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German Pages 270 [276] Year 1872
Dunkle Gewalten. Epische Dichtungen von
Herma«» Li»-H.
Stuttgart G. I. Göschen'schr Berlagshandlung. 1872.
Druck von B. G. Teubner in Leipzig.
Inhalt. Seite Der Junker von Bergün...................................................
1
Madrisa.................................................................................
29
Fee Selferetta.........................................................................
41
Der Zieler.............................................................................
53
Astorga......................................................................................
83
Tempelstimmeu....................................................................
95
Scmiramiö.................................................................................. 107 Melusine -
.................................................................................. 115
Die Perle des golocnenHorns...................................................131
Tagebuchblättcr......................................................................... 139 Der Schüler dcS Paracelsus.................................................... 147
Frappirt...................................................................................... 225
Im Elsasi...................................................................................... 241
Der Junker von Bergün.
Lingg, Dichtungen.
1
I. Die Scarpetta. Der Tag ist warm, die Rosen blüh'n,
Todt ist der Landvogt von Bergün. Das alte düstre Herrenhaus
Sieht heute doppelt traurig aus
Mit seinen rothen Erkern, Und Fenstern wie vor Kerkern, Mit seinem niedern Thor, Und mit dem Säulcnpaar davor. Auch sonst ist Alles todtenstille,
Verlassen, öd' und menschenleer,
Man hört vom Feld die Grille Bis in die Gassen her,
Und von dem Thurme klingen
Die Glocken dumpf herab, Und in der Kirche singen Die Priester um ein Grab.
4 Der Tag ist warm, die Rosen blüh'n, Der schmucke Junker von Bergün —
Indeß der Oheim sinkt ins Grab — Die Treppen stürmt er auf und ab,
Daß widerhallt das öde Schloß;
Im Hofe steht sein schnaubend Roß, Und sausend trägt es ihn dahin,
Am Abgrund hin auf steilem Pfade.
„Bei Gott, er hat mir doch vcrzieh'n So werd' auch ihm des Himmels Gnade!
Das wüste Spiel liegt hinter mir, Die Lust an Zcchgelag und Meute
Ein bess'rer Tag — horch, wer ist hier? Erschallt Musik?
Wer feiert heute?" -
In Waldcsmittc lag ein Platz,
Wie tief verborgen liegt ein Schatz,
Ein stiller, grüner Wiesenraum, Unihcgt von dunklem Tannensaum,
Scarpetta tanzten Paar an Paar, Und um sie her gelagert war, Das Eymbal spielend, eine Bande,
Erkennbar an dem schwarzen Haar, Ein Trupp vom welschen Nachbarlandc.
5 „Was, loses Volk, was, seid ihr toll?" Fuhr aus sie los der Ritter, „Leute,
Hört ihr denn nicht das Grabgeläute?
Heut', wo das Land nur trauern soll, Zum Tanzen kommt ihr da zusammen?
Gleich macht euch fort und eilt nach Haus, Sonst treib' euch, soll mich Gott verdammen,
Der Büttel eure Tanzwuth aus!"
Er rief es heftig aus im Zorn
Und gab zugleich dem Pferd den Sporn. Das stieg, als wollt' es mit dem Hufe Einhauen auf den fremden Troß;
Da warf den Schuh vom Fuß ans Roß
Ein Mädchen mit dem hellen Rufe:
„Seid ihr der neue Herr?
O gut!
Ihr scheint mir ein zu junges Blut, llnd sollt es uus nicht glauben machen, Als ob wir heut' nicht dürften lachen, Da oer ist todt, der euch so arg
Wie uns gepeinigt hat.
Wir geben
Ihm einen Tritt auf seinen Sarg Und einen Fluch ins ew'ge Leben!"
6 „Du kecke Maid," ruft hocherglüht Der Ritter nieder zu der Dirne
Und Schaam und Zornesröthe sprüht Auf jeder Ader seiner Stirne;
Doch fesselt ihn ihr schöner Mund,
Und aus der Augen Gluth zugleich Ein Blick aus tiefstem Seelengrund,
Und seine Seele wurde weich.
Was in den dunkeln Augen flammte, War ein so stolz und offner Sinn,
Und eine Größe lag darin, Die jeden niedern Zug verdammte.
So wich jetzt in des Ritters Brust Der von dem Hochmuth angefachte,
Der finstre Zorn; nnd sich bewußt Der mildern Regung, sprach er sachte: „Laß los die Zügel, Kind, und gehe;
Und daß ich dich nie wiedersehe; Es brächte, du vcrweg'ne Maid, Leicht dir wie mir das größte Leid!" Er sprach's zu ihr und wandte still
Und kurz sich ab und läßt den Zügel Dem Pferd, zu gch'n, wohin es will.
7 Er wünscht ihm seiner Sehnsucht Flügel, Und wie gefangen, traumversunken Auf irrem Pfade trabt er fort,
Noch stets von ihrem Blick wie trunken; Und plötzlich sieht er sich am Ort, An dem er sie noch eben sah,
„Wo bin ich?
Ist sie's, ist sie da?"
Sie war's, sie saß am Eibenbaum Gelehnt in schlummermüder Ruh,
Und sah vor sich, wie halb im Traum, Auf ihren kleinen, feinen Schuh. Zuweilen flog's wie Wetterglüh'n
Aus ihrer Wimpern Nacht hervor,
Verwandt dem Lächeln, das im Blüh'n
Der schonen Lippen sich verlor. Er rief: „Du Maid, da hast du mich
Und ab schwör' ich hier feierlich
Der Lüge, daß ich dir gegrollt,
Dem Wahn, daß ich dich flieh'n gewollt."
Sie sprach: „Es ist an mir, zu flieh'n, Den Tanz habt ihr uns nicht verzieh'«, Den Tanz, an dem nichts Arges ist,
Doch heimlich schleicht ihr her mit List,
8 Und wollt mich arme Maid da bannen. Mit Kuß und Schmeicheln übermannen-
Geht, Junker, sucht für euer Haus
Ein stolzes Edelfräulein aus,
Mich aber lasset, lasset mein Den Raum bei diesem Baume sein.
Nicht mehr bitt ich, nur dies gestattet, Daß ich hier athmen darf; gebt's zu
So weit, als dieser Baum da schattet — Frei athmen darf vor ench in Ruh."
„O," rief der Ritter, „das zu hören
Ist doppelt herb von deinem Mund, Ich konnte deine Freude stören, Zur Strafe bin ich todeswund."
Er schloß sie fest an sich, er schwang
Sie hoch an seine Brust mit Kosen, Da wich der wilde Trotz, da schlang
Um beide sich die Nacht, und Rosen,
Die wilden Rosen gaben Duft Dem Glüh'n der schwülen Sommerluft.
9
II. Der graue Bund. In Krieg und Aufruhr steht das Land Die Berge ringsum stehn in Feuer, Denn fremdes Volk wirst Hellen Brand In Haus und Hütte, Hof und Scheuer;
Die Triften sind, die Fluren brach; Die Welschen sind ins Land gedrungen, Zu rächen eines Vaters Schmach,
Dem Herrenlust sein Kind entehrt;
Die Schuld, wer sprach von Schuld, wer klagte?
Sic, die allein es konnte, schwieg, Sie schwieg und kämpfte doch und jagte Zn Rosse hoch voran im Krieg.
Verwüstet wird darum, verheert,
Und blutig wird und heiß gerungen; Gekämpft wird in dem tiefsten Thal Und auf den höchsten Fclscnstegen,
Gekämpft mit Keule, Stein und Stahl, Am Abgrund und auf Waldcswegcn,
Und früh beim ersten Morgenstraht Und spät in dunkler Rächt. Rach langen
Und blut'gcn Wochen zwingt der Arm
10 Des Bündtner Volks den fremden Schwarm.
Was nicht erschlagen, wird gefangen, Gemartert, oder irrt zuletzt
In Felsenödcn todtgehetzt. Gebunden schleppt man dort heran Zum Richtplatz Schaar an Schaar, zum Grund
Wo auf dem freien Wicscnplan Gerichtstag hält der graue Bund; Wo zwischen zwei uralten Säulen
Querüber liegt das Todesholz. Im Kreis, gestützt auf Schwert und Keulen, Stch'n hundert Männer kalt und stolz.
Ein kurzes Urtheil wird gesprochen, Der Spruch gefällt, der Stab gebrochen,
Und ohne Schonen wirft den Strick Der Henker um den zarten Leib Wie um der Männer Trutz-Genick. Jetzt tritt heran ein jringes Weib, Ihr Haar ist los, wild rollt ihr Blick, Es ist ihr fast noch anzuschcn, Daß sie die Faust in Blut getaucht;
Von ihren Lippen, scheint cs, haucht
Die Mordlust noch.
Sie soll gestehen,
11 Wie viele Morde sie vollbracht,
In wie viel Häuser sie geschwungen Den Feucrbrand.
Sie schweigt und lacht.
Die Richter winken und geschlungen Ist über ihrem Hanpt der Strick —
Da noch im letzten Augenblick,
Da saust's heran, da stäubt der Sand;
Ein schäumend' Roß sinkt in die Kniee, Und aus dem Sattel schwingt sich, siehe!
Der Ritter von Bergün. Hoch bäumt
Sich seine Brust, er blickt nach ihr. „Find ich dich hier, und so dich hier?
Ist dies die liebliche Gestalt, Sind dies die Lippen, die nur sangen, Und deren Lächeln mir einst galt?
Sind dies die Locken, die sich schlangen Um unser glühend' Angesicht
Im Dunkel vor dem Sternenlicht? Und Dn wär'st schuldig! Nein, o nein, Ihr Richter, ich bin's, haltet ein! Das Urtheil dürft ihr nicht vollzieh«
So wahr ich Herr bin von Bergün!"
12 Da trat ein Greis vor ihn und sprach:
„Herr Junker, hier gilt unser Recht, Und wo den Stab das Urtheil brach Da schützt nicht Fürwort, nicht Geschlecht. Den Tod erleid' die Würgerin
Die Brand und Aufruhr augefacht." —
„Und ich sag' nein und haltet inn'i" Rief noch einmal der Ritter laut,
„Ich nehm' die Maid als meine Braut Dann habt ihr weiter keine Macht.
Auf diesem Platz mir angetraut
Wird sie noch heut' mein eh'lich Weib, Fort, Henker, laß' von ihrem Leib;
Das Blut, das sie vergoß, du Knecht, Komm über mich und mein Geschlecht!" „Das soll es!" rief der Greis hieraus,
Ich sprech'.die Dirne los und frei,
Doch ein's beding' ich in den Kauf, Der Henker hab' sein Theil dabei.
Es soll ihn fürder Keiner schelten,
Des Amtes ledig, werd' er rein, Und soll fortan für ehrlich gelten,
Und euer Diener soll er sein. Er wird stets um eud) sein beim Mahl Stets hinter euer’nt Stuhle steh'n Und euch kredenzen den Pokal, Er wird vor euch beim Schlafengeh'n Den Leuchter, wenn zu Pferd ihr steigt Den Bügel halten — Herr, ihr schweigt? Jst's euch genehm? Nun ja zu sagen Vielleicht zu stolz ist euer Mund; Doch, wollt ihr euch mit uns vertragen, So gebt es durch ein Zeichen kund."
Der Ritter nickte, stieg zn Roß Und hob zu sich hinauf die Maid, Ritt mit ihr nach Bergün ins Schloß Und warf ihr um das Perlenkleid Das längst schon für den Hochzeitstag Bereit im alten Schranke lag.
1t
III. Der Hochzeitsgang. O was es doch um Schönheit ist, Daß man darüber Ehr' und Gut
Und HöÜ' und Himmelreich vergißt,
Hingibt den letzten Tropfen Blut
Und, wenn uns d'rum die Welt verachtet, Auch das noch als Gewinn betrachtet! —
Musik erschallt! Die Fackeln sprüh'n
Im Saal des Schlosses zu Bergün. Der Henker hat den Dienst beim Mahl, Er füllt und bringt den Weinpokal,
Weist jeden Gast zur Tafel hin
Und reicht dem Brautpaar tief sich neigend Die Schüssel dar auf seinen Knic'n Und ordnet.Alles ernst und schweigend. Er trägt sein tückisches Gesicht
So keck und dreist zur Schau, vollsührt Und übt auch so die neue Pflicht,
Daß Alles gleich den Henker spürt,
Und, wenn er dienend naht, sich duckt Und unwillkührlich zusammenzuckt.
15 Zuweilen blickt nach ihm verstohlen Sein Herr, und jeder Blick bezeugt Den Grimm und Abscheu unverhohlen, Und wie sein Stolz sich fühlt gebeugt.
Der Schimpf, den man ihm angethan,
Läßt insgeheim vor Wuth ihn schäumen, Er denkt nur Eins noch — nur daran,
Den Läst'gen aus dem Weg zu räumen.
Und als es schlug die Mitternacht, „Die Fackeln," ruft er „her und leuchte
Zu Bett, so ward -es ausgemacht.
Doch wo schon Ohm und Urahn keuchte, Aus dem Weg geht es heute nicht Ins Brautgemach! Halt hoch das Licht!"
Auf springt er, leert mit einem Zug
Dcu Becher und besiehlt: „Poran!"
Und Treppen gehts hinauf genug, Vorbei an Erker und Altan,
Und höher, immer höher noch Bis auf den Thurm, bis durch das Joch Von einer niedern Thür.
Und jetzt,
Jetzt stch'n sic aus dem Schloßdach oben,
Von wo man schaudernd und entsetzt
Im Abgrund hört den Gicßbach toben.
16
Auf schmaler Kante, fußbreit kaum Führt über nach dem andern Thurme Ein freier unbeschützter Raum,
Um welchen, wie von fernem Sturme, Beständig heult und schwirrt die Luft.
Der Diener stutzt, er hemmt die Schritte, Da ruft sein Herr: „Was zagst du, Schuft? Voran, ich folg', hab Acht, ich bitte, Daß nicht die Fackel loscht.
Geh' zu!
Wer ist vertrauter denn mit Schwenken
Und Schweben in der Luft, als du? Du solltest dich nicht lang bedenken."
Er sprichts.
Der And're murmelt: „Gut!"
Und schreitet festen Schrittes vor;
Der Ritter hält mit gleichem Muth
Im Arm die Braut an sich empor. So geh'» sie ihren kecken Gang Vorsichtig, athemlos und stumm,
Auf einmal wird dem Henker bang, Er denkt: „Wenn der ..." und sieht sich um —
„Wenn rücklings der hinab mich stieße, Ich siel' wohl zehn Secunden lang." Er sieht sich um, cs ist, als schieße
Sein Auge Flammen, Haß zugleich
17 Und Furcht und Grausen.
Todtcnbleich
Ist sein Gesicht, sein Haar gesträubt,
So grimmig sieht er aus, so häßlich,
Daß schon, ihn anzuschau'n, betäubt. Ihn sieht das junge Weib und kann Vor seines Anblicks finster'm Bann
Den Blick nicht wenden.
Sah sie nicht
Schon einmal wo? dies Grau'ngesicht,
So wie er über sie sich bog Und sie, o Gott, mit sich, wohin —
Sie weiß es jetzt — zum Richtplatz zog.
„Er sucht mich, ja! und ich, ich bin
In seiner Macht noch und Gewalt, Er kommt, um wieder mich zu binden."
Sie denkt es, ihre Sinne schwinden, Es überläuft sie eisig kalt
Ein Todeskrampf faßt ihre Glieder, Ein Ach, ein Schrei, sie sinkt, sie fällt, Doch nicht verläßt sie, der sie hält. Er faßt die bebende Gestalt Mit starkem Arm nur um so fester
Und trägt sie weiter auf dem Dach Bis zu dem Sitz der Eulenncstcr, Lingg, Dichtungen.
2
18 Dem alten Thürmcrthor, ein Krach — Aufspringt die Thür, ein weit Gemach
Betritt mit seiner Last der Ritter.
Im Erker ragt ein Tisch, es blitzt Das Mondlicht hell durchs Fenstergitter, Da, Höll' und Himmel — sieh, da sitzt Der Oheim wie er leibt' und lebte, Und wie er mit dem Finger droht
Erscholl es, daß die Wölbung bebte, „Komm nur herein, ich bin nicht todt. Zum Schein nur ließ ich mich begraben, Lang war im fremden Land ich aus,
Doch hielt ich stets die Hand im Haus.
Hier sollst du's gut, mein Neffe, haben!
Hier magst du wohnen ganz allein Mit deinem Lieb, Jahr aus, Jahr ein.
Genießet, bis ihr satt geworden
Der Sinne Lust, und wenn ihr's seid, Mögt ihr euch wie die Spinnen morden,
Das ist des greisen Ohms Bescheid. Hier liegt mein Dolch!" — damit erhebt
Der Alte sich vom Stuhl und schreitet Zur Thüre, daß der Estrich bebt,
Und eine dumpfe Glocke läutet,
19 Die Thüre schließt sich, wie er geht, Als hätt' ein Sturm sie zugeweht. „Im Kerker also" — sprach zu sich
Der Junker von Bergün „die Strafe Ist fein erdacht, er kannte mich."
Darauf zum Lager sänftiglich Trägt er sein Weib und sagt: „Nun schlafe Und wenn du aufwachft, armes Kind,
Erfährst du, daß wir Todte sind,
In diesem^ Kerker, unsrer Bahre. Doch die Verwünschung, sei getrost,
Soll doch nicht in Erfüllung gehen,
Ein Nest soll aus der Gruft erstehen, Wo Taubenliebe minnt und kost,
Und Jahr um Jahr wird uns entschwinden Und immer gleiche Liebe finden,
Der Dolch, ihn auch nur anzurühren, Soll nicht mich in Versuchung führen, Auf Freiheit hab' ich nicht zu hoffen,
Nie mehr steht diese Thür uns offen, Da kenn' ich meinen Ohm zu gut, Doch kenn' auch er bald meinen Muth
Er soll sich noch getäuscht bekennen,
20 An meiner Treu' und Festigkeit,
Entbehrung nicht, und keine Zeit Und auch der Tod nicht soll uns trennen." Ein Jahr verfloß, ein Jahr und zwei,
Sie hatten in Geduld ertragen
Der Monde träges Einerlei,
Und Keines sah das And're klagen.
Sie hatten noch Gedankenflug, Erzählung von Erinnerungen,
Sie hatten noch Betheuerungen Und Scherz und Träume noch genug, Und wußten Leben und Empfinden
Mit jedem Morgen neu zu finden; Dann aber schlich es doch heran Das unsagbare Leid, das rasche
Verwelken, das sie gar nicht sah'n,
Doch das sie still umgab mit Asche, Das, wie ein Schleier, trüb sich wob
Um ihren Blick, den Sinn berückte, Und, wenn die Brust sich einmal hob, Sogleich sie wieder niederdrückte.
Die Furchen der Gefangenschaft,
Dem Geist unmerklich eingegraben,
21 Die Tag' und Wochen öder Haft, Die nichts mehr brachten, nichts mehr gaben.
Das Nagen an der Lebenskraft Es bog zuerst den Mann, cs schlng
Ihn früher, seine Schläfe blaßte;
Je höher er das Haupt einst trug Jetzt um so mehr — und mehr erfaßte
Je wen'ger er sich's merken ließ Verzweiflung sein Herz insgeheim,
Je stärker er sich selbst bewies.
Sic sah es, o, sie sah den Keim
Langsamen Todes ihn beschleichen,
Sic sah sich seine Locken bleichen, Sic wollte von ihm fort und ihn
Von ihr befreien, ihm entflieh'», Denn daß sic Schuld an seinem Gram,
War ihr das Herbste noch, cs kam Wie Wahnsinn über sic, sic schlief, Sic wachte nicht mehr, was'sie sann, Erschien ihr seltsam, seltsam tief,
Und wenn sic's dachte, war's ihr dann, Als ob ihr's eine Stimme rief.
22 Was war es, das ihr fort und fort
Verlockend rief ein dunkles Wort, Ob solchem Leben vorzuzieh'n
Der Tod nichts Bess'res bringen könne? Ob ihnen nur ihr Feind nicht gönne,
Das Elend ihres Seins zu flieh'n — Und muß nicht, daß sie selig werde,
Die Seele frei sein von der Erde? Von Zeit zu Zeit, gespensterhaft
Schlich um den Thurm des Nachts der Alte, Zu schauen, ob er auch in Haft
Den Ritter und sein Weib noch halte. Er horcht gebeugt auf seinen Stab Mit Blicken, die der Haß verzerrte,
Denn Anfangs sang ihm oft herab Ein frohes Lied der Eingesperrte,
Und eine zarte Stimme fiel Dazwischen ein in sanfter Weise. Oft wie von süßem Minnespiel
Schien's ihm zu flüstern, lüsternleise,
Dann konnt' er seine Knochenfaust Voll Ingrimms an die Mauer schlagen,
Und rufen: „Noch nicht abgehaust,
23 Herr Ehrenmann, noch keine Klagen? Ach, seufzt' er auf, noch gilt ihm mehr Die Dirn', als seines Hauses Ehr'!
Doch kommen wird gewiß die Stunde
Wo sich sein Stolz erheben mnß,
Wo satt an ihrem Schlangenmunde Ihn widern wird ihr welker Kuß:
Er selbst, kein And'rer soll sie richten!
Die Mord'rin, unabweislich steh'n Die heiligsten, die höchsten Pflichten,
Und ihnen kann kein Mensch entgeh'n."
So sprach der Unerbittlich-Harte,
Und sann, und sann sich nie genug, Womit er tilgen woll' die Scharte,
Die seinem Haus der Neffe schlug. Oft ließ er wohl zur Jagd den Ruf,
Und Hörner in dem Burghof schallen, Oft mahnte munt'rer Rosse Huf
Und aus dem Thal der Banner Wallen
An LVaffenthat und Kriegerruhm, An Rittcrspiel und Heldenthum. Allmählig ward cs stumm und stummer
Im Erker auf dem Thurm, cs schien
24 Im Voraus schon ein Todesschlnmmer Um die darinnen sich zu zieh'n. „Es kommt, wie ich's vorhergesagt,"
Spricht zu sich selbst der Greis zufrieden,
„Man kann so fest kein Ringlein schmieden. Das nicht die Zeit zuletzt zernagt." Er sprach's und bog auf seinem Stab
Sich bis ins feuchte Gras hinab, Da — horch, es klirrt was auf dem Stein,
Was fiel?
Sein Dolch?
Es ist so — nein!
Ein Eisenstück vom Fensterkloben Fiel aus der morschen Mauer oben.
Und doch — sein Dolch ist's, obendrein Von frisch vcrgoss'nem Blut benetzt, ist es doch gescheh'n und jetzt,
Jetzt athmet auf der greise Mann. „Erleb' ich's doch noch, daß ich wieder
Ihn mein, mein eigen nennen kann. Komm, steig' aus deinem Jammerbann
Befreit zum alten Ohm hernieder — Nein, ich zu dir, ich komme schon, Mein Siegmund, meiner Schwester Sohn!
Du hast die schwere That vollbracht,
25 Der Sünde grausen Frohn gerächt
Und dich dem adligen Geschlecht, Von dem du stammst, zurückgebracht!"
Er eilt mit jugendlicher Hast
Den Thurm hinan, die Wendelsteige
Zur Thüre, die er zitternd faßt, Was wohl sich seinem Blicke zeige?
Er schließt die Riegel auf, betritt Den düstern Raum, beim ersten Schritt Erstarrt er, jäh zurückgeschreckt,
Denn vor ihm steht die Todtgeglaubtc,
Und weist nach einem bleichen Haupte Von blut'gem Linnen halb bedeckt. „Er ist es, ja, und ich, ich bin
Die Mörderin, nicht wahr ich treffe?
Was starrst du so, er ist's, dein Neffe. Es war nicht klug gehandelt, ihn,
Den Löwen bei der Tigerin
In einem Käfigte zu lassen. Du hast gewähnt, er soll mich hassen? Er hat geliebt mich bis zum Grab,
Und Liebe war's, die diese Hand
Bewaffnet, und die Kraft ihr gab,
26 Daß ich den Kampf mit mir bestand, Daß ich den Tod ihm konnte geben,
Den ich geliebt mehr als mein Leben. Doch ihm war das kein Leben mehr,
In diesem Kerker hinzukranken, Wo keines Tages Wiederkehr
Ihm Nahrung brachte für Gedanken. Ich sah's, was konnt' ich sündig Weib Ihm bieten mehr, als meinen Leib.
Als Lust ihm keine Lust mehr bot,
Hatt' ich ihm fürder nichts zu geben, Als einen raschen, sanften Tod. Das that ich, nehmt nun auch mein Leben! Sinnt Aergstes aus, verbrennet, hängt
Verviertheilt mich, ich sterbe froh;
Zurück ihr, die ihr mich umdrängt, Laßt mich!" sie rief's und wollte so
Wie unantastbar nach der Thüre, Da war's, als sie verließ die Gruft, Als ob ihr was den Athem schnüre, Die längst entbehrte frische Luft.
Tief hebt sich ihre Brust und schwer, Sie fühlt sich nicht gefangen mehr,
27 Nicht mehr von Kerkernacht umfangen,
Im Ange flammt ein neues Licht, Ein neues Roth durchströmt die Wangen
Und überstrahlt ihr Angesicht, Die Freiheit winkt, ihr winkt empor
Sein Geist, ein Kampf durchrast die Glieder: So stürzt sie nach der Zugbrück' vor
Und stürzt sich in den Abgrund nieder. Der Tag ist warm, die Rosen blüh'n,
Todt ist der Landvogt von Bcrgün; Das alte düst're Herrenhaus,
Sieht heute doppelt traurig aus; Denn nach einander rollen dumpf
Zwei Bahren in die Gruft, die eine Verschließt ein Leben morsch und stumpf,
Zwei Blüthen ruh'n im andern Schreine.
Madrisa.
Es war zur Frühlingszeit,
Vom Sommer nicht mehr weit; Kurz vor Johannitag, Als hoch die Schwalbe flog
Und grün die Wiese lag; Als aus dem Thäte zog
Der Hirt zur Alpe wieder, Da ward es laut im Land,
Da schallten frohe Lieder, Da wehte Kranz und Band.
An einem Hause nur War Thür und Thor verschlossen;
Von Freude keine Spur,
Nur stille Thränen flossen; Der Herr darin war reich, Ihm war an Alpengründcn,
An Hccrden Niemand gleich
Im ganzen Lande Bündten. Doch wölkte sich schon lang
32 Um seine Stirn' ein Kummer Und Sorgen schwer und bang Verstörten ihm den Schlummer, Heut' auf die Alp' zu gehn
Wie schwer wird ihm der Gang! Doch galt es nachzusehen,
Denn schon verging das Jahr
Seit man zu Berg getrieben,
Und Winters über war Der Sohn im Berg geblieben. Von Zeit zu Zeit wohl schritt Von ihm herab ein Bote
Und brachte Grüße mit
Unb holte frische Brode Und sagte, wie es gehe, Und wie es mit dem Vieh Und mit dem Futter stehe,
Und daß es wohl gedieh'. — Nun war ein Mond verstrichen
Es blieb der Bote aus,
Und in des Reichen Haus Kam stiller Gram geschlichen. Die Mutter, kummervoll,
33 Sah nach den Höh'n, wenn Regen
Im Thal zu Bächen schwoll, Und seufzte seinetwegen. Was ist ihm doch geschehen?
Am Abgrund, ach, vielleicht Hat ihn im Nicdcrgchen.
Die Staublawin' erreicht?
Vielleicht ist von den Jochen Ein Bergsturz losgcbrochen Und hat den armen Knaben Verschüttet und begraben?
Der Vater sprach zum Troste
Indem er neben sich Die kleine Tochter koste: „Nein, Mutter! Sicherlich
Ist so was nicht geschehen. Ich will nun selbst hinauf
Und nach dem Buben scheu." Den Alpcnstock darauf Ergriff er, pfiff dem Hunde, Sagt' Lebewohl und ging.
Nach mancher heißen Stunde
Bergauf, bergab empfing in fl 0, Dichtungen.
3
34 In gold'ner Morgenfrühe
Don Höhen überall Den Greis der Widerhall
Vom Läuten seiner Kühe.
Dem wohlbekannten Ton Nachschreitend sicht er oben Den Hirten, seinen Sohn. Ich muß ihn, denkt er, loben Wie glänzt, wie wohlgenährt
Die Heerde; solch ein Segen Ward mir noch nie gewährt.
So eilt er ihm entgegen lind drückt ihm froh die Hand.
„Gott," ruft er, „sei gelobt
Und seiner Güte Walten; Du hast dich wohlbehalten
Und dein Geschick erprobt.
Es schreiten beide nun Zur Hütte, dort zu ruh'n;
Verwundert hält der Greis Auf ihrem Weg dahin, Fürwahr, so lang er weiß,
So sah er nie gedieh'n
35 Loll Futterkraut die Wiesen Er sieht selbst aus dem Eis
Noch Felsen und auf diesen
Die schönsten Blumenauen Am Abgrund niedcrschauen.
Da grasten, weiß wie Schnee
Die Schafe, reich an Wolle, Da stand der düftevolle
Der roth und gold'ne Klee. Auch lag ein grüner See Umgeben von den Matten
In dunkler Felsen Schatten. Ein Knabe saß im Kahn
Und holte die Forelle Aus ihrer kühlen Welle. Als sie darauf hinan
Zur Alpenhütte traten Und über Klein und Groß
Der Vater schon beschloß Pen Jüngling zu berathen,
Wie stund da noch viel mehr
Der reiche Mann verwundert Denn im Gewölb umher
Erblickt er viele hundert
36 Von Schüsseln Milch gereiht Und Käs' und Butterwecken
Goldhell und rund und breit. Er sah cs fast mit Schrecken. rief er „Sohn, mein Sohn,
Woher kommt all der Segen, Wem schulden wir den Lohn? Denn so der Alpen pflegen Möcht' kaum ein Menschenkind!
Das kommt vom Elfenvolke,
Kein irdisches Gesind' Schafft solche Milch und Molke!
Auf unsrer Erdnatur Grnn't keine solche Wiese! So blüht cs einzig nur
Im Elfcnparadicse." Der Jüngling sah zur Erde Und sagte: „Freilich ja, Wie Wiese, Fluß und Heerde Dein Blick so blühen sah,
So hat das Alles meine
Madrisa nur gekonnt,
An deren Maienscheinc
37 Sich Alles labt und sonnt Wohin die Holde wallt
Sproßt unter ihren Tritten
Der Boden mannigfalt.
Sie kam herabgeschritten Vom Gipfel, der dort ragt,
Und bot sich an als Magd;
Und seit sie schafft und waltet, Nie müd' und immer froh,
Seitdem hat Alles so
In Fülle sich entfaltet. Vor ihrem Blicke thauen
Die Hohen frühlingslind Und blühen Feld und Auen. Hier kannst du selbst sie schauen Im Schlaf, das Engelskind
Doch daß sie nicht erwacht!" —
Er öffnete die Thüre
Zur Kammer still und sacht
Damit sie nichts erführe;
Sie aber lag so hold In Schlummer hingegossen,
In ihrem Lockengold,
38 Das reich herabgeflossen Aufs Lager niederquoll Gelöst aus einem Kranze Von Alpenblumen voll.
Als jetzt erstaunt wie nie Vor solchen Schönheitsglanzc
Der Vater laut aufschrie, Sieh, da mit bitt'rem Leide
Fuhr aus dem Schlaf die Fee; „Ach," rief sie, „weh, ach weh! Nun geh' ich fort und scheide,
O, hättet ihr zum Leide
Doch nimmer mich geweckt!"
So sprechend ging sie leise
Wie man im Schlafe geht
In unnahbarer Weise Und war wie weggeweht.
In wildem Schmerz erstarrend Sah ihr der Jüngling nach
Und lang noch ihrer harrend
Bis daß das Herz ihm brach.
Er rief zum Berg hinüber Noch oft mit Herzensweh: „Madrisa, komm herüber,
Madrisa, meine Fee!"
39 Der Sommer war vergangen, Der Winter war vorbei, Und wieder brausend sprangen
Vom Eis die Ströme frei.
Man zog zur Alpe wieder,
Doch war kein Herz mehr froh, Und nichts gedieh mehr so, Wie da Madrisa lebte
Und zu der Alpe nieder Vom Bergesgipfel schwebte.
Fee Selferetta.
Im Berge lebt ein alter Senn, Der mir erzählte die Geschichte Lom Tod der Jnngfran von Scharen». „Ihr seht die Gletscher dort im Lichte Des Mondes, der voll Majestät In stiller nnd erhab'ner Feier Jetzt über dem Gebirge steht, Indeß, gleich einem Silbcrschleier Der Nebel um die Gipfel weht. Wißt, diese stolzen Gletscher waren Einst Schwestern ans dem Feenreich, An Schönheit war den Wunderbaren Kein erdgebornes Wesen gleich, Ans Selferetta's Wangen blühte Der Paradiesesfrüchte Dnft, Ein Meer von Diamanten sprühte Rings um die Königin der Luft,
44 Und immer ihr zur Seite schwebte
Vereina's reizende Gestalt,
In deren ganzem Wesen lebte Der Huld und Schönheit Allgewalt. Wohin sie gingen blühten Matten,
Es sproßten Lilien hervor Und hohe Bäume gaben Schatten,
Belaubt mit immergrünem Flor.
Oft schwangen sich im Elfentanze
Die Tochter der Unsterblichkeit, Gestirnen gleich an hellem Glanze,
Voll Anmuth und voll Lieblichkeit. Von Thal zu Thal dann klang der Reigen,
Der süßen Melodien Klang, Und durch der Nächte tiefes Schweigen Ihr überirdischer Gesang.
Einst hörte die gefeiten Laute
Der Ritter von Scharenn, er war Noch spät, da schon der Abend graute Im Wald mit seiner Jägerschaar; Es trieb das heiße Jagdvergnügen Jhil bis in eine tiefe Schlucht,
Worin in letzten Athemzügen Der Hirsch erlag nach langer Flncht. Des Jagdgefolgcs Lieder schallten Ans weiter Ferne dnrch den Hain, Die Hörner und der Rnf verhallten, Er sah um sich, er war allein.
Auf einmal sing cs an ;u tönen In wunderbaren Melodien Ein sich Bekämpfen und Versöhnen, Ein Blitz und sieh, vor ihm erschien Die schönste Fee, — wie taumelnd schreckte Der Ritter einen Schritt zurück, Doch, welche neue Gluth erweckte, Ihr Lächeln bald, ihr holder Blick! Sic trat heran mit sanftem Neigen, Ihr lieblich Antlitz, unbewegt, Schien nur Erstaunen anzuzcigen, Halb dräuend, halb von Furcht bewegt.
„Gott grüße dich, du schönes Wesen," Rief Eginolf, „beglückt der Mann Den du zum König wirst erlesen In deiner Schönheit Zanberbanu!
46 O mehr als alles Gold der Schachte Erränge, wem des Glücks Gewähr
Von deinen süßen Lippen lachte, Daß ihm dein Herz gewogen wär'."
„Nicht länger, Sterblicher, verweile, Und denke nie hierher zurück,"
Sprach Selferetta, „flieh' in Eile, Versuch' kein zweites Mal dein Glück." Und wie von ihrem schönen Munde
Zn Luft zerfloß das letzte Wort,
Nies ihre Schwester: „Komm! die Stunde Der Frühe naht, wir müssen fort!" Verein» mit dem himmelblauen
Gewand erschien, und Hand in Hand
Erheben sich die Bergjungfrauen Hin über Wald und Felsenwand.
Im Schlosse von Scharenn war's stille, Es schlief der Wächter und sein Hund,
Im Garten zirpte nur die Grille Und um der alten Thürme Rund Durch Tannen und durch dunkler Eiben Verzweigtes Grün schien klar und voll
47 Das Mondlicht in die Fensterscheibe», Um die des Epheus Dickicht quoll,
Sein milder Glanz drang in das Zimmer
Der Jungfrau von Scharenn hinab, Wo noch der Lampe blasser Schimmer. Des Mädchens ruhend Haupt umgab-
Ob auch die Wange heißer brannte lind hörbar pochend schlug das Herz,' Die reine Kinderseele kannte Nicht Leidenschaft noch oder Schmerz. Die Jungfrau schlief und ihre Träume
Nicht sorglos heut, wie sonst, und leicht
Durchflogen jene dunkeln Räume, An die kein Sinn im Wachen reicht. Als ob ein finsterer Gedanke
Aus anderm Traum herüberschlug,
So schwirrt jetzt durch die Blüthenranke, Die vor dem Fenster hing, der Flug. Von einer Nachtphaläne Schwingen. Sie fuhr erschreckt vom Schlaf' empor Und hört' ein schallend Hüfthorn klingen Und Rosses Hufschlag dröhnt durch's Thor. — Mit düst'rer Miene, wie sie nimmer
48 An ihrem Vater noch gesehn,
Sieht sie den Ritter durch die Zimmer
Und stumm an ihr vorübergehn. Ein still Gebet von ihrem Munde,
Dann legt sie hin zum Schlaf das Haupt;
Dagegen ruhlos Stund' an Stunde Durchwacht der Ritter schlafberaubt, Er lehnt sich in die Fensterrunde
Und blickt hinüber nach den Höh'n; Die Nacht ist schön und sternenhelle Und unten rauscht im See die Welle Und in den Tannen saust der Föhn,
Und wie er lauscht und sinnt und träumt,
So wähnt er, wo das Licht der Sterne Mit Hellem Glanz die Gipfel säumt,
Er schau sie wandeln durch die Ferne,
Und glaubt in fernen Geisterchören Auch ihre Melodien zu hören.
Kaum daß sich auf den Höhen wieder Die Sonne zeigt, so sprengt in Hast
Der Ritter in die Bergschlucht nieder Nach eines kurzen Schlummers Rast,
Kein Jagdzug ist ihm heut' zur Seite,
Kein Knappe, der den Falken trägt, Und nicht mit frohem Bellen schlägt Und lechzend um ihn an die Meute. Er sprengt auf ilnbctrct'nen Pfaden Sein muthig Rotz thalein und aus. Zu stiller Weiher Schilfgestaden Und über schroffes Felsgestein; Allein vergeblich alle Schlünde Durchirrt er in dem dunkeln Tann, Als hielten ihn die Fecnbündc Noch selbst zurück mit ihrem Bann; Es locken ihn und täuschen wieder Der Felsen wechselnde Gestalt Und die gezackten Riesenglieder, Um die der graue Nebel wallt. Das Hüfthorn nimmt er von der Seite Und bläst, und ruft: erscheine mir Fee Selferetta, komm, ich reite Empor zu dir, ich will zu dir! — Ich tanz' mit dir wohl auf den Wiesen, Ich tanz' mit dir wohl auf den Au'n, Wo deine goldnen Blumen sprießen Wo deine goldnen Blumen thau'n! -ingg, Dichtungen.
4
Er ruft's und horch mit einem Male Ertönt von fern ein leises Klingen, Und näher blinkt ein Heller Strahl Und um ihn rauscht es wie von Schwingen. Sie kam und stand — doch nicht wie gestern, — Sie stand vor ihm nicht sanft und mild Im Reigen ihrer holden Schwestern, Nein, schreckend, stolz, ein Riesenbild — Und ihre wilden Blicke drohten. ,,WehI" rief sie aus, „und hab ich nicht Den Weg hieher zurück verboten, Versagt mich deinem Angesicht? Nun muß ich selbst den Tod dir geben, Versöhnt mich nicht für dich ein Leben." „Nimm", rief der Ritter, „nimm es hin! Nimm jedes andre hin für mich, Todt bin ich, wenn ich dein nicht bin, Todt ist die Welt mir ohne dich!" „Ein Opfer heisch' ich, kannst du tobten? Sieh!" rief sie, „jenen Fels dort schau, Den ringsnm Alpenblumen röthen, Ich netze sie mit Morgenthau,
51 Und pfleg' sie schützend vor Lavinen, Doch kaum, daß hier der Tag erschienen,
So kommt herauf ein Erdenkind
Und trägt mir meine Blumen fort.
Sie will wohl einen Kranz sich schlingen Der in den Locken ihr verdorrt. — Sie kommt, sie ist's, ich seh' sie dort Von Fels zu Fels herübcrspringen,
— Schau, wie sie vom Gesträuch gedeckt Gleich einer Gemse sich versteckt.
Jetzt, Schütze, willst du Nacht für Nacht In meinen Armen selig sein,
Jetzt triff sie, triff ins Herz hinein!" —
„Es sei das Opfer dir gebracht," Ruft Eginolf und blickt zur Fee
Mit einem Blick voll dunklem Weh. Verschleiert ist sein Sinn; gebannt
Von ihrem Zauber weiß er kaum, Daß seine Hand den Bogen spannt,
Es stachelt, wie im wilden Traum
Die Jagd- und Mordbegier sein Blut, Er zielt, er trifft — o nur zu gut!
52 Der Schrei, der sich der Brust entringt —
Nicht fremd sollt' ihm die Stimme sein,
Und wie er vor am Felsen dringt, Und ausstarrt, wie ein Bild von Stein, Da weiß er's wohl, da liegt es offen
Das ungeheure Herzeleid: Das Opfer, das sein Pfeil getroffen — Sein eigen Kind war jene Maid. Voll Graus, entsetzt zurückgewendet
Erblickt er Selferetta stehn, So schneebleich, daß ihr Schau'n ihn blendet
Daß Todesschauer ihn umwehn —
Vor ihr zu Boden in das gleiche
Erblassen sinkt er, eine Leiche. Und langsam, unter Donnerdröhnen
Indem es ringsum widerhallt Als ob die ält'sten Felsen stöhnen,
Erstarrt zugleich der Fee Gestalt, Sic steht gehüllt in ewig Eis
Und wird ein Gletscher silberweiß.
Der Zieler.
Trommel wird gerühret Scheibe wird getroffen,
Wem der Preis gebühret? —
Jeder darf es hoffen.
Wer aufs Höchste zielet Sieht die Krone fallen Und Fortuna spielet
Lachend mit uns Allen.
Dies Lied erklang aus einem Boot, Das über die azurne Welle Des großen See's mit Windesschnelle
Dahinglitt in dem Morgenroth.
Und der das Ruder kräftig schwang Zum Takt des Liedes, das er sang,
Hoch war er, schlank, ein junges Blut, Ein ächter Nibelungen-Reck,
Aus seinen Augen blitzte keck
Ein wilder Geist, ein trotz'ger Muth. Er trug ein Wamms aus vielen Lappen In allen Farben, bunt genug, Und eine jener Schellenkappen, Wie sie die Zunft der Narren trug. Der Zieler war's vom Schützenhaus. Er fuhr zu feinen Scheibenständen Vom Städtchen in den See hinaus Daß ihn bereit die Herren fänden, Wenn sie nun kämen, um den Tag Beim Fest mit Schießen zuzubringen. Wie jetzt der See so ruhig lag! Es war fürwahr ein Tag zum Singen, Wie leuchtend schien der Berge Kran; Im reinsten Morgcnsonnenglanz! Kaum daß daher zuweilen nur Ein Lufthauch in die Wellen fuhr! Der Zieler stieg jetzt aus, er band Das Boot an einen Pfahl und steckte Die Fähnchen über jeden Stand, Die bald ein frischer Seewind neckte; Dann hing er auch die Scheiben ein:
Auf einer konnte man im Forste Den Bären schau'n, das wilde Schwein, Den Hirsch int Sprung, den Aar im Horste, Auf einer andern war der Diann, Der uuter'm Arm sein Haupt trägt, Riesen, Meerfräulein sah man, Kronen dann Und eine Burg auf grünen Wiesen.
Nicht laug darnach fings an zu knallen, Und über's Wasser pfiff es her; Die Kugeln schlugen ein mit Prallen Der Hirsch sprang auf und los der Bär, Das Wasserfräulein und der Mohr, Der Riese und die Burg trat vor; Der Zieler aber jauchzte brav, So oft ein Schütz ins Schwarze traf. Vom Schützenhaus herüber drang Die Antwort dann im Becherklang. So ging es fort den ganzen Tag Bis spät des Abendlichtes Roth Verglimmend auf der Welle lag. Als heim der Zieler fuhr im Boot
58 Da taucht auf einmal aus der Fluth
Ein Nix und schaut ihn freundlich an,
Er aber spricht mit wildem Muth: „Hinab, du falsche Wasserbrut!" Er gibt dem Nachen einen Stoß
Daß jener in den Wellcnschooß
Zurückversinkt mit einem Schrei, Doch unten thut er einen Schlag
Am Kiel des Schiffs und ruft dabei: „Ich poche dem, der mich nicht mag."
Darüber ward dem Zieler schwer
Und schwül ums Herz, er denkt mit Bangcil An Etwas, was er that vorher; Er hat ein Unrecht heut' begangen: Ein Schwager seiner Liebsten war
Beim Schützenfeste mit erschienen, Als Treffer eben nicht! fürwahr
Dem wollt' der gute Zieler dienen,
Und zeigte einen Kernschuß an, Den jener nimmermehr gethan.
Ein Nixe, der mit halbem Leibe
Sich lauschend aus den Wellen hob, War abgebildct auf der Scheibe.
___ 59___
Den ließ er da zum größten Lob Für jenen in die Höhe springen
Und so den Schützenprcis erringen.
Das kam dem Zieler jetzt zu Sinn, Und düster fuhr er und verdrossen
Zum Schützenhof so vor sich hin; Der letzte Schuß war abgeschosscn,
Musik und Fröhlichkeit begann, Er aber hielt sich abgeschlossen,
Und wie zum Hohn nur dann und wann Erhob er seinen Hut zum Gruß, Und drehte sich auf einem Fuß.
Es waren reiche Jungherrn da
Aus manch patrizischem Geschlecht Mit Feder und Barett, man sah, Der Zieler war ihr Aller Knecht,
Auch ihrer Witze Ziel zugleich, Denn er war arm, sie waren reich.
Viel dümm'rc, und bei solchen Festen Wird das am meisten offenbar.
Viel dümm'rc hielten den zum Besten Der besser als sic Alle war.
60 Er ließ wohl mit sich Kurzweil treiben
Und schien er Manchen gut genug, Ihr Eselsfell an ihm zu reiben,
Doch schwieg er nur und hielt sich klug; Oft war der Spaß ihm fast zu arg, So daß er kaum die Spur vom Hasse
In einer häßlichen Grimasse Zum lauten Scherz der Andern barg; Doch war er sonst so häßlich nicht,
Ein männlich kräftiges Gesicht, Er hätt', in Gold und Sammt gekleidet, Mit ritterlicher Zier geschmückt,
Der schönen Fräulein Sinn berückt,
Von manchem dieser Herr'» beneidet. Doch Eine hat ihn nur entzückt,
Ein braunes Schlosscrtöchterlein, Die Wirthin war ihr eine Muhme,
So schenkte sie den Schützen Wein, Und lieblich war sie, hold und rein.
Und anzuschau'n wie eine Blume. Er sah sic oft, das war ihm leid,
Mit manchem von den Reichen scherzen, Und ließ sic sich von einem herzen,
jn Durchfuhr die Brust ihm bitt'rcr Groll, Und unter seinem bunten Hleid Schlug hoch sein Herz in schwülem Bangen, Daß ihm's vor Zorn und Unmnth schwoll, Wie draus im See der Fluth Geröll. Er hielt den Mund an ihre Wangen Und hauchte ihr ins Ohr halblaut: „Du bist doch eines Narren Braut, Ich glaub' das Meerfräulein bist du, Und trifft ins Herzchen dich ein Schütze, So jauchzt dein Zieler noch dazu, So bin ich dir doch etwas nütze."
Sie sah ihn groß und lächelnd an Und unschilldvoll und sagte offen: „O diesmal hast Du's schlecht getroffen, Du lebst in einem finstern Wahn, Von all den Herrchen da, so viel Nach mir die Köpfe drehn, ich treibe Mit einem jeden nur mein Spiel Und jeder dient nur mir zur Scheibe."
„So!" rief der Zieler, „gut, schon gut, Du wirst noch sehn, wie weit es führt
62 Wenn Eine schön mit Allen thut, Ergreifen wird Dich selbst die Glut Die hu für Andre hast geschürt."
Er sprach's mit strengem Blick sie messend,
Und setzte sich seitab, die Hand
An seine heiße Stirne pressend. Die Welt vor seinen Blicken schwand,
Zerrann dem nachtumhüllten Sinn In immer schwärz're Qualgedanken.
„Ich Unglückselger, der ich bin!"
Sie lärmten um ihn her und tranken, Und lachten, sangen; ihm war's nur,
Als ob ein Blitzstrahl ihn durchfuhr.
„O Tod, du größter Schütz auf Erden O Tod, dein Zieler möcht' ich werden! Wie wollt' ich jauchzen jedesmal,
So oft du triffst ein stolzes Leben, So ein's, das recht im Sonnenstrahl Des Glückes lacht, der Lnst ergeben!
Ja jedesmal, so oft dein Schuß
Ein Leben trifft, von Jugend strotzend,
Im übermüth'gen Vollgenuß,
63 Auf Kraft und rohe Freude trotzend
Und daß ich's sah' voraus im Geist, Wo deine Kugel nicdcrreißt." Indem er's für sich sprach, so faßte
Fast unwillkührlich seine Hand Nach einem Stutzen an der Wand,
Der Himmel weiß, von welchem Gaste,
Es war ein prächtiges Gewehr;
Der Schaft, der Lauf, das Schloß daran Von seltner Pracht.
Er prüft: „Wohlan,
Vortrefflich das, das hielt' ich mehr Als Alles werth, ja mehr noch als . . ."
Da horch, ein Schrei!
Ein Bub', ein kecker
Nahm seine Liebste um den Hals
Und küßte sie.
„Komm, du Vollstrecker
Der Rache", ruft der Zieler auf Und hält nach Jenem hin den Lauf.
Ein Blitz, ein Knall und Alles dringt
Mit Fluch und Drohung auf ihn ein:
„Der Mörder!
Faßt ihn!" hört er schrei'n.
Er hört's, springt auf und ringt und schwingt
Durch Alle zum Altan sich schnell,
64 Faßt an's Geländer mit der Faust Und stürzt sich in des See's Gewell,
Das über ihm zusammenbraust. Verwirrung war und Angst im Saal Geschrei und Durcheinandcrdrängen
Als mittendrein mit einemmal Die Sturmglock' rief mit dumpfen Klängen;
Da horchte staunend Alles auf
Und Todtenstille ward, die Treppe Sprang athemlos ein Mann herauf
Und rief: „Herbei! da schaut, ich schleppe Euch einen ganzen Sack — beim Blitze,
Voll Neuigkeiten her, ich schwitze Mich schier zu tobt* daran; gebt Acht,
Der Feind rückt an noch heute Nacht, Nehmt Eure Büchsen, nicht zum Spiel,
Von heut' an gilt's ein andres Ziel.
Die Thore zu, mit Schutt verwahrt,
Und Blei und Pulver nicht gespart." — So rief er, so geschah's, das Thor Ward zugesperrt und rings davor
Der Schutt gehäuft.
Indessen tauchte
65 Weit draußen aus der Fluth int See
Ein Haupt empor, ein Odem hauchte
Und eine Brust zu Leid und Weh War wieder aus der Todesnacht Zn neuem Lebenstricb erwacht.
Der Schwimmer horchte auf, Geschrei Und Lärm drang vom Gestade her;
Gatt's ihm? Und horch, jetzt schlug, eins, zwei.
Drei, vier die Glocke langsam schwer, Es sprengtcit Reiter in die Stadt
Die Brücke donnerte davon, Er fühlte sich zum Tode matt. Doch plötzlich dacht' er an den Hohn, Womit man ihn so tief verletzt, An seine Schuld, den blut'gen Lohn,
Der ihm bevorstund, wie ihn jetzt Nichts retten könn', als Nacht und Fluth.
Und wieder hob ihn neuer Muth, Mit kräft'gen Schlägen warf die Welle
Sein starker Arm.
In halber Helle
Lag eine Insel vor ihm da,
Oed, einsam, Sandbank, und die Stelle
Des Hochgerichts, ihm graust, er sah Lingg, Dichtungen.
5
66 Hoch über sich auf's Rad gestreckt.
Verweste Leichen, Raben flogen,
Von seinem Annah'n aufgeschreckt,
Und Möven kreischten um die Wogen. Die Zähne schlug es ihm vor Frost, Er warf sich auf die Sandbank nieder, Eintönig rauschte her im Ost
Die Welle, brach sich, kam dann wieder
Und warf sich murmelnd in ven Schlund Der tiefen Fluth zurück.
Die Lichter
Am Lande löschten aus. „Ich Hund, Da lieg' ich, rief er aus, mein Richter
Warf mich daher, ich soll es sehn
Was endlich wird mit mir geschehn. Rein, nein, ich will mir nicht, noch nicht
Den Zorn in meinem Busen schwächen, Ich will noch leben und mich rächen, Mich rächen noch an manchem Wicht."
So sprechend gab er sich auf's Neue
Den Wellen, rang hindurch und schwamm Dem Ufer zu, des Seees Bläue Ward trüb und trüber, Schilf und Schlamm Drang um ihn her, er hält und tritt
67 Durch Sumpf und Rohr mit zagenr Schritt,
Erreicht das feste Land und bald Umfängt ihn tiefer dunkler Wald. —
Hier bleibt er stehn, wirft auf den See Noch einen Blick, erschrickt und flieht
Und eilt wie ein gehetztes Reh
Hin durch des Waldes Nachtgebiet.
Bald hemmt ihn Dickigt, bald die Reihe Verwachsner Stämme.
Hier und dort
Gönnt Lichtung einen Blick in's Freie. Er aber eilt und eilt nur fort.
Erschöpft bis auf den letzten Hauch
Erreicht er eines Hügels Rand Und irrt, verstrickt in dichtem Strauch,
Der rankend seinen Fuß umwand,
An einen klaftertiefen Graben Und fällt und stürzt hinab den Grund — Sein Sinn und sein Bewußtsein schwand.
So blieb er da, betäubt und wund — So möcht' er lang' gelegen haben, Als plötzlich, wie die Hölle hell
Sich längs des Grabens andrer Seite
Ein Glüh'n erhob und rasend schnell 6*
68 Ein Feuer in der ganzen Breite
Das Schloß, das dortstand, überflog Und Dach und Thurm mit Rauch umzog.
Der Flüchtling ist erwacht, der Schein Des Feuers zeigt ihm, wie am Tage,
Das Schreckenvolle seiner Lage; Schon brechen über ihn herein
Gebälk und Ziegel, Stein auf Stein — Wie hilft er sich aus diesem Zwinger Den starke Mauer nur umringt;
Und wenn es ihm zuletzt gelingt
Ist darum seine Noth geringer? Wird ihn die Helle nicht entdecken? Doch wie gerieth das Schloß in Brand?
Wird nicht der allgemeine Schrecken Sein Schutz sein?
Aber welche Hand
Hebt ihn aus dieser Kluft hinan? Er denkt's, da sieht er über sich Wie Jemand durch die Thüre schlich,
Hoch oben auf dem Schloßaltan,
Ans Sims knüpft eine Leiter fest Und sich daran herunter läßt.
69 Er fühlt sein Herz vor Freude pochen, Da gellt ein Schrei, das Seil, daran
Die Leiter hing, ist abgebrochen Und auf der Hälfte vom Altan
Stürzt, der daran geklammert schwebte, Ihm vor die Füße hin zerschellt,
Ein Zittern durch die Glieder bebte, Dann lag er todt — ein Beutel Geld
Barst in des Räubers Faust, die starr
Den Schatz noch hielt; die Münzen fielen
Erklingend aufs Gestein.
„Du Narr!"
Rief aus der Zieler, „hast dein Spielen Zu hoch gewagt und für den Tod
Dich, feinen Vogel, mußt' ich zielen; Du sollst nicht stehlen, sagt's Gebot!"
Die Leiter, die am Seil noch schwankt
Erhascht er, reißt sie her zu sich
Und stellt sie auf: „Dem sei's gedankt,
Der hier so jähen Falls erblich!" Nun klimmt er rasch hinan die Mauer
lind oben, was erfaßt ihn da? Jst's Ueberraschung, Schrecken, Schauer? Wie fremd erscheint ihm, was er sah!
70 Erleuchtet war der Schloßhof ganz
Von Waffen- und von Feuer glanz, Es schlugen Flammen aus dem Fenster
Und brannten lichterloh im Baum, Inmitten standen wie Gespenster
Gestalten wie aus einem Traum, Schneebärt'ge Männer, ihre Glieder Gehüllt in Stahl und Mäntel weiß; Sie schritten ruhig auf und nieder
Die Gluth schien ihnen nicht zu heiß; Als sie den Zieler stehen sahn,
Sie boten ihm nicht langen Gruß Sie packten ihn sogleich beim Fuß
Und schleiften ihn herab: „Sag' an, Wer bist du? Trommler oder Pfeifer?
Ein Schalksnarr oder ein Spion? Ein Räuber oder Ueberläufer?" Er sprach: „Ich lauf' euch nicht davon,
Bleikugeln sind mir wohl bekannt Und sind mir stets gut Freund geblieben,
Ich Hbin der Kugeln Leibtrabant, Daher sie mich auch alle lieben
Hat keine mich noch umgerannt;
71 Ein Zieler, kennt ihr das Gewerbe?
Ein Zieler bin ich, dien' um Lohn Und habe weder Gut noch Erbe; Bin einer armen Mutter Sohn,
Doch gerne seh'n mich gute Schützen."
Ein alter Krieger trat herzu
Und sprach: „Komm mit, du kannst uns nützen. Auch wir sind Schützen; Bursche, du, Du sollst für unsere Granaten
Der Zieler sein; und ihr, Soldaten!
Habt ihr den Räuber," fuhr er fort,
„Habt ihr den Räuber eingefangen?"
„Der liegt zerschellt im Graben dort," Begann der Zieler — „als er eben
Mit seinem Raub vom Schloßbalkon Herabstieg, war verwirkt sein Leben, Wie seine That, so war sein Lohn." Der Andre sprach: „Solch schlechten Troß
Hat jedes Heer, wir aber nahmen Mit stürmender Gewalt das Schloß;
Der Brand ist unsre Schuld nicht.
Amen!"
Er sprachs, da schwangen von der Wacht
72 Die Reiter sich auf ihre Braunen
Und weiter rollten durch die Nacht
Wie ferne Donner die Karthaunen. Verhallt war in der Stadt indessen Nicht nur der Lärm vom Festgelag,
Es schien das Leben selbst vergessen, Verstummt war aller Glockenschlag, Und jedes Licht gelöscht, allein
Der Wachen Schritt ward laut am Wall
Und dumpf der Wogen Widerhall, Die draußen ans Gestade schlugen; Zuweilen, wie ein Licht durch Fugen, Ließ durchs Gewölk des Mondes Schein
Die Stadt im Schooße dunkler Wellen
Mit ihrer Giebeldächer Reih'n Und spitzen Thürmen sich erhellen.
In einem dieser Thürme lag Auf schlechtem Stroh und ohne Tag Des Zielers treue Maid, sie hört Den Knecht vor ihrer Thüre poltern.
Sie fahrt empor von Schreck verstört Sie weiß, er kommt, um sie zu foltern. Es strafte so der hohe Rath
73 An ihr des Zielers blut'ge That,
Sie soll — man hat sie ja gesehen — Den bösen Umgang eingestehen,
Den sie gepflogen mit dem Frechen; Sic aber weigert, hoch empört,
Ein Schandwort von sich auszusprechen; In Züchten hat sie sein gehört
Und Andres weiß sie nicht zu sagen. Man mag sie, weh' man will, verklagen.
Ach, wie so gänzlich hingeschwunden
Ist ihrer Wangen Jugendroth, Kein Elend gibt es, keine Noth,
Das nicht die Aermste schon empfunden,
Sie wünscht sich nichts mehr als den Tod. Er schien ihr endlich auch gewährt,
Sie ward vergessen nach und nach, Weil draußen die Gefahr erschwert Mit jedem Tage wuchs; cs brach
An mancher Stelle schon die Mauer, Des Feindes Kugeln trafen fort Und fort, und jeden Tag genauer Und zündeten schon hier und dort.
Zuweilen durch die Lüfte schwirrend
74
Kam eine Kugel glühend roth Dann flog es von den Dächern klirrend, Dann sah man hell emporgeloht Das Feuer aus dem Giebel schlagen, Granaten trafen Schuß auf Schuß Und stets in Häuser, wo Behagen, Wo Reichthum war und Ueberfluß. Das Dach der Armuth blieb verschont; Doch wo ein Herr vom Rath gewohnt, Drang Kugelsaat bis in die Keller Und selten in ein leeres Faß, Doch desto mehr in Silberteller Und goldne Becher im Gelaß. Es war, als ob ein eigner Haß Die Kugeln lenke, eine Hand, Die sich gar gut darauf verstand Und die es wohl zu wissen schien, Wo Neid und Stolz die Truhen schloß, Und die dann ganz genau dahin Die zündende Granate schoß.
Der Zieler war's, der oben stand Beim Feind auf eines Hügels Rand; Er gab den Kanonieren an,
75 Auf welches Haus sie zielen sollten,
Hei, dacht' er, die so groß gethan, Jetzt wird es ihnen baß vergolten.
Es schien ihm da, er seh' sich stehen Sich selbst gcnüber, riesengroß
Als Zieler und sich jauchzend drehen,
So oft sein Mann, er konnt' es sehen,
In einen hohen Erker schoß. Oft kam's ihn wohl auch an wie Reue,
Und dacht' er dann — der Rache satt — „Es ist doch meine Vaterstadt
Und schuldig wär' ich ihr wohl Treue," Das aber währte nicht gar lang,
Es schien bei dem Gedankengang
Sein Gegenbild ihm hohnzulachen, Es war, als rief's ihm grinsend zu:
„Dem Tod sollst du den Zieler machen! Bin ich der Mörder, oder du?
Und hast du Rache nicht geschworen Den Gecken allen, all' den Thoren
Des Glücks, die dich so weit gebracht Bis in den Abgrund aller Schmerzen?
Ich bin Freund Hain, in deinem Herzen
76 Schlug's meine Zeit, schlug's Mitternacht;
Ich geh' und halt' jetzt bei den Kerzen
Am Sarge deines Mädchens Wacht!
Der Zieler sah den Doppelgänger
Hinunter sinken in den See, Da hielt ihn seine Kraft nicht länger
Ihn faßte finstres Seelenweh; Er sank auf ein Geschütz, er preßte
Die Stirne ans Metall und brach
In Thränen aus, bis Schlaf, der beste Bertröster, ihn auch nach und nach
In Frieden sang. Zu dieser Stunde Schritt durch das Lager hin die Runde,
Der Feldherr wies hinab und sprach,
Umringt von seinem ganzen Stabe: „Wenn morgen nicht zur Uebergabe
Die Herr'n da drunten sich entschließen, So werd' ich in den See hinein Ihr schwarzes Nest zusammenschießen
Bei Gott, bis auf den letzten Stein!"
Dann schritt er auf den Zieler zu Und rüttelt ihn und sagt: „He du!
77 Herunter mit dem Schalkshabit
Auf dich für morgen rechnen wir, Mach' deine Sache gut, — hiemit
Ernenn' ich dich zum Officicr!"
Der Zieler fuhr empor, er glaubt, Daß ihn ein Traum getäuscht, er war
Kein Knecht mehr, über seinem Haupt
Klang nicht die Schelle mehr, sogar
Ein Stahlhelm sollt' ihm jetzt gebühren Und seine Faust den Degen führen!
Ein Glück, auf das man nicht mehr hofft,
Ist schwerer zu ertragen oft Als Unglück, das uns Alles raubt.
Wer aber endlich nicht mehr glaubt, Daß ihm ein Glück noch könne tagen,
Der wird nie mehr empor das Haupt
Dtit Stolz und frohem Muthe tragen, Und was es ihm auch bringen mag, Er ist darüber nur erschrocken
Ihm kann der neue, gold'ne Tag
Ein kaltes Lächeln nur entlocken, Er sieht die überstand'ne Noth
Als ein Gespenst, das immer droht.
78 Vom Morgen bis der Tag erblich Flog auf die Stadt ein Kugelregen, Bis endlich Stein vom Steine wich,
Dem Sturm die Bresche kam entgegen. Den Städtern wurde bang und heiß Als ihre Mauer sank zusammen, Auch galt's zu 'löschen allen Fleiß,
Denn Haus an Haus stand bald in Flammen.
Wie sagten sie dem Himmel Dank Als endlich mit des Tag's Entschwinden
Ein dichter Nebel niedersank. Wie wird der Feind die Stelle finden,
In die er Bresche schoß, wenn so Der Nebel dunkel uns umzieht,
Daß Niemand einen Schritt weit sieht.
So dachten sie unv waren froh. Nicht also die Belagerer, fluchend Gewahrten sie den Nebelzug,
Vergeblich nach der Lücke suchend,
Die ihrer Kugeln Andrang schlug. Nun kann man Sturm und Ueberfall
Auf eine andre Nacht verspüren, Indeß den eingeriss'nen Wall Die Städter wieder neu verwahren.
79 Man rief den Zieler. — „Ja ich will! Bemannet mir ein Boot, ich steuer'
Euch sicher durch den See und still Bis vor die Bresche, dann gebt Feuer! Ich kenn' — da bin ich ja ju Haus — Mich auch bei Nacht und Nebel aus.
Der Wall wird bald erstiegen sein,
Sie denken nicht an uns, hinein, Dringt vor! und morgen in der Frühe
Seid ihr im Städtchen ohne Mühe." Der Plan gefällt und ohne Laut
Wird Alles vorbereitet, Leitern
Und Waffen — tief und tiefer graut Die Nacht, und durch die Finsterniß
Woran es schien, man würde scheitern, Wird jetzt ein leichter Sieg gewiß. Geräuschlos wird das Boot bemannt
Unb nicht ein Ruder darf sich regen, Ein Segel nur wird ausgespannt,
Und dies kaum will der Wind bewegen.
An Bord, die eine Hand am Degen Die andre fest am Steuer, lenkt
80 Den Kahn der Zieler und — an's Ziel. Sie steigen aus und Jeder denkt: Nun gilt's! nun gilt's ein blutig Spiel.
Still wird die Leiter angelehnt, Er klimmt voran, die Kecksten nach; Wie trotzig seine Brust sich dehnt!
Jetzt hält das Wort, das sie versprach, Die Rache.
Wie er oben steht,
Gewahrt er drunten bei Gebet
Und Fackeln einen Trauerzug
Sich langsam durch die Stadt bewegen Und auf der Bahre, die man trug,
In ihr, die man zu Grab wird legen, Erkennt er die geliebte Maid; Da preßt es seine Brust zusammen,
Ihn faßt ein endlos Herzeleid, Und wo der Wache Feuer flammen, Da donnert er den Wächtern zu: „Mitbürger auf, der Feind ist da!"
„Was ist das, bist du toll" und „ha .. Vernimmt er hinter sich „ha, du
Verräther!"
Er jedoch, er stößt
Den Nachmann von der Leiter ab
81 Und springt, indem er ruft: „Erlöst!" Als wär', was sich mit ihm begab,
Vergessen längst, vom Mauerrand Hinab und ruft: „Das Schwert zur Hand! Der Feind ist da, der Feind, der Würger. Auf zu büt Waffen, Landsleut', Bürger!
Auf zu den Waffen, auf!"
Entsetzt Seh'» ihn die Wachen erst, dann springen Sie rasch vom Feuer auf und dringen
Mit Waffen auf ihn ein — und jetzt: Er hat auf seiner Brust die Hand, Jetzt trifft ihn eine Kugel mitten Durchs Herz.
seufzt er, „ausgelitten!
Das war der rechte Schütz', der hielt Auf schwarz.
O gut, v gut gezielt!"
Verhauchend sank er hin zur Stelle Es brach sein Blick, zugleich erscholl
Weit draußen, wo die Brandung quoll Ein tückisch Lachen aus der Welle, Und dreimal hob im bleichen Schimmer Des Nebellichts der Wassermann
Sein Haupt empor, und tauchte dann Hinunter und verschwand für immer. Lingg, Dichtungen.
6
Astorga.
6*
Verklungen war int Hellen Opernsaal
Der Strom der Töne, Alles lauschte
Im Schweigen nach, es war als rauschte Ein Echo noch durch jede Brust, dem Strahl Der Sonne gleich, die schon geschieden,
Noch einmal aufzuleuchten scheint,
Und Alles fühlte sich in diesem Frieden Mit ganzer Seele still vereint.
Die Lichter flammten hoch empor,
Als suchten sie sich nachzustreckcn, Um von den Stimmen aus dem Chor
Noch einen letzten Klang zu wecken. Don draußen in die lichten Räume
Ergossen durch die off'ucn Fenster her Orangen- und Akazienbäume Den Blüthcnhauch von Düften schwer.
Versammelt war in seinem höchsten Glanz Der Hof von Parma, Schleppen rauschten
Und eifcrsücht'gc Blicke tauschten
86__ Hier Diamanten mit dem Perlenkran;,
Dort ein Rubinrcif in die Fülle
Von dunkeln Locken eingewiegt, Mit Feuerblicken, von der Hülle
Der schwarzen Schleier kaum besiegt.
In leisem Zwiegespräch gesellt Sah man von Allen, die da saßen,
Nur zwei; doch diese zwei vergaßen, So schien es, um sich her die Welt. Des Fürsten Tochter war die Dame;
Der Cavalier?
Wer war er, wußt' cs wer ?
Verschollen, hieß es, sei sein Name,
Sein Stammbaum ausgelöscht, und er Als Kind schon aus dem Vaterland verbannt.
Doch wie zum Trotz der feindlichen Gestirne, Stand, von den Besten seiner Zeit erkannt,
Der Abglanz jener selbst auf seiner Stirne. War's nicht ein Hohn noch zu dem herben Loos,
Daß ihm in seiner Seele Tiefen Der Harmoniken Borne schliefen; Daß sie sein Geist dem Licht erschloß,
Zur Sinnenwelt berief, in Tönen
Hcrausrief an den Erdentag,
87 Was von dem Urquell alles Schönen Als Theil in seinem Geiste lag? —
Noch Knabe, war er voll Begeisterung, Den frühen Lorbeer sich zu holen,
Von einem Kloster anempfohlen,
Aus Spanien gekommen, schön und jung.
Wer mußte nicht ein Mitgefühl empfinden Mit ihm, dem schon als Kinde, wie es hieß,
Ein Loos ward, daß davon erblinden, Ja, sterben müßt' die Seele; doch auf dies
War mit dem Siegel des Genies Nur um so mehr das Ahnrecht eingeschrieben,
Geliebt zu werden, und so heiß und wild,
Wie kaum ein andres Menschenherz, zu lieben. Er schien ein wunderthätig Leidensbild,
Zu dem vom Himmel mit Erbarmen Ein Engel niedersteigt.
Und wirklich war das Fürstenkind dem Armen Mit mehr, als zartem Mitleid nur, geneigt;
Sic liebten sich, es schlug in Beiden
Bewußter Schönheit stolzes Herz,
So sollten sie den höchsten Schmerz Inmitten eines höchsten Glücks erleiden.
Sie sprachen sich, wie sich im Morgenland
88 Durch Blumen Liebende verstehen;
Und ihnen war Musik das Band, Das, wie sie glaubten, ungesehen
Nur zwischen ihnen fortbestand. „Ich fürcht', Maestro," sprach sie jetzt,
„Als ihr die Saiten ließt verhallen Nahmt ihr das Leben von uns Allen, Und habt uns in den Tod gesetzt. Kommt, wir versteinern sonst, ich werde singen;
Und ihr, mit einem cinz'gen Bogenstrich Könnt ihr bezaubernd neues Leben bringen
Selbst in die Schattenwelt, begleitet mich."
Er faßte wie im Traum die Hand, Die sie ihm bot; ein Triumphiren,
Ein glühend Jnsichselbstverlieren, Flog über sein Gesicht hin und verschwand,
So schnell, daß unter Allen in dem Saal Nur ein Blick diesen Zug bemerkte,
Und einen Argwohn rasch bestärkte, Der längst schon in des Fürsten Brust sich stahl. Sie sangen, und cs war, als suchten sich
Aus weiter Ferne Beider Stimmen
89 Uno suchten sehnsuchtsvoll cmporzuklimmen In Höh'n, wo jeder Raum der Erde wich.
Dann jubelnd über Sonnenhügcln
Erreichten sie sich, um vereint herab
Zu stürzeu mit den Feuerflügeln In tiefe Dunkelheit, in Nacht und Grab.
Astorga'sieht zum Fürsten sich beschieden, Als kaum verhallt des Liedes letzter Klang,
Und dieser sagt: „Ich bin mit euch zufrieden, Ich folgte, hoff' ich, dem Jdcengang
In eurem Tonstück, aber eins, mein Bester: Ihr habt zu hoch gesetzt; ich fürchte nur, Ihr braucht ein größeres Orchester,
Ihr müßt nach Wien, dort lernt ihr Partitur.
Ein Reisewagcn steht bereit, Es werden meine Diener sorgen, Daß ihr bis zu dem nächsten Morgen
Nicht mehr an unserm Hof von Parma seid.
Lebt wohl!" und ihm mit kaltem Gruße nickend,
Am Arm sein Kind, verläßt der Fürst den Saal. Ein letzter Blick, ein Sonnenstrahl,
Aus dunkler Nacht durch Thränen blickend, Gab ihm noch, und mit mehr, als Worte fassen,
90 Das süßeste Geständniß kund; Dann ward es todtenstill um ihn, verlassen
Und einsam steht er in des Saales Rund Und hört nur krampfhaft unterbrochen Sein Herz in lauten Schlägen pochen.
„So war's ja," rief er aus, „von Anfang an,
Ich müßte mich in meinem Schicksal irren, Hört' ich auf meiner dunkeln Erdenbahn Nicht ewig hinter mir das Eisen klirren,
Das Henkerbeil!
Von jedem Lebensglück,
Von Ruhm und Ehre mit der Hölle Spott Zagt mich's hinweg und zeigt zurück Auf jenen Jammertag, wo vom Schaffst
Mich anstarrt meines Vaters Haupt;
Ohnmächtig, mich an dem zu rächen,
Der ihn ermorden ließ; beraubt Der Hoffnung, je den Namen auszusprechen, Der unser alt Geschlecht bezeugt,
Vermag ich nichts, als ihm zu fluchen
Und in dem Troß, der sich den Höfen beugt,
Den Stolz und Ingrimm zu verbergen suchen. Wie glühend auch sich oft das Herz empört
Beim Beifallklatschen und den Lobesspenden, Wenn man den Künstler gnädig angehört,
91 Um ihm darauf den Rücken zuzuwenden, Dann fühlt' ich, wie es kocht in mir und wallt,
Und unwillkürlich meine Faust sich ballt, Daß ich nach meinem Degen fasse,
Um sie zn lehren, daß ich hasse, hasse! Doch wie mein Haß so heiß, doch mehr noch mächtig
Ist auch —" er sprach nicht aus das Wort, Und durch den Garten hin, durch nächtig Gesträuch und Labyrinthe stürzt er fort; Dann öffnet er zur fürstlichen Kapelle Die Thüre, tritt zur Orgel hin
Und ruft in Riesentönen Well' auf Welle
Aus ihrem Grund in vollen Melodien.
Noch ist cs Nacht, und durch die Fensterscheiben Blitzt hell das Sternenlicht, an dem
Gewitterwolken schwer vorüber treiben,
Wie Sorgen um ein strahlend Diadem.
Und vor Astorga's Blicken taucht Sein Vaterland empor, Trinakria,
Vom Licht der Fee Morgana überhaucht An blauer Mcerbucht liegt cs vor ihm da,
Voll Sonnengluth und Mittagsstille, Gin Friedensbild der ältesten Idylle,
92 Mit Hirtenflöten, mit Gesang und Tanz,
Und heit'rcr Villen Marmorglanz; Terrassen, Statuen darüber her,
Aus Gärten dunkelnd, blüthenschwer, Orangenwälder, Pinien, Lorbeerbäume;
All' dies und längst versunk'ne Träume Der Kindcrjahre stellen sich ihm dar.
Ein schmerzlich Sehnen wogt in seiner Brust, Die Qual der höchsten Lust
Und jene Schwermuth, welche nur im Grunde Der Freude lauert.
Endlich tritt die Stunde,
Das Bild des großen Schmerzes tritt vor ihn
Im gleichen Augenblick, da wie ergänzend Der Morgenstrahl durch's Fenster glänzend Das Stabat Mater am Altar beschien,
Wie hier beim Kreuz die Mutter Gottes, So sah er seine Mutter einst im Schmerz vergeh'«, Von Henkern hingehalten steh'n Am Fuße des Schaffotes,
Auf dem sein Vater starb; ein Orgelklang So herzzerreißend wie sein Schmerz ertönte, Als ob ein Schrei aus tiefstem Busen drang
Und laut anfgellcnd in die Nacht verstöhntc.
93 Die Hand noch auf den Tasten, stund der Meister, Als gegenüber an der Wand
Ein Vorhang, leise wie durch Macht der Geister, Von unsichtbarer Hand
Zurückgezogen ward, zugleich
Im Betstuhl eine knicende Gestalt Das Haupt erhob und todtenbleich
Zum letzten Gruß sich still verneigte,
Indem sie auf das Bild des Altars zeigte. Als wankend und verstört die Schwelle
Des Heiligthums Astorga überschritt, Verbeugten Herrn und Damen sich zur Stelle. Er sah es nicht, es war ja, was sein Jnn'res litt,
Zu groß für jede Rache, jeden Spott;
Ihm war, als stieg' er selbst auf ein Schaffst. Nur einen Blick war ihm vergönnt zurück Zu werfen noch auf all sein Erdcnglück,
Auf alles was ihm hold gewesen; dann Flog mit ihm fort das brausende Gespann.
Tempelstimmen.
Aeginas Tempel, der von Selinus Vor Akragas und über Syrakus
Und Pästums graue Tempel auch besprachen Sich eines Nachts in ihrer Sprache Laut, Nur Geistern und den Donnern nur vertraut,
Die sich in Trümmern jetzt verhallend brachen, Wie Wellen einst sich an der Säule Fuß.
In solchem Echo klang der Geistergruß Ein Klaglied um die alten Chorgesänge, Die Hochzeithymnen und das Festgedränge.
Und in die Klagen mischten sich, den Bildern
Im Traum vergleichbar, Scenen jener Zeit, Erinnerungen, die, sich selbst zu schildern, Empor nun stiegen aus der Dunkelheit.
„ Seht hier," erklang's von Stufen an dem Meere, „Hier ritt der Sieger einst vor seinem Heere
Die Reih'n der kriegsgefang'nen Schaar entlang. Lingg, Dichtungen.
7
98__ Und sie, bestimmt zum Tode, flehten bang: Soll nie mehr uns der holde Tag erscheinen?
Gedenke, daß zu Haus in ihrem Schoos Die jungen Frau'n um uns, die Kinder, weinen,
Erbarme dich, o Sieger, gieb uns los!
Doch er vom Pferd herab mit stolzem Blicke Er sprach: euch allen ist bestimmt der Tod,
Ihr unterliegt dem nämlichen Geschicke, Das mir nun lacht, es hat mir auch gedroht.
Doch den Trost geb' ich euch von meiner Höhe,
Der einz'ge Trost, den ich euch geben kann, Es endet Alles einst, so Lust wie Wehe, Deßwegen fürchtet nicht den Tod der Mann.
Vom Meer herüber warf in meine Hallen
Der Sonnengott die letzte Tagesgliith, Die Unglückseligen, ich sah sie fallen,
Von meinen Stufen rieselte das Blut. Der Jüngling aber unter Lorbecrzweigcn Ritt durch die Leichen znm Altar empor,
Empfangen von der Jnngfran'u Siegestänzcn, Jubelnd ihm entgegen zog der Chor.
99 Warum nur fehlt die eine, seine Braut,
Nur sie, die Schönste, kommt ihm nicht entgegen. Ihr Mädchen, sagt, habt ihr sie auf den Wegen,
Wo ihr die Blumen streutet, nicht geschaut?
Den Eilenden empfängt in seine Räume,
In seine Schauer schon das Heiligthum,
Er zögert noch und hält, erstaunt, warum Sein Pferd sich vor dem Eingang schaudernd bäume; Leg ab die Kränze; die du suchst ist hier —
Geopfert liegt sie dort am Altarsteine, Um dir den Sieg zu bringen, starb die Reine,
Dem Vatcrlandc theurer noch als dir." Durch Schilf am Ufer klang ein leises Wehen, Die Säule war verstummt, ein flüsternd Ach! Ertönte durch's Gestein und schien dann schwach
Und schwächer in der Ferne zu verwehen. Dann aber, lauter als der Donner Nollen, Erscholl's von einem andern Tempel her
Aus Felsenwildniß, aus der schaucrvollen Verödung klangen Worte marmorschwer.
„Verloren war die Schlacht, er war geschlagen,
Sein unzählbares Volk mit ihm, er sah
7*
100 Die Heeresreihen, Krieger, Roß und Wagen
In wilder Flucht an sich vorüber jagen. Er wich, den Feind sich auf der Ferse nah.
In dieser Wildniß nun, wo nie gegolten Sein Recht und seines harten Scepters Macht,
Wo trotzig nie sich unterwerfen wollten,
Die hier gehaust, hier gab ihm Schutz die Nacht,
Hier endlich winkte süße Ruh' ihm wiede'r Und eine Pause seiner bangen Qual, Er warf das Schwert von seiner Seite nieder
Und labte sich an einem kargen Mahl. Ein einz'gcr Freund noch, eine letzte Treue,
Saß neben ihm und sprach: „„ach, unverhehlt Gesagt sei's jetzt, geklagt mit offner Reue, Wie sehr hat Einsicht heut' bei uns gefehlt! Ach, wären wir dem Feind zuvorgckommen,
Statt abzuwarten, bis er angerückt
Und auf die Höh'n kam, die er eingenommen,
Gewiß, uns wäre dann der Sieg geglückt!"" Der König sprang empor: „„Beim ew'gen Acther! Und das sagst du, Verräther, mir erst jetzt?
101 So schändlich gilt mir wahrlich ein Verspäter, Hatt' ich nicht mein Vertrau'n auf dich gesetzt?""
Dem Worte folgt ein Schwertblitz, und durchbohrt Sinkt Dejoces zu Boden; „„Ihr Tyrannen,
Es sei zum Morden oder zum Verbannen,
Stets braucht ein Opfer ihr, wenn ihr verlor't."" „„ Was hilft's dir nun, daß du mich feig erschlagen,
Den Mann, deß Herz dir immer redlich schlug, Ich blieb dir treu in gut und schlimmen Tagen, Du hast dich selbst gestraft, es ist genug.""
Er starb, und ringsum war ein banges Schweigen,
Die Lüfte, schien es, wagten nicht zu wehn, Doch in dem Dickicht aus den dunklen Zweigen War schon der Meuchelmörder Dolch zu seh'n."
Verhallt war, was die Säulen Paar an Paar,
Wie Schwestern sich einander anvertrauten; Da klang's von einer Insel her in Lauten Wie Blumendust, wie Märchen, wunderbar.
„Erstaunt vor ihrer eig'nen Schönheit sah Ihr Antlitz hier im reinen Spiegelgolde
Einst Pythias' Braut, die schöne Thaliba,
102 Ein sanfter Ruf erweckte bald die Holde;
In ihres Marmorbades Dunkel trat Irene, die vor allen Sängerinnen Berühmt war, sie begrüßte sic und bat:
„„Laß mich, o Freundin, Ruhm durch dich gewinnen. Ich wohnte gestern einem Gastmahl bei,
Als man sich im Gesprächeskreis befragte, Wer aller Jungfrau'n wohl die schönste sei,
Und als da Jemand deinen Namen sagte, Da frug man mich, doch ich, wie sollt' nur ich, Wie sollt' ich schildern, was ich nie gesehen?
Erfülle meinen Wunsch, enthülle dich, Und ewig soll mein Lied dein Lob gestehen."" Den Schleier, der die Liebliche umgab,
Warf jene weg und sprach zum Gegengruße:
„„Sieh, dir zu lieb legt' ich nun Alles ab; Hier bin ich, komm, betrachte mich nach Muße!""
Irene rief: ,,„O welch' ein Glanz umfließt, Umstrahlt dich, reine Schönheit, Bild der Sonne! Ein Zauber ist's, der sich um dich ergießt,
Und dich, Vollkomm'ne, schau'n ist höchste Wonne.""
„„Nun beim,"" erwiderte des Pythias Braut, Und hatte sich indeß bekleidet wieder,
103 „„ Nun fliehe nicht, nachdem du mich geschaut, Bleib', singe mir erst eines deiner Lieder!
An vir ist setzt die Reihe, sag' es zu! Gefielen dir die Reize, die mich schmücken,
So laß dafür mein Herz, Gepries'ne du, An deiner holden Stimme sich entzücken!"" Irene sang, sie sang voll Gluth ein Lied
Lon süßer Liebe Glück und allen Wonnen, Und Thaliba rief aus, als jene schied:
,„,O Nachtigall, du hast mein Herz gewonnen!"" Und ihren Arm, den perlenreichen, schlang
Sie um der Freundin Hals und rief: „„Ihr Töne, Wo kamt ihr hin, du himmlischer Gesang! Wärs nicht vergänglich, Höchstes wär' das Schöne!""
„Was wäre nicht vergänglich," klang von ferne Aus Süden jetzt heran der Geisterklang,
„Ich hört' einst eines Gottes Klaggesang Lon einem dem (Erlöschen nahen Sterne." „„Es war,"" rief jener Genius, „„schön vor Allen
Und leuchtender als Alles meine Welt,
Mein Werk und meine Schöpfung! nun gefallen Zerstob im Raum sie, den sie einst erhellt.
104 Ach, sie mißfiel dem strengen Auge dessen,
Der nur Vollkomm'nes, der sich selbst nur sieht, Der über Raum und Zeiten unermessen
Gebeut der Sphären ewigem Gebiet.
Er wird, dem Gott ein Gott, den Schmerz vergeben, Der mich um ein verloren Werk zerreißt,
Und um die erstbeseelten jungen Leben,
Die mir geliebten, Geist von meinem Geist!"" —
„Es rief's der Demiurg, ich sah ihn funkeln, Aufleuchtend wie ein Meteor erglüh'n, Und dann, wo jenen Raum ihr seht im Dunkeln,
Dort über meinem Haupt, sein Licht versprüh'n."
Auch diese Säule war nun ausgeklungen, Und ihr erwidernd kam ein Ton beschwingt,
Wie der, der aus der Memnonsäule klingt, Und bebte durch die Morgendämmerungen:
„Wie tief ist euer Schlaf, ihr heimgegang'nen Jahrhunderte, wie tief ist eure Nacht! Wir Säulen theilen nun mit aller Pracht
Des Herrschers Loos, das Schicksal der Gefang'nen,
105 Des Sternes, der ins ew'ge Nichts zerfloß, —
Und groß ist nur die Seele, die das Loos,
Das sie betrauert, auch verewigt, groß Ist nur die Menschenseele.
Schlaft!" so sprachen
Die Säulen Pastums, die von Syrakus,
Aeginas, Akragas und Selinus, Als um sie her sich Nachts die Donner brachen.
Semiramis.
Schon glomm das Spätroth über Babylon, Beleuchtend seine Gärten und Terassen, Da hatte bei der Flöte letztem Ton
Die Königin ihr Prunkgemach verlassen; Und wie sie durch die Palmengänge schritt,
Fand an der Säule sie gelehnt den Seher,
Sie trat zu ihm und sprach: „Chaldäer! Sag' an, was sind die Götter? Sind sie frei
Von Schmerz und Tod, von jedem Ungemache? Und wie ertragen sie dies Einerlei,
Dies ew'ge Glück unsterblich Heller Tage?
Bekümmert unser Wohl und Weh' auch sie?"
Der Seher sprach: „Es ist auch deine Frage Ein Ton in ihrer großen Harmonie. Unalternd sind die Götter, jener bange
Gedanke, der uns Sterbliche bedrängt, Der Tod, erschreckt sie nicht, voll Lebensdrange Durchstürmen sie die Schöpfung, sie umfängt Ein schrankenloses Dasein, keine Trauer,
110 Keill Mahnen an der Dinge flncht'ge Dauer.—'
„Und also schaut ihr ewig froher Blick Nicht nieder auf das menschliche Geschick?"
Fuhr fort Semiramis zu fragen, „sprich! —"
„O," rief der Priester Bäls, „o sicherlich, Sie lieben uns; die reine Jugendblüthe Der Menschheit weht sie lieblich reizend an; —
Alljährlich, wenn der Frühling neu erglühte Steigt Bäl, der große Gott der Sonnenbahn, Zur Erde, von dem Glanze seines Throns Zur schönsten von den Töchtern Babylons.
Im Brautgemach, auf dieses Tempels Mauer Erharrt sie während dreier Nächte bang, Den Himmelssohn in ahnungsvollem Schauer Bei Saitenspiel nnd preisendem Gesang,
Um ihm, der sich ihr naht auf Adlerschwingen,
Das Opfer ihrer Liebe darznbringen. —"
Am Eingang zu dem Tempel sprach dies Wort
Der Priester Bäls zur Königin, sie nickte
Und sah ihn forschend an; er schwieg und blickte Bedeutend auf; sich fassend fuhr er fort: „So harrt nun die, die wir für ihn erkoren,
Des Bräutigams, auf gold'nem Ruhbett hier,
111 Und eine Leuchte schimmert neben ihr, Die weithin glänzt bis zu den fernsten Thoren
Der Stadt am Euphrat; über dieser Fluth
Dem Meer der Wünsche, das da drunten ruht." Nachdem sie laug' so stand vertieft in Sinnen,
Begann die Königin: „Kein Weib gewiß
Ist mehr werth, seine Liebe zu gewinnen, Als ich, ich, die da herrscht, Scmiramis,
Ich will ihm dienen." — „Königin," versetzte
Der Priester, „Macht und Größe rühren nicht Sein Flammenherz, nein, die sind ihm das Letzte;
Er will das Stammeln, das die Unschuld spricht,
Er will das Opfer, nicht das Bündniß, will Die Demuth, nicht den Stolz, Ergebung."—„Still!"
Fuhr jetzt die Königin empor und stand Zn ihrer ganzen Hohheit vor ihm da,
Es rasselten am gold'nen Kricgsgewand
Ihr Köcher und ihr Bogen, und sie sah
Boll Zorn's auf ihn: „du sähest mich erröthen; Doch glaube nicht, daß ich beleidigt bin,
Sonst ließ ich dich vor meinen Augen tobten, Dir sei dein allzukühnes Wort verzieh'«,
Doch warn' ich dich!" Er sprach: „Ich würde schwer
112 Bestraft und alles Volk mit mir und du —
Erzeugt' ich deinem Wunsche die Gewähr.
Sie warf ihm einen Blick voll Stolzes zu Und rief: „Bin ich nicht die, die in den Schlachten Auf einem Sichelwagen mit dem Speer
Die Feinde niederwarf, ich hab' ein Heer, Ich habe Sclaven, — alle Völker achten
Auf meinen Wink, gefang'ne Fürsten knie'n Vor meinem Thron und lesen an den Tischen Das Brod auf, Niemand kann sich mir entzieh'n,
Und meinen Ruhm wird keine Zeit verwischen,
Dem Gotte gleich' ich, den mein Herz begehrt Und du wähn'st mich nicht seiner Liebe werth!"
Sie stampfte zornig mit dem Fuß und stieß Den Boden mit dem Jagdspeer.
Sieh' da neigte
Der Priester in die Hand sein Haupt: „Nur dieß
Erhab'ne, bitt ich, deinen Sclaven Versprich mir, was auch komme, nicht zu strafen."
Da lächelte Semiramis, sie zeigte
Den Ring an ihrer Hand und sagte mild:
„Willst du mit Bäl, dem Gotte mich vermählen, Dies Kleinod, darauf darfst du zählen — Folgt meinem Dank, es trägt der Ring mein Bild.
113 Es kam die Nacht und ihr gleich, weich umfangen
Vom goldschwer fließenden Gewand, erschien
Scmiramis, voll glühendem Verlangen.
So tritt sie in den Thurm, die Stunden flieh'n Schon wird es Mitternacht, schon neigen
Zum Untergang sich die Gestirne; bang Und banger pocht ihr Herz, und Todesschweigen
Ist um sie her; sie bebt, Es überfällt sie niegekanntes Zagen; — Dem Gotte, der auf Aetherflügeln schwebt,
Wie darf sie ihm zu nah'n sich wagen, Wie wird sie seinen Flammenkuß, Wie wird sie seinen Blick ertragen?
Und doch, sie will's, und wenn sie sterben muß! —
Da — horch! Da rauscht es um sie her, was schwang
Sich durch die Luft, als wollt' es sie entführen? Und jetzt, was tönt jetzt, ist es nicht Gesang?
Es öffnen sich die gold'nen Flügelthüren Und vor ihr, an den Stufen zum Altar
Da ruht ein Kind, die Leier auf den Knien Den gold'nen Kranz im schöngclockten Haar
Und stimmt das Saitenspiel zu Melodien. Von Unschuld und von Jugendglanz umflossen ¥ingg, Dichtungen.
8
114 Erstrahlt die herrliche Gestalt, allein
Vertieft in sich, der Welt umher verschlossen. Bestrebt nur, ihrer Gottheit sich zu weih'n. Semiramis, betroffen nnd entzückt, Wagt weiter nicht zu nah'n, sie athmet kaum,
Sie birgt, die Hand auf ihre Brust gedrückt,
Ihr Antlitz in des Mantels Purpursaum, Und lauscht den Tönen jenes Preisgesanges, Dann ernst und stolz und würdevollen Ganges
Steigt sie die Treppe von dem Thurm herab,
Und tritt zu Rinus, ihres Gatten, Grab. „Vergieb mir," spricht sie; „an den fernsten Grenzen
Der Macht, die du gegründet, lebt noch frei Ein großes Volk, ich will das Reich ergänzen, Daß Alles unterjocht und unser sei." Sie spricht's — von Aufgang um der Wolken Thron Erheben sich des Sturmes Flügelrösse,
Und durch die Nacht wirst über Babylon
Der Himmel seine hellsten Blitzgeschosse.
Melusine.
8*
Tiefe Schatten rings umsäumen
Eine Lichtung in dem Hain,
Zwischen dunkeln Eichenbäumen Glitzert Sonnenlicht herein. Hier im Schatten rauscht die Quelle,
Die umwölbt von Felsen ruht, Blumen blühn an ihrer Welle,
Ginster, Klee und Eisenhut.
Ernst und ganz vertieft in Schweigen
Ragen auch Cypressen kühn Ueber Myrthen auf und steigen
Hoch empor zum Sonnenglühn. Unter ihren düstern Zweigen
Kühlet sich die Mittagsgluth, Ringsum Schlaf und tiefes Schweigen Selbst die Sonne, scheint cs, ruht.
118 Da und dort nur durch die Stille Schwirrt ein heimliches Gesumm,
Weht ein Lusthauch, zirpt die Grille,
Schau'n erschreckt die Blumen um. Und die schöne Melusine
Taucht aus ihrer Quelle Blau Im Gewölbe der Ruine Vor dem alten Tempelbau.
Waldhornklänge hört sie schallen,
Näher jauchzt der Jägerchor, Lächelnd, voller Wohlgefallen
Lauscht die schlanke Fee hervor. Jetzt durch's Dickicht hört sie's brechen, Flüchtig kommt zu ihr ein Reh,
Scheint sie flehend anzusprechen: Hilf uns, mitleidreiche Fee! Schon den Speer zum Wurf geschwungen
Folgt ein. Jagender dem Wild
Blickt nun starr, von Scheu bezwungen, Auf das schöne Wunderbild.
__H9^ Wehr und Hüfthorn läßt er sinken, Ihn bewältigt süße Pein,
Ihre milden Blicke winken, Und so tritt er zu ihr ein.
Auf dem Steintisch aus der Quelle Setzt sie kühlen Trank ihm vor,
Und ihm dringt, wie aus der Welle,
Ihrer Stimme Klang ins Ohr.
In des jungen Ritters Armen Selig, liebeselig ruht
Melusine und erwärmen Fühlt sie bald ihr kühles Blut.
Wundersame Worte tauschen Die Verliebten in dem Wald,
Bald wie hoher Tannen Rauschen, Und wie heimlich Flüstern bald. Was sie sich zu sagen hatten,
Niemand hat es je gehört,
Als vielleicht der Bäume Schatten,
Und das hat sie nicht gestört.
120 Von der nahen Hochzertfeier
Sprechen sie schon hochbeglückt,
Und sie hüllt um ihn die Schleier,
Hält ihn fest an sich gedrückt.
„Säh' ich doch aus deinen Wangen
Morgen, wenn der Tag erwacht, Noch die Lilien schlafumfangen,
Bleich vom Glück der schönen Nacht. Daß dein müd'rer Blick mich grüßte! Als ein Zeuge, daß die Lust
Ihre ganze Schuld verbüßte Münd an Mund und Brust an Brust. Streicheln wollt' ich dir die Locken
Und es wogte sanft und weh Deine Seele noch erschrocken Wie nach einem Sturm der See."
Blumen und die Welle lauschten
Auf so süße Worte, kaum
Daß sie noch vorüberrauschten
Echolos nnd wie im Traum.
121 Wo wir kosend heut' geruht, Liegt nun stiller Mondcnschimmer,
Durch die schwüle Sommergluth
Webt das Sterngeflimmer; Schon in halben Traum gewiegt
Fühl' ich dich noch immer
Liebend Herz, an mich geschmiegt. Ach, daß Alles scheiden muß, Flüchtig, wie das Wort vom Munde,
Flüchtig selbst dein süßer Kuß!
Ueber jede Stunde Legt sich der Gedanke schwer. Glückliche Secunde
Kehrst du nimmer, nimmer mehr? Jst's Neptun, der Gott der Heiden, Jst's der Zanberer Merlin Der die Braut in Gold und Seiden
Führt zur Ritterburg dahin?
Auf schneeweißen Zeltern reiten Nixen, eine helle Schaar,
Die die junge Braut geleiten Zum bekränzten Traualtar.
12-2
Nach der Trauung, nach den Glocken
Kommt der Schmaus und folgt der Tanz,
In der Itixe braunen Locken Blinkt der Wasserlilien Kranz.
Wie sie sich die Hände geben,
Auf und ab im Reigen flieh'»! Wie sie neigen, wie sie schweben Und die Schleppen nach sich ziehn!
Draußen auf dem Schloßaltane Ruh'n der Ritter und die Fee, Und sie spricht zu ihm: „Ich ahne, Ach ich ahne bitt'res Weh.
O versprich mir eins — ich flehe Dich darum auf meinen Knie'n,
Wie ich komme, wo ich gehe, Forsche niemals, wer ich bin!
Einmal jährlich meine Schritte Lenk' ich heim in's Quellgemach,
Dann, o Herr — gewähr' die Bitte, Folge du mir ja nicht nach!
123 Was man sagen mag, o höre
Höre nicht darauf, sag' Nein!" „„Nein denn."" rief der Ritter. „Schwöre!"
„„Ja ich schwör's beim Sterncnschein.""
Mond um Monde sind vergangen
Und noch lächelt frisch und neu
Beider Gatten hold Verlangen
Ihre Lieb' und ihre Treu'. Jeder Morgen bringt ein Hoffen, Jeder Abend zählt ein Glück,
Beides bringt, dem Himmel offen
Doppelt reich die Nacht zurück.
O daß nie der Tag erschiene Der vcrhängnißvolle Tag, Dem die schöne Melusine Nicht zu widerstehn vermag!
Doch er kommt, und als allmählig
Im Zenith die Sonne brennt, Zieht es sic unwiderstehlich
In ihr heimisch Element.
124 Ungeschaute süße Stunden
In der Schwestern Reih'n verbracht Sind ihr dort am Quell entschwunden, Und es dämmert schon die Nacht. Ruhlos auf der Burg indessen
Harrt ihr Gatte, wacht und sinnt. Ward sie ehr- und treuvergessen — Müßt' ich nur, wer dort sie minnt!
Flüchtig, denn die Angst gab Flügel, Eilt die Fee hinan das Schloß,
Dort am Thor, die Faust am Zügel
Harrt ihr Gatte, hoch zu Noß. Während er mit keiner Miene,
Daß er ihr mißtraut, verräth, Seufzt die schöne Melusine:
Ach, er hat mich doch gespäht!
Steht auf Erden dauernd Festes? Welche Wahrheit birgt nicht Spott,
Täuschung ist der Güter bestes,
Und die Binde ist der Gott.
125 Die Vergessenheit ist Leben,
Die Betäubung ist der Muth Und die Stärke zu vergeben.
Ja die Blindheit ist ein Gut! Wo denn immer hin verschwinde
Jeden Mond die edle Frau,
Frug der Burgpfaff das Gesinde, Rieb dabei die Hände schlau. Habt ihr sie schon beten, sehen,
Sah schon Jemand ihren Fuß? Oder sie vorübergehen
Je am Kreuz mit frommem Gruß?
So der Burgpfaff zum Gesinde, Das Gesinde unter sich,
An dem Brunnen, bei der Linde; Wie das raunte, wie das schlich! -
Einstmal, als zu ihrer Quelle Melusine wieder ging, Eben als sie an der Schwelle
Ihrer Schwestern Chor empfing,
126 Als sie Alle, sie zu grüßen
Ihre Kränze schwingen sah, Und sie selbst mit zarten Füßen
Kam dem Saum der Welle nah,
Durch den Riß der Wölbung schaute Nur des Mondes Silberschein, Und nur ihrer Lust vertraute
Sterne blickten still herein, Weh! da drang heran die Meute, Iagdgeschrei und Pferd'gewieh'r,
Tobend rief der Ritter: „Heute Schaff' ich mir Gewißheit hier."
Was erblickt er? Wer auf Erden Sagt es, was geheimnißvoll
Lebt in Wassern, seit dem Werden Erste Lebensfluth entquoll? „Ach, du hast den Schwur gebrochen,
Weh! was hast du mich belauscht!
Höre, wie mit Donnerpochen An dein Thor die Woge rauscht!"
127 Jammernd sank die Nixe, schreiend
In der Schwestern Arm zurück, Sah ihn an, ihm noch verzeihend, Und dahin war all' sein Glück.
Wie sie ihm vorher verkündet Hat es sein Geschick vollbracht,
Von den Feinden angczündct
Ward sein Schloß in selber Nacht. Um die Fenster, um die Mauer,
Von dem Feuermeer umwallt
Sah man noch in stiller Trauer Schweben ihre Lichtgestalt.
Lieblich tönt Gezirp oer Grille
Durch das Thal am blauen See,
Sternlicht dämmert durch die Stille,
Taucht empor die schone Fee?
In dem tiefen Felsengrunde Wallt ein Pilger krank und müd Und es bebt von seinem Munde
Hörbar kaum ein klagend Lied:
128 Fraget nicht nach meinem Leben, Fraget nicht „woher, wohin?"
Antwort könnt' ich euch nicht geben, Fraget nicht mich, wer ich bin. Meinem Schatten aller Orten
Folgt der düstre Zweifel nach Ach, ich sagt' es nicht mit Worten,
Was mein krankes Herz verbrach.
Ohne Glauben, ohne Hoffen Irr' ich, ohne Rast und Ruh,
Vor mir liegt der Himmel offen,
Und der Hölle wank' ich zu.
Zu der schönen Melusine Kommt der gramgebeugte Mann Irrend durch den finstern Tann,
Ob er noch das Glück verdiene,
Ob sie mit der Himmelsmicne Einmal noch ihn grüßen kann? Wie sie hält ihn sanft umschlungen,
Sinkt sein Haupt auf ihren Schooß, Daß ihn ihr Gelock umfloß,
129 Aller Schmerz ist bald bezwungen, Zu der Träume Dämmerungen Küßt sie seine Seele los.
Horch, die Quellen rauschen Grüße! Kennst du noch dein junges Weib?
Bleib, o mein Geliebter, bleib! Schwer hast du gefehlt, nun büße! —
Küss' auf Küsse, tödtlich süße Brechen ihm den müden Leib.
Tief im Schatten rauscht die Quelle Bergend ihre laut're Fluth Vor der Mittagsgluth, Blumen blühn um ihre Welle,
Alles schweigt und Alles ruht.
Ueber Leid und Untergcheu Lächelst du, du lächelst nur, Ewige Natur!
Deine großen Blicke sehen Immer die Verjüngung nur. ^:ngg, Tid)tun