondern auch dieser Kommentar ein gewisses Interesse erweckt hat. Wie wir sehen werden, wird diese Hypothese durch die Tatsache bekräftigt, dass beide Handschriften voneinander unabhängig sind. Wenn man die jeweiligen Vorlagen dazu zählt, dann erreicht man bei fünf möglichen Handschriften das Bild eines ziemlich gut bekannten Textes.
3.1. Die Handschriften F
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= Freiburg, Universitätsbibliothek 238, fol. 2r –20v: – 24 fol., 4°, Papier, zweite Hälfte des 15. Jhs. – Ein einziger Text: Mathematik – Naturphilosophie (Formlatituden). Jaco‐ bus de Sancto Martino. – Beschreibung in: Hagenmaier, Handschriften 9. – Provenienz / Vorbesitzer: nicht festgestellt. – Hand: Durchgehend von einer Hand geschrieben. Der Schreiber ist unbe‐ kannt. formarum existing in a manuscript of the fifteenth century in the Univ. Bibl. Freiburg i. Breisgau (MS 238, 2r –20v)“. Der Wiener Schreiber schreibt einige Teile des Kommentars am Rande; der Freiburger Schreiber hält die Grenzen des Schreibspiegels ein. Darauf wird genauer in den nächsten Seiten eingegangen werden.
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Voraussetzungen und Zusammenhänge
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Inhalt: fol. 1r–v: leer. 1. fol. 2r –20v: Jacobus de Sancto Martino: Tractatus de latitudinibus formarum cum commento: Allgemeiner Titel: latitudines formarum. Inc1. [Vorwort des Expositio-Kommentars]: Circa tractatum de latitudinibus formarum dubitatur primo quid sit eius subiectum . . . (fol. 2r). Inc2.: [Anfang des kommentierten Textes LF]: [Q]uia latitudines formarum multipliciter variantur que multipli‐ citas difficile discernitur . . . (fol. 3r). TK 1218. Expl1. [Kommentar]: . . . non quelibet talis designetur per figuram geometricam ut dictum est prius (fol. 15v). Expl2. [Text]: . . . Plura alia correlaria elici possunt circa presentem materiam ex prius dictis que considerantibus possunt occurrere faciliter. Et ideo transeo, etc. (fol. 20v). Näheres dazu im Vergleich mit Hs. W siehe unten in § 3.2. Kritische Edition hier unten Teil II. fol. 21r –24: leer. Literatur: Die einzige mir bekannte Erwähnung dieser Hs. liefert Clagett, DC, Introd. 142f. Datum / Datierung: Nach der Beschreibung von Hagenmaier ergibt sich gemäß einer Wasserzeichenuntersuchung durch Piccard ein wahrscheinlicher Zeitraum von 1470–1471 für die Abschrift. Diese Abschrift ist also etwa fünf Jahre nach W entstanden (jedoch nicht von W kopiert).
W = Wien, Österreichische Nationalbibliothek, 4953, fol. 1r –17v. – 208 fol., 2°, Papier, zweite Hälfte des 15. Jhs. (1–2: 1466; 15: 1468; 9: 24. Ja‐ nuar 1470). – Sammelband: Mathematik (Arithmetik, Geometrie, Proportionnenlehre) – Naturphilosophie (Formlatituden; Proportionenlehre) – Logik (Obligationes, Insolubilia) – Rhetorik und Dichtkunst. Jacobus de Sancto Martino, Thomas Bradwardine (?), Johannes von Holland, Jean de Muris (?), Euklid, Johannes de Sacrobosco, Iupiter Francigena (?). – Beschreibung in: [1] Tabulae codicum III 445; [2] Menhardt, Verzeichnis 1081; [3] Unterkircher, Handschriften 147f. Alle drei Kataloge enthalten Beschreibungen bzw. wertvolle Einzelinformationen über diese Handschrift. Von einzelnen Bemerkungen abgesehen, ist zu beachten: (a) die Texte 8 und 9 sind zwei unterschiedliche und selbstständige mathematische Texte und (b) die Texte 10 und 15 überliefern hingegen denselben Text. – Hände: H1 (Michael Lochmair de Heydeck, siehe unten) fol. 1r –62r, 126r – 185v, 186r –200v; H2 (unbekannt): fol. 68r –118v, 203r –208r; H3 (unbekannt). – Provenienz bzw. Vorbesitzer: Universität Wien Cod. 361. – Inhalt: 1. fol. 1r –17v: Jacobus de Sancto Martino: Tractatus de latitudinibus forma‐ rum cum commento. Siehe hier unten. – fol. 18r–v: leer. 2. fol. 19r –35v: 〈Pseudo-Thomas Bradwardine / Anonym〉: Tractatus [lon‐ gus] de proportionibus: Auf dem ersten Blatt: „In nomine Domini Amen 1466“. Inc 1. [Kommentar]: 〈I〉ste tractatulus qui est 〈extr〉actatus ex pro‐ portionibus longis magistri Thome Bragwardin liber proportionum nuncu‐ patur . . . (fol. 19r). Inc 2. [Text: Proportiones breves]: Omnis proportio vel
§ 3. Die Handschriften: Freiburg, UB 238 (F ) und Wien, ÖNB 4953 (W )
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est communiter dicta vel proprie dicta . . . (fol. 19r). Expl 1. [Kommentar]: . . . moveat in 4lo velocius. Patet quia tunc sequeretur illud inconveniens. Expl 2. [Text]: . . . movebitur ipsum c, ergo tota conclusio vera. Et tantum de isto tractatu. Anno 1466 (35v). Ed. der Proportiones breves in Clagett, Science of Mechanics 482–494, ohne diese Hs. Der anonyme Kommen‐ tator ist bisher unbekannt. Eine andere Abschrift dieses Textes ist in Hs. Wien, ÖNB 4951, fol. 260r –271v, überliefert. Näheres dazu hier unten § 4.3. fol. 36r –61v: 〈Thomas Bradwardine (?); Jean de Muris (?) / Anonym〉: Arithmetica communis [cum commento]. Inc1. [Kommentar]: Iste est liber arismetice qui receptus est ex arismetica Boetii cuius subiectum atributioni s. . . (fol. 36r). Inc 2. [Text: Aritmetica communis]: Numerus est duplex, scilicet mathematicus . . . (fol. 36r). Expl 1. [Kommentar]: . . . quod compo‐ nitur ex dypente et tono et [?] consonantiis (fol. 61v). Expl 2. [Text]: . . . ita 8 ad 12 scilicet in sesquialtera proportione. Explicit arismetica communis Braguardini una cum commento (fol. 61v). Der Text der Arithmetik geht wie üblich auf Boethius zurück. Er stimmt zum großen Teil mit der Arith‐ metica speculativa von Muris überein (Dr. in Busard, Texte: Arithmetica speculativa). Bemerkenswerterweise wird er hier jedoch Bradwardine zu‐ geschrieben. Die Frage nach einer möglichen Arithmetik von Bradwar‐ dine ist bisher nicht völlig geklärt (siehe dazu Molland, in: Bradwar‐ dine, Geometria speculativa 152). Den letzten Beitrag dazu leistete Bus‐ ard, jedoch ohne Erwähnung dieser Handschrift. Eine andere Abschrift dieses Textes ist in Hs. Wien, ÖNB 4951, fol. 273r –304v, überliefert. Nä‐ heres dazu hier unten § 4.3. fol. 62r: Anonym: 〈Mathematisches Fragment〉: Inc.: Et in numero partes sunt que mathematica considerat. Una continua . . . . Expl.: . . . ad certas obtinet proportionem. fol. 62v –67v: leer. fol. 68r –85v: Johannes von Holland: Obligationes [cum commento]. Inc.: Circa tractatum obligationum antequam procedatur ad textum sunt aliqua dubia . . . . Expl.: . . . depositio et dubie positio. Ex[plicit] de obligatoris ma‐ gistri Johani Holandrini. Dr. der Obligationes des Johannes von Holland in Bos, Tracts 91–110 (siehe hierfür *25*). fol. 85v: Anonym: Logisches Fragment: Inc.: Dyalecthica ut philosophi tradunt est disciplina . . . . Erwähnung von parva logicalia, moderniores dya‐ lectici, Maufeld und Johannes de Holandia (specialis tractatulus). fol. 86r –118v: Johannes von Holland: De insolubilibus [cum commento]. Inc.: Circa notitiam insolubilium sunt aliqua dubia per ordinem. Primum dubium est utrum noticia insolubilium presupponat artem obligisticam . . . . Expl.: . . . contra solutionem 7 dicatur sicut prius in littera. Dr. der Inso‐ lubilia des Johannes von Holland in Bos, Tracts 127–141 (siehe hierfür *28*. Vgl. Spade, Liar 67, N° XXXVIII). fol. 119r –125v: leer. fol. 126r –143v: Euklid: Elemente, Lib. I. Inc.: Punctus est cuius pars non est. Linea est longitudo sine latitudine . . . . Expl.: . . . quare patet pro‐ positum, etc. Explicit primus liber Euclidis. Campanus-Version, Buch I
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Voraussetzungen und Zusammenhänge
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(vollständig). Dr.: Busard, Campanus. Vgl. auch Folkerts, Euclid 43. Einige Stellen sind vom Schreiber, Michael Lochmair, annotiert worden (fol. 127v; vgl. hier unten S. 184 Anm. 59). fol. 144r –185v: Johannes de Sacrobosco: Algorismus vulgaris [cum com‐ mento]. Inc 1. [Kommentar]: Commentator super secundum librum Me‐ taphysice scribit hanc propositionem ‚mathematice demonstrationes sunt in primo gradu certitudinis et naturales secunt eas‘ . . . (fol. 144r). Inc 2. [Text]: incipit algorismus prosaicus Johannis de Sacrobusco . . . (fol. 145r). Expl 1. [Text]: . . . in numeris cubicis ad presens sufficiant. Et sic est finis huius textus. Expl 2. [Kommentar]: . . . et sic est finis huius operis pro quod sit deus benedictus in secula seculorum amen anno 1470 in vigilia conversionis sancti pauli. Dr. von Sacroboscos Algorismus mit dem Kommentar von Pe‐ trus von Dacia in Curtze, Algorismus (ohne diese Hs.), und Pedersen, Dacia. fol. 186r –197r: Anonym [= Magister Iupiter?]: 〈Tractatus de conscriben‐ dis epistolis = De arte dictandi tractatus exhibens regulas per carmina di‐ gesta cum explicatione marginali cum commento [?]〉. Am oberen Rande: Salutatio, exordium, narratio, petitio et conclusio. Inc.: Scribitur in libro de vita et moribus Senece que dicturus est antequam aliis . . . . Expl.: ad presens dicta sufficiant. Nach der Beschreibung [1] versch. vom Text 15. Der Text 15 besteht aber wahrscheinlich aus diesem Grundtext, der dort einem Magister Iupiter zugeschrieben wird, und aus einem Kommentar zu ihm. fol. 197v: Anonym: 〈Brief des P, Bürgers zu P, an seine Schwester B, Bür‐ gerin zu P〉: Inc.: Meiner allerliebsten swester B . . . . Expl.: . . . guetlichen will bewaysn. P., burger czw p. (Siehe Katalog [2]). fol. 197v: Anonym: 〈Carmen rhytmicum in laudem Iglaviae〉. Inc.: Vale decus honestitatis . . . . Expl.: . . . possim eternaliter. fol. 198r –200v: Anonym: 〈Tractatus de coloribus videlicet figuris artis rhe‐ toricae〉 (am Anfang unvollst.). Inc.: ad infima habet depressum . . . . Expl.: . . . Et isti colores habentur per has sillabas. Nach Katalog [1]. Zu beachten ist aber fol. 198v: emphatico colorum singulorum etc. et finitur totius rethorice. fol. 200v: Anonym: 〈Drei Verse zum Lob Österreichs〉: Inc.: Austria mon‐ tana . . . . Expl.: . . . frumenta amena. Vgl. Katalog [1]. fol. 201r –202v: leer. fol. 203r –208r: Magister Iupiter: De arte dictandi tractatus exhibens regu‐ las per carmina digesta cum explicatione marginali [cum commento]: Inc 1. [Kommentar]: Scribitur in libro de vita et moribus Senece que dicturus est antequam aliis . . . . Inc2.: Si dictare velis et negare . . . . Expl.1. [Text]: . . . nunc prolongetur penultima vel brevietur. Expl.2. [Kommentar]: . . . hic magister Iupiter imponit finem suo libello dicens ‚ego Iupiter . . . ‘ per infinita seculorum secula Amen. Anno 1468 wienne. 10 und 15 sind offensichtlich zwei verschiedene Abschriften (vielleicht auch verschiedene Fassungen) desselben Textes über Rhetorik. Diese Abschrift mit den Randkommenta‐ ren ist wahrscheinlich auch von Michael Lochmair (über ihn siehe unten § 4). Zum Magister Iupiter oder „Iovis“, wohl Iupiter Francigena, und
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die Rolle der Rhetorik an der Wiener Universität siehe die Diskussion in Lhotsky, Wiener Artistenfakultät 78. Zu dieser Abschrift des Tractatus LF und dessen Expositio (1: fol. 1r –17v): Inc 1. [Vorwort des Expositio-Kommentars; unvollst.]: quod utilitas est ad in‐ telligendum multas partes philosophie, quia valet . . . (fol. 1r). Inc 2. [Anfang des kommentierten Textes LF]: Quia formarum latitudines multipliciter variantur que multiplicitas difficile discernitur . . . (fol. 1r). TK 1218. Expl 1. [Expositio-Kommentar]: . . . nec latitudines per eius ymaginate, igitur etc. Expl 2. [Text LF und Colophon]: . . . Plura alia correlaria elici possent circa presentem materiam ex predictis que considerantibus faciliter potent oc‐ currere. Ideo transeo. Expliciunt latitudines formarum edite a venerabile viro fratre Iacobo de Florentia ordinis fratrum heremitarum Sancti Au‐ gustini. Unde laus et gloria resonet in divine Trinitati, Patri et filio et Spirito per eviterna secula amen. Finite Wiene et scripte anno 1466 feria quinta festivibus penthescoste per me Michaelem Lochmair de Haydeck (fol. 17r). Im Unterschied zu F kommt auf fol. 17v dieser Abschrift ein Zusatz hinzu, der dem Kommentar angehört: Ad intelligendum quomodo formarum latitudines . . . uniformiter difformis descendente et sic de aliis. Hierbei finden sich 18 Figuren. Literatur: Curtze, Studienreise 263, hat als erster über W berichtet. Er hielt jedoch LF für ein Werk des Oresme und den Kommentar (richtig da‐ tiert: 1466) für ein Werk von Jacobus de Neapoli. Dabei brachte er – wenn auch nicht fehlerfrei – den Namen von „Jacobus de Neapoli“ zum ersten Mal ins Gespräch, der seit A. Maier als eine der Varianten für den Verfassernamen angenommen wird. Smith benutzte die Handschrift für seine Edition von LF (Smith, LF, Introd. XXV, Hs. Vi). Erwähnung dieses Kommentars in Cla‐ gett, DC, Introd. 102, Anm. 42. Kritische Edition hier unten Teil II.
3.2. Die Beziehung zwischen beiden Abschriften der Expositio Da von Hs. F nur dieser ein Text ohne jede Bemerkung überliefert ist, können wir kaum mehr daraus schließen, als dass sie wohl für das Universitätsstudium bestimmt war. Ganz anders ist die Sachlage bei der Hs. W. Diese Handschrift spiegelt bestens die Interessen der Wiener Artistenfakultät etwa in der Mitte des 15. Jahrhunderts wi‐ der. In ihr finden sich viele von denjenigen Texten, die als gewöhnlicher Gegenstand von Vorlesungen gedient haben: Texte über Geometrie (Elemente I), Proportionen (ge‐ rade die Proportiones breves), Arithmetik und Algorithmus, obligationes und insolubilia. Hinzu kommen auch Texte zu Rhetorik und Poetik, die möglicherweise in Verbindung mit dem wachsenden Einfluss des Humanismus an der Universität Wien stehen. Viele dieser Texte sind mit einem Kommentar versehen, den man als mit dem Inhalt des in den Veranstaltungen vorgetragenen Lektionen sehr wohl in Verbindung bringen darf. Obwohl diese beiden die bislang einzigen bekannten Handschriften von LF mit die‐ ser Expositio sind und offenbar beide zeitlich sehr nah angefertigt wurden (W wurde 1466 geschrieben und F etwa – Wasserzeichendatierungen dienen meistens nur zu annä‐ hernden Datierungen – fünf Jahre später), scheinen sie völlig unabhängig voneinander zu sein.
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Voraussetzungen und Zusammenhänge
Ob es sich bei W um eine Abschrift oder ein Autograph handelt, muss später in Verbindung mit dem Schreiber diskutiert werden. Es gibt jedenfalls keinen Grund zur Annahme, dass W als Vorlage für F gedient haben soll. Wenn W selbst kein Autograph ist, sondern eine Abschrift, ergibt sich daraus eine hypothetische Anzahl für die Expositio (wahrscheinlich für die Expositio mit dem Text von LF) von mindestens vier Abschrif‐ ten, was – wie gesagt – für ein nicht wenig verbreitetes Werk spricht. „Mindestens“ vier Abschriften deshalb, wenn man nur annimmt, dass hinter F und hinter W jeweils eine einzige Vorlage gestanden hat. Aber wahrscheinlicher ist es eher, dass die jeweiligen Schreiber über mehrere Vorlagen verfügt haben85. Ein näherer Vergleich beider Abschriften zeigt, dass W und F tatsächlich unabhängig voneinander entstanden sein müssen. Das sieht man an einigen Varianten in dem kom‐ mentierten Text LF, an vielen Unterschieden im Text der Expositio und nicht zuletzt an der Anordnung von Text und Kommentar in der einen und in der anderen Handschrift (siehe Tabelle 1). Es ist ein bedauerlicher äußerer Umstand, dass in W das erste Blatt verloren gegan‐ gen ist, auf dem man sicherlich das gesamte Vorwort der Expositio fand und vielleicht auch eine derartige Betitelung. Hier stößt man jedenfalls auf einen ersten Unterschied in der Anordnung, der sich unten nochmals wiederholt: in der Expositio wird der Text von LF vollständig, aber abschnittweise zitiert und kommentiert. Dort, wo der Expositor, der Ausleger, mit einem neuen Teil oder Kapitel beginnt, zitiert er den entsprechenden Anfangspassus und macht einige Bemerkungen zur Einteilung des Traktats LF. Nun ist diese Reihenfolge von Textzitat und Bemerkung zur Einteilung oft in beiden Abschrif‐ ten verschieden, obwohl beide den Text von LF nach den gleichen Abschnitten zerlegen. Außerdem liefert W einen längeren Text mit einigen Kommentaren zu den propositiones von II.3, die in F nicht vorkommen. In W wurden einige der gewöhnlichen Definitionen der Elemente zur Ergänzung von Teil II.1 benutzt, die in F nicht vorhanden sind. Einen großen Unterschied zwischen beiden Abschriften machen die Figuren aus: in F fehlen sie fast völlig, aber in W wurden sie sehr sauber gezeichnet. Ferner kommt nur in W folgendes hinzu: a) ein Doppelblatt nach Teil I.1 mit einem anspruchsvollen Schema bzw. einer Synopsis der Latitudines86; und b) ein Blatt nach dem Textende mit einer kurzen Erläuterung und 18 weiteren Figuren. Ein äußeres Merkmal kann noch erwähnt werden: in F wird in einer sehr gepflegten Schrift immer die Sequenz zwischen Text und Expositio-Kommentar eingehalten87, so dass am Ende, nachdem die Expositio auf fol. 15v (unvollständig) zum Schluss kommt, nur noch der Text von LF abgeschrieben wurde. Lochmair schrieb seinen Text anders: er hält sich an diese Sequenz nur zum Teil, denn die letzten Kommentare schrieb er am Rande (was dies bedeuten könnte, wird später diskutiert). Der einzige Teil letztendlich – der jedenfalls inhaltlich wichtiger ist –, bei
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Deutlichere Hinweise darauf sind jedenfalls in F zu finden: An einer Stelle auf fol. 14r muss lineam rectam stehen. Der Kopist ließ eine kleine Lücke für rectam, setzte ein Verweiszeichen und trug dieses Wort – vermutlich nachdem er die Stelle in anderen Manuskripten nachgelesen hatte – mit demselben Zeichen am Rande des Textes nach. Angesichts dessen muss festgehalten werden, dass damit die Zahl der existierenden Abschriften nicht mehr festzulegen ist; denn beide, Michael Lochmair und der Schreiber von F, können mehrere unterschiedliche Handschriften benützt, aber ebensogut eine gemeinsame Vorlage gehabt haben. Dieses wertvolle Schema wirde hier auf S. 83 und am Ende der Edition wiedergegeben. Allerdings wird der Text in einem größeren Schriftgrad geschrieben als der Kommentar dazu.
§ 3. Die Handschriften: Freiburg, UB 238 (F ) und Wien, ÖNB 4953 (W )
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dem die Anordnung in beiden Abschriften übereinstimmt, ist I.1; aber hier weichen die Textverläufe stark voneinander ab88. Tabelle 1: Zum Vergleich zwischen den Abschriften F und W Hs. F Betitelung: Latitudines formarum Prohemium Exp. vollst. Inc. 1 [Exp.]: Circa tractatum . . .
Hs. W P 2r 2r–3r
Prohemium Exp. unvollst. Inc. 1 [Exp.]: quod utilitas est . . .
1r
................................................................................................................................................................................................. .................................................................................................................................................................................................
Prohemium LF Inc. 2 [LF ] : [Q]uia latitudines . . . Expositio: Einteilung von LF notanda 1–3
3r 3r 3r–v 3v
Expositio: Einteilung von LF Prohemium LF Inc. 2 [LF ]: Quia formarum . . . notanda 1–3
P I.: 1.Text LF: latitudinum quedam . . . 4r 1.Text LF: latitudinum quedam. . . Expositio Expositio 4r–6v
1r 1r 1r 1r–v 1v 1v–3v
................................................................................................................................................................................................. .................................................................................................................................................................................................
2. Text LF: latitudinum difformium ... Expositio
6v 6v
2. Text LF: latitudinum difformium ... Expositio
3v 3v
................................................................................................................................................................................................. .................................................................................................................................................................................................
3. Text LF: lat. secundum se totas . . . Expositio
6v–7r 7r–7v
3. Text LF: lat. secundum se totas . . . Expositio
3v 3v–4r
................................................................................................................................................................................................. .................................................................................................................................................................................................
4. Text LF: lat. unif. difformium . . . Expositio
7v 7v–12r
4. Text LF lat. unif. difformium . . . Expositio
4r 4r –7v
................................................................................................................................................................................................. .................................................................................................................................................................................................
5. Text LF: lat. diffor. difformium . . . Expositio
12r 12r
5. Text LF: lat. diffor. difformium . . . Expositio
7v 7v
................................................................................................................................................................................................. .................................................................................................................................................................................................
6. Text LF: lat. secundum se totas difformiter difformium . . . Expositio
12r–v 12v
6. Text LF: lat. secundum se totas difformiter difformium . . . Expositio
7v–8r 8r–v
................................................................................................................................................................................................. .................................................................................................................................................................................................
Auslassung Text LF: Sequitur 2da. Pars . . . Expositio: Einteilung von LF Auslassung
Synopsis latitudinum P II.: D 12v–13v Text LF: Sequitur 2da. Pars . . . Expositio: 13v Einteilung von LF Ergänzung über geom. Figuren
P II..: 13v–14v Expositio: Einteilung von LF 14v–15r Text LF: Suppositiones autem . . . Expositio: Kommentar zu den suppositiones 15r–v Kommentar zu den suppositiones [am 15v Expl. 1 [Exp] . . . ut dictum est Rande] prius
Text LF: Suppositiones autem . . . Expositio: Einteilung von LF
88
8v–9r 9v–10r 10r 10r–v
10v 11r–12r 11r–12r
Darauf ist hier nicht einzugehen. Für eine nähere Analyse kann der kritische Apparat herangezogen werden.
46
Voraussetzungen und Zusammenhänge
Hs. F
Hs. W
P II.: Text LF: Nunc sunt propositiones . . . 15v–20v Text LF: Nunc sunt propositiones89. . . Expositio: Auslassung Einteilung von LF [am Rande] Kommentar zu den propositiones [am Expl.2 [LF ]: . . . Plura alia correlaria 20v Rande] . . . Et ideo transeo, etc. Expl. 1 [Exp]: . . . per eius ymagi‐ nate, igitur etc. Expl.2[LF ]: . . . Plura alia . . . Ideo transeo. Expliciunt latitudines . . . Lochmair de Haydeck Zusatzblatt mit Figuren und kurzer Auslassung Erläuterung ad intelligendum quomodo formarum latitudines infinitis modis variari potent.
12r–17r 12r 16v 17r 17r 17v
§ 4. Der Schreiber der Wiener Abschrift: Michael Lochmair de Heydeck Da in W ein genaues Datum und die lokale Herkunft der Abschrift angegeben sind und da außerdem die Frage der Verfasserschaft des Expositio-Kommentars zu LF of‐ fen ist, verdient der Name des in dieser Handschrift vorkommenden Kopisten, Michael Lochmair de Haydeck, nähere Aufmerksamkeit. Darüber hinaus sind Angaben über die Kopisten eines Textes von keiner geringen Bedeutung, insbesondere wenn diese auf einen sachlichen Zusammenhang hindeuten könnten. Es ist hier nicht der Ort und es ist auch nicht vorgesehen, eine vollständige Untersuchung über Michael Lochmair vorzulegen. Dennoch, inwiefern Lochmair mit der damaligen Entwicklung der Formlatitudenlehre zusammenhängt und ob er vielleicht als Verfasser dieser Expositio angesehen werden darf, scheint an dieser Stelle der Beachtung wert zu sein.
§ 4.1. Lochmairs Lebenslauf Da der Name von Michael Lochmair – zumindest in diesem Kontext – keine wei‐ teren Interessen erweckt hat, sei also als Erstes erwähnt, dass er viel mehr als ein ge‐ wöhnlicher Schreiber war90. Wenn auch nicht alle Einzelheiten, so sind immerhin die 89 90
Hier hat W suppositiones für propositiones gesetzt. Das wurde weder von Smith noch von Clagett erkannt. Allerdings transkribiert Smith (1954, XXV) die Angaben von W in der folgenden Weise: „. . . edite a uno (?) fratre iacobo de florentia ordinis fratrum her‐ emitarum sancti augustini . . . et scripte . . . per me michaelem lochmaris (?) de haytat (?)“. Nach dem RAG stammt Lochmair (auch Lochmaier, Lochmayr etc.) aus der Ortschaft Heideck in Mittelfranken. Grundsätz‐ lich folge ich den Angaben dieser Internetseite https://database.rag – online.org / viewer.p/1/4/object/46– 2234933 [15. 7. 2022] und dem bio-bibliographischen Beitrag von Worstbrock, Lochmair, beide die einzigen mir bekannten zuverlässigen Arbeiten mit den Grunddaten zu Lochmair. Die zweite ist un‐ verzichtbar, zumal die Informationen im RAG nur den Zeitraum 1470–1499 decken. Aschbach, Ge‐ schichte II 37, erwähnt Lochmair („Lochmayr“) zusammen mit Nicolaus von Kreuznach und Johann
§ 4. Der Schreiber der Wiener Abschrift: Michael Lochmair de Heydeck
47
Grundzüge seines Lebens einigermaßen gut bekannt. Sein Lebenslauf lässt zwei unter‐ schiedliche Phasen mit ihren dazu gehörigen Tätigkeiten erkennen. Zuerst war er an der Wiener Universität tätig. Demzufolge ist es unumstritten, dass er sich mit der Ma‐ terie der Expositio und mit den anderen logischen, mathematischen und naturphiloso‐ phischen Themenkreisen fachmännisch auskannte (was wir vom Schreiber der Hand‐ schrift F nicht sagen können). Noch mehr: Es sind Schriften von Lochmair in diesen Gebieten überliefert, die diese Tätigkeit gut belegen und illustrieren. Seit ca. 1473 wirkte er als Domherr in Passau und in der näheren Umgebung, wo er 1499 starb. Vor allem in dieser zweiten Phase verfasste er selbst eine Anzahl von Schrif‐ ten, die so große Popularität erfuhren, dass einige unter ihnen gedruckt und mehrfach aufgelegt wurden. Es handelt sich hierbei um Predigten, kleinere theologische Schrif‐ ten – ein Sentenzenkommentar von Lochmair ist nicht bekannt – und andere Werke, in denen sich sein Wirken und seine Bemühungen in der Seelsorge, in ethischen Pro‐ blemen und nicht zuletzt in an der Praxis orientierten Fragen des kanonischen Rechtes widerspiegeln. Ab 1475 kam er in Beziehung mit der Universität Ingolstadt91. Die erste Phase seines Lebenslaufs, die für uns von Belang ist, kann auch mit einer Anzahl anderer Schriften in Verbindung gebracht werden, die mit seinem Studium bzw. mit seiner Lehr‐ tätigkeit zusammenhängen. Die genaue Beziehung zwischen den aus dieser Zeit überlie‐ ferten Schriften bzw. „Abschriften“ Lochmairs und seiner Rolle an der Universität ist bisher jedoch nicht ganz geklärt. Man kann provisorisch von der folgenden Reihenfolge ausgehen92: 1. 2. 3. 4.
91
92
1462 (WS): Immatrikulation an der Wiener Universität. Ab dann Studium der Ar‐ tes. 1. 11. 1464: Zur Determination zugelassen (AFA III / 1, S. 139). 2. 1466: Beginn mit der Abschrift von W: Formlatituden und Proportionen. 1468–1470: a) Lehre an der Artistenfakultät: – Abschrift in W über Rhetorik (Text 15). – Vorlesung über Alexanders de Villa Dei Doctrinale (AFA III / 1 164). – Weitere Schrift(en) über Logik: [1] Quaestiones super veterem artem; [2] Kommentar zu den Praedicamenta; und [3] Kommentar zu Petrus Hispanus.
Kaltenmarkter als unbedeutend, was natürlich im Vergleich zu den Namen von Albert von Sachsen, Hein‐ rich von Langenstein und anderen zutreffen wird. Das ist offenbar ein noch dunkles Kapitel im Lebenslauf von Michael Lochmair, über den es ohnehin keine tiefgreifenden Untersuchungen gibt. Über den Stand der Mathematik und der Astronomie an der Universität Ingolstadt vgl. Schöner, Mathematik, wo Lochmair jedoch nicht erwähnt wird. In der unten zitierten Hs. Mu (siehe § 4. 2.) wird ein Werk eines Lehrers von Ingolstadt mit überliefert, der sehr wahr‐ scheinlich ein Zeitgenosse von Lochmair gewesen ist. Im Großen und Ganzen basiert die folgende Präsentation auf der kurzen Darstellung von Worstbrock, Lochmair, die offenbar die einzige allgemeine Darstellung über das Leben von Lochmair ist. Ich habe nur versucht, sie mit einigen Angaben aus der Handschrift W und den anderen Schriften von Lochmair zu ergänzen. Als Grundlage für Lochmairs Tätigkeit an der Wiener Universität dient Aschbach, Geschichte II 32, 37, 447, 451, 456). Einige meiner Vorschläge, die in den folgenden Seiten begründet werden sollen, sind jedoch provisorisch. Das gilt insbesondere für Lochmairs Kommentar zu Petrus Hispanus.
48
Voraussetzungen und Zusammenhänge
– – – – –
Schrift über Naturphilosophie: Philosophia naturalis. Abschrift in W über Algorismus. 1469: Vorlesung über Perspectiva communis (AFA III / 1 171). gegen 1470: Ende der Abschrift von W; 1471: Lochmair wird als Temptator erwähnt; siehe AFA III / 1 174. Es werden ihm Vorlesungen zu den Analytica priora (AFA III / 1 178) und zu den Parva logicalia zugeteilt (AFA III / 1 189). b) Beginn mit dem Studium des kanonischen Rechts und der Theologie. 5. 1474: Rektor der Universität. Er gehörte damals zu den drei Fakultäten als artium liberalium magister, decretorum licentiatus necnon baccalaurius in theologia. – Abschrift (nicht von Lochmair) der Hs. Me von [1]. 6. 1475: Aus bisher unbekannten Gründen schreibt er sich an der neu gegründeten Universität Ingolstadt ein. 7. 1476: a) Unterrichtstätigkeit wieder in Wien: Kirchenrecht und Theologie. b) Doctor decretorum. 8. 1478–1479: Dekan der juristischen Fakultät. 9. 1481, 1487: Dekan der theologischen Fakultät. 10. vor 1480: Lizentiat in Theologie. Die Schriften, die Lochmairs Beschäftigung mit den Artes widerspiegeln, gehören also ganz an den Anfang seines Lebenslaufs als magister der Artistenfakultät. Zwei von ih‐ nen, die Questiones über die ars vetus und die Philosophia naturalis, werden gewöhnlich als genuine Werke von Lochmair angesehen, die er höchstwahrscheinlich im Rahmen seiner Lehrtätigkeit verfasst hat. Aber bezüglich der anderen Texte, die in der Hs. W enthalten sind, besteht bisher kein abgeschlossenes Forschungsergebnis. Es heißt z. B. einmal, dass aus Lochmairs Studienzeit das „1466 geschriebene Autograph des Tractatus de latitudinibus formarum Jakobs von Florenz“ in W erhalten ist93, wobei nicht klar ist, ob Lochmair als Verfasser des Expositio-Kommentars anzusehen ist oder nicht. Darüber hinaus erlaubt eine minimale Berücksichtigung der in den Katalogen vermittelten Anga‐ ben über W denselben Schluss bzw. dieselbe Frage von unserer Seite: ist Lochmair nur der Schreiber oder auch der Verfasser von den anderen Kommentaren über die Propor‐ tionen, über Arithmetik usw., die in W enthalten sind94? Da Lochmair seine Arbeit in W mitunter datierte, kann man sich ein ungefähres Bild ihres Entstehens machen: sie wurde nicht auf einmal angefertigt (W wurde während einer Zeitspanne von mindestens 4 Jah‐ ren geschrieben), sondern nach und nach. Jedes Mal, wenn er diese Texte brauchte, saß Lochmair am Arbeitstisch und schrieb oder schrieb sie ab. Vermutlich einen großen Teil davon, wenn nicht das ganze, hat er als Lehrer zustande gebracht, um seine Vorlesungen vorzubereiten. Dabei ist natürlich immer noch nicht klar, wann er schrieb und (ob) wann er abschrieb, denn ein Zusammenhang zwischen einigen dieser Texte scheint –
93 94
So Worstbrock, Lochmair 891, allerdings ohne Kenntnis von der Abschrift F. Worstbrock scheint jedoch nicht bemerkt zu haben, dass Lochmair nicht nur LF in W kopiert, sondern auch einen Kommentar dazu. Der Name von „Jakob von Florenz“ als Verfasser von LF ist außerdem an dieser Stelle irreführend, aber er kommt z. T. in dem Explicit von W vor (über den Verfasser von LF siehe hier oben Kap. I). Über die anderen Texte, die Lochmair in W schrieb, findet man bei Worstbrock keine Angaben.
§ 4. Der Schreiber der Wiener Abschrift: Michael Lochmair de Heydeck
49
es wird sich bald zeigen – sehr offensichtlich, aber nicht unbedingt zwischen allen von ihnen. Um der Sache näher zu kommen, müssen wir uns zuerst mit dem Schrifttum von Lochmair und dann mit dem Inhalt von dessen Schriften beschäftigen.
§ 4.2. Die artistischen Schriften von Michael Lochmair Abgesehen von den mathematischen, halbmathematischen und logischen Texten über die logica nova, die in der Hs. W enthalten sind, werden Michael Lochmair ein Text über Naturphilosophie und mindestens ein weiterer Text über Logik zugeschrieben. Im Folgenden sollen einige Informationen über die Textüberlieferung gegeben und analy‐ siert werden. Lochmairs Philosophia naturalis – sein einziger bisher bekannter Text auf diesem Gebiet – wird mindestens in drei Handschriften überliefert: 1) E = Melk, StB, 1834 (286. E 23), fol. 100r –176v: Inc.: Philosophie principalis tres esse partes perhibentur, scilicet methaphisica, ethica et phisica, inter quas de sola fí‐ sica . . . (fol. 100r). Expl.: . . . primo motori, qui est deus gloriosus in secula seculorum benedictus. Amen. Deo gratias. Et sic est finis huius fundamenti venerabilis magistri Michaelis Lochmair olim officialis Wienne (fol. 176v). Aus diesem Explicit geht her‐ vor, dass es sich um eine etwas spätere Abschrift handelt, wohl bald nach 1486, da Lochmair in diesem Jahr sicher noch Passauer Offizial in Wien war, vgl. QGW II / 3 Nr. 4803; Göhler, Domkapitel 406f., 411 (Krick, Domstift 218, gibt ohne Beleg 1489 an). Auf dem allerersten Blatt hat eine spätere Hand Sequens Opus est Michae‐ lis Lochmair geschrieben. Erwähnung in Lohr, MAC (1971) 347; Worstbrock, Lochmair 892; Markowski, Buridanica 101. 2) M1 = München, BSB, clm 18789, fol. 2r –104r: Rubr.: Fundamentum philosophie naturalis. Inc.: Philosophie principales partes tres esse perhibentur . . . . Expl.: . . . primo motori qui est Deus gloriosus in secula seculorum benedictus. Deo gratias. Meiner Kenntnis nach nur bei Markowski, Buridanica 100f., erwähnt, der außerdem (mit einigen Abweichungen von E) den Anfang und das Ende vom Text gibt und die vierteilige Hauptgliederung deutlich macht. Die Betitelung stammt vom Schreiber, aber es handelt sich wohl um eine Verwechselung mit dem z. T. ähnlichen Werk von Heinrich Platerberger. Die Abschrift wurde in Tegernsee angefertigt, vgl. Redlich, Tegernsee 187. In der tabula contentorum und in dem üblichen Besitzvermerk hat er das Datum 1491 festgehalten. 3) M2 = München, BSB, clm 2839, fol. 1–97r. Inc.: Philosophie principalis partes tres esse perhibentur, scilicet . . . . Expl.: . . . primo motori qui est Deus gloriosus in secula seculorum benedictus Amen. Deo gratias. Diese Abschrift ist offenbar in der Fachli‐ teratur bisher nicht bekannt, obwohl das Wichtigste aus der alten Beschreibung im Katalog hervorgeht, vgl. Catalogus I / 1, hg. Halm–Laubmann 44. Sie wurde gegen 1499 – zu einem guten Teil von einem Schreiber Namens Lazarus Strasser – angefertigt, denn nach Lochmairs Text folgt das Werk Fundamentum philosophiae naturalis von Heinrich Platerberger, das dieses Datum trägt. Auf dem Blatt vor fol. 1 hat Strasser Dicta Lochmair geschrieben. Michael Lochmairs Schrifttum über Logik ist noch immer nicht ganz gesichert. Man geht in der Literatur von einem Text zu der Ars vetus aus [=1] aus, der in den drei Hss. Me = Melk, StB, 901 (pag. 605–869), Mu = München, BSB, clm 19681 (fol. 159r –225r)
50
Voraussetzungen und Zusammenhänge
und Wn = Wien, Dominikanerkloster, 33/33, überliefert wird. Die tabula quaestionum findet sich bei Lohr95. Mu enthält eine offenbar unvollständige Abschrift dieses Werkes von Lochmair: Inc.: Expl.:
Circa initium veteris artis queritur utrum logica sit scientia. Nota quod loyca . . . (fol. 159r). dubitatur in quod predicamento sunt omnia verba (fol. 224v). Nach dieser Frage‐ stellung folgt ein Schema, mit dem die Antwort auf dieses dubium angedeutet wird (fol. 225r).
Die Benutzung von solchen synoptischen Darstellungen, wie sie in Hs. Mu vorkom‐ men, scheint für die Handbücher der Zeit charakteristisch zu sein. Diese Abschrift der Quästionen zur Ars vetus Lochmairs stammt aus Tegernsee und ist auf das Jahr 1491 datiert96. Die Zuschreibung findet man eben in der Tabula contentorum, die der Schrei‐ ber vorangestellt hat (fol. 2v): Commentum figurativum – so heißt hier dieses Werk im Unterschied zum in derselben Hs. (fol. 3r –127r) kopierten ‚Commentum disputativum‘ in veterem artem magistri Johannis Payrreit Ingolstaniensis97 – incompletum magistri Mi‐ chaelis Lochmair utriusque juris doctoris wienensis universitatis98. Nach der Hs. Me könnte die Sachlage etwas anders aussehen als bisher angenommen, denn hier gibt es zwei weitere Textstücke, die sehr wohl auch von Lochmair stammen. Da sie sehr streng mit der Thematik der Logica vetus zusammenhängen und diese in Mu unvollständig überliefert ist, kann man schwerlich entscheiden, ob solche Schriftstücke ein Teil jenes Werkes sind, das man dementsprechend als viel länger ansehen müsste, oder zwei selbständige, zusätzliche Werke. Es handelt sich um einen Kommentar zu Peri Hermeneias [= 2] und einen Kommentar zu zwei der Traktate von Petrus Hispanus’ Summulae logicales [= 3]99. Da es von Me keine zuverlässige Beschreibung gibt, halte ich es für nützlich, hier eine inhaltliche Beschreibung von ihr zu liefern:
Me = Melk, StB, 901 (362, G 22) Vorbemerkungen: Diese Handschrift zeigt starke materielle Abnutzungserscheinung. Miteingebunden sind nicht nur viele leere Blätter, sondern auch „Zettel“ mit einigen Textstellen und Fragmenten. Das Stück ist am oberen rechten Rand paginiert. Ich folge dieser Paginierung und gebe nicht alle leeren Fragmentblätter an. Mindestens zu einem großen Teil (pag. 1–965) wurde die Handschrift von einem Kopisten namens Conradus (pag. 819) angefertigt. Der letzte Teil mit den Summulae von Petrus Hispanus (die an ei‐
95
96 97 98
99
Lohr, MAC (1971) 346f. Die Wiener Hs. konnte ich leider nicht verwenden. Lohr gibt die Folierung 173ff an. Vgl. Redlich, Tegernsee 187. fol. 2r: Iste liber attinet venerabili Cenobio Sancti Quirini. Tegernsee 1491. Hier kann nicht auf die Frage eingegangen werden, inwiefern diese synoptische Version mit den anderen überlieferten Abschriften übereinstimmt bzw. ob die überall verwendeten Schemata von Lochmair selbst stammen oder als eine spätere Bearbeitung seines Werkes entstanden sind. Außer Frage scheint zu stehen, dass diese Version auf ein Werk von Lochmair zurückgeht, was das wichtigste ist. Da bei Ungewissheit das Trennen immer besser ist, möchte ich also, bis weitere Untersuchungen durchge‐ führt wurden, an den folgenden Werken festhalten.
§ 4. Der Schreiber der Wiener Abschrift: Michael Lochmair de Heydeck
51
nigen Stellen Marginalia von Conradus’ Hand ausweisen) ist von einer anderen Hand ko‐ piert. Hinzu kommen einige Bemerkungen von einer anderen zeitgenössischen Hand100.
I+I*: Sakramentar-Fragmente (nach Manuscripta). 1.
2.
– 3.
– 4.
100
Pag. 1–2: Anonym: Utrum homo posset dici vere felix in hac vita. Inc.: Arguitur quod non, quia felicitas est status omnium bonorum . . . . Expl.: . . . est agregatio omnium illarum felicitatum . . . igitur homo felix. Vor dem Incipit befinden sich einige Ab‐ schnitte ebenfalls über Ethik, die wohl mit dieser Quästion zusammenhängen (z. B. item felicitas proprie loquendo non est laudabilis eo quo laus . . . ). Pag. 3–21: Johannes Buridanus: Quaestiones super libros Ethicorum (Registrum quaestionum). Inc.: Humane conditionis tanta est eminentie dignitas ut ei nul‐ lum bonum . . . . Pag. 21: Finem cepit die Michaelis anno 78° (Nach Manu‐ scripta = 29. 9. 1478). Pag. 22–22a–h: leer. Pag. 23–148: Henricus Platerberger (?): Compendium moralis philosophiae. Inc.: Circa inicium Compendii moralis philosophie dubitatur ex quo idem est scientia mo‐ ralis et filosofia moralis quid sit philosophia moralis. Respondetur quod philosophia moralis est scientia principaliter considerans de homine . . . . Manuscripta schreibt die‐ sen Text Platerberger zu, was sehr wohl möglich ist. Allerdings kann es sich hierbei um eine Verwechselung mit dem Compendium universae philosophiae von Platerber‐ ger handeln. In dieser Handschrift gibt es keine Hinweise darauf, sondern nur auf ein moralphilosophisches Kompendium, das ja von Platerberger stammen könnte. Der Text beginnt gleich mit der Behandlung der Frage nach dem wissenschaftlichen Status der Moralphilosophie, die sich nach weiteren Dubitationes bis zum Ende der Seite 29 erstreckt. Dann auf Seite 30 beginnt eine Quästion, die aller Anschein nach demselben Text zugehörig ist: Utrum sicut singularum virtutum moralium in sola potentia appetitiva ut sic ex operationibus potest fieri generatio ita earumdem inter se et imprudentia sit connexio. Darunter gibt es zwei Artikel: Art. 1: De potentiis (pag. 33–74, mit einer synoptischen Darstellung der zwölf Leidenschaften auf pag. 74, bezogen also auf die kommende Diskussion); Art. 2: De passionibus (pag. 75–88), Art. 3: De habitibus et virtutibus (pag. 89–127); Art. 4.: De habitudine et diversitate, ydemptitate et unitate actuum (pag. 127–146); Art. 5: Quintus articulus qui declara‐ tivus est terminorum in questionis titulo positorum et consequenter quo ad questionem et ad rationes in oppositum adductas responsurus (pag. 146–148). Expl.: consistit summa felicitas formalis in via per quam attingitur tandem obiectalis in patria quam nobis ex alio portare dignetur qui es laudabilis et per infinita secula benedictus Amen Deo gratias. Es folgen einige Bemerkungen zum Text. Pag. 148a–r: leer. Pag. 149–150: Henricus Platerberger: Concepta philosophie naturalis magistri Han‐ rici Platerberger. Es handelt sich – wie Manuscripta richtig angibt – um einzelne notae. Für weitere Einzelheiten siehe die Beschreibung in https://manuscripta.at/?ID= 40615 [15. 7. 2022], auf die ich mich als Manuscripta beziehen werde. Ich bin Frau Christine Glaßner für ihre Hilfe und überaus nützlichen Hinweise sehr dankbar. In vielen Punkten basiert meine Beschreibung auf der grundlegenden Vorarbeit dieses großen Projektes, dessen Ergebnisse für das Studium dieser Art von Quellen sind.
52
5.
– – – 6.
7.
– 8.
– 9.
Voraussetzungen und Zusammenhänge
Pag. 151–600: Henricus Platerberger: Philosophie naturalis compendium am‐ plium. Inc.: Exorsus philosophiae veritatis compendium fratres in christo dilecti ad honore〈m〉 omnipotentis dei amici videlicet principis a quo dependet coelum et tota natura ut vult Aristoteles 12mo ‚Metaphisice‘ . . . (pag. 151). Expl.: licet non notitia abstractiva nec distinctiva. Et tantum de compendio. Physice veritatis. De cuius complemento sancta et indivisa trinitas sit per infinita secula seculorum semper benedicta anno 1474 in vigilia Marcelli (nach Manuscripta = 15. 1. 1474) et ante purificationis [?] gloriosissime et excellentissime virginis marie que est post deum pro omnibus colenda et veneranda. Pag. 600a–b: leer. Pag. 601: Libri audiendi ad magisterium. Eine Liste der vorzulesenden Bücher an der Artistenfakultät. Vgl. Di Liscia, LB 26. Pag. 602–604: Notae. Pag. 605–819: Michael Lochmair: Questiones in veterem artem. Inc.: Circa initium veteris artis queritur primo utrum logica sit scientia. Notandum quod titulus est predi‐ catio directa essentialis . . . (pag. 605). Circa materiam predicationum quaeritur quid sit predicatio et dicendum quod predicatio . . . (pag. 621). Circa initium libri ante ‚Predicamentorum‘ queritur primo quid sit subiectum in libro ‚Antepredicamentorum‘ (pag. 677). Circa ‚postpredicamenta‘ queritur utrum tantum quatuor sint genera op‐ positionum . . . (pag. 813). Expl.: . . . aut ad modum habendi sic est habere. Et hec de libro ‚Postpredicamentorum‘ sufficiunt etc. Conradus [D?]). Pag. 820–869: Michael Lochmair: Commentarius in libros II Peri Hermeneiarum: Inc.: Circa primum librum ‚Periermeniarum‘ queritur primo utrum enuntiatio sit subiectum in libris ‚Peri ermeniarum‘. Notandum primo quod enuntiatio capitur du‐ pliciter. Uno modo stricte solum pro propositione . . . (pag. 820) Circa inicium secundi libri ‚periermeniarum‘ queritur primo utrum ad affirmativam sequatur negativam . . . (pag. 851). Expl.: . . . a quo omnia per quem omnia in quo omnia sunt. Qui nos conser‐ vavit incolumes in hunc diem ipsi honor et gloria per cuncta secula seculorum. Amen. Finitus est liber iste proxima domenica post festum Sancti Augustini Anno Domini 1473 (nach Manuscripta = 29. 8. 1473). 870–870a–d: leer. Pag. 871–965: Michael Lochmair (?): Commentarius in tractatum II et III Petri Hi‐ spani: Inc.: [Buch I]: Circa inicium secundi tractatus Petri Hispani queritur primo utrum de universalibus sit scientia. Pro quo sciendum quod duplex est scientia . . . . (pag. 875): Predicabile quandoque sumitur. Pro textu notandum . . . . Anfang des Buchs II (pag. 904): Circa inicium tertii tractatus Petri Hispani queritur primo quid sit subiectum . . . . Expl.: . . . sed illud reducitur ad postpredicamentum prioritatis quia ipsum est scilicet oppositum oppositorum autem eadem est disciplina. Pag. 966–966a–b: leer. Pag. 967–1007: Petrus Hispanus III: Summule logicales: 9.1. Pag. 967–986: Tractatus III. de praedicamentis. Inc.: Ad cognoscendum predi‐ camenta quedam necessaria sunt premittenda . . . . Expl.: . . . vel consueveruit dici pene omnes enumerati sunt etc. Et sic est finis huius tertius tractatus. Druck: Peter of Spain, Summule, ed. de Rijk 26–42. 9.2. Pag. 987–994: Tractatus II. de predicabilibus. Inc.: Predicabile quandoque sumi‐ tur proprie quandoque communiter . . . . Expl.: . . . et consimiliter accidens dicitur predicari denominativa. Druck: Peter of Spain, Summule, ed. de Rijk 17–25.
§ 4. Der Schreiber der Wiener Abschrift: Michael Lochmair de Heydeck
53
9.3. Pag. 997–1007: Tractatus IV. de syllogismis. Inc.: Propositio est oratio affirmativa alicuius de aliquo . . . . Expl.: . . . et manente eadem figura in utraque coniugatione inutili etc. Et sic est finis (pag. 1004). Es folgen pag. 1005–1007 mit Tafeln über die Syllogismen und Erläuterungen dazu. Hinzu kommen auch Marginalien auf pag. 976–977, 995 und auf den zwei letzten Seiten. Druck: Peter of Spain, Sum‐ mule, ed. de Rijk 43–54 (für weitere Hss. vgl. CXVI–CXX). Es ist ersichtlich, dass dieses Stück den an der Artistenfakultät in den siebziger Jahren des 15. Jahrhunderts zu berücksichtigenden Stoff sehr gut widerspiegelt. Inhaltlich gesehen, besteht es aus drei Hauptteilen: Moralphilosophie (Texte 1–3), Naturphilosophie (Texte 4–5) und Logik (Texte 6–9). Dieser letzte Teil ist in sich sehr eng zusammenhängend. Ich halte es für sehr wahrscheinlich, dass auch der Text 8 und die Anmerkungen zum Text 9 von Lochmair stammen. Demgemäß stellt der Text 9 die textliche Vorlage für Lochmairs Auslegung der von ihm ausgesuchten Traktate des Petrus Hispanus dar, die hier als Text 8 überliefert wird. Datierungen befinden sich auf den Texten 7 (1473), 5 (1474) und 2 (1478). Etwa in diese Zeit muss die Liste von Lektionen (pag. 601) fallen, in der nicht nur die meis‐ ten aristotelischen libri naturales verzeichnet sind, sondern auch die Logik (logicorum und topicorum), die Metaphysik, und die mathematischen Wissenschaften eingeschlos‐ sen wurden. Hierzu gehören die Astronomie (vertreten durch die Theorica planetarum), die Geometrie (die Elemente von Euklid), Arithmetik, Musik, Optik, proportiones und latitudines formarum.
§ 4.3. Zum Inhalt von Lochmairs artistischen Schriften in Verbindung mit der Lehre der Formlatituden Auf der Basis der obigen Feststellungen über das Schrifttum von Lochmair in den Bereichen der Logik und der Naturphilosophie – Bereiche, die er in Wien studierte und lehrte –, soll nun der Inhalt seiner Texte berücksichtigt werden, jedoch nur im Hinblick auf die Frage, ob er als Verfasser der Expositio zum Traktat LF in den oben beschriebenen Hss. F und W angesehen werden darf. Durch die Untersuchung dieser einen Fragestel‐ lung wird es ferner möglich sein, einen ersten Eindruck von Lochmairs Schriften zu gewinnen, die bisher unerforscht sind. Wie beim naturphilosophischen Compendium von Platerberger handelt es sich auch bei Lochmairs Philosophia naturalis um eine allgemeine Zusammenfassung der naturphi‐ losophischen Themenkreise, die man damals im Anschluss an die aristotelischen Texte an der Wiener Universität darzubieten pflegte101. In der Regel beginnt man mit den Bü‐ chern der aristotelischen Physik und dann werden die anderen Texte des aristotelischen 101
Die Zugehörigkeit Platerbergers zur Wiener Universität, die ich in der ersten Version dieser Arbeit hy‐ pothetisch behauptet habe, scheint jetzt bestätigt zu sein. Wie ich meinte, ist ein Hinweis darauf die Ähnlichkeit im Aufbau seines naturphilosophischen Compendium mit dem Werk von Lochmair. Plater‐ berger wurde (nach einem disziplinären Verfahren) 1452 zur inceptio zugelassen (siehe AFA III / 1 41 und 47). 1457 werden ihm Vorlesungen über insolubilia zugeteilt. Über die Formlatituden hat ein Ma‐ gister Conradus de Mundelhaym gelesen (AFA III / 1 83f.). 1458 ist er Examinator der sächsischen Nation (AFA III / 1 89) und 1467 der rheinischen Nation (AFA III / 1 156). 1467 unterrichtet er die ars vetus. Die Formlatituden werden von einem Magister Bihelmus Plätler übernommen (AFA III / 1 158). Dieselbe Liste erwähnt allerdings verschiedene Lehrveranstaltungen über proportiones. 1468 unterrichtet Platerber‐
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Voraussetzungen und Zusammenhänge
Corpus der Reihe nach behandelt (De caelo, De generatione et corruptione, De anima), aber eine grundlegende Diskussion der Lehrmeinung findet nicht statt. Der Text ersucht viel‐ mehr darüber zu informieren, was für einen Lehrstoff die Studenten zu erlernen haben. Lochmair möchte ein hilfreiches Handbuch vorlegen, das unmittelbar der Vorbereitung für die Prüfungen in diesem Fach dient, wie er zu Beginn gesteht102. Bei einer solchen Zielsetzung ist natürlich nur eine gedrängte Darstellung der zu prä‐ sentierenden Themen möglich. Von den ersten beiden Büchern der Physik bringt er nur einige kürzere Erörterungen über den Naturbegriff, über die Prinzipien der Naturvor‐ gänge (materia, forma, privatio), über die vier Ursachen und über die Problematik von fortuna und casus, die Aristoteles in dem letzten Kapitel des zweiten Buchs behandelt. Da kann schon die erste enttäuschende Feststellung gemacht werden: das ganze Kapitel vom zweiten Buch der Physik über die Einordnung der Wissenschaften, das Kapitel eben, welches von seinen Zeitgenossen – z. B. Platerberger – mit Erwähnung der Formlati‐ tuden als scientia media zu ergänzen war, hat er völlig beiseitegelassen; und es kommt sonst leider nirgends zu einer Diskussion der Einordnung der Disziplinen. Die einzige Stelle, die von uns mehr Aufmerksamkeit verdient, betrifft einen der Themenkreise, die in natürlicher Berührung – mindestens für den Verfasser der Expositio zu LF – mit der Lehre der Formlatituden steht: maxima et minima. Denn, wie man sehen wird, geht der Verfasser der Expositio zu LF auf die Frage nach der Bestimmung von Grenzen einer Latitude sehr ausführlich ein. Das ist einer der interessantesten Aspekte seiner Ausfüh‐ rungen, bei dem er wirklich über den Grundtext, den Traktat De latitudinibus formarum, hinausgeht, so dass wir an dieser Stelle die begründete Hoffnung hegen dürfen, eine spe‐ zifische Verbindung zwischen Lochmairs Philosophia naturalis und der Expositio zu LF zu finden, falls es sich um denselben Autor handeln sollte. Eine der üblichen aristotelischen Stellen, in denen der Themenkreis von maxima et minima oft abgehandelt wird, ist mindestens seit Buridan die Kommentierung zum ersten Buch der Physik103. Demzufolge führt auch Lochmair diese Thematik in den ers‐ ten Teil seiner Philosophia naturalis ein. In der Erörterung der verschiedenen Arten von
102
103
ger über die insolubilia von Johannes Hollandrinus (AFA III / 1 163). Lochmair hält eine Vorlesung über Alexanders de Villa Dei Doctrinale. Im Jahre 1469 bietet Platerberger Senecas De virtutibus cardinalibus an. Zugleich unterrichtete Michael Lochmair über die Perspectiva communis (AFA III / 1 170f. Die Liste enthält keine Erwähnung der Formlatituden). 1471 werden Platerberger die parva logicalia zugeteilt (AFA III / 1 188). Der Leser wird am besten die Bedeutung dieser Informationen verstehen, wenn er sie mit der obigen Beschreibung der Wiener Handschrift 4953 vergleicht (§ 3.1.). Philosophie principalis partes tres esse perhibentur, scilicet methaphysica etica et phisica, inter quas sola phisica more [M1: mora] gerens propter difficultatem eorum que maxime in examinibus queri solent eo quod nimium disperse [M1: disperso] sint et in diversis voluminibus prolixa contenta: Ut [M1: quod] igitur incipientes in philosophia naturali faciliorem aggressum habeant divisiones terminorum naturalium cum quibusdam fun‐ damentibus ordine quo melius potui in hunc libellum congere [M1: aggredere] dignum duxi processu. Igitur observato prius opusculum in quinque partes dividendum constitui. Sed quia a communibus ad specialiora texte philosopho [teste philosopho: post est trans. M1] descendendum est in prima parte de ente mobili in com‐ mune et de eius speciebus [M1 proprietatibus] et de passionibus dicetur [M1: dicere], in secunda de motu locali in speciali de ente mobili ingenerabili et incorruptibili. In tertia autem [M1: sed in tertia] de aliis speciebus motus et de ente generabili et corruptibili simplici et mixto mobili ad formam perfectam. In quarta de ente mobili considerato ad formam imperfectam. In quinta de ente mobili ad formam animatam [M1: animi] ubi dicitur [om. M1] de anima et eius potentiis passionibus et eius proprietatibus determinabitur. Cum autem [M1: ergo] ens mobile sit ens naturale et [M1 sed] quia natura est principium motus et status, igitur a natura in primis incipiendum esse puto (M1, fol. 1; M2, fol. 1r; E, fol. 100r). Vgl. Caroti, Nuovi linguaggi.
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Transmutationen diskutiert er die Unterscheidung zwischen naturalis und artificialis und dann geht er über zur Bestimmung von Grenzen eines Naturdinges; somit kann er die Problematik von maxima et minima auch miteinführen. Wir können hier nur die Hauptstelle berücksichtigen, in der Lochmair nach einer kurzen Einführung eine sche‐ matische Darstellung der vier üblichen Arten gibt, die maximale und minimale Größe ei‐ nes Kontinuums zu bestimmen. Es handelt sich um die üblichen scholastischen Begriffe, die man in sämtlichen Traktaten De maxima et minima, die ab dem 14. Jahrhundert fast ausnahmslos im Anschluss an die Calculatores verfasst wurden, finden kann104. Die Grenzen einer kontinuierlichen Größe können bekanntlich entweder zur ihr gehören oder außerhalb von ihr liegen. Im ersten Fall handelt es sich um maximum bzw. minimum ‚quod sic‘, die inclusive bestimmt werden. Im zweiten Fall findet die Grenzbestimmung hingegen exclusive statt, so dass es sich dabei um maximum bzw. minimum ‚quod non‘ handelt105: Res naturalis terminantur maximo dupliciter et minimo dupliciter, scilicet maximo quod sic et maximo quod non, minimo quod sic et minimo quod non. Duo terminantur res quoad sursum, id est quo ad magnitudinem et duo terminantur res quo ad deorsum, id est ad parvitatem. Et duo extrinsece, id est exclusive, et duo intrinsece, id est inclusive. Isti quatuor terminis quibus res terminantur cum eorum expositionibus in figura facili cernere est: !
!
I
%
# !
Terminat rem %
#
E
105
minimum quod sic est quod in hoc et in nullum minimum maximum quod non exponitur sic: est illud quod non potest propter eius parvitatem et quocunque minore dato datur minus in quod potest maius cum illo in quod non potest, vel sic: inter omnia parva in quo non potest propter eius minimam parvitatem, hoc est maximum 〈quod non〉.
%
#
104
maximum quod sic exponitur sic: est in hoc quod ad sursum magnitudinem potest et in nullo maius
quoad sursum
quoad deorsum
minimum quod non illud est quod non potest propter eius magnitudinem et quocunque minore dato datur minus in quod potest maius cum illo in quod potest, vel sic: inter omnia magnitudinem in qua non potest propter magnitudinem, illud minimum quod non.
Ein signifikantes Modell für Lochmair und seine Kollegen kann die Bearbeitung des Themas bei Albert von Sachsen dargestellt haben, dessen Aristoteles-Kommentare sehr wohl bekannt waren. Für weitere Ein‐ zelheiten vgl. hierfür Di Liscia, A tract. Mein Zitat ergibt sich aus einem Vergleich aller drei Handschriften: E fol. 102v; M1 fol. 5v; M2 fol. 5r, die zahlreiche, aber dem Sinn nach konsistente Varianten aufweisen. Für eine Reproduktion dieser Stelle nach der Hs. München, BSB, clm 18789 (hier M1), fol. 5v, siehe S. 81 Abb. 1.
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Voraussetzungen und Zusammenhänge
Diese Stelle weist thematisch eine gewisse Verwandtschaft mit den entsprechenden Stel‐ len von der Expositio auf, in denen man die Grenze für verschiedene Latituden diskutiert. Aber einen Verweis zum anderen Text findet man hier leider nicht und eigentlich auch keine direkte und spezifische Verbindung. Die Lehre, die Lochmair hier vermittelt, ist völlig üblich. Nur drei Aspekte scheinen eine gewisse Eigentümlichkeit aufzuweisen, die man auch in der Expositio findet: 1) die Begriffe werden eigentlich nicht im strengen Sinne „definiert“, sondern „exponiert“; 2) die Begriffserklärungen werden wiederholt, hier ganz deutlich für die termini extrinseci: ein maximum quod non est illud . . . vel sic: . . . ; 3) man macht die „intensive Richtung“ deutlich, in Bezug auf welche die Be‐ griffserklärung oder das angegebene Beispiel verstanden werden muss. In der Expositio heißt dies etwa „wenn man von den niedrigen zu dem stärksten Grad geht (eundo)“ bzw. „von dem stärksten zu dem niedrigsten Grad“. Zusammenfassend: Die Erklärung gilt, je nachdem, ob es sich um eine Ab- oder eine Zunahme der Qualität handelt. Hier, in der Philosophia naturalis von Lochmair, wird diese Idee mit den Begriffen sursum für die maxima und deorsum für die minima ausgedrückt. Dazu legt Lochmair eine geometri‐ sche Darstellung bei, die – obwohl sie ziemlich abweichend in den drei Handschriften überliefert wird – gerade diesen Aspekt verdeutlichen soll:
10 9
sursum 10 9 8
8 7 7 6 6 5 5 4 4 3 3 2 2 1
1 deorsum
E: fol. 5
v
M2 : fol. 5
v
M1 : fol. 5r
Ein Verweis auf die Expositio wäre hier völlig angebracht, wenn diese früher entstanden wäre; jedoch kommt ein solcher nicht vor. Ein weiteres Bündel von Fragen ergibt sich natürlich bezüglich der Bewegung, die von Lochmair im Anschluss zum 3. Buch der Physik behandelt wird106. Dabei kommt ein gewaltiger Unterschied zu den – etwas späteren – Pariser Kommentaren von John Mair, von Jean Dullaert Gandavus oder z. B. Luis Coronel zum Vorschein: Alle diese Texte füllen seine Kommentierungen mit unzähligen calculationes und z. T. auch mit con‐ figurationes – wie z. B. Dullaert Gandavus –, und zwar hauptsächlich bei der Behandlung
106
De motu: Hss. E, fol. 112r –118r; M1, fol. 19r –24v; M2, fol. 18r –23r.
§ 4. Der Schreiber der Wiener Abschrift: Michael Lochmair de Heydeck
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der Bewegung. Lochmair baut seine Kommentierung hingegen ohne calculationes und configurationes. Im Anschluss zum vierten Buch der Physik geht Lochmair auf die Pro‐ blematik der Grenzbestimmung der Zeit und anderen Kontinua – wie die Bewegung – ein, die die Zeit voraussetzten. Diese Thematik ist mit den oberen Fragen über maxima et minima eng verknüpft, und zwar inhaltlich und historisch. Lochmair gibt etwa wie Platerberger einige der üblichen Regeln und eine schematische Darstellung für incipit et desinit von permanenten und sukzessiven Entitäten. Das Ganze geht grundsätzlich – wie gewöhnlich – auf Walter Burleys Quästion De instanti zurück107. Interessant für unsere Untersuchung bleiben nur einige wenige Abschnitte, in denen sich Lochmair mit der Bewegung beschäftigt. Im Anschluss an die Untersuchung des Aristoteles in Physik VII, 4 bezieht er sich auf die Frage nach dem Vergleich der Bewe‐ gungen. Da dieser Themenkreis oft zu einer Diskussion über die Möglichkeit und die Art und Weise dieses Vergleichs nach den Geschwindigkeiten der Bewegung – so betitelt auch Lochmair diese Stelle108 – führt, sind in der Tat die Rahmenbedingungen für eine ergänzende Diskussion über die Formlatituden sehr gut vorgegeben. Mit anderen Wor‐ ten: Wenn Lochmair die Expositio über den Traktat De latitudinibus formarum schon verfasst hätte, sollte es an dieser Stelle erkennbar sein. Aber das ist nicht der Fall. Loch‐ mair liefert hier keine tiefgreifende Analyse des Geschwindigkeitsbegriffes und erwähnt nirgends die Formlatituden als solche. Er gibt zwar einige schon altbekannte Sätze über die Gleichförmigkeit der Bewegung an, die aber in keiner Weise spezifisch mit der Expo‐ sitio in Verbindung gebracht werden dürfen109. Dieselbe Sachlage lässt sich letztendlich in Lochmairs Abschnitt, in dem er auf die Lokalbewegung fokussiert, nachweisen. Wie auch Platerberger – der die Formlatituden nicht benutzt, sie aber im Unterschied zu Lochmair zumindest erwähnt – lehnt sich Lochmair in seiner Bewegungsanalyse an Bu‐ ridan an, wobei er dem mathematischen Ansatz eine geringere Rolle zukommen lässt110. Am Ende des Abschnittes kommt Lochmair wieder einmal zur Unterscheidung zwi‐ schen uniformis und difformis, und zwar ohne dass die Formlatituden mit einbezogen werden111.
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111
Hs. E, fol. 120r –122v; M1, fol. 31r –34v; M2, fol. 28r –31v. Für eine (verbesserungsbedürftige) Edition von Burleys Quästion siehe Burley, De primo, ed. Shapiro. Vgl. dazu Murdoch, Scientia, und ders., Infinity. Zu dem aristotelischen Hintergrund siehe Trifogli, Wylton on the Ceasing; in Verbindung mit Paulus Venetus und der Aufnahme dieser Lehre in Italien siehe Di Liscia, Burley. De comparatione motuum in velocitate: Hs. E, fol. 123r–v; M1, fol. 34v –35v; M2, fol. 31v –33r. Velocitas motus localis in uniformiter [!] motu attenditur penes spacium lineale quiescens descriptum a puncto eius medio in certo tempore quoad velocitatis [E: velocitatem] extensionem et non intensionem . . . . Mobile dicitur moveri uniformiter quando omnes partes illius moventur eque velociter sicut totum mobile. Motus uniformis est que est 〈eque〉 velox in se et in omnibus eius partibus. Sed motus regularis est ille qui est uno tempore ita velox sicut alio tempore. Corrolarium: motus celi est regularis sed non uniformis, quia una pars velocius movetur quam alia (E, fol. 123r). Dicto de motu in generali dicendum est de motu locali in speciali. . . : Hs. E, fol. 123r–v; Der Abschnitt handelt hauptsächlich vom Wesen der Bewegung (ob sie eine forma fluens oder ein fluxus formae ist) und natürlich von der Impetustheorie. Buridan wird gleich am Anfang erwähnt: Est autem motus localis secundum Buri‐ danum accidens successivum in esse et in fieri (ebd.). Item motus localis ad huc est duplex, scilicet uniformis et difformis. Motus localis difformis est cuius una pars velocius movetur et alia tardius, ut motus rote circa axem. Sed motus localis uniformis est motus cuius omnes partes equevelociter moventur, ut motus gravis deorsum. Motus localis insuper est duplex: regularis et irregularis (E, fol. 129v). Uniformis und difformis gelten quoad subiectum; daher ist die Bewegung der fallenden Körper gleichförmig.
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Voraussetzungen und Zusammenhänge
Nachdem wir die Philosophia naturalis von Lochmair durchgesehen und ihre ein‐ schlägigen Stellen berücksichtigt haben, müssen wir uns fragen, was davon zu halten ist, und wie man sie in Verbindung mit unserer Frage zu beurteilen hat. Während eine genauere Studie an einer anderen Stelle durchgeführt werden muss, kann man hier mit gewisser Sicherheit auf die allzu schwache Verbindung mit der Expositio zu LF hinweisen. Vor allem eines ist auffälligerweise nicht vorhanden: In diesem Werk soll eine allgemeine Einführung in die Naturphilosophie geboten werden, aber in ihm wird die Frage nach dem Status der mittleren Wissenschaften nirgends angesprochen. Außerdem vermeidet Lochmair jede Verbindung von Mathematik und Naturphilosophie, und immer dort, wo er sich über die Formlatituden hätte äußern können, bleibt seine Darstellung trocken und an den gängigen Mustern der Naturphilosophie hängen, egal ob es um maxima und minima oder incipit und desinit oder um die Bewegung geht. Man kann sich also schwerlich vorstellen, dass ein und derselbe Mensch der Verfasser dieses Physiktextes und der Expositio zu LF ist. Dass er beides der Sache nach trennen will, ist natürlich immer möglich, aber sehr unwahrscheinlich. Denn warum sollte er dies tun, wenn der gesamte Kontext auffordert, auf die Frage der möglichen Anknüpfung zwischen beiden Berei‐ chen einzugehen und zumindest eine negative Stellungnahme dazu zu beziehen? Wir wissen, dass viele andere nicht zögerten, theoretisch und faktisch die Formlatituden in die Physikkommentierung aufzunehmen, und dass weitere Autoren an der entsprechen‐ den Stelle von Physik II über den Status jener neuen Disziplinen wie der Proportionen oder der Formlatituden zumindest berichten. Aber nicht Lochmair, er berührt die Frage nicht einmal flüchtig. Entweder ist er also nicht der Verfasser der Expositio zu LF oder sein Physiktext ist vor 1466 anzusetzen. Das Letztere setzt jedoch voraus, dass er seine Philosophia naturalis schon ziemlich früh verfasst haben müsste, sogar während der Zeit, als er sein Studium der Artes noch nicht abgeschlossen hatte. Man kann hier jedenfalls keine sichere Entscheidung treffen, so dass es ratsam ist, die Untersuchung bei der nächs‐ ten Gruppe von Schriften, bei den logischen Schriften, fortzuführen. Die logischen Schriften Lochmairs bieten aufgrund ihrer Thematik leider einen viel geringeren Anhaltspunkt zu einer Auseinandersetzung mit dem Themenkreis der Form‐ latituden als eine Schrift über Naturphilosophie. Sie handeln von einführenden, aber z. T. auch metaphysisch und logisch grundlegenden Gegenständen: die Universalien‐ lehre, die Kategorienlehre und die Satzlehre. Diese Gegenstände werden im Anschluss an die entsprechenden aristotelischen (bzw. pseudo-aristotelischen) Schriften behandelt: Porphyrios’ Isagoge, die Categoriae und De interpretatione. Dazu kommt noch die gän‐ gige Beweislehre der unmittelbaren Inferenzen und des Syllogismus, die Lochmair im Rahmen seines Textes über Petrus Hispanus herausgearbeitet hat. Lochmairs Quaestiones in veterem artem beginnen mit der gewöhnlichen Quästion über die Wissenschaftlichkeit der Logik112. Für uns ist dies nicht unwichtig, zumal ge‐
112
Commentarius in veterem artem. Utrum logica sit scientia. Notandum quod pro questioni respondetur: titulus est predicatio directa essentialis et quiditativa generalis de specie loyca et in predicamento qualitatis in prima specie. Sic etiam scientia capiendo 〈est〉 pro scientia accidentali. Marsilius notat primo quod duplex est noticia, scilicet complexa et incomplexa . . . idem . . . 2° notandum in notabili quinto quod loyca sic diffinitur: Loyca est scientia docens diffinire, dividire, arguire et argumentare per voces verum a falso discernere. . . . idem . . . Loyca vetus est que considerat de partibus argumentationis tam propinquiis quam remotis. . . . Nova loyca considerat de tota argumentatione secundum se considerata, ut quartus tractatus liber posteriorum, priorum, topicorum. Et prima pars consequentiarum (Hs. Me pag. 605).
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rade die Diskussion dieser Frage zu einer allgemeineren Erklärung der Einordnung der Wissenschaften führen könnte. Diese findet man in der Tat auch bei Lochmair: Er be‐ ginnt seine Klassifizierung mit der Unterscheidung zwischen scientia creata und increata, die er in weitere Kategorien untergliedert. Wir können sie jetzt beiseitelassen, denn darauf kommt es hier nicht an. Am Ende dieser Gliederung unterscheidet er zwischen scientia habitualis und scientia aggregata. Diese zerfällt in scientia speculativa et prac‐ tica, die wiederum folgendermaßen untergliedert werden: speculative sunt scientie sicut metaphysica, mathematica et naturalis phylosophia. Practica est duplex, scilicet activa, ut moralis philosophia que dividitur in quatuor partes scilicet ethica monastica yconomica, et politica. Et sunt septem artes liberales, scilicet trivium ut gramatica rethorica et loyca; et quadrivium, scilicet geometria, astronomia, musica, et arismetica113. An dieser Stelle hat Lochmair wieder die passenden Rahmenbedingungen, um die scientiae mediae zu erwäh‐ nen und gelegentlich auch die Formlatituden in dieser Klassifizierung unterzubringen; aber wir sehen, dass er sich an die üblichen Disziplinen hält. Leider kommt die scientia de latitudinibus formarum – wie sie üblicherweise hieß – nicht vor. Noch wichtiger sind für uns einige Stellen seines Kommentars zu Petrus Hispanus, denn hier kommen tatsächlich einige Ähnlichkeiten zum Vorschein. Es handelt sich jedoch nicht um doktrinäre Übereinstimmungen, bei denen – aufgrund irgendeiner spe‐ zifischen Meinung, die sowohl in der Expositio als auch hier vertreten würde – auf die Identität des Verfassers für beide Texte geschlossen werden darf, sondern um eine gewisse Parallelität im Stil und in der Kommentarmethode114. Wie der Verfasser der Expositio legt Lochmair Wert auf eine ausführliche Erklärung ganz bestimmter Begriffe; diese wer‐ den definiert und die Termini, die man in der Definition benutzt hat, der Reihe nach „exponiert“115.
113 114
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Commentarius in veterem artem, Me pag. 606. An einer Stelle bezieht sich Lochmair auf die Qualität albedo in dem sacramento altaris: Substantia autem dividitur [= Lemma von Petrus Hispanus]. Notandum quod ille terminus ‚substantia‘ capitur du‐ pliciter: unomodo pro termino prime intentionis. Et diffinitur sic: substantia est res que de sui natura nata est per se subsistere; vel: est per se essentialis rei per se subsistens. Primum dicitur propter corpora substantialia totalia, secundum dicitur propter formas substantiales et propter corpora substantialium. Corrolarium: licet albedo in sacramento altaris per se subsistat tamen non est substantia, quia hoc non est de sui natura sed maculose (fol. 911r). Die Expositio enthält einige Argumente, die sich auf den Zustand der Qualitäten in der eucharistischen Wandlung beziehen (vgl. S. 98 Zz. 336–338). Lochmair selbst hat in seiner Abschrift einige kurze Bemerkungen gemacht (vgl. S. 98, Apparat zu Z. 323). Aber meiner Meinung nach kann aus dem Inhalt dieser Bemerkungen keine Verfasserschaft festgestellt werden. Zwei diesbezüglich deutlichere Stellen kommen in dem Kommentar zur Kategorie der Substanz vor: (1) Substantia non habere contrarium [= Lemma von Petrus Hispanus]: Pro illa proprietate notandum est quod duplex est contrarietas quantum ad propositum: scilicet realis et logicalis. Unde proprie loquendo de contrarietate tunc solum accidentia sunt contraria. Et res dicuntur ad invicem contrarie quattuor modis. Uno modo proprissime et sic res contrarie sunt due qualitates accidentales habentes transmutationem circa idem subiectum active vel passive maxime gradualiter ab invicem distantes distantia per naturam possibili sic se habentes. Quod nec ipse nec eis similes nec in speciei nec in gradu potent in esse naturaliter eidem subiecto adequate et simpliciter in esse permanenti. Sed eius similes hoc facere potent successive. Dicitur primo habentes transmutationem unde ille qualitates dicuntur habere transmutationem circa idem subiectum que sic se habent ad invicem quod quantum de una acquiritur tantum de alia deperditur, ut caliditas frigiditas, quia quando aliquod subiectum sit calidum quod prius fuit frigidum tunc tantum quantum deperditur de frigiditate tantum adquiritur de caliditate et econverso. Dicitur maxime gradualiter etc. Unde maxime distancia gradualis poni‐ tur consistere in decem gradibus ut summa caliditas et summa frigiditas sunt qualitates proprissime contrarie. Et summa caliditas est caliditas decem graduum et frigiditas summa. Etiam est frigiditas decem graduum sic
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Voraussetzungen und Zusammenhänge
Eine engere Verbindung zwischen diesem Text von Lochmair und der Expositio zeigt sich noch an einer anderen Stelle, in der Lochmair auf die Frage nach dem subiectum scientiae eingeht. Diese Thematik wird auch im „Vorwort“ der Expositio zu LF behan‐ delt, in dem – wie wir sehen werden – eine ähnliche Begrifflichkeit benutzt wird. Doch das ist nicht alles: Denselben Zusammenhang kann man hier auf die anderen Texte er‐ weitern, die von Lochmair in derselben Hs. W geschrieben wurden. Es handelt sich um Texte mit dazu gehörigen Kommentaren, die sehr wohl in demselben Rahmen wie die Formlatituden entstanden sind. Ein Grundtext liefert die Basis für eine grundlegende Kommentierung, die ähnlich wie in der Expositio erfolgt: es wird zuerst die Kommen‐ tierung mit einer Einleitung eröffnet; danach folgen abwechselnd der Grundtext, der vollständig geliefert wird, und der Kommentar zu ihm. Für alle diese Texte – einen Proportionentraktat; einen Text zur Arithmetik und einen Algorismus – gilt dieselbe Sachlage: 1. der Grundtext ist einigermaßen gut identifizierbar; 2. der Verfasser des Kom‐ mentars ist unbekannt; 3. diese Texte – beide: der Grundtext und der Kommentar – wurden sicherlich an der Wiener Artistenfakultät benutzt. Da sie alle aus der Hand von Michael Lochmair stammen und wir wissen, dass Lochmair sowohl als Student als auch als Lehrer in Wien tätig war, stellt sich nun die Frage, ob Lochmair nicht eigentlich der Verfasser aller dieser Kommentare ist, bzw. ob man zumindest in ihnen Hinweise findet, die auf eine Verfasserschaft Lochmairs der Expositio zu LF hindeuten. Ich werde mich also im Folgenden kurz mit einem Aspekt dieser Texte beschäftigen, der für die oben genannte Stelle von Lochmairs Kommentar zu Petrus Hispanus von Belang ist. Der Proportionentraktat, der aus einer Kommentierung eines Proportionentextes – wie etwa die Proportiones breves – besteht, ist nicht nur in dieser Handschrift enthalten, sondern auch in einer anderen Wiener Handschrift (Wn = Wien, ÖNB 4951, fol. 260r – 271v), die aber nicht von Lochmair geschrieben wurde, sondern von einer etwa zeitgenös‐ sischen Hand. Diese Handschrift ist deshalb von Bedeutung, weil man in ihr auch den Arithmetik-Text, der auch von Lochmair in W geschrieben wurde, und eine Liste von Vorlesungen, in denen die Formlatituden erwähnt werden, findet116. Der Kommentar zum Proportionentraktat beginnt mit der folgenden Einleitung:
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humiditas summa et siccitas summa sunt qualitates proprissime contrarie (pag. 916–917). (2): Substantia suscipit magis et [= Lemma von Petrus Hispanus]. Notandum quod illa proprietas presenti substantie, scilicet non suscipere magis et minus exponitur dupliciter: de rebus et de terminis. De rebus sive realiter duobus modis. Uno modo sumitur non suscipere magis et minus, id est res non nata recipere in se vel in eius partes essentialem inhesive qualitates magis et minus intensas. Dicitur ‚in se‘ propter materiam primam que in se recipit tales qualitates. Dicitur ‚vel eius partem‘ propter totum compositum quod non recipit in se tales quali‐ tates sed solum materiam. Alio modo sic non suscipere magis et minus in res in sua essentia non nata intendi vel remitti. Sed logicaliter sive de terminis sic: non suscipere magis et minus est terminus unicus incomplexus ratione possibilis vel commune in propositione mere de presenti naturaliter cum illis adinvicem magis et minus stricte capitur et habetur quod nihil ponatur a parte predicati propter talem terminum et ly ‚magis vel minus‘ et ly ‚quam‘ et terminum significantem rem ad quam fit comparatio. Dicitur in propositioni de presenti quia in propositioni de preterito vel possibili vel ubi termini ampliatur, et bene potent predicari cum ly ‚magis et minus‘ ut forma ymaginatur magis homo quam Plato. Dicitur naturaliter, quia supranaturaliter non est dubium. Dicitur vere, quia termini substantiales bene potent cum istis adicionibus magis et minus false predicari, ut So〈rtes〉 est magis homo quam Plato. Dicitur afirmative, quia negative bene predicantur vere, quia ista est vera: ‚So〈rtes〉 non est magis homo quam Plato‘. Dicitur sic quod nulla ponantur etc, quia licet ista sit vera Sor est magis homo albus quam Plato tamen causa aliquid addit. Dicitur stricte capitis . . . (pag. 918–919). Auch hier weist der Inhalt keine spezifische Ähnlichkeit mit der Expositio auf. Vgl. Di Liscia, LB 25.
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Iste tractatulus, qui est extractatus [!] ex proportionibus longis magistri Bradwardini, liber proportionum nuncupatur. Ideoa quia de proportionibus generalibus tractat, scilicet tam de proportionibus in numeris quam in magnitudinibus. Ex quo patet quodb notitia presentis libri vel tractatuli subordinatur scientie mathematice que est considerativa quantitatis precise secundum rationem quantitatis continue aut discrete ad c aliam habentem attributionemd ad aliquame pre‐ dictarum. Unde mathematica, cuius subiectum attributionis est lyf ‚quantitas‘, sub se continet arithmetica et geometria. Et quia proportio non solum resperitur in discretis et numeris nec solum in continuis et magnitudinibus, ideo noticia presentis libri est in genere, scilicet tam numerorum quantitatis discrete quam magnitudinum quantitatis continue. Ex quo patet quod noticia pre‐ sentis librig nec subordinatur arithmetice nec geometrie. Secundo patet quod lyh divisio non est sufficiens ‚mathematicarum quedam est arithmetica, quedam geometria‘ in qua tota mathematica non sufficienter dividitur in geometriam et arithmeticam. Patet quia aliqua est pars mathematice que nec solum est arithmetica nec solum est geometria, sed participat seu habet naturasi utriusque, videlicet de noticia presentis libri. Tertio patet quod subiectum huius scientie est lyj ‚proportio‘; et hoc patet ex quadam notitia subiecti attributionis. Quarto patet quod presens tractatulus va‐ let ad multa que in physica tractantur: primo valet ad phylosophiam naturalem, ut ad 4tum et 7m Physicorum, nam proportio in velocitatibus motuum non potest intelligi sine scientia pro‐ portionis. 2° valet ad moralemk phylosophiam in 5to Ethicorum, ubi determinatur de iustitia commutativa et distributiva. Et valet ad geometriam, arithmeticam, musicam, astronomiam ut satis patetl de se dimissis aliis que communiter circa initia librorum solent moveri procedendo ad textum. Omnis proportio vel . . . [der Proportionentext folgt]. Varianten: W, fol. 19r; Wn (= Hs. Wien, ÖNB 4951), fol. 260r: a ante ideo] et add. Wn; b quod] om. Wn; ad] ans [!] Wn; d attributionem] attributionis Wn; e aliquam] aliqua Wn; f ly] om. Wn; g est in genere . . . noticia presentis libri] hom. Wn; h ly] hec Wn; i naturas] naturam Wn; j ly] om. Wn; k moralem] naturalem Wn; l ut satis patet] valet Wn.
c
Obwohl hier die damals schon gängige Bezeichnung für Proportionenlehre als scientia media nicht ausgesprochen wird, ist unleugbar, dass diese Stelle mit der Einführung zur Expositio und mit den weiteren Texten, die wir sehen werden, unmittelbar verbunden ist. Es kommen z. T. sogar wörtlich dieselben Ausdrücke vor: noticia scientia bzw. noticia pre‐ sentis libri, subordinatio, subiectum attributionis und die Bemerkung darüber, wozu diese Wissenschaft dient (valet ad). Die Formlatituden werden nicht erwähnt; man darf sie jedoch am Ende des Abschnittes unter denjenigen anderen Disziplinen vermuten, „die man gewöhnlich in den Einleitungen zu derartigen Büchern zu erwähnen pflegt“. Der Hauptgedanke dieses Passus ist der, dass keine der bestehenden mathematischen Wis‐ senschaften den Gegenstand solcher Traktate – ihr subiectum – allein vollständig und der Sache nach angemessen umfassen kann. Das geschieht nicht einmal innerhalb der traditionellen Auffassung der Mathematik als eine Wissenschaft, die nur aus Arithmetik und Geometrie besteht; denn Proportionen benutzt man in beiden, und zwar deswegen, weil ihre jeweiligen Gegenstände – die Zahlen, die als unstetig aufgefasst werden, und die Größen, die als stetig gelten – es so erfordern. Der Text macht also zuerst deutlich, dass der Proportionenlehre eine Vermittlungsstellung zwischen beiden Disziplinen zu‐ kommt, welcher mit der traditionellen Einteilung der Mathematik nicht Genüge getan wird. Darüber hinaus hebt der Verfasser des Kommentars hervor, dass die Proportionen‐ lehre gewöhnlich in der Philosophie zur Anwendung kommt, und zwar nicht nur in der Physik, sondern auch in der Ethik117.
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Für die Physik wird sinnvollerweise auf diejenigen Bücher der aristotelischen Physik verwiesen, in denen schon von Aristoteles Proportionen verwendet werden: im vierten Buch werden im Anschluss an das Pro‐
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Voraussetzungen und Zusammenhänge
Der nächste Text in W, der auch in Wn überliefert wird (fol. 273r –304v), hat die Arithmetik zum Gegenstand. Es handelt sich hier noch einmal um einen späten Kom‐ mentar eines ziemlich frühen Textes, der letztendlich – wie der Verfasser des Kom‐ mentars gleich erklärt – auf Boethius zurückgeht. Er wird nur in dem Explicit von W Bradwardine zugeschrieben; aber dies ist sehr wahrscheinlich unzutreffend. Der Text folgt direkt der Arithmetica speculativa von Muris, obwohl die Betitelung Arismetica communis lautet. Aber dafür gibt es eine Erklärung im Text selbst, die wir gleich sehen werden. In Wn kommt der Name Bradwardines nicht vor. Man kann also gut anneh‐ men, dass der Schreiber dieser viel späteren Abschrift – sie ist vom Schreiber auf 1507 datiert – den Fehler von Lochmair erkannt und aufgehoben hat118. Der Kommentar beginnt jedenfalls mit einer Einführung, in der der Begriff des subiectum attributionis auch erwähnt wird: Iste est liber arismetrice qui receptus est ex arismetica Boetii cuius subiectum attributionis est ly ‚numerus‘; propria eiusa passio numerus par vel impar. Cuius titulus est Arismetica communis. Ideob tractatulusc dicitur communis, quia generaliter legitur. Et inventor huius artis primus fuit Pitagoras, quia dicit Boetius in sua Musica . . . . Varianten: a eius] illius Wn; b ante Ideo] et add. Wn; c tractatulus] om. Wn.
Diese Einführung oder dieses „Vorwort“ des Kommentators enthält keine weiteren Be‐ merkungen, die man direkt in Verbindung mit den anderen Disziplinen und mit der Frage der scientiae mediae bringen kann119. Erwähnenswert bleibt noch, dass der Titel des Textes angegeben ist, und zwar aus den zwei folgenden Gründen: Erstens sieht man an dieser Stelle deutlich, was communis bedeutet: Man „liest“ darüber, d. h. dieser Text ist Gegenstand von Vorlesungen gewesen. Der Kontext, der an vielen Stellen dieser Unter‐ suchung behandelt wurde, und die Herkunft beider Handschriften lassen keinen Zweifel daran, dass es sich um Vorlesungen an der Wiener Artistenfakultät handelt. Zweitens hat die Erwähnung des Titels inhaltliche Bedeutung für die Diskussion bezüglich der Ein‐ ordnung als scientiae mediae einiger Wissenschaften. Hier wird das Problem nur flüchtig berührt und als solches nicht angesprochen, aber in der Einleitung zur Expositio wird ausgehend vom Titel ein Argument für eine bestimmte Auffassung diskutiert. Der nächste mathematische Text, der von Lochmair in W geschrieben wurde, der Al‐ gorismus von Sacrobosco mit einem Kommentar zu ihm, enthält auch in der Einführung einige solcher Bemerkungen zu demselben Thema. Am Ende der Einführung geht der Kommentator auf die vier verschiedenen Ursachen im Text von Sacrobosco ein120:
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blem des Vakuums die Proportionen von Geschwindigkeiten in unterschiedlichen Medien diskutiert; im siebten Buch geht es gerade um die Bewegungsregel nach den Ursachen (etwa um die Dynamik). Die Er‐ wähnung der Anwendung der Proportionenlehre innerhalb der Ethik ist besonders beachtenswert; sie zeigt, dass man keine Grenze für die Anwendung dieser „analytical languages“ setzen wollte. Der Verweis auf Aristoteles ist allerdings richtig, denn Aristoteles benutzt im fünften Buch seiner Nikomachischen Ethik die Proportionen in Bezug auf die Begriffe der distributiven und kommutativen Gerechtigkeit. Das Problem ist im Rahmen der scholastischen Kommentare zur Ethik meines Wissens bisher nicht untersucht worden. Expl.: . . . scilicet sesquialtera proportione. Explicit arismetica communis. Et scriptus est et finitus wienne per me Iacobum Fynck . . . anno domini 1501 . . . . Der Kommentator beschäftigt sich kurz mit der Einteilung der Arithmetik und mit der Frage nach dem ontologischen Status der Zahlen, aber natürlich nur sehr kurz und einführend. W, fol. 145r (Hervorhebung von mir).
§ 4. Der Schreiber der Wiener Abschrift: Michael Lochmair de Heydeck
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Dico igitur quod causa materialis sive subiectum huius libri est numerus in se consideratus et in suis partibus atque passionibus per modum introductionis. Dico ‚in se‘ quia hic dicitur numerus, dico ‚in suis partibus‘ quia hic agitur de partibus numeri integralibus, sicut de unitatibus et de partibus numeri subiectis, sicut de numero cubico et superficiali et lineali. Item dicitur ‚in suis passionibus‘ quia hic determinatur de numero quantum ad additionem et aliis passionibus. Item dicitur ‚per modum introductionis‘, quia iste liber est introductorius ad artem eam et ad computos. Causa formalis est duplex: scilicet forma tractandi et forma tractatus. Forma tractandi in hoc libro est processus diffinitivus, divisivus, expositivus et narrativus. Sed forma tractatus consistit in divisione capitulorum. Causa finalis huius libri est scire numerare practice. Et si queritur cui parti philosophie subordinatur respondetur arismetice. Unde id est subiectum hic et in tota arismetica in quod est hic subiectum esse speciali et introductorio. Mathematica autem est per modo artis et sub esse quantitatis. Titulus talis est. Incipt algorismus prosaicus Johannis de Sacrobusco.
Dieser Passus weist also dieselbe Absicht des Verfassers – oder der Verfasser – wie die zitierten Kommentare und die Expositio zu LF auf: bevor man zum inhaltlichen Text‐ kommentar übergeht, sind einige einführende Bemerkungen angebracht, in denen der Gegenstand und das Buch in dem Rahmen anderer Disziplinen eingeordnet werden. Als Zusammenhang dienen hier die vier aristotelischen Ursachen und nicht die Frage nach dem Status der scientiae mediae, denn zumal der Gegenstand des Algorismus zur Arithmetik gehört, stellt sich diese Frage nicht. Aber dies wird bei der Frage nach der Un‐ terordnung (subordinatio) ausgedrückt, welche in der Expositio zu LF deutlich gestellt wird. Es ist auch bemerkenswert, dass in diesem Passus die Termini einer allgemeinen Aussage exponiert werden; ein Verfahren, das man – wie oben gesehen – oft bei Lochmair findet (darauf komme ich gleich zurück). Außer den Elementen (Buch I) und einem auch mit Kommentar versehenen Text über Rhetorik sind dies also die Texte, die Lochmair in W neben dem Tractatus de latitu‐ dinibus formarum und seiner Expositio geschrieben hat. Die restlichen Texte (5 bis 7), die sich auf die moderne Logik beziehen und sicherlich auch in dieser Zeit benutzt wurden, stammen nicht aus Lochmairs Hand. Das kurze logische Fragment trägt die Erwähnung von den moderniores dyalectici, zu denen Thomas Maufeld und Johannes von Holland zählen, beide Verfasser von einem specialis tractatulus zur neuen Logik121. Die Obliga‐ tiones von Johannes von Holland sind auch mit einem Kommentar versehen, an dessen Anfang die Frage nach dem subiectum gestellt wird, eine Frage, die allerdings bei solchen Traktaten völlig berechtigt und immer noch für die moderne Forschung offen ist; aber für uns spielt die entsprechende Erklärung des Kommentars inhaltlich keine gewichtige Rolle. Beachtenswert ist, dass er auch die Frage nach der Nützlichkeit dieser Kunst stellt, die man in einigen der oberen Texte gesehen hat und die – wie gesagt – auch in der Expositio gestellt wird122. Der Kommentar zu dem danach folgenden Insolubilia-Text
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W, fol. 85v. Über Maufeld siehe Maierù, Terminologia 633 [= Maulevet]; über Johannes von Holland siehe Bos, Tracts (mit einer Edition dieser beiden Traktate aus allen bekannten Hss.). Circa tractatum obligationum antequam protendatur ad textum sunt aliqua dubia ponenda pro meliori intellectu, que in hoc libello tractantur, etc. Dubitatur primo quid sit subiectum noticie obligatoriorum. Re‐ spondetur quod ille terminus ‚obligatio‘ capto pro termino secunde intentionis. Sed propria passio est obligatio affirmativa vel negativa. . . . Dubitatur 3° quid sit ars obligistica. Respondetur quod ars obligistica est ars docens communiter et formaliter disputare et respondere presupponens noticiam artis. Dubitatur 4to ad quid valeat ars obligistica. Respondetur ad formare, arguire et respondere cum positis exemplis et casibus . . . (W, fol. 68r). A. Perreiah, Übersetzer von Paulus Venetus’ Logica parva, macht die folgende Bemerkung: „Their importance [of medieval treatises on obligations] can be inferred from the fact that they constitute an essential chapter
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Voraussetzungen und Zusammenhänge
von Johannes von Holland hat auch eine ähnliche Einführung, die grundsätzlich auf die vorherige Einführung über Obligationes zurückgeht123. Nachdem über einige mehr oder weniger – je nach Text – auffallende Übereinstim‐ mungen und Ähnlichkeiten zwischen all diesen Texten, und vor allem zwischen ihnen und der Expositio zu LF, berichtet wurde, kann man auf die oben angedeutete Stelle des Kommentars von Lochmair zu Petrus Hispanus zurückkehren. Die erste Quästion des Kommentars lautet utrum de universalibus sit scientia124. Lochmair schickt wie üblich eine Reihe von notanda voran, in denen er einführend den Wissenschaftsbegriff durch verschiedene Differenzierungen erläutert: die scientia kann zuerst actualis oder habitualis sein, dann auch definitiva oder demonstrativa, usw. Aber darauf kommt es hier nicht an. Wichtig ist für uns der folgende „Zweifelsfall“, der in dieser Quästion diskutiert wird: Dubitatur quid sit subiectum in 2 ° tractatu Petri Hispani. Pro quo notandum quod subiectum saltem attributionis de quo queritur ad presens est terminus communissimus simplicissimus in aliqua scientia consideratus non excedens metas talis scientie ad quem omnia principaliter consi‐ derata in tali scientia habent ordinem et attributionem per se in recto vel obliquo, fine cum addito. Dicitur primo ‚terminus communissimus in aliqua scientia‘, quia non oportet quod simpliciter sit communissimus, sed sufficit quod sit communissimus in tali scientia in qua ponitur pro subiecto. Dicitur ‚primo notus‘ unde ille terminus dicitur primo notus per quem solvitur questio prima occurrens et querens de quo tractatur in tali libro, ut cum queritur de quo tractatur in 2° tractatu Petri Hispani, respondetur de universali. Dicitur etiam ‚simplicissimus‘, non quod sit mixtus, sed quod sit simplicissimus quo ad materiam quam sit eius propria passio. Per hoc etiam ex‐ cluditur ipsa propria passio. Dicitur ultimus ‚non excedens metas‘. Secundum subiectum dicitur excedere metas alicuius scientie de quo in alia scientia ab illa distincta verificatur passio commu‐ nior secum convertibilis quam sit communissima passio in tali scientia in qua assignabatur pro subiecto. Exempli gratia si quis assignaret in scientia Posteriorum pro subiecto ly ‚argumenta‐ tio‘ tunc excederet metas, quia in tota loyca demonstratur passio communior de ly ‚argumentatio‘ secum convertibilis, scilicet illationi consequentis ex antecedente quam sit communissima passio in scientia Posteriorum. Sed sic non est de scientia Priorum et de tota logica, quia eadem passio communissima in utrisque verificatur de ly ‚argumentatio‘, scilicet esse illa illatio consequentis ex antecedente. Dicitur ‚ad quem omnia habet attributionem‘, intelligitur unomodo sic in quo talis propositio sit per se vera in qua subiectum verificatur de illis de quibus consideratur in tali scientia. Alio modo tamen communissimus aliqua dicitur habere attributionem ad subiectum illa, videlicet de quibus ipsum subiectum vel ceterum.|Dicitur ulterius ‚principaliter‘ quia aliquando incidenta‐ liter consideratur de aliquo in aliqua scientia de quo non debet verificari subiectum. Dicitur ‚in
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in every elementary and advanced logic text throughout the period. Yet despite their prominence it may be surprising to learn that they have been neither thoroughly studied or understood. Even a cursory review of modern opinions on them reveals a great diversity of views about their purpose, form and content“ (Paulus Venetus, Logica parva, ed. Perreiah 83). Diesbezüglich erwähnt Perreiah sechs verschiedene Interpreta‐ tionen (ebd. 97 Anm. 3). Unter diesen erscheint mir als überzeugendere die Interpretation der obligationes als ein „didaktisches Spiel“ – wie etwa die Rytmomachia – zum Erlernen und Üben von Proportionen; vgl. hierfür Angelelli, Techniques, und die anderen von Perreiah zitierten Arbeiten. Aus der gerade zitierten Stelle geht hervor, dass die obligationes zum Erlernen des richtigen disputare gedacht waren. Circa noticiam insolubilium sunt aliqua dubia per ordinem. Primum dubium est utrum noticia insolubilium presupponat artem obligistica. Ad hoc dubium tendet magister Hugo, quod perfecta noticia insolubilium noti‐ ciam obligisticam presupponit (W, fol. 80r). Spades Insolubia-Katalog (Spade, Insolubilia, bes. 24 und 30) schließt einige Hinweise auf einen soweit unbekannten „magister Hugo“ ein, der gelegentlich mit Roger Swineshead eingeordnet wird. Commentarius in tractatum II et III Petri Hispani, Hs. Me, pag. 871–873.
§ 4. Der Schreiber der Wiener Abschrift: Michael Lochmair de Heydeck
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recto vel in obliquo‘ unde licet illa non sit per se vera argumentatio est suppositio sufficit tamen quod suppositio sit pars argumentationis et alia ad argumentationem sic esse potent alie particule declarari in aliis scientiis. De causis autem scientie require eodem modo sicut in aliis scientiis. Causa tamen efficiens fuit ipse Petrus Hispanus. Sequitur textus predicabile quandoque etc. Predicabile quandoque sumitur. Pro textu notandum quod auctor vult ponere differentiam inter predicabile et universale . . . 125.
Das dubium handelt, wie in den oben gesehenen Texten, von dem subiectum. Aber im Unterschied zu diesen Texten wird hier die Frage nicht bezüglich einer Wissenschaft (subiectum scientiae) gestellt, sondern bezüglich des zu kommentierenden Textes (subiec‐ tum libri), nämlich der Logik von Petrus Hispanus (Traktat 2). Der Zusammenhang ist troztdem derselbe, denn gerade für diejenigen Texte, die zum Gegenstand eine Disziplin haben, deren Stellung innerhalb des traditionellen Einordnungssystems nicht selbstver‐ ständlich ist, gehören naturgemäß beide Fragestellungen zusammen. Lochmairs nicht angesprochener Hintergrund kann diesbezüglich die gegenständliche Übereinstimmung der von ihm kommentierten Traktate des Petrus Hispanus mit den entsprechenden Tex‐ ten des aristotelischen Organons sein. Jedenfalls ist eine ziemlich auffällige und direkte Ähnlichkeit mit der Expositio zu LF das entscheidende an dieser Stelle. Denn die Frage nach dem subiectum scientiae wird ausdrücklich – wie gesagt – in der Expositio themati‐ siert und sogar deutlich in Verbindung mit der Frage nach dem subiectum libri gebracht. Aber diese Aspekte haben wir schon in einigen der obigen Texte gefunden. Was nun dazu kommt, ist, dass die Begrifflichkeit der Expositio genau dieselbe ist wie in Lochmairs Kommentar zu Petrus Hispanus, und zwar an einer Stelle, an der man bei der Expo‐ sitio nur kurze Andeutungen findet. Diese Andeutungen werden uns hier ausführlich erklärt, so dass wir den etwas dunklen Gedankengang der Expositio nachvollziehen kön‐ nen, wenn wir diese Erklärung berücksichtigen. Die entsprechende Stelle der Expositio lautet: Et ergo posset esse alia opinio: quod ly ‚intensio gradualis forme‘ vel ‚latitudo forme‘ – si idem valet – esset subiectum notitie huius libri et quod scientia illius libri esset extrema, scilicet natu‐ ralis philosophia. Probato igitur primo probatur e〈tiam〉 secundum. Probatur igitur primum ex conditionibus subiecti, quia est terminus communissimus illius scientie, ut notum est. Similiter est primo modo notus, quia quis volens studere illam scientiam pro subiecto offertur ratio eius non transcendens, quia de eo non consideratur principaliter divisio latitudinis in suas species, diffini‐ tiones, differentias, et formarum variationes secundum intensum et remissum quo ad subiectum, et regulare et non regulare quo ad tempus126.
Es handelt sich um die Diskussion der These – darauf werde ich im Sachkommentar noch einmal eingehen –, nach der die Wissenschaft der Formlatituden keine mittlere Disziplin sei, sondern bloß Physik. Als subiectum libri wird natürlich latitudo formae genommen. Die Auffassung, dass die Formlatitudenlehre eine scientia media ausmacht, stützt sich darauf, dass der Begriff latitudo geometrisch sei, während der Begriff formae – der Titel des Buchs besteht eben aus beiden Begriffen: De latitudinibus formarum – rein physikalisch zu verstehen ist. Wenn man nun latitudo mit intensio gradualis angleicht, ergibt sich ein rein physikalischer Gegenstand, was nämlich die zweite Auffassung will. Für die Begründung dieser Auffassung wird eine Reihe von Begriffen eingeführt, die 125 126
Ebd. Hs. Me, fol. 872–873 (Hervorhebung von mir). Edition S. 87f. Zz. 29–38.
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Voraussetzungen und Zusammenhänge
nicht erklärt werden; sie werden für gängig gehalten. Diese Begriffe beziehen sich auf die Bedingungen, die ein solches subiectum scientiae, oder besser gesagt: der terminus, mit dem dieses subiectum ausgedrückt wird, erfüllen muss: er muss communissimus und notus in dieser Wissenschaft sein. Der Verfasser der Expositio knüpft daran an, dass dem Studierenden dieser Disziplin eine ratio non transcendens geboten wird. Schließ‐ lich kommt die Frage dazu – was für die Begründung dieser These wesentlich ist –, ob der Gegenstand principaliter behandelt wird oder als ein nebensächliches Problem127. Diese Begriffe kommen in der oben erwähnten Stelle von Lochmairs Kommentar zu Pe‐ trus Hispanus vor. Sie werden dort als Bestandteil einer grundsätzlichen Aussage (etwa einer Definition) über das subiectum dieses zweiten Buchs von den Summule logicales geliefert. Diese Aussage wird von Lochmair Begriff für Begriff erklärt oder „exponiert“, und zwar so, wie es – darauf habe ich oben schon hingewiesen – in der Expositio zu LF getan wird. Schließlich muss man die Tatsache hervorheben, dass diese Ähnlichkeiten im Rahmen eines Kommentars zu Petrus Hispanus vorkommen. Dies hat für uns des‐ halb eine besondere Bedeutung, weil ein Argument der Expositio eine nicht notwendige Erwähnung von Petrus Hispanus enthält. Es handelt sich um ein Argument gegen die Auffassung, die aufgrund der semantischen Zusammensetzung der Termini im Titel des Traktats De latitudinibus formarum auf das Wesen des subiectum schließen will, dass es aus zwei Disziplinen, nämlich aus Geometrie und Physik, zusammengesetzt ist. Der Einwand dagegen erfolgt durch Angaben von Gegenbeispielen: wie soll dieses Argument für andere Bücher gelten, die z. B. die Titel Physica, De generatione et corruptione, De caelo et mundo, De metaphysica tragen? Und wie kann dieses Argument de tractatibus Petri Hyspani gelten128? Diese letzte Texterwähnung ist zwar passend, aber überhaupt nicht selbstverständlich: Warum sollte hier gerade Petrus Hispanus erwähnt werden, und ge‐ rade so, dass es sich nicht um das eine Werk, die Summule logicales, handelt, sondern um ihre einzelnen Traktate? Es liegt also nahe, dass der Verfasser der Expositio sich mit „den Traktaten“ von Petrus Hispanus näher beschäftigt hat als gewöhnlich. Es sind vermutlich viele Kommentare zu Petrus Hispanus überliefert, aber nicht alle müssen hier und in diesen Kontext mit einbezogen werden129. Beschränkt man die zeitliche und räumliche Umgebung der Expositio auf Wien um 1450–1470 – was durchaus vertretbar ist – und zielt man auf einen Fachmann, auf einen magister dieser Universität, der etwa zu dieser Zeit tätig war und sowohl mit dem einen Gegenstand als auch mit dem anderen zu tun gehabt hat, dann wird der Kreis viel enger, und dem Kreis dieser Möglichkeiten gehört auf jeden Fall Michael Lochmair an. Nachdem einzelne Fragen in unterschiedlichen Texten, die entweder tatsächlich von Lochmair stammen oder von ihm abgeschrieben wurden, beschrieben und disku‐ tiert wurden, erscheint es nun angebracht, eine Entscheidung bezüglich der allgemeinen 127
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Für die Expositio heißt dies, ob es bei diesem Gegenstand um die verschiedenen Teilungen und Untertei‐ lungen geht. Tractatus . . . cum expositione, Teil II, Edition S. 87 Zz. 24. Mir ist keine Monographie bekannt, in der dieses Problem untersucht wird. Es gibt gewiss eine große Anzahl von Handschriften der Summulae. Da außerdem dieser Text an den Universitäten als Lehrbuch benutzt wurde, kann man die sinnvolle Vermutung aufstellen, dass es auch sehr viele Kommentare zu ihm gibt. Aber mehr als eine Vermutung ist nicht zulässig, wenn man z. B. den Fall der Euklid-Rezeption berücksichtigt, für die nach heutigem Forschungsstand ein gewaltiger Unterschied zwischen den vielen Handschriften der Elemente (mit unterschiedlichen Versionen) und den wenigen Kommentaren zu ihm besteht, vgl. Folkerts, Euclid.
§ 4. Der Schreiber der Wiener Abschrift: Michael Lochmair de Heydeck
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Frage, ob Michael Lochmair als Verfasser der Expositio zu LF angesehen werden kann, zu suchen. Diese Entscheidung, die vorerst leider nur provisorischen Charakter haben kann, bringt letztendlich eine negative Antwort. Als Hauptargument gegen die Verfasserschaft von Lochmair gilt der oben näher be‐ schriebene unterschiedliche Charakter beider Abschriften W (von Lochmair) und F (von einem unbekannten Schreiber). Es scheint festzustehen, dass F tatsächlich einige Jahre später entstanden ist. Es sind so viele Unterschiede zwischen beiden Abschriften vorhanden, dass man schwerlich annehmen kann, dass diese Abschrift aus W angefer‐ tigt wurde: erstens ist die Art und Weise, wie sie geschrieben wurden, im Allgemeinen sehr unterschiedlich. Zweitens fehlen in F fast alle Darstellungen, sogar diejenigen, die charakteristisch für W sind: das mittlere Blatt mit der schematischen Darstellung al‐ ler Latituden und das letzte Blatt, wo diese wieder aufgezählt und gezeichnet werden. Drittens sind viele unterschiedliche Lesarten im Text der Expositio vorhanden. Für eine Unabhängigkeit beider Abschriften voneinander spricht außerdem die Tatsache, dass einige Textstellen in F – die z. B. ein ganzes Argument beinhalten – vorkommen, in W hingegen fehlen. Wenn F aus W stammt, kann man sich – zwar nicht ohne Schwierig‐ keiten – vorstellen, dass der Schreiber von F seine Vorlage verkürzen wollte. Aber das Gegenteil davon, dass nämlich der Schreiber von F etwas von sich selbst hinzugefügt hat, erscheint sehr unwahrscheinlich. Wenn Lochmair nicht von F abgeschrieben hat, sondern von derer Vorlage, kann man sich ferner fragen, warum er einige Sätze ausgelas‐ sen hat, die nützlich gewesen wären. Die Hypothese einer bisher nicht aufgefundenen Zwischenabschrift zwischen beiden Abschriften, so dass z. B. die Abschrift „X“ aus W stammt und wiederum F aus „X“, ist zwar denkbar, aber bei heutigem Forschungsstand nicht selbständig begründbar. Wenn also F nicht auf W und nicht auf eine Zwischenab‐ schrift zurückgeht, sondern auf eine andere Vorlage, ist W kein Autograph. Daraus folgt, dass Lochmair nicht der Verfasser von der Expositio zu LF ist. Es ist jedoch gut möglich, dass Lochmair den Text von LF mit einem schon bestehen Kommentar – mit der Expo‐ sitio – abschrieb und von selbst – als Bearbeitung für sich selbst oder im Rahmen seiner Lehrtätigkeit – die oben genannten Blätter mit sämtlichen Darstellungen hinzugefügt hat. Bis weitere Untersuchungen durchgeführt werden, müssen wir dasselbe für die rest‐ lichen Texte, die Lochmair in W abschrieb, annehmen. Bis auf den magister Iupiter im Rhetoriktext erwähnt er keinen Verfasser dieser Texte; er nennt sich selbst im Kolophon von LF als Schreiber, nicht als Verfasser. Die mathematischen Texte in W zeichnen sich tatsächlich durch eine starke Verwandtschaft aus, so dass man mit einer großen Wahr‐ scheinlichkeit auf eine einzige Verfasserschaft von ihnen allen schließen kann, wenn man diese Verfasserschaft für nur einen der Texte nachweisen kann. Auch hier kann die Möglichkeit, dass diese Texte von Lochmair stammen, nicht endgültig ausgeschlossen werden, auch wenn er sich nicht in dem Kolophon als „Verfasser“ in unserer moderneren Bedeutung des Wortes angab. An dieser Stelle möchte ich zumindest auf diese Hypothese hinweisen: Lochmair bereitete sich auf diese Fächer vor, sei es als Schüler oder – noch wahrscheinlicher – als Lehrer. Mit dieser Absicht unternahm er das Studium jener Texte; er schrieb und kommentiert sie, ohne anzustreben, ein „Werk“ darüber zu verfassen. Diese Hypothese könnte in der Tat viele der Hinweise, die oben diskutiert wurden, er‐ klären. Jedoch gibt es zwei Hauptprobleme für diese These, die man meiner Meinung nach nicht in einer befriedigenden Weise erklären kann: zuerst der große Unterschied zwischen beiden Abschriften der Expositio; zweitens die Tatsache, dass die Aufnahme
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Voraussetzungen und Zusammenhänge
solcher Fragen in den logischen und naturphilosophischen Schriften Lochmairs recht zurückhaltend ist – Schriften, die er sehr wahrscheinlich nach dieser Abschrift von LF und von dem Proportionentraktat in W verfasste. Bezüglich der Stelle in Lochmairs Kommentar zu Petrus Hispanus bleibt demgemäß anzunehmen, dass die Übereinstimmung mit der Erwähnung von „den Traktaten des Petrus Hispanus“ in der Expositio auf einen Zufall zurückgeht – was natürlich unbefrie‐ digend ist – oder dass Lochmair diese Thematik, die er aus den von ihm abgeschrieben Texten in W kennengelernt hatte, in sein späteres Werk einarbeitete. Die Problematik des subiectum scientiae bzw. subiectum libri ist jedenfalls nicht spezifisch genug130. Die von Lochmair verwendete methodische Vorgehensweise, die darin besteht, die Termini einer allgemeinen Aussage zu „exponieren“, bedarf weiterer Untersuchungen, die entwe‐ der ihre Spezifität begründen oder hingegen ihre Quellen nachweisen. Bis dahin halte ich es für sinnvoll, auf diese Ähnlichkeit zwischen den Schriften von Lochmair und der Ex‐ positio zu LF hinzuweisen, ohne dass diese jedoch als Kriterium für eine Verfasserschaft angenommen wird. Eine Zuschreibung, bei der die oben erwähnten Schwierigkeiten aufgehoben werden könnten, wäre natürlich durch einen deutlichen Selbstverweis möglich, den ich jedoch nicht finden konnte: die Expositio erwähnt keine Schriften von Lochmair; in den Schrif‐ ten von Lochmair sind offensichtlich keine Erwähnungen einer Untersuchung zu den Formlatituden vorhanden. Aus diesen Erwägungen scheint es mir angemessen, die Expositio zu LF als eine an‐ onyme Schrift zu behandeln. Weitere Untersuchungen, die – wie ich hoffe – bei der obigen Analyse einen ersten Anfangspunkt finden werden, sollen diese Entscheidung verbessern oder bestätigen. Zusammenfassend möchte ich diesen Abschnitt mit der Be‐ merkung darüber schließen, dass ich nicht behaupten möchte, dass die Expositio zu LF auf keinen Fall von Lochmair stammt, sondern nur, dass zum jetzigen Stand unserer Kenntnisse keine eindeutige Evidenz einer Autorschaft seitens Lochmairs festgestellt werden konnte. Die Expositio bleibt somit ein anonymer Text.
§ 5. Um die Mitte des 15. Jahrhunderts: Die scientia media der Formlatituden, Humanismus und Sophismata Formlatituden hat man also an der Universität Wien das ganze 15. Jahrhundert hin‐ durch unterrichtet, und sogar noch etwas länger, von der ersten Phase ihrer Entwicklung etwa in 1389 bis zu mindestens den ersten Dekaden des 16. Jahrhunderts, als Georg Tannstetter die letzte Ausgabe von LF eben in Wien (1515) veranstaltete131. Es ist jedoch ungewiss, wann genau die Expositio selbst entstanden ist, und – wie oben dargestellt – eine sichere Bestimmung ihres Verfassers ist nicht möglich. Vielleicht war sein Verfasser einer derjenigen Magister, die wir z. B. in den Vorlesungslisten genannt gesehen haben;
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Diese Begrifflichkeit geht offenbar auf Buridan zurück, der für Lochmair und überhaupt für die deutschen logischen und naturphilosophischen Schultexte dieser Zeit die wichtigste Quelle ist. Davor wurde LF nur in Italien (Padua 1482, 1486; Venedig 1505) gedruckt (Di Liscia, Geometrie 427f.). Die Ausgabe von Georg Tannstetter schloss auch die Algorismus-Schriften von Johannes von Gmunden und Georg Peuerbach mit ein. Zu Georg Tannstetter siehe Graf-Stuhlhofer, Humanismus.
§ 5. Die scientia media der Formlatituden, Humanismus und Sophismata
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vielleicht handelt es sich um einen fremden Autor, dessen Expertise in diesem Bereich so sehr geschätzt wurde, dass man seine Analyse der LF in Wien benutzen wollte. Das ist zwar wenig wahrscheinlich, aber noch immer möglich; immerhin ist die Expositio in zwei Abschriften überliefert, die unabhängig voneinander sind. Vielleicht handelt es sich einfach um eine anonyme Darlegung von LF, die als anonym auch gemeint war, und wir wollen von dem Text mehr verlangen, als er hergeben kann und muss. Was wir jedenfalls wissen, ist, dass die Wiener Handschrift von 1466 bis 1470 an der Artistenfakultät angefertigt wurde. Noch mehr: für den hierin enthaltenen Text der Expositio (und für den Text LF) hat der Schreiber, Michael Lochmair, ein genaues Datum angegeben: finite Wiene et scripte anno 1466 feria quinta festivibus penthecoste. Es besteht daran kein Zweifel, dass diese Abschrift in einer Verbindungslinie mit der vorherigen und späteren Tradition der Formlatitudenlehre an dieser Universität steht. Lochmair, selbst an der Universität Wien tätig, übernimmt beim Abschreiben von LF und den anderen in der Hs. W mit enthaltenen Texten zur Logik und Mathematik eine Aufgabe, die eine längere Geschichte an derselben Universität hatte und die noch immer voll im Gange war; die Formlatituden gehören nämlich genauso zum Curriculum wie das Studium von Bradwardines Proportionenlehre, von der auf Nikomachos und Boethius zurückgehenden Arithmetik und von den logischen Schriften des Johannes von Holland über die obligationes und die insolubilia. Aber das ist längst nicht alles in Lochmairs Umfeld. Er und seine Kollegen befinden sich inmitten einer kulturellen Wandlung, bei der die sophismatische Analyse mit abstru‐ sen cavillationes über Intensität, maxima et minima oder incipit et desinit zu kurz kom‐ men muss. Mit der Ausbreitung des Humanismus werden nun neue mathematische – im griechischen Original – Quellen ans Licht gebracht, die artes mechanicae gewinnen einen neuen Status, neue Denkrichtung und Attitüde stehen dem scholastischen Wis‐ sen kritisch gegenüber. Noch mehr: Während der neue humanistische Denkstil in vielen Studienzentren Europas Fuß fasst, ist die Universität Wien nicht nur davon betroffen, sondern sie steht für eine kurze Zeit an der Spitze der neuen Welle, vor allem in den mathematischen Disziplinen132. Studenten der Wiener Universität erhalten gegen Mitte des Jahrhunderts Vorlesungen über Cicero, Vergil und Juvenal; eine Vorlesung über einen liber in rethorica war Pflicht133. Das ist auch in der unten beschriebenen Handschrift W, deren letzten vier Texte rhetorischen Inhaltes sind, gut sichtbar. Die Struktur des scholastischen Wissens lässt in Wien nun den Einfluss anderer Gestalten erkennen, die gegenüber der anonym und halb-anonym überlieferten Texte der Scholastik für einen Wind der Erneuung sorgen: 1451 hielt sich dort Cusanus auf; im selben Jahr erschien der italienische Wanderprediger Johannes von Capestrano, dem ein großer Einfluss auf die Wiener Universität zuzuschreiben ist134. Bis 1455 hielt sich in Wien, und zwar in di‐ rekter Verbindung mit der Universität, niemand geringerer als Eneas Sylvius Piccolomini (1405–1464) auf, der spätere Papst Pius II. und einer der Richtungsgeber des deutschen
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Zum Humanismus als Denkstil siehe Ebbersmeyer, Homo agens 3–7. Zum Wissenschaftsbegriff des Humanismus siehe Kessler, Humanismus. Zur Aufnahme des Humanismus in Wien Lhotsky, Wiener Artistenfakultät 119–204, der sich vor allem auf die Poesie, Rhetorik und scientie sermonicales konzen‐ triert. Für den speziellen Bereich der Wissenschaft in Wien siehe vor allem Grössing, Naturwissenschaft, und Graf-Stuhlhofer, Humanismus. Vgl. Uiblein, Wiener Universität 400, Anm. 26. Ebd. 403.
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Humanismus135. Thomas Ebendorfer, der berühmte Historiker Österreichs, ist damals wohl die aktivste Gestalt an einer Universität, die sich in einem Veränderungsvorgang befand und an politischem Einfluss gewann136. Was die Verbindungen zwischen Philo‐ sophie, Gelehrsamkeit und strenger Wissenschaft betrifft, ist vor allem die Ankunft im Jahre 1460 des griechischen Kardinals Bessarion (1403–1472) erwähnenswert. Bessa‐ rion, der selbst über eine gewisse wissenschaftliche Ausbildung verfügte, in der Philoso‐ phie vor allem an die Seite Platons trat und entscheidende Beiträge zur Wiedergewin‐ nung der griechischen Kultur leistete, ist in diesem Kontext aufgrund seiner Verbindung zu Georg von Peuerbach (1423–1461) und insbesondere an Regiomontan (1436–1476) hervorzuheben. Eines der grundlegendsten astronomischen Werke der Zeit, die Epytoma in almagestum Ptolomei (Venedig 1496), geht bekanntlich aus diesem Kontext hervor. Michael Lochmairs Beschäftigung mit der Formlatitudenlehre gehört direkt in diese Generation von Georg von Peuerbach und Johannes Regiomontan (1451–1460 in Wien), als die mittelalterliche Wiener Universität ihren Höhepunkt im Bereich der Ma‐ thematik und Astronomie erreichte. Somit kann man sich mit Recht fragen, wie der Stand der Dinge damals, etwa um die Mitte des 15. Jahrhunderts in Wien, bezüglich unseres Problems aussah, ob sich etwas bezüglich der Formlatitudenlehre verändert hat oder nicht. Die Antwort darauf ist wortwörtlich zweideutig, und zwar in beiden Fällen gut zu belegen, wenn man z. B. die Umstände und einige Äußerungen des Regiomontan näher betrachtet, der mit Abstand die wissenschaftlich auffälligste Figur der Zeit ist. Zunächst einmal scheint es ziemlich deutlich festzustehen, dass sich die eben be‐ schriebene Lehrrichtung der Universität fortsetzte, zumindest einige gute Jahre lang. Die Abschrift Lochmairs von LF mit einem ausführlichen Kommentar im Jahre 1466 und andere schon erwähnte Dokumente zeugen von der Anwesenheit der Formlatituden in Wien. Auf der Ebene des Universitätslehrplans und der Standardausbildung hat sich wenig geändert; das erklärt den letzten Druck des Textes am Anfang des 16. Jahrhun‐ derts. Dieses Modell des Wissens und Lernens war also Regiomontan bestens vertraut. Er hat selbst Vorlesungen zu den üblichen Gegenständen, wie der Metheora, Theorica planetarum, perspectiva communis, Tractatus de proportionibus bzw. proportiones breves Bragwardini, Arismetrica und Latitudines formarum gehört. 1458 hielt er sogar selbst Vorlesungen über Optik und 1460 über das erste Buch der Elemente. Es handelt sich um den Stoff, der bei den Latitudines breves erwähnt wurde und der auch in der oben erwähnten Hs. W eindeutig enthalten ist. Dass ferner die Einordnung der Formlatituden unter den mittleren Wissenschaften üblich war, ist spezifisch für Wien belegt worden und kann noch z. B. mit den Quaestiones disputatae (in Wien, 1430) über die aristote‐ lische Physik eines – soweit unbekannten – Magisters Johannes Storler (oder Stedler) von Landshut bekräftigt werden. Storler stellt sich die übliche Frage, ob die scientiae mediae eher naturales oder mathematice seien. Er fasst wie üblich die gängigen Meinun‐ gen von Averroes und von Thomas von Aquin zusammen und stellt dann im Anschluss daran die Frage, wie viele scientiae mediae es gäbe. Bei seiner Antwort nennt er neben den drei „gewöhnlichen“ Disziplinen, d. h. neben der Astronomie, der Optik und der
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Allgemein über Piccolomini siehe Worstbrock, Piccolomini. Thomas Ebendorfer nahm als Gesandter der Universität von Wien am Konzil von Basel teil und trug der Bewegung des Konziliarismus bei. Außerdem war er auch in den Verhandlungen des Hussitenkriegs beteiligt. Über ihn siehe Lhotsky, Ebendorfer.
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Musik, auch die proportiones breves und die latitudines formarum137. Noch mehr: Über die Formlatituden haben 1450 ein Magister Georg Molitoris aus Eggenburg und 1452 ein Magister Stephan Molitoris aus Bruck an der Leitha gelesen138. Es kann also kein Zweifel daran bestehen, dass Regiomontan die Formlatituden und die anderen mittleren Wissenschaften sehr gut kannte. Auf der Ebene des Unterrichtswesens kann man ohne Zaudern eine Kontinuitätslinie zwischen den Inhalten der scholastischen Ausbildung von der Jahrhundertwende bis mindestens zur Mitte des Jahrhunderts erkennen. Aber das ist sicherlich nicht alles, was man zu berücksichtigen hat. Denn ein Mann des Genies wie Regiomontan hat sich nicht unbedingt an „Angelerntes“ zu halten. Daher darf man sich fragen, wie Regiomontan, den man als eine der möglichen Realisierungen des neuen humanistischen Wissensideals ansehen kann, zu dieser und den anderen scientiae mediae stand. Hat er sie geschätzt, geschmäht oder stand er ihnen gleichgültig gegenüber? Wir haben leider nicht mehr als einige Hinweise hierüber, denen es sich jedoch lohnt, nach‐ zugehen. Im Jahre 1461 folgte Regiomontan dem Kardinal Bessarion nach Rom und von dort aus, zwei Jahre später, nach Venedig, wo er unvermeidlich mit der Universität Padua in Kontakt kommen musste. 1464 hielt er dort in urbe hac insignissima, in scholis istis egregie laudatis et non iniuria bene famatissimis seine Oratio über die mathematischen Wissen‐ schaften mit spezieller Berücksichtigung des arabischen Astronomen Alfraganus139. In dieser Rede fasst Regiomontan eine historische Betrachtung mit einer Würdigung der wichtigsten Mathematiker seit der Antike zusammen. Der aristotelischen Tradition ent‐ sprechend definiert er die Mathematik als die Wissenschaft, die von Quantität handelt. Bei der Unterscheidung zwischen Arithmetik als Wissenschaft der diskreten Größen und Geometrie als Wissenschaft der stetigen Größen folgt er der gewöhnlichen, oft ge‐ nug in der Philosophie tradierten Lehre140. Bei seiner Schilderung bringt Regiomontan
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Hs. München, BSB, Clm 497, fol. 1r –257r: Disputata reverendi magistri Storler [?]. Expliciunt disputata super octo libris phisicorum reverendi magistri Johannis Stedler [?] de Langhuta finita feria quarta in die Sancti Luce evangeliste hora quasi quarta introductoria subordinatarum disputantium studii wienni anno CCCC° XXX° [1430]. Verzeichnet in Markowski, Buridanica 51f. Liber II, q. 6: utrum naturalis differat a mathematico per hoc quod naturalis diffinit per motus, mathematicus vero sine motu (fol. 76v –78r). Vgl. insb. fol. 77v –78r. Dubitatur quare scientie medie dicantur medie et quot sint, et an dicatur medie per partici‐ pationem scientiarum mediarum vel per participacionem aliarum. Non secundum quia tunc methaphisica esse media. Dicendum quod dicuntur medie propter participationem obiectorum scientiarum extremarum, quia subiecta scientiarum mediarum sunt composita ex terminis scientiarum extremarum et sunt tres communiter nominate, scilicet astronomia, perspectiva et musica. Etiam plures potent nominari, scilicet [correxi ex per Hs.] proportiones breves et latitudines formarum et sic de similis (fol. 78r, Hervorhebung von mir). Vgl. Uiblein, Wiener Universität 399 (ich habe die Reihenfolge der Disziplinen leicht verändert). Es ist vielleicht angebracht, an dieser Stelle mit Uiblein darauf aufmerksam zu machen, dass die Wiener Univer‐ sität zu dieser Zeit „rein zahlenmäßig in höchster Blüte“ stand (ebd. 395). Die Oratio Iohannis de Monteregio habita Patavii in praelectione Alfragani ist in Regiomontani Opera 43– 53 nachgedruckt. Für eine Untersuchung über sie im historischen Kontext siehe Byrne, Humanist His‐ tory. Über Regiomontan im Umfeld des Humanismus siehe Graf-Stuhlhofer, Humanismus 159–163. Ergänzend siehe auch Mett, Regiomontanus in Italien. Cum autem duo iuxta Philosophum sint quantitais genera, aliud enim continuum, aliud vero discretum acci‐ pitur, duo quoque praecipua mathematici generis membra non iniuria distinguemus. Solent enim quaeque ab obiectis suis artes distinctionem sumere. Primum quidem membrum Geometria; secundum autem Arithmetica vocari consuevit. Hinc facile utriusque definitionem conflabimus. Geometria enim scientia circa quantitatem continuam versari solita diffinietur. Arithmetica numerorum tractans rationes disciplina praedicabitur, Re‐ giomontan, Oratio (wie Anm. 139) 44.
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auch die lateinischen Autoren des „Mittelalters“ zur Sprache und lenkt immer wieder die Aufmerksamkeit des Zuhörers auf die angewandte Mathematik141. Es ist selbstver‐ ständlich, dass Regiomontan die Erhabenheit der Astronomie betonen will. Dabei bringt er den Kontext der spätmittelalterlichen scientiae mediae ins Darstellungsfeld zur Spra‐ che, und zwar folgendermaßen. Er geht von den primären mathematischen Disziplinen (die Arithmetik und die Geometrie) auf die sekundären herunter: nunc ad secundarias [disciplinas mathematicas] descendo142. Aufgezählt werden zuerst unter den sekundären mathematischen Disziplinen – der Ausdruck ist uns davor bei Heinrich von Langenstein begegnet – die Astronomie, die Musik und die Optik, die drei üblichen also, die die aristotelische Tradition kennt. Doch im Anschluss daran können auch weitere solchen Wissenschaften, welche minus usitatae sind – auch dieser Ausdruck ist uns aus der Phy‐ sikkommentierung geläufig – erwähnt werden. Wegen Zeitmangels (temporis brevitas) mussten sich seine Zuhörer nur mit einer Auswahl zufriedengeben. Und so erwähnt Re‐ giomontan in seiner Rede die scientia de ponderibus, de aqueductibus, de proportionibus velocitatum in motibus et caeterae. Diese letzte, die Wissenschaft der Proportionen in den Bewegungen, benennt er also exakt mit dem Titel von Bradwardines Werk. Keine dieser mittleren Wissenschaften – Regiomontan benutzt ja diesen Begriff – ist jedoch mit der Astronomie vergleichbar, das will er betonen143. Er erwähnt auch die Optik und
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Als Beispiel hierfür kann man die folgende Stelle über Archimedes nehmen: Archimede insuper mensu‐ rationem circuli accepimus, quadraturam, parabolae et arenae numerum. Sunt qui scripsisse eum asserant Moechanicam, ubi electissima ad varios usus colligit ingenia, de ponderibus, de aqueductibus, et caeteris quae usque hac videre non licuit, ebd. 45. Freilich heißt dieses descensum das Übergehen von einem Thema in das andere, aber nicht nur das. Regio‐ montan setzt ein wirkungsvolles rhetorisches Mittel ein, um die Aufmerksamkeit der Zuhörer zu gewinnen. Denn gerade in Padua, wo die methodologische und medizinische Seite der Aristoteles-Auslegung von je her so wichtig ist, von descensum in diesem Kontext zu sprechen, heißt es, auch auf das Problem der wissen‐ schaftlichen subalternatio anzuspielen. Für diese Zuhörer war sicherlich eine solche Anspielung auf die in sämtlichen Aristoteleskommentaren schon gelesenen und immer wieder in etlichen Lehrveranstaltungen zur aristotelischen Physik und insbesondere zu den „Zweiten Analytikern“ wiederholten Fachterminolo‐ gien nicht zu überhören: de descenso in demonstratione von der „reinen“ oder „primären“ Mathematik in die „angewandte“ oder „sekundäre“ Mathematik. Stetimus hucusque circa disciplinas primarias, quae videlicet absolutam contemplantur quantitatem. Nunc ad secundarias descendo, quae circa quantitatem contracto quodam modo versantur, suaves mirum in modum & scitu iucundissimae. Quemadmodum enim diversarum rerum simplicium compagine grata quaedam sur‐ git temperies, ita unamquamque harum promiscua obiecti sui consideratione intellectui desiderantissimam efficit, quales sunt, astronomia quae magnitudinem mobilem pertractat, musica quae numeros sonorum contemplatur, perspectiva quae lineam radialem contrectat. Accedunt insuper aliae minus usitatae, ut est scientia de ponderibus, de aquaeductibus, de proportione velocitatum in motibus, & caeterae. Inter omnes autem hasce disciplinas Astronomia instar margaritae non modo sorores suas, reliquas inquam scientias medias, verum etiam omnium disciplinarum matres Geometriam & Arithmeticam longe antecellit, cuius ortum prae vetustate nimia haud satis comperimus, ita ut aeternam aut mundo concreatam non inique putaveris (Oratio 46) . . . Multam postremo de reliquis scientijs medijs disserendi materiam exponerem, nisi temporis brevitas, principiantiumque consuetudo me prohiberent, nam de mansuetudine uestra futura, pignus tenebo certum si tam firmos in me figetis oculos, quam benignas usque hac oratori mihi praebuistis aures (Oratio 49). . . . Missos facio Moechanicos omnes, ut quantum utilitatis in studiis liberalibus mathematicae conferant abunde monstretur. Nunquid nescitis quam crebro Mathematicis utitur exemplis Peripateticus ille philosophus? Cuncta ferme scripta sua mathesim redolent, quasi nemo Aristoteli intelligendo censeatur ido‐ neus, qui liberale quadruvium neglexerit. Frustra tertio Meteororum discendo te contuleris, nisi Geometrica fundamenta nactus sis, aut docte perspectivam teneas. Secundum & tertium De coelo & mundo numquam intelliges, si Astrorum disciplina socordia praeterieris. Qui septimum Physicorum absque notitia pro‐
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verweist auf die Proportionen für das Verständnis des siebten Buchs der aristotelischen Physik; die Formlatituden selbst erwähnt er jedoch nicht. An noch einer anderen Stelle, in einem Brief an Christian Roder, kommen ähnliche Fachtermini vor, wobei die Hal‐ tung merklich kritischer ist144. Aber auch hier sind die Formlatituden abwesend. Ganz energisch tadelt er doch die moderne Proportionenlehre, vor allem insoweit sie auf eine Klärung der von Aristoteles im siebten Buch seiner Physik aufgestellten Bewegungs‐ regeln hinzielt. Hier gibt es kaum Raum für eine Verwechslung: Regiomontan stand den „Kalkulationen nach den Ursachen“ (quoad causas) und der ihnen zugrundeliegen‐ den mathematischen Begrifflichkeit sehr kritisch gegenüber145. Wenn Regiomontan die Formlatituden ganz sicher kennt und sie trotzdem nicht erwähnen möchte, so vielleicht deshalb, weil sie für das mathematische Genie mathematisch wenig attraktiv sind, oder sogar suspekt. Warum das? Denn im Prinzip handelt es sich bei den Formlatituden um eine „sekundäre“ mathematische Wissenschaft, wie die Optik, die Astronomie, oder die neueste de proportionibus146. Die Antwort, die man zumindest als plausibel auf diese Frage geben kann, hängt di‐ rekt mit einem letzten Punkt zusammen, den ich zur Kontextualisierung der Expositio zu LF zur Sprache bringen möchte. Der Ausleger von LF, d. h. der Verfasser der Expo‐ sitio (der uns letztlich unbekannt bleiben muss), hat seinen Kommentar mit wirklich interessanten Bemerkungen zu Begriffen wie „Grad“, „Gleichförmigkeit und Ungleich‐ förmigkeit“ und „Darstellbarkeit“ versehen. Außerdem geht er ausführlich auf die Mer‐ ton-Regel ein und sucht nach einer Rechenvorschrift für die Auffindung des „mittleren Grades“. Das alles aber macht er im Rahmen einer Diskussion, die sehr stark von der sophismata-Tradition geprägt ist. Dies verschweigt er nicht, sondern ganz im Gegenteil kündigt er eindeutig im Vorwort an: Die utilitas der Formlatitudenlehre, sei diese eine mittlere Wissenschaft oder nicht, ist – kurz ausgedruckt – ad multa sophismata solvenda.
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portionum discere possit arbitror esse neminem. Nonne arduum videbatur Aristoteli in duodecimo Metaphysicae suae naturam intelligentiarum coelestium demonstrare, inde adeo quod Astronomiae haud satis studuerit? Parum id obsecro tibi videtur, quod in primo gradu certitudinis disciplinas nostras collocarit? Solum eum scientem arbitratus, qui eas docte consecutus esset (Oratio 50). Hervorhebungen von mir. Möglicherweise handelt es sich um Christian Roder aus Hamburg, tätig in Erfurt und Verfasser einer bisher nicht untersuchten Quästion im Anschluss zu Oresmes Ad pauca respicientes: Utrum velocitates corporum celestium ad invicem commensurabiles sunt . . . (Hs. Uppsala, UB, C 658, fol. 143v –148r). Siehe darüber Di Liscia–Panzica, Writings 33, Anm. 93. Habes iam, ut arbitror, cuius rei gratia ad te litteras dederim, quamvis et alie compluscule scribendi occasiones non defuerint. Quid enim de astronomia ceterisque mediis scientiis mirum est, si nonnunquam claudicant, cum binis singule pedibus altero quidem recto altero autem contorto gradiantur? Extremarum enim scientiarum altera plerumque incerti aliquid afferre solet. Nam ipse enim primarie mathematice purgamento haud mediocri egere videtur. Ita vorax etas omnia penitus attenuat, ut indubitabilis veritas, et cui primum certitudinis gra‐ dum peripateticorum antistes tribuit, ab opinionibus falsisque interpretamentis contaminentur. Et ut ex ipso quasi vestibulo geometrie quedam promantur libamenta, quid dices de principio, quod de recta quavis linea duabus incidente assumitur? . . . Si autem a genere quantitatis omnes prorsus excludende sunt proportiones, nulla omnino erit proportionum proportio, et ideo fabulas narrabunt, quicumque septimi Physicorum regulas de velocitate motuum traditas subtiliter ex ponere conantur. Omnis etiam ferme calcula‐ tionum in Italia celebratarum corruet argutia. Nugari videbuntur postremo quicunque de proportionum proportionibus disserere quispiam tentant. Dr.: Curtze, Briefwechsel 328 (Hervorhebung von mir). Wie man sehen kann, verwendet Regiomontan den Ausdruck proportio proportionum und verweist auf die cal‐ culationes in Italien. Zu Regiomontan als reinen Mathematiker siehe Folkerts, Regiomontanus; mit besonderer Berücksich‐ tigung seiner Wiener Zeit Folkerts, Studien.
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Dabei muss er ja in die Fragen des Kontinuums und des Unendlichen eindringen, die in dieser Zeit zu den „Lieblingsproblemkreisen“ der scholastischen Naturphilosophie zählten und in deren Vertiefung nicht mit Unrecht eine Vorahnung der Infinitesimal‐ rechnung gesehen wurde. Doch in Wirklichkeit darf man sich hierbei keineswegs einen Autor vorstellen, der „Mengenlehre“ bzw. theoretische Mathematik zu betreiben vor‐ hatte oder die Bewegung als direktes Naturphänomen unter die Lupe nehmen wollte. Nein. Was sich dieser Ausleger der Formlatitudenlehre grundsätzlich vorgenommen hat, ist manche sophismata zu diskutieren, die schon längst bekannt gewesen sein mussten und die er nun mit der Formlatitudenlehre besser erörtern kann. Genau dieses Ziel ver‐ folgt er, wenn er die Merton-Regel und ähnliche Themen behandelt. Diese ist allerdings eine Zielsetzung, die voll und ganz im Einklang mit den Bestim‐ mungen der Universität steht. Was diese Dokumente uns darüber sagen, nämlich was konkret damals unterrichtet wurde, ist der geeignete Kontext dieser ideengeschichtli‐ chen Entwicklung. Die Statuten der Universität schreiben nicht nur das Studium der Formlatituden vor, sondern auch an mehreren Stellen expressis verbis die Einübung in sophismata. Schon bei der Grundausbildung des Bakkalars ist dies zu beachten. Dieser soll die Vorlesung eines Magisters besuchen und „in den Quatemberwochen . . . – pro exercitio suo proprio et scolarium – zweimal disputieren, bis er zehn Disputationen erle‐ digt hat. Bei jeder soll er unam questionem logicalem aut naturalem sowie ein, höchstens noch ein zweites, sophisma behandeln“147. Die Statuten regulieren ausführlich das Dis‐ putationsverfahren. Darunter wird festgelegt, dass „bei Privatdisputationen nie mehr als eine questio cum sophismate, oder zwei questiones sine sophismate, oder zwei sophismata sine questione vorgenommen“ werde148. Bei den disputationes ordinariae ist man auf in‐ solubilia oder sophismata eingegangen149. Sophismata gab es also genug an der Universität Wien. Direkt gegen sie richtete sich ein guter Teil der humanistischen Zurückweisung des scholastischen Wissensmodells. Überall ist in humanistischen Kreisen davon die Rede: Die (scholastische) Logik ist zu meiden, einzuschränken, oder – vielleicht am interessantesten – neu zu gestalten. In einer Linie mit Petrarca verschärfen sich in Italien bei Leonardo Bruni und Co‐ luccio Salutati die Angriffe gegen die Kalkulatoren und andere Vertreter der logischmathematischen Philosophie. Innerhalb des Humanimus werden „Swinesheads“ sorti‐ colae, cavillationes und sophismata zu den Stichworten des zu bekämpfenden Falschen und Absurden. Zum Anfang des 15. Jahrhunderts erreicht zudem die Welle der Kritik
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Lhotsky, Wiener Artistenfakultät 48f. Die von Lhotsky daran angehängte Fußnote 87 bedarf der Berich‐ tigung: Erstens ist ein sophisma sicherlich nicht als eine „mit Scheinmitteln geführte Argumentation“ zu verstehen. Zweitens ist Lhotskys Verbesserung von Aschbach, Geschichte 91, dass hierzu „eine Abhand‐ lung des Albert von Sachsen über Sophismata zugrundgelegt wurde“, zweifelhaft; zumindest trifft der von Lhotsky angeführte Grund nicht zu, dass „in Österreich keine Überlieferung dieser Schrift erhalten ist“. Wie mir Harald Berger freundlicherweise mitteilte (10. 3. 2021), sind drei der achtundzwanzig bekannten Handschriften aus der Wiener ÖNB: Hss. 5237, 5377 und 5461; siehe hierzu Berger, Bericht; ders., Codex. Es ist also doch sehr wohl möglich, dass dieser Text – unter anderem hierfür – eingesetzt wurde, wie Aschbach meinte. Lhotsky, Wiener Artistenfakultät 53. Es ist bemerkenswert, dass eigentlich die Statuten die Beschäfti‐ gung mit sophismata beschränken, d. h. es ist davon auszugehen, dass der natürliche Zulauf zu Veranstal‐ tungen über sophismata groß genug war. Die Disputation ist ein sehr komplexes Verfahren, auf das wir hier nicht eingehen können. Siehe darüber Weijers, Search 119–207. Lhotsky, Wiener Artistenfakultät 104.
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an der scholastischen Logik, die zu dieser Zeit natürlich nicht isoliert betrachtet werden kann, sondern zum Anbruch der Reformation mit anderen Motiven zusammenspielt, ihren Höhepunkt150. In Wien wurde von Anfang an „von den ‚sieben freien Künsten‘ eigentlich nur eine, wie es scheint, mit ganzem Ernste gepflegt: die Dialektik“151. Aber zugleich, mit dem Eingang des Humanismus, lässt sich in Wien auch ein wachsender Widerstand gegen die traditionelle Logik zugunsten der Grammatik, der Rhetorik und der Dichtung feststellen. Schon um 1400 geht es darum, „den lateinischen Schreibstil zu regenerieren“152. Doch um 1428 heißt es quod resumentes in grammatica debeant procedere grammaticaliter et non methaphisicaliter nec loycaliter153. Zwei Dekaden später verlangt Eneas Sylvius Piccolomini in dem oben erwähnten Brief eine Einschränkung der Dialektik und mahnt dazu, die vanae cavillationes zu vermeiden154. All das gehört dann auch zum Kontext, in dem sich Regiomontans Vorstellung von Wissen und Erkenntnis entwickelt hat, und findet seinen Platz in seiner Paduaner Rede. Denn an derselben Stelle, die oben erwähnt wurde, in der Regiomontan den Nutzen der Mathematik für das Verständnis der aristotelischen Bücher verteidigt, weist er vor allem die Philosophen seiner Zeit (hodie) zurück, und zwar wegen Diskussionen, bei denen sie selbst nicht ein‐ mal klar bestimmen können, ob es de nominibus an potius de rebus geht. Die Vermehrung der Schulen (Regiomontan erwähnt die Thomisten und die Scotisten, ohne weitere Na‐ men) ist für ihn ein Dekadenzzeichen. Aristoteles selbst, meint er – genauso wie Galilei zweihundert Jahre später – ist deshalb nicht zu tadeln, wenn seine Ausleger nur daran denken, sich gegenseitige Überlegenheit in sophismatibus zu beweisen. Aristoteles selbst, der Princeps philosophorum, würde sie nicht einmal verstehen, wenn er aus dem Toten‐ reich zurückkäme155.
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Auf Thomas Morus’ Insel Utopia (1516) ist das Erlernen von sophismata überflüssig. Heftiger und zugleich ausführlicher wird der Angriff in den Werken von Juan Luis Vives, der selbst doch die „Quellen des Übels“ in Paris im Kreis der neuen Kalkulatoren um John Maior kennenlernte. Siehe Duhem, Études III 160– 181, und Di Liscia, Ethik. Zur Entwicklung einer neuen Logik, innerhalb welcher ein neues Verständnis der Pragmatik der Sprache erblickt wurde, trugen u. a. Lorenzo Valla mit seinen Dialecticae disputationes (1439), Angelo Poliziano u. a. mit seiner Praelectio de dialectica (1491), Rudolf Agricola mit seiner De inventione dialectica (1515) und natürlich Vives selbst vor allem mit seinem In pseudodialecticos (1519) bei. Von einem zeitgenössischen Gesichtspunkt her kann man die Besonderheit der humanistischen Logik fol‐ gendermasse beschrieben: „Humanist treatments of logic, on the other hand, have a good deal in common with the interests of some recent, modern logicians, who have chosen to give a good deal of attention to non-deductive inference, and to ‚good‘ arguments (arguments which can be counted on to win in debate), and the problematic nature of their validity. Like modern logicians they are interested, above all, in ‚good‘ arguments“, Jardine, Logic 175. Lhotsky, Wiener Artistenfakultät 59. Ebd. 121. Ebd. 121. Das von Lhotsky zitierte Protokoll erwähnt in diesem Zusammenhang vor allem das Problem der „mentalen Begriffe“. Die Studenten sollen ja ordentliche Grammatik erlernen, anstelle von sprachphiloso‐ phischen Spekulationen. Maximum autem huius gymnasii vitium est, quod nimis diutinam operam in dialectica nimiumque temporis in re non magni fructus terunt . . . . Oratoria et poetica apud eos penitus incognita, quibus omne studium in elenchis est vanisque cavillationibus, solidi haud quaquam multum (zitiert in Lhotsky, Wiener Artistenfa‐ kultät 136f.). Nonne sequaces Aristotelis plurima scripta sua impudentius satis cum periculo hodie lacerant, incerti volue‐ ritne dicere de nominibus an potius de rebus? Quot ramos inter se et a stipite suo diversos haec secta produxit? Pars Ioannem Scotum imitatur, alii sanctum Thomam, non nulli autem ingenio promiscuo hac atque illac defluunt. Scotistas se pronunciant victos; ubi vero liberam dicendi sententiam locus datur ad Thomam rever‐
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Regiomontans kritische Einstellung stellt natürlich keine Ausnahme dar. Es versteht sich von selbst, dass z. B. in den von den Humanisten inspirierten Beschwerden über die Mängel des Lehrbetriebes aus Oktober 1492 die Erwähnung über die Nutzlosigkeit der sophismata nicht fehlen konnte156. Eine ähnliche Äußerung aus der Artistenfakultät zeigt, dass dieselbe Einstellung im Jahre 1499 noch immer aktuell war157. Es ist anzu‐ nehmen, dass dies keine Ausnahme war, sondern dass vielmehr mit der Verbreitung des Humanismus in den deutschen Universitäten die Schmähung weiterging und der Ton heftiger wurde. Im selben Jahr 1494, in dem in Venedig bei Octavianus Scotus und Bone‐ tus Locatellus eine weitere umfassende Edition Heytesburys – dieses Mal aber durch viele Kommentare ergänzt – erscheint, verlegt Johann Bergmann von Olpe das Narrenschiff von Sebastian Brandt. Dort, neben dem Verweis auf andere Mängel der Universitätsaus‐ bildung, fand die Sache ihren Platz in der Form eines ihrer üblichsten Beispiele (Sortes currit . . . ). Jeder sollte dann davor gewarnt sein, was nutzloses Wissen ist158: Dann so sie soltten vast studieren So gont sie lieber bübelieren ... Sie lerent lieber yetz alleyn Was unnütz und nit früchtbar ist ... Unnütz geschwetz alleyn betrachten Ob es well tag syn / oder nacht ... Ob Sortes oder Plato louff ... So sint wir z˚u Lyps / Erfordt / Wyen z˚u Heidelberg / Mentz / Basel gstanden kumen z˚u letst doch heym mit schanden . . .
§ 6. Editorische Vorbemerkungen § 6.1. Der edierte Text Da W nicht als Autograph des Verfassers, sondern als die Arbeit eines Schreibers zu betrachten ist, sollen in der folgenden Textedition beide Handschriften, F und W, im Prinzip gleichwertig behandelt werden. Bei meinen editorischen Entscheidungen habe ich vor allem den deutlicheren Text bevorzugt und – wenn er deutlich war – eher den
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tuntur. Igitur quo plures filosofia duces habet, eo minus hac nostra tempestate addiscitur. Princeps interea philosophorum prorsus destituitur, nomenque suum is sibi usurpat, qui in sophismatibus plus caeteris valet, neque Aristoteles ipse revivisceret discipulos suos atque sequaces satis intelligere crederetur, Regiomontan, Oratio (wie Anm. 139) 50 (Hervorhebung von mir). Primo quidem in eo, quod scholares et baccalarii nostre facultatis occuparentur dumtaxat rebus vanis et inutili‐ bus sophismatibus relictis textibus et aliis fundamentalibus . . . (zitiert in Lhotsky, Wiener Artistenfakultät 178, Anm. 513). Dabei geht um die Ausbildung in illis iam diu attritis sophismatibus (zitiert in Lhotsky, Wiener Artisten‐ fakultät 182). Sebastian Brandt, Das Narrenschiff, Kap. Von unnutzen studieren, https://digital.slub-dresden.de/werkan sicht/dlf/11823/11/0/ (hier Bild 76f.) [15. 7. 2022] (meine Hervorhebung).
§ 6. Editorische Vorbemerkungen
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längeren Text vorgezogen. Ich folge allgemein der Methode von F, die z. T. auch von Lochmair in W benutzt wird. Dementsprechend wird die Expositio mit dem originalen Text von LF alternierend geliefert. Daraus ergeben sich bei der Zählung einige Unstim‐ migkeiten zwischen beiden Handschriften, die aber durch die Angabe der Foliierung am Rande des Textes nachvollzogen werden kann. Aufgrund der obigen Erklärung über den Arithmetiktext wurde im Titel der Expositio der Begriff „communis“ aufgenommen, der allerdings auch im Vorwort vorkommt. Der Text von LF wurde – wie meistens in F – durch einen niedrigeren Schriftgrad vom Text der Expositio unterschieden, der der eigentliche Gegenstand dieser Untersu‐ chung ist und daher und zugunsten einer besseren Lesbarkeit des Ganzen in größerer Schrift gesetzt wurde.. Obgleich er eine nützliche Ergänzung zu dieser Arbeit über die Entwicklung der Formlatitudenlehre darstellt, kann er nicht als Ersatz für die Edition von T. Smith (1954) betrachtet werden. Es sei nochmals daran erinnert, dass das Vorwort der Expositio in W fast vollständig verloren gegangen ist. Es konnte hauptsächlich nur aus F ediert werden. Quellenverweise und Bemerkungen wurden zu einem Minimum reduziert. Es ist ohnehin deutlich genug, dass der Expositio die Sophismata-Literatur zu‐ grunde liegt, obwohl keine Namen erwähnt werden. Zwischen den Klammern 〈. . . 〉 habe ich eine Reihe von Wörtern hinzugefügt, die in keiner der Handschriften vorkommen. Die übliche und strengere Rechtfertigung hierfür ist, dass ein Herausgeber meint, diese Wörter müssten sich „im Original“ oder in Ab‐ schriften befinden, die uns nicht überliefert sind, aber in einem hypothetischen Stemma vor der benutzen Handschriften stehen würden (sozusagen die möglichen Vorlagen von F und / oder W). Dabei geht der Herausgeber davon aus, dass er die Rekonstruktion eines Werkes im strengen Sinne des Wortes anstrebt. Aber davon kann bei diesem Text kaum die Rede sein. Bei dieser Expositio handelt sich ja um eine Arbeit, die als solche Anerken‐ nung zur Erklärung des Traktats LF im Lehrbetrieb fand. Das ist sicherlich nicht ohne Bedeutung und wichtig genug für unsere Thematik. Sie kann jedoch schwerlich als ein abgeschlossenes literarisches Werk neben z. B. LF oder DC gelten. Aus diesem Grund möchte ich mit der Ergänzung des Textes durch solche Begriffe nicht behaupten, dass diese Wörter dem Originalen angehört hätten. Meine Rechtfertigung ist hierfür weniger streng. Ich denke, dass diese von mir eingeführten Wörter das Verständnis des Textes, sozusagen den Gedankenfluss bei der Lektüre, unterstützen. Ich schließe jedoch nicht aus, dass sie (oder äquivalente Begriffe) in anderen Abschriften vorkommen könnten; es ist auch nicht entscheidend, wenn die Bedeutung des Textes dadurch nicht verfälscht, sondern eher deutlicher wird. Manche solcher Hinzufügungen sind trivial („notandum 〈est〉“ halte ich meistens für deutlicher als „notandum“ allein); manchmal hängen sie jedoch mit der Interpunktion zusammen, die natürlich auch interpretationsbedingt ist, insbesondere bei längeren Passagen oder Aufzählungen. Natürlich ist es sehr unwahr‐ scheinlich, dass es in der „Urhandschrift“ einen Paragraphentitel gab wie „definitiones convenientes“ oder „de diffinitione latitudinis uniformiter difformis“. Solche habe ich nur der Deutlichkeit halber eingeführt. Um die Argumentationszüge zu verdeutlichen, wurden nicht nur die gliedernden Wörter bzw. Paragraphenbetitelungen eingeführt, sondern auch die Interpunktion, Einfügungszeichen und Durchnummerierung der Ar‐ gumente oder wichtigsten Aussagen. An einigen Stellen überliefern beide Handschriften einen gleichen, aber auch gleich unverständlichen oder zweifelhaften Text. Hier habe ich der Verständlichkeit halber entschieden, etwas mehr einzugreifen. Ein Beispiel hiefür ist die Stelle, wo der Aus‐
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Voraussetzungen und Zusammenhänge
leger einige Argumente gegen die Definition einer gleichförmigen Latitude diskutiert. Im zweiten Einwand stellt er in Frage, dass eine solche Latitude durchgehend dieselben Grade der Intensität nach aufweisen würde. Als Begründung für diesen Einwand zieht er die sophistische Bemerkung heran: „quia impossibile est quod forme intensibilis que‐ libet pars sit eque intensa cum qualibet, quia medietas alias que forte est intensa ut 2 non esset intensior quam quarta, que forte solum esset intensa ut unum, quod implicat similiter 〈quod〉 impossibile est quod sit aliqua latitudo | ex eisdem gradibus per totum secundum extensionem sic, quod omnes partes sint eque extense, quia que est in me‐ dietate subiecti est extensior quam illa que est in quarta eiusdem, ut notum est, igitur etc“ (S. 93f. Zz. 207–214). Das Argument ist absurd, aber in keiner der Handschriften werden Varianten überliefert, die den Sinn verändern würden. Hingegen überliefern beide Handschriften übereinstimmend und eindeutig „. . . que forte solum esset intensa ut unum, quod implicat Similiter impossibile est . . . “, wobei in beiden Fällen „Simili‐ ter“ und nicht „similiter“ aufscheint. Meine erste Version, die nämlich einen „korrekten Text“ wiedergibt, lautete: „. . . que forte solum esset intensa ut unum, quod implicat. Similiter impossibile est . . . “. Ich halte diesen Text für möglich, aber für sehr unglaubwür‐ dig. Ich denke nicht, dass jemand einen solchen Satz absichtlich liefern würde. Und da beide Abschriften ohnehin unvollständig und nicht restlos vertrauenswürdig sind, ent‐ schied ich mich dafür, „quod“ hinzuzufügen. Das ist einer der wenigen Fälle, bei denen eine solche editorische Hinzufügung den Textverlauf stärker beeinflussen kann. Für die Bezeichnung von geometrischen Gegenständen wurden immer die Groß‐ buchstaben A, B, C, . . . benutzt; für „physikalische“ Entitäten (etwa „latitudines“, „ve‐ locitates“, „intensiones“ usw.) die Buchstaben a, b, c . . . . Aufzählungen z. B. von propo‐ sitiones oder conclusiones wurden fast immer bis zur Zahl 10 ohne Abkürzungen wieder‐ gegeben („prima conclusio“, „secunda propositio“, anstelle von „1a conclusio“ usw.). Ab dann wird vereinheitlicht abgekürzt (nicht „decima septima propositio“, sondern „17a propositio“).
§ 6.2. Die lateinische Sprache Im Allgemeinen wurde versucht, die Besonderheiten des damaligen, spätmittelalter‐ lichen, Lateins zu respektieren. Es wird daher nicht „eque“ oder „equalis“ in „aeque“ oder „aequalis“ verbessert und dementsprechend werden die gängigen Endungen auf „-e“ für „-ae“ beibehalten (z. B. „premisse“ für „praemissae“, „geometrie“ für „geometriae“, „que“ für „quae“, aber auch „quedam“ für „quaedam“ usw.). Auch die spätmittelalter‐ liche Schreibweise von einigen einzelnen Wörtern wurde bevorzugt. In einigen Fällen wurde hingegen die klassische Schreibweise übernommen, die sich auch in vielen Hand‐ schriften der Zeit befindet: „spatium“ anstatt „spacium“ und „sicut“ anstatt „sicud“. Un‐ terschiedliche Schreibweisen wurden in der Regel nicht im Apparat vermerkt. Aufgrund der Ähnlichkeit des Wortschatzes und da es sich um Texte handelt, die etwa in denselben Zeitraum und Thematik gehören, orientieren sich diese editorischen Entscheidungen an Clagetts Edition von De configurationibus des Oresme, gegen die – soweit bekannt – in diesem Sinne keine Einwände erhoben worden sind.
§ 6. Editorische Vorbemerkungen
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§ 6.3. Verwendete Abkürzungen add. adn. ante correxi ex corr. ex expl. hab. hom. il. inc. / Inc. in marg. interl. lac. om. post scr. et del. super superscr. trans. [?] [!]
addit adnotatio, Randbemerkung. vor ich habe verbessert aus x der Schreiber hat verbessert aus x Expl.: explicit, Ende einer Abschrift habet homoioteleuton illegibilis, unleserlich incipit, Anfang einer Abschrift in margine, am Rande interlinealis, zwischen den Zeilen lacuna, Lücke omittit, ausgelassen nach, danach scripsit et delevit; geschrieben und gestrichen über übergeschrieben transposuit, transponere (hinüberbringen). fortasse (im Apparat oder im Text) sic (im Apparat oder im Text)
Im Unterschied zur „klassischen“ editorischen Vorgehensweise denke ich, dass die Ho‐ moioteleuta eine wichtige Information für den Leser sind; deshalb findet man im kri‐ tischen Apparat die Angabe: om. (hom.). Natürlich ist nicht jede Auslassung (om.) ein homoioteleuton. Zur Lokalisierung werden die Präpositionen ante und post vor dem in den Apparat mit Klammer „]“ aufgenommenen Wort hinzugefügt, z. B.: ante latitudo] qualitatis add. F heißt, dass die Abschrift F vor dem Wort „latitudo“ des edierten Textes das Wort „qualitatis“ hinzufügt; post uniformis] et sic de singulis scr. et del. W heißt, dass die Abschrift W nach dem Wort „uniformis“ des edierten Textes die Wörte „et sic de singulis“ schrieb und durchstrich (wobei das Durchstreichen in den mittelalterlichen Handschriften oft mit einer punktierten Linie angedeutet wird). Transpositionen von Wörtern werden mit trans. nach den Klammern angegeben und mit ante bzw. post er‐ gänzt. Außer dem Haupttext des Kommentars auf einigen Blättern (z. B. fol. 11v und 12r) und den geometrischen Darstellungen mit den jeweiligen Benennungen (z. B. fol. 14r) überliefert W achtundzwangzig Randbemerkungen, die sehr unterschiedlich in ihrer Be‐ deutung sind. Es handelt sich um Andeutungen auf die Themen und Gliederung, die Lochmair zu seinem eigenen Nutzen eingeführt hat. Diese habe ich mit der Abkürzung „in marg. adn.“ angegeben. Diese sind von Additionen zum Text zu unterscheiden. Da‐ von gibt es nur zwei Fälle (fol. 4r und fol. 5v).
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Voraussetzungen und Zusammenhänge
§ 6.4. Die Fußnoten Durch einfache Fußnoten wurde auf die Quellen des Textes verwiesen. Auch wenn es durchgehend versucht wurde und oft gelang, die passenden Stellen ausfindig zu machen, muss man an die Ungenauigkeit der Verweise in den scholastischen Texten erinnern. Daher wurde für eine nicht genau identifizierte Quelle der Hinweis mit „vgl.“ geliefert. Gelegentlich wurden hierbei einige inhaltliche Bemerkungen und Verweise auf andere Teile dieser Arbeit eingeführt.
§ 6.5. Die Figuren Seit der Entstehung neuer graphischer Möglichkeiten und ihrer Einverleibung in die Textverarbeitung ist es oft Usus geworden, die „ursprüngliche Graphik eines Textes“ aus einer Handschrift auszuschneiden und in den edierten Text einzufügen. Das ist si‐ cherlich bequemer. Aber damit entzieht sich dadurch der Herausgeber eines Textes der Verantwortung, die Figuren, die selten eindeutig sind, zu interpretieren. Wenn ich mit dieser Vorgehensweise i. A. nicht einverstanden bin, umso weniger in diesem Fall, bei einem Text, in dem es prinzipiell um die Figuren geht. Ich habe sie also nachgezeichnet und platziert, manchmal auch mit Zahlen und Buchstaben versehen. Ich habe versucht, sie proportionsgemäß und in der etwaigen „originalen“ Größe wiederzugeben. Einige von ihnen sind sehr einfach, andere selbstverständlich und sogar überflüssig. Der auf‐ merksame Leser wird jedoch merken, dass dies nicht immer der Fall ist. Ich habe sie alle wiedergegeben. Mit Ausnahme von einer Figur stammen alle aus der Feder von Michael Lochmair, dem Schreiber vom Hs. W. Da wir wissen, dass er an der Artistenfakultät tätig war, ist es für sehr wahrscheinlich zu halten, dass viele dieser Figuren, vor allem die schematische Darstellung aller Latituden mit den entsprechenden Figuren und das gesonderte Blatt am Ende gänzlich von seiner Hand stammen. Die zwei Blätter mit den Darstellungen der Latituden in W wurden nicht mitten im Text an denselben Stellen wiedergegeben, wie sie in dieser Handschrift vorkommen, sondern am Ende. Der Leser wird auf Seite 83 eine fotographische Reproduktion dieses Doppelblattes in der Hand‐ schrift W finden. F enthält nur eine Figur.
Abbildungen
Abbildung 1: Text und Darstellung zu maxima et minima in Michael Lochmairs Philosophia naturalis nach der Hs. München, BSB, clm 18789, fol. 5v. Vgl. auch S. 55–57.
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Abbildungen
Abbildung 2: System der Latituden in der von Michael Lochmair angefertigten Abschrift der Expositio zum Tractatus de latitudinibus formarum nach Wien, ÖNB. Hs. 4953, fol. 8v–9r . Vgl. S. 40–43 (Beschreibung der Handschrift) und 140 Fig. 29. Sowohl in der Wiedergabe als auch in der Edition wurde die Darstellung um 90° rotiert.
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Teil II Tractatus de latitudinibus formarum communis cum expositione eiusdem
Tractatus de latitudinibus formarum communis cum expositione eiusdem Tractatus de latitudinibus formarum communis cum expositione eiusdem
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⟨Tractatus de latitudinibus formarum communis cum expositione eiusdem⟩ ⟨Prohemium expositionis⟩
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Circa tractatum de latitudinibus formarum dubitatur primo quid sit eius subiectum. 2° dubitatur an sit scientia media aut extrema. Item [3°] quis sit titulus huius libri. Item [4°] cui parte phylosophie subordinatur notitia presens. Item [5°] que sit utilitas ⟨eius⟩. Item [6°] que sit intentio auctoris presentis libri. Pro primo, videlicet quid sit subiectum, dicunt aliqui quod ly „latitudo“ forme sit subiectum notitie huius libri adequatum; quod probant ex titulo illius libri, qui est Tractatus communis de latitudinibus formarum1 . Ex quo inferunt solutionem secundi dubii dicentes quod est scientia media inter naturalem et geometriam. Probant, quia subiectum est complexum ex terminis habentibus attributionem per se ad rationes obiectales illarum duarum scientiarum extremarum. „Latitudo“ enim est terminus geometrie, eo quod est abstractus terminus a materia et ⟨a⟩ motu importans suum significatum secundum rationem quantitatis, sed ly „forma“ est terminus physice, quoniam motum importat, ut patet. Sed quid sit de ambobus dictis, eorum positiones tamen sunt insufficientes: primo non valet probatio prima eorum, quia ex titulo huius libri non potest sufficienter argui subiectum adequatum. Subiectum enim scientie libri Physicorum est ly „ens mobile“ et tamen liber intitulatur „Physicorum“. Similiter patet de libris De generatione et corruptione, De celo et mundo, De metaphysica, de tractatibus Petri Hyspani et sic de aliis multis. Probatio etiam secundi dubii assumit falsum, quia ly „latitudo“ – ut hic sumitur – non est terminus geometrie. Non enim consideratur ⟨hic⟩ de eo in sua propria significatione sed philosophice pro intensione graduali; et sic non consideratur in geometria sed in philosophia naturali. Et ergo posset esse alia opinio: quod ly „intensio gradualis forme“ vel „latitudo forme“ – si idem valet – esset subiectum notitie huius libri et quod scientia illius libri esset extrema, scilicet naturalis philosophia. Probato igitur primo, probatur e⟨tiam⟩ secundum. Probatur igitur primum ex conditionibus subiecti, quia est terminus communissimus illius scientie, ut notum est. Similiter est primo modo notus, quia quis volens studere illam scientiam pro subiecto offertur ratio eius non transcendens, quia de eo non 1
Vgl. Latitudines breves, insb. Lat. Breves I, in: Di Liscia, LB 55–120, hierfür 90–91.
17 physice ] correxi ex phylosophie F
26 ante de ] in geometria scr. et del. F
F 2r
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consideratur principaliter divisio latitudinis in suas species, diffinitiones, differentias, et formarum variationes secundum intensum et remissum quo ad subiectum, et regulare et non regulare quo ad tempus. Ex quo patet solutio secundi dubii secundum illam opinionem. Sed contra illa ⟨arguitur⟩, quia in primo capitulo secunde partis consideratur de lineis, angulis et figuris et ⟨de⟩ divisionibus figurarum et divisionibus membrorum etc., et illa non habent attributionem ad ly „intensio forme gradualis“, ut notum est. Respondetur quia illa non considerantur ibi principaliter sed minus principaliter inquantum famulatur ad principalem considerationem et ad exemplarem declarationem principalis intentionis, scilicet quomodo aliqua latitudo sit uniformis, hoc per figuram | quadrangulam exemplariter declaratur. Sed contra isti termini principaliter spectant ad considerationem alicuius scientie, qui termini intrant ⟨in⟩ conclusiones demonstrandas in illa scientia et ⟨in eius⟩ supposiciones, ex quibus conclusiones demonstrantur. Sed sic est de multis terminis geometrialibus et tamen tales non habent attributionem ad ly „intensio forme gradualis“. Maior nota est, quia conclusiones spectant principaliter ad scientiam, cum ex eis principaliter consurgat diversitas specifica terminorum vel unitas scientiarum; igitur etiam termini, quia diversitas specifica terminum vel unitas conclusionum consurgit ex diversitate vel unitate specifica terminorum ex quibus componuntur. Hoc patet per totum tertium capitulum secunde partis, quomodo in singulis questionibus et ⟨in⟩ suppositionibus ponuntur termini naturales et mathematicales. Propter illud argumentum potest absolute dici ad primum dubium quod hoc totum complexum ex duabus rationibus obiectalibus diversarum scientiarum extremarum, scilicet, intensio forme gradualis ⟨et⟩ forme ymaginativa per figuram geometricam esset subiectum; et illud tunc potest probari ex conditionibus subiecti que sibi conveniunt, ut patet intuenti; et non ly „intensio forme“, cum sit terminus transcendens metas, cum de eo consideratur in philosophia naturali secundum rationem ita generalem sicut hic. Similiter non omnia principaliter considerata hic habent ad eum attributionem, ut patet ex precedentibus. Notandum est quod licet ly „intensio gradualis“ et „latitudo gradualis“ „vel latitudo forme“ pro eodem supponantur, utraque non tamen sinonime significant, quia ly „latitudo“ non absolute significat intensionem gradualem sed ultra connotat talem intensionem esse ymaginabilem per figuram geometricam; sed ly „intensio“ non sic connotat. Unde sequitur quod sicut 47 contra ] correxi ex qui F 53 etiam ] correxi ex F latitudo forme ] post supponatur trans. F
66 post considerata ] habent scr. et del. F
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ponitur illud longum complexum pro subiecto sic potest poni ly latitudo forme sive forma latitudinabilis. Hoc forte voluit prima opinio, licet probatio ipsius sit insufficiens, ut tactum est. Et sic patet quomodo diffinitiones et divisiones hic posite sunt terminorum que vere sunt species vel partes in modo subiecti proprii; quare illa per se habent attributionem ad subiectum. Et hoc etiam apparet de terminis omnibus in questionibus et suppositionibus positis. Item notandum quod non solum consideratur de latitudine forme gradu intensibili sed etiam ⟨de⟩ motu locali et ⟨de⟩ formis substantialibus divisibilibus quomodo acquiruntur latitudinaliter. Ex quo patet quod ly „intensio gradualis“ forme gradualis nota etc.2 non est subiectum, sed est nimis strictum. Erit igitur subiectum ly „forma latitudinabilis“ pro ut tamen valet sicut forma ymaginabilis per figuram geometricam secundum eius intensionem vel remissionem quo ad subiectum, regulariter vel irregulariter quo ad tempus in quo acquiritur. Hoc de primo dubio. Sed quo ad secundum dubium dicitur finaliter quod scientia illius libri est scientia media inter phylosophiam naturalem et geometriam. Pro quo notandum quod scientia media dicitur scientia que | habet pro subiecto adequato complexum ex duabus rationibus obiectalibus scientiarum extremarum et que in suis processibus utitur propositionibus constitutis ex terminis propriis scientiarum extremarum, ex quarum rationibus obiectalibus subiectum complectitur, ut declaratur de perspectiva. Et si quis diceret tamen communiter annuantur solum tres scientie medie inter quas non ponitur illa3 , respondetur quod per hoc non negatur quin sint plures sed quod non annuantur communiter, hoc est propter paucitatem conclusionum talium scientiarum vel propter non paucitatem eorumdem. Et sine dubio valde multe possent esse scientie medie si earum conclusiones essent elaborate, nam sicut est in perspectiva de linea visualis sic posset esse una de linea audibili et sic consequenter, etc. Ad tertium dubium respondetur quod titulus huius libri est Tractatus de latitudinibus formarum communis et in hoc tangitur causa materialis, quia eius materia est latitudo formarum. Ad aliud [4°] respondetur quod subordinatur philosophie speculative medie inter physicam et geometriam, secundum alios quia latitudo est terminus geometrie, forme vero physice. Ad aliud [5°] respondetur | quod 2
Der Ausleger zitiert hier kurz aus einer unbekannten Quelle, in der offensichtlich die „intensio forme gradualis“ im Einklang mit dem diskutierten Argument als „nota“ bezeichnet wird. 3 Vgl. insb. die zitierte Stelle von Heinrich Platerberger in Di Liscia, Geometrie 50. 82 post quomodo ] attribuntur scr. et del. F 87 post ad ] tanto scr. et del. F 104 subordinatur ] correxi ex supponitur F 106 physice ] correxi ex phylosophie F || respondetur ] ab initio textus versus respondetur om. W || quod ] incipit textus W
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utilitas est ad intelligendum multas partes phylosophie, quia valet ad intelligendum motus quemlibet, scilicet quomodo sit secundum intensum et remissum in ordine ad tempus vel ⟨ad⟩ subiectum et ad motum alterationis, quia de quibus illis magis tractat materia presentis tractatus. Et maxime valet ad materiam tertii Physicorum et presertim ad multa sophismata solvenda. Intentio autem auctoris est docere veram ymaginationem de latitudinibus formarum. Iste tractatus in duas dividitur partes. In prima premittitur prohemium libri et diffinitiones et divisiones quorundam terminorum. In secunda parte applicantur ipse species latitudinum ad figuras geometricas, ut ex hoc faciliter appareat ymaginatio de latitudinibus formarum; et hoc ibi sequitur secunda pars. Prima autem pars sive primum capitulum dividitur in partem prohemialem et executivam. Secunda ibi latitudinum quedam uniformis. In prima parte | auctor dicit quod latitudines formarum variantur multipliciter et quia talis variatio et multiplicitas difficulter apprehenditur nisi applicentur ad figuras mathematicas visibiles per quas cognoscitur latitudinum variatio et caetera. Et hoc vult ibi. Sequitur textus.
108 ante motus ] modus scr. et del. F 110 quia ] et W 112 solvenda ] solida F || Intentio ] auctoris que sit intentio in marg. adn. W 121 applicentur ] multiplicetur F 123 Et hoc vult ibi ] om. F || Sequitur textus ] om. F
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⟨Tractatus de latitudinibus formarum⟩ ⟨Pars prima⟩ ⟨Prohemium⟩
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Quia formarum latitudines multipliciter variantur, que multiplicitas difficile discernitur nisi ad figuras geometricas consideratio referatur. Ideo premissis quibusdam diffinitionibus latitudinum cum divisionibus suis infinitas species earundam ad infinitas species figurarum applicabo, ex quibus propositum clarius apparebit.
Circa istum textum est notandum [1°] quod ex communi usu intensio gradualis forme vocatur eius latitudo sed eius extensio quo ad subiectum vel durationem vocatur longitudo. Et causa huius potest esse quia sicut prima dimensio que in corporibus dicitur longitudo est notior aliis dimensionibus, sic extensio forme quo ad subiectum vel durationem intelligere esse notior quam intensio eius4 . Ideo communiter appellata est intensio forme latitudo et extensio longitudo. Etiam alie sunt cause que apparebunt in secunda parte. [2°] Secundo notandum ⟨est⟩ quod formarum quedam est indivisibilis simpliciter ut anima intellectiva, alie divisibiles; et tales sunt tres: quedam sunt divisibiles solum extensive, ut forme substantiales; quedam solum intensive gradualiter, ut forme accidentales subiectiis indivisibilibus inherentes – ut intellectus et habitus intellectuales –; sed tamen, si ⟨hec⟩ successive acquiruntur, tunc bene sunt divisibiles extensive ratione temporis, sed non ratione subiecti, et sic erint vere latitudinabiles per figuras geometricales, cum habent latitudinem secundum intensionem gradualem et longitudinem scilicet extensionem sive successionem temporis. Quedam vero sunt divisibiles intensive et extensive, ut forma gradualis subiecto suo coextensa, vel forma gradualis que acquiritur temporaliter licet eius subiectum sit in4
Die Stelle geht auf Nicole Oresme, Tractatus de configurationibus …, (I. 3) zurück: „Verumptamen quia extensio est manifestior et palpabilior, ut ita loquitur, et prior cognitione quo ad nos quam sit intensio, et forsan quo ad naturam, ideo non obstantibus predictis ipsa extensio secundum communem usum loquendi attribuitur prime dimensioni, scilicet longitudini, intensio latitudini“ (Ed. Clagett 172, 15–19). 127 formarum latitudines ] latitudines formarum F 129 earundam ] eorundem F 130 super quibus ] Q scr. et del. F 132–133 intensio gradualis ] longitudo et latitudo in marg. adn. W 133 sed ] om. F || ante extensio ] vera add. F 134 huius ] om. W 139 parte ] om. W 141 tales ] om. W || tres ] corr. ex il. F || quedam ] que F 145 bene ] om. W 146 erint ] essent F 148 scilicet extensionem ] secundum extensiones W 150 ante temporaliter ] il. scr. et del. F || indivisibile, … in quo acquiritur ] om. F
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divisibile, quia ipsa ⟨est⟩ divisibilis ratione temporis in quo acquiritur per partem post partem, et de illis est ad propositum.
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[3°] Tertio notandum quod forme extense | ad extensionem subiecti intensibiles gradualiter et remissibiles sunt dupliciter latitudinabiles: uno modo in completo acquisito esse et ratione intensionis vel remissionis quo ad subiectum; alio modo in fieri regulariter et irregulariter quo ad tempus in quo acquiruntur, ut quia in divisis partibus temporis etiam equalibus forte inequales gradus acquiruntur et sic esset difformis vel irregularis. Sed forme substantiales divisibiles vel res successive ut sunt motus locales et forte habitus intellectuales sunt solum illo modo latitudinabiles, ut patet intuenti. Etiam habitus intellectuales non sunt divisibiles quo ad subiectum cum illud sit indivisibile, ut supponitur. Sed tamen dupliciter sunt latitudinabiles in fieri. Uno modo quo ad tempus in quo acquiritur vel deperditur, alio modo quo ad subiectum. Unde stat motus circularem rote esse uniformem quo ad tempus, difformem tamen quo ad subiectum, quia partes inferiores velocius moventur quam superiores. Consequenter stat formam in esse acquisito esse difformem et in acquiri uniformem, ut patet si aliquis calefaceret b per unam totam horam et in qualibet quarta hore produceret unum gradum in b, fortius tamen | agendo in partem propinquam quam remotam, tunc motus esset uniformis et qualitas acquisita difformis. [4°] Ultimo notandum quod auctor dicit in littera ad figuras geometricas ad differentiam aliarum figurarum gradualium et logicalium et vocantur geometrice quia de ipsis considerat geometria.
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Sequitur littera Latitudinum quedam ... etc. Hec est secunda pars capituli in quo premittitur divisiones et diffinitiones terminorum suppositi pro latitudinibus. Et dividitur in sex partes secundum sex divisiones. Partes patebunt in processu. Prima divisio est quod latitudinum quedam est uniformis quedam difformis. Et tunc describit latitudinem uniformem dicens est que est eiusdem gradus per totum; per oppositum difformem, videlicet in littera. Et hoc ibi.
151 quia ipsa ⟨est⟩ ] om. F, correxi ex sed ipsa post acquisitum rei in indivisibilis sed W 152 est ] 2° W 153 Tertio notandum ] et nota F || extense ] corr. ex extensive F || intensibiles ] corr. ex extensibiles F 154 latitudinabiles ] latitudines F 155 in completo ] incomplete F || esse ] om. W || et ] om. F 156 alio modo ] duplex longitudo forme in marg. adn. W 160 latitudinabiles ] latitudines F 162 ut supponitur ] om. W 165–166 partes inferiores … superiores ] partes centrales tardius movetur tamen quanto propinquiores circunferentia tanto velocius moventur F 166 Consequenter ] qui videtur sequi F 167 acquiri ] acquisita F 172 post logicalium ] etc add. F 178 que ] om. F 179–180 videlicet in littera. Et hoc ibi ] om. F
W 1v
F 4r
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⟨ Pars prima, capitulum primum: Divisiones et diffinitiones latitudinum⟩
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Latitudinum quedam est uniformis, quedam est difformis. Latitudo uniformis est que est eiusdem gradus per totum; latitudo difformis est que non est eiusdem gradus per totum.
⟨Contra divisionem⟩
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Notandum circa textum quod ista divisio non est sufficiens quia est dare intensionem non extensam subiectivam nec temporaliter, ut intellectio subito acquisita, et talis est latitudo nec uniformis nec difformis, sicut hic capiuntur termini. Debet igitur dici quod latitudinum extensarum sive temporaliter vel subiective quedam est uniformis quedam ⟨est⟩ difformis. Vel dicitur tenendo autorem quod forma talis non sit latitudo cum non habeat extensionem nec temporalem nec subiectivam. Alias enim sequeretur quod esset latitudo sine longitudine, quod est impossibile sicut non est superficies sine linea, et sic stat divisio salva. ⟨Contra diffinitionem latitudinis uniformis⟩ Contra diffinitionem latitudinis uniformis arguitur sic:
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[1°] Impossibile est esse latitudinem eiusdem gradus per totum, igitur nulla est uniformis. Probatur quia si est latitudo extra subiectum tunc ipsa adhuc est divisibilis in partes quarum neutra est ⟨sicut⟩ alia. Ergo non est eiusdem gradus per totum sed in una parte est unius gradus | et in alia alterius; sed si est in subiecto, tunc habet divisas partes in diversis partibus subiecti. Nec valet si dicatur sic quod esset eiusdem gradus per totum secundum speciem, quia alias quelibet latitudo esset uniformis. Patet in singulis inducendo quod tamen est falsum et contra processum illius tractatus. [2°] Etiam impossibile est quod sit latitudo aliqua eiusdem gradus per totum et ex equalibus gradibus secundum intensionem. Probatur quia impossibile est quod forme intensibilis quelibet pars sit eque intensa cum 183 est ] om. W || est ] om. W 184–185 latitudo uniformis … per totum ] post latitudo difformis ... per totum trans. F, post totum] etc add. F || ante latitudo ] supra tu sc. F 187 circa textum ] om. F 188 subiectivam ] subiecte F || temporaliter ] principaliter F 192 dicitur ] dico F || sit ] esset F 193 nec subiectivam ] ut subiective F || enim ] autem F 197 uniformis ] om. F || ante sic ] econtrario add. F 199 nulla est uniformis ] om. F || Probatur ] arguitur F || tunc ipsa adhuc ] ipsa tamen F 202 in subiecto ] inflectio F || ante divisas ] eius add. F 204–205 Patet in singulis inducendo ] om. W 205 contra processum illius tractatus ] om. W 206 latitudo aliqua ] aliqua latitudo F || eiusdem gradus per totum ] per totum eiusdem gradus F
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qualibet, quia medietas alias que forte est intensa ut 2 non esset intensior quam quarta, que forte solum esset intensa ut unum, quod implicat similiter ⟨quod⟩ impossibile est quod sit aliqua latitudo | ex eisdem gradibus per totum secundum extensionem sic, quod omnes partes sint eque extense, quia que est in medietate subiecti est extensior quam illa que est in quarta eiusdem, ut notum est, igitur etc. [3°] Item sequitur quod in subiecto finito esset qualitas intensive infinita. Consequens falsum ⟨est⟩ et contra Philosophum 3° Physicorum5 . Probatur tamen consequentia quia, si esset talis uniformis latitudo, oportet ex diffinitione quod in qualibet parte essent eque intensi gradus et, cum sint infinite partes subiecti, igitur ibi essent infiniti gradus quorum quilibet esset tantus sicut certus datus, quare esset infinita latitudo in subiecto finito. ⟨Notanda⟩
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[1°] Notandum est pro argumentis quod licet gradus communiter capiatur pro parte forme secundum intensionem, tamen in proposito gradus capitur pro totali intensione forme et partiali extensione, et sic gradus est tota intensio uni parti extensive correspondens. [2°] Secundum notandum ⟨est⟩ quod latitudo non dicitur uniformis ex eo quia est ex eisdem gradibus per totum et equalibus secundum intensionem sic quod omnes eius gradus sint eque intensi primo modo capiendo gradum, quia alias nulla esset latitudo uniformis, ut patet per secundum argumentum, licet aliqua esset uniformis secundum certam divisionem, quia si latitudo caliditatis 10 graduum dividetur in quinque gradus quorum quilibet esset ut duo, vel in 2 quorum quilibet esset ut quinque. [3°] Tertio notandum ⟨est⟩ quod non dicitur latitudo uniformis ex eo quod sit ex eisdem gradibus per totum sic quod non habeat gradus numero differentes, ⟨ut⟩ patet per primam partem primi argumenti, nec etiam ex eo quod sit ex eisdem gradibus secundum speciem, ⟨ut⟩ patet per secundam partem primi argumenti. 5
Aristoteles, Physica III. 5, 204a 9-10 u. ff.
209 forte ] om. F 210 esset ] om. W 211 gradibus ] om. F 214 post igitur ] videtur add. W 215 qualitas ] qualiter F 217 consequentia ] contra W 219 essent ] erunt F 224 ante secundum ] gradus add. W || ante intensionem ] dans add. F || ante tamen ] sed add. F 227 Secundum notandum ] Pro secundo altero in marg. adn. W || latitudo non dicitur uniformis ] non dicitur latitudo F 232 dividetur ] ego dividerem eam F 234 notandum ] nota F || ante non ] etiam add. W || dicitur ] detur F || latitudo ] om. W || ex eo ] om. F 236 etiam ] om. W || ex eo ] redens F 237 secundum ] sensus fort. F
F 4v
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[4°] Quarto notandum ⟨est⟩ quod, sicut communiter dicitur, latitudo dicitur uniformis ex eo quod in omnibus partibus sui subiecti equalibus secundum extensionem sunt precise equales gradus secundum intensionem, capiendo gradum secundo modo. Vel etiam ita quod quelibet pars sui adequate cum qualibet parte eiusdem pedalis corporis et cum toto est equalis intensionis, ut si esset caliditas intensa ut 6 in qualibet parte pedalis corporis, tunc licet tertia pars illius corporis habeat de tali qualitate plus secundum extensionem quam quarta vel sexta, non tamen secundum intensionem, quia sunt eiusdem denominationis. ⟨Expositio diffinitionis⟩
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Quibus notatis exponitur diffinitio illo modo quod est latitudo eiusdem gradus per totum et quod latitudo per omnes partes subiecti sui est eque intensa, ita quod quelibet pars extensa sui subiecti est cuilibet parti eiusdem equalis intensionis seu intensive. Sed tunc difformis esset latitudo que non est eiusdem gradus per totum et que non est per omnes partes | sui subiecti eque intensa, sed immo quod aliqua pars extensiva sui subiecti aliqua parte eius secundum illam latitudinem est intensior.
W 2v
⟨Ad rationes⟩
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Et per hoc solvuntur rationes. Ad primam patet ex diffinitione | et tertio notabili. Ad secundam patet item ex expositione diffinitionis et notabili secundo. Ad tertiam negatur consequentia et dicitur: licet in toto sint plures tanti gradus non communicantes quam in medietate, non propter hoc ipsum totum dicitur plus tale secundum illam qualitatem quam medietas, quia maior qualitatis extensio non plus denominat inesse tali sed bene maior intensio. Sed secundum intensionem non sunt plures tanti gradus in toto quam in medietate, et sic non valet consequentia „ibi sunt infiniti gradus non comunicantes quorum quilibet est tantus sicut ille certus datus, igitur ibi est qualitas infinita“, quia non intendunt se mutuo. ⟨Argumenta contra divisionem latitudinis uniformis⟩
[1°] Sed adhuc pro pleniori intellectu littere diffinitionis arguitur con-
239 notandum ] nota F, latitudo dicitur uniformis in marg. adn. W || post dicitur ] quod add. F 242 etiam ] om. F || ita ] om. W 244 caliditas ] calidis F || 6 ] 4 F 245 corporis ] ut in igne tripedale in marg. adn. W 249 diffinitio ] diffinitio ad intelligendum in marg. adn. W 250 ante sui ] sicut scr. et del. F 251 extensa ] extensiva F 252 intensionis seu ] om. F 254–255 sed immo … est intensior ] om. W 258 item ] iterum F || ex ] om. F 259 negatur ] negetur F || dicitur ] om. W 260 communicantes ] propter hoc in marg. add. F || propter hoc ] in marg. corr. ex proportionaliter F, om. W 261 ipsum ] om. F ante ipsum] in add. W || dicitur ] non add. W 262 qualitatis extensio ] qualitas extensive W 263–264 in toto quam in medietate ] in medietate quam in toto F 265 datus ] om. W 268 diffinitionis ] F || contra … sic ] om. W
F 5r
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tra divisionem latitudinis uniformis sic: ipsa non convenit omni latitudini uniformi, igitur non est bona. Arguitur quia non convenit separate a subiecto, quam tamen stat esse uniformem. Quod sibi non conveniat notum est, quia latitudo datur in ordine ad subiectum et illa nullum habet quod stet eam esse uniformem. Patet quia si albedo ante consecrationem est uniformis tunc etiam post consecrationem erit uniformis, cum per consecrationem partes albedinis non transponantur nec remittantur. Similiter si est caliditas in subiecto uniformis ⟨et⟩ auferatur subiectum cum extensione et conservaret Deus partes caliditatis in eodem situ precise ut prius, ille partes adhuc essent una caliditas et continua ad invicem continuitate essentiali, sicut dicitur de materia prima primo Physicorum6 magnitudine, et tamen postea non esset uniformis sicut prius, cum non esset per omnes partes sui subiecti eque intensa, cum non habeat subiectum. Sed quod talis caliditas esset latitudo patet, quia esset divisibilis in partes extra inexistentes in divisis sitibus continuas ad invicem et etiam secundum intensionem. Similiter si Deus in tali casu dimitteret partes caliditatis sue nature ipse conservaret in puncto indivisibili ad ymaginationem et tamen non uniatur omnes secundum intensionem sed quelibet maneret coniuncta alteri – alias enim per solam mutationem eadem qualitas finita efficeretur infinita –; et sic talis latitudo adhuc esset unifomis vel difformis et tamen sibi non convenit diffinitio sic exposita. Et alio modo si manente subiecto auferetur extensio, tunc partes converterent indivisibiles et esset latitudo adhuc uniformis vel difformis sicut prius et tamen tunc partes equalis extensionis non essent equales intensive cum nulla esset pars in tali subiecto. [2°] Secundo arguitur diffinitio non convenit motibus localibus et formis substantialibus divisibilibus, quia tales non sunt intensibiles nec remissibiles, ut notum est, et tamen sunt latitudinabiles, ut dictum est, nec convenit aliis motibus ut calefactioni. Stat enim quod calefactio sit difformis et tamen caliditas que aquiritur sit uniformis in subiecto vel econverso, ut si agens naturale calefacere | posset fortius in propinquo quam in distanti et tamen eque velociter quo ad tempus, quare apparet quod est latitudo 6
Aristoteles, Physica III. 9, 192a 2-6
270 uniformi ] om. F || quia ] om. W 271–273 Quod sibi … esse uniformem ] om. (hom.) W 273 post consecrationem ] postea add. F 277 in eodem situ precise ut prius ] in marg. W ; ut prius] om. F 278 continua ] continuate F 279 magnitudine ] om. F 283 ante Similiter ] sic add. F 286 sed … alteri ] om. W 289–292 Et alio modo … in tali subiecto ] om. W 293 Secundo ] om. W 294 nec ] et W 295 ut notum est ] om. W || et tamen ] om. F
F 5v
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difformis in ordine ad subiectum sed non quo ad tempus. ⟨Notanda⟩ 300
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[1°] Notandum quod aliqui dicunt quod latitudo uniformis habeat species ut uniformem quo ad subiectum, uniformem quo ad tempus et uniformem quo ad motum7 . Sed illud non videtur valere, sicut enim uniforme ut duo gradus et uniforme ut 3 gradus non sunt species eius sed partes in modo, sicut etiam est de istis. Item varietas specierum latitudinis sumitur ex varietate habitudinum partium ipsarum. Sed ipsarum partium latitudinis uniformis quo ad tempus est eadem habitudo ad invicem que est partium; | alterius scilicet qualitatis ad subiectum.
[2°] Pro quibus ulterius nota principaliter quod duplices ymaginantur forme: quedam permanentes in esse completo, alie in esse successivo, sive in fieri vel corrumpi. Et iste due, ad fieri vel corrumpi, non latitudinantur in ordine ad subiectum sed solum quo ad tempus in quo acquiruntur vel deperduntur, quare non est causa an sint in subiecto vel extra. Sed prime, scilicet qualitates permanentes in esse completo, ymaginantur duplices: alique in subiecto existentes, alique vero extra. In subiecto existentes ymaginantur duplices8 quedam indivisibili, et ille non ymaginantur latitudinabiles ut sic; quedam in subiecto divisibili et extenso et uniformes vel difformes, et talium formarum saltem intensibilium et remissibilium est solum diffinitio secundum primam expositionem. Alie in subiecto divisibili non tamen extenso ut si auferetur extensio a materia. Et istud potest fieri dupliciter: uno modo ⟨sic⟩ quod conserventur partes materie sine motu locali precise in eodem situ, et sic respondeo quod summa caliditas adhuc esset latitudo uniformis vel difformis sicut ante ob-
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Vgl. Nicole Oresme, Tractatus de configurationibus qualitatum et motuum, I.3: „Omnis motus successivus subiecti divisibilis habet partes et est divisibilis uno modo secundum divisionem et extensionem seu continuitatem mobilis, alio modo secundum divisibilitatem et durationem seu continuitatem temporis, tertio modo saltem ymaginative secundum gradus et intensionem velocitatis. A prima autem continuitate dicitur motus magnus vel parvus, a secunda brevis aut longus, a tertia velox aut tardus. Habet itaque motus duplicem extensionem, unam subiectivam et aliam temporalem, et habet unam intensionem“ (Ed. Clagett 270, 5–12). 8 Es kann irreführend wirken, dass der Text hierbei zwei anstelle von drei Möglichkeiten erwähnt. Beide Handschriften enthalten jedoch eindeutig duplices. Da aber der zweite zu diskutierende Fall wiederum aus zwei Fällen besteht, bleibt der Text – wenn auch etwas komplizierter als erwünscht – trotzdem inhaltlich konsistent. 300 Notandum ] in marg. adn. W 301 uniformem ] uniforme W || uniformem ] uniforme W || uniformem ] correxi ex uniforme F W 303 3 ] om. F 306 post partium ] et ad tempus add. F 308 quibus ] quo W || nota principaliter ] principaliter noto W, notandum in marg. adn. W 309 sive ] scilicet F 310 ad fieri vel corrumpi, non latitudinantur ] correxi ex non latitudinantur ad fieri vel corrumpi F W 312 causa ] om. W 320 istud ] id F || conserventur partes ] pars F
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lationem extensionis. Alio modo potest fieri sic quod post oblationem partes materie dimitterentur proprie nature sue et conserverent in indivisibili; tunc credo quod talis forma non esset latitudo, quia ut sic non esset designabilis per figuram geometricam, cum non esset ordo inter eius partes et tamen ad latitudinem requiritur quod sit ordo partium forme secundum situm vel quo ad tempus ut per ordinem intelligatur vel designetur eius latitudo. Nec sufficit per ymaginationem facere ordinem inter partes eius quia sic intellectio vel habitus intellectuales acquisiti indivisibiliter essent latitudines, cum etiam posset fieri ordo in eis per ymaginationem, etiam tunc talis forma esset ad plurimum difformiter difformis vel uniformiter uniformis si ante oblationem fuisset difformis vel uniformis. Sic ergo apparet quod nulla forma dicitur latitudo nisi inquantum inter partes eius est ordo secundum situm vel secundum tempus, quia solum talis designatur | per figuram geometricam que habet longitudinem et latitudinem. Forme autem extra subiectum existentes divisibiles ymaginantur tripliciter: alique cum extensione ut albedo in sacramento altaris; alie sine extensione a materie servate, tamen in eodem situ secundum suas partes et ille sunt latitudinabiles ut prius illo modo in subiecto existentes, alie vero sine extensione commisse nature proprie, sic quod concurrerent ad indivisibile ad ymaginationem, et ille non sunt latitudinabiles, ut prius dictum est. ⟨Diffinitiones convenientes⟩
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Ut autem predicte diffinitiones auctoris conveniant omnibus latitudinabilibus formis poterunt ipse aliter exponi sic dicendo: „latitudo uniformis est latitudo cuius omnes partes, quarum neutra est alicui aliarum partium eiusdem latitudinis unita secundum intensionem, sunt precise equales secundum intensionem vel cuius in omnibus partibus equalibus temporis, in quo acquiritur vel deperditur, equales partes precise acquiruntur vel deperduntur“. Dicitur primo „latitudo“ pro genere ad differentiam formarum simpliciter indivisibilium vel divisibilium solum secundum intensionem sicut formarum substantialium vel solum secundum intensionem in completo ⟨esse⟩, et ad differentiam formarum inextensarum in subiecto extenso vel extra subiectum tertio modo, quia tales ut sic non sunt latitudinabiles et sic 323 extensionis ] similiter dicitur de oblatione in sacramento altaris in marg. adn. W 324 in ] om. F 328 ut ] om. F, interl. add. W 333 ante ] correxi ex autem F, om. W || ante apparet ] ut add. F 336 que ] et F || Forme autem extra … prius dictum est ] om. W 339 in ] it F 344 autem ] om. F || latitudinabilibus formis ] formis latitudinabilibus F 345 sic dicendo ] dicendo sic F, diffinitiones exponuntur in marg. adn. W || latitudo uniformis ] latitudo uniformis in marg. adn. W 352 intensionem ] extensionem W 354 et ad differentiam ] et vel etiam F 355 subiectum ] subiecta F
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„cuius nulla partium“, etc. Et non dicitur „in ordine ad subiectum proportionaliter“ ut etiam conveniat formis extra subiectum existentibus. Dicitur ⟨secundo⟩ „unita secundum intensionem“ quia impossibile est quod alicuius forme omnes partes sint equales secundum intensionem, ut prius declaratum est. Et dicitur ⟨tertio⟩ „equales secundum intensionem“ ad differentiam latitudinis difformis et debet ibi ly „intensionem“ capi large prout se extendit ad velox et tardum propter partes motus simul existentes in eodem subiecto quod difformiter movetur secundum suas partes, | ut patet de partibus rote. Et „residuum“ dicitur ⟨quarto⟩ propter motiones que non latitudinantur in ordine ad subiectum sed ad tempus in quo fiunt sive acquisitive sive deperditive. Per oppositum diffiniatur latitudo difformis: „est latitudo cuius non omnes partes etc. sunt precise equales secundum intensionem, sed una talium est alia intensior“; vel „cuius non in omnibus partibus etc. equales partes precise acquiruntur vel deperduntur sed in una maior et in alia minor“. Et si inferitur ⟨quod⟩ sequeretur quod eadem latitudo sit uniformis quo ad tempus et difformis quod ad subiectum et ceteris ut dictum est, ⟨tunc⟩ dicitur quod concedendum est eandem latitudinem ⟨esse⟩ uniformem et difformem secundum diversas considerationes, ut argumentum probat. Et forte sufficeret prima pars dicendo „cuius omnes partes quarum neutra est alicui aliarum partium eiusdem latitudinis unita secundum intensionem sunt precise equales secundum intensionem“ et dimittendo illud „vel | cuius in omnibus etc.“, capiendo ulterius ly „intensionem“ communiter ut dictum est. Ex istis patet quod sit dicendum ad rationes. Ultimo notandum ⟨est⟩ circa istum textum quod uniformitas vel difformitas qualitatis successive dicitur ipsius regularitas vel irregularitas9 , etc. Tunc sequitur ulterius in textu. 9
Albert von Sachsen, Questiones de caelo II, q. 13 (im Anschluß an Text 35 von De caelo): „[…] sciendum est quod differentia est inter motum regularem et uniformem, nam uniformitas motus attenditur quantum ad partes mobilis, ita quod ille motus dicitur uniformis quo movetur aliquod mobile cuius una pars movetur ita velociter sicut alias, sicut si lapis aliquis descenderet, non obstante quod ille motus in fine essent velocior quam in principio tamen diceretur uniformis secundum propriam significationem vocabuli, ex eo quod una medietas illius lapidis descendereret ita velocior sicut alia. Motus autem dicitur difformis cuius una pars movetur velocius et alia tardius, sicut esset motus rote. Partes enim eius circa axem non moventur ita velociter sicut partes circa circunferentiam licet bene ille partes eque velociter circulant. [...]. Regularitas autem motus attenditur ex parte temporis, ita quod ille motus dicitur regularis quando ipsum mobile movetur eque velociter in una parte temporis sicut in alia, sed ille motus dicitur irregularis quo movetur aliquod mobile quod in una parte movetur velocius et in alia tardius. Verumtamen sciendum est quod aliqui distinguunt de uniformitate motus“. (Albert von Sachsen 1986, ff. f1vb–f2vb). 356–357 proportionaliter ] om. W 358 est ] om. F 362 existentes ] existentium F 363–364 ut patet ] videlicet W 364 motiones ] motus W 369 intensior ] correxi ex intensio F, extensior W 370–374 Et si inferitur … ut argumentum probat ] om. W 375–377 est alicui … secundum intensionem ] etc W 380 notandum ] nota F 381 etc ] om. W 382 Tunc … textu ] om. F
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Latitudinum difformium quedam est secundum se totam difformis, quedam non secundum se totam difformis. Latitudo secundum se totam difformis est cuius nulla pars est uniformis. Latitudo que non est secundum totam difformis est que sic se habet quod aliqua eius pars est uniformis. Unde stat quod aliqua latitudo sit difformis cuius tamen aliqua pars sit uniformis, sicut in secunda parte melius apparebit.
Hec est secunda pars executive partis in qua ponitur secunda divisio. Et divisio est subdivisio predicte et patet divisio in textu. Notandum quod ly „totam“ in ambobus membris debet capi sincategorematice et statim describit primum membrorum, ut patet in littera. Et potest etiam sic intelligi: „latitudo secundum se totam difformis est cuius quelibet pars est difformis“ intelligendo de partibus non unitis secundum intensionem gradualem. Sed latitudo non secundum se totam difformis est latitudo cuius non quelibet pars est difformis sed aliqua uniformis. Et tunc removet unum dubium dicens quod stat aliquam latitudinem esse difformem cuius aliqua pars est uniformis etc.; sequitur ⟨textus⟩. Latitudinum secundum se totas seu totaliter difformium quedam est uniformiter difformis, quedam difformiter difformis. Latitudo uniformiter difformis est illa cuius est equalis excessus graduum inter se equaliter distantium. | Latitudo difformiter difformis sumitur per oppositum, videlicet cuius non est equalis excessus graduum inter se eque distantium.
F 7r
Hec est tertia divisio et est subdivisio precedentis membris et patet in littera. ⟨De diffinitione latitudinis uniformiter difformis⟩
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Tunc auctor describit primum membrorum, ut patet. Et debet diffinitio intelligi de distantia situali vel successione in tempore et non de | distantia graduali. Quemadmodum dicimus caliditas ut 2 gradualiter distare a caliditate ut 6. Et debet gradus capi pro tota intensione unius partis subiecti aut pro tota parte motus uni parti temporis correspondente. Et tunc exponitur diffinito sic: „latitudo uniformiter difformis est latitudo cuius omnes gradus equaliter distant ab invicem extensive quo ad situm vel cuius omnes partes equaliter in successione quo ad tempus equaliter se excedunt quo ad intensionem, sic quod quantum primus excedat secundum tantum secun386 post uniformis ] sicut in secunda parte melius apparebit add. F 388 sit ] est F 391 Et divisio ] om. W 393 Et … intelligi ] om. W 394 totam ] totum F 396 totam ] totum F 397 post uniformis ] exponendo proportionaliter prime diffinitioni scilicet latitudinis uniformis add. F 399 etc. ] om. F || sequitur ] om. F 401 totaliter ] om. W 402 illa ] ista F 407 Hec ] om. F || et ] om. F 413 debet gradus ] gradus dicitur multipliciter in marg. adn.W 414 aut ] vel W 416 ante omnes ] quo ad scr. et del. F
W 4r
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dus tertium“. Et sic debet ly „intensio“ capi large, ut prius dictum est, et similiter gradus debet capi pro totali intensione, etc., ut dictum fuit supra circa primam diffinitionem. [1°] Aliter alii ponunt diffinitiones in forma ut sic: „latitudo uniformiter difformis est latitudo difformis in qua tribus gradibus signatis equalibus secundum situm vel in successione primus stet intensissimus tanto excessu intensivo excedit secundum, scilicet medium, quanto secundus tertium et est idem cum priori“.
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[2°] Aliter sic: „⟨latitudo uniformiter difformis⟩ est latitudo difformis cuius quilibet gradus extremus intensissimus tanto intensivo excessu excedit medium quanto medium remississimus extremum. Unde quilibet gradus talis latitudinis ex quo est divisibilis secundum latum habet unum extremum intensius medio et aliud remissius medio“. Et forte illa diffinitio non valet quia convenit latitudini difformi incipiente a non gradu et terminante ad non gradum. Patet intuenti saltem si est dabilis talis latitudo vel sic „cuius omnium excessum graduum ad invicem immediatorum est proportio equalitatis“.
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[3°] Aliter sic: “⟨latitudo unifomiter difformis⟩ est latitudo in qua datis quibuscumque tribus gradibus intensivis excessus primi ad secundum et secundi ad tertium habent se sicut differentia situalis vel successionis primi ad secundum et sicut differentia secundi ad tertium“. Et illa divisio non solum loquitur de partibus eque distantibus sed etiam non eque distantibus.
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[4°] Aliter sic: “⟨latitudo unifomiter difformis⟩ est latitudo cuius quelibet pars extensa est sue parti medie equaliter intensive“. ⟨De diffinitione latitudinis difformiter difformis⟩
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Deinde autor describit secundum membrum, scilicet latitudinem difformiut patet in littera. Et potest etiam sic dari: „est latitudo difformis cuius non omnes gradus equaliter distantes secundum situm vel in successione | quo ad tempus equaliter se excedunt secundum intensionem, sed immo primus plus excedit secundum quam secundus tertium et ceteris vel econtrario“. Omnes alie diffinitiones latitudinis uniformiter difformis possent applicari ⟨latitudine⟩ difformiter difformi; patet intuenti et scienti ter difformem,
419 debet ] gradus sit intensibilis in marg. adn. W || et ] W 420 similiter ] F || debet capi ] om. F || pro tali … primam diffinitionem ] om. W 422 alii ] om. F || ut sic ] om. F || latitudo uniformiter difformis ] in marg. adn. W 429 quanto ] in marg. W || ante quilibet ] vero add. in marg. W 432–433 terminante ] terminate W 437 et ] se habet et F, et excessus W 438 habent se ] om. F || ante differentia ] se habet ad add. F 439 non ] om. F 444 secundum membrum ] secundum membrum in marg. adn. W || latitudinem difformiter difformem ] difformis W 445 patet ] om. W 448 immo ] om. W
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applicare faciliter, etc. Sequitur consequenter in textu.
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Latitudinum uniformiter difformium quedam incipit a non gradu et terminatur ad certum gradum, quedam incipit a certo gradu et terminatur ad certum gradum, quedam incipit a certo gradu et ad non gradum terminatur. Nec potest dari quartum membrum quod quedam incipiat a non gradu et terminatur ad non gradum, quia talis non est uniformiter difformis, quia in principio intenditur et in fine remittitur.
Hec est quarta divisio et patet in littera. Circa istam divisionem est notandum quod littera intelligitur de initio extensionis quo ad subiectum | vel quo ad tempus, sic quod aliqua incipit a non gradu vel terminatur ad non gradum quo ad extensionem. Et notandum ⟨est⟩ quod non dicitur sic „terminatur ad non gradum“ quod aliqua eius pars sit non gradus, quia nichil est non gradus; sed dicitur terminari ad non gradum est ad infinitam modicam partem, quia non ad tam parvam partem quam ad minorem. Unde „non gradus“ valet tantum sicut „infinita modica pars“; quare „non gradus“ est aliquod sed nichil est non gradus. ⟨Ad argumenta sophistica solvenda⟩
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Ex illo possent solvi multa argumenta sophistica que solent contra hoc fieri in hac materia: [1°] Primo quando arguitur „non potest esse gradus infinite remissionis, igitur non potest latitudo terminari intensive ad non gradum“. Antecedens notum est et consequentia tenet cum „non gradus“ et „infinita modica remissio“ idem valeant. Dicitur quod licet nullus gradus sit infinite remissionis tamen infinite remissionis est gradus, cum ly „gradus“ in secunda stet confuse, ⟨sed⟩ tamen in prima distincte, etc. [2°] Secundo „nullus gradus est non gradus“ sed „omnis gradus est infinite remissius gradus“, „igitur nullus infinite remissus gradus est non gradus“. Consequentia tenet in Celarent vel Ferison reductive. Respondetur quod ita debet concludi: „igitur nullus remissus gradus est non gradus“ eo quod ly „infinite“ non est pars subiecti minoris, nec pars subiecti conclusionis, igitur etc., ita quod non tenet se ex parte membris extremitatis.
451 Sequitur consequenter in textu ] om. F 454–455 et terminatur ad … non gradum terminatur ] om. W 455 quartum membrum ] tertium W 456 a non gradu ] exempla vide in marg. adn. W 459 divisio ] diffinitio F || divisionem ] litteram F 462 notandum ] nota F ; notandum in marg. adn. W || post quod ] talis add. W 463 quod ] quia F 465 ad tam parvam partem quam ] personam quin F 466 tantum ] om. F 467 aliquod ] illud F 471 in hac materia ] argumenta contra diffinitionem in marg. adn. W 472 Primo ] argumenta contra diffinitionem in marg. adn. W 477 tamen ] et W 478–483 Secundo „nullus gradus … parte membris extremitatis ] om. W 483 igitur etc. ] post subiecti minoris trans. F
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[3°] Tertio sic: ab eo „quod nichil est nichil incipit“, sed „nichil est non gradus“, igitur „nichil incipit a non gradu“, respondetur quod si minor sic ponitur „non gradus nichil est“, ipsa est neganda, ut patet ex predictis. Sed si sic „nichil est non gradus“, negatur consequentia, nec est sillogismus, quia ex puris negativis nichil sequitur. Nec valet consimilis consequentia, cum ly „incipit“ est infinito incluso in ly „non gradus“ eo quod includit negationes. [4°] Quarto „nulla latitudo | incipit a non gradu, igitur ⟨etc⟩“. Probatur, quia quelibet incipit a gradu, igitur nulla a non gradu. Consequentia tenet, cum videatur esse termini contradictorii „gradus“ et „non gradus“. Antecedens probatur, quia illud a quo incipit latitudo est pars, cum non incipiat ab aliquo extrinseco; modo quelibet pars eius intensibilis est gradus. Respondetur negando antecedens. Ad probationem negatur consequentia, quia non sunt termini contradictorii sic capiendo „non gradus“, sicut nec illa contraria „intensio gradualis“ et illud complexum „non tam remissa quam remissior“. Unde illa est concedenda: quod quelibet latitudo incipit a gradu et cum hoc stat quod etiam a non gradu. Ut signata prima tria talis latitudinis que incipit a non gradu illa tria est gradus, quia correspondet gradui medio et tamen illa incipit a non gradu, cum continue vadat in infinitum remittendo. Unde sicut unius extensionis infiniti sunt termini sic etiam talis latitudinis quarum quelibet est certus gradus et alia remissior. Patet igitur sic, quia quelibet latitudo uniformiter difformis incipit a certo gradu et terminatur ad certum gradum. [5°] Quinto „in tali latitudine non est dare partem primam neque ultimam, igitur non incipit a non gradu“. Antecedens probatur, quia quacumque data datur minor que prius incipit. Respondetur negando antecedens. Ymmo tota prima medietas est prima quia nulla est prioris ea, et ultima sic est ultima etc. Et quomodo quo ad inceptionem vel desinitionem detur prima pars vel ultima patet sexto Physicorum10 ; et latitudo sic dicitur incipere a non gradu, quia quantumcumque remissa parte data datur remissior versus finem. [6°] Sexto „nullus triangulus orthogonus incipit a non altitudine, igitur
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Aristoteles, Physica VI. 5, 235b ff.
484 Tertio ] Secundo W 485 minor ] maior F 488 ante consimilis ] consequentia scr. et del. F || consequentia ] ante consimilis trans. W 490 Quarto ] Tertio W 494 ante intensibilis ] est scr. et del. W 496 sic capiendo „non gradus“ ] om. F 497 illa contraria ] om. F || et ] om. F || illud complexum ] om. W || remissa ] remissus F 498 quam ] quin F || Unde illa est concedenda ] concedenda est illa F 501 tamen illa ] illa tamen F 503–506 Unde sicut unius … ad certum gradum ] om. W 504 quia ] om. W 507 Quinto ] Quarto W 510 prima medietas ] medietas W 511 etc ] om. W 512 et latitudo ] nota singularis in marg. adn. W || dicitur ] debet scr. et del. F 515 Sexto ] Quinto W || igitur ] illa F
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nulla latitudo incipit a non gradu“. Consequentia tenet quia sicut figure se habent ad altitudines ita latitudines ad intensiones; et antecedens probatur, quia incipit a partibus suis quarum quelibet est alicuius altitudinis. Respondetur negando antecedens; ymmo „orthogonus quo ad angulum acutum incipit a non altitudine est ab infinita modica altitudine“ verum est si ly „non altitudo“ capietur prout esset terminus contradictorius huius termini „altitudo“. | Tunc antecedens esset verum sed consequentia nichil valeret, quia non capietur conformiter cum ly „non gradus“ prout includit ly „infinita“, sicut debet capi in proposito et non prout tamen valet sicut „nullus gradus“. [7°] Septimo „nulla est danda talis latitudo terminata ad certum gradum sic quod ille sit eius intensissimus gradus. Igitur dictum falsum ⟨est⟩“. Probatur antecedens, quia sicut vadit latitudo diminuendo intensionem sic vadit precise in augendo. Ergo quacumque parte data illa est difformis uniformiter, quia una eius pars est intensior quam ipsa tota, et sic nunquam datur terminus eius, scilicet intensissima pars. Unde si daretur intensissima eius pars, illa esset divisibilis secundum extensionem, quare si esset intensissima ipsa esset uniformis, et sic latitudo non esset uniformiter difformis et secundum se | totam difformis.
[8°] Similiter arguitur quod „nulla latitudo talis incipit a certo gradu sed quelibet a non gradu“. Unde data latitudine tali per adversarium illa incipit ab infinito remisso gradu. Probatur, quia ⟨incipit⟩ non ita remissa quam a remissiori, quia si daretur remississima pars, illa etiam esset divisibilis secundum extensionem, et sic oportet eam esse uniformem, ut patet intuenti. Respondetur notando quod, ut apparet secundum intentionem auctoris, latitudo talis dicitur terminari ad certum gradum non inclusive sed exclusive, vel incipere a tali. Unde licet quelibet terminetur ad infinitos gradus, ut dictum fuit in solutione quarti argumenti, tamen nullus ipsorum est ultimus sic quod sit intensissimus vel remississimus, ita quod secundum auctorem latitudo dicitur terminari ad certum gradum exclusive, scilicet ad istum qui inter omnes gradus quos non habet est minimus quo ad magnitudinem intensionis, si fit terminatio eundo versus intensius vel ad illum qui est maximus inter omnes quos non habet quo ad parvitatem intensionis, si
521 prout esset ] ut est W || huius termini ] huic termino F 522 Tunc ] om. W 523–525 prout includit … „nullus gradus“ ] sicut in proposito capietur W 527 eius ] om. F || dictum ] totum F 528 Probatur antecedens ] Antecedens probatur W 534 totam ] totum F 537 non ita remissa ] ab iecto remisso F 538 esset ] est F 541 notando ] nota in marg. adn. W 542 ante latitudo ] quod add. F W 543 vel incipere a tali ] om. W 544 ut … argumenti ] quia sunt minoris extensionis infiniti sunt termini sic etiam talis quorum quelibet est certus gradus W 548 si fit ] fit si F 549 post habet ] ergo add. F
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fit terminatio eundo versus remissius, sic quod sit terminatio vel inceptio latitudinis talis ad maximum quod non quo ad parvitatem vel minimum quod non quo ad magnitudinem. Sed latitudo talis dicitur terminari ad non gradum quia ipsa intrinsice terminatur in infinito remisso gradu et non terminatur extrinsice eundo versus terminum extrinsece ad aliquem gradum eiusdem speciei, vel dicitur latitudo terminari ad non gradum quia quantumcumque remisso gradu huius latitudinis dato vel alterius datur adhuc remissior, ad quem terminatur intrinsice. Et dicitur terminari ad certum gradum, quia datur gradus ita intensus quem non habet, quia nullus datur intensior ad quem terminetur, vel ita remissus quem non habet, quia nullus datur remissior ad quem terminetur. Et semper capitur „gradus“ sicut prius pro totali intensione unius partis extensionis, et sic patet ex dictis solutio argumentorum. [1°] Apparet michi sequi ex predictis quod latitudo uniformiter difformis incipiens a non gradu et terminata ad certum gradum non sit subdupla ad uniformem tanto gradu quantus difformem in extremo terminatur. Exempli gratia quod uniformiter difformis incipiens a non gradu et terminata ad gradum ut 8 non est subdupla ad uniformem que per totum est ut 8. Patet tamen consequentia, quia uniformis terminatur inclusive ad 8 et 8 est eius pars. Illa autem | difformis non inclusive sed exclusive terminatur ad 8, cuius non est ⟨eius⟩ pars. Quare illa difformis erit minor quam subdupla ad 8. [2°] ⟨ Apparet⟩ sequi 2° quod latitudo uniformiter difformis non correspondet secundum equalitatem latitudine uniformi equali suo gradui medio, ut si gratia | exempli esset latitudo uniformiter difformis incipiens a non gradu et terminata ad 8, illa non corresponderet secundum equalitatem alteri latitudini uniformiter per totum, ut etiam patet precise sicut prius. [3°] Etiam videtur michi sequi quod nulla latitudo uniformiter difformis correspondet suo gradui medio, sed per equedistantiam inter intensissimum et remississimum patet quod nullus talis est. 552 quo ] om. F || talis ] om. W || terminari ad non gradum ] terminari ad non gradum in marg. adn. W 553 in infinito ] infinitum W 554 eundo versus ] versus eundo F 557–558 terminari ad certum gradum ] terminari ad certum gradum in marg. adn. W 559 quem ] quod W 560 sicut ] ut W 561–562 patet ex dictis solutio argumentorum ] potest patere solutio argumentorum ex dictis volentis considerare F 564 gradum ] om. F 567 post ut 8 ] cuius tamen oppostum communiter add. F 570 Quare ] quia F 572–577 sequi 2° quod … precise sicut prius ] om. W 574 gratia ] gradus F 578 Etiam ] Secundo W || michi ] om. W 579 sed ] om. W || equedistantiam ] eque distantiam F
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[4°] Sequitur 4° quod latitudo uniformiter difformis per totam incipiens a non gradu et terminata ad certum gradum ut ad 8, quacumque minore data quam 8, est illa maior ad quam est subdupla. Patet, quia non est subdupla ad 8 ut dictum est, cum 8 non sit pars latitudinis. Sed quelibet minor est pars illius latitudinis, quia, cum debeat correspondere suo gradui medio, qualibet minore 8 est maior citra tamen 8 ad quam est subdupla. Sequitur quod talis non est ut 4 nec est ⟨4⟩ cum medio, ut patet intuenti.
[5°] Sequitur 5° quod latitudo uniformiter difformis incipiens a certo gradu et terminata ad certum gradum, ut incipiens a gradu ut unum et terminata ad quinque, non est ut tria intensive, sed qualibet minore tribus est alia maior ea et minor tribus cui ipsa correspondet secundum intensionem. Primum patet, quia si esset ut tria oportet quod 5 esset eius pars intrinseca, cuius oppositum dictum est prius, quia terminatur ad 5 exclusive. Secunda pars patet sicut precendens corrolarium. Et nota quod ad inveniendum gradus qui communiter vocatur medius latitudinis uniformiter difformis incipientis a non gradu et terminante ad certum gradum videatur qui sit gradus illius latitudinis sic quod ex ducta ipsius in numeris laterum resultat numerus totius latitudinis, ⟨et⟩ ille appellatur gradus medius. Ut si est latitudo incipiens a gradu ut 1 et terminata ad quinque tunc ternarius est medius gradus ducens igitur 5 etc. Patet 1, 2, 3, 4, 5 ducens ter 5 sunt 15 et 15 sunt numerus totius latitudinis. Patet recolligendo simul omnes gradus latitudinis. Et regula habet veritatem si numerus laterum est impar. Et semper in tali numero laterum capiatur non unus gradus medius per equedistantiam ab extremis quia in numero laterum semper mediaret precise una figura, sic quod tot precedent eam quot sequerentur et semper ex eius ductu in numeris laterum consurgit numerus graduum totius latitudinis, quare illi erat medius gradus. Sed de numero pari non est hoc verum quia in tali non est una sola figura media sed ad inveniendum ibi gradum medium capiantur due figure medie in numero in ordine laterum. Tunc dico quod gradus medius excedet minorem figurarum immediate unius unitatis et deficit a maiori figura
581 Sequitur 4° ] tertio sequitur W || latitudo uniformiter difformis per totam ] uniformiter per totum difformis F 582 ad ] om. W 583 data ] datur F 587 ut ] om. F 588 Sequitur 5° ] 5° Sequitur W 592 Primum patet ] Patet primum F 593 est ] it W || prius ] om. W || exclusive ] extrinsece F 595 Et ] om. W || inveniendum ] veniendum F || gradus qui communiter vocatur medius ] inveniendus est gradus medius in marg. adn. W 597 qui sit … sic quod ] om. F || ante gradus ] medius scr. et del. W || ex ducta ipsius ] ex eius ducta F 599 medius ] scr. et del. W 600 ducens igitur 5 etc ] om. F, in marg. W 601 ante sunt ] duo add. F || latitudinis ] om. F 604–605 quia in … una figura ] om. W 606 sequerentur ] secuntur F || consurgit ] exsurgit F 607 totius latitudinis ] eiusdem latitudinis totius F || quare illi erat medius gradus ] quasi ille erit gradus illo modo medius F 608 una sola ] sola una W 609 ibi ] om. W
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immediate unius unitatis ut 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8 medius gradus est ut 4 cum medio. Patet hoc volenti examinare reducat | enim talem difformitatem ad uniformitatem sic quod excessus graduum intensioris medietatis illius latitudinis secundum extensionem addat ad graduum remissioris medietatis, sic quod intensissimus secundum certam divisionem addat remississimo et sic erit tota latitudo uniformis et eque intensa in omnibus suis | partibus extensis vel exemplo existentibus. Et erit quelibet pars ita intensa sicut gradus inventus. Patet etiam ex illo veritas precise: ille dictum enim est quod in hac latitudine 1, 2, 3, 4, 5 medius gradus sit tale quod sic patet: maximus gradus qui est ut quinque excedit minimum, qui est unum, in 4. Auferatur igitur binarius et addatur unum, manebunt hic tria et ibi etiam ternarius 2, 3, 4, et quartus excedit binarium in minori quam quinque. Auferatur igitur numerus, scilicet unitas, et addantur duobus, est iterum ubicumque unumcumque tertius, quare tunc erit tota latitudo uniformis per totum ut tria, ut patet consideranti. Sic potest patere in numero pari laterum 1, 2, 3, 4, 5, 6: auferatur binarius a sex et addatur unitati et ibi ⟨erit⟩ ternarius. Deinde auferatur unitas a 5rio et addatur binario, manebit ibi 4rius et erit 3rius . Adhuc 3° loco excedunt prima tanta quolibet in unitate ut 3, 3, 3, 4, 4, 4. Auferatur igitur medietas ab ultima et addatur primo et deinde a penultima et addatur 2° et deinde ab antepenultima et addatur etc., et apparebit quod sic latitudo erit uniformis, quia per totum ⟨sit⟩ trium graduum cum medio. Et notandum ⟨est⟩ quod in tali practica ponuntur etiam figure denotantes gradus ad quos terminatur latitudo exclusive, sed ille non sunt partes eius. Et illud est, quia alias non possent dari regule. Et gradus sic inventus non est vere medius illius latitudinis ut dictum est prius sed dicitur medius propter hoc quod dicitur in secunda parte ⟨5ti ⟩ corrolarii. Contra dicta arguitur: si esset verum quintum corrolarium et similiter quartum tunc sequeretur quod non esset danda certa latitudo uniformis cui esset equalis quecunque latitudo uniformiter difformis secundum intensionem. Consequens falsum et consequentia nota est. Probatur falsitas consequentis, quia sit pedale uniformiter difformiter calidus et dividatur 613 hoc ] illa F || talem ] talis F || post difformitatem ] graduum scr. et del. F 614 post uniformitatem ] graduum scr. et del. F 617 post sic ] aliis add. F 618 intensa ] in extensa W 620–621 Patet … patet ] Sed doctrinas iam datas ut gratia exempli sit latitudo 1, 2, 3, 4, 5, dictum est quia tria sui gradus medius. Patet illud quod F 622 ut ] om. W 623–626 etiam ternarius 2 … erit tota latitudo ] et sic tota latitudo est W 624 ante Auferatur ] videlicet add. F 627 ut patet consideranti. Sic potest patere ] sic potest facere W 632–634 et apparebit … cum medio ] om. W 633 erit ] et F 635 notandum ] nota F 637–639 Et gradus sic … arte ⟨5ti ⟩ corrolarii ] om. W 640 arguitur ] om. F || verum … tunc ] om. W 643 post est ] consequens add. F
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per medium per ymaginationem. Tunc precise quantum secunda medietas excedit primam tantum prima deficit ab intensione secunde, et sunt medietates equales extensive. Auferatur igitur totus excessus intensivus secunde medietatis et addatur prime, ⟨tunc⟩ totum pedale erit alicuius intensionis uniformis. Igitur consequens prius fuit falsum. Argumentum apparet difficile sed tamen posset dici concedendo consequentiam et negando falsitatem consequentis. Ad rationem dicitur ponendo cum casu quod prima medietas terminetur exclusive ad caliditatem ut tria, ex quo non potest terminari inclusive ad non gradum. Tunc si excessus secunde medietatis auferetur sic quod nulla eius partium maneret ut tria, erit quelibet prime partis cui additur excessus ut tria, quare non erit uniformis. Quod autem quelibet prime erit | ut tria patet cum terminetur exclusive ad tria, quantumcunque modicum additur termino erit ut tria et sic ⟨de⟩ aliis. Si autem sic auferetur excessus quod quelibet secunde partis erit ut tria, tunc nulla prime partis erit ut tria. Patet intuenti, quia nulla esset latitudo uniformis que tali difformi esset equalis intensive non apparet quomodo excessus secunde partis posset addi prime, cum prima quamlibet caliditatem citra duo habeat 2a vero duo et quolibet sui, igitur⟨etc⟩. Sed diceres: si illud quod additur in solutione esset possibile, cum medietas secunda illius pedalis etiam sit uniformiter difformis latitudo aliqua uniformiter difformis terminaretur ad certum gradum intrinsece, sicut ad tria; cum prima medietas terminetur exclusive ad 3a et secunda sit ei immediata oportet quod terminetur inclusive ad 3a , quod tamen non est possibile ut dictum est prius, quod sit sic dare medietatem terminatam exclusive ad certum gradum. Patet, quia dare ⟨est⟩ totum corpus sic qualificatum quasi medietatem. Etiam si pedale est terminatum ad 4 uniformiter difformiter sua medietas erit eodem modo terminata exclusive ad 2o . Forte non est inconveniens, quia sicut prime medietatis nulla pars est calida ut quelibet sed quelibet remissius calida sit, in secunde nulla pars est calida ut 2o sed quelibet intensius calida, et sic nulla pars alicuius medietatis est calida ut 2° precise sed tamen aliqua pars eius totius esset calida precise ut 2o . Ut si divideretur in 4or 4as , pars agregata ex duobus 4tis ex quo est uniformiter difformis ipsa correspondet suo gradui medio, qui est ut 2o . Forte sic potest aliqualiter apparere ex dictis in illa ratione et eius solutione. Et causa illius esset uniformiter difformis latitudinis divisibilitas secundum extensionem. 658 ante sic ] ut add. F 663 vero ] vera F 664–680 Sed diceres: si … divisibilitas secundum extensionem ] om. W 666 sicut ] correxi ex tria F, om. W 674 post sit ] est scr. et del. F || secunde ] correxi ex re F, om. W 680 uniformiter difformis ] correxi ex uniformis difformitas F
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Sed contra ea dicta et contra regulas datas de inventione gradus medii arguitur sic: si essent vera ista omnia sequeretur quod latitudo uniformiter difformis incipiens a non gradu et terminata ad octo et alia incipiens a gradu ut unum et terminata ad gradum ut septem essent eque intense. Consequens falsum, cum prima contineat omnem caliditatem citra 8 quantuncumque remissam, alia vero solum caliditatem citra septem et super unum. Duo quasi prima ut apparet de duobus gradibus plus continet quam 2a . Et patet consequentia, quia per calidum | valet 3 ut 4, vel qualibet minore quam 4uor est maior et tamen minor quam 4. Et 3 etiam est ut 4 vel quibus minore quam 4uor est maior et tamen minor quam 4uor . Illud patet per secundam partem secundi correlarii et per predictam regulam de inventione medii gradus, scilicet primam etc. Contra alias regulas similter arguitur: capiatur latitudo uniformiter difformis incipiens a certo gradu et terminata ad certum gradum ut 1, 2, 3, 4, 5, cuius medius videlicet est tria, igitur etc. Probatur quia reducantur difformitates ad uniformitatem et dematur 2 a 5 illa non possent addi unitati cum unitas non sit pars talis latitudinis, quia ipsa terminatur exclusive ad | unum, quia nulla eius pars erit calida ut unum precise nec remissius calida, nec potest addi dualiti, quia tunc illa ⟨erit⟩ ut 4. Et remaneret ultima ut 3, et ut tria est quasi esset difformiter difformis esset uniformis, nec tertia esset gradus medius. Et sic argueretur de quacunque latitudine uniformiter difformi sic incipiente a quocunque gradu et terminata ad quemcunque gradum. Argumenta sunt difficilia. Tamen ad primum dicatur principaliter quod si latitudo uniformiter difformis divideretur in partes equales, prima pars licet incipiet a non gradu terminatur tamen exclusive ad unum, secunda ad 2, et tertia ad 3, et quarta ad 4, et quinta ad 5, et sexta ad 6, et septima ad 7. Dematur igitur a septima parte ternarius et addatur prime que non est ut unum sed qualibet citra unum maior et ⟨sic⟩ tota ⟨erit⟩ non ut 4 sed qualibet citra 4or maior. Et residuum ultime partis non manebit 4or sed qualibet citra 4 maior, cum ipsa septima pars non prius ut 7 sed qualibet citra 7 maior est. ⟨Sed⟩ illud non valet, quia cum prima pars non sit uniformis sed per totum uniformiter difformis sicut etiam tota latitudo sui cuilibet eius parti additur latitudo ut tria non erit uniformis sed difformis, et sic de parte que remanet in alia parte ablato ternario. 681 Sed contra ea dicta ] contra eam tota via F ; contra regulas in marg. adn.W 686–688 super unum … quam 2a ] om. W 691 partem ] om. F || per predictam ] unam F 692 medii gradus ] gradus medii F || scilicet primam etc ] om. W 693 similter ] om. W 696 2 ] om. W 698 calida ] calido F || calida ] capiendo F 700 esset ] erit F 701 de quacunque latitudine ] corr. ex ad quamcunque latitudinem F 708 ut ] om. W 711 7 ] om. W 715 in ] om. F
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Tractatus de latitudinibus formarum communis cum expositione eiusdem Tractatus de latitudinibus formarum communis cum expositione eiusdem
Nota igitur si basis trianguli rectilinei representantis latitudinem uniformiter difformem dividitur per equalia et super punctum sectionis erigitur una linea perpendiculariter terminata ad lineam terminantem altitudinem superficiei trianguli, illa designaret altitudinem totius figure si eius inequalitas reduceretur ad equalitatem11 . Modum certum est si capiuntur due figure sic se habentes quod linee perpendiculariter erecte super ultimis figuris punctis terminantes figuras sunt precise equales et quod una illarum designat latitudinem uniformiter difformem incipientem a non gradu et terminata ad certum, alia vero incipiente a certo gradu et terminata ad certum, et que sint de basibus equalibus. Linea sic perpendiculariter erecta super puncto medio secunde figure est longior quam linea sic erecta super tali puncto prime figure. Quare secunda figura representat latitudinem intensiorem. Quare sic suo modo aliqua incipiens a non gradu et terminata ad 8, alia a gradu uno terminata ad 8 non sunt eque intense, sed secunda ⟨est⟩ intensior. Et forte due quarum una incipit a non gradu et terminatur ad 8 et alia ⟨incipit⟩ ab uno et terminatur ad septem sunt equales intensionis. Et ex illo | potest aliquo modo trahi solutio primi argumenti. Et illud est quia si summitur ad infinitum remittendo in prima latitudine et non in secunda oportet magis auferre de excessu partis intensioris in prima latitudine et addere remissiori quam in secunda, reducendo difformitatem ad uniformitatem, quare gradus medius prime latitudinis erit remissior. Et patet illud clare in figura, | quia si figura capitur representans latitudinem talem incipiente a non gradu et terminatam ad certum gradum, et sit punctus sectionis basis eius per equalia A et auferatur a figura illa angulus acutus representans non gradum et fiat figuram representans latitudinem incipientem a certo gradu etc. Tunc, cum basis fiat brevior, erit aliter punctus medius sectionis eius per equalia, et sit B. Constat quod linea perpendiculariter erecta super B erit longior linea sic erecta super A, quare si a latitudine terminata ad B et incipiente a non gradu affertur non gradus est pars ut unum, sic quod post oblationem incipit a gradu ut unum ⟨patet⟩ quod illa latitudo secunda erit intensior et eius gradus medius intensior etc. 11 Diese Stelle („Nota igitur ... ad equalitatem“) wird von Clagett aus F in seiner Einführung zu De configurationibus zitiert (103, An. 45). Ich folge den Verbesserungen von Clagett und füge auch noch die Korrektur von „designaret“ für „designat“ nach W hinzu.
717 difformem ] difformis W || et ] correxi ex est F 718 una ] om. F 719 trianguli ] correxi ex est li F || designaret ] designat Clagett F || inequalitas ] correxi ex equalitas F W 726–727 tali puncto ] puncto tali W 727 prime figure ] figure prime F || ante representat ] il. scr. et del. F 728 Quare ] quam W 730 terminatur ] terminata F 731 et ] om. F || terminatur ] terminata F 733 quia ] quod W || si ] om. W || summitur ] igitur F 737 figura capitur ] casu figura W 738 gradum ] om. F 739 auferatur ] correxi ex auferantur F W 740 ante latitudinem ] scr. et del. F 741 etc ] om. W
W 7r
F 11r
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Nota unum modum probabilem inter hos modos reducendi difformitatem ad uniformitatem: sit latitudo uniformiter difformis incipiens a non gradu et terminata ad 8, et dividatur ⟨illa⟩ in 8 partes equales secundum extensionem. Prima pars licet incipiat a non gradu terminatur tamen exclusive ad unum, secunda exclusive ad duo et sic semper ut prius dictum est. Auferatur tunc ab octava parte ⟨sic⟩ quod residuum precise maneat ut 4 et addatur prime parti, ⟨tunc⟩ erit prima pars ut 4 per totum. Quod sic patet, quia illud quod auferatur etiam est uniformiter difforme, et cum tota pars octava terminatur ad 8 exclusive et derelictus est in 4rius , illud ablatum terminatur secundum partem intensiorem ad 4 exclusive, sic quod ipsum in infinitum modicum deficit a 4rio et secundum partem remissiorem in infinitum modicum excedit tria. Si igitur illud ablatum additur prime parti, sic quod intensius ablati additur remissiori prime partis, cum illud in infinitum modicum deficit a 4rio et illud in infinitum sit remissum, erit secundum illud latitudo ut 4. Etiam, cum ablatum secundum remissiorem partem in infinitum modicum excedit tria et prima pars secundum eius intensius in infinitum modicum deficit a 2abus , tota pars prima erit ut 4. Et sic fiat proportionaliter de aliis partibus et sic esset tota latitudo reducta ad uniformitatem ut 4 cum medio. Patet intuenti in figura designanti excessus partium secundum altitudinem per lineas ductas. Ex quo sequitur quod correlaria sunt falsa cum dicant quod non sit danda certa latitudo cuius talis difformitas correspondat secundum equalitatem. Et sufficit modus ille reducendo difformitatem ad uniformitatem qualitercunque incipiat vel desinat latitudo12 . Sequitur secundo ex dictis quod regule prius date de inventione gradus medii sunt false ⟨sicut⟩ patet ex ultimo argumento. Et omnia fundatur super illo quod talis latitudo uniformiter difformis non incipit vel terminatur certo gradu inclusive sed solum exclusive. Et sic quis | diceret quelibet talis latitudo incipit a certo gradu vel terminatur ad certum gradum inclusive patet, quia | quelibet talis latitudo terminatur ad suas partes primam et ultimam, ut primam, sextam vel septimam etc., que est eius pars intrinseca, igitur intrinsice terminatur ad eas et quelibet est certi gradus ut patet, quia quelibet talis est uniformiter difformis, ipsa correspondet suo gradui medio etc. Et sic latitudo talis esset ita intensa sicut gradus suus medius per 12
Erwähnung in Clagett, loc. cit.
747 modos ] om. F 752 octava ] aucta F 754 etiam ] secunde W 756 ipsum ] om. W 757 in ] om. F || in ] om. F 759 prime partis ] om. W || in ] om. F 760 in ] om. F 762 in ] om. F 764 sic ] [quod] Clagett F 768 correspondat ] conveniat Clagett F 770 desinat ] correxi ex dicatur F 771 secundo ] etiam F 778 ut patet ] om. W 780 etc ] om. W
W 7v F 11v
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equedistantiam ab istis duabus eius partibus, scilicet prima et ultima ad quas terminatur inclusive. Ut si esset latitudo uniformiter difformis cuius prima pars esset ut unum inclusive et ultima ut 7, pars media esset ut 4, dicitur quod licet latitudo sic terminatur intrinsice ad partes tamen ille non est modus loquendi auctoris de inceptione vel desinitione latitudinum nec debet sic dici sicut prius dictum est in solutione sexti argumenti facti contra diffinitionem autoris. Quod patet, quia sic diceretur tunc latitudo que secundum certam divisionem terminaretur ad 8, secundum aliam divisionem terminaretur ad 8 cum medio, cum semper ultima ⟨pars⟩ quanto est minor tanto intensior est, et a contrario de parte prima. Item ita difficile est scire quanta sit latitudo prime partis vel ultime partis sicut totius latitudinis, cum pars sit etiam uniformiter difformis, quare etiam correspondet suo gradu medio et illud esset difficile invenire, etc. Item ad inveniendum gradum medium latitudinis oportet infinitos grados medios proscire. Patet ad inveniendum gradum medium alicuius latitudinis oportet proscire latitudinem suorum extremorum, scilicet partium prime et ultime secundum istum modum dicendi. Sed ad sciendum latitudinem prime vel ultime partis oportet eius graduum medium, cum quelibet illarum sit uniformiter difformis; et sic in infinitum, etc. Item sequitur quod eadem intensio sive latitudo esset intensior se ipsa. Patet, quia secundum certam divisionem ⟨sit⟩ b gradus intensior quam a. Ad illud ultimum dicitur faciliter quod qualitercumque dividitur latitudo in partes equales secundum extensionem adhuc semper manet illud gradus medius et ly quanto dividitur in plures vel pauciores tanto pars ultima erit intensior, tamen in tanto pars prima erit remissior, quasi semper manet illud gradus medius recte. Sicut in linea si illa dividitur in 3 3as etc. sit prima tria, ut reducta tria difformitate ad uniformitatem et ultima tria, ut 7 reducta difformitate ad uniformitatem, gradus medius ⟨tunc⟩ erit ut 5. Dividatur iterum eam latitudo in 6 6tas , tunc esset ultima sexta ut 8 reducta difformitate ad uniformitatem ut apparet, et esset prima 6 ut 2 proportionaliter tantum remissior quantum ultima sexta et intensior ultima tria. Modo apparet sicut quinque est gradus medius inter tria et 7 sicut est medius inter 8 et 2 et sic secundum quamcunque aliam | divisionem in partes equales. Nota auctor in divisione latitudinis uniformiter difformis non vult negare latitudinem incipientem a non gradu et terminatam ad non gradum 783 4 ] etc F 786 facti ] om. F 787 diffinitionem ] divisionem F 789 medio ] media F 790 intensior est ] est intensior F 791 vel ] it F 792 etiam ] om. F 793 etc ] om. W 799 sit ] om. F 800–814 Item sequitur quod … in partes equales ] om. W 801 ante certam divisionem ] gradus scr. et del. F 815 ante divisione ] diffinitione scr. et del. F
F 12r
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sed vult quod talis latitudo non est uniformiter difformis secundum se totam sed ipsa est difformiter difformis, etc. Sequitur. 820
Latitudinum difformiter difformium quedam est secundum se totam difformiter difformis, quedam non. Latitudo secundum se totam difformiter difformis est illa cuius nulla pars est uniformis aut uniformiter difformis. Et tunc econtrario: latitudo non secundum se totam difformiter difformis est illa cuius aliqua pars est uniformis aut uniformiter difformis, etc.
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Hec est quinta divisio et patet in littera. Et exponitur secundum se totam id est secundum quamlibet sui partem. Et tunc diffinit membra divisionis ut tenet in littera. Et illa patent sufficienter ex secunda divisione prius habita etc. Sequitur ulterius sexta ⟨divisio⟩. Latitudinum secundum se totas difformiter difformium quedam est uniformiter difformiter difformis, quedam difformiter difformiter difformis. Pro ista parte est notandum quod sicut | ymaginamur quandam latitudinem in ulla sui parte variatam quam vocamus uniformem, quandam in suis partibus variatam quam vocamus difformem, ita quod si uniformiter variatur, vocatur latitudo uniformiter difformis, si tamen difformiter ⟨variatur⟩ vocatur difformiter difformis, ita ymaginamur etiam quandam variationem latitudinis uniformem et quandam difformem, et rursus variationum difformium, quandam uniformiter difformem, quandam difformiter difformem. Unde sicut uniformis variatio latitudinis reddit latitudinem uniformiter difformem et difformis variatio latitudinis reddit latitudinem difformiter difformem, ita uniformiter difformis variatio latitudinis reddit latitudinem uniformiter difformiter difformem et difformiter difformis variatio latitudinis reddit latitudinem difformiter difformiter difformem. Latitudo uniformiter difformiter difformis est que inter excessus graduum | eque distantium servat eandem proportionem, aliam tamen a proportione equalitatis. Nam si inter excessus graduum eque distantium servaret proportionem equalitatis tunc esset latitudo uniformiter difformis, ut patet ex diffinitionibus membrorum tertie divisionis. Rursus si nulla proportio servaret tunc nulla posset attendi uniformitas in latitudine tali, et sic non esset uniformiter difformiter difformis. Latitudo difformiter difformiter difformis est que inter excessus graduum eque distantium non servat eandem proportionem sicut in secunda parte patebit. Notandum est autem quod in supradictis diffinitionibus ubicumque dicitur de excessu graduum inter se 817–818 totam ] totum F 818 etc ] om. W || Sequitur ] om. F 820 est ] post secundum se totam trans. W || totam ] totum F 821 totam ] totum F || illa ] ista F 823 totam ] totum F || illa ] correxi ex ista F W 824 etc ] om. W 826 Hec est quinta divisio ] 5 est ista divisio W || totam ] totum F 828 tenet ] patet F 829 Sequitur ulterius sexta ] om. F || sexta ] om. W 832 ista ] illa W 833 quod ] om. W || latitudinem ] lineam W 835–836 si tamen … difformiter difformis ] om. W 837 rursus ] rursum F || ante variationum ] quandam add. F 839 et ] sic F || latitudinis ] om. W 840–841 ita uniformiter … difformem et ] et sicut uniformiter difformiter difformem ita F 844–845 servat eandem … eque distantium ] om. (hom.) F 846 tertie ] secunde W 847 attendi uniformitas ] uniformitas attendi F 850 est ] om. F 851 autem ] om. W || supradictis ] superscriptis F || inter se eque distantium ] eque distantium inter se F
W 8r
F 12v
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eque distantium debet accipi distantia secundum partes latitudinis extensive, non intensive; ita ut loquamur de distantia graduum situali et extensionali, non autem graduali, id est intensionali, etc. 855
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Hec est sexta divisio et ultima, ut patet in littera. Notandum quod latitudo uniformiter difformiter difformis sic diffinitur: „est latitudo in qua datis quibuscunque quattuor punctis equalibus extensive et eque distantibus quo ad situm vel in successione quo ad tempus intensius excessus primi ad secundum se habet in eadem proportione inequalitatis ad excessus secundi ad tertium, in qua excessus secundi ad tertium se habet excessus tertii ad quartum“. Vel sic et facilius: „⟨latitudo uniformiter difformiter difformis⟩ est latitudo in qua datis etc. sicut primus intensivus excessus primi ad secundum et secundi ad tertium et tertii ad quartum sunt ad invicem continue proportionales secundum istum ordinem eadem | proportione inequalitatis“. Sed latitudo difformiter difformiter difformis est latitudo in qua non quorumlibet quattuor punctorum equalium extensive eque distantium intensius excessus primi ad secundum et secundi ad tertium etc. sunt adinvicem continue proportionales proportione inequalitatis. Et tunc auctor ponit notabile, ut patet in littera, quia in singulis diffinitionibus membrorum illarum divisionum debet semper poni pro commune diffiniti ad tollendum multa argumenta, etc. Sequitur textus, scilicet secunda pars.
W 8v
⟨Pars secunda⟩ ⟨Capitulum primum secunde partis: De geometricis figuris⟩ 875
880
|Sequitur secunda pars in qua supradicta quasi ad sensum per figuras geometricas ostendantur et ut ad omnem speculatorem in presenti materia via occurrat apparentior formarum latitudines ad figuras geometricas | applicantur. Divisa ista parte per tria capitula, quorum primum continet diffinitiones, secundum suppositiones, tertium propositiones. Diffinitiones supponende sunt ex primo Euclidis, videlicet quid sit linea, quid figura, quid angulus. Item quid angulus rectus, quid obtusus quid acutus.
852–853 non intensive ] om. F 853 post loquamur ] dicte diffinitiones add. W || autem ] om. W || id est intensionali, etc ] om. W 856 Hec est ] om. F 857 sic diffinitur ] latitudo uniformiter difformis diffinitio in marg. adn. W 859 vel ] aut F 863 est latitudo ] om. F || qua ] correxi ex quo F W 869 auctor ] om. F 872 textus, scilicet ] om. W 875 supradicta ] predicta F 876 ad ] om. W 878 ista ] illa F || per ] in W 879 supponende sunt ] enim quedam patent F 880–881 Item quid angulus rectus, quid obtusus quid acutus ] om. W 881 quid ] corr. ex qui F
W 9v F 13r
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885
115 115
[1] Et est prima divisio figurarum quedam angularis quedam non angularis. Figura angularis est que habet angulum aut angulos; figura non angularis est que nullum habet angulum, ut circulus.
Fig. 1: prima divisio [in marg. Ms. W ]
890
[2] Figurarum angularium quedam monoangula, quedam plurium angulorum. Monoangula est que habet unum solum angulum; et quelibet talis figura una sola linea continentur, que linea curvatur quousque extremitates in uno solo puncto concurrant in quo angulum causant.
Fig. 2: secunda divisio [in marg. Ms. W ]
895
[3] Figurarum plurium angulorum quedam sunt biangulare, quedam multiangulare. Figura biangula est que duorum angulorum precise et talis figura nunquam est rectilinea sed continetur duabus lineis curvis ut arcus cum sagitta, vel una curva et altera recta linea, ut arcus solus tensus. Figura multiangula est que plurium angulorum est quam duorum, et tot sunt species talium figurarum quot sunt species numerorum post dualitatem, nam quedam sunt triangule quedam quadrangule et sic in infinitum.
Fig. 3: tertia divisio [in marg. Ms. W ] 900
[4] Figurarum biangularium quedam est que solum curvis lineis continetur, sicut est figura constans ex duabus portionibus circuli minoribus, quedam vero ex una recta et altera curva et talis est portio circuli. Et linea curva vocatur arcus et recta vocatur corda. Et si arcus 883 angularis ] om. W 888 est ] om. W || solum ] ante habet trans. F || figura ] om. F 889 in uno solo puncto ] in puncto uno F 893 ante precise ] est add. W 894 altera ] alia F 895 tensus ] intensus F || est ] ante plurium W 900 constans ] om. W || circuli minoribus ] minoribus circuli F || altera ] alia F 901 talis ] om. F || arcus ] angulus acutus F || et ] om. F || corda ] exempla vide superius in marg. adn. W
116 116
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sit precise medietas circunferentie sive circuli tunc figura | vocatur semicirculus. Si vero arcus sit plus quam medietas circunferentie sive circuli tunc figura vocatur portio maior, si minus, vocatur portio circuli minor.
semicirculus
portio minor
W 10r
portio maior
Fig. 4: in marg. Ms. W 905
[5] Figurarum multiangularum quedam sunt rectilinee quedam curvilinee. Rectilinea | est que solum rectis lineis continetur continetur. Si autem continetur omnibus curvis vel aliqua recta et aliqua curva curvilinea appellatur.
Fig. 5: in marg. Ms. W
910
[6] Figurarum curvilinearum quedam omnibus curvis lineis continetur quedam vero aliqua recta et aliqua curva vel aliquibus.
Fig. 6: in marg. Ms. W [7] Ultima divisio figurarum: quedam est plana et quedam curva. Figura plana est cuius tam longitudo quam latitudo mensuratur linea recta; figura curva est cuius latitudo vel longitudo mensuratur linea curva. Et ideo differentia est inter curvam figuram et curvilineam; nam similiter stat quod sit curvilinea et plana quia in superficie plana potest figura 902 sive ] sui W || tunc figura ] om. F 903 sive circuli ] add. F || figura ] om. F 904 minus ] minor F 905 sunt ] om. W 906 continetur ] exemplum quadrangulus in marg. adn. W 907 ante curvilinea ] non figura rectilinea sed add. W 910 vel ] seu W 911 divisio ] corr. ex diffinitio F || et ] om. F 913 Et ] om. F || curvam figuram ] figuram curvam W 914 nam ] et W || ante plana ] sit add. W || quia ] nam W
F 13v
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curvilinea collocari sed figura curva non. Omnium supradictorum exempla in figuris descriptis patebunt.
exemplum triangulus Fig. 7: in marg. Ms. W
920
925
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935
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Hic est tractatus secundus illius libri in quo premissis divisionibus et diffinitionibus precedentibus prosequitur principale intentum premittendo quasdam diffinitiones et suppositiones, deinde applicando latitudines ad figuras geometricas. Et habet tria capitula ut patet in littera. Primum capitulum dividitur in partem prohemialem et executivam; secunda ibi et est prima divisio. Et dicit primo quod post predictas diffinitiones et descriptiones terminorum ex primo libro Euclidis sequitur applicatio latitudinum ad figuras, etc. Pro quo notandum quod linea est longitudo sine latitudine et profunditate et hoc secundum mathematicos, licet quelibet linea habeat latitudinem et etiam profunditatem. Et non ⟨sunt⟩ ponende puncta, quia hec non sunt pars linee. Et est diffinitio linea recta est ab uno puncto ad alium certa extensio in ; per oppositum extremitates suas utrumque eorum recipiens: linea curva. Sed figura est quantum termino vel terminis clausum. Et figura rectilinea est que rectis lineis continetur. Curvilinea est que terminis vel curva continetur. Et sunt in multiplici differentia, ut patet in littera. Figura plana est que est conmensurabilis una linea recta; per oppositum de curva. Sed angulus est duarum linearum alternus contactus quarum expansio super superficiem applicatur. Et est multiplex, ut patet in littera. Sed circulus est figura plana una linea curva contenta in cuius medio est punctus a quo omnes linee ducte ad circunferentiam sunt equales. 915 sed figura curva non ] om. W || Omnium … patebunt ] omnia supradicta in figuris descriptis inspicias W 918 Hic est tractatus secundus ] Secundus tractatus F 919 diffinitionibus ] divisiones W 923–924 diffinitiones et descriptiones ] divisiones et diffinitiones W 924 primo libro Euclidis ] om. F || sequitur applicatio latitudinum ad figuras, etc. ] om. W || ante sequitur ] non add. F 926 Pro quo notandum … exemplum pro nunc ] om. F || linea ] linea in marg. W 928 et etiam ] corr. ex etiam et W || quia ] linea recta in marg. adn. W 933 Et ] om. F, corr. ex est W corr. ex tamen W 930 linea recta ] 934 Curvilinea ] in marg. W 936 Figura plana ] om. F, in marg. W 938 angulus ] om. F, angulusin marg. adn. W
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Notandum quod figurarum triangularium quedam est triangulum equilaterum et vocatur | ysopleros; exemplum: 945
W 10v
Alia est duarum laterum equalium et vocatur ysosceles; exemplum: Alia est figura trilaterum inequalium et vocatur scalenon; exempla: Item earum figurarum quedam dicitur orthogona, sicut triangulus rectilineus habens unum angulum rectum; ut ibi: Alia dicitur ampligonea et est triangulus habens unum angulum obtusum,
950
ut illa: Alia est exigonea sicut triangulus habens tres angulos acutos; exemplum: Item notandum: differentia est inter quadrangulum et quadratum. Item quid quadratum et tetragonum, exemplum pro nunc:
955
⟨Capitulum secundum secunde partis: Suppositiones⟩
960
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| Suppositiones autem sunt plures, quarum prima est illa: [1] omnia que secundum aliquam proportionem se habent ad invicem rationem quantitatis participant. Hec suppositio patet, quia si unum est duplum ad aliud vel in aliqua proportione se habet ad ipsum oportet quod illud sit quantitas vera aut ymaginata, et sic omne tale habet rationem quantitatis. Unde sive sint res permanentes sive successive sive res vere existentes sive secundum ymaginationem, si proportionem habuerint ad invicem, per modum quantitatis sunt ymaginande.
W 11r
[2] Secunda: omne quod excessu graduali excedit aliud vel exceditur ab alio per modum quantitatis ymaginandum est. Hec patet ex precedenti. [3] Tertia: excessus gradualis et latitudo gradualis et intensio forme sunt idem. Hoc patet ex communi usu loquentium in ista materia. [4] Quarta: omne | quod excessu graduali excedit aliquid aliud vel exceditur ab aliquo alio habet latitudinem gradualem. Hoc patet ex precedenti quia non potest excedere nec 953 exemplum pro nunc ] Pro quo notandum … exemplum pro nunc om. F 957 illa ] om. F || aliquam proportionem ] proportionem aliquam F 958 quantitatis ] post participant trans. Smith W 959 patet ] om. W || aliqua ] alia Smith W 960 illud sit quantitas ] illa sint quantites W || vera ] correxi ex realis F vere W || ymaginata ] imaginate W 961 sive ] vel sunt F 962 habuerint ] habent F || per ] secundum W 964 aliud ] aliquod F || ante alio ] aliquo F 965 ymaginandum est ] est ymaginandum W || Hec ] ut W 966 et ] vel W || sunt idem ] idem est W 968 aliud ] aliquod F 969 ante alio ] aliquo add. F
F 14r
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excedi secundum perfectionem gradualem si nichil de tali perfectione haberet. [5] Quinta: omne quod secundum dimensionem aliquam quantum est, secundum istam dimensionem excedere potest aut excedi. Hoc patet de se. [6] Sexta: omne quod secundum plures dimensiones quantum est, secundum plures dimensiones excedere potest vel excedi. Hoc sequitur ex precedenti et patet de se.
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995
1000
[7] Septima: omne quod excedit aliquod aliud aut exceditur ab aliquo alio secundum aliquam dimensionem vel aliquas dimensiones ymaginandum est esse quantum. Patet de se et ex precedenti. [8] Octava: omne quod solum secundum extensionem suarum partium excedit vel exceditur ymaginandum est in proposito unam solam dimensionem habere et ideo ymaginandum est tanquam linea sive longitudo. Quod autem secundum extensionem et intensionem excedit vel exceditur ymaginandum est habere duas dimensiones et ideo ymaginandum est tanquam longitudo et latitudo sive ⟨tanquam⟩ superficies. Hoc satis patet ex precedentibus et ex communi usu loquentium in ista materia. [9]| Nona: extensio forme ymaginanda est per lineam rectam, intensio vero per figuram planam super rectam lineam consurgentem. Hoc multipliciter patet, primo ex communi usu loquendi in ista materia. Secundo quia est quasi eadem cum precedenti nisi quod hic additur „recta“, videlicet quod extensio ymaginanda est per lineam rectam, quod ex hoc patet, quia tunc per lineam rectam intelligatur extensio, ut patet ex precedenti. Et ⟨quia⟩ linea curva non potest esse certa mensura longitudinis rei sive extensionis tunc oportet quod hoc fiat per lineam rectam. Et eadem ratione patet quod ipsa intensio ymaginanda est per figuram planam. Tertio probatur sic: quia, sicut intensio forme est additio forme in eadem parte subiecti, ita latitudo forme est additio superficiei super eandem longitudinem. | Unde sicut quanto plus est de forma in eadem parte subiecti tanto forma est intensior et tamen manet ibi eadem extensio. Ita quanto plus est de superficie super eandem lineam rectam tanta figura est latior et tamen manet ibi eadem longitudo. Ideo communiter intensio forme vocatur latitudo, extensio vero vocatur longitudo. [10] Decima: cuilibet puncto in linea recta super quam figura plana collocatur correspondet propria altitudo in data figura. Hoc patet, quia super quemlibet punctum linee date cadit linea recta perpendicularis mensurans altitudinem superficiei super puncto dato, ut in figura AB patet. [11] Undecima: quodlibet punctum in extensione propriam habet intensionem. Hoc patet ex precedenti et ex nona. 970 perfectionem ] secundum perfectionem gradualem in marg. adn. W || haberet ] post gradualem trans. W 972 istam ] illam W 974 ante patet ] trans. W 975 aliquod ] om. W || post aliud ] vel excedere potest add. W || aliquo ] om. W 976 vel aliquas dimensiones ] om. Smith W || esse ] om. F || Patet de se et ex precedenti ] Hoc patet ex prima W 979 dimensionem ] post habere trans. W 981 excedit vel exceditur ] exceditur vel excedere potest W 983 ista ] illa W 986 loquendi in ista materia ] loquentium W || quasi ] om. W 988 tunc ] correxi ex cum F W || rectam ] supl. in marg. F, om. Smith W || precedenti ] ante patettrans. W 989 rei ] om. W || tunc ] om. Smith W 990 eadem ratione ] eodem modo W 991 Tertio … sicut ] eadem suppositio declaratur videlicet quod W || forme in … est additio ] om. (hom.) W 994 super ] in W 995–996 intensio forme … vocatur longitudo ] extensio vocatur longitudo intensio vero latitudo W 998 data ] tali W || patet ] om. F || quemlibet punctum ] quolibet puncto W || linee date ] date linee W 1000 ut ] om. F || patet ] ante in figura trans. F 1001 quodlibet punctum ] quidlibet punctus W 1002 et ex nona ] om. W
W 11v
F 14v
120 120
1005
1010
Tractatus de latitudinibus formarum communis cum expositione eiusdem Tractatus de latitudinibus formarum communis cum expositione eiusdem
[12] Duodecima: cuilibet puncto in extensione propria intensio sibi correspondens ymaginanda est per lineam rectam super datum punctum perpendiculariter erectam. Hoc patet ex duabus precedentibus. Item declaratur, nam si totalis intensio forme date ymaginanda esset per superficiem super rectam lineam collocatam, quot erunt puncta in linea tot erunt linee in superficie perpendiculariter erecte quelibet super suum punctum, secundum quas ymaginantur maiorem vel minorem intensionem forme in puncto isto secundum quod | linea super punctum perpendiculariter erecta mensurans altitudinem superficiei super suum punctum est longior vel brevior, patet in figura ABC.
W 12r
[13] Tredecima: forme permanentes aut quas imaginantur tamquam permanentes habent extensionem secundum extensionem sui subiecti.
1015
[14] Quatuordecima: forme vero successive vel quas ymaginantur tanquam successivas habent extensionem secundum extensionem sue durationis, licet tam ille quam iste utralibet possunt habere extensionem, videlicet quando istas ymaginamur habere esse in subiecto et illas ymaginatur habere durationem. Hoc per se patet. Dummodo divisibile sit subiectum quod dicitur propter formas inexistentes anime intellective, etc. Suppositiones autem sunt plures, etc.
1020
1025
1030
1035
Hoc est secundum capitulum secunde partis, in quo ponuntur suppositiones ex quibus demonstrabit suas conclusiones. Et dividitur in tot partes quot erunt | suppositiones, scilicet in 14, secundum quod patebit. Est ergo prima suppositio illa: omnia que secundum aliquam proportionem, ut patet in littera. Ex prima suppositione patet quod intensio gradualis non est vel divisibilis vel mensurabilis per modum numeri sed ⟨per modum⟩ magnitudinis. Ideo intensio punctualis mensuratur per lineam, linea per superficiem, superficies per corporeitatem, que sunt species magnitudinis. Unde quelibet latitudo punctualis ymaginanda est quo ad spatium vel subiectum per lineam rectam superius spatii vel punctum perpendiculariter erectam. Pro secunda suppositione notandum quod qualitates vel forme dupliciter ymaginantur habere corporeitatem vel dimensionem: unam extrinsecam subiecti, aliam ymaginariam, qua designatur eius intensio, etc. Et secundum alias nulla qualitas est extensive divisibilis etiam quid sit intensive divisibilis sed non econverso etc. Circa tertiam suppositionem notandum quod intensio accipitur duplici1004 rectam ] om. W 1005 patet ] ante in figura trans. W 1006 rectam lineam ] lineam rectam W || erunt ] sunt W 1007 suum punctum ] punctum suum W 1008 isto ] illo W 1009 punctum ] ipsum W 1011 post permanentes ] esse add. F 1012 extensionem secundum ] om. W 1015 utralibet ] utrumquelibet W || possunt ] possint W || istas ] illas W 1016 per ] de W || divisibile sit subiectum ] subiectum sit divisibile F 1017 etc ] om. W 1018 Suppositiones autem sunt plures, etc ] om. F 1020 Hoc est ] om. F 1023 suppositio ] om. F 1025–1026 vel divisibilis ] om. W 1033 ymaginariam ] ymaginanda W || etc. Et … econverso etc. ] om. W 1036 Circa tertiam suppositionem ] 3° Suppositio. Notandum circa tertiam W
F 15r
Tractatus de latitudinibus formarum communis cum expositione eiusdem Tractatus de latitudinibus formarum communis cum expositione eiusdem
1040
1045
1050
1055
1060
1065
1070
121 121
ter: uno modo prout est nomen verbale et sic est actualiter acquisitio gradus ad gradum et augmentatio forme; et remissio est actualis deperditio gradus a gradu et diminutio forme. Et sic non omnis latitudo vel excessus gradualis est intensio, ut notum est. Alio modo sumitur pro cum intensiva dimensione, sive sit cum permanentia sive deperditione vel acquisitione alicuius forme. Et sic debet capi in proposito. Et sic dicitur forma dupliciter intensa: uno modo absolute et sic quelibet divisibilis secundum intensionem dicitur intensa; alio modo relative, ut cum dicimus latitudinem ut 6 esse intensam respectu latitudinis ut 2. Secundo nota quod latitudinum quedam est perfectabilis, et sic dicimus hominem in latitudine perfectabili esse perfectiorem asinu, et apparet ex predictis quod talis non est proprie latitudo ut hic capitur latitudo. Alia est formalis, sicut est intensio gradualis forme. Et aliqui quamlibet intensionem gradualem forme, sive talis sic extensa in ordine ad subiectum, sive non, sive ad tempus, solent vocare latitudinem. Et sic dicunt de latitudine caritatis in anima vel alterius qualitatis ipsius anime. Et sic communiter non debet capi in proposito secundum quamlibet intensionem gradualem quo ad subiectum extensibilem vel velocitatem vel tarditatem quo ad tempus, in quo acquiritur vel deperditur. Dicimus hic proprie esse latitudinem vel alias habentem partem extra partem, ut patet ex prioribus; et solum tales, quia solum tales sunt per figuras geometricas designabiles. Vel si placet dicatur quod quelibet gradualis intensio sive extensa sive non dicatur latitudo. Et si non quelibet designatur per figuram geometricam ut habitus intellectuales in esse permanenti, sufficit tamen quod designetur per lineam. Unde quelibet forma sive extensa sive non poterit designari per lineam quantumcunque protensam parvam vel | magnam, licet non de per se tamen in comparatione ad aliam que debet designari per lineam sibi proportionalem. Ut si una est dupla ad aliam designetur per lineam duplam ad lineam per quam alia designatur. Nec est inconveniens ita large capiendo latitudinem esse latitudinem sine longitudinem, cum non quelibet talis designetur per figuram geometricam ut dictum est prius |. Notandum circa nonam suppositionem quod forma cuius est extensio et intensio debet designari per figuram cuius una linea recta est basis desi1040 intensiva ] intensione F 1042 dicitur ] om. W 1043 divisibilis ] duo similis F 1044 relative ] suppositive W 1048 ante talis ] proprie scr. et del. F 1051 solent ] vacare F 1052 divisibilis intensive ] om. W 1053 ante communiter ] quando add. F || in proposito ] hic W 1054 extensibilem ] extensionabilem F 1055 deperditur ] perditur F 1059–1060 sive non ] intensa F 1062–1063 designari ] designare F 1065 sibi ] sive F, om. W || proportionalem ] om. W 1067 cum ] tamen F 1069–1075 Notandum circa nonam … tactas in littera ] om. F
F 15v
W 11v
122 122
1075
1080
1085
1090
Tractatus de latitudinibus formarum communis cum expositione eiusdem Tractatus de latitudinibus formarum communis cum expositione eiusdem
gnans eius longitudinem; ⟨sed⟩ superficies designat eius latitudinem. Unde sciendum ⟨est⟩ quod extensio forme prior est et manifestior intensione forme eiusdem. Ideo denominatur a priori prima dimensione, scilicet longitudine, et intensio a posteriori scilicet latitudine. Etiam hoc sit propter alias tactas in littera. Notandum quod decima suppositio debet intelligi de quolibet puncto intrinseco. Item undecima suppositio vult quod quilibet punctus forme gradualis propriam habet intensionem, sic scilicet quod tunc signetur extensio per lineam AB tunc quilibet punctus extensionis habet intensiones suas; et si est difformis tunc quilibet habet difformem intensionem. Sed si sit extensio uniformis tunc quilibet punctus usque equalem intensionem. Exemplum primi sicut AB in qua figura possent declarari ille 4or suppositiones scilicet 9, 10, 11 et 12. Exemplum secundi sicut latitudo uniformis [Fig. 7]. Arguitur contra decimam suppositionem et contra figuram AB: huic puncto B exempli in linea AB non correspondet proprie altitudo in figura ABC, quia nulla est eius altitudo, quia figura est terminata ad B tanquam ad non gradum. Item si esset eius altitudo aliqua tunc figura non esset rectangularis terminata ad non gradum. Potest unomodo dici quod multipliciter de quolibet inter lineam sed quilibet est punctus extremum linee, quia non mediat inter aliquas partes linee. Aliter et melius dicitur quod B est punctum internum linee et sic est certe altitudinis, quia uniformiter difformiter altum est sicut tota figura quasi altitudine medie. Et ipsum est divisibile in infinita puncta quorum semper ultimus potest vocari B et est minus altum quam aliquod. Figura plana Exemplum suppositiomun 9, 10, 11, 12
G I intensio
altitudinem monstrat
C intensio A E
N P R T X
A 1095
D
F
G
K
M
O
Q
R
V
B
extensio, linea recta
Fig. 8: in marg. Ms. W 1071 designat ] correxi ex debet designans W 1076–1077 Notandum … intrinseco ] om. F 1078–1084 Item undecima suppositio … sicut latitudo uniformis ] om. F 1084 sicut ] it W 1085–1094 Arguitur contra decima … altum quam aliquod ] om. W || post AB ] arguitur add. W
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123 123
⟨Capitulum tertium secunde partis: Propositiones⟩
1100
1105
Nunc autem sunt propositiones alique circa presentem materiam declarande. | Nunc sunt ⟨propositiones⟩, etc.
Illud est capitulum tertium secundi tractatus et ultimus totius libri, in quo ponuntur propositones. Et prima est illa ut patet in littera. Et debet prima propositio et etiam alie intelligi de latitudine forme extensive linealiter non considerata eius extensione, scilicet profunditate et latitudine. Et hoc est considerandum. [1] Prima: omnis latitudo cuiuslibet forme ymaginanda est per figuram planam super rectam lineam consurgentem. Hoc patet ex congruente suppositione.
1110
Fig. 9: in marg. Ms. W [2] Secunda: nulla latitudo ymaginanda est per figuram omnibus curvis lineis contentam. Patet ex precedenti, cum talis non consurgat super lineam rectam.
1115
[3] Tertia: nulla latitudo ymaginanda est per modum circuli. Hoc patet ex duabus precedentibus, cum circulus una sola linea contineatur et illa est curva. [4] Quarta: nulla latitudo ymaginanda est per figuram sine angulis. Patet ex tribus precedentibus, cum talis una sola linea contineatur, et illa est curva, sive talis sit circulus sive non.
1098 propositiones ] suppositiones W || Nunc sunt ⟨propositiones⟩, etc ] om. F 1101–1105 Illud est capitulum … hoc est considerandum ] om. F 1107 Prima ] Quartum prima est W || est per ] interl. F 1108 rectam lineam ] lineam rectam W || congruente ] nona F, ex congrua in marg. corr. F || post suppositione ] et econverso add. W || suppositione ] nona in marg. add. F 1114–1115 duabus precedentibus ] precedentibus duabus F 1117 est ] sit F
W 12r
124 124
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secunda propositio biangula
quinta propositio
tertia et quarta propositiones
Figura CD 1120
Fig. 10: in marg. Ms. W. [5] Quinta: nulla latitudo ymaginanda est per figuram monoangulam. Patet ex prima. Nulla enim figura monoangula situata est super lineam rectam, quod est contra primam, ut patet in figura CD.
1125
1130
1135
[6] Sexta: omnis latitudo ymaginanda est per figuram plurium angulorum. Hoc patet ex duabus precedentibus. [7] Septima: nulla latitudo ymaginanda est per figuram super lineam rectam consurgentem per angulum obtusum sive qui maior est recto, quod idem est. Hoc probatur, quia sic tunc esset intensio forme sine extensione, quod ita absurdum est sicut si ponatur latitudo sine longitudine. Sit enim figura data BCD ⟨et⟩ erigatur perpendiculariter linea recta super puncto terminante longitudinem suam, videlicet in puncto C, que linea representabit | intensionem forme in puncto C, ut patet ex decima, undecima et duodecima suppositionibus. Et patet quod tota latitudo que est CD cadit extra totam lineam longitudinem que est BC, et tunc esse intensio forme extra extensionem sui subiecti, quod erat probandum. D
C
W 12v
A
propositio septima
C
B
Fig. 11: in marg. Ms. W.
1140
[8] Octava: nulla latitudo ymaginanda est | per portionem circuli maiorem semicirculo. Hoc patet ex precedenti. Talis enim consurgit super lineam rectam per angulos obtusos ut patet in figura CD.
1123 ante situata ] situatur add. W || quod est contra primam ] om. F 1125 Hoc ] om. W 1128 sive qui maior est recto ] sive maiorem recto W || Hoc ] om. F 1129 quod ita absurdum est ] F 1131 videlicet ] scilicet W || que linea representabit | intensionem forme in puncto C ] om. (hom.) F 1132–1133 ut patet ex decima, undecima et duodecima suppositionibus ] quod per tertiam 5tam et 12tam suppositiones W 1133 quod ] quia F || que est ] om. W || longitudinem ] latitudinem W 1139 portionem ] portiones W 1140 lineam rectam ] rectam lineam W 1141 CD ] DC F
F 16r
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125 125
octava propositio C
D
Fig. 12: in marg. Ms. W. 1145
[9] Nona: omnis latitudo uniformis incipit a certo gradu et terminatur ad certum gradum. Probatur, quia omnis latitudo uniformis est eiusdem gradus per totum. [10] Decima: omnis latitudo incipiens a non gradu est difformis. Hoc patet ex precedenti.
1150
[11] Undecima: omnis latitudo sive uniformis sive difformis incipiens a certo gradu ymaginanda est per figuram incipientem ab angulo recto. Hoc probatur, nam si latitudo incipit a certo gradu tunc super primo puncto sue longitudinis est intensio certi gradus que representatur per lineam perpendiculariter erectam super eodem puncto, ut patet ex duodecima suppositione. Linea autem super aliam lineam rectam perpendiculariter erectam causat angulum rectum, et sic patet in proposito in figura FG.
1155
D
F O N M
C
C
G
11
10
L H
I
K
D
G
F
Fig. 13: in marg. Ms. W. [12] Omnis latitudo terminata ad certum gradum ymaginanda est per figuram desinentem in angulum rectum. Hec patet sicut precedens in figura FG. 1160
D
C
D C
A
B
A
B
Fig. 14: in marg. Ms. W. 1145 Nona ] figure none latitudo uniformis sed decima figura dicitur difformis in marg. adn. W 1146 post latitudo ] incipiens a non gradu uniformis add. F 1149 Undecima ] etiam vocatur 10 plana et esset exemplum 11 utque in 12 in marg. adn. W 1151 primo puncto ] puncto primo F 1153 duodecima ] secunda F || rectam ] om. F || erectam ] erecta F 1154 patet ] est F || in proposito ] propositum W 1159 Hec ] om. W || in figura ] om. W
126 126
1165
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[13] Triadecima: omnis latitudo incipiens a non gradu ymaginanda est per figuram incipientem ab angulo acuto. Probatur quia sola talis figura incipit a non gradu latitudinis. Pro exemplo sit figura DF. [14] Omnis latitudo terminata ad non gradum ymaginanda est per figuram terminatam ad angulum acutum. Probatur quia solum talis figura terminatur ad non gradum latitudinis, pro exemplo sit figura HI.
1170
1175
1180
[15] Omnis latitudo incipiens uniformiter difformiter a non gradu ymaginanda est per figuram incipientem ab angulo rectilineo et acuto. Probatur quia enim incipiat ab angulo acuto, ⟨sicut⟩ patet ex 13ma , quod autem talis angulus sit rectilineus probatur, quia quelibet talis latitudo incipit ab uniformi excessu graduum inter se eque distantium. Ergo ymaginanda est per figuram incipientem ab uniformi ascensu superficiei quod non potest esse nisi per lineam rectam uniformiter ascendentem, | et sic habetur angulus rectilineus, quia triangulus causatus | est ex duabus lineis rectis, videlicet ex basi, que est linea recta, et ex alia linea ascendente mensurante altitudinem superficiei que posita est etiam esse recta, ut patet in superiori figura DF. [16] Omnis latitudo uniformiter difformiter terminata ad non gradum ymaginanda est per figuram terminatam ad angulum acutum et rectilineum. Probatur sicut precedens. Exemplum in superiori figura hi habetur. K
L
15 - 16
13 - 14 H
F
H
I
Fig. 15: in marg. Ms. W.
1185
1190
[17] Omnis latitudo incipiens difformiter difformiter a non gradu ymaginanda est per figuram incipientem ab angulo acuto per lineam curvam ascendentem. Probatur quia si per lineam rectam tunc ascensus superficiei esset uniformis et sic representaret latitudinem uniformiter difformem. Exemplum patet in figura KL⟨M ⟩. [18] Omnis latitudo difformiter difformiter terminata ad non gradum ymaginanda est per figuram terminata ad angulum acutum per lineam curvam descendentem. Probatur sicut precedens. Exemplum est in figura ⟨N ⟩LM. 1164 figura ] om. Smith W || latitudinis ] om. W 1166 ante Omnis ] incipiens in marg. adn. W 1168 latitudinis ] om. W 1170 quia ] correxi ex quod F W || ante enim ] N scr. et del. F 1172 latitudo ] om. W || eque distantium ] om. SmithW || Ergo ] Igitur F 1173 post ab ] uniformi trans. W || uniformi ] uniformiter W || superficiei ] superficialiter F || potes ] possit F 1175 triangulus ] om. W || duabus ] tribus F || ex ] om. F 1176 linea ] om. W || etiam ] ibi F 1179 acutum et rectilineum ] rectilineum et acutum F 1180 Exemplum … habetur ] exemplum habetur superius in figura hi F 1186 superficiei ] supra W 1187 difformem ] difformiter W || patet ] om. W 1188 terminata ] ante difformiter difformiter trans. W
W 13r F 16v
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M
127 127
N
17
18
K
L
M
L
Fig. 16: in marg. Ms. W.
1195
[19] Omnis latitudo uniformis per totum ymaginanda est per quadrangulum rectangulum. Hoc probatur, quia cum omnis latitudo uniformis sit eiusdem gradus per totum ymaginanda est per figuram que sit eiusdem latitudinis per totum. Talis autem est sola figura predicta, et talis figura appellatur ab Euclide paralellogramum eo quod ex paralellis constituitur13 . Exemplum est in figura MN.
1200
1205
1210
O
P
M
N
Fig. 17: in marg. Ms. W. [20] Nulla latitudo que est in aliqua sui parte difformis, quantumcunque sit uniformis in principio et in fine ymaginanda est per quadrangulum rectangulum. Probatur, quia nulla talis latitudo est eiusdem gradus per totum, igitur non est ymaginanda per figuram que sit eiusdem latitudinis per totum. Unde licet latitudo sit uniformis in principio et in fine potest tamen esse difformis in medio vel circa medium. Et secundum hoc potest hoc multipliciter variari. Ideo considerandum est quod talis latitudo uniformis tam in principio quam in fine et circa medium variatur vel circa medium precise intenditur vel precise remittitur vel partim intenditur et partim remittitur, non enim potest alio modo variari, ut patet. Si igitur circa medium precise intenditur vel hoc est uniformiter vel difformiter. Si uniformiter tunc talis latitudo ymaginanda est per figuram de | scriptam que sit AB. 13
Euklid (Campanus), Elemente II, Def. 1: „Omne paralellogramum rectangulum sub duabus lineis angulum rectum ambientibus dicitur contineri. Paralellogramum est superficies equidistantium laterum...“, Ed. Busard, 95. 1194–1195 quadrangulum rectangulum ] figuram quadrangulam rectilineam W 1195 Hoc ] om. W 1197 figura ] om. F 1198 est ] om. W 1202 que est ] om. W || aliqua ] aliquante W 1203 rectangulum ] rectilineum W 1204–1205 Igitur non … per totum ] om. W 1208 post variatur ] alia add. W || ante circa ] igitur add. F 1209 intenditur ] remittitur W || remittitur ] intenditur W || alio modo ] aliter F 1210 ut patet ] om. F 1211 igitur ] ergo F || est ] erit W
F 17r
128 128
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B
A Fig. 18: in marg. Ms. F 1215
1220
Si difformiter per figuram BC. Si autem latitudo circa medium precise remittitur ymaginande sunt figure econverso. Si autem partim intenditur et partim remittitur vel solum semel intenditur et semel remittitur vel pluries. Si solum semel vel igitur utrobique uniformiter et tunc est ymaginanda latitudo per figuram CD, vel utrobique difformiter et tunc est ymaginanda per figuram DE, vel intensio est uniformis et remissio difformis sive econverso, et tunc est attendenda per figura CF. Si autem latitudo circa medium pluries intenditur vel remittitur tunc poteris infinitis modis variare figuras. Sed quod talis latitudo potest infinitis modis variare pro exemplo patet figura FG. 3a et 4a variationes vicesim sunt ut eiusdem predictas duas figuras A
B
20 (1)
B
20 (2)
C
C
20 (3-4)
20 (5)
D
intenditur et remittitur uniformiter
igitur similiter intenditur et remittitur difformiter
igitur fracta est sicut in 5a
D
D
C
20 (7)
20 (6)
intensio difformis
E 1225
E
intensio uniformis
econtrario
D
20 (8)
E
E
intensio difformis
20 (9)
F
remissio uniformis
20 (10)
F
F
20 (11)
G
F
20 (12)
G
Fig. 19: in marg. Ms. W. Adn. 20(5) 1216 figuram ] figuras F 1218 semel ] om. F || semel ] om. F || igitur ] om. F 1219 est ymaginanda ] ymaginanda est W || latitudo ] om. F || figuram ] figuras F || et ] om. W 1220 figuram ] figuras F || sive ] vel F 1221 circa ] penes W 1222 intenditur vel remittitur ] remittitur vel intenditur W || figuras ] om. F || Sed quod … figura FG ] pro exemplo sufficiat FG W
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1230
1235
1240
129 129
[21] Omnis latitudo uniformiter difformis incipiens a non gradu ymaginanda est per triangulum rectilineum incipientem ab angulo acuto et terminatum ad angulum rectum. Quod sic probatur: talis enim latitudo ymaginanda est per figuram incipientem ab angulo rectilineo et acuto, ut patet per 15am et terminatam ad rectum angulum. Quod probatur, nam talis latitudo terminatur ad certum gradum, ut patet per quartam divisionem prime partis, et omnis latitudo terminata ad certum gradum ymaginanda est per figuram terminatam ad angulum rectum, ut patet per 12am propositionem. Et sic patet quod talis figura erit triangulus datus, nam basis erit linea recta ex prima propositione et linea que cadit in extremitate basis erit recta ex 12a suppositione, et linea 3a que terminat altitudinem figure similiter erit recta, quod probatur eodem modo sicut 15 propositio. Et sic habetur triangulus representans latitudinem de qua est presens sermo. Exemplum ut in triangulo GHD. [22] Omnis latitudo uniformiter difformis incipiens a certo gradu et terminata ad non gradum ymaginanda est per triangulum incipientem ab angulo recto et terminatum ad angulum acutum. Hoc probatur sicut precedens et patet in figura HI. D
K
22
21 G
H
H
I
Fig. 20: in marg. Ms. W. 1245
1250
[23] Omnis latitudo uniformiter difformis incipiens a certo gradu et terminata ad certum vel econverso ymaginanda est per quadrangulum cuius duo anguli super basim sunt recti; reliquorum vero | duorum angulorum alter acutus alter obtusus. Quod duo anguli super basim sint recti patet per 11am et 12am . Quod autem reliquorum angulorum alter sit acutus et alter obtusus | probatur, quia ex quo latitudo est uniformiter difformis ymaginanda est per figuram cuius altitudo terminatur per lineam rectam oblique cadentem super duo latera quadranguli que mensurat uniformem difformitatem altitudinis superficiei. Et patet quod talis linea super unum latus facit angulum obtusum et super alterum acutum. Exemplum in figura KL.
1228 triangulum rectilineum ] figuram rectilineam W || terminatum ] corr. ex terminata F, terminatam W 1229 ymaginanda est ] est imaginanda F 1230 rectum angulum ] rectum angulum W || Quod ] ut W 1232 ymaginanda est ] est imaginanda F 1234 erit ] est F || ante triangulus ] datus scr. et del. F || linea recta ] recta linea W 1235 extremitate ] extremo W 1236 quod ] om. W || Et ] om. W 1237 presens ] om. W || triangulo GHD ] figura GH F 1240 ymaginanda est ] est imaginanda F || triangulum ] figuram W || terminatum ] correxi ex terminata F Smith W 1241 probatur ] om. F || sicut ] ut W || et ] ut W 1247 alter acutus alter obtusus ] alter obtusus alter acutus F 1250 altitudo ] latitudo F 1251 duo latera ] latera duo W || uniformem ] uniformiter W || altitudinis ] latitudinis F Smith 1252 unum latus facit ] uno latere causabit Smith W || alterum ] Smith W
F 17v W 15r
130 130
Tractatus de latitudinibus formarum communis cum expositione eiusdem Tractatus de latitudinibus formarum communis cum expositione eiusdem uniformiter difformis incipiens a certo gradu et terminata ad gradum
K 1255
1260
Fig. 21: in marg. Ms. W. [24] Nulla latitudo incipiens a non gradu et terminata ad non gradum est uniformis nec uniformiter difformis, licet posset habere partes uniformes. Prima pars, scilicet quod nulla talis sit uniformis patet per 10am . Quod autem non sit uniformiter difformis, que est secunda pars, probatur, quia si incipit a non gradu et terminatur ad non gradum tunc incipit a non gradu esse intensior et intensior et postea incipit esse remissior et remissior usque ad non gradum, quod non stat cum uniformi difformitate.
Fig. 22: in marg. Ms. W. 1265
1270
1275
[25] Omnis latitudo incipiens uniformiter difformiter a non gradu et terminata uniformiter difformiter ad non gradum ymaginanda est per figuram super cuius basim in utroque termino est angulus acutus. Hoc patet per 15am et 16am . Sed quia talis latitudo infinitis modis potest variari et per consequens per infinitas figuras potest ymaginari, ideo aliquas figuras describo per quas poterit quisque infinitas alias ymaginari de facili. Si enim talis latitudo in medio sit uniformis ymaginanda est per figuram AB, si uniformiter difformis per figuram BC, si autem talis latitudo sit divisibilis in duas partes quarum utraque sit uniformiter difformis ymaginanda est per figuram CD. Pro aliis modis quibus possent talis latitudines variari incipientes a non gradu et terminante ad non gradum considerando figuras descriptas in marginem, nam secundum istas infinitas alias poteris fabricare.
1258 post uniformes ] vel uniformiter difformes add. Smith 1259 ante scilicet ] trans. F || que … pars ] om. F 1260 tunc ] om. W 1261 postea ] posterius F || et remissior ] om. W 1262 uniformi ] uniformiter W 1268 quia ] quod F 1269 ideo ] ymo W 1270 quisque ] quousque F 1274 considerando ] considera Smith
Tractatus de latitudinibus formarum communis cum expositione eiusdem Tractatus de latitudinibus formarum communis cum expositione eiusdem
C
D
131 131
G
C G
C
A
F
D
F 25 (1)
B
F
G
25 (4)
G
D F 25 (2)
B
F
H
F
D
D
C 25 (3)
G
25 (5)
F
G H K C
D
F
E 25 (6)
F G H K L
K
E
D
C
D
25 (7)
M
E 25 (8)
Fig. 23: in marg. Ms. W.
1280
[26] Nulla latitudo secundum se totam | difformiter difformis est per figuram rectilineam ymaginanda. Probatur quia cuiuslibet figure rectilinee latitudo superficiei aut est uniformis, puta si habet latera eque distantia aut ⟨est⟩ uniformiter difformis, puta si una linea recta | terminat altitudinem superficiei, vel saltem habet partes uniformiter difformes, puta si altitudo superficiei per plures lineas rectas terminetur. Et ideo per figuram rectilineam ymaginari non potest latitudo secundum se totam difformiter difformis.
1285
1284 latitudo ] altitudo F
|| totam ] totum F
F 18r
W 14v
132 132
Tractatus de latitudinibus formarum communis cum expositione eiusdem Tractatus de latitudinibus formarum communis cum expositione eiusdem
A
26 (1)
B
A
26 (2) D
C
C
26 (5)
D 26 (10)
Fig. 24: in marg. Ms. W.
1290
1295
1300
Sed quia talem latitudinem infinitis modis variari contingit ideo alique figure describuntur in margine per quas poterit quisque ymaginari reliquas variando prout voluerit et latitudines et figuras. Nam si talis latitudo incipit a certo gradu et terminatur ad certum gradum ymaginanda est per figuram AB vel per alias quas poteris fabricare. Si autem incipit a non gradu et terminatur ad certum gradum vel econtrario ymaginanda est per figuras BC. Si autem incipit a non gradu et terminatur ad non gradum ymaginabilis est per figuras CD. Notandum est autem pro predictis et sequentibus quod quotienscumque dico talem latitudinem ymaginanda esse per talem figuram non intendo quod omnino per talem, nam plures tales figure possunt infinites variari, quas pono gratia exempli semper reputando latitudinem de qua est sermo. Verbi gratia in figura BC que terminatur ad angulum acutum et representat latitudinem secundum se totam difformiter difformem terminatam ad non gradum. Et quia talis angulus acutus potest esse acutior in infinitum semper tamen erit angulus acutus, igitur figura BCpotest variari ad angulum acutiorem et acutiorem in infinitum semper tamen representabit latitudinem secundum se totam difformiter difformem ad non gradum. [27] Omnis latitudo secundum se totam difformiter difformis est ymaginanda per figu1291 figuram ] figuras F || Si autem incipit … per figuras BC ] om. F 1295 sequentibus ] precedentibus W 1296 latitudinem ] figuram F || nam plures tales figure possunt infinites variari, quas pono gratia exempli ] Nam ut plurium tales figuras quas pono, gratia exempli, possunt infinities variari Smith 1297 reputando ] representando F 1298 Verbi gratia in figura ] variari infinita W 1299 totam ] totum W 1300–1303 Et quia talis … ad non gradum ] om. F
Tractatus de latitudinibus formarum communis cum expositione eiusdem Tractatus de latitudinibus formarum communis cum expositione eiusdem 1305
133 133
ram cuius altitudo terminatur per lineam curvam sive per lineas curvas. Patet ex precedenti. Latitudo secundum se totam difformiter difformis
27
Fig. 25: in marg. Ms. W.
1310
1315
1320
1325
[28] Omnis latitudo cuius aliqua pars est secundum se totam difformiter difformis et aliqua non ymaginanda est per figuram cuius aliqua pars altitudinis sue terminata est per lineam curvam. Patet ex precedenti; pro figuris fabricandi recurrere ad figuras DE 25e propositionis.
Fig. 26: in marg. Ms. W. [29] Omnis latitudo uniformiter difformiter difformis incipiens a non gradu | terminatur ad certum gradum. Probatur quia si inciperet a non gradu et terminaretur ad non gradum tunc in principio intenderetur et in fine remitteretur et per consequens | variatio eius non esset uniformiter difformis et tunc latitudo non esset uniformiter difformiter difformis. [30] Omnis latitudo uniformiter difformiter difformiter incipiens a non gradu ymaginanda est per triangulum habentem super basim unum angulum rectum et rectilineum, reliquos vero duos acutos et curvilineos. Prima pars huius propositionis probatur, cum enim basis debet esse linea recta, ut patet ex prima propositione, et secunda linea debet esse recta linea et perpendiculariter erecta super basim, ut patet ex 11 et 12 et precedente, patet quod angulus causatus super basim ex concursu dictarum linearum est rectus et rectilineus, et sic probata est prima pars propositionis. Et secunda pars probatur nam linea tertia que concurrit in alio termino basis debet esse curva, ut patet per 17am et 18vam . Et quod non debent esse plures linee quam tres et per consequens talis figura erit triangulus, 1305 post precedenti ] trans. F 1311–1312 pro … propositionis ] per figuras fabricatas recurrendo est igitur ad figuras DE F 1312 propositionis ] om. W 1316–1317 incipiens a non gradu | terminatur ad certum gradum ] incipit a certo gradu vel terminatur ad certum gradum Smith 1321 Omnis ] cathetus hypothenusa et de lato in marg. ad figuram 30 adn. W || incipiens a non gradu ] om. F Smith 1323 cum ] correxi ex cuius F W 1324 propositione ] om. F 1326 concursu ] cursu F || dictarum linearum ] linearum dictarum F 1328 basis ] om. F
W 15r F 18v
134 134 1330
1335
1340
1345
1350
Tractatus de latitudinibus formarum communis cum expositione eiusdem Tractatus de latitudinibus formarum communis cum expositione eiusdem
probatur, quia alias inter excessus graduum equedistantium non servaretur eadem proportio inequalitatis, et quia angulus unus probatus est esse rectus probatur per naturam trianguli quod reliqui duo sunt acuti; et sic tota propositio est probata. Ad intelligendum autem quomodo in talibus figuris servetur eadem proportio inter excessus graduum inter se eque distantium describo triangulum AB, qui est 4ta pars circuli, et basis dividatur gratia exempli in sex vel decem partes equales erectis lineis perpendicularibus in punctis divisionum, que linee mensurabunt altitudinem superficiei quelibet super punctum suum secundum quod docet 12ma suppositio. Deinde signo excessus linearum inter se eque distantium, qui excessus representant excessus graduum inter se eque distantium et patet ⟨quod⟩ qualis est proportio primi excessus ad secundum excessum talis est secundi ad tertium, et qualis est proportio prime linee ad secundam talis est secunde ad tertiam et sic de aliis. Et eodem modo est si basis dividatur in plures partes vel pauciores, dummodo fiat divisio in partes equales. Ista nunc suppono ut patet per figuras intuenti. Ex hiis apparet differentia inter latitudinem uniformiter | difformem et latitudinem uniformiter diffor|miter difformem. Nam licet in utraque latitudine servetur eadem proportio inter excessus graduum inter se eque distantium, tamen in latitudine uniformiter difformi servatur proportio equalitatis, ita quod quantum primus excedit secundum tantum secundus excedit tertium, ut patet in figura BC. In figura autem AB non quantum primus excedit secundum tantum secundus excedit tertium, ymo minus. Unde in figura BC excessus graduum eque distantium inter se sunt equales; ideo servant eandem proportionem, scilicet proportionem equalitatis. In figura autem ab excessus inter se non sunt equales. Unde licet inter se servant proportionem non tamen proportionem equalitatis sed inequalitatis, et si queratur que sit ista proportio dico quod sesquialtera, quod pro nunc sine probatione suppono. N
L
I
N
G M
E L
C
16
8 45
29
4
2 51
53
K
A
B
I
1 19
10
D
F
H
K
M
2
2 B
C
2 6
4 A
2
B
A
D
8 C
10 F
12 G
H
30 (2)
30 (1)
In istis duabus figuris vides differentiam inter latitudinem uniformiter difformem quam representat ista BA [Fig.1] et latitudinem uniformiter difformiter difformem quam representat superior AB [Fig. 2] [post et: inter add. W] 1355
Fig. 27: in marg. Ms. W. 1332 est ] esset F 1334 inter se ] post eque distantium trans. W 1337 signo ] designo F 1338 inter se ] om. W || qui excessus representant ] qui designat F 1339 post et ] sic add. W || excessus ] om. W || excessum ] om. F || talis est ] it W 1340 est ] om. F 1341 post partes ] P scr. et del. F 1342 ut ] etiam W 1343 post et ] inter add. W 1345 tamen ] nam W 1346 ante proportio ] eadem scr. et del. W 1351 ante non ] sunt scr. et del. F || se ] superscr. F || servant ] servent W || ante proportionem ] eadem add. F Smith
W 15v F 19r
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1360
1365
1370
135 135
[31] Omnis latitudo cuiuscumque forme qualitercunque variata ymaginanda est per figuram consimiliter variatam, quia latitudines formarum et figure eis correspondentes infinitis modis possent variari, ut sepe dictum est, nec potest pro qualibet dari regula specialis. Ideo valet ista propositio ultima pro omnibus reliquis latitudinibus de quibus non datur regula specialis, que propositio clara est de se et probatione non indiget. Ex qua propositione simul cum precedente patet quod portio circuli representat latitudinem difformiter difformiter difformem, ut patet in figuris CD et DE. Medietas autem talis portionis representat latitudinem secundum se totam uniformiter difformiter difformem patet immediate. Similiter patet in figura E, que est medietas figure DE. Figura vero que est minor quam medietas talis portionis similiter representat latitudinem uniformiter difformiter difformem. Patet in figura D, que est pars figure CD. Figura autem que est plus quam medietas talis portionis representat latitudinem difformiter difformiter difformem. Patet in figura C qua est pars figure CD. ⟨Notanda⟩ Circa materiam istarum duarum ultimarum propositionum plura sunt notanda que sine probatione causa brevitatis simpliciter | pono, quia de se satis apparent.
1375
1380
[1] Et primo ⟨est⟩ quod in qualibet circuli portione que non est maior semicirculo incipit latitudo | a non gradu latitudinis et terminatur ad non gradum latitudinis. Dixi autem „que non est maior semicirculo“ quia si figura sit maior semicirculo tunc incipit a certo gradu latitudinis et terminatur ad certum gradum latitudinis, sed per talem figuram nulla latitudo forme est ymaginanda, ut patet ex propositione 8va .
[2] Secundo notandum ⟨est⟩ quod in qualibet tali figura intenditur latitudo usque ad medietatem et a medietate usque ad finem remittitur, ita quod a principio usque ad medietatem continue est latitudo maior et a medietate usque ad finem continue est latitudo minor et minor. [3] Tertio notandum quod ⟨est⟩ in qualibet tali figura summa intensio terminatur ad summum gradum tarditatis, scilicet in medio puncto arcus ubi terminatur intensio et incipit remissio latitudinis sue. Patet in figuris CD et DE.
1385
1390
[4] Quarto notandum ⟨est⟩ quod in quolibet semicirculo incipit intensio latitudinis sue a summo gradu velocitatis sue et terminatur ad summum gradum tarditatis, scilicet in medio puncto arcus. Remissio vero eius que incipit in medio puncto arcus incipit a summo gradu tarditatis et terminatur ad summum gradum velocitatis, patet in figura CD. Verumptamen ne possit aliquis cavillare intelligo summam tarditatem respectu cuiuslibet alterius figure que non est talis figure, scilicet semicirculus vel eius pars. Non enim nego quin unus circulus incipiat a maiori velocitate quam alius, nam quanto semicirculus est 1357 ante ymaginanda ] est add. W 1359 infinitis modis ] modis infinitis F || qualibet ] quolibet F 1360 ista ] illa W 1363 ut ] om. F || patet ] om. W || figuris CD et DE ] figuris 1 et 2 F || ante Medietas ] cuius medietas utraque secundum se totam est uniformiter difformis ut patet in figuris CD DE add. F 1364 difformiter ] om. W 1365 Similiter patet … figure DE ] om. W || vero ] vera F 1368 difformiter ] om. W 1369 Patet in … figura CD ] om. W 1371 sunt notanda ] notanda sunt W 1375 semicirculo ] semicircula F 1377 propositione ] proportione F 1379–1380 remittitur, ita quod … usque as finem ] om. (hom.) W 1386 tarditatis ] caliditatis W 1387 puncto ] om. F 1389 Verumptamen ] Verum est tamen W || possit ] posset F || intelligo ] intelligi F 1390 scilicet semicirculus vel eius pars ] om. Smith || eius pars ] pars eius W
F 19v W 16r
136 136
Tractatus de latitudinibus formarum communis cum expositione eiusdem Tractatus de latitudinibus formarum communis cum expositione eiusdem
1395
maior tanto incipit a maiori velocitate intensio latitudinis sue et terminatur ad maiorem tarditatem, et econtrario de remissione, sed dico quod in nulla alia figura incipit eius intensio a maiori velocitate quam in ista, scilicet in semicirculo, nec ab equali nisi in figura que est pars semicirculi.
1400
[5] Quinto notandum quod in quadrante que est medietas semicirculi, sicut est in utraque medietas figure DC, incipit latitudo remitti a summo gradu tarditatis et terminatur ad suum gradum velocitatis. Et incipit intendi a summo gradu velocitatis et terminatur ad summum gradum tarditatis. Exemplum primi in figura D; exemplum secundi in figura C, que sunt partes figure DC.
1405
1410
[6] | Sexto est notandum quod dictum superius, scilicet quod latitudo uniformiter difformiter difformis inter excessus graduum eque distantium servat eandem proportionem inequalitatis, intelligendum est excepto isto gradu a quo incipit vel ad quem terminatur summa velocitas, sive sit primus sive ultimus. Et tamen hoc non tollit quin latitudo sit uniformiter difformiter | difformis, quia tales gradus non sunt gradus intrinsici talis latitudinis sed extrinsici. [7] Septimo et ultimo est notandum quod eadem est proportio forme ad formam que est figure ad figuram. Cum enim omnis forma sit per aliquam figuram ymaginanda secundum quam est ipsa uniformis aut difformis, ut in precedentibus est declaratum, apparet quod eadem est proportio inter duas latitudines sive formas que est inter duas figuras representantes eas. Unde sicut alique due figure se habent secundum proportionem rationalem ita quod una est dupla ad aliam vel tripla vel sesquialtera et sic de aliis, et alique se habent ad invicem secundum proportionem irrationalem, ita quod una est maior alia finite et tamen nec dupla nec tripla nec sesquialtera et sic de aliis.
1415
Ita dicendum est de duobus motibus, de duabus alterationibus, de duobus coloribus et universaliter de duabus latitudinibus cuiuscunque speciei quod quedam se habent secundum proportionem rationalem, ita quod una est dupla ad aliam vel tripla vel sesquialtera et sic de aliis. Quedam vero se habent secundum proportionem irrationalem, ita quod una sit maior altera et tamen nec dupla nec tripla et sic de aliis.
1420
Circa quod sciendum quod quelibet due figure sive sint ambe rectilinee sive ambe curvilinee se habent ad invicem secundum proportionem rationalem, ita quod quelibet due figure quarum una est rectilinea et alia curvilinea se habent secundum proportionem irrationalem. ⟨Corrolaria⟩
1425
Ex illo ultimo notabili sequitur corrolarie quod [1] quilibet duo motus uniformes se habet secundum proportionem rationalem. [2] Secundo: quod quilibet duo motus uniformiter difformes se habent secundum proportionem rationalem. 1393 econtrario ] econverso F 1394 in ista, scilicet ] om. F 1396 quadrante ] quarta W || medietas ] medietate F 1400 DC ] DE F 1402 inter ] intrinseci F 1403 isto ] om. W || a ] in F || ad quem ] om. F 1405 gradus ] om. W 1411 due ] om. F || rationalem ] irrationalem F 1413 invicem ] om. W || irrationalem ] rationalem F 1419 et ] om. W || tamen ] om. F 1420 ambe ] post rectilinee trans. F 1421 ad invicem ] post rationalemtrans. W || ita quod quelibet due figure quarum una est rectilinea et alia curvilinea se habent secundum proportionem irrationalem ] om. W 1425 notabili ] om. W
F 20r
W 16v
Tractatus de latitudinibus formarum communis cum expositione eiusdem Tractatus de latitudinibus formarum communis cum expositione eiusdem
1430
1435
137 137
[3] Tertio: quod quilibet duo motus quorum unus est uniformis et alter uniformiter difformis se habent secundum proportionem rationalem. | Hec tria corrollaria eodem modo declarantur, nam quilibet talis motus representatur per figuras rectilineas et per consequens secundum eandem proportionem se habent secundum quam figure predicte. Et quod dictum est de duobus motibus intelligendum est eodem modo de quibuscunque duobus latitudinibus, servato hoc semper quod sint eiusdem rationis; alias enim proprie non essent proportionales (non enim est proprie proportio inter albedinem et calorem, sicut nec inter motum localem et alterationem). [4] Quarto: quod quilibet duo motus uniformiter difformiter difformes se habent ad invicem | secundum proportionem rationalem, quia uterque ymaginandus est per figuram curvilineam, sicut ex precedentibus satis patet.
1440
F 20v
W 17r
[5] Quinto: quod nulli duo motus quorum unus est uniformis seu uniformiter difformis, alter vero uniformiter difformiter difformis se habent secundum proportionem rationalem. Probatur, quia unus representatur per figuram rectilineam, alter vero per curvilineam. Plura alia correlaria elici possunt circa presentem materiam ex prius dictis que considerantibus faciliter possent occurrere. Et ideo transeo transeo.
1445
1450
1455
1460
| Nota quod non est eadem proportio figure ad figuram que est linee ad lineam, sicut dyameter ad costam est proportio medietatis duple et quarti ad quartam que per illas litteras describuntur est proportio dupla, ut patet ex penultima primi Euclidis14 . Notandum quod corrolaria ibi posita videntur esse falsa, quia multa fundantur super isto quod quelibet linea recta cuilibet linee recte sit conmensurabilis, scilicet comparabilis secundum certam proportionem. Modo illud est falsum de costa ⟨et⟩ dyametro eiusdem quadrati, que non sunt comparabiles, igitur nec figure quarum sunt latera. Posset forte dici quod non est eadem proportio intensionis formarum ad invicem que est proportio longitudinis figurarum tales formas designantium, ex eo quod intensio forme non designatur per longitudinem figure sed per altitudinem figure. Stat igitur quod figura cuius basis est costa quadrata sit certe altitudinis et sic in qualibet alia proportione quantitatis est figura cuius basis est dyameter eius quadrati tales figure sunt ad in14 Euklid (Campanus), Elemente I, 46, Ed. Busard, 92f. In dieser im Spätmittelalter weit verbreiteten Ausgabe des Campanus entspricht dieser Verweis dem Pythagoras-Theorem, was hier nicht in Frage zu kommen scheint. Möglicherweise hat der Kommentator einen anderen Text vor Augen, vielleicht eine Zusammenfassung oder Auswahl einiger Sätze, Definitionen und Prinzipien der Elemente.
1430 se ] post habent trans. W 1435 est ] post proprie trans. W 1437–1438 ad invicem ] om. W 1442 representatur ] representabitur W 1443 possunt ] possent W 1444 faciliter ] post ocurrere trans. F || Et ] om. W || post transeo ] post transeo] Etc add. F, Expliciunt latitudines formarum edite a venerabile viro fratre Iacobo de Florentia ordinis fratrum heremitarum sancti augustini unde laus et gloria resonet in divine trinitate patri et filio et spirito per eviterna secula amen finite Wiene et scripte anno 1466 feria quinta festivibus penthecoste per me Michaele Lochmair d’Haydeck add. W
W 16v
138 138
1465
1470
1475
1480
1485
1490
1495
Tractatus de latitudinibus formarum communis cum expositione eiusdem Tractatus de latitudinibus formarum communis cum expositione eiusdem
vicem comparabiles et sic singule alie rectilinee quo ad altitudinem que altitudo designat intensionem forme, licet non sunt comparabiles quo ad longitudinem sicut nec basis. Sed forte illud non sufficit, quia datis duobus quadrangulis sic se habentibus quod altitudine unius mensuretur costa quadrati et altitudine alterius dyametro eiusdem quadrati, tunc sicut ille linee modo sunt proportionales ad invicem proportione irrationale, sic nec ille due figure sunt ad invicem comparabiles sic quo ad altitudines earum quarum nec latitudines formarum quo ad intensionem per tales figuras imaginatas. Sic forte est de figuris curvilineis et latitudinibus per eam representatis, ut dato circulo cuius semidyameter est eisdem quadrati, illa quarta etiam representat latitudinem uniformiter difformiter difformem. Tunc oportet sicut ille due semidyametri illorum duorum circulorum non sunt comparabiles proportione rationali sic nec circuli, et per consequens nec quantitatem nec qualitatem nec latitudines per eas ymaginate, igitur etc. |Ad intelligendum quomodo formarum latitudines infinitis modis possent variari notande sunt 18 figure sequentes coniunctas divisione diversarum formarum latitudines, que sufficiunt studiosis pro exemplis, licet eedem adhuc infinitis modis possent variari ac multiplicari sicut auctor dicit circa textum secundo capitulo. Prime enim quattuor figure sunt simplices. Quarum prima est uniformis per totum, 2a uniformis difformis per totum, 3a simpliciter difformiter difformiter difformis cum linea ascendente convexa, 4ta scilicet linea descendente concava. Omnes autem alie sunt composite. Prime 4or scilicet 5, 6, 7, 8 componuntur quelibet ex duabus latitudinibus similibus gradus speciei. 5ta enim componitur ex duabus uniformibus per totum; 6ta ex duabus uniformiter difformibus. Sex autem alie immediate sequentes componuntur quelibet ex duabus similibus diversarum specierum coniunctis. Nona enim componitur ex uniformi et uniformiter difformi. Decima vero ex uniformi et uniformiter difformi concava. 4or vero ultime quelibet componuntur ex 3bus latitudinibus similibus diversarum specierum. 15 componitur ex uniformi et difformiter difformi concava et difformiter difformis convexa. 16 autem ex latitudinibus uniformi et uniformiter difformi ascendente et uniformiter difformiter descendente. 17 autem componitur ex uniformi et difformiter difformi concava et difformiter difformi convexa. Sed 18 componitur ex uniformiter difformi ascendente et difformiter difformiter difformi ⟨convexa⟩ et uniformiter difformi descendente. Et sic de aliis etc. 1464 ante quadrangulis ] vel duobus add. W 1475–1496 Ad intelligendum quomodo … Et sic de aliis etc ] om. F 1491 ante difformiter ] uniformiter scr. et del. W 1492 post ] ex add. W 1496 post difformi ] descendente scr. et del. W
W 17v
Tractatus de latitudinibus formarum communis cum expositione eiusdem Tractatus de latitudinibus formarum communis cum expositione eiusdem
A
B
A
Fig. 28: in marg. Ms. W.
1500
C A
139 139
C
140 140
Tractatus de latitudinibus formarum communis cum expositione eiusdem Tractatus de latitudinibus formarum communis cum expositione eiusdem
Fig. 29: Ms. W ff. 8v–9r.
Teil III Kommentar § 1. Einführung Der Ausführung der Textkommentierung wird zuerst eine Art „Vorwort“ – die Be‐ zeichnung „Prohemium“ kommt jedoch nicht vor – vorangestellt, in dem auf die Frage nach der Stellung und nach dem wissenschaftlichen Status der Formlatituden als scientia media eingegangen wird. Insofern diese ganze Thematik in De latitudinibus formarum nicht berührt wird, stellt dieses Vorwort einen der selbständigsten Beiträge der Expositio dar. Alle anderen Themenkreise leiten sich von dem kommentierten Grundtext, von LF, ab, und zwar mit unterschiedlichen Schwerpunkten. Der Text von LF, dessen Verfasser dem Verfasser der Expositio – dem Ausleger von LF – nicht bekannt ist, wird in einer guten Version wortwörtlich und vollständig mit dargeboten. Aber LF wird nicht gleich‐ mäßig behandelt: der Ausleger beschränkt sich auf einige Stellen, die er ausführlicher kommentiert und lässt andere unkommentiert. Er interessiert sich vor allem, vielleicht von der Erfüllung seiner Lehrpflichten angespornt, für die Einteilungen und Begriffs‐ bestimmungen von Kap. II.1, wo er der Sache auf den Grund gehen will. Auch für die suppositiones vom Kap. II.1 gibt er eine kurze Darlegung. Im Kapitel II.2 ergänzt er den Text mit den üblichen geometrischen Begriffen und Beispielen, die man in anderen derartigen Texten findet. Das letzte Kapitel II.3 bleibt, von einigen einzelnen Bemer‐ kungen abgesehen, unkommentiert. Es ist auch von der Sache her erwähnenswert, dass die Wiener Handschrift nicht nur mit vielen Figuren, von denen einige zweifellos zum Kommentar gehören, versehen ist, sondern auch mitten im Text mit einer groß angeleg‐ ten systematischen Darstellung der Latituden. Am Ende folgt sogar ein kurzer Passus mit den wichtigsten Figuren. Es ist nicht auszuschließen, dass all diese von dem Schrei‐ ber, Michael Lochmair, zum Zweck seiner Lehrtätigkeit an der Wiener Artistenfakultät hinzugefügt worden sind.
§ 2. Das „Prohemium“ der Expositio: Die scientiae mediae und der wissenschaftliche Status der Formlatituden (Zz. 1–124) Bei der Auslegung von LF wird zunächst einmal der wissenschaftliche Zusammen‐ hang berücksichtigt, in dem die Behandlung einer solchen Thematik und die Verwen‐ dung einer solchen Methode sinnvoll und verständlich erscheinen. Dies wird durch die Diskussion von sechs Fragen vollzogen, die die Expositio eröffnen:
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Welches ist das subiectum des Traktates De latitudinibus formarum? Handelt es sich um eine scientia media oder um eine scientia extrema? Welchen Titel hat dieses Buch? Welchem Teil der Philosophie wird das hier tradierte Wissen untergeordnet? Worin besteht die Nützlichkeit der Formlatituden? Welche Absicht wird hierdurch angestrebt?
Das sind die sechs Fragen, die unser anonymer Ausleger für aufschlussreich für seine Ein‐ führung hält. Er stellt sie ohne jeden Anspruch auf Neuigkeit oder Originalität dar, so, als wären sie die gängige Art und Weise, wie man damals auf einen solchen Text einzugehen pflegte. Da sie offensichtlich in einem Zusammenhang mit einer Reihe von Textstellen in verschiedenen Physikkommentaren und mit den Latitudines breves stehen, kann man gut von einer zeitgenössisch bedingten Diskussion ausgehen, derer Radius noch näher zu bestimmen ist. Wir dürfen sehr wohl davon ausgehen, dass sich die Frage nach dem wissenschaftlichen Status der Formlatitudenlehre auf denjenigen Universitäten ausge‐ dehnt habe, wo diese in den Lehrbetrieb aufgenommen wurde1. Man kann auch nicht leugnen, dass die Einführung von Averroes zu seinem Physikkommentar als eine indi‐ rekte und nicht mehr besonders relevante Quelle für diese Fragestellungen gedient haben kann. Aber bei Averroes, dessen Vorwort jedoch in der späteren Physikkommentierung durchaus weitere Beachtung fand, geht es um die Einordnung einer Wissenschaft, die Naturphilosophie, deren Status nie ernstlich in Frage gestellt wurde und die von daher als solche schon längst abgesichert war2. Das ist eben nicht der Fall in dieser Expositio zu LF. Die sechs Fragen, die sehr eng miteinander zusammenhängen, machen sehr deutlich, dass diese Disziplin, die Formlatituden, Konstitutionsprobleme aufweist, die für die da‐ malige Zeit von Bedeutung gewesen sein müssen. Wir dürfen sehr wohl davon ausgehen, dass sich die Frage nach dem wissenschaftlichen Status der Formlatituden auf diejenigen Universitäten ausgeweitet haben kann, an denen diese Lehre – und dieser Text LF – in den Lehrbetrieb aufgenommen wurde (eine Vermutung, die nicht nur für Deutschland, sondern auch für Polen gilt). Diese sechs Fragen werden in unserer Expositio jedoch nicht alle und in der Rei‐ henfolge, wie sie gestellt wurden, behandelt, was z. T. auch inhaltlich bedingt ist. Der Ausleger will vielmehr auf die beiden ersten Fragen eingehen, indem er seine eigene Auf‐ fassung, die erst zum Schluss des Vorwortes deutlich wird, anderen Auffassungen entge‐ genstellt. Auch die etwas seltsame dritte Frage wird in die Diskussion mit einbezogen. Wörtlich genommen ist sie hierbei natürlich sinnlos, denn entweder kennt man den Ti‐ tel des Buches oder nicht, ohne dass sich daraus irgendein Anlass zu einer theoretischen Auseinandersetzung ergibt. In Wirklichkeit aber wird dadurch nach dem allgemeinen, auf einen Hauptgegenstand gerichteten Inhalt des zu kommentierenden Textes gefragt,
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Diese Vermutung möchte ich als solche für die deutschen Universitäten und auch für Krakau gelten las‐ sen. Für Italien ist sie eher mit negativem Zeichen zu prüfen und anschließend zu fragen, warum dies der Fall ist. Auch eine sehr große Anzahl von Kopien und mehreren Drucken und nicht zuletzt der Fall zum Beispiel des berühmten – etwa zeitgenössischen – Philosophen Biagio Pelacani belegen auch eine intensive Beschäftigung mit LF in Italien. Eine eindeutige Einordnung dieser Lehre als eine neue scientia media habe ich bisher nicht ausmachen können. Averroes nimmt sich im Vorwort des Physikkommentars vor, die intentio, utilitas, ordo, divisio, proportio, via doctrinae, nomen libri und nomen auctoris zu erklären (Averroes 1562, ff. 1r –5r). Zur Nachwirkung im 16. Jahrhundert vgl. de Soto, Quaestiones, praefatio 1–5, und Francisci Toleti Commentaria fol. 1ra–8vb.
§ 2. Das „Prohemium“ der Expositio
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was schon in der ersten Frage diskutiert wird. Da nun die Bestimmung des Texttitels ein Anhaltspunkt für ein dem Ausleger vorgegebenes Argument in einer der Thesen zur ersten Frage ist, muss der Ausleger sie miteinschließen und neben den anderen Fragen auflisten. Aber wie wir sehen werden, hält er nichts von diesem Argument. Zu einer Entscheidung aller sechs Fragen kommt es am Ende, und zwar leider in einer ziemlich gedrängten und abrupten Weise. Aus der Diskussion der ersten drei Fragen heraus wird dann bezüglich jeder einzelnen Frage Stellung genommen, wobei nun die drei restlichen Fragen knapp beantwortet werden. Man muss darüber hinaus sagen, dass die Erörterung dieser sechs Fragen – so interessant und bedeutsam sie selbst für unsere Untersuchung sind – weit davon entfernt ist, vorbildlich zu sein. Die Knappheit in der Darstellung der Argumente und Begründungen wirkt oft enttäuschend; die Begrifflichkeit – der Ausleger setzt ja eine Reihe von außergewöhnlichen Begriffen als gängig voraus – ist nicht immer deutlich genug; die Übergänge von einem Gedankengang zu einem anderen scheinen nicht bis ins Detail ausgearbeitet geworden zu sein. Ein Teil dieser Probleme könnte sehr wohl mit dem überlieferten Text zusammenhängen, denn fast das ganze Vorwort blieb nur in der Freiburger Handschrift erhalten, deren Schreiber seine Aufgabe nicht immer einwandfrei erfüllte3. Dennoch stellt es den längsten und ausführlichsten bisher bekannten Beleg über die Entwicklung der Formlatitudenlehre als scientia media dar, und somit ist es nicht nur einer kurzen Erwähnung, sondern auch einer genaueren Analyse wert4. Wir gehen nun der Diskussion des Vorwortes nach. Es wird zuerst die erste Frage diskutiert, für die schon eine These vorliegt. „Einige“ sagen hierzu, dass das subiectum von dieser Abhandlung die Formlatitude (latitudo forme) sei. Die Begründung wird dem Titel des Buches – „tractatus communis de latitudinibus formarum“ – ohne weiteres ent‐ nommen. Mit dieser Festlegung können dieselben auch die zweite Frage beantworten: es handelt sich um eine scientia media zwischen der Naturwissenschaft und der Geometrie, dessen subiectum aus Begriffen beider Wissenschaften zusammengesetzt ist: „latitudo“ hängt unmittelbar mit der Kategorie der Quantität zusammen und kommt bekanntlich aus der Geometrie; „forma“ hingegen beinhaltet in ihrer Bedeutung auch Bewegung, sie kommt deshalb aus der Physik. So wird also hier der Titel des Buches als sichere Be‐ zeichnung seines Inhaltes übernommen und dann die Zusammensetzung beider Worte im Titel hervorgehoben. An dieser Stelle wird deutlich, dass der Ausleger die Latitudines breves 1–3 oder ähnliche Texte vor Augen hat, in denen die Formlatituden als scientia me‐ dia gekennzeichnet werden. Die Zurückführung des Problems auf den Titel des Buches befindet sich in den Latitudines breves 2; die Auflösung des Titels nach seinen Begriffen wird in Latitudines breves 1 deutlich angesprochen5. 3
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Das lässt sich schon im Vorwort feststellen, von dem die Wiener Handschrift nur die letzten Zeilen enthält. Hier, wo die Frage nach der utilitas beantwortet wird, heißt es zweifellos richtig in dieser Handschrift ad multa sophismata solvenda, während die Freiburger Handschrift ad multa sophismata solida (!) enthält (das Wort ist vollständig und ohne Abkürzungen geschrieben). Clagett, der sich auf die Freiburger Handschrift beschränkt hat, schrieb jedoch über die Problematik des Vorworts kein einziges Wort. Di Liscia, LB 90f. und 95. Unter der Frage nach dem subiectum scientiae wurde im Spätmittelalter vor allem die Verbindung zwischen Physik und Metaphysik untersucht. Für eine ausführliche Darstellung in Bezug auf die Metaphysik siehe Forlivesi, Debate. Di Liscia, Subject matter, diskutiert die Ansichten des Compendium utriusque philosophie von Jacques Legrand, das gegen Anfang des 15. Jahrhunderts ent‐ standen ist.
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Diese erste Auffassung findet der Verfasser der Expositio jedoch unvertretbar. Bei seiner Widerlegung hält er sich an das genannte Argument, das so isoliert genommen natürlich sehr schwach ist. Der „Beweis“ oder die Begründung (probatio) für die Ant‐ wort auf die erste Frage ist – meint der Ausleger – unzureichend: man darf nicht vom Titel des Buches her argumentieren, denn wie soll dies für die Physik, für De caelo oder für andere Bücher, wie die logischen Schriften von Petrus Hispanus6, gelten? An diesen etwas simplifizierenden Einwand7 schließt er noch einen zweiten Einwand an, der in der Tat sachlicher ist: diese Meinung basiert letztendlich auf der Begriffsauflösung des Aus‐ drucks latitudo formarum und auf der entsprechenden Zuordnung der Begriffe in ihrem wissenschaftlichen Umfeld. Dieser Ansatz geht letztlich auf Buridan und seine Nach‐ folger zurück und setzte sich im 15. Jahrhundert als übliche Annäherung zum Problem durch: hier die Geometrie, dort die Physik; beide basieren auf verschiedenartigen Sätzen mit jeweils physikalischen oder geometrischen Begriffen (termini). Aber in dieser These liegt – das ist jetzt die Kritik des Auslegers – ein Verständnisfehler, denn latitudo ist in diesem Zusammenhang kein geometrischer Begriff. Man nimmt ihn hier – so meint er – nicht nach seiner eigentümlichen Bedeutung, sondern pro intensione graduali, d. h. also, dass dieser Begriff – oder besser gesagt: der terminus, der ihn im Satz vertritt – hierfür nicht „geometrisch“, sondern „naturphilosophisch“ verwendet wird. Diese Behauptung bildet die Brücke zur Erörterung der zweiten These, die zusam‐ menfassend folgendermaßen lautet: wenn latitudo formae mit intensio gradualis formae gleichbedeutend ist – der Anlass zu einer äquivalenten Verwendung beider Ausdrücke findet sich schon in LF – und dies als subiectum angenommen wird, ist also diese Dis‐ ziplin nicht eine mittlere Disziplin, sondern vielmehr eine extrema, und zwar naturalis philosophia. Zur Begründung der begrifflichen Gleichsetzung zwischen latitudo und in‐ tensio gradualis bringt der Ausleger ein etwas seltsames Argument, das letztendlich auch auf Buridan zurückzugehen scheint: Der Status eines wissenschaftlichen subiectum er‐ fordert offensichtlich die Erfüllung einer Reihe von Bedingungen, unter denen er das communissimus erwähnt. Was nun hierunter fachlich genau zu verstehen ist, erklärt er nicht, aber man kann cum grano salis vermuten, dass es ihm auf die Allgemeinheit an‐ kommt, mit der ein bestimmter Begriff in einem wissenschaftlichen Umfeld benutzt wird. Daraus ergibt sich wohl auch die Vertrautheit mit ihm, die man in dem Umgang mit einer Wissenschaft voraussetzen kann, ohne dass deswegen von vornherein gewusst werden muss, wie er zu bestimmen ist. Jedenfalls scheint er betonen zu wollen, dass das communissimus daraus abzuleiten ist, dass die Lernenden dieser Disziplin – das ist übrigens ein kleiner Hinweis auf eine mögliche Lehrtätigkeit des Verfassers – hier, mit der intensio gradualis formae, über ein subiectum non transcendens verfügen, d. h. über einen Begriff, der den gesamten Fragenkreis umfasst und die anderen Fachtermini unter sich anordnet. Im Falle der Formlatituden heißt dies, dass die verschiedenen Arten und
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Dies ist gerade jene Stelle, die ich oben in Verbindung mit den logischen Schriften von Lochmair zitiert habe, wo es um Petrus Hispanus geht (vgl. S. 60, 64 –68.). Es ist meiner Meinung nach anzunehmen, dass die Absicht dieser These darin besteht, sich auf die be‐ griffliche Zusammensetzung von forma und latitudo zu beziehen, die in dem Traktat LF überall vorkommt und augenscheinlich für den Gegenstand der Untersuchung eine entscheidende Rolle spielt. Um dies zu betonen, kann man sicherlich den Titel des Textes nehmen, in dem diese Sachlage zusammenfassend ausge‐ drückt ist. Wenn man nun den Titel wegen des von dem Ausleger oben erhobenen Einwandes beiseitelassen muss, bleibt jedoch die Sachlage dieselbe.
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Begriffsbestimmungen der latitudines nicht selbständig und hauptsächlich (principali‐ ter) behandelt werden, sondern vielmehr nur unter dem Oberbegriff der Formintension, auf den sie sich letztlich beziehen8. Daher kann man also gleich auf die zweite Frage die Antwort geben, nämlich dass die Wissenschaft der Formlatituden Naturphilosophie ist. Auch wenn die Gedankenführung unseres Auslegers z. T. als unzureichend angese‐ hen werden könnte, ist jedoch die Bedeutung einer solchen Aussage nicht zu unterschät‐ zen. Wir finden hier zum ersten Mal in einem solchen Kontext, kurz aber eindeutig, die Behauptung, dass die Naturphilosophie und die Mathematik zu verschmelzen sind und dass dies und jenes, was in der Formlatitudenlehre getan wird, als Physik verstanden werden könne. Ein Teil also dieser Lehre entwickelte sich in eine Richtung mit sachlicher Bedeutung und nicht allein zu einer Illustrationstechnik von tradierten Handschriften und neuen Drucken9. Es folgen dann einige Einwände und Gegeneinwände zu dieser These, die unser Aus‐ leger letztendlich verwerfen wird, bevor er zu seiner Stellungnahme kommt. Der erste Einwand lautet: der Traktat LF enthält ein rein geometrisches Kapitel (II.1), in dem nur geometrische Entitäten erörtert werden, die allerdings keine Beziehung zu der intensio gradualis haben. Als Antwort zu diesem berechtigten Einwand beruft sich der Ausleger auf den methodischen Ansatz von LF: ein solches Kapitel ist nicht das Entscheidende in dem Traktat LF. Die rein geometrischen Begriffe sind zwar da, aber sie dienen der – methodischen – Hauptabsicht, nämlich zu untersuchen, wie eine bestimmte latitudo beschaffen und durch welche Figur sie am geeignetsten darzustellen sei. Hinter dieser Antwort, die ebenso lakonisch wie die Frage formuliert wird, steckt nun eine der Haupt‐ schwierigkeiten des Traktates LF selbst: es ist sicherlich eine offene Frage – hier sehen wir es ja deutlich –, welcher der sachliche Gegenstand des Textes ist, d. h. welches Natur‐ ding hier erforscht wird. Und der Grund für den Mangel an Deutlichkeit und an einem festen Anhaltspunkt für eine Antwort auf diese Frage findet sich in der Beschaffen‐ heit des Traktates selbst, in seinem Inhalt. Denn LF beinhaltet vor allem eine Methode, eine Technik oder ein Verfahren, mit dem wiederum andere, sehr unterschiedliche Ge‐ genstände behandelt werden können. Diese Spannung zwischen dem Gegenstand der Untersuchung, dem sachlichen Gegenstand (dem Naturding) und der Methode lebt in dem Traktat LF und wird immer wieder fast jedem Text, der sich in Anschluss an ihm mit dem Begriff der latitudo beschäftigt, unvermeidlich übertragen. Davon ist gerade diese Expositio eines der besten Beispiele. 8
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Auf die Problematik des subiectum scientiae geht Buridan – wie gezeigt, ohne die Formlatituden zu erwäh‐ nen – in den proömialen Quästionen seines Physikkommentars secundum ultimam lecturam ausführlich ein. Dabei legt er dieselbe Terminologie fest, die unser Ausleger benutzt, und bestimmt natürlich ent‐ scheidend die Frage selbst: Septima conclusio est quod huiusmodi subiectum dicitur ex eo quod est genus communissimum inter considerata in illa scientia non transcendens metas illius (Buridan, Quaestiones physi‐ corum, Q. 2: Utrum totalis scientie naturalis debeat assignari subiectum unum proprium, hierfür 20, 11–13); Secunda conclusio est quod ille terminus ‚ens mobile‘ est subiectum proprium in scientia naturali assignandum, quia ille est terminus communissimus inter considerata in scientia naturali et non limites transcendens scientiae naturalis [. . . ]. Naturalis [=der Physiker] igitur bene considerat istos terminos ‚ens‘ et ‚unum‘ restrictos, sed non simpliciter et universaliter, quia transcendunt suos limites. Sed iste terminus ‚ens mobile‘ non trascendit (ebd., Q. 3: Utrum ens mobile sit subiectum proprium totalis scientiae naturalis vel quid aliud, hierfür 25, 7– 10 und 22–24). Siehe hierzu Di Liscia, Latitude. Der Weg, den Londorius in seinem Physikkommentar tatsächlich gegangen ist, steht also grundsätzlich mit dieser Auffassung im Einklang, obwohl er der Meinung war, dass die Formlatituden eine scientia media waren, Di Liscia, Latitude.
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Es wird nun ein zweiter Einwand gegen diese zweite These erhoben, für den je‐ doch keine befriedigende Antwort mitgeteilt wird. Die Diskussion konzentriert sich nun stärker um den Gesichtspunkt des Terminismus: eine Wissenschaft besteht aus Sätzen, Annahmen und vor allem aus Konklusionen, die wiederum aus Begriffen bestehen. Diese letzten bestimmen die Zusammengehörigkeit oder Fremdheit der Sätze zueinander, mit denen man die Beweise aufbaut. In der Lehre der Formlatituden gibt es jedoch eine Anzahl von Sätzen, in denen geometrische Begriffe benutzt werden, die sich aber keines‐ wegs auf die intensio forme gradualis beziehen. Der Einwand basiert wie vorhin auf dem geometrischen Gehalt des Traktates LF. Aber während in dem ersten Einwand auf die Benutzung von geometrischen Termini in II.2 hingewiesen wird, in einem Kapitel also, wo keine Beweisführung intendiert wird, wird jetzt die Aufmerksamkeit auf II.2 und II.3 gelenkt, wo Annahmen und „Beweise“ – oder besser gesagt: „Begründungen“ – dargebo‐ ten werden. Nun muss man annehmen, dass der Gegner ebenso der festen Meinung ist, dass die Wissenschaft im aristotelischen Sinne demonstrative erfolgt. Daher kann man jetzt nicht mehr sagen, dass dieser Teil etwa „dienlich“ sei, wie beim ersten Einwand. Die Beweisaufstellung ist wesentlich; aber hier sind eben diese geometrischen Begriffe noch immer vorhanden, die – wie gesagt – keine Beziehung zu dem als solchem beanspruchten subiectum (d. h. die intensio formae gradualis) haben. In diesem zweiten Einwand findet der Ausleger einen festen Anhaltspunkt zur Auf‐ stellung seiner eigenen Meinung. Bezüglich der ersten Frage kann er jetzt absolute be‐ haupten, dass das subiectum dieser Disziplin tatsächlich eine Zusammensetzung aus den jeweiligen Gegenständen von beiden, unterschiedlichen, „extremen“ Wissenschaften ist. Jedoch ändert er hier stillschweigend einen wichtigen Punkt: Auf der einer Seite steht die Physik, von der als Gegenstand ja die Formintension bleibt; aber auf der anderen Seite ist nicht mehr das rein Geometrische – wie die Vertreter der ersten Auffassung gemeint haben sollen –, sondern „die Form, die durch eine geometrische Figur darstellbar ist“ (forma ymaginativa per figuram geometricam). Die Diskussion schließt mit zwei notanda, die sich knapp aber deutlich auch in den LB I befinden. Erstens stehen die Begriffe intensio gradualis und latitudo forme für, oder beziehen sich auf, dasselbe, aber nicht in derselben Weise (eine Unterscheidung, die wie ein scholastisches Äquivalent von Freges „Sinn“ und „Bedeutung“ wirkt). Dadurch kann sich der Ausleger sehr gut von der zweiten Meinung unterscheiden: Es ist nicht unmittel‐ bar gerechtfertigt, wenn man latitudo als intensio versteht, denn dabei sieht man zwar die in beiden Fällen gültige suppositio der Begriffe, aber man übersieht die unterschiedliche significatio. Diese significatio ist jeweils von Nebenbedeutungen (connotationes) geprägt und zwar so, dass, wenn man den Begriff latitudo verwendet, nicht nur eine Intension gemeint wird, sondern auch die Tatsache mitgemeint wird, dass eine solche Intension durch eine geometrische Figur darstellbar ist. Dies aber geschehe nicht mit dem Be‐ griff der intensio, der bei der zweiten Auffassung zur Sprache gebracht wird. Anders liegt die Sache bei der ersten Auffassung, der der Ausleger ein inhaltliches Zugeständ‐ nis macht, wodurch allerdings seine Stellungnahme z. T. deutlicher wird. Er behauptet, dass nicht nur sein longum complexum als subiectum der Formlatitudenlehre anzuneh‐ men ist; auch das von der ersten Auffassung vertretene subiectum darf ebenso gut hierfür angegeben werden, solange unter latitudo formae eine „ darstellbare Form“ verstanden wird. Zu diesem Zweck führt er den Fachausdruck forma latitudinabilis ein, der in seiner Kommentierung wiederholt zur Anwendung kommt und bisher in der Literatur nicht bekannt gewesen zu sein scheint. Hier entspricht der Neologismus latitudinabilis im
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Rahmen der Formlatitudenlehre dem Oresme’schen Begriff configurabilis, d. h. „darstell‐ bar“. Somit bejaht der Ausleger im Grunde die erste Auffassung, obwohl diese an einer unzureichenden Begründung leidet. Wenn man diese Auffassung mit den eben vorge‐ schlagenen Verbesserungen annimmt, so ist klar – meint er –, wie die unterschiedlichen Begriffseinteilungen und Begriffserklärungen in dieser Disziplin zu verstehen sind, zu‐ mal ihre Termini auf das so angegebene subiectum bezogen sind. Man kann also an dieser Stelle noch einmal feststellen, welcher entscheidende Einfluss die terministische Wende auch in diesem Bereich, der naturgemäß außerhalb der Logik steht, im 15. Jahrhundert ausübte, denn das Ganze läuft letztendlich auf eine sprachphilosophische Erörterung hinaus, die man gewöhnlich in der „Buridan-Schule“ findet und nicht in den maßgeb‐ lichen Werken von Bradwardine, Heytesbury oder Richard Swineshead. Das zweite notandum bringt eine weitere Einschränkung, und daher soll es auch als eine Widerlegung der zweiten Auffassung gelten. Jetzt spielen das Mathematische und die terministische Satzanalyse keine Rolle. Es geht um Folgendes: bei den Formlatituden kommt die wichtigste Stellung nicht der Lokalbewegung zu, sondern – das ist tatsächlich die gängige Meinung, die hier vorausgesetzt wird – der qualitativen Verteilung der Grade auf dem Träger. Im Grunde genommen handelt es sich dabei um keine Bewegungsart. Daher wird in diesem neuen Einwand daran erinnert, dass der Inhalt dieser Disziplin nicht nur aus der Behandlung dieses einen Falles besteht – was von den Vertretern der ersten These angenommen zu werden scheint –, sondern auch in der Berücksichti‐ gung der Lokalbewegung besteht und in anderen Einzelproblemen, die die substantiellen Formen betreffen (darauf komme ich später zurück). Die Formintension als subiectum anzunehmen, ist also für allzu eng zu halten. Damit schließt er die Diskussion der ersten Frage, bei der – wie gesagt – auch die zweite und die dritte Frage mit eingeschaltet werden mussten. Es folgt dann eine kurze Stellungnahme zu den restlichen Fragen, insofern diese sich von der Antwort auf die erste Frage ableiten lassen. Auf die zweite Frage steht die Antwort schon fest: die Form‐ latituden sind für den Ausleger eine scientia media zwischen Geometrie und Naturphilo‐ sophie, deren subiectum eine Zusammensetzung aus den subiecta dieser beiden extremen Disziplinen ist und in deren wissenschaftlichen Aufbau Sätze mit Begriffen aus diesen beiden Disziplinen gebraucht werden. Als Beispiel hierfür erwähnt er das tradierte Bei‐ spiel der Optik10. Im Anschluss daran stellt er die Frage nach dem faktischen Zustand,
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Die Optik, erwähnt von Aristoteles selbst in Physik II.2, zählt zu den scientiae mediae, die auch am nächsten zur Wissenschaft der Formlatituden stehen. Sie handelt zwar nicht von der Bewegung – wie die scientia de proportionibus –, sondern von dem Sehstrahl, aber gerade deshalb ist ihre mathematische Seite nicht die Arithmetik, sondern die Geometrie. Ihre Generalisierung als Wissenschaftsmodell ausgehend von den älteren Arbeiten von Grosseteste, Bacon, Witelo und vor allem Pecham kann in diesem Zusammenhang eine wichtige Rolle gespielt haben. Man kann für sicher halten, dass die Optik in Krakau, Wien, Prag und höchstwahrscheinlich in anderen deutschen Universitäten ebenso gepflegt wurde, wie eine ganze Reihe von Handschriften und Vorlesungsanträge belegen. Nach Lindberg, Catalogue 76, ist ein Kommentar von Wigandus Durnheimer zu Pechams Perspectiva communis in zwei Handschriften enthalten: Hss. Dres‐ den, Sächsische Landesbibl., Db. 85, fol. 17r –112v, und Wien, ÖNB 5257, fol. 120(1)r –198(199/79)r. Es gibt außerdem eine ganze Reihe von ähnlichen relevanten Texten, die anonym oder von zweifelhaften Zuschreibung sind, die auch dieser Tradition gehören: Lindberg, Catalogue 30, erwähnt zum Beispiel eine anonyme Perspectiva communis in Ms. Berlin, Staatsbibl., Lat. O.193, fol. 184r –209v, und optische Schriften ähnlicher Art in mehreren Krakauer Handschriften, die S˛edziwój von Czechel zumindest teil‐ weise zugeschrieben werden könnten, Lindberg, Catalogue 15 und 28. Interessant ist auch, dass der
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dass in der Tat die Lehre der Formlatituden nicht zu den „gewöhnlichen“ mittleren Wis‐ senschaften zählt. Das Ganze ist hier nicht neu; am nächsten daran liegt eine Stelle von Heinrich Platerberger11. Die Antwort sowohl von dem einen wie von dem anderen ist be‐ merkenswert, zumal sie gerade über diese neue Entwicklung berichten: es ist richtig, dass die Formlatitudenlehre tatsächlich (in den gewöhnlichen traditionellen Physikkommen‐ taren, das ist anzunehmen) nicht eingeschlossen wird, aber in Wirklichkeit spricht nichts dagegen. Sie kann – meint der Ausleger – ruhig zu den mittleren Wissenschaften gezählt werden, ebenso wie andere Disziplinen, die die oben diskutierten Bedingungen erfüllen. Als Antwort zur dritten Frage wird der Titel des Textes lediglich festgelegt: Tractatus de latitudinibus formarum communis, wobei mit communis sicherlich auf die Tatsache hingewiesen wird, dass dieser Traktat den Grundtext für den an der Universität zu erler‐ nenden Lehrstoff darstellt, aus dem andere damals gängige derartige Texte – wie z. B. die Latitudines breves oder die Arithmetica communis – entstanden sind12. Zugleich versucht er, die ganze Frage nach dem Titel von der Frage nach dem subiectum zu trennen, so dass er nun erklärt, dass in diesem Traktat die causa materialis berührt wird, insofern dessen Materie – oder Thematik – die Formlatitude ist. Bei der Stellungnahme zur vierten, d. h. zur Frage nach der Unterordnung, wiederholt der Ausleger seine Antwort auf die erste Frage, die mit dieser inhaltlich zusammenhängt13. Die Antwort auf die letzte Frage ist sozusagen pro forma: Absicht des Verfassers ist, die wahre Theorie (ymaginatio) über die Formlatituden beizubringen. Am wichtigsten ist die Antwort auf die fünfte Frage,
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anonyme Kommentar zu Pechams Perspectiva communis in der Hs. München BSB, Clm 19695, fol. 131r – 175v (auch erwähnt von Lindberg, Catalogue 26), sich auf die Optik als eine scientia media beziehe, und zwar mit einer ähnlichen Begrifflichkeit, wie wir sie in den Texten zu den Formlatituden finden. Der Text ist rubriziert: Johannis de Pisano in libro phylosophiae seu scientiae communis perspectiva. Es handelt sich um einen Randkommentar zu Pecham. Der anonyme Verfasser scheint anzunehmen, dass die Perspectiva von Pecham auf die Perspectiva von Witelo zurückgeht: Inter physice considerationis studia, etc: Iste liber perspectiva communis Johannis Pisano [sic] a perspectiva Vitelli cuius subiectum est linea visualis dividitur in 36 partibus. In prima determinatur de visione qua fit per radios rectos, in secunda qua fit per reflexos, in tertia qua fit per radios . . . (fol. 131r). Diese ist eine Tegernseer Handschrift, die aller Wahrscheinlichkeit nach mit dem Unterrichtsstoff an der Wiener Artistenfakultät in Verbindungen gebracht werden kann. Zu den wichtigsten Autoren in diesem Kontext wegen der historischen Tragweite seiner Idee und dessen Einfluss in Wien gehört Heinrich von Langenstein, dessen Quaestiones de perspectiva eine kritische Edition verdienen (für die Textzeugen siehe Lindberg, Catalogue 87). Natürlich zeugt auch die Produktion von Abschriften der englischen Perspektivisten für ein besonders Interesse an dieser Thematik. Daher gehört auch in diesen Kontext die Handschrift Pommersfelden, Graf von Schönborn Schlossbibliothek 262, wel‐ che eine bisher unbekannte Abschrift von Bacons Perspectiva überliefert (Druck: Lindberg, Roger Bacon; Liste der Handschriften ebd. C–CV). Weitere Untersuchungen zum Umfang und zum Schwerpunkt der Universitätsoptik im 15. Jahrhundert und insbesondere in den deutschen Universitäten sind daher vonnö‐ ten, um sich ein angemessenes Gesamtbild dieser Entwicklung zu verschaffen. Für einige wertvolle Ansätze in Bezug auf Prag siehe Busard, Texte (jedoch hauptsächlich mehr zur reinen Mathematik als zur Optik) und Liˇcka, Studying. Für den gesamten Kontext und weitere bibliographische Angaben sind Lindberg, Catalogue, sowie auch ders., Theories, unerlässlich; für die wichtigsten Autoren des 13. Jahrhunderts, die die Basis für die spätere Optik darstellen, siehe Lindberg, Lines. Pechams Perspectiva communis liegt in einer kritischen Edition von Pecham, ed. Lindberg, vor. Vgl. Di Liscia, Geometrie 50. Über den Begriff communis in diesem Zusammenhang vgl. oben S. 62. Es handelt sich dabei leider um eine allzu kurze Stellungnahme. Offensichtlich hält er hier jedoch die Argu‐ mentation durch die Begriffsunterscheidung zwischen terminus geometrie und terminus physicus, für diese Frage beschränkt, für hinreichend; denn das ist eigentlich ein Argumentationszug, den er für die erste Frage teilweise widerlegt hatte.
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denn sie zeigt nun die echte eigene Absicht bzw. das, was bei der Beschäftigung mit einer solchen Problematik, d. h. bei der jetzigen Auslegung des Traktates, bezweckt wird. Es handelt sich um eine Aussage über die Nützlichkeit (utilitas) des ganzen Unternehmens, die man schon im Grunde genommen bei den Latitudines breves gefunden hat: „Zur nächsten [fünften] Frage wird geantwortet, dass die Nützlichkeit darin besteht, viele Teile der Philosophie zu verstehen, denn sie [die Lehre der Formlatituden] dient dem Verständnis aller Arten von Bewegungen, wie sie nach [ihrer] Zu- und Abnahme und im Hinblick auf die Zeit oder im Hinblick auf das Subjekt sind; und auch [dient sie zum Verständnis] der qualitativen Bewegung, wovon die Materie des vorliegenden Traktates am häufigsten handelt. Aber vor allem dient sie [dem Verständnis] der Materie des drit‐ ten Buches der Physik und ganz besonders der Lösung von vielen Sophismen.“ Soweit die einführende wissenschaftstheoretische Diskussion am Beginn der Text‐ auslegung, die nun mit einer kurzen Wiedergabe der Gliederung des Traktates eingeleitet wird. Es wird ab nun mit Erwähnung des vollen Textes ad litteram kommentiert. Dabei will der Ausleger oft auf die Erklärung von einigen besonders wichtigen oder doppeldeu‐ tigen Fachtermini eingehen, aber, in Einklang mit der obigen Aussage hatte er nicht vor, an der Auslegung einzelner Wörter hängen zu bleiben, sondern die Hauptproblematik des Textes zu diskutieren und zu erweitern.
§ 3. Zum Prohemium von LF (Zz. 125–180) Die Ergänzung beginnt schon bei der Kommentierung des „Proömiums“ selbst, d. h. bei derjenigen kurzen Stelle, in der der Verfasser von LF die Einteilung und die Absicht seines Werkchens vorangeschickt hatte. Zur Erinnerung: Die Formlatituden sind sehr wechselhaft, ihre Vielfalt lässt sich ohne die Verwendung von geometrischen Figuren schwerlich begreifen; es werden daher zuerst die Begriffsbestimmungen und die Eintei‐ lungen von ihnen dargeboten und nachher werden auf sie die Figuren angewandt. Daran, ohne nun die Sache mit seiner eigenen proömialen Diskussion zu verwickeln, hängt der Ausleger vier Bemerkungen (notanda): 1. Bei der ersten Bemerkung geht der Ausleger unmittelbar auf das fachtermino‐ logische Problem zu, das hinter allen solchen Texten steht und auf das er selbst, trotz seines entschiedenen Beginnes, zurückkommen wird: was heißt eigentlich latitudo, wie ist dieser Begriff zu benutzen? Eine Festlegung der Hauptbegriffe, mit denen der Aufbau der Darstellung einer Formveränderung oder Formverteilung beschrieben wird, scheint ihm auf jedem Fall notwendig. Dabei hält er sich an den üblichen Sprachgebrauch: die graduale Intensität der Form wird deren latitudo genannt; ihre Ausdehnung (extensio) nach dem Subjekt oder nach der Zeit hingegen longitudo. Eine solche Festlegung findet man in LF eigentlich nicht, wenn auch sicherlich diese Termini – natürlich nicht nur, das ist ja das Problem – in dieser Weise benutzt werden. Aber sie ist in der Literatur nicht unbekannt: sie wird in dem Proömium von LB I angesprochen und vor allem – das ist auf jeden Fall die Quelle, worauf dies zurückgeht – in Oresmes De configurationibus. Hier führt Oresme eine längere Erörterung der zu benutzenden Fachbegriffe durch, die an der passenden Stelle bereits ausgewertet wurde14. Aber nicht allein die Festlegung der
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Vgl. DC 164–176. Siehe oben S. 30.
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Terminologie, sondern vor allem die spezifische Begründung zeigt, dass die Gedanken von Oresme wohl indirekt bei dem Ausleger angekommen sind: Die erste Dimension der Körper, eben die longitudo, sei „bekannter“ als die andere und daher seien auch die räumliche und zeitliche Ausdehnung der Form bekannter als ihre Intensität. 2–3. Bevor nun auf die verschiedenen Veränderungen der Formen eingegangen wird, scheint es auch zweckmäßig zu sein, eine Einteilung der verschiedenen Formen voranzu‐ schicken, um beurteilen zu können, welche Formen zu welcher Veränderung fähig sind. Denn davon hängt es ab, ob und wie sie dargestellt werden können. Derartige Eintei‐ lungen findet man auch in LB 2–3 und in den Quaestiones heidelbergenses15. Für die Hauptfälle werden auch Beispiele angegeben. Zum Überblick: Forma 1. indivisibilis (anima intellectiva). 2. divisibilis: 2.1. solum extensive (forma substantialis). 2.2. solum intensive, i. e. „gradualiter“ (forma accidentalis). 2.3. extensive et intensive: 2.3.1: forma gradualis subiecto coextensa. 2.3.2: forma gradualis que acquiritur temporaliter (subjectum indivisivilis). 2.3.3: forma gradualis divisibilis ratione temporis; acquisitio „per partem post partem“. Die Formen können zuerst (1) schlechthin unteilbar oder (2) nach verschiedenen Kri‐ terien teilbar sein. Zu den ersten zählt die intellektive Seele. Bei der zweiten Art, auf die es hier näher ankommt, lassen sich drei Unterarten unterscheiden: (2.1.) Einige sind teilbar nur der Ausdehnung nach. Es handelt sich um die substantiellen Formen, die an sich keine Zu- und Abnahme erfahren können, aber insofern sie auch einem Subjekt in‐ härieren, können sie auch nach dessen Ausdehnung geteilt werden; (2.2.) andere sind nur intensiv oder nach Graden teilbar. Darunter zählen z. B. die Eigenschaften und Fähigkei‐ ten der Seele, die in sich selbst teilbar sind, aber einem unteilbaren Subjekt inhärieren. Dies hat zur Folge, dass sie nicht der Ausdehnung nach geteilt werden können. Aber solche Formen, d. h. Qualitäten, können natürlich eine Steigerung oder Abschwächung erfahren. Davon abgesehen, dass nicht alle Träger solche Eigenschaften, z. B. Klugheit oder Gerechtigkeit, gleichermaßen besitzen, kann man individualiter bemerken – das ist nun der Fall, der vom Ausleger herangezogen wird –, dass sich dieselbe Eigenschaft der Seele, die Klugheit eines einzigen Menschen, im Verlaufe der Zeit stärken oder ab‐ schwächen kann. Wenn diese Eigenschaften vom Subjekt nicht plötzlich, sondern in einem Zeitablauf erworben werden, machen sie einen qualitativen zeitlichen Vorgang aus, der die Teilung der Form in Hinblick auf die Zeit ermöglicht, und somit sind sie auch durch geometrische Figuren darstellbar. (2.3.) Es gibt letztendlich Formen, die so‐ wohl der Intensität nach als auch der Ausdehnung nach geteilt werden können. Darunter fallen zuerst (2.3.1.) diejenigen Formen, die etwa den „normalen“ Fall ausmachen, d. h. diejenigen, bei denen sowohl die Form selbst als auch das Subjekt teilbar sind. Hinzu kommen (2.3.2.) die oben erwähnten Formen, die ratione temporis aufgrund ihrer zeit‐ lichen Erwerbung teilbar sind, obwohl ihr Subjekt selbst unteilbar ist. Somit sind (2.1.) und (2.3.2.) dieselben Formen, nur dass im ersten Fall erklärt wird, dass sie keine räumli‐ 15
Di Liscia, Geometrie 103–172.
§ 3. Zum Prohemium von LF (Zz. 125–180)
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che Ausdehnung besitzen, während im zweiten Fall deutlich gemacht wird, dass sie doch eine zeitliche Ausdehnung erhalten. Von diesen beiden wird hier die Rede sein; die ande‐ ren bringt der Ausleger im Verlauf seines Kommentars nur gelegentlich zur Diskussion, und zwar zur abgrenzenden Erklärung gegenüber jenen. Die erste Einteilung wird nun in dem nächsten notandum wieder so erörtert, dass es nun auf die Darstellbarkeit der Formen ankommt. Der Autor greift auf die zweifache Darstellung der Qualitäten zurück, die schon geläufig war, aber verändert die Bezeich‐ nung. Bei Oresme ist dies am deutlichsten erklärt und zur Anwendung gebracht worden: Bei der Darstellung der permanentia stellt die Longitude die extensio des Subjekts, des Trägers der Qualität, dar, auf dem die Intensitäten verteilt sind; bei den successiva stellt die Longitude die Zeit dar, in der eine Veränderung stattfindet16. Dieselbe Begrifflich‐ keit liegt der Expositio zugrunde: Den ersten Fall nennt er acquisitio in completo esse oder in esse acquisito; der zweite Fall heißt hier in fieri. Mit dieser Unterscheidung ordnet er – ziemlich konfus – Formenarten und Darstellungsarten einander zu. Die Formen der Art 2.3.1. können sowohl nach der einen als auch nach der anderen Art dargestellt werden. Eine große Anzahl von Formen kann jedoch nur in fieri dargestellt werden: das sind die Formarten 2.1., 2.2. und, was hier bemerkenswert extra hinzugefügt wird, alle Sukzessiven, wie die verschiedenen Lokalbewegungen. Für diese zwei letzten For‐ menarten ist es deutlich, dass sie in fieri dargestellt werden müssen. Für die erste wird dies jedoch problematischer. Denn er hatte am Anfang seiner Einordnung erklärt, dass sie nur extensive teilbar sind, so dass die Zeit außer Betracht bleibt. Somit scheint sich hier – beide Handschriften stimmen an der Stelle überein – ein Lapsus eingeschlichen zu haben. Ein weiteres, ernsteres, Problem ergibt sich aus der nun folgenden Erklärung. Der Ausleger betont noch einmal, dass die habitus intellectuales nicht nach dem Subjekt teilbar sind, denn – wie er schon erklärt hat – das Subjekt ist selbst nicht teilbar. Aber dann führt er eine weitere Erklärung für die Darstellbarkeit in fieri an, bei der entweder die Zeit, während der die Form erworben oder verloren wird, berücksichtigt wird (das ist der übliche Fall), oder doch secundum subiectum (!). Das hatte er aber vorher unter in esse acquisito schon erörtert und von der Darstellung in fieri scharf getrennt. Das Beispiel, das er nun an dieser Stelle bringt, macht deutlich, dass er von dem gängigen Verständnis bei dieser Sache ausgeht und eigentlich nichts Neues sagen will. Es geht um den üblichen Fall eines Rades, das sich der Zeit nach regelmäßig dreht, aber dessen innere Punkte sich schneller bewegen, und daher ist seine Bewegung nach dem Subjekt unregelmäßig verteilt. Ein weiterer Fall wird diesbezüglich erörtert: Eine Form kann in esse acquisito ungleichförmig und trotzdem in acquiri gleichförmig sein. So z. B. wenn man während einer Stunde einen Körper b mit einer regelmäßig ausstrahlenden Quelle so erwärmt, dass dem Körper in jeder Viertelstunde ein Wärmegrad übertragen wird, aber dabei auch so, dass die Quelle für irgendeinen Augenblick – oder Zeitspanne, das spielt hier keine Rolle – näher zum Körper kommt. Dann verläuft die qualitative Bewegung der Erwär‐ mung regelmäßig, denn die Quelle selbst hat sich nicht gesteigert; aber der Endeffekt, der von dem Körper erworben wurde, muss unregelmäßig sein, denn in dieser einen Stelle 16
Die Einteilung zwischen permanentia und successiva ist zu Zeit dieser Texte ist schon längst in der Logik und Naturphilosophie verankert, vor allem im Anschluss an der Tradition von Burleys De primo et ultimo instanti (für weitere Einzelheiten und einige Aspekte der italienischen Rezeption siehe Di Liscia, Burley). Für dasselbe Problem in Thomas Wylton see Trifogli, Wylton on the Instant; dies., Question; dies., Wylton on the Ceasing.
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wurden mehr Grade der Qualität aufgrund der Annäherung der Quelle mitgeteilt. Aber durch dieses Beispiel kann der Widerspruch auch nicht besser gerettet werden, denn dabei ist klar, dass in esse acquisito als Sonderfall von in fieri erörtert wird, was vorher ausgeschlossen wurde und an sich sinnlos ist. Die letzte Bemerkung betont schließlich, dass es sich bei den hier gemeinten Figuren um geometrische Figuren handelt; dadurch werden andere Darstellungen, die im Rah‐ men der Logik und in anderen Disziplinen häufig benutzt wurden, ausgeschlossen17.
§ 4. Die erste Einteilung der latitudines (Zz. 181–382) Zum Textverlauf zurückkehrend wird nun mit der Kommentierung der ersten Ein‐ teilung begonnen, in der die Gleichförmigkeit und die Ungleichförmigkeit auseinander‐ gehalten und definiert werden. Nach dem Traktat LF ist Gleichförmigkeit da, wo „das Ganze“ – d. h. der Träger der Form oder Qualität – durchgehend immer denselben Grad aufweist; Ungleichförmigkeit tritt hingegen ein, wenn mindestens ein Gradunterschied auf dem Träger vorkommt. Diese erste Einteilung ist jedoch nicht unproblematisch. Gegen sie wird zuerst der Einwand erhoben, dass sie nicht ausreichend sei. Zur Begründung wird das Gegenbeispiel einer intellectio subito acquisita herangezogen, d. h. das Beispiel von einer Intensität, die keinerlei extensio aufweist, weder räumlich noch zeitlich, und die daher weder gleichför‐ mig noch ungleichförmig sein kann. Diese Art von Intensität fällt also aus dem Rahmen jener Einteilung. Doch die Einteilung ist zu retten, wenn man sich an die Auffassung des Verfassers hält, für den eine solche Form einfach nicht in Frage kommt und außer Betracht gelassen werden darf. Tiefer wird auf die Definitionen eingegangen. Es wird zuerst gegen die im Text vor‐ getragene Definition von Gleichförmigkeit dreifach argumentiert: 1. Es kann keine Latitude durchgehend mit demselben Grad geben; also gibt es keine gleichförmige Latitude. Zur Begründung des ersten Einwandes muss man davon ausge‐ hen, dass eine Latitude entweder dem Träger innewohnt oder – mindestens als Gedan‐ kenexperiment – außerhalb von ihm liegt18. In beiden Fällen kann man in der Latitude – es wird hier die ganze ausgedehnte Qualität genommen, nicht die Momentanintensität – Teile unterscheiden, die vergleichsweise zueinander kleiner oder größer sind; und da‐ her sind die entsprechenden Intensitäten kleiner oder größer; also nicht gleichförmig. Der Gegeneinwand, dass die Gleichförmigkeit der Grade eigentlich secundum speciem gemeint wird, ist methodisch abzulehnen, zumal es bei diesem Traktat nicht darum geht. 2. Die Aussage, dass eine Latitude durchgehend denselben Grad aufweist, ist mit der Aussage, dass sie aus denselben Graden nach der Intensität besteht, nicht zu vereinen. 17
18
Darstellungen in logischen Texten sind auch nicht selten. Sie betreffen meistens die Verknüpfung der Sätze für Syllogismen oder unmittelbare Ableitungen, wie z. B. in den zahlreichen Darstellungen des Opposi‐ tionsquadrates. Viele logische Texte enthalten auch einige Schemata für die Erklärung von Incipit und Desinit, wie man z. B. in dem oben erwähnten Werk von Platerberger finden kann (vgl. oben S. 49, 51f., 57). Die Möglichkeit der latitudo extra subiectum und daher auch einer entsprechenden Darstellung wird sowohl von Oresme als auch von Jacobus de Napoli und / oder Jacobus de Sancto Martino ausdrücklich ausgeschlossen. Der Ausleger glaubt auch nicht daran, sondern bringt diese Möglichkeit, um sozusagen sophistice ein Argument daraus zu ziehen, bei dem die Definition der Gleichförmigkeit erörtert werden kann.
§ 4. Die erste Einteilung der latitudines (Zz. 181–382)
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Denn man könnte z. B. nicht feststellen, dass die Hälfte – der Ausdehnung nach, wird vorausgesetzt – mit der Intensität 2 intensiver ist, als das Viertel mit der Intensität 1, was natürlich der Fall sein müsste. Und außerdem, wenn man zwei Teile nimmt – die intensiv gleich sind, wird vorausgesetzt –, ist der Teil, der die Hälfte des Trägers vertritt, ausgedehnter als der Teil, der das Viertel von ihm umfasst. 3. Daraus würde folgen, dass einem endlichen Subjekt eine unendlich intensive Qua‐ lität inhäriert, was falsch und gegen Aristoteles ist. Die Implikation wird mit einem der Argumente aus der Diskussion über die Zusammensetzung des Kontinuums begründet: Bei dieser Definition von Gleichförmigkeit müssten in allen Teilen des Trägers gleich große Intensitätsgrade vorhanden sein; da aber der Träger selbst ein Kontinuum aus un‐ endlich vielen Teilen ausmacht, ergeben sich daraus unendlich viele gleiche Grade. Die Definition beinhaltet also einige logische Schwächen und Unklarheiten, die im Folgenden beseitigt werden sollen. Dafür schickt der Ausleger wie gewöhnlich eine Reihe von Bemerkungen voraus: 1. Wie gerade bei den Einwänden gegen die Definition gesehen werden konnte, er‐ gibt sich eine Reihe von Schwierigkeiten daraus, dass es nicht immer eindeutig ist, in welchem Fall es um eine ausgedehnte Qualität geht und in welchem um eine Intensität, die auf einem Punkt des Trägers oder der Zeit liegt. Der Ausleger verfügt nicht über den Oresme’schen Begriff der quantitas qualitatis; so will er dann das Problem dadurch lösen, dass er eine neue Begriffsbestimmung für „Grad“ vorschlägt, in der die Möglichkeit ei‐ ner Berücksichtigung der Ausdehnung mitgedacht sein sollte. Dabei verwirft er bewusst den üblichen Begriff eines Grades als Teil der (alleinigen!) Intensität und führt in die Begriffsbestimmung von Grad die Ausdehnung ein, was natürlich unzulänglich ist. Er bestimmt also die Verwendung von dem Begriff „Grad“ für „die totale Intensität einer partiellen Ausdehnung“, so dass sich ab jetzt ein Grad nicht mehr auf die Größe der Intensität allein bezieht, sondern auf die „Intensität, die einem Teil [des Trägers oder der Zeit] der Ausdehnung nach entspricht“. 2. Daraus folgt eine Verbesserung des Begriffes der Gleichförmigkeit, die zur Lösung des zweiten Einwandes beitragen soll. Demgemäß soll in der Definition der Gleichför‐ migkeit der alte Begriff des Grades durch den neuen ersetzt werden. Denn wie bei dem zweiten Einwand vorgetragen wurde, könnte es keine gleichförmige Latitude geben, son‐ dern höchstens – das fügt er hier hinzu – eine Gleichförmigkeit, die nur auf einen Teil des Trägers bezogen wird. So wird z. B. eine Latitude von 10 Graden entweder in fünf Teile geteilt, von denen jeder Teil zwei Grade aufweist, oder umgekehrt in zwei Teile geteilt, von denen jeder Teil fünf Grade aufweist, wobei jetzt – der neuen Begriffsbestimmung von „Grad“ gemäß – jeder dieser Teile „Grad“ genannt werden. Ein „Grad“ ist also – das wird an diesem Beispiel deutlich – ein Teil der Qualität, in dem sowohl die Intensität als auch (das ist das Neue) die Ausdehnung berücksichtigt wird. 3. Es wird dem ersten Einwand das Zugeständnis gemacht, dass die Gleichförmigkeit der Latitude nicht mit der numerischen Unterscheidung zwischen den Graden unmittel‐ bar zusammenhängt. Ein Grad kann – und muss tatsächlich – von den anderen Graden unterscheidbar bleiben, ohne dass deswegen die Latitude jedoch ungleichförmig wird19. Der Ausschluss der Gradgleichheit secundum speciem wird weiterhin angenommen.
19
Das Argument will er wohl für beide Gradbegriffe gelten lassen.
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4. Bei der gewöhnlichen Definition von gleichförmiger Latitude, nach der in allen der Ausdehnung nach gleichen Teilen des Trägers die gleichen Grade der Intensität nach vorhanden sind, ist der Gradbegriff in seiner zweiten Bedeutung zu verstehen. Dasselbe gilt für die Formulierung, nach der bei allen verschiedenen Teilen und beim Ganzen immer dieselbe Intensität vorhanden sein muss; so verhält sich z. B. eine Wärme mit der Intensität 6 in jedem Teil des Körpers: ein Drittel von dieser Qualität hat mehr von dem Ganzen als ein Viertel oder ein Sechstel, aber nur der Ausdehnung nach. Nach der Intensität bleibt die Qualität immer durchgehend bei dem Wert 6, der entscheidend für ihre Benennung (denominatio) als gleichförmig ist. Nach diesen vier Bemerkungen, die aufeinander bezogen sind und in denen das Wichtigste und Neueste der Versuch ist, eine neue Definition des Gradbegriffes zu brin‐ gen, führt der Ausleger die expositio der Definition durch, eine Methode allerdings, auf die er mehrfach zurückgreift, wenn es um besonders schwierige oder besonders wichtige Aussagen geht20. Dabei übersetzt er die von dem Traktat LF vorgegebene Definition in eine neue Definition, in der diejenigen Begriffe benutzt werden, die in den vorigen Bemerkungen festgelegt wurden. So wird die knappe Definition von eiusdem gradus per totum zu: „Eine Latitude, die in allen ihren Teilen durchgehend gleich intensiv ist, so dass jeder ihrer ausgedehnten Teile des Trägers jedem anderen Teil desselben Trägers gleich intensiv ist“ (Zz. 249–252). Eine ungleichförmige Latitude – das folgt daraus – ist eine solche, in der mindestens einer jener Teile intensiver ist. Damit können nun die Einwände behoben werden: auf den ersten Einwand wird durch die Definition und die dritte Bemerkung geantwortet; auf den zweiten durch die Exposition der Definition und die zweite Bemerkung. Bezüglich des dritten Ein‐ wandes wird die dort behauptete Implikation mit der Begründung abgelehnt, dass für die Qualitätsbezeichnung nicht die Ausdehnung der Qualität, sondern ihre Intensität bestimmend sei, und da der Einwand sich auf eine Unregelmäßigkeit in Hinblick auf die Ausdehnung und nicht in Hinblick auf die Intensität stützt, ist er also nicht schlüssig. Zusammenfassend: Aus Punkten des Trägers mit demselben Grad (nach der alten Be‐ deutung) folgt nicht mehr Intensität der Qualität, also keine Ungleichförmigkeit. An dieser Stelle schließt sich eine erste Analyse der ersten Einteilung und ihrer Defi‐ nitionen an. Aber unser Ausleger ist damit noch nicht zufrieden. Da er zu einem tieferen Verständnis der ganzen Frage gelangen will, eröffnet er die Diskussion wieder, und zwar so, dass noch einmal eine Reihe von Bemerkungen, Stellungnahmen und sogar eine neue Exposition der Definition dargeboten werden. Das ganze Verfahren deutet auf eine Aus‐ legung im Rahmen einer Lehrveranstaltung hin. Es wird also erneut die erste Einteilung in Frage gestellt. Der Einwand ist derselbe wie vorher, nur die Begründung für ihn ist jetzt anders. Die Einteilung sei nicht ausrei‐ chend, denn sie setzt immer voraus, dass eine Latitude einem Träger inhäriert; sie gelte jedoch nicht für eine Latitude, die außerhalb des Trägers liegt, obwohl diese auf jeden Fall als gleichförmig oder ungleichförmig zu kennzeichnen sei. Auf dieses Argument waren wir schon oben als ersten Einwand gestoßen, nun wird es mit einigen konkreten Beispielen versehen, die ihm einige Deutlichkeit verschaffen. Denn ohne weiteres ist ein solcher Einwand nicht zu verstehen: was soll eigentlich bedeuten, dass eine Qualität,
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Das ist gerade ein Aspekt, auf den bezüglich Michael Lochmairs hingewiesen wurde (vgl. oben S. 55f. und einführend 15 –17).
§ 4. Die erste Einteilung der latitudines (Zz. 181–382)
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oder besser noch: dass die Latitude einer Qualität, ohne Träger überhaupt existiert? Es handelt sich um einen Problemkreis, der eigentlich in die spätmittelalterliche Ontologie und Theologie, vor allem seit der Entwicklung des Nominalismus, gehört und nichts mit der geometrischen Lehre der Formlatituden zu tun hat. Jedoch sind die Haupt‐ traktate über die Formlatituden dieser Problematik nicht ganz entkommen. Denn die Frage kann natürlich so verschärft werden, dass sie ein entscheidendes Prinzip für den Aufbau der geometrischen Darstellung berührt. Dass die Linie der Longitude, ob sie den Träger darstellt oder die Zeit, immer mit dargestellt werden muss, wird im Traktat LF deutlich behauptet und z. T. begründet; Oresme seinerseits betont die Wichtigkeit seines an sich nicht mathematischen Prinzips, nach dem keine Figuren mit stumpfen Winkeln zugelassen werden können21. Derartige Überlegungen, bei denen eine Reihe von Denk‐ möglichkeiten dadurch entstehen, dass sie nicht unbedingt naturaliter vorkommen, aber von Gott hervorgerufen werden könnten, hat der Ausleger oft vor Augen. Es sind eben diejenigen Fälle, die, unter dem Gesichtspunkt der Sophismenanalyse betrachtet, viel Material für Argumente und Gegenargumente darbieten. Aber an dieser Stelle lehnt sich der Ausleger weniger an Oresme und an die Literatur über die Formlatituden an; viel‐ mehr prüft er die Grundlage dieser Lehre mit einigen Argumenten, die er im Kontext von Ockhams berühmter Analyse der Verwandlung des Brotes in den Leib Christi, vor allem in seinem De sacramento altaris, ein Werk, das unser Ausleger zweifellos kennt, ausgearbeitet hat22. Erstens: wenn ein Akzidens (des Brotes: die Farbe „weiß“) vor der Darbietung (consecratio) gleichförmig war, muss es auch nach ihr gleichförmig bleiben. Denn bei der Darbietung werden die Teile der Qualität weder von ihrer ursprünglichen Stelle bewegt noch intensiv gesteigert. Ähnliches geschieht, wenn ein Träger mit einer ihm durchgehend inhärierenden gleichförmigen Wärme in seiner Ausdehnung verlän‐ gert worden wäre und Gott die Teile dieser Wärme genau an derselben Stelle, wo sie ursprünglich waren, aufrechterhalten würde. Da diese Teile immer noch ein wahres Kon‐ tinuum bilden, machen sie weiterhin dieselbe Qualität aus; aber nach der Ausdehnung des Trägers dürften sie nicht mehr als gleichförmig bezeichnet werden, und zwar deshalb, weil dieser nicht mehr in allen seinen Teilen gleich intensiviert wird (der vorherige Teil bleibt gleichförmig qualifiziert, aber der neue Teil ist unqualifiziert)23. Das Argument wird noch mit der Erklärung bekräftigt, dass man dieser Wärme nicht die Kennzeich‐ nung von Latitude absprechen kann, zumal sie sowohl der Ausdehnung als auch der Intensität nach teilbar ist. Es wird drittens eine Variante dieses Falls herangezogen: man stelle sich vor, Gott würde allen Teilen der Wärme ihre (intensive!) Natur entnehmen und sie in einem der Vorstellung gegebenen unteilbaren Punkt zusammenführen; aber nicht in ihrer Intensität – denn dann würde die endliche Qualität zu einer unendli‐ chen –, sondern nur in ihrer örtlichen Bestimmung. In diesem Fall wäre diese Qualität
21 22
23
Vgl. Clagett, DC 178f. In der neuen Ausgabe von C. A. Grassi (cf. Ockham 1986) besteht dieses in der Scholastik oft mit dem umfassenden Titel De sacramento altaris bezeichnete Werk aus zwei Traktaten, nämlich De quantitate und De corpore Christi. Von mehreren Stellen abgesehen, wo es deutlich ist, dass dieses Werk direkt oder indirekt benutzt wird, ist auch darauf hinzuweisen, dass es am Rande im Ms. W erwähnt wird (siehe im Text, Z. 333). Zu dieser Problematik bei Ockham siehe Iserloh, Gnade. Der Satz cum non habeat subiectum kann irreführend klingen, denn gemeint wird eher, dass der Träger keine Qualität hat. Aber zum Ziel der Argumentation, die darin besteht, dass die divisio für Qualitäten ohne Träger nicht gilt, ist er geeignet.
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weiterhin so gleichförmig oder ungleichförmig wie in der Ausgangslage, obwohl nun kein Träger vorhanden wäre. Auch dieser Fall sei in der Definition nicht miteingeschlossen worden. Endlich kann man sich vorstellen, dass der Träger unverändert bliebe, aber die Ausdehnung – der Qualität – vergrößert wird. Da die Definition die extensive Teil‐ barkeit der Qualität ausschließlich mit dem Träger verbindet, würde dies dazu führen, dass die Qualität nicht mehr der Ausdehnung nach teilbar wäre, obwohl sie immer noch gleichförmig oder ungleichförmig bliebe, wie sie es früher war. Der entscheidende Punkt ist somit: Ohne Träger könne man bei dieser Definition nicht bestimmen, wie sich die Intensität bezüglich der Ausdehnung verhält24. Diese vier Fälle werden also zur Begrün‐ dung und zur Erklärung des ersten Argumentes herangezogen. Hinzu kommt noch ein zweites: Diese Definition ist nicht imstande, die verschiedenen Lokalbewegungen und den Fall der substantiellen Formen einzuschließen, denn diese erfahren bekanntlich – ut notum est: so lautet der Text – weder Zu- noch Abnahme. Diese etwas seltsame Aussage soll der Grund dafür sein, warum in diesem Fall die Definition nicht geeignet sei. Denn sie setzt ja voraus, dass eine intensive Veränderung stattfindet25. Aber wie am Anfang erklärt wurde, sind sowohl Lokalbewegungen als auch substantielle Formen trotzdem darstellbar (latitudinabiles). Ein besonders problematischer Fall würde bei der Bewegung der Erwärmung eintreten. Denn die Erwärmung kann ungleichförmig sein, während die erworbene Wärme in dem Träger jedoch gleichförmig verteilt wird; oder umgekehrt26. Infolgedessen wäre dabei die Definition nicht eindeutig anzuwenden. Es folgt nun wieder eine Reihe von Bemerkungen, bei denen gegenüber diesen Ein‐ wänden Stellung bezogen und die neue Exposition der Definition eingeleitet wird. Es wird zuerst darauf hingewiesen, dass „einige“ drei Arten (species) von gleichförmigen Latituden unterscheiden, nämlich gemäß dem Träger, gemäß der Zeit und gemäß der Bewegung27. Das sei aber abzulehnen, denn dadurch ergeben sich keine unterschied‐ lichen Arten von Gleichförmigkeit, wie sie sich auch nicht daraus ergeben, dass eine Gleichförmigkeit den Wert 2 aufweist und eine andere den Wert 3. Bestimmend für die Unterscheidung von Gleichförmigkeitsarten ist vielmehr die Beziehung oder das Ver‐ hältnis (habitudo) der Qualitätsteile zueinander. Aber die Beziehung von gleichförmigen Teilen zueinander ist dieselbe, die jeder einzelne Teil zur Zeit hat28, obwohl sie sich in Bezug auf den Träger anders verhalten. In einer zweiten Bemerkung wird wieder einmal eine Einordnung der Formen in Hinblick auf ihre Darstellbarkeit geboten. Bei dieser Einordnung, die sich natürlich mit 24 25
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Dieses Argument wird nur in Ms. F überliefert. Wenn eine solche Aussage für die substantiellen Formen üblich ist und im Einklang mit den vom Ausleger vorausgeschickten Bemerkungen steht, ist die Lokalbewegung nicht selbstverständlich. Vermutlich geht er von einem Unterschied zwischen Bewegung und Geschwindigkeit aus, die letzte jedoch intensivierbar. Aber das ist nur eine Vermutung, denn im Text fehlt leider jede Rechtfertigung jener Behauptung. Diese Möglichkeit besteht natürlich, und für sie soll in der Darstellung berücksichtigt werden, dass die Li‐ nie der Basis entweder den Träger oder den Zeitverlauf repräsentiert. Aber das Beispiel, das in dem Einwand gebracht wird, nimmt etwas anderes an. Bei ihm geht es darum, dass sozusagen die Sendung von Wärme aus einer Quelle an sich immer regelmäßig erfolgt, aber zusätzlich nun der Abstand der Quelle zum Körper so reguliert wird, dass dieser an einer bestimmten Stelle mehr Wärme bekommt als an den anderen. Wie bei der entsprechenden Fußnote im Text angegeben wurde (Anm. 4), findet man bei Oresme eine Unterscheidung, die als Grundlage dieser Aussage gedient haben kann. Diese Aussage (cf. Text, Zz. 305f.) ist undeutlich und wörtlich genommen nicht richtig, wenn man nicht annimmt, wie man es meiner Meinung nach machen darf, dass es an der Stelle um gleiche Teile der Zeit geht.
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der obigen z. T. überschneidet, wird versucht, deutlich zu machen, welche der Fälle in den erhobenen Einwänden tatsächlich zugelassen werden können und welche ausgeschlossen werden müssen. Es ist daher der wichtigste Aspekt hierbei, ob der Träger der Formen, das subiectum, eine Rolle spielt und wenn ja, welche. Formen können je nach ihrer Beschaffenheit zweifach dargestellt werden (ymagi‐ natur). Handelt es sich um (1) formae successivae oder in esse successivo, d. h. handelt es sich um Formen, die im Prozess sind, zu werden oder zu vergehen (in fieri vel corrumpi), so werden diese in Hinblick auf die Zeit dargestellt, in der sie erworben oder verloren werden; wobei es keine Rolle spielt, ob sie auf oder außerhalb des Trägers ruhen29. Han‐ delt es sich dagegen um (2) formae permanentes, deren Sein vollständig vorhanden ist (in esse completo), muss nun schon der Unterschied berücksichtigt werden, ob sie (2.2) in subiecto sind oder extra subiectum (2.3). Hier entfaltet der Ausleger eine Reihe von Unterscheidungen, innerhalb derer die oben diskutierten problematischen Fälle ent‐ schieden werden können. Als Leitfaden dieser Unterscheidungen fungiert natürlich die Beschaffenheit des Trägers der verschiedenen Qualitäten oder Formen. Die erste Art von Formen, diejenigen, die auf dem Träger ruhen, wird zuerst zweifach unterteilt30: (2.2.1) einige, die als unteilbar gedacht werden, können nicht dargestellt werden, sie werden also ausgeschlossen; (2.2.2) andere sind diejenigen, die auf einem teilbaren Träger ruhen, und diese können wiederum von zwei Sorten sein: entweder liegen sie auf einem teilbaren und ausgedehnten Träger (2.2.2.1), oder auf einem teilbaren aber unausgedehnten Trä‐ ger (2.2.2.2). Die ersten von diesen letzteren können tatsächlich als „gleichförmig“ oder „ungleichförmig“ bezeichnet werden und auf sie bezieht sich die Definition gemäß der ersten Exposition. Bei der zweiten Art handelt es sich um Formen, denen ihre materielle Ausdehnung entzogen wurde31. Und das kann wieder einmal auf zwei unterschiedliche Weisen geschehen: entweder so, dass die Teile der Materie ohne jede Lokalveränderung genau an derselben Stelle aufrechterhalten werden (2.2.2.2.1), oder die Teile der Materie „ihre Natur preisgeben“ und in einem Unteilbaren (in einem Punkt) aufbewahrt werden (2.2.2.2.2). Der springende Punkt ist also, ob die Materie in ihrer echten Beschaffenheit gedacht wird, die nämlich in ihrer Teilbarkeit besteht oder nicht. In dem ersten dieser beiden Fälle, in dem die Teilbarkeit als grundlegendes Merkmal der Materie mit ein‐ bezogen wird, wäre die Wärme immer noch so gleichförmig oder ungleichförmig, wie sie es war, bevor ihr die Ausdehnung entzogen wurde. Aber nicht im zweiten Fall, denn hier hat die Materie ihre eigene Beschaffenheit aufgegeben, um sich auf einem Punkt zu konzentrieren. In diesem Fall kann man also nicht von einer latitudo sprechen, denn eine solche Form kann nicht mittels einer geometrischen Figur bezeichnet werden (d. h. man kann nicht mehr sagen, ob sie „gleichförmig“ oder „ungleichförmig“ ist usw.). Um sagen 29
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Wie im kritischen Apparat angemerkt, muss an dieser Stelle der Deutlichkeit wegen eine Wortumstellung im Text vorgenommen werden. Wie bei der passenden Stelle (Zz. 308f.) angemerkt wurde, wirkt der Text hier recht undeutlich, denn die Formen werden in zwei Gruppen zerlegt, aber tatsächlich folgen drei Fälle. Das lässt sich jedoch dadurch klären, dass die zweite Gruppe auch aus zwei Fällen besteht, so dass letztendlich das Ganze nicht deutlich, aber richtig ausgedrückt wird. So meine ich jedenfalls, dass der Ausdruck extensio a materia zu verstehen ist. Denn mir scheint, dass sich daraus kein Sinn ergibt, wenn man dieses „a + Ablativ“ als Agens versteht, so dass die Materie die Ursache dafür sein sollte, die dem Träger seine Ausdehnung wegnimmt. Aber diese Ausdrucksweise ist auch nicht so ungeeignet, wie es zuerst erscheint, denn der ganze Gedankengang ist nun der, dass man versucht, eine andere Art von Grund für die Ausdehnung zu finden als die Materie.
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zu dürfen, dass eine Latitude vorhanden ist, wird letztendlich ein Grund ontologischer Natur gefordert: es muss ein ordo zwischen den Teilen bestehen, sei es der Ausdehnung nach, sei es der Zeit nach. Aber diese Ordnung setzt eine Differenzierung der Teile voraus, so dass die Bedingung nicht erfüllt wird, wenn alle Teile auf einem unteilbaren Punkt ruhen. Ist diese Ordnung vorhanden, so kann die Form durch eine mit Länge und Breite versehene geometrische Figur dargestellt und dadurch bezeichnet werden. Und diese Ordnung zwischen den Teilen muss der Sache nach tatsächlich vorhanden sein, so dass es nicht ausreichend ist, eine Ordnung per ymaginationem zu postulieren, denn dann müsste man die Folgerung annehmen, dass im Falle einer unteilbaren Erwerbung von intellektuellen Fähigkeiten Bezeichnungen wie „gleichförmig“ oder „ungleichförmig“ brauchbar sind, was in der Tat nicht zulässig ist. Die Formen, die extra subiectum teilbar sind (2.3), sind ihrerseits von drei Arten: (2.3.1) einige weisen Ausdehnung auf, wie die Farbe Weiß bei der Darbietung des Lei‐ bes Christi; (2.3.2) andere, die nicht die Ausdehnung aufweisen, die ihnen die Materie verleiht, behalten jedoch ihre lokale Ordnung zwischen den Teilen, insofern diese unver‐ ändert an derselben Stelle bleiben. Diese sind darstellbar, und zwar wie oben erwähnt, als wären sie auf einem Träger. Die letzten (2.3.3) sind diejenigen, die keine Ausdehnung aufweisen und denen ihre Natur so entzogen wurde, dass sie der Vorstellung nach auf einem unteilbaren Punkt zusammengesammelt werden. Wie vorhin erklärt, sind diese Formen nicht darstellbar. Damit also die Definition von LF allen (zugelassenen) Formen entspricht, kann sie nun durch eine neue Exposition wieder formuliert werden. Diese Definition wird nun vollständig geliefert und in ihrer Bedeutung erklärt: „Eine gleichförmige Latitude ist eine Latitude, von der alle Teile, von denen kein [Teil] irgendeinem der anderen Teile dersel‐ ben Latitude der Intensität nach vereinigt ist, der Intensität nach genau gleich sind; oder [eine Latitude], von der in allen gleichen Teilen der Zeit, in der erworben oder verloren wird, genau gleiche Teile [von ihr] erworben oder verloren werden“ (Zz. 345–350). Die Einführung der neuen Fachbegriffe in die Definition wird ausdrücklich gerecht‐ fertigt: 1. Mit dem Begriff latitudo wird deutlich gemacht, dass die Definition sich nicht auf Formen bezieht, die schlechthin unteilbar sind oder nur der Intensität nach teilbar sind32, wie im Falle der substantiellen Formen oder der Formen in completo esse secundum intensionem und auf die unausgedehnten Formen, ob sie einem ausgedehnten Träger in‐ härieren oder außerhalb des Trägers ruhen, wie im Falle (2.3.3), denn diese sind nicht darstellbar. Bemerkenswerterweise wird betont, dass man nicht sagte „gleichermaßen in Hinblick auf den Träger“, damit die Definition auch die zulässigen Fälle von außerhalb des Trägers liegenden Formen miteinschließen kann. 2. Der Ausdruck „der Intensität nach vereinigt“ soll auf die Unmöglichkeit hinweisen, dass alle Teile einer Form inten‐ siv gleich sind (denn man hat schon vorhin gesehen, dass sich aus dieser Formulierung Schwierigkeiten ergeben). 3. Der Ausdruck „der Intensität nach [genau] gleich“ dient zur Unterscheidung mit der ungleichförmigen Latitude, wobei der Begriff „Intensität“ so weit aufgefasst werden muss, dass die Geschwindigkeit in der Lokalbewegung umfasst wird. So verstanden, ergibt sich also keine Schwierigkeit in dem diskutierten Fall der
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An dieser Stelle bringt nur F die richtige Lesart secundum intensionem; die Tatsache, dass W die entgegen‐ gesetzte irrige Lesart secundum extensionem enthält, kann man für einen guten Hinweis darauf halten, dass der Schreiber dieser Abschrift, Michael Lochmair, nicht der Verfasser des Textes ist.
§ 5. Zweite und dritte Einteilung der latitudines (Zz. 384–451)
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sich drehenden Kugel. Der Rest der Definition soll dasselbe für diejenigen Fälle gelten lassen, deren Darstellungen die Berücksichtigung der Zeit erfordert, in der die Formen erworben werden oder verloren gehen. Mit der Veränderung an der Stelle von „alle Teile“ durch „nicht alle Teile“ kann durch Entgegenstellung die latitudo difformis definiert werden. Denn hier sind natürlich nicht alle Teile der Latitude gleich nach der Intensität, sowohl in Hinblick auf den Träger als auch im Hinblick auf die Zeit. Daraus folgt, dass es in der Tat richtig ist, dass eine Latitude gleichförmig im Hinblick auf die Zeit und ungleichförmig im Hinblick auf den Träger sein kann, wenn man nur immer diese unterschiedliche Betrachtungsweise deutlich mitdenkt. In der Tat – bemerkt der Ausleger – würde es für diese Schwierigkeit ausreichen, wenn man intensio in der oben genannten weiten Bedeutung nimmt, so dass sogar der zweite Teil beider Definitionen, in dem alles in Hinblick auf die Zeit wieder formuliert wird, nicht nötig wäre. Soweit also die Antwort auf die Einwände. Es wird schließlich eine fachtermino‐ logische Bemerkung gemacht, die die Einführung dieser Fachbegriffe in die damalige Kommentierung des Aristoteles widerspiegelt. Im zweiten Buch seines Traktates De caelo diskutiert Aristoteles die Kinematik der Himmelsbewegung: ist diese gleichmäßig oder ungleichmäßig? In dem zweiten Fall muss – so meint er – eine Steigerung, eine höchste Geschwindigkeit und eine Abschwächung der Schnelligkeit eintreten. Es handelt sich um eine wichtige Stelle, die ab dem 14. Jahrhundert u. a. in Bezug auf die Impetustheorie die Aufmerksamkeit der Scholastik auf sich gezogen hat. Dabei wird in die Kommentie‐ rung dieser Stelle eine terminologische Präzisierung eingeführt: man spricht von Gleich‐ förmigkeit und Ungleichförmigkeit (uniformitas / difformitas), wenn man das Verhalten der Geschwindigkeit in Bezug auf den Träger berücksichtigen will; wird dagegen das Verhalten der Geschwindigkeit in Bezug auf die Zeit berücksichtigt – oder, wie der Aus‐ leger sich hier ausdrückt: handelt es sich um „successive“ uniformitas und difformitas –, spricht man eigentlich von „Regelmäßigkeit“ und „Unregelmäßigkeit“ (regularitas / irre‐ gularitas). Dasselbe findet man in vielen anderen Texten, die dem Sprachgebrauch dieser Expositio zugrunde liegen (z. B. bei Albert von Sachsen).
§ 5. Zweite und dritte Einteilung der latitudines (Zz. 384–451) Die zweite Einteilung erhält wenig Aufmerksamkeit vom Ausleger. Bei ihr handelt es sich lediglich darum, dass die ungleichförmigen Latituden – nur diese kommen jetzt in Frage – ganz und durchgehend ungleichförmig sein können, wenn keine ihrer Teile gleichförmig sind, oder nur zum Teil, wenn mindestens ein Teil unter ihnen doch gleich‐ förmig ist. Der Ausleger schließt zwei Bemerkungen dazu an: erstens ist der Begriff „Ganzes“ (totum bzw. secundum totam) sincategorematice zu verstehen. Dementspre‐ chend sollen zweitens die Teile so verstanden werden, dass sie nicht der Intensität nach vereinigt sind. Auf die dritte Einteilung geht der Ausleger ausführlicher ein, denn sie beinhaltet die wohl am häufigsten angewandten Fälle von „gleichförmiger Ungleichförmigkeit“ und „ungleichförmiger Ungleichförmigkeit“. Die erste wird in LF dadurch definiert, dass die Überschüsse der an derselben Entfernung voneinander liegenden Grade gleich sind; die zweite wird wie häufig durch Entgegenstellung definiert, so dass immer noch bei dersel‐ ben Entfernung die Überschüsse nicht gleich sind.
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Kommentar
Diese Definition wird nun mit einer Reihe von sechs Definitionen, die denselben Sachverhalt beschreiben, erklärt und ergänzt. Sie werden kaum ausgewertet; vielmehr scheint der Ausleger lediglich über andere damals gängige Definitionen berichten zu wollen, die sich – mit einer wichtigen Ausnahme – wenig voneinander unterscheiden. 1. Als erstes werden zwei Bemerkungen vorangeschickt, denen die eigene Exposition der Definition folgt. Zunächst einmal wird festgelegt, dass die Entfernung (distantia), von der in der Definition die Rede ist, sich nicht auf die „graduale Entfernung“ der Grade untereinander, d. h. nicht auf die intensiven Überschüsse bezieht, sondern auf die Entfernung, die die Intensitäten in der Longitude einer Figur aufweisen (was je nachdem auf dem Träger oder auf dem Zeitverlauf stattfinden kann). Der Anlass zu dieser termi‐ nologischen Vorwarnung liegt an dem gängigen Sprachgebrauch, denn man findet oft – und deswegen die Warnung des Auslegers – Ausdrücke wie: „eine Wärme mit dem Wert 2 liegt intensiv oder gemäß dem Grad (gradualiter distare) von einer Wärme mit dem Wert 6 entfernt“ (wobei natürlich diese „intensive Entfernung“ 4 beträgt). An zweiter Stelle behauptet der Ausleger wieder seinen (neuen) Gradbegriff: Mit einem Grad wird nicht eine Intensität bezeichnet, die etwa auf einem Punkt liegt, d. h. keine Momentanin‐ tensität, sondern die gesamte Intensität eines Teiles. Man sieht also, was sich hierbei für eine begriffliche Veränderung vollzieht: der Ausleger kennt den Oresme’schen Begriff der quantitas qualitatis nicht – er arbeitet ja hauptsächlich mit dem Traktat LF –, von dem er hier guten Gebrauch hätte machen können, und versucht, diesen Mangel durch einen Gradbegriff auszugleichen, dem eigentlich nicht der Augenblick oder der Punkt auf dem Träger zugrunde liegt, sondern eine Strecke. Im Anschluss daran wird die Definition von LF, die er textualiter wiedergegeben hat, „exponiert“: „eine gleichförmig ungleichförmige Latitude ist eine Latitude, deren gesamte Grade (!) voneinander ausdehnungsgemäß und der Lage nach gleich entfernt sind, oder auch [eine Latitude], deren gesamte Teile sich in ihrem zeitlichen Verlauf der Intensität nacheinander übertreffen, und zwar so, dass je mehr der erste [Grad] den zwei‐ ten übertrifft, ebenso viel der zweite den dritten“ (S. 100f. Zz. 415–419). Und hierbei soll intensio – wie oben erklärt – im weiten Sinne aufgefasst werden, und gradus – so will er es betonen – pro totali intensione. Daraufhin bietet er fünf weitere Definitionen dar, ohne sich an der Stelle für eine definitiv zu entscheiden. 2. Die zweite Definition ist, wie der Ausleger selbst bemerkt, mit der ersten gleich zu setzen. Der Unterschied liegt nur in der Formulierung, denn nun werden drei Grade ausgewählt, die mit der gleichen Entfernung zueinander liegen, und von denen der erste der höchste ist. Nun muss derselbe Sachverhalt festzustellen sein, nämlich dass der Über‐ schuss des ersten zu dem zweiten genau so groß sein muss, wie der Überschuss von dem zweiten zum dritten Grad. 3. Bei der dritten Definition treten zwei Unterschiede ein: erstens handelt es sich um irgendeinen beliebigen Grad (quilibet gradus), also nicht um Grade, die mit derselben Entfernung zueinander liegen müssen. Diese entscheidende Eigenschaft ist hier ange‐ sprochen, wird aber unten, bei der fünften Definition, deutlicher zur Sprache kommen. Zweitens, und das scheint das proprium dieser Definition zu sein, wird die gleichförmige Veränderung durch eine Teilung der Form oder Qualität in drei Teile, die immer vorhan‐ den sind, zerlegt. Denn eine solche gleichförmig veränderte Form hat immer – auf diesen Sachverhalt will diese Definition hinweisen – einen stärksten Teil, einen mittelstarken Teil und einen schwächsten Teil, die sich zueinander in der oben behaupteten Form verhalten. An dieser Stelle bemerkt der Ausleger jedoch kritisch, dass diese Definition
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nicht vollkommen passend sei, zumal sie einer Qualität zukommen könnte, die ad non gradum sowohl beginnt als auch endet (eine Qualität, die schon nach dem Traktat LF nicht anzunehmen ist). 4. Bei der vierten Definition wird knapp die Art der Proportion der unmittelbar zueinander liegenden Grade bestimmt: es handelt sich um eine proportio equalitatis, d. h. das Verhältnis zwischen den Graden ist konstant. 5. In der fünften Definition ändert sich etwas Wesentliches: bei den Graden, die die oben erwähnten Proportionen aufweisen, handelt es sich um irgendwelche beliebigen Grade, was der Ausleger bewusst betont: „und diese Definition spricht nicht nur von gleich entfernten Teilen, sondern auch von nicht gleich [entfernten]“. Wie üblich wer‐ den hier keine Namen erwähnt, so dass wir nicht mit Sicherheit sagen können, welche Texte unser Ausleger dabei vor Augen hatte. Aber die letzte Quelle, auf die dieser Passus letztlich zurückgeht, ist nicht schwer zu bestimmen. Denn diese Definition ist eine kurz wiedergegebene Version der Definition des Oresme, die man sowohl in De configuratio‐ nibus als auch in seinen Euklidquästionen findet33. 6. In der letzten, kurzen Definition wird auf den Sachverhalt der gleichförmigen Veränderung fokussiert, der bei der Erörterung von Sonderfällen mit Anwendung von Äquivalenzregeln oft zur Anwendung kommt. Nimmt man einen beliebig ausgedehnten Teil der Qualität, so kann man feststellen, dass er die gleiche Intensität aufweist wie sein mittlerer Teil. Es handelt sich offenbar um eine kurze Formulierung der „Merton-Regel“, wie man mit der folgenden Figur illustrieren kann, in der sich der Teil AB der Qualität a auf die Gleichförmigkeit mit dem mittleren Grad C zurückführen lässt.
C
a
A
B
Nach diesen Definitionen wird durch Entgegenstellung eine ungleichförmig ungleich‐ förmige Latitude definiert, was offensichtlich in Bezug auf jede der gegebenen Defini‐ tionen getan werden könnte.
§ 6. Die vierte Einteilung der latitudines: Sophismata, Grenze und „Merton-Regel“ (Zz. 452–872) § 6.1. Einleitung (Zz. 452–467) Am ausführlichsten beschäftigt sich der Ausleger mit der vierten Einteilung, die auf jeden Fall einen größeren Anlass zu Fallunterscheidungen und untergeordneten Erörte‐ rungen gibt. In der vierten Einteilung werden die gleichförmig ungleichförmigen Latitu‐ 33
Vgl. Oresme, DC 190–194, und Kommentar Clagetts ebd. 550–551; Oresme, Quaestiones, ed. Busard 33–35.
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Kommentar
den nach dem Kriterium gegliedert, ob sie an ihrem Beginn bzw. Ende einen intensiven Wert aufweisen oder nicht. Es ergeben sich natürlich vier logische Möglichkeiten, von denen nur die drei ersten anzunehmen sind: a)
Beginn „gegen Nullgrad“ und Ende mit einem bestimmten Intensitätsgrad: d=G
L:unif/diff i=¬G
d=G
b) Beginn und Ende mit einem gewissen Grad: L:unif/diff i=G
c)
d=¬G
Beginn mit einem Intensitätsgrad und Ende gegen Nullgrad: L:unif/diff i=G
Das vierte logische Glied der Einteilung, bei dem eine Latitude ohne irgendeinen Grad beginnt und ohne irgendeinen Grad aufhört, d. h. auf beiden Seiten gegen Null geht, wird definitionsgemäß abgelehnt, denn in diesem Fall handelt es nicht um eine L:unif/diff, und zwar deshalb, weil hier zuerst eine Zunahme stattfindet, der eine Abnahme folgt34. Soweit also die vierte Einteilung vom LF, in dem diese Aussagen unter der Form ei‐ ner knappen technischen Entscheidung zur Nutzung von Figuren in der Darstellung von intensiven Veränderungen formuliert werden. Der Sache nach ist das Ganze da‐ mit lange nicht abgeschlossen. Denn dahinter steckt eine Reihe von Fragen, die unser Ausleger z. T. nur übungsweise, aber z. T. auch mit inhaltlicher Berechtigung aufdecken will. Es sind diese eben diejenigen Probleme bezüglich der Bestimmung von Grenzen eines Kontinuums, mit denen sich die spätscholastische Naturphilosophie und Logik in der Fortführung der Oxford-Kalkulatoren vor allem in den Themenbereichen des incipit und desinit und de maximo de minimo, zu denen zahlreiche Abhandlungen ver‐ fasst wurden, gerne beschäftigte. Aber hierbei kommt, von der Sache selbst bedingt, eine neue Dimension hinzu: Im Umkreis der Oxford-Kalkulatoren und vieler Anderer, die sich mit solchen Diskussionen über die Natur des Unendlichen und die Zusammenset‐ zung des Kontinuum befasst haben, geht es ausschließlich um Fragen, die sich aus der Diskussion über ein lineares Kontinuum ergeben: was für eine Grenze muss z. B. für eine bestimmte Bewegung festgelegt werden? Wie verhalten sich der Anfang und das Ende von ihr, wenn man von einer aristotelischen Auffassung ausgeht? Oder lässt sich irgendwie eine sinnvolle Theorie aufbauen, die aus „Zeitatomen“ besteht?35 Oder: Wie verhalten sich die Grenzen einer „Kraft“ – z. B. die Kraft, ein Gewicht zu heben und zu halten; ist es sinnvoll, von einem höchsten Gewicht zu sprechen, das Sokrates tragen kann, oder muss man dagegen von einem kleinsten Gewicht sprechen, das Sokrates nicht zu tragen vermag? Es handelt sich hier immer nur um Schwierigkeiten, die sich in Bezug auf Größen ergeben – meistens die Zeit oder die räumliche Entfernung zwischen zwei
34
35
Dabei wird gefordert, dass man die Latitude als Ganze betrachtet. Wird eine Teilung zugelassen, sind beide Teile, der zunehmende und der abnehmende Teil, in den oben berücksichtigten Fällen (a) und (c) schon erfasst. Die Edition einiger der grundlegenden scholastischen Texte zum Problem des Kontinuums findet man in Murdoch, Geometry; Murdoch Two Questions; Adam de Wodeham, Tractatus, ed. Wood. Vgl. au‐ ßerdem Murdoch Superposition; ders., Scientia; ders., William of Ockham; mit Schwerpunkt auf die Qualitätsbewegung vgl. Sylla, Infinite Indivisibles; über Burley vgl. Normore, Walter Burley. Grund‐ legend für die Problematik des Kontinuums in der Scholastik ist noch Maier, Vorläufer 155–215, und dies., Ausgehendes Mittelalter I 41–85.
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Punkten –, die man nur durch eine Linie darstellen kann. Und sie sind bekanntlich nicht trivial. Aber neben allen solchen Fragen eines linearen Kontinuums können nun bei der Darstellung von Geschwindigkeit und Qualitäten zusätzlich eine Reihe anderer Fragen zur Diskussion kommen, die sich – zunächst einmal ganz natürlich und naiv – dann ergeben, wenn man nach einem Zusammenhang sucht zwischen der Natur der Linien, die die longitudo der Darstellung vertritt, und der Zusammensetzung aller „Punkte“, die die höchsten Grade der Intensitäten darstellen. Wenn man z. B. irgendeine Bewegung nimmt, ist die Zeit als longitudo darzustellen. Angenommen – wie üblich –, die Zeit sei in ihrer Natur stetig, d. h. ein „Kontinuum“, wie verhalten sich die Intensitäten zueinan‐ der? Die Frage erscheint zunächst einmal überflüssig, solange es sich um eine Bewegung mit konstanter Geschwindigkeit handelt, aber sie wird dringender bei einer nicht regel‐ mäßigen Geschwindigkeit und insbesondere, wenn man versucht, eine Äquivalenzregel zu finden, die diese Unregelmäßigkeit als Regelmäßigkeit ausdrücken soll. Man könnte dies in Bezug auf diese Expositio provisorisch folgendermaßen formulieren: Als erstes geht man davon aus, dass die Zeit eine immer wieder ins Unendliche teilbare Größe ist. Folglich ist jeder Punkt der Linie, die sie darstellt, eine Strecke, die eine Zeitspanne vertritt, so klein wie man will. Folglich darf nicht das, was darauf senkrecht dargestellt wird, als Punkt aufgefasst werden, sondern auch als ein Kontinuum. Daher – das betont der Ausleger immer wieder – wird mit gradus nicht etwa „ein unteilbarer Punkt“ oder ein Augenblick gemeint, sondern vielmehr eine Strecke oder eine Zeitspanne. Zuerst öffnet man sozusagen den Punkt der longitudo als Strecke; demzufolge muss man auch den oberen Punkt, den Grad, öffnen. Man verfügt jetzt über eine in der Zeit ausgedehnte Latitude, so dass man nun wie gewöhnlich verfahren und irgendeine Äquivalenzregel anwenden kann. Schließt man nun beide geöffneten Strecken zum Punkt zurück, ver‐ fügt man – falls gesichert ist, dass alle oberen „Punkte“ sich zueinander so verhalten, wie sich die zwei Punkte, die durch die Öffnung zu einer Strecke geworden sind, ver‐ halten – über eine Regel, die für einen Punkt der ursprünglich gegebenen Latitude gilt. Es ist bekanntlich eine große Anzahl von Problemen hiermit verbunden, die an dieser Stelle nicht diskutiert werden können. Der Ausleger, der jedenfalls eine solche Methode nicht ausformuliert, aber in Einzelfällen immer wieder stillschweigend benutzt, berührt flüchtig eine fundamentale Frage der Differentialrechnung: welche Steigung hat die „Kurve“, die obere Linie, die aus allen höchsten Intensitätsgraden besteht? Er löst das Problem natürlich nicht und vermag leider auch nicht tiefer in die Materie einzudringen, aber bereits die Tatsache, dass er bis dahin gekommen ist, macht diesen Text besonders beachtenswert. Wenn man sich nun fragen will, aus welchem Kontext und mit welcher Motivation solche Überlegungen entstanden sind, so ist deutlich, wozu eine solche ausführliche Dis‐ kussion der vierten Einteilung in Anlehnung an die Themenkreise der Oxford-Kalkula‐ toren dienen soll: ad solvenda sophismata, wie der Ausleger die Nützlichkeit in seinem Vorwort vorbestimmt hatte. Für eine allgemeinere Auswertung dieser einleitenden Er‐ klärung müssen wir noch warten. Es ist jedenfalls offenbar, dass diese Erklärung nicht rhetorisch gemeint war und in der Tat eine entscheidende Rolle spielt, denn nach ei‐ nigen einleitenden Bemerkungen beginnt er die lange Diskussion, durch die er multa argumenta sophistica zu lösen versucht.
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Kommentar
§ 6.2. Einwände und Erwiderungen (Zz. 470–594) Jene sophistischen Einwände, die der Ausleger widerlegen will, ergeben sich aus der Auffassung, die er als zweites notandum zum Kommentar der vierten Einteilung an‐ hängt36. Demnach ist non gradus nicht mit „Null“ oder mit „Nichts“ gleichzusetzen, sondern es handelt sich hierbei um einen „unendlich kleinen Teil“, der so klein ist, dass man keinen kleineren finden kann. Diese Behauptung, die in anderen Texten auch vor‐ kommt, ohne dass bei ihnen weitere Konsequenzen hergeleitet werden, macht er zum Hauptsatz seines sozusagen infinitesimalen Ansatzes. E1: Es wird zuerst „sophismatisch“ eingewandt, dass es keinen Grad mit einer unend‐ lichen (kleinen) Abnahme geben und daher keine Latitude nach ihrer Intensität (zur Unterscheidung zu ihrer Ausdehnung) ad non gradum enden kann. Die erste Behauptung, das antecedens, wird als gegeben vorausgesetzt. Die Implikation lässt sich dadurch rechtfertigen, dass die Begriffe „kein Grad“ und „unendlich kleine Ab‐ nahme“ gleichbedeutend sind. Die Erwiderung erfolgt durch die im Einwand nicht berücksichtigte Unterscheidung zwischen der Stellung confuse (nach dem Verb) oder distincte (im Subjekt) des Gradbegriffes. So kann man doch zugleich sagen – meint der Ausleger –: (a) „kein Grad ist von einer unendlichen Abnahme“, und (b) „von einer unendlichen Abnahme ist ein Grad“. E2: Mit den drei Begriffen non gradus (Tma), infinite remissus (Tmi), und gradus (Tme) wird der zweite Einwand in der folgenden syllogistischen Form formuliert37 (es ist angemessener, die originale Sprache zu berücksichtigen): (1) Celarent: Ma (E): nullus gradus est non gradus Mi (A): omnis infinite remissus gradus est gradus ... Co (E): nullus infinite remissus gradus est non gradus Die Folgerichtigkeit wird man durch die gültige Form der ersten syllogistischen Fi‐ gur „Celarent“ oder durch Reduktion auf die erste Figur durch „Ferison“ begründet. Für das letzte sind hier einige logische Schritte vorausgesetzt, die man so erklären kann. Zuerst muss man „Celarent“ auf die Form „Ferison“ der dritten Figur brin‐ gen, was durch die „subalternatio-Regel“ (die in der gängigen scholastischen Logik als gültig angenommen wird) A→I und E→O möglich ist: (2) Ferison: Ma (E): nullus gradus est non gradus Mi (I): aliqui gradus est infinite remissus gradus ... Co (O): aliqui infinite remissus gradus non est non gradus Bei „Ferison“ bedeutet der Buchstabe „F“, dass eine Reduktion zu einer Form der ersten Figur auf die Form „Ferio“ hinauslaufen muss. Für Aussagen vom Typ E 36
37
Das erste notandum erinnert daran, dass sich die in der Einteilung gemeinten Begriffe „Anfang“ und „Ende“ auf die Ausdehnung des Trägers oder der Zeit beziehen. Ich benutze die Siglen Tma, Tmi und Tme für jeweils den „terminus maior“, den „terminus minor“, den „terminus medius“ des Syllogismus (dementsprechend auch Ma und Mi für die (propositio) maior und minor; Co bezieht sich auf die conclusio des Syllogismus. Es ist zu beachten, dass diese ganze Stelle in Ms. W fehlt und in F offenbar ziemlich verderbt ist: der Prämisse Mi wird non vorangestellt, was die Folge‐ richtigkeit verhindert. Außerdem wird der Ausdruck igitur, etc., wodurch die Schlussfolgerung eingeleitet wird, auf den Untersatz bezogen. Schließlich werden sowohl remissius als auch remissus benutzt, was den Argumentaufbau verhindert.
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und I ist die direkte Termumkehrung (conversio simplex) zulässig und der Buchstabe „s“ in „Ferison“ heißt, dass diese Operation bei der vor ihm stehenden Aussage (I) durchgeführt werden muss. So ergibt sich (3) Ferio: Ma (E): nullus gradus est non gradus Mi (I): aliqui infinite remissus gradus est gradus ... Co (O): aliqui infinite remissus gradus non est non gradus Der Erwiderung richtet sich natürlich nicht gegen die Deduktionsformen selbst, sondern gegen den Aufbau der Begriffe. So heißt es, dass infinite weder im Subjekt des Untersatzes noch im Subjekt der Schlussfolgerung vorkommt (denn es handelt sich ja um keine Adjektivierung von remissus gradus, sondern um ein Adverb, das als solches zum Prädikat gehört) und daher nur nullus remissus gradus est non gradus abzuleiten ist. E3: Es wird ein neuer Syllogismus als Einwand aufgebaut. Mit nihil (Tma), infinite remissus (Tmi), und gradus (Tme:) wird der zweite Einwand in der folgenden syl‐ logistischen Form formuliert: (1) Celarent38: Ma (E): [quod] nihil est, nihil incipit Mi (A): [quod] nihil est, [est] non gradus ... Co (E): [quod]nihil [est], incipit a non gradu Mi ist eine Aussage A, bei der die Termumkehrung nicht zulässig ist, obwohl der Ausleger diese Möglichkeit in Betracht zu ziehen scheint. Der Hauptanteil der Er‐ widerung besteht darin, dass kein gültiger Syllogismus aus verneinenden Prämissen aufgebaut werden kann. Außerdem ist der Begriff von „Anfangen“ schon in nongradus eingeschlossen, zumal er Verneinungen in sich einschließt. E4: Als Einwand wird die folgende Implikation beansprucht: A: Jede Latitude beginnt mit einem Grad → C: keine Latitude beginnt mit „NullGrad“. Die Implikation scheint gesichert zu sein, zumal die Begriffe „Grad“ und „NullGrad“ als Gegensätze (contradictorii) angenommen werden. Zur Begründung von A gilt, dass eine Latitude nicht von etwas außerhalb von ihr beginnt, sondern mit etwas, das zu ihr gehört, also mit einem ihrer Teile. Und ein solcher Teil ist ein Grad; also beginnt sie mit einem Grad. Als Erwiderung wird zuerst die Gültigkeit der Implikation abgelehnt, denn die Begriffe „Grad“ und „Null-Grad“ bilden keinen Widerspruch, wenn man den letzten (non gradus) so versteht, wie es früher erläutert d=G
wurde. Darüber hinaus wird argumentiert, dass man eine L:unif/diff durch Anwen‐ i=¬G
dung der Regel des mittleren Grades auf einen regelmäßigen Grad bringen kann, so dass diese Latitude doch ad gradum beginnt (oder als eine solche betrachtet werden kann). Daraus ergibt sich die allgemeinere Feststellung, dass der im Traktat genannte d=G
Fall (b) L:unif/diff für jede L:unif/diff gilt. i=G
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Es wird im Text die Reihenfolge der Prämissen umgetauscht, so dass zuerst Mi formuliert wird. Für Ma, die im Text deutlicher ist, muss hier eine grammatische Anpassung gesucht werden.
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Kommentar
Die folgenden Einwände beziehen sich auf mathematische und naturphilosophische Fragen, die mit der Bestimmung für Grenzen eines Kontinuums zusammenhängen. d=G
E5: A: L:unif/diff hat weder einen ersten noch einen letzten Teil → C: Der Anfang i=¬G
i = ¬G ist in diesem Fall falsch. Die Folgerichtigkeit der Implikation wird nicht begründet. Die Begründung von A erfolgt durch die gängige Forderung für stetige Größen: Es gibt immer eine Größe x|x < G, wo also immer gelten kann i = x. Da dies ins Unendliche wiederholt werden kann, ist die Aussage begründet, dass es keinen ersten Teil gibt. Dasselbe wird für d = G vorausgesetzt. Bei der Erwiderung, welche sich gegen die Wahrheit von A richtet, wird allerdings ersichtlich, dass sich die scholastische Diskussion über das Kontinuum oft um einen Kreis von Verbal‐ formulierungen dreht, aus dem man nicht hinausgehen kann, zumal die Probleme nicht in eine streng mathematische Formulierung gebracht werden können. So be‐ dient sich der Ausleger folgenden Argumentes: man zerlege zuerst L in zwei Teile (was wohl der Gegner akzeptieren würde). Wenn dadurch die gesamte Größe von L umfasst wurde – das muss man voraussetzen –, so ist deutlich, dass vor dem Teil, den wir „ersten Teil“ nennen, kein anderer Teil vorhanden ist; und dasselbe gilt für den letzten Teil. Wie aber der Anfang und das Ende zu verstehen sind, sei in der Physik des Aristoteles nachzulesen. E6: A: Kein rechtwinkliges Dreieck beginnt ohne Höhe (a non altitudine) → C: Der Anfang i = ¬G ist für jede L falsch. Da es sich um eine Übertragung von Eigen‐ schaften einer geometrischen Figur auf Latituden handelt, wird zur Begründung der Implikation das Korrespondenzprinzip herangezogen: Die Figuren verhalten sich zu ihren Höhen wie die Latituden zu ihren Intensitäten39. Für A wird argumentiert, dass die Anfangsteile eines solchen Dreiecks schon eine Höhe aufweisen. Zur Er‐ widerung wird zuerst A angegriffen: die Gegenaussage „das rechtwinklige Dreieck beginnt an der Seite des spitzen Winkels ohne Höhe und mit einer unendlich klei‐ nen Höhe“ ist für wahr zu halten, wenn die Begriffe altitudo und non altitudo nicht als widersprüchlich angenommen werden. Diese Bedeutungserweiterung würde die Wahrheit von A sichern, aber die Implikation wäre immer noch ungültig, wenn man nicht dementsprechend auch die Begriffe gradus und non-gradus auch so versteht (was allerdings am Anfang postuliert wurde). Der Ausleger bemüht sich ständig, mit Gegenargumenten und Erwiderungen derselben Argumente deutlich zu machen, dass bei diesen „negativen Werten“, bei „Null-Grad“, bei „keine Höhe“ und derar‐ tigem, ja ein minimum zu verstehen ist, aber auch eine positive Größe mitgedacht werden muss. Das ist einer seiner wichtigsten Beiträge, der leider unvollendet blei‐ ben muss, zumal es noch keinen Grenzwertbegriff im modernen Sinne gibt und auch keine symbolische Schreibweise, mit der der Ausleger die verschiedenen Nuancen der Argumentation zu verdeutlichen vermag. E7 –E8: Diese beiden Einwände gehören zusammen. Der erste bestreitet die Gegebenheit von einem höchsten Grad beim Ende einer Latitude, sodass auchdie Idee des non d=G=max gradus als positive Größe verworfen werden muss: A:¬ L → ¬C:¬(G =
39
Bei dieser Anwendung des Korrespondenzprinzips wird im Einklang mit LF und im Gegensatz zu De configurationibus des Oresme von der Verwendung des Begriffes latitudo für die ganze Fläche der Figur ausgegangen.
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min). Dabei ist C = dictum und mit „min“ wird eine positive Größe gemeint, so dass G ∕= 040. Bei der Begründung von A kommt, wenn auch leider nur sehr knapp, der oben erwähnte Argumentationszug zum Einsatz, indem die Frage nach der „Nei‐ gung der Kurve auf einem Punkt“ gestreift wird: Es wird zuerst angenommen, dass L in derselben Art und Weise abnimmt, wie sie zunimmt; der Fall L wird auf L:unif/diff beschränkt. Man nimmt erst den höchsten Grad von L:unif/diff. Dieser Grad sei ein Teil von jener L:unif/diff. Er hat also eine Ausdehnung, nach der er zerlegt werden kann. Nimmt man den höchsten Grad dieses Teils, so wiederholt sich das Problem. Oder man nimmt hingegen an, dieser Grad sei uniformis. Dann wäre L nicht durchgehend unif/diff – wie festgelegt wurde –, sondern sie hätte einen gleichförmigen Teil. Dasselbe Argument kann bezüglich des Anfangs gebracht wer‐ den, so dass zu bestreiten ist, dass für L die Bestimmung i = G = min nicht gelten würde, d. h. es gilt für L i = G. Bei der Erwiderung führt der Ausleger die für die nun folgende Diskussion entscheiden‐ den Begriffe von einem abgeschlossenen oder einem offenen Intervall ein, in dem die Grenzen jeweils inclusive oder exclusive bestimmt werden. Für eine L:unif/diff sind zwei Fälle zu unterscheiden: (a) wenn das terminari, d. h. die Grenze, ad gradum bzw. ad cer‐ tum gradum erfolgt (das kann auf beiden Seiten geschehen); und (b) wenn die Grenzen ad non gradum stattfinden (das kann nur auf einer Seite geschehen). Die Stellungnahme des Auslegers bezüglich des ersten Falles lautet folgendermaßen: „Darauf wird geantwor‐ tet, dass – wie es nach der Auffassung des Verfassers [von LF] erscheint – eine solche [Latitude] nicht inclusive sondern exclusive bei einem gewissen Grad endet oder beginnt. Daher, obwohl jede solche [Latitude] bei unendlichen Graden endet – wie in der Lösung des vierten Argumentes gesagt wurde –, ist keine von ihnen der letzte, so, als wäre er der Höchste [= Maximum] oder der Niedrigste [= Minimum, remississimus]. Demgemäß ist im Einklang mit dem Verfasser [von LF] zu sagen, dass eine Latitude bei einem gewissen Grad exclusive endet, d. h. bei dem Grad, der unter allen Graden, die die Latitude nicht hat, der Niedrigste ist, und zwar bezüglich der Zunahme der Intensität, wenn die En‐ dung in die Richtung der zunehmenden Intensität bestimmt wird. Oder auch [endet die Latitude] bei dem [Grad], der unter allen denjenigen Graden, die [die Latitude] nicht hat, der Höchste bezüglich der Abnahmen der Intensität ist, und zwar wenn die Endung in die Richtung der abnehmenden Intensität bestimmt wird. Und so werden das Ende oder der Anfang einer solchen Latitude nach dem äußeren Maximum (maximum quod non) bezüglich der Abnahmen und nach dem äußeren Minimum (minimum quod non) bezüglich der Zunahme bestimmt“ (Zz. 541–552). Für den ersten Fall – im Einklang mit der Meinung des auctor von LF 41 – gilt, dass beide Grenzen exclusive zu bestimmen sind, so dass beide Grenzen nicht zu L gehören ]d=G[
und L ein offenes Intervall bildet: L:unif/diff. Der Ausleger gibt sich die größte Mühe, ]i=G[
diese Idee durch verschiedene Formulierungen zu präzisieren42. Er versucht dabei festzu‐ legen, was maximum oder intensissimus gradus und minimum oder remississimus gradus 40 41 42
Wie üblich bei diesen Überlegungen spielen die negativen Zahlen keine Rolle. Im LF findet man eigentlich keine Äußerung darüber. Für jede Aussage gibt er „die Richtung“ an, in der er gerade formuliert. So wird z. B. das terminari ad gradum exclusive von dem Maximum in der zunehmenden Richtung der Grade durchgeführt; und andersherum für
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Kommentar
heißen: Im ersten Fall wird der kleinste Grad von all den Graden gemeint, die größer als L sind; im zweiten handelt es sich um den größten Grad von all den Graden, die kleiner als L sind. Man kann diese wichtigen Definitionen mit modernen Symbolen in der folgenden Weise ausdrücken: Sei Li ein Intervall aus Graden so, dass IG = Gn... Gm mit Gm > Gn ist. Es gelte auch: Gz ist ein beliebiger Grad z ∈ L, Gx |x > Gz und Gx ∕∈ L, Gy|y < Gz und Gy ∕∈ L). Dann kann dieses Intervall so beschrieben werden: Li = {Gn < Gn+1 < Gn+2 < . . . < Gm−2 < Gm−1 < Gm }. Die Grenzbestimmung dieses Intervalls Li kann jedoch inclusive oder exclusive erfol‐ gen, je nachdem, ob die angrenzenden Graden zum Li gehören, oder nicht. Damit wird ein Maximum oder Intensissimus und ein Minimum oder Remississimus definiert43: 1. 2.
intensissismus exclusive: G]max[ = Gx|z < x und x1 < x2 < x3 < . . . < xn−2 < xn−1 < xn remississimus exclusive: G]min[ = Gy|z > y und y1 > y2 > y3 > . . . > yn−2 > yn−1 > yn xn x Gz ∈ L y L yn Max]
[Min
Bezüglich des Falles (b) wird eine andere Entscheidung getroffen: „Aber es ist zu sagen, dass eine solche Latitude ad non gradum endet, weil sie bei einem unendlich abgenom‐ menen Grad intrinsece endet, und nicht extrinsece, als ob sie, sich einer äußeren Grenze annähernd, irgendeinen Grad derselben Gattung anstreben würde. Oder man sagt auch, dass eine solche Latitude ad non gradum endet, weil zu jedem beliebig kleinen Grad die‐ ser Latitude ein anderer noch kleinerer Grad zu geben ist, bezüglich dessen die Latitude intrisece endet“ (Zz. 552–557).
43
das Minimum, denn – wie gesagt – eine solche L endet ad gradum auf beiden Seiten und man will nicht, dass Missverständnisse entstehen. Der begrifflichen Deutlichkeit wegen sprechen ich hier von Maximum, wo der Ausleger eigentlich inten‐ sissimus sagt. Dieses Maximum ist jedoch nicht mit dem Maximum der Abhandlungen über maxima et minima (z. B. bei Richard Swineshead oder Albert von Sachsen) zu verwechseln, der sich auf eine höchste Kapazität oder Kraft beziehen (welche wiederum natürlich auch in Grade eingeteilt und „gemessen“ wer‐ den, sodass man in diesem Sinne hierbei dann ein intenssisimus oder remississimus hätte). Um diese Be‐ grifflichkeit zu verdeutlichen, habe ich hier nicht nur eine moderne Ausdrucksweise vorgezogen, sondern auch zwei graphische Darstellungen eingeführt, die die Ideen des Auslegers verdeutlichen, aber sich nicht im Text befinden.
§ 6. Die vierte Einteilung der latitudines
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Es wird also hier im Unterschied zum obigen Fall eine inclusive (oder auch: intrin‐ d=¬G
sece) Grenzbestimmung vorgeschlagen: L:unif/diff = L:unif/diff bzw. L:unif/diff = i=¬G
[i]
[d]
L:unif/diff. Wir versuchen, diese Idee in der folgenden Weise festzuhalten44: 3.
remississimus inclusive: G[min] = Gy|y < z und y ∈ L, oder G[min] = Gz|z ∈ L und z1 > z2 > z3 > . . . > zn−2 > zn−1 > z
GZ ∈ L y L
Min] Entscheidend ist für die folgende Diskussion, dass gemäß den Definitionen 1–2 das Ma‐ ximum und das Minimum kein Teil von L sind, während gemäß der Definition 3 das Minimum hingegen ein Teil von L ist. Diese Definition von Minimum aber ist nicht unproblematisch. Zuerst muss man festhalten, dass man nicht sagen kann, dass G[min] „der kleinste“ Gz von L ist, denn – durch dieselbe Argumentation des Auslegers – kann man immer einen kleineren Gy fin‐ den, der kleiner als jener ist. So erscheint es offensichtlich, dass diese Definition vom Minimum deswegen unzureichend ist, weil der bestimmte G[min] einerseits kleiner als Gz und andererseits jedoch ein Teil von L (d. h. gehört zu L) ist. Um die Auffassung des Auslegers an dieser Stelle richtig zu verstehen, dürfen wir nicht vergessen, worum es ihm bei der ganzen Diskussion geht, was er nämlich an Ende dieses Abschnittes wiederholt: „Und immer ist ‚Grad‘ in Bezug auf die totale Intensität eines Teils der Ausdehnung“45. Aus den obigen Erörterungen sei das folgende Ergebnis festgehalten: 1.
Eine L:unif/diff ad gradum ist immer exclusive an beiden Extremen begrenzt: ]L[.
44
Strenger genommen, müsste man in jede Definition die Klausel einführen, dass diese Behauptungen auch für beliebige mögliche Zwischenglieder gelten, bzw. dass es keinen gibt, der sie widerspricht. So würde man z. B. für G]max[ den Zusatz benötigen: ∀xyz((¬∃Gy )Gx > Gy > Gz ). Das halte ich jedoch für nicht notwendig, zumal nach der aristotelisch-scholastischen Zahlentheorie die Zahlen – die natürlichen Zahlen ohne Null: nur um diese Zahlten geht es – keine dichte Menge ausmachen; sie sind diskrete Entitäten – und hier liegt ja eins der Hauptprobleme der Scholastik für das Verständnis einer mit Zahlen versehenen Darstellung und überhaupt für das Verhältnis zwischen Arithmetik und Geometrie vor –, zwischen denen keine andere einen Platz finden kann. Zwischen 2 und 3 gibt es nichts. Natürlich war man sich bewusst, dass 2 + 21 größer als 2 und kleiner als 3. Aber 2 + 12 stellt nicht die Zahl 2,5 sondern vielmehr eine Operation zwischen Zahlen, z. B. addieren 2 und die Hälfte von 1, dar. Vor diesem Schlusssatz wiederholt er noch einmal die Definitionen 1–2 in einer mit jener übereinstimmen‐ den Formulierung.
45
170
2.
Kommentar
Eine L:unif/diff mit einem Extrem ad non gradum weist die zwei folgenden Mög‐ lichkeiten auf, je nachdem, ob sie beginnt oder endet ad non gradum: [L[ oder ]L]. Hierbei ist non gradum L immer inclusive begrenzt.
Die nachfolgende Diskussion entwickelt sich hauptsächlich ausgehend von jenen De‐ finitionen, die als Antwort auf die zwei letzten Einwände gegeben worden waren. Das Problem wird nun durch eine Reihe von neuen Einwänden vertieft, die sich jetzt direkt oder indirekt gegen diese Definitionen richten46. Es wird versucht, die Definitionen dadurch in Verlegenheit zu bringen, indem man zeigt, dass mit ihnen einige Äquiva‐ lenzregeln, welche in der Formlatitudenlehre als gültig und üblich angenommen werden, nicht mehr möglich sind. E1: Daraus folgt, dass eine Verdoppelung bzw. Halbierung einer Latitude nicht möglich [d=8]
ist. Es handelt sich um den Fall mit L1 :unif/diff und L2 :unif =]8[. Da L2 durch‐ i=¬G
gehend den höchsten Grad von L1 hat, müsste sich 2 L1 = L2 erfüllen. Der Grund wird schon in dem Einwand angegeben: 8 wird einerseits für L1 exclusive definiert, andererseits für L2 inclusive. E2: Die Regel des mittleren Grades ist unter diesen Bedingungen nicht erfüllbar. Man nehme jetzt die obere L1 und L2 :unif =]4[, dann gilt nicht L1 = L2 . E3: Dieselbe Regel gilt allgemein nicht für jede L1 :unif/diff, denn dabei gäbe es keinen Grad, der in der Mitte der Ausdehnung von L1 mit dem mittleren Wert zu finden sei. E4: Die verbale Formulierung dieses Einwandes wirkt ziemlich unverständlich. Man kann an dieser Stelle daran erinnern, dass alle diese Probleme sowohl in der scholasti‐ schen Logik als auch in diesem Teilgebiet der Naturphilosophie ohne die uns übliche formale Sprache formuliert werden. Doch in der Spätscholastik wird eine ebenso strenge wie technische Sprache benutzt, die aufgrund ihrer Kompaktheit gramma‐ tikalisch eigenartig ist und daher oft Schwierigkeiten bereitet. So z. B. quacunque minore data quam 8 est illa maior ad quam est subdupla heißt: „zu jeder gegebenen Latitude, die kleiner als 8 ist, gibt es eine größere [als die gegebene], bezüglich der man die Hälfte findet“. Der Einwand kann folgendermaßen rekonstruiert werden. Man nehme also die obere L1 mit der oberen Grenze 8 wie festgelegt exclusive, d. h. also, dass 8 kein Teil von L1 ist. Es wird nun eingewandt, dass, obwohl eine solche Latitude ihrem mittleren Grad (= GM ) korrespondieren muss, der mittlere Grad nicht zu bestimmen ist. Um GM zu finden, wird der höchste Grad Gmax gesucht, den man halbieren kann: 2GM = Gmax . Ferner muss G < 8 sein und daher ein Teil von L1 . Es sei dieser Grad dann Gx, so dass Gx 2 = GM erfüllt wird. Es gilt jedoch, dass es für jede Gx < 8 einen „Zwischengrad“ Gz gibt, mit 8 > Gz > Gx, so dass auch hier Gz 2 = GM erfüllt werden kann. In der oberen Argumentation war festgestellt, dass GM nicht 4 sein kann; und 4 + 12 ⋅ 2 ergibt 9 > 8. GM muss also zwischen diesen beiden Werten liegen. Aber da ein Zwischengrad für jeden Gxn < 8 wieder angegeben werden kann, ist der mittlere Grad nicht eindeutig zu bestimmen. Der Einwand ist also ernst zu nehmen, denn er versucht zu zeigen, dass die Benutzung eines offenen Intervalls nicht sinnvoll ist, zumal weder mit der exklusiven oberen Grenze noch 46
Diese Einwände werden später von dem Ausleger corrolarii genannt.
§ 6. Die vierte Einteilung der latitudines
171
mit dem Versuch, aus dieser Grenze zu einem Teil der Latitude zu gelangen, eine erfolgreiche Bestimmung des mittleren Grades gelingt. ]d=5[
E5: Ein ähnliches Problem kann man für L:unif/diff stellen. Diese Latitude kann nicht ]i=1[
mit einer L:unif = 3 angeglichen werden. Damit die Rechnung 5+1 2 = 3 ausgeht, wäre erforderlich, dass der obere Grad 5 inclusive bestimmt wäre, was hier nicht der Fall ist47.
§ 6.3. Die Bestimmung des mittleren Grades (Zz. 595–872) Zwei der wichtigsten Ideen des Auslegers von LF sind erstens die Definition des gra‐ dus als eine positive Größe, die Ausdehnung aufweist; und die Bestimmung der Grenze in der schon erklärten Weise. In den obigen Einwänden und Erwiderungen wurde deutlich, dass für die ganze Diskussion die „Regel“ – diese Bezeichnung erhielt sie erst jetzt – des mittleren Grades eine wichtige Rolle spielt. Die letzten Einwände, auf die der Ausleger in der Tat noch keine Antwort gab, beziehen sich in verschiedenen Weisen auf die Schwie‐ rigkeiten, die sich bei der Bestimmung des mittleren Grades ergeben, wenn man von den zwei obigen Ideen ausgeht. Eine befriedigende Verteidigung dieser Ideen setzt daher eine mit ihnen übereinstimmende Methode voraus, mit der der mittlere Grad bestimmt wer‐ den kann, damit jene wichtige Regel einwandfrei zur Anwendung kommen kann. Dies versucht der Ausleger in den folgenden Argumenten, die an sich zu den interessantesten seiner Arbeit gehören. Denn es wird an dieser Stelle versucht, jene Ideen „rechnerisch“ zu verteidigen, und zwar so, dass dieser „arithmetische Ansatz“ mit der Verwendung von geometrischen Figuren grundsätzlich übereinstimmt. d=G
Zum Auffinden des mittleren Grades GM für L:unif/diff wird eine erste Regel (R1) i=¬G
geboten. Um sie zu erhalten – führt der Ausleger aus –, muss man zuerst beachten, dass sich die gesamte Anzahl (numerus) von L aus der Multiplikation (ductus) „von den Seiten“ (laterum) mit GM ergibt. Mit dem Begriff „Seite“ bezieht sich der Aus‐ leger tatsächlich auf Seiten einer geometrischen Figur, so dass hier die geometrischen Darstellungen schon faktisch mit einbezogen sind. Die „Seiten“ aber, die hier gemeint werden, entsprechen – und das ist die Bedeutungsverschiebung des Begriffes – den Li‐ nien, die man gewöhnlich in einer configuratio für intensiones zu gebrauchen pflegte. Für d=5
L:unif/diff (die jedoch bemerkenswerterweise ad non gradum beginnt) sind die „Seiten“ ]i=1[
die Vertikalen, die die Grade 1, 2, 3, 4 und 5 trennen; 3 ist der mittlere Grad: 5 4 3 2 GM
47
Aus welchem Grund „1“ als Grad gilt, wird weiter unter deutlich.
1
172
Kommentar
Die Seiten stimmen der Anzahl nach mit der Anzahl der Grade überein, aber sie sind nicht mit ihnen zu verwechseln, denn ein Grad ist eben – wie oben definiert – eine Größe mit Ausdehnung, die hier zwischen den „Seiten“, die nur geometrische Bedeutung haben, dargestellt wird. Im Sprachgebrauch des Auslegers machen zwei Seiten eine figura aus, wie er im nächsten Abschnitt sagt. Beim Aufsummieren (recolligendo) aller Grade von L erhält man also 15. Um GM zu bestimmen, wird die Summe aller Grade von den untersten bis zum höchsten durchgeführt und das Ergebnis P5 davon durch die Anzahl der Seiten oder Grade geteilt: Er bildet also die Summe k=1 ak und dividiert das Ergebnis durch die obere Summationsgrenze. Die Überlegung geht leider nicht soweit, dass deut‐ lich erkannt wird – obwohl man nicht nur hier, bei allen diesen Regeln ganz nah Psondern n daran ist –, dass für die arithmetische Reihe k=1 ak = 1 + 2 + 3 + ⋅ ⋅ ⋅ + n die Formel n 2 ⋅ (n + 1) gilt. Ein Grund dafür, dass der Ausleger diese wichtige Gleichung nicht fand, kann in der Tatsache liegen, dass er nur GM sucht, was in der modernen Schreibweise eben unter der Teilung mit 2 enthalten ist. Ein zweiter Grund – und meiner Meinung nach wahrscheinlicher – ist auch, dass der oben erwähnte Ausdruck von der Verfügbar‐ keit der Zahl „n + 1“ ausgeht, was allerdings bei der ganzen Diskussion nicht gegeben ist. Das kann uns unverständlich erscheinen, wenn wir nicht berücksichtigen, dass man bei „n + 1“ wieder in die Diskussion mit den Fragen zu den Grenzen exclusive oder inclusive gerät, auf die der Ausleger gerade eine Antwort zu geben versucht. Darüber hinaus wird die Regel letztlich nicht für Zahlen, sondern für „Grade“ angegeben, und zwar mit der zusätzlichen Einschränkung, dass der höchste Grad (die Summationsgrenze etwa) unge‐ rade sein muss. Da aber oben nur ein Beispiel angegeben wurde, kann man mit Recht sagen, dass diese Regel als eine allgemeine Aussage bewusst geboten wird. Da die Anzahl der Grade bzw. Seiten von dem höchsten Grad gegeben ist, gilt also allgemein, um GM zu bestimmen: Pn G [R1 ]GM = (G1 + G2 + G3 + ⋅ ⋅ ⋅ + Gn−2 + Gn−1 + Gn ) : Gn = G=1 (mit n unge‐ Gn rade) Da für den Ausleger eine solche Regel nur für „2n – 1“ zutreffend ist – de numero pari hoc non est verum –, wird eine weitere Regel [R2] für gerade Zahlen geboten48. Während man bei [R1] über eine mittlere Figur verfügte (in dem Beispiel die Teilfigur, mit der der Grad 3 gekennzeichnet ist), benötigt man jetzt zwei mittlere Figuren gemäß der Anzahl der „Seiten“. So kann behauptet werden, dass der mittlere Grad den kleineren der mittle‐ ren Figuren unmittelbar durch eine Einheit übertrifft und wiederum von dem größeren durch eine Einheit übertroffen wird. Das benutzte Beispiel betrifft die Grade von 1 bis 8; der mittlere Grad beträgt – wie der Text selbst sagt – 4+ 12 , wobei eine „Einheit“ (unitas) an dieser Stelle nicht mit der Zahl 1 gleichzusetzen ist:
48
Es ist außerdem deutlich, dass der Ausleger hierbei nur ganze Zahlen benutzen will, denn für die endliche arithmetische Reihe 1+2+3+4+5+6 hätte er den Summationswert 21 erhalten, dessen Division durch 6 das Ergebnis 3,5 ist. Er will aber mit geschlossenen Operationen in der Menge der positiven ganzen Zahlen auskommen.
§ 6. Die vierte Einteilung der latitudines
173
4 + 12 Um dies zu überprüfen, wird eine Regel geliefert, durch die eine solche L auf eine L:unif zurückgeführt werden kann: wenn man die ganze Latitude in gleiche Teile zuverlässig (d. h. der Ausdehnung nach in gleich große Teile) zerlegt hat, wie z. B. oben, sollen jeweils beide Extreme z. B. 8 und 1, 7 und 2 usw. summiert und durch 2 geteilt werden. Es ergibt sich also ständig für die ganze Ausdehnung von L derselbe GM 4 + 12 . Man kann nun dieses allgemeine Verfahren in der folgenden Weise ausdrücken: Es sei die arithmetische Folge der Grade Gm , Gm+1 , Gm+2 , . . . Gn−2 , Gn−1 , Gn mit n gerade; dann gilt: Gm+k + Gn−k Gm + Gn Gm+1 + Gn−1 Gm+2 + Gm−2 = = = ⋅⋅⋅ = 2 2 2 2 Im Anschluss an diese Regel schlägt der Ausleger ein Rechenverfahren vor, um GM zu bestimmen, sowohl wenn die Folge mit ungerader Zahl als auch wenn sie mit gerader Zahl endet. Es sei zuerst der folgende Fall (a) mit den Graden 1 bis 5. Das Maximum 5 übertrifft das Minimum 1 in 4 Graden, also: 5 − 1 = 4. Dieser Rest oder Überschuss (excessus) wird dann halbiert und beide Teile mit den Extremen verknüpft, und zwar so, dass 2 von dem Maximum 5 abgezogen und dem Minimum 1 addiert werden. So bleiben beide Extreme mit jeweils 3 Graden. Weiter geht es mit den zwei unmittelbar gegebenen Extremen 4 und 2. Der Überschuss von 4 über 2 ist kleiner als der Überschuss von 5 über 1, d. h. 4 − 2 = x|x < 5 − 2. Diese Zahl x ist natürlich 2 < 3. Halbiert man wieder den Überschuss 2 und verteilt man die gewonnenen Hälften wie bei der ersten Opera‐ tion, so dass 1 Grad von 4 abgezogen wird und dem Grad 2 noch 1 hinzugefügt wird, so [R2 ]GM =
d=5
erhält man auch hier 3 Grade. In dieser Weise führt man die gegebenen L:unif/diff auf i=1
L:unifGM=3 zurück. Wir können dieses Verfahren folgendermaßen überblicken: 1
2
3
4
5
5−1 = 4 −2 3
+2 3
4:2=
2
4−2 = 2 −1 3
+1 3 3
2:2=
1
.
174
Kommentar
Das ist – wie gesagt – nur ein Beispiel. Aber der Ausleger meint es allgemein, nur un‐ ter der Bedingung, dass die Endzahl der Gradenfolge ungerade sei. Diese Allgemein‐ heit können wir folgendermaßen ausdrücken: Es sei die arithmetische Folge der Grade Gm , Gm+1 , . . . , Gn−1 , Gn gegeben, mit Gm = 1 und Gn ungerade. Dann: Gn − Gm = p = 2q, d. h. aus der Subtraktion von beiden Extremen erhält man eine gerade Zahl, die in zwei gleiche Teile zerlegt wird. Dann gilt: GM = q + Gm = Gn − q = = GM1 = q + Gm+1 = Gn−1 − q = = GM2 = q + Gm+2 = Gn−2 − q = Wenn man dieses Verfahren in einen allgemeinen Ausdruck zu übersetzen versucht, an − a1 ergibt sich für die Folge a1 , a2 , . . . m . . . , an−1 , an die Formel m = an − . Für die 2 entsprechende Folge der Grade 1, 2, 3 . . . 2n − 1 gilt also die folgende Regel: Gn − G1 2 Ein ähnliches Verfahren wird auch für eine Gradenfolge vorgeschlagen, die mit einer geraden Zahl endet: man nehme 2 Grade von dem Maximum 6 ab und gebe sie dem Minimum 1. So ergeben sich hier 3 für das Minimum und 4 für das Maximum. Und weiter: man nehme jetzt 1 von dem Vorgänger des Maximum 5 und gebe sie dem Nach‐ folger des Minimums. Es ergeben sich wieder 3 und 4. Am Ende dieses ersten Schrittes entstehen zwei Gleichförmigkeiten, die eine mit dem Grad 3 und die andere mit dem Grad 4. Von dieser letzten werden dann bei jedem Teil – bei jedem Grad – ½ abgezogen und den jeweiligen Graden der ersten Teile zugefügt, und zwar so, dass immer das Ma‐ ximum dem Minimum des immer kleiner werdenden Intervalls abgibt, bis man die zwei „mittleren Figuren“ erreicht hat. Diese verhalten sich in derselben Weise zueinander, wie ein Maximum und ein Minimum, so dass dieselbe Operation ausgeführt werden kann. Im Endeffekt wird dann eine Gleichförmigkeit nach dem mittleren Grad 3 + 12 erreicht: [R3 ]
GM = Gn −
−2
−2 −1
+1
+ 12
− 12 + 21
3 + 12
3 + 21
+ 12
− 21
3 + 12
3 + 21
− 21
3 + 12
3 + 12
.
§ 6. Die vierte Einteilung der latitudines
175
Der Ausleger schließt diese Gruppe von Erörterungen über das Auffinden des mittleren Grades mit einem notandum, in dem er zweierlei betont: 1) In den Figuren, die man bei einem solchen Vorgehen benutzt, werden die Grenzen exclusive bestimmt. Die dabei dargestellte Latitude bildet also ein offenes Intervall, dessen Extreme Grade sind, die nicht zur ihr gehören. Der Grund dafür ist, dass man sonst keine Regeln liefern kann. 2) Der so aufgefundene mittlere Grad ist in Wirklichkeit nicht der mittlere Grad dieser Latitude49. Es folgt nun eine weitere Gruppe von Erörterungen – Einwände und Erwiderun‐ gen –, die sich auch auf dasselbe Problem beziehen. Es wird nur jetzt genauer die Be‐ rechtigung der obigen Regeln in Frage gestellt, und dabei werden einige wichtige – und z. T. auch überraschende – Aussagen gemacht: 1. Bei dem ersten Problem werden wieder die vorherigen E4 und E5 zur Diskussion gebracht: wenn diese wahr sind – das ist das antecedens der Implikation –, dann kann man keine Latitude L1 :unif finden, die einer Latitude L2 :unif/diff intensiv gleich ist – das ist also das consequens der Implikation. Das Problem wird allgemein für jenen Wert von L1 gestellt; es wird aber aufgrund der vorherigen Diskussion vorausgesetzt, dass L1 :unif den mittleren Grad von L2 :unif/diff aufweist. Da das consequens falsch ist, ist durch modus tollens das antecedens auch falsch. Da E4 und E5 Einwände gegen die Auffassung waren, dass die Grenzen einer Latitude exclusive zu bestimmen sind, gilt dieses Argument als Er‐ widerung darauf, so dass letztlich daraus folgt, dass diese Auffassung zu retten ist. Da die Implikation als gegeben (nota) angenommen wird, bedarf die Falschheit des consequens einer Begründung. Um zu dieser Begründung zu gelangen, wird ein methodischer „Trick“ verwendet: eine Figur kann in zwei oder mehrere Figuren zerlegt werden, so dass sich die Fragen nach der Bestimmung der Grenze der ersten Figur auf die Stelle, wo sie zerlegt wurde, übertragen lassen. Mit anderen Worten: aus einer Figur mit zwei Grenzen erzeugt man jetzt zwei Figuren mit ihren jeweiligen Grenzen. Darauf basiert die Begründung der Falschheit des consequens. 2. Man nehme z. B. eine Wärme, die ungleichförmig-gleichförmig verteilt ist (das große Dreieck), und man trenne sie genau in der Mitte, sowohl der Ausdehnung als auch der Intensität nach. Es ergeben sich natürlich zwei Teile – ich nenne sie hier A und B –, von denen „der eine den anderen so übertrifft, wie dieser von jenem übertroffen wird“. Überträgt man den Überschuss von B auf A, ergibt sich aus L2 :unif/diff die Latitude L1 :unif mit dem mittleren Wert von L2 . Da beide Latituden L2 :unif/diff und L1 :unif gleich sind, ist das consequens falsch. L2 :unif/diff
L1 :unif
B
49
A
Diese Aussage wird vom Ausleger leider nicht näher erklärt; er gibt nur einen ungenauen Verweis auf die vorherige Ausführung. Man kann jedoch den Grund vermuten: der mittlere Wert hängt von dem Wert der jeweiligen Grenzen ab, welche man jedoch nicht mit Sicherheit bestimmen kann.
176
Kommentar
Das Argument – so gesteht der Ausleger – ist nicht einfach zu widerlegen, er versucht es jedoch durch den oben erwähnten Rekurs auf die Grenze dieser zwei Figuren. Dabei nimmt er auch die Implikation an und argumentiert gegen die Falschheit des consequens. Für ihn gilt nun, dass das consequens wahr ist, so dass die beanspruchte Äquivalenz nicht so zu begründen ist. Man hat oft auf die Verwandtschaft einiger Gedankengänge der Kalkulatoren mit Ideen, die der Infinitesimalrechnung zugrunde liegen, hingewiesen. Eine dieser Ideen ist die Auffassung – hier natürlich nur ungenau und sozusagen „in‐ tuitiv“ ausgedrückt – einer beliebig kleinen Größe (etwa „ε“), die sich einem Grenzwert annähert50. Die Vorstellung kommt oft – wie wir gesehen haben – in der Expositio zum Ausdruck, und vor allem hier, wo der Ausleger ein „schwieriges Argument“ diskutieren muss. Er muss begründen, dass sich aus der oben beschriebenen Operation keine Gleichheit zwischen beiden Latituden ergibt. Dafür nimmt er das in E5 angeführte Beispiel einer La‐ d=5
titude L:unif/diff und versucht zu begründen, dass diese Latitude nicht gleichL1 :unif = i=¬G
3 ist. Man geht von beiden Teilen A und B der Figur mit den entsprechenden Latituden LA und LB aus. Der Hauptschritt des Beweises ist die Festlegung, dass LA mit dem obe‐ ren Wert ]3[ exclusive begrenzt wird, wobei 3 der beanspruchte mittlere Grad von L2 ist. d=]3[
Es ergibt sich zuerst L:unif/diff. Es wird nun uniformitas nach dem GM von L2 gesucht. i=¬G
GM von L1 ist Gmax =]3[ von LA gleich. Wenn der Teil B – und seine entsprechende Latitude LB – heruntergesetzt werden muss, dann musste dies nicht zu dem Wert 3 von Gm, sondern zu einen kleineren Wert Gx < 3 gemacht werden, denn – wie gesagt – dieser Wert gehört nicht zu LA . Wenn man nun diese Werte von LB auf LA überträgt, wird LA zu 3 inclusive, d. h. als ob 3 zur Latitude gehören würde. Der Grund dafür ist, dass ]3[ einen Wert darstellt, der so dicht an 3 liegt, dass jede minimale Hinzufügung „ε“ ihn zu 3 machen würde. Wenn man also die Figuren und Latituden zerlegt – wie das Argument postuliert – und man die Grenze von ihnen berücksichtigt, ergibt sich keine uniformitas mit dem Wert 3 für die gesamte Latitude, sondern es bleiben zwei unterschiedlich große Latituden: LA wird zu L:unif = [3] und LB zu L:unif mit demjenigen Wert x < 3. So‐ mit ist also die vorgebrachte Widerlegung widerlegt und daher ist das consequens nicht falsch51. Ein nächstes Argument bringt deutlicher das Problem der Grenzbestimmung für eine zerlegte Latitude zur Sprache. Es besagt zusammenfassend Folgendes: die Zerle‐ gung einer Latitude in ihre Teile führt zur Berücksichtigung der Grenzen dieser Teile. Diese Grenzen sind einerseits als Grenzen eines offenen Intervalls zu verstehen, ande‐ rerseits gehören sie zur ursprünglichen Latitude. Beide Ansichten sind nicht gleichzeitig anzunehmen. Jetzt zum Text: wenn die Teile einer L:unif/diff auch gleichförmig-un‐ gleichförmig sind, dann gibt es eine Latitude L, die intrisece, d. h. inclusive endet, wie z. B. beim Grad 3. Diese Bemerkung ergibt sich aus der oberen Diskussion, in der man darauf bestanden hat, dass der „mittlere“ Grad 3 exclusive zu verstehen ist, weil er die 50
51
„Calculator [=Richard Swineshead] approaches the abstraction and generality which characterize the mo‐ dern definition of ‚limit‘“, Wilson, Heytesbury 93. Im Anschluss dazu wird knapp erklärt, dass das Argument auch scheitert, wenn man LB zum Wert 3 bringt: tunc nulla prime partis erit ut tria. Man muss annehmen, dass dem Argumentationsgang gemäß LA größer als 3 wird.
§ 6. Die vierte Einteilung der latitudines
177
obere Grenze von LA darstellt. Da sich beide Latituden LA und LB unmittelbar be‐ rühren und ]3[ den Gmax von LA darstellt, gilt der Wert [3] als Gmin LB . Das ist aber schwerlich anzunehmen, denn wenn man die ganze aus beiden Teilen LA und LB beste‐ hende Latitude betrachtet, ergibt sich daraus ein Grad ]3[ in medietate. Dieser Begriff ist jedoch nicht zulässig, weil dieser Grad sicherlich zur Latitude gehört – in der Mitte gibt es keine „Grenzprobleme“ –, obwohl er hier als exclusive Grenze eines ihrer Teile bezeichnet wird. Dies ist andererseits jedoch dadurch begründbar, dass ein ganzer Körper so qualifiziert werden kann wie seine Mitte. So geschieht es, wenn z. B. einem Körper eine Qualität inhäriert, die auf ihm uniformiter difformis bis zum Grad 4 exclusive verteilt ist. Dieser Körper hat in seiner Mitte den Wert 2, und zwar auch exclusive. Das sei – so wird argumentiert – nicht unpassend, wenn man die Betrachtung, bei der die Latitude zerlegt wird, von der Betrachtung, bei der die Latitude als ein Ganzes genommen wird, unterscheidet: bei der Zerlegung wird festgestellt, dass alle Unterteile von LA kleiner als 2 sind (denn es gilt für sie Gmax =]2[ ) und zugleich alle Unterteile von LB größer sind als 2 (denn es gilt für sie Gmin =]2[); bei der Betrachtung der Latitude als ein Ganzes gilt jedoch, dass ein Teil von ihr den Wert 2 aufweist. Wenn man z. B. eine solche Latitude der Ausdehnung nach in vier gleiche Teile teilt und man die Extreme addiert, ergibt sich der (3+ 21 )+( 12 ) mittlere Wert 2, auf den die ganze Latitude zurückgeführt werden kann: a = ; 2 (2+ 12 )+(1+ 12 ) b= 2 a b
1
Nach diesem Argument wird dann die vorher erklärte Methode wiedergewonnen und dadurch die Auffindung eines mittleren Grades wiederhergestellt. Gegen die neue Begründung und überhaupt gegen die obigen Regeln richten sich jetzt zwei neue Argumente: 1. Wenn diese richtig wären, dann würde die folgende Gleichheit gelten: d=8
d=7
i=¬G
i=1
L1 :unif/diff = L2 :unif/diff Diese Gleichheit – das consequens der Implikation – ist natürlich nicht anzunehmen, weil die erste Latitude alle Grade unter 8 enthält, während die zweite nur die Grade unter 7 und über 1. Die erste enthält also 2 Grade mehr als die zweite. Als antecedens der Implika‐ tion gelten die oberen R1 und E2 der zweiten Gruppe von Einwänden52. Das Argument kann sich nicht auf das arithmetische Verfahren von R1 beziehen, denn durch dieses wird deutlich, dass beide Latituden nicht gleich sind, wenn man ihre beiden Grenzen inclusive auffasst. Wenn man die Grenze von L1 jedoch exclusive auf beiden Seiten mit ]8[ und 52
Wie man gesehen hat, stellte E2 einen Fall dar, in dem die Regel des mittleren Grades nicht erfüllbar war.
178
Kommentar
[¬G]=[1] bestimmt und L2 mit [7] und [2] bzw. ]1[, ergeben sich dieselben Werte für beide Latituden. L:8] d=]8[ d=[7] L2:[7 L1 :unif/diff = L1 :unif/diff 6
i=¬G[1]
5
i=]1[
4 3
L2:2]
L1:[1
2. Das zweite Argument bezieht sich auf das oben erklärte Verfahren in R2, durch das bei d=]5
L:unif/diff die Grade von dem höchsten Teil der Latitude abgezogen und dem niedrigs‐ i=¬G
ten Teil hinzugefügt werden: man nimmt 2 Grade aus 5 und gibt sie zu 1, und man nimmt wieder 1 Grad aus 4 und gibt ihn zu 2. Es ergibt sich dadurch eine L:unif = 3. Dieses Verfahren ist nicht durchführbar, wenn man die Latitude als offenes Intervall abgrenzt. Denn da in diesem Fall 1 kein Teil der Latitude ist, kann diesem Wert nichts hinzugefügt werden. Die zwei Grade, die man von 5 abzieht, können auch nicht dem nächsten kleinen Teil mit dem Wert 2 hinzugefügt werden, denn dann würde sie den Wert 4 erhalten, was zu keiner uniformitas führt. Es bleibt der mittlere Teil 3 – die mittlere „Figur“ –, die selbst uniformiter difformis ist, so dass sie keinen mittleren Grad für die gesamte Latitude darstellen kann. Der Ausleger von LF – diese Bezeichnung habe ich auf den letzten Seiten absichtlich vermieden, denn er bezieht sich schon lange nicht mehr auf den Grundtext De latitudini‐ bus formarum – versucht im Folgenden, einen Lösungsansatz zu diesen beiden argumenta difficilia zu liefern. Er zeigt sich jedoch nicht überzeugt. Wie in seiner ganzen Expositio bietet er viele Probleme und mögliche Lösungen dar, die er gerne diskutiert. Aber selten entscheidet er sich definitiv für die eine Auffassung. Vor allem ein Charakteristikum ist bei seiner Kommentierung auffällig, das ziemlich offensichtlich mit einer Universitäts‐ vorlesung oder einer Übung zusammenhängt: er versucht keineswegs, die Resultate eines abgeschlossenen Systems zu vermitteln, sondern die verschiedenen Gesichtspunkte zur Behandlung einer bestimmten Frage zu diskutieren. In Bezug auf das erste Problem liefert er den folgenden Lösungsansatz: man teile die Latitude in sieben gleiche Teile und lege fest, dass alle Teile – auch der erste – exclusive ad 1, . . . ad 2, . . . ad 3 . . . usw. enden. So gehört die Grenze nicht zum Teil der Latitude, sondern die Größe, die unmittelbar kleiner als diese Grenze ist. Für 7 gilt z. B.: non 7 sed qualibet citra 7 maior est, d. h. etwa „nicht 7, sondern die größte Größe unter 7“. Diese exclusive bestimmte Grenze – das ist hier der Lösungsansatz – soll anstelle der Grenze, die man vorher inclusive angenommen hat, in dem Rechenverfahren benutzt werden. Wenn man z. B. von dem siebten Teil 3 Grade nimmt und diese dem ersten Teil addiert, ergibt sich nicht 4, sondern die unmittelbare Größe – dafür hat der Ausleger keine Zahl, das ist natürlich – unter 4. Der Grund dafür ist, dass der erste Teil nicht den Wert 1 hat, sondern den unmittelbar kleineren (prime . . . non est ut unum sed qualibet citra unum maior). Der Rest vom letzten Teil wird dadurch nicht bei 4 bleiben, sondern qualibet citra 4 maior, und zwar aus demselben Grund: der siebte Teil war exclusive bestimmt, d. h. der höchste Grad ist nicht 7, sondern qualibet citra 7 maior. Das wäre vielleicht
§ 6. Die vierte Einteilung der latitudines
179
eine Lösung, aber der Ausleger lehnt sie sofort ab: illud non valet. Der Grund ist ebenso beachtenswert: Er weist darauf hin, dass die Teile, mit denen man bei diesem Verfah‐ ren operiert, als gleichförmig behandelt werden, obwohl sie aber – wie auch die ganze Latitude – ungleichförmig sind. Zusammenfassend: das „Steigungsdreieck“ darf nicht übersehen werden, was aber bei der Verwendung dieses Verfahrens geschieht. Bis zu diesem Punkt hat der Ausleger eine Reihe von Schwierigkeiten über die Lati‐ tuden diskutiert. Diese Schwierigkeiten „sophismatischer“ Natur ergeben sich vor allem in Bezug auf die Grenzen der Latituden und auf die Möglichkeit, genaue arithmetische Werte für sie und für den mittleren Grad anzugeben. Er hat sich zwar ab und zu auf eine geometrische Darstellung bezogen, aber bisher ohne sie für die Lösung dieser Probleme einzusetzen. Dieser Schritt von der Arithmetik zur Geometrie wird jetzt vollzogen. Der Ausleger von LF schlägt nun die Anwendung einer geometrischen Figur vor: „Wenn man die Basis eines rechtwinkligen Dreiecks, das die gleichförmig-ungleichförmige Latitude darstellt, in zwei gleiche Teile teilt, und man auf den Punkt dieser Teilung eine senk‐ rechte Linie aufstellt, die an der Linie endet, bei der die Höhe der Fläche des Dreiecks endet, stellt diese [Linie] die Höhe der ganzen Figur dar, wenn man ihre Ungleichheit auf Gleichheit zurückführen würde“ (Zz. 716–720). Der Ausleger führt also hier eine der üblichen Darstellungen für die „Merton-Re‐ gel“ ein; eine Regel, die – wie Clagett auch betonte – nicht in LF vorkommt. Die uns bekannteste Darstellung dieser Regel findet man in Oresmes De configurationibus. Der Ausleger kennt einiges von diesem Werk, obwohl er wahrscheinlich nur indirekt Zugang zu ihm hatte. Die Ähnlichkeit seiner Figur – die er ab jetzt leider nur beschreibt und die nicht in den Handschriften überliefert ist – mit den entsprechenden configurationes von Oresme darf jedenfalls nicht überbewertet werden. Die Formulierung und der Wortlaut sind ganz anders. Ferner ist die von Oresme betonte Anwendung auf Qualitäten und auf die Lokalbewegung in der Expositio sicherlich mitgedacht, aber an dieser Stelle nicht ausgesprochen53. gradus medius „linea reductionis“
Gemäß den Prinzipien, die für den Aufbau der oberen Figur angewandt wurden, schlägt der Ausleger die Benutzung der folgenden Figuren vor, mit denen er nun Deutlichkeit in das obere erste Problem bringen will. Es handelt sich um zwei Figuren, die folgender‐ maßen gebaut werden müssen54: Man nimmt zuerst zwei gleiche rechtwinklige Dreiecke (Figur A und B). Auf die Hypotenuse des einen Dreiecks stellt man dann eine Parallele 53
54
Vgl. Clagett, DC, Comm. 408–410. Diese Stelle der Expositio wird von Clagett zitiert (DC, Introd. 103, Anm. 45). Gerade an dieser Stelle vermisst man eine Darstellung im Text. Problematisch finde ich vor allem den Ausdruck linee perpendiculariter erecte super ultimis figuris punctis terminantes figuras, der in beiden Handschriften gut lesbar ist. Die Tatsache, dass gerade an diesen wichtigen Stellen keine Figuren in W
180
Kommentar
von derselben Größe. Es entstehen so zwei verschiedene Darstellungen, die zwei verschie‐ d=G
d=G
i=¬G
i=G
denen Arten von Latituden entsprechen: A = L:unif /diff ; B = L:unif /diff . Es ist dabei offensichtlich, dass der mittlere Grad von B größer ist als der mittlere Grad von A, und daher ist auch deutlich, dass B intensiver ist als A. 8 7
7
GM A
GM
L1< L2
B 1 d=8
Dadurch kann man auch den Unterschied zwischen einer L1 :unif /diff und einer i=¬G d=8
L2 :unif /diff ersichtlich machen, denn man sieht in der Darstellung (gestrichelte Linie), i=1
dass L1 kleiner als L2 ist. Aber dieser Fall steht außer Diskussion. Zum in dem ersten Argument herangezogenen Fall äußert er sich wieder einmal mit Unsicherheit: Vielleicht (forte) sind solche Latituden, die eine mit Anfang bei 1 und Ende bei 7 und die andere mit Anfang bei non gradus und Ende bei 8, gleich55. Um dieses Argument zu lösen, wird nun die folgende Figur vorgeschlagen56:
GMA
B
A
GMB „ad non gradum“ wird zu „ad gradum“
d=G
Man nimmt zuerst eine Figur für eine L:unif /diff , also eines der üblichen Dreiecke, i=¬G
auf dessen Basis man A in dem punctum sectionis zieht, d. h. dort, wo die Basis in zwei gleiche Teile zerlegt wird. Von dieser Figur zieht man „den Winkel ad non gradum“ ab – gleichgültig welcher Größe nach –, so dass die Figur nun eine Latitude ad gradum in beiden Seiten darstellt (punktierte Linie). Da dadurch die Basis verkürzt wurde, zieht
55
56
vorhanden sind, ist meiner Meinung nach ein starker Hinweis darauf, dass Lochmair nicht der Verfasser der Expositio, sondern nur ihr Abschreiber ist. Die Unsicherheit ist berechtigt, denn durch die Darstellungen wurde das Problem der Grenze nicht end‐ gültig gelöst. Beide Handschriften enthalten et patet illud clare in figura, obwohl sie an dieser Stelle keine Figur enthalten.
§ 6. Die vierte Einteilung der latitudines
181
man nun B als Mittellinie der ganzen ursprünglichen Latitude. B und A gelten jetzt nicht als Mittellinien der größeren Latitude, sondern als obere Grenze zweier kleinerer Latituden, die – beide – aufgrund der oberen Operation ad gradum 1 enden. Es ist daher ersichtlich, dass die zweite Latitude größer ist als die erste, denn ihre obere Grenze ist größer und auch ihr mittlerer Grad. Die im Argument diskutierten Latituden sind also nicht gleich. Diese Erwiderung ist natürlich ungültig, wenn man sie arithmetisch be‐ trachtet: der Ausleger hat wieder die obere Grenze 8, die exclusive bestimmt war, als Teil der Qualität betrachtet, d. h. inclusive. Aber seine Argumentation stützt sich nicht auf eine arithmetische Überlegung. Diese möchte er hierdurch vermeiden und rein geome‐ trisch argumentieren. Deswegen ging er nicht von den Latituden A und B aus, sondern von einer größeren Latitude, von der jeweils A und B – insofern sie ihre Mittelgrade darstellen – einwandfrei als Teile zu betrachten sind. Im Anschluss an diese „Lösung“ erklärt der Ausleger eine – teils geometrische, teils doch arithmetische – Methode, um die Ungleichförmigkeit auf Gleichförmigkeit zu‐ rückzuführen. Dabei geht es – wie üblich – nur um uniformiter difformis; andere Fälle von Ungleichförmigkeit behandelt er nicht. Auch hier ist er anscheinend nicht ganz von d=]8[
dieser Methode überzeugt, die er als probabilis bezeichnet. Es sei eine L:unif/diff, wel‐ i=¬G
che ad uniformitatem zurückzuführen ist. Zuerst wird diese Latitude der Ausdehnung nach in 8 gleiche Teile zerlegt. Nachher wird festgelegt, dass jeder dieser Teile exclusive endet, darunter auch der erste Teil, obwohl er ad non gradum (¬G) beginnt. Der Aus‐ leger behandelt also das Problem nicht allein mit einer geometrischen Figur, sondern er bezieht dabei diese arithmetische Problematik der Grenze mit ein. Um welche Figur es sich genau handelt, kann man leider nicht wissen, denn keine der Abschriften enthält an dieser Stelle irgendeine Figur. Der uns überlieferte Text lautet: Patet intuenti in figura designanti excessus partium secundum altitudinem per lineas ductas (Zz. 765f.). Man kann daher hypothetisch an ein Dreieck denken, dass in 8 gleiche Teile geteilt ist, welche oben das „Steigungsdreieck“ der ganzen Latitude „per lineas ductas“ gezeichnet haben:
8] 7
d=]8[
L1 :unif/diff = L2 :unif = 4 + 21
6 5
i=¬G=[1]
4 3 2 [1
Dies gegeben, beginnt nun die Übertragung von Graden von den intensiveren Teilen auf die schwächsten Teile der Latitude. Das Verfahren wurde schon oben angesprochen, aber nun kommt etwas Neues hinzu. Denn jetzt wird versucht, die Teile so zu übertragen, dass die äußeren Grenzen berücksichtigt werden. Der Unterschied ist – genauer gesagt – der, dass man jetzt nicht einen bestimmten Wert, wie z. B. „4“, von dem intensiveren Teil abzieht, sondern einen Wert „x“, so dass der intensivere Teil ]8[ genau zu 4 wird. Dieser Wert „x“ ist nicht gleich 4, und zwar aus dem Grunde, weil die höchste Intensität der Latitude exclusive bestimmt wurde. Sie ist daher infinitesimal kleiner als 8, so dass sie
182
Kommentar
bei der kleinsten Hinzufügung – so wird dies in der Scholastik ausgedrückt – zu 8 wird. Dieser Teil „x“ wird nun dem ersten Teil der Latitude, die den Wert ]1[ hat, hinzugefügt. Da dieser letzte Teil infinitesimal kleiner als 2 ist, so dass er bei jeder Hinzufügung zu 2 wird, ergibt sich daraus der Wert 4 uniformiter. Entscheidend für die Argumentation ist die Tatsache, dass jeder Teil unif/diff ist. Der Ausleger versucht dann, den regelmäßigen excessus zwischen den 8 Teilen – das Steigungsdreieck – zu berechnen, und zwar so, dass er bei jedem Teil wiederum einen höchsten Teil, der gegen eine obere Grenze strebt, und einen niedrigsten Teil, der gegen eine untere Grenze strebt, annimmt. So überträgt er den höchsten Teil von ]8[ auf den niedrigsten Teil von ]1[ und den niedrigsten Teil von ]8[ auf den höchsten Teil von ]1[. Wiederholt man dieses Verfahren für alle Teile, so dass man immer die äußeren Teile miteinander verbindet, ergibt sich eine Latitude, die gleichförmig mit dem mittleren Wert 4 + 12 ist. Daraus schließt er, dass die vorherigen Behauptungen, nach denen man keine L:unif für eine L:unif/diff finden kann, falsch waren. Er schließt daraus auch – und dieser Schluss kann überraschend aussehen –, dass die vorherigen Regeln zur Auffindung des mittleren Grades falsch waren. Denn alle diese Probleme ergeben sich nur aus der An‐ nahme von äußeren Grenzen für die Latituden. Er scheint also doch diese Auffassung abzulehnen und letztlich eine Benutzung von inneren Grenzen vorzuschlagen. Zum Schluss bringt er eine Reihe von Schwierigkeiten bezüglich der Bestimmung des mittleren Grades: 1) für eine L:unif/diff ist es durchaus schwierig zu wissen, welcher Wert dem ersten und dem letzten Teil zukommt, denn, da diese Teile selbst unif/diff sind, würde man den mittleren Grad dafür benötigen, der aber zu schwer zu bestimmen ist. 2) Um den mittleren Grad einer Latitude zu finden, ist es notwendig, unendliche mittlere Grade zu kennen. Diese Bemerkung ergibt sich von selbst aus seiner Hauptidee, dass der Grad einer Latitude selbst ein ausgedehnter Teil ist, so dass für jeden Grad einer L:unif/diff dieselbe Beschaffenheit – und dieselben Probleme – anzunehmen ist, die man schon für die ganze Latitude hatte. 3) Auch aus diesem Begriff des Grades ergibt sich das letzte Problem: dieselbe Intensität oder Latitude – der Ausleger benutzt hier beide Begriffe als äquivalent – kann intensiver als sie selbst sein57. Darauf antwortet er mit einer weiteren Behauptung der Regel des mittleren Grades: Dieser Grad wird immer vorhanden sein, so dass man diese Gradverschiedenheit innerhalb der Latitude auf einen Grad bringen kann. Diese sind also die Überlegungen, die der Ausleger als Kommentar zur vierten Eintei‐ lung von LF liefert. Sie bilden den interessantesten Teil seiner Arbeit. Seine Kommentare sind mit Widersprüchen und Undeutlichkeiten angefüllt, aber sie enthalten auch eine Reihe von wichtigen Gedanken über die Hauptprobleme philosophischer und mathe‐ matischer Natur, die mit der Lehre der Formlatituden zusammenhängen. Vor allem in diesem Teil seiner Expositio will sich der Ausleger nicht auf kurze Sätze beschränken, um die gängigen Meinungen schulmäßig wiederzugeben. Er diskutiert sie und geht dadurch weit über die Grenzen des Tractatus de latitudinibus formarum hinaus. Nach diesen Ausführungen kommt er wieder zum Text und fasst das Wesentliche bezüglich der fünften und der sechsten Einteilung zusammen. Er setzt sich leider nicht
57
Der Grund ist anzunehmen: wenn der Grad als eine ausgedehnte Größe gedacht wird wie eine Latitude, enthält er bei Unregelmäßigkeit einen Grad, der größer ist als die anderen.
§ 6. Die vierte Einteilung der latitudines
183
mit den Begriffen einer Latitude uniformiter-difformiter-difformis und difformiter-dif‐ formiter-difformis auseinander.
§ 6.4. Die geometrischen Figuren (Zz. 875–Ende) Es seien am Ende dieses Sachkommentars auch einige Bemerkungen zu den Figuren selbst als theoretisches Gebilde angeschlossen. Denn wir dürfen nicht vergessen, dass bei den logisch-sophismatischen Problemen, die wir in den vorangegangenen Seiten disku‐ tiert haben, es darum gehen sollte – mindestens laut Proömium – auf die Geometrie, ja: auf die Figuren, die in diesem Text vorkommen, zurückzugreifen, um eben diese Sophismata besser zu verstehen bzw. zu lösen. Die Ausbeute im Text selbst der Expositio zu LF fällt diesbezüglich sehr mager aus; er geht nicht wesentlich über die Behauptungen hinaus, die wir ohnehin von LF selbst schon kennen. Das macht keineswegs den Ein‐ druck, dass wir hier innerhalb eines in sich selbst entwickelnden Forschungsprogrammes sind, in dem neue Ideen und Ansätze ans Licht kommen. Zugleich muss man sagen, dass die Abschrift W aus der Hand von Michael Lochmair, d. h. die Abschrift, die mit Sicherheit an der Wiener Artistenfakultät angefertigt wurde, in gewisser Hinsicht etwas Besonderes ist. Sie enthält viele wunderbare Figuren, bei denen sowohl der didaktische Ansatz deutlich sichtbar ist, als auch einige der Schwierigkeiten, mit denen die spät‐ scholastischen magistri zu kämpfen hatten. Ich möchte im Folgenden auf beide Aspekte näher eingehen, mehr mit der Absicht, einen Baustein für weitere Untersuchungen zu liefern, als die ganze Sache definitiv abschließen zu wollen. Im Unterschied zu LB I enthält die Expositio auch einige Zeilen über LF II.1, in denen es ausschließlich um die benötigten geometrischen Figuren geht. Die Arbeit des Auslegers war diesbezüglich wenig anspruchsvoll, zumal es ihm mehr um die applicatio latitudinum ad figuras (Zz. 924f.) ging, als um die mathematischen Eigenschaften dieser Figuren in sich selbst. Wie die Kompilatoren von den Latitudines breves 2–358, ergänzt er die knappe Darstellung von LF mit einigen Verweisen auf geometrische „Definitionen und Deskriptionen“, für die er hauptsächlich Euklids Elemente vor Augen hat: Punkt, gerade und krumme Linie, rechter, stumpfer und spitzer Winkel, Figur rectilinea oder plana, dann auch ohne Winkel, mit nur einem Winkel oder mit mehreren Winkeln (flach und krummlinig), Kreis. Er gibt außerdem eine kurze Einteilung der Dreiecke und Vierecke an. Mehr als strenge logisch-mathematische Definitionen scheint seine Hauptabsicht zu sein, diese Begriffe mit einigen Figuren zu illustrieren. Das mag die mathematische Seite der Erörterung schwächer machen, erhöht dafür aber den Wert der Figuren. Er führt eine einzige und sehr zurückhaltende philosophische Bemerkung ein, die allerdings üblich war: Die Linie wird mathematisch so definiert, als hätte sie keine Länge und keine Tiefe, obwohl sie in Wirklichkeit auch diese Dimensionen aufweist. Im Anschluss daran bemerkt er, dass der Punkt kein Teil der Linie ist. Er ergänzt – wie gesagt –, damit die Studenten diesen Zusammenhang beachten, ohne sich faktisch mit geometrischen Problemen zu beschäftigen. Es ist hervorzuheben, dass die Anmerkung, mit der Lochmair seine Abschrift der Elemente (Buch I) in derselben Handschrift ver‐
58
Di Liscia, LB 97f. und 101f.
184
Kommentar
sehen hat, hier keine Aufnahme fand59. Die Expositio enthält schließlich einen kurzen Kommentar zu den suppositiones von LF, der sich mit seinen ersten Ausführungen über die verschiedenen Arten von Formen überschneidet. Die Abschrift von Lochmair gibt zusätzlich eine kurze Erklärung des Problems der Irrationalität, die in LF in den notanda erwähnt wird, für die Latituden: Latituden, die von Figuren stammen, die einander nicht vergleichbar sind, können auch nicht vergli‐ chen werden. Es muss natürlich irgendeine Art der Symmetrie zwischen den Figuren und den physikalischen Latituden geben, das ist der Kern des ganzen Ansatzes. Hier liegt aber auch eins der Hauptprobleme. Denn aus demselben Grund dürfen wir uns immer und für jeden Einzelfall fragen, wozu eine bestimmte Darstellung dient, d. h. zu welcher Lati‐ tude sie gemeint ist. Oder anders herum: Stoßen wir bei der Lektüre eines physikalischen Textes – denn darum geht es nur und niemals um empirisch gewonnene Messungen –, z. B. bei der Lektüre von irgendwelchen Sophismata oder des Kommentars zu De caelo von Albert von Sachsen, auf eine denominatio wie uniformis oder difformis, so dürfen wir uns fragen, nach welcher Figur wir uns die gemeinte Latitude vorstellen sollen. Wenn der angetroffene Fachbegriff z. B. uniformis ist, so wissen wir ziemlich genau, was wir uns darunter vorstellen müssen. Und dasselbe gilt zum Beispiel für eine L:unif/diff, welche quoad tempus verläuft oder quoad subiectum verteilt ist. Es ist jedoch nicht selbstverständlich, wie all diese verschiedenen Möglichkeiten der Bezeichnung und der korrespondieren Darstellung zusammengehören oder auseinan‐ derzuhalten sind. Deshalb ist es sinnvoll darauf aufmerksam zu machen, dass ein ein‐ maliger Versuch, die verschiedenen Möglichkeiten systematisch herauszuarbeiten, in der Abschrift W, welche ohnehin die größte Mehrheit der Figuren liefert, vorhanden ist. Vielleicht stammt dieses kunstvoll auf zwei Blätter gezogene System der Latituden von Lochmair selbst, genauso wie das letzte Blatt mit dem Zusatz ad intelligendum quomodo formarum latitudines infinitis modis possent variari und den dazugehörigen achtzehn er‐ gänzenden Figuren (Fig. 28). Die anonyme Abschrift F überliefert nichts desgleichen60. Diese „System der Latitudinen“ ist in sechs Aufteilungen (divisiones) nach densel‐ ben Kriterien des Traktates LF, den sie illustrieren soll, gegliedert. Zwei Aspekte sind bei diesem System festzuhalten. Erstens das verwendete Kriterium der Aufteilung: Im Allgemeinen wird nach Gleichförmigkeit und Ungleichförmigkeit gegliedert, dann aber auch „nach den Teilen“ einer Latitude, womit gemeint ist, dass einer Latitude die in Frage 59
60
Nota quod peticiones ex eo quod dicuntur peticiones, quia in geometria presupponuntur et non probantur, a mathematico non demonstrari potent ab eodem ex hoc, quia videntur habere superiorem [?] evidentiam ex eorum terminorum suorum confusa aprehensione. Sed tamen a naturali philosopho demonstrari potent et hoc non est inconveniens. Sed contra dicit Aristoteles primo Posteriorum non contingit demonstrationes extendere de genere in genum. Hoc verum est, ubi una scientia non subalternat sibi aliam, modo geometria subalternat sibi phisicam. Item tertia petitio, scilicet ‚omnes angulos rectos etc. . . . (Ms. W, fol. 127v). Am Ende dieser Stelle wird Bradwardine erwähnt. Vgl. auch fol. 128r. Wäre Lochmair der Verfasser dieser Auslegung, so würde man sich mit Recht fragen können, wieso eine solche Bemerkung nicht an dieser Stelle kommt. Natürlich kann man diese Frage noch immer mit empirischen bzw. biographischen Umständen erklären, aber meiner Ansicht nach bleibt sie dennoch ein Hinweis darauf, dass nicht Lochmair der Autor dieser Expositio zu LF ist. F überliefert nur die Figur 17, welche wiederum in W nicht vorkommt. Eine ähnliche systematische Darstellung – welche jedoch bei Weitem nicht so interessant ist wie diese – befindet sich in der Melker Abschrift des kleinen mathematischen Kompendiums, eines dessen Teile von den Formlatituden handelt, das höchstwahrscheinlich auch in Wien studiert wurde. Für eine Edition dieses Textes siehe Di Liscia, Geometrie 357–414.
§ 6. Die vierte Einteilung der latitudines
185
kommende Bezeichnung ganz zukommt oder nicht (secundum se totam bzw. per totum, oder non secundum se totam). Die „ontologisch-physikalische“ Unterscheidung für die longitudo quoad tempus oder quoad subiectum wird sicherlich als allgemein gültig und nützlich angenommen; sie spielt aber hierbei keine direkte Rolle. Wie wir bei der vor‐ herigen Diskussion gesehen haben, kommt sie erst zum Einsatz, wenn die Anwendung die Erörterung von physikalischen Fällen miteinbezieht. Neben diesen Hauptkriterien der Aufteilung kommt auch an der vierten Stelle (quarta divisio) die Unterscheidung nach dem Anfang und nach dem Ende vor, die die drei vorher ausführlich diskutierten Möglichkeiten ergibt. Im Grunde ist dieser ein Aspekt der Gliederung, der in diesem ganzen System wenig deutlich wirkt. Denn, wie der Anfang und das Ende einer Latitude ist, ist nicht etwas Spezielles, sondern etwas, dass jede Latitude betrifft. Aber diese ist eben die Einteilung des Traktates LF, dessen Reihenfolge der Ausleger in der Expositio verfolgen muss. Zweitens ist das repräsentierte System mit Bezeichnungen, gut gezogenen Figuren (was nicht selbstverständlich ist) und zugeordneten Zahlen versehen. Dieser letzte Punkt ist deshalb besonders hervorzuheben, weil er uns einen gewissen Aufschluss auf das Ver‐ ständnis geben kann, das diese Autoren – wir müssen an dieser Stelle wirklich nicht von einer Besonderheit dieses Textes für diesen einen Autor sprechen, sondern dürfen meiner Ansicht nach sehr wohl etwas „generalisieren“ – von den Latitudinen hatten. Besonders wichtig ist dies deshalb, weil wir daraus mehr über den in diesem Kontext vorhandenen Stand der damaligen Kenntnisse über die Mathematik des Kreises und des Kreissektors gewinnen können und darüber, wie die Spätscholastik die fallenden Körper „kinema‐ tisch“ verstanden hat61. Es mag etwas verblüffend anmuten, dass beide Fragen bis zu einem gewissen Punkt miteinander verknüpft sind, und zwar, insofern bei beiden der Begriff der Unregelmäßigkeit, der difformitas, im Vordergrund steht. Das scheint jedoch der Fall zu sein, wie ich jetzt kurz erklären möchte. Sowohl bei der Lektüre von LF als auch von der Expositio vermisst man eine ausführ‐ liche Diskussion der difformitas in ihren verschiedenen Varianten und jeweiligen Dar‐ stellungsformen. Wenn wir z. B. die Hypotenuse bei der Darstellung einer L:unif/diff nehmen, so sehen wir, dass die Idee einer gleichförmigen Ab- oder Zunahme vollkom‐ men im Einklang mit der Figur selbst steht. Natürlich kann die Neigung größer oder kleiner sein; das war in der spätscholastischen Formlatitudenlehre sehr wohl bekannt und gut verstanden. Diese Linie zeigt deutlich eine regelmäßige Veränderung der dar‐ gestellten Qualität, „Form“ oder eben Latitude (im physikalisch-ontologischen Sinne). Auffälligerweise sind die dazugehörigen Zahlen meistens nicht den senkrechten Linien, welche die Intensitäten darstellen, zugeordnet, sondern den Zwischenräumen. Man kann sich gut vorstellen, dass diese Entscheidung mit der in dem Text durchgeführten Diskussion zur Grenzbestimmung des Intervalls im Einklang steht. Wir können uns hier den intensiven Zuwachs zum Beispiel nach der Folge der natürlichen Zahlen 1, 2, 3, etc. problemlos vorstellen62. Auch die Zusammensetzung von zwei denominationes wäre ersichtlich. Würde die Latitude zum Beispiel auf einer Seite immer denselben Grad 2
61
62
Ich benutze den Begriff „kinematisch“ nur, um anzudeuten, dass keine kausalen Faktoren in Betracht kom‐ men. Es ist sehr bemerkenswert, dass die Figuren der quarta divisio, die ad non gradum beginnt, die Zahl „0“ eindeutig aufweisen.
186
Kommentar
aufweisen und dann durch die Grade 3, 4, 5 und 6 steigen, so würden wir eine L haben, die nicht secundum se totam difformis oder uniformis ist, sondern beide denominationes, aber je nach Teil, verdient63. Nun kann man sich fragen, wie es mit der L:diff/diff steht. Diese lässt sich wiederum in zwei Möglichkeiten aufteilen, je nachdem ob die Verände‐ rungs rate selbst konstant bleibt oder sich diese selbst ändert64. In jedem Fall ist die linea summitatis (um die deutlichere Begrifflichkeit von Oresme zu benutzen) ganz deutlich nicht eine gerade, sondern eine linea curva. Aber um welche Kurve handelt es sich? Hier stehen die magistri, die sich mit den Formlatituden beschäftigen vor einer Schranke, die sie nicht zu bewältigen vermochten. Zunächst einmal sei ein Blick auf die Treppendarstellungen – beide linken Figuren – geworfen, die so wichtig für die Erörterung der „unendlichen Reihen“ sind65. Die Fi‐ guren sind unmissverständlich proportionaliter konzipiert; sie zeigen uns, dass wir die Zahlen ernst nehmen dürfen. Hier wurden nicht irgendwelche Zahlen „als ob“ angege‐ ben, sondern es wurde offensichtlich Zahlen hinzugefügt, die als Vertreter von in den Figuren repräsentierten Quantitäten gemeint sind66. Die Aufteilung der extensiones auf der Basis ist sicherlich gleichmäßig gemeint. Die Absicht eines gewissen Verhältnisses zwischen den Zahlen und den Linien der Intensitäten – die Latitudines im Sinne von Oresme – ist deutlich genug: Bei der linken Figur wachsen die Stufen nach den natür‐ lichen Zahlen von 1 bis 9. Diese Latitude sei difformis per totum. Hingegen beginnt die nebenstehende Figur gleichförmig beim Grad 2, der etwas doppelt höher als Grad 1 der linken Figur ist. Dann steigert sich die Intensität regelmäßig bis 8 und bleibt in den vier letzten Abschnitten gleichförmig mit diesem als dem höchsten Grad. Deshalb ist sie non secundum se totam difformis. Das alles ist zweifellos nicht zufällig oder arbiträr. In beidem Fällen ist jedoch die Bezeichnung difformis . . . etwas unglücklich, denn augen‐ scheinlich gibt es bei den Abschnitten mit dem gleichförmigen Zuwachs – die anderen Abschnitte sind ohnehin unproblematisch – eine klare Regelmäßigkeit. Die Anwendung der Merton-Regel, mit der sich der Ausleger selbst lange beschäftigt hat, zeigt, dass man hier bei zwei dieser Abschnitte den mittleren Wert nehmen kann; und natürlich auch für die ganze Ausdehnung. Hinzu kommt auch, dass bei jedem Abschnitt die Intensität dieselbe bleibt, sodass man hier sehr wohl eine Regelmäßigkeit hätte finden können. Im Allgemeinen steht die Vorstellung dahinter, dass die divisiones nicht immer aus einem einzigen Glied der vorherigen divisio entstehen. Das ist auch korrekt: Wir können natür‐ lich verschiedene unregelmäßige Verteilungen von Intensitäten in der ganzen Latitude nach mehreren Kategorien der vierten divisio finden. Die Logik, die die Aufteilung der Ungleichmäßigkeit bestimmt, scheint nicht restlos gesichert zu sein67. Am schwierigsten
63 64
65
66
67
Siehe z. B. die rechte Figur bei der secunda divisio in dem Schema am Ende des Textes (Fig. 29). Anachronistisch könnte man den Begriff der „zweiten Ableitung“ heranziehen, um vielleicht diese Eigen‐ schaft zu veranschaulichen. Vgl. Clagett, DC, Introd. 88. Im Allgemeinen siehe hierzu Wieleitner, Geschichte; Busard, Ueber unendliche Reihen; und Boyer, History. Zu Swineshead, Oresme und der Problematik der conclusio mirabilis siehe außerdem Busard, Unendliche Reihen. Vgl. Clagett, DC, Comm. 499–510; Mazet, Théorie; Di Liscia, Conclusio. Ganz anders ist die Situation, wenn die Zahlen in kleinen Figuren eingeführt werden, welche in dem Text vorkommen. Vgl. z. B. LB 1 in Di Liscia, LB 35f. Lochmair – wenn er der Urheber dieser Aufteilung und dieser Darstellung ist – scheint sich der Sache selbst nicht ganz sicher zu sein, indem er zwei Fälle auf verschiedenen Ebenen erwähnt, die aber der Benennung nach Äquivalent sein sollten: Es geht um die gänzlich ungleichförmig-gleichförmige Latitude, die er auf der rechten Seite der tertia divisio und auch auf der rechten Seite der quinta divisio (die von der tertia
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ist die Interpretation der beiden Figuren, die gänzlich kreisförmig dargestellt werden. Die linke Figur, welche als unif-diff-diff bezeichnet wird, scheint ein Kreissektor zu sein, aber auch das ist nicht sicher. Genauso problematisch ist die rechte Figur, welche höchst‐ wahrscheinlich einen Halbkreis darstellt. Die Zahlen sind jedoch wenig hilfreich, sowohl für jede der einzelnen Figuren als auch für den Vergleich der Figuren miteinander. Es ist evident – nicht nur für uns: das muss auch für den damaligen Leser offensichtlich sein –, dass diese Zahlen nicht diese Figur produzieren können bzw. dass diesen Figuren ganz andere Zahlen zugrunde liegen68.
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ausgehen sollte, nicht von der vierten) erwähnt. Beide sind ja ungleichförmig-gleichförmig in ihrer ganzen Ausdehnung und beide weisen einen regelmäßigen Teil auf. Aber sie sind jedoch unterschiedlich: Der nicht gleichförmige Teil der ersten ist mit krummen Linien versehen und daher wieder einmal „ungleichförmig“ (und zwar auch nach ihren Teilen und innerhalb ihrer Teile). Der nicht gleichförmige Teil des zweiten Falls ist einfach gleichförmig. Diese Latitude stellt eigentlich den einfacheren Fall einer Latitude dar, die nur aus zwei Teilen besteht, eines gleichförmig-ungleichförmigen Teil, der von 1 bis 5 wächst, und eines gleich‐ förmigen Teiles mit dem Grad 6 (in drei Abschnitten aufgeteilt). Es handelt sich um denselben Fall wie in der secunda divisio, nur anders geordnet. Vielleicht hat man versucht, diese Unterscheidung auch in der Benennung festzuhalten, denn die Figur der tertia divisio wird non secundum se totam difformiter difformis genannt, während die entsprechende Figur in der quinta divisio als difformiter difformis non secundum se totam bezeichnet wird. Dass der Urheber dieser Darstellung sicherlich nicht die Eigenschaften des Kreises kennt, wie wir sie heute mit moderneren Mitteln beschreiben können, steht natürlich außer Frage. Teilen wir z. B. die longitudo des Halbkreises in acht gleiche Strecken und nummerieren wir sie (wie es damals üblich war) von 1 bis 8, so ist diese ganze Strecke gleich 8, also der Radius des Kreises. Dementsprechend ist die höchste Intensität auch 8. Mit Anwendung der Kreisgleichung finden wird, dass die erste Intensität 4 ist, die zweite 5,29 die dritte 6,24 . . . die siebte 7,93. Man kann hier diese Zahlen sicherlich nicht erwarten. Aber die angegebenen Zahlen sind dermaßen unpassend, dass man davon ausgehen muss, dass der Verfasser über kein besonderes Training in Mathematik oder Astronomie verfügt. Beim Halbkreis hat er versucht, eine gewisse Symmetrie auf beiden Seiten zu bewahren, welche jedoch auch misslungen ist (auf der linken Seite fehlt die 4 zwischen der 2 und der 6).
Schlussbemerkungen Meine frühere Untersuchung über die latitudines breves erweiternd hat sich die hier vorgelegte Arbeit mit der Aufnahme der Formlatitudenlehre an der Universität Wien beschäftigt. Zeitlich gesehen lag der Schwerpunkt ca. in der Mitte des 15. Jahrhunderts. In einem eher allgemeineren Sinne wurde in dieser Arbeit versucht, einen Beitrag zur Ide‐ engeschichte des Spätmittelalters zu leisten, wobei die entsprechenden Zusammenhänge zwar nicht erschöpfend behandelt werden konnten, aber zumindest eine würdigende Erwähnung fanden. Es versteht sich von selbst, dass der Text, der im Zentrum der Un‐ tersuchung stand, eine bestimmende Wirkung auf den Rest der Darstellung hatte. Mit Rücksicht auf dessen Inhalt und, um ein adäquates Verständnis seines Inhaltes nicht zu verhindern, habe ich die heutigen akademischen Bereiche der Wissenschafts-, Phi‐ losophie-, Logik- und Universitätsgeschichte ganz bewusst nicht voneinander trennen wollen. Die präsentierten Zusammenhänge, die diesen Text umgeben, sind zuerst die Kal‐ kulatoren-Tradition und ihre Verbreitung im 14. Jahrhundert; dann aber auch – als eine besondere Variante innerhalb desselben quantifizierenden Programms – die Ent‐ stehung und Entwicklung eines geometrisierenden Ansatzes vor allem bei Oresme und beim Traktat De latitudinibus formarum. Im Anschluss daran wurde der engere Kreis der Wiener Universität besprochen, und wie dieser kurze, aber wirkungsvolle Text die Basis für eine besondere Disziplin, die scientia de latitudinibus, konstituierte. Die Schilderung dieser Zusammenhänge war nicht als eine Beschreibung des allgemeinen „Zeitgeistes“ des Spätmittelalters intendiert, sondern nur darauf gerichtet, das Verständnis dieses einen mit der Wiener Universitätsausbildung in enger Verbindung stehenden Texts zu ermöglichen. Dieser ist nicht der Traktat De latitudinibus formarum selbst, sondern die Auslegung bzw. Expositio von De latitudinibus formarum, welche anonym in zwei Hand‐ schriften – in einer davon von einem in Wien Lehrenden kopiert – überliefert ist und hier in einer kritischen Edition zur Verfügung gestellt wird. Der Ausleger oder exposi‐ tor selbst muss leider noch immer unbestimmt bleiben. Was in seiner Arbeit sozusagen als der „Normalfall“ gilt, und was als als „Besonderes“ anzusehen ist, stellt für den / die Ideenhistoriker / in die erste wichtige Frage dar, mit der man unvermeidlich konfron‐ tiert ist. Zugleich ist diese auch die erste Falle, die uns die Lektüre dieser Expositio stellt. Sie ist nur zu vermeiden, wenn wir vorsichtig zwischen dem, was für uns nach unserem Forschungsstand neu ist, und dem, was damals in jener Zeit neu war, in angemessener Weise zu unterscheiden wissen. Die Tatsache, dass der Ausleger vom Anfang an seine sechs Fragen stellt, als wären sie völlig üblich, ist in ihrer Bedeutung – etwa aufgrund „Originalitätsmangel“ – nicht herunterzuspielen. Ganz im Gegenteil: das zeigt, dass wir bisher in der Erforschung dieser Thematik ganz und gar an der wichtigen Tatsache der Ideengeschichte vorbeige‐ gangen sind, dass dieses ganze Feld der Formlatituden als eine neue Disziplin aufgefasst
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Schlussbemerkungen
wurde. Das möchte ich an dieser Stelle mit allem Nachdruck betonen, sogar unter dem Risiko, etwas zu übertreiben. Die Wissenschaftsgeschichte hat uns auf das Vorkommen des „Theorems des mittleren Grades“ bzw. der „Merton-Regel“ hingewiesen. Die Ge‐ schichte der Mathematik und insbesondere der Physik ist sicherlich von dieser Tatsache betroffen; das kann schwerlich in Frage gestellt werden, gleichgültig, ob man diesen Text sozusagen nach hinten, d. h. im begrifflichen Zusammenhang der aristotelischen Natur‐ philosophie, lesen möchte – was meiner Meinung nach empfehlenswert wäre –, oder eher nach vorne, in Verbindung mit der modernen Mechanik. Auch die Logikgeschichte kann mit Gewinn diese Expositio berücksichtigen. Dennoch, die allererste Tatsache, vielleicht das Wichtigste daran, ist, dass diese Expositio uns beibringt, dass es sich dabei um eine ganze Disziplin handelte, die weder Mathematik noch Physik (noch weniger Logik) war, sondern eben eine scientia media. Im Zuge einer Begriffsgeschichte, die sich eben auf die physikalischen und mathematischen Begriffe fokussiert hat, die auf die Bedeutung von „Geschwindigkeit“, „Beschleunigung“, „Latitude“, „Grad“, „Strecke“ und Ähnliches fixiert war, hat man übersehen, dass man hier eine ganze Disziplin in den Hintergrund geschoben hat, ja, dass man eine als Wissenschaft an der Universität praktizierte Tätig‐ keit völlig übersehen hat. Das ist für uns etwas Neues. Sicherlich wird man daran noch andere Untersuchungen anknüpfen können, die diese erweitern bzw. verbessern, aber diese bisher unbeachtete Tatsache ist nicht mehr wegzudenken. Im deutschen Sprach‐ raum, ganz besonders an der Universität Wien, war das Studium der Formlatituden eine wissenschaftliche Disziplin. Zugleich aber – diese Feststellung deckt sich sehr gut mit einer ganzen Reihe von Bemerkungen, die man in zahlreichen Physikkommentaren der Zeit findet – war diese Disziplin für die damalige Zeit eine neue Disziplin. Die Formlatitudenlehre war in der Tat eine neue scientia media, eine mit der Proportionenlehre in der Tradition Bradwardi‐ nes mehr oder weniger gleichzeitig entwickelte Wissenschaft, welche – wie früher auch die Optik oder die Astronomie – Geometrie und Naturphilosophie zu verbinden wusste. Das lernen wir nun aus den Ausführungen des Vorwortes der Expositio und aus den la‐ titudines breves, welche in jeder Hinsicht mit der Expositio im selben Zusammenhang stehen. Aber nicht nur das ist diesem wichtigen Vorwort zu entnehmen. Denn die dort re‐ ferierte Diskussion macht deutlich, dass die Vorstellung, die Formlatitudenlehre könne schlicht und einfach als Naturphilosophie aufgefasst werden, den damaligen Magistri nicht fremd war. Ob die Auffassung wirklich von irgendwelchen Autoren oder Lehrern vertreten wurde, oder ob sie nur im „theoretischen Argumentationsmodus“ eingebracht wurde, ist mit diesem Text allein nicht zu entscheiden. Fakt ist es aber, dass der Gedanke selbst deutlich formuliert vorlag: diese Disziplin, die scientia de latitudinibus, mit ihrer Geometrie, mit den Ergänzungen wie z. B. der „Merton-Regel“, mit ihrer Diskussion über den Gradbegriff und der Bewegung, sei schlicht Physik. Es ist daher nicht verwun‐ derlich, dass man sie in einigen Physikkommentaren erwähnt und sogar benutzt hat. Nehmen wir die Hauptideen der Kalkulatoren unter die Lupe, so müssen wir sagen, dass dieses Phänomen sehr auffällig ist – wie wir es schon seit Pierre Duhems Studien wissen – in einigen späteren Kommentaren, die zum Kreis vom John Mair gehören. Es ist eigentlich nicht ganz neu. Wichtige Ansetze zur Verwendung von den von John Mur‐ doch genannten „analytical languages“ findet man schon bei Buridan und vor allem in Oresmes und Alberts von Sachsen Kommentaren zur Physik und zum De caelo. Gerade diese Linie wurde z. B. von Laurentius Londorius wieder aufgegriffen, und zwar nicht
Schlussbemerkungen
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nur mit der Verwendung von den verschiedenen „analytical languages“, sondern auch mit ausdrücklicher Erwähnung der configurationes und latitudines formarum, die er zur sophismatischen Diskussion besonders komplizierter Fälle der Geschwindigkeitsverän‐ derung herangezogen hat. Der Umfang und die Bedeutung dieser Tatsache, in der der Kerngedanke vorlag, die Formlatitudenlehre als Naturphilosophie aufzufas‐ sen, bedarf der Untersuchung weiterer Dokumente. An der Tatsache selbst, dass dieser Gedanke im Bereich der Möglichkeiten lag, scheint es jedoch keinen Zweifel geben zu können. Diese Feststellung über das Vorhandensein dieser Disziplin gemacht, ist noch etwas bezüglich ihrer Bedeutung hinzuzufügen. Hier stößt man gleich auf die noch gefährli‐ chere Falle der „Vorläufer“ oder eben „Vorbereiter“ der modernen Wissenschaften. Beide Kennzeichnungen sind unangebracht. Dass die Formlatitudenlehre als scientia media – wie die Optik etwa – aufgefasst werden konnte, oder sogar als scientia naturalis, bedeutet längst nicht, dass wir die moderne Mechanik eines Galilei (um nur diesen einen emble‐ matischen Namen zu nennen) schon vor Augen haben, weder im historischen Sinn noch im Rahmen eines puren begrifflichen Verständnisses der Dokumente. Das Ganze spielt sich im Rahmen der aristotelischen Physik ab. Denn, ungehindert der Tatsache, dass wir manchmal die Symbolik und – ja, unvermeidlich, wenn wir nicht nur den Text Wort für Wort wiederholen wollen, sondern auch erörtern – die Sprache der modernen Wissen‐ schaft benutzen müssen, ist es nur immer die aristotelische Physik, die den naturphilo‐ sophischen Diskussionsrahmen der Expositio bildet. Deshalb ist die Formlatitudenlehre in die (aristotelische!) Physik einzuführen, d. h. zum Verständnis mancher Stellen der Physik des Aristoteles geeignet, deren begrifflicher Spielraum dadurch erweitert wird, aber in ihrem Kern dieselbe bleibt. Man stelle sich den bedauerlichen Zustand einer Wis‐ senschaft der Bewegung ohne Funktionsbegriff vor. Diese Vorstellung beschreibt viele Aspekte der vormodernen spekulativen Physik. Man stelle sich aber auch eine Wissen‐ schaft der Bewegung auf der Suche nach den in den Funktionsbegriff miteinbezogenen Elementen suchend und tastend vor. Beide Tendenzen sind ja charakteristisch für die Physik des ausgehenden Mittelalters und insbesondere für die Lehre der Formlatituden. Ein letzter Aspekt muss auch noch erwähnt werden, bevor wir denken, dass es eine lineare Entwicklung gibt, nach der nur die Philosophen der Natur, die sich an die Ma‐ thematik angenähert hatten, ab dem 15. Jahrhundert – mit der Renaissance etwa – im längst versprochenen Land der „mathematischen Wissenschaft der Natur“ endlich Fuß gefasst haben. Das ist nichts anderes als die Ansicht von Duhem, die stillschweigend von Clagett und modifiziert (mit Betonung auf der wissenschaftlichen Methode) von Wallace angenommen wird. Aber davon kann kaum die Rede in Verbindung mit die‐ ser Expositio sein. Es gibt genügend Hinweise darauf, dass diese Entwicklung schon im 15. Jahrhundert ins Stocken geraten war und sich daraus nichts wesentlich Neues erge‐ ben hat. Die Formlatitudenlehre starb aus, und damit verschwand auch ein großartiger Ansatz zur mathematischen Physik. Galilei, der den Traktat De latitudinibus formarum gekannt haben muss – wie seine Iuvenilia zeigen – und der viel später in seinen Discorsi die scientiae mediae erwähnte, hat beide nicht in Verbindung gebracht. Vielleicht war die oben beschriebene Entwicklung einer scientia de latitudinibus formarum ein Phänomen, das Italien nicht erreicht hat. Auf jedem Fall zeigt der Inhalt der Expositio, welche ent‐ scheidende Rolle in diesem Kontext die Tradition der sophismata noch immer spielte. Die Formlatitudenlehre sollte Lösungen für sophismata bringen. Das sollte ihr Beitrag sein. Geometrie sollte an die Stelle von Logik und Sprachphilosophie treten. In Wirk‐
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lichkeit wurde jedoch noch immer Logik zur Auslegung des Traktats De latitudinibus formarum verwendet. Aus dieser Zwickmühle kommt dieser Zweig der scholastischen Wissenschaft bei all ihren halb-mathematischen Spekulationen nicht mehr heraus. Eine neue Wissenschaft der Bewegung bedarf der gezielten, experimentellen Annäherung an die Natur und die archimedische Mathematik. Das ist die Überzeugung, die die neuen Wege bahnen wird. Dazu gehört diese Expositio nicht, die dennoch nicht weniger Auf‐ merksamkeit verdient.
Abkürzungen und Siglen AFA AL AÖG BAV BJ BN BNC BNM BR BSB Clagett, DC Di Liscia, LB Dr. HMML KB KMK LF Lohr, MAC MGH MIÖG ÖAW ÖNB Oresme, DC QGW RAG SB Smith, LF StB TK UB VIÖG VL2 WAB
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Namenregister Mittelalterliche und frühneuzeitliche Namen werden in der Regel nach dem Vorna‐ men und in der Schreibweise verzeichnet, in der sie im Buch genannt sind (z. B. Nicole Oresme). Von den Beinamen wird verwiesen. Ausnahme sind diejenigen Namen, die in der Forschung eine andere fixierte Form angenommen haben (z. B. Bessarion). Abélard s. Pierre Agostino Nifo 32 Agricola s. Rudolf Albertus Magnus 20 Anm. 25, 21 Anm. 28 Albert von Sachsen 10, 19 Anm. 22, 33, 33 Anm. 63, Anm. 64, Anm. 65, 35 Anm. 68, 47 Anm. 90, 55 Anm. 104, 74 Anm. 147, 99 Anm. 9, 159, 168 Anm. 43, 184, 190 Alexander de Villa Dei 47, 54 Anm. 101 Alfraganus 71 Amplonius Rating 38 Angelelli, I. 64 Anm. 122 Angelo Poliziano 75 Anm. 150 Anonym, Arithmetica communis [cum commento] 41 Anonym, Brief des P, Bürgers zu P, an seine Schwester B, Bürgerin zu P 42 Anonym, Carmen rhytmicum in laudem Iglaviae 42 Anonym, Drei Verse zum Lob Österreichs 42 Anonym, Kommentar zu Pechams Perspectiva communis in der Hs. München BSB, Clm 19695 148 Anm. 10 Anonym, Quaestiones heidelbergenses 37 Anonym, Logisches Fragment 41 Anonym, Mathematisches Fragment 41 Anonym, Perspectiva communis in Ms. Berlin, Staatsbibl., Lat. O.193 147 Anonym, Tractatus de coloribus videlicet figuris artis rhetoricae 42 Anonym [= Magister Iupiter?], Tractatus de conscribendis epistolis 42 Anonym, Tractatus [longus] de proportionibus 40 Anonym, Tractatus de sex inconvenientibus 13 Anm. 5, 36 Anm. 71 Anonym, Utrum homo posset dici vere felix in hac vita 51 Anonym, Utrum omnis forma habeat latitudinem nobis presentabilem per figuras geometricas 32
Aquin s. Thomas Archimedes 72 Anm. 141 Argentina s. Thomas Aristoteles 11, 14, 20f., 21 Anm. 27, 34, 34 Anm. 67, 52, 54, 55 Anm. 104, 57, 61 Anm. 117, 62 Anm. 117, 72 Anm. 142, 73, 75, 76 Anm. 155, 94 Anm. 5, 96 Anm. 6, 103 Anm. 10, 147 Anm. 10, 153, 159, 166, 184 Anm. 59, 191 Aschbach, J. 46 Anm. 90, 47 Anm. 92, 74 Anm. 147 Averroes 70, 142, 142 Anm. 2 Bacon s. Roger Berger, H. 10, 33 Anm. 62, Anm. 64, Anm. 65, 74 Anm. 147 Bergmann s. Johann Bertelloni, F. 9 Bessarion, Basilius 70, 71 Biagio Pelacani da Parma (Blasius da Parma) 30, 32, 32 Anm. 54, 142 Anm. 1 Billingham s. Richard Bode s. John Boethius (Anicius Manlius Severinus) 14, 34, 41, 62, 69 Bonetus Locatellus 76 Borchert, E. 24 Anm. 34 Bos, E. P. 19 Anm. 20, 41, 63 Anm. 121 Boyer, C. B. 186 Anm. 65 Bradwardine s. Thomas Brandt s. Sebastian Brinzei, M. 20 Anm. 25 Buridan s. Jean Burley s. Walter Busard, H. L. L. 13 Anm. 5, 17Anm. 15, 33 Anm. 63, 41, 127 Anm. 13, 137 Anm. 14, 148 Anm. 10, 161 Anm. 33, 186 Anm. 65 Byrne, J. S. 71 Anm. 137 Calculator s. Richard Swineshead Campanus 26 Anm. 41, 41, 127 Anm. 13, 137 Anm. 14
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Namenregister
Capestrano s. Johannes Caroti, S. 19 Anm. 22, Anm. 23, 54 Anm. 103 Casale s. Giovanni Cicero, M. Tullius 69 Clagett, M. 9, 17 Anm. 16, Anm. 16, 21 Anm. 28, 22 Anm. 29, 24 Anm. 34, Anm. 37, 27 Anm. 43, 32 Anm. 55, Anm. 56, Anm. 57, 37 Anm. 75, 38, 38 Anm. 79, Anm. 80, Anm. 82, Anm. 83, 40f., 43, 46 Anm. 90, 97 Anm. 7, 110 Anm. 11, krit. App., 111 Anm. 12, krit. App., 143 Anm. 4, 155 Anm. 21, 179, 179 Anm. 53, 186 Anm. 64, Anm. 65, 191 Christian Roder 73, 73 Anm. 144 Christoph von Essen-Eschenbach 37 Condrochi s. Mesino Conradus (als Kopist der Hs. Melk, StB, 901 [362, G 22]) 50 –52 Conradus de Mundelhaym 53 Anm. 101 Coronel s. Luis Courtenay, W. J. 35 Anm. 69 Curtze, M. 22 Anm. 29, 42f., 73 Anm. 145 Dacia s. Petrus Di Liscia, D. A. 16 Anm. 11, 19 Anm. 22, 20 Anm. 24, Anm. 25, Anm. 26, 21 Anm. 28, 26 Anm. 39, 30 Anm. 48, Anm. 50, 31 Anm. 51, Anm. 52, 32 Anm. 53, Anm. 54, Anm. 58, 33 Anm. 61, Anm. 63, 35 Anm. 67, 36 Anm. 72, 37 Anm. 74, Anm. 75, Anm. 77, Anm. 78, 52, 55 Anm. 104, 57 Anm. 107, 60 Anm. 116, 68 Anm. 131, 73 Anm. 144, 75 Anm. 150, 87 Anm. 1, 89 Anm. 3, 143 Anm. 5, 145 Anm. 8, Anm. 9, 148 Anm. 11, 150 Anm. 15, 151 Anm. 16, 183 Anm. 58, 184 Anm. 60, 186 Anm. 65, Anm. 66 Dinkelsbühl s. Nikolaus Domingo de Soto 142 Anm. 1 Duhem, P. M. M. 11, 20 Anm. 25, 22 Anm. 29, 24 Anm. 37, 27 Anm. 43, 33 Anm. 65, 75 Anm. 150, 190f. Dullaert s. Jean Dumbleton s. John Duns Scotus 20 Anm. 25, 75 Anm. 155 (Ioannes Duns) Durnheimer s. Wigandus Ebbersmeyer, A. S. 10 Ebbersmeyer, S. 20 Anm. 25, 69 Anm. 132 Ebbesen, S. 18 Anm. 17 Ebendorfer s. Thomas Eggenburg s. Georg Molitoris Eneas Sylvius Piccolomini 36 Anm, 69 (Papst Pius II.), 70 Anm. 135, 75 Essen-Eschenbach s. Christoph Euklid 9, 22, 22 Anm. 28, 24 Anm. 37, 29, 40f., 53, 66 Anm. 129, 127 Anm. 13, 137 Anm. 14, 183 Florenz s. Jacobus de Santo Martino Folkerts, M. 9, 41, 66 Anm. 129, 73 Anm. 146 Fontaines s. Gottfried
Forlivesi, M. 143 Anm. 5 Franciscus Toletus 138 Anm. 2 Frank, I. W. 35 Anm. 69 Fynck s. Jacobus Gaetano da Thiene 28 Anm. 44 Galileo Galilei 8, 32, 32 Anm. 59, 38, 75, 191 Georg Molitoris aus Eggenburg 71 Georg von Peuerbach 68, 68 Anm. 131, 70 Georg Tannstetter 68, 68 Anm. 131 Giovanni da Casale ( Johannes de Casale) 32 Glaßner, C. 51 Anm. 100 Göhler, H. 49 Gottfried von Fontaines 20 Anm. 25 Goubier, F. 18 Anm. 17 Grabmann, M. 18 Anm. 17 Graf-Stuhlhofer, F. 68 Anm. 131, 69 Anm. 132, 71 Anm. 139 Grassi, C. A. 155 Anm. 22 Gregor von Rimini 20 Anm. 25, 35 Anm. 69 Grössing, H. 23 Anm. 34, 24 Anm. 34, 69 Anm. 132 Grosseteste s. Robert Guillelmus de Morbeka (Moerbecke) 29 Anm. 46 Günther, S. 36 Anm. 73 Hagenmaier, W. 39f. Halm, K. 49 Heinrich Totting von Oyta 36 Anm. 69 Heinrich von Langenstein 32 Anm. 54, 33 –35, 35 Anm. 67, Anm. 68, Anm. 69 (und Henricus de Hassia) 35 Anm. 69, 47 Anm. 90, 72, 148 Anm. 10 Heuser, B. 10 Heytesbury s. William Hispanus s. Petrus Holland s. Johannes Hugo (magister Hugo) 64 Anm. 123 Iupiter (Iovis?) Francigena (?) 40, 42 Iserloh, E. 155 Anm. 22 Jacobus de Napoli 7, 24, 31 Anm. 51, 35 Anm. 69 ( Jacobus von Neapel), 43, 152 Anm. 18 Jacobus de Santo Martino 7, 24, 24 Anm. 36 ( Jacobus de Florentia,), 31 Anm. 51, 40, 43, 48 ( Jakob von Florenz), 48 Anm. 94 ( Jakob von Florenz), 152 Anm. 18 Jacobus Fynck 62 Anm. 118 Jacobus Magnus ( Jacques Legrand) 26 Anm. 39, 35 Anm. 69, 143 Anm. 5 Jan Šindel 36 Anm. 72 Jardine, L. 75 Anm. 150 Jean Buridan 15 Anm. 9, 20 Anm. 25, 51, 54, 57 Anm. 110, 68 Anm. 130, 144, 145 Anm. 8, 147, 190 Jean de Muris 40f., 62 Jean Dullaert Gandavus 56, 190 Johann Bergmann von Olpe 76 Johannes von Capestrano 69 Johann Kaltenmarkter 46f. Anm. 90
Namenregister Johannes de Sacrobosco 40, 42, 62 Johannes Müller (Regiomontan) 70, 71, 71 Anm. 139, Anm. 130, 72, 72 Anm. 142, 73, 73 Anm. 145, Anm. 146, 75f., 76 Anm. 155 Johannes Payrreit Ingolstaniensis 50 Johannes von Holland (Hollandrinus) 40f., 63, 63 Anm, 121, 64, 69 Johannes Storler (Stedler) 70, 71 Anm. 137 John Bode 13 Anm. 6, 17 John Dumbleton 12, 13 Anm. 5, 19, 21 Anm. 27 John Mair 56, 190 John Pecham 14, 147f. Anm. 10, 148 Anm. 10 ( Johannes de Pisano) Juan Luis Vives 75 Anm. 150 Jung, E. 14 Anm. 5, 21 Anm. 27 Juvenal (Decimus Julius Juvenalis) 69 Kaltenmarkter s. Johann Keßler (Kessler), E. 9. 69 Anm. 132 Kilvington s. Richard Kilwardby s. Robert Kirschner, S. 27 Anm. 43 Kneale, M. 15 Anm. 10 Kneale, W. 15 Anm. 10 Kretzmann, B. E. 17 Anm. 13 Kretzmann, N. 17 Anm. 13 Krick, L. H. 49 Langenstein s. Heinrich Laubmann, G. 49 Laurentius Londorius 190, 145 Anm. 9 Lazarus Strasser 49 Legrand s. Jacobus Magnus Leibniz, G. W. 8, 12, 12 Anm. 2 Leitgeb, H. 10 Lewis, C. 19 Anm. 23 Lhotsky, A. 23 Anm. 34, 33 Anm. 62, 35 Anm. 68, Anm. 69, 37, 37 Anm. 76, 43, 69 Anm. 132, 70 Anm. 136, 74 Anm. 147, Anm. 148, Anm. 149, 75 Anm. 151, Anm. 153, Anm. 154, 76 Anm. 156, Anm. 157 Liˇcka, L. 148 Anm. 10 Lindberg, D. 147 Anm. 10, 148 Anm. 10 Locatellus s. Bonetus Lochmair s. Michael Lohr, C. H. 49f., 50 Anm. 95 Londorius s. Laurentius Longeway, J. 19 Anm. 22 Lorenz, S. 33 Anm. 60 Lorenzo Valla 75 Anm. 150 Luis Coronel 56, 190 Lukács, E. A. 7, 10, 32 Anm. 53 Magnavacca, S. 9 Magnus s. Jacobus Maier, A. 7, 12 Anm. 4, 17 Anm. 16, 18 Anm. 18, 20 Anm. 25, 21 Anm. 27, 22 Anm. 28, Anm. 29, 23, 24 Anm. 34, Anm. 35, Anm. 36, Anm. 37, 27 Anm. 43, 30 Anm. 47, 32, 32 Anm. 55, Anm. 56,
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Anm. 57, 33 Anm. 65, 38 Anm. 81, 43, 162 Anm. 35 Maierù, A. 63 Anm. 121 Mair s. John Markowski, M. 49, 71 Anm. 137 Matheus von Orléans 18 Anm. 17 Maufeld s. Thomas Mazet, E. 186 Anm. 65 Menhardt, H. 40 Mesino Condrochi 32, 32 Anm. 56 Mett, R. 71 Anm. 139 Michael Lochmair de Heydeck 2, 8, 14 Anm. 8, 25 Anm. 38, 26 Anm. 41, 36 Anm. 71, 40, 42 –44, 46, 46 Anm. 90, 47, 47 Anm. 91, Anm. 92, 48, 48 Anm. 93, Anm. 94, 49f., 50 Anm. 98, 52f., 53 Anm. 101, 54, 54 Anm. 101, 55, 55 Anm. 104, 56 –59, 59 Anm. 114, 60, 62 –64, 66f., 68 Anm. 130, 69, 77, 79, 81, 83, 137 krit. App., 141, 144 Anm. 6, 158 Anm. 32, 180 Anm. 54, 183f., 184 Anm. 59, 186 Anm. 67 Michalski, K. 18 Anm. 18 Moerbecke s. Guillelmus Molitor(is) s. Georg, Stephan Molland, G. 26 Anm. 41, 41 Morus s. Thomas Moulines, U. 9 Müller s. Johannes Mundelhaym s. Conradus Murdoch, J. E. 14 Anm. 7, 15 Anm. 10, 19 Anm. 21, 20 Anm. 26, 57 Anm. 107, 162 Anm. 35, 190 Muris s. Jean Napoli, Neapel s. Jacobus Newton, I. 19 Anm. 23 Nicole Oresme 8, 18 Anm. 16, 21f., 22 Anm. 28, Anm. 29, Anm. 30, 23, 23 Anm. 32, Anm. 33, 24 Anm. 37, 26f., 27 Anm. 43, 29, 29 Anm. 45, 30, 30 Anm. 47, 31 Anm. 51, 33, 33 Anm. 65, 36 Anm. 73, 38, 43, 78, 91 Anm. 4, 97 Anm. 7, 149 –151, 152 Anm. 18, 155, 156 Anm. 27, 161, 161 Anm. 33, 166 Anm. 39, 179, 186, 186 Anm. 65, 189 Nicoletto Vernias Theatino 31 Anm. 51 Nifo s. Agostino Nikolaus von Dinkelsbühl 35 Anm. 69 Nobis, H. 9 Normore, C. G. 162 Anm. 35 Ockham s. William Octavianus Scotus 76 Oresme s. Nicole Orléans s. Matheus Ottman, J. 13 Anm. 5 Payrreit s. Johannes Panzica, A. 21 Anm. 28, 30 Anm. 48 Parma s. Biagio Paulus Venetus 35 Anm. 69, 57 Anm. 107, 63 Anm. 122, 64 Anm. 122
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Namenregister
Pecham s. John Pedersen, F. 42 Pelacani s. Biagio Perreiah, A. R. 63 Anm. 122, 64 Anm. 122 Petrus Hispanus 15, 15 Anm. 9, Anm. 10, 47, 47 Anm. 92, 50, 52f., 58f., 59 Anm. 114, Anm. 115, 60, 60 Anm. 115, 64, 64 Anm. 124, 65f., 68, 144, 144 Anm. 6 Petrus von Dacia 42 Peuerbach s. Georg Piccard, A. 40 Piccolomini s. Eneas Sylvius Pierre Abélard 15 Pius II. s. Eneas Sylvius Piccolomini Plato 17 Anm. 13, 60, 70, 76 Podko´nski, R 13 Anm. 5 Poliziano s. Angelo Prina, I. 10 Ranea, G. 9 Rating s. Amplonius Redlich, V. 49, 50 Anm. 96 Regiomontan s. Johannes Müller Remond, N.-F. de 12 Anm. 2 Richard Billingham 13 Anm. 5 Richard Kilvington 12, 13 Anm. 5, 17, 17 Anm. 13, Anm. 14, Anm. 15, 18, 21 Anm. 27 Richard Swineshead (Calculator) 11f., 12 Anm. 2, 13 Anm. 5, 19, 19 Anm. 22, 147, 168 Anm. 43, 176 Anm. 50, 186 Anm. 65 Rijk, L. M. de 12 Anm. 4, 18 Anm. 17, 52f. Rimini s. Gregor Robert Grosseteste 11, 14, 147 Anm. 10 Robert Kilwardby 14 Roder s. Christian Roger Bacon 14, 147f. Anm. 10 Roger Swineshead 13 Anm. 5, 64 Anm. 123 Rogerius Thomae 32, 32 Anm. 57 Rommevaux-Tani, S. 10, 13 Anm. 5, 20 Anm. 24, 36 Anm. 71 Rudolf Agricola 75 Anm. 150 Russell, J. L. 19 Anm. 23 Sacrobosco s. Johannes Santo Martino s. Jacobus Sebastian Brandt 76, 76 Anm. 158 S˛edziwój von Czechel 147 Anm. 10 Seneca, L. A. 54 Anm. 101 Shank, M. 36 Anm. 69 Shapiro, C. 57 Anm. 107 Shapiro, H. 57 Anm. 107 Sherwood s. William Šindel s. Jan Smith, T. 9, 26 Anm. 40, Anm. 42, 30 Anm. 49, 43, 46 Anm. 90, 77, 118 krit. App., 119 krit. App., 126 krit. App., 129 krit. App., 130 krit. App., 132 krit. App., 133 krit. App., 134 krit. App., 135 krit. App. Sortes 76
Soto s. Domingo de Spade, P. V. 13 Anm. 5, 41, 64 Anm. 123 Spruyt, J. 16 Anm. 12, 18 Anm. 17 Stephan Molitoris aus Bruck 71 Stedler s. Johannes Storler Steneck, N. H. 35 Anm. 67, 36 Anm. 70 Storler s. Johannes Strasser s. Lazarus Swineshead s. Richard, Roger Sylla, E. D. 12 Anm. 2, Anm. 3, Anm. 4, 13 Anm. 5, 18 Anm. 18, Anm. 19, 20 Anm. 25, 162 Anm. 35 Tannstetter s. Georg Thiene s. Gaetano Thomas Bradwardine 8, 13 Anm. 5, 14, 14 Anm. 6, Anm. 7, 19, 21, 26 Anm. 41, 32 Anm. 53, 33, 33 Anm. 63, 34, 40f., 62, 69, 72, 147, 184 Anm. 59, 190 Thomas de Argentina 35 Anm. 69 Thomas Ebendorfer 70, 70 Anm. 136 Thomas Maufeld 41, 63, 63 Anm. 121 Thomas Morus 75 Anm. 150 Thomas von Aquin 70, 57 Anm. 155 (Sanctus Thomas) Toletus s. Franciscus Totting von Oyta s. Heinrich Trifogli, C. 57 Anm. 107, 151 Anm. 16 Trincavellus, Victor 19 Anm. 23 Trischler, H. 9 Überrück-Fries, T. 10 Uiblein, P. 69 Anm. 133, 71 Anm. 138 Unterkircher, F. 40 Valla s. Lorenzo Vergil (P. Vergilius Maro) 40 Villa Dei s. Alexander Vittorini, M. 12 Anm. 4 Vives s. Juan Walter Burley 8, 12, 12 Anm. 4, 13 Anm. 5, 19, 19 Anm. 21, 20 Anm. 25, 27 Anm. 43, 57, 57 Anm. 107, 151 Anm. 16, 162 Anm. 35 Weber-Schroth, S. 13 Anm. 5 Weisheipl, J. 13 Anm. 5, 18 Anm. 19, 21 Anm. 27 Weijers, O. 74 Anm. 148 Wieleitner, H. 22 Anm. 29, 186 Anm. 65 Wigandus Durnheimer 147 Anm. 10 William Heytesbury 12, 13 Anm. 5, 17f., 18 Anm. 18, 19 Anm. 21, Anm. 22, 21 Anm. 27, 76, 147, 176 Anm. 50 William of Ockham 15 Anm. 10, 20 Anm. 25, 21 Anm. 27, 155, 155 Anm. 22, 162 Anm. 35 William of Sherwood 15, 15 Anm. 10 Wilson, C. 19 Anm. 22, 176 Anm. 50 Witelo 14, 147 Anm. 10, 148 Anm. 10 Wood, R. 13 Anm. 5, 162 Anm. 35 Worstbrock, F. J. 46 Anm. 90, 47 Anm. 92, 48 Anm. 93, Anm. 94, 49, 70 Anm. 135
Liste der erwähnten Handschriften
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Liste der erwähnten Handschriften Bamberg, Staatsbibliothek, Astr. 2 (H. J. V. 2) 36 Anm. 71 Basel, Universitätsbibliothek, A-X-44 35 Anm. 69 Berlin, Staatsbibl., Lat. O. 193 147 Anm. 10 Città del Vaticano, Vat. lat. 954 21 Anm. 27 Dresden, Sächsische Landesbibliothek, Db. 85 147 Anm. 10 Freiburg, UB 238 38 –40, 39 Anm. 83, 45f. Halberstadt, Bibliothek des Königlichen DomGymnasiums, Hs. 217 31 Anm. 53 Kremsmünster, Stiftsbibliothek (HMML 82) CC 89 36 Anm. 71 Kremsmünster, Stiftsbibliothek (HMML 125) CC 134 36 Anm. 71 Madrid, BN, 6004 (L 221) 31 Anm. 53 Melk, StB, 901 (362, 622) 49 –52 Melk, StB, 1097 (240, E 30) 36 Anm. 71 Melk, StB, 1834 (286, E 23) 49 München, BSB, clm 497 71 Anm. 137 München, BSB, clm 2839 49 München, BSB, clm 19681 49 München, BSB, clm 19695 148 Anm. 10 München, BSB, clm 18789 49, 55 Anm. 105, 81 (Abbildung 1) München, BSB, clm 18800 36 Anm. 71 München, BSB, clm 18985 36 Anm. 71 München, BSB, clm 19850 36 Anm. 71 Oxford, Bodleian Library, Canon Misc. 177 31 Anm. 53
Oxford, Bodleian Library, Canon Misc. 506 31 Anm. 53 Oxford, Bodleian Library, Lyell 79 57 Paris, Bibliothèque de l’Arsenal, Lat. 522 31 Anm. 53 Pommersfelden, Graf von Schönborn Schlossbibliothek, 262 148 Anm. 10 ˇ Prag, Národní knihovna Ceske republiky, VIII. G.19 36 Anm. 71 Sankt Petersburg (früher Leningrad), SaltykovaScedrina, Obscestvo ljubitelej drevnej pis’mennosti, Q. 791 32 Anm. 53 Sevilla, Biblioteca Colombina, 5-1-10 31 Anm. 53 Sevilla, Biblioteca Colombina, 7-7-13 31 Anm. 53 Uppsala, UB, C 658 73 Anm. 144 Venedig, BNM, lat. VIII, 19 32 Anm. 57 Warschau, Biblioteka Narodwa, Hs. 30 31 Anm. 53 Wien, Dominikanerkloster, 33/33 50 Wien, ÖNB Lat. 2433 36 Anm. 71 Wien, ÖNB Lat. 4951 41, 60 Wien, ÖNB Lat. 4953 36 Anm. 71, passim, bes. 40 –43, 45f., 83 (Abbildung 2) Wien, ÖNB Lat. 5067 35 Anm. 69 Wien, ÖNB Lat. 5237 74 Anm. 147 Wien, ÖNB Lat. 5257 147 Anm. 10 Wien, ÖNB Lat. 5377 74 Anm. 147 Wien, ÖNB Lat. 5461 74 Anm. 147