Ehetrennung und monastische Konversion im Hochmittelalter [Reprint 2015 ed.] 9783050074894, 9783050032641


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German Pages 283 [284] Year 1998

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Table of contents :
Vorwort
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
1.1 Der Kontext
1.2 Die Forschungslage zur Geschichte der Konversen im Hochmittelalter
1.3 Die Fragestellung
2. Die Quellen
2.1 Die monastische Überlieferung
2.2 Das Kirchenrecht
3. Die normativen Vorgaben: Ehetrennung und monastische conversio im hochmittelalterlichen Kirchenrecht
3.1 Ehescheidung und Ehetrennung in kirchenrechtlicher Sicht: die Rahmenbedingungen
3.2 Ehetrennung vor dem Hintergrund der monastischen conversio
4. Päpste, Bischöfe und Konversen
4.1 Aus der Praxis der Bischöfe: Beispiele bischöflicher Rezeption des Kirchenrechts
4.2 Die Autorität der Päpste. Ehetrennung und monastische conversio in den Dekretalen
5. Konversionen verheirateter Adliger im Spiegel der Historiographie
5.1 Die Konversen
5.2 Die Ehefrauen: Konsens und Konversion
5.3 Die Rolle der Bischöfe und Äbte bei der Konversion Verheirateter
6. Herzogin Ermengarde von der Bretagne
7. Zusammenfassung
8. Anhang: Fallsammlung
Bibliographie
1. Verzeichnis der abgekürzt zitierten Werke und Zeitschriften
2. Quellen und Regestenwerke
3. Literatur
Register
1. Verzeichnis der zitierten Kanones und Dekretalen
2. Register der Personen- und Ortsnamen
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Ehetrennung und monastische Konversion im Hochmittelalter [Reprint 2015 ed.]
 9783050074894, 9783050032641

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Regine Birkmeyer Ehetrennung und monastische Konversion

Regine Birkmeyer

Ehetrennung und monastische Konversion im Hochmittelalter

Akademie Verlag

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme

Birkmeyer, Regine: Ehetrennung und monastische Konversion im Hochmittelalter / Regine Birkmeyer. - Berlin : A k a d e m i e Verl. 1998 Zugl.: Mannheim, Univ., Diss., 1997: Ehetrennung und monastische Konversion im Spiegel kirchenrechtlicher und historiographischer Quellen des Hochmittelalters ISBN 3 - 0 5 - 0 0 3 2 6 4 - 2

© Akademie Verlag GmbH, Berlin 1998 Der Akademie Verlag ist ein Unternehmen der R. Oldenbourg-Gruppe. Das eingesetzte Papier ist alterungsbeständig nach DIN/ISO 9706 Alle Rechte, insbesondere die der Übersetzung in andere Sprachen, vorbehalten. Kein Teil dieses Buches darf ohne schriftliche Genehmigung des Verlages in irgendeiner Form - durch Photokopie, Mikroverfilmung oder irgendein anderes Verfahren - reproduziert oder in eine von Maschinen, insbesondere von Datenverarbeitungsmaschinen, verwendbare Sprache übertragen oder übersetzt werden. Druck: GAM Media GmbH, Berlin Bindung: Druckhaus „Thomas Müntzer" GmbH, Bad Langensalza Printed in the Federal Republic of Germany

Vorwort Die vorliegende Studie ist die leicht überarbeitete und erweiterte Fassung der im Wintersemester 1996/97 von der Philosophischen Fakultät der Universität Mannheim unter dem Titel „Ehetrennung und monastische Konversion im Spiegel kirchenrechtlicher und historiographischer Quellen des Hochmittelalters" angenommenen Dissertation. An dieser Stelle möchte ich die Gelegenheit ergreifen, all jenen zu danken, die zur Entstehung dieser Arbeit beigetragen haben. Mein Dank gilt besonders Herrn Prof. Dr. Eckart Freise (jetzt Wuppertal), der die Untersuchimg anregte und ihr Entstehen stets mit großem Interesse und großer Gesprächsbereitschaft verfolgte und betreute. Gerne danke ich auch Herrn Prof. Dr. Karl-Friedrich Krieger (Mannheim) für die Übernahme des Korreferates und auch dafür, daß er mir über Jahre die Mitarbeit an seinem Lehrstuhl als wissenschaftliche Hilfskraft ermöglichte und damit nicht unwesentlich zur materiellen wie auch geistigen Absicherung des Vorhabens beitrug. Herr Prof. Dr. Wilfried Hartmann (Tübingen) hat die überarbeitete Fassimg einer kritischen Durchsicht unterzogen und wertvolle Anregungen gegeben. Dafür danke ich ihm ganz herzlich. Ohne die Freiräume, die Herr Prof. Dr. Folker Reichert mir während meiner seit 1995 dauernden Tätigkeit als seine Mitarbeiterin in Stuttgart gewährte und gewährt, hätte diese Arbeit so nicht zu Ende gebracht werden können: hierfür sei ihm an dieser Stelle vielmals gedankt. Dank sagen möchte ich außerdem Herrn Dr. Ralf Mitsch (Mannheim) für zahlreiche Gespräche, die dem Fortgang der Arbeit sehr förderlich waren, Frau Rita Müller, Frau Martina Frey und Herrn Dr. Gerhard Faix, die sich der Mühe des Korrekturlesens unterzogen haben, Frau Andrea Denke für die höchst kompetente Hilfestellung bei der Erstellung der Druckvorlage, sowie allen Freunden und Freundinnen, die das Werden der Arbeit durch ihr Interesse mit gefordert haben. Die Universität Mannheim hat mir für zwei Jahre ein Stipendium der Graduiertenforderung des Landes Baden-Württemberg zukommen lassen - auch hierfür habe ich zu danken. Schließlich möchte ich mich bei Herrn Karras, dem zuständigen Lektor des AkademieVerlages, fur die Aufnahme des Buches sowie für die unkomplizierte und überaus freundliche Betreuung während der letzten Monate bedanken. Ich widme dieses Buch meiner Familie, die mich durch ihre Anteilnahme immer unterstützt hat.

Stuttgart, im März 1998

Regine Birkmeyer

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

5

Inhaltsverzeichnis

7

1 Einleitung

11

1.1 Der Kontext 1.2 Die Forschungslage zur Geschichte der Konversen im Hochmittelalter 1.3 Die Fragestellung

11 18 26

2 Die Quellen

30

2.1 Die monastische Überlieferung

31

Chroniken 31 - Bemold von Konstanz 31 - Gislebert von Möns 32 - monastische Geschichtsschreibung 33 - Fundationsberichte und Klosterchroniken 33 Vitenliteratur 35 - Stifterviten 36

2.2 Das Kirchenrecht

38

Entwicklungen des kirchlichen Eherechts im Früh- und Hochmittelalter 38 - Burchard von Worms 44 - Anselm von Lucca 46 - Ivo von Chartres 47 - Gratian 49 Das Eherecht in den einzelnen Sammlungen 51

3 Die normativen Vorgaben: Ehetrennung und monastische conversio im hochmittelalterlichen Kirchenrecht

55

3.1 Ehescheidung und Ehetrennung in kirchenrechtlicher Sicht: die Rahmenbedingungen

55

Das Prinzip der Unauflöslichkeit der Ehe 55 - Kategorien der Ehetrennung 57 Gefangenschaft oder Flucht des Ehegatten 58 - Persönliche Unfreiheit 59 Unterschiedliche Rechtszugehörigkeit 60 - Krankheit 60 - Konversion zum Christentum 60 - Kopulatheorie 62 - Vermittlungstheorie 62 - Trennende und nichttrennende impedimenta 63 - consanguinitas 65 - cognatio spiritualis 66 Ehebruch 70

3.2 Ehetrennung vor dem Hintergrund der monastischen conversio

75

3.2.1 Die Notwendigkeit des consensus Gregor der Große 76 - Konsensforderung Gemeinsame conversio der Gatten 82

76 77 - Konsenslehre im Eherecht

77 -

Inhaltsverzeichnis

8 3.2.2 Die Rolle des Bischofs

88

4 Päpste, Bischöfe und Konversen

90

4.1 Aus der Praxis der Bischöfe: Beispiele bischöflicher Rezeption des Kirchenrechts

91

Burchard von Worms 91 - Enzbischöfe von Köln 92 - Gerhard von Pleis 92 Radolf von Bönkhausen 93 - Heinrich von Turren 94 - Konzil von Rouen 1073 95 - Konzil von Avranches 1172 95 - Konzil von Paris 1197 96 - Ordericus Vitalis 97 - Hildebert von Lavardin 98 - Ivo von Chartres im Fall des Grafen Hugo von Troyes 100

4.2 Die Autorität der Päpste. Ehetrennung und monastische conversio in den Dekretalen Alexander III Honorius III

102 - Urban III 113 - Gregor IX

110 - Coelestin III 116

111 - Innozenz III

102 113-

5 Konversionen verheirateter Adliger im Spiegel der Historiographie 5.1 Die Konversen 5.1.1 Die Vorgeschichte

118 119 119

Stereotype Quellenaussagen zu Herkunft und Stand der Konversen 1 1 9 - Ehefrauen 120 - Grundmuster in der Darstellung des weltlichen Lebens 121 - Typus des frommen Adligen 121 - Eckenbert von Frankenthal 122 - Gottfried von Cappenberg 128 - Johannes von Montmirail 131 - Typus des unchristlichen, gewalttätigen Adligen 133 - Ludwig von Arnstein 133 - Gründungsgeschichte des Klosters Affligem 135 - Ansericus von Marcha und La Charite-sur-Loire 135 Pontius von Leras 137 - Balduin von Guize 138 - Ebrardus von Breteuil in der Darstellung Guiberts von Nogent 140

5.1.2 Motive und Initialerlebnisse

142

Caesarius von Heisterbach 142 - Die Vergänglichkeit der Welt, Erkenntnis eigener Sündhaftigkeit und die Sehnsucht nach Teilhabe am ewigen Leben 143 - Ebrardus von Breteuil 143 - Hugo von Lurcy 145 - Göttliche Erleuchtung 146 - Pontius von Leras 146 - Ludwig von Arnstein 147 - Krankheit, Vision und Jenseitsschau 149 - Balduin von Guize 149 - Ludwig von Ahr 150 - Heribrand 150 - Eckenbert von Frankenthal 152 - Die Geschwister Bernhards von Clairvaux: Guido und Humbelinde 154 - Bertrad von Paulinzelle 157 - Zusammenfassung 158

5.2 Die Ehefrauen: Konsens und Konversion Richlind von Frankenthal 159 - Zustimmung bei den Ehefrauen 160 - Oda und Morvinus 161 - Adelaise von Lurcy 161 - Heribrand und Adela 164 - Pontius von Leras 177 - Widerstände auf Seiten der Gemahlin 169-Hildeburg von Galardon 170 - Ebrardus von Breteuil 172 - Balduin von Guize 175 - Jutta von Arnsberg, Gräfin von Cappenberg 178 - Bernhard von Clairvaux und seine Schwägerin 184 - Humbelinde 187 - Caesarius von Heisterbach 188 - Guda von Baumburg, Gräfin von Arnstein 188 - Johannes von Montmirail und seine Gattin Helvidis 192 Zusammenfassung 196

159

Inhaltsverzeichnis 5.3 Die Rolle der Bischöfe und Äbte bei der Konversion Verheirateter

9 198

Kirchenrechtliche Notwendigkeit der Einschaltung des Bischofs 199 - Eckenbert von Frankenthal und der Bischof von Worms 199 - Gottfried von Cappenberg und der Bischof von Münster 201 - Ludwig von Arnstein und die Erzbischöfe von Trier 204 - Pontius von L6ras 205 - Affligem 206 - Ebrardus von Breteuil im Kloster Marmoutier 208 - Balduin von Guize und Abt Petrus Monoculus 209 - Diskrepanzen zwischen Historiographie und Kirchenrecht 210

6 Herzogin Ermengarde von der Bretagne

212

7 Zusammenfassung

227

8 Anhang: Fallsammlung

234

Bibliographie

257

1 Verzeichnis der abgekürzt zitierten Werke und Zeitschriften 2 Quellen und Regestenwerke

257 259

3 Literatur

262

Register Verzeichnis der zitierten Kanones und Dekretalen 21 Register der Personenund Ortsnamen

273 273 277

1 Einleitung

1.1 Der Kontext Das in den Quellen zahlreich bezeugte Bild adliger Laien, die sich, getrieben von dem Wunsch, die Welt zu verlassen und ihr Leben in den Dienst Gottes zu stellen, ihrer weltlichen Habe entledigten und sich als Konversen dem monastischen Leben verschrieben, gehört unbestritten zur Geschichte der großen Reformen, deren Wirkungen die abendländische Kirche des 11. und 12. Jahrhunderts prägten. In jener Zeit hatte sich eine laikale Frömmigkeitsbewegung mit ganz unterschiedlichen Ausprägungsformen entfaltet,1 die von den monastischen Erneuerungsbewegungen sowohl des benediktinischen Mönchtums, als auch der Zisterzienser und Reformkanoniker sowie anderer, in jener Zeit neu entstehender Ordensgemeinschaften getragen und gezielt gefordert wurde.2 Die spirituellen Leit-

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Herbert Grundmann, .Adelsbekehrungen im Hochmittelalter. Conversi und nutriti im Kloster", in Adel und Kirche. Gerd Teilenbach zum 65. Geburtstag dargebracht von Freunden und Schülern, hg. v. Josef Fleckenstein/Karl Schmid, Freiburg 1968, 325-345, hier 344, sah in den Adelskonversionen des 11. und 12. Jahrhunderts lauter „Einzel- und Sonderfalle, die selten in einem ersichtlichen Zusammenhang untereinander [standen]." Eine religiöse Bewegung, von der die Laien hier ergriffen gewesen seien, konnte er nicht erkennen. Es lassen sich jedoch etliche Belege anführen, denen zufolge durchaus von einer „Bewegung" die Rede sein darf) wenn etwa ganze Gruppen sich gemeinschaftlich in einer Art Schwurverband zur vita religiosa oder zur gemeinsamen Klostergründung entschlossen, wie es verschiedentlich berichtet wird. Von gleichzeitig auftretenden „religiösen Laienbewegungen" in verschiedenen Teilen Europas spricht auch Wilfried Hartmann, Der Investiturstreit (Enzyklopädie deutscher Geschichte 21), München 1993, hier 58, die er geradezu als „religiösen Aufbruch" bezeichnet. Er betont das zeitliche Zusammentreffen der „Mobilisierung" laikaler Kräfte für die Ziele der Gregorianer mit der Verstärkung religiöser Tendenzen unter den Laien. Vgl. auch ebd., 111. Einen allgemeinen Oberblick über die Laienfrömmigkeit im Hochmittelalter bieten in seinem für die Erforschung der Ketzer- und der Ordensgeschichte des Mittelalters nach wie vor grundlegenden Werk Herbert Grundmann, Religiöse Bewegungen im Mittelalter. Untersuchungen über die geschichtlichen Zusammenhänge zwischen der Ketzerei, den Bettelorden und der religiösen Frauenbewegung im 12. und 13. Jahrhundert und über die geschichtlichen Grundlagen der deutschen Mystik, 4. Aufl. Darmstadt 1977, sowie Ernst Werner, Pauperes Christi. Studien zu sozial-religiösen Bewegungen im Zeitalter des Reformpapsttums, Leipzig 1956, der einen Sozialrevolutionären Charakter der Laienfrömmigkeit zu erkennen glaubte und auf die Einbindung der nicht auf das Mönchtum ausgerichteten religiösen Bewegungen, wie sie etwa die Pataria und die Anhänger des Johannes Gualberti darstellten, durch Gregor VII. für die Ziele der Kirchenreform hinwies; darüber hinaus wären zahlreiche Einzeluntersuchungen zu nennen, auf die in konkreten Zusammenhängen hinzuweisen sein wird. In monastischen Reformkreisen wurden im 11. Jahrhundert verstärkt Forderungen geäußert, die sich gegen die alte Einrichtung der nutriti, jener Konventsmitglieder, die dem Kloster bereits im Kindesalter als pueri oblati übergeben wurden, richteten. Die Reformer gaben der im Erwachsenenalter erfolgten Konversion zum Mönchtum den Vorzug. Dahinter stand die Verstimmung darüber, daß, wie es

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Einleitung

gedanken der Reformer, imitatio Christi und vita apostolica, das Streben, es der christlichen Urgemeinschaft gleichzutun,3 gaben nach dem Zeugnis der Quellen gleichermaßen die Ziele fiir die adligen Konversen vor. „Nudus nudum Christum sequi",4 nackt, d. h. bar aller materiellen Güter den durch Jesus vorgezeichneten Weg beschreiten, dieses Postulat bezeichnete auch und gerade eine gesteigerte Frömmigkeit vieler Menschen, die im weltlichen Leben reich und in mächtiger Position zu finden waren, jedoch freiwillig auf Ehre und Besitz verzichteten und mit den auf das Jenseits orientierten Inhalten der vita religiosa vertauschten.5 Die Geschichtsschreiber aus dem Umkreis der hirsauischen Klosterreform beschrieben teilweise geradezu begeistert den enormen Zulauf gerade von adligen, hochstehenden Persönlichkeiten zu den Klöstern, der den Reformern auch von päpstlicher Seite Lob und Anerkennung zuteil werden ließ: „Quosdam accepimus morem vestrorum cenobiorum corodentes, quo laicos seculo renunciantes et se suaque ad communem vitam transferentes, regendos in obedientia suscipitis. Nos vero eundem consuetudinem laudabilem approbamus, sanctam et catholicam nominamus et confirmamus,"6 so heißt es in einer

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formuliert wurde, die Klöster lediglich als Versorgungsanstalten fur mißgestaltete und nachgeborene Kinder des Adels mißbraucht würden. Im Zweifel über die tatsächliche echte Überzeugung ihres Mönchtums machte man diesen Brauch fiir den Niedergang mancher Klöster mitverantwortlich. Klostereintritte von Erwachsenen, die im vollen Besitz ihrer geistigen Kräfte und bewußt diese Lebensform wählend in den Konvent kamen, sah man eher als Garanten dafür an, an den Grundsätzen und Idealen des reformierten Klosterlebens festhalten zu können. Einer der entschiedenen Verfechter dieser Ansicht war beispielsweise Ulrich von Cluny, der in seiner an Abt Wilhelm von Hirsau gerichteten Epistola nuncupatoria die Mißstände in den Klöstern anprangerte. Vgl. Ulrich von Cluny, Epistola nuncupatoria, Migne PL 149, Sp. 635-640, hier etwa Sp. 636: „Adeo tritum est et usitatum, si qua districtio huius spiritualis militiae inter has nostrorum temporum faeces esse potest, non esse, nisi ubi maior est numerus et auctoritas maior illorum qui non aetate lasciva, nec imperio parentum, sed sponte sua, et maioris aetatis, solo Christo imperante, ad eius se obsequium rebus saeculi abdicatis contulerunt. " Zur zeitgenössischen Diskussion der Problematik vgl. Herbert Grundmann, ,Adelsbekehrungen", 325ff. Gemäß Mt 19,21; Lc 14,33; Act 2,42-47. Zur Geschichte dieses Motivs vgl. Matthäus Bernards, „Nudus nudum Christum sequi", in Wissenschaft und Weisheit 14 (1951) 148-151. Keineswegs war diese Frömmigkeitsbewegung jedoch auf Angehörige des Adels beschränkt, doch nahmen sich Konversionen von Personen, die in der Welt reich und einflußreich gewesen waren, besonders plastisch aus und waren imstande, den Berichten der Historiographen eine besondere Pointe zu verleihen. Viele Quellen berichten auch von Konversen bäuerlicher oder ministerialer Herkunft oder betonen, häufig sehr stereotyp und unter Vermischung von Idealvorstellungen und wirklichem Geschehen, daß es Personen sowohl von hoher wie von niederer Abkunft waren, die zur vita religiosa fanden. Vgl. etwa Die Zwiefalter Chroniken Ortliebs und Bertholds: Ortliebi Chronicon, lib. I, c. 20, neu hg., erl. u. übers, v. Luitpold Wallach u.a. (Schwäbische Chroniken der Stauferzeit 2), Sigmaringen 1978, 90: „ Tanti sexus utriusque nobiles et ignobiles, divites ac pauperes seu mediocres ad hunc locum pro Dei amore incolendum venerunt et bona sua tradiderunt, ut vallis isla coepisset frumento spiritali simul et corporali habundare, clamare et ymnum dicere." Zu bedenken ist für die Konversionen von Angehörigen der unteren Bevölkerungsschichten angesichts der gerade gegen Ende des 11. Jahrhunderts zahlreichen Nachrichten über existentielle Nöte der Bevölkerung, daß in einzelnen Fällen nicht allein religiöse Motive eine Rolle gespielt, sondern auch materielle Erwägungen ihren Gang ins Kloster beeinflußt haben mögen. JL 5456. Hierzu ist allerdings anzumerken, daß Urban persönlich in enger Beziehung zum Reformmönchtum stand, denn er war vor seiner Erhebung auf den apostolischen Stuhl selbst Mönch in Cluny gewesen. Eine grundsätzliche Sympathie für das Gedankengut, das mit den religiösen Bewegungen seiner Zeit einherging, zieht sich bei Urban wohl durch, erteilte er doch Robert von Arbrissel

Der Kontext

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Urkunde Papst Urbans II. für die Hirsauer. Prominent und häufig zitiert sind in diesem Zusammenhang die Äußerungen Bernolds von Konstanz, in denen er die Suche der Edlen nach religiöser Erfüllung aus seiner Sicht skizzierte: „Ad quae monasteria mirabilis multitudo nobilium et prudentium virorum ... confugit, et depositis armis evangelicam perfectionem sub regular! disciplina exequi proposuit... ". Je vornehmer sie im weltlichen Leben gewesen seien, desto mehr wünschten sie nun, niedere Dienste zu verrichten; die, die einst Grafen und Markgrafen gewesen seien, wollten nun etwa in der Küche arbeiten oder gar den Mönchen die Schweine hüten: dies zählten sie nun zu den höchsten Freuden.7 Dabei verweisen die Berichte - nicht nur von Chronisten, die der cluniazensischen Reform nahestanden, sondern auch von im Umkreis der neu entstehenden Ordensgemeinschaften zu findenden Geschichtsschreibern - immer wieder auch auf den hohen Anteil an Frauen, die von einem religiösen Aufbruch erfaßt wurden und nach den jeweils gegebenen Möglichkeiten eine vita Christiana anstrebten.8 Für die Zeit um 1200 skizzierte zum Beispiel Jakob von Vitry die Entwicklung bei den Zisterzienserinnen: „Postquam autem premonstratensis ordinis viri timorati et religiosi, sapienter attendentes et familiari exemplo experti quam grave sit et periculosum ipsos custodes custodire, in domibus

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1096 die offizielle Erlaubnis, umherzuziehen und zu predigen, nachdem er ihn in Angers selbst reden gehört hatte. Vgl. dazu L. Raison/R. Niderst, „Le mouvement eremitique dans l'Ouest de la France ä la fin du Xle siecle et au debut du XNe", in Annales de Bretagne 55 (1948) 1-45, hier 10. Bernold von Konstanz, Chronicon ab anno 1-1100, ad a. 1083, hg. v. Georg-Heinrich Pertz (MGH SS 5), Hannover 1844, 439. Diese Aussagen finden ihre Entsprechung in zahlreichen Zeugnissen der Zeit, Chroniken, Viten u.a. Dazu Herbert Grundmann, Bewegungen, 170fF., der ebd., 172 für die Gebiete nördlich der Alpen sogar befand: „... das weibliche Element steht bei der religiösen Bewegung der nördlichen Gebiete durchaus im Vordergrund." Auch in der Studie von Ernst Werner, Pauperes Christi, ist den Frauen in den religiösen Bewegungen der Zeit große Aufmerksamkeit gewidmet worden. An neueren Untersuchungen vgl. auch Beatrix Wilms, Amatrices ecclesiarum. Untersuchungen zur Rolle der Frau und Funktion der Frauen in der Kirchenreform des 12. Jahrhunderts, Frankfurt 1987, hier 12 u.ö. Die in den letzten Jahrzehnten stark angewachsene Forschungsliteratur über weibliche Religiosität, deren Hintergründe und die Möglichkeiten ihrer Verwirklichung im Hochmittelalter macht einen ausgedehnten Überblick an dieser Stelle unmöglich. Allgemein ist dazu anzumerken, daß man mitunter allzu sehr dazu neigt, moderne Denkkategorien auf das Mittelalter zu projizieren, was sich in Einzelfällen bereits in der Wahl eines recht programmatischen Titels ausdrückt. Als Beispiel sei hier verwiesen auf Peter Dinzelbacher, „Rollenverweigerung, religiöser Aufbruch und mystisches Erleben mittelalterlicher Frauen", in Religiöse Frauenbewegung und mystische Frömmigkeit im Mittelalter, hg. v. Peter Dinzelbacher/Dieter R. Bauer (Beihefte zum AKG 28), Köln u.a. 1988, 1-58. Der Verfasser spricht hier - wie andere Autoren auch davon, daß die religiösen Frauen dezidiert Reichtum und damit verbundene schlechte Verhaltensweisen sowie auch das andere Geschlecht abgelehnt hätten und damit die ihnen zugedachte Rolle als Frau verweigert hätten. Vgl. ebd., 15. Die Berichte über solche Erscheinungen sind zweifellos in großer Zahl überliefert, ihre Interpretation unter rein feministischen Vorzeichen relativiert sich allerdings durch eine vielleicht ebenso große Zahl von Nachrichten über ein ganz ähnliches Verhalten bei religiös bewegten Männern. Unter dem Aspekt der in der Geschichtswissenschaft neuerdings stattfindenden, begrüßenswerten Erweiterung des Begriffs Frauengeschichte auf eine Geschichte der Geschlechter wäre die Kenntnisnahme und Darstellung dieses Umstands wünschenswert. Eine Zusammenfassung der historischen Frauen- und Geschlechterforschung für das Frühmittelalter, auch unter Berücksichtigung verschiedener Ansätze und Voraussetzungen und unter Ausdehnung des Untersuchungszeitraums bis ins Hochmittelalter bietet neuerdings Hans-Werner Goetz, Frauen im frühen Mittelalter. Frauenbild und Frauenleben im Frankenreich, Weimar u.a. 1995, hier 31-70, im übrigen mit umfangreicher Bibliographie.

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Einleitung

ordinis sui feminas iam de cetero non recipere decreverunt, multiplicata est sicut stelle celi et excrevit in immensum cystercienis ordinis religio sanctimonialium ... ",9 Eine Vielzahl neuer Klostergründungen habe es gegeben, weil die Frauen, Jungfrauen, Witwen, Ehefrauen, auch Frauen aus anderen Klöstern, geradezu scharenweise zusammengeströmt wären, um ein besseres Leben zu fuhren.10 Auch über die Prämonstratenserinnen des 12. Jahrhunderts sind wir aus seiner Feder unterrichtet." Seine Darstellung ist geprägt von einer grundsätzlichen Sympathie gegenüber den religiösen Frauen12 und repräsentiert in gewisser Weise, auch wenn das Echo der Ordens- und Kirchenmänner keineswegs immer so positiv war, die Aussage zahlreicher, räumlich, zeitlich und von der Reformrichtung her weit verstreuter Nachrichten über die Zunahme weiblicher Religiosität, die sich das ganze 11. Jahrhundert hindurch andeutete. Hier ist auch an die von den Chronisten konstatierte Attraktivität der Wanderprediger Robert von Arbrissel und Norbert von Xanten im französischen Raum zu denken. In der Regel war mit dem Wunsch nach einer vollkommenen Hingabe an Gott und der daraus resultierenden Absage an weltliche Besitztümer die Tradition eigener Güter an die jeweils ins Auge gefaßten Klöster verbunden, und häufig genug kam es in diesem Zusammenhang zu Klosterneugründungen durch Adlige - Männer wie Frauen - , die damit gleichzeitig oder auch später ihre eigene Konversion verbanden.14 Die vielfaltigen Be9

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The Historia occidentalis of Jacques de Vitry. A critical edition, hg. ν. John F. Hinnebusch (Spicilegium Friburgense 17), Fribourg 1972, hier 117. Jakob von Vitry sprach hier das Problem der Inkorporation von Frauenkonventen an, welches bei den Prämonstratensern und Zisterziensern über einen längeren Zeitraum existierte und bei dem sich wohl während des 12. Jahrhunderts noch keine einheitliche Maßgabe innerhalb der Orden herausgebildet hatte, wie damit umzugehen sei. Vgl. hierzu unten, 24. Historia occidentalis, hg. v. John F. Hinnebusch, 134f. Jakob von Vitry gilt allerdings als einigermaßen verläßlicher Historiograph; er selbst wies daraufhin, daß er in der Diözese Liege mit eigenen Augen die Gründung mehrerer Frauenkonvente innerhalb kurzer Zeit habe beobachten und sich von der großen Frömmigkeit der Frauen habe überzeugen können. Vgl. Historia occidentalis, hg. v. John F. Hinnebusch, 117f. Zur Beurteilung Jakobs von Vitry als Geschichtsschreiber vgl. ebd., 11-31 die einleitenden Ausführungen des Editors, wie etwa ebd., 12: „... he stands as an authoritative historian of the new emphasis upon the apostolic among laity and among religious." Ein prominenter Geschichtsschreiber prämonstratensischer Prägung, Hermann von Tournai, konstatierte in seinen MiraculaS. Mariae Laudunensis, lib. 3, c. 6, hg. v. Roger Wilmans (MGH SS 12), Hannover 1856, 657fT., daß die norbertinische Reformbewegung extrem viel Zulauf von Frauen erhielt. Die besondere Anziehungskraft, die Robert von Arbrissel auf Frauen, namentlich auch aus gesellschaftlichen Randgruppen, ausgeübt haben soll, ist hinlänglich bekannt. Vgl. etwa Jean-Marc Bienvenu, ,Aux origines d'un ordre religieux: Robert d'Arbrissel et la fondation de Fontevraud (1101)", in Cahiers d'histoire 2 (1975) 227-243. Seit längerem im Bewußtsein der Forschung ist auch die auf den okzitanischen Raum konzentrierte Frauenbewegung im Zusammenhang mit dem ganz oder teilweise häretischen Waldenser- und Katharertum. Dazu vgl. Peter Segl, „Die religiöse Frauenbewegung in Südfrankreich im 12. und 13. Jahrhundert zwischen Häresie und Orthodoxie", in Religiöse Frauenbewegung und mystische Frömmigkeit im Mittelalter, hg. v. Peter Dinzelbacher/Dieter P. Bauer (Beihefte zum AKuG 28), Köln u.a. 1988, hier 99ff. Vgl. die Äußerungen der Gründungsgeschichte St. Georgens über die conversio der beiden Gründer Hesso und Konrad: Notitiae fundationis et traditionum monasterii s. Georgii in Nigra Silva, hg. v. Oswald Holder-Egger (MGH SS 15, 2), Hannover 1888, 1010: „Anno ergo incarnationis Domini 1084... venit Hesso et Cuonradus, iam pauperes Christi, cum aliquot fratribus in praedictum monticulum, arborum densitate consitum et horrore silvatico squallidum, ubi nondum fuerat vel unum domicilium. " Vgl. folgende Gründungsnotizen: Notitia fundationis monasterii Rorensis, hg. v. Oswald

Der Kontext

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Ziehungen zwischen dem Reformmönchtum, gleich welcher Prägung, einerseits und laikalem Streben nach der vita Christiana andererseits müssen in ihrer engen wechselseitigen Verknüpfung gesehen werden, denn nicht nur waren die verschiedenen innermonastischen Reformbewegungen Anziehungspunkte für die frommen Laien und boten ihnen Möglichkeiten, ihre Ambitionen zu verwirklichen, sondern durch die umfangreiche Stiftertätigkeit des Adels konnten Reformziele überhaupt umgesetzt und weiter verbreitet werden. Nahezu jede hochmittelalterliche Gründungsgeschichte mit ihren Traditionseinträgen und nahezu jeder Nekrolog legen Zeugnis davon ab, wie die Klöster das Gedenken an die Stifter intensiv lebendig zu erhalten versuchten und wie sehr man sich bereits zu jener Zeit dieser Zusammenhänge bewußt war. Als Motive für diese, wie es scheint, gesteigerte Religiosität der Laien geben die zeitgenössischen Quellen stets ein Spektrum ähnlicher oder gar gleichlautender Bilder an. Zum einen wurden sie demnach getrieben von inneren Beweggründen, von Ängsten, deren drückendste die vor dem himmlischen Richter war, und infolgedessen von Reue angesichts der eigenen Sündhaftigkeit, die jetzt durch ein möglichst gottnahes Dasein gebüßt werden sollte. Ein anderes Motivbündel kreist um das Bild der Weltverachtung und der Flucht vor der in Unsicherheit und Kriegen versinkenden Welt in den sicheren Hafen des Klosters.15 In jedem Fall sind es die Sicherung des Seelenheils und der Teilhabe am ewigen Leben, die als Antriebskräfte geschildert werden. Dies ist die mönchische Sicht der Dinge, und zumindest im Bereich der Geschichtsschreibung diejenige, von der wir ausschließlich Kunde haben; die Umstände, die im Einzelfall ausschlaggebend gewesen sein mögen und die in der persönlichen, individuellen Geschichte der Konversen zu suchen wären, werden zumeist nicht direkt benannt, können aber doch in einigen Fällen, besonders dann, wenn eine Parallelüberlieferung vorliegt, indirekt erschlossen werden.16 Bei den Konversen handelte es sich nun keineswegs nur um Personen, die unabhängig im Sinne familiärer Bindungen waren, also Verwitwete, Jungfrauen oder unverheiratete Männer. Einen nicht geringen Anteil an den Klostereintritten Erwachsener hatten Verheiratete, die sich entweder aus einem von beiden Ehepartnern gemeinsam gefaßten Entschluß heraus oder auf Initiative eines der Partner für die religiöse Lebensform entschieden, mitunter aber auch einzeln als Konversen bezeugt sind.

Holder-Egger (MGH SS 15, 2), Hannover 1888, 1084; Fundatio monasterii Waldsassensis, hg. v. Oswald Holder-Egger (MGH SS 15, 2), Hannover 1888, 1098f. sowie Fundatio monasterii Gratia Dei circa a. 1147, hg. v. Hermann Pabst (MGH SS 20), Hannover 1868, 687ff. So interpretierte beispielsweise die Chronik des Klosters Petershausen, üb. 2, c. 48, neu hg. u. übers, v. Otto Feger (Schwäbische Chroniken der Stauferzeit 3), 2. Aufl. Sigmaringen 1978, 120, den Zustrom der Laien zur Reform: „Ea tempestate spiritalis disciplinae ardor quam maxime fervebat apud monasterium quod dicitur Hirsaugia, et multi tarn nobilium quam ignobilium clericorum et laicorum, sed et monachorum de aliis locis illuc confluebant et de procella anathematis, quae tunc navim ecclesiae vehementer impingebat, quasi de maximo naufragio emergentes, illic quasi ad portum confugiebant et quietem optatae salutis se invenisse gaudebant." Zu der von den Mönchen bevorzugten Metaphorik und ihrer Umsetzung in der Geschichtsschreibung vgl. Klaus Schreiner, „Mönchtum zwischen asketischem Anspruch und gesellschaftlicher Wirklichkeit. Spiritualität, Sozialverhalten und Sozialverfassung schwäbischer Reformmönche im Spiegel ihrer Geschichtsschreibung", in ZWLG 41 (1982) 250-307, hier 252ff. Im einzelnen wird auf individuelle Beweggründe und Initialerlebnisse im fiinften Abschnitt der Untersuchung eingegangen.

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Einleitung

Ein Blick in die Urkundenbücher von Cluny und dem ersten cluniazensischen Frauenpriorat Marcigny, wo im Zeitraum etwa von 1060 bis 1130 allein rund fünfzig ehemals verheiratete Konversen bezeugt sind, deutet bereits an, in welchem Umfang diese Sonderform der Konversion auftreten konnte.17 Kein seltenes Phänomen war es sogar, daß ganze Familien oder Familienverbände sich mitsamt ihrem Besitz in die Gemeinschaft eines oder mehrerer Klöster begaben.18 Der Ehestatus brachte für die Durchführung und die Folgen einer conversio besondere Umstände mit sich, die in dieser Form bei unverheirateten Konversen nicht gegeben waren. Denn die Entscheidung, sich aus dem weltlichen Leben in einen Konvent zurückzuziehen, betraf ja in diesem Falle nicht den Konversionswilligen und allenfalls dessen Familie und Erben allein, sondern in erster Linie auch seinen Ehepartner und, soweit vorhanden, die Kinder, die theoretisch schon aufgrund der sich beim Klostereintritt des Gatten und Vaters stellenden Versorgungs- und der Besitzregelungsprobleme gewisse Ansprüche geltend machen konnten. Zudem betraf die mit dem Klostereintritt verbundene Beendigung der ehelichen Gemeinschaft Fragen des kirchlichen Eherechts, vor allem vor dem Hintergrund des von der Kirche mit Nachdruck verfochtenen Prinzips der Unauflöslichkeit einer christlich legitimierten Ehe. Ein ebenso gewichtiges Problem war in diesem Zusammenhang mit der Tatsache verbunden, daß umgekehrt eine bestehende Ehe zunächst ein Hindernis für den Eintritt in ein Noviziat, wie überhaupt - zumindest bei den höheren Weihen - in den geistlichen Stand darstellte.19 Diese Situation auf der einen Seite und das im Reformmönchtum vorhandene starke Interesse am Zulauf der Laien zu einer in der zeitgenössischen Vorstellung gegenüber dem weltlichen Leben höherwertigen Lebensform auf der anderen Seite verweisen auf eine

Receuil des chartes de l'Abbaye de Cluny, hg. v. Auguste Bernard/Alexandre Bruel, Bd. 4: 1027-1090, Paris 1888; Bd. 5: 1091-1210, Paris 1894. Cartulaire de Marcigny-sur-Loire (1045-1144). Essai de reconstitution d'un manuscrit disparu, hg. v. Jean Richard (Analecta burgundica), Dijon 1957. Die prosopographischen Auswertungen dazu finden sich bei Wolfgang Teske, „Laien, Laienmönche, Laienbrüder in der Abtei Cluny. Ein Beitrag zum 'Konversen-Problem'", in FrmaSt 10 (1976) 248-322 (Τ. I) und 11 (1977) 288-356 (Τ. II), sowie für den Frauenkonvent bei Elsa-Maria Wischermann, Marcigny-sur-Loire. Gründungs- und Frühgeschichte des ersten Cluniacenserinnenpriorates (10551150) (Münstersche Mittelalter-Schriften 42), München 1986, hier v. a. 305-427. Man denke an das wohl berühmteste Beispiel der Konversion Bernhards von Clairvaux und seiner Familie, von der die Viten des großen Zisterziensers erzählen. Vgl. S. Bernardi Vita prima, lib. I, auctore Guilelmo, c. 4, Migne PL 185, Sp. 237f. Oftmals blieb es nicht nur bei einem engeren familiären Kreis, sondern auch weitere Verwandte oder aber Getreue schlossen sich den Konversen an. Ob dies nur zur Verwirklichung eines bestimmten Frömmigkeitsideals geschah, wie es die Berichte darstellen, mag hier dahingestellt sein; doch ist anzunehmen, daß materielle Unsicherheit als Folge der Konversion mit gleichzeitiger Besitzübertragung an das Kloster die eventuell vom Konversen Abhängigen gleichfalls zur Annahme der vita apostolica bewog. Auch hier ist im Einzelfall nach Hinweisen zu suchen, die das Geschehen über die Darstellung der Chronisten hinaus erleuchten. Weitere Beispiele nennen etwa Stephan Hilpisch, Die Doppelklöster. Entstehung und Organisation (Beiträge zur Geschichte des alten Mönchtums und des Benediktinerordens 15), Münster 1928, hier 63f., sowie Joachim Wollasch, „Parente noble et monachisme reformateur. Observations sur les "conversions' ä la vie monastique aux XI e et XII e siecles", in Revue historique 264 (1980) 3-24. Sein Postulat in dieser Untersuchung ist es explizit, die Familienzusammenhänge der Konversen unter sozialgeschichtlichen und prosopographischen Gesichtspunkten ins Blickfeld zu nehmen. Vgl. zum Beispiel X 3.32.15 u.a. Dazu auch die Zusammenfassung bei Johannes B. Sägmüller, Lehrbuch des katholischen Kirchenrechts, 2. Aufl. Freiburg 1909, hier 194f.

Der Kontext

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gewisse Brisanz, die der Problematik der Konversion von Verheirateten innewohnt. Zu spüren ist diese andeutungsweise schon in der zeitgenössischen Polemik von Vertretern des alten Reichsmönchtums gegen die Hirsauer Reformbewegung.20 In jenem berühmten Spottgedicht nämlich, welches die Lorscher Mönche als literarische Waffe gegen hirsauische Reformversuche in ihrem Kloster einsetzten, wurde als einer der Anklagepunkte gegen die Brüder aus dem Schwarzwald der Vorwurf artikuliert, sie diskreditierten in ihren Predigten die Institution der Ehe und ordneten sie der vita monastica unter: „ Quod neque vir nuptus, casta quoque coniuge functus, et nec legitimo mulier sociata marito, umquam salventur, nisi primum dissocientur, et quae possideant disiuncti cuncta relinquant. "21 Unter Berufung auf die Autorität der Schöpfungsgeschichte brandmarkt das Lied dieses Treiben der Mönche als falsch. Der Wortlaut Hirsauer Predigten ist nicht überliefert. Doch ist es kaum denkbar, daß sie tatsächlich aktiv zur Lösung der Ehe aufgerufen haben sollen.22 Wir wissen allerdings, daß die Reformmönche gegenüber den laikalen Konversen durchaus offen waren, 23 und es ist vorstellbar, daß man auch im Kloster des heiligen Aurelius Verheirateten nicht prinzipiell den Zugang verweigerte. In der Sichtweise der verärgerten und gegenüber der Hirsauer Reform ablehnend eingestellten Lorscher Mönche mag dies als Agitation und Angriff auf die Institution der Ehe ausgelegt worden sein. Ungeachtet des Konfliktstoffes, der dieser Problematik in verschiedenerlei Hinsicht anhaftet, hat sich die Forschung bislang, obgleich seit längerem in einer intensiven Auseinandersetzung mit der Konversenthematik unter ganz verschiedenen Aspekten begriffen, mit der Eigentümlichkeit der Konversion von Verheirateten lediglich am Rande beschäftigt. 24 Daß bei der Untersuchung von Konversionen das Augenmerk auch auf die damit verbundenen Konsequenzen für die möglicherweise vorhandene Ehefrau und die Kinder zu richten sei, diese also zum eigentlichen Gegenstand der Untersuchung zu machen seien, betonte explizit bislang lediglich Joachim Wollasch, der diesen Gesichtspunkt in die Untersuchung der politischen und sozialen Umstände, durch die in Burgund und auch anderswo ganze Familien zum Klostereintritt veranlaßt wurden, eingebettet

Konkret geht es hier um das Nazariuskloster in Lorsch, welches streng an seiner gorzischen Prägung festhielt, auch, als zu Beginn des 12. Jahrhunderts von Hirsau aus im Einvernehmen mit dem Speyerer Bischof der Versuch unternommen wurde, Lorsch im Sinne der cluniazensischen Reform umzugestalten. Der Konvent wehrte sich dagegen heftig, und die Erneuerungsbestrebungen liefen zunächst ins Leere. Hierzu Kassius Hallinger, Gorze - Kluny. Studien zu den monastischen Lebensformen und Gegensätzen im Hochmittelalter (Studia Anselmiana 22/25), 2 Bde., Rom 1950/51, hier v.a. 452ff; Hermann Jakobs, Die Hirsauer. Ihre Ausbreitung und Rechtsstellung im Zeitalter des Investiturstreits (Kölner historische Abhandlungen 4), Köln/Graz 1961, hier 213f. Chronicon Laureshamense, hg. v. Karl A.F. Pertz (MGH SS 21), Hannover 1869, 431. Vgl. Hermann Jakobs, Hirsauer, 213f. Vgl. hierzu etwa die Aussagen der Vita Willihelmi abbatis Hirsaugiensis auctore Haimone, c. 6, hg. v. Wilhelm Wattenbach (MGH SS 12), Hannover 1856, 213: „Tanta karitatis afjluebat benignitate, ut neminem perfecte divino servitio cupientem se mancipare pro paupertate sua despiceret, neminem ob imperitiam refutaret. Nobiles et ignobiles, divites et pauperes, viros et mulieres, ad contemptum mundi incitabat, ac singulos ad amorem caelestis vitae verbo et exemplo accendebat. " Daß es in der Tat eine Vielzahl Verheirateter, die ins Kloster kamen, gegeben hat, ist durchaus konstatiert worden, vor allem im Zusammenhang mit der Cluny-Forschung. Vgl. beispielsweise Elsa-Maria Wischermann, Marcigny-sur-Loire, 132 u.ö.; Joachim Wollasch, „Frauen in der Cluniacensis ecclesia", in Doppelklöster und andere Formen der Symbiose männlicher und weiblicher Religiösen im Mittelalter, hg. v. Kaspar Elm/Michel Parisse (Berliner Historische Studien 18), Berlin 1992, 97-113.

18

Einleitung

wissen wollte.25 Ihm kam es in der Hauptsache darauf an, die Familien- oder, in einem weiteren Sinne formuliert, Personenverbände als „funktionale Gruppen" innerhalb des Reformmönchtums zu kennzeichnen. 26

1.2

Die Forschungslage zur Geschichte der Konversen im Hochmittelalter

Der Begriff des Konversen im mittelalterlichen Kloster bedarf zunächst einer genaueren Definition, da er zwei verschiedene, wenn auch eng miteinander zusammenhängende Inhalte in sich birgt.27 Konverse war zunächst jeder Mensch, der in reiferem Alter aus eigenem Antrieb in ein Kloster eintrat und wie diejenigen, die bereits in früher Jugend einem Konvent übergeben wurden, im eigentlichen Sinne Mönch der betreffenden Gemeinschaft wurde. Stellten sich den conversi auch häufig Hindernisse für die innerklösterliche Laufbahn in den Weg, die nicht zuletzt mit ihren mangelhaften Voraussetzungen, was die Bildung betraf, zusammenhingen, und verblieben sie daher meist im Laienstatus, so sollten sie doch theoretisch jenen nutriti ganz gleichgestellt sein.28 Der Begriff des Konversen bezeichnet seit dem Hochmittelalter zum zweiten, parallel zur ursprünglichen Bedeutung, auch jene Mitglieder der klösterlichen Gemeinschaften, die, zum Klosterleben übergetreten, einer besonderen Gruppe innerhalb des Konvents angehörten, in der sie, ohne die mönchische Profeß abzulegen, dennoch der in Klausur lebenden Gemeinschaft angehörten. Als Umschreibung ihres in besonderer Weise festgelegten Status wurde von der Forschung der Begriff des Laienbrüder- oder Konverseninstituts 29

geprägt. Die seit dem 11. Jahrhundert innerhalb der verschiedenen monastischen Verfassungen zu unterschiedlichen Ausprägungen gelangte Erscheinungsform der Konversen als eigene, mehr oder weniger klar definierte, aber seitdem stets in Abgrenzung zu den Mönchen empfundene Gruppe innerhalb des Konvents bildeten im Rahmen der Konversen-Forschung bislang einen Hauptuntersuchungsgegenstand. Dieser Aspekt ist für die vorliegende Joachim Wollasch, „Parente noble", 4: zur Fragestellung. Vgl. Joachim Wollasch, „Parente noble", 23: „Au cours d'une serie de conversions et de donations, une parente noble se transforma en une groupe fonctionnel au service du monachisme reformateur sous la direction d'un abbe apparente qui, parmi ces collaborateurs fideles, jouait un röle pareil ä celui d'un chätelain dans la vie seculiere." Die Schwierigkeiten, den conversus - gerade im Hochmittelalter - begrifflich zu fassen, benannte schon Adolf Mettler, „Laienmönche, Laienbrüder, Conversen, besonders bei den Hirsauern", in Wiirttembergische Vierteljahrshefte für Landesgeschichte NF 41 (1935) 201-253, hier 201: „Die Hauptursache der herrschenden Unsicherheit und Meinungsverschiedenheit bildet der sorglose und schwankende Sprachgebrauch des Mittelalters. Der Ausdruck conversus hat mit anderen den Obelstand gemein, daß er nicht eindeutig ist und unter der Hand seinen Sinn wechselt. Wer das nicht beachtet, gerät leicht auf Abwege." Vgl. hierzu Michael Töpfer, Die Konversen der Zisterzienser. Untersuchungen über ihren Beitrag zur mittelalterlichen Blüte des Ordens (Berliner Historische Studien 10: Ordensstudien 4), Berlin 1983, hier 20 mit Anm. 5. Zur begrifflichen Differenzierung vgl. auch Andreas Rüther, „Konversen", in LexMA, Bd. 5 (1991) Sp. 1423f.

Die Forschungslage

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Untersuchung zwar nur von nachgeordneter Relevanz; wenn er dennoch hier zumindest in zusammenfassender Form referiert wird, so geschieht das, um die gesamte Tragweite der Problematik, die nicht ohne Konsequenzen für die Geschichte des Konversentums im Allgemeinen bleibt, und die Entwicklung, die die Forschung in diesem Bereich genommen hat, zu skizzieren. Die Kenntnis der Diskussion um das Wesen der Konversen ist zudem nützlich, um den dieser Studie zugrundegelegten Konversenbegriff abgrenzen zu können, der hier, auch für die Zeit, in der es bereits institutionalisierte Laienbrüder gab, zunächst in seiner ursprünglichen Form verstanden wird. Als grundlegend gelten immer noch die Untersuchungen K. Hallingers über die monastischen Reformrichtungen von Gorze und Cluny im 10. und frühen 11. Jahrhundert 30 sowie über die Entstehung des sogenannten Laienbrüderinstituts, wenn sie auch neueren Forschungen zufolge in einigen Punkten, vor allem in ihrem Begriff von einer festgefügten Institution und im Hinblick auf die in Teilen stark verallgemeinernde Tendenz des Verfassers, als problematisch angesehen werden müssen. 31 Auf Hallinger geht in der Hauptsache die Scheidung der Konversen in eine ältere und eine jüngere Ordnung zurück, wobei er im sogenannten älteren Konverseninstitut 32 die im Gegensatz zu den im Kloster bereits aufgewachsenen nutriti erst im Erwachsenenalter zum Mönchtum gelangten Mönche sah, das jüngere Konverseninstitut hingegen mit den Laienbrüdern identifizierte, d.h. mit erwachsenen Konversen, die zwar in die Gemeinschaften eingegliedert wurden, aber dennoch, nicht zuletzt wegen ihrer häufig fehlenden Bildung, im Laienstatus verblieben. Die Ursprünge dieser Einrichtung, die er auf ein religiös bestimmtes Bedürfnis der im Dienst des Klosters stehenden Laien, das Leben der Mönche so weit als möglich nachzuahmen, zurückführte, sah Hallinger bereits im 5. Jahrhundert, die Entwicklung eines jüngeren Konverseninstituts faßte er als Aufstieg der klösterlichen familia und deren Annäherung an das monasterium auf, die seit dem frühen 11. Jahrhundert stattgefunden habe. 33 Auf den Thesen Hallingers aufbauend beschäftigten sich in der Folgezeit weitere Studien mit der Situation in einzelnen Klöstern und Reformverbänden, so etwa H. Jakobs mit der Einführung einer Art Institut von Laienbrüdern im Kloster Hirsau durch den Reformabt Wilhelm sowie in St. Blasien, 34 J. Semmler mit dem jüngeren Konverseninstitut 30 31

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Kassius Hallinger, Gorze - Kluny, v. a. 522-536. Kassius Hallinger, „Woher kommen die Laienbrüder?", in Analecla Sacri Ordinis Cisterciensis 12 (1956) 3-104. Der Verf. bietet gleichzeitig einen Überblick über die ältere Forschung zum Konverseninstitut bei den Zisterziensern und den Hirsauern. Vgl. ebd., 4ff. In kritischer Auseinandersetzung mit den Thesen Hallingers kam bereits Ursula Lewald in den Rezensionen in RheinVjbll 18 (1956) 306-313 und in ZRG KA 75 (1958) 396-402 zu abweichenden Ergebnissen. Vgl. hierzu auch Wolfgang Teske, „Laien", Τ. I, 250. Herbert Grundmann,,Adelsbekehrungen", 330, bemerkt hierzu zu Recht, daß es sich bei den Konversen des Frühmittelalters wohl kaum um eine „irgendwie rechtlich geregelte 'Institution'" gehandelt haben kann. Kassius Hallinger, „Laienbrüder", 60: „Die verfassungsmäßige Neuformung, von der wir zu handeln haben, stellt sich genau besehen als Vorgang der Annäherung zwischen familia und monasterium und als Aufstieg einer bestimmten Gruppe innerhalb der familia dar." Dies würde die allmähliche Ablösung der familia durch die Konversen implizieren, was allerdings nicht zutrifft: die klösterliche familia bestand neben dem Laienbrüderinstitut weiter fort. Vgl. hierzu etwa Wolfgang Teske, „Laien", Τ. II, 318. Hermann Jakobs, Hirsauer, 23£F. Mit den Konversen der Hirsauer hatte sich schon die Untersuchung Adolf Mettlers, „Laienmönche", befaßt; kurz auf die Einführung der Laienbrüder kommt auch zu

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Einleitung

in den Reformklöstern Siegburger Observanz 3 5 oder J. Fechter i m Z u s a m m e n h a n g mit der Untersuchung Clunys in seinem Verhältnis z u m Adel. 3 6 D i e Situation der Laienbrüder, der „convers nouvelle maniere" in den Klöstern, die Art und Weise ihrer Eingebundenheit in den klösterlichen Alltag, ihre Abgrenzung v o n den M ö n c h e n und die damit verbundenen Probleme machte J. Leclercq z u m Gegenstand einer Studie, die sich auf c l u n i a z e n s i s c h e u n d zisterziensische Quellen des 12. und 13. Jahrhunderts stützt. 37 E i n e Relativierung erfuhr die Interpretation Hallingers durch die Forschungen J. D u b o i s ' , d e s s e n Ergebnisse die These v o m Aufstieg der klösterlichen familia in Frage stellten und gerade auch die Betrachtung der Konversen des 11. Jahrhunderts ausschließlich unter institutionellen Vorzeichen kritisierten. 3 8 D e m folgte W. Teske in seiner Einzelstudie über die Laienbrüder in der Abtei Cluny, mit der er gleichzeitig die Notwendigkeit einer nach e i n z e l n e n Konventen und Reformrichtungen differenzierten Betrachtung der Problematik offenlegte. 3 9 Er beobachtete v o m 11. bis z u m frühen 12. Jahrhundert eine sprechen Hermann Jakobs, Der Adel in der Klosterreform von St. Blasien (Kölner Historische Abhandlungen 16), Köln/Graz 1968, hier 41. Daß die Hirsauer Laienbrüder im ausgehenden 11. Jahrhundert zu einem Großteil freien und unfreien bäuerlichen Schichten entstammten und demzufolge für die eher niederen Arbeiten im klösterlichen Wirtschaftsbetrieb vorgesehen und zuständig waren, befindet auch Klaus Schreiner, „Hirsau und die Hirsauer Reform. Spiritualität, Lebensform und Sozialprofil einer benediktinischen Erneuerungsbewegung im 11. und 12. Jahrhundert", in Hirsau. St. Peter und Paul 1091-1991. Geschichte, Lebens- und Verfassungsformen eines Reformklosters, bearb. v. Klaus Schreiner (Forschungen und Berichte der Archäologie des Mittelalters in Baden-Württemberg 10/2), Stuttgart 1991, 59-84, hier 74f. Josef Semmler, Die Klosterreform von Siegburg. Ihre Ausbreitung und ihr Programm im 11. und 12. Jahrhundert (Rheinisches Archiv 53), Bonn 1959, hier 312ff., sieht in der Entstehung des Laienbrüderinstituts eine Reaktion der Klöster auf den im 11. Jahrhundert wachsenden Drang von Laien zur vita monastica. Johannes Fechter, Cluny, Adel und Volk. Studien über das Verhältnis des Klosters zu den Ständen (910-1156), Diss. phil. Tübingen 1966. Zur Konversen-Problematik v.a. 16ff. Jean Leclercq, „Comment vivaient les freres convers", in 1 laid nella societas Christiana dei secoli XI e XII. Atti della terza Settimane internazionale di studio Mendola, 21-27 agosto 1965 (Miscellanea del centro di studi medievali 5), Mailand 1968, 152-176, hier 154: „Si l'on essaie d'ordonner les constatations que les sources les plus variees imposent au sujet de l'existence menee par les convers, on peut dire que celle-ci apparait comme une vie d'humilite, de travail, de patience et de priere, chacun de ces domaines etant l'occasion de tentations, de defaillances, mais aussi de vertus et parfois d'heroisme." Er glaubte vier Grundkonstanten des religiösen Lebensideals fur Laienbrüder in diesen Orden erkennen zu können, die ihm zufolge an sich und in der Art ihrer jeweiligen Ausprägung die soziale Stellung, die Inferiorität der Konversen gegenüber den Mönchen, in Entsprechung zu ihrer sozialen Herkunft implizierten: Demut, Arbeit, Duldsamkeit und Gebet. Jacques Dubois, „L'institution des convers au XIIe siecle. Forme de vie monastique propre aux laics", in I laid nella „Societas Christiana" dei secoli XI e XII. Atti della terza Settimana internazionale di studio, Mendola, 21-27 agosto 1965 (Miscellanea del Centro di Studi Medievali 5), Mailand 1968, 183-261. Der Verf. formuliert den Widerspruch, den er mit Hallingers These gegeben sieht, ebd., 184f. folgendermaßen: „... line question se pose ineluctable: si les convers sont issus de la familia, pourquoi apparaissent-ils, non dans les anciens monasteres qui employaient de nombreux serviteurs, mais dans les nouvelles fondations?" Folgerichtig geht es ihm darum, die Konversen gerade der neuen Orden in ihrer Entstehungsphase in Augenschein zu nehmen. Vgl. ebd., 185. Wolfgang Teske, „Laien", Τ. I u. II. In Ablehnung der Pauschalisierungen der Untersuchung Hallingers postulierte Wolfgang Teske, ebd., Τ. I, 252f. die Notwendigkeit zahlreicher Detailstudien zu einzelnen Konventen bzw. Kongregationen unter Berücksichtigung der teilweise sehr unterschiedlichen Grundvoraussetzungen, unter denen sich eine Verschiebung innerhalb des klösterlichen Gruppengefuges

Die Forschungslage

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semantische Verschiebung des Begriffs conversus bei den Cluniazensern, 40 bei der er einen engen Zusammenhang mit der zeitgleichen gesellschaftlichen Entwicklung in der Laienwelt gegeben sah, „deren Abschluß sich in vergröbernder Vereinfachung als die Herausbildung zweier getrennter Gesellschaftsschichten, der milites und der rustici beschreiben läßt."41 Parallel dazu habe sich in Cluny die Unterscheidung der Laienmönche, zu denen nur noch Angehörige der Oberschicht Zutritt erhalten hätten, und der Laienbrüder, bei denen ungebildete Handwerker und Bauern Aufnahme in ein religiös bestimmtes Arbeitsleben gefunden hätten, herausgebildet. Durch prosopographische Erfassung der in Cluny eingetretenen Laien konnte Teske darüber hinaus eine weitgehende Zuordnung der einzelnen Konversen zu den verschiedenen innerklösterlichen Gruppen vornehmen. 4 Die Konversen der Zisterzienser, die nun gegenüber den Anfängen der Laienbrüder im benediktinischen Reformmönchtum in der Tat Züge eines gesonderten rechtlichen Status innerhalb der monastischen Gemeinschaft aufwiesen, fanden besonders durch die Untersuchung M. Töpfers Beachtung. 43 In Ergänzung zu den bis dahin hauptsächlich auf der Grundlage normativer Quellen erfolgten Studien44 zu den zisterziensischen Konversen konnte er hauptsächlich durch die breit angelegte Auswertung der urkundlichen Überlieferung neue Erkenntnisse einerseits zur praktischen Umsetzung der Ordensgesetzgebung, andererseits aber auch zu den teilweise sehr speziellen, in jedem Fall aber fur das Wohlergehen der Klöster recht bedeutenden Funktionen der Laienbrüder im wirtschaftlichen Getriebe der Gemeinschaften beitragen. Spätestens hier bestätigte sich auch, was sich bereits mit den Untersuchungen Teskes angedeutet hatte: keineswegs kann davon die Rede sein - wie es die begriffliche Unterscheidung Hallingers in das ältere und jüngere Laienbrüderinstitut nahelegte daß die Konversen der neueren Ordnung die Konversen alten Stils ablösten. Vielmehr bestanden beide Formen nebeneinander. Während aber bei den Zisterziensern für adlige Konversen, trotz des Postulats, sie stets in

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ergeben konnte. Schon Jacques Dubois, „L'Institution des convers", 260f., hatte vor allzu starker Generalisierung über die Ordensgrenzen hinweg gewarnt und ihre getrennte Untersuchung postuliert. Wolfgang Teske, „Laien", Τ. II, 319: „Das Wort conversus bezeichnete nach Aussage aller zur Verfügung stehenden Quellen aus Cluny im 11. Jahrhundert den Laienmönch innerhalb der cluniazensischen Mönchsgemeinschaft. Es wurde in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts auch für die neu im Kloster an der Grosne eingeführten Laienbrüder verwandt und ging dann ganz auf diese Gruppe über." Ähnliches hatte schon Adolf Mettler, „Laienmönche", 220 und 229 für Cluny und vor allem für Hirsau und die südwestdeutschen Reformklöster formuliert. Wolfgang Teske, „Laien", Τ. II, 319. Wolfgang Teske, „Laien", Τ. II, 320: Listen. Die Ergiebigkeit solcher prosopographischer Studien fur einzelne Konvente für eine zahlenmäßige Einschätzung der Konversen einerseits und für eine Typologie hinsichtlich sozialer und familiärer Zugehörigkeit, Motivik, Stiftertätigkeit u. ä. mehr haben etwa ElsaMaria Wischermann, Marcigny-sur-Loire sowie Axel Müssigbrod, „Frauenkonversionen in Moissac", in HJb 104 (1984) 113-129 und ders., Die Abtei Moissac 1050-JJ50. Zu einem Zentrum cluniacensischen Mönchtums in Südwestfrankreich (Münstersche Mittelalter-Schriften 58), München 1988 gezeigt. Mitunter lassen sich auf dieser Basis auch Einzelschicksale zumindest über das bloße Faktum einer Konversion hinaus rekonstruieren. So auch Wolfgang Teske, „Bernardus und Jocerannus Grossus als Mönche in Cluny - Zu den Aufstiegsmöglichkeiten cluniacensischer conversi' im 11. Jahrhundert", in Beiträge zur Geschichte der Konversen im Mitte/alter, hg. v. Kaspar Elm (Berliner Historische Studien 2: Ordensstudien 1), Berlin 1980, 9-24. Michael Töpfer, Konversen, 19fT. mit einem Überblick über die Forschung zur Konversen-Problematik, besonders über die Forschung zu den Konversen bei den Zisterziensern. Vgl. Michael Töpfer, Konversen, 63f.

22

Einleitung

den Mönchsstand aufzunehmen, 45 in der Praxis beide Wege offenstanden, fanden Konversionswillige niederer respektive unfreier Herkunft wohl ausschließlich Aufnahme in die Reihen der Laienbrüder. Den Laienbrüdern im Prämonstratenserorden, wie sie in seinen Statuten bis ins Spätmittelalter hinein behandelt wurden, widmete sich eine Untersuchung G. v.d. Broecks. 46 Eine der Erfassung des Problems bei den Zisterziensern vergleichbare Untersuchung steht meines Wissens allerdings noch aus. Die Thematik der institutionalisierten Konversen trat gegenüber anderen Schwerpunkten der Betrachtung, die auch fur die vorliegende Studie als Ausgangsbasis gelten sollen, in den Hintergrund. Bereits H. Grundmann hatte in seinen Ausführungen über conversi und nutriti gefordert, die Blickrichtung nicht auf die innerklösterlichen Organisationsformen zu beschränken, sondern auf die Personen selbst auszuweiten, die als Erwachsene in die Klöster kamen. Damit würde der Tatsache Rechnung getragen, daß adlige Frömmigkeit im Hochmittelalter sich bei weitem nicht immer in mehr oder weniger umfangreicher Stiftertätigkeit erschöpfte.47 In seiner Zusammenstellung von Einzelfällen aus zeitgenössischen erzählenden Quellen machte er auf das im 11. und 12. Jahrhundert anscheinend Neuartige in der christlichen Gesinnung vieler adliger Laien aufmerksam. Daß die Konversen-Problematik, wie Grundmann bereits betonte, als Teil der vielschichtigen Beziehungen zwischen Adel und Mönchtum, Kirche und Reform gesehen werden muß, 48 bestätigte sich seitdem in einer Vielzahl von Einzelstudien, von denen nur einige hier angesprochen werden sollen. Für den Prämonstratenserorden konnten sowohl J. Ehlers 49 als auch H. Kroll 50 einen engen Zusammenhang zwischen laikaler Stiftertätigkeit und dem Eintritt der Stifter in die 46

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Michael Töpfer, Konversen, 38. Gerard v.d. Broeck, „Les freres convers dans la legislation des Premontres", in Anal. Praem. (1968) 215-246. Herbert Grundmann, .Adelsbekehrungen". Über die Aufgaben, die er fur die Forschung sah, vgl. ebd., 344f. Die Umfange dieses komplexen und teilweise auch ambivalenten Gefüges ist für die einzelnen Regionen bereits untersucht worden, so etwa für die Reformlandschaften Toskana, Schwaben und Burgund: Werner Goez, „Reformpapsttum, Adel und monastische Erneuerung in der Toskana", in Investiturstreit und Reichsverfassung, hg. v. Josef Fleckenstein (VuF 17), Sigmaringen 1973, 205-239; Karl Schmid, „Adel und Reform in Schwaben", in Investiturstreit und Reichsverfassung, hg. v. Josef Fleckenstein (VuF 17), Sigmaringen 1973, 295-319, und Joachim Wollasch, „Reform und Adel in Burgund", in Investiturstreit und Reichsverfassung, hg. v. Josef Fleckenstein (VuF 17), Sigmaringen 1973, 277-293. Vgl. auch neuerdings Raphaela Averkorn, Adel und Kirche in der Grafschaft Armagnac. Das cluniacensische Priorat Saint-Jean-Baptiste de Saint-Mont (1036-1130), Bochum 1997. Als Basis der Beziehungen müssen zum einen die schon vor der Reformzeit bestehenden personellen, wirtschaftlichen und seelsorgerischen Verflechtungen zwischen Adel und Klöstern, zum anderen aber auch das Herrschaftsverhältnis des adligen Eigenkirchenwesens gesehen werden. Die rechtlichen Verknüpfungen gewannen durch die auf die klösterliche libertas gerichteten Reformbestrebungen ein neues Gesicht, an dessen Gestaltung der Adel teilweise aktiv mitwirkte. Joachim Ehlers, ,Adlige Stiftung und persönliche Konversion. Zur Sozialgeschichte früher Prämonstratenserkonvente", in Geschichte und Verfassungsgeßige. Frankfurter Festgabe fur Walter Schlesinger, hg. v. Werner Gembruch u. a. (Frankfurter Historische Abhandlungen 5), Frankfurt 1973, 32-55. Hildegard Kroll, „Expansion und Rekrutierung der Prämonstratenser 1120-1150", in Anal. Praem. 54 (1978) 3 6 - 5 6 und dies., „Zum Charakter des Prämonstratenserordens in den ersten Jahrzehnten seines Bestehens", in Anal. Praem. 56 (1980) 21^10.

Die Forschungslage

23

von ihnen gegründeten Konvente feststellen, der, wie auch andere Forschungen erwiesen, für die Frühzeit der Prämonstratenser geradezu typisch erscheint. Am Beispiel der Grafen Gottfried von Cappenberg und Ludwig von Arnstein, ihren Motiven und Zielen untersuchte Ehlers den „Weg vom adlig-herrenmäßigen Leben zu Konversion und Stiftsgründung", wobei er die Radikalität, die sich fur ihn vor allem auch in einem gewissen sozialen Impetus der Abkehr von der adligen Herkunft äußerte, herausstrich.51 H. Kroll unternahm eine zahlenmäßige Einschätzung der Konventsmitglieder früher Prämonstratenserkonvente und ihrer sozialen Herkunft, soweit sie aufgrund der Überlieferungssituation zumindest tendenziell möglich ist. Dabei ergab sich, daß in der Tat große Teile der Prämonstratenser dem Adel entstammten. 52 Das Reformideal des noch jungen Ordens wirkte offensichtlich anziehend auf konversionswillige Adlige,53 die ihrerseits wiederum durch ihre Persönlichkeit und durch ihre Stiftungen den Konventen Auftrieb geben konnten. 54 Daß sich Reformkanonikergemeinschaften generell zu einem großen Teil aus Laienkonversen rekrutierten, ergaben darüber hinaus neuere Detailstudien zu einzelnen Stiftsgründungen der Prämonstratenser und der Augustinerchorherren, wie sie etwa B. Krings für Rommersdorf und Arnstein55 sowie H. Deutz für Rolduc/Klosterrath,56 um nur einige Beispiele zu nennen, vorlegten. Stiftsgründung und persönliche Konversion war allerdings keineswegs eine Sache allein des Adels, wie aus der Untersuchung Th. Zotz' über die Ministerialen in ihrem Verhältnis zur Kanonikerreform hervorgeht. Hier werden nicht nur Beispiele für Klosterausstattung durch einzelne Ministerialen und deren Hintergründe genannt, 57 sondern auch und vor allem die Regularkanonikerstifte im Westen des Reiches, wie Springiersbach, Lonnig, Merzig, Andernach, Stuben, Frankenthal und Bolanden als Ministerialengründungen hervorgehoben, die in aller Regel mit dem Eintritt der Gründer oder zumindest von Familienangehörigen derselben verbunden waren.58

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Joachim Ehlers, „Stiftung", 43 und 37f. Hildegard Kroll, „Expansion", 53. Es scheint, als sei es gerade die Strenge in der Lebensführung der Reformorden gewesen, die eine starke Anziehungskraft auf konversionswillige Adlige ausübte, in der sie die beste Voraussetzung zur Erlangung ihres Seelenheils sahen. Vgl. Joachim Ehlers, „Stiftung", 32f., und Hildegard Kroll, „Charakter", 35f. So Hildegard Kroll, „Charakter", 37f. Bruno Krings, „Zur Geschichte des Prämonstratenserstiftes Rommersdorf im 12. Jahrhundert", in AmrhKG 36 (1984) 11-34, und ders., Das Prämonstratenserstift Arnstein a. d. Lahn im Mittelalter (1139-1527) (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Nassau 48), Wiesbaden 1990. Helmut Deutz, Geistliches und geistiges Leben im Regularkanonikerstift Klosterrath im 12. und 13. Jahrhundert (Bonner Historische Forschungen 54), Siegburg 1990. Thomas Zotz, „Milites Christi: Ministerialität als Träger der Kanonikerreform", in Reformidee und Reformpolitik im spätsalisch-frühstaußschen Reich. Vorträge der Tagung der Gesellschaft fur Mittelrheinische Kirchengeschichte vom 11. bis 13. September 1991 in Trier, hg. v. Stefan Weinfurter (Quellen und Abhandlungen zur mittelrheinischen Kirchengeschichte 68), Mainz 1992, 309, vermutet hinter einzelnen ministerialischen Stiftungen eine Initiative ihres Dienstherrn, wie etwa im Falle eines serviens König Heinrichs IV. der im Jahr 1075 an das Kloster St. Maximin in Trier schenkte. Thomas Zotz, „Milites Christi", 313ff. Auch über die Reaktionen der Herren auf dementsprechende Absichten ihrer Dienstmannen gibt der Verf. Aufschluß. Vgl. ebd., 322ff.

24

Einleitung

Seit etlichen Jahren trägt die Forschung verstärkt dem hoch einzuschätzenden Anteil von Frauen an den religiösen Bewegungen des Hochmittelalters Rechnung.59 Die Studien von B. Degler-Spengler beschäftigten sich mit der Frage nach weiblichen Entsprechungen für das Laienbrüderinstitut sowie nach der Auseinandersetzung mit dem Zustrom weiblicher Religiösen in den Reformorden des 12. Jahrhunderts, bei den Zisterziensern und Prämonstratensern, sowie auch den Augustinerchorherren.60 Die Beteiligung von Frauen an einer verstärkten allgemeinen Religiosität wäre demzufolge quantitativ sogar höher anzusiedeln als die der Männer. Die zisterziensische Ordensgeschichtsschreibung konstatierte in der Vergangenheit eine zurückhaltende, ja geradezu ablehnende Haltung gegenüber der Integrierung dieses weiblichen Potentials, die allerdings - so die neuere Sichtweise - nicht durchgängig von Anfang an und auch keinesfalls in Form eines Dogmas bestanden hat, wie häufig dargestellt, sondern sich eher anhand einzelner Zeugnisse und Äußerungen zisterziensischer Geschichtsschreiber nachzeichnen läßt.61 B. Degler-Spengler sah in der Tat namentlich in bezug auf das Verhältnis der Zisterzienser zu den Zisterzienserinnen Diskrepanzen zwischen einer grundsätzlichen Haltung gegen die Aufnahme von Frauenklöstern, wie sie bisher in der Forschung festgestellt worden war, und den tatsächlichen Verhältnissen, die bei Untersuchungen zu einzelnen Klöstern sichtbar geworden sind.62 Unterschieden werden muß auch zwischen der Frage nach der Beteiligung der Zisterzienser an der Gründung von Frauenklöstern und an der Seelsorge für die Nonnen einerseits und dem Problem, ob und in welcher Form die Frauenkonvente in die Über die Möglichkeiten, die Frauen zur Verwirklichung religiös orientierter Lebensziele generell zur Verfugung standen, sind auch Studien, die sich mit Frauenklöstern in unterschiedlichen Regionen befassen, heranzuziehen. So seien stellvertretend für die wahre Literatur-Flut genannt: für Frankreich die auch einer quantitativ-statistischen Erfassung der Frauenkonvente dienenden Arbeiten von Jean Verdon, wie beispielsweise ders., „Recherches sur les monasteres feminins dans la France du Nord aux IXe-XIe siecle", in Revue Mabillon 59 (1976) 49-96; Michel Parisse, Les nonnes au Moyen Age, Le Puy 1983; ders., „Die Frauenstifte und Frauenklöster in Sachsen vom 10. bis zur Mitte des 12. Jahrhunderts", in Die Salier und das Reich, hg. v. Stefan Weinfurter, 3 Bde., Sigmaringen 1991. Bd. 2: Die Reichskirche in der Salierzeit, 465-501; Franz Josef Feiten, „Frauenklöster und -stifte im Rheinland im 12. Jahrhundert. Ein Beitrag zur Geschichte der Frauen in der religiösen Bewegung des hohen Mittelalters", in Reformidee und Reformpolitik im spätsalisch-frühstaufischen Reich. Vorträge der Tagung der Gesellschaft fur Mittelrheinische Kirchengeschichte vom 11. bis 13. September 1991 in Trier, hg. v. Stefan Weinfurter (Quellen und Abhandlungen zur mittelrheinischen Kirchengeschichte 68), Mainz 1992, 189-300. Als grundlegend für die Geschichte der religiösen Frauenbewegung kann nach wie vor Herbert Grundmann, Bewegungen, 170ff. angesehen werden, wo die Anfänge im 12. Jahrhundert beschrieben werden. Brigitte Degler-Spengler, „Einleitung: Die Zisterzienserinnen in der Schweiz", in Die Zisterzienser und Zisterzienserinnen, die reformierten Bernhardinerinnen, die Trappisten und Trappistinnen und die Wilhelmiten in der Schweiz (Helvetia sacra III: Die Orden mit der Benediktinerregel 3), Bern 1982, Bd. 2, 507-574; dies., „Die religiöse Frauenbewegung des Mittelalters. Konversen - Nonnen - Beginen. Albert Bruckner zum 13. Juli 1984", in Rottenburger Jahrbuch fur Kirchengeschichte 3 (1984) 75-88 und dies., „Zahlreich wie die Sterne des Himmels. Zisterzienser, Dominikaner und Franziskaner vor dem Problem der Inkorporation von Frauenklöstern", in Rottenburger Jahrbuch fur Kirchengeschichte 4 (1985)37-50. Vgl. dazu Brigitte Degler-Spengler, „Frauenbewegung", 80fF. Die Schwierigkeiten, die das massive Auftreten religiöser Frauen den männlichen Ordensvertretern in der monastischen Praxis teilweise bereiteten und die vielfach - nach einer gewissen anfänglichen Euphorie der Gemeinsamkeit - mit der klösterlichen Disziplin zusammenhingen, stellt dies., „Sterne", bes. 38ff. dar. Brigitte Degler-Spengler, „Zisterzienserinnen in der Schweiz", 508.

Die Forschungslage

25

Organisation des Ordens inkorporiert wurden.63 Bei den Prämonstratensern hat es seit etwa 1140 die Tendenz gegeben, die Frauen räumlich von den Männerkonventen wegzuverlagern, nachdem anfänglich die Organisationsform des Doppelklosters durchaus üblich war; 64 eindeutige Beschlüsse der Generalkapitel, wie mit den Frauenklöstern zu verfahren sei, wurden erst zu Beginn des 13. Jahrhunderts gefaßt. 65 Eine neuere Studie von Ernst Tremp untersucht die Einstellung der frühen Prämonstratenser zur weiblichen Religiosität in ihrem Umfeld und die Organisationsform des Doppelklosters an ausgewählten Konventen in der Schweiz.66 Auch hier wurde wieder die Notwendigkeit formuliert, im Sinne einer Mikrohistorie zunächst die Quellen einzelner Klöster der genauen Betrachtung zu unterziehen, um davon ausgehend weiträumigere Strukturen und Tendenzen herausarbeiten zu können. 67 Indem er seiner literatur- und überlieferungsgeschichtlichen Untersuchung über das St. Trudperter Hohelied einen sozialgeschichtlichen Bezugsrahmen gab, ging U. Küsters auf die religiösen Lebensformen, die weibliche Konversen im Umkreis des schwäbischen Reformmönchtums fanden, ein. Aufgrund des Umstandes, daß von zwei in diesem Zusammenhang zentralen Frauengestalten, Herluca von Epfach und Paulina von Paulinzella, Lebensbeschreibungen erhalten sind, ließen sich die Bedingungen ihrer vita religiosa und ihre individuelle Einbettung in die Reform hirsauischer Prägung, die bei Paulina in die monastische Institutionalisierung, bei Herluca in den Anschluß an die Chorherrengemeinschaft von Rottenbuch mündete, nachzeichnen. 68 Den Schwerpunkt im 12. Jahrhundert setzend, betonte B. Wilms in ihrer vergleichenden Untersuchung hauptsächlich von Lebensbeschreibungen zahlreicher weiblicher Religiösen die Pluralität der religiösen Lebensformen, zu denen Frauen, die eine persönliche conversio erlebten, sich hingezogen fühlten oder die sich ihnen anboten. 69 Vielfaltig stellen sich auch die individuellen Konsequenzen, die Frauen im einzelnen zogen, dar. Bei aller Stereotypie lassen sich doch immer wieder auch ganz spezifische, ja individuelle Ausprägungen der vita evangelica herauskristallisieren.7 Die Reaktionen der Kirchenmänner auf das vielgestaltige weibliche religiöse Engagement bilden einen weiteren Aspekt der Studie B. Wilms'. Hier erwies sich, daß es eine große Bandbreite an Verhaltensweisen, von

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Brigitte Degler-Spengler, „Zisterzienserinnen in der Schweiz", 512 zusammenfassend. Vgl. Ludger Horstkötter, „Die Prämonstratenser und ihre Orden in Westfalen und am Niederrhein", in Norbert von Xanten. Adliger, Wanderprediger, Kirchenßirst, hg. v. Kaspar Elm, Köln 1984, 247-265, hier 248. Brigitte Degler-Spengler, „Frauenbewegung", 79f. Ernst Tremp, „Chorfrauen im Schatten der Männer. Frühe Doppelklöster der Prämonstratenser in der Westschweiz - eine Spurensicherung", in Zeitschrift f . Schweizerische Kirchengeschichte 88 (1994) 7 9 109. Ernst Tremp, „Chorfrauen", 92f. Urban Küsters, Der verschlossene Garten. Volkssprachliche Hohelied-Auslegung und monastische Lebensform im 12. Jahrhundert (Studia humaniora. Düsseldorfer Studien zu Mittelalter und Renaissance 2), Düsseldorf 1985, hier 114ff. und 121. Vgl. auch ders., „Formen und Modelle religiöser Frauengemeinschaften im Umkreis der Hirsauer Reform des 11. und 12. Jahrhunderts", in Hirsau. St. Peter undPaul 1091-1991. Teil II: Geschichte, Lebens- und Verfassungsformen eines Reformklosters, bearb. v. Klaus Schreiner (Forschungen und Berichte der Archäologie des Mittelalters in BadenWürttemberg 10/2), Stuttgart 1991, 195-220, wo auch die Frage nach dem Doppelkonvent frühhirsauischer Prägung behandelt wird. Vgl. ebd., 209-214. Beatrix Wilms, Amatrices ecclesiarum, 105ff. Beatrix Wilms, Amatrices ecclesiarum, 130ff.

26

Einleitung

Ablehnung aufgrund einer generellen Abwertung der Frau über Mißtrauen, Widerstände bis hin zu Wohlwollen und aktiver Einbindung, gegeben zu haben scheint.71 Was vor allem im Zusammenhang mit weiblichen Konversen und der Organisationsform von Doppelklöstern in den genannten Studien teilweise anklingt und auf den Gegenstand der vorliegenden Untersuchung weist, wurde nachdrücklich am Beispiel von Cluny und seinem ersten Frauenpriorat Marcigny-sur-Loire von J. Wollasch aufgegriffen. Er konstatierte die engen familiären Bande zwischen beiden Konventen, die auch auf die Rolle Marcignys als materielle und religiöse Versorgungsstätte weiblicher Angehöriger cluniazensischer Konversen, und in nicht geringer Zahl ihrer Ehefrauen, zurückzuführen seien.72 Die Gründung Marcignys sei zwar zunächst als eine Familiengründung aus dem Umfeld und unter Initiative des Abtes Hugo von Semur zu sehen - das Kloster lag in unmittelbarer Nähe des Familiensitzes der Herren von Semur -, 7 3 doch habe schon in der Frühzeit das Programm bestanden, für die Frauen „Marcigny als Asyl und Hafen des Heils, wie es Cluny für die Männer darstellte,"74 zu errichten.

1.3

Die Fragestellung

Die Besonderheit der Konstellation, in der die Konversion Verheirateter zur vita religiosa sich vollzog, wurde oben bereits herausgestellt. Daß gerade das Reformzeitalter des 11. und 12. Jahrhunderts mit seinen vielfaltigen Verbindungen zwischen monastischer Erneuerungsbewegung und laikaler Frömmigkeit einerseits und das Zeitalter der sich fester als je zuvor herausbildenden Formen des kirchlichen Eherechts auf der anderen Seite eine besondere Virulenz dieser Thematik mit sich brachten, dies ist die Grundannahme, die den zeitlichen Rahmen der vorliegenden Studie bestimmt. Die damit berührten Problemfelder müssen notwendigerweise auch den Fragenkatalog, von dem die Untersuchung ausgeht, vorgeben. Den Kern der Betrachtung bildet das Beziehungsgeflecht von einzelnen Personen, Personengruppen und Institutionen, die dabei direkt oder indirekt betroffen waren. Deshalb ist das Augenmerk zwar zunächst auf die Konversen selbst zu richten, darüber hinaus aber den Fragen nach der Konversion das Interesse für die Ehepartner und gegebenenfalls ihre Kinder sowie für die Haltung der Kirche und der Klöster zur Seite zu stellen. Es ergeben sich somit zwei Seiten, von denen aus das Phänomen betrachtet werden kann. Im Mittelpunkt steht zunächst die Untersuchung des normativen Rahmens, den das kirchliche Eherecht für den Fall vorsah, daß ein Ehepartner sich für den Rückzug aus der ehelichen in eine klösterliche Gemeinschaft entschied. Unter diesem Aspekt werden im folgenden aus der Reihe der hochmittelalterlichen Kirchenrechtsautoren vier als repräsentativ anzusehende Vertreter herangezogen: Bischof Burchard von Worms (1000-1025), Bischof Anselm von Lucca (1073-1086), Bischof Ivo von Chartres (1091-1115/17) und Beatrix Wilms, Amatrices ecclesianmt, 186ff. Offenbar hing die Ablehnung durch Vertreter der Amtskirche auch von der jeweiligen Erscheinungsform weiblicher Religiosität ab. Vgl. ebd., 198. Joachim Wollasch, „Frauen", 110. Die Untersuchung kann sich zum Teil auf die Ergebnisse von ElsaMaria Wischermann, Marcigny-sur-Loire, stützen. Joachim Wollasch, „Frauen", 1 OOf. Joachim Wollasch, „Frauen", 101.

Die Fragestellung

27

Gratian ( t nach 1140), deren Kanonessammlungen ausgewertet werden. Da es sich zumindest de facto um eine Trennung der Ehe handelte, im Kirchenrecht jedoch der Grundsatz der Unauflöslichkeit christlicher Ehen gilt, ist dabei zu untersuchen, ob und in welcher Form sich eine conversio zu vollziehen hatte, damit trotz dieser scheinbaren Widersprüchlichkeit die kanonische Rechtmäßigkeit gewahrt blieb. Die Problematik läßt sich an zwei Aspekten ablesen, zum einen daran, welche Konsequenzen die Kanones für den Ehepartner vorsahen, zum anderen, in welcher Form die Kirche in Vertretung durch den zuständigen Bischof bzw. das betreffende Kloster in die Angelegenheit involviert war. In einem allgemeinen Exkurs über die einzelnen Erscheinungsformen von Ehescheidung und Ehetrennung und ihrer Bewertung im Kirchenrecht soll der gesamte Rahmen, in den das spezielle Problem eingebettet war, dargestellt werden, um so die Bedeutung einschätzen zu können, die ihm innerhalb des gesamten zeitgenössischen Eherechts zukam. Die Darstellung von Konversionen Verheirateter in den erzählenden Quellen, die ja im Gegensatz zu den kanonischen Vorschriften nicht primär normative Handlungsmaximen formulierten, sondern, wenn auch aus jeweils individuell geprägtem Blickwinkel und möglicherweise unter ganz bestimmten, im Einzelfall herauszulösenden Voraussetzungen, den Anspruch hatten, reales Geschehen abzubilden, bildet sodann einen weiteren Schwerpunkt der Betrachtung. Geht man davon aus, daß häufig in der zeitgenössischen Geschichtsschreibung Laien, die sich einer nach der Vorstellung der Verfasser höher zu bewertenden Lebensform zuwandten, Vorbildfunktion einnahmen, so richtet sich das Interesse zunächst auf die Person des oder der Konversen selbst. Hier wird nach der persönlichen Vorgeschichte, den Motiven und auslösenden Erlebnissen zu fragen sein. 75 Im Blickpunkt steht darüber hinaus das Umfeld, das aufgrund der durch den Ehestatus gegebenen Brisanz in anderer Weise beteiligt war als bei Konversionen Unverheirateter. Naturgemäß gilt das Interesse hier in erster Linie dem Partner respektive der Partnerin. Kernfrage ist, wie die Berichte Reaktionen, also Zustimmung oder Ablehnung, und Verhaltensweisen, wie etwa eigenes religiöses Engagement wiedergeben. Auch wird im Anschluß nach dem Verbleib der Gatten nach einer erfolgten Trennung zu fragen sein, sowie, in engem Zusammenhang damit, nach der organisatorischen Handhabe der Problematik durch die Klostergemeinschaften, ob man nämlich zum Beispiel auch andernorts die Möglichkeit einer Art Doppelkonvent versuchte, wie es für Cluny bereits beschrieben wurde, wo die Gründung eines nicht weit entfernten Frauenklosters geradezu notwendig als Auffangbecken für weibliche Angehörige gewesen zu sein scheint. 76 Überlagert werden diese Fragen schließlich von der Leitfrage, ob in den Berichten über verheiratete Konversen ein Widerhall der zuvor beschriebenen kanonischen Vorgaben erkennbar wird und inwieweit von Übereinstimmungen zwischen normativen Vorgaben und klösterlicher Alltagspraxis gesprochen werden kann, inwiefern also letztlich die in den Rechtstexten zum Ausdruck kommenden Vorstellungen auf weiter verbreitete zeittypische Vorstellungen trafen oder auch diese mitprägten.

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Im Vergleich mit Zeugnissen über unverheiratete Adelskonversen können möglicherweise bestehende Unterschiede oder Gemeinsamkeiten in der Typologie kenntlich gemacht werden, wobei allerdings betont werden muß, daß dies angesichts der Fülle der Überlieferung nur in Einzelfallen und eher exemplarisch geschehen kann. Vgl. Joachim Wollasch, „Frauen", 101 f.

28

Einleitung

Dasselbe gilt für die Untersuchung der Rolle, die Vertreter der Kirche in den historiographischen Quellen im Zusammenhang mit den Konversionen spielen. Auch hier ist nach einer konkreten Anwendung des Kirchenrechts zu fragen. Gerade in bezug auf die Haltung von Bischöfen und Päpsten zu diesem Thema müssen des weiteren Zeugnisse aus deren Rechtspraxis herangezogen werden, die zum einen den aus den kirchenrechtlichen Textsammlungen gewonnenen Eindruck präzisieren können, zum anderen im Einzelfall die Behandlung dieses Aspekts in den erzählenden Quellen möglicherweise in einen realen Bezugsrahmen zu stellen imstande sind. Räumlich bleibt die Untersuchung eingegrenzt auf das deutsche Reichsgebiet und Frankreich. Der geographische Rahmen ergibt sich - ebenso wie der zeitliche - aus den mitteleuropäischen „Reformlandschaften" des alten Benediktinertums sowie der ersten Zentren der Zisterzienser und der reformierten Regularkanoniker, wie sie sich etwa in Burgund, Flandern, Südwest- und Westdeutschland herausbildeten. Ganz ausgeklammert bleiben hier die südfranzösischen Gebiete mit den am Ende des 12. Jahrhunderts aufkommenden Katharern und Waldensern; ihre Nähe zur Häresie und die grundsätzliche Konfliktsituation mit Bischöfen und Papsttum hätten zumindest teilweise ein anderes Vorgehen und andere Fragen erfordert. 77 Die zweifellos interessante und als Indikator fur Art und Umfang eines tatsächlichen Vordringens religiöser Inhalte in laikale Kreise aufschlußreiche zahlenmäßige Einschätzung der verheirateten Konversen kann in der vorliegenden Studie nicht geleistet werden. Hierzu wäre eine systematische Erfassung klösterlichen Urkundenmaterials, von Konventslisten und möglicherweise auch Nekrologen vonnöten, die den Rahmen der Arbeit bei weitem sprengen würde; eine solche Auswertung soll jedoch an dieser Stelle zumindest als ein Desideratum formuliert werden. 78 Eine im Anhang gebotene Fallsammlung soll verdeutlichen, daß hier noch ein gewisses Erkenntnispotential zu vermuten

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Gleichwohl soll hier daraufhingewiesen werden, daß auch dieses Gebiet im Hinblick auf die Konversion Verheirateter zum Leben unter religiösen Vorzeichen ein lohnender Untersuchungsgegenstand wäre. Vgl. beispielsweise Peter Segl, „Frauenbewegung", 113: Frauen mußten, um eine „katharische Perfecta" werden zu können, unverheiratet sein, und es sind etliche Fälle bezeugt, wo in der Tat eine Ehetrennung erfolgte. Dabei wäre allerdings der Untersuchungszeitraum zumindest auf das 13. Jahrhundert auszudehnen. Als Vorbilder könnten hier die auf einer ausgedehnten Parallelschau des gesamten, zu einem Konvent überlieferten Materials beruhenden, personengeschichtlichen Untersuchungen von Elsa-Maria Wischermann, Marcigny-sur-Loire, und Wolfgang Teske, „Laien", herangezogen werden. Freilich müßte der Schwerpunkt zunächst auf einzelne, in dieser Form noch nicht betrachtete Konvente gelegt werden, könnte sodann auf Reformregionen bzw. -verbände ausgedehnt werden.

Die Fragestellung

29

ist. Die vorliegende Untersuchung richtet ihr Hauptaugenmerk neben der Charakterisierung des zeitgenössischen normativen „Apparates" auf einige konkret faßbare und gut dokumentierte realtypische Einzelfalle, deren Betrachtung Erkenntnisse über das Verhältnis von Norm und Realität zum einen, zum anderen aber auch über einen weiteren Aspekt der Laienreligiosität des hohen Mittelalters im Spiegel mönchischer Interpretation erwarten lassen.

2 Die Quellen

Nachrichten über Konversen, die ihren Ehepartner verlassen, um sich einer klösterlichen Gemeinschaft anzuschließen, sind, wie es im übrigen für das gesamte Konversentum des Hochmittelalters zutrifft, in Quellen unterschiedlichster Gattungszuordnung sowie nahezu aller Reformrichtungen und Orden überliefert. Innerhalb der historiographischen Zeugnisse kommt dabei der klösterlichen Geschichtsschreibung mit Klosterchroniken und Fundationsberichten eine zentrale Bedeutung zu, ebenso wie der hagiographischen Überlieferung, sei es, daß einzelne Konversen selbst eine Vita erhielten, sei es, daß sie in enger Verbindung mit anderen religiösen und für heilig erklärten Personen standen und in mehr oder weniger ausfuhrlicher Form Erwähnung in deren Biographien fanden. Zum anderen hat das Phänomen der conversio Verheirateter einen festen Platz in Sammlungen hochmittelalterlichen Kirchenrechts; hin und wieder finden wir einzelne Fälle in der bischöflichen und konziliaren Überlieferung sowie in den päpstlichen Dekretalen. Verhältnismäßig breit gestreut sind die Nachrichten über Klostereintritte von Eheleuten in der klösterlichen Urkundenüberlieferung, wenn in diesem Zusammenhang Besitzübertragungen an die Klöster vorgenommen wurden. Der von den einzelnen Quellen zu erwartende Informationsgehalt ist, ungeachtet ihrer jeweiligen Ausführlichkeit, schon bedingt durch die grundsätzliche, gattungsspezifische Verschiedenartigkeit ganz unterschiedlich. Die Autoren des Kirchenrechts waren etwa bemüht, mit den Vorschriften über den kanonisch einwandfreien Vollzug des Klostereintritts Verheirateter unter Berufung auf nach ihrem Verständnis unanfechtbare Autoritäten einen zunächst ideellen Verhaltenskodex mit absolutem Gültigkeitsanspruch zu erstellen, und die bischöflichen wie auch die päpstlichen Rechtsentscheide der Zeit lassen erkennen, welche tatsächliche Relevanz das normative Gerüst für die Rechtspraxis hatte. Demgegenüber vermitteln die von den Geschichtsschreibern - wohlgemerkt aus ihrer jeweiligen auch persönlich geprägten Sichtweise - geschilderten Einzelfalle wiederum ein anderes Abbild der Wirklichkeit, wie sie sich jenseits der Rechtsgrundsätze darbot. Die erzählenden Quellen werden dabei ergänzt durch Dokumente aus dem „Alltagsschriftgut", etwa durch die klösterlichen Besitzurkunden.1

Die große Masse der klösterlichen Urkunden, in denen man die Stiftungen, mit denen der Eintritt von Laien in eine mönchische Gemeinschaft fast stets verbunden war, festhielt, enthalten mitunter in Arenga oder Narratio, partiell sogar recht ausführliche, Angaben über die Umstände, die zu einer Konversion führten. War der oder die Konverse verheiratet, so wurde dies vereinzelt ebenfalls hier zur Sprache gebracht, in der Regel aber vor allem im Zusammenhang mit dem eigentlichen Rechtsakt vermerkt, denn die Ehepartner mußten allgemein nach geltendem Recht bei Besitzverschenkungen um ihre Zustimmung befragt werden. Gerade, was das religiöse Gedankengut und die monastischen Werte betrifft, sind die Urkunden häufig von den selben Topoi und Bildern durchsetzt, die auch, wie noch zu zeigen sein wird,

Die monastische

Überlieferung

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Die Analyse des Quellenmaterials erfordert die Beachtung der Besonderheiten, die die jeweilige Gattungszugehörigkeit der Texte mit sich bringt. Unter welchen Vorzeichen die Betrachtung der einzelnen Texte vollzogen werden muß, soll im folgenden erläutert werden.

2.1

Die monastische Überlieferung

Die Breite der Überlieferung zu verheirateten Konversen über die verschiedenen Gattungen erzählender Quellen hinweg bringt es mit sich, daß die Nachrichten in ihrer Quantität wie auch in ihrer Qualität nicht annähernd in gleichmäßiger Form mitgeteilt werden, sondern im Gegenteil von Fall zu Fall stark differieren. Der Grad der Ausführlichkeit der Berichterstattung steht dabei stets nicht nur, aber auch im Zusammenhang mit dem eigentlichen Gegenstand der jeweiligen Quelle und der Bedeutung der Einzelnachricht für das Ganze. Handelt es sich um eine Weltchronik, wie im Falle der Chronik Bernolds von Konstanz, 2 die für den hier interessierenden Zeitraum des 11. Jahrhunderts die gesamte Reichsgeschichte im Blickfeld hat, so liegt es in der Natur der Sache, daß einem sehr punktuellen, allenfalls in einem regional begrenzten räumlichen Gefüge bedeutsamen Ereignis wie dem Eintritt des Markgrafen Hermann, eines Zähringers, in das burgundische Reformzentrum Cluny nur eine verhältnismäßig geringe Aufmerksamkeit gewidmet wird, und es kann nicht verwundern, daß die Information über seine conversio nur als Zusatzbemerkung zu der den Tod des Markgrafen betreffenden Nachricht verzeichnet wird. Die Tatsache, daß dieser dabei Hab und Gut sowie Frau und Sohn in der Welt zurückgelassen habe, erscheint dabei wiederum als Nebensächlichkeit der Konversion: ,fleremannus marchio, filius Bertaldi ducis, Cluniaci angelicam vitam perfectissime arripiens, adhuc adolescens, uxore et unico filio et omnibus quae possederat derelictis, vere monachus, migravit ad Dominum, ...". 3 Mitteilungen dieser Art sind aufgrund ihrer spärlichen Aussagekraft für diese Untersuchung zunächst hauptsächlich von statistischem Interesse, wenn sie nicht im

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die historiographischen Texte durchziehen. In gewisser Weise können daher auch sie als Spiegel von Frömmigkeitsvorstellungen der Zeit gelten. Zum Verfasser vgl. Wilfried Hartmann, „Bernold von Konstanz", in LexMA, Bd. 1 (1980) Sp. 2007f. u. Ian S. Robinson, „Bernold von St. Blasien", in Verf.-Lex., Bd. 1 (1978) Sp. 795-798. Bernold, Chronicon, ad a. 1074, MGH SS 5, 430. Daß Hermann Aufnahme in die Chronik fand, mag zum einen mit Bernolds auch an anderen Stellen immer wieder bekundeter Anteilnahme für die nach seiner Darstellung regelrecht über das Land wogende religiöse Bewegung der Laien zusammenhängen, so wie sie u.a. in seinem Bericht zum Jahr 1083 hervortritt. Zum anderen aber darf die Tatsache nicht unterschätzt werden, daß Hermann gerade auch als Mitglied der Familie der Zähringer das Interesse des Geschichtsschreibers erregen mußte, deren Engagement für die Ziele der Kirchenreform in Bernolds unmittelbarem Umfeld seinen Gefallen fand. So mag in Bernolds Augen jenes Ziel der vita Christiana, welches er von so vielen Edlen seiner Zeit angestrebt sah, in einer prominenten Person seines eigenen, unmittelbaren Lebensraumes Gestalt angenommen haben: hier konnte er einen von jenen, die sich selbst erniedrigt sehen wollten, mit einem Namen benennen. Auf welche Weise das Wirken etwa auch Herzog Bertholds II. und seines Bruders Gebhard als Bischof von Konstanz sich in Bernolds Schriften widerspiegelt, wird ausführlich behandelt von Joachim Wollasch, „Markgraf Hermann und Bischof Gebhard III. von Konstanz. Die Zähringer und die Reform der Kirche", in Die Zähringer in der Kirche des 11. und 12. Jahrhunderts, hg. v. Karl Suso Frank, München 1987, hier 28ff.

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Die

Quellen

Einzelfall durch andere B e l e g e ergänzt und erhellt werden können. 4 Immerhin macht der Chronist zumindest eine kurze Mitteilung über den Verbleib Judiths, der Ehefrau des Markgrafen, deren Tod i m Jahr 1091 er verzeichnet und dabei auf ihren f r o m m e n Lebenswandel hinweist. 5 D i e Informationen beginnen dort deutlich reicher zu fließen, w o sich der Berichtshorizont v o n den großen Z u s a m m e n h ä n g e n der Reichsgeschichte u n d der Geschichte des K ö n i g t u m s mit e i n e m naturgemäß gröberen Filter auf kleinere Einheiten der Territorienu n d Institutionengeschichtsschreibung verschiebt. 6 Im Ansatz erkennbar ist dies i m Chronicon Hanoniense des Gislebert v o n Möns, 7 Kanzler des Grafen B a l d u i n I. v o n Hennegau, der mit seiner Chronik als früher Vertreter einer territorialen Geschichtsschreibung gilt. 8 W e n n er v o n der conversio der Eheleute V i n z e n z und Waltrud, zweier

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Der hier angesprochene Fall des Markgrafen Hermann kann in der Tat anhand anderer Berichte weiter verfolgt werden, die deutlich machen, daß der Konverse noch im 12. Jahrhundert mit seinem Rückzug aus der Welt Bewunderung geerntet und als leuchtendes Beispiel weitergelebt zu haben scheint. So berichtet auch der Codex Hirsaugiensis, hg. v. Eugen Schneider (Württembergische Geschichtsquellen 1), Stuttgart 1887, 9, daß Hermann Mönch in Cluny geworden war, und fur die Annales Palidenses auctore Theodore monacho, hg. v. Georg Heinrich Pertz (MGH SS 16), Hannover 1859, 76f. bot er die Grundlage für eine von seiner historischen Gestalt weitgehend losgelöste Interpretation. Dazu vgl. auch Joachim Wollasch, „Markgraf Hermann", 30. Daß Hermann sich ausgerechnet dem burgundischen Reformzentrum zuwandte, lag sicher mit darin begründet, daß es sich hier um das angesehenste Kloster seiner Zeit handelte, dessen Ausstrahlung und Anziehungskraft außerordentlich gewesen zu sein scheint. Dazu auch Joachim Wollasch, „Cluny und Deutschland", in StMGOB 103 (1995) 7-32, hier 22f., der eine „Welle von Klostereintritten in Cluny, die Deutsche vorgenommen haben," konstatiert. Bernold, Chronicon, ad a. 1091, MGH SS 5, 453: „Iuditha piae memoriae marchionissa, nobilis genere set nobilior in sanctitate, uxor quondam Heremanni religiosissimi marchionis, migravit ad Dominum 5. Kai Octobris. Ipsa enim cum marilo suo religiose vixit, post cuius obitum 19 annos in viduitate et sancta conversatione permansit. Demum ad domnum papam Salernum pervenit, ibique sub eius obedientia discessit. " Eigenartigerweise unterläßt Bernold hier jeden weiteren Hinweis darauf, daß das gemeinsame religiöse Leben Judiths mit ihrem Mann schon vor seinem Tod mit seinem Eintritt in Cluny geendet hatte. Darüber hinaus informiert uns der Codex Hirsaugiensis, hg. v. Eugen Schneider, 9, daß Judith in starkem Maße als Stifterin am Neubau der Hirsauer Klosterkirche St. Peter und Paul beteiligt war. Ihre eigene Verbundenheit mit der Reform und ihr religiöses Engagement dürfen durchaus als gesichert gelten, und man kann wohl der Annahme von Joachim Wollasch, „Markgraf Hermann", 30, Judith habe der Konversion ihres Mannes sicher zugestimmt, folgen. Franz-Josef Schmale, Funktion und Formen mittelalterlicher Geschichtsschreibung. Eine Einführung, Darmstadt 1985, 129ff. Eine solche Verschiebung des „Berichtshorizonts" sieht der Verfasser für Westfranken bereits seit dem Ende des 9. Jahrhunderts im Entstehen begriffen, als anstelle der Reichsgeschichtsschreibung regionale und lokale Institutionen an Bedeutung gewannen, eine Entwicklung, die im ostfränkisch-deutschen Reich erst mit der Konsolidierung des sächsischen Königtums einsetzte. Insgesamt konstatiert er fur den Berichtshorizont eine „wachsende Verengung und Regionalisierung". Vgl. ebd., 130. Die Veränderung des Berichtshorizonts hin auf eine eher gegenwartsbezogene Institutionengeschichtsschreibung mit der Funktion der Standortbestimmung als Ergebnis auch einer Verschiebung der mentalen und politischen Situation beschrieb derselbe Verfasser in Franz-Josef Schmale, „Mentalität und Berichtshorizont, Absicht und Situation hochmittelalterlicher Geschichtsschreiber", in HZ226(1978) 1-16, hier 1 Iff. La chronique de Gislebert de Möns, hg. v. Leon Vanderkindere (Commission royale d'histoire. Recueil des textes pour servir ä l'etude de l'histoire de belgique), Brüssel 1904. Dazu vgl. Hans Patze, „Adel und Stifterchronik. Frühformen territorialer Geschichtsschreibung im hochmittelalterlichen Reich", in BlIdtLg 100 (1964) 8-81 (Τ. I) und 101 (1965) 67-128 (Τ. II), hier Τ. II,

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Heiliger und Klostergründer des 7. Jahrhunderts berichtet, begnügt er sich nicht mit der bloßen Erwähnung, sondern schildert in einem ausführlichen Exkurs die Begleitumstände, und wir erfahren so Näheres über die Gründung eines Klosters durch Waltrud, wo Mönche und Nonnen angesiedelt wurden. 9 Daß Gislebert sich so eingehend mit dem Kloster SainteWaudru in Möns und seiner Gründerin befaßte, hängt damit zusammen, daß zu seinen Lebzeiten, im 12. Jahrhundert, von beiden Stifterpersonen immer noch eine starke Anziehungskraft auf die Menschen in der Grafschaft ausging, und man geht sicher nicht zu weit, wenn man von einer identitätsstiftenden oder identitätserhaltenden Funktion jener Schilderung durch Gislebert spricht. Im Bereich der monastischen Geschichtsschreibung 10 traten die Konversen nun erheblich stärker in den Vordergrund. Sobald die Klöster, für die das Konversentum und die damit verbundene zum Teil recht umfangreiche Stiftertätigkeit von erheblicher Wichtigkeit war, selbst, mit ihrer eigenen Geschichte, in den Mittelpunkt der Berichterstattung rückten und durch die Mönche Fundationsberichte und Klosterchroniken aufgezeichnet wurden, ließ man, wenn Laienkonversen in der Geschichte und besonders bei der Gründung des betreffenden Konvents eine Rolle spielten, diesen häufig breiteren Raum in der Erzählung, um diese laikalen Stifter eingehend zu würdigen. Reichhaltigeres Material liefert darüber hinaus vor allem die Vitenliteratur. Aus ihr erfahren wir zum einen von Konversen, die im engeren Umkreis als heilig geltender oder durch ihre besondere Religiosität prominenter Personen auftauchten, zum anderen erhielten einige selbst als gleichsam heilig verehrte Konversen eine Vita. Letztere erlauben im Verhältnis zu den anderen erzählenden Quellen die tiefgreifendsten Einblicke in das Phänomen der conversio. Den beiden zuletzt genannten Gattungen, Klosterhistoriographie und Vitenliteratur, entstammen die für das Thema dieser Arbeit ergiebigsten Berichte. Aus diesem Grund erscheint es angebracht, hier einige Grundüberlegungen folgen zu lassen, die es bei der Analyse und Interpretation der einschlägigen Werke zu bedenken gilt. Die monastische Institutionsgeschichtsschreibung, wie sie uns in den Klosterchroniken und Fundationsberichten begegnet, muß im Zusammenhang mit ihrer Genese gesehen werden. Aus den ursprünglich aus rein rechtlichen Interessen vorgenommenen Aufzeichnungen der Besitztitel eines Klosters in Traditionsbüchern entwickelten sich, so kann zusammenfassend gesagt werden, durch die zunehmende Anreicherung des urkundlichen Materials mit historischen Einzelheiten zu einer Niederschrift der Geschichte des einzelnen Klosters. In dieser Form liegen sie in vielen Fundationes und Chroniken des 11. und

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67ff. über die Anfänge landesherrlicher Historiographie, und 88ff. über Gislebert von Möns, mit kritischen Anmerkungen zur Forschungsliteratur. La chronique de Gislebert von Möns, hg. v. Leon Vanderkindere, 18f. Zu den unterschiedlichen Ausprägungen der klösterlichen Historiographie als Teil einer institutionellen Geschichtsschreibung, die sich seit dem 11. Jahrhundert herauszubilden begann und im monastischen Bereich mit den Reformklöstern und der Entstehung der Orden ihren Aufschwung erfuhr, vgl. Hans Patze, „Adel und Stifterchronik", Τ. I, 2Iff., der den Zusammenhang zwischen Kloster- und Dynastengeschichtsschreibung betont; ders., „Klostergründung und Klosterchronik", in BlldtLg 113 (1977) 89-121, hier 92ff.; eine ausführliche Untersuchung zu dieser Thematik bietet Jörg Kastner, Historiae fundationum monasteriorum. Frühformen monastischer Insitutionsgeschichtsschreibung im Mittelalter (Münchner Beiträge zur Mediävistik und Renaissance-Forschung 18), München 1974; vgl. auch FranzJosef Schmale, Funktion und Formen, 136ff.

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Die Quellen

12. Jahrhunderts vor." Im Laufe dieser Entwicklung wurde der rechtliche Aspekt keineswegs durch das Interesse an der geschichtlichen Darstellung in den Hintergrund gedrängt, sondern die schriftliche Fixierung der vorhandenen Rechtsansprüche, mit deren Hilfe man den Konvent vor Beeinträchtigungen der ihm übertragenen Besitzrechte und Privilegien schützen wollte, gehörte immer noch zum zentralen Anliegen dieser Schriften. Dies manifestiert sich beispielsweise durch die Insertion von Urkunden in den narrativen Text. 12 Für die Erweiterung zur Geschichtsaufzeichnung können verschiedene Motive ausschlaggebend gewesen sein.13 So darf sie mitunter als Ausdruck eines veränderten Geschichtsbewußtseins bewertet werden,14 und sie diente dem gegenüber der eigenen Geschichte aufgeschlossenen Mönchtum als Standortbestimmung, 5 bei der das Bemühen, die Heiligkeit des eigenen Klosters und seine Teilhabe am göttlichen Heilsplan unter Beweis zu stellen, eine wichtige Rolle gespielt haben mag. Erreicht wurde dies etwa durch das Einflechten von Wunderberichten anläßlich der Gründung sowie von Schilderungen heiligmäßiger Mitglieder des Konvents und des vorbildlichen Lebens seiner Stifter, zu denen immer wieder auch Konversen zählten. Das Gefühl eigener Besonderheit kann dabei gleichermaßen Antrieb und Wirkung gewesen sein. Mitunter gab es für derartige Darstellungen einen aktuellen politischen Anlaß, wenn, wie in der Zeit des Niedergangs der Reformklöster bei gleichzeitigem Aufschwung der nunmehr sich formierenden Orden in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts, eine Klostergeschichte geradezu propagandistische Bedeutung gewinnen konnte - nach innen wie nach außen, und man versuchte, das eigene Prestige zu festigen und sich gegenüber anderen Gemeinschaften abzugrenzen.16 Daß dabei Jörg Kastner, Historiae, hat diese Entwicklung an zahlreichen Beispielen untersucht und eine Klassifizierung der verschiedenen Ausprägungen vorgenommen. Er unterscheidet dabei drei Haupttypen: Traditionsbuchfundatio, Cartularchronik und erweiterte Gründungstraditio. Auch bei dieser Einteilung tritt jedoch die Schwierigkeit einer jeden Einteilung mittelalterlicher erzählender Quellengattungen zutage: die Grenzen sind fließend, zahlreiche Zeugnisse lassen sich nicht eindeutig dem einen oder anderen Typus zuordnen. Oftmals lassen sich auch Fundationsbericht und Klosterchronik nicht klar voneinander abgrenzen. Vgl. ebd., 10-65. Jörg Kastner, Historiae, 78fF. betont den zentralen Stellenwert der Urkunde innerhalb der Fundationsberichte, die das dahinterstehende rechtliche und wirtschaftliche Interesse vermuten lassen, das diesen auch noch in der Zeit eignete, als die Klostergeschichte selbst zum Gegenstand der Darstellung wurde. Die Bedeutung einer Gründungsgeschichte als ,g!adius spiritualis zur literarischen Verteidigung von Besitz und Recht" (ebd., 83) rangiert für Kastner in der Reihe der möglichen Motive für ihre Entstehung an erster Stelle, zunächst in der Weise, daß man den Mönchen durch die übersichtliche Aufreihung der Klosterurkunden eine Hilfestellung an die Hand geben wollte. Die Durchmischung mit historischen Notizen betrachtet er teils lediglich als kommentatorisches Beiwerk, teils - so im Falle der Würdigung der Stifter - als Ausdruck von Pietät und Dankbarkeit. Ober die möglichen Hintergründe, die die Mönche zur Aufzeichnung ihrer Geschichte veranlaßten, äußern sich Hans Patze, „Klostergründung", 92ff., der die zunehmend angestrebte Rechtserheblichkeit der historischen Darstellung, die Nutzbarmachung auch historischer Details für die Untermauerung des eigenen Rechtsstatus betont, und Jörg Kastner, Historiae, 83ff. Franz-Josef Schmale, Funktion und Formen, 137f., konstatiert eine stärkere Bereitschaft der Reformklöster des 11. Jahrhunderts gegenüber den alten Reichsklöstern zur eigenen geschichtlichen Überlieferung, da sie „ihre Besonderheit infolge ihrer Reformtendenzen und ihre Anfänge bewußter erlebten ...". Hierzu Klaus Schreiner, „Mönchtum", 250: „Im Medium der Geschichte beschrieben sie [die Klosterchroniken, R. B.] ... Leitbilder und Lebensformen ihrer Kommunitäten." Derartige Strukturen lassen sich stets in Zeiten des Wandels erkennen. So hat Hans Patze, „Klostergründung", 92ff., auf den Zusammenhang zwischen monastischer Reformbewegung und verstärkter

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die ideelle K o m p o n e n t e wiederum v o n handfesten ökonomischen Notwendigkeiten begleitet sein konnte, braucht nicht betont zu werden. 1 7 E i n i g e der angesprochenen Aspekte gelten auch für die i m Z u s a m m e n h a n g mit d e m T h e m a dieser Untersuchung interessanten Viten. 1 8 Im Vordergrund stehen hier in der Hauptsache die Stifterviten, also hagio- oder biographische Würdigungen v o n fur Entsteh u n g u n d Gedeihen des betreffenden Klosters maßgeblichen Personen. Sie sind durchaus auch zur Geschichtsschreibung zu zählen, da sie oftmals mit z u m Teil detaillierten A n g a b e n u n d Schilderungen z u m Ursprung und zur Entwicklung des betreffenden K o n v e n t s über eine bloße Lebensgeschichte hinausgehen. 1 9 D i e Darstellung des heiligmäßigen, vorbildhaften Lebens, das d e m Publikum zur imitatio a n e m p f o h l e n wird, bildet allerdings - das impliziert die Gattungszugehörigkeit - den Schwerpunkt. Charakteristisch fur die hagiographische Form ist auch hier die A n w e n d u n g bestimmter, allgemeingültiger Topoi der Heiligkeit auf die j e w e i l i g e Hauptfigur, die d e n B e w e i s erbringen sollen, daß er oder sie dem entsprach, w a s m a n mit der Vorstellung des H e i l i g e n verband. 2 0 D a s Heilige offenbarte sich in der Grundhaltung der imitatio Christi

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historischer Manifestation der eigenen Rechtsstellung hingewiesen. In einem anderen Bereich, jedoch dasselbe Problem der Zusammenhänge zwischen historischen Aufzeichnungen und „tagespolitischen" Anlässen betreffend, hat Stephanie Coue, ,Acht Bischofsviten aus der Salierzeit - neu interpretiert", in Die Salier und das Reich, hg. v. Stefan Weinfurter, 3 Bde., Sigmaringen 1991. Bd. 3: Gesellschaftlicher und ideengeschichtlicher Wandel im Reich der Salier, 347-423, Ähnliches festgestellt. Vgl. dazu Jörg Kastner, Historiae, 94. Die Klöster hätten sich mit dieser Form der Selbstdarstellung u.a. die Sympathien des Adels, also der potentiellen Stifter, sichern wollen. Dieser Aspekt scheint plausibel, jedoch nur solange man nicht nach der Wirkung und der Rezeption der Klosterhistoriographie fragt, bei der es schwierig ist, abzuschätzen, inwieweit sie in der betreffenden Zeit in Adelskreisen überhaupt zum Tragen gekommen ist. Zur Begriffsdefinition und zur inneren Entwicklung der Gattung im Laufe des Mittelalters vgl. FranzJosef Schmale, Funktion und Formen, 112ff., sowie Dieter v. d. Nahmer, Die lateinische Heiligenvita. Eine Einführung in die lateinische Hagiographie, Darmstadt 1994. Die Möglichkeiten einer Vorgehensweise, die das hagiographische Material verstärkt historiographisch deutet bei veränderter Fragestellung von einer ereignis- und strukturgeschichtlichen Akzentsetzung weg hin zu einer an Mentalitäten und Vorstellungen orientierten Interpretation, wurden von Friedrich Lotter, „Methodisches zur Gewinnung historischer Erkenntnis aus hagiographischen Quellen", in HZ 229 (1979) 298-356 dargelegt. Er relativiert die an den Bedürfnissen und Kategorien der frühen modernen Geschichtswissenschaft ausgerichtete Auffassung, daß die mittelalterliche Vitenliteratur nicht eigentlich zur Historiographie zu rechnen sei, daß sie historisch unzuverlässig, weil häufig fiktiv und legendenhaft, und daher von zweifelhaftem Quellenwert sei. Vgl. dazu auch die Bemerkungen von Baudouin de Gaiffier, „Hagiographie et Historiographie. Quelques aspects du probleme", in La storiografla altomedievale. Settimane di studio de! centro italiano di studi suW alto medioevo XVII; Spoleto 10-16 aprile 1969, Bd.l, Spoleto 1970, 139-166, hier 139, wo eine kurze Bilanz der Forschungen zur mittelalterlichen Hagiographie gezogen wird. Gleichwohl gibt es schon seit längerem Ansätze, die die historische Aussagekraft der Hagiographien würdigen. Die Forschungsgeschichte ist zusammengefaßt bei Friedrich Lotter, „Methodisches", 298ff. Die innerhalb der Quellengruppe der hagiographischen Gattungen bestehende Bandbreite, die eine befriedigende Typologie bislang erschwert hat, da sie nicht nur in verschiedenen literarischen Formen begegnet, sondern dabei auch noch zwischen den Extremen der richtiggehenden Fiktion einerseits und mehr oder weniger realitätsverbundener Geschichtstradition andererseits alle Spielarten einschließt, ebenso wie die Tatsache, daß die schriftliche Heiligenverehrung durch die Jahrhunderte einem großen Wandel unterworfen war, macht eine solch verallgemeinernde Bewertung allerdings unzulässig und kann heute wohl kaum mehr ernsthaft vertreten werden. Ober die formalen und inhaltlichen Bestandteile mittelalterlicher Lebensbeschreibungen und die Stereotypie der Heiligkeit vgl. Wolfgang Hug, Elemente der Biographie im Hochmittelalter. Untersuchungen

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Die Quellen

sowie in der in Wundern und Visionen sichtbar werdenden göttlichen Auserwähltheit. 21 Ein stereotyper Katalog an Tugenden, Handlungen und Zeichen bildet das Gerüst einer jeden Lebensbeschreibung. Neben der mehr oder weniger ausgeprägten Stilisierung eignet den Viten jedoch stets auch eine gewisse Individualität in bezug auf die Verarbeitung zum einen der historischen Lebensgeschichte, zum anderen der Topoi und Bilder, in deren Gebrauch Modifizierungen und Akzentsetzungen zu beobachten sind, die sich uns mitunter geradezu als Abweichung vom Normalen darstellen. 22 Gerade die Schilderung des Eigentümlichen bietet im Vergleich und in der Kontrastierung Ansatzpunkte für die Entschlüsselung zeitgenössischer Sichtweisen. 23 Die Besonderheiten der Viten, die der Persönlichkeit adliger Klosterstifter gewidmet wurden, liegen nicht nur, aber auch auf der inhaltlichen Ebene. Denn in ihnen wurden Details aus der Geschichte des Konvents verarbeitet, so etwa Vorgeschichte und Umstände seiner Entstehung sowie auch Angaben zu den besitz- und verfassungsmäßigen Verhältnissen des Klosters. Demzufolge muß hier prinzipiell mit der Möglichkeit gerechnet werden, daß der Verfasser sein Medium auch dazu nutzte, um rechtliche Tatsachen zu untermauern, in dem Bestreben, ihre Unanfechtbarkeit zu sichern. Entsprechend der vergleichbaren Kontexten entstammenden monastischen Geschichtsschreibung muß auch in bezug auf die Viten in Erwägung gezogen werden, daß ihr primärer Zweck, der in der Darstellung göttlichen Wirkens durch einen heiligmäßigen Menschen und in der damit verbundenen Erbauung der Gläubigen zu suchen ist, von einer Reihe möglicher Motive und Bedingungen begleitet sein konnte, die zu ihrer Entstehung führten und die im Einzelfall ihre ganz individuelle Ausprägung haben konnten. Ungeachtet der bewußten oder unbewußten „Funktionalisierung" transportierte die Vita im Ergebnis mitunter mehr als das Beispiel nicht zu überbietender Vollkommenheit christlichen Lebens. So spiegelte sich in der Heiligkeit einer einem Kloster angehörenden oder zumindest sehr zu Darstellungsform und Geschichtsbild der Viten vom Ausgang der Ottonen- bis in die Anfange der Stauferzeit, Diss. Masch. München 1957, sowie Arnold Angenendt, Heilige und Reliquien. Die Geschichte ihres Kultes vom frühen Christentum bis zur Gegenwart, München 1994. Franz-Josef Schmale, „Mentalität", 12, konstatierte, daß des weltlichen Klosterstifters nur selten in Form einer Vita gedacht wurde - was allerdings zu überprüfen wäre. Der Grund hierfür liegt seiner Ansicht nach darin, daß die weltliche Person sich nur schwer „einem topischen Grundmuster einfügen läßt, wie es die Vita charakterisiert, die im Hochmittelalter schlechthin Heiligenvita ist ...". Dem ist zu widersprechen, denn die hier untersuchten Beispiele der Stifterviten zeigen gerade, daß es den Autoren jeweils recht gut gelang, die Heiligmäßigkeit ihrer Protagonisten herauszustellen. Die Grundkonzeption dessen, was als heilig galt, ist im Laufe der Zeit relativ konstant geblieben. Wie und in welchen sichtbaren Zeichen sich das Heilige offenbart, war allerdings gewissen Schwankungen und Veränderungen unterworfen. Vgl. dazu etwa Hagen Keller, .Adelsheiliger und Pauper Christi in Ekkeberts Vita sancti Haimeradi", in Adel und Kirche, Gerd Teilenbach zum 65. Geburtstag dargebracht von Freunden und Schülern, hg. v. Josef Fleckenstein/Karl Schmid, Freiburg 1968, 307324, hier 313f.: ein neues Element manifestierte sich in der Darstellung der unedlen Herkunft des heiligen Heimrad, der als verachteter pauper Christi dem bis dahin üblichen adligen Heiligen, auf dessen edle Abstammung die Verfasser größten Wert gelegt hatten, entgegengestellt wird. Was hier, Mitte des 11. Jahrhunderts, noch als Abweichung von der Norm bezeichnet werden könnte, wurde ein gutes Jahrhundert später, und noch deutlicher mit der Verbreitung der Franziskaner und der Bettelorden, selbst zum - allerdings nicht alleingültigen - Maßstab. Auch Baudouin de Gaiffier, „Hagiographie", 141 machte auf den sich im Laufe der Jahrhunderte verändernden Personenkreis der heiligen Gestalten aufmerksam. Vgl. Friedrich Lotter, „Methodisches", 324.

Die monastische Überlieferung

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nahestehenden Person die Heiligkeit der betreffenden Institution wider und manifestierte deren eigenen Anspruch auf ein gewisses Auserwähltsein. Diese Botschaft wiederum konnte innere und äußere Wirkungen hervorbringen: im Innern des Konvents konnte sie, etwa durch die gemeinsame Orientierung an den von der Stifterfigur repräsentierten Maßstäben und durch den mittelbaren Anteil der Mitglieder daran, identitätsstiftend wirken. Nach außen konnte sie werbewirksam die Anziehungskraft für potentielle Stifter und am Klosterleben Interessierte, in einzelnen Fällen auch für Pilger, erhöhen, was letztlich nicht ohne Auswirkung auf die Wirtschaftskraft einer Gemeinschaft blieb. Bei alledem darf auch nicht ausgeschlossen werden, daß eine Vita als Träger bestimmter, nicht nur religiöser, sondern durchaus auch politischer Programmatiken füngieren konnte, so zum Beispiel, wenn es um die Darlegung ordenspolitischer Grundsätze ging.24 Solches konnte für die Vita Norberts von Xanten festgestellt werden, in der in einigen Passagen prämonstratensisches Gedankengut deutlich zum Ausdruck kommt.25 Auch enthalten etwa während des Investiturstreits entstandene Viten häufig reflektierende Aussagen über die Konfliktpunkte der Auseinandersetzungen auf politischer Ebene mit teilweise eindeutiger Parteinahme seitens des Verfassers.26 Unabhängig von der Gattungszugehörigkeit eines zu untersuchenden Textes sind also gewisse Faktoren, die Inhalt und Umfang des Berichtsgegenstandes sowie die Art und Weise des Erzählens beeinflußt haben mögen, zu bedenken, soweit sie sich beim derzeitigen Stand der Forschungen rekonstruieren lassen. An erster Stelle ist hier die Disposition des Verfassers zu nennen, die sich aus seiner Person, seiner möglichen Motivation und Zielsetzung sowie auch aus der zeitlichen Distanz, die er zum Geschehen einnimmt, ergibt. Dabei sind auch Überlegungen zum historischen Anlaß miteinzubeziehen, die im Einzelfall den Standpunkt des Autors und seine Tendenz erhellen können. Geht man von der Möglichkeit aus, daß mit der Berichterstattung eine bestimmte Absicht verfolgt wurde, die durchaus auf einer anderen Ebene liegen konnte, als der eigentliche Erzählgegenstand zunächst vermuten ließe, so muß man damit rechnen, daß Einzelinformationen mitunter fünktionalisiert wurden. Die Vorstellungen und Ansichten der Zeit offenbaren sich auch in der Zweckgebundenheit, in der Geschichtsdarstellung im weiteren Sinne und ihrer Nutzbarmachung für ideelle oder materielle Anliegen.27 Dabei kann auch der jenseits der absichtlichen, bewußten Überlieferung anzusiedelnde unbewußte Tenor eines Textes von Bedeutung sein. Der Informationswert der Quellen für den heutigen Betrachter wird mitbestimmt durch diese Umstände, teilweise ermöglicht erst ihre Kenntnis eine angemessene Einordnung und Beurteilung der durch die Texte vermittelten Inhalte. Allerdings ist es bekanntlich 24

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Klaus Schreiner, „Mönchtum", 270f. über die Rangstreitigkeiten zwischen Mönchen und Regularkanonikern, wie sie sich bei Gerhoh von Reichersberg und in der Petershausener Chronik spiegeln. Vita Norberti Archiepiscopi Magdeburgensis, hg. v. Roger Wilmans (MGH SS 12), Hannover 1856, 6 6 3 - 7 0 6 . Immer wieder wird die Lebensweise Norberts geradezu beschworen als Ideal für alle, die ihm nacheiferten. Ober dieses Beispiel des Stifters von Premontre sollte den nachfolgenden Prämonstratensergenerationen ihr Programm ans Herz gelegt werden. Vgl. v.a. c. 12, ebd., 683f.

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Als Beispiel hierfür wäre die Vita des Reformbischofs Altmann von Passau zu nennen, die zwar erst im 12. Jahrhundert entstand, nichtsdestoweniger aber die Programmpunkte der Gregorianer aufgriff und vertrat. Vgl. Stephanie Coue, „Bischofsviten", 395ff.

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Beispielhaft kann hier aufgrund des ähnlichen Quellenmaterials die Untersuchung von Schreiner, „Mönchtum", genannt werden, die sich zum Ziel setzt, Informationen und Aussagen zum Selbstverständnis schwäbischer Reformmönche aus ihrer Geschichtsschreibung herauszufiltern.

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Die

Quellen

keineswegs immer möglich, zwischen der dem Verfasser eigenen Sicht, der unabsichtlichen Vermischung der eigenen Darstellung mit allgemeinen Vorstellungen von den Dingen und der absichtlichen Verunechtung zugunsten eines von ihm verfolgten Interesses zu unterscheiden.

2.2

Das Kirchenrecht

Aus der Reihe der hochmittelalterlichen Kanonessammlungen wurden für die in dieser Studie aufgeworfenen Fragen vier hinsichtlich ihrer thematischen Schwerpunkte und ihrer Verbreitung bedeutsame Vertreter ausgewählt. Die betreffenden Kompilatoren und ihre Grundaussagen zum kirchlichen Eherecht sollen im folgenden vorgestellt werden, um sie sodann in ihren einschlägigen Passagen einer eingehenden Betrachtung zu unterziehen. Zuvor soll jedoch in knapper Form ein Blick auf die Entwicklung und Wirksamkeit einer kirchlichen Ehegerichtsbarkeit im Kräftefeld zwischen Kirche und Gesellschaft geworfen werden, um die historischen Bezüge, in die die Texte eingebettet waren, zu verdeutlichen. Das ausgehende 11. und das beginnende 12. Jahrhundert waren in dieser Hinsicht geprägt von den Anstrengungen der Kirche, ihren alleinigen Zuständigkeitsanspruch in Eheangelegenheiten zu manifestieren, ein Prozeß, der bereits seit mehreren Jahrhunderten im Gange war und im Laufe des 12. Jahrhunderts zumindest in einigen wesentlichen Punkten zum Abschluß gelangte.28 Die Bemühungen um die Anerkennung der ausschließlichen richterlichen Kompetenz sowie auch des christlich-theologischen Eheverständnisses in der gesamten christlichen Gesellschaft fanden dabei ihre besondere Ausprägung neben dem Kampf gegen heimliche Eheschließungen29 und gegen die Ehe zwischen Verwandten30 auch und gerade in der Verfechtung und Durchsetzung des Prinzips der Unauflöslichkeit der Ehe.

Hierzu v.a. Pierre Daudet, L'etablissement de la competence de l'eglise en mattere de divorce et de consanguinity (France Χ*"™ -ΧΙΙέηκ siectes), Paris 1941. Ein Bestandteil des christlichen Eheverständnisses war - allerdings zu verschiedenen Zeiten und von verschiedenen Theoretikern in unterschiedlich starkem Maße verfochten - die Vorstellung, daß eine Eheschließung im Angesicht der Kirche - in facie ecclesiae - und mit ihrem Segen vollzogen werden müsse. Zwar zweifelte man zumindest zunächst nicht an der Gültigkeit clandestiner Ehen, doch belegte man die Gatten im nachhinein mit einer Buße. Die Frage nach der Gültigkeit blieb lange Zeit in Diskussion, doch noch das IV. Laterankonzil 1215 verbot die heimliche Eheschließung, ohne sie generell fur ungültig zu erklären. Dies geschah erst durch das Tridentinum (1545-1563), welches die Formpflicht als Voraussetzung fur die Gültigkeit formulierte. Vgl. dazu Rudolf Weigand, „Ehe. B. Recht. II. Kanonisches Recht", in LexMA Bd. 3 (1986), Sp. 1623-1625; außerdem Volkert Pfaff; „Das kirchliche Eherecht am Ende des 12. Jahrhunderts", in ZRG KA 94 (1977) 73-117, hier 90ff. zu praktischen Rechtsentscheiden unter Papst Coelestin III. Die Eheschließung im Angesicht der Kirche bezeichnet Christopher N.L. Brooke, „Aspects of marriage law in the eleventh and twelfth centuries", in Proceedings of the Fifth International Congress of Canon Law 1976, Vatikanstadt 1980, 333-344, hier v. a. 335f. für das 12. Jahrhundert geradezu als unmodern und befand, daß die kirchliche Einflußnahme auf Sitten und Gebräuche in jener Zeit zuzunehmen begann. Hierzu Peter Landau, „Ehetrennung als Strafe. Zum Wandel des kanonischen Eherechts im 12. Jahrhundert", in ZRG KA 112 (1995) 148-188, hier 161f.

Das Kirchenrecht

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Um die Mitte des 12. Jahrhunderts war dieser Prozeß, der hinsichtlich seiner Bedeutung für die Verschmelzung der Kirche mit der Gesellschaft und für die Möglichkeiten ihrer gesellschaftlichen und besonders auch politischen Einflußnahme nicht zu unterschätzen ist, wenn nicht abgeschlossen, so doch entscheidend vorangekommen, eine weitgehende Zuständigkeit der Kirche in Ehefragen war erreicht.31 Der kirchliche Anspruch auf alleinige Kompetenz bei der Ehegesetzgebung, -rechtsprechung und -theologie hatte nun innerhalb der Kirche selbst, aber auch nach außen unter den Gläubigen seine Akzeptanz gefunden.32 Bereits seit dem Ende der Antike hatte sich, von den Kirchenvätern und frühen Konzilien auf dem neutestamentlichen Fundament ausformuliert, ein festes Grundgerüst der christlichen Ehelehre ausgebildet,33 welches in der früh- und hochscholastischen Zeit seine mehr oder weniger endgültige Festlegung erfuhr, etwa durch die Interpretation der Ehe als zugehörig zu den Sakramenten im dogmatischen Sinne.34 Im frühen Mittelalter traf die christliche Lehre von der Ehe und die kirchliche Ehegesetzgebung auf die gleichfalls stark verwurzelte Ehepraxis der Volksrechte, deren Ehegesetze für die Stammesangehörigen zunächst noch weitgehend maßgeblich blieben. Den kirchlichen Bestrebungen liefen diese allerdings in weiten Teilen zuwider, etwa, was das christliche Prinzip der Unauflöslichkeit der Ehe, die Definition von Verwandtenehen oder das Zeremoniell der Eheschließung anging. Am Beispiel einzelner Fälle von Ehescheidung und Verwandtenehe hat zuerst P. Daudet die Entwicklung vom Nebeneinander dieser beiden Systeme bis hin zur Durchsetzung der kirchlichen Autorität nachgezeichnet.35 Dabei konnte er deutlich machen, daß die Kirche selbst noch im 9. und 10. Jahrhundert eher zögernd für ihre Prinzipien eintrat, im Falle der zu dieser Zeit vergleichsweise häufig vorkommenden Scheidungen die Rechtsprechung den Laienversammlungen überließ36 und allenfalls grundsätzliche Stellungnahmen abgab, wie etwa auf Hiervon ausgenommen erscheint allenfalls das eheliche Besitzrecht, welches den Regelungen des weltlichen Rechts überlassen blieb. Vgl. Rudolf Weigand, „Ehe", Sp. 1623ff.; den Entwicklungsstand im ausgehenden 11. und im 12. Jahrhundert, das kirchliche Monopol in Rechtsprechung und Gesetzgebung skizziert Jean Gaudemet, Le mariage en Occident. Les moeurs et le droit, Paris 1987, hier 139fF. Zu den wesentlichen Elementen der christlichen Ehetheologie, die biblischen Grundlagen und ihre Vertiefung und Ausdifferenzierung durch die Väter und die Frühscholastik vgl. zusammenfassend Josef Wenner, „Ehe. VI. Im Kirchenrecht", in LThK, Bd. 3 (1959), Sp. 690-695 und Wendelin Knoch, „Ehe. A. Theologie und Liturgie. I. Biblisch-theologisch-sakramentale Eheauffassungen", in LexMA, Bd.3 (1986) Sp. 1616-1618. Die Sakramentalität der Ehe lag bereits in der Bibel begründet (Eph 5, 33). Das Abbild der Vereinigung zwischen Christus und der Kirche in der Ehe zwischen Mann und Frau ist wesentlicher Bestandteil der Vorstellung vom Sakramentcharakter der Ehe, der wiederum die Unauflöslichkeit dieser Verbindung nach sich zieht. Über die Ausformung des Sakrament-Begriffes im 12. Jahrhundert vgl. u.a. Volkert Pfaff, „Eherecht", 82f. und Jean Gaudemet, Le mariage, 188ff. Zum Sakramentverständnis der Ehe, wie es von den Scholastikern ausgestaltet wurde, vgl. Leedert Brink, „Ehe/Eherecht/Ehescheidung. VI. Mittelalter", in TRE, Bd. 9 (1982) 330-336, hier 333f. Pierre Daudet, L'etablissement. Vgl. auch die Zusammenfassung der früh- und hochmittelalterlichen Entwicklung des kirchlichen Selbstverständnisses bezüglich der Ehe bei Leedert Brink, „Ehe", 331 f. An einen solchen Fall erinnerte sich Hinkmar von Reims in seinem Gutachten über die Eheafiäre König Lothars II.: Kaiser Ludwig der Fromme hatte eine ihm vorgebrachte Scheidungsangelegenheit an eine Bischofssynode weiterverwiesen, die wiederum die Sache nicht selbst entschieden, sondern an ein weltliches Gericht zurückverwiesen hatte. Hinkmar selbst stieß sich nicht grundsätzlich an dieser Regelung, sondern legte lediglich Wert darauf daß auch die Laiengerichte sich bei ihren Entscheidungen an

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Die Quellen

dem Konzil von Troyes im Jahr 878. 37 Vielfach wurden kirchliche Instanzen überhaupt nicht konsultiert, und sie protestierten auch nicht gegen diese Nichtachtung. Die Eheaffare König Lothars II. und seiner Frau Theutberga, die in der Dekade zwischen 857 und 867 immer wieder hohe Wellen geschlagen hatte, zeigt allerdings, daß bereits in dieser Zeit eine Diskussion der kirchlichen Autoritäten über diese Problematik stattfand.38 Lothars Anliegen, die Scheidung von seiner Frau zu erreichen, um seine Friedelfrau Waldrada zur rechtmäßigen Gemahlin machen zu können, und auch die unterschiedlichen Reaktionen von kirchlicher Seite bargen in verschiedener Hinsicht zunächst politische Implikationen, 39 doch die Bedeutung, die dem Eherecht - mindestens in funktionalisierter Form - dabei zukam, ist nicht zu übersehen. Teile des fränkischen Episkopats, vor allem die Erzbischöfe von Mainz und Trier, trugen die Pläne des Herrschers mit und erklärten mit verschiedenen Begründungen in den Beschlüssen der Aachener Synoden von 860 und 862 sowie der Metzer Synode von 863 die Trennung der Ehe und die Wiederheirat für rechtsgültig. Papst Nikolaus I. jedoch, der sich seit 862 der Angelegenheit annahm, kassierte die Beschlüsse von Metz und setzte die beiden Erzbischöfe ab; auch in der Folgezeit war er nicht bereit, die Trennungsversuche Lothars hinzunehmen, so daß es jenem bis zu seinem Tod nicht gelang, seine Ziele, vor allem die Nachfolgeregelung für seinen Sohn, durchzusetzen, die Ehe mit Theutberga blieb de jure bestehen.40 Hinkmar von Reims machte sich im übrigen in seinem Gutachten zum lotharischen Ehestreit weitgehend zum Verfechter der Unauflöslichkeit und kritisierte ansonsten hauptsächlich das Prozeßverfahren der Bischöfe. 41

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das Unauflöslichkeitsprinzip gebunden fühlen sollten; Hinkmar von Reims, De divortio Lotharii regis et Theutbergae reginae, hg. v. Letha Böhringer, MGH Concilia IV, Supplementum I, Hannover 1992, 141, Responsio 5. Vgl. hierzu Peter Landau, „Ehetrennung", 167ff. Die Rolle der Kirche, so Landau, habe sich in jener Zeit noch ganz auf die Sanktion durch Anordnung entsprechender Buße beschränkt, nicht aber sei sie mit dem Verfahren und der formellen Jurisdiktion befaßt gewesen. Pierre Daudet, L'etablissement, 17. Eine Darstellung der Hintergründe und Ereignisse bietet die Einleitung zu Hinkmar von Reims, De divortio, hg. v. Letha Böhringer, 4-20. Vgl. auch Raymund Kottje, „Kirchliches Recht und päpstlicher Autoritätsanspruch. Zu den Auseinandersetzungen über die Ehe Lothars II.", in Aus Kirche und Reich. Studien zu Theologie, Politik und Recht im Mittelalter. Festschrift f . Friedrich Kempf, hg. v. Hubert Mordek, Sigmaringen 1983, 97-103; des weiteren Karl Heidecker, „Lotharius verstoot Teutberga en neemt Waldrada. Politieke kwesties tijdens de regering van Lotharius II. (855-869)", in Vrouw, familie en macht. Bronnen over vrouwen in de Middeleeuwen, hg. v. Marco Mostert u.a., Hilversum 1990, 127-145. Die Legitimierung seines Sohnes Hugo aus der Verbindung mit Waldrada scheint im Hinblick auf die Erbfolge ein Anliegen des Herrschers gewesen zu sein, um den Fortbestand seines Reiches sichern zu können (die Ehe mit Theutberga blieb kinderlos); ein weiterer Aspekt bei der Frage nach einem möglichen Anlaß für den Ehestreit kann im Verhältnis zu Theutbergas Bruder Hukbert gesehen werden, der sich vielleicht zu sehr als Machtpolitiker im eigenen Interesse präsentierte, wie auch das Kräfteverhältnis der fränkischen Teilherrscher zueinander ein Rolle gespielt haben mag. Vgl. Hinkmar von Reims, De divortio, hg. v. Letha Böhringer, 13, 16f. u.ö. Wenn sich möglicherweise in der Haltung des Papstes, wie Raymund Kottje, „Kirchliches Recht", 102f., konstatierte, nicht der Wille zur Verfechtung kirchenrechtlicher Grundsätze, sondern vielmehr der päpstliche Autoritätsanspruch gegenüber dem Episkopat spiegelte, so bedeutet dies in der Sache dennoch die Durchsetzung eines Prinzips: denn gegen alle Argumente der Gegenpartei bestand Nikolaus auf der königlichen Ehe. Vgl. zusammenfassend zum Inhalt und zur Tendenz des Textes Hinkmar von Reims, De divortio, hg. v. Letha Böhringer, 28ff.

Das Kirchenrecht

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Die im ganzen noch uneinheitliche Haltung innerhalb des Klerus begann erst im beginnenden 11. Jahrhundert, sich stärker in dieselbe Richtung zu bewegen,42 als die konziliare Beschäftigung mit Priesterehen eine schrittweise Ausdehnung der durchaus vorhandenen Mittel zur Rechtsprechung auf Eheangelegenheiten im allgemeinen mit sich brachte, bis man schließlich auch nicht mehr davor zurückschreckte, die Prinzipien gegen mächtige Laien mittels Exkommunikation und Interdikt durchzusetzen. Im Laufe des 11. Jahrhunderts nahm die Kirche häufiger die Gelegenheit zum Kampf um ihre Autorität wahr, so beispielsweise im Zusammenhang mit den Eheaffaren König Roberts II. von Frankreich um die Jahrtausendwende,43 auch bei den Reformsynoden in Mainz und Reims 1049.44 Als Meilenstein auf dem Wege zur endgültigen Anerkennung der alleinigen kirchlichen Zuständigkeit in Scheidungsfragen, nicht nur hinsichtlich der Gesetzgebung, sondern auch der Rechtsprechung, wurde und wird in der Forschung immer wieder der Sieg über die Ehepraxis König Philipps von Frankreich betrachtet. Dieser hatte 1092 seine rechtmäßige Ehefrau Bertha verstoßen, um sich in zweiter Ehe mit Bertrada von Montfort, zu vermählen. Diese war jedoch zu jener Zeit mit Graf Fulco Rechin von Anjou verheiratet.45 Damit war gleich eine zweifache Verletzung des Unauflöslichkeitsprinzips gegeben, und darüber hinaus lag bei der Verbindung des Königs mit Bertrada ein Inzestverdacht vor.46 Grund genug also für die Kirche, diese Heirat nicht zu gestatten. Aber weite Teile des französischen Klerus standen hinter dem König, und die Ehe wurde durch den Bischof von Senlis, mit dem Einverständnis des Erzbischofs von Reims, eingesegnet. In Verbindung mit der Kurie gelang es Bischof Ivo von Chartres, der zunächst nur zaghaft protestiert hatte, dann allerdings deutlich Position gegen die zweite Ehe Philipps bezog,47 einen Prozeß in Gang zu setzen, an dessen Ende die Trennung und die 42

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Einen Einschnitt in der Geschichte des kirchlichen Eherechts um 1100 konstatiert auch Peter Landau, „Ehetrennung", 151 und 153. Er sieht einen wesentlichen Motor für das zunehmende Einschreiten der Kirche in eherechtlichen Fragen im Bestreben, als sündhaft geltende Verbindungen - und damit auch Ehen zwischen zu nahen Verwandten - nicht mehr bestehen zu lassen, d. h. nicht mehr nur, wie es bisher geübte Praxis war, Bußen über die Partner zu verhängen und sie im schlimmsten Fall zu exkommunizieren, um damit in der Folge eventuell eine Trennung der Ehe zu erreichen; vielmehr sollte nun der Zweck der Sanktion, die Trennung, zur Sanktionsmaßnahme selbst werden. Vgl. ebd., 152f. und 170f. Vgl. Pierre Daudet, L Etablissement, 77-83. Vor allem die Verbindung mit Bertha von Burgund, die 996 - im Beisein der Bischöfe und mit dem Segen des Erzbischofs von Tours - geschlossen wurde, brachte dem Capetinger Kritik von Seiten Papst Gregors V. wegen der bestehenden Verwandtschaft zwischen den Ehepartnern ein und führte sogar zur Exkommunikation Roberts im Jahr 998. Doch führte dies nicht dazu, daß die Eheleute sich trennten - dies geschah erst 1005 und mutmaßlich aus anderen als kanonischen Gründen. Vgl. Pierre Daudet, L 'etablissement, 40. Fulco war im übrigen den kirchlichen Autoritäten selbst ein Dorn im Auge, da auch er mit insgesamt wohl sieben Ehefrauen, die nicht alle durch ihren Tod den Platz an seiner Seite räumten, permanent gegen die Vorstellung der Unauflöslichkeit der Ehe handelte. Vgl. hierzu Georges Duby, Ritter, Frau und Priester. Die Ehe im feudalen Frankreich, Frankfurt/Main 1988 [Orig.: Le chevalier, la femme et te pretre. Le mariage dans la France feodale, Paris 1981], hier 180f. u.ö.; ebenso Peter Landau, „Ehetrennung", 154fT. Peter Landau, „Ehetrennung", 155, zählte vier Hindernisse, die einer Heirat mit Bertrada im Wege standen: beiderseitige Bigamie, vorehelicher Ehebruch und die Schwägerschaft aufgrund einer Verwandtschaft zwischen König Philipp und Graf Fulco. Ivo von Chartres, Epistolae, Migne PL 162, Sp. 11-504, hier Epp. 13, 15, 16, 23, 28, 46, 47, 144. In insgesamt 8 von 52 Briefen Ivos, die sich um Eheangelegenheiten drehen, geht es um die Ehe König Philipps mit Bertrada von Montfort. Peter Landau, „Ehetrennung", 155f., konstatierte ein aus politischen

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Die Quellen

Nichtanerkennung der unrechtmäßigen Ehe des französischen Königs mit Bertrada stand.48 Der Forderung des Papstes, der 1094 die Exkommunikation über Philipp und 1096 das Interdikt über sein Königreich verhängte, mußte dieser sich schließlich beugen. Das kanonische Urteil über die Ungültigkeit der Ehe wurde 1104 auf einer Synode durch einen päpstlichen Legaten ausgesprochen.49 Daß ein weltlicher Herrscher die geistliche Rechtsprechung letztendlich anerkennen mußte, deutet an, wie groß zu dieser Zeit die Gültigkeit des kirchlichen Anspruchs war und daß bei ausreichender Konsequenz dieser auch durchgesetzt werden konnte, wenngleich die zunächst schwache Haltung der französischen Bischöfe, die schließlich nicht ohne das Eingreifen des Papstes der Situation Herr werden konnten, eher auf ein „Diktat" der säkularen Gewalt hindeutet.50 Im großen und ganzen geht man davon aus, daß seit dem 12. Jahrhundert zumindest die theoretische Anerkennung des kanonischen Rechts als allein maßgebliche Instanz in Ehefragen innerhalb der Geistlichkeit wie auch in der gesamten Gesellschaft erreicht war, wenngleich festzuhalten ist, daß auch dann noch Zuwiderhandlungen, aber auch Unsicherheiten seitens der Bischöfe im Umgang mit den Bestimmungen durchaus an der Tagesordnung waren.51 Eine verhältnismäßig einheitliche Position vertraten zunächst am ehesten die Päpste, die, wie außer in der Eheaffare des französischen Königs auch bei einer Reihe weiterer Gelegenheiten, zu einer konsequenten Durchsetzung der Prinzipien willens und in der Lage waren, wenn nötig, gegen die Bischöfe, zumindest teilweise aber auch mit Unterstützung des hohen Klerus.52 Auf dem Wege zu größerer Ausdifferenzierung und vor

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Gründen zunächst vorsichtiges Mahnen des Bischofs. Unbestritten ist wohl, daß Ivo in dieser Angelegenheit später eine rigorose Haltung einnahm und daß seine Einflußnahme auf das Verhalten Urbans II. und Paschalis' II., die allein vielleicht moderater gehandelt hätten, den Gang der Dinge prägte. Vgl. hierzu Pierre Daudet, L Etablissement, 56£f. und Georges Duby, Ritter, 12ff. Nach dreimaliger Exkommunikation des Königspaares durch die Päpste in den Jahren 1094, 1095 und 1100 sowie der Verhängung des Interdikts über Frankreich 1096 kam es schließlich zu einem Einlenken königlicherseits. Vgl. Peter Landau, „Ehetrennung", 156f. Mansi XX, Sp. 1183 ff. Vgl. Pierre Daudet, L'etablissement, 59f. sowie Peter Landau, „Ehetrennung", 157. Ähnlich äußerte sich Pierre Daudet, L'etablissement, 55: „II faut voir dans cet acces de reserve un dernier scrupule d'eveques qui, franjais, ne se croient pas qualifie pour juger le roi de France sous la presidence d'un legat etranger." Zum Gesamtproblem vgl. Rudolf Weigand, „Kanonistische Ehetraktate des 12. Jahrhunderts", in Proceedings of the Third International Congress of Medieval Canon Law 1968, Vatikanstadt 1971, 5979. Die Traktate beklagen zum Teil die mangelnde Beachtung der Vorschriften und verfechten ihre Durchsetzung. Unsicherheiten der Bischöfe spiegeln die Anfragen wider, die an die Päpste gerichtet wurden und in denen um Rat gebeten wurde, wie in einzelnen konkreten, in der jeweiligen Diözese auftretenden Fällen zu verfahren sei. Hier sei beispielsweise auf die Zusammenstellung päpstlicher Entscheide im Liber extra im Zusammenhang mit der religiösen Konversion Verheirateter verwiesen; vgl. X 3.32. Jenen Prozeß der Durchsetzung kirchlicher Ansprüche im Eherecht sah Volkert Pfaff, „Eherecht", 80, im wesentlichen erst flir das 13. Jahrhundert beendet. Als langlebiger gegenüber dem völligen Übergang der Ehe in die Zuständigkeit des geistlichen Rechts beurteilte er die „gewohnheitsmäßige Übung" innerhalb der Kirche selbst. Als ein schillerndes Beispiel könnte hier die Geschichte des Grafen Radulf von Vermandois herangezogen werden, der sich von seiner Frau Eleonore scheiden ließ, um die politisch für ihn wesentlich günstigere Verbindung mit Petronilla, der Schwester der Königin, eingehen zu können. Papst Innozenz II. hatte daraufhin 1142 seinen Legaten mit der Ahndung dieses Vorgehens beauftragt, welcher den Grafen exkommunizierte und die Bischöfe, die die Scheidung ausgesprochen hatten, ihres Amtes enthob. Vgl. hierzu Wilhelm Janssen, Die päpstlichen Legaten in Frankreich vom Schisma Anaklets II. bis zum

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allem stärkerer Vereinheitlichung wie auch zu einer Verbindlichkeit der Rechtssätze kam in der Folgezeit der gesetzgeberischen Tätigkeit der Päpste des 12. und frühen 13. Jahrhunderts maßgebliche Bedeutung zu.53 Vor diesem Hintergrund und ausgehend von der Annahme, daß das Kirchenrecht die skizzierte Interessenlage der Kirche widerspiegelte und umgekehrt durch die Verbreitung und die Rezeption der Texte die Haltung der Kirchenmänner mit beeinflußt wurde, werden die eherechtlichen Bestimmungen der einschlägigen Kirchenrechtssammlungen der Zeit im Zentrum der Betrachtung stehen, da mit ihnen der normative Rahmen, innerhalb dessen sich die Ehetrennungen der Konversen bewegten, abgesteckt war. Aus der Vielzahl der hochmittelalterlichen Titelzusammenstellungen wurden für die vorliegende Studie vier Vertreter herausgegriffen, die als Meilensteine der Entwicklung hin zu einer systematischen Kanonistik gelten können. Den zeitlichen Anfangs-, respektive Endpunkt bilden das Dekret Burchards von Worms aus dem beginnenden 11. Jahrhundert54 und das Deere tum Gratiani aus der Mitte des 12. Jahrhunderts.55 Für die dazwischenliegende Zeit wurden als Autoren der Reformzeit Anselm von Lucca56 sowie Ivo von Chartres mit seinem Dekret und der Panormia57 herangezogen. Die Auswahl der Texte wurde zum einen durch ihre jeweilige Bedeutung für die Entwicklung des Kirchenrechts, zum anderen durch ihre Verbreitung und Rezeption vor allem im hier interessierenden französischen und deutschen Raum bestimmt.58 Tode Coelestins III. (1130-1198) (Kölner Historische Abhandlungen 6), Köln/Graz 1961, hier 35ff. Ein weiteres Beispiel ist das unnachgiebige Verhalten Papst Hadrians IV. angesichts des fortgesetzten Ehebruchs des Grafen von Roussillon. Auch er setzte dafür seinen Legaten, den Erzbischof Berengar von Narbonne, ein und beauftragte ihn, seinen Rechtsspruch gegenüber dem Grafen, der seine unrechtmäßige Ehe beenden sollte und niemals Anspruch auf eine legitime Verbindung mit der betreffenden Frau haben sollte, zur Durchsetzung zu bringen. Vgl. Hadrian IV., Epistolae, RHF XV, 677f., Nr. 45. Dazu auch Wilhelm Janssen, Legaten, 158, Anm. 10. Tatkräftige Unterstützung für die päpstliche Politik in Ehesachen übte stets, wie bereits gesehen, Ivo von Chartres. So fühlte er sich bemüßigt, in einem Schreiben an den päpstlichen Legaten Kuno von Palestrina darauf hinweisen zu müssen, daß Graf Balduin von Flandern in nichtkanonischer Ehe lebte. Diese Information leitete der Legat unverzüglich an den Papst weiter. Vgl. Theodor Schleifer, Die päpstlichen Legaten in Frankreich vom Vertrage von Meersen (870) bis zum Schisma von 1130 (Historische Studien 263), Berlin 1935 (ND Vaduz 1965), hier 203. Hierzu vgl. für das 12. Jahrhundert v.a. Rudolf Weigand, „Unauflöslichkeit der Ehe und Eheauflösungen durch Päpste im 12. Jahrhundert", in Revue de droit canonique 20 (1970) 44-64; des weiteren Volkert Pfaf£ „Eherecht", 81, der auf die Hinwendung der Kurie zum Kirchenrecht seit Alexander III. hinwies, welches seit dieser Zeit zu einem Fundament der Theologie der Päpste geworden sei. Die völlige Durchsetzung der päpstlichen Lehrmeinung sieht er allerdings frühestens mit dem IV. Laterankonzil (1215) unter Innozenz III. gegeben. Vgl. ebd., 117. Burchard von Worms, Decretorum libriXX, Migne PL 140, Sp. 537-1058. Gratian, Decretum, hg. v. Emil Friedberg, Corpus Iuris Canonici I, Leipzig 1879. Anselm von Lucca, Collectio canonum una cum collectio minore, hg. v. Friedrich Thaner, 2 Bde., Innsbruck 1906-1915. Ivo von Chartres, Decretum, Migne PL 161, Sp. 47-1022; Ivo von Chartres, Panormia, Migne PL 161, Sp. 1041-1344. Bei der Betrachtung der Kanonessammlungen kann auf die Ergebnisse einer umfangreichen Forschungsliteratur zum hochmittelalterlichen Kirchenrecht zurückgegriffen werden. Hier sind an erster Stelle die grundlegenden systematischen Untersuchungen von Paul Fournier/Gabriel LeBras, Histoire des collections canoniques en Occident depuis les Fausses Deere tales jusqu 'au Deere t de Gratien. Bd. 1: De la Reforme Carolingienne ä la Reforme Gregorienne, Paris 1931, Bd. 2: De la Reforme Gregorienne

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Die Quellen

B i s c h o f Burchard v o n Worms ( 1 0 0 0 - 1 0 2 5 ) 5 9 wurde in der Forschung als „typischer Vertreter des ottonisch-salischen Reichsepiskopats" gesehen. 6 0 A u s der M a i n z e r H o f kapelle unter Erzbischof Willigis hervorgegangen, wurde i h m i m Jahr 1000 durch Kaiser Otto III. das B i s t u m W o r m s verliehen, das er bis zu seinem Tod 1025 innehatte. A n s e i n e m H o f wurde der spätere K ö n i g Konrad II. erzogen. N a c h d e m Tode Ottos III. hatte Burchard die Wahl des Bayernherzogs Heinrich z u m deutschen K ö n i g befürwortet. Darüber hinaus n a h m er j e d o c h keine allzu bedeutende Stellung in der Reichspolitk ein, und w e n n er d e n n o c h über seine Lebenszeit hinaus zu weitreichender Geltung gelangte, so ist das s e i n e m Schaffen auf d e m Gebiet des geschriebenen Rechts zu verdanken, z u m e i n e n der Niederschrift eines Hofrechts für seinen unmittelbaren bischöflichen Machtbereich, z u m anderen der Erstellung einer Kanonessammlung. Burchards Dekret war vielleicht die wichtigste Kirchenrechtssammlung der vorgratianischen Epoche. Fertiggestellt vor 1023, m ö g l i c h e r w e i s e z w i s c h e n 1008 und 1012, gelangte es innerhalb kurzer Zeit zu einer außerordentlichen Resonanz, die an der zahlenmäßig eindrucksvollen handschriftlichen Überlieferung abzulesen ist: bis u m die Mitte des 11. Jahrhunderts hatte das Dekret Verbreitung i m Reich, in Frankreich und in Italien gefunden. 6 1 M a n führte diesen Erfolg auf seine

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au Decret de Gratien, Paris 1932, und Horst Fuhrmann, Einfluß und Verbreitung der pseudoisidorischen Fälschungen. Von ihrem Auftauchen bis in die neuere Zeit (Schriften der MGH 24/1—III), 3 Bde., Stuttgart 1972-1974 zu nennen, mit deren Hilfe die Einordnung der vier ausgewählten Beispiele in das breite Gesamtspektrum vorgenommen werden kann. Eine vergleichende Analyse der für das gregorianische Zeitalter zentralen Kirchenrechtssammlungen bietet Wilfried Hartmann, .Autoritäten im Kirchenrecht und Autorität des Kirchenrechts in der Salierzeit", in Die Salier und das Reich, hg. v. Stefan Weinfurter, 3 Bde., Sigmaringen 1991. Bd. 3: Gesellschaftlicher und ideengeschichtlicher Wandel im Reich der Salier, 425-446. Hinsichtlich des kirchlichen Eherechts ist zwar die Studie von Joseph Freisen, Die Geschichte des kanonischen Eherechts bis zum Verfall der Glossenliteratur, 2. Aufl. Paderborn 1893 (ND Aalen 1963) in manchen Punkten überholt, aber dennoch als Überblick und Sammlung unzähliger Belegstellen durchaus von Nutzen. Daneben sind vor allem die Arbeiten aus der älteren französischen Forschung noch immer maßgebend; vorab sei lediglich auf Albert Esmein, Etude sur l'histoire du droit canonique prive. Le mariage en droit canonique, 2. Aufl. 2 Bde. Paris 1929/1935; Pierre Daudet, L'etablissement, und Gabriel LeBras, „Le mariage dans la theologie et le droit de l'eglise du XI e au XIIIe siecle", in Cahiers de Civilisation Medievale 11 (1968) 191-202 verwiesen. Für die nachgratianische Zeit gilt immer noch als grundlegend die Studie von Jean Dauvillier, Le mariage dans le droit classique de l'eglise depuis le decret de Gratien (1140) jusqu'ä la mort de Clement V (1314), Paris 1933. Aus jüngerer Zeit sind die Untersuchungen von Christopher N.L. Brooke, Aspects of marriage law; James A. Brundage, Law, Sex and christian Society in Medieval Europe, Aldershot 1987; sowie Jean Gaudemet, Le mariage zu nennen, deren erklärtes Ziel es ist, unter verstärkter Einbeziehung sozialgeschichtlicher Aspekte die rein kirchenrechtliche Sicht der christlichen Ehe im Mittelalter durch die Erforschung des Stellenwerts der Ehe in der gesamten abendländischen Gesellschaft zu ergänzen. Zu Burchards Leben und Werk vgl. Max Kerner, „Burchard von Worms", in LexMA, Bd. 2 (1983) Sp. 946-951 u. ders., Burchard von Worms, in Verf.-Lex, Bd. 1 (1978) Sp. 1121-1127. Horst Fuhrmann, Einfluß, Bd. 2, 442. Vgl. Max Kerner, „Burchard", in Verf.-Lex., Sp. 1123. 80 Hss. aus dem 11. und 12. Jahrhundert sind heute noch erhalten; die Überlieferung riß im 13. Jahrhundert plötzlich ab. Als Exzerpt hat das 19. Buch, welches die Bußpraxis zum Inhalt hat, eine noch größere handschriftliche Verbreitung erlangt als das Gesamtwerk. Eine ausfuhrliche Analyse der Überlieferungssituation und eine Sichtung der älteren Forschung findet sich bei Horst Fuhrmann, Einfluß, Bd. 2, 450if., Anm. 74. Zur Verbreitung der Sammlung in Italien vgl. Hubert Mordek, „Handschriftenforschungen in Italien I. Zur Überlieferung des Dekrets Bischof Burchards von Worms", in QFIAB 5 (1972) 626-651; des weiteren ist heranzuziehen

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Zielrichtung zurück, bei der die praktische Anwendbarkeit bei bischöflichen Rechtsentscheiden, d.h. der Zuschnitt auf die Bedürfnisse der alltäglichen bischöflichen Rechtspraxis sowie auch die Betonung der episkopalen Gewalt innerhalb der kirchlichen Hierarchie im Vordergrund stand. 2 Burchard hat als einer der ersten das Bedürfnis, aus der verwirrenden Vielzahl zum Teil widersprüchlicher kirchenrechtlicher Überlieferungen ein brauchbares Instrumentarium für den konkreten Bedarfsfall zu schaffen, in die Tat umgesetzt63. Da er aber dabei keineswegs etwas völlig Neues geschaffen hat, stellt sich die Frage nach den Vorlagen, die er benutzte,64 und nach eventuellen Veränderungen, die er an ihnen vornahm. Er selbst hat in seiner Vorrede einen nucleus canonum als seine Hauptquelle bezeichnet, bei dem es sich wohl um eine Aufzeichnung aus dem Domstift zu Freising handelte.65 H. Fuhrmann konnte daneben auch die Spuren der Rezeption Pseudo-Isidors rekonstruieren, der indirekt über die Collectio Anselmo dedicata, den Pseudo-Remedius, Regino von Prüm, die Dionysio-Hadriana u.a. in das Dekret Eingang gefunden hat, allerdings so stark redigiert, daß der Ausgangspunkt teilweise nicht mehr auszumachen ist.66 Burchard habe gegenüber den pseudoisidorischen Originaltexten mehr Klarheit geschaffen, so Fuhrmann, was wiederum seinem Streben nach besserer Anwendbarkeit entsprach.67 Zusammenfassend soll noch einmal die Bedeutung des Decretum als bis dahin umfassendste Kanonessammlung und für den Beginn des 11. Jahrhunderts einflußreichste kirchenrechtliche Autorität betont werden.68 Wenngleich nicht übersehen werden darf, daß

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Hartmut Hoffmann/ Rudolf Pokorny, Das Dekret des Bischofs Burchard von Worms. Textstufen - frühe Verbreitung - Vorlagen (MGH Hilfsmittel 12), München 1991. Horst Fuhrmann, Einfluß, Bd. 2, 458; Gerd Theuerkauf, „Burchard von Worms und die Rechtskunde seiner Zeit", in FrmaSt 2 (1968) 144-162, hier 153: vornehmliches Ziel des Decretum sei die Schaffung einer klareren Rechtsordnung fur Burchards eigene Diözese gewesen. Zur Tendenz Burchards vgl. Max Kerner, Studien zum Dekret Bischof Burchards von Worms, 2 Bde., Diss. Aachen 1971, hier 39-95; Horst Fuhrmann, Einfluß, Bd. 2, 447ff., wo der Verf. einen Abriß der Forschungsgeschichte bietet. Es scheint sich heute die Auffassung durchgesetzt zu haben, daß fur Burchard, wie Wilfried Hartmann, .Autoritäten", 426, schreibt, „nicht der Papst, sondern die Bischöfe die entscheidende Instanz innerhalb der Kirche" darstellten. Vgl. auch Jörg W. Busch, „Vom einordnenden Sammeln zur argumentierenden Darlegung. Beobachtungen zum Umgang mit Kirchenrechtssätzen im 11. und frühen 12. Jahrhundert", in FrmaSt 28 (1994) 243-256, hier 247f. Gerd Theuerkauf, „Burchard von Worms", 152f. bescheinigt ihm ein „Streben nach Rechtseinheit". Mit diesem Leitgedanken würde er in unmittelbare Vorläuferschaft zu Gratian gerückt, dessen Programm über 100 Jahre später ebenfalls die Vereinheitlichung des widersprüchlichen Rechts war. Vgl. dazu Burchards eigene Aussagen, warum er ein solches Werk in Angriff nahm: Decretum, Prolog, Sp. 537. Hier heißt es, man sei an ihn herangetreten, daß er die wirren Rechtssätze der bestehenden Aufzeichnungen in einer neuen Sammlung zusammenfasse, so daß sie auch Anwendung finden konnten. Seine Bestrebungen, Rechtssätze als Handlungsrichtlinien aufzubereiten, fand in seiner Arbeitsweise der Rubrizierung ihren Niederschlag, bei der er sich schon auf das Vorbild Reginos von Prüm stützen konnte. Vgl. hierzu Jörg Busch, „Sammeln", 245. Vgl. die Auflistung der von Burchard benutzten Quellen bei Hartmut Hoffmann/Rudolf Pokorny, Dekret, 173-244. Wilfried Hartmann, .Autoritäten", 426. Horst Fuhrmann, Einfluß, Bd. 2, 476ff. Horst Fuhrmann, Einfluß, Bd. 2, 485. Hierzu vgl. Hubert Mordek, „Kanonistik und gregorianische Reform. Marginalien zu einem nichtmarginalen Thema", in Reich und Kirche vor dem Investiturstreit. Vorträge beim wissenschaftlichen

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Die Quellen

die episkopale Tendenz Burchards ihm später die Kritik der Kirchenreformer, Verfechter des päpstlichen Zentralismus, 69 einbrachte, ist doch festzuhalten, daß er die nachfolgenden Kanonisten auch des Reformzeitalters beeinflußt hat. Bischof Anselm II. von Lucca (1073-1086) 70 hat seine Collectio canonum zwischen 1081 und 1086, wahrscheinlich 1083 zusammengestellt. Sie kann aufgrund ihrer großen Verbreitung und ihres Einflusses wohl als wichtigste gregorianische Kirchenrechtssammlung gelten. 71 Die große Nähe zu Papst Gregor VII. ist charakteristisch für Anselms gesamtes Wirken. Als Bischof von Lucca, päpstlicher Legat in Mailand im Jahr 1077 und päpstlicher Vikar in der Lombardei, wo er sich nach seiner Vertreibung aus Lucca aufhielt, hatte er zahlreiche Gelegenheiten, die Politik Gregors nach außen zu vertreten. Dieser schlug ihn 1085 unter anderen sogar als seinen möglichen Nachfolger vor. 72 Die Sympathie für das Papsttum gregorianischer Prägung spricht auch aus seinen schriftlichen Äußerungen, so etwa der Verteidigungsschrift Liber contra Wibertum, die sich gegen den Gegenpapst Clemens III. (1084-1100) richtete. Die Collectio canonum ist darauf ausgerichtet, die Zentralisierung des Kirchenrechts auf den römischen Bischof zu manifestieren. Deutlich wird dies zum einen in Anselms Auswahl der Kanones und zum anderen in ihrer Bearbeitung und ihrer Zusammenstellung. Wie Wilfried Hartmann feststellte, versuchte Anselm, nur Texte anzuführen, die entweder von den Päpsten selbst stammten oder zumindest ihre Billigung fanden, wobei er sich bemühte, die Aufnahme von Konzilstexten transalpiner Provenienz in seine Sammlung zu vermeiden. 73 Er rezipierte in der Hauptsache „solche Konzilskanones, die in den anerkannten Sammlungen der historischen Ordnung, wie der Dionysio-Hadriana und der Hispana, überliefert sind." 74 In nur sehr geringem Umfang wurde das Decretum Burchards von Worms als Quelle herangezogen. Es ist anzunehmen, daß dies mit der Gegensätzlichkeit der dahinterstehenden Idee zusammenhängt, nämlich der episkopalen Orientierung des Reichsbischofs einerseits und dem papalen Zuschnitt des Gregorianers andererseits.

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Kolloquium anläßlich des achtzigsten Geburtstags von Gerd Teilenbach, hg. v. Karl Schmid, Sigmaringen 1985, 65-82, hier72f. Wilfried Hartmann, .Autoritäten", 426f. Über die Gründe, die im einzelnen die gregorianischen Kanonisten in eine Gegenposition zum Decretum brachten vgl. Paul Fournier/Gabriel LeBras, Histoire, Bd. 1, 418ff. Zu Anselm von Lucca vgl. Hansmartin Schwarzmaier, Lucca und das Reich bis zum Ende des 11. Jahrhunderts. Studien zur Sozialstruktur einer Herzogstadt in der Toskana (Bibliothek des Deutschen Historischen Instituts in Rom 41), Tübingen 1972, hier 402ff. Er skizziert zusammenfassend die innerstädtische politische Konstellation, die den Reformansätzen Anselms im Wege standen und schließlich zu seinem Sturz führten. Darüber hinaus betont er in stärkerem Maße als die ältere Forschung, daß Anselm außer der Durchsetzung der Kanonikerreform auch eine „monastische Konzeption" (ebd., 404) verfolgt habe. Bei seinen Bestrebungen genoß er die volle Unterstützung Papst Gregors VII. Vgl. außerdem Theo Kölzer, .Anselm von Lucca", in LexMA, Bd. 1 (1980) Sp. 679f. Horst Fuhrmann, Einfluß, Bd. 2, 510. Wilfried Hartmann, Investiturstreit, 31, zu den Ereignissen, die dazu führten, daß keiner von Gregors Wunschkandidaten, also auch nicht Anselm, sein Nachfolger wurde. Wilfried Hartmann, .Autoritäten", 431. Wilfried Hartmann, .Autoritäten", 431.

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Am ausführlichsten innerhalb der gregorianischen Kanonistik griff Anselm auf Pseudoisidor zurück, daneben war ihm die 74-Titel-Sammlung eine weitere Vorlage.75 Paul Fournier und Gabriel LeBras konstatierten außerdem die Benutzung von Texten, die vor Anselm kaum oder gar nicht bekannt waren, die ihm aber offenbar geeignet schienen, den Primatsanspruch der römischen Kirche zu untermauern.76 Die Bedeutung der Collectio Canonum läßt sich an zwei Punkten festmachen. Zum einen sticht die Originalität in der Auswahl der Belege hervor, wenn er etwa, wie oben bereits angesprochen, auf regional-kirchliche Gesetzestexte aus dem gallischen oder germanischen Einflußbereich verzichtete. Zum anderen ist die Sammlung, wenngleich sie ihre volle Wirkung erst zu Beginn des 12. Jahrhunderts erreichte, mit ihren zum Teil neuen theoretischen Gedanken über einzelne Grundsatzfragen zur wichtigsten und einflußreichsten Kirchenrechtssammlung der gregorianischen Ära, zum „Haupt einer Serie von Sammlungen"77 in Italien geworden. Bischof Ivo von Chartres (1091-1115/17)78 zählt zum Kreis der nachgregorianischen Reformanhänger. Seine Ansichten und die Art und Weise, sie zu verfechten, heben ihn jedoch von den anderen Reformern, vor allem denen des gregorianischen Italien, etwas ab. Ivo erhielt seine Ausbildung in Paris und durch Lanfrank in Bec, wo er ein Mitschüler Anselms von Canterbury war und wo auch Anselm von Lucca einst Station gemacht hatte. Seine verschiedenen Aufgaben als Kleriker führten ihn mit der Zeit über eine Pfründe in der Picardie und das Amt des Propstes der Regularkanoniker von Saint-Quentin schließlich nach Chartres, wo er 1090 zum Bischof gewählt und von Papst Urban II. geweiht wurde. Das Bischofsamt mit seinen alltäglichen Anforderungen verhalf ihm in seinen Bestrebungen hinsichtlich der Durchsetzung der Reform von Kirche und Klerus zu ausgewogenen und realistischen Positionen,79 die sich unter anderem an seinen kanonistischen Arbeiten ablesen lassen. Der Zusammenstellung und Systematisierung des Kirchenrechts widmete er sich mit besonderer Ausführlichkeit. Insgesamt drei groß angelegte Kanonessammlungen stammen aus seiner Feder: das Decretum, die Panormia und wahrscheinlich auch die Collectio tripartita. Alle drei sind zwischen 1091 und 1096 entstanden, stehen also, was vor allem im Hinblick auf seine Behandlung des Eherechts von Interesse ist, in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit der Scheidungsaflare des französischen Königs, in die Ivo ja selbst auch involviert war.80 Die beiden letzteren nur sollen in die vorliegende Untersuchung einfließen.81 Eine erste Besonderheit hinsichtlich der Intention der beiden Sammlungen ergibt sich aus der Behandlung des Primatsgedankens. Während die anderen gregorianischen Samm75

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Horst Fuhrmann, Einfluß, Bd. 2, 512, vollzieht nach, daß bei der Übernahme pseudoisidorischer Texte die Sammlung selbst Anselms Hauptquelle war und er den geringeren Teil aus weiteren Werken übernommen hat. Paul Fournier/Gabriel LeBras, Histoire, Bd. 2, 31. Paul Fournier/Gabriel LeBras, Histoire, Bd. 2, 31. Über Leben und Wirken Ivos vgl. v.a. Rolf Sprandel, Ivo von Chartres und seine Stellung in der Kirchengeschichte (Pariser Historische Studien 1), Stuttgart 1962; Peter Landau, „Ivo von Chartres", in TRE, Bd.16 (1987) 422-427. Bei aller grundsätzlichen Anerkennung der päpstlichen Zentralgewalt scheint ihm das wichtigste Anliegen die Garantie der episkopalen Entscheidungsfreiheit im konkreten Fall und die Einschränkung der Befugnisse der päpstlichen Legaten gewesen zu sein. Vgl. Wilfried Hartmann, .Autoritäten", 444f. Horst Fuhrmann, Einfluß, Bd. 2, 544. Von der Collectio tripartita liegt bislang keine Edition vor.

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Die

Quellen

lungen an oberster Stelle den Primat der römischen Kirche betonten oder, noch im Gegensatz dazu, Burchard Jahrzehnte vor der Reform die Eigenständigkeit der Bischöfe verfocht, stellte Ivo, wenn er auch in seiner Vorrede bei der Aufzählung seiner Quellen an erster Stelle die Papstbriefe nannte, indirekt die Bibel als oberste Autorität an den Anfang 82 und entzog sich somit zunächst einer entschiedenen Parteinahme. Den besonderen Stellenwert, den er dieser Instanz einräumte, vermitteln weniger eigentliche Bibelzitate als vielmehr die Wiedergabe der Lehre des Augustinus, deren Ausgangspunkt die Annahme, daß allein die Bibel nicht irrt, daß sie nicht verfälscht und unwandelbar ist, gewesen war. Gleichfalls durch Augustinus gelangte Ivo zu der alten Unterscheidung zwischen irdischem und göttlichem Recht, wobei er als einziger unter den Reformkanonisten zu einem Verständnis vom Kirchenrecht als irdischem und damit nicht unbedingt unwandelbaren Recht gelangte. 83 Dieses Urteil läßt auf eine gewisse Nüchternheit und Bodenständigkeit des Bischofs schließen. Eine weitere Abgrenzung von seinen gregorianischen Vorgängern ist zumindest in seinem Dekret noch gegeben. Hierin hat Ivo nämlich dem Laienrecht einen breiten Raum gelassen 84 und zwischen die beiden großen Abschnitte Kirchenrecht und Laienrecht das Eherecht geschaltet. In der Panormia hat er dann das Auseinanderrücken von Kirche und Laienwelt und das Empfinden, daß das Laienrecht nicht mehr in eine Kirchenrechtssammlung aufgenommen werden sollte, umgesetzt und den die Laien betreffenden Teil unterdrückt, was bei seinen unmittelbaren Vorgängern bereits der Fall gewesen war.85 Auch die Auswahl seiner Quellen trennt Ivo von den gregorianischen Kanonisten, deren hauptsächliches Kriterium für die Aufnahme von Rechtssätzen, nämlich ihre Ausrichtung auf Rom hin, sich bei ihm so nicht wiederfindet. In ganz umfangreichem Maß hat er auf

Dies manifestiert sich konkret im Aufbau der Sammlungen. Die Gregorianer etwa lassen sie mit den Kanones über das Papsttum beginnen. Ivo hebt sich insofern von ihnen ab, als er tatsächlich als erstes die Belege fur die Bibel als Spitze der rechtlichen Hierarchie anführt, sein Dekret beginnt mit den Kapiteln über Orthodoxie und Taufe. Vgl. hierzu und zum folgenden Rolf Sprandel, Ivo von Chartres, 56ff., ebenso Horst Fuhrmann, Einfluß, Bd. 2, 546 über die Grundkonzeption des Dekrets: „Römische Kirche und Hierarchie werden hier vom gesamtkirchlichen Leben her betrachtet, nicht das gesamtkirchliche Leben von Rom und dem Aufbau der Kirche her." Wilfried Hartmann, .Autoritäten", 436, betont dagegen die „überragende Position des päpstlichen Rechts", die er auch bei Ivo gegeben sieht. Rolf Sprandel, Ivo von Chartres, 63f. Bis in die Zeit der gregorianischen Reform spielte das Laienrecht in den Kirchenrechtssammlungen eine große Rolle und manifestierte sich vor allem in der Aufnahme der Bußordnungen. Wie wichtig und erforderlich dies war, zeigt die Einzelwirkung und -Verbreitung des 19. Buches des Decretum Burchardi, wie oben bereits angesprochen. Rolf Sprandel, Ivo von Chartres, 74. Die Begründung dafür, daß das Laienrecht von den Gregorianern nicht in die Kanonessammlungen übernommen wurde, sieht Sprandel in der Vorstellung, daß alles kanonische Recht von der päpstlichen Autorität herkommt; was also von den Päpsten nicht erwähnt wurde, fand keine Aufnahme in ihre Kompilationen, ebd., 66: „Das neue Verständnis von der Herkunft des kanonischen Rechts führte zu einer Überprüfung der Tradition. Naturgemäß wurde besonders das Laien- und Bußrecht ausgeschieden, denn dieses war am wenigsten der Inhalt von Dekretalen und Kanones oekumenischer Konzile und römischer Synoden gewesen." Insgesamt setzt die Panormia andere Schwerpunkte, setzt sich intensiver mit den innerkirchlichen Problembereichen auseinander, läßt vieles aus, was das Decretum noch verzeichnete und wird als eine „methodisch-inhaltlich gestraffte Neubearbeitung" desselben gesehen. Eine Zwischenstellung kommt bei der Trennung in kirchliches und weltliches Recht dem Eherecht zu, welches aus noch näher zu erörternden Gründen stets Aufnahme in die kanonischen Rechtsaufzeichnungen fand.

Das Kirchenrecht

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das Dekret Burchards von Worms und dessen Belegstellen zurückgegriffen.86 Über Burchard gelangte er auch zur Aufnahme der Beschlüsse der cisalpinen Konzilien, die ansonsten von den Reformern aus programmatischen Gründen eher umgangen worden waren.87 Eine andere Hauptquelle Ivos stellt seine eigene Collectio tripartita dar. Aus ihr und aus Burchards Dekret stammen u.a. große Teile pseudoisidorischer Texte. 88 Einen großen Stellenwert hinsichtlich ihrer Glaubwürdigkeit hatten für den Chartreuser Bischof die Schriften der Kirchenväter,89 wie es schon seine Rezeption augustinischer Lehren andeutete. In bezug auf das Laienrecht fanden auch Quellen weltlichen Rechts, römischer und karolingischer Provenienz in Ivos Sammlungen Eingang.90 Der wegbereitende Charakter von Ivos Werk für die Entwicklung der hochmittelalterlichen Kanonistik ist unbestritten. Seine Methode der Unterteilung in Kategorien und seine Präzisierung des Dispensrechts91 läßt ihn diese Bedeutung erlangen. Man sieht in ihm einen direkten Vorläufer Gratians.92 Rolf Sprandel befand, daß das Werk Gratians ohne die kirchenrechtlichen Arbeiten Ivos von Chartres nicht denkbar gewesen wäre.93 Während aber das Dekret eine vergleichsweise unübersichtliche Zusammenstellung war, der Paul Fournier eine innere Gliederung absprach und die er als „grobgeordnetes Magazin" bezeichnete,94 zeichnete sich die Panormia durch eine viel stärkere Systematisierung und Klarheit aus, was ihre große Verbreitung und ihren Erfolg, der auch an der handschriftlichen Überlieferung erkennbar ist, erklärt.9 Wohl zu Beginn der vierziger Jahre des 12. Jahrhunderts war die Kirchenrechtssammlung des Magisters Gratian (gest. nach 1140),96 über dessen Person nicht viel Gesichertes gesagt werden kann, außer daß er an Bolognas Rechtsschule lehrte, fertig-

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Rolf Sprandel, Ivo von Chartres, 68f.; Horst Fuhrmann, Einfluß, Bd. 2, 546; Wilfried Hartmann, .Autoritäten", 437: Ivo habe „Burchards Werk ergänzen und vervollständigen" wollen. Die Quellen Ivos sind systematisch zusammengestellt bei Paul Foumier/Gabriel LeBras, Histoire, Bd. 2, 69ff. Wilfried Hartmann, .Autoritäten", 431 über Anselm von Lucca. Ansonsten übernahm er diese aus den Falschen Dekretalen direkt sowie den Capitula Angilramni. Hierzu vgl. Horst Fuhrmann, Einfluß, Bd. 2, 545ff. Fuhrmann konstatierte insgesamt eine „große pseudoisidorische Übernahme" (ebd., 545) und bescheinigte Ivo eine gute Kenntnis der Falschen Dekretalen (ebd., 562). Paul Foumier/Gabriel LeBras, Histoire, Bd. 2, 75ff. Paul Foumier/Gabriel LeBras, Histoire, Bd. 2, 78. Über den Begriff der dispensatio bei Ivo von Chartres vgl. Rolf Sprandel, Ivo von Chartres, 77ff. Peter Landau, „Neue Forschungen zu vorgratianischen Kanonessammlungen und den Quellen des gratianischen Dekrets", in Ius commune 11 (1984) 1-29, hier 15f., nennt unter den sicheren unmittelbaren Quellen Gratians die Panormia und die Collectio Tripartita Ivos und als Quelle, die der Magister mutmaßlich benutzte, das Dekret des Bischofs. Rolf Sprandel, Ivo von Chartres, 176. Die Relationen zwischen den Sammlungen des Bischofs und der des Magisters erörtert er ebd., 60£f. Demgegenüber scheint die Einschätzung von Peter Landau, „Forschungen", 15 und 25ff. etwas relativiert, denn er betont auch den Einfluß anderer zeitlich naheliegender Sammlungen auf die Concordia Gratians. Nach Horst Fuhrmann, Einfluß, Bd. 2, 546. Über die Unterschiede der beiden jüngeren Sammlungen des Bischofs vgl. auch Paul Foumier/Gabriel LeBras, Histoire, Bd. 2, 98: „Ici encore se manifeste la difference qui separe la Panormia du Decret; celle-lä est un recueil ou rien n'a ete neglige de ce qui en pouvait faciliter l'usage; celui-ci n'est qu'une collection de materiaux a peine classes et souvent laisse ä l'etat brut." Über die Wirkung Ivos im kanonistischen Bereich Paul Foumier/Gabriel LeBras, Histoire, Bd. 2, 97ff. Eine zusammenfassende Einschätzung bietet etwa auch Hubert Mordek, „Kanonistik", 70. Hartmut Zapp, „Gratian", in LexMA, Bd. 4 (1989) Sp. 1658.

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Die Quellen

gestellt. Die Bedeutung seines umfangreichen Dekrets für die Kanonistik ist nie bezweifelt worden. Diese hängt auch mit einem neuartigen Anspruch zusammen, was die Methode bei der Zusammenstellung der Texte betrifft. Der vollständige ursprüngliche Titel Concordia discordantium canonum91 bringt bereits seine Zielsetzung zum Ausdruck. Gratian zeichnete sich aus durch sein Gespür für die Widersprüche innerhalb des Kirchenrechts und dessen Unbrauchbarkeit, die damit zuweilen verbunden war. Im Gegensatz zu den Sammlungen seiner Vorgänger folgt sein Dekret mit der differenzierten und nach Themen, Fragen und Belegen hierarchisierten Einteilung in Causae, Questiones und Canones einem stark systematisierten Plan. 98 Während seine Vorgänger noch oftmals einander widersprechende Kanones in direkter Abfolge zitierten - unabsichtlich oder teilweise vielleicht auch ganz bewußt, denn damit wurde auch ein breiterer Handlungsspielraum gewahrt sortierte der Magister seine Quellen nach ihrer in seinen Augen gegebenen Richtigkeit bzw. Unrichtigkeit und traf allein dadurch bereits eine eigene Wertung. Als einer der ersten Kanonisten (vor ihm flocht nur Bonizo von Sutri in seinem Liber de vita Christiana eigene Kommentare zwischen die Kanones") bezog er darüber hinaus auf mitunter sehr ausfuhrliche Weise auch explizit Stellung. Neben Kommentaren zu einzelnen Belegstellen sowie zwischen den positiven und negativen Textgruppen, wo er auf oftmals recht deutliche Weise auf Unrichtigkeiten bestimmter Ansichten hinwies, ließ er am Ende eines jeden Fragenteils eine Art Zusammenfassung folgen, in der er auf die eingangs der jeweiligen Causa formulierten Fragen Antworten zu geben versuchte, um somit festzulegen, welcher Autorität in der speziellen Frage zu folgen war. Ebenfalls im Gegensatz zu seinen Vorgängern hatte für Gratian bei der Rezeption und Behandlung des tradierten kirchlichen Rechts nicht der Nutzen für den politisch-programmatischen Hintergrund Priorität, sondern die bei der Benutzung des Kirchenrechts auftauchenden Fragen und Probleme. Es scheint, daß er hinsichtlich der Erfassung des zur Verfügung stehenden Materials weitgehende Vollständigkeit anstrebte. In großem Umfang rezipierte er die Schriften der Kirchenväter 100 sowie die vorhandenen Kirchenrechtssammlungen, in der Hauptsache wohl diejenigen, die in nicht allzu großer zeitlicher Entfernung vor ihm entstanden waren, als unmittelbare Quellen.101

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Eine kritische Übersicht über die umfangreiche Literatur zum Decretum Gratiani findet sich bei Horst Fuhrmann, Einfluß, Bd. 2, 563f., Anm. 375. Vgl. hierzu grundlegend Hans Erich Feine, Gliederung und Aufbau des Dekretum Gratiani (Studia Gratiana 1), Rom 1953. Ihm zufolge ist besser von einem „Gedankengang" als von einem „System", dem die Aneinanderreihung der Themen nach inhaltlichen und weniger nach logischen Zusammenhängen folge, zu sprechen. Vgl. ebd., 357f. Ursula Lewald, „Das Eherecht in Bonizos von Sutri Liber de Vita Christiana", in Festschrift Ulrich Stutz zum siebzigsten Geburtstag dargebracht von Schülern, Freunden und Verehrern. Kanonistische Abteilung, Weimar 1938, 560-598, hier 561. Allgemeines zum Liber de vita Christiana vgl. Paul Fournier/Gabriel LeBras, Histoire, Bd. 2, 139ff. und Horst Fuhrmann, Einfluß, Bd. 2, 5 3 4 f l Wie diffizil es ist, zu rekonstruieren, auf welchem Wege die alten Kanones im einzelnen Eingang in sein Dekret gefunden haben, und welche konkreten Aufgaben in diesem Zusammenhang sich der Forschung stellen, referiert Peter Landau, „Forschungen", 13ff. Vgl. Horst Fuhrmann, Einfluß, Bd. 2, 575f. Auf dem Wege der Sammlungen gelangten die meisten der von ihm übernommenen Pseudo-Isidor-Sentenzen in sein Dekret, d. h., wenn er sie nicht den Falschen Dekretalen direkt entnahm, bezog er sie aus der Collectio Anselms von Lucca. Zu den Vorlagen, die Gratian benutzte, vgl. Peter Landau, „Forschungen", 13ff.

Das

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Kirchenrecht

Bei alledem verhält es sich wohl so, daß auch Gratian eine gewisse Tendenz - oder besser: ein bestimmtes Anliegen durchblicken läßt. Was sich zu Reformzeiten bereits angedeutet hatte und im Zusammenhang mit den Sammlungen Ivos von Chartres schon angesprochen wurde, war nach H. Fuhrmanns Einschätzung auch die Zielsetzung Gratians, nämlich die Trennung der geistlichen und weltlichen Kompetenzen innerhalb der Rechtsprechung, vor allem, daß „die kirchlichen Würden dem laikalen Zugriff entzogen" würden. De facto erreichte das Dekret nicht eben Gesetzescharakter, avancierte aber binnen kurzem zur Grundlage der im Entstehen begriffenen wissenschaftlichen Kanonistik. Schon kurze Zeit nach seiner Fertigstellung setzte eine intensive Beschäftigung damit an den Schulen, in der Summen- und Glossenliteratur103 und an der Kurie1 4 ein. Für die Kanonisten war von nun an das Werk Gratians das Maß der Dinge, zumindest in der Form, daß sie eigene Anschauungen und Differenzierungen auf seinem Werk aufbauten, und diese Stellung wurde durch Gregor IX. (1227-1241) gefestigt, der 1230-1234 im sogenannten

Uber

extra

(Uber

decretalium

extra

decretum

vagantium)

alle

nachgratianischen Dekretalen zusammenstellen ließ und neben dieser neuen Zusammenstellung allein dem Decretum seine Gültigkeit beließ.105 In allen vier Kompilationen spielte das Eherecht zweifellos eine wichtige Rolle, die sich auch im Umfang der dieser Thematik gewidmeten Kapitel niederschlägt. Sowohl Burchard als auch Anselm und Ivo (in beiden Sammlungen) behielten der Behandlung der Ehe ein ganzes, in sich abgeschlossenes Buch vor,106 und Gratian behandelte in zehn Causae ausschließlich eherechtliche Fragen.107 Es wurde bereits festgestellt, daß dem Laienrecht insgesamt in den vorgratianischen Sammlungen einige Bedeutung beigemessen wurde, weniger allerdings von den Gregorianern. Schon Regino von Prüm hatte dem Laienrecht große Aufmerksamkeit gewidmet, und diese Tradition wurde von Burchard aufgegriffen und fortgesetzt. An der Anordnung der einzelnen Rechtsbereiche innerhalb der Sammlungen läßt sich ablesen, welche Wichtigkeit das Eherecht für die Kanonisten hatte. Stets erscheint es gegenüber den Buß102 103

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Horst Fuhrmann, Einfluß, Bd. 2, 584. Die wichtigsten Kommentatoren bis ins 13. Jahrhundert hinein nennt Gabriel LeBras, „Le mariage", 192. Vgl. auch Rudolf Weigand, „Glossatoren", in LexMA, Bd. 4 (1989) Sp. 1504-1507. Vgl. Walter Holtzmann, „Die Benutzung Gratians in der päpstlichen Kanzlei im 12. Jahrhundert", in StudiGratiani 1 (1953)323-349, hierv.a. 345ff. Zur Dekretalensammlung Gregors IX. vgl. Hans Erich Feine, Kirchliche Rechtsgeschichte. Bd. 1: Die Katholische Kirche, 5. Aufl. Köln 1972, 254ff. Die Dekretalen, Extravagantes genannt, weil sie nicht mehr im Decretum Gratiani zu finden waren, wurden in zahllosen eigenen Sammlungen zusammengestellt und standen seither nur in sehr unübersichtlicher, dem zunehmenden Bestreben nach Einheitlichkeit nicht genügender Weise zur Verfügung. Dem versuchte Gregor IX. ein Ende zu setzen, als er eine neue Kompilation der Dekretalen unter dem Aspekt der sachlichen Ordnung und Beseitigung von Widersprüchen in Auftrag gab. Durch die Dekretalen Gregors IX. wurden alle vorangehenden Kompilationen und die nicht aufgenommenen Dekretalen außer Kraft gesetzt, allein das Decretum Gratiani behielt, wenn auch auf andere Weise, seine Gültigkeit. Man hat den Liber extra auch eine „amtliche, authentische, einheitliche, universale und ausschließliche Kodifikation" genannt (Hans Erich Feine, Kirchliche Rechtsgeschichte, 255). Burchard: Decretorum liber nanus: De feminis non consecratisr, Anselm: Liber decimus. De coniugiis; Ivo, Decretum: Decreti pars octava. De legitimis coniugiis und Panormia: Liber sextus. De nuptiis et matrimoniis. Gratian, C.27-36.

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Die Quellen

Ordnungen, also jenen auf die Laien zugeschnittenen Partien, an vorrangiger Stelle, in direktem Anschluß an alle die Kirche und den Klerus betreffenden Bücher. Dies vermittelt den Eindruck, daß man das Eherecht nicht zum eigentlichen Laienrecht zählte und somit einen stärkeren Anspruch der Kirche auf diesen Bereich betonte. Dieser Eindruck wird bestätigt durch die Tatsache, daß, als in gregorianischer Zeit und erst recht bei Gratian die Tendenz, das Laienrecht vom Kirchenrecht abzusondern, stärker wurde, die Eherechtsbestimmungen davon nicht betroffen waren. Die Entwicklung spiegelt sich auch in der Haltung der einzelnen Autoren zu den grundsätzlichen Fragen und in der Auswahl der Quellen wider. Dies kann am Beispiel des Prinzips der Unauflöslichkeit der christlichen Ehe - welches an späterer Stelle noch ausführlicher zu betrachten ist - verdeutlicht werden. Bei Burchard schimmerte zunächst eine vergleichsweise liberale Einstellung durch, etwa bei der Frage, wie zu verfahren war, wenn der Ehemann aus irgendwelchen Gründen in ein anderes Herzogtum oder eine andere Provinz fliehen mußte und seine Gemahlin ihn nicht dorthin begleitete.108 Die Zurückbleibende mußte, auch wenn ihr Mann nie wieder zurückkam, solange er mutmaßlich noch am Leben war, unverheiratet bleiben. Was dagegen den Mann betraf: Jlle vero qui necessitate cogente in alia patria manet, si nunquam in suam patriam se reversurum sperat, si se continere non potest, aliam uxorem accipiat, tarnen cum poenitentia."X09 Die erneute Heirat des Mannes wurde also als eher harmloses, durch eine Buße leicht wieder gutzumachendes Vergehen gesehen. Ivo, der ansonsten sehr viele Kanones in derselben Reihenfolge und wortwörtlich, zum Teil mit darin enthaltenen Widersprüchen, von Burchard übernahm, zitierte zwar auch hier denselben Beleg, unterschlug aber den Zusatz über die mögliche Wiederverheiratung des Mannes, vielleicht um deutlicher für die prinzipielle Unauflöslichkeit auch einer solchen, räumlich getrennten ehelichen Verbindung Stellung zu beziehen. 110 Ebenso verfuhr Gratian.111 Anselm nahm diesen Satz - wohl aufgrund dessen Herkunft - nicht in seine Sammlung auf. Ein ähnlicher Befund ergibt sich auch da, wo es um die Gültigkeit von Ehen zwischen Getauften und Ungetauften und um die Anerkennung einer zwischen Heiden geschlossenen Ehe geht. Burchard ließ hier zwei Möglichkeiten offen, zum einen führte er einen Beleg für die mögliche Scheidung nach der Taufe vom ungläubig gebliebenen Partner an 112 , zum anderen einen Kanon, der besagt, daß durch eine Taufe das eheliche Band nicht aufgehoben wird. 113 Es geht daraus nicht eindeutig hervor, wie die heidnische eheliche Verbindung hinsichtlich ihrer Gültigkeit von ihm bewertet wurde. Ivo übernahm in diesem Fall die Belege mitsamt ihrem Widerspruch im Dekret wie in der Panormia,UA während Gratian sie differenziert betrachtete und zu dem Ergebnis kam, daß in Ehen zwischen Christen und Nichtchristen der gläubige Teil den Partner zwar wegschicken kann, dann aber, solange er lebt, keine andere Ehe schließen darf. Geht die Trennung jedoch vom un-

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Burchard, lib. IX, c. 54. Den Kanon des Konzils von Verberie 756 übernahm Burchard von Regino von Prüm, Libri duo de synodalibus causis, hg. v. F.G.A. Wasserschieben, II, 123. Burchard, lib. IX, c. 54. Ivo, Decretum lib. VIII, c. 189 und Panormia, lib. VI, c. 91. Gratian C.34. q.l c.4. Burchard lib. IX, c. 60: si unus ex coniugatis baptizatus est, et alter gentilis, et sequi non vult, sit sicut dicit Apostolus: Infidelis si discedit, discedat. " Burchard lib. IX, c. 61: „Si quis habuerit uxorem virginem ante baptisma, vivente ilia post baptisma alteram habere non potest. Crimina in baptismo solvuntur, non coniugia. " Ivo, Decretum lib. VIII, c. 196f. und Panormia lib. VI, c. 97f.

Das Kirchenrecht

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gläubigen Partner aus, ist es dem christlichen Teil erlaubt, sich wieder zu vermählen. Dies gilt allerdings nur für den Fall, daß ursprünglich beide heidnisch waren und einer sich taufen ließ, und nicht für den Glaubensabfall eines der Partner. 115 Man hat bei Burchard eine vergleichsweise zögerliche Haltung, gerade was die Unauflöslichkeit der christlichen Ehe betrifft, konstatiert und Mutmaßungen über die Gründe für die fehlende Konsequenz angestellt. J. Gaudemet vermutete, daß ihm eine gewisse Liberalität von der Adelsgesellschaft seiner Umgebung und der von ihr gepflegten Ehepraxis aufgezwungen wurde.116 Dies deckt sich mit der Auffassung P. Daudets, Burchards Sammlung fiele noch in eine Zeit, in der die ausschließliche kirchliche Kompetenz in Ehefragen noch lange nicht erreicht gewesen sei, während die Stellung der Kirche am Ende des 11. Jahrhunderts in diesem Punkt bereits sehr viel unangefochtener gewesen sei.117 In der Tat scheinen Anselm und Ivo kompromißlosere Verfechter des Gedankens von der Unauflöslichkeit gewesen zu sein. Im Falle Ivos von Chartres erlaubt es die günstige Überlieferungslage, der wir nicht nur die Auflistung von Gesetzestexten des eher juristischwissenschaftlich interessierten Theologen, sondern gleichzeitig eine Reihe von Briefen aus der bischöflichen Praxis desselben Mannes verdanken,118 neben der Kenntnis einiger Aspekte des zeitgenössischen Eheverhaltens einen Einblick in die Art und Weise, wie die Rechtsinstanzen, in diesem Fall die Bischöfe, den Weg zwischen den kirchenrechtlichen Normvorgaben und den real anzutreffenden Zuständen fanden. Insgesamt 52 seiner Briefe beschäftigen sich mit Eheangelegenheiten. 119 Sie lassen aufgrund der zumindest in Teilen weniger strengen Auslegung des Rechts, die aus ihnen hervorschimmert, 120 auf eine eher realistische Einschätzung der Gegebenheiten seinerseits schließen,121 gleichzeitig legen sie aber auch Zeugnis darüber ab, daß er mitunter sehr hartnäckig seine Auffassung durchzusetzen versuchte, man denke nur an sein Engagement in der EheafFäre König Philipps I.

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Die grundsätzliche Diskussion um die Anerkennung von nicht-christlichen Ehen führt Gratian in C.28 q . l . Er ist der Ansicht, daß es eine rechtmäßige Ehe zwischen Ungläubigen nicht geben könne: Legilimum coniugium est, quod legali institutione vel provinciae moribus contrahitur. Hoc inter infideles ratum non est, quia non est firmum et inviolabile coniugium eorum." (C.28 q.l c.17 Dictum post). Mit seiner differenzierten Sichtweise der Ehescheidung zwischen Nicht-Christen und Christen bewegt er sich kaum über die Paulus-Aussage in I Cor 7, 12ff. hinaus, wo es heißt: „Si quis frater uxorem habet infldelem et haec consentit habitare cum illo, non dimittat illam et si qua mulier habet virum infldelem et hic consentit habitare cum illa, non dimittat virum. Sanctiflcatus est enim vir infldelis in mutiere fldeli et sanctificata est mulier infldelis per virum fldelem. " Gratian kommentiert seine Belege, wie folgt: „Hic distinguendum est, aliud esse dimittere volentem cohabitare, atque aliud discedentem non sequi. Volentem enim cohabitare licet quidem dimittere, sed non ea vivente aliam superducere; discedentem vero sequi non oportet, et ea vivente aliam ducere licet. " (Gratian, C.28 q.2 c.2 Dictum post). Vgl. hierzu Willibald Plöchl, Das Eherecht des Magisters Gratian (Wiener Staatsund Rechtswissenschaftliche Studien 24), Leipzig/Wien 1935, hier 93ff. Jean Gaudemet, Le manage, 241. Pierre Daudet, L 'etablissement, 68 u.ö. Ivo von Chartres, Epistolae, Migne PL 162, Sp. 1 1 - 5 0 4 . Vgl. Peter Landau, „Ehetrennung", 156, Anm. 27 zählt die einzelnen Briefe auf. Im allgemeinen war Ivo wohl durchaus bemüht, seine Haltung nachdrücklich zu formulieren und zur Durchsetzung zu bringen, doch stammt auch von ihm selbst eine Äußerung, daß je nach Lage der Dinge auch ein abwägendes Vorgehen zu verfolgen sei. Hierzu vgl. Brigitte Basdevant-Gaudemet, „Le mariage d'apres la correspondance d'Yves de Chartres", in Revue historique de droit francais et etranger 61 ( 1 9 8 3 ) 1 9 5 - 2 1 5 .

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Die Quellen

Insgesamt entsprechen sich die thematischen Schwerpunkte, die die Kanonisten in bezug auf das Eherecht setzten, weitgehend. So betreffen die zitierten Sentenzen das Wesen der Ehe im christlichen Sinn, ihren Sakramentcharakter, den Stand der Eheleute, Bestimmungen über das Zustandekommen des coniugium u.a., wobei der Ehelehre des Augustinus als Autorität größte Bedeutung zukommt. Vor dem Hintergrund der christlichen Ehetheologie sind die Problemfalle, wie die heimliche Eheschließung, die Ehe zwischen Verwandten und hierbei v.a. die Diskussion um die Definition von Verwandtschaft, Ehebruch, Ehen von Geistlichen, Bigamie (im Sinne von mehrmals nacheinander verheiratet), thematisiert, die wiederum die Beschäftigung des Kirchenrechts mit Ehehindernissen und Ehescheidung, Gegenstand der weitaus meisten Kanones in allen vier Sammlungen, prägen. Bei der Betrachtung der kirchenrechtlichen Texte dürfen die Folgen, die sich aus ihrem normativen Charakter für die historische Interpretation ergeben, nicht übersehen werden. Nur bedingt können, wie stets im Umgang mit Rechtstexten, mit ihrer Hilfe Aussagen über die wirklichen Verhältnisse getroffen werden, denn in erster Linie ist die Niederschrift des Rechts, wenngleich sie häufig auf Präzedenzfallen beruhte, Ausdruck der jeweiligen Vorstellung von einem Idealzustand und zugleich der Versuch, ein Instrumentarium zu schaffen, welches in der Rechtspraxis, indem sich die Rechtsprecher an ihm orientierten, diese Idee zu realisieren helfen sollte. Daß die Sammlungen unterschiedliche Tendenzen aufweisen, daß also dahinter jeweils eine Vorstellung eigener Prägung stehen konnte, wurde bereits ausgeführt. Es muß also bei der Befragung und Interpretation berücksichtigt werden, daß es in der fraglichen Zeit noch kein völlig einheitliches Kirchenrecht gab und somit auch kein ganz einheitliches gesamtkirchliches Wertesystem für den Umgang mit eherechtlichen Problemen, und daß, gerade in reformerischen Zeiten, die Verbreitung und auch die Rezeption bestimmter Sammlungen Teil eines bestimmten Programms sein konnte. Die lange Tradition der Uneinheitlichkeit vermitteln uns im übrigen die Aufnahme und Zusammenstellung widersprüchlicher Quellen in den Sammlungen selbst. Um hier zumindest ansatzweise ein ergänzendes Bild entwerfen zu können, ob und wie nämlich die Vorgaben, wie sie in den Kanones zu finden sind, im konkreten Fall den Gang der Entscheidung beeinflußten, muß Material herangezogen werden, welches die Wirklichkeit der Rechtsprechung widerspiegelt. Unter den überlieferten Konzilsakten, bischöflichen Urkunden und Briefen wie auch in der päpstlichen Gesetzgebung dem Uber extra zufolge findet sich eine Reihe von Dokumenten, aus denen hervorgeht, daß man sich auch auf der Seite der Hierarchie mit der Problematik konfrontiert sah und reagieren mußte. Sie sollen hier der Analyse der Kanonessammlungen zur Seite gestellt werden. Wenn dabei auch keineswegs Vollständigkeit beansprucht werden kann und soll, was etwa die bischöfliche Überlieferung angeht, so lassen sich doch anhand der recherchierten Beispiele einige Tendenzen, die sich im Kirchenrecht abzeichnen, auch für die Rechtspraxis erkennen.

3

Die normativen Vorgaben: Ehetrennung und monastische conversio im hochmittelalterlichen Kirchenrecht

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Ehescheidung und Ehetrennung in kirchenrechtlicher Sicht: die Rahmenbedingungen

W e n n v o n Ehetrennung i m mittelalterlichen Kirchenrecht die Rede ist, so ist dabei stets zu bedenken, daß das oberste Gebot der christlichen Ehelehre, die prinzipielle U n a u f l ö s lichkeit des Ehebandes, die Bestimmungen der Kanones und die dahinterstehenden Vorstellungen trug. 1 Eine Ehescheidung i m eigentlichen Sinne, also die L ö s u n g des e h e l i c h e n vinculum, war den biblischen, in der Hauptsache neutestamentlichen Grundlagen 2 und der darauf aufbauenden Lehre der Kirchenväter zufolge nicht o h n e Verstoß g e g e n das kanonische Recht möglich. A u s d e m Verbot der Ehescheidung, w e l c h e s Jesus ausgesprochen hatte, 3 und den Vorstellungen v o n der körperlichen Einheit z w i s c h e n M a n n u n d Frau 4 s o w i e v o n der Entsprechung zwischen der Vereinigung Christi mit der Kirche u n d der E h e zweier Menschen 5 , ergab sich das dogmatisch nachhaltig wirksame Prinzip 1

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Vgl. zum folgenden allgemein den Artikel über die „Ehe", in LThK, Bd. 3 (1959) Sp. 675-699, hier v. a. Kap. III und IV, sowie „Ehe", in LexMA, Bd. 3 (1986) Sp. 1616-1648, hier v. a. Kap. A-C; Joseph Freisen, Geschichte, 769ff.; Gabriel LeBras, „Le Mariage", 195: „L'originalite majeure du christianisme est l'indissolubilite presque sans reserve"; Giorgio Picasso, „I fondamenti del matrimonio nelle collezioni canoniche", in: II matrimonio nella societä altomedioevale (Settimane di Studio del Centro italiano di Studi sull'alto Medioevo 24, Spoleto 22-28 aprile 1976), Bd. 1, Spoleto 1977, 191-231; Jean Gaudemet, Le mariage, 4 5 f. Zur Ehelehre nach dem NT vgl. etwa George H. Joyce, Die christliche Ehe. Eine geschichtliche und dogmatische Studie, Leipzig 1934, hier248ff. Mc 10,9: „ Quod ergo Deus iunxit homo non separet. "; ebenso Mt 19,9. Ursprünglich bereits im AT, Gn 2,24 formuliert: „ Quam ob rem relinquet homo patrem suum et matrem et adherebit uxori suae et erunt duo in carne una... ", setzt sich dieses Bild bei den Evangelisten und in der paulinischen Tradition fort. Vgl. entsprechend Mt 19,5, Mc 10,7f., Eph 5,31. So bringt Paulus, der dieses Bild in einem engen Zusammenhang mit der Idee von der personellen Einheit der Ehegatten sieht, es zum Ausdruck: vgl. etwa Eph 5,23: „Quoniam vir caput est mulieris sicut Christus caput est ecclesiae... " und Eph 5,31 f.: „... propter hoc relinquet homo patrem et matrem suam et adherebit uxori suae et erunt duo in carne una. Sacramentum hoc magnum est...". Dazu auch Jean Gaudemet, Le mariage, 47f. Daß die christliche Ehe darüber hinaus sakramentalen Charakter besitzt - und sie wird später, seit dem 12. Jahrhundert, als eines der sieben Sakramente bezeichnet -, gründet sich also im wesentlichen auf diesen Aspekt der Symbolhaftigkeit. Daneben ist für diese Vorstellung etwa auch der Glaube, daß der Ursprung der Ehe im Paradies (vgl. Gn 2,18-24) liege, von

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Die normativen Vorgaben

der Unauflöslichkeit der Ehe.6 Stets war dieser Grundsatz die Basis, auf der alle Gesetzgebung und Rechtsprechung seitens der Kirche sich vollzog oder doch theoretisch vollziehen sollte. Damit standen durch die Zeiten hindurch drei Kräfte in einem gewissen Spannungsverhältnis zueinander: das christliche Verbot der Scheidung, die zahlreich vorkommenden tatsächlichen Ehescheidungen, die teilweise auf den nachhallenden oder noch immer wirksamen Traditionen des römischen Rechts und der Volksrechte beruhten,7 und schließlich die kirchlichen Autoritäten, die einerseits dem Prinzip verpflichtet waren, sich andererseits jedoch mit den realen Gegebenheiten auseinandersetzen und für sich selbst Regeln finden mußten.8 Da sie dabei nicht immer mit derselben Konsequenz vorgingen, ergaben sich Unterschiede und Widersprüche bei der Auslegung und bei der Formulierung von Rechtssätzen,9 von denen nun zu sprechen sein wird. Alle Argumentationsgänge, angefangen bei den frühchristlichen Konzilien über die Kirchenväter bis hin zu den Beschlüssen der früh- und hochmittelalterlichen Synoden, der Praxis der Bußbücher sowie den in den Kanonessammlungen zur Geltung kommenden Tendenzen nachzuzeichnen, würde an dieser Stelle zu weit führen.10 So soll allein der „Diskussionsstand", wie er durch die ausgewählten Autoren des 11. und 12. Jahrhunderts

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Bedeutung. Diese Aspekte bekräftigten nach der theologischen Lehre nur noch die absolute Unauflöslichkeit des einmal zustande gekommenen Bundes. Zum Sakramentcharakter der christlichen Ehe vgl. Joseph Freisen, Geschichte, 29ff.; Jean Gaudemet, Le manage, 188ff.; Rudolf Weigand, „Liebe und Ehe bei den Dekretisten den 12. Jahrhunderts", in Love and Marriage in the Twelth Century, hg. v. Willy v. Hoecke/Andries Welkenhuysen (Medievalia Lovanensia Series I, Studia VIII), Löwen 1981, 41-58, hier 55ff. Die einzige Ausnahme, die Jesus selbst nach dem Matthäus-Evangelium in bezug auf diesen Grundsatz gestattete, die Scheidung nämlich von einer ehebrecherischen Gemahlin (vgl. Mt 19,9), wurde von Augustinus negiert und besaß in der Folge weniger Bedeutung gegenüber den anderen Evangelien, die die absolute Unauflöslichkeit manifestierten. Vgl. Albert Esmein, Etude, 5Iff. u.ö. zur Entwicklung der Lehre von der Unauflöslichkeit der Ehe. Vgl. zum römischen Eherecht den Artikel zur „Ehe", in LexMA, Bd. 3, Sp. 1621 ff. zum Grundsatz der freien Scheidbarkeit einer Ehe im römischen Recht, sowie ebd., Sp. 1630 zu germanischen Rechten, wo ebenfalls die Ehescheidung gestattet wurde bei entsprechender beiderseitiger Übereinkunft; dazu vgl. auch ,ßivortium", in RE Bd. V, 1 (1903) Sp. 1241-1246; zum Eherecht in den Volksrechten vgl. Hermann Conrad, Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1: Frühzeit und Mittelalter. Ein Lehrbuch, 2. Aufl. Karlsruhe 1962, 208-213, sowie Raymund Kottje, „Eherechtliche Bestimmungen der germanischen Volksrechte (5.-8. Jahrhundert)", in Frauen in Spätantike und Frühmittelalter. Lebensbedingungen Lebensnormen - Lebensformen, hg. v. Werner Affeldt, Sigmaringen 1990, 211-220. Vgl. die Untersuchung von Brigitte Basdevant-Gaudemet, „Le principe de l'indissolubilite du mariage et les difficultes de son applications", in La Femme au Moyen Age. Collections des journees de la faculte de droit Jean-Monnet, Paris 1992, 35-46, die sich mit der Frage auseinandersetzt, inwieweit die Kirche ihren theoretischen Anspruch von den Gewohnheiten der Gläubigen lösen konnte, ebd. 36: „Acquerant, au Haut Moyen Age, une competence exclusive en matiere matrimonial, l'Eglise dut preciser sa doctrine. Elle le fit en repondant aux nombreuses situations concretes sur lesquelles eile avait ä statuer. Mais, pouvait-elle alors faire abstractions des habitudes des fideles auxquels eile s'adressait? Le droit peut-il ignorer le fait?" Die unterschiedlichen Auslegungen durch die Konzilien der Frühzeit, die strenge Linie der Kirchenväter, die regionalen Abweichungen bei der Befolgung des Scheidungsverbots sind dargelegt bereits bei Joseph Freisen, Geschichte, 770ff. Es sei daher auf die ausfuhrliche Darstellung bei Albert Esmein, Etude, v. a. 45fF. und bei Jean Gaudemet, Le mariage, v. a. 23£f. verwiesen, wo gerade für die Frühzeit die Schwierigkeiten und zwangsläufigen Widersprüche kirchlicher Ehegesetzgebung bzw. -rechtsprechung deutlich werden.

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repräsentiert wird, hier reflektiert werden.11 Ohnehin ist, bedingt durch die Art und Weise der Tradition und Rezeption der Kanones, ein Fortleben alter Standpunkte und Interpretationen zu verzeichnen.12 Die vor dem Hintergrund des Prinzips der Unauflöslichkeit einer christlichen Ehe ausgesprochenen und in den Kanones und Dekreten festgehaltenen Urteile zeigen diverse Gründe und Umstände, die bei Ehegatten den Wunsch nach einer Scheidung, möglicherweise auch nach einer Neuvermählung hervorriefen.13 In ihnen spiegelt sich die Bandbreite der Alltagsfälle wider, wie sie im Laufe der Jahrhunderte vor die kirchlichen Instanzen gebracht wurden, und sie reflektieren in gewissem Maße die für die Kirche bestehende Notwendigkeit, sich argumentativ mit der Problematik auseinanderzusetzen, um das Prinzip aufrechterhalten und theoretisch untermauern zu können.14 Die Gesamtheit der Rechtssätze repräsentiert die jeweils zeitgenössischen und durchaus dem Wandel unterworfenen Überlegungen und Vorstellungen darüber, wann und unter welchen Bedingungen in der Tat Gründe vorliegen konnten, die eine Trennung rechtfertigten.15 Teilweise schimmern dabei die Bemühungen um die innere Logik in der Argumentationsfuhrung hervor. Auffällig ist die mit der Zeit hervortretende begriffliche Unterscheidung, die zwischen einer richtiggehenden Scheidung, also einer Lösung des ehelichen vinculum, und einer de facto durchgeführten Trennung der Eheleute, einer Trennung von Tisch und Bett, bei Bestehenbleiben des Bundes und demzufolge unter Ausschluß der Möglichkeit einer anderweitigen Bindung gemacht wurde. Somit ergaben sich zwei grundsätzlich verschiedene Kategorien der Ehetrennung, die man als separatio sacramentalis bzw. separatio Über den Wert der Kanonessammlungen als Quelle fur Vorstellungen und Denkweisen der Zeit vgl. James A. Brundage, Law, 179ff. Es liegt auf der Hand, daß trotz dieser Beschränkung die Darstellung stark zusammenfassend und verkürzend bleiben muß, da andernfalls eine Verwischung der eigentlichen Fragestellungen dieser Studie nicht zu verhindern wäre. Die Verfasserin ist sich der Tatsache bewußt, daß damit einzelne Bestandteile des kanonischen Eherechts vernachlässigt werden, jedoch soll zumindest ein Eindruck vermittelt werden, in welchen rechtlichen Kontext die Ehetrennung um einer monastischen conversio willen eingebettet war. In vielen Fällen wird auch über ein Einschreiten kirchlicherseits reflektiert, dahingehend, ob eine Ehe unter bestimmten Umständen als sündhaft anzusehen und ihre Scheidung anzuordnen sei. Vgl. als Beispiel die Frage, ob die Verbindung getrennt werden mußte, falls zwischen den Partnern eine geistliche Verwandtschaft bestand oder zustande kam, so etwa Gratian C.30 q.l c.3 u.a. Die Standpunkte der Kirchenvertreter gegenüber den vorgebrachten Gründen, ihre Einzelentscheide und grundsätzlichen Äußerungen sind bereits zusammengetragen bei Joseph Freisen, Geschichte, 271 ff. und, in teilweise stark verkürzter Form, bei James A. Brundage, Law, 199ff., sowie Jean Gaudemet, Le mariage, 195ff. Für alle drei gilt, daß die Zusammenstellung der Ehehindernisse ihr Ziel war, und sie weniger auch diejenigen Motive berücksichtigten, die in der Beurteilung der Kirchenrechtsautoritäten schließlich zu einer Nichtanerkennung als Trennungsgründe ftlhrten. Streng geahndet war eine grundlose Verstoßung der Ehefrau durch ihren Mann. Die einschlägigen Kanones betonen, daß dies verboten war und beschreiben die drohenden Sanktionen, die die Exkommunikation des Mannes bis zu seiner reuevollen Rückkehr in die eheliche Gemeinschaft vorsahen. Grundlos heißt hier, daß ein Ehemann seine Frau wegschickte, ohne dafür gegenüber dem bischöflichen Gericht Motive zu nennen. Vgl. Ivo, Decretum lib. VIII, c. 231 u. Panormia lib. VI, c. 106; Gratian C.33 q.2 c.l: „Seculares, qui coniugale consortium nulla graviori culpa dimittunl ... et, nullas causas discidii probabiliter proponentes, propterea sua matrimonia dimittunt... si ante, quam apud episcopos conprovinciales dicidii causas dixerint, et prius, quam iudicio dampnentur, uxores suas abiecerint, a conmunione ecclesiae et sancto populi cetu pro eo, quod fldem et coniugia maculant, excludantur. " Ähnlich auch Ivo, Decretum lib. VIII, c. 329; Gratian C.32 q.5 c.21.

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corporalis, oder auch als divortium quoad vinculum bzw. als divortium quoad torum bezeichnete. 16 Ein großer Teil der Begründungen, mit denen Eheleute ihre Ehe beendeten und die bei Vertretern der kirchlichen Rechtsinstanz vorgebracht wurden, um eine Ehescheidung zu erlangen, mit denen sich also die Bischöfe, Päpste und Konzilien zu beschäftigen hatten, wurde von diesen prinzipiell nicht als rechtmäßige Gründe für die Lösung einer Ehe anerkannt. Zu jenen, in der Wirklichkeit des Mittelalters gewiß nicht selten auftretenden Konstellationen bei realiter durchgeführten Ehescheidungen gehörte beispielsweise der Umstand, daß ein Ehemann, etwa während eines Kriegszuges oder im Zuge einer Fehde, in Gefangenschaft geriet und - vielleicht auf Jahre - nicht nach Hause kam. Mögen im einzelnen persönliche, wirtschaftliche oder politische Gründe eine Rolle gespielt haben: Naheliegend war dann in jedem Fall das Ansinnen der Frau, eine neue Vermählung anzustreben, ohne letztlich sicher sein zu können, daß der erste Gatte tot war oder zumindest nie mehr zurückkehren würde. Der Konflikt mit den kanonischen Bestimmungen war dann gegeben, wenn der Gatte, nachdem seine Frau sich wieder verheiratet hatte, noch am Leben war und wieder heimkehrte. 17 Dann nämlich war die zweite Ehe ungültig, und die Ehefrau war verpflichtet, ihren ersten Mann wieder aufzunehmen. 18 Doch immerhin wurde eingeräumt, daß eine Notsituation die Frau veranlaßt haben könnte, das bestehende Eheband zu verletzen, und ihr eigentlich Unrechtes Handeln sollte kein Nachspiel haben, wenn sie ihren zurückgekehrten Mann wieder aufnahm. 19 Im umgekehrten Fall, bei einer Gefangennahme der Frau, galt im übrigen dasselbe für ihren Ehemann, auch er durfte sich nicht einfach über die bestehende Ehe hinwegsetzen. 20 Einen ähnlich gelagerten Fall stellte die Flucht eines Ehemannes dar. Wenn er aus zwingenden Gründen in ein anderes Herzogtum oder eine andere Provinz fliehen mußte, so hatte das Konzil von Verberie 756 verfügt, 21 dann war von seiner nunmehr gegebenen ständigen Abwesenheit keinesfalls die Ehe zu seiner zurückgebliebenen Frau berührt: „Si quis necessitate cogente inevitabili in alium ducatum seu provinciam fugerit, et eius

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Diese Kategorisierung fand jedoch nicht in die einzelnen Rechtsentscheide Eingang; sie haben lediglich mit der Zeit vermutlich das Denken derer, die die Kanones rezipierten und in eigenen Sammlungen zusammenstellten, geleitet. Vgl. zur beginnenden Differenzierung in der Begrifflichkeit Jean Gaudemet, Le manage, 248f.; zum gesamten Problem Albert Esmein, Etude, 90ff. Das Kirchenrecht verbot nicht a priori die Wiederheirat bei fehlender Gewißheit über Leben und Tod des Partners. Regelungsbedarf wurde offenbar nur für den tatsächlich eintretenden Konfliktfall gesehen. Burchard lib. IX, c. 55; Ivo, Decretum lib. VIII, c. 190 u. Panormia lib. VI, c. 86: „Quod debeant feminae, quae, captis viris et in captivitatem ductis, aliis viris nupserant, pulantes interemptos maritos remeatis de captivitate prioribus viris copulari, ut cuique id quod legitime habuit reformetur, et recipiat unusquisque quod suum est, et redintegrentur foedera nuptiarum " Im selben Sinne: Burchard lib. IX, c. 56ff; Anselm lib. X, c. 22; Ivo, Decretum lib. VIII, c. 191 ff. u. Panormia lib. VI, c. 88; Gratian C.34 q.l c.l. Vgl. etwa Burchard üb. IX, c. 57: „... quia sicut hae mulieres quae reverli ad viros suos noluerint, impiae sunt habendae, ita illae in affectum ex Deo initum redeunt merito sunt laudandae. " Diesen Schluß läßt ein Dekret Innozenz' I. zu, das von Ivo und Gratian rezipiert wurde: Ivo, Decretum lib. VIII, c. 245 u. Panormia lib. VI, c. 90; Gratian C.34 q.lc.2. Zu den fränkischen Konzilien des 8. und 9. Jahrhunderts vgl. allgemein Wilfried Hartmann, Die Synoden der Karolingerzeit im Frankenreich und in Italien (Konziliengeschichte: Reihe A, Darstellungen), Paderborn u.a. 1989, hier 65-82.

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uxor... amore parentum aut rerum suarum eum sequi noluerit, ipsa omni tempore, quamdiu vir eius... vivit, semper innuptapermaneat. "22 D e s weiteren konnte die persönliche Unfreiheit eines der Ehepartner in der Regel nicht geltend g e m a c h t werden, w e n n der andere eine Lösung der E h e wünschte. W e n n eine gültige Verbindung bestand, 2 3 so durfte sie auch in diesem Fall nicht getrennt werden. D a m a n davon ausging, daß für alle, unabhängig v o n ihrem Stand, vor Gott das g l e i c h e Recht galt, war die Konsequenz auch fiir E h e n z w i s c h e n Freien und Unfreien das Verbot der Scheidung. 2 4 D i e s galt sowohl für die E h e z w i s c h e n e i n e m Freien und einer ancilla25 als auch umgekehrt für die Verbindung einer freien Frau mit e i n e m Hörigen: „Si femina ingenua acceperit servum, sciens quod servus esset, habeat eum, quia omnes unum patrem habemus in celis .,."26 W e n n sie gewußt hatte, daß sie einen Hörigen heiratete, dann mußte die E h e bestehen bleiben. Implizit ist hier eine andere R e g e l u n g für den Fall a n g e deutet, daß sie nicht u m den abhängigen Stand ihres zukünftigen Partners wußte, als sie ihn ehelichte. Ein anderer Kanon desselben K o n z i l s (Verberie 7 5 6 ) schätzte hier die vorliegende Unkenntnis höher ein als die geschlossene Ehe: wer erst i m nachhinein erführ, daß er eine unfreie Person geheiratet hatte, d e m sollte es freigestellt sein, eine andere e h e l i c h e Verbindung einzugehen. A u c h dieser Rechtssatz galt ausdrücklich für beide Geschlechter. 2 7 Gratian kommentierte: „Huius autem condicio mulieri incognita erat; non

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Burchard lib. IX, c. 54; Ivo, Decretum lib. VIII, c. 189 u. Panormia lib. VI, c. 91; Gratian C.34 q.l c.4. Auf den durchaus interessanten Zusatz, den Burchard bei der Rezeption mitberücksichtigte und der sich auf die Möglichkeit bezog, daß der Mann sich wiederverheiraten könnte, wurde bereits oben, 52f. hingewiesen. Während fur die Frau kategorisch die Wiederheirat verboten wurde, sah derselbe Kanon für den Mann lediglich eine Buße beim Verstoß vor, ohne daß mögliche Konsequenzen fiir die inzwischen neu geschlossene Ehe ausgesprochen wurden: „Ille vero ... si nunquam in suampatriam se reversurum sperat, si se continere non polest, aliam uxorem accipiat, tarnen cum poenitentia. " Vgl. auch Decretum Vermeriense, c. 9, MGH Capitularia I, 41. Dies wurde z.T. sehr allgemein formuliert: Ivo, Decretum lib. VIII, c. 54. „... ubi tegalis coniunctio fuit...". Als ausschlaggebend wurde an anderer Stelle angeführt, daß die Ehe im Konsens geschlossen worden sein mußte. Vgl. Ivo, Decretum lib. VIII, c. 53: „... siprius amborum consensu coniuncti sint. " Burchard lib. IX, c. 18; Ivo, Decretum lib. VIII, c. 156 u. Panormia lib. VI, c. 38; Gratian C.29 q.2 c.I. Nur in Ivos Panormia und bei Gratian findet sich der Satz: „Si autem omnes unam legem habent, ergo sicut ingenuus dimitti non potest, sic nec servus semel coniugio copulatus uiterius dimitti poterit." Eine Trennung der Ehe konnte es auch dann nicht geben, wenn der Status der Unfreiheit erst nach der Eheschließung eintrat. Gratian C.29 q.2 c.7 bezieht sich auf die Situation, daß ein Mann Höriger eines anderen wurde, nachdem er - noch als freier Mann - eine freie Frau zur Gemahlin genommen hatte. Der Magister, der von einer absichtlich herbeigeführten Knechtschaft ausging, die einen Vorwand für eine Scheidung liefern sollte, faßte zusammen: si vero liberum acceperit, et ille, ut causam prestet dissidii, se alicuius servum fecerit, nec uxorem dimittere, nec illa ob vinculum coniugii in servitutem redigi poterit." Im Ergebnis formulierte der Kanon dasselbe, doch mutet hier der gesellschaftliche Abstieg eher unfreiwillig an. Ivo, Decretum lib. VIII, c. 53; Gratian C.29 q.2 c.2 für die Bestimmung, daß ein freier Mann, der eine ancilla geheiratet hatte, diese nicht wegschicken durfte, hier mit der Einschränkung: „... excepta causa fornicationis. " Burchard lib. IX, c. 27; Ivo, Decretum lib. VIII, c. 52 u. Panormia lib. VI, c. 42; Gratian C.29 q.2 c.5 (mit leichten Abweichungen in den Formulierungen). Burchard lib. IX, c. 26; Ivo, Decretum lib. VIII, c. 164 u. Panormia lib. VI, c. 41; Gratian C.29 q.2 c.4: si earn a servitudine redimere potest, faciat; si non potest, si voluerit, aliam accipiat... Similiter et mulier ingenua de servo alterius facere debet. " Über die Möglichkeiten des unfreien Partners, wieder

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ergo premissis auctoritatibus cogitur manere cum eo, sed liberum Uli esse ostenditur vel manere, vel discedere. "2S Genausowenig wie die Ehe zwischen einer freien und einer unfreien Person durfte ein gültig geschlossenes vinculum zwischen zwei Hörigen verletzt werden. Die Gültigkeit hing in diesem Fall auch vom Einverständnis des oder der Herren ab; sofern dieses gegeben war, durfte die Ehe auch nicht durch die herrschaftliche Gewalt getrennt werden. 2 Burchard und Ivo fuhren weiterhin einen Kanon des Konzils von Tribur (895) an, in dem zu einem konkreten Vorkommnis Stellung genommen wurde. Ein Mann aus dem Einflußbereich des fränkischen Rechts sei lange Zeit mit einer sächsischen Frau verheiratet gewesen und habe auch Kinder mit ihr gehabt, bis er sie mit der Begründung, Verlobung, Eheschließung und Mitgift seien nicht nach fränkischem Recht erfolgt, verstoßen und eine andere zur Gemahlin genommen habe. Die Synode verfugte, daß sich der Mann als „ transgressor evangelicae legis" der Buße unterziehen, seine zweite, unrechtmäßige Verbindung getrennt werden müsse und die ursprüngliche Ehe wiederherzustellen sei.30 Die Zugehörigkeit der Ehepartner zu verschiedenen weltlichen Rechtskreisen spielte vor dem kirchlichen Recht keine Rolle, das auch hier den Anspruch manifestierte, alleingültige Instanz in allen Angelegenheiten einer Ehe zu sein. Auch eine Krankheit, gleich ob an Körper oder Geist, hatte keinen Einfluß auf eine bereits geschlossene Ehe. Zwar stellte eine bestehende Geisteskrankheit durchaus ein Ehehindernis dar,31 doch eine nachträglich eintretende Krankheit sollte keine lösende Wirkung haben.32 Besondere Berücksichtigung fand in einigen Kanones die Unfruchtbarkeit der Ehefrau. Die durch ein körperliches Gebrechen verursachte Unmöglichkeit für die Ehepartner, Kinder zu bekommen, konnte für den Mann kein Grund sein, seine Gemahlin zu verstoßen, um mit einer anderen Frau Nachkommen zu zeugen.33 Lediglich einzelne Ausnahmen sahen die hochmittelalterlichen Sammlungen vor, in denen eine Lösung des Ehebandes in aller Konsequenz, also eine Scheidung im eigentlichen Sinne, vollzogen werden konnte.34 Eine solche Ausnahme bezog sich auf den Fall, daß einer der Partner durch die Taufe zum Christentum übertrat, während der andere heidnisch blieb.35 Von einer möglichen Trennung gingen sowohl Burchard als auch Ivo und Gratian aus.36 So gestattete einer der von ihnen rezipierten Kanones die Trennung dann, wenn sie bereits vor dem Akt der Taufe vollzogen wurde: „Si quis gentilis gentilem uxorem dimiserit ante baptismum, post baptismum in potestate eius erit eam habere, vel

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zu heiraten, bzw. über die Sanktionen für ihn, da er den anderen in Unwissenheit gelassen hatte, also über Buße und Eheverbot, lassen die Kanones nichts verlauten. Gratian C.29 q.2 c.3 Dictum post. Burchard lib. IX, c. 29; Ivo, Decretum lib. VIII, c. 167 u. Panormia lib. VI, c. 40; Gratian C.29 q.2 c.8: „... Unde nobis visum est, ut coniugia servorum non dirimantur... Et hoc in Ulis observandum est, ubi legalis coniunctio fuit, et per voluntatem dominorum. " Burchard lib. IX, c. 76; Ivo, Decretum lib. VIII, c. 213. Gratian C.32 q.7 c.26: „Neque furiosus, neque furiosa matrimonium contrahere possunt. " (Burchard lib. IX, c. 30; Anselm lib. X, c. 28; Ivo, Decretum, lib. VIII, c. 168 u. Panormia, lib. VI, c. 92.) Dazu die Kanones bei Anselm lib. X, c. 25f.; Ivo, Panormia lib. VI, c. 92f.; Gratian C.32 q.7 c.25f. Ivo, Decretum üb. VIII, c. 254; Gratian C.32 q.7 c.27. Dieser Aspekt wird in anderem Zusammenhang noch besonders zu behandeln sein. Vgl. Brigitte Basdevant-Gaudemet, „Principe", 40ff. Hierzu auch Brigitte Basdevant-Gaudemet, „Principe", 42. Die Sammlung Anselms von Lucca enthält keine Kanones zu diesem Thema.

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non habere. " 3? Bei einer passiven Haltung des christlichen Teils wurde es weiter als rechtens betrachtet, die Ehe zu trennen, wenn die Initiative vom ungläubig gebliebenen Partner ausging, der sich nicht bekehren lassen wollte: „... si unus ex conjugatis baptizatus est, et alter gentilis, et sequi non vult, sicut dicit Apostolus: inßdelis si discedit, discedat. " 38 Damit war allerdings noch nicht die Frage geklärt, ob es erlaubt war, danach eine neue eheliche Verbindung einzugehen oder nicht. Ein gleichfalls von allen drei Autoren angeführter Text des Konzils von Meaux (845) verbot dies mit der Begründung, daß durch die Taufe zwar crimina gelöst würden, nicht aber coniugia,39 Der Bischof von Chartres nahm des weiteren das paulinische Diktum in sein Dekret auf, welches besagt, daß ein Mann seine ungläubige Gemahlin nicht wegschicken sollte, wenn sie bei ihm bleiben mochte und umgekehrt; denn durch die Treue des Gatten werde die Untreue des anderen sanctißcatus,40 Für Burchard und Ivo war damit dieses Problem offenbar zur Genüge behandelt; nicht so für Gratian, der auch eine dagegen stehende Sentenz berücksichtigte, wonach es keine Sünde sei, eine andere zu heiraten, nachdem man von der ungläubig gebliebenen Frau verlassen worden war.41 Dies ist also eine der wenigen Situationen, für die definitiv von der Möglichkeit der Lösung einer Ehe gesprochen wird.42 Daß aber bei genauerem Hinsehen auch hier im eigentlichen Sinne doch keine Verletzung des Prinzips vorliegt, zeigt Gratians eigene Einschätzung des Sachverhalts wie auch seinen Standpunkt, wenn er hinzufugte: „ Verum hoc non nisi de his intelligendum est, qui in infidelitate sibi copulati sunt. Ceterum si ad fidem uterque conversus est, vel si uterque fidelis matrimonio coniunctus est, et procedente tempore alter eorum a fide discessserit, et odio fidei coniugem dereliquerit, derelictus discendentem non comitabitur; non tarnen ilia vivente alteram ducere poterit, quia ratum coniugium fuerat inter eos, quod nullo modo solvi potest. " 43 Ihm zufolge war also der Ehe zwischen Nichtchristen ein anderer Status beizumessen als der christlichen Ehe, die allein für ihn offenbar als ratum coniugium und als unlösbar galt.

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Burchard lib. IX, c. 59; Ivo, Decretum lib. VIII, c. 195 u. Panormia lib. VI, c. 97; Gratian C.28 q.l c.2. Burchard lib. IX, c. 60; Ivo, Decretum lib. VIII, c. 196; Gratian C.28 q.l c.3. Die entsprechende Stelle bei Paulus: I Cor 7, 15. Burchard lib. IX, c. 61; Ivo, Decretum lib. VIII, c. 197 u. Panormia lib. VI, c. 98; Gratian C.28 q.2 c.l: „Si quis habuerit uxorem virginem ante baptismum, vivente ilia post baptismum alteram habere non potest... ". Ivo, Decretum lib. VIII, c. 147:1 Cor 7, 12ff. Gratian C.28 q.2 c.2. Dazu vgl. die Anmerkung des Herausgebers *: tatsächlich handelt es sich nicht um ein Dekret Gregors des Großen, sondern um ein Ambrosius-Zitat. Gratians eigene Zusammenfassung der Rechtslage zeigt die diffizile, oft verwirrende Argumentation, die der Problematik der Ehescheidung stets, auch in anderen situativen Zusammenhängen, eigen war. Gratian sah die Erlaubnis zur Wiederheirat in enger Verbindung mit der Haltung des nicht getauften Ehepartners. Ging die Initiative zur Trennung von ihm aus, so durfte der getaufte Teil eine andere Bindung eingehen, im umgekehrten Fall war zwar die Trennung erlaubt, nicht aber die erneute Heirat des christlichen Partners. Vgl. Gratian C.28 q.2 c.2 Dictum post: „Hic distinguendum est, aliud esse dimittere volentem cohabitare, atque aliud discedentem non sequi. Volentem enim cohabitare licet quidem dimittere, sed non ea vivente aliam superducere; discedentem vero sequi non oportet, et ea vivente aliam ducere licet. " Daß diese Fragen auch noch im 12. Jahrhundert von großer Wichtigkeit waren, gerade in bezug auf das Zusammentreffen der christlichen und der muslimischen Kultur, belegen etwa die Dekretalen Coelestins III., in welchen er sich mit Fällen der Ehescheidung und erneuten Eheschließung zwischen Christen und Sarazenen befassen mußte. Vgl. hierzu Volkert Pfaff „Eherecht", 111. Gratian C.28 q.2 c.2 Dictum post.

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D i e Frage, ob es sich überhaupt u m eine vollgültige E h e handelte, stand mehrfach i m Vordergrund, w e n n entschieden wurde, ob eine Scheidung erfolgen konnte oder nicht. Wurde der N a c h w e i s der Ungültigkeit der E h e erbracht, so konnte diese nach der Logik der Kirchenvertreter auch gelöst werden, mußte aber eigentlich gar nicht erst gelöst werden, da sie j a gar nicht bestand oder zumindest noch nicht voll gültig war. In dieser W e i s e wurde manchenteils verfahren, w e n n sich nach der Hochzeit die Impotenz des E h e m a n n e s herausstellte. 4 4 D a er somit unfähig z u m V o l l z u g der E h e war, dieser aber zumindest einer älteren Tradition zufolge nötig war, um die volle Gültigkeit der Verbindung zu erlangen, 4 5 konnte es eine Trennung mit der Möglichkeit der anderweitigen Verheiratung zumindest für die Frau geben. So findet sich übereinstimmend bei allen vier Kanonisten der Rechtsentscheid Gregors des Großen: „ Vir et mulier si se coniunxerint, et postea dixerit mulier de viro quod non possit coire cum ea, si potest probare per iustum iudicium quod verum sit, accipiat alium; si autem ille aliam acceperit, separentur. " 46 D i e s ist auch i m großen 44

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Über die Impotenz zur copula carnalis als Ehehindernis „im uneigentlichen Sinne", wie sie in patristischer Zeit, in Früh- und Hochmittelalter gesehen wurde, handelt Joseph Freisen, Geschichte, 330ff.; vgl. ebenfalls Brigitte Basdevant-Gaudemet, „Principe", 40f. Der Vollzug der Ehe wurde im hier behandelten Zeitraum nicht mehr unbedingt als konstitutives Element ihrer Gültigkeit angesehen; immer stärker setzte sich die Ansicht durch, daß bereits in der voluntas, also dem Ehewillen, respektive im Ehekonsens ein entscheidendes Wesensmerkmal der Ehe lag. Die Perfektion der geschlossenen Ehe sahen einige Autoren noch immer im geschlechtlichen Vollzug gegeben; zwar folgten sie nicht uneingeschränkt der Kopulatheorie Hinkmars von Reims, doch vertraten sie in der abgeschwächten Form der Vermittlungstheorie - in der Folge Ivos von Chartres, der jedoch dem Konsens die größere Bedeutung beimaß - die Ansicht, daß es die Kopula sei, welche die durch Konsens gültig zustande gekommene Ehe vollende. Die Entwicklung hin zur allein gültigen Konsenstheorie im 12. Jahrhundert und die Standpunkte der einzelnen Kanonisten, wie etwa Anselm von Laon, Wilhelm von Champeaux, Alger von Lüttich bis hin zu Hugo von St. Viktor, sind zusammengetragen bei Heinrich Portmann, Wesen und Unauflöslichkeit der Ehe in der kirchlichen Wissenschaft und Gesetzgebung des 11. und 12. Jahrhunderts. Beiträge zur kirchlichen Rechtsgeschichte, Emsdetten 1938, hier 58ff. Die für die vorliegende Studie ausgewählten Autoren erwähnen an anderen Stellen in bezug auf die Frage, was eine legitime Ehe ausmache, diverse Kanones, die den Vollzug als konstitutiv fordern, und rezipieren hier jene Dekrete, die die männliche Impotenz eben aus Gründen der fehlenden Gültigkeit des Ehebandes als Scheidungsgrund akzeptieren. Mit zunehmender Durchsetzung des Konsenses wurde eine Lösung der Verbindung auch bei nicht stattgefundenem Vollzug schwieriger, was mit der Auffassung zusammenhing, daß auch eine nicht vollzogene, aber durch Konsens zustande gekommene Ehe Sakramentcharakter trage. Gratian teilte diese Auffassung nicht, er sah die Sakram e n t a l s t der Ehe erst mit dem Vollzug gegeben. Hierzu Heinrich Portmann, Wesen, 107ff. Vgl. zum Ganzen Jean Gaudemet, Le manage, 198f., sowie Rudolf Weigand, „Unauflöslichkeit", 45f., der als Vertreter der älteren Lehre Rufinus und die Schule von Bologna und fur die neue Lehre, die sich schon mit Papst Alexander III. durchzusetzen begann und die eine Art Ausgleich der entgegenstehenden Lehrmeinungen mit sich brachte, die Pariser Schule nennt. Burchard lib. IX, c. 40; Anselm lib. X, c. 24; Ivo, Decretum lib. VIII, c. 178 u. Panormia lib. VI, c. 115; Gratian C.33 q.l c.l. Dieser Bestimmung steht eine Betrachtung Hinkmars von Reims gegenüber, die Eingang in Ivos Sammlungen, Decretum lib. VIII, c. 194 u. Panormia lib. VI, c. 117, fand und gleichfalls im Decretum Gratiani, C.33 q.l c.4, erscheint: Hinkmar zufolge sollte zunächst versucht werden, die möglicherweise durch teuflische Einwirkung hervorgerufene Impotenz des Mannes mit Hilfe von Gebeten, Fasten und Bußen zu beheben. Wenn dies mißlang, gestand auch er die Trennung der Ehe, nun mit der Möglichkeit der anderweitigen Bindung für beide Partner, also die Trennung a vinculo, zu. Während Gregor die Wiederherstellung der ersten Ehe forderte für den Fall, daß sich die Fähigkeit zur copula carnalis des Mannes mit einer anderen Frau erwiesen haben sollte, ging Hinkmar davon aus, daß, solange der zweite Partner lebte, eine Rückkehr in die erste Ehe ausgeschlossen war. Hinkmar

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und ganzen die Aussage der übrigen Kanones, doch wird das Problem teilweise noch differenzierter betrachtet, beispielsweise in der Hinsicht, daß eigentlich beide nach der Trennung unverheiratet bleiben sollten, ein ausgeprägter Kinderwunsch der Frau jedoch ihre Wiederverheiratung rechtfertigte, 47 oder auch hinsichtlich des Nachweises, der zu erbringen war: hier galt auf der Grundlage der Lehre des Paulus das Wort des Mannes mehr als das der Frau, d.h. wenn der Mann gegen die Aussage der Frau beteuerte, daß es durchaus zum Beischlaf gekommen sei, so war ihm Glauben zu schenken und die Ehe sollte bestehen bleiben. 48 So hatte es das Konzil von Compiegne im Jahre 757 entschieden. 49 Die Kreuzprobe als geeignetes Beweismittel empfahl das Konzil von Verberie 756 und gestand der Gattin, die die Klage gegen ihren Mann vorbrachte, zu: „... illa faciat quodvult. "50 Im umgekehrten Falle, wenn die Frau unfruchtbar war und somit keine Nachkommen gezeugt werden konnten, oder wenn sie dem Manne - etwa wegen eines körperlichen Gebrechens - die geforderte eheliche Pflicht nicht erweisen konnte, war eine Ehetrennung dagegen nicht möglich. Bei vorliegender sterilitas galt für Ivo und Gratian, die das Problem aufgriffen, die Richtlinie Augustins, daß die Frau keinesfalls mit der Begründung, sie könne keine Kinder gebären, verstoßen werden dürfe: „ Tantum valet sociale vinculum, ut, cum causa procreandi colligitur, nec ipsa causa procreandi solvatur ... Manet vinculum nuptiarum, etiam si proles, cuius causa initum est, manifesto sterilitate non subsequatur, ita, ut iam scientibus coniugibus non se ßlios habituros, separare se tarnen vel ipsa causa ßliorum, atque aliis copulare non liceat. "51 Und an einer anderen Stelle heißt es, daß der Mann, der eine leidende Frau hat, bei ihr bleiben solle, gleichgültig, ob sie unfruchtbar, krank an Körper oder Geist ist, „pro societateßdeque"52 Daß ein Mann, dessen Gattin aufgrund einer infirmitas nicht den Beischlaf ausüben konnte, diese verlassen und sich anderweitig binden durfte, erlaubte zwar ein Dekret Papst Gregors II. Es sei gut, wenn der Mann sich enthalten könnte, wäre ihm das aber un-

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vertrat konsequent die Auffassung, daß eine nicht durch die körperliche Vereinigung vollzogene Ehe nicht vollgültig und daher aufzulösen sei. Seine Ausführungen sind Teil eines Gutachtens in der Eheangelegenheit eines Grafen Stephan. Vgl. hierzu Joseph Freisen, Geschichte, 336. Gratian konstatierte den bestehenden Widerspruch des Reimser Erzbischofs zu Papst Gregor I., gab aber keinen weiteren Kommentar dazu. Zu Gratian sowie zur Rezeption Gratians in Summen und Glossen vgl. Joseph Freisen, Geschichte, 337ff. Burchard lib. IX, c. 44: „Iste vero si non potest ea uti pro uxore, habeat quasi sororem. Quod retinaculum iugale volunt rescindere, maneant utrique innupti ... Quod si mulier causatur, et dicit, volo mater esse et ßlios procreare, uterque eorum septima manu propinquorum tactis sacrosanctis reliquiis, iureiurando dicat ut nunquam per commistionem carnis coniuncti una caro effecti fuissent, tunc videtur mulierem secundas posse contrahere nuptias ... Vir autem qui frigidae naturae est, maneat sine coniuge ..."; desgl. Anselm lib. X, C. 23; Ivo, Decretum lib. VIII, c. 182 u. Panormia lib. VI, c. 116; Gratian C. 33 q.l c.2. Burchard lib. IX, c. 42; Gratian C.33 q.l c.3: femina dicit, quod nunquam coisset cum ea, et ille vir dicit, quod sic fecit, in veritate viri consistat, quia vir est caput mulieris. " Die Basis dieser auch in anderen Zusammenhängen vertretenen Auffassung von der notwendigen Unterordnung der Ehefrau unter den Mann: I Cor 11. Vgl. Wilfried Hartmann, Synoden, 77f. Burchard lib. IX, c. 41; Ivo, Decretum lib. VIII, c. 179 u. Panormia lib. VI, c. 118. Vgl. Wilfried Hartmann, Synoden, 75. Ivo, Decretum lib. VIII, c. 254 u. Panormia lib. VI, c. 28; Gratian C.32 q.7 c.27. Gratian C. 32 q.5 c.18.

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möglich, so sollte er anderweitig heiraten, jedoch nicht seiner ersten Frau die Unterstützung entziehen. 53 Diese auf den ersten Blick seltsam liberal anmutende Weisung ist aber wohl dahingehend zu interpretieren, daß sie sich, wie auch im umgekehrten Falle männlicher Impotenz, auf eine noch nicht vollzogene Ehe bezog. Andernfalls stünde sie geradezu im Gegensatz zur augustinischen Doktrin. Diesen Widerspruch sah Gratian in der Tat gegeben, 54 doch deutet die Formulierung „... si mulier infirmitate correpta nunquam valuerit viro debitum reddere ..." darauf hin, daß eine bereits vor der Ehe aufgetretene Krankheit gemeint war und jene deshalb nie vollzogen werden konnte, also unter gewissen Voraussetzungen noch lösbar war. 55 In besonderen Fällen, so bei bestimmten Vergehen eines der Gatten gegenüber dem Partner, konnte es zu einer einseitigen Lösung des vinculum kommen, die es dem an der Sache unschuldigen Teil ermöglichte, eine neue Verbindung einzugehen, während der andere, der sich strafbar gemacht hatte, einem dauerhaften Eheverbot unterzogen war. Gratian sah diese Konstellation in einem Kanon des Konzils von Verberie (756) angesprochen. Ausgehend von dem Sachverhalt, daß eine Frau zusammen mit anderen plante, ihren Ehemann umzubringen, eröffnete dieses Statut zumindest in der Lesart Gratians dem Mann die Möglichkeit, sie zu entlassen und eine andere zu ehelichen, wenn er beweisen konnte, daß seine Gemahlin ihm nach dem Leben trachtete: „... si probare potest ille vir, earn ream esse consilii, potest... ipsam uxorem dimittere, et, si voluerit, aliam ducere. "56 Eine ganze Reihe von Eheformen gab es, die streng genommen nicht bestehen bleiben durften, da sie den kanonischen Vorschriften zuwiderliefen, und in deren Umkreis die Frage erörtert wurde, inwieweit kirchliche Instanzen von sich aus eingreifen und die Lösung der Ehe in die Wege leiten mußten. Eine einheitliche Haltung der Kirche scheint es hinsichtlich dieser Problematik noch weniger gegeben zu haben als in anderen bereits angesprochenen Zusammenhängen. Zu denken ist hier zunächst an eine eheliche Verbindung, in der ein Teil oder auch beide vorher ein Gelübde abgelegt hatten und etwa einer monastischen Gemeinschaft angehörten. Im Hochmittelalter setzte sich zwar allgemein die Position durch, daß es keine Ehe zwischen oder mit Personen religiösen Standes geben durfte, 57 doch enthielt sich etwa Gratian, der viele Belege für dieses Eheverbot anfuhren konnte, 58 einer eindeutigen Ivo, Decretum lib. VIII, c. 78; Gratian C.32 q.7 c.18. Vgl. William Kelly, Pope Gregory II on divorce and remarriage (Analecta Gregoriana 203), Rom 1976. Gratian C.32 q.7 c.18, Dictum post. „Illud Gregorii sacris canonibus, imo evangelicae et apostolicae doctrinae penitus invenitur adversum. " Joseph Freisen, Geschichte, 33 Iff.: .Anders ausgelegt wäre die Stelle ein Unicum in der Geschichte des canonischen Eherechts." Gratian C.31 q.l c.6. Ausdruck dafür ist etwa c. 5 des I. Laterankonzils von 1123, welches verfügte, daß gegen das bestehende Verbot geschlossene Ehen von Mönchen getrennt werden sollen. Vgl. Mansi XXI, 286. Daß in den Augen der kirchlichen ,Autoritäten" in einem Gelübde nicht immer ein trennendes Ehehindernis zu sehen war, verdeutlicht Joseph Freisen, Geschichte, 676£T., ebenso, daß man immer auch Unterschiede gemacht hat zwischen bestimmten Arten von Gelübden, nämlich dem Witwengelübde, dem Jungfrauengelübde sowie dem der Ordensmänner, und sodann auch unterschieden hat zwischen einem einfachen und einem feierlichen Gelübde. Vgl. zum Problem des votum als Ehehindernis im Kirchenrecht auch Willibald Plöchl, Eherecht, 95ff. Gratian C.27 q.l c.l Dictum ante: „Quod vero voventes matrimonia contrahere non possunt, rnultis auctoritatibus probatur." Bei Burchard, Anselm und Ivo erscheinen die entsprechenden Texte nicht in den jeweiligen Büchern über das Eherecht, sondern werden im Zusammenhang mit den Kloster-

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Stellungnahme. Zwar erachtete er eine solche Ehe als unrechtmäßig und Schloß sich der Ansicht an, daß sie zu trennen war: „ His omnibus auctoritatibus voventes prohibentur contrahere matrimonia, et quidam eorum, si contraxerint, separari iubentur. "59 Solange die Partner der Trennung nicht zustimmten, verfugten einzelne Kanones, auf die Gratian sich stützte, daß sie nicht Buße tun durften, ja teilweise sollte sogar das Anathem über sie verhängt werden.60 Der Magister unterschied jedoch durchaus zwischen den einzelnen Arten von Gelübden, von denen ihm nicht jedes ein trennendes Ehehindernis zu sein schien: „Hic distinguendum est, quod voventium alii sunt simpliciter voventes, de quibus Augustinus et Theodorus locuti sunt, alii sunt, quibus post votum accedit benedictio consecrationis vel propositum religionis, de quibus Ieronimus et Nicolaus et Calixtus scripserunt. "61 In der Frage, ob eine Verbindung trotz eines bestehenden und durch die Heirat verletzten Gelübdes eine gültige Ehe sei oder nicht, herrscht bei Gratian keine Klarheit.62 Ein weiteres impedimentum, dem das Kirchenrecht - zumindest in Teilen - trennende Eigenschaft zuschrieb, war die Verwandtschaft zwischen den Ehepartnern, wobei grundsätzlich zwischen verschiedenen Arten der Verwandtschaft zu unterscheiden ist: zum einen der Blutsverwandtschaft, der consanguinitas, zum anderen der Schwägerschaft, der affinitas, und zum dritten der Verwandtschaft im geistlichen Sinne, wie sie durch die Übernahme einer Patenschaft zustande kam. Aus dem von der Kirche stets ausgesprochenen Verbot der Eheschließung zwischen Verwandten63 folgte die Notwendigkeit, Regelungen für den Umgang mit bereits

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angelegenheiten abgehandelt (Burchard lib. VIII; Anselm lib. XI; Ivo, Decretum lib. VII u. Panormia lib. III). Gratian C.27 q.l c.40 Dictum post. Wohl führt er im folgenden auch die gegensätzliche Meinung Augustins an, der es für eine Sünde hielt, selbst eine eheliche Verbindung mit oder zwischen voventes zu trennen, denn er erachtete sie für gültig. Doch kommt Gratian in seiner Synthese C.27 q. 1 c.43 Dictum post zu dem Ergebnis: „ Quod autem voventes premissis auctoritatibus iubentur ab invicem discedere, quorum vero coniugia auctoritate Augustini et Theodori solvenda non sunt, in capitulo de ordinatione clericorum evidenter ostenditur." Jungfrauen, die sich trotz ihres Gelübdes verheiratet hätten, dürften nicht zur Buße zugelassen werden, wenn sie den ehelichen Verkehr nicht unterließen. Vgl. beispielsweise Burchard lib. VIII, c. 48; Anselm lib. XI, c. 96; Ivo, Decretum lib. VII, c. 66; Gratian C.27 q.l c.7: „De viduis etpuellis, que habitum religionis in domibuspropriis tarn a parentibus, quam per se mutaverunt, si postea contra instituta patrum vel precepta canonum coniugia crediderint copulanda, tarn diu utrique habeantur a conmunione suspensi, quousque quod illicite perpetraverunt emendunt. Quod si emendare neglexerint, α conmunione vel omnium Christianorum convivio perpetuo sint sequestrati." Gratian D.27 c.8. Vgl. Joseph Freisen, Geschichte, 695f. sowie Willibald Plöchl, Eherecht, 97f. Spätestens seit dem frühen 11. Jahrhundert wurde allgemein der siebente Grad der Verwandtschaft als die Grenze angesehen, bis zu der Eheschließungen zu verhindern waren. Schon Burchard von Worms hatte sich auf dem Weg zu diesem Ergebnis befunden, als er einen Kanon des Konzils von Koblenz (922), der den fünften Grad bestimmte, abänderte und den sechsten Grad als verbindlich ansah: Burchard lib. VII, c. 30. Denselben Kanon modifizierte Ivo von Chartres und stockte ihn um einen weiteren Grad auf: Ivo, Decretum lib. IX, c. 66. Zur Zeit des Laterankonzils 1125 wurden allgemein Ehen zwischen Verwandten bis zur siebenten generatio als inzestuös verurteilt. Zu dieser Entwicklung vgl. Joseph Freisen, Geschichte, 374ff., bes. 392ff. Über die Haltung des Papsttums, dessen Doktrin sich gegen Ende des 11. Jahrhunderts zu festigen begann, und die Erteilung päpstlicher Dispense handelt Jean Gaudemet, Le mariage, 204ff. Zur päpstlichen Dispens im allgemeinen, die für viele Hindernisse

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geschlossenen Verwandtenehen zu finden. Es stellte sich die Frage, in welchem Fall sie getrennt werden sollten oder in welcher Weise Sanktionen über die Betreffenden zu verhängen waren. Gratian kam diesbezüglich zu dem Ergebnis, daß „ qui in quarto vel in quinto gradu consanguinitatis coniuncti inventi fuerint ab ecclesia separari iubentur".64 Wie auch die anderen Kanonisten vor ihm zog er als Belege angebliche Briefe Papst Gregors des Großen65 heran, die u.a. bestimmt hatten: „ Qui autem et que in quarto vel quinto gradu coniuncti inventi fuerint, separentur, quoniam scriptum est: Omnis homo ad proximam sanguinis sui non accedat, ut revelet turpitudinem eius; et iterum: Anima, que fecerit quippiam ex istis, peribit de medio populi sui. Sane quibus coniunctio interdicitur illicita, habebunt ineundi coniugii melioris libertatem.,