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German Pages 300 [301] Year 2006
E i n neuer Kampf der Religionen?
Wissenschaftliche Abhandlungen und Reden zur Philosophie, Politik und Geistesgeschichte Band 39
neuer Kampf der Religionen? Staat, Recht und religiöse Toleranz
Herausgegeben von
Matthias Mahlmann Hubert Rottleuthner
Duncker & Humblot • Berlin
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nätionalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Ubersetzung, für sämtliche Beiträge vorbehalten © 2006 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme und Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmH, Berlin Printed in Germany ISSN 0935-5200 ISBN 3-428-12095-7 978-3-428-12095-6 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 © Internet: http://www.duncker-humblot.de
Vorwort Fragen religiöser Toleranz bilden ein Grundproblem politischer Ordnung. Eine Fülle von Argumenten wurde über die Jahrhunderte formuliert, die religiöse Toleranz begründen sollten. Die Argumente reichen von einem schlichten obrigkeitlichen, pragmatisch-instrumentalistischen Machtkalkül über erkenntnistheoretische Einsichten in die spezifische Unsicherheit religiöser Uberzeugungen bis zur Idee, dass Menschenwürde auch Toleranz gebiete. Letztere bildet heute den Ausgangspunkt der überzeugendsten Toleranzbegründungen: Religiosität macht für viele Menschen einen zentralen Aspekt der Interpretation der eigenen Existenz aus, sie steckt den Horizont der eigenen Hoffnungen ab und gehört damit zum Kern des durch die Menschenwürde als Selbstzweck geschützten Lebensentwurfs der Menschen, der von anderen, aber auch vom Staat zu achten ist. Das Problem der religiösen Toleranz ist mit einem Konstitutionsprinzip moderner Staatlichkeit verwoben, das ein wichtiges Element der Erfüllung ihrer Friedensfunktion ist. Religiöse Toleranz ist in ihrer Verwirklichung mit der Trennung von Staat und Kirche und - untergründiger - von Recht und Moral verbunden. Die Lösung der sozial organisierten, rechtlich verfassten Ordnung des Gemeinwesens aus einer spezifischen religiösen Identität ist eine zentrale Grundlage des säkularen, demokratischen Verfassungsstaates. Diese Trennung ist keineswegs einfach und schlicht zu vollziehen, denn Religionen sind soziale Kräfte von großem Gewicht in modernen Gesellschaften, die in vielfältiger Weise in der Gesellschaft und der staatlichen Ordnung präsent sind. Neben einer vertikalen, staatsgerichteten hat religiöse Toleranz auch eine horizontale Dimension: Auch die Bürger und Bürgerinnen untereinander müssen ein praktisches Verhältnis zu Lebensentwürfen finden, die den eigenen in vielleicht wesentlichen Aspekten der Sinnstiftung und Weltinterpretation widersprechen.
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Vorwort
Die grundsätzlichen Probleme religiöser Toleranz, ihre moralische Begründung, ihre rechtliche Verfassung und staatliche Organisation sind in den letzten Jahren in Bezug auf das Problem der Präsenz von religiösen Symbolen und - konkreter - anhand von religiös motivierten Kleidungsstücken in ganz Europa, aber auch in vielen anderen Ländern der Welt, intensiv diskutiert worden. In Deutschland hat das Bundesverfassungsgericht zum sog. Kopftuchstreit ein viel beachtetes Urteil gefällt. Auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte wurde mit dem Thema befasst. Eine europäische Linie des Umgangs mit religiös motivierten, symbolhaften Kleidungsstücken ist dabei nicht ersichtlich: England tritt durch eine liberale Praxis hervor, in der Polizistinnen Kopftücher und selbst Richter des High Court einen Turban tragen können, während Frankreich auffällige religiöse Symbole an Schulen auch für Schüler und Schülerinnen verbietet. Die Verständigung über Maßstäbe einer zivilisierten Praxis ist dabei für die Europäische Union bei dem erreichten Grad von Integration von hoher Bedeutung. Dabei ist der Kopftuchstreit nur ein kleiner Aspekt eines sehr viel weiter reichenden Problems, das ohne Zweifel existentielle Bedeutung für eine internationale Friedensordnung hat. Die Trümmer von Ground Zero, von Synagogen in Istanbul oder der hinduistisch-muslimischen Pogrome machen unübersehbar, dass es hohe Zeit ist, sich über die Grundlagen von religiöser Toleranz, interreligiösem Dialog, der Duldung von unterschiedlichen Weltanschauungen schlechthin zu verständigen - in den kulturellen Innenraum Europas hinein, aber auch als Basis für das Werben für eine duldsame, freiheitsgeneigte Humanität gegenüber Strömungen in anderen Regionen, die sich von der Tugend der Toleranz weit entfernt haben. Die Beiträge gehen auf eine Universitätsvorlesung an der Freien Universität Berlin zurück, die von den Herausgebern organisiert wurde. Sie unterrichten über verschiedene Aspekte des Themas. Rottleutloner, Hansen und Mahlmann berichten über die soziologischen, historischen und philosophischen Grundlagen von religiöser Toleranz. Kruip , Nachama und Krämer rekonstruieren die Perspektiven von drei Weltreligionen auf das Thema. Kunig, Mager und Rudolf loten die rechtlichen Probleme des Religions-
Vorwort
Verfassungsrechts aus, werfen aber auch nachdrücklich den Blick auf supra- und internationale Rechtskreise. Malik , Mikhail und Weil schließlich erläutern die politische und rechtliche Organisation von religiöser Toleranz in England, in den USA und Frankreich. Die Herausgeber danken der Freien Universität und dem Fachbereich Rechtswissenschaft herzlich für die Unterstützung, die die Verwirklichung der Vorlesungsreihe und ihre Dokumentation möglich gemacht hat. Besonderer Dank gilt Angela Ludwig und Alexander Klose für die geleistete Hilfe. Die Herausgeber
Inhalt I. Soziologische, historische und philosophische Grundlagen Hubert Rottleuthner Wie säkular ist die Bundesrepublik?
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Reimer Hansen Glaubensfreiheit und Toleranz im Konfessionellen Zeitalter
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Matthias Mahlmann Ethische Duldsamkeit und Glauben Grundlagen religiöser Toleranz
(Rechts-)Philosophische 75
II. Perspektiven von Weltreligionen Gerhard Kruip Katholische Kirche und Religionsfreiheit
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Andreas Nachama Das Judentum und seine Haltung zu anderen Religionen
127
Gudrun Krämer „Kein Zwang in der Religion"? Religiöse Toleranz im Islam
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III. Probleme des deutschen und europäischen Religionsverfassungsrechts Philip Kunig Staat und Religion in Deutschland und Europa
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Ute Mager Religionsfreiheit im Grundgesetz
185
Beate Rudolf Religionsfreiheit zwischen Diskriminierungsverbot und Toleranzgebot 209
IV. Internationale Perspektiven Maleiha Malik A Mirror For Liberalism: Europe's New Wars of Religion
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John Mikhail The Free Exercise of Religion: A n American Perspective
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Patrick Weil The Problem of Religious Symbols in French History, Politics, and Law 289 Autorenverzeichnis
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I. Soziologische, historische und philosophische Grundlagen
Wie säkular ist die Bundesrepublik? Von Hubert Rottleuthner
Religiöse Toleranz ist erst dann wahrhafte Toleranz, wenn sie als Zumutung erfahren wird. Wenn religiöse Überzeugungen auf der Grundlage einer weltanschaulichen Indifferenz für belanglos erklärt, wenn sie agnostisch in ihrem Verbindlichkeitsanspruch relativiert oder als reine Privatsache abgekapselt werden, dann taucht das Problem der Toleranz ernsthaft nicht auf. Toleranz, ernsthafte Toleranz, zwischen Angehörigen christlicher Religionsgemeinschaften ist das Resultat der Verarbeitung von Erfahrungen jahrhundertelanger Verfolgungen, Kriege und Diskriminierungen. Die Institutionalisierung von Glaubens- und Gewissensfreiheit sowie eine mehr oder weniger deutliche Trennung von Staat und Kirchen hat einen Zustand wechselseitiger Tolerierung - der Anerkennung des Existenzrechts ohne Anerkennung der Glaubenswahrheiten der anderen Seite - in Staat und Gesellschaft gebracht, die sich als in hohem Maße säkularisiert verstehen. Was zwischen den großen christlichen Glaubensgemeinschaften - auch in ihrem Verhältnis zum Staat - gelungen scheint, lässt sich aber anscheinend nicht auf andere Glaubensrichtungen ohne weiteres ausdehnen. Antisemitismus, tiefer Argwohn gegenüber Muslimen und Diskriminierungen aller Arten von „Sekten" sind lebendig oder mobilisierbar.
Vorbemerkung: Säkularität Ich frage im folgenden nicht, ob die Bundesrepublik eine säkulare Gesellschaft sei, vielleicht, ob sie eine spät-säkulare oder gar „post-säkulare" (Habermas) Gesellschaft sei - was ja impliziert, dass sie einmal eine säkulare gewesen sei. Ich frage: wie säkular ist
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die Bundesrepublik? Damit beanspruche ich nicht, irgendeinen Wesenskern dieser bundesdeutschen Gesellschaft offen zu legen, wie das Soziologen so gerne machen, wenn sie von der „Risikogesellschaft", der „Ellbogengesellschaft", der „Erlebnisgesellschaft" etc. reden. Ich möchte vielmehr zu klären versuchen, in welchem Maße und in welcher Weise die Bundesrepublik Merkmale von Säkularität aufweist. Abstufungen sind also möglich, und nicht bloß Ja-Nein-Antworten. Eine Antwort auf diese Frage setzt allerdings voraus, dass man sich wenigstens in groben Zügen darüber verständigen kann, was unter säkular und Säkularisierung zu verstehen sei. Bei der Säkularisierung geht es um den historisch langwierigen und durchaus gewaltsamen Prozess der Herauslösung autonomer Verständigungs- und Handlungssphären aus dem Bereich des Glaubens, der Religion, der Kirche. Markiert wird dieser Prozess durch große Unterscheidungen: die von Staat und Kirche, von Wissen und Glauben, von Wissenschaft und Religion, der Rollen von Bürger und Gemeindemitglied, durch die Differenzierung der Normen von Recht, Moral und Religion. Die Sphären von Kultur und Moral verselbständigen sich gegenüber ihren religiösen Fundamenten. Ein guter Mensch muss kein gläubiger Mensch sein. Autonome Vernunftreflexion löst die Bindung an religiöse Dogmen auf. Wichtig ist hierbei, dass diese Unterscheidungen nicht bloß in den Köpfen und Texten gelehrter Menschen verbleiben, sondern gesellschaftlich institutionalisiert werden. Fakultäten werden getrennt, Kompetenzen werden geregelt; Gerichte sind dann z. B. zuständig für die Anwendung von Recht und fungieren nicht als Hüter einer Moral. Die Differenzierung von Rollen und Positionen schlägt sich nieder in spezifischen performativen Ausprägungen. Unterscheidungen leben davon, dass das Unterschiedene fortbesteht. Die Unterscheidung, die Unterscheidbarkeit von Kirche und Staat setzen eben voraus, dass beide - Kirche und Staat - existieren. Unter Säkularisierung wird aber häufig mehr verstanden, nämlich dass die eine Seite verschwindet. Dann ist etwa von „Entkirchlichung" oder „Entchristlichung" der Gesellschaft die Rede. Gegen die Annahme einer solchen Auflösung, Liquidierung des Religiösen wird aus einer anthropologischen Perspektive ein
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funktionales Argument vorgebracht. Nach Luhmann 1 etwa sei die Religion für die Gesellschaft im ganzen unentbehrlich. Das wäre nicht gerade eine neue Form des Gottesbeweises, aber eine Art von funktionalem Religionsbeweis. Die unersetzbare Funktion der Religion sei es, die ins Unendliche tendierenden Welthorizonte der Gesellschaft zu schließen, die gesellschaftlichen Strukturen abzustützen und die Unbestimmtheit der Welt in Bestimmbares zu transformieren. Es gehe um Kontingenzbewältigung durch unhinterfragbare Chiffren wie Gott oder Ewigkeit. Das ist vielleicht etwas hoch gegriffen. Man kann es auch etwas lebensnäher formulieren: die Funktion der Religion könnte es sein, uns Antworten auf Fragen nach dem Sinn des Lebens zu geben; uns für Krankheit, Unfall, Gebrechlichkeit und Tod Trost zu spenden, uns also in unserer Körperlichkeit, letztlich unserer Sterblichkeit anzunehmen; unsere Alltagsmoral zu stützen und unsere Uberzeugung zu stärken, dass am Ende die Gerechtigkeit siegen wird - und sei es erst im Jüngsten Gericht. Die Frage ist dann, ob die Religion zur Erfüllung dieser konkreteren Funktionen ersetzbar ist - aber wodurch: gibt es rein weltliche Ersatzangebote oder treten nur neue Ersatzreligionen an die Stelle der alten Glaubensangebote? Die ganz weltlichen Angebote, die die Anfälligkeit und Risiken, das „Kontingente" unserer Körperlichkeit zu kompensieren versprechen, werden heute von der Versicherungswirtschaft und den Sozialversicherungssystemen verwaltet. Fitness- und AntiAging-Programme, die Idee des medizinischen Fortschritts schieben zumindest den Gedanken an unsere Sterblichkeit auf oder sie verdrängen ihn in solchem Aktivismus. Der Staat - und nicht das Jüngste Gericht - hat heute in Form eines „Rechtswegestaats" als Garant der ultimativen Gerechtigkeit zu fungieren. Eine radikale Diesseitigkeit, der der Glaube an die Auferstehung und das ewige Leben verloren gegangen ist, findet einen Sinnersatz vielleicht in 1
Niklas Luhmann, Funktion der Religion, Frankfurt am Main 1977; ders., Die Religion der Gesellschaft, Frankfurt am Main 2000; vgl. dazu Detlef Pollack, Säkularisierung - ein moderner Mythos?, Tübingen 2003, S. 56 ff. - Zur sozialen Funktion religiöser Erfahrungen vgl. auch Hans Joas y Braucht der Mensch Religion? Über Erfahrungen der Selbsttranszendenz, Freiburg 2004.
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den Angeboten der Konsum- und Spaßkultur. A l l das mag die Funktionen der Religion, zumal der christlichen, ersetzen; aber damit wird all das nicht zur Ersatzreligion. Die Frage wäre dann, ob nicht doch bei all diesen weltlichen Ersatzangeboten ein unersetzbarer Rest von Religion, von Religiosität bleibt. Bevor ich möglichen Spuren von Religion oder Religiosität in unserer Gesellschaft nachgehe, möchte ich mich der Frage zuwenden, woran sich eigentlich die Säkularität einer Gesellschaft bemessen könnte. Ich will das an einigen Beispielen erläutern: wie säkular war etwa die DDR? Wohl in höherem Maße als die BRD. Aber gab es nicht auch heilsgeschichtliche Elemente in ihrer offiziellen Ideologie des Marxismus-Leninismus als einer Ersatzreligion? Wie prekär war das Verhältnis von Staat, Partei und Kirche? Führte die Religion nur eine mehr oder weniger private Nischenexistenz? Welche öffentlichen Manifestationen des religiösen Glaubens gab es - von Pfarrer Brüsewitz bis zur Zionskirche? - Oder ein anderes, aktuelles Beispiel: wie säkular ist die Türkei? Im staatlichen Bereich ist die Weltlichkeit des Regimes notfalls diktatorisch hergestellt worden. Aber das gegenüber einer Gesellschaft mit - statistisch gesehen - über 95 % Muslimen. Ist die Türkei deshalb eine islamische Gesellschaft? Wer wird eigentlich als „Muslim" gezählt? Wohl auch die Aleviten, obwohl sie nicht im staatlichen Religionsamt (Diyanet) vertreten sind. Wie groß ist der Anteil von Muslimen, die ihren Glauben durch Befolgung der fünf Grundgebote 2 tatsächlich praktizieren? Nach Schätzungen vielleicht 30%; und höchstens 5 % wären als „politische" Muslime einzuordnen, die auch einen islamischen Staat anstreben. Das Bild ist also nicht gerade eindeutig. - Auf einen nicht-säkularen Charakter von Gesellschaften deutet es hin, wenn keine zivile Heirat oder zivile Scheidung möglich sind.3 Nicht säkular waren oder wären auch solche Staaten, die einen Eid nur in der religiösen Form kennen.4 Wie steht es mit der 2 Glaube an Allah als dem einzigen Gott, fünf Gebete pro Tag, Fasten (im Ramadan), Fahrt nach Mekka (hadsch), Zahlung der Armensteuer (zekat). 3 Die Zivilehe wurde im Deutschen Reich 1875 als allein gültige Ehe eingeführt. In Chile wurde z. B. die zivile Scheidung erst 2004 eingeführt; in der Republik Irland übrigens erst 1996.
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Schweiz und ihrer gänzlich unweltlichen Nationalhymne, dem „Schweizer Psalm"5? Die mediale Präsenz der christlichen Kirchen mag dank des deutschen Papstes und dank Kardinal Lehmann und Bischof Huber gewachsen sein; die Bedeutung religiöser Fragen könnte durch die Konflikte mit dem Islam (Kopftuch, Mohammed-Karikaturen) zugenommen haben. Aber harte Daten zeigen eine kontinuierliche Abnahme bei folgenden Indikatoren, die von der Katholischen Kirche dokumentiert werden: 6 Mitgliedschaft, Taufen, Erstkommunionen, Trauungen, Gottesdienstteilnahme, Zahl der Welt- und Ordenspriester im aktiven Dienst. Relativ konstant geblieben ist die Zahl der kirchlichen Beerdigungen, gewachsen ist die Zahl der ständigen Diakone und der Laien im pastoralen Dienst. Die Beispiele zeigen, dass es nicht einfach ist, die Art und den Grad von Säkularität einer Gesellschaft zu bestimmen. U m dem ziemlich beliebigen Anführen irgendwelcher Merkmale von Säkularität oder Religiosität entgegenzusteuern, führe ich die Unter4 Im Deutschen Reich konnten Juden so lange nicht zum Staatsdienst zugelassen werden, wie es nur einen religiösen, d. h. auf den Christengott verpflichtenden Amtseid gab. Die Paulskirchenverfassung sah keine Möglichkeit vor, die christlich-religiöse Beteuerung wegzulassen. Das alles trotz Matth. 5, 33-37. In Preußen gab König Wilhelm I. am 6. Mai 1867 eine neue Form des Eides bekannt, bei der es dem Schwörenden überlassen blieb, die seinem Bekenntnis entsprechende Bekräftigungsformel hinzuzufügen (nach Hans Hattenhauer; Geschichte des deutschen Beamtentums, 2. Aufl. Köln u. a. 1993, S. 262). Durch das preußische Gesetz betreffend die Gleichberechtigung der Konfessionen in bürgerlicher und staatsbürgerlicher Beziehung vom 3. Juli 1869 sollte die Bekleidung öffentlicher Amter vom religiösen Bekenntnis unabhängig sein. Die Weimarer Reichsverfassung schrieb das dann in Art. 136 fest und sah in Art. 177 einen Eid ohne religiösen Bezug vor. (Zu den praktischen Auswirkungen des Gesetzes von 1869 vgl. Bernd Wunder; Geschichte der Bürokratie in Deutschland, Frankfurt am Main 1986, S. 93 f.). 5 In dessen erster (deutscher) Strophe heißt es mehr schwülstig als fromm u. a.: „Betet freie Schweizer, betet! Eure fromme Seele ahnt Gott im hehren Vaterland." 6 Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (Hrsg.), Katholische Kirche in Deutschland. Statistische Daten 2003, Arbeitshilfen Nr. 193, März 2005.
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Scheidung von vier Dimensionen ein, in denen sich jeweils der säkulare oder nicht-säkulare Charakter einer Gesamtgesellschaft analysieren lässt7: - eine individuelle, persönliche - eine gesellschaftliche - eine staatliche, in der es vor allem um das Verhältnis von Staat und Religionsgemeinschaften geht - und eine internationale. Diese Unterscheidung ist etwas differenzierter als diejenige, die sich in den beiden Grundpostulaten eines politischen Liberalismus zeigt, nämlich dass - Religion Privatsache sei - und dass Staat und Kirche zu trennen seien.
I. Persönliche Religiosität, Spiritualität Im Jahre 2003 waren ca. 63 % der Deutschen Mitglied einer christlichen Religionsgemeinschaft (ein wenig mehr Katholiken als Evangelische). Im Jahr 2001 gaben nur 43 % an, ein religiöser Mensch zu sein.8 Lediglich 11% stuften sich als gläubiges Mitglied ihrer Kirche ein, der sie sich eng verbunden fühlen. 9 Solche Befunde bilden die Grundlage für die These von der „Entkirchlichung" und „Entchristlichung" der deutschen Gesellschaft Tendenzen, die übrigens in Ostdeutschland erheblich stärker sind 7 Die ersten drei Unterscheidungen finden sich ähnlich bei Karel Dobbelaere , Secularization: A n Analysis at Three Levels, 2. Aufl. Brüssel u. a.: Lang, 2004. - Vgl. auch die drei Dimensionen in Luckmanns Religionssoziologie im allgemeinen: Person - gesellschaftliche Wirklichkeitskonstruktion - Sozialstruktur (Thomas Luckmann , Die unsichtbare Religion, Frankfurt am Main 1991). 8 Allensbacher Jahrbuch der Demoskopie 1998-2002, hrsg. v. Elisabeth Noelle-Neumann / Renate Köcher ; München 2002, S. 355 (Umfrage November 2001). - Im April 2006 bezeichneten sich 55 % der westdeutschen und 22 % der ostdeutschen Bevölkerung als religiös (Umfrage des Allensbacher Instituts, nach FAZ v. 12. 4. 2006). 9 Ebd., S. 359 (Umfrage November 1999).
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als in Westdeutschland. Zugenommen hat allerdings in den letzten Jahren das „Interesse an religiösen Fragen": Von 1995 bis 2006 nahm der Anteil der Bevölkerung mit ausgeprägtem Interesse an religiösen Fragen von 24% auf 33% zu. 1 0 Dieses gewachsene Interesse mag der größeren Medienpräsenz religiöser Themen geschuldet sein. Größeres Interesse an religiösen Fragen muss keine stärkere Hinwendung zu den christlichen Kirchen bedeuten. Es scheint eine breite Bewegung der Sinnsuche zu geben. Aber negativ kennzeichnend für diese „Suchbewegung" dürfte sein, dass die Antworten und Angebote der christlichen Religionen als ungenügend erlebt werden. Das Christentum hat zwar eine kognitiv ausgefeilte Dogmatik entwickelt, bietet aber in seinen institutionalisierten Formen nicht genügend für eine die diesseitigen Widrigkeiten erlebnishaft transzendierende Sinnstiftung. Die christlichen Kirchen können anscheinend die Erfahrung eines sinnentleerten Arbeitslebens nicht hinreichend kompensieren, sie bieten keine Hilfe bei Erfahrungen von Ungerechtigkeiten und nur begrenzte moralische Orientierung; und es fehlt an einer Kultur des Sterbens. Die christlichen Lehren werden immer noch als leibfeindlich, zumindest als leibfern erlebt. Auch wenn die christlichen Klöster für sinnsuchende Gäste geöffnet werden 11 , habe ich den Eindruck, dass die Besucher eher zu sich als zum christlichen Gott kommen wollen. Das Verlangen nach „Selbsttranszendierung" (Joas) ist nach oben offen. Die Frage ist nur, wo man in diesen oberen Regionen hingerät: in eine Beziehung zu einem personalen Gott, zu einem unaussprechlichen Numinosen; findet man Zuflucht im dharma oder öffnet man sich kosmischen Kräften, die alles durchströmen? Im gesellschaftlichen Raum gibt es eine Menge von Angeboten, die versprechen, die Sinnlücken, die das Christentum lässt, zu füllen - Angebote neuer Religionsgemeinschaften, die von den etablierten als „Sekten" bezeichnet werden. Diese Glaubensrich10 Umfrage des Allensbacher Instituts vom April 2006, nach FAZ v. 12. 4. 2006. 11 Vgl. etwa Hanspeter Oschwald y Der Klosterurlaubsführer, Freiburg: Herder, 2000; Erhard Gorys, Zu Gast in Klöstern, München: dtv, 2000.
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tungen bewegen sich z.T. im christlichen Bezugsrahmen wie etwa die Anthroposophie, häufig machen sie aber Anleihen in anderen kulturellen Traditionen: Guru-Bewegungen wie Divine Light Mission, Bhagvan- und Hare-Krishna-Bewegung; die Mun- oder Vereinigungs-Kirche; Children of God oder Family; Scientology; New Age usw. Mit diesen verschiedenen Phänomenen, die Religion nicht nur als einen Komplex von Weltinterpretationen anbieten, sondern immer auch als eine Organisation, bewege ich mich bereits auf der zweiten, der gesellschaftlichen Ebene der Analyse. Es scheint mir aber in unserer Gesellschaft noch eine Zwischenebene zu geben in Form einer persönlichen Religiosität, für deren Befriedigung es zwar auch gesellschaftliche Angebote gibt, die aber institutionell nicht so verfestigt sind wie die genannten neuen Religionsgemeinschaften. Weit verbreitet dürfte eine im Privaten wuchernde Spiritualität sein. Ich rede hier von Spiritualität und nicht von Religiosität, weil sie kognitiv wenig elaboriert und institutionell nicht etabliert ist. Gesucht wird die Erfahrung des Göttlichen in sich selbst. Im eigenen Lebensvollzug möchte man in Berührung kommen mit der weltdurchdringenden Kraft des Einen, der Gottheit, des Kosmos. Gepflegt wird eine Art von spirituellem Crossover: ein bisschen Christentum mit seinen mystischen Gehalten, gemischt mit Zen-Buddhismus, vielleicht noch Anthroposophie und Sufismus. Gottesdienste der christlichen Kirchen werden vielleicht zur spirituellen Erbauung besucht ohne Kenntnis der in der Liturgie geronnenen theologischen Gehalte. Die Erbauungs-Spiritualität wird häufig verbunden mit einer Steigerung des Körperbewusstseins, also mit Meditation, Feidenkrais, Reiki, Qigong, Taiji etc. Es geht um eine leibnahe Bewusstwerdung, um awareness im Sinne einer körperbezogenen Aufmerksamkeit, um „Spürung". 1 2 Wer sich auf diesen Weg der spirituellen Suche begibt, begegnet deshalb unweigerlich alternativen Gesundheitsangeboten, die auf Selbstheilung setzen. „Heile dich selbst" mit Bach12 Die im Herder-Verlag erscheinende Zeitschrift „Christ in der Gegenwart" enthält (2006) ein Themenheft „Wie fühlt sich der Glaube an? Wellness, Religion, Gott".
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blüten 13 , vertraue auf die heilende Kraft der Edelsteine, spare den Schutzengelkurs nicht aus, erprobe Aroma- und Reinkarnationstherapien; es winkt „Kräutersegen auf allen Wegen". Das Bedürfnis der Sinnsuche mit der Wünschelrute der Spiritualität scheint gewaltig zu sein, wie ein Blick in die Auslagen der spezialisierten Läden und in einschlägige Zeitschriften zeigt: „Heile Dich selbst"; „Wie arbeiten wir mit den Schutzengeln?"; Heilungsmeditationsabend; Astro Gesundheitsdiagnose; „Die Antwort des Wassers"; „Von Naturgeistern lernen. Die Botschaft von Elfen, Feen und anderen guten Geistern"; Handbuch der Klosterheilkunde. Diese Wege der Spiritualität bedeuten eine starke Entprofessionalisierung. Den klassischen Professionen von Priester und Arzt wird nicht mehr vertraut. Es gibt noch Lehrer und Meister und allenfalls den Heilpraktiker oder die Heilpraktikerin. Vielleicht duldet man noch einen homöopathischen Arzt. Aber am besten weiß, nein spürt man selbst, was für einen richtig ist. Breit ist das Feld einer spezifischen Ratgeberliteratur in Form der Lebenshilfe, Lebensdeutung, Lebensführung mit spirituellem Hintergrund. Die religiöse Dogmatik, die kognitiven Zumutungen der Hochreligionen wie Dreifaltigkeit, Menschwerdung Christi, Auferstehung, Jüngstes Gericht werden zwar weitgehend ausgeklammert. Aber dafür dürfen wir bei Anselm Grün 1 4 unseren Engel erfahren; Willigis Jäger 15 verbindet zum Missfallen der katholischen Kirche Christentum und Zen-Buddhismus; mit Thich Nhat Hanh 1 6 machen wir Schritte der Achtsamkeit bis zum Bodi-Baum und mit dem Dalai Lama kommt das Lächeln in un13 Deren Heilwirkung dürfte in Deutschland geringer sein, wenn die Aussprache korrekt nach dem Namen ihres englischen Erfinders erfolgte: bätsch-Blüten. 14 Von seinen vielen Veröffentlichungen: 50 Engel für das Jahr. Ein Inspirationsbuch, 14. Aufl. Freiburg: Herder, 2000; Vergiss das Beste nicht. Inspiration für jeden Tag, 4. Aufl. Freiburg: Herder, 2002. 15 Einige Veröffentlichungen: Suche nach dem Sinn des Lebens, 1998 (Verlag Via Nova); Die Welle ist das Meer. Mystische Spiritualität, Freiburg: Herder, 2001; Wohin unsere Sehnsucht führt. Mystik im 21. Jahrhundert, Via Nova 2003; Die Wiederkehr der Mystik. Das Ewige im Jetzt erfahren, Freiburg: Herder, 2004; www.willigis-jaeger.de' 16 Ein Buch unter sehr vielen: Schritte der Achtsamkeit (ein Buch zum Film), Freiburg: Herder, 1998.
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sere trübe Welt. In diesem Zusammenhang wird auf einen Satz Karl Rahners (1904-1984) hingewiesen, mit dem er angeblich die Tore für mystische Erfahrungen geöffnet habe: „Der Fromme von morgen wird ein,Mystiker' sein, einer, der etwas ,erfahren' hat, oder er wird nicht mehr sein, weil die Frömmigkeit von morgen nicht mehr durch die im Voraus zu einer personalen Erfahrung und Entscheidung einstimmige, selbstverständliche öffentliche Überzeugung und religiöse Sitte aller mitgetragen wird, die bisher übliche religiöse Erfahrung also nur noch eine sehr sekundäre Dressur für das religiös Institutionelle sein kann." 1 7
Rahner plädiert hier aber nicht für eine mystische Versenkung, sondern erinnert daran, dass der christliche Glaube eine Sache der eigenständigen Entscheidung geworden ist, die nicht mehr selbstverständlich durch ein christliches Umfeld (Öffentlichkeit und Sitte) getragen wird.
II. Gesellschaftliche Säkularität Es gibt nichts rein Persönliches. Individuelle Orientierungen sind stets legiert mit sozial vorhandenen Mustern. So auch im noch so intimen Bereich der spirituellen Sinnsuche. Es gibt soziale Angebote, die sich individuell aufnehmen und nahezu beliebig kombinieren lassen. Die Esoterik gebärdet sich ungemein exoterisch. Es wird kein Geheimwissen mehr gehütet, sondern durch und durch kommerzialisiert gar auf Esoterik-Messen angeboten. Die sozialen Offerten bestehen in Interpretationsangeboten, aber noch stärker in institutionell verfestigten Organisationen, selbst wenn sie in einer knappen Endzeiterwartung ihr kurz bevorstehendes Ende prognostizieren. 18 17 Karl Rahner, Frömmigkeit früher und heute (1966), in: Schriften zur Theologie Bd. VII, Einsiedeln 1971, S. 11-31 (20). Der Passus wird z.T. zitiert im Rundbrief 2 / 2004 von Willigis Jäger - Verein für Spirituelle Wege. 18 Die mangelnde Dauerhaftigkeit war ein Argument, das gegen die Anerkennung des Status als Körperschaft des öffentlichen Rechts für die Zeugen Jehovas angeführt wurde. Körperschaften des öffentlichen Rechts müssen auf Dauer angelegt sein. Einen immerhin zwölfjährigen Rechtsstreit des Landes Berlin mit den Zeugen Jehovas um diesen Status be-
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Wie säkular ist in der Bundesrepublik das Soziale als der öffentliche Raum, in dem Interpretationen und Organisationen für die individuelle Orientierung angeboten werden und in dem persönliche Uberzeugungen einen Ausdruck finden können; der öffentliche Raum aber auch, der zu politischen Manifestationen des Staates genutzt werden kann? Wie präsent ist die Religion, d. h. bei uns vor allem die christliche Religion, im öffentlichen Raum? in religiösen Gemeinschaften Zahlen über die Mitgliedschaft (vgl. Tabellen 1 und 2 im Anhang) sagen nicht sehr viel. Im Jahre 2004 waren jeweils ca. 31 % der Bevölkerung katholische oder evangelische Kirchenmitglieder, fast 4 % waren Muslime und nur etwa 105.000 Mitglieder jüdischer Gemeinden (das sind gerade einmal etwas über 0,1 %). Ohne Konfession waren über 30 % der Bevölkerung. Mir kommt es jenseits dieser Zahlen mehr auf öffentliche, in der Gesellschaft manifestierte Zeichen von Religiosität an. Ist unser soziales Verhalten von christlichen Elementen durchdrungen, etwa vom Gebot der Nächstenliebe; folgt unser öffentlich erkennbares Verhalten in Ehe und Familie den christlichen Geboten? Welchen religiösen Symbolen begegnen wir im gesellschaftlichen Alltag? In manchen Hotelzimmern finden wir das Neue Testament neben einem Betthupfer. Das evangelische Magazin „Chrismon" liegt kostenlos allen möglichen Zeitungen bei. Das Läuten der Kirchenglocken stört nur wenige (was wenn der Ruf des Muezzin durch Kreuzberg erschallt oder gar in Pankow eine Moschee errichtet werden soll?). Ganz säkular pflegen die meisten die Sonntags- und Feiertagsruhe (wobei es auch eine Reihe von säkularen Feiertagen gibt). Auf Gehaltsbescheinigungen und in Steuererklärungen können viele Arbeitnehmer Angaben zur Kirchensteuer lesen. Sammelaktionen von Caritas, Diakonie, Brot für die Welt, Adveniat versuchen sich von nichtkirchlichen Spendensammlungen abzuheben. Bei manchen Kirendete das Bundesverwaltungsgericht nunmehr durch Beschluss vom 1. 2. 2006 (BVerwG 7 B 80.05), in: Städte- und Gemeinderat 2006, Nr. 4, S. 32 zugunsten der Zeugen Jehovas. Vorausgegangen waren u. a. ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 26. Juni 1997, ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 19. 12. 2000 und ein Urteil des O V G Berlin vom 24.3.2005.
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chenbauten kann man von außen nicht sicher sein, ob sich mittlerweile ein Kino darin befindet 19 - eine nachholende Form der Säkularisation. Traueranzeigen und Friedhöfe sind voller christlicher Symbole. Ordenstracht von Mönchen und Nonnen ist selten im Alltag zu beobachten. Wenn jemand ein Kreuz am Halskettchen trägt, fragt man sich: Schmuck oder Symbol? Die PopIkone Madonna, die anscheinend wirklich auf diesen Namen getauft wurde, trägt alles andere als einen Schutzmantel. Aus dem staatlich-politischen Raum ragen in den sozialen Raum hinein politische Parteien, die sich christlich nennen. Wohl nur aus den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten strahlt uns ein „Wort zum Sonntag" in den säkularen Samstagabend entgegen. In diesen Zusammenhang - der staatlichen Ausstrahlung religiöser Symbolik in die Gesellschaft hinein - gehört auch das Phänomen der Zivilreligion. 20 Es geht um die Verwendung religiöser Symbole zu politischen Zwecken, um diese Zwecke einer öffentlichen Auseinandersetzung zu entziehen, sie also zu tabuisieren. Das kennt man von quasi-religiösen Gedenkfeiern z. B. für die Opfer des NS oder der DDR. Erinnerungspolitik nutzt religiöse Symbolik zur Versicherung der political correctness. Aber auch Vereidigungen 21 , militärische Gelöbnisse, selbst die Jugendweihe 22 19
Die Basilika im einstmaligen Zisterzienser-Kloster Eberbach (1803 säkularisiert) wird zur Vorführung von Filmen genutzt, am liebsten von „ I m Namen der Rose", ein Film, der eben in diesem Kloster gedreht wurde. 20 Von religion civile spricht J.J. Rousseau im Contrat Social, IV.8. mit einem Kern von Normen, deren Befolgung notwendig ist, um ein guter Bürger und Untertan zu sein: der Glaube an eine allmächtige, weise, wohltätige Gottheit, ein zukünftiges Leben, die Belohnung der Gerechten und die Bestrafung der Gottlosen, die Heiligkeit des Gesellschaftsvertrages und der Gesetze; die Duldung aller Religionen, die die anderen dulden, wenn sie den staatsbürgerlichen Pflichten nicht widerstreiten. 21 Auch wenn Jesus sich gegen das Schwören ausgesprochen hat (Mat 5,34). 22 Der evangelische Bischof Huber rügte den brandenburgischen Innenminister Schönbohm (CDU), weil der eine Rede vor Teilnehmern an einer Jugendweihe hielt. Die weltanschauliche Neutralität des Staates werde dadurch verkehrt und solchen Feiern der Anschein einer staatlichen Autorisierung verliehen. „Jugendweihe ist kein Staatsakt." (FAZ v. 14. 5. 2004) Diese Kritik ist einäugig. Vertreter des Staates sind bei Veranstaltungen der Kirchen (Kirchentag etc.) gern gesehen und umgekehrt
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greifen auf religiöse Formen zurück. Dies sind alles Gestalten des Religiösen im gesellschaftlichen Alltag.
III. Kirche und Staat - wie neutral ist der Staat in religiösen Angelegenheiten? Die Bundesrepublik ist kein laizistischer Staat, in dem die gesellschaftlich vorhandene Religiosität keinen Ausdruck in der staatlichen Sphäre finden dürfte, weil staatliche und religiöse Loyalität nicht miteinander vereinbar seien. Die Bundesrepublik kennt andererseits auch keine Staatskirche (wie in England und einigen skandinavischen Staaten). Aber wo und wie ist die Bundesrepublik dann in diesem Spektrum zu verorten?
1. Christliche Gehalte im weltlichen Recht Ich kann hier nicht der Frage im einzelnen nachgehen, welche christlichen Wurzeln viele unserer heute geltenden Rechtsnormen haben. Unbestritten ist etwa der Einfluss des kanonischen Rechts auf die Rationalisierung des weltlichen Rechts. Aber was ist von der wie üblich übergeneralisierenden, apodiktischen These Carl Schmitts zu halten: „Alle prägnanten Begriffe der modernen Staatslehre sind säkularisierte theologische Begriffe." 23 - wenn er als Beispiele nur anführt den allmächtigen Gott, der zum omnipotenten Gesetzgeber, zum Souverän geworden sei, und das Wunder, das er in der Figur des Ausnahmezustandes meint wiederdürfen Vertreter der christlichen Kirchen bei Staatsakten (z. B. großen Trauerfeiern) auftreten, ohne dass damit die weltanschauliche Neutralität des Staats berührt würde. (Knapp 90.000 Jugendliche entschließen sich pro Jahr zur Jugendweihe, vor allem in den „atheistischen" neuen Bundesländern.) 23
Carl Schmitt, Politische Theologie, 2. Aufl. München / Leipzig 1934, S. 49. - Im selben Jahr veröffentlichte Schmitt eines seiner vielen Rechtfertigungsangebote für die neuen Machthaber „Staat, Bewegung, Volk". Ob er dabei an die christliche Trinität gedacht hat? - Auf den theologischen Ursprung des Souveränitätsgedankens hatte bereits Kelsen hingewiesen (Das Problem der Souveränität und die Theorie des Völkerrechtes, Tübingen 1920, S. 21).
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finden zu können. Von den theologischen Wurzeln von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit ist jedenfalls bei Schmitt nicht die Rede. Für unseren Zusammenhang wichtiger ist wohl das berühmte Diktum von Ernst-Wolfgang Böckenförde: „Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann. Das ist das große Wagnis, das er, um der Freiheit willen, eingegangen ist. Als freiheitlicher Staat kann er einerseits nur bestehen, wenn sich die Freiheit, die er seinen Bürgern gewährt, von innen her, aus der moralischen Substanz des einzelnen und der Homogenität der Gesellschaft, reguliert. Anderseits kann er diese inneren Regulierungskräfte nicht von sich aus, das heißt, mit den Mitteln des Rechtszwanges und autoritativen Gebots zu garantieren versuchen, ohne seine Freiheitlichkeit aufzugeben und - auf säkularisierter Ebene - in jenen Totalitätsanspruch zurückzufallen, aus dem er in den konfessionellen Bürgerkriegen herausgeführt hat." 2 4
Dieses Zitat wird meist so gelesen, dass der Staat auf religiöse Fundamente angewiesen sei. Weniger beachtet wird dabei die starke Annahme, dass Freiheit(lichkeit) im Staat eine sich selbst organisierende, homogene Gesellschaft voraussetzt. Wie homogen muss sie gerade in Glaubensfragen sein? Für unser Thema der religiösen Toleranz wäre es wichtig zu klären, ob diese angeblich erforderliche moralische Substanz oder die soziale Homogenität unbedingt religiös gefärbt sein müssen oder ob es nicht auch eine säkulare, staatsbürgerliche Moral fundamentaler Rechtsprinzipien geben kann, auf deren Basis der freiheitliche, säkularisierte Staat leben kann.
2. Anpassung christlicher
Normen an das weltliche Recht
Die christlichen Fundamente von Staat und Recht sind die eine Seite. Die andere Seite ist die Durchsetzung staatlicher Normen gegen das christliche Erbe. Eine klare Abwendung von der christlichen Lehre und Tradition finden wir im Bereich des familienbezogenen Rechts . Die Zivilehe ist die einzig gültige Form der 24
Ernst Wolfgang am Main 1976, S. 60.
Böckenförde , Staat, Gesellschaft, Freiheit, Frankfurt
Wie säkular ist die Bundesrepublik? Eheschließung. A u c h Mischehen dürfen
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geschlossen werden.
Scheidung u n d Wiederheirat sind gegen die eindeutigen Gebote des N e u e n Testaments 2 5 möglich. Z u r Einehe findet sich i m N e u e n Testament keine klare Ä u ß e r u n g ; 2 6 die w i r d erst später v o n der katholischen Kirche z u m verbindlichen M o d e l l erklärt. D i e i n der christlichen Tradition fest etablierte Strafbarkeit des Ehebruchs wurde i n der B R D erst 1969 abgeschafft. 27 Dass männliche Homosexualität - für Christen allgemein eine Sünde, nicht nur für H e r r n B u t t i g l i o n e 2 8 - nicht mehr strafbar ist, bedeutet nicht nur eine Entkriminalisierung, sondern auch eine weitere Säkularisierung unseres Straf rechts. Z u m Verhältnis v o n M a n n u n d Frau ist die biblische, patriarchalische Position b e k a n n t 2 9 , die
25 M t 19, 3 - 8 ; M k 10, 2 - 9 ; Lk 16, 18; 1 Kor 7, 10 f., 39; Rom 7, 2 f.; zur Ehescheidung im Alten Testament vgl. 5 Mo 24, 1 - 4 . 26 Die spätere Auslegung tut so, als habe sich Jesus gegen die Polygamie ausgesprochen (mit Hinweis auf 1 Mo 2, 24; 1, 27 - zitiert in M t 19, 3 - 9 ; aber in Genesis geht es um Scheidung); vgl. dazu: Hermann Ringling, Die biblische Begründung der Monogamie, in: Zeitschrift für Evangelische Ethik 10 (1966), S. 81-102. - Der Polygamie, zumal bei Kinderlosigkeit in der ersten Ehe, wurde der Vorzug vor der Scheidung gegeben (so bei Luther - vgl. auch Melanchtons Rat für Philipp von Hessen; auch Friedrich Wilhelm von Preußen führte eine Doppelehe; Karl der Große hatte zwei Königinnen; nach dem 30jährigen Krieg wurde die Doppelehe in einigen Gegenden erlaubt). Zur Polygamie im Alten Testament vgl. 3 Mo 18,18; 5 Mo 21, 15-17. 27 Insofern ist die Heuchelei groß, wenn die Türkei kritisiert wird, weil sie die Strafbarkeit des Ehebruchs wieder einführen wollte (Sept. 2004). Da wurde so getan, als ob eine Rückkehr ins Mittelalter bevorstünde. Wenn dem so wäre, dann endete in der BRD 1969 das Mittelalter. - In Calvins Genf stand auf Ehebruch die Todesstrafe; in den NeuenglandStaaten war es dann nicht mehr ganz so schlimm (s. Hawthornes „The Scarlet Letter"). Die Geschichte von Jesus und der Ehebrecherin (Joh 8,1 -11) war jedenfalls kein Grund zur Toleranz. Immerhin sagt Jesus zu ihr: „Geh und sündige von jetzt an nicht mehr." 28 Vgl. Rom 1,27; 1. Kor 6,9; im Alten Testament: Lev 18,22; 20,24. Der Italiener (und Katholik) Buttiglione war 2004 vorgesehen als EUKommisar für Justiz. Nach seinen christlichen Äußerungen gegen die Homosexualität wurde er von Vertretern nicht-christlicher Parteien so scharf attackiert, dass der Präsident der Europäischen Kommission Barroso von einer Nominierung Abstand nahm. 29 Aus dem Alten Testament ist die Untertänigkeit der Frau bekannt; im Neuen Testament s. etwa. 1. Kor 11,3: „Der Mann ist das Haupt der Frau."
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mit dem Gleichheitsgrundsatz des Grundgesetzes nicht verträglich ist. Im Bereich des familienbezogenen Rechts können wir also eine klare Abwendung von der christlichen Lehre feststellen. Wie steht es mit der Rechtfertigung politischer Strukturen? Ich lasse es als Geheimnis der biblischen Hermeneutik offen, wie man vom Gottesgnadentum in Römer 13,1 30 zu demokratischer Legitimation gelangen, wie man von der Souveränität Gottes zu der des Volkes umschalten kann. - Wie steht es mit den Grundrechten f Ich sehe hier eine große Anpassungsleistung der christlichen Lehre, die einen Anschluss der religiösen Gehalte an eine staatsbürgerliche Moral der Menschenrechte ermöglicht hat - eine Anpassungsleistung, die vielleicht auch ein Vorbild für andere religiöse Gruppierungen zu bilden vermöchte, die bei allen Binnendifferenzierungen der verschiedensten Gemeinschaften doch zu einer allgemein geteilten politischen Kultur finden könnten. Dies gilt einmal für die Herleitung der Menschenwürde aus der „Ebenbildlichkeit des Menschen mit Gott". Diese Herleitung ist historisch sicherlich falsch. Sklaven, Ungläubigen, Ketzern, Kolonialisierten wurde die Gottesebenbildlichkeit abgesprochen; aber sie zeigt, wie ein Anschluss von religiösen Uberzeugungen an säkulare Menschenrechte möglich ist - bei allen exegetischen Problemen einer Verankerung in der Bibel. 31 Das Grundgesetz ist die erste 30
„Jedermann sei Untertan der Obrigkeit, die Gewalt über ihn hat. Denn es ist keine Obrigkeit außer von Gott; wo aber Obrigkeit ist, die ist von Gott angeordnet." 31 1 Mose 1, 26 f. (in der Luther-Übersetzung): „Und Gott sprach: Lasset uns Menschen machen, ein Bild, das uns gleich sei, die da herrschen über die Fische im Meer und über die Vögel unter dem Himmel und über das Vieh und über alle Tiere des Feldes und über alles Gewürm, das auf Erden kriecht. Und Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn." Hier bezieht sich die Ebenbildlichkeit auf die Herrschaft über die Tierwelt. So deutet auch Augustinus diese Stelle (De civitate dei X I X , 15), wobei er kein Problem hat, die Frage, wie denn die Herrschaft des Menschen über den Menschen (servi) zu rechfertigen sei, mit Hinweis auf die menschliche Sündhaftigkeit zu beantworten. - Im hebräischen Original ist übrigens nicht von einem „Bild" die Rede, sondern vom „Schatten" Gottes (hebr. „zelem"). Das Bildverbot des 2. Gebotes (Ex 20, 2; und auch Ex 33, 20-23) dürfte sonst auch Schwierigkeiten bereiten.
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Verfassung Deutschlands, die die Würde in den Grundrechtsteil aufnimmt - und zwar aufgrund der Erfahrungen des Nationalsozialismus. In der Zeit des NS haben die christlichen Kirchen nicht gerade die Gottesebenbildlichkeit aller Menschen betont. Sie haben sich zwar manchmal für Judenchristen eingesetzt, aber für ungetaufte Juden haben jedenfalls die „Deutschen Christen" nichts getan. Und die katholische Kirche? Es hat lange gebraucht „vom Gottesrecht zum Menschenrecht" 32 , vom Recht der Wahrheit zum Recht der Person. Erst mit der Enzyklika „Pacem in terris" (1963) und der Erklärung „De libertate religiosa" (1965) des Zweiten Vatikanischen Konzils wird die neuscholastische Lehre verabschiedet und der Weg für eine staatliche Begründung von Menschenrechten, einschließlich der Religionsfreiheit, geöffnet. Dass von christlicher Seite eine biblische Wurzel für die verfassungsrechtlich geschützte menschliche Würde beansprucht wird, kann man als Versuch der Entsäkularisierung von Ideen der Aufklärung verstehen. Ahnlich verhält es sich mit der Gleichheit der Menschen (Art. 3 GG). Nach Jahrhunderten der Diskriminierung aller möglichen Gruppen durch die christlichen Kirchen kann man eine schöne Bibelstelle entdecken, mit der die Verfassungskonformität der christlichen Lehre gesichert ist: „Hier ist nicht Jude noch Grieche, hier ist nicht Sklave noch Freier, hier ist nicht Mann noch Frau; denn ihr seid allesamt einer in Christus Jesus."33
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So der Titel der Habilitationsschrift von Rudolf Uertz, mit dem Untertitel: Das katholische Staatsdenken in Deutschland von der Französischen Revolution bis zum 2. Vatikanischen Konzil (1789-1965), Paderborn 2005. 33 Gal 3,28: ähnlich Kol 3, 11. - Bei Hegel heißt es viel später: „Der Mensch gilt so, weil er Mensch ist, nicht weil er Jude, Katholik, Protestant, Deutscher, Italiener u. s. f. ist." (G. W.F. Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 36) Sollte es seit Paulus keinen Zuwachs an Vernunft im Rechtssystem gegeben haben? Hegel verarbeitet die Erfahrungen der Französischen Revolution.
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3. Die staatliche Privilegierung christlicher Religionsgemeinschaften Wenn wir in zentralen Rechtsmaterien eine deutliche Säkularisierung erkennen können und eine Anpassung christlicher Doktrinen an eine säkulare Moral der Menschenrechte, sieht es im Verhältnis des Staates zu den christlichen Religionsgemeinschaften als Organisationen ganz anders aus. Hier ist eine klare staatliche Privilegierung christlicher Religionsgemeinschaften festzustellen. Das Bundesverfassungsgericht hat zwar im KopftuchUrteil nochmals klargestellt, dass in der BRD keine Trennung von Kirche und Staat besteht, sondern der Staat eine „offene und übergreifende, die Glaubensfreiheit für alle Bekenntnisse gleichermaßen fördernde Haltung" 3 4 pflegt. A n Stelle der Neutralität stünde also eine fördernde Gleichbehandlung. Davon kann aber faktisch nicht die Rede sein. Die Präambel des Grundgesetzes 35 mit ihrem Gottesbezug mag man noch als Programmsatz relativieren. Aber bei der konkreten Ausgestaltung des Verhältnisses von Staat und religiösen Gemeinschaften fällt eine deutliche Privilegierung der christlichen Großkirchen und auch der jüdischen Religionsgemeinschaft auf. a) Kirchensteuer und sonstige finanzielle Zuwendungen und Entlastungen 36 Die Kirchensteuer ist in Höhe von 8 % oder 9 % der Lohn-, Einkommensteuer (das variiert nach Bundesländern) an die Finanzämter abzuführen, die den Einzug für die Kirchen verwalten. Die vom Staat dafür in Rechnung gestellten Verwaltungskosten (etwa 280 Mio. €) entsprechen nicht dem tatsächlichen Auf34 BVerfG Urteil v. 24. 9. 2003, NJW 2003, 3111 (3113) = BVerfGE 108, 282 (300). 35 „ I m Bewusstsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen, von dem Willen beseelt, als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen, hat sich das Deutsche Volk kraft seiner verfassungsgebenden Gewalt dieses Grundgesetz gegeben." 36 Vgl. die Ubersicht bei Carsten Frerk, Finanzen und Vermögen der Kirchen in Deutschland, Aschaffenburg: Alibri, 2002.
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wand. 3 7 Die beiden großen christlichen Religionsgemeinschaften erhielten - als Körperschaften des öffentlichen Rechts - im Jahr 2004 fast 8 Mrd. € netto aus den Kirchensteuereinnahmen (s. Tabelle 3 im Anhang). Zu beachten ist, dass es eine „Mindestbetrags-Kirchensteuer" gibt, die von denen erhoben wird, deren Lohnsteuer so niedrig ist, dass die 8 % oder 9 % davon nicht den Mindestbetrag erreichen würden. Für sehr hohe zu versteuernde Einkommen gibt es eine Art Kappungsgrenze, damit die Belastung durch die Kirchensteuer nicht zu hoch wird. Ein „Kirchgeld" ist in glaubensverschiedenen Ehen zu zahlen, in denen ein steuerpflichtiger Teil keiner christlichen Glaubensgemeinschaft angehört, der andere Ehepartner aber Mitglied ist, aber kein steuerpflichtiges Einkommen bezieht. Bei Arbeitslosigkeit wurde - vom Bundesverfassungsgericht abgesegnet38 - eine Pauschale für die Kirchen vom kirchensteuerfreien Arbeitslosengeld abgezogen, auch wenn der /die Arbeitslose keiner Konfession zugehört (und als Beschäftigte(r) keine Kirchensteuer bezahlt hat). Das hat sich erst zum 1.1. 2005 geändert. 39 Die Finanzierung der christlichen Großkirchen zeichnet sich durch ein hohes Maß von Intransparenz aus - um es gelinde zu 37 Die Finanzämter erhalten 2 - 4 % des Aufkommens für Verwaltungsaufwand; eine eigene Verwaltung (wie in Bayern) würde etwa 1 5 - 2 0 % kosten. - Für den Verwaltungsaufwand 2002 werden angegeben: 141,9 Mio € (kath.), 137,6 Mio € (evgl.). 3 8 BVerfGE 90,226 v. 23. 3. 1994. 39
Durch eine Änderung von § 133 SGB III. Zur Begründung vgl. BTDrs. 15/1515 v. 5. 9. 2003, S. 86. - Das Bundesverfassungsgericht hatte die alte Regelung gebilligt unter der Voraussetzung, dass zweifelsfrei davon ausgegangen werden könne, dass eine deutliche Mehrheit von Arbeitnehmern einer Kirchensteuer erhebenden Kirche angehört. Das Bundesministerium für Arbeit und Wirtschaft ermittelte daraufhin für das Jahr 1998, dass von den insgesamt 29,4 Mio. lohnsteuerpflichtigen Arbeitnehmern 16,7 Mio. kirchensteuerpflichtig waren (= 56,8%). Es waren aber zum Jahresende 1998 66,1 % der Bevölkerung Mitglied einer evangelischen oder katholischen Kirche (= 9,4 % Differenz). Zum Jahresende 2001 waren 64,4 % der Bevölkerung Mitglied einer Kirche. Legte man die Differenz von 9,4 % weiterhin zugrunde, würden zu diesem Zeitpunkt noch 55 % der Arbeitnehmer einer die Kirchensteuer erhebenden Kirchen angehören. Mittelfristig dürfte die Voraussetzung nicht mehr erfüllt sein, dass eine „deutliche Mehrheit" der Arbeitnehmer einer Kirche angehörte. Deshalb wurde die alte Bestimmung gestrichen.
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sagen. Während die politischen Parteien Rechenschaft über ihre Einnahmen aus Mitgliedsbeiträgen, Spenden und staatlicher Parteifinanzierung ablegen müssen - die politischen Parteien erhalten pro Jahr aus Steuermitteln etwa 130 Mio. € - , ist es mit den Finanzmitteln der Kirche ungemein dunkel. Zur Kirchensteuer kommen nämlich noch weitere staatliche Zahlungen und Vergünstigungen aus dem allgemeinen Steueraufkommen hinzu. Die Befürchtung, dass die sozialen Dienste der Kirchen zusammenbrechen würden, wenn die Kirchensteuer abgeschafft würde, erweist sich dann als unbegründet. Denn nur 10% der Kirchensteuer gehen in soziale Dienste (Kindertagesstätten, Heime, Beratungsstellen etc.) und Bildungsaufgaben der Kirchen. Uberwiegend werden sie aus allgemeinen Steuermitteln und von den Sozialversicherungen aufgebracht. 40 Der größte Anteil der Personal- und Sachkosten für Schulen in konfessioneller Trägerschaft wird aus allgemeinen Steuermitteln aufgebracht. (Aus NRW liegt eine Berechnung vor, dass die Kosten für einen Platz in einer Konfessionsschule über denen in staatlichen Schulen liegen.) Der Staat übernimmt die Bezahlung von kirchlichem Personal (etwa der Bischöfe), von Lehrkräften im Religionsunterricht und für die Lehrerfortbildung. A n Universitäten und Gesamthochschulen übernimmt der Staat die Bezahlung der Theologie-Professoren samt Sachmitteln und trägt damit auch die Ausbildung des Kirchenpersonals und der künftigen Religionslehrer. Der Staat springt mit Geldern für die Restaurierung von Kirchengebäuden ein. Er bezuschusst mit hohen Beträgen die Durchführung der Kirchentage. Der Staat zahlt die Seelsorge bei Militär, Polizei, Feuerwehr; viele Bundesländer finanzieren die Seelsorge für Gefangene und Entlassene. - Schließlich subventioniert der Staat die Kirchen dadurch, dass die Kirchensteuerzahlungen als Sonderausgaben absetzbar sind. Dadurch entgehen dem Staat ca. 3,75 Mrd. € (Angaben für 2004). Dieser Betrag wird als einer der größten Posten im Subventionsbericht der Bundesregierung ausgewiesen, aber anscheinend wurde er nicht zum Gegenstand der 40
Die Kosten für kirchliche Kindertageseinrichtungen tragen die Kirchen (vor allem Caritas und Diakonie) im Bundesdurchschnitt zu 20%; den Rest bringen Kommunen und die Eltern auf (vgl. Frankfurter Rundschau 4. 2. 2005).
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Bemühungen u m Subventionsabbau gemacht (Steinbrück-KochKommission). D i e christlichen Kirchen werden überdies bei der Körperschaft-, Kapitalertrag-, Umsatz-, G r u n d - , Zinsabschlag-, Schenkungs- u n d Erbschaftssteuer sowie bei Behördengebühren bevorzugt. D e r Haushaltsplan Berlins für 2004 / 05 weist die „Leistungen an die Kirchen, Religions- u n d Weltanschauungsgemeinschaften" i n H ö h e v o n insgesamt etwa 75 M i o . € aus (Titel 17 05). D i e Leistungen für die Förderung christlicher Schulen sind nicht darin enthalten. Als Empfänger sind vor allem angeführt die evangelische, die katholische Kirche, die Jüdische Gemeinde u n d der Humanistische Verband. 4 1 D e n weitaus größten Betrag erhält die Jüdische Gemeinde. 4 2 M u s l i m e bilden i n Berlin die drittgrößte Glaubensgemeinschaft. 4 3 Eine islamische Gemeinschaft sucht man vergebens unter den Empfängern. Das liegt vor allem daran, dass der Islam keine Organisation kennt, die einer christlichen Körperschaft des öffentlichen Rechts vergleichbar w ä r e . 4 4 A m 41 Der Humanistische Verband unterrichtet in Berlin seit den 20er Jahren das Fach „Lebenskunde". Derzeit (2005) werden 37.000 Kinder darin unterrichtet; in der Diskussion ist ein Unterrichtsangebot im geplanten Fach LER (Lebensgestaltung, Ethik, Religionskunde). Strittig ist die Anerkennung des Verbandes als Weltanschauungsgemeinschaft (vgl. Tagesspiegel v. 15. 1.2005). 42
Zum Status der jüdischen Gemeinden vgl. Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Zentralrat der Juden in Deutschland Körperschaft des öffentlichen Rechts v. 27. Januar 2003 (Gesetz zum Vertrag v. 10. August 2003, BGBl. I, 1507); vgl. dazu Hermann Weber; Staatsleistungen an jüdische Religionsgemeinschaften, in Festschrift für Peter Selmer, Berlin 2004, S. 259-283. Der Staat stellt Gelder nicht nur für den Zentralrat zu Verfügung; es sollen auch andere jüdische Religionsgemeinschaften bedacht werden (orthodoxe, konservative, reformierte / liberale), was zu Verteilungskonflikten führt. « 203.000 Mitglieder; Katholiken: 350.000. 44 Von den 3,5 (3,3 ??) Millionen Muslimen (davon 2,5 Millionen Türken) in Deutschland sind nur 326.000 in Verbänden organisiert. Die wichtigsten Organisationen sind: Türkisch-islamische Union der Anstalt für Religion (Ditib), steht dem türkischen Amt für religiöse Angelegenheiten (Diyanet) in Ankara nahe, mit derzeit 870 Vereinen, vertritt nach eigenen Angaben 72 % der Muslime in Deutschland, 220.000 Mitglieder; größter islamischer Dachverband in Deutschland ist der Islamrat für Deutschland mit mehr als 140.000 Mitgliedern, mit 32 Organisationen und Gruppen, 3 Mahlmann / Rottleuthner
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23. 2. 2005 verwies das B V e r w G 4 5 eine Klage des Islamrats u n d des Zentralrats der M u s l i m e i n Deutschland auf Einführung eines Islam-Unterrichts
an den öffentlichen
Schulen i n N R W ,
bei
dem sie ein Mitspracherecht bei der A u s w a h l der Lehrkräfte beanspruchen, zurück an das O V G Münster. Das B V e r w G erkannte an, dass muslimische Dachverbände als Religionsgemeinschaften anerkannt werden können. Es sei aber zu klären, ob die Dachverbände nicht durch nicht-religiöse Mitgliedsverbände geprägt seien. b) D i e strafrechtliche Absicherung des Religionsfriedens Das deutsche Strafrecht kannte i n § 166 StGB lange Zeit eine Bestimmung gegen „Gotteslästerung": „Wer dadurch, dass er öffentlich in beschimpfenden Äußerungen Gott lästert, ein Ärgernis gibt, oder wer öffentlich eine der christlichen Kirchen oder eine andere mit Korporationsrechten innerhalb des Bundesgebietes bestehende Religionsgesellschaft oder ihre Einrichtungen oder Gebräuche beschimpft, ingleichen wer in einer Kirche oder in einem anderen zu religiösen Versammlungen bestimmten Orte beschimpfenden Unfug verübt, wird mit Gefängnis bis zu drei Jahren bestraft."
größte Gruppe: Milli Görü§ (Nationale Sicht - laut einem Leserbrief des stellvertretenden Generalsekretär Yeneroglu an die FAZ v. 19. 2. 2005: Sicht der abrahamitischen Ökumene) mit 57.000 Mitgliedern und 323 Moscheen; Zentralrat der Muslime in Deutschland (Vorsitzender ist seit Februar 2006 Ayyub Axel Köhler, geb. 1938 in Stettin, der 1963 zum Islam übertrat), vertritt 19 islamische Verbände mit Muslimen überwiegend arabischer Herkunft mit 12.500 Mitgliedern (nach eigenen Angaben: 20.000); Verband islamischer Kulturzentren und zahlreiche lokale Islamische Zentren. (Vgl. dazu die Interview-Serie der FAZ: www.faz.net/ muslime und FAZ v. 15. 7. 2005) In Niedersachen schlossen sich kleinere islamische Gruppen zu einer Schura zusammen (Tagesspiegel v. 24. 2. 2005) - In Osterreich ist seit 1979 die Islamische Glaubensgemeinschaft in Osterreich (IGO) als Körperschaft des öffentlichen Rechts anerkannt. Bereits 1912 - vier Jahre nach der Annexion Bosnien-Hercegovinas - war der Islam, genauer die sunnitische Richtung, als Religionsgemeinschaft anerkannt worden (vgl. R.Ott, Der österreichische Weg, FAZ v. 14. 12. 2004). 45 BVerwG, NJW 2005, 2101.
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Seit 1969 lautet § 166 StGB: „Wer öffentlich oder durch Verbreiten von Schriften (§11 Abs. 3) den Inhalt des religiösen oder weltanschaulichen Bekenntnisses anderer in einer Weise beschimpft, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft."
Diese Bestimmung ist bislang wegen der Unbestimmtheit der „Störung des öffentlichen Friedens" sehr selten angewendet worden und wenn, dann zum Schutz allein des christlichen Bekenntnisses. Einer der zuletzt bekannt gewordenen Fälle betraf die Verbreitung des Bildes eines gekreuzigten Schweins im Internet. 46 Man stelle sich die Fortsetzung der einen dänischen MohammedKarikatur vor, in der es heißt „Stop Stop we ran out virgins" mit dem Satz „Go next door and ask for Maria." Welch ein Aufschrei von christlicher Seite ... Die hatte dann jüngst Gelegenheit, sich gegen die Ausstrahlung von „Popetown" zu empören. Im Jahr 2000 brachte die C D U / CSU mit Unterstützung der beiden großen Kirchen den Entwurf eines Strafrechtsänderungsgesetzes zum besseren Schutz religiöser und weltanschaulicher Uberzeugungen in den Bundestag ein, in dem allein schon die Beschimpfung des Bekenntnisses unter Strafe gestellt werden sollte. 47 „Wer öffentlich oder durch Verbreiten von Schriften (§11 Abs. 3) den Inhalt des religiösen oder weltanschaulichen Bekenntnisses anderer beschimpft, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft."
Man darf gespannt sein, ob die C D U / CSU in dieser Legislaturperiode nach den jüngsten Vorkommnissen, in denen auch religiöse Bekenntnisse von Nichtchristen beschimpft wurden, einen erneuten Versuch unternehmen wird. 4 8 Die Bundesrepublik steht 46 O L G Nürnberg, Beschluß v. 23. 6. 1998 (NStZ-RR 199, S. 238-241). 47 BT-Drs. 14/4558 (Stärkung des Toleranzgebotes durch einen besseren Schutz religiöser und weltanschaulicher Uberzeugungen gemäß § 166 StGB). 48 Die bayerische Regierung hat eine Initiative für einen besseren Schutz religiöser Gefühle eingeleitet. Im Juni 2006 fand in der Staatskanzlei ein gemeinsames Treffen mit Vertretern aus Christentum, Judentum und Islam statt (FAZ vom 7. 6. 2006).
3*
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mit solchen Schutzgesetzen nicht allein da. Aus Italien und Griechenland sind im letzten Jahr Fälle bekannt geworden, in denen christliche Symbole in der Werbung oder in Comics missbraucht wurden. Ein Muslim wurde in Italien wegen der Zerstörung eines Kruzifixes zu acht Monaten Gefängnis verurteilt (und das nicht nur wegen Sachbeschädigung).
c) Staatliches Bildungswesen: das Kopftuch Die größte Aufmerksamkeit hat in letzter Zeit sicherlich der Streit um das Kopftuch von Lehrerinnen im staatlichen Schuldienst erregt. Nach dem Kopftuch-Urteil des Bundesverfassungsgerichts 49 haben mittlerweile acht der sechzehn Bundesländer ein gesetzliches Kopftuchverbot für Schulen erlassen (Stand Juni 2006). In einigen Ländern - z. B. Baden-Württemberg und Hessen - wird dabei die staatliche Neutralität in politischen, weltanschaulichen und religiösen Fragen verbunden mit einer Betonung der christlich und humanistisch geprägten Tradition des Abendlandes. Daraus wird ein generelles Verbot des islamischen Kopftuches hergeleitet, aber zugleich die Duldung christlicher Symbole im Unterricht. Das Gebot der strikten Gleichbehandlung wird dabei unterlaufen durch feine Unterscheidungen. Das Ordenshabit einer an einer staatlichen Schule unterrichtenden Nonne wird als eine Art Berufskleidung deklariert. Vertreter der katholischen Kirche betonen den Unterschied zwischen Kopftuch und Ordenshabit: dieses sei nicht nur Ausdruck religiöser Uberzeugung, sondern dokumentiere auch die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Orden (dann wäre es also doch ein religiöses Symbol). Jede Muslimin dürfe ein Kopftuch tragen, aber nicht jede Katholikin eine Ordenstracht. 50 Die damalige Baden-Württembergische Kultusministerin Schawan legte in einem Interview noch ein Argument nach: das Kopftuch sei gar kein religiöses Symbol, sondern ein politisches. 51 49 Urteil des BVerfG v. 24. 9. 2003, NJW 2003, 3111. so Vgl. Tagesspiegel v. 12. 10. 04. 51 Frankfurter Rundschau v. 18. 10. 04. Zum geänderten Schulgesetz Baden-Württembergs (§ 38) vgl. auch das Urteil des BVerwG v. 24. Juni 2004 (2 C 45.03).
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Damit meinte sie wohl, dem Vorwurf der Ungleichbehandlung religiöser Symbole zu entgehen.
d) Arbeitsrechtlicher Sonderstatus Art. 137 I I I WRV - für die BRD übernommen durch Art. 140 GG - garantiert, daß die Kirchen ihre Angelegenheiten selbstständig verwalten können. Das kann zu einer Einschränkung der freien Meinungsäußerung und des Kündigungsschutzes der in ihren Einrichtung Beschäftigten führen. Das Betriebsverfassungsgesetz findet keine Anwendung auf die Einrichtungen der Religionsgemeinschaften (§ 118 I I BetrVerfG). Der Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung europäischer Richtlinien zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung der Bundesregierung sieht in § 20 eine zulässige unterschiedliche Behandlung vor: „(1) Eine Verletzung des Benachteiligungsverbots ist nicht gegeben, wenn für eine unterschiedliche Behandlung wegen der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters, der sexuellen Identität oder des Geschlechts ein sachlicher Grund vorliegt. Das kann insbesondere der Fall sein, wenn die unterschiedliche Behandlung [ . . . ] 4. an die Religion oder Weltanschauung eines Menschen anknüpft und im Hinblick auf die Ausübung der Religions- oder Weltanschauungsfreiheit oder auf das Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften, der ihnen zugeordneten Einrichtungen ohne Rücksicht auf ihre Rechtsform sowie der Vereinigungen, die sich die gemeinschaftliche Pflege einer Religion oder Weltanschauung zur Aufgabe machen, unter Beachtung des jeweiligen Selbstverständnisses gerechtfertigt ist."
e) Medienpräsenz Vertreter der Kirchen sitzen in den Rundfunkräten. Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten gewähren den christlichen und jüdischen Gemeinschaften kostenlose Sendezeiten. Kirchliche Mitglieder entscheiden mit in der Prüfungsstelle für jugendgefährdende Medien.
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f) Sonn- und Feiertage Das dritte Gebot - die Heiligung des Feiertags - ist auch grundgesetzlich gestützt. Art. 140 G G / A r t . 139 WRV lautet: „Der Sonntag und die staatlich anerkannten Feiertage bleiben als Tage der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung gesetzlich geschützt." Die meisten Feiertage in Deutschland sind christliche. Allerdings wurde - außer in Sachsen - der Büß- und Bettag dem ganz säkularen Finanzierungsmodell der Pflegeversicherung geopfert. Aus der säkularen Konsumkultur, die nicht gerade auf „seelische Erhebung" setzt, droht dem ohnedies schon aufgeweichten Arbeitsverbot an Sonn- und Feiertagen Ungemach, wenn das Ladenschlussgesetz noch weiter liberalisiert, wenn nicht ganz abgeschafft wird. 5 2
g) Sonstiges Die Friedhofsordnungen folgen immer noch weitgehend den christlichen Bestattungs-Riten. Davon abweichende Wünsche (z. B. Freiwald-Bewegung) stoßen auf erheblichen staatlich-kirchlichen Widerstand. Wie wird man mit dem Verlangen von Muslimen umgehen, Bestattungen ohne Sarg vornehmen zu dürfen?
IV. International In einer letzten Dimension lässt sich die BRD im internationalen Kontext positionieren in ihrer Politik im Bereich religiösweltanschaulicher Fragen. Betreibt sie eine Politik, die sich mehr auf die Traditionen der europäischen Aufklärung bezieht oder betont sie die Traditionen des christlichen Abendlandes? Zwei Themenbereiche können als Testfall betrachtet werden: der Streit um die Präambel im Vertrag über die europäische Verfassung (den man noch nicht ad acta legen sollte) und der Streit um den Beitritt der Türkei zur EU. 52
Das Bundesverfassungsgericht versucht noch den Damm zu halten: s. BVerfGE 111,10 v. 9. 6. 2004.
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1. Präambel im Vertrag über die die europäische Verfassung In der Präambel im Vertrag über die europäische Verfassung heißt es u. a.: „SCHOPFEND aus dem kulturellen, religiösen und humanistischen Erbe Europas, aus dem sich die unverletzlichen und unveräußerlichen Rechte des Menschen sowie Freiheit, Demokratie, Gleichheit und Rechtsstaatlichkeit als universelle Werte entwickelt haben,...".
Es wird nicht vom christlichen Erbe Europas gesprochen und auch nicht vom Erbe der Aufklärung (sondern nur vom religiösen und humanistischen Erbe). Italien, Litauen, Malta, Polen, Portugal, Slowakei, Tschechien forderten die Aufnahme eines Verweises auf die christlichen Wurzeln Europas in der Präambel der EU-Verfassung. 53 Die BRD schloss sich dem nicht an.
2. Einstellung gegenüber der Aufnahme der Türkei in die EU Bei der Diskussion um eine mögliche Aufnahme der Türkei in die E U sollten wir darauf achten, mit welcher Art von Argumenten dabei operiert wird: ökonomisch, demographisch, geographisch-geopolitisch (d. h. vor allem sicherheitspolitisch), energiepolitisch 54 , mit der Situation der Menschenrechte oder mit einer drohenden Islamisierung des christlichen Europa. In der deutschen Außenpolitik herrscht bislang das Kriterium der Erfüllung von Mindest-Standards der Menschenrechte anscheinend vor. Von Seiten der C D U / CSU werden durchaus religiös-kulturelle Aspekte betont. Ich komme also zu dem Ergebnis, dass der Grad der Säkularisierung in der Bundesrepublik je nach den betrachteten vier Dimensionen unterschiedlich groß ist. Im persönlich-privaten Bereich existiert anscheinend eine Fülle säkularer, spiritueller und religi53
Tagesspiegel v. 22. 5. 04. 70% des zusätzlichen Erdgasbedarfs der E U aus Russland, Iran, Aserbaidschan und Turkmenistan werden über die Türkei befördert werden (FAZv. 14. 12. 04). 54
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Hubert Rottleuthner
öser Lebensstile. Die Gesellschaft ist pluralistisch genug, um die Dominanz bestimmter Glaubensgemeinschaften im öffentlichen Raum zu verflüssigen. Auf der staatlichen Ebene aber ist eine klare Privilegierung der christlichen und jüdischen Glaubensgemeinschaften zu erkennen. In der internationalen Politik hängt eine mehr oder weniger starke säkulare Orientierung in den genannten Fragen von der jeweiligen parteipolitischen Zusammensetzung der Regierung ab.
V. Schlussfolgerungen hinsichtlich der Frage der religiösen Toleranz Die Bedingungen für religiöse Toleranz unterscheiden sich entsprechend auf den verschiedenen Ebenen: - Im privatisierten Bereich scheint der Grundsatz zu gelten „anything goes". Es ist allerdings die Frage, ob die Grundstimmung des Miteinanderauskommens eher von Gleichgültigkeit als von Toleranz getönt ist. - Im gesellschaftlichen Bereich sind die Zeiten religiöser oder politischer Bürgerkriege vorbei. Ein sozialer Zusammenhalt scheint möglich zu sein bei einer Pluralität (und nicht einer Homogenität ä la Böckenförde) von Gruppierungen, wenn Grundformen eines zivilen Umgangs miteinander gewahrt bleiben. Ein solch ziviler Umgang ist bedroht, wenn die Inklusions-Mechanismen des Sozialstaats nicht mehr greifen oder ein partikularer Gruppenzusammenhalt durch gewaltsame Aktionen gegen andere stabilisiert wird, wie im Fall von Fremdenhass, der noch nicht vermischt zu sein scheint mit einem Hass gegen fremde Religionen. - A m problematischsten sieht es mit der religiösen Toleranz im staatlichen Bereich aus, solange der Staat keine gleiche Distanz zu den verschiedenen Religionsgemeinschaften wahrt, sondern die christlichen und jüdischen klar bevorzugt - in finanziellen wie symbolischen Angelegenheiten. - Im internationalen Bereich wird zwar häufig und gerne von einem clasb of civilizations (S.P. Huntington) gesprochen; bei einer Spezifizierung von Problemen und einer regionalen Ein-
41
Wie säkular ist die Bundesrepublik?
grenzung - wie ich es mit den zwei Beispielen versucht habe geht aber viel von der Dramatik des Schlagwortes verloren. Das Beispiel der Mohammed-Karikaturen zeigt überdies, dass ein Zusammenprall innerhalb der europäischen Kultur selbst erfolgt: zwischen der Freiheit der Medien und der Sicherung des Respekts in Glaubensfragen. Wo sollen die Grenzen der Presse-, Meinungs- und Kunstfreiheit in religiösen Dingen verlaufen? Sollen die verschiedenen Formen der Außerungsfreiheit eine eventuell sogar strafrechtlich markierte Grenze finden im Respekt vor dem religiösen und weltanschaulichen Bekenntnis anderer? Wie unantastbar ist uns das, was andere für heilig halten?
Anhang Tabelle 1 Mitglieder der christlichen Kirchen (in 1.000) Bevölkerung (100 %)
Kirchenmitglieder Röm.-kathol. Kirche
%
Evgl. Landeskirchen
%
1970
61.001
27.195
44,6
28.480
49,0
1989
62.679
26.746
42,7
25.132
40,1
1990
79.753
28.252
35,4
29.442
36,9
1991
80.275
28.198
35,1
29.202
36,4
2002
82.537
26.466
32,1
26.211
31,8
2003
82.531
26.165
31,7
25.836
31,3
2004
82.500
25.986
31,5
25.629
31,1
Quelle: StBA, Informations- und Dokumentationsstelle der EKD, Deutsche Bischofskonferenz, Internationaler Bund der Konfessionslosen und Atheisten (IBKA).
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Hubert Rottleuthner Tabelle 2 Mitglieder anderer Religionsgemeinschaften (in Tsd.) (2003/04) 3.300
Muslime Evgl. Freikirchen u. Sondergemeinschaften
950
Orthodoxe und orientalische Kirchen
895
Neuapostolische Kirche
378
Zeugen Jehovas
166
Buddhisten
235
Juden
105 97
Hindus
Quelle: REMID nach Frankfurter Rundschau 19. 8. 2005. Tabelle 3 Kirchensteueraufkommen (8 - 9 % der Lohn-, Einkommensteuer - Brutto in Mrd. €) Jahr
insgesamt
kathol. Kirche
evangel. Kirche
1989
7,100
3,632
3,468
1991
7,918
4,022
3,896
1992
8,779
4,471
4,309
1993
8,718
4,431
4,287 4,210
1994
8,559
4,349
1995
8,720
4,434
4,286
1996
8,362
4,300
4,062
1997
8,029
4,150
3,879
1998
8,295
4,308
3,987
1999
8,805
4,574
4,231
2000
8,936
4,686
4,250
2001
8,580
4,500
4,080
2002
8,514
4,444
4,070
2003
8,512
4,500
4,012
2004
7,848
4,159
3,689
2005
7,757
4,107
3,650
Quelle: StBA, EKD, DBK.
Glaubensfreiheit und Toleranz im Konfessionellen Zeitalter 1 Von Reimer Hansen
Friedrich
Ebel (1944-2005) in memoriam
Das Konfessionelle Zeitalter der europäischen Geschichte umfasst im vorherrschenden historischen Verständnis die traditionellen Epochen der Reformation und der Gegenreformation, der katholischen Reform, der Konfessionalisierung und der Glau1 Die folgenden Ausführungen geben den durchgesehenen Text meiner Vorlesung am 1.11. 2004 wieder. Angesichts der kaum noch überschaubaren Literatur sind die Anmerkungen auf Belege und wichtige weiterführende Hinweise beschränkt worden. Ich widme den Beitrag dem Andenken meines am 11. 12. 2005 verstorbenen Kollegen Friedrich Ebel, der im Rahmen der Universitätsvorlesung die Aufgabe des Kommentators meiner Ausführungen übernommen hatte. Die Ausführungen selbst folgen zum Teil meinen früheren Veröffentlichungen: Der gegenwärtige Luther, in: „Gott kumm mir zu hilf". Martin Luther in der Zeitenwende. Berliner Forschungen und Beiträge zur Reformationsgeschichte, hg. v. Hans-Dietrich Loock (= Jahrbuch für Berlin-Brandenburgische Kirchengeschichte. Sonderband), Berlin 1984, S. 201-218; Die Geburt der modernen Glaubensfreiheit aus dem Geist der Reformation, in: Geschichte als Aufgabe. Festschrift für Otto Büsch zu seinem 60. Geburtstag, hg. v. Wilhelm Treue, Berlin 1988, S. 3 - 2 8 ; König Heinrich IV. von Frankreich 1610. Der Fürstenmord im Konfessionellen Zeitalter, in: Alexander Demandt (Hg.), Das Attentat in der Geschichte, Köln/Weimar /Wien 1996, S. 123-141; Melanchthon und die Friedensfrage in der Reformationszeit, in: Kurt Victor Selge/Reimer Hansen / Christoph Gestrich, Philipp Melanchthon 14971997. Drei Reden, vorgetragen am Melanchthon-Dies der Theologischen Fakultät in der Humboldt-Universität zu Berlin 23. 4. 1997 (= HumboldtUniversität zu Berlin. Öffentliche Vorlesungen 87), Berlin 1997, S. 21-39; Heinrich Rantzau, in: Melanchthon und Europa, 1. Teilbd.: Skandinavien und Mittelosteuropa, hg. v. Günter Frank / Martin Treu (= MelanchthonSchriften der Stadt Bretten 6/1), Stuttgart 2001, S. 39-62.
44
Reimer Hansen
benskriege. Es erstreckt sich vom letzten Viertel des zweiten Jahrzehnts des 16. bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts und ist erfüllt von leidenschaftlich, nicht selten geradezu fanatisch geführten Konflikten der konfessionell zerstrittenen okzidentalen Christenheit. 2 Prägendes Kennzeichen dieser ersten großen Epoche der Neueren Geschichte Europas ist der Glaube, und wer sie recht verstehen und begreifen will, tut gut daran, diesen säkularen Grundzug auch bei der Betrachtung und Beurteilung von Einzelheiten und scheinbar belanglosen Nebensächlichkeiten nie aus dem Blick zu verlieren, vor allem aber: ihn objektiv ernst zu nehmen. Anders als das jederzeit im Wege empirischer und logischer Ermittlungen korrigierbare Wissen gründet der Glaube auf absoluter, letzter und tiefster Gewissheit. „Glaube", schreibt der protestantische Theologe Paul Tillich, „ist das Ergriffensein von etwas, das uns unbedingt angeht." Er fordere „die vollkommene Hingabe" und verheiße „vollkommene Erfüllung, selbst wenn alle anderen Ansprüche ihm unterworfen oder um seinetwillen aufgegeben werden müssten".3 Dabei sei „der jeweilige Inhalt des Glaubens zwar für den Gläubigen und sein Leben von unendlicher Bedeutung, ... für die formale Definition dessen, was 2 Der Epochenbegriff Konfessionelles Zeitalter geht auf Ernst Troeltsch zurück, der ihn bereits vor einem Jahrhundert in seinem Vortrag über „Die Bedeutung des Protestantismus für die moderne Welt" auf dem 9. deutschen Historikertag in Stuttgart eingeführt hat: Historische Zeitschrift 97 (1906), S. 29. Er hat sich freilich bislang weder in seiner übergreifenden, inhaltlichen Bedeutung noch in seiner zeitlichen Reichweite allgemein durchsetzen können. Hierzu insbes. u. a.: Harm Klueting, Das Konfessionelle Zeitalter 1525-1648, Stuttgart 1989, S. 13-30; Heinz Schilling y Confessional Europe, in: Handbook of European History 14001600. Late Middle Ages, Renaissance and Reformation 2: Visions, Programs and Outcomes. Ed. by Thomas A. Brady Jr./Heiko A. Oberman/ James D. Tracy, Leiden/New Y o r k / K ö l n 1995, insbes. S. 641-645; Stefan Ehrenpreis / Ute Lotz-Heumann, Reformation und konfessionelles Zeitalter (= Kontroversen um die Geschichte), Darmstadt 2002, insbes. S. 71-79; Maximilian Lanzinner; Konfessionelles Zeitalter 1555-1618, in: Gebhardt, Handbuch der deutschen Geschichte, Bd. 10, 10. Aufl., Stuttgart 2001; Olaf Mörke, Die Reformation. Voraussetzungen und Durchsetzung (= Enzyklopädie deutscher Geschichte 74), München 2005, S. 79 f. 3
Paul Tillich, Wesen und Wandel des Glaubens (= Weltperspektiven 8, Ullstein Buch 318), Berlin 1969, S. 9.
Glaubensfreiheit und Toleranz im Konfessionellen Zeitalter
45
Glaube ist", sei er indes nicht bestimmend.4 Tillich definiert den Glauben mithin triftig als „Akt, in dem wir das Unbedingte, Unendliche und Letzte ergreifen und von ihm ergriffen werden". 5 Wird dieses personale Verständnis des Glaubens verabsolutiert und im Namen einer Religion oder Konfession als konkreter und allgemeingültiger Anspruch erhoben, sind nicht nur Andersgläubige und alle anderen betroffenen Glaubensgemeinschaften, sondern auch die politische Öffentlichkeit elementar und existentiell herausgefordert. Unversöhnlicher Glaubenskonflikt, aber auch die Forderung nach Glaubensfreiheit und Toleranz sind alsdann unmittelbare Folgen. Der blinde Hass auf die andersgläubige Bekenntnisgemeinschaft hat im Konfessionellen Zeitalter einen religiösen Fanatismus hervorgebracht, der keinerlei christliche Rücksichten mehr nahm, auch vor Mord und Totschlag nicht zurückschreckte und selbst vor der sakrosankten weltlichen Obrigkeit nicht Halt machte, ja den Fürstenmord ausdrücklich und gezielt miteinbezog. Unauslöschlich hat sich dem Gedächtnis der europäischen Christenheit l'Assassinat d'Henri IV, die Ermordung König Heinrichs IV. von Frankreich, im Jahre 1610 durch den religiösen Fanatiker François Ravaillac eingeprägt. Sie war der letzte und erfolgreiche Anschlag auf sein Leben in einer Reihe geplanter, versuchter und ausgeführter Attentate, und sie war darüber hinaus ein geradezu exemplarischer Fall des Fürstenmords im Konfessionellen Zeitalter. Wie er waren auch sein direkter Vorgänger auf dem französischen Königsthron, Heinrich III., und der führende Kopf der aufständischen Niederlande, Prinz Wilhelm von Oranien, von religiösen Fanatikern ermordet worden. Königin Elizabeth I. von England ist zu wiederholten Malen von konfessionell motivierten Attentatsversuchen bedroht gewesen. Und ihr Nachfolger, Jakob I., hat gar durch das - noch rechtzeitig aufgedeckte Gunpowder Plot während der feierlichen Eröffnung der dritten Sitzung des ersten Parlaments unter seiner Regierung im Jahre 1605 aus unversöhnlichem Glaubenshass mitsamt den Lords und Commons in die Luft gesprengt werden sollen. 4 Ebd., S. 12. 5 Ebd., S. 17.
46
Reimer Hansen
Zu den zentralen Ereignissen der Biographie Heinrichs IV. gehört in diesem Kontext namentlich auch die Bartholomäusnacht 1572, in der er und sein bourbonischer Vetter, der Prinz von Condé, nur knapp dem Meuchelmord entgehen konnten, dem die übrige Führung der Hugenotten um den Admirai des Königreichs, Gaspard de Coligny, zum Opfer fiel, ebenso sehr aber auch die von Heinrich III. befohlene Ermordung der Häupter der katholischen Liga, Henri und Louis de Guise, zu Blois im Jahre 1588. Hinter der Ermordung Wilhelms von Oranien steckte der führende politische Kopf der europäischen Gegenreformation, König Philipp II. von Spanien. Nach mehreren fehlgeschlagenen Attentats versuchen gelang 1584 schließlich der ferngesteuerte Fürstenmord durch den religiösen Fanatiker Balthazar Gérard. Philipps II. Mordpläne galten insbesondere auch Königin Elizabeth und - im Zusammenwirken mit der Liga - der Führung der Hugenotten. A n der blutigen Bartholomäusnacht hatte er sehr wahrscheinlich maßgeblichen Anteil. Auch geriet er bezeichnenderweise sofort in den Verdacht, bei den misslungenen Anschlägen auf das Leben Heinrichs IV. und beim rätselhaften Tod seines Vetters Condé die Hand im Spiel gehabt zu haben. Derlei Verdächtigungen sind weder von der Hand zu weisen, noch sind sie widerlegt worden. Sie blühten seinerzeit geradezu in der öffentlichen Meinung Europas und führen überdeutlich vor Augen, was man dem spanischen König zutraute. Er wurde schließlich - wenn auch unzutreffenderweise - der Ermordung des eigenen Sohnes, des Infanten Don Carlos, seiner Gemahlin Elisabeth von Valois und seines Vetters, des Römischen Kaisers Maximilian II., bezichtigt. Die leitende Fragestellung der Universitätsvorlesung ist gegenwartsbezogen, das Thema meines Beitrags führt weit in die Frühe Neuzeit und ihre fließende Abgrenzung zum Spätmittelalter zurück, ist aber bereits von den zentralen Begriffen des Kampfs der Religionen, wie übrigens die Konfessionen des christlichen Glaubens in der zeitgenössischen Diktion des 16. und 17. Jahrhunderts bevorzugt genannt wurden, und der Forderung nach religiöser Toleranz bestimmt. Es kann daher über die Distanz der Jahrhunderte und die Differenz der historischen Lebenszusammenhänge hinaus bei vergleichender Betrachtung auch für unsere Gegenwart
Glaubensfreiheit und Toleranz im Konfessionellen Zeitalter
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interessant und aktuell, vielleicht sogar lehrreich sein. Meine Aufgabe wird die Behandlung und Erörterung des gestellten fachhistorischen Themas sein, wobei nicht Glaubenskonflikt und -krieg, sondern Glaubensfreiheit und Toleranz den thematisch vorgegebenen Schwerpunkt bilden sollen. Sie sind gleichsam die beiden Seiten ein und derselben Medaille, denn Glaubensfreiheit bedarf der Toleranz, der öffentlichen Akzeptanz und Duldung nicht offizieller oder minoritärer religiöser Überzeugung. 6 Dabei wird weit mehr von konfessioneller Glaubens- und Gewissensfreiheit die Rede sein als von Toleranz, die sich öffentlich - wenn überhaupt - erst ansatzweise mit dem wachsenden Ruf nach Frieden im konfessionellen Streit und Glaubenskrieg und gedanklich in den Köpfen besorgter irenischer Zeitgenossen ausbilden konnte. Es ist im zeitlich bemessenen Rahmen einer Vorlesung schwerlich möglich, das weitgespannte epochale Thema - und sei es auch nur exemplarisch - in ereignis- und verlaufsgeschichtlicher Darstellung abzuhandeln. Daher wird das Hauptaugenmerk nicht dem konkreten Zeitgeschehen und seinen diversen Abläufen auf den einschlägigen mittel-, nord-, west- und osteuropäischen Schauplätzen, sondern den zentralen historischen Abstrakta der Toleranz und der Glaubensfreiheit, genauer: der Glaubens- und Gewissensfreiheit, gelten und im wesentlichen ihren ideen-, mentalitäts- und begriffsgeschichtlichen Ausprägungen als Forderung und Zielsetzung, als Begründungs- und Legitimationszusammenhang, als Argumentationsmuster oder als Denk-, Handlungs- und Verhaltensform gewidmet sein. 6 Wie eng dieser Zusammenhang in der Tat war, möge der Titel des Standardwerks von Joseph Lecler SJ bezeugen. In der französischen Originalausgabe lautet er: Histoire de la Tolérance au Siècle de la Réforme, Paris 1955, in der deutschen Übersetzung dagegen: Geschichte der Religionsfreiheit im Zeitalter der Reformation, Stuttgart 1965. Hierzu: Henry Kamen, The Rise of Toleration (= World University Library), London 1967; Heinrich Lutz (Hg.), Zur Geschichte der Toleranz und Religionsfreiheit (= Wege der Forschung 246), Darmstadt 1977. Den neuesten Stand spiegelt: Horst Lademacher/ Renate Loos/Simon Groenveld (Hg.), Ablehnung - Duldung - Anerkennung. Toleranz in den Niederlanden und in Deutschland. Ein historischer und aktueller Vergleich (= Studien zur Geschichte und Kultur Nordwesteuropas 9), Münster / New York / München / Berlin 2004, S. 56 -253.
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Reimer Hansen
Der Toleranzgedanke wurde vor allem von humanistisch geprägten Persönlichkeiten vertreten, die ihre Stimme als Einzelgänger erhoben und in keiner Konfession nennenswerten oder gar bestimmenden Einfluss erreichen konnten. Die sogenannten Toleranzedikte in der Zeit der konfessionellen Bürger- oder so genannten Hugenottenkriege vermochten alles andere als wirksame Akzeptanz oder Duldung der reformierten Konfession zu bewirken. Und selbst das Edikt des Großen Kurfürsten von Potsdam aus dem Jahre 1685, das ein Menschenalter nach dem Konfessionellen Zeitalter erging und gern als Toleranzedikt gewürdigt wird, kann diesem Anspruch noch nicht wirklich gerecht werden, denn es galt ausschließlich Unsern Evangelisch-Reformirten Glaubens-Genossen Frantzösischer Nation. 7 Punkt 13 schloss jegliches Missverständnis einer weitergehenden Anwendung auch auf Angehörige der Römisch Gatholischen Religion ausdrücklich aus. Sie hätten sich der Rechte, Privilegien und anderer Wohlthaten des Edikts in keinerley weyse anzumassen. 8 Von allgemeiner religiöser Toleranz oder konfessioneller Gleichberechtigung konnte mithin noch keine Rede sein, geschweige denn von moderner Glaubensfreiheit. Im folgenden werden - dem Gegenstand entsprechend - vor allem Zeugnisse von repräsentativer Bedeutung zu erörtern, zu interpretieren, einzuordnen und zu erklären sein, die auf Grund ihrer historischen Bedeutung und Wirkung für den Anspruch und schließlich das Recht auf Glaubensfreiheit von normativer Kraft gewesen und bis in unsere unmittelbare Gegenwart geblieben sind. Die neuzeitliche Glaubensfreiheit und die sie komplementierende Toleranz gelten gemeinhin als eine historische Errungenschaft der Aufklärung und der großen liberaldemokratischen Revolutionen, die diesseits und jenseits des Atlantik die Schwelle zwischen Ancien Régime und Moderne, zwischen traditional und rational geprägter Zivilisation markieren. Von dorther kann in der Tat ein direkter Weg zu den Grundrechten demokratischer Staatsverfassungen unserer Gegenwart rekonstruiert werden, die in aller 7
Ferdinand Sander ; Die Hugenotten und das Edikt von Nantes. Mit urkundlichen Beigaben. Zum Gedächtnis an das Potsdamer Edikt des großen Kurfürsten am 29. September/8. November 1685, Breslau 1885, S. 293. 8 Ebd., S. 294 f.
Glaubensfreiheit und Toleranz im Konfessionellen Zeitalter
49
Regel unter den persönlichen Freiheitsrechten ausdrücklich auch - um Artikel 4 (1) des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland zu zitieren - die Unverletzlichkeit der Freiheit des Glaubens , des Gewissens und ... des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses garantieren. Gegen diese historische Begründung und Einordnung der modernen Grundrechte, insonderheit der Glaubensfreiheit, hat vor nunmehr elf Jahrzehnten der Jurist Georg Jellinek in einer nach wie vor äußerst lesenswerten Studie über „Die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte" geltend gemacht, dass die Idee eines angeborenen, unveräußerlichen Rechts des Individuums auf Glaubens- und Gewissensfreiheit nicht erst dem rationalen, sondern bereits dem konfessionellen Zeitalter entstamme, dass sie „nicht politischen, sondern religiösen Ursprungs" 9 sei. Mit der in den schweren Glaubenskämpfen der Frühen Neuzeit gewonnenen grundlegenden „Uberzeugung, dass es ein vom Staate unabhängiges Recht des Gewissens gebe", habe man den „Punkt gefunden, von dem aus sich die unveräußerlichen Rechte des Individuums spezialisieren" 10 und zu den Menschen- und Bürgerrechten entwickeln konnten, wie sie dann in der Amerikanischen und Französischen Revolution feierlich erklärt und schließlich als Grundrechte in den modernen demokratischen Staatsverfassungen verankert worden sind. Was man bisher für „ein Werk der Revolution" gehalten habe, sei daher „in Wahrheit eine Frucht der Reformation und ihrer Kämpfe". 11 Als ihm der französische Politologie Emile Boutmy widersprach und anstelle der Ideen Luthers wiederum das aufgeklärte 18. Jahrhundert als historischen Ausgangspunkt der modernen Grund- und Freiheitsrechte bezeichnete, präzisierte Jellinek seine Deutung, indem er den Ursprung der Erklärung der Menschenrechte nicht auf Luther, sondern - über den englisch-amerikani9
Georg Jellinek , Die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte (1895), Wiedergabe der 4. Aufl. von 1927, in: Roman Schnur (Hg.), Zur Geschichte der Erklärung der Menschenrechte (= Wege der Forschung 11), Darmstadt 1964, S. 53. 10 Ebd., S. 61. 11 Ebd., S. 53 f. 4 Mahlmann /Rottleuthner
50
Reimer Hansen
sehen Puritanismus - auf Calvin zurückgeführt wissen wollte. Ausdrückliche Zustimmung wurde Jellineks Deutung von dem Theologen und Philosophen Ernst Troeltsch zuteil, der sie in seinem vielbeachteten Vortrag über „Die Bedeutung des Protestantismus für die Entstehung der modernen Welt" auf dem 9. deutschen Historikertag in Stuttgart als „eine wirkliche erleuchtende Entdeckung" pries. Erst mit der religiösen Fundierung habe die Freiheit der Person auf dem Wege über Nordamerika und Frankreich Eingang in fast alle modernen Verfassungen gefunden. Die religiöse Freiheitsforderung habe die politische mit hindurchgerissen. Der zum Vater des Gedankens erhobene Puritanismus, so meinte er Jellinek korrigieren zu müssen, sei freilich „nicht calvinistisch, sondern täuferisch". 12 Befragt man die jüngere einschlägige geschichtswissenschaftliche Literatur, gewinnt man den Eindruck, dass Jellineks Deutung inzwischen durchweg abgelehnt worden ist. So betonen, um zwei prominente und zugleich repräsentative Stimmen zu zitieren, die Historiker Gerhard Ritter und Gerhard Oestreich unter Berufung auf die seither erforschte Entstehungsgeschichte der einzelstaatlichen Bills of Rights in der Amerikanischen Revolution die rein weltliche Herkunft der modernen politischen Freiheitsrechte. Denn keine jener Erklärungen leite sie vom Recht auf Glaubens- und Gewissensfreiheit ab; sie verdankten ihre Entstehung vielmehr profanen Anlässen und seien allesamt ein Ergebnis der unmittelbaren Revolutionsgeschichte. Jellinek habe sie daher - so Ritter - „sehr mit Unrecht als eine Spätfrucht religiöser Freiheitskämpfe zu deuten versucht". 13 Eben deshalb - so Oestreich könne von ihrer Herleitung „aus irgendwelchen religiösen Toleranzforderungen nicht die Rede sein". 14 Andererseits widersprach Oestreich generell der Eliminierung des Antriebs religiöser Freiheitsbewegungen aus der unmittel12 Troeltsch (Fn. 2), S. 39. 13
Gerhard Ritter; Die Menschenrechte und das Christentum, in: ders., Vom sittlichen Problem der Macht. Fünf Essays, 2. Aufl., Bern/München 1961, S. 90. 14
Gerhard Oestreich, Geschichte der Menschenrechte und Grundfreiheiten im Umriß (= Historische Forschungen 1), 2. Aufl., Berlin 1978, S. 57.
Glaubensfreiheit und Toleranz im Konfessionellen Zeitalter
51
baren Menschenrechtsentwicklung durch die „nunmehrige Forschung". In „einem tieferen Grunde" habe Jellinek nämlich „doch recht": die Konfessionskämpfe und Religionskriege mit ihren politischen Folgen stünden hinter den Erklärungen der Menschenrechte wie der Fortbildung des neueren Naturrechts. Die Bedeutung der Religion werde durch die Geistesgeschichte der natürlichen Rechte, namentlich der christlichen Rezeption der stoischen Philosophie durch den Renaissance-Humanismus, allgemein bestätigt. Ausdrücklich bezeichnete er das stoische und das christliche Naturrecht als die „stärksten geistigen Antriebe bei der Ausbildung der Menschen- und Bürgerrechte", freilich ohne irgendeinen konkreten korrigierenden Bezug zu Jellineks Erklärung der Menschenrechte als „Frucht der Reformation und ihrer Kämpfe" herzustellen. Er blieb dabei: die Forschung habe Jellineks These „weithin abgelehnt und in vielen Untersuchungen auch für den konkreten Zeitpunkt der Erklärungen widerlegt". 15 In der weiteren, insbesondere auch der jüngsten geschichtswissenschaftlichen Erörterung der Entstehung und Entwicklung der Menschen- und Bürger-, Grund- und Freiheitsrechte wird Jellineks These schließlich - wenn ich recht sehe - keine ernstliche Bedeutung mehr beigemessen. Sie gilt offenbar als abgetan und widerlegt. 16 15 Ebd., S. 13 f. 16
Hierzu u. a.: Fritz Härtung , Die Entwicklung der Menschen- und Bürgerechte von 1776 bis zur Gegenwart (= Quellensammlung zur Kulturgeschichte 1), 4. Aufl., Göttingen / Berlin / Frankfurt am Main 1972, S. 12 f.; Jürgen Habermas , Strukturwandel der Öffentlichkeit. Untersuchungen zu einer Kategorie der bürgerlichen Gesellschaft (= Politica 4), 2. Aufl., Neuwied/Berlin 1965, S. 96; Wolfgang Huber / Heinz-Eduard Tödt, Menschenrechte. Perspektiven einer menschlichen Welt, Stuttgart, Berlin 1977, S. 124 f.; Günter Birtsch (Hg.), Grund- und Freiheitsrechte im Wandel von Gesellschaft und Geschichte. Beiträge zur Geschichte der Grund- und Freiheitsrechte vom Ausgang des Mittelalters bis zur Revolution von 1848 (= Veröffentlichungen zur Geschichte der Grund- und Freiheitsrechte 1), Göttingen 1981; ders. (Hg.), Grund- und Freiheitsrechte von der ständischen zur spätbürgerlichen Gesellschaft (= Veröffentlichungen zur Geschichte der Grund- und Freiheitsrechte 2), Göttingen 1987. Lediglich der Beitrag von Heinrich Scholler ; Zum Verhältnis von (innerer) Gewissensfreiheit zur (äußeren) religiösen Bekenntnis- und Kultfreiheit, würdigt die These Jellineks als historische Position (1, S. 184), nähert sich ihr auch teilweise an, freilich ohne sie wieder aufzunehmen (s. insbes. 4*
52
Reimer Hansen
Dabei hatte Jellinek sie gar nicht aus dem jeweiligen Verlauf der Entstehungsgeschichte amerikanischer Bills of Rights , sondern aus den allgemeinen Begründungen konkreter Forderungen nach religiöser und politischer Freiheit während der großen öffentlichen Auseinandersetzungen in England und seinen nordamerikanischen Kolonien im 17. und 18. Jahrhundert abgeleitet. Das Bild der Frucht und der Begriff des Ursprungs kennzeichnen einen historischen Zusammenhang, der weit über die faktische Genese einzelstaatlicher Bills of Rights hinausreicht und sich vom Werk des Reformators Johannes Calvin bis zu den Erklärungen der Menschen- und Bürgerrechte in der Amerikanischen und Französischen Revolution erstreckt. Diese historische Konstruktion verlangt nicht den Beleg des Faktischen, sondern den Nachweis des vom Ursprung bis zur Frucht im Grunde Gleichartigen, des über die Distanz einer Entwicklung von mehr als zwei Jahrhunderten im wesentlichen Gleichgebliebenen. Auch wenn es banal erscheinen mag: das gleiche ist nicht dasselbe, und in der Natur wie in der Geschichte ist es stets ein Allgemeines, Abstraktes, ein tertium comparationis, das mithin nicht de facto oder in concreto , sondern in mente, in unseren methodisch und systematisch vergleichenden und abstrahierenden Gedanken existiert, nichtsdestoweniger aber - zumindest implizit, immanent oder gleichsam auf osmotischem Wege - auch das Denken und Verhalten der historischen Zeitgenossen der Englischen wie der Amerikanischen und der Französischen Revolution geprägt und bewegt haben muss, ohne dass ihnen dabei auch stets der bestimmte entsprechende ideen- und mentalitätsgeschichtliche Zusammenhang des ZeitgeisS. 194 f., 204, 544 f.); Martin Heckel, Die Menschenrechte im Spiegel der reformatorischen Theologie (= Abhandlungen der Heidelberger Akademie der Wissenschaften. Philosophisch-historische Klasse Jg. 1987, 4), Heidelberg, S. 28. Zur historischen Würdigung der These Jellineks s. auch: Heinrich Lutz , Reformation und Gegenreformation (= Oldenbourg Grundriß der Geschichte 10), München/ Wien 1979, S. 157 ff. Eine bemerkenswerte Ausnahme bietet: Dietrich Braun , Luther über die Grenzen des Staates, in: Im Lichte der Reformation. Evangelisch und Ökumenisch. Jahrbuch des Evangelischen Bundes 30 (1987), wenn er S. 127 ausführt, daß Luther „in der Schrift von 1523 - gewiß unter reformatorisch-theologischen Voraussetzungen, aber so eben doch nicht zufällig als erster in der Geschichte der Neuzeit - für das spätere ,Menschenrecht 4 der Glaubens- und Gewissensfreiheit" plädiert habe.
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tes ihrer eigenen Gegenwart mit dem Konfessionellen Zeitalter bewusst gewesen sein müsste. Man wird Jellineks These also schwerlich bekräftigen oder falsifizieren können, wenn man sie an der konkreten Entstehungsgeschichte einzelner Bills of Rights überprüft oder in vage umrissene epochenübergreifende geistesgeschichtliche Zusammenhänge stellt. Für Jellinek bestand das im Grunde des skizzierten Entwicklungszusammenhangs von der Reformation bis zur Revolution kontinuierlich Gleiche in der allgemeinen „Uberzeugung, dass es ein vom Staate unabhängiges Recht des Gewissens gebe". 17 Ihre Übertragung vom religiösen auf das politische Gebiet verdeutlicht er namentlich am ersten Agreement of the People vom 28. Oktober 1647, das die Leveller, der linke Flügel der puritanischen Independenten in der Englischen Revolution, mit dem Ziel entworfen hatten, es von der Bevölkerung Englands bestätigen und nach solcher demokratischen Legitimation in Kraft setzen zu lassen. Es macht fünf wesentliche als our native rights , also als angeborene Rechte, bezeichnete Punkte geltend, die gegenüber all future Représentatives of this Nation als reserved by the represented to themselves reklamiert und damit als persönliche Reservatrechte aller Engländer der Zuständigkeit der Legislative ausdrücklich entzogen werden. Sie beginnen mit dem Recht der Glaubensfreiheit, indem sie feststellen, „dass Glaubensdinge und die Art und Weise des Gottesdienstes von uns durchaus nicht irgendeiner menschlichen Gewalt anvertraut werden können, weil wir hierin nicht um ein Tüttelchen ohne absichtliche Sünde von dem abweichen können, was unsere Gewissen uns als Gottes Willen gebieten". 18 Hier tritt in der Tat das gleiche Denk- und Argumentationsmuster deutlich hervor, das der Begründung und dem Begriff der persönlichen Freiheitsrechte von den amerikanischen Bills of Rights und der französischen Déclaration des droits de Vhomme 17 Jellinek (Fn. 10). 18
Ebd., S. 73-75, hier S. 74: That matters of religion and the ways of Gods worship are not at all entrusted by us to any human power; because therein we cannot remit or exceed a tittle of what our consciences dictate to be the mind of God without wilful sin. - Don M. Wolfe (Hg.), Leveller Manifestoes of the Puritan Revolution, New York 1967, S. 227 f.
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et du citoyen bis zu den Grundrechten moderner demokratischer Staatsverfassungen zugrunde liegt: dem definierten Bereich staatlicher Gewalt korrespondiert die außerstaatliche Sphäre persönlicher Freiheitsrechte, die als vor- und überstaatliches Gut der Menschen gelten, von der staatlichen Gewalt geschützt werden müssen und in ihrer Substanz nicht angetastet werden dürfen. Dabei unterscheidet sich das Recht auf Glaubens-, Religions- und Gewissensfreiheit insofern grundlegend von den politischen Freiheitsrechten der Person, als es sich über die zwischenmenschlichgesellschaftliche und staatlich-politische Ebene hinaus im wesentlichen auf das Verhältnis des Individuums zu Gott bezieht, auf das, wie es wörtlich in der zitierten Quelle heißt, what our consciences dictate to be the mind of God. 19 Dieser - wie ich denke - hinreichende Nachweis des allgemeinen argumentativen Grundmusters der persönlichen Freiheitsrechte anhand des einschlägigen Jellinekschen Belegs für die Kennzeichnung der Glaubensfreiheit als eines angeborenen, mithin unveräußerlichen Rechts in dem radikalpuritanischen Entwurf des ersten Agreement of the People möge hier zunächst genügen, um die Triftigkeit seiner These in ihrem rechten, sinngemäßen Verständnis zu bekräftigen. Es ist hier nicht möglich, im Rahmen des gestellten Themas aber auch nicht nötig, die allgemeinen Zusammenhänge der historischen Entwicklung von den native rights der Englischen zu den Bills of Rights der Amerikanischen und der Déclaration des droits de Vhomme et du citoyen der Französischen Revolution zu vertiefen. Hier soll nunmehr der allgemeine Zusammenhang zwischen der Entstehung der modernen Glaubensfreiheit und dem Konfessionellen Zeitalter ins historische Blickfeld gerückt werden. Anders als Jellinek möchte ich jedoch den weniger historischen und eher philosophischen, bildlich geprägten Begriff des Ursprungs meiden und in enger Anlehnung an die berühmte Formulierung Friedrich Nietzsches das Bild von der Geburt bevorzugen, 20 in 19 Siehe Fn. 18. 20
Friedrich Nietzsche , Die Geburt der Tragödie aus dem Geist der Musik, in: Nietzsches Werke 1, Leipzig 1906, S. 47 ff.; Reimer Hansen, Die Geburt der modernen Glaubensfreiheit (Fn. 1).
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unserem Zusammenhang: der Geburt der neuzeitlichen Glaubensfreiheit aus dem Geist der Reformation. Wie die Natur so macht auch die Geschichte keine Sprünge; und selbst das jeweils qualitativ Neue tritt nicht augenblicklich sprunghaft in Erscheinung, sondern im Verlauf einer Entwicklung, die ihre Entstehungsgeschichte ist. Das Bild der Geburt vermittelt dies treffender und einleuchtender als der Begriff des Ursprungs, weil es - analog dem der Frucht - die Genese einer neuen historischen Individualität im kontinuierlichen Lebenszusammenhang der Geschichte impliziert. Die Glaubensfreiheit wird daher auch nicht per se, sondern im allgemeinen Kontext der konfessionellen und politischen Auseinandersetzungen zu betrachten sein, aus denen sie zunächst als Postulat und schließlich als Recht hervorgegangen ist. Dabei gilt es zunächst, einem unhistorischen Missverständnis vorzubeugen und die moderne Glaubens- und Gewissensfreiheit deutlich von der des Konfessionellen Zeitalters zu unterscheiden. Ihre abstrakte Gemeinsamkeit als generelles „vom Staate unabhängiges Recht" beruht - bei aller Kohärenz der longue durée des einschlägigen realgeschichtlichen Entwicklungszusammenhangs vom 16. Jahrhundert bis zur Gegenwart und der ihr zu Grunde liegenden strukturellen Identität im allgemeinen - eben nicht auf konkreter Ubereinstimmung im einzelnen, sondern auf jeweils besonderer, individueller historischer Anders-, Eigen- und Verschiedenartigkeit. Im folgenden soll nunmehr die Aufmerksamkeit auf die geschichtliche Ausgangssituation und damit auf die Konstituierung der Glaubensfreiheit des Konfessionellen Zeitalters als grundlegender Forderung, als Postulat und schließlich als Rechtsanspruch zurückgelenkt und konzentriert werden, um sie in der historischen Spezifität ihrer inhaltlichen Begründung und formalen Gestalt als Denkform und Argumentationsmuster umreißen und genauer bestimmen zu können. Kehren wir zunächst zu Jellinek zurück und folgen wir seinem Hinweis, demzufolge die „Uberzeugung, dass es ein vom Staate unabhängiges Recht des Gewissens gebe", auf Calvin zurückzuführen sei. In der letzten Fassung der Institutio Christianae Religionis y dem Hauptwerk des Genfer Reformators, lesen wir, dass Gott die gläubigen Gewissen mit dem Vorzug der Freiheit beschenkt habe und sie somit der Gewalt aller Menschen ent-
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zogen seien.21 Calvin leitet diese Freiheit des Gewissens daraus ab, dass Gott unter den Menschen zweierlei Regiment eingerichtet habe: ein geistliches (regimen spirituale) und ein politisches (regimen politicum). Das eine leite das Gewissen zur Frömmigkeit und Verehrung Gottes an; es erstrecke sich auf das Leben der Seele und habe dort seinen Sitz. Das andere regele die äußeren Dinge und alles, was zum gegenwärtigen Leben des Menschen gehöre, es erziehe zu den Pflichten der Menschlichkeit und des öffentlichen Lebens: Sunt enim in homine veluti mundi duo, quibus et varii reges et variae legespraeesse possunt. 22 Calvin führt hier keine eigenen theologischen Gedanken aus, sondern folgt der - sola scriptum, allein aus der Heiligen Schrift oder Gottes Wort, begründeten - Lehre Martin Luthers von den zwei Reichen oder Regimenten. Luther hatte sie bereits in seiner Schrift An den christlichen Adel deutscher Nation von des christlichen Standes Besserung (1520) in ihren Grundzügen umrissen und dann vor allem in seiner - aus aktuellem Anlaß entstandenen Schrift Von weltlicher Obrigkeit, wie weit man ihr Gehorsam schuldig sei, aus dem Jahre 1523 ausführlich dargelegt und auf konkrete Konfliktfälle angewandt.23 Darin werden das ewige Reich Gottes und das zeitliche der Welt, das geistliche und das weltliche Regiment, deutlich voneinander geschieden. Darumb, schrieb Luther 1523, hatt Gott die zwey regiment verordnet, das geystliche, wilchs Christen unndfrum leutt macht durch den heyligen geyst unter Christo, unnd das wellt liehe, wilchs den unchristen und bößen wer et, daß sie eußerlich müssen frid hallten und still seyn on yhren danck. 2A Gott habe den Amtsträgern des weltlichen Regiments die Schwertgewalt verliehen, damit frid 21
Johannes Calvin, Institutio Christianae Religionis 1559, hg. v. Peter Barth/Wilhelm Niesei (= Opera Selecta), 2. Aufl., München 1959, I I I 19, 14, S. 293. 22
Ebd., I I I 19,15, S. 294. Martin Luther wird im folgenden nach der Weimarer Ausgabe (= WA) D. Martin Luthers Werke. Kritische Gesamtausgabe, 115 Bde. in 4 Reihen, Weimar 1883-1970, in der üblichen Abbreviatur zitiert: WA = Schriften, WA Br. = Briefwechsel. 24 Von welltlicher Uberkeytt, wie weyt man yhr gehorsam schuldig sey, WA 11 (1900), S. 251. 23
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erhalten, sund gestrafft und den bösen gewer et werde. 25 Sie sind daher für Luther Gottis stockmeyster und hencker 2( > oder Gottis diener und handwercks leutt; ihr Amt gilt ihm entsprechend als eyn sonderlicher gottis dienst. 27 Das weltliche Regiment steht somit im Dienst der göttlichen Weltordnung. Mit dem Auftrag der Rechtsprechung, der polizeilichen und der militärischen Gewaltausübung zur Erhaltung von Ordnung und Frieden in der Welt ist freilich auch der Bereich seiner gottgewollten Zuständigkeit bezeichnet. Luther hat die Grenze zwischen beiden Regimenten ausführlich erörtert und an Hand der Geltung und Wirksamkeit ihrer spezifischen Gesetze näher bestimmt. Jedes Reich oder Regiment müsse nämlich, um bestehen zu können, seyne gesetz unnd rechte haben. Das weltliche Regiment habe Gesetze, die sich nicht weytter strecken denn über leyb und gutt und was eußerlich ist auff erden. Denn über die seele kan und will Gott niemant lassen regirn denn sich selbs alleyne. Darumb wo welltlich gewallt sich vermisset, der seelen gesetz zu geben, do greyfft sie Gott ynn seyn regiment und verfuret und verderbet nur die seelen , 2 8 Gott wolle unßern glawben bloß und lautter alleyn auff seyn gotlich wort gegrund haben ... Darumb ynn den sachen, die der seelen selickeytt betreffen, soll nichts denn Gottis wort geleret und angenommen werden 29 Weltliche Gewalt und äußerer Zwang seien überdies gänzlich untaugliche Mittel, den Glauben wirksam zu beeinflussen, weil der seelen gedancken und synnen niemandem außer Gott offenbar sein könnten. Darumb es umb sonst unnd unmüglich ist , yemant zu gepieten oder zu zwingen mit gewallt, sonst oder so zu glewben. Es gehört eyn ander griff datzu. Die gewallt thutts nicht. Luther sah die Verantwortung für den rechten Glauben - und das hieß im Kontext der zentralen Devise seiner reformatorischen Lehre sola fide: für die einzige hinreichende Rechtfertigung vor Gott - allein im persönlichen Gewissen verankert. Denn es liege, schreibt er, 25 26 27 28 29
Ebd., S. Ebd., S. Ebd., S. Ebd., S. Ebd., S.
253. 268. 258. 262. 262 f.
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eym iglichen seyne eygen fahr dran, wie er glewht, ^«i/ muß für sich seih sehen, ¿/¿s er glewbe. 30 Das weltliche Regiment habe weder das Recht noch die Macht, diese persönliche Freiheit des Glaubens und des Gewissens zu beeinträchtigen. So ergibt sich eine deutliche Demarkation der Geltungsbereiche und Zuständigkeiten beider Regimente. Diese strikte Begrenzung weltlicher Gewalt gegenüber den gleichsam exemten, allein dem Wort Gottes unterworfenen Seelen ist bereits ein deutlicher Ausdruck der von Jellinek konstatierten Grundüberzeugung, dass es ein vom Staate unabhängiges Recht der Person auf Glaubens- und Gewissensfreiheit gebe. Für Luther folgte aus der Beschränkung des weltlichen Regiments auf leyb und gutt und was eußerlich ist auff erden ein dezidiertes Widerstandsgebot gegen fürstliche Ein- und Ubergriffe in das geistliche Regiment Gottes über die gläubigen Seelen. Wenn weltliche Herrschaft sich vermesse, den Glauben ihrer Untertanen bestimmen zu wollen, Glaubensschriften verbiete oder konfisziere, habe der betroffene Christ nicht nur das Recht, sondern die für sein Seelenheil verantwortliche Pflicht zum ausgesprochenen Ungehorsam, zum gewaltlosen Protest, zum entschiedenen Widerstand mit Worten. Denn ich sage dyr y belehrt ihn Luther über die für einen Christen unverantwortliche Konsequenz der Unterlassung, wo du yhm nicht widdersprich st und gibst yhm räum., das er dyr den glawben odder die bücher nympt, so hastu warlich Gott verleucket. 31 Aktiven Widerstand schließt Luthers Lehre indes grundsätzlich aus, da er Anmaßung des gottgewollten Gewaltmonopols der weltlichen Herrschaft oder offener Aufruhr wäre. Luthers Lehre von den beiden Regimenten ist auf das engste mit seiner strengen evangelischen Orientierung, der ausschließlichen Bindung allen Glaubens an die Wahrheit des Evangeliums der Heiligen Schrift und - in deutlichem reformatorischen Gegensatz zur Theologie und Praxis der römischen Kirche - der strikten Ablehnung jeglicher Mittlerschaft zwischen dem dreieinigen Gott und den gläubigen Seelen verknüpft. Der Christenmensch ist unmittelbar zum geistlichen Regiment Gottes und bedarf daher 30 Ebd., S. 264. 31 Ebd., S. 267.
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keiner priesterlichen, geschweige denn obrigkeitlichen Heilsvermittlung. Hierin besteht seine evangelisch gebundene Glaubensfreiheit. Luther selbst hat dies in seiner denkwürdigen Rechtfertigung am 18. April 1521 vor Kaiser und Ständen auf dem Reichstag zu Worms aller Welt vor Augen geführt, als er es ablehnte, seine Schriften zu widerrufen. „Es sei denn", lautet seine entschiedene Antwort in einem zeitgenössischen Bericht „dass ich durch Zeugnisse der Schrift oder offenbare Vernunftgründe überwunden werde. Denn ich glaube weder dem Papst noch den Konzilien allein, weil es am Tage ist, dass sie öfter geirrt und sich selbst widersprochen haben. So bin ich durch die Stellen der Schrift, die ich angeführt habe, überwunden, und mein Gewissen ist gefangen in Gottes Wort. Widerrufen kann und will ich nichts; denn wider das Gewissen zu handeln, ist weder sicher noch heilsam. Gott helfe mir, Amen." 3 2 Luther gibt hier zwar noch keine entwickelte allgemeine Begründung, aber das letztlich entscheidende Argument, die Quintessenz aller späteren einschlägigen Ausführungen, ist bereits vollständig ausgeprägt: In Glaubensdingen ist die Heilige Schrift einzige Autorität, deshalb darf man dem von Gottes Wort geleiteten Gewissen nicht zuwider handeln, auch wenn Papst und Konzilien, Kaiser und Reich es gebieten sollten. Hierin unterschied sich Luther von namhaften irenischen Humanisten, die - wie Erasmus von Rotterdam - für nachsichtige, von Nächstenliebe geleitete religiöse Duldsamkeit gegenüber häretischen Minderheiten eintraten, aber den Schoß der römischkatholischen Kirche nicht verlassen mochten. Übrigens auch von Thomas Morus, der sich in seinem Prozess bezeichnenderweise nicht auf die alleinige Instanz des evangelisch gebundenen Gewissens, sondern vornehmlich auf die für weltliche Fürsten sakrosankte Autorität of Christes vniuersall Catholike Churche 33 berief. Und nicht zuletzt von Huldrych Zwingli und Johannes Calvin, da er - konsequenter als sie - mit der strikten Trennung beider Regimente der weltlichen Herrschaft auch das Recht absprach, Ketzerei mit Gewalt zu verfolgen, es sei denn, die Irrlehre 32 WA 7 (1897), S. 838 (lat.), S. 876 f. 33 Nicholas Harpsfield y The life and death of Sr. Thomas Moore, knight, sometymes Lord high Chancellor of England, hg. v. Elsie Vaughan Hitchcock, London/New York/Toronto 1932, S. 194.
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erscheine als öffentlicher Aufruhr. Wer Ketzerei mit dem Schwert bekämpfen wolle, werde den widderpartt nur stercken, sich selb verdechtig unnd yhene rechtfertig machenn. Nicht weltliche Gewalt, sondern allein das Wort Gottes könne alle ketzerey und yrthum auß dem hertzen vertreiben. Und ob man gleich alle Juden und Ketzer mit Gewalt verbrenne, so werde doch keiner dadurch überwunden oder bekehrt. 34 Denn ketzerey, schreibt Luther, kan man nymer mehr mitt gewallt weren. Es gehörtt eyn ander griff datzu, unnd ist hie eyn ander streytt unnd handel denn mit dem schwerd. Gottis wort soll hie streytten, wenns das nicht auß rieht, ßo wirtts wol unaußgericht bleyben von welltlicher gewallt, ob sie gleych die wellt mit blutt füllet. Ketzerey ist eyn geystlich ding, das kann man mitt keynem eyßen hawen y mitt keynem fewr verbrennen, mit keynem wasser ertrencken. 35 A n dieser Konsequenz wird die Modernität, wird das genuin Neuzeitliche der Lehre Martin Luthers von den beiden Reichen oder Regimenten besonders deutlich. Gewiss, Luther selbst hat ihr keine historische Neuartigkeit beigemessen, für ihn folgte sie aus dem ewigen Wort Gottes der Heiligen Schrift, und so hat er sie denn auch nicht anders als sola scriptum begründet. Sie steht zudem in einer langen Traditionsgeschichte, die über das Mittelalter bis ins Alte Testament und die griechische Antike zurückreicht. 36 Und sie erweist sich schließlich bei genauer historischer und systematischer Untersuchung der einschlägigen Texte als derart kompliziert, dass der evangelische Theologe Johannes Heckel geradezu vom „Irrgarten der Zwei-Reiche-Lehre" sprechen konnte. 37 In ihrer allgemeinen Denkform, ihrem argumentativen Grundmuster, wie es hier eindeutig anhand ausführlicher Zitate aus der Schrift Von weltlicher Obrigkeit herausgearbeitet worden 34 Luther (Fn. 24) WA 11, S. 269. 35 Ebd., S. 268. 36 Ulrich Duchrow, Christenheit und Weltverantwortung. Traditionsgeschichte und systematische Struktur der Zweireichelehre (= Forschungen und Berichte der Evangelischen Studiengemeinschaft 25), 2. Aufl., Stuttgart 1983, S. 439 ff. 37 Johannes Heckel, Lex Charitatis. Eine juristische Untersuchung über das Recht in der Theologie Martin Luthers, hg. v. Martin Heckel, 2. Aufl., K ö l n / W i e n 1973, S. 317 ff.
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ist und sich seit 1520 in allen analogen Antworten des Reformators auf die Frage, wie weit man ihr Gehorsam schuldig sei, konstant nachweisen lässt, vor allem aber in ihrer öffentlichen Wirkung als Antwort auf das Wormser Edikt und in ihrem Einfluss auf den Fortgang der Reformation war sie gleichwohl etwas historisch Neues von einleuchtender, bahnbrechender Kraft und grundlegender, normativer Bedeutung. Dies kann freilich erst aus der historischen Distanz festgestellt werden, die Jellineks und unsere Gegenwart von der Luthers trennt und ihre Wirkungsgeschichte mitumspannt. Zunächst blieb Luther - auch unter den führenden Köpfen der Reformation mit seiner Einsicht weitgehend isoliert. So hat Thomas Müntzer in seiner Fürstenpredigt (1524) die kursächsische Obrigkeit mit unmissverständlichem Fingerzeig auf die Wittenberger Reformatoren aufgerufen, die Gottlosen zu töten, indem er mit Christo und mit der unterrichtung des gantzen göttlichen gesetzes behauptete, das man die gotlosen regenten , sunderlich pfaffen und mönche tödten sol y die uns das heyige evangelion ketzerey schelten und wollen gleichwol die besten Christen sein. 3* Und so haben die evangelischen Reichsstände auf dem zweiten Reichstag zu Speyer 1529 trotz ihrer entschiedenen Protestation gegen die Bekräftigung des Wormser Edikts einmütig dem sogenannten Wiedertäufermandat zugestimmt, das die Täufer als Ketzer und Aufrührer mit der Todesstrafe bedrohte. Luther hatte ein Jahr zuvor, als in der eidgenössischen Schweiz unter evangelischer und in den habsburgischen Territorien unter katholischer Obrigkeit Täufer verfolgt und hingerichtet worden waren, noch einmal grundsätzlich zwischen geistlicher Ketzerei und gewaltsamem Aufruhr unterschieden: Doch ists nicht recht , und ist mir warlich leid , das man solche elende leute so iemerlich ermordet , verbrennet und grewlich umbbringt , Man solt ia einen iglichen lassen gleuben y was er wolt. Gleubet er unrecht , so hat er gnug straffen an dem ewigen fewr ynn der hellen. Warumb will man sie denn auch noch zeitlich martern , so ferne sie allein ym glauben yrren und nicht auch daneben auffrhurisch odder sonst der öberkeit widderstreben? 9 38 Thomas Müntzer ; Schriften und Briefe. Kritische Gesamtausgabe, hg. v. Günther Franz (= Quellen und Forschungen zur Reformationsgeschichte 33), Gütersloh 1968, S. 262.
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Seine Haltung zur Verfolgung und Hinrichtung von Täufern in Kursachsen ist freilich umstritten und hat die Frage aufgeworfen, ob er sich mit dieser Differenzierung nach dem zweiten Reichstag zu Speyer nicht mehr habe behaupten können 40 oder ob er sie schließlich unter dem obrigkeitlichen Erwartungsdruck aufgegeben habe. 41 Sie kann hier im bemessenen Rahmen des gestellten Themas nicht näher erörtert, geschweige denn beantwortet werden. Hier möge indes die Feststellung genügen, dass Luther das theoretische Fundament seiner grundsätzlichen Unterscheidung zwischen Ketzerei und Aufruhr, die Lehre von den beiden Regimenten, zeit seines Wirkens als Reformator nicht verlassen hat. 42 Sie ist überdies in der von Wittenberg ausgehenden Reformation und in der nachhaltig von ihr geprägten Zivilisation, besonders Mittel- und Nordeuropas, bis auf den heutigen Tag in einer spezifischen Mentalität lebendig geblieben, die durch die ungebrochenen Lebenstraditionen des Luthertums geformt worden ist und sich in unserem Jahrhundert vor allem im evangelischen Kirchenkampf gegen den totalitären Anspruch weltanschaulicher Diktaturen exponiert hat. 43 Im Konfessionellen Zeitalter, als so hervorragende Geister wie Balthasar Hubmaier im habsburgischen Wien, Michel Servet im calvinistischen Genf und Giordano Bruno im päpstlichen Rom als Ketzer auf dem Scheiterhaufen verbrannt wurden und Luther selbst vom gleichen Schicksal bedroht war, musste sie sich erst gegen massive Widerstände durchsetzen. Dabei ließ Luther die Forderung nach Glaubensfreiheit allein für das biblisch verbürgte Wort Gottes 39
Von der Widdertauffe an zween Pfarherrn. Ein brieff Mart. Luther, WA 26 (1909), S. 145 f. 40 Ebd., S. 138; WA Br. 6, S. 222 f. 41 Hans-Jürgen Goertz, Ketzer, Aufrührer und Märtyrer. Der Zweite Speyerer Reichstag und die Täufer, in: Rainer Wohlfeil / Hans Jürgen Goertz, Gewissensfreiheit als Bedingung der Neuzeit. Fragen an die Speyerer Protestation von 1529 (= Bensheimer Hefte 54), Göttingen 1980, S. 39. 42 Hierzu neuerdings: Harm Klueting, „Lasset beides miteinander wachsen bis zu der Ernte": Toleranz im Horizont des Unkrautgleichnisses (Mt 13, 24-30). Martin Luther und Erasmus von Rotterdam als Beispiel, in: Lademacher u. a. (Fn. 6), S. 56-67, insbes. S. 66 f. 43
Reimer Hansen, Der gegenwärtige Luther (Fn. 1), S. 209-216.
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und seine vergewissernde Mitwisserin, conscientia, das menschliche Gewissen, gelten. Denn Gottes Wort, führte er aus, ist grösser und furnemlicher denn der glawbe , Sintemal nicht Gottes wort auff den glawhen , sondern der glawbe auff Gottes wort sich bawet und gründet. Dazu der glawbe ist wanckelbar und wandelbar. 44 Dies schloss freilich auch einen evangelischen oder gar christlichen Pluralismus aus. Dem einen Evangelium konnten nach Luthers fester Überzeugung nur eine reine und wahre christliche Lehre, nur ein Bekenntnis und eine Kirche entsprechen. Luthers Glaubensfreiheit unterscheidet sich daher von der eingangs erörterten der modernen Grundrechte prinzipiell durch ihre strikte inhaltliche Wahrheitsbindung an das Evangelium. In ihrer Begründung durch die Lehre von den zwei Reichen oder Regimenten tritt jedoch schon das gleiche allgemeine Denk- und Argumentationsmuster in Erscheinung: dem staatlichen Wirkungsund Geltungsbereich steht ein außer- und überstaatlicher des Glaubens und Gewissens gegenüber, den staatliche Gewalt nicht verletzen darf, ja den sie mit ihrem Monopol legitimer Gewaltausübung wirksam zu schützen hat. Erst in dieser allgemeinen Übereinstimmung und ihrer gleichartigen Begründung des persönlichen Rechts auf Glaubens- und Gewissensfreiheit wird die Evidenz der These Jellineks offenkundig. Eine parallele Betrachtung der konkreten historischen Umstände und Vorgänge im 16., 17. und 18. Jahrhundert lässt naturgemäß die individuellen Besonderheiten, die Unterschiede und die Unvereinbarkeiten in den Blick treten. Die über die entwicklungsgeschichtliche Distanz im Grunde gleichgebliebenen Strukturen, speziell die allgemeinen Begründungsformen der Forderung nach Glaubensfreiheit, lassen sich jedoch erst im Wege der methodisch-komparatistischen Abstraktion hinreichend deutlich erschließen. Die repräsentative Bedeutung der reformatorischen Lehre Luthers steht außer Zweifel. Auch wenn die vielzitierte Äußerung des päpstlichen Nuntius Aleander vom Wormser Reichstag 1521, damals hätten neun Zehntel der Deutschen „Luther" und der Rest wenigstens „Tod der römischen Kurie" geschrie44 Luther, (Fn. 39), WA 26, S. 172.
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en, 45 nur den subjektiven Eindruck eines stark engagierten Zeitgenossen wiedergibt, belegt sie doch die große öffentliche Resonanz des Reformators gerade zu dem Zeitpunkt, als sein unabdingbarer Anspruch auf evangelische Glaubens- und Gewissensfreiheit vor Kaiser und Reich auf die Probe gestellt wurde. Die theoretische Grundlage dieses Anspruchs, seine Lehre von den beiden Regimenten, ist dann in ihrem wesentlichen Gehalt über das Luthertum hinaus Allgemeingut der Reformation geworden. Die Forderung nach evangelischer Glaubens- und Gewissensfreiheit war mithin ein wesentliches Ergebnis der lutherischen Reformation, das sich dann auch andere Richtungen des Protestantismus zu eigen gemacht haben, nicht zuletzt der calvinistisch geprägte englisch-amerikanische Puritanismus, der somit - um den Disput zwischen Jellinek und Troeltsch zu beenden - in dieser Hinsicht weder calvinistischer noch täuferischer, sondern originär lutherischer Herkunft ist. Die von Luther erstrebte evangelische Reform der einen christlichen Kirche sollte sich indes rasch als unerreichbar erweisen. Das bis heute nachwirkende Ergebnis der Reformation war eben nicht Einheit, sondern Spaltung und Vielfalt der Kirche. Die lutherische Forderung nach evangelischer Glaubens- und Gewissensfreiheit hat übrigens nicht unwesentlich dazu beigetragen, dass sie - insbesondere von Täufern, Spiritualisten und Antitrinitariern, aber auch von Altgläubigen - zur Rechtfertigung subjektiver, sektiererischer oder tradierter religiöser Überzeugungen geltend gemacht worden ist. Luther hat in der nicht mehr strikt evangelisch gebundenen Glaubens- und Gewissensfreiheit eine contradictio in adiecto und daher nur eine Täuschung, einen Vorwand und Missbrauch gesehen. So hat er gegen die altgläubigen Altenburger Stiftsherren, die sich auf ihr Gewissen berufen hatten, ohne es mit der Heiligen Schrift zu begründen, den Vorwurf erhoben, das sie solch Gewissen erdichten und nur zum Schein furwenden. 46 Calvins Weggefährte Beza konnte 1570 sogar rundheraus von „dieser teuflischen Freiheit" sprechen, 45
Theodor Brieger; Aleander und Luther 1521. Die vervollständigten Aleander-Depeschen nebst Untersuchungen über den Wormser Reichstag (= Quellen und Forschungen zur Geschichte der Reformation 1), Gotha 1884, S. 48. 4 * WA Br. 4, S. 28.
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da man die Gewissensfreiheit so verstehe, als könne ein jeder Gott nach seinem Willen anbeten.47 Und Bullinger, Zwingiis Nachfolger in Zürich, vermochte zur gleichen Zeit in der Berufung auf das Gewissen nur noch einen heuchlerischen Deckmantel zu sehen.48 Die lutherische Forderung nach strenger objektiver Wahrheitsbindung der Glaubensfreiheit an Gottes Wort hatte gleichwohl faktisch den Anspruch auf subjektive Gewissens- und konfessionelle Religionsfreiheit hervorgebracht und damit gleichsam das Leitmotiv der großen Auseinandersetzungen im Konfessionellen Zeitalter der europäischen Geschichte angeschlagen. Spätestens seit Beginn der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts waren Glaubens-, Gewissens- und Religionsfreiheit zu zentralen Parolen der öffentlichen Meinung wie der großen Politik geworden. Hatten bislang die Namen der Reformatoren dominiert, so traten jetzt auch die bedeutender Herrscher und Staatsmänner hinzu. U m nur einige wenige ins Gedächtnis zu rufen: in Frankreich der Kanzler Michel de UHospital und König Heinrich IV., in den Niederlanden Prinz Wilhelm von Oranien, im Reich Kaiser Maximilian II. und sein Rat und Feldherr Lazarus von Schwendi, in Polen König Stephan Bathory und sein Kanzler Johann Zamoyski, in Skandinavien König Johann III. von Schweden und König Friedrich II. von Dänemark und Norwegen sowie sein Statthalter in den Herzogtümern Schleswig und Holstein Heinrich Rantzau. Daneben gilt es selbstverständlich, auch an bedeutende publizistische Köpfe zu erinnern, wie Sébastien Castellion, Guillaume Postel oder Dirck Coornhert. Weitergehende Erfüllung fand die Forderung nach Glaubensfreiheit allerdings nur in Polen und in Siebenbürgen. Im Reich konnte mit dem Augsburger Religionsfrieden, um Hans R. Guggisbergs treffende Kennzeichnung zu zitieren, nur eine „Kompromisslösung" erreicht werden, „die dem Pluralismus 47
Mino Celsi, De haereticis capitali supplicio non afficiendis. Adiunctae sunt eiusdem argumenti Theodori Bezae et Andreae Dvditii epistolae contrariae, o.O. 1584, S. 243 v. 48 Bullingers Korrespondenz mit den Graubündnern 3, hg. v. Traugott Schiess (= Quellen zur Schweizer Geschichte 25), Basel 1906, S. 217. 5 Mahlmann/Rottleuthner
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auswich". 49 Das galt im Grunde auch für Frankreich, wo die konfessionellen Bürgerkriege schließlich erst gegen Ende des Jahrhunderts durch das Edikt von Nantes König Heinrichs IV. beendet wurden. Dort war, wie Joseph Lecler in seiner Untersuchung über die Entstehung der Gewissensfreiheit gründlich und umfassend herausgearbeitet hat, um 1560 die Formel On ne force pas les consciences , die Gewissen kann man nicht bezwingen, gleichsam zur verbreiteten öffentlichen Devise geworden. 50 Auch hier lag, um es exemplarisch an der Rede zu demonstrieren, die der Kanzler Michel de L'Hospital am 1. September 1561 vor der Versammlung des ersten Standes der Generalstände, der Assemblée des Prélats , in Poissy gehalten hat, deutlich das lutherische Argumentationsmuster zugrunde. „Das Gewissen," führte er aus, „ist so beschaffen, dass es nicht gezwungen werden kann, sondern belehrt werden muß, dass es weder gewaltsam gebändigt, noch verletzt werden darf, sondern durch wahre und hinreichende Gründe überzeugt werden muß". Ein erzwungener Glaube sei daher kein Glaube mehr. 51 Der Augsburger Religionsfrieden 1555 und das Edikt von Nantes 1598 erfüllten die Forderung nach subjektiver Gewissensund konfessioneller Glaubensfreiheit schließlich nicht. Sie fixierten kaum mehr als eine provisorisch und temporär verstandene, durch die vorausgegangene Entwicklung gleichsam erzwungene und der Gegenseite nur widerwillig eingeräumte gewaltlose Ko49 Hans R. Guggisberg, Wandel der Argumente für religiöse Toleranz und Glaubensfreiheit im 16. und 17. Jahrhundert, in: Lutz (Fn. 6), S. 466. Hierzu neuerdings: Helmut Gabel, Der Augsburger Religionsfriede und das Problem der Toleranz im 16. Jahrhundert, in: Lademacher u. a. (Fn. 6), S. 83-98; Paul Warmbrunn, Toleranz im Reich vom Augsburger Religionsfrieden bis zum Westfälischen Frieden. Kirchen- und Landesordnungen und gesellschaftliche Praxis, in: ebd., S. 99-116. 50 Joseph Lecler; Liberté de conscience. Origines et sens divers de l'expression, in: Recherches de Science Religieuse 54 (1966), S. 386; dt., in: Lutz (Fn. 6), S. 348; ders. (Fn. 6), dt. 2, insbes. S 57-95. 51 Michel de UHospital, Œuvres complètes, précédées d'un essai sur sa vie et ses ouvrages par P.JS. Duféy 1, Paris 1824, S. 471: „ . . . orla conscience est de telle nature qu'elle nepeult estre forcée, mais doibt estre enseignée, et riestre point domptée ny violée, mais persuadée par vrayes et suffisantes raisons; et mesme la foy seule estre contraincte, elle n'est plus lafoy. "
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existenz, nicht jedoch wirksame Toleranz und wirklichen Frieden zwischen der Augsburgischen und der römisch-katholischen Konfession, zwischen der religion catholique , apostolique et romaine und der religion prétendue réformée. Allein diese offizielle Fremdbezeichnung der Reformierten im Edikt von Nantes 52 ist außerordentlich aufschlussreich für die umrissene intolerante Grundhaltung. Der Dreißigjährige Krieg hat sie schließlich mit all seinen Grausamkeiten gegen Andersgläubige in erschreckender Weise zum Ausdruck gebracht. Dass es aber auch Herrscher gab, denen daran lag, die heftigen und blutigen Konflikte des Konfessionellen Zeitalters durch wirkliche Glaubens- und Gewissensfreiheit zu beenden, mögen die zentralen Ausführungen eines Briefes bezeugen, den der luthersche König Friedrich II. von Dänemark 1586 an König Philipp II. von Spanien geschrieben hat, um ihn zum Einlenken und damit zum Frieden in seinem Konflikt als Herzog von Burgund und Landesherr mit den Niederlanden zu bewegen.53 Er wolle, führte Friedrich aus, sich zwar nicht anmaßen, über den Wahrheitsgehalt des Glaubens zu diskutieren, in dem Philipp erzogen worden sei, für einen Christenmenschen sei es jedoch schrecklich zu hören, und es könne niemanden unberührt lassen, wenn so viel tausend, ja hunderttausend Menschen dergestalt der grässlichen Schlachtbank preisgegeben und mit so vielen Gemetzeln und Kriegen unaufhörlich und auf das erbärmlichste verfolgt würden. Und das allein des Glaubens wegen, den sie ohne Zweifel als den wahren mit ganzer Seele umfangen hielten, von dem man sie weder abhalten noch gewaltsam trennen könne und dessentwegen sie so viel Unglück auf sich nähmen und alles gering schätzten, was in dieser Welt als teuer und wert gelten könne. Dies nötige auch ihn selbst zum Mitleiden, zumal er aus dem Wort Gottes, aus der Erfahrung und aus alten kirchlichen und politischen Historien genau unterrichtet sei, dass die Gewissen sich in Glaubensdingen nicht von äußerer Gewalt oder bewaffneter 52 Charles Weiss y Histoire des réfugiés protestants de France depuis la révocation de l'Edit de Nantes jusqu'à nos jours 2, Paris 1853, S. 331 ff. 53 Rigsarkivet Kabenhavn, Tyske Kancelli, U.A., Spanske Nederlande A U , 1.4.1586 (Kopie).
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Hand, sondern von Gott selbst, in dessen Hand das Herz des Menschen liege, durch die Kraft und Wirksamkeit seines Wortes lenken und zu vernünftiger Einsicht führen ließen: conscientias in causa religionis non externa vi aut manu militari, sed a Deo ipso, in cuius manu cor hominis est, per vim et efficatiam verbi eius gubernari et ad saniorem mentem deduci. Auch wenn der Glaube irgendeinen Zwang erfordern oder gestatten sollte, habe Philipp sich hierin mehr als genug hervorgetan, so sehr, dass er ohne jeden Argwohn, um den politischen Frieden zustande zu bringen, endlich anderen Sinnes werden und am richtigsten seinen Untertanen die eigene Sorge für das Heil ihrer Gewissen und Seelen anheimgeben möge. Friedrich wandte sich mit seiner - wie er schrieb - „aus wahrhaft brüderlicher Gesinnung und christlichem Mitleiden" erwachsenen „freundschaftlichen und getreuen Mahnung und Ermunterung" nicht nur an Philipp, sondern gleichzeitig auch an Königin Elizabeth von England, die gerade im Begriff stand, mit Waffengewalt auf Seiten der Aufständischen in den spanisch-niederländischen Konflikt einzugreifen und ihn dadurch auszuweiten und zu verschärfen. Seine Ermahnung zum Frieden und zur Glaubens- und Gewissensfreiheit sollte indes unbeherzigt bleiben. Philipp und Elizabeth antworteten ihm zwar freundlich, ließen sich aber nicht bewegen, seinen Rat zu befolgen. 54 Dieser ging, soweit wir den Quellen entnehmen können, vor allem auf seinen außenpolitischen Ratgeber und Statthalter in den Herzogtümern Schleswig und Holstein, Heinrich Rantzau, zurück, einen Humanisten von europäischem Namen, der noch zu Luthers und Melanchthons Zeiten in Wittenberg studiert und dort bleibende Prägungen erfahren hatte. Rantzau hat auch nach Friedrichs Tod an den Grundgedanken der Initiative des Jahres 1586 festgehalten und sie den zerstrittenen Parteien 1591 erneut in einem eigenen Friedensplan unterbreitet. 55 Er war zutiefst von 54 Reimer Hansen, Die Geburt der modernen Glaubensfreiheit (Fn. 1), S. 19-21. 55 Reimer Hansen, Krieg und Frieden im Denken und Handeln Heinrich Rantzaus (1526-1598), in: Franz Josef Worstbrock (Hg.), Krieg und Frieden im Horizont des Renaissancehumanismus (= Mitteilung der Kommission für Humanismusforschung der Deutschen Forschungsge-
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ihrer Realisierbarkeit überzeugt, sofern man sich - wie er ausführte - nur zu leidtlichen Mitteln und Wegen wollt richten s die Religion frey und unturhirt laßen ... Dan die Gewißen laßen sich nicht zwingen und ist zu befürchten, das schwerlich Friede wirdt können getroffen werden, wo das liberum exercitium religionis nicht soll statt haben.56 Anders als bei seinen Lehrern Philipp Melanchthon und Martin Luther lief diese Form der Glaubensfreiheit unter Beibehaltung des gleichen allgemeinen Argumentationsmusters der Lehre von den beiden Regimenten letztlich auf eine christliche Wahrheitsbindung hinaus, die der konfessionellen PluralitätRechnung trug. Auch wenn sie damit der Realität, der sie entstammte und für die sie wiederum bestimmt war, weit besser entsprach als der absolute Geltungsanspruch der beiden Konfliktparteien, sollte ihr die Realisierung angesichts der europäischen Machtverhältnisse gleichwohl noch verwehrt bleiben. In dem Maße jedoch, wie die Erfahrung wuchs, dass die konfessionellen Konflikte am Ende nicht mit Waffengewalt entschieden werden konnten, vermochte sich auch die allgemeine Einsicht durchzusetzen, dass Glaube sich nicht erzwingen lasse und Glaubensfreiheit in christlicher Wahrheitsbindung Religionskriege wirksam zu überwinden vermöge. So konnten sich - um ein frühes Beispiel der deutschen Geschichte anzuführen - der Markgraf von Brandenburg und Pfalzgraf bei Rhein von Pfalz-Neuburg im Jahre 1609, als sich die konfessionellen Parteien des heraufziehenden Dreißigjährigen Krieges, die protestantische Union und die katholische Liga, bereits gebildet hatten, unter dem maßgeblichen Einfluß, wenn nicht gar Druck, des französischen Königs Heinrich IV. im jülich-klevischen Erbfolgestreit gegenüber den betroffenen Landständen gemeinsam verpflichten, die Catholische Römische, wie auch andere meinschaft 13), Weinheim 1986, S. 135-138; ders., Der Friedensplan Heinrich Rantzaus und die Irenik in der Zweiten Reformation, in: Heinz Schilling (Hg.), Die reformierte Konfessionalisierung in Deutschland. Das Problem der „Zweiten Reformation" (= Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte 195), Gütersloh 1986, S. 359-372; ders., Heinrich Rantzau (Fn. 1), S. 56-61. 56 Osterreichische Nationalbibliothek Wien, Cod. 9737 m, Heinrich Rantzau an Georg Braun am 13. 5. 1591.
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christliche Religion wie sowol im Römischen Reich als den vorstehenden Fürstenthumb Cleve und Graffschaft von der Marek in öffentlichen Gebrauch und Übung auch in diesem Fürstenthumh Jülich an einem jeden Ort öffentlich zu üben und zu gebrauchen, zuzulassen, zu continuiren und zu manuteniren und darüber Niemand an seinem Gewissen noch Exercitio zu turbiren, zu molestiren, noch zu betrüben. 57 Der Westfälische Friede sollte schließlich nach dem schweren Rückschlag des Dreißigjährigen Krieges im Osnabrücker Friedensvertrag über die Bestimmungen des Augsburger Religionsfriedens hinaus katholischen Untertanen protestantischer Reichsstände und protestantischen Untertanen katholischer Reichsstände versichern, dass sie künftig, sofern sie keinen Anlass zu Unruhen gäben, nachsichtig toleriert und nicht daran gehindert werden sollten, das heißt ohne Nachforschung oder Beunruhigung, sich zu Hause mit freiem Gewissen (conscientia libera) privat ihrer Andacht zu widmen, in der Nachbarschaft aber, wo und sooft sie es wollten, am öffentlichen Gottesdienst teilzunehmen und ihre Kinder in auswärtigen Schulen ihrer Konfession oder zu Hause von Privatlehrern unterrichten zu lassen.58 Die ursprünglich reformatorische Forderung nach Glaubensfreiheit ist hier - wenn auch noch deutlich konfessionell und juristisch beschränkt - zu einem persönlichen Rechtsanspruch fortgebildet worden, den nunmehr Katholiken, Lutheraner und Calvinisten geltend machen konnten, der ihnen in der politischen Wirklichkeit des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation indes noch manchenorts nicht erfüllt werden sollte. Das Wachstum der „Frucht der Reformation und ihrer Kämpfe", der Fortgang ihrer Entwicklung vom Postulat zum persönlichen Grundrecht der Glaubens- und Gewissensfreiheit, ist freilich unverkennbar. 57
Die Gegenreformation in Westfalen und am Niederrhein. Actenstücke und Erläuterungen 3 (1609-1623), zusammengestellt v. Ludwig Keller (= Publikationen aus den K. Preußischen Staatsarchiven 62), Leipzig 1895, S. 144. 58 Friedrich Philippi (Hg.), Der Westfälische Friede. Ein Gedenkbuch zur 250jähr. Wiederkehr des Tages seines Abschlusses am 24. Oktober 1648, Münster 1898, S. 45: Instrumentum Paris Caesareo-Suecicum Osnabrugense V 34.
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Kehren wir abschließend zum Ausgangspunkt unserer Erörterungen zurück und nehmen wir das Bild von der Geburt wieder auf. Luthers Forderung nach strikter evangelischer Wahrheitsbindung, ihre Erweiterung und Differenzierung im Rahmen eines zunächst evangelischen, dann christlichen und schließlich - bei einigen Humanisten - auch bereits religiösen Pluralismus markierten deutlich eine Entwicklung, in deren Verlauf die moderne Glaubensfreiheit aus dem Geist der Reformation geboren wird. Gewiß, sie ist zunächst das Argument der ihres Glaubens wegen von weltlicher Obrigkeit Bedrohten und Verfolgten, dann aber auch einsichtiger weltlicher Obrigkeit selbst und endlich ansatzweise öffentlicher Toleranz. Der Historiograph der Armada und damit des Höhepunktes in der kriegerischen Auseinandersetzung zwischen Philipp II. und Elizabeth I., Garrett Mattingly, hat im Zusammenhang dieser Entwicklung geradezu von einer historischen Lektion gesprochen. „Ideensysteme", schreibt er in der Sprache des 20. Jahrhunderts, „sind, obwohl sie sich in ihrer Ausbreitung gewöhnlich selbst begrenzen, schwerer zu töten als Menschen oder gar als Nationen. Von allen Kriegsarten ist ein Kreuzzug, ein totaler Krieg gegen ein Ideensystem, am schwersten zu gewinnen. In seiner reinen Natur war der Krieg zwischen Spanien und England schwerlich zu entscheiden; und da die Menschen nun einmal so sind, war selbst seine Lektion vergeblich. Der größte Teil Europas musste 30 Jahre lang einen weiteren Krieg führen, bis man erkannte, dass Kreuzzüge ein armseliger Weg sind, um Meinungsverschiedenheiten auszutragen, und dass zwei oder mehrere Ideensysteme ohne tödliche Gefahr nachbarschaftlich miteinander leben können." 59 Für Luther war die Forderung nach Glaubens- und Gewissensfreiheit unabdingbar an die eine evangelische Wahrheit gebunden. Das galt im Prinzip auch für Melanchthon und Rantzau. Melanchthon erweiterte die evangelische Wahrheitsbindung indes behutsam im ökumenischen Rahmen 60 , während Rantzau bereits mit seiner Forderung nach freier Religionsausübung entschieden 59 Garret Mattingly, The Armada, Boston 1959, S. 399 f. 60
35 f.
Reimer Hansen, Melanchthon und die Friedensfrage (Fn. 1), S. 32 f.,
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und ohne ausdrücklichen Vorbehalt der konfessionellen Pluralität des christlichen Glaubens Rechnung trug. Friedrich Schiller hat 1787 im „Don Carlos" den Marquis Posa an Philipp II. die Forderung richten lassen Geben Sie Gedankenfreiheit. 61 Die seither geflügelten Worte waren eine im Grunde unhistorische, weil dem Zeitgeist des ausgehenden 18. Jahrhunderts folgende Formulierung. Historisch korrekt hätte es Glaubens- und Gewissensfreiheit heißen müssen. Heute wissen wir, dass diese Forderung dem spanischen König wie seiner Kontrahentin auf dem englischen Königsthron tatsächlich vorgetragen worden ist. Wären dem Historiker Schiller die einschlägigen Akten des dänischen Reichsarchivs in Kopenhagen bereits bekannt gewesen: der Erfindung der Kunstfigur des Marquis Posa und der ahistorischpolitischen Aktualisierung hätte es gar nicht bedurft. In den weit gespannten Zusammenhängen des Konfessionellen Zeitalters gesehen, war die Maxime der Glaubensfreiheit in der Tat die Quintessenz einer aus den historischen Erfahrungen der erbitterten Konflikte des Konfessionellen Zeitalters gewonnenen allgemeinen Lehre, die dann in den politischen und gesellschaftlichen Konflikten während des Übergangs von der traditionalen zur modernen europäisch-atlantischen Zivilisation ohne Veränderung ihrer grundlegenden „Überzeugung, dass es ein vom Staate unabhängiges Recht des Gewissens gebe", gleichsam säkularisiert und nunmehr in Gestalt analoger Menschen- und Bürgerrechte mit unverminderter Evidenz geltend gemacht und behauptet werden konnte. Luthers Lehre von den beiden Reichen oder Regimenten enthält bereits das ausgeprägte allgemeine Denk- und Argumentationsmuster, das dann allen politischen Deklarationen und Konstitutionen vom Agreement of the People bis zu den Grundrechten der modernen demokratischen Staatsverfassungen und schließlich den allgemeinen internationalen und globalen Menschenrechtserklärungen, namentlich der Universal Declaration of Human Rights der Vereinten Nationen vom 10. 12. 1948, gemeinsam ist. Es bezeichnet neben der institutionell-funktionalen von Legislative, Exekutive und Judikative und der föderativen von Bund 61
Friedrich
Schiller; Don Carlos I I I 10.
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und Ländern, Mitgliedstaaten und Union eine dritte Form realer, konstitutiver Gewaltenteilung neuzeitlicher Staatsverfassung, indem es der prinzipiell begrenzten Staatsgewalt eine vom Staat unabhängige, unverletzliche Sphäre gegenüberstellt, die im Konfessionellen Zeitalter Gott, seit dem rationalen auch der Würde des Menschen reserviert ist. Georg Jellinek hat diesen Zusammenhang mit intuitiver Sicherheit erkannt, wenn auch methodisch und historisch nicht immer hinreichend stringent, eindeutig und unmißverständlich entwickelt und dargestellt. Der allgemeine historische Nachweis der Geburt der modernen Glaubensfreiheit und der sie notwendigerweise komplementierenden Toleranz aus dem Geist der Reformation möge indes auch die Triftigkeit seiner These, die modernen Menschenrechte seien „in Wahrheit eine Frucht der Reformation und ihrer Kämpfe", erneut verdeutlicht und bekräftigt haben. Für das übergeordnete Thema der Universitätsvorlesung und ihren offenkundigen Gegenwartsbezug mag der hiermit verbundene inter- und transdisziplinäre Zusammenhang, namentlich von Geschichts- und Rechtswissenschaft, überdies von besonderem, vielleicht sogar aktuellem Interesse erscheinen, denn mein Beitrag dürfte nicht nur ein spannendes, sondern auch ein lehrreiches historisches Kapitel über Glaubens- und Gewissensfreiheit behandelt haben, das im Wege des methodischen Vergleichs von allgemeiner und globaler Bedeutung sein könnte. Ich habe - um meine Kompetenz als Historiker nicht über Gebühr zu strapazieren und den epochalen Rahmen meines Themas nicht allzu weit zu überschreiten - bewusst darauf verzichtet, auch diesen Gesichtspunkt in den Blick zu nehmen und zu erörtern. Das möge der Diskussion und gegebenenfalls auch den folgenden Beiträgen zur Vorlesung vorbehalten bleiben. Ich möchte indes mit einer Ermunterung hierzu schließen, die ich in der Einleitung der erstmals 1844 erschienenen „Geschichte der englischen Revolution" von Friedrich Christoph Dahlmann gefunden habe. Der Historiker, Staatswissenschaftler und engagierte liberale Politiker schreibt dort: „Zwar ist Gottlob kein Theil der vielgliedrigen Geschichte der Menschheit so unfruchtbar, daß seine Darstellung ohne Ausbeute bliebe; es giebt aber historische Gebiete, deren überschwänglich fruchtbarer Boden doppelte und dreifache Ern-
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ten verspricht. A n sich selber lehrreich, fördern diese zugleich ein weiter reichendes Verständniß der Zeiten, lösen beängstigende Fragen der Gegenwart und enthüllen vielleicht einen Theil der uns schwachen Menschen sonst so unzugänglichen Zukunft." 6 2
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Friedrich Christoph Dahlmann, Geschichte der englischen Revolution, 5. Aufl., Leipzig 1848, S. 1 f.
Ethische Duldsamkeit und Glauben (Rechts-)Philosophische Grundlagen religiöser Toleranz Von Matthias Mahlmann I. Das Problem Menschliche Religiosität hat in der Geschichte viele Formen angenommen und auch die Gegenwart ist nicht durch weniger Vielfalt ausgezeichnet. Vieles mag deshalb strittig sein, z. B. hinsichtlich des Gottesbegriffs, der Erlösungs- und Rechtfertigungslehren, partikularer Regelungen von spezifischen Observanzen, der Stellung des Einzelnen zu Gott oder der Organisation der Glaubensgemeinschaft. Eines ist jedoch ein gemeinsamer Zug aller religiösen Orientierungen. Es handelt sich um keine Nebensache, die berührt wird. Es geht nicht um einen verzichtbaren Gang im Menü des menschlichen Lebens. Es geht um einen Kernaspekt der menschlichen Existenz, um das Stillen der metaphysischen Trostbedürftigkeit der Menschen. Dabei ist die Frage wichtig, ob der Tod der Schlussstrich ist oder dahinter sich ein Irgendwie des Weiterexistierens erstreckt, das vielleicht sogar eine Erlösung ist. Es handelt sich aber nicht nur um das Jenseits, sondern auch um die Farbe, in die das Leben auf dieser Welt selbst schon getaucht ist. Denn Religionen beantworten auf die eine oder andere Weise die Frage nach dem Sinn des Ganzen der Welt und des Sinns der einzelnen menschlichen Existenz auf seiner irdischen Bahn, sei es, dass dieser vom Ganzen abgeleitet, sei es dass dieser für das Individuum selbstständig religiös gewonnen wird. Sie sind damit Antworten auf die Frage, was Menschen hinsichtlich der letzten Dinge hoffen dürfen. 1 1 Und damit um die dritte der Kantischen Fragen, Immanuel Kant , Kritik der reinen Vernunft, Akademie Ausgabe Bd. III, S. 522.
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Diese Antworten können sehr unterschiedlich sein. Die antiken, attischen Götter der wechselnden Launen, die aus Rache Städte verwüsten oder einen Seefahrer mit immer neuen Mitteln von seinem Weg nach Hause abbringen, verkörpern ein Gefühl des Ausgeliefertseins und der Unbeherrschbarkeit des menschlichen Lebens. Andere Religionen dagegen trösten und versichern die Menschen in der Empfindung, letztendlich doch in der Welt zu Hause zu sein, wie sehr sie durch individuelles Leid und kollektive Schrecken an dieser Vorstellung auch irre werden mögen. Die Fragen, auf die Religionen antworten, sind auch in der Moderne nicht verstummt oder durch andere Güter, etwa die Bequemlichkeiten des modernen Wohlstands, die Gesichertheit der Lebensverhältnisse überflüssig gemacht worden. Denn erstens besteht dieser Wohlstand, diese Gesichertheit in globaler Perspektive sowieso nur für eine Minderheit von Menschen. Und zweitens erheben Sinnfragen ihren Kopf nicht weniger selbstbewusst und drängend, wenn der Bauch gefüllt ist und man sich auf der Ruhestätte des Wohlbehagens niedergelassen hat - auch dann kann die Welt als wüstes Land erscheinen, in dem der Schrecken der geistigen Leere regiert. Diese Beobachtungen sind nicht überflüssig für das Thema der religiösen Toleranz, denn sie zeigen, dass es keinen Grund gibt, anzunehmen, das Problem des Zusammenlebens verschiedener Religionen werde dadurch verschwinden, dass die Religionen durch einen notwendig fortschreitenden Säkularisierungsprozess an Bedeutung verlieren würden. Die Gegenwart unterstreicht die Richtigkeit dieser Einschätzung. Religionen sind mit Nachdruck aus dem privaten Bereich des individuellen Lebens herausgetreten, in den sie zu einem gewissen Grade ihren Existenzmittelpunkt verlagert hatten und sind zu einem unübersehbaren, zentralen Faktor der Politik geworden. Dies gilt für den politischen Islam, es gilt aber auch für andere Religionen. Man denke etwa an die Rolle christlich-evangelikaler Strömungen in den USA oder eine bestimmte Fassung des Hinduismus, der in Indien zu einer machtvollen politischen Kraft geworden ist - mit gefährlichen Konsequenzen, wie die Ausschreitungen gegen Muslime z. B. illustrieren.
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Es gilt aber auch in einem weiteren Sinn. Es gibt Anzeichen dafür, dass bestimmte große Herausforderungen aus der Sicht vieler Menschen nicht ohne religiöse Bezüge beantwortet werden können - die Bioethik ist hierfür ein gutes Beispiel, in der religiöse Bestimmungen etwa zum Beginn des Lebens eines Menschen und des Ursprungs menschlicher Würde eine wichtige und einflussreiche Rolle spielen. Religionen werden also weiter das Leben der Menschen in einem existentiellen Kern bestimmen und zwar in vielfältiger, zunehmend pluralistischer Form, wie schon das weitere Emporwachsen neuer Formen der Spiritualität illustriert. 2 Damit ist das Problem der religiösen Toleranz, von ethischer Duldsamkeit und Glauben für lange Zeit und - denkt man an die Art der religiös motivierten Konflikte in der Welt - mit dem Nachdruck einer zivilisatorischen Existenzfrage gestellt. Die folgenden Erwägungen werden zunächst einen kurzen historischen Rückblick unternehmen und dann eine systematische Musterung zentraler Toleranzargumente vornehmen, um dann eine Grundlegung religiöser Toleranz aus einem säkular-humanistischen Begriff der menschlichen Würde zu umreißen.
II. Glaubenszwang und das Kleinod der menschlichen Glückseligkeit Die Toleranzdiskussion ist lang und gewunden.3 Man kann bei ihrer Nachzeichnung in der Antike einsetzen und auf den Synkretismus der griechischen Welt oder die wechselnde Religionsgeschichte des römischen Weltreichs verweisen. Entscheidende Argumente wurden in der christlichen Tradition geprägt. Einige Schlaglichter sollen dies verdeutlichen. Augustinus hat zunächst für Toleranz gestritten, aus pragmatischen,4 aber auch und mit Nachdruck aus dem prinzipiellen 2
Vgl. den Beitrag von Rottleuthner in diesem Band. Vgl. ausführlich Rainer Forst , Toleranz im Konflikt, Frankfurt am Main 2003. 3
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Grund der Unmöglichkeit des Glaubenszwangs.5 Als das Christentum aber Kirche des römischen Imperiums geworden war, hat er Zwangsbekehrungen, etwa im Donatistenstreit, gerechtfertigt. 6 Anknüpfungspunkt bildet dabei das Gleichnis vom Gastmahl7 mit seinem Motiv des Zwangs, in das Haus einzutreten und am Gastmahl teilzunehmen - dem sog. compelle intrare, das in der Folge zu einem Leitmotiv der Toleranzdiskussion werden sollte. Wenn die Kirche Zwang ausübe, so das Argument, sei dies legitimiert durch das Ziel, für das dieser Zwang angewandt werde. Diejenigen, die dem Glaubenszwang unterworfen seien, hätten keinen Grund zur Klage, wenn sie nur beachteten, wozu sie gezwungen würden 8 - letztendlich zur Bewahrung des Seelenheils. Th. v. Aquin hat eine differenzierte Toleranzlehre formuliert. Er hat sich bei Juden und sog. Heiden gegen Zwang zu glauben und Zwangstaufen ausgesprochen.9 Diese Toleranzforderung hatte dabei durchaus pragmatische Gründe. Die Gegenwart der Juden etwa stärkte aus seiner Sicht den christlichen Glauben. „Daraus aber, daß die Juden ihre Religionsgebräuche hüten, in denen einst die Wahrheit des von uns festgehaltenen Glaubens vorgebildet war, erwächst dieses Gute, daß wir von Seiten unserer Feinde ein Zeugnis für unsern Glauben haben und daß uns gleich4 Z. B. gegenüber Prostituierten: „Aufer meretrices de rebus humanis, turbaveris omnia libidinibus", Augustinus, De Ordine, in: Patriologiae ursus completus, series latina, tomus X X X I I , 1000. 5 „Intrare quisquam ecclesiam potest nolens, accedere ad altare potest nolens, accipere Sacramentum potest nolens: credere non potest nisi volens", Augustinus , In Joannis Evangelium, in: Patriologiae cursus completus, series latina, tomus XXXV, 1379, 1607. 6 Vgl. etwa Augustinus , Epistola ad Vincentium, in: Patriologiae cursus completus, series latina, tomus X X X I I I , 329 f. 7 Lukas 14, 23. 8 Augustinus , De Correctione Donatistarum Liber, Seu Epistula CLXXXV, in: Patriologiae cursus completus, series latina, tomus X X X I I I , 792, 804: „Quapropter, si potestate quam per religionem ac fidem regum, tempore quo debuit, divino muñere accepit Ecclesiam, hi qui inveniuntur in viis et in sepibus, id est in haeresibus et schismatibus, coguntur intrare; non quia coguntur reprehendat, sed quo cogantur, attendant." 9 Thomas v. Aquin , Summa Theologica, II-II, q. 10, 8; II-II, q. 10, 12.
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sam im Bilde vor Augen steht, was wir glauben. Eben deshalb werden sie in ihren Gebräuchen geduldet". 10 Bei Intoleranz seien in bestimmten Fällen auch größere Übel zu befürchten als bei einem toleranten Verhalten, z. B. im Fall einer großen Zahl von Ungläubigen, die man praktisch nicht unterdrücken könne. 11 Er betont auch in höchst differenzierten Gedanken die Bedeutung des subjektiven Gewissens, dem im Prinzip zu folgen sei. Ein Irrtum über das religiöse Gesetz sei aber Sünde und zu bestrafen. Gegenüber christlichen Häretikern hat er deswegen den Kirchenausschluss verteidigt und sich für die Todesstrafe ausgesprochen. 12 Luther hat zunächst gegen Glaubenszwang gestritten: „Das weltliche Regiment hat Gesetze, die sich nicht weiter erstrecken, denn über Leib und Gut und was sonst äußerlich ist auf Erden. Denn über die Seele kann und will Gott niemand regieren lassen als sich selbst allein. Darum, wo weltliche Gewalt sich anmaßt, der Seele Gesetze zu geben, da greift sie Gott in sein Regiment und verführt und verdirbt nur die Seelen. ( . . . ) Denn wie hart sie gebieten und wie fest sie toben, so könnten sie die Leute nicht weiter drängen, als daß sie mit dem Mund und der Hand ihnen folgen, das Herz vermögen sie ja nicht zu zwingen ( . . . ) und so beladen sie sich selbst mit gräulichen fremden Sünden. Denn alle die Lügen und falschen Bekenntnisse, die solche schwachen Gewissen tun, fallen auf den zurück, der sie erzwingt". 13 Später, als Reaktion auf protestantische Spaltungen, hat Luther dann die Verfolgung von Ketzern verteidigt, die als öffentliche Lästerer zu bestrafen seien.14 Auch für die Todesstrafe hat Luther sich ausgesprochen, z. B. durch den Beitritt zu einem Gutachten 10 Thomas von Aquin , Summa Theologica, II-II, q. 10, 11. Übersetzung nach der deutschen Thomas-Ausgabe. 11 Thomas v. Aquin , Summa Theologica, II-II, q. 10, 11. 12 Thomas v. Aquin , Summa Theologica, II-II, q. 10, 8; zur Todesstrafe ebd. II-II, q. 11,3. 13 Martin Luther ; Von weltlicher Obrigkeit, Weimarer Ausgabe 11, S. 262, 264. 14 Martin Luther. ; Der 82. Psalm ausgelegt 1530, Weimarer Ausgabe 31, I, S. 208.
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Wittenberger Theologen an den Landgrafen Philip von Hessen, der um Rat nachsuchte, wie mit gefangenen Wiedertäufern zu verfahren sei und in dem die Tötung befürwortet wurde. Luther setzte hinzu: „Das ist die gemeine Regel, doch mag unser gn. Herr allzeit Gnade neben der Strafe gehen lassen nach der Gelegenheit der Zufälle." 15 Auch andere protestantische Traditionen kannten den Glaubenszwang: Calvins Verfolgung von Unglauben hatte mit M. Servet sogar ein besonders berühmtes Opfer. Mit dem Aufdämmern des Humanismus verstärkte sich die Toleranzdiskussion. Die Idee einer die verschiedenen Religionen vereinigenden Universalreligion kam auf, die ohne Zweifel Türen des interreligiösen Dialogs aufstieß. 16 Sie impliziert allerdings die Gefahr, die Einheitsreligion auf Kosten von Minderheitsreligionen zu verwirklichen. Nicht umsonst haben sich Angehörige von Minderheitsreligionen gegen die Idee der Einheitsreligion gewandt, z. B. Moses Mendelssohn. 17 Hobbes hat dem Herrscher die totale Verfügungsgewalt über die Äußerlichkeiten der Religion, dem Einzelnen nur individuelle Gewissensfreiheit eingeräumt. 18 Einen Markstein bildet dann Lockes Toleranzbrief, der eine Begründung von staatlicher Macht aus den Friedens- und Organisationsinteressen der gesellschaftlichen Assoziation von Menschen formuliert, im Geist der Gesellschaftsvertragstheorien der Neuzeit. 19 Dies ist ein wichtiger Gedanke. Staatszweck und Heilsordnung werden getrennt und diese Trennung als Begründungs weg der Toleranz genutzt. Locke diskutiert auch ausführlich das sog. Paradox der Toleranz, also die Frage, wo die Grenze der Toleranz verläuft und wie sie begründet werden kann, ohne die Toleranzbegründung insgesamt widersprüchlich zu machen. Denn wenn is Vgl. Weimarer Ausgabe, 50, S. 12,15. 16
Ernst Cassirer, Philosophie der Aufklärung, Tübingen 1932, S. 182 ff. Moses Mendelssohn , Jerusalem oder über religiöse Macht und Judentum, in: Schriften über Religion und Aufklärung, Berlin 1989. 18 Thomas Hobbes, Leviathan. 19 John Locke , A Letter concerning Toleration, in: Ein Brief über Toleranz, Hamburg 1996. 17
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es eine solche Grenze gibt, schlägt Toleranz bei ihrer Überschreitung in Intoleranz um. Bei Locke ist die Grenze der Toleranz zu einem gewissen Grade bei Katholiken und entschieden bei Atheisten erreicht. 20 Ein wichtiger und aus der Sicht mancher moderner Forschungen sogar entscheidender Autor der historischen Toleranzdiskussion ist Pierre Bayle, der so weit ging - eine Ausnahme im historischen Toleranzdiskurs - , auch die Gruppe der Atheisten zu denen zu zählen, denen gegenüber Toleranz angebracht sein könne. 21 Damit ist das Zeitalter erreicht, in dem Glaubensfreiheit als Menschenrecht ausdrücklich konzipiert und rechtlich durchgesetzt wird, insbesondere in der amerikanischen Revolution. Welche Rolle die Glaubensfreiheit spielt, die manche Rekonstruktionen der Ideengeschichte der Menschenrechte sogar zum UrMenschenrecht erheben, 22 illustriert ein Beispiel aus Lockes praktischer Tätigkeit. Locke war als Investor sowie als Sekretär und Berater für im Sklavenhandel tätige Gruppen mit dem Sklavenhandel verbunden 23 und arbeitete vermutlich die Constitutions of Carolina aus, keine Verfassung im staatsrechtlichen Sinn, sondern eine Art Satzung der Gesellschaft, die die koloniale Bewirtschaftung Carolinas betrieb. Darin wird einerseits die absolute Macht 20 John Locke, A Letter concerning Toleration, in: Ein Brief über Toleranz, Hamburg 1996, S. 94: „Lastly, Those are not at all to be tolerated who deny the being of God. Promises, covenants, and oaths, which are the bond of human society, can have no hold upon an atheist. The taking away of God, though but even in thought, dissolves all". 21 Pierre Bayle, Commentaire Philosophique sur ces paroles de JésusChrist, contrain-les d'entrer, in: Œuvres diverses de Mr. Pierre Bayle, La Haye 1727, Tome Second, S. 355 ff. 22 Vgl. z. B. Georg Jellinek, Die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte, in: Zur Geschichte der Erklärung der Menschenrechte, R. Schnur (Hrsg.), Darmstadt 1964, S. 53 f. Anders z. B. Martin Kriele, Zur Geschichte der Grund- und Menschenrechte, in: Festschrift Scupin, Berlin 1973, S. 187, 204: „habeas corpus"; Jean-Francois Lyotard, The Others Spirit, in: S. Shute/S. Hurley (Hrsg.): On Human Rights, New York 1993, S. 135 ff.: Redefreiheit. 23 Vgl. zur Diskussion Wayne Glausser, Three Approaches to Locke and the Slave Trade, in: Journal of the History of Ideas, 1990, S. 199 ff.
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des Sklavenbesitzers über seine Sklaven festgehalten, 24 andererseits aber auch ihre Glaubensfreiheit - beim Bekenntnis waren sogar die Sklaven frei. 25 Ein bemerkenswertes Werk zu Toleranz ist M. Mendelssohns Jerusalem oder über religiöse Macht und Judentum. Die Schrift ist deshalb so bedeutsam, weil sie aus der Perspektive einer Minderheitsreligion geschrieben ist - man spürt zwischen den Zeilen die bedrückte Lage, die sich gerade in der Notwendigkeit einer brückenschlagenden Sprache enthüllt, denn eine Minderheit in der Lage der Juden des 18. Jahrhunderts konnte sich keinen auftrumpfenden Tonfall gestatten. Und gleichzeitig zieht Mendelssohn eine entschiedene Grenze - gegenüber der Bewahrung des eigenen Glaubens haben keine anderen Ziele Vorrang. Wenn die Christen nur unter dem Vorbehalt gemeinsam in einem bürgerlichen Zustand leben wollten, dass die Juden ihre Religion aufgäben, müsse man auf diesen gemeinsamen bürgerlichen Zustand verzichten. 26 Denn es gilt für Mendelssohn, dass die Glaubensfreiheit das „edelste Kleinod der menschlichen Glückseligkeit" sei. 27 Kant hat diese Schrift in einem Brief an Mendelssohn sehr gelobt: „Ich halte dieses Buch vor die Verkündigung einer großen, obzwar langsam bevorstehenden und fortrückenden Reform, die nicht allein Ihre Nation, sondern auch andere treffen wird. Sie haben Ihre Religion mit einem solchen Grade von Gewissensfreiheit zu vereinigen gewusst, die man ihr gar nicht zu getrauet hätte und dergleichen sich keine andere rühmen kan. Sie haben 24
John Locke , The Fundamental Constitutions of Carolina, The Works of John Locke, Vol. X, London 1823, S. 175 ff., CX: „Every freeman of Carolina shall have absolute power and authority over his negro slaves, of what opinion or religion soever." 25 Ebd. CVII: „Since charity obliges us to wish well to the souls of men, and religion ought to alter nothing in any man's civil estate or right, it shall be lawful for slaves, as well as others, to enter themselves, and be of what church or profession any of them shall think best, and thereof be as fully member as any freeman. But yet no slave shall hereby be exempted from that civil dominion his master hath over him, but be in all other things in the same state and condition he was in before." 26
Moses Mendelssohn , Jerusalem oder über religiöse Macht und Judentum, in: Schriften über Religion und Aufklärung, Berlin 1989, S. 453. 27 Ebd. S. 353.
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zugleich die Nothwendigkeit einer unbeschränkten Gewissensfreiheit zu jeder Religion so gründlich und so hell vorgetragen, daß auch endlich die Kirche unserer Seits darauf wird denken müssen, wie sie alles, was das Gewissen belästigen und drücken kan, von der ihrigen absondere, welches endlich die Menschen in Ansehung der wesentlichen Religionspuncte vereinigen muß". 2 8 Ein bemerkenswertes Zeugnis, wenn auch Kant in manchen Schriften Anmerkungen zum Judentum gemacht hat, die sich nicht auf dem Niveau dieser Briefstelle bewegen. 2 9
III. Systematische Argumente für Toleranz Der historische Diskurs hat bis zur Aufklärung die wesentlichen Argumente zur Begründung der religiösen Toleranz zusammengetragen. Mit ein wenig Mut zur erkenntnisleitenden Vereinfachung lassen sich acht zentrale Argumente für religiöse Toleranz ausmachen. Die beiden ersten folgern religiöse Toleranz aus der Praxis als besonders musterhaft ausgezeichneter Kulturen der Vergangenheit oder Gegenwart und den partikularen Glaubensinhalten bestimmter Religionen. Voltaire hat z. B. so in Bezug auf die Antike und die Barmherzigkeit des Christentums für religiöse Toleranz argumentiert, nachdem der Hugenotte Jean Calas von Katholiken gerädert worden war, weil er angeblich seinen Sohn umgebracht hatte, der konvertieren wollte. 3 0 Die Argumente haben für eine 28
Immanuel Kant , Brief an Mendelssohn, 16. 8.1783, Akademie Ausgabe, Bd. X, S. 347. 29 Vgl. z. B. Immanuel Kant , Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft, Akademie Ausgabe Bd. VI, S. 184 Fn. Bekannt sind auch die Gedanken in Immanuel Kant , Der Streit der Fakultäten, Akademie Ausgabe, Bd. VII, 52 ff., wo einerseits die Perspektive einer von allen statutarischen Religionsgebräuchen befreiten Vernunftreligion für Christen und Juden eröffnet wird, andererseits aber von den Juden wesentliche Änderungen ihrer Religionsinhalte dafür zur Bedingung gemacht werden, dass ihr Glaube „auch von der Regierung sanctioniert werden könnte", ebd. 53. 30 Vgl. z. B. Voltaire , Traité sur la tolérance à l'occasion de la mort de Jean Calas, in: Les Œuvres complétés de Voltaire, Vol. 56c, Oxford 2000, 159 ff., 219.
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Toleranzbegründung nur begrenzte Kraft, ganz abgesehen davon, wie es um den konkreten sachlichen Gehalt steht, also ob z. B. die Antike tatsächlich tolerant war oder nicht. Denn diese Argumente sind über bestimmte Traditions- und Religionsgrenzen hinweg nicht verallgemeinerbar. Universalisierbarkeit ist aber eine der zentralen Anforderungen an eine überzeugende Toleranzbegründung, die partikulare religiöse und weltanschauliche Grenzen gerade überschreiten muss, um ihre friedensstiftende Funktion erfüllen zu können. Ein drittes Argument verweist auf die Trennung von Staat und Kirche und allgemeiner von Recht und Moral. Die Religiosität wird in die Privatheit entlassen, die die organisierte staatliche Gemeinschaft nicht berührt. Dieses Argument, das sich z. B. bei Locke in entwickelter Form findet, 31 setzt aber in gewisser Weise voraus, was es zu begründen gilt - dass der Staat nämlich verschiedene Religionen gleichermaßen achten, also auf die Durchsetzung einer Religion verzichten solle. Dieses Argument ist deshalb eine staatsstrukturelle Folgerung aus religiöser Toleranz, kann aber keine Begründung für Toleranz selbst bilden. Ein viertes Argument führt zu einem zentralen Aspekt des Problems. Man kann dieses Argument das religionsepistemologische nennen. Es begründet religiöse Toleranz mit der spezifischen Ungewissheit von Religionslehren. Locke z. B. hat die Unsicherheit von religiösen Überzeugungen betont, die gerade nicht dadurch behoben werden könne, dass bestimmte weltliche oder kirchliche Autoritäten diese Fragen entschieden, denn deren Differenzen seien bekannt genug.32 Eine klassische Fassung stammt 31
Vgl. o. Fn 19. Augustinus Unterscheidung der civitas dei, der Heilsgemeinschaft der Christen, der civitas terrena, der Menge der Sündigen, und der weltlichen Staatsordnung, die den „babylonischen Frieden" gewährleiste, ist ebenso wie Luthers sogenannte Zwei-Reiche-Lehre nur ein Vorläufer einer wirklichen Trennung von Kirche und Staat, weil diese Konzepte in eine allgemeine Heilsordnung eingeordnet sind. 32
John Locke , A Letter concerning Toleration in: Ein Brief über Toleranz, Hamburg 1996, S. 46 ff., 52: „To conclude, it is the same thing whether a king that prescribes laws to another man's religion pretend to do it by his own judgement, or by the ecclesiastical authority and advice of others. The decisions of churchmen, whose differences and disputes are sufficiently known, cannot be any sounder or safer than his: nor can
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von P. Bayle: „ I i est impossible, dans l'état où nous nous trouvons, de connoître certainement, que la vérité qui nous paroît ( . . . ) est la vérité absolue; car tout ce que nour pourons faire est d'être pleinement convaincus, que nous tenons la vérité absoluë, que nous ne nous trompons point, que sont les autres que se trompent, toutes marques équivoques de vérité, puis qu'elles se trouvent dans les Païens, & dans les Hérétiques les plus perdus". 33 Auch Voltaire hat ähnlich argumentiert: „La conaissance des secrets de Dieu n'est pas le partage de cette vie. Plongés ici dans des ténèbres profondes, nous nous battons les uns contre les autres, et nous frappons au hasard au milieu de cette nuit, sans savoir précisément pourquoi nous combattons". 34 Moses Mendelssohn berichtet: „ M i t meinem besten Freunde, mit dem ich noch so einhellig zu denken glaubte, konnte ich mich sehr oft über Wahrheiten der Philosophie und Religion nicht vereinigen. ( . . . ) Gleichwohl waren wir beiderseits im Denken nicht ungeübt, gewohnt mit abgesonderten Begriffen umzugehen, und beiden schien es um die Wahrheit in Ernst, mehr um sie als ums Rechthaben zu tun zu sein. Demohngeachtet mußten sich unsere Begriffe, lange Zeit aneinander reiben, bevor sie ineinander sich wollten fügen lassen, bevor wir mit einiger Zuverlässigkeit sagen konnten: Hierin kommen wir überein! Oh! Wer diese Erfahrung in seinem Leben gehabt hat und noch intolerant sein, noch seinen Nächsten hassen kann, weil dieser in Religionssachen nicht denkt oder sich nicht so ausdrückt wie er, den möchte ich nie zum Freunde haben; denn er hat alle Menschheit ausgezogen".35 all their suffrages joined together add any new strength unto the civil power". 33 Pierre Bayle , Commentaire Philosophique sur ces paroles de JésusChrist, contrain-les d'entrer, in: Œuvres diverses de Mr. Pierre Bayle, La Haye 1727, Tome Second, S. 437. 34 Voltaire , Traité sur la tolérance à l'occasion de la mort de Jean Calas, in: Les Œuvres complétés de Voltaire, Vol. 56c, Oxford 2000, S. 216 35 Moses Mendelssohn, Jerusalem oder über religiöse Macht und Judentum, in: Schriften über Religion und Aufklärung, Berlin 1989, S. 386 f. Diese Aussage ist natürlich auch die Pointe der Adaption der Ringparabel durch Mendelssohns Freund Lessing. Denn die Voraussetzung der Parabel ist ja gerade, dass wir nicht mehr wissen, wer den Segen bringenden Ring trägt und deshalb auf die Taten der Religion schauen müssen, um es zu erkennen.
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Auf den philosophischen Begriff hat das Problem Kants Kritik der Gottesbeweise in der Kritik der reinen Vernunft gebracht und der Sache nach von einer allgemeinen, skeptischen Erkenntniskritik abgesetzt, die jede Erkenntnis für gleichermaßen unsicher erklärt. Kern der Sache ist Kants Auseinandersetzung mit den klassischen Gottesbeweisen, die den Versuch verkörpern, religiöse Vorstellungen gegen skeptische Zweifel abzuschirmen. Diese Kritik wird in der transzendentalen Dialektik entfaltet, also dem Teil der Kritik der reinen Vernunft, die die Vernunft vor spekulativen Fehlschlüssen schützen soll, die der Vernunft nahe liegen, sie aber auf Abwege des Irrtums führen. Aus Kants Sicht kann es nur drei Gottesbeweise geben, den ontologischen, kosmologischen und den physikotheologischen Gottesbeweis. Der ontologische Gottesbeweis schließe von der Vollkommenheit oder höchsten Realität eines Wesens auf die notwendige Existenz dieses Wesens, weil Existenz zur Vollkommenheit oder höchsten Realität gehöre. 36 Der kosmologische Gottesbeweis folgere aus der Notwendigkeit eines letzten Kausalgrundes für jede Existenz und der Existenz der Welt, dass Gott die letzte Ursache dieser Welt sein müsse.37 Der physikotheologische Gottesbeweis gewinne den Beweis Gottes aus der bewundernswürdigen Zweckmäßigkeit der Welt, die einen vernunftbegabten, vollkommenen Schöpfer dieser Ordnung voraussetze. 38 Aus Kants Sicht führen sowohl der kosmologische als auch der physikotheologische Gottesbeweis auf den ontologischen Gottesbeweis zurück, der deswegen der eigentliche Kern der Sache sei. Der kosmologische Gottesbeweis schließe aus der Notwendigkeit einer Ursache für die Existenz der Welt, dass Gott diese Ursache sein müsse, weil nur Gott die höchste Realität verkörpere, die allein die notwendige Ursache bilden könne. Damit könne das Verhältnis von Notwendigkeit der Existenz und höchster Realität auch umgekehrt werden. Dann gelte, dass die höchste Realität 36
Immanuel Kant, Kritik der reinen Vernunft, Akademie Ausgabe, Bd. III, S. 397 ff. 37 Ebd. 403. 3 « Ebd. 413.
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auch die Notwendigkeit der Existenz impliziere. Damit sei man aber wieder beim ontologischen Gottesbeweis angelangt, der ja gerade aus dem Begriff des allerrealsten Wesens auch die Sicherheit seiner Existenz gewinne. 39 Der physikotheologische Gottesbeweis verdient nach Kant „jederzeit mit Achtung genannt zu werden. Er ist der älteste, klärste und der gemeinen Menschenvernunft am meisten angemessene".40 Auch er aber erreiche selbstständig nicht sein Beweisziel. Man könne aus der Erscheinung der Welt nicht auf die Natur des Urhebers schließen, denn die Erscheinung und ihre Bewertung sei relativ zum Betrachter. 41 Außerdem verweise der physikotheologische Gottesbegriff auf den kosmologischen, weil aus der Existenz der Welt und dem Satz, dass alles eine notwendige Ursache haben müsse, auf Gott als notwendige Ursache der Welt geschlossen werde. Da aber der kosmologische Gottesbeweis auf den ontologischen Gottesbeweis führe, sei dieser der letzte Kern aller Gottesbeweise.42 Kant kritisiert nun diesen ontologischen Gottesbeweis mit Worten, die in keiner Philosophiegeschichte fehlen. Sein Argument lautet kurz gefasst, dass die Existenz eines Dinges nicht aus seinem Begriff deduziert werden könne, Existenzsätze also synthetisch, nicht analytisch seien. Die Existenz eines Dinges ist mithin eine empirische Frage, die durch Spekulation oder Begriffsanalyse nicht entschieden werden könne. 43 Daraus folgt für Kant die zentrale Konsequenz seiner theoretischen Religionsphilosophie: Positives, propositionales Wissen von der Existenz Gottes und seinen Attributen übersteigt die menschlichen Erkenntniskräfte. 39 Ebd. 405 f. 40 Ebd. 415. Ebd. 418. 42 Ebd. 418 f. 43 Ebd. 398: „Wenn ich das Prädicat in einem identischen Urtheile aufhebe und behalte das Subjekt, so entspringt ein Widerspruch, und daher sage ich: jenes kommt diesem nothwendiger Weise zu. Hebe ich aber das Subjekt zusammt dem Prädicate auf, so entspringt kein Widerspruch; denn es ist nichts mehr, welchem widersprochen werden könnte. Einen Triangel setzen und doch die drei Winkel desselben aufheben, ist widersprechend; aber den Triangel sammt seinen drei Winkeln aufheben ist kein Widerspruch."
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Kant ist kein Atheist. Denn er unterstreicht, dass auch positives Wissen von der Nicht-Existenz Gottes ausgeschlossen sei. Auch dieser Frage ständen die menschlichen Erkenntniskräfte gleichermaßen hilflos gegenüber. 44 Gott spielt in Kants Philosophie in zwei Weisen auch nach diesen Überlegungen eine bestimmte Rolle. In theoretischer Hinsicht sei der Begriff eine in „mancher Hinsicht sehr nützliche Idee". 45 Er verkörpere nämlich die Vorstellung einer letzten Ursache der Dinge und stelle der Wissenschaft damit eine Aufgabe, der sie nachzustreben habe und sei insofern eine regulative Idee. Der Gottesbegriff ist damit ein Prinzip der Ordnung der Verstandestätigkeit durch Ausrichtung auf ein Erkenntnisideal. Damit wird aber kein neuer Gottesbeweis geschmiedet. Denn Kant betont, dass die letzte Ursache niemals positiv gewusst werden könne, also regulative Idee bleibe. Dass die regulative Idee eines letzten Grundes als personenhafter Gott gedacht werde, liege dabei am Hang der Menschen zu Anthropomorphismen. 46 Auch in der Moraltheologie entwickelt Kant keinen versteckten Gottesbeweis. Zwar führt laut Kant die Idee des höchsten Gutes, das aus seiner Sicht im Gleichmaß von Würdigkeit zur Glückseligkeit und tatsächlich gegebener Glückseligkeit besteht, auf die Notwendigkeit, Gottes Existenz zu postulieren. Denn nur unter der Annahme der Existenz Gottes könne die durch Moralität begründete Würdigkeit, glückselig zu sein, und die tatsächlich erreichte Glückseligkeit wenigstens im ewigen Leben ins Ebenmaß gebracht werden. 47 Im irdischen Leben sei dies nicht zu erwarten. 48 Diese Postulation Gottes ruht aber erstens auf schwanken44 Ebd. 425. 45 Ebd. 403. 46 Ebd. S. 452 ff. 47 Immanuel Kant, Kritik der reinen Vernunft, S. 529; ders., Kritik der praktischen Vernunft, Akademie Ausgabe, Bd. V, S. 122 ff. 48 Immanuel Kant, Kritik der praktischen Vernunft, Akademie Ausgabe, Bd. V, S. 128: „Aber das moralische Gesetz für sich verheißt doch keine Glückseligkeit; denn diese ist nach Begriffen von einer Naturordnung überhaupt mit der Befolgung desselben nicht nothwendig verbunden" (Herv. i. Org.). Vgl. auch Immanuel Kant, Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft, Akademie Ausgabe, Bd. III, S. 7, Fn.
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dem Grund, denn es ist natürlich keineswegs abwegig anzunehmen, die Welt sei schlicht solcher Natur, dass Moralität und damit die Würdigkeit zur Glückseligkeit keineswegs auch tatsächlich zur Glückseligkeit führten. Kants Argument ruht auf starken teleologischen Annahmen, die das Gewicht seines Gedankens nicht tragen. 49 Zweitens aber erfolgt die Postulation Gottes nur in praktischer Hinsicht, ist also auch nicht mit einer positiven Existenzaussage verbunden, die Kants Kritik der Gottesbeweise ja gerade für unmöglich erklärt hatte. 50 Die Versuche, Gottesbeweise zu formulieren, hat eine lange Tradition. Nicht nur Anselm von Canterbury, Descartes oder Leibniz haben derartige Versuche unternommen, auch in der Gegenwart werden ähnliche Bemühungen angestellt.51 Man kann aber wohl sagen, dass Kant einen philosophischen Schlusspunkt hinter die Versuche gesetzt hat, sicheres Wissen über die Existenz Gottes zu gewinnen, indem er klargestellt hat, wo die erkenntnistheoretische Problematik dieser Beweisführungen liegt. Dies gilt übrigens unabhängig davon, ob man das Projekt einer transzendentalphilosophischen Erkenntnistheorie für überzeugend hält oder nicht. Aus dieser Einsicht kann man nun als denkender und geistige Orientierung suchender Mensch in verschiedenen Richtungen fortschreiten. Man kann zu dem Schluss kommen, dass damit die Frage der Existenz Gottes erledigt sei, weil man der Maxime der Weltauslegung folgt, dass, wenn es keine positiven Hinweise auf die Existenz einer Entität gibt, man von der Nicht-Existenz dieser 49 So John Rawls, Lectures on the History of Moral Philosophy, Cambridge (Mass.) 2000, S. 313 ff., wenn auch Rawls gewisse positive Funktionen der Moralstabilisierung durch Glauben einräumt, wenn denn ein solcher Glauben unterhalten wird. Zum ganzen Matthias Mahlmann/ John Mikhail , The liberalism of freedom in the history of moral philosophy, Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie (2003), S. 122,130. 50 Immanuel Kant , Kritik der Urteilskraft, Akademie Ausgabe, Bd. V, S. 450 nennt diesen Gedanken einen „Beweis" Gottes, allerdings keinen „objektiv-gültigen", ebd., Fn. 51 Zu Anselm von Canterburys Fassung ders, Proslogion, 2 - 4 ; zu Descartes Formulierung vgl. z. B. ders., Principia philosophiae, 14. Zur modernen Debatte Otfried Höffe , Kants Kritik der reinen Vernunft, München 2003, 265 ff.
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Entität ausgeht. Dies ist eine gängige Maxime der Wissenschaften. Diese Haltung hat eine schlichte Begründung: Gibt man sie auf, lassen sich beliebige Existenzaussagen über Entitäten machen, für deren Existenz es keine Hinweise gibt, deren Nicht-Existenz aber auch nicht nachweisbar ist. Aber auch ein anderer Weg kann eingeschlagen werden. Man kann die Kritik der rationalen Gottesbeweise anerkennen, aber dennoch den Glauben nicht aufgeben, weil die Gewissheit der Existenz Gottes aus anderen Quellen gewonnen wird, z. B. der des Gefühls oder des schlichten Glaubens. Man kann diese Erkenntnisquellen sogar als höhere Formen der Erkenntnis auffassen und die Anmaßungen der Vernunft und Rationalität in dieser Hinsicht zurückweisen. Welche Richtung man an diesem Punkt einschlägt hat erhebliche Bedeutung für das Verständnis des eigenen Lebens, ob man sich z. B. als endliches Wesen betrachtet, der Horizont der eigenen Hoffnungen ein weltimmanenter, damit natürlich nicht enger bleibt und man die menschliche Reflexionskraft zum obersten Instrument der Welterkenntnis macht (was nicht heißt, dass man übertriebene Auffassungen von ihrer Reichweite hegt). Der gewählte Weg ist aber unerheblich für das Problem der Grundlegung der religiösen Toleranz. Denn wie immer man sich entscheiden mag - klar dürfte jedenfalls sein, dass es für Menschen keine letzte Gewissheit in Bezug auf die Existenz des Göttlichen, seiner Attribute und anderer Inhalte von Glaubenslehren geben kann. Diese Folgerung ist selbstverständlich für die erste Haltung, die zu Gott keine Aussagen macht, sie sollte es aber auch von einem religiösen Standpunkt aus sein, wenn sich dieser seiner Natur als eines Aliud der Vernunft bewusst bleibt. Wegen dieser grundsätzlichen, spezifischen und über den allgemein problematischen Status menschlicher Erkenntnis hinausgehenden, epistemologischen Unsicherheit religiöser Inhalte kann keine Religionslehre einen Erkenntnisvorrang beanspruchen. Grundsätzlich gleichermaßen ungewisse Religionslehren haben eine Pflicht, sich gegenseitig zu dulden. Das fünfte Argument weist auf die Pflicht hin, dem eigenen Gewissen zu gehorchen. Intoleranz führe dazu, diese Pflicht zu
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verletzen. Bei Augustinus, T. v. Aquin oder Luther und Locke findet sich - wie ausgeführt - dieses Argument, aber auch bei Bayle oder Voltaire. 52 Ein sechstes Argument weist darauf hin, dass das Gewissen nicht vom Individuum beliebig veränderbar sei. Glaubenszwang ist aus dieser Sicht inhuman, weil er Menschen zu Unmöglichem zu zwingen versuche. 53 Ein siebtes Argument richtet das Augenmerk auf die Opfer, die Intoleranz kostet. Dieses Argument wird in zwei Varianten geformt. Die erste versteht Toleranz als Machtstrategie. Es geht hier nicht um die Vermeidung von Opfern von Menschen als solchen, sondern um eine effiziente Herrschaftsausübung. Diese kann gerade in der Erlaubnis der Entfaltung einer Minderheit in bestimmten von der Mehrheit gezogenen Grenzen liegen. Diese Uberlegungen stellt z. B. T. v. Aquin an, 54 finden sich aber auch bei Locke. 55 Als repressive Toleranz wurden sie in der kritischen Theorie reflektiert. 56 Eine solche machttheoretische Variante kann nicht überzeugend sein, sollte aber zur Kenntnis genommen werden, um nicht politisch naiv über Toleranz zu diskutieren. Der Kern der Toleranzdiskussion wird durch das Opferargument erreicht, wenn man es normativ versteht als Forderung, den Einzelnen und seine Entfaltung als Wert und Gut zu verstehen. Auf den Begriff wird diese Betrachtung durch die Idee der Men52 Vgl. Pierre Bayle , Commentaire Philosophique sur ces paroles de Jésus-Christ, contrain-les d'entrer, in: Œuvres diverses de Mr. Pierre Bayle, La Haye 1727, Tome Second, S. 425, wobei Bayle den Einwand sieht, dass dies auch für Verteidiger des Glaubenszwanges gelten müsse, ebd. S. 430 f., was er zugibt, die er aber zu überzeugen hofft. Für die öffentliche Sphäre gelte die Berücksichtigung des Gewissens nicht, ebd., ein Verbotsirrtum wie in § 17 StGB positiviert spielt hier keine Rolle. Vgl. Voltaire , Traité sur la tolérance à l'occasion de la mort de Jean Calas, in: Les Œuvres complétés de Voltaire, Vol. 56c, Oxford 2000, S. 186. 53 Vgl. die klassische Fassung dieses Arguments bei Augustinus, o. Fn 5. 54 Vgl. o. Fn. 10 . 55 John Locke , A Letter concerning Toleration in: Ein Brief über Toleranz, Hamburg 1996. 56 Herbert Marcuse , Repressive Tolerance, in: R. P. Wolff/B. Moore, jr. / Herbert Marcuse, A Critique of Pure Tolerance, Boston 1969, S. 95 ff.
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schenwürde gebracht, in Kants Formulierung durch die Idee, dass jedes Individuum ein Selbstzweck sei, der nicht durch andere Zwecke überboten werden und als Mittel für ihre Erreichung verwandt werden könne. Das ist ein epochaler Schritt. Denn hiermit wird im Schlachtlärm der religiösen Auseinandersetzungen die Stimme der einzelnen Menschen als eigentlich Betroffene, Leidende und Hoffende hörbar. Dieses Argument ist auch der Kern der beiden zuvor genannten Argumente für Toleranz, aufgrund der Pflicht, dem Gewissen zu folgen und der Unmöglichkeit, den Glauben durch Zwang zu ändern. Denn diese Argumente entfalten nur dann normative Kraft, wenn das einzelne Gewissen überhaupt zählt. Nur dann ist die Pflicht ihm zu folgen relevant, nur dann ist geklärt, warum man den Menschen auch dann nicht zum Glauben zwingen dürfte, wenn man es faktisch könnte. Das achte und letzte Argument schließlich schlägt Brücken zwischen den Religionen. Es setzt auf etwas Gemeinsames in allen religiösen Formen, was nicht das Gleiche sein muss, wie eine einheitliche Universalreligion, denn der Hinweis auf etwas Gemeinsames setzt die Existenz und Berechtigung von Verschiedenheit und damit die Berechtigung der Fortexistenz verschiedener Religionen voraus. Dieses Gemeinsame wird historisch vor allem in der Moralität gesehen, die den verbindenden Kern der Religionen ausmache. Dies spricht Bayle aus, 57 aber auch Mendelssohn, wenn er schreibt, dass die Macht der Religion „Liebe und Wohltun" sei oder folgende kleine sprichwörtliche Geschichte erzählt: „Ein Heide sprach: Rabbi, lehret mich das ganze Gesetz, indem ich auf einem Fuße stehe! Samai, an den er diese Zumutung vorher ergehen ließ, hatte ihn mit Verachtung abgewiesen; allein der durch seine unüberwindliche Gelassenheit und Sanftmut berühmte Hillel sprach: Sohny liehe deinen Nächsten wie dich selbst! Dieses ist der Text des Gesetzes; alles übrige ist Kommentar. N u n gehe hin und lerne!" 58 57 Pierre Bayle , Commentaire Philosophique sur ces paroles de JésusChrist, contrain-les d'entrer, in: Œuvres diverses de Mr. Pierre Bayle, La Haye 1727, Tome Second, S. 392. 58 Moses Mendelssohn , Jerusalem oder über religiöse Macht und Judentum, in: Schriften über Religion und Aufklärung, Berlin 1989, S. 420.
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Diese Sicht findet sich aber auch exemplarisch in Kant: 5 9 Das radikale Böse besteht laut Kant in der Uberordnung der Selbstliebe über das Sittengesetz. Den Ursprung dieses Phänomens hält Kant für im wesentlichen unerklärlich. Eine Uberwindung sei aber nur durch eine Revolution der Denkungsart, das „neue Herz", durch eine „Religion des guten Lebenswandels", nicht aber durch eine „Religion der Gunstbewerbung" möglich. 60 Die Menschen müssten ein ethisches gemeines Wesen gründen, das als Volk Gottes unter Tugendgesetzen zu denken sei. 61 Die positiven Glaubensinhalte werden von Kant in die Gebote der Vernunftmoral überführt: „Die standhafte Beflissenheit zu moralisch gutem Lebenswandel ist alles, was Gott von den Menschen fordert". 6 2 Durch Moral verehre man deswegen Gott, nicht durch Observanz von bestimmten religiösen Pflichten. Da alle Glaubenslehren irren könnten, sei nur solchen zu folgen, die der Moral nicht widersprächen, jede sei der Moral entsprechend auszulegen. 63 Deshalb gibt es aus Kants Sicht viele, durch historisch bedingte Religionsgesetze unterschiedene Glaubensarten, aber nur eine Religion: die der gelebten Moralität des kategorischen Imperativs, die „gleichsam einen neuen Menschen als einen Tempel Gottes erbaut". 64 Man mag Zweifel haben, ob diese Identifizierung von Religion mit Moral ganz überzeugt, weil es Aspekte von Religionen gibt, die über das moralische Verhältnis zu seinen Mitmenschen hinausgehen, z. B. hinsichtlich der Frage nach der Bedeutung des Todes. Für einen säkularen Standpunkt hat diese Perspektive dennoch einige Attraktivität. Aber auch für eine religiöse Perspektive sollte es nicht anders sein, denn es scheint begründungsbedürftig, warum Äußerlichkeiten der Religionsausübung eine größere Bedeutung haben sollen als die Moralität der Menschen. 59 Immanuel Kant , Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft, Akademie Ausgabe, Bd. III. 60 Ebd. S. 51.
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Ebd. S. 96 ff. Ebd. S. 103. Ebd. S. 187 ff. Ebd. S. 198 Fn (Herv. i. Org.).
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Die Auszeichnung eines Gemeinsamen der Religionen legt die Kritik der Bedeutung des Trennenden der Religionen nahe, insbesondere der äußeren Observanzen. Auch hier ist Kants Religionsphilosophie aufschlussreich. Er argumentiert, dass äußere Religionsgesetze zwar den Effekt haben könnten, den Kern der wahren Religion deutlicher zu machen. Die statutarischen Gesetze hätten aber auch andere Wirkungen: Sie führten zu Religionsstreitereien, „welche die Welt so oft erschüttert und mit Blut besprützt haben". 65 Im übrigen sei alles, was jenseits eines moralischen Lebens für Gott getan werde, „ein Religionswahn" und „Afterdienst Gottes". 66 Die Idee, auf göttliche Gnade durch Observanzen Einfluss nehmen zu können, sei Schwärmerei und „der schwärmerische Religionswahn der moralische Tod der Vernunft". 6 7 Zwischen der Tatze eines Bärenfells, die man sich zur Beschwörung der Götter aufs Haupt lege, und den Gebräuchen eines „sublimierten Puritaners" gebe es nur einen Unterschied der Manier, aber nicht im Prinzip. Beide Handlungen machten das zur ihrem Gottesdienst, was keinen wirklichen Gottesdienst bilde, weil dieser allein in einem besserem Leben bestehe.68 Die Auffassung der historischen Religionsgesetze als Kern des Gottesdienstes sei „Fetischdienst", das „Pfaffenthum" die Verfassung einer Kirche, in der dieser Fetischdienst regiert. 69 Wahre Aufklärung bestehe dagegen darin, diese Auffassung zu kritisieren, der Dienst Gottes werde dadurch „allererst ein freier, mithin moralischer Dienst". 7 0 Vorrausetzung sei die mutige Fähigkeit, auf eigenen Füßen zu stehen.71 Diese Kritik der Relevanz der Äußerlichkeiten der Religionsausübung ist nun nicht nur an sich interessant und ein Grund, die Bedeutung derartiger Gebräuche in verschiedenen Religionen zu hinterfragen. Sie ist auch für die Theorie der religiösen Toleranz 65
66 67 68 69 70
Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd.
S. 108. S. 170. S. 175. S. 176. S. 178. S. 179.
71 Ebd. S. 183.
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relevant, denn sie deutet darauf hin, dass, wenn es um die Duldung von Religionen und ihren Grenzen geht, nicht diese Äußerlichkeiten im Vordergrund stehen können, da sie unwichtig sind, sondern nur substantielle normative Inhalte. Für das Recht gilt zudem, dass das Verhalten von konkreten Personen, das derartige Inhalte manifestiert, nicht aber Gesinnungen entscheidend sein müssen, da sonst die Unterscheidung von Recht und Moral geschleift wird.
IV. Reflexive und tolerante Theorien der Toleranz - die Gegenwart Die Toleranzdiskussion ist in der Gegenwart keineswegs verstummt. 72 Eine vieldiskutierte Form der Toleranzbegründung findet sich in Rawls politischem Liberalismus. 73 Rawls geht davon aus, dass verschiedene substantielle Vorstellungen vom guten Leben zwangsläufig entstehen, einige davon, aber nicht alle unvernünftig, also einige auch gleichermaßen vernünftig seien. Diese sog. comprehensive doctrines, diese umfassenden Konzeptionen des Guten können z. B. religiös unterschieden sein. Rawls meint nun, einen Liberalismus entwerfen zu können, der keine umfassende Konzeption des Guten zugrunde lege, also keine letzten Aussagen zum Guten mache, sondern vielmehr nur auf einem sog. overlapping consensus, auf einem Grundkonsens, einem kleinsten normativen Nenner beruhe, auf den sich die Gesellschaft einigen könne. 74 Dieser Grundkonsens richte sich darauf, eine demokratische Gesellschaft als Kooperationsform von Freien und Gleichen zu erhalten. Rawls räumt ein, dass dies einige umfassende Auffassungen vom Guten ausschließe, z. B. autoritäre. Dies sei aber unvermeidlich für jede Gesellschaftskonzeption. 72 Wobei natürlich keineswegs die religiöse Toleranz notwendig im Vordergrund steht, sondern allgemein das Zusammenleben verschiedener Individuen diskutiert wird, z.T. mit nachdrücklichem Bezug auf durch Gruppen vermittelte Identitäten, vgl. z. B. Michael Walzer; On Toleration, New Häven 1997. 73 74
John Rawls, Political Liberalism, New York 1993. Ebd. S. 135 ff.
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Keine sei mit jeder anderen vereinbar. Nur durch diese materiell abstinente Theorie werde das Prinzip der Toleranz auf die Philosophie selbst angewendet. Das zentrale Gegenargument gegen Rawls Theorie (das er erkennt, auf das er aber keine überzeugende Antwort findet) ist das folgende: Der scheinbar materiale Grundkonsens kann nicht selbst neutral sein, sondern impliziert eine bestimmte umfassende Konzeption des Guten, die den eigentlichen Grund seiner Uberzeugungskraft bildet. Diese Konzeption ist kein ganzer Entwurf des glücklichen Lebens, erfasst aber Kernaspekte der menschlichen Existenz. Man kann Toleranz nicht wertneutral begründen - ohne ein Votum für die Selbstzweckhaftigkeit von Menschen, für die Sinnhaftigkeit ihres individuellen Lebens und Glücksverlangens, für ihre Freiheit und ihr unter Gerechtigkeitsprinzipien gleiches Recht auf Selbstentfaltung kann religiöse Toleranz nicht legitimiert werden. Ahnlich kann eine Position kritisiert werden, die Toleranz durch ein Recht auf Rechtfertigung begründet. 75 Nur durch fundierenden Rückgriff auf dieses Recht könne eine reflexive Theorie der Toleranz gebildet werden, die wie Rawls auch die Basis der Toleranztheorie selbst zum Gegenstand von Toleranz mache.76 Jede normative Position müsse reziprok und allgemein gerechtfertigt sein. Sie sei reziprok gerechtfertigt, wenn der, der einen normativen Anspruch erhebt, anderen diesen Anspruch nicht verweigert. Sie sei allgemein gerechtfertigt, wenn die Norm alle Ansprüche einbeziehe, also universalisierbar sei. Diese Prinzipien seien für praktisch-vernünftige, verantwortliche Personen unhintergehbar. Dies Recht auf Rechtfertigung markiere auch die Grenzen der Toleranz. Werde reziproke und allgemeine Rechtfertigung verweigert, sei diese Grenze erreicht. 77 Das Problem dieser Theorie ist das gleiche, das Rawls' Liberalismus aufwirft. Das Recht auf Rechtfertigung ist derivativ, nicht konstitutiv. Nicht anders als Rawls Grundkonsens hat es eine ver75
Rainer Forst, Toleranz im Konflikt, Frankfurt am Main 2003, S. 585 ff. * Ebd. S. 649 ff. 77 Ebd. S. 591, 594 ff., 742.
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schwiegene normative Prämisse. Normen müssen nur dann reziprok und allgemein gerechtfertigt werden, wenn jeder Mensch in ethischen Fragen zählt, also ein Selbstzweck ist. Reziprozität und Allgemeinheit bilden heuristische Werkzeuge, um zu ermitteln, was in einer Gemeinschaft unter Gerechtigkeitsgesichtspunkten gerechtfertigt ist, wenn also vorausgesetzt ist, dass Menschen als Gleichwertige behandelt werden sollen. Das ist aber der Kern der Menschenwürde, aus der deshalb das Recht auf Rechtfertigung fließt (und manches darüber hinaus), während dieses aber nicht die Menschenwürde konstituiert.
V. Toleranz und die existentielle Duldsamkeit der Menschheit mit sich selbst U m zusammenzufassen: Religiöse Toleranz kann durch drei zentrale Argumente begründet werden. Erstens durch die spezifische Unsicherheit von Glaubensfragen, die über die Grenzen menschlicher Erkenntnis (schwankend und unsicher wie sie sowieso ist) hinausführen. Zweitens durch die Idee der Selbstzweckhaftigkeit des Menschen. Religiöse Toleranz wird deshalb im Kern nicht um der Inhalte bestimmter Glaubenslehren oder der positiven Folgen von Religiosität für die Gesellschaft im allgemeinen willen garantiert, sondern wegen der Menschen, die glauben, aus kategorischer Achtung vor ihrer selbstzweckhaften Individualität, die sich in ihrem Glauben ausprägt. Deswegen wäre religiöse Toleranz übrigens auch zu üben, wenn man, anders als im ersten Argument angedeutet, menschliche Erkenntnis in religiösen Fragen sogar für besonders sicher hielte. Drittens schließlich kann jenseits der Unterschiede etwas Gemeinsames der Religionen ausgezeichnet werden, das in einer Gerechtigkeit und dem Wohl der Menschen verpflichteten Moral gefunden werden kann. Gleichzeitig ist so die Begründung der Grenzen der Toleranz gewonnen. Sie sind bestimmt durch die Selbstzweckhaftigkeit der Menschen selbst, denn sonst würde die Toleranz den Zweck aufgeben, derentwillen sie gewährleistet wird. Außerdem ist geklärt, was im Vordergrund der Betrachtung bei ihrer konkreten Bestimmung stehen muss: Das konkrete Individuum und sein Verhalten, 7 Mahlmann/Rottleuthner
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nicht aber die Erscheinung und ihre Bestimmung durch äußere Observanzen. 78 In der religiösen Toleranz zeigt sich eine reif gewordene Gesellschaft duldsam mit sich selbst - mit der eigenen Lage als Menschen, die dazu zwingt, durch das Gewirr und oftmals die Tragik der historischen Ereignisse seinen Weg zu suchen, im flackernden Licht der in vieler Hinsicht unsicheren menschlichen Erkenntnis, mit dem Bewusstsein eigener Endlichkeit, durch die Sehnsucht nach Sinn erhoben und der Schwierigkeit, ihn zu ergreifen, beschwert. Diese Duldsamkeit ist keine leichte Tugend, denn sie ist nur nötig gegenüber Lebensentwürfen und Weltauslegungen, die den eigenen sehr fremd sein können und die man mit guten Gründen ablehnen mag. Die Menschen haben einen langen Weg zurückgelegt, diese Haltung zu gewinnen. Im Hinblick auf Strömungen in verschiedenen Religionen und Glaubensrichtungen, die diese Tugend verachten, gilt es dieses Stück Humanität mit weltbürgerlicher Entschiedenheit zu bewahren.
78 Zum Anwendungsbeispiel Kopftuchstreit vgl. z. B. Matthias Mahlmann, Dienstrechtliche Konkretisierung staatlicher Neutralität, Zeitschrift für Rechtspolitik 2004, 123 ff.; dersLaizismus in Berlin? Neue Justiz, 2004, 394 ff. und die Beiträge von Kunig, Mager; Rudolf\ Malik, Mikhail und Weil in diesem Band.
I I . Perspektiven von Weltreligionen
Katholische Kirche und Religionsfreiheit Von Gerhard Kruip
Mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1962-1965) veränderte sich die Position der Katholischen Kirche zur Religionsfreiheit so deutlich, dass manche von einer Wende um 180° sprachen. Ein Beleg dafür ist, dass die Konzilserklärung zur Religionsfreiheit für die „Traditionalisten" um Erzbischof Marcel Lefebvre der entscheidende Grund für ihre Abkehr vom Konzil gewesen ist. Im Folgenden wird zunächst erstens die Problematik in ihrem Kern systematisch zu entfalten versucht. Danach folgt zweitens ein kurzer Abriss der Geschichte von christlichen Toleranzargumenten und drittens eine Darstellung der aktuellen Position der katholischen Kirche, vor allem anhand der Erklärung Dignitatis Humanae des Zweiten Vatikanischen Konzils und der Rezeption dieser Erklärung. A m Schluss möchte ich viertens kurz auf die Frage eingehen, wie aus einer katholischen Sicht die „Neutralität des Staates" und die Forderung nach einer engeren Kooperation von Staat und Kirche zu verstehen sind.
I. Religionsfreiheit und katholische Kirche das Problem „Jedem Menschen steht es frei, eine Religion anzunehmen und zu bekennen, die er im Lichte der Vernunft als die wahre Religion erachtet." - „Die Menschen können bei der Ausübung einer jeden beliebigen Religion den Weg des ewigen Heiles finden und die ewige Seligkeit erlangen." - „Der Protestantismus ist nichts anderes, als eine eigenständige Form des gleichen wahren christlichen Glaubens. In diesem Glauben ist es ebenso möglich, Gott wohlgefällig zu dienen, wie in der katholischen Kirche." Viele Leser/
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innen werden diesen Sätzen wahrscheinlich ohne Schwierigkeiten zustimmen können. Sie werden sich vielleicht fragen, wieso ich mit dieser Proklamation von Selbstverständlichkeiten beginne. Es sind Zitate aus einem päpstlichen Dokument. Aber es sind Sätze, die dort ausdrücklich als falsch und als mit der katholischen Lehre unvereinbar aufgelistet werden, neben weiteren über 70 „Zeitirrtümern". Sie stammen aus dem berühmten und berüchtigten Syllabus Errorum (Nr. 15, 16, 18)1 des inzwischen selig gesprochenen Papstes Pius IX. Sie wurden zusammen mit dessen Enzyklika Quanta Cura 1864 veröffentlicht, also vor nicht einmal 150 Jahren. Damals also wurde so etwas wie ein Recht auf Religionsfreiheit von der katholischen Kirche explizit abgelehnt. Erfreulicherweise hat sich die Position der katholischen Kirche inzwischen geändert. Aber es hat bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts gedauert und es bedurfte offenbar der Erfahrung der Verfolgung von Katholiken im Nationalsozialismus und im Sowjetkommunismus, um einen solchen Lernprozess in Gang zu setzen. Der wichtigste Nachweis der veränderten Position ist die Erklärung über die Religionsfreiheit Dignitatis Humanae des Zweiten Vatikanischen Konzils 2 . Sie ist in dieser Hinsicht eindeutig und stellt 1 Ursprünglich in Acta Apostolicae Sedis (AAS) 3 (1867), S. 168-176; in deutscher und lateinischer Sprache auch mehrfach im Internet dokumentiert, z. B. auf http://theol.uibk.ac.at/leseraum/texte/250-51.html. Üblich ist auch die Zitation D H 2915, D H 2916 und D H 2918 nach Peter Hünermann (Hrsg.), Kompendium der Glaubensbekenntnisse und kirchlichen Lehrentscheidungen / Heinrich Denzinger, 40. Aufl., Freiburg i. Br. 2005. Zu den zeitgeschichtlichen Hintergründen und zum besseren Verständnis der damaligen, vor allem pastoral motivierten kirchlichen Position siehe Roger Aubert, Die Religionsfreiheit von „Mirari vos" bis zum „Syllabus", in: Concilium 1 (1965), S. 584-591. 2 Die beste Quelle für die (lateinischen und deutschen) Konzilstexte sind die Ergänzungsbände 12 bis 14 des Lexikons für Theologie und Kirche, 2. Aufl., Freiburg i. Br., ab 1966. Dignitatis Humanae findet sich im Bd. 13, S. 712-748, urspr. AAS 58 (1966), S. 929-946. Im Internet unter http://theol.uibk.ac.at/leseraum/texte/243.html. Kurz sei auf die wichtigste neuere theologische Literatur zu diesem Konzilstext und zum Thema der Religionsfreiheit hingewiesen: Gerhard Höver ; Das Recht der Person und der Gemeinschaften auf gesellschaftliche und bürgerliche Freiheit in religiösen Dingen. Zur Grundlegung und Konkretisierung der Religionsfreiheit im Verständnis der katholischen Kirche, in: Hartmut Kreß (Hrsg.), Religionsfreiheit als Leitbild: Staatskirchenrecht in Deutschland
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eine feierliche Proklamation des Rechts auf Religionsfreiheit seitens der Katholischen Kirche dar. Wie wenig selbstverständlich dies damals war, zeigt u. a. die Vorgeschichte der Deklaration. Denn noch in den Textvorlagen auf dem Konzil selbst wurde die traditionelle Position vehement vertreten, nach der in mehrheitlich katholischen Staaten der katholische Glaube Staatsreligion zu sein habe, andere Konfessionen und Religionen allenfalls geduldet werden könnten, um schlimmere Übel zu verhindern. Ein personales und unveräußerliches Recht, an der Ausübung der eigenen Religion nicht gehindert zu werden, wurde danach den NichtKatholiken ausdrücklich nicht zugestanden. In der Schlussabstimmung konnte diese „unter heftigen Kämpfen und leidenschaftlicher Dramatik erarbeitete]" 3 Konzilskonstitution jedoch eine überwältigende Mehrheit von 2308 Ja-Stimmen erhalten. Aber immerhin 70 Bischöfe stimmten mit Nein, 8 Stimmen waren ungültig. Natürlich liegt der Verdacht nahe, die katholische Kirche habe ihre Lehre zur Religionsfreiheit nur deshalb geändert, weil sie inzwischen in so gut wie allen Gesellschaften ihre machtvolle Position verloren hat, eine andere Auffassung ohnehin nicht mehr durchsetzen kann und deshalb vor allem dafür sorgen muss, wenn nicht in den Genuss einer Stellung als Staatsreligion, dann wenigsten des allgemeinen Prinzips der Religionsfreiheit zu gelangen. und Europa im Prozess der Reform, Münster u. a. 2004, S. 59-77; Walter Kasper ; Wahrheit und Freiheit: Die Erklärung über die Religionsfreiheit des II. Vatikanischen Konzils, Heidelberg 1988; Walter Kasper, Religionsfreiheit als theologisches Problem, in: Johannes Schwartländer (Hrsg.), Freiheit der Religion: Christentum und Islam unter dem Anspruch der Menschenrechte, Mainz 1993, S. 210-229; Edouard Divry, Sur les conséquences du droit à la liberté religieuse proclamé à Vatican II, in: Revue Thomiste 103 (2003), S. 249-290; Konrad Hilpert, Die Anerkennung der Religionsfreiheit, in: Stimmen der Zeit 130 (2005) 12, S. 809-819; Roman A. Siebenrock , Theologischer Kommentar zur Erklärung über die religiöse Freiheit Dignitatis humanae, in: Peter Hünermann / Bernd Jochen Hilberath (Hrsg.), Herders Theologischer Kommentar zum Zweiten Vatikanischen Konzil. Bd. 4. Freiburg i. Br. 2005, S. 125-218; dort jeweils weitere Hinweise. 3 Pietro Pavan, Einleitung und Kommentar zur Erklärung über die Religionsfreiheit, in: Lexikon für Theologie und Kirche Bd. 13, Freiburg i. Br. Sonderausgabe 1986, S. 704-711, hier S. 711.
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Schließlich waren die Christen in der Zeit vor der konstantinischen Wende, durch die ab 311 das Christentum im römischen Reich an staatlicher Tolerierung und Anerkennung gewann und schließlich unter Kaiser Theodosius I. im Jahr 380 Staatsreligion wurde, auch für Religionsfreiheit eingetreten. Die Frage nach dem Zusammenhang zwischen der politischen Macht der Kirche und ihren theologischen und moralischen Positionen ist eine legitime Ebene der Betrachtung. Die Strategie der Selbsterhaltung als Institution und die Interessen derjenigen, die innerhalb dieser Institution eine Machtposition innehaben, spielen zweifelsohne immer eine Rolle. Eine einseitige Beziehung zwischen beiden zu vermuten und die inhaltlichen Positionen nur für einen Reflex von Machtprozessen zu halten, würde jedoch die Komplexität dieses Verhältnisses unterlaufen. Denn theologische, moralische, juristische und philosophische Argumente haben immer ebenfalls eine erhebliche Rolle gespielt, und zwar durchaus so, dass gute und überzeugende Argumente auch zum Machtfaktor werden konnten. Die Hauptschwierigkeit eines Rechts auf Religionsfreiheit für tief gläubige Menschen und solche Religionsgemeinschaften wie die katholische Kirche besteht im Problem der Vereinbarung eines solchen Rechts auf Religionsfreiheit mit dem unaufgebbaren Anspruch darauf, dass die eigene Religion die wahre Religion sei und dass es eine religiöse Pflicht sei, diese Wahrheit auch anderen um deren Heiles willen zu verkündigen. Bestimmte Arten von Toleranzbegründungen scheiden deshalb zumindest für Religionen aus, die einen solchen Wahrheitsanspruch erheben und von ihren Mitgliedern erwarten, diesen Wahrheitsanspruch für sich zu akzeptieren. Zu ihnen gehören sicherlich auch der Islam und zumindest auch Teile des Protestantismus und des Judentums. Von einem solchen Glaubensstandpunkt aus können die folgenden Toleranzbegründungen deshalb nicht akzeptabel sein: - der Indifferentismus, d. h. die Auffassung, es sei letztlich egal, welchen Glauben man habe; - der Agnostizismus, d. h. die Auffassung, man könne ohnehin nicht wissen, welche Religion oder Weltanschauung die wahre sei;
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- der Weg der reduktiven Einheit mit dem Verweis auf einen allen Religionen gemeinsamen Kern, verbunden mit der Ansicht, alles andere außerhalb dieses Kerns sei unwichtig; - der Weg der Einheit durch Verschmelzung: d. h. die Vorstellung, alle bisherigen Religionen seien nur teilweise wahr und nur durch einen Entwicklungsprozess der allmählichen Verschmelzung aller Religionen könne eine wahre Religion entstehen; - ein individualistisches Glaubensverständnis, das den Glauben als Frage eines rein individuellen Gottesverhältnisses und als Privatsache ansieht. Ohne Zweifel waren alle oben genannten Begründungsformen in der Geschichte sehr wirkmächtig, wobei sie übrigens auch selbst nicht immer ganz unschuldig waren. Häufig kam es zu einem Umschlagen einer so verstandenen und begründeten Toleranz in Intoleranz gegenüber Religionen, die eben an ihrem Wahrheitsanspruch festhielten. Die Katholische Kirche war für viele nicht nur eine Institution, die selbst sehr intolerant war und das Recht auf Religionsfreiheit in der Geschichte Jahrhunderte lang oft und massiv verletzt hat; sie war später, nach der Reformation und in Zeiten der Aufklärung, oft auch selbst ein Opfer von Intoleranz. 4 Insofern nämlich aufgeklärte und liberale Positionen die oben angedeuteten Toleranzbegründungen als für jegliche Toleranz notwendig erachteten, waren sie einem katholischen Glaubensverständnis gegenüber häufig um der Toleranz willen extrem intolerant. Die Vereinbarkeit von Religionsfreiheit und religiösem Wahrheitsanspruch ist noch mit einer weiteren Schwierigkeit verbunden, die das Verhältnis von Religion und Moral betrifft. Denn Gottes Gebote werden im religiösen Verständnis immer höher veranschlagt als menschliche Gesetze oder eine als autonom verstandene Vernunftmoral. Dies kann sehr gefährlich sein, denn als Gottes Gebot kann alles und jedes behauptet werden, wenn es 4 So z. B. bei Locke oder auch Rousseau. Vgl. Rainer Forst , Toleranz im Konflikt: Geschichte, Gehalt und Gegenwart eines umstrittenen Begriffs, Frankfurt am Main 2003, S. 375-376.
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keine Möglichkeit der vernünftigen Kritik mehr gibt. Deshalb muss es in allen Religionen, insbesondere den Offenbarungsreligionen, einen Lernprozess geben, der zu der Erkenntnis führt, dass keine moralische Norm, die reziprok und allgemein gerechtfertigt werden kann 5 , Gottes Willen widersprechen kann und umgekehrt, dass die als Gottes Gebote behaupteten Normen diesen Rechtfertigungstest überstehen müssen. Im christlichen Kontext wird dies über den Begriff der Würde des Menschen und im moraltheologischen Ansatz der „autonomen Moral" 6 geleistet, der aber nach wie vor umstritten ist und sich ebenfalls erst nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil entfalten konnte. 7 Entscheidend für die Vereinbarkeit von Toleranz und eigenem Wahrheitsanspruch ist zum einen die Einsicht, dass Toleranz eben nicht voraussetzt, mit dem zu Tolerierenden übereinzustimmen oder ihm gleichgültig gegenüberzustehen. Im Gegenteil handelt es sich erst dann eigentlich um Toleranz, wenn das zu Tolerierende auch abgelehnt wird. Zum anderen bedeutet eine solche Ablehnung aber nicht, es anders als argumentativ bekämpfen zu müssen oder zu sollen. U m diese beiden Gedanken zu verdeutlichen, sind noch Klärungen des Toleranzbegriffs hilfreich. Nach Forst umfasst der Begriff notwendig mehrere Komponenten 8: Die Ablehnungskomponente ist wesentlich, weil ohne diese Komponente einfach eine Zustimmung zu etwas vorläge, dem gegenüber keine Toleranz notwendig wäre. Die Akzeptanzkomponente bezieht sich auf dasjenige, was trotz dieser Ablehnung toleriert und damit in gewisser Weise „akzeptiert" werden kann. Drittens müssen jedoch immer auch die Grenzen der Toleranz mitgedacht werden, ohne die Toleranz sich selbst zerstören würde, da man 5
Zu dieser Argumentationsfigur Rainer Forst , Das grundlegende Recht auf Rechtfertigung: Zu einer konstruktivistischen Konzeption von Menschenrechten., in: Hauke Brunkhorst / Wolf gang R. Köhler / Matthias Lutz-Bachmann (Hrsg.), Recht auf Menschenrechte: Menschenrechte, Demokratie und internationale Politik, Frankfurt am Main 1999, S. 66-105. 6 Klassisch hierzu Alfons Auer: Autonome Moral und christlicher Glaube, Düsseldorf 1971. 7 Vgl. insgesamt Karl-Wilhelm Merks , Gott und die Moral: Theologische Ethik heute, Münster 1998. 8 Forst (Fn. 4), S. 32-40.
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niemals allem gegenüber tolerant sein kann, ohne in eine vollkommene Beliebigkeit zu geraten. „Vor diesem Hintergrund wird erkennbar, dass sinnvollerweise zwei Grenzen zu unterscheiden sind. Erstens die Grenze zwischen (a) dem normativen Bereich dessen, mit dem man übereinstimmt, wo Affirmation besteht und keine Ablehnung - der Bereich des ,Eigenen', wenn man so will - , und (b) dem Bereich des Tolerierbaren, in dem normative Ablehnung besteht und doch auch eine Akzeptanz, die zur Toleranz führt. Die zweite Grenze - die eigentliche Grenze der Toleranz verläuft zwischen diesem letztgenannten Bereich und (c) dem Bereich des nicht Tolerierbaren, das strikt abgelehnt und zurückgewiesen wird." 9 Entsprechendes gilt auch in Bezug auf die Religionsfreiheit: Nötig wird sie erst in der Begegnung mit einer „fremden" oder „anderen" Religion, der man nicht angehört und nicht zustimmt. Religionsfreiheit verlangt aber, den Angehörigen dieser fremden Religion als einen Menschen mit einem Recht auf seinen eigenen Glauben zu akzeptieren. Zugleich muss es Grenzen der Religionsfreiheit geben, weil sie sonst für alles und jedes missbraucht werden kann, z. B. für Attentate, Terrorismus, Unterdrückung von Frauen usw. Schließlich ist noch kurz auf die sehr hilfreiche Forst'sche Unterscheidung von vier Toleranzkonzeptionen hinzuweisen. 10 Die „Erlaubniskonzeption" begreift Toleranz als Ergebnis von Klugheitserwägungen, durch die der Nutzen und der Schaden der Tolerierung eines Übels gegen Nutzen und Schaden von dessen Bekämpfung abgewogen werden. Das war im Blick auf die Religionsfreiheit auch das Maximum dessen, was nach traditioneller Auffassung der katholischen Kirche in einem Staat mit überwiegend katholischer Bevölkerung zulässig war. Allerdings besteht in dieser Konzeption immer die Gefahr des Umschlags in Intoleranz, dann nämlich, wenn auf Grund veränderter Umstände eine solche Abwägung zu einem anderen Ergebnis führt. Auch die „Koexistenzkonzeption" beruht im Grunde auf einem solchen Kalkül, wobei hier von zwei einigermaßen gleich starken Gruppen ausgegangen wird, die erkennen, dass es für sie günstiger ist, 9 Forst (Fn. 4), S. 38. 10 Forst (Fn. 4), S. 42-48.
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sich nicht zu bekämpfen. So lassen sich z. B. die ersten Schritte religiöser Toleranz nach den innereuropäischen Religionskriegen verstehen. Auch hier droht die Gefahr des Umschlags in Intoleranz, dann nämlich, wenn dieses Gleichgewicht der Kräfte ins Wanken kommt. Die „Respektkonzeption" erweist sich der Erlaubniskonzeption und der Koexistenzkonzeption als moralisch überlegen. In ihr ist die Toleranz darin begründet, dass alle Menschen eine Würde haben und Freiheit einschränkende Maßnahmen allen gegenüber allgemein und reziprok gerechtfertigt werden können müssen. Diese Konzeption entsteht erst historisch über eine lange andauernde Argumentationsgeschichte, auf die im 2. Kapitel dieses Beitrags kurz eingegangen wird. Sie findet ihren „klassischen" Höhepunkt in der Ethik Kants. Als auf den ersten Blick noch weiter reichend erscheint die „Wertschätzungskonzeption". Sie verlangt, alles Fremde und Andere nicht nur zu tolerieren, sondern auch positiv wertzuschätzen. Sie geht aber einerseits zu weit, weil die Ablehnungskomponente fehlt; sie könnte andererseits aber auch zu kurz greifen, weil in ihr Toleranz darauf angewiesen ist, dass das „andere" tatsächlich auch positiv wertgeschätzt wird. Man sollte aber auch dann einem Anderen gegenüber tolerant sein können, wenn man dessen Überzeugungen oder Lebensweise in keiner Weise als wertvoll empfindet oder möglicherweise auch gar nicht versteht und deshalb nicht wertschätzen kann. II. Skizze einer Geschichte christlicher Toleranzargumente 11 Die Forderung nach Toleranz hat eine weit verzweigte, wechselvolle Geschichte, die aber in der Hinsicht lehrreich ist, dass deutlich wird, wie immer wieder die alten oder neu entwickelten Toleranzargumente in Argumente für Intoleranz umschlugen und dadurch die Tragfähigkeit oder Nichttragfähigkeit dieser Argu11
Dieses Kapitel überschneidet sich textlich in einigen Passagen mit dem zweiten Teil meines Beitrags „Menschenrechte und soziale Gerechtigkeit. Wertüberzeugungen Europas vor der Herausforderung des Globalisierungsprozesses", in: Ralf Elm (Hrsg.), Vernunft und Freiheit in der Kultur Europas, Freiburg i. Br. 2006, S. 425-465.
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mente sichtbar wurde. Ich versuche, diese Dynamik des Umschlags von Toleranz in Intoleranz, wie sie auch Rainer Forst herausgearbeitet hat 1 2 , an zentralen Toleranzargumenten in der christlichen Tradition aufzuzeigen. Schon im Neuen Testament gibt es eine hohe Wertschätzung des Gewissens und der Gewissensfreiheit . Glaube im christlichen Verständnis ist wesentlich eigener Glaube mit eigenem Gewissen. Dies bekräftigen die Seligpreisungen (Mt 5,8), dies spielt als Argument aber auch eine Rolle in der Auseinandersetzung um jüdische Speisevorschriften (Rom 14,1-23) und die Frage der Erlaubtheit des Genusses von Götzenopferfleisch (1 Kor 8,1-12). Es kommt in religiösen Dingen auf das Gewissen an; deshalb darf man niemanden zu einem Bekenntnis zwingen, das er nicht vom Gewissen her teilt; umgekehrt aber auch niemanden zu einer Freiheit zwingen, die ihm sein Gewissen nicht erlaubt. Ein geheuchelter Glaube hat keinen Wert, Zwang in religiösen Dingen ist deshalb nutzlos. Ein zweiter Argumentationsstrang findet sich in der Vorstellung von den zwei Reichen. Wenn es in M t 10,34 heißt: „Ich bin nicht gekommen, den Frieden zu bringen, sondern das Schwert.", dann schließt sich schnell die Frage an: Welches Schwert? In der Rezeption solcher sperrigen biblischen Aussagen wurde in Verbindung mit anderen Textstellen bald die Anschauung entwickelt, es gebe neben dem „weltlichen" auch ein „geistliches" Schwert. „Das Schwert des Geistes, das ist das Wort Gottes." (Eph 6,17). Dies kann in Bezug gesetzt werden zu M t 22,21: „Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist und Gott, was Gottes ist." Oder mit dem Wort Jesu zu Pilatus: „Mein Reich ist nicht von dieser Welt." (Joh 18,36) Die daraus sich allmählich entwickelnde „Zwei-ReicheLehre", besonders dann in der Reformation von Martin Luther ausformuliert, bekräftigt, dass der Staat kein religiöses Zwangsrecht besitze. Ein dritter Argumentationsstrang lässt sich mit dem Begriff des eschatologischen Vorbehalts bezeichnen. Für ihn hat das Gleichnis vom Unkraut unter dem Weizen (Mt 13,24-30) das anschau12 Hier besonders Forst (Fn. 4), S. 69-96.
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lichste Material geliefert. Es handelt von einem Bauern, auf dessen Weizenfeld der Satan nachts Unkraut säte. Als die Knechte das Unkraut wachsen sehen und vorschlagen, es auszureißen, sagt der Bauer, sie sollten damit bis zur Ernte warten, denn vorher bestehe die Gefahr, mit dem Unkraut auch den Weizen zu zerstören. Aber natürlich wird bei der Ernte, die in der Deutung mit dem „jüngsten Tag" verbunden wird, das Unkraut vom Weizen getrennt: „Wie nun das Unkraut gesammelt und im Feuer verbrannt wird, so wird es am Ende der Welt sein: der Menschensohn wird seine Engel senden, und sie werden aus seinem Reiche alle Ärgernisse und Übeltäter sammeln und sie in den Feuerofen werden. Dort wird Heulen und Zähneknirschen sein." (Mt 13, 40-42). Nach diesem Gleichnis ist die Toleranz vor dem Ende der Welt nur eine prudenzielle; am Ende der Welt wird sie von brutaler Intoleranz abgelöst. Aus der Sicht der damals verfolgten Christen ist es in gewisser Weise verständlich, dass sie, wie beispielsweise der Märtyrer Cyprian, Bischof von Karthago (200/210-258), auf diesen Tag der Rache hofften. Eine wichtige Schlüsselfigur für den christlichen Toleranzdiskurs, auch für dessen Anfälligkeit zum Umschlagen in Rechtfertigungen für Intoleranz ist Augustinus (354-430). Seine Argumente wurden im Mittelalter immer wieder benutzt. Auch Augustinus war ein Verfechter der Gewissensfreiheit. Aber als Bischof des nordafrikanischen Hippo stand er im Konflikt mit den Donatisten, einer nordafrikanischen Glaubensabspaltung unter Führung des Bischofs Donatus, der einen gewissen Märtyrerenthusiasmus pflegte und diejenigen hart kritisierte, die zu Verfolgungszeiten kompromissbereit gewesen waren, um dem Martyrium zu entgehen. Diese Gruppe lehnte die Pax Constantiniana ab, stellte die Gültigkeit der Sakramentenspendung durch nicht standhaft gebliebene Bischöfe oder Priester in Frage, insbesondere die Weihen kirchlicher Amtsträger, was als eine massive Kritik bestehender institutioneller Strukturen erscheinen musste. Die Auseinandersetzungen waren überdies vermengt mit sozialen Konflikten. Augustinus wurde zum entschiedenen Gegner der Donatisten und rechtfertigte schließlich auch staatlichen Zwang. Dabei berief er sich auf die Erfahrung, dass viele, die unter Zwang zur Kirche zurückgekehrt waren, dies im Nachhinein als Befrei-
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ung von anderen Zwängen oder aus einer Verblendung deuteten. So ließ sich das Argument gewinnen, dass unter bestimmten Bedingungen ein fürsorglicher Zwang notwendig sei, um dem Gewissen überhaupt erst zu einer echten Gewissensentscheidung zu verhelfen. Väterliche Fürsorge verpflichtet dann zu einem Kampf gegen den Irrtum. Diese Lehre vom „guten Zwang" setzt eine sehr problematische Unterscheidung voraus zwischen dem, was ein Mensch selbst will, und dem, was man von außen als für ihn gut betrachtet, also einen paternalistischen ethischen Perfektionismus, einschließlich des Anspruchs der Rettung der Seele eines Menschen gegen dessen ausdrücklichen Willen, beispielsweise bei „Ketzern", also bei Menschen, die den „rechten Glauben" schon einmal bekannt hatten. Bei dieser Gruppe wurde der Abfall davon als schwere Sünde angesehen; anders als der Unglaube derer, die den rechten Glauben nie gekannt hatten und ihn deshalb auch nicht bekennen konnten, also nicht schuldhaft nicht glaubten. Auch die Zwei-Reicbe-Lehre war nicht sicher vor einem Umschlag in Intoleranz. Denn im mittelalterlich-christlichen Verständnis kam auch die Macht des Kaisers von Gott, der auch die weltlichen Herrscher zur Wahrheit verpflichte. Die Häresie wurde zugleich als ein weltliches Verbrechen betrachtet, da sie weltlichen Unfrieden hervorbringe und eine Heilsgefährdung für alle darstelle. Bei aller Spannung zwischen regnum und sacerdotium im Mittelalter zählte in Bezug auf diejenigen, die beide bedrohten, die Synergie in der Erhaltung der Einheit der christlichen Gesellschaft. Der eschatologische Vorbehalt wird schließlich ebenfalls relativiert. Wenn nämlich das Unkraut unter dem Weizen leicht erkennbar ist, den guten Samen stark beeinträchtigt und überdies ohne großen weiteren Schaden beseitigt werden kann, dann wartet ein verantwortlicher Bauer nicht bis zum Tag der Ernte. A n diesen drei Beispielen zeigt sich die ganze Janusköpfigkeit des christlichen Toleranzdiskurses. Religionsfreiheit wurde deshalb Jahrhunderte lang im christlichen Mittelalter entsprechend der Güterabwägung „minus malum toleratur ut maius tollatur" allenfalls als Erlaubnis-Konzeption von Toleranz praktiziert. Aber eigentlich hatte der Irrtum kein Recht. Zur Rechtfertigung
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eines entsprechenden Zwangs spielte dann eine andere Textstelle aus dem Neuen Testament eine verhängnisvolle Rolle: das Gleichnis vom großen Gastmahl in Lk 14,15-24. Hier wird das Himmelreich mit einem Gastmahl verglichen, zu dem aber die geladenen Gäste nicht kommen, so dass der Gastgeber schließlich zornig wird und zu seinem Knecht sagt: „So geh hinaus auf die Landstraßen und an die Zäune und nötige sie, hereinzukommen, damit mein Haus voll werde!" (Lk 14,23) Ursprünglich hatte der Text seinen „Sitz im Leben" wahrscheinlich in den frühchristlichen Diskussionen um den Ubergang zur Heidenmission. Später diente die lateinische Formulierung der „Nötigung" in der Vulgata, nämlich „compelle intrare" zur Rechtfertigung auch massivster Formen von Gewalt im „Dienste des Heiles". Erst im 12. Jahrhundert wird diese Konstruktion allmählich in Frage gestellt, wobei zweifelsohne der christliche Kontext auch einen fruchtbaren Nährboden für diese Weiterentwicklungen darstellte. 13 Petrus Abaelardus (1079-1142) 14 wirft das Problem des „irrenden Gewissens" auf, dem auch dann eine Würde zukomme, wenn es irre. Damit öffnet sich vorsichtig ein Weg zu einer Moralbegründung aus Vernunft und ersten Anzeichen eines Übergangs zur Konzeption von Toleranz als Respekt vor der Würde des Anderen und von Religionsfreiheit als einem Recht des Anderen (Respektkonzeption). Abaelardus wird von der Kirche damals für seine Thesen noch verurteilt, trotzdem wird er teilweise bei Thomas von Aquin (1225-1274) rezipiert, der sich bereits in mancher Hinsicht auf ein neuzeitliches Freiheitsverständnis zubewegt. 15 Der nächste große Schritt ist sicherlich die Reformation. 1 6 Für Martin Luther (1483-1546) ist klar: das Gewissen 13 Forst (Fn. 4), S 94 ff. 14
Zu Abaelardus siehe Karl-Wilhelm Merks , Peter Abelard: ,Dialogue between a Philosopher, a Jew, and a Christian', in: Barbara Roggema/ Marcel Poorthuis / Pirn Valkenberg (Hrsg.), The Three Rings: Textual Studies in the Historical Trialogue of Judaism, Christianity and Islam, Leuven 2005, S. 111-140. 15 Vgl. Günther Mensching , Thomas von Aquin über Freiheit und Abhängigkeit, in: fiph- journal (Forschungsinstitut für Philosophie Hannover) Nr. 4, September 2004, S. 1, S. 3 - 5 . 16 Forst (Fn. 4), S. 128 ff.
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kann und darf nicht gezwungen werden. Seine Begründung dafür geht aber nicht auf die Vorstellung der Autonomie des Menschen zurück, sondern darauf, dass das Gewissen als ein Werk Gottes betrachtet wird, in das der Mensch kein Recht habe einzugreifen. Deshalb impliziert die Gewissensfreiheit auch keine Kultfreiheit. Man darf deshalb die Reformation nicht zu schnell als Geburtsstunde der Moderne und moderner Vorstellungen von Religionsfreiheit betrachten. Diese findet sich eher im Humanismus der Renaissance, die hinsichtlich ihrer Vorstellung von der Würde des Menschen in einem scharfen Gegensatz zur Reformation stand, für den der Mensch ein durch den Sündenfall verderbtes, sündhaftes, letztlich unfreies Wesen war. Überdies gibt es auch bei Luther das Phänomen des Umschlags von Toleranz in Intoleranz 17 , z. B. im Fall der Wiedertäufer. Luther selbst schloss sich den Forderungen an, die Ketzer mit dem Tod zu bestrafen, und trat für die Diskriminierung von Juden ein. Forst resümiert: „Auch hier bietet sich das von den Kirchenvätern, besonders Augustinus, bekannte Bild: Sobald die eigene Doktrin dominant wird, wird ernsthaften Herausforderungen nicht mehr mit der Toleranz begegnet, die zuvor aus der Minderheitenposition heraus für geboten gehalten wurde." 1 8 Noch bis weit in die Zeit der Aufklärung hinein gingen die meisten Philosophen davon aus, dass man ein gewisses Minimum an religiöser Übereinstimmung brauche, um die moralischen Grundlagen des Zusammenlebens zu sichern. Kein Gemeinwesen könne ohne Moral funktionieren, aber auch könne keine Moral ohne Religion auskommen. Noch John Locke (1632-1704) will keine Toleranz gegenüber Atheisten praktiziert sehen, denn ohne Gott gebe es keine moralischen Pflichten 19 . Offenbar überwindet erst Pierre Bayle (1647-1706) diese von Forst als „Lockes Furcht" 2 0 bezeichnete Auffassung. Bayles These lautet, auch Atheisten seien zu moralischem Handeln fähig (1682).21 In seiner 17 Ebd., S. 160 ff. 18 Ebd., S. 161. 19 Ebd., S. 294. 20 Ebd., S. 294. 21 Zu Bayle siehe ebd., S. 314-315. 8 Mahlmann /Rottleuthner
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späteren Toleranzschrift von 1686, in der er sich kritisch mit dem Compelle intrare auseinander setzt, tritt er für die Autonomie des Moralischen ein und dafür, den Geltungsanspruch des Moralischen vom Wahrheitsanspruch des Glaubens zu unterscheiden. Dadurch wird es möglich, die Forderung nach Religionsfreiheit als einer moralischen Forderung aus dem Bereich religiöser Geltungsansprüche zu lösen und auf allgemein gültige moralische Gründe zurückzuführen, die letztlich auf die Kriterien der Reziprozität und Allgemeinheit zurückgehen. Entscheidend war dann der Durchbruch der Respektkonzeption der Toleranz bei Kant (1724-1804) und dessen autonomer Moralbegründung im kategorischen Imperativ der praktischen Vernunft. Vermutlich wird sich jede andere Form von Moralbegründung, die nicht dieser kantischen Linie in irgendeiner Weise folgt, mit der Begründung von Religionsfreiheit schwer tun. 2 2 So wird man sagen müssen: die Genese der Geltung eines Rechts auf Religionsfreiheit (und ähnlich der übrigen Menschenrechte) kann ohne die komplexe Sozial- und Geistesgeschichte Europas nicht verstanden werden, in der wiederum christliches Denken eine wichtige Rolle gespielt hat, zusammen mit den griechischen philosophischen und den römischen rechtlichen Traditionen. Trotzdem wäre es einseitig und vermessen, wollte man im Angesicht dieser Genese behaupten, die Religionsfreiheit habe sich gewissermaßen als notwendiges Ergebnis einer Geschichte christlichen Denkens logisch ergeben. Offenbar war das christliche Denken, das selbst im Laufe der Geschichte eine wachsende Pluralität aufwies, auf Kritik und Infragestellung durch das im Verhältnis zu ihr Andere angewiesen, um sich für einen solchen Gedanken wie den der Religionsfreiheit konsequent öffnen zu können.
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Siehe die Ausführungen zu Forsts „Theorie der Toleranz" ebd., S. 588 ff.
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III. Die Position der katholischen Kirche zur Religionsfreiheit nach der Erklärung Dignitatis Humanae 23 des Zweiten Vatikanischen Konzils und dessen Rezeption Die mit Kant erreichte Respektkonzeption, die von der Würde des Menschen ausgeht, ist seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil auch die Position der katholischen Kirche. A m deutlichsten wird dies in der einschlägigen Erklärung des Zweiten Vatikanischen Konzils Dignitatis Humanae. Das Dokument gibt in der typisch vorsichtigen und verklausulierten Sprache solcher lehramtlicher Texte selbst ein Signal dafür, dass durch diese Erklärung tatsächlich eine neue Position eingenommen wurde: Das Konzil bezieht sich nämlich auf „die heilige Tradition und die Lehre der Kirche, aus denen es immer Neues hervorholt, das mit dem Alten im Einklang steht." ( D H 1) Dieses Kunststück gelingt den Konzilsbischöfen auch durch eine Eingrenzung des Themas. Die religiöse Freiheit, „welche die Menschen zur Erfüllung der pflichtgemäßen Gottesverehrung beanspruchen", beziehe sich nämlich „auf die Freiheit von Zwang in der staatlichen Gesellschaft" und nicht etwa auf eine Willkürfreiheit des Einzelnen in der Suche nach der wahren Religion. Deshalb lasse die religiöse Freiheit „die überlieferte katholische Lehre von der moralischen Pflicht der Menschen und der Gesellschaften gegenüber der wahren Religion und der einzigen Kirche Christi unangetastet" ( D H 1). Mag eine solche Formulierung den Verdacht erregen, es könnten doch noch irgendwelche Formen von Zwang legitimiert werden, so ist der auf die Einleitung folgende Abschnitt zur Grundlegung der Religionsfreiheit eindeutig: „Das Vatikanische Konzil erklärt, dass die menschliche Person das Recht auf religiöse Freiheit hat. Diese Freiheit besteht darin, dass alle Menschen frei sein müssen von jedem Zwang sowohl von Seiten Einzelner wie gesellschaftlicher Gruppen, wie jeglicher menschlichen Gewalt, so dass in religiösen Dingen niemand gezwungen wird, gegen sein Gewissen zu handeln, noch daran gehindert wird, privat und öffentlich, als einzelner oder in Verbindung mit anderen - innerhalb der gebührenden Grenzen - nach seinem Gewissen zu handeln. [ . . . ] Dieses Recht 23
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Quelle siehe Fn. 2.
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der menschlichen Person auf religiöse Freiheit muss in der rechtlichen Ordnung der Gesellschaft so anerkannt werden, dass es zum bürgerlichen Recht wird." ( D H 2) U m deutlich den alten Grundsatz „Keine Freiheit für den Irrtum" zurückzuweisen, heißt es am Ende dieses zweiten Abschnitts unmissverständlich: „So bleibt das Recht auf religiöse Freiheit auch denjenigen erhalten, die ihrer Pflicht, die Wahrheit zu suchen und daran festzuhalten, nicht nachkommen [ . . . ] . " ( D H 2) In D H 3 wird dann nochmals auf die Würde des Gewissens abgehoben: Der Mensch „darf also nicht gezwungen werden, gegen sein Gewissen zu handeln. Er darf aber auch nicht daran gehindert werden, gemäß seinem Gewissen zu handeln, besonders im Bereiche der Religion." ( D H 3) Auf Grund der Sozialnatur des Menschen muss sich schließlich die Religionsfreiheit auch auf die religiöse Freiheit von religiösen Gemeinschaften (einschließlich der Kirchen) erstrecken, wobei zugleich gewisse Grenzen der Religionsfreiheit gezogen werden müssen, wie der Nachsatz andeutet: „ [ . . . ] wenn nur die gerechten Erfordernisse der öffentlichen Ordnung nicht verletzt werden" ( D H 4). D H 6 schärft dann insbesondere die Pflicht der Staaten ein, die unverletzliche Menschenwürde und mit ihr die Religionsfreiheit zu schützen und jede Form von Diskriminierung zu unterlassen. Dies gilt insbesondere für Länder, in denen eine Religion oder Konfession (z. B. die katholische wie damals noch in Spanien) Staatsreligion ist. Darauf bezieht sich die folgende Formulierung: „Wenn in Anbetracht besonderer Umstände in einem Volk einer einzigen religiösen Gemeinschaft in der Rechtsordnung des Staates eine spezielle bürgerliche Anerkennung gezollt wird, so ist es notwendig, dass zugleich das Recht auf Freiheit in religiösen Dingen für alle Bürger und religiösen Gemeinschaften anerkannt und gewahrt wird." ( D H 6) Für die Gesamtbeurteilung der kirchlichen Position ist es wichtig, diese Erklärung zur Religionsfreiheit in den größeren Zusammenhang der Lehre des Zweiten Vatikanischen Konzils überhaupt einzuordnen, vor allem im Zusammenhang mit der Pastoralkonstitution Gaudium et Spes24, nach der sich die Kirche als Kirche 24 L T H K 2. Aufl., Bd. 14, S. 280-592; urspr. AAS 58 (1966), S. 10251115 (vgl. Fn. 2).
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in der Welt versteht, die der Welt dienen möchte, um so Zeugnis von der „hohen Berufung des Menschen" abzulegen. Im Dienste dieser Berufung kommt es darauf an, die „Zeichen der Zeit" zu erkennen, im Licht des Evangeliums zu deuten und mit der gesamten Menschheit in einen Dialog einzutreten (GS 1 - 4 ) . Damit ist eine Grundhaltung verbunden, die zwar am eigenen Wahrheitsanspruch festhält, gleichzeitig aber von einem grundlegenden Respekt gegenüber Anders- und Nichtgläubigen geprägt ist. Deshalb wird in Gaudium et Spes betont, dass das Gewissen seine Würde auch dann nicht verliert, wenn es in unüberwindlicher Unkenntnis irrt (GS 16). Es müsse unterschieden werden „zwischen dem Irrtum, der immer zu verwerfen ist, und dem Irrenden, der seine Würde als Person stets behält, auch wenn ihn falsche oder weniger richtige religiöse Auffassungen belasten." (GS 28) In GS 17 betonen die Konzilsbischöfe den Wert der Freiheit als Voraussetzung zur Hinwendung zum Guten. Das Konzil fordert zu unbedingter Achtung vor der menschlichen Person auf (GS 27), betont die wesentliche Gleichheit aller Menschen und verurteilt jede Form der Diskriminierung „wegen des Geschlechts oder der Rasse, der Farbe, der gesellschaftlichen Stellung, der Sprache oder der Religion" (GS 29). Schließlich ist der Hinweis auf die „richtige Autonomie der irdischen Wirklichkeiten" zu erwähnen (GS 36), weil dadurch auch ungerechtfertigte Einflussnahmen von Religion oder Kirche in Politik, Wirtschaft, Wissenschaft oder andere gesellschaftliche Bereiche zurückgewiesen werden können. Das Konzil hat außerdem eine Erklärung über das Verhältnis der katholischen Kirche zu den nichtchristlichen Religionen verabschiedet (Nostra Aetate 25), in der mit großer Hochachtung und Anerkennung (das kommt fast schon einer „Wertschätzungskonzeption" von Toleranz gleich) über nicht-christliche Religionen, vor allem das Judentum, gesprochen wird, ohne freilich den eigenen Wahrheitsanspruch aufzugeben: „Die katholische Kirche lehnt nichts von alledem ab, was in diesen Religionen wahr und heilig ist. Mit aufrichtigem Ernst betrachtet sie jene Handlungsund Lebensweisen, jene Vorschriften und Lehren, die zwar in 25 L T H K 2. Aufl., Bd. 13, S. 488-495; urspr. AAS 58 (1966), S. 740-744 (vgl. Fn. 2).
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manchem von dem abweichen, was sie selber für wahr hält und lehrt, doch nicht selten einen Strahl jener Wahrheit erkennen lassen, die alle Menschen erleuchtet." ( N A 2) Weil „das Christen und Juden gemeinsame geistliche Erbe so reich ist", möchte die katholische Kirche besonders „die gegenseitige Kenntnis und Achtung" von Juden und Christen fördern ( N A 4). Auch in diesem Zusammenhang findet sich noch einmal eine klare Absage an jede Form von Zwang in Fragen der Religion: „Deshalb verwirft die Kirche jede Diskriminierung eines Menschen und jeden Gewaltakt gegen ihn um seiner Rasse oder Farbe, seines Standes oder seiner Religion willen [ . . . ]." ( N A 5). Wenn man diese Positionen etwa mit dem bereits zitierten Syllabus Errorum vergleicht, dann kann man sich vorstellen, dass sie innerhalb der katholischen Kirche nicht einfach problemlos rezipiert wurden. Sowohl traditionalistische Gegner der Erklärung zur Religionsfreiheit wie deren progressive Befürworter sprechen denn auch eindeutig von einem „Bruch der Tradition", während sich andere darum bemühen, trotz der offensichtlichen Veränderungen die Kontinuität zu betonen. 26 Letztere verweisen auf eine fortbestehende Übereinstimmung mit alten Prinzipien (z. B. den Wahrheitsanspruch katholischer Lehre und der Lehre von der Freiheit des Gewissens), betonen aber zugleich einen Wandel der Position im Bereich des Prudenziellen. Diese Lösung wählt letztlich auch der Katechismus der Katholischen Kirche 27 . Ich persönlich finde es ehrlicher, zwar nicht von einem Bruch mit der Tradition, aber doch mit Hilpert von einem „Paradigmenwechsel" 28 und von einem wesentlichen dogmatischen Lernfortschritt in der offiziellen Position der katholischen Kirche zu sprechen. 29 Walter 26 So z. B. Divry (Fn. 2) besonders S. 260-263, S. 267-272, dort auch ausführliche Hinweise auf Vertreter / innen einer Position der Kontinuität und einer Position der Diskontinuität der katholischen Lehre. 27 Katechismus der Katholischen Kirche, Leipzig 1993, Nr. 2108-2109. Im Internet z. B. unter http: / / theol.uibk.ac.at/itl/377.html. 28 Hilpert (Fn. 2), S. 812. 29 Heinrich J.F. Reinhardt spricht von einem „einschneidenden Umbruch", Art. „Religionsfreiheit, II. systematisch-theologisch", in: Lexikon für Theologie und Kirche, Bd. 8, 3. Aufl., Freiburg i. Br. 1999, Sp. 10501052, hier Sp. 1050.
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Kasper, der das Thema der Religionsfreiheit mit der Forderung nach der rechten Autonomie verbindet, sagt sehr deutlich: „ M i t dieser Lehre ist der früher oft vertretene Integralismus, also jener religiöse Totalitarismus, der aus dem Glauben (allein) die Antwort auf alle Fragen des privaten und öffentlichen Lebens entnehmen will, endgültig überwunden." 30 Die Art, wie man diesen Fortschritt deutlich macht oder ihn kleinzureden versucht, ist letztlich auch eine Frage der Glaubwürdigkeit. Auch die katholische Kirche sollte zu früheren Fehlern stehen; wie dies Papst Johannes Paul II. in seinen historischen Schuldbekenntnissen während des Jahres 2000 ja auch selbst getan hat. 31 In den auf das Konzil folgenden Jahrzehnten, besonders während des Pontifikats Johannes Pauls II., der schon als Teilnehmer des Konzils zu den Verfechtern der Religionsfreiheit gehört hatte, sind dann sämtliche Zweifel hinsichtlich der katholischen Haltung zur Religionsfreiheit ausgeräumt worden. In mancher Beziehung mag man ab Anfang der 70er Jahre zwar ein gewisses Zurückweichen der offiziellen katholischen Lehre und kirchlichen Politik hinter die Positionen des Zweiten Vatikanischen Konzil konstatieren, dies gilt aber sicherlich nicht im Bereich der Religionsfreiheit. Dazu haben offensichtlich auch die Erfahrungen von Johannes Paul II. als Bischof unter einem kommunistischen Regime in Polen beigetragen. Schon in seiner Antrittsenzyklika Redemptor Hominis von 1979 nimmt Johannes Paul II. auf die Konzilserklärung zur Religionsfreiheit Bezug: „Die Erklärung über die Religionsfreiheit macht uns in überzeugender Weise deutlich, wie Christus und folglich seine Apostel in der Verkündigung der Wahrheit, die nicht von den Menschen, sondern von Gott kommt [ ( . . . ) ] , das heißt vom Vater, obgleich sie alle Uberzeugungskünste des Geistes einsetzen, eine tiefe Wertschätzung für den Menschen, für seinen Verstand, seinen Willen, sein Gewissen und seine Freiheit bewahren. Auf diese Weise wird die Würde der menschlichen Person Bestandteil jener Botschaft, wenn auch
30 Kasper, 1993 (Fn. 2), S. 223. 31 Dokumentiert z. B. in: Internationale Theologische Kommission (Hrsg.), Erinnern und Versöhnen: Die Kirche und die Verfehlungen in ihrer Vergangenheit, Einsiedeln 2000, S. 120-128.
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nicht in Worten, so doch durch das Verhalten ihr gegenüber. Diese Verhaltensweise scheint übereinzustimmen mit den besonderen Bedürfnissen unserer Zeit. Da sich nicht in allem, was die verschiedenen Systeme und auch einzelne Menschen als Freiheit ansehen und propagieren, die wahre Freiheit des Menschen findet, wird die Kirche um so mehr kraft ihrer göttlichen Sendung zur Wächterin dieser Freiheit, die Bedingung und Grundlage für die wahre Würde der menschlichen Person ist." (RH 12) 32 Etwas später heißt es in R H 17 noch deutlicher: „Die Beschränkung der Religionsfreiheit und deren Verletzung stehen im Gegensatz zur Würde des Menschen und seinen objektiven Rechten." In seiner späteren Missionsenzyklika von 1990, Redemptoris Missio 33 wird explizit von der Religionsfreiheit behauptet, sie sei „Voraussetzung und Garantie aller Freiheiten, die das Gemeinwohl der Menschen und der Völker sichern" (RM 39). Dignitatis Humanae konnte so zum Eckstein der Glaubwürdigkeit der katholischen Kirche in ihrem Eintreten für Menschenrechte werden, dies um so mehr, als man mit guten Gründen die Religionsfreiheit als den Kern der Menschenrechte ansehen kann, insofern hier die Transzendenz der menschlichen Person und ihrer Würde gegenüber allen weltlichen Ordnungen und Rechtssetzungen zum Ausdruck kommt. 3 4 In Centesimus Annus35 heißt es dementsprechend in Bezug auf einen vorher genannten Katalog von Menschenrechten: „Quelle und Synthese dieser Rechte ist in gewissem Sinne die Religionsfreiheit, verstanden als Recht, in der Wahrheit des eigenen Glaubens und in Übereinstimmung mit der transzendenten Würde der eigenen Person zu leben." (CA 47) Ahnlich argumen32
Deutsche Ausgabe: Johannes Paul II., Enzyklika Redemptor Hominis, Recklinghausen 1979, auch abrufbar auf den Seiten des Vatikans: http: / / www.vatican.va / edocs / DEU0076 /_INDEX.htm. 33 Deutsche Ausgabe: Enzyklika Redemptoris missio Seiner Heiligkeit Papst Johannes Paul II. über die fortdauernde Gültigkeit des missionarischen Auftrages, 7. Dezember 1990, Bonn, Sekr. d. Dt. Bischofskonferenz 1990, auch auf http: / / www.vatican.va / edocs / DEU0129 /_INDEX.htm. 34 So auch Höver (Fn. 2), S. 73. 35 Deutsche Ausgabe: Enzyklika Centesimus Annus Seiner Heiligkeit Johannes Paul II. [ . . . ] zum hundertsten Jahrestag von Rerum Novarum, 1. Mai 1991, Bonn: Sekr. d. Dt. Bischofskonferenz, 1991, auch in http:// www.vatican.va / edocs / DEU0071 / J N D E X . h t m .
Katholische Kirche und Religionsfreiheit tieren übrigens vielfach auch nationale Bischofskonferenzen
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Ländern, i n denen es bis v o r kurzem oder auch heute noch Probleme m i t der Religionsfreiheit gab oder g i b t . 3 6
I V . „Neutralität des Staates" und Kirche-Staat-Kooperation aus katholischer Sicht I n vielen der aktuellen Auseinandersetzungen zu Fragen der Religionsfreiheit, v o m Kruzifix-Beschluss des Bundesverfassungsgerichts 3 7 über dessen Schächtentscheidung 3 8 bis z u m aktuellen „ K o p f t u c h s t r e i t " 3 9 oder der Auseinandersetzung u m einen Gottesbezug i m E n t w u r f einer europäischen Verfassung 4 0 spielt die Frage eine Rolle, was „Neutralität des Staates" zu bedeuten habe. 4 1 Wenn es stimmt, was Ernst Wolfgang Böckenförde i n 36 So z. B. die mexikanischen Bischöfe in einer Erklärung vom 10. August 2005, in: Weltkirche 6 (2005), S. 22-24. Zum Staat-Kirche-Verhältnis in Mexiko vgl. Gerhard Kruip , Religion, Kirche und Staat, in: Walther L. Bernecker u. a. (Hrsg.), Mexiko heute: Politik, Wirtschaft, Kultur, 3. Aufl., Frankfurt am Main 2004, S. 149-173. 37 Vgl. hierzu z.B. Alexander Hollerbach / Hans Maier (Hrsg.), Das Kreuz im Widerspruch: der Kruzifix-Beschluß des Bundesverfassungsgerichts in der Kontroverse, Freiburg i. Br. 1996 (Quaestiones disputatae
162).
38 Hierzu Fabian Wittreck, Religionsfreiheit als Rationalisierungsverbot: Anmerkungen aus Anlaß der Schächtentscheidung des Bundesverfassungsgerichts, in: Der Staat 42 (2003) 4, S. 519-555. 39 Hierzu besonders hilfreich Heiner Bielefeldt, Zur aktuellen Kopftuchdebatte in Deutschland: Anmerkungen aus der Perspektive der Menschenrechte, Berlin: Deutsches Institut für Menschenrechte 2004. - Auch auf: http: / / www.institut-fuer-menschenrechte.de . 40 Siehe dazu z. B. Walter Bayerlein, In Verantwortung vor Gott und den Menschen: Die Frage nach dem Gottesbezug in der Europäischen Verfassung, in: Stimmen der Zeit 130 (2005) 6, S. 389-400. 41 Innerhalb Europas, vor allem im Vergleich zwischen Deutschland und Frankreich, gibt es in dieser Frage markante Unterschiede. So ist das Bekenntnis zur Neutralität des Staates für die französische Republik immer noch ein quasi-religiöses Element ihres Selbstverständnisses und wird auch von den meisten katholischen Bischöfen Frankreichs geteilt, auch wenn sich hier in letzter Zeit Veränderungen abzeichnen: Alois Müller, Wie laizistisch ist Frankreich wirklich? Von der kämpferischen zur offenen Laizität, in: Manfred Brocker/Hartmut Behr/Mathias Hildebrandt
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seinem berühmten Zitat behauptete, dass nämlich der freiheitliche, säkularisierte Staat von Voraussetzungen lebe, die er selbst nicht garantieren könne 42 , und wenn weiterhin stimmt, dass die Kirchen und Religionsgemeinschaften mit zu denjenigen Instanzen gehören, durch die diese Voraussetzungen immer wieder erneuert werden, dann muss auch der Staat zum Wohle seiner Bürger / innen ein Interesse an der positiven Entwicklung von Religionen haben. Dann lassen sich gute Gründe dafür anbringen, dass die „Neutralität des Staates" zwar sicherlich eine Fairness gegenüber allen Religionen und Weltanschauungen beinhalten muss, aber nicht so zu verstehen ist, dass der Staat eine „Privatisierung" des Religiösen zu fördern habe, sich jeglicher Kooperation mit Kirchen und Religionsgemeinschaften enthalten müsse und dafür sorgen müsse, dass Religion in staatlichen Bereichen möglichst wenig in Erscheinung trete. Der Staat muss vielmehr offen sein für eine breite zivilgesellschaftliche Präsenz von Kirchen und nicht-christlichen Religionsgemeinschaften, weil eine lebendige Religiosität zum Gemeinwohl beiträgt. Insbesondere würde eine pauschale Zurückdrängung alles Religiösen aus der Öffentlichkeit dem Gemeinwesen schaden.43 Zugleich verweist die jüngst zu (Hrsg.): Religon - Staat - Politik: Zur Rolle der Religion in der nationalen und internationalen Politik, Wiesbaden 2003, vgl. den berühmten „StasiReport": Commission de Réflexion sur l'Application du Principe de Laïcité dans la République: Rapport au Président de la République. Paris 2003. 42 Jetzt am besten zugänglich in Ernst-Wolf gang Böckenförde, Kirche und christlicher Glaube in den Herausforderungen der Zeit: Beiträge zur politisch-theologischen Verfassungsgeschichte 1957-2002, Münster 2004, S. 229; vgl. dazu den sehr guten Kommentar von Alois Müller; Ist der freiheitliche Staat auf vorpolitische Ressourcen des Religiösen angewiesen und welcher Platz soll den Religionsgemeinschaften im öffentlichen Raum zukommen? In: René Pahud de Mortange / Erwin Tanner (Hrsg.), Kooperation zwischen Staat und Religionsgemeinschaften nach schweizerischem Recht, Zürich, Basel, Genf 2005, S. 53-60. 43 In eine ähnliche Richtung hat jüngst ja sogar Jürgen Habermas argumentiert: Jürgen Habermas, Glauben und Wissen: Die Rede des diesjährigen Friedenspreisträgers des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, in: FAZ, 15. 10. 2001, 9. 2001. Vgl. die Aufsätze in Jürgen Habermas, Zwischen Naturalismus und Religion: Philosophische Aufsätze, Frankfurt am Main 2005 und dazu Magnus Striet y Verteidiger der Religion: Zu einem neuen Buch von Jürgen Habermas, in: Herder Korrespondenz 59 (2005) 10, S. 508-512.
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beobachtende Wiederkehr des Religiösen freilich auch auf mögliche Gefahren und macht die Notwendigkeit von Gemeinwesen deutlich, die Entwicklung von Religionen auch kritisch zu begleiten und einzuhegen.44 Von katholisch-theologischer Seite wird eine Verantwortung des Staates für den Bereich des Religiösen zusätzlich zu diesem Gemeinwohl-Argument auch damit begründet, alle Menschen hätten das Recht und die Pflicht, nach religiöser Wahrheit zu suchen.45 Andernfalls hätte das Recht auf Religionsfreiheit auch keinen Sinn. Daraus folge eine Pflicht des Gemeinwesens, näherhin des Staates und seiner Institutionen, die Voraussetzungen für diese religiöse Wahrheitssuche zu schaffen oder sogar letztere selbst zu unterstützen und zu fördern, z. B. durch den Religionsunterricht an öffentlichen Schulen, theologische Fakultäten an staatlichen Universitäten etc. Dies impliziert jedoch, dass alle Kirchen und Religionsgemeinschaften dann in gleicher Weise davon profitieren können müssen, was wiederum eine mindestens „indirekte" Kompetenz des Staates für den Bereich des Religiösen beinhaltet. 46 Ganz in diesem Sinne hat Alois Müller kürzlich in einem wichtigen Beitrag die Bedeutung vorpolitischer religiöser Ressourcen für moderne Gesellschaften und säkulare Staaten hervorgehoben. Seine Überlegungen zielen natürlich nicht auf Resakralisierungsoder Retraditionalisierungsversuche, die ohnehin zum Scheitern verurteilt wären. „Es gehört vielmehr zu den religionskulturellen Aufgaben einer aufgeklärten demokratischen Bürgergesellschaft, religiöse Traditionen und Überzeugungen mit der politischen und kulturellen Moderne so auszutarieren, dass lebensfeindliche und grundrechtswidrige Auslegungen heiliger Texte keine öffentliche Geltung erlangen und keinen Gewissenszwang ausüben können, aber gleichzeitig darauf zu achten, dass die symbolische und ethische Impulsfunktion des Religiösen im Dienste des freiheitlichen Gemeinwesens erhalten bleibt und nach konsensfähigen Regeln 44 Zur aktuellen Problemlage und daraus abzuleitenden Forderungen sehr präzise und mit vielen weiteren wertvollen Hinweisen Müller 2005 (Fn. 42). 4 5 Höver (Fn. 2), S. 67-72; Divry (Fn. 2), S. 275-289. 4
* Dies betont v. a. Divry (Fn. 2), S. 286.
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öffentlich wirksam werden kann. [ . . . ] Wenn der säkulare Staat das Wirken der Religionsgemeinschaften im öffentlichen Raum schützt, identifiziert er sich nicht mit einer bestimmten Religion, er signalisiert aber in seinem eigenen Interesse eine Empfänglichkeit für eine seiner vielen vorpolitischen Ressourcen, die ihm nur vermittelt werden können über die staatlich nicht erzwingbaren Aktivitäten seiner Bürgerinnen und Bürger." 47 Dieses Verständnis von staatlicher Neutralität findet sich auch vielfach bei denjenigen, die im Kopftuchstreit dafür plädiert haben, eine weniger strikte Lösung zu finden. So argumentierte beispielsweise der damalige Bundespräsident Johannes Rau, der ein pauschales Kopftuchverbot als ersten Schritt in einen laizistischen Staat betrachtete. 48 Wenn das Kopftuch einer muslimischen Lehrerin ein Zeichen für eine verfassungsfeindliche Position ist, dann ist dies schon jetzt ein Hinderungsgrund für die Ausübung des Lehrerberufs. Dafür bräuchte es keine neue Regelung. Wenn es aber vorwiegend ein religiöses Zeichen ist, also der Selbstausdruck eines religiösen Menschen im öffentlichen Raum, dann muss es als Kleidungsstück einer Lehrerin nicht zwingend als ein offizielles religiöses Zeichen des Staates verstanden werden (wie das Kreuz im Klassenzimmer). Dann handelt es sich um das religiöse Bekenntnis einer Person, die außerdem noch ein staatliches Amt innehat. Dies kann auch von Schülern so verstanden werden, ähnlich wie der Auftritt von katholischen Lehrern im Rahmen einer Fronleichnamsprozession oder das kleine Kreuz am Revers des Anzugs eines katholischen Priesters, der neben Religion noch ein anderes Fach unterrichtet. Öffentliche Schulen können und müssten dieses Maß an öffentlich sichtbarer religiöser Pluralität aushalten können, vielleicht läge darin sogar eine Lernchance in Richtung stärkeren interreligiösen Verständnisses. In jedem Fall kann die Forderung nach Achtung des Rechts auf Religionsfreiheit von Seiten von Europäern in anderen Kontinenten 49 nur dann 47 Müller 2005 (Fn. 42), S. 81-82. In einer Rede am 22. 01. 2004 in Wolfenbüttel. Zu finden unter http: / / www.bundespraesident.de / Die-deutschen-Bundespraesident / Johannes-Rau / Reden-, 11070.94041 / Religionsfreiheit-heute-zum-Ve.htm. 49 Ein solches Eintreten, häufig für christliche Minderheiten, wird zweifelsohne auch weiterhin notwendig sein. Vgl. nur Dossier: Christen
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glaubwürdig vertreten werden, wenn innerhalb Europas jeder Anschein einer Relativierung dieses Rechts konsequent vermieden wird. Das Recht auf Religionsfreiheit ist tatsächlich unteilbar. 50
in Bedrängnis (2003), in: Welt-Report, Berichte aus den Auslandsbüros der Konrad-Adenauer-Stiftung, Mai/Juni 2003. 50 Ernst-Wolf gang Böckenförde (2004): „Religionsfreiheit ist nicht teilbar": Ein Gespräch m i t . . . In: Herder Korrespondenz 58 (2004) 6, S. 286291.
Das Judentum und seine Haltung zu anderen Religionen1 Von Andreas Nachama Einleitung Aus dem Dekalog ergibt sich zwingend ein Gegensatz zwischen gottgläubigen Israeliten und andersgläubigen Fremden. 2 Deshalb ist die Haltung des Judentums zu anderen Religionen zugleich auch ein Abbild seines Umgangs mit Fremden. Das Konzept der Propheten Arnos, Maleachi und Hosea, daß der „Eine" Gott über allen Menschen und über allen Völkern steht, zieht sich wie ein roter Faden durch die Bibel. Der Prophet Micha, im 8. Jahrhundert vor der üblichen Zeitrechnung, etwa gleichzeitig mit den Propheten Arnos und Hosea lebend, setzt dem „ D u sollst neben mir keine anderen Götter haben" tolerant entgegen: „Denn von allen Völkern wandelt ein jedes im Namen seines Gottes; wir aber wandeln im Namen des Ewigen, unseres Gottes, für immer und ewig." 3 In dieser Tradition ist auch das Prophetenwort Jesajas zu verstehen: „Denn mein Haus soll ein Bethaus genannt werden für alle Völker." 4 Targum Onkelos, eine interpretierende Ubersetzung des hebräischen Textes aus dem 2. Jahrhundert, übersetzt den Text des 1 U m Anmerkungen erweitertes Manuskript eines Vortrags zu den Haltungen des Judentums nach Primärquellen in der Vorlesungsreihe von Professor Dr. Rottleuthner und Priv.-Doz. Dr. Mahlmann an der Freien Universität Berlin. Die im Mittelalter und in der frühen Neuzeit geführten öffentlichen Religionsgespräche bleiben hier unberücksichtigt, da sie ein Genre für sich waren und in aller Regel lediglich dazu dienten, die Überlegenheit des eigenen Glaubens darzulegen. 2 Vgl. 2 Moses 20,3: „ D u sollst neben mir keine anderen Götter haben." 3 Micha 4,5. 4
Jesaja 56,7.
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Andreas Nachama
Propheten Micha sehr einschränkend: „Siehe, alle Völker gehen ihrem Untergang entgegen, weil sie Irrtümern dienen, wir aber vertrauen auf das Wort des Herren, unseres Gottes, für immer und ewig." Raschi5 kommentiert eine Parallelstelle von Maleachi6: „Selbst die Götzendiener wissen, daß es einen höchsten Gott gibt, und ihm bringen sie ihre Opfer dar." Eine andere rabbinische Erklärung, die ebenfalls von Raschi zitiert wird, meint, hier werden die unter den Völkern lebenden jüdischen Gelehrten, deren Gebete als wohlgefällige Opfer aufgenommen werden, beschrieben. Man erkennt deutlich, wie schwer es der jüdischen Tradition fiel, sich auf Toleranz anderen Glaubensweisen gegenüber einzustellen. Rabbi Hillel, einer der großen Talmudautoritäten 7, tat vor etwa 2000 Jahren jenen oft zitierten Ausspruch: „Was dir nicht lieb ist, das tue auch deinem Nächsten nicht; das ist die gesamte Gesetzeslehre, alles andere ist nur Erläuterung, gehe und lerne sie." 8 Dokumentiert ist dieser Ausspruch als Antwort auf einen fremden Nichtjuden, der von Hillel wissen wollte, was die Essenz des Judentums sei, während er auf einem Bein stehe. So kann man aus dem Kontext unterstellen, der nächste sei nicht nur der direkte Nachbar, sondern jeder, der einem begegnet.9 Etwa tausend Jahre später notierte Raschi 10 , der noch Zeitzeuge des ersten Kreuzzuges geworden war: „Haß verdirbt die gute Ordnung". 1 1 Auch Leo Baeck 12 , der bedeutende deutschsprachige Rabbiner 5
Raschi, das ist: Äabbi «SC/Zlomoh /zchaki. Geboren in Troyes (Frankreich) 1040, verstorben ebendort 1105. 6 Dem Sinn nach ähnlich: Maleachi 1,11: „Denn vom Aufgang der Sonne bis zu ihrem Untergang ist mein Name groß unter den Völkern, und an jedem Orte wird meinem Namen Rauchopfer dargebracht und reine Opfergabe; denn groß ist mein Name unter den Völkern', spricht der Herr der Heerscharen." 7
Rabbi Hillel Hasaken lebte vom Ende des 1. vorchristlichen Jahrhunderts bis ins erste nachchristliche Jahrhundert. 8 Babylonischer Talmud (im folgenden abgekürzt: BT): Schabbat 31a. 9 Vgl. auch 5 Moses 10,18-19: „Gott ist es, der Recht schafft den Waisen und Witwen, der auch die Fremdlinge liebt und ihnen Brot und Kleidung gibt. 19 Ihr sollt also auch den Fremdling lieben; denn Fremdlinge seid ihr im Ägypterland gewesen!" 10 Vgl. Fn. 5. 11 Raschi im Pentateuchkommentar zu 4 Moses 22,21.
Das Judentum und seine Haltung zu anderen Religionen
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des 20. Jahrhunderts, postuliert, daß die „Anerkennung des Menschen von anderem Glauben und anderem Stamm", die „innere Achtung vor dem Fremden, die Achtung vor seiner Seele" beinhalte, die zu dem allseits bekannten Bekenntniswort des Judentums geführt habe, die Frommen der Nichtjuden hätten „Anteil an der ewigen Seeligkeit". 13
Begriffsbestimmung Schon die fünf Bücher Moses (Tora) beschäftigen sich mit Fragen des Umgangs mit Fremden, insbesondere auch mit anderen Religionen. Für die „Benej Israel", die Israeliten, später Juden 14 genannt, treten in der Tora folgende Begriffe auf: Für Israeliten: 1.GOI
= Volk
2. A M
= Volk
OV
3. LeOM = Nation
Q'n!? •
für Nichtisraeliten, d. h. für Andersgläubige: GER
= Fremder / Fremdling
Der Fremdling ist ein Migrant, der sich innerhalb der Tore niederläßt, aber einen anderen Glauben hat 1 5 . Fremder
IT
12
Leo Baeck, 1873 -1956, Aus dem Stamme von Rabbinern, Hg. Georg Heuberger/ Fritz Backhaus, Frankfurt am Main 2001. 13 Leo Baeck: Das Wesen des Judentums, Darmstadt 1966, alle Zitate S. 220. 14 Seit der Rückkehr aus der babylonischen Gefangenschaft zunehmend Bezeichnung nicht mehr ausschließlich für die Mitglieder der Stammes Jehuda, sondern für alle Israeliten. 15 Seit Zerstörung des zweiten Tempels ist „GER" zunehmend Synonym bzw. Terminus technicus für Proselyt. Ursprünglich war der Begriff für den Proselyten GER ZEDEK, ist aber sowohl umgangssprachlich als auch in der rabbinischen Literatur oft unter Weglassung des ZEDEK zu GER verkürzt worden.
9 Mahlmann / Rottleuthner
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Der SAR ist ein andersglaubender Reisender mit kurzem Aufenthalt. Sie werden zuweilen als Gefahr eingeschätzt, können auch Feinde sein. Ein SAR ist unvereinbar mit dem Glauben Israels. Ausländer B E N N E C H E R ist ein andersglaubender Ausländer in der Ferne, zu dem es grundsätzlich keinen Kontakt gibt 1 6 . Er wird in aller Regel als Feind eingestuft. Von ihm wie auch vom SAR können beispielsweise Zinsen verlangt werden, nicht jedoch von einem GER, der im Lande wohnt 1 7 . Wie wichtig die Auseinandersetzung und der Umgang mit dem Fremden ist, belegt, daß „GER" in Tora an 53 Stellen zitiert wird, während der Schabbat, Abschluß und Höhepunkt der göttlichen Schöpfungsgeschichte und der das Leben frommer Juden prägenden Woche, nur an 24 Stellen enthalten ist. Zusammenfassend läßt sich die von diesen Begriffen geprägte Welt in folgende Gruppen teilen: • Israel, das den wahren Gott anbetet 18 • die fremden Beisaßen, die keine Israeliten sind • die fremden Völker, die Götzen dienen. 19
Ursprünglicher Umgang mit Fremden in biblischen Erzählungen Zu Beginn der Patriarchengeschichte werden Fremde und Andersgläubige durchaus in das Beziehungsgeflecht Abrahams ein16
Vgl. 2 Samuel 22,45-46: „Die Söhne der Fremde schmeichelten mir; wie sie mich hörten, gehorchten sie mir. 46 Die Söhne der Fremde duckten sich nieder, kamen hervor aus ihren Burgen." 17 Vgl. 5 Moses 23,21 „Von dem Ausländer darfst du Zinsen nehmen, aber von deinem Stammesgenossen nicht." Der GER wird, da innerhalb der Tore Israels wohnend, wie ein Stammesgenosse angesehen. 18 In den Begriffen der christlichen Kirche entspräche dies denjenigen, die durch Jesus ihr Heil erlangen. 19 In den Begriffen der christlichen Kirche entspräche dies denjenigen, die zur Hölle fahren.
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bezogen. Melchisedek, Priester des höchsten Gottes, zugleich ein Kanaaniter, erhält von Abraham eine Abgabe, den Zehnten. 20 Ein erstes Beispiel für nicht toleranten Umgang mit Fremden wird in Buch Genesis beschrieben: Levi und Simeon, zwei Söhne Jakobs, überfielen die Stadt der Schechemiten und erschlugen alle männlichen Stammesangehörigen. Diese waren gerade vorher zum Glauben Jakobs konvertiert und hatten sich beschnitten. Hier wurden vermeintlich Fremde für die Vergewaltigung der Schwester vor der Verkündung des die Verhältnismäßigkeit der Strafverfolgung herstellenden ius talionis 21 in großer Zahl als Rachefeldzug erschlagen. 22 „Jakob sprach zu Simeon und Levi: ,Ihr bringt mich ins Unglück, da ihr mich bei den Kanaanitern und Perissitern, den Landeseinwohnern, verhaßt gemacht habt. Wir sind ja nur klein an Zahl; sie werden sich gegen mich zusammenrotten und mich erschlagen, und ich werde samt meinem Hause vernichtet/" 2 3 Zwar wird hier der unangemessene Rachefeldzug vom Patriarchen getadelt, jedoch allein aus Gründen der zahlenmäßigen Unterlegenheit des Jakobsklans, nicht im Kontext von Strafmilde oder Toleranz. A n anderer Stelle werden die Söhne Jakobs / Israels im Kontext einer Hungersnot nach Ägypten verschlagen, um dort von Joseph, ihrem von ihnen dorthin als Sklaven verkauften Bruder, der zwischenzeitlich zum Vizekönig avanciert war, Nahrung zu erhalten. Lange Zeit nach dem Tod Josephs, als die Ägypter nichts mehr von ihrem ehemaligen Vizekönig Joseph in Erinnerung behalten 20
Der Sohn Noachs, Schern, hieß hier also Melchizedek. Vgl. 1 Moses 14,18-20. Die jüdische Exegese war ob dieser großen Toleranzgeste einem fremden Priester gegenüber in Erklärungsnöten und machte Melchisedek zum Sohn Noahs mit einem neuem Namen: Schern. Vgl. dazu auch: Raschi zu 1 Moses 14,18 und BT Nedarim fol. 32b. 2
* Vgl. 2 Moses 21,24-27, das Wiedervergeltungsrecht: „Auge für Auge, Zahn für Zahn, Hand für Hand, Fuß für Fuß, 25 Brandmal für Brandmal, Wunde für Wunde, Strieme für Strieme! [ . . . ] 27 Wenn er seinem Sklaven oder seiner Sklavin einen Zahn ausschlägt, soll er die Person als Ersatz für den Zahn freigeben." 22 Vgl. 1 Moses 34,1-31. Genau genommen wurden hier eigentlich Konvertierte erschlagen. Sie wurden aber offenbar noch als andersgläubige Fremde angesehen. 23 1 Moses 34,30. 9*
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hatten, gerieten die Nachkommen, die dort zwischenzeitlich zu einem Volk herangewachsen waren, in totale Versklavung. Moses war es dann, der diese „Fremdlinge" aus Ägypten gen Kanaan herausführte. Dieser Exodus ging einher mit Raub an den Ägyptern, der mit Entschädigung für Sklavenarbeit begründet wurde: „Auch handelten die Israeliten nach der Weisung des Moses und erbaten sich von den Ägyptern silberne und goldene Geräte und Kleider. Der Ewige verschaffte dem Volk Gunst bei den Ägyptern, so daß sie ihnen willfährig waren. Und so beraubten sie die Ägypter.« 24 Noch ungünstiger für Nichtisraeliten wird die Situation nach dem Auszug aus Ägypten im Prozeß der Landnahme. „Denn mein Engel wird vor dir herziehen, und er wird dich bringen zu den Amoritern, Hethitern, Perissitern, Kanaanitern, Hiwwitern und Jebusitern; ich will sie vertilgen. D u sollst ihre Götter nicht anbeten und ihnen keine Verehrung zollen! D u sollst ihre Machwerke nicht nachahmen; vielmehr sollst du sie gründlich niederreißen und ihre Weihesteine gänzlich zerbrechen!" 25 Diesen historische Prozesse beschreibenden Positionen der Intoleranz in der Zeit der Stammväter (Genesis) bzw. der Auszugs- und Eroberungsphase (Exodus) stehen nun aber Rechtspositionen gegenüber, die für die Israeliten als „ewige Satzung", als Handlungsanweisungen für die Zukunft, gelten sollten.
Haltung zum Nichtisraeliten in der biblischen Gesetzgebung Im „Bundesbuch" genannten Abschnitt der Tora 26 ist das Sklavenrecht eine zentrale Thematik und die Frage des Fremdenrechts Kontrapunkt zur oben zitierten Invasionsanweisung, keinen Bund mit den Landeseinwohnern einzugehen und ihre „Weihesteine" und Altäre niederzureißen. „Einen Fremdling sollst du nicht unterdrücken und ihn nicht bedrängen. Denn Fremdlinge seid ihr selbst gewesen im Lande Ägypten. Eine Witwe oder eine Vgl. 2 M o s e s 12,35. 25 2 Moses 23,23-25. 26 2 Moses 20,22-23,33. 24
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Waise sollt ihr nicht unterdrücken." 27 Diejenigen, die wir heute als Migranten bezeichnen würden, also dauerhafte Beisaßen, gelten „wie Einheimische". 28 Dies ist der Kontrapunkt zum oben beschriebenen „Niederreißen ihrer Altäre". 2 9 Grundsätzlich läßt sich die biblische Haltung jedoch mit den wiederholten Hinweisen zusammenfassen, Israel solle sich nicht über die Fremden erheben, sondern sich der eigenen Situation als Fremde im Exil erinnern. Diese Rückbesinnung auf Gottes besondere Beziehung zu den Schwachen schließt jetzt die Fremden im Land mit ein.
Haltung zum Nichtisraeliten im Talmud Der Talmud entsteht zu einer Zeit, in der durch die imperiale Politik Roms sowie der Zerstörung Jerusalems einerseits sowie durch die Entstehung des Christentums andererseits das Judentum sich völlig neu definieren mußte. Jüdische Siedlungen in Erez Israel und das zentrale Heiligtum, der Tempel, entfielen. Judentum als Diasporareligion hatte zwar seit dem babylonischen Exil neben den zentralen Einrichtungen in und um Jerusalem bereits Jahrhunderte bestanden, mußte nun aber zur alleinigen Lebensund Uberlebensformen werden. Folglich versucht der Talmud zunächst wie in der Phase der Landnahme mit eher exklusivistischen Positionen an die biblischen Vorgaben anzuschließen. Die Positionen der Toleranz dem Fremden, dem GER, gegenüber konnten als biblisches Recht zwar nicht in Frage gestellt werden, aber die Rabbiner fanden doch einen Weg, sie außer Kraft zu setzen. Sie postulierten, daß die Toleranzpositionen nur dann in Kraft wären, wenn auch das Schabbat- und Jubeljahr 30 mit seinen weitreichen27 2 Moses 22,20. 28
3 Moses 19,33-34: „Hält sich ein Fremdling bei dir in eurem Lande auf, so dürft ihr ihn nicht bedrücken. 34 Wie ein Einheimischer von euch selbst soll euch der Fremdling gelten, der bei euch weilt; du sollst ihn lieben wie dich selbst; denn ihr seid ja auch Fremdlinge gewesen im Ägypterland." Vgl. auch 4 Moses 15,16: „Das gleiche Gesetz und das gleiche Recht gelte für euch und für den Fremden, der sich bei euch aufhält." 29 Vgl. 2. Moses 34,11. 30 SCHABBATJAHR, vgl. 2 Moses 23,10 ff.; JUBELJAHR, vgl. 3 Moses 25,1 ff.
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den sozialen Sicherungssystemen auch für Sklaven eingehalten würden, also beschränkten sie sie auf den funktionierenden biblischen Staat.31 Auf diese Weise hatten die Rabbiner eine elegante Form gefunden, um sich der weitreichenden Toleranz Andersgläubigen gegenüber in einer Phase auch aggressiver Agitation 3 2 durch das sich formierende junge Christentum weitestgehend zu entziehen, soweit für eine eigene Haltung anderen Religionen gegenüber ohne eigenen staatlichen Rahmen überhaupt Raum blieb. A n verschiedenen Stellen des Talmud werden Angehörige anderer Religionen wegen ihrer Grausamkeit Juden gegenüber verurteilt. So brauchen einerseits nichtjüdische Zeugen nicht vor einem rabbinischen Gerichtshof (Beth Din) gehört zu werden 33 , andererseits sollen auch nichtjüdische Bedürftige unterstützt werden. 34 Rabbi Elieser behauptet, daß es unter den nichtjüdischen Völkern keine Gerechten gäbe, die Anteil an der kommenden Welt haben, während Rabbi Joshua behauptet, daß es in der Tat derartige Gerechte gäbe 35 , die Anteil an der kommenden Welt haben, wenn sie die sieben noachidischen Gebote einhalten: • Das Verbot des Mordens • Das Verbot der Gotteslästerung (= Anerkennung eines höchsten Gottes/in einigen Auslegungen mit Beisassen) • Das Verbot des Götzendienstes • Das Gebot der Einrichtung von Gerichtshöfen • Das Verbot der Blutschande • Das Verbot der Räuberei • Das Verbot des Genusses von Fleisch vom lebenden Tier. In der Auslegung dieser noachidischen Gebote streiten die jüdischen Kommentatoren darum, ob nun Christen wegen des Kruzifixes als Götzendiener anzusehen seien oder nicht, kommen aber 31
Vgl. Enzyklopedia Judaica, Jerusalem 1972 ff., Bd. 15, Sp. 421. 2 Vgl. Esther Rabba 2:3.
3
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Vgl. BT Baba Kamma 15a. Vgl. BT Gittin 61a. 35 Vgl. BT Sanhédrin Fol.13. 34
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meist zu dem Schluß, daß sie unter die noachidischen Fremden fallen. Letztlich bleibt jedoch die Haltung zu anderen Religionen im Ermessen des einzelnen rabbinischen Gelehrten und seiner Gemeinde, denn die im Talmud festgehaltenen Diskussionen werden nicht etwa wie die von Rabbi Gerschom 36 im 11. Jahrhundert verfügte Takkana 37 zur Monogamie rechtsverbindlich, sondern bleiben Momentaufnahmen einer Debatte in einem historischen Umfeld, die später in anderen Situationen zur Positionsbestimmung herangezogen werden konnten.
Gegenwart Moses Mendelssohn antwortet Sophie Becker am 27. Dezember 1785, wenige Tage vor seinem Tod, nachdem diese über „Weihnachtsgesänge", die sie in ihre Kindheit zurückversetzten, geschrieben hat: „Ich freue mich über jeden Religionsgebrauch, der nicht zu Intoleranz und Menschenhaß führt; freue mich, wie meine Kinder mit jeder Zeremonie, die etwas Wahres und Gutes zum Grunde hat. [ . . . ] Der gemeine Mensch, dünkt mich, singt nicht, daß Gott ihn höre und an seinen Melodien Gefallen finde, wir singen unserethalben, und das tut der Weise so gut als der Tor. [ . . . ] Mir haben die Psalmen manch bittere Stunde versüßt, und ich bete und singe sie, sooft ich ein Bedürfnis zu beten und zu singen bei mir verspüre [ . . . ] " .
Für die eher wechselvollen denn verheißenden Zeiten des 19. Jahrhunderts sei auf Abraham Geigers Versuche hingewiesen, den historischen Jesus gegen den Strich zu bürsten und seine jüdische Identität zu betonen. Besonders seine Einschätzung, Jesus habe der rabbinischen - also pharisäischen - Strömung angehört, löste heftige Reaktionen christlicher Theologen aus 38 , während Geigers 36
Rabbi Gerschom ben Judah Me'or HaGola lebte von 960 bis 1028 in Mainz. 37 Takkana ist eine von rabbinischen Autoritäten verfügte Rechtsverordnung. 38 Susannah Heschel, Der jüdische Jesus und das Christentum. Abraham Geigers Herausforderung an die christliche Theologie (aus dem amerikan. übers, von Christian Wiese), Berlin 2001.
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Studie zu den jüdischen Quellen im Islam 39 durchweg positiv aufgenommen wurde. Auch um die Wende zum 20. Jahrhundert wurde Leo Baeck, der zu den ersten Rezensenten40 der Publikation Adolf von Harnacks Berliner Vorlesung „Das Wesen des Christentums" gehörte und als intellektuelle Antwort sein „Wesen des Judentums" 41 verfasst hatte, nicht als Dialogpartner von der christlichen Theologie verstanden. Obwohl Harnack in der Berliner Universität lehrte und Leo Baeck in der nur wenige hundert Meter entfernten Hochschule für die Wissenschaft des Judentums, ist es trotz des jahrzehntelangen Wirkens beider in Berlin zu keiner dokumentierten Begegnung zwischen den Beiden gekommen. Papst Johannes Paul II. besuchte am 13. April 1986 die Synagoge von Rom. Dieser Besuch schloß an die Beschlüsse des 2. Vatikanischen Konzils an, die wie ähnliche Bemühungen der Protestantischen Kirchen in Deutschland, ein neues Zeitalter des interreligiösen Dialogs eröffneten. Dieser nach dem Holocaust in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts entstandene Diskurs über die Grenzen der eigenen Religion 42 hinweg knüpfte an intellektuelle Gesprächsforen zwischen Christen und Juden an, die sich bereits in den 20er Jahren entwickelt hatten. Franz Rosenzweig (1886 — 1929) folgte dem mittelalterlichen Gelehrten Maimonides (11351204), wenn er meinte, feststellen zu können, durch das Christentum werde die nichtjüdische Welt zum einen Gott geführt. Dabei schloß Rosenzweig interessanterweise den Islam nicht mit ein, obwohl Maimonides dies getan hatte. Auch die Kirche sagt nicht mehr laut: „extra ecclesiam nulla salus" und löste damit ein neues 39
Abraham Geiger , Was hat Mohammed aus dem Judenthum aufgenommen? Bonn, 1833. Neudruck 2004. 40 Leo Baeck , Harnack's Vorlesungen über das Wesen des Christentums, Berlin 1902. 41 Leo Baeck , Das Wesen des Judentums, hrsg. von Albert H. Friedlander, Gütersloh 1998 (Erstdruck, Berlin 1905). 42 Vgl. Hans Erler/Ansgar Koschel (Hg.): Der Dialog zwischen Juden und Christen. Versuche eines Gesprächs nach Auschwitz, Frankfurt am M a i n / N e w York 1999; Freude an der Tora - Freude am Dialog, Festschrift zum 75. Geburtstag von Rabbiner Henry G. Brandt mit einem Geleitwort von Bundespräsident Johannes Rau, Hg. Manfred Keller / A n dreas Nachama, Bochum 2002.
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Nachdenken innerhalb des Judentums anderen Religionen gegenüber aus. Reb Zalman Schachter Shalomi 43 , ein Pionier interreligiösem Gesprächs und gegenseitigen Lernens, versuchte 1993 die Kernpunkte des religiösen Miteinanders zu definieren. Gemeinsam müssen „Juden und Christen [ . . . ] auf die ,Schalom Ordnung' warten, die von dem einen eingeführt werden soll, der die Geschichte erfüllt und die messianischen Hoffnungen, die damit verbunden sind, daß sich Schwerter zu Pflugscharen wandeln und Löwen neben Lämmern ruhen." Juden sollten nicht die Augen davor verschließen, daß Jesus von Nazareth für die Christen eine zentrale Rolle als Messias der ersten Niederkunft spielt und die „Lehren von Paulus ein shibboleth" bleiben. Schließlich merkt Schachter-Shalomi an, daß mit den Moslem „Fragen der shariya" zu debattieren wären, um dann in Abkehr von allen Religionsunionsplänen, die besonders durch das Staatskirchenwesen in Deutschland immer wieder großen Auftrieb haben, zu fordern: „ N u r indem jeder seine individuelle Gestalt und Ausprägung erhält, formen wir zusammen jenes Mosaik, in dem wir Gottes Mosaiksteinchen sind." In den USA wurden in den 90er Jahren, auch um den Dialog mit den Kirchen besser führen zu können, Boards of Rabbis 44 gegründet. A m 10. September 2000 wurde in der New York Times und in der Baltimore Sun die Erklärung D A B R U E M E T 4 5 veröffentlicht wurde, begann eine Diskussion in der jüdischen Öffentlichkeit Amerikas, die bis heute nicht an Heftigkeit verloren hat: 150 jüdische Gelehrte und Rabbiner forderten ihre Glaubensgenossen auf, die Zurückhaltung aufzugeben und auf das Dialogangebot des Christentums positiv zuzugehen. In acht Thesen 46 begründen sie, worin die Grundlagen des gegenseitigen Vertrauens und die Inhalte der Begegnung liegen könnten: 43
Die folgenden Zitate sind seinem Werk „Paradigm Shift", Lanham 1993, entnommen. 44 N A B O R (National Board of Rabbis), 1999 gegründet von Rabbi Marc Schneier, gehören neben Rabbinern der Reformbewegung auch konservative und orthodoxe Rabbiner an. 45 Zur Rezeption von D A B R U EMET: Rainer Kampling/ Michael Weinrieb, Dabru emet - redet Wahrheit, 2003. 46 D A B R U EMET wurde formuliert von: Tikva Frymer-Kensky, University of Chicago / David Novak, University of Toronto / Peter Ochs, University of Virginia / Michael Signer, University of Notre Dame.
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• Juden und Christen beten den gleichen Gott an. • Juden und Christen stützen sich auf die Autorität ein und desselben Buches - die Bibel (das die Juden „Tenach" und die Christen das „Alte Testament" nennen). • Christen können den Anspruch des jüdischen Volkes auf das Land Israel respektieren. • Juden und Christen anerkennen die moralischen Prinzipien der Tora. • Der Nazismus war kein christliches Phänomen. • Der nach menschlichem Ermessen unüberwindbare Unterschied zwischen Juden und Christen wird nicht eher ausgeräumt werden, bis Gott die gesamte Welt erlösen wird, wie es die Schrift prophezeit. • Ein neues Verhältnis zwischen Juden und Christen wird die jüdische Praxis nicht schwächen. • Juden und Christen müssen sich gemeinsam für Gerechtigkeit und Frieden einsetzen. D A B R U EMET ist so oder so ähnlich formuliert in den vergangenen Jahrzehnten des Dialogs zwischen Juden und Christen in Deutschland eher nicht als zusammenhängendes Manifest, aber eben doch schon formuliert worden. Angesichts der pentateuchischen Positionen dem GER gegenüber und der im 20. Jahrhundert mit zuweilen volkstümlicher Schriftrezeption geführten Debatten, könnte man meinen, das Judentum wäre zu allen Zeiten eine Andere akzeptierende - also tolerante - Religion gewesen, die allein die Thronbesteigung eines Ausländers verbietet. 47 Schließlich bittet König Salomon darum, Gott möge die Gebete der Ausländer erhören. 48 „Dann wird der 47 Vgl. 5 Moses 17,15 „ N u r aus deinen Stammesbrüdern darfst du jemand über dich als König setzen; einen Ausländer, der nicht dein Stammesbruder ist, darfst du nicht über dich setzen." 48 1 Könige 8,41 -43: „Auch den Ausländer, der nicht aus deinem Volke Israel stammt, sondern aus fernem Land deines Namens wegen kommt, 42 denn man hört von deinem gewaltigen Namen, deiner starken Hand und deinem ausgestreckten Arm, wenn er also kommt und betet zu diesem Hause hin, 43 dann höre du es im Himmel, deinem Wohnsitz, und gewähre alles, worum der Fremde zu dir ruft."
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Ewige über die ganze Erde König sein. A n jenem Tage wird der Ewige der einzige sein und sein Name der einzige." 49 Aber diese Haltung der Toleranz des Judentums anderen Religionen gegenüber mußte zuweilen in der harten Brutalität der Nichtakzeptanz der Umgebungsgesellschaften durch Unduldsamkeit ersetzt werden.
49 Zacharias 14,9.
Kein Zwang in der Religion"? Religiöse Toleranz im Islam Von Gudrun Krämer
Mit Berufung auf die christlich-abendländische Tradition, die Aufklärung und ihre jüngste Geschichte fordert die westliche Welt Toleranz: Toleranz gegenüber abweichenden Lebensstilen, Meinungen und religiösen Uberzeugungen. Sie fordert sie von sich und den anderen. Seit einiger Zeit ist vermehrt allerdings auch von den Grenzen der Toleranz die Rede, die denen aufgezeigt werden müssten, die sie selbst nicht achteten. A n prominenter Stelle stehen hier der Islam und die Muslime, deren Verhältnis zu Toleranz im allgemeinen und religiöser Toleranz im besonderen, so könnte man meinen, in besonderer Weise klärungsbedürftig, wenn nicht belastet ist. Tatsächlich ist das Thema ausgesprochen kontrovers: Sehen die einen den Islam als Religion der Toleranz schlechthin, beschwören andere den Fanatismus der Muslime, die die Ungläubigen „mit Feuer und Schwert" bekämpften und Nichtmuslime bestenfalls als „Bürger zweiter Klasse" zu tolerieren bereit seien. Beide Seiten argumentieren mit der Schrift, beide verweisen auf die Geschichte: „Goldene Mythen" erzählen von Zeiten friedvollen Zusammenlebens und hoher kultureller Blüte im umayyadischen Spanien (al-Andalus), fatimidischen Ägypten oder dem Bagdad der 1920er Jahre. „Schwarze Mythen" verweisen auf die Zerstörung hinduistischer Tempel in Indien, blutige Zusammenstöße in Nigeria, religiöse Repression in SaudiArabien und nicht zuletzt die Anschläge von al-Qa'ida und ihrem radikal-islamischen Umfeld. In deren Schatten steht mittlerweile fast alles, was zum Islam gesagt und geschrieben wird. Der Begriff der Toleranz selbst deckt eine weite Spanne ab: Sie reicht vom Hinnehmen, Dulden, Gewährenlassen des Anderen, Fremden mit seinen anderen, fremden Überzeugungen und Ver-
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haltensweisen bis hin zu deren Anerkennung als gleichwertig und gleichrangig. 1 Die duldende Toleranz kann sich auf pragmatisches Kalkül stützen, das an bestimmte Bedingungen geknüpft und damit reversibel ist; sie kann aber auch in der Einsicht in die Ungewissheit aller religiösen Erkenntnis gründen, die dem anderen prinzipiell die Möglichkeit zugesteht, die Wahrheit zu suchen oder gar gefunden zu haben. Beide können miteinander verbunden sein, müssen es aber nicht: Pragmatische Duldung lässt sich auch ohne philosophische Reflexion praktizieren. Die anerkennende Toleranz verbindet sich zumindest heute mit der Idee der Menschenrechte, der zufolge das individuelle Recht auf Selbstbestimmung auch das Recht auf die freie Wahl des religiösen Bekenntnisses umfasst - und seines jederzeitigen Wechsels. Die Glaubens- und Bekenntnisfreiheit wird erweitert durch das Recht auf freie Religionsausübung (Kultfreiheit) sowie gegebenenfalls einen Bestand an kulturellen Minderheitenrechten, sofern diese Minderheiten sich religiös verstehen. Religionsfreiheit umfasst somit die individuelle und die kollektive, die private und die öffentliche Sphäre. Das bindet sie zugleich an bestimmte politische und rechtliche Voraussetzungen: Duldende Toleranz läßt sich im Rahmen des absolutistischen und des autoritären Staates üben, der seinen Untertanen oder Bürgern, unabhängig von den von ihm selbst vertretenen Werten, aus eigenem Antrieb gewisse Rechte zugesteht. Die anerkennende Toleranz hingegen setzt eine weitgehende Trennung von Religion, Moral und Recht voraus (völlig unverbunden sind sie auch in einer laizistischen Ordnung nicht) und damit in letzter Konsequenz den säkularen Rechtsstaat.
Der Status der Ungläubigen „im Islam" Obgleich das Thema ebenso sehr die Religionsfreiheit der Muslime selbst berührt, steht in seinem Mittelpunkt doch der Status von Nichtmuslimen „im Islam", der im Allgemeinen unter dem 1 Mit Blick auf Europa vgl. Rainer Forst , Toleranz im Konflikt. Geschichte, Gehalt und Gegenwart eines umstrittenen Begriffs, Frankfurt am Main 2003. Forst unterscheidet vier Konzeptionen von Toleranz mit je eigener Begründung und Tragweite: Erlaubnis, Koexistenz, Respekt und Wertschätzung, die auch mit Blick auf den Islam interessieren.
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Vorzeichen der Minderheitenfrage abgehandelt wird. „Minderheit" ist nicht zwingend deckungsgleich mit Minder zahl; als Mind e r e t können auch Gruppen gelten, die nicht der dominierenden gesellschaftlichen Schicht angehören, sei diese nun ethnisch, sozial, politisch oder kulturell definiert. Immer aber schwingt im Begriff der „Minderheit" Unterlegenheit mit oder zumindest Randständigkeit. Das trifft auch auf den Islam zu. Unter islamischer Herrschaft bildeten Nichtmuslime über Jahrhunderte zahlenmäßig die Mehrheit: im Mittleren Osten bis ins Mittelalter, im Osmanischen Reich bis weit in die Neuzeit, auf dem Indischen Subkontinent bis zum Zerfall des Moghuireiches im 18. Jahrhundert. Ihr Status jedoch war von Anfang an der einer unterworfenen Gruppe bzw. einzelner unterworfener Gruppen; die Bestimmungen des islamischen Rechts spiegeln eine gesellschaftliche Hierarchie, in deren Spitze (männliche) Muslime stehen. Die Rechtsnormen aber spielen noch heute eine große Rolle, selbst wenn die Diskussion meist mit Bezug auf den Koran und die Sünna (Prophetentradition) als Fundament islamischen Lebens und Denkens geführt wird. Tatsächlich ist von einiger Bedeutung, was der Koran zum Thema religiöse Toleranz zu sagen hat, und wie er es tut. Der Koran ist nach der Uberzeugung gläubiger Muslime die Offenbarung, die Gott über einen Zeitraum von gut zwanzig Jahren auf Muhammad (um 570-632) „herabgesandt" hat. Der Koran ist damit die direkte Rede Gottes. Anders aber als viele Muslime heute annehmen, ist er weder eine Verfassung noch ein Gesetzbuch. Eine Theorie der Toleranz, der Menschenwürde und der Menschenrechte sucht man in ihm ebenso vergeblich wie klar umrissene Gruppenprofile. Was der Koran bietet, sind Weisungen für rechtes Verhalten in konkreten Zusammenhängen und Strafandrohungen für unrechtes Verhalten im Diesseits und im Jenseits. Den Islam charakterisiert der Koran als monotheistische Schriftreligion. Ihm zufolge steht Muhammad am Ende einer langen Kette von Propheten, die zu einzelnen Völkern gesandt wurden, um sie mit der göttlichen Wahrheit vertraut zu machen bzw. an diese Wahrheit zu erinnern (Muhammad als „Siegel der Propheten"). Manche dieser Völker, so der Koran, lehnten die Botschaft ab und wurden vernichtet, andere - zu ihnen zählen die
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Juden und Christen - nahmen sie an, verfälschten sie aber im Laufe der Zeit. Der Islam stellt die ursprünglich von Abraham verkündete monotheistische Religion in reiner Form wieder her; nach Muhammad kann es keine Prophetie und keine Propheten mehr geben, sondern nur noch Abweichung, Häresie und Apostasie. Der Islam ist das Alpha und das Omega, Anfang und Ende der Offenbarungs- und Heilsgeschichte, an der andere Anteil haben, die im Islam aber ihren Abschluß findet. Die zwei Elemente Monotheismus und Offenbarungsschrift dienen zugleich als Kriterien für die Einordnung anderer religiöser Traditionen. Dabei wird grob unterschieden zwischen Gläubigen und Ungläubigen, die sich wiederum in „Schriftbesitzer", „Heiden" (Polytheisten) und „Heuchler" untergliedern. Der Koran spricht an sehr vielen Stellen von Gläubigen (in unterschiedlichen Zusammenhängen und nicht zwingend identisch, mu'minun und muslimuri) und Ungläubigen (kuffar oder kafiruna, Sing, kafir, von kufr y Unglaube, eng verknüpft mit Undank, gemeint ist Undank für die göttliche Gnade). Er spricht von Israeliten (bann Isra'il) und Juden (hud , yabud), wobei in der Tendenz die Israeliten die historischen Stämme Israels bezeichnen, Juden die Zeitgenossen Muhammads; von Christen (nasara , wohl abgeleitet von Nazarener); von den nicht eindeutig identifizierten Sabiern; von „Schriftbesitzern" (ahl al-kitab ) als den Anhängern einer monotheistischen Schriftreligion, in der Regel Juden, Christen und Sabier, an einer Stelle wohl auch die Zoroastrier (majus , Magier); schließlich von so genannten Heuchlern (;munafiqun ), die vorgeben, den Islam angenommen zu haben, während sie in Wirklichkeit gegen Muhammad und die muslimische Gemeinschaft konspirieren. 2 Dabei ist die Zuordnung dieser Begriffe nicht ganz einheitlich: Ebenso negativ wie das Alte Testament /die Hebräische Bibel zeichnet der Koran die Heiden oder Polythe2
Einen guten Überblick bieten Yohanan Friedmann , Tolerance and Coercion in Islam. Interfaith Relations in the Muslim Tradition, Cambridge 2003 und Jane Dämmen McAuliffe (Hg.), Encyclopaedia of the Qur'an, bislang erschienen Bd. 1 - 5 , Leiden 2001-2006. Die Koranübersetzungen folgen (abzüglich diverser Klammern) weitgehend Rudi Paret , Der Koran. Übersetzung, Kommentar und Konkordanz, 2 Bde., Stuttgart 2 1980.
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isten (mushrikun, von shirk, im Deutschen meist etwas schwerfällig als „Beigesellung" übersetzt), die im Gegensatz zu den Gläubigen mehr als eine Gottheit verehren. Juden und Christen werden an vielen Stellen deutlich von den Polytheisten abgegrenzt, da sie, wie die Muslime, an den Einen Gott glauben, an das Jüngste Gericht, Paradies und Hölle, Engel und Propheten. A n anderen Stellen stehen sie selbst als Polytheisten da, weil die Christen Jesus und die Juden - so sagt der Koran - Uzair (Ezra?) zu Gottes Sohn erklären; insofern sind auch sie Ungläubige. Wiederholt werden einzelne Gruppen unter den Juden und Christen als gläubig identifiziert, während andere frevelten. Die religiöse Bewertung der Nichtmuslime ist somit vielschichtig, um nicht zu sagen verwirrend. Nur schwer lassen sich die koranischen Hinweise in ein einheitliches Gesamtbild bringen; wer immer eines konstruiert, muß sich auf sperrige Einzelteile gefasst machen. Das gilt in gleicher Weise für den Umgang mit den Ungläubigen jeglicher Art. Er soll sich im Wesentlichen an deren eigenem Verhalten orientieren: Sind sie aggressiv, werden sie (mit der Waffe) bekämpft; sind sie es nicht, gelten die üblichen Regeln von Sitte und Anstand. Verträge sind auf jeden Fall einzuhalten. Das „reaktive Prinzip" wird freilich nicht abstrakt formuliert, sondern ergibt sich aus der Zusammenschau zahlreicher Einzelaussagen, die mal den friedlichen Umgang mit Ungläubigen propagieren, mal den entschlossenen Kampf (Jihad). Einige Hinweise müssen hier genügen: Lapidar zieht Sure 109,6 die Grenze zwischen Gläubigen und Ungläubigen, ohne daraus eine Handlungsanweisung abzuleiten: „Ihr habt eure Religion und ich die meine" {lakum dinukum wa-liya dini). Sure 2 und 5 thematisieren die Gemeinsamkeiten und Differenzen der drei monotheistischen Religionen (die auch als „himmlische Religionen", al-adyan assamawiyya y bezeichnet werden), über die Gott am Jüngsten Tag richten wird. 3 Zentral ist in diesem Zusammenhang Sure 5,48, die den religiösen Pluralismus zumindest mit Blick auf die monotheistischen Offenbarungsreligionen als gottgewollt bezeichnet: 3
In diesen Zusammenhang gehört Sure 2,139: „Sag (zu den Leuten der Schrift): Wollt ihr mit uns über Gott streiten? Er ist doch unser und euer Herr. Uns kommen (beim Jüngsten Gericht) unsere Werke zu, und euch die euren. Wir sind ganz auf ihn eingestellt." 10 Mahlmann / Rottleuthner
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„Für jeden von euch haben wir ein (eigenes) Brauchtum und einen (eigenen) Weg bestimmt. Und wenn Gott gewollt hätte, hätte er euch zu einer einzigen Gemeinschaft gemacht. Aber er wollte euch in dem, was er euch gegeben (offenbart) hat, auf die Probe stellen. Wetteifert nun nach den guten Dingen! Zu Gott werden wir alle zurückkehren. Und dann wird er euch Kunde geben über das, worüber ihr uneins wart."
Das rüttelt nicht am Uberlegenheitsanspruch des Islam, lässt aber Raum für die duldende Toleranz, unter Umständen sogar für die anerkennende. In diese Richtung zielt auch das Verbot religiösen Zwangs nach Sure 2,256 („kein Zwang in der Religion"), das hier - anders als später im islamischen Recht - weder eingegrenzt noch konditioniert wird. Nach Koran 9,29 allerdings sollen die „Ungläubigen unter den Schriftbesitzern" (eine besonders problematische Aussage) so lange bekämpft werden, bis sie „klein" sind und „aus der Hand" eine nicht näher spezifizierte Abgabe (Jizya) entrichten, die später meist als Kopfsteuer definiert wurde: 4 „Kämpft gegen diejenigen, die nicht an Gott und den Jüngsten Tag glauben und nicht verbieten, was Gott und sein Gesandter verboten haben, und nicht der wahren Religion angehören - von denen, die die Schrift erhalten haben - , bis sie klein sind und aus der Hand (?) Tribut entrichten!"
Sure 3,28, 5,51, 5,57 oder auch 60,1-3 fordern die Muslime/die Gläubigen auf, sich die Ungläubigen nicht zu Freunden und Bündnispartnern zu wählen - nicht zuletzt, weil diese Sure 2,120 und 217 zufolge nicht ruhen werden, bis sie die Gläubigen zu ihrem eigenen Glauben bekehrt haben. Muslime sollen mit der eigenen Gemeinschaft solidarisch sein. Sure 60,8 - 9 hält die Muslime dazu an, denjenigen mit Anstand und Gerechtigkeit zu begegnen, die sie „in ihrer Religion" nicht bekämpft und nicht „aus ihren Wohnstätten vertrieben" oder Beihilfe zu diesen Taten geleistet haben, warnt zugleich aber vor jenen, „die sich ihnen anschließen": 4 Wer aber ist damit konkret gemeint? Was besagt, dass die Ungläubigen nach ihrer Unterwerfung „klein" und „aus der Hand" „Tribut" zahlen (der hier verwandte Terminus jizya bereitete schon den frühen muslimischen Kommentatoren Schwierigkeiten): dass sie ihre Unterlegenheit anerkennen oder man sie diese spüren lässt, sie unter Umständen sogar gezielt demütigt? Für sich genommen ist der Text nicht eindeutig.
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„Gott verbietet euch nicht, gegen diejenigen pietätvoll und gerecht zu sein, die nicht der Religion wegen gegen euch gekämpft (lam yuqatilukum fi d-dini) und die euch nicht aus euren Wohnungen vertrieben haben. Gott liebt die, die gerecht handeln. Er verbietet euch nur, euch denen anzuschließen, die der Religion wegen gegen euch gekämpft und euch aus euren Wohnungen vertrieben oder bei eurer Vertreibung mitgeholfen haben. Diejenigen, die sich ihnen anschließen, sind die (wahren) Frevler!" (meine Hervorhebung, GK)
Das spielt auf die Feindseligkeit der („heidnischen") Mekkaner an, die die Muslime im Jahr 622 n. Chr. zur Flucht (Hijra) nach Medina zwang, mit der die islamische Zeitrechnung beginnt. Die Sure hat im Zusammenhang mit islamistischen Anschlägen auf zivile Ziele und unbeteiligte Menschen, mit dem islamischen Widerstand in Palästina, Afghanistan und Irak und dem Ruf nach Abzug amerikanischer Truppen von der Arabischen Halbinsel neue Aktualität gewonnen. Der Jihad im Sinne des vorbehaltlosen Einsatzes „auf dem Wege Gottes" erscheint im Koran an zahllosen Stellen als religiöse Pflicht der Muslime, wenn er auch nicht durchweg mit dem bewaffneten Kampf gleich zu setzen ist; von diesem ist im Koran sehr wohl die Rede. Der Begriff „heiliger Krieg" selbst ist allerdings nicht koranisch. 5 Der Koran lässt im übrigen keine systematische theologische Unterscheidung zwischen Juden und Christen erkennen, obgleich Juden charakterlich insgesamt negativer gezeichnet werden. 6 Das negative Bild verstärkt die Sünna, die noch deutlicher als der Koran die Ereignisgeschichte widerspiegelt: Muhammad bekämpfte 5 Vgl. einführend Art. „Jihad" (Ella Landau-Tasseron) in: Jane McAuliffe (Hg.), Encyclopaedia of the Qur'an, Bd. 3, Leiden 2003, S. 35-43; für die historische Umsetzung auch Rudolph Peters, Islam and Colonialism. The Doctrine of Jihad in Modern History, Den Haag 1976. 6 Vgl. über Anm. 2 hinaus Jane Dämmen McAuliffe, Qur'anic Christians. A n Analysis of Classical and Modern Exegesis, Cambridge 1991; Camilla Adang , Muslim Writers on Judaism and the Hebrew Bible. From Ibn Rabban to Ibn Hazm, Leiden 1996; Uri Rubin , Between Bible and Qur'an. The Children of Israel and the Islamic Self-image, Princeton 1999. Eine moderne Darstellung bietet Muhammad Sayyid al-Tantawi, Banu Isra'il fi l-Qur'an wa-l-sunna (Die Kinder Israels in Koran und Sünna), Kairo 1987. Tantawi ist mittlerweile Rektor der Azhar und gilt in vielen Fragen als liberal; die vorliegende Schrift ist es nicht.
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die wehrhaften jüdischen Clans in Medina, die nach muslimischer Uberlieferung weder sein Prophetentum noch seine politische Führerschaft anerkannten, und vertrieb sie schließlich aus Medina. In der muslimischen Uberlieferung werden (die) Juden daher als Feinde des Propheten und seiner Gemeinde dargestellt. Dass sich diese Tradition vor dem Hintergrund der Auseinandersetzung mit Israel und dem Zionismus aktualisieren lässt, liegt auf der Hand. 7 Die Praxis der frühen Muslime, die sich in einem fulminanten Siegeszug eher unerwartet gegen die Großmächte ihrer Zeit durchsetzten und den Islam zwischen Iran und Spanien zur Religion der Herrschenden werden ließen, orientierte sich weniger an den religiös-rechtlichen Kriterien, nach denen der Koran die Nichtmuslime einordnete, als vielmehr an deren Stärke und eigenem Verhalten. 8 Die Eroberungen des 7. und 8. Jahrhunderts dienten in erster Linie der Ausbreitung islamischer Herrschaft, nicht der Zwangsbekehrung der lokalen Bevölkerung. Damit folgten die Eroberer koranischem Gebot, zugleich aber auch praktischen Erwägungen. In der Regel boten sie der lokalen Bevölkerung unabhängig von deren Religionszugehörigkeit einen Vertrag an: Schutz (dhimma ; daher der Begriff „Schutzbefohlene", Sing. Dhimmi, für die dauerhaft im islamischen Herrschaftsbereich lebenden Nichtmuslime) von Leib, Leben, Besitz und in gewissen Grenzen auch der Kultausübung, der den einzelnen 7 In einem anderen Zusammenhang stehen Aussagen, die vor allem dann anstößig sind, wenn über die duldende Toleranz hinaus Anerkennung erwartet wird: Der Koran berichtet an drei Stellen davon, dass Gott die Frevler unter den Schriftbesitzern (Juden und Christen) verfluchte und in Affen, Schweine und Götzendiener verwandelte (Sure 5,60), und denjenigen unter den Israeliten, die die Sabbatruhe brachen, befahl, sich in abscheuliche Affen zu verwandeln (Sure 2,65; 7,166). Die Verwandlung bestraft laut Koran nicht die Juden und Christen insgesamt, sondern die Frevler unter ihnen. Ahnliches droht dem zufolge aber auch Muslimen, die Gottes Gebot übertreten. In der klassischen polemischen Literatur spielen diese Vorstellungen keine nennenswerte Rolle; ausführlicher hierzu Uri Rubin , Apes, Pigs, and the Islamic Identity, in: Israel Oriental Studies, 107/ 1997, S. 89-105; Michael Cook , Ibn Qutayba and the Monkeys, in: Studia Islamica, 89/1999, S. 43-74. 8 Vgl. knapp und mit weiteren Literaturhinweisen Gudrun Krämer, ; Geschichte des Islam, München 2005, Kap. I und II.
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Gruppen ihre interne Organisation beließ, gegen variable Abgaben, insbesondere die Boden- und die Kopfsteuer (Jizya), die auf persische (sassanidische) und byzantinische Rechtspraktiken zurückgriffen. Das galt selbst für Hindus, Buddhisten, Jainas oder Konfuzianer, die der Koran nicht erwähnt, und die sie entweder zu Schriftbesitzern erklärten oder ihnen, auch ohne diesen religiösen Status, Rechtsschutz gewährten. Konfessionelle Unterschiede waren ihnen dabei weitgehend gleichgültig; manche Religionsgemeinschaften konnten sich unter islamischer Herrschaft daher freier entfalten als zuvor unter den Byzantinern und Sassaniden. Im 8. und 9. Jahrhundert wurden in den Urbanen Zentren des islamischen Reiches - neben Medina die neuen Garnisonsstädte Basra und Kufa im Irak und Fustat (heute Kairo) in Ägypten zwei Säulen der islamischen Tradition ausgearbeitet: die Sünna des Propheten und das islamische Recht (Scharia und fiqh). Das „reaktive Prinzip" des Koran reflektiert die Verhältnisse der frühen Jahre, in denen die Muslime als kleine, gefährdete Minderheit einer zunächst überlegenen Mehrheit von Nichtmuslimen gegenüberstanden. Die muslimischen Gelehrten (Ulama), die unter Bezug auf Koran, Sünna und lokale Gewohnheiten die Grundzüge islamischen Rechts und islamischer Theologie erarbeiteten, lebten unter völlig veränderten Bedingungen; viele waren selbst Söhne nichtmuslimischer Konvertiten. Natürlich wurden sie durch die Denkmuster, Erfahrungen und allgemeinen Lebensbedingungen ihrer Zeit geformt. Aber, und hierin liegt die Problematik, ihre zeit- und milieugebundenen Lösungen gelten gläubigen Muslimen bis in die Gegenwart als wegweisend, wenn nicht gar verbindlich. Die Religions- und Rechtsgelehrten übersetzten den im Koran festgeschriebenen religiösen Vorrang der Muslime in die Regeln sozialer und politischer Dominanz. Ein Existenzrecht unter islamischer Herrschaft gestanden sie nur den Schriftbesitzern zu; den Heiden gaben sie die Wahl zwischen Bekehrung, Tod oder Versklavung.9 Dort, wo sich diese harte Linie nicht durchsetzen ließ 9
Vgl. hierzu Antoine Fattal, Le Statut légal des non-musulmans en pays d'Islam, Beirut 1958; Adel Th. Khoury , Christen unterm Halbmond. Religiöse Minderheiten unter der Herrschaft des Islams, Freiburg 1994; weiter gehend Fuad I. Khuri, Imams and Emirs. State, Religion and Sects in Islam, London/Beirut 1990.
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(später vor allem in Indien oder im subsaharischen Afrika), sollte es zumindest keine engen sozialen Kontakte (gemeinsame Mahlzeiten, Ehen) geben. Juden, Christen, Sabier und meist auch die Zoroastrier hingegen genossen einen klar definierten Rechtsstatus und einklagbaren Rechtsschutz. Als „Schutzbefohlene" (Dhimmis) wurden sie dem islamischen Gemeinwesen eingegliedert und insoweit auch der Scharia, dem islamischen Gesetz, unterstellt, die das Personal- mit dem Territorialprinzip verbindet: Sie gilt prinzipiell im gesamten Herrschaftsbereich der jeweiligen muslimischen Obrigkeit, räumt Nichtmuslimen jedoch in gewissen Bereichen - namentlich im Personenstandsrecht (Ehe, Scheidung, Adoption, Erbsachen) - Freiräume ein, in denen sie ihrem eigenen religiösen Recht folgen können. Rechtsstreitigkeiten zwischen Angehörigen unterschiedlicher Konfession gehen grundsätzlich vor den muslimischen Richter - auch hierin spiegelt sich der Vorrang des Islam. Im Einzelnen wurde die Rechts- und Handlungsfähigkeit der Dhimmis von den islamischen Rechtsschulen unterschiedlich definiert, so dass im malikitischen Marokko andere Regelungen galten als im zaiditischen Jemen oder im zwölferschiitischen Iran. Der Schutz der Dhimmis war an die Zahlung von Tribut, Abgaben und Steuern geknüpft, an erster Stelle die Kopfsteuer (Jizya), von der Sure 9,29 spricht. Als erobernde Minderheit hatten die Muslime zunächst ein gewisses Interesse daran gehabt, sich deutlich und auf den ersten Blick erkennbar von der Masse der Nichtmuslime abzuheben. Dies geschah in bewährter Weise durch Kleidung, Haar- und Barttracht. Der Zweck der Ab grenzung wandelte sich in den Abhandlungen der Juristen immer klarer in die sichtbar gemachte Ab Wertung des Anderen, die ihn als sozial niederrangig markierte. Der so genannte Umar-Pakt, der wohl im 8. Jahrhundert formuliert wurde, untersagte den Christen (und Juden), sich so zu kleiden oder ihre Haare so zu schneiden wie die Muslime; er verbot ihnen, Pferde zu reiten und verpflichtete sie, Muslimen auf der Straße Platz zu machen. 10 Ihre Religion durften sie ausüben, aber nur in ihren eigenen Siedlungen und / oder in geschlossenen 10
Mark R. Cohen, What was the Pact of 'Umar? A Literary-Historical Study, in: Jerusalem Studies in Arabic and Islam, 23 /1999, S. 100-157.
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Räumen. Glockengeläut, Prozessionen und dergleichen waren allenfalls dort zulässig, wo keine Muslime lebten; Kirchen, Klöster, Tempel, Synagogen, Friedhöfe usw. durften nur dort und nur mit Genehmigung der muslimischen Obrigkeit erneuert werden, was die Fortsetzung des Kultes über kurz oder lang gefährdete. Der Bau und Unterhalt religiöser Einrichtungen ist bis in die Gegenwart besonders konfliktträchtig. Während den Muslimen die (friedliche) Verkündung des eigenen Glaubens (da'wa) oblag und obliegt, wurde und wird sie den Nichtmuslimen (zumindest insoweit sie auf Muslime zielt) untersagt - auch dies ein Ausdruck der religiösen Hierarchie. Bis heute wird das Missionierungsverbot in so gut wie allen muslimischen Mehrheitsgesellschaften durchgesetzt. Es korrespondiert mit der gravierendsten Einschränkung der Religionsfreiheit für die Muslime, dem Apostasieverbot: Der Koran verurteilt zwar ausdrücklich den „Abfall" vom Islam (arab. ridda, schon der Begriff bringt die religiöse Rangordnung zum Ausdruck), belegt ihn jedoch mit keiner irdischen Strafe. 11 Die Todesstrafe, zumindest aber schwerwiegende zivilrechtliche Sanktionen (Auflösung der Ehe, Verlust der Erb- und Testamentierfähigkeit), mit denen der Gesetzgeber in vielen muslimischen Staaten zumindest jene bedroht, die ihre Abkehr vom Islam öffentlich bekunden, wurde von muslimischen Religions- und Rechtsgelehrten festgelegt, die Apostasie mit Hochverrat gleichsetzten. Formen des Miteinander Die Wirklichkeit wich häufig von den Vorgaben der Ulama ab, ohne dass die rechtlichen Normen und überbrachte Vorstellungen vom angemessenen Verhältnis zwischen Muslimen und Nichtmuslimen in aller Form aufgegeben worden wären, die letzteren einen gesicherten, aber untergeordneten Platz in der gesellschaftlichen Ordnung zuwies. Ausschlaggebend für deren tatsächlichen Status waren mehrere Faktoren: ihre Nützlichkeit für den jeweiligen Herrscher bzw. die jeweilige muslimische Gesellschaft; die 11 Vgl. hierzu mit weiterführender Literatur Armin Hasemann, Zur Apostasiediskussion im modernen Ägypten, in: Die Welt des Islams, 42 / 2002, S. 72-121.
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allgemeine Lage im Innern des islamischen Herrschaftsgebiets (auch im Islam dienten Minderheiten in Zeiten innerer Not und äußerer Bedrohung gelegentlich als Sündenbock) und schließlich dessen Verhältnis zu den bestimmenden Mächten seiner Zeit. Die Kämpfe gegen die Byzantiner in frühislamischer Zeit, die Bedrohung durch Kreuzfahrer und Mongolen im Mittelalter und der europäische Kolonialismus in der Moderne blieben nicht ohne Auswirkung auf die lokalen Christen; die Auseinandersetzung mit Israel und dem Zionismus vergiftete das Verhältnis zu den einheimischen Juden. Damals wie heute diente die tatsächliche oder vermutete Kollaboration mit dem Feind als Begründung für die Ausgrenzung nichtmuslimischer Gemeinschaften auf eigenem Boden, selbst wenn diese sich mit der Nation und Heimat identifizierten und vom äußeren Feind distanzierten. Die Unterscheidung zwischen religiöser und politischer Loyalität und Gemeinschaft war und blieb, nicht anders als in Europa, problematisch. Dennoch lebten bis in die Moderne an den meisten Orten Muslime und Nichtmuslime friedlich mit- oder zumindest nebeneinander. 12 Räumlich gesehen herrschte in der Regel keine strikte Trennung, beruflich auch nicht; Handel und Wirtschaft waren über die Konfessionsgrenzen hinweg möglich, gesellschaftliche Kontakte ebenfalls; die materielle Kultur, soziale Normen und (volks-)religiöse Vorstellungen wurden weithin geteilt. Selbst interkonfessionelle Eheschließungen waren möglich, wobei allerdings einmal mehr die muslimische Vorherrschaft zum Ausdruck kam: Ein Muslim konnte eine Jüdin oder Christin heiraten, die gemeinsamen Kinder wurden Muslime; in Moghulindien kam es in klarem Widerspruch zu Koran 2,221 („Und heiratet keine heidnischen Frauen, solange sie nicht gläubig werden! Eine gläubige Sklavin ist besser als eine heidnische Frau") sogar zu Heiraten mit 12 Für den Mitderen Osten vgl. exemplarisch Mark R. Cohen, Under Crescent and Cross. The Jews in the Middle Ages, Princeton 1994; François Georgeon / Paul Dumont (Hg.), Vivre dans l'Empire ottoman. Sociabilités et relations intercommunautaires (XVIIe-XXe siècles), Paris 1997; Ahraham Marcus , The Middle East on the Eve of Modernity: Aleppo in the Eighteenth Century, New York 1989; Bruce Masters , Christians and Jews in the Ottoman Arab World. The Roots of Sectarianism, Cambridge 2001.
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Hindu-Frauen. Für die nichtmuslimische Gemeinschaft bedeuteten Mischehen einen Verlust; dementsprechend schwer waren die angedrohten oder verhängten Sanktionen. Daneben bestanden - auf Seiten aller Beteiligter - Vorstellungen über rituelle Reinheit und Unreinheit, die vor allem an religiös definierten Stätten (Moscheen, Kirchen, Tempeln, Synagogen) Grenzen zogen. Besonders deutlich zeigt das ein charakteristisches Element des in Iran angewandten imamitischen (schiitischen) Rechts: die Vorstellung von der Unreinheit der Nichtmuslime (najas), die zoroastrische Reinheitsvorschriften widerspiegeln dürfte. 13 Und doch führte das, was man gemeinhin als Volksfrömmigkeit bezeichnet, Gläubige der unterschiedlichen Religionen zusammen: Juden, Christen, Hindus und Muslime verehrten heilige Männer und Frauen, selbst wenn diese nicht der eigenen Religionsgemeinschaft angehörten, sie besuchten deren Schreine, Gräber und Mausoleen und feierten gemeinsam Heiligenfeste; magische Kräfte wirkten auch über die Konfessionsgrenzen hinweg. Hinduistische Yogis und muslimische Sufis lernten voneinander. Manche (nicht alle!) Mystiker bekannten die Ungewissheit religiöser Erkenntnis und die prinzipielle Möglichkeit, auf unterschiedlichen Pfaden zur göttlichen Wahrheit zu gelangen - eine der Voraussetzungen für anerkennende Toleranz. Religiösen Reformern allerdings waren gerade diese Grenzüberschreitungen in der Regel ein Dorn im Auge. Unter heutigen Gesichtspunkten ist ein weiterer Aspekt von Bedeutung: Nach islamischem Recht genießen die nichtmuslimischen Gemeinschaften in wichtigen Lebensbereichen ein hohes Maß an Autonomie: zunächst in der Ausübung ihres Kultus, in den die muslimischen Behörden so lange nicht eingreifen, wie er nicht in irgendeiner Weise „provozierend" in die (muslimische) Öffentlichkeit getragen wird. Autonomie besteht im Familienrecht, bei Bildung und Erziehung und nicht zuletzt bei Wohlfahrt und Sozialfürsorge, so dass gerade die Ärmsten besonders eng an die eigene Gemeinde gebunden blieben. In spätosmanischer Zeit verfestigte sich das Prinzip der Autonomie im so genannten Millet-System (abgeleitet von arabisch milla, türkisch millet, Ge13
Jamsheed K. Choksy, Purity and Pollution in Zoroastrianism: Triumph over Evil, Austin 1989.
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meinschaft), das neben der rechtlichen Teilautonomie auch die Vertretung der vom Staat anerkannten nichtmuslimischen Gemeinschaften gegenüber der Hohen Pforte regelte. Es bestand auch über 1856 hinaus, als im Zuge der Tanzimat-Reformen Muslime und Nichtmuslime formalrechtlich gleichgestellt wurden. Dabei wurde die Jizya abgeschafft, nicht aber die Autonomie in Fragen des Familienrechts und der Erziehung. Noch heute wird das Millet-System als ein mögliches Modell des Miteinanders von Muslimen und Nichtmuslimen diskutiert, sei es, dass Nichtmuslime innerhalb einer muslimischen Mehrheitsgesellschaft einen modifizierten Millet-Status erhalten, sei es, dass die Muslime selbst als Millet in eine nichtmuslimische Mehrheitsgesellschaft eingebunden werden sollen. Wie sich dabei die Gewährung kultureller und sonstiger Gruppenrechte mit dem Schutz der individuellen Freiheits- und Gleichheitsrechte vereinbaren lassen soll, bleibt unklar.
Vom Schutzbefohlenen zum Bürger Alles in allem blieb die Umsetzung der islamrechtlichen Bestimmungen eine Frage der Opportunität, die Unterordnung der Nichtmuslime unter den Islam (das heißt konkret gesprochen die jeweilige muslimische Elite) im Grundsatz aber unangefochten. Anders als Europa blickt die islamische Welt weder auf Religionskriege zurück noch auf eine systematische Verfolgung von Minderheiten, Ketzern oder Hexen. Ausnahmen gab es - als Ausnahmen. Auf die Tradition praktizierter Toleranz verweisen Muslime, wenn ausgerechnet die Europäer mit ihrer besonders blutigen Geschichte der Intoleranz, die (nach der Aufklärung) in den Holocaust mündete, sie in diesem Punkt belehren wollen. Die duldende Toleranz aber ist nicht gleichbedeutend mit bürgerlicher Gleichheit, und an diesem Standard müssen auch muslimische Staaten und Gesellschaften sich heute messen lassen. Ein Blick auf ihre Rechts- und Verfassungsordnungen zeigt hinsichtlich Religionsfreiheit, Bürger- und Minderheitenrechten ein breites Spektrum: 1 4 A n einem Ende steht Indonesien, immerhin das bevölke14
Für die arabische Welt vgl. den Arab Human Development Report 2004: Towards Freedom in the Arab World, New York 2005.
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rungsreichste muslimische Land, das gemäß der Lehre von der Pancasila allen monotheistischen Religionsgemeinschaften (zu denen hier auch die Hindus und Buddhisten zählen) gleiche Rechte einräumt; die Spannungen zwischen Christen und Muslimen auf den Molukken sind vor allem mit Migrationsproblemen verknüpft. A m anderen Ende steht Saudi-Arabien, das Nichtmuslimen (durchweg Ausländer) und einheimischen Muslimen, die wie die Schiiten von der herrschenden wahhabitischen Doktrin abweichen, das Recht auf freie Religionsausübung verwehrt. Hier zeichnet der Staat verantwortlich, der den Grundsatz der Religionsfreiheit auf eigenem Boden gar nicht erst anerkennt. Restriktiv ist die Rechtspraxis in der Türkei, wo die Religionsfreiheit von Nichtmuslimen, namentlich der einheimischen armenischen und griechisch-orthodoxen Christen, gravierend eingeschränkt wird. Wiederum anders zeigt sich die Lage in Ägypten, wo der Bau oder die Renovierung koptischer Kirchen wiederholt zu blutigen Konflikten geführt haben, die freilich nicht vom Staat gedeckt und von einer breiten Bevölkerungsmehrheit verurteilt werden, die gerade die „Einheit von Kreuz und Halbmond" als Ausdruck ägyptischer Identität versteht. Das schließt die Diskriminierung von Kopten im Bildungswesen und im öffentlichem Dienst nicht aus, die allerdings nicht gesetzlich festgeschrieben ist. Keine Religionsfreiheit genießen die Anhänger der so genannten Neuen Religionsgemeinschaften von den Baha'is bis zu den Zeugen Jehovas. Während in Ägypten die bloße Benutzung des Begriffs „Minderheit" als Angriff auf die eine und unteilbare Nation tabuisiert ist, gilt in Libanon, Jordanien oder Iran ein Proporzsystem, das bestimmten Religionsgemeinschaften einen festen Anteil an öffentlichen Ämtern und Mandaten garantiert. Fast überall ist der Gleichheitsgrundsatz in der Verfassung verankert. Allerdings ist der Islam fast überall Staatsreligion; in einer Reihe muslimischer Staaten gilt die Scharia als die Grundlage, oder zumindest eine der Grundlagen, von Gesetzgebung und Rechtsprechung. Die Scharia aber müsste grundsätzlich neu interpretiert werden, wenn sie eine Gleichstellung von Muslimen und Nichtmuslimen in allen Lebensbereichen zulassen soll. Drei Problemfelder stehen hier im Brennpunkt: die Gleichstellung der Nichtmuslime vor Gericht, der Zugang zu öffentlichen Ämtern
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und die uneingeschränkte Religionsfreiheit. Mit Blick auf den Mittleren Osten - in Südostasien und im subsaharischen Afrika gelten andere Rahmenbedingungen - sollten verschiedene Personengruppen unterschieden werden: Muslimen wird im Zeichen des Apostasieverbots das Recht auf freien Religionswechsel verwehrt; die öffentliche Abkehr vom Islam wird zumindest zivilrechtlich geahndet. Schlichtweg verboten und als Apostaten strafrechtlich verfolgt werden die Baha'is, Babis und Ahmadis, die sich im 19. Jahrhundert in einem muslimischen Milieu herausbildeten, wobei die beiden letzteren sich selbst als Muslime betrachten. Angehörige der „himmlischen Religionen" genießen in den genannten Grenzen fast überall Religionsfreiheit, dürfen im Gegensatz zu den Muslimen aber nicht missionieren. „Neue Religionsgemeinschaften" werden von Staats wegen nicht anerkannt und besitzen (übrigens nicht selten im Einklang mit den Wünschen der etablierten Kirchen und Gemeinden, unter denen sie vorrangig missionieren) kein Recht auf Glaubens- und Kultfreiheit. „Heiden" gibt es im Mittleren Osten offiziell nicht mehr, in Südund Südostasien wurden unterschiedliche Wege gefunden, ihren Status zu regeln. Eine gewisse Bandbreite decken im Übrigen auch die islamistischen Toleranzkonzeptionen ab: 15 Hier stehen am einen Ende diejenigen, die Nichtmuslime nur als Schutzbefohlene (Dhimmis) in dem vom Islam und den Muslimen dominierten Staat zu dulden bereit sind, die Kopfsteuer einfordern, sie von allen Hoheitsfunktionen ausschließen und als Fünfte Kolonne der „Kreuzritter und Juden" unter Generalverdacht stellen. A m anderen Ende stehen jene, die, vom modernen Nationalstaat ausgehend, Nichtmuslime als Bürger mit „gleichen Rechten, gleichen Pflichten" anerkennen, ihnen in Fragen des Personalstatuts Autonomie gewähren und sie (ebenso wie Frauen) lediglich vom Amt des Staatspräsidenten ausschließen. Die harte Linie stellt eine Minderheitsposition dar, die unter anderem militante Islamisten in und um al-Qa'ida vertreten, die offenere ist sehr viel weiter verbreitet. Islamistische Stellung15 Eingehender hierzu meine Beiträge Gottes Staat als Republik, BadenBaden 1999, S. 162-179 und Gute Regierungsführung: Neue Stimmen aus der islamischen Welt, in: Verfassung und Recht in Ubersee 38 (2005), S. 258-275.
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nahmen zu den Juden sind weniger unter dem Vorzeichen der religiösen Toleranz zu sehen, als vielmehr dem des politischen Konflikts: Ausgangspunkt ihres Feindbildes ist die Existenz und Politik Israels als jüdischem Staat, wobei dies bekanntlich der Selbstdarstellung Israels entspricht, nicht einer antisemitisch gefärbten Fremdwahrnehmung. Zu Unrecht leiten zumindest militante Islamisten daraus ab, alle Juden seien zumindest potentiell Unterstützer Israels und seiner Politik, mit der es die Gläubigen „in ihrer Religion bekämpft" und „aus ihren Wohnungen vertreibt" (Sure 60,8-9). Gleichzeitig haben vielfach rassistische, spezifisch antisemitische Stereotypen in islamistische Darstellungen Israels und der Juden Eingang gefunden (die Juden als Feinde ihrer Gastgesellschaften, als Brunnenvergifter, als Träger einer internationalen Verschwörung, wobei die „Protokolle der Weisen von Zion" als historisches Dokument hingestellt werden), die auch über islamistische Kreise hinaus wirken.
Fazit Mit Blick auf das Toleranzprinzip sieht die historische Bilanz muslimischer Gesellschaften ungleich besser aus als die des christlichen Europa, auch des neuzeitlichen. Der Gedanke einer von Gott gewollten religiösen Pluralität läßt sich aus dem Koran ableiten; die duldende Toleranz wurde islamrechtlich früh verankert und über Jahrhunderte praktiziert. Der vollen Anerkennung anderer Religionen, Konfessionen und Weltanschauungen als gleichrangig und gleichwertig stehen allerdings religiöse Vorbehalte entgegen, die in den meisten muslimischen Mehrheitsgesellschaften nach wie vor auf die Rechtsordnung, die Verfassung und die Verfassungswirklichkeit einwirken. Hier - nicht im Gewicht religiöser Argumente, Stimmen und Kräfte im öffentlichen Raum - liegt der entscheidende Unterschied zu den säkularisierten Rechtsordnungen des Westens. Das muss nicht so sein, und es muss nicht so bleiben. Die Kräfte, die hier auf eine Veränderung drängen, sind derzeit allerdings schwach.
I I I . Probleme des deutschen und europäischen Religionsverfassungsrechts
Staat und Religion in Deutschland und Europa Von Philip Kunig
I. Nur Ausschnitte dieses wahrhaft umfassenden Themas können hier behandelt werden. So wird es vor allem um die normativen Grundlagen für das Verhältnis von Staat und Religion in Deutschland und Europa gehen und um derzeit aktuelle Problemlagen in diesem Verhältnis. Solche Probleme betrafen und betreffen in jüngerer Zeit teils das Christentum (vom Staat hierzulande besonders gefördert), teils und sogar vorwiegend den Islam, aber auch Außenseiterbekenntnisse, wie die Zeugen Jehovas, Bhagwan, Bahaii, Scientology, Sekten und Sektierer. Nur einiges davon kann angesprochen werden. Zum Schluss werden einige internationale Aspekte des Themas aufgegriffen. Die internationalen Aspekte werden über Europa hinausführen, was mir als geboten erscheint. Europa steht nicht für sich allein, ist mit seiner geographischen Definition an den Rändern unscharf, weil sich die kulturell-ideengeschichtliche Definition mit derjenigen der Geographie nicht gänzlich deckt. Damit ist nicht nur Bezug genommen auf die Problemlagen um Menschen vom derzeit viel diskutierten südöstlichen Rande Europas, für die z. B. das Kopftuch steht. Wichtig ist ferner, dass deutsches Recht bzw. die Summe der europäischen innerstaatlichen Rechtsordnungen und das sie überwölbende Europarecht der Union sowie auch das Recht der Europäischen Menschenrechtskonvention nicht allein die Antworten auf die heute dringlichen Fragen geben. Vielmehr sind die deutsche und die europäische Ordnung ihrerseits eingebunden in eine internationale Rechtsordnung, diejenige des Völkerrechts. In dieser wiederum stehen wir mit den abendländischen 11 Mahlmann / Rottleuthner
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und den morgenländischen Traditionen nicht allein. Wir stehen neben hinsichtlich auch des Verhältnisses von Staat und Religion ganz anders organisierten Staatsordnungen, weiteren Religionen neben Christentum und Islam, sogar besonders anhängerstarken und übrigens solchen, die sich gegenüber den Buchreligionen, die Lessing und Nathan beschäftigt haben, durch deutlich geringere Ausschließlichkeitsansprüche, weniger Missionierungsdrang und infolge dessen - historisch gesehen - auch deutlich weniger Aggressionspotenzial ihrer Anhänger auszeichnen, anders gewendet: durch mehr interreligiöse Toleranz. In Japan übersteigt die statistische Anzahl religiöser Bekenner sogar die Bevölkerungsgesamtzahl; denn Mehrfachbekenntnisse sind sehr häufig. Ohne ausgeprägte Toleranz undenkbar. II. Die folgenden Anmerkungen sollen eine verfassungsrechtliche Perspektive einbringen. Die Verfassungsrechtswissenschaft beschäftigt sich in allererster Linie mit dem geltenden, dem zu einem bestimmten Zeitpunkt, also hier und heute, geltenden Recht. Ganz ohne Geschichte, ohne Vorgeschichten, ist auch dabei natürlich nicht auszukommen. Reden wir über Europa, so wären an sich die Rechtsordnungen der 24 anderen Beteiligten der Union einzubeziehen. Dennoch kann es hier nicht darum gehen, diese anderen Rechtsordnungen im Einzelnen zu beleuchten. Teilweise geschieht dies in anderen Beiträgen dieses Bandes. Die Themenvorgabe „in Europa" kann im Übrigen unterschiedlichen Sinnes verstanden werden. Deutschland als Gründungsmitglied der seinerzeitigen Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (1957), später auch der Europäischen Union (1992), ist, wie alle anderen insoweit alten, mittelalten und neuen Länder an europäisches Recht gebunden, an dasjenige der Europäischen Gemeinschaften und der Union, jenem schon recht staatsähnlichen Gebilde, das bereits einmal über eine Verfassungsurkunde am Beginn eines förmlichen Verfahrens ihrer Ingeltungsetzung verfügte - ein zwischenzeitlich ja ins Stocken geratener Prozess. Das von den europäischen Organen gesetzte Recht ist grundsätzlich zu unterscheiden von dem innerstaatlichen Recht der Mit-
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gliedstaaten, ungeachtet seines Einflusses auf dieses. Es ist ein internationales Recht, weil es außerhalb des nationalen Rechtsraums entstanden ist, nämlich auf einer völkerrechtlichen Grundlage. Es hat sich von der Normalität des Völkerrechts aber schon seit langem weit entfernt und wird deshalb als supranationales Recht bezeichnet. Als solches genießt es Anwendungsvorrang vor widersprechendem mitgliedschaftlichem Recht, sich damit über gelegentlich vorkommende dortige Widerspenstigkeiten hinwegsetzend. Das betrifft jegliches innerstaatliche Recht, also z. B. auch das im Grundgesetz niedergelegte Verfassungsrecht der Bundesrepublik Deutschland. In diesem Sinne ist deshalb zu fragen, welche Vorgaben das supranationale europäische Recht für das Verhältnis von Staat und Religion in Deutschland vorsieht. Staat und Religion, nicht etwa: Staat und Kirche bilden das Thema dieses Sammelbandes. Allerdings ist „Staat und Kirche" zweifelsfrei und notwendigerweise ein Teilaspekt von „Staat und Religion", wie auch umgekehrt das Verhältnis von Staat und Kirche nicht zu bestimmen wäre ohne eine Einbeziehung dessen, was die Kirchen inhaltlich verwalten, verkünden, bewahren, fortentwickeln, mindestens interpretieren im Blick auf die heutigen Verhältnisse und die Wandlungen dieser Verhältnisse im Vergleich mit den historischen Situationen, in welchen die jeweiligen Religionen dereinst entstanden und auf die sie Antworten zu geben versuchten. Es sind Antworten auf handgreifliche Bedürfnisse nach Orientierung verlangender Menschen, manchmal aber auch auf Bedürfnisse von Menschen, die mit dem Mittel des Glaubens und dem Rückgriff auf spirituelle Erklärungsversuche nach Macht strebten oder nach der Erhaltung schon errungener Macht; auch das gehört bekanntlich zu Religionen und es ist für diesbezügliches Recht im Auge zu behalten. Historisch gesehen stünde für Entwicklungen in Deutschland, soweit sie Rechtsfragen aufwerfen, speziell und gerade auch solche des Verfassungsrechts, eher das Verhältnis von Staat und Kirche im Vordergrund, nicht dasjenige von Staat und Religion. Denn es ging entscheidend um das Gegeneinander, Miteinander, Nebeneinander staatlicher Instanzen einerseits und in welcher Form auch immer organisierter Kirchen andererseits - dies lange Zeit, ehe „Religion" zum Gegenstand von Rechten der Einzelnen h
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wurde, die sich zu Religionen bekannten, sie leben wollten (oder auch für sie zu sterben bereit waren) und dafür - je nach dem staatliche Privilegien erhielten oder staatlicher Repression ausgesetzt waren. Die Kirchen, nicht der Gläubige als einzelner, waren - rechtlich gesehen - in Deutschland und in Europa zuerst ein Thema des Rechts. Zwar werden die Ergebnisse der in Münster und Osnabrück 1648 erreichten Friedensschlüsse, wegen dieser Städte Westfälischer Frieden genannt, in einen Zusammenhang mit der Religionsfreiheit gebracht, weil dort in lateinischer Sprache (und in Wiederaufnahme einer schon den Augsburger Religionsfrieden von 1555 prägenden Formel) von cuius regio eins religio die Rede war und diese lateinische Wendung auf ein Recht des Einzelnen deuten könnte 1 . Aber jede sinnhafte Übersetzung wird sogleich erkennen lassen, dass hier nicht ein Bürgerrecht im heutigen Sinne in Rede stand, sondern ein Herrscherrecht: Wessen Region es ist, der bestimmt über die Religion. Dennoch taucht hier auch ein individualrechtlicher Aspekt auf, denn der individuelle Dissident erhielt im Westfälischen Frieden das ins emigrandi , die Ausreisefreiheit, zwar nicht im heutigen Verständnis eines subjektiven Rechts, wohl aber im Sinne des klassischen Völkerrechts, das den Menschen als Objekt von Aushandlungsprozessen zwischen Staaten als Rechtssubjekten begreift. Das Objekt, zu dessen Gunsten zwei oder mehr Leviathane etwas vereinbarten, erhielt aus dieser Vereinbarung immerhin einen Rechtsreflex, auf den es - das Objekt selbst - sich zwar nicht unmittelbar berufen konnte, wohl aber der jeweils andere Staat zugunsten dieses Objekts. Aus diesem Grunde, neben etlichen anderen, wird der Westfälische Frieden von vielen als eine Art Geburtsstunde, besser: ein wichtiger und gewichtiger Meilenstein auf dem Weg zur Herausbildung des klassischen Völkerrechts angesehen. Noch vor ziemlich kurzer Zeit nannte man es sogar das „moderne" Völkerrecht, in Abgrenzung von Vorformen. Dass solcherlei Modernität für heutige Themen und Probleme keineswegs ausreicht, ist evident. Deshalb bezeichnen wir das 1 Hierzu und zum Folgenden Robert Rie , Westfälischer Frieden von 1648, in: Karl Strupp / Hans-Jürgen Schlochauer, Wörterbuch des Völkerrechts, 2. Aufl., Bd. 3, Berlin, 1962, 839 ff.
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einst „modern" genannte Völkerrecht jetzt als „klassisches" Völkerrecht und suchen das wahrhaft moderne, nämlich entscheidend auf die Interessen einzelner Menschen und auf deren Entfaltungschancen ausgerichtete Völkerrecht der Zukunft 2 . Das Verhältnis des Einzelnen zum Staat, zu Organisationen, zu verfassten Gebilden - exakt dies prägt auch den heutigen Stand der verfassungsrechtlichen Zustände im Blick auf unser Thema „Staat und Religion". Die rechtswissenschaftliche Literatur notiert auch diesbezüglich einen Paradigmenwechsel. Ging es Jahrzehnte, ja Jahrhunderte lang aus rechtlichem Blickwinkel um das sog. Staatskirchenrecht, so sprechen wir jetzt - mit übergreifendem Anspruch - (auch) von Religionsverfassungsrecht, so neuestens in einer noch nicht veröffentlichten Heidelberger rechtswissenschaftlichen Habilitationsschrift Christian Walter 3 . Die Redeweise vom Paradigmenwechsel vom Staatskirchenrecht hin zum Religionsverfassungsrecht soll nicht die Ablösung des ersteren behaupten oder es gering schätzen. Sie erfasst zutreffend den Perspektivenwechsel hin zum Individuum und die Orientierung auf dessen Interessen, die Aktivierung und Freilegung von Grund- bzw. Menschenrechtsschutz, von Individualrechten im Spannungsverhältnis mit dem Staat, aber auch gegenüber den Kirchen und weiteren gesellschaftlichen Akteuren, von denen Beeinträchtigungen der individuellen Positionierung des Einzelnen zur Religion ausgehen können 4 .
III. Damit zu den einzelnen normativen Grundlagen für die Bestimmung des Verhältnisses von Staat und Religion in Deutschland und Europa. 2 S. dazu Philip Kunig, Das Völkerrecht als Recht der Weltbevölkerung, in: Archiv des Völkerrechts 41 (2003), 327 ff.; ders., Das Völkerrecht und die Interessen der Bevölkerung, in: FS für Tomuschat, Kehl, 2006, 377 ff. 3 Religionsverfassungsrecht in vergleichender und internationaler Perspektive, Tübingen, 2006. 4 S. dazu auch Claus Dieter Classen , Religionsfreiheit und Staatskirchenrecht in der Grundrechtsordnung, Tübingen, 2003.
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Eingangs war davon die Rede, dass im Mittelpunkt einer juristischen Darstellung regelmäßig das aktuell geltende Recht steht. Befolgen wir die Reihenfolge des Titelthemas, Deutschland vor Europa. A n der Spitze der innerstaatlichen Normenhierarchie steht das Grundgesetz. Landesverfassungen bleiben hier beiseite, ebenso, jedenfalls an dieser Stelle, solches - einfache - Gesetzesrecht in Bund und Ländern, das für die Religionsausübung und für das Handeln der Kirchen von Bedeutung ist. Greift man die vorhin angestellten Überlegungen zu Staat und Kirche einerseits, Staat und Religion andererseits wieder auf, so lässt sich sagen: Das Grundgesetz wendet sich beidem zu, zwar an zwei voneinander entfernten Stellen, aber nicht in wirklicher Trennung zwischen Religion und Kirche. U m den Individualaspekt geht es vor allem in Art. 4 des Grundgesetzes (GG), der u. a. ein Grundrecht auf Religionsfreiheit enthält. U m die Kirchen geht es an anderer und auf den ersten Blick wenig bedeutsamer Stelle, nämlich bei den Ubergangs- und Schlussbestimmungen des Grundgesetzes, an dessen Ende also. In Art. 140 GG, nach Regelungen über den ersten Zusammentritt des Bundesrates und solchen über die Entnazifizierung heißt es dort, in diesem Zusammenhang überraschend: „Die Bestimmungen der Art. 136" - ich verkürze - „bis Art. 139 und 141 der deutschen Verfassung vom 11. August 1919 sind Bestandteil dieses Grundgesetzes". Hier werden Vorschriften der außer Kraft getretenen Vorgängerverfassung, nämlich der Weimarer Reichsverfassung (WRV), in Bezug genommen und zu geltendem Recht für die Bundesrepublik Deutschland erklärt. Es sind die sog. Kirchenartikel, welche Art. 140 GG inkorporiert. Dies wird gerne als Ausdruck eines Verfassungskompromisses verstanden 5. Im Parlamentarischen Rat hatten nämlich sämtliche aus dessen Mitte unterbreiteten Vorschläge für eine Regelung des Verhältnisses von Staat und Kirche keine Mehrheit gefunden. 5 S. dazu BVerfGE 19, 206, 218; Ulfried Hemmrich , in: Ingo v. Münch/ Philip Kunig, Grundgesetzkommentar, Bd. 3, 5. Aufl., München, 2003, Rn. 1 ff. zu Art. 140.
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Diese Kirchenartikel betreffen Verschiedenes und verschieden Gewichtiges, einiges davon betrifft einzelne Aspekte individueller Religionsfreiheit, auch negativ: „Niemand darf zu einer kirchlichen Handlung oder zur Benutzung einer religiösen Eidesform gezwungen werden", Art. 136 IV WRV. Im Wesentlichen aber geht es tatsächlich um die Kirchen. Es bestehe keine Staatskirche, sagt Art. 137 WRV, und weiter: „Die Religionsgesellschaften bleiben Körperschaften des öffentlichen Rechts soweit sie solche bisher waren" - die Fortführung des öffentlich-rechtlichen Status für diejenigen also, die ihn schon bisher innehatten Jedoch: „Anderen Religionsgesellschaften sind auf ihren Antrag gleiche Rechte zu gewähren, wenn sie durch ihre Verfassung und die Zahl ihrer Mitglieder die Gewähr der Dauer bieten". „Die Religionsgesellschaften, welche Körperschaften des öffentlichen Rechtes sind", so heißt es weiter, „sind berechtigt, aufgrund der bürgerlichen Steuerlisten nach Maßgabe der landesrechtlichen Bestimmungen Steuern zu erheben". Den Religionsgesellschaften werden dann Vereinigungen gleich gestellt, die sich die gemeinschaftliche Pflege einer Weltanschauung zur Aufgabe machen. Schließlich sei hier noch eine Vorschrift erwähnt, die weder ein Grundrecht der Bürger noch auch ein subjektives Recht der Kirchen darstellt, aber im Interesse von Kirchen und Religionsangehörigen eingeführt bzw. durch die Inkorporation beibehalten wurde: „Der Sonntag und die staatlich anerkannten Feiertage bleiben als Tage der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung gesetzlich geschützt", Art. 139 WRV. Neben jenen Kirchenartikeln äußert sich das Grundgesetz zu Staat und Religion in dem schon erwähnten grundrechtlichen Kontext. Art. 4 GG schützt die Freiheit des Glaubens und Gewissens, das Denken von Menschen also, ihre Uberzeugungen, zugleich die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses, also das Äußern von religiösen, aber auch anderen Uberzeugungen. Religiös und weltanschaulich angeleitetes Handeln ist dabei nicht als solches und schlechthin unter grundrechtlichen Schutz gestellt, sondern einerseits die ungestörte Religionsausübung, also kultisches Handeln, und - zweitens - die Kriegs-
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dienstverweigerung aus Gewissensgründen. Es sind dies zwei Problemlagen, auf die durch Grundrechtsschutz speziell zu reagieren aufgrund der Erfahrungen des Nationalsozialismus bei der Verfassungsgebung und Gründung der Bundesrepublik Anlass gesehen wurde. Mit den verschiedenen Aussagen des Art. 4 GG, deren Verhältnis zueinander und auch ihrem Verhältnis zu den sog. Kirchenartikeln, sind in 55 Jahren Grundgesetz und über 50 Jahren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zahlreiche Streitfragen verbunden, auch rechtsdogmatische Streitfragen - von Dogmatik sprechen Juristen, wenn es um die systematische Durchdringung des Rechtsstoffes, die Errichtung von Begriffsgebäuden und systematische Brückenschläge geht, „Dogmatik", wie sonst nur Theologen sagen. Darauf ist hier nicht näher einzugehen, zumal in diesem Band Ute Mager Art. 4 GG in aktueller Interpretation vorstellt und Beate Rudolf die mit Religionsausübung verbundenen Diskriminierungsfragen behandelt. Daher nur so viel: Art. 4 GG ist ein schrankenlos gewährleistetes Grundrecht, wie im Übrigen vor allem die Freiheit von Kunst und Wissenschaft. Im Gegensatz zu den meisten anderen Grundrechten spricht das Grundgesetz die Frage der Beschränkbarkeit - durch Gesetz oder im Einzelfall - hier nicht selbst an. Daraus darf man nicht schließen, dass die Religions-, Weltanschauungs- und Gewissensfreiheit „unbeschränkbare" Grundrechte wären, dies schon deshalb nicht, weil verschiedene Grundrechtsinhaber diesbezüglich einander mit ihren grundrechtlich geschützten Interessen ins Gehege kommen können, auch mit anderen Grundrechten, z. B. die Religionsfreiheit des Arbeitnehmers mit der Berufsfreiheit des Arbeitgebers. Immerhin zeigt die textuelle Uneinschränkbarkeit an, dass die Beschränkung solcher Grundrechte besonders sorgfältiger Begründung und Rechtfertigung bedarf. Sie ist nur möglich, wenn das kollidierende Interesse seinerseits einen verfassungsrechtlichen Schutz genießt6. 6 Allgemein zu dieser Problematik Ingo v. Münch , in: Ingo v. Münch / Philip Kunig, Grundgesetzkommentar, Bd. 1, 5. Aufl., München, 2000, Vorbemerkungen zu den Grundrechten, Rn. 56 f.
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Schranken für die Religionsfreiheit findet man allerdings auch in den inkorporierten Weimarer Kirchenrechtsartikeln. So rechtfertigt Art. 136 I WRV, dass privatrechtliche und öffentlichrechtliche Pflichten ungeachtet der Religion und Weltanschauung eingefordert und durchgesetzt werden können. Das ist ein sog. Gesetzesvorbehalt. Das Bundesverfassungsgericht 7 meint allerdings, anders als viele Stimmen im wissenschaftlichen Schrifttum und in Ansätzen auch die neueste Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts 8, die Weimaraner Bestimmung sei von Art. 4 G G gewissermaßen überlagert. Dagegen spricht, dass eine inkorporierte N o r m durch die Inkorporation den gleichen Rechtsrang erhält wie andere Vorschriften des Grundgesetzes, dafür allerdings, dass bei der Verfassungsgebung, anhand der Entstehungsgeschichte deutlich nachweisbar, eben diese vorbehaltlose Gewährleistung der Freiheiten des Art. 4 das Regelungsziel der Väter und Mütter des Grundgesetzes gewesen war 9 . Art. 4 GG spricht Religionen neben Weltanschauungen gleichberechtigt an, wobei die begriffliche Unterscheidung Schwierigkeiten bereitet. Kennzeichnend für den Begriff der Religion ist hier jedenfalls Transzendenz, die Erstrebung von Sinngebung, welche über den Menschen und die von ihm wahrnehmbare Welt hinausweist. Sicher ist, dass mit Religionen in Art. 4 G G nicht allein solche gemeint sind, welche zur Zeit der Verfassungsgebung 1949 in Deutschland in nennenswertem Umfang vorhanden waren. Der Begriff der Religion ist insoweit offen, meint nicht etwa allein das Christentum und weitere Buchreligionen oder sog. Weltreligionen, auch nicht nur heute schon Bekanntes, bereits Gedachtes. Wesentlich für die Begriffsbildung sind eine gewisse Vollständigkeit und Geschlossenheit des Anspruchs, auf die Lebenshaltung der Menschen einwirken zu wollen. Ausgangspunkt ist das Selbstverständnis 10. 7 BVerfGE 33, 23, 31. 8 S. Friedrich Schoch, Die Grundrechtsdogmatik vor den Herausforderungen einer multikonfessionellen Gesellschaft, in: FS f. Hollerbach, Berlin, 2001, 149, 163; BVerfGE 112, 227, 231. 9 Hartmut Maurer ; Die Schranken der Religionsfreiheit, in: Zeitschrift für evangelisches Kirchenrecht, 2004, 311 ff.
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Das Bundesverfassungsgericht hat dieser Offenheit mehrfach Rechnung getragen, etwa auch durch eine Art Entkirchlichung im Bereich der Weimarer Kirchenrechtsartikel. So wurde der ursprüngliche auf die Interessen christlicher Kirchen ausgerichtete Art. 139 WRV von dem Gericht im Jahr 2003 angesprochen als Sonntagsschutz im Rahmen einer „säkularisierten Gesellschafts- und Staatsordnung" 11 , womit der argumentative Boden bereitet war, um die Vorschrift in das Spannungsfeld kollidierender Grundrechte zu bringen. Es bleibt dem Sonntag auch unabhängig von dem Rückgang seiner kultischen Nutzung ein verfassungsrechtlicher Schutz auch allein in seiner Funktion als Ruhepause12. Der Grundrechtsschutz aus Art. 4 GG ist nicht nur individuell, sondern auch kollektiv zu verstehen, nicht nur im Sinne einer Summierung individueller Freiheiten, sich zu religiösen und weltanschaulichen Vereinigungen zusammenzuschließen, sondern unmittelbar als ein Grundrecht einer religiösen oder weltanschaulichen Vereinigung als solche. Grundrechtsberechtigt sind sowohl die als Körperschaften des öffentlichen Rechts wie auch die in privatrechtlichen Formen organisierten Kirchen, Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften. Die öffentlichrechtlichen Kirchen stellen insofern eine Ausnahme dar von der ansonsten bestehenden Ausgrenzung öffentlich-rechtlicher Körperschaften, Anstalten, Stiftungen aus dem Kreis der Grundrechtsberechtigten. Gemeinden etwa oder Industrie- und Handelskammern können sich auf Grundrechte nicht berufen. Die Kirchen können es, ebenso wie die öffentlich-rechtlich organisierten Rundfunkanstalten oder auch die Universitäten, mit weit reichenden Folgen. Die öffentlich-rechtliche Natur und die damit verbundene Befugnis, hoheitlich zu handeln, in der Sprache des Rechts: Gewalt auszuüben wie eine staatliche Stelle, steht der Grundrechtsträgerschaft als dem Recht, ein Grund10 Dazu Ute Mager. ; in: Ingo v. Münch/Philip Kunig, Bd. 1, a.a.O. (o. Fn 6), Rn. 19 ff. zu Art. 4. n BVerfGE 111,10,51. 12 Vgl. Philip Kunig. , Der Schutz des Sonntags im verfassungsrechtlichen Wandel, Berlin, 1989; Frank Stollmann , Der Sonn- und Feiertagsschutz nach dem Grundgesetz, Stuttgart [u. a.], 2004.
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recht innezuhaben, einzufordern, notfalls durch Klage bzw. Verfassungsbeschwerde geltend zu machen, nicht entgegen. Der besonders gearteten Autonomie von Universitäten, Rundfunkanstalten und eben Religionsgesellschaften wird auf diese Weise Rechnung getragen 13. Hier verbindet sich Art. 4 GG erst gemeinsam mit den Weimarer Kirchenartikeln zu einem Gesamtbild. In letzteren nämlich wird ein Selbstbestimmungsrecht der Religionsgesellschaften verbürgt, das die institutionellen und organisatorischen Voraussetzungen der kollektiven Ausübung von Religionsfreiheit gewährleistet. In den Worten des Bundesverfassungsgerichts: „Eine rechtlich selbstständige Gewährleistung, die der Freiheit des religiösen Lebens und Wirkens der Kirchen und Religionsgemeinschaften die zur Wahrnehmung dieser Aufgaben unerlässliche Freiheit der Bestimmung über Organisation, Normsetzung und Verwaltung hinzufügt" 14 . Dazu rechnet man etwa die kirchliche Gerichtsbarkeit, die Einrichtung theologischer Studiengänge, auch die Einsichtnahme in Lehre und Forschung an theologischen Fakultäten mit dem Ziel der Feststellung von Übereinstimmung mit den kirchlichen Lehren. So befinden sich die Kirchen in eigentümlicher Doppelnatur. Sie sind Grundrechtsträgerinnen, zwar keine Organe öffentlicher Gewalt, aber doch zur Ausübung solcher Gewalt berechtigt, wie die Erhebung der Kirchensteuer besonders handgreiflich zeigt. Dabei unterliegen sie dann selbst den Bindungen des Grundrechtssystems. Sie sind einerseits Grundrechtsträgerinnen, andererseits Grundrechtsverpflichtete und, wie wiederum eine der Weimarer Bestimmungen, Art. 137 I I I 1 WRV, verdeutlicht, sie haben sich an „für alle geltende Gesetze" zu halten, soweit ihnen die Ordnung und Verwaltung der eigenen Angelegenheiten garantiert ist. Aus solchen teils gegenläufigen verfassungsrechtlichen Aussagen hat das Bundesverfassungsgericht interpretatorisch hergeleitet, dass bei der Anwendung für alle geltender Gesetze inso13 Vgl. dazu Herbert Bethge, Grundrechtsträgerschaft juristischer Personen - zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, in: Archiv des öffentlichen Rechts 104 (1979), 54 ff., 265 ff. 14 BVerfGE 72, 278, 289.
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weit dann möglichst schonend Rücksicht auf das Selbstverständnis der religiösen oder weltanschaulichen Gemeinschaften genommen werden müsse15. Art. 4 GG beinhaltet auch ein Gebot staatlicher Neutralität gegenüber Religionen und Weltanschauungen16, wie es im Grundgesetz auch anderen Normen zu entnehmen ist, so dem Diskriminierungsverbot des Art. 3 I I I GG, dem diesem Verbot anverwandten Art. 33 I I I GG im Kontext staatsbürgerlicher Rechte und anklingend auch in verschiedenen der Kirchenrechtsartikel. In diesem Zusammenhang: In Hubert Rottleuthners Beitrag zu diesem Band wird zu Recht eine deutliche faktische Privilegierung christlicher und jüdischer Religion in Deutschland festgestellt. Rottleuthner sieht insoweit eine faktische Infragestellung der von dem Bundesverfassungsgericht dem verfassungsrechtlichen Neutralitätsgebot zugeordneten Forderung nach Gleichbehandlung und verweist beispielhaft auf Kirchensteuern, finanzielle Zuwendungen des Staates bzw. steuerliche Entlastungen, auch auf den Bereich öffentlicher Symbolik. Dazu darf ergänzt werden: Das Neutralitätsgebot in religiösen und weltanschaulichen Dingen ist, so weit es über ein Gebot staatspolitischer Klugheit hinausreicht und sich also als eine verfassungsrechtliche Verbotsnorm darstellt, auch in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht als ein Gebot des Laizismus im Sinne einer Verbannung des Religiösen aus staatlich beherrschten oder organisierten Lebensverhältnissen zu verstehen, das Gebot der Gleichbehandlung gebietet keine schematische Gleichbehandlung 17 . Es wird im Übrigen einfachgesetzlich vielfach konkretisiert durch Spezialregelungen über - etwa - den Religionsunterricht, den Körperschaftsstatus von Kirchen, die Kirchensteuererhebung. Auch der - fortgeltende Art. 138 I WRV mit seiner vorkonstitutionelle Besitzstände im Bereich sog. Staatsleistungen an die Kirchen bewahrenden Aussage ist in diesem Zusammenhang zu berücksichtigen. Das Bundesverfassungsgericht hat die Vorschrift auch auf Steuerbefreiungen bezogen und Differenzierungen nach der Bedeutung einer 15
S. näher Ulfried Hemmrich, a. a. O. (o. Fn. 5). 16 BVerfGE 19,206, 216; 93,1,16 f. 17 S. Ute Mager ; a. a. O. (o. Fn. 10) m. w. Nachw.
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Kirche zugelassen18. Das Bundesverwaltungsgericht hat formuliert, „der zur Neutralität verpflichtete Staat hat ein legitimes Interesse, die menschliche Wertorientierung zu fördern" 19 , und bezieht diese Aussage auch auf religiöse Werte 20 , wobei sich hier eine Brücke schlagen lässt zu der bekannten Begriffsprägung Ernst-Wolf gang Böckenfördes über „Verfassungsvoraussetzungen" - Voraussetzungen von existenzieller Bedeutung für Staat und Gesellschaft, die aber der Staat selbst nicht garantieren kann, ohne seine Freiheitlichkeit auf Spiel zu setzen; es ist ihm nicht kategorisch verwehrt, die Erhaltung solcher Voraussetzungen jedenfalls zu fördern, wobei auch differenziert werden darf. So ist das Neutralitätsgebot treffend zu beschreiben als ein Verbot der Identifikation des Staates mit Religionen (und Weltanschauungen), als ein Verbot, Staatsloyalität einzufordern - wie das Bundesverfassungsgericht im Zusammenhang mit den Zeugen Jehovas entgegen einer deutlich anderen Akzentsetzung des Bundesverwaltungsgerichts ausgesprochen hat 21 . Wenn bei alledem Gleichbehandlung gefordert ist, so eine solche, die Differenzierungen gerade auch nach der sozialen Relevanz der Vergleichsgegenstände zulässt. Dass andererseits manche der von Rottleuthner herausgestellten Phänomene auch die vorgenannten Grundsätze strapazieren, ja möglicherweise teils auch den Bereich des verfassungsrechtlich Zulässigen verlassen, soll nicht geleugnet werden. Zu dem Gesamtbild gehört dann auch der Umstand, dass manche Religionsgemeinschaften sich von staatlichen Vergünstigungen in Wahrnehmung ihrer Autonomie selbst ausschließen, wie islamische Gemeinschaften von der Kirchensteuererhebung und - bislang - von is BVerfGE 19, 1, 8. 19 Ernst-Wolfgang Böckenförde , Die Entstehung des Staates als Vorgang der Säkularisation, in: Säkularisation und Utopie. Ebracher Studien. Ernst Forsthoff zum 65.Geburtstag, Stuttgart [u. a.], 1967, 75, 93. 20 BVerwG, Neue juristische Wochenschrift 1996, 3287, 3289. 21 Vgl. einerseits BVerfGE 102, 370, 395, andererseits BVerwGE 105, 117, 126 f. S. auch Horst Sendler ; Glaubensgemeinschaften als Körperschaften des Öffentlichen Rechts, in: Deutsches Verwaltungsblatt 2004, 8 ff., zuvor V G Berlin, Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht 1994, 609 ff. und O V G Berlin, Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht 1996, 478 ff.
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einer den christlichen Kirchen vergleichbaren Rolle bei der Mitgestaltung des Religionsunterrichts 22 . Der für das Recht zur Steuererhebung verfassungsrechtlich vorausgesetzte öffentlich-rechtliche Status widerspricht islamischem Selbstverständnis. Dem auf den Religionsunterricht bezogenen Kooperationsmodell für Staat und Kirche, wie es Art. 7 I I I GG als einem „partnerschaftlichen" Grundrecht zu entnehmen ist, fügen sich islamische Vorstellungen über Mitgliedschaftsverhältnisse einzelner zu Religionsgemeinschaften oder auch Bekenntnishomogenität nicht ohne Weiteres; solchen Voraussetzungen genügende islamische Gemeinschaften sind in Deutschland kaum vorhanden. Hinzu treten inhaltliche Fragen, denn öffentlich-rechtlicher Körperschaftsstatus kann nicht erlangt werden, wenn eine Glaubensrichtung den der von der Verfassungsbestandsgarantie des Art. 79 I I I GG mit besonderer Dignität ausgestatteten Menschenwürdegrundsatz des Art. 11 GG in Frage stellen würde 23 . Ob und inwieweit letzteres in der Vielfalt des sich islamisch verstehenden Anschauungskonzerts der Fall ist, bestimmt auch die rechtliche Beurteilung letzthin besonders umstrittener Einzelfragen mit, wie diejenige nach der Zulässigkeit des Kopftuchs der Lehrerin, der Gerichtsbediensteten, der Polizistin oder diejenige nach der Verfassungskonformität von Unterrichtsinhalten. Juristische Antworten auf solche Fragen müssen sich in den Koordinaten bewegen, welche das Bundesverfassungsgericht zunächst in seiner (umstrittenen) Entscheidung von 1995 über die Zulässigkeit von Kruzifixen in Schulen markiert hatte 24 . Im Konfliktfeld zwischen positiver Religionsfreiheit als der Berechtigung, den Glauben zu leben, und negativer Religionsfreiheit als der Berechtigung von fremden Glaubensäußerungen verschont zu bleiben, sind auf die Harmonie zwischen beiden zielende Kompromissbemühungen unabdingbar und steht also ebenfalls die Einzel22 Hierzu und zum Folgenden Simone Spriewald, Rechtsfragen im Zusammenhang mit der Einführung von islamischem Religionsunterricht als ordentliches Lehrfach an deutschen Schulen, Berlin, 2003. 23 S. hierzu Hans Markus Heimann , Inhaltliche Grenzen islamischen Religionsunterrichts, in: Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht 2002, 935 ff. 24 BVerfGE 93,1 ff.
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fallbeurteilung im Vordergrund gegenüber einem kategorialen Vorrang einer der beiden Dimensionen. Die sog. Kopftuch-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2003 25 befindet sich - wenn auch nicht bruchlos - auf dieser Linie, wobei die Auffassung der Senatsmehrheit, es bedürfe für einen Verbotsausspruch gegenüber einer Lehrerin einer expliziten gesetzlichen Grundlage, nicht als zwingend erscheint. Bei alledem müsste der Ausgleich zwischen kollidierenden grundrechtlichen Interessen im Einzelfall unaufgeregter möglich sein als es öffentliche Diskussionen vielfach indizieren 26 . Wer einer von ihm nicht geteilten Religionsmanifestierung eines anderen ansichtig wird, ist damit nicht notwendig einem Eingriff in eigene Grundrechte ausgesetzt, auch in der Schule nicht. Die Eingriffsschwelle wird erst durch dem Staat zurechenbare Missionierung überschritten oder durch anderweitige Überschreitung dessen, was das Identifikationsverbot als Grenze zieht. Bei dem Bemühen um Interessenausgleich kommt dabei auch dem Gesichtspunkt des Verfahrens, der Einrichtung von Artikulationschancen einzelner Beteiligter, großes Gewicht zu, wie es im Übrigen seit langem anerkannt ist in einem anderen wichtigen Bereicht grundrechtlichen Schutzes für das Handeln nach dem Gewissen, die Kriegsdienstverweigerung, Art. 4 I I I GG.
IV. Zu den europäischen Rechtsgrundlagen für die Beurteilung des Verhältnisses von Staat und Religion. Grundlegend zu unterscheiden sind zwei Ebenen, zum einen der Menschenrechtsschutz nach der Europäischen Menschenrechtskonvention von 1950 (EMRK), zu welchem der Straßburger Menschenrechtsgerichtshof judiziert. Zum anderen das Recht der europäischen Integration, zu welcher Judikatur durch den Euro25 BVerfGE 108, 282 ff., dazu Ute Mager, Der Kopftuchstreit vor dem Bundesverfassungsgericht, in: Religion, Staat, Gesellschaft (Zeitschrift) 2004, 275 ff. 26 S. auch Matthias Mahlmann, Laizismus in Berlin?, in: Neue Justiz 2004, 394 ff.
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päischen Gerichtshof in Luxemburg ergeht. Die EMRK ist ein völkerrechtlicher Vertrag, den einzuhalten die Mitgliedstaaten einander verpflichtet sind. Dieser Vertrag gilt innerstaatlich - lediglich - im Rang eines einfachen Gesetzes, also der Verfassung nachgeordnet. Das hat das Bundesverfassungsgericht grundsätzlich betont, in einer freilich umstrittenen familienrechtlichen Entscheidung (es ging um die Ermöglichung des Sorgerechts für einen Kindsvater, dessen Kind von der Mutter ohne Wissen des Vaters zur Adoption freigegeben und bereits adoptiert worden war). Das Bundesverfassungsgericht hat in diesem Zusammenhang die Frage, ob deutsche Behörden und Gerichte die EMRK zwingend so verstehen müssen wie der Straßburger Gerichtshof, verneint. Es hat allerdings eine Verpflichtung angenommen, solche Entscheidungen maßgeblich zu berücksichtigen 27 - eine recht kompromisshafte Entscheidung, nicht in jeder Hinsicht gänzlich klar, die wohl auch dadurch zu erklären ist, dass das Bundesverfassungsgericht auf einem anderen Felde, nämlich hinsichtlich der Pressefreiheit bzgl. der Medienberichtserstattung über Prominente sich auf einem Konfliktkurs mit dem europäischen Gericht für Menschenrechte befindet 28 . Jedenfalls: Die EMRK ist innerstaatlich ein Gesetz. Das europäische Integrationsrecht indessen betrifft eine schon eingangs angesprochene Rechtsmasse, der Anwendungsvorrang vor dem innerstaatlichen Recht zukommt, Anwendungsvorrang unter Umständen sogar vor Verfassungsrecht einschließlich der Grundrechte. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, zuständig für die EMRK, hat die Religionsfreiheit in seiner Spruchpraxis eindrucksvoll zu Blüte gebracht. Er hat formuliert, dass Art. 9 EMRK, die Freiheit des Denkens, des Gewissens und der Religion, eine der Grundlagen einer demokratischen Gesellschaft sei. Hinsichtlich der religiösen Dimension wird von einem „most vital element" gesprochen, „to make up the indentities of believers and their conception of life". Zugleich handele es sich um ein „precious asset for atheists, agnostics, sceptics and the unconcerned. 27 BVerfGE 111, 307, 323 ff. 28
Dazu Philip Kunig , Die Medien und das Persönlichkeitsrecht. Einige Gedanken aus europäischer Veranlassung, in: FS f. Raue, Köln 2006,191 ff.
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The pluralism indissociable from a democratic society, which has been dearly won over the centuries depends on it." Mit diesen Formeln, so formuliert im Jahre 1993 in der Entscheidung Kokkinakis 29 als Kulminationspunkt einer längeren Entwicklung, hat der Gerichtshof Fragen des Schutzes religiöser Minderheiten, aber auch solche zum Verhältnis von Staat und Religion im Allgemeinen bewältigt. Die Hervorhebung der Bedeutung der Religionsfreiheit als Grundlage für pluralistische Gesellschaftsstrukturen führt eine Nähe zum Demokratieprinzip herbei, die an die (schon frühe) Betonung eines entsprechenden Näheverhältnisses zwischen Demokratie und Meinungsäußerungsfreiheit in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts erinnert 30 . Der Gerichtshof versteht die Religionsfreiheit individuell wie kollektiv und entnimmt ihr auch ein Selbstbestimmungs- und Selbstverwaltungsrecht für Religionsgesellschaften. Es bestehen deutliche Parallelen zum Verständnis der Religionsfreiheit im deutschen Grundgesetz, allerdings im Einzelnen auch greifbare Unterschiede bei der Beurteilung ähnlich gelagerter Fälle, bleibt namentlich die von dem Gerichtshof in Anspruch genommene Kontrolldichte zurück hinter der Kontrollintensität des Bundesverfassungsgerichts 31. Das europäische Integrationsrecht, das Gemeinschaftsrecht, bietet kein europäisches Religionsverfassungsrecht oder gar europäisches Staatskirchenrecht. Es findet den Weg zu Aussagen, die das Verhältnis von Staat und Religion betreffen, nur über einzelne Zuständigkeiten der Gemeinschaft, so dass die allgemeine „Europäisierung" auch vor dem (innerstaatlichen) Staatskirchenrecht nicht halt macht 32 . 29 Kokkinakis / Griechenland, EGMR 1993, Serie A, Bd. 260 A = Revue Universelle des Droits des l'homme (RUDH) 1993, 251 ff. 30 BVerfGE 7,198, 208 - Lüth-Urteil. 31 Das zeigt beispielsweise EGMR, Europäische Grundrechte-Zeitschrift 2005, 31 ff., eine die Türkei betreffende „Kopftuch"-Entscheidung; zum Vergleich mit dem BVerfG Katharina Pabel, Islamisches Kopftuch und Prinzip des Laizismus, in: Europäische Grundrechte-Zeitschrift 2005, 12 ff. 32 Hierzu eindringlich Stefan Mückl , Europäisierung des Staatskirchenrechts, Baden-Baden, 2005; s. auch Stefan Muckel , Die Rechtsstellung der
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Teilweise ist behauptet worden, gerade auch in Deutschland, solche Zuständigkeiten könne es von vornherein nicht geben 33 . Innerkirchliche Angelegenheiten stünden außerhalb der Reichweite staatlichen Rechts. Da das Gemeinschaftsrecht aber von der Übertragung staatlichen Rechts, also entsprechender Zuständigkeiten der Mitgliedstaaten auf die Gemeinschaft lebe, könnten innerkirchliche Angelegenheiten eben auch nicht vom Gemeinschaftsrecht erreicht werden, entsprechend dem alten römischen Rechtssatz, wonach niemand mehr an Rechten übertragen könne als er selbst innehabe. Eine solche Argumentation hilft indessen nicht weiter. Sieht man das Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften als einen grundrechtlich verankerten Freiraum für die Entfaltung von Eigenverantwortlichkeit, dann zeigt sich, dass es beim Schutz von Religionsgemeinschaften vor dem Gesetzgeber der Gemeinschaften nicht an einer übertragbaren Hoheitsgewalt fehlt; vielmehr geht es im Kern um die Markierung von Schranken bei der Ausübung der grundrechtlichen Entfaltungschance. Zutreffender Ansicht nach ist für den Einzelfall nach einer gemeinschaftsrechtlichen Zuständigkeit zu fragen und sodann nach etwaigen Schranken, welche die Religionsfreiheit für ihre Inanspruchnahme zieht. Praktische Beispiele dafür sind der Datenschutz, das Arbeitsrecht, das Schächten von Tieren oder auch das Medienrecht, in welchem eine Richtlinie es verbietet, Gottesdienstübertragungen durch Werbung oder Teleshopping zu unterbrechen sowie Werbe- oder Teleshoppingsendungen zu veranstalten, welche in Konflikt mit religiösen Überzeugungen geraten oder diese verletzen. Bedeutsam für die Rolle der Kirchen im Recht der Europäischen Union ist Art. 6 des Unionsvertrages, der davon spricht, dass die Union die Grundrechte der EMRK achtet und ebenso die mitgliedstaatliche Identität ihrer Mitgliedstaaten. Das wirft die Kirchen und Religionsgemeinschaften nach dem Vertrag über eine Verfassung für Europa, in: Die öffentliche Verwaltung (Zeitschrift) 2005, 191 ff. sowie Dieter Fauth / Erich Satter (Hrsg.), Staat und Kirche im werdenden Europa, Würzburg, 2003. 33 Hierzu Christian Walter ; a. a. O. (o. Fn. 3), 165 ff.; hierzu und zum Folgenden auch Markus Heintzen , Die Kirchen im Recht der Europäischen Union, in: FS für Listl, Berlin, 1999, 29 ff.
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Frage auf, ob und inwieweit eine nationale Identität durch Staatskirchenrecht mitgeprägt wird. Im Zusammenhang mit der Modifizierung der Grundlagen des Integrationsrechts durch den Amsterdamer Vertrag im Jahre 1997 (in Kraft getreten 1999) wurde eine sog. Kirchenerklärung beschlossen, bezeichnet als „Erklärung Nr. 11", die aber selbst keine unmittelbare rechtliche Bedeutung entfaltet 34 . Dem Amsterdamer Vertrag ist eine Fülle von Anhängen, Erklärungen und Protokollen beigegeben. Jedenfalls die Erklärung Nr. 11 kann rechtliche Bedeutung nur erlangen, wenn eine Norm des Vertrages selbst dies vorsieht. Das wiederum kann man im Blick auf den eben erwähnten Art. 6 des UnionsVertrages bejahen. In der Kirchenerklärung drückt sich gewissermaßen der Kern eines Rechtsvergleiches der Ordnungen in den einzelnen Mitgliedstaaten aus, die ja über unterschiedliche Systeme des Verhältnisses von Staat und Kirche verfügen 35 . Sowohl Staaten mit Staatskirche (wie Dänemark, Griechenland, Großbritannien, Schweden) als auch solche mit strikter Trennung von Staat und Kirche (wie Frankreich, Portugal) oder solche, die in unterschiedlichen Formen der Kooperation von Staat und Kirche eine verfassungsrechtliche Struktur vorgeben (wie außer Deutschland etwa Finnland, die Niederlande, Osterreich, Spanien) finden in der Kirchenerklärung einen normativen Anhalt in dem Sinne, dass solche Vielfalt gemeineuropäischer Standard ist und sein soll. So dürfte beispielsweise das europäische Datenschutzrecht nicht derart ausgestaltet werden, dass damit ein mitgliedstaatliches System der Kirchenfinanzierung in Frage gestellt wäre. Der europäische Grundrechtsschutz erscheint in unserem Zusammenhang - und anders als in vielen anderen Bereichen - also nicht als ein unitarisierendes, auf Angleichung zielendes Postulat, sondern ermöglicht Vielfalt, ohne sie andererseits zu erzwingen. Auch im europäischen Verfassungsentwurf sind die Kirchen angesprochen, durchaus gleichen Sinnes. Die Union achtet danach den Status, den Kirchen und religiöse Vereinigungen in den Mitgliedstaaten nach deren Vorschriften genießen, und beeinträchtigt 34 35
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Näher dazu Markus Heintzen , a. a. O. (o. Fn. 33), 31 ff. Überblick bei Markus Heintzen , a. a. O. (o. Fn. 33), 40 ff.
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ihn nicht. Die Union verpflichtet sich nach dem Verfassungsentwurf zum offenen, transparenten und regelmäßigen Dialog mit solchen Institutionen und anerkennt ihre Identität, dies allerdings ohne sich zu der von einigen Staaten im Vorfelde gewünschten Erwähnung des christlichen Erbes in der Präambel verstehen zu können 36 . Der Gang durch die Rechtsgrundlagen sei mit der internationalen, universellen Rechtssetzungsebene beschlossen. Hier finden wir die Religionsfreiheit in etlichen internationalen Menschenrechtskatalogen, hervorgehoben sei der Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte aus dem Jahr 1966, erarbeitet im Rahmen der Vereinten Nationen. Für Kirchenrecht im Unterschied zum Religionsrecht ist dies deutlich weniger ergiebig als die bisher besprochenen Verbürgungen von Religionsfreiheit. Vor allem aber: Die Durchsetzungsmechanismen sind gänzlich andere. So ist hier kein internationales Gericht zuständig. Der Internationale Gerichtshof in Den Haag ist kein Menschenrechtsgericht, sondern ein Gericht zur Austragung von Streitigkeiten zwischen Staaten. Dem für die Wahrung der Menschenrechte des Paktes maßgeblichen Menschenrechtsausschuss sind keine Rechte zuerkannt, wie sie dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zustehen. Ihm ist nicht die verbindliche Auslegung des Vertragstextes übertragen. Er gibt zwar Stellungnahmen ab, sofern ihm kritische Einzelfälle zugetragen werden, judiziert aber nicht. Von einer Verfassungsstruktur, die derjenigen auf europäischer Ebene vergleichbar wäre, kann universell keine Rede sein. Inhaltlich allerdings bewegen sich die Aussagen, die dieser Ausschuss bisher zu treffen hatte, auf aus Deutschland und Europa bekannten Pfaden, indessen weit weniger reichhaltig und differenziert. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der universelle Menschenrechtsschutz das Verhältnis von Staat und Kirche jedenfalls für Deutschland unberührt lässt. Er erweitert lediglich das Koordinatensystem, in dem sich der Staat und der Einzelne, hier wie36 Hierzu Helmut Goerlich / Wolfgang Huber / Karl Lehmann, Verfassung ohne Gottesbezug? Zu einer aktuellen europäischen Kontroverse, Forum, in: Theologische Literaturzeitung 2004, 5 ff.
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derum einschließlich der Kirchen, in religiösen Angelegenheiten begegnen. Er verstärkt den Individualrechtschutz, ohne wesentliche Facetten hinzuzufügen. V. Zum Ende dieser Überlegungen möchte ich noch einen weiteren Blick auf internationale Verhältnisse werfen, diesmal nicht normorientiert, sondern rein faktisch und erneut über Europa hinaus. Denn solche Blicke können der Vergewisserung über das eigene, das hier erreichte Rechtsniveau dienen, machen aber auch auf Gefährdungslagen aufmerksam. Die Bewahrung des einmal Erreichten ist niemals sicher. Vielmehr muss gerade zur Bewahrung des Erreichten immer wieder auch über gesichert erscheinende Befunde kommuniziert werden, schärft der Blick auf das andere und Abweichende überdies das Bewusstsein für das eigene. Gern möchten wir im Blick auf die universelle Menschenrechtsdiskussion schon davon ausgehen, dass es allgemein anerkannte, gewissermaßen axiomatische Elemente politischer Kultur gebe, und sehen das dann doch zuweilen nachhaltig in Frage gestellt. Bezogen auf das Thema von Staat und Religion dürfen wir hoffen, dass seitens der Religionen die Anerkennung der gleichen Würde aller Menschen und also ohne Ansehung der Art ihrer Religiosität oder ihrer Areligiosität weithin heute nicht mehr in Frage gestellt wird, etwa vom Buddhismus schon im Ausgangspunkt nicht, von der katholischen Kirche seit längerem nicht mehr, von einzelnen islamischen Bewegungen freilich immer noch. Doch die Seite der Religion ist das eine, das staatliche Verhalten der Religion und den Religiösen gegenüber das andere. Das Verhalten der Staaten ist übrigens für eine juristische Betrachtung auch deshalb immer von Interesse, weil die Völkerrechtsordnung, von der Rechtsquelle des Vertrages abgesehen, nach wie vor wesentlich lebt von der normativen Kraft des Faktischen: Staatenpraxis kann normbildend sein, „Gewohnheit" - so nennen wir kontinuierliches Verhalten in der Überzeugung, damit rechtskonform zu handeln - bildet Recht heraus, Gewohnheitsrecht nämlich.
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Es gibt einige Staaten, welche die Ausübung von Religion weitgehend zu unterbinden trachten, weil für ihre Wahrnehmung von religiösen Kreisen potentiell systemsprengende Kraft ausgeht. Das gilt für China, für Kuba, für die Militärdiktatur in Myanmar. Drastisch liegt es in Nordkorea, von wo über Haft und Folter für den Besitz einer Bibel berichtet wird, wo Christen, wie es heißt, für Experimente an Menschen zur Herstellung biologischer Waffen missbraucht werden sollen. Von derartigem an den Nationalsozialismus erinnernden Schrecken abgesehen: Keine Religionsfreiheit besteht beispielsweise auch in Saudi Arabien und weiteren arabischen Staaten. Eine staatliche Verfolgung und Diskriminierung religiöser Minderheiten erfolgt z. B. im Iran und in Pakistan. Im Sudan ist Sozialhilfe nur zu erlangen von islamischen Einrichtungen, Nichtmuslimen also verwehrt. Andere Staaten bleiben untätig gegenüber religiöser Diskriminierung im gesellschaftlichen Raum, manchmal mangels institutioneller und finanzieller Ressourcen, sog. failing states, schwächende Staaten, wie Nigeria oder Guatemala. In weiteren Staaten deutet viel auf ein bewusstes Geschehenlassen religiöser Diskriminierung hin. Das dürfte für Ägypten, teilweise für Indien, wohl auch für die europäische Beitrittskandidatin Türkei gelten, auf unteren Verwaltungsstufen in manchen Provinzen. Einige Staaten verbünden sich mit einer Kirche oder Religionsgemeinschaft zulasten anderer. So wird es für die weißrussische Regierung im Zusammenwirken mit der dortigen orthodoxen Kirche berichtet, auch für Malaysia. Die Staaten setzen zur Behinderung religiöser Entfaltung durchaus verschiedene Instrumente ein. Teilweise beschränken sie ihre Rechtsordnung von vornherein auf große und traditionsreiche Religionen, so z. B. Indonesien. Sie errichten Importverbote für religiöse Schriften und untersagen die Einreise von Personen aus religiösen Gründen. In vielen Staaten gibt es aufwändige und oft restriktiv gehandhabte Registrierungserfordernisse für religiöse Gemeinschaften, also ein Verbot mit Erlaubnisvorbehalt, an dessen Missachtung oft drastische Sanktionen geknüpft sind. Das gilt für China und Vietnam sowie mehrere Nachfolgestaaten der Sowjetunion, wie Turkmenistan, Usbekistan und Aserbeidschan. Einige Staaten begrenzen die Aktivität von
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Kirchen strikt auf den Kultus und verbieten oder behindern karitative und kulturelle Aktivitäten seitens der Kirche, wie die Schaffung sozialer Einrichtungen oder auch von Universitäten, so geschieht es in Kuba. Die Mehrzahl solcher hier angesprochener staatlicher Aktivitäten wäre mit dem religiösen Verfassungsrecht in Deutschland wie in Europa eindeutig unvereinbar. Gegen sie stünde auch effektiver Rechtsschutz zur Verfügung. Zahlreiche der genannten staatlichen Verhaltensweisen sind auch völkerrechtswidrig. Insofern steht effektiver Rechtsschutz aber nicht zu Verfügung. Die vorgenannten Beispiele sind in Berichten privater Menschenrechtsorganisationen nachzulesen, aber beispielsweise auch im International Religious Freedom Report, den das US-amerikanische Außenministerium jährlich vorlegt, beruhend auf einem Gesetz von 1998, dem International Religious Freedom Act. Dieser Bericht, jedenfalls aber die kontinuierlich seit einigen Jahren von der amerikanischen Diplomatie unternommene Bedrängung der Regierungen vieler Länder in religiösen Angelegenheiten, wäre noch vor relativ kurzer Zeit ihrerseits als völkerrechtswidrig anzusehen gewesen. Denn solche Bedrängungen beschränken sich nicht immer auf Anmahnungen von Verstößen gegen die Religionsfreiheit, sondern gehen auch darüber hinaus womit wir nach Deutschland und Europa zurückkehren können: Denn im International Religious Freedom Report 2004 tauchen beispielsweise auch Belgien, Frankreich und Deutschland auf. Frankreich wird erwähnt wegen eines Gesetzes aus 2004, das die Verwendung religiöser Symbole in öffentlichen Schulen beschränkt, Belgien und Deutschland wegen behördlicher Maßnahmen, die sich gegen die Scientology-Bewegung richten. Es soll hier nun nicht erörtert werden, ob diese Vorhaltungen der USA gegen Staaten des alten Europas völkerrechtlich als Verstoß gegen das Verbot der Einmischung in innere Angelegenheiten zu qualifizieren sind. Dieses Verbot, das dereinst menschenrechtsverletzenden Regierungen als Abschottungsinstrument dienen konnte, hat sich nach aktuellem Völkerrecht weitgehend verflüchtigt; das ist zu begrüßen. Unabhängig davon aber und unabhängig von Rechtsfragen überhaupt: Auch hier und nicht nur
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in Regionen außerhalb des atlantischen Raumes zeigt sich ein Verständnis vom Verhältnis von Staat und Religion, das sich konzeptionell grundlegend unterscheidet von demjenigen in Deutschland und in Europa.
Religionsfreiheit im Grundgesetz Von Ute Mager
„Religion" stellt einen die Zeiten durchziehenden politischen, kulturellen und gesellschaftlichen Konfliktstoff von so grundlegender Bedeutung dar, dass den rechtlichen Regelungen zu seiner Bewältigung seit jeher Verfassungsrang zugekommen ist. Die Annäherung an die „Religionsfreiheit im Grundgesetz" soll in der Weise erfolgen, dass zunächst die Konfliktherde, aus denen heraus Religion seit Geltung des Grundgesetzes zu Rechtsstreitigkeiten geführt hat, aufgezeigt werden. Sodann werden die Rechtsgrundlagen vorgestellt, die die Religionsfreiheit nach dem Grundgesetz ausmachen. Nach dem Überblick über die normativen Grundlagen wird die spezifisch juristische Art und Weise der Konfliktverarbeitung am Maßstab der Religionsfreiheit zunächst allgemein, sodann an ausgewählten Fällen erläutert. Eine Bewertung der Rechtsprechung und etwaige Defizite in der rechtlichen Bewältigung religiöser Konflikte bilden den Abschluss als Fazit und Ausblick.
I. Die Konfliktherde für Rechtsstreitigkeiten mit religiösem Hintergrund Betrachtet man die Rechtsprechung zu Rechtsstreitigkeiten mit religiösem Hintergrund, so lassen sich 5 verschiedene Konfliktherde ausmachen. 1. Als erstes sind Rechtsstreitigkeiten zu nennen, die sich aus dem Kampf einzelner gegen tatsächliche oder vermeintliche Privilegien des „main-stream"-Christentums ergeben. In diese Kategorie gehören der Angriff auf die christliche Gemeinschaftsschule
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als Regelschulform in zahlreichen Bundesländern, 1 der Kampf gegen das Schulgebet,2 gegen das Kreuz in der Schule3 oder zuletzt das Tischgebet im kommunalen Kindergarten. 4 In diesen Fällen geht es darum, verschiedene Auffassungen von Religion in einem Bereich in Ausgleich zu bringen, der durch staatliche Organisation geprägt ist. 2. Einen zweiten Konfliktherd stellen Sekten dar, wobei ich als eine eigene Kategorie dem Christentum zugehörige Sekten nennen möchte. Angehörige solcher Sekten zeichnen sich häufig durch besondere Glaubensstrenge aus sowie durch spezifische Glaubensgebote, die mit der Mehrheitsauffassung von dem, was vernünftig ist, nicht in Einklang stehen. Beispielsfälle sind der Verzicht auf ärztliche Hilfe oder das Verbot von Bluttransfusionen. Im sog. Gesundbeterfall 5 hatte ein Mann in völliger Übereinstimmung mit seiner gläubigen Frau es unterlassen, einen Arzt zu rufen und wie sie ausschließlich auf das Gebet als Heilmittel gesetzt. Die Frau, die bei ärztlichem Eingreifen hätte gerettet werden können, starb. Die Strafgerichte verurteilten den Ehemann zunächst wegen Tötung durch Unterlassen, dann wegen unterlassener Hilfeleistung. 6 Erst das Bundesverfassungsgericht würdigte den religiös motivierten Gewissenskonflikt des Mannes.7 Weitere Beispiele in diesem Zusammenhang sind die Verweigerung jeglicher Eidesleistung8 oder auch die sog. Totalverweigerung. 9
1 BVerfGE 41, 29 ff. - zu BW; BVerfGE 41, 65 ff. - zu Bay; BVerfGE 41, 88 f f . - z u NRW. 2 BVerfGE 52, 223 ff. 3 BVerfGE 93,1 ff. 4 BVerfG, Neue Juristische Wochenschrift 2003, 3468 ff. s BVerfGE 32, 98 ff. 6 BVerfGE 32, 98, 99 ff. 7 BVerfGE 32, 98,108 f. 8 BVerfGE 33, 23 ff.: Pfarrer verweigert Zeugeneid unter Hinweis auf die Bergpredigt. 9 BVerfGE 78, 391 ff.: Zeuge Jehovas verweigert Wehr- und Zivildienst; BVerfGE 80, 354 ff.: anerkannter Kriegsdienstverweigerer sieht sich nach 17 Monaten Zivildienst nicht mehr in der Lage die restlichen drei Monate abzuleisten. Zur Unzulässigkeit der Schulverweigerung s. BVerfG, Zeitschrift für das gesamte Familienrecht 2006,1094 ff.
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3. Als dritter Konfliktherd sind die sog. Jugendsekten zu nennen. Hierbei handelt es sich um neuere Phänomene im Spektrum der Religionen und Weltanschauungen, die sich dadurch auszeichnen, dass sie sich in erster Linie an junge Erwachsene wenden. Hier besteht z. T. die Schwierigkeit, ob eine Gemeinschaft als Religionsoder Weltanschauungsgemeinschaft einzuordnen ist oder nicht vielmehr unter dem Deckmantel der Religion ein Wirtschaftsunternehmen oder gar eine verfassungsgefährdende Organisation darstellt. 10 Da diese Gemeinschaften sich nicht durch Kirchensteuern und auch nicht nur durch Mitgliedsbeiträge finanzieren, sondern durch den Verkauf von Büchern und Kursen oder durch gewöhnliche wirtschaftliche Betätigung, tauchen Rechtsstreitigkeiten in den unterschiedlichsten Zusammenhängen auf. Diese reichen vom Gaststätten- und Gewerberecht 11 über das Straßenund Wegerecht - Stichwort Sondernutzungserlaubnisse 12 - bis zum Arbeitsrecht. Gerade in Bezug auf Scientology sind auch Parteiausschlussverfahren 13 oder die Verweigerung einer Kontoeröffnung 1 4 zum Gegenstand von Rechtsstreitigkeiten geworden. Darüber hinaus haben Meinungsäußerungen und Informationen, seien sie nun von kirchlichen Sektenbeauftragten, 15 Elternorganisationen oder staatlichen Stellen 16 , Anlass zu Streitigkeiten gegeben, weil Sekten sich durch solche Äußerungen verleumdet fühlten. 10
Vgl. hierzu Ute Mager.\ in: Ingo von Münch /Philip Kunig (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. 1, 5. Auflage 2000, Art. 4 Rn. 15 m. w. N. 11 Siehe etwa BVerwG, Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht 1999, 766, 767; Peter Selmer ; Rechtsprechungsübersicht, in: Juristische Schulung 2000, 97 ff.; Bernhard Kempen , Die Entwicklung des allgemeinen Gewerberechts von 1996 bis 1999, in: Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht 2000,1115 ff. 12 Siehe etwa BVerwG, Neue Juristische Wochenschrift 1997, 406, 408; Mager (Fn. 10), Art. 4 Rn. 65; Ralf B. Abel, Die aktuelle Entwicklung der Rechtsprechung zu neueren Glaubensgemeinschaften, in: Neue Juristische Wochenschrift 1997, 426 ff.; Erich Röper, Religionsausübung rechtfertigt keine gewerbliche Tätigkeit, in: Verwaltungsrundschau 1997, 342 ff. 13 O L G Köln, Neue Juristische Wochenschrift 1998, 3721 ff. 14 L G Stuttgart, Neue Juristische Wochenschrift 1996, 3347 ff.; V G H Baden-Württemberg, Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht-Rechtsprechungs-Report Verwaltungsrecht 2004, 904 ff. 15 BVerfG, Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht 1994,159 ff. 16 BVerwGE 82, 76 ff.; BVerfGE 105, 279 ff.
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4. Den vierten Konfliktherd bilden Religionen, deren Eigenschaft als Religion, ja deren Weltbedeutung unstreitig ist, die in unserem Kulturkreis aber keine Tradition haben und in diesem Sinne eine neue Erscheinung darstellen. Die ersten Streitigkeiten betrafen insoweit die Befreiung muslimischer Mädchen vom koedukativen Schulsport, 17 insbesondere vom Schwimmen. 18 Inzwischen hat das Kopftuch der Lehrerin für juristischen und gesellschaftlichen Diskussionsstoff gesorgt. 19 In diese Kategorie gehören des Weiteren Streitigkeiten über die Erteilung von Ausnahmegenehmigungen nach dem Tierschutzgesetz für das Schächten von Rindern 20 oder baurechtliche Streitigkeiten, insbesondere Nachbarstreitigkeiten über die Errichtung von Moscheen 21 oder Minaretten. 22 5. Als fünfter Konfliktherd lässt sich das Thema „Minderheitsreligion" ausmachen, ohne dass es sich um eine christliche Sekte, eine neue religiöse Bewegung oder um eine in unserem Kulturkreis neue Religionserscheinung handelt. Insoweit ist die jüdische Religion zu nennen. Dieser Konfliktherd ist allerdings nicht sehr virulent. Zu nennen ist die Weigerung eines Anwalts jüdischen Glaubens, in einem mit einem Kreuz ausgestatteten Gerichtssaal aufzutreten. 23 Ein weiterer Fall ist der Kampf eines jüdischen Rabbi gegen die baurechtliche Uberplanung eines ehemaligen jüdischen Friedhofs. 24 (Dieser war allerdings von der jüdischen Gemeinde aufgegeben und aufgehoben worden. Den Käufer traf 17 BVerwGE 94, 82 ff. is BVerwG, Deutsches Verwaltungsblatt 1994,168. 19 BVerfGE 108, 282 ff.; Ute Mager, Der Kopftuchstreit vor dem Bundesverfassungsgericht, in: Religion, Staat, Gesellschaft 2004, 275 ff.; ErnstWolf gang Böckenförde, „Kopftuchstreit" auf dem richtigen Weg?, in: Neue Juristische Wochenschrift 2003, 723 ff. 20 BVerfGE 104, 337 ff.; BVerfG, Neue Juristische Wochenschrift 2002, 1485. 21 V G Augsburg, Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht-Rechtsprechungs-Report Verwaltungsrecht 2002, 597 ff.; O V G Lüneburg, Baurecht 2005,150. 22 V G H München, Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht 1997,1016 ff. 23 BVerfGE 35, 366 ff. 24 O V G Hamburg, Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht 1992,1212 ff.
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außerdem die Auflage, etwaige Gebeinfunde auf einen jüdischen Friedhof zu überführen.) 6. Schließlich möchte ich einen Konfliktherd nennen, der erloschen ist, der jedoch den Erfahrungshintergrund für unser Religionsverfassungsrecht bildet. Es waren die Glaubenskämpfe zwischen den christlichen Konfessionen, die gelehrt haben, dass solche Kämpfe nicht zu gewinnen sind, und die über eine Verrechtlichung der religiösen Beziehungen schließlich zu unserem Religionsverfassungsrecht geführt haben, ein Religionsverfassungsrecht, das nicht nur den Staat zu religiöser Neutralität verpflichtet, 25 sondern auch religiöse Toleranz in der Gesellschaft fordert.
II. Die Rechtsgrundlagen der Religionsfreiheit nach dem G G Das Religionsverfassungsrecht des Grundgesetzes beruht auf einer Vielzahl von Normen. Diese Normen sind für den rechtsdogmatisch arbeitenden Juristen das „Dogma", das heißt der nicht mehr zu hinterfragende Ausgangspunkt seiner Bewertung und Lösung eines Konflikts. Auf die Ermittlung und Anwendung ihrer Inhalte bezieht sich alle Argumentation. Die Aufgabe der rechtsdogmatisch arbeitenden Juristin ist die Herstellung von Stimmigkeit im System des geltenden Rechts, d. h. in seiner Auslegung und in seiner Anwendung. Ausgangspunkt ist daher die Sichtung all der Normen im Grundgesetz, die eine Aussage über die Religionsfreiheit enthalten. 1. Art. 3 Abs. 3. S. 1 GG Im Grundrechtsteil des Grundgesetzes stößt man bei dieser Suche zunächst auf Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG. Dieser enthält die Diskriminierungsverbote und unter ihnen das Verbot, wegen seiner / 25
Martin Morlok , in: Horst Dreier (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, Bd. 1, 2. Auflage 2004, Art. 4 Rn. 45; Mager (Fn. 10), Art. 4 Rn. 3; Christian Starck y in: Hermann von Mangoldt / Friedrich Klein / Christian Starck (Hrsg.), Bonner Grundgesetz, Bd. 1, 5. Auflage 2005, Art. 4 Rn. 5.
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ihrer religiösen oder weltanschaulichen Uberzeugungen benachteiligt oder bevorzugt zu werden. Die Religion gehört damit zu den Kriterien, die prinzipiell keinen sachlichen Grund für eine Ungleichbehandlung darstellen.
2. Art. 4 Abs. 1 und 2 GG Gleich anschließend folgt die Norm, die die Juristen zuallererst mit dem Begriff der Religionsfreiheit verbinden. Art. 4 Abs. 1 und 2 GG. Wendet man sich mit Genauigkeit dem Wortlaut des Art. 4 Abs. 1 und 2 zu, wird allerdings deutlich, dass die Kurzkennzeichnung dieses Artikels mit dem Begriff der Religionsfreiheit schon nicht mehr frei ist von Interpretation, möglicherweise interpretatorische Verkürzungen enthält. Nimmt man den Wortlaut ernst, so umfassen die beiden Absätze 5 Grundrechte. Erstens:
die Glaubensfreiheit
Zweitens: die Gewissensfreiheit Drittens: die Freiheit des religiösen Bekenntnisses Viertens: die Freiheit des weltanschaulichen Bekenntnisses Fünftens: die Freiheit der ungestörten Religionsausübung. Das Bundesverfassungsgericht fasst die beiden ersten Absätze des Art. 4 GG zu einem umfassenden Grundrecht der Religionsund Weltanschauungsfreiheit zusammen.26 Nur die Gewissensfreiheit genießt Eigenständigkeit. Ich habe meine Zweifel, ob diese Zusammenschau zu einem einheitlichen Grundrecht der Religions- und Weltanschauungsfreiheit richtig ist. 2 7 Es gilt der Erfahrungssatz: Weiter Schutzbereich - weitreichende Einschränkbarkeit 28 . Je stärker die Ablösung vom Wortlaut ist, umso größer ist auch die Gefahr, dass Vorverständnisse die Auslegung prägen. 26 BVerfGE 24, 236, 245 f. 27 Mager (Fn. 10), Art. 4 Rn. 11, schon krit. zu BVerfGE 24, 236, 245 f.: Roman Herzog, in: Theodor Maunz / Günter Dürig (Hrsg.), Grundgesetz, Bd. 1 Art. 1 - 5 , Lieferung 27, Stand November 1988, Art. 4 Rn. 64, 99. 28 So zu Art. 2 Abs. 1: BVerfGE 6, 32, 40 f. („Elfes-Urteil").
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So wurde zwar das karitative Sammeln von Lumpen durch katholische Jugendgruppen als Religionsausübung angesehen.29 Jahrzehnte später hatten jedoch Gerichte Zweifel, ob das Schächten von Rindern nach muslimischem Ritus dem Schutzbereich des einheitlich und umfassend als Religionsfreiheit verstandenen Art. 4 Abs. 1 und 2 GG zuzurechnen ist. 3 0 3. Art. 6 Abs. 2 GG Dem Wortlaut nach nicht erkennbar, aber in der Sache von erheblicher Bedeutung für das Religionsverfassungsrecht ist auch Art. 6 Abs. 2 GG. Dieses Grundrecht verbürgt das Erziehungsrecht der Eltern. Dieses Erziehungsrecht umfasst auch die religiöse Kindeserziehung. 31 Urheber der religiösen Konflikte im Bereich der Schule sind in der Regel nicht die Kinder, sondern die Eltern 31 *, die ihre Kinder in dem von ihnen für richtig gehaltenen Glauben erziehen und keinen anderen Glaubensüberzeugungen aussetzen wollen. 4. Art. 7 Abs.
2, 3 und 5 GG
Als weitere Norm im Grundrechtsteil mit Religionsbezug findet sich sodann Art. 7 GG. Dieser enthält Vorkehrungen zur Entschärfung des eben genannten Konfliktpotentials. Nach dessen Absatz 2 haben die Erziehungsberechtigten über die Teilnahme des Kindes am Religionsunterricht zu bestimmen. Nach Absatz 3 GG ist der Religionsunterricht in den öffentlichen Schulen mit Ausnahme der bekenntnisfreien Schulen ordentliches Lehrfach. Eine Regelung, die aufgrund einer anderen Verfassungsnorm, Art. 141 GG, u. a. in Berlin nicht zur Anwendung kommt. 3 2 29 BVerfGE 24, 236 ff. Dazu noch unten bei Fn. 56 ff. 30 BVerwGE 99, 1 ff.; 112, 227. Dazu noch unten bei Fn. 60 ff. 31 BVerfGE 41, 29, 47 f.; Mager (Fn. 10), Art. 4 Rn. 20; Juliane Kokott , in: Michael Sachs (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, 3. Auflage 2003, Art. 4 Rn. 7; Morlok (Fn. 25), Art. 4 Rn. 72. 3ia Siehe BVerfG, Zeitschrift für das gesamte Familienrecht 2006, 1094 ff. - Totalverweigerung des Schulbesuchs. 32 Die „Bremer Klausel", wie Art. 141 GG genannt wird, lautet: „Art. 7 Abs. 3 Satz 1 findet keine Anwendung in einem Lande, in dem am 1. Ja-
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Unbeschadet des staatlichen Aufsichtsrechts wird der Religionsunterricht in Ubereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften erteilt. Dies dient der Religionsfreiheit der Kirchen und Religionsgemeinschaften. Weiter heißt es, dass kein Lehrer gegen seinen Willen verpflichtet werden darf, Religionsunterricht zu erteilen. Dies dient der Religionsfreiheit der Lehrer. Absatz 5 schließlich enthält das Recht auf Errichtung einer privaten Volksschule als Bekenntnisschule oder als Weltanschauungsschule, wenn in der Gemeinde eine solche Schule nicht als öffentliche Schule vorhanden ist. Dies dient der Religions- und Weltanschauungsfreiheit der Eltern und dem religiösen und weltanschaulichen Einfluss der Eltern auf ihre Kinder. Damit sind die religionsrelevanten Normen im Grundrechtsteil genannt. Dies sind aber noch keineswegs alle religionsrelevanten Normen des Grundgesetzes.
5. Art 33 Abs. 3 GG Von großer Bedeutung für den wohl allseits bekannten Streit um die Kopfbedeckung der muslimischen Lehrerin 33 ist Art. 33 Abs. 3 GG. Danach sind der Genuss bürgerlicher und staatsbürgerlicher Rechte, die Zulassung zu öffentlichen Amtern sowie die im öffentlichen Dienst erworbenen Rechte unabhängig von dem religiösen Bekenntnis. Weiter heißt es: „Niemandem darf aus seiner Zugehörigkeit oder Nichtzugehörigkeit zu einem Bekenntnisse oder einer Weltanschauung ein Nachteil erwachsen." Eine Rechtsfrage ist hier, wie formal der Begriff der Zugehörigkeit zu verstehen ist. Darf nur die Mitgliedschaft als solche nicht Anknüpfungspunkt für Differenzierungen sein, oder dient auch diese Vorschrift materiell der Glaubens- und Religionsausübungsfreinuar 1949 eine andere landesrechtliche Regelung bestand." Sie gilt nach BVerwGE 110, 326 ff. in ganz Berlin. U m die Auslegung dieser Vorschrift ging es verfassungsrechtlich in dem Streit um die Einführung von LERUnterricht (Lebensgestaltung, Ethik, Religionskunde) anstelle von Religionsunterricht in Brandenburg. Siehe dazu BVerfGE 104, 305 ff.; 106, 210 ff. 33 BVerfGE 108, 282 ff.
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heit? Erlaubt Art. 33 Abs. 3 GG die Unterscheidung Muslimin ja, Kopftuch nein? 6. Art. 56 Satz 4 GG Im Bereich des Staatsorganisationsrechts findet sich noch Art. 56 S. 4 GG. Dieser regelt den Amtseid des Bundespräsidenten. Auf ihn nehmen die Vorschriften über die Vereidigung des Bundeskanzlers und der Minister Bezug (Art. 64 Abs. 2 GG). Art. 56 Satz 4 GG lautet: „Der Eid kann auch ohne religiöse Beteuerung geleistet werden." Dies dient der Bekenntnisfreiheit der Amtsträger.
7. Art. 140 GG Damit wäre die Bestandsaufnahme beendet, gäbe es nicht noch den Art. 140 GG, der Bestimmungen der Weimarer Reichsverfassung zum Bestandteil des Grundgesetzes erklärt, namentlich Art. 136-139, 141 WRV. Hierbei handelt es sich um den dritten Abschnitt aus dem Grundrechtsteil der Weimarer Reichsverfassung, betitelt mit Religion und Religionsgesellschaften. Nicht übernommen wurden nur Art. 135 W R V 3 4 , weil der durch Art. 4 I, I I GG ersetzt wurde, sowie Art. 140 WRV, der die Religionsausübung von Wehrmachtsangehörigen betraf. Von den inkorporierten Vorschriften befassen sich Art. 137 und 138 WRV mit dem Verhältnis von Staat und Religionsgesellschaften bzw. Kirchen. Art. 139 WRV betrifft den Sonn- und Feiertagsschutz, Art. 141 WRV Gottesdienst und Seelsorge in öffentlichen Anstalten. Bedeutsame individualrechtliche Verbürgungen in Bezug auf die Religionsfreiheit enthält Art. 136 WRV. Dessen Absatz 1 bestimmt, dass die bürgerlichen und staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten durch die Ausübung der Religionsfreiheit weder bedingt noch beschränkt werden. Dies klingt so ähnlich wie Art. 33 34
Art. 135 WRV: „Alle Bewohner des Reichs genießen volle Glaubensund Gewissensfreiheit. Die ungestörte Religionsausübung wird durch die Verfassung gewährleistet und steht unter staatlichem Schutz. Die allgemeinen Staatsgesetze bleiben hiervon unberührt." 13 Mahlmann/Rottleuthner
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Abs. 3 GG und ist doch anders. Während in Art. 33 Abs. 3 GG vom Genuss der bürgerlichen und staatsbürgerlichen Rechte die Rede ist, der unabhängig ist von dem religiösen Bekenntnis, heißt es in Art. 136 Abs. 1 WRV, dass die staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten - also auch die Pflichten, nicht nur der Genuss von Rechten - durch die Ausübung der Religionsfreiheit - also nicht „religiöses Bekenntnis", sondern „Ausübung" - weder bedingt noch beschränkt sind. Während es in Art. 33 Abs. 3 GG also darum geht, Begünstigungen unabhängig von der Religionszugehörigkeit zu gewähren, geht es in Art. 136 Abs. 1 WRV zwar auch darum - Rechte sind nicht bedingt durch die Religionsausübung - , aber es geht gleichermaßen und nicht zuletzt um die gleiche Geltung von Pflichten. Staatsbürgerliche Pflichten - das sind die für jedermann geltenden gesetzlichen Pflichten gegenüber dem Staat - sind nicht bedingt oder beschränkt durch die Religionsausübung. Mit anderen Worten: Die Religionsausübung lässt sich allgemein geltenden gesetzlichen Pflichten nicht entgegenhalten. Hier haben wir es mit einer Beschränkung der Religionsfreiheit zu tun. 3 5 Der zweite Absatz von Art. 136 WRV entspricht Art. 33 Abs. 3 GG. Art. 136 Abs. 3 WRV besagt, dass niemand verpflichtet ist, seine religiöse Uberzeugung zu offenbaren. Als Schranke folgt, dass ein Fragerecht der Behörden nur insoweit besteht, als davon Rechte oder Pflichten abhängen oder eine gesetzlich angeordnete statistische Erhebung dies erfordert. Dies ist die Grundlage für die Kategorie der Religionszugehörigkeit auf der Lohnsteuerkarte. Absatz 4 lautet, dass niemand zu einer kirchlichen Handlung oder Feierlichkeit oder zur Teilnahme an religiösen Übungen 35 Mager (Fn. 10), Art. 4 Rn. 47 f.; ebenso: Starck (Fn. 25), Art. 4 Rn. 87 ff.; Axel Freiherr von Campenhausen, in: Handbuch des Staatsrechts, Band VI, 2. Auflage 2001, § 136 Rn. 82; Matthias Mayer, Religionsfreiheit und Schächtverbot, in: Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht 1997, 561, 562 f.; Wolf gang Bock, Die Religionsfreiheit zwischen Skylla und Charybdis, in: Archiv des öffentlichen Rechts 123 (1998), 444, 471; Karl-Hermann Kästner, Hypertrophie des Grundrechts auf Religionsfreiheit?, in: Juristenzeitung 1998, 974, 982; Christian Hillgruber, Der deutsche Kulturstaat und der muslimische Kulturimport, in: Juristenzeitung 1999, 538, 543.
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oder zur Benutzung einer religiösen Eidesform gezwungen werden darf. 36 Art. 136 WRV enthält in seinen beiden letzten Absätzen Ausprägungen der sog. negativen Bekenntnisfreiheit, 37 das heißt, der Freiheit nicht zu bekennen, seinen Glauben nicht preiszugeben und Glaubensbekundungen fernzubleiben. Damit ist der Uberblick über die normativen Grundlagen der Religionsfreiheit im Grundgesetz beendet. Es gibt wohl kaum ein Thema, dem das Grundgesetz im gleichen Ausmaß Regelungen widmet. Hervorzuheben ist, dass die inkorporierten Regelungen der WRV - wie das Bundesverfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung betont - keineswegs Verfassungsrecht zweiter Klasse darstellen. 38 Jetzt beginnt die Arbeit der Auslegung. Selbstverständlich ist es unmöglich, in diesem Rahmen die Auslegungsprobleme aller genannten Vorschriften darzulegen. Die folgenden Ausführungen konzentrieren sich deshalb auf die zentrale Verbürgung der Glaubens-, Religions- und Weltanschauungsfreiheit im Grundgesetz, die mit dieser Vorschrift verbundenen Auslegungsprobleme und die Wege der Konfliktlösung, die auf dieser Grundlage beschritten worden sind.
III. Die Glaubens-, Religions- und Weltanschauungsfreiheit gemäß Art. 4 Abs. 1 und 2 GG 1. Die Religionsfreiheit im Lichte der allgemeinen Grundrechtsdogmatik Der typische Aufbau, in dem Juristen untersuchen, ob Grundrechtsverletzungen vorliegen, besteht aus den Prüfungspunkten: Schutzbereich - Eingriff - verfassungsrechtliche Rechtfertigung des Eingriffs. 36
Zu der speziellen Vorschrift für den Bundespräsidenten, den Bundeskanzler und die Minister s. oben unter II. 6. 3 7 Mager (Fn. 10), Art. 4 Rn. 38; Kokott (Fn. 31), Art. 4 Rn. 26 f. 3
13=
« BVerfGE 19, 206, 219; 53, 366, 400; 70, 138, 167.
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a) Schutzbereich Unter dem Stichwort „Schutzbereich" ist zu prüfen, welches Grundrecht das von einem Menschen als sein Recht behauptete Tun erfasst. Ist karitatives Lumpensammeln eine Sache der Religionsfreiheit oder eher eine Angelegenheit der allgemeinen Handlungsfreiheit? Ist Schächten nach muslimischem Ritus durch einen muslimischen Metzger der Berufsfreiheit oder doch eher der Religionsfreiheit zuzuordnen? Hier kommt es auf die Auslegung des Schutzbereichs an. b) Eingriff Unter dem Stichwort Eingriff wird untersucht, ob das von der Privatperson als ihr Recht bzw. ihre Freiheit behauptete Handeln durch eine Maßnahme beeinträchtigt wird, die dem Staat zurechenbar ist. Es geht also zum einen um die Feststellung einer Beeinträchtigung, zum anderen aber auch um die Zurechenbar-keit zu staatlichen Stellen. Liegt in der Information der Bundesregierung oder einer Landesregierung über sog. Jugendsekten eine Beeinträchtigung des Schutzbereichs der Religionsfreiheit? 39 Macht es einen Unterschied, wenn die Informationstätigkeit von kirchlichen Sektenbeauftragten ausgeht?40 Und was ist, wenn der Staat die Informationstätigkeit kirchlicher Sektenbeauftragter fördert? 41 In der Tat können auch Privatpersonen andere Privatpersonen in grundrechtlich geschütztem Verhalten beeinträchtigen. Beispielhaft ist hierfür die erste Kopftuchentscheidung des Bundesverfassungsgerichts. 42 Ein Kaufhausunternehmer kündigte seiner Arbeitnehmerin, weil sie nach der Rückkehr aus dem Erziehungsurlaub nur noch mit einem Kopftuch in dem Kaufhaus arbeiten wollte. - Ich gehe von einer religiös motivierten freien Willensentscheidung der Verkäuferin aus. - Die Zurechenbarkeit des Eingriffs zum Staat ergibt sich in diesen Konstellationen daraus, dass 39 40
Nachweis oben Fn. 16. Nachweis oben Fn. 15.
« BVerwGE 90, 112, 124; siehe auch Übersicht bei Mager (Fn. 10), Art. 4 Rn. 65. 42 BVerfG, Neue Juristische Wochenschrift 2003, 2815 ff.
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solche Konflikte nur vor staatlichen Gerichten ausgetragen werden können und ausgetragen werden. Es stellt sich dann die Frage, inwieweit die Gerichte die Grundrechte bei der Anwendung der zivil- und arbeitsrechtlichen Normen zu berücksichtigen haben. 43 Denn es ist zu bedenken, dass in diesen Fällen stets beiden Seiten Grundrechte zukommen. Auch der Unternehmer ist Träger von Grundrechten, etwa der Berufsausübungsfreiheit und der sog. Privatautonomie, der Vertragsfreiheit. Diese Schwierigkeit besteht im Verhältnis Staat-Bürger nicht. Der Staat ist kein Grundrechtsträger. Grundrechte sind Abwehrrechte gegen staatliche Eingriffe, und der Staat muss sich für derartige Eingriffe rechtfertigen, denn der individuellen Selbstbestimmung kommt prinzipiell Vorrang vor der staatlichen Inpflichtnahme zu. Eine solche Gewichts- und damit Argumentationslastverteilung gilt in den Rechtsbeziehungen unter gleichberechtigten Privaten nicht. Dennoch kommt den Grundrechten auch Bedeutung für diese Rechtsbeziehungen zu. Schon der Gesetzgeber hat die Rechtsverhältnisse im Lichte der Grundrechte der beteiligten Privatpersonen auszugestalten, und die Gerichte haben bei der Anwendung des einfachen Rechts, insbesondere bei notwendigen Wertungen bei Anwendung des einfachen Rechts, die Grundrechte zu berücksichtigen. So war denn letztlich in dem Kopftuchstreit die Privatautonomie und Unternehmerfreiheit des Kaufhausbetreibers in ein angemessenes Verhältnis zu setzen zur Glaubens- und/oder Bekenntnisfreiheit der Verkäuferin. Da der Unternehmer keinerlei reale Beeinträchtigungen geltend machen konnte und ihm die Möglichkeit offen stand, die Verkäuferin zukünftig nicht mehr in der Parfümerieabteilung, sondern in einer anderen Abteilung seines Kaufhauses zu beschäftigen, räumte das Bundesverfassungsgericht der Glaubens- und Bekenntnisfreiheit der Verkäuferin ein höheres Gewicht ein als der Privatautonomie und Unternehmerfreiheit des Kaufhausbetreibers. c) Verfassungsrechtliche Rechtfertigung Unter dem Stichwort „Verfassungsrechtliche Rechtfertigung" wird geprüft, ob der Staat den Eingriff in das Grundrecht aus43
Sog. „mittelbare Drittwirkung" BVerfGE 7,198 ff. („Lüth-Urteil").
der Grundrechte,
grundlegend
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nahmsweise vornehmen durfte. Ist ein Eingriff festgestellt, ist damit noch nicht das letzte Wort gesprochen. Die Juristen unterscheiden sehr genau zwischen Eingriff und Verletzung. Nur ein Eingriff, der sich nicht rechtfertigen lässt, stellt eine Verletzung dar, ist also endgültig verfassungswidrig. Da wir in Gemeinschaft leben, kann keine Freiheit unbegrenzt sein. Die meisten Grundrechte haben deshalb schon ihre Schranke ausdrücklich beigefügt. Besonders schön ist es formuliert in Art. 2 Abs. 1 GG, wo es heißt: „Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt." Nun findet sich eine solche ausdrückliche Grundrechtsschranke gerade nicht im Zusammenhang mit Art. 4 Abs. 1 und 2 GG. Es ist im Gegenteil die Rede von der Unverletzlichkeit der Glaubensund Bekenntnisfreiheit und von der Gewährleistung der ungestörten Religionsausübung. A n dieser Stelle drängt sich das religiös motivierte Menschenopfer als Beispiel auf, um drastisch vor Augen zu führen, dass es zwar an einer ausdrücklichen Grundrechtsschranke fehlt, dass aber auch die vorbehaltlose Religionsfreiheit nicht schrankenlos ist. Da Schranken von Grundrechten ihrerseits Verfassungsrang haben müssen, ist das Grundgesetz insgesamt auf Schranken für das vorbehaltlose Grundrecht abzusuchen. Solche Schranken ergeben sich als sog. verfassungsimmanente Schranken aus den Grundrechten unserer Mitmenschen, also „Dritter", und anderen gleichermaßen konkreten Werten von Verfassungsrang. Das Bundesverfassungsgericht geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass die Glaubens-, Religions- und Weltanschauungsfreiheit des Grundgesetzes nur durch verfassungsimmanente Schranken begrenzt werden kann. 44 Allerdings ist die Frage erlaubt, ob nicht auf der Grundlage von Art. 136 WRV klarere Schranken gezogen werden können. 45 Zur Erinnerung: der über Art. 140 GG in das geltende Verfassungsrecht übernommene Art. 136 WRV bestimmt, dass der Geltungsanspruch der staatsbürgerlichen Pflichten unabhängig ist von der Religionsausübung.46 44 BVerfGE 32, 98,107 f.; 33, 23, 29; 44, 37, 49 f. 45 Vgl. Mager (Fn. 10), Art. 4 Rn. 47 f. m. w. N.
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2. Aktuelle Probleme / Einzelfragen In der Folge des eben dargelegten Prüfungsaufbaus - Schutzbereich, Eingriff, verfassungsrechtliche Rechtfertigung - sollen nun anhand von Beispielsfällen alte und neue Probleme bei der Auslegung und Anwendung des Grundrechts auf Religionsfreiheit aufgezeigt werden. a) Der Begriff der Religion am Beispiel von neuen religiösen Bewegungen Im Zusammenhang mit Streitigkeiten, an denen neuere religiöse oder weltanschauliche Bewegungen beteiligt sind, hängt die Anwendbarkeit des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG davon ab, ob es sich überhaupt um eine Gemeinschaft handelt, deren Zweck die Ausübung einer Religion oder Weltanschauung ist. Die juristische Prüfung dieser Frage hat auszugehen von einer allgemeinen Definition dessen, was Religion bzw. Weltanschauung im Sinne des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG bedeutet, um in einem zweiten Schritt zu prüfen, ob die Definitionsmerkmale in der Wirklichkeit eine Entsprechung haben. Die eigentliche Schwierigkeit besteht in der Durchführung des zweiten Schritts. So hat etwa das Bundesverwaltungsgericht in einem Streit um die Notwendigkeit einer Gewerbeanmeldung zuguns-ten von Scientology zumindest unterstellt, dass es sich um eine Weltanschauungsgemeinschaft handele. 47 Demgegenüber hat das Bundesarbeitsgericht die Anwendbarkeit des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG auf Scientology verneint. 48 Die Bewertung der Arbeitsleistungen eines ehemaligen Angehörigen von Scientology unterfiel damit uneingeschränkt dem Arbeitsrecht. Religion im Verfassungskontext wird definiert als ein alle Aspekte des Daseins umfassendes Sinnsystem, das Antworten gibt auf die Fragen nach dem Sinn der Welt, insbesondere nach dem Sinn menschlichen Lebens und Sterbens und in dieser Perspektive 46 47 48
S. oben unter II. 7. BVerwG, Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht 1995, 473. BAG, Neue Juristische Wochenschrift 1996,143.
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nach dem richtigen Leben. 49 Aufgrund der religiösen Neutralität der Rechtsordnung wie auch der Gerichte ist auszugehen vom Selbstverständnis der jeweiligen Gemeinschaft. 50 Andererseits genügt nicht deren bloße Behauptung. 51 Das tatsächliche Erscheinungsbild muss dem Typus einer Religion entsprechen. 52 Das Bundesverfassungsgericht verweist hierfür auf die aktuelle Lebenswirklichkeit, auf die Kulturtradition sowie auf das allgemeine und das religionswissenschaftliche Verständnis. 53 Das Selbstverständnis wird damit einer formalen Plausibilitätskontrolle unterzogen. Als erste Verfassung in der deutschen Geschichte stellt das Grundgesetz Weltanschauungen in ihrem Schutz Religionen gleich. Die Abgrenzung zwischen Religion und Weltanschauung wird wiederum typisierend vorgenommen an den Merkmalen der Transzendenz und Immanenz. 54 Transzendenz als Merkmal einer Religion bedeutet, dass ihr Kern etwas „Heiliges", dem Menschen Unverfügbares und letztlich Unbegreifliches ist, etwas, das das menschliche Verständnis übersteigt. Demgegenüber bleibt eine Weltanschauung in ihrer Welterklärung innerweltlich: Immanenz. Ob diese Abgrenzung tatsächlich tragfähig ist, ist umstritten, 55 kann jedoch dahingestellt bleiben. Entscheidend ist, dass von einer Weltanschauungsgemeinschaft nur die Rede sein kann, wenn es sich um ein Sinnsystem handelt, welches in vergleichbarer Weise wie eine Religion das gesamte Leben erfasst. Einzelne Techniken der persönlichen Entfaltung und Vervollkommnung oder auch Einzelfragen betreffende Überzeugungen, die nicht im Kontext eines welterklärenden Gesamtsystems stehen, wie etwa die Ablehnung von Fleischverzehr aus reiner Tierliebe, reichen nicht aus. 56 49 BVerwGE 61,152,154 f. so BVerfGE 24, 236, 247 („Rumpelkammer"). 51 BVerfGE 83, 341,1. Leitsatz („Bahä'i"). 52 Morlok (Fn. 25), Art. 4 Rn. 80. 53 BVerfGE 83, 341, 353. 54 Siehe zur Unterscheidung BVerfGE 32, 98, 107; BVerwGE 61, 152, 156; 90,112,115. 55 Vgl. zum Meinungsstand Mager (Fn. 10), Art. 4 Rn. 14. 56 BVerwGE 82, 76, 78; Mager (Fn. 10), Art. 4 Rn. 14; a. A. Ulrich K. Preuß, in: Rudolf Wassermann (Gesamthrsg.) / Erhard Denninger / Wolfgang Hoffmann-Riem / Hans-Peter Schneider / Ekkehart Stein (Hrsg.),
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Solche Uberzeugungen können ggf. Schutz durch die Gewissensfreiheit genießen.57
b) Einheitlicher oder differenzierter Schutzbereich am Beispiel des Schächtens Eine andere Frage ist, ob der Schutzbereich der Religions- und Weltanschauungsfreiheit mit den Begriffen „Glauben", „Bekenntnis" und „Religionsausübung" nur Teilbereiche religiösen Lebens oder umfassend die gesamte religiös motivierte Lebensführung schützt. Das Bundesverfassungsgericht geht seit seiner „Aktion Rumpelkammer"-Entscheidung aus dem Jahre 196858 in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass Art. 4 Abs. 1 und 2 GG als ein einheitliches Grundrecht die religiös motivierte Lebensführung umfassend schützt. Der Ausgangsstreit beruhte auf der Klage eines gewerblichen Altmaterialsammlers, der sich, gestützt auf das Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb, gegen das karitative Lumpensammeln und den von den Kanzeln verkündeten kirchlichen Aufruf dazu wandte. Die Zivilgerichte hatten der Klage stattgegeben.59 Das Bundesverfassungsgericht ordnete das karitative Lumpensammeln der Religionsausübung zu, was von den Zivilgerichten verkannt worden sei. 60 Bei dieser weiten Auslegung des Schutzbereichs verschwimmt die Abgrenzung zur allgemeinen Handlungsfreiheit. Dies hat wiederum Konsequenzen, weil die allgemeine Handlungsfreiheit einem einfachen Gesetzesvorbehalt unterliegt, d. h. durch jede vernünftige Erwägung des Gemeinwohls eingeschränkt werden kann. Demgegenüber ist die Religionsfreiheit, zumindest wenn man nur auf Art. 4 Abs. 1 und Kommentar zum Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Reihe Alternativkommentare, Art. 4 Rn. 14 (Grundwerk 2001). 57 So Reinhold Zippelius , in: Rudolf Dolzer / Klaus Vogel / Karin Graßhof (Hrsg.), Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Art. 4 Rn. 94 (58. Lfg. Dez. 1989); Mager (Fn. 10), Art. 4 Rn. 14. 58 BVerfGE 24,236 ff. 59 L G Düsseldorf, Neue Juristische Wochenschrift 1966, 2219. 60 BVerfGE 24, 236, 251.
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2 GG schaut, vorbehaltlos gewährt und kann nach Auffassung des Bundesverfassungsgericht nur durch Grundrechte Dritter oder andere Werte von Verfassungsrang eingeschränkt werden. 61 Dieser Zusammenhang könnte dafür von Bedeutung gewesen sein, dass das Bundesverwaltungsgericht das Schächten von Rindern nach muslimischem Ritus durch einen muslimischen Metzger nicht der Religionsfreiheit zugeordnet hat. 62 Die auf dem Tierschutzgesetz beruhende Erforderlichkeit von Ausnahmegenehmigungen für das Schächten, die eng begrenzt ist, hätte dann nämlich auf einen Wert von Verfassungsrang gestützt werden müssen. Der Tierschutz war als solcher jedoch in der Verfassung nicht erwähnt - er ist erst 2002, nach dem Schächturteil des Bundesverfassungsgerichts 63 - in Art. 20a eingefügt worden. Die gesamte Ausnahmeregelung hätte nach damaliger Rechtslage womöglich als verfassungswidrig beurteilt werden und das Bundesverwaltungsgericht hätte die Frage dem Bundesverfassungsgericht vorlegen müssen. Das Bundesverfassungsgericht hat das Schächten primär der Berufsfreiheit bzw. - weil es sich um einen türkischen Metzger handelte und die Berufsfreiheit ein Deutschengrundrecht ist auffangweise der allgemeinen Handlungsfreiheit zugeordnet, die einem allgemeinen Gesetzesvorbehalt unterliegt. Bei der weiteren Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des Eingriffs in die allgemeine Handlungsfreiheit durch die Versagung einer Ausnahmegenehmigung vom Schächtverbot sei jedoch der hohe Rang der Religionsfreiheit zu berücksichtigen. Dies habe das Bundesverwaltungsgericht bei der Auslegung der Ausnahmebewilligung verkannt. Das Bundesverwaltungsgericht hatte die gesetzliche Voraussetzung für die Ausnahmebewilligung, namentlich die, dass es sich um eine zwingende Regel einer Religionsgemeinschaft handeln muss, hinsichtlich des Schächtens in Bezug auf den Islam insgesamt beurteilt und verneint. Demgegenüber betont das Bundes61 BVerfGE 32, 98, 107 f.; 33, 23, 29; 44, 37, 49 f. Zur Kritik s. oben bei Fn. 35, 45 f. 62 BVerwGE 99, 1 ff.; 112, 227. 63 BVerfG, Neue Juristische Wochenschrift 2002, 663 ff.; Neue Juristische Wochenschrift 2002, 1485.
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Verfassungsgericht, dass es vielmehr auf die konkret von dem Metzger bediente Glaubensgemeinschaft und deren Selbstverständnis und Uberzeugung ankomme. Des Weiteren sei es unzumutbar, die Muslime auf die von der Religion nicht verbotene Möglichkeit zu verweisen, kein Fleisch zu verzehren oder aber geschächtetes Fleisch zu importieren. Meiner Meinung nach ist es im Lichte der Religionsfreiheit als eines umfassenden Schutzes religiöser Lebensführung nicht nachvollziehbar, weshalb das Lumpensammeln unmittelbar, das Schächten jedoch nur auf Umwegen der Religionsfreiheit zuzurechnen sein soll. Mir scheint, dass gerade die Weite und die Lösung vom Wortlaut Vorverständnissen Raum gibt. Ein differenziertes Verständnis des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG, das zwischen der Glaubensfreiheit, der Bekenntnisfreiheit und der Religionsausübungsfreiheit unterscheidet, zwingt dagegen zu genauerer Begründung und erlaubt sehr viel ungezwungener die Einordnung der genannten Phänomene. Es ist damit präziser und vermeidet Privilegierungen ebenso wie Schutzlücken. Glaubensfreiheit ist bei differenzierter Auslegung in Abgrenzung zu den anderen Aspekten der Religionsfreiheit der Schutz der Uberzeugung selbst. Bekenntnisfreiheit ist der Schutz der öffentlichen Äußerung dieser Uberzeugung einschließlich der Werbung für den Glauben, und Religionsausübungsfreiheit ist der Schutz der kultischen Handlungen im engeren Sinne, also insbesondere des Gottesdienstes.64 Vor diesem Hintergrund ist nicht das religiös motivierte Lumpensammeln als Religionsausübung geschützt, sondern die Glaubensüberzeugung, seinen Mitmenschen helfen zu sollen. Die Beurteilung dieser Motivation als gewerblich unlauter stellt den Eingriff in die Glaubensfreiheit dar. In Bezug auf das Schächten ist es die Glaubensüberzeugung, nur geschächtetes Fleisch essen zu dürfen, die dem Schutz der Glaubensfreiheit unterliegt. Das Verbot des Schächtens trifft diese Glaubensüberzeugung direkt und unmittelbar. Ein Eingriff in die Glaubensfreiheit ist unproblematisch zu bejahen. Uber die Verfassungswidrigkeit des Eingriffs ist damit noch nicht das letzte Wort gesprochen. 64 Ausführlicher dazu: Mager (Fn. 10), Art. 4 Rn. 17, 33, 55.
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Demgegenüber ist die gesetzliche Pflicht, den Verkauf von Büchern als Gewerbe anzumelden, für Gewerbetreibende ebenso verbindlich wie für eine religiöse Gemeinschaft. Die Anmeldepflicht berührt weder den Schutzbereich der Glaubensfreiheit - sofern der Glauben nicht die Überzeugung umfasst, Bücher verkaufen zu müssen - noch der Bekenntnisfreiheit - weil diese zwar das Verteilen von Büchern mit religiösen Inhalten, nicht aber den Verkauf schützt - noch der Religionsausübungsfreiheit - da Bücherverkauf wohl kaum eine Hinwendung zum Heiligtum der Religion zum Inhalt hat. Die Notwendigkeit einer Sondernutzungserlaubnis und insbesondere deren Versagung kann dagegen einen Eingriff in die Bekenntnisfreiheit einer religiösen Gemeinschaft darstellen, die in der Weise missioniert, dass sie auf Straßenland Büchertische aufstellt, um Bücher über ihren Glauben zu verbreiten. Es stellt sich dann die Frage nach der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung eines solchen Eingriffs.
c) Schranken am Beispiel der wirtschaftlichen Betätigung Nach der Schrankendogmatik des Bundesverfassungsgericht dürfte das Straßen- und Wegerecht in diesen Fällen - also einer Straßenland in Anspruch nehmenden Missionierung - nur zum Schutze von anderen Werten von Verfassungsrang zur Anwendung gebracht werden. Sicherheit und Leichtigkeit des Straßenverkehrs und des Gemeingebrauchs, Umweltschutz und Verteilungsgesichtspunkte müssten also verfassungsrechtlich aufgeladen werden. Die Möglichkeiten der Versagung wären gegenüber Bücherständen, die anderen Zwecken dienen, sei es gewerblichen oder altruistischen, eingeschränkt. Es stellt sich die Frage, ob hierin eine Privilegierung religiös motivierter Betätigungen liegt, die von der Religionsfreiheit als Abwehrrecht gegenüber staatlichen Beeinträchtigungen gar nicht gefordert ist. Dieses Problem der begünstigenden Ungleichbehandlung gen der Verfolgung religiöser Zwecke stellt sich nicht, wenn - wie zunehmend in der rechtswissenschaftlichen Literatur treten wird - den Art. 136 WRV als Schrankenregelung zur
weman verAn-
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wendung bringt. 65 Danach gelten die gesetzlichen Pflichten unabhängig von der Ausübung der Religionsfreiheit. Ihre Geltung ist weder bedingt noch beschränkt durch religiöse Überzeugungen. Schon nach dem Wortlaut, erst recht aber angesichts der Bindung des Gesetzgebers an das Diskriminierungsverbot und an die Religionsfreiheit ist vorausgesetzt, dass diese Pflichten ihrerseits in ihrer Formulierung, in ihrem Zweck und in ihrer Wirkung religions- und weltanschauungsneutral sind. Nur wenn eine gesetzliche Pflicht trotz neutraler Formulierung und Zweckverfolgung ausnahmsweise religiös motiviertes Verhalten stärker beeinträchtigt als das äußerlich gleichartige, jedoch nicht religiös motivierte Verhalten, bedarf es einer Ausnahme. Vor diesem Hintergrund sind die gewerberechtlichen sowie straßenrechtlichen Regelungen uneingeschränkt auch auf religiös motivierte Betätigungen anzuwenden. Die Notwendigkeit einer Sondernutzungserlaubnis oder einer Gewerbeanmeldung ist religionsneutral formuliert, verfolgt Zwecke der öffentlichen Sicherheit und Ordnung und trifft weder Glaubensüberzeugungen noch religiöse Betätigungen gravierender als andere. Dagegen verfolgt das Tierschutzgesetz mit dem Verbot, Wirbeltiere ohne Betäubung zu töten, zwar auch einen legitimen Zweck. Es wirkt sich gegenüber Religionsgemeinschaften und -angehörigen, deren Glaube den Verzehr nur von geschichteten Tieren erlaubt, jedoch härter aus als gegenüber anderen. Insoweit bedarf es einer Ausnahmegenehmigung, die in ihrem Umfang wiederum dem Tierschutz so weit wie möglich Rechnung tragen muss.
d) Grundrechtsgeltung zwischen Privaten am Beispiel des Missionierens Bereits am Beispiel der muslimischen Verkäuferin im Konflikt mit ihrem Arbeitgeber 66 wurde auf die Frage der Grundrechtsgeltung zwischen Privaten eingegangen. Für diese Konstellation ist noch nachzutragen, dass die Bekenntnisfreiheit das Missionieren umfasst. Dies ist allerdings beschränkt auf das Überzeugen mit 65 So Mager (Fn. 10), Art. 4 Rn. 48 m. w. N . 66 BVerfG, Neue Juristische Wochenschrift 2003, 2815 ff.
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Mitteln der geistigen Auseinandersetzung. 67 Nicht mehr von der Bekenntnisfreiheit gedeckt war der Fall, dass ein Gefängnisinsasse einem Mitgefangenen Tabak als Gegenleistung für den Kirchenaustritt versprach. 68 Auch die Ausnutzung eines Abhängigkeitsverhältnisses überschreitet die Grenzen zulässiger Glaubenswerbung. Eine praktisch weitgehend rechtsfreie Zone mag hier innerhalb von Familien bestehen, wenn die Kinder von Gesetzes wegen mit 14 Jahren die Religionsmündigkeit erreicht haben, aufgrund ihrer tatsächlichen und emotionalen Abhängigkeit jedoch den elterlichen Vorstellungen vom richtigen religiösen Leben ausgesetzt und vielfach unterworfen bleiben. e) Grundrechtsausgleich zwischen Privaten in staatlich organisierten Bereichen Der Ausgleich zwischen verschiedenen religiösen Uberzeugungen verkompliziert sich, wenn diese Überzeugungen in einem Bereich aufeinander stoßen, der staatlicherseits organisiert ist. Das Bundesverfassungsgericht spricht hier von der Notwendigkeit, einen Ausgleich zwischen positiver und negativer Religionsfreiheit herzustellen. Mit positiver Religionsfreiheit ist die aktive Betätigung religiöser Überzeugung gemeint, etwa durch ein Gebet im Rahmen der Schule, mit negativer Religionsfreiheit, das Recht seine Glaubensüberzeugung nicht bekunden zu müssen, auch nicht durch Nichtteilnahme. Entscheidend ist es zu akzeptieren, dass unser Religionsverfassungsrecht nicht laizistisch ist, der Staat seine Neutralität daher noch nicht dadurch aufgibt, dass in staatlich organisierten Bereichen Raum für religiöse Bekundungen eröffnet wird. 6 9 Erst dann, wenn es nicht mehr nur um staatliches Zulassen geht, sondern um aktive einseitige Förderung und Unterstützung ist das Gebot der staatlichen Neutralität verletzt. Dementsprechend hat das Bundesverfassungsgericht es in den Fällen Schulgebet70 und Tischgebet im Kindergarten 71 für ent67 68 69 70
Herzog (Fn. 27), Art. 4 Rn. 84; Mager (Fn. 10), Art. 4 Rn. 34. BVerfGE 12, 1 ff. Starck (Fn. 25), Art. 4 Rn. 9. BVerfGE 52, 223 ff.
71 BVerfG, Neue Juristische Wochenschrift 2003, S. 3468 ff.
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scheidend gehalten, dass diejenigen, die an diesem Gebet nicht teilnehmen wollen, diesem in zumutbarer Weise fernbleiben können. Wesentlich ist außerdem, dass es sich um ein religiöses Angebot handelt, das von einer Vielzahl gewünscht, im Idealfall von diesen selbst angeregt ist. Es genügt aber, wenn die Schul- bzw. Kindergartenleitung davon ausgehen kann, mit dem Angebot dem Wunsch einer Vielzahl von Eltern und Schülern nachzukommen. Gerade in der fehlenden Möglichkeit des Fernbleibens lag das Problem im Kruzifix-Fall. 72 Weil ein Fernbleiben aus dem Klassenzimmer ausgeschlossen war, konnte die Anwesenheit auch nicht als stillschweigende Zustimmung zum Kruzifix gewertet werden. Damit ließ sich das Kreuz nicht mehr als Ausdruck der aktiven Religionsfreiheit der Mehrheit ausgeben. In diesem Fall ging es somit gar nicht - wie überwiegend angenommen - um den Ausgleich zwischen sog. positiver und negativer Bekenntnisfreiheit. Es handelte sich schlicht um einen Verstoß gegen das Gebot staatlicher Neutralität. 73 Noch schwieriger liegt der Fall bei der muslimischen Lehrerin, die ihrer Glaubenszugehörigkeit durch Tragen einer Kopfbedeckung Ausdruck gibt. 7 4 Die Lehrerin ist - anders als das staatlicherseits aufgehängte Kreuz - eine Person mit amtlicher Funktion und persönlicher Identität. Die Frage ist, ob die Einräumung der amtlichen Funktion mehr und anderes ist, als den Ausdruck der persönlichen Glaubensüberzeugung zuzulassen. Manche sind der Auffassung, dass es einem Amtsträger im amtlichen Kontext von vornherein verwehrt ist, seine Glaubenszugehörigkeit zum Ausdruck zu bringen, andere vertreten die Meinung, dass diese Frage aus der Sicht der Grundrechtsbetroffenheit der Amtsunterworfenen zu beantworten ist. Da das Bundesverfassungsgericht die Frage den Landesgesetzgebern zur 72 BVerfGE 93,1 ff. 73 Mager (Fn. 10), Art. 4 Rn. 41; dieselbe (Fn. 19), 275, 294; Gerhard Czermak , Der Kruzifix-Beschluss des Bundesverfassungsgerichts, seine Ursachen und seine Bedeutung, in: Neue Juristische Wochenschrift 1995, 3348 ff.; Ludwig Renk, Zum rechtlichen Gehalt der Kruzifix-Debatte, in: Zeitschrift für Rechtspolitik 1996, 16 ff.; Martin Kutscha, Grundrechte als Minderheitenschutz, in: Juristische Schulung 1998, 673, 676. 74 BVerfGE 108, 282 ff.
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Regelung überlassen hat, 75 will auch ich hier nicht mit der Behauptung auftreten, die Verfassung schreibe eine Lösung zwingend vor. Wesentlich ist bei jeglicher Regelung der Gesichtspunkt der Gleichbehandlung aller Religionen und Weltanschauungen.
IV. Fazit und Ausblick Als Fazit aus den vorangegangenen Ausführungen sei abschließend hervorgehoben: Unser Religionsverfassungsrecht verlangt vom Staat Neutralität und in der Gesellschaft Toleranz. Intoleranz kann und darf der neutrale Rechtsstaat nicht dulden. Die persönliche Uberzeugung von dem einen heilsbringenden Weg ist verfassungsrechtlich geschützt, auch der Versuch andere auf diesen Weg zu bringen oder auf ihm zu halten ist erlaubt, dies jedoch nur mit den Mitteln der geistigen Auseinandersetzung. Die Tatsache, dass andere Menschen andere Wege ebenso ausschließlich für richtig halten, ist zu ertragen und hinzunehmen. Dies gilt auch innerhalb der Familien, jedenfalls sofern die Kinder religionsmündig sind. Allerdings stößt hier das Recht in seinen Durchsetzungsmöglichkeiten an tatsächliche Grenzen. In den oben genannten konfliktträchtigen Bereichen kann dem Bundesverfassungsgericht attestiert werden, dass es der Religionsfreiheit auch und gerade als Minderheitenschutz im Ausgleich mit den Uberzeugungen der Mehrheit zur Durchsetzung verholfen hat. Es hat sich damit in vorbildlicher Weise als Exponent eines religiös neutralen wie auch religiös aufgeschlossenen Verfassungsstaates erwiesen. Da in der Zukunft weniger denn je mit religiöser Homogenität zu rechnen ist, bleibt es in dieser Funktion weiterhin gefordert, so wie wir im Nachdenken über Toleranz.
75 BVerfGE 108, 282, 309 f., siehe Analyse bei Mager (Fn. 19), 275 ff.
Religionsfreiheit zwischen Diskriminierungsverbot und Toleranzgebot Von Beate Rudolf * I. Einführung Religionsfreiheit, Diskriminierungsverbot und Toleranzgebot sind miteinander verbundene Konzepte, die zugleich in einem Spannungsverhältnis zueinander stehen. Im Folgenden soll dieses Spannungsverhältnis vermessen werden. Dabei konzentriert sich die Betrachtung auf drei Konfliktkonstellationen, welche gegenwärtig im Mittelpunkt verfassungs- und rechtspolitischer Diskussionen stehen. Sie ermöglicht auch allgemeine Schlussfolgerungen, die abschließend gezogen werden sollen. Die erste Konfliktkonstellation umfasst Differenzierungen zwischen einzelnen Religionsgemeinschaften oder ihren Angehörigen durch den Staat. Beispiel hierfür ist das Verbot religiöser Symbole in öffentlichen Schulen, von dem bestimmte Religionsgemeinschaften ausgenommen sind. Hier stellt sich die Frage, ob und ggf. welche Unterschiede der Staat im Umgang mit Religionsgemeinschaften machen darf und welche Unterscheidungen verboten sind - also Diskriminierungen im Rechtssinne sind. Weiter ist nach der Bedeutung des Toleranzgebots für die Beantwortung der Frage zu forschen - zwingt es zu bestimmten Unterscheidungen oder verbietet es andere? Die zweite Fallgruppe ist die Ungleichbehandlung von Angehörigen einer Religionsgemeinschaft durch Privatpersonen. Wenn etwa eine Vermieterin Zimmer nur an katholische Studierende vermietet oder ein Arbeitgeber eine Muslima wegen ihres Kopf* Meinen studentischen Mitarbeitern Elisa Hoven und Benjamin Feyen danke ich für ihre wertvolle Unterstützung bei der Literaturrecherche. 14 Mahlmann / Rottleuthner
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tuchs nicht einstellt, fragt sich, ob und ggf. wie die Rechtsordnung hierauf reagieren kann oder gar muss. Hat das Diskriminierungsverbot Drittwirkung oder erlegt es dem Staat eine Pflicht auf, solche Diskriminierungen zu verhindern? Beschränkt das Toleranzgebot die Handlungsfreiheit der handelnden Privatpersonen? Die dritte Konfliktkonstellation erfasst Differenzierungen durch Religionsgemeinschaften und ihre Angehörigen zulasten von Anders- oder Nichtgläubigen, etwa wenn ein evangelischer Kindergarten nur evangelische Erzieher und Erzieherinnen einstellt oder ein moslemisches Internat sich weigert, einen atheistischen Hausmeister einzustellen. Im Unterschied zur zweiten Fallgruppe trifft der Handelnde Unterscheidungen aufgrund seiner eigenen religiösen Uberzeugungen oder Gebote. Senkt dies bei der Abwägung der widerstreitenden Rechtspositionen die Waagschale zugunsten der Zulässigkeit einer Ungleichbehandlung?
II. Normative Grundlagen U m rechtliche Lösungen für die Problemkonstellationen zu entwickeln, ist zunächst Klarheit über die drei zentralen Konzepte „Religionsfreiheit", „Diskriminierungsverbot" und „Toleranzgebot" zu gewinnen. Ihre Herkunft, normative Verankerung, Inhalt und Stellung in der deutschen Rechtsordnung werden daher nachfolgend im Blick auf die übergeordnete Fragestellung betrachtet. 1. Religionsfreiheit Die Religionsfreiheit zählt zu den „klassischen" bürgerlichen Grund- und Menschenrechten; das Grundgesetz schützt sie in Art. 4 als Jedermannsrecht. Es knüpft damit an die Weimarer Reichsverfassung an (Art. 135 WRV) 1 und lehnt wie diese eine Beschränkung auf deutsche Staatsangehörige ab, wie sie etwa noch die Paulskirchenverfassung enthielt (Art. 144)2. Es ist heute 1 Reichsgesetzblatt (RGBl.) 1919, S. 1383. 2 Reichsgesetzblatt (RGBl.) vom 28.4. 1849, 16 tes Stück. Hingegen enthielten weder die amerikanische Bill of Rights von 1776 (inkorporiert in
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allgemein anerkannt, dass Art. 4 GG trotz seiner Zweiteilung in die Freiheit, eine Religion oder Weltanschauung zu haben (Abs. 1 - sog. forum internum), und die Ausübungsfreiheit (Abs. 2 - sog. forum externum) ein einheitliches Grundrecht ist, welches in seiner Gesamtheit dem ungeschriebenen Vorbehalt der verfassungsimmanenten Schranken - und nur diesem - unterliegt. 3 Der Versuch, über die Hintertür des fortgeltenden Staatskirchenrechts aus der Weimarer Reichsverfassung einen einfachen Schrankenvorbehalt zu konstruieren, 4 ist zu Recht vom Bundesverfassungsgericht mit deutlichen Worten zurückgewiesen worden. 5 Damit richtet das Grundgesetz seinem Wortlaut nach höhere Schranken auf als etwa der Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte (IPBPR) 6 in Art. 18, die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) 7 in Art. 9 oder die - noch unverbindliche - Grundrechtecharta der EU. 8 Letztere enthält eine weitreichende Einschränkungsmöglichkeit zugunsten des Gemeinwohls, 9 die allerdings im Lichte der völkerrechtlichen Menschenrechte restriktiv auszulegen ist. 10 IPBPR und EMRK schützen indes nur das forum internum schrankenlos und unterwerfen die Verfassung der USA als 1 s t amendment) noch die französische Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte von 1789 (Art. 8) eine derartige Beschränkung. 3 Vgl. statt vieler Juliane Kokott y in: Michael Sachs (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar, 3. Aufl. München 2003, Rn. 10 zu Art. 4, und Ute Mager, ; in: Ingo v. Münch / Philip Kunig (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. 1, 5. Aufl. München 2000, Rn. 9 zu Art. 4, beide m. w. N . 4 BVerwGE 112,227. 5 BVerfG, Neue Juristische Wochenschrift 2002, S. 663. 6 Vom 16. 12. 1966, Bundesgesetzblatt (BGBl.) 1973 II, S. 1534. 7 Vom 4.11.1950 i. d. F. vom 17.5.2002, Bundesgesetzblatt (BGBl.) 2002 II, S. 1054. 8 Vom 7.12.2000, Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaft (ABl. EG) C 364/1. 9 Hierzu Martin Borowsky y in: Jürgen Meyer (Hrsg.), Die Charta der Grundrechte der Europäischen Union - Kommentar zur Charta der Grundrechte der Europäischen Union, Baden-Baden 2003, Rn. 15 zu Art. 52, und Thomas Schmitz , Die Grundrechte-Charta, Europarecht 2004, S. 691-714(709). 10 Vgl. auch Art. 52 Abs. 3 Grundrechte-Charta. 1*
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die Ausübungsfreiheit einem qualifizierten Gesetzesvorbehalt. Wenn sich diese Schranken auch im Ergebnis weitgehend mit den verfassungsimmanenten Schranken decken mögen, 11 bleibt doch der unterschiedliche Maßstab bedeutsam, an dem eine Einschränkung des forum externum gemessen wird: Nach dem Grundgesetz muss diese eine Ausnahme bleiben, weil das Grundrecht „eigentlich" schrankenlos ist und der Staat es deshalb nur in Verfolgung eines besonders wichtigen, verfassungsrechtlich verankerten Ziels beschränken darf. Den Staatsorganen wird damit also auferlegt, ihre Zielsetzung in jedem Einzelfall auf den Prüfstand zu stellen, während die völkerrechtlichen Gewährleistungen der Religionsfreiheit ihnen z.T. weit gefasste Zielsetzungen zugestehen, 12 welche erst im Rahmen einer Verhältnismäßigkeitsprüfung eingeschränkt werden. Die Schrankenlosigkeit der Religionsfreiheit nach dem Wortlaut des Grundgesetzes wirkt somit zugleich als psychische Hemmschwelle für Eingriffe durch staatliche Akteure und intendiert diese Wirkung auch. Die Formulierung der Religionsfreiheit als schrankenloses Grundrecht ist außerdem Ausdruck des besonderen Ranges dieses Grundrechts im Wertesystem des Grundgesetzes: Das Recht, sein Leben nach den Vorgaben der frei gewählten Religion oder Weltanschauung auszurichten, steht in engem Zusammenhang mit der Menschenwürde, dem Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit und dem Gleichheitssatz. Wenn auch - wie noch Georg Jellinek in Verkennung der historischen Entwicklung annahm 13 die Religionsfreiheit nicht Grundlage aller Menschenrechte ist, so ist sie doch mit der Menschenwürde als Geltungsgrund aller Menschenrechte in besonderer Weise verwoben: Die Entschei11
Unterschiede sind etwa bei Beschränkungen aus Gründen des Tierschutzes denkbar. Umfassend zum Verhältnis der verschiedenen Schranken der Religionsfreiheit Christian Walter ; in: Rainer Grote/Thilo Marauhn (Hrsg.), Konkordanzkommentar zum europäischen und deutschen Grundrechtsschutz, Tübingen 2006, Kap. 15. 12 Beispielsweise „Schutz der öffentlichen Ordnung" oder „Schutz der Moral" in Art. 9 Abs. 2 EMRK oder „Schutz der Ordnung" und „Schutz der Sittlichkeit" in Art. 18 Abs. 3 IPBPR. 13 Georg Jellinek , „Zur Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte" (1895) in: Roman Schnur (Hrsg.), Zur Erklärung der Geschichte der Menschenrechte, in: Wege der Forschung, Bd. X I , Darmstadt, 1964, S. 5 ff.
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dung für oder gegen eine bestimmte Religion oder Weltanschauung ist Entscheidung über den Sinn des eigenen Lebens und des menschlichen Lebens allgemein, zugunsten bestimmter moralischer Wertungen und eines Menschenbildes. Dies sind Fragen, welche das Selbstverständnis, den Eigenwert eines Menschen fundamental betreffen. Die grundgesetzliche Garantie der Menschenwürde zielt auch und gerade auf die Anerkennung jedes Einzelnen in seiner so geformten Individualität. 14 Religiosität oder weltanschauliches Bekenntnis ist persönlichkeitsformender Faktor und zugleich persönlichkeitsgeformte Eigenschaft, d. h. Ausdruck der individuellen Persönlichkeit und abhängig von ihr. Staatliche Vorgaben, die die Lebensgestaltung entsprechend diesen Überzeugungen einschränken, können deshalb den Kern der Persönlichkeit treffen und sind aus diesem Grunde besonders genau zu kontrollieren. Systematische und teleologische Erwägungen führen nach alledem zu einem Verständnis von Religionsund Weltanschauungsfreiheit als einem Grundrecht von herausgehobenem Rang. 2. Verbot der Diskriminierung aufgrund der Religion oder Weltanschauung Das Verbot der Diskriminierung aufgrund der Religion oder Weltanschauung ist in Deutschland in Art. 3 Abs. 3 GG festgeschrieben. Es schränkt den wertungsoffenen allgemeinen Gleichheitssatz ein, 15 welcher lediglich die Ungleichbehandlung von wesentlich Gleichem verbietet und gebietet, Ungleiches seiner Verschiedenheit entsprechend ungleich zu behandeln. Der allgemeine Gleichheitssatz überlässt also den staatlichen Gewalten die Festlegung dessen, was wesentlich gleich oder ungleich ist; Grenzen sind allein das Willkürverbot und - bei personenbezogenen Diskriminierungen - das Verhältnismäßigkeitsprin14
Wolfram Höfling , in: Sachs (Fn. 3), Rn. 44 zu Art. 1, mit Verweis auf Hasso Hofmann , Die versprochene Menschenwürde, Archiv des öffentlichen Rechts 118 (1993), S. 353-377 (369 f.). 15 Michael Sachs, Besondere Gleichheitsgarantien, in: Josef Isensee/ Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. V, 2. Aufl. Heidelberg 2000, § 126, Rn. 64.
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zip. 1 6 Das Diskriminierungsverbot schränkt diesen Wertungsspielraum dadurch ein, dass es untersagt, ein bestimmtes Merkmal als Grundlage für eine unterschiedliche, d. h. ungleiche, Behandlung heranzuziehen. Diskriminierungsverbote sind also Unterscheidungsverbote. Sie sind - wie alle Grundrechte - Reaktionen auf historische Erfahrungen, nämlich der Unterdrückung von Bevölkerungsgruppen. Dies zeigt ein Blick auf die im Grundgesetz benannten Diskriminierungsverbote: Geschlecht, Abstammung, „Rasse", Sprache, Heimat und Herkunft, Behinderung, und eben Glaube sowie religiöse oder politische Anschauungen. Sie stimmen weitgehend mit den Völker- und europarechtlichen Diskriminierungsverboten überein. 17 a) Rechtfertigungsmöglichkeiten Fraglich ist freilich die Reichweite dieser Unterscheidungsverbote: Verbieten sie jegliche Anknüpfung an das benannte Merkmal - sind sie also absolut - oder sind Rechtfertigungen denkbar ist das Diskriminierungsverbot mithin nur relativ? 18 Undenkbar erscheint die Rechtfertigung einer Benachteiligung aufgrund eines benannten Merkmals allein bei der „Rasse", weil es sich hierbei nicht um ein wissenschaftlich nachweisbares Kriterium handelt. 19 Bei allen übrigen Diskriminierungsverboten lassen sich hingegen 16 BVerfGE 92, 53 (68 f.); 97, 271 (290 f); allg. hierzu Manfred Gubelt, in: Münch / Kunig (Fn. 3), Rn. 14 zu Art. 3. 17 Rasse, Hautfarbe, Geschlecht, Sprache, Religion, Vermögen, politischen Anschauung, nationale oder soziale Herkunft (Art. 26 IPBPR, Art. 14 EMRK, Art. 1 des 12. Zusatzprotokolls (ZP) zur EMRK, Art. 21 EU-Grundrechtecharta); letztere nennt allein zusätzlich Behinderung, Alter, genetische Merkmale und sexuelle Ausrichtung. 18
Zu dieser Unterscheidung vgl. Michael Sachs, Grenzen des Diskriminierungsverbots, München 1987, S. 48; Lerke Osterloh, in: Sachs (Fn. 3), Rn. 239 f. zu Art. 3, und Günter Dürig, in: Theodor Maunz/Günter Dürig (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar, München (Loseblatt), Rn. 1 zu Art. 3 Abs. III. 19 Deutlich hierzu etwa die UN-Erklärung über die Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung: „Any doctrine of racial differentiation or superiority is scientifically false" (Resolution der UN-Generalversammlung 1904 (XVIII) vom 20. 11. 1963, Präambel, 5. Erwägungsgrund; Hervorhebung hinzugefügt).
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Fälle denken, i n denen die A n k n ü p f u n g an das benannte K r i t e r i u m vernünftig erscheint. 2 0 Dies spricht dafür, den besonderen Diskriminierungsverboten
nur einen relativen Charakter
bei-
zumessen. Dieses Verständnis liegt beispielsweise dem amerikanischen Verfassungsrecht zugrunde, das sehr anschaulich u n d treffend die Diskriminierungsmerkmale als „verdächtige" Kategorien („suspect classifications") bezeichnet. Wegen der Gefahr, dass bei Diskriminierungsverboten die Rechtfertigungsmöglichkeit missbraucht w i r d , sind die Anforderungen an die Rechtfertigungsgründe gesteigert: N i c h t jede vernünftige Erwägung vermag eine Ungleichbehandlung
aufgrund
eines benannten Merkmals
zu
rechtfertigen, sondern nur besonders wichtige Ziele u n d auch nur, w e n n die Ungleichbehandlung verhältnismäßig ist, d. h. insbesondere nicht außer Verhältnis zu dem verfolgten Ziel steht. 2 1 Bei der demnach vorzunehmenden Bestimmung der W i c h t i g keit eines Zieles u n d bei ihrer A b w ä g u n g m i t der Ungleichbe-
20 Z. B. Hautfarbe bei der Besetzung einer Theaterrolle, ethnische Herkunft als Entscheidungskriterium für den Einsatz eines Polizeibeamten als verdeckter Ermittler in einem ethnisch geprägten Milieu. Vgl. allgemein auch zur Rechtfertigungsmöglichkeit Werner Heun, in: Horst Dreier (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar, Bd. 1, 2. Aufl. Tübingen 2004, Rn. 2 5 45 zu Art. 3. 21
Für das deutsche Verfassungsrecht vgl. Hans D. Jarass, in: ders. / Bodo Pieroth, Kommentar zum Grundgesetz, 7. Aufl. München 2004, Rn. 92 zu Art. 3; für die EMRK vgl. Jochen Ahr. Frow ein / Wolf gang Peukert, EMRK-Kommentar, 2. Aufl. Kehl etc. 1996, Rn. 22 zu Art. 14 und Martina Wittinger; Die Gleichheit der Geschlechter und das Verbot geschlechtsspezifischer Diskriminierung in der EMRK, Europäische Grundrechte-Zeitschrift 2001, 272-279; für das europäische Gemeinschaftsrecht vgl. Mark Bell, Anti-Discrimination Law and the European Union, Oxford 2002. Noch differenzierter das amerikanische Verfassungsrecht („heightened scrutiny" bei Differenzierung aufgrund der „Rasse", „intermediate scrutiny" bei solcher aufgrund des Geschlechts), vgl. John E. Nowak / Ronald D. Rotunda, Constitutional Law, 6. Aufl. St. Paul 2000, 708-709 und 833-834. Hingegen hat der Menschenrechtsausschuss im Rahmen des IPBPR noch keine vergleichbare erhöhte Anforderung formuliert, vgl. Allgemeine Bemerkung Nr. 18 (1989), §§ 12-13, abgedruckt in: Deutsches Institut für Menschenrechte (Hrsg.), Die „General Comments" zu den VN-Menschenrechtsverträgen, Baden-Baden 2005, S. 80; und Manfred Nowak, U N Covenant on Civil and Political Rights. CCPR Commentary, 2. Aufl. Kehl etc. 2005, Rn. 48-52 zu Art. 26.
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handlung wirkt sich der Rang des Diskriminierungsverbots aus. Für das Verbot der religiösen Diskriminierung sind dabei zwei Überlegungen maßgebend: Erstens stehen, wie bereits angedeutet, Diskriminierungsverbot und Religionsfreiheit in einem engen Verhältnis. Während die Religionsfreiheit es dem Staat grundsätzlich verbietet, die Ausübung einer Religion oder Weltanschauung zu sanktionieren, versagt ihm das Diskriminierungsverbot bei ausnahmsweise zulässigen Beschränkungen der Religionsfreiheit eine Ungleichbehandlung einzelner Bekenntnisse oder Weltanschauungen. Dies dient aufgrund historischer Erfahrungen dem Schutz religiöser Minderheiten vor der Tyrannei der Mehrheit und vor einem damit verbundenen Assimilierungsdruck. Deshalb bestehen der zentrale Inhalt des Verbots der Diskriminierung aufgrund der Religion und seine innere Rechtfertigung darin, die Entscheidungsfreiheit des Einzelnen in Glaubensfragen zu gewährleisten. Es sichert so die freie Entfaltung der Persönlichkeit und damit die Autonomie jedes Menschen. Insoweit bildet das Diskriminierungsverbot das notwendige Korrelat zur Religionsfreiheit und teilt folglich mit dieser deren herausgehobene Stellung.
b) Diskriminierungsverbot und Menschenwürde Zweitens erfüllt das Diskriminierungsverbot eine darüber hinausgehende eigenständige Funktion, welche sich aus seiner inneren Verbindung mit dem Gleichheitssatz ergibt. Mit der Formulierung des Art. 3 Abs. 1 GG, „alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich", begründet das Grundgesetz nicht nur die Verpflichtung des Staates, Gleiches gleich zu behandeln, sondern es bringt - dem vorgelagert - den Grundwert der Gleichheit aller Menschen zum Ausdruck. Daher ist in den wesensbestimmenden Merkmalen des Mensch-Seins eine Differenzierung nicht zulässig; die Status- und Basisgleichheit aller Menschen ist absolut. 22 Gleichheit und Menschenwürde sind somit verschwistert: Menschenwürde bedeutet auch gleiche Würde aller Menschen. 22
Paul Kirchhof, Der allgemeine Gleichheitssatz, in: Isensee / Kirchhof (Fn. 15), § 124, Rn. 193.
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Während der Gleichheitssatz demnach eine unterschiedliche Behandlung in Fragen der Würde, der Rechtsfähigkeit und der sozialstaatlichen Existenzsicherung verbietet, 23 nehmen die speziellen Diskriminierungsverbote unveränderliche oder den Kernbereich der Persönlichkeit betreffende Merkmale in Bezug und verbieten grundsätzlich, diese zum Anknüpfungspunkt für eine Ungleichbehandlung zu machen. Auch dies ist ein Postulat der Menschenwürde: Weil der Rechtsunterworfene auf das Vorliegen oder den Inhalt von unveränderlichen Merkmalen - z. B. ethnische oder soziale Herkunft, Geschlecht oder Behinderung - keinen Einfluss hat, kann er sich seiner hieran anknüpfenden Schlechterstellung nicht entziehen. Deshalb missbilligt die Verfassungsordnung die rechtliche Differenzierung nach diesen Merkmalen. Dies gilt nicht nur für unveränderliche Merkmale, sondern auch für solche, die den Kernbereich der Persönlichkeit betreffen - Religion oder Weltanschauung - , weil die Möglichkeit der Änderung nur eine theoretische ist. Dem Betroffenen würde andernfalls abverlangt, einen für ihn konstitutiven Bestandteil der Persönlichkeit aufzugeben, um als Gleicher behandelt zu werden. Alle Diskriminierungsverbote basieren also auf der Anerkennung des Anderen in seinem Anderssein. Dieses Anderssein nimmt dem Anderen nichts von der Stellung als eines Gleichen: Ihm ist gleicher Respekt und gleicher Schutz geschuldet. Die Reichweite des durch die Diskriminierungsverbote ergänzten Gleichheitssatzes drückt Art. 1 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte treffend aus. Mit der Formulierung „Alle Menschen sind frei und an Würde und Rechten gleich geboren" bringt sie zum Ausdruck, dass Freiheit und Gleichheit keine Gegensätze sind, sondern einander ergänzen: Es geht um Gleichheit zur Freiheit, d. h. die Gewährleistung für jeden Menschen, die gleichen Möglichkeiten zur freien Entfaltung in der staatlich verfassten Gesellschaft zu haben. Dabei hat das Diskriminierungsverbot zwei Stoßrichtungen: zum einen verbietet es die Diskriminierung durch staatliche Gewalt, zum anderen nimmt es diese in die Pflicht, Diskriminierungen durch Privatpersonen zu verhindern und zu bekämpfen. Letzteres ist Ausdruck des grundrechtlichen 23 Kirchhof a. a. O. (Fn. 22), Rn. 199.
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Charakters der Diskriminierungsverbote, 24 die zwar - wie die übrigen Grundrechte - keine unmittelbare Drittwirkung entfalten, die aber jedenfalls eine Schutzpflicht des Staates begründen. Dies wird in den speziellen völkerrechtlichen Ubereinkommen zur Diskriminierungsbekämpfung besonders deutlich, welche ausdrücklich den Staat an das Diskriminierungsverbot binden und ihm gleichzeitig die Bekämpfung der Diskriminierung durch Private auferlegen. 25 Allerdings verfügt der Staat über einen Einschätzungsspielraum, welche Maßnahmen zur Diskriminierungsbekämpfung in Privatrechtsbeziehungen geeignet und wie sie auszugestalten sind. Hierum kreist die Debatte über Inhalt und Reichweite von Antidiskriminierungsgesetzen. 26
3. Toleranzgebot Auch das Toleranzgebot nimmt die Ausübung von Freiheit in der Gesellschaft und die zulässigen Reaktionen hierauf in den Blick. Sein Inhalt und seine Adressaten sind jedoch unklar, da es - anders als Religionsfreiheit und Diskriminierungsverbot nicht ausdrücklich im Grundgesetz niedergelegt ist. Hierbei lassen sich drei Standpunkte unterscheiden: Erstens die Ansicht, welche allein den Staat als durch das Toleranzgebot gebunden ansieht, zweitens die Meinung, wonach sich das Toleranzgebot nur an Privatpersonen richtet, und drittens die Position, welche Staat und Private als Adressaten des Toleranzgebots versteht. Herleitung und Inhalt des Toleranzgebots hängen von dem Standpunkt ab, welcher hinsichtlich des Adressaten eingenommen wird.
24 Zu der Schutzpflichtendimension des Art. 3 vgl. etwa Werner Heun, in: Dreier (Fn. 20), Rn. 66 zu Art. 3. 25 Vgl. etwa Art. 2 des Internationalen Ubereinkommens zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung, vom 21.12. 1965, BGBl. 1969 II, S. 962, und Art. 2 des Übereinkommens zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau, vom 18. 12. 1979, Bundesgesetzblatt (BGBl.) 1985 II, S. 648. 26 Hierzu im einzelnen unten III.2. und 3 (S. 229 ff. und 235 ff.).
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a) Denkbare Inhalte eines Toleranzgebots Ein nur staatsgerichtetes Toleranzgebot gebietet aller Staatsgewalt die Duldung der Uberzeugungen der Rechtsunterworfenen. 27 Nach einer etwas weitergehenden Ansicht konstituiert das Toleranzgebot über die bloße Duldungspflicht hinaus eine Pflicht zur Rücksichtnahme und Gleichbehandlung. 28 Beide Spielarten treffen sich in der Herleitung des Toleranzgebots aus den Grundrechten, insbes. der Religions- und der Meinungsfreiheit sowie dem Gleichheitssatz und dem Diskriminierungsverbot. Es kann dabei entweder als uneigenständiger Grundsatz verstanden werden, der lediglich gedanklich hinter den Grundrechten steht, 29 oder als selbständiges Verfassungsprinzip, welches bei der Verfassungsmäßigkeitsprüfung von Einschränkungen der Religionsoder Meinungsfreiheit in die Abwägung einzustellen ist. 3 0 Gegen die Charakterisierung des Toleranzgebots als staatsgerichtet ist jedoch einzuwenden, dass dieses Verständnis mit dem Ende des konfessionellen Staates seine Grundlage verloren hat. Toleranz bedeutet ihrem Wortsinne nach die Duldung eines anderen trotz dessen abweichender und als falsch abgelehnter Uberzeugung. 31 Der weltanschaulich und religiös neutrale Staat hat aber keine eigene Position in Fragen der Religion und Weltanschauung, erst recht keinen Wahrheitsanspruch, und kann daher auch keine Überzeugungen als falsch ablehnen.32 Unter dem 27 BVerfGE 5, 85 (138: grundsätzliche Toleranz des Staates gegenüber politischen Parteien); BVerfGE 12, 1 (3: Duldung der Lebensform, die der Einzelne seinen Glaubensüberzeugungen entsprechend gewählt hat). 28 BVerwGE 17,267(278). 29 So z. B. Ulrich Eisenhardt, Der Begriff der Toleranz im Öffentlichen Recht juristenzeitung 1968, S. 214-219 (219). 30 So etwa Walter Schmitt Glaeser ; Meinungsfreiheit, Ehrenschutz und Toleranz, Neue Juristische Wochenschrift 1996, S. 873-879 (879). 31
Jürgen Habermas , Intolerance and Discrimination, International Journal of Constitutional Law 1 (2003), S. 2 - 1 2 (3); Stefan Huster ; Toleranz als politisches Problem in der pluralistischen Gesellschaft, Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie 91 (2005), S. 20-35 (21 -22). 32 Friedrich E. Schnapp, Toleranzidee und Grundgesetz, Juristenzeitung 1985, S. 857-863 (860); Huster (Fn. 31), S. 25. In diesem Sinne auch die Differenzierung zwischen der „Erlaubnis-Konzeption" und der „Respekt-
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Grundgesetz ist für ein staatsgerichtetes Toleranzgebot also kein Raum mehr; allenfalls lässt sich dieser Begriff als terminologisch ungenaue Bezeichnung des staatlichen Neutralitätsgebots hinnehmen, der im Kern darauf abzielt, die hohe verfassungsrechtliche Bedeutung des staatlichen Neutralitätsgebots und des Diskriminierungsverbots zu betonen. Seine Bedeutung entfaltet das Toleranzgebot heute im Verhältnis zwischen Privatpersonen: Hier stoßen widerstreitende Wahrheitsansprüche aufeinander. Das Toleranzgebot verlangt nun aber nicht die Achtung vor der Uberzeugung des Anderen; diese darf entsprechend der eigenen Uberzeugung abgelehnt und kritisiert werden. Vielmehr verpflichtet das Toleranzgebot zur Achtung vor der Person des Anderen, weil ihr Menschenwürde und daher die gleiche Freiheit der Überzeugung zukommt. 33 Nur auf der Grundlage der so verstandenen gegenseitigen Toleranz ist ein friedliches Zusammenleben im pluralistischen Staat möglich. Toleranz ist als ethische Verhaltensmaxime 34 „reale Voraussetzung einer (.. .) freiheitlichen Gesellschaft" 35 . b) Herleitung eines Toleranzgebots im Verhältnis zwischen Privatpersonen Die Notwendigkeit gegenseitiger Toleranz genügt jedoch nicht, um die Rechtsverbindlichkeit eines an Privatpersonen gerichteten Toleranzgebots zu begründen. Es wird daher vorgeschlagen, dieKonzeption" der Toleranz von Rainer Forst, Grenzen der Toleranz, in: Winfried Brugger/Götz Haverkate (Hrsg.), Grenzen als Thema der Rechts und Staatsphilosophie, Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie Beiheft Nr. 84 (2002), S. 9 - 2 1 (13 f.). 33 Josef Isensee, Grundrechtsvoraussetzungen und Verfassungserwartungen an die Grundrechtsausübung, in: Josef Isensee/Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. VIII, Heidelberg 2000, § 125, Rn. 256. 34 Zu eng ist der Begriff „bürgerliche Verhaltenstugend", so aber Huster (Fn. 31), S. 26, mit Verweis auf Hermann Lübbe, weil nicht der Status als Bürger entscheidend ist, sondern diese Tugend jedem Mitglied der staatlich verfassten Gesellschaft abverlangt wird. 35
Winfried 2004, S. 50.
Hassemer; Religiöse Toleranz im Rechtsstaat, München
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ses Toleranzgebot entweder über die Drittwirkung eines staatsgerichteten Toleranzgebots abzuleiten, 36 oder es als Bestandteil eines unmittelbar verbindlichen verfassungsrechtlichen Grundkonsenses zu verstehen. 37 Jedoch stehen solche Konstruktionen im Widerspruch dazu, dass sich das Grundgesetz in bewusster Abkehr von der Weimarer Reichsverfassung gegen die Statuierung von Grundpflichten des Einzelnen entschieden hat. 38 Es bedarf indes einer verfassungsrechtlichen Pflicht des Einzelnen zur Toleranz gar nicht, da ihre Funktion sich darin erschöpft, staatliches Eingreifen bei Intoleranz und Vorsorge vor ihrem Entstehen zu rechtfertigen. Solches staatliche Handeln greift - rechtlich oder faktisch - in Grundrechte ein und ist daher rechtfertigungsbedürftig. Entscheidend ist mithin, ob das Toleranzprinzip als kollidierendes Verfassungsrecht angesehen werden kann und damit als verfassungsimmanente Schranke sogar die Beschränkung vorbehaltsloser Grundrechte erlaubt. Toleranz ist nach diesem Verständnis keine Rechtspflicht, sondern Obliegenheit. Dieser Ansatz führt in die umstrittene Frage, wie Verfassungsgüter herzuleiten sind. Lehnt man richtigerweise den Ansatz ab, aus allen im Grundgesetz benannten Gütern, Interessen, Regelungsbereichen und Kompetenzvorschriften solche Verfassungsgüter abzuleiten, 39 so bleibt nur der Weg über eine Anknüpfung an die materielle Verfassung und die Staatszwecke.40 Als deren erst36
So Hans-Jürgen Becker, „Toleranz", in: Staatslexikon, hrsg. von der Görres-Gesellschaft, Bd. 5, 7. Aufl. Freiburg 1989, Sp. 486. 37 Günter Püttner, Toleranz als Verfassungsprinzip, Berlin 1977, S. 22. 38 Vgl. den Titel des Zweiten Hauptteils „Grundrechte und Grundpflichten der Deutschen", insbes. Artt. 132-134 Weimarer Reichsverfassung (WRV) (Fn. 1). Statuiert werden dort freilich nur die Pflicht, Ehrenämter zu übernehmen, persönliche Dienste einschließlich des Wehrdienstes zu erbringen, und die Pflicht zum Beitrag zu den öffentlichen Lasten. Ähnlich wie hier Schnapp (Fn. 32), S. 860. 39 So aber etwa BVerfGE 28, 243 (261); 32, 40 (46); 53, 30 (56) und 69,1 (21); hiergegen z. B. die abweichende Meinung der Richter Böckenförde und Mahrenholz zu BVerfGE 69, 1 (59) und Bodo Pieroth, Materiale Rechtsfolgen grundgesetzlicher Kompetenz- und Organisationsnormen, Archiv des öffentlichen Rechts 114 (1989), S. 422 (431). 40
Hierzu im einzelnen: Josef Isensee, Das Gemeinwohl als vorverfassungsmäßige Idee des richtigen staatlichen Handelns, in: Josef Isensee/
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rangigen nennt A r t . 1 Abs. 1 S. 2 G G die Pflicht des Staates, die Menschenwürde zu achten u n d zu schützen. 4 1 Dieser Schutzaufgabe k o m m t der Staat durch Maßnahmen zur Bekämpfung v o n Intoleranz nach, also v o n Verhaltensweisen, die den gleichen personalen Wert bestimmter anderer Menschen leugnen. 4 2 Eine zweite Überlegung k o m m t hinzu: Ist Toleranz Verfassungsvoraussetzung des Rechtsstaates, 43 so rechtfertigt dies umgekehrt Handeln des Staates, welches diese Verfassungsvoraussetzungen zu erhalten sucht. 4 4 Dies ist die Grundlage für ein Verständnis des Staates als „ H ü t e r der T o l e r a n z " 4 5 . Es w i r k t sich zuvörderst i m staatlichen Erziehungsauftrag aus 4 6 u n d bildet die Leitlinie für den Ausgleich bei dem Aufeinanderstoßen der (positiven u n d negativen) Religionsfreiheit v o n Schülern u n d Eltern innerhalb der Schule. 4 7 Sei-
Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. III, Heidelberg 1996, §57, Rn. 126. 41 So auch BVerfGE 93, 1 (301): Toleranzgebot als „Ausdruck der Menschenwürde". 42 Markus Winkler; Toleranz als Verfassungsprinzip?, in: Ingo Erberich u. a. (Hrsg.), Frieden und Recht, Stuttgart etc. 1998, S. 53-83 (65). Vgl. auch BVerfGE 5, 85 (205 f.): „Die freiheitliche demokratische Grundordnung [entnimmt] dem Gedanken der Würde und Freiheit des Menschen die Aufgabe, im Verhältnis der Bürger untereinander für Gerechtigkeit und Menschlichkeit zu sorgen." 43 Hassemer (Fn. 35), S. 51. 44 Zum Zusammenhang zwischen Verfassungsvoraussetzung und Verfassungsentstehung: Paul Kirchhof\ Der demokratische Rechtsstaat. Die Identität der Verfassung in ihren unabänderlichen Inhalten, in: Josef Isensee/Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. I, 2. Aufl. Heidelberg 1995, § 19 Rn. 47. 45 Klaus Schiaich, Neutralität als verfassungsrechtliches Prinzip, Tübingen 1972, S. 254. 4 6 Huster (Fn. 31), S. 27-32; vgl. etwa Art. 26 BremVerf „Achtung vor der Würde jedes Menschen"; ebenso Art. 7 NRWVerf, Art. 131 Abs. 2 BayVerf, Art. 28 BbgVerf; Art. 56 Abs. 4 HessVerf und Art. 33 RhPfVerf: „Achtung und Duldsamkeit"; Art. 15 Abs. 4 M - W e r f und Art. 27 Abs. 1 VerfLSA: „im Geiste der Toleranz". Art. 101 Abs. 1 SächsVerf: „Achtung vor der Uberzeugung des anderen"; Art. 22 Abs. 1 ThürVerf: „Achtung vor der Würde des Menschen und Toleranz gegenüber der Uberzeugung anderer." Allein die Verfassung des Saarlands zählt bei den Erziehungszielen die Toleranz nicht auf (Art. 30). 47
BVerfGE 93,1 (22 f.) und 108, 282 (301).
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ner Aufgabe als Hüter der Toleranz kommt der Staat aber auch nach, wenn er Schutz vor intolerantem Verhalten gewährt oder solches Verhalten sanktioniert. In diesem letztgenannten Aspekt überschneiden sich Toleranzgebot und Diskriminierungsverbot; beide Konzepte lassen sich nicht trennscharf voneinander abgrenzen, sondern nur nach ihren zentralen Zielrichtungen beschreiben. Das Toleranzgebot zielt auf die geistige Ebene, den Wettstreit zwischen Überzeugungen, Religionen und Weltanschauungen: Dieser soll allein mit Mitteln der geistigen Auseinandersetzung geführt werden, nicht durch Entwürdigung und Ausschließung des Gegners. Die Fähigkeit und Bereitschaft der Menschen, im sozialen Umgang miteinander zwischen der Ablehnung einer Überzeugung und einer Person zu unterscheiden und sich dementsprechend zu verhalten, fördert der Staat durch tatsächliches Handeln, vor allem im Erziehungs- und Bildungswesen. Das Diskriminierungsverbot hingegen erfasst den Bereich rechtlich relevanten Handelns, sowohl des Staates wie das der Privaten: Es soll die gleiche Würde aller Menschen im Rechtsverkehr und ihre gleichberechtigte Teilhabe daran sicherstellen.
III. Konflikte zwischen Religionsfreiheit, Diskriminierungsverbot und Toleranzgebot Auf der Grundlage dieses Verständnisses von Religionsfreiheit, Diskriminierungsverbot und Toleranzgebot lassen sich Lösungen für die eingangs skizzierten Konfliktkonstellationen entwickeln. 1. Diskriminierung von Religionsgemeinschaften durch den Staat Das Problem, welche Differenzierung der Staat zwischen den Angehörigen verschiedener Religionsgemeinschaften vornehmen darf und welche verbotene Diskriminierungen sind, lässt sich am fortdauernden Streit um das Kopftuchverbot für Lehrerinnen an öffentlichen Schulen illustrieren. Nach der „Kopftuch-Entschei-
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dung" des Bundesverfassungsgerichts 48 haben zahlreiche Länder ihre Schulgesetze geändert und für das Lehrpersonal ein Verbot solcher Kleidungsstücke, Symbole oder Verhaltensweisen eingeführt, die den Schulfrieden gefährden oder Zweifel an ihrer Eignung, den Bildungsauftrag zu erfüllen, begründen. 49 Unter dem Gesichtspunkt des Diskriminierungsverbots ist zweierlei bedeutsam: zum einen die Erfassung religiös motivierter Bekleidung, und zum anderen die Tatsache, dass einige dieser Gesetze in Ausnahmeregelungen das Christentum ausdrücklich nennen. 50 So ist beispielsweise in Hessen bei der Bewertung, ob ein religiöses Symbol bei objektiver Betrachtung das Vertrauen in die Neutralität der Amtsführung beeinträchtigen oder den Schulfrieden gefährden kann, der „christlich und humanistisch geprägten abendländischen Tradition" des Landes Rechnung zu tragen. In ähnlicher Weise ordnen das Land Baden-Württemberg und ihm folgend Nordrhein-Westfalen an, dass die Darstellung „christlicher und abendländischer Bildungs- und Kulturwerte oder Traditionen" nicht objektiv geeignet ist, die Neutralität des Landes oder den Schulfrieden zu gefährden. In Bayern sind nur solche religiösen Symbole und Kleidungsstücke verboten, welche Schüler oder 48 BVerfGE 108,282. 49 Vgl. zusätzlich zu den in Fn. 50 Genannten etwa: § 2 des Gesetzes zu Art. 29 der Verfassung von Berlin und zur Änderung des Kindertagesbetreuungsgesetzes v. 27. 1. 2005 (GVB1. Berlin S. 92, Nr. 4); § 59b Abs. 4 des Bremischen Schulgesetzes (i. d. F. der Bekanntmachung v. 20. 12. 994 (Brem.GBl. S. 327, 1995 S. 129-223-a-5), geändert durch G. v. 2. 3. 2004 (Brem.GBl. S. 139) zuletzt geändert durch G vom 28.6.2005 (Brem. GBl. S. 245, Nr. 31); § 51 Abs. 3 des Niedersächsischen Schulgesetzes (i.d.F. v. 3.3.1998, Nds. GVBl. S. 137), zuletzt geändert durch G. v. 29. 4. 2004 (Nds. GVBl. S. 140, Rn. 12); § 1 Abs. 2a SchulordnungsG Saarland (i.d.F. der Bek. v. 21.8.1996, Amtsbl. S. 846, ber. 1997 S. 147), zuletzt geändert durch G v. 23.6.2004 (Amtsbl. S. 1510 Nr. 33) und § 57 Abs. 4 SchulG NRW v. 15. 2. 2005, GV.NRW S. 102, geändert durch G. v. 13. 6. 2006, GV NRW S. 270. 50 Vgl. etwa § 59 Abs. 2 des Bayerischen Gesetzes über das Erziehungsund Unterrichtswesen (i.d.F. der Bek. v. 31.5.2000, GVBl S. 414, ber. S. 632), zuletzt geändert durch G v. 26. 7. 2005 (GVBl. S. 272); § 38 Abs. 2 des Schulgesetzes für Baden-Württemberg (i. dF. der Bek. v. 1.8.1983, GBl S. 397) zuletzt geändert durch G v. 11. 10.2005 (GBl S. 669); § 86 Abs. 3 Hessisches Schulgesetz i. d. F. v. 2. 8. 2000 (GVBl. I, S. 466), zuletzt geändert durch G v. 29. 11. 2004 (GVBl. I, S. 330).
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Eltern als Ausdruck einer Haltung verstehen können, die mit den Grundwerten der Verfassung einschließlich der „christlich-abendländischen Bildungs- und Kulturwerte" unvereinbar ist. Dies wirft die Frage auch, ob solche Regelungen den Anforderungen der Verfassung gerecht werden, und insbesondere, ob sie Ausnahmen zugunsten einer bestimmten Religion - der christlichen darstellen und falls ja, ob sie sich rechtfertigen lassen. a) Religionsfreiheit, Diskriminierungsverbot und beamtenrechtliche Eignung Hier ist zunächst festzustellen, dass nicht das allgemeine Diskriminierungsverbot des Art. 3 Abs. 3 GG anwendbar ist, da die Regelungen für Lehrkräfte an öffentlichen Schulen gelten. Einschlägig ist deshalb das spezielle Diskriminierungsverbot des Art. 33 Abs. 3 GG, welches bei Zugang zu öffentlichen Amtern die Benachteiligung aufgrund der Religion verbietet. Innerhalb des entscheidenden Senats des Bundesverfassungsgerichts in der Kopftuch-Entscheidung war insoweit umstritten, ob und inwieweit es bei der Bestimmung der „Eignung" für das angestrebte öffentliche Amt (Art. 33 Abs. 2 GG) zu berücksichtigen ist, wenn das Tragen eines Kopftuchs Ausdruck einer als verbindlich angesehenen religiösen Vorschrift ist. Die Senatsminderheit verneint dies, weil eine Kopftuch tragende Lehrerin keine Gewähr für eine neutrale Amtsführung biete. Dass durch das Tragen religiös motivierter Kleidungsstücke die Religionsfreiheit ausgeübt wird, ist nach diesem Ansatz irrelevant: Das besondere Dienst- und Treueverhältnis des Beamten zum Staat überlagere nämlich den für ihn geltenden Grundrechtsschutz; die Ausübung grundrechtlicher Freiheiten stehe unter dem „besonderen Funktionsvorbehalt des öffentlichen Dienstes", 51 da die Lehrkraft auf Seiten des Staates stehe und sich freiwillig dorthin begebe. Konsequenz dieses Ansatzes ist es, dass der Staat bei der Bestimmung der „Eignung" nur durch das Willkürverbot begrenzt ist. 52 51 Vgl. BVerfGE 108, 282 (315; abw. Meinung der Richter Jentsch , Di Fabio und Meilinghoff). 52 So BVerfGE 108, 282 (321; abw. Meinung der Richter Jentsch , Di Fabio und Meilinghoff). 15 Mahlmann/Rottleuthner
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Dies wird indes der Bedeutung der Religion als Ausdruck der Persönlichkeit nicht gerecht und missachtet den hohen Wert, welchen das Grundgesetz der Religionsfreiheit und dem daraus folgenden Diskriminierungsverbot beimisst. Deshalb ist der Ansatz der Senatsmehrheit vorzugswürdig, die den Begriff „Eignung" verfassungskonform auslegt, d. h. im Lichte der verfassungsrechtlichen Grundentscheidungen zugunsten der Religionsfreiheit und des Verbots der Diskriminierung aufgrund der Religion. 53 Dienstpflichten müssen demnach so ausgestaltet sein, dass sie den strengen Anforderungen des Grundgesetzes an die Einschränkung der Religionsfreiheit und des Diskriminierungsverbot gerecht werden. Nur auf diese Weise ist auch gewährleistet, dass keine Eignungskriterien aufgestellt werden, die das spezielle Diskriminierungsverbot des Art. 33 Abs. 3 GG unterlaufen. b) Eignungsmangel bei abstrakter Gefahr für den Schulfrieden? Zu dieser richtigen Einschätzung setzt sich die Senatsmehrheit jedoch sogleich in Widerspruch, indem sie es als genügend und damit verfassungsmäßig ansieht, wenn der Landesgesetzgeber in einem (hinreichend bestimmten) Gesetz seine Bewertung ausdrückt, dass die Manifestation der religiösen Überzeugungen einer Lehrkraft den Schulfrieden abstrakt gefährde und deshalb ein Eignungsmangel vorliege. 54 Dies kann nicht überzeugen, weil es die Bedeutung sowohl des Diskriminierungsverbots als auch des Toleranzgebots unzureichend berücksichtigt. Zum einen ist auch der Landesgesetzgeber an das Diskriminierungsverbot gebunden. Die aus der Eignungsdefinition fließende Dienstpflicht, keine religiös motivierte Kleidung zu tragen, wird nun aber aufgespalten, wenn Gesetze die religiösen Symbole der „christlich geprägten abendländischen Tradition" generell als ungefährlich für den Schulfrieden bezeichnen und damit ihr Tragen erlauben. Auf diese Weise werden die Angehörigen christlicher Bekenntnisse gegenüber anderen Religionen bevorzugt. „Strikte 53 BVerfGE 108, 282 (298). 54 BVerfGE 108, 282 (303).
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Gleichbehandlung" bei der Begründung von Dienstpflichten, wie sie das Bundesverfassungsgericht betont, 55 kann hingegen nur erreicht werden, wenn die Gefährdung des Schulfriedens für alle religiösen Symbole gleichermaßen festgestellt wird. Hierzu hat das Bundesverfassungsgericht zu Recht betont, dass ein Kopftuch aus sich heraus kein religiöses Symbol, sondern mehrdeutig ist und seinen Sinngehalt erst aus der Person, die es trägt, gewinnt. 56 Daraus folgt, dass nur eine Betrachtung des jeweiligen Lehramtsanwärters, also die Bestimmung der konkreten Gefahr, den Anforderungen des Diskriminierungsverbots genügt. 57 Zum anderen darf bei der Bestimmung der vom Tragen eines religiösen Symbols ausgehenden Gefahr nicht uneingeschränkt auf den Eindruck Dritter (Schüler und Eltern) abgestellt werden wie dies beispielsweise das bayerische Gesetzes anordnet. Zwar hat es das Bundesverfassungsgericht bei der konkreten Prüfung des ihm vorliegenden Einzelfalls zugelassen, den objektive Empfängerhorizont für die Beurteilung der Eignung heranzuziehen. 58 Jedoch hat sich der Landesgesetzgeber auch hier vom Toleranzgebot leiten zu lassen.59 Ob Schüler und Eltern ein religiöses Symbol als Ausdruck einer verfassungsfeindlichen Haltung verstehen können , ist keine Tatsachenfrage, sondern erfordert eine vom Toleranzgebot geleitete Wertung. U m zu bestimmen, welches Maß an Toleranz der Staat von Schülern und Eltern gegenüber einer Lehrkraft erwarten kann, ist der staatliche Erziehungsauftrag zu berücksichtigen: Schulische Erziehung ist mehr als bloße Wissensvermittlung; sie ist auch und gerade ein Beitrag zur Persönlichkeitsentwicklung. Die Schüler sollen dabei die Grundwerte unserer Gesellschaftsordnung verinnerlichen und soziale Fähigkeiten einüben. Dazu gehört auch der respektvolle Umgang mit Angehörigen anderer Religionen als wesentlicher Bestandteil 55 BVerfGE 108,282 (298). 56 BVerfGE 108, 282 (304). 57 Vgl. auch Matthias Mahlmann , Dienstrechtliche Konkretisierung staatlicher Neutralität, Zeitschrift für Rechtspolitik 2004, S. 123-126 (124 f.). 58 BVerfGE 108,282 (305). 59 BVerGE 108, 282 (302). 15*
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des Toleranzgebots. 60 Umgekehrt können Lehrer die Grundwerte des Grundgesetzes auch nur glaubhaft vermitteln, wenn sie den Schülern ihre Akzeptanz der Grundwerte vorleben können. Hierzu müssen sie den Schülern als ganze Persönlichkeit gegenübertreten können - einschließlich ihrer religiösen, weltanschaulichen oder politischen Uberzeugungen. Der mündige Bürger entsteht in der Auseinandersetzung mit anderen Uberzeugungen, nicht dadurch, dass man ihn von diesen fernhält. Schulischer Bildungsauftrag ist es, die Schüler zur eigenständigen Auseinandersetzung mit fremden Überzeugungen zu befähigen. Deshalb kann nicht schon der von der konkreten Person losgelöste, d. h. auf Vorurteilen beruhende, bloße Verdacht der Verfassungsfeindlichkeit wegen Tragens bestimmter religiöser Symbole ausreichen, sondern allein die Feststellung einer solchen Haltung im jeweiligen Einzelfall. 61 Aus diesem Zusammenspiel von Diskriminierungsverbot und Toleranzgebot ergibt sich, dass einem Bewerber nur dann die Eignung fehlt, den schulischen Bildungsauftrag - Vermittlung der Grundwerte des Grundgesetzes - zu erfüllen, wenn im Einzelfall festgestellt wird, dass die Glaubenssätze, die er für sich als verbindlich betrachtet, im Widerspruch zu den Grundlagen der freiheitlichen demokratischen Grundordnung stehen. Das dem Diskriminierungsverbot innewohnende Verhältnismäßigkeitsprinzip verlangt, entscheidend auf das Selbstverständnis des Bewerbers abzustellen, weil zumeist innerhalb einer Religion verschiedene Richtungen existieren und möglicherweise nur einige von ihnen im Widerspruch zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung stehen,62 beispielsweise die Gleichheit der Geschlechter ablehnen. Durch eine Einzelfallprüfung achtet der Staat die verschiedenen religiösen und weltanschaulichen Überzeugungen in 60 So zuletzt BVerfG (1. Kammer des 2. Senats), Nichtannahmeentscheidung vom 31.5.2006 (2 BvR 1693/04), http://www.bundesverfassungsgericht.de, Abs. Nr. 16 und 18. 61 So auch Ernst-Wolf gang Böckenförde, „Kopftuchstreit" auf dem richtigen Weg?, Neue Juristische Wochenschrift 2001, S. 723 - 728 (727). 62 Vgl. auch Matthias Mahlmann, Laizismus in Berlin?, Neue Justiz 2004, S. 394-398 (397). So jüngst V G Stuttgart, Urt. v. 7. 7. 2006, Az. 18 K 3562 / 05, zitiert nach Süddeutsche Zeitung v. 8. / 9.7. 2006, S. 1.
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größtmöglicher Weise. Gleichzeitig trägt er dazu bei, dass die Bürger das Toleranzgebot einüben.
2. Diskriminierung von Religionsgemeinschaften und ihrer Angehörigen durch Private Der zweite eingangs skizzierte Problembereich betrifft die Diskriminierung von Religionsgemeinschaften und ihrer Angehörigen durch andere Privatpersonen. Hier stellt sich die Frage, ob Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG solche Diskriminierung verbietet. Die Antwort fällt positiv aus, wenn das Diskriminierungsverbot im Verhältnis zwischen Privatpersonen gilt, oder wenn der Gesetzgeber aufgrund der aus den Grundrechten fließenden staatlichen Schutzpflicht eine solche Geltung anordnen muss. Nach deutschem Grundrechtsverständnis scheidet eine unmittelbare Drittwirkung der Grundrechte aus,63 da die Grundrechte - und das Diskriminierungsverbot ist ein solches - zuvörderst Abwehrrechte gegen den Staat sind. Sie sichern die Freiheitssphäre des Einzelnen gegen staatliche Eingriffe. Allerdings ist die mittelbare Drittwirkung von Grundrechten anerkannt, d. h. die „Ausstrahlung" der Grundrechte in die Privatrechtsordnung dergestalt, dass das Zivilrecht im Lichte der Grundrechte als den fundamentalen Werten der Verfassungsordnung auszulegen ist. 64 „Einfallstor" für die Grundrechte sind die zivilrechtlichen Generalklauseln, also beispielsweise der Begriff „Treu und Glauben" in § 242 BGB und der der „guten Sitten" in § 138 und § 826 BGB. Was also eine „sittenwidrige Schädigung" im Sinne der letztgenannten Norm ist, aufgrund derer sich der Schädiger bei Vorsatz schadensersatzpflichtig macht, ist unter Rückgriff auf die Wertungen des Grundgesetzes zu bestimmen.
63 Hierfür beispielhaft Hans D. Jarass , in: Jarass / Pieroth (Fn. 21), Rn. 35 zu Art. 1; für die Gegenansicht, die sich nicht hat durchsetzen können, siehe BAGE 1,185 (193 f.); aufgegeben in BAGE 48,122 (138 f.). 64 Grundlegend war die „Lüth-Entscheidung" des Bundesverfassungsgerichts, BVerfGE 7,198 (205).
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a) Verfassungsrechtliche Pflicht zum Schutz vor Diskriminierung durch Private? Reicht diese indirekte Wirkung des Diskriminierungsverbots nicht aus, um wirksamen Schutz vor Diskriminierung im Verhältnis zwischen Privatpersonen zu gewährleisten, so hat der Staat seine aus dem Diskriminierungsverbot folgende Schutzpflicht auf andere Weise - nämlich durch den Erlass von Antidiskriminierungsgesetzen - zu erfüllen. Ob solche Gesetze geboten sind und welchen Inhalt und Reichweite sie haben müssen, hat in erster Linie der Gesetzgeber zu bewerten. Allerdings muss er hierbei die Vorgaben und Grenzen der Verfassung beachten. Zu den Vorgaben der Verfassung zählt auch über Art. 23 Abs. 1 S. 2 GG die Bindung an europäisches Recht, im vorliegenden Zusammenhang also an die europäischen Antidiskriminierungsrichtlinien 65 . Danach ist die Diskriminierung aufgrund der Religion (und ihr gleichgestellt aufgrund der Weltanschauung) in den Bereichen Beschäftigung und Beruf durch richtlinienkonforme Antidiskriminierungsgesetze zu bekämpfen. Ob jenseits dieses Anwendungsbereichs der Richtlinien Antidiskriminierungsgesetze in Deutschland geboten sind, hat der Gesetzgeber aufgrund einer Analyse der Rechtswirklichkeit festzustellen. Hierzu existieren zwar keine umfassenden empirischen Untersuchungen, wohl aber Erkenntnisse aufgrund zahlreicher " Richtlinie 2000/43/EG des Rates vom 29. 6. 2000 zur Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes ohne Unterschied der Rasse und ethnischen Herkunft, ABl. EG L 180/22 vom 19. 7.2000 („AntirassismusRichtlinie"); Richtlinie 2000 / 78 / EG des Rates vom 27. 11. 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf, ABl. EG L 303 /16 vom 2. 12. 2000 („Rahmenrichtlinie"); Richtlinie 7 6 / 2 0 6 / E W G des Europäischen Parlaments und des Rats vom 23. 9. 2002 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung, zum beruflichen Aufstieg sowie in Bezug auf die Arbeitsbedingungen, in der Fassung der Richtlinie 2002/73), ABl. EG L 269/15 vom 5.10.2002 („Gleichstellungsrichtlinie"), und Richtlinie 2002 /114 des Rates vom 13. 12. 2004 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen beim Zugang zu und der Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen), ABl. EG L 373 737 vom 21. 12. 2004 („Unisex-Richtlinie").
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Einzelstudien. 66 In der deutschen Rechtspraxis sind jedenfalls Schadensersatzurteile nach § 826 BGB wegen sittenwidriger Diskriminierung kaum ergangen. Dies ist nach Einschätzung der Bundesregierung nicht auf die Abwesenheit von Diskriminierungsfällen zurückzuführen, sondern auf das Fehlen einer Kultur der Antidiskriminierung, d. h. auf die fehlende Kenntnis von den rechtlichen Möglichkeiten, sich gegen Diskriminierung zu wehren, und das Fehlen von Vorbildern für erfolgreiche rechtliche Gegenwehr gegen Diskriminierung. Ein zusätzlicher, wenn auch nicht ausdrücklich genannter, wesentlicher Faktor ist - wie die Debatten um drei Entwürfe von Antidiskriminierungsgesetzen gezeigt haben - die fehlende Sensibilität der Mehrheitsgesellschaft für Diskriminierung und die Notwendigkeit, Diskriminierung wirkungsvoll zu bekämpfen. Dies dürfte eine weitere Ursache für die geringen Erfolgschancen von Prozessen nach § 826 BGB sein. b) Erforderlichkeit eines Verbots der Diskriminierung aufgrund der Religion? Der Diskriminierung aufgrund der Religion hat die Bundesregierung im Entwurf eines Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG), durch welches die europäischen Antidiskriminierungsrichtlinien umgesetzt werden sollen, keine besondere Aufmerksamkeit gewidmet; sie hat lediglich festgestellt, dass sich im Alltag häufig Diskriminierung aufgrund der ethnischen Herkunft und aufgrund der Religion überschneiden. 67 Zur Diskriminierung aufgrund der Weltanschauung finden sich im Entwurf gar keine Feststellungen. Im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens wurde aus dem ursprünglich angestrebten Verbot der Diskriminierung aufgrund von Religion und Weltanschauung im allgemeinen Zivilrecht die Weltanschauung gestrichen, 68 ohne dass der 66
Vgl. hierzu und zum folgenden die Einschätzung der Bundesregierung in ihrer Begründung zum Entwurf eines Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes vom 18.5.2006, Bundestags-Drucksache (BT-Drs.) 16/ 1780, S. 23. 67 A. a. O., (Fn. 66), S. 24. 68 Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses vom 28. 6. 2006, Bundestags-Drucksache (BT-Drs.) 16/2022, S. 8/9.
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Gesetzgeber hierfür neue empirische Erkenntnisse, nämlich über das Fehlen weltanschaulicher Diskriminierungen im gesellschaftlichen Leben, vorgebracht hätte. Nur hieraus hätte sich aber schließen lassen, dass kein Regelungsbedürfnis bezüglich solcher Diskriminierungen bestehe. Als Grund für den Ausschluss des Verbots der Diskriminierung aufgrund der Weltanschauung nennt die Gesetzesbegründung stattdessen, dass es Geschäftsbetreibern „aus anerkennenswerten Gründen" möglich bleiben soll, Rechtsradikalen den Zugang zu ihren Geschäften zu verweigern. 69 Mit dieser Entscheidung überschreitet der Gesetzgeber die Grenzen des Entscheidungsspielraums, welche die Verfassung ihm einräumt, weil er den Grundsatz der Systemgerechtigkeit verletzt. Dieses, aus dem Gleichheitssatz und dem Rechtsstaatsprinzip fließende Prinzip verlangt Wertungs- und Begründungsrationalität staatlicher Differenzierungen. 70 Demnach müssen zumindest plausible Gründe für Regelungen, die sich von einem einmal gesetzten System entfernen, vorliegen. 71 Dem System, welches der Gesetzgeber durch das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz schafft, liegt ein fundamentaler Gerechtigkeitsgedanke zugrunde: Wer Menschen wegen der Zugehörigkeit zu einer über persönliche Eigenschaften definierten Gruppe vom sozialen Leben ausschließt, hindert die Betroffenen daran, ihre grundrechtlich geschützten Freiheiten wahrzunehmen - ihre Freiheit, Verträge zur Erfüllung ihrer Bedürfnisse abzuschließen, oder ihre Freiheit, einen Wohnsitz an einem Ort ihrer Wahl zu begründen. Wenn an höchstpersönliche Eigenschaften angeknüpft wird, können sich die Betroffenen ihrem Ausschluss auch nicht, oder jedenfalls nicht ohne Aufgabe eines Teils ihrer Persönlichkeit und damit in die Menschenwürde verletzender Weise, entziehen. Ein Verbot der 69 A. a. O. (Fn. 68), S. 28. 70 Gerhard Robbers, Der Gleichheitssatz, Die öffentliche Verwaltung 1988, S. 749 (755); Christoph Degenhart, Systemgerechtigkeit und Selbstbindung des Gesetzgebers als Verfassungspostulat, München 1976, S. 68 ff.; Hans Dieter Jarass, Die Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung als verfassungsrechtliche Vorgabe, Archiv des öffentlichen Rechts 126 (2001), S. 588 (595), Ulrich Battis, Systemgerechtigkeit, in: Rolf Stödter (Hrsg.), Hamburg, Deutschland, Europa. Festschrift für Hans-Peter Ipsen, Tübingen 1977, S. 16. 7 1 BVerfGE 81, 156 (207).
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Diskriminierung durch Privatpersonen dient also der Gewährleistung fundamentaler Rechte der Diskriminierungsopfer. Diese Erwägungen gelten im Privatrechtsverkehr nicht allein, wie der Gesetzentwurf es vorsieht, für Diskriminierungen aufgrund der ethnischen Herkunft, einer Behinderung, des Alters, der sexuellen Identität oder der Religion, sondern gleichermaßen für Diskriminierungen aufgrund der Weltanschauung. Durch den Ausschluss der Weltanschauung weicht der Gesetzgeber also von dem System ab, welches das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz schafft. Außerdem sind Religion und Weltanschauung gemäß Art. 4 GG gleichermaßen geschützt, weil sie in gleicher Weise Ausprägungen der Menschenwürde und des Persönlichkeitsrechts sind; 72 der Gesetzgeber darf auch aus diesem Grund nicht willkürlich zwischen ihnen differenzieren. Die Begründung des Gesetzgebers für die Systemabweichung und für die Ungleichbehandlung von Religion und Weltanschauung ist jedoch nicht hinreichend plausibel. Es gibt keine „anerkennenswerten Gründe" für eine Diskriminierung aufgrund der Weltanschauung im Zivilrecht - wie jeder Mensch so hat auch der Rechtsextremist Anspruch darauf, nicht aus der Rechtsgemeinschaft ausgeschlossen zu werden, indem ihm Vertragsschlüsse zur Erfüllung seiner Bedürfnisse verweigert werden. Das schließt freilich nicht aus, aus Sachgründen einen Vertragsschluss mit ihm zu verweigern. Ein Gastwirt darf etwa einem Rechtsextremisten den Zugang verwehren, wenn das Lokal auch von Personen mit Migrationshintergrund frequentiert wird und er gewaltsame Auseinandersetzungen befürchtet. In diesem Fall erfolgt allenfalls eine mittelbare Ungleichbehandlung aufgrund der Weltanschauung, die aber gerechtfertigt ist - eine Diskriminierung liegt daher gar nicht vor. 73 Die Entscheidung des Gesetzgebers, die Diskrimi72 S. o. Punkt II. 1. a. E. (S. 213). Vgl. auch BVerwGE 90, 112 (115) und Kokott (Fn. 3), Rn. 3 und 20 zu Art. 4. 73 Eine Diskriminierung ist mittelbar, wenn nicht an ein unzulässiges Kriterium angeknüpft wird, sondern an ein neutrales Kriterium - hier die Gewaltbereitschaft - , hierdurch aber faktisch die Angehörigen einer bestimmten Gruppen besonders betroffen sein können, und dies nicht in verhältnismäßiger Weise ein rechtmäßiges Ziel verfolgt, vgl. etwa Art. 2 Abs. 2 lit. b) der Antirassismus-Richtlinie (Fn. 65). Wenn der Gastwirt
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nierung aufgrund der Weltanschauung aus dem zivilrechtlichen Diskriminierungsverbot auszunehmen, ist mithin systematisch falsch und wegen Verletzung des Gebots der Systemgerechtigkeit auch verfassungswidrig. Hier muss der Gesetzgeber also nachbessern. Dies ist zudem rechtspolitisch geboten, weil der Ausschluss des Verbots der Diskriminierung aufgrund der Weltanschauung falsche Rückschlüsse auf den Anwendungsbereich von § 826 BGB nahe legt. c) Grenzen des Diskriminierungsverbots und Rechtfertigung von Differenzierungen Die Verfassung zieht der Geltung eines Verbots der Diskriminierung aufgrund von Religion und Weltanschauung im Zivilrecht allerdings auch Grenzen: Diskriminierungen in engen persönlichen Beziehungen, also insbesondere im Bereich des Familienund Erbrechts, sind weitgehend zulässig. Dies verlangen das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 in Verb. m. Art. 1 Abs. 1 GG), die Eheschließungsfreiheit (Art. 6 Abs. 1 GG) und das Erbrecht (Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG). Ein Diskriminierungsverbot wäre nur unter Missachtung der Grundrechte des Diskriminierenden durchzusetzen: Die Wahl eines Ehepartners oder die Entscheidung über den eigenen Erben ist eine höchstpersönliche und darf deshalb auch willkürlich sein. 74 Dementsprechend erstrecken sich bereits die europäischen Richtlinien nur auf die Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen, die der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen, und schließen damit familienrechtliche Rechtsgeschäfte aus;75 das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz folgt dem. 76 Im allgemeinen Zivilrecht werden sich Differenzierungen aufgrund der Religion nur selten rechtfertigen lassen. Ein sachlicher also auch anderen Personen, die er als gewaltbereit einschätzt, den Zugang verweigert, fehlt bereits die besondere Betroffenheit von Rechtsradikalen. 74 Den Erbberechtigten verbleibt u. U. allerdings der Pflichtteilsanspruch (§§ 2303 ff. BGB). 75 Antirassismus-Richtlinie, 4. Erwägungsgrund und Art. 3 Abs. 1 lit. h) sowie Unisex-Richtlinie, 3. Erwägungsgrund und Art. 3 Abs. 1 (beide Fn. 65). 76 §2 Abs. 1 Nr. 8 AGG, Bundesgesetzblatt 2006 I, S. 1897 (1898).
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Grund, einem anderen den Abschluss eines Vertrages über Waren oder Wohnraum wegen dessen Religionszugehörigkeit zu verweigern, kann allenfalls bei religiös geprägten Wohnheimen angenommen werden, freilich nur, wenn der Vermieter über die Bereitstellung von Wohnraum hinaus ein religiös geprägtes Gemeinschaftsleben organisiert. Ein anderes Beispiel wäre die Weigerung einer Krankenversicherung, einen Zeugen Jehovas zu versichern, weil dieser Bluttransfusionen ablehnt. Anders liegt der Fall bei religiös bedingten Ungleichbehandlungen im Bereich des Arbeitsrechts. Hier ist insbesondere denkbar, dass sich der Differenzierende aufgrund seiner eigenen Religion zur Differenzierung gezwungen sieht - also der Fall des evangelischen Kindergartens, der nur evangelische Erzieher und Erzieherinnen einstellt. Hier geht es um Diskriminierung durch eine Religionsgemeinschaft oder ihre Angehörigen und damit den dritten eingangs genannten Problembereich. Diese Fallgruppe soll abschließend betrachtet werden.
3. Diskriminierung durch Religionsgemeinschaften und ihre Angehörigen Nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz dürfen Religionsgemeinschaften bei der Einstellung von Bewerbern aufgrund der Religion differenzieren, wenn diese angesichts des Selbstverständnisses der Gemeinschaft „im Hinblick auf ihr Selbstbestimmungsrecht oder nach der Art der Tätigkeit eine gerechtfertigte berufliche Anforderung darstellt" (§ 9 Abs. 1). Wenn also die christlichen Kirchen alle Tätigkeiten innerhalb der kirchlichen Dienste als Ausprägung der christlichen Dienstgemeinschaft betrachten, 77 dann dürfen sie für alle Mitarbeiter als Mindestbedingung die Zugehörigkeit zu ihrer Kirche fordern. Sie sind demnach nicht zu einer Differenzierung nach Art der Tätigkeit gezwungen (sog. bloßer Tendenzschutz). Das katholische Krankenhaus darf also nicht nur moslemische Krankenschwestern ablehnen, son77 Vgl. hierzu BVerfGE 57, 220 (243) und Ricarda Dill, Die Antidiskriminierungs-Richtlinien der E U und das deutsche Staatskirchenrecht, Zeitschrift für Rechtspolitik 2003, S. 318-322 (319).
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dern auch den moslemischen Hausmeister. Wie der Verweis auf das Selbstverständnis der Religionsgemeinschaften zeigt, ist Hintergrund dieser Regelung die Religionsfreiheit und die jenen gewährte Garantie der Selbstverwaltung ihrer eigenen Angelegenheiten gemäß den über Art. 140 GG in das Grundgesetz inkorporierten Bestimmungen des Staatskirchenrechts der Weimarer Reichsverfassung (Art. 137 Abs. 3 S. 1 WRV). Mit der Regelung hält sich das A G G innerhalb der vom Bundesverfassungsgericht anerkannten verfassungsrechtlichen Vorgaben, welches für die Ausgestaltung von Arbeitsverhältnissen maßgeblich auf das Selbstverständnis einer Religionsgemeinschaft abstellt - allerdings in den Grenzen der Grundprinzipien der Rechtsordnung, wie etwa dem allgemeinen Willkürverbot oder den guten Sitten (§ 138 BGB). 7 8 Je mehr die großen christlichen Religionsgemeinschaften Personen beschäftigen, die ihnen nicht angehören, desto schwächer wird allerdings die Überzeugungskraft ihrer Behauptung eines religiösen Selbstverständnisses.79 Sollte Art. 4 Abs. 2 der europäischen Rahmenrichtlinie die Möglichkeit einer Berufung auf das Selbstverständnis verbieten und nur Tendenzschutz erlauben, 80 so würde der Vorrang des Europarechts vor nationalem Recht - einschließlich des Verfassungsrechts - eine Abkehr vom bisherigen staatskirchenrechtlichen Verständnis erzwingen. Auch außerhalb dieser konkreten Fallkonstellation ist die vom Bundesverfassungsgericht gezogene Grenze der Grundprinzipien der Rechtsordnung bedeutsam: Ein Glaubenssatz, der eine Grundvoraussetzung unserer Rechts- und Wertordnung negiert, könnte eine Differenzierung nicht rechtfertigen. Eine solche Grundvoraussetzung ist die Gleichheit aller Menschen und ihr Anspruch auf Achtung als Gleicher. Damit lässt sich festhalten: Auch im Verhältnis zwischen Privatpersonen wirkt das Diskriminierungsverbot in zweierlei Hin78 BVerfGE 70,138 (165-168). 79 Zu dieser Entwicklung Dill (Fn. 77), S. 320, und Harald Schliemann, Europa und das kirchliche Arbeitsrecht - Kooperation oder Konfrontation?, Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht 2003, S. 407-415 (413). so So etwa Schliemann (Fn. 79), S. 411; hiergegen Dill (Fn. 77), S. 319.
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sieht auf die Religionsfreiheit ein. Zum einen verstärkt es diese, indem es die Ausübung des Glaubens vor im Privatrechtsverkehr nachteiligen Folgen schützt. Zum anderen begrenzt das Diskriminierungsverbot die Religionsfreiheit, indem es solchen religiösen Praktiken den rechtlichen Schutz versagt, die ihrerseits dem anderen die Anerkennung als Gleicher verweigern.
IV. Fazit Die Religionsfreiheit steht nicht - wie der Titel dieses Beitrags suggerieren mag - äquidistant zwischen Diskriminierungsverbot und Toleranzgebot. Vielmehr besteht zwischen allen dreien ein Verhältnis wechselseitiger Bedingtheit: Sie wirken aufeinander ein und begrenzen sich gegenseitig. Die Religionsfreiheit sichert einen zentralen Bereich menschlicher Autonomie, das Diskriminierungsverbot schützt diese Entscheidungsfreiheit vor Assimilierungsdruck und gewährleistet die rechtliche Anerkennung des Anderen als eines Gleichen; das Toleranzgebot trägt diesen zweiten Aspekt von der rechtlichen in die gesellschaftliche Sphäre. Soweit das Diskriminierungsverbot Verhaltensweisen - auch religiös motivierte - verbietet, durch die einem anderen die Anerkennung als Gleicher versagt wird, erfüllt es dieselbe Funktion wie das Toleranzgebot: Es erhält die Fundamente der Rechts- und Gesellschaftsordnung. Soweit das Diskriminierungsverbot auch im Verhältnis zwischen Privatpersonen wirkt, zeigt sich eine weitere Verbindung zum Toleranzgebot: Die fundamentalen Werte der Verfassungsordnung können nicht alleine dadurch erhalten werden, dass der Staat sie schützt, sondern sie müssen im gesellschaftlichen Leben auch gelebt werden. Toleranzgebot und Diskriminierungsverbot sind insoweit zwei komplementäre Wege, um das Zusammenleben in einer von Religionsfreiheit geprägten Gemeinschaft zu gewährleisten.
IV. Internationale Perspektiven
A Mirror For Liberalism: Europe's New Wars of Religion1 By Maleiha Malik
Controversy about the precise contours of religious freedom in liberal democracies has dominated legal and political discussions in recent times. The predominant focus on migrants and minority religion often obscures the fact that 'minority issues' also have a direct impact on the freedom of majority and established religions. Surveys on religion in contemporary Britain reveal a more homogenous picture than is suggested in public discussions that focus on 'minorities'. Although it is true that there are increasingly minority religious groups whose presence and claims dominate the public discussions of religious freedom, it is also significant that a large number of British people (72 %) still identify themselves as 'Christian'. Significant British religious minorities include: Muslims 2.7%; Hindu 1%; Sikh 0.6% and Jewish 0.5 %. 2 These figures make clear the vast quantitative gap between the size of the Christian majority and non-Christian minority religious communities in Britain. This gap in terms of numbers is also replicated at the level of power: Muslims, Hindus and Sikhs are religious communities within which there are large number of ethnic minority individuals who are socially excluded from social, economic and political power. 3 This is particularly true of the 1 I would like to thank Seumas Milne for providing me with the ideal conditions under which to research and write this chapter. 2 'Religion in Britain' Census, April 2001, Office for National Statistics. Published 13 February 2003. www.statistics.gov.uk (accessed on 13 February 2005). The Census religion question was a voluntary question. Nevertheless, over 92 per cent of people chose to answer it. 3 For summary of social exclusion issues and ethnic minorities see 'Minority Ethnic Issues in Social Exclusion and Neighbourhood Renew-
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Muslim community which on nearly all socio-economic indicators is one of the socially excluded religious communities in Britain. The recent cWar on Terror' has also made Muslim communities in Britain, and other liberal democracies, more vulnerable to discrimination. In the aftermath of the attacks in New York on 11 September 2001 and the bombs in London on 7 July 2005 the main paradigm for public discussion of Islam and Muslims has become the 'War on Terror'. There has been a constant stream of new anti-terror legislation and a public discourse that has consistently linked Islam and Muslims to violence, extremism and terrorism. 4 There are important reasons, therefore, why the issue of the religious freedom of minority religions, and especially Islam and British Muslims, dominates the public debate. Moreover, and obviously, the potential for conflict between minority religions and prevailing public norms will be greater than for an established religion. Nevertheless, it is important not to lose sight of the fact that individuals from the majority religion (Christianity) who seek to manifest their religious belief will also often find that there is a potential conflict with the norms that proliferate in an increasingly secular public sphere and in areas of public life such as employment and education. In Britain, there have been two recent decisions of the House of Lords on freedom of religion which usefully illustrate the way in which both a predominant Christian majority and a significant Muslim minority present a challenge. In the first case R. v Secretary of State for Education and Employment and Ors ex parte Williamson and Ors 5 (Williamson) the House of Lords had to consider whether a state prohibition on the right to administer corporal punishment was a breach of Article 9 of the European Convention of Human Rights. They found aP, Social Exclusion Unit (Cabinet Office: London, 2000). On child poverty see the summary in the memorandum submitted by Dr. Lucinda Piatt (CP 31) to Written Evidence Submitted to the Select Committee on Work and Pensions. 'Child Poverty in the U K ' , second report of session 2003-04, Vol. 2, Written Evidence, House of Commons Papers 200304, 85-11. 4 For a general discussion of these issues see Maleiha Malik, 'Equality, Discrimination and Community Cohesion' in: Muslims in the U K : Policies for Engaged Citizens, (New York: Open Society Institute, 2004). s [2005] H.R.L.R. 14.
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that there was no violation of Article 9. This confirms the point that religious freedom remains a contested and key issue for the majority Christian faith as well as for minorities. The second case involved Islam which is the largest minority religion in Britain: In R. (On the Application of Shabina Begum) v Headteacher and Governors of Denbigh High School6 (Shabina Begum) the House of Lords considered the case of a young Muslim woman who wanted to wear a more extensive cloak (a jilbab) than was permitted under the school uniform which allowed the wearing of a headscarf (a hijab). She challenged the decision of her school which refused to allow her to attend the school if she was not willing to comply with their school uniform requirements. The House of Lords found that there was no violation of the school girl's rights under Article 9 of the ECHR or the Human Rights Act which replicates this provision in a domestic British context. In this chapter I want to discuss these cases and address the more complex questions that they raise about the legal regulation of religion. More specifically, I want to suggest that the choice of legal rules in these cases has a profound impact on the nature and scope of religious tolerance in contemporary Britain. Finally, I want to set out some exploratory questions about the appropriate legal and political response to the diversity of religious beliefs that is now an established fact of social life in Britain and other European democracies.
I. Williamson - the manifestation of religious belief In Williamson the claimants were a group of Christian head teachers, teachers and parents of children at four independent Christian schools. Their main claim was that as Christians who believed that in some circumstances corporal punishment of children was a requirement of the Christian faith, the ban on corporal punishment in schools that had been extended to pupils attending all types of schools was incompatible with their Article 9 European Convention on Human Rights (ECHR) right to freedom of religion. The claims were dismissed in the High Court and the Court 6 [2005] U K H L 15. 1*
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of Appeal. The House of Lords also dismissed the case. Lord Nicholls gave one of the leading speeches in the case. One point he considered, inter alia, was the following question: 'When does a religious belief engage the protection of Article 9 of the ECHR?\ There is a substantial case law in which the European Court of Human Rights (Eur. Ct. H. R.) sets out its test for when Article 9 is 'engaged'. In Williamson Lord Nicholls notes that any analysis of the individual right to religious freedom will inevitably require the court to examine the nature of the religious belief. 7 It is precisely at this point that space opens up for either the contraction or expansion of religious freedom: i.e, about the impact of different legal rules on the nature and extent of religious tolerance in liberal democracies. Provisions such as Article 9 guarantee not only the right to hold a belief (which cannot be limited under Article 9(2)) but also the right to manifest that belief (which can be justified under Article 9(2)). It is accepted that Article 9 of the ECHR does not cover all practices that are motivated by religion or belief (more widely defined). In the Arrowsmith 8 case the Commission established that in Article 9 cases a strictly subjective view of the whether or not the act or practice was motivated by religion or belief was not practical: "the term "practice" does not cover each act which is motivated or influenced by a religion or belief". 9 The resulting analysis has come to be described by some commentators as a 'necessity' test which requires the applicant to show that the manifestation or practice was required by their religion or belief. 10 Subsequent application of the Arrowsmith test suggests that it may not cover behaviour that is encouraged or permitted but not required by a religion. 11 For example, the Commission has upheld a criminal conviction of a twenty one 7 [2005] U K H L 15 at paras 22-30. 8 Arrowsmith v United Kingdom App. No. 7050 / 75, 8 Eur. Comm'n H. R. Dec. & Rep. 123 (1977). 9 See discussion in P van Dijk and G.J.H. van Hoof\ Theory and Practice of the European Convention on Human Rights, (Deventer: Kluwer, 1998) at p. 549. 10 Carloyn Evans , Freedom of Religion under the European Convention on Human Rights, (Oxford: Oxford University Press, 2001) at p. 115. 11 Carloyn Evans, Freedom of Religion under the European Convention on Human Rights, (Oxford: Oxford University Press, 2001) at p. 116.
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year old man who underwent an Islamic marriage to a fourteen year old woman without her parents consent because Islam permitted rather than required marriage at an earlier age than British law. 12 In the X v the United Kingdom case the Commission held that the there was no engagement of an Article 9 right where an applicant was refused permission to attend a mosque for Friday prayers because the applicant had not shown that it was a requirement of the religion to attend Friday prayers. 13 Subsequent application of the Arrowsmith test reveals that this 'objective' enquiry and 'necessity' test into whether or not the applicant's manifestation of religious belief engages Article 9 has not been applied in a consistent or systematic way. 14 Nevertheless, what does seem clear is that the test under Article 9 ECHR will not simply treat as sufficient the sincere and subjective claims of applicants that they were acting on the basis of a religious belief. Yet it is precisely this more 'subjective' approach that underlies Lord N i choll's analysis in Williamson. In that case Lord Nicholls acknowledges the need for some 'objective' filter to determine whether or not a practice should trigger Article 9 protection. He sets out the way in which these criteria provide a filter for claims and 'threshold' requirements: the belief relied upon must relate to "matters more than merely trivial"; "it must possess an adequate degree of seriousness and importance"; and "it must be a belief on a fundamental problem". 15 Lord Walker in Williamson had reservations about the practicality of the judicial process as a forum for investigating the "seriousness, cogency and coherence of theological beliefs" because it risked taking "the Court beyond its legitimate role." 1 6 It is worth noticing that Lord Nicholls' filter is 12 X v United Kingdom, App. No. 5442/72 (1975) 1 Dec. & Rep. 41, cited in Carolyn Evans , Freedom of Religion under the European Convention on Human Rights, (Oxford: Oxford University Press, 2001) at
p. 116.
13 X v the United Kingdom, App. No. 8160/78, 22 Eur Comm H. R. Dec & Rep 27(1981). 14 Carolyn Evans , Freedom of Religion under the European Convention on Human Rights, (Oxford: Oxford University Press, 2001) at pp. 116 — 120. is [2005] H.R.L.R. 14 at para 23. 16 [2005] H.R.L.R. 14 at para 58.
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unlikely to be an onerous burden on an applicant seeking to rely on the right to religious freedom under Art 9 ECHR or similar provisions. Lord Nicholls states: "With religious belief this requisite is easily satisfied. The belief must also be coherent in the sense of being intelligible and capable of being understood. But, again, too much should not be demanded in this regard." 17 This is in reality a low threshold criterion which is unlikely to present a significant hurdle for applicants. It therefore seems to go some way towards answering the concerns of Lord Walker that courts should not become too involved in questions of theology or religious belief. Moreover, after having passed this initial stage, the analysis that Lord Nicholls adopts takes up the point of view of the applicant. Although he cites Arrowsmith he does not explicitly adopt the 'objective necessity' test as a guide to whether or not a practice is a manifestation of belief that engages Article 9. Instead, Lord Nicholls adopts an analysis that relies on X v U K 1 8 which used the phrase "intimately linked" 1 9 as a guide to when the applicant's practice was a manifestation of religious belief under Art 9. He states that: "If, as here, the belief takes the form of a perceived obligation to act in a specific way, then, in principle, doing that act pursuant to that belief is itself a manifestation of that belief in practice". 20 Lord Nicholls goes on to apply this test for 'perceived obligation' to the applicants in the case and finds that: " [ . . . ] the act of administering corporal punishment on a child is, for that person (my emphasis), an expression of his conviction in practice." and " I t follows that when parents administer corporal punishment to their children in accordance with these beliefs they are manifesting these beliefs." 21 What is the appropriate legal solution to this problem? There is clearly some need to develop a way of translating issues of religion into legal analysis: "Religious conviction is not a solvent of 17 [2005] H.R.L.R. 14 at para 23. is X v U K , Application 10295 / 82, (1984) 6EHRR 558. 19 [2005] H.R.L.R. 14 at para 33. 20 [2005] H.R.L.R. 14 at para 33. 21 [2005] H.R.L.R. 14 at para 34-35.
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legal obligation." 22 How do we develop a legal rule that allows us to define the scope of religious tolerance in a coherent and intelligible way? As we have seen the Arrowsmith test suggests an objective necessity test. Lord Nicholls in Williamson, however, analyses the issue with more attention to the subjective beliefs of the applicant. The tension between an 'objective necessity' test and a more 'subjective test' that focuses on showing an 'intimate link' between the religious belief and practice, and therefore shifts the analysis towards paying greater attention to the belief of the applicant, is significant for a number of reasons. The choice of legal test for when a practice will be sufficient to trigger protection as an individual right to freedom of religion is of critical importance to the scope of religious tolerance. First, underlying the whole approach of the E C H R to religious tolerance is an assumption that there is a viable dichotomy between religious belief and religious practice. The fact that religious belief has unconditional protection under Article 9 whereas religious practice / manifestation can be justified via Article 9(2) is one consequence of this approach. This dichotomy assumes that a restrictive approach at the level of manifestation of a religious belief will not have any significant impact on the internal structure of religious belief. However, it is questionable whether this strict separation of internal belief and external practice is viable. A number of commentators have noted that this risks creating a mixed message for adherents of a religious faith: it suggests that they may hold a belief passionately but that they cannot always act on that belief by manifesting it in the public sphere. Obviously, this mirrors the liberal attitude towards religion which relies on a strict separation between the private and the public sphere. The sincere believer, however, may experience the world rather differently from the sincere liberal. There is, therefore, a risk that restriction of the manifestation of religious belief will have a significant impact on internal belief as experienced by the adherent of a religion. This is not to say that all manifestation of a sincerely held religious belief should fall within the scope of legal protection of religion. There will be some need for a more restrictive approach whether in the form of 22
Brennan J., quoted approvingly by Lord Walker in Williamson [2005] H.R.L.R. 14 at para 58.
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a stricter definition of what constitutes religion or belief or the type of threshold test set out in Williamson which is discussed below. Obviously where the grounds for protection are defined widely as religion and belief this increases the scope for protection and there will, as Lord Nicholls noted, be a need for some filter of the types of practices that fall within the individual right to freedom of religion. Another difficulty with a restrictive legal test for manifestation of religious belief, especially one that uses an objective or necessity test, is that it may be difficult to apply in cases where there are minority religions with which the mainstream legal and political institutions are not familiar. This is illustrated in some of the relevant cases where expert evidence is used to establish what a 'necessary' manifestation of the religion is. Use of expert evidence in these types of cases introduces a host of difficulties. In relation to majority religion it may be reasonably unproblematic for a court to consider this evidence and determine a 'necessary' manifestation of religion or belief. In these cases it will be easier for a court to pick out those practices that it recognises as being familiar as also being necessary and reasonable. However, in other cases such an analysis will be problematic. For example, in the case of minority and unusual religions, and those that lack a hierarchical structure and a clear set of rules, it will be difficult to be wholly led by expert evidence which treats this issue as a question of fact. There is still a need to apply the facts about the religion to the legal test: is it 'necessary'. One consequence of this may be that unusual and 'minority' religions or beliefs will find it harder to establish that the practice is a necessary manifestation. Moreover, this approach may result in a conflict within religious groups as the court is faced with questions about whether or not a particular practice is 'necessary' to a religious belief. These will be cases where someone who is a member of a religious group accepts some but not all of the rules or practices of that particular religion. This was in part the issue raised in the Shabina Begum case (discussed below) where the applicant argued that her preferred interpretation of her religious obligations under Islam required the adoption of a longer robe (jilbab) rather than an Islamic headscarf (hijab) which represented the accepted practice of the majority of Muslims consulted by her school.
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These problems with an objective /necessity test suggest that other legal solutions may be more appropriate. Lord Nicholls himself provides some way out of the objective/necessity test with his very low threshold test and his focus on the subjective views of the applicants. There are also the seeds of an alternative analysis in some Eur. Ct. H. R. decisions.23 Most significant in this area is the approach of the US Supreme Court in the Thomas v Review Board 24 decision of 1981 which provides us with a marked contrast to the Arrowsmith objective necessity test. In Thomas the claimant was a Jehovah's Witness who was transferred from his work in a steel factory to a factory that was involved in the production of military tanks. He argued that this was in conflict with his religious beliefs and he asked for his employment to be terminated. The Indiana Supreme Court had held that his decision was based on 'personal philosophical choice' rather than religious belief and dismissed his claim. On this point the majority in the US Supreme Court held that the guarantee of free exercise (right to freedom of religion) was not limited to beliefs which are shared by all the members of a religious sect. The fact that other Jehovah's Witness followers felt able to work in the production of tanks, and the fact that the claimant himself was struggling with whether or not his faith permitted such work, did not negate his claim. The US Supreme Court recognised that there are often differences within religious groups and, echoing Lord Walker's comments in Williamson, that the judicial process is not well suited to resolve such issues.25 This approach, rather like that of Lord Nicholls in Williamson, focused on the nature of religious tolerance as an individual right. From this perspective, the key issue is the perspective of the individual who was seeking to rely on the right to freedom of religion. In the context of an increasingly diverse society with a wide range of religions and beliefs, it will be difficult to expect the judicial process to investigate and construct what is necessary for a particular religious group. A more 23 Valsammis v Greece, 2 Eur. Ct. H. R. (ser A.) (1968). 24 Thomas v Review Board of the Indiana Employment Security Division, 450 U.S. 707. 25 Thomas v Review Board of the Indiana Employment Security Division, 450 U.S. 707, at pp. 713 -716.
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subjective test, which treats the right to religious freedom as important because of the place that religious belief has for that individual, may be more appropriate. 26 Once we recognize that the main focus for protection is the individuals internal religious beliefs and his right to act upon and manifest that belief, then this requires a generous interpretation of the types of practices that can constitute 'manifestation of belief. The fact that it is possible to justify restrictions on these manifestations via provisions such as Article 9(2) ECHR suggests that this latitude should not be too problematic. Moreover, the US example suggests that a more subjective test for manifestation of religious belief can achieve an appropriate balance between the maximum tolerance for individual religious belief and practice on the one hand and the need for some control over the types of practices that fall within the protection of an individual right to religion.
II. Shabina Begum defining and accommodating minority religions Many of these themes about religious tolerance also arose in the British version of the 'head scarf' cases. The British solution to the adoption of the headscarf in the public sphere is basically permissive. Following the decision in Mandla v Dowell Lee 2 7 the refusal to allow a Sikh boy to wear a turban a school was held to be unlawful race discrimination. Most public institutions have permitted the wearing of headscarves by Muslim women. 28 It differs from the French solution of prohibition 2 9 or the German approach of treating this as an issue for the legislature. 30 The 26
For a discussion of the need to take into account the subjective beliefs of the individuals see Maleiha Malik, 'Faith and the State of Jurisprudence' in: Sionaidh Douglas-Scott, Peter Oliver and Victor Tadros, eds., Faith in Law, (Oxford: Hart Publications, 2000). 27 [1983] 2 A C 458. 28 See a general discussion of these issues in Sebastian Poulter; 'Muslim Headscarves in School: Contrasting Legal Approaches in England and France*, (1997) 17 Oxford Journal of Legal Studies, pp. 43-74. 29
2004.
See the French ban on headscarves Law N o 2004-228, of 15 March
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Shabina Begum case was heard on appeal by the House of Lords on 5 - 7 February 2006. The House of Lords affirmed the decision of the school to impose its school uniform requirements that allowed the wearing of the headscarf (the hijab) but not the more voluminous robe (jilbab) which the applicant sought to wear to the school. Shabina Begum illustrates the difficulties that arise where some members of an established religious group claim that their religion requires different practices to those of the mainstream. It also raises a fundamental question about balancing different sources of authority in plural liberal democracies: i.e political and judicial authority, the authority of the school over its pupils and the claims to religious authority of minority religions groups over the lives of their individual members. In the Shabina Begum case a young Muslim woman challenged the decision of her school to strictly enforce their uniform code which made accommodation of South Asian dress and the headscarf (hijab) but did not permit her to wear a longer garment (jilbab) which she considered was obligatory in Islam. She sought judicial review of the decision of the school which, as a public body, was bound by section 6 of the Human Rights Act to give effect to the ECHR including Article 9 on freedom of religion. The rights in the ECHR have now been incorporated into British law via the Human Rights Act 1998 which requires the courts to apply them in domestic proceedings. In the context of religious freedom it is significant that Article 9 E C H R is given special mention in the H R A which states in section 13(1): "If a courts determination of any question arising under this Act might affect the exercise by a religious organisation (itself or its members collectively) of the Convention right to freedom of thought, conscience and religion, it must have particular regard to the importance of that right." The H R A ensures public bodies have a duty to take into account individual human rights. Section 6 of the H R A states that: " I t is unlawful for a public authority to act in a way which is incompatible with a Convention right." 30 Matthias Mahlmann, 'Religious Tolerance, Pluralist Society and the Neutrality of the State: The Federal Constitutional Courts Decision in the Headscarf Case', (2003) 4 German Law Journal (Vol. No. 11), pp. 1099-1116.
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A t first instance, the judge found against the applicant Shabina Begum. On appeal from this decision the Court of Appeal found for the applicant and held that the school had failed to follow the proper decision-making procedure in order to determine whether there had been a possible infringement of an Article 9 right. The House of Lords unanimously overturned the decision of the Court of Appeal and held that the schools refusal to allow its pupil to wear a long robe (jilbab) which was not part of the school uniform had not breached the school girl's right to freedom of religion under Article 9 ECHR. A majority of the House of Lords found that the jurisprudence of the European Court of Human Rights affirms that there is no violation of the Article 9 right to freedom of religion of an individual where a public institution restricts the wearing of clothing such as a headscarf (hijab). The Eur Ct. H. R. case law on headscarves is well known. If it permits the restriction on headscarves then it would follow that the more voluminous and restrictive robe (jilbab) would also fall within this analysis. The Court of Appeal reasoning deserves close scrutiny. It constructs the issue of the protection of the rights of the individual school girl, and the decision making of the school, as a procedural rather than substantive issue. This is similar to the analysis of the issues in Ludin the German headscarves in schools case31. The Court of Appeal held that the school should have asked itself, inter alia, the following questions: (1) Has the claimant established that she has a relevant Convention right which qualifies for protection under Article 9(1)?; (2) Subject to any justification that is established under Article 9(2), has that Convention right been violated? (3) Was the interference with her Convention right prescribed by law in the Convention sense of that expression? (4) Did the interference have a legitimate aim? (5) What are the considerations that need to be balanced against each other when determining whether the interference was necessary in a democratic 31 Matthias Mahlmann, 'Religious Tolerance, Pluralist Society and the Neutrality of the State: The Federal Constitutional Court's Decision in the Headscarf Case', (2003) 4 German Law Journal (Vol. No. 11), pp. 1099-1116.
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society for the purpose of achieving that aim? (6) Was the interference justified under Article 9(2)? It is important to note that the Court of Appeal set these out as the procedural questions that the school should have, but did not, consider. Therefore, the court found that the school had failed to consider properly the Applicant's Art 9 rights and found in her favour. However, the Court of Appeal explicitly stated: "Nothing in this judgment should be taken as meaning that it would be impossible for the School to justify its stance if it were to reconsider its uniform policy in the light of this judgement and were to determine not to alter it in any significant respect." 32 At one level this seems to be a way of balancing the power of the school to reach its own decision with the need to set some human rights standards and norms. However, this 'procedural' approach was overturned by the House of Lords. More specifically, the House of Lords stated that in relation to Article 9 the key issue is not the procedure by which the decision is made (as emphasised by the Court of Appeal) but rather the result, i.e "was the right to manifest a religious belief restricted in a way which is not justified under Article 9(2)". 33 The decision of the House of Lords is discussed in more detail below. Here it is worth placing this issue in its wider contexts. The Shabina Begum illustrates the way in which the complex social and political challenges multiculturalism, and identity politics, have made their way into legal processes. There are a myriad of ways in which these claims can arise. 34 For example, in the British context the claims vary: the call for a change to neutral dress codes to accommodate the wearing of turbans by Sikhs 35 ; an exemption for Sikhs from the statutory obligation to wear protective head gear on building sites 36 ; a claim by a Muslim school 32 [2005] H.R.L.R. 16 at para 81. 33 Per Lord Bingham, [2006] U K H L 15, at p. 27, para 27. 34 For a full discussion of these issues see Sebastian Poulter; Ethnicity, Law and Human Rights: The English Experience, (Oxford: Clarendon Press, 1998). 35 Mandla v Dowell Lee [1983] 2 A. C. 548. 36 Section 11 of the Employment Act 1989. For a discussion of these issues see Sebastian Poulter; Ethnicity, Law and Human Rights: The English Experience, (Oxford: Clarendon Press, 1998) at Chapter 8.
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teacher for time off to attend a mosque on a Friday 3 7 ; a claim by a Christian employee for time off on a Sunday as a day of rest 38 . The translation of the political critique of liberal neutrality into legal claims in these cases occurs through a mechanism whereby claimants argue for a 'rule exemption': i.e, they argue that what seems to be neutral rule applicable to all citizens equally places them at a particular disadvantage when they manifest their religious belief which is 'different' to the public norm. 3 9 Of course this is most acute in the case of minority religions but as the Williamson illustrates the issue is also relevant for Christian 'majority' faiths faced with an increasingly secular public sphere. Where the manifestation of the religious practice causes substantial harm (such as physical assault on children in the corporal punishment claim in Williamson) these cases will be easier to resolve. However, there is very little guidance on how to use 'harm' as a way of grading these different types of practices. For example: there has been an absolute ban on female circumcision in Britain since 1985, and practices that cause physical harm to children such as corporal punishment are prohibited. However, Sikhs are permitted to take the risk of substantial physical harm by not wearing protective head gear in some circumstances. It is also difficult to formulate an appropriate legal response in case where the manifestation of religious belief does not cause an obvious harm but either causes harm in a more subtle way or conflicts with another important right or public policy aim such as gender equality. This was, in part, the dilemma in the Shabina Begum case. The ECHR solution to rule-exemption claims by religious groups has been complex. In most cases the result under the ECHR regime has been to deny the claim of the religious groups seeking accommodation via an exemption from the neutral rule of the state. 40 In the case of the British school teacher seeking time 37 Ahmad v ILEA[1978] Q.B 36. 38 Copsey v Webb Devon Clays Ltd [2005] I. C. R. 1789. 39 For a strong argument against accommodating these types of ruleexemption claims see Brian Barry, Culture and Equality, (Cambridge: Polity Press, 2001) at Chapter 2.
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off on a Friday to attend the mosque the Commission decided that there was no breach of his Article 9 rights because, inter alia, he had voluntarily accepted the employment contract that required him to be present at work on Fridays. 41 The Commission also noted that he had not passed the 'necessity' test because he had not shown that it was a 'requirement' to attend Friday prayers in a mosque. One exception to this general trend is the Thlimmenos v Greece 42 where the European Court of Human Rights upheld the complaint of a Jehovah's Witness. In that case the complainant had been convicted whilst in the army for refusing to wear a military uniform on the grounds that it was in conflict with his religious beliefs. Subsequently he was refused admission to the Institute of Chartered Accounts (the Greek professional accountants' body) according to its rules because of this previous conviction. The Institute did not distinguish between convictions based on religious belief and other types of criminal convictions. In Thlimmenos the Eur. Ct. H. R. held that there had been a violation of the right to non-discrimination in Art 14 ECHR taken in conjunction with the right to freedom of religion in Art 9. The court stated that the right not to be discriminated against is also violated where a State without an objective and reasonable justification fails to treat differently persons whose situations are significantly different. The introduction of a principle of 'indirect discrimination' into the analysis of Article 14 and Article 9 has significant implications because it means that it will be easier for complainants to rely on the rule-exemption argument and challenge facially neutral rules that do not accommodate their particular practice. However, it is also worth noting that there were certain specific reasons for the decision in Thlimmenos which included the fact that he was being penalised twice for his religious beliefs: once by being convicted in the army and second by being refused admission to 40
Carolyn Evans , Freedom of Religion under the European Convention on Human Rights, (Oxford: Oxford University Press, 2001) at Chapter 6 and Chapter 8. 4 1 X v United Kingdom, App. No. 8160 / 78 (1981) 22 Dec. & Rep. 27. 42 Thlimmenos v Greece, App. No. 34369/97 [2000] Eur. Ct. H . R. 162 (6 April 2000).
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the Institute and his chosen profession because of the same conviction. It remains unclear whether the Eur. Ct. H. R. will apply the permissive approach in Thlimennos to rule-exemption claims by religious groups in other types of cases more generally. In the 'headscarf' cases, however, the approach of the Eur. Ct. H. R. is clear and emphatic. In a series of cases the Eur. Ct. H. R. has upheld the rights of States to regulate whether or no individual women are permitted to wear headscarves as part of their religious obligations. Most of these cases have been in the context of Turkey which has a constitutional commitment to strict secularism. The Karduman 43 and most recently the Sahin 44 case have confirmed this trend. The Eur. Ct. H. R. has also confirmed this general approach in the Dahlab 45 case involving Switzerland. The decisions in these cases recognise that the State can justify a ban on headscarves on public policy grounds as part of the justification defence in Article 9(2). One recurring aspect of the public policy issue raised by headscarves is the argument about the potential conflict between the right to wear a headscarf and gender equality. This raises a more fundamental point about how contemporary legal systems resolve conflict of rights issues. This conflict of rights arises in cases where an individual right such as freedom of religion comes into conflict with another right such as equality or freedom of expression. Given the increasing spread of anti-discrimination law beyond traditional grounds of race and gender to include grounds such as sexual orientation, religion and disability it is increasingly likely that there will be a conflict of rights between claims to religious freedom on the one hand and one of these equality norms on the other (e.g gender equality or sexual orientation). A number of jurisdictions have already considered these types of conflicts 46 . The potential conflict in the E U Em43 Karduman v Turkey (1993), 74 Dec & Rep. Eur. Comm. H. R. 93. 44
Leyla Sahin v Turkey, Case 44774/98, Eur. Ct. H. R., decision of 10 November 2005. 4 5 Dahlab v Switzerland, Case 42393/98, Eur. Ct. H. R., decision of 15 February 2001. 46
See the decision of the Canadian Supreme Court in Trinity Western University v British Columbia College of Teachers [2001] 1 S. C. R. 772.
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ployment Equality Directive between religion and sexual orientation in the sphere of non-discrimination in employment is acknowledged and resolved through the compromise which allows religious groups a limited exemption from the general requirement of non-discrimination on the grounds of sexual orientation. 4 7 It is worth noticing that it is not inevitable that the 'headscarf' cases will give rise to a conflict of rights between religious freedom and gender equality. Before an individual right is traded off in what seems to be 'conflict of rights' there should be clear evidence of such a conflict. In Shabina Begum neither the Court of Appeal nor the House of Lords constructed the wearing of a headscarf as a practice that was potentially a source of gender inequality. There was no evidence before the court that the young Muslim woman had adopted her preferred choice of dress for any reason other than sincere religious belief. There was some evidence that the adoption of the more conservative dress may act as a form of pressure on other Muslim women who adopted the less conservative headscarf rather than robe to do the same. Nevertheless, neither the Court of Appeal nor the House of Lords treated the headscarf (hijab) or the robe (jilbab) as a symbol or practice of gender inequality per se. In fact, Lady Hale in the House of Lords made the following unequivocal statement as a response to the feminist lament that Muslim women who wore headscarves were choosing 'oppression': " I f a woman freely chooses to adopt a way of life for herself, it is not for others, including other women who have chosen differently, to criticise or prevent her. [ . . . ] Likewise the sight of a woman in full purdah may offend some people, and especially those western feminists who believe that it is a symbol of her oppression, but that could not be a good reason for prohibiting her from wearing i t . " 4 8 In this way the right to manifest freedom of religion is treated as an individual right rather than a proxy for a wholesale religious attitude or approach to women. The British reluctance to extrapolate a necessary con47
Employment Equality Directive, Council Directive 2000 / 78 / EC of 27 November 2000. See Art 4(2). 48 Per Lady Hale, [2006] U K H L 15, at p. 38, para 96. 17 Mahlmann/Rottleuthner
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nection between wearing a headscarf and gender inequality is similar to the approach of the dissenting opinion of Judge Tulkens in the Sahin case who noted: "By converse implication, wearing the headscarf is considered synonymous with the alienation of women. The ban on wearing the headscarf is therefore seen as promoting equality between men and women. However, what in fact is the connection between the ban and sexual equality? The judgment does not say. Indeed, what is the significance of wearing the headscarf? As the German Constitutional Court noted in the Ludin case in its judgment of 24 September 2003, wearing a headscarf has no single meaning: it is a practice that is engaged in for a variety of reasons. It does not necessarily symbolise the submission of women to men and there are those who maintain that, in certain cases, it can even be a means of emancipating women. What is lacking in this debate is the opinion of women, both those who wear the headscarf and those who choose not t o . " 4 9 This analysis is preferable because the priority should be to avoid constructing fact situations as a conflict between individual rights unless there is clear and unequivocal evidence that such a conflict does in fact exist or that there is substantial evidence that there will be such a conflict. 50 The preferred approach should be to harmonise basic fundamental individual rights. As Judge Tulkens noted in the Sahin case at para 4: " I n the present case, relying exclusively on the reasons cited by the national authorities and courts, the majority put forward, in general and abstract terms, two main arguments: secularism and equality. While I fully and totally subscribe to each of these principles, I disagree with the manner in which they are applied here and to the way in which they were interpreted in relation to the practice of wearing the headscarf. In a democratic society, I believe that it is necessary to seek to harmonise the principles of secularism, equality and liberty, not to weigh one against the other." 51 Using Justice Tulkens 49
Leyla Sahin v Turkey, Dissenting Opinion of Judge Tulkens, para 11. This is also the method preferred by the Canadian Supreme Court in a case which involved a conflict between religious freedoms and equality rights, see Trinity Western University v British Columbia College of Teachers [2001] 1 S. C. R. 772. 50
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Leyla Sahin v Turkey, Dissenting Opinion of Judge Tulkens, at para 4.
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analysis it is open to a court to construct the decision of a European Muslim woman to adopt a headscarf as a fully informed decision where she exercises her agency and choice to enter into the public sphere (in education or employment) as a fully participating citizens. As Seyla Benhabib notes in her analysis of the French headscarf in schools controversy: "Ironically, it was the very egalitarian norms of the French public educational system that brought these girls out of the patriarchal structures of the home and into the French public sphere, and gave them the confidence and the ability to resignify the wearing of the scarf 3352 Moreover, this approach to conflict of rights issues seeks to minimise the trade-off between rights. It also fits in with a 'subjective' approach to religious belief that treats freedom of religion as an individual right. This method ensures that the focus remains on the actual choices of the individual claiming the right rather than assuming the reasons for the exercise of their choice from a wider set of attitudes or assumptions about religious practices such as the symbols associated with wearing headscarves. There is widespread consensus in Britain that mainstream Muslim dress can and should be accommodated in schools and public institutions. Shahina Begum raised a different issue about how the legal and political system should treat those minority opinions within a religious minority that seek to manifest their religious practice in a way that is different (in this case more conservative on issues of the dress of women) from the majority view within that group. On this issue the approach of the Court of Appeal is significant. Lord Justice Brooke stated at that there was a minority view that supported the complainant's sincere belief that wearing the more conservative dress was a religious requirement. 53 Lord Hoffman affirmed this point in the House of Lords: " I accept that wearing a jilbab to a mixed school was, for her, a manifestation of her religion. The fact that most other Muslims might not have thought it necessary is irrelevant." 54 Brooke LJ went on 52
Seyla Benhabib, The Rights of Others, (Cambridge: Cambridge University Press, 2004) at p. 191. 53 [2005] H.R.L.R. 16 at paras 48 and 49. 54 [2006] U K H L 15, at p. 20, para 50. 17*
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to acknowledge and accept that Shabina Begum could rely on this minority view as her preferred interpretation of her religious obligations. He concluded: " I t follows that her freedom to manifest her religion or belief in public was being limited, and as a matter of Convention law it would be for the School, as an emanation of the state, to justify the limitation on her freedom created by the School's uniform code and by the way in which it was enforced." 55 The House of Lords, however, reached a different conclusion. There was some discussion in the House of Lords about the basis of the decision, whether there was no infringement of the Article 9 ECHR right because there was no interference with the Article 9(1) or because the State had been able to bring itself within Article 9(2) that permits an interference with freedom of religion under certain limited circumstances. A recent decision of the Court of Appeal has been sceptical about the first line of argument: that there is no interference of Article 9(1) where the applicant has a viable choice, i.e move to a new job or a new school that would allow the religious practice. 56 In the House of Lords three out of five judges endorsed the ECHR jurisprudence: i.e there is no interference with religious freedom, and no engagement of Article 9(1) where individuals have either voluntarily, or as part of a valid and binding contract, put themselves in a position that restricts the manifestation of their religion. 57 Lord Bingham stated in relation to this ECHR principle: "Even if it be accepted that the Strasbourg institutions have erred on the side of strictness in rejecting complaints of interference, there remains a coherent and remarkably consistent body of authority which our domestic courts must take into account and which shows that interference is not easily established."58 55 [2005] H.R.L.R. 16 at para 49. 56 Copsey v WWB Devon Clays Lts [2005] ICR 1789, paras 31-39. 57 See for example decisions of the European Commission of Human Rights in Stedman v United Kingdom, App No. 29107/95; (1997) 23 EHRR 168 and the Eur. Ct. H. R. in Darby v Sweden, App No. 11581 / 85; (1991) 13 E H H R 774. See also the discussion by Carolyn Evans , Freedom of Religion Under the European Convention on Human Rights, (Oxford: Oxford University Press, 2001) at p. 127. 58 [2005] U K H L 15, at p. 10, para 24.
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The House of Lords also differed with the Court of Appeal over the interpretation of the justifications for interference with religious freedom under Article 9(2). On the issue of the justification the Court of Appeal distinguished the Eur. Ct. H. R. case law on headscarves which uphold the right of a secular state to prohibit headscarves in public education institutions. Lord Justice Brookes found that unlike Turkey the United Kingdom is not a secular state. There are statutory duties on schools to provide religious education is schools (e.g section 80 of the Education Act 2002). He states at para 74: "The position of the School is already distinctive in the sense that despite its policy of inclusiveness it permits girls to wear a headscarf which is likely to identify them as Muslim. The central issue is therefore the more subtle one of whether, given that Muslim girls can already be identified in this way, it is necessary in a democratic society to place a particular restriction on those Muslim girls at this school who sincerely believe that when they arrive at the age of puberty they should cover themselves more comprehensively than is permitted by the school uniform policy." 5 9 The House of Lords overruled the Court of Appeal on this particular point. In his judgment Lord Hoffman stated in relation to these observations about the difference between the U K and Turkish approaches that: "These observations about the differences between the United Kingdom and Turkey seem to me to miss the point. Turkey has a national rule about headscarves, based on its constitution. Its justification for the assumed interference with the manifestation of religious belief was therefore considered at the national level. In the United Kingdom, there is no national rule on these matters. Parliament has considered it right to delegate to individual schools the power to decide whether to impose requirements about uniforms which may interfere with the manifestation of religious beliefs. From the point of view of the Strasbourg court, the margin of appreciation would allow Parliament to make this choice." 60 Therefore, as the House of Lords acknowledged, and as is well established, the Strasbourg jurisprudence leaves a wide margin of discretion to each Member State on the issue of accommodating religious dif59 [2005] H.R.L.R. 16 at para 74. 60 [2006] U K H L 15 at p. 25, para 25.
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ference. H o w should a modern secular liberal democracy respond to the demands for accommodation of religious practices by its citizens?
III. Accommodating religious difference in Britain The Shabina Begum case illustrates a common dilemma facing contemporary liberal democracies that are increasingly diverse (or multicultural) in terms of the religious practices of their citizens. It is worth noticing that the term 'multiculturalism' is both a descriptive and a normative term. A t a descriptive level it captures the social changes that have meant that many European democracies are now diverse in terms of the race, ethnicity, culture, religion and sexuality of their citizens. A t a normative level, 'multiculturalism' suggests that this diversity is a positive development and that the appropriate policy response is to 'accommodate difference' in the public sphere. Multiculturalism in Britain has meant that different groups - defined along categories such as race, religion, gender and sexual orientation - feel that they can make legitimate claims for public accommodation of some of their practices. In this way multiculturalism challenges the classic liberal settlement of keeping the public sphere as a neutral space where citizens come together as equal citizens with recognized political rights. Of course this classic liberal approach allowed minorities to flourish through guaranteeing individual civil and political rights, e.g free speech, free association and free exercise of religion. This provided an over-arching framework allowing minorities to pursue their way of life in the private sphere. The ECHR and an individual right to religion in Article 9 can be read as part of this classic liberal approach to religion. It is worth reiterating that multiculturalism is not only a normative political claim it is also a social and political fact. Identity politics is an observable social phenomenon: there has been a significant change in the form and content of the political claims made by minority groups in recent times. Many no longer ask for the "same" rights as the majority. Some of the most compelling demands of minorities now take the form of calls for the accommodation of "difference" in the public sphere.
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This social change is especially problematic for liberal multiculturalism faced with a plethora of rule exemption claims by a wide range of social groups. Claims for rule-exemptions and accommodation by minorities vary greatly: the categories range from race, culture and religion through to gender and sexual orientation and disability. Legal regulation - at the domestic, E U and constitutional level - covers all of these various grounds. In the context of religion, however, public accommodation of traditional groups raises a distinct set of problems for liberals. These claims challenge the most fundamental beliefs of secular liberals for whom the public-private dichotomy is almost an article of faith: traditional secular liberals will vigorously defend an individual right to religion in the private sphere whilst at the same time vigilantly guarding the public sphere as a neutral religion-free zone. Individuals claim that their status as political right bearers is no longer a sufficient guarantee of full and equal citizenship. They now want their personal identity to be more substantially recognized by the State. This new 'politics of recognition' raises an urgent point of principle: how should a liberal democratic state respond to claims by its citizens that their religion should move from its designated place in the private realm towards positive accommodation in the public sphere? Shabina Begum illustrates the British approach to claims for multicultural accommodation. The decision confirms the general approach of treating religious freedom as a fundamental individual right, which is construed broadly and from the point of view of the person seeking to rely on the right. It also provides an alternative way of constructing the 'head scarf' issue. The British approach in Williamson and Shabina Begum confirms a focus on the subjective aspect of religious freedom: i.e, the fact that religious freedom is a right that needs to be understood from the perspective of the individual for whom that religious belief has point, value and significance. Moreover, although in some cases where there is a clear case of significant harm which makes it impossible to accommodate certain types of religious practices (corporal punishment in Williamson; female genital mutilation which is criminalised in Britain), there are other cases where despite the fact that the religious practice may conflict with existing liberal
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norms it may be the subject of accommodation in the public sphere. On one reading, the decision by the House of Lords to overrule the Court of Appeal in the Shabina Begum case, and find that she did not have a 'right' to wear a robe to school, could be seen to be a defeat for multiculturalism. However, this would be a misreading of the House of Lords decision. In his leading speech Lord Bingham stated: " I t is important to stress at the outset that this case concerns a particular pupil and a particular school in a particular place at a particular time. It must be resolved on facts which are now, for purposes of the appeal, agreed. The House is not, and could not be, invited to rule whether Islamic dress, or any feature of Islamic dress, should nor not be permitted in the schools in this country. That would be a most inappropriate question for the House in its judicial capacity, and it not one which I shall seek to address." 61 What this emphasises is that the British approach leaves certain types of decision to non-judicial institutions, and non-legal authority, such as that of a school governing body. Once it is accepted that the principle of 'accommodation of difference' or multiculturalism can operate as a guiding principle in contexts other than those of legislative or judicial authority, the decision by the House of Lords to affirm the decision-making authority of the school can be welcomed. There was clear evidence in the Shabina Begum case that the school had consulted widely and undertaken its construction of the school uniform with great attention to the needs of local Muslims. The House of Lords decision which affirms this process can be seen to endorse a range of principle: pluralism in relation to decisions which affect minorities; promoting different sources of authority and a balance between decision-makers; and encouraging decisions to be made after consultation and negotiations between majorities and minorities at a local level. This approach can be welcomed as a way of extending the principle of 'accommodating difference' into a wider range of public institutions.
6i Per Lord Bingham, [2006] U K H L 15, at p. 1, para 2.
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IV. Accommodation of religious minorities: the role of non-legal institutions This attitude of pragmatic accommodation of some of the most pressing claims of minorities is also reflected in non-legal public institutions. One noteworthy example is The Finance Act 2003 which abolished an excessive and double stamp duty on mortgages that comply with the Islamic law (Sbaria) prohibiting the charging of interest. As most British mortgages involve the house buyer borrowing money, the regime of a double stamp duty on those mortgages that complied with Islamic law was a significant barrier to the development of more widespread home finance for Muslims. The abolition of this penalty by the British Treasury has laid the foundation for cheaper mortgages for those Muslims who are unable to buy normal financial products because their faith prohibits it. This legal change could have short term results in terms of greater financial stability through making home ownership easier for British Muslims. It should make the mortgage market operate in a fair and accessible way. There are also longer term and more subtle benefits. These types of modest concessions can yield considerable and magnified political benefits for minorities. Such moves have the potential to reduce the gap between the experiences of Muslims in their daily and practical lives and their experience of mainstream British legal and political institutions. This in turn can encourage the meaningful identification of minorities such as British Muslims with these mainstream political and legal institutions. It is also perhaps worth noticing that despite the claim by some political leaders that the shari'a is one of the ideas on which there is no compromise in the context of the 'war on terror' the Treasury has made a significant concession that accommodates principles of Islamic law relating to financial interest. This example also illustrates one way out of what seem to be intractable 'multicultural conflicts'. It confirms that a sensitive and imaginative response by public institutions to an urgent need of some of their citizens can sometimes yield a more promising result than abstract theorising about multiculturalism and citizenship. It can, at the same time, extend the scope of religious tolerance in an appropriate and principled way.
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V. Freedom of religion from tolerance to equal citizenship The British approach in these cases develops out of a different historical and constitutional approach to religious freedom. Countries with a different history of secularism, such as France or Turkey, will both construct and resolve these issues in different ways. It is worth mentioning that the social and political context within which principles of religious tolerance such as laïcité are applied will be of crucial importance in determining the reality of the experience of religious tolerance. There is the possibility that a seemingly neutral concept such as laïcité which operates in a neutral way (in theory) can be applied in way that specifically oppresses certain religious views (in practice). Naima Bouteldja notes this risk in her commentary on the foulard episode: "As the French philosopher Pierre Trevanian has argued, what is most interesting about this debate around the 'veil' is not what it has veiled (social issues) but what it has unveiled. "There exists in France a cultural racism, which targets the descendants of the colonised, and primarily picks upon their Muslim identity." The post-colonial anxiety helps us to understand the ubiquity of appeals to "reaffirm" the secular principles of the republic, even as it reinvents and distorts those very traditions". 62 It is worth asking whether historical, political and social changes within European states now justify re-examining traditional concepts and asking whether minimalist guarantees of religious tolerance are still able to deliver the individual right to religious freedom. Given the weakening in the political and social power of religion is there still a pressing need to enforce a strict separation of religion and state which may operate in practice to restrict religious freedom? What is the relationship between a private religious identity and the public identity of citizens? Does a private religious identity undermine the ability of individuals to identify with the state as citizens?63 62 Naima Bouteldja, The Reality of l'affaire du foulard, Friday 25 February 2005, The Guardian. 63 For a discussion of the French headscarf controversy see Talal Asad: 'Reflections on Laïcité and the Public Sphere', (2005) Vol 5, No. 3, Social
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In these circumstances the response of legal and political institutions to the demands of these groups generally, and religious minorities more specifically, will have profound implications for their place within a liberal democracy as full and equal citizens. A definition of citizenship that uses a common race, culture or religion as its marker will necessarily and unjustly exclude large numbers of people. Any liberal democracy that has a large diversity of races, cultures and religions will find it difficult to simultaneously generate a meaningful 'sense of belonging' to a political community and comply with the principle of equality. One alternative to these criteria is to develop a definition of citizenship that focuses on identification with public institutions. Developing citizenship along these lines of 'institutional accommodation' requires attention to the needs of both the majority and the minority. If a 'sense of belonging' to a political community and its national institutions is important for the minority then it is also important for members of the majority community. 64 There are a number of specific costs associated with institutional accommodation of the rule-exemption claims of minorities that challenge neutral practices in the public sphere. In the short term this process of accommodation will rarely benefit the majority who are likely to resist this process. Put bluntly, this version of multiculturalism will often require the majority to give up their power and advantage as institutions are transformed from exclusively reflecting their vested interests and start to accommodate some of the most urgent needs of groups. However, a focus on short-term pain should not prevent us from recognising the substantial long terms benefits for the majority that compensate for these costs: i.e, a more principled treatment of minorities by the liberal state and a more stable political community. Minorities will also have to make painful adjustments. They are at the forefront of calls for 'multicultural accommodation' but are not always willing to accept that their private identity cannot be autoScience Research Council, (http://www.ssrc.org/publications/items/v5n3/ accessed on 10 May 2006). 64 See Maleiha Malik , 'Minorities and Human Rights' in: Tom Campbell, Keith Ewing et al, eds., Sceptical Approaches to Human Rights, (Oxford: Oxford University Press, 2000).
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matically reflected in the public sphere. There has to be some limited assimilation to the shared values and practices that are the agreed basis for a common public life. In practice, this will mean that they may need to compromise some of their most cherished values in order to become acceptable partners in any process of public accommodation. Finally, we need to recognize that any process of multicultural accommodation is likely to create specific risks to vulnerable group members. This is especially true where there is accommodation of traditional racial, cultural or religious practices which often and predominantly harm women. 65 The British approach permits the limited accommodation of some of the most pressing needs of religious groups. This solution to the problem of the accommodation of religious claims within secular societies requires compromise by both the majority and minority. The institutional context within which these compromises are debated and agreed is critically important in all these cases. The judicial process will not always be the most appropriate forum for resolving these issues. Political processes, and representative assemblies, have a key role to play in this sphere. 66 The debate about accommodating religious groups, and the resulting negotiation between the majorities and minorities, needs to be carried out within mainstream political and legal institutions. Public institutions such as schools, the wider civic society and the media are also important actors within this process. This is likely to ensure the broadest range of participation in public debate and political negotiations. In this way the painful compromises that are an inherent part of politics between different social and religious groups are more likely to command the consent of all those involved. Points of difference and friction between different political perspectives whether secular and religious, or majority and 65
Susan Moller Okin , 'Feminism v Multiculturalism', Ethics 108 (July 1998), pp. 661-684. 66 See Maleiha Malik , 'Minorities and Human Rights' in: Tom Campbell, Keith Ewing et al, eds., Sceptical Approaches to Human Rights, (Oxford: Oxford University Press, 2000) for a more detailed analysis of this issue. See also the case study about Sikhs in Sebastian Poulter ; Ethnicity, Law and Human Rights: The English Experience, (Oxford: Clarendon Press, 1998).
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minority religions, can often act as a catalyst towards a stable form of integration that avoids the worst injustices of forced assimilation. In some cases we must be satisfied with an outcome that is a patient and resigned modus vivendi. More optimistically, this technique also has some potential to generate a transformation from pragmatism to a principled endorsement of the principles of democracy such as individual freedom and egalitarian principles. 67 This process may also redeem the worst excesses of contemporary multicultural politics: to generate a deeper and more meaningful identification with national institutions for the majority and minority, in a joint enterprise, that creates and sustains a coherent political community rather than a plethora of self-interested splinter groups. A sense of belonging for all citizens, including religious majorities and minorities, can be effectively hammered out through debate, agreement and sometimes compromise carried out in a secular democratic public sphere.
67 For a discussion of the normative principles underlying deliberative democracies see Seyla Benhabib, The Claims of Culture: Equality and Diversity in the Global Era (Princeton, N.J.: Princeton University Press,
2002).
The Free Exercise of Religion: An American Perspective By John Mikhail
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H o w should a constitutional democracy treat the religious beliefs and practices of its members? The United States' provisional answer to this question may be found in the first sixteen words of the Bill of Rights: "Congress shall make no law respecting the establishment of religion, or prohibiting the free exercise thereof." 2
These two constitutional provisions - the Establishment Clause and the Free Exercise Clause - provide the basic framework within which American courts approach questions of religious liberty and state authority, such as those currently generating widespread controversy in Europe. With that controversy in mind, I wish to accomplish two main objectives in this chapter. First, I wish to summarize the history and main contours of American free exercise jurisprudence. Where relevant, I will also discuss the Establishment Clause, but the Free Exercise Clause will be my main focus. Second, I wish to describe how that jurisprudence might apply to one type of case that has generated considerable debate in Europe: laws which regulate or ban the wearing of Islamic headscarves or other conspicuously religious attire by students in public schools.3 Although this question 1
This chapter derives from a lecture I gave at the Freie Universität Berlin in January, 2005. I wish to thank my hosts Matthias Mahlmann and Hubert Rottleuthner, as well as Beate Rudolf, who commented. Thanks also to Mark Tushnet for his helpful feedback on a previous draft. Kristen Young, Joni Foster, and Jennifer Rosenberg provided research assistance. 2 US Const, amend. I. 3 See, e.g. R (Rahman) v. Headteacher and Governors of Denbeigh High School [2006] U K H L 15; Sahin v. Turkey (2005) EHRR 8. See also Law
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has received less attention in the United States than in Europe, American courts have also begun to encounter lawsuits raising these issues. It therefore may be of interest to consider how American courts are likely to interpret and analyze them.
I. Religion in the United States Before addressing these topics, let me begin with an important clarification. Hopefully, doing so will address any concern that my objective here is to defend the superiority of American concepts of free exercise to their counterparts in Germany or elsewhere. In fact, one of the main points I wish to convey is the opposite: to a certain extent, American law appears deficient in its protection of religious freedom. Certainly one seems inclined to draw this conclusion when comparing American constitutional law with that of Germany. 4 What is interesting and at least initially paradoxical about this fact is that the United States is, comparatively speaking, a very religious country. Polls of the religious beliefs of Americans regularly surprise and sometimes shock the rest of the world. For example, ninety percent identify themselves as practicing Christians, and over forty percent describe themselves as "born-again" or profess to have had a personal experience of Jesus Christ. 5 Most Americans do not believe in evolution, and about a third think the Bible is literally true. 6
No. 2004-228 of March 15, 2004, Journal Officiel de la Republique Française [J.O.] [Official Gazette of France], March 17, 2004, p. 65. 4 See Edward J. Eberle , Free Exercise of Religion in Germany and the United States, 78 Tul. L. Rev. 1023 (2004); Matthias Mahlmann , Religious Tolerance, Pluralist Society and the Neutrality of the State: The Federal Constitutional Court's Decision in the Headscarf Case, German Law Journal Vol. 4, N o 11 - 1 November 2003. 5 U.S. Public Opinion Polls on Religion: H o w Americans Describe Themselves, http://www.religioustolerance.org/ chr_poll7.htm#desc (last visited June 2, 2006). 6 See "God and Darwin," Washington Post, Monday, January 25, 2005; page A14.
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These statistics do not tell the whole story. When placed in proper context, America's position in the world with respect to the religiosity of its citizens is truly exceptional. It is widely recognized that the transition to an advanced technological society is typically accompanied by the secularization of belief systems. Indeed, social scientists have shown that the positive correlation between secularization and socioeconomic development is extremely strong. Generally speaking, then, societies at higher levels of development will have a smaller fraction of the population for whom religious beliefs are highly salient. Conversely, the less developed a society is, the more religious it will be.7 The notable exception to this pattern is the United States, which is nearly "off the chart" when it comes to the correlation between religious belief and socioeconomic development. To appreciate this phenomenon, consider a study by political scientist Walter Dean Burnham, who compared responses to an international survey of religious beliefs in fourteen countries or regional areas with a composite measure of development based upon twenty-two development variables, such as per capita gross national product, daily food consumption in calories per inhabitant, and life expectancy at birth. Burnham's study revealed that the relationship between secularization and socioeconomic development was, as predicted, nearly linear and extremely strong, but that the United States did not fit the main sequence at all. Indeed, when the United States was included in Burnham's regression analysis, the total variance in the religious belief category that otherwise is explained by the composite development variable declined by 44 percent. To put the matter in perspective, if the United States resembled the rest of the world in this respect, the percentage of its population characterizing their religious beliefs as "very important" should have approximated zero, instead of the actual value, which was 56 percent. Alternatively, as Burnham explains, "with a 56 percent score on the religious belief dimension, its development level should be about 2.5 rather than 45.6 7
See Walter Dean Burnham , The 1980 Earthquake: Realignment, Reaction, or What?, in: The Hidden Election: Politics and Economics in the 1980 Presidential Campaign, p. 98-140, at 132-33 (Thomas Ferguson and Joel Rogers, eds., Random House, New York 1981). 18 Mahlmann / Rottleuthner
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roughly comparable ... with the development levels found in Chile, Mexico, Lebanon, or Portugal." 8 Returning to the issue of religious freedom, one might naturally assume on the basis of studies like Burnham's that the United States accommodates religious freedom to an unusual degree. However, this conclusion does not seem accurate; in fact, American constitutional protections of religious liberty are relatively weak, at least by certain European standards. What is noteworthy, then, is that the United States is an extremely religious country that does not promote the free exercise of religion as much as is commonly assumed, nor as much as some of its more secular European counterparts. This does not mean that American free exercise principles are not by and large worthy of esteem, only that the country's image as a beacon of religious freedom and toleration may be less than fully justified.
II. A Brief History of American Free Exercise Jurisprudence Having clarified this much, let me turn now to a brief history of American free exercise jurisprudence. A t a suitable level of abstraction, this history can be divided into three distinct periods. The first exhibits a narrow conception of religious liberty, the second consists of a much broader conception, and the third can be characterized as a move back in the direction of the narrow conception of the first period. The Free Exercise Clause generated no reported decisions until 1845 and none of any lasting significance until 1878.9 In that year, the U.S. Supreme Court decided Reynolds v. United States, 10 a case involving a Mormon man who claimed the prohibition of bigamy under which he was convicted violated his First Amendment rights to religious liberty. The Supreme Court rejected his 8 Id. at 133. 9
Michael W. McConnell, The Origins and Historical Understanding of Free Exercise of Religion, 103 Harv. L. Rev. 1409,1503 (1990). 10 Reynolds v. United States, 98 U.S. 145 (1878).
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challenge, holding that a person's religious belief cannot be accepted as a justification for breaking an otherwise valid criminal law. To hold otherwise, the Court observed, would be "to make the professed doctrines of religious belief superior to the law of the land, and in effect to permit every citizen to become a law unto himself." 11 Reynolds involved a federal law, and the case thus fell squarely within the text of the First Amendment, which states that "Congress shall make no law.. .prohibiting the free exercise [of religion]." 1 2 It was not until 1940 that the Supreme Court applied the Free Exercise Clause to the individual states.13 In Cantwell v. Connecticut, 14 the Court overturned the conviction of a Jehovah's Witness who was arrested for inciting a breach of the peace while proselytizing on the streets of New Haven, Connecticut. Drawing on Reynolds, the Court acknowledged that free exercise "embraces two concepts - freedom to believe, and freedom to act. The first is absolute, but in the nature of things, the second cannot be." 1 5 However, while insisting that conduct "remains subject to regulation for the protection of society," 16 the Court also recognized that the power to regulate must be exercised in a manner which does not unduly infringe upon religious freedom. Cantwell ushered in a new and more expansive free exercise jurisprudence which was to last for the next fifty years. The leading case during this period, Sherbert v. Werner} 7 provides a good illustration of its main principles. Sherbert was a member of the Seventh-Day Adventist Church who was fired by her employer when she refused to work on Saturday, the Sabbath Day of her 11 Reynolds, 98 U.S. at 167. 12 U.S. Const, amend. I. 13 Cantwell v. Connecticut, 310 U.S. 296 (1940). 14 Id. 15
Id. at 303-04. Compare R (Rahman) v. Headteacher and Governors of Denbeigh High School [2006] U K H L 15, at 20 (interpreting Article 9 of the European Convention on Human Rights to protect "both the right to hold a belief, which is absolute, and a right to manifest belief, which is qualified"). 16 Cantwell, 310 U.S. at 304. 17 Sherbert v. Verner, 374 U.S. 398 (1963). 18:
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faith. When she was unable to obtain any other employment that would enable her to avoid working on Saturday, she sought unemployment compensation, but the state of South Carolina denied this to her on the ground that its compensation law barred benefits to workers who failed to accept suitable work when offered in the absence of reasonable cause.18 The Supreme Court held that denying unemployment compensation in these circumstances violated the Free Exercise Clause. The Court said that forcing the individual "to choose between following the precepts of her religion and forfeiting benefits, on the one hand, and abandoning one of the precepts of her religion in order to accept work, on the other hand.. .puts the same kind of burden upon the free exercise of religion as would a fine imposed against appellant for her Saturday worship." 1 9 The Court considered whether a compelling state interest might justify the state's unemployment compensation law, but it found that no such justification was available. Finally, the Court rejected the notion that, by accommodating Sherbert's right to free exercise, South Carolina would in effect be fostering the "establishment" of her religion, thus coming into conflict with the Establishment Clause. Sherbert appeared to signal a fundamental shift in the protection of religious freedom in the United States. Under this new doctrine, the government could not burden the exercise of a sincere religious belief unless doing so was the least restrictive means of attaining a compelling secular objective. 20 The trend continued in Wisconsin v. Yoder; 21 in which the Supreme Court reversed the conviction of an Amish man who refused on religious grounds to send his children to school beyond the eighth grade, despite a state law requiring him to do so. However, as scholars have noted, the highly protective stance toward religious liberty exemplified by Sherbert and Yoder was unusual and may have been largely 18
Unlike most states, South Carolina did not recognize the inability to find work that would allow observance of the worker's Sabbath to be good cause for refusing to accept job offers. 19 Sherbert, 374 U.S. at 406. 20
Michael W. McConnell, Free Exercise Revisionism and the Smith Decision, 57 U. Chi. L. Rev. 1109,1110 (1990). v Wisconsin v. Yoder, 406 U.S. 205 (1972).
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rhetorical. 22 In reality, between 1972 and 1990, the Supreme Court rejected every claim for a free exercise exemption outside of the narrow context of unemployment benefits, which was governed by clear precedent. 23 Finally, in the 1990 landmark case of Employment Division v. Smith, 24 the Court abandoned the liberal stance toward religious accommodation it had adopted nearly thirty years before in Sherbert. Smith involved two Oregon men who were fired by their employer for using peyote, a hallucinogenic drug prohibited by state law, in a ceremony of the Native American Church to which they belonged. When Oregon subsequently denied them unemployment benefits on this basis, the men argued on the strength of Sherbert and its progeny that their free exercise rights had been violated. Rejecting their challenge, the Supreme Court held that the Free Exercise Clause "does not relieve an individual of the obligation to comply with a Valid and neutral law of general applicability'" 2 5 simply because it conflicts with his sincere religious beliefs. Writing for the majority, Justice Scalia acknowledged: "It may be fairly said that leaving accommodation to the political process will place at a relative disadvantage those religious practices that are not widely engaged i n . " 2 6 Nevertheless, he continued, "that unavoidable consequence of democratic government must be preferred to a system in which each conscience is a law unto itself or in which judges weigh the social importance of all laws against the centrality of all religious beliefs." 27 This remark 22 See Eberle, supra note 4, at 1085; McConnell, Free Exercise of Religion, supra note 9, at 1417; McConnell, Free Exercise Revisionism, supra note 20, at 1110; Mark Tushnet, 'Of Church and State and the Supreme Court': Kurland Revisited, 1989 Sup. Ct. Rev. 373, 377-83 (1989). 23 Id. Later applications of the rule in Sherbert to unemployment contexts include Frazee v. 111. Dep't of Employment Sec., 489 U.S. 832 (1989); Hobbie v. Unemployment Appeals Comm'n, 480 U.S. 136 (1987); and Thomas v. Review Bd., 450 U.S. 707 (1981). 24 Employment Div., Dep't of Human Resources v. Smith, 494 U.S. 872 (1990). 2 5 Id. at 879 (quoting United States v. Lee, 455 U.S. 252, 263, n. 3 (Stevens, J., concurring in judgment)). 2
* Id. at 890. 27 Id.
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echoes the statement in Reynolds: the threat of taking religious liberty to its logical conclusion is that each individual becomes "a law unto himself." 28 It also suggests that the practical effect of Smith is to force religious minorities to fend for themselves in the political process rather than appeal to the courts for the vindication of legal rights. To clarify, Smith represents the Courts position on free exercise accommodation, that is, the question of mandatory exemptions to otherwise valid laws that incidentally burden religious practices. American constitutional law takes an entirely different view of government action that is either overtly or covertly discriminatory, or that actively seeks to suppress religion or particular religious groups as such. Here, to its credit, the Supreme Court has generally upheld the rights of religious minorities. For example, the Court has struck down laws forbidding members of the clergy from becoming legislators, 29 as well as those requiring office holders to declare their belief in the existence of God. 3 0 Likewise, it has insisted that the government may not punish the expression of religious doctrines that it believes to be false 31 or lend its weight to one side or another in religious controversies. 32 The principle of non-discrimination implicit in these cases was most recently vindicated in Church of the Lukumi Babalu Aye v. City of Hialeah, 33 in which the Supreme Court invalidated a municipal ordinance adopted for the specific purpose of outlawing animal sacrifice as practiced by a minority religion. Affirming that conduct "undertaken for religious reasons" 34 is protected against 28 Reynolds v. United States, 98 U.S. 145,167 (1878). 29 McDaniel v. Paty, 435 U.S. 618 (1978); see also Fowler v. Rhode Island, 345 U.S. 67, 69 (1953). 30 Torcaso v. Watkins, 367 U.S. 488 (1961). 31 United States v. Ballard, 322 U.S. 78, 86-88 (1944). 32 Presbyterian Church in U.S. v. Mary Elizabeth Blue Hull Memorial Presbyterian Church, 393 U.S. 440, 445-452 (1969); Kedroff v. St. Nicholas Cathedral, 344 U.S. 94, 95-119 (1952). 33 Church of the Lukumi Babalu Aye v. City of Hialeah, 508 U.S. 520 (1993). 34 Id. at 532.
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direct government suppression, the Court held that "if the object of a law is to infringe upon or restrict practices because of their religious motivation, the law is not neutral" 35 and therefore subject to heightened scrutiny. In sum, the foregoing review suggests that American free exercise jurisprudence is divisible into three distinct periods. The first period, which lasts from the ratification of the Bill of Rights in 1789 until the Cantwell decision in 1940, is characterized by a narrow conception of religious liberty, which turns on a sharp distinction between belief and action and which recognizes no compelling need for the State to accommodate the practices of religious minorities that happen to be burdened by otherwise neutral laws. The second period, which lasts from 1940 to 1990 and reaches its high point in the 1960s and early 1970s with Sherbert and Yoder; represents a more expansive approach to religious liberty similar to the one currently pursued in Germany. 36 During this period, at least formally if not always in substance, the Free Exercise Clause was held to invalidate laws or policies that burdened the exercise of a sincere religious belief unless those regulations were the least restrictive means of achieving a truly compelling secular objective. Finally, the third period, which begins with the Smith decision in 1990 and persists today, consists of a rejection of the idea that the state must accommodate religious practices that conflict with otherwise valid laws and a return to the countervailing doctrine exemplified by Reynolds, albeit one moderated by Lukumi's non-discrimination principle. Why did the Supreme Court abandon its doctrine of free exercise accommodation? Explanations vary, but the reality is that the doctrine appears in retrospect to have been something of an anomaly. Even during its most protective period, the Court granted religious exemptions in only two contexts: unemployment compensation and mandatory high school attendance.37 35
Id. at 533 (emphasis added; internal citation omitted). See Eberle , supra note 4, at 1026 (observing that "German free exercise law is much more in accord with Sherbert than Smith. "). 37 See generally, McConnell , Free Exercise Revisionism, supra note 20; Tushnet , supra note 22. 36
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Moreover, whether by design or chance, these exemptions were granted to Christians only. 38 Significantly, the Supreme Court has never granted accommodation to a religious minority. On the contrary, it has repeatedly refused accommodations for Jews, Muslims, Native Americans, and other minorities. 39 This practice stands in sharp contrast to the jurisprudence of the German Constitutional Court, which has repeatedly accommodated religious groups including minorities in a wide variety of contexts. 40 On the other hand, in cases like Lukumi the Supreme Court has shown itself willing to protect religious minorities from direct suppression. The result is a free exercise jurisprudence which is more rooted in anti-discrimination norms than in affording a preferred status to religious beliefs or practices as such.
III. The Free Exercise Clause and the Regulation of Conspicuously Religious Clothing Thus far I have provided a thumbnail sketch of American free exercise jurisprudence. Let me turn now to a consideration of how the Free Exercise Clause might apply to laws, such as the one recently adopted in France, 41 which regulate or ban the wearing of Islamic headscarves and other conspicuously religious clothing and attire by students in public schools. 41a 38
See Tushnet, supra note 22 at 381. See, e.g., Lyng v. N.W. Indian Cemetery Protective Ass'n, 485 U.S. 439, 453-55, 457-58 (1988); O'Lone v. Estate of Shabazz, 482 U.S. 342, 350 (1987); Bowen v. Roy, 476 U.S. 693, 722-23 (1986); Goldman v. Weinberger, 475 U.S. 503, 506-10 (1986); United States v. Lee, 455 U.S. 252, 259-60 (1982); Braunfeld v. Brown, 366 U.S. 599, 600-10 (1961). 40 See, e.g., Ritual Slaughter, BVerfGE 104, 337 (2002); Bavarian Official Oath, BVerfGE 79, 69 (1988); Denial of Witness Oath, BVerfGE 33, 23 (1972); Blood Transfusion , BVerfGE 32, 98 (1971); Rumpelkammer, BVerfGE 24, 236 (1968). See generally Eberle, supra note 4. 39
41 See Law No. 2004-228 of March 15, 2004, Journal Officiel de la Republique Française [J.O.] [Official Gazette of France], March 17, 2004, p. 65. ("Dans les écoles, les collèges et les lycées publics, le port de signes ou tenues par lesquels les élèves manifestant ostensiblement une appartenance religieuse est interdit....").
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As our brief summary of the case law implies, the key threshold issues are those of neutrality and of legislative intent or purpose. Does the law i n question specifically intend to burden religious practices? O r are such burdens merely the incidental effects of an otherwise religiously neutral and generally applicable law? Generally speaking, if the law is conceived to be a neutral and generally applicable law w h i c h has o n l y the incidental effect, but not the purpose, of burdening the practice of religion, the law w i l l be accorded great deference, and religious exemptions w i l l be difficult if not impossible to o b t a i n . 4 2 O n the other hand, if the law is interpreted as one that violates neutrality or intentionally suppresses religion, it l i k e l y w i l l be struck d o w n . 4 3 Specifically, there are at least three reasons w h y a ban o n the wearing of headscarves might be invalidated under the Free Exer41a In this chapter, I focus on regulations of students rather than regulations of teachers, an important distinction to bear in mind in this context. O n the latter, see, e.g., Cooper v. Eugene Sch. Dist., 723 P. 2d 298 (Or 1986), cert, denied, 480 U.S. 1597 (1987) (upholding, under both state and federal constitution, a state religous dress statute prohibiting public school teachers from wearing religious dress while engaged in the performance of their teaching duties). 42 In the lower federal courts, regulations of attire directed at students in public schools have been upheld before and after Smith because they enhanced the schools image. See, e.g., Davenport v. Randolph County Bd. of Educ., 730 F.2d 1395 (11 th Cir. 1984) (upholding policy of football coach requiring players to be clean shaven); and for reasons of safety; Long v. Bd. of Educ. of Jefferson County, 121 F. Supp. 2d 621 (W.D.Ky 2000) (upholding school dress code in order to prevent gang activity). Further, providing a safe environment that is conducive to education has been found to be an important government interest capable of sustaining such regulations. See Isaacs v. Board of Educ. of Howard County, 40 F. Supp. 2d 335 (D.M.D. 1999). Notably, the Isaacs court did distinguish the regulation of clothing and jewelry from requirements pertaining to hair on the grounds that the latter required infringement into the students choices outside of the school environment as well as within the school. Id. at 339. 43
See, e.g., Fraternal Order of Police v. City of Newark, 170 F.3d 359 (3d. Cir. 1999) (holding a police department policy prohibiting the wearing of beards by police officers unconstitutional under the Free Exercise Clause because- the policy made exemptions for medical reasons but refused to do so for officers whose religious beliefs prohibit them from shaving their beards). The opinion in this Third Circuit case was authored by then-Judge Samuel Alito, who now sits on the U.S. Supreme Court.
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cise Clause if it were enacted in the United States. First, the law could be interpreted as prohibiting certain conduct "because it is undertaken for religious reasons." 44 Consider, for example, the religious conviction that Muslim women, when in public, should cover their head as a sign of their modesty and devotion to Allah. Taken at face value, this justification is religious: women should cover their heads because the Qur'an instructs them to do so. 45 If a law banned the wearing of headscarves because the Qur'an requires it, or because women who wear it do so for religious reasons, or even because those reasons are thought to be incompatible with principles of feminism or gender equality, it presumably would violate the Free Exercise Clause. 46 Second, the law could fail the test of neutrality. Under Smithy a general school uniform policy, if fairly administered, would clearly be constitutional. However, as the Supreme Court observed in Lukumiy even a religiously neutral regulation must be applied in a religiously neutral manner. Hence, if exceptions to an otherwise neutral law are made for some religious groups but not others - e.g., for Jews but not for Muslims or Sikhs - they will almost certainly struck down. Finally, the law may be challenged under the "hybrid" claim that it unconstitutionally restricts not only religious freedom but also other constitutional rights, such as freedom of expression. In Smith, the Supreme Court suggested that such hybrid claims might be treated differently than a mere free exercise claim standing alone, 47 and while some commentators have raised doubts 44 Church of the Lukumi Babalu Aye v. City of Hialeah, 508 U.S. 520, 532 (1993). 45 " O Prophet, tell your wives and daughters and the believing women to draw their outer garments around them (when they go out or are among men). That is better in order that they may be known (to be Muslim) and not a n n o y e d . . Q u r ' a n 33:59. 46 Cf. Employment Div., Dep't of Human Resources v. Smith, 494 U.S. 872, 877 (1990) (noting that the Free Exercise Clause would be violated if a State sought to ban certain acts "only when they are engaged in for religious reasons, or only because of the religious belief that they display"). 47 See Smith, 494 U.S. at 881 - 82.
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about this d o c t r i n e , 4 8 the h y b r i d category does seem to apply rather w e l l to the case of headscarves. Indeed, o n the face of it, the claim that wearing the headscarf constitutes b o t h religious and expressive conduct appears to be quite strong. Consider the f o l l o w i n g statement d r a w n f r o m the web site of an Islamic educational organization: " A Muslim woman who covers her head is making a statement about her identity. Anyone who sees her will know that she is a Muslim and has a good moral character.. ..(She is) filled with dignity and self esteem.. .(and is) pleased to be identified as a Muslim woman. As a chaste, modest, pure woman, she does not want her sexuality to enter into interactions with men in the smallest degree. A woman who covers herself is concealing her sexuality but allowing her femininity to be brought out." 4 9 O n e may take issue w i t h the content of these assertions, but it seems difficult to deny the pertinent claim being made here - that a M u s l i m w o m a n w h o covers her head is " m a k i n g a statement" b y doing so. I n her concurring o p i n i o n i n R (Rahman) v. Denbigh High School, Baroness Hale of R i c h m o n d made a similar p o i n t w h e n she noted that a w o m a n wearing the hijab " m a y have chosen the garment as a mark of her defiant political i d e n t i t y " 5 0 and may be engaging i n "a h i g h l y complex autonomous act intended to use the resources of the tradition b o t h to change and to preserve i t . " 5 1 I f this analysis is correct, then regulating such expres48 See, e.g., McConnell, Free Exercise Revisionism, supra note 20, at 1121-22. 49 Mari Ali , The Question of Hijab, The Institute of Islamic Information and Education, available at http://www.iiie.net/Brochures/Brochure-23.html (last visited on March 31, 2006). The same web site quotes an Iranian girl who explains her reasons for wearing the hijab: "We want to stop men from treating us like sex objects, as they have always done. We want them to ignore our appearance and to be attentive to our personalities and mind. We want them to take us seriously and treat us as equals and not just chase us around for our bodies and physical looks." so R (Rahman) v. Denbigh High School [2006] U H K L 15, at para. 94 (quoting Yasmin Alibh ai-Brown, Who do We Think We Are? (2000), p. 246).
5i Id. (quoting Bhikhu Parekh, A Varied Moral World: A Response to Susan Okin's Ts Multiculturalism Bad for Women?', Boston Review, October/November, 1997).
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sive conduct may implicate rights of free speech as well as those of free exercise. A recent lawsuit in the United States illustrates how all three of these arguments might apply in an actual case. Nashala Hearn, a sixth grade Muslim girl in the state of Oklahoma, was barred by her local school district from wearing her headscarf to school and suspended for eight days when she refused to comply. She had worn her scarf without incident for several weeks at the beginning of the school year, but on September 11, 2003 - the second anniversary of the September 11 terrorist attacks - she was abruptly informed that her scarf was prohibited. School officials said that other students were frightened by the scarf, and that it was inconsistent with the school's dress code, which states "students shall not wear.. .hats, caps, bandanas, plastic caps, or hoods on jackets inside the building .. .". 5 2 The dress code did not have exceptions for religious attire, but it did allow administrators to exercise their discretion on a case by case basis. The dress code had not been applied consistently, however. The school allowed students to wear headgear on certain theme days, including "Cat in the Hat" hats for Dr. Seuss's birthday. Likewise, students with thinning hair due to health conditions were permitted to wear headscarves. Furthermore, although the alleged purpose of the dress code was to maintain a "religious free" educational zone, the school regularly allowed other religious clothing and accessories, including crucifixes, yarmulkes, and T-shirts with Christian messages. Nashala's parents sued the school district in federal district court, claiming that the school policy violated her rights to free exercise, as well as free speech and equal protection. The U.S. Department of Justice found merit in these claims and intervened in the case on her behalf. The lawsuit was settled in May, 2004 in a consent decree which required the school district to permit Nashala to wear her head scarf and to accommodate other students with a genuine religious objection to the dress code. 53 52 PL Br., pg. 2.
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In its brief, the Justice Department gave three reasons why religious freedom had been violated. First, it characterized the school's policy as discriminatory against Muslims. In a similar vein, it claimed the policy was not applied in a religiously neutral manner, in that it allowed administrators to make exceptions on a case-by-case basis which were given to some, but not all, religious practices. 54 Finally, the Justice Department argued that the dress code violated Nashala's hybrid rights to free speech and free exercise and thus should be strictly scrutinized on that basis.55 Because the case was settled, the court did not have an opportunity to address the merits of these claims. However, it seems likely the court would have ruled in the student's favor.
IV. Conclusion Public discourse in the United States is striking in its affirmation of religion and religous freedom. "We are a religious people whose institutions presuppose a Supreme Being." 56 "Relig lOUS freedom is a cornerstone of our Republic, a core principle of our Constitution, and a fundamental human right." 5 7 "The right to religious freedom undergirds the very origin and existence of the United States."58 Broad proclamations like these, emanating from all three branches of government, suggest that religious liberty plays a functional role in the United States that is similar to that of the French principle of laicité, despite clear differences in 53 See Press Release, Department of Justice, Justice Department Reaches a Settlement Agreement with Oklahoma School District in Muslim Student Headscarf Case (March 19, 2004) (on file with author). 54 PL Br., pg. 10. 55 Id. at 14. Cf. Alabama & Coushatta Tribes of Tex. v. Trs. Big Sandy Indep. Sch. Dist., 20 F. 3d 469 (5 t h Cir. 1994). 56 Zorach v. Clauson, 343 U.S. 306, 313 (1952). 57 George W. Bush, President Proclaims Religious Freedom Day, 2002 (Jan. 16, 2002). 58 22 U.S.C. § 6401 (2004). For this quotation and the previous one, I am indebted to T. Jeremy Gunn, Religious Freedom and Laïcité: A Comparison of the United States and France, 2004 B.Y.U. L. Rev. 419, 430 (2004).
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meaning between these concepts.59 Moreover, the Supreme Court has sometimes reinforced the notion of religious freedom as a fundamental human right. In 1943, at the height of the war against fascism, the Court held that American schoolchildren could not be compelled to pledge allegiance to the flag because forcing them to do so would violate the rights of conscience. In a famous passage, Justice Jackson wrote: "The very purpose of the Bill of Rights was to withdraw certain subjects from the vicissitudes of political controversy, to place them beyond the reach of majorities and officials and to establish them as legal principles to be applied by the courts. One's right to life, liberty, and property, to free speech, a free press, freedom of worship and assembly, and other fundamental rights may not be submitted to vote; they depend on the outcome of no elections. > , 6 °
Nevertheless, as our review of the case law suggests, the impression left by Justice Jackson's eloquent remarks may be inaccurate. In fact, American constitutional law has not always accorded religious freedom the status of a fundamental right, if by this one means something that goes beyond protecting individuals against direct suppression to accommodating the practices of religious minorities. On the contrary, the dominant approach has been to treat such claims not as rights but as political interests, which must be protected through the democratic process. Hence religious freedom in the United States does depend, to a significant extent, on the outcome of elections. A t the same time, one must recognize that advocates of religious freedom in the United States are frequently successful in the legislative arena. As a result, many federal and state laws protect religious liberty beyond the constitutional minimum. 6 1 For exam59 See Gunn, Religious Freedom and Laicité, 2004 B.Y.U. L. Rev. at 421 (2004) („Despite the significant differences in the meanings of laicité and religious freedom, the two terms are often described in effusive language as founding principles of the republics, as unifying principles that bring citizens together, and as exemplifications of the admirable characteristics that make the nations role models for the rest of the world."). 60 West Virginia State Bd. of Educ. v. Barnette, 319 U.S. 624, 638 (1943). 61 See James E. Ryan, Smith and the Religious Freedom Restoration Act: A n Iconoclastic Assessment, 78 Va. L. Rev. 1407, 1445 (1992) ("Religious exemptions.. .exist in over 2,000 [federal and state] statutes").
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pie, the U.S. Congress responded to the Smith decision by enacting the Religious Freedom Restoration Act (RFRA), 6 2 which expressly adopts the compelling interest test articulated in Sherbert and Yoder; and thus prevents, as a statutory matter, the Federal Government (though not the States)63 from substantially burdening a person's exercise of religion "even if the burden results from a rule of general applicability." 64 In addition, many states have either enacted analogous Religious Freedom Restoration Acts or rejected Smith as a matter of state constitutional law. 65 It would be a mistake, therefore, to equate the constitutional protection of religious freedom with the protection of that freedom by American law. Finally, as we saw in the Oklahoma lawsuit, American constitutional law itself often manages to protect the religious liberty of individuals like Nashala Hearn under different doctrines than free exercise accommodation. Consequently, conduct like the wearing of Islamic headscarves, while not necessarily entitled to such accommodation, may nonetheless be protected by principles of free expression, neutrality, and anti-discrimination. Despite the fact that American constitutional law does not accommodate individual free exercise freedoms as much as some of its European counterparts, then, the underlying rights at stake often do receive significant statutory and constitutional protection. In sum, while the United States is, comparatively speaking, an extremely religious country, the constitutional protection that its 62 Religious Freedom Restoration Act, 42 U.S.C. § 2000bb (1993). 63 As originally enacted, RFRA applied to the States as well as the Federal Government. In City of Boerne v. Flores, 521 U.S. 507 (1997), the Supreme Court held the application to the States to be beyond Congress' legislative authority under § 5 of the 14 th Amendment. More recently, however, the Supreme Court upheld the application of RFRA to the Federal Government, in a case whose facts are similar to those in Smith. See Gonzales v. O Centro Espirita Beneficente Uniao Do Vegetal, 546 U.S.
(2006).
64 42 U.S.C. § 2000bb-l(a). 65 See Douglas Laycock, The Supreme Court and Religious Liberty, 40 Cath. Law. 25, 45 (2000-2001) (concluding, on the basis of a survey of state law, that state law "gives much better protection to religious exercise than federal law does.")
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courts have offered to religious minorities appears to be relativelylacking. Despite an era of more expansive free exercise jurisprudence between 1940 and 1990, the Supreme Court appears to have abandoned this liberal stance and has generally refused to provide accommodation for religious minorities, treating religious freedom more as a political interest than as a right. However, both the U.S. Congress and state legislatures have provided protections for religious groups through acts such as RFRA, while the courts have often protected religious freedoms through doctrines other than free exercise accommodation, including taking a firm line against outright discrimination. Therefore, while American constitutional law appears relatively unwelcome to religiously-based exemptions, the free exercise of religion is still protected in other ways, signaling significant protections for religious liberty in America that partially justify its reputation as a beacon of religious tolerance. Moreover, the probable effect of these doctrines would be to render laws such as the French headscarf ban constitutionally suspect.
The Problem of Religious Symbols in French History, Politics, and Law 1 By Patrick Weil
On July 3, 2003, President Jacques Chirac set up an Independent Commission to study the implementation of the principle of laïcité [secularism] in the French Republic. In the previous weeks, the issue of violence in public schools had risen to a level of visibility so high in the media and the public eye2 that the French National Assembly had already created a special commission run by its President to study the issue of 'religious symbols in schools'. The Presidential commission had a wider scope - the laïcité in the whole society - and its composition was more open: its 19 members consisted of school principals and teachers, academics, civil servants, businesspersons and MPs, with very diverse origins, religious beliefs and political opinions. I was a member of that commission, most likely chosen for my expertise in the field of Immigration Policy and Nationality Laws and as a former member of the High Advisory Council on Integration. I arrived with the idea that a law was probably unnecessary for resolving the problems. Yet, after four months of public hearings involving representatives of all religious confessions, po1 First versions of this article have been published in 'Progressive Polities', Vol. 3.1 March 2004, Policy Network and on March 25, 2004 under the title A nation in diversity: France, Muslims and the headscarf, by www.opendemocray.com., and in: French Politics, Culture and Society, Vol. 22, n° 3, fall 2004. 2 For a the detailed calendar of the rise of the issue on the agendas of the main French political parties in April - May 2003, cf. T. Jeremy Gunn., Religious Freedom and Laïcité: A Comparison of the United States and France, Brigham Young University Law Review, Summer 2004, pp. 456459.
Mahlmann / Rottleuthner
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litical parties, Unions and NGOs, and above all actors on the ground - principals, teachers, parents, students, directors of hospitals and jails, company managers etc. - I endorsed a report recommending 26 different measures, including the ban on conspicuous religious symbols in public schools. I would like here to explain why. The French tradition of laïcité was built - it is an historical fact - against the influence, indeed domination, of the Catholic Church in public affairs. The 1905 law of separation between Church and the State was a victory for the majority of French citizens educated in the Catholic faith, but who wanted the Catholic Church to be put in its place, out of public education and public influence. Public subsidizing of religious institutions was forbidden. Yet it was not an anti-religious legislation. The law was also the recognition of the right of everyone to practice their own beliefs, to the point where the State, in an exception to the general rule, paid the salaries of chaplains of any religion in order to permit all those forced to live in enclosed areas such as asylums, prisons, the army, some schools, hospitals etc to pray and practice their faith. 3 N o law forbade the wearing of religious signs, but the custom in France was, and still is, to keep religious faith a private matter. This tradition is most likely linked in France to the long battle against the power and public exposure of Catholic faith: in the relation between the individual, the religious group and the State, the latter appears and is asked to protect the individual against any pressure of the group. Our commission could have based its proposals with regard to this custom - but it did not. Our commission could have also based its proposals on the respect of a human right that was not recognized in the western world in 1905 but has emerged in the last 50 years: equality of women and men. It did not do this either. This would have meant an intrusive interpretation of a religious symbol which can have different meanings. While for a majority of women the headscarf is the expression of the domination of women by men (this meaning was, for example, strongly expressed by many women refu3 Article 2 of the Law of December 9, 1905.
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gees from Iran), it can be, and is, understood differently. It can also be the expression of a free belief, a means of protection against the pressure of males, an expression of identity and freedom against secular parents and against Western and secular society. The State has no right to interpret religious symbols. Had the headscarf been banned on the basis of discrimination against women, it would have been necessary to do so not only in schools, but across the whole of society. In fact, since 1905, France has been integrated into the European Union, signed the European Convention on Human Rights and many other international conventions that recognize the right to publicly express one's religious belief. It was on this basis that in 1989 the French administrative Supreme Court - the Conseil d'Etat - stated that the Muslim headscarf is not in itself an ostentatious symbol that could be banned from schools. It could be only forbidden if it were used as a tool of pressure on girls who would not wear it. 4 What has happened since 1989, and especially over the last two to three years - perhaps under the influence of the September 11 attacks or of the second intifada which has too often justified anti-Semitic aggressions, yet the cause is not so important here is that in the schools where some girls are wearing the headscarf, the Muslim girls who do not wear it are subject to strong pressure to do so. The daily pressure takes different forms, ranging from insults to violence.5 In the view of these groups, composed mainly of males, these girls are 'bad Muslims', 'whores' and they should follow the example of their sisters who respect the prescription of the Koran. We received testimonies from Muslim fathers who had to take their daughters out of public schools, placing them in Catholic private schools where they were not under such pressure to wear the scarf. Contrary to the official data and assessment of the ministries of Education and of Home Affairs, we found that the number of schools where girls wear the hijab has in4
Avis du Conseil d'Etat, November 27,1989. For the context of these pressures, cf. Stéphane Beaud, Michel Pialoux, Violences urbaines, violences sociales, Genèse des nouvelles classes dangereuses, Paris 2003, pp. 357-364. 5
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creased.6 In these schools, a strong majority of Muslim girls who do not wear the headscarf called for the protection of the law and asked the commission to ban all exterior religious signs. Muslim girls who do not want to wear the scarf also have a right of freedom of conscience, and they constitute the large majority. Principals and teachers have tried their best to bring back some order to the situation. They have failed to do so. It is impossible to have pupils denounce their peers when they are subjected to pressure, insults or violence. The denouncer is seen as a traitor to his or her community, and there have been cases where pupils had their arms broken in violent acts and yet lied to their parents so as not to denounce their colleagues. We studied many alternative solutions: I myself was thinking of distinguishing the courtyards and the classroom and apply rules concerning a dress code only in classrooms; we considered giving the principal the authority to forbid exterior signs at a local level. After four months of inquiries and numerous public, private, collective and individual hearings, our commission did not in the end endorse these solutions. Our near-unanimous sentiment (with the exception of one member) was that we had to face a reality which was perceived at the local level, but not at the national nor obviously at the international one: wearing the scarf or imposing it upon others has become an issue not of individual freedom but of a national strategy of fundamentalist groups using public schools as their battleground. Banning the scarf at the local level would have created a permanent tension between principals and these national groups who would have targeted schools one after the other in order to attract, every week, the attention of the public and of the national press. This is why we proposed to ban exterior - that is, conspicuous signs of religious belonging (including Jewish skullcaps and large crosses). We did it in full respect of the European Convention on Human Rights. This convention authorizes the limitation of the 6 The data collected by the commission was sufficient to prove the important underestimation of the phenomenon by official data and statements. Yet, the lack of resources and a short deadline did not permit us to evaluate the exact number of headscarves wear in French public schools.
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expression of religious faith i n the case of problems of public order or attacks on the rights or o n the freedom of conscience of others. 7 For such l i m i t a t i o n the C o n v e n t i o n requires a law and this is w h y a law passed b y the Parliament was legally necessary. 8 The C o n v e n t i o n requires also that restriction should be proportionate to the permissible aim. 9 This is w h y the ban concerns conspicuous and not discrete religious signs, and applies o n l y i n public schools since the m a j o r i t y of those involved are m i n o r s . 1 0 There is no question of forbidding religious signs i n the future i n universities or elsewhere i n the w o r l d of adults: adults have means of defense that children do not. They can go to court and claim their right of freedom of conscience more easily. We made our choice after long individual and collective hesitations. Were we under pressure, influenced b y the impossibility of hearing all the persons interested i n giving a testimony or b y the lack of time to 7 The article 9 of the European Convention on Human Rights, signed in Rome on November 4,1950 states: 1. Everyone has the right to freedom of thought, conscience and religion; this right includes freedom to change his religion or belief, and freedom, either alone or in community with others and in public or private, to manifest his religion or belief, in worship, teaching, practice and observance. 2. Freedom to manifest one's religion or beliefs shall be subject only to such limitations as are prescribed by law and are necessary in a democratic society in the interests of public safety, for the protection of public order, health or morals, or the protection of the rights and freedoms of others. 8 Cf. for example European Court of Human Rights Judgements: Sunday Times vs. United Kingdom, April 26, 1979 (No. 30), 2 EHRR 245, or Larissis and others vs. Greece, February 24,1998. 9 In a recent judgment (Leyla Sahin vs. Turkey, June 29, 2004), the European Court of Human Rights rejected unanimously the allegation that a ban on wearing the Islamic headscarf in higher-education institutions violated the rights and freedoms of a student, under Articles 8, 9, 10 and 14 of the Convention, and Article 2 of Protocol No. 1. The Court found that the University of Istanbul's regulations imposing restrictions on the wearing of Islamic headscarves and the measures taken to implement them were justified in principle and proportionate to the aims pursued and, therefore, could be regarded as "necessary in a democratic society". 10
Marceau Long and Patrick Weil , Une laïcité en voie d'adaptation, Libération, Jan. 26, 2004.
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make a decision based on sufficient evidence? Were we aware of the possibility that some adolescents or their families could perceive our proposal through the prism of discrimination, within the legacy of colonization and racial prejudice? 11 I must admit that I have never worked under this amount of public pressure coming from all sides. Obviously, the issue of laïcité aroused old divisions and political passions across civil society and in many institutions. But I believe that these pressures did not prevent us from taking all considerations and circumstances into account. The most active opponents to the headscarf did not convince us. 12 We heard more partisans of the status quo than defenders of a ban. And hearing more girls wearing the headscarf would not have changed our reasoning which was not based on an assessment of a religious sign or its meaning. Of course, we would have benefited from more time and resources in order to obtain more scientific evidence. But becoming temporarily an "expert" means accepting temporarily to be involved in the world of politics where decisions sometimes have to be made under constraints, for example that of time. In this world, scientific knowledge can help, but as Isaiah Berlin has shown - only partially - political judgment is an art of another nature, that requires us to "grasp the unique combination of characteristics that constitutes a particular situation" 13 . In these particular circumstances, we tried to find our way among very complex obstacles, to understand the gaps between the testimonies of the different actors, and finally to propose the least bad choices. Our proposals can be criticized. Yet they cannot fairly be placed into a continuity of the ruling of Islam in French Algeria. On the contrary. Under the French Colonial Law, not only Algerian Muslims could practice the rituals and commandments of their religion, but they were assigned to it, one could say imprisoned in it. Algerian Muslims could only become subject to the French Civil 11 Cf. Gérard Noiriel and Stéphane Beaud , Les Parias de la République, Le Monde, Feb. 20, 2004. 12 Cf. the Press reactions to the hearing of Chahdortt Djavann, in Le Figaro and Libération , Sept. 22, 2003. 13 Isaiah Berlin, Political Judgement, in: The Sense of Reality, Studies in Ideas and their History, New York 1996, pp. 40-53.
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Code by becoming fully French through 'naturalization'. 14 They were deterred from doing so and from applying: therefore, between 1865 and 1962 only 7000 Algerian Muslims became fully French. Islamic authorities governed not only religious but also the social and civil rights of Algerian Muslims, under the guidance of the Koran. The 1905 law of separation between Church and the State was applicable in Algeria... except for the Muslims who represented 90% of the population! 15 Today in 2004 France, a majority of Muslims are fully French and the others can become so. They are subjected to the Civil Code and still can refer to the Koran as a moral and religious code. Therefore our report and the subsequent laws and regulations that should follow can be interpreted in the legacy of Napoleon's action towards the Jews in 1806, and of the 1905 law towards the Catholics: as a moment of compromise, of interactive adaptation which means that for the first time the French State and French society has decided to adopt a strong Muslim minority and to recognize it. It is not absurd to think that the majority of Muslim families might be relieved. A minority of Muslims are anti-religious. A small minority is fundamentalist and considers that there is a superiority of the religious law over the law of the land. A large majority does not want to impose the headscarf on their daughters but also feel uncomfortable with being unfaithful in certain ways to their religious tradition. They are submitted to the pressure of friends, neighbors and family members who want to impose the wearing of the scarf. Henceforth, they will be able to reply to them, " I was ready to follow your advice, but now it is impossible: I cannot go against the law!" In some ways, it is the same kind of feeling shared by numerous Algerian immigrants when the French Nationality was imposed through birth in France on their children, so well described by Abdelmalek Sayad. Individually, Algerians could never have applied for it. But when 14
Cf. Patrick Weil, Qu'est ce qu'un français ? Histoire de la nationalité française depuis la Révolution, Paris 2002, pp. 225-244. 15 Cf. Raberh Achi, La séparation des Eglises et de l'Etat à l'épreuve de la situation coloniale. Les usages de la dérogation dans l'administration du culte musulman en Algérie (1905 -1959), Politix, dossier "L'Etat colonial", volume 17, n° 66, septembre 2004.
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French nationality was ascribed automatically, they were discreetly satisfied: "The beneficiaries of the [French] nationality, acquired without having applied for it, adapt to their situation well, and protestations of circumstance (which can be perfectly sincere in other respects) cannot convince us to the contrary. Those around them, who would not have accepted an act of naturalization that would have followed the ordinary process, appear relieved, afterwards, that French nationality (Trench papers', as one says) occurred by itself, as a constraint collectively imposed: it is the lot common to all and not the result of an individual and voluntary act by which some called attention to themselves and separated themselves from the others. [ . . . ] Despite protestations of all sorts that are the right thing to proclaim, despite the guilt or simple unease that continues to be felt by the naturalized, the naturalization that one calls 'forced' finally produces something like a satisfaction which, for a whole series of reasons, asks to remain secret and, sometimes, resigned t o . " 1 6
With a legal ban, the decision coming from the outside thus allows the protection of children from fundamentalist pressure without a break in religious ties. I admit that the unfortunate consequence of the law passed by the French Parliament is that the right of Muslim girls who freely want to wear the scarf in public schools without pressuring anyone is denied. What will happen to them if they do not want to take off their scarf after the period of dialogue imposed by the law? They will most likely be offered the opportunity to attend classes in private religious schools, not Muslim - there are only three in the whole country - but Catholic, Protestant or Jewish. These schools have the obligation, if they are under State contract (95 per cent are), to accept applications of pupils of other faiths. Yet, in the future, Muslim schools, under contract with the State - which entails control on the curriculum - will develop. Whether we like it or not, it is the French tradition to have this parallel sector of the education system strongly subsidized by the State, enabling tuition fees to remain very inexpensive. And it is 16
Abdelmalek Sayad, La double absence. Des illusions de l'émigré aux souffrances de l'immigré, préfacé by Pierre Bourdieu, Paris 1999, p. 352.
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the right of the Muslim community to have schools for observers who want to respect all the customs, all the holidays of their faith and to have religious instruction in addition to the normal curriculum. In fact, my single and strong regret is that the ban on religious signs in public schools is the only one of our 26 proposals yet to be implemented by the President, his government, and the Parliament. Certainly, religious fundamentalism needs to be fought and contained when it puts at stake basic values of our democracies. It has its autonomy and is not the simple outcome of social injustice. Nevertheless, our commission also recommended acting strongly against the social factors that favor the rise of fundamentalist influence. France has not done enough against the ethnic, racial, and religious discrimination, of which most children of North African immigrants are the victims. History programs in school do not recognize slavery or colonization as a full part of our national history. Last but not least, there is an urgent need to adapt to the new diversity of the French religious landscape in order to respect one of the main principles of laïcité: equality of all faiths before the law. France is today the country with the largest Buddhist, Jewish and Muslim communities in Europe. Because the Muslim community is the most numerous and the most recent in mainland France there is a need to focus our adaptation to it more than on the others. Our commission demanded that the French State respect fully the freedom of building mosques, funerary rituals, and culinary customs. We even proposed the recognition of the most important religious feast of minority faiths as public holidays in order to move beyond the simple right to practice one's own faith, to mark the respect of the whole French community towards their compatriots. 17 This last proposal - approved by Catholic, Protes17
It was also a way - in my view - to fully respect a French custom that keeps religious faith and practice in privacy: today a Jew or a Muslim can stop working at Kippur or Ait, but in doing so they declare themselves as Jews or Muslims. If tomorrow, Kippur and Ait are recognized as optional national holidays in alternative choice with Pentecost or Oriental Christmas, one would bet that somebody not working on Kippur would be a Jew, but one wouldn't be sure: it could be an agnostic who has taken
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tant, Muslim religious authorities during their hearings - was rejected by the government and was coolly received by the majority of Socialist leaders. But it was also backed by 40 per cent of citizens and provoked a very intense, fruitful and creative debate in almost all families in the country. I wager that it will return to the public agenda sooner or later. The historical success of the French model of secularization - laïcité - rests in the fact that it gives priority to the protection by the State of individuals against any religious group pressure. In contrast, its future lies in its capacity to adapt and to respect cultural and religious diversity, and to consider it not as a burden, but as a challenge and an opportunity.
summer vacation in July and who had chosen Kippur as a way of having a weekend of vacations before the fall.
Autorenverzeichnis em. Prof. Dr. Reimer Hansen Lehrstuhl für Neuere Geschichte, Friedrich-Meinecke-Institut, FB Geschichts- und Kulturwissenschaften, Freie Universität Berlin Prof. Dr. Gudrun Krämer Lehrstuhl für Islamwissenschaften, FB Geschichts- und Kulturwissenschaften, Freie Universität Berlin Prof. Dr. Gerhard Kruip Professor für Christliche Anthropologie und Sozialethik an der Kath.Theol. Fakultät der Universität Mainz und Direktor des Forschungsinstituts für Philosophie Hannover Prof. Dr. Philip Kunig Lehrstuhl für Staatsrecht, Verwaltungsrecht und Völkerrecht unter Einschluss des Umweltschutzrechts, Arbeitsbereich Recht der natürlichen Lebensbedingungen, FB Rechtswissenschaft, Freie Universität Berlin Prof. Dr. Ute Mager Professorin für Öffentliches Recht, Juristisches Seminar, Universität Heidelberg Priv.-Doz. Dr. Matthias Mahlmann FB Rechtswissenschaft, Freie Universität Berlin; Visiting Professor, Central European University Budapest Maleiha Malik School of Law, King's College, University of London Prof. Dr. John Mikhail Georgetown University Law Center, Washington D C Prof. Dr. Andreas Nachama Geschäftsführender Direktor, Stiftung Topographie des Terrors, Berlin; Professor am Lander Institute for Communication about the Holocaust and Tolerance, Touro College Berlin / New York
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Prof. Dr. Hubert Rottleuthner Lehrstuhl für Rechtssoziologie, FB Rechtswissenschaft, Freie Universität Berlin Prof. Dr. Beate Rudolf Juniorprofessur für Öffentliches Recht und Gleichstellungsrecht, FB Rechtswissenschaft, Freie Universität Berlin Prof. Dr. Patrick Weil Senior Research Fellow, Centre national de la recherche Scientifique (CNRS, Centre d'Histoire Sociale du 20ème siècle, Université des Paris 1)