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German Pages 283 [284] Year 2015
Ecclesia disputans
Historische Zeitschrift // Beihefte (Neue Folge)
beiheft 67 herausgegeben von andreas fahrmeir und hartmut leppin
DOI
10.1515/9783110436150.fm
Christoph Dartmann, Andreas Pietsch und Sita Steckel (Hrsg.)
Ecclesia disputans Die Konfliktpraxis vormoderner Synoden zwischen Religion und Politik
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Dieses Papier ist alterungsbeständig nach din / iso 9706. Gestaltung: Katja v. Ruville, Frankfurt a. M. Satz: Roland Schmid, mediaventa, München Druck und Bindung: Grafik und Druck, München isbn 978-3-11-044155-0 e-isbn (pdf) 978-3-11-043615-0 e-isbn (epub) 978-3-11-043331-9
Inhalt
Danksagung
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Ecclesia disputans. Die Konfliktpraxis vormoderner Synoden zwischen Religion und Politik // Christoph Dartmann und Andreas Pietsch und Sita Steckel Altkirchliche Synoden zwischen theologischer Disputation und rechtlichem Disput // Thomas Graumann „Non enim se Deus discutere iubet sed credere“. Synoden und Konfliktgeschehen im westgotischen Spanien // Christoph Dartmann Einträchtige und streitende Bischöfe. Vermeiden und Beenden von Konflikten auf Synoden des 10. und frühen 11. Jahrhunderts // Ernst-Dieter Hehl Theological Dispute and the Conciliar Process 1050–1150. From Berengar of Tours to Gilbert of Poitiers // Constant J. Mews und Clare Monagle
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„Gravis et clamosa querela“. Synodale Konfliktführung und Öffentlichkeit im französischen Bettelordensstreit 1254–1290 // Sita Steckel
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Nach dem Konzil von Vienne. Konfliktlösung und Entscheidungsfindung in der Spiritualenkrise und im Armutsstreit // Melanie Brunner
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Disputation und Religionsgespräch. Diskursive Formen reformatorischer Wahrheitsfindung // Volker Leppin
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Die junge Republik und ihre Konfession. Wahrheits- und Interessenkonflikte auf der Synode von Dordrecht (1618/19) // Andreas Pietsch _____ 253 Die Autorinnen und Autoren
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Danksagung
Eine vormoderne Synode konnte nur dann langfristig Wirkung entfalten, wenn ihre Ergebnisse schriftlich festgehalten und korrekt publiziert wurden. Das gleiche gilt auch für die Tagung „Ecclesia Disputans. Die Konfliktpraxis vormoderner Synoden zwischen Religion und Politik“, die wir am 22.–24.Februar 2011 in Münster organisiert haben und deren Erträge die vorliegende Publikation der wissenschaftlichen Öffentlichkeit zugänglich macht. Während Synoden den Anspruch erhoben, verbindliche Entscheidungen zu treffen, versteht sich der vorliegende Band als Einladung, die Diskussionen fortzuführen, die die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Münsteraner Treffens eröffnet haben. Für das Gelingen der Tagung und der Publikation wissen wir uns zahlreichen Kolleginnen und Kollegen zu Dank verpflichtet, allen voran denjenigen, die mit ihren Beiträgen das gemeinsame Disputieren geprägt haben. Neben den Autoren der folgenden Beiträge waren dies unter anderem Gerd Althoff , Steffen Patzold, Claudia Märtl, Sylvain Piron, Thomas Prügl, Nicola Stricker und Barbara Stollberg-Rilinger. Die Durchführung der Tagung wurde vom Exzellenzcluster „Religion und Politik in den Kulturen der Vormoderne und der Moderne“ ermöglicht, für dessen Unterstützung wir stellvertretend der Sprecherin und Geschäftsführung danken möchten. Die praktischen Herausforderungen eines reibungslosen Tagungsablaufs haben Rieke Buntemeyer, Julia Bröcker und Benjamin Wolf in souveräner Manier bewältigt. Wir danken den Herausgebern der Historischen Zeitschrift für die Aufnahme dieses Bandes in die Reihe der Beihefte. Für die sehr gewissenhafte und engagierte Unterstützung bei der Redaktion danken wir Annalena Brüggemann, Anna Bündgens und Willem Fiene.
Münster, 25.Februar 2015
Die Herausgeber
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Ecclesia disputans Die Konfliktpraxis vormoderner Synoden zwischen Religion und Politik von Christoph Dartmann, Andreas Pietsch und Sita Steckel
Im 15. Kapitel der Apostelgeschichte schildert der Evangelist Lukas in idealtypischer Weise, wie nach seiner Ansicht ein Konflikt innerhalb der sich formierenden Christenheit beizulegen ist. Er schildert, es habe in Antiochia, dem damaligen Wirkungsort des Apostels Paulus, einen heftigen Konflikt um die Bedingungen gegeben, unter denen Menschen, die bis dahin nicht dem Judentum angehörten, zum Christentum konvertieren können. Christen aus Judäa hätten gefordert, die sogenannten Heidenchristen müssten sich zunächst beschneiden lassen und könnten sich erst dann der christlichen Gemeinde anschließen. Paulus und Barnabas hätten energisch widersprochen, und so habe man in Antiochia beschlossen, eine Delegation nach Jerusalem zu entsenden, um die Apostel und Ältesten der dortigen Gemeinde um eine Klärung zu bitten. In Jerusalem habe es erneut Streit gegeben, weil auch dort die Forderung nach einer Beschneidung aller Konvertiten laut geworden sei. Die Apostel und Ältesten, allen voran Petrus und Jakobus, hätten sich aber in gemeinsamer Beratung mit den Glaubensbrüdern aus Antiochia dann für jüdische Minimalanforderungen und gegen die Beschneidung der Heiden entschieden. 1 Dieser in einvernehmlicher Beratung gefällte Beschluss sei dann den Christen in Antiochien in einem Schreiben an alle „Brüder und Schwestern in Antiochia, in Syrien und Kilikien, die zu den Heiden gehören“ (Apg 15,23), mitgeteilt worden, das eine Gesandtschaft aus Jerusalem überbrachte. Zur Begründung hieß es darin: „Denn der Heilige
1 Die Heidenchristen hätten lediglich die bereits im Buch Levitikus festgelegten Mindestanforderungen an den Umgang mit Juden zu erfüllen, die Maßregeln für die Verhinderung von Idolatrie und unerwünschten sexuellen Aktivitäten sowie für den Fleischverzehr enthielten. Vgl. zum sogenannten Apostelkonzil einführend Martin Ebner, Von den Anfängen bis zur Mitte des 2.Jahrhunderts, in: Bernd Moeller (Hrsg.), Ökumenische Kirchengeschichte. Bd. 1: Von den Anfängen bis zum Mittelalter. Darmstadt 2006, 15–57, hier 31–35; Thomas Söding, Das Apostelkonzil als Paradebeispiel kirchlicher Konfliktlösung. Anspruch, Wirklichkeit und Wirkung, in: Joachim Wiemeyer (Hrsg.), Dialogprozesse in der katholischen Kirche. Begründungen – Voraussetzungen – Formen. Paderborn u.a. 2013, 25–34.
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Geist und wir haben beschlossen, euch keine weitere Last aufzuerlegen“ (Apg 15,28). Der Brief sei in Antiochia verlesen und dankbar angenommen worden. Es ist strittig, ob das von Lukas geschilderte ‚Apostelkonzil‘ an den Anfang der Tradition christlicher Synoden gestellt werden kann. Dennoch beinhaltet es in nuce Elemente, die für die christliche synodale Tradition prägend werden sollten: Strittige Fragen werden vor ein kollektives Gremium getragen, das aus herausragenden Vertretern der Gemeinden besteht – Lukas nennt Apostel und Älteste, später sollten es vor allem die Bischöfe sein, die in Synoden zusammenkamen. In diesem Gremium werden Konfliktpunkte in einer um Einvernehmen bemühten, also nicht die Gegensätze scharf herausarbeitenden Weise beraten und zu einer von allen Anwesenden mitgetragenen Entscheidung geführt. Besonders an diesem auch aus politischen Kontexten bekannten Vorgehen ist, dass für diese Entscheidung in religiosis explizit Gottes Bestand erfleht wird, dessen Wirken den gefassten Beschlüssen eine besondere Dignität verleiht. Diese Entscheidung wird schriftlich festgehalten und an andere Gemeinden versandt. Sie beansprucht somit Verbindlichkeit über den Kreis der unmittelbar am Konflikt beteiligten Akteure hinaus – hier werden neben Heidenchristen in Antiochia auch ihre Glaubensbrüder in Syrien und Kilikien genannt. Und die zustimmende Aufnahme dieser Beschlüsse in Antiochia sichert ihre Verbindlichkeit – die Geltung beruht auf ihrer Rezeption. Berücksichtigt man allerdings die parallele Überlieferung zum sogenannten Apostelkonzil, die Paulus in seinem Galaterbrief bietet, zeigt sich, wie stark Lukas das Geschehen stilisiert. Paulus – als Konfliktpartei sicherlich alles andere als ein uninteressierter, neutraler Beobachter – betont seine eigene Initiative, die die Gemeinde in Jerusalem zu einer Klärung gezwungen habe, und bestreitet damit die Kompetenz der dortigen Apostel und Ältesten, über seine Missionspraxis zu richten. Folgerichtig stellt er die Beratungen als Gespräch ‚auf Augenhöhe‘ dar, in dem sein Vorgehen uneingeschränkt bestätigt worden sei, ohne irgendwelche Mindestanforderungen zu nennen (Gal 2,1–10). Somit erscheint der Bericht der Apostelgeschichte in einem anderen Licht. Seine ‚Synodalakten‘ – die Erzählung sowie der inserierte Brief – stilisieren das Geschehen zu einem Muster konsensorientierter Konfliktbeilegung, in das zugleich klare Vorstellungen einer kirchlichen Institutionalisierung eingeschrieben sind. Unabhängig davon, in welchem Maße dieser stilisierte Bericht dem historischen Geschehen entspricht, erlangt er qua Aufnahme in den Kanon des Neuen Testaments langfristig Geltung. Noch in einem anderen Sinne idealisiert der Bericht des Lukas das Konfliktgeschehen, denn er unterschlägt, dass die Beratungen
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in Jerusalem keineswegs das Ende der Auseinandersetzungen um den richtigen Umgang zwischen Juden- und Heidenchristen bedeutet haben. Paulus berichtet jedenfalls, in der Folgezeit sei Petrus bei ihm in Antiochia gewesen und habe auch gemeinsam mit den Heidenchristen gegessen. Als jedoch andere Jerusalemer Christen zu ihnen gestoßen seien, habe sich Petrus von der Mahlgemeinschaft zurückgezogen aus Angst vor den Beschnittenen. Deswegen habe Paulus ihn öffentlich zurechtgewiesen (Gal 2,11–21). Zusammengenommen bietet die Überlieferung zum sogenannten Apostelkonzil somit ein ambivalentes Bild. Auf der einen Seite lässt sie die Erwartung erkennen, innerchristliche Konflikte ließen sich im Vertrauen auf Gottes Wirken durch gemeinsame Beratungen beilegen, deren schriftlich fixierte Ergebnisse zu einem friedlichen Zusammenleben und damit zu einer Stärkung der Kohärenz zwischen verschiedenen christlichen Gruppen beitragen. Auf der anderen Seite zeigt sie, wie fragil der Kompromiss war, wenn nicht alle Akteure an ihm festhielten. Das Bild einer friedlichen, diskursiven und in geregelten Verfahren erzielten Lösung erweist sich als hochgradig stilisiert. Aber gerade in dieser Stilisierung gewann es doch wieder historische Realität, denn es wurde zu dem Ideal, an dem sich spätere Synoden orientieren konnten.
I. Kirchliche Entscheidungsfindung im Spannungsfeld von Religion und Politik Die offensichtliche Spannung zwischen konflikthaften politischen Realitäten und verschiedenen, rechtlich-politisch wie religiös fundierten Idealen konsensualer Entscheidungsfindung blieb im Verlauf des Mittelalters bekanntlich bestehen. Auftretende Überschneidungen zwischen religiöser und politischer Sphäre waren vielfältig. Einerseits vertraten Synoden innerhalb der lateinischen Kirche den Anspruch, göttlich gefällte Entscheidungen lediglich zu verkünden, beziehungsweise boten sich als Orte und Garanten für eine Ermittlung des göttlichen Willens an. Andererseits waren und blieben synodale Treffen in wesentlicher Weise ‚politische‘ Ereignisse. Während die Meinungsverschiedenheiten zwischen verschiedenen Parteien im Fall des Apostelkonzils auf einen persönlichen Gegensatz zurückgeführt werden, traten im Verlauf des Mittelalters immer deutlicher Spannungen zwischen Stellvertretern bestimmter Gruppierungen und Institutionen hervor – zwischen
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Papst und Bischöfen im Falle einiger hoch- und spätmittelalterlicher Synoden, seit der spätantiken Kaiserzeit aber auch zwischen kirchlichen Amtsträgern und weltlichen Herrschern. Die Verquickung von Entscheidungsmechanismen aus den Bereichen der weltlichen Politik, des Rechts oder schließlich der religiösen Wahrheitsfindung erscheint somit als Quelle fortwährender Dynamiken: Während Verfahren politischer Willensbildung und gelehrter oder gerichtlich-rechtlicher Problemlösung sich prinzipiell als häufige Vorbilder synodaler Entscheidungsfindung erweisen, wurden auch religiöse Logiken ins Feld geführt – nicht zuletzt dann, wenn es galt, dem ungewollten Eingreifen bestimmter (weltlicher) Akteure Schranken zu setzen. Immer wieder wurde daher die Legitimität bestimmter Rahmungen der Konfliktlösung thematisiert. Die Akten der Synode von Toledo 684 bemerkten etwa, dass Gott nicht befohlen habe, ihn zu debattieren, sondern an ihn zu glauben („Non enim se Deus discutere iubet sed credere“). 2 Synoden wiesen weiterhin zwar einen zunehmend festen, standardisierten liturgischen Rahmen auf. Für die Art und Weise des Umgangs mit Konflikten und die Formen des Entscheidens über Streitsachen wurden in ordines de celebrando concilio und ähnlichen Texten jedoch nie klare Normen festgeschrieben. Lediglich allgemeine Erwartungen wie die Freihaltung der Diskussion von persönlichen Bindungen und Geldgeschenken oder die Verpflichtung auf ein von Gewalt und Tumulten freies Debattieren wurden geäußert. 3 Die Nutzung ganz verschiedener Konfliktstrategien blieb daher möglich. In paradoxer Weise erscheint der Rahmen der Synode somit als historisch variabel, steht jedoch – als Ultima Ratio der Konfliktbeilegung innerhalb der Kirche – trotzdem für Konstanz. Dies dürfte nicht zuletzt an der besonderen Leistung der schriftlichen Überlieferung synodaler Entscheidungen liegen: Nicht nur die Konfliktlösung, sondern vor allem die Kommunikation eines Ergebnisses erwies sich im Nachhinein zumeist als Bezugspunkt für deren Akzeptanz und Verbindlichkeit – es sei denn, dass eine Veröffentlichung mit Gegendarstellungen zu kämpfen hatte. Insofern erscheinen nicht nur synodale Versammlungen, sondern auch ihre An-
2 Vgl. den Titel des Beitrags von Christoph Dartmann in diesem Band mit Diskussion der Stelle, 61f. 3 Vgl. hier nur Herbert Schneider, Die Konzilsordines des Früh- und Hochmittelalters. Ordines de celebrando concilio. Hannover 1996, und den Beitrag von Christoph Dartmann in diesem Band, 67–69 bei Anm.11 und 17–18.
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schlusskommunikation und gegebenenfalls ihre Vorläufe als Orte der Konfliktlösung. Die Legitimität von Entscheidungen musste nicht nur während, sondern auch schon im Vorfeld und erst recht nach der Synode diskursiv oder symbolisch hergestellt werden. Dazu trugen nicht zuletzt die Kirchenrechtssammlungen bei, die Synodalbeschlüsse in großer Zahl zusammentrugen und ihre Rezeption langfristig gewährleisteten. 4
II. Anliegen und Forschungskontexte der Münsteraner Tagung Diese Multidimensionalität synodaler Konfliktpraxis von der Antike bis zur Frühen Neuzeit in den Blick zu nehmen war Ausgangspunkt der Tagung, die im vorliegenden Band zur Publikation gebracht wird. Sie ging von der Beobachtung aus, dass die unterschiedlichen Aspekte synodaler Konfliktbearbeitung bislang für verschiedene Epochen unterschiedlich thematisiert worden sind. Die verschiedenen Forschungsperspektiven können zudem noch stärker aufeinander bezogen werden: Es liegen Ansätze zur Erforschung der rechtlich-rituellen Rahmung von Kirchenversammlungen und viele Studien zu spezifischen Abläufen vor, insbesondere zu den großen Konzilien des 15.Jahrhunderts. Angesichts des typischen Aufeinandertreffens kirchlicher und weltlicher Handlungs- und Deutungsstrukturen auf Synoden erscheint es jedoch sinnvoll, synodal-kirchliche Entscheidungen stärker mit weltlichen Praktiken der Konfliktführung und -lösung in Zusammenschau zu bringen. Um die Verknüpfung religiöser und profaner Elemente der Konfliktlösung herauszuarbeiten, muss zudem die Funktion eines synodalen Rahmens genau betrachtet werden. Die liturgisch klar aus einem Konfliktgeschehen herausgehobene Synode konnte ja eine Konfliktlösung anregen, vorbereiten und sogar erarbeiten – oder lediglich bereits gefundene Übereinkünfte publizieren. Zur systematischen Entwicklung von Zugängen zu diesen Fragen boten sich drei 4 Andreas Thier, Dynamische Schriftlichkeit. Zur Normbildung in den vorgratianischen Kanonessammlungen, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Kanonistische Abteilung 93, 2007, 1–33; Christoph H.F. Meyer, Ordnung durch Ordnen. Die Erfassung und Gestaltung des hochmittelalterlichen Kirchenrechts im Spiegel von Texten, Begriffen und Institutionen, in: Bernd Schneidmüller/Stefan Weinfurter (Hrsg.), Ordnungskonfigurationen im hohen Mittelalter. (Vorträge und Forschungen, Bd. 64.) Ostfildern 2006, 303–411.
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etablierte Forschungsfelder an, deren gemeinsame Bezugspunkte in letzter Zeit immer deutlicher geworden sind. Wesentliche Entwicklungslinien und Ansatzpunkte liegen aus der Erforschung von Konzilien und Synoden vor. 5 Sie sollten mit Ansätzen der bislang vor allem auf weltliche Kontexte fokussierten historischen Konfliktforschung in Zusammenschau gebracht werden. 6 Als relevantes Bindeglied bot sich die Forschungsfrage nach der Institutionalisierung, Verrechtlichung und Formalisierung von Verfahren der Entscheidung und Beratung an. 7 Ziel der Tagung war, die be-
5 Vgl. zur Geschichte von Konzilien und Synoden allgemein die Bände der Konziliengeschichte hrsg. v. Walter Brandmüller, Rh.A: Darstellungen, und Rh.B: Untersuchungen, z.B. Wilfried Hartmann, Die Synoden der Karolingerzeit im Frankenreich und in Italien. (Konziliengeschichte, Rh.A.) Paderborn 1989; Georg Gresser, Die Synoden und Konzilien in der Zeit des Reformpapsttums in Deutschland und Italien von Leo IX. bis Calixt II., 1049–1123. (Konziliengeschichte, Rh.A.) Paderborn 2006, sowie exemplarisch Franz-Josef
Schmale, Systematisches zu den Konzilien des Reformpapsttums im 12.Jahrhundert, in: Annuarium Historiae Conciliorum 6, 1974, 21–39; Anne J. Duggan, Conciliar Law, 1123–1215. The Legislation of the Four Lateran Councils, in: Wilfried Hartmann/Kenneth Pennington (Eds.), The History of Medieval Canon Law in the Classical Period, 1140–1234. Washington, D. C. 2008, 318–366; Nathalie Kruppa/Leszek Zygner (Hrsg.), Partikularsynoden im späten Mittelalter. (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte/ Studien Zur Germania Sacra, Bd. 219/20.) Göttingen 2006); stellvertretend für die nachreformatorisch-protestantische Tradition Otto Scheib, Die innerchristlichen Religionsgespräche im Abendland. Regionale Verbreitung, institutionelle Gestalt, theologische Themen, kirchenpolitische Funktion mit besonderer Berücksichtigung des konfessionellen Zeitalters (1517–1689). 3 Bde. Wiesbaden 2009; Aza Goudriaan/Fred van Lieburg (Eds.), Revisiting the Synod of Dordt (1618–1619). Leiden 2011. 6 Vgl. zur Konfliktforschung allgemein Thorsten Bonacker (Hrsg.), Sozialwissenschaftliche Konflikttheorien. Eine Einführung. 4.Aufl. Wiesbaden 2008; Simon Roberts/John L. Comaroff, Rules and Processes. The Cultural Logic of Dispute in an African Context. Chicago/London 1981; Simon Roberts, Order and Dispute. An Introduction to Legal Anthropology. Harmondsworth 1979. Aus mediävistischer Perspektive (jeweils mit weiteren Verweisen) Wendy Davies/Paul Fouracre (Eds.), The Settlement of Disputes in Early Medieval Europe. Cambridge 1992; Gerd Althoff, Spielregeln der Politik im Mittelalter. Kommunikation in Frieden und Fehde. Darmstadt 1997; Knut Görich, Die Ehre Friedrich Barbarossas. Kommunikation, Konflikt und politisches Handeln im 12.Jahrhundert. Darmstadt 2001; Warren Brown/Piotr Górecki (Eds.), Conflict in Medieval Europe. Changing Perspectives on Society and Culture. London 2003; Stefan Esders (Hrsg.), Rechtsverständnis und Konfliktbewältigung. Gerichtliche und außergerichtliche Strategien im Mittelalter. Köln/Weimar/Wien 2007. 7 Vgl. Barbara Stollberg-Rilinger (Hrsg.), Vormoderne politische Verfahren. (Zeitschrift für historische Forschung, Beih. 25.) Berlin 2001; bes. Michael Sikora, Der Sinn des Verfahrens. Soziologische Deutungsangebote, in: ebd.25–51; Barbara Stollberg-Rilinger/André Krischer (Hrsg.), Herstellung und Darstellung von Entscheidungen. Verfahren, Verwalten und Verhandeln in der Vormoderne. (Zeitschrift für historische Forschung, Beih. 44.) Berlin 2010. Vgl. weiterhin Hendrik Vollmer, Akzeptanzbeschaffung. Verfahren und Verhandlungen, in: Zeitschrift für Soziologie 25, 1996, 147–164; Matthias Köhler, Strategie und Symbolik. Verhandeln auf dem Kongress von Nimwegen. (Externa – Geschichte der Außenbeziehungen in neuen Perspektiven, Bd. 3.) Köln/Weimar/Wien 2011. Vgl. für den soziologischen Hintergrund dieser Forschungs-
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reits vorhandenen Berührungspunkte zwischen diesen Feldern genauer auszuloten und weiterzuentwickeln. 8 Daher wurden nicht die großen Konzilien des Spätmittelalters in den Mittelpunkt gestellt, sondern exemplarische Überlegungen zu großen wie kleinen Synoden und Kirchenversammlungen zwischen Antike und Früher Neuzeit versammelt und in Vorträgen und Kommentaren diskutiert. 9 Die Überlegungen des vorliegenden Bandes schließen somit an Ergebnisse und methodische Überlegungen unterschiedlicher Forschungstraditionen an. Die Konzilienforschung hat mit ihrer Frage nach dem Selbstverständnis und den Befugnissen synodaler Versammlungen 10 zentrale Grundbeobachtungen vorgelegt: Herr-
richtung Niklas Luhmann, Legitimation durch Verfahren. Frankfurt am Main 1983; Uwe Schimank, Die Entscheidungsgesellschaft. Komplexität und Rationalität der Moderne. Berlin 2005. 8 Vgl. bereits die Verknüpfungen verschiedener Perspektiven in Arbeiten zur rituellen Gestaltung von Kirchenversammlungen, z.B. Johannes Helmrath, Rangstreite auf Generalkonzilien des 15.Jahrhunderts als Verfahren, in: Stollberg-Rilinger (Hrsg.), Vormoderne politische Verfahren (wie Anm.7), 139–173, sowie schon Hermann Heimpel, Sitzordnung und Rangstreit auf dem Basler Konzil. Skizze eines Themas, in: Johannes Helmrath/Heribert Müller (Hrsg.), Studien zum 15.Jahrhundert. Festschrift für Erich Meuthen. Bd. 1. München 1994, 1–9; Klaus Schreiner, Wahl, Amtsantritt und Amtsenthebung von Bischöfen. Rituelle Handlungsmuster, rechtlich normierte Verfahren, traditionsgestützte Gewohnheiten, in: Stollberg-Rilinger (Hrsg.), Vormoderne politische Verfahren (wie Anm.7), 73–118. Von verschiedenen Seiten sind synodale Versammlungen auch mit weltlichen politischen Versammlungen in Zusammenhang gebracht worden, vgl. etwa Jörg Peltzer/Gerald Schwedler/Paul Töbelmann (Hrsg.), Politische Versammlungen und ihre Rituale. Repräsentationsformen und Entscheidungsprozesse des Reichs und der Kirche im Späten Mittelalter. Ostfildern 2009, bes. Jürgen Miethke, Formen der Repräsentation auf Konzilien des Mittelalters, in: ebd.21–36; Jürgen Dendorfer, Inszenierung von Entscheidungsfindung auf den Konzilien des 15. Jahrhunderts. Zum Zeremoniell der Sessio generalis auf dem Basler Konzil, in: ebd.37–54. Relevant weiterhin einige Beiträgen des nach der Tagung erschienenen Bandes Bernward Schmidt/Hubert Wolf (Hrsg.), Ekklesiologische Alternativen? Monarchischer Papat und Formen kollegialer Kirchenleitung (15.–20.Jahrhundert). (Symbolische Kommunikation und gesellschaftliche Wertesysteme, Bd. 42.) Münster 2013, sowie Leidulf Melve, Assembly Politics and the „Rules-of-the-Game“ (c. 650–1150), in: Viator 41/2, 2010, 69–90, der Synoden und weltliche Versammlungen ohne Unterscheidungen diskutiert. 9 Nicht nur den Beiträgern, sondern auch den Kommentatoren der Tagung – Gerd Althoff, Claudia Märtl, Steffen Patzold, Barbara Stollberg-Rilinger und Nicola Stricker – sei nochmals herzlich gedankt. Die Kommentatoren Constant J. Mews (der Clare Monagle als Co-Autorin gewann) und Melanie Brunner konnten dankenswerterweise für eigene Beiträge gewonnen werden. 10 Zu Theorie und Vorstellungen von Konzilien als Leitungsorganen der Kirche vgl. Brian Tierney, Foundations of the Conciliar Theory. The Contribution of the Medieval Canonists from Gratian to the Great Schism. (Studies in the History of Christian Thought, Vol.81.) 2.Auflage Leiden/New York/Köln 1998 (erste Auflage 1955); Bernard Botte/Hilaire Marot/Pierre-Thomas Camelot (Eds.), Le Concile et les conciles. Contribution à l’histoire de la vie conciliaire de l’Église. Paris 1960; Anthony J. Black, Monarchy and Community. Political Ideas in the Later Conciliar Controversy. (Cambridge Studies in Medieval Life and Thought, 3rd
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scher und Päpste, Bischöfe und lokale Eliten, Juristen und Theologen entwickelten eigene Vorstellungen und Überzeugungen zur Beschaffenheit, Rolle und Befugnis von Konzilien – nicht zuletzt anlässlich von Meinungsverschiedenheiten und Konflikten, die auf ihnen zu verhandeln waren. Der Ausgang von Konflikten war insofern oft genug vom eingeschlagenenen Weg der Konfliktlösung mitbestimmt, und wie sich im Spätmittelalter immer deutlicher abzeichnet, verknüpften sich meist klare politische Interessen und Kalküle mit religiösen Überzeugungen zur richtigen Entscheidungsfindung in der Kirche. Es zeigen sich somit episodenhafte, von situativen Konstellationen geprägte Veränderungen des praktischen und theoretischen Verständnisses von Konfliktlösung auf Synoden – wobei Brüche auftreten, wenn eine beteiligte Partei oder Allianz ihre Strategie der Konfliktbeeinflussung durchzusetzen verstand, wie dies mit der Kirchenreform des Hochmittelalters, während der Reformkonzilien oder wieder mit dem Bruch der Reformation geschah. Die spätmittelalterliche Bewegung des Konziliarismus und die konkreten Abläufe der großen Konzilien des 15.Jahrhunderts wie Pisa, Konstanz und Basel 11, die be-
Ser., Vol.2.) Cambridge 1970; ders., Council and Commune. The Conciliar Movement and the FifteenthCentury Heritage. London 1979; Hermann Josef Sieben, Die Konzilsidee der Alten Kirche. (Konziliengeschichte, Rh. B.) Paderborn/München/Wien/Zürich 1979; ders., Die Konzilsidee des Lateinischen Mittelalters 847–1378. (Konziliengeschichte, Rh.B.) Paderborn/München/Wien/Zürich 1984; ders., Die Konzilsidee von der Reformation bis zur Aufklärung. (Konziliengeschichte, Rh.B.) Paderborn/München/Wien/ Zürich 1988; Hans-Jürgen Becker, Die Appellation vom Papst an ein allgemeines Konzil. Historische Entwicklung und kanonistische Diskussion im Späten Mittelalter und in der Frühen Neuzeit. (Forschungen zur kirchlichen Rechtsgeschichte und zum Kirchenrecht, Bd. 17.) Köln/Wien 1988; Constantin Fasolt, Council and Hierarchy. The Political Thought of William Durant the Younger. (Cambridge Studies in Medieval Life and Thought, 4th Ser., Vol.16.) Cambridge/New York 1991; Francis Oakley, The Conciliarist Tradition. Constitutionalism in the Catholic Church, 1300–1870. Oxford 2003; Bernward Schmidt, Die Konzilien und der Papst. Von Pisa (1409) bis zum Zweiten Vatikanischen Konzil (1962–65). Freiburg im Breisgau 2013. 11
Vgl. zu den Konzilien des 15.Jahrhunderts Heribert Müller, Die kirchliche Krise des Spätmittelalters:
Schisma, Konziliarismus und Konzilien. (Enzyklopädie deutscher Geschichte, Bd. 90.) München 2012; Heribert Müller/Johannes Helmrath, Die Konzilien von Pisa (1409), Konstanz (1414–1418) und Basel (1431– 1449). Institution und Personen. (Vorträge und Forschungen, Bd. 67.) Ostfildern 2007, bes. Helmrath/ Müller, Zur Einführung, ebd.9–30; Ansgar Frenken, Die Erforschung des Konstanzer Konzils (1414–1418) in den letzten 100 Jahren. Paderborn 1995 (= Annuarium Historiae Conciliorum 25/1–2, 1993); Francis Oakley, Verius est licet difficilius. Tiemey’s Foundations of the Conciliar Theory after Forty Years, in: Studies in the History of Christian Thought 71, 1996, 15–34; Johannes Helmrath, Das Basler Konzil 1431–1449. Forschungsstand und Probleme. (Kölner Historische Abhandlungen, Bd. 32.) Köln/Wien 1987; Thomas Prügl, Die Ekklesiologie Heinrich Kalteisens OP in der Auseinandersetzung mit dem Basler Konziliarismus. Mit einem Textanhang. (Veröffentlichungen des Grabmann-Institutes zur Erforschung der mittelalterlichen Theologie und Philosophie, NF., Bd. 40.) Paderborn 1995; Gerald Christianson/Thomas M. Izbicki/Christopher M. Bel-
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sonders im Umfeld des II. Vatikanischen Konzils stärkeres Interesse auf sich zogen 12, dürfen heute als einer der am besten erforschten Abschnitte solcher Transformationen gelten. Doch haben sich in der Konzilsforschung auch jenseits der großen Themen von Superiorität und Ekklesiologie Fragen entwickelt, die sich auf die aufscheinenden Konvergenzen der vorliegenden Beiträge beziehen lassen. Die Erforschung der Verfahrensweisen – und damit auch der Konfliktlösung – der teils zur „Behörde“ ausgebauten spätmittelalterlichen Konzilien ist weit vorangeschritten. 13 Doch bliebe einiges für die vielgestaltigen und immer wieder Veränderungen unterworfenen Formen der Entscheidungsfindung und Konfliktlösung auf sonstigen großen und kleinen Synoden zu tun. Zudem ist immer wieder gefragt worden, welche Rolle Medien und Öffentlichkeit für die großen Konzilien spielten. Setzte man etwa auf die Kraft argumentativer Klärung und trat in (zumindest scheinbar) ergebnisoffene Verhandlungen ein, auch wenn das zu tagelangen, aber kaum persuasiv wirklitto (Eds.), The Church, the Councils, and Reform. The Legacy of the Fifteenth Century. Washington, D. C. 2008; Jürgen Dendorfer/Claudia Märtl (Hrsg.), Nach dem Basler Konzil. Die Neuordnung der Kirche zwischen Konziliarismus und monarchischem Papat (ca. 1450–1475). (Pluralisierung & Autorität, Bd. 13.) Münster 2008; Heribert Müller (Hrsg.), Das Ende des konziliaren Zeitalters (1440–1450). Versuch einer Bilanz. (Schriften des Historischen Kollegs, Kolloquien, Bd. 86.) München 2012; Ulrich Horst, Juan de Torquemada und Thomas de Vio Cajetan. Zwei Protagonisten der päpstlichen Gewaltenfülle. (Quellen und Forschungen zur Geschichte des Dominikanerordens, NF., Bd. 19.) Berlin 2012; Jan Keupp/Jörg Schwarz, Konstanz 1414–1418. Eine Stadt und ihr Konzil. Darmstadt 2013. 12 Vgl. zusammenfassend Heribert Müller, Konzilien des 15.Jahrhunderts und Zweites Vatikanisches Konzil. Historiker und Theologen als Wissenschaftler und Zeitgenossen, in: Dieter Hein/Klaus Hildebrand/Andreas Schulz (Hrsg.), Historie und Leben. Der Historiker als Wissenschaftler und Zeitgenosse. Festschrift für Lothar Gall. München 2006, 115–135. 13 Der Begriff der Behörde u.a. bei Johannes Helmrath, Das Konzil als Behörde. Eine unbekannte Kanzleiordnung des Basler Konzils von 1439, in: Michael Matheus/Andreas Rehberg (Hrsg.), Kurie und Region. Festschrift für Brigide Schwarz zum 65. Geburtstag. (Geschichtliche Landeskunde, Bd. 59.) Stuttgart 2005, 93–112. Vgl. mit verschiedenen Aspekten zur Konfliktführung bes. Thomas Graumann, Die Kirche der Väter. Vätertheologie und Väterbeweis in den Kirchen des Ostens bis zum Konzil von Ephesus (431). (Beiträge zur historischen Theologie, Bd. 118.) Tübingen 2002; Ramsay MacMullen, Voting About God in Early Church Councils. New Haven, CT/London 2006; Gresser, Die Synoden (wie Anm.4), 523–564; Hartmann, Synoden (wie Anm.4), 1–10; Wolter, Die Synoden (wie Anm.4), 455–478; Raymonde Foreville, Procédure et débats dans les conciles médievaux du Latran (1123–1215), in: dies., Gouvernement et vie de l’Église au Moyen-Âge. Recueil d’études. (Variorum Collected Studies Series, Vol.95.) London 1979, 21–37; Johannes Laudage, Ritual und Recht auf den päpstlichen Reformkonzilien, in: Annuarium Historiae Conciliorum 29, 1997, 287–334; stellvertretend für mehrere Arbeiten zum 15.Jahrhundert Helmrath, Das Basler Konzil (wie Anm.11), sowie Stefan Sudmann, Das Basler Konzil. Synodale Praxis zwischen Routine und Revolution, Tradition, Reform, Innovation (Studien zur Modernität des Mittelalters, Bd. 8.) Frankfurt am Main/New York 2005; vgl. auch zahlreiche der in Anm 5. aufgeführten neueren Beiträge.
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samen Debatten führte, wie Thomas Prügl auf der Münsteraner Tagung am Beispiel der Disputation mit den hussitischen Theologen auf dem Basler Konzil diskutierte? 14 Oder sind gerade die überlieferten Traktate der Reformkonzilien des 15. Jahrhunderts eigentlich als Stellungnahmen und Argumentsammlungen zu deuten, was im Gegenzug dem Kontext der Versammlung einen eher zeremoniell rahmenden, freilich dennoch wichtigen, etwa zeitlich strukturierenden Charakter 15 zuweisen würde? Zudem ist vielfach beschrieben worden, dass die großen Konzilien als „Foren der öffentlichen Meinung“ und zudem als Drehscheiben intellektueller Einflüsse fungierten. 16 Doch wie betteten sich verschiedene Mechanismen der synodalen Entscheidungsfindung in vormoderne Formen von Öffentlichkeit ein? Schon an den großen Konzilien des 15.Jahrhunderts wird sehr deutlich, dass synodale Verhandlungen in komplexe Zusammenhänge eingebunden waren, die keineswegs sämtlich unter ähnlichen Bedingungen abliefen, sondern eine Vielzahl von unterschiedlichen Situationen der Vor- und Nachbereitung, des formellen und informellen Verhandelns, öffentlichen oder begrenzt öffentlichen Argumentierens einschlossen. Eine vergleichbare Komplexität dürfte sich für weitere Synoden des Untersuchungszeitraums postulieren lassen. An dieser Stelle zeigen sich daher zahlreiche mögliche Querverbindungen zur Konfliktforschung. Der seit Längerem in die historische Forschung eingeführte Begriff des ‚Konflikts‘ bietet für die Erforschung historischer Formen des Politischen grundsätzlich die Möglichkeit, nach Mechanismen der Konfliktführung und -beile-
14
Das Thema wird von Thomas Prügl im Rahmen eines Wiener Forschungsprojekts sowie im Rahmen
einer neuen Darstellung des Basler Konzils weiterhin bearbeitet. 15
Vgl. so Dendorfer, Inszenierung (wie Anm.8), 51.
16
Vgl. Jürgen Miethke, Die Konzilien als Forum der öffentlichen Meinung im 15.Jahrhundert, in: Deut-
sches Archiv für Erforschung des Mittelalters 37, 1981, 736–773; Johannes Helmrath, Kommunikation auf den spätmittelalterlichen Konzilien, in: Hans Pohl (Hrsg.), Die Bedeutung der Kommunikation für Wirtschaft und Gesellschaft. (Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, Beih. 87.) Stuttgart 1989, 116–172; Jürgen Miethke, Die Konzilien im 15.Jahrhundert als Drehscheiben internationaler Beziehungen, in: Konrad Krimm/Rainer Brüning (Hrsg.), Zwischen Habsburg und Burgund. Der Oberrhein als europäische Landschaft im 15.Jahrhundert. (Oberrheinische Studien, Bd. 21.) Stuttgart 2003, 257–274; Johannes Helmrath, Diffusion des Humanismus und Antike-Rezeption auf den Konzilien von Konstanz, Basel und Ferrara-Florenz, in: Ludger Grenzmann/Klaus Grubmüller/Fidel Rädle/Martin Staehelin (Hrsg.), Die Präsenz der Antike im Übergang vom Mittelalter zur Frühen Neuzeit. Göttingen 2004, 9–54; Jürgen Miethke, Die großen Konzilien des 15.Jahrhunderts als Medienereignis. Kommunikation und intellektueller Fortschritt auf den Großtagungen, in: Laurent Cesalli/Nadja Germann/Maarten J. F. M. Hoenen (Eds.), University, Council, City. Intellectual Culture on the Rhine (1300–1550). Turnhout 2009, 291–322.
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gung zu fragen, ohne bestimmte Akteure, Praktiken oder Instanzen anhand moderner Vorstellungen von Staatlichkeit, Recht oder Legitimität zu privilegieren. Auch für die Erforschung synodaler Konfliktbearbeitung ermöglicht dies, historische Veränderungen der Entscheidungsfindung in einem akteursorientierten Zugriff zu rekonstruieren und unterschiedlich geartete Etappen und Episoden synodaler Entscheidungsfindung im Zusammenhang zu sehen. Für die Erforschung synodaler Konfliktpraxis erscheint letztere Überlegung hochgradig relevant: Wir haben es angesichts des weitgehenden Fehlens eingespielter, geregelter und fest institutionalisierter Verfahren der politischen Konfliktlösung sowie zeitnaher Informationsübertragung durch Massenmedien im Mittelalter oft mit episodischen Verläufen der Konfliktbearbeitung und -lösung zu tun, die sich über längere Zeiträume hinziehen und eine Vielzahl räumlich-personaler Konstellationen einbeziehen konnten. Es liegt daher nahe, nach den jeweils historisch geltenden Regeln und Konventionen der Konfliktführung sowie nach Formen der Öffentlichkeit zu fragen, die insbesondere für das Früh- und Hochmittelalter intensiv erforscht worden sind. 17 In der Untersuchung unterschiedlicher Konfliktstrategien stellt sich jedoch als Problem, dass trotz des relativ offenen Begriffs der Konfliktlösung moderne Konzepte wie ‚Recht‘ und ‚Politik‘ bzw. ‚Verwaltung‘ erheblichen Einfluss gewinnen, sobald man nach diachroner Veränderung fragt. Zumindest seit dem 12.Jahrhundert ist etwa ein deutlicher Schub der Verrechtlichung synodaler Konfliktführung zu erkennen, der auf breitere gesellschaftliche Entwicklungen zurückzuführen ist. Die Verwissenschaftlichung der Theologie wirkt ebenfalls stark auf die Diskussionskultur der Zeit. Doch können die teilweise ja äußerst flexiblen Konfliktstrategien vormoderner Synoden nicht ohne Weiteres feststehenden Typen ‚rechtlichen‘, ‚wissenschaftlichen‘ oder ‚politischen‘ Handelns zugeschlagen werden, ohne eine teleologische Sichtweise zu befördern. Bei der Suche nach einem trennschärferen Analyseinstrumentarium für komplexe Konfliktbearbeitungsstrategien kann daher die Erforschung von Verfahren und
17 Vgl. Claudia Garnier/Hermann Kamp (Hrsg.), Spielregeln der Mächtigen. Mittelalterliche Politik zwischen Gewohnheit und Konvention. Darmstadt 2010, sowie zur Erforschung politischer Öffentlichkeit Gerd Althoff, Formen und Funktionen öffentlicher Kommunikation im Mittelalter. (Vorträge und Forschungen, Bd. 51.) Stuttgart 2001; Martin Kintzinger/Bernd Schneidmüller (Hrsg.), Politische Öffentlichkeit im Spätmittelalter. (Vorträge und Forschungen, Bd. 75.) Ostfildern 2011.
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Entscheidungen Anregungen geben, in der in letzter Zeit vor allem für die Frühe Neuzeit klare Ansätze und Operationalisierungen erarbeitet wurden. 18 Als Idealtyp gesehen, zeichnet sich ein Verfahren durch eine feste, eventuell sogar schriftlich geregelte Form und einen zusammenhängenden Verfahrensablauf aus, der ein prinzipiell ergebnisoffenes Entscheiden vorsieht. 19 Die Beteiligten eines ‚Verfahrens‘ müssen dessen Ablauf im Vorhinein akzeptieren und nehmen im Rahmen des Verfahrens dann Rollen ein, die typischerweise von ihren sonstigen gesellschaftlichen Rollen geschieden sind. Die Legitimität der Entscheidung beruht dann nicht auf einer wie auch immer gearteten Richtigkeit des Ergebnisses, sondern wird als Ergebnis des Verfahrens erzeugt, das verbindliche Entscheidungen nicht nur herstellt, sondern gleichzeitig auch als solche darstellt und somit unmittelbare Bindewirkung erzeugt. 20 Eine Vielzahl vormoderner synodaler Konfliktstrategien entspricht freilich nicht dem idealtypischen Schema eines derart ‚autonomen‘ Verfahrens, sondern vielmehr dem der ‚Verhandlung‘ 21, bei der sich die Beteiligten nicht im Vorhinein auf eine Akzeptanz des Verfahrensergebnisses festlegen ließen, sondern sich die Handlungsalternativen des Protestes, des Hinausschiebens und des Verhandlungsabbruchs so lange offenhielten, bis das Ergebnis akzeptabel erschien. Will man die Verfestigung bestimmter Typen der Konfliktlösung zu einer Verfahrensform untersuchen, muss es also darauf ankommen, die Grenzziehung zwischen formalisierten Verfahren und flexibleren Konfliktstrategien im Detail zu untersuchen. Wie Michael Sikora im Einzelnen dargestellt hat, kann man dazu etwa verschiedene Bestandteile verfahrensförmigen Vorgehens weiter isolieren, um dann zeitgenössische Diskussionen über einzelne Verfahrensfragen auszuwerten, wie sie gerade auf Synoden häufig vorkamen. Wie an verschiedenen historischen Konstellationen sichtbar wird, gerieten unter bestimmten Umständen auf Synoden
18
Vgl. besonders Stollberg-Rilinger (Hrsg.), Vormoderne politische Verfahren (wie Anm.7); dies./Krischer
(Hrsg.), Herstellung und Darstellung von Entscheidungen (wie Anm.7). 19
Vgl. zur Definition Barbara Stollberg-Rilinger, Einleitung, in: dies./Krischer (Hrsg.), Herstellung und
Darstellung von Entscheidungen (wie Anm.7), 9–31, bes. 9; dies., Einleitung, in: dies. (Hrsg.), Vormoderne politische Verfahren (wie Anm.7), sowie Sikora, Der Sinn des Verfahrens (wie Anm.7). 20
Vgl. Stollberg-Rilinger, Einleitung, in: dies./Krischer (Hrsg.), Herstellung und Darstellung von Entschei-
dungen (wie Anm.7), 11. 21
So der Befund von Stollberg-Rilinger/Krischer (Hrsg.), Herstellung und Darstellung von Entscheidun-
gen (wie Anm.7), etwa Stollberg-Rilinger, Einleitung, 27. Vgl. auch Matthias Köhler, Verhandlungen, Verfahren und Verstrickung auf dem Kongress von Nimwegen 1676–1679, in: Stollberg-Rilinger/Krischer (Hrsg.), Herstellung und Darstellung von Entscheidungen (wie Anm.7), 411–441, bes. 413f.
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unterschiedliche Facetten solcher Verfahrens- oder Verhandlungslösungen in den Fokus der Aufmerksamkeit. Während bei rechtlich akzentuierten Verfahren und Abstimmungen über Rolle, Zahl und Stimmrecht der einzelnen Beteiligten entschieden werden musste, war es bei theologisch ausgerichteten Disputationen notwendig, sich auf die zulässigen Argumente und Autoritäten zu einigen.
III. Perspektiven und Akzente des vorliegenden Bandes Die Beiträge des vorliegenden Bandes zeigen immer wieder Querverbindungen zwischen diesen Fragekomplexen auf. Der einleitende und grundlegende Beitrag Thomas Graumanns zu Konfliktlösung auf Konzilien der Alten Kirche macht etwa deutlich, dass das Format der Synode seit der Antike für verschiedene Formen der Entscheidungsfindung prinzipiell offen war – vor allem für die rechtsförmige Konfliktlösung, die dann zumeist als gerichtliche Prüfung in Anlehnung an antike Gerichtsverfahren mit anschließender Disziplinierung einzelner Kontrahenten erschien, aber auch für die diskursive, unter Heranziehung von Autoritätentexten geführte Klärung durch Debatte. Wie Graumann herausstreicht, blieben diese Vorgehensweisen jedoch unscharf gegeneinander abgegrenzt. Kontrahenten, die zu einer Disputation angereist waren, konnten sich bei laufender Verhandlung plötzlich sozusagen vor Gericht wiederfinden. Besonders in der schriftlichen Publikation konnte das Zustandekommen von Beschlüssen angepasst dargestellt werden, auch wenn verschiedene Berichte unterschiedliche Erwartungen teils gegeneinander ausspielten. So verankerten schon die wichtigen spätantiken Synoden verschiedene Formen rechtlichen, argumentativ-deliberativen oder anderen Vorgehens im Erwartungshorizont. Christoph Dartmanns Beitrag zu den Synoden des Westgotenreichs stellt noch deutlicher in den Mittelpunkt, wie problematisch die Überlieferung synodaler Beschlüsse sein konnte. An zwei unterschiedlich dokumentierten Konflikten arbeitet er heraus, welch intensive Vorläufe der Konfliktbearbeitung ans Tageslicht kommen, wenn nicht nur die synodale Versammlung selbst, sondern auch deren Vorlauf – oder, wie im Rahmen der Tagung mehrfach formuliert wurde, ihr ‚Umfeld‘ – in die Untersuchung einbezogen wird. Wie Dartmann deutlich zeigt, dürfen die westgotischen Synoden zumeist nicht als Orte der Entscheidungsfindung verstanden werden, sondern hatten vor allem die Funktion öffentlicher Publikation und Verbind-
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lichkeitsstiftung von Konfliktlösungen, die bereits vorher politisch ausgehandelt worden waren. Der Beitrag Ernst-Dieter Hehls zu ‚streitenden und einträchtigen Bischöfen‘ im ottonischen und salischen Reich entwickelt eine aufschlussreiche Perspektive auf gruppenspezifisch und regional unterschiedliche Ausprägungen von Konfliktstrategien. Wie er an zahlreichen Konflikten zwischen Bischöfen, Päpsten und Herrschern herausarbeitet, darf man den Reichsbischöfen des 10. und 11.Jahrhunderts ein ausgeprägtes Streben nach konsensualer Einigung und einen intensiven Gebrauch vertraulicher und informeller Verhandlungsformen attestieren. Dies lag nicht zuletzt in religiösen Konsensidealen und in der Rücksichtnahme auf die Gemeinsamkeit mit dem Gegner im bischöflichen Amt begründet. Gleichzeitig macht Hehls Beitrag nachdrücklich deutlich, dass im Umfeld päpstlicher synodaler Konfliktlösung in Italien gleichzeitig ganz andere Formen der Entscheidungsfindung gepflegt wurden. Diese nahmen viel stärker rechtsförmigen Charakter an und waren auf den Papst hin organisiert. Diese Beobachtung legt den Zusammenhang zwischen regional dominierenden Mächtekonstellationen und der Bildung lokaler bzw. regionaler Konventionen der Konfliktaustragung sehr deutlich offen. Der Beitrag von Constant J. Mews und Clare Monagle fokussiert im Gegensatz die graduelle Ausbildung neuer Konfliktstrategien über einen längeren Zeitraum. Am Beispiel synodaler Prozesse gegen frühscholastische Theologen von Berengar von Tours († 1088) bis Gilbert von Poitiers († 1154) verfolgen die Autoren, wie schwierig und gewöhnungsbedürftig die textorientierte Diskussion bestimmter theologischer Positionen sein musste, solange es noch keine überregional verbindlichen Regeln und Methoden wissenschaftlicher Disputation gab. Wie Mews und Monagle zeigen, vollzieht sich im Übergang zu theologisch-diskursiver Konfliktführung nicht zuletzt eine Umschichtung von Autoritätsvorstellungen: Sie wurden nun nicht nur stärker schriftlich fixiert, sondern auch an bestimmte textuell-begriffliche Lehrsysteme gebunden. Um zu beschreiben, wie hier überregional verbindliche Normensysteme entstanden, könnte etwa der theologisch wie juristisch eingeführte Begriff eines ‚Dogmatisierungsprozesses‘ verwendet werden. 22 Der Beitrag von Sita Steckel nutzt das Beispiel der Auseinandersetzungen zwi-
22
Vgl. zum Konzept der Dogmatisierung Georg Essen/Nils Jansen (Hrsg.), Dogmatisierungsprozesse in
Recht und Religion. Tübingen 2011; Nils Jansen, Methoden, Institutionen, Texte, in: Zeitschrift der SavignyStiftung für Rechtsgeschichte, Germanistische Abteilung 128, 2011, 1–71.
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schen Papsttum und einer Gruppe französischer Bischöfe um die Privilegien der Bettelorden im späten 13.Jahrhundert, um die Öffentlichkeit synodaler Entscheidungen zu thematisieren. Das Beispiel des vertrackten Streits zwischen Papst und Prälaten, in dem nicht zuletzt um die Gültigkeit und Auslegung des Konzilsbeschlusses Omnis utriusque sexus von 1215 gerungen wurde, zeigt eine graduelle, durch die Konflikteskalation angeregte Qualitätsveränderung der von den Konflikparteien anvisierten Öffentlichkeit. Die reiche Parallelüberlieferung erlaubt in diesem Fall, den Hintergrund der verschiedenen, allmählich verknüpften Kommunikationsstrukturen genauer zu beschreiben. Der Beitrag Melanie Brunners parallelisiert dagegen ganz bewusst die Verhandlungen über das franziskanische Armutsideal auf der Synode von Vienne 1311/12 mit der gleichzeitigen Konfliktlösungspraxis der päpstlichen Kurie. Wie Brunners instruktive Diskussion typischer Formen der Entscheidungsfindung durch Konsultationen und schriftliche Stellungnahmen am Papsthof demonstriert, hatte die Kurie bereits ein dichtes Arsenal von Verfahren und Beratungstechniken entwickelt: Sie erzeugte durch semi-öffentliche Konsultationen zunächst eine hohe Mitwirkung aller Beteiligten, behielt die Entscheidung aber doch dem Papst vor. Das Konzil von Vienne beschreibt Brunner daher – in interessantem Gegensatz zu den Befunden Dartmanns für das Westgotenreich – als Ort der Öffentlichkeit und Diskussion, nicht jedoch der eigentlichen Beschlussfassung, die zumeist nachgelagert erfolgte. Der Beitrag Volker Leppins stellt idealtypisch die ‚diskursive‘ und ‚determinative‘ Entscheidungsfindung auf Konzilien gegeneinander, was insbesondere die Beobachtungen Graumanns zu Recht und Theologie weiterführt. Leppin diskutiert jedoch, was geschah, als im Zuge der frühen Reformation die rechtlich-determinative Institution der römischen Kirche zunächst ausgeschaltet wurde, und Entscheidungen somit deutlicher in deliberativer Form – oder, wie er nachzeichnet, durch das persönliche Charisma Luthers – abgestützt werden mussten. Wie Leppin argumentiert, musste die Schwächung der rechtlich-determinierenden Instanzen in einer Stärkung der diskursiven Entscheidungsfindung im Protestantismus resultieren. Dies bildet einen interessanten Kontrapunkt zum Beitrag Andreas Pietschs, der am Beispiel der Synode von Dordrecht 1618/19 das Ringen der Niederlande und weiterer reformierter Mächte um eine einheitliche Lehrentwicklung thematisiert. Wie er herausarbeitet, bewirkten die Interessengegensätze sowie die hinter der Synode deutlich hervortretende politische Konfliktsituation, dass die ursprünglich über Disputationen gesuchte Konfliktlösung schließlich zu einer synodalen Aburteilung
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der unterlegenen Partei geriet. Wie seine Diskussion der medialen Beobachtung der Synode zeigt, konnte die Verbindlichkeit der Entscheidung allerdings nur begrenzt sein, solange konkurrierende Berichterstattungen die Synode teils als Quell der Einheit, teils aber auch als Unrechtsversammlung darstellten. Wie in den von Graumann für die Spätantike geschilderten Fällen konnten also auch hier gegensätzliche Erwartungen an die Form der Konfliktführung gegeneinander ausgespielt werden. Die ungleich besseren kommunikationsgeschichtlichen Bedingungen der Frühen Neuzeit scheinen den Stimmen der Verlierer jedoch nun eine viel stärkere Resonanz in den Quellen zu bescheren.
IV. Resümierende Überlegungen Eine Zusammenschau der Beiträge zeigt vielerlei Querverbindungen auf und lässt bestimmte mittel- und langfristige Transformationen aufscheinen. Zu vier Aspekten – Öffentlichkeit, Verfahrensformen, historischen Verlaufsschemata und der Rolle von Religion – können abschließend einige Beobachtungen für zukünftige Forschungen festgehalten werden. Eine erste Beobachtung betrifft die Stellung von Synoden im Rahmen breiterer politischer Willensbildungsprozesse und Öffentlichkeiten. Dass Synoden oftmals Orte der Konstitution von Öffentlichkeit waren und im Spätmittelalter einen Rahmen für weiter ausgreifende Meinungsbildungsprozesse bildeten, ist bekannt. 23 Wie die Beiträge des Bandes in ihrer Gesamtheit zeigen, erweist sich die kommunikative Einbettung und mediale Vermittlung von Synoden jedoch als außerordentlich wichtige Achse mittel- und langfristiger Veränderungen. Wie die Beiträge von Thomas Graumann, Christoph Dartmann und Ernst-Dieter Hehl zeigen, konnte eine synodale Versammlung in Antike, Früh- und Hochmittelalter in ganz unterschiedlichen Akzentuierungen entweder zentrales Forum kontroverser Debatten oder aber Instanz der Publikation und Verbindlichkeitsstiftung bereits gefundener Lösungen sein. Nicht unwesentlich erscheinen dabei die Kommunikationsnetzwerke und die Rhythmen der politischen Willensbildung, die synodale Treffen einrahmten. Einige der hier untersuchten Synoden ermöglichten erst
23
24
Vgl. oben bei Anm.16.
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das Zusammentreffen ansonsten verstreuter Akteure, die dann im unmittelbaren Umfeld des face-to-face-Treffens Konfliktlösungen aushandelten. Waren jedoch von vornherein feste Kommunikationsnetzwerke etabliert, konnte der liturgische Rahmen der Synode verstärkt genutzt werden, um bestimmte Beschlüsse oder Inszenierungen herauszuheben. Die hier diskutierten Befunde deuten jedoch nicht auf eine lineare Entwicklungsgeschichte vom Früh- zum Hochmittelalter oder darüber hinaus hin. Sie befördern eher die Vermutung, dass sich unter politisch günstigen Umständen bestimmte Formen der Nutzung von Synoden sozusagen ‚einspielen‘ konnten und regional begrenzte Regimes typischer Konventionen hervorbrachten. Deutlich wird dies etwa an den von Hehl diskutierten Konfliktstrategien der Reichsbischöfe, die sich auf der Basis religiöser Konsensvorstellungen und hoher Achtung des bischöflichen Amtes entwickelten (was übrigens zur Erklärung der Entstehung ‚konsensualer Herrschaft‘ beiträgt 24). Wie Hehls kontrastierender Blick auf abweichende Konfliktlösungen in der Umgebung des Papsttums verdeutlicht, war die Konfliktkultur der Reichsbischöfe jedoch an den Rahmen der Reichskirche gebunden. Dartmanns Untersuchung der westgotischen Synoden zeigt einen parallelen Fall der Entwicklung typischer Strategien in einem geopolitisch begrenzten Umfeld – in seinem Beispiel tritt die Funktion von Synoden als Instanzen der Öffentlich- und Verbindlichmachung deutlich hervor. Nicht erst im 15.Jahrhundert, sondern bereits seit dem Hochmittelalter zeigen sich größere Synoden und Konzilien jedoch auch als Resonanzräume und Arenen kontroverser Debatten. Schon im Vorfeld von Synoden wurden teils breitere, über die unmittelbaren Konfliktbeteiligten hinausgehende Öffentlichkeiten mobilisiert, um Druck aufzubauen und eine Konfliktlösung im eigenen Sinne zu erzwingen. Wie der Beitrag Melanie Brunners zeigt, konnten im Rahmen der synodalen Öffentlichkeit bald auch Alternativen der Konfliktlösung ausgelotet werden, ohne dass Entscheidungen getroffen oder publiziert wurden. Seit der Zeit der großen Konzilien zeichnet sich schließlich ab, dass konkreten synodalen Zusammenkünften eine lediglich rahmende Wirkung für weit ausgreifende, medial vermittelte Debatten zu-
24 Vgl. dazu Althoff, Spielregeln (wie Anm.6); Bernd Schneidmüller, Konsensuale Herrschaft. Ein Essay über Formen und Konzepte politischer Ordnung im Mittelalter, in: Paul-Joachim Heinig/Sigrid Jahns/ Hans-Joachim Schmidt/Rainer Christoph (Hrsg.), Reich, Regionen und Europa in Mittelalter und Neuzeit. Festschrift für Peter Moraw. (Historische Forschungen, Bd. 67.) Berlin 2000, 53–87.
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kommen konnte. War eine Mehrzahl politischer und kirchlicher Machtbereiche bereits gegeneinander abgegrenzt, wie es etwa im Falle der Synode von Dordrecht der Fall war, spiegelte die mediale Verarbeitung einer Synode dann teils schlicht diese Zersplitterung wieder. Langfristige Entwicklungen, so eine zweite Beobachtung, können dabei mit dem Kontext unterliegender gesamtgesellschaftlicher Entwicklungen in Verbindung gebracht werden. Ganz wesentlich erweisen sie sich bei genauerem Hinsehen jedoch als kurz- und mittelfristige konflikt- und entscheidungstheoretische Lernprozesse. Dies zeigt sich im Rahmen des vorliegenden Bandes insbesondere für den Wandel von Formen der Entscheidungsfindung. Der von Graumann hervorgehobene, „im Kern hybride Charakter“ 25 von Synoden bewirkte zunächst eine große Offenheit und Flexibilität verschiedener Modi und Herangehensweisen. Der Beobachtung synodaler Konfliktlösung durch verschiedene Öffentlichkeiten kam aber offenbar eine katalytische Funktion zu: Teilnehmer und Beobachter hatten bestimmte Erwartungen, die an Synoden und synodale Konfliktlösung gerichtet wurden. Wollte man eine spezifische Gruppe mobilisieren, so galt es diese möglichst gezielt anzusprechen und die vorgeschlagene Konfliktlösung gegenüber ihren spezifischen Erwartungen zu rechtfertigen. Eine Habitualisierung bestimmter Verfahren etablierte sich dann typischerweise unter bestimmten Bedingungen: Wo Herrscher, Päpste oder auch besonders einträchtige Bischöfe genügend Macht auf sich versammeln konnten und im Besitz von Druck- und Sanktionsmitteln waren, konnten Verfahrenslösungen von einer überlegenen Partei schlicht durchgesetzt werden. 26 War dies nicht der Fall, so scheinen Routinisierungen und Wiederholungen bestimmter, bereits bekannter Formen als wichtiger Hintergrund der Formalisierungen bestimmter Vorgehensweisen auf. Die zeitweise fehlende Akzeptanz für festgelegte, im Vorhinein strukturierte Verfahren erklärt sich dagegen offenbar nicht aus einem Fehlen rechtlicher oder rationaler ‚Mentalität‘ in der Vormoderne bzw. im frühen und hohen Mittelalter gegenüber der Zeit ab dem 12.Jahrhundert. Im Gegenteil – die Akzeptanz verfahrensförmiger 25
Vgl. unten 41.
26
Zu beachten wären insbesondere Vorgänge der Transformation von Konfliktstrategien aufgrund
einer Nachfrage ‚von unten‘, wie sie etwa für Justiznutzung diskutiert worden sind, vgl. Daniel L. Smail, The Consumption of Justice. Emotions, Publicity, and Legal Culture in Marseille, 1264–1423. Ithaca 2003; sowie allgemein Willem Pieter Blockmans/André Holenstein/Jon Mathieu (Eds.), Empowering Interactions. Political Cultures and the Emergence of the State in Europe, 1300–1900. Farnham 2009.
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Konfliktlösung dürfte zu wesentlichen Teilen auf der Bekanntheit und Absehbarkeit von Verfahrensformen beruhen. Diese Absehbarkeit geriet in Zweifel, wo unterliegende Veränderungen im Verständnis des Rechts oder der doktrinalen Wahrheitsfindung den Ablauf synodaler Debatten zu einer unsicheren Angelegenheit werden ließen. In den schwierigen Theologenprozessen des Hochmittelalters, die von Mews und Monagle diskutiert werden, bestand etwa schon aufgrund der intensiven wissensgeschichtlichen Transformationsprozesse der Zeit 27 zunächst keinerlei Klarheit über die maßgeblichen Begrifflichkeiten und Methoden, was wiederholt zum Streit über Verfahrensformen führte. Als durch die enge Verbindung von Papstkirche und Universitäten im 13. und 14.Jahrhundert jedoch ein relativ stabiles, berechenbares Normengerüst bereitstand 28, konnte, wie Brunner zeigt, sogar ein allgemeines Konzil wie das von Vienne 1311/12 zum Forum der öffentlichen Äußerung kontroverser Argumente werden. Auch die Einholung von Gutachten im Rahmen kurialer Konsultationen hatte zu diesem Zeitpunkt längst Bezüge zu eingespielten Formen der Argumentation und folgte einem erwartbaren Verlauf. In anderen historischen Situationen griff man zu situativen Klärungen, welche Verfahrensform gewählt oder welche Text- und Autoritätenbasis der Diskussion zugrunde liegen sollte – so einerseits auf den wegweisenden Konzilien der Spätantike, andererseits unter den stark veränderten Bedingungen der nachreformatorischen Zeit. Ein Abgleich gesellschaftlicher Kontexte und spezifischer Debatten um die Form synodaler Konfliktlösung macht somit auch das fortgesetzte Nebeneinander einer auf Ehrwahrung orientierten und doch immer stärker verrechtlichten Gesellschaft verständlich: Waren bestimmte Rollen und Vorgehensweisen des Streitens fest eingespielt und gar durch entsprechende Formalisierung gestützt, wie etwa die scholastischen Disputationsformen, wurde es auch möglich, öffentlich ohne Verlust der Ehre kontroverse Positionen zu vertreten. Als wesentlich erweisen sich weniger die
27 Vgl. die Untersuchung der von Mews und Monagle behandelten Fälle aus wissensgeschichtlicher Sicht bei Sita Steckel, Kulturen des Lehrens im Früh- und Hochmittelalter. Autorität, Wissenskonzepte und Netzwerke von Gelehrten. (Norm und Struktur, Bd. 39.) Köln/Weimar/Wien 2011, 886–924, 1085–1177. 28 Vgl. zur Verfestigung von Verfahrensformen Jürgen Miethke, Theologenprozesse in der ersten Phase ihrer institutionellen Ausbildung. Die Verfahren gegen Peter Abaelard und Gilbert von Poitiers, in: Viator 6, 1975, 87–119; ders., Papst, Ortsbischof und Universität in den Pariser Theologenprozessen des 13.Jahrhunderts, in: Albert Zimmermann (Hrsg.), Die Auseinandersetzungen an der Pariser Universität im XIII.Jahrhundert. (Miscellanea Mediaevalia, Bd. 10.) Berlin/New York 1976, 52–94.
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Signaturen ganzer Epochen oder Teilepochen als vielmehr Unterschiede zwischen geregeltem, erwartbaren und damit situativ einschätzbarem Streiten und spontan und ungeregelt ausbrechendem Konflikt, der in verschiedenen ‚Streitkulturen‘ bis einschließlich denen der Gegenwart weiterhin als Ordnungsstörung gilt. 29 Ein weiterer Komplex von Überlegungen betrifft Annahmen zu langfristigen Verläufen und kann schließlich zur eingangs gestellten Frage nach der Besonderheit synodaler Konfliktführung zurückführen. In den letzten Jahren sind nicht nur einzelne historische Verlaufsannahmen, sondern auch die ihnen zugrunde liegenden theoretischen Modelle und großen Narrative in die Kritik geraten. Stark diskutiert sind nicht zuletzt die großen Erzählungen, die das gegenseitige Verhältnis von Religion und Politik betreffen – beziehungsweise die, erweitert formuliert, das Verhältnis gesellschaftlicher Sphären wie Religion, Politik, Recht, Wirtschaft historisieren und dabei nach dem historischen Verlauf von größeren Differenzierungsprozessen fragen. 30 Die Untersuchung von Synoden, die gleichermaßen politische wie religiöse Versammlungen waren und sowohl zu rechtlichen wie gelehrt-theologischen Formen der Wahrheitsfindung greifen konnten, erweist sich für diese Frage als außerordentlich aufschlussreich: Gerade auf Synoden legten antike, mittelalterliche oder frühneuzeitliche Akteure eine Vielzahl verschiedener Abgrenzungen dieser Sphä-
29
Verschiedene Ansätze zu ‚Streitkulturen‘ u.a. in: Uwe Baumann/Arnold Becker/Astrid Steiner-Weber
(Hrsg.), Streitkultur. Okzidentale Traditionen des Streitens in Literatur, Geschichte und Kunst. (Super alta perennis, Bd. 2.) Göttingen 2008; Magnus Eriksson/Barbara Krug-Richter (Hrsg.), Streitkulturen. Gewalt, Konflikt und Kommunikation in der ländlichen Gesellschaft (16.–19.Jahrhundert). Köln/Weimar/Wien 2003; Gunther Gebhard/Oliver Geisler/Steffen Schröter (Hrsg.), StreitKulturen. Polemische und antagonistische Konstellationen in Geschichte und Gegenwart. Bielefeld 2008. 30
Die Debatte hat sich von einer Kritik großer Erzählungen in Richtung der historischen Operationali-
sierung von Differenzierungstheorien sowie in Richtung neuer Periodisierungen entwickelt. Vgl. etwa die verschiedenen kritischen Ansätze bei Ulrich Willems/Detlef Pollack/Helene Basu/Thomas Gutmann/Ulrike Spohn (Hrsg.), Moderne und Religion. Kontroversen um Modernität und Säkularisierung. Bielefeld 2012; Karl Gabriel/Christel Gärtner/Detlef Pollack (Hrsg.), Umstrittene Säkularisierung. Soziologische und historische Analysen zur Differenzierung von Religion und Politik. 2.Aufl. Berlin 2014; Alexandra Walsham, The Reformation and the „Disenchantment of the World“ Reassessed, in: Historical Journal 51, 2008, 497–528; Ansätze zur historischen Erforschung von Differenzierung in Ludger Körntgen/Dominik Waßenhoven (Hrsg.), Religion and Politics in the Middle Ages. Germany and England by Comparison/Religion und Politik im Mittelalter. Deutschland und England im Vergleich. Berlin/New York 2013; Detlef Pollack/Sita Steckel/Gerd Althoff, Differenzierung von Religion und Politik im Mittelalter, in: Frühmittelalterliche Studien 47, 2013, 273–377; zur Periodisierung vgl. auch Alexandra Walsham, Migrations of the Holy. Explaining Religious Change in Medieval and Early Modern Europe, in: Journal of Medieval and Early Modern Studies 44, 2014, 241–280.
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ren vor. Angesichts von politisierten Konflikten tadelten sie häufig die Vermischung von Logiken, die ihrer Ansicht nach getrennt bleiben sollten – etwa Konfliktentscheide, hinter denen wirtschaftliche Motive vermutet wurden, oder politisch opportune Eingriffe in Wahrheitskonflikte. Gerade für Synoden sind solche abgrenzenden Unterscheidungen vielfach zu beobachten – etwa in den von Christoph Dartmann diskutierten Aufforderungen synodaler Ordines zur Vermeidung von Gewalt oder Bestechlichkeit. 31 Damit wurden implizit Grenzarbeiten zwischen sozialen Feldern wie Religion, Politik, Wissenschaft oder Recht vorgenommen und vorhandene gesellschaftliche Differenzierungen adaptiert (oder auch festgeschrieben). 32 Ihre Offenheit für rechtliche, religiöse oder sonstige, im weiten Sinne politische Argumente machte Synoden somit zu Arenen der Weichenstellung für längerfristige gesellschaftliche Differenzierungsprozesse. In jüngeren Forschungen ist bereits begonnen worden, diese Vorgänge genauer einzuordnen – doch ist man sich bislang nicht einig geworden, wie vormoderne Praktiken der Konfliktlösung mit größeren strukturellen Prozessen zu verknüpfen wären. Da traditionellerweise bestimmte Formen der Konfliktlösung als typisch für das Mittelalter oder die Neuzeit, die Vormoderne oder Moderne angesehen wurden, ist die enge und äußerst dynamische Verknüpfung verschiedener Formen und Dimensionen von Konflikten häufig als Indiz für das Fehlen gesellschaftlicher Differenzierung gewertet worden. So hat Gerd Althoff pointiert auf die „Unschärfe und Mehrdeutigkeit zentraler Grundsätze, Gewohnheiten und Regeln“ im Kontext der hochmittelalterlichen politischen Willensbildung hingewiesen. 33 In anderem Zusammenhang stellte er jedoch die Trennung gesellschaftlicher Sphären heraus. 34 Ähnlich bringt Barbara Stollberg-Rilinger die hohe Tendenz vormoderner Akteure
31 Vgl. unten 68. 32 Zur differenzierungstheoretischen Frage nach Grenzarbeiten an sozialen Feldern vgl. die Überlegungen von Astrid Reuter, Grenzarbeiten am religiösen Feld. Religionsrechtskonflikte und Kontroversen im Verfassungsstaat, in: Jamal Malik (Hrsg.), Religionsproduktivität in Europa. Markierungen im religiösen Feld. (Vorlesungen des interdisziplinären Forums Religion der Universität Erfurt, Bd. 6.) Münster 2009, 101–116; dies., Religion in der verrechtlichten Gesellschaft. Rechtskonflikte und öffentliche Kontroversen um Religion als Grenzarbeiten am religiösen Feld. (Critical Studies in Religion, Vol.5.) Göttingen 2014, 43– 59. 33 Vgl. Gerd Althoff, Libertas ecclesiae oder die Anfäge der Säkularisierung im Investiturstreit?, in: Gabriel/Gärtner/Pollack (Hrsg.), Umstrittene Säkularisierung (wie Anm.30), 78–100. 34 Vgl. Gerd Althoff, Differenzierung zwischen Kirche und Königtum im Mittelalter. Ein Kommentar zum Beitrag Detlef Pollacks, in: Frühmittelalterliche Studien 47, 2013, 353–367.
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zum Abbruch verfahrensförmiger Konfliktlösung mit unterschiedlichen Differenzierungszuständen in Vormoderne und Moderne in Verbindung. Sie weist gleichzeitig jedoch darauf hin, dass sich in bestimmten Bereichen auch in der Moderne keine klaren Verfahrensformen etablierten konnten. 35 Aus der hier verfolgten Perspektive erscheint daher fraglich, ob der häufige Wechsel verschiedener Handlungslogiken auf vormodernen Synoden (oder die hohe Fluidität gesellschaftlicher Sphären allgemein) als Zeichen fehlender funktionaler Differenzierung vormoderner Gesellschaften und historisches Residuum zu werten ist. Man könnte auch umgekehrt formulieren, dass die Grenzen verschiedener sozialer Sphären oder Felder im Mittelalter offenbar in relativ dynamischen Wandlungsprozessen begriffen waren. Dann stünde man freilich vor einer etwas überraschenden Gegenüberstellung – die Vormoderne erschiene als Epoche besonders fluider, die Moderne aber als Zeit einer statischen, gleichbleibenden gesellschaftlichen Differenzierung. Nuanciert man die dichotomische Gegenüberstellung von Vormoderne und Moderne, ließen sich dagegen überzeugendere Verlaufsannahmen postulieren: Wie bereits erwähnt, ist offenbar nicht von gleichbleibenden Signaturen ganzer (Teil-) Epochen, sondern von mittelfristigen Stabilisierungen und Routinisierungen in bestimmten Bereichen gesellschaftlicher Konfliktlösung auszugehen. Da geopolitische, mediale oder epistemologische Wandlungen etablierte Formen der Konfliktlösung immer wieder destabilisierten, wurden sie jedoch in größeren oder kleineren Episoden der Adaptation wiederholt neu verhandelt. Solche Episoden der Anpassung einschlägiger Konventionen und Ideale sind im Zusammenhang mit synodaler Konfliktlösung von der Spätantike bis in die Frühe Neuzeit immer wieder zu beobachten; sie setzen sich offensichtlich bis in die Gegenwart fort. Dass mit der Moderne tatsächlich in vielen Bereichen eine Stabilisierung der Konfliktlösung zu konstatieren ist, dürfte dagegen einerseits mit technischen und medialen Normierungsmöglichkeiten zusammenhängen, andererseits die zunehmend gefestigte Dominanz bestimmter (etwa juristischer und politischer) Eliten widerspiegeln. Die Erforschung von Synoden bietet sich angesichts dieser Überlegung in besonderer Weise an, um historische Abgrenzungsprozesse bestimmter gesellschaftlicher Sphären oder Felder aufzuschlüsseln. Kirchliche Versammlungen erscheinen prin35
Vgl. Stollberg-Rilinger, Einleitung, in: dies./Krischer (Hrsg.), Herstellung und Darstellung von Entschei-
dungen (wie Anm.7), 12f.
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zipiell von einer Verschränkung religiöser, rechtlicher, wissenschaftlicher und politischer Logiken charakterisiert. Sie erlauben daher, historische Dynamiken zwischen diesen Bereichen wie in einem Brennglas zu fokussieren. Anstatt sie mit einem linearen Verlaufsschema zu konfrontieren, liegt es nahe, bestimmte Fragen an synodale Konfliktführung zu richten – etwa zu analysieren, wo Veränderungen auf unterliegende mediale oder politische Wandlungen reagieren, oder welche Rolle bestimmten Eliten in der Adaptation etablierter Konfliktführungsmechanismen zukam. Letztere Frage wird im vorliegenden Band wiederholt tangiert: Neben politischen Akteuren treten in den Beiträgen beispielsweise gelehrte Eliten hervor, die in der Lage waren, die Wissensbasis politischer, rechtlicher oder religiöser Entscheidungspraxis zu stabilisieren oder zu dynamisieren. Für die Konzilien des 15.Jahrhunderts ist dies bereits mehrfach beobachtet worden – in einer Fallstudie demonstrierte etwa Thomas Prügl 36, wie der ‚konziliar‘ argumentierende Johannes von Ragusa 1434 in Basel die biblische und patristische Überlieferung verstärkt heranzog, um gegen die stark kanonisch-rechtlich ausgearbeitete papalistische Position des Juan de Torquemada zu streiten. Johannes Helmrath wies auf das Phänomen der „Theologisierung“ auf den Konzilien des 15.Jahrhunderts hin, da immer wieder theologische und biblische Argumente in Stellung gebracht und von juristischen Diskursen zudem auch aufgenommen wurden. 37 Auch andere mittelfristige Tendenzen könnte man aber in Bezug zu wechselnden Konstellationen politischer und gelehrter Eliten stellen: Der Beitrag von Mews und Monagle in diesem Band deutet an, dass das entstehende, überregional verbindliche
36 Vgl. Thomas Prügl, Modelle konziliarer Kontroverstheologie Johannes von Ragusa und Johannes von Torquemada, in: Helmrath/Müller (Hrsg.), Die Konzilien von Pisa (wie Anm.11), 257–287. 37 Vgl. die Bemerkungen von Helmrath, Das Basler Konzil (wie Anm.11), 417–420; Helmrath/Müller, Zur Einführung (wie Anm.11), 20, und Thomas Prügl, Das Schriftargument zwischen Papstmonarchie und konziliarer Idee. Biblische Argumentationsmodelle im Basler Konziliarismus, in: Andreas Pečar/Kai Trampedach (Hrsg.), Die Bibel als politisches Argument. Voraussetzungen und Folgen biblizistischer Herrschaftslegitimation in der Vormoderne. (HZ, Beih. NF., Bd. 43.) München 2007, 219–241; Thomas Woelki, Theologische und juristische Argumente in den Konzilstraktaten des Lodovico Pontano († 1439), in: Péter Erdö/ Szabolcs Anzelm Szuromi (Eds.), Proceedings of the Thirteenth International Congress of Medieval Canon Law. Esztergom, 3–8 August 2008. (Monumenta Iuris Canonici, Ser. C: Subsidia, Vol.14.) Vatikanstadt 2010, 747–763; Hermann Schüssler, Der Primat der Heiligen Schrift als theologisches und kanonistisches Problem im Spätmittelalter. (Veröffentlichungen des Instituts für europäische Geschichte, Abt.für Abendländische Religionsgeschichte, Bd. 86.) Wiesbaden 1977.
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Normensystem des Reformpapsttums mit seiner oft verfahrensförmigen Konfliktlösung wesentlich auf einem Bündnis mit bestimmten Gelehrtengruppen beruhte, das in konfliktreichen Episoden erstritten wurde. 38 Die Theologisierung auf den Reformkonzilien könnte man als Auseinanderbrechen dieses Bündnisses im Zuge des Schismas und der kirchlichen Krise sehen, dem bereits lokale Konflikte wie der von Steckel behandelte Bettelordensstreit vorausgegangen waren. Im Zuge der Konzilien wurden Gelehrte dann zwar oft zu Trägern einer vereinheitlichenden Bewegung zur Reform. Doch hatten sie in den stark verdichteten spätmittelalterlichen Bildungslandschaften längst lokale Zugehörigkeiten entwickelt und damit auch lokal geprägte kulturelle und religiöse Identitäten ausgebildet. Der Beitrag Volker Leppins verdeutlicht, wie in der Folge die gelehrte Entscheidungsfindung im frühen 16.Jahrhundert nunmehr für lokale reformatorische Bewegungen instrumentalisiert wurde. Das Legitimitätsdefizit von Lehrentscheidungen in reformatorischen Gemeinschaften wurde so zunächst durch deliberative Formen der Konfliktlösung wie die Disputation aufgefangen. Wie der Beitrag Andreas Pietschs zeigt, stand jedoch im Laufe der Frühen Neuzeit auch neuen Bündnissen zwischen gelehrten Akteuren und politischen Mächtekonstellationen nichts im Wege, so dass es zur Stabilisierung mehrerer neuer, nunmehr politisch/lokal und konfessionell geprägter Normensysteme kommen konnte, wie sie beispielsweise auf der reformierten Synode von Dordrecht grundgelegt wurden. Eine letzte Beobachtung betrifft die Rolle von Religion in der Konfliktbearbeitung vormoderner Synoden und mutmaßlich auch in der Veränderung anderer historischer Kulturen des Entscheidens. Religion tritt in einem offenen, lineare Verlaufsschemata vermeidenden Zugriff als besonders interessanter Dynamisierungsfaktor hervor: In den beschriebenen Tendenzen der Verrechtlichung und der Formalisierung von Verfahren liegen offensichtlich klare Entwicklungen von religiösen zu rechtlichen, wissenschaftlichen oder politischen Formen der Konfliktlösung. Doch erweisen sich auch Bezüge auf religiöse Argumente und Entscheidungsmodi immer wieder als aktuell – ja treten geradezu verstärkt auf, wenn Umbrüche zu verzeichnen sind. Die Entwicklung religiöser Logiken des Entscheidens ist also offenbar nicht auf einen reinen Bedeutungsrückgang zu reduzieren – auch wenn auffällt, dass be38
Vgl. dazu zuletzt Clare Monagle, Orthodoxy and Controversy in Twelfth-Century Religious Discourse.
Peter Lombard’s Sentences and the Development of Theology. (Europa Sacra, Vol.8.) Turnhout 2013.
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stimmte soziale Räume, darunter solche der Konfliktaustragung, teils immer stärker von religiösen Logiken freigehalten werden, was einem bestimmten Verständnis von Säkularisierung entspricht. 39 Die Rolle religiöser Darstellung und Deutung von Konfliktstrategien ließe sich eher fassen, indem man ihre dynamisierende und Übergänge legitimierende Funktion hervorhebt: Immer wieder konnte auf die Notwendigkeit zur Wahrheitsfindung verwiesen werden, um politische Entscheidungen anzugreifen, konnte religiöse Eintracht über Rechtsformen und Interessen gestellt werden, konnte schließlich in Krisensituation das direkte Eingreifen Gottes herbeigewünscht oder als Legitimation aufgerufen werden werden. Gerade die Überwindung bestehender rechtlicher und politischer Zustände – paradigmatisch zusammengefasst im mittelalterlichen Ausspruch, „[Christus] non dixit: ego sum consuetudo“ 40 – war den christlichen Traditionen schon aufgrund ihrer Ursprünge als Minderheitenposition im römischen Imperium tief eingeschrieben. Sehr häufig finden wir daher neue Formen synodaler Entscheidungsfindung religiös begründet – genauso häufig wie allerdings Proteste gegen synodale Entscheidungen in religiösen Formen geäußert wurden, was teils wiederum neue Formen der Entscheidungsfindung vorbereitete. An die Stelle linearer Säkularisierungsdynamiken dürfte im Falle der langfristigen Entwicklung von Synoden – wie sicherlich auch im Falle weiterer politischer Vergemeinschaftungen der Vormoderne – also eine Abfolge charismatischer Neubeginne mit jeweils darauffolgenden Institutionalisierungen nach dem Modell Max Webers treten. 41 Es bleibt zu hoffen, dass nicht nur einzelne Konfliktfälle auf vormodernen Synoden, sondern auch derartige große Linien weiteres Interesse der Forschung finden.
39 Vgl. etwa Alexandra Walsham, Zu Tisch mit Satansjüngern. Geistliche und weltliche Soziabilität im nachreformatorischen England, in: Andreas Pietsch/Barbara Stollberg-Rilinger (Hrsg.), Konfessionelle Ambiguität. Uneindeutigkeit und Verstellung als religiöse Praxis in der Frühen Neuzeit. (Schriften des Vereins für Religionsgeschichte, Bd. 214.) Göttingen 2013, 285–313, sowie zum Verständnis von Säkularisierung Charles Taylor, A Secular Age, Cambridge, MA 2007, 1f. 40 Vgl. dazu André Gouron, Non Dixit. Ego Sum Consuetudo, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgseschichte, Kanonistische Abteilung 74, 1988, 133–140. 41 Vgl. zu Anregungen Webers für die Mediävistik zuletzt David L. d’Avray, Medieval Religious Rationalities. A Weberian Analysis. Cambridge 2010.
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Altkirchliche Synoden zwischen theologischer Disputation und rechtlichem Disput von Thomas Graumann
I. Aus undeutlichen Anfängen gegen Ende des 2.Jahrhunderts entwickelten sich Synoden – oder nach lateinischem Sprachgebrauch: Konzilien 1 – in der Alten Kirche als wichtige Foren und Mechanismen zu Klärung von beinahe allen wesentlichen Fragen und Streitfällen kirchlicher Disziplin und Organisation sowie rechter Lehre. Besonders in nachkonstantinischer Zeit nehmen sie einen kräftigen Aufschwung. Ihre Zahl nimmt beträchtlich zu, und die parallel ebenfalls anwachsende Fülle und Dichte der Dokumentation macht sie der historischen Analyse zunehmend besser zugänglich. Dabei treten im Einzelnen Formen und Abläufe synodaler Versammlungen klarer konturiert hervor und wird ihre sich schrittweise festigende institutionelle Bedeutung erkennbar. Konzilsdokumente und Akten erlauben zudem, die in der Selbstpräsentation bestimmter Veranstaltungen direkt oder indirekt vermittelten Ansprüche auf Autorität und Legitimität in je unterschiedlicher, aber doch insgesamt zunehmender Klarheit zu beschreiben. Synodale Zusammenkünfte präsentieren sich darin als Organe kollektiver kirchlicher Verantwortung und Entschei-
1 Nach antikem Sprachgebrauch sind beide Begriffe synonym und beinhalten insbesondere keine Taxonomie, wie sie nach mittelalterlichen kanonistischen Unterscheidungen gebräuchlich geworden ist (dazu Hermann Josef Sieben, Art.„Konzil“, in: Norbert Auty/Robert-Henri Bautier/Norbert Angermann (Hrsg.), Lexikon des Mittelalters. 9 Bde. München/Zürich 1980–1998, Bd.5, 1991, 1429–1431. In diesem Beitrag ist der Regel von Synoden die Rede, doch wird der Konzilsbegriff, zumal wo die antiken Quellen ihn benutzen oder wo er sich zur Bezeichnung bestimmter Versammlungen eingebürgert hat, gelegentlich ebenfalls verwendet. Vgl. Adolf Lumpe, Zur Geschichte des Wortes σύνοδος in der antiken christlichen Gräzität, in: Annuarium Historiae Conciliorum 6, 1974, 40–53; ders., Zur Geschichte der Wörter concilium und synodus in der antiken christlichen Latinität, in: Annuarium Historiae Conciliorum 2, 1970, 1–21. Beide Begriffe nehmen u.a. politische Sprachmuster der griechisch-römischen Umgebungskultur auf, wo sie traditionell verschiedene politische Versammlungen bezeichnen können; vgl. Christian Gizewski, Art.„Concilium“, in: Der Neue Pauly. Enzyklopädie der Antike. 15 Bde. Stuttgart/Weimar 1996–2003, Bd.3, 114f.; Simon Gerber, Art.„Synodos“, in: ebd. Bd.11, 1158–1161.
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10.1515/9783110436150.35
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dung, in denen nicht zuletzt unterschiedliche und zum Teil konkurrierende Ansprüche auf Geltung und Autorität diskursiv zum Austrag kommen. Wo Akten erhalten sind, zeichnen diese denn auch regelmäßig ein potentiell vielgestaltiges Diskursgeschehen auf, bei dem Einzelne und Gruppen in verschiedenen Rollen miteinander interagieren und kommunizieren und sich dabei der ganzen Bandbreite von symbolischer und zeremonieller Kommunikation ebenso bedienen wie sich in direkten verbalen Auseinandersetzungen verwickeln. Dass sich die Kirche in ihren Synoden insoweit als ecclesia disputans darstelle, dass mithin bei diesen Veranstaltungen über Fragen der Disziplin und des Glaubens – mindestens auch –„diskutiert“ oder „disputiert“ werde, scheint insoweit zwar plausibel – und womöglich geradezu banal –, ist aber gleichzeitig eine Feststellung, deren Allgemeinheit und Unschärfe das Charakteristische in Gestaltung und Anspruch synodaler Auseinandersetzung noch nicht zureichend trennscharf zu bestimmen vermag. Angesichts des weiten Bedeutungsspektrums von disputare/disputatio 2 – und seiner annähernden griechischen Äquivalente dialexis und zetesis – und der Variabilität der damit angezeigten sozialen und kommunikativen Praktiken beschränkt sich die nachfolgende Untersuchung auf diejenigen Erscheinungsformen kontroversen Meinungsaustauschs, die auf eine lehrhaft-intellektuelle Klärung der Wahrheitsfrage einerseits und auf ein rechtsverbindliches Entscheiden in der Synode andererseits hinzielen. Beide Verfahrensziele und die daraus erwachsenden Praktiken sind, wie sich zeigen wird, nicht scharf voneinander abgegrenzt. Als aufschlussreich für die möglichen alternativen Zwecksetzungen und handelnden Ausgestaltungen synodaler Diskurspraxis wird sich vielmehr gerade die institutionelle Unschärfe eines sich erst entwickelnden synodalen Formats und die damit einhergehende performative und strategische ‚Biegsamkeit‘ kommunikativer Vorgänge in der Synode erweisen. 3
2 Vgl. Johannes Lackenbacher, Art.„Disputatio, disputator, disputo“, in: Thesaurus Linguae Latinae. Bisher 10 Bde. Leipzig/Berlin 1900–2010, Bd.5.1, 437–1450. Instruktiv speziell für Augustinus: Therese Fuhrer, Art.„Disputatio“, in: Cornelius Mayer (Hrsg.), Augustinus-Lexikon. Bisher 3 Bde. Basel 1986–2010, Bd.2, 504–508. 3 Unsere Aufmerksamkeit richtet sich dabei ganz konkret auf den verbalen Austausch prinzipiell in der Form der Wechselrede und von Frage und Antwort – eher als dem zusammenhängenden Vortrag – zum Zweck der Präsentation und Prüfung bestimmter Meinungen, wie es bei aller Variation im Einzelnen der Grundvorstellung von disputare entspricht; vgl. auch Hanspeter Marti, Art.„Disputation“, in: Gert Ueding (Hrsg.), Historisches Wörterbuch der Rhetorik. 9 Bde. Tübingen 1992–2009, Bd.2, 866–884. Doch werden mögliche andere Formen, die stellvertretend für solchen direkten Austausch eintreten können, mindestens angedeutet.
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Inwieweit mögliche weitere, und grundsätzliche philosophische und gesellschaftliche Assoziationen und Erwartungen an die Prinzipien und Bedingungen freier Diskursivität das Wesen spätantiker Synoden erfassen, bedürfte einer eigenen Untersuchung und kritischen Reflexion. 4 Sie kann hier nicht geleistet werden. Weiterhin bedingt der Blick spezifisch auf synodale Kontexte, dass die Beteiligung von Kirchenmännern an förmlichen öffentlichen Disputationen – und ihr Verhalten und Kommunizieren bei diesen Gelegenheiten – hier ebenfalls nicht berücksichtigt werden können. 5 Inwieweit mithin disputare/disputatio die wahrscheinliche Erwartungshaltung spätantiker Bischöfe und anderer Teilnehmer an die Gestalt und den Geist synodaler Kommunikation und Interaktion beschreibt oder sich ihnen gar als Modell und
4 Dazu wären die ambivalenten Haltungen christlicher Denker zur philosophischen Dialektik, insbesondere in ihrem angeblichen Zusammenhang mit der Häresie, zu reflektieren und modernde Deutungen von kritischen spätantiken Stimmen zur Dialektik als Ausdruck eines prinzipiellen Unwillens seitens der Christen, sich rationaler und freier Debatte zu bedienen, oder gar einer angeblichen christlichen Absage an das freie dialogische Prinzip überhaupt, in Frage zu stellen. Vgl. dafür exemplarisch Richard Lim, Public Disputation, Power, and Social Order in Late Antiquity. (The Transformation of the Classical Heritage, Vol.23.) Berkeley 1995, insbes. 195, 197f.; sowie Simon Goldhill (Ed.), The End of Dialogue in Antiquity. Cambridge 2009. Zu diskutieren wären ferner die – wiederum kritisch – an spätantike Synoden herangetragenen Vorstellungen von Mehrheitsentscheidung; vgl. Ramsey MacMullen, Voting about God in Early Church Councils. New Haven 2006; vgl. dazu meine Rezension in: Zeitschrift für antikes Christentum 12, 2008, 172–174. 5 Vgl. dazu etwa Augustins öffentliche Auseinandersetzung mit Gegnern wie dem Manichäer Fortunatus; vgl. das Disputations-Protokoll: Joseph Zycha (Hrsg.), [Augustinus,] Contra Fortunatum Manichaeum. (Corpus Scriptorum Ecclesiasticorum Latinorum, Vol.25/1.) Wien/Prag/Leipzig 1891, 83–112; eine knappe Vorstellung des Werkes bietet Gregor Wurst, Antimanichäische Werke, in: Volker Henning Drecoll (Hrsg.), Augustinus Handbuch. Tübingen 2007, 309–316, hier 309–312; vgl. François Decret, Acta contra Fortunatum Manichaeum, in: Mayer (Hrsg.), Augustinus-Lexikon (wie Anm.2), Bd.1, 53–58. Ebenso fordert Augustinus später wiederholt, allerdings ohne Erfolg, Donatisten zur Disputation heraus. Gerade an solchen Beispielen sind aber der Wettkampfcharakter und das rhetorische Element dieses Formats evident und wird die Zielsetzung anschaulich, den Disputanten als Gegner intellektuell zu besiegen und sozial öffentlich zu diskreditieren. Die als ein möglicher Ausgang der Disputation erstrebte Zustimmung des Gegners ist ein Überwunden-Werden von den „besseren“ Argumenten und effektiveren Argumentationsstrategien, nicht die intersubjektive Ermittlung von Wahrheit durch forschendes Auffinden und lehrhafte Entfaltung. Dem steht alternativ die öffentliche Bloßstellung zur Seite, wie sie Fortunatus widerfährt. Wohl aufgrund dieser Gefahr verweigern sich die Donatisten konsequent Augustins Herausforderungen. Für Augustins Haltung zur Disputation und die ihr zugrunde liegende Dialektik vgl. auch Fuhrer, Disputatio (wie Anm.2), sowie Stefan Heßbrüggen-Walter, Augustine’s Critique of Dialectic. Between Ambrose and the Arians, in: Karla Pollmann/Mark Vessey (Eds.), Augustine and the Disciplines. From Cassiciacum to Confessions. Oxford 2005, 184–205; Philip Burton, The Vocabulary of the Liberal Arts in Augustine’s Confessions, in: ebd.141–164, bes. 151–155.
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nachzuahmendes Format sozialer Diskurspraxis empfiehlt, hängt so im konkreten Einzelfall nicht von der Verwendung des Begriffs ab, sondern von den dabei offen ausgesprochenen oder unterschwellig evozierten distinkten Modalitäten unterschiedlicher kultureller praxeis, ihrer je spezifisch inhärenten Verfahrenslogiken und den damit verbundenen Normierungsstrategien.
II. Ein Beispiel, bei dem sich der Charakter der Zusammenkunft und die Beschreibung ihrer diskursiven Praxis eindeutiger terminologischer Fixierung entzieht, ist die in der modernen Forschung sogenannte „Konferenz“ zwischen katholischen und donatistischen Bischöfen in Karthago im Jahre 411. 6 Auch in den antiken Dokumenten ist die Bezeichnung der Versammlung nicht einheitlich; neben disputatio ist von conlatio, cognitio und sogar von concilium 7 die Rede. Entscheidend ist aber nicht
6 Serge Lancel (Ed.), Gesta Conlationis Carthaginiensis anno 411. (Corpus Christianorum. Series Latina, Vol.149A.) Turnhout 1974 [im Folgenden Gest. Conl. Carth.]. Für die Hintergründe und Umstände der Konferenz und des sogenannten Donatistischen Schismas in der Nordafrikanischen Kirche vgl. klassisch Ernst Ludwig Grasmück, Coercitio. Staat und Kirche im Donatistenstreit. (Bonner historische Forschungen, Bd.22.) Bonn 1964. Von neueren Arbeiten vgl. beispielsweise Arne Hogrefe, Umstrittene Vergangenheit. Historische Argumente in der Auseinandersetzung Augustins mit den Donatisten. (Millennium-Studien, Bd.24.) Berlin 2009; Erica T.Hermanowicz, Possidius of Calama. A Study in the North African Episcopate at the Time of Augustine. Oxford 2008. Einen Überblick über die ältere Forschung bieten Serge Lancel/James S.Alexander, Art.„Donatistae“, in: Mayer (Hrsg.), Augustinus-Lexikon (wie Anm.2), Bd.2, 606–638; Alfred Schindler, Art.„Afrika I“, in: Gerhard Krause/Gerhard Müller u.a. (Hrsg.), Theologische Realenzyklopädie. 36 Bde. Berlin u.a. 1977–2004, Bd.1, 648–700, bes. 654–668. 7 In den einleitenden offiziellen Dokumenten wird conlatio zweimal im ersten Edikt des kaiserlichen Beamten und beauftragten Leiters der Konferenz, Marcellinus, benutzt: Gest. Conl. Carth. I 5 (Lancel [Ed.], Gesta [wie Anm.6], 56,20.22), und viermal in seinem zweiten Edikt: Gest. Conl. Carth. I 10 (Lancel [Ed.], Gesta [wie Anm.6], 59,27.42; 61,92.94). Marcellinus spricht von der Versammlung auch als einem concilium … intra Africam universale (Gest. Conl. Carth. I 5, Lancel [Ed.], Gesta [wie Anm.6], 56,23f.; nochmals concilium 57,31); vgl. im zweiten Edikt I 10, 60,45; 61,104.117. Conloquium findet sich unter anderem Gest. Conl. Carth. I 10, 59,15.19f. Für die weiteren Termini, vgl. unten Anm.12. Nach konventionellem Verständnis, wenn darunter eine gemeinschaftliche, innerkirchliche Bischofsversammlung verstanden wird, ist die Konferenz sicher kein Konzil. Die Varianz in den antiken Bezeichnungen macht aber deutlich, dass von den Beteiligten von vornherein eine formale Unschärfe und Ambiguität des Verfahrens wahrgenommen wurde, die für unser Thema von grundsätzlichem Interesse und nicht exklusiv auf diese Veranstaltung beschränkt ist. Bezeichnenderweise ist es Teil der donatistischen Verfahrensstrategie zu verdeutlichen, dass es sich gerade nicht um ein Konzil handele; vgl. folgende Anm.
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die terminologische Variabilität in der Bezeichnung der Versammlung als solche, sondern der erkennbare Versuch verschiedener Beteiligter, den Charakter des Geschehens und damit die in Geltung stehenden, erwartbaren Verfahrensformen und -regeln sowie die geltenden Normen der Entscheidungsfindung erst durch ihr Handeln und die Übernahme bestimmter Rollen pragmatisch zu definieren und gegen konkurrierende Perspektiven und Definitionen durchzusetzen. 8 Dabei treten speziell ein im spezifisch forensischen Sinne rechtliches Modell und Verständnis der Abläufe und ein eher an theologisch-diskursiver bzw. lehrhafter Sachklärung orientiertes miteinander in Konkurrenz. Die Möglichkeit, durch gezieltes, bisweilen geradezu demonstratives Rollenverhalten und das Ausagieren sozialer Konventionen Form und Zweck des Geschehens festzulegen, macht eine gewisse Offenheit und innere Ambivalenz der Verfahrensoptionen und mindestens anfänglich mangelnde formale Definition der Versammlung wahrscheinlich. Die Konferenz von Karthago wurde einberufen von Kaiser Honorius, um das schon etwa hundert Jahre dauernde Schisma der nordafrikanischen Kirchen endgültig beizulegen. Die Art und Weise, wie der Kaiser und der von ihm bestellte Vorsitzende in einer Reihe von offiziellen Dokumenten das Ereignis bezeichnen und wie sie seine Aufgabe und die durchzuführenden Abläufe beschreiben, erlauben es, kritische Perspektiven zu entwickeln, mit deren Hilfe unser Thema im weiteren auszufalten sein wird. Honorius formuliert seine Erwartung an die Zusammenkunft so, dass „nach durchgeführten Disputationen“ (habitis disputationibus) die donatistische superstitio als solche identifiziert und widerlegt werde. 9 Disputation wäre danach die Verfahrensweise, mit deren Hilfe der Häresietatbestand festgestellt würde und die zugleich deren intellektuelle Widerlegung ermöglicht. Der mit der Durchführung der Konferenz beauftragte Comes Marcellinus 10 nimmt in seinem Durchführungsedikt diese Formulierung variierend auf, wenn er ankündigt, den Sachverhalt beurteilen zu wollen, „nachdem die Wahrheit erörtert – oder diskutiert – wurde“ (veritate discus-
8 Vgl. dazu Thomas Graumann, Upstanding Donatists: Symbolic Communication at the Conference of Carthage (411), in: Zeitschrift für antikes Christentum 15, 2011, 329–355. 9 Gest. Conl. Carth. I 4 (Lancel [Ed.], Gesta [wie Anm.6], 54–56, bes. 55,30f.). 10 Zur Person vgl. Arnold Hugh Martin Jones/John Robert Martindale/John Morris (Eds.), The Prosopography of the Later Roman Empire. 3 Vols. Cambridge 1971–1992, Vol.2, 711–712 (Fl. Marcellinus 10); André Mandouze/Charles Piétri/Sylvain Destephen (Eds.), Prosopographie chrétienne du Bas Empire. Bisher 3 Vols. Paris 1982–2000, Vol.1: Prosopographie de l’Afrique chrétienne, 671–688 (Flavius Marcellinus 2).
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sa) 11. Er bezeichnet die Vertreter beider Seiten im gleichen Dokument als Disputanten und spricht von ihrer Aufgabe als dem officium disputandi. Blickt er jedoch auf seine eigene Rolle und Aufgabe bei dem zu organisierenden Treffen, so benutzt er eindeutig juristische Terminologie; seine Beauftragung sei die cognitio der anstehenden disceptationes. 12 Cognitio ist die Bezeichnung des nachklassischen Prozesstyps 13, und der Kaiser delegiert ihn dieser Verfahrensform entsprechend als Richter, iudex 14. Vor diesem Hintergrund changiert der Begriff disceptatio zwischen Meinungsaustausch und Debatte einerseits und gerichtlichem Streitfall andererseits. 15 Dasselbe Geschehen ist also in der Sprache der offiziellen staatlichen Dokumente eine disputatio oder disceptatio, soweit es die Beschreibung der erwarteten Verhaltensweisen und definierten Aufgaben der beiden Parteien angeht, wird aber aus der Perspektive des Vorsitzenden unmittelbar zur rechtlichen Auseinandersetzung mit dem Zweck der juristischen Entscheidungsfindung – und dies ist selbstverständlich auch das ursprüngliche Anliegen des Kaisers. Wohlgemerkt, die Debatte oder Diskussion ist dabei nicht einfach die auch im gerichtlichen Kontext ja gleichfalls zu erwartende streitige Auseinandersetzung zweier Parteien um den fraglichen rechtlichen Sachverhalt, sondern wird ausdrücklich auch auf die fides, den Glauben, bezogen. Es ist also vorgestellt als eine echte theologische, im konkreten Fall vornehmlich ekklesiologische Sachdiskussion.
11
Gest. Conl. Carth. I 5 (Lancel [Ed.], Gesta [wie Anm.6], 56,14f.).
12
Gest. Conl. Carth. I 10 (Lancel [Ed.], Gesta [wie Anm.6], 59,15f.). Disputatio wird in Kaiser Honorius’ Re-
skriptum dreimal benutzt, Gest. Conl. Carth. I 4 (Lancel [Ed.], Gesta [wie Anm.6], 55,30.43; 56,61). Es findet sich zweimal in Comes Marcellinus’ erstem Edikt I 5 (56,25; 57,53) und viermal in seinem zweiten Edikt I 10 (Lancel [Ed.], Gesta [wie Anm.6], 60,48.52.61; 62,105). Weitere Stellen für die Wortfamilie disputare: Lancel (Ed.) Gesta (wie Anm.6), 59,21; 59,32.77; 60,73. Disceptatio: Gest. Conl. Carth. I 5. 10 (Lancel [Ed.], Gesta [wie Anm.6], 56,12. 59,2.15; 61,88). Cognitio: Gest. Conl. Carth. I 5 (Lancel [Ed.], Gesta [wie Anm.6], 59,7). Für die unterschiedliche Terminologie vgl. jetzt auch: Ivonne Tholen, Die Donatisten in den Predigten Augustins. Kommunikationslinien des Bischofs von Hippo mit seinen Predigthörern. (Arbeiten zur historischen und systematischen Theologie, Bd.16.) Münster/Berlin 2010, 273–277. 13
Vgl. grundlegend Max Kaser, Das römische Zivilprozeßrecht. 2.Aufl. neu bearb. v. Karl Hackl. (Hand-
buch der Altertumswissenschaft, Abt.10: Rechtsgeschichte des Altertums, T. III, Bd.4.) München 1996, 435– 632. Vgl. Adolph Berger, Encyclopedic Dictionary of Roman Law. (Transactions of the American Philosophical Society, NS.,Vol.43,2.) Philadelphia 1953, 393–394, s.vv. cognitio und cognitio extra ordinem (extraordinaria); Christoph Paulus, Art.„Cognitio“, in: Der Neue Pauly (wie Anm.1), Bd.3, 59f. 14
Gest. Conl. Carth. I 4,43f. (Lancel [Ed.], Gesta [wie Anm.9] 55): „... cui ... disputationi principis loco te
iudicem volumus residere... “ 15
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Zur rechtlichen Verwendung des Begriffs vgl. Berger, Dictionary (wie Anm.13), 438.
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Bei aller Besonderheit dieser Veranstaltung werden wir so auf die Verquickung von mindestens zwei Perspektiven auf das Disputieren zwischen kirchlichen Akteuren aufmerksam, die eine rechtlich, die andere theologisch-diskursiv oder auch intellektuell-akademisch. Dass sowohl Kaiser Honorius als auch sein Beauftragter Marcellinus von disputatio und ihren Derivativen im Austausch mit weiteren Begriffen (disceptatio, cognitio, concilium) reden, die die gleiche Zusammenkunft bezeichnen bzw. die gleichen Abläufe benennen, erweist die Konferenz von Karthago als eine Veranstaltung, deren Format und Regelwerkbzw.Verfahrenslogik nicht etwa von vornherein feststeht – so dass nur noch deren konkrete Ausgestaltung und Anwendung in Frage stünde –, die vielmehr unterschiedlichen Erwartungen an ihre Abläufe unterworfen und verschiedenen, miteinander in Spannung stehenden Versuchen einer stärker restriktiven und normativen Festlegung zugänglich ist. Womöglich zeigt sich in dieser Spannung von juristischen und akademischen Erwartungen ein im Kern hybrider Charakter der Versammlung. Obwohl die Konferenz eine Veranstaltung besonderer Art ist, muss unsere Untersuchung synodaler Diskurse und Kommunikationsweisen wahrscheinlich grundsätzlich mit derartigen Mischformen und Verquickungen von verschiedenen spannungsreichen Absichten und Erwartungen an den Charakter solcher Veranstaltungen rechnen. Blicken wir mit geschärftem Bewusstsein für die latente Ambiguität und die womöglich hybriden Formen kirchlicher Verfahren nun auf die Synoden im engeren Sinne, so lassen sich wiederholt ein Oszillieren oder ein Hin- und Hergleiten zwischen den beiden Hauptaspekten synodaler Auseinandersetzungen, nämlich dem Bemühen um eine sachbezogene, d.h. hier normalerweise theologische Erörterung der Wahrheitsfrage einerseits und der Überführung und Verurteilung abweichender Konzeptionen und Standpunkte als Häresie, d.h. einer (kirchen-)rechtlichen Urteilsfindung andererseits, beobachten. 16 16 Die hier unternommene Untersuchung des Verhältnisses und der wechselseitigen Befruchtung theologischer und rechtsförmiger Diskussionsformen blendet absichtsvoll die im engeren Sinne rechtlichen, d.h. disziplinarischen Untersuchungen und Urteile auf und durch Synoden und die Anfänge kanonischer Rechtssetzung aus, in denen unzweideutig rechtliche Verfahrensmuster, Interessen und Normvorstellungen wirksam werden. Für unsere Fragestellung von spezifischem Interesse ist dagegen die Art und Weise, wie die Frage nach Grenzen und Gegenstand von Rechtgläubigkeit und dem Sachgehalt der christlichen „Wahrheit“ (auch) in (quasi-) juristischem Gewand behandelt werden kann. Inwieweit Vorwürfe Betroffener berechtigt sind, dass disziplinarische Verurteilungen auf Synoden instrumentalisiert wurden, um theologisch unliebsame Personen zu marginalisieren und eine theologische Sachdiskussion zu vermeiden, sei hier einstweilen dahingestellt und bedarf einer eigenen Untersuchung.
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III. Als mögliche Einflüsse auf die Entwicklung der Institution Synode (bzw. Konzil) und eine Quelle gestaltgebender Elemente für deren Verfahrensweisen sind natürlich Gerichtsverfahren längst herausgestellt worden. In seiner klassischen Studie von 1979 hat Hermann Josef Sieben drei Konzilstypen unterschieden, die sich aus unterschiedlichen Modellen speisen, nämlich aus den Vorbildern der philosophischen Schule, des Gerichtshofs und des Senats. 17 Im Lichte des zuvor Gesagten sind m.E. diese Typen nun deutlicher als bei Sieben im Weber’schen Sinne als „Idealtypen“ zu kennzeichnen. Vor allem aber erlauben die von Sieben herausgearbeiteten Typen keine kausale Ableitung synodaler Formen und Abläufe von ihren angeblichen Modellen. 18 Zugleich, und wichtiger noch, wird man eine formale UnterDetermination synodaler Regularien herausstellen und einen ihr korrespondierenden, womöglich grundsätzlichen Hybridcharakter vieler Synoden erwägen müssen, aufgrund dessen Siebens „Typen“ vielmehr wechselnde Perspektiven anzeigen, unter denen das Synodalgeschehen wahrgenommen werden konnte und mit deren Hilfe miteinander in Spannung stehende Erwartungen an seine gestaltenden Elemente und maßstäblichen Prinzipien angezeigt und ausgehandelt werden konnten. Hier werden im Folgenden ausgehend von Siebens Beispielen weitere Synoden beleuchtet, bei denen ein derartiger Wechsel der Perspektive und konkurrierende Erwartungen m.E. besonders deutlich werden. Als Beispiel für den der (philosophischen) Schuldisputation nahestehenden Typus eines Konzils hatte Sieben den sogenannten „Dialog“ 19 zwischen dem heraus-
17
Hermann Josef Sieben, Die Konzilsidee der Alten Kirche. (Konziliengeschichte, Rh.B: Untersuchungen.)
Paderborn/München/Wien/Zürich 1979, 466, als Überschrift zum Kapitel „Sonstige Einflüsse auf die altkirchliche Konzilsidee und die entsprechenden Konzilstypen“ [Hervorhebung: Th. G.]; von Typen ist im ganzen Kapitel die Rede. Eine – nicht weiter ausgeführte – Kritik am Konzept der Typologie äußert schon die Rezension von Gunther Gottlieb, in: Gnomon 53, 1981, 352–355, hier 354f. 18
Sieben, Konzilsidee (wie Anm.17), 466, spricht von „dominante[n] Einflüsse[n]“.
19
Origenes, Disputatio cum Heracleida; kritische Edition: Jean Scherer (Ed.), Entretiens d’Origène avec
Héraclide. Introduction, texte, traduction et notes. (Sources Chrétiennes, Vol.67.) Réimpression de la première édition revue et corrigée. Paris 2002 [1960]; deutsch: Edgar Früchtel, Das Gespräch mit Herakleides und dessen Bischofskollegen über Vater, Sohn und Seele. Eingeleitet, übersetzt und mit Anmerkungen versehen. (Bibliothek der griechischen Literatur, Bd.5.) Stuttgart 1974, 27–44. In dem einzig erhaltenen griechischen Papyrus wird der Text als διάλεκτος überschrieben (Scherer [Ed.], Entretiens, 52). Zum Begriff bei Origenes bzw. den Origenes-Handschriften, wo er annähernd synonym mit διάλεξις und διάλογος, aber
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ragenden theologischen Denker Origenes (gest. 254) und einem ansonsten unbekannten Bischof Herakleides interpretiert. Trotz einiger Probleme im Detail erlaubt der Text ein klares Bild von Gegenstand und Charakter der bei dieser Gelegenheit geführten Diskussion. Bevor die Aufzeichnung beginnt, hatten die Bischöfe ihre Zweifel an Herakleides’ Glauben zum Ausdruck gebracht, einer nach dem anderen ihre Meinungen vorgetragen und Fragen gestellt. Der Text eröffnet sodann mit einer Credo-artigen Glaubenserklärung des Herakleides, die Origenes zum Ausgangspunkt seiner Nachfragen macht. 20 Er führt eine ἀνάκρισις durch, eine Befragung oder Untersuchung – ein Begriff, der wiederum sowohl in gerichtlichen wie philosophisch-akademischen Kontexten vorkommt. 21 Auf seine meist kurzen, präzisen Fragen zur Gottes- und Logoslehre antwortet Herakleides nur sehr knapp, gelegentlich nur mit „ja“ oder „nein“, und stimmt stets dem von Origenes Vorgeschlagenen ohne weiteres zu. Man fühlt sich an Situationen erinnert, in denen ein Professor verzweifelt versucht, einen Examenskandidaten in ein Gespräch zu ziehen, aber nur „ja-nein“-Antworten erhält. Nach einer Weile gibt Origenes frustriert von der Unfähigkeit seines Gesprächspartners, sich kompetent mit den systematisch-theologischen Problemen auseinanderzusetzen, auf, und der Dialog wandelt sich zum Monolog, bei dem verschiedene nur lose miteinander verknüpfte exegetische und systematisch-theologische Fragen behandelt werden. 22 Das Format ist also anfangs bestimmt vom Wechselspiel von Fra-
auch mit ζήτησις gebraucht wird, vgl. Scherer [Ed.], Entretiens [wie Anm.19], 52f. Anm.1 z. St.; 13–15, und Früchtel, Gespräch, 45 Anm.1. 20 Orig., Dial. 1.5–15 (Scherer [Ed.], Entretiens [wie Anm.19], 52–54). 21 Orig., Dial. 1.16 (Scherer [Ed.], Entretiens [wie Anm.19], 54). Die Mehrdeutigkeit ist bereits in den Übersetzungen erkennbar; Scherer [Ed.], Entretiens [wie Anm.19], 55, übersetzt mit „debat“; Früchtel, Gespräch [wie Anm.19], 27, mit „Befragung“. Vgl. zum Bedeutungsspektrum Henry George Liddell/Robert Scott, A Greek-English Lexicon. Ninth Edition with a Revised Supplement. Oxford 1996, 109 s.v. Der Terminus erlaubt es, hier im Sinne der Befragung mindestens Anklänge auch an die gerichtliche Sachklärung mitzuhören. So richtig auch Sieben, Konzilsidee (wie Anm.17), 472 mit Anm.31–32, der in der Veranstaltung aber letztlich gerade kein Verhör, sondern eine „geistliche Erörterung“ (473) erblicken will, auch wenn er nachdrücklich das Ziel „verbindlicher Formulierung“ (ebd.) unterstreicht. Meines Erachtens wäre vielmehr die – auch in der Terminologie gespiegelte – latente Doppelbödigkeit des Vorgehens und seine Interpretierbarkeit aufgrund von aus unterschiedlichen – juristischen oder akademischen – Formaten und Kontexten kultureller Praxis herangetragenen Erwartungen hervorzuheben. Fraglich ist so nicht das Ziel von Verbindlichkeit, sondern sind die dabei in Anschlag gebrachten Kriterien und Normvorstellungen und die dazu eingesetzten Strategien. 22 Nach Dial. 2.28 redet (fast) nur noch Origenes; Herakleides jedenfalls nimmt am Gespräch nicht mehr
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ge und Antwort, ganz nach dem Muster schon der sokratischen Dialoge, geht aber bald zu einer Art Vorlesungsstil über. 23 Interessanterweise agieren die anwesenden Bischöfe bei dieser Gelegenheit nicht etwa wie ein Leitungs- oder Entscheidungsgremium, das über das Vorgetragene oder den Vortragenden urteilte, sondern als Zuhörer mit verschiedenen Graden theologischer Kompetenz und intellektueller Befähigung, die Belehrung empfangen. 24 Trotz ihres Bischofsamts und ihrer hierarchischen Prärogativen ist es die intellektuelle Überlegenheit des Origenes, die ihn zur bestimmenden Gestalt bei dieser Gelegenheit macht. Eine Disputation von gleichrangigen Partnern – oder Gegnern – findet nicht statt. Ebenso kommt es wohl auch zu keiner abschließenden richterlichen Urteilsfindung. Von Herakleides, der ja Origenes stets kleinmütig zugestimmt hatte, hören wir nichts mehr. In der Versammlung findet im Kern nicht Disputation, sondern Instruktion statt. Das andere für unser Thema wichtige, von Sieben herausgearbeitete Konzilsmodell ist das des Gerichtshofs. 25 Das deutlichste frühe Beispiel für den Gerichtscharakter bestimmter Diskussions- oder Disputationsformen ist das Konzil von Aqui-
teil. In einer synodalen Diskussion zwischen den Protagonisten Origenes und Bischof Beryll von Bostra, von der Euseb von Caesarea, Historia Ecclesiastica 6.33.1–3, berichtet (Eduard Schwartz/Theodor Mommsen [Hrsg.], Eusebius von Caesarea, Die Kirchengeschichte. Die lateinische Übersetzung des Rufinus. [Die griechischen christlichen Schriftsteller der ersten drei Jahrhunderte, NF., Bd.6/1–3.] 3 Bde. Leipzig 1903–1909, Bd.2, 2. unv.Aufl. v. Friedhelm Winkelmann. Berlin 1999, 588, 4–24), wird gleichfalls das dialogische Vorgehen und das vorherrschende Interesse an der Sachklärung mit der daraus resultierenden Fragetechnik (ζητήσεις καὶ διαλόγους: 6.33.2; 588, 10) herausgestellt. Euseb bezeichnet das Geschehen bei dieser und ähnlichen Gelegenheiten summarisch als „Disputationen“ und „Untersuchungen“ (διαλέξεις – ζητήσεις: 33.3; 588, 16–17). 23
Vgl. Sieben, Konzilsidee (wie Anm.17), 471–473, zu den Gesprächsmustern; der Wechsel zu dem von
mir als Vorlesungsstil apostrophierten Vortrag des Origenes wird bei Sieben nicht thematisiert, wohl aber der Charakter seines Redens als Lehre hervorgehoben (475) und aufgrund dessen die „Schuldisputation“ (476) als nächste Analogie identifiziert. 24
Gleich anfangs, Dial. 1.17–18 (Scherer [Ed.], Entretiens [wie Anm.19], 54), beschreibt Origenes die „gan-
ze Kirche“ als gegenwärtig, „um zu hören“. 25
Sieben, Konzilsidee (wie Anm.17), 482 („Kaiserlicher Kognitionsprozeß“). Das dritte von Sieben iden-
tifizierte Modell des „Bischofssenat[s]“ (476–482; Zitat aus der Überschrift zum Kapitel, 476), ist für unser Interesse weniger relevant und bedürfte der kritischen Diskussion im Einzelnen. Formale Parallelen in den Dokumenten bestimmter Synoden zu Senatssitzungen sind im Detail unbestreitbar, doch bedürfen sie der kritischen Überprüfung hinsichtlich der Klassifizierung solcher Synoden als deliberative Versammlungen, die hier nicht geleistet werden kann. Zurückzuweisen ist in jedem Fall eine Ableitung der Institution Synode vom römischen Senat oder den entsprechenden Provinzsenaten und Stadtversammlungen.
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leia (381). 26 Ich habe mich dazu an anderer Stelle ausführlich geäußert und will darum hier lediglich knapp die wichtigsten Punkte andeuten und spezifisch auf die Frage nach etwaiger Diskussion oder Disputation, ihrem Ablauf und ihrem Zweck, zuspitzen. 27 Das ausführliche Protokoll setzt erst ein, nachdem bereits Diskussionen zur Sache stattgefunden haben, die nicht aufgezeichnet wurden. Das Vorliegende gleicht der Befragung eines Gerichtsmagistraten über Schuld oder Unschuld des Angeklagten nach dem Prozesstyp der cognitio. Als dominierende Figur, nicht aber strenggenommen als Vorsitzender, tritt Ambrosius von Mailand auf und unterwirft den homoeischen Bischof Palladius gegen dessen heftigen Protest dieser Prozedur. Palla-
26 Gesta concili Aquileiensis [nachfolgend: Gest. Aquil.]; kritische Edition: Michaela Zelzer (Ed.), Sancti Ambrosi Opera, Vol.X.3: Epistularum Liber Decimus. Epistulae extra collectionem. Gesta concili Aquileiensis. (Corpus Scriptorum Ecclesiasticorum Latinorum, Vol.83/3.) Wien 1982, 325–368. Aquileia ist wahrscheinlich nicht das früheste Beispiel juristischer Formate bei theologischen Kontroversen auf Synoden. Doch sind die Nachrichten von einer Synode in Antiochien im Jahre 268, die zur Verurteilung des Paul von Samosata führte, in ihrer Authentizität im Einzelnen umstritten und lassen darum keine gesicherte Interpretation der Kommunikationsweisen zu. Soweit die Informationen in der Kirchengeschichte des Euseb von Caesarea unbezweifelt authentisch sind, erlauben sie keine detaillierte Evaluation der Abläufe (Eus., h.e. 7.29–30; Schwartz/Mommsen [Hrsg.], Kirchengeschichte [wie Anm.22], 704–712). Immerhin ist darin aber deutlich, dass letztendlich das Bemühen eines professionell rhetorisch geschulten Diakons zur „Überführung“ des Paulus führte. Die Synode wäre damit ein wahrscheinliches Beispiel der Auseinandersetzung mit den Mitteln oratorischer Praxis und nach forensischer Analogie zum Zweck rechtsverbindlicher Entscheidung über den Glaubensstand eines Betroffenen. Allerdings treten die kontroversen Glaubensfragen in der kirchengeschichtlichen Darstellung Eusebs gegenüber der Kritik an Pauls Verhalten und Auftreten ganz in den Hintergrund und bleibt der Irrtum des Samosateners in der Sache unausgeführt. Zur Synode und speziell der Problematik der überlieferten Nachrichten und Dokumente vgl. Hanns Christof Brennecke, Zum Prozeß gegen Paul von Samosata. Die Frage nach der Verurteilung des Homoousios, in: Zeitschrift für die Neutestamentliche Wissenschaft 75, 1984, 270–290, sowie grundlegend Marcel Richard, Malchion et Paul de Samosate, le témoignage d’Eusèbe de Césarée, in: Ephemerides Theologicae Lovanienses 35, 1959, 325–338 (= Opera minora II, Nr.25). 27 Thomas Graumann, Council Proceedings and Juridical Process. The Cases of Aquileia (381 AD) and Ephesus (431 AD), in: Kate Cooper/James Gregory (Eds.), Discipline and Diversity. (Studies in Church History, Vol.43.) Woodbridge 2007, 100–113; die nachfolgende kurze Skizze stützt sich auf die dort entfalteten Einzelheiten der Gesprächsführung bzw. Auseinandersetzung. Zur Synode in historischer Perspektive vgl. ferner Gunther Gottlieb, Das Konzil von Aquileia (381), in: Annuarium Historiae Conciliorum 11, 1979, 287– 306; sowie Roger Gryson (Ed.), Scholies Ariennes sur le concile d’Aquilée. (Sources Chrétiennes, Vol.267.) Paris 1980, bes. 121–143; Neil B. McLynn, Ambrose of Milan. Church and Court in a Christian Capital. (The Transformation of the Classical Heritage, Vol.22.) Berkeley/London 1994, 124–137; Daniel H.Williams, Ambrose of Milan and the End of the Arian-Nicene Conflicts. (Oxford Early Christian Studies.) Oxford 1995, 157–184.
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dius hatte erwartet, zu einer freien theologischen Diskussion zu kommen, und so den kaiserlichen Konzilsauftrag verstanden. Seinen Gegnern wirft er vor, diesen widerrechtlich in ein Tribunal zu verwandeln. Er identifiziert so eindeutig das Verhalten des Ambrosius und der anderen als gerichtliches Gebaren. 28 Wichtig für unser Thema ist speziell, dass ihm von Ambrosius ein von Arius verfasstes Dokument vorgehalten wird. Dies wird Satz für Satz verlesen, verbunden jeweils mit der Aufforderung, entweder das Gesagte aus der Schrift zu begründen oder den Satz zu verdammen. 29 Man könnte dies als Einladung zur Disputation verstehen, in der die Sätze des Arius als Ausgangsthesen fungieren – aber das wäre unzutreffend. Palladius bestreitet den Bischöfen das Recht zu einer gerichtlichen Verfahrensweise im Grundsatz, lehnt jede Assoziation seiner Position mit Arius ab und damit auch die Tauglichkeit des ihm entgegengehaltenen „Thesenmaterials“. Er weigert sich, auf dieser Basis theologisch zu diskutieren, lehnt insbesondere die enge Alternative ab, entweder bestimmte Einzelformulierungen, die nicht die eigenen sind, zu bejahen oder zu verdammen. 30 Eine Möglichkeit, seine eigene theologische Sprache zu benutzen und seine Konzeption sachlich zu entfalten, wird ihm immer 28
Die Frage nach der Legitimität der Veranstaltung und des Vorgehens und der Kontrast mit den von
Palladius erwarteten Verfahrensweisen eines Konzils beherrscht die anfänglichen Auseinandersetzungen (vgl. besonders Gest. Aquil. 6–12) und wird nie wirklich geklärt. Besonders instruktiv für die Kritik des Palladius an den gerichtlichen Verfahrensweisen seiner Gegner und seine kontrastierenden Erwartungen über die Möglichkeit zur Disputation in einem Konzil ist Gest. Aquil. 32 (Zelzer [Ed.], Ambrosi Opera [wie Anm.26], 345, 406–410): „Iam dixi secundum diputationem, prout possumus respondemus vobis; vos enim soli vultis esse iudices, vos litigatores esse vultis. Non vobis respondemus nunc sed in concilio generali et pleno respondemus vobis.“ Einzelne Elemente dieser Kritik und Gegenüberstellung kehren in unterschiedlicher Akzentuierung beständig wieder; vgl. beispielhaft Gest. Aquil. 9 (Zelzer [Ed.], Ambrosi Opera [wie Anm.26], 330,80); 14 (334,162f.); 29 (343,365f.); 42 (352,558–560); 43 (353,586); 48 (355,637f.); vgl. auch 48 (355,633) für Ambrosius als iudex. Soweit er sich überhaupt darauf einlässt, auf Vorwürfe zu antworten, stellt Palladius seine Äußerungen spezifisch unter den Vorbehalt eines späteren Generalkonzils mit Anwesenheit östlicher Bischöfe, unter denen er Verbündete erhofft; vgl. Gest. Aquil. 11 (332,12f.); 12 (333,138–140); vgl. 6 (329,53–55). Die grundsätzliche Kritik an der Illegitimität des ihm von den Gegnern aufgezwungenen Verfahrens durchzieht auch Palladius’ eigene Darstellung der Umstände in seiner fragmentarisch erhaltenen sogenannten Apologia (Gryson [Ed.], Scholies Ariennes [wie Anm.27], 264–365). Dazu auch Neil B. McLynn, The „Apology“ of Palladius. Nature and Purpose, in: Journal of Theological Studies, NS.42, 1991, 52–76. 29
Vgl. beispielhaft die Aufforderungen durch Ambrosius Gest. Aquil. 5 (Zelzer [Ed.], Ambrosi Opera [wie
Anm.26], 329,46–52); vgl. 11 (332,107–109); 12 (333,135f .); Ambrosius insistiert durchgehend auf dieser Alternative. 30
Vgl. etwa Gest. Aquil. 14 (Zelzer [Ed.], Ambrosi Opera [wie Anm.26], 334,158); 25 (341,313); 31 (344,389–
390); 42 (351,550–552).
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wieder abgeschnitten, und eine exegetisch grundgelegte Debatte, bei der er etwa auch das Schriftverständnis seiner Gegner kritisch hinterfragen könnte, wird ihm ebenso im Effekt dadurch verweigert, dass er stets auf dem exakten Ausdruck des von Ambrosius als orthodox Vorgetragenen behaftet wird. Palladius hatte ein Dossier mit „Fehlern“ in Ambrosius’ Theologie vorbereitet, aber nicht mitgebracht. Es zu holen wird ihm nicht erlaubt. Das Verfahren ist insgesamt extrem asymmetrisch, von gleichberechtigter Diskussion kann keine Rede sein. Ebenso wenig findet eine voraussetzungslose Erörterung relevanter exegetischer Fragen statt. Schriftbelege zur Abstützung theologischer Konzepte werden nur in dem engen Rahmen der von Arius formulierten Ansichten abgefragt. Die Möglichkeit, auf der Grundlage der Schrift als theologischer Norm Theologie konstruktiv zu entfalten, kommt nicht in den Blick. Die Konfrontation des Palladius mit Sätzen des Arius bewirkt eine verzerrende Engführung der Fragestellung; die angeführten Sätze dienen aber selbst so noch nicht als thesenhafte Grundlage für eine Disputation, sondern zielen auf die – theologiegeschichtlich anachronistische, aber verfahrenstaktisch effektive – Identifizierung des Palladius als „Arianer“ und ermöglichen damit seine Aburteilung als Anhänger einer längst verurteilten Häresie. Er wird seines Bischofsitzes enthoben. Von besonderem Interesse ist hier, dass der Beginn der Protokollaufzeichnung den Wechsel von einer vorausgegangenen Diskussion, über deren Charakter wir kaum etwas erschließen können, hin zu einer auf die Verurteilung des Palladius abzielenden quasi-gerichtlichen Untersuchung anzeigt. Der entscheidende Umschlag zwischen den möglichen Zielsetzungen und Perspektiven freier theologischer Erörterung einerseits und rechtlicher Behandlung andererseits findet also dort statt, wo sich das Verfahrensinteresse gezielt auf die Position eines Einzelnen richtet, dessen Rolle in der Versammlung sich damit wandelt von der eines theoretisch gleichberechtigten Beiträgers zur Diskussion und zur schließlichen Beurteilung einer Sachproblematik hin zu der eines der Überschreitung bereits gesetzter Normen der Orthodoxie Angeklagten. Gehalt und Gestalt trinitarischer Orthodoxie sind für die Synodalen keine offene Frage mehr. Rechtgläubigkeit wird dann auch nicht mehr inhaltlich reflektiert oder positiv entfaltet, sondern ein als gegeben vorausgesetzter Maßstab, in der Form eines zur Verlesung gebrachten Dokuments, wird nur mehr auf das Denken des Betreffenden angewendet. Es ist beachtenswert und sicher kein Zufall, dass dieser Maßstab hier ein negativer ist: Das Verlesene repräsentiert und identifiziert Heterodoxie und ist gerade kein Zeugnis für Orthodoxie.
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Einen ähnlichen Rollen- und Interessenskonflikt können wir anlässlich des ephesinischen Konzils von 431 beschreiben. 31 Lassen wir die Frage der möglichen Irregularität der von Kyrill am 22.Juni des Jahres zusammengerufenen Versammlung beiseite und fragen allein nach den Metamorphosen zwischen theologischer Diskussion und rechtlicher Bewertung. Die ursprüngliche Einladung an Nestorius, an der Versammlung teilzunehmen (übermittelt am Vortag), wandelt sich im Laufe der Sitzung zur gerichtlichen Vorladung, sich für seine kritikwürdigen Ansichten als Angeklagter zu rechtfertigen. Das dann in seiner Abwesenheit durchgeführte Verfahren weist ein interessantes Doppelgesicht auf. Bewertet wird nämlich nicht einfach die Theologie des Nestorius, am Maßstab des Nizänums und auf der Grundlage seiner Schriften, sondern zunächst erfolgt die Prüfung eine Kyrillbriefs und die Bestätigung seiner Orthodoxie, also ein Versuch zur interpretierenden Weiterentwicklung des Verständnisses von Rechtgläubigkeit. Damit verschiebt sich in der Realität auch der Maßstab für die nachfolgende Bewertung des Nestorius, der nicht mehr wirklich am Maßstab des Nizänums gemessen wird, sondern an einem bereits kyrillisch interpretierten Nizänum. 32 Das Doppelgesicht des Verfahrens spiegelt sich auch in den gesamten nachfolgenden Debatten um die Legitimität dieser Sitzung. Denn die Kritik einer verspätet eintreffenden großen Gruppe von Bischöfen aus der Provinz Oriens richtet sich nicht nur auf die Unrechtmäßigkeit der Zusammenkunft und die prozedural verfehlte Verurteilung des Nestorius – also den rechtlichen Aspekt des Geschehens –, sondern
31
Zu Umständen und Verlauf der Synode vgl. Pierre-Thomas Camelot, Ephesus und Chalcedon. (Ge-
schichte der ökumenischen Konzilien, Bd.2.) Mainz 1964 (ursprünglich französisch: Ephèse et Chalcédoine. Paris 1962); Lorenzo Perrone, Da Nicea (325) a Calcedonia (451), in: Guiseppe Alberigo (Ed.), Storia dei concili ecumenici. 2.Aufl. Brescia 1993, 11–118; Christiane Fraisse-Coué (dt. Bearbeitung Thomas Böhm), Die Theologische Diskussion zur Zeit Theodosius’ II.: Nestorius, in: Charles Piétri/Luce Piétri (Hrsg.), Das Entstehen der einen Christenheit (250–430). (Die Geschichte des Christentums. Religion, Politik, Kultur, Bd.2.) Freiburg im Breisgau/Basel/Wien 1996, 570–626. Speziell zu den Abläufen der Sitzung vom 22.Juni 431 vgl. André DeHalleux, La première session du concile d’Éphèse (22 Juin 431), in: Ephemerides Theologicae Lovanienses 69, 1993, 48–87, und Thomas Graumann, „Reading“ the First Council of Ephesus (431), in: Richard Price/Mary Whitby (Eds.), The Council of Chalcedon in Context. (Translated Texts for Historians. Contexts, Vol.1.) Liverpool 2009, 27–44. 32
Dies ist die Verfahrenslogik des Geschehens im entsprechenden Teil der Sitzung vom 22.Juni 431, Ge-
sta Ephesena (Collectio Vaticana) 33–48: Eduard Schwartz (Rudolf Schieffer/Johannes Straub) (Eds.), Acta conciliorum oecumenicorum [series prima]. 4 Vols. Berlin 1914–1984 [im Folgenden ACO], Vol.1.1–5: Concilium Universale Ephesenum. Berlin/Leipzig 1914–1929, Vol.1.1.2, 1927, 3–36. Graumann, Reading (wie Anm.31), 37f.
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kritisiert auch die dabei nach ihrer Wahrnehmung zugleich mitgesetzten neuen Festschreibungen und Normen der Orthodoxie in Gestalt der verlesenen bzw. in die Akten aufgenommenen Kyrillbriefe. 33 Die Orientalen sehen dies als – theologischinhaltlich aus ihrer Sicht natürlich falsche – Ergänzung zum Nizänum. Das Verfahren gegen die Person des Nestorius hätte damit de facto auch eine theologische Entfaltung und Weiterführung von Rechtgläubigkeit herbeigeführt, indem es Kyrills Texte verbindlich machte. Der wahrscheinlich zu machende ursprünglich rechtliche Zweck der Aufnahme insbesondere des dritten Kyrill-Briefes in die Akten 34 wandelte sich also unter der Hand zur Neuformulierung von Orthodoxie, und seine Aufnahme in die Akten wird als deren formelle Approbation bewertet. Es ließe sich argumentieren, dass der Brief, dem zwölf Anathematismen angehängt waren, aufgrund des formalen Charakters dieser Verwerfungen tatsächlich einen solchen Anspruch erhebt, schließlich zielen Anathematismen auf Verbindlichkeit. Es geht ihnen nicht um Anregungen zum theologischen Weiterdenken, sondern darum, rechtsförmig bindend bestimmte Denkweisen und Sprachmuster auszuschließen, also um eine Grenzziehung zwischen Orthodoxie und Häresie. Insgesamt zeitigt die rechtliche Untersuchung über Nestorius so auch ein Ergebnis auf dem Feld der theologisch-konzeptionellen Reflexion; es setzt neue Grenzen und beschreibt neue Inhalte von Orthodoxie. Auf der Sitzung debattiert, wohlgemerkt, wurden diese Punkte nicht – jedenfalls nicht, soweit die Akten uns Einblick in die Abläufe gewähren. Der Prozess des Eutyches vor der Endemischen Synode in Konstantinopel im Jahre 448 illustriert ganz ähnlich die Durchlässigkeit zwischen personenbezogenem Gerichtsverfahren und grundsätzlicher theologischer Normendebatte, die nicht nur im Verfahren des Konzils jederzeit umschlagen, sondern auch als Perspektivwechsel an die Bewertung des Konzilsergebnisses herangeführt werden kann. Dass hier formal ein Gerichtsverfahren durchgeführt wird, steht außer Frage 35, und das Konzil findet seinen Abschluss folgerichtig allein in einer Entscheidung über den Ange-
33 Vgl. etwa Collectio Vaticana 151.15, ACO 1.1.5, 122f.; 163, ACO 1.1.5, 134,1–6; Collectio Casinensis 96, ACO 1.4, 44, 36–40.
34 Vgl. Graumann, Reading (wie Anm.31), 39–41; De Halleux, Première session (wie Anm.31), 447f. 35 Vgl. Eduard Schwartz, Der Prozeß des Eutyches. (Sitzungsberichte der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Abteilung, Bd.1929,5.) München 1929; Gerhard May, Das Lehrverfahren gegen Eutyches im November des Jahres 448. Zur Vorgeschichte des Konzils von Chalkedon, in: Annuarium Historiae Conciliorum 21, 1989, 1–61; George A. Bevan/Patrick T.R. Gray, The Trial of Eutyches. A New Interpretation, in: Byzantinische Zeitschrift 101, 2009, 617–657.
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klagten Eutyches. Beschlüsse zu Gehalt und Formulierung von Orthodoxie werden nicht gefasst. Gleichwohl ist es genau dies, die angebliche Verschiebung der Maßstäbe von Orthodoxie und die Abweichung von bzw. das Hinausgreifen über den akzeptierten Standard von Nizäa, aufgrund dessen die Hauptakteure dieser Synode im Folgejahr auf dem zweiten ephesinischen Konzil verurteilt werden. 36 In ihrer Befragung des Eutyches hätten sie diesen an einem falschen Maßstab von Orthodoxie gemessen, nämlich nicht allein am Nizänum. 37 Tatsächlich macht die Endemische Synode den als offiziellen kirchlichen Konsens geltenden Stand der christologischen Diskussion, nämlich das Nizänum mitsamt der in Ephesus approbierten, von Kyrill vorgelegten Interpretation (im zweiten Brief an Nestorius) und, das ist das entscheidende, ergänzt um die Konsensformel der sogenannten Union von 433, enthalten in Kyrills Brief an Johannes von Antiochien, zur Grundlage ihres Vorgehens. 38 Auch hier also nimmt die Synode bei Gelegenheit und zum Zwecke der gerichtlichen Überprüfung der Orthodoxie eines Einzelnen im Effekt präskriptiv zu den Inhalten von Rechtgläubigkeit Stellung. Hinter der Kritik an Eutyches scheint spiegelbildlich ein positives Verständnis von Orthodoxie auf, ja es wird in der Abweisung des Falschen neu konturiert. Die Verurteilung des Einzelnen verschiebt die Grenzen des gesamtkirchlich Gültigen – so jedenfalls erscheint es aus der Perspektive des zweiten Ephesinums. Die Befragung des Eutyches, ob er nicht bestimmte Formulierungen akzeptieren könne, das versuchsweise Explorieren in diesem Kontext von Alternativen und von Grenzen des Aussagbaren wird in Ephesus rückblickend als theologische Debatte rekonstruiert, und die Einzelbeiträge wurden als quasi-bekenntnishafte
36
Concilium Ephesenum Secundum [nachfolgend CEphII.], enthalten in den Akten der ersten Sitzung
des Concilium Universale Chalcedonense [nachfolgend CChalc.]. Die Verlesung und kritische Diskussion früherer Akten beim Ökumenischen Konzil von Chalcedon führt zu einer Schichtung der Texte, aufgrund derer die Akten sowohl der Konstantinopler Endemischen Synode (Synodus Endemousa [nachfolgend SynEndem.]) von 448 als auch die des Zweiten Ephesinischen Konzils von 449 in den Akten der ersten Sitzung des Konzils von Chalcedon überliefert sind. Um den Ursprungskontext zu verdeutlichen, werden die Texte zunächst der entsprechenden Synode (SynEndem. 448 bzw. CEphII. 449) zugewiesen, sodann aber nach der Edition der Konzilsakten von Chalcedon: Schwartz [Ed.], ACO [wie Anm.32], Vol.2.1.1, 1932, zitiert. 37
CEphII. 449 (= CChalc., sessio I, 943a–962; mit den Einzelurteilen 966–1066 und Unterschriften 1067),
Schwartz [Ed.], ACO [wie Anm.32], Vol.2.1.1, 189–191; 192–194; 194f. 38
SynEndem. 448 (= CChalc., sessio I, 239–246; 270–271, Schwartz [Ed.], ACO [wie Anm.32], Bd.2.1.1, 104–
111; 113–114. Die Bischöfe im Konzil Ephesus II kritisieren diese Auswahl, und die damit angezeigte Interpretation der Theologie Kyrills, unmittelbar; beginnend ebd.261 (Vol.2.1.1, 112).
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Glaubensaussagen ausgelegt. 39 Die konkrete Zwecksetzung der kirchengerichtlichen Nachprüfung des Einzelfalles wird damit entgrenzt, und die Akteure geraten ihrerseits ins Fadenkreuz einer synodalen (Appellations-)Gerichtsinstanz – die damit nun ihrerseits im Gewand der gerichtlichen Prüfung Stellung zur Orthodoxie bezieht. 40 Das Konzilsgeschehen und seine spätere Bewertung bewegen sich beständig zwischen diesen beiden Polen und wechselnden Perspektiven hin und her. In der Sache ist dies keineswegs ganz falsch, denn natürlich wird durch den Ausschluss individueller Entwürfe und eine durch Anathematismen herbeigeführte Grenzziehung in Terminologie und Konzeption die theologische Diskussion vorangetrieben und womöglich entschieden. So zeigt sich die Grenze zwischen rechtlich motivierter und an theologischem Verständnis orientierter Auseinandersetzung als durchlässig und sind die synodalen Abläufe unter beiden Hinsichten mehrdeutig. Wo speziell von den Unterlegenen Kritik an synodalen Verfahrensweisen und den Möglichkeiten und Grenzen zur freien Meinungsäußerung geäußert wird, spielt wiederholt der Konflikt dieser beiden Perspektiven auf das Geschehen und die daraus abgeleiteten Erwartungen die Schlüsselrolle. Die herangezogenen Beispiele haben auch deutlich gemacht, dass die tatsächlichen Abläufe und Modi der Kommunikation nicht einfach entlang juristischer und akademisch-theologischer Linien geschieden werden können, sondern mit einem wiederholten Wechsel juristischer und theologischer Perspektiven und Erwartungen sowie mit einer darin zum Vorschein kommenden latenten Vieldeutigkeit von synodalen Abläufen insgesamt gerechnet werden muss. 39 Besonders deutlich etwa am Beispiel des Basilius von Seleukia, der bisweilen versucht, Eutyches erklärend entgegenzukommen (SynEndem. = CChalc., sessio I, 519, Schwartz [Ed.], ACO [wie Anm.32], Vol.2.1.1, 142). Andererseits geraten seine beim Eutychesprozess (Endemische Synode 448) gemachten Bemerkungen zur Christologie im Folgejahr in Ephesus (Ephesus II, 449) in Verdacht, während seine dadurch veranlassten, in Ephesus vorgetragenen, abmildernden Erklärungen nachfolgend wiederum in Chalcedon (451) als problematisch erscheinen. Vgl. seine Einlassungen CChalc., sessio I, no. 545–548 (Schwartz [Ed.], ACO [wie Anm.32], Vol.2.1.1, 144f.; vgl. 791). Aufgrund der Kritik und der pro-Eutychianischen Grundstim-
mung in Ephesus bekennt er sich schließlich zur Ein-Naturen-Terminologie – in deutlichem Gegensatz zu seinen Äußerungen beim Eutychesprozess – (ebd.850, Schwartz [Ed.], ACO [wie Anm.32], Vol.2.1.1, 179). Dafür wiederum wird er in Chalcedon kritisiert (ebd.no. 857, Schwartz [Ed.], ACO [wie Anm.32], Vol.2.1.1, 180) und zeitweilig suspendiert. 40 Eutyches wird ausdrücklich für orthodox erklärt und mit ihm assoziierte Mönche und Kleriker werden aufgrund der Übereinstimmung mit ihm restituiert: CEphII. = CChalc., sessio I, 884, mit 113 individuellen Bestätigungen dieses Urteils; vgl. 885–905 für die übrigen; Schwartz (Ed.), ACO (wie Anm.32), Vol.2.1.1, 182–186; 186–189.
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IV. Die bereits in den bisherigen Analysen beobachteten Fälle von Dokumentengebrauch – wie bei den Konzilien von Aquileia und Ephesus – sowie das wiederholte Verlesen ganzer Aktenkomplexe früherer Synoden – wie beim Zweiten Ephesinischen Konzil und dem Konzil von Chalcedon – machen zugleich darauf aufmerksam, dass sich die Suche nach synodaler Diskussion nicht einfach auf Beobachtungen direkten verbalen Schlagabtauschs zwischen den Teilnehmern beschränken darf. Genauso wie die dargestellten unterschiedlichen Verfahrenserwartungen und -optionen durch unterschiedliche soziale Praktiken und deren mögliche institutionelle Kontexte mitgeprägt waren, sind vielmehr auch die spezifischen Gestalten, unter denen Diskussion stattfinden konnte, von sozialen und kulturellen Konventionen beeinflusst. Mehr noch, inwieweit überhaupt theologisch-inhaltliche Sachdiskussion auf Synoden stattfand, kann nicht beantwortet werden, ohne auch auf die Konventionen zu reflektieren, in denen etwaiger theologischer Dissens und streitige Stellungnahmen zur Sache in Dokumenten und Akten repräsentiert bzw. dargestellt werden konnten. Ein kürzerer abschließender Teil fragt darum nun nochmals spezifischer nach den Erscheinungsformen, in denen sich eine Klärung theologischer Differenzen zwischen zwei unterschiedlichen Parteien oder Einzelnen im synodalen Kontext darstellen konnte. Eine positive, an der Sache ausgerichtete und nicht von vornherein polemischparteilich verzerrte Form von synodalem Disputieren wird man theoretisch wohl am ehesten bei der Erarbeitung von Bekenntnissen oder dogmatischen Dekreten suchen dürfen. Gerade hier erlauben uns die Quellen allerdings nur sehr partielle und oftmals indirekte Einblicke. Für die Aufstellung des Nizänischen Bekenntnisses etwa liegen uns zwei je in ihrer Weise parteiische Berichte vor, die sich nicht harmonisieren lassen. Immerhin verweisen beide in je unterschiedlicher Weise auf die Bedeutung einer exegetischen Analyse von vorgeschlagenen Formulierungen, Begriffen und Metaphern. Dies geschieht wohl auf der Grundlage eines von einer Kommission erarbeiteten und der Versammlung vorgelegten Entwurfes zu dem dann beschlossenen Credotext. 41
41
Vgl. Euseb von Caesarea, Epistula ad ecclesiam suam = Urkunde 22 (Hans-Georg Opitz/Hanns Christof
Brennecke/Dietmar Wyrwa/Robert Pierce Casey [Hrsg.], Athanasius Werke. Bisher 3 Bde. Berlin 1934–2007, Bd.3/1: Urkunden zur Geschichte des Arianischen Streits. Berlin/Leipzig 1935, 42–47), bes. 9 (45,7–9 Opitz);
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Die vorbereitende Arbeit einer Kommission, von deren internen Diskussionen kein Protokoll vorliegt, liegt auch der Ausarbeitung der christologischen Definition von Chalcedon zugrunde. Im Hinblick auf dann noch im Plenum an den Entwurf gerichtete Einwände und etwaige Debatten ist das Sitzungsprotokoll äußerst restriktiv. Man erkennt, dass es noch einzelne Unzufriedene gab, aber die Mehrheit keine (abermalige?) Sachdebatte wünschte. Falls während des zwischenzeitlichen Wartens auf die kaiserliche Zustimmung – oder gar nach Abschluss der Kommissionsarbeit – doch noch zur Sache disputiert wurde, so ist dies nicht aufgezeichnet. 42 So setzen die Gewohnheiten und Beschränkungen der Protokollierung der Suche nach sachlichtheologischer Disputation im Konzilsablauf enge Grenzen und wird gleichzeitig die Wichtigkeit des Umgangs mit Dokumenten sowohl als Anlass als auch als möglicher Stellvertreter für direkte Diskussion bei solchen Gelegenheiten wahrscheinlich. Als ein Beispiel für eine durch ein Dokument ausgelöste Debatte sei die Behandlung des in der Dogmengeschichtsschreibung berühmten Tomus Leonis 43 auf der zweiten Sitzung des Konzils von Chalcedon angeführt. Sie ermöglicht es, die in den Akten oft verschleierte Auseinandersetzung um bestimmte Texte in den Blick zu bekommen. Bei der Verlesung des Papstbriefes nämlich regt sich im Plenum erkennbar Unruhe über einige Formulierungen, und das Protokoll verschweigt diese ausnahmsweise nicht 44 – eine seltene Gelegenheit, überhaupt Dissens zwischen den Teilnehmern und ihren Diskussionen nachzuspüren. Die Akten stellen die Interpre-
geschrieben unmittelbar nach den Ereignissen. Anders im Rückblick Athanasius von Alexandrien, De decretis Nicaenae synodi (Opitz, Athanasius Werke, Bd.2.1: Die Apologien. Berlin/Leipzig 1940, 1–45), bes. 19– 21. Der Traktat ist wohl eher auf ca. 357/58 als 351/52 zu datieren. 42 CChalc., sessio V, 29 (Schwartz [Ed.], ACO [wie Anm.32], Vol.2.1.2, 125f.); vgl. die Diskussionen 4–21; 23–28 (123f.; 125). 43 Leo Romanus (Papa), Tomus ad Flavianum = epistula 28, urspünglich vom 13.Juni 449 und adressiert an Bischof Flavian von Konstantinopel; vgl. Eligius Dekkers (Ed.), Clavis Patrum Latinorum. 3.Aufl. Steenbrugge 1995, no. 1656. Da Leo zur Darstellung seiner Christologie die Rede von zwei Naturen benutzt, findet der Text eine kontroverse Aufnahme im Konzil. 44 Die Nummerierung der Sessionen in den griechischen und lateinischen Handschriften ist unterschiedlich; die hier behandelte Sitzung wird konventionell auch als dritte gezählt; so auch in der hier verwendeten Textedition. Meine Zählung hingegen folgt der m.E. überzeugenden Rekonstruktion von Richard Price/Michael Gaddis, The Acts of Chalcedon. (Translated Texts for Historians.) 3 Vols. Liverpool 2005, mit Begründung Vol.2, 1–2. Zur besseren Auffindung ist die Zählung der ACO hinzugefügt: CChalc., sessio II [iii], 24–6 (Schwartz [Ed.], ACO [wie Anm.32], Vol.2.1.2, 81f.). Für eine erste Orientierung über die an diesen Stellen aufscheinenden theologischen Differenzen zwischen Leos und Kyrills Konzeptionen vgl. Price/Gaddis, Acts [wie Anm.44], Vol.2, 25 Anm.76–81 zur Stelle (mit der dort zitierten Literatur).
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tation jedoch vor ein interessantes Dilemma. Danach wurde nämlich zunächst der Tomus in seiner Gänze verlesen. 45 Darauf akklamierte die Synode seine Rechtgläubigkeit. Sechzehn solcher Akklamationen werden aufgezeichnet. 46 Danach erst identifiziert das Protokoll drei Passagen in Leos Brief, gegen die Einwände erhoben worden waren und über die, so ist zu vermuten, diskutiert wurde. 47 Erwähnt werden diesbezügliche Proteste und Anfragen von zwei Gruppen von Bischöfen aus dem Illyricum und aus Palästina, ohne dass die Akten deren Wortführer beim Namen nennen oder gar ihre konkreten theologischen Kritikpunkte wiedergeben. Es duldet keinen Zweifel, dass die im Protokoll aufgezeichneten Proteste während der Verlesung des Briefes laut wurden. 48 Das Nacheinander in den Akten dürfte im Kern praktische Schwierigkeiten der Protokollierung widerspiegeln, die die Gleichzeitigkeit von Verlesung und kritischen Anfragen in ein geordnetes Nacheinander überführen muss, nicht zuletzt um den Brief ohne Komplikation komplett vom separaten Dokument in die Akten zu transkribieren. Doch erzeugt dieser Stil der Aufzeichnung zugleich eine geänderte Wahrnehmung der Abläufe. Entgegen der Darstellung des Protokolls muss man nämlich davon ausgehen, dass die Akklamation von Leos Rechtgläubigkeit ohne einen signifikanten Teil der Synodalen erfolgt, eben ohne die Bischöfe aus dem Illyrikum und Palästina: 47 laut Teilnehmerliste, d.h. etwa 20 Prozent der Anwesenden. 49 Die als Meinung „der Synode“ aufgezeichneten Rufe blenden also eine immerhin beachtliche Minderheit aus – ein Fall von summarisch-verzerrender Protokollierung, der Meinungsunterschiede in der Synode und zugleich wirkliche Debatte verdeckt.
45
CChalc., sessio II [iii], 22 (Schwartz [Ed.], ACO [wie Anm.32], Vol.2.1.2, 81,20). Das Protokoll identifiziert
das Dokument lediglich durch die Anfangszeilen; der Brief ist an früherer Stelle vollständig zitiert: Schwartz (Ed.), ACO (wie Anm.32), Vol.2.1.1, 10–20. 46
CChalc., sessio II [iii], 23 (Schwartz [Ed.], ACO [wie Anm.32], Vol.2.1.2, 81,23–31).
47
CChalc., sessio II [iii], 24–26 (Schwartz [Ed.], ACO [wie Anm.32], Vol.2.1.2, 81,32–82, 33).
48
CChalc., sessio II [iii], 24 (Schwartz [Ed.], ACO [wie Anm.32], Vol.2.1.2, 81,32): Ἡνίκα δὲ ἀνεγινώσκετο
τὸ μέρος τῆς προγεγραμμένης ἐπιστολῆς τὸ περιέχον … („Als der Abschnitt des voranstehenden Briefs verlesen wurde, der [die folgende Formulierung] enthält …“) Es folgen drei Zeilen aus dem Dokument. Verfahren und Aufzeichnungskonvention sind an allen drei Stellen im Kern dieselben. 49
Die Angabe kann nur einen Annäherungswert darstellen, denn tatsächliche Teilnehmerzahlen
schwanken während verschiedener Sitzungen der Synode. Beobachtungen zu Zahlenverhältnissen auf anderen Synoden macht MacMullen, Voting [wie Anm.4], 99f., doch ist seine Interpretation solcher Hinweise als Indizien für eine synodale Konvention von Mehrheitsentscheidungen zurückzuweisen; vgl. ebd.19f., 41f., 99–101 und Index 170, s.v. „votes“.
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In einem anderen Kontext notiert das Protokoll die Einwürfe von Teilnehmern: „Nur wenige haben gerufen! Die Synode spricht nicht!“ 50 Bei der Akklamation von Leos Tomus gilt dies sicher in ähnlicher Weise, doch wird die fehlende Zustimmung eines wichtigen Segments der Teilnehmer nicht festgehalten. Hier, wo die Umgrenzung von Orthodoxie auf dem Spiel stand, würde die Aufzeichnung kontroverser Meinungen die Versammlung als in der Sache tief gespalten vor Augen führen. Spaltung aber und das Aufrechnen von Mehrheiten und Minderheiten entspricht nicht dem Selbstverständnis synodalen Geschehens, wonach sich hierin die geistgewirkte Einheit der Kirche ausspricht. Die Art der Aktenpräsentation gibt dieser Prämisse Ausdruck. Bei der Analyse von synodalen Debatten müssen wir folglich stärker das Selbstverständnis und die ekklesiologischen Grundlagen dieser Institution berücksichtigen. Ob Disputation auf Konzilien stattfinden oder in den Akten wiedergegeben werden konnte, lässt sich womöglich nur im Kontext der Ekklesiologie beantworten. Man kann die Abläufe in der fraglichen Sitzung aber hypothetisch noch weiter ausleuchten. Wenn nämlich zustimmende Akklamationen in ähnlicher Weise sequentiell aufgezeichnet wurden wie Kritik am Dokument, dann ist es vorstellbar, dass mindestens einige der Akklamationen, die sich im Protokoll erst im Anschluss an die Verlesung finden, in der Realität ebenso während der Verlesung erfolgten wie die kritischen Einwürfe. Und so läge womöglich hinter der sorgsamen Unterscheidung und separaten Aufzeichnung von Akklamationen und Kritik eine unter Umständen lautstarke Auseinandersetzung zwischen zwei Parteien, die an kontroversen Stellen des Tomus gegeneinander Stellung beziehen, was uns aber die Sekretäre oder Editoren des Protokolls aus den schon genannten Gründen nicht vorführen wollen. Die vorauszusetzende Debatte um die fraglichen Stellen erlaubt weitere Einsichten in den Stil theologischer Auseinandersetzung und die Konventionen ihrer Aufzeichnung. Die Einwände gegen den Tomus werden, wie gesagt, nicht in der Sache ausgeführt, aber auch die Argumente zu seinen Gunsten sind nicht aufgezeichnet. Stattdessen erfahren wir einzig, dass ein Erzdiakon aus Konstantinopel, der hier durchgehend als Vorleser fungiert, „ähnliche Stellen“, wie es im Protokoll heißt, von Kyrill vorliest. 51 Theologische Diskussion und Argumentation sind hinter dieser 50 CChalc., sessio II [iii], 35 (Schwartz [Ed.], ACO [wie Anm.32], Vol.2.1.2, 22). 51 CChalc, sessio II [iii], 24 (Schwartz [Ed.], ACO [wie Anm.32], Vol.2.1.2, 81,32–82, 11); 25 (82,12–22); 26
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dürren Mitteilung verborgen und lassen sich in der Substanz allenfalls durch einen Vergleich der genannten Stellen ansatzweise rekonstruieren. Das Verfahren suggeriert die aufmerksame Planung der Sitzung seitens des Leitungsgremiums. Nicht nur waren bestimmte Einwände offenbar erwartet worden, sondern man hatte sogar ein Dossier von Exzerpten (kephalaia) vorbereitet, um diesen Einwänden zu begegnen. Die ganze Aktenpassage, drei Paragraphen lang, weniger als eine Seite in Eduard Schwartz’ Edition, ist in meiner Interpretation die kondensierte Zusammenfassung einer längeren, ausführlichen Sachdebatte, in der der Vergleich von Leos Tomus mit bestimmten Kyrilltexten die entscheidende Rolle gespielt hatte. Durch den abkürzenden Protokollstil ist sie zum Teil maskiert. Dass aber tatsächlich eine theologische Sachdebatte stattfand, darauf kommt es mir an, kann erschlossen werden, wenn wir das Gewebe von Protokollstil, synodalem Selbstverständnis und konventioneller Akklamationspraxis entwirren. Bevor man Urteile darüber fällt, ob auf den Konzilien der Alten Kirche Diskussionen stattfanden, muss man die Wahrscheinlichkeit ihrer protokollarischen Verschleierung in Anrechung bringen. Ferner zeigt unser Beispiel mit seinen Hinweisen auf das Austragen eines theologischen Konflikts einerseits durch vergleichendes Vorlesen und andererseits durch – womöglich wüstes – Geschrei, dass wir die Suche nach Elementen von Disputation nicht durch strikte Formkriterien beschränken dürfen, sondern auch andere, in der antiken Kultur gebräuchliche Kommunikationsweisen mit zu berücksichtigen haben, in denen sich unterschiedliches Denken und Meinungskonflikt ausdrücken konnte.
V. Die voranstehenden Beobachtungen erlauben ein knappes Resümee und erste vorsichtig weiterführende Reflexionen darüber, wie die Frage nach synodalen Debatten, seien sie theologischen, seien sie gerichtlichen Charakters, in der Forschung weiter zu verfolgen wäre. Zunächst, so hat sich gezeigt, darf sich das Interesse nicht ausschließlich auf die Indizien für eine formal geordnete Diskussion konzentrieren. Ebenso wenig ist es ausschließlich auf Formen lebendiger, direkter Kommunikation im Sitzungsablauf (82,31–32). In diesem letzten Fall wird die einschlägige Passage von Bischof Theodoret von Cyrrhus vorgetragen.
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einer Synode zu beschränken. Vielmehr haben die verschiedenen Beispiele von Dokumentengebrauch darauf aufmerksam gemacht, dass sich die Debatte womöglich auf eine sekundäre Ebene verschoben findet, nämlich auf die der im Konzilsgeschehen verlesenen Texte. Dabei entstehen zwei verschiedene denkbare Gesprächskontexte, einmal zwischen den Dokumenten selbst und zum anderen in der Behandlung des Verlesenen im Sitzungsablauf, also durch Kommentierung, kritische Nachfrage, womöglich kontroverse Diskussion in der Sitzung, aber auch in stärker kulturell prädeterminierten Reaktionsmustern wie der Akklamation oder, spiegelbildlich, der ablehnenden Gruppenrufe. Diese Formen der Auseinandersetzung waren hinter den Protokollbemerkungen zum Umgang mit dem Tomus Leonis sichtbar. Die Möglichkeit aber, einer solchen Debatte überhaupt ansichtig zu werden, und die Grenzen, sie in Substanz und Form zu rekonstruieren, werden von den Usancen und Absichten der Protokollführung und Aktenedition wesentlich geprägt, d.h. in der Regel: eingeschränkt. Die ekklesiologisch grundgelegte Erwartung von synodaler Harmonie und Konsens bewirkt das Herunterspielen oder sogar das völlige Abblenden von wirklicher streitiger Auseinandersetzung. Sodann müssen ebenfalls Auftreten und Zwecksetzung der bekannten Formen direkter Debatte kritisch überprüft werden. Die Kommunikationsweisen des kontroversen Austauschs, also Frage und Antwort, Rede und Gegenrede, Vorschlag und Gegenvorschlag, können ganz unterschiedlichen Zielen dienen und lassen als solche noch keinen definitiven Rückschluss auf Form, Zweck und Charakter der Debatte zu. Frage und Antwort prägen auf der einen Seite den erzieherisch zu nennenden Versuch des Origenes, den Gesprächspartner von einem überlegenen Theologieentwurf zu überzeugen und von den Schwächen seiner eigenen Position abzubringen. Auf der anderen bilden sie aber genauso auch das wesentliche Gerüst der Befragung des Palladius als eines Angeklagten mit dem eindeutigen Ziel, ihn zu verurteilen. Eine Mischform könnte man in den Diskursen der Synodalen mit Eutyches erblicken, dem wiederholt die Möglichkeit angeboten wird, sich auf bestimmte Denkund Sprachmuster einzulassen, also Belehrung anzunehmen, der letztendlich aber als heterodox verurteilt wird. In allen drei Fällen haben wir es je unterschiedlich mit einem Asymmetrieverhältnis zwischen den Beteiligten zu tun: einmal – bei Origenes und Herakleides – mit der intellektuellen Überlegenheit des einen Gesprächspartners nach der Art des Lehrer-Schüler-Verhältnisses, das andere Mal – bei Ambrosius und Palladius – damit, dass ein Beteiligter in die Rolle des Angeklagten gedrängt wird, und ein drittes Mal – bei Eutyches und der Endemischen Synode – mit einer ge-
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richtlichen Untersuchung, in der zusätzlich zu dieser Rollenzuschreibung die hierarchische Vorrangstellung der Richter und Gegner als Bischöfe gegenüber einem Presbyter das Ungleichgewicht weiter verstärkt. Hier spielt wie auch im vorgenannten Fall ferner eine extreme Spreizung von Mehrheit und Minderheit eine zusätzlich verstärkende Rolle. 52 Ein Einzelner steht jeweils dem gesamten Kollektiv der Versammelten gegenüber. Der Vergleich zwischen dem Fall des Eutyches und dem des Palladius macht aber noch auf eine andere Unterscheidung aufmerksam. Die gerichtliche Rahmung der Debatte ist als solche noch nicht zureichend, um den Disputations-Charakter des Geschehens eindeutig zu beschreiben. Vielmehr ist noch innerhalb des gerichtlichen Kontexts zu differenzieren zwischen der Art der gerichtsmagistratischen, inquisitorischen Befragung des Angeklagten, wie sie beinahe in Reinform von Ambrosius durchgeführt wird, und eines stärker durch adversatorische Elemente geprägten Gerichtsgeschehens, wie es dem klassischen Zivilprozess entspricht. Hier ist es das Gegeneinander zweier Parteien, deren Anträge und Einlassungen das Geschehen vorantreiben, dort das Untersuchungsinteresse des Vorsitzenden. Mindestens theoretisch wäre in einem adversatorischen Rahmen die Gleichberechtigung beider Seiten bei einer Debatte anzunehmen. Noch am ehesten ließe sich in dieser Weise das Gegeneinander von Katholiken und Donatisten bei der Konferenz von Karthago als formal gleichberechtigte gerichtliche Debatte zweier gegnerischer Parteien rekonstruieren. Aber gerade hier ist durch die kirchenpolitischen Vorgaben des Kaisers, umgesetzt in der Verfahrensleitung des Vorsitzenden, eine Schieflage zugunsten der Katholiken bereits vorgegeben. Wenn wir in dieser Perspektive die Möglichkeiten der um eine Ebene verschobenen indirekten Debatten zwischen und mithilfe von Dokumenten weiterverfolgen, so ließe sich mindestens in der Theorie die kontrastierende Verlesung der Briefe Kyrills und des Nestorius als adversatorische Debatte rekonstruieren, die lediglich von einer theologischen Auseinandersetzung vor dem Konzil nunmehr in den rechtlichen Kontext der Feststellung und Verurteilung von Häresie verschoben wäre. Will
52
Damit ist aber gerade nicht die Anschauung einer Art „Mehrheitsprinzip“ zu verbinden; pace MacMul-
len, Voting [wie Anm.4], der den gelegentlichen Hinweisen auf Mehrheitsverhältnisse in Synoden oder zwischen Synoden ein allzu großes und konzeptionell verfehltes Gewicht beimisst. Hinweise auf die größere Zahl der Beteiligten oder eine Überzahl von Vertretern einer bestimmten Auffassung haben stets lediglich eine hilfsweise, nachgeordnete Bedeutung in der Begründung von Legitimität.
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man das Verlesen von Korrespondenz als transponierte Debatte verstehen, so können wir uns dabei auf die konventionelle antike Brieftheorie berufen, wonach der Brief ein durch Distanz verhindertes direktes Gespräch ersetzt. Ist insoweit bereits der Briefwechsel durch Indirektheit und Verschiebung markiert, so wird diese bereits indirekte Debatte durch ihre spätere Verlesung im Konzil nochmals um eine weitere Ebene verschoben; sie ist also Debatte dritter Ordnung. Bei dieser Transposition wird aber das in der Korrespondenz polemisch ausgetragene Gegeneinander zweier gleichberechtigter Kontrahenten nicht einfach in der Realität der Konzilsaula repliziert, sondern nochmals gebrochen. Die Abwesenheit des Nestorius, seine Behandlung in Abwesenheit als Angeklagter und die Zusammensetzung der Konzilsteilnehmer führen nämlich in gleich mehrfacher Hinsicht wiederum Elemente ein, die zu einer Hierarchisierung der Aussagen und zu einer Asymmetrie sowohl in der Darbietung als auch in der Wahrnehmung der Texte führen. Unter den Synodalen stehen sich nicht zwei Gruppen von Anhängern beider Seiten gegenüber, die – ganz gleich wie etwaige Zahlenverhältnisse ausfallen mochten – sich hörbar mit einer der verlesenen Position solidarisieren konnten. Die Vertreter der Gegenposition treffen sich separat einige Tage später. Die Synode ist also von vornherein nicht das „Parlament“ oder die debating chamber verschiedener Parteien. Und die Anwesenheit nur eines der Kontrahenten, zumal in leitender Funktion, lässt diesen als Partei und Richter zugleich agieren. Die Synode ist somit auch kein regelgerechter Gerichtshof. Nur noch gleichsam als Fußnote bleibt auf eine weitere Form möglicher Verschiebung von synodaler Debatte hinzuweisen. Überspannt eine brieflich geführte Debatte in erster Linie den Raum, so wird durch das Heranziehen von Extrakten von „Vätern“ im Kontrast mit Auszügen aus Predigten und Traktaten des Nestorius im zweiten Teil derselben Sitzung 53 eine weitere Variante indirekter, translozierter Debatte eingeführt, die nunmehr über zeitliche Distanzen hinweg greift. Nestorius wird mit orthodoxen Autoren einer früheren Zeit konfrontiert; ähnlich, wenn auch mit umgekehrten Vorzeichen, Palladius in Aquileia, dem durch Verlesung eines Ariusbriefs angebliche Übereinstimmungen mit diesem häretischen Vorgänger ent-
53 Gesta Ephesena 54–60; Schwartz (Ed.), ACO [wie Anm.32], Vol.1.1.2, 38–52. Dazu und zur Entstehung der Väterkonzeption allgemein vgl. Thomas Graumann, Die Kirche der Väter. Vätertheologie und Väterbeweis in den Kirchen des Ostens bis zum Konzil von Ephesus (431). (Beiträge zur Historischen Theologie, Bd.118.) Tübingen 2002; zum Kontext bes. 387–390, 398–400.
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gegengehalten werden. Und so kann schließlich die „Debatte“ mit Autoren, deren Rechtgläubigkeit in Zweifel gezogen wird, über den Abstand noch von Jahrhunderten durch eine kritische Präsentation von Extrakten nachgeholt werden. Wir erleben dies etwa bei der Verurteilung der sogenannten Drei Kapitel im fünften Ökumenischen Konzil von Konstantinopel 553 oder gleich zweimal bei den Verurteilungen des Origenes in den Jahren 400 und 553. So überspannt die synodale Disputation sowohl Zeit als auch Raum. So steht am Schluss dieser Übersicht nicht eine umfassende und klärende Bestandsaufnahme, ob und wie die Kirche auf den Synoden des Altertums disputiert wurde, sondern ein Aufgabenkatalog für die weitere Forschung. Es gilt, die kulturellen Prägungen und konventionellen Muster kontroverser Kommunikation und ihre direkten und indirekten Widerspiegelungen im Konzilskontext ins Auge zu fassen; es gilt ferner den formal offenen und institutionell unterbestimmten Charakter und die dementsprechend wechselnden Erwartungen an synodale Vorgänge ernst zu nehmen; und es gilt schließlich, das wahrscheinliche Selbstverständnis der Synodalen – soweit rekonstruierbar – theologiehistorisch zu reflektieren, wenn wir Möglichkeiten, Gestalten und Grenzen etwaiger disputatio auf den altkirchlichen Synoden und Konzilien ausloten wollen.
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„Non enim se Deus discutere iubet sed credere“ Synoden und Konfliktgeschehen im westgotischen Spanien von Christoph Dartmann
Während des 14. Konzils von Toledo hatte sich der Episkopat des westgotischen Königreichs im Jahr 684 mit diffizilen dogmatischen Auseinandersetzungen zu befassen. Zur Debatte stand der sogenannte Monotheletismus, also die Frage, ob man den beiden Naturen Jesu, der göttlichen und der menschlichen, je einen eigenen Willen zubilligen soll oder ob die eine Person auch nur über einen Willen verfügt habe. Nachdem diese Frage während des 7.Jahrhunderts sowohl im byzantinischen Reich als auch unter Mitwirkung der Bischöfe von Rom kontrovers behandelt worden war, kam das 3. Konzil von Konstantinopel im Jahr 680 zu dem Entschluss, den Monotheletismus als Häresie zu verurteilen. An dieser Entscheidung wie auch ihrer Verbreitung in den lateinischen Christenheiten wirkten die Päpste Agatho, Leo II. und Benedikt II. mit. Unter anderem forderten Leo und Benedikt die westgotische Kirche auf, die Beschlüsse des Konzils von Konstantinopel anzuerkennen und diese Anerkennung durch die Unterschrift der Bischöfe zu dokumentieren. Zu diesem Zweck wurde das 14. Konzil von Toledo einberufen, auf dem in der Tat die Beschlüsse als verbindlich übernommen wurden. 1 In diesem Zusammenhang fanden die Konzilsväter die Formulierung: „non enim se Deus discutere iubet sed credere“. Genauer heißt es, die Konzilsväter wollten die Fallstricke der Häretiker vermeiden und nicht aus eitler Ruhmsucht über die höchsten Geheimnisse debattieren. Denn göttliche
1 Zu den dogmatischen und kirchenpolitischen Hintergründen des Monoergetisch-monotheletischen Streits vgl. zusammenfassend Panayotis A. Yannopoulos, Vom Zweiten Konzil von Konstantinopel (553) zum Zweiten Konzil von Nicaea (786–787), in: Giuseppe Alberigo (Hrsg.), Geschichte der Konzilien. Vom Nicaenum bis zum Vaticanum II. Düsseldorf 1993, 136–168, hier 150–156; Friedhelm Winkelmann, Art.„Monenergetisch-monotheletischer Streit“, in: Theologische Realenzyklopädie. 36 Bde. Berlin u.a. 1977–2004, Bd.24, 205–209. Die Auseinandersetzungen des spanischen Episkopats mit diesem Thema schildern breit José Orlandis/Domingo Ramos-Lisson, Die Synoden auf der Iberischen Halbinsel bis zum Einbruch des Islam (711). (Konziliengeschichte, Rh.A: Darstellungen.) Paderborn/München/Wien/Zürich 1981, 272–293.
10.1515/9783110436150.61
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Geheimnisse seien kein Gegenstand für Debatten, sondern für den Glauben. Gott habe nämlich nicht befohlen, man solle über ihn diskutieren, sondern an ihn glauben. 2 Fragt man nach der Bedeutung, die Synoden für vormoderne Konflikte besaßen, und danach, wie Konflikte auf Synoden selbst traktiert und zu einer Entscheidung geführt worden sind, deutet dieses Zitat ein zentrales Problem an: Die Synodalen in Toledo betonen nachdrücklich die Bedeutung des Konsenses und der Unterordnung unter den vermeintlich ebenso unveränderlichen wie eindeutig erkennbaren Willen Gottes. Kann die Analyse von westgotischen Synoden unter diesen Voraussetzungen überhaupt einen substanziellen Beitrag zur Erforschung der „Ecclesiae disputantes“ leisten? Nach Entscheidungsfindung durch Synoden sowie der Stellung von Synoden in Konfliktgeschichten zu fragen, verbindet zwei Perspektiven miteinander. Zum einen schließt diese Fragestellung an Forschungen zur Verfahrenstechnologie in der Vormoderne an – konkret den Analysen, die der Entwicklung von Techniken verfahrensgemäßer Entscheidungsfindung in der Vormoderne gewidmet sind. Diese Debatte ist bisher vor allem im Hinblick auf die Genese von Verfahrensformen geführt worden, die sich seit dem Hochmittelalter entwickelt haben und bis in die Gegenwart hineinwirken. 3 Eine Studie westgotischer Synoden führt hingegen in den Transformationsprozess von der spätantiken zur frühmittelalterlichen Kultur. Wenn – wie im Beitrag von Thomas Graumann ausgeführt – spätantike Synoden von der Anverwandlung antiker Verfahrenstechniken geprägt waren, ist zu fragen, inwiefern auch frühmittelalterliche Synoden diese Traditionen fortführten. 4 Oder 2 José Vives (Ed.), Concilios Visigóthicos e Hispano-Romanos. (España cristiana. Textos, Vol.1.) Barcelona/ Madrid 1962, 446, Toledo XIV,10: „ut caveamus haereticorum muscipula(s), effugiamus dogmatis cancerosi venena, verbis illis quibus dispensatio humanitatis Christi astruitur non nobis inanium quaestionum tendicula praeparemus, quibus inanis gloriae cupidi discutere audeamus quae summa sunt. Neque enim quae sunt divina discutienda sunt sed credenda; non enim se Deus discutere iubet sed credere.“ 3 Barbara Stollberg-Rilinger (Hrsg.), Vormoderne politische Verfahren. (Zeitschrift für Historische Forschung, Beihefte, Bd.25.) Berlin 2001; Rudolf Schlögl (Hrsg.), Interaktion und Herrschaft. Die Politik der frühneuzeitlichen Stadt. (Historische Kulturwissenschaft, Bd.5.) Konstanz 2004; Franz-Josef Arlinghaus, Genossenschaft, Gericht und Kommunikationsstruktur. Zum Zusammenhang von Vergesellschaftung und Kommunikation vor Gericht, in: ders./Ingrid Baumgärtner/Vincenzo Colli u.a. (Hrsg.), Praxis der Gerichtsbarkeit in europäischen Städten des Spätmittelalters. (Rechtsprechung. Materialien und Studien, Bd.23.) Frankfurt am Main 2006, 155–181. 4 Grundsätzlich verschieden ist der Ansatz von Andreas Weckwerth, Ablauf, Organisation und Selbstverständnis westlicher antiker Synoden im Spiegel ihrer Akten. (Jahrbuch für Antike und Christentum. Ergänzungsbd., Kleine Rh., Bd.5.) Münster 2010, dem es um eine typologische Zusammenschau der Synodal-
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lässt sich bereits seit dem späten 6.Jahrhundert beobachten, dass neue Wege der konsensorientierten Beratung entwickelt wurden, die Mechanismen der Vermittlung und des Kompromisses erkennen lassen, wie sie für die politische Kultur um die Jahrtausendwende so charakteristisch werden sollten? 5 Lassen Synodalakten erkennen, dass der westgotische Episkopat während seiner Versammlungen dogmatische Fragen diskutierte, über strittige Rechte urteilte oder in politischen Konflikten Entscheidungen traf? Und welche Bedeutung besaßen dabei Verfahren der Entscheidungsfindung? Zum anderen haben Forschungen zu vormoderner Konfliktpraxis nachdrücklich auf die Probleme aufmerksam gemacht, die eine Fokussierung allein auf in der Moderne gängige Verfahrensformen impliziert. Denn während in der Moderne etwa die Erwartung verbreitet ist, dass ein letztinstanzliches Gerichtsurteil einen Konflikt beendet, unterwarfen sich vormoderne Akteure oft nicht dieser Entscheidung. Selbst wenn das Urteil als sententia definitiva bezeichnet wurde, stellte es oft nur eine Zwischenetappe in langfristigen Konfliktverläufen dar. Und nur normative Erwartungen des modernen Beobachters lassen gerichtsförmiges und außergerichtliches Agieren nach der Leitdifferenz legitim/illegitim ordnen. 6 Den Fokus allein auf die Frage nach Verfahrenstechniken während synodaler Verhandlungen zu legen, wür-
überlieferung zwischen dem 4. und dem ausgehenden 7.Jahrhundert geht und der damit zugleich eine ungebrochene institutionelle Kontinuität der Synoden zwischen Spätantike und Frühmittelalter unterstellt. Zur Spätantike vgl. von Thomas Graumann neben dem Beitrag in diesem Band auch ders., Council Proceedings and Juridical Process. The Cases of Aquileia (381 AD) and Ephesus (431 AD), in: Kate Cooper/James Gregory (Eds.), Discipline and Diversity. (Studies in Church History, Vol.43.) Woodbridge 2007, 100–113; ders., Upstanding Donatists. Symbolic Communication at the Conference of Carthago (411), in: Zeitschrift für antikes Christentum 15, 2011, 329–355. 5 Gerd Althoff, Spielregeln der Politik im Mittelalter. Kommunikation in Frieden und Fehde. Darmstadt 1997; ders., Die Macht der Rituale. Symbolik und Herrschaft im Mittelalter. Darmstadt 2003. 6 Diese Ansätze sind zunächst von rechtsethnologischen Arbeiten inspiriert worden, vor allem von Simon Roberts, Ordnung und Konflikt. Eine Einführung in die Rechtsethnologie. Stuttgart 1981. Für die Mediävistik bahnbrechend sind die Beiträge in: Wendy Davies/Paul Fouracre (Eds.), The Settlement of Disputes in Early Medieval Europe. Cambridge 1986. In der deutschsprachigen Geschichtswissenschaft hat sich besonders die historische Kriminalitätsforschung mit Phänomenen der gerichtsförmigen und außergerichtlichen Konfliktpraxis befasst. Vgl. Gerd Schwerhoff, Aktenkundig und gerichtsnotorisch. Einführung in die historische Kriminalitätsforschung. (Historische Einführungen, Bd.3.) Tübingen 1999. Die Bedeutung von vermeintlich verbindlichen Urteilen in längeren Konfliktgeschichten erschließen etwa Chris Wickham, Ecclesiastical Dispute and Lay Community: Figline Valdarno in the Twelfth Century, in: Mélanges de l’École française de Rome: Moyen Age 108, 1996, 7–93; ders., Courts and Conflict in Twelfth-Century Tuscany. Oxford 2003.
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de daher bedeuten, diese modernen normativen Vorstellungen implizit auf eine Institution im Übergang zwischen Spätantike und Frühmittelalter zu übertragen. Verheißungsvoller erscheint es, stattdessen die Differenz zwischen institutionell gebundenen, formalisierten Verfahren und anderen Strategien der Konfliktpraxis selbst zu problematisieren. Die Quellenlage zu westgotischen Synoden ist zugleich reich und problematisch. Für den Zeitraum, der mit der Konversion der Westgoten unter König Reccared nach 586 beginnt und mit dem Untergang des westgotischen Königtums im Jahr 711 endet, liegen zahlreiche und umfangreiche Synodalakten vor, wenn auch nicht gleichmäßig über den gesamten Zeitraum verteilt. Diese Überlieferung verdanken wir der systematischen Sammlung von Synodalakten in der Kirchenrechtssammlung der sogenannten ‚Hispana‘. Darüber hinaus verfügen wir über mehrere Rezensionen des westgotischen Königsrechts, das bis zum Ende des Reichs kontinuierlich fortentwickelt wurde. So wertvoll diese umfangreichen Korpora normativer Quellen sind, steht ihnen kaum zeitgenössische Geschichtsschreibung oder urkundliche Überlieferung zur Seite. 7 Während die bahnbrechenden Forschungen zu vormodernen Konfliktgeschichten entweder historiographische Werke oder Urkundenbestände auswerten konnten, muss sich die Forschung zum Westgotenreich auf wenige Fragmente derartiger Quellen stützen. Die starke Dominanz normativer Diskurse zeichnet ein Bild, das selbstverständlich die Stellung der Könige und der kirchlichen Autoritäten betont und Idealbilder funktionierender sozialer Verbände entwirft. Denn auch dort, wo Missstände benannt und Maßnahmen gegen sie geboten werden, wird die Regelungs- wie Kontrollbefugnis und -fähigkeit von König und Episkopat unterstellt. Trotz dieser Ungleichgewichte in der westgotischen Überlieferung hat die Forschung plausibel dargelegt, dass es sich beim Westgotischen Reich um ein ebenso großflächiges wie schwer zu integrierendes Gebilde handelte. 8 Dazu trugen die geo-
7 Die Asymmetrie der Überlieferung beklagt etwa Chris Wickham, Framing the Early Middle Ages. Europe and the Mediterranean, 400–800. Oxford 2005, 93. Die Entstehung und Überlieferung des westgotischen Königsrechts diskutiert Roger Collins, Visigothic Spain, 409–711. Malden, MA/Oxford/Carlton, Victoria 2004, 223–239. 8 Vgl. neben Collins, Visigothic Spain (wie Anm.7); Wickham, Framing (wie Anm.7), 37–41 und 93–102; ders., The Inheritance of Rome. A History of Europe from 400 to 1000. (The Penguin History of Europe, Vol.2.) London 2009, 130–140; Klaus Herbers, Geschichte Spaniens im Mittelalter. Vom Westgotenreich bis zum Ende des 15.Jahrhunderts. Stuttgart 2006, 42–67.
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graphischen Gegebenheiten ebenso bei wie die Stärke des Adels und anderer regionaler Eliten. Die Könige mussten immer wieder um die Kontrolle dieses Herrschaftsgebildes ringen, ja sogar um seinen Zusammenhalt. So konnten zwar die Reichssynoden als Anlässe fungieren, zu denen sich der Hof und die Bischöfe der westgotischen Kirchenprovinzen einfanden, der regionale Adel scheint aber allenfalls schwach auf ihnen vertreten gewesen zu sein. Hoftagen vergleichbare Treffen sind hingegen kaum belegt. Zur Integration weltlicher Eliten dürften Synoden jedenfalls kaum beigetragen haben. Die Spannungen und Konflikte zwischen Adel und Königen, aber auch ihre routinemäßige Interaktion lassen sich allenfalls in Bruchstücken fassen. 9 Daher ist im Anschluss ein besonderes Augenmerk auf die wenigen Fälle zu richten, in denen jenseits von Gesetzen und Synodalakten Berichte über westgotische Konflikte vorliegen. Diese Berichte sind besonders signifikant, sofern sich Bezüge zu überlieferten Synodalakten herstellen lassen. Ist es möglich, die Frage zu beantworten, in welcher Weise auf Synoden Konflikte zur Sprache gebracht wurden? Andererseits muss auch gefragt werden, welche Konflikte oder Konfliktlinien offensichtlich nicht in synodale Beratungen Eingang gefunden haben. Für den skizzierten Rahmen – dem Problem der Kontinuität oder Diskontinuität institutionell begründeter Wege der Entscheidungsfindung zwischen Spätantike und Frühmittelalter – ist es entscheidend, ob auch westgotische Synoden noch Sieger und Verlierer produzierten, ob bestimmte Akteure als Sünder, Häretiker oder Gesetzesbrecher verurteilt wurden oder ob man es hier mit neuen Formen der Konfliktbeilegung zu tun hat. Auf den folgenden Seiten steht allerdings zunächst die Bedeutung des Konsenses in synodalen Beratungen im Zentrum der Analyse, und zwar vor allem in der Präsentation der westgotischen Konzilsordines. Ein zweiter Abschnitt ist dann der Konversion der Westgoten vom ‚Arianismus‘ zur ‚Orthodoxie‘ in den 580er Jahren gewidmet, weil für diesen Prozess auch eine umfangreichere narrative Darstellung vorliegt. Ein dritter Abschnitt reichert die an diesem Material gewonnenen Eindrücke knapp mit weiteren Belegen zur Stellung von Synoden in der Konfliktpraxis des Westgotenreichs an, um das Bild abzurunden. In allen Teilen wird es konkret um die in der Einleitung dieses Sammelbandes entwickelten Leitfragen gehen, zum einen
9 Die vermeintliche Kontinuität von Konflikten zwischen Königtum und Adel stellt die analytische Leitlinie dar bei Dietrich Claude, Adel, Kirche und Königtum im Westgotenreich. (Vorträge und Forschungen, Sonderbd. 8.) Sigmaringen 1971.
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also darum, wie Konflikte auf Synoden thematisiert und möglicherweise einer Entscheidung zugeführt wurden, zum anderen darum, ob man zu einer plausiblen Einschätzung der tatsächlichen Reichweite synodaler Beschlüsse gelangt. Insgesamt steht also zur Debatte, ob im westgotischen Spanien Synoden nicht nur dazu dienten, Konsens zu inszenieren, sondern ob sie auch als Instanzen der Entscheidungsfindung angesprochen werden können.
I. In den im westgotischen Spanien entstandenen Konzilsordines steht der Konsens als Leitbild der Verhandlungen im Mittelpunkt, dem sich die Synodalen vor allem verpflichtet wissen sollten. Herbert Schneider, der Herausgeber der früh- und hochmittelalterlichen Konzilsordines, bezeichnet sie in seiner Einleitung als „Geschäftsordnungen“. Diesen Vergleich mit modernen Verfahrensordnungen relativiert er jedoch zugleich wieder, indem er auf den Zusammenhang der Verschriftung liturgischer Ordnungen verweist, in dem er die Konzilsordines stehen sieht. Denn das, was in ihnen festgehalten wird, sind zuvörderst liturgische Akte, Gebete und kurze Ansprachen. 10 Anders als in modernen Geschäftsordnungen geht es also zunächst nicht um Verfahrenswege, die die Gültigkeit von Entscheidungen begründen, sondern darum, den göttlichen Beistand auf die Synodalen herabzuflehen: Der Heilige Geist möge, so finden wir dort etwa, den Versammelten beistehen, ihre Herzen erfüllen und sie lehren, was sie tun, wohin sie schreiten, was sie bewirken sollten. Etwas konkreter fährt das Gebet fort: „Du, der Du mehr als alles die Gerechtigkeit liebst, lasse nicht zu, dass wir die Gerechtigkeit stören, damit wir nicht durch Unwissenheit vom falschen Weg abkommen, damit uns nicht persönliche Gunst beeinflusst, wir nicht von Geldgeschenken oder persönlichen Gefälligkeiten korrumpiert werden; verbinde uns vielmehr wahrhaft mit Dir durch das Geschenk Deiner einzig-
10
Herbert Schneider (Hrsg.), Die Konzilsordines des Früh- und Hochmittelalters. (MGH Ordines de cele-
brando concilio.) Hannover 1996, 1–4, das Zitat 1; die Zuweisung der Ordines 1–3 zur westgotischen Kirche ebd.12–19 (mit späteren Weiterentwicklungen). Ähnlich auch Thomas Haye, Lateinische Oralität. Gelehrte Sprache in der mündlichen Kommunikation des hohen und späten Mittelalters. Berlin/New York 2005, 51–55.
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artigen Gnade, damit wir eins sind in Dir und in nichts von der Wahrheit abweichen“. 11
Wie an zahllosen anderen Stellen wird hier das Einvernehmen in der Versammlung als Beleg für das Wirken des Heiligen Geistes gewertet, garantiert die unanimitas das Erfassen der gottgewollten Wahrheit. Damit greift das zitierte Gebet eine Argumentationsfigur auf, die sich schon in dem Schreiben findet, mit dem der Jerusalemer Apostelkonvent nach Apg 15,23–29 seine Beschlüsse publiziert hat: Denn auch dort heißt es, man habe sie einstimmig unter Mitwirken des Heiligen Geistes gefasst. 12 Dessen kontinuierlicher Beistand sichert darüber hinaus das, was man als vertikalen oder diachronen Konsens bezeichnet hat. Immer wieder betonen die westgotischen Synoden ihre dogmatische Übereinstimmung mit den Traditionen des orthodoxen Christentums, insbesondere mit den ersten vier ökumenischen Konzilien. Es fällt auf, dass auch ohne konkreten Anlass diese Kontinuität entweder postuliert, meist aber sogar durch eine Rezitation einschlägiger Bekenntnisformeln aktualisiert wird. Darüber hinaus formulierten westgotische Kirchenversammlungen mehrfach eigene Glaubensbekenntnisse. 13 Dass die westgotischen Kirchen fest in der Tradition des rechten Glauben stehen wollten, wurde darüber hinaus auch in den liturgischen Alltag übernommen. Das dritte Konzil von Toledo bestimmte, man solle während jeden Gottesdienstes das nizäno-konstantinopolitanische Glaubensbekenntnis rezitieren „pro conroborandas hominum invalidas mentes“, forderte also einen iterativen Akt der Bekräftigung des diachronen Konsenses. 14 11 Schneider, Konzilsordines (wie Anm.10), 177–178, Ordo 2,3: „Non nos patiaris perturbatores esse iustitiae, qui summe diligis aequitatem, ut in sinistrum nos non ignorantia trahat, non favor inflectat, non acceptio muneris vel persone corrumpat; sed iunge nos tibi efficaciter solius tuae gratiae dono, ut simus in te unum et in nullo deviemus a vero.“ 12 „Wir, die Apostel und die Ältesten, in geschwisterlicher Verbundenheit, an die Brüder und Schwestern in Antiochia, in Syrien und Kilikien, die zu den Heiden gehören: Seid gegrüßt! Da wir vernommen haben, dass einige von uns, denen wir keinen Auftrag erteilt haben, zu euch gekommen sind und mit ihren Worten Verwirrung gestiftet und euch beunruhigt haben, haben wir einstimmig beschlossen, ausgewählte Männer zu euch zu senden, zusammen mit den von uns geliebten Brüdern Paulus und Barnabas, die beide ihr Leben eingesetzt haben für den Namen unseres Herrn Jesus Christus. […] Denn der Heilige Geist und wir haben beschlossen, euch keine weitere Last aufzubürden, außer dem, was unerlässlich ist, nämlich: euch fernzuhalten von Opferfleisch, Blut, Ersticktem und Unzucht; wenn ihr diese Grenze wahrt, handelt ihr richtig“ (Apg 15,23–29). 13 Zum ‚vertikalen‘ Konsens vgl. Orlandis/Ramos-Lisson, Synoden (wie Anm.1), 341–343; Weckwerth, Ablauf (wie Anm.4), 200–211. 14 Vives, Concilios (wie Anm.2), 125, Toledo III, 2: „Ut in omnibus ecclesiis die dominica symbolum recitetur.“
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Die Konzilsordines machen trotz der deutlichen Akzente auf Einmütigkeit zugleich gewisse Andeutungen dazu, wie strittige Fragen thematisiert und behandelt werden sollten. Sowohl Personen, die an den Sitzungen teilnehmen, als auch andere sind ihnen zufolge berechtigt, Dissens zu artikulieren oder Beschwerden vorzubringen. Die ersten drei Tage einer Synode sollen dogmatischen Fragen sowie der innerkirchlichen Ordnung gewidmet sein. Jeder der hier anwesenden Geistlichen sei berechtigt, Punkte anzusprechen, in denen er eine andere Meinung habe als die Vorgetragene. 15 Darüber hinaus gibt es die Möglichkeit, Beschwerden vorzubringen, und zwar explizit nicht nur für die an den Beratungen beteiligten Personen. Während des vierten Tages der Verhandlungen sitzen nämlich nur noch die Bischöfe beisammen, gegebenenfalls auch einige der Großen des Reichs, aber nur einige persönliche ausgewählte Geistliche, die ihre Oberhirten beraten sollen. Wenn jemand der Außenstehenden – clericus sive laicus – eine Klage vorbringen möchte, soll er sich an den Archidiakon des vorsitzenden Metropoliten wenden, der sein Anliegen weitervermittelt. Als mögliche Themen werden Appellationen gegen die Entscheidungen von Bischöfen, Richtern oder irgendwelchen potentes genannt. 16 Die Unterredungen zwischen Bischöfen und Priestern, die nach Ordo 2 in den ersten drei Tagen einer Synode stattfinden, werden als collatio bezeichnet, also als geistliches Gespräch. Die Erwartung, dass Dissens in dogmatischen oder anderen Fragen der Kirchenordnung einvernehmlich auf diesem Wege gelöst werden kann, lässt sich aus folgender Vorgabe ablesen: „Wenn einer [der anwesenden Kleriker im Zuge der collatio] etwas anders versteht, als es vorgebracht worden ist, möge er ohne Skrupel, für streitsüchtig zu gelten, das, worüber er Zweifel hegt, in unserer aller Versammlung vorbringen, damit wir darüber beraten, damit er [der Zweifler] entweder belehrt werden kann oder belehrt.“ 17
15
Schneider, Konzilsordines (wie Anm.10), 179f., Ordo 2,6–8.
16
Ebd.183, Ordo 2,14 (= ebd.141, Ordo 1,7); der als can. 4 des Vierten Toletanum erlassene Ordo 1 steht
in unmittelbarem Zusammenhang mit einem Konzilskanon, der explizit alle Streitfälle – auch über den binnenkirchlichen Bereich hinaus – zum potenziellen Gegenstand einer synodalen Entscheidung macht: Vives, Concilios (wie Anm.2), 188–189, Toledo IV,3: „De qualitate conciliorum vel quare aut quando fiant.“ Nach Schneider, Konzilsordines (wie Anm.10), 178 Anm.29 zu Ordo 2,5, sollte dieser Kanon während jeder Synode zur Verlesung kommen. 17
Ebd.179f., Ordo 2,6: „Quod si forsitan aliquis vestrum aliter, quam dicta fuerint, senserit, sine aliquo
scrupulo contentionis in nostrum omnium copulationem ea ipsa, de quibus dubitaverit, conferenda redu-
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Ein recht optimistischer Vorschlag, vergegenwärtigt man sich die Heftigkeit dogmatischer Auseinandersetzungen in der Kirchengeschichte. Ansonsten erfährt man nicht viel über die Beratungsvorgänge. Eins wird allerdings mehrfach betont: Man habe jeden Tumult zu vermeiden, solle sich weder zu Scherzen noch zu scharfen Auseinandersetzungen hinreißen lassen. 18 Wenn nämlich alle kirchlichen Angelegenheiten ohne jeden Aufruhr mit ruhiger Aufmerksamkeit gründlich abgehandelt werden, so das vierte Konzil von Toledo, sei das ein Indiz für die Anwesenheit Gottes. 19 Verfahrensformen, die Beratungen oder Abstimmungen strukturieren, spielen hingegen keine Rolle. Wichtiger genommen wird, dass die Beratungen zu einem Ergebnis führen, dass alle die gefassten Beschlüsse unterstützen und sie nach dem Verlassen des Konzils in die Tat umsetzen. Man müsse jeden Punkt der Tagesordnung zu einem Beschluss führen und dürfe erst danach zu einem neuen Thema übergehen. 20 Die Gewährleistung einer breiten Unterstützung gewinnt besonderes Gewicht: Nach dem Ende der Beratungen sei ein Protokoll mit allen Beschlüssen aufzusetzen, das erneut durchzusprechen sei. Im Anschluss hätten alle Bischöfe durch ihr Amen das noch einmal laut vorgelesene Beschlussprotokoll zu bestätigen, ehe sie ihre Unterschriften unter das Dokument setzten. 21 Nach dem Segen, der die Synode beendet, ist ein weiteres Konsensritual vorgesehen: Auf die Aufforderung „Gehet hin in Frieden!“ folge erst noch der Tausch eines Friedenskusses zwischen allen, ehe sich dann die Versammlung auflöse. 22 Über diese Wege, die vollständige Übereinstimmung der versammelten Bischöfe zu fordern wie zu inszenieren, weist schließlich noch ein Eid hinaus, der sich in einer Variante zum dritten westgotischen Konzilsordo findet. Dort wird nämlich ein placitum gefordert, mit dem sich die Bischöfe vor Beginn der Beratun-
cat, qualiter deo mediante aut doceri possit aut doceat. “ Der Begriff „conlatio“ auch ebd.180–182, Ordo 2,8, 2,9 und 2,11. 18 Ebd.180, Ordo 2,6–7, mit der Forderung, während des Treffens einen Kanon des Toletanum XI zu verlesen: Vives, Concilios (wie Anm.2), 354–355, Toletanum XI,1: „De concilii damnatione derisorum vel praestrepentium ne tumultu concilium agitetur.“ 19 Schneider, Konzilsordines (wie Anm.10), 141, Ordo 1,10: „Tunc enim deus suorum sacerdotum coetui interesse credendus est, si tumultu omni abiecto sollicite atque tranquille ecclesiastica negotia terminentur.“ 20 Ebd.181, Ordo 2,9. 21 Ebd.183, Ordo 2,16–17. 22 Ebd.186, Ordo 2,23. In umgekehrter Reihenfolge ebd.216, Ordo 3,33.
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gen darauf verpflichten, die noch zu treffenden Beschlüsse anzuerkennen und in die Tat umzusetzen. 23
II. Soweit die Theorie – wie wurden in der Praxis Konflikte beigelegt und welche Rolle spielten Synoden dabei? Ein in den Quellen reich dokumentierter, vor allem auch jenseits der Synodalakten greifbarer Prozess war die Konversion der Könige und der gotischstämmigen Führungsschicht vom homoiusianischen zum homousianischen Bekenntnis. In Spanien koexistierten im 6.Jahrhundert diese beiden Spielarten des Christentums, wobei der kleinen westgotischen und zugleich ‚arianischen‘ Elite eine zahlenmäßig wahrscheinlich weit überlegene romanische, zugleich der ‚katholischen Orthodoxie‘ angehörige Bevölkerungsmehrheit gegenüberstand. 24 Weil das Königtum im 6.Jahrhundert eher schwach war und es zahlreiche Aufstände gab, begründet es die Forschung meist mit politischen Motiven, wenn die beiden letzten Könige des 6.Jahrhunderts erkennbar um eine Homogenisierung der religiösen Landschaft auf der iberischen Halbinsel bemüht waren. Leovigild, König von 568/69 bis 586, versuchte, der ‚orthodoxen‘ Bevölkerung Kompromissangebote zu machen, um ihr den Übertritt zu seinem Bekenntnis zu erleichtern. Nach Peter Heather hätten die Beschlüsse einer Reichssynode, die im Jahr 580 in Toledo tagte, sogar zur Begründung eines dritten Wegs zwischen den lange verfestigten konfessionellen Lagern geführt. 25 Sein Sohn Reccared konvertierte hingegen bald nach der Thronfolge zur homousianischen Orthodoxie und setzte auf dieser Grundlage eine religiöse Homogenisierung seines Reichs durch. Den Höhepunkt dieser Konversion, die auch die westgotische Elite erfasste, stellte das dritte Konzil von Toledo dar, das 23
Ebd.208, Ordo 3,1a, in einer Handschrift des 10.Jahrhunderts aus Montecassino.
24
Der Begriff ‚Arianismus‘ ist ein konfessioneller Kampfbegriff, der die verschiedenen Spielarten ho-
moiusianischer Bekenntnisse in polemischer Absicht mit dem 325 verurteilten alexandrinischen Priester Arius identifizierte. Diese Strategie nutzte zum Beispiel bereits Ambrosius während der Synode von Aquileia von 381, um seinen Widerpart Palladius in die Enge zu treiben. Vgl. dazu den Beitrag von Thomas Graumann im vorliegenden Sammelband. Deswegen werden die eingebürgerten Verständigungsbergriffe ‚arianisch‘ und ‚orthodox‘ im Anschluss in einfache Anführungszeichen gesetzt. 25
Peter Heather, The Goths. Malden, MA/Oxford/Carlton, Victoria 1996, 280–281; vgl. die Literatur, die
dokumentiert wird bei Wolfram Drews, Juden und Judentum bei Isidor von Sevilla. Studien zum Traktat ‚De fide catholica contra Iudaeos‘. (Berliner historische Studien, Bd.34.) Berlin 2001, 66 Anm.180.
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im Mai 589 zusammentrat, also drei Jahre nach der Herrschaftsübernahme Reccareds und vermutlich zwei Jahre nach seinem Glaubenswechsel. 26 Es gehört zu den seltenen Glücksfällen der Überlieferung, dass für die Konversion der Westgoten neben den Synodalakten ausführlichere historiographische Nachrichten vorliegen. Etwa eine Generation später verfasste ein Kleriker in Mérida eine Sammlung hagiographischer Texte, die sogenannten „Vitas patrum Emeretensium“. Eigentlich, so erklärt der Verfasser, geht es ihm in dieser Schrift darum, im Gefolge der Dialoge Gregors des Großen von den Wundertaten zu berichten, die Gott in der Gegenwart in Mérida wirkt. 27 Unversehens werden die Wunderberichte jedoch zu einem detailfreudigen Bericht über die Auseinandersetzungen, die die Religionspolitik Leovigilds und Reccareds hervorgerufen haben. Sicherlich sind diese Berichte nicht für das gesamte westgotische Reich repräsentativ: Auf der einen Seite war die Stadt Mérida Sitz des Metropoliten der lusitanischen Kirchenprovinz. Zugleich verfügte ihr Bischof, zumindest der unter Leovigild und Reccared amtierende Masona, über beachtenswerte Reichtümer. Die Lage in der Stadt wurde des Weiteren von einem institutionellen Dualismus geprägt, denn neben der Kathedrale existierte ein wichtiges Kloster, das über die Reliquien der Märtyrerin Eulalia verfügte und das eine selbständige kirchenpolitische Rolle zu spielen vermochte. Auf der anderen Seite erstaunt die rasante Karriere, die der nach dem Bericht der ‚Vitas‘ aus dem östlichen Mittelmeerraum zugereiste Paul machte, der rasch zum Bischof avancierte. Diese Faktoren begründeten gewiss eine Sonderrolle Méridas, aber in Ermangelung anderer ausführlicher narrativer Quellen ist es nicht möglich, die Berichte von dort mit anderen Zeugnissen zu vergleichen. 28
26 Zu diesem Prozess vgl. Heather, Goths (wie Anm.25), 279–283; Collins, Visigothic Spain (wie Anm.7), 64–69; Herbers, Geschichte Spaniens (wie Anm.8), 42–45. 27 Antonio Maya Sánchez (Ed.), Vitas sanctorum patrum Emeretensium. (Corpus Christianorum. Series Latina, Vol.116.) Turnhout 1992, hier 3–5, Praefatio. Dieses Werk stellt vor Javier Arce, The City of Mérida (Emerita) in the Vitas Patrum emeritensium (VIth Century A.D.), in: Evangelos Chrysos/Ian Wood (Eds.), East and West. Modes of Communication. Proceedings of the First Plenary Conference at Merida. (The Transformation of the Roman World, Vol.5.) Leiden 1999, 1–14. Vgl. auch Santiago Castellanos, The Significance of Social Unanimity in a Visigothic Hagiography. Keys to an Ideological Screen, in: Journal of Early Christian Studies 11, 2003, 387–419; die Einleitung in A. T.Fear (Ed.), Lives of the Visigothic Fathers. (Translated Texts for Historians, Vol.26.) Liverpool 1997, IX–XXXVIII; Antonio Maya Sánchez, De Leovigildo perseguidor y Masona martír, in: Emérita: Revista de lingüística y filología clásica 62, 1994, 167–186. 28 Zur Stadtgeschichte Méridas im 6. und 7.Jahrhundert vgl. Collins, Visigothic Spain (wie Anm.7), 213– 216; Ian Wood, Social Relations in the Visigothic Kingdom from the Fifth to the Seventh Century: the Ex-
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Die äußeren Abläufe, die die „Vitas patrum Emeretensium“ schildern, sind schnell erzählt. Unter Leovigild geriet Mérida in den Fokus königlicher Initiativen. Zunächst versuchte der König, Bischof Masona durch Drohungen oder Schmeicheleien für seine Religionspolitik zu gewinnen. Weil der jedoch standhaft blieb, entsandte Leovigild mit Sunna einen ‚arianischen‘ Kontrahenten, der zwar einige Kirchen übernahm, nicht jedoch die Basilika der heiligen Eulalia. Nachdem sich Sunna nicht entscheidend durchsetzen konnte, wurde Masona schließlich zu Leovigild nach Toledo befohlen, von wo aus er für drei Jahre in die Verbannung in ein Kloster geschickt wurde. Damit endete jedoch nicht die Präsenz der homousianischen Orthodoxie in Mérida, denn statt des verbannten Masona schickte der König dieser Gemeinde einen anderen Vorsteher. Dieser Mann namens Nepopis wird in der Quelle in schwärzesten Farben geschildert: Er sei zwar rechtgläubig gewesen, aber zugleich ein nichtswürdiges Werkzeug in den Händen des ‚arianischen‘ Tyrannen Leovigild. Nach drei Jahren, so fährt der Bericht fort, habe Eulalia König Leovigild in einer Vision heimgesucht und veranlasst, Masona nach Mérida zurückzurufen – Nepopis sei daraufhin aus der Stadt geflohen. Als kurze Zeit später Reccared konvertiert sei, habe der ‚arianische‘ Bischof Sunna gemeinsam mit gotischen Adeligen ein Komplott geschmiedet, um Masona zu töten und mit ihm einen dux namens Claudius, der die Orthodoxen verteidigt habe. Das Komplott sei jedoch gescheitert, stattdessen habe der ‚arianische‘ Bischof ebenso wie seine Mitverschworenen ins Exil gehen müssen, so dass die Stadt schließlich konfessionell vereinheitlicht worden sei. 29 Folgende drei Punkte scheinen mir besonders signifikant: 1. Die Fokussierung der Auseinandersetzungen auf die Bischöfe; 2. Die Verfahrensformen, die angesprochen werden; 3. Die Rolle der Könige. 1. Die „Vitas patrum Emeretensium“ präsentieren die Auseinandersetzung um die in Mérida dominierende Konfession als Ringen um die Stellung der Bischöfe im Religionskonflikt, alle anderen Akteure treten hinter ihnen zurück. 30 Der Kon-
ample of Mérida, in: Peter Heather (Ed.), The Visigoths. From the Migration Period to the Seventh Century. An Ethnographic Perspective. San Marino 1999, 191–223; Wickham, Framing (wie Anm.7), 221f.; zu Paul vgl. Maya Sánchez, Vitas 4,1 (wie Anm.27), 25f. Die Frage der Historizität der griechischen Herkunft Pauls diskutiert Arce, City (wie Anm.27), 11–14, ohne zu einer Entscheidung zu kommen; vgl auch Castellanos, Significance (wie Anm.27), 399–402. 29 Maya Sánchez, Vitas 5,1–12 (wie Anm.27), 47–94. 30
Die Zentralstellung der Bischöfe im narrativen Gefüge der ‚Vitas‘ betont auch kurz Arce, City (wie
Anm.27), 7.
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flikt nimmt nach dieser Schilderung seinen Ausgang davon, dass König Leovigild mit Masona den einzigen in Mérida ansässigen Bischof zur Konversion bewegen möchte. Mit ihm werde die gesamte nichtarianische Bevölkerung zur Konfession des Königs wechseln, so die selbstverständliche Erwartung. 31 Der nächste Schritt besteht darin, dass ein arianischer Bischof installiert wird, der Masona aus seiner Stellung verdrängen soll – konkret geht es um die Kontrolle der Kirchen und ihres Besitzes. Schließlich erkennt Leovigild sogar die Bikonfessionalität an und schwächt seine Gegner nur noch dadurch, dass er einen unwürdigen orthodoxen Bischof entsendet. 32 Andere Menschen werden meist nur en passant erwähnt, lediglich der romanische dux und die gotischen comites gewinnen eigenes Profil. Das deutet auf eine Überlagerung von religiösen und ethnischen Frontstellungen hin, ohne dass der Bericht genauer darauf eingeht, denn er interessiert sich nur für Bischof Masona, seinen Helden, und für dessen Feinde. 33 2. In den Konflikten geht es um Sieg und Niederlage, mehr noch um den Kampf zwischen den Anhängern Gottes und des Teufels. Was aus der Perspektive des Historikers als religiös-politische Gegensätze erscheint, wird in der Quelle als apokalyptischer Kampf beschrieben. Deswegen ist es folgerichtig, wenn es in den Konflikten kaum je zu einvernehmlichen Lösungen oder einem Interessensausgleich kam. Als etwa Masona seinen Widerpart Sunna in der Disputation besiegt hatte, feierte er das gemeinsam mit seinen Anhängern in einem öffentlichen Triumph ohne jede Schonung für das Ansehen des Unterlegenen. 34 Gerichtsförmige Verfahren finden in diesen Zusammenhängen Erwähnung, Leovigild schickte zum Beispiel Richter nach Mérida, vor denen der Disput zwischen Masona und dem ‚Arianer‘ Sunna stattfand. Trotz ihrer Parteinahme für die Arianer, so der Bericht, hätten diese königlichen Richter den Sieg Masonas anerkennen müssen. Neben delegierten Richtern werden Leovigild und Reccared selbst Urteile in den Mund gelegt, mit denen sie in die Auseinandersetzungen zwischen den rivalisierenden Bischöfen eingriffen. 35 Genaueres erfährt man nicht, aber es korrespondiert mit einer auf Sieg und Niederlage angelegten Konfliktstruktur, wenn auch Gerichts-
31 Maya Sánchez, Vitas 5,4 (wie Anm.27), 54–56. 32 Ebd.5,5–6, 56–71. 33 Ebd.5,10–11, 81–92. 34 Ebd.5,5, 58–62. 35 Ebd.5,6, 69; 5,11, 88.
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verfahren eingesetzt wurden, um Gewinner und Verlierer zu ermitteln. Allerdings entschieden diese Urteile nicht endgültig über den Ausgang des Ringens zwischen den konkurrierenden Konfessionen, stellten also nicht Instanzen endgültiger Entscheidungsfindung dar. Verfahren des Ausgleichs finden nämlich gleichfalls Erwähnung: Das Urteil über den ‚arianischen‘ Bischof habe ihm goldene Brücken gebaut – Sunna könne, wenn er seine Sünden bereue und zum rechten Glauben konvertiere, einen Bischofssitz außerhalb von Mérida übernehmen. Außerdem habe Masona einen der verhinderten Mörder, der Kirchenasyl aufgesucht habe, entgegen dem Urteil König Reccareds bereits nach einer kurzen, symbolischen Strafe wieder begnadigt. 36 3. Damit ist drittens die Frage nach dem Verhältnis zwischen königlicher Zentralmacht und den lokalen Protagonisten aufgeworfen. Sie ist bereits mehrfach angeklungen, so dass ich mich mit kurzen Hinweisen begnügen kann. Beide Seiten, sowohl die Könige als auch die lokalen Akteure, rechneten selbstverständlich damit, dass die Herrscher intervenierten. Sowohl Leovigild als auch Reccared nahmen maßgeblichen Einfluss auf die Besetzung des Bischofsstuhls von Mérida. Das geschah unter anderem durch formale Urteile, die entweder der König selbst sprach oder von ihm bevollmächtigte Richter. Die Initiative zum königlichen Eingreifen ging bei Leovigild von ihm selbst aus, Reccared reagierte hingegen auf eine Aufforderung des Herzogs Claudius, die Verschwörer zu verurteilen. Obwohl die Intervention der Herrscher von den lokalen Akteuren offensichtlich als berechtigt anerkannt wurde, besaß sie nicht die Macht, Auseinandersetzungen endgültig zu entscheiden. Leovigild setzte sich über das Urteil hinweg, das die von ihm delegierten Richter gefällt hatten, scheiterte jedoch mit seinem Versuch, Bischof Masona auszubooten. Reccareds Urteil gegen die Verschwörer von Mérida behandelten Masona und der dux Claudius lediglich als Ausgangspunkt, um im Anschluss rasch Gnade walten zu lassen oder wenigstens anzubieten. Die Interventionen der Könige in lokale Auseinandersetzungen stellten also einen nicht zu übergehenden Machtfaktor dar, sie besaßen aber nicht die Fähigkeit, bindende Entscheidungen zu treffen oder zu legitimieren. Die Konversion der Westgoten zur homousianischen Orthodoxie wurde von einer größeren Zahl vergleichbarer Konflikte begleitet, die allerdings in den Quellen
36
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Ebd.5,11, 88–92.
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nur kursorisch Erwähnung finden. Den Höhepunkt der Konversion stellte ohne Zweifel das dritte Konzil von Toledo dar, eine Reichssynode, die im Mai 589 zusammentrat, zu einem Zeitpunkt also, zu dem ein Großteil des Widerstands gegen die neue religiöse Orientierung des Königs bereits gebrochen war. Wie wurden dort die dogmatischen Differenzen zwischen Homoiusianern und Homousianern zum Thema gemacht? Den Konzilsakten zufolge stand zunächst die Person des Herrschers ganz im Mittelpunkt des synodalen Geschehens. Der als piissimus et Deo fidelissimus titulierte König habe die Initiative ergriffen, alle Bischöfe seines Herrschaftsbereichs einzuberufen, um gemeinsam mit ihm selbst Gott wegen seiner eigenen Konversion sowie der des gesamten gotischen Volks zu preisen und ihm zu danken. 37 In seiner ersten Rede habe er jedoch die gesamte Versammlung gebeten, zunächst drei Tage lang zu fasten, zu wachen und zu beten, um von Gott die Gnade zu erlangen, die rechte Kirchenordnung wieder zu errichten. 38 Nach drei Tagen habe sich das Konzil erneut versammelt, und wieder habe Reccared das Wort ergriffen: Er habe einen tomus zusammengestellt, den er der Versammlung zur Beratung vorlege und den er zu verlesen bitte. Der verlesene Text, wie er in die Synodalakten aufgenommen worden ist, besteht allein aus einem mehrschichtigen Glaubensbekenntnis, das der Herrscher den Bischöfen zur Approbation vorlegt. Im Mittelpunkt steht selbstverständlich die Trinitätstheologie, sowohl in positiven Formulierungen als auch in der Form einer Ablehnung ‚arianischer‘ Irrtümer. Zur Bekräftigung seiner neu gewonnenen Überzeugungen verweist Reccared nicht nur auf die Beschlüsse älterer Synoden, insbesondere der ersten vier ökumenischen Konzilien. Vielmehr werden zentrale Bekenntnistexte der ersten Konzilien von Nizäa und Konstantinopel sowie des Konzils von Chalcedon wörtlich inseriert. Auf die Verlesung des umfangreichen königlichen tomus reagierte die Versammlung mit Akklamationen, in denen der Frieden und die Eintracht gefeiert wurden, die Reccared der Kirche wiedergeschenkt hatte. 39 Anschließend wurde die Konversion arianischer Geistlicher sowie anderer gotischer Großer in analoger Weise inszeniert und bekräftigt. Ein katholischer Bischof
37 Die Konzilsakten sind ediert in: Vives, Concilios (wie Anm.2), 107–145, die zitierten Epitheta 107. Zum dritten Toletanum ausführlich Orlandis/Ramos-Lisson, Synoden (wie Anm.1), 95–117. 38 Vives, Concilios (wie Anm.2), 107f. 39 Die zweite Ansprache des Königs ebd.108, der tomus 108–116, die Unterschriften des Königs und der Königin sowie die Akklamationen 116f.
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forderte sie auf, den Glauben, den sie bereits bei ihrer Konversion bekannt hätten, noch einmal öffentlich kund zu tun, was sie auch bereitwillig taten. In 22 Punkten belegten sie diejenigen, die ‚arianische‘ Glaubensformen aufgreifen oder eventuell dem Katholizismus wieder den Rücken kehren sollten, mit dem Anathema. Außerdem bekundeten sie, dass sie die bereits verlesenen Bekenntnisse der ökumenischen Konzilien mit Zustimmung angehört hätten, die wohl im Anschluss noch einmal zur Verlesung kamen. Diese zweite Etappe, die Demonstration der Konversion aller Goten, beschließen in den Akten die Unterschriften von acht ehemals arianischen Bischöfen, weiteren Klerikern, fünf namentlich genannten viri inlustres sowie aller Großen der Goten. 40 War auf diese Weise die Konversion des Königs und der Goten feierlich ratifiziert worden, ergriff nun Reccared zum drittenmal das Wort und forderte die Bischöfe nun auf, dafür Sorge zu tragen, dass die Christen in Zukunft treu zu der neu gewonnenen Glaubenseinheit stünden. Zu diesem Zweck forderte er, die Bischöfe möchten vorschreiben, dass von nun an während jeder Eucharistiefeier das nizäno-konstantinopolitanische Glaubensbekenntnis rezitiert werde, damit niemand sich auf Unkenntnis herausreden könne. 41 Die 23 capitula, die die Synode formulierte, greifen im Anschluss nicht nur diese Forderung des Königs auf, sondern befassen sich mit einem breiten Spektrum organisatorischer und disziplinatorischer Fragen, die nicht nur die kirchlichen Binnenverhältnisse betrafen, sondern auch das Verhältnis zwischen kirchlichen und weltlichen Amtsträgern. Ohne Beratungsvorgänge oder Anlässe transparent zu machen, werden in dieser Passage schlicht Vorschriften für verbindlich erklärt. 42 Auf die Serie dieser Definitionen folgt in den Konzilsakten erneut ein Eingriff Reccareds: Er erklärt die Beschlüsse, die noch einmal kurz rubriziert werden, für gültig und befiehlt, jeder habe ihnen Folge zu leisten. Abschließend folgen die Unterschriften des Königs sowie der Anwesenden Erzbischöfe, Bischöfe und anderer Vertreter ihrer Bistümer. 43 Die Synode ist ganz von der Figur des Herrschers geprägt. Seiner persönlichen
40
Die Ansprache des katholischen Bischofs ebd.117, die Anathematisierungen ebd.118–120, die Zustim-
mung zu den ökumenischen Konzilien und das Insert der Bekenntnistexte ebd.120–122, die Unterschriften 122f. 41
Die dritte Ansprache des Königs ebd.123f.
42
Ebd.124–133; die Forderung nach der regelmäßigen Rezitation des Nicaeno-Constantinopolitanum
ebd.125. 43
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Ebd.133–135 (Edikt Reccareds), 136–138 (Unterschriftenliste).
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Konversion, deren Motive im Dunkeln bleiben, wird die entscheidende Bedeutung dafür zugeschrieben, dass die Goten und sogar die kürzlich unterworfenen Sueben sich vom Arianismus abwandten. 44 Deswegen werden ihm in der Akklamation durch die Synode Ehrentitel beigelegt wie der des Hirten über die Herde, ja sogar eines Apostels, weil er apostelgleiche Aufgaben erfüllt hat. 45 Nach den Aussagen der Synodalakten wurde die Konversion des Herrschers von einem breiten Konsens getragen. Dies demonstrierte eindrucksvoll die Gruppe ehemals arianischer Kleriker und Großer, die sich dem Bekenntnis Reccareds anschlossen, ihr Einverständnis öffentlich bekundeten und durch ihre Unterschrift dauerhaft dokumentierten. Die Übereinstimmung zwischen dem König und der geistlichen und weltlichen Elite seines Reiches wurde betont, nicht zuletzt dadurch, dass noch einmal dieselben konfessionellen Bekenntnistexte zur Verlesung kamen und bestätigt wurden, denen unmittelbar zuvor Reccared zugestimmt hatte. Spannungen und Widerstände, mit denen der Herrscher sich zuvor auseinandergesetzt hatte, fanden während der Synode keine explizite Erwähnung, hier ging es nur darum, die Einheit im neuen Bekenntnis in der Inszenierung, im Gebet und in der schriftlichen Fassung der Synodalakten demonstrativ zu bekunden. Dieser Konsens betrifft nicht nur die horizontale Dimension, sondern auch die Übereinstimmung mit den früheren ökumenischen Konzilien. Wie aber wurde während des Konzils über das Bekenntnis gesprochen, das zahlreiche Anwesende bis vor wenigen Jahren geteilt hatten? Zunächst einmal fällt auf, was während der Synode fehlte: Niemand vertrat homoiusianische Ansichten, niemand wurde persönlich verurteilt, auch wird niemand namentlich benannt, der für das hartnäckige Festhalten am jetzt verurteilten Bekenntnis verantwortlich zeichnete. 46 Die Verantwortung dafür schreiben die Konzilsväter letztlich dem Teufel zu, der bemüht war, Unfrieden zu stiften. Sein Werkzeug seien, so führt Reccared aus, nicht näher identifizierte doctores gewesen, deren falsche Lehren die Goten von der Erkenntnis des rechten Glaubens abgehalten hätten. Die ‚orthodoxe‘ Kirche habe
44 Ebd.110f. mit dem Hinweis auf die Unterwerfung der Sueven. 45 Ebd.116f. 46 Roger Collins, ¿Donde estaban los arianos en el año 589?, in: El Concilio III de Toledo: XIV Centenario (589–1989). Toledo 1991, 211–23. Lediglich auf Leovigild wird zweimal kurz verwiesen: „[…] non multo post discessum genitoris nostri dies quibus nos vestra beatitudo fidei catholicae sanctae cognovit esse sociatos […]; Quicumque libellum detestabilem duodecimo anno Leovigildi regis a nobis editum […] pro vero habuerit, anathema sit in Aeternum.“ Vives, Concilios (wie Anm.2), 108 und 119.
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unter diesen Umständen zwar unter Bedrängnissen gelitten und nicht immer in wünschenswerter Weise die kirchliche Ordnung aufrechterhalten, sei aber standhaft geblieben. Während des Konzils wurde niemand persönlich für diesen Zustand verurteilt, und die Zeit der arianischen Könige wurde lediglich mit vagen Umschreibungen abgehandelt. 47 Auf die Zuweisung persönlicher Verantwortung für die Dominanz der ‚Häresie‘ wird verzichtet, verurteilt werden nur Lehren, nicht Personen. Das Urteil über den Arianismus fällt hingegen vernichtend aus und lässt keine Spielräume für Meinungsverschiedenheiten oder offene Fragen. Allein der ‚Arianismus‘ ist für Streit und Unfrieden verantwortlich, während die Konversion zum nizänischen Bekenntnis für Frieden und Eintracht sorgt. 48 Weil Gott in der Heiligen Schrift sich zu erkennen gegeben hat und die Weisung erteilt hat, an ihn zu glauben, bleibt kein Raum für Zweifel und Debatten: Auch die ehemaligen ‚Arianer‘ bekennen vorbehaltslos die fides catholica und belegen die homoiusianischen Lehrsätze und jeden, der ihnen in Zukunft folgt, mit dem Anathema. Die Folgen dieser Umkehr malen die Synodalakten weitaus präziser aus als ihre Vorgeschichte. Sämtliche Abweichungen vom neuen Bekenntnis werden mit dem Anathema bedroht. Um sicher zu gehen, dass die in Toledo in Kraft gesetzte Konfession allen dauerhaft bewusst bleibt, soll in jedem Gottesdienst ein Glaubensbekenntnis öffentlich verkündigt werden. Auch praktische Fragen regelte die Synode, so das Sexualleben des konvertierten Klerus oder auch die Übertragung ehemals von den ‚Arianern‘ genutzter Gotteshäuser. 49 Die Auseinandersetzung um den rechten Glauben wurde also überaus deutlich während der Synode zum Thema gemacht, sowohl in ihren dogmatischen Grundsätzen als auch in den praktischen Details, die aus der Bikonfessionalität resultierten. Dies geschah jedoch nicht in der Form persönlicher Konfrontationen oder des Vorführens einzelner Delinquenten. Die Synode war ein Treffen derjenigen, die sich einig waren und die durch ihre Präsenz und Zustimmung demonstrierten, dass sie den neuen religionspolitischen Kurs des Königs mittrugen. Welche politischen und kirchlichen Faktoren zu der eher ungewöhnlichen Lösung beitrugen, die Konversi47
Ebd.110, 119f.
48
Für die vergangenen Umstände wird im Tomus Reccareds die Formulierung „obstinatio infidelitatis et
discordiae“ verwandt (ebd.110); dem gegenüber stehen „pax et unitas ecclesiae […] sanctae catholicae“ (ebd.116), die die Akklamationen des Konzils preisen. 49
Zu den Banndrohungen siehe oben bei Anm.40, zur Einführung des regelmäßigen Glaubensbekennt-
nisses bei Anm.41. Die genannten Regelungen treffen die Capitula 5 und 9, ebd.126f.
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on des Königs von einer Reichssynode ratifizieren zu lassen, wäre noch einmal eigens zu diskutieren.
III. Dogmatische Differenzen spielen in den weiteren westgotischen Synodalakten eine untergeordnete Rolle. In Sevilla disputierten die Synodalen unter der Leitung Isidors von Sevilla im Jahr 619 mit einem syrischen Bischof, der zunächst den Monophysitismus vertrat, dann jedoch in längeren Diskussionen zur seit dem Konzil von Chalcedon herrschenden Lehre von den beiden Naturen Christi bekehrt wurde. 50 Hier scheint es tatsächlich zu einem längeren Austausch von Argumenten gekommen sein, vermutlich im Rahmen der collatio zwischen den Geistlichen. Genannt werden drei Sitzungen in secretariis, möglicherweise also nur unter den Bischöfen. Die Konzilsakten spiegeln einen Teil der Debatten wider, denn sie beinhalten den Beweisgang, durch den der Monophysitismus als Irrtum entlarvt wurde, lange Reihen von Belegen aus der Heiligen Schrift und aus der Väterliteratur. Diesen Autoritäten habe sich der syrische Bischof nach langem Widerstand endlich gebeugt, seinem Irrglauben abgeschworen und die neu gewonnenen Überzeugungen bekannt und mit einem Eid bekräftigt. 51 Ansonsten werden religiöse Differenzen zwar immer wieder thematisiert – eine bedrückende Präsenz weisen vor allem die Verdikte gegen die Juden auf 52 –, jedoch nicht als Konflikte während der Synoden selbst. Ganz wie im religiösen Ideal der unanimitas gefordert, belegen die Synodalakten vor allem die Einigkeit der Versammlungen. Dogmatische Konflikte wurden, soweit man das den Akten entnehmen kann, nicht während einer Synode ausgetragen, die Treffen dienten vielmehr der Vergewisserung über die breite Zahl derjenigen, die die gleichen religiösen Überzeugungen teilten. Wendet man sich anderen Konflikttypen zu, verändert sich das Bild nur in eini50 Die Akten sind ediert ebd.163–185; vgl. dazu Orlandis/Ramos-Lisson, Synoden (wie Anm.1), 137–143; Rachel L. Stocking, Bishops, Councils, and Consensus in the Visigothic Kingdom, 589–633. Ann Arbor 2000, 128–132. 51 Vives, Concilios (wie Anm.2), 171–185. 52 Alexander Pierre Bronisch, Die Judengesetzgebung im katholischen Westgotenreich von Toledo. (Forschungen zur Geschichte der Juden. Rh.A: Abhandlungen, Bd.17.) Hannover 2005.
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gen Nuancen. Zu den prägenden Zügen der westgotischen Geschichte zählen die intensiven Auseinandersetzungen um das Königsamt. Weil die Westgoten nie zu einer dauerhaft praktizierten Nachfolgeregelung fanden, sind zahlreiche Könige Rebellionen, Palastintrigen und Morden zum Opfer gefallen. 53 In den Synodalakten finden sich davon deutliche Spuren: Aus dem Amt ausgeschiedene Könige wie Suinthila oder Wamba werden heftig kritisiert und einige ihrer politischen Initiativen zurückgenommen, es kommt jedoch nicht dazu, dass ein noch offener Streit um den Thron während einer Synode zur Verhandlung gekommen wäre. Allenfalls kann man nachweisen, dass die Umgebung von Wamba und Ervig auch nach deren Entmachtung bzw. Tod auf die politische Lage Einfluss nahm und daher die Königsherrschaft schwächte. 54 Dass Synoden nicht das Mittel der Wahl waren, um einen Thronstreit zu lösen, belegt auch der detaillierte Bericht über den Feldzug, mit dem König Wamba im ersten Regierungsjahr einen Aufstand im Nordosten seines Reichs niederschlug. Hier bewirkten militärische Erfolge und ein anschließendes Königsgericht, dass sich die Lage beruhigte. Lediglich durch das Zitat synodaler Kanones im Urteil gegen die Rebellen spielten die Kirchenversammlungen eine bescheidene Rolle. 55 Ein letzter Blick sei schließlich auf innerkirchliche Konflikte um die Kirchenorganisation geworfen. Die bereits zitierte zweite Synode von Sevilla verhandelte im Jahr 619 nicht nur über den Monophysitismus, sondern auch über eine Reihe praktischer Fragen. Unter anderem ging es um die strittige Zuordnung einiger Kirchen zu den Bistümern der Kirchenprovinz oder auch um die Gültigkeit kirchlicher Weiheakte. Diese Passagen stechen aus der westgotischen Überlieferung heraus, weil in ihnen die Form der Anklagen konserviert ist, die die Konzilsordines zwar vorsehen,
53
Vgl. zur Schwäche des westgotischen Königtums neben den oben Anm.8 zitierten zusammenfassen-
den Darstellungen auch Pablo C. Diaz/Ma.R. Valverde, The Theoretical Strength and Practical Weakness of the Visigothic Monarchy of Toledo, in: Frans Theuws/Janet L. Nelson (Eds.), Rituals of Power from Late Antiquity to the Early Middle Ages. (The Transformation of the Roman World, Vol.8.) Leiden/Boston/Köln 2000, 59–93. 54
Zur nachträglichen Kritik an Suinthila und Reccared vgl. Orlandis/Ramos-Lisson, Synoden (wie
Anm.1), 169–171 (Toledo IV bestätigt die Absetzung Suinthilas), 256–258 (Toledo XII nimmt Gesetze Wambas zurück). Zu den fortdauernden Spannungen um Wamba, Ervig und ihre Nachfolger vgl. ebd.268, 277–279, 281–283. 55
Vgl. dazu Christoph Dartmann, Die Sakralisierung König Wambas. Zur Debatte um frühmittelalterli-
che Sakralherrschaft, in: Frühmittelalterliche Studien 44, 2010, 39–58, zum Urteil gegen die Aufständischen ebd.51–52.
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die aber sonst kaum zu finden sind. Dafür zwei kleine Beispiele: Bischof Theodulf von Malaga klagte vor der Synode um die Herausgabe einiger Gebiete, die ursprünglich zu seiner Diözese gehört hatten. Im Gefolge der byzantinischen Eroberung Malagas waren diese Gebiete an benachbarte Bistümer gefallen. Jetzt, nach der Rückeroberung Malagas durch die Westgoten, so entschied die Synode in Analogie zum weltlichen Recht, seien diese Gebiete dem klageführenden Bischof zu restituieren. In einem zweiten Fall ging es um eine Basilica, die an der Grenze der Diözesen von Ecija und Córdoba lag und auf die beide Bischöfe Ansprüche erhoben. In diesem Fall beschloss die Synode, eine Kommission solle vor Ort die Grenzmarkierungen überprüfen, zugleich seien jedoch die faktischen Verhältnisse der letzten drei Jahrzehnte zu berücksichtigen. 56 Diese beiden Beispiele mögen genügen, um den gerichtsförmigen Stil dieser Entscheidungsprotokolle zu belegen. Hier sprach die Synode in der Tat Recht in strittigen Sachverhalten, und zwar ohne Rücksicht auf die Anwesenheit des Bischofs, der im Streit unterlag. Das mag auf den ersten Blick wenig spektakulär erscheinen, stellt aber eine seltene Ausnahme in der breiten Überlieferung westgotischer Synodalakten dar. In der Regel sind derartige Konflikte entweder nicht während einer Synode entschieden worden oder diese Entscheidungen fanden nicht in gleicher Weise Eingang in die Synodalakten. 57
IV. Das Ergebnis dieses Beitrags erscheint ambivalent. Auf der einen Seite finden sich im westgotischen Spanien Spuren institutionell gewährleisteter, zu Autonomie tendierender Verfahren, deren Legitimität sich unter anderem vom König ableitet. Darin bewährt sich das Westgotische Reich wie auch in anderen Zügen als frühmittelalterliche Herrschaftsbildung, die sichtlich antike Rechts- und Verwaltungsformen fortzuführen bemüht war. Das betrifft bis zu einem gewissen Maße auch Synoden. Auf der anderen Seite dominiert in der Synodalüberlieferung der Drang nach Konsens. Konflikte wurden vorab oder gänzlich ohne die Einschaltung von Synoden beigelegt, so dass Synoden nur noch die Ergebnisse ratifizierten und den gefundenen
56 Vives, Concilios (wie Anm.2), 163–164; dazu Orlandis/Ramos-Lisson, Synoden (wie Anm.1), 139f. 57 Eine Zusammenschau gerichtsförmiger Entscheidungen während westgotischer Synoden auch bei Weckwerth, Ablauf (wie Anm.4), 87f.
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Konsens inszenierten. Die synodalen Verdikte trafen meist Verstorbene oder Abwesende, nicht jedoch Personen, die an den Beratungen beteiligt waren. Zu diesem Bild einer Dominanz konsensualer Kommunikation tragen auch die zahlreichen Bekenntnisformeln bei, mit denen sich die westgotischen Kirchen in die Tradition des ‚rechtgläubigen‘ Christentums stellten. Manifeste Konflikte finden sich eher jenseits der synodalen Überlieferung. Wo, wie im Fall des dritten Toletanum, beides parallel vorliegt, zeigt sich, wie stark sich die inszenierte Einmütigkeit der Kirchenversammlung von den konfliktiven Realitäten im westgotischen Reich entfernt hält. Dieses Fazit legt die These nahe, dass man Synoden als eher schwaches Instrument der Entscheidungsfindung in frühmittelalterlichen Konflikten zu bewerten hat. Ironischerweise betrifft das auch das eingangs von mir zitierte 14. Konzil von Toledo. Die spanische Kirche war zusammengetreten, um die vom konstantinopolitanischen Konzil wie von den Päpsten getragene Verurteilung des Monotheletismus zu unterstützen. Die Bekenntnisschriften, die die Spanier nach Rom schickten, stießen jedoch dort unerwartet auf Widerstand. Weil den Römern einige trinitätstheologische Formulierungen nicht richtig erschienen, schickten sie ein deutlich formuliertes Protestschreiben an die westgotische Kirche. Daraufhin wurde das 15. Konzil von Toledo einberufen, das mit scharfer Polemik gegen das jüngste päpstliche Schreiben Stellung bezog. 58 Gerade das Bemühen also, den innerkirchlichen Konsens zu bekräftigen, führte zu einem neuen Konflikt, der jedoch mit dem Ende der westgotischen Herrschaft auf der Iberischen Halbinsel im Jahr 711 obsolet wurde.
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Orlandis/Ramos-Lisson, Synoden (wie Anm.1), 283–290.
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Einträchtige und streitende Bischöfe Vermeiden und Beenden von Konflikten auf Synoden des 10. und frühen 11.Jahrhunderts von Ernst-Dieter Hehl
Der Beitrag führt in Alltag und Niederungen synodalen Geschehens 1, denn die Synoden des 10. und beginnenden 11.Jahrhunderts zeichnen sich nicht durch grundlegende, kirchliche und synodale Zukunft bestimmende Entscheidungen aus. Weder galt es, dogmatische Wahrheit zu fixieren, wie es die spätantiken ökumenischen Konzilien getan hatten und was auch noch karolingische Synoden beschäftigt hatte und die Synoden seit der zweiten Hälfte des 11.Jahrhunderts wieder beschäftigen wird, noch war eine Kirche von der Häresie in die Orthodoxie zu überführen und deren innere Ordnung zu etablieren, was als Aufgabe den westgotischen Konzilien gestellt war. 2 Die grundlegende Verbesserung und Reform kirchlicher Lebens- und Organisationsformen hatten die karolingischen Synoden besonders unter Karl dem Großen und Ludwig dem Frommen bereits geleistet, auf diesem Feld war nichts Neues einzuführen, sondern das Vorhandene lebendig zu erhalten. Die Synoden des vorgestellten Zeitraums wiederholen deshalb alte Wahrheiten; ihre Beschlüsse fanden nur noch in Ausnahmefällen Eingang in eine der kirchlichen Kanonessammlungen, die zu Beginn des 11.Jahrhunderts das Wissen zusammenfassten und dann am Ende des Jahrhunderts eine der Textgrundlagen für die Tätig-
1 Die Ausführungen beruhen weitgehend auf: Ernst-Dieter Hehl (Hrsg.), Die Konzilien Deutschlands und Reichsitaliens 916–1001. Unter Mitarb. v. Horst Fuhrmann u. Carlo Servatius. (MGH Concilia, Bd.6.) Hannover 1987–2007 (künftig: MGH Concilia 6); vgl. dort jeweils auch die Vorbemerkung (mit weiteren Literaturangaben) und den Sachkommentar. – Die Abkürzungen für weitere Reihen der Monumenta Germaniae Historica (MGH) orientieren sich an denen im „Deutschen Archiv für Erforschung des Mittelalters“ gebräuchlichen. Bei Quellenzitaten ist e-caudata normalisiert. 2 Zu den Synoden der genannten Zeiträumen grundlegend José Orlandis/Domingo Ramos-Lisson, Die Synoden auf der Iberischen Halbinsel bis zum Einbruch des Islam (711). Paderborn 1981 (vgl. auch im vorliegenden Band den Beitrag von Christoph Dartmann); Wilfried Hartmann, Die Synoden der Karolingerzeit im Frankenreich und in Italien. Paderborn 1980; Heinz Wolter, Die Synoden im Reichsgebiet und in Reichsitalien von 916 bis 1056. Paderborn 1988; Georg Gresser, Die Synoden und Konzilien in der Zeit des Reformpapsttums in Deutschland und Italien von Leo IX. bis Calixt II. 1049–1123. Paderborn 2006.
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keit Ivos von Chartres bildeten, die dann nochmals vierzig Jahre später in die „Concordia discordantium canonum“ Gratians mündeten. 3 Das Dekret Burchards von Worms bestimmt diesen Zweig der kirchenrechtlichen Überlieferung. Synodale Beschlüsse des 10.Jahrhunderts begegnen bei Burchard eher als Bestätigung älterer, von ihm ebenfalls zitierter synodaler Wahrheit und als deren Aktualisierung. 4 Doch fehlen bei Burchard von Worms die Kapitel, die den Ruhm der Synode von Hohenaltheim 916 in der historischen Forschung begründet haben: die Kapitel zum Schutz des Königtums (cc. 19 und 20). 5 Das spiegelt seine Stellung zu altem und neuem Recht. Kanones zum Schutz des Königs und dessen Herrschaft kennt er durchaus. Einen der Toledaner Kanones, die von den Synodalen wörtlich übernommen worden waren, hat er in seine Sammlung aufgenommen. Die Wiederholungen von Hohenaltheim schienen ihm entbehrlich, sie waren alter (und guter) Wein in neuen Schläuchen. 6 Konkretes interessierte ihn durchaus. So hat Burchard die Vorladung des Straßburger Bischofs Richwin, der nicht nach Hohenaltheim gekommen war, zu einer weiteren Synode in Mainz in sein Dekret aufgenommen (I, 162 = Hohenaltheim c. 29), um sich dort des Vorwurfs zu erwehren, gegen die Bestimmungen der Kanones sich des Bistums bemächtigt zu haben. Das passt zu Burchards Rezeption der gleichzeitigen Vorladung der sächsischen Bischöfe, die ebenfalls nicht nach Hohen3 Die kanonistische Rezeption ist in MGH Concilia 6 (wie Anm.1) jeweils nachgewiesen; siehe auch die in Anm.6 genannte Arbeit von Hoffmann/Pokorny. 4 Als jüngste Synode hat Burchard die Synode von Erfurt 932 rezipiert (ebenso die etwa zeitgleich zu Burchard entstandene, ungedruckte Collectio XII partium). 5 Edition von Hohenaltheim durch Horst Fuhrmann in: MGH Concilia 6 (wie Anm.1), 1–40, Auflistung der Rezeption durch Burchard dort 13, die genannten Kapitel 27f. 6 Zum Schutz des Königtums vgl. Burchard XV, 22–27, zu den Vorlagen Hartmut Hoffmann/Rudolf Pokorny, Das Dekret des Bischofs Burchard von Worms. Textstufen – Frühe Verbreitung – Vorlagen. (MGH Hilfsmittel, Bd.12.) Hannover 1991, 226. Hohenaltheim c. 19 übernimmt Toledo IV (633) c. 75 (74); Hohenaltheim c. 20 = Toledo VI (638) c. 18, 1. Teil, etwas umfassender bei Burchard XV, 26. Vgl. auch das Verzeichnis der von Burchard in sein Dekret aufgenommenen kirchenrechtlichen Kapitel bei Hoffmann/Pokorny 245ff. (alphabetisches Verzeichnis der Quellen), 266 zu Toledo IV und VI. – Burchards Dekret zitiere ich nur mit der Binnengliederung; Ausgaben: Burchard von Worms, Decretorum libri XX. Ergänzter Neudruck der Editio princeps Köln 1548. Hrsg. v. Gérard Fransen u. Theo Kölzer. Aalen 1992; meist benutzt wird der Druck von J.-P. Migne, Patrologiae cursus completus. Series latina. 221 Vols. Paris 1844–1864, Vol.140, Ndr. Paris 1880 u.ö., 537–1058. Edition der in Hohenaltheim übernommenen Toledaner Kanones: Gonzalo Martínez Díez/Felix Rodriguez, La colección canónica Hispana. 6 Vols. (Monumenta Hispaniae sacra. Serie Canónica, Vol.1–6.) Madrid/Barcelona 1966–2002, Vol.5: Concilios Hispanos: Segunda parte, 1992, 248ff. (Toledo IV c. 75), 327f. (Toledo VI c. 18).
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altheim gekommen waren (I, 52 = Hohenaltheim c. 30). Es handelt sich hierbei um Verfahrensfragen, sichtbar daran, dass Richwin und die Sachsen, sollten sie auch diesmal nicht kommen, nach Rom vorgeladen werden, um dort vor dem Papst und der heiligen Kirche Rechenschaft zu geben. Es geht nicht um die Wahrheit in der Sache, denn die Sachverhalte selbst sind unumstritten. Im Mittelpunkt stehen vielmehr das Ordnungsgemäße und Richtige in einem Verfahren und die Autorität der Synode, die durch das Nichterscheinen Richwins und der sächsischen Bischöfe missachtet schien. 7 Aber das Verfahren ändert sich auf seinem Weg durch die drei in dem Hohenaltheimer Beschluss genannten Instanzen. Es beginnt mit Synoden, also mit kollegialen Beratungen der Bischöfe. Wenn diese keinen Schlusspunkt setzen können, endet es mit einer autoritativen Entscheidung des Papstes; ob dieser sich dabei von einer Synode beraten lässt und auf einer solchen entscheidet, bleibt offen und ist unerheblich. Das abschließende Verfahren in Rom ist nicht durch Kollegialität unter Bischöfen bestimmt. Anwesend werden hier nur die beschuldigten Bischöfe sein, die Informationen des Papstes werden auf dem Bericht des Legaten beruhen, den er zur Synode nach Hohenaltheim entsandt hatte.
I. Wahrheit in der Sache und Richtigkeit im Verfahren sind die beiden Pole, die das Verhalten und die Beratungen der Synode prägen sollen. Doch um zum erfolgreichen Abschluss zu kommen, ist mehr erforderlich. Das Hin und Her im Streit zwischen Erzbischof Willigis von Mainz und Bischof Bernward von Hildesheim um die Zugehörigkeit des Stiftes Gandersheim zur Mainzer oder Hildesheimer Diözese an der ersten Jahrtausendwende gibt darüber Auskunft 8, auch wenn im Wesentlichen 7 MGH Concilia 6 (wie Anm.1), 34f. Richwin soll sich gegebenenfalls in Rom für seine „inobedientia“ (das Nichterscheinen) und „perversitas“ („invasio“ von Straßburg) verantworten, die sächsischen Bischöfe nur für ihren Ungehorsam. Dass die Vorwürfe gegen Richwin zutreffen, wird in c. 29 vorausgesetzt. 8 Grundlegend Hans Goetting, Die Hildesheimer Bischöfe von 815 bis 1221 (1127). (Germania Sacra, NF.20.) Berlin/New York 1984, 183ff.; vgl. auch Ernst-Dieter Hehl, Der widerspenstige Bischof. Bischöfliche
Zustimmung und bischöflicher Protest in der ottonischen Reichskirche, in: Gerd Althoff/Ernst Schubert (Hrsg.), Herrschaftspräsentation im ottonischen Sachsen (Vorträge und Forschungen, Bd.46.) Sigmaringen 1998, 295–344, hier 316ff.; ders., Die Mainzer Kirche in ottonisch-salischer Zeit (911–1122), § 7–9, in: Friedhelm Jürgensmeier (Hrsg.), Handbuch der Mainzer Kirchengeschichte. 3 Bde. Würzburg 1997–2002, Bd.1,1: Christliche Antike und Mittelalter. (Beiträge zur Mainzer Kirchengeschichte Bd.6, 1,1.) Würzburg
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nur Hildesheimer Quellen zur Verfügung stehen, vor allem die sogenannte Hildesheimer Denkschrift, die dann in die Vita Bernwardi für die Darstellung des Konfliktes ihres Helden mit Willigis mit einigen Auslassungen und Veränderungen aufgenommen wurde. 9 Schon bei der Einkleidung von Ottos III. Schwester Sophia als Kanonisse in Gandersheim kam es 987 oder 989 zu einem ersten Konflikt. Sophia, die in Hildesheim später als „Zündstoff“ des Streits überhaupt galt, hatte gewünscht, dass der Erzbischof diese Liturgie vornahm, und Willigis hatte sich dazu bereitgefunden. Auf Hildesheimer Vorhaltungen, außerhalb seines Sprengels tätig werden zu wollen, habe Willigis mit „drohendem Blick (vultu minaci)“ und „ziemlich bissig (mordacius)“ geantwortet, Gandersheim gehöre zu seiner, zur Mainzer Diözese. 10 Damals hatte man noch zu einem Kompromiss gefunden, doch ein gutes Jahrzehnt später zerrüttete der Streit um die Weihe der Gandersheimer Stiftskirche die Beziehungen zwischen dem Metropoliten und seinem Suffraganen in Hildesheim, wo seit 993 Bernward als Bischof amtierte. Am Hildesheimer Protest war die Einweihung der Kirche
2000, 195–280, hier 237ff.; unter verfahrensgeschichtlichen Gesichtspunkten Knut Görich, Der Gandersheimer Streit zur Zeit Ottos III. Ein Konflikt um die Metropolitanrechte des Erzbischofs Willigis von Mainz, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Kanonistische Abteilung 79, 1993, 56–94; zur päpstlichen Haltung in dem Streit Sebastian Scholz, Politik – Selbstverständnis – Selbstdarstellung. Die Päpste in karolingischer und ottonischer Zeit. (Historische Forschungen, Bd.26.) Stuttgart 2006, 382ff.; zu den im Folgenden genannten Synoden jeweils auch Wolter, Synoden (wie Anm.2), sowie die jeweiligen Vorbemerkungen in MGH Concilia 6 (wie Anm.1). 9 Zusammenfassend zur Hildesheimer Denkschrift Hehl, in: MGH Concilia 6 (wie Anm.1), 517f. mit Anm.3. – Zur Denkschrift und ihrem Verhältnis zur Vita Bernwardi vgl. vor allem Hans Jakob Schuffels, in: Michael Brandt/Arne Eggebrecht (Hrsg.), Bernward von Hildesheim und das Zeitalter der Ottonen. 2 Bde. Hildesheim/Mainz 1993, Bd.2, 489ff. (Katalog Nr. VII-28); Marcus Stumpf, Zum Quellenwert von Thangmars Vita Bernwardi, in: Deutsches Archiv für Erforschung des Mittelalters 53, 1997, 461–497, bes. 470ff., 409ff.; Martina Giese, Die Textfassungen der Lebensbeschreibung Bischof Bernwards von Hildesheim. (MGH Studien und Texte, Bd.40.) Hannover 2006, 29ff. Georg Heinrich Pertz hat die Denkschrift in seiner Edition der Vita Bernwardi (in: MGH Scriptores. Bd.4. Hannover 1841, 754–782) bei den Kapiteln 12–43 (ebd.763–777) als Cod. 2 benutzt und ihre abweichenden/ergänzenden Lesarten im Variantenapparat verzeichnet. In MGH Concilia 6 ist bei den Synoden zum Gandersheimer Streit der Text der Denkschrift wiedergegeben. 10
Hildesheimer Denkschrift (= Vita Bernwardi c. 13 Cod. 2), in: MGH Scriptores 4, 764 Z(eile) 1–10. Die
Übersetzungen aus der Hildesheimer Denkschrift/Vita Bernwardi orientieren sich an: Hatto Kallfelz, Lebensbeschreibungen einiger Bischöfe des 10.–12.Jahrhunderts. (Ausgewählte Quellen zur deutschen Geschichte des Mittelalters. Freiherr vom Stein-Gedächtnisausgabe, Bd.22.) Darmstadt 1973; die Vita Bernwardi dort lateinisch/deutsch 263–361. Zur Einkleidung Sophias Goetting, Hildesheimer Bischöfe (wie Anm.8), 159ff. Zur Diskussion um das Datum MGH Concilia 6 (wie Anm.1), 519 Anm.5.
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durch Willigis am 22.September 1000 gescheitert; doch Willigis hatte für Ende November für Gandersheim eine Synode anberaumt. Im Namen Bernwards versuchte der aus seiner eigenen Bischofsstadt vertriebene Bischof Ekkehard von Schleswig, die Synode zu verhindern, Willigis dürfe eine solche nicht in einer fremden, ihm nicht gehörenden Kirche veranstalten. Willigis geriet in „unvorstellbare Wut“ und befahl Ekkehard „mit finsterem und drohenden Blick“ zu schweigen: Ekkehard solle sich um seine eigene Kirche kümmern. 11 Ein aufbrausender Charakter scheint uns hier vorgestellt zu werden; fehlen Willigis die Argumente, greift er zu Drohungen. Auf der Frankfurter Synode am 15.August 1001 eskalierten die Auseinandersetzungen. Die Erzbischöfe von Mainz, Köln und Trier saßen ihr gemeinsam vor, um den leidigen Streit zu beenden. Willigis bedauerte „in gemäßigterem Ton (mitiori relatu)“, dass Bernward nicht persönlich anwesend sei. Aber zur Sitzung des nächsten Tages erschien er „angriffslustiger (mordacius)“ auf der Synode. Bernward sollte öffentlich aufgerufen werden, vor ihr zu erscheinen. Die Absicht war, sein Fehlen als Missachtung der Synode zu werten, ihn damit ins Unrecht zu setzen und eine Entscheidung in der Sache zugunsten des Mainzer Erzbischofs zu erzwingen. Das gelang nicht. Die Synode vertagte sich, auch Willigis hatte einlenken müssen. „Durch Gottes Gnade sei er schließlich milder geworden (Dei pietate mitior archipraesul efficitur)“, kommentierte man in Hildesheim. 12 Launenhaftigkeit eines oft jähzornigen Erzbischofs ist damit nicht gemeint. Willigis hat sich vielmehr endlich einer Verhaltensweise angenähert, wie sie von einem Teilnehmer an einer Synode gefordert war. Das verdeutlicht die Hildesheimer Schilderung der vorausgehenden Synode von Pöhlde. Hierzu hatte Papst Silvester II. den aus Sachsen stammenden Kardinalpriester Friedrich entsandt. Bei Willigis und seinen Anhängern stieß Friedrich auf eisige Ablehnung. Die Synode begann unter denkbar schlechten Voraussetzungen: „Als man sich nun (zur Synode) versammelt hatte, kam es zu schier unbeschreiblichem Streit (seditio) und Tumult (tumultus). Denn dem Stellvertreter des Papstes gestand man nicht einmal einen angemessenen Sitzplatz zu.
11 Hildesheimer Denkschrift (= Vita Bernwardi c. 20 Cod. 2): MGH Concilia 6 (wie Anm.1), 609 Z. 6–8 (vgl. MGH Scriptores 4, 767f.). 12 Zur Synode von Frankfurt vgl. die Hildesheimer Denkschrift (= Vita Bernwardi c. 33 Cod. 2): MGH Concilia 6 (wie Anm.1), 625–627 (vgl. MGH Scriptores 4, 773), die zitierten Wendungen 626 Z. 9f. und 18, 627 Z. 8.
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Ein fürchterlicher Lärm brach aus, Recht und Gesetz wurden missachtet, jegliche kanonische Ordnung hörte auf.“ 13
Schließlich konnte der Legat eine Botschaft des Papstes an die Bischöfe vortragen und nach deren Ratschluss („iudicium“) einen Brief des Papstes an den Erzbischof öffentlich verlesen, nachdem Willigis sich geweigert hatte, dem zuzustimmen und das Schreiben entgegenzunehmen. Willigis wurde in diesem Brief „offen getadelt (aperte corripitur) und zu brüderlicher Eintracht und zum Gehorsam (fraterna concordia et oboedientia) ermahnt“. Bei seinem Hamburger Amtsbruder Liewizo und anderen Bischöfen suchte Willigis Rat, wie er sich verhalten solle, Liewizo empfahl ihm, sich dem Urteil der Synode zu unterwerfen und vor dem Legaten Genugtuung zu leisten. Dazu kam es nicht. Die Türen der Kirche wurden aufgerissen, Laien drangen ein, es herrschte „fürchterlicher Lärm und Tumult“ (strepitusque tumultus validus)“. Die Mainzer drohten dem Legaten und riefen nach Waffen. Anders der Legat und Bernward von Hildesheim: Sie ließen sich „weder durch den Tumult aus der Fassung bringen noch durch die Drohungen einschüchtern. Obwohl sie über die größere Zahl von Kriegern verfügten, riefen sie nicht nach Waffen, sondern versuchten die Erregung zu dämpfen.“ Die anwesenden Bischöfe drängten auf eine Vertagung der Synode, Willigis verließ sie „bebend vor Wut (furore nimio succensus)“, zu ihrer zweiten Sitzung ist er nicht mehr erschienen und wurde deshalb von seinem Amt suspendiert. 14 Dass dieser Tag der Synode von Pöhlde alles andere als ordnungsgemäß verlief, muss nicht eigens begründet werden. Streit, Tumult und Lärm, sogar Drohung mit Waffengewalt beherrschten ihn. Die Hildesheimer schieben das Willigis und der Mainzer Partei in die Schuhe. Das päpstliche Schreiben, das ihn tadelte, sollte zwar verlesen werden, was gegen den Willen des Mainzer Erzbischofs auch geschah, aber gewissermaßen in ‚geschlossener Versammlung‘ der Bischöfe. Erst nach seiner Verlesung drangen Laien in die Kirche ein und lösten den Tumult aus. Willigis sollte demzufolge vor seinen Leuten nicht bloßgestellt werden. Der vom Papst ausgesprochene Tadel sollte ihnen verborgen bleiben. Der Tadel war Appell an die Einsichtsfähigkeit des Erzbischofs.
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Zu Pöhlde die Hildesheimer Denkschrift (= Vita Bernwardi c. 28–30 Cod. 2): MGH Concilia 6 (wie
Anm.1), 621–623 (vgl. MGH Scriptores 4, 771f.), hier 621 Z. 6–9 (c. 28). 14
Die Zitate aus dem Bericht der Hildesheimer Denkschrift (= Vita Bernwardi c. 28 Cod. 2): MGH Conci-
lia 6 (wie Anm.1), 622 (vgl. MGH Scriptores 4, 771f.).
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Die Reizworte dieser Berichterstattung sind: Wut, Tumult, aggressive Redeweise. Den Mainzer Erzbischof als vor Zorn bebendes Rumpelstilzchen vorzuführen, mag durchaus die Absicht der Vita Bernwardi gewesen sein. Doch die zitierten Passagen sind zeitgenössische Stellungnahmen. Sie stammen aus der Hildesheimer Denkschrift über den Streit zwischen Bernward und Willigis. Die Denkschrift fasste die Hildesheimer Sichtweise und Argumentation zusammen, sie diente den in diesen Streit involvierten Fachleuten. 15 Neben die genannten Reizworte tritt deshalb das Schlüsselwort mitis = mild, sanft, besänftigend. Sobald Willigis sich angemessen verhält, fällt dieses Wort. Der päpstliche Legat Friedrich hatte in Pöhlde kein weiteres Öl ins Feuer gegossen, sondern den Mainzer „mit milder Ansprache – miti affatu“ zum Einlenken ermahnt. 16 Als sich nach dem Eklat von Pöhlde die Bischöfe des nordalpinen Reichs in Frankfurt versammelten, schienen sich die Dinge zum Guten zu wenden. Denn Willigis bedauerte „mitiori relatu“ das Fehlen seines Kontrahenten Bernward, der sich wegen Erkrankung vertreten ließ. Doch am zweiten Tag der Synode erschien er „paulo mordacior“ und konnte von seinen Amtsbrüdern nur mit Mühe insofern „milder (mitior)“ gestimmt werden, dass er einer Vertagung der Entscheidung auf eine weitere Synode zustimmte, was einen offenen Konflikt in Frankfurt verhinderte. 17
II. Der päpstliche Legat Friedrich hatte sich in Pöhlde genau so verhalten, wie es auf Synoden gefordert war, Willigis von Mainz hingegen war wiederholt durch ungebührliches Betragen aufgefallen. Das elfte Konzil von Toledo hatte nämlich 675 in seinem ersten Kanon verlangt, alles was die Synodalen oder Parteien auf einer Synode vorbrächten, müsse „mitissima verborum relatione“ vorgetragen werden, damit
15 Zur Denkschrift oben Anm.9. 16 Hildesheimer Denkschrift (= Vita Bernwardi c. 28 Cod. 2): MGH Concilia 6 (wie Anm.1), 622 Z. 8 (vgl. MGH Scriptores 4, 771 Z. 50.). Zu Beginn der Synode hat der päpstliche Legat die versammelten Bischöfe
„dulci affamine“ zu „Frieden (pax), brüderlicher Liebe (caritas) und Eintracht (concordia)“ gemahnt (622 Z. 2f.). 17 Hildesheimer Denkschrift (= Vita Bernwardi c. 33 Cod. 2): MGH Concilia 6 (wie Anm.1), 626 (vgl. MGH Scriptores 4, 773), hier 626 Z. 9f. und 18, 627 Z. 8. Zu der Verfahrensweise auf der Synode siehe auch unten bei Anm.36.
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nicht „streitsüchtige Worte (contentiosa verba)“ oder Tumult die synodalen Verhandlungen beeinträchtigten. 18 Das Toledaner Kapitel stand unter der Rubrik: „Eine Synode soll nicht durch Tumult gestört werden – Ne tumultu concilium agitetur.“ Der westgotische, über Pseudoisidors Fälschungswerk weit verbreitete Konzilsordo schrieb vor, dieses Kapitel auf einer Synode zu verlesen. Es blieb ein aktuelles Kapitel, denn um die erste Jahrtausendwende ist in Hildesheim eine Handschrift mit diesem Konzilsordo entstanden (Wolfenbüttel, Helmst. 32), die auch Material zur zweiten Phase des Gandersheimer Streites enthält. 19 Eine etwas ältere Mainzer Handschrift (Wolfenbüttel, Guelf. 83.21) hat das Toledaner Kapitel unmittelbar nach einem Synodalordo eingetragen. Die Handschrift insgesamt ist auf die synodale Praxis des Mainzer Erzbischofs zugeschnitten. 20 Die Synodalordines der Zeit lassen die Leitlinien für synodale Verhandlungen erkennen. Wahrheit steht hierbei im Mittelpunkt. Es ist eine von Gott, speziell vom Heiligen Geist vermittelte und bewirkte Wahrheit. Das in Mainz kurz nach der Mitte des 10.Jahrhunderts zusammengestellte „Pontificale Romano-Germanicum“ enthält, auf karolingischer Vorlage aufbauend, einen Ordo für eine Provinzialsynode, der traditionsbildend geworden ist. 21 Die eben erwähnte Mainzer Handschrift erweitert diesen an einigen Punkten; vor allem vermehrt sie die Vorlagentexte für Predigten und Ansprachen, die der Metropolit auf der Synode halten soll. 22 18
Gonzalo Martínez Díez/Felix Rodriguez, La colección canónica Hispana 6. (Monumenta Hispaniae sacra.
Serie Canónica, 6.) Madrid 2002, 98 Z. 355ff.: „Ne tumultu concilium agitetur. In loco benedictionis consedentes Domini sacerdotes nullis debent aut indiscretis uocibus praestrepi aut quibuslibet tumultibus proturbari, nullis etiam uanis fabulis uel risibus agi et, quod est deterius, obstinatis concertationibus tumultuosas uoces effundere […] Debet ergo quicquid aut consedentium collationibus agitur aut a causantium parte proponitur, sic mitissima uerborum relatione proferri ut nec contentiosis uocibus audientiam turbent nec iudicantium uigorem de tumultu eneruent. “ 19
Unter Benutzung der Handschrift ediert von Herbert Schneider, Die Konzilsordines des Früh- und
Hochmittelalters. (MGH Ordines de celebrando concilio.) Hannover 1996, 142–186 (Ordo 2), Verlesen des Kapitels dort Nr.4 (180) unter Nennung von dessen Rubrik. Zur Handschrift ebd.169f. 20
Zu Cod. Guelf. 83.12 Schneider, Konzilsordines (wie Anm.19), 222f. Die Handschrift enthält den auf
westgotisch-pseudosidorischen Vorlagen (Ordo 1 und 2) beruhenden Ordo 4 (Edition 217–229). Eine ausführliche Beschreibung gibt Friedrich Lotter, Der Brief des Priesters Gerhard an den Erzbischof Friedrich von Mainz. Ein kanonistisches Gutachten aus frühottonischer Zeit. (Vorträge und Forschungen, Sonderbd. 17.) Sigmaringen 1975. 21
Schneider, Konzilsordines (wie Anm.19), 296–315: Ordo 7; Cyrille Vogel/Reinhard Elze (Eds.), Le Ponti-
fical romano-germanique du dixième siècle. 3 Vols. (Studi e Testi, Vol.226, 227, 269.) Città del Vaticano 1963–1972, Vol.1, 269–274 (Ordo 79). 22
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Schneider, Konzilsordines (wie Anm.19), 329–342: Ordo 7 B.
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Die Synode wird mit einem Gebet eröffnet. Der Hl. Geist soll die versammelten Bischöfe zur „veritas“ führen und in „fides“ und „caritas“ bestärken. 23 Als Leiter der Synode fordert der Metropolit zu offener Diskussion auf. Mit „caritas“ und „benignitas“ sollen die versammelten Bischöfe das anhören, was vorgetragen wird und was der Verbesserung bedürfe. Sei einer der Anwesenden mit einer Stellungnahme eines seiner bischöflichen Mitbrüder nicht einverstanden, dann solle er „ohne Scheu vor Auseinandersetzung“ seine Einwände „öffentlich“ vortragen („sine aliquo scrupulo contentionis palam omnibus conferat“). So könne alles „mit Gottes Hilfe“ zum „optimus status“ gelangen, ohne dass eine „discordans contentio“ bestehen bleibe oder das Bestreben, zur Wahrheit zu gelangen, erlahme („in adquirendam veritatem vigor vestri ordinis vel sollicitudo tepescat“). 24 Weiteres verstärkt die auf Wahrheit, Eintracht und konkrete Verhaltens- und Verfahrensweisen zielenden Bestimmungen. „Cum benignitate et modestia“, heißt es in einer späteren Ansprache des Metropoliten, sollen die Bischöfe ihre Meinungen vortragen – vor allem, wenn etwas ihr Missfallen erregt hat, dann wird die „concordia sanctae pacis“ am Ende der Synode erreicht werden können. 25 Erst wenn alle anstehenden Probleme erörtert und gelöst sind, darf die Synode beendet werden, was der westgotisch-pseudoisidorische Synodalordo durch die Verfügung ergänzt, kein Bischof dürfe diese davor verlassen. 26 Nach Austausch des Friedenskusses gehen die Bischöfe auseinander, wie es auch die ursprüngliche Fassung dieses Synodalordos vorschreibt. 27 Zuvor sind die Beschlüsse der Synode vor ihnen verlesen und von ihnen unterschrieben worden. 28 Die Richtigkeit ihrer Entscheidungen spiegelt sich in der Einmütigkeit, mit der sie zu ihnen gefunden haben, doch die Einmütigkeit selbst beruht auf dem Wirken des Heiligen Geistes und auf dem Ausscheiden störender Faktoren bei den synodalen Beratungen. Durch Fasten und Liturgie haben sich die Synodalen auf die Verhandlungen einzustimmen, vor allem durch Bußfertigkeit und Einsicht in die eigene Unzulänglichkeit. Letzteres aber besagt: Jeder der Teilnehmer soll be-
23 Ebd.306f. und 332: Ordo 7 Nr.3; 7 B Nr.3. 24 Ebd.308f. und 332: Ordo 7 Nr.8; 7 B Nr.8. 25 Ebd.312 und 339: Ordo 7 Nr.22; 7 B Nr.22. 26 Das Verbot einer vorzeitigen Beendigung der Synode ebd.310 und Ordo 7 Nr.11 und 7 B Nr.12; vgl. die westgotisch-pseudoisidorischen Vorschriften ebd.183: Ordo 2 Nr.15 und 16. 27 Ebd.315 und 342: Ordo 7 Nr.28; 7 B Nr.31; dazu ebd.186: Ordo 2 Nr.23. 28 Ebd.183: Ordo 2 Nr.17.
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reit sein, seine Ansicht zu ändern und sich den besseren Argumenten anzuschließen. Der Maßstab für deren Richtigkeit sind die Bibel und die Kanones. Ein Evangelium kann deshalb auf einer Synode auf dem Altar der Kirche, in der man tagte, ausgelegt sein, um von dort feierlich zu einem Ambo gebracht zu werden, von dem der Diakon dann eine geeignete Textstelle verlas. 29 Statt des Evangeliums ließ sich auch eine Kanonessammlung oder ein anderes geistliches Buch für die einleitenden Lesungen heranziehen. 30 Auf diese Lesungen beziehen sich Ansprachen und Predigten. Anspruch auf Wahrheit wird mit dem Auslegen der Bücher inszeniert; die Bereitschaft, nach der Wahrheit zu suchen, sowie die Fähigkeit, diese zu finden, wird in synodaler Bußfertigkeit demonstriert. Von der paränetischen Rezitation von Kanones zu Beginn einer Synode, wie sie in den Konzilsordines angeordnet wird, ist die konkrete Verwendung von Kanonessammlungen bei den Verhandlungen selbst zu unterscheiden. Nun ist sie auf den zu erörternden Sachverhalt zugeschnitten. 31 Der 29
Das Auslegen des Evangeliums wird in den Akten römischer Synoden in eine Formel gefasst: „prepo-
sitis/propositis in medio sacrosanctis (Christi) quattuor evangeliis“, vgl. MGH Concilia 6 (wie Anm.1), 244 Z. 15f. (Rom, Febr. 964), 309 Z. 19 (Rom 969) mit Anm.10 zu entsprechenden früheren Formulierung (Rom 745, 769, 798), dazu Rom 1059, Papstwahldekret: MGH Concilia 8 (wie unten Anm.86), 383 Z. 20. Vgl. Johannes Helmrath, Die Inthronisation des Evangelienbuchs auf Konzilien, in: Hanns Peter Neuheuser (Hrsg.), Wort und Buch in der Liturgie. Interdisziplinäre Beiträge zur Wirkmächtigkeit des Wortes und Zeichenhaftigkeit des Buches. St. Ottilien 1995, 233–279, bes. 260ff. mit weiteren, 649 einsetzenden römischen Belegen; vgl. auch im gleichen Band 191–231: Nikolaus Gussone, Der Codex auf dem Thron. Zur Ehrung des Evangelienbuches in Liturgie und Zeremoniell; Johannes Laudage, Ritual und Recht auf päpstlichen Reformkonzilien (1049–1123), in: Annuarium Historiae Conciliorum 29, 1997, 287–334, hier 311 mit Anm.53. 30
Zum Auslegen des Evangeliums und der einleitenden Lesung vgl. Schneider, Konzilsordines (wie
Anm.19), 307f.: „Tunc diaconus progrediens de altari sacra veste indutus portans evangelium usque ad ambonem in medio choro ad legendum […] et legat lectionem ad hoc pertinenentem vel si evangelium non legitur, librum aptam lectionem continentem aut canonem“ (Ordo 7 Nr.7; so auch in 7 B Nr.7). – Der westgotisch-pseudoisidorische Konzilsordo sieht keine Lesung aus den Evangelien vor. Dass sich Lesung aus den Evangelien und den Kanones verbinden ließen, bezeugt die Synode von Ingelheim 948: „Igitur recitato primitus evangelio oramineque finito et sanctorum canonum quam plurimis institutionibus linguarum clavibus coram reclusis …“ (MGH Conilia 6 [wie Anm.1], 159 Z. 4f.). In Ingelheim hat man sich eines Konzilsordo bedient, wie es Flodoard in seinen Annalen ausdrücklich bezeugt: „Residentibus his praesulibus in aecclesia praedicti loci, post praemissas preces secundum ordinem celebrandi concilii et post lectiones sacrae auctoritatis …“ (ebd.140 Z. 11–13 [der dortige Text aus der Ausgabe von Flodoards Annalen durch Ph. Lauer, Les Annales de Flodoard. Paris 1905, hier 111], zur Sache Anm.49). Eine einleitende Lesung nur aus den Kanones dürfte 991 in St-Basle erfolgt sein, vgl. MGH Concilia 6 (wie Anm.1), 395 Z. 12 (mit Anm.65): „quibusdam sententiis pertractatis“. 31
Vgl. auch die Differenzierung bei Helmrath, Inthronisation (wie Anm.29), 255 zum Evangelienbuch:
„praktischer Synodalgebrauch/liturgisch-theologische Aufwertung“. So schildern die Akten von St-Basle 991geradezu einen Kampf der Bücher und Kanones. Vgl. MGH Concilia 6 (wie Anm.1), 408 Z. 26–28: „Facto
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Geist, von dem sich die Synodalen auch bei ihrer kanonistischen Erörterung im Einzelnen leiten lassen sollten, war ihnen aber durch die Lesungen zu Beginn der Synode anempfohlen.
III. „Traurig“ sitzen deshalb die Synodalen von Hohenaltheim zusammen, „demütig“ nehmen sie die Vorhaltungen des päpstlichen Legaten über „die teuflischen Samenkörner“ und „niederträchtigen Machenschaften“ entgegen, die in der Kirche des ostfränkischen Reiches zu beseitigen sind. Vor Gott beklagen sie ihre Nachlässigkeit und werfen sich „durch die würdige Frucht der heiligen Buße“ vor Christi Füßen nieder. Eine Lesung aus den Evangelien hatte sie auf ein derartiges Verhalten eingestimmt. 32 Aber all das konnte durch störrische Rechthaberei und aggressives Beharren auf dem eigenen Standpunkt gestört werden. Buße und synodale Beratung schlossen gleichermaßen die Bereitschaft zum Umdenken ein. Gerade das Streben nach Wahrheit erforderte die „milde Redeweise“, die auf den Synoden zu praktizieren war, allein gemäßigtes Auftreten vermochte zu verhindern, dass sich Sachauseinandersetzungen zu Prestigeduellen und Ehrkonflikten aufschaukelten. Um solches Aufschaukeln zu verhindern und um das Abrücken von bisherigen Positionen zu ermöglichen, ohne als „besiegt“ zu erscheinen, ist wiederholt die Auseinandersetzung in der Sache außerhalb der eigentlichen Synode erfolgt. Geschont werden sollte damit die „Ehre“ eines Bischofs, bei dem abzusehen war, dass sich sein Handeln als unkanonisch erweisen werde. Ziel der Verhandlungen war, dem betrof-
itaque silentio diversarum partium multiplicia librorum volumina subito apparuerunt. Multa denique in medium prolata, multa inter consedentes collata ingens spectaculum prebuerunt“ (c. 19); 414 Z. 5f.: „Allatus est autem etiam tomus […], in quo haec continebant: Ex decretis […]“ (c. 22, es folgen sechzehn Zitate aus dem Umkreis der pseudoisidorischen Fälschungen); 434 Z. 27f.: „Ad has causas hae sententiae quasi e vicino respicientes reperiebantur“ (c. 31, es folgen cc. 32–39 vor allem Zitate aus den Toledaner Kapiteln zum Schutz des Königtums). Zur Verwendung von Kanonessammlungen auf Synoden vgl. Horst Fuhrmann, Einfluß und Verbreitung der pseudoisidorischen Fälschungen. Von ihrem Auftauchen bis in die neuere Zeit. 3 Bde. (Schriften der Monumenta Germaniae Historica, Bd.16.) Stuttgart 1972–1974, Bd.2, 342 mit Anm.130. 32 Vgl. die Praefatio, MGH Concilia 6 (wie Anm.1), 19f. Vgl. außer dem Sachkommentar auch Horst Fuhrmann, Die Synode von Hohenaltheim (916) – quellenkundlich betrachtet, in: Deutsches Archiv für Erforschung des Mittelalters 43, 1987, 440–468, hier 442f.
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fenen Bischof dies klar zu machen und ihn zur Einsicht zu bringen. Er konnte danach vor der synodalen Versammlung seinen Irrtum eingestehen, erschien vor ihr als Irrender, nicht im eigentlichen Sinne als Schuldiger. Das lässt sich genauer für die Ingelheimer Synode vom September des Jahres 972 beobachten. 33 Die Synodalen widersetzten sich dem Wunsch Ulrichs von Augsburg, sich aus der Leitung seines Bistums zurückzuziehen und diese seinem Neffen Adalbero zu überlassen, der ihm auch als Bischof nachfolgen solle. Ulrich hatte für sein Vorhaben bereits die Zustimmung Ottos des Großen. Er wurde zur Synode vorgeladen („invitare“), Adalbero befohlen, dorthin zu kommen. Adalberos Verhalten war der Stein des Anstoßes. Denn als die zur Synode gekommenen Bischöfe bemerkten – so die Vita Uodalrici Gerhards von Augsburg –, dass Adalbero bereits den Bischofsstab „öffentlich – publice“ trage, „gerieten sie in Zorn – irati sunt contra eum“: Das sei gegen die Kanones und Häresie. Auf keinen Fall könne er – wie man es in Augsburg geplant hatte – zum Bischof ordiniert werden. Das alles geschah, bevor die Synode offiziell zusammentrat, und Adalbero vermied, am ersten Sitzungstag auf ihr zu erscheinen. Er wusste: Sein Verhalten, das öffentliche Tragen des Bischofsstabs, war bereits verurteilt. Ulrich hingegen erschien, um seinen Wunsch durch seinen Kleriker Gerhard (und späteren Verfasser seiner Vita) vortragen zu lassen, sich einem Leben in Kontemplation zu widmen. Die Synode wollte am folgenden Tag darüber verhandeln, sie brauchte Bedenkzeit. Danach widmeten sich die Synodalen der Frage, wie im Falle Adalberos zu verfahren sei. Einige Bischöfe wollten ihn nicht von der Möglichkeit ausschließen, nach Ulrichs Tod dessen Nachfolge anzutreten. Dass er zu dessen Lebzeiten nicht als Bischof auftreten dürfe, stand also fest. Ausführlich („prolixe“) berieten die Synodalen und kamen schließlich zu dem gemeinsamen Ergebnis, wenn Adalbero nicht eidlich versichere, er habe es nicht gewusst, sich mit dem Tragen des Bischofsstabs der Häresie schuldig gemacht zu haben, dann könne er für alle Zukunft nicht „legaliter“ zur Bischofswürde aufsteigen. Adalbero war bei alledem nicht zugegen. Am nächsten Tag ist Adalbero vor der Synode erschienen, sein „crimen“ wurde
33
Gerhard von Augsburg, Vita Sancti Uodalrici. Die älteste Lebensbeschreibung des heiligen Ulrich, latei-
nisch-deutsch. Mit der Kanonisationsurkunde des Jahres 993. Einleitung, kritische Edition und Übersetzung besorgt v. Walter Berschin u. Angelika Häse. (Editiones Heidelbergenses, Bd.24.) Heidelberg 1993, hier 250–258 (I, 23), daraus mit Sachkommentar in MGH Concilia 6 (wie Anm.1), 326–329 (das folgende Zitat 326 Z. 25f.; Berschin/Häse 246 Z. 8ff.).
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ihm vorgehalten, seine Verteidigungsversuche vermochten die Bischöfe nicht zu überzeugen, und so leistete er schließlich den am Vortag festgesetzten Eid. Möglich war damit wieder, den Wunsch Ulrichs zu erfüllen, sich vom Bischofsamt zurückzuziehen und Adalbero zu ordinieren. „Die Bischöfe aber“, so schreibt Gerhard, „obwohl ihnen das ganz und gar nicht zusagte, wollten seiner Bitte auf der Synode nicht offen widersprechen (aperte contradicere); die klügsten unter ihnen forderten mit Zustimmung der anderen, er (Ulrich) solle mit ihnen außerhalb der Synode umhergehen, und dort hatten sie mit ihm und seinen klügsten Klerikern ein vertrautes Gespräch (secreta locutio).“ 34 Sie verwiesen ihn auf die „normula omnium aecclesiasticorum librorum“, die ihm wohl vertraut und von deren Beachtung er nie abgewichen sei. Sie warnten vor dem Präzedenzfall, dass zu Lebzeiten eines Bischofs dessen Neffe als Nachfolger ordiniert werde, und versicherten Ulrich, nach seinem Tod würden sie keinen anderen zum Bischof ordinieren als Adalbero, was ja nach dessen Eidesleistung auch wieder möglich geworden war. Ulrich stimmte diesen Ratschlägen zu, man kehrte zur Synode zurück, und dort wurde mit Zustimmung der zurückgebliebenen Bischöfe beschlossen, dass der Kaiser Adalbero die Verwaltung („procuratio“) des Augsburger Bistums übertrug. In den Verhandlungen außerhalb der Synode ging es um die Normen bischöflichen Handelns und ihre Interpretation. Das war nicht allein eine Angelegenheit der Bischöfe, sondern auch ihrer Berater. Ulrich ließ sich von seinen Klerikern beraten. Auch im Gandersheimer Streit lässt sich das Wirken solcher Berater erkennen. 35 Es waren Fachleute für das Kirchenrecht und das synodale Verfahren wie der Hildesheimer Domdekan Thangmar, auch weitere Bischöfe hatten ihre Berater dabei. Mit diesen wollte Thangmar auf der Frankfurter Synode, die dem Eklat von Pöhlde folgte, erreichen, dass die auf der Synode versammelten Bischöfe den immer noch halsstarrigen Willigis zum Einlenken bewegten. Und auch in Frankfurt hatten vor dem Einzug der Bischöfe zur ersten Sitzung der Synode Vorverhandlungen stattgefunden, wie sie ähnlich für Ingelheim anzunehmen sind. Die auf beiden Seiten heftig umstrittenen Angelegenheiten waren dort besprochen worden, und die Bischöfe
34 MGH Concilia 6 (Anm.1), 328 Z. 16–20; Berschin/Häse (wie Anm.33), 256/257 Z. 68ff. 35 Zur Rolle von Beratern Ernst-Dieter Hehl, Die Synoden des ostfränkisch-deutschen und des westfränkischen Reichs im 10.Jahrhundert. Karolingische Traditionen und Neuansätze, in: Wilfried Hartmann (Hrsg.), Recht und Gericht in Kirche und Welt um 900. Unter Mitarb. v. Annette Grabowsky. (Schriften des Historischen Kollegs, Kolloquien, Bd.69.) München 2007, 125–150, 144ff.
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hatten befohlen, sie auf der feierlichen „Synode zu verschweigen, damit sie dort keinen offenen Streit auslösten (que in sinodo reticere imperant, ne forte litem generent)“. 36 Die Verhandlungen außerhalb der Synoden erfüllten so mehrere Zwecke. Hier konnten die Fachleute der Bischöfe in die Beratungen eingreifen und dabei mit ihrem kirchenrechtlichen Wissen argumentieren und auf diese Weise „falsche“ Beschlüsse verhindern. Ein Bischof, dem man unkanonisches und unrechtmäßiges Verhalten anlastete, konnte hier seine Bereitschaft bekunden, seinen Irrtum auf der Synode einzugestehen, ohne von seinen Amtsbrüdern auf dieser unter Druck gesetzt zu werden. Die synodale Wahrheitsfindung war vorbereitet und erfolgte einvernehmlich. Um diese Einheit der Bischöfe ging es in erster Linie und um die Vermeidung von offenem Streit unter ihnen, die Schonung eines Amtsbruders war ein willkommener Nebeneffekt. Diese vorbereitenden Verhandlungen waren auch in weltlichen Bezügen und Auseinandersetzungen üblich, auch hier trafen die Kontrahenten – zumeist der Herrscher und einer oder mehrere der Großen – zunächst nicht unmittelbar zusammen, diente doch das persönliche Zusammentreffen am Ende des Konflikts als Demonstration von Einigung und Ausgleich. 37 Gerade die Vorgänge auf der Synode von Ingelheim 972 lassen sich in solche Verhaltensmuster einordnen. Denn die Synode sollte nicht allein die Einheit der Bischöfe bei der Besprechung und Lösung kirchlicher Probleme spiegeln, sondern gleichzeitig die Gemeinsamkeit und Verbundenheit von Bischöfen und Herrscher. Nach ihrer Rückkehr aus Italien, wo sie sich seit 966 bzw. 967 aufgehalten hatten, trafen hier Kaiser Otto der Große und sein bereits zum Mitkaiser gekrönter Sohn Otto II. – der im April mit der byzantinischen Prinzessin Theophanu in Rom vermählt worden war – mit sämtlichen Erzbischöfen des nordalpinen Reichs zusammen. Zum ersten Mal seit der Ingelheimer Synode von 948 waren alle Erzbischöfe gekommen, wie viele ihrer Suffragane sie begleiteten, ist unbekannt. Meinungsstreit unter den in Ingelheim versammelten Bischöfen hätte solche Festtagsstimmung gestört. Ein Wei-
36
Hildesheimer Denkschrift: MGH Concilia 6 (wie Anm.1), 626, Z. 14–16. Diese Passage der Denkschrift
ist von der Vita Bernwardi c. 33 (MGH Scriptores 4, 773) nicht übernommen worden. Zu den Zusammenhängen zwischen Denkschrift und Vita siehe oben Anm.9. 37
Gerd Althoff, Colloquium familiare – Colloquium secretum – Colloquium publicum. Beratungen im
politischen Leben des früheren Mittelalters, in: Frühmittelalterliche Studien 24, 1990, 145–167 (auch in: ders., Spielregeln der Politik im Mittelalter. Kommunikation in Frieden und Fehde. Darmstadt 1997, 157– 184).
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teres kam hinzu. Kaiser Otto der Große selbst war in die Angelegenheit involviert, hatte er doch Ulrichs Plänen zugestimmt, als der Bischof ihn 967 in Ravenna aufgesucht hatte und in seinem Vorhaben auch von Kaiserin Adelheid unterstützt worden war. 38 Die Situation war heikel und von Anfang an peinlich. So wollten die Bischöfe schon auf der ersten Sitzung „in lateinischer Sprache (per latinitatis locutionem)“ die Angelegenheit Ulrichs und Adalberos verhandeln, als wollte man dadurch Gerede verhindern. 39 Die abseits der Synode erfolgten Gespräche ermöglichten dann, die Lösung als Einvernehmen von Kaiser, Ulrich und der Bischöfe des Reiches zu präsentieren. Die Synodalen hatten ihre Ablehnung der Abmachung zwischen Otto dem Großen und Ulrich durchgesetzt, ohne deren Ansehen zu beschädigen. Einheit und Eintracht der Bischöfe als Ziel synodaler Verhandlungen prägen den Verlauf eines Güterstreits zwischen den Bischöfen Hubert von Parma und Adalbert von Bologna. Unter dem Vorsitz des Erzbischofs Honestus von Ravenna befasste sich 973 eine Synode von Marzaglia damit, eine Synodalurkunde berichtet über den Verlauf und die Entscheidung der Synode. 40 Der Bologneser Bischof klagte, sein Amtsbruder aus Parma habe sich Güter angeeignet, die eindeutig der Bologneser Kirche gehörten. „In aller Güte – omni affectione“ befragte nun der Erzbischof den Bischof von Parma, der sich für die Ansprüche seiner Kirche auf Schriftstücke berief. Es drohte damit ein Rechtsstreit, den die Bischöfe gemäß weltlicher Praxis und Würdigung der von Hubert von Parma vorgelegten Beweise („iure fori“ heißt es in der Urkunde) hätten entscheiden müssen. Eindringlich baten alle auf der Synode Versammelten – Erzbischof, Bischöfe, Grafen und das Volk – den Parmeser Bischof, es „aus Liebe zu Gott und wegen der Anwesenheit des Herrn Metropoliten und seiner heiligen Mitbrüder“ nicht zu einem solchen Verfahren kommen zu lassen und erreichten einen Gütertausch zwischen den beiden streitenden Bischöfen, der den Konflikt beendete. Es mag so scheinen, als ob Honestus und die Synode die Feststellung vermeiden wollten, einer der beiden Bischöfe sei nachweislich im Unrecht gewesen. Aber zeitlich parallel zu dieser Synode sah sich der Bischof von Parma in ein zweites Verfahren verwickelt. Zwei Brüder beschuldigten die Bologneser Kirche, widerrechtlich
38 Gerhard von Augsburg, Vita s. Uodalrici I, 21, ed. Berschin/Häse (wie Anm.33), 246/247. 39 Ebd.250 Z. 18; auch in MGH Conc. 6 (wie Anm.1), 327 Z. 4f. 40 MGH Concilia 6 (wie Anm.1), 334f. Zum Folgenden 335 Z. 3ff.
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eine Reihe von Gütern in Besitz genommen zu haben. Jetzt, in dem Konflikt zwischen einem Bischof und zwei Laien, bestand der Erzbischof von Ravenna (zusammen mit den weiteren Teilnehmern) darauf, dass der Streit in einem weltlichen Prozess entschieden werde. 41 Bischof Hubert von Parma verlor ihn. Er musste eingestehen, dass die Besitzansprüche seiner Konkurrenten zu Recht bestünden und er selbst über kein Schriftstück („scriptio“) verfüge, das die seinigen belege. Eine Gerichtsurkunde des Erzbischofs hielt das Ergebnis fest. Honestus hat sie zusammen mit Bischof Johannes von Imola unterschrieben, aber auch Kleriker und Laien aus Bologna. Zwei Ravennater Richter hatten das Urteil gefällt, einer von ihnen fügte seiner Unterschrift ein „iudicavi“ hinzu, bei dem zweiten ist die Unterschrift nur unvollständig erhalten und bricht vor dem zu ergänzenden „iudicavi“ ab. Wurde der Streit der beiden Bischöfe in einer Kapelle verhandelt, so fand die Gerichtssitzung unter einem eigens errichteten Zeltdach statt. 42
IV. Bemühten sich die Synoden des nordalpinen Reichs gleichermaßen um Eintracht unter den Bischöfen und um Wahrheit in der Sache und handelten als kollegiales Organ der Bischöfe, so treten diese Motive bei den päpstlichen Synoden der Zeit zurück. Hier agierte der Papst als oberster Richter. Ein klares Urteil wurde angestrebt. Das liegt nicht zuletzt daran, dass der Papst oft als Entscheidungsinstanz angerufen wurde, aber auch genuin römische Traditionen spielen eine Rolle. 1001 befasste sich eine römische Synode unter Papst Silvester II. erstmals mit dem Gandersheimer Streit. 43 Kaiser Otto III. war zugegen, zudem einige Bischöfe aus dem nordalpinen Reich sowie aus der „Italia“ und „Tuscia“, zwanzig weitere aus der 41
Das Ergebnis dieser Verhandlung ist in einem schlecht und lückenhaft erhaltenen Dokument über-
liefert: Giovanni Domenico Mansi (Ed.), Sacrorum conciliorum nova et amplissima collectio 19. Venedig 1774 (Ndr. Paris 1902 und Graz 1960), 41–46 (Concilium Mutinense, zur Zuweisung an Marzaglia dort Anm.a). Die in unserem Zusammenhang entscheidende Passage: „Tunc domnus Honestus sanctissimus … quale, altercationes audientes, una voce coeperunt dicere, quod bonum et ratum est, ut lege inter se definiantur, ut inimicitia inibi non adcrescat“ (43 E, dort auch die Lücken). 42
Die Beschreibung des Gerichtsortes am Anfang der Urkunde: Mansi 19 (wie Anm.41), 43 A. Wolter,
Synoden (wie Anm.2), 112, weist die Verhandlung beider Fälle der Synode zu; vgl. auch meine Vorbemerkung zu Marzaglia 973 in: MGH Concilia 6 (wie Anm.1), 332f. 43
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MGH Concilia 6 (wie Anm.1), 613–618, Nr.66; die Nachrichten zum Gandersheimer Streit dort 616f.
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„Romania“, womit die Umgebung Roms gemeint ist. Als „Romani episcopi“ bilden diese auf der Synode gleichsam ein Schöffenkolleg. Von ihnen erwartet Silvester II. das Urteil, nachdem die Synode gefordert hatte, „vertraulicher die Angelegenheit untersuchen zu dürfen“, denn nur die „Romani episcopi“ treten zu dieser separaten Untersuchung zusammen. Nach ihrer Rückkehr erfragt Silvester das Urteil der Synode. Mit der einleitenden Formel „sanctum concilium respondit“ wird ihm jeweils Auskunft erteilt. Diejenigen Bischöfe, die sich zur Beratung zurückgezogen haben, treten nun offensichtlich als Sprecher der gesamten Synode und als Urteilsfinder auf. Der Streit zwischen Willigis von Mainz und Bernward von Hildesheim wird nicht mehr von Ihresgleichen, nämlich den Bischöfen der Mainzer Kirchenprovinz behandelt, denn die in Rom anwesenden Bischöfe von Augsburg und Würzburg werden an den internen Beratungen nicht beteiligt. Die Synode ist zu einem Gericht des Papstes geworden, wobei sich der Papst des Urteils seiner Bischöfe bedient. 44 Das Verfahren von 1001 knüpft an das Vorgehen an, mit dem Johannes XII. im Februar 964 die römische Synode hatte verurteilen lassen, die ihn ein Vierteljahr zuvor aus dem Amt entfernt und mit Leo VIII. einen neuen Papst erhoben hatte. 45 964 wurde das gefundene Urteil demonstriert und inszeniert. Diejenigen, die von Leo VIII. geweiht worden waren, verloren den erhaltenen Weihegrad und mussten vor der Synode die Sentenz niederschreiben, auf der das Urteil beruhte: „Mein Vater hat selbst nichts gehabt, nichts hat er mir gegeben – Pater meus nihil sibi habuit, nihil mihi dedit“. 46 Die Bischöfe von Porto und Albano, die zusammen mit dem nicht erschienenen Sico von Ostia Leo VIII. zum Papst ordiniert hatten, mussten zur zweiten Sitzung der Synode mit einer „cartula“ in der Hand erscheinen. Mit „Ego“ eingeleitet, war hierauf zu lesen, dass sie diese Weihe „contra statuta sanctorum patrum“ vorgenommen hatten. 47 Das Urteil über sie wurde auf die letzte Sitzung der Synode verschoben. Es sowie 610f. die Hildesheimer Denkschrift (= Vita Bernwardi c. 22 Cod 2; MGH Scriptores 4, 768f.) mit dem Dialog zwischen Papst und Konzil. 44 Zu päpstlichen Synoden als Gericht Franz-Josef Schmale, Synodus – synodale concilium – concilium, in: Annuarium Historiae Conciliorum 8, 1976, 80–102, hier 84 und 89ff. 45 MGH Concilia 6 (wie Anm.1), 240–251 (Nr.26). Zu der vom Kirchenrecht geprägten Argumentation und Verfahrensweise vgl. Ernst-Dieter Hehl, Der wohlberatene Papst. Die römische Synode Johannes‘ XII. vom Februar 964, in: Klaus Herbers/Hans Henning Kortüm/Carlo Servatius (Hrsg.), Ex ipsis rerum documentis. Beiträge zur Mediävistik. Festschrift für Harald Zimmermann. Sigmaringen 1991, 257–275. 46 MGH Concilia 6 (wie Anm.1), 249 Z. 8. 47 Ebd Z. 18ff. Die Erklärung ist für beide Bischöfe wörtlich in das Protokoll aufgenommen.
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ist nicht überliefert. Vermutlich wurden sie wie Sico von Ostia, der Leo VIII. geweiht hatte, abgesetzt. Demonstrativ erfolgte im Juni die Verurteilung Papst Benedikts V., der dem bald nach seiner Synode verstorbenen Johannes XII. auf dem päpstlichen Stuhl nachgefolgt war. In den Augen Leos VIII. und Ottos des Großen war Benedikt ein „invasor“ des päpstlichen Stuhles. In päpstlichem Ornat hatte Benedikt vor deren Synode zu erscheinen, der römische Archidiakon beschuldigte ihn auf aggressive Weise seiner Vergehen, Pallium und Stab („ferula“) übergab Benedikt seinem päpstlichen Kontrahenten Leo, der die „ferula“ zerbrach und die zerbrochene dem „populus“ zeigte. So berichtet es Liudprand von Cremona. Die „Continuatio Reginonis“ stellt das aggressive Vorgehen gegen Benedikt heraus. Leo selbst habe ihm Pallium und „ferula“ entrissen. 48 Als „mos Romanorum“ praktizierte im Mai 998 eine römische Synode Gregors V. das bei Benedikt V. angewandte Verfahren, als sie den Streit um die Bischofswürde in Vich in Gegenwart beider Kontrahenten entschied. Gemäß einem Urteil der anwesenden Bischöfe und auch Ottos III. befahl Gregor V. seinem Archidiakon Benedikt und dem Oblationar Robert, den unterlegenen Wadald zeremoniell abzusetzen. Sie rissen ihm den Ring von seiner rechten Hand und zerbrachen den Bischofsstab über seinem Kopf, seine Kasel und Dalmatica zerschnitten sie. Die Verurteilung Wadalds beruhte auf Zeugenaussagen und vor allem auf seinem Geständnis, das Urteil war inhaltlich gerechtfertigt durch die „heiligen Kanones“, die auf der Synode durchgesehen und vorgetragen wurden, speziell durch Beschlüsse des Konzils von Nizäa. Gregor V. unterrichtete alle Gläubigen in einem Rundschreiben über die Ergebnisse der Synode, auf der er die Rolle des „Gerichtsherrn“ übernommen hatte. 49 Auf der gleichen Synode fiel auch das kirchliche Urteil über Johannes Philagathos, der sich gegen Gregor V. zum Papst hatte erheben lassen. Dieses Urteil stand wohl am Ende eines Verfahrens, in dem Philagathos als Verbündeter des Crescentius, der in einem Aufstand gegen den Kaiser Rom vorübergehend in seine Gewalt gebracht hatte, einem weltlichen Prozess unterworfen und danach in einer Schandprozession 48
Liudprand von Cremona, Historia Ottonis c. 22, in: Joseph Becker (Hrsg.), Die Werke Liudprands von
Cremona. (MGH SS rer. Germ. [41].) Hannover 1915, 159–175, hier 174f.; Continuatio Reginonis zum Jahr 964, in: Fridericus Kurze (Hrsg.), Reginonis abbatis Pruminesis Chronica cum continuatione Tereverensi. (MGH SS rer. Germ. [50].) Hannover 1890, 156–179, hier 174. Beide Texte auch in MGH Concilia 6 (wie Anm. 1), 253. 49
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MGH Concilia 6 (wie Anm.1), 552ff.
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durch die Stadt geführt worden war. Die Reihenfolge Schandprozession – Verurteilung durch eine Synode belegt jedenfalls der „Liber pontificalis“ für 768, als man mit Konstantin II. einen Invasor des päpstlichen Stuhls absetzte. 50 Auf den Invasor Konstantin hatte sich auch die römische Synode Johannes’ XII. von 964 bezogen, als sie die von Leo VIII. erteilten Weihen für ungültig erklärte und dabei direkt aus der Vita Stephans III. im „Liber pontificalis“ zitierte, aus dem die Vorgänge über Konstantin bekannt sind. 51 Die Verfahren von 964 und 998 entsprachen alter und bekannt gebliebener römischer Tradition. Was Gregor V. aber 998 auf seiner römischen Synode in Gegenwart Kaiser Ottos III. als „mos Romanorum“ bei der „Absetzung“ Wadalds von Vich praktizieren ließ, hatten die Synodalen von St-Basle 991 bei der Absetzung Erzbischofs Arnulfs von Reims als schändliche Behandlung eines geweihten Bischofs abgelehnt. 52
V. Nördlich der Alpen führte man synodale Verhandlungen um die Rechtmäßigkeit einer Bischofswürde, speziell um die Absetzung eines Bischofs, kollegialer und in gewisser Hinsicht schonender. Das zeigt die Synode von St-Basle 991, die Erzbischof Arnulf von Reims als Hochverräter absetzte. Details kennen wir nur aus der Feder Gerberts von Aurillac, des späteren Papstes Silvester II., der als Nachfolger des abgesetzten Arnulf zum Reimser Erzbischof erhoben wurde. Gerbert überarbeitete dazu, 50 Zum Verfahren gegen Philagathos vgl. die Vorbemerkung zu Rom 998, MGH Concilia 6 (wie Anm.1), 548f. mit Anm.2. Es ist nur aus erzählenden Quellen bekannt, von denen allein die venezianische Chronik des Johannes Diaconus eine Synode erwähnt, Text ebd.549f., aus: Giovanni Monticolo (Ed.), Cronache Veneziane antichissime. Vol.1. (Fonti per la storia d’Italia, [9].) Rom 1890, 154f.. Als Analysen grundlegend August Nitschke, Der mißhandelte Papst. Folgen ottonischer Italienpolitik, in: Staat und Gesellschaft in Mittelalter und früher Neuzeit. Gedenkschrift für Joachim Leuschner. Göttingen 1983, 40–53, hier 45ff.; Klaus Schreiner, Gregor VIII., nackt auf einem Esel reitend. Entehrende Entblößung und schandbares Reiten im Spiegel einer Miniatur der ‚Sächsischen Weltchronik‘, in: Dieter Berg/Hans-Werner Goetz (Hrsg.), Ecclesia et Regnum. Beiträge zur Geschichte von Kirche, Recht und Staat im Mittelalter. Festschrift für Franz Josef Schmale. Bochum 1989, 155–202, hier 171ff., 185ff. Zu „mos Romanorum“ siehe Anm.52. 51 Vgl. den Zitatnachweis zu MGH Concilia 6 (wie Anm.1), 251 Z. 5ff. Zur Konstantin 768 auferlegten Schandprozession und zu seiner Verurteilung auf der römischen Synode von 769 vgl. Louis Duchesne (Ed.), Le liber pontificalis. 2 Vols. Paris 1886–1892 (Vol.3 von Cyrille Vogel 1957), Vol.1, 471 und 473ff. 52 Der Begriff „mos Romanorum“ in MGH Concilia 6 (wie Anm.1), 554 Z. 13f. (Rom 998), 445 Z. 13 (St-Basle 991 c. 47); zu St-Basle siehe unten bei Anm.58.
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wie er selbst sagt, die Akten der Synode und verbreitete sie mit einem kommentierenden Schreiben. 53 Sein Ziel war es, durch diese Dokumente nachzuweisen, dass alles ordnungsgemäß abgelaufen sei. Die Synode stand unter dem Motto, kein Tumult dürfe sie beunruhigen, aber auch kein ungerechter Ankläger und Richter. Alle Teilnehmer hätten die „libera facultas“, Vorschläge zu machen, Untersuchungen zu fordern und auf Einwände zu antworten. 54 Nachdem Arnulfs Schuld festzustehen scheint, ruft Bischof Arnulf von Orléans als Sprecher der versammelten Bischöfe nochmals zu dessen Verteidigung auf, Erzbischof Siguin von Sens, der den Vorsitz führt, befiehlt, nichts zu verschweigen, was gegen eine Verurteilung des Reimsers spreche (cc. 17–18). 55 Nach dem Austausch der Argumente pro und contra erklären die in ihrem Vorhaben gescheiterten Verteidiger, unter denen sich kein Bischof befindet, sie hätten die Sache voreilig („minus caute“) beurteilt, den Verlauf der Synode aber nicht verzögern wollen; die Bischöfe ihrerseits bekunden, sie hätten „aequo animo“ die Einwände der Verteidigung entgegengenommen. 56 Die Eintracht der Synode bleibt gewahrt, und der beschuldigte Arnulf fügt sich in diese Eintracht ein. Er wird jetzt vor die Synode geführt und ihm wird ein Sitzplatz unter den Bischöfen eingeräumt. Er wird dadurch als Mitbischof, nicht als Angeklagter behandelt. Aber seine Sache ist aussichtslos. Seine Verteidiger bitten, ihm die Möglichkeit einzuräumen, sich abseits des Plenums beraten zu dürfen, damit er „consultius“ auf die Vorwürfe antworten könne. Als Berater wählt Arnulf neben zwei anderen Bischöfen mit Siguin von Sens und Arnulf von Orléans den Vorsitzenden und den Sprecher der Synode. Mit ihnen zieht er sich in eine „secretior pars“ der
53
Die Konzilsakten MGH Concilia 6 (wie Anm.1), 391–451; Gerberts Begleitschreiben ebd.451–469. Zur
Bearbeitung der Akten durch Gerbert vgl. seine Praefatio (392 Z. 8ff.) Vgl. auch ebd.380ff. die Vorbemerkung. – Zur Synode auch unten Abschnitt VIII (bei Anm.100ff.). 54
St-Basle 991 c. 2, MGH Concilia 6 (wie Anm.1), 395f.
55
St-Basle 991 cc. 17–18, MGH Concilia 6 (wie Anm.1), 407f.
56
St-Basle 991 c. 30, MGH Concilia 6 (wie Anm.1), 431, Z. 17–26: „His omnibus pertractatis ab defensori-
bus Arnulfi venia postulatur, et quod eius negotia minus caute prius inquisierint et quod concilium longis dilationibus defatigaverint. Deinde adiungunt non se controversiarum genere adductos ad studium defensionis accessisse, sed episcoporum anathema sibi necessitatem dicendi imposuisse. Episcopi vero et qui contra Arnulfum stetisse videbantur, aequo animo se obiecta accepisse dicebant; sibi quoque placere, quod iudicium posse fieri iam in commune legitimum putaretur, nihilque aliud superesse, quam ut ipse Arnulfus in medium deduceretur et de qualitate sui facti iuxta quod vellet responderet. Itaque iubente sinodo in episcoporum ordine consedit.“
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Krypta zurück, die Türen werden verschlossen. 57 Nun werden auch einschlägige Kanones verlesen. Und dabei erinnert man auch an die Absetzung Ebos von Reims und kommt zu dem Schluss, es sei nicht ehrenhaft, einen Bischof „more Romanorum“ zu behandeln. Weder im Gesetz, noch in der Gewohnheit, noch in einem historischen Beispiel finde man hierfür einen Beleg. Vielmehr müsse die „verecundia“ Arnulfs, sein Ansehen geschont werden, „damit die bischöfliche Würde nicht befleckt werde“. 58 Wie Ebo hat Arnulf nun einen Abdankungslibell zu unterschreiben, dessen Vorlage aus Flodoards Reimser Kirchengeschichte übernommen und wo nötig verändert wurde. Das geschah am letzten Tag der Synode. 59 Doch zu Beginn der Sitzung war es noch zu einer Störung gekommen. Als Arnulf von Orléans berichtete, der Reimser Erzbischof habe sein Vergehen eingestanden, forderte der Graf Burchard von Paris dessen ausführliches Geständnis vor der gesamten Synode, damit dieser später nicht alles abstreiten könne: die Vergehen Arnulfs sollten öffentlich gemacht werden. Arnulf von Orléans wies das Ansinnen des Grafen zurück. Er sei „heute nicht den Priestern gleich, denen allein eine reine Beichte (pura confessio) geschuldet werde“. Es reiche aus, dass Arnulf von Reims vor den Bischöfen seine Sünden bekannt und sich des „sacerdotium“ für unwürdig erklärt habe. 60 Arnulf von Reims erklärte sich mit seiner „abdicatio“ auf Rat der Bischöfe einverstanden und legte die „insignia sacerdotalis dignitatis“ vor den Bischöfen nieder. 61 Danach unterschrieb er seinen Abdankungslibell.
57 St-Basle 991 c. 30, MGH Concilia 6 (wie Anm.1), 434, Z. 8–14. Zur Anwesenheit Arnulfs siehe den Beginn des Kapitels in der vorigen Anm. 58 St-Basle 991 c. 47, MGH Concilia 6 (wie Anm.1), 445 Z. 12ff.: „Nec quemquam episcoporum in sua depositione sua scindendum more Romanorum honestum iudicabant, cum hoc nec lege firmaretur, nec consuetudine factum in historiarum monimentis reperietur. Africanum ergo concilium sequentes, ut ipsius Arnulfi verecundiae parceretur, statuebant et propter ecclesiae obprobrium et propter insolentem insultationem saecularium, ne dignitas sacerdotalis pollueretur et ne forte de iis, de quibus impetitus et adhuc impetendus erat, publice convictus foret. Libellum ergo eius depositionis dictandum et coram eo ipsius iussu scribendum censebant et propria manu corroborandum et vivae vocis confessione attestandum, ut eius abdicatio nec exquisita nec invita vel extorta fore videretur; tot enim sceleribus involutum sacris altaribus adstare non posse.“ 59 Der Abdankungslibell Arnulfs in St-Basle 991 c. 54, MGH Concilia 6 (wie Anm.1), 449; dort Anm.452 zu Flodoards Historia Remensis ecclesiae als Vorlage. 60 Der Wortwechsel zwischen dem Grafen und dem Bischof von Orléans in St-Basle 991 c. 52, MGH Concilia 6 (wie Anm.1), 447 Z. 16–40. 61 St-Basle 991 c. 53, MGH Concilia 6 (wie Anm.1), 448 Z. 15ff.
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Wie sehr die Bischöfe ihn schonen wollten, zeigt sich schon an diesem Verfahren und daran, dass sie sich bereits zu Beginn der Synode darauf festgelegt hatten, Arnulf nur dann als Majestätsverbrecher zu verurteilen, wenn ihm das Leben zugesichert werde. Vor dem Verlesen des Abdankungslibells baten sie denn auch die Könige Hugo und Robert kniefällig und mit Erfolg darum. 62 Gegen den Priester Adalger, der in Arnulfs Hochverrat verstrickt gewesen war, gingen die Synodalen härter vor. Er solle zwischen ewigem Anathem oder Absetzung wählen. Adalger entschied sich für Absetzung. „Ohne Erbarmen – sine miseratione“ bekleideten die Bischöfe ihn mit den priesterlichen Gewändern und „ohne Ehrerbietung – sine reverentia“ zogen sie ihm diese einschließlich der Gewandung eines Subdiakons wieder aus. Damit endete die Synode. Bei der Bestrafung des Priesters waren die Bischöfe letztlich dem „mos Romanorum“ gefolgt. 63
VI. Offener Streit unter den Bischöfen, denen die Entscheidungen auf der Synode oblagen, ist im 10. und frühen 11.Jahrhundert weitgehend vermieden worden. Die endgültige Entscheidung eines Streites ist aber oft schwergefallen. Der Konflikt zwischen Erzbischof Willigis von Mainz und Bischof Bernward von Hildesheim um Gandersheim wurde weder auf den Synoden des nordalpinen ottonischen Reiches noch auf den Synoden, die die Päpste in Gegenwart Kaiser Ottos III. in Rom und Umgebung hielten, beendet. Zwar stützten die Synoden die Hildesheimer Position, doch Willigis weigerte sich hartnäckig nachzugeben. Friedliche Streitbeilegung durch Ausgleich und Konsens war so nicht möglich, vor einem abschließenden synodalen Urteil schreckte man (noch) zurück. Ottos III. frühzeitiger Tod im Februar 1002 unterbrach die Bemühungen, den Konflikt zu beenden. Heinrich II. löste ihn dann an der Jahreswende 1006/07, ohne eine Synode einzuschalten. Am 5.Januar 1007 konnte nun die Gandersheimer Stiftskirche geweiht werden. Das geschah in einer Liturgie, die sowohl die Zugehörigkeit des Stiftes zur Hildesheimer Diözese herausstellte als auch den erzbischöflichen Rang von Willigis sichtbar machte. 64
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62
Vgl. St-Basle 991 cc. 3, 6 und 53; MGH Concilia 6 (wie Anm.1), 396, 398f. und 448.
63
St-Basle 991 c. 55, MGH Concilia 6 (wie Anm.1), 450.
64
Vgl. Hehl, Bischöfliche Zustimmung (wie Anm.8), 334ff.
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Das Herauszögern eines synodalen Endurteils war ein Mittel, um die eigene Rechtsposition zu wahren. Meisterhaft spielte Erzbischof Giselher von Magdeburg auf der Klaviatur synodaler Verhaltensmuster, nachdem er sich seit 997 Vorwürfen ausgesetzt sah, 981 auf unkanonische Weise sein Bistum Merseburg (das damals aufgelöst worden war) verlassen und die erzbischöfliche Stellung in Magdeburg angetreten zu haben. Obwohl synodale Entscheidungen von Papst und Kaiser in Pavia 997 und Rom 998/99 ihn zu einer Rückkehr nach Merseburg drängten 65, konnte er im Frühjahr und Sommer des Jahres 1000 ein entsprechendes Endurteil von Synoden des nordalpinen Reiches verhindern. Sei es, dass er Aufschub erbeten hatte (Magdeburg, 25.März 1000) oder Krankheit ihn daran hinderte, vor der Synode zu erscheinen (Quedlinburg, 1.April 1000), sei es, dass er dann an ein „universale concilium“ appellierte (Aachen, Mai 1000) und damit die Zuständigkeit der angesetzten Synode bestritt, obwohl dort ein römischer Archidiakon zugegen war und die Aachener Synode sich für ihre Untersuchung des Falls von Kaiser und Papst und deren Synoden verfügter Vorgaben hätte bedienen können. 66 Auch hier brachte Ottos III. Tod eine Unterbrechung des Verfahrens, und wiederum hat Heinrich II. ohne Mitwirkung einer Synode versucht, den Fall zum Abschluss zu bringen. 1004 ließ er den inzwischen schwer erkrankten Giselher durch Willigis auffordern, das Erzbistum aufzugeben und auf seinen angestammten Sitz in Merseburg zurückzukehren und so seine Schuld bei Merseburgs Auflösung wieder gut zu machen. Giselher bat nochmals um Aufschub. Bald danach, am 25.Januar 1004, starb er, und sein Tod gab dem König nun freie Hand, die Wiederherstellung des Bistums Merseburg vorzunehmen, waren nun doch zwei Bischofsstühle gleichzeitig zu besetzen: der des verstorbenen Giselher in der Metropole Magdeburg und der für das wiederherzustellende Merseburg. Am 2.Februar wurde Tagino zum Erzbischof erhoben, am 6. Februar erhielt Wigbert Bischofsstab und Weihe für Merseburg. Zwar war ein päpst65 MGH Concilia 6 (wie Anm.1), 534ff. und 568ff.; hier 541 Z. 10ff. (Pavia 997) und 575 (Rom 998/999 cc. 3 und 4). Zu den Maßnahmen gegen Giselher vgl. Scholz, Politik (wie Anm.8), 343ff., 357ff. 66 Die drei Synoden des Jahres 1000 sind nur aus historiographischen Quellen bekannt, vgl. deren Abdruck in MGH Concilia 6 (wie Anm.1), 592ff. (Nr.62–64). Zentral ist die Chronik Thietmars von Merseburg IV, 46: „indicitur huic concilium in Aquisgrani, quo ipse cum suis veniens iterum ab archidiacono Roma-
nae sedis alloquitur. Qui sapienti consilio usus generale sibi postulat dari concilium; sicque indiscussa dilata sunt haec omnia (595f.; aus: Robert Holtzmann [Hrsg.], Die Chronik des Bischofs Thietmar von Merseburg und ihre Korveier Überarbeitung. [MGH SS rer. Germ., NS.9.] Berlin 1935, 184 Z. 23–27). Die Forschung diskutiert, ob mit dem „generale concilium“ eine (römische) Synode von Papst (und Kaiser) gemeint sei, doch ist eher an eine Synode der deutschen Metropoliten zu denken; vgl. MGH Concilia 6, 596 Anm.18.
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licher Legat bei beiden Handlungen, die in Merseburg stattfanden, zugegen, doch nichts verlautet von seiner Rolle, und auch von einer Synode ist in den Nachrichten zur Wiederherstellung Merseburgs nirgends die Rede. 67 Weitere Beispiele für das Beenden von „synodal vorentschiedenem“ Streit ohne eine „abschließende“ Synode lassen sich anführen. Die Mainzer Synode, vor die man zu Beginn des 10.Jahrhunderts in Hohenaltheim den Straßburger Bischof Richwin geladen hatte, damit er sich dort für die „invasio“ der Straßburger Kirche rechtfertige, scheint überhaupt nicht stattgefunden zu haben. 918, zwei Jahre nach seiner Vorladung, war Richwin als Bischof anerkannt. 922 hat er als geachtetes Mitglied der Bischöfe an der Synode von Koblenz, 932 an der von Erfurt teilgenommen. 68 Nicht eine Synode, sondern der Wandel der Zeit hat den Straßburger Bischof von dem Makel der Unrechtmäßigkeit befreit. So sorgfältig man 991 in St-Basle die Absetzung Erzbischof Arnulfs von Reims begründet und so schonend man ihn behandelt hatte, als endgültig erwies sich das Urteil nicht. Die Verfahrensweise und die Erzbischofswürde des nun für Reims erhobenen Gerbert blieben umstritten. Der Papst fühlte sich in dem Prozess gegen Arnulf übergangen. Dass die Päpste in die Absetzung eines Bischofs einzuschalten seien, hatten die Verteidiger Arnulfs auf der Synode vorgebracht. Ihr Argument schien dadurch erledigt, dass sowohl die Unterrichtung des Papstes nachgewiesen werden konnte als auch dessen Passivität beklagt wurde – gesteigert bis zum Vorwurf, bestechlich zu sein. 69 Durch Herrscherwechsel bedingter politischer Wandel brachte schließlich die Wende zu Ungunsten Gerberts. Das Papsttum beharrte darauf, Arnulf hätte von der Synode ohne päpstliche Zustimmung zu dem Verfahren nicht abgesetzt werden dürfen, und fand für seine Haltung Unterstützung bei den Bischöfen des deutschen Reichs. Vom Boden des Reichs
67
Hehl, Bischöfliche Zustimmung (wie Anm.8), 330ff.; Bernd Schneidmüller, „Eifer für Gott“? – Heinrich
II. und Merseburg, in: Holger Kunde/Andreas Ranft/Helge Wittmann u. a. (Hrsg.), Zwischen Kathedrale
und Welt. 1000 Jahre Domkapitel Merseburg. (Schriftenreihe der Vereinigten Domstifter zu Merseburg und Naumburg und des Kollegiatstifts Zeitz, Bd.2.) Petersberg 2005, 19–34, bes. 18f. 68
Zur Anerkennung der Bischofswürde vgl. Regesten der Bischöfe von Straßburg. 2 Bde. Innsbruck
1908–1928, Bd.1, T.2: Paul Wentzcke, Regesten der Bischöfe von Straßburg bis zum Jahre 1202. 1908, 243, Nr.123 (vgl. dort auch Nr.121). 69
St-Basle 991 c. 20 zur Notwendigkeit den Papst einzuschalten (MGH Concilia 6 [wie Anm.1], 409, c. 23);
Kennzeichnung als eines der zentralen Elemente der Verteidigung (ebd.416 Z. 30f.); cc. 25–27 zur erfolgten Unterrichtung des Papstes und dessen Verhalten (ebd.418ff.), c. 28 die Rede Arnulfs von Orléans mit der Klage über die Passivität des Papstes (ebd.421ff. und bes. 424 Z. 27ff.).
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aus versuchten Synoden und päpstliche Legaten den Fall erneut aufzugreifen. 70 König Hugo von Frankreich und die Bischöfe seines Reichs bestanden hingegen zunächst auf der Rechtmäßigkeit des Verfahrens und der Gültigkeit des Urteils. Doch Robert der Fromme, der nach dem Tod seines Vaters Hugo im Oktober 996 alleiniger König war, lenkte endgültig ein. Arnulf konnte auf seinen erzbischöflichen Stuhl in Reims zurückkehren. 71 Gerbert hingegen verließ Reims, mit der Übernahme des Erzbistums Ravenna 998 begann er eine neue Phase seiner Karriere, die ihn schließlich auf den Papstthron führte. Sein Vertrauter Richer sah in Roberts Verhalten „perfidia“. 72 Gerbert selbst hat in einem seiner ersten Dokumente, die er als Papst ausstellte, Arnulfs erzbischöfliche Würde anerkannt. In einem Schreiben an seinen alten Widersacher kam er dem „des persönlichen Ranges Beraubten“ zu Hilfe und stellte dessen „Amt durch das Geschenk der römischen Liebe“ wieder her, nachdem Arnulf „durch gewisse Fehler des bischöflichen Amtes beraubt“ worden sei. 73 Trotz der Fülle der Synoden, die nach 991 zu dem Streit Stellung genommen hatten, die letzten Entscheidungen für Arnulf und gegen Gerbert waren schließlich in ‚diplomatischen Verhandlungen‘ zwischen dem kapetingischen Königtum und dem Papsttum gefallen. Die Synoden, von denen wir nach 991 erfahren, galten zunehmend nicht der Bekräftigung von Gerberts Ansprüchen, sondern seiner Verteidigung, nicht offenkundig gegen das kirchliche Recht verstoßen zu haben, und dienten in diesem Punkt seiner Rechtfertigung. Das aber hatte die Bereitschaft Gerberts zur Voraussetzung, ein Urteil der Synode, zumindest deren Zuständigkeit anzuer-
70 Vgl. die Synoden von Aachen 992, MGH Concilia 6 (wie Anm.1), 470ff. (Nr.45), Ingelheim 993, ebd.485ff. (Nr.48) und Mouzon 995, ebd.494ff. (Nr.49). Zur Involvierung des Papsttums in den Streit um Reims vgl. Harald Zimmermann, Ottonische Studien, in: Mitteilungen des Instituts für österreichische Geschichtsforschung, Erg.-Bd. 20/1, 1962, 122–190, hier 141ff. (Ndr. in: ders., Im Bann des Mittelalters. Ausgewählte Beiträge zur Kirchen- und Rechtsgeschichte. Sigmaringen 1986, 1–69, hier 20ff.). Gerbert hat versucht, die deutschen Bischöfe auf seine Seite zu ziehen, indem er ihnen die Akten der Synode von Basle zusammen mit einem interpretierenden Schreiben übersandte; erhalten ist sein Brief an Bischof Wilderod von Straßburg (MGH Concilia 6 [wie Anm.1], 451ff.; dort 381 zu dem Zusammenhang zwischen Akten und Brief sowie der Information Bischof Notkers von Lüttich). 71 Zum Einlenken Roberts Christian Pfister, Etudes sur le règne de Robert le Pieux (996–1031). (Bibliothèque de l’Ecole des Hautes Etudes, Vol.64.) Paris 1885, 53ff. 72 Richer von Saint-Remi, Historiae. Hrsg. v. Hartmut Hoffmann. (MGH Scriptores, Bd.38.) Hannover 2000, hier 309 (IV, 109). 73 Harald Zimmermann, Papsturkunden 896–1046. 3 Bde. (Österreichische Akademie der Wissenschaften. Philosophisch-Historische Klasse. Denkschriften, Bd.174, 177 u. 198.) Wien 1988–1989 (Bd.1 und 2 in zweiter Auflage), Bd.2: 996–1046, 1985, 712ff., Nr.366. Regest: J. F. Böhmer, Regesta Imperii. II. Sächsische
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kennen, und Gerbert hat diese Bereitschaft wiederholt bekundet. 74 In dem Brief, den er als Papst an Arnulf schrieb, untersagte er, dass die Absetzung von 991 in einem synodalen Verfahren nochmals aufgenommen werde. So wie Arnulfs Absetzung durch das Fehlen der päpstlichen Zustimmung nicht gültig geworden war, so sollte durch die päpstliche Entscheidung sein weiteres Amtieren als Erzbischof nicht mehr zur Diskussion gestellt werden können. 75 Synodale Streitbeendigungen als solche waren revidierbar. Sie waren von den politischen Rahmenbedingungen und deren Wandel abhängig. Das lehren die Vorgänge um die Absetzung Arnulfs von Reims und noch mehr die Folge der Synoden um die Entfernung Papst Johannes’ XII. aus seinem Amt 963 und 964. 76 Eine römische Synode hatte den Papst Ende 963 abgesetzt und mit Leo VIII. einen neuen Papst erhoben, Otto der Große hatte maßgeblichen Anteil daran. Die Mehrzahl der Teilnehmer an dieser Synode entstammte der römischen Geistlichkeit oder zählte zu den Bischöfen aus der Umgebung Roms. 77 Bischöfe aus dem norditalienischen oder nordalpinen Herrschaftsbereich Ottos spielten nur eine untergeordnete Rolle, so berichtet jedenfalls Liudprand von Cremona. Bei ihm sind es der Kaiser und die „Romani episcopi“, die das Verfahren vorantreiben. Das ist vermutlich eine Konstruktion des Berichterstatters, mit der die Bischöfe aus der Umgebung Roms in die Pflicht ge-
Zeit. Fünfte Abteilung: Papstregesten 911–1024. Bearb. v. Harald Zimmermann. Wien/Köln/Weimar 1998, Nr.867; Übersetzung und Interpretation dieser Passage bei Scholz, Politik (wie Anm.8), 365ff. Vgl. auch Hans-Henning Kortüm, Gerbertus qui et Silvester. Papsttum um die Jahrtausendwende, in: Deutsches Archiv für Erforschung des Mittelalters 55, 1999, 29–62, hier 33ff.; Volkhard Huth, Erzbischof Arnulf von Reims und der Kampf um das Königtum im Westfrankenreich. Zugleich ein Beitrag zur Geschichte der Reimser Remigius-Fälschungen, in: Francia 21/1, 1994, 85–124, hier 97ff. 74
Deutlich wird das in Geberts Rede vor der Synode von Mouzon 995, vgl. MGH Concilia 6 (wie Anm.1),
506 Z. 25ff., dazu auch die Einleitung der Rede vor dem Concilium Causeium, ebd.512. In beiden Fällen rechnet Gerbert mit einer für ihn positiven Entscheidung. Die Zuständigkeit der Synode stellt er nicht in Frage. – Die Beschlüsse von St-Basle hat vor allem die unter Gerberts Vorsitz tagende Synode von Chelles verteidigt, über die allein Richer von St-Remi, Historiae IV, 89 (ed. Hoffmann [wie Anm.72], 291; dort auch Anm.3 zur Datierung) berichtet. Vgl. Odette Pontal, Les conciles de la France capétienne jusqu’en 1215. Paris 1995, 98f. 75
Zu dieser Klausel Kortüm, Gerbertus (wie Anm.73), 25f.
76
Die Texte zu den folgenden römischen Synoden in MGH Concilia 6 (wie Anm.1), 228ff., Nr.25–27. Ak-
tenmäßig ist nur die Synode Johannes’ XII. überliefert (Nr.26). 77
Zum Teilnehmerkreis der römischen Synoden von 963 bis 964 vgl. Harald Zimmermann, Parteiungen
und Papstwahlen in Rom zur Zeit Kaiser Ottos des Großen, in: Römische Historische Mitteilungen 8–9, 1964/65–1965/66, 29–88.
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nommen werden sollten. 78 Denn zwei Monate später, im Februar 964, verwarf auf einer neuerlichen römischen Synode weitgehend der gleiche römische Teilnehmerkreis die Synode des Vorjahrs und die Erhebung Leos VIII. als illegitim, nachdem Papst Johannes XII. in Rom wieder die Oberhand gewonnen hatte. Als Johannes wenig später starb, erhoben die ‚Römer‘ mit Benedikt V. einen Nachfolger, erkannten das Papsttum Leos VIII. also weiterhin nicht an. Durchsetzen konnten sie das nicht. Otto der Große, der zu Beginn des Jahres Rom verlassen und damit Johannes XII. die Gelegenheit zu seiner Synode gegeben hatte, kehrte zurück. Benedikt V. wurde im Juni vor eine erneut zusammengetretene Synode gestellt, als Invasor des päpstlichen Stuhles verurteilt und zeremoniell abgesetzt. Wiederum tritt die römische Geistlichkeit besonders hervor, denn die zeremonielle Absetzung war dem römischen Archidiakon Benedikt übertragen, der an beiden, so gegensätzlich urteilenden vorangegangenen Synoden teilgenommen hatte. 79 Den abgesetzten Benedikt inhaftierte man und stellte ihn unter die Aufsicht des Erzbischofs von Hamburg-Bremen, der ihn in seine Bischofsstadt mitnahm. Dort ist Benedikt 965 gestorben, auf Anweisung Ottos III. wurden seine Gebeine wohl 988 nach Rom überführt. 80 Faktisch und politisch war der Streit mit der Synode vom Juni beendet, das Urteil der Synode Johannes’ XII. vom Februar obsolet, Leo VIII. der legitime Nachfolger des 963 aus seinem Amt entfernten Johannes’ XII. Rechtliche und moralische Bedenken blieben. Thietmar von Merseburg führte nach der ersten Jahrtausendwende eine in Ottos Heer ausgebrochene Seuche auf Benedikts ungerechtfertigte Absetzung zurück, und kurz vor seinem Tod habe Benedikt prophezeit, Hamburg werde keine Ruhe vor den Heiden finden, bis man ihn in Rom beigesetzt habe. 81 Das Protokoll der römischen Synode Johannes’ XII. nahm man in Hildesheim um das Jahr 1000 in eine Kanonessammlung auf und bediente sich seiner im Gandersheimer Streit. Vor dieser Sammlung steht in der Handschrift ein Papstkatalog. Er endet mit Johannes XII.
78 Nach der Klage Ottos über das Nichterscheinen Johannes’ XII. auf der Synode antworten ihm die „Romani pontifices et cardinales ac diaconi“; die „Romani pontifices“ fordern zusammen mit Klerus und Volk die Entfernung von Johannes aus seinem Amt und die Erhebung eines neuen Papstes, MGH Concilia 6 (wie Anm.1), 234 Z. 3 und 238 Z. 8 (aus Liudprand von Cremona, Historia Ottonis cc. 10 und 15, ed. Becker [wie Anm.48], 166 Z. 26f. und 171 Z. 26f.). 79 Zur Absetzung Benedikts siehe oben bei Anm.48. Die Namen der an der Junisynode teilnehmenden Bischöfe sind nicht überliefert. 80 Vgl. Böhmer/Zimmermann, Papstregesten (wie Anm.73), Nr.378, 381f., 384 und 662. 81 Thietmar II, 35 und IV, 62, ed. Holtzmann (wie Anm.66), 82 und 203.
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und – von anderer Hand zugefügt – Benedikt V., ignoriert also das Papsttum Leos VIII. Auf den abgesetzten und verbannten Benedikt weist die Überschrift eigens hin. Die Päpste seien aufgeführt „bis zu dem beklagenswerten Benedikt, der in Verbannung am Gestade des Weltmeeres festgehalten wurde (usque ad miserum Benedictum exilio religatum in oceani litore)“. 82 Nicht Benedikt V., sondern Leo VIII. schien im Nachhinein der eigentliche Usurpator zu sein.
VII. Die Schwierigkeit, einen Streit unter Bischöfen oder um die Besetzung eines Bischofssitzes durch ein synodales Urteil (endgültig) zu beenden, ließ die Zustimmung desjenigen, gegen den die Synode sich letztlich wandte, zu einem zentralen Verfahrenselement werden. Anerkennen der Zuständigkeit der Synode, verbunden mit persönlicher Anwesenheit auf dieser, das Eingeständnis, im Unrecht zu sein, sowie die Annahme des synodalen Urteils spielten hierbei zusammen. Ließ sich bei Besitzstreitigkeiten unter Bischöfen kein gütiger Ausgleich erzielen – was 973 der Synode von Marzaglia bei dem Streit zwischen den Bischöfen von Parma und Bologna geglückt war 83 –, dann konnte der Konflikt gelöst werden, wenn es einem der Beteiligten nicht gelang, seine Ansprüche zu beweisen, und er dies bekennen musste. 955 gestand Bischof Martin von Ferrara vor einer Ravennater Provinzialsynode ein, zusammen mit seinem Klerus in dem Archiv der Kirche von Ferrara vergeblich nach Dokumenten gesucht zu haben, die seine Rechte auf Besitzungen bewiesen, die er gegen den Protest des Erzbischofs von Ravenna, aber in gutem Glauben in Besitz genommen habe. Er erklärte sich bereit, auf diese Güter zu verzichten, und die Synode forderte ihn auf, zum Zeichen des Verzichts den Ravennater Erzbischof mit dem umstrittenen Gut zu investieren. So geschah es auch, eine Urkunde hielt das fest. Martin 82
Zur Handschrift Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek, Cod. Guelf. 454 Helmst. vgl. Otto von Heine-
mann, Die Handschriften der Herzoglichen Bibliothek zu Wolfenbüttel. Erste Abtheilung: Die Helmstedter Handschriften I. Wolfenbüttel 1884, 356f.; Bernward von Hildesheim und das Zeitalter der Ottonen. Katalog der Ausstellung Hildesheim 1993. 2 Bde. Hildesheim/Mainz 1993, Bd.2, 486–489, Kat. VII-27 (Rudolf Pokorny und Hans Jakob Schuffels). Siehe auch MGH Concilia 6 (wie Anm.1), 61 und 242; Hehl, Synode 964 (wie Anm.45), 259f., dort Anm.18 zur Benutzung des Protokolls von 964 im Gandersheimer Streit. Deutlich als Vorlage erkennbar ist das Protokoll von 964 bei der Schilderung der römischen Synode von 1001 in der Hildesheimer Denkschrift, vgl. die Nachweise in MGH Concilia 6 (wie Anm.1), 611 Anm.56ff. 83
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Siehe oben bei Anm.40.
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unterzeichnete als erster das Dokument als Beleg für die von ihm geleistete Schuldanerkennung und vorgenommene Investitur. Die übrigen Bischöfe und weitere Teilnehmer der Synode unterschrieben als Zeugen. Der Erzbischof unterschrieb nicht, er erhielt die Urkunde, die in seinem Archiv überliefert ist; erneuten Ansprüchen seines Kontrahenten war damit ein Riegel vorgeschoben. 84 Der Gandersheimer Streit zwischen Willigis und Bernward belegt, wie beide Bischöfe synodale Entscheidungen blockieren konnten und selbst das einträchtige Zusammenwirken von Kaiser und Papst mit ihren jeweiligen Synoden sich nur schrittweise einer Entscheidung näherte, die dann wegen Ottos III. Tod unterblieb. Das Beharren des Mainzer Erzbischofs auf seinen Ansprüchen hatte sich bis dahin nicht überwinden lassen. Das Eingreifen Heinrichs II. führte 1007 zu einem Ausgleich. Seine Beziehungen zu Heinrichs Nachfolger Konrad II. nutzte dann Erzbischof Aribo von Mainz, um die Gandersheimer Frage erneut aufzurollen, nachdem seine vorausgegangenen Versuche bei seinem Amtsantritt und dem Bischofswechsel in seinem Suffraganbistum Hildesheim von Bernward zu Godehard erfolglos geblieben waren. 85 Bei einem Besuch des neuen Königs in Hildesheim im Januar 1025 wollten sowohl Godehard als auch Aribo den Herrscher zu einer Entscheidung bringen, der sie jedoch auf ein „placitum“ in Goslar vertagte. Auch dort blieb die Frage ungelöst, und nachdem es bei einem Besuch Konrads in Gandersheim zu einem Eklat zwischen Godehard und Aribo gekommen war, beschloss Konrad, in Grone jenen „hässlichen Streit auf einem Generalkonzil nach menschlichen und göttlichen Rechtsvorschriften zu entscheiden“. 86 Hier übertrug man Godehard erneut die Verwaltung von
84 MGH Concilia 6 (wie Anm.1), 195–202, die unvollständig erhaltene eigenhändige Unterschrift Martins 201 Z. 7f.: „(Mar)tinus episcopus sancte Ferariensis ecclesie huic paginam recredicionis et investicionis a me facta sicut super …“. Zur Bedeutung von recreditio/recredere vgl. J. F. Niermeyer/C. von de Kieft, Mediae Latinitatis Lexikon minus. Überarb. v. J. W. Burgers. 2 Vols. Darmstadt 2002, Vol.2, 1162f. (s.v. „recredere“). 85 Zu dieser (zweiten) Phase des Streits grundlegend Goetting, Hildesheimer Bischöfe (wie Anm.8), 237ff. (ebd.230f. zu den Quellen), vgl. auch Wolter, Synoden (wie Anm.2), 315ff., 332ff., Hehl, Mainzer Kirche (wie Anm.8), 269ff. 86 Vgl. die sogenannte Continuatio Vitae Bernwardi, in: MGH Scriptores. Bd.11. Hannover 1854, 165– 167, hier 167 Z. 24ff.: „rex […] in Gruna illam execrabilem discordiam generali sinodo secundum divina et humana diffinire disposuit“; daraus bei Detlev Jasper (Hrsg.), Die Konzilien Deutschlands und Reichsitaliens 1023–1059 (MGH Concilia, Bd.8.) Hannover 2010 [künftig: MGH Concilia 8], 72f. (Zitat 72 Z. 4ff.). Die Continuatio ist der Schluss der Hildesheimer Denkschrift zum Gandersheimer Streit, als letztes Ereignis wird die Synode von Grone erwähnt, vgl. Jasper 69 mit Anm.2.
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Gandersheim (die in Goslar an den Bischof von Halberstadt übergegangen war), bis eine „universalis synodus“ eine abschließende Lösung träfe. 87 Seit den Beschlüssen von Grone waren Synoden beauftragt, den Streit zwischen Aribo und Godehard zu beenden. Beide strebten dies auch in „privaten“ Zusammentreffen an. Als sie im Oktober 1025 in Geisleden zusammentrafen, warf sich Aribo seinem Suffraganbischof zu Füßen und beschwor diesen „humiliato vultu“, von seinen Ansprüchen auf Gandersheim abzulassen. Godehard antwortete mit dem gleichen Gestus. Vor den Füßen seines Metropoliten liegend, lehnte er dessen Ansinnen ab und bestand auf seinen Rechten, die er nur „in generali concilio et universali fratrum consilio“ aufgeben werde. 88 Beider Fußfall blieb folgenlos. Die Streitenden blieben auf ihren Standpunkten und bezogen bald unterschiedlich Stellung, wie die jeweiligen Ansprüche vor einer Synode zu beweisen seien. Auf einer Seligenstädter Provinzialsynode bot Aribo 1026 an, seinen Beweis durch die Zeugenaussagen von 100 Priestern und 300 oder mehr Laien zu erbringen. Godehard bestand hingegen darauf, allein Bischöfe könnten in diesem Streit Zeugen sein. 89 Auf der Frankfurter Synode des folgenden Jahrs hat Godehard diesen Einwand gegen den Beweisvorschlag Aribos wiederholt und die Synode dem Zeugnis von drei oder auch nur zwei Bischöfen den Vorrang vor den Aussagen von Laien zugestanden. 90 Godehard hatte sich gut präpariert. Einer damals in Hildesheim entstandenen Handschrift ist dem Sendhandbuch Reginos eine Kapitelfolge vorgeschaltet, in der nachdrücklich der Grundsatz vertreten wird, nur Bischöfe dürften über Bischöfe zu Gericht sitzen. Das dürfte bereits Allgemeingut gewesen sein. Denn Burchard von Worms hat diese Kapitel in sein Dekret aufgenommen. 91 Godehard ist es jedenfalls gelungen, die Solidarität seiner Mitbischöfe zu gewinnen. 87 Die Texte zu den folgenden Synoden jetzt in MGH Concilia 8 (wie Anm.86). Grone dort 69–73 (Nr.6). Neben der Continuatio berichtet Wolfhere, Vita prior Godehardi episcopi c. 8 über diese Synode (hrsg. v. Georg Heinrich Pertz, in: MGH Scriptores. Bd.11. Hannover 1854, 107–196), nur er erwähnt die zur weiteren Beratung angesetzte Universalsynode: ebd.187 Z. 22 = MGH Concilia 8, 73 Z. 12. 88 Wolfhere, Vita prior Godehardi c. 27, ed. Pertz (wie Anm.87), 187 Z. 47ff. 89 MGH Concilia 8 (wie Anm.86), 76 Z. 14ff., aus Wolfhere, Vita prior Godehardi c. 11, ed. Pertz (wie Anm.87), 189. 90 MGH Concilia 8 (wie Anm.86), 105 Z. 27ff. und 106 Z. 22ff., aus Wolfhere, Vita prior Godehardi cc. 32 und 33, ed. Pertz (wie Anm.87), 191 Z. 43ff. und 192 Z. 7ff. 91 Vgl. die Analyse der Handschrift Wolfenbüttel, Herzog-August-Bibliothek, 32 Helmst. durch Hoffmann /Pokorny, Burchard (wie Anm.6), 115ff., bes. 127ff.; Wilfried Hartmann, Probleme des geistlichen Gerichts im 10. und 11.Jahrhundert: Bischöfe und Synoden als Richter im ostfränkisch-deutschen Reich, in1 Settimane di studio del Centro italiano di studi sull’alto medioevo 44: La giustizia nell’alto medioevo (secoli
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Auf der Synode zu Seligenstadt war Bischof Werner von Straßburg der Fürsprecher Aribos gewesen, für Godehard wirkte Bruno von Augsburg. In Frankfurt verkündete Werner im Namen der übrigen Bischöfe den Vorrang der Aussagen von Bischöfen, und jetzt erklärten die Bischöfe, als erster Bruno von Augsburg, sie seien Zeuge gewesen, wie Erzbischof Willigis 1007 bei der Weihe der Gandersheimer Stiftskirche die Rechtmäßigkeit der Hildesheimer Ansprüche anerkannt habe. Und nun erging, wiederum durch Werner von Straßburg, die Entscheidung zugunsten Godehards, doch sollte sich eine weitere Synode nochmals dieser Angelegenheit widmen dürfen. 92 Ein letztes Mal versuchte Aribo 1028 auf der Synode von Pöhlde, das Blatt zu seinen Gunsten zu wenden. Doch allein der Kölner Suffraganbischof Sigibert von Minden setzte sich für ihn und eine Revision des Frankfurter Beschlusses ein. Bischof Meginhard von Würzburg widersprach. Das in Frankfurt ergangene bischöfliche Urteil könne nur von den Bischöfen insgesamt geändert werden, die es dort gefällt hätten. Die wenigsten von diesen waren aber auf der kurzfristig einberufenen Syno-
IX–XI). 11–17 aprile 1996. 2 Vols. Spoleto 1997, Vol.2, 631–672, hier 646f. Vgl. auch MGH Concilia 8 (wie
Anm.86), 76f. Anm.18. 92 MGH Concilia 8 (wie Anm.86), 104ff., aus Wolfhere, Vita Godehardi prior c. 33, ed. Pertz (wie Anm.87), 191f. Nach den Amtsdaten können von den in Frankfurt versammelten Mainzer Suffraganbischöfen nur Werner von Straßburg und Bruno von Augsburg an der Weihe von 1007 teilgenommen haben, von den übrigen Teilnehmern der Synode war sonst nur Hildeward von Zeitz 1007 im Amt. Vgl. die Teilnehmerliste MGH Concilia 8, 102 Z. 3ff. mit dem zugehörigen Kommentar. Bruno von Augsburg und Hildeward von
Zeitz haben Heinrichs II. Urkunde über die Weihe und den Ausgleich unterschrieben: Die Urkunden der deutschen Könige und Kaiser, Bd.3: Die Urkunden Heinrichs II. und Arduins (MGH Diplomata, Bd.3.) Hannover 1900–03, 293ff.: DH. II. Nr.255 (diese Urkunde von 1013 ist Zweitausstellung einer verlorenen von 1007). Da Werner von Straßburg 1007 nicht in Gandersheim zugegen gewesen war, liegen nur zwei bischöfliche Aussagen (Bruno und Hildeward) für Godehard vor. Das entspricht den Mindestforderungen, die Godehard auf der Frankfurter Synode erreicht hatte: „Fitque […] decretum, nullum ubique vel cleri vel populi testimonium supergredi III vel certe II testimonio episcoporum (MGH Concilia 8, 106 Z. 23f., aus Wolfhere c. 33, ed. Pertz 192 Z. 8f.). Die Anzahl von zwei oder drei Zeugen geht auf das Konzil von Nizäa 325 (c. 2) zurück und ist biblisch begründet, vgl. MGH Concilia 8, 106 Anm.91. Eine von Godehard ausgestellte Notitia (MGH Concilia 8, 111f.) aus einer 1943 verbrannten Handschrift des 15.Jahrhunderts führt sieben bischöfliche Zeugen für die Vorgänge von 1007 namentlich auf. In einer verschleiernden Formulierung („et audierant et viderant“) werden hier Augen- bzw. Ohrenzeugen zusammengerechnet (genannt sind dabei Sigibert von Minden und Meginward von Würzburg, die 1022 bzw. 1019 Bischof geworden waren). Augenzeuge ist 1007 auch Eberhard von Bamberg gewesen, der seit Sommer 1006 als Kanzler Heinrichs II. begegnet, bevor er im November 1007 zum ersten Bischof des neu gegründeten Bistums erhoben wurde. Eberhard hat am 1.Januar 1007 die in Pöhlde ausgestellten Urkunden DH. II. Nr.124 und 125 rekogniziert. Von Pöhlde war Heinrich zur Gandersheimer Kirchweihe gezogen.
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de zugegen. So blieb es bei der Entscheidung zugunsten von Hildesheim, doch ließ man die Möglichkeit zu einer erneuten synodalen Behandlung offen. 93 Jetzt beendete Aribo seine Bemühungen, diese revidieren zu lassen. Begonnen hatte er seinen Konflikt mit Godehard, als er diesen – begleitet von einigen Bischöfen – frühmorgens „heimlich (secretius)“ aufgesucht hatte, um den Hildesheimer zum Verzicht auf seine Ansprüche zu bewegen, bevor er ihn 1022 zum Bischof weihte. In einem ebenfalls „privaten“ Zusammentreffen von Aribo und Godehard wurde der Streit endgültig beigelegt. Als beide sich in Merseburg 1030 zu einem Hoftag Konrads II. eingefunden hatten, betrat der Mainzer Erzbischof eines Morgens „unvermutet das Schlafgemach“ Godehards. Unter vier Augen hatten sie eine längere Unterredung. Godehard erzählte später, Aribo habe eingestanden, mit seinen Ansprüchen auf die Rückgabe von Gandersheim „zum Teil unwissentlich geirrt, zum Teil böswillig gesündigt zu haben“. 94 Aribo habe um Verzeihung gebeten, nie mehr werde er derartige Forderungen erheben. Das Eingeständnis Aribos, im Unrecht gewesen zu sein, brachte das eigentliche Ende des Konflikts, den die Synodalen in Pöhlde nur formal und vorläufig beendet hatten, als sie verklausuliert weitere Beratungen zugelassen hatten. Aber auf einen „privaten“ Ausgleich der streitenden Bischöfe hatte man bereits 1027 in Frankfurt hingearbeitet. Hier hatte man die Behandlung der Gandersheimer Frage auf den zweiten Tag der Synode verschoben – „reconciliandi gratia“, um Ausgleich und Versöhnung zu ermöglichen. An diesem Tag, es war ein Sonntag, kamen die zur Synode angereisten Bischöfe vor Kaiser Konrad II. zusammen und versuchten in Verhandlungen, die fast den ganzen Tag andauerten, eine „reconciliatio“ zu bewirken. Erst als es sich herausgestellt hatte, dass dies ein vergebliches Bemühen war, wurde die Synode fortgesetzt. Während Aribo hoffte, dass man sich dort nicht mit dem Streitfall befasste, konnte Godehard, der sich nachdrücklich auch an den auf der Synode anwesenden Konrad wandte, dessen Behandlung erreichen. Aribo bat nochmals um
93
MGH Concilia 8 (wie Anm.86), 119ff., aus Wolfhere, Vita prior Godehardi c. 35, ed. Pertz (wie Anm.87),
193. 94
Wolfhere, Vita prior Godehardi c. 36, ed. Pertz (wie Anm.87), 193 Z. 51ff.: „Quadam vero die diluculo
ipse metropolitanus cubiculum nostri senioris inprovisus ingrediatur, et semotis omnibus solus cum solo diutissime colloquebatur, et ut ipse noster fidelibus suis ipso superstite asseruit, se in Gandeshemensis parrochiae repeticione pro parte ignoranter errasse, pro parte malignanter fatebetur peccasse.“ Zum Zusammentreffen Aribos mit Godehard vor dessen Bischofsweihe vgl. Wolfhere, Vita prior Godehardi c. 25, ed. Pertz 186 Z. 25ff.
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Unterbrechung der Synode, um sich mit den Bischöfen beraten zu können. Nun hoffte er auf einen Ausgleich außerhalb der Synode (oder nochmaligen Aufschub), was daran scheiterte, dass der zu diesen Gesprächen hinzugezogene Godehard dafür nicht die Zustimmung seines Dompropstes, Domdekans und anderer Hildesheimer Geistlicher erlangte. Das synodale Verfahren ließ sich nicht mehr aufhalten. 95 Aribos „privates“ Schuldeingeständnis scheint zu bestätigen, dass die Synoden des 10. und 11.Jahrhunderts kaum in der Lage waren, einen Streit unter Bischöfen zu beenden. Aber wurde synodale Entscheidung prinzipiell angestrebt? Denn das hätte bedeutet, einen Streit unter Bischöfen in der Regel vor eine Synode zu bringen und sich auf der Synode weiter zu streiten – oft vor den Augen des ebenfalls anwesenden Herrschers. Gerade die Vorgänge auf der Frankfurter Synode von 1027 zeigen, dass man die Konflikte außerhalb einer Synode in einem „informellen“ Gespräch der Beteiligten (falls notwendig unter Hinzuziehung ihrer Vertrauten) und weiterer Bischöfe durch eine „reconciliatio“ lösen wollte. Auf der Ingelheimer Synode war man 972 ähnlich verfahren, als es um die Pläne Ulrichs von Augsburg gegangen war, seinen Neffen Albero zum Nachfolger aufzubauen. 96 Streitentscheidung durch eine Synode war ein letztes Mittel, wenn die Streitenden sich mit allen Kräften gegen eine Einigung im Vorfeld wehrten. Wenn es aber von vornherein feststand oder zu erwarten war, dass sie sich auf der Synode einigen würden, wie es bei den auf Synoden gelösten Besitzstreitigkeiten italienischer Bischöfe anzunehmen ist 97, war die Synode eine Streitbeendigung in einem liturgischsynodalen Rahmen. Den Streit außerhalb einer Synode zu beenden, bedeutete nicht, den Herrscher aus dessen Lösung auszuschalten. Fast einen ganzen Tag lang suchten die Bischöfe in Frankfurt nach einer Lösung in Gegenwart Konrads II., bevor sie zusammen mit dem Kaiser in die Kirche zogen, um dort die zweite Sitzung der Synode zu beginnen. Die Synode sollte nicht zum Ort streitender Bischöfe werden, sondern die Eintracht der versammelten Bischöfe bezeugen und das Einvernehmen zwischen dem Herrscher und den Bischöfen seines Reiches.
95 MGH Concilia 8 (wie Anm.86), 101f. aus Wolfhere, Vita prior Godehardi c. 31–34, ed. Pertz (wie Anm.87), 190ff. 96 Siehe oben bei Anm.33. 97 Siehe oben bei Anm.40 und 84 zu dem Streit zwischen Parma und Bologna sowie Ravenna und Ferrara.
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Mit einem Geständnis, zu Unrecht einen Besitzanspruch gegen einen Mitbischof erhoben zu haben, ordnete sich der „Verlierer“ eines Verfahrens erneut in die einträchtige Gemeinschaft der Bischöfe ein. Eigentlich hatte er sie gar nicht verlassen, sofern er nicht hartnäckig die Rechtsansprüche seines Gegenspielers ignorierte und sich dem Rat seiner Mitbrüder, nachzugeben und einzulenken, verweigerte. Aribo von Mainz war durch seine Halsstarrigkeit zum Störenfried geworden, vor allem nachdem Godehard die Aussagen von Bischöfen zum alleinigen Kriterium einer Entscheidung des Streites um Gandersheim gemacht hatte. Zuletzt ergriff keiner seiner Suffraganbischöfe mehr für ihn Partei. Wenige Jahre zuvor hatten sie ihn noch unterstützt. Nachdem Irmgard von Hammerstein bei Papst Benedikt VIII. gegen die Trennung ihrer Ehe durch die Mainzer Provinzialsynode von 1023 appelliert hatte, hatte der Papst Aribo den Gebrauch des Palliums untersagt. 98 In einem Brief an den Papst protestierten die Mainzer Suffraganbischöfe gegen diese Maßregelung ihres Metropoliten. Es könne nicht sein, dass ihr „unschuldiger Metropolit“ auf Grund der „Angaben einer einzigen Frau“ in seiner Würde gemindert werde, „nichts habe jener nämlich außerhalb ihres gemeinsamen Rates und Urteils“ gegen diese unternommen. Auch Godehard hat diesen Brief unterschrieben. 99 Das Verbot von Nahehen war ein wichtiges Anliegen Aribos. Hier konnte er seine Suffragane hinter sich bringen – auf Provinzial- und Reichssynoden und auch in seinem drohenden Konflikt mit dem Papst. In der Auseinandersetzung mit Godehard ist ihm das nicht gelungen.
98
Zu dem 1016/17 einsetzenden Hammersteiner Ehehandel vgl. etwa Hartmut Hoffmann, Mönchskönig
und rex idiota. Studien zur Kirchenpolitik Heinrichs II. und Konrads II. (MGH Studien und Texte, Bd.8.) Hannover 1993, 53ff.; Karl Ubl, Inzestverbot und Gesetzgebung. Die Konstruktion eines Verbrechens (300– 1100). (Millenium-Studien, Bd.20.) Berlin 2008, 402ff. und speziell 417ff. Dazu auch Hehl, Mainzer Kirche (wie Anm.8), 259f., 264ff., Wolter, Synoden (wie Anm.2), 271ff. u.ö. Die Mainzer Provinzialsynode in: MGH Concilia 8 (wie Anm.86), 1ff. (Nr.1). 99
Der Brief der Mainzer Suffragane in MGH Concilia 8 (wie Anm.86), 57f., dort 51f. zu dessen Zusam-
menhang mit einer Mainzer Provinzialsynode in Höchst, zu der Aribo für den 13.Mai 1024 eingeladen hatte, deren Zusammentreten aber nicht gesichert ist. Vgl. auch Böhmer/Zimmermann, Papstregesten (wie Anm.73), Nr.1266 und 1275.
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VIII. Auch bei den Verfahren gegen Bischöfe, einschließlich des Papstes als Bischof von Rom, wegen krimineller Vergehen oder Usurpation ihrer Würde spielte das Geständnis vor der Synode eine entscheidende Rolle. Wie freiwillig es abgelegt wurde, lässt sich im Nachhinein naturgemäß nicht mehr erkennen, wohl aber, ob und wie es ausgehandelt wurde und welche Funktion ihm in Verfahrensfragen zukam. Deutlich treten Unterschiede zwischen den römischen bzw. anderen vom Papst geleiteten Synoden und den nordalpinen hervor, auch wenn nur von wenigen Synoden Genaueres überliefert ist. Für das nordalpine Verfahren bildet die Absetzung Erzbischofs Arnulfs von Reims in St-Basle 991 die wichtigste Quelle. Das Vorgehen weist über den Einzelfall hinaus, denn die Synodalen stellten sich bewusst in die Tradition älterer Versammlungen, auf denen Reimser Erzbischöfe abgesetzt worden waren, und wollten ebenso bewusst römischen Vorbildern nicht folgen. Vor allem orientierten sie sich an der Absetzung Erzbischof Ebos, die 835 auf der Synode von Diedenhofen vollzogen worden war, indem Ebo eine Abdankungserklärung unterzeichnete. 100 Auf zwei Sitzungen der Synode hat Arnulf ein Geständnis abgelegt. Vor den Bischöfen, mit denen er sich zu Beratungen abseits der Synode zurückgezogen hatte, gab er schließlich zu, dass die gegen ihn erhobenen Vorwürfe zuträfen, und bat, ihn aus seinem bischöflichen Amt zu entfernen. 101 Die Bischöfe ihrerseits riefen diejenigen ihrer Amtsbrüder, die auf der Synode zurückgeblieben waren, zu sich, und diese bestanden darauf, dass Arnulf seine Aussagen vor ihnen wiederhole und bestätige, nicht zu falschen Aussagen gezwungen worden zu sein. Nochmals wurde der Kreis erweitert. Rund dreißig Äbte und Kleriker kamen hinzu, denen auf Arnulfs Geheiß und in seiner Gegenwart der Inhalt seines Geständnisses mitgeteilt wurde. Danach beriet die ganze Gruppe, auf welche Weise man einerseits die Details der Aussagen Arnulfs, die „sub nomine confessionis“ erfolgt waren, vor dem übrigen Klerus
100 Zur Orientierung an der Reimser Tradition vgl. St-Basle c. 28 die Rede Arnulfs von Orléans mit Verweis auf die Absetzung von Egidius und Ebo: MGH Concilia 6 (wie Anm.1), 427 Z. 6ff.; c. 40 „lex“ und „consuetudo“ bei der Bischofsabsetzung (ebd.442); c. 47 nochmals die Absetzungen von Egidius und Ebo als Vorbild und Ablehnung des „mos Romanus“ (ebd.445); cc. 54 und 55 zum Libell Ebos (ebd.448 Z. 21ff.). Zu Diedenhofen 835 knapp Hartmann, Synoden (wie Anm.2), 188f. – Siehe auch oben den Abschnitt V. (bei Anm.53ff.). 101 Hierzu insgesamt St-Basle 991 c. 40, MGH Concilia 6 (wie Anm.1), 440ff.
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und Volk geheim halten, andererseits deren Begehren nach einer Amtsenthebung Arnulfs nachkommen könne. Die Lösung fand man in den Kanones und in den Dokumenten zur Absetzung Ebos. Gesucht hatte man nicht nur nach Vorschriften, wonach Arnulf abzusetzen sei, sondern auch nach einem entsprechenden Zeremoniell. Die Absetzung sollte „gefeiert“ werden, sie sollte ein liturgisches Fest sein. 102 Am folgenden Tag kam es zu einem neuerlichen Geständnis Arnulfs, diesmal in „öffentlicher“ Sitzung der Synode, zu der auch die Könige Hugo und Robert erschienen waren. Im Namen derjenigen, die Zeugen von Arnulfs „erstem“ Geständnis gewesen waren, berichtete Bischof Arnulf von Orléans darüber, und der geständige Erzbischof erklärte, bei seinen Aussagen und seinem Schuldbekenntnis bleiben zu wollen und dass der Bischof von Orléans für ihn sprechen solle. Arnulf von Orléans wies das Begehren des Grafen von Paris zurück, Einzelheiten zu erfahren. Arnulf von Reims warf sich nun vor den Königen nieder und bat um sein Leben. Kniefällig schloss sich Erzbischof Daibert von Bourges dem an, und die Könige gewährten Gnade. Nun gab Arnulf von Reims die Insignien seiner erzbischöflichen Stellung den Königen bzw. den Bischöfen zurück und verlas die inzwischen niedergeschriebene Erklärung zu seinem Amtsverzicht, um sie danach zu unterschreiben. Auch die Bischöfe, vor denen er gestanden hatte, unterschrieben auf seine Bitte und erklärten einzeln: „Gemäß deinem Geständnis und deiner Unterschrift weiche von deinem Amt.“ Abschließend entband der ehemalige Erzbischof Klerus und Volk von den Eiden, die sie ihm geleistet hatten; die Einsetzung eines neuen Erzbischofs in Reims sollte dadurch ermöglicht werden. 103 Der Kern dieser Erklärung Arnulfs liegt in der Aussage, gesündigt zu haben und nach dem Heilmittel der Buße („remedium penitendi“) sowie seinem Seelenheil zu streben. Deshalb verzichte er auf das bischöfliche Amt, dessen er unwürdig sei und dessen er sich durch seine Vergehen begeben habe, in denen gesündigt zu haben er bereits „im Geheimen (in secreto)“ gestanden habe. 104 Deutlich sind 991 zwei Phasen in dem Verfahren zur Absetzung Arnulfs zu unterscheiden: Das „geheime“ Einge-
102 St-Basle 991 cc. 41–42, ebd.442ff. Zur Absetzung als Fest vgl. c. 40 (442 Z. 7): „depositionis celebritas“, cc. 42 und 43 „depositionis festum/festivitas“ (442 Z. 12 und 443 Z. 2). Vgl. auch die Arnulf vor der Unterzeichnung des Abdankungslibells gestellte Frage: „utrum abdicationem suam ex auctoritate canonum sollempniter celebrari vellet“ (c. 53, 448 Z. 15f.). 103 St-Basle 991 cc. 52–54, MGH Concilia 6 (wie Anm.1), 447ff. 104 Vgl., auf Ebo von Reims bezogen, Steffen Patzold, Episcopus. Wissen über Bischöfe im Frankenreich des späten 8. bis frühen 10.Jahrhundert. (Mittelalter-Forschungen, Bd.25.) Ostfildern 2008, 197.
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ständnis seiner Sünden (c. 40) und der hierbei verabredete öffentliche Verzicht auf das Bischofsamt als Folge dieser Sünden auf der letzten Sitzung der Synode (c. 54). Arnulf von Reims zieht die Konsequenzen aus seinem als „Sünde“ bekannten Fehlverhalten und verzichtet auf sein Amt. Immer wieder betonen die Synodalakten von St-Basle die Freiwilligkeit seines Geständnisses und seines Amtsverzichtes. Das alles ist in ausführliche Zitate aus den Kanones eingekleidet. Deren Geltung bezweifelt keiner der Synodalen, ihre Gültigkeit für seinen Fall erkennt Arnulf selbst an. Seine „Absetzung“ wird deshalb zur liturgischen „Feier“. Sie feiert die Wiederherstellung einer Ordnung, zu der auch Arnulf mit seinem Amtsverzicht beiträgt. Zwischen allen Beteiligten herrscht Konsens: zwischen den Königen, den zur Synode versammelten Bischöfen, den Äbten, die Arnulfs Verteidigung übernommen hatten, und schließlich dem geständigen, zur Buße bereiten und Verzicht leistenden Arnulf. Mit diesem Konsens hoffte man den Konflikt ein für allemal zu beenden. Die römischen und päpstlichen Synoden hinterlassen ein anderes Bild. Hier werden Fehlverhalten und Schuld weniger gestanden als festgestellt. Den Bischöfen von Porto und Albano, die an der Weihe Leos VIII. mitgewirkt haben, lässt Johannes XII. 964 ein Schild in die Hand drücken, auf dem ihr Vergehen notiert ist. Auch wenn das in der Ich-Form niedergeschrieben ist, über Freiwilligkeit und Geständnis sagt das nichts aus, sondern nur über einen bekannten Tatbestand und dessen Bewertung als „unkanonisch – contra canones“. 105 998 muss Wadald von Vich vor Papst Gregor V., Kaiser Otto III. und einer römischen Synode zugeben, das Bistum gewaltsam an sich gebracht zu haben. Doch dieses Geständnis ist vor allem der unwiderlegbare Beweis für die Illegitimität seiner Bischofswürde, die ihm nun gemäß der Kanones entzogen wird 106, und zwar in einem von Gregor befohlenen Zeremoniell. Hatte Arnulf von Reims die Zeichen seiner Bischofswürde „freiwillig“ zurückgegeben, so werden sie Wadald „gewaltsam“ entrissen. Ähnlich gewaltsam erschien dem nordalpinen Fortsetzer der Chronik Reginos das Vorgehen Leos VIII. gegen Benedikt V., wenn er berichtet, Leo selbst habe seinem Kontrahenten den Bischofsstab entrissen und zerbrochen. 107 Aus dem als Beweis dienenden Geständnis erwächst ein endgültiges Urteil, das die Strafe der Absetzung verfügt. 105 MGH Concilia 6 (wie Anm.1), 249 Z. 18ff. 106 Das Geständnis als entscheidendes Element des Beweises wird 998 ausdrücklich genannt: „Tunc nos deinceps hec audientes et eius verbis magis quam aliorum testimoniis credentes cepimus perquirere sanctos canones“ (MGH Concilia 6 [wie Anm.1], 554 Z. 4ff. 107 Siehe oben bei Anm.48.
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Ausschlaggebend für die Unterschiede zwischen der Entscheidung von St-Basle und den päpstlichen Synodalurteilen ist jedoch nicht, dass in St-Basle die Verfehlungen eines legitimen Bischofs während seiner Amtszeit zur Debatte standen, während es bei Letzteren um die Usurpation einer Bischofswürde ging. Denn den Synodalen von St-Basle missfiel der „mos Romanorum“ im Umgang mit „straffälligen“ Bischöfen überhaupt. 108 Auch das Zusammenwirken von Kaiser und Papst ist für die Härte der römisch-päpstlichen Verfahren nicht verantwortlich, denn Johannes XII. ging 964 auf seiner Synode ähnlich rabiat mit den Bischöfen um, die ihn im Zusammenspiel mit dem Kaiser abgesetzt hatten. Es lassen sich vielmehr zwei Verfahrensmaximen unterscheiden. Bei den päpstlichen Synoden standen Beweis (am besten durch Geständnis) und Strafurteil im Vordergrund sowie die richterliche Autorität des Papstes. Bei den nordalpinen Synoden sollten Eingeständnis des Fehlverhaltens und Bereitschaft zu Wiedergutmachung und Buße (auch durch Amtsverzicht) den Konflikt beenden. Diese Mittel zur Konfliktbeilegung sind in die Modelle konsensualer Herrschaft 109 einzuordnen, denn mit dem Eingeständnis seines Fehlverhaltens fand der Beschuldigte zu der „Konsensgemeinschaft“ der Bischöfe zurück, indem er die Kriterien als gültig anerkannte, die ihn ins Unrecht gesetzt hatten. Der bischöfliche Konsens beruhte auf der Orientierung an der kirchlichen Tradition und den Kanones. Zu einem Konsens zu finden, war deshalb erforderlich, weil die Bischöfe durch ihre Weihe gleichberechtigt waren – bei allen Unterschieden im persönlichen Ansehen oder im Rang der Bischofskirchen, denen sie vorstanden. Wenn der Herrscher auf der Synode zugegen war, war er in diese bischöfliche Konsensgemeinschaft einbezogen. Das förderte einerseits die Bereitschaft der Bischöfe zum Konsens, andererseits konnte es den Herrscher dazu bringen, frühere Positionen aufzugeben, die keine Zustimmung der Synode fanden, sondern auf deren Widerspruch stießen. Das Aufgeben der Vereinbarung zwischen Otto dem Großen und Ulrich von Augsburg zur Nachfolge von Ulrichs Neffen in der Augsburger Bischofswürde belegt eindringlich das Interesse des Herrschers, im Einvernehmen mit sei-
108 Siehe oben bei Anm.58 und 106. 109 Zum Begriff grundlegend Bernd Schneidmüller, Konsensuale Herrschaft. Ein Essay über Formen und Konzepte politischer Ordnung im Mittelalter, in: Paul-Joachim Heinig/Sigrid Jahns/Hans-Joachim Schmidt u.a. (Hrsg.), Reich, Regionen und Europa in Mittelalter und Neuzeit. Festschrift für Peter Moraw. (Historische Forschungen, Bd.67.), Berlin 2000, 53–87. Hinsichtlich des Zusammenwirkens von Herrscher und Bischof Hagen Keller, Über die Rolle des Königs bei der Einsetzung der Bischöfe im Reich der Ottonen und Salier, in: Frühmittelalterliche Studien 44, 2010, 153–174, hier 168ff.
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nen Bischöfen zu bleiben. Gleichzeitig ist die Ingelheimer Synode von 972, auf der Otto der Große und Ulrich von Augsburg sich dem bischöflichen Einspruch fügten, die liturgische Feier der Eintracht unter den Bischöfen und zwischen dem Herrscher und dem Episkopat seines Reiches. 110 Die Gleichberechtigung der Synodalteilnehmer gab jedoch dem Konsens zwischen König und Bischöfen einen besonderen Charakter. Für das Königtum lassen sich „innere Zirkel“ von Beratern ausmachen, deren Konsens der Herrscher suchte, bevor es zu einer allgemeinen Beratung kam. Diesem Kreis anzugehören, war das Streben der Großen des Reiches einschließlich der Bischöfe und darum rivalisierten sie. 111 Die Bischöfe aber bildeten auf den Synoden wiederholt selbst kleinere Gruppen, um untereinander zu beraten, während der Herrscher auf der Synode blieb. Dem Herrscher gegenüber traten sie dann als Gesamtheit auf. 112 Vor dem Herrscher zu streiten, lag nicht in ihrem Interesse. Das Streben der Synoden nach Konsens eröffnete streitenden Bischöfen taktische Möglichkeiten, die nicht ausschließlich auf prozessrechtlichen Verfahrensweisen beruhten. Bitten um die Vertagung einer Entscheidung oder um Behandlung des streitigen Problems auf einer größeren Versammlung, wie sie Erzbischof Giselher von Magdeburg vortrug 113, signalisierten die Bereitschaft, sich einer konsensualen Entscheidung anzuschließen. Der Druck, solches zu tun, war groß. Ihm konnte man sich am leichtesten entziehen, wenn man erst gar nicht auf einer Synode erschien, von der man befürchtete, sie werde sich gegen die behaupteten Rechte und Ansprüche wenden. Im Streit der Erzbischöfe Hugo und Artold um das Erzbistum Reims ist Hugo so auf keiner der zu dessen Behandlung einberufenen Synoden erschienen: weder in Verdun (November 947), noch in Mouzon (Januar 948), noch in Ingelheim (Juni 948). Doch unmittelbar vor der Eröffnung der Synode von Mouzon ist Hugo
110 Siehe oben bei Anm.38. 111 Vgl. Steffen Patzold, Konsens und Konkurrenz. Überlegungen zu einem aktuellen Forschungskonzept der Mediävistik, in: Frühmittelalterliche Studien 41, 2007, 75–103, bes. 88. 112 Gemeinsames Auftreten wird in Ingelheim 972 deutlich: Nach den Verhandlungen abseits der Synode und „mit Einwilligung der anderen Bischöfe – cum consensu aliorum antistitum“ erreicht Ulrich von Otto dem Großen die Zustimmung zur dort verabredeten Lösung (MGH Concila 6 [wie Anm.1], 328 Z. 33ff.), aus Gerhard von Augsburg, Vita s. Uodalrici I, 23, ed. Berschin/Häse [wie Anm.33], 258 Z. 94ff.). Auf der Frankfurter Synode 1007 ließ der Bischof von Würzburg an die bischöfliche Solidarität appellieren, um die Gründung eines Bistums in Bamberg zu Lasten seiner Diözese abzuwenden, vgl. Hehl, Bischöfliche Zustimmung (wie Anm.8), 295ff. und 342f. 113 Siehe oben bei Anm.66.
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mit Erzbischof Ruotbert von Trier, der die Leitung übernehmen sollte, zusammengetroffen. Offenbar sah er keine Aussicht auf Erfolg und blieb deshalb der Synode selbst fern. Ein Brief Papst Agapits II., der seine Wiedereinsetzung verfügte und den Hugo der Synode durch einen Kleriker vorlegen ließ, konnte das Blatt nicht zu seinen Gunsten wenden. Die Synodalen entschieden, Artold solle weiterhin im Besitz der erzbischöflichen Würde bleiben und setzten Hugo schriftlich erneut einen Termin für die in Ingelheim anberaumte Synode. Hugo hat am nächsten Tag die Vorladung den Synodalen zurückgesandt, mit dem Bemerken, „er werde ihrem Urteil niemals folgen“. 114 Die Ingelheimer Synode urteilte dann endgültig im Sinne Artolds, ihre Verurteilung Hugos hat Papst Agapit II. im folgenden Jahr auf einer römischen Synode bestätigt. 115 Den in diesem Streit unterlegenen Hugo hat die Synode von Ingelheim mit dem Anathem belegt. Er, der hartnäckig den Konsens verweigert hatte, wurde aus der kirchlichen Gemeinschaft ausgeschlossen. Die Bereitschaft, sein Vergehen einzugestehen und gemäß dem Urteil einer Synode Buße auf sich zu nehmen, war das Merkmal von derartigem Konsens. Auch wenn man ihn verweigerte, blieb die Möglichkeit zur Umkehr offen. Zu Beginn des 10.Jahrhunderts hat Regino von Prüm Formeln zur Exkommunikation und zur Rekonziliation in sein Sendhandbuch aufgenommen. Sie sind hier erstmals überliefert und wurden dann zu grundlegenden liturgischen und rechtlichen Texten. Das „Pontificale Romano-Germanicum“ hat sie übernommen, über Burchard von Worms haben sie weiter in das kirchliche Recht hineingewirkt bis hin zum „Decretum Gratiani“. 116 Die Exkommunikation soll bestehen bleiben, bis der Exkommunizierte 114 MGH Concilia 6 (wie Anm.1), 139ff., aus Flodoard, Annalen (ed. Lauer [wie Anm.30], 109ff.); die genannten Synoden MGH Concilia 6, 128ff. (Nr.11–15). 115 Ingelheim 948 c. 2, MGH Concilia 6 (wie Anm.1), 160; die nur aus den Annalen Flodoards (ed. Lauer [wie Anm.30], 125) bekannte römische Synode ebd.171ff. (Nr.15). Nach Flodoards Bericht über die Ingelheimer Synode hat man Hugo aber die Möglichkeit eingeräumt, durch Wiedergutmachung in den Schoß der Kirche zurückzukehren. Das über Hugo verhängte Anathem gilt, „donec ad poenitentiam et dignam satisfactionem venire procuret“ (MGH Concilia 6, 142 Z. 13ff. = Lauer 115). Das spiegelt die „nordalpine“ Tendenz zu konsensualen Lösungen. Der Ingelheimer Kanon hat nur für diejenigen Bischöfe, die Hugo ordiniert hatten oder von ihm ordiniert worden waren, einen weiteren Termin in Trier verfügt. Zur Befristung einer Exkommunikation vgl. das Folgende. 116 Wilfried Hartmann (Hrsg.), Das Sendhandbuch des Regino von Prüm. (Ausgewählte Quellen zur deutschen Geschichte des Mittelalters. Freiherr-vom-Stein Gedächtnisausgabe, Bd.42.) Darmstadt 2004, 439ff., hier II, 412–418. Das folgende Zitat (Übersetzung) ebd.447 (aus II, 418). Die Reginotexte stehen bei Burchard XI, 2–8; im Pontificale Romano-Germanicum in den Ordines 85–89 und 91 (Rekonziliation, erweitert durch
Gebetstexte), ed. Vogel/Elze (wie Anm.21), Bd.1, 308ff. Vgl. auch im Decretum Gratiani Causa 11 questio
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einlenkt („resipiscere“) und zur Umkehr und Buße bereit ist. Die Rekonziliation soll der Bischof gewähren, wenn der Exkommunizierte „auf die Erde hingestreckt Vergebung fordert, die Schuld bekennt, Buße erfleht und für die Zukunft Sicherheit verspricht“. Konsensuale Herrschaft bedeutet nicht, dass die jeweilige Gesellschaft frei von Konflikt war. Doch die konsensualen Herrschaftsformen entwickelten spezifische Möglichkeiten, Konflikte zwischen dem Herrscher und seinen Großen zu beenden und zu neuem Konsens zu finden. Eingeständnis von „politischem“ Fehlverhalten, Unterwerfung mit Annahme von Strafe in der Form vorübergehenden Huldverlustes und die Zusicherung erneuter Huldgewährung sind hierbei die entscheidenden Stationen. 117 Im kirchlichen Bereich entspricht dem die Reihe: Beichte, Reue, Buße und Wiedergutmachung und schließlich Rekonziliation. Beide Handlungsketten sind von dem Prinzip der Freiwilligkeit bestimmt, die auf kirchlich-theologischem Feld konstituierend ist. Den „Übeltäter“ einschließende konsensuale Konfliktbeilegung ließ sich bei manchen Synoden des 10. und frühen 11.Jahrhunderts gerade im nordalpinen Raum beobachten. Gleichzeitig folgten diese Synoden konfliktmindernden Beratungsmodellen, wie sie die Synodalordines vorgaben. Konsensuale Herrschaft hat so auch eine religiös-kirchliche Wurzel, die sowohl das Handeln des Herrschers als auch der Bischöfe prägte, die sich auf Synoden zu „Konsensgemeinschaften“ zusammenfanden. Neben dem auf Beichte und Buße beruhenden Konsensmodell existierte eine Verfahrensweise, die auf Beweis, Geständnis und Strafe aufbaute. Hier beruhte ein Geständnis nicht auf Freiwilligkeit, sondern war die Folge einer erdrückenden Last von Beweisen. Auch nordalpinen Synoden war dieses Verfahren nicht fremd. Der Kleriker Hugos von Reims, der auf der Synode von Mouzon den Papstbrief zugunsten seines Herrn vorgelegt hatte und auf der Synode von Ingelheim nochmals erschienen war, verurteilte man, weil er den Brief Agapits im Auftrag seines Herrn unter Vorlage gefälschter Schreiben von Bischöfen der Reimser Kirchenprovinz erschlichen habe, wegen Verleumdung und Urkundenfälschung. 118 Ähnlich verurteilte man in St3 cc. 107 und 108, Aemilius Friedberg (Hrsg.), Corpus Iuris Canonici. 2 Bde. Leipzig 1879, Bd.1: Decretum magistri Gratiani, 1879, 674. 117 Vgl. hierzu vor allem die Aufsatzsammlung Gerd Althoff, Spielregeln der Politik im Mittelalter. Kommunikation in Frieden und Fehde. Darmstadt 1997. 118 MGH Concilia 6 (wie Anm.1), 141 Z. 11ff., aus Flodoard, Annales ad annum 948, ed. Lauer (wie Anm.30), 113f. In seiner Reimser Kirchengeschichte berichtet Flodoard wortgleich darüber: IV, 35: Flo-
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Basle ohne weitere Umschweife den Kleriker Adalgar, weil er sich den Machenschaften Arnulfs von Reims angeschlossen habe. Arnulf selbst aber behandelte man schonungsvoller. 119 Die päpstlichen Synoden hingegen machten in Verfahren über bischöfliches Fehlverhalten wenig Federlesen. Die Bischöfe, die an der Weihe Leos VIII. mitgewirkt haben, wurden bestraft: Sico von Ostia, der sich der Synode Johannes XII. nicht gestellt hatte, auf Lebenszeit, ohne ihm die Hoffnung auf Restitution einzuräumen. Die Urteilsformel folgt hierbei wörtlich den Beschlüssen einer römischen Synode Papst Nikolaus’ I. vom August (oder Frühjahr) 863. 120 Wadald wurde 998 als Invasor von Vich abgesetzt. 121 Am Jahreswechsel 998 verfügte eine römische Synode Gregors V. in Gegenwart Ottos III., wie mit Erzbischof Giselher von Magdeburg weiterhin zu verfahren sei, wenn – wie beschlossen – das Bistum Merseburg, von dem Giselher bei dessen Auflösung 981 nach Magdeburg gewechselt war, wieder hergestellt werde. Genau wird festgelegt, was Giselher im Einzelnen nachzuweisen habe und welche Konsequenzen daraus jeweils erwüchsen. In ihrem nächsten Kapitel beschloss die Synode die Entfernung des Bischofs Stephan von Le Puy aus dem priesterlichen Ordo. Der Erzbischof von Bourges wurde zusammen mit dem Bischof von Nevers nach Rom zitiert, weil sie Stephan unrechtmäßig zum Bischof geweiht hätten. Ähnlich sollten sich Erzbischof Erchembald von Tours und alle anderen Bischöfe vor dem Papst rechtfertigen, die an der unkanonischen Eheschließung König Roberts von Frankreich mit Bertha von Burgund mitgewirkt hatten. 122 Derartige päpstliche Festlegungen und Interventionen ließen wenig Verhandlungsspielraum, einen Streit durch Konsens aller Beteiligten zu lösen, wie es die nordalpinen Synoden in ihren oft langwierigen Verfahren versuchten. Konsens unter den Bischöfen, aber auch Konsens zwischen Bischöfen und König waren in solcher Perspektive eher zweitrangig. Bischöfliche Konsenssuche und päpstliche Entscheidungsgewalt gerieten in Konflikt, als Papst Gregor VII. die Simonieanklagen
doard von Reims, Historia Remensis ecclesiae. Hrsg. v. Martina Stratmann. (MGH Scriptores, Bd.36.) Hannover 1998, 434 Z. 20ff.. Die Synodalakten erwähnen die Verurteilung des Klerikers nicht. 119 Die Verurteilung Adalgars St-Basle 991 c. 55, MGH Concilia 6 (wie Anm.1), 450. Siehe auch oben bei Anm.63. 120 MGH Concilia 6 (wie Anm.1), 250 Z. 21, mit Kennzeichnung der aus Rom 863 übernommenen Stellen; vgl. auch Hehl, Synode 964 (wie Anm.45), 268f. 121 Siehe oben bei Anm.49. 122 Vgl. Rom 998/999 cc. 3 und 4 (Wiederherstellung Merseburgs und Giselher), 5–8 (Le Puy), 1 und 2 (Ehe Roberts des Frommen), MGH Concilia 6 (wie Anm.1), 574ff.
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von „einfachen“ Geistlichen annahm und die zuständigen Erzbischöfe mit oder ohne Einschaltung einer Synode diese Simonieprozesse durch päpstliche Vorgaben führen lassen wollte. 123 Gregor ignorierte damit den unterschiedlichen Weihegrad von Bischöfen und niederem Klerus, während für die Bischöfe ihr herausgehobener Weihegrad Voraussetzung für ihre richterliche Gewalt, ihre Gleichberechtigung und ihr Streben nach konsensualen Lösungen war. Als die deutschen Bischöfe 1076 in Worms Gregor VII. den Gehorsam und die Anerkennung als Papst aufkündigten, warfen sie ihm vor, den Bischöfen ihre auf der Weihe beruhende Gewalt nehmen zu wollen. Heinrich IV. sah sich selbst durch Gregors Behandlung der Bischöfe angegriffen, seien diese doch als „die liebsten Glieder“ mit ihm vereint. 124 Im Licht der Vorgänge von 1076 lassen sich zwar idealtypisch ein päpstlich-autoritatives und ein bischöflich-konsensuales Verfahren einander gegenüberstellen, aber die historische Wirklichkeit des 10. und frühen 11.Jahrhunderts war bunter. Dass sich in einem Bischofsprozess, der zu den „causae maiores“ zählte, der Papst nicht übergehen ließ, war inzwischen allgemeine kirchenrechtliche Überzeugung. 125 Die Synodalen von St-Basle teilten sie und legten dar, alles getan zu haben, um die Stellungnahme und Entscheidung des Papstes zu ermöglichen. 126 Ihre konsensuale, den bußfertigen Arnulf von Reims einschließende Lösung schien geeignet, eine Appellation an den Papst zu verhindern bzw. diesem, falls er intervenieren soll123 Vgl. Rudolf Schieffer, Spirituales latrones. Zu den Hintergründen der Simonieprozesse in Deutschland und Frankreich zwischen 1069 und 1075, in: Historisches Jahrbuch 92, 1972, 19–60, bes. 41ff. zu Pibo von Toul und mit Verknüpfung zum Wormser Absageschreiben der Bischöfe an Gregor (46); allgemein ders., Geistliches Amt und schnöder Mammon. Zur Bewertung der Simonie im hohen Mittelalter, in: Jürgen Petersohn (Hrsg.), Mediaevalia Augiensia. Forschungen zur Geschichte des Mittelalters. (Vorträge und Forschungen, Bd. 54.) Stuttgart 2001, 359–374, bes. 373f. 124 Carl Erdmann (Hrsg.), Die Briefe Heinrichs IV. (Deutsches Mittelalter, Bd.1.) Leipzig 1937, 65ff. (Absageschreiben der Bischöfe), hier 66 Z. 19ff.; ebd.13ff. (Nr.11, das Schreiben Heinrichs), hier 14 Z. 10ff.; ähnlich auch die im Reich verbreitete „Propagandafassung“ des Briefes, ebd.15ff. (Nr.12), hier 15 Z. 15ff. Lateinisch/Deutsch in: Franz-Josef Schmale/Irene Schmale-Ott (Hrsg.), Quellen zur Geschichte Kaiser Heinrichs IV. (Ausgewählte Quellen zur deutschen Geschichte des Mittelalters. Freiherr vom Stein-Gedächtnisausgabe, Bd.12.) Darmstadt 1963, 62–69 und 470–475. 125 Fuhrmann, Pseudoisidorische Fälschungen (wie Anm.31), Bd.1, 146f., Bd.2, 258f.; Martin Boye, Die Synoden Deutschlands und Reichsitaliens von 922–1059. Eine kirchenverfassungsgeschichtliche Untersuchung, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Kanonistische Abteilung 18, 1929, 131– 284, hier 199f. und 209f. (dort der Hinweis, dass sich der Papst in Bischofsangelegenheiten in der Regel eines Beraterkreises/einer Synode bediente; Beratung des Papstes durch Synoden betont Wolter, Synoden [wie Anm.2], 493, dort die Formulierung: „Primatsausübung in synodaler Form“). 126 Siehe oben bei Anm.69.
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te, eine Bestätigung ihrer Entscheidung nahezulegen. Umgekehrt waren die päpstlichen Entscheidungen in dem Streit zwischen Willigis und Bernward um Gandersheim gleichzeitig Appell, endlich in diesem Sinne zu einem Konsens zu finden. Für beide und auch andere Fälle gilt: Päpstliche und bischöfliche Aktionen waren miteinander verwoben und (noch) nicht zu einem Instanzenzug hierarchisiert. 127 Hinsichtlich der „Rolle des Königs bei der Einsetzung der Bischöfe im Reich der Ottonen und Salier“ hat Hagen Keller kürzlich geurteilt: „Unter der Perspektive eines Handelns, das trotz hoher Konfliktbereitschaft letztlich auf Konsens und Integration gerichtet blieb, ließe sich vieles angemessener beurteilen“, und: „im Konsens kann und soll die gottgewollte Ordnung aufscheinen.“ 128 Das lässt sich auf die Streitbeendigung durch Synoden übertragen. Für die Bischöfe beruht dieses Modell auf Weihe, Konsens und Buße und integriert auch die von Gott verliehene königliche Gewalt in diese Prozesse. 129 Schon in ottonisch-frühsalischer Zeit wirkt parallel dazu ein Modell, das auf (päpstlicher) Jurisdiktionsgewalt und Strafe aufbaut. Konsens und königliche Gewalt lassen sich in dieses zwar integrieren, bleiben wünschenswert, sind aber nicht mehr erforderlich. Zu einer ausdrücklichen Trennung und Hierarchisierung beider Modelle ist es im 10. und frühen 11.Jahrhundert jedoch noch nicht gekommen, sondern diese Prozesse sind erst danach durch die gregorianische Reform angestoßen und beschleunigt worden.
127 Boye, Synoden (wie Anm.125), 204ff., zeigt die Vielfältigkeit des synodalen „Instanzenzugs“, vgl. bes. 214f. die Systematisierung zu zwei Reihen, die sich aber „keineswegs“ ausschließen. Wolter, Synoden (wie Anm.2), vermeidet in seiner Zusammenfassung (bes. 432ff. und 482ff.) die Begriffe „Instanz / Instanzenzug“. 128 Keller, Rolle (wie Anm.109), 170 und 171. 129 Zur Bedeutung von Weihe und Buße im Selbstverständnis der Bischöfe Patzold, Episcopus (wie Anm.104), 529f. Patzolds Ergebnisse gewinnen an Überzeugungskraft, weil sich auch die Bischöfe selbst der Buße unterwarfen; siehe oben bei Anm.104 zum „remedium penitentiae“ für Arnulf von Reims. Hier wird nochmals der Unterschied zwischen einer auf Buße oder auf Strafe beruhenden kirchlichen Ordnung sichtbar. Die Päpste entzogen sich nach ihrem Selbstverständnis dem Urteil und der Strafe; vgl. jetzt zusammenfassend Salvatore Vacca, Prima sedes a nemine iudicatur. Genesi e sviluppo storico dell’assioma fino al Decreto di Graziano. (Miscellanea Historiae Pontificiae, Vol.61.) Rom 1993. Sie straften selbst, unterlagen aber keiner Strafe. Kirchliche Buße leisteten sie ebenfalls nicht.
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Theological Dispute and the Conciliar Process 1050–1150 From Berengar of Tours to Gilbert of Poitiers by Constant J. Mews and Clare Monagle
Analysis of theological conflict in the twelfth century has been dominated by the well-documented confrontation at the Council of Sens on 25 May 1141 between two exceptionally articulate individuals, Peter Abelard and Bernard of Clairvaux. 1 This is not surprising given the evident contrast of the erudition, romantic history and swagger of one, matched by the asceticism, mystical eloquence and power-broking of the other. They have often been used to evoke a contrast between an emerging „scholastic“ theology, opposed by a more contemplative, biblically focused „monastic theology“. 2 Yet there is a much longer, less commented upon, tradition of debating theological orthodoxy at church councils. From the disputes concerning the Eucharistic theology of Berengar of Tours, first raised in 1049, to the discussion of Gilbert of Poitiers’ Trinitarian theology in 1148, church councils were used to assess allegations of error against a particular thinker. This article explores the longer history of theological dispute between two councils, both held at Reims, but a century apart, in order to nuance some of the suggestive, but simplistic, binaries offered by looking at the Abelard and Bernard conflict in isolation. Did church councils actively persecute individual schoolmen, or did they provide a forum through which theologians could seek to persuade the Church of their orthodoxy? Certainly these various disputes did seem to pit intellectual schoolmen like Berengar, Roscelin of Compiègne, Abelard and Gilbert of Poitiers, against monks like Lanfranc of Bec, Anselm of Bec, and Bernard of Clairvaux, who all offer trenchant critiques of novelty in theology. Yet closer inspection reveals that it is much more dif1 On the chronology and circumstances of the events leading up to the Council of Sens, see Constant J. Mews, The Council of Sens (1141): Bernard, Abelard and the Fear of Social Upheaval, in: Speculum 77/2, 2002, 342–382. 2 The notion of monastic theology was first popularised by Jean Leclercq, The Love of Learning and the Desire for God. A Study of Monastic Culture. Transl. Catherine Misrahi. New York 1962; see also Ferruccio Gastaldelli, Teologia monastica, teologia scolastica e lectio divina, in: Analecta Cisterciensia 46, 1990, 25–63.
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ficult to identify a single „monastic theology“ in these confrontations. After all Anselm of Bec was a monk, but is often considered the founder of scholasticism. The writings of philosophically trained scholastic theologians like Abelard and Gilbert, as well as those of other, more mainstream figures like Anselm of Laon and Peter Lombard, survive overwhelmingly in manuscripts belonging to monastic libraries. 3 Their very survival testifies to the use of early scholastic texts within monastic education, and their proliferation in monastic scriptoria. This suggests, once again, that if we are to understand intellectual dispute in the period between 1050 and 1150 it is necessary to consider the often porous borders between monastery and school, rather than positing a clear distinction between them. Monks and schoolmen existed in overlapping and interwoven networks. Peter Lombard, who would produce the definitive textbook for medieval scholastic theology, came to Paris through the patronage of Bernard of Clairvaux. 4 All of the monks and scholars involved in these conciliar disputes were engaged in educating young minds. They shared interest in pedagogy and ideas, and were committed to the development of doctrine. But they differed, often substantively, in their opinions of the appropriate content and methods that should inform this task of education. The disputes that are the subject of this article were, partly, expressions of these different approaches to learning and teaching. More broadly, these disputes also reflect wider political tensions. The church council could be used as the site for conflict resolution, subject to the final authority of the Pope, who was expected to evaluate the orthodoxy of the theological positions under discussion. At stake then was not only the correctness or otherwise of a statement, but also the potential endorsement of a scholar or monk, and their respective institutions. The Pope himself was hardly isolated from affairs of the world. In the period between 1050 and 1150, one that contained both an investiture conflict and
3 See for example Constant J. Mews, Monastic Educational Culture Revisited: the Witness of Zwiefalten and the Hirsau Reform, in: George Ferzoco/Caroline Muessig (Eds.), Medieval Monastic Education. London 2000, 182–197, and id., Scholastic Theology in a Monastic Milieu in the Twelfth Century: the Case of Admont, in: Alison Beach (Ed.), Manuscripts and Monastic Culture. Religious Reform and Intellectual Life in Twelfth-Century Germany. Turnhout 2007, 217–239. 4 Until recently, the most thorough discussion of Peter Lombard’s biography could be found in Ignatius Brady, Prologomena: Sententiae in IV Libris Distinctae. 2 Vols. Rome 1971–1981. Drawing on Brady’s account, and adding greater complexity, is M. A. Doyle, The Career and Students of Peter Lombard. Unpublished doctoral thesis. University of Toronto 2006, 26–108.
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a schism, the papacy was itself in a state of vulnerability that undermined its legitimacy and authority. Consequently, the papal councils that occur throughout this period invariably bear the mark of the status and security of the papacy at that time. The councils are necessarily embedded in the politics of their time, as the papacy itself was continually attempting to assert and naturalise its authority in the eyes of secular and religious leaders alike. To think, then, about theological disputes at papal councils in this period, we must be sensitive to the constellation of politics and theology at their heart. 5
I. Berengar of Tours and ecclesiastical politics 1050–1080 After the great doctrinal debates and ecumenical councils of Late Antiquity, theological questions surfaced only rarely at church councils in the Latin West prior to the mid eleventh century. There was a flourishing of theological debate during the Carolingian period, above all about predestination during the time of Charles the Bald (840–877). Hincmar, archbishop of Reims, was vigorous in condemning certain theological propositions of the day, as well as defending the primacy of his archdiocese over those of Sens, Tours and Lyons. Perhaps the most brilliant thinker of the period, John Scotus Eriugena (c. 815–877), successor to Alcuin at the imperial school at Aachen, did generate occasional criticism, but never in a way that involved him being summoned to a council or subsequently appealing to the authority of Rome. 6 In the 830s, Paschasius Radbertus (790–860), abbot of Corbie, and then Ratramnus (d. c. 870), also a monk of Corbie, developed very different theories of the Eucharist – not an issue that had preoccupied the Church Fathers – without ever attracting theological controversy. Paschasius argued that the substantia of the bread and the wine
5 One of the most comprehensive recent accounts of the politics around learning and teaching between 800 and 1150 can be found in Sita Steckel, Kulturen des Lehrens im Früh- und Hochmittelalter. Autorität, Wissenskonzepte und Netzwerke von Gelehrten. (Norm und Struktur, 39.) Köln/Weimar/Wien 2011. 6 On this period, see David Ganz, Theology and the Organisation of Thought, in: Rosamund McKitterick (Ed.), The New Cambridge Medieval History. Vol.2: c. 700–900. Cambridge 1995, 758–785, esp. 768–771 on Quierzy (849 and 853); see Wilfried Hartmann (Hrsg.), Die Konzilien der karolingischen Teilreiche, 843–859. (MGH Concilia 3.) Hannover 1984, 297, 352. On theological debate in the Carolingian period, see Victor Genke/Francis X. Gumerlock (Eds.), Gottschalk & a Medieval Predestination Controversy: Texts Translated from the Latin. Milwaukee 2010.
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(not a term employed by Augustine in relation to the Eucharist), had been mystically changed to the body and blood of Christ, giving particular emphasis to the unity of believers in their path to redemption. Paschasius combined this notion of a transformed substance to what Ambrose had to say about the unifying role of the sacrament. 7 By contrast, Ratramnus rejected Paschasius’s use of substantia, arguing from the authority of Augustine that the words of consecration referred to the spiritual rather than physical body of Christ, as a figura of a future reality, rather than a physical substance in the present. 8 The contrasting views of Paschasius and Ratramnus never generated any official condemnation, as their debate was not perceived as divisive. This situation changed with a controversy provoked by Berengar of Tours (c. 999– 1088), a former student of Fulbert of Chartres (d. 1028). Berengar, who taught at the royal foundation of St Martin of Tours, left his native city to become archdeacon of Angers c. 1039. By accepting that archdeaconry at Angers as well as the post of cathedral treasurer, Berengar came to work closely with the new Count of Anjou, Geoffrey II (1040–60), who captured Tours from the County of Blois, only in 1044. 9 Berengar’s involvement in Angevin politics is vital for understanding not just Eucharistic debate in the eleventh century, but the larger process by which a pro-Norman monastic alliance was able to present him as an archetypal heretic, challenging a series of councils of the Church – of great influence into the twelfth century. While Berengar must have been taught both divinity and the liberal arts, nothing is known about his wider theological interests other than that he criticised the way Paschasius had employed the term substantia in relation to the Eucharist. He much preferred the arguments put forward by the treatise on the Eucharist by Ratramnus, which he thought was a work of John Scotus Eriugena, an author he much admired. Berengar’s pithy definition of Augustine’s understanding of a sacrament, that it was 7 Paschasius Radbertus, De corpore et sanguine Domini, ed. B. Paulus. (Corpus Christianorum Continuatio Mediaevalis [= CCCM], 16.) Turnhout 1969, 1–130; Owen M. Phelan, Horizontal and Vertical Theologies: „Sacraments“ in the Works of Paschasius Radbertus and Ratramnus of Corbie, in: Harvard Theological Review 103, 2010, 271–290. 8 Ratramnus, De corpore et sanguine Domini. Texte original et notice bibliographique, ed. J. N. Bakhuizen van den Brink. Amsterdam 1974; also Ratramnus, De corpore et sanguine Domini. (Patrologia Latina [= PL], 121.) Paris 1852, 125D–170C. 9 All known charters relating to Berengar are listed by Margaret Gibson, Letters and Charters Relating to Berengar of Tours, in: Peter Ganz/R. B. C. Huygens/Friedrich Niewöhner (Hrsg.), Auctoritas und Ratio. Studien zu Berengar von Tours. Wiesbaden 1990, 5–23.
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„an outward sign of inward grace“ would be repeated by Ivo of Chartres, it was in turn passed on without question by Abelard and many later scholastics, alongside the contrasting explanation to which Berengar was opposed, that consecration brought about a change in the substantia of the bread and wine. 10 Berengar was in fact applying Augustine’s teaching about the relationship between signs and reality formulated in Book II of his De doctrina Christiana: „A sign is a thing which of itself makes some other thing come to thought, besides the impression that it presents to the senses.“ 11 Berengar repeatedly emphasised that the body of Christ was not physically digested by the teeth, but remained above the level of material substance. 12 The sacrament, then, was constituted as an object in the world that referred to grace. The sign bore grace, conveyed grace, but ought not to be confused with grace itself. This meant that sacraments, as with other objects in the world, required interpretation. The higher meaning of signs was not self-evident, rather it was the task of the believer to move through them into the higher truth they bear. Berengar’s theory of the Eucharist has been interpreted in various ways. Southern argued that it resulted from his application of grammatical theory to Christian doctrine, in contrast to the dialectical approach of Lanfranc (c. 1005–1089). 13 Yet in his writings, Berengar devotes much more attention to Augustine than to Priscian or Aristotle. 14 Furthermore, he was particularly interested in the early, more philosophi10 Augustine, Epist. 105, ed. A. Goldbacher. (Corpus Scriptorum Ecclesiasticorum Latinorum [= CSEL], 34, 2.) Wien 1896, 6: „operatur per illum deus uisibilem sacramenti formam, ipse autem donat inuisibilem gratiam“; repeated by Ivo of Chartres, Decretum II.9 (PL, 161.) Paris 1855, 148C, and Peter Abelard, Sic et Non 117, 109, and Theologia ,Scholarium‘ I.9, in: Eloi-Marie Buytaert/Constant J. Mews (Eds.), Petri Abaelardi Opera Theologica III. (CCCM, 13.) Turnhout 1987, 321. See N. M. Häring, Berengar’s Definitions of Sacramentum and their Influence on Medieval Sacramentology, in: Mediaeval Studies 10, 1948, 109–146. 11 Augustine, De doctrina Christiana II.1. Ed. J. Martin. (CCSL, 32.) Turnhout 1962, 32. 12 Berengar, Rescriptum contra Lanfrannum 1, 3. Ed. R. B. C. Huygens. (CCCM, 84.) Turnhout 1988, 49, 97, 192, 207–208, 211. 13 This view was put forward by Richard W. Southern, Lanfranc of Bec and Berengar of Tours, in: Richard W. Hunt/William A. Pantin/Richard W. Southern (Eds.), Studies in Medieval History Presented to Frederick Maurice Powicke. Oxford 1948, 27–48. 14 Southern’s view was criticised by Toivo J. Holopainen, Dialectic and Theology in the Eleventh Century. Leiden 1996, and then in an important study of a newly identified treatise against Berengar, Charles M. Radding/Francis Newton, Theology, Rhetoric, and Politics in the Eucharistic Controversy, 1078–1079. Alberic of Monte Cassino Against Berengar of Tours. New York 2003, 9, referring to a comment of Henry Chadwick, Symbol and Reality. Berengar and the Appeal to the Fathers, in: Ganz/Huygens/Niewöhner (Hrsg.), Auctoritas und Ratio (as n. 9), 25–46, esp. 35, that Berengar was more at home with grammar than with dialectic, but that his Rescriptum was dominated neither by logic nor grammar, but by patristic readings.
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cal writings of Augustine, drawing on his De ordine to praise dialectic as „the art of the arts“. 15 Berengar was as equally adept as Lanfranc in his expertise in dialectic, but was unwilling to speak about substance as a category in anything other than in a physical sense in relation to the Eucharist. Berengar’s critique of Lanfranc needs to be related to his pro-Angevin political loyalties. Until his death in 1060, Geoffrey II of Anjou was engaged in prolonged conflict with William, Duke of Normandy, over the territory of Maine, taking prisoner the bishop of Le Mans, Gervais of Château-du-Loire (1036/38–1055), held prisoner by Geoffrey for seven years before he succeeded in escaping to Normandy and then becoming archbishop of Reims (1055–1067). 16 Gervais had supported the Count of Blois against the Count of Anjou. The struggle between Anjou and Normandy over Le Mans is central to understanding not just the controversy around Berengar, but the broader evolution of the reform movement, monastic and pro-Norman in character, in the later eleventh century. In October 1049, the newly consecrated Pope Leo IX (1049–1053) used an invitation to dedicate a newly built abbatial church at Saint-Remi, Reims, to convene a council there with far-reaching implications for the cause of ecclesiastical reform. 17 Although a kinsman of the Emperor Henry III, Leo insisted that all bishops who had obtained their positions directly from a secular ruler should be re-invested in their position by the Pope, a measure that affected many in authority under suspicion of the heresy of simony, including the archbishop of Reims, Guy of Soissons (1033–
15
Berengar, Rescriptum I (as n. 12), 86: „dialectica ars est artium, disciplina disciplinarum, novit discere,
novit docere, scientes facere non solum vult, sed etiam facit“. This paraphrases Augustine, De Ordine II.13. Ed. W. M. Green. (CSEL, 29.) Turnhout 1970, 128: „ipsam disciplinam disciplinarum, quam dialecticam uocant“. See André Cantin, Bérenger, lecteur du De ordine de saint Augustin ou comment se préparait, au milieu du XIe siècle, une domination de la ratio sur la science sacré, in: Ganz/Huygens/Niewöhner (Hrsg.), Auctoritas und Ratio (as n. 9), 89–108. 16
On Gervais, a figure whose importance to the reform movement in general, and to the controversy
around Berengar in particular, has been neglected by historians, see Patrick Demouy, Genèse d’une cathédrale. Les archevêques de Reims et leur Eglise aux XIe et XIIe siècles. Langres 2005, 395–396, and from a quite different perspective, Richard E. Barton, Lordship in the County of Maine, c. 890–1160. Woodbridge 2004, 49f. 17
For a vivid account of the council, see Anselm, monk of Saint-Remi, Historia dedicationis basilicae
S. Remigii apud Remos. Ed. Jacques Hourlier, La Champagne bénédictine. Contribution à l’année saint Benoît (480–1980). (Travaux de l’Académie Nationale de Reims, 160.) Reims 1981, 179–297; PL, 142. Paris 1853, 1415–1440, and the summary of its proceedings by Odette Pontal, Les conciles de la France capétienne jusqu’en 1215. Paris 1995, 154–159.
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1055). Leo was using monastic renewal to impose a new vision of an episcopate, loyal to Rome. The council was a forum for resolving numerous conflicts within the Church, mostly of a political character, and closed with a solemn reading of ancient texts that asserted the primacy of Rome. One bishop divested of his office for simony and an excessively luxurious life-style was Hugh, bishop of Langres (d. 1050), who subsequently composed a treatise against Berengar’s arguments – as if he were seeking to deflect criticism from itself, in the months after October 1049. 18 Many bishops were present, including that of Angers, but not Gervais of Le Mans, still held prisoner by Geoffrey of Anjou. While it is not known for certain if Berengar was present with his bishop at Reims in 1049, his opinions were first challenged there by Lanfranc, abbot of Bec, in response to Berengar’s defence of the Angevin Count. Berengar was an articulate defender of Geoffrey’s cause, as shown by a letter he sent to Pope Leo IX, responding to criticisms raised at the Council of Reims in 1049, in which he justified the Count’s action. 19 According to Cardinal Humbert of Silva Candida (abbot of Moyenmoutier, in Lorraine), Berengar wrote to the pope on behalf of Eusebius, bishop of Anjou, defending the imprisonment of Gervais, bishop of Anjou, declaring that „not less ill-advisedly than he [Leo] reordained bishops he shredded the treatise of John the Scot“. 20 His comment clarifies the visibly political context of their theolog-
18 On the accusations against Hugh, see Anselm, Historia dedicationis (PL, 142), 1432CD: „Tunc Lingonensis episcopus surgens, super abbate Pultariensi dioecesano suo plurimum est conquestus, quod videlicet in fetore luxuriae vivens, pluribus flagitiis inserviebat; beato quoque Petro, ejusque vicario, Romanae scilicet Ecclesiae pontifici, cujus abbatia illa erat, debitum censum quotannis persolvere detrectaverat; et inde excommunicatus missarum sacramenta celebrare praesumpserat, excommunicationique adhuc subjacens eidem synodo intererat. Qui discussus, nec ab objectis se valens expugnare criminibus, ab honoris sui est dignitate depositus. His ita diffinitis, edictum est sub anathemate auctoritatis apostolicae ut si quis assidentium quempiam universalis Ecclesiae primatem praeter Romanae sedis antistitem esse assereret, ibidem publica satisfactione patefaceret. Cumque ad haec universi reticerent, lectis sententiis super hac re olim promulgatis ab orthodoxis Patribus, declaratum est quod solus Romanae sedis pontifex universalis Ecclesiae primas esset et apostolicus.“ See also Kathleen G. Cushing, Reform and the Papacy in the Eleventh Century: Spirituality and Social Change. Manchester 2005, 127–128, and Ian Robinson, The Papal Reform of the Eleventh Century: Lives of Pope Leo IX and Gregory VII. Manchester 2004, 138–139. Hugh does not allude to these accusations in his treatise, De corpore et sanguini Domini contra Berengarium (PL, 142), 1325–1331. 19 Gibson, Letters and Charters (as n. 9), 11f., quoting a letter of Berengar, in: Die Hannoversche Briefsammlung III. Briefe Berengars von Tours, in: Carl Erdmann/Norbert Fickermann (Hrsg.), Briefsammlungen der Zeit Heinrichs IV. (MGH Briefe der deutschen Kaiserzeit, 5.) Weimar 1950, 132–172, at 141. 20 Cowdrey, The Papacy and the Berengarian Controversy, in: Ganz/Huygens/Niewöhner (Hrsg.), Auctoritas und Ratio (as n. 9), 109–138, esp. 113, quoting a letter edited by Kuno Francke, Zur Characteristik des
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ical argument. In using Reims rather than Rome to announce his ecclesiastical reforms, Leo was looking back to the precedent of Hincmar of Reims as a model of clerical authority, stronger than any pope in the Carolingian period. In turn Berengar’s support for the Angevin Count was countered by Lanfranc with an accusation that he was relying on arguments by a known heretic (John Scotus). Berengar did not see why the Pope should interfere in an internal political affair relating to the Count of Anjou or why Paschasius’s interpretation of the Eucharist should acquire the status of official doctrine. Soon after the Council of Reims had finished, Berengar wrote a short, but important letter to Lanfranc of Bec rebuking him for championing Paschasius against Scotus (Ratramnus). Because Berengar’s messengers could not initially find Lanfranc, a cleric of Reims took the letter to Rome where it was read out to Lanfranc, who was then attending a council being held at the Lateran in the first week of May, to consolidate the reforms promulgated at Reims. 21 This created a crucial precedent for a Lateran Council, beginning the pattern of using those particular councils to engage with matters of intellectual debate, in this case about the Trinity. Berengar also exchanged letters with Adelman of Liège, insisting that Scotus (in fact Ratramnus) had argued nothing different from the Fathers of the Church. 22 Sometime in 1050, Berengar met Lanfranc at a council at Brionne, organised by Duke William as part of his own efforts to secure the region, adjacent to Anjou. 23 Hildebrand (the future Gregory VII) was – as Cowdrey has argued – less uncompromising towards Berengar than either of the two papal advisers, Lanfranc and Humbert of Silva Candida. As a papal legate presiding over a council at Tours in 1054, Hildebrand allowed Berengar to compose his own oath, supporting his acceptance of Christ being present in the consecrated Eucharist, without invoking the contentious term substantia, inviting him to defend his cause further in Rome. 24 Cardinals Humbert von Silva Candida, in: Neues Archiv der Gesellschaft für ältere deutsche Geschichtskunde 7, 1882, 614–619, at 615. 21 Quoted by Lanfranc, De corpore et sanguine Domini (PL, 150), 4, 413; Huygens, Berengar (as n. 12), 375f.; quoted and discussed by H.E. J. Cowdrey, Lanfranc of Bec. Scholar, Monk and Archbishop. Oxford 2003, 39– 40. 22
Adelman, Epistula ad Berengarium. Ed. R. B. C. Huygens, in: Serta Mediaevalia. (CCCM, 171.) Turnhout
2000, 182–201. 23
Discussed by Cowdrey, Lanfranc of Bec (as n. 21), 32.
24
Radding/Newton, Theology, Rhetoric and Politics (as n. 14), l. 19–120, quoting the oath, ed. by Huygens,
in: Serta Mediaevalia, 1141–1142.
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Although it is impossible to say, we can surmise that this visit may have facilitated Count Geoffrey releasing bishop Gervais to William’s court at Rouen, after Gervais was subsequently elected archbishop of Reims (1055–67). 25 In 1059, Berengar attended a major council at the Lateran, where Nicholas II (1058–61) was continuing the reform policy introduced by Leo IX with measures insisting that the Pope be chosen „by clergy and people“, through their representatives, the cardinals. Cardinal Humbert of Silva Candida (c. 1000–1061), more hard-line than Hildebrand, forced Berengar to accept an oath, proclaiming that „the bread and wine that are set upon the altar, after consecration are not sacrament alone, but also are the true body and blood of our Lord Jesus Christ and in sensory fashion, and not only as a sacrament, but in truth are handled and broken by the hands of the priest, and ground between the teeth of the faithful.“ 26 This was a strikingly carnal formulation. The bread and wine were, the statement asserted, the actual body and blood of Christ, which were masticated by the faithful. Berengar was forced to assert what he would have registered as a primitive sacramental theology, one that conflated the sacred sign with the thing itself. Brian Stock argues that Berengar’s formulation of 1059 „effectively eliminated the distinction between the appearance and the reality of the sacrament“. 27 Lanfranc’s response, a treatise De corpore et sanguine Domini, written in 1063, extended the perspective of Paschasius Radbertus with a new emphasis on the necessity of arguing that the substance of bread had now changed to the substance of the body of Christ – although without invoking the precise term ,transubstantiation‘, first employed only in the 1140s. 28 In dialectical terms, Lanfranc’s use of substantia was realist, in the sense of implying those who consumed the Eucharist shared a
25 On Gervais’s conflict with Geoffrey, see Barton, Lordship (as n. 16), 50; on his flight to Rouen, see David Bates, William the Conqueror. Stroud 2001, 60. 26 Lanfranc of Bec, Liber de corpore sanguine domini (PL, 150), 410D: „quae astruere conatur panem et vinum quae in altari ponuntur, post consecrationem solummodo sacramentum, et non verum corpus et sanguinem Domini nostri Jesu Christi esse, nec posse sensualiter in solo sacramento manibus sacerdotum tractari, vel frangi, aut fidelium dentibus atteri.“ 27 Brian Stock, The Implications of Literacy. Written Language and Models of Interpretation in the Eleventh and Twelfth Centuries. Princeton 2003, 277. Stock’s work provides another excellent introduction to the Berengarian controversy. He provides particular detail on the Patristic and Carolingian origins of the debate and frames the content of the eleventh-century debate particularly in terms of a divide between high and low culture, learned and unlearned. On the evolution of medieval sign theory, see Brigitte BedosRezak, When Ego was Imago. Signs of Identity in the Middle Ages. Leiden 2010. 28 Joseph Goering, The Invention of Transubstantiation, in: Traditio 46, 1991, 147–170.
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common substance. Lanfranc’s comments on how Pope Nicholas had spread news about Berengar’s supposed ,conversion‘ after 1059 reveal the wide-spread notoriety he had acquired across Europe, without anyone having read any of his writings: „Pope Nicholas, thrilled at your conversion, sent the report of your oath-taking throughout the towns of Italy, France and Germany, and indeed to any places where the story of your previous depravity could reach. Just as the scandalized churches had before mourned your rejection of the truth, afterwards they rejoiced and thanked the Lord at your return and conversion.“ 29 In Lanfranc’s eyes, Berengar was not merely slighting the mystery of the sacrament, but attacking Christ’s body and his Church. Berengar’s arguments are known in detail only from his subsequent Rescriptum contra Lanfrancum, in which he protested further at the injustice of the theological claims being made against him. He criticised what he saw as a misuse of the philosophical category of substantia, arguing from Augustine’s notion that there was a clear contrast between an outward sign and invisible grace. He resisted Lanfranc’s claims that the change effected on the altar was comparable to the miraculous transformation by Moses of his staff into a serpent or of the waters of the Red Sea into dry land. Berengar thought Augustine’s perspective on the Eucharist was superior to that of Paschasius, as it focused on the consecrated Eucharist as prefiguring the mystical body of Christ, rather than his actual physical body. After Geoffrey II’s death in 1060, Berengar returned to Saint-Martin of Tours, where he continued teaching (unless his place was taken over by a younger teacher, also called Berengar). 30 The decline in his fortunes is evident from condemnations issued in Angers in 1062 and at Lisieux, in Normandy, in 1064 – though they also reflect fear of his continuing influence. In 1068, Geoffrey III was imprisoned by his younger brother Fulk IV, who became Count of Anjou until his own death in 1109. While Berengar may have had difficulties with Fulk IV, he could not throw off the odium evoked by his earlier association with Geoffrey II. In 1072, Lanfranc – now archbishop of Canterbury – reignited controversy by sending Pope Alexander II a
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Lanfranc of Bec, Liber de corpore sanguine domini, 411D–412A: „Nicolaus papa, gaudens de conver-
sione tua, jusjurandum tuum scriptum misit per urbes Italiae, Galliae, Germaniae, et ad quaecunque loca fama tuae pravitatis antea potuit pervenire. Ut sicut Ecclesiae scandalizatae prius dolebant de te a veritate averso, atque ita postea gauderent gratiasque Deo agerent de reverso atque converso.“ 30
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Gibson, Letters and Charters (as n. 9), 16f., 22f.
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copy of his treatise against Berengar, establishing a tradition of appealing to Rome to act against an individual who had already professed his orthodoxy in 1059. Lanfranc’s treatise prompted his student, Guitmund of Aversa, to produce (c. 1073/74) a further treatise against Berengar, who had been anxious to maintain positive support from Alexander II (1061–73). Lanfranc’s move may have been intended to forestall any potential re-assertion of Berengar’s influence prior to the appointment of Hildebrand, at a time when William the Conqueror was continuing to exert pressure on Anjou. 31 His treatise, combined with that of Guitmund, contributed to Berengar being condemned again in 1075 and reportedly physically threatened at a council at Poitiers, convened by the papal legate, Girald of Ostia. It produced a confession of faith about the Eucharist, which included the word substantialiter to describe the nature of the change, concluding „I condemn Berengar and all his followers who are in disagreement with the understanding of this sacrament“. 32 Hoping to clear his name, although under instruction not to diffuse his teaching, Berengar wrote to Hildebrand, now Pope Gregory VII (1073–85), perhaps in early 1078, when the archbishop of Tours was himself under threat of suspension by Cardinal Hugh of Die. 33 He was in Rome by the Feast of All Saints (1 November 1078), when he attended a synod at the Lateran where he claimed that he was asked to sign an oath about Christ being present in the consecrated Eucharist as the true body and true blood, but without using the word substantia, the term which both Paschasius and Lanfranc had used, but which he found so difficult to accept. 34 This is only known from Berengar’s report. The official record made no mention of this initial meeting, at which Pope Gregory was anxious to obtain compromise. As at the meeting in Rome in 1059, many of the Pope’s advisers were more hard-line, out of fear that Gregory might seem too sympathetic to the forces of Henry IV, then being chal-
31 Cowdrey, The Papacy and the Berengarian Controversy (as n. 20), 120f.; see Guitmond, De corporis et sanguine Domini. (PL, 149.) Paris 1853, 1427–1508. 32 R. Somerville, The Case Against Berengar of Tours – A New Text, in: Studi Gregoriani 9, 1972, 55–75, with the oath cited by Radding/Newton, Theology, Rhetoric and Politics (as n. 14), 27. 33 Radding/Newton, Theology, Rhetoric and Politics (as n. 14), 29f., discussing Berengar’s letter, ed. Erdmann/Fickermann (Hrsg.), Briefsammlungen (as n. 19), 154f. While Radding describes Gregory as summoning Berengar to Rome in his letter of 7 May 1078, to Hugh of Cluny, the letter simply says that he was sending his decision through brothers being sent with the Cardinal; The Register of Pope Gregory VII 1073– 85, 5.21, transl. H.E. J. Cowdrey. Oxford 2002, 270. 34 Radding/Newton, Theology, Rhetoric and Politics (as n. 14), 91, discussing his text, ed. Huygens, in: Serta Medievalia, 256.
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lenged by Rudolf of Swabia, supported by reformers in Germany. In 1076 the German and Lombard bishops had asked the Pope to abdicate, forcing Henry IV to seek papal forgiveness at Canossa in January 1077. In this highly charged atmosphere, Alberic of Monte Cassino composed a treatise, recently identified, declaring that: „a certain Berengar of Tours, a man of great talent and profound knowledge, has come to Rome and wishes to revive anew the interpretation which he had once renounced: asserting, as they say, that in the sacrament of our redemption neither is the bread turned into flesh nor the wine into blood.“ 35 The treatise, although less skilled than that of Lanfranc in dialectical discussion of substance and accident, is a rhetorical tour-de-force. It achieves its effect by piling on patristic arguments to proclaim the reality of Christ’s presence in the Eucharist, not as a figura, but as a changed substance. Alberic’s celebration of the reality of the Eucharist in his treatise reflected the interests of abbot Desiderius of Monte Cassino, who, since 1058, had presided over the abbey’s complete rebuilding as a visually decorated celebration of the Life of St Benedict. Even more than the treatises of Lanfranc and Guitmond, Alberic seemed to celebrate the authority of monastic tradition in defining orthodoxy. The Lateran council may well have been prorogued until Lent 1078 so anti-Berengarian forces could marshall their case. A particularly valuable, if partisan, account of what seems to have been genuine division of opinion within the synod is given in the Register of the Letters of Gregory VII: „Therefore, all being gathered together in the church of the Saviour, a sermon was given concerning the body and blood of our Lord Jesus Christ, many beforehand having held one view about it and some another. For the greatest part asserted and by every means maintained by the authoritative witness of orthodox holy fathers […] that the bread and wine are substantially converted into the Lord’s body […] . But some, struck by great and lasting blindness, deceiving themselves and others tried to assert by certain quibbles that it is in symbol only. Indeed, when the matter began to be dealt with, even before on the third day there was a meeting in the synod, the other side failed in its striving against the truth. For the fire of the Holy Spirit, burning up the harvest of straws and by its brightness shattering and darkening the false light, turned the darkness of night into light. Finally, Berengar, the master of this error, having after a long time confessed in the presence of the well-attended council that he had erred in the impiousness that he had propounded and having
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Libellus, ed. Radding/Newton, Theology, Rhetoric and Politics (as n. 14), 127.
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begged and prayed for pardon, he has received it through apostolic clemency. And he has sworn an oath which is expressed in the following terms: I Berengar believe with my heart and confess with my lips that the bread and wine that are placed upon the altar through the mystery of sacred prayer and the words of our Redeemer are changed substantially into the true and proper and lifegiving flesh and blood of Jesus Christ our Lord.“ 36
Berengar was forced to reaffirm the oath that Humbert of Silva Candida had obliged him to accept in Rome in 1059. This happened at exactly the same time as a deal was struck with envoys of the rival claimants to the imperial throne, namely Henry IV and Rudolf of Swabia. The Lateran Council was of huge symbolic importance in asserting the capacity of a Roman synod to enforce orthodoxy, both in the matter of Eucharistic theology and in terms of papal authority. While Berengar subsequently returned to Tours, the Lateran Council of 1079 was powerless to prevent the emergence of schism, in particular after Henry IV entered Rome in 1080 and Guibert of Ravenna was proclaimed Pope Clement III. Councils might be useful for airing contrary opinions, but they could not enforce unanimity. Berengar’s reputation always remained strong in Anjou, especially at St Martin of Tours, where he was persistently remembered in a positive light. Outside Anjou, however, Berengar’s name became a symbol of those heretics who denied the reality of Christ’s presence in the Eucharist and thus the cause of reform in the Church. 37 One immediate consequence of Gervais of Château-du-Loir becoming archbishop of Reims in 1055 was that he started to renew the city’s educational traditions not just through monastic foundations but through collegiate churches, notably Saint-Timothée and Saint-Denis, in which canons followed the Rule of Augustine. 38 It was also during his episcopate that Bruno of Cologne became master of the cathedral school at Reims, a position he held until 1080/81 – becoming (according to his funerary roll) one of the most celebrated teachers in France. 39 In his commentary on Psalm 21:9, traditionally interpreted as being about the Eucharist, Bruno rejected „those heretics 36 Gregory VII, Registrum, 6. 17A. Ed. Erich Caspar. (MGH Epistolae selectae.) 2 Vols. Berlin 1920–1923, 425–426; The Register of Pope Gregory VII, 6.17a, transl. Cowdrey, 300. 37 On the lingering tradition of Berengar’s reputation as a heretic, see Gary Macy, Berengar’s Legacy as a Heresiarch, in: Ganz/Huygens/Niewöhner (Hrsg.), Auctoritas und Ratio (as n. 9), 46–67. See also Ludwig Hödl, Die theologische Auseinandersetzung mit Berengar von Tours im frühscholastischen Eucharistietraktat De Corpore Domini, in: Ganz/Huygens/Niewöhner (Hrsg.), Auctoritas und Ratio (as n. 9), 69–88. 38 Demouy, Génèse d’une cathédrale (as n. 16), 609–610. 39 For a new edition and commentary on this funerary roll (PL, 152, 555A–606A), see Hartmut Beyer / Ga-
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[…] who understand only the memory of the body and blood of the Lord to be in those sacraments without reality (absque realitate)“. 40 While maintaining an orthodox position on the Eucharist, his terminology and argument were original. No previous exegete had coined the term realitas in order to evoke the concept that was considered lacking in Berengar’s explanation. In so doing, Bruno was able to avoid the term substantia in the way that Lanfranc employed it. Instead, he proposed just as grains and grapes were brought together into a single materia of bread and wine, so individual Christians are brought together into the materia of Christ’s body and blood. While professing commitment to the Eucharist to the very end of his life, he defined the res of the sacrament, not in individual terms of the body of Christ, but as the fulfilment of the theological virtues. Bruno, who was unusually fond of introducing grammatical and rhetorical terminology into his discussion of the Psalms, was never obliged to defend his orthodoxy at any ecclesiastical council. Nonetheless, his explanation of Eucharistic themes illustrated his awareness of the questions that Berengar had raised, even if he did not share exactly the same solution. Although Bruno was firmly committed to the cause of reform during his time at Reims, he preferred the life of a hermit to that of a monk, initially at the Grande-Chartreuse, where he established a hermitage by 1085, and subsequently at La Torre in Calabria, after he declined an invitation from Urban II to be his adviser in Rome.
II. Roscelin of Compiègne and Anselm of Bec The prolonged series of condemnations of Berengar’s teaching about the Eucharist between the initial condemnation at Rome in 1050 and the final vindication of orthodoxy at the Lateran in 1079, overshadowed theological dispute in northern France over the next hundred years. While church councils remained in theory a forum for theological debate, in practice they became increasingly used as a medium for communicating official decisions that had already been decided. Memory of the procedures used against Berengar exerted a powerful, and insufficiently recognised briela Signori/Sita Steckel (Eds.), Bruno the Carthusian († 1101) and his Mortuary Roll. Studies, Text and Translations. Turnhout 2014, 127–305. 40 Bruno, Expositio in Psalmos. (PL, 152.) Paris 1853, 725A–726A. The authenticity of Bruno’s commentary on the Psalms has recently been re-affirmed by Andrew Kraebel, Grammatica and the authenticity of the Psalms-Commentary Attributed to Bruno the Carthusian, in: Mediaeval Studies 71, 2009, 63–97.
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influence against a series of masters – Roscelin of Compiègne, Peter Abelard and Gilbert of Poitiers – although with varying degrees of effectiveness. After Berengar’s death in 1088, innovative theological discussions shifted away from the Eucharist to the philosophically more complex issue of the Trinity. In part this was because Anselm of Bec (1033–1109) wished to avoid the issue on which his own master, Lanfranc, had become such an authority. In his first major writing, his innovatively titled treatise on the Trinity, the Monologion (c. 1070), Anselm turned to the question of how there could be three persons in a single divine substance or essence, arguing sola ratione rather than from patristic authority. A letter to Lanfranc that followed his sending the work to Canterbury reveals that there may have been some frostiness about its reception. Anselm opened up theological debate to philosophical discussion in a way that Lanfranc may have suspected as dangerously close to that associated with Berengar of Tours. 41 Anselm insisted, however, that he was doing no more than following the example of Augustine, who had reminded readers that Latins and Greeks had different ways of describing the same divine truth, the former using the word personae for what the Greeks called multiple hypostaseis or ousiae in Greek. Anselm’s formulation of God’s triune nature sought to show how there could be a philosophical plurality in God without compromising his single essence. Through his subsequent treatise, the Proslogion, Anselm generated a philosophical response from Gaunilo, a monk of Marmoutiers, near Tours, who quite possibly had been taught or inspired by Berengar. In deciding to attach Gaunilo’s criticism, along with his response to copies of the Proslogion, Anselm signalled a very different approach to rational enquiry from that of Lanfranc. Rather than asserting that his critic was a heretic, flying in the face of authority, Anselm sought to present the dispute as an academic argument between two monks, based on reason. Anselm’s example certainly stimulated Roscelin of Compiègne (c. 1050–1125) to produce a more provocative argument that the three divine persons had to be three distinct things (res) if one was to avoid arguing that God the Father became incarnate in Christ with God the Son. 42 The difficulty with Anselm’s argument, as Roscelin 41 There is a vast literature on Anselm. See for example Richard W. Southern, St Anselm: A Portrait in a Landscape. Cambridge 1990, and the papers in David Luscombe/Gillian R. Evans (Eds.), Anselm, Aosta, Bec and Canterbury. Sheffield 1996. On Anselm’s difficulties with Lanfranc, see Giles E. M. Gasper, Anselm of Canterbury and his Theological Inheritance. Aldershot 2004, 39f. 42 On Roscelin’s debt to Anselm, see Constant J. Mews, St Anselm and Roscelin: Some New Texts and Their Implications. I. The De incarnatione verbi and the Disputatio inter Christianum et Gentilem, in: Archives
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saw it, was that by dwelling so much on the essential divine substance in which the three persons participated, he did not display adequate awareness of the necessary distinction between the three persons. Roscelin had studied at Reims, very likely under Bruno in the early 1070s. 43 While Bruno had been very interested in using the terminology of grammar and rhetoric to understand the psalms, and had occasionally reflected on the multiplicity of persons in the Trinity, Roscelin had a stronger background in dialectic, becoming known as the first person to institute the sententia vocum in logic – namely that a universal was an utterance (vox) rather than a real physical entity in itself. Anselm viewed Roscelin’s argument, as it was reported to him, as implicitly tritheistic, as if he was saying that Father, Son and Holy Spirit were each separate things (res) in the plural. From comments that he makes in his commentary on psalm 18, 4 (Non sunt loquelae neque sermones quorum voces non audiantur) Roscelin seems to have adapted Berengar’s Augustinian semiotic theory, namely that the res was what was signified by a noun and that words were imposed on these things through human will. 44 Anselm picked up on the fact that Roscelin’s terminology about plural things was extending to more precise meanings than Augustine ever intended, and Anselm felt that this could lead to confusion. Roscelin, however, considered, just as Berengar had argued, that one had to distinguish the substance of the bread consecrated on the altar from the substance of the body of Christ, so the particular identity or res of one person of the Trinity could not be completely assi-
d’histoire doctrinale et littéraire du moyen âge 58, 1991, 55–97, and St Anselm and Roscelin: Some New Texts and their Implications. II. An Essay on the Trinity and Intellectual Debate 1080–1120, in: ibid. 65, 1998, 39–90, both reprinted in Constant J. Mews, Reason and Belief in the Age of Roscelin and Abelard. Aldershot 2002. 43 Constant J. Mews, Bruno of Rheims and Roscelin of Compiègne on the Psalms, in: Michael W. Herren/ Christopher J. McDonough/Ross G. Arthur (Eds.), Latin Culture in the Eleventh Century. Proceedings of the Third International Conference on Medieval Studies, Cambridge, September 9–12 1998. 2 Vols. (Publications of The Journal of Medieval Latin.) Turnhout 2002, Vol.2, 129–152. 44
Quoted by Mews, Bruno of Rheims and Roscelin of Compiègne (as n. 43), Vol.2, 142: „Notandum quod
construction isa quibusdam intransitiue facta uidetur, quia quorum ad loquelas et ad sermones refertur, quia nihi aliud quam uoces esse uidentur, sed cum loquelae et sermones et uoces in se continenat et ipae uoces sit signa rerum – aliud est enim uocem esse in natura sui, aliud signum, cum eadem uox sit et signum; alioquin omnis uox significatiua esset – cum, inquam loquelae et sermones ex uocibus cum significatione constent, et minus mirandum esset scire quiod uoces significant quam habere scientiam proferendi et etiam proferre. Ipsi non solum sciunt quarum rerum uoces signa sint, sed ipsas uoces proferre sciunt et proferunt ita ut audiantur esse eorum et multorum testimonio id comprobari possit.“
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milated to that of another person, unless one argued that God the Father became incarnate in God the Son. This argument was first reported to Anselm by John, a monk of Bec, who spent the year 1089/90 assisting Fulco, another monk of Bec, establish himself as bishop of Beauvais (1089–94). 45 John was familiar with an image that was widely attributed to Augustine in which the Trinity was a like the sun, a single thing from which both heat and brightness emanated, but he considered that to speak of multiple things was still to risk falling into a tritheist heresy. Anselm responded with a treatise in which he attempted to address the very question that Roscelin had raised about how, if God the Son shared the same essence with God the Father, the Son could have become incarnate, but not the Father. Anselm had little knowledge how Roscelin had arrived at his claim, other than suspecting that he was one of these ,modern dialecticians‘ who believed a universal to be nothing more than „the puff of an utterance“ (flatum vocis). 46 Another contemporary mentioned that he was one of a number of followers of „a certain John, who taught that dialectic was an ars vocalis“, namely to do with words. There was nothing exceptional in this claim, also made in the prologue to an extended commentary (Glosule) on Priscian’s Grammatical Institutes – perhaps initially composed at Reims c. 1080–1100 – that glossed Priscian’s definition of a noun as that which named a substance through a process of reference or appellatio, as distinct from signifying a quality. It distinguished between man as a word (homo vocalis) and man as a thing (homo realis), a definition that could be interpreted in either a realist or a vocalist perspective. 47 Roscelin seems to have interpreted its authority in a vocalist direction, while William of Champeaux would interpret it in a way that was philosophically more realist. 48 Anselm considered Roscelin’s ap-
45 Printed among the letters of Anselm as Ep. 128, The Letters of St Anselm. Vol.1. Transl. W. Fröhlich. (Cistercian Studies Series, 96.) Kalamazoo, MI 1990, 302f. 46 Anselm, De incarnatione verbi, in: Sancti Anselmi Opera. 6 Vols. Edinburgh/Rome 1946–1960, Vol.2, 9: „illi utique nostri temporis dialectici, immo dialecticae haeretici, qui nisi flatum vocis putant universales esse substantias“. 47 The suggestion that the Glosule is by Bruno’s colleague and perhaps disciple, John of Reims (who left Reims for Saint-Evroul in 1076/77), was put forward by Constant J. Mews, Nominalism and Theology before Abaelard: New Light on Roscelin of Compiègne, in: Vivarium 30, 1992, 4–34, at 12, reprinted in Mews, Reason and Belief (as n. 42); on its ambiguity in relation to realism or vocalism (more accurate than proto-nominalism as a term), see Corneille H. Kneepkens, Nominalism and Grammatical Theory in the Late Eleventh and Early Twelfth Centuries. An Explorative Study, in: Vivarium 30, 1992, 34–50. 48 For full discussion of the Glosule and its relationship to William of Champeaux, see the essays in Irène
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proach, marked by a grammatical concern to identify the distinct res signified by the words, Pater and Filius, to be too literal, arguing that the meaning of these had to be understood in relation to their context. The doctrinal accusations made against Roscelin, like those made against Berengar, were shaped as much by politics as intellectual concerns. Because his immediate critics in 1090 were in Beauvais, he may well be the Roscelinus invited by bishop Guy (1063–1085), along with Nevelo of Compiègne, to establish in 1072 a group of canons at the collegiate church at St-Vaast (also called St-Etienne) at Beauvais. 49 Guy was here continuing a policy that archbishop Gervais had established in Reims c. 1060. In 1069, Guy had established the collegiate church of Saint-Quentin, with Ivo (subsequently bishop of Chartres) as its dean. 50 Roscelin’s resentment towards Fulco may have been heightened by the fact that Guy was deposed as bishop of Beauvais in 1085 by the papal legate, archbishop Hugh of Lyon. This enabled Anselm of Bec to extend his influence in France, by having Fulco, a former monk of Bec, become bishop of Beauvais. According to Hugh of Flavigny, Roscelin’s critic, John, had been a canon of Saint-Quentin, Beauvais before deciding to become a monk at Bec in around 1080. 51 At this time, Fulco’s brother, Ralph, had also left his position as cathedral treasurer of Beauvais to become a monk of Bec, out of resentment that bishop Guy had been offering cathedral prebends to new collegiate churches, undermining the cathedral chapter. Fulco and Ralph were sons of Lancelin I, a magnate of Beauvais, widely suspected of obtaining the bishopric for his son through simony. Given Anselm’s report that bishop Fulco was facing extensive criticism from local clergy, it seems quite likely that Fulco and John were accusing Roscelin of heresy in order to
Rosier-Catach (Ed.), Arts du langage et théologie aux confins des XIe–XIIe siècles. Textes, maîtres, debats. (Studia Artistarium, 26.) Turnhout 2011, and id., Priscian on Divine Ideas and Mental Conceptions. The Discussions in the Glosulae in Priscianum, the Notae Dunelmenses, William of Champeaux and Abelard, in: Vivarium 45, 2007, 219–237. 49
For further bibliographical details, see Constant J. Mews, St Anselm, Roscelin and the see of Beauvais,
in: Luscombe/Evans (Eds.), Anselm: Aosta, Bec and Canterbury (as n. 41), 106–119, reprinted in: Mews, Reason and Belief (as n. 42). 50
Gui’s founding gifts to Saint-Quentin are attested in a twelfth-century missal of Beauvais, edited in an
unsigned note: Donations d’Ives de Chartres et de l’évêque Gui à l’abbaye de Saint-Quentin de Beauvais, in: Bibliothèque de l’Ecole des chartes 66, 1905, 131–132. That Ivo was at Saint-Quentin from c. 1069 is also argued by Christof Rolker, Canon Law and the Letters of Ivo of Chartres. Cambridge 2010, 7f. 51
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Hugh of Flavigny, Chronicon. (MGH SS VIII.), 494.
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divert attention from the complaints being made by secular clergy about monks from Bec seeking to gain authority within the city. Probably around 1090, a council was called at Soissons, presided over by the archbishop of Reims, Renaud de Montreuil-Bellay (1083–96), to reinforce the authority of Fulco in enforcing the policies decreed by Pope Urban II, himself a former cleric of Reims. 52 Not all bishops supported Fulco, however, at the council. Bishop Helinand of Laon reportedly reminded Fulco’s father, Lancelin, of this. After having been excommunicated for having appropriated certain churches of Beauvais, Helinand challenged Lancelin to a duel. 53 The accusation against Roscelin strengthened the position of Fulco, who could produce a treatise of Anselm of Bec, on the errors of Roscelin, the first version of which was addressed to the ecclesiastics assembled at the council. While we do not have much detail about its proceedings, bishop Fulco wanted Roscelin to be treated in the same way as Berengar, by forcing him to abjure any tritheist heresy. Roscelin would later say that he did so out of fear of being lynched by the crowd. 54 Even if he was not officially sent into exile by the council, as Abelard later claimed, Roscelin did then leave the archdiocese of Reims. On 7 May 1092 he witnessed a charter at Bayeux in the presence of Odo, brother of the Duke of Normandy, and subsequently visited England – where he was criticised by Theobald of Étampes, then a master at Oxford, for his strong criticism of laxity being shown towards sons of priests. Roscelin seems to have had some sympathies for reformist concerns, even if he was not a monk. This visit to England (1092/93) likely prompted
52 Although this council is often dated to 1092, it seems more likely it have been held soon after the twelve month period in which John was assisting Fulco at Beauvais, namely 1088/89. That Urban II was a cleric of Reims is mentioned in an early Carthusian chronicle (PL, 152.) Paris 1853, 488; André Wilmart, La Chronique des premiers Chartreux, in: Revue Mabillon 16, 1926, 77–142, esp. 140. Alfons Becker discusses the evidence for Odo being archdeacon at Reims, in: Papst Urban II. Stuttgart 1964–1988, Vol.1, 33–41. Demouy, Génèse d’une cathédrale (as n. 16), 392, doubts that Eudes de Lagery was the same person as the Eudes (d. 1070) who was archdeacon 1041–1067. 53 Olivier Guyotjeannin, Episcopus et comes, Affirmation et déclin de la seigneurie épiscopale au nord du royaume de France (Beauvais/Noyon, Xe–début XIIIe siècle). Geneva 1987, 72–74, and Léon-Honoré Labande, Histoire de Beauvais et de ses institutions communales. Paris 1912, 53; see Mews, St Anselm, Roscelin and the See of Beauvais (as n. 49), 110. 54 Anselm, De incarnatione verbi, in: Franciscus Salesius Schmitt (Ed.), Opera Omnia Anselmi. 6 Vols. Edinburgh/Rome 1938–1968, Vol.2, 4: „audivi prafatae novitatis auctorem in sua perseverantem sententia dicere se non ob aliud abiurasse quod dicebat, nisi quia a populo interfici timebat“. Transl. Jasper Hopkins/ Herbert Richardson, Complete Philosophical and Theological Treatises of Anselm of Canterbury. Minneapolis 2000, 266.
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Anselm, who had recently moved there prior to his consecration as archbishop of Canterbury, to revise his treatise against Roscelin, preparing ideas that he would subsequently develop in his Cur Deus homo, between 1094 and 1098. 55 After Roscelin failed to win support from Ivo of Chartres – who reported that Roscelin had issued a palinode or confession of faith after the council –, he was given refuge by Fulk IV of Anjou, who invited him to establish a school at the ducal palace of Loches. 56 Fulk IV may have seen Roscelin in the same way as Geoffrey II saw Berengar, as an articulate intellectual who could defend the interests of Anjou against those of Normandy, where Anselm had commanding influence. The young Peter Abelard arrived at Loches c. 1095, only a year so after Roscelin had established his school there. Abelard, whose father, Berengar, was from Anjou, would have been raised to respect Berengar of Tours, initially seeing Roscelin as Berengar’s successor. Sometime in the 1090s, Roscelin acquired a canonry at St Martin of Tours, where Abelard continued his studies under the master until deciding to leave for Paris c. 1100. While Roscelin would later claim that he enjoyed wide respect in France, with canonries at Tours and Besançon, he could never live down the reputation of having been condemned at the council of Soissons. Anselm’s treatise, widely disseminated, was ruthless in its rhetorical dismissal of Roscelin as a small minded dialectician: „It is as if bats and owls, which see the sky only at night, were to dispute about the midday rays of the sun with eagles, which with unblinded vision gaze directly at the sun.“ 57 Around 1093, Anselm dedicated the revised version of his De incarnatione Verbi to Pope Urban II, ensuring that the Pope – rather than any council – be perceived as the ultimate arbiter of orthodoxy. Roscelin’s defiant position on the contingency of language, according to Anselm, was theologically dangerous. In the court of public opinion, Anselm seemed to have reduced Roscelin to silence. Roscelin returned to public attention c. 1118, soon after the scandal broke sur55
On a newly discovered, preliminary draft for the final version of the De incarnatione Verbi, as well as
further discussion of Roscelin’s visit to England, see Mews, St Anselm and Roscelin: Some New Texts and their Implications I (as n. 42). 56
Ivo of Chartres refers to this in Letter 30 to Roscelin, Yves de Chartres, Correspondance. Ed. Jean Le-
clercq. Paris 1949, 127–129. A treatise (Est una), quite likely to be the palinodia to which Ivo refers, is edited by Mews, St Anselm and Roscelin: Some New Texts and their Implications II (as n. 42). 57
Anselm, De incarnatione verbi, in: Schmitt (Ed.), Sancti Anselmi Opera (as n. 54), Vol.2, 8: „Velut si ves-
pertiliones et noctuae non nisi in nocte caelum videntes de meridianis solis radiis disceptent contra aquilas ipsum solum irreverberato visu intuentes.“ Transl. Hopkins/Richardson, Complete Philosophical and Theological Treatises (as n. 54), 268.
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rounding Abelard’s castration and entry into religious life, when he wrote a vituperative letter to his former student, accusing him of unjustified criticism of his theological teaching on the Trinity. Abelard had apparently defended the reputation of both St Anselm and Robert of Arbrissel (whose abbey at Fontevraud was then engaged in litigation against St-Martin of Tours, over property of St-Martin, originally given as a dowry to Bertrada de Montfort, that Bertrada had given to Fontevraud). 58 Roscelin defended his argument that the three divine persons had to be distinct things. Picking up on the same text of Augustine as Anselm had raised when defending himself to Lanfranc, he explained why he insisted on emphasising the plurality of persons in God: „any nouns do not signify one thing and another, whether according to parts or to qualities, but they signify only substance itself, neither divided into parts nor changed through qualities. We do not therefore signify through person anything other than through substance, granted that we are accustomed out of a certain habit of speech to triple person, not substance, as the Greeks are accustomed to triple substance […]. For in speech there is diversity, in belief unity.“ 59
Here, Roscelin pointed out how language, used habitually, was often in partial error when it came to explaining the divine. It was customary to speak of the three persons of the Trinity, even though usual meanings of person presumed a quiddity in conflict with Trinitarian unity. This was the nature of language, to express diversity and difference. Faith, on the other hand, reached for unity. Hence there would also be something of a gap between the enunciations of speech, and the pure enjoyment produced with faith. He outlined his own theological positions, focusing on the gulf between human language and divine simplicity. While this letter comes well after Roscelin’s quarrel with Anselm, it shows how he defended his argument from authority.
58 Constant J. Mews, Robert d’Arbrissel, Roscelin et Abélard, in: Revue Mabillon N. S.20/81, 2009, 33–54. 59 Roscelin, Epistola ad Abaelardum, in: Josef Reiners, Der Nominalismus in der Frühscholastik. Ein Beitrag zur Geschichte der Universalienfrage im Mittelalter. Nebst einer neuen Textausgabe des Briefes Roscelins an Abaelard. (Beiträge zur Geschichte der Philosophie im Mittelalter, 8.) Münster 1910, 72: „Sciendum est vero, quod in substantia sanctae trinitatis quaelibet nomina non aliud et aliud significant, sive quantum ad partes sive quantam ad qualitates, sed ipsam solam non in partes divisam nec per qualitates mutatam significant substantiam. Non igitur per personam aliud aliquid significamus, quam per substantiam, licet ex quadam loquendi consuetudine triplicare soleamus personam, non substantiam, sicut Graeci triplicare solent substantiam […]. In locutione enim tantum diversitas est, in fide unitas.“ See Mews, Nominalism and Theology before Abaelard (as n. 47), 8.
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III. Abelard and the Councils of Soissons (1121) and Sens (1141) Roscelin’s disappointment with what he saw as Abelard’s ingratitude disguises the fact that in a profound way both teachers owed much to the precedent established by Berengar of Tours in seeking to apply dialectical questions to core issues of religious faith. Similarly, Abelard did not refer to his studies with Roscelin of Compiègne, presenting himself in the Historia calamitatum as having wandered in his youth „wherever dialectic was flourishing“. 60 Nonetheless, Roscelin’s assertion that Abelard had been his pupil from being a boy to being a young man implies that he had been much more shaped by his education at Loches and Tours than was explicit in the Historia calamitatum. Abelard also chose not to mention in his narrative that he had directed the original version of his treatise on the divine Trinity, now called the Theologia ,Summi boni‘, against the tritheistic heresy attributed to Roscelin, hoping to be recognised as achieving in the task where St Anselm had faltered. 61 Abelard’s idea was that the names of the divine persons did not refer to things (as Roscelin claimed), but signified the divine attributes of power, wisdom and benignity. Abelard suggested that the relationship of the Son to the Father was like that between wisdom (the power of discernment) and power – prompting the claim that he was creating division within God, as Roscelin had done. In the Historia calamitatum, Abelard presents an account of the council of Soissons that is rich in vivid detail of vindictive personalities, but does not explain the broader political context of that meeting, held March/April 1121, in the presence of the papal legate, Cono of Palestrina. It was one of a series of councils that Cono, an Augustinian canon who had helped establish the order of Arrouaise, had convened in northern France since 1114, designed to communicate ecclesiastical reforms to a wider audience. He had been assisted by William of Champeaux, elected bishop of Châlons in 1113, shortly after establishing the abbey of St-Victor in Paris. Like Berengar and Roscelin before him, Abelard attended a church council in the hope of clearing his name. As William of Champeaux had died in January 1121, two disciples of Anselm of Laon, Alberic of Reims and Lotulph of Novara, were keen to use the op-
60
Abelard, Historia calamitatum. Ed. Jacques Monfrin. 4ième éd. Paris 1978, 64.
61
For further discussion, see the introduction to Theologia ,Summi boni‘, ed. Buytaert/Mews, Petri Abae-
lardi Opera Theologica III (as n. 10), 39–46.
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portunity to defend the authority of Anselm, challenged by Abelard. He reports that even before the council, they had poisoned the minds of clergy and people against him, just as happened to Roscelin in 1090. Abelard blamed them for influencing the archbishop and papal legate to deliver a hostile verdict. 62 Abelard’s account of how he responded to Alberic’s insistence that he demonstrate a patristic authority for his argument illustrates how conventionally theological argument was expected to be based on authorities, just as it had been for Berengar. Abelard’s concern was to demonstrate that he could provide a satisfying theology, arguing both from reason and authority, in a way that was superior to St Anselm’s attempt to refute Roscelin. There was heated discussion at the council, as Abelard reports it, with individual masters, like Thierry of Chartres (d. c. 1150), who spoke in Abelard’s defence, only to be rebuked by his bishop. 63 A final decision was going to be deferred to a later meeting at Saint-Denis, when Abelard’s rivals realised that a hasty decision was needed, or the chance to condemn him would slip from their grasp. One of his rivals claimed that Abelard was saying that only God the Father was omnipotent, leading the papal legate to force him to profess the Athanasian Creed, which declared all three persons equally important and also to command that his treatise be burnt. While Abelard’s account is unusually detailed, its narrative details followed the same basic format as the reports of Berengar’s attempt to defend himself at the Lateran in 1079 and what we can presume must have happened in the case of Roscelin at Soissons in 1090. The difference was that Abelard now had a major treatise that was put into the fire, while he was theoretically condemned to perpetual confinement at Saint-Medard, Soissons, a punishment that was soon lifted. In many ways, the meeting at Soissons in 1121 was a much smaller scale version of the council held two years earlier, at the cathedral of Reims, presided over by Pope Callixtus II. While there had not been any significant doctrinal debate in 1119, that assembly was concerned to reinforce the same message of ecclesiastical independence against the secular arm as had been driving reformers at the Lateran in 1079. It was also concerned with establishing the privileges of many new orders, like the Cistercians and the Premonstratensians. At Soissons, however, there was a subtext be-
62 Abelard, Historia calamitatum (as n. 60), 84. 63 Ibidem 88; on Thierry, see Constant J. Mews, In Search of a Name and Its Significance. A Twelfth-Century Anecdote about Thierry and Peter Abaelard, in: Traditio 44, 1988, 175–200; reprinted in: Constant J. Mews, Reason and Belief in the Age of Roscelin and Abelard. Aldershot 2002.
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hind Abelard’s condemnation. His patron, Stephen of Garlande, was royal chancellor, and seneschal of the kingdom. By acting against Abelard, the scholars Alberic of Reims and Lotulf of Novara could gain an important symbolic victory for the cause of ecclesiastical authority against those clerics who saw their duty as to serve a higher secular lord. Abelard’s critics were no longer overwhelmingly monks, like those opposed to Berengar and Roscelin. They were secular masters, concerned at the way the schools of Laon and Reims were now giving way to those of Paris. Eloquent monks could still gain influence in society, in a way that was not possible for secular masters. In 1140, William of Saint-Thierry (1075/80–1148), who had been present at Soissons as a newly appointed abbot of Saint-Nicasius, Reims, sent to Bernard of Clairvaux a treatise identifying various errors he had found in Abelard’s Theologia ,Scholarium‘ and in a collection of his theological sententie. After they met at Easter 1140, Bernard circulated a more accessible version of that treatise, addressed to Pope Innocent, claiming that Abelard’s arguments were fomenting schism within the Church. Abelard felt so affronted that he wrote to Henri Sanglier, the archbishop of Sens, asking to present his case at an important council being convened at his newly re-built cathedral on the octave of Pentecost 1141. 64 Because Abelard had connections with the cathedral of Sens, not least through his patron Stephen of Garland, he may well have thought he might have a reasonable chance of presenting his views. In point of fact, Bernard of Clairvaux did decide to attend, working in close relationship with Samson, a newly appointed archbishop of Reims. If Abelard was going to use the council to defend his position, it then became essential for Bernard to defend his own reputation. As Abelard’s disciple, Berengar of Poitiers (b. c. 1120), makes clear in his savage account of Bernard’s behaviour at Sens, the most important meeting occurred prior to the official council, when Bernard addressed the assembled bishops the evening before. 65 Although technically a council provided an opportunity for disputes to be resolved, in practice there was ample opportunity for certain dominant views to be aired, with no easy facility for a right of reply. Once he realised that opinions had already been decided, Abelard decided not to go ahead with his presentation, but to appeal directly to Rome. In order to forestall
64
On the date and political circumstances surrounding this council, see Mews, The Council of Sens
(1141) (as n. 1). 65
Berengar, Apologia contra Bernardum, in: Rodney M. Thomson, The Satirical Works of Berengar of Poi-
tiers, in: Mediaeval Studies 42, 1980, 89–138.
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Abelard’s consultation with the cardinals, Bernard despatched urgent letters to them, urging them to condemn the appellant and his assistant, Arnold of Brescia. Pope Innocent II issued that condemnation on 16 July 1141, not even two months after the council had come to a close. 66 The unfolding of the Council of Sens – Abelard’s expectation of being able to put his case, and Bernard’s achievement in persuading the assembled bishops to deliver a hostile verdict – reflected an inherent tension within the conciliar process itself, one that that Berengar of Tours had encountered previously. On one side, it was a place for settling conflict. On the other, it was a forum that enabled the assertion of authority. Peter the Venerable did succeed in getting the sentence of excommunication lifted, having arranged for a truce to be drawn up between Bernard and Abelard. 67 While that truce did not stop their disciples from continuing the echo of that conflict, it did bring a close to their dispute in a way that the council was unable to achieve. William of Saint-Thierry raised those accusations against Abelard at a time of heightened political insecurity in Europe. In Reims, a commune had been established since 1140, preventing Samson from taking up his position as its new archbishop. 68 There were similar tensions in Rome, where Innocent II had only recently established his authority through the II Lateran Council in 1139, after long years of papal schism. Bernard was troubled that Abelard did have senior supporters among the cardinals of the curia, most notably Guy of Castello, who succeeded Innocent II as Pope Celestine II in 1143. 69 William of Saint-Thierry was genuinely worried that if Abelard’s influence was unchecked, Latin Christendom might revert into schism. As Pope, Guy of Castello did allow Arnold of Brescia to slip back into Italy. The result, however, was not peaceful. Guy lived for just seven months, „poisoned by his own kind“, according to one report. 70 His successor Lucius II was similarly short-lived, fa66 The letter of Pope Innocent was included as Letter 194 among the letters of Bernard, in: Jean Leclercq (Ed.), Sancti Bernardi Opera. 8 Vols. Rome 1957–1977, Vol.8, 46–48. 67 The truce is alluded to in a letter to Pope Innocent by Peter the Venerable, The Letters of Peter the Venerable. Ed. Giles Constable. 2 Vols. Cambridge, Mass. 1967, Vol.1, 258f. 68 For further detail, see Mews, The Council of Sens (as n. 1), 349–351. 69 Bernard, Ep. 192 (the first letter after Ep. 191 to Pope Innocent), in: Leclercq (Ed.), Sancti Bernardi Opera (as n. 66), Vol.8, 43: „ad magistrum Guidonem de Castello, qui Petri discipulus fuerat et de quo potissimum praesumebat, qui et postea papa Caelestinus fuit“. 70 Albano Sorbelli (Ed.), Corpus chronicorum Bononiensium. 4 Parts. (Raccolti degli Storici Italiani, 18.) Città di Castello 1910–1939, Part 2, 22. For further detail, see Constant J. Mews, Accusations of Heresy and
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tally wounded leading an attack on the Capitol, in Rome. There was little opportunity here for a council to bring together opposing sides.
IV. Gilbert of Poitiers and Bernard of Clairvaux Unlike Abelard, Gilbert of Poitiers (c. 1075–1154) faced sustained criticism for heresy only at one period in his life, namely at two consistories held in the presence of Pope Eugenius III – one at Paris, held between April and July 1147, the other held at Reims in late March 1148. John of Salisbury, who gives our most complete account of the Council of Reims and the various legal cases heard by the Pope at the consistorium that followed the council, clarifies that he was effectively being tried in a papal court, a different situation from that at Sens, where Abelard initially thought he could defend his cause within the framework of a council. Gilbert had taught at both Chartres and Paris before becoming bishop of Poitiers in 1142. 71 At Reims, he was a senior figure (then around seventy-six years old), confronting accusations initiated by two archdeacons of Poitiers, disgruntled by his appointment to their bishopric. After going to Italy to raise their concerns with Eugenius III, they had asked Bernard of Clairvaux, the Pope’s mentor, to have Gilbert condemned during a papal visit to France. Bernard, who had actively promoted the second crusade, was then at the height of his influence, while Suger of Saint-Denis was effectively in charge of the kingdom in the absence of Louis VII. Whereas in 1049, Pope Leo IX had convened a general council at the newly consecrated abbey of Saint-Rémi, this council was held at the cathedral as a way of reinforcing episcopal authority, above all that of Reims, over the French church as a whole. While Gilbert’s critics, both monks and schoolmen, hoped that Bernard’s influence would be decisive in ensuring the condemnation of a brilliant intellectual, the cardinals of the curia were much less enthusiastic about the way Bernard sought to control the English and Gallic parts of the Church, as John of Salisbury put it. 72 Error in the Twelfth-Century Schools. The Witness of Gerhoh of Reichersberg and Otto of Freising, in: Ian Hunter/John Christian Laursen/Cary J. Nederman (Eds.), Heresy in Transition. Transforming Ideas of Heresy in Medieval and Early Modern Europe. Aldershot 2005, 43–57. 71
John of Salisbury, The Historia Pontificalis of John of Salisbury 1–8. Ed. and Transl. by Marjorie Chib-
nall. Oxford 1986, 4–19. 72
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John refers to the „Gallicanam et Anglicanam ecclesiam“, ibidem 9, 20.
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John of Salisbury, writer of the Metalogicon and Policraticus, wrote of Bernard of Clairvaux in his Historia Pontificalis that „various opinions are held of the abbot himself, some saying one thing and some another, because he attacked the two men most famous for their learning – Peter Abelard and this same Gilbert [of Poitiers] – and pursued them with such zeal.“ 73 But in the minds of Gilbert’s contemporaries, at least, Abelard and Gilbert could not be placed in the same basket. Otto of Freising also recorded Bernard’s role in the trials of Abelard and Gilbert of Poitiers, arguing in his Gesta Friderici that while Abelard may have provoked his own end, with Gilbert „there was neither the same reason nor like material“. 74 Tellingly, both John and Otto took pains to paint Gilbert’s character and learning as beyond reproach. 75 John called Gilbert the „most learned man of our day“. 76 Otto said that Gilbert „from his youth had subjected himself to the instruction of great men and placed more confidence in the weight of their authority than in his own intellect“. 77 After an inconclusive presentation of arguments at Paris in 1147, the issues were deferred to a more important general council at Reims in 1148. At a consistory held immediately following the council, Gilbert was obliged to answer charges that he had promulgated four heretical propositions: „that the divine essence is not God; that the properties of the persons are not the persons themselves; that persons (in the theological sense) are not predicated in any proposition; that the divine nature did not become flesh.“ 78 The trial was prosecuted by Bernard who focused particularly on the first three propositions, arguing in the trial that Gilbert’s application of grammatical categories to the persons of the Trinity had created a quaternity. As with Berengar and Abelard be73 Ibidem 8, 16: „De ipso tamen varia opinio est, aliis sic et aliis sic sentientibus de eo, quod viros in litteris famosissimos, Petrum Abaielardum et prefatum Gislebertum, tanto studio insectatus est.“ 74 Otto of Freising, Gesta Friderici I. Imperatoris 1.51. Ed. Georg Waitz and Bernhard von Simson. (MGH SS in us. schol. separatim editi, 46.) Hannover/Leipzig 1912, 74: „Sed nec eadem causa nec similes erat materia.“ Transl. by Charles Mierow, The Deeds of Frederick. New York 1953, 88. 75 On the narrative qualities of John and Otto’s accounts, see Clare Monagle, The Trial of Ideas: Two Tellings of the Trial of Gilbert of Poitiers, in: Viator 34, 2004, 113–129. 76 John of Salisbury, Historia Pontificalis (as n. 71), 8, 15: „vir etate nostra litteratissimus Magister Gislebertus“. 77 Otto of Freising, Gesta Friderici (as n. 74), 1.52, 74: „Iste enim ab adolescentia magnorum virorum disciplinae se subicens magisque illorum ponderi quam suo credens ingenio.“ Transl. Mierow, The Deeds (as n. 74), 88. 78 Otto of Freising, Gesta Friderici (as n. 74), 1.52, 75: „Quod videlicet assereret divinam essentiam non esse Deum. Quod proprietates personarum non essent ipsae personae. Quod theologicae personae in nulla predicarentur propostitione. Quod divina natura non esset incarnate.“ Transl. Mierow, The Deeds (as n. 74), 88.
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fore him, Gilbert was accused of assuming that the signs that bore Divine Presence in the world functioned according to human laws of representation. Unlike those men, however, Gilbert’s personal reverence and humility was never in doubt. Gilbert’s unassailable academic reputation presented a challenge to Bernard. Unlike Abelard, Gilbert could not be accused of the accoutrements of heresy, of arousing social tension, sexual immorality and prideful repudiation of orthodoxy. Instead, the campaign had to be waged on the basis of content alone; it had to be a debate about doctrine itself. This is not to say that it was not also political. As the accounts of Gilbert’s trial make clear, the stakes of reputation and prestige were enormous. The competitive educational environment is evident from the way Geoffrey of Auxerre, Bernard’s biographer, was forced to admit how woefully unprepared Bernard was for this task of engaging in a trial of ideas. Geoffrey described his shame when, upon entering the consistory for the first day of the trial, he noticed that „Gilbert’s supporters had brought a great body of books while we only had a few authorities scribbled on a schedule“. 79 The next day, Geoffrey recorded, Bernard’s camp brought in a great stack of books in order to say to Gilbert’s acolytes (fautores) „See, we don’t have the schedule anymore!“ 80 Given the famous complexity of Gilbert’s thought, as well as his esteemed character, Bernard left himself wide open with this lack of preparation. For Gilbert, as Southern has pointed out, „wrote theology as Henry James might have written it: prolix, enigmatic, strikingly original“. 81 Otto also commented on the complexity of Gilbert’s thought: „what he meant was never clear to childlike minds, scarcely even to men of learning“. 82 Like Berengar, Roscelin, and Abelard, Gilbert used grammatical categories to analyze the names of God. Unlike those two, however, his thought could not be reduced to a snippet of easily prosecutable error.
79
Geoffrey of Auxerre, Epistola ad Albinum Cardinalem et Episcopum Albanensem. Ed. Nikolaus Häring,
The Writings against Gilbert of Poitiers by Geoffrey of Auxerre, in: Analecta Cisterciensia 22, 1966, 3–83: This particular extract is at, 4. 18, 73: „ingredientibus uero nobis Consistorium prima die, cum magnorum voluminum corpora per clericos suos Pictauiensis fecisset afferi et nos paucas auctoritates ecclesie in sola scedula haberemus.“ 80
Geoffrey of Auxerre, Epistola ad Albinum, 6. 29, 74: „Sequenti die codices tantos attulimus ad disputa-
tionem ut obstuperescent fautores episcope et a nobis audirent quia ‚Ecce scedula non habemus?“ 81
Richard W. Southern, Scholastic Humanism and the Unification of Europe. The Heroic Age. Oxford
2001, 132. 82
Otto of Freising, Gesta Friderici (as n. 74), 1.52, 75: „ut nunquam puerilibus, vix autem eruditis et exer-
citatis quae ab eo dicebantur paterent animis“. Transl. Mierow, The Deeds (as n. 74), 88.
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Frustrated at his inability to snare Gilbert, Bernard convened a secret meeting at which a symbolum fidei was drafted. Just as he had with Abelard, it seems that he hoped to be able to decide the result prior to the actual hearing. His plan was to force Gilbert to assent to the oath, and so to guarantee a victory of a sort. It backfired significantly. Nielsen writes that „the result he [Bernard] achieved by issuing the confession was – as far as I can see – to shift the entire emphasis of the trial, so that it was no longer a matter of deciding whether Gilbert’s teaching was heretical or not, but to decide which of the two – Gilbert or Bernard – was a heretic“. 83 The cardinals present were outraged by Bernard’s presumption and agreed among themselves to support Gilbert’s cause „because it was befitting to the apostolic see, which was accustomed to confound schemes of this kind, and [to] snatch the poor from the clutches of the strong“. 84 John of Salisbury recorded that the cardinals felt that Bernard had called the meeting „for the express purpose of forcing the Papacy to accept the abbot’s views under threat of schism“. 85 In John’s telling, then, it was Bernard who was in error, his pride threatening the unity of Ecclesia. John noted that subsequently the cardinals reminded Eugenius that his duties were to the unity of his church, rather than to Bernard. The cardinals leant very heavily on the Pope to vindicate Gilbert, and to let him go in peace with reputation restored. It was clear that they saw no real threat to the church in Gilbert’s thought, or any evidence of heresy. And this is more or less what seems to have happened, although the three accounts differ slightly on this. 86 Gilbert’s trial – in spite of its inauspicious ending – seemed to have been something of a watershed for the schools. Despite his best attempts, Bernard was not able to establish Gilbert’s heresy. Nor could he assume that the schools were an easy target that could be labelled with all sorts of error. In their accounts, John and Otto had made clear that Gilbert’s solution to the problem of speaking humanly about God
83 Lauge Olaf Nielsen, Theology and Philosophy in the Twelfth Century. A Study of Gilbert Porreta’s Thinking and the Theological Expositions of the Doctrine of the Incarnation during the Period 1130–1180. Leiden 1982, 37. 84 John of Salisbury, Historia Pontificalis (as n. 71), 9, 19–20: „sed ille sedis apostolice non habuerat copiam, que consueuit machinationes huiusmodi reprobare et de manu potentioris eruere pauperem“. 85 Ibidem 9, 20: „et uiros in ecclesia potentissimos dicebant ad hoc fuisse conuocatus, ut apostolica sedes metu scismatis cogeretur abbatem sequi“. 86 Geoffrey records that Gilbert’s headings were condemned. John and Otto, however, say that Gilbert was exonerated and returned to his diocese; see Geoffrey of Auxerre, Epistola ad Albinum (as n. 79), 8, 43, 76; Otto of Freising, Gesta Friderici (as n. 74), 1.61, 75; John of Salisbury, Historia Pontificalis (as n. 71), 15, 41.
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was not a prideful gesture, but an act of necessity. 87 John wrote that theology was the discipline concerned with speaking about God and that „since we have no words fitting for such matters […] necessity compels us to use the alien names and descriptions of temporal and fragile things“. 88 Otto read Gilbert’s possible overstatement of the diversity of number in the Trinity as „not affirming the singularity of the theological persons, but rather recognizing their exalted uniqueness“. 89 Certainly, the refusal of the curia to follow Bernard’s lead signalled confidence that the developing theology of the schools did not necessarily threaten doctrine, or the simple faith of the believer. Rather, the derision Bernard encountered when he entered the consistory without any books demonstrates that declarations of faith were no longer sufficient. Geoffrey of Auxerre wrote in his account that „Gilbert’s supporters humiliated us because we could only produce truncated quotes, while he was able to exhibit complete books so that it could be understood how the preceding or following words related to propositions put forward“. 90 Even Bernard’s biographer was aware of the shame of this moment, speaking of a world where the systematic analysis of scripture and doctrine was growing in respectability and applicability.
V. Conclusion Gilbert’s trial at Reims in 1148 was perhaps the last great occasion where there genuinely was occasion for weighty academic dispute, with each side putting forward their arguments before a judgement was made. Unlike the councils of Soissons and Sens in 1121 and 1141, or the Lateran Council of 1079, at which Berengar’s teaching was subject to critical debate, Gilbert’s case was deferred to a consistory following the Council of Reims, heralding a new attitude towards such assemblies, per-
87
On the relationship between John’s thought and his account of the trial see Clare Monagle, Contested
Knowledges. John of Salisbury’s Metalogicon and Historia Pontificalis, in: Parergon 21, 2004, 1–17. 88
John of Salisbury, Historia Pontificalis (as n. 71), 13, 37: „et nominibus et uerbis alienis rerum tempora-
lium et fragilium nos uti necessitas ipsa compellat“. 89
Otto of Freising, Gesta Friderici (as n. 74), 1.54, 76–77: „affirmans per singularia non theologicas perso-
nas, sed ipsarum excellentiam intellexisse“. 90
Geoffrey of Auxerre, Epistola ad Albinum (as n. 79), 4.18, 73: „calumpniabantur fautores illius hominis
quod decurtata testimonia proferremus cum ille codices integros exhiberet ubi posset intelligi quemadmodum uerbis propositis precedentia uel sequentia adhererent“.
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ceived as an occasion for imposing official policy, rather than conducting genuine discussion. In the formal situation of a trial, however, the evident multiplicity of opinions brought forward by various distinguished theologians, meant that it was impossible for the Pope and his cardinals to arrive at a verdict. 91 Bernard’s secretaries left no significant trace of the event in the register of his correspondence, such as they did with the record of the letters relating to Peter Abelard. Gilbert was not forced to swear to some humiliating oath as had happened to Berengar in 1059 and again in 1079. The accusations against Gilbert had been initiated not by monks, but by archdeacons with a grudge against a relatively recently appointed bishop. Monasticism was no longer a cohesive movement in the way that it might have seemed in the age of Lanfranc of Bec and Humbert of Silva Candida. The writings of Abelard and Gilbert of Poitiers could be found in many monastic libraries, to the alarm of monks like William of Saint-Thierry and Bernard of Clairvaux. Theological conflict now had to be settled through rational debate, by parties who both accepted common rules for disputation, even if they might not agree on particular conclusions. There would be continuing attempts, notably to use the machinery of councils to impose ecclesiastical orthodoxy. Peter Lombard’s teaching on Christology became the target of such a campaign, notably at the Council of Tours in 1164 and most fully at the III Lateran Council in 1179. Yet nothing came of the efforts of Gerhoch of Reichersberg and Walter of St Victor to have Peter Lombard’s teaching condemned. 92 His Four Books of Sentences were acquiring wide readership and admiration for the way in which he seemed to resolve so many contentious issues by a judicious combination of appropriate patristic and scriptural authority coupled with convincing reasons. By the IV Lateran Council in 1215, there was no place for an intellectual to defend their particular arguments about God. Instead, it provided an opportunity for a clear-cut answer to theological diversity by taking the example of Abbot Joachim of Fiore as an individual who had spoken out of turn about the orthodoxy of Peter Lombard. The council was now a way of settling an argument rather than of opening it up to debate.
91 John of Salisbury, Historia pontificalis (as n. 71), 8, 19. 92 See Clare Monagle, Orthodoxy and Controversy in Twelfth-Century Religious Discourse. Peter Lombard’s ,Sentences‘ and the Development of Theology. Turnhout 2013, 138; see also 1–41 on schoolmen and their Critics, from Berengar to Gilbert of Poitiers.
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„Gravis et clamosa querela“ Synodale Konfliktführung und Öffentlichkeit im französischen Bettelordensstreit 1254–1290 von Sita Steckel
I. Vorüberlegungen: Der Bettelordensstreit und seine Öffentlichkeiten Dass die überaus erfolgreiche Ausbreitung der neuen Bettelorden des 13. Jahrhunderts von heftigen Widerständen und Konflikten begleitet war, ist gut bekannt. In bestimmten Regionen Europas gerieten die Bettelorden mit Vertretern des lokalen Klerus in Streit. In den 1250er Jahren folgte eine heftige Kontroverse an der Universität Paris, in die vor allem die beiden großen Orden der Dominikaner und Franziskaner verwickelt wurden. Konfliktpunkt war zunächst die Rolle der Mendikanten in der diözesanen Seelsorge sowie innerhalb der Universität. Bald weitete sich der sogenannte ‚Bettelordensstreit‘ jedoch zu einer grundlegenden Kontroverse um Privilegien und intellektuellen Vorrang, Gläubige und Gebühren, ja letztlich um die Legitimität der jeweiligen religiösen Lebensformen der Bettelorden und des Klerus aus. 1 Die Bedeutung des Streits für die Kirche des 13.Jahrhunderts ist oft betont worden: Er legte eine ganze Reihe von Spannungen offen und wuchs sich als gravis et cla-
1 Vgl. grundlegend den Überblick von Ludwig Hödl, Theologiegeschichtliche Einführung, in: Heinricus Gandavensis, Tractatus super factum prelatorum et fratrum (Quodlibet XII, Quaestio 31), ed. v. Ludwig Hödl/Marcel Haverals. (Heinrici de Gandavo Opera Omnia, Vol.17.) Leuven 1989, XXXIV–LXIX; Ramona Sickert, Wenn Klosterbrüder zu Jahrmarktsbrüdern werden. Studien zur Wahrnehmung der Franziskaner und Dominikaner im 13.Jahrhundert. (Vita Regularis. Ordnungen und Deutungen religiösen Lebens im Mittelalter, Bd. 28.) Berlin 2006; Ingo Ulpts-Stöckmann, Die Mendikanten als Konkurrenz zum Weltklerus zwischen Gehorsamsgebot und päpstlicher Exemtion, in: Wissenschaft und Weisheit 66, 2003, 190–227; Frances Andrews, The Other Friars. The Carmelite, Augustinian, Sack and Pied Friars in the Middle Ages. London 2006; Luigi Pellegrini, Che sono queste novità? Le religiones novae in Italia meridionale, secoli 13 e 14. (Mezzogiorno medievale e moderno, Vol.1.) Neapel 2000; aufschlussreich auch die architekturhistorische Studie von Caroline Bruzelius, Preaching, Building, and Burying. Friars in the Medieval City. New Haven, CT 2014.
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mosa querela zu einer lautstark geführten, öffentlichen Kontroverse aus, die über Dekaden sowohl in den politischen und intellektuellen Zentren wie in den Städten unter Beteiligung von Laien diskutiert wurde. Er regte dabei die Formierung lateinischer wie volkssprachlicher weiterwirkender Diskurse an und wurde daher oft in längere Entwicklungszusammenhänge eingeordnet. Einerseits wurden wichtige ekklesiologische Modelle 2, andererseits antimendikantische und antiklerikale argumentative Repertoires in der Volkssprache formuliert, die teils bis in die Reformationszeit und darüber hinaus weiterwirkten. 3 Gerade für die derzeit vielfach aufgeworfene Frage nach politischer Öffentlichkeit und nach kirchlicher Konfliktkultur der Vormoderne erscheint der Bettelordensstreit daher als vielversprechendes Fallbeispiel. Die Konfliktpraxis, die sich im Laufe des Streits entwickelte, ist jedoch bislang nur punktuell in den Blick geraten. 4 Auch die hohe Öffentlichkeitswirkung des
2 Vgl. schon Kurt Schleyer, Die Anfänge des Gallikanismus im 13.Jahrhundert. (Historische Studien, Bd. 314.) Berlin 1937; Joseph Ratzinger, Der Einfluß des Bettelordensstreites auf die Entwicklung der Lehre vom päpstlichen Universalprimat. Unter besonderer Berücksichtigung des heiligen Bonaventura, in: Johann Auer/Hermann Volk (Hrsg.), Theologie in Geschichte und Gegenwart. Festschrift für Michael Schmaus. München 1957, 607–714; Yves Congar, Aspects ecclésiologiques de la querelle entre mendiants et séculiers dans la seconde moitié du XIIIe siècle et le debut du XVIe, in: Archives d’histoire doctrinale et littéraire du Moyen Âge 28, 1961, 35–151; John Thomas Marrone, The Ecclesiology of the Parisian Secular Masters, 1250– 1320. Diss. Cornell University 1972; Michel-Marie Dufeil, Signification historique de la querelle des Mendiants. Ils sont le progrès, in: Albert Zimmermann (Hrsg.), Die Auseinandersetzungen an der Pariser Universität im 13.Jahrhundert. (Miscellanea Mediaevalia, Bd. 10.) Berlin/New York 1976, 95–105. 3 Vgl. Penn R. Szittya, The Antifraternal Tradition in Medieval Literature. Princeton 1986, sowie neuerdings Guy Geltner, The Making of Medieval Antifraternalism. Polemic, Violence, Deviance, and Remembrance. Oxford 2012; ders., Brethren Behaving Badly. A Deviant Approach to Medieval Antifraternalism, in: Speculum 85, 2010, 47–64; ders., A False Start to Medieval Antifraternalism, in: Michael F. Cusato/Guy Geltner (Eds.), Defenders and Critics of Franciscan Life. Essays in Honor of John V. Fleming (The Medieval Franciscans, Vol.6.) Leiden/Boston/Köln 2009, 105–118. Für spätere Konfliktepisoden vgl. auch Andrew G. Traver, Secular and Mendicant Masters of the Faculty of Theology at the University of Paris, 1505–1523, in: The Sixteenth Century Journal 26, 1995, 137–155; Geoffrey Dipple, Antifraternalism and Anticlericalism in the German Reformation. Johann Eberlin von Günzburg and the Campaign against the Friars. Aldershot 1996; Nancy McLoughlin, Gerson as a Preacher in the Conflict Between Mendicants and Secular Priests, in: Brian Patrick McGuire (Ed.), A Companion to Jean Gerson. Leiden 2006, 249–291; Magda Hayton, Pierre d’Ailly’s Tractatus de Falsis Prophetis II and the Collectiones of William of Saint-Amour, in: Viator 44, 2013, 243–266. 4 Die im Zusammenhang mit dem Konflikt geführten Prozesse gegen einzelne Theologen behandelte Jürgen Miethke, Papst, Ortsbischof und Universität in den Pariser Theologenprozessen des 13.Jahrhunderts, in: Albert Zimmermann (Hrsg.), Die Auseinandersetzungen an der Pariser Universität im XIII.Jahrhundert. (Miscellanea Mediaevalia, Bd. 10.) Berlin/New York 1976), 52–94; auf die Ausbildung von Konfliktkultu-
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Streits wurde zwar vielfach unterstrichen, aber kaum genauer analysiert oder mit aktuellen Forschungen zu Öffentlichkeit und kirchlicher Konfliktkultur in Zusammenhang gebracht. 5 Da der Konflikt insbesondere in Frankreich zwischen den 1250er und 1280er Jahren nicht nur am Königs- und Papsthof und in städtisch-universitären Kontroversen, sondern mehrfach auch im Rahmen synodaler Verhandlungen thematisiert wurde, liegt es im Rahmen des vorliegenden Bandes nahe, Fragen zur synodaler Konfliktlösung und zur Öffentlichkeit des Streits zu verknüpfen: Wurde der Konflikt vor einer ‚Öffentlichkeit‘ beziehungsweise ‚kirchlichen Öffentlichkeit‘ verhandelt oder konstituierte er sie sogar mit? Welche Rolle spielten synodale Verhandlungen für eine solche Öffentlichkeit und wie waren sie in kirchliche Strukturen der Konfliktbewältigung eingebettet? Wie, so wäre schließlich mitzureflektieren, wäre eine ‚Öffentlichkeit‘ im 13.Jahrhundert überhaupt vorzustellen? Wie zuletzt Nikolas Jaspert zusammengefasst hat, muss für das Mittelalter ja teils eher von einem Zusammenspiel verschiedener Teilöffentlichkeiten oder Kommunikationsgemeinschaften gesprochen werden als von einer übergreifenden Öffentlichkeit. 6 Ein knapper Blick auf verschiedene Konfliktepisoden und -phasen des französischen Bettelordensstreits legt tatsächlich nahe, mit Begriffen und Konzepten von ‚Öffentlichkeit‘ zunächst vorsichtig umzugehen und nicht nur nach synodaler Öffentlichkeit, sondern auch nach unterschiedlichen Einbettungen des Konflikts und nach dem Umfeld von Synoden zu fragen. Denn es sind ganz unterschiedliche Rah-
turen in den Volkssprachen und auf symbolische Gewalt geht Geltner, The Making of Medieval Antifraternalism (wie Anm.3), bes. 45–80, ein. 5 Zu diesen Thematiken bereitet die Verfasserin aktuell eine Studie vor; vgl. bereits die Vorüberlegungen in Sita Steckel, Professoren in Weltuntergangsstimmung. Religiöse Debatte und städtische Öffentlichkeit im Pariser Bettelordensstreit 1252–1257, in: Jörg Oberste (Hrsg.), Pluralität – Konkurrenz – Konflikt. Religiöse Spannungen im städtischen Raum der Vormoderne. (Forum Mittelalter Studien, Bd. 8.) Regensburg 2013, 51–74; dies., Auslegungskrisen. Grenzarbeiten zwischen Wissenschaft, Recht und Religion im französischen Bettelordensstreit des 13.Jahrhunderts, in: Martin Mulsow/Frank Rexroth (Hrsg.), Was als wissenschaftlich gelten darf. Praktiken der Grenzziehung in Gelehrtenmilieus der Vormoderne. Frankfurt am Main 2014, 39–89; dies., Ein brennendes Feuer in meiner Brust. Prophetische Autorschaft und polemische Autorisierungsstrategien Guillaumes de Saint-Amour im Pariser Bettelordensstreit (1256), in: Christel Meier/Martina Wagner-Egelhaaf (Hrsg), Prophetie und Autorschaft. Charisma, Heilsversprechen und Gefährdung. Berlin 2014, 129–168. 6 Vgl. diese Problematisierung bei Nikolas Jaspert, Politische Öffentlichkeit im Spätmittelalter. Zusammenfassung, in: Martin Kintzinger/Bernd Schneidmüller (Hrsg.), Politische Öffentlichkeit im Spätmittelalter. (Vorträge und Forschungen, Bd. 75.) Ostfildern 2011, 433–449, hier 434f.
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mungen kirchlicher Konfliktbewältigung anzutreffen, die zudem mit jeweils verschiedenen Forschungsansätzen zum Thema Öffentlichkeit und Kommunikation in Zusammenhang gebracht werden können. 7 In den 1250er Jahren ist etwa im Umfeld der Universität Paris eine Konflikteskalation von hoher Sichtbarkeit und Publizität zu verzeichnen, die allerdings vor allem an Formen universitärer und städtischer Kommunikation anschloss und auf päpstliche Entscheidungen reagierte. Im synodalen Rahmen wurde erst verhandelt, als die andauernden Streitigkeiten zwischen Klerus und Orden im Rahmen des II. Konzils von Lyon 1274 thematisiert wurden. Dort wurden der Konflikt zwar of-
fenbar ausführlich diskutiert und einzelne Standpunkte durch schriftliche Traktate verbreitet. Doch wird man das vom Papsttum relativ straff organisierte Konzil von 1274 kaum als „Forum der öffentlichen Meinung“ in dem Sinne bezeichnen dürfen, den Jürgen Miethke für die Zeit der großen Konzilien des 15.Jahrhunderts postuliert hat. 8 Neben der Funktion einer kommunikativen ‚Drehscheibe‘ arbeitete er heraus, dass während laufender konziliarer Verhandlungen Stellungnahmen und Argumente öffentlich vorgetragen oder zur Publikation gebracht wurden und so auf die konziliaren Erörterungen einwirken konnten. Im Bettelordensstreit scheint es dagegen zu einer öffentlichen Diskussion einzelner Standpunkte und zu mündlicher wie schriftlicher Zirkulation von Konfliktargumenten während laufender synodaler Verhandlungen erst in einer weiteren, großenteils auf Frankreich beschränkten Eskalationsphase von 1281 bis 1290 gekommen zu sein, den Auseinandersetzungen um das zugunsten der Bettelorden erlassene Privileg Ad fructus uberes. Hier war es je7 Vgl. neben den im Folgenden erwähnten einzelnen Arbeiten zum Thema Öffentlichkeit allgemein Gert Melville/Peter von Moos (Hrsg.), Das Öffentliche und Private in der Vormoderne. (Norm und Struktur, Bd. 10.) Köln/Weimar/Wien 1998; Karel Hruza (Hrsg.), Propaganda, Kommunikation und Öffentlichkeit. (11.–16.Jahrhundert). (Österreichische Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-historische Klasse, Denkschriften, Bd. 307; Forschungen zur Geschichte des Mittelalters, Bd. 6.) Wien 2002; Rudolf Schlögl, Politik beobachten. Öffentlichkeit und Medien in der Frühen Neuzeit, in: Zeitschrift für historische Forschung 35, 2008, 581–616; Carol Symes, A Common Stage. Theater and Public Life in Medieval Arras. Ithaca/ London 2007; knapper dies., Out in the Open, in Arras. Sightlines, Soundscapes, and the Shaping of a Medieval Public Sphere, in: Caroline Goodson/Anne E. Lester/Carol Symes (Eds.), Cities, Texts, and Social Networks, 400–1500. Experiences and Perceptions of Medieval Urban Space. Farnham/Burlington, VT 2010, 279–302; Kintzinger/Schneidmüller (Hrsg.), Politische Öffentlichkeit im Spätmittelalter (wie Anm.6); Patrick Boucheron/Nicolas Offenstadt (Eds.), L’espace public au Moyen Âge. Débats autour de Jürgen Habermas. Paris 2011. 8 Vgl. Jürgen Miethke, Die Konzilien als Forum der öffentlichen Meinung im 15.Jahrhundert, in: Deutsches Archiv für Erforschung des Mittelalters 37, 1981, 736–773.
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doch kein großes Konzil, sondern eine Reihe von französischen Synoden, die als Rahmen der Konfliktführung dienten und offenbar auch als Orte der Konstitution von Öffentlichkeit und sogar der Verbreitung konfliktbezogener Propaganda genutzt wurden. Die lange Dauer und mehrfache Neuaufnahme des Konflikts legen aber dennoch Vergleiche mit anderen großen kirchlichen Debatten nahe: Zwar ist der Bettelordensstreit in seiner zunehmend auf Frankreich beschränkten Ausrichtung nicht mit den kirchlichen Krisen des späten 14. und des 15.Jahrhunderts und den großen Konzilien zu vergleichen. Er reichte in Ausmaß und Schwere auch nicht an einen Großkonflikt wie den Investiturstreit heran. Doch könnte man aufgrund seiner langen Dauer – von den 1240er Jahren bis mindestens 1300 – durchaus vermuten, dass er ‚Lernprozesse‘ der Beteiligten auslöste und neue Strategien der Konfliktbewältigung wie der Nutzung synodaler und anderer Öffentlichkeiten hervorbrachte, ähnlich wie dies Leidulf Melve für den Investiturstreit herausgestellt hat. 9 Die Episoden des Konflikts ließen zudem zumindest in Frankreich ganz unterschiedliche Kommunikationsformen und Rezipientengemeinschaften in engen Zusammenhang geraten. Wie nach Melve zuletzt auch Pavlína Rychterová betont hat, darf eine solche Verknüpfung als wichtiges Element der Konstitution übergreifender Öffentlichkeit angesehen werden. 10 Auch eine gezielte Beeinflussung bestimmter Öffentlichkeiten wird sichtbar, so dass man zwar möglicherweise nicht von einem ‚Forum der öffentlichen Meinung‘, aber doch von „geplanter Öffentlichkeit“ (Birgit Studt) auf Synoden sprechen könnte. 11 Insgesamt scheint der Bettelordensstreit daher aufschlussreiches Material für die Frage nach kirchlicher Konfliktbearbeitung und ihrer Nutzung synodaler (und sonstiger) Öffentlichkeit zu bieten. Auf den folgenden Seiten sollen entsprechend in knapper und skizzenhafter Form relevante Episoden des Streits in Frankreich in den
9 Vgl. Leidulf Melve, Inventing the Public Sphere. The Public Debate during the Investiture Contest (c. 1030–1122). (Brill’s Studies in Intellectual History, Vol.154.) Leiden/Boston/Köln 2007. 10 Vgl. Pavlína Rychterová, Die Verbrennung von Johannes Hus als europäisches Ereignis. Öffentlichkeit und Öffentlichkeiten am Vorabend der hussitischen Revolution, in: Kintzinger/Schneidmüller (Hrsg.), Politische Öffentlichkeit im Spätmittelalter (wie Anm.6), 361–384; dies., Jan Hus. Der Führer, Märtyrer und Prophet. Das Charisma im Prozeß der Kommunikation, in: dies./Stefan Seit/Raphaela Veit/Daniel Gotzen (Hrsg.), Das Charisma. Funktionen und symbolische Repräsentation. Berlin 2008, 423–445. 11 Vgl. Birgit Studt, Geplante Öffentlichkeiten: Propaganda, in: Kintzinger/Schneidmüller (Hrsg.), Politische Öffentlichkeit im Spätmittelalter (wie Anm.6), 203–236.
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Blick genommen werden. Zunächst sollen (II.) die erste große Eskalation des Streits an der Universität Paris (1252–1257) und (III.) das II. Konzil von Lyon (1274) kurz geschildert werden, bevor (IV.) das Zusammenspiel verschiedener Formen von Öffentlichkeit in den Jahren 1281–1290 als relevanteste Episode behandelt wird.
II. Öffentlichkeit aus Protest. Die Eskalation des Bettelordensstreits an der Universität Paris und ihre Auswirkungen Obwohl sie vielfach vom Episkopat gefördert wurde, bewirkte die erste Welle der Ausbreitung der jungen Bettelorden ab den 1220er Jahren schnell Zusammenstöße mit dem lokalen Klerus. 12 Wesentliches Irritans war die Tatsache, dass den Gläubigen – nicht zuletzt den vermögenden Adeligen und Bürgern – mit der Entstehung der ersten, zumeist kleinen Bettelordenskonvente in den europäischen Städten eine Alternative geboten wurde, was die persönliche Seelsorge und die Wahl eines Begräbnisortes anging. Die in radikaler Armut lebenden Ordensbrüder, die zudem durch ihre Anbindung an die Universitäten gut ausgebildet waren, erschienen vielfach als überlegene Seelsorger oder kritisierten sogar implizit oder explizit den lokalen Pfarrklerus. 13 Schon seit den 1220er und besonders den 1230er Jahren kam es daher zu zahlreichen Konflikten, in denen sich Bischöfe und Pfarrkleriker gegen das Auftreten der Mendikanten und deren freie Predigt und Bußabnahme wehrten. Diese Klagen dürften vielfach auf lokalen Synoden verhandelt worden sein, doch wurden Lösungen typischerweise durch Appellation nach Rom und päpstliche Bullen
12
Vgl. für die Ausbreitung der Bettelorden und frühe Konflikte die Überlegungen von Sickert, Wenn
Klosterbrüder (wie Anm.1); Ramona Sickert, Dominikaner und Episkopat. Zur Etablierung des Predigerordens in südfranzösischen Bischofsstädten (1215–1235), in: Gert Melville/Jörg Oberste (Hrsg.), Die Bettelorden im Aufbau. Beiträge zu Institutionalisierungsprozessen im mittelalterlichen Religiosentum. (Vita Regularis, Bd. 11.) Münster 1999, 295–320; Ulpts-Stöckmann, Die Mendikanten als Konkurrenz (wie Anm.1); Jörg Oberste, Zwischen Heiligkeit und Häresie. Religiosität und sozialer Aufstieg in der Stadt des hohen Mittelalters. Bd. 2: Städtische Eliten in Toulouse. (Norm und Struktur, Bd. 17.) Köln 2003. 13
Vgl. etwa die indignierte Beschreibung des englischen Benediktiners Matthäus Paris, Henry R. Luard
(Ed.), Matthaei Parisiensis Monachi Sancti Albani Chronica Majora. 7 Vols. (Scriptores Brittanici – Rolls Series.) London 1872, Vol.4, 511–517. Zur frühen Wahrnehmung der Bettelorden aus institutionengeschichtlicher Sicht auch Gert Melville, Duo novae conversationis ordines. Zur Wahrnehmung der frühen Mendikanten vor dem Problem institutioneller Neuartigkeit im Mittelalterlichen Religiosentum, in: Melville/ Oberste (Hrsg.), Die Bettelorden im Aufbau (wie Anm.12), 1–23.
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gefunden, die seit den 1230er Jahren die Stellung der Bettelorden systematisch stärkten. Zum Politikum sollte sich die Tatsache entwickeln, dass der Papst den Bettelorden sogar das Recht zugestand, auch gegen den Willen der lokalen Diözesanbischöfe Seelsorge zu betreiben. 14 Ähnliche Konfliktlösungsmechanismen wurden zunächst sichtbar, als nach 1250 auch an der theologischen Korporation der Universität Paris Konflikte zwischen Magistern aus den Bettelorden und aus dem Weltklerus ausbrachen. 15 Sie entzündeten sich an der Aufteilung der auf zwölf beschränkten theologischen ‚Lehrstühle‘ (magistri actu regentes), von denen Dominikaner und Franziskaner um 1250 gemeinsam bereits drei besetzten. Anläßlich eines Universitätsstreiks 1253 wurde jedoch auch strittig, inwiefern sich die Ordens-Magister zwangsweise an Beschlüsse der Universität wie etwa die Streikverhängung zu halten hatten. 16 Zumindest die Dominikaner weigerten sich, die von der Universität teils gegen ihre Interessen beschlossenen Statuten zu beschwören. Die universitäre Korporation besaß nun eigentlich relativ klar strukturierte Konfliktlösungsmechanismen. Im Konfliktfall konnten Mitglieder exkommuniziert
14 Vgl. für die frühen Privilegierungen die ausführlichen Nachweise in den entsprechenden thematischen Kapiteln von Sickert, Wenn Klosterbrüder (wie Anm.1). 15 Zu den Pariser Auseinandersetzungen vgl. die klassische Monographie von Michel-Marie Dufeil, Guillaume de Saint-Amour et la polémique universitaire parisienne, 1250–1259. Paris 1972; sowie Palemon Glorieux, Le conflit de 1252–1257 à l’Université de Paris à la lumière du Mémoire de Guillaume de Saint Amour, in: Recherches de théologie ancienne et médiévale 24, 1957, 364–372; Peter R. McKeon, The Status of the University of Paris as Parens scientiarum. An Episode in the Development of Its Autonomy, in: Speculum 39/4, 1964, 651–675; James D. Dawson, William of Saint-Amour and the Apostolic Tradition, in: Mediaeval Studies 40, 1978, 223–238; Andrew G. Traver, Rewriting History? The Parisian Secular Masters’ Apologia of 1254, in: History of Universities 15, 1999, 9–46; Jacques Verger, Coacta ac periculosa societas. La difficile intégration des réguliers à l’Université de Paris au XIIIe siècle, in: Claude Carozzi/Daniel Le Blévec/ Huguette Taviani-Carozzi (Eds.), Vivre en société au Moyen Âge. Occident chrétien VIe–XVe siècle. (Collection le temps de l’histoire.) Aix-en-Provence 2008, 261–279; Constant J. Mews, Communautés de savoirs. Écoles et collèges à Paris au XIIIe siècle, in: Revue de Synthèse 129/4, 2008, 485–507; Jon Robinson, Qui Praedicat Periculum in Illo Peribit. William of St-Amour’s Anti-Mendicant Sermons, in: Francesco Guardiani/ Joseph Ward Goering/Giulio Silano (Eds.), Weapons of Mass Instruction. Proceedings of a St. Michael’s College Symposium (25–26 November 2005). (St. Michael’s College Series, Vol.9.) Ottawa 2008, 51–63; Andrew G. Traver, The Forging of an Intellectual Defense of Mendicancy in the Medieval University, in: Donald Prudlo (Ed.), The Origin, Development, and Refinement of Medieval Religious Mendicancies. (Brill’s Companions to the Christian Tradition, Vol.24.) Leiden/Boston 2011, 157–196. 16 Vgl. zu den universitären Streitigkeiten insgesamt vor allem Traver, Rewriting History (wie Anm.15); Verger, Coacta ac periculosa societas (wie Anm.15).
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werden und hatten sich dann zur Versöhnung an den Papst zu wenden. 17 Dieser Weg der Exkommunikation wurde in Paris ab 1253 auch beschritten und gegen die Magister der Bettelorden eingesetzt. Obwohl sicherlich nicht von einer klaren Frontstellung der ganzen Universität oder aller klerikalen gegen die mendikantischen Magister auszugehen ist, gab es offenbar eine auch von den Artes-Magistern gestützte Mehrheit der Ordensgegner innerhalb der universitas magistrorum et scholarium. Doch löste der Papst die Ordens-Magister relativ schnell und, wie die restliche Universität klagte, ohne Anhörung ihrer Seite von der Exkommunikation und setzte so die klerikale Partei an der Universität ins Unrecht. 18 Diese Gruppe widersetzte sich daher der päpstlichen Entscheidung. Wie ihre sogenannte Apologia belegt, ein Schreiben an den französischen Klerus vom Februar 1254, suchte sie dazu insbesondere, bestimmte Vorgänge an die Öffentlichkeit zu bringen und so Anhänger zu mobilisieren. 19 Um ihr Vorgehen zu verteidigen, nutzten die Ordensgegner zunächst die inneruniversitären Kommunikationskanäle, ließen etwa ihre Version der Ereignisse durch die Pedelle im Universitätsviertel als öffentliche Bekanntmachungen verlesen. 20 Man appellierte also an die spezifische Teilöffentlichkeit der Universitätsangehörigen, die räumlich auf dem linken Seine-Ufer konzentriert war. Den innerhalb der Universität dieserart marginalisierten Bettelorden gelang es jedoch, ebenfalls bestimmte Kommunikationskanäle für sich zu nutzen. 21 Sie wandten sich einerseits an den Hof, wo es zu einer für die Universitätspartei offenbar sehr negativ verlaufenden Verhandlung kam. Sie brachten andererseits zum großen Ärger der Universität an einem Sonntag vor den Pariser Pfarrkirchen ein päpstliches Schreiben zur öffentlichen Verlesung – präsentierten also ihre Version der Ereignisse durch einen offiziösen stadtkirchlichen Kanal dem Laienpublikum. Es kam in Paris somit zu einer intensiven Politisierung mehrerer Teilöffentlichkeiten – sowohl inneruniversitäre wie pfarreibezoge-
17
Vgl. etwa die frühe Begrenzung auf acht Lehrstühle durch Innozenz III. schon 1207, Chartularium
Universitatis Parisiensis, ed. Heinrich Denifle/Emile Chatelain. 4 Bde. Paris 1889–1897, Bd. 1 [künftig: CUP 1], Nr.5, S.67. 18
Vgl. zu den im Folgenden geschilderten Abläufen im Detail CUP 1, Nr.230, 252–258, und Traver, Re-
writing History (wie Anm.15). 19
Vgl. für den gesamten folgenden Abschnitt auch die Überlegungen und Nachweise in Steckel, Profes-
soren in Weltuntergangsstimmung (wie Anm.5).
166
20
Vgl. CUP 1, Nr.230, 255.
21
Vgl. ebd.255f.
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ne, städtische, höfische und schließlich kuriale Kommunikationskanäle wurden genutzt, verschiedene soziale Gruppen angesprochen. Aufgrund mehrerer überraschender Wendungen am Papsthof zog sich die Angelegenheit zudem noch bis in den Sommer des Jahres 1255 und darüberhinaus hin: Im Verlauf des Jahres 1254 gelang es Mitgliedern der Universität kurzzeitig, Papst Innozenz IV. von der Sache der Ordensgegner zu überzeugen. Eine wichtige Rolle dürfte dabei eine Häresieanklage gespielt haben, die eine universitäre Delegation gegen den Franziskaner Gerardino de Borgo San Donnino († c. 1276) und seine von Joachim von Fiore inspirierten eschatologischen Schriften lancierte. Die eschatologischen Tendenzen einiger franziskanischer Gruppen wurden am Papsthof offenbar zu einer allgemeinen Gefahr hochstilisiert. 22 Doch dürfte auch Unterstützung aus den Reihen des französischen Episkopats ein Faktor gewesen sein, denn die von Innozenz IV. am 21.November 1254 erlassene Bulle Etsi animarum behandelte vorrangig die Spannungen, die zwischen Ordensbrüdern und Ortsbischöfen sowie Pfarrklerus bestanden. Sie entschied in deutlichem Kontrast zur vorausgehenden päpstlichen Politik gegen die Bettelorden und strich ihnen wichtige Rechte. Unter anderem wurde die bischöfliche Aufsicht über die Seelsorge betont. 23 Doch verstarb Innozenz IV. noch im Dezember desselben Jahres. Sein Nachfolger Alexander IV. nahm Etsi animarum im Januar 1255 sogleich zurück. Im April 1255 gab er mit Quasi lignum vitae den Bettelorden wiederum weitgehende Befugnisse in den Diözesen und regelte zudem den Konflikt an der Universität zu deren Gunsten. 24 Gegen diese Entscheidung wurde an der Universität jedoch wütend und langanhaltend protestiert. Dabei trat bald der auch im kanonischen Recht ausgebildete Theologe Wilhelm von St. Amour († 1272) als hauptsächlicher Sprecher und gewissermaßen als ‚Vorkämpfer‘ der Ordensgegner hervor. 25 Er scheint der Kopf hinter einer mehrgleisigen Strategie der Mobilisierung von Öffentlichkeit gewesen zu sein, mit der die Ordensgegner nun wiederum versuchten, innerhalb verschiedener
22 Vgl. mit weiteren Verweisen Miethke, Papst, Ortsbischof und Universität (wie Anm.4), 71–74. 23 Vgl. CUP 1, Nr.240, 267–270. 24 Vgl. CUP 1, Nr.247, 272–285. 25 Vgl. zu Wilhelm von St. Amour besonders die Angaben in: The Opuscula of William of Saint-Amour. The Minor Works of 1255–1256. Ed. by Andrew G. Traver. (Beiträge zur Geschichte der Philosophie und Theologie des Mittelalters N.F., Bd. 63.) Münster 2003; William of Saint-Amour, De periculis novissimorum temporum. Ed. and transl. Guy Geltner. (Dallas Medieval Texts and Translations, Vol.8.) Paris/Leuven/ Dudley, MA 2008.
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Gruppen und durch verschiedene Kanäle Anhänger für ihre Sicht des Konflikts zu werben. Im Inneren der Universität wurden zunächst schulische Disputationen zum Kampfplatz, da sowohl Wilhelm von St. Amour wie mendikantische Magister, etwa der Franziskaner Bonaventura († 1274), Quaestiones disputatae über die Bettelarmut abhielten und somit einen wesentlichen Kern der mendikantischen Religiosität diskutierten. 26 Dies dürfte einer erheblichen Politisierung und Polarisierung innerhalb der Universität weiteren Vorschub geleistet haben. Daneben wurde grundsätzlich gehaltene Kritik der Ordensgegner an den Bettelorden auch durch gezielte Propaganda in der Volkssprache an die städtische Öffentlichkeit getragen. Der Dichter Rutebeuf brachte mehrere ordensfeindliche Dits in Umlauf. 27 Im weiteren Verlauf des Streits predigte Wilhelm von St. Amour öffentlich, und zwar im bürgerlichen Viertel auf dem rechten Seine-Ufer, bei Saints-Innocents in der Nähe des Marktplatzes. Aus seinem Umfeld wurden zudem gefälschte Prophezeiungen in Umlauf gebracht, die ein weiteres typisches Mittel der Mobilisierung der Zeit darstellen. 28 Obwohl rechtlicher Protest nach dem päpstlichen Entscheid der Sache kaum noch Spielraum haben konnte, appellierten die Ordensgegner an der Universität zudem an den französischen Episkopat, der sich offenbar beim Papst für ihre Sache einsetzen sollte. 29 Wohl im Nachgang einer französischen Synode im Februar 1256 verfasste Wilhelm von St. Amour dazu eine hochgradig polemische Schrift gegen die Bettelorden. Sie kam oberflächlich als eschatologisch-theologische Warnschrift De periculis novissimorum temporum daher und nannte weder die hauptsächlich angesprochenen Dominikaner noch die Franziskaner namentlich, sondern warnte nur
26
Vgl. zu diesen Texten: The Opuscula, ed. Traver (wie Anm.25), 7–30; Andrew G. Traver, William of
Saint-Amour’s Two Disputed Questions De Quantitate Eleemosynae and De Valido Mendicante, in: Archives d’histoire doctrinale et littéraire du Moyen Age, 62, 1995, 295–342; ders., The Reportatio of St. Bonaventure’s Disputed Question De Mendicitate, in: Archivum Franciscanum Historicum, 83, 1999, 3–14. 27
Zu den volkssprachigen Texten vgl. die Zusammenstellung der einschlägigen Werke Rutebeufs in:
Rutebeuf et les frères mendiants: poèmes satiriques. Ed. Jean Dufournet. Paris 1991; Arié Serper, L’influence de Guillaume de Saint-Amour sur Rutebeuf, in: Romance philology, 17, 1963, 391–402. 28
Vgl. zu Wilhelms Predigten die Bemerkungen in Wilhelms „Responsiones“, Edmond Faral, Les ‚Res-
ponsiones‘ de Guillaume de Saint Amour, in : Archives d’histoire doctrinale et littéraire du Moyen Age 18, 1951, 337–394, hier 354. Zu der gefälschten, Hildegard von Bingen zugeschriebenen Prophezeiung „Insurgunt gentes“ vgl. hier nur Kathryn Kerby-Fulton, Hildegard of Bingen and Anti-Mendicant Propaganda, in: Traditio 43, 1987, 386–399. 29
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Vgl. Dufeil, Guillaume de Saint-Amour (wie Anm.15), 212.
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vor ungennanten ‚Heuchlern‘ und ‚falschen Predigern‘. 30 Doch enthielt sie unter der apokalyptisch eingefärbten, dramatisierenden Oberfläche eine ganze Reihe rechtlicher Vorwürfe, die sehr deutlich auf die Aushöhlung der Diözesanstruktur durch die Bettelorden hinwiesen. Insbesondere versuchte Wilhelm, die Befugnisse des Papstes zum Eingreifen in lokale Strukturen einzuschränken. Er entwickelte daher eine stark auf den Episkopat orientierte Ekklesiologie. 31 Er argumentierte, dass die kirchliche Hierarchie der Bischöfe und Priester als Nachfolger der zwölf Apostel und zweiundsiebzig Apostelschüler von Christus eingesetzt worden sei. Eine päpstliche Erlaubnis zur Predigt an Dritte, die nicht diesen beiden Gruppen angehörten, könne nur dort wirksam sein, wo sie auf Zustimmung der lokalen Bischöfe treffe. Denn ansonsten greife der Papst in großem Umfang in bischöfliche Rechte ein und sei gewissermaßen ein zweiter Bischof der Diözese, die dann mehrere Häupter habe. So werde die Kirche zu einem „monstrum“ und eher zur Hure als zur Braut. 32 Im Rückgriff auf päpstliche Erlasse des späten 12. und frühen 13.Jahrhunderts gegen Häresiebewegungen argumentierte Wilhelm zudem, dass nur rechtmäßig zur Predigt legitimiert sei, wer von einem Kirchenvertreter ‚gesandt‘ (missus) sei. Kirchenvertreter seien jedoch nur diejenigen, die wie Aaron von Gott bestimmt, nämlich vor Ort gewählt seien. 33 Ein weiteres Argument, das auch schon von anderen Gegnern der Bettelorden ins 30 Vgl. William of Saint-Amour, De periculis (wie Anm.25). 31 Vgl. ebd.c. 2, 48–60; Dawson, William of St. Amour (wie Anm.15). 32 William of Saint-Amour, De periculis (wie Anm.25), c. 2, 52: „Verumtamen, cum secundum iura, tam divina quam humana, in una ecclesia non possit esse nisi unus rector, alioquin ecclesia non esset sponsa, sed scortum (XXV C., q. I, Sicut in una); et eadem ecclesia non debent esse plura capita, ne sit monstrum (Extra, ‚De officio ordinis‘, Inter cetera). Si forte dominus papa concedat aliquibus personis potestatem predicandi ubique, intelligendum est ubi ad hoc fuerint invitati, quia etiam episcopi, nisi ad hoc invitati fuerint, ultra dyoceses non debent accedere super aliquibus ecclesiasticis disponendis (IX C., q. II, Non invitati). Non enim vult princeps per mandata sua preiudicium iurisdictioni alterius generari (Extra, ‚De usu pallii‘, Ex tenore; Extra, ‚De officio ordinis‘, Licet; Digestum, Ne quis in loco publico, l. ii, ‚Si quis a principe‘) – ne quod absit! – inde videntur nasci iniurie, ‚unde iura nascuntur‘ (Codex Iustinianus, ‚Meminerint cuncti‘; Extra, ‚De accusatione‘, Qualiter et quando).“ Hervorhebungen im Original. 33 Ebd.50–52: „Missi autem non sunt nisi qui ab ecclesie recte eliguntur, sicut nec a deo vocantur nisi qui recte eliguntur, Heb. X [richtig: 4,5, d. Vf.]: nec quisquam sumit sibi honorem, nisi qui vocatur a deo, tamquam Aaron; Glossa: ‚a deo vocatur qui recte eligitur‘. Ab ecclesia vero eliguntur episcopi qui apostolis successerunt, et parrochiales presbiteri, qui LXXII discipulis successerunt et eorum loca tenent. Unde Luce X. in principio, dicit Glossa ‚Sicut in XII apostolis forma est episcoporum, sic in LXXII discipulis forma est presbiterorum secundi ordinis.‘ Nec plures sunt in ecclesia gradus ad regendum ecclesiam constituti.“ Hervorhebungen im Original.
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Feld geführt worden war, stellte noch deutlicher einen Gegensatz zwischen Papst und sonstiger Kirche her: Wie Wilhelm anführte, hatte der Kanon Omnis utriusque sexus des IV. Laterankonzils 1215 – also ein Beschluss eines allgemeinen, äußerst gut besuchten Konzils – verfügt, dass die Gläubigen ihre jährliche Pflichtbeichte beim „eigenen Priester“ (proprio sacerdoti) abzuleisten hätten, um Mitglieder der lokalen Gemeinde zu bleiben. Damit sei offensichtlich der Pfarrklerus gemeint, während den Orden nur eine subsidiäre Rolle zukommen könne. 34 In diesem Punkt, der im gesamten weiteren 13.Jahrhundert umstritten bleiben sollte 35, suchte Wilhelm also, die Autorität eines allgemeinen Konzils gegen die des Papstes auszuspielen. 36 Doch insgesamt, so wird man zusammenfassen müssen, zeigt die Pariser Konflikteskalation eine Instrumentalisierung von Synoden als übergeordnete, begnadete Instanz der Wahrheitsfindung nur in diesem einen, vereinzelt bleibenden Punkt. Als Orte der Konstitution von Öffentlichkeit erscheinen Synoden nicht. Obwohl sich Wilhelm und seine Unterstützer an der Universität im Frühjahr 1256 offenbar an eine französische Synode wandten, scheinen sie dort keine Unterstützung gefunden zu haben. Ob es zu einer Thematisierung des Anliegens kam, bleibt ungewiss. Es scheint eher, als ob die französischen Prälaten vor offenem Protest gegen das Papsttum zurückschreckten. Auch Wilhelms eigene polemische Schriften zeigen sich in diesem Punkt ambivalent, was ihren Charakter als ‚öffentliche‘ Äußerung teils einschränkt: Während die Apologia der Universität von 1254 in deutlichen Worten den voreiligen, verfahrensmäßig problematischen Entscheid an der Kurie beklagt hatte und so offenbar eine Rücknahme der päpstlichen Entscheidung zu bewirken suchte, war nach der Bulle Alexanders IV. vom April 1254 am päpstlichen Willen nicht mehr zu deuteln. Auch Wilhelm focht daraufhin das Entscheidungsverfahren nicht mehr an. Er bezweifelte im Gegenteil die Befugnis des Papstes zu einem derartigen Eingriff – blieb
34
Ebd.c. 5, 68: „Constat autem quod animos actusque singulorum non potest agnoscere pastor nisi per
confessiones eorum. Necesse est ergo quod illorum confessiones audiat saltem semel in anno. Et hoc in concilio generali precipitur (Extra, ‚De penitentia et remissione‘, Omnis utriusque). Ab hac ergo intentione confitendi saltem semel in anno proprio sacerdoti non liberantur parrochiani, quantumcumque alii sacerdoti confiteantur […] nisi vicem gerat proprii illius sacerdotis.“ 35
Vgl. den Überblick bei Hödl, Theologiegeschichtliche Einführung (wie Anm.1).
36
Vgl. zur Debatte des Verhältnisses von Papst und Konzil zu dieser Zeit Brian Tierney, Foundations of
the Conciliar Theory. The Contribution of the Medieval Canonists from Gratian to the Great Schism. (Studies in the History of Christian Thought, Vol.81.) Enlarged new Ed. Leiden /New York/Köln 1998, 50–52.
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aber sehr vorsichtig. Seine Kritik am Papst formulierte Wilhelm etwa indirekt, indem er ganz allgemein auf Rechtstexte zur Unveränderlichkeit der Offenbarung selbst durch Päpste verwies. 37 Zudem klagte er die Bettelorden nicht offen an, sondern kleidete seine (letzlich natürlich unzweideutigen) Bezüge auf sie in eine Art Code, der ausschließlich die biblischen, in der Auslegung zumeist auf Häretiker bezogenen Begrifflichkeiten der ‚falschen Prediger‘, ‚Heuchler‘ und ‚falschen Propheten‘ nutzte. 38 Die Pariser Abläufe erlauben somit zwei Beobachtungen zur Nutzung von Öffentlichkeit: Erstens ist zu erkennen, dass die Eskalation des Konfliktes an der Pariser Universität eine Verknüpfung verschiedener Kommunikationssphären bewirkte. Insbesondere erscheint die gleichzeitige Nutzung gelehrter lateinischer Argumentation auf Schriftbasis und volkssprachlicher Mündlichkeit bemerkenswert – sie resultierte, wie dies auch Melve und Rychterová für die Öffentlichkeit des Investiturstreits und der Hussitenbewegung beschrieben haben, in einer Verschmelzung theologischer und rechtlicher Argumente mit polemischen und populären Formen. 39 Auf der „gemeinsamen Bühne“ der Stadt (Carol Symes) als Basis konnte somit eine übergreifende Öffentlichkeit entstehen. 40 Die von Universität und Orden vorgebrachten Argumente können teils sogar als Propaganda beschrieben werden, da es sich um „geplante Öffentlichkeit“ handelte und in zuspitzender, polemisierender Weise an das Publikum appelliert wurde. 41 Doch die Konflikteskalation zeigt gleichzeitig Logiken, die eher zeitgenössischen höfisch-politischen Öffentlichkeiten zuzurechnen wären. Insbesondere wurde der 37 Vgl. William of Saint-Amour, De periculis (wie Anm.25), c. 2, 58: „Et sic non potest romanus pontifex destruere quod ab apostolis et prophetis decretum est, alioquin errare convinceretur, ut dicit Urbanus papa, XXV C., q. I.)“.
38 Vgl. zu dieser Strategie ausführlicher Steckel, Ein brennendes Feuer (wie Anm.5), 136–138 und 154– 157. 39 Vgl. Melve, Inventing (wie Anm.9); Rychterová, Die Verbrennung (wie Anm.10). 40 Vgl. zur Stadt als Konstitutionsraum für Öffentlichkeit in der Vormoderne Symes, A Common Stage (wie Anm.7), dies., Out in the Open (wie Anm.7), sowie Jörg Oberste (Hrsg.), Kommunikation in mittelalterlichen Städten. Regensburg 2007; Susanne Ehrich/Jörg Oberste (Hrsg.), Städtische Räume im Mittelalter. (Forum Mittelalter-Studien, Bd. 5.) Regensburg 2009; Stephan Albrecht (Hrsg.), Stadtgestalt und Öffentlichkeit. Die Entstehung politischer Räume in der Stadt der Vormoderne. Köln/Weimar/Wien 2010; Pierre Monnet, Die Stadt, ein Ort der Öffentlichkeit im Spätmittelalter? Ein Thesenpapier, in: Kintzinger/Schneidmüller (Hrsg.), Politische Öffentlichkeit im Spätmittelalter (wie Anm.6), 329–359. 41 Vgl. die Überlegungen zur Definition von Propaganda bei Studt, Geplante Öffentlichkeit (wie Anm.11), 209.
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innerkirchlichen Rangordnung Rechnung getragen: Außerhalb des Bereichs der gelehrten Disputation, die anderen Regeln folgte, wurden offene konflikthafte Zusammenstöße am Hof, an der Kurie und auf den Straßen des Universitätsviertels offenbar als Ehrkonflikte erlebt, die Gesichtsverlust mit sich brachten. Eine offene Brüskierung des Papstes wurde daher zumindest der Form nach weitgehend vermieden, die Rangordnung innerhalb der kirchlichen Hierarchie großenteils gewahrt. Die innerstädtische Eskalation des Konfliktes 1253 sowie die Proteste der Universität von 1254 und 1255/56 scheinen zudem wesentlich der aus dem Früh- und Hochmittelalter bekannten Erwartung an face-to-face-Kommunikation verpflichtet, dass gegen eine Entscheidung sofortiger öffentlicher Protest zu zeigen war, da sie andernfalls als bindend galt. Die Wendung an spezifische Kommunikationsgemeinschaften sollte Entscheidungen somit nicht durch eine öffentliche Debatte der vertretenen Standpunkte vorbereiten. Sie erscheint jeweils als Protest gegen bereits getroffene Entscheidungen.
III. Das II. Konzil von Lyon: Verfahrensöffentlichkeit anstelle öffentlicher Proteste Eine neue Möglichkeit der Thematisierung ihrer Anliegen ergab sich für den Weltklerus wie für die Bettelorden, als Papst Gregor X. (1272–1276) im Jahr 1272 zu einem ökumenischen Konzil für den Mai 1274 einlud. 42 Hauptthematiken des schließlich in Lyon abgehaltenen Konzils sollten der Kreuzzug und die Union mit der byzantinischen Kirche werden, doch entwickelte sich auch die innere Reform der Kirche zum Anliegen, was die Diskussion um den Status der Bettelorden wieder aufleben ließ. Im Rahmen des Konzils kam es jedoch zu einer Debatte, die, soweit dies nachzuvollziehen ist, ganz anderen Bahnen und Verfahrensformen folgte als die Pariser Proteste. Was die Verhandlung des Konflikts zwischen Bettelorden und Klerus betrifft, 42
Vgl. für das II. Konzil von Lyon insgesamt Burkhard Roberg, Das Zweite Konzil von Lyon (1274). (Kon-
ziliengeschichte, A.) Paderborn 1990, sowie den Sammelband : 1274. Année charnière. Mutations et continuités. Lyon-Paris, 30 septembre–5 octobre 1974. (Colloques internationaux du Centre national de la recherche scientifique, Vol.558.) Lyon/Paris 1977, darin bes. die Beiträge Jacques Le Goff, Le dossier des mendiants, ebd.211–222, Micheline Fontette, Religionum Diversitatem et la suppression des ordres mendiants, ebd.223–229, und Colette Ribaucourt, Le dossier des mendiants. Les conflits intérieurs des ordres, ebd.231f.
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fällt vor allem die straffe päpstliche Verfahrenshoheit auf, die das II. Konzil von Lyon von Anfang an kennzeichnete. Durch ein offenbar stark formalisiertes Verfahren der Beratung und Entscheidung wurden zwar bestimmte Möglichkeiten der Thematisierung des weiter schwelenden Konflikts eröffnet. Doch wurden Formen der Argumentation und des Protests gleichzeitig in eng vorgezeichnete Bahnen eingeschlossen, die Teilnehmer auf bestimmte Rollen festgelegt. 43 In dem die Einladung präzisierenden Schreiben Dudum super vom 11.März 1273 bat Papst Gregor X. zunächst eine Reihe von Erzbischöfen, Bischöfen und Ordensoberen offiziell um Stellungnahmen zu Problemen innerhalb der Kirche und um Reformvorschläge für diese, was die Tür für die Diskussion öffnete. 44 Interessanterweise drängte der Papst aber darauf, Probleme in informeller Weise durch Beobachtung, also ohne förmliche Rechtsakte, festzuhalten, dabei eine Skandalisierung zu vermeiden und ihm Berichte zunächst für eine vor dem Konzil anzusetzende Erörterung in Form schriftlicher, gesiegelter Stellungnahmen zuzuleiten. 45 Dadurch wurde zwar eine Diskussion von Problemen angeregt, doch gleichzeitig deren breitere Veröffentlichung im Vorfeld der Synode vermieden. Wie sich zeigen sollte, wurde den Teilnehmern damit zwar die Rolle von Beratern angeboten, doch behielt sich der Papst Entscheidungen vor. Von den drei noch erhaltenen derartigen Stellungnahmen gehen zwei ausführlich auf den Konflikt zwischen Orden und Klerus ein – die eher knappe Denkschrift des Olmützer Bischofs Bruno von Schauenburg († 1281) 46 und die ausführliche Col-
43 Vgl. zum Konzept des ‚Verfahrens‘ aus historischer Perspektive Michael Sikora, Der Sinn des Verfahrens. Soziologische Deutungsangebote, in: Barbara Stollberg-Rilinger (Hrsg.), Vormoderne politische Verfahren. (Zeitschrift für historische Forschung, Beih. 25.) Berlin 2001, 25–51; Barbara Stollberg-Rilinger/André Krischer (Hrsg.), Herstellung und Darstellung von Entscheidungen. Verfahren, Verwalten und Verhandeln in der Vormoderne. (Zeitschrift für historische Forschung, Beih. 44.) Berlin 2010, sowie aus soziologischer Sicht Hendrik Vollmer, Akzeptanzbeschaffung. Verfahren und Verhandlungen, in: Zeitschrift für Soziologie 25, 1996, 147–164. 44 Vgl. Roberg, Das Zweite Konzil (wie Anm.42), 89–94. 45 Vgl. Dudum super, in : Jean Guiraud (Ed), Les Registres de Grégoire X (1272–1276). (Bibliothèque des Écoles françaises d’Athènes et de Rome, 2e Série, Vol.12/2.) Paris 1892, Nr.220, 91f. 46 Jakob Schwalm (Hrsg.), Relationes Episcopi Olomucensis Pontifici Porrectae. (MGH Legum Sectio IV., Constitutiones et Acta Publica III.) Hannover 1904–1906, Nr.619, 589–595, zu den Bettelorden bes. 591– 593; vgl. dazu Roberg, Das Zweite Konzil (wie Anm.42), 95–101; Othmar Hageneder, Obediencia sceleri comparatur ydolatrie. Bischof Bruno von Olmütz und die Bettelorden, in: Römische Historische Mitteilungen 28, 1986, 155–162.
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lectio de scandalis ecclesiae des Franziskaners Gilbert von Tournai († 1284). 47 Auch aus den sonstigen erhaltenen Quellen zum Konzil wird deutlich, dass intensiv über den Status der Bettelorden diskutiert wurde. Leider ist nicht ganz deutlich, in welchem Rahmen solche Diskussionen stattfanden. Doch wurde in der sechsten und letzten Sitzung des Konzils im Juli 1274 ein Dekret Religionum diversitatem verabschiedet, dem offenbar eine relativ kontroverse Diskussion im Verlauf der Synode vorausging und das von einigen Teilnehmern als nicht weitreichend genug angesehen wurde – darauf wird gleich zurückzukommen sein. Wie sich erschließen lässt, reichten die vom Klerus geäußerten Forderungen von einer Neuregelung des Verhältnisses zwischen Orden und Klerus bis zum Ruf nach der Abschaffung mehrerer der neuen Bettelorden, die mit dem Verweis auf das Verbot neuer Ordensgründungen auf dem IV. Laterankonzil 1215 legitimiert wurde. Durch Beschluss des Konzils wurden daraufhin tatsächlich mehrere kleinere Bettelorden aufgelöst, darunter etwa die provençalischen Sackbrüder. Die Karmeliter waren offenbar zumindest zeitweise ebenfalls von der Auflösung bedroht. 48 Die beiden großen Orden der Dominikaner und Franziskaner wurden jedoch im schließlich verabschiedeten Dekret Religionum diversitatem ausdrücklich wegen ihrer evidens utilitas von dieser Diskussion ausgenommen, die Augustinereremiten und Karmeliter bis auf weiteres bestätigt. Das paradoxe und von den klerikalen Ordensgegnern sicher nicht intendierte Resultat der erneuten Diskussion um den Status der Bettelorden war somit in erster und wichtigster Linie eine konziliare Bestätigung ihres Status. Sie verhinderte weitere Versuche der Unterdrückung der größeren Orden für die Zukunft. Dass der Status der Bettelorden im Rahmen der Lyoner Verhandlungen in Frage gestellt worden war, geht jedoch aus einem teilweise zu rekonstruierenden Protokoll von Verhandlungen hervor, das bis heute unediert geblieben ist. Es ist auf einem Rotulus mit Aktenstücken aus Lyon enthalten, der in Durham aufbewahrt
47
Vgl. Autbert Stroick (Hrsg.), Collectio de scandalis ecclesiae. Nova editio, in: Archivum Franciscanum
Historicum 24, 1931, 33–62; vgl. dazu ders., Verfasser und Quellen der Collectio de Scandalis Ecclesiae (Reformschrift des Fr. Gilbert von Tournay, OFM zum II. Konzil von Lyon, 1274), in: Archivum Franciscanum Historicum 23, 1930, 3–41, 273–299, 433–466; Roberg, Das Zweite Konzil (wie Anm.42), 101–106. 48
Vgl. zu den aufgelösten Orden neben Roberg, Das Zweite Konzil (wie Anm.42), 335–339, Andrews, The
Other Friars (wie Anm.1), Kaspar Elm, Ausbreitung, Wirksamkeit und Ende der provençalischen Sackbrüder (Fratres de Poenitentia Jesu Christi) in Deutschland und den Niederlanden. Ein Beitrag zur kurialen und konziliaren Ordenspolitik des 13.Jahrhunderts, in: Francia 1, 1972, 257–324.
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wird. 49 Zwei weitere Schriftstücke zeigen, dass von einigen Teilnehmern die Daseinsberechtigung der Bettelorden zwar zugegeben wurde, man in direktem Anschluss an die Pariser Proteste von 1255/56 jedoch deren erneute Unterstellung unter bischöfliche Aufsicht forderte, wie dies die kassierte Bulle Etsi animarum Innozenz’ IV. von 1254 vorgesehen hatte. Tatsächlich ist in Studien zum II. Konzil von Lyon bislang unerkannt geblieben, dass ein weiteres Textstück mit dem Incipit Quoniam gravis auf dem Rotulus aus Durham nicht etwa, wie Burkhard Roberg vermutet, ein nicht verabschiedeter Dekretsentwurf ist, der gar aus der päpstlichen Kanzlei stammen könnte. 50 Der Text ist vielmehr eine gekürzte Fassung der Bulle Etsi animarum, die offenbar von einigen bettelordensfeindlichen Teilnehmern wiederum ins Spiel gebracht worden war. Der Wortlaut ist auf dem Rotulus aus Durham gar zweimal eingetragen – einmal ohne, einmal mit einer Einleitungsformel, die ihn als Dekret Gregors X. und des Konzils ausweist 51; man gedieh in der Diskussion also offenbar so weit, den Text nicht nur vorzustellen, sondern schon für eine Verabschiedung vorzubereiten. Die erwähnte Denkschrift Bischof Brunos von Schauenburg enthält dagegen den Vorschlag an den Papst, für das gegenseitige Verhältnis von Bischöfen und Bettelorden eine Kompromisslösung zu finden, die die Autorität des Episkopats wahre und gleichzeitig den Orden den Fortbestand sichere. Bruno formulierte dabei explizit, es solle eine via media zwischen dem Vorgehen Innozenz’ IV. und Alexanders IV. gefunden werden, von denen der eine ein Privileg zugunsten des Klerus, der andere zugunsten der Bettelorden erlassen habe. Bruno spielte also auf die beiden im Kontext der Pariser Streitigkeiten erlassenen Bullen Etsi animarum und Quasi lignum vitae an, die ihm somit schon vor dem Konzil bekannt waren. 52 Auch aus dieser Stellungnahme geht somit hervor, dass eine Diskussion auf der Basis der bereits in Paris formu-
49 Es handelt sich um den Rotulus Durham, Cathedral Archives, Dean and Chapter Muniments, Loc. I., No.60 (fol.m3–m1d). Vgl. Roberg, Das Zweite Konzil (wie Anm.42), 335–337, Peter Johanek, Studien zur Überlieferung der Konstitutionen des II. Konzils von Lyon (1274), in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Kanonistische Abteilung 65, 1979, 149–216, hier 165–169. 50 Vgl. Roberg, Das Zweite Konzil (wie Anm.42), 334f.; die Edition des Textes in: Burkhard Roberg, Einige Quellenstücke zur Geschichte des II. Konzils von Lyon, in: Annuarium Historiae Conciliorum 21, 1989, 103–146, hier 127–131. 51 Vgl. Roberg, Einige Quellenstücke (wie Anm.50), 127. 52 Schwalm (Hrsg.), Relationes (wie Anm.46), 592: „In hiis omnibus consilium vires nostras excedit, set vestrum est pocius providere, quod et prelatorum et cleri auctoritas conservetur, et nichilominus tam sanctorum ordinum multitudo maxima valeat sustentari, mediam forte viam tenendo inter dominum Inno-
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lierten Positionen geführt wurde. Sie beschränkte sich diesmal allerdings offenbar auf das Publikum der konziliaren Verhandlungen selbst. Wieso kam es im Umfeld und Nachgang des Konzils nicht zu weiteren Protesten und Verlautbarungen? Dies dürfte zunächst mit dem Gang der Verhandlungen selbst zu tun haben: Es kam im Verlauf der Verhandlungen unter den verschiedenen, aus unterschiedlichen Regionen zusammentreffenden Vertretern des Weltklerus offenbar keine deutliche Mehrheit zustande, die ernsthafte Maßnahmen gegen die größeren Bettelorden befürwortete. Zwischen dem Papst und den großen Bettelorden bestand dagegen ein enger Schulterschluss, der auch in einiger gegenseitiger Koordination resultierte. Dass Gregor X. die Orden nachdrücklich stützte, war etwa schon an der Kardinalskreation des Franziskaners Bonaventura und des Dominikaners Petrus von Tarentaise († 1276) im Vorfeld des Konzils zu erkennen. Bonaventura wurde mit einer der Plenarpredigten betraut und nach seinem plötzlichen Tod während des Konzils (15.7.1274) mit großem Aufwand betrauert. 53 Das Konzil befasste sich weiterhin anscheinend intensiv mit der Frage der Bettelorden, so dass den Mendikantengegnern unter den Beteiligten ausreichend Gelegenheit zu Stellungnahmen gegeben wurde. Doch der Abschluss des Konzils ohne weitergehende Maßnahmen zum Verhältnis von Episkopat und Bettelorden dürfte den bekannten Mechanismus einer ‚Verwicklung‘ der Teilnehmer in das Verfahren in Gang gesetzt haben 54: Sie hatten Gelegenheit gehabt, ihre Meinung zu äußern, und hatten damit das ergebnisoffene Verfahren und seine Bedingungen akzeptiert. Konsequenterweise mussten sie sich nun auch an das Resultat gebunden fühlen, auch wenn dies die Bettelorden ausdrücklich eher stärkte als einschränkte. Zur Bestürzung der Ordensgegner wurde die ausdrückliche Verteidigung der größeren Bettelorden gegen Auflösungswünsche auf Grund der Lyoner Entscheidung nun mit der ganzen Wucht und Permanenz eines konziliaren Beschlusses in der Tradition verankert. Die erhebliche Öffentlichkeitswirkung eines allgemeinen Konzils hob das spezifische Resultat der Bestätigung der vier Bettelorden der Dominikaner, Franziskaner, Augustinereremiten und Karmeliter hervor, während die intensiv verhandelte Unzufriedenheit des Klerus mit den Bettelorden unter den Tisch fiel.
tium papam IIII. et IIII. Alexandrum, quorum unus pro clero, alter pro fratribus suas constitutiones dinoscitur edidisse.“ Vgl. zu den Bullen oben bei Anm.23 und 24.
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53
Vgl. mit weiteren Verweisen Roberg, Das Zweite Konzil (wie Anm.42), 155–157.
54
Vgl. Sikora, Der Sinn des Verfahrens (wie Anm.43), 32–33, 48.
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Mit der Verbreitung der Konzilsbeschlüsse inclusive des Kanons Religionum diversitatem wurde stattdessen nur die prinzipielle Rechtmäßigkeit und Nützlichkeit der Bettelorden innerhalb der Christenheit publiziert. 55 Dass eine Gruppe von Teilnehmern dieses Resultat des Konzils nicht stehenlassen wollte und zumindest in begrenztem Ausmaß Protest übte, lässt sich aus einem Brief des dominikanischen Generalmagisters Johannes von Vercelli († 1283) entnehmen, der sich unter den Enzykliken der Generalmagister der Dominikaner erhalten hat. Dieses Schreiben liefert zusätzliche Informationen zum Ablauf der Verhandlungen und lässt recht tiefgehende Aufschlüsse auf die Verhandlungsstrategien der Dominikaner und des Papstes zu. 56 Wie Johannes berichtet, hatten Gegner der Bettelorden den Papst vor und während des Konzils bestürmt, etwas in der Frage zu unternehmen. Der Papst sah offenbar ein, dass Zugeständnisse nötig waren, umging aber geschickt eine konziliare Regelung, indem er die Dominikaner wie auch die Franziskaner aufforderte, doch lieber im Rahmen ihrer eigenen Ordensgesetzgebung Richtlinien zu erlassen. 57 Beide Orden hatten ihre Generalkapitel im Jahr 1274 im Vorfeld des Konzils in der Stadt Lyon abgehalten und kommunizierten die dort getroffenen Maßnahmen über ‚ihre‘ Kardinäle Bonaventura und Petrus von Tarentaise dem Papst. Dieser konnte dann vor den anderen Kardinälen über diese Maßnahmen berichten – doch teilte man offenbar den Wortlaut der getroffenen Beschlüsse noch nicht einmal dem Papst selbst schriftlich mit, sondern trug sie bewusst nur mündlich vor, so dass keine konkreten Beschlüsse oder Sanktionen festgehalten werden konnten. 58 Auch nach dem Ende des Konzils ließ jedoch anscheinend das Drängen der Or-
55 Vgl. zur Verbreitung der Konzilsbeschlüsse ausführlich Johanek, Studien zur Überlieferung (wie Anm.49). 56 Vgl. Benedictus Maria Reichert (Hrsg.), Litterae Encyclicae Magistrorum Generalium Ordinis Praedicatorum ab Anno 1233 usque ad Annum 1376. Rom/Stuttgart 1900, Nr.27, 96–100. 57 Vgl. ebd.97: „Ad vestram iam dudum pervenit noticiam, quod licet sanctissimus pater summus pontifex ante concilium ac eo pendente multorum prelatorum et clericorum pulsatus fuerit precibus importunis, ut circa statum nostrum aliquid in consilio immutaret, ipse tamen tamquam tocius sanctitatis amator et actor eorum instanciam ad exaudicionis graciam non admisit. Quia tamen paterne nos monuit et induxit, ut per nos aliquid ordinaremus, per quod clamores conquiescerent eorumdem, nonnulla, ut nostis, in generali fuerunt capitulo ordinata et venerabilibus patribus dominis Hostiensi et bone memorie Albanensi, ad hoc a summo pontifice deputatis, oblata.“ 58 Vgl. ebd.: „que tamen ceteris cardinalibus non fuerunt exhibita nec ostensa, quamquam ea pluries domino pape retulerint viva voce.“
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densgegner nicht gleich nach – zumindest in informellem Rahmen wurde also durchaus gegen das Ergebnis protestiert. Daher ging dem Papst und den Vertretern der Orden der Handlungsspielraum für ihre Hinhaltetaktik aus: Wie Johannes schrieb, „gab es keinen Raum für weiteres Ausweichen (subterfugium), bei dem der Herr Papst und wir Aufsehen vermieden hätten“. Deswegen brachte Petrus von Tarentaise vor Papst und Kardinälen, also möglicherweise in einer Konsistoriumssitzung nach Ende des Konzils, ein Dokument zur Verlesung, das eine Reihe von Zugeständnissen der Dominikaner an den Klerus enthielt. Durch den einleitenden Satz „Auf dem besagten Kapitel ist beschlossen worden, dass“ waren die insgesamt neun Punkte als Statuten des eben beschlossenen Generalkapitels der Dominikaner ausgewiesen – wiewohl übrigens einige von ihnen offenbar reine Willensbekundungen waren, die de facto nicht in den Statuten des Kapitels zu finden sind. 59 Im Anschluss an diese Verlesung äußerte sich der Papst vor den Kardinälen und anderen in einer äußerst lobenden und bestätigenden Weise über diese Beschlüsse. Johannes schrieb daher, er glaube fest, dass jedem eine Absage erteilt würde, der den Papst nun noch wegen der Sache oder wegen der verlesenen Beschlüsse angehe. 60 Wiewohl der knappe Stil des Briefs nur wenig Interpretationspielraum bietet, wird man hier wiederum Mechanismen der Kommunikation in mittelalterlichen politischen Öffentlichkeiten am Werk sehen, wie sie etwa Gerd Althoff beschrieben hat. 61 Zunächst wurde der Papst durch die offen geäußerten Klagen der Prälaten offenbar unter Zugzwang gesetzt und konnte sich diesem Druck nicht vollständig entziehen. Doch war er nicht darauf festgelegt, den Bitten zu entsprechen, sondern 59
Vgl. insgesamt ebd.: „Tandem quia consilio terminato non defuerunt, qui memoratum summum pon-
tificem et dominos cardinales super premissis sepius infestarent, nec sine nota domini pape et nostra ulterius subterfugii locus esset, per predictum dominum Hostiensem fuit exhibita domino pape et cardinalibus et coram eis lecta cedula continens infrascripta: Ordinatum est in capitulo predicto, quod […].“ Im Vergleich erweisen sich lediglich die ersten vier Punkte als Statuten des Generalkapitels, vgl. Benedictus Maria Reichert (Hrgs.), Acta Capitulorum Generalium Ordinis Praedicatorum. 4 Bde. Rom, 1898–1901, Bd. 1, 176. Der Brief des Johannes von Vercelli erklärt zudem ausführlich, dass es sich zumeist um Zugeständnisse handele, die gar nicht sanktionsbewehrt seien oder sich durch Rekurs auf päpstliches Recht aushebeln ließen, vgl. Reichert (Hrsg), Litterae (wie Anm.56), Nr.27, 99f.. 60
Vgl. insgesamt ebd.98f.: „Hanc autem ordinacionem et oblacionem adeo dominus papa extulit, appro-
bavit et commendavit, tam coram cardinalibus quam alibi, ut firmiter suppono, quicumque ulterius contra nos eundem adierit circa premissa vel aliquod premissorum, pacietur repulsam […]“. 61
Vgl. Gerd Althoff, Demonstration und Inszenierung. Spielregeln der Kommunikation in mittelalterli-
cher Öffentlichkeit, in: Frühmittelalterliche Studien 27, 1993, 27–50; ders. (Hrsg.), Formen und Funktionen öffentlicher Kommunikation im Mittelalter. (Vorträge und Forschungen, Bd. 51.) Sigmaringen 2001.
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musste lediglich tätig werden. Nachdem er die Zugeständnisse der Orden herbeigeführt hatte, unterstrich Gregor X. seinerseits offenbar durch sein demonstratives, enthusiasistisches Lob die Endgültigkeit der gefundenen Lösung. Er erzeugte so im Gegenzug erheblichen Druck auf die Anwesenden, sich ihm nun anzuschließen. Ein offener Widerspruch wäre nach den Zugeständnissen der Orden (bzw. der Dominikaner, von denen wir hier allein wissen) vermutlich als Grenzüberschreitung erschienen und hätte zudem in der Situation der face-to-face-Kommunikation einen direkten Angriff auf die Ehre des Papstes bedeutet. Sowohl die Eigenlogik eines synodal gerahmten Verfahrens wie die Mechanismen politischer Interaktion führten im Kontext des II. Konzils von Lyon somit zu einer Festigung der Position der Orden. Im unmittelbaren Nachgang des Konzils fallen zunächst keine weiteren Proteste gegen die Bettelorden auf – auch wenn die Kritik an ihnen nicht ganz verstummte.
IV. Synodale Öffentlichkeit im Kampf gegen Ad fructus uberes 1281–1290: Synoden als Rahmen der Mobilisierung und Propaganda Eine erneute, wesentlich auf Frankreich beschränkte Konfliktepisode wurde ausgelöst, als Papst Martin IV. im Dezember 1281 auf erneute Querelen zwischen Klerus und Bettelorden in den französischen Bistümern reagierte und mit dem Privileg Ad fructus uberes ausdrücklich festlegte, dass die Seelsorge der Bettelorden nicht an eine Erlaubnis des lokalen Klerus gebunden sei. 62 Doch bestätigte Martin IV. in seinem Privileg auch den Konzilskanon Omnis utriusque sexus, der trotz der Möglichkeit der pastoralen Betreuung bei den Bettelordensbrüdern von allen Gläubigen eingehalten werden sollte. Dies war wohl als Klärung der Verhältnisse gemeint, da vielfach argumentiert worden war, dass dieser Kanon der Seelsorge der Bettelorden insgesamt im Wege stehe. Der päpstliche Versuch der Erläuterung der konziliaren Norm wurde jedoch in Frankreich zur Zielscheibe heftiger Angriffe. Im Gegensatz zu den Pariser Diskussionen der 1250er Jahre kam es nunmehr al-
62 Vgl. zum Konfliktverlauf 1281–1290 vor allem Hödl, Theologiegeschichtliche Einführung (wie Anm.1); ders., Die Disputation des Heinrich von Gent mit Prälaten und Professoren in Paris im Früh- und Spätjahr 1282 über das Pastoralprivileg der Mendikantenbrüder, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Kanonistische Abteilung 98, 2012, 174–206; Steckel, Auslegungskrisen (wie Anm.5).
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lerdings zu einem stabilen Bündnis der französischen Prälaten und der Pariser Theologen aus dem Weltklerus. Als intellektueller Vorkämpfer der Ordensgegner an der Universität trat immer deutlicher der bedeutende Theologe Heinrich von Gent († 1293) hervor. 63 Auf Seiten der Bischöfe wurden vor allem Wilhelm von Maçon, der Bischof von Amiens, und Simon von Beaulieu, der Erzbischof von Bourges, aktiv. Unter ihrer Führung entwickelte die zumeist nur als prelati bezeichnete ‚Prälatenpartei‘ nun eine doppelte Argumentation, die eine sakramentaltheologische und eine rechtlich-verfahrenstechnische Komponente hatte. In intellektueller Hinsicht entwickelte die den Prälaten geneigte Seite eine spezifische Theologie der Buße, die zu derjenigen der Orden in Konkurrenz trat. 64 Beide Seiten wandten sich kurz nach Erlass von Ad fructus uberes an die theologischen Magister in Paris, um möglichst eine theologische Klärung der praktischen Implikationen des Privilegs in ihrem Sinne herbeizuführen. Doch führte eine Diskussion 1282 zu keinem endgültigen Ergebnis – vor allem Heinrich von Gent sperrte sich mit allen argumentativen Mitteln gegen die von Papst und Orden vertretene Auffassung. Wie Heinrich nämlich bemerkt hatte, beschwor Martin IV. eine Art unfreiwillige Verschlimmbesserung der Lage herauf, indem er in Ad fructus uberes aus Vorsicht eigens eine Klausel einfügte, dass er nichtsdestoweniger wolle (volumus autem), dass alle Gläubigen weiterhin gehalten seien (nihilominus teneantur), diesen Kanon zu respektieren. 65 Denn die einschlägigen Bestimmungen zur Beichte aller Sünden beim sacerdos proprius wurden wörtlich übernommen. Wie Heinrich von Gent in schönster scholastischer Schärfe analysierte, führte dies nicht etwa zu einer Harmonisierung von Bettelordensbrüdern und örtlichen Seelsorgern sowie von päpstlicher und konziliarer Normsetzung, sondern quasi zu einer Verdoppelung der Verpflichtungen: Gemäß dem Wortlaut von Omnis utriusque sexus waren die Gläubigen genau-
63
Vgl. zu Heinrich von Gent knapp Pasquale Porro, Art.„Henry of Ghent“, in: Edward N. Zalta (Ed.), The
Stanford Encyclopedia of Philosophy, online: http://plato.stanford.edu/archives/fall2008/entries/henryghent/ (Zugriff 20.2.2013), sowie Gordon A. Wilson (Ed.), A Companion to Henry of Ghent. (Brill’s Companions to the Christian Tradition, Vol.23.) Leiden/Boston 2011. Zu Heinrichs Verteidigung des Klerus auch Steven P. Marrone, Henry of Ghent and the Debate over Ways of Life and the Role of the Clergy, in: Guy Guldentops/Carlos G. Steel (Eds.), Henry of Ghent and the Transformation of Scholastic Thought. Studies in Memory of Jos Decorte. (Ancient and Medieval Philosophy. De Wulf-Mansion Centre, Series 1.) Leuven 2003, 241–257. 64
Vgl. zu den ersten Abläufen in Paris 1282/83 in den folgenden Absätzen jeweils Hödl, Die Disputation
(wie Anm.62); ders., Theologiegeschichtliche Einführung (wie Anm.1), XXXIV–XLVIII. 65
180
Vgl. den Wortlaut des Privilegs z.B. in CUP 1, Nr.508, 592f.
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genommen gehalten, alle Sünden, auch die schon bei Bettelordensbrüdern gebeichteten, nichtsdestoweniger auch beim Ortspriester einmal im Jahr zu beichten. Die Beichte musste nach Heinrichs Verständnis also wiederholt werden. Wie er erörterte, war dies möglich (wenn auch unschön), erforderte jedoch genaue theologische Begründungen und intensive praktische Organisations- und Kontrollarbeit in den Diözesen. In den nächsten Jahren entwickelte Heinrich von Gent seine Position dahin gehend weiter, dass einmal jährlich eine Generalbeichte aller Sünden beim örtlichen Priester zu erfolgen hätte. Diese Vorstellung rief heftigsten theologischen Protest der Magister der Bettelorden hervor. Die wiederholte Beichte derselben Sünden war mit Augustinus leicht als unzulässig zu konstruieren. Wie besonders der dominikanische Pariser Magister, Johannes de Sancto Benedicto argumentierte, höhlte sie das Sakrament aus. 66 Die Orden waren der Meinung, dass Martin IV. gemeint habe, man müsse nur die aktuell ungebeichteten Sünden dem Ortspriester bekennen. Auch ein Magister aus dem Weltklerus, Berthold von St. Denys, war dieser Meinung. 67 Es standen also zwei Theologien gegeneinander. Heinrich von Gent und die Theologen der Orden diskutierten die Implikationen des Privilegs sogar noch in den zum Advent 1282 abgehaltenen Quodlibetica der Universität und nutzten so die universitären Kommunikationsformen und -kanäle zur intensiven Erörterung des Konflikts. 68 Auf diese verfahrene Situation bauten Prälaten und Professoren das zweite Standbein ihrer Strategie: Die Ordensgegner versicherten sich auf einer Versammlung im Winter 1282 oder Frühjahr 1283 auch des Rates der Pariser Kanonisten, um eine rechtliche Argumentation anzufügen: Sie beschlossen, das Privileg als unklar und damit weiter auslegungsbedürftig anzusehen. Daher müsse es an den Papst zurückgegeben und eine authentica interpretatio verlangt werden. Wie das bei unklaren Rechtslagen üblich sei, sollte solange die alte Regelung weitergelten. In einer Kombination theologischer und rechtlicher Argumentation schaffte man es also, das Privileg in der Praxis mehr oder weniger zu suspendieren. Die formale Beschwerde, die bald an die Kurie getragen wurde, setzte den Papst unter Zugzwang, sich noch ein66 Vgl. Hödl, Theologiegeschichtliche Einführung (wie Anm.1), XLVII. 67 Vgl. Ludwig Hödl, Berthold von Saint-Denys († 1307). Ein weltgeistlicher Anwalt der Mendikanten in der Auseinandersetzung mit Heinrich von Gent, in: Dieter Berg/Hans-Werner Goetz (Hrsg.), Ecclesia et Regnum. Beiträge zur Geschichte von Kirche, Recht und Staat im Mittelalter. Festschrift für Franz-Josef Schmale zu seinem 65. Geburtstag. Bochum 1989, 241–260. 68 Vgl. Hödl, Theologiegeschichtliche Einführung (wie Anm.1), XLIII–XLVIII.
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mal genauer zu äußern. Der Ansatzpunkt des Protestes war diesmal rechtlich, doch konnte man so auch rechtfertigen, die eigene theologische Position fortgesetzt öffentlich zu vertreten. Man dürfte sich der Tatsache recht deutlich bewusst gewesen sein, dass beide theologischen Alternativen jeweils Probleme bargen – es ging den Prälaten vermutlich schlicht darum, den Papst zwischen zwei unhaltbaren Alternativen in die Ecke zu treiben und so zu einer Rücknahme des gesamten Privilegs zu veranlassen. Doch gaben sich die Ordensgegner nicht mit Diskussionen in Paris zufrieden – man schickte vielmehr eine Gesandtschaft an den Papst, um eine Neuauslegung förmlich zu erbitten. In der Zwischenzeit verbot man den Orden die Berufung auf das Privileg Martins IV. in ihrer Seelsorge, um sie ebenfalls in die Strategie der Bitte um Neuauslegung hineinzuzwingen. 69 Ganz ähnlich wie schon in den 1250er Jahren wurden neben der Gesandtschaft zur Kurie und der universitären Diskussion zudem noch weitere Kommunikationskanäle aktiviert – diesmal offenbar in einer bewussten Planung der Prälaten. 70 Ihre Strategie ist für die Jahre 1283–1286 undeutlich dokumentiert und erlebte einen Abbruch, da Martin IV. am 28. März 1285 verstarb, bevor die Gesandtschaft bei ihm zu einem Ergebnis gekommen war. Im Verlauf des Jahres 1286 beschloss die französische Prälatenpartei jedoch, einen zweiten Anlauf zu machen. Zwischen Herbst 1286 und Frühjahr 1287 trat wiederum theologische Argumentation an der Universität neben eine Gesandtschaft an die Kurie. Doch wurde nun auf Diözesansynoden und größeren Kirchenversammlungen nicht mehr nur beraten, sondern die Synoden wurden auch selbst zu Foren des Konflikts. Neben Synodalakten, den einschlägigen Quodlibeta Heinrichs von Gent und einem bislang unedierten juristischen Traktat Simons von Beaulieu sind weitere kleine Texte in der Sammelhandschrift Paris, BNF Lat. 3120 erhalten, die über die Konfliktstrategien Auskunft geben. 71 Kernstück der Aktivitäten war die gemeinsame Beratung der Prälaten und der gegen die Orden eingestellten Theologen, die nunmehr offenbar eng an die jeweils im Advent und im Frühjahr abgehaltenen Synoden des französischen Episkopats ange69
Vgl. ebd. XLVIII–XLIX.
70
Vgl. für diese Phase die Rekonstruktion von Hödl (ebd. XLIX), auf die hier jedoch nicht weiter eingegan-
gen werden kann. 71
Vgl. zu dieser Handschrift, die auf 1288–1290 zu datieren ist und Dokumente des Konflikts von 1286–
1290 enthält, vor allem Hödl (ebd. XXVI); ferner Palémon Glorieux, Un recueil polémique de Guillaume de Mâcon, in: Studia Gratiana 2, 1954, 619–642, Schleyer, Anfänge (wie Anm.2).
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schlossen wurde. Den Auftakt machte eine Versammlung am 7.Dezember 1286. Ludwig Hödl hat zu Recht davor gewarnt, diese Versammlung als ‚normale‘ Synode anzusehen, da sie deutlich als politisches Ereignis organisiert war. 72 Zu ihr wurde offenbar ein Großteil des französischen Klerus geladen, oder zumindest alle mendikantenfeindlich eingestellten Prälaten; neben vierundzwanzig Bischöfen und Erzbischöfen waren auch die Universitätsangehörigen bis hinunter zu den Scholaren hinzugebeten worden. 73 Bei genauer Analyse der knappen Dokumentation des Geschehens scheint es, dass der synodale Rahmen der Versammlung durchaus eine Rolle spielte und von den Prälaten nach Kräften instrumentalisiert wurde. Dies zeigte sich zunächst an der gehaltenen Predigt, die ihrem Inhalt nach typische Mechanismen einer synodalen Eröffnungspredigt bediente. Ihre Aufgabe sollte sein, das Hauptthema auf die Tagesordnung zu setzen und die Versammelten einleitend zur Einmütigkeit aufzurufen. Diese Funktion zeigte sich auch in der Predigt vom 7.Dezember 1286, deren wesentliche Punkte uns in einem knappen anonymen Bericht als reportatio überliefert sind. Es predigte Simon de Beaulieu, Erzbischof von Bourges, einer der Hauptsprecher der Prälatenpartei. Als Thema wählte er die caritas, die alle Erkenntnis übersteige. 74 Er legte den Bezug auf die Nächstenliebe allerdings denkbar kämpferisch aus: Die Liebe zum Nächsten fordere von den anwesenden Hirten, für das Wohl der Herde zu sorgen. Die Stärke dieser Liebe bewaffne sie, um Irrtümern entgegenzutreten. Tatsächlich müssten sie aus Liebe und aus Amtspflicht, wenn das nötig wäre, sogar ihr eigenes Leben für ihre Schafe einsetzen. Es sei jedoch auch Teil der Liebe, mit 72 Vgl. Hödl, Theologiegeschichtliche Einführung (wie Anm.1), LVIII; ders., Die Disputation (wie Anm.62), 199 mit Anm.82. 73 Vgl. den knappen anonymen Bericht über diese Versammlung in CUP 2, Nr.539, 8: „Noveritis quod prelati regni Francie convenientes Parisius, longa ibidem prehabita deliberatione, vocari fecerunt per precones in singulis scolis et rogari omnes magistros cujuslibet facultatis, bacalarios et omnes studentes ut dignaretur venire, ea que eis proponerentur, audituri. Convenerunt igitur die sequenti festo Nicolai, magistri omnes et scolares et fratres de quolibet Ordine potiores in sala episcopi Parisiensis, ubi erant quatuor archiepiscopi et viginti episcopi congregati.“ 74 Ebd.: „Surgens autem archiepiscopus Bituricensis, magnus per omnia clericus, primo fecit sermonem de caritae, et fuit hoc thema suum: Fratres, ut sciatis, que sit longitudo, latitudo, altitudo et profundum caritatis, etc. Et conclusit primo quod vera caritas ipsos impelleret providere saluti gregis sibi commissi; secundo conclusit quod fortitudo caritatis ipsos armaret ad errantibus obviandum; tertio conclusit quod ex debito caritatis et officii sui, si necesse esset, animas pro ovibus ponere tenerentur; quarto conclusit quod ex caritate quilibet deberet esse suis contentus, nec officium alterius sibi usurpare, quia ecclesiasticus ordo confunditur, nisi unicuique jus suum observetur.“
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dem Eigenen zufrieden zu sein und nicht fremde Ämter zu usurpieren. Die Ordnung der Kirche sei bedroht, wenn die Gerechtigkeit nicht beachtet werde (unicuique ius suum observetur). 75 Es handelte sich also offensichtlich um eine Kampfansage und einen Appell an die Amtspflicht der Prälaten, der jedoch dem rituellen Rahmen einer synodalen Predigt stark angepasst war und so die Funktion der Prälaten als Hirten und Aufseher der Kirche herausstellte. Auch die Klage über die Unordnung in der Kirche führte Simon de Beaulieu dann in typischem, mit Metaphern und Bibelzitaten gesättigen Predigtstil weiter. Für das eingeweihte Publikum rief er jedoch sehr spezifische Inhalte auf. Laut der teils offenbar Satzfetzen wiedergebenden reportatio klagte Simon, dass viele die Sicheln an fremde Ernte legten, ja, dass die Kirche schon ein Monster genannt werden könnte, da ein Glied die Arbeit des anderen tue. Die Ordensbrüder täten die Arbeit der Prälaten, doch seien sie dazu gar nicht berufen, wie Aaron von Gott berufen sei. 76 Diese Bilder und Zitate – die fremde Ernte, die Kirche als Monster, die Berufung Aarons – waren bereits in früheren Episoden des Bettelordensstreits verwendet worden und gingen sämtlich auf Wilhelm von St. Amour zurück. Simon de Beaulieu ließ Verbündete und Gegner mit diesen wohlbekannten Argumenten also wissen, dass der alte Kampf in eine neue Runde ging. Seine Betonung einer religiösen Verpflichtung zum Kampf aus Liebe zu den eigenen Schäflein sollte offensichtlich die Identität der Gruppe der Prälaten stärken, ihre Konfrontation mit den Orden legitimieren und sie auf die Auseinandersetzung einschwören. Die Angehörigen der Universität sprach Simon dabei ausdrücklich als Prälaten von morgen an und suchte so, französischen Episkopat und Universität rhetorisch zu einer Gruppe zusammenzuschließen. 77 Es zeigt sich also eine wesentlich mobilisierende, die eigene Identität bestärkende Funktion der Eröffnungspredigt. Im Rahmen der synodalen Erörterung wurden dann die widersprüchlichen Be75
Vgl. zum Gerechtigkeitsdiskurs im Mittelalter zuletzt die Anregungen in Petra Schulte/Gabriele
Annas/Michael Rothmann (Hrsg.), Gerechtigkeit im gesellschaftlichen Diskurs des späteren Mittelalters. (Zeitschrift für historische Forschung, Beih. 47.) Berlin 2012. 76
CUP 2, Nr.539, 8: „Sed heu! hodie ista caritas refriguit, et ecclesiasticus ordo penitus est confusus, quia
multi mittunt falcem in messem alienam, ita ut jam ecclesia monstrum dici possit […] utique litterati et prudentes fratres, videlicet Majores et Minores, officium nos specialiter commissum occupant, sed injuste, cum nemo debeat sibi honorem assumere nisi qui vocatur a Domino tanquam Aaron.“ 77
Ebd.9: „venimus ad vos qui presentes sumus et habemus litteras de ratihabitione omnium episco-
porum regni Francie ad conquerendum vobis de tanta fratrum insolentia, quia quod nos sumus, vos eritis, credo enim quod non sit hodie prelatus inter nos, qui de hac Universitate non sit assumptus.“
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schlüsse und Bußtheologien zur Frage der mendikantischen Seelsorge in den Mittelpunkt der Diskussion gestellt, die vorher in den universitären Disputationen erarbeitet worden waren. Simon von Beaulieu verkündete das Vorhaben der Prälaten, an der Kurie um eine Neuauslegung des päpstlichen Privilegs zu bitten. Nachdem er als Vorsitzender die einschlägigen päpstlichen und konziliaren Beschlüsse hatte verlesen lassen, legte der Bischof von Amiens, Wilhelm von Maçon, ein maximus jurista, die widerstreitenden Dokumente öffentlich aus und ging sie Absatz für Absatz durch. Wie sich erschließen lässt, betonte er, dass die Stellung der Prälaten und die umfassende Pflichtbeichte bei den Ortspriestern gewahrt bleiben müssten, da sonst keinerlei Klarheit über Zuständigkeiten bestehen könne und die Priester keine Verantwortung über ihre Schafe mehr ausüben könnten. Wegen der bestehenden Widersprüche fand er die Beichte bei den Bettelorden ohne Zustimmung der prelati nicht erlaubt, erläuterte also öffentlich die von der Prälatenpartei seit 1282 vertretene Linie, dass das Privileg einer Neuauslegung bedürfe. 78 Auch Wilhelm von Maçon appellierte dann an die Anwesenden, sich ‚bis aufs Blut‘ gegen die Übergriffe der Ordensbrüder zu wehren. 79 Diese öffentliche Auslegung der vorhandenen, widerstreitenden Dokumente erscheint als Teil einer synodalen Versammlung besonders relevant: Sie stand letztlich an der Stelle, an der zu Ende einer Synode üblicherweise die Beschlüsse promulgiert wurden. Mit der Verlesung und Problematisierung der widersprüchlichen Dokumente in einem solchen rituellen Rahmen wies man jedoch die Autorität, die den päpstlichen Beschlüssen hätte zukommen sollen, nun deren kritischer Dekonstruktion zu. Die normative Kraft der öffentlichen synodalen Publikation wurde so für die Sache der Prälaten eingesetzt. Da die erneute Gesandtschaft an den Papsthof nunmehr erst begonnen wurde, handelt es sich hier zudem nicht mehr allein um einen Protest gegen bereits erfolgte Entscheidungen. Man hatte ja durch den Kniff der Aus78 Ebd.: „Archiepiscopus Bituricensis (surgens dicit:) ‚Ut ergo discutiatis et videatis quid juris eis concessum sit ex ipsis privilegiis, decrevimus vobis publice legi‘. Et statim quidem alter surgens in publico ambone legit privilegia, et postea legit constitutionem Innocentii III, que hiis contradicit, ut ibi ostensum fuit, et ad quam utrumque privilegium remittit, utpote illi constitutioni derogans. Hec constitutio habetur in V Decretalium et incipit sic: Omnis utriusque sexus. His lectis surrexit episcopus Ambianensis maximus jurista et de articulo ad articulum currens ostendebat liquide per jura per omnia predicte constitutioni in nullo per predicta privilegia derogatum, nec licere fratribus confessiones audire et penitentias injungere sine episcoporum et parrochianorum […] licentia […].“ 79 Ebd: „Rogavit ergo dominus episcopus Universitatem, ut eis in hoc casu assistere dignaretur, quia ipsi firmiter omnes et unanimiter diffinivissent usque ad sanguinem tali injurie obviare.“
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setzung von Ad fructus uberes zumindest formal eine offene Situation geschaffen. Sowohl das Einschwören der Synodalteilnehmer auf die Linie der prelati wie die Verbreitung der eigenen Standpunkte innerhalb der Teilöffentlichkeiten des französischen Klerus und der Universität waren also flankierende Maßnahmen für den laufenden Entscheidungsprozess. Während man es in den 1250er Jahren letztlich vermieden hatte, den Papst durch offenen Widerspruch zu brüskieren, wurden die eigenen Positionen nun ganz bewusst in einem hoch aufgeladenen rituellen Rahmen publiziert. Die möglichst umfassende Mobilisierung und Verbreitung von Argumenten sollte den Papst offenbar unter Zugzwang setzen. Ähnlich wie in den 1250er Jahren versuchte jedoch auch die andere Seite, vergleichbare oder alternative Kommunikationskanäle zu mobilisieren: Auf der Versammlung vom 7.Dezember 1286 hatten die Vertreter der Orden nicht öffentlich das Wort ergriffen. Sie holten dies jedoch bei nächster Gelegenheit nach – offenbar im Anschluss an die übliche Universitätspredigt am nächsten Sonntag, und damit wiederum in Anlehung an eine bereits institutionalisierte Form der öffentlichen Ansprache vor dem Plenum der Magister und Scholaren mit einer bestimmten rituellen Rahmung und Zweckbindung. Die Versammlung artikulierte nicht nur öffentlichen Widerspruch, sondern inszenierte zudem die Einmütigkeit der Bettelorden untereinander: Wie der anonyme Bericht beschreibt, predigte ein Franziskaner im Dominikanerkonvent, während am nächsten Tag im Franziskanerkonvent bei einer Festpredigt ein Dominikaner predigte. Der Bericht sah das als nie dagewesen an und bemerkte sarkastisch, Herodes und Pilatus seien an diesem Tag Freunde geworden. 80 Wie der Bericht und weitere Briefe und Schriftstücke dokumentieren, handelten die Sprecher der Orden das Predigtthema aber jeweils nur als Einleitung ab und nutzten den Rahmen der Universitätspredigt dann zur Legitimation ihrer Position. Sie diskutierten erbittert die Punkte, die ihnen von den Prälaten zum Vorwurf gemacht wurden. 81 Das rief wiederum den Protest des anwesenden Wilhelm von Maçon hervor. Er replizierte anlässlich der nächsten öffentlichen Universitätspredigt im Kol-
80
Ebd: „Sequenti die, dominica scilicet, unus de Ordine Minorum apud fratres Majores fecit sermonem,
quod prius, ut credo, visum non est […]. Sequenti die agebatur festum Conceptionis beate Marie apud fratres Minores: et ecce unus Majorum faciens sermonem, ad eundem findem, ut dicam breviter, perducebat. Et credo ibi impleta est scriptura que dicit: Facti sunt amici Herodes et Pilatus ipsa die.“ 81
Ebd.: „paucis verbis finiens sermonem incepit loqui de materia supradicta, et replicans singulos arti-
culos, prout poterat melius, pro ordine exponebat, adjiciens, quod si voluissent dictis privilegiis uti, latius potuissent.“
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legium der Zisterzienser, wobei nun auch die widerstreitenden Dokumente den Scholaren zur Vervielfältigung und Verbreitung verfügbar gemacht wurden. 82 Um und nach Weihnachten verlagerte sich die Auseinandersetzung dann nach Orléans. Dort gestattete offenbar der ordensfreundliche Bischof den Mendikanten eine Verwendung öffentlicher Predigtanlässe für ihre Sache. Wilhelm von Maçon zog jedoch wiederum nach, predigte an der Universität Orléans dagegen und führte die einschlägigen Dokumente nebst kritischer Dekonstruktion vor. Hinterher wusste, wie er sagte, „jedes Kind in Orléans“, wie man die Argumente der Brüder entkräften musste. Auch die Juristen der Universität Orléans waren einschlägig informiert. 83 Wiederum entstand somit eine öffentliche Debatte, diesmal im Spannungsfeld synodaler Versammlungen und universitärer Disputationen und Predigten. Nach den erhaltenen reportationes und Verschriftlichungen zu urteilen, verknüpften sich in den Reden und Gegenreden die typischen Argumentationsformen der scholastischen Disputation und Bibelexegese mit dem appellativem Stil der Predigt, deren rituelle Rahmung zudem auf die Verkündung von Glaubenswahrheit ausgerichtet war. Die Punkt für Punkt durchgehaltene, zähe Sachauseinandersetzung wurde daher immer wieder durch den sakralisierenden Rahmen von Predigten aufgewertet, in denen beide Parteien jeweils Wahrheit und religiöse Authentizität für ihre Sache reklamierten. Ein Höhepunkt dieser Auseinandersetzungen war die Eröffnungspredigt einer weiteren Pariser Synode im Frühjahr 1287. Heinrich von Gent selbst predigte dort über das Thema Ps 49,5, Congregate illi sanctos eius, „Versammelt mir all meine Frommen, die den Bund mit mir schlossen beim Opfer.“ 84 Er mobilisierte wiederum die
82 CUP 2, Nr.543, 13: „Postmodum die dominica ante Natale presente domino archiepiscopo et magistris in theologia predicavimus apud Sanctum Bernardum, et ibi fuit numerus infinitus scolarium, et ibi exposuimus privilegia diligenter. Quo audito scolares pecierunt una voce copiam privilegiorum; et postmodum habuerunt multi et magni et maxime diversarum nacionum, adeo quod, per Dei gratiam omnes scolares modo stantes pro parte nostra, modo fratres in sermonibus et in lectionibus parum loquuntur de ista materia, et apparent dolentes et confusi.“ 83 Ebd.16: „Unde per Dei gratiam in conspectu omnium sunt confusi, nec est puer Aurelianis, quin sciat respondere eorum argumentis, et omnes jurisperiti satis sunt pro nobis informati.“ 84 Sermo Magistri Henrici de Gandavo, hrsg. in Schleyer, Anfänge (wie Anm.2), 141–150, hier 141: „Congregate illi sanctos eius, qui ordinant testamentum eius super sacrificia, Ps. XLIXo. Verbum istud proprie pertinet ad residentes in synodo, quoniam nobis in eo tria circa ipsos consideranda proponuntur. […] Secundum vero est status et conditio eorum, qui vocantur ad synodum, quod notatur, cum additur: Sanctos eius. Sancti enim debent esse praelati et sacerdotes in synodo congregati, ut ydonei sint secundum statuta synodalia
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Prälaten, die er als die angesprochenen sancti identifizierte, und verteidigte in dramatischem Predigtduktus eine kollegiale Ekklesiologie als von Christus selbst gesetzte Ordnung der Kirche. Wie Simon de Beaulieu griff Heinrich direkt auf die Texte Wilhelms von St. Amour zurück. 85 Seit Anbeginn gebe es auf Einrichtung Christi drei Ordnungen in der Kirche, Papst, Bischöfe und Priester, Nachfolger Petri, der Apostel und Apostelschüler. Ihnen seien alle anderen nur als Helfer zugeordnet. Weitere Grade als diese drei gebe es in der Kirche nicht, habe es nie gegeben und solle es auch nicht geben. Die besondere, apostolische Identität des Klerus wurde somit wiederum im rituellen Rahmen der Eröffnung einer Synode aufgerufen, um die Anwesenden auf die laufende Kampagne zu verpflichten. Doch die französischen Prälaten gingen neben dem Appell an die universitäre und kirchliche Öffentlichkeit noch einen entscheidenden Schritt weiter: Sie instrumentalisierten anscheinend (denn wir kennen nur Absichtserklärungen) auch den Rahmen der diözesanen Synoden und Pfarreien, um sich direkt an die Gläubigen in den Gemeinden zu wenden. Als Auftakt der erneuten Kampagne der Prälaten 1286/ 87 muss de facto die intensive Behandlung des Konflikts mit den Bettelorden auf einer Diözesansynode in Bourges gelten, die unter Vorsitz Erzbischof Simons von Beaulieu im Oktober 1286 abgehalten wurde. Simon ließ im Zuge dieser Synode nicht nur eine Reihe älterer, reformorientierter Verbote wiederaufnehmen, die sich mit Ämterkauf, Konkubinaten des Klerus und Exkommunikationen befassten. Die Akten der Synode enthalten auch die Aufforderung an die örtlichen Priester, alle ihre Gemeindemitglieder zur jährlichen Beichte aller Sünden beim Ortspfarrer aufzufordern. Über die jährlichen Pflichtbeichten seien Listen zu führen, und niemand solle zu Ostern die Kommunion erhalten oder im
populum sanctificare. Tertium autem est opus eorum sive officium, quod notatur, cum dictur (sic!): Qui ordinant testamentum eius super sacrificia. Ipsorum enim est ordinare divinum testamentum, quod in sacramentis ecclesiae statuit.“ Hervorhebungen im Original. Vgl. zur Datierung Hödl, Theologiegeschichtliche Einführung (wie Anm.1), XCII–XCV. 85
In Schleyer, Anfänge (wie Anm.2), 144f.: „Praelatos autem huiusmodi Christus instituit tripliciter se-
cundum tres status personarum, quia ab initio erant in ecclesia; et (institutio ista) adhuc est et semper erit per Dei gratiam in illorum successoribus. […] Christi enim successor in universali non est nisi summus pontifex, quorum omnium primus erat Petrus, successores autem apostolorum non sunt nisi episcopi, successores vero discipulorum non sunt nisi curati ecclesiarum. […] Et super illud: Post haec autem designavit dicit glosa: Sicut in apostolis forma est episcoporum, sic in LXXII (discipulis) forma est presbiterorum curatorum. Et sunt isti gradus immutabiles in ecclesia et in eis consistit essentialiter ordo ecclesiasticus“ Hervorhebungen im Original.
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Todesfall kirchlich begraben werden, der nicht auf der Liste stehe. 86 Zudem wurden alle Kirchenvorsteher (cappellani curati ecclesiarum universi) bei Strafe der Exkommunikation verpflichtet, die verschiedenen relevanten Rechtstexte auf Latein und in der Volkssprache besitzen und verstehen zu sollen. Sie waren den Gemeindemitgliedern genauestens auszulegen – wie anzunehmen ist, im Anschluss an den sonntäglichen Kirchenbesuch, also wiederum in einem ritualisierten Rahmen. 87 Namentlich sollte der Konzilskanon Omnis utriusque sexus, die Konstitution Clemens’ IV. Quidam temere sentientes über die bischöflichen Reservatfälle sowie schließlich Martins VI. Bulle Ad fructus uberes verlesen werden, letzte offenbar wegen der Bestätigung von Omnis utriusque sexus. Die Prälaten weiteten mit einer solchen Verlautbarung und vor allem mit der Pflicht einer schriftlichen Registrierung der Pflichtbeichte bei Strafe der Exkommunikation den Kreis der Betroffenen der Kontroverse wiederum erheblich aus, nunmehr auf die jeweiligen Kommunikationsgemeinschaften der Laien in den Pfarreien. Potentiell war nun jeder französische Laie in den betroffenen Diözesen aufgefordert, sich auf der ‚Verteidigungslinie‘ (Yves Congar) 88 des Kanons Omnis utriusque sexus zu seinem Ortspfarrer zu bekennen. Noch deutlicher werden die intendierten Wirkungen dieser Maßnahme an einem Schreiben aus den Jahren 1288/90, das noch detailliertere Anweisungen gibt. Es stammt bereits aus dem dritten Anlauf der Prälaten zu einer Kampagne am Papsthof, nachdem nach Martin IV. auch Honorius V. (1285–1287) verstorben war, ohne die Frage entschieden zu haben. Dieses Schreiben legt einen modus procedendi für die
86 Vgl. Concilium Bituricense 1286, in: Giovanni Domenico Mansi (Ed.), Sacrorum conciliorum nova et amplissima collectio. 28 Vols. Venedig 1759–1785, Vol.24 (1780), 624–648, hier c. 13, 631: „Item statuimus quod presbyteri parochiales admoneant parochianos suos proprios, ut saltem semel in anno de omnibus peccatis suis confiteantur eisdem; & quod nomina sic confitentium in scriptis redigant, quibus in festo Paschae viaticum dent: aliis autem denegetur […]. Et si anno quo decesserint, confessi non fuerint, ut praemittitur, eis sepultura ecclesiastica denegetur“. Siehe dazu auch Hödl, Theologiegeschichtliche Einführung (wie Anm.1), LVII–LVIII. 87 Concilium Bituricense (wie Anm.86), c. 14, 632: „Praecipimus etiam sub pena excommunicationis, universis ecclesiarum cappellanis curatis, quod habeant in vulgari & Latino, constitutionem Innocentii III. editam in concilio generalis, quae incipit, Omnis utriusque sexus; & constitutionem Clementis papae, quae dirigitur fratribus Praedicatoribus, & incipit: Quidam temere sentientes. Item habeant illam constitutionem Martini, quae dirigitur fratribus Minoribus, quae incipit, Ad fructus uberes: & eas diligenter intelligant, & populo exponant: quod ipsis praedicantibus districte praecipimus observare.“ Hervorhebungen im Original. 88 Congar, Aspects ecclesiologiques (wie Anm.2), 50.
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Prälaten fest, der die Gesandtschaft an den Papsthof wiederum flankierend unterstützte. 89 Wie ausgeführt wird, seien die Priester erstens anzuhalten, den Gläubigen zu erklären, dass bei Strafe der Exkommunikation und der Verweigerung des Begräbnisses der Kanon Omnis utriusque sexus einzuhalten sei, den viele Päpste oft publiziert hätten und der über jeden Zweifel erhaben sei. 90 Zweitens seien die Materien bekanntzumachen, in denen die Päpste den Bischöfen die alleinige Beichtvollmacht reserviert hätten, was wiederum von Gelehrten wie Hostiensis, Raymond von Penafort, Bonaventura und anderen großen Männern sowie von Papst Clemens IV. bestätigt worden sei. 91 Drittens sei auf den Diözesansynoden öffentlich zu verkünden, dass alle Gemeindemitglieder, die bereits bei einem Bettelordensbruder gebeichtet hätten, nichtsdestoweniger all ihre Sünden einmal im Jahr dem Ortspfarrer zu beichten hätten. Wer daran zweifele, dem solle Ad fructus uberes vorgelesen werden. Ausreichende Mengen von Kopien des Privilegs seien zu diesem Zweck an alle Priester und Äbte (also offenbar die Vorsteher der ebenfalls in der Seelsorge aktiven alten Mönchsorden) zur Verfügung zu stellen. 92 Tatsächlich finden sich die entsprechen89
Vgl. A. G. Little, Measures Taken by the Prelates of France against the Friars, in: Miscellanea Francesco
Ehrle. Vol.3: Per la storia ecclesiastica e civile. (Studi e testi, Vol.39.) Rom 1924, 49–66; zur Datierung und Einordnung Hödl, Theologiegeschichtliche Einführung (wie Anm.1), CIV–CV. 90
Little, Measures (wie Anm.89), Nr.I, 50: „[1] In primis precipiant sacerdotibus prelati in sinodis suis
quod consilium Omnis utriusque sexus, quod est in titulo de penitentiis et remissionibus, legatur pupplice in ecclesia eorundem omnibus parochianis suis in latino et in lingua materna, et pupplicentur ea que in consilio continentur, et contra non seruantes consilium pene imponatur [et] scilicet quod excommunicentur viui et morientes careant ecclesiastica sepultura: et in ipsa sinodo consilium illud coram sacerdotibus legatur et diligenter ponatur, et istud precipitur a papa in consilio quod frequenter puplicetur.“ 91
Ebd. 51: „[2] Item dicant presbiteri populo quod de casibus episcopis reseruatis predicatores et minores
quempiam non possunt absoluere, quia non est eis a papa commissum, immo prohibitum: et legantur casus in latino et in materna lingua et in sinodo, et quilibet legat in sua parochia, et qui sunt illi casus dicatur: sunt isti […]. Et hii casus nominantur in diuersis summis domini Hostiensis fratris Reymondi, fratris Bonauenturae, et multis aliis; et quod de istis casibus non possunt absoluere, expresse dicit dominus Clemens in sua constitucione Clemens etc. Legatur in sinodo et fiat copia sacerdotibus et abbatibus qui habere voluerint, ut si fratres contrarium dixerint, per litteram pape de mendacio conuincantur: et est constitucio Clemens etc. et sequitur infra.“ 92
Ebd.: „[3] Item dicatur pupplice in sinodo quod quantumcunque fratres audiant confessiones in casi-
bus [sibi concessis] tamen confessi eis de eisdem tenentur nichilominus confiteri semel in anno proprio sacerdoti parochiali secundum quod dicit priuilegium domini Martini quod incipit Ad fructus uberes, et legatur in sinodo in lingua materna si necesse fuerit; et fiat copia omnibus sacerdotibus et abbatibus, ut si fratres contrarium dixerint uel predicauerint, per textum littere de mendacio conuincantur: priuilegium Martini sequitur infra.“
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den Rechtstexte mehrfach sowohl in Latein wie in der Volkssprache überliefert, so dass der Weg bis zum Ohr der Laien vorbereitet war. Diese Anweisungen zur detaillierten Instruktion des Laienpublikums sollten diesem aber kaum die Feinheiten der widerstreitenden Bußtheologien auf Universitätsniveau nahebringen. Die Verlesung der widersprüchlichen Privilegien und der sie jeweils unterstützenden Autoritäten – Konzil, vorherige Päpste, gelehrte Autoritäten – zielten stattdessen darauf, dem Laienpublikum buchstäblich die Kompliziertheit und Beschränkungen der Rechte der Orden vor Augen zu führen. In demselben Text wurde auch eine kontrastierende Erläuterung der Rechte des Klerus vorgeschrieben, die diese Strategie ganz unzweifelhaft bestätigt und weiter erläutert: „Item, es soll dem Volk gesagt werden, dass die Bischöfe, die an Stelle der Apostel stehen, und die Priester, die an Stelle der zweiundsiebzig Apostelschüler stehen, ihre Macht zur Absolution der Gemeindemitglieder vom Herrn Jesus Christus empfangen haben […]. Die Ordensbrüder dagegen haben sie nicht von Christus und vom Papst höchstens eine geringe Macht – beziehungsweise ist sie, wenn sie sie überhaupt haben, zweifelhaft, da sie dies behaupten, wir es aber bestreiten […]. Daher soll dem Volk gesagt werden: ‚Haltet Euch an das Sichere und lasst das Unsichere sein! Bringt nicht Eure Seelen in Gefahr, sondern haltet Euch an den Weg, der sicher ist und bleibt bei Euren Priestern, die über Eure Seelen Gott Rechenschaft ablegen müssen‘. Diese Argumentation pflegte die Laien immer sehr zu bewegen.“ 93
Die Wendung an die Gemeinden bewirkte hier ähnlich wie die Wendung an die Universität wiederum eine Verknüpfung verschiedener Öffentlichkeiten, die eine Vermischung typischer Argumentationsformen nach sich zog: Der sakralisierte rituelle Rahmen klerikaler Versammlungen und Universitätspredigten erlaubte eine Aufladung der rechtlichen und theologischen Sachargumente, die so zur Mobilisierung instrumentalisiert wurden. Ähnlich verhielt es sich offenbar auch mit der offiziellen Verkündung derartiger Anweisungen auf Diözesansynoden und im Rahmen örtlicher Gottesdienste. Sie erlaubten es, die Botschaft der Prälaten in einem rituel-
93 Ebd.52: „Item dicatur populo quod prelati, qui tenent locum apostolorum, et curati, qui tenent locum LXX duorum discipulorum, absoluendi parochianos suos a domino Iesu Christo receperunt potestatem […].
De fratribus uerum est quod non habent a Christo nec a papa nisi modicam, aut saltem, si habent, dubium est propter affirmatiuam eorum et negatiuam nostram. Vnde dicatur populo: Teneatis certum et dimittatis incertum; non ponatis animas vestras in periculo, set viam teneatis que certior erit et adhereatis curatis vestris qui de animabus vestris tenentur deo respondere. Ista racio multum consueuit mouere laicos.“
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len Rahmen und mit voller amtlicher Autorität zur Geltung zu bringen. Den Laien brachte man freilich einander widersprechende gelehrte und kirchliche Autoritäten und widerstreitende Rechtstexte hauptsächlich nahe, um deren Zweifelhaftigkeit zu inszenieren und so den Status quo zu wahren. Es können kaum Zweifel bleiben, dass die französischen Prälaten mit derartigen Strategien direkt an die Gemeinden als Öffentlichkeit appellierten – denn die Laien hatten allen Beschwörungen zum Trotz durchaus einige Macht, gewissermaßen ‚mit den Füßen‘ für die mendikantische Seelsorge abzustimmen und testamentarische Verfügungen und Schenkungen nach eigenem Gutdünken zu vergeben. Gleichzeitig war die öffentliche, synodale Inszenierung der widerstreitenden Meinungen von Klerus und Konzil beziehungsweise Ordensbrüdern und Papst jedoch auch eine flankierende Maßnahme, die die gleichzeitige Gesandtschaft der Prälaten an den Papsthof unterstützen sollte. Entscheidend für diese Strategie war nach wie vor der Gedanke, dass der Papst das Privileg Ad fructus uberes auszulegen gezwungen war, solange es offensichtlich widersprüchlich war. Vor diesem Hintergrund war es opportun, unter den Universitätsangehörigen und notfalls auch unter den Laien bestehende Widersprüche breitzutreten. Dennoch scheint sich vor diesem Hintergrund ein Wandel der Funktion der entstehenden übergreifenden Öffentlichkeit abzuzeichnen: Die zwischen kirchlichen Versammlungen, universitären und diözesanen Kommunikationsnetzwerken konstituierte Öffentlichkeit war durchaus weiterhin Ort des Protestes. Sie wurde jedoch auch Adressat von Argumenten in einer laufenden Streitsache. Anders als im Vorfeld des II. Konzils von Lyon wurden die Argumente nun nicht mehr nur an den Papst, sondern gleichzeitig (und gar vorher) an die Öffentlichkeit gerichtet. Man nahm also nicht nur in Kauf, den Papst unter Zugzwang zu setzen, was sich in der face-to-face-Kommunikation 1274 als schwierig erwiesen hatte. Der durch die breite Veröffentlichung der eigenen Meinungen erzeugte Druck auf den Papst war wesentlicher Teil der Strategie der französischen Prälatenpartei.
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V. Schlussüberlegungen – kirchliche Konfliktkulturen und Öffentlichkeiten im 13.Jahrhundert Insgesamt zeigt sich schon im Rahmen der hier erfolgten oberflächlichen Analyse der Nutzung von Öffentlichkeit im Bettelordensstreit ein differenziertes Bild. Der Konflikt erlaubt prinzipiell, deutliche Eindrücke zur Konstitution von Öffentlichkeit im 13.Jahrhundert zu gewinnen. Es zeigen sich immer wieder Ansätze der Konsolidierung einer Öffentlichkeit, an die ‚appelliert‘ wurde und die somit zumindest gewisse Züge eines kritischen, als Widerlager von Herrschaft fungierenden Diskussionsforums trug. 94 Doch darf diese Debattenöffentlichkeit nicht als stabil und unveränderlich gedacht werden, sondern wurde prozesshaft und situativ hergestellt – insbesondere, indem in Konflikten verschiedene gesellschaftliche Rezipientengruppen über vorhandene Kommunikationskanäle angesprochen wurden, deren Botschaften und Medien dann in Zusammenhang gerieten. Transfervorgänge zeigten sich hier innerhalb einer schon bald relativ breit aufgefächerten Palette schriftlicher, mündlicher sowie ritualisierter Kommunikationsformen (zu denen genaugenommen noch Bilder und Gebäude zu rechnen wären 95). Ein Beispiel für die resultierende Dynamik von Öffentlichkeit wäre etwa das ekklesiologische Modell Wilhelms von St. Amour, das in den Medien der gelehrten Streitschrift, der rituell aufgeladenen synodalen Predigt und schließlich der offiziösen Verkündung in Stadt- und Landpfarreien jeweils verschiedene Funktionen entwickelte, aber doch auch Querverbindungen zwischen den Diskursen schuf. In der mediävistischen Forschung werden die unterschiedlichen Ebenen derartiger Kommunikation häufig getrennt untersucht. Doch kann die ‚zusammengesetzte‘ und plurimediale Kommunikation als Grundlage öffentlicher Meinungsbildung auch als eigener Typus der Öffentlichkeit verstanden werden. Er entspricht demjenigen der reformatorischen Öffentlichkeit, in der verschiedene Medien, wie Robert Scribner sehr passend formulierte, wie in einer „Partitur“ zusammenspielten. 96
94 Vgl. zu diesem Aspekt von Öffentlichkeit hier nur Jaspert, Politische Öffentlichkeit (wie Anm.6), 436. 95 Vgl. etwa zu Bildpropaganda der Bettelorden die Verweise in Bruzelius, Preaching, Building and Burying (wie Anm.1); Joanna Cannon, Religious Poverty, Visual Riches. Art in the Dominican Churches of Central Italy in the Thirteenth and Fourteenth Centuries. New Haven/London 2013. 96 Vgl. Robert W. Scribner, Flugblatt und Analphabetentum. Wie kam der gemeine Mann zu reformatorischen Ideen?, in: Hans-Joachim Köhler (Hrsg.), Flugschriften als Massenmedium der Reformationszeit. Beiträge zum Tübinger Symposion 1980. (Spätmittelalter und Frühe Neuzeit, Tübinger Beiträge zur Ge-
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Fragt man weiter, welche Rolle der Rahmen synodaler Konfliktlösung im Bettelordensstreit spielte und wie dieser mit der Nutzung von Öffentlichkeit zusammenhing, muss die Antwort differenziert ausfallen: Je nach konkreter politischen Konstellation konnte dem Rahmen synodaler Entscheidungsfindung eine ganz unterschiedliche Funktion zuwachsen. Deutlich ist zunächst, dass synodale Versammlungen kaum als Foren offener Diskussion genutzt wurden. Wo kontrovers verhandelt wurde, wie es offenbar auf dem II. Konzil von Lyon der Fall war, geschah dies zumeist in ausgelagerten Beratungen,
die heute allenfalls noch über Hinterlassenschaften wie die Notizen und Entwürfe des Durhamer Rotulus greifbar sind. Die Situation der face-to-face-Öffentlichkeit blieb, etwa im päpstlichen Konsistorium 1274, zugleich wohl stark auf die Wahrung der Rangordnung und das Vermeiden von Ehrverletzungen und Gesichtsverlust ausgerichtet; dies ist auch für andere Situationen hinreichend untersucht. 97 Umso interessanter erscheinen im Fall des Bettelordensstreits die intensiven Querbezüge zwischen kirchlich-synodalen Beratungen und gelehrten Auseinandersetzungen an der Universität. Gerade die universitären Disputationen waren eine der wenigen kommunikativen Gattungen des Mittelalters, in denen kontroverse und sogar adversariale Äußerungen gegenüber Anwesenden institutionalisiert und habitualisiert waren. Die Pariser Quodlibet-Disputationen der Jahre 1282 und 1286, die offenbar zu wahren Schaukämpfen über die Bußtheologie und die Rechte der Bettelorden gerieten, dürften die Gemüter zwar kaum kalt gelassen haben – doch folgten sie ganz anderen Regeln der Ehr- und Gesichtswahrung als Begegnungen im höfischen oder synodalen Rahmen. Nicht nur war die universitäre Rangordnung eine andere als die kirchliche – die Verpflichtung zur sachlichen Diskussion sowie zur Antwort und wenn möglich Entkräftung vorgebrachter Argumente erlaubte auch, eine andere Form von kommunikativem ‚Zugzwang‘ herzustellen, als dies bei-
schichtsforschung, Bd. 13.) Stuttgart 1981, 65–76, hier 75–76. Vgl. zur reformatorischen Öffentlichkeit auch ders., For the Sake of Simple Folk. Popular Propaganda for the German Reformation. 2nd. Ed. Oxford 1994; Rainer Wohlfeil, Reformatorische Öffentlichkeit, in: Karl Stackmann/Ludger Grenzmann (Hrsg.), Literatur und Laienbildung im Spätmittelalter und in der Reformationszeit. Symposion Wolfenbüttel 1981. (Germanistische Symposien, Bd.?5.) Stuttgart 1984, 41–54. 97 Vgl. exemplarisch die Überlegungen in Knut Görich, Die Ehre Friedrich Barbarossas. Kommunikation, Konflikt und politisches Handeln im 12.Jahrhundert. Darmstadt 2001, 36–57; Johannes Helmrath, Rangstreite auf Generalkonzilien des 15.Jahrhunderts als Verfahren, in: Stollberg-Rilinger (Hrsg.), Vormoderne politische Verfahren. (wie Anm.43), 139–173.
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spielsweise durch eine fußfällige Bitte vor dem Herrscher geschah. Im Kontext der Pariser Auseinandersetzungen der 1280er Jahre ist etwa deutlich zu beobachten, wie universitäre Disputationen und bald auch universitäre Predigten allmählich als kommunikatives ‚Umfeld‘ der halbjährlich abgehaltenen synodalen Beratungen der Prälaten instrumentalisiert wurden: Sie übernahmen die Funktion der argumentativen Vorklärung und der Erarbeitung und Befestigung von Konfliktpositionen, die auf anderen Synoden meist den informellen Beratungen und Besprechungen einzelner Teilnehmer im nichtöffentlichen Raum, auf den großen Konzilien des Spätmittelalters schließlich auch dem städtischen Raum zugewiesen wurden. 98 Neben dem Schulterschluss von Professoren und Prälaten erlaubte die räumliche Fokussierung auf die Universitätsstadt Paris im Falle des Bettelordensstreits daher eine besonders effektive kommunikative Verknüpfung gelehrter Argumentbestände und politischer Entscheidungsfindung. Wesentlicher für die Nutzung des synodalen Rahmens erscheint jedoch, dass beide Seiten des Konflikts versuchten, die religiöse Bedeutung und die Öffentlichkeitswirkung von Kirchenversammlungen möglichst für sich zu instrumentalisieren. Dies gelang im Falle des II. Konzils von Lyon vor allem dem Papsttum und den Bettelorden – obwohl auf dem Konzil de facto heftiger Widerstand gegen die Rolle der Orden artikuliert worden war, war er im veröffentlichten Beratungergebnis, dem Dekret Religionum diversitatem, unsichtbar geworden. Die weitere Diskussion war zunächst abgeschnitten. Die großen Bettelorden waren durch den Konzilsbeschluss erheblich gestärkt. Anders lag die Sache jedoch in Frankreich, wo Konflikte bereits seit den 1250er Jahren immer wieder situativ Öffentlichkeit generiert hatten und wo die Bibliotheken der Universität als ‚institutionelles Gedächtnis‘ bereitstanden. Die Schriften Wilhelms von St. Amour sollten etwa in der Bibliothek des Kollegiums der Sorbonne noch lange zugänglich bleiben, obwohl er selbst für seinen Traktat De periculis novissimorum temporum sogar der Häresie bezichtigt worden war. 99 Im Verlauf der 1280er Jahre wurden einige der Konzepte Wilhelms und seiner Mitstreiter prompt
98 Vgl. zu Letzterem wie oben Miethke, Die Konzilien als Forum (wie Anm.8). Zu Mechanismen der Beratung im Umfeld von Synoden vgl. z.B. die Beiträge von Ernst-Dieter Hehl und Andreas Pietsch in diesem Band. 99 Vgl. zur Überlieferung der Schriften Wilhelms die Überlegungen Geltners in: William of Saint-Amour, De periculis (wie Anm.25); Szittya, The Antifraternal Tradition (wie Anm.3).
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neu aufgenommen, adaptiert und wiederum in der Konstitution übergreifender Öffentlichkeit verwendet. Die öffentliche Debatte entspann sich diesmal auf der Basis von synodal-kirchlichen und universitären Versammlungen in Paris und (soweit dies nachvollziehbar ist) auf der Basis der kirchlichen Kommunikationsstrukturen, also durch Diözesansynoden und Ansprachen in lokalen Kirchen. Da die ordensfeindlichen Prälaten offenbar einen substantiellen Teil des französischen Episkopats ausmachten, konnten sie insbesondere den Rahmen der Pariser Synoden dominieren. Zwar neigten einige Bischöfe wie der von Orléans den Bettelorden zu. Auch waren die Magister der Orden etwa auf der großen Versammlung vom 7.Dezember 1286 anwesend – doch die Versammlung konnte für die Botschaft der Ordensgegner monopolisiert werden. Die Öffentlichkeitswirkung einer Synode kam so in diesen Fällen wesentlich der Prälatenpartei zugute. Die wenigen Quellen über die Versammlung von 1286 sowie über ihr Nachspiel in konkurrierenden Universitätspredigten und weiteren Debatten in Orléans zeigen zudem recht deutlich die besondere Funktion des synodalen Rahmens: Die rituelle Gestaltung einer Kirchenversammlung versah das Geschehen mit einer religiösen Bedeutung. Sie war nicht nur geeignet, um parteigebundene Botschaften über kirchliche Kommunikationskanäle zu publizieren, sondern bettete auch inhaltliche Standpunkte in übergreifende christliche Konzepte ein. Deutlich wird dies etwa an den Synodalpredigten von 1286 und vom Frühjahr 1287, in denen Simon von Beaulieu und Heinrich von Gent die allgemein christlichen, universal akzeptablen Themenkomplexe der Einheit durch Nächstenliebe und der apostolischen Nachfolge aufriefen, um ihre partikulare Position mit Legitimität zu versehen. Ähnlich verhält es sich mit der öffentlichen Auslegung der päpstlichen Privilegien als widersprüchlich in einer Situation, in der man eigentlich die Promulgation synodaler Beschlüsse erwarten würde. Anstatt zu einer Bekräftigung der verlesenen Texte wurde der rituelle Rahmen der Versammlung hier dazu genutzt, deren Gültigkeit sozusagen von offizieller Seite zu untergraben. Ähnlich verhielt es sich mit den vorgesehenen öffentlichen Erläuterungen der päpstlichen Privilegien und ihrer Widersprüche in den Ortskirchen, die ebenfalls die Autorität offizieller kirchlicher Verlautbarungen zu instrumentalisieren suchten. Die rituellen und religiösen Aspekte synodaler Versammlungen – und übrigens speziell synodaler und zusätzlich universitärer Predigten – wurden also genutzt, um das Anliegen der Prälaten an der institutionalisierten Autorität der Gesamtkirche teilhaben zu lassen. Durch die Einbettung in den religiösen Rahmen und das kom-
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munikative Netzwerk der Kirche gewannen die Streitpunkte nicht nur an Publizität, sondern auch an Nachdruck. Da eine Gattung wie die Predigt andere Wissensformen vermittelte als theologische oder rechtliche Argumentationen – nämlich religiöse Wahrheit anstelle wissenschaftlicher Hypothesen oder Meinungen – führte dies typischerweise sogar zu einer Dichotomisierung oder polemischen Zuspitzung der Inhalte. 100 Auch diese Zusammenhänge konnten im Falle der französischen Entwicklungen der 1280er Jahre von der Prälatenpartei instrumentalisiert werden. Doch darf der längerfristige Rahmen der Ereignisse nicht vergessen werden. In der vergleichenden Betrachtung der Konfliktepisoden zwischen den 1250er und 1280er Jahren fiel hier eine graduelle Verschiebung der Funktion und Charakteristik der Wendung an verschiedene Teilöffentlichkeiten auf: Die öffentliche Kontroverse der 1250er Jahre zeigte zunächst wesentlich den Charakter eines demonstrativen Protests gegen bereits getroffene Entscheidungen. Im Vorfeld des II. Konzils von Lyon wurden Stellungnahmen dagegen zur Vorbereitung der Debatte eingereicht. In den konzertierten Aktionen der französischen Prälaten der 1280er Jahre wurden ebenfalls Argumentbestände entwickelt und zur Vorbereitung einer Entscheidung des Papstes publiziert, was der beobachtenden Öffentlichkeit eine durchaus höhere Rolle zuweist. Diesmal nutzte man freilich nicht nur den direkten Weg zum Papst, sondern wandte sich gleichzeitig und sogar vorbereitend an die universitäre Öffentlichkeit sowie an die Laien in den Diözesen. Ein derartiges Verfahren wäre in einer höfisch-politischen Öffentlichkeit und sogar in einer Situation der face-to-face-Kommunikation problematisch gewesen – denn es erzeugte Zugzwang auf den oder die Entscheidungsbefugten. Sie durften in Situationen politischer Beratung eigentlich erwarten, im Vorfeld oder sogar vertraulich über kontroverse Positionen und ihren Hintergrund informiert zu werden. 101 Gerade darin dürfte jedoch die spezifische Wirkung einer breiten öffentlichen Debatte liegen: Gegenüber einer höfisch-politischen oder städtischen Öffentlichkeit beruhte sie gerade nicht ausschließlich auf Kommunikation unter Anwesenden, sondern war zeitlich und räumlich entzerrt, was wiederum die engen Grenzen der
100 Vgl. mit weiteren Überlegungen Steckel, Professoren in Weltuntergangsstimmung (wie Anm.5), 75– 78. 101 Vgl. dazu Althoff, Spielregeln (wie Anm.61), bes. die Kapitel: Colloquium familiare – colloqiuum secretum – colloquium publicum. Beratung im politischen Leben des früheren Mittelalters, 157–184; Verwandtschaft, Freundschaft, Klientel. Der schwierige Weg zum Ohr des Herrschers, 185–198.
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Rangordnung und der ‚Spielregeln‘ politischer Interaktion dynamisierte. Die fehlende persönliche Adressiertheit der Kommunikation erlaubte es, partikulare Standpunkte sozusagen ‚verfrüht‘ vor einer Entscheidung zu publizieren und so zu verhindern, dass sie als Ergebnis der Entscheidung unsichtbar gemacht oder sozial isoliert wurden. An den Konfliktepisoden des Bettelordensstreits wird diese Dynamik sehr deutlich sichtbar, doch dürfte sie sich verallgemeinern lassen und kann dann auch zur genaueren Einordnung synodaler Konfliktkultur herangezogen werden: Eine Synode oder ein Konzil bargen jeweils das Potential unterschiedlicher kommunikativer Rahmungen – einerseits konnten kurzfristige, stark auf persönliche Anwesenheit und Begegnung ausgerichtete Treffen stattfinden, die dann von den typischen Konventionen der face-to-face-Kommunikation und vor allem von der Rangordnung reguliert wurden. Größere Synoden boten durch ihre Dauer und das Zusammenspiel von formellen und informellen Beratungen und Erörterungen mehr Spielraum für die Thematisierung kontroverser Argumente, gerade wenn Elemente formalisierter Disputation ins Spiel kamen. Eine in Episoden ablaufende Konfliktserie wie der Bettelordensstreit (oder der Investiturstreit und viele spätmittelalterliche Reformbewegungen bis hin zur Reformation) bot dagegen einen maximalen Spielraum für die Konstitution und Nutzung plurimedialer und sozial übergreifender Öffentlichkeit, da sich synodale Versammlungen mit öffentlicher gelehrter Erörterung und populären Diskursen abwechseln und verknüpfen konnten. Dass die großen Konzilien des 15.Jahrhunderts als ‚Foren der öffentlichen Meinung‘ erscheinen, dürfte insofern viel mit ihrer zeitlich und räumlich auseinandergezogenen Struktur und ihrer Einbettung in die städtische und universitäre Kommunikationskultur zu tun haben. Wie sich hier zeigte, lassen sich die einzelnen Teilaspekte derartiger öffentlicher Debatten jedoch auch in anderen Konfliktkonstellationen des Mittelalters auffinden. Wenn hier ‚schon‘ für das 13.Jahrhundert eine funktionierende, mit späteren Situationen großenteils vergleichbare kirchliche Öffentlichkeit postuliert wird, darf dies jedoch nicht so verstanden werden, als sei eine solche Struktur permanent etabliert worden. Noch wäre davon auszugehen, dass die hier beschriebenen Mechanismen des gewissermaßen ‚prospektiven‘ Appells an eine Öffentlichkeit zur Unterstützung der eigenen Position ältere Muster einer ranggeordneten politischen Öffentlichkeit auf der Basis von Anwesenheitskommunikation verdrängten. Ganz im Gegenteil bestanden diese Strukturen offensichtlich nebeneinander fort.
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Dies zeigt sich überdeutlich im dramatischen Schlusspunkt der Kampagne der französischen Prälaten im Jahr 1290, als es nach vielen Versammlungen der ordensfeindlichen Partei erstmals im Rahmen eines ‚Nationalkonzils‘ zu einer direkten Konfrontation zwischen französischen Prälaten und Vertretern des Papsttums kam. In einer dramatischen und oft besprochenen Szene ließ der päpstliche Legat Benedikt Caetani, der spätere Papst Bonifaz VIII. († 1303), die französischen Prälaten mit ihrem Anliegen einer Neuauslegung des Privilegs Ad fructus uberes heftig abblitzen und erklärte die Diskussion für beendet. 102 Den Widerstand der Universitätsangehörigen beantwortete er sogar mit Sanktionen. Als der hochbetagte Heinrich von Gent kämpferisch fragte, warum die Magister nicht über das Privileg disputieren dürften, wo sie doch sogar über das Evangelium disputierten, ließ Caetani ihn suspendieren und hielt der Universität eine donnernde Drohrede, in der er sogar ankündigte, das Pariser Studium notfalls komplett umstürzen zu wollen. Unter anderem verbot der päpstliche Legat den Magistern nunmehr nicht nur die Disputation, sondern auch die Predigt über einschlägige Themen. Wer immer noch Zweifel an der päpstlichen Position habe, so Caetani barsch, könne sich eine Erläuterung in Rom abholen. 103 Weder der französische Klerus noch die Universitätsmagister hatten dem viel entgegenzusetzen, denn in einer Situation des tatsächlichen Zusammentreffens hatte der päpstliche Legat als Bevollmächtiger der Kurie alle Trümpfe in der Hand. Seine Autorität und die der Kurie wurden von den französischen Prälaten ja nicht angezweifelt. Die Franzosen konnten daher nicht mehr tun, als ihr Anliegen lautstark
102 Vgl. Hödl, Die Disputation (wie Anm.62), mit kritischen Anmerkungen zum Konzept eines ‚Nationalkonzils‘ sowie Hödl, Theologiegeschichtliche Einführung (wie Anm.1), CVI–CIX; Elsa Marmursztejn, L’autorité des maîtres: scolastique, normes et société au XIIIe siècle. Paris 2007, 64–82; Heinrich Finke, Das Pariser Nationalkonzil vom Jahre 1290. Ein Beitrag zur Geschichte Bonifaz’ VIII. und der Pariser Universität, in: Römische Quartalschrift für christliche Altertumskunde und Kirchengeschichte 9, 1895, 171–182. 103 Vgl. den anonymen, vermutlich franziskanischen Bericht „De privilegio Martini“ über die Vorkommnisse in: Henryk Anzulewicz, Zur Kontroverse um das Mendikantenprivileg. Ein ältester Bericht über das Pariser Nationalkonzil von 1290, Archives d’histoire doctrinale et littéraire du Moyen Age 60, 1993, 281–291, hier 289–291: „Vos, magistri Parisienses, stultam fecistis doctrinam [...]. Sedetis in cathedra et putatis quod rationibus vestris regatur Christus. […] Non sic, fratres mei, non sic! […] Vidi vestras rationes, ait, et vere sunt secundum rationem solubiles. Sed hanc sic solve, praecipimus, in virtute oboedientiae sub poena officii et beneficii, ne aliquis magistrorum de cetero de dicto privilegio praedicet, disputet vel determinet occulte vel manifeste. Et qui de dicto privilegio dubitet, interpretationem a summo pontifice quaerat.“
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zu Gehör zu bringen – was von Wilhelm von Maçon im Rahmen der Synode offenbar mit allem gebührenden Nachdruck erledigt worden war, von Caetani aber zunächst ausgesessen und schließlich nur mit Spott beantwortet wurde. 104 Seine barschen Worte an die französischen Prälaten und Magister erlauben es, das Bild durch zwei weitere Beobachtungen abzurunden: Seine Erläuterung an die Theologen, dass der Papst bereits entschieden habe und man sich eine Erläuterung der zweifelhaften Auslegung des Privilegs wenn nötig in Rom abholen könne, verlagerte die Diskussion in einen strikt rechtlichen Rahmen zurück, in dem der Papst die oberste Appellationsinstanz war und theologische Debatten nur eingeschränkten Platz haben konnten. Tatsächlich fügte Caetani in scharfer Beobachtung hinzu, dass sonst „ja jedes Privileg des apostolischen Stuhls durch die Umtriebe der Magister annulliert werden könnte“. 105 Zwar hätte innerhalb einer Synode theoretisch auch Raum für ausführliche theologische Erörterungen geschaffen werden können – doch hatte der päpstliche Legat aufgrund seines Ranges darüber Entscheidungsfreiheit, und er nutzte seine Verfahrenshoheit, um die Debatte abzuschneiden. Die Worte Caetanis an Wilhelm von Maçon, den Sprecher des Episkopats, der selbst bereits mehrere erfolglose Gesandtschaften an die Kurie geleitet hatte, stellen einen anderen Zusammenhang heraus. Ihn lobte der Legat spöttisch wegen der großen Kosten und Mühen, die er in seinen vergeblichen Bemühungen um eine Änderung des Privilegs auf sich genommen hätte, und meinte, Wilhelm wolle offenbar seine Erfolglosigkeit durch sein stürmisches Auftreten ausgleichen. 106 Dies stellte dieselbe Tatsache in den Vordergrund wie Caetanis an die Magister geäußerte Drohung, notfalls das Pariser Studium aufzulösen: Die französischen Magister und Prälaten mochten in Frankreich in einer Majoritätsposition sein – doch in Rom waren sie es nicht. Ihr Anliegen hatte regionale Dimensionen, da der Konflikt zwischen Bettelorden und Klerus in anderen Regionen anders verlaufen war. Sie hatten zudem auch eine kirchliche Öffentlichkeit bei aller Mühe nur an spezifischen Brennpunkten herstellen und durchdringen können. Man mochte also den Lärm ihrer gravis et
104 Vgl. ebd.288f. 105 Ebd.289: „Posset enim sic omne privilegium sedis apostolicae per versutias magistrorum annullari.“ 106 Vgl. ebd.288: „Surgens dominus Benedictus fit silentium indicebat, dicens: O fratres coepiscopi, vestrae caritati dominum Ambianensem, vestrum procuratorem et advocatum, diligentissime recommendo. Ipse enim pro vobis in curia Romana contra dictos fratres Minores ardentissime laboravit et tamen parum profecit, volens hic supplere, in quibus se sensit in curia Romana deficere, et, ut cernitis, propter nos consumptus est laboribus et expensis.“
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clamosa querela bis an die Kurie hören – doch waren die Franzosen dort in der Unterzahl. Caetani und vor allem die Theoretiker der Orden stellten also gegen den erbitterten Protest des französischen Klerus die päpstliche sollicitudo omnium ecclesiarum, die ihnen eine über Partikularinteressen erhabene, übergeordnete Position zuwies. 107 Die französischen Bischöfe sahen auch hier offenbar keinen Ausweg und gaben klein bei – obwohl sie durchaus kurz vor dem Ziel gewesen sein dürften. Es war im Jahr 1300 Caetani selbst, der als Bonifaz VIII. mit der Bulle Super cathedram ihrem Drängen nachgab und die Privilegien der Bettelorden doch beschnitt. Möglicherweise ließen sich die französischen Kleriker von seinem polternden Auftreten auf der Pariser Synode 1290 etwas zu schnell beeindrucken. Der heftige Zusammenstoß von französischer Prälatenpartei und päpstlichem Legaten im Rahmen des Pariser ‚Nationalkonzils‘ dokumentiert so einen Prozess, der dem graduellen Aufbau einer Debattenöffentlichkeit in Frankreich komplementär ist und ebenfalls Aufschlüsse über mittelfristige Verlaufsprozesse kirchlicher Konfliktkultur erlaubt: Eine plurimediale, beobachtende Öffentlichkeit konnte nicht nur durch öffentliche Agitation als Konfliktforum neben kirchlichen Versammlungen etabliert werden. Gerade im Rahmen von Synoden konnte eine solche Debatte von den Konventionen der Anwesenheitskommunikation und der kirchlichen Rangordnung auch wieder eingeholt und gewissermaßen ‚zusammengefaltet‘ werden – die Regeln der Anwesenheitskommunikation dominierten also zumindest dem Prinzip nach. Sie blieben freilich stark auf konkrete, situative Mächtekonstellationen bezogen, und diese konnten auf regionaler und auf gesamtkirchlicher Ebene erheblich variieren. Die laute Kampagne der französischen Prälaten dürfte insofern durchaus Druck auf das Papsttum aufgebaut haben und sollte ja kurze Zeit später auch Erfolg haben. Doch konnte die Stellung der Bettelorden lange Zeit durch andere Machtfaktoren gestützt werden – ihre besser gelungene Einbettung in anderen europäischen Regionen, nicht zuletzt aber auch ihre Förderung durch weltliche Herrscher. Der französische Bettelordensstreit des 13.Jahrhunderts erscheint somit wesentlich als Konflikt zwischen dem römischen Zentrum und einer regionalen Periphe-
107 Vgl. den Bericht ebd.288f. und Brian Tierney, From Thomas of York to William of Ockham. The Franciscans and the Papal Sollicitudo Omnium Ecclesiarum 1250–1350, in: Joseph D’Ercole/Alphons M. Stickler (Eds.), Comunione Interecclesiale, Collegialità, Primato, Ecumenismo. Acta Conventus Internationalis de Historia Sollicitudinis Omnium Ecclesiarum. 2 Vols. Rom 1972, Vol.2, 605–658.
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rie, was ihn von den weiter ausgreifenden kirchlichen Krisen des 14. und 15. Jahrhunderts unterscheidet. Inwiefern sich im Verlauf des Konflikts auch eine regionale, auf Frankreich bezogene Kultur öffentlicher Kommunikation oder gar eine spezifische Konfliktkultur etablierte, wäre insofern eine interessante Frage. Als Ergebnis wird man festhalten dürfen, dass gerade die enge Verknüpfung synodaler Konfliktlösung und universitärer sowie kirchlich-diözesaner Öffentlichkeiten im Frankreich der 1280er Jahre ein aufschlussreiches Fallbeispiel für die Konstitution kirchlicher Öffentlichkeit und die regionale Entwicklung von Konfliktkultur bietet. Zukünftige Forschungen werden möglicherweise klären können, inwieweit die Abläufe sich mit früheren und späteren Ereignissen und mit anderen Regionen vergleichen lassen.
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Nach dem Konzil von Vienne Konfliktlösung und Entscheidungsfindung in der Spiritualenkrise und im Armutsstreit von Melanie Brunner
I. Einleitung Zu den Diskussionsthemen des Konzils von Vienne (1311/12) gehörte auch das Problem der franziskanischen Armut, und das Konzil spielte daher in der Geschichte des Ordens im 14.Jahrhundert eine äußerst wichtige Rolle. Der Versuch, hier eine Lösung für die Probleme des Ordens zu finden, blieb allerdings letztlich ohne Erfolg, und das Konzil kann daher in eine Reihe von päpstlichen Schlichtungs- und Lösungsversuchen eingeordnet werden, die eine Befriedung der ordensinternen Streitigkeiten intendierten, ohne dieses Ziel zu erreichen. Die Frage nach dem usus pauper und der Definition des franziskanischen Armutsgelübdes wurde durch das Konzil nicht gelöst, und die Konflikte zwischen spiritualen Gruppierungen und der Kommunität gingen auch nach der Veröffentlichung der Bulle Exivi de paradiso am 6.Mai 1312 weiter. Der Streit im Orden wurde erst durch Johannes XXII. in den Jahren 1317–1319 durch die Unterdrückung der Spiritualen beendet; Themen des Konflikts wurden dann allerdings nur wenige Jahre später im sogenannten ‚Theoretischen Armutsstreit‘ zwischen Papst und Orden wieder aufgegriffen. Der Lösung Clemens’ V., wie sie in Exivi de paradiso verkündet worden war, war also kein dauerhafter Erfolg beschieden. Gerade deswegen bietet aber die Diskussion im und um den Franziskanerorden in den Jahren 1310–1323 eine interessante Fallstudie zur Konfliktpraxis an der Kurie, die sowohl die Einbindung des Konzils in die päpstlichen Konfliktlösungsstrategien als auch die Parallelen zwischen diesen Strategien im Konzil und an der Kurie aufzeigt. Dabei ist die Abhaltung eines Konzils an sich (auch) schon eine Strategie der Kurie zur Konfliktbearbeitung und Entscheidungsfindung – war doch die Synode ein kollegiales Organ und die Kurie ein Ort von kollektiven Entscheidungsprozessen. Im Fall der Franziskaner war die Krise im Orden nicht der Anlass für das Konzil, und auch wenn der Diskussion franziskanischer Angelegenheiten in Vienne ver-
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10.1515/9783110436150.203
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gleichsweise breiter Raum geboten wurde, blieben die Spiritualen doch letztendlich nur ein Nebenthema der Versammlung. Aus der Sicht der Kurie, und vor allem im Rückblick, erscheint das Konzil daher als Teil eines länger dauernden Prozesses, der erst nach der Veröffentlichung der Bulle Cum inter nonnullos am 12.November 1323 endete. 1 In den folgenden Ausführungen soll daher weniger die Konfliktpraxis beim Konzil selbst untersucht, sondern es sollen vorrangig die Konfliktlösungsmechanismen der Kurie insgesamt genauer beleuchtet werden. Die Diskussionen beim Konzil waren Teil eines langwierigen Prozesses von sich überlappenden und zum Teil konkurrierenden päpstlichen Initiativen und Interventionen, Kommissionen, schriftlichen Eingaben und Appellen sowie formellen und informellen Diskussionen, die alle darauf zielten, die Frage der franziskanischen Armut zu lösen und den Streit im Orden zu beenden. Das Konzil erscheint eingebunden in ein breites Instrumentarium von kirchlichen Mechanismen, die zur Lösung von Konflikten eingesetzt werden konnten. Wichtig ist im Vorfeld zunächst einmal der Zusammenhang zwischen Form und Inhalt der Konflikte – während ein Konflikt nicht unter Ausschluss der Konfliktinhalte untersucht werden kann und vor allem auch der religiöse Inhalt ernst genommen werden muss, ist es nicht Ziel dieser Untersuchung, eine ausführliche und gründliche Darstellung der Spiritualenkrise oder des Armutsstreites zu bieten. Das (kirchen-)politische Umfeld kann dabei nicht vollständig aus der Diskussion ausgeschlossen werden, ist aber ebenfalls nicht das Hauptaugenmerk. Eine weitere Frage im Vorfeld ist die nach den Quellen; ganz besonders wichtig ist hierbei die für Johannes XXII. zusammengestellte Handschrift MS.Vaticanus latinus 3740, in der nicht nur die Stellungnahmen seiner Berater zur Frage nach der Armut Christi gesammelt wurden, sondern auch ein Entwurf der Bulle Cum inter nonnullos und die Notizen des Papstes zu den vorgelegten Gutachten. 2 Die gerade für die praktische
1 Zur Franziskanerfrage im frühen 14.Jahrhundert vgl. vor allem Malcolm D. Lambert, Franciscan Poverty. The Doctrine of the Absolute Poverty of Christ and the Apostles in the Franciscan Order 1210–1323. 2nd Ed. St. Bonaventure, NY 1998; David Burr, The Spiritual Franciscans. From Protest to Persecution in the Century after Saint Francis. University Park, PA 2001; und Patrick Nold, Pope John XXII and his Franciscan Cardinal. Bertrand de la Tour and the Apostolic Poverty Controversy. Oxford 2003. Zum Konzil von Vienne im Allgemeinen immer noch grundlegend: Karl Müller, Das Konzil von Vienne 1311–1312. Seine Quellen und seine Geschichte. (Vorreformationsgeschichtliche Forschungen, Bd.12.) Münster 1934. 2 Zur Handschrift vgl. vor allem Kerry Spiers, Four Medieval Manuscripts on Evangelical Poverty: Vatica-
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Konfliktlösung wichtigen Beratungsstrategien werden allerdings selten ausführlich geschildert, und wenn sie tatsächlich detailliert beschrieben werden, stellt sich die Frage nach ihrer Repräsentativität. Die Quellen sind meist fragmentarisch und widersprüchlich, und sie beruhen oft auf Berichten aus zweiter und dritter Hand. Ein an sich sehr aufschlussreicher Bericht einer stürmisch verlaufenen Konsistoriumssitzung während des Armutsstreits im März 1322 findet sich zum Beispiel als Interpolation in der italienischen Übersetzung der Chronik des Nikolaus Minorita; während dieser Bericht detaillierte Informationen zur Debatte in der Sitzung, den beteiligten Persönlichkeiten und dem Austausch der Argumente bietet und deswegen auch oft als Augenzeugenbericht gewertet wird, stammt zumindest die Übersetzung, die diesen Bericht enthält, aus der Zeit nach 1380. 3 Ähnliche Probleme der Repräsentativität und Verlässlichkeit ergeben sich bei anderen Quellen zum Prozess der Entscheidungsfindung an der Kurie und während des Konzils, wie zum Beispiel den Briefen der aragonesischen Gesandten oder den Chroniken von Angelo Clareno und Nikolaus Minorita. 4 Andererseits sind gerade diese Berichte, die oft auf Hörensagen und Gerüchten beruhen, für eine Untersuchung des Entscheidungsprozesses
nus latinus 3740 and its Copies, in: Collectanea Franciscana 59, 1989, 323–349; und Louis Duval-Arnould, Élaboration d’un document pontifical: les travaux préparatoires à la constitution apostolique ,Cum inter nonnullos‘ (12 novembre 1323), in: Dean Favier (Ed.), Le Fonctionnement administratif de la papauté d’Avignon. Actes de la table ronde organisé par l’École Française de Rome, avec le concours du CNRS, du Conseil Général du Vaucluse et de l’Université d’Avignon (Avignon, 23–24 janvier 1988). (Collection de l’École Française de Rome, Vol.138.) Rom 1990, 385–409. 3 Die Frage nach Autor, Datum und Zusammenhang zwischen der Interpolation und der Chronik ist bisher selten im Detail untersucht worden. Grundlegend ist immer noch Karl Müller, Einige Aktenstücke und Schriften zur Geschichte der Streitigkeiten unter den Minoriten in der ersten Hälfte des 14.Jahrhunderts, in: Zeitschrift für Kirchengeschichte 6, 1884, 63–112, hier 65–67. Vgl. auch Jürgen Miethke, Papst Johannes XXII. und der Armutsstreit, in: Angelo Clareno francescano. Atti del XXXIV Convegno internazionale Assisi,
5–7 ottobre. Spoleto 2007, 263–313, hier 293f. Der Text ist ediert in Francesco Zambrini, Storia di fra Michele Minorita come fu arso in Firenze nel 1389 con documenti riguardanti i fraticelli della povera vita. Testi inediti del buon secolo. (Scelta di curiosità letterarie inedite o rare dal secolo XIII al XIX, Vol.50.) Bologna 1864, 64–80. 4 Heinrich Finke (Hrsg.), Acta Aragonensia. Quellen zur deutschen, italienischen, französischen, spanischen Kirchen- und Kulturgeschichte aus der diplomatischen Korrespondenz Jaymes II. (1291–1327). 3 Bde. Berlin 1908–1922; Gedeon Gál/David Flood (Eds.), Nicolaus Minorita: Chronica. Documentation on Pope John XXII, Michael of Cesena, and the Poverty of Christ with Summaries in English. A Sourcebook. St. Bonaventure, NY 1996; und Giovanni Boccali (Ed.), Angelo Clareno: Liber chronicarum sive tribulationum ordinis minorum. (Pubblicazioni della Biblioteca Francescana Chiesa Nuova – Assisi, Vol.8.) Santa Maria degli Angeli 1998.
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sehr aufschlussreich, da sie das Klima an der Kurie und die Anliegen der Kurialen nachzeichnen, auch wenn die Aussagen kritisch gelesen und interpretiert werden müssen. Dabei ist zudem die Rolle von Polemik in Konflikten nicht zu unterschätzen; sie darf aber auch nicht überbewertet werden, da Polemiken zwar den Stand einer Debatte markieren, sich aber oft verselbständigen und zu einem eigenständigen Ritual werden. 5
II. Strukturen der Beratung und Konfliktlösung Das Konzil von Vienne bot den streitenden Parteien im Orden und den Schlichtern des Papstes ein Forum für Diskussionen, von denen Clemens V. wohl hoffte, dass sie zur Lösung des Konflikts führen könnten. Der Prozess begann im Oktober 1311 auf dem Konzil, und nach Verhandlungen der Parteien untereinander folgten dann die vorbereitenden Besprechungen einer dazu eingesetzten Kardinalskommission. 6 Zur gleichen Zeit scheinen auch inoffizielle und private Versöhnungsversuche unternommen worden zu sein 7, aber offiziell endete der Prozess in einem geheimen Konsistorium am 5.Mai 1312, vor der Verkündung der beiden Bullen Exivi de paradiso und Fidei catholicae fundamento am folgenden Tag. 8 Das Konzil war aber bis zu einem gewissen Grade nur zufällig Teil des Prozesses zur Konfliktlösung, da es zu einer Zeit stattfand, als das franziskanische Problem besonders akut war. Und schon bald nach dem 6.Mai war deutlich, dass eine Einigung in der franziskanischen Frage mit dem Konzil noch nicht erreicht worden war. 9 Nach dem Scheitern der Schlichtungsversuche Clemens’ V. sah sich der neue Papst Johannes XXII. mit erneuten Appellen aus dem Orden konfrontiert. 10 Er be-
5 Kurt Flasch, Einführung in die Philosophie des Mittelalters. Darmstadt 1987, 120. 6 Müller, Konzil von Vienne (wie Anm.1), 306f. 7 Ebd.304. Vgl. auch Boccali (Ed.), Liber chronicarum (wie Anm.4), 688–690. 8 Müller, Konzil von Vienne (wie Anm.1), 238. 9 Burr, Spiritual Franciscans (wie Anm.1), 160. Vgl. zum Beispiel das Urteil Angelo Clarenos: „Terminato namque concilio, negotium fratrum remansit indeterminatum“, Boccali (Ed.), Liber chronicarum (wie Anm.4), 696. 10
Burr, Spiritual Franciscans (wie Anm.1), 171; die Aktensammlung Raymonds de Fronsac bezieht sich
auf fünf Supplikationen des Generalministers Michael von Cesena und mehrere Appelle der Spiritualen; vgl. die Edition des Entwurfs der Sammlung in Franz Ehrle, Zur Vorgeschichte des Concils von Vienne (Schluß), in: Archiv für Litteratur- und Kirchengeschichte des Mittelalters 3, 1887, 1–195, hier 27.
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gann seine eigenen Lösungsversuche zunächst einmal mit Sichtung des angehäuften Materials und dem Auftrag an die Kardinäle, einzelne Probleme genauer zu untersuchen, bevor er im Frühjahr 1317 die ersten Bullen gegen die Spiritualen veröffentlichte. 11 Diese (abgekürzte) Ereigniskette zeigt schon einige der Zusammenhänge und die Interdependenz von konziliaren und kurialen Lösungsversuchen. Die Initiativen beider Päpste wurden zumindest teilweise durch Appelle aus dem Orden ausgelöst, auch wenn die Art und Weise der darauf folgenden Interventionen nicht immer den Vorstellungen der Appellanten entsprach. Schriftliche Eingaben, Gutachten und Kommissionsberichte bildeten die Grundlage der päpstlichen Entscheidungen, aber die Rolle von mündlichen Debatten, informellen Diskussionen und persönlichen Kontakten darf beim Prozess der Entscheidungsfindung nicht unterschätzt werden. Wichtige Fragen wurden in vielen Fällen zunächst an eine Kommission von Experten weitergegeben, die das vorhandene Material sichten (und in manchen Fällen erst einmal anfordern) sollten, um dann dem Papst mit Lösungsvorschlägen Bericht zu erstatten. Gutachten und schriftliche Eingaben wurden sowohl den Kommissionen vorgelegt als auch von ihnen bearbeitet und dann dem Papst in überarbeiteter oder völlig neu erarbeiteter Form unterbreitet. Debatten und mündliche Verhandlungen waren oft Teil dieses Prozesses sowohl innerhalb der Kommissionen als auch bei der endgültigen Berichterstattung, die oft im Konsistorium stattfand. 12 Die Rolle von Diskussionen und privaten Schlichtungsversuchen darf dabei nicht unterschätzt werden. Beide Päpste bedienten sich dieser Instrumentarien der Kurie, zu denen auch das Konzil gehörte, allerdings mit unterschiedlichen Schwerpunkten und mit unterschiedlichem Erfolg. Eine Auflistung der an der Kurie existierenden Konfliktlösungsmechanismen ist also nicht besonders schwer, die Anwendung in der Praxis aber komplexer als von der Liste suggeriert. Kommissionen waren ein integraler Bestandteil der päpstlichen Regierung; sie
11 Burr, Spiritual Franciscans (wie Anm.1), 181, 196–200; und Lambert, Franciscan Poverty (wie Anm.1), 226–230. 12 Müller, Konzil von Vienne (wie Anm.1), 294–308; Duval-Arnould, Élaboration (wie Anm.2), 385–409; Louis Duval-Arnould, Les Conseils remis à Jean XXII sur le problème de la pauvreté du Christ et des apôtres (Ms. Vat. lat. 3740), in: Leonard Boyle et al. (Eds.), Miscellanea Bibliothecae Apostolicae Vaticanae III. (Studi e Testi, Vol.333.) Città del Vaticano 1989, 121–201; und Leonard Boyle, A Committee Stage at the Council of Vienne, in: Rosalius Josephus Castillo Lara (Ed), Studia in honorem eminentissimi Cardinalis Alphonsi M. Stickler. (Studia et Textus Historiae Iuris Canonici, Vol.7.) Rom 1992, 25–35.
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wurden von den Päpsten routinemäßig einberufen und beschäftigten sich mit theologischen, juristischen, politischen und administrativen Problemen, wobei in Rechtsfällen der Übergang zwischen Kommission und delegierter Gerichtsbarkeit fließend sein konnte. 13 Im Falle der Franziskanerfrage wurde die erste Kardinalskommission, die eine Lösung der Streitigkeiten im Orden anstreben sollte, von Clemens V. im Herbst 1309 einberufen. Die Publikation der Bulle Dudum ad apostolatus am 14.April 1310, die die Spiritualendelegierten für die Dauer der Untersuchung von der Jurisdiktion des Ordens befreite, zeigte, dass das Thema zu diesem Zeitpunkt noch nicht abgeschlossen war. 14 Während beide Seiten einen heftigen Propagandakrieg entfachten, wurde das Thema offiziell erst wieder im Kontext des Konzils von Vienne aufgenommen, wenn auch informelle Diskussionen und Debatten an der Kurie nicht aufhörten. Während des Konzils war eine vierzehnköpfige Kommission für die Frage nach der Armut im Franziskanerorden zuständig; eine weitere Kommission beschäftigte sich mit den theologischen Positionen des Petrus Johannis Olivi. 15 Nach dem Scheitern des konziliaren Lösungsversuchs ernannte auch Johannes XXII. nach seiner Wahl 1316 eine Reihe von Kommissionen, die das Problem erörtern und Lösungsvorschläge machen sollten: gleich mehrere beschäftigen sich mit Olivi. 16 Während des Theoretischen Armutsstreits stützte sich der Papst dann weniger auf speziell eingesetzte Kommissionen als auf eine breit angelegte Konsultation von Experten und anderen Angehörigen der Kurie; die Grenzen zwischen Konsultation und Kommission waren dabei allerdings oft fließend. In beiden Fällen erwartete der Papst Gutachten der Beteiligten, die aber bei Konsultationen individuell dem Papst vorgelegt wurden, während Kommissionen meist einen gemeinsamen
13
Vgl. Peter Herde, Zur päpstlichen Delegationsgerichtsbarkeit im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit,
in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Kanonistische Abteilung 119, 2002, 20–43, hier 24f. 14
Zur päpstlichen Untersuchung des Ordens vgl. vor allem Michael Cusato, Whence ‚the Community‘?,
in: Franciscan Studies 60, 2002, 39–92. Der Text von Dudum ad apostolatus findet sich ebd.85–89. 15
Gerold Fussenegger, Relatio commissionis in concilio Viennensi institutae ad decretalem ‚Exivi de
paradiso‘ praeparandam, in: Archivum Franciscanum Historicum 50, 1957, 145–177; Müller, Konzil von Vienne (wie Anm.1), 296f. Vgl. auch Lambert, Franciscan Poverty (wie Anm.1), 211. 16
Zur Kommission zu Olivi siehe Thomas Turley, John XXII and the Franciscans. A Reappraisal, in: James
Ross Sweeney/Stanley Chodorow (Eds.), Popes, Teachers, and Canon Law in the Middle Ages. Ithaca 1989, 74–88, hier 80–86, und Burr, Spiritual Franciscans (wie Anm.1), 207–212. Zur Kommission des Inquisitors Michel le Moine vgl. auch Raoul Manselli, Spirituali e Beghini in Provenza. Rom 1959, 152f.
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Bericht einreichten. Resultat der Konsultationen Johannes’ war in vielen Fällen eine Sammelhandschrift der schriftlichen Stellungnahmen, die dem Papst als Grundlage der Entscheidungsfindung diente. 17 Während das Resultat der Kommissionsarbeit in vielen Fällen bekannt ist 18, ist es deutlich schwieriger, den Inhalt und Gang der Diskussionen zu rekonstruieren. Formelle und informelle Gespräche waren zwar wichtiger Teil der politischen Kultur an der Kurie und Teil des Entscheidungsfindungsprozesses eines Konzils, wurden aber selten schriftlich niedergelegt. Berichte von Konsistoriumssitzungen geben uns allerdings in manchen Fällen interessante Hinweise auf den Gang der Diskussionen und die Strategien, die von den Teilnehmern angewandt wurden. Obwohl Hinweise auf die Bedeutung von Konsistorien während der franziskanischen Diskussion beim Konzil von Vienne existieren, gibt es leider keine Berichte darüber, was in den Diskussionen tatsächlich vorgebracht wurde. 19 Bei Johannes’ Unterdrückung der Spiritualen sind wir da etwas genauer informiert. Angelo Clareno berichtet zum Beispiel von einigen sehr dramatischen Auseinandersetzungen an der Kurie in den Jahren 1316/17, als die Sprecher der Spiritualen erfolglos versuchten, sich vor dem Papst Gehör zu verschaffen. 20 Ganz besonders aufschlussreich sind allerdings die Berichte zum Armutsstreit. Die Diskussion während der Sitzung vom 6.März 1322 scheint zum Beispiel sehr lebhaft gewesen zu sein, wenn auch nicht unbedingt von hohem Niveau. Vor allem der Hauptredner, der franziskanische Bischof von Kaffa, kam öfters vom Thema ab und lieferte sich ein Rededuell mit einem der dominikanischen Teilnehmer zu den jeweiligen Erfolgen der beiden Orden bei der Mongolen-
17 Vgl. die Edition der Stellungnahmen im Armutsstreit durch Felice Tocco, La quistione della povertà nel secolo XIV secondo nuovi documenti. Neapel 1910. Der Papst ging in den Konsultationen um das Eherecht und die Jurisdiktion der Inquisition in Fällen von Zauberei ähnlich vor: vgl. Patrick Nold, Marriage Advice for a Pope. John XXII and the Power to Dissolve. (Medieval Law and its Practice, Vol.3.) Leiden 2009; und Alain Boureau, Le Pape et les sorciers. Une consultation de Jean XXII sur le magie en 1320 (manuscrit B.A.V. Borgese 348). (Sources et documents d’histoire du Moyen Âge, Vol.6.) Rom 2004. Zu diesem Prozess im Allgemeinen vgl. auch Duval-Arnould, Élaboration (wie Anm.2), 395–402. 18 Vgl. zum Beispiel die Edition des Berichts der Kardinalskommission beim Konzil von Vienne bei Fussenegger, Relatio commissionis (wie Anm.15), 158–176. 19 Vgl. zum Beispiel Franz Ehrle, Zur Vorgeschichte des Konzils von Vienne, in: Archiv für Litteratur- und Kirchengeschichte des Mittelalters 2, 1886, 353–416, hier 364. 20 Boccali (Ed.), Liber chronicarum (wie Anm.4), 722–728, und Lambert, Franciscan Poverty (wie Anm.1), 224f. Zum Nutzen von Clarenos Chronik als Quelle vgl. außerdem David Burr, John XXII and the Spirituals. Is Angelo Clareno Telling the Truth?, in: Franciscan Studies 63, 2005, 271–287.
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mission. Die Prälaten fielen sich gegenseitig ins Wort, und der Papst beteiligte sich aktiv an der Diskussion, wobei er sich zunehmend irritiert über den Mangel an relevanten Redebeiträgen zeigte. 21 Im Gegensatz zu den Konsistorien zum Zeitpunkt der Spiritualenkrise (zumindest in Angelo Clarenos Version) zeigte der Papst 1322 ein deutlich höheres Interesse an den Argumenten der Beteiligten. Eine deutlich weniger kontrovers verlaufende Sitzung fand dann wahrscheinlich am 26.März desselben Jahres statt; hier verlas Ubertino von Casale (oder ein Vertreter) seinen Beitrag zur Debatte, und während dieser Beitrag inhaltlich idiosynkratisch blieb, waren Stil und Argumentation deutlich näher an der späteren schriftlichen Debatte als die Diskussion drei Wochen früher. Im Gegensatz zur lebhaften und spontan verlaufenden Diskussion in der ersten Sitzung beruhte die Debatte in der zweiten Sitzung auf vorher erarbeiteten schriftlichen Stellungnahmen und verlief deutlich formeller. 22 Selbst innerhalb der oft sehr strukturiert ablaufenden Konsistorien war aber Raum für informelle Diskussion, und die Konsultationen boten daher sowohl informelle als auch formalisierte Kontexte zur Entscheidungsfindung. Im Zusammenhang mit einer Konsultation zur Frage nach einem Kreuzzugszehnten für den französischen König ist von Norman Zacour in diesem Zusammenhang vorgeschlagen worden, dass der hohe Grad an Übereinstimmung der schriftlichen Antworten der Beteiligten ein Anzeichen dafür ist, dass die Diskussion der Kardinäle auch außerhalb der Konsistoriumssitzungen weitergeführt wurde. 23 Für den Entscheidungsfindungsprozess an der Kurie waren daher die Diskussionen im Konsistorium enorm wichtig. Sie waren ganz konkret Orte der Beratung und boten einen Raum für den Ausdruck von ablehnenden Meinungen und für den Austausch von Argumenten, waren aber auch ein Forum für die Verkündung von Entscheidungen. 24 Die Kommunikationsstrukturen an der Kurie und im Konzil verbanden die
21
Zambrini, Storia di fra Michele (wie Anm.3), 64–76.
22
Ebd.77–80. Zur Rolle Ubertinos während des Konsistoriums vgl. Charles T. Davis, Ubertino da Casale
and his Conception of altissima paupertas, in: Studi medievali, Ser. 3, 22, 1981, 1–56, hier 7–15. Ubertinos schriftlicher Beitrag findet sich auf fols. 238ra–243va von MS.Vaticanus latinus 3740, und ist ediert in Davis, Ubertino da Casale, 43–56. 23
Norman P. Zacour, The Cardinals’ View of the Papacy, 1150–1300, in: Christopher Ryan (Ed.), The Reli-
gious Roles of the Papacy. Ideals and Realities 1150–1300. (Papers in Mediaeval Studies, Vol.8.) Toronto 1989, 413–438, hier 426f. Die Stellungnahmen der Kardinäle finden sich in Auguste Coulon/Suzanne Clémencet (Eds.), Lettres secrètes et curiales du pape Jean XXII (1316–1334) relatives à la France. 4 Vols. Paris 1899– 1972, Vol.2, 1906, Nr.1692–1709, 281–318. 24
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Vgl. Sarah Noethlichs, Das päpstliche Konsistorium im Spiegel der Quellen des 11. bis 13.Jahrhunderts,
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Teilnehmer an den Diskussionen trotz ihrer unterschiedlichen Meinungen und Ausgangspunkte und banden sie damit in die Entscheidungsfindung ein; die Beteiligten konnten den Ausgang der Diskussionen auch nur als Teilnehmer an einem gemeinsamen Diskurs beeinflussen. 25 Dass zumindest die Kardinäle Konsistorien als einen integralen Bestandteil ihrer Rolle als Ratgeber des Papstes ansahen und ein konkretes und direktes Mitspracherecht in der päpstlichen Entscheidungsfindung erwarteten, zeigt sich auch in den Beschwerden gegen Päpste, die sich auf den Rat von zu wenigen Kardinälen verließen. Dies führe zu einer Untergrabung der Verbindlichkeit und Maßgeblichkeit der Konsistoriumssitzungen, und es wurde argumentiert, dass die Funktion des Konsistoriums als ein Ort der Entscheidungsfindung bewahrt werden müsse. 26 Aus päpstlicher Sicht waren die Diskussionen im Konsistorium nicht nur eine wichtige Form des Meinungsaustausches, sondern auch eine gute Möglichkeit, die Stimmung an der Kurie und mögliche Probleme besser einzuschätzen. Während des Armutsstreits hatten Debatten im Konsistorium zum Beispiel gezeigt, dass eine Grundsatzdebatte zum franziskanischen Armutsideal nicht stattfinden konnte, solange die Sanktionen der Bulle Exiit qui seminat (1279) noch in Kraft waren, die jegliche weitere Diskussion untersagten. 27 Falls dies Johannes XXII. vorher tatsächlich nicht klar gewesen sein sollte, hatten ihm franziskanische Einwände im Frühjahr 1322 dies deutlich gezeigt, und er hatte zumindest in einem Fall für die Dauer einer Konsistoriumsde-
in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Kanonistische Abteilung 125, 2008, 272–287, und Klaus Ganzer, Der ekklesiologische Standort des Kardinalskollegiums in seinem Wandel – Aufstieg und Niedergang einer kirchlichen Institution, in: Römische Quartalschrift für christliche Altertumskunde und für Kirchengeschichte 88, 1993, 114–133, der das Konsistorium als einen ständigen synodalen Ausschuss oder als „Synode im kleinen“ charakterisierte, ebd.120. Vgl. auch Duval-Arnould, Élaboration (wie Anm.2), 406. Im Gegensatz dazu allerdings Boureau, der die Konsultationen des Papstes als „ni même collégial ou conciliaire“ charakterisierte: Boureau, Pape et les sorciers (wie Anm.17), VIII. 25 Hierzu vgl. auch David Knoke, Political Networks. The Structural Perspective. (Structural Analysis in the Social Sciences, Vol.4.) Cambridge 1990, 4. 26 Bernard Guillemain, La Cour pontificale d’Avignon 1309–1376. Étude d’une société. (Bibliothèque des Écoles françaises d’Athènes et de Rome, Vol.201.) Paris 1962, 234–235. Guillaume Mollat hat ebenfalls auf Beschwerden hingewiesen, nach denen Clemens V. nicht genug Konsistorien abhielt: Guillaume Mollat, Contribution à l’histoire du sacré collège de Clément V à Eugène V, in: Revue d’histoire ecclésiastique 46, 1961, 22–112 und 566–594, hier 97. 27 Emil Richter/Emil Friedberg (Hrsg.), Corpus Iuris Canonici. 2 Bde. Leipzig, 1879–1881, Bd. 2, 1881, 1109– 1121. Zur Stellung Exiits im Orden vgl. auch Lambert, Franciscan Poverty (wie Anm.1), 149–156.
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batte die Sanktionen explizit aufgehoben. 28 Um die schriftlichen Eingaben und eine dauerhafte Debatte zu ermöglichen, war allerdings mehr nötig, und am 26.März veröffentlichte der Papst die Bulle Quia nonnumquam, die die Sanktionen Nikolaus’ III. vollständig aufhob. 29 Die Rolle von schriftlichen Eingaben ist in ähnlicher Weise einfach festzustellen, aber schwer konkret zu quantifizieren. Im Vorfeld des Konzils von Vienne hatte Clemens V. Eingaben nicht nur zum Zustand der Kirche und den angestrebten Reformen, sondern auch zur Spiritualenfrage angefordert. 30 Eine bearbeitete Form der Eingaben bildete dann die Grundlage der Diskussionen im Konzil, auch wenn die individuellen Anliegen und Vorstellungen der ursprünglichen Einsender oft nicht mehr berücksichtigt werden konnten. Selbst im Fall der Franziskaner, die doch nur ein Nebenthema des Konzils blieben, war die Zahl der für die Konzilskommissionen produzierten Stellungnahmen beachtlich; sie brachten allerdings nach der Anfangsphase selten viel Neues in die Diskussion ein. Aufgabe der Kommissionen, sowohl im Kontext des Konzils als auch an der Kurie, war daher die Sichtung und Ordnung des eingesandten Materials, aber eben auch eine Vorauswahl und Zusammenfassung. In ähnlicher Weise stützte sich auch die Regierung Johannes’ XXII. auf schriftliche Eingaben, die vom Papst zur Vorbereitung von Entscheidungen angefordert, für ihn in einer Handschrift gesammelt, und von Johannes dann gelesen und kommentiert wurden. 31 Die zum Teil noch vorhandenen Randnotizen des Papstes ermöglichen es, zumindest teilweise Einzelheiten der Entscheidungsfindung zu kon-
28
In der Konsistoriumssitzung vom 6.März: „poi disse: la sentenzia della scomunicazione di quella dicre-
tale rivochiamo, acciò che disputare si possa la quistione“: Zambrini, Storia di fra Michele (wie Anm.3), 65. 29
Die Bulle wurde am 26.März 1322 veröffentlicht: Jacqueline Tarrant (Ed.), Extrauagantes Iohan-
nis XXII. (Monumenta Iuris Canonici, Series B: Corpus Collectionum, Vol.6.) Città del Vaticano 1983, 217– 221. Zur Diskussion um die Intention der Bulle siehe Brian Tierney, The Origins of Papal Infallibility, 1150– 1350. A Study on the Concepts of Infallibility, Sovereignty and Tradition in the Middle Ages. (Studies in the History of Christian Thought, Vol.6.) Leiden 1972, vor allem 179; Lambert, Franciscan Poverty (wie Anm.1), 243; und Nold, John XXII and his Franciscan Cardinal (wie Anm.1), 144–148. 30
Müller, Konzil von Vienne (wie Anm.1), 256, und Burr, Spiritual Franciscans (wie Anm.1), 113. Vgl.
auch Francis Oakley, The Conciliarist Tradition. Constitutionalism in the Catholic Church 1300–1870. Oxford 2003, 26. 31
Anneliese Maier, Annotazioni autografe di Giovanni XXII in Codici Vaticani, in: Rivista di storia della
chiesa in Italia 6, 1952, 317–332. Vgl. außerdem die Edition der Randnotizen zum Bericht des Dominikanertheologen Durandus de Saint-Pourçain bei Jürgen Miethke, Das Votum ,De paupertate Christi et apostolorum‘ des Durandus von Sancto Porciano im theoretischen Armutsstreit. Eine dominikanische Position in der Diskussion um die franziskanische Armut, in: Stuart Jenks/Jürgen Sarnowski/Marie-Luise Laudage
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kretisieren; auch wenn seine Kommentare nicht immer besonders detailliert sind, so zeigen sie doch, welche der Positionen sein Interesse erregten. 32 In manchen Fällen lassen sich dann konkrete Spuren der Randnotizen in seinen späteren Entscheidungen finden: Der franziskanische Kardinal Bertrand de la Tour kam zum Beispiel in seinem Gutachten zu dem Schluss, dass die Apostel (und daher auch die Minoriten) in den ursprünglichen Zustand der Unschuld zurückgekehrt seien und daher auch materielle Güter ohne dominium benutzen konnten. Johannes fügte am Rand einen Verweis auf das Buch Genesis hinzu, aus dem in einer späteren Bulle ein ausgearbeitetes Argument für die Existenz von Privateigentum vor dem Sündenfall wurde. 33 Die Konsultation mit seinen Beratern vor wichtigen Entscheidungen war eines der Charakteristika des Pontifikats Johannes’ XXII. 34, und bis zu einem gewissen Grad war die Diskussion um die franziskanische Armut nur wegen ihres breiten Rahmens bemerkenswert. Statt der üblichen zehn bis zwanzig schriftlichen Stellungnahmen sammelte Johannes hier die Aussagen von mehr als fünfzig Personen. 35 In der Frage nach der apostolischen und franziskanischen Armut lag die Konsultation von Kardinälen und Lektoren an der Kurie auf der Hand, aber der Papst war
(Hrsg.), Vera Lex Historiae. Studien zu mittelalterlichen Quellen. Festschrift für Dietrich Kurze zu seinem 65. Geburtstag am 1.Januar 1993. Köln 1993,149–196, hier 169, 172f. und 176–178. 32 Zu den Randbemerkungen vgl. Maier, Annotazioni autografe (wie Anm.31), 318f., und vor allem Patrick Nold, Pope John XXII’s Annotations on the Franciscan Rule. Content and Contexts, in: Franciscan Studies 65, 2007, 295–324. 33 Vgl. Lambert, Franciscan Poverty (wie Anm.1), 257, und Maier, Annotazioni autografe (wie Anm.31), 321 zu fol.50rb: „Contra. Genesis primo ibi: ,faciamus hominem‘ et sequitur ,ut presit‘ et ibi... Item ibi ,ecce dedi vobis omnem turbam etc.‘ et sequitur ,ut sint vobis in escam‘.“ Zu Johannes’ Diskussion des Ursprungs von dominium siehe Quia vir reprobus, in: Gál/Flood (Eds.), Nicolaus Minorita: Chronica (wie Anm.4), 553– 613, hier 590–594. 34 Vgl. Maier, Annotazioni autografe (wie Anm.31), 319, und Anneliese Maier, Eine Verfügung Johannes XXII. über die Zuständigkeit der Inquisition für Zaubereiprozesse, in: Archivum Fratrum Praedicatorum 22, 1952, 226–246, hier 228f. 35 Duval-Arnould, Élaboration (wie Anm.2), 395. Die Autoren der zwei anonymen Berichte werden meist mit Ubertino da Casale und Raymond Bequin identifiziert: Davis, Ubertino da Casale (wie Anm.22), vor allem 34–56, und Ulrich Horst, Raimundus Bequin OP und seine Disputation ,De paupertate Christi et apostolorum‘ aus dem Jahr 1322, in: Archivum Fratrum Praedicatorum 64, 1994, 101–118, hier 101–103. Zu den konsultierten Personen gehörten Kardinäle, Bischöfe, Äbte, Magister der Theologie (einschließlich einiger Lektoren an der Kurie) sowie Mitglieder der Franziskaner, Dominikaner, Augustiner-Eremiten, Karmeliten, Benediktiner und Zisterzienser. Außerdem wurden eine Reihe von Regularkanonikern und Angehörigen des Säkularklerus konsultiert; siehe Duval-Arnould, Élaboration (wie Anm.2), 396f., und Miethke, Johannes XXII. (wie Anm.3), 290–293.
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wohl an einem möglichst breit gefächerten Meinungsspektrum interessiert, und er scheint daher eine schriftliche Eingabe von fast allen Personen erwartet zu haben, die sich 1322/23 an der Kurie aufhielten, unabhängig von ihrer Expertise in der Sache. 36 In den eingereichten Gutachten zeigt sich auch die enge Verbindung von mündlicher und schriftlicher Konsultation, da die schriftlichen Beiträge zum Teil auf die schon erfolgte mündliche Debatte eingingen und darauf verwiesen, schon Gesagtes nicht wiederholen zu wollen. 37 Diese Verbindung lässt sich für Konzilsdiskussionen ebenfalls vermuten; für die Entscheidungsfindung waren sowohl die mündlichen als auch die schriftlichen Beiträge von Bedeutung, auch wenn die mündliche Diskussion weniger Spuren hinterlassen hat. Für einen ersten Austausch von Gedanken und zur Sondierung von Meinungen waren aber gerade die Konzilsdebatten und die Konsistoriumssitzungen ausschlaggebend. Die Formalisierung des Entscheidungsfindungsprozesses im Anschluss an diese Phase macht auch die Rolle von Verfahrensfragen deutlich. Schon 1309 hatte Raymond Gaufredi als Wortführer der Spiritualendelegation zu Clemens V. einen großen Teil seiner Argumentation auf Verfahrensfehler und die rechtlichen Probleme des Verhaltens der Kommunität aufgebaut. 38 Gerade in Appellen an den Papst oder das Konzil zeigt sich die Verbindung von Verfahrensfragen, Machtfragen und Konfliktinhalten – wie zum Beispiel im formellen Appell gegen die Spiritualen durch Bonagratia von Bergamo und Raymond de Fronsac am 1.März 1311 in einer öffentlichen Konsistoriumssitzung, wo sich die beiden Franziskaner vor allem auch auf die rechtlichen Grundlagen der Exemtion der Sprecher der Spiritualen von der Jurisdiktion des Ordens bezogen. 39 Nachdem der Papst der Kommunität eine weitere Audienz im Konsistorium verweigert hatte, erneuerten die beiden Prokuratoren ihren Appell im Juli privat und in der Anwesenheit des Kammerherren des Kardinalprotektors Johannes von Murrovalle 40; zur Debatte kam es dann allerdings erst beim
36
Vgl. Duval-Arnould, Élaboration (wie Anm.2), 397–399.
37
So bezogen sich zum Beispiel die consilia von Augustin Kažotić (Bischof von Zagreb), Galhard de Sau-
made (Erzbischof von Arles) und Johann Grand (Erzbischof von Bremen) auf die vorangegangene mündliche Diskussion: Duval-Arnould, Conseils remis (wie Anm.12), 161, 172f. Vgl. auch Nold, John XXII and his Franciscan Cardinal (wie Anm.1), 40 Anm.21. 38
Burr, Spiritual Franciscans (wie Anm.1), 115.
39
Lambert, Franciscan Poverty (wie Anm.1), 208. Zur Anklageschrift gegen die Spiritualen und Olivi vgl.
auch die Edition in Ehrle, Zur Vorgeschichte (wie Anm.19), 365–374. 40
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Lambert, Franciscan Poverty (wie Anm.1), 210, und Ehrle, Zur Vorgeschichte (wie Anm.19), 364.
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Konzil, was zum Teil auch daran lag, dass der Papst inhaltlich dem Konzil nicht vorgreifen wollte. In den Konflikten um den Franziskanerorden wurden Verfahrensfragen ansonsten nur selten explizit thematisiert. Eine der Ausnahmen war der Appell Bonagratias von Bergamo gegen die erste Version der Bulle Ad conditorem canonum vom 8.Dezember 1322. Während einer Konsistoriumssitzung am 14.Januar 1323 protestierte Bonagratia formell im Namen des Ordens gegen die Bulle. Sein Appell wurde in der Sitzung verlesen, und inhaltlich wiederholte der Protest eine ganze Reihe von Punkten, die schon in seinem Tractatus de Christi et apostolorum paupertate vom Sommer 1322 aufgeworfen worden waren. 41 Im Appell befasste Bonagratia sich allerdings stärker mit den juristischen Aspekten der Bulle und vor allem mit den rechtlichen Konsequenzen der Übertragung von Eigentum an den Orden. Vor allem aber betonte der Ordensprokurator die formalen Fehler der Bulle, insbesondere die Tatsache, dass sie auf Gerüchten und Hörensagen beruhte, und dass dem Orden keine Möglichkeit gegeben worden war, sich zu verteidigen. 42 Als Antwort auf den Appell ließ Johannes den Ordensprokurator ein Jahr lang einkerkern 43, aber er überarbeitete auch die Bulle, die dann mit dem gleichen Datum wie das Original neu veröffentlicht wurde; die revidierte Version antwortete Punkt für Punkt auf die rechtlichen Einwände Bonagratias, ging aber nicht näher auf die von ihm aufgeworfenen Verfahrensfragen ein. 44 Implizit war die Überarbeitung der
41 Vgl. Livarius Oliger, Fr. Bonagratia de Bergamo et eius Tractatus de Christi et Apostolorum Paupertate, in: Archivum Franciscanum Historicum 22, 1929, 292–335 und 487–511. Zu Bonagratias Rolle in der Debatte und zu seinen sonstigen Schriften vgl. Jürgen Miethke, Ockhams Weg zur Sozialphilosophie. Berlin 1969, 371–375, und vor allem Eva-Luise Wittneben, Bonagratia von Bergamo. Franziskanerjurist und Wortführer seines Ordens im Streit mit Papst Johannes XXII. (Studies in Medieval and Reformation Thought, Vol.90.) Leiden 2002, 111–123, 164–185 und 277–285. 42 Der Text ist ediert als Appellatio Bonagratiae de Pergamo, in: Gál/Flood (Eds.), Nicolaus Minorita (wie Anm.4), 89–117 (zu seiner Beschwerde über die Verfahrensfehler des Papstes vgl. 115f.). Vgl. außerdem Wittneben, Bonagratia (wie Anm.41), 164–185, Miethke, Sozialphilosophie (wie Anm.41), 379–384, und Ulrich Horst, Evangelische Armut und päpstliches Lehramt. Minoritentheologen im Konflikt mit Papst Johannes XXII. (1316–34). Stuttgart 1996, 44–48. Obwohl Horst Bonagratias Appell behandelt, erwähnt er die überarbeitete Version von Ad conditorem canonum nicht. 43 Siehe Horst, Evangelische Armut (wie Anm.42), 47f., und Wittneben, Bonagratia (wie Anm.41), 164. Die Einkerkerung Bonagratias wird auch durch das kuriale Rechnungswesen bestätigt: K. H.Schäfer, Die Ausgaben der apostolischen Kammer unter Johann XXII. nebst den Jahresbilanzen von 1316 bis 1378. (Vatikanische Quellen zur Geschichte der päpstlichen Hof- und Finanzverwaltung 1316–1378, Bd.2.) Paderborn 1911, 437 und 452. 44 Vgl. Tarrant (Ed.), Extrauagantes (wie Anm.29), 228–254.
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Bulle ein Sieg für Bonagratias Argumentation und damit für den Orden, auch wenn sich inhaltlich nicht viel geändert hatte und Bonagratia selbst einen hohen Preis für seine Intervention zahlen musste. Es zeigt sich hier aber auch der Einfluss der vorhandenen Strukturen zur Konfliktlösung auf die Diskussionsstrategien und die Arten, auf die die Teilnehmer versuchten, den Konflikt in ihrem Sinne zu lösen; die Strukturen konnten dadurch einen entscheidenden Einfluss auf das Resultat haben. 45 Den Beteiligten war dies nicht nur im Zusammenhang mit den genannten Appellen und Verfahrensfragen bewusst. Ein zeitgenössischer Hinweis von Kardinal Berengar Frédol an den aragonesischen Gesandten Vidal de Villanova zum Umgang mit Papst Johannes XXII. gab dem Gesandten den Rat, keine Vorschläge im Konsistorium einzubringen, da der Papst im Konsistorium nur die Angelegenheiten diskutieren lasse, in denen er nichts zu tun beabsichtige. 46 Es ist zweifelhaft, ob Vidal de Villanova diesen Rat besonders hilfreich fand, da gerade Johannes Konsistorien relativ konsequent zur Durchsetzung seiner Pläne nutzte, aber Berengars Kommentar ist einer der seltenen expliziten Hinweise darauf, dass die an der Kurie vorhandenen Strukturen die Strategien der Akteure beeinflussten und dass bewusst versucht wurde, diese Strukturen dann vorteilhaft zu nutzen. Das bedeutete allerdings nicht, dass die praktische Umsetzung dieser Strategien und die tatsächliche Nutzung kurialer Mechanismen von Erfolg gekrönt wurde oder einfach durchzuführen war.
III. Konfliktpraxis und Konfliktführung Positionen in Streitfragen sind selten so klar und eindeutig, wie sie im Rückblick erscheinen, schon gar nicht in der Frühphase einer Kontroverse. Im Fall des Franziskanerordens ist es klar, dass es keine eindeutige oder auch nur gemeinsame (Verteidigungs-)Strategie gab. Dies kann in den Diskussionen sowohl der Spiritualen als auch der Kommunität in den Jahren 1309–1312 gesehen werden. 47 Dasselbe war
45
Vgl. Keith Dowding, Agency and Structure. Interpreting Power Relationships, in: Journal of Power 1,
2008, 21–36, hier 23. 46
Finke (Hrsg.), Acta Aragonensia (wie Anm.4), Bd.2, 586: „Mosenyor en Vidal, si vos volets guardar la
honor del rey Darago, vos no preposarets en consistory; que per cert sapiats, quel papa no met res en consistory, si no ço que no vol fer“ (Brief vom 6.März 1323). 47
Zu den unterschiedlichen Positionen in der Vorbereitung des Konzils von Vienne vgl. Burr, Spiritual
Franciscans (wie Anm.1), 113 und 135f.
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auch zehn Jahre später der Fall, als die Frage nach der Armut Christi am Papsthof verhandelt wurde. Die verschiedenen, zum Teil inkompatiblen Positionen zeigen sich in den schriftlichen Eingaben für Johannes XXII. in der Handschrift MS.Vaticanus latinus 3740, aber auch in den Diskussionen auf dem franziskanischen Generalkapitel in Perugia (1322), in Bonagratias Tractatus und in seinem Appell gegen die erste Fassung von Ad conditorem canonum. 48 Die franziskanische Position musste in der Diskussion erst noch herausgearbeitet werden; dies hatte die Debatte an der Kurie klar gezeigt. Eine einheitliche anti-franziskanische Position gab es ebenfalls nicht, was aber für den Papst ein geringeres Problem darstellte als für den Orden. Eine Verteidigung des franziskanischen Armutsideals musste naturgemäß alle Zweifel an der Ordensposition ausräumen, während genügend Zweifel an der franziskanischen Position schon ausreichten, um sie unhaltbar zu machen. 49 Es gab zudem ein breites Einverständnis auf der nicht-franziskanischen Seite, dass ein den Aposteln zugeschriebener bewusster Verzicht auf gemeinsames Eigentum theologisch zumindest zweifelhaft und potenziell gefährlich war, auch wenn die Meinungen und Positionen ansonsten weit auseinanderklafften. Im Juni 1322 fand das franziskanische Generalkapitel in Perugia statt. Die Diskussion wurde von den Vorgängen an der Kurie dominiert, vor allem weil der franziskanische Generalminister anscheinend bis dahin nicht an der kurialen Debatte beteiligt worden war. 50 Auch die Diskussionen in Perugia stellten eine Form von kollektiver Entscheidungsfindung und Konfliktlösung dar; sie hatten außerdem einen wichtigen Einfluss auf den Verlauf der weiteren Entscheidungsfindung an der Kurie, da sie die franziskanische Verteidigung zumindest ansatzweise vereinheitlichten. Die beiden sogenannten Manifeste von Perugia (die Littera capituli vom 4.Juni 1322 und die Declaratio magistrorum vom 7.Juni) waren die offizielle Antwort des Ordens auf die Frage des Papstes nach der Armut Christi, stellten aber gleichzeitig seine Autorität in Frage, die Diskussion überhaupt aufzuwerfen. Sie waren nicht an den
48 Zu Bonagratias Traktat vgl. Oliger, Tractatus (wie Anm.41), 292–335 und 487–511. 49 Vgl. Lambert, Franciscan Poverty (wie Anm.1), 262. 50 Grundlegend zum Kapitel von Perugia ist Attilio Bartoli Langeli, Il manifesto francescano di Perugia del 1322 alle origini di fraticelli de opinione, in: Picenum Seraphicum 11, 1974, 204–261. Vgl. auch Nold, John XXII and his Franciscan Cardinal (wie Anm.1), 91–118, und Lambert, Franciscan Poverty (wie Anm.1), 245–247. Zu Michaels von Cesena Nichtbeteiligung an der kurialen Diskussion vgl. Bartoli Langeli, Manifesto francescano, 213.
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Papst adressiert, sondern an die gesamte Christenheit. 51 Beide Dokumente betonten, dass die Frage des Papstes schon von Nikolaus III. in seiner Bulle Exiit qui seminat definitiv beantwortet worden war, und dass deswegen kein weiterer Diskussionsbedarf bestand. Die deutlich ausführlichere Declaratio magistrorum formulierte außerdem die Argumente, die im Folgenden zur Standard-Verteidigung des Ordens werden sollten. 52 Die Briefe des Kapitels von Perugia stützten sich dabei stark auf die Bulle Exiit qui seminat und auf Bonaventuras Apologia pauperum; im Gegensatz zu ihren Quellentexten versuchten sie aber alternative Interpretationen der Bibelstellen zu finden, die die antifranziskanische Position zu unterstützen schienen. Der Schwerpunkt lag hierbei auf der Rolle der von Judas getragenen Börse als Modell für die Verwaltung von Kirchengütern und weniger auf Bonaventuras Erklärung, dass dies aus condescensio für die weniger perfekten Jünger geschah. 53 Aber selbst hier gelang der Versuch, die franziskanische Position zu vereinheitlichen, nur teilweise. Eva Luise Wittneben hat darauf hingewiesen, dass die Einbeziehung von exegetischen Argumenten Olivis auf eine zunehmende Radikalisierung des Ordens hindeutet, selbst in der offiziellen Stellungnahme der Kommunität. 54 Das Kapitel veröffentlichte außerdem einen Brief an den Papst, der darum bat, das Diskussionsverbot der Bulle Exiit qui seminat wieder einzusetzen, und der in Ton und Inhalt deutlich von den beiden Manifesten abwich. 55 Auch die spätere Kontroverse zwischen den beiden franziskanischen Kardinälen Bertrand de la Tour und Vidal du Four auf der einen Seite und dem abgesetzten Generalminister Michael von Cesena auf der anderen, bei der es um die Veröffentlichung der Dokumente von Perugia ging, zeigt, dass
51
Die Littera capituli und die Declaratio magistrorum finden sich in Gál/Flood (Eds.), Nicolaus Minorita:
Chronica (wie Anm.4), 67–70 und 71–82. Vgl. auch Nold, John XXII and his Franciscan Cardinal (wie Anm.1), 91–118. 52
Vgl. Miethke, Sozialphilosophie (wie Anm.41), 371, und Nold, John XXII and his Franciscan Cardinal
(wie Anm.1), 92f. 53
Die wichtigsten biblischen Passagen sind in diesem Zusammenhang Jo 12:6 und Jo 13:29. Vgl. Wittne-
ben, Bonagratia (wie Anm.41), 113–116, und Andrea Tabarroni, Paupertas Christi et apostolorum. L’ideale francescano in discussione (1322–1324). (Nuovi Studi Storici, Vol.5.) Rom 1990, 36–39. 54
Wittneben, Bonagratia (wie Anm.41), 123.
55
Der Text des Briefes findet sich in Müller, Einige Aktenstücke (wie Anm.3), 106–108. Der Brief wird in
der Forschung selten im Detail diskutiert, zum Teil, weil sein Inhalt deutlich weniger konfliktträchtig war: vgl. Nold, John XXII and his Franciscan Cardinal (wie Anm.1), 91, Lambert, Franciscan Poverty (wie Anm.1), 245, und Miethke, Sozialphilosophie (wie Anm.41), 370. Der Brief findet sich auch nicht in der Dokumentensammlung des Nikolaus Minorita.
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die unterschiedlichen Ansätze und Positionen auch 1328 und später noch Konflikte im Orden auslösen konnten. 56 Es ist wichtig, sich die Vielfalt von Parteiungen und Gruppierungen vor Augen zu halten, da die Versuchung, sowohl die Spiritualenkrise als auch den Armutsstreit in binären Oppositionen zu sehen, oft groß ist, dies aber die Sachlage zu sehr vereinfacht. Vor allem auch im Falle der nicht-franziskanischen Teilnehmer im Armutsstreit zeigen sich die zum Teil sehr unterschiedlichen Einwände gegen das Armutsideal der Minoriten, die nicht unbedingt miteinander kompatibel waren. So hatten die Autoren der Antworten in MS.Vaticanus latinus 3740 sehr unterschiedliche Anliegen, wenn sie die Frage nach der Armut Christi diskutierten: die Implikationen des franziskanischen Armutsideals für die Ekklesiologie und vor allem für die Stellung der Bischöfe 57, theologische Bedenken und rechtliche Vorbehalte 58, die Frage nach den biblischen Grundlagen des Ideals 59, und in einigen Fällen zeigte sich auch der bewusste oder unbewusste Versuch, eine Antwort zu umgehen oder zumindest keine Schlussfolgerungen zu ziehen. 60 Sowohl die kuriale Diskussion als auch die Debatten in Perugia klärten und rationalisierten interne Positionen, und gerade dies 56 Nold, John XXII and his Franciscan Cardinal (wie Anm.1), 104–111. 57 Vor allem Guido Terreni, Augustinus of Ancona, Hervaeus Natalis und Durandus de Saint-Pourçain: Horst, Evangelische Armut (wie Anm.42), 35 und 130. Zum Beitrag des Augustinus von Ancona vgl. ders., Die Armut Christi und der Apostel nach der ‚Summa de ecclesiastica potestate‘ des Augustinus von Ancona, in: Adolar Zumkeller/Achim Krümmel (Hrsg.), Traditio Augustiniana. Studien über Augustinus und seine Rezeption. Festgabe für Willigis Eckermann zum 60. Geburtstag. (Cassiciacum, Bd.46.) Würzburg 1994, 471–494, hier 488. Zu Guido Terreni vgl. Thomas Turley, Ab apostolorum temporibus. The Primitive Church in the Ecclesiology of Three Medieval Carmelites, in: Castillo Lara (Ed.), Studia (wie Anm. 12), 559– 580, hier 572f. Jürgen Miethke charakterisiert zudem Durandus de Saint-Pourçain als „unverkennbar an der Stellung der Bischöfe interessiert“: Miethke, Durandus (wie Anm.31), 161. Vgl. auch die Stellungnahme von Kardinal Pierre Tessier: Tocco, Quistione della povertà (wie Anm.17), 109f. 58 Zum Beispiel die Diskussion der evangelischen Räte und Gebote durch Durandus de Saint-Pourçain und Hervaeus Natalis: vgl. Miethke, Durandus (wie Anm.31), 178f., und J. G. Sikes, Hervaeus Natalis: ,De paupertate Christi et apostolorum‘, in: Archives d’histoire doctrinale et littéraire du Moyen Age 12–13, 1938, 209–297, hier 284–287. Zu den rechtlichen Vorbehalten gehörte die Frage, ob dominium wirklich permanent vom Gebrauch (usus) abgekoppelt werden konnte: vgl. die Stellungnahmen der Kardinäle Simon d’Archiac (Tocco, Quistione della povertà [wie Anm.17], 115f.), Bertrand de Montfavez (ebd.122) und Napoleone Orsini (ebd.169f.). 59 Vgl. den Beitrag von Kardinal Peter Colonna, der sich hauptsächlich auf biblische Texte bezog (ebd. 158–168), oder die sehr kurze Stellungnahme von Armand de Vernovo, Bischof von Digne, der nur die Frage der loculi diskutierte (Duval-Arnould, Conseils remis [wie Anm.12], 169f.). 60 Wie zum Beispiel Johannes Gaetani Orsini, der darauf hinwies, dass er nicht genug von der Theologie verstehe, um ein Gutachten abzugeben: „nec me suficere uideo in ipsis ualeam prout optarem debitum con-
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machte die Konsultationen auch für den Papst so wichtig. Es zeigt sich außerdem, dass der franziskanische Orden nicht unbedingt ganz so isoliert war, wie es auf den ersten Blick erscheint; kein Nicht-Franziskaner verteidigte die Position des Ordens, aber es gab auch keine allgemeine, kohärente Opposition gegen die Minoriten, wie sich gerade an den Fällen von Antwortverweigerung zeigt. Die Diskussionen während des Armutsstreits veranschaulichen daher die Entwicklung und Präzisierung sowohl der franziskanischen Position als auch der Position ihrer Gegner. Die Argumentation und Qualität der dem Papst vorgelegten Gutachten klafften weit auseinander, aber die meisten Stellungnahmen stimmten darin überein, dass die Behauptung, Christus und die Apostel hätten weder individuelles noch gemeinsames Eigentum besessen, zumindest unter manchen Umständen häretisch sein konnte. 61 Ein allgemeiner Konsens bestand zwar nicht, aber nach der Konsultation war auch klar, dass dies nicht unbedingt nötig war: Eine Verurteilung des franziskanischen Armutsideals würde außerhalb des Ordens auf keine größere Opposition stoßen. Anneliese Maier hat die Konsultation zur Zuständigkeit der Inquisition in Zaubereiprozessen in ähnlicher Weise beurteilt: Die Gutachten zur Frage, ob manche Formen der Zauberei eindeutig ketzerisch seien und deswegen unter die Jurisdiktion der Inquisition fielen, beantworteten diese Frage in der Regel nicht direkt; der Papst erhielt stattdessen eine Reihe von Stellungnahmen zum Wesen der Häresie, die aber alle zu dem Schluss kamen, dass Zauberei unter manchen Umständen häretisch sein konnte. Obwohl die Konsultation zu keinem übereinstimmenden Ergebnis kam, welche Aspekte von Zauberei häretisch waren (oder sein konnten), und ebenfalls kein Konsens bestand, wie dann in solchen Fällen vorgegangen werden sollte, gab die Konsultation insgesamt dem Papst ein Mandat mit seinen Plänen fortzufahren, da alle Beteiligten zumindest darin übereinstimmten, dass ein Verdacht auf Häresie in Fällen von Zauberei auf jeden Fall gegeben war. 62 silium impertiri, maxime cum in diuina pagina non adeo sum imbutus“ (ebd.156), und Arnaud de Pellegrue, der Kardinalprotektor der Franziskaner, der erklärte, er habe keine Meinung und vertraue auf die Entscheidung des Papstes. Im Inhaltsverzeichnis zu MS.Vaticanus latinus 3740 kommentierte der Papst an dieser Stelle trocken: „Iste non dedit consilium“ (ebd.155). 61
Falls Nolds Zuschreibung des consilium des Kardinals von Tusculum an Bertrand de la Tour akzeptiert
wird, dann gehört zu dieser Gruppe auch ein franziskanischer Prälat, der davon ausging, dass die Behauptung der absoluten Armut Christi in manchen Fällen häretisch sein konnte: vgl. Nold, John XXII and his Franciscan Cardinal (wie Anm.1), vor allem 119–139. 62
Maier, Verfügung über Zauberei (wie Anm.34), 241. Zur Beurteilung der Konsultation insgesamt vgl.
auch Boureau, Pape et les sorciers (wie Anm.17), VII–LII.
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Ganz besonders wichtig und oft nur in Einzelfällen im Detail zu rekonstruieren sind informelle Versuche zur Konfliktlösung. Formen politischer Regierungsgewalt, die indirekt und lokal begrenzt wirken, sind in vielen Fällen ebenso wichtig wie zentralisierte und offenkundige Machtausübung. 63 Diese sind aber oft im historischen Kontext nur schwer fassbar. Ein seltenes Beispiel ist ein Hinweis Michaels von Cesena auf einen Versuch des Papstes, den drohenden Konflikt mit dem Orden informell und sozusagen ,privat‘ zu lösen. Nach seinem Bruch mit dem Papsttum 1328 warf Michael dem Papst vor, ihn schon früher zu Änderungen in der Ordensverfassung gedrängt zu haben. In seiner Littera excusatoria, mit der der abgesetzte Generalminister seine Flucht aus Avignon zu rechtfertigen versuchte, machte Michael geltend, dass der Papst den Orden nun schon seit neun Jahren verfolgte und dabei auch versucht hatte, die Lehren des Ordens zu reformieren. 64 In der Appellatio in forma maiori ging der ehemalige Generalminister dann etwas mehr ins Detail: Der Papst habe ihm vorgeworfen, die franziskanische Regel könne unmöglich eingehalten werden, und Johannes habe den Orden seit mehr als vierzig Jahren gehasst. 65 Es geht aus Michaels Briefen nicht klar hervor, was genau der Papst an der Struktur und dem Armutsgebot des Ordens geändert sehen wollte. Diese im Anschluss an die Spiritualenkrise erfolgende Initiative, diejenigen Dinge im Orden zu ändern, die laut Johannes die Krise überhaupt erst verursacht hatten, ist allerdings aufschlussreich. Offenbar hatte der Papst versucht, in informellen Gesprächen auf den Generalminister einzuwirken und damit möglicherweise einen drohenden offenen Konflikt abzuwenden. 66
63 Wendy Brown, Power after Foucault, in: John S. Dryzek/Bennie Honig/Anne Phillips (Eds.), The Oxford Handbook of Political Theory. Oxford 2006, 65–84, hier 72. 64 Littera excusatoria, in: Gál/Flood (Eds.), Nicolaus Minorita: Chronica (wie Anm.4), 207–211: „Siquidem a novem annis Ordinem nostrum et meam personam indesinenter et atrociter persecutus, multifarie nitebatur nos omnes inducere ad mutandum statum quem vovimus nobisque tradidit Christi almus confessor, Franciscus“, hier 210. Vgl. außerdem Burr, Spiritual Franciscans (wie Anm.1), 267. 65 Appellatio in forma maiori, in: Gál/Flood (Eds.), Nicolaus Minorita: Chronica (wie Anm.4), 227–424: „Ipse vero dominus Ioannes […] et me, praefatum fratrem Michaelem nisus est, quantum potuit, inducere ut consentirem mutationi regulae et status Ordini memorati, quem statum et regulam me praesente et pluribus aliis personis notabilibus fide dignis, dixit fore impossibile ad servandum, et quod a quadraginta annis et citra praedictum statum et modum vivendi habuerat exosum“, hier 308. Zu Michaels Anklage gegen den Papst vgl. Turley, John XXII and the Franciscans (wie Anm.16), 86. Turley bezieht sich in seiner Diskussion allerdings nicht auf Michaels Appellatio in forma maiori. 66 Vgl. Melanie Brunner, Papal Interventions in Mendicant Organisation. Pope John XXII and the Franciscans, in: Michael Robson/Jens Röhrkasten (Eds.), Franciscan Organisation in a Mendicant Context. For-
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IV. Die Rolle der Konsultation(en) Konsultationen im Vorfeld und während des Konzils stellten nicht notwendigerweise nur die Bestätigung einer vorher gefassten Entscheidung oder eines schon getroffenen Konsenses dar. In gleicher Weise waren kuriale Konsultationen mehr als nur Bestätigung der vorgefassten Meinung oder auch schon getroffenen Entscheidung des Papstes. Dies lag zum Teil auch daran, dass die Debatten, selbst wenn sie sonst nichts erreichten, doch die Argumente der beteiligten Parteien konzentrierten und verfeinerten. Zum Teil kann dabei ein direkt und konkret greifbarer Einfluss der Konsultation festgestellt werden, wie zum Beispiel die Diskussion der Sanktionen in Exiit, die mit zur Publikation der Bulle Quia nonnumquam führte. Ein weiteres Beispiel sind die Vorbereitungen für die Bulle Cum inter nonnullos im Jahr 1323. Zumindest ein Entwurf wurde im Konsistorium vorgelesen, und der Papst scheint zum Zeitpunkt der überarbeiteten Version von Ad conditorem canonum im Januar desselben Jahres auch einen Entwurf der neuen Bulle an der Kurie zirkuliert zu haben. Dabei ist allerdings unwahrscheinlich, dass der Entwurf einer so breit angelegten formellen Konsultation aller Kardinäle unterzogen wurde wie die anfängliche Diskussion um die Armut Christi. 67 Wir wissen von mindestens zwei Entwürfen für die Bulle, bevor im November 1323 die endgültige Version veröffentlicht wurde. Eine dieser Versionen kann noch auf dem letzten Folio von MS.Vaticanus latinus 3740 gefunden werden, und einer der Texte in der Handschrift nimmt zu diesem Entwurf Stellung. 68 Der Entwurf des Papstes verurteilte explizit das franziskanische Konzept des simplex usus facti, doch der Kommentator, der von Patrick Nold mit dem franziskanischen Kardinal Bertrand de la Tour identifiziert wurde, hielt dies für nicht ratsam. In der endgültigen Version der Bulle fehlt jeglicher Hinweis auf den einfachen
mal and Informal Structures of the Friars’ Lives and Ministry in the Middle Ages. (Vita Regularis. Ordnungen und Deutungen religiosen Lebens im Mittelalter, Bd.44.) Münster 2010, 353–375, hier 357f. 67
Nold, Pope John XXII and his Franciscan Cardinal (wie Anm.1), 136f., und Louis Duval-Arnould, La
Constitution ‚Cum inter nonnullos‘ de Jean XXII sur la pauvrété du Christ et des apôtres. Rédaction préparatoire et rédaction définitive, in: Archivum Franciscanum Historicum 77, 1984, 406–420, hier 409f. 68
Der Text des Entwurfs findet sich in MS.Vaticanus latinus 3740 auf fol.261va–vb; die Edition findet sich
in Duval-Arnould, Constitution (wie Anm.67), 418–420. Das consilium des Kardinals findet sich auf fols. 103va–106ra und ist ediert nach MS.Venedig, Biblioteca Nazionale Marciana, lat. Z. 149 in Tocco, Quistione della povertà (wie Anm.17), 143–152. Vgl. auch Nold, John XXII and his Franciscan Cardinal (wie Anm.1), 135, und Tabarroni, Paupertas Christi et apostolorum (wie Anm.53), 84.
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Gebrauch. 69 Eine so direkte Korrelation von Beratung, schriftlicher Stellungnahme und päpstlicher Entscheidung ist sonst nur selten belegbar. Der Fall von Cum inter nonnullos zeigt aber, dass die kuriale Diskussion durchaus einen Einfluss auf den Entscheidungsfindungsprozess haben konnte. Dass die endgültige Version der Bulle, die das franziskanische Armutsideal verurteilte, zumindest teilweise auf den Rat eines franziskanischen Kardinals zurückging, macht diesen Fall ganz besonders interessant. Konsultationen gaben allen Beteiligten einen Anteil am Resultat, selbst wenn sie mit dem Endergebnis nicht einverstanden waren. Ein wichtiger Aspekt der extensiven Konsultationsmechanismen für die Beteiligten war es, sich Gehör zu verschaffen. Bonagratias Beschwerde, dass dem Orden keine Gelegenheit gegeben worden war, sich formell zu verteidigen, war nicht nur Teil der Verteidigungsstrategie eines Juristen, der die Bedeutung von Verfahrensfragen kannte: Die Beschwerde bezieht sich auch auf ein ehrliches Bedürfnis, gehört zu werden, gerade auch zu einem Zeitpunkt, als noch kein breiter Konsens im Orden bestand. Konsultationen waren insofern auch Verfahren zur Konsensbildung. 70 Je breiter die Konsultation, desto breiter der Konsens, zumindest theoretisch und im Idealfall. Gerade im Armutsstreit scheint Johannes XXII. auch oft mehr an der Quantität als an der Qualität der Antworten interessiert gewesen zu sein. 71 In gleicher Weise musste eine Synode nicht unbedingt einberufen werden, um eine Frage zu klären; die Intention konnte es auch sein, das Problem erst einmal zu thematisieren. Dies war zum Beispiel gerade für die Vertreter der Spiritualen vor, nach und während des Konzils von Vienne wichtig und zeigt sich in ihren Stellungnahmen und Appellen. Dazu gehörte auch die Möglichkeit und Chance zur Gesichtswahrung der Beteiligten, vor allem derjenigen, deren Standpunkt unterlag. In dieser Weise bestätigte Clemens V. den Spiritualen in seiner Konzilsbulle, dass viele ihrer Beschwerden berechtigt waren. Er rügte sie al69 Zur Bewertung des consilium, seinem Einfluss auf das Resultat der Kontroverse und auf die Veröffentlichung von Cum inter nonnullos vgl. Tabarroni, Paupertas Christi (wie Anm.53), 83–87, Duval-Arnould, Constitution (wie Anm.67), 409f., und vor allem Nold, John XXII and his Franciscan Cardinal (wie Anm.1), 122– 135. Vgl. auch Miethke, Johannes XXII. (wie Anm.3), 306 und Anm.107, der allerdings die Zuweisung des Votums an den franziskanischen Kardinal Bertrand de la Tour ablehnt. 70 Dazu vgl. auch E. D. Watt, Authority. (International Series in Social and Political Thought.) London 1982, 97. 71 Duval-Arnould, Élaboration (wie Anm.2), 397–399. Zum Versuch Jacques Fourniers, des späteren Papsts Benedikt XXII., eine Stellungnahme in der Diskussion um die visio beatifica zu vermeiden, vgl. Maier, Verfügung über Zauberei (wie Anm.34), 229.
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lerdings auch für ihren Ungehorsam und wies ihre Forderung nach dem usus pauper in der Definition Olivis explizit zurück. 72 Dies konnte von den Beteiligten als Erfolg gewertet werden, vor allem auch im Rückblick, und der Bulle gelang es, das Gesicht beider Parteien zu wahren. Diese ausgewogene und einigermaßen unparteiische Beurteilung der Spiritualenkrise durch das Konzil findet sich im Vorgehen Johannes’ XXII. gegen die Spiritualen nicht mehr. Seine Handlungsweise in den Jahren 1317/18 zeigt keine Suche nach einer Schlichtungsmöglichkeit oder einem Kompromiss. Er war daher auch weniger daran interessiert, die Spiritualen und ihre Sprecher in seine Lösung mit einzubinden, nicht zuletzt, da er über deutlich weniger Handlungsspielraum verfügte und sich auch die Positionen im Orden verhärtet hatten. Die Unterdrückung der Spiritualen geschah zudem in Zusammenarbeit mit der Ordensleitung, so dass keine Notwendigkeit einer ähnlich breiten Diskussion bestand. Es ist daher auch nicht überraschend, dass die ersten Kommissionen Johannes’ zur Spiritualenfrage erst nach der Veröffentlichung der letzten Spiritualenbulle Gloriosam ecclesiam vom 23.Januar 1318 eingesetzt wurden. Was das Problem des usus pauper angeht, war nach dem Versuch der diskursiven Wahrheitsfindung auf dem Konzil jetzt eine definitive Wahrheitsentscheidung des Papstes erteilt worden, und der Schwerpunkt des Konfliktes hatte sich schon 1312 auf die Frage des Gehorsams verlagert. 73 Im Armutsstreit war dies allerdings anders. Hier versuchte der Papst zumindest zu Anfang, auch den Orden in seine Lösungsvorschläge mit einzubinden, und es wird deutlich, dass er zwar mit der Position seiner franziskanischen Berater nicht übereinstimmte, ihnen ihre Opposition zunächst aber auch nicht übelnahm. In den ersten Sitzungen 1322 scheint es nur wenig Druck gegeben zu haben, sich der persönlichen Meinung des Papstes anzuschließen. Sein eher unerfreuliches Benehmen im Konsistorium vom 6.März widerspricht dem nicht unbedingt. Johannes reagierte zunehmend irritiert auf den Bischof von Kaffa und wurde gegen Ende auch allgemein dem Orden gegenüber beleidigend. Sein Verhalten ist der Tatsache zugeschrieben worden, dass der Papst den Widerstand von Seiten der Franziskaner unterbin-
72
Exivi de paradiso, in: Richter/Friedberg (Hrsg.), Corpus Iuris Canonici (wie Anm.27), Bd. 2, 1193–2000.
Vgl. auch Lambert, Franciscan Poverty (wie Anm.1), 211–214, und Burr, Spiritual Franciscans (wie Anm.1), 144–150. 73
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Burr, Spiritual Franciscans (wie Anm.1), 201, und Cusato, Whence the Community? (wie Anm.14), 51.
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den wollte. 74 Aber keiner der Beteiligten schien sich davon einschüchtern zu lassen, und bis zu einem gewissen Grad hatte das Verhalten des Papstes den gegenteiligen Effekt: Das Kardinalskolleg schloss sich gegen den Papst zusammen und erzwang ein Ende der Sitzung, und dies, obwohl der Großteil der Kardinäle der franziskanischen Definition der evangelischen Armut nicht zustimmte. 75 Dem Papst in einer schriftlichen Stellungnahme widersprochen zu haben, scheint auch nicht unbedingt negative Auswirkungen auf das spätere Verhältnis zu Johannes gehabt zu haben, wie sich vor allem auch an der Karriere der beiden franziskanischen Kardinäle zeigt. Diese Situation endete am 12.November 1323, als der Papst mit der Veröffentlichung von Cum inter nonnullos die Debatte beendete und seine Lösung des Konflikts zunächst einmal durchsetzte. Auch wenn die Debatte anfangs eine breite Diskussion und damit Widerspruch zuließ, bleibt allerdings die Frage nach der Ergebnisoffenheit der Diskussion und Johannes’ Bereitschaft, seine Meinung tatsächlich zu ändern. Und nach der Veröffentlichung von Cum inter nonnullos verlagerte sich das Problem des Widerspruchs auf eine andere Ebene und konnte dann auch tendenziell einen Konflikt zum Wahrheitskonflikt machen. Es ist in diesem Zusammenhang interessant, dass Clemens V. explizit versuchte, dies für seinen Lösungsvorschlag in der Spiritualenfrage zu verhindern: In Exivi de paradiso wies er jeden Versuch zurück, den usus pauper mit Häresie in Verbindung zu bringen. Weder die Behauptung, der usus pauper sei Teil des franziskanischen Armutsgelübdes, noch die Behauptung des Gegenteils könne als Ketzerei bezeichnet werden. 76 Der Versuch des Papstes, die Verabsolutierung der Kontroverse zu einem Wahrheitskonflikt zu verhindern, war allerdings nicht erfolgreich, zum Teil weil die innerfranziskanische Diskussion oft versuchte, die Ordensregel der Autorität des Papstes zu entziehen, wie auch die Spiritualen versucht hatten, der Ordensleitung die Autorität über die Regel abzusprechen. Clemens bekräftigte die Autorität des Papsttums über die Regel und deren Interpretation in Exivi de paradiso in ähnlicher Weise wie Johannes XXII. zehn Jahre später in Ad con-
74 Duval-Arnould, Élaboration (wie Anm.2), 393f. 75 Zambrini, Storia di Fra Michele (wie Anm.3), 75f. 76 Exivi de paradiso, in: Richter/Friedberg (Hrsg.), Corpus Iuris Canonici (wie Anm.27), Bd. 2, 1198 f: „Dicere autem, sicut aliqui asserere perhibentur, quod haereticum sit, tenere usum pauperem includi vel non includi sub voto evangelicae paupertatis, praesumptuosum et temerarium iudicamus“, hier 1199. Vgl. auch Giovanni Tabacco, Il papato avignonese nella crisi del francescanesimo, in: Rivista Storica Italiana 101, 1989, 317–345, hier 327.
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ditorem canonum. 77 Die synodale Rhetorik einer eindeutigen Entscheidung in Exivi de paradiso wurde dabei in der franziskanischen Verteidigung aufgenommen im Hinblick auf Nikolaus III. und seine Bulle Exiit qui seminat, durch die der Orden versuchte, Johannes von einer Diskussion des franziskanischen Armutsideals abzuhalten. In ähnlicher Weise hatten die Mitglieder einer vom franziskanischen Inquisitor Michel le Moine eingesetzten Kommission 1318 einen Bericht vorgelegt, der zu dem Schluss gekommen war, dass es Häresie darstellte, Johannes die Befugnis zur Veröffentlichung der Bulle Quorundam exigit vom 7.Oktober 1317 abzuerkennen und zu behaupten, die Bulle stünde im Widerspruch zur Regel und den Evangelien und besäße deswegen keine Gültigkeit. 78 Im Armutsstreit wurde dann die Bindewirkung päpstlicher Entscheidungen nicht nur explizit thematisiert, sondern auch zu einem der Hauptkonfliktpunkte in der Kontroverse zwischen Papst und Orden, vor allem nachdem sich auch Ludwig der Bayer in die Debatte eingeschaltet hatte. 79 Dies führte die Kontroverse aber dann auch auf eine völlig andere Ebene, und die Lösungsund Schlichtungsmechanismen, die das Konzil von Vienne und den Beginn des Theoretischen Armutsstreits noch kennzeichneten, standen in diesem Fall nicht mehr zur Verfügung, wie auch in den Jahren 1317/18 viele der Wege zur Schlichtung des Konflikts um die Spiritualen nicht mehr offen standen. Die symbolische Inszenierung von Entscheidungsfindung ist ein weiterer Aspekt dieser Einbindung einer möglichst großen Anzahl von Beteiligten in den Konsultationsprozess. Während kein Konsens bestand, in welchem Umfang ein Papst vor Entscheidungen den Rat zumindest der Kardinäle einholen musste, so war es doch klar, dass Beratung eine wichtige Rolle in der Konsensbildung und Entscheidungsfindung spielte. Der Papst musste zumindest den Anschein erwecken, die Entscheidung unter Mitwirkung seiner Ratgeber getroffen zu haben. Selbst wenn er dann der Meinung seiner Ratgeber nicht folgte, musste er immerhin zeigen, dass er diesen Rat 77
Andrea Bartocci, La regola dei frati minori al concilio di Vienne e la bolla ,Exivi de paradiso‘ di Clemente
V (1312), in: Archivum Franciscanum Historicum 96, 2003, 45–84, vor allem 79 und Anm.66. 78
Vgl. Manselli, Spirituali e Beghini (wie Anm.16), 152f. Zu der Befragung der Spiritualen zu dieser Frage
vgl. außerdem Burr, Spiritual Franciscans (wie Anm.1), 197. 79
Zur Kontroverse um die päpstliche Lehrautorität vgl. vor allem Tierney, Origins of Papal Infallibility
(wie Anm.29), 186–196; Horst, Evangelische Armut (wie Anm.42); James Heft, John XXII and Papal Teaching Authority. (Texts and Studies in Religion, Vol.27.) Lewiston, NY 1986; ders., John XXII and Papal Infallibility. Brian Tierney’s Thesis Reconsidered, in: Journal of Ecumenical Studies 19, 1982, 759–780; Brian Tierney, Sovereignty and Infallibility. A Response to James Heft, in: Journal of Ecumenical Studies 19, 1982, 786– 793; und James Heft, A Rejoinder to Brian Tierney, in: Journal of Ecumenical Studies 20, 1983, 111–117.
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eingeholt hatte. Der Prozess der Entscheidungsfindung wurde in Konsistorien in zumindest halb öffentlicher Form inszeniert. Schon die Abhaltung eines Konsistoriums konnte ausreichen, um der Form Genüge zu tun: Zu der explizit von Johannes XXII. an Nikolaus III. geäußerten Kritik gehört auch die Bemerkung, dass sein Vorgänger die Bulle Exiit qui seminat alleine geschrieben habe, in seinem Zimmer und ohne die Mitwirkung der Kardinäle. 80 Gerade in diesem Zusammenhang wird dann auch die Rolle von Konsultationen als einem Forum für Dissens wieder greifbar: Diskussionen im Konsistorium und auf dem Konzil boten einen klar definierten, aber daher auch begrenzten und ungefährlichen Ort für abweichende Meinungen und die Erarbeitung einer Gegenposition. Deren Vertreter zeigten sich im Zuge der öffentlichen oder halb öffentlichen Verkündung der endgültigen Entscheidung in den Prozess eingebunden und legitimierten ihn damit auch.
V. Zusammenfassung Die Kurie war ein Ort kollektiver Prozesse zur Entscheidungsfindung, wobei im Idealfall Papst, Kardinäle und Gesamtkirche gemeinsam und einstimmig eine Entscheidung trafen, die von allen Beteiligten getragen wurde. In einem Brief an den französischen König beschrieb Johannes XXII. im Jahr 1318 den Idealfall eines solchen Prozesses: Der Papst sah sich mit einem Problem konfrontiert und holte zu dieser Frage Rat ein, indem er Experten beauftragte, die gemeinsam das Material sichteten und besprachen und dem Papst dann einstimmig ihre Meinung mitteilten, der Johannes in seinem endgültigen Urteil folgte. 81 So harmonisch verliefen die meis-
80 Zambrini, Storia di fra Michele (wie Anm.3), 75: „e che papa Nicolaio terzo fecie quella directale, Exijt, nella camera sua, sanza il consiglio de’ cardinali“. Zur Rolle der Beratung durch die Kardinäle für die päpstliche Politik vgl. auch Agostino Paravicini Bagliani, De fratrorum nostrorum consilio. La plenitudo potestatis del papa ha bisogno di consigli?, in: Carla Casagrande/Chiara Crisciani/Silvana Vecchio (Eds.), Consilium. Teorie e pratiche del consigliare nella cultura medievale. (Micrologus’ Library, Vol.10.) Florenz 2004, 181– 194; und J. A. Watt, The Constitutional Law of the College of Cardinals. Hostiensis to Joannes Andreae, in: Mediaeval Studies 33, 1971, 127–157. 81 Coulon/Clémencet (Eds.), Lettres secrètes (wie Anm.23), Vol.1, Nr.579, 501f.: „ad nostram fecimus vocari presentiam, ut super dispensatione jam dicta plenioris deliberationis consilium haberemus, videlicet venerabiles fratres Berengarium, Thusculanum, G., Penestrinum et G., Sabinensem episcopos, ac dilectos filios nostros (nostros) Vitalem, tituli sancti Martini in Montibus presbyterum, Petrum, sancti Angeli et Bertrandum, sancte Marie in Aquiro diaconos cardinales, quorum duo theologie facultatis, et reliqui aut le-
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ten Entscheidungsfindungsprozesse am Papsthof natürlich nicht, aber der Brief ist gerade deswegen interessant, weil der Papst darin quasi im Vorübergehen eine ideale Beratung beschreibt, die alle Elemente beinhaltet, die auch auf Konzilien und bei Konfliktlösungsversuchen an der Kurie mit ins Spiel kamen: eine Eingabe, die den Anstoß zur Konsultation gab (hier die Frage nach einem Ehedispens für den Sohn von Louis d’Evreux), mündliche und schriftliche Stellungnahmen und die endgültige Entscheidung des Papstes, der alle Beteiligten ihre Zustimmung erteilten. In den komplexen und kontrovers verlaufenden Konsultationen zu den Minoriten waren weder die Gutachten der Ratgeber so eindeutig, noch ihr Rat einstimmig, noch die Entscheidung des Papstes unumstritten, während zudem Themen, Inhalt und Formen der Diskussion sowie berechtigte Teilnehmer ebenfalls strittig blieben. Johannes XXII. selbst ist nicht gerade für seine Kompromissbereitschaft oder kollegiale Entscheidungsfindung bekannt 82, aber er war dennoch an einem Dialog mit den streitenden Parteien und an der Meinung seiner Ratgeber interessiert, selbst in Fällen, in denen er aktiv und mit deutlicher eigener Meinung an der Diskussion beteiligt war. Die Tatsache, dass der Papst sich das Recht zur endgültigen Entscheidung vorbehielt und dies auch ausübte, schloss eine ernsthafte Debatte und die Nutzung von kollektiven Entscheidungsmechanismen also nicht aus. Die Lösung von Konflikten beruhte auf diesen Formen kollektiver Entscheidungsfindung, sowohl bei Synoden als auch an der Kurie; selbst Fälle, die nicht an einer Synode verhandelt wurden oder, wie bei den Franziskanern, beim Konzil nicht befriedigend gelöst worden waren, involvierten kollektive Prozesse und Konsultationsmechanismen. Bei der Unterdrückung der Spiritualen lag die Sachlage etwas anders, da kollektive und auf Konsens beruhende Lösungsmechanismen 1317 nicht mehr im gleichen Maße zur Verfügung standen und sich die Fronten zu diesem Zeitpunkt schon zu sehr verhärtet hatten. Konzilien konnten in diesem Zusammenhang Teil einer päpstlichen Konfliktlösungsstrategie sein, mussten aber nicht unbedingt deren Endpunkt darstellen und hatten auch nicht notwendigerweise die Intention, eine definitive Lösung zu finden. Diskussionen sowohl im kurialen als auch im konziliaren Umfeld konnten einer
gum, aut canonum p(ro)fessores existunt, qui omnes post habite invicem diligentis collationis indaginem, quasi uno ore concorditer responderunt“. 82
Vgl. Lambert, Franciscan Poverty (wie Anm.1), 240–244, und Tabarroni, Paupertas Christi (wie
Anm.53), 21–23.
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(päpstlichen) Strategie dienen, die zwar den Prozess der kollektiven Entscheidungsfindung inszenierte, ihn aber gleichzeitig vor allem zur Verkündung einer schon getroffenen Entscheidung nutzte. Kuriale und synodale Strukturen zur Konfliktlösung überlappten und ergänzten sich dabei; sie benutzten ähnliche Mechanismen und boten flexible Formen für den Prozess der Entscheidungsfindung. Die Diskussionen und schriftlichen Eingaben brachten nicht nur ein deutlich breiteres Meinungsspektrum in die Debatte ein; der Papst konnte außerdem durch die Beratungen die Stimmung seiner Ratgeber, der Kurie und/oder der Synode besser einschätzen. Selbst wenn kein Konsens erreicht wurde, konnte mögliche Opposition oft durch die Konsultation selbst minimiert werden. Durch die Klärung der eigenen Position und Argumentation eröffneten sich dabei während der kurialen und konziliaren Diskussion diskursive Rahmen, die dann allerdings durch die endgültige Entscheidung wieder geschlossen wurden. Dies zeigt sich besonders deutlich im Theoretischen Armutsstreit, wo der Konflikt durch die Publikation von Cum inter nonnullos zwar noch lange nicht beendet war, sich aber auf eine neue Ebene verlagerte. Im Idealfall gab dieser Prozess dann allen Beteiligten genügend Anteil am Resultat, dass das Ergebnis als legitim empfunden wurde, selbst wenn nicht alle Beteiligten der endgültigen Entscheidung zustimmten. Auch wenn die Entscheidungen der Päpste oft kontrovers blieben, hatten die Konsultationsmechanismen zur Konfliktlösung und Entscheidungsfindung doch das Ziel, alle Beteiligten in den Prozess und damit die Entscheidung einzubinden, und dies konnte vor allem durch die Nutzung kollektiver Strukturen an der Kurie gesichert werden.
M . BRUNNER
/ NACH DEM KONZIL VON VIENNE
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Disputation und Religionsgespräch Diskursive Formen reformatorischer Wahrheitsfindung von Volker Leppin
Die mittelalterliche Verhältnisbestimmung von diskursiver Wahrheitsfindung und definitiver Wahrheitsentscheidung war, aufs erste gesehen, klar: Die diskursive akademische Form der Disputation diente der offenen Diskussion über Themen, die ihrerseits in Frageform auch den Horizont einer nichtchristlichen Weltauffassung öffnen konnten – wenn etwa zur Diskussion stand, ob es Gott gebe –, auch wenn es klar war, dass die Antwort sich stets im Rahmen christlicher Rechtgläubigkeit bewegte. Determinative Entscheidungen hingegen über die christliche Bestimmung der Wahrheit trafen die kirchlichen Instanzen, in der Regel in der abgrenzenden Form einer Häresieverurteilung. Ein vieldiskutierter Fall der unterschiedlichen Weisen der Wahrheitsgenese ist die Pariser Lehrverurteilung von 1277 1: Der Bischof von Paris unterband hier mit Hilfe eines definitiven Beschlusses diskursive Wahrheitsformen, in denen die aristotelische Lehre in einer Weise vertreten worden war, die deren Spannung zum Christentum deutlich gemacht hatte. Bischof Tempier deutete diese Auffassung in seinem Vorwort fälschlich als Behauptung einer doppelten Wahrheit 2, um seinerseits zu unterstreichen, dass es nur eine Wahrheit, eben die christliche, durch kirchliche Instanzen zu determinierende gab. Es ist hinreichend deutlich, dass diese idealtypische Verhältnisbestimmung von
1 Vgl. hierzu insbesondere: Kurt Flasch, Aufklärung im Mittelalter, in: ders./Udo Reinhold Jeck (Hrsg.), Das Licht der Vernunft. München 1997, 7–17; Roland Hissette, Enquéte sur les 219 articles condamnés à Paris le 7 mars 1277. (Philosophes médiéveaux, Vol.22.) Löwen 1977; Fernand Van Steenberghen, Maître Siger de Brabant. (Philosophes médiéveaux, Vol.21.) Löwen 1977; Volker Leppin, Theologie im Mittelalter. (Kirchengeschichte in Einzeldarstellungen, Bd.I/11.) Leipzig 2007, 118–128. 2 Aufklärung im Mittelalter? Die Verurteilung von 1277. Das Dokument des Bischofs v. Paris eingeleitet, übersetzt und erklärt v. Kurt Flasch. (Excerpta classica, Bd.6.) Mainz 1989, 89: „Dicunt enim esse vera secundum philosophiam, sed non secundum fidem catholicam, quasi sint due contrariae veritates“; vgl. hierzu Ludwig Hödl, „...sie reden als ob es zwei gegensätzliche Wahrheiten gäbe“. Legende und Wirklichkeit der mittelalterlichen Theorie von der doppelten Wahrheit, in: Jan P. Beckmann u.a. (Hrsg.), Philosophie im Mittelalter. Entwicklungslinien und Paradigmen. Festschrift Kurt Kluxen. Hamburg 1987, 225–243.
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kirchlichem und akademischem Wahrheitsfindungsverfahren, von diskursiver und determinativer Wahrheitsbestimmung schon innermittelalterlich fraglich wurde. Bereits Abaelard suchte, als er 1140 auf Betreiben Bernhards von Clairvaux nach Sens vorgeladen wurde, offenbar eine disputationsartige Auseinandersetzung, der freilich Bernhard ein juristisch hoch fragwürdiges Häretisierungsverfahren entgegensetzte. 3 Diskurs und Determination prallten aufeinander. Und die spätmittelalterlichen Debatten über legitime kirchliche Instanzen zur Wahrheitsfindung, die vor allem als Verhältnisbestimmung von Konzil und Papst gestaltet und rezipiert wurden 4, waren zu Teilen auch Vorgänge, in denen es um die Verhältnisbestimmung von akademischer und kirchlicher Lehre ging: Die starke Rolle, die Wilhelm von Ockham in seinem Dialogus den Theologen gab 5 und die sich zum Teil in den frühen Versammlungen der konziliaristischen Zeit widerspiegelte, drücken etwas davon aus, dass zunehmend der Bedarf gesehen wurde, die determinative Wahrheitsfindung vermittels kirchlicher Instanzen durch die diskursiven Formen der Wahrheitsfindung in den Universitäten abzusichern. Es ist offenkundig, dass diese Verhältnisbestimmung in der Reformationszeit neu erfolgen musste, insofern spätestens mit der Leipziger Disputation die Möglichkeit determinativer Wahrheitsentscheidung durch kirchliche Instanzen bestritten war: Von seinem Gegner Johannes Eck getrieben, erklärte Luther, dass nicht allein, wie er schon zuvor ohne Bruch mit der seinerzeit gültigen kirchlichen Lehre hatte lehren können, Päpste irren könnten, sondern auch Konzilien. 6
3 Lothar Kolmer, Abaelard und Bernhard von Clairvaux in Sens, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Kanonistische Abteilung 67, 1981, 121–147; Michael T. Clanchy, Abaelard. Ein mittelalterliches Leben. Darmstadt 2000, 365–411; Ingo Klitzsch, Die „Theologien“ des Petrus Abaelardus. Genetisch-kontextuelle Analyse und theologiegeschichtliche Relektüre. (Arbeiten zur Kirchen- und Theologiegeschichte, Bd.29.) Leipzig 2010, 396–411. 4 Hubert Jedin, Bischöfliches Konzil oder Kirchenparlament? Ein Beitrag zur Ekklesiologie der Konzilien von Konstanz und Basel. Basel/Stuttgart 1963; Remigius Bäumer (Hrsg.), Die Entwicklung des Konziliarismus. Werden und Nachwirkungen der konziliaren Idee. Darmstadt 1976; Hermann-Josef Sieben, Traktate und Theorien zum Konzil. Vom Beginn des Großen Schismas bis zum Vorabend der Reformation (1378– 1521). Frankfurt am Main 1983; Jürgen Miethke, Politiktheorie im Mittelalter. Von Thomas von Aquin bis Wilhelm von Ockham. 2.Aufl. Tübingen 2008; Johannes Helmrath/Heribert Müller (Hrsg.), Die Konzilien des 15.Jahrhunderts. Ostfildern 2007. 5 Vgl. hierzu Volker Leppin, Geglaubte Wahrheit. Das Theologieverständnis Wilhelms von Ockham. (Forschungen zur Kirchen- und Dogmengeschichte, Bd.63.) Göttingen 1995, 290f. 6 Martin Luther, Werke. Kritische Gesamtausgabe (im Folgenden: WA.) Weimar 1883–2009, Bd.59, 1982, 500, 2081–2083: „Hoc solum mihi reservo, quod et reservandum est, concilium aliquando er-
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Die Folgerung, die in seinen wenig später formulierten Baccalaureatsthesen 7 zunächst Philipp Melanchthon hieraus zog, war klar: Allein die Schrift konnte bindende Aussagen begründen. 8 Damit sollte die Frage, wie denn Wahrheit zu finden sei, aus reformatorischer Sicht nicht allzu schwer zu beantworten sein: durch Lektüre der Heiligen Schrift. Entsprechend hatte sich auch Luther in Worms darauf berufen, dass sein Gewissen gebunden sei, solange es nicht durch die Heilige Schrift oder, allerdings auch, die Vernunft überwunden sei. 9 Noch in Auseinandersetzung mit Erasmus hielt Luther an der Klarheit der Schrift fest 10 und legte damit den Grund für die spätere Lehre von der perspicuitas der Schrift in der lutherischen Orthodoxie. Freilich, so betonte er auch schon hier: die Möglichkeit bestehe, dass der Mensch die Klarheit nicht voll erfasse. Das sei zwar, so Luther, auf einen Mangel der menschlichen Erkenntnis zurückzuführen und nicht auf ein Defizit der Schrift selbst 11 – aber eben, es war ein unübersehbarer Mangel. Für die tatsächliche Auseinandersetzung um die Wahrheit bedeutete dies, dass der alleinige Verweis auf die Schrift unter Umständen nicht ausreichte, um sie zu erweisen. Wahrheit blieb unhintergehbar auf eine diskursive Absicherung angewiesen. Das Medium aber, das diesem diskursiven Befinden über die Wahrheit Gestalt geben konnte, war in der Tradition der mittelal-
rasse et posse errare, praesertim in his quae non sunt fidei. Nec habet concilium auctoritatem novorum articulorum condendorum in fide“; vgl. hierzu Bernd Moeller, Luther und das Papsttum, in: Albrecht Beutel (Hrsg.) Luther Handbuch. 2. Aufl. Tübingen 2010, 106–115, hier 112, der freilich angesichts der Vorsicht in Luthers Formulierung zu einer allzu emphatischen Deutung neigt; differenzierter: Christopher Spehr, Luther und das Konzil. Zur Entwicklung eines zentralen Themas in der Reformationszeit. (Beiträge zur historischen Theologie, Bd.153.) Tübingen 2010, 149–153. Zur Leipziger Disputation insgesamt vgl. Kurt-Victor Selge, Die Leipziger Disputation zwischen Luther und Eck, in: Zeitschrift für Kirchengeschichte 86, 1975, 26–40; Anselm Schubert, Libertas Disputandi: Luther und die Leipziger Disputation als akademisches Streitgespräch, in: Zeitschrift für Theologie und Kirche 105, 2008, 411–442; Markus Hein/Armin Kohnle (Hrsg.), Die Leipziger Disputation 1519. 1. Leipziger Arbeitsgespräch zur Reformation. (Herbergen der Christenheit, Sonderbd. 18.) Leipzig 2011. 7 Zu ihnen: Wilhelm Maurer, Der junge Melanchthon zwischen Humanismus und Reformation. 2 Bde. Göttingen 1967–1969, Bd.2, 1969 (= ebd.1996), 101–103. 8 Siehe Jens-Martin Kruse, Universitätstheologie und Kirchenreform. Die Anfänge der Reformation in Wittenberg 1516–1522. (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz, Bd.187.) Mainz 2002, 227. 9 WA 7, 838,4f. 10 WA 18, 607,1–11. 11 Vgl. etwa Leonhard Hutter, Compendium locorum theologicorum. Hrsg. v. Wolfgang Trillhaas. Berlin 1961, 2, 13–15: „Estne Scriptura sacra dilucida et perspicua? Est maxime, praesertim in locis illis omnibus, quae de fide ac iustificatione nostra coram Deo, aeternaque salute agunt.“
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terlichen Universität zunächst einmal die akademische Disputation. Da die Reformation in ihrer Wittenberger Gestalt zunächst und vor allem als akademische Reformanstrengung begann, liegt es nahe, dass auch sie sich zunächst eben dieses Mediums bediente. Es wuchs aber nach und nach aus dem engen akademischen Rahmen heraus und wurde wenigstens für die ersten Jahre der städtischen Reformation in die urbane Öffentlichkeit gezogen. Ja, hier wurde es zu dem Medium schlechthin, dessen sich die Reformation zum Erweis ihrer Wahrheit bediente. Dieser Entwicklung entsprechend will ich im Folgenden als Disputation im strengen Sinne allein jene Formen des Austauschs über Wahrheit verstehen, die in einem akademischen Rahmen stattfinden und entsprechend auf eine Klärung nach den Regeln des akademischen Diskurses angelegt sind. Sie setzen noch nicht klare Parteiungen kirchlicher Art voraus, sondern grundsätzlich nur akademische Differenzen. Unter Religionsgesprächen im strengen Sinne verstehe ich hingegen jene Ereignisse, in denen klare Parteiungen einander als Vertreter unterschiedlicher Auslegungen des Christentums entgegentreten und die insofern auf eine determinative Wahrheitsentscheidung angelegt sind, als mit dem Disput auch die Frage nach der praktischen religiösen Umsetzung verbunden ist.
I. Die akademische Disputation als Medium der Durchsetzung der Reformation Es besteht kein Zweifel, dass am Anfang der reformatorischen Bewegung Disputationen stehen 12 – das gehört gerade auch zum Charakter dieser Bewegung, die in ihrer Wittenberger Gestalt ja genuin eine akademisch-universitäre war. 13 Insofern war Ausgangspunkt vieler Überlegungen, die Bedeutung im reformatorischen Lager gewinnen sollten, ein diskursives Medium, ja, die reformatorischen Ideen konnten sich gerade so entfalten, wie sie es taten, weil sie vornehmlich im Horizont
12
Einen schönen Überblick bietet Reinhard Schwarz, Disputationen, in: Beutel (Hrsg.), Luther Handbuch
(wie Anm.6), 328–320; vgl. auch Bernhard Lohse, Luther als Disputator, in: ders., Evangelium in der Geschichte. Studien zu Luther und der Reformation. Hrsg. v. Leif Grane u.a. Göttingen 1988, 250–264. 13
Zur Geschichte der Wittenberger Fakultät in dieser Zeit vgl. Irene Dingel/Günther Wartenberg (Hrsg.),
Die Theologische Fakultät Wittenberg 1502 bis 1602. (Leucorea-Studien, Bd.5.) Leipzig 2002. Für den Charakter der frühen reformatorischen Entwicklungen in Wittenberg als Gemeinschaftsaktivität einer ganzen Gruppe ist besonders instruktiv die Studie von Kruse, Universitätstheologie (wie Anm.8).
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des freien Diskurses ausgesprochen wurden. Allerdings verschob sich allmählich die Funktion der Disputationen. Sie scheinen in Wittenberg von früh an als ein Genre der affirmativen Mitteilung der neuen Lehre verwendet worden zu sein. Dies gilt bereits für die erste umfassend bekannte Disputation aus dem Bereich von Luthers Lehrbetrieb, die „Quaestio de viribus hominis sine gratia disputata“. 14 In ihr stellte Bartholomäus Bernhardi aus Feldkirch im September 1516 Thesen zusammen, die er aus der Römerbriefvorlesung Luthers gewonnen hatte. 15 Faktisch diente damit die diskursive Form zur Unterstützung der affirmativen Lehrmitteilung, denn die Disputation, um die es hier geht, war Teil eines Prüfungsverfahrens. Im Unterschied zu der sehr freien Quodlibet-Disputation, die gängiger Weise dem offenen Diskurs über neue Ansichten diente, war damit die Festlegung faktisch um einiges höher. Dies hatte bald auch Folgen für die Form der Disputationsthesen: Sah man den Thesen von 1516 noch ihren grundsätzlich diskursiven Charakter an, so entstand bald eine eigene Form thetischer Zuspitzung. Diese ermöglichte es, Thesenreihen als eine Art von reformatorischer Programmschrift zu verfassen und zu lesen. Das ist deutlich erkennbar in der später als „Disputatio contra scholasticam theologiam“ bezeichneten Thesenreihe vom 4.September 1517. 16 Sie bot eine Mischung aus Offenlegung der neuen Weise Theologie zu treiben und materialen Aussagen vor allem zur Gnadenlehre. Luther fasste dies in eine Reihe von sehr kurzen Thesen, die in der Regel mit einem knappen „contra“ beendet werden, um deutlich zu machen, gegen wen sie sich wenden: „Contra Sco.“ 17, „Contra Gab.“ 18 oder schlicht: „Contra dictum commune“ 19. In der Forschung bislang wenig berücksichtigt wurde, dass sich diese zugespitzte Form der Disputationsthesen einem regen Austausch mit einem
14 WA 1, 145–151. 15 Vgl. hierzu Kruse, Universitätstheologie (wie Anm.8), 78–82. 16 WA 1, 224–228; zu ihr vgl. v.a. Leif Grane, Contra Gabrielem. Luthers Auseinandersetzung mit Gabriel Biel in der Disputatio contra scholasticam theologiam. (Acta theologica Danica, Bd.4.) Kopenhagen 1962. 17 WA 1, 224,18 u.ö.; zu Duns vgl. Étienne Gilson, Johannes Duns Scotus. Einführung in die Grundlagen seiner Lehre. Düsseldorf 1959; Mary B. Ingham, Johannes Duns Scotus. Münster 2006; Thomas Williams (Ed.), The Cambridge Companion to Duns Scotus. Cambridge 2003. Zum wenig erforschten Verhältnis Luthers zu Duns Scotus vgl. demnächst Volker Leppin, Duns Scot chez les réformateurs, in: Mechthild Dreyer (Ed.), The Impact of Duns Scotus. Proceedings of the „Quadruple Congress“ on John Duns Scotus. Vol.4 (im Druck). 18 WA 1, 225,8; vgl. Grane, Contra Gabrielem (wie Anm.16). 19 WA 1, 224,8.16 u.Ö.
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der späteren schärfsten Gegner der reformatorischen Bewegung verdankt: Johannes Eck, einem der versiertesten Disputanten der Zeit. 20 Ecks Thesen zur Wiener Disputation vom August 1516 sind gleichfalls knapp, thetisch und „contra communem“ 21, „contra Scotum“ 22, „contra Gabrielem“ 23, ja sogar „contra sanctum Thomam“ 24 gerichtet. Diese Thesen waren Luther kurz vor Abfassung seiner eigenen Disputation gegen die scholastische Theologie bekanntgeworden. Am 1.April 1517 hatte Christoph Scheurl Luther, wohl im Anschluss an einen Besuch Ecks bei ihm in Nürnberg 25 geschrieben: „Amicum meum Iohannem Eckium de virtute tua feci certiorem, unde amicitiae tuae percupidus nedum ad te literas dedit, sed et libellum cum disputationibus suis mittit.“ 26
Bei diesem Disputationenbuch handelt es sich offenkundig um die Niederschrift eben der Wiener Disputation, die mit einigen anderen Schriften – daher der Plural – am 27.Januar 1517 von Johann Miller in Augsburg gedruckt worden war. 27 So lernte man also in Wittenberg die Form scharfer Positionierung in Thesenform kennen. Eck hätte damit – in formaler, nicht in inhaltlicher Hinsicht – die Zuspitzung der Debattenlage in Wittenberg beeinflusst und zu deren konfrontativer Abhebung von der Tradition im Medium der Disputation beigetragen. Die Disputation diente so
20
Vgl. die Charakterisierung als „disputator acerrimus“ in Christoph Scheurl’s Briefbuch, ein Beitrag zur
Geschichte der Reformation und ihrer Zeit. Hrsg. v. Franz v. Soden u. Joachim K. F. Knaake. 2 Bde. Potsdam 1867–1872, Bd.2 (1872), 13 (Brief an Karlstadt vom 1.4.1517). 21
Johannes Eck, Disputatio Viennae Pannoniae habita (1517). Hrsg. v. Therese Virnich. (Corpus catholi-
corum, Bd.6.) Münster 1923, 27,3 u.ö. 22
Ebd.27,6 u.ö.
23
Ebd.29,3.
24
Ebd.26,15.
25
Für Christoph Scheurl war der bald entstehende tiefe Riss zwischen den Wittenbergern und Eck zu-
tiefst verstörend; vgl. hierzu Richard Wetzel, Melanchthon und Karlstadt im Spiegel von Melanchthons Briefwechsel, in: Sigrid Looß/Markus Matthias (Hrsg.), Andreas Bodenstein von Karlstadt (1486–1541). Ein Theologe der frühen Reformation. (Themata Leucoreana, Bd.4.) Wittenberg 1998, 159–222, 161; gerade die an Personen wie Scheurl ablesbare hoch komplexe Gemengelage zeigt, dass die Rede von einem „Frontwechsel“ Ecks (Heiko Augustinus Oberman, Werden und Wertung der Reformation. 2.Aufl. Tübingen 1979, 193) für das Jahr 1519 wohl schon zu feste Formationen voraussetzt. 26
WA, B 1,91 (Nr.36,2–4).
27
Disputatio Joan. Ec|kij Theologi Viennae Pannoniae ha-| bita cum Epistola ad Reuerendis-| simum Epis-
copum Ei-|stettensem.| […], Augsburg: Miller 1517 (VD16 E 314); vgl. Eck, Disputatio (wie Anm.21), XXII– XXIV.
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weniger der diskursiven Debatte über denkerische Möglichkeiten als der pointierten Darstellung der neu gewonnenen eigenen Position Wenige Wochen nach der „Disputatio contra scholasticam theologiam“ folgte eine Ausdehnung der Möglichkeiten der Disputation durch die Ablassthesen, mit der Luther wohl wiederum in formaler Hinsicht Anregungen aufnahm und weiterführte, die zuvor schon Andreas Karlstadt gegeben hatte. 28 Dieser hatte in einer Disputation das Ziel verfolgt, Menschen außerhalb Wittenbergs für das Gespräch zu gewinnen und, wie Bernd Moeller dies charakterisiert, in einer „Art Sternfahrt“ nach Wittenberg zu holen. 29 Möglicherweise ist es sogar der Gedanke einer Allianz mit Eck, der in Wittenberg Vorstellungen reifen ließ, man könne zu einer Disputation auch überregional einladen. Jedenfalls hat auch Luther, als er seine Thesen gegen den Ablass vorlegte, an eine Disputation gedacht, die nicht auf Wittenberg beschränkt war: „Amore et studio elucidande veritatis hec subscripta disputabuntur Wittenberge, Presidente R.P. Martino Lutther, Artium et S. Theologie Magistro eiusdemque ibidem lectore Ordinario. Quare petit, ut qui non possunt verbis presentes nobiscum disceptare agant id literis absentes. In nomine domini nostri Hiesu Christi. Amen“ 30
Diese intitulatio macht erklärlich, warum Luther seine Disputationsabsicht wohl nicht wie üblich mit einem Anschlag an die Wittenberger Kirchentüren 31, sondern mit Briefen kundtat – und warum entsprechend nie eine reale Disputation in Wittenberg stattfand, sondern nur eine literarische Auseinandersetzung. Hintergrund ist wohl, dass das Thema, um das es Luther ging, von besonderem Gewicht war. Das äußert sich auch darin, dass er die Ablassthesen an die Bischöfe von
28 Vgl. hierzu Bernd Moeller, Thesenanschläge, in: Joachim Ott/Martin Treu (Hrsg.), Luthers Thesenanschlag – Faktum oder Fiktion. (Schriften der Stiftung Luthergedenkstätten in Sachsen-Anhalt, Bd.9.) Leipzig 2008, 9–31. 29 Ebd.17. 30 WA 1, 233,1–9. 31 Vgl. Urkundenbuch der Universität Wittenberg. T.1 (1502–1611). Bearb. v. Walter Friedensburg. (Geschichtsquellen der Provinz Sachsen und des Freistaates Anhalt, Neue Rh., Bd.3.) Magdeburg 1926, 33, über die Pflichten des Dekans: „promociones similiter et disputaciones intimet valvis ecclesiarum feria praecedenti, specivocando promotoris, promovendi, presidentis et respondentis“; zu den diversen Argumenten für und wider die Faktizität eines Thesenanschlags vgl. Volker Leppin, Die Monumentalisierung Luthers. Warum vom Thesenanschlag erzählt wurde – und was davon zu erzählen ist, in: Ott/Treu (Hrsg.), Faszination Thesenanschlag (wie Anm.28), 69–92.
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Mainz und Brandenburg sandte. 32 Damit wurde der für die akademische Disputation bestimmte diskursive Rahmen überschritten, und die für determinative Stellungnahmen verantwortlichen Instanzen waren einbezogen. Während allerdings die Bischöfe nicht unmittelbar eingriffen und nur im Hintergrund agierten, kam es zu einer rasanten Aufnahme der Disputationsthesen selbst in der Öffentlichkeit – auch das war für das akademische Medium der Disputation eher ungewöhnlich. Einige dieser Disputationen wurden sogar selbst in ihrem Ablauf zu einem öffentlichen Ereignis und tatsächlich zu einem offenen Streit um die Wahrheit. Das gilt schon für die Heidelberger Disputation von 1518, die vor einem gewissen universitätsinternen, teilweise sogar die Schranken der Universität überschreitenden Publikum stattfand 33, erst recht aber für die Leipziger Disputation im Jahre 1519. 34 Sie fand nicht nur vor universitärem Publikum statt, sondern auch in Gegenwart des Herzogs und von Vertretern des Hofs, überschritt also deutlich den Rahmen bloß universitärer Öffentlichkeit. Freilich ist es für die hier vorliegenden Überlegungen besonders bemerkenswert, dass dabei im diskursiven Medium der Disputation zugleich über die Autorität der determinativen Instanzen in der Kirche diskutiert wurde, also der performative Akt der Disputation selbst sich auf deren Grundlagen und Rahmenbedingungen bezog. Die Disputation zwischen Eck und Luther wie Karlstadt ist gut dokumentiert und lässt die Dynamik des argumentativen Geschehens erahnen. Es ist davon geprägt, dass Eck mit Hilfe der von ihm meisterlich beherrschten Disputationskunst Luther dazu zwang, über die Geltung von Konzilien zu sprechen – der Hintergrund war Ecks von Luther nicht zu bestreitender Aufweis, dass dieser Thesen von Jan Hus vertrat, die das Konstanzer Konzil verurteilt hatte. So erklärte Luther schließlich, dass nicht allein Päpste, sondern auch Konzilien geirrt hatten und irren könnten. 35 Da-
32
WA, B 1,110–112.
33
Vgl. Heinz Scheible, Die Universität Heidelberg und Luthers Disputation, in: ders., Melanchthon und
die Reformation. Forschungsbeiträge. Hrsg. v. Rudolf May u. Rolf Decot. (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz, Beih. 41.) Mainz 1996, 371–391, 382–385. 34
Otto Seitz (Hrsg.), Der authentische Text der Leipziger Disputation (1519). Aus bisher unbenutzten
Quellen. Berlin 1903; vgl. Kurt-Victor Selge, Der Weg zur Leipziger Disputation zwischen Luther und Eck, in: Bernd Moeller/Gerhard Ruhbach (Hrsg.), Bleibendes im Wandel der Kirchengeschichte. Kirchenhistorische Studien. Tübingen 1973, 169–210; ders., Die Leipziger Disputation (wie Anm.6); Martin Brecht, Martin Luther. 3 Bde. Stuttgart 1981–1987, Bd.1: Sein Weg zur Reformation 1483–1521. 3.Aufl. 1990, 285–307; Volker Leppin, Martin Luther. 2.Aufl. Darmstadt 2010, 144–151. 35
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WA 59, 500,2081–2083.
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mit war im diskursiven Medium die Frage aufgeworfen, ob es überhaupt determinative Instanzen in Theologie und Kirche geben könne – der Sache nach war damit der Graben zur bisherigen Kirche endgültig aufgerissen, für Eck umgekehrt deutlich gemacht, dass es sich bei seinem Gegenüber um einen Häretiker handelte. Dementsprechend suchte er zum Umgang mit dem Reformator in der Folgezeit nicht mehr den Diskurs, sondern die Determination in Gestalt der wesentlich von ihm mit beeinflussten Bannbulle von 1520. Damit wurde die akademische Disputation letztlich zu einem Medium interner Verständigung der jeweiligen Parteien unter sich – der offene Diskurs zwischen Altgläubigen und Reformatoren, wie er in Leipzig wenigstens am Horizont erschienen war, war beendet.
II. Religionsgespräch als Strategie zur Durchsetzung der Reformation und zum innerreformatorischen Ausgleich 1. Die städtischen Religionsgespräche Versteht man, wie oben ausgeführt, unter Religionsgespräch das Aufeinandertreffen zweier klar definierter Parteien, deren Differenz auf praktische Umsetzung angelegt ist und insofern eine Entscheidung jenseits des akademischen Rahmens erfordert, muss man in diesem strengen Sinne den eingebürgerten Namen der „Zürcher Disputation“ präzisieren: Zu Recht hat Irene Dingel diese Disputation und die anderen folgenden Gespräche gleicher Art in den großen Artikel „Religionsgespräche“ in der Theologischen Realenzyklopädie aufgenommen. 36 Zwar haftet der Name der „Disputation“ an ihnen, aber sie sind doch ihrer Anlage nach deutlich über den akademischen Horizont hinausgegangen. Dabei wird man durchaus in Rechnung stellen dürfen, dass ein öffentliches Ereignis wie die Leipziger Disputation einen Anstoß für diese Entwicklung gegeben hat. Indem aber der Raum der Universität verlassen wird, geschieht nicht nur in sozialhistorischer Hinsicht etwas Neues, sondern auch im Blick auf die Formen der Wahrheitsfindung. Die städtischen Räte, die hier
36 Irene Dingel, Art.„Religionsgespräche. IV. Altgläubig – protestantisch und innerprotestantisch“, in: Theologische Realenzyklopädie. 36 Bde. Berlin u.a. 1977–2004, Bd.28 (1997), 654–681, 657f.; auf die Unsicherheit schon der Zeitgenossen in der Benennung weist Bernd Moeller, Zwinglis Disputationen. Studien zur Kirchengründung in den Städten der frühen Reformation. 2.Aufl. Göttingen 2011, 34–36, hin – die Begründungen für die Bezeichnung „Disputation“ ebd.37 sind demgegenüber relativ schwach.
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Entscheidungen zu treffen hatten, waren weder im Blick auf die kirchliche Hierarchie zu Determinationen noch hinsichtlich der akademischen Formen zu Disputationen befugt. Der gerne wiederholte Gedanke, dass die „Zürcher Disputation“ eine „Erfindung“ Zwinglis und seiner Gleichgesinnten im Zürcher Rat gewesen sei 37, ist freilich erheblich zu modifizieren. Tatsächlich stammt der Vorschlag zu einer solchen öffentlichen Debatte von Zwinglis Gegner, dem Chorherrn Hofmann. 38 Wohl Ende 1521 oder Anfang 1522 39 hat er eine Klagschrift gegen Zwingli vorgelegt. Diese endete mit dem Angebot, seine Gründe in Auseinandersetzung mit den Gegnern darzulegen: „so will ich umb gottes willenn und eines gemeinen nutzens willen / grosße widerwerttigkeit und ergerniss in christenlicher lere zefürkomen oder zewenden / die arbeit uff mich nehmen / das ich nach minem vermögen / will fürgeben und erscheinen ursachen meiner yetzgemeltten articklen und meinungen (so vil not wirt sein /) vor minen heren Bropst und Capitel und vor allen gelertten hie zürich / und vor einem gantzen Rat die dar by wellent sin in einer offenlichen statt, die dar zuo geschickt und tuglich ist / uff einen gestimptten tag / der minem her lütpriester einen Monat dar vor verkünt sye und mir ouch / in gegenwirttigkeit eines offnen Notari / dar zuo verordnet / in sömlichen geding und fuog / das min her lütpriester Meister uorich zwingli und sine anhenger / und ander die siner meinung sind / ouch fürgebent und erscheinent ursachen / iren articklen und meinungen / die wider mine artickel und meinungen syent // unnd wenn dann sömlichs beschächen ist / und also bede teil verhört sind / das dann mine herren Bropst und Capitel / Burgermeister und Rat / die sach trülich ze handen nemendt / und unßerem gnedigen heren von Costents fürbringent / darinn ze handlen wie ziemlich / billich und fruchtbatr sind mag / nach gelegenheit der sach.“ 40
37
Moeller, Zwinglis Disputationen (wie Anm.36), 37.
38
Dies benennt Moeller, Zwinglis Disputationen (wie Anm.36), 46–48, und reduziert, der Sache nach zu
Recht den Anteil des Rates bzw. Zwinglis darauf, dass „der Plan ganz umgestaltet wurde“ (48), obwohl er konzediert, dass bereits bei Hofmann dem Rat ganz erstaunliche Befugnisse zugewiesen wurden. Diese inhaltlich zutreffenden Beobachtungen werden leider durch den von Neuheitsemphase getragenen Begriff „Erfindung“ in den Hintergrund gedrängt. 39
Emil Egli gibt in Actensammlung zur Geschichte der Zürcher Reformation in den Jahren 1519–1533.
Hrsg. v. Emil Egli. Zürich 1879 (= Aalen, Nieuwkoop 1973), 65, Ende 1521 an. Etwas weiter der Zeitraum bei Alfred Schindler, Das Anliegen des Chorherrn Hofmann, in: Zwingliana 23, 1996, 63–82, hier 69. 40
Die Klagschrift des Chorherrn Hofmann gegen Zwingli. Hrsg. v. Alfred Schindler, in: Zwingliana 19/1,
1991/92, 325–359, 352,13–353,1.
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Im Ergebnis war es allerdings dann nicht Hoffmann, der seine Anschauungen darlegte, sondern als es 1523 zur Ersten Zürcher Disputation kam, formulierte Zwingli die zugrunde liegenden Thesen. 41 Vor allem aber verschwand aus dem Szenario Hoffmanns die von diesem vorgesehene determinative Instanz, der Konstanzer Bischof: Er war nur noch Eingeladener, der, wenn er denn wollte 42, dabei sein durfte; die Entscheidung lag aber nun beim Rat. So wurde dann die am 29.Januar 1523 stattfindende Erste Zürcher Disputation beziehungsweise präziser: das erste Zürcher Religionsgespräch zu einer Inszenierung der neuen Machtbefugnisse in kirchlichen Belangen. Generalvikar Johannes Faber, der den Bischof von Konstanz vertrat, brachte seine Sicht der Dinge auf den Punkt: Er wolle „hie zuo Zürich nüts davon [...] disputieren“. 43 „Denn mins bedunckens werden semlich sachen under einer gantzen christlichen versamlung aller nation oder vor eim concilio der bischoffen unnd anderer gelerten, so man findt uff den hohen schuolen, glych wie ouch vor zyten by den heyligen apostlen zur Hierusalem bschach, ußzerichten.“ 44
Faber wies also auf den doppelten Mangel der Veranstaltung hin: Weder wurde die Sache vor einer angemessenen kirchlichen Instanz verhandelt, noch besaßen die Akteure die notwendige Gelehrsamkeit. Dass er sich gleichwohl noch auf einzelne Gesprächsgänge einließ, schwächte seine Position freilich eher weiter – so wurde die gesamte Veranstaltung zu einer umfassenden Präsentation von Zwinglis Programm. Der Erfolg gab ihr in überwältigender Weise Recht, und das Medium der Disputation wurde nun zur bevorzugten Gestalt der Durchsetzung der Reformation in zahlreichen Städten im Südwesten und darüber hinaus. 45 Das diskursive Element einer Auseinandersetzung schien hier die Möglichkeit zur Entscheidung im städtischen Kontext ohne Beiziehung der klassischen determinativen Instanzen aus der kirchlichen Hierarchie zu eröffnen. Die Klarheit allerdings, mit der man vor allem in den Reichsstädten eine neue Entscheidungsinstanz fand, war so für den Wittenberger Typus der Reformation nicht gegeben.
41 Vgl. Corpus Reformatorum (im Folgenden: CR) 88,458–465. 42 CR 88,467,18 (Ausschreiben des Rates). 43 CR 88,491,3. 44 CR 88,491,3–8. 45 Vgl. die beeindruckende Darlegung bei Moeller, Disputationen (wie Anm.36), 55–176.
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2. Von der diskursiven Wahrheitsfindung zur determinativen Funktion Luthers in der Wittenberger Reformation Die Zürcher Disputation hat wie die anderen städtischen Disputationen auch wenigstens der Form nach noch das diskursive Verfahren der Wahrheitsfindung aus dem akademischen Rahmen übernommen, auch wenn sie faktisch auf eine Determination durch hierzu nicht befugte und im Grunde auch nicht befähigte Instanzen angewiesen war. Komplexer war die Entwicklung im Wittenberger Raum, wo nicht so rasch wie in Zürich weltliche Instanzen bereitstanden, um Entscheidungen vorzunehmen. Dabei war schon in der Leipziger Disputation offenkundig, dass die Auseinandersetzungen, in die die Reformation geriet, so geartet waren, dass den bisherigen Entscheidungsinstanzen ihre Legitimität genommen wurde. Die städtischen Religionsgespräche haben diese Lücke durch die Magistrate eher notdürftig gefüllt. Sie trugen damit den realen Verhältnissen, nicht aber unbedingt den gängigen Formen der Wahrheitsfindung Rechnung. Für politisch und gesellschaftlich einigermaßen homogene Räume konnten sie eine definitive Entscheidung herbeiführen – unklar wurde die Situation aber, als es zu neuen Auseinandersetzungen innerhalb des reformatorischen Lagers kam. Sie brachten aufs Neue die Notwendigkeit mit sich, das Verhältnis zwischen diskursiver Wahrheitsfindung und determinativer Wahrheitsentscheidung auszutarieren. War es für die Leipziger Disputation klar gewesen, dass die diskursive Außerkraftsetzung determinativer Instanzen eine notwendige Konsequenz der reformatorischen Entwicklung selbst war, fehlte diese Eindeutigkeit in Zusammenhängen, in denen innerreformatorisch um den Kurs gerungen wurde. Paradigmatisch für die Frage nach einer neuen Verhältnisbestimmung zwischen Diskurs und Determination sind die sogenannten Wittenberger Unruhen. 46 In den großen, an Luther orientierten Darstellungen der Reformationsgeschichte gelten sie eher als eine Art Kollateralschaden, insofern sich hier Personen zu Anführern aufschwangen, die dazu weder geeignet noch legitimiert waren. Aber die Wittenberger Unruhen sind weit mehr: Sie sind ein Teil des Prozesses, in dem sich neue autoritative bzw. determinative Strukturen in Wittenberg herauskristallisierten. Erst die Abwesenheit Luthers nach dem Wormser Reichstag brachte zu Bewusstsein, mit welcher Selbstverständlichkeit Entscheidungen an ihn gebunden waren. Auch in dieser Situation gab es an46
Nikolaus Müller, Die Wittenberger Bewegung 1521 und 1522. Die Vorgänge in und um Wittenberg
während Luthers Wartburgaufenthalt. 2.Aufl. Leipzig 1911.
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fänglich Bemühungen, das eingespielte Verfahren der diskursiven Wahrheitsfindung durch Disputationen aufzugreifen und fortzuführen. Als während Luthers Wartburgaufenthalt die Fragen der Priesterehe 47 und der Feier der Messe unter einer Gestalt aufkamen 48, war es vor allem Andreas Karlstadt, der Disputationen hierüber führte. Sie folgten dem eingespielten Muster: Eine Reihe von Thesen offerierte mögliche Reformaktivitäten und wurde unter Führung des Magisters einer Entscheidung zugetrieben. Schon die Materie dieser Disputationen machte freilich deutlich, dass nun weniger theologische Grundsätze als praktische Veränderungen zur Rede standen. Schon die Ablassdisputation hatte den Weg in diese Richtung geöffnet. Disputationen über Zölibat und Messe unterstrichen dies. So waren es praktische Veränderungen, die den Ruf nach einer determinativen Instanz hervorbrachten. Nach Lage der Dinge konnten dies kirchliche Instanzen nicht mehr, weltliche noch nicht sein. So kam es zu einer Situation, in der Luther als charismatische Religionsstiftergestalt zu der determinativen Instanz der reformatorischen Bewegung wurde. Wie sehr hier der Begriff des Charismatischen im Sinne der Weberschen Soziologie 49 und religiöses Charismaverständnis aufeinander bezogen sind, wird schon allein dadurch schlagartig deutlich, dass die erste Konstellation, in der ein deutlicher Hinweis auf diese Leitungsfunktion Luthers gegeben wurde, eben der Auseinandersetzung um unmittelbare Berufung auf den Heiligen Geist entsprang. Als die Zwickauer Propheten 50 in Wittenberg auftraten, berichtete Melanchthon hierüber offenkundig verstört an den Kurfürsten: „Non ignorat celsitudo vestra, quam multae, variae et periculosae dissensiones de verbo dei in urbe celsitudinis vestrae Zuiccavia excitatae sint. Sunt et illhic in vincula coniecti qui nescio quae novarunt. Ex horum motuum auctoribus huc advolarunt tres viri, duo lanifices literarum rudes, literatus tertius est. Audivi eos ; mira sunt quae de sese praedicant : missos se clara voce dei ad
47 Hermann Barge, Andreas Bodenstein von Karlstadt. 2 Bde. Leipzig 1905, Bd.1: Karlstadt und die Anfänge der Reformation, 265, 289–291, 475f.; Kruse, Universitätstheologie (wie Anm.8), 293–301; Stephen E. Buckwalter, Die Priesterehe in Flugschriften der frühen Reformation. (Quellen und Forschungen zur Reformationsgeschichte, Bd.68.) Gütersloh 1998, 82. 48 Barge, Karlstadt (wie Anm.47), Bd. 1, 319f.; Kruse, Universitätstheologie (wie Anm.8), 301–305. 49 Vgl. Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriss der verstehenden Soziologie. Tübingen 1972, 658f. u.ö. 50 Vgl. zu ihnen jetzt die instruktive Studie von Thomas Kaufmann, Thomas Müntzer, „Zwickauer Propheten“ und sächsische Radikale. Eine quellen- und traditionskritische Untersuchung zu einer komplexen Konstellation. Mühlhausen 2010.
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docendum, esse propheticos et apostolicos. Quibus ego quomodo commovear, non facile dixerim. Magnis rationibus adducor certe, ut contemni eos nolim. Nam esse in eis spiritus quosdam multis argumentis adparet, sed de quibus iudicare praeter Martinum nemo facile possit. Proinde cum vertatur hic evangelii periculum, ecclesiae gloria et pax, modis omnibus efficiendum est, ut his hominibus Martini copia fiat ; ad hunc enim provocant.“ 51
Nur Martin kann die Geister sicher beurteilen: Das lässt sich wiederum allein durch den Gedanken einer besonderen Geistbegabung begründen. Noch hat Luther sich zwar diese Autorität nicht unmittelbar zu eigen gemacht – im Dezember 1521 hat er sogar Wittenberg besucht und alles trotz der radikalen Änderungsmaßnahmen gutgeheißen 52 –, aber am Ende war es tatsächlich sein persönliches Auftreten, seine charismatische Erscheinung, die zur Determination führte. Auch aus seiner Sicht war Gott hier sehr unmittelbar beteiligt: Seinen Entschluss, gegen das Anraten seines Landesherren den Schutz auf der Wartburg zu verlassen und nach Wittenberg zu reisen, begründete er damit, dass er unter einem ganz anderen Schutz stehe als dem des weltlichen Arms: eben unter Gottes eigener Obhut. 53 Die Weise der Entscheidung in Wittenberg war dann dezidiert nicht akademischer Art, sondern sie vollzog sich als performativer Akt auf der Kanzel: Die berühmten Invokavitpredigten Luthers stellten die Dinge aus seiner Sicht klar – und die Verhältnisse ruhig. Vorgang und Wirkung sind phänomenal: Der so spürbar Abwesende war wieder da und machte nun ohne jede diskursive Abwägung deutlich, was Richtlinie des Handelns sein müsse. Der Sache nach unterschied er das theologisch angemessene Urteil vom poimenisch zuträglichen Handeln. So richtig es sei, dass der Glaube der Bilder nicht bedürfe, ja, so sehr man sogar sagen könne, dass „es besser were, wir hetten derselbigen Bilder gar keines umb des leidigen vermaledeiten Missbrauchs und unglaubens willen“ 54, so wenig zwingend sei es doch, sie zu entfernen. 55 Notwendig zu beseitigen sei nur, was dem Glauben entgegenstehe. Daneben aber gebe es allerhand, das gut, aber nicht verpflichtend zu tun sei. Weniger durch
51
Melanchthons Briefwechsel. Texte. Hrsg. v. Heinz Scheible. 13 Bde. Stuttgart/Bad Cannstatt 1991–2012,
Bd.1: 1–254 (1514–1522), 416,7–417,20 (Nr.192). 52
WA, B 2, 410,18 (Nr.443); vgl. hierzu die vorsichtige Deutung von Kruse, Universitätstheologie (wie
Anm.8), 344.
244
53
WA, B 2, 455,75–456,85 (Nr.455).
54
WA 10/3, 26,22–24.
55
WA 10/3, 26,29–32.
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diese Argumente als durch die Autorität, mit der sie vorgetragen wurden, war so beendet, was als Wittenberger Unruhen gilt und tatsächlich bis auf Reichsebene für Unruhe gesorgt hatte. Zugleich war klar, dass es nun für den Übergang zwischen diskursiv für richtig Erachtetem und determinativ Durchzuführendem eine verbindliche Zwischeninstanz gab. Richtige Überzeugung drängte nicht unmittelbar zum Handeln, sondern faktisch war es Luther, der über die Handlungsumsetzung zu entscheiden hatte. Hierzu war er nicht befugt, formal beanspruchte er auch eine solche Befugnis nicht – faktisch aber funktionierte das Wittenberger Ensemble so. Allerdings stand Luther nicht ganz allein: Karlstadt wurde unter universitäre Zensur gestellt. 56 Luther bediente sich mithin eines Rechtsinstruments, das die charismatische Wirkung nachhaltig institutionell unterstützte. Als universitäre Maßnahme lag es in seinem mittelbaren Einflussbereich, war aber doch zugleich Teil obrigkeitlicher Amtsausübung. Deren Einfluss auf die Reformation kommt also bereits hier ins Spiel. Das Austarieren von diskursiver und determinativer Wahrheitsfindung machte sich in der Folgezeit für Sachsen vornehmlich am Karlstadtkonflikt fest. Bekanntlich verließ Karlstadt recht bald Wittenberg, um in Orlamünde die Pfründe, aus der seine Stelle als Stiftsherr in Wittenberg gespeist wurde, einzunehmen. 57 Allein schon die Tatsache, dass Luther 1524 hierhin zu einer Visitationsreise aufbrach 58, zeigt, wie selbstverständlich ihm nun eine quasibischöfliche Aufgabe zukam, für die er jenseits seiner charismatischen Autorität keinerlei Legitimation besaß. In welche Spannung dieser Anspruch mit diskursiven Verfahren gelangen konnte, zeigen
56 Vgl. hierzu Hans-Peter Hasse, Bücherzensur an der Universität Wittenberg im 16.Jahrhundert, in: Stefan Oehmig (Hrsg.), 700 Jahre Wittenberg. Stadt, Universität, Reformation. Weimar 1995, 187–209; ders., Zensur theologischer Bücher in Kursachsen im konfessionellen Zeitalter. Studien zur kursächsischen Literatur- und Religionspolitik in den Jahren 1569 bis 1575. (Arbeiten zur Kirchen- und Theologiegeschichte, Bd.5.) Leipzig 2000, 61f. 57 Vgl. hierzu Volkmar Joestel, Andreas Bodenstein genannt Karlstadt. Schwärmer und Aufrührer? Wittenberg 2000, 34–48. Bis in die moderne Forschung hinein reicht ein Streit um die Legitimität von Karlstadts Wechsel in seine Pfründe: Johannes Trefftz, Karlstadt und Glitzsch, in: Archiv für Reformationsgeschichte 7, 1909/10, 348–350; Hermann Barge, Die Übersiedlung Karlstadts von Wittenberg nach Orlamünde (Frühjahr 1522), in: Zeitschrift des Vereins für Thüringische Geschichte und Altertumskunde NF. 21, 1913, 338–350. 58 Zu den Ereignissen dieser Visitationsreise vgl. Wolfgang Trappe, Zwischen Reformation und Revolution – Karlstadt 1523/24, in: Wissenschaftliche Zeitschrift der Friedrich-Schiller-Universität (Gesellschaftsund sprachwissenschaftliche Reihe) 32, 1983, 101–110, 105–109.
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zwei Geschehnisse, welche man durchaus als Religionsgespräche bezeichnen kann, die allerdings beide ohne klare formale Regeln abliefen und vor allem die Entscheidung in mehr oder minder starker Souveränität einem der Gesprächsbeteiligten überließen. Die erste Situation ist das berühmte Gespräch zwischen Luther und Karlstadt im Schwarzen Bären in Jena am 22.August 1524. Wir sind darüber nicht protokollarisch informiert, sondern lediglich durch den Bericht eines Sympathisanten Karlstadts, Martin Reinhart, des Jenaer Stadtpredigers. Insofern ist manches cum grano salis zu nehmen. Aber im Blick auf die Frage nach formalen Verfahren zur Wahrheitsfindung lassen sich doch gewisse Gesichtspunkte feststellen. Das Erste, vielleicht Frappierendste ist, dass das Treffen im Wirtshaus durchaus eine Wiederanknüpfung an akademische Formen mit sich brachte: Andreas Karlstadt, der die vergangenen Monate als Nachbar Andres in Orlamünde verbracht und damit seine Vorstellung von reformatorischer Einfachheit zum Ausdruck gebracht hatte, redete Luther nun völlig selbstverständlich, als hätte er das soziale Milieu der Universität nie verlassen, als „Lieber herr doctor“ an, und umgekehrt geschah es natürlich ebenso. 59 Man tauschte Argumente über unterschiedliche Auffassungen aus – doch kam es nicht zu einem wirklichen diskursiven Austragen der Wahrheitsfrage, sondern trotz der scheinbaren Offenheit war die Entscheidung allein schon dadurch von Beginn an geklärt, dass Luther faktisch als Visitator gekommen war. So endete das Gespräch damit, dass Luther Karlstadt einen Gulden überreichte und ihm erklärte, diesen gebe er als Sicherheit, damit er, Karlstadt, frei gegen ihn schreiben dürfe. 60 Faktisch machte Luther so deutlich, dass die Zensurhoheit bei ihm lag – was wiederum rechtlich keinen Grund und Bestand hatte, der realen Situation in Sachsen aber wohl durchaus entsprach. Die darin erkennbare Diskrepanz zwischen diskursiver Wahrheitsfindung und determinativer Hoheit über die Wahrheitsentscheidung wurde noch deutlicher in dem weniger bekannten, aber äußerst bemerkenswerten Gespräch, das im Zuge dieser Reise Luthers stattfand: Wenige Tage nach dem Gespräch in Jena besuchte dieser auch das nahegelegene Orlamünde, die Wirkungsstätte Karlstadts – und erlebte hier ein Fiasko, sowohl was die diskursive Durchsetzung als auch die determinative Autorität anging. In Orlamünde kam es zu einem Gespräch mit der Bürgerschaft über die umstrittene Frage der Bilder. Auch hier ist
246
59
WA 15, 335,19. 35.
60
WA 15, 340,4–9.
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der einzige erhaltene Bericht mit Vorsicht zu interpretieren, da er wiederum von Reinhart zu stammen scheint. Aber wenigstens in dieser Darstellung entsteht der Eindruck, dass der Doktor der Theologie Martin Luther den Argumenten der Handwerker und Bauern nicht recht gewachsen war: „Sprach einer auß dem rath: Herr doctor, freuntlicher bruder, ir last mir das zu, das Moses einn außleger der x. gebot ist? Sagt M. [Martin] ja Sprach dieser weiter: so stet in den x. worten geschriben ,du solt nicht fremde göter haben‘, und als bald in der außlegung Mosy volget ,du solt alle bilder abthun und keins haben‘. Sagt Marti. Ja, das ist von den abgöttischen bilden geredt. Dyse seint abgöttische, die man annbeetet; was schadet mir ein crucifix an der wandt, das ich nicht annbeete? Sagt ein schuster: ich habe offt vor einem bildt an der wanndt oder auff dem wege mein huot abgezogen, das ist ein abgötterey und gottis uneren und der armen menschen grosser schaden, darumb soll man bilder nicht haben. Sprach Marti. So muostu des mißbraucht auch die weyber umbrengenn, auch den wein vorschutten.“ 61
In diesem Duktus geht das Gespräch weiter – und es ist offenkundig, dass Luther nicht mit der Souveränität eines überzeugenden Disputators auftritt, vor allem aber die örtliche Bevölkerung sich um seine Autorität nicht sonderlich schert. So wird der Text zum Ausdruck dessen, dass das diskursive Medium in dieser Situation zur Hervorbringung neuer Wahrheiten untauglich ist. Luther machte dies auch durch sein Handeln deutlich: Erzürnt verließ er den Raum des Gesprächs mit den Orlamündern und war nicht bereit, ihnen weiter Rede und Antwort zu stehen. In der Folgezeit aber griffen alle Formen des repressiven Umgangs mit Andersdenkenden: Luther war eine der treibenden Kräfte 62, um Karlstadt des Landes zu verweisen. Als innerreformatorisches Mittel war das diskursive Medium der Disputation beziehungsweise des Religionsgesprächs gescheitert – die Realität brachte die obrigkeitliche Durchführung der Reformation. Im Zuge der Umsetzung des ersten Speyerer Reichstages in Sachsen wurden Luthers informelle bischöfliche Aufgaben auf die Landesherren als Notbischöfe übertragen. 63 Die Funktion Luthers beziehungsweise der Theologischen Fakultät in Wittenberg war es nun vor allem, den Prozess der Umsetzung der Reformation theologisch zu begleiten und zu reflektieren, also die Reformation inhaltlich zu gestalten. Anstelle der Disputation wurde dabei auf Basis der gewachsenen Wittenberger Gruppenidentität das kollektive Gutachten zum lei61 WA 15, 345,23–33. 62 WA, B 3, 353,5–9 (Nr.778).
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tenden Medium. Die Disputationen kehrten im Gegenzug in den akademischen Bereich zurück, dienten dabei freilich immer stärker der Entfaltung der gewonnenen reformatorischen Lehre, auch wo diese sich gegenüber Abweichungen im eigenen Lager durchzusetzen hatte, wie in den Antinomerdisputationen der dreißiger Jahre, in denen die Position von Johann Agricola nicht zum ernsthaften Diskurspartner erhoben wurde, sondern den Anlass bildete, um die rechte reformatorische Position gegenüber Irrtümern zu wahren. 64 Mit der Entstehung homogener reformatorischer Territorien bzw. reichsstädtischer Einheiten wurde das Religionsgespräch intern funktionslos. Doch es gewann seine Funktion, divergierende Auffassungen im offenen Diskurs auszutauschen, wieder, als es darum ging, die sich verfestigenden unterschiedlichen reformatorischen Parteien ins Gespräch miteinander zu bringen. 3. Religionsgespräche zwischen den entstehenden reformatorischen Parteien Das paradigmatische Religionsgespräch für das reformatorische Lager wurde in diesem Sinne das Marburger Religionsgespräch. 65 Weder ging es um die erstmalige Etablierung der Reformation mithilfe eines Streitgesprächs, wie es noch im Falle der frühen städtischen Reformationen der Fall gewesen war, noch war das Gespräch bloßes Mittel, eine Position demonstrativ durchzusetzen: Was nun stattfand, war die Rückkehr zum diskursiven Medium der Wahrheitsfindung, weil erneut eine Situation entstanden war, in der über Wahrheit zu befinden war, ohne dass eine klar determinierende Instanz gegeben gewesen wäre. Grundsätzlich war es sogar so, dass die Situation noch offener war als zu Beginn der Reformation. Denn seinerzeit hatte es selbstverständlich Instanzen gegeben, die zu solcher Determination befugt gewesen wären. Zur Durchsetzung der Reformation hatte es aber geradezu gehört, eben
63
Zum Gesamtvorgang vgl. Hans-Walter Krumwiede, Zur Entstehung des landesherrlichen Kirchenregi-
ments in Kursachsen und Braunschweig-Wolfenbüttel. (Studien zur Kirchengeschichte Niedersachsens, Bd.16.) Göttingen 1967, 48–119; zu den Hintergründen im späten Mittelalter Enno Bünz/Christoph Volkmar, Das landesherrliche Kirchenregiment in Sachsen vor der Reformation, in: Enno Bünz u.a. (Hrsg.), Glaube und Macht. Theologie, Politik und Kunst im Jahrhundert der Reformation. (Schriften der Stiftung Luthergedenkstätten in Sachsen-Anhalt, Bd.5.) Leipzig 2005, 89–109, 97–100. 64
Vgl. hierzu Christian Schulken, Lex efficax. Studien zur Sprachwerdung des Gesetzes bei Luther im An-
schluß an die Disputation gegen die Antinomer. (Hermeneutische Untersuchungen zur Theologie, Bd.48.) Tübingen 2005. 65
Vgl. hierzu Walther Köhler, Das Marburger Religionsgespräch 1529. Versuch einer Rekonstruktion.
(Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte, Bd.148.) Leipzig 1929; Gerhard May, Art.„Marburger Religionsgespräch“, in: Theologische Realenzyklopädie (wie Anm.36), Bd.22 (1992), 75–79.
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diese Instanzen außer Kraft zu setzen. Die frühen Disputationen haben also in performativer Weise eben jene autoritative Leerstelle geschaffen, die es neu notwendig machte, sich ihrer als Medium zu bedienen. Auch zwischen den reformatorischen Lagern gab es eine klar determinierende Instanz, aber das war die Bibel. Zu den Gründen des besonderen Engagements von Landgraf Philipp von Hessen in diesem Zusammenhang gehört nicht zuletzt, dass er konsequent darauf vertraute, dass aus der Bibel allein heraus Entscheidungen zu treffen sein müssten 66, während die Realität zunehmend erkennen ließ, dass eben dies nicht möglich war. So musste das Religionsgespräch als Medium entwickelt werden, das dem Austausch der Meinungen ohne Richter oder sonstige Entscheidungsinstanz Raum gab. Luther hat sich hierzu nicht sehr gerne bitten lassen 67, sich aber schließlich doch darauf eingelassen. Der Weg, den man nun einschlug, hatte durchaus konziliare Züge. Beide Seiten trafen in Marburg aufeinander und tauschten ihre Argumente aus. Ziel war die Abfassung eines Konsenstextes 68 – der zum Teil schon vorbereitet war, aber durch das Gespräch einigen Modifikationen unterzogen wurde. Man kann dies sowohl mit der Bearbeitung von Glaubensbekenntnissen in Nizäa – wenn die entsprechenden Deutungen stimmen 69 – als auch mit der Erstellung eines neuen Textes in Chalcedon 70 vergleichen. Literarisch entsprechen die Verfahren des 16.Jahrhunderts denen des 5.Jahrhunderts. Und durchaus vergleichbar gibt es einen sanften Druck politischer Herren auf Einigung. Philipp von Hessen hat, als ein Scheitern absehbar war, noch einmal mit allen Beteiligten gesprochen. 71
66 Gury Schneider-Ludorff, Der fürstliche Reformator. Theologische Aspekte im Wirken Philipps von Hessen von der Homberger Synode bis zum Interim. (Arbeiten zur Kirchen- und Theologiegeschichte, Bd.20.) Leipzig 2006, 170. 67 Volker Leppin, Philipps Beziehungen zu den Reformatoren, in: Ursula Braasch-Schwersmann u.a. (Hrsg.), Landgraf Philipp der Großmütige 1504–1567. Hessen im Zentrum der Reform. Begleitband zu einer Ausstellung des Landes Hessen. Marburg/Neustadt an der Aisch 2004, 49–57. 68 Zur Einschätzung des Charakters dieses Textes vgl. Susi Hausammann, Die Marburger Artikel – eine echte Konkordie?, in: Zeitschrift für Kirchengeschichte 77, 1966, 288–321. 69 Vgl. zur Forschung vor allem John Norman Davidson Kelly, Altchristliche Glaubensbekenntnisse. Geschichte und Theologie. Göttingen 1972; Adolf Martin Ritter, Art.„Glaubensbekenntnisse V. Alte Kirche“, in: Theologische Realenzyklopädie (wie Anm.36), Bd.13 (1984), 399–412; Reinhart Staats, Das Glaubensbekenntnis von Nizäa-Konstantinopel. 2.Aufl. Darmstadt 1999. 70 Grundlegend: Alois Grillmeier, Jesus der Christus im Glauben der Kirche. 2 Bde. Freiburg im Breisgau u.a. 1979–1990, Bd.1: Von der apostolischen Zeit bis zum Konzil von Chalcedon (451). 3.Aufl. Freiburg 1990, 755–759. 71 Schneider-Ludorff, Der fürstliche Reformator (wie Anm.66), 171.
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Der Sache nach aber konnte eine Einigung nur konsensual, oder, mit den Worten der Beteiligten, konkordial, erfolgen – dies geschah dann mit den Marburger Artikeln, sowohl hinsichtlich der Formulierung von Übereinstimmungen als auch im Blick auf die gemeinsame Feststellung von Differenzen. Dieses auf Konsensualität angelegte Verhalten blieb auch für die Folgezeit bestimmend, etwa bei der Wittenberger Konkordie. Die Annahme, es handele sich hier nicht um eine wirkliche Konkordie, sondern lediglich um eine von Wittenberger Seite akzeptierte Erklärung der Oberdeutschen 72, unterstellt die Existenz einer determinativen Instanz innerhalb des Schmalkaldischen Bundes, die eben gerade nicht gegeben war. Auch wenn einzelne Formulierungen der Konkordie und die Verlagerung der Vollzugs nach Wittenberg eine solche Interpretation nahezulegen scheinen, muss doch die nachholende Deutung vorsichtig sein, nicht die Wittenberger Ansprüche als Ausdruck der verfahrenstechnischen Gegebenheiten zu nehmen. Das Vorfeld – insbesondere die Verhandlungen in Kassel und der fortdauernde Druck von Seiten Philipps 73 – machen deutlich, dass es sich hier um eine Fortsetzung der Marburger Verhandlungen unter anderen Bedingungen handelte und dass beide Seiten als gleichberechtigte Partner eines auszuhandelnden Kompromisses auftraten. Der entstandene Text war insofern eine Konkordie, freilich eine solche – und das war den Oberdeutschen leichter verständlich als den Wittenbergern –, in der beide Seiten sich auf Sprachformen hatten einigen müssen, die nicht zwingender genuiner Ausdruck ihrer je eigenen Lehre waren. Dies gehört zum Wesen eines Kompromisses und drückt sich in jenen Formulierungen aus, in denen die Wittenberger ihre Zustimmung zur Konkordie als Zugeständnis erkennen lassen. Der Sache nach war es eine Einigung über eine gemeinsam mögliche Sprachform – als solche wurde die Konkordie in der Folgezeit dann auch behandelt. Mit ihr war die Geschichte des Religionsgesprächs nicht beendet: Insbesondere in
72
Thomas Kaufmann, Art.„Wittenberger Konkordie“, in: Theologische Realenzyklopädie (wie Anm.36),
Bd.36 (2004), 243–251; gegenüber der stark auf Luther und dessen vermeintlichen Erfolg fixierten Deutung Kaufmanns hat schon Ernst Bizer, Studien zur Geschichte des Abendmahlsstreits im 16.Jahrhundert. 2.Aufl. Darmstadt 1962, 126, das echte Nachgeben Luthers hervorgehoben; dies wird jüngst auch durch Schneider-Ludorff, Der fürstliche Reformator (wie Anm.66), 241–248, gestützt. 73
Martin Bucer, Deutsche Schriften. Bisher 20 Bde. Gütersloh/Paris 1960–2011, Bd.6/1: Wittenberger
Konkordie (1536). Schriften zur Wittenberger Konkordie (1534–1537). Gütersloh 1988, 62–76; Briefwechsel Landgraf Philipp’s des Grossmüthigen von Hessen mit Bucer. Hrsg. v. Max Lenz. 3 Bde. Leipzig 1880– 1891, Bd.1, 26–31 (Nr.7f.).
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der zweiten Hälfte des 16.Jahrhunderts musste wiederholt auf Disputationen und Religionsgespräche als Medien zurückgegriffen werden, die eine Einigung streitender Parteien möglich machen sollten. Die reformatorischen Kirchen blieben konstitutiv auf den diskursiven Weg der Wahrheitsfindung angewiesen, da sie sich seit der Disputation von Leipzig außerstande sahen und sehen mussten, innerweltliche Instanzen zu bestimmen, die über Wahrheit zu determinieren hätten. So liegt im Kern der Entstehung des Protestantismus ein diskursives Moment.
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Die junge Republik und ihre Konfession Wahrheits- und Interessenkonflikte auf der Synode von Dordrecht (1618/19) von Andreas Pietsch
I. Vorbemerkungen Es gehört zu den Gemeinplätzen, dass das Politische und das Religiöse in der Vormoderne kaum zu trennen seien. Das gilt ganz allgemein für Synoden, die zwar nach religiösen Kriterien Entscheidungen hervorbringen, ansonsten allerdings schon aufgrund der Zusammensetzung ihrer Delegierten immer auch Spielregeln politischer Verfahrens- und Verhandlungsweisen unterworfen sind. Im ganz besonderen Maße gilt das für den Fall der reformierten Synode von Dordrecht, die etwa ein halbes Jahr lang vom November 1618 bis Ende Mai 1619 tagte und an der nicht nur Vertreter der Niederlande, sondern (fast) aller reformierten Territorien teilnahmen. 1 Es geht um eine Synode, die in mehrfacher Hinsicht im Zeichen der Einheit stand – nicht nur als einheitsstiftende synodale Versammlung, sondern auch als politisches und vor allem konfessionelles Gremium. Wenn man die Geschichte der sogenannten großen Synode von Dordrecht behandelt, kann man diese als reine Erfolgsgeschichte oder auch geradezu als Fiasko darstellen. Beide Narrative finden sich in der älteren Forschung zur Genüge, und es ist in der Regel nicht schwer festzustellen, zu welcher Partei sich der jeweilige Autor zählte. 2 Die Synode schien und scheint zu polarisieren. Gemeinsam ist allen diesen Darstellungen, dass sie die Synode als Endpunkt eines Konfliktes oder besser einer eindrucksvollen Konflikteskalation ansetzen, die die Synode entweder gelöst hat oder an deren Behebung sie glanzlos gescheitert war. Bereits zu Beginn dieses Konfliktes wurde der Ruf nach einer „wettelijke synode“, 1 Vgl. Johannes P. van Doorn, Dordrechter Synode, in: Theologische Realenzyklopädie. 36 Bde. Berlin u.a. 1977–2004, Bd. 9, 140–147; Hendrik Kaajan, De groote Synode van Dordrecht in 1618–1619. Amsterdam [1918]; Willem van ’t Spijker u.a. (Eds.), De Synode van Dordrecht in 1618 en 1619. Houten 1987; sowie mittlerweile im Vorfeld des anstehenden 400jährigen Jubiläums Aza Goudriaan/Fred van Lieburg (Eds.), Revisiting the Synod of Dordt (1618–1619). Leiden/Boston 2011.
DOI
10.1515/9783110436150.253
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also einer formal korrekten Kirchenversammlung laut. Es sollte jedoch noch an die fünfzehn Jahre dauern, bis die Synode dann 1618 zusammentraf. Der Erwartungsdruck war enorm. Auch im Falle von Dordrecht wurde einer Synode die Rolle und Funktion zugerechnet, die Eintracht der ‚wahren Religion‘ herstellen und gleichsam auch darstellen zu können. 3 Sie war somit im wahrsten Sinne des Wortes ein Schauprozess. Die Synode von Dordrecht (und mit ihr der ihr zugrundeliegende Konflikt) war, wie für das frühe 17.Jahrhundert nicht unüblich, vor allem ein medialer Konflikt, der vermittels Bildern, Publikationen und entsprechenden Gegendarstellungen geführt wurde. 4 Schon aus diesem Grunde wird auf einige dieser Darstellungen noch genauer zurückzukommen sein. Die Überforderung, die man diesem Gremium aufbürdete, war so gewaltig, dass die Synode im Grunde von Anfang an zum Scheitern verurteilt war. Es ist umso erstaunlicher, dass die Synode aus der historischen Langzeitperspektive betrachtet nicht nur als verzweifelter Versuch gewertet wird, hier einen konkreten Spaltungsgrund in der reformierten Konfession auszumerzen. Vielmehr haben die Canones, die als konkrete Reaktion auf den internen Gegner verfasst wurden, geradezu Bekenntnischarakter erhalten und haben somit zur allgemeinen Konsolidierung der calvinistischen Konfessionsbildung beigetragen. Auf der Synode von Dordrecht wurde etwa auch die sogenannte „Statenvertaling“ auf den Weg gebracht, eine niederländische Übersetzung der Bibel, die in ihrer Wirkung vergleichbar mit der Lutherbibel oder der King James Bible ist. 5 Bevor es um die eigentliche Synode gehen kann, bedarf es einiger Vorbemerkungen. Wie bereits angedeutet, wird man die Synode nicht gut verstehen, wenn man
2 Diese diametrale Deutungsgeschichte findet sich schon in den frühneuzeitlichen kirchenhistoriographischen Werken, von denen zwei paradigmatisch genannt werden sollen und deren Wirkungen bis in die heutigen Darstellungen nachzuweisen sind; stellverstretend seien genannt Gerard Brandt, Historie der reformatie en andre kerkelyke geschiedenissen in en ontrent de Nederlanden. 4 Vols. Rotterdam 1671–1704, Vol.3 (1704); Jacobus Trigland, Kerckelycke geschiedenissen […] ende aenmerckingen op de kerckelycke historie van Johannes Wtenbogaert. Leiden 1650. 3 Vgl. dazu Barbara Stollberg-Rilinger/André Krischer (Hrsg.), Herstellung und Darstellung verbindlicher Entscheidungen. Verhandeln, Verfahren und Verwalten in der Vormoderne. (Zeitschrift für historische Forschung, Beih. 45.) Berlin 2010, bes. 9–31. 4 Vgl. dazu nun auch Jo Spaans, Imaging the Synod and the Arminian Controversy, in: Gourdiaan/van Lieburg (Eds.), Revisiting the Synod of Dordt (wie Anm.1), 335–366. 5 Diese Bibelübersetzung erschien dann erstmals 1637; vgl. Cebus C. de Bruin, De Bijbelvertaling, in: ’t Spijker (Ed.), De Synode van Dordrecht (wie Anm.1), 121–155.
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nicht zumindest in Ansätzen den vorangegangenen Konflikt skizziert. Da dieser sich immer stärker mit den politischen Händeln dieser Zeit vermengte, wird man auch nicht umhin kommen, in knappen Zügen die politische Lage in der jungen Republik der vereinigten niederländischen Provinzen nachzuzeichnen. Erst vor diesem Hintergrund der zunehmenden Politisierung einer theologischen Auseinandersetzung zwischen zwei Universitätsprofessoren lässt sich das Ausmaß dessen erahnen, was bei dieser Synode auf dem Spiel stand und was diese zu bewältigen hatte. Wahrheits- und Interessenkonflikte waren hier kaum noch zu entwirren. Es ist sehr bezeichnend, dass der unter verbalen Beschuss geratene Universitätsprofessor Arminius im Verlauf dieses Konfliktes eines natürlichen Todes starb, der Landesadvokat Oldenbarnevelt hingegen gegen Ende der Synode öffentlich hingerichtet wurde. In einem ersten Schritt soll deshalb in groben Zügen das grundsätzliche, wenn auch in Details schwebende Verhältnis zwischen Obrigkeit und reformierter Konfession skizziert werden. In einem zweiten Schritt muss es um die allmähliche Zuspitzung gehen, die dazu führte, dass in diesem Fall auch die politischen Instanzen den ursprünglich theologischen Konflikt durch Einsetzung der Synode ausgerechnet nach religiösen Regeln zu schlichten versuchten. 6 Drittens soll das synodale Geschehen im Bezug auf Verhandlungs- und Verfahrensformen befragt werden, um in einem letzten kurzen Ausblick auf die grundsätzlichen Fragen dieses Bandes zurückzukommen.
II. Hintergründe Bereits zu Beginn des Unabhängigkeitskampfes gegen Spanien hatten die nördlichen niederländischen Provinzen ihre Religionspolitik grundlegend festgelegt. Sie verständigten sich auf eine Bevorzugung der reformierten Konfession als einzige „öffentliche Kirche“ („publieke kerk“); den anderen religiösen Überzeugungen ge-
6 Auch auf formaler Ebene ähneln sich die Konflikte um Arminius und um Dirck Volckertszoon Coornhert. Politisch hatte man dort dreifach die Strategie angewandt, Coornhert vermittels von theologischen Disputationen zum Schweigen zu bringen, allerdings mit wenig Erfolg; dazu Marianne Roobol, Disputation by Decree. The Public Disputations between Reformed Ministers and Dirck Volckertzoon Coornhert as Instruments of Religious Policy during the Dutch Revolt (1577–1583). Leiden/Boston 2010.
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standen sie jedoch eine allgemeine Duldung zu. 7 Zeitnah bildeten sich in dieser „publieke kerk“ Strukturen und Instanzen heraus, die in einem engen Verhältnis zu den politischen Strukturen der neuen Republik standen: Kirchenräte auf Gemeindeebene, Classes auf regionaler bis hin zu Synoden auf überregionaler Ebene. Die Kirchengebäude wurden ihnen zur Verfügung gestellt und die reformierten Prädikanten vom Magistrat bestellt und bezahlt. Allerdings handelte es sich bei den Reformierten keineswegs um eine Mehrheitskonfession (zählt man einmal nur die Vollglieder der Reformierten, waren das bestenfalls um die 20% der Gesamtbevölkerung), und sie polarisierten sich schnell in die Lager der „preciezen“ (Genauen) und „rekkelijken“ (Moderaten). 8 Schaut man auf die politischen Instanzen der jungen Republik, so fällt auf, dass diese im Eifer des Gefechts keine grundlegende Veränderung erfuhren. Es blieb vielmehr bei den politischen Organen, wie sie sich seit dem Spätmittelalter unter der Herrschaft von Burgund bewährt hatten, nämlich bei einer recht eigenwilligen Doppelspitze aus Ständevertretung einerseits und Statthalter andererseits. 9 Nach der Lossagung von Spanien behielt der ehemalige Statthalter des spanischen Königs, Wilhelm von Oranien, quasi sein Amt und wurde der neue Statthalter der Republik. Und selbst nach dessen Tod wurde dieses Amt beibehalten und (abgesehen von einem kurzen Intermezzo) an seine Nachkommen weitergegeben. 10 Die Ständevertretungen wiederum waren in den Niederlanden seit jeher ein latenter Gegenspieler
7 Vgl. Alastair Duke, Reformation and Revolt in the Low Countries. London 1990, bes. 199–226; speziell zur niederländischen Öffentlichkeitskirche: Joris van Eijnatten/Fred van Lieburg, Niederländische Religionsgeschichte. Göttingen 2011, 193–202; Horst Lademacher, Phönix aus der Asche. Politik und Kultur der niederländischen Republik im Europa des 17.Jahrhunderts. Münster 2007, 417–421. Diese Konstellation gilt als Grundlage der sogenannten niederländischen Toleranz: Andrew Pettegree, The Politics of Toleration in the Free Netherlands, 1572–1620, in: Ole Peter Grell/Bob Scribner (Eds.), Tolerance and Intolerance in the European Reformation. Cambridge 1996, 182–198; Christiane Berkvens-Stevelinck/Jonathan Israel/Guillaume Henri Marie Posthumus Meyjes (Eds.), The Emergence of Tolerance in the Dutch Republic. Leiden u.a. 1997; Ronnie Po-Chia Hsia/Henk van Nierop (Eds.), Calvinism and Religious Toleration in the Dutch Golden Age. Cambridge 2002. 8 Vgl. dazu Tanja G. Kootte (Ed.), Rekkelijk of precies. Remonstranten en contraremonstranten ten tijde van Maurits en Oldenbarnevelt. Utrecht 1994. 9 Zur politischen Konstitution der Republik vgl. Horst Lademacher, Die Niederlande. Politische Kultur zwischen Individualität und Anpassung. Berlin 1993, 159–166; Jonathan Israel, The Dutch Republic. Its Rise, Greatness, and Fall. 1477–1806. Oxford 1995, 276–306. 10
Zu der Zeit unter dem französischen Herzog von Anjou und dem englischen Grafen Leicester vgl. La-
demacher, Niederlande (wie Anm.9), 142–149.
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des Statthalters. Auch an diesem Gremium hielt man fest, ergänzt um den Zusammenschluss aller provinzialen Ständeversammlungen in den sogenannten Generalstaaten. 11 Insgesamt wurde der Partikularismus dieses föderalen Zusammenschlusses von Einzelprovinzen eher befördert als zurückgedrängt: Jede Provinz verfügte über ihre provinziale Ständeversammlung, die sogenannten „Staaten“, und wählte ihren „Statthalter“. Im Falle der mächtigsten Provinz Holland waren dies die Staaten von Holland mit dem Landesadvokaten Johan Oldenbarnevelt (1547–1619) als ihrem Sprecher, der aufgrund der holländischen Vormachtstellung auch in den Generalstaaten ein großes Gewicht hatte. Ihm gegenüber stand Statthalter Moritz von Oranien (1567–1625). 12 Zusammengehalten wurde die Republik in dem Zusammenschluss der einzelnen Staatenversammlungen in den Generalstaaten und durch die Personalunion der Statthalter mehrerer Provinzen in einer Person oder zumindest der gleichen Familie. 13 Das ursprünglich recht labile Konstrukt der Nördlichen Niederlande hatte besonders in den sprichwörtlichen „Zehn Jahren“ nach 1588 von dieser Doppelspitze Oldenbarnevelt und Moritz ausgesprochen profitiert. 14 Quasi als ‚dream team‘ vermochten sie die Machtansprüche der jungen Republik zu konsolidieren: Oldenbarnevelt als Diplomat, der im Einsatz gegen Spanien sowohl Frankreich als auch England zu instrumentalisieren wusste, und Moritz als erfolgreicher Feldherr, der das Gebiet der Republik militärisch verteidigen und vergrößern konnte. Schwieriger wurde es, als es immer mehr in Richtung Frieden ging, der Feldherr Moritz immer
11 Vgl. Olaf Mörke, Kohärenzstiftung durch Verfahren im partikularisierten Staat. Die Generalstände in der niederländischen Republik, in: Barbara Stollberg-Rilinger (Hrsg.), Vormoderne politische Verfahren. (Zeitschrift für historische Forschung, Beih. 25.) Berlin 2001, 521–557; Wim Blockmans, Breaking the Rules. The Emergence of the States General in the Low Countries in the Fifteenth and Sixteenth Centuries, in: Tim Neu/Michael Sikora/Thomas Weller (Hrsg.), Zelebrieren und Verhandeln. Zur Praxis ständischer Institutionen im frühneuzeitlichen Europa. Münster 2009, 185–195; Ida J. A. Nijenhuis, Republikanische Repräsentation? Ansehen und Rang in der zeremoniellen und diplomatischen Praxis der Generalstaaten im 17.Jahrhundert, in: Neu u.a. (Hrsg.), Zelebrieren und Verhandeln, 145–160. 12 Die Literatur zu beiden ist sehr umfangreich und kontrovers; vgl. Jan den Tex, Oldenbarnevelt. 5 Vols. Groningen 1960–1972; Arie Th. van Deursen, Maurits van Nassau (1567–1625). Die winnaar die faalde. Amsterdam 2000. 13 Moritz war Statthalter von Holland und Zeeland, ab 1590 auch von Utrecht, Gelderland und Overijssel; sein Vetter Wilhelm-Ludwig von Nassau-Dillenburg war Statthalter in Friesland, Groningen und Drenthe; vgl. dazu auch Israel, The Dutch Republic (wie Anm.9), 302–304. 14 Die Bezeichnung der „tien jaren“ geht zurück auf das gleichnamige Buch von Robert Fruin aus dem Jahr 1861; zu Fruin vgl. Lademacher, Niederlande (wie Anm.9), 524f.
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mehr seiner Aufgabe verlustig zu gehen drohte und es deshalb ab 1600 immer mehr zu innenpolitischen Spannungen kam. Selbst mit den Spaniern verhandelte Oldenbarnevelt wieder, und wenn auch kein Friede, so konnte doch ab 1609 ein zwölfjähriger Waffenstillstand (1609–1621) erreicht werden. 15 In diese politischen Schwierigkeiten fiel der theologische Konflikt, der zur Synode von Dordrecht führte. Der Konflikt zeigte die Kompromisshaftigkeit der politischen Entscheidungsfindung und die Inkohärenzen in der Verfasstheit der Republik. In Sachen der Bewahrung der „wahren Religion“ konnten durchaus unterschiedliche Instanzen Mitsprache einklagen. So verwies Oldenbarnevelt als Sprecher der Provinz Holland etwa auf den Text der Union von Utrecht (sozusagen der Gründungsakte der Republik), wo jeder Provinz Autonomie in Religionssachen zugesichert war. 16 Moritz hingegen pochte auf seinen Amtseid, in dem seine Fürsorgepflicht für die Religion festgeschrieben war. 17 Beide sahen sich also in der obrigkeitlichen Pflicht, die Einheit der „publieke kerk“ zu garantieren. Die genaue Regelung blieb in der Schwebe. Während etwa die Provinzialsynode von Holland und Zeeland 1574 forderte, dass Prädikanten und Älteste nur nach Zustimmung der regionalen kirchlichen Konsistorien nominiert werden sollten, plädierten hingegen die Staaten von Holland dafür, dass die Prediger zwar von der Classis examiniert, aber ansonsten nur von den Magistraten eingesetzt werden dürften. 18 Letztlich ging es also um die Frage, ob und wann kirchliche Strukturen (wie etwa die Classis) obrigkeitliche Beschlüsse aushebeln konnten und vice versa.
15
Vgl. Lademacher, Niederlande (wie Anm.9), 260–262; Israel, The Dutch Republic (wie Anm.9), 421–
432. 16
Im Artikel 13 der Union von Utrecht war sogar ursprünglich gefordert, die Provinzen mögen dafür
Sorge tragen, dass „een yder particulier in zijn Religie vry sal moghen blijven ende dat men niemant ter cause van de Religie sal moghen achterhalen ofte ondersoucken“, zitiert nach Verhandelinghe van de Unie. Delft [1579], Bl. Br. Doch bald ist dies zugunsten der reformierten Kirche konkretisiert worden. 17
Vgl. dazu den Tex, Oldenbarnevelt (wie Anm.12), Vol.3, 443f.
18
Vgl. dazu Martin van Gelderen, The Political Thought of the Dutch Revolt 1555–1590. Cambridge 1992,
229–242; Gerrit J. Hoenderdaal, De kerkordelijke kant van de Dordtse Synode, in: Nederlands theologisch tijdschrift 23, 1968, 349–363; Frank Hatje, Reformiertes Konsistorium und städtischer Magistrat in den Niederlanden des späten 16.Jahrhunderts. Konflikte um die Vorherrschaft am Beispiel der Stadt Leiden, in: Luise Schorn-Schütte/Sven Tode (Hrsg.), Debatten über die Legitimation von Herrschaft. Politische Sprache in der Frühen Neuzeit. Berlin 2006, 17–48.
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III. Vorgeschichte Diese Mischung aus teils ungeklärten politischen Zuständigkeiten einerseits und Verflechtung von Obrigkeit und ‚ihrer‘ „publieke kerk“ andererseits zeigt die Brisanz und das Ringen um eine Synode deutlich auf. Im Verlauf des vorangehenden Konfliktes stellte sich die Synode immer stärker als Ultima Ratio und Allheilmittel dar; denn alle anderen Deeskalationsmittel sollten bald versagen. Gleichzeitig sollte der Synode immer mehr die Aufgabe zufallen, den Vollzug eines bereits im Vorfeld beschlossenen Ergebnisses zu garantieren, verbunden mit der starken Hoffnung auf einen Neuanfang der „publieke kerk“ in Eintracht und Einheit. Man kann den Konflikt und seine Dynamik in fünf Abschnitte gliedern, die bisweilen durchaus Züge einer klassischen Tragödie tragen. Eine öffentliche Disputation an der Universität Leiden aus dem Jahr 1604, bei der der frisch berufene Theologieprofessor Jacob Harmensz – oder latinisiert Jacobus Arminius (1560–1609) – rein turnusgemäß über die Prädestination handelte, brachte den Stein ins Rollen. 19 Sein Kollege, der seit vielen Jahren in Leiden lehrende Franciscus Gomarus (1563– 1641), fühlte sich von der moderaten Interpretation seines neuen Kollegen derart herausgefordert, dass er kurze Zeit später eine Gegendisputation folgen ließ, in der er ebenfalls die Erwählungslehre behandelte. Thema und Personen des Konflikts waren somit gefunden; hier fällt der Vorhang des ersten Aktes. 20 Der Konflikt blieb jedoch nicht auf die Universität beschränkt. Schon einige Monate später, im Sommer 1605, suchten Mitglieder der kirchlichen Strukturen Arminius auf, weil bei Examina anstehender Prädikanten bedenkliche Thesen aufgetaucht waren und in diesem Zusammenhang Arminius’ Name gefallen war. 21 Arminius gelang es aber, auf die korporative Eigenständigkeit der Universität zu pochen,
19 Zu der Praxis öffentlicher Disputationen an der Universität Leiden vgl. Keith D. Stanglin, The Missing Public Disputations of Jacobus Arminius. Leiden/Boston 2010, 1–100 u. 589–596. Schon zeitgenössisch ist der Beginn des Konflikts häufig auch schon auf die Berufung von Arminius oder sogar auf dessen vormaliges Wirken als Prädikant in Amsterdam vordatiert worden. 20 Beide Disputationen sind, wie es Usus war, für den Anlass in kleiner Stückzahl gedruckt worden. Diese Disputationen sind später nochmals aufgelegt worden, etwa auch auf Niederländisch: Twee Disputatien vande goddeliike predestinatie, d’eene by Franciscus Gomarus, d’ander by Iacobus Arminius [...] voorghestelt int jaer 1604. Vertaelt uyt het Latijn. Leiden 1609. 21 Vgl. Carl Bangs, Arminius. A Study in the Dutch Reformation. Nashville 1971, 265–272. Dazu auch die Antwort der theologischen Fakultät in: Philipp Chr. Molhuysen (Ed.), Bronnen tot de geschiedenis der Leidscher universiteit 1574–1811. 7 Vols. Den Haag 1913–1924, Vol.1, 417.
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die ihn davor bewahre, vor dem Konsistorium oder der holländischen Provinzsynode erscheinen zu müssen. 22 Im Übrigen seien seine Thesen in Übereinstimmung mit der heiligen Schrift sowie mit den etablierten Bekenntnisschriften, also der Confessio Belgica (1561) und dem Heidelberger Katechismus (1563) – dieser Punkt wird noch eine große Rolle spielen. 23 Das einzige Gremium, dem er sich stellen wolle, sei eine Nationalsynode. Bereits zu diesem frühen Zeitpunkt tauchte also die Idee zu einer Nationalsynode auf und zumal von Seiten des Arminius – auch das wird man im Hinterkopf behalten müssen. Diesen Ausweg ließen sich die leicht düpierten kirchlichen Instanzen nicht zweimal vorschlagen, und so appellierten die Partikularsynoden von Holland noch im selben Jahr 1605 mit der Bitte um die Einberufung einer Nationalsynode an die Instanz, die eine solche Einladung aussprechen konnte: die Generalstaaten in Den Haag. 24 Vereinfacht gesprochen wandten sie sich also an Oldenbarnevelt. Dieser zeigte sich zunächst äußerst reserviert, weil er um die Unwägbarkeiten und die Wirkmächtigkeit eines solchen Gremiums nur zu gut wusste. 25 Man fürchtete seitens der Generalstaaten, dass eine solche Synode versuchen könnte, die Eigenständigkeit der Kirche zu vergrößern und den Einfluss etwa der Generalstaaten zu schmälern. Dennoch beriefen die Generalstaaten nach einigem dilatorischen Lavieren 1607 eine vorbereitende Konferenz nach Den Haag ein, an der neben Arminius und Gomarus auch zwei weitere Kontrahenten teilnahmen, die im Verlauf immer wichtiger werden sollten: der moderate Hofprediger Johannes Wtenbogaert und der strenge friesische Theologe Johannes Bogerman. Man fasste dort die Einberufung einer Nationalsynode ins Auge, genauer das Folgejahr 1608 und Utrecht als Austragungsort. 26 Ferner beschloss man, dass die regionalen Provinzsynoden eine bestimmte Anzahl von Abgeordneten entsenden sollten, und es wurde darüber verhandelt, ob man
22
Das theologische Institut der Universität Leiden („staten college“) unterstand den Staaten von Hol-
land. 23
Zur Confessio Belgica und zum Heidelberger Katechismus vgl. die Abschnitte von Eberhard Busch, in:
Reformierte Bekenntnisschriften. Bd. 2/1 (1559–1561). Neukirchen-Vluyn 2009, 319–369, und Wilhelm H. Heuser, in: Reformierte Bekenntnisschriften, Bd. 2/2 (1562–1569). Neukirchen-Vluyn 2009, 167–230. 24
Die Bitte um Einberufung einer Generalsynode war ein immer wiederkehrendes Thema in den Gene-
ralstaaten, dieses Mal erfolgte sie am 30.November 1605; vgl. Resolutien der Staten-Generaal (1576–1625). Oude en nieuwe reeks. 21 Vols. Den Haag 1915–1994, Vol.13 (1604–1606), 488. 25
Zu den politischen Implikationen vgl. den Tex, Oldenbarnevelt (wie Anm.12), Vol.3, 36–81.
26
Vgl. Douwe J. de Groot, De conventus praeparatorius van mei 1607, in: Nederlands Archief voor Kerk-
geschiedenis 27, 1935, 129–166.
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neben der Schrift auch andere Argumente gelten lassen dürfe. Diese Überlegung zog die Frage nach sich, ob es überhaupt eine Revision der Bekenntnistexte geben dürfe, also letztlich die Frage nach der Existenz einer reformierten Lehrtradition als religiöses Entscheidungsargument. Denn Arminius argumentierte fortwährend, Bekenntnisschriften seien Menschenwerk und schon deshalb nicht auf eine Ebene mit der heiligen Schrift zu stellen. Es kam in Folge zu verschiedenen Vorbereitungssitzungen auf Provinzebene, auf denen Arminius und Gomarus nochmals ihre jeweiligen Positionen über die Erwählungslehre und den Status von Bekenntnisschriften darlegten. 27 Die Staaten von Holland waren sehr daran interessiert, die doktrinären Unterschiede kleinzuhalten oder sogar zu negieren. Bezeichnend ist etwa auch 1609 die explizite Publikation der beiden ursprünglich lateinischen Disputationen aus dem Jahr 1604 (also des Ausgangspunktes des Konfliktes) auf Niederländisch, ergänzt um ein Vorwort. Darin wird darauf angespielt, der Leser habe sicher von dem Gerücht eines Streits zwischen Arminius und Gomarus an der Universität Leiden gehört, doch der Leser möge selbst lesen und sehen, die beiden Disputationen zeigten überdeutlich, dass es hier eigentlich keine größere theologische Differenz gebe und somit auch gar keinen wirklichen Konflikt. 28 Hier zeigt sich schon der politische Versuch einer Entscheidungsvermeidung, die weitere acht Jahre bis 1617 vorherrschend sein sollte. 29 Noch im Umfeld dieser Klärungstreffen (die man auch als Religionsgespräch bezeichnen könnte) und der genannten Publikation starb allerdings überraschend Arminius. Hier endet sozusagen der zweite Akt dieses Konflikts: der bereits schwelende ältere Konflikt zwischen „rekkelijken“ und „preciezen“ gewann mit den beiden Opponenten Arminius und Gomarus quasi ein Gesicht. Zudem ist eine Nationalsynode als Mittel zur Klärung theologischer Unstimmigkeiten zumindest schon in Aussicht gestellt. Mit dem Tod von Arminius im Jahr 1609 war der Konflikt keineswegs beendet, dazu war er schon zu sehr auf der politischen Ebene angekommen. Der Hofprediger
27 Vgl. ’t Spijker, Voorgeschiedenis, in: ’t Spijker (Ed.), De synode van Dordrecht (wie Anm.1), 32–36. 28 Twee Disputatien vande goddeliike predestinatie (wie Anm.20), dazu Bangs, Arminius (wie Anm.21), 322; Christine Kooi, Liberty and Religion. Church and State in Leiden’s Reformation, 1572–1620. Leiden 2000, 135. 29 Bezeichnend ist etwa die dilatorische Antwort der Generalstaaten vom 1.August 1607 auf die erneute Nachfrage einer Einberufung der Synode: man habe das aufgrund anderer Verpflichtungen noch nicht tun können, wolle es aber alsbald machen, vgl. Resolutien der Staten Generaal (wie Anm.24), Vol.14 (1607– 1609), 302.
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Wtenbogaert, seit jeher ein Parteigänger des Arminius, verfasste daraufhin eine offizielle Eingabe an die Staaten von Holland, unterschrieben von einer Handvoll weiterer Sympathisanten. 30 Diese Remonstranz gab den Anhängern der Lehre von Arminius im Folgenden die Bezeichnung „Remonstranten“. In fünf Artikeln wird darin die gegnerische Position widerlegt. Es sind diese fünf Artikel, die später auf der Synode verhandelt werden sollten. Auch die Gegenseite formulierte wiederum als Reaktion darauf eine Gegeneingabe an die Staaten von Holland; sie wurden deshalb fortan „Kontraremonstranten“ genannt. Hintergrund waren erneut Probleme bei Examenskandidaten und die Frage nach dem Stellenwert der reformierten Bekenntnisschriften. Bevor es jedoch zu einer Synode kam, nahm es wieder die politische Instanz der Staaten von Holland in die Hand, die Streitparteien an einen Tisch zu bekommen, um eine Schlichtung im Vorfeld zu erreichen. Interessanterweise war es mittlerweile nur noch ein Konflikt zwischen zwei Parteien, denn auch Gomarus zog sich zurück, nachdem der Nachfolger von Arminius in Leiden bestellt worden war. 31 Gomarus sah sich außer Stande, neben diesem Theologen weiterhin in Leiden zu lehren; er ging deshalb als Pastor ins zeeländische Middelburg und somit in eine andere Provinz. 32 Aufgrund des massiven politischen Drucks, der nicht zuletzt von englischer Seite in Person des theologisch ambitionierten Königs Jakob I. kam, der offen gegen diese Neuberufung intervenierte, wurde jedoch der Nachfolger von Arminius nochmals ausgewechselt. Das Problem wurde allerdings eigentlich nur perpetuiert: Auf die beiden nunmehr vakanten Lehrstühle wurden je ein Remonstrant und ein
30
’t Spijker, Voorgeschiedenis (wie Anm.27), 38–42.
31
Arminius’ Nachfolger war Konrad Vorstius, dessen Trinitätslehre vielen nicht orthodox erschien, was
ihn in die Nähe der sogenannten Sozinianer brachte; vgl. Jan Rohls, Der Fall Vorstius, in: Friedrich Vollhardt (Hrsg.), Religiöser Nonkonformismus und frühneuzeitliche Gelehrtenkultur. Berlin 2014, 179–198. In der Folge sind Arminianer häufig kollektiv mit Sozinianern in Verbindung gebracht worden, vgl. dazu Martin Mulsow/Jan Rohls (Eds.), Socinianism and Arminianism. Antitrinitarianism, Calvinists and Cultural Exchange in Seventeenth-Century Europe. Leiden/Boston 2005. Dass diese vermeintliche Nähe nicht nur polemischer Natur war, hat etwa Kęstutis Daugirdas aufgezeigt, vgl. ders., The Biblical Hermeneutics of Socinians and Remonstrants in the Seventeenth Century, in: Th. Marius van Leeuwen/Keith D. Stanglin/Marijke Tolsma (Eds.), Arminius, Arminianism and Europe. Leiden 2009, 83–113; ders., Kommunikationstrategien der Sozinianer und Remonstranten vor und nach der Dordrechter Synode (1618–1619), in: Vollhardt (Hrsg.), Religiöser Nonkonformismus, 71–82. 32
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Vgl. Molhuysen (Ed.), Bronnen (wie Anm.21), 18 u. 22.
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Kontraremonstrant und somit je ein Vertreter der beiden Seiten berufen. 33 Das Problem der Examenskandidaten blieb bestehen und der grundsätzliche Konflikt auch. Nachdem ein weiterer Versuch der Konfliktbeilegung 1611 in der Haager Konferenz scheiterte, griffen die Staaten von Holland gegen eine weitere Ausweitung des Streits zu einem anderen Mittel. Sie verkündeten eine Resolution für den Frieden in der Kirche, die der junge Hugo Grotius formulierte. Sie verboten darin schlicht, die strittige Frage über die Prädestination weiterhin auf den Kanzeln zu verhandeln. 34 Das lässt entfernt an den Versuch von Papst Paul V. denken, der 1607 (also fast zeitgleich) auf katholischer Seite mit einem ähnlichen Verbot den Gnadenstreit zu beenden gedachte – mit ähnlich geringem Erfolg. 35 Hier endet, um im Bild zu bleiben, der dritte Akt des Konflikts. Der Konflikt war jedoch nicht nur auf der politischen Ebene präsent, er war längst auch in den Gemeinden angekommen. 36 Dort kam es immer mehr zu Abstimmungen mit den Füßen. Galt der Prediger nicht als orthodox genug, ging man zu dem anderen im Nachbardorf. Die zahlreichen Pamphlete, die den Konflikt begleiteten und kommentierten, denunzieren diese Gruppe als „slijkgeuzen“ („Schmutzgeusen/-bettler“); die Remonstranten werden darin abschätzig als „bavianen“ („Paviane“) tituliert. Auch auf institutioneller Ebene schlug sich der Konflikt immer stärker nieder. So kam es vor Ort zur Bildung von Gegenkirchenräten, und immer deutlicher organisierten sich die kontraremonstrantischen Gruppierungen bis hin zum offenen Protest. Das gilt vor allem auch in der Provinz Holland, in Städten wie Alkmaar und Rotterdam. Die „publieke kerk“ drohte auseinanderzubrechen, man sprach offen von Separation. Nachdem Anfang 1617 der englische Botschafter in Den Haag den Separatisten den Kirchgang bei sich zugestand, kam es zu weiteren symbolträchtigen Provokationen. 37 Ausgerechnet die nicht genutzte Kloosterkerk in der direkten Nachbar33 Simon Episcopius wurde Nachfolger von Arminius und Johannes Polyander von Gomarus; vgl. ’t Spijker, Voorgeschiedenis (wie Anm.27), 36. 34 Vgl. dazu auch Molhuysen (Ed.), Bronnen (wie Anm.21), Vol.2, 1 u. 6. 35 Am 5.September 1607 verlautbarte Paul V. die „Formula pro finiendis disputationibus de auxiliis ad praepositos Generales O. Pr. et S.J. missa“; vgl. Leo Scheffczyk, Art.„Gnadenstreit“, in: Lexikon für Theologie und Kirche. 3.Aufl. Bd. 4. Freiburg im Breisgau 1995, Sp.797f. 36 Vgl dazu Arie Th. van Deursen, Bavianen en Slijkgeuzen. Kerk en kerkvolk ten tijde van Maurits en Oldenbarneveld. Assen 1974. 37 Das war im Januar 1617 zunächst durchaus als Befriedungsversuch gedacht gewesen, nachdem die proremonstrantische Front in Den Haag immer mehr zusammenbrach. Zwar waren noch 1616 der contra-
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schaft des Wohnhauses von Oldenbarnevelt okkupierten die separatistischen Kontraremonstranten für ihre Gottesdienste. Zu einer überdeutlichen weiteren Positionierung kam es, als der Statthalter Moritz von Oranien kurze Zeit später im Juli 1617 öffentlich den Gottesdienst in der Kloosterkerk besuchte. Damit entwickelte sich der Konflikt wieder stärker zu einer personalisierten Frage, doch nicht zwischen zwei Theologieprofessoren, sondern nun zwischen Moritz und Oldenbarnevelt. Der Landesadvokat Oldenbarnevelt reagierte gereizt, indem er bei den Staaten von Holland die sogenannte „Scharfe Resolution“ durchsetzte, die die Bestellung von Söldnern zur Durchsetzung der öffentlichen Ordnung ermöglichte – und zwar explizit an der Instanz des Statthalters vorbei. Moritz sah sich genötigt, dagegen vorzugehen. Wieder kam es zu einer symbolträchtigen Handlung: der Entmachtung solcher Söldner im benachbarten Utrecht. 38 Diese Transformation im niederländischen Mächteverhältnis, die den Höhepunkt in dem Konflikt markiert, wird in der zeitgenössischen Bildpublizistik anschaulich ins Bild gesetzt. Die Waagschale hat sich eindeutig zugunsten der Kontraremonstranten verschoben. Ausschlaggebend dafür war das Schwert, das Moritz zu den Schriften von Calvin und Beza in die Waagschale legt; dies kann alle Macht der Gegenseite, symbolisiert durch den Amtsmantel Oldenbarnevelts und das Amtskissen und die Statuten der Magistrate, nicht aufwiegen. Im rechten Bildhintergrund wird zudem die eben erwähnte Entmachtung der Söldner in Utrecht dargestellt. Es kam also zu einer deutlichen Machtverschiebung innerhalb der jahrelangen Pattsituation. Hatte die Provinz Holland durch ihr Vetorecht in den Generalstaaten lange Zeit ganz im Sinne von Oldenbarnevelt und auch im Sinne der Remonstranten die Einberufung einer Nationalsynode verhindern können, bröckelte diese Bastion zusehends, und am 29.September 1617 fiel endgültig die Entscheidung zur Einberufung der Synode. Die Generalstaaten verschickten Einladungsschreiben, meist flankiert von Briefen des Statthalters. 39 Ursprünglich für den 1.Mai 1618 anberaumt, wurde der Beginn nochmals auf den 1.November 1618 verschoben. Viel gravieren-
remonstrantische Prädikant Rose abgesetzt und seine Anhänger zum Auslaufen nach Rijyswijk genötigt worden. Doch nachdem immer wieder befürchtet worden war, diese Parteigänger würden sich mit Gewalt der Grote Kerk bemächtigen, erschien das Zugeständnis der vom englischen Botschafter benutzten kleinen Gasthuiskerk als geschickter Schachzug; vgl. den Tex, Oldenbarnevelt (wie Anm.12), Vol.3, 439–487. 38
Vgl. Israel, The Dutch Republic (wie Anm.9), 433–449; den Tex, Oldenbarnevelt (wie Anm.12), Vol.3,
393–397. 39
264
Vgl. Resolutien der Staten-Generaal (wie Anm.24), Vol.3 (1617–1618), 223f.
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Abb.1: Op de Jonghste Hollantsche Transformatie; Druckgrafik, 43,3 cm x 33,7 cm, 1618; Amsterdam, Rijksmuseum, RP-P-OB-77.274.
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der war jedoch der Umstand, dass Moritz sein plötzliches Mächteübergewicht auszunutzen wusste und am 29.August 1618, also wenige Wochen vor Beginn der Synode, Oldenbarnevelt unter einem Vorwand gefangennehmen ließ. 40 Ein Sondergericht sollte über ihn und seine engsten Mitstreiter wegen Landesverrats urteilen. Zwar war die Causa Oldenbarnevelt nicht direkt eine Angelegenheit der Synode, doch wurde die Parallele zwischen der drohenden Verurteilung Oldenbarnevelts und der sich immer deutlicher abzeichnenden Verurteilung der Remonstranten von den Zeitgenossen durchaus wahrgenommen. Wieso es überhaupt zu dieser Parteinahme des Statthalters kam, ist in der Forschung viel diskutiert worden. Die ältere Forschung garnierte diese Entscheidung mit dem vielsagenden, Moritz in den Mund gelegten Diktum: Er habe letztlich keine Ahnung von Theologie, er könne nicht sagen, ob die Prädestination grau oder blau sei, doch dass die Pfeife des Advokaten mit der seinigen eine kreischende Dissonanz ergebe, das wisse er schon. 41 Der englische Historiker Haley hat 1972 dieses Bonmot dahin gehend weitergesponnen, durch Moritz’ auffällige und machtvolle Parteinahme für die Synode habe er die Prädestination kräftig orange eingefärbt. 42 Ohne den Vergleich mit dem Fünf-Akt-Schema überstrapazieren zu wollen, entspräche der Verlauf der Synode dem fünften und somit letzten Akt. Wie bereits angedeutet, wurde sie in der älteren Forschung entweder als Katastrophe oder aber als Katharsis interpretiert. Schon im Vorfeld stand jedoch fest, dass die Remonstranten nunmehr als Zitierte geladen werden sollten, hingegen Gomarus und weitere Kontraremonstranten als einflussreiche Deputierte das synodale Geschehen dominieren würden.
40
Vgl. den Tex, Oldenbarnevelt (wie Anm.12), Vol.3, bes. 578–626.
41
Dieses Diktum findet sich etwa in Nicolaas G. van Kampen, Geschichte der Niederlande. 3 Bde. Ham-
burg 1831–1837, Bd. 2, 29. Maurits soll das einmal einem remonstrantischen Bürgermeister von Gouda gegenüber geäußert haben, so Adriaan Stolker, Prins Maurits van Nassau geenszins de vijand. Rotterdam 1827, 15. 42
Keith H.D. Haley, The Dutch in the Seventeenth Century. London 1972, 105: „He is said to have remar-
ked that he did not know whether predestination was blue or green, but he now proceeded, as it were, to make it Orange.“
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IV. Auf der Synode Trotz oder gerade wegen dieser inhaltlichen Klärung lastete auf der Synode ein enormer Erwartungsdruck. Das lag zum einen an der schlichten Ungeübtheit, da die letzte Nationalsynode dreißig Jahre zurücklag. Zum anderen drohten Komplikationen durch die Beteiligung von ausländischen Gästen. Im Verlauf der fünfzehn Jahre bis zur Eröffnung der Synode war der Konflikt auch in anderen, zumal in den reformierten Territorien aufmerksam verfolgt worden. Einige Länder – darunter England, aber etwa auch die Kurpfalz – hatten wiederholt ihre Hilfe bei der Konfliktbewältigung angeboten. 43 Es lag deshalb nahe, neben Deputierten aus den niederländischen Provinzen auch Vertreter aus anderen reformierten Territorien einzuladen. Man hoffte dadurch, das Urteil über die Remonstranten auf einen größeren Konsens zu stellen. Andererseits stand dieses Urteil zwar politisch mehr oder minder fest, es musste jedoch mit den Mitteln und im theologischen Referenzrahmen der Synode erst noch hergestellt werden. Je mehr Beteiligte allerdings geladen waren, desto größer wurde das Bedürfnis, Strategien der Konfliktvermeidung zur Stützung des gewünschten Ergebnisses anzuwenden. Konkret bedeutete das, die Ergebnisoffenheit der Beschlüsse so gering wie möglich zu halten, also offene Diskussionen zu vermeiden und möglich vieles in nichtöffentliche Vor- und Seitenverhandlungen zu verlagern. Noch am Vortag vor der offiziellen Eröffnung tagte eine vorbereitende Sitzung, an der die Kommissare der Generalstaaten und die niederländischen Synodalen teilnahmen. Hier wurden wichtige zeremonielle und Verfahrensfragen geklärt, bevor man die ausländischen Gäste hinzubitten wollte. 44 Man sorgte dafür, dass Bogerman, seit 1608 ein eindeutiger Scharfmacher und Anhänger des Gomarus, Präsident der Synode werden würde. 45 Damit war die Verfahrenshoheit weitestgehend festge-
43 Vgl. dazu Anthony Milton, The British Delegation and the Synod of Dort (1618–1619). Woodbridge 2005, XXVII; Gerrit J. Hoenderdaal, The Debate about Aminius outside the Netherlands, in: Theodoor H. Lunsingh Scheurleer/Guillaume H.M. Posthumus Meyjes (Eds.), Leiden University in the Seventeenth Century. An Exchange of Learning. Leiden 1975, 137–159. 44 Vgl. dazu Hendrik Kaajan, De pro-acta der Dortsche Synode in 1618. Rotterdam 1914, 17–20; ders., De groote Synode van Dordrecht (wie Anm.1), 67–69. 45 Das Moderamen wurde dann erst am 14.November offiziell gewählt, doch der Wahlmodus, der die auswärtigen Delegierten sowie die Professoren ausschloss, strukturierte die Wahl deutlich vor; vgl. Kaajan, De pro-acta (wie Anm.44), 19.
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legt. Denn der Präsident bestimmte zusammen mit den anderen Mitgliedern des Moderamen über die Abhaltung der einzelnen Sitzungen und konnte maßgeblich die Inhalte der Sitzungen festlegen. Man definierte Latein als Verhandlungssprache und regelte die Sitzordnung: Zur Rechten des Moderamen saßen die Kommissare der Generalstaaten (sechs aus der Provinz Holland und je zwei aus den anderen Provinzen). Auf der gegenüberliegenden Seite schlossen sich die ausländischen Delegationen an. An erster Stelle saßen die Vertreter, die der englische König Jakob I. geschickt hatte. Direkt anschließend befanden sich die Plätze, die man symbolträchtig für die Hugenotten freihielt, die aufgrund des Eingreifens des französischen Königs Ludwig XIII. nicht hatten erscheinen können. Es folgten die Deputierten aus der Kurpfalz,
Hessen, der Schweiz, Nassau-Wetterau, Genf sowie aus Bremen und Emden. Abgesehen von Frankreich hatte nur Brandenburg keine Vertreter entsendet. 46 Die Synode konnte sich also als Versammlung aller Reformierten Europas verstehen. 47 Auf den anderen Bänken saßen die Vertreter der niederländischen Universitäten (darunter auch Gomarus, der mittlerweile wieder Professor in Groningen war), der Provinzsynoden sowie Vertreter der französischsprachigen Immigranten, der wallonischen Kirche. Insgesamt waren dies 18 Kurien, sieben ausländische und elf niederländische. Man beschloss, dass die Ausländer „in doctrinalibus“ volles Stimmrecht haben sollten und dass kurienweise abgestimmt werden sollte. 48 Sollte eine Kurie nicht einstimmig ihr Votum abgeben wollen, sollte kopfweise abgestimmt werden. Selbst unter diesen Bedingungen hatten die Niederländer ein kräftiges Stimmpolster. Sitzungen sollten jeweils morgens und am späten Nachmittag stattfinden, um so genügend Zeit für inoffizielle Unterredungen zu haben. Auch wurde das Thema der nachträglichen Deutungshoheit soweit vorstrukturiert, dass den Generalstaaten über den Fortgang der Synode fortlaufend berichtet werden sollte, auf dass diese die politische Umsetzung der Beschlüsse garantieren könne. 49 Am Folgetag, dem 13.November 1618, wurde die Synode offiziell mit einem Got-
46
Zu Frankreich vgl. Kaajan, De groote Synode van Dordrecht (wie Anm.1), 25–27.
47
Vgl. allerdings Philip Benedict, Christ’s Churches Purely Reformed. A Social History of Calvinism. New
Haven/London 2002, 289: „The exclusion of the Hungarians and Poles from these theological consultations is noteworthy. Lacking prestigious universities, the Reformed churches of these countries stood in a semiperipheral relation to their sister churches in the west.“ 48
Kaajan, De pro-acta (wie Anm.44), 20; ders., De groote Synode van Dordrecht (wie Anm.1), 75–77.
49
Vgl. dazu Punkt XVII der Poincten en Articulen opt beleyden ende houden van een Nationael Syn-
odum, welche die Generalstaaten bereits am 11.November 1617 verabschiedeten.
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tesdienst eröffnet, danach zogen die Delegierten zu den Kloeveniersdoelen als Verhandlungsort. Der Ablauf der Synode mit insgesamt 180 Sitzungen in 29 Wochen lässt sich grob in drei Abschnitte aufteilen: die eben erwähnte vorbereitende Sitzung, dann eine Hauptphase unter Anwesenheit der ausländischen Delegationen und schließlich eine abschließende Phase, auf der nach der Abreise der Ausländer rein niederländische Gravamina verhandelt wurden. Die Hauptphase teilt sich noch weiter in drei Unterabschnitte: bis zur Ankunft der zitierten Remonstranten, unter Beteiligung der Remonstranten und dann vor allem das Abfassen der Canones unter Ausschluss der Remonstranten. Wie bereits angedeutet, waren im Vorfeld die Mächteverhältnisse auf der Synode weitestgehend sichergestellt worden. Anders als noch 1607 zu Lebzeiten von Arminius besprochen, sollten die Vertreter der Remonstranten nicht als gleichberechtigte Synodale auftreten, sondern nurmehr als Vorgeladene, denen man allenfalls das Recht einräumte, zu den Vorwürfen Stellung zu nehmen. Ansonsten hatten sie das Urteil der Synode abzuwarten. Es gab nur einen kleinen ‚Schönheitsfehler‘: Die Provinzialsynode von Utrecht war derartig zerstritten, dass es eigentlich zwei getrennte Gremien gab, und so hatten sich diese im Vorfeld darauf verständigt, jeweils drei Deputierte nach Dordrecht zu entsenden. Somit waren unter den Utrechter Delegierten drei offen bekennende Anhänger der Remonstranten. 50 Um das anvisierte Ziel der Synode weiter abzusichern, wurden alle Synodale zu Beginn der Synode auf einige Grundsätze vereidigt, die die Generalstaaten festgelegt hatten. 51 Sie sollten auf die Ruhe in der Kirche verpflichtet sein und nur das Wort Gottes als Richtschnur zur Begutachtung der fünf remonstrantischen Artikel anwenden. Auch das wird man als Strategie zur Konfliktbewältigung interpretieren können. Der Konflikt sollte schon dadurch eingedämmt sein, dass man nicht etwa über Arminius oder die Remonstranten allgemein urteilen sollte, sondern ‚nur‘ über die fünf Artikel. Es kommt zudem einer Art ‚Hyperkorrektheit‘ gleich, dass man sich auf ein sola scriptura verständigte. Die Synode übernahm damit die ursprüngliche Forderung von Arminius, die Bekenntnisschriften auf eine andere Legitimationsebene zu stellen als die heilige Schrift. Man wollte damit aber wohl in erster Linie der anstehenden Verurteilung eine größere Legitimität verleihen und die Angriffsfläche für Infragestel-
50 Vgl. 2. Sitzung, in: Acta Synodi Nationalis Dordrechtinae. Leiden 1620, 9. Die Angaben beziehen sich auf die bei Isaac Elzevir erschienene Ausgabe. 51 Vgl. 24. Sitzung, in: Acta (wie Anm.50), 64f.
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lungen so gering wie möglich halten. Alle Synodalen leisteten den geforderten Eid, nur den drei Remonstranten gestattete man noch eine Bedenkzeit von einem Tag, um sie dann nochmals zu befragen. Ihnen wurde unterstellt, womöglich nicht befugt zu sein, auch gegen die fünf Artikel zu sprechen und somit die ganze Prozedur unnötig aufzuhalten und nicht als Richter ihrer Mitstreiter auftreten zu können. Nach abermaliger Bedenkzeit außerhalb der Sitzung wurde deren Votum verlesen, dass sich zwei von ihnen außerstande sahen, den Synodaleid zu leisten und sich fortan zu der Gruppe der zitierten Remonstranten zählen lassen wollten; der dritte wurde auf Raten der politischen Kommissare entlassen. 52 Doch selbst unter diesen Umständen waren die Verhandlungen in Anwesenheit der Remonstranten nicht einfach. Diese erschienen erst am 6.Dezember und somit einen Tag später als gefordert, ihr Anführer Episcopius hielt ungefragt eine lange Rede, in der er die gleichberechtigte Diskussion forderte, die offiziell gar nicht mehr zur Disposition stand. Das Manuskript dieser Rede, in dem er relativ unverschleiert die Politisierung der Versammlung ansprach, mochte er erst nach langem Zögern dem Moderamen zur Verfügung stellen. 53 Auch später taten die Remonstranten einiges, das von der Gegenseite als Spielen auf Zeit gewertet wurde, so dass dieses Projekt nach etwa einem Monat als gescheitert angesehen wurde – und das Präsidium der Synode in Absprache mit den Kommissaren der Generalstaaten beschloss, die Remonstranten am 14.Januar 1619 von der Teilnahme an der Synode zu entlassen. 54 Die Synode unter Anwesenheit der Remonstranten war also nur ein kurzes Intermezzo von vier Wochen zwischen der 23. und 57. der insgesamt 180 Sitzungen. Die Remonstranten wurden angewiesen, fortan in Dordrecht zu bleiben und auf ihre Urteilsverkündung zu warten. Die Synodalen setzten ihre Arbeit fort, brauchten allerdings bis Anfang Mai, um ein einvernehmliches Urteil über die fünf remonstrantischen Artikel zu bilden. 55 Das Ergebnis waren die Canones der Synode, die in der Großen Kirche von Dordrecht am 6.Mai 1619 öffentlich verkündet wurden. Nach dieser Sitzung verabschiedete man die ausländischen Delegierten, die sich darauf-
52
In der 3. Sitzung, in: Acta (wie Anm.50), 13, hatten noch alle drei remonstrantischen Abgesandten mit
Verweis auf ihre Kredenzschreiben bekräftigt, als Synodale teilnehmen zu wollen. Nach der abermaligen Befragung gaben die zwei Utrechter Prädikanten an, sich zu den zitierten Remonstranten zählen zu lassen, nur der Älteste Van Helsdingen hätte den Eid leisten wollen; vgl. 25. Sitzung, in: Acta (wie Anm.50), 66f.
270
53
Vgl. 23. Sitzung, in: Acta (wie Anm.50), 64.
54
Vgl. 57. Sitzung, in: Acta (wie Anm.50), 183–188.
55
Vgl. die Verlesung der Beschlüsse in der 137. Sitzung, in: Acta (wie Anm.50), 275.
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hin wieder auf die Heimreise aufmachten. 56 Einige machten dabei noch einen Abstecher nach Den Haag, wo die Verhandlungen gegen Oldenbarnevelt einem Ende entgegengingen, und wurden Zeugen von dessen Hinrichtung am 13.Mai 1619. 57 An eben diesem 13.Mai nahmen die niederländischen Delegierten in Dordrecht ihre Beratungen wieder auf, um in weiteren zwei Wochen noch einige Gravamina zu besprechen und zu einem Abschluss zu bringen. Neben der Causa der Remonstranten hatten die Generalstaaten der Synode auch die reformierten Bekenntnisse nochmals zur Prüfung vorgelegt, welche die Synode nach einer kurzen Schrecksekunde erwartungsgemäß bestätigte, so dass nach Abschluss der Synode am 29.Mai 1619 der Heidelberger Katechismus, die Confessio Belgica und die Canones der Synode die „drei Formulare der Einheit“ der niederländisch reformierten Kirche wurden. 58 Am 3.Juli stellte man die Remonstranten vor die Wahl, ihre eigene Absetzung als Prediger zu unterzeichnen oder das Land zu verlassen. Parallel dazu wurden an die 200 remonstrantisch gesinnte Prädikanten ihrer Ämter enthoben. Viele von ihnen wählten das Exil. Sie sammelten sich in Antwerpen, wo sie unter der Leitung von Wtenbogaert am 30.September 1619 die „Remonstrantse Broederschap“ gründeten. 59 Damit war das besiegelt, was die Synode gerade hatte verhindern sollen: eine endgültige Trennung in der niederländischen reformierten Kirche.
V. Wirkungen und Nachwirkungen Fragt man nun nach der Wirkmächtigkeit der Synode, so wird man wieder auf die Frage nach der Deutungshoheit verwiesen. Die Generalstaaten gaben sich redlich Mühe, hier keine Unklarheiten aufkommen zu lassen. Sie veröffentlichten noch 1620 einen beeindruckenden Folioband mit den offiziellen Akten der Syno56 Vgl. 154. Sitzung, in: Acta (wie Anm.50), 327. 57 Das insinuiert bereits die frühe proremonstrantische Historiographie; vgl. Brandt, Historie der reformatie (wie Anm.2), Vol.3, 614. 58 Zur Wirkungsgeschichte vgl. Donald Sinnema, The Canons of Dordt. From Judgment on Arminianism to Confessional Standard, in: Goudriaan/van Lieburg (Eds.), Revisiting (wie Anm.1), 313–333; Georg Plasger/Matthias Freudenberg (Hrsg.), Reformierte Bekenntnisschriften. Eine Auswahl von den Anfängen bis zur Gegenwart. Göttingen 2005, 221–229. 59 Vgl. Gerrit J. Hoenderdaal, Art.„Arminius, Jacobus/Armininiamismus“, in: Theologische Realenzyklopädie (wie Anm.1), Bd. 4, 63–66; van Eijnatten/van Lieburg, Niederländische Religionsgeschichte (wie Anm.7), 202f.
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de. 60 Es wurden also nicht nur die Canones als Ergebnisse publiziert. Jeder sollte vielmehr anhand der „Acta“ die Möglichkeit erhalten, auch den genauen Fortgang und somit die Korrektheit der synodalen Entscheidungsfindung nachvollziehen zu können. 61 Ein solches Vorgehen haben Johannes Helmrath und Heribert Müller im Vergleichsfall früherer Konzilien „leidenschaftlicher Konsensidealismus“ genannt. 62 1621 wurden die Akten der Synode sogar nochmals auf Niederländisch publiziert und 1624 in einer französischen Übersetzung. 63 Diese „Acta“ enthalten die Protokolle der einzelnen 180 Sitzungen (etwa ein Drittel des stolzen Foliobandes) und zudem im Wortlaut die jeweiligen Iudicia der einzelnen Kurien. Versehen ist das Ganze mit einem Vorwort, in dem der Konflikt um die Remonstranten in seinen längeren Vorlauf eingeordnet wird. Es erstaunt wenig, dass diese Siegernarrative aus kontraremonstrantischer Sicht, versehen mit dem Privileg der Generalstaaten, Gegendarstellungen von remonstrantischer Seite herausforderte, die ebenfalls publiziert wurden – und wiederum weitere Polemiken nach sich zogen. 64 Doch es blieb nicht nur bei Narrativen und Gegennarrativen. Die Auseinandersetzung um die Legitimität und authentische Lesart der Synode und ihrer Entscheidung wurde auch in anderen Medien ausgetragen. Die Generalstaaten hatten auch auf dieser Ebene vorgebaut. Bereits zu Beginn der Synode bestellten sie bei dem Künstler François Schillemans eine graphische Darstellung der Synode, die er noch während des Verlaufs fertigstellte und die sich weitgehend gegenüber anderen Dar-
60
Es ist bezeichnend, dass erst jüngst eine kritische, mehrbändige Edition der Akten und übrigen Quel-
len in Angriff genommen wurde, die den Grad der Überarbeitung für den frühneuzeitlichen Druck zeigen wird; ein erster Band ist angekündigt und konnte für diesen Aufsatz nicht mehr benutzt werden, vgl. Acta et Documenta Synodi Nationalis Dordrechtanae (1618–1619). Hrsg. v. Donald Sinnema, Christian Moser u. Herman J. Selderhuis. Bd. 1. Göttingen 2015. 61
Herman H.Kuyper, Post-acta of Nahandelingen van de Nationale Synode van Dordrecht. Amsterdam
1899, 36–56, bes. 49. Dazu auch van Eijnatten/van Lieburg, Niederländische Religionsgeschichte (wie Anm.7), 200: „Die öffentliche Bedeutung der Synode wurde als derart gewichtig eingeschätzt, dass ihre Sitzungsprotokolle auf Anordnung der Generalstaaten in einer Kiste mit acht Schlössern aufbewahrt wurden, die ab 1625 regelmäßig einer rituellen Inspektion unterzogen wurden.“ 62
Vgl. Johannes Helmrath/Heribert Müller, Vorwort, in: dies. (Hrsg), Die Konzilien von Pisa (1409), Kons-
tanz (1414–1418) und Basel (1431–1449). Institution und Personen. (Vorträge und Forschungen, Bd. 67.) Ostfildern 2007, 9–29, 17 (Zitat). 63
Acta ofte Handelingen des nationalen Synodi. Dordrecht 1621; Actes du Synode national tenu à Dor-
drecht, l’an 1618 et 1619. Leiden 1624. 64
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Vgl. ’t Spijker (Ed.), De Synode van Dordrecht (wie Anm.1), 11–16.
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Abb.2: Synodi Dordracenae delineatio; Druck auf Seide, 54,5 cm x 79,5 cm, 1619; Amsterdam, Rijksmuseum, RP-P-OV-77.279.
stellungen der Synode hat durchsetzen können. 65 Für das Rathaus von Dordrecht wurde zudem kurze Zeit später eine Ölfassung des gleichen Motivs gefertigt. Auch auf einer Gedenkmünze, die man prägen ließ und den Synodalen als Souvenir überreichte, wird diese vielsagende Darstellung der Synode geboten, die nachher als Druck mehrmals wieder aufgelegt wurde. Es ist eine ereignisverhaftete Darstellung der Synode, die bildstrategisch auf Authentizität durch Augenzeugenschaft setzt. 66 Nicht untypisch für eine zeitgenössische Darstellung politischer Versammlungen schaut man in den Versammlungssaal „De Doelen“, im Zentrum der Sichtachse (vor dem Kamin) befindet sich das Moderamen und drumherum die Bänke mit den recht typisiert dargestellten Delegierten. Häufig findet man die Bildunterschrift, es handle sich hier um die Eröff-
65 Vgl. dazu Spaans, Imaging the Synod (wie Anm.4). 66 Diese Darstellung folgt damit erwartbaren Bildstrategien der Zeit; vgl. Gabriele Wimböck/Karin Leonhard/Markus Friedrich (Hrsg.), Evidentia. Reichweiten visueller Wahrnehmung in der Frühen Neuzeit. (Pluralisierung und Autorität, Bd. 9.) Münster 2007.
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nungsszene der Synode. Doch sehen wir in der Bildmitte auch den ‚Katzentisch‘ mit den Remonstranten – und das wohl nicht zufällig. Trotz der Verurteilung der Remonstranten, die bereits vor Beginn der Synode feststand und die nachher in ihrer Abwesenheit verkündet wurde, wird durch diese Darstellungsform gerade die Eintracht der Reformierten betont und ihre Einheit ins Bild gesetzt. Man muss schon die Hintergründe gut kennen, um die leeren Bänke der Franzosen oder die Remonstranten in der Mitte als Riss in dieser Konsensfassade interpretieren zu können. Denn der Konflikt wird hier zwar durchaus dargestellt, aber gleichzeitig dem flüchtigen Betrachter eher wieder verstellt. Kleinere Zahlen verweisen auf die Nomenklatur am Bildrand, die minutiös alle Beteiligten nach ihrer Rangfolge auflistet und ausweist – an letzter Stelle die zitierten Remontranten. Weitere Paratexte am Bildrand unterstreichen die gewünschte Delineatio der Synode, versehen mit dem Privileg der Generalstaaten. So die Widmung an den Statthalter Moritz und zwei Gedichte auf die glorreichen Ereignisse der Synode. Das längere Gedicht von Jacob Cats stellt die Synode von Dordrecht explizit in eine Reihe mit dem Apostelkonzil und dem Konzil von Nicäa und lobt die Rolle von Moritz als einen zweiten Konstantin, der der Kirche zu Ruhm, Klarheit und Frieden verholfen habe. 67 Wir haben es also hier mit einer klaren Darstellung aus der Siegerperspektive zu tun, die die Synode zum Zeitpunkt ihres scheinbar besten Funktionierens ins Bild setzt. Dass diese sehr bewusste visuelle Implementierung der Einheits- und Eintrachtsfiktion keine Überinterpretation ist, wird umso deutlicher, wenn man eine Gegendarstellung aus dem Umfeld der Remonstranten hinzunimmt. Unter Aufnahme der gleichen Darstellungsart wird hier durch gezielte Veränderungen und erklärende Paratexte die Bildstrategie von Schillemans aufgedeckt und konterkariert. Hier fehlen sowohl die leeren Plätze der Hugenotten und die Öffentlichkeit im Vordergrund. Noch viel deutlicher fällt ins Auge, dass die Remonstranten aus der Darstellung herausgenommen sind. Sie sind nicht Teil der hier dargestellten Synode, nicht einmal als Zitierte. Zudem wird die Autorität der Versammlung dadurch in Frage gestellt, dass die kirchlichen Delegierten alle mit Hörnern dargestellt werden und den Präsidenten Bogerman kleine Teufelchen umschwirren, die ihn mit Blasebälgen inspirieren; Ausnahme sind nur die Kommissare der Generalstaaten. Die Überschriften und sonstigen Paratexte zu dieser Darstellung unterstreichen dieses Bildprogramm. Be-
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Wieder abgedruckt in Jacob Cats, Dichterlijke werken. 2 Vols. Amsterdam 1828, Vol.1, 595.
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Abb. 3: Neoevangelicae, nuper invisibilis, nunc visibilis Ecclesiae Synodus, Dordraci celebrata Ao. 1618 et 1619; Druckgrafik, 33,1 cm x 24,5 cm, 1619; Amsterdam, Rijksmuseum, RP-P-OB-77.284.
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reits die Überschrift ist wenig schmeichelhaft: Es zeige die „in Dordrecht veranstaltete Synode der unsichtbaren, nunmehr sichtbargemachten, sich neoevangelisch gerierenden Kirche“. Darunter steht in leichter Abwandlung („seperationem“ statt „gladium“) ein Bibelvers (Mt 10,34): „Ihr meint, ich sei gekommen, um auf Erden Frieden zu stiften, nein, ich sage euch: die Separation“. Ein Spruchband an der Wand erläutert noch weiter die Zusammensetzung und Intention der Delegierten: es sei eine „Versammlung der Stiere zwischen den Kälbern der Völker“ („congregatio taurorum in vaccis populorum“). Während die „vaccis“ sicher auch eine Anspielung auf „calv“/„Calvijn“ sind, wie es in der zeitgenössischen niederländischen Polemik häufig zu finden ist, ist dies zugleich ein Verweis auf die Warnung im Psalmvers (Ps 67/ 8, 30/1): „Haltet Euch fern von den wilden Tieren im Schilf, der Versammlung der Stiere und den Kälbern der Völker, denen, die auf Silberlinge aus sind, Gott hat die Völker zerstreut, die Lust am Krieg haben.“ Damit wird die ganze Friedfertigkeitstopik der Synode bloßgestellt. Im Bildvordergrund sieht man zudem zwei Personen, die sich der Synode nähern. Sie werden als die Legaten Du Moulin und Brunier ausgewiesen. Endgültig wird hier die Ereignishaftigkeit der Darstellung gesprengt, denn die Franzosen waren bekanntlich nie auf der Synode. Sehr wohl haben diese beiden aber etwas mit der Synode und ihren Beschlüssen zu tun. Denn Du Moulin war der Vorsitzende und Brunier sein Sekretär auf der 23. französischen Nationalsynode von Alès im Jahr 1620, auf der sich die Hugenotten hinter die Beschlüsse von Dordrecht stellten. 68 Interessanterweise ist es gerade diese ausländische Delegation, die nicht teilnehmen durfte, sich aber im Nachhinein besonders deutlich hinter die Synode stellte. Damit stehen die Hugenotten jedoch recht allein. Denn nimmt man die Darstellung der ausländischen Delegationen genauer unter die Lupe, werden weitere Risse in der Einheit der Delegierten immer deutlicher. Eine Sonderstellung, nicht nur in Sachen Rang, nimmt die englische Delegation ein, die hauptsächlich aus Vertretern der Established Church bestand. 69 Doch war diese englische Kirche die einzige
68
Vgl. Tobias Sarx, Reformed Protestantism in France, in: Herman Selderhuis (Ed.), A Companion to Re-
formed Orthodoxy. Leiden 2013, 227–260. 69
Die englische Delegation ist schon lange beforscht worden, vgl. dazu Gerrit P. van Itterzon, Koning Ja-
cobus I en de synode van Dordrecht, in: Nederlands Archief voor Kerkgeschiedenis 24, 1931, 187–204; ders., Engelse belangstelling voor de canones van Dordrecht, in: Nederlands Archief voor Kerkgeschiedenis 48, 1968, 267–280; Michael W. Dewar, The British Delegation at the Synod of Dordt 1618–1619, in: The Evangelical Quarterly 46, 1974, 103–116; nun vor allem Milton, English Delegation (wie Anm.43).
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episkopal verfasste Kirche im reformierten Spektrum. Zwar hatte König Jakob I. durchaus eine relativ kontraremonstrantisch gesinnte Delegation zusammengestellt, doch musste sich diese Gruppe mit einem Bischof an ihrer Spitze von Anfang an im eigenen Land besonders rechtfertigen, überhaupt an dieser Synode teilgenommen zu haben. Ein anderer englischer Bischof wird zynisch einwerfen: Diese Synode sei wohl die bemerkenswerteste seit Kirchengedenken „mit nur einem Bischof“. 70 Selbst vierzig Jahre später tauchen durch gezielte Indiskretion – eine Art Wikileaks avant la lettre – Briefe aus der Synodenzeit auf, die die Synode in einem weniger harmlosen Licht erscheinen lassen, als es etwa die offiziellen „Acta“ Glauben machen wollen. 71 In diesen Briefen eines Augenzeugen wird etwa berichtet, dass die ausländischen Delegationen grundsätzlich weniger angepasst waren, als es die Niederländer gehofft hatten. Sie spielten anscheinend doch nicht so reibungslos die Staffage zur Unterstreichung der kontraremonstrantischen Hoffnungen, wie es sich in den „Acta“ liest. Der offene Widerspruch etwa eines Bremer Delegierten soll Gomarus dazu gereizt haben, diesen offen vor der ganzen Synode zum Duell aufzufordern. Selbst das übliche Gebet des Präses zum Abschluss der Sitzung habe Gomarus nicht beschwichtigen können und er habe erneut die Genugtuung gefordert. 72 Dabei darf nicht übersehen werden, dass es auch um die Glaubwürdigkeit dieser Quelle nicht sonderlich gut bestellt ist. Die Briefe tauchen wohl nicht ganz zufällig zu einem Zeitpunkt auf, zu dem innerhalb der englischen Kirche um die Prädestination gerungen wurde und schon deshalb die alten Stimmen wieder lauter wurden, die englische Delegation sei in Dordrecht ja auch nicht im eigentlichen Sinne als Vertreterin der englischen Kirche, sondern als Abgesandte des englischen Königs gewesen. Zwar hatten die ausländischen Delegierten die Fiktion verstärkt, es gebe
70 The Letters of John Chamberlain, ed. by Norman McClure. 2 Vols. Philadelphia 1939, Vol. 2, 187: „yt was the first generall Sinod that was held with one bishop“; dieses Urteil wird Lancelot Andrewes, dem Bischof von Winchester, in einem Brief von Chamberlain an Sir Dudley Carleton, dem englischen Botschafter in Den Haag zugeschrieben. Vgl. dazu auch Milton, British Delegation (wie Anm.43), XXX. 71 Golden Remains of the ever memorable Mr Iohn Hales of Eton College. London 1659; vgl. John Milton, A Distorting Mirror. The Hales and Balcanquahall Letters and the Synod of Dordt, in: Goudriaan/van Lieburg (Eds.), Revisiting the Synod of Dordt (wie Anm.1), 135–161. 72 Vgl. dazu, Golden Remains (wie Anm.71), 72; die dort erwähnte Sitzung liegt zwischen der 65. und 66. Session, wie sie in den Acta beschrieben wird, laut Hales habe die Synode „in private“ getagt. Allgemein zu der Position der Bremer Delegation vgl. Johan F. Iken, Bremen und die Synode von Dordrecht, in: Bremisches Jahrbuch 10, 1878, 11–83.
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so etwas wie eine reformierte Internationale 73, doch hatte es sich schnell als naive Hoffnung der Kontraremonstranten entpuppt, alle Reformierten würden deshalb auch schon automatisch wie Gomarus urteilen. Das würde auch schon eine genaue theologische Analyse der Canones von Dordrecht ergeben, die eine erheblich abgeschwächte Position in der Frage der Prädestination formulieren als die des Gomarus. 74
VI. Schluss War die Synode von Dordrecht nun ein Erfolg oder eine Niederlage? Diese Frage ist, so haben die vorangegangenen Ausführungen hoffentlich deutlich gezeigt, falsch gestellt, wenn auch leicht zu beantworten: Die Synode schafft, was sie verhindern möchte; sie bestätigt mehr die Separierung innerhalb der „publieke kerk“, als dass sie diese aufheben kann. Die Remonstranten gründen auf ihrer „Gegensynode“ im Exil in Antwerpen die „Remonstrantse broederschap“, die wenige Jahre später (nach dem Tod von Moritz) auch im Norden wieder Fuß fassen kann. 75 Der Remonstrant Wtenbogaert wird zudem das Diktum prägen, die Canones von Dordrecht hätten dem Landesadvokaten Oldenbarnevelt den Kopf gekostet. 76 Offiziell liefen diese beiden Verfahren zwar parallel und letztlich unabhängig voneinander. Die Verquickung der beiden Ereignisse, zusammen mit der ersten offiziellen Teilung der Öffentlichkeitskirche haben aber dazu beigetragen, dass zumindest Nationalsynoden als Organ in den Niederlanden verspielt hatten. War schon die Synode von Dordrecht erst nach langem Ringen einberufen worden, sollte es nach ihr
73
Stellvertretend sei hier verwiesen auf Menna Prestwich (Ed.), International Calvinism 1541–1715. Ox-
ford 1985; Heinz Schilling, Die Konfessionalisierung und die Entstehung eines internationalen Systems, in: Irene Dingel/Volker Leppin/Christoph Strohm (Hrsg.), Reformation und Recht. Gütersloh 2002, 127–144; Holger Th. Gräf, „International Calvinism revisited“ oder europäische Transferleistungen im konfessionellen Zeitalter, in: Thomas Fuchs/Sven Trakulhun (Hrsg.), Das eine Europa und die Vielfalt der Kulturen. Kulturtransfer in Europa 1500–1850. Berlin 2003, 137–158. 74
An diesem Kompromisscharakter waren vor allem die ausländischen Delegationen maßgeblich betei-
ligt. 75
Vgl. Kaajan, De groote Synode van Dordrecht (wie Anm.1), 182f.; van Eijnatten/van Lieburg, Niederlän-
dische Religionsgeschichte (wie Anm.7), 199–202. 76
Johannes Wtenbogaert, Kerckelicke Historie. Rotterdam 1647, 361; Brandt, Historie der reformatie (wie
Anm.2), 741.
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rund 200 Jahre dauern, bis im Jahr 1813 die nächste Nationalsynode zusammentreten sollte. 77 Fragt man nochmals genauer nach den konkreten Konfliktbewältigungstrategien durch eine Synode, so fällt auf, dass die mehrkonfessionelle Lage der Nachreformationszeit (also die Koexistenz mehrerer Konfessionen, die aber alle den Anspruch auf Wahrheit erheben), eine ganz eigene Mischung von Verfahren und Verhandlung hervorbrachte. Die Kontraremonstranten waren zwar politisch mächtig genug, eine verfahrensmäßige Form der Synode überhaupt zu erzwingen. Sie waren aber auch naiv genug, sich tatsächlich eine Klärung der Streitfragen in ihrem Sinne bei ergebnisoffenem Verfahren zu erhoffen. Und ein Verfahren liegt nach Luhmann ja nur dann vor, wenn alle Beteiligten an Ergebnisoffenheit glauben. 78 Da sie de facto aber keine Kompromissbereitschaft signalisierten, konnte für die Remonstranten überhaupt keine Verfahrensbindung erfolgen. Für sie handelte es sich ja nicht um ein ergebnisoffenes Verfahren, obwohl sie das anfangs anzunehmen schienen. Sobald sie merkten, was gespielt wurde, ließen sie sich eben nicht in Verfahrensrollen verstricken. 79 In diesem Punkt unterschieden sie sich von Oldenbarnevelt, der sich schon eher auf das (Gerichts-)Verfahren einließ, indem er zwar bis zum Schluss an der Legitimität des Verfahrens zweifelte und kein Gnadengesuch stellte, jedoch sich verteidigte und nicht wie die Remonstranten zu den Vorwürfen schwieg. 80 Die Kontraremonstranten verfügten allerdings nicht über genügend Macht, um
77 Bereits auf der Synode von Emden (1571), Art.9, waren recht kurze zeitliche Intervalle zwischen den Generalsynoden vereinbart worden, was die späteren Generalsynoden jeweils bestätigt haben; die Praxis sah allerdings anders aus; vgl. dazu den Beschluss auf der letzten Generalsynode vor Dordrecht in Den Haag 1586, Art.44, in: Frederik L. Rutgers, Acta van de Nederlandse Synoden der zestiende eeuw. ’s Gravenhage 1889, 497f. 78 Niklas Luhmann, Legitimation durch Verfahren. Frankfurt am Main 1983, 40; dazu sehr instruktiv Michael Sikora, Der Sinn des Verfahrens. Soziologische Deutungsangebote, in: Stollberg-Rilinger (Hrsg.), Vormoderne politische Verfahren (wie Anm.3), 25–51; Stollberg-Rilinger, Einleitung, ebd.9–24; Stollberg-Rilinger, Einleitung, in: Stollberg-Rilinger/Krischer (Hrsg.), Herstellung und Darstellung (wie Anm.3), 9–31. 79 Dazu Matthias Köhler, Strategie und Symbolik. Verhandeln auf dem Kongress von Nimwegen. (Externa, Bd. 3.) Köln 2011, bes. 432–437, dort 433: „Im Gegensatz zu Verhandlungen ist ein idealtypisches Verfahren nach Luhmann gerade darüber charakterisiert, dass es eine verbindliche Entscheidung auch gegen Dissens treffen kann und sogar eine Entscheidung garantiert. […] Diese ‚Verstrickung‘ der Akteure in das Verfahren, durch die sie selbst an der Delegitimation potentiellen Protests mitarbeiten, ist nach Luhmann die zentrale symbolische Wirkung des Verfahrens, durch die es Interpretationswissen hervorbringt, das die Akzeptanz des Ergebnisses garantiert.“ 80 Vgl. den Tex, Oldenbarnevelt (wie Anm.12), Vol.3, 675–717.
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die Remonstranten zur Annahme der Ergebnisse zu zwingen – deswegen endete die Synode letztlich nicht wie eine religiöse Übereinkunft mit Trennung von Orthodoxie und Häresie, sondern wie eine politische Verhandlung mit der „Exit-Option“ der Remonstranten und der Trennung in unterschiedliche Subkonfessionen. 81 Allein schon durch die bloße Existenz von verschiedenen Konfessionen mit ihren Verflechtungen mit politischen Mächten ging praktisch die Außenwand des Verfahrens verloren. Das Exil sicherte den Remonstranten ihre Existenz. Angesichts dieser Spaltung konnte auch die Legitimationswirkung durch Verfahren nicht mehr eintreten, die ja darauf beruht, dass der Verlierer als sozial isolierter Querulant dargestellt wird, der hinter seine eigene Beteiligung als ‚schlechter Verlierer‘ zurücktritt. 82 Im Gegenteil warfen sich das nun beide Parteien mehr oder weniger gegenseitig vor, eben selbst nicht zurückgetreten zu sein, sondern das Verfahren von Anfang an ins falsche Gleis gebracht zu haben. Dank der publizistischen Bedingungen der Frühen Neuzeit konnten das auch beide Seiten so breitenwirksam darstellen. Wie auch bei politischen Angelegenheiten fungiert hier die beobachtende (Teil-)Öffentlichkeit als Ressource zur teils auch nur nachträglichen Stabilisierung der Deutungshoheit über die Entscheidung. 83 Schlaglichtartig ist abschließend noch auf die dem Band zugrundeliegenden Fra-
81
Vgl. Sikora, Der Sinn des Verfahrens (wie Anm.78), 48; Köhler, Strategie und Symbolik (wie Anm.79),
432f.: „Die Unterscheidung von Verhandlung und Verfahren lässt sich besonders prägnant fassen, wenn man Verhandlungen als Entscheidungsprozesse mit ‚Exit-Option‘ charakterisiert. Damit ist gemeint, dass jede Verhandlungspartei jederzeit aus dem Verhandlungsprozess aussteigen kann, ohne in irgendeiner Weise auf das Ergebnis verpflichtet zu sein.“ 82
Vgl. Luhmann, Legitimation durch Verfahren (wie Anm.78), 117: „Eine Rebellion gegen die Entschei-
dung [eines Verfahrens, A. P.] hat dann kaum noch Sinn und jedenfalls keine Chancen mehr. [...] Die Entscheidung wird, ohne daß es auf innere Bereitschaft noch ankäme, als verbindlich akzeptiert.“ Und kurz darauf, 118: „In dieser isolierten Position kann der Verlierer seine Erwartungen festhalten, aber um einen hohen Preis. [...] Der Verlierer wird zum Sonderling, zum Querulanten“. 83
Die Bedeutung von Öffentlichkeit als Ressource ist in jüngster Zeit vor allem für die Wissenschaftsge-
schichte herausgestellt worden. Vgl. dazu Sybilla Nikolow/Arne Schirrmacher, Das Verhältnis von Wissenschaft und Öffentlichkeit als Beziehungsgeschichte. Historiographische und systematische Perspektiven, in: dies. (Hrsg.), Wissenschaft und Öffentlichkeit als Ressourcen füreinander. Studien zur Wissenschaftsgeschichte im 20.Jahrhundert. Frankfurt am Main/New York 2007, 11–36, bes. 14–18; sowie Mitchell G. Ash, Wissenschaft(en) und Öffentlichkeit(en) als Ressourcen füreinander. Weiterführende Bemerkungen zur Beziehungsgeschichte, in: Nikolow/ Schirrmacher (Hrsg.), Wissenschaft und Öffentlichkeit, 349–362. Eine Übertragung dieser Beziehungsgeschichte über den wissenschaftsgeschichtlichen Teilbereich der gelehrten Theologie hinaus auf den Bereich der religiösen Unterweisungs- und Erbauungsliteratur ist mehr als naheliegend.
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gestellungen zurückzukommen. Dazu sollen zumindest drei Vergleichspunkte genannt werden, in die man die Synode von Dordrecht noch genauer stellen müsste: 1. Zunächst wäre hier der Vergleich der Synode mit zeitgenössischen politischen Entscheidungsfindungsprozessen, konkret der Vergleich der Dordrechter Synode mit dem Arbeiten etwa in den niederländischen Generalstaaten zu erwähnen. Die Forschung hat immer wieder auf Analogien in der Entscheidungsfindung und Verfahrensweise angespielt, die es weiter zu analysieren gilt. 2. Darüber hinaus müsste man genauer die Synode mit anderen Kirchenversammlungen und ihrem Umgang mit religiöser Devianz unter die Lupe nehmen. Da Dordrecht so etwas wie ein ökumenisches Konzil der Reformierten ist, wäre es reizvoll, einen transkonfessionellen Vergleich mit dem Tridentinum anzustellen. Auffälligerweise ist das bislang so gut wie gar nicht und erst recht nicht auf der Ebene der Entscheidungsfindung geschehen – und das vielleicht schon deshalb, weil die zeitgenössischen Gegner die Synode von Dordrecht als quasi papistisches Konzil gebrandmarkt haben und den Umgang mit den Remonstranten als quasi inquisitorisches Verfahren. 84 Es ließen sich jedoch auf struktureller Ebene durchaus interessante Parallelen feststellen, was an dieser Stelle nur angedeutet werden kann: Den Remonstranten käme dann die Rolle der Protestanten im Reich zu, Statthalter Moritz und Oldenbarnevelt ließen sich auf Papst und Kaiser münzen. Oldenbarnevelt hoffte wie Kaiser Karl V. lange Zeit, die Synode sei das geeignete Mittel zur nötigen Reform der Kirche und zur Wiederherstellung der Einheit unter Beteiligung aller. Moritz hingegen sah wie die päpstliche Position im Falle von Trient, in der Kirchenversammlung immer mehr nur noch die korrekte Abwicklung der Trennung. Die Haager Konferenz von 1611 bekäme in diesem Vergleich Ähnlichkeit mit dem Regensburger Religionsgespräch von 1540 – und der ursprüngliche Plan von 1607, die Synode in dem überwiegend remonstrantischen Utrecht abhalten zu wollen, gleicht der Idee des Lokalvorteils „eines freien christlichen Konzils auf deutschem Boden“, das die Anhänger der Reformation im Vorfeld von Trient präferierten. 85 3. Neben dem transkonfessionellen Vergleich käme es auch auf eine Beurteilung
84 Vgl. etwa Brandt, Historie der reformatie (wie Anm.2), 618. 85 Dazu Otto Scheib, Die innerchristlichen Religionsgespräche im Abendland. Regionale Verbreitung, institutionelle Gestalt, theologische Themen, kirchenpolitische Funktion mit besonderer Berücksichtigung des konfessionellen Zeitalters (1517–1689). 3 Bde. Wiesbaden 2009, Bd. 1, 182–204.
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der Funktion von Synoden für die Reformierten allgemein an – und hierfür auf einen Blick über die Niederlande hinaus. Aufschlussreich verspricht hier vor allem der Blick nach Frankreich zu sein. Dort wurden ganze 29 Nationalsynoden in den hundert Jahren zwischen 1559 und 1659 abgehalten, und zwar bis 1623 etwa im Dreijahresabstand. Ein solches Dreijahresschema bestand in den Niederlanden hingegen nur auf dem Papier. 86 Es wäre zu fragen, inwieweit die französischen Synoden aufgrund der Konfessionsverschiedenheit zur französischen Krone nicht vielleicht sogar eine größere Verfahrens- und Entscheidungsautonomie (zumindest in theologischen Fragen) besaßen im Vergleich zu der „öffentlichen Kirche“ in den Niederlanden.
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Vgl. zu den Niederlanden oben Anm.77.
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Die Autorinnen und Autoren
Dr. Melanie Brunner, School of History, Michael Sadler Building, University of Leeds, Leeds, West Yorkshire, LS2 9JT, Großbritannien Prof. Dr. Christoph Dartmann, Universität Hamburg, Fachbereich Geschichte, Von-Melle-Park 6, 20146 Hamburg Dr. Thomas Graumann, Faculty of Divinity, West Road, Cambridge CB3 9BS, Großbritannien Prof. Dr. Ernst-Dieter Hehl, Akademie der Wissenschaften und der Literatur, Geschwister-Scholl-Straße 2, 55131 Mainz Prof. Dr. Volker Leppin, Universität Tübingen, Evangelisch-theologische Fakultät, Liebermeisterstraße 12, 72076 Tübingen Prof. Dr. Constant J. Mews, School of Philosophical, Historical and International Studies, Menzies Building, 20 Chancellors Walk, Clayton Campus, Monash University, Clayton, Victoria 3800, Australien Dr. Clare Monagle, Department of Modern History, Politics and International Relations, Macquarie University, North Ryde NSW 2109, Australien Dr. Andreas Pietsch, Westfälische Wilhelms-Universität Münster, Exzellenzcluster „Religion und Politik“, Johannisstraße 1, 48143 Münster Junior-Prof. Dr. Sita Steckel, Westfälische Wilhelms-Universität Münster, Historisches Seminar, Domplatz 20–22, 48143 Münster
DOI
10.1515/9783110436150.283
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