Dracontius, Romul. 10 (Medea): Einleitung, Text, Übersetzung und Kommentar 9783825351427, 3825351424


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Dracontius, Romul. 10 (Medea): Einleitung, Text, Übersetzung und Kommentar
 9783825351427, 3825351424

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HELEN

KAUFMANN

Dracontius Rornul. Einleitung, Text, Übersetzung

und Kommentar

Universitätsverlag WINTER

Heidelberg

10

(Medea)

Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http:lldnb.ddb. de abrufbar.

Dissertation zur Erlangung der Doktorwürde an der Philosophischen Fakultät der Universität Freiburg in der Schweiz Genehmigt von der Philosophischen Fakultät auf Antrag von Prof. M. Billerbeck (1. Referentin) und Prof. J. C. McKeown (2. Referent) Prof. R. Friedli (Deka,i) Freiburg, den 3. Februar 2005 Publiziert mit Unterstützung des Schweizerischen Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen

Forschung.

UMSCHLAGBILD

Ausschnitt aus dem Medeasarkophag (um 190 n. Chr.), Antikenmuseum Basel und Sammlung Ludwig, nach Schmidt,Margot (1968). Der Basler Medeasarkophag Ein Meisterwerk .,pärantoninischer Kunst (Monumenta Artis Antiquae 3). Tübingen. Tafel 19.

Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist url1ebenechtlich geschlitzt.Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

© 2006 Universitätsverlag Winter GmbH Heidelberg lmprime en Allemagne · Printed in Germany Druck: Memminger MedicnCentrum, 87700 Memmingen Gedruckt auf umweltfreundlichem, chlorfrei gebleichtem und alterungsbeständigem Papier Den Verlag erreichen Sie im Internet unter: wwvl',winter-verlag-hd.de

VORWORT Trotz dem in den letzten Jahren stetig wachsenden Interesse an der spätantiken Literatur und am vandalischen Afrika ist über Dracontius und seine Dichtung noch nicht das letzte Wort gesprochen. Dies zu leisten ist nicht der Anspruch der vorliegenden Arbeit, einer leicht überarbeiteten Version meiner im Wintersemester 2004/05 von der Philosophischen Fakultät der Universität Fribourg angenommenen Dissertation. Vielmehr möchte sie mit einer detaillierten sprachlichen Analyse und einer Interpretation von Romul. 10 (Medea) wesentlich zum besseren Verständnis von Dracontius' Dichtung beitragen. Gern ergreife ich die Gelegenheit, allen, die das Entstehen dieser Arbeit in irgendeiner Weise gefördert haben, herzlichen Dank abzustatten: Prof. M. Billerbeck (Fribourg) hat die Dissertation von Anfang bis Ende betreut und mich ausserdem während dieser Zeit als Assistentin angestellt. Das Korreferat übernahm freundlicherweise Prof. Jim McKeown (Madison), von dem meiner Arbeit ausserdem anhaltendes Interesse und Anregungen von unschätzbarem Wert zukamen: Wieviele 'golden lines' wären mir sonst entgangen! Prof. Carole Newlands (Madison) hat mich für das akademische Jahr 2002/03 als visiting scholar an das Classics Department der University of Wisconsin-Madison eingeladen, dort herzlich aufgenommen und meine Arbeit ebenfalls mit grossem Engagement und inspirierenden Fragen begleitet: Dass ich nicht all ihre Anregungen berücksichtigt habe, ist allein meinem Eigensinn zuzuschreiben. Prof. em. (F.) Mike Clover (Madison) fand seinerseits Zeit, Fragen zum kulturellen Hintergrund der Vandalenherrschaft in Nordafrika mit mir zu diskutieren. Für einzelne Auskünfte gebührt mein Dank weiter Prof. F. Graf und Prof. Sarah 1. Johnston (Ohio State University at Columbus), Prof. R. Wachter (Basel und Fribourg), Dr. Jan Felix Gaertner (Leipzig), Dr. Christian Raschle (Fribourg), Martin Valencak (ETH Zürich), Dr. des. Florian Mittenhuber (Bern), ferner für die freundliche AufKommentare zu nahme meiner Dissertation in die Reihe der 'Wissenschaftlichen griechischen und lateinischen Schriftstellern' des Winter Universitätsverlags Dr. A. Barth (Heidelberg); für die grosszügige Beschaffung des Mikrofilms der beiden handschriftlichen Versionen Prof. M. Ferrari (Mailand), für die Erlaubnis, die Zettel des Thesaurus Linguae Latinae in München zu unpublizierten Lemmata einzusehen, Dr. M. Flieger, für das Nachzählen der Daktylen-Spondeen-Verteilung der Verse und eine Layout-Kontrolle Valentin Misteli, für Hilfe beim Layout meinen Geschwistern Martin und Regula Kaufmann und für das Korrekturlesen sowie stilistische Verbesserungsvorschläge Natalie Breitenstein, Georg Büchler, Lionel Felchlin, Andreas Willi und Annemarie Kaufmann-Heinimann. Die Verantwortung für die noch vorhandenen Fehler liegt allein bei mir. Danken möchte ich ausserdem dem Institute of International Education (USA) für das Fulbright-Stipendium, das mir den Aufenthalt in Madison erlaubte, dem Schweizerischen Nationalfonds für die finanzielle Unterstützung der

Drucklegung und den Instituten für Klassische Philologie in Bern und Basel für die gastliche Aufnahme in ihren Bibliotheksräumen. Ohne Peter Mangolds ausgezeichneten Lateinunterricht hätte ich möglicherweise nie Latein studiert. Ohne die finanzielle und ideologische Unterstützung meiner Eltern hätte ich mich nicht sorglos dem Studium meiner Wahl widmen können. Ohne die Anteilnahme meiner Freunde und Freundinnen und die Abwechslung, die mir die Studierenden in Fribourg boten, wären die vergangenen fünf Jahre wesentlich unangenehmer gewesen. Und ohne Andreas Willis Ermunterung wäre diese Dissertation vielleicht nie begonnen worden. Antike lateinische Autoren sind nach dem Index des ThLL (1990) abgekürzt, mittellateinische nach dem Index des Mittellateinischen Wörterbuches (1996) und griechische nach dem Abkürzungsverzeichnis des Neuen Pauly (3. Band). Mit Ausnahme von Dracontius, der nach der Bude-Edition (1985-1996) zitiert wird, und einigen wenigen anderen Texten, die seit den genannten Indices neu herausgegeben wurden, verweisen die Stellenangaben auf die dort empfohlenen Textausgaben; der in diesem Band eingeschlossene Index locorum verzeichnet die zitierten Ausgaben. Griechische und lateinische Eigennamen werden in der auf Deutsch üblichen Form verwendet. ► verweist auf Abschnitte in der Einleitung (E.) und auf Lemmata im Kommentar, blasse Zahlen beziehen sich auf den Text von Romul. 10.

INHALTSVERZEICHNIS Einleitung .......................................................................................................................

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1. Karthago während der V andalenherrschaft ...... .... .... ...... .... ... .. .... ............... ....... ... 1.1. Politische Lage ......... .................................................. ............................. ... ........ 1.2. Bildung und Kultur........................................................................................... 1.2.1. Schulwesen.............................................................................................. 1.2.2. Theaterbetrieb.........................................................................................

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2. Dracontius .............................................................................................................. .... 2.1. Leben.................................................................................................................. 2.2. Werk...................................................................................................................

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3. Romul. l O (Medea) ................ ...................................... ............................................. 3.1. Die handschriftliche Überlieferung und die Ausgaben................................ 3.1.l. Der Codex Neapolitanus (IV E48) ....................................... ............... 3.1.2. Der Titel.................................................................................................... 3.1.3. Die Ausgaben .................................................. ........................................ 3.1.4. Die Textgestaltung................................................................................. 3.2. Die Gattung........................................................................................................ 3.3. Sprache und Stil ................................................................................................ 3.3.1. Sprache..................................................................................................... 3.3.2. Stil ............................................................................................................. 3.4. Prosodie und Metrik......................................................................................... 3.4.1. Prosodie.................................................................................................... 3.4.2. Metrik...................................................................................................... 3.5. lntertextualität ................................................................................................... 3.5.l. Dracontius' Griechischkenntnisse ........................................................ 3.5.2. Dracontius' Kenntnisse der lateinischen Dichtung........................... 3.5.3. Dracontius' Umgang mit den Vorgängertexten................................. 3.5.4. Nachleben ...............................................................................................

25 25 25 28 27 31 35 36 36 38 40 40 40 43 43 45 45 47

3.6. Der Medea-Mythos vor und bei Dracontius ................................................. 3.6.1. Die griechischen Versionen................................................................... 3.6.2. Die lateinischen Versionen .................................................................... 3.6.3. Die nichtliterarischen Versionen......................................................... 3.6.4. Dracontius' Neuerungen.......................................................................

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48 48 50 52 52

3.7. Die Personen in Romul. 10 ............................................................................... 3.7.1. Medea ....................................................................................................... 3.7.2. Jason ......................................................................................................... 3.7.3. Aietes, die Amme, Kreon und Glauke .................................................. 3.7.4. Die Götter................................................................................................ 3.8. Die Gesamtinterpretation von Romul. 10 ................................................ .......

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4. Prolegomena zum Kommentar ........................................... ......................................

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Text und Übersetzung..................................................................................................

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Kommentar ...................................................................................................................... 105 l-31Prooemium ............................................................................................................. 32-339 l. Teil: Medea und Jason in Kolchis ............................................................. 340-365 Scharnier: Der Raub des Goldenen Vlieses und die Flucht aus Kolchis 366-569 2. Teil: Medea und Jason in Theben........................................................... 570-601 Epilog ..............................................................................................................

107 133 329 343 447

Bibliographie .................................................................................................................. 467 l. Abkürzungsverzeichnis ............................................................................................ 469 2. Textausgaben ............................................................................................................ 471 3. Sekundärliteratur...................................................................................................... 471

Indices ............................................................................................................................. 501 Index locorum ............ ................................................. ............ ......................... .. . . ........ 5 0 3 Index nominum rerum verborum ................................................................................ 545

EINLEITUNG

l. KARTHAGO WÄHREND DER VANDALENHERRSCHAFf

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1.1. POLITISCHELAGE2 439 n. Chr. wurde Karthago, die Hauptstadt der römischen Provinz Africa Proconsularis, von den Vandalen unter Geiserich erobert, geplündert und zur Hauptstadt des vandalischen Königreiches gemacht. Beinahe 100 Jahre später, 533 n. Chr., eroberte sie der Feldherr Beiisar auf Geheiss des in Konstantinopel ansässigen, römischen Kaisers Justinian zurück. WälJrend der Vandalenherrschaft, für welche die vandalischen Herrscher eine Neuzählung der Jahre einführten', gestaltete sich das Leben in Karthago für die Römer je nach Politik des jeweiligen Vandalenherrschers mehr oder weniger angenehm'. 442 n. Chr. festigten die Vandalen ihre Herrschaft über Africa Proconsularis, Byzacium und Teile von Numidien 5 durch einen Friedensvertrag mit dem im Westen des römischen Reiches residierenden Kaiser Valentinian III.: Offiziell erlangten sie damit den bescheidenen Titelfoederati, doch praktisch hatten sie die Herrschaft inne, wenngleich die römische Munizipialverwaltung und das Zivilrechtswesen für den innerrömischen Gebrauch erhalten blieben'. So gab es z.B. weiterhin eine curia, deren curiales unter anderem einen flamen perpetuus für den Kaiserkult wählten'. Aufgrund dieser Machtverteilung zwischen Vandalen und Römern ergaben sich für das Alltagsleben der städtischen und ländlichen Unterschichten wahrscheinlich nur geringfügige Änderungen gegenüber der früheren römischen Herrschaft 8• Hingegen mussten die römischen Gutsbesitzer in Africa proconsularis um ihren Besitz fürchten, denn ihr Land diente der vandalischen Oberschicht und, als sortes Vandalorum, den vandalischen Soldaten als Siedlungs- und Kulturland•. In der Folge flüchteten viele der Gutsbesitzer oder wurden vertrieben. Unter der Vandalenherrschaft am meisten zu

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Ein Überblick über die jüngsten Arbeiten findet sich bei v. Rummel (2003). Vgl. allg. Schmidt (1942); Courtois (1955); Luiselli (1992: 537-56); Francovich Onesti (2002). Die neue Datierung beginnt mit der Eroberung Karthagos am 12. 10. 439 und enthält entweder den Namen des jeweiligen Herrschers oder die Formel anno N Kart(h)aginis, die für die Vollform anno N Karthaginis domini nostri X steht. Eingeführt wurde die Datierung mit Herrschernamen wohl bereits von Geiserich (vgl. Clover 1989a: 154-63; dagegen Schmidt 1942: 181), jene mit der Nennung Karthagos von Gunthamund (vgl. Clover 2003: 54-9). Zur Entwicklung der Beziehungen zwischen Römern und Vandalen siehe Clover (2003: 47-9). Ausbüttel (1991: 12f.). Vgl. auch Courtois (1955: 171-185); Vössing (1997: 264 mit Anm. 987). Vössing (1997: 265). In den frühen 380er Jahren war beispielsweise ein gewisser Victorianus von Hadrumetum proconsul Carthaginis (Viel. Vit. 3,27). Clover (1982a: 12f.). Zumindest für die Herrschaftszeiten von Thrasamund und Hildericb ist anzunehmen, dass sich die Priester tatsächlich um den Kaiserkult zu kü=ern hatten (und nicht um die Verehrung der vandalischen Könige); vgl. Clover (1982b: 666-74). Clover (1982a: 13 bzw. 4). Clover (1982a: 4); Vössing (1997: 264); Clover (2003: 47f.).

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Einleitung

leiden hatten indessen die afrikanischen 'Katholiken' 10 , denn die neuen Könige setzten sich besonders am Anfang ihrer Herrschaft für die Verbreitung des arianischen Glaubens und die gleichzeitige Unterdrückung des katholischen Bekenntnisses ein. Höhepunkte erreichten die Katholikenverfolgungen in den ersten Regierungsjahren von Geisench (428-477) und den letzten von Hunerich (477-484) 11 • Dazwischen und danach, besonders unter Hilderich (523-530), waren katholische Gottesdienste geduldet; bisweilen wurde sogar der einflussreiche Bischofssitz in Karthago zur Wiederbesetzung freigegeben 12• Die wirtschaftliche Situation änderte sich mit der Vandalenherrschaft nur geringfügig; unter Geiserich soll es Nordafrika sogar besonders gut ergangen sein". Mit dem Hafen blieb Karthago der Handel als Schlüssel zum Wohlstand erhalten 14 • Auch Acker-, Obst- und Weinbau sowie Viehzucht, die wirtschaftlichen Grundlagen des Gebietes um Karthago, wurden weiterhin betrieben 15 • Einige Bauten der Stadt, z.B. die Stadtmauer, stürzten, wohl aus Vernachlässigung, ein, wenige andere, z.B. das Theater und Odeon, scheinen zerstört worden zu sein' 6 ; wiederum andere wurden restauriert oder neu gebaut, z.B. die Thermae Alianarum 17 • Die Epoche des vandalischen Karthago war folglich von allgemeinem Wohlstand gekennzeichnet. Im Gegensatz zu diesem Lebensgefühl standen die weitreichenden Katholikenverfolgungen und die Vertreibungen römischer Grundbesitzer, die besonders die erste Hälfte der Vandalenherrschaft prägten. Diese Spannung zwischen unerträglichen Lebensumständen und materiellem Wohlstand spiegelt sich in den römischen Schriftquellen der Zeit. Einerseits werden die Katholikenverfolgungen kritisiert, z.B. in Victor von Vitas (zweite Hälfte des 5. Jh.s) Historia persecutionis Africanae provinciae sub Geiserico et Hunerico regibus Vandalorum oder in Ferrandus' Biographie (erste Hälfte des 6. Jh.s) des Bischofs Fulgentius von Ruspe (um 500)u.

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Die Verwendung der Begriffe 'Katholiken' und 'katholisch' für die nordafrikanischen, nichtarianischen Christen mag unpräzis erscheinen. Sie sind jedoch besser geeignet als 'Orthodoxe'/'orthodox', bei heutigen Lesern und Leserinnen die von den lateinischen Kirchenvätern wie Augustin geprägte Kirche zu evozieren. Die Hauptquelle für die Katholikenverfolgungen ist Victor von Vita. Hatte Gunthamund (484496) von Verfolgungen abgesehen und den Katholiken sogar ihre Kirchen zurückgegeben, gmg Thrasamund (496-523) wiederum gegen die Katholiken vor, allerdings ohne sie zu verfolgen; vgl. Diesner (1966b: 92). Bischöfe: Deogratias (454-457); Eugenius (480/1-484; wieder kurz 487); Bonifatius (523525). Vgl. Vict. Vit. 2,2-4; Clover (1982a: 4 und 1989b: 59). Lapeyre-Pellegrin (1950: 145). Clover (1982a: 8); Weber (1995: 29). Vict. Vit. 3,55-7; Anth. 376,15; Prok. BV 2,3,26; Coripp. loh. 1,331-3; 3,31-3. Für die Abhangigkeit der Kultur von der Landwirtschaft vgl. Wes (1987: 188). Ob 484 tatsächlich eine Hungersnot stattfand, wie Vict. Vit. 3,55-60 berichtet, ist umstritten; vgl. Clover (1982a: 15-7). Zur Vernachlässigung vgl. Clover (1982a: 8), zu den Zerstörungen Vict. Vit. 1,8; Clover (1982a: 9); Hurst-Roskams (1984: 44). Anth. 210-3; vgl. Chalon et al. (1985). Allerdings fehlt für diese Thermen wie auch für andere literarisc~ bezeugte Bauwerke der Zeit (vgl. Anth. 376) die Bestätigung durch archäologische Funde. Dies mag mcht zuletzt daran liegen, dass die Identifikation der einzelnen Schichten des 5. bis 7. Jh.s n. Chr. in Karthago schwierig ist; vgl. Hurst-Roskams (1984: 42-5). Zu Vict. Vit. vgl. Lancel (2002: 18-49); Isola (1983: 9-11); Vössing (1997: 265 Anm. 991); zu Fulg. Rusp. Diesner (1966a). Fulgentius ist durchaus auch bereit, Thrasamund für seine kulturellen Leistungen zu loben, z.B. in ad Tras. 1,2,2; vgl. Diesner (1966a: 63). Negativ gegenüber der Vandalenherrschaft äussert sich ferner Prokop von Caesarea in seinem Bel/um

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1.2. Bildung und Kultur

Andererseits werden die Vandalen positiv dargestellt , z.B. in den Gedichten des Codex Salmasianus (um 534 publiziert), die in diese Zeit datiert werden können 20 • 19

1.2. BILDUNG UND KULTUR

Die Beurteilung der Bildung und des Kulturbetriebs im vandalischen Afrika könnte nicht unterschiedlicher ausfallen. Einige Forscher sprechen von einer kulturellen 'Renaissance', andere von einer allgemeinen Bildungsfeindlichkeit, in der die kulturelle Tradition knapp am Leben erhalten wurde 21 • Die Einschätzung der Lage ist umso schwieriger, als erstens vandalische Quellen weitgehend fehlen, zweitens die meisten römischen Dichter innerhalb der hundertjährigen Vandalenherrschaft nur ungenau datiert werden können, so dass man nicht leicht von einer auffällig hohen Anzahl von Dichtern unter einem bestimmten König sprechen kann, und drittens sich die römischen Prosaschriftsteller der Zeit fast ausschliesslich mit den Katholiken-

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Vandalicum (l,l,1-9,26) (Mitte des 6. Jh.s); auf diese Weise kann er Belisars Leistung bei Karthagos Rückeroberung stärker hervorheben. Vandalenkönige loben z.B. Anth. 387 (Hunerich); 210-4 (Thrasamund); 376 (Thrasamund); 203 (Hilderich); 215 (Hilderich). Drac. satisf. 19-26 bedauert, dass er nicht die Taten der Vandalenherrscher gepriesen hat, denn dadurch hätte er sich Ruhm erworben. Ebenfalls lobend äussert sich der gallische Priester Salvian (5. Jh. n. Chr.) in seinem Traktat De gubernatione dei (z.B. 5,4), denn seiner Meinung nach wurden die Vandalen von Gott geschickt, um die Sittenlosigkeit der Römer zu bestrafen. Luxurius verfasste indessen neben Panegyrik auch zwei Invektiven auf einen hohen Beamten des Vandalenkönigs Gelimer (Anth. 34lf.); vgl. Rosenblum (1961: 219f.); Happ (1986: 2.326-32). Ferner erkennt Happ (1986: 2.9f.; 87) selbst in Luxurius' Panegyrilc eine gewisse Distanz zu den Herrschern. die sich darin ausdrückt, dass der Dichter nur harmlose Personen wie Wagenlenker o.ä. (z.B. Anth. 293; 353) persönlich preist, bei vandalischen Adligen oder Königen hingegen auf ein Lob ihres Besitzes ausweicht (z.B. Anth. 203; 304; 369). Der Codex Salmasianus ist Teil der Anthologia Latina (Anth. 7-388) und enthält Gedichte vom 1. Jh. v. Chr. bis zum 6. Jh. n. Chr. In die Vandalenzeit können folgende Gedichte datiert werden: 18 (Luxurius); 37 (Lob auf Luxurius); 82 (vgl. Baumgartner 1981: 103-12); 198 (vgl. Heusch 1997: 18; 59f.); 203 (Luxurius); 209; 210-4 (Felix); 215; 218; 220; 223 (Coronatus); 226 (Coronatus); 228 (Coronatus); 254 (Flavius Felix; vgl. Vössing 1993: 153 Anm 26; Courtney 1980b: 39f.; vorsichtiger Clover 1982a: 21 mit Anm. 131); 284f.; 287375 (Luxurius); 376 (Florentinus); 387 (Cato). Vgl. Clover (1982a: 20-22); Vössing (1993: 149). Verschiedene Forscher datieren weitere Gedichte in diese Zeit: 21 (Courtney 1984: 3102; dagegen Vössing 1993: 150); 52 (Scheuer 1980: 220f.; ► 366-569); 83,27-30 (nach Courtney 1980b: 43f. vor Drac. Romul. 8,516); 88 (Courtney 1984: 310-2); 90-197 (Schetter 1986: 303f.); 102,3 und 6 (nach Courtney 1980b: 43f. vor Drac. Orest. 431 bzw. Romul. !0,► 531); 188 (Stevens 1988: 172-7); 217 (Courtney 1984: 310-2); 380 (Schmid 1942: 175f.; dagegen Vössing 1993: 154 Anm. 35); 383,2 (nach Courtney 1980b: 43f. nach Drac. laud. dei 1,263). Vgl. auch Kays (2005) Kommentar, der bei Abschluss dieser Arbeit leider noch nicht publiziert war. 'Renaissance': z.B. Provana (1912: 43); Schmidt (1942: 190f.); Quartiroli (1946: 160); Rosenblum (1961: 26f.); Courcelle (1964: 195); Chalon et al. (1985: 247); Shanzer (1986: 20f.); Simonetti (1986: 7); Bouquet (1994: 245); Weber (1995: 32); Grebe (1999: 20f.); Consolino (1999: 71-3); für die Einschätzung weiterer Forscher siehe Vössing (1997: 627 Anm. 2110). Schwächer als 'Renaissance', doch positiver als 'Überleben' ist Buschs (1999: 245) Begriff einer 'Nachblüte'. 'Überleben' der Tradition: z.B. Clerici (1973: 144); Diaz de Bustamante (1978: 37); RAC Suppl. 1.2.218; Moussy(-Camus) (1985: 12f. Anm. 5). Vössing (1993: 151 und 1997: 628-30), der sich dieser Einschätzung anschliesst, erklärt das Aufblühen der lateinischen Dichtung folgerichtig als 'Scheinblüte'.

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Einleitung

verfolgungen (►E. 1.1.) beschäftigen und somit keine einschlägigen Auskünfte geben. Dennoch gibt es mehrere deutliche Hinweise darauf, dass die Vandalen der römischen Kultur gegenüber positiv eingestellt waren. So fanden sie zum Beispiel an den römischen Bädern Gefallen und liessen neue Thermen errichten 22 • Ferner zeigt eine Münze aus Hilderichs Regierungszeit den gleichen Bildtypus und eine vergleichbare Legende wie Münzen des römischen Kaisers Maximinian (um 300 n. Chr.) 23 : Hilderich umrahmt von der Aufschrift D[OMINUS] N[OSTER] HILDIRIX REX auf der einen, Karthago in Frauengestalt mit der Legende FELIX KART[HAJG[O] auf der anderen Seite 24 • Auch der weitverbreitete Gebrauch der lateinischen Sprache und die Grabfunde belegen, dass die Vandalen etwa zwei Generationen nach ihrer Ankunft in Afrika, also am Ende des 5. Jh.s n. Chr. romanisiert waren 25 • Aus all diesen Zeugnissen spricht ein deutliches Interesse der Vandalen an der römischen Kultur. Obwohl die Literatur Teil der Kultur ist, wurde sie offenbar kaum speziell gefördert 26 • Dennoch äussern nur wenige römische Schriftsteller Kritik an der vandalischen Kulturpolitik. Unter den kritischen Stimmen findet sich ein Epigramm, in dem geklagt wird, dass man zwischen den gotischen Worten über Essen und Trinken kaum mehr wage, würdige Verse zu deklamieren 27 • Ferner berichtet der Mythograph Fulgentius von einer Begegnung mit der Muse Kalliope, die ihn fragt, ob er nicht Angst habe, sie bei sich aufzunehmen, da doch bereits Leute, die lediglich ihren Namen schreiben könnten, von den Barbaren gefoltert würden 2 •. Auf der anderen Seite waren Dichter keine Ausnahmeerscheinungen und wurden mindestens teilweise

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Vgl. z.B. Anth. 210-4 (Thermae Alianarum, von Thrasamund gebaut); dazu Chalon et al. (1985). Inschriftlich bezeugt (CIL 8.25362) sind Thermen in Tunes, erbaut von Gebamund, Gelimers Cousin (Prok. BV 1,18,1) oder Bruder (Vict. Tonn. chron. II p. 198,534,1). Prok. BV 2,6,5-9 schildert die Vorliebe der Vandalen für warme Bäder, aber auch für Theater, Zirkus und Jagd. Vgl. auch Busch (1999: 240-65). Clover (] 989a: 130-5 mit Abb.). Auf Münzen und in Inschriften werden die vandalischen Könige bis Hunerich mit rex, nachher mit d(ominus) n(oster) rex bezeichnet, während bei Vict. Vit. 1,20 bereits Geiserich mit domine rex angeredet wird, was eine Übertragung des späteren Gebrauchs auf diese Zeit sein mag. dominus und rex können nach Hunerich auch allein vorkommen (Schmidt 1942: 156f. mit einer Liste weiterer Bezeichnungen). Vgl. Clover (1989a: 153; 155; 1989b: 63). Eine Personifikation von Karthago findet sich auch auf dem Byrsa-Mosaik; siehe Clover (1989a: 13741 mit Abb.); Baratte-Duval (1978: 76-8 Nr. 38). Zur sprachlichen Situation siehe Francovich Onesti (2002: 87-91), zu den Grabbeigaben Kleemann (2002) und v. Rummel (2002), der die Zeugnisse für eine spezielle Kleidung der Vandalen, bes. Hosen (z.B. Vict. Vit. 1,39; 2,8; Jäger auf dem Bordj-Djedid-Mosaik; vgl. dazu Dunbabm 1978: 59 und Abb. 40f.), als nicht vertrauenswü.rdig erachtet, und zum Einfluss der Römer auf die Vandalen im Allg. Conant (2004). Ausnahmen: Vict. Vit. 2,13 und Parthen. epist. p. 3f. (Briefwechsel zwischen Parthenius und dem wohl vandalischen Würdenträger Sigisteus); vgl. Vössing (1997: 629f. mit Anm. 2122). Anth. 285,lf. (inter "eils" Goticum "scapia matzia ia drincan" I non audet quisquam dignos edicere versus). Ob damit allerdings die Vandalen gemeint sind, ist umstritten, wenn es auch nach Prok. BV 1,2,1-5 gut möglich scheint; für eine linguistische Analyse und zum Stand der Forschung siehe Francovich Onesti (2002: 140-2). Fulg. myth. 1 praef. 17 M. (non paves, inquit, Musicum tuis receptare dogma penatibus, cum barbarorum morem auscultaverim ita litterarios mercatos penitus abdicare, ut hos qui primis elementorum figuris vel proprium discripserint nomen cassata inquisitione mutum in carnificina reptarent). Neuerdings hat Hays (2003) Fulgentius allerdings in nachvandalische Zeit datiert. Fiir ältere Forschungsmeinungen vgl. Helm (1899: 111-34); RAC 8.632-61; Shanzer (1986: 13).

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1.2. Bildung und Kultur

von einem Publikum rezipiert, das über ihren persönlichen Bekanntenkreis hinausreichte. Dies zeigt Luxurius' Spott über einen Dichter namens Zenobius, der trotz magerer literarischer Qualität besonders bei der Jugend beliebt war 29 • Insbesondere jedoch lassen Epigramme, die an adlige Vandalen adressiert sind, auf deren Interesse an der zeitgenössischen Literatur schliessen 30 • Die folgende Tabelle bietet eine Übersicht über die literarische Produktion der Zeit 31 • Die mit * bezeichneten Werke gehören in vandalische Zeit, ihre genaue Datierung ist jedoch umstritten. Die mit** markierten Werke könnten auch aus einem anderen Jahrhundert stammen. Nicht aufgeführt sind einzelne Gedichte des Codex Salmasianus, die in vandalische Zeit datiert werden können, bei denen jedoch genauere Datierungshinweise fehlen (►Anm. 20). Vandalenkönige Geiserich (428-477) •-••••••••---••••

.. ••••••-••-••--

-

Hunerich (477-484)

Gunthamund

(484-496)

Literarische Werke - Quodvultdeus, Liber promissionum et praedictorum dei; De tempore barbarico sermones duo

••••••M•••••• .. ••

- Anth. 387 (Cato) - *Dracontius, Romul. 1-5; 9 - Victor Vitensis, Historia persecutionis Africanae provinciae

. -.Liber.fidei catholicae .(Vict_Yit._ 2,56-101) (Eugenius) ···················-········· - **Reposianus, De concubitu Martis et Veneris - **Martianus Capella, De nuptiis Philologiae et Mercurii - Dracontius, satisf; laud. dei; Romul. 7 - **Fulgentius, Mitologiae; De aetatibus mundi et hominis; Expositio Virgilianae continentiae secundum philosophos moralis; Expositio sermonum antiquorum ad grammaticum Calcidium; Super Thebaiden .,,~······ ...... ,................ .

1-------------I-·····-·--·-········------·----Thrasamund (496-523) - *Carmen de aegritudine Perdicae

_____

Dracontius, Romul. 6; mens.; ros. *Dracontius, Romul. 8; 10; Orest. Anth. 376 (Florentinus) Anth. 210-4 (Felix) *Anth. 378f. (Calbulus) **Anth. 254 (Flavius Felix) Fulgentius von Ruspe, Contra Arianos; Ad Thrasamundum regem Vandalorum; De trinitate - Passio beatissimorum martyrum (Ps. Viel. Vit.) - Carmen de resurrectione mortuorum et de iudicio domini -

----------+------------ Anth. Hilderich (523-530) -

203 (Luxurius) Anth. 215 *Anth. 223; 226; 228 (Coronatus) *Vita Fulgentii Ruspensis (Ferrandus) *Verecundus, Carmen de satisfactione paenitentiae; Commentarii

.......................................................... .....super. cantica. ecclesiastica .. .............................. .......................... . - Anth. 34lf. (Luxurius) Gelimer (530-533) - Coripp, Johannis (=e 548-555); ln laudem lustini (567) später: Justinian - Victor Tonnonensis, Chronica 29 30

31

Anth. 316; vgl. Happ (1986: 2.225-30). Zu 'Luxurius' siehe Happ (1986: 1.142-63). Z.B. Anth. 18 (ein Epithalamium für Fridus; vgl. Happ 1986: 2.9); 345 (ein Grabepigramm für Oageis' Tochter); 369 (ein Loblied auf Oageis' Kräutergarten; ►E. 2.2. Anm. 19). Vössing (1997: 628-30) hält diesen Schluss für fragwürdig. Vgl. dazu allgemein Courcelle (1964: 183-99; 219-24); Polara (1987: 68-91).

16

Einleitung

Nach diesem allgemeinen Überblick über das kulturelle Umfeld im vandalischen Karthago sollen kurz zwei Institutionen vorgestellt werden, die für das Verständnis von Dracontius' Dichtung besonders wichtig sind, nämlich das Schulwesen und der Theaterbetrieb.

1.2.1. Schulwesen Im Wesentlichen wurde der karthagische Schulbetrieb unter den Vandalen ohne grosse Änderungen weitergeführt' 2 • Aus diesem Zeitraum sind uns die Namen und/oder Tätigkeiten von knapp zehn Lehrern überliefert". Die Schule bot in erster Linie der römischen Oberschicht eine literarische Grundausbildung, doch sie war auch Vandalen zugänglich, wie wir aus Dracontius' Dichtung wissen 34 • Bei der Dichterlektüre nahmen Vergil und Terenz eine Vorrangstellung ein, doch auch Plautus, Lukrez, Catull, Horaz, Ovid, Seneca, Lukan und Statius wurden gelesen 35 • In einzelnen Punkten war die schulische Bildung während der Vandalenherrschaft allerdings wahrscheinlich eingeschränkt. So gab es möglicherweise keinen öffentlichen Griechischunterricht mehr 36 , und der lateinische Rhetorikunterricht fand wohl wie der Grammatikunterricht beim grammaticus (und nicht beim rhetor) statt 37 •

1.2.2. Theaterbetrieb Das Theater spielte in der Spätantike eine wichtige Rolle bei der Verbreitung klassischer Bildung, denn den Schulbesuch konnten sich nur bessergestellte Familien leisten". Dies illustriert z.B. Augustin, wenn er bemerkt, dass Aeneas' Gang durch die 32

33

34 35

36 37

38

Die Auffassung, dass die Schulen unter Geiserich geschlossen und erst unter Thrasamund wieder eröffnet wurden (z.B. De Prisco 1974: 176), entbehrt jeglicher Grundlage. Vgl. Vössing ( 1997: 629f.) und auch Laaksonen ( 1990: 35 8). Felicianus (Drac. Romul. 1, Titel); Pompeius (Pomp. gramm. V 95, Incipit; Vössing 1997: 59 Anm. 170; 501; Kaster 1988: 139-68; 343-6); Calcidius (Fulg. serm. ant. l, Incipit; Kaster 1988: 250); Coripp (Coripp. lust. l, Incipit; Kaster 1988: 26lf.); Julianus Pomerius (Vita Caes. Are!. 1,9; Kaster 1988: 342f.); Faustus (Anth. 287; Kaster 1988: 283f.); Priscian (Kaster 1988: 346-8). Dazu kommen der namenlose grammaticus bei Luxurius (Anth. 294) und der aus der Vita des Bischofs Fulgentius (Vita Fulg. Rusp. 1 p. 11) zu erschliessende Hauslehrer. Zweifel Uber Datierung und/oder Herkunft bestehen bei Calbulus (Anth. 378f.; Kaster 1988: 249f.) und Speciosus (Lyd. mag. 3,73; Kaster 1988: 360). Drac. Romul. 1,14 (an Felicianus: barbaris qui Romulidas iungis auditorio). Vergil im vandalischen Afrika: Fulg. Virg. cont. p. 90,21-91,5; vgl. auch Aug. anim. 4,7,9 (Simplicius könnte die Aeneis rückwärts aus dem Gedächtnis aufsagen). Terenz: vgl. Vössing (1997: 480f. Anm. 1616). Statius: ► E. 3.5.2. Zu den anderen Dichtern siehe Vössing (1997: 371 Anm. 1277), der zu Recht auf die Schwierigkeit hinweist, SchullektUre überhaupt zu definieren, denn nicht jedes Dichterzitat bei einem späteren Schriftsteller bedeutet, dass der Dichter bereits in der Schule gelesen wurde. Vössing (1997: l 77f.). Gegen Courcelle (1948: 209) kann man jedoch nicht von einem völligen Verlust der Griecbischkenntnisse sprechen; ► E. 3.5.1. rhetor: z.B. Apul. flor. 20,3. Dracontius' Werke, bes. Romul. 4, 5 und 9, setzen eine Rbetorikausbildung voraus, gerade Romu/. 4 ist jedoch dem grammaticus Felicianus gewidmet (vgl. Romul. 3, Incipit). Die Personalunion von grammaticus und rhetor ist auch aus Anth. 294 ersichtlich, einer Invektive gegen einen solchen Lehrer. Vgl. Vössing (1997: 572 Anm. 1932). Vössing (1997: 48lf.). Das Theater (in Rom) trug bereits während der römischen Republik und frühen Kaiserzeit wesentlich zum kollektiven Bewusstsein der Bevölkerung bei; vgl. Wiseman (1998: 1-74).

1.2. Bildung und Kultur

17

Unterwelt nur wenigen aus Vergils Aeneis, vielen jedoch aus dem Theater bekannt sei 39 • Die Theaterleidenschaft der Karthager war in der Kaiserzeit so bekannt, dass Salvian ihnen ohne Weiteres vorwerfen konnte, sie hätten die Eroberung ihrer Stadt durch die Vandalen verpasst, weil sie im Theatersassen'°. In der Folge des Vandaleneinfalls wurden Theater und Odeon zerstört, was allerdings den Theaterbetrieb nicht völlig zum Erliegen brachte 41 • Wahrscheinlich fanden Aufführungen von Mimen und Pantomimen, tragische Rezitationen und Konzerte danach im Amphitheater statt42 .

39 • 0 4

t 42

Aug. serm. 241,5 (sed pauci nostis in /ibris, multi in theatris, quia Aeneas descendit ad inferos). Salv. gub. 6,68-71. Zur Theaterleidenschaft der Karthager vgl. auch z.B. Tert. spect. 3 p. 4,265, l; Aug. in psalm. 103 serm. 1,13; Vössing (1997: 482 mit Anm. 1621). Vict. Vit. 1,8; vgl. Schmidt (1942: 172f.). Clover (1982a: 10). Mimen: Vict. Vit. 1,47. Pantomimen: Anth. 111; 310; Drac. Romul. 10,16-9. Tragische Rezitationen: Drac. Romul. 10,20-5. Konzerte:_ Anth. 36lf. Zum Amphitheater in vandalischer Zeit vgl. auch Bomgardner (1989: 9lf.). Weiter ► E. 3.6.3.

2. DRACONTIDS

1

2.1. LEBEN2 Blossius Aemilius Dracontius lebte um 500 n. Chr. in Karthago 3 • Seine genauen Lebensdaten sind unbekannt. Der einzige Datierungshinweis erscheint in der Subscriptio zu seiner Satisfactio: Dracontius habe sie im Gefängnis geschrieben und richte sie an den König Gunthamund 4 , der von 484 bis 496 regierte. Dracontius' dreiteiliger Name und inschriftliche Belege für einen anderen Dracontius und weitere Blossi(i) in Nordafrika lassen auf eine (provinzial)römische, d.h. nordafrikanische, Herkunft schliessen, der für ihn belegte Titel vir clarissimus auf eine Senatorenfamilie'. Seine Herkunft ermöglichte ihm eine gute Schulbildung, unter anderem beim grammaticus Felicianus, dem er in Romul. 1 und 3 die jeweils folgenden Romulea (also 2 und 4) widmete und der ihn wohl auch in Rhetorik unterrichtete (► E. 1.2.1.). Nach der Ausbildung war Dracontius in Karthago als togatus fori proconsulis, d.h. als Anwalt am Gericht des Proconsuls, tätig• und gründete eine Familie, die ihn während seiner Haft ins Gefängnis begleiten musste'. Die Umstände, die zu seiner

2

'

Eine sehr gute Übersicht über die Dracontius-Forschung im 20. Jh. (1912-1996) bietet Castagna (1997). Rekonstruktionen von Dracontius' Leben finden sich bei Mailfait (1902: XVII-XXIV); Vollmer (1905: 299f.); Provana (1912: 26-38); Kuijper (1958: 7-22); Romano (1959: 9-23); Diaz de Bustamante (1978: 33-96); Moussy(-Camus) (1985: 8-31); Bright (1987: 14-29); Weber (1995: 42-7). Blossius Aemilius Dracontius: Romul. 5, Subscriptio; weitere Namensformen: Blosus bzw. Bloxus im Florilegium Veronense von 1329 (Grass 1959: 3.14f. [I]; 36.l'!f. [IV]; 41.16f. [IV]; 89.3f. [XIII]); ► E. 3.1.1.; häufiger Dracontius (z.B. Isid. orig. 12,2,37; vir. i/1. 24 l.1). Drac. satisf., Subscriptio (explicit satisfactio dracontii ad guthamundum [sie] regem

guanda/orum dum esset in vinculis). 5

Dracontius: CIL 8.10609,7f. (zweite Hälfte des 4. Jh.s n. Chr.) aus Furnos Minus, ca. 40 km westlich von Karthago. Am gleichen Ort sind auch Blossi(i) mehrfach belegt (z.B. CIL 8.25812; 25817). Unwahrscheinlich ist eine Verbindung zur gens Blossia in Kampanien; vgl. Moussy(-Camus) (1985: IOf.). Unhaltbar sind Kuijpers (1958: 7-9) These, nur Dracontius' Vater sei Römer, seine Mutter jedoch Vandalin gewesen (wieder aufgenommen von Bright 1987: 14f.; 67f.; dagegen Romano 1959: lOf.; Scheuer 1991a: 218), wie auch Elias de Tejadas (1953: Titel) Annahme, er sei spanischer Abstammung. vir clarissimus: Drac. Romul. 5, Subscriptio; vgl. Moussy(-Camus) (1985: 9). togatus fori proconsulis stammt wiederum aus Romul. 5, Subscriptio. Andere Angaben zu Dracontius' Beruf sind: laud. dei 3,630f. (veniam donare suetus / ad quaesita reis) (vgl. dazu aber Schetters 1989: 347-50 Konjektur suetum); 654-7 (qui quondam retinebam iura togatus,

/ exemi de morte reos, patrimonia nudis / divitias mea /ingua dedit rapuitque tenenti / ac servile iugum vel libertatis honorem); 659f. (impunitates vendens poenasque nocentum / insontumque simul pretio); Romul. 7,123 (inter iura poetam). Umstritten ist die Bedeutung von togatus. Am überzeugendsten sind Schetters (1989) Argumente für die Bedeutung 'Anwalt', wobei diesem gelegentlich auch die Geschäfte des Richters übergeben werden konnten. Diaz de Bustamante (1978: 47) findet an Romanos (1959: 31) Definition 'Staatsanwalt' Gefallen, während Moussy(-Camus) (1985: 15-7) eine Karriere vom 'Anwalt' zum 'Richter' postuliert. Zur römischen Zivilverwaltung im vandalischen Afrika ► E. 1.1. Drac. laud. dei 3,747 (sit bona vel perpes Jelh numerosa propago); satisf 283f. (si ipse ego

peccavi, quaenam est, rogo, culpa meorum, / quos simul exagitat frigus inopsque James?).

20

Einleitung

Gefangenschaft führten, scheinen die Verehrung eines fremden Herrschers Denunziation gewesen zu sein, aber Genaueres lässt sich dazu nicht sagen'. sich Freunde für ihn eingesetzt hatten, erfolgte die Haftentlassung, doch unter Gunthamunds Nachfolger Thrasamund, für den Dracontius daraufhin verlorenes panegyrisches Gedicht schrieb•. Hinweise aufDracontius' Leben Haft fehlen.

und eine Nachdem wohl erst ein heute nach der

2.2. WERK Dracontius' Werk besteht aus zwei Dichtungen christlichen Inhalts, De laudibus dei und Satisfactio, und aus einer Reihe nicht-christlicher Gedichte: den zehn Romulea, der anonym überlieferten, aber überzeugend Dracontius zugewiesenen 10 Orestis tragoedia, den zwei nur bei Bemardino Corio (►E. 3.1.1.) überlieferten Gedichten De mensibus und De origine rosarum sowie zwei Fragmenten und einem verlorenen, ebenfalls nur von Corio erwähnten panegyrischen Gedicht auf Thrasarnund. Bisweilen wurden Dracontius ausserdem das Carmen de aegritudine Perdicae und Anth. 389 zugeschrieben, aber diese Zuschreibungen vermochten sich nicht durchzusetzen". Bei den von Dracontius stammenden Stücken sind sowohl die Datierung als auch die relative Chronologie mehrheitlich unsicher. Der einzige Fixpunkt ist der Gefängnisaufenthalt unter Guntharnunds Herrschaft (484-496). Er wird an einigen Stellen in laud. dei, satisf und Romul. 7 als noch andauernd beschrieben, so dass die genannten Dichtungen in Gunthamunds Regierungszeit datiert werden können, wobei grosse Teile von laud. dei vor der Gefangenschaft geschrieben worden sein dürften' 2 • Romul. 6, in dem der Dichter den Freunden für ihren Einsatz

10

11

12

Drac. satisf 93f. (culpa mihi fuerat dominos reticere modestos / ignotumque mihi scribere vel dominum) und Romul. 7,127-9 (non male peccavi, nec rex iratus inique est, / sed mala mens hominis, quae detulit ore maligno, / et male suggessit tune et mea fata gravavit) sind die einzigen Aussagen dazu. Umstritten ist nach wie vor die Identität des Adressaten von Dracontius' Lob: Zur Diskussion stehen der oströmische Kaiser Zenon (Papencordt 1837: 377; Simonetti 1986: 45; Schetter 1990: 9lf.), der Ostgotenkönig Theoderich (Kuijper 195 8: 15; Moussy[-Camus] 1985: 29), der in Italien herrschende Odoaker (Corsaro 1961: 7-17; Diaz de Bustamante 1978: 78-85) und die Vandalenkönige Hunerich (Menills 2004a: 151) und Hilderich, Hunerichs Sohn, dessen Thron Gunthamund an sich gerissen hatte (Wolff 1998: 281-3). Langlois in RAC Suppl. 1.2.211 erwägt, ob sich Dracontius gar allgemein gegen die Tyrannis der Vandalen wandte. Zum Panegyricus ►E. 2.2. Als Hinweis darauf kann satisf 5lf. verstanden werden. Der Dank an Victor und seine Söhne Victorianus und Rufianus für ihre Hilfe erfolgt in Romul. 6, bes. 36-40. Die Zuweisung erfolgte zuerst durch Mai ( 1871: 1) und wurde durch die Untersuchungen von Westhoff (1883), Rossberg (1880), Barwinski (1887; 1888; 1890) und Giarratano (1906: 4951) bestätigt; vgl. Bouquet-Wolff(l995: 8f.). Zum Nachweis, dass Carrn. de aegr. Perd. nicht von Dracontius stammt, vgl. Wolff (1988) und Schetter (1991b: 103-9), der in Dracontius' Dichtung Stellen erkennt, die davon beeinflusst sind. Die Zuschreibung von Anth. 389 nahm Rossberg (1886: 721-6) vor. Inhaltlich steht dieses Gedicht in einem unüberwindbaren Gegensatz zu Dracontius' sorgfältiger Unterscheidung zwischen dem göttlichen Licht und der diesem untergeordneten Sonne (Drac. laud. dei 1,118-28; 206-33). Vgl. Moussy(-Camus) (1985: 24-7) mit Diskussion der früheren Forschung. Anders danach Bright (1999: 199; 204).

21

2.2. Werk

zugunsten seiner Freilassung dankt, ist in die Zeit nach der Haft zu datieren. Romul. 1-4 sind ihrerseits Dracontius' Lehrer Felicianus gewidmet; sie können also in Dracontius' Jugend oder Ausbildungszeit datiert werden. Romul. 5 und 9 ähneln Romul. 4 in der Form als rhetorische Übungsstücke, doch ist zumindest Romul. 5 aufgrund der in der Subscriptio überlieferten Nachricht, dass Dracontius das Werk rezitierte, als er bereits Anwalt war", zwischen Ausbildung und Gefängnisaufenthalt anzusetzen. mens. und ros. werden von Corio im Zusammenhang mit d1.,,nLob auf Thrasamund erwähnt, dürften folglich während dessen Regierungszeit (496-523) entstanden sein. Weitere Datierungshinweise fehlen, und die verschiedentlich vorgebrachten Vermutungen zur relativen Chronologie der Gedichte haben zu wenig sicheren Ergebnissen geführt 14 • Die folgende Tabelle bietet einen Überblick iiber Dracontius' Werk. Werktitel

Länge Inhalt (Verse)

Versmass

De laudibus dei

1: 754 2: 819 3: 755

Hexameter

Satisfactio

316

Orestis tragoedia

974

Romul. 1: Praefatio

21

Romul. 2: Hylas

163

13 14

1: Schöpfung 2: Gottes Zorn und Erbarmen 3: Gottes Liebe, autobiographisches Bekenntnis Wiedergutmachung bei Gunthamund und Bitte um Gnade Orests Geschichte von Agamemnons Heimkehr bis zu Orests Freispruch Widmung an den grammaticus Felicianus; lobender Vergleich mit Orpheus

elegisches Distichon Hexameter

trochäischer Tetrameter

Venus' Rache an den peneischen Hexameter Nymphen: Diese verlieben sich durch Cupidos Pfeile in den sucht Knaben Hylas; Hercules vergeblich nach ihm und Hylas wird vergöttlicht

Abfassungszeit vor und während der Haft während der Haft ?

früh

früh

exp. controversia ... quam dixit ... Blossius Emilius Dracontius vir clarissimus et togatus Jori proconsulis almae Karthaginis. Lohmeyer (1891: 60-72) teilt Dracontius' Werke in drei Phasen ein: Jugendwerke, im Gefängnis verfasste Dichtungen und nach dem Gefängnis Gedichtetes. Dabei werden Romul. 1-5 und 9, das zwischen 4 und 5 gestanden haben soll, in die Kategorie der Jugendwerke, Romul. 7 zu den im Gefängnis verfassten Dichtungen und Romul. 6, 8 und 10 in die letzte Kategorie eingeteilt. Schmidt (1984: 695f.) nimmt an, dass alle Romulea, evtl. mit Ausnahme von 8 oder 10, vor dem Gefängnisaufenthalt geschrieben, jedoch erst nach 496 veröffentlicht wurden, und dass Orest. erst nach 496 entstand, weil das Stück überlieferungsgeschichtlich nichts mit den Romulea zu tun habe. Der letztgenannten Aussage pflichtet auch Hofmann ( 1988: 110) bei. Bright (1999: 200f.) seinerseits datiert zunächst aufgrund des identischen Verses in satisf 143 und Romul. 8,360 das Kurzepos nach satisf und versucht dann (1999: 201-4) durch einen Vergleich der Beinahe-Opferungsszenen in Romul. 10 und Orest. die Szene in Orest. als Modell für jene in Romul. 10 auszuweisen und durch einen Vergleich der Bezeichnung pastor in Romul. 8 und Orest. Ersteres vor Letzterer zu datieren (vgl. dagegen Scheiter 1985: 58 Anm. 31), was die relative Chronologie Romul. 8 - Orest. - Romul. 10 ergäbe. Vgl. auch Moussy(-Camus) (1985: 34f. Anm 5).

22

Einleitung

Romul. 3: Praefatio

20

Widmung an den grammaticus Felicianus; Vergleich der Produktivität der Erde und eines Schülers

Hexameter

friih

Romul. 4: Verba Herculis cum videret Hydrae serpentis capita pullare post caedes

53

Hercules wendet sich an Jupiter, als Hexameter er sieht, wie die Köpfe der Hydra nachwachsen,

friih

Romul. 5: Controversia de statua viri fortis

329

Ein Armer sucht Asyl bei der Hexameter Statue eines Reichen, dessen Feind er ist und der ihn hinrichten lassen will.

zwischen Jugend werken und Haft

Romul. 6: Epithalamium in fratribus dictum

122

Dank an Victor und seine Söhne Hexameter für ihre Hilfe; Hochzeit der Söhne mit zwei Schwestern

nach der Haftentlassung

Romul. 1: Epithalamium loannis et Vitulae

159

Hilferuf an seine Freunde und Vor- Hexameter wurf der V emachlässigung; Hochzeit von Johannes und Vitula

während der Haft

Romul. 8: De raptu Helenae

655

des Trojanischen Vorgeschichte Hexameter Krieges: Parisurteil; Paris' Rückkehr vom Ida nach Troja; Wiedererkennung; Gesandtschaft zu Telamon, um Priamos' Schwester Sturm; Hesione zuriickzufordem; Paris, nach Zypern verschlagen, trifft im Venustempel Helena und nimmt sie nach Troja mit.

?

Romul. 9: Deliberativa Achillis, an corpus Hectoris vendat

231

Dem Achill wird geraten, den Hexameter Leichnam Rektors zur Kremation freizugeben.

?

Romul. 10: Medea

601

Medea und Jason in Kolchis und Hexameter Opferung; Theben: verhinderte Heirat; Geburt der Söhne; Flucht mit dem Vlies nach vier Jahren in Kolchis; Jasons zweite Hochzeit in Theben; Medeas Mordtaten und Himmelfahrt

?

De mensibus

24

zwischen 496 und 523

De origine rosarum

14

Zwei Verse über jeden Monat des Hexameter Jahres Entstehung der Rosen aus Venus' elegisches Distichon Blut

2 Fragmente

je 2

I: Götter, die nur die Glücklichen begiinstigen. II: eine Schlange

?

(Panegyricus auf Thrasamund)

(verloren)

Hexameter

zwischen 496 und 523

zwischen 496 und 523

Von Dracontius' nicht-christlichen Gedichten sind manche an einen bestimmten Anlass und Adressaten gebunden, insbesondere die beiden Epithalamien, aber auch Romul. 1-4, die dem Lehrer Felicianus gewidmet sind und in seinem Hörsaal rezitiert

2.2. Werk

23

wurden 15 • Dies lässt auf ein relativ kleines und dem Dichter bekanntes Publikum schliessen. Demgegenüber wurde Romul. 5 nach Aussage der Subscriptio in den Thermae Gargilianae vorgetragen'". In diesen Thermen hatte 411 n. Chr. das Religionsgespräch (collatio) zwischen Katholiken und Donatisten stattgefunden 17 , an dem auch Augustin teilnahm. Augustins Schriften entnehmen wir, dass die Thermen mitten in Karthago standen und dass es dort einen geräumigen und hellen Saal gab". Dracontius mag also Romul. 5 vor einem grösseren Publikum vorgetragen haben, wenn es sich auch kaum um Volksmassen, sondern eher um Mitschüler, darunter auch Vandalen, Dichterfreunde und andere Angehörige der römischen und vandalischen Elite handelte 19• Nach dem Ausweis von Romul. 5 und aufgrund weiterer Hinweise auf Dichterrezitationen im 6. Jh. mögen auch die anderen Romulea und Orest. vor einem breiteren Publikum vorgetragen worden sein 20 •

15

16

17 18 19

20

Dies geht jedenfalls aus den Titelzeilen von Romul. l (praefatio Dracontii discipuli ad grammaticum Felicianum ubi dicta est metro trochaico cum fabula Ylae) und 3 (incipit praefatio ad Felicianum grammaticum, cuius supra in auditorio cum adlocutione) hervor. quam duit in Gargilianis thermis Blossius Emilius Dracontius ... apud proconsulem Pacideium. Conc. Carth. a. 411, 1, 1 (Karthagini in secretario thermarum Gargilianarum). Aug. adv. Don. 25,43 (locus etiam re tanta dignus in urbe media procuratur); 35,58 (in tarn spatioso et lucidn et refrigeranti loco nos fuisse recolimus). Drac. Romul. 1,14 (an seinen Lehrer: barbaris qui Romulidas iungis auditorio). Zu den Beziehungen unter den Dichtern vgl. Courtney (1980b: 44 und 1984: 309-11); zur eingeschränkten Öffentlichkeit Hofmann (1988: 126); zu den Vandalen als Adressaten anderer zeitgenössischer Gedichte siehe Anth. 18; 82; 209; 304f.; 326; 345; 369, allgemein Kirsch (1991). Anderswo scheint Kirsch (1978: 392f.) allerdings davon auszugehen, dass nur römische Aristokraten zu Dracontius' Publikum gehörten. Gualandri (1999: 67) stellt sich unter Dracontius' Publikum die reichen, aber nicht besonders gebildeten Leute vor, für die Erzählungen wie jene von Dares geschrieben wurden. Ohne Rücksicht auf die historischen Gegebenheiten beschreibt Köhler (2001: 4lf.) Dracontius' Publikum als äusserst gebildet. Zweifelhaft scheint Webers (1995: 37f.) Schlussfolgerung, dass die in Luxurius' Epigrammen adressierten Angehörigen sozial tieferer Schichten auch zu den Rezipienten seiner Dichtung gehörten. Andere Dichterrezitationen: Coripps Iohannis in Karthago (loh. praef. 39f.); Arators epische Apostelgeschichte in S. Pietro in Vincoli in Rom (CSEL 72 p. XXVIII); vgl. weiter Qnj]ka (1990).

3. ROMUL. 10 (MEDEA) 3.1. DIE HANDSCHRIFTI.ICHE ÜBERLIEFERUNG UND DIE AUSGABEN

3.Ll. Der Codex Neapolitanus (IV E 48) Die Sammlung der Romulea ist allein im Codex Neapolitanus (Bibl. Nat. IV E 48) aus dem 15. Jahrhundert überliefert, wobei sich dort zwei Fassungen von Romul. 10 finden. Innerhalb des Codex können drei Hände unterschieden werden'. Die erste schrieb Romulea 1-7, jene Fassung von Romul. 10, die in den neueren Editionen mit N bezeichnet wird2, und die Subscriptio zu Romul. 5. Die zweite, mit n bezeichnet, schrieb die zweite Fassung von Romul. 10, die in der Bindung direkt auf Romul. 9 folgt und deshalb Romul. 10 aus N als Zweitversion erscheinen lässt; sie kann als Hand des Sekretärs Giorgio Galbiato, von dem gleich die Rede sein wird, identifiziert werden'. Die dritte Hand schrieb Romul. 8 und 9, die Titel (incipit ...) und die Notizen am Ende der Werke (e.xplicit ...) und sie nahm einige wenige Korrekturen vor. Bei Ergänzungen wird diese dritte Hand als N2 und bei Verbesserungen als NPc bezeichnet. Sie war als letzte am Werk, denn sie bezog Galbiatos Abschrift von Romul. 10 (n) in die Nummerierllllg mit ein 4 • Verschiedene Nachrichten aus den Jahren 1493 bis 1503 geben uns Hinweise auf die Vorlage und Entstehung des Codex Neapolitanus. Ausgangspunkt ist der Eintrag eines Werkes von Dracontius "in Iittera longobarda" im Bibliothekskatalog von

2

Vollmer (1905: XXXf.) hielt die im Folgenden als erste und dritte unterschiedenen Hände für eine einzige und schrieb das unterschiedliche Schriftbild wechselnder Papierqualität zu. Dieser Meinung widerspricht Diaz de Bustamante (1978: 249f.) heftig ("evidentemente bay dos"), und seine Unterscheidung der beiden Hände bat sich mittlerweile durchgesetzt. Die Verwiuung der Bezeichnungen N und n ist auf Diaz de Bustamante (1978: 254f.) zurückzuführen, der für Romul. 10 zwar Vollmers (ed. 1905 und ed. 1914) Siglen N und n übernimmt, sie aber für die jeweils andere Hand als Vollmer verwendet. Da Wolff (ed. 1996) Diaz de Bustamante folgt und ich von Wolffs Ausgabe ausgebe, sehe ich mich gezwungen, das Gleiche zu tun. Folglich unterscheiden sich die neueren Ausgaben (Diaz de Bustamante, Wolff, Kaufmann) von den älteren (Duhn ed. 1873; Baebrens ed. 1883; Vollmer ed. 1905 und ed. 1914) im Gebrauch der Siglen N und n. Vereinfacht ausgedrückt haben die älteren Ausgaben der Reihenfolge der carmina im Codex Neapolitanus mehr Gewicht beigemessen als den Scbreiberbänden, so dass sie die im Codex zuerst erscheinende Fassung von Romul. 10 mit N bezeichneten, obwohl sie von einer anderen Hand stammt. Umgekehrt gewichten die neueren Ausgaben die Unterscheidung der Hände stärker und bezeichnen so bei Romul. 10 mit N die den Codex abscbliessende Fassung, weil diese von der gleichen Hand stammt wie Romul. 1-7. Feuari (1970: 151 mit Anm. 4); Schmidt (1984: 688). Vollmer (1905: XXXI) identifizierte diese zweite Hand irrtümlicherweise mit jener von Aulo Gian Parrasio, dem späteren Besitzer des Codex, dessen Name auf dem Codex notiert ist. Schmidt (1984: 688 mit Anm. 33). Schmidt (1984: 695f.) gebt davon aus, dass Romul. 10 ursprünglich auf Romul. 7 folgte, da die eine Version von Romul. 10 von der gleichen Hand geschrieben wurde wie Romul. 1-7; diese Reihenfolge erkläre auch, warum der Kompilator des Florilegium Veronense nur aus Romul. 8 und 9 zitierte: er habe von hinten her zu exzerpieren begonnen und sei so zuerst auf 9, dann auf 8 gestossen.

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Einleitung

Bobbio des Jahres 14615. Wahrscheinlich handelt es sich dabei um die gleiche Dracontius-Handschrift, die die drei italienischen Humanisten Giorgio Galbiato, Tristano Calco und Bernardino Corio um 1500 erwähnen. Giorgio Galbiato war Sekretär des Mailänder Humanisten Giorgio Merula und wurde 1493 mit dem Auftrag, einige Handschriften auszuleihen, nach Bobbio geschickt. Daraufhin verfasste er eine Liste der Autoren der von ihm ausgeliehenen Codices. Auf dieser erscheint der Eintrag ''Dracontii varium opus (in carmine)'' 6 • Noch vor seinem Tod um 1497 erstellte Galbiato ausserdem eine Abschrift von Romul. 10, die noch heute erhalten ist (n). Um die gleiche Zeit (nach 1495) verfasste Merulas Schüler Tristano Calco eine Historia patriae, in der er Verse von Dracontius zitiert (frg. 2 in Wolff ed. 1996) und diese folgendermassen einleitet: "Dracuntius quoque Vandalorum temporibus non incultus versificator, cuius opus, quamvis alius sibi gloriam arroget, nos tarnen ex Bobiensi penetrali retulimus, exque barbaricis caracteribus in consuetas transcribendum formas dedimus, sie scripsit". In dieser Einleitung hält Calco also fest, dass er (vor 1493) das Manuskript von Bobbio nach Mailand gebracht habe und von einer schwer lesbaren kursiven Minuskel in die karolingische Minuskel habe transkribieren lassen, bevor er es entweder seinem Lehrer Merula oder direkt Galbiato anvertraute. Damit wehrt er sich gegen Galbiatos Eintrag der Handschrift in dessen Liste 7 • Das letzte Zeugnis für die Handschrift findet sich schliesslich bei Bemardino Corio, der in seiner zwischen 1485 und 1502 verfassten Historia di Milano über den Grafen Trasimondo von Capua Folgendes schreibt: "al laude di quale Dracontio poeta elegantemente scripse, e I' opera del quale noi in caratte Langbard havendo trovata, per Giovanne Christophoro Daverio ... e stata traducta in littere latine"'; danach zitiert er Dracontius' mens. und ros., die auf keiner früheren Handschrift erhalten sind. Corio bestätigt folglich, die ursprüngliche Handschrift und eine von Daverio vorgenommene Transkription gesehen zu haben. Wenn sich die drei Gelehrten auf die gleiche Handschrift aus Bobbio beziehen, muss diese neben den Romulea auch die beiden Kurzgedichte und ein Lobgedicht auf Thrasamund, den Corio mit dem lomEin älterer Bibliothekskatalog aus Bobbio, den Duhn (1873: V), zögerlich gefolgt von Fe1rari (1973: 39), ins 10. Jh. datiert, erwähnt "librum Dracontii I", womit die gleiche Handschrift gemeint sein könnte wie im Eintrag von 1461 (Feuari 1973: 39). Ebensogut könnte es sich bei dieser Handschrift jedoch um eine Abschrift der satisf handeln, denn Columban, der Gründer von Bobbio, ahmt Dracontius' christliche Dichtung an mehreren Stellen nach (Duhn 1873: V) und könnte sie folglich dort gelesen haben; vgl. Moussy(-Camus) (1985: 102 mit Anm. 2 und 3). Innerhalb von Dracontius' christlicher Dichtung spricht für satisf als Inhalt der genannten Handschrift, dass laud. dei in der Hauptüberlieferung Augustin zugeschrieben wurde (Gebhardt 1888: 392f.). Die Originalliste ist verloren, erhalten sind zwei Kopien; siehe dazu weiter Ferrari (1970: 140f.). Demgegenüber hat die Forschung bis anhin Calcos Aussage auf seine Besuche in Bobbio nach 1496 bezogen und in der Polemik einen Seitenhieb gegen Bernardino Corio gesehen (vgl. z.B. Sclnnidt 1984: 686-8), obschon dieser nichts damit zu tun hat, da er weder eine Übermittlung noch eine Transkription der Handschrift für sich in Anspruch nahm, Dies geht aus dem im Haupttext folgenden Zitat, noch deutlicher jedoch aus der Fassung des Satzes in der 1565 (allerdings postum) herausgegebenen Ausgabe von Corios Werk hervor: "in Jade del quale ho veduto un poema in lettere Langobarde, composto elegantemente da Dracontio poeta" (so zitiert bei Baehrens 1878: 314, mit meiner Hervorhebung; in der Ausgabe von 1554, zitiert bei Baehrens 1878: 314, ist der Satz praktisch identisch mit jenem der Ausgabe von 1503). So zitiert bei Femui (1970: 150f.) nach der Ausgabe von 1503.

3.1. Die handscluiftliche Überlieferung und die Ausgaben

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bardischen Fürsten von Capua verwechselte•, enthalten haben. Der Bibliothekskatalog sowie Corio erwähnen die 'lombardische' Schrift, Calco nennt sie "barbarisch', meint aber wohl wie die beiden anderen Quellen eine vorkarolingische kursive Minuskel 10 • Damit lässt sich die Handschrift ins 7.18. J h. datieren 11 . Als Zwischenbilanz ist also festzuhalten, dass eine im 7 J8. Jh. entstandene Handschrift aus Bobbio mit Dracontius' nicht-christlichen Werken den drei Gelehrten Galbiato, Calco und Corio in die Hände kam und von Galbiato (mind. Romul. 10) und Daverio abgeschiieben wurde. Diese Abschrift entspricht nicht N, da N nur Romul. 110 (ohne mens., ros., Lob auf Thrasamund, frg. 2) enthält und neben Galbiato (n) von zwei Schreibern hergestellt wurde". N ist aber wohl um die gleiche Zeit entstanden. Dies mag auf eine der folgenden Arten geschehen sein. Einern ersten Szenario zufolge liess der römische Humanist Tomaso Fedro Inghirami, der sich vom August 1496 bis Juni 1497 in Mailand autbielt, N herstellen. Von Inghirami ist bekannt, dass er sich einerseits während seines Aufenthalts Kopien von anderen Handschriften aus Bobbio, die 1493 nach Mailand gekommen waren, erwarb und dass er sich andererseits bemühte, die Originalhandschriften dem Kloster von Bob bio zuriickzugeben 13 • Dann gelangte N (wohl nach 1514) von Inghirami zum kalabrischen Humanisten A~lo GianPanasio, der sich damals in Rom autbielt und von Inghirami auch andere Handsehliften erhielt 14 • Die andere Möglichkeit wäre, dass Parrasio, der von 1499 bis 1506 in Mailand weilte, die Handsehlift aus Bobbio mit Galbiatos Abschrift von Romul. 10 von Tristano Calco bekam - wie dies für andere Handschriften erwiesen ist 15 - und daraufhin N herstellen liess 1•. Dieses zweite Szenario impliziert, dass der Schreiber von N neben der Handschrift aus Bobbio Galbiatos Abschrift (n) als Vorlage benutzte 17 , während N im ersten Fall wohl unabhängig von n entstand. Beides ist möglich. Eine Analyse der Stellen, an denen N und n voneinander abweichen, ergibt einzig, dass der 9 10

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Vgl. dazu Schmidt (1984: 692 Anm. 46). Ferrari (1970: 146); Schmidt (1984: 687). Beide Schriftbezeichnungen weisen nicht auf eine bestimmte Schrift, sondem auf eine Schriftengmppe hin, die als sch~vererlesbar und von geringerem Wert als die karolingische Minuskel definiert wird und die von spätantiken Papyruskursiven bis zu den vorkarolingischen Nationalschriften reicht; vgl. Rizzo (1973: 1226; 133f.). Die Vorlage von Nn könnte eine westgotische Handschrift gewesen sein; ►307. Ferraii (1973: 39); Schmidt (1984: 687). Diaz de Bustainante (1978: 26lf.) setzt sie im 9. Jh. an, weil er sie in Bezug zur vatikanischen satisf-Handschtift des 9. Jh.s stellt und hinter den Titeln des Bibliothekskatalogs von Bobbio (tractatus in versibus, varium opus und opus in carmine) ein scholastisches Interesse an Rhetotikausbildung meint feststellen zu können. Schmidt (1984: 689). Dagegen nimmt Diaz de Bustamante (1978: 260) an, dass N die Teilabscluift einer beschädigten Handseillift sei, die ausser Romul. 1-10 auch die von Calco und Corio zitie1ten Stücke enthielt. Ferraii (1970: 162-70); Schmidt (1984: 683f.). Dieses Szenaiio erachtet Schmidt (1984: 6835) als wahrscheinlicher,während Ferrati (1973: 36) die Frage offen lässt. Schmidt (1984: 685). Dies etwägt auch Duhn (1873: IV), der aus der Tatsache, dass N keine Notiz von Pan-asio über Preis und Herkunft der Handschrift enthält - Pauasio pflegte seine Erwerbungen nämlich so zu kennzeichnen -, schliesst, dass Parrasio die Handschrift entweder geschenkt bekam (von lnghirami?) oder sie für seine Zwecke herstellen liess. Ferraii (1970: 160 2); Schmidt (1984: 684f.). Ferraii (1973: 36): ablehnend dazu Sclunidt (1984: 689 Anm. 38). Dieser Meinung ist Zurli (1998: 373 6) und wohl auch Diaz de Bustamante (1978: 254), wenn er sagt, "la segunda de estas ... se basa, indudablemente,en una relecci6n de Ja primera (Ja de Galbiato) emiquecida con ciertas correcciones, conjeturas o complementos que tienen que deberse al hecho de que el propietaiio del ms. procurara una descripci6n fiable con vistas, posiblemente, a una edici6n".

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Einleitung

Schreiber von N sorgfältiger war als Galbiato (n)' 8 • Auch die gemeinsamen Fehler lassen keinen Schluss auf das Abhängigkeitsverhältnis zu, denn der jeweilige Fehler kann bereits in der Vorlage enthalten gewesen sein. Nach Parrasios Tod ging N auf jeden Fall an Antonio Seripando über, der am Ende des Codex "Antonii Seripandi ex Iani Parrhasii testamento" notierte. Von dort gelangte N ins Kloster S. Giovanni a Carbonara und später in die Bourbonische Bibliothek in Neapel, wo der Codex im Jahr 1827 wiederentdeckt wurde' 9 • 3.1.2. Der Titel Die Bezeichnung Romulea findet sich in keiner der beiden handschriftlichen Versionen der Gedichte (Nn), sondern stammt aus dem Florilegium Veronense (bibl. cap. CLXVIII 155) von 1329 20 • Dort sind vier Gedichtfragmente mit der Einleitung "Blosus/Bloxus in Romulea" überliefert, eines aus Romul. 8, zwei aus Romul. 9 und was bei Wolff als frg. 1 erscheint 21 • Es fällt auf, dass "Romulea" in diesen Zitateinleitungen ein Abi. Sg. ist, bisherige Erklärungen das Wort jedoch als Neutr. PI. deuteten, von dem die entsprechende Form "in Romuleis" hiesse 22 . Titel anderer Werke erscheinen zwar im Florilegium Veronense auch in ungewohnter Form, jedoch nicht mit falsch gebildeten Ablativen 23 • Drei Erklärungen bieten sich für die Formulierung "in Romulea" an: • Der Kompilator fand in seiner handschriftlichen Vorlage den Titel Romulea und fasste ihn fälschlicherweise als Fern. Sg. auf, der Titel ist tatsächlich Fern. Sg., der Kompilator benutzte ein anderes Florilegium als Vorlage, das den fehlerhaften Titel bereits enthielt. Die erste Möglichkeit ist unwahrscheinlich, weil der Kompilator sonst keine Schwierigkeiten mit den lateinischen Deklinationen zeigt. Dass das Rorilegium und N eine gemeinsame handschriftliche Vorlage haben, ist ferner trotz Verbindungen zwischen Verona und dem Kloster in Bobbio 2 • unwahrscheinlich, denn in N ist der Titel ja gerade nicht angegeben. Die zweite Erklärung ist solange problematisch, wie sich kein feminines Substantiv im Singular findet, das weggelassen werden könnte, ohne das Verständnis des Titels zu beeinträchtigen 25 • Demnach ist die dritte 18

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Diaz de Bustamante (1978: 256-60) und Zurli (1998: 368-76) führen die Varianten von N und n auf. Ferrari (1970: 153f.); Schmidt (1984: 689). Dies ist das allgemein akzeptie1te Datum. Turrini (1959/60: 60f.) hat allerdings aufgrund einer Untersuchung des Codex mit UV-Strahlen eine erste Lage mit dem Datum von 1334 entdeckt und mit verschiedenen Argumenten die zweite Verwendung des Codex als Palimpsest und damit das F!onlegmm auf 1335 datiert. Wolff (ed. 1996). Die folgenden Einträge sind nach Kapitelnummern sowie Seiten- und Linienzahlen bei Gross (1959) zitiert: Romul. 8,13lf. in XIII (p. 89.3f.); Romul. 9,5 und 9,8f. m IV (p. 36.12f. bzw. 41.16f.); frg. 1 in I (p. 3.14f.). Z.B. RE 5.1639; RAC 4.255; Schmidt (1984: 695); Weber (1995: 50). Bouquet-Wolff (1995: 22f.) weisen auf das grammatikalische Problem hin. Z.B. "Seneca in Thebayde" (statt 'Phoenissis') (IV p. 36.16) oder "Tibullus in libro de fe!icitate pauperis vitae" (I p. 5.6f.). Zu Letzterem ►Anm. 26. Ferrari (1973: 40f.); Schmidt (1984: 690 mit Anm. 41). Grillones (1982: 531) von der Bezeichnung Romulea unabhängiger Vorschlag anrhologia ist grundsätzlich abzulehnen, weil dieses Substantiv in der lateinischen Literatur nicht belegt ist.

3.1. Die handschriftliche Überlieferung und die Ausgaben

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Möglichkeit die wahrscheinlichste •. Damit ist die Herkunft der fehlerhaften Zitateinleitung "in Romulea" statt "in Romuleis" (sc. carminibus) geklärt 27 • Die Frage der Echtheit des Titels Romulea ist oft mit jener nach seiner Bedeutung verknüpft worden. Allgemein wird Romulea von denjenigen Forschem als echt akzeptiert, die· der Bezeichnung einen Sinn abgewinnen können, und von denjenigen abgelehnt, die ihn nicht verstehen. Die ersten beiden Editionen der Gedichte trugen den Titel carmina minora (F. von Duhn) bzw. carmina profana (E. Baehrens) 28 • Friedrich Vollmer gab den Gedichten erstmals den Titel Romulea und definierte dessen Bedeutung folgendermassen: "Romulea autem poeta voluit appellari non quasi Graeca cecinisset aut Punica Vandalicave, sed quae poetas imitarentur Romanos, quam artem a Feliciano edoctus est ... , fortasse etiam ut opponeret christianis" 29 • Bei der Übernahme des Titels folgte er Wilhelm Meyer, der den Titel als erster aus den Zitateinleitungen im Florilegium Veronense rekonstruiert hatte. Meyer hatte ihn auf die lateinische Sprache bezogen'°. In der Folge wurde der Titel Romulea bei leicht unterschiedlichen Interpretationen allgemein als echt akzeptiert 31 • Pierre Langlois las in ihm, "dass für die Sammlung ein Platz in der lateinischen Literatur beansprucht wird; vielleicht soll [der Titel] auch die römische Abkunft und die römische, nicht barbarische Gesinnung des Dichters bekunden" 32 • J. M. Diaz de Bustamante versuchte einen Zusammenhang zur römischen Geschichte herzustellen, indem er den Titel auf die von Troja handelnden Romul. 8 und 9 beschränkte, aus denen ausser frg. 2 alle im Florilegium Veronense zitierten Verse stammen 33 , während 2

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Der in ► Anm. 23 zitierte Titel für ein Tibull-Zitat galt unter anderem Ullman (1928: l 7ü-4) als Argument dafür, dass die Tibull-Zitate im Florilegium Veronense nicht aus einer TibullHandschrift stammten, sondern aus einem oder mehreren heute verlorenen Florilegien. Es fällt auch auf, dass die Dracontius-Zitate im Florilegium nicht mit der Romul.-Nummer versehen sind, doch ist dies weniger störend als der fehlerhafte Titel, da die Zitate aus anderen Werken auch nur mit der Nummer des Buches (bei einem mehrbändigen Werk) versehen sind, nicht aber mit jener des Kapitels oder Verses, wobei sogar die Buchnummern bisweilen fehlen. Duhn (ed. 1873); Baehrens (ed. 1883). Vollmer (1905: V Anm. 2). Während der Titel in Vollmers Ausgabe (ed. 1905) 'möglicherweise' einen Gegensatz zur christlichen Dichtung ausdrücken soll, gilt ihm diese Interpretation in RE 5.1639 als "sicher". Denselben Gegensatz zur christlichen Dichtung sehen auch Manitius (1891: 338 mit Anm. 4), Weymann (1915/1926: 449/149) und Wolff (1998: 384). Meyer (1890: 267). Seine Formulierung über den genauen Titel ist allerdings unbestimmt: "[D]ie Sammlung ... hatte dieses Wort im Titel". Er vermutet ausserdem, dass Dracontius erst in der Schule Latein lernte, was angesichts seiner Abstammung aus einer Senatorenfamilie (►E. 2.1.) unwahrscheinlich ist. Den Bezug zur Sprache stellten später auch Duvernet in DGHE 14.776, allerdings mit Zweifeln, und Scaffai (1995: 297), neben der Komponente 'römisch', her. Vgl. Bouquet-Wolff (1995: 19). Langlois in RAC 4.255. Auch nach Wolff (1998: 384) kombiniert Romulea als gewähltes Synonym von Romana die Aspekte von anspruchsvoller Dichtung und römischer Kulturzugehörigkeit. Diaz de Bustamante (1978: 119-132). Zum Titel seiner Ausgabe ► E. 3.1.3. Moussy(-Camus) (1985: 34-6) stimmt Diaz de Bustamantes Ansicht zu, während Bouquet-Wolff (1995: 21-4) sie zwar kritisieren, aber dennoch zugestehen, dass Romulea nicht als Titel der Gedichtsammlung, wie sie in N überliefert ist, angesehen werden sollte. Bereits Provana (1912: 48) vermutete, dass sich der Titel nur auf einen Teil der Gedichte bezog. Die Auswahl der im Florilegium zitierten Verse mag allerdings durch Zufall oder durch die Vorlage bedingt sein; vgl. Schmidt (1984: 691 Anm. 43); Weber (1995: 51).

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Einleitung

Peter L. Schmidt Romulea als "Gedichte im Stil der klassischen römischen Dichtung" definierte 34 • Eine Untersuchung der Belege von Romuleus, -a, -um in der Dichtung und in der christlichen Literatur" - denn in diesen beiden Traditionen steht Dracontius ja ergibt vier Verwendungen: Erstens bezieht sich Romuleus, -a, -um auf Stellen, die von Romulus selbst oder seinen Zeitgenossen handeln 36 . Zweitens steht das Adjektiv in einem Bezug zur Stadt Rom oder zu den Römern 37 . Diese beiden Bedeutungen sind für Dracontius' Gedichtsammlung irrelevant. Von den übrigen Belegen handeln wenige Stellen von den kulturellen Leistungen der Römer 38 • Häufiger, besonders im Spätlatein, und einmal in Dracontius' Dichtung, besteht ein Bezug zur lateinischen Sprache 39 • Mit Meyer ist folglich die Auffassung des Titels als 'Lateinische Dichtungen' die wahrscheinlichste• 0 • Obwohl unklar bleibt, warum Dracontius die Sammlung so nannte, gibt es keinen Grund, die Echtheit des Titels anzuzweifeln. Vielleicht hatte er eine situationsbezogene Bedeutung im Umfeld von Dracontius' literarischer Ausbildung: In diesem Fall könnte er innerhalb der von Vandalen und '"

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Schmidt (1984: 691 Anm. 43), gefolgt von Weber (1995: 50f.). Vorläufer mag Romano (1959: 11) gewesen sein, doch dessen Formulierung ("esso sembra ehe si riferisca infatti all'argomento romano di quella poesia, quasi il poeta avesse voluto sottolineare il particolare carattere") ist etwas vage. Es fragt sich, wie relevant für die Beurteilung der Bezeichnung Romulea die inschriftlichen Belege des Adj. Romulus, -a, -um [sie] sind, die Wolff (1998: 384) heranzieht. Eine Auswahl der Belege aus den Thl.L-Zetteln bietet Diaz de Bustamante (1978: 120 Anm. 79). Z.B. Verg. Aen. 8,654 (Romuleoque recens horrebat regia culmo); Ov.fast. 2,48lf. (nam pater armipotens postquam nova moenia vidit, / multaque ~ bella peracta manu); Pervig. Yen. 72 (Venus: Romuleas ipsa fecit cum Sabinis nuptias). Z.B. Stat. silv. 4,4,4 (ubi Romuleas velox penetraveris arces); Si!. 15,1 (at nova Romuleum carpebat cura senatum); Prud. c. Symm. 2,498-500 (Juno überlässt den Römern die Herrschaft über Karthago: quam subiectis dominam dea gentibus esse, / si qua fata sinant, iam tum tenditque fovetque, / iussit Romuleis addictam vivere frenis); 767 (ne quis Romuleas daemon iam noverit arces); Paul. No!. carm. 19,334 (Konstantin: his quoque Rqmuleamsequeretur dotibus urbem); Sidon. carm. 23,235f. (et te Latiariter sonantem I tamquam Romulea satum Subura); Yen, Fort, Mart. 3,247 (hinc quoque Romuleam regeret cum Maximus arcem). Hier ist wohl Benvenuto Rambaldi da Imolas (zweite Hälfte des 14. Jh.s) Abriss der römischen Geschichte einzuordnen, den er in einer lateinischen und italienischen Fassung verfasste und den er in der ersteren liber Romuleon intitulatus und in der letzteren II Romuleo nannte; siehe dazu weiter Hohl (1915). Z.B. Claud. 24, 123f, (Stilicho: per quem squalore remoto / pristina ~ infloruit artibus aetas). Drac. Romul. 3,16f. (de vestrofonte, magister, I Rqmuleam laetus sumo proflumine linguam). Sonst z.B. Mart. Cap. 6,587 (Geometria wird im Gegensatz zu den meisten Mathematikern der Vergangenheit ihre Lektion auf Lateinisch halten: tarnen congruentius ipsa vobiscum, ... - illi etiam Helladica tantummodo facultate, nihil effantes Latiariter, atticissant, quae etiam ipsos edocui -, quod numquamfere accidit, Romuleis ut potero vocibus intimabo); Auson. 25,14,14 (non formam, at vocem deltae gero Romuleum D); Avien. Arat. 717 (dicere Romulea conitor carmine sollers); Ale. Avit. epist. 53 (os saecularis eloquentiae pompis adsuetum et fluentis exundantibus Ramuleqe prafunditatis irriguum); carm. 4,626 (lrim Ramuleo vocitant sennone poetae); Anth. 671,26 (Vergil: Rqmuleae generavit flumina linguae); Yen. Fort. carm. 7,!8,15f. (an tua Ramuleum fastidit lingua susurrum? / quaeso vel Hebraicis reddito verba notis); im 7, Jh.: Aldh. ad Acirc. III p, 72f. (astrorum quoque situs quae lingua Argivorum dicuntur Hyadae, de quibus Mantuanus vates legitur cecinisse 'Arcturum, pluviasque Hyades geminosque triones·, et quas Romulea Latinitatis antiquitas Suculas vocitavit); 35,5-7 (Rätsel über den nycticorax: raucisono medium crepitare per aera suetus, I ~ scribor byblis, sed voce Pelasga, I nomine noctumas dum semper servo tenebras). Meyer (1890: 267).

3.1. Die handschriftliche Überlieferung und die Ausgaben

Römern gemeinsam besuchten Schule zur Hervorhebung von Dracontius' Sprache gedient haben 41 •

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3.1.3. Die Ausgaben 42 Die erste vollständige Ausgabe der Romulea wurde 1873 unter dem Titel Dracontii carmina minora plurima inedita ex codice Neapolitano durch Friedrich von Duhn publiziert. Gleich nach ihrem Erscheinen wurde sie von Emil Baehrens aufs Schärfste kritisiert, wohl vor allem aus Ärger darüber, dass Duhn ihm zuvorgekommen war, hatte er doch eine Edition der Romulea für den fünften Band seiner Poetae Latini Minores vorgesehen 43 • Baehrens' Ausgabe erschien schliesslich 1883 unter dem Titel Dracontii carmina profana. Duhns Apparat ist nicht über alle Zweifel erhaben, aber die Emendationen und Konjekturen, die er selbst vornahm oder von Buecheler übernahm und von denen sich manche geradezu aufdrängen, lassen sich mehrheitlich verteidigen 44 • Andererseits ist Baehrens' Apparat zuverlässiger, wenngleich seine Konjekturen nicht selten unnötig sind und bisweilen den Anschein erwecken, er habe sie bloss vorgeschlagen, um nicht den gleichen Text wie Duhn abzudrucken 45 • 1905 gab Friedrich Vollmer die erste kritische Gesamtedition von Dracontius in der Reihe der Monumenta Gennaniae Historica (AA XIV) heraus. Vollmers Ausgabe enthält neben einem kritischen Apparat, in dem einige frühere Lesungen korrigiert werden, auch einen Similienapparat und in verschiedenen Indices eine reiche Sammlung von grammatikalischen; stilistischen, metrischen und anderen Beobachtungen zu Dracontius' Dichtung. Was die Romulea betrifft, hat Vollmer den Text wesentlich verbessert, sei es durch Rückkehr zur Überlieferung, durch Markierung einer Verderbnis oder durch eine der wenigen eigenen Konjekturen. 1914 folgte Vollmers Editio minor in der Neuauflage von Baehrens' PLM (fünfter Band). Abgesehen von einigen wenigen Änderungen entspricht der Text dort jenem von Vollmers früherer Ausgabe 46• Etwa ein halbes Jahrhundert später, 1978, entstand J. M. Diaz de Bustamantes Studie zu den Romulea, die eine Ausgabe unter dem Titel Carmina profana: opera 41

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Schule: Drac. Romul. 1,14 (an Felicianus: barbaris qui Romulidas iungis auditorio). Meine Erfahrungen an der zweisprachigen Universität Fribourg (CH) bestätigen, dass die Betonung der eigenen Sprache in einem solchen Umfeld viel wichtiger ist als z.B. in einem fremdsprachigen Kontext. hn folgenden Abschnitt werden nur Ausgaben von Dracontius behandelt, die Romul. 10 enthalten. Für eine kurze Diskussion der einzelnen Ausgaben (ohne Wolff ed. 1996) vgl. Gil (1984: 16lf.). Baehrens (1873a; 1873b). Kritisiert wurde Duhns Edition auch von Schmidt {1874: 202f.), gegen dessen Kritik sich wiederum Buecheler (1874: 362f.) wendete, sowie von Ellis (1874: 252). Positiv reagierte Schenk! (1873). Weitere Reaktionen auf Duhn sind bei Grillone (1982: 529 Anm. 3) aufgeführt. Z.B. 384 (nam); 460 (amate); 510 (adest); 596 (abiuret). Alle Konjekturen von Buecheler, die bei Duhn (ed. 1873) aufgeführt sind, wurden nicht unabhängig publiziert. Zu Duhns Apparat vgl. Vollmer (1905: XXXIII). Z.B. 250 (tibi Duhn, iam Baehrens); 401 (stellis quae Duhn, stellar quae Baehrens); 469 (digrediens Nn, degrediens Baehrens). Zu Baehrens' Apparat vgl. Vollmer (1905: XXXIII). In Romul. 10 betreffen die Änderungen 44; 76; 173; 174; 204; 324; 336 (wo Vollmer ed. 1915 aus Versehen statt dem überlieferten deposito Baehrens' Konjektur eiecto in den Text setzte); 410; 529; 566; 576; vgl. Diaz de Bustamante (1978: 265).

32

Einleitung

minora et Romuleorum quae supersunt enthält. In erster Linie wurde diese Arbeit für den thematischen Teil und dessen Ausführlichkeit gepriesen, doch auch der Text wurde mehrheitlich positiv beurteilt4 7 • Er bleibt nahe an der Überlieferung und verzeichnet wenige, in Romul. 10 gar keine neuen Konjekturen. Gegen Ende des 20. Jh.s (l 985-1996) erschien die vierhändige lateinischfranzösische Gesamtedition von Dracontius bei Les Beiles Lettres, Paris; die ersten beiden Bände enthalten Dracontius' christliches Werk, Band 3 Orest. und Romul. 1-5 (1995 von Jean Bouquet und Etienne Wolff) und Band 4 Romul. 6-10 (1996 von Wolff). Am 4. Band schätzten die Rezensenten insbesondere die konservative Haltung des Herausgebers••. Für Romul. 10 hat Wolff drei neue Konjekturen vorgeschlagen, deren Verbesserungspotential allerdings hinterfragt werden kann 49 • Ferner haben sich einige Fehler in den Apparat eingeschlichen 50 und die Verse 543551 sind falsch nummeriert. 3.1.4. Textgestaltung Dem hier vorgelegten Kommentar liegt eine Neuedition des Textes zugrunde. Die Textgestaltung beruht dabei auf folgenden Prinzipien: Generell werden die hochsprachlichen Formen eines Wortes bevorzugt, und zwar sowohl gegen die Überlieferung, als auch, wenn diese in der Alltagssprache um 500 n. Chr. kaum mehr in Gebrauch waren. Dracontius' Dichtersprache weicht nämlich als Ganze beträchtlich von der zeitgenössischen Umgangssprache ab, und so kann man ihm auch die hochsprachlichen Formen zutrauen 51 • Mit der gleichen Begründung wurde in der Regel in Übereinstimmung mit der handschriftlichen Überlieferungen auf Assimilationen verzichtet. Zugunsten einer deutlich gebräuchlicheren Form (z.B. quoscumque statt quoscunque in 9) wurde diese Regel jedoch bisweilen missachtet. Bei der Zusammenstellung des Apparats wurden etwas andere Akzente gesetzt als in Diaz de Bustamantes und Wolffs Editionen. Während Diaz de Bustamante einerseits alle Abweichungen zwischen N und n und andererseits alle Entscheidungen der früheren Editoren aufführt und Wolff einen etwas kürzeren, jedoch den gleichen 47

48

49 50

51

Vgl. z.B. Fontaine (1978); Ramfrez de Verger (1980); Grillone (1982). Die Kritik betrifft einerseits die bisweilen zu konservative Haltung des Herausgebers (vgl. Grillone 1982: 535 mit einer Liste von Stellen, an denen die Überlieferung seiner Meinung nach hätte verbessert werden müssen), andererseits Fehler in der kritischen Ausgabe (vgl. Zurli 1998: 368-75). Vgl. z.B. Bureau (1998); Zarini (1997: 197); positives Echo findet sich weiter z.B. bei Ireland (1998). Drac. Romul. 10,71; 212; 256. ►E. 3.1.4. In 189 steht confidit e'o(nicht confidi) in N und in 208 iaceor in N•0 (nicht iacet). Für 251 hat Rossberg (1887: 857), nicht Peiper, ago vorgeschlagen. In 324 ist Baehrens aus der Liste der Herausgeber, die quid schreiben, zu streichen. In 441 istplurimis eventuell N, auf keinen Fall jedoch n, zuzuweisen (►Anm. 55). In 528 ist Baehrens' (ed. 1883) Konjektur als et anzugeben. In 529 wird saevire fälschlicherweise Vollmer (ed. 1914) zugeschrieben. In 563 findet sich die Markierung der Verderbnis nur in N (nicht auch in n); Baehrens' (ed. 1883) Konjektur in diesem Vers lautet ausserdem toro residens. Seltsam mutet schliesslich an, dass in 590 Vollmers Übernahme des Verses von Nn verzeichnet wird, jedoch ohne Vermerk, dass Vollmer die Stelle mit Cruces versieht. Entscheidungen gegen die Überlieferung: >49 (Cytheren) (analog 426: Glaucen; 597: Dionen); >212f. (coniunx); >25lf. (subolis); >256f. (umeris); ►307f. (bubo). Ausnahmen: ►54 (genitrix, mit produktivem Suffix -itrix); >76f. (Aesonidem, mit Deklinationsklassenwechsel).

3.1. Die handschriftliche Überlieferung und die Ausgaben

33

Prinzipien folgenden Apparat präsentiert, werden im hier vorgelegten Apparat erstens nur die Abweichungen zwischen N und n genannt, die den Sinn einer Stelle ändern könnten, die also keine offensichtlichen Fehler, sondern ein lateinisches Wort darstellen 52 , und zweitens werden nur die Namen jener Forscher genannt, die eine Änderung entweder als erste vorgeschlagen haben oder weitere Argumente zu deren Unterstützung publiziert haben, dies allerdings sogar dann, wenn die vorgeschlagene Konjektur metrisch problematisch ist, denn Dracontius hat selbst einige Wörter gegen die klassische Prosodie verwendet (>E. 3.4.1.). Zusätzlich werden Forscher an Stellen genannt, an denen die Kenntnis ihrer textkritischen Entscheidung für das Verständnis ihrer Konjektur im vorangehenden oder nachfolgenden Vers nötig ist. Gänzlich problemlose Änderungen wie jene von überliefertem e oder oe zu ae, von i zu y oder von xst zu xt werden weder im Apparat noch im Kommentar vermerkt. Der Apparat wurde zudem durch die Bereinigung einiger Handschriftenlesungen früherer Editoren -in- in n kürzer. Insbesondere wurde die Lesung der Buchstabenkombination bereinigt. An manchen dieser Stellen lasen die früheren Herausgeber nämlich -ni-. Da n jedoch auch sonst dazu tendiert, den i-Punkt rechts des Buchstabens zu setzen, kann die mit N übereinstimmende Buchstabenfolge -in- als richtige Lesung angenommen werden". Die Lesungen von n der früheren Herausgeber mussten zudem an einer Anzahl weiterer Stellen korrigiert werden 54 • An ihren Lesungen von N waren hingegen Änderungen kaum nötig 55 • An manchen Stellen konnte nicht auf einen Eingriff in den Text verzichtet werden, einerseits weil sich eine allzu konservative Haltung bei einer qualitativ nicht hochstehenden Überlieferung nicht empfiehlt, andererseits weil nicht jede Unebenheit des Textes durch eine Konjektur geglättet werden sollte. In der folgenden Tabelle sind die Änderungen des Textes gegenüber Wolffs Edition zusammengefasst 56 • Bei Rückgriffen auf die Überlieferung und neuen Konjekturen ist ausserdem festgehalten, welche früheren Herausgeber sich ebenfalls für die Überlieferung bzw. für die von Wolff gewählte Textvariante entschieden haben.

52

Nicht vermerkt werden deshalb aus n dui (33), ~ colchis (177), _s_q,;t,_Q sacerdos (267), (309), dabos (425), fü!. coronam (484), spledebat (516), .·. Af ac fatur (538), l!! tellure (564), g_q{q; galeata (578), aus n• 0 peteban (284), soponem (361), nacavi (445), aus N• 0 iudicen (68), purchra (115); zu den Wörtern mit der Kombination -in-1-ni- ►Anm. 53. Hingegen wurden die genauen Lesungen angegeben, wenn an der Stelle konjiziert wurde. Nicht aufgeführt werden deshalb aus n niane (98; 465), pectniat (103), ni (168; 472, wo ni je aus metrischen Gründen ausgeschlossen werden kann), niquit (188), utniam (208), niers (228), nierti (237), distnixerat (259), ninumeri (377) und niops (411). Vgl. Zurli (1998: 368f.) So steht in n in Übereinstimmung mit N voluptatum (54; 71), adulter (74)factura (107), vocatur (135), saeva (146), iunctae (165), confidit iio (189), aurata (212), increpat (226), consultum (227), ipsa (257), cani (414), zelus (424), tremescit (464), at (496), avus (538), tetros (563), thocles (585) und Arriionia (591), in nP0 furore sidens (563) und laude (601), in n, aber nur in teilweiser oder gar fehlender Übereinstimmung mit N matri (296, ohne Korrektur), electro (oder electio) (336), festa (oder sesta) (382) und persce mi 11itra (538). Zurlis (1998: 369-74) Lesungen weichen in 165, 296, 336, 382 und 585 von meinen ab. Die Ausnahmen bilden persulcans (118),fundundtur (440) in N• 0 und plurimus (441) in N. Letzteres kann allerdings als umstritten gelten. Die Lesung plurimis lässt sich vertreten, da ein i-Punkt sichtbar ist, doch sprechen die Anzahl der senkrechten Striche am Wortende für die Interpretation des Wortes als plurimus; einen überflüssigen 'i-Punkt' findet man ausserdem auch anderswo in N, z.B. auf dem ersten Buchstaben von vota in 449. Vgl. Zurli (1998: 373). Wolff (ed. 1996).

/H!r.tri:snutrix

53

54

55

56

34

Einleitung

Vers

Wolff (ed. 1996) (W.)

Kaufmann (K.)

27 44

nec (V ol!mer)

non (K.)

Colchus (Duhn)

Colchis (Nn; Vollmer2)

46

nossent (Buecheler; edd. ceteri)

nosset (Nn)

53

venustas amoris (Nn)

tvenustas amorist

67-71

67-68-69-70-71 (Nn; edd. ceteri)

70-67-68-69- 71 (K.)

71

quod (W.)

(Nn; quae Bustamante)

75

quodcunque

88

huic (B uecheler; edd. ceteri)

hunc (Nn)

(~ Nn)

quocumque

Duhn;

171

nondum (Nn; edd. ceteri)

non iam (K.)

et iam (Nn; edd. ceteri)

et qua (K.)

173

ttorpebat

182

sed (B uecheler; Bustamante)

Vollmer;

Diaz de sie (Nn)

204

es et (Baehrens; Bustarnante)

Vollmer;

Diaz de sed (Nn; Duhn)

212

cum (W.) [cui] pellis arietis (W.)

quem (Nn; edd. ceteri) cui pellis tauratat (Nn)

239

iugalis [Druckfehler]

iugulis (Nn)

humeri (W.)

umeris (K.)

268

templa. duci tune (Vollmer)

templa ducit (Nn). tune (Buecheler)

271

consors (n; edd. ceteri)

concors (N)

299

se (Duhn; edd. ceteri)

sit (Nn)

317

(Buecheler; edd. ceteri)

< ...... >

318

unt (Buecheler; edd. ceteri)

333

Achillis (Duhn,

382

Jesta (n; edd. ceteri) cum (Nn)

serta (K,)

386 391

su/phure (Baehrens) puro (Vollmer)

400

ora (Nn)

lauro sulphura B ustarnante) hora (Housman)

410

terribilis (Nn)

terribiles (Vollmer)

425

erunt (Duhn; edd. ceteri)

erint (Nn)

426

animae (Nn)

animas (Duhn)

451

dicavit (Baehrens; edd. ceteri)

dicabit (Nn; Duhn)

486

artis (Nn)

aris (Baehrens) neptis (B aehrens)

Nn)

de

torpebat concreta (Buecheler) gelu (Nn)< ... > et

256

~

Diaz

(Duhn)

172

coacta gelu (Nn)t et (Nn)

Vollmer;

unt (K.) Achillem (Rossberg) dum (B aehrens)

504

nepti (Nn)

508

busta (Nn)

busto (Duhn)

529

furores (Nn)

sorores (Baehrens)

554

meis (Nn)

mei (Duhn)

(Nn;

Duhn;

Diaz

de

3.2. Die Gattung 563

Juror residens (Duhn; Vollmer)

furore sidens (NnPC; Diaz de Bustamante)

566

venena (Nn)

venenis (Vollmer)

588 590

saltim (Duhn; edd. ceteri)

saltem (K.)

et, arator, tibi Diones (Kuijper)

ttartara tibi diones (Nn)t

35

3.2. DIE GATTUNG57

Fast seit Beginn der Dracontius-Forschung wurden Dracontius' narrative mythologische Hexameterdichtungen Romul. 2 (Hylas), 8 (De raptu Helenae), 10 (Medea) und Orestis tragoedia als Epyllien bezeichnet". Diese Bezeichnung ist jedoch problematisch: In der Antike fehlt nicht nur der Begriff, sondern auch ein Gattungsbewusstsein für die in der Neuzeit postulierte Gattung des Epyllions. Die ihr zugerechneten Werke gehörten nach antikem Gattungsverständnis vielmehr dem Epos an. Auch Dracontius' mythologische Dichtungen können aufgrund seiner Aussagen in den Prooemien, aufgrund der sprachlichen Anlehnungen sowie aufgrund anderer typischer Elemente dem Epos zugerechnet werden. In Romul. 10 bezeichnet Dracontius z.B. die Tätigkeit des Dichters mit canere und ruft Kalliope an59 . Sprachliche Kennzeichen sind Formeln wie dixerat et oder sie fatus/-a, und die längeren Zitate anderer Dichter stammen vorwiegend aus Vergils und Statius' Epen 60 • Im thematischen Bereich geschieht die Anbindung an das Epos durch Gleichnisse, Angaben von Tageszeiten und Handlungen auf der Götterebene 61 • Gegen den Begriff 'Epos' spricht einzig der geringe Umfang; es empfiehlt sich deshalb, Dracontius' narrative mythologische Dichtungen 'Kurzepen' zu nennen. Dieser Begriff hat gegenüber 'Epyllion' auch den Vorteil, dass die Dichtungen nicht automatisch in die Tradition der hellenistischen Dichtungsideologie eingereiht werden, der Dracontius' Auffassung von Intertextualität nicht entspricht (► E. 3.5.3). Von ähnlich geringem Nutzen wie der Begriff 'Epyllion' ist, zumindest was die spätlateinische Dichtung betrifft, jener der 'Kreuzung der Gattungen'. Dieser setzt voraus, dass Gattungen starre Einheiten sind, die neuen Elementen den Zugang verweigern, während sich Gattungen in Wirklichkeit weiterentwickeln und jede markante Weiterentwicklung gattungsfremde Elemente einschliesst 62 • Ovids Verwendung von Kalliope im jeweils 5. Buch der Metamorphosen und Fasti illustriert eine solche Weiterentwicklung: An beiden Stellen nimmt der Dichter sich ein episches Thema vor, den Raub der Proserpina bzw. Euanders Stadtgründung, hebt in der 57

Der vorliegende Abschnitt lehnt sich eng an Webers (1995: 228-47) Darstellung an. Auf Romul. 10 hat als erster Barwinski (1887: 10) den Begriff bezogen; danach verwendeten u.a. Quartiroli (1947: 17f.) und Bouquet-Wolff (1995: 37f.) diese Gattungsbezeichnung. Zur Entwicklung des Epyllions von Theokrit bis Ovid vgl. Crurnp (1931), zum Begriff selbst Most ( 1982). :~ Drac. Romul. 10,16 (nos illa cqnemus}' zu Kalliope ► 26. sicfatus/-a: ► 84f.; dixerat et: ► 237f.; Verg. Aen.: z.B. 37; 207; 395; 446; Stat.: z.B. 272; 343f.; 366; 380; 436f. 61 Gleichnisse: 91-3; 102-10; 305-10; 330-3; 550f.; Angabe von Tageszeiten: 389f.; 470-3; 495; Handlungen auf der Götterebene: 49-170; 272-301. 62 Kirsch (1989: 22-6). "

36

Einleitung

Erzählung aber elegische bzw. bukolische Momente hervor 63 • Entsprechend fehlen in Dracontius' Kurzepen Einflüsse aus anderen Gattungen nicht: Im Prooemium von Romul. 10 wird z.B. auf das Theater, genauer den Pantomimus und die tragische Rezitation, hingewiesen (► 16-25), und die Darstellung von Medeas und Jasons Hochzeit enthält epithalarnische Elemente 64 • Indessen sind sowohl die szenischen als auch die epithalamischen Bausteine dem epischen Zug von Romul. 10 klar untergeordnet, die einen als Quellen (► E. 3.6.3.) und die anderen als feste Bestandteile der Erzählung, die teilweise bereits in früheren epischen Versionen vorgegeben sind65 •

3.3. SPRACHE UND STIL 3.3.1. Sprache 66 Dracontius orientiert sich in erster Linie an der Sprache der Hexameterdichter seit Vergil 67 • Daneben finden sich bei ihm erstens im Spätlatein gängige Erscheinungen, zweitens Ausdrücke, die der Alltagssprache entstammen könnten, und drittens Wendungen, die nur bei ihm belegt sind. Da eine Zusammenfassung des reichen Materials, das im Kommentar zu den dichterischen Elementen aufgeführt wird, nicht sinnvoll erschien, beschränkt sich die folgende Übersicht auf die drei letztgenannten Kategorien: Spätlateinisches, Alltags sprachliches und Dracontius' Eigentümlichkeiten. Elemente, die bereits vor dem Spätlatein mit einiger Regelmässigkeit auftreten, sind nicht aufgenommen, selbst wenn sie im Spätlatein gehäuft bezeugt sind". Dass viele spätlateinische Erscheinungen vorwiegend in christlichen Texten belegt sind, liegt an den Zeitumständen und ist häufig für die Interpretation einer Stelle irrelevant. Elemente, die (fast) ausschliesslich in der Dichtung oder in der Prosa auftreten, sind mit den Kürzeln D und Pr gekennzeichnet. Folgende Besonderheiten aus dem spätlateinischen Wortschatz und der Wortbildung sind in Romul. 10 belegt: Adverbien in erweiterter Bedeutung: tarnen 'aber' (sehr schwach) (143); sie 'dann' (182); (Pr) passim 'unüberlegt' (313). 63 64

65 66

67

68

Ov. met. 5,338-661;/ast. 5,79-107. Vgl. Barchiesi (1991: 11-13). Z B. Venus-Cupido-Szene: 122-6; Cupidos Flug nach Kolchis: 156-70; Personifikationen als Gefolge: 161-3; 263-6. Vgl. Morelli (1910: 406f.). Z.B. Aphrodite-Eros-Szene in Apoll. Rhod. 3,146-50 und Eros' Flug 3,159-66. Der folgende Abschnitt zu Dracontius' Sprache unterscheidet sich von jenen bei Westhaff (1883), Barwinski (1887), Mailfait (1902) und Vollmer (1905: 431-9) hauptsächlich dadurch, dass er die Sprache des Dichters nicht nur beschreibt, sondern auch versucht, einzelne Elemente in Romul. 10 entweder als gängigen spätlateinischen Gebrauch auszuweisen oder als Eigentlimlichkeiten des Dichters zu identifizieren. Dichterische Elemente erscheinen z.B. in 25 (post funera); 84 (sie fata); 118 (per inane); 130 (blanda voluptas); 154 (figere dammas); 177 (ara Dianae); 314 (genitor); 360 (sub nocte silenti); 407 (tertius heres); 448f. (sorores / Tartareae); 570 (crudele Nefas). Zur Dichtersprache i. Allg. siehe z.B. Wilkinson (1966); Maurach (1995); Adams-Mayer (1999). Für die sprachlichen Einflüsse von Vergil, Ovid, Lukan, Statius und Claudian ► E. 3.5.2 Z.B. Komparativ statt Positiv (► 27f.), Ind. im indirekten Fragesatz (> 46), Plur. reverentiae (► 94f.), periphrastische Prädikate mit Part. Präs. des Verbs+ esse (► 267), Diminutive (► 122f.), substantivierte Adjektive im Neutr. PI. (► 40f.).

3.3. Sprache und Stil

• •







37

Adjektive in erweiterter Bedeutung oder Verwendung: substantiviertes iugalis 'Gatte/Gattin' (270; 294); (D) prädikatives crastinus (447). Substantive in erweiterter Bedeutung oder Verwendung: (Pr) species 'Gewürz, Duftstoff' (14; 486); alumnus 'Diener' (95); (Pr) vota 'Hochzeit(sgelübde)' (288; 382; 449); atria '(Tempel)vorhof' (302); reatus 'Schuld' (394); fructus 'Kinder' (429); Sg. infernum 'Unterwelt' (434); gurges 'Abgrund' (480); populi 'Leute' (522). Verben in erweiterter Bedeutung oder Verwendung: versari 'sich drehen' (ohne frequentative Nuance) (198); contemnere 'sich scheiden lassen wollen von' (294);fervescere in erotischem Kontext (326); (Pr) valere 'wert sein' (357); eiere 'beschwören' in magischem Kontext (361); captare 'betrachten' (389); (D) sulcare 'schreiben' (478); absolutes flagellare 'mit einer Peitsche um sich schlagen' (483). Erst spätlateinisch belegte Junkturen: coniugem dare 'zur Frau geben' (213); digitos mittere 'die Finger wohin legen/ausstrecken' (234); sagittas iacere 'Pfeile schiessen' (240f.); victima digna 'würdiges Opfer' (243); grates cantarelgratias canere 'singend Dank abstattten' (269); repudium/-a mittere 'Scheidung einreichen' (295); dulces nepotes 'liebe Enkel' (324); ducere maritum 'heiraten' (von einer Frau) (423). Erst spätlateinisch belegte Wörter: (D) Cythere (49) und Cypris (61) jeweils für Venus; (D) successio 'Erneuerung' (128); blatteus 'purpurn' (260); (Pr) exhorrere 'Schrecken und Abscheu empfinden' (456); (Pr) praegnari'schwanger werden' (577).

Aus dem Gebiet der Formenlehre und der Syntax sind erwähnenswert: 3. PI. Fut. erint (statt erunt, von esse) (425) . (Pr) Impf. rediebat (statt redibat, von redire) (272) . Pf. tempsistis (von temnere, dessen Perfekt zuvor nicht belegt ist) (460) . Pronomina in erweiterter Bedeutung oder Funktion: ipsa 'sie' (257) . Konjunktionen in erweiterter Bedeutung: vel (20), nam (164) und aut (589) 'und'; et non= nec (132); cum 'während' (mit Ind.) (211; 320; 386). Gerundiv mit futurischer Bedeutung: mactandus 'der geopfert werden wird' (59) . Vermischung von Futur und Konj. Präs.: quid plura loquemur? (83); cognosco, si morbus erit, si bella parentur (348). Ersetzung des Abl. instr. durch per (171: per ... glacies stat ... Colchis) und des Abl. causae durch de (568: rubuisset avus de crimine). (Pr) Verba dicendi und sentiendi mit quodlquia-Sätzen bei agnoscere (346), credere (350), indicare und unpersönlichem latere (352f.). Transitives residere 'sitzen auf' (166; 273) . Reflexives sedere 'sich setzen' (478) . (D) Transitives repere (statt mit ad/in+ Akk.) 'beschleichen' (491) . (D) confiteor perstans statt confessa persto 'ich bekenne ohne Wanken' (189) . (Pr) Umschreibungen mit incipere/coepisse: coeperat ostendi 'er/es trat ins Blickfeld' (178) und ne ... incipias ... venire 'dass du nicht kommen wirst' (214f.). Indikativ im sonst konjunktivischen Relativsatz: non erit hostia grata, I quae sicco mucrone cadet (246f.).

.. ...

..

.

. .

.. . . .

38 • •

Einleitung

Potentialer Konditionalsatz ausgedrückt durch si + Fut. II/Konj. Perf. und Präs. im Hauptsatz: sed rea non es, I sifueris homicida magis (23lf.). Einzelne Konstruktionen: (Pr) comitari cum 'begleiten' (45); ligare mit Abl. lim. 'fesseln an' (49); pavere mit Infinitiv 'fürchten, dass' (595).

Elemente der Alltagssprache in einem dichterischen Text zu identifizieren, ist schwierig, denn gerade ihr dortiges Vorkommen lässt eine solche Einordnung fraglich erscheinen. Dennoch können aufgrund von Parallelen in subliterarischen Texten wie Glossen, Briefen oder dem Itinerarium Egeriae (Peregr. Aeth.) folgende Erscheinungen in Romul. 10 dieser Kategorie zugeordnet werden 69 : Gen. Sg. Colchis (statt Colchidis oder Colchidos von Colchis) (44). ille in der Apposition nuntius ille zu Colchis alumnus (45). • pectinare 'kämmen' (103). accipere 'nehmen' (365). Füllpartikel wie sie (287; 322; 351; 353; 432), iterum (215), adhuc (316). Schliesslich gibt es in Romul. 10 auch Wörter und Konstruktionen, die nur hier oder nur bei Dracontius belegt sind. Die folgende Liste beschränkt sich auf besonders bemerkenswerte Fälle, da die ungewöhnliche Verwendung einzelner Wörter und die Neubildung von Junkturen ein Wesensmerkmal jeglicher Dichtung darstellen: Verben in erweiterter Bedeutung oder Konstruktion: desiccare mit Abl. sep. 'etwas zum Trocknen abschütteln von' (99); informare 'bilden, darstellen' (106); se pensare 'sich balancieren' (167); intransitives rumpere 'hervorbrechen' (223; 579) und erigere 'sich aufrichten' (245); vacare mit Prädikativum 'frei sein von der Tätigkeit als' (231); vota gerere 'Hochzeit feiern' (288; 449); se spargere 'sich benetzen' (391); fumare 'unter Rauch verbrennen' (392); deponere 'aussetzen' (594); fluctuare in+ Akk. 'treiben in' (594f.). Substantive in erweiterter Bedeutung: forma 'Gespinst' (351); funera 'Tote' (437). • Diminutiv fessulus (123). • Gen. Aeetis (statt Aeetae, von Aeetes) (58). Sonst nicht belegte Wörter: praedux 'Vorsteher' (131); ademptus, -us m. 'Verlust' (133); sericus, -im. 'Seide' (160; 258); plectrifer 'Plektron tragend' (285). 3.3.2. Stil Wie frühere Dichter verwendet Dracontius rhetorische Mittel, z.B. Abstracta pro concretis 10 , Alliterationen, Anaphern, Personifikationen, Zeugmata". Eine besondere Vorliebe zeigt er für asyndetische Reihen, Antithesen und 'golden lines'. 69

70

Anhaltspunkte zur spätlateinischen Alltagssprache geben z.B. Löfstedt (1911); Jeanneret (1918); Adams (1976). Ein besonders interessantes, da zeitgenössisches, Dokument sind die Tab. Albertini, Verkaufsverträge aus Gunthamunds Regierungszeit. Allerdings ist auch dort die Einschätzung der einzelnen Sprachebenen schwierig, da der Text grösstenteils aus juristischen Formeln besteht; vgl. (Courtois-)Leschi(-Perrat-Saumagne) (1952: 63-80); Väänänen (1965: 8-10). iuventa (45); Juror (63); mortes (427); infantia (533); zweifelhafte Fälle: ► 202f.; ► 424. Fraglich ist angesichts der geringen Anzahl und der Gewöhnlichkeit der Beispiele, ob es sich

39

3.3. Sprache und Stil

Asyndetische Aufzählungen sind zwar seit der altlateinischen Dichtung belegt; sie finden sich aber regelmässig und mit einem gewissen Umfang erst in der spätlateinischen Dichtung 12 • Was die Länge der Aufzählungen betrifft, ist Dracontius' Gebrauch de_s Stilmittels in Romul. 10 verglichen z.B. mit Prudenz, Sidonius Apollinaris, aber auch mit laud. dei zurückhaltend 73 , doch zählt man immerhin neun (beinahe) versfüllende Asyndeta 74 • Zwei dieser Verse bestehen wiederum aus Reihen von antithetischen Paaren. Antithesen setzt Dracontius auch sonst in Romul. 10 zu rhetorischen Zwecken oder zur Dramatisierung des erzählten Geschehens ein 75 • 'Golden lines' sind nach dem Muster Adjektiv1 - Adjektiv2 - Verb - Substantiv1 Substantiv2 aufgebaut und aus der früheren Dichtung wohlbekannt 76 • Augenfällig ist nicht eigentlich die Häufigkeit, mit der 'golden lines' inRomul. 10 und bei Dracontius

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bei den Abstracta pro concretis, wie Westhaff (1883: 5f.), Vollmer (1905: 437), Moussy(-Camus) (1985: 79f. mit Anm. 7) und Wolff (1996: 192 Anm. 32) meinen, um eine Vorliebe von Dracontius handelt. Einzig für Orest. scheint diese Einschätzung wegen der hohen Anzahl berechtigt (vgl. Westhaff 1883: 5f.; Barwinski 1887: 67f.; Vollmer 1905: 437). Abstrakta sind im Spätlatein indessen allgemein stärker verbreitet; vgl. LHS 2.747-9 § 23.l.bc; Blaise (1955: 21-3 § 17-9). Alliterationen (z.B. 12; 65; 118; 239; 354; 406; 520; 560) sind jeweils im Lemma des Kommentars markiert, werden jedoch nur selten kommentiert; Anaphern: z.B. 3; 67f.; 69; 82; 130f.; 218; 305/307; 583-5; Personifikationen: 161-3; 263-6; 270f.; 570f.; Zeugmata: 395; 458. Andere Figuren: z.B. Litotes (73; 383; 545f.); Paronomasie (68; 207f.); Hyperbaton (82; 89; 124); Chiasmus (17; 30f.; 570/573f.); Homoioteleuton (30f.; 368; 398f.); Oxymoron (18; 229); Synekdoche (25; 42; 51; 58; 259; 302); Pleonasmus (37; 86; 159f.; 184; 2llf.; 355; 506f.; 546); Hysteron-proteron (60f.; 290f.); Parallelismus (218); Hendiadyoin (320; 468); Enallage (463); Brachylogie (466); für weitere rhetorische Stilmittel ausserhalb von Romul. 10 siehe Westhaff (1883: 41-3); Vollmer (1905: 439-41); Moussy(-Carnus) (1985: 83-6); Moussy (1988: 153f.); Weber (1995: 223f.). Frühere Dichtung: z.B. Plaut. Bacch. 892-5 (ita me luppiter, luno, Ceres, / Minerva, Lato, Spes, Opis, Virtus, Venus, / Castor, Polluces, Mars, Mercurius, Hercules, / Summanus, Sol, Satumus dique omnes ament); Ace. trag. 349 (persuasit maeror anxitudo aegror dolor); Verg. Aen. 11,329 (praecipiant, nos aera, manus, navalia demus); Sen. Herc. f 32 (terribile dirum pestilens atrox ferum); Phoen. 34 (semper cruente saeve crudelis ferox); Lucan. 7,635f. (sanguis ibi fluxit Achaeus, I Ponticus, Assyrius); Stat. Theb. 10,768f. (at Tyriis templa, arva, domos, conubia, natos / reddite morte mea). Vgl. LHS 2.831 § 55.II Zusatz 0; Weymann (1926: 126f.); Munari (1970: LXII Anm. 51); Roberts (1989: 60 mit Anm. 72). Z.B. Prud. perist. 10,326-34 (33 Substantive); Sidon. carm. 23,39-44 (24 Substantive); Drac. laud. dei 1,5-8 (24 Substantive); 13-6 (21 Substantive). Vgl. auch Anth. 21,107-9 (21 Substantive) und Roberts (1989: 60 Anm. 73). 53 (blanda potens mitis fecunda tvenustas amorist); 105 (cinnama cui folium nardum tus balsama amomum); 111 (piscis aves armenta pecus fera pastor anhelant); 129 (affectus natura genus Jans auctor origo ); 142 (diligat optet amet cupiat suspiret anhelet); 317 (< ... > numen pietas iniuria regnum); 405 (ursus cervus aper pantherae damma leones); 411 (dives pauper inops raptor pirata sacerdos); 571 (Impietas, Furiae, Luctus, Mors, Funera, Livor). Fiir weitere Beispiele bei Dracontius siehe Westhaff (1883: 28f.); Barwinski (1887: 62f.); Mailfait (1902: 15lf.); Vollmer (1905: 440). 111 und 411 aus der Liste der Asyndata in ► Anm. 74. Sonst z.B. 55 (te divum regina matrona Tonantis); 456 (innuptae nuptam exhorrete sorores); 147f. (nec sustinet ignes / Luna Cupidineos, Solis quae sustinet orbem); 399 (tenebrarum splendens patrona mearum); 547f. ( geminos uno simul ense noverca / transegit pueros). Davon zu unterscheiden ist das Oxymoron, bei dem zwei gegensätzliche Begriffe auf den gleichen Gegenstand bezogen werden (► 456). Vgl. Wilkinson (1966: 215f.). Der Begriff ist erstmals bei John Dryden (1685: 6) im Vorwort zu seinen Sylvae - in Bezug auf Claudian - fassbar ("that Verse ... which they call golden, or two Substantives and two Adjectives with a Verb betwixt them to keep the peace").



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auftreten - sie ist statistisch gesehen mit Vergil vergleichbar 77 -, sondern dass sie an einigen Stellen konzentriert auftreten 78 • Dies erweckt den Eindruck, als seien es vergleichbar viele wie bei Claudian, und dadurch, wie durch die asyndetischen Reihen, wird Dracontius' Dichtung als kunstvoll und zugleich nachklassisch charakterisiert 79 •

3.4. PROSODIE UND METRIK

3.4. l. Prosodie Wie jeder spätlateinische Dichter stand Dracontius vor der Schwierigkeit, dass die Silbenquantitäten im alltäglichen Latein nicht mehr unterschieden wurden• 0 • Dies bedeutete einerseits eine zusätzliche Hürde für den Dichter, doch andererseits wurden Unregelmässigkeiten wohl auch nicht mehr auf den ersten Blick als solche wahrgenommen. In Romul. 10 und auch sonst bei Dracontius betreffen sie: Wörter, die auch von anderen Dichtern gegen die klassische Prosodie verwendet wurden 81, Eigennamen 82 , Wörter, die in ungewöhnlicher prosodischer Form nur bei Dracontius oder sogar nur an wenigen Stellen bei ihm erscheinen 83, Längungen von kurzvokalischen Endungen durch nachfolgende Wörter, die mit 'muta cum liquida' oder 's impurum' beginnen 84 • 3.4.2. Metrik Dracontius · Metrik zeichnet sich durch eine geringe Anzahl von Hiaten und Elisionen aus. Hiate treten bei ihm fast nur bei einer Zäsur auf. Ihre Anzahl in 77

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Nach Young (1932: 517) ist bei Vergil jeder 66. (Aen.) bzw. 47. (georg.) bzw. 39. (ecl.) Vers eine 'golden line', in Catull. 64 hingegen jeder 16. In Romul. 10: 24; 158; 220; 224; 260; 265; 275; 345; 440; 473. In diese Zählung sind Verse miteinbezogen, in denen das Verb durch ein Partizip gebildet bzw. im Fall von 345 durch ein Adverb modifiziert ist. Zu weiteren 'golden lines' bei Dracontius siehe Westhoff (1883: 38); Mailfait (1902: 141). Obgleich die entsprechende Zahl für Claudian fehlt, sind sich die Forscher einig, dass sie hoch ist; vgl. z.B. Cameron (1970: 290); Fo (1982: 145-9). Vgl. Aug. doctr. christ. 4,65 (cur pietatis doctorem pigeat imperitis loquentem, ossum potius quam os dicere, ne ista syllaba non ab eo quod sunt ossa, sed ab eo quod sunt ora intellegatur, ubi Afrae aures de correptione vocalium vel productione non iudicant?); mus. 3,2,5 (cum ego tibi respondissem, syllabarum longarum et brevium cognitionem me non habere, quae a grammaticis traditur; ... quae vero syllaba producenda vel corripienda sit, quod in auctoritate situm est, omnino nescio). Z.B. mulieris (5); religionis (66); quoque (439); repit (491); sTdens (563). Z.B. lason (42); Aeetis (59); Pheretes (532); Eteocles (585); Polynices (586); vgl. Vollmer (1905: 443). Z.B. a"litem (109); ducit (268); repüdia (195); ifiebat (327); mnescit (334); vgl. Vollmer (1905: 442f.); Giarratano (1906: 42-46). 400 (horg, clarissima mundi); 461 (terrg_ spatium tremibunda ciebat); 512 (oblatg_ sponsae dat serta puellae); vgl. Barwinski (1890: 6); Vollmer (1905: 442); Giarratano (1906: 38f.). Die Erscheinung ist auch bei anderen spätlateinischen Dichtern belegt; vgl. Norberg (1958: 8).

3.4. Prosodie und Metrik

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Dracontius' Gesamtwerk beträgt sieben oder neun; davon entfallen zwei oder drei auf Romul. 1085 . Häufiger, jedoch ebenfalls selten im Vergleich mit anderen lateinischen Dichtern, sind bei Dracontius Elisionen 86. In Romul. 10 finden sich deren 24, von denen eine ein iambisches Wort und drei je ein einsilbiges Wort (einmal am Versanfang) betreffen"'. 3,99% der Verse von Romul. 10 enthalten folglich ein elidiertes Wort••, wobei je einmal zwei Elisionen in einem Vers bzw. in zwei aufeinander folgenden Versen vorkommen••. Sogar wenn man die allgemeine Tendenz zur Abnahme der Elisionen seit Vergil berücksichtigt, ist dies eine äusserst tiefe Zahl, vergleichbar nur mit jener von Claudian und Calpumius Siculus 90 • Dracontius erreicht sie dadurch, dass er vokalisch anlautende Wörter wie autem, etiam, et oder solche mit Endungen, die vor einem Vokal elidiert werden müssten, wie quoniam oder vero, gar nicht oder nur selten benutzt 9 1; so ersetzt er z.B. et häufiger durch vel. In der Verteilung von Spondeen und Daktylen in den einzelnen Versen weist Dracontius Ähnlichkeiten mit der Hexameterdichtung des 1. nachchristlichen Jahrhunderts (z.B. Valerius Flaccus und Statius) auf, die sich ihrerseits stärker an Ovid als 85

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Drac. laud. dei 2,60 (qua libuit genuisse Deum ante omnia Christum); 3,205 (hinc ... ferro hinc); Romul. 10,327 (pastorem cof!_fessa vi[um hqecLiber aiebat); 565 ~ hinc); Orest. 216 (consilio succumbe !Jl.e..{J.: haec una mede/la est); 894 (sanguinis oblitum humani iuris egenum); 947 (si decreta deum homini tractare liceret). Zweifelhafte Fälle sind laud. dei 1,431 (esse nihil prorsus praeter g_ ubique rogandum) (ist dies ein Hiat oder eine Elision mit regelwidriger Längung der ersten Silbe von ubique?) und Romul. 10,► 426 (cum Iasone). Nicht selten wird ein Teil dieser Hiate mit dem Argument wegdiskutiert, h sei, wie in der spätlateinischen Dichtung üblich (vgl. Müller 1894: 391; Norberg 1958: 7f.), von Dracontius als Konsonant aufgefasst worden; vgl. z.B. Moussy(-Camus) (1985: 93). Indessen behandelt Dracontius, wie auch Luxurius (vgl. Happ 1986: l.278f.), h nur teilweise als Konsonanten (z.B. nicht in Romul. 10,207: eripe me his; 221: misit harundineum). Die entsprechenden Stellen können daher mit gleichem Recht als Hiate aufgefasst werden. Vgl. Vollmer (1905: 44lf.); Giarratano (1906: 28-30); Moussy(-Camus) (1985: 94f.); Wolff (1993). Iambisches Wort: poli et (4; von Vergil übernommen). Einsilbige Wörter: si am Versanfang von 546, eine höchst ungewöhnliche Erscheinung; zweimal me (207: von Vergil übernommen; 453). Die übrigen Elisionen stehen in 105 (balsama); 109 (ante und a/item); 163 (atque); 199 ({orte); 208 (atque); 256 (vinc/a); 284 (venatu); 359 (vastum); 366 (ventum); 394 (deiecta); 425 (dabo); 456 (nuptam); 492 (atque); 495 (mundum); 513 (auratam); 541 (nutrimenta); 572 (miseroque); 583 und 585 (jeweils inde). Anders zählen (wohl aufgrund von Textvarianten) Rossberg (1886: 727) mit 23, und Wolff (1993: 95) mit 25 Elisionen. Moussy(-Camus) (1985: 94) errechnet für laud. dei einen durchschnittlichen Prozentsatz von 6,62%, Wolff (1993: 95f.) für Dracontius' nicht-christliche hexametrische Werke einen von 4,8%. Häufungen: 109; 207f. Häufungen im gleichen Vers sind bei Dracontius nicht selten: z.B. laud. dei 1,249 (atque hyacinthus adest per colla et); 2,211 (agmina te astrorum, te signa et); 622 (mens hominum est peccare aut); satisf 38 (qui homo bos fuerat de bove factus homo est); 181 (tempore namque eodem est); 282 (ecce etiam insontes); 283 (si ipse ego peccavi); Romul. 8,44 (atque utinam infelix); Orest. 538 (atque affine nefas cognato abscindite ferro); 769 (accipito inferias ... victima iusta est); 899 (eversorem Asiae, natum armipotentis Achil/is). Ähnliches gilt für Häufungen in aufeinander folgenden Versen; vgl. Wolff (1993: 98). Für Calpumius Siculus geben Sturtevant-Kent (1915: 148) 3% an, für Claudian zwischen 3% (Claud. 15) und 7% (rapt. Pros.). Zur allgemein abnehmenden Tendenz vgl. Soubiran (1966: 587-90). Während der Anteil vokalisch anlautender Wörter im 1. Buch von Vergils Aeneis 31,7% beträgt (Soubiran 1966: 591), liegt er bei Claudian bei 24,8% und bei Dracontius bei 22,4% (Wolff 1993: 97).

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Einleitung

an Vergil orientierte. Dies äusserst sich darin, dass die Verteilung Daktylus-SpondeusDaktylus-Spondeus in den ersten vier Hexameterfüssen (dsds), die dort gut belegt ist, in Romul. 10 mit 112 Belegen die häufigste Kombination darstellt 92 • Ausserdem enthält Dracontius' Dichtung allgemein mehr Daktylen als jene Vergils 93 , Diese beiden Merkmale teilt Dracontius mit anderen spätlateinischen Dichtern wie Paulinus von Nola, Sedulius, Paulinus von Perigueux und Arator 04 • Was die Zäsuren betrifft, so beachtet Dracontius die Penthemimeres sehr oft, in genau 59% der Verse von Romul. 10, nicht selten in Kombination mit äer Hephthemimeres 95 • In den verbleibenden 41 % findet sich der Einschnitt 1ea1:a1:phov 1:poxai'.ovkombiniert mit der Trithemimeres und der Hephthemimeres ('triple a') 96 • In der häufigen Anwendung dieses Einschnittes übertrifft Dracontius alle anderen Hexameterdichter bei weitem 97 ; allerdings weisen seine anderen Werke einen tieferen Prozentsatz dieser Zäsurenkombination auf"'. Eine weitere Besonderheit von Dracontius' Metrik betrifft die Verteilung der Wörter auf die letzten beiden Versfüsse. Während alle anderen lateinischen Hexameterdichter etwa die Hälfte der Verse auf ein dreisilbiges Wort gefolgt von einem zweisilbigen Ausdruck (z.B. condere gentem) enden lassen, wählt Dracontius diese Klausel in Romul. 10 nur in 31 % der Verse. Umgekehrt enden bei ihm 61 % der Verse auf einen zweisilbigen Ausdruck gefolgt von einem dreisilbigen Wort (z.B. conde sepulchro), eine Klausel, die bei den übrigen Dichtern nur in 32-39% ihrer Verse belegt ist99 • 92

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Sie wird gefolgt von ddss mit 94 und ssds mit 79 Belegen. Im Mittelfeld stehen ddds (50 Belege), dsss (46), dsdd (37), ddsd (30), dssd (29), sdss und sdds (je 27), ssdd (20) und dddd (17). Nur selten finden sich sddd und sdsd (je 9 Belege), ssss (7) und sssd· (4). Verderbte Verse wurden nicht mitgezählt. Wohl aufgrund von Textvarianten kommen Giarratano (1906: 23) und Laura (19%: 571) zu teilweise anderen Resultaten. Giarratano markiert keine Verderbnis und gibt für folgende Muster andere Zahlen: ssds (82), dsss (48), dsdd (38), ddsd (31), sdss (25), sdds (28), ssdd (19), sdsd (8). Lauras Zählung liegt Diaz de Bustamantes (ed. 1978) Text zugrunde. Sie hält einen Vers für verderbt und zählt die folgenden Muster abweichend: dsds (111), ssds (78), ddds (51), dsdd (39), ddsd (31), dssd (30), ssdd (19), sddd (10), sdsd (8), sssd (5). FOr eine Übersicht über die Verteilung von Musterwiederholungen innerhalb von 16 Versen und die Verwendung von umgekehrten Mustern in aufeinanderfolgenden Versen siehe Laura (1996: 574-80), Duckworth (1969: 132); Laura (1996: 569-71). Mit Sedulius stimmt die Reihenfolge auch beim zweithäufigsten und bei den beiden seltensten Mustern überein. Prudenz und Cyprian gehören ebenfalls zu dieser Gruppe von Dichtern, obwohl dsds bei ihnen nicht an erster Stelle steht. Demgegenüber sind Juvencus, Marius Victor, Paulinus von Pella und Avitus in der Verteilung von Daktylen und Spondeen 'vergilisch' (Duckworth 1%9: 127f.). Vgl. Meyer (1884: 1074-8), dessen Resultate Barwinski (1890: 10) zusammenfasst, und Laura (1996: 591) mit einer etwas geringeren Zahl. Nach Giarratano (1906: 25) ist die Zahl für die gesamten Romulea ähnlich, nämlich 59,32%. Rossberg (1886: 721). Nach Laura (1996: 591) beträgt der Prozentsatz 40,67. Aufgrund des hohen Prozentsatzes erscheint der Einschnitt oft in aufeinanderfolgenden Versen, z.B. in Romul. 10,1-3; 79-84; 91-4; 128-41; 216-9; 247-51; 412-6; 533-8; vgl. Rossberg (1886: 722). Die Zahlen lauten z.B. für Lukrez 3%, für Vergil 10% und für Lukan 20%; vgl. Meyer (1884: 1076-8) mit einer Übersicht von Ennius bis Waltharius. Z.B. 35% für Romul. 2; 32,5% für Romul. 8; 23,9% für laud. dei; 21,25% für Orest. (Laura 1996: 592), Laura (1996: 584-7). Ähnlich ist die Zahl wiederum für die gesamten Romulea, nämlich 37,72% für das zweisilbige Versende und 61,81 % für das dreisilbige (Giarratano 1906: 31).

3.5. Intertextualität

43

3.5. INTERTEXfUALlTÄT 3.5.1. Dracontius' Griechischkenntnisse Es gibt keine sicheren AnhaltspUI1kte dafür, dass Dracontius Griechisch konnte, denn keine seiner Dichtungen setzt die Benutzung griechischer Quellen voraus 100 • Es steht indessen ausser Frage, dass es in Karthago um 500 n. Chr. Leute gab, die Griechisch sprachen, insbesondere Händler aus dem Osten des römischen Reiches, die sich dort angesiedelt hatten 101 . Auch zirkulierte in Karthago bei der Rückeroberung im Jahre 533 n. Chr. ein Kinderlied, das dieses Ereignis mit Hilfe der ersten Buchstaben des griechischen Alphabets deutete 102 • Dies lässt auf verbreitete Griechischkenntnisse mindestens in bestimmten Bevölkerungskreisen schliessen, ist jedoch für die Sprachkompetenz der römischen Bevölkerung - und damit für Dracontius - nur bedingt aussagekräftig. Für deren Mittel- und Oberschicht gab es trotz der mutmasslichen Abschaffung des öffentlichen Griechischunterrichts (► E. 1.2.1.) die Möglichkeit, privat Griechisch zu lernen, wie die Beispiele von Fulgentius von Ruspe und Martianus Capella zeigen. Fulgentius genoss seiner Biographie zufolge privaten Griechischunterricht 103, ebenso wohl Martianus Capella, wenn man nicht lateinische Übersetzungen von entlegenen griechischen Texten wie den Dracula Chaldaica postulieren will104 • Ein weiterer Hinweis auf die Griechischkenntnisse der Literaten findet sich in der sogenannten Beauvais-Anthologie, die aufgrund von deutlichen Anklängen an den Codex Salmasianus wohl ebenfalls aus dem vandalischen Afrika stammt. Sie enthält ein Gedicht, das sich als Paraphrase eines Menander-Stückes ausgibt, Uild zwei weitere, die enge Parallelen zur griechischen Anthologia Palatina aufweisen 105 • Ferner mag die Aussage des Mythographen Fulgentius, er könne bei seinem Publikum nicht mit Griechischkenntnissen rechnen, nicht so sehr auf die fehlende Sprachkompetenz seines Publikums als auf seine eigenen Sprachkenntnisse hindeuten 106 • Aus den zeitgenössischen Zeugnissen des vandalischen Afrika lassen 100

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In Frage kommen hier ohnehin nur die mythologischen Dichtungen. Für Romul. 2 hat Weber (1995: 221) die Quellen mit diesem Befund untersucht. Romul. 8 hängt von Dares ab (vgl. Barwinski 1888: 7-9). Für Romul. 9 sind nachhomerische Versionen wie Diktys oder die llias Latina wichtiger als Horn. Il. 24; vgl. Scaffai (1995: 303-8); Brugnoli (2001: 78-81). Am meisten umstritten ist die Frage in Bezug auf Orest.: Dort gehen Rapisarda (1951: Vif.) und Bright (1987: 15; 138) von eine Umarbeitung der aischyleischen Trilogie aus. während Quartiroli (1947: 27) als direktes Vorbild Sen. Ag. für wahrscheinlicher hält und Scheiter (1985) eine Anzahl von lateinischen Quellen für die einzelnen Teile des Mythos aufzeigt. Immerhin ist interessant, dass Elektra Orest nicht nur in Athen versteckt, sondern ihn dort studieren lässt (Drac. Orest. 286-92); vgl. Zurli (2001: 299 mit Anm. 1). Vgl. Prok. BV 1,20,4-6. Kinderlied: Prok. BV 1,21,14-6. Die im Lib. geneal. chron. I p. 195,618 überlieferte Gleichsetzung von Geiserich mit dem Antichrist, für die die Buchstaben seines griechisch geschriebenen Namens (rENl:HPIKO:E) als Zahlzeichen zu 666, der Zahl für das Tier des Antichrists (vgl. Apk 13.18), addiert werden, ist weniger aussagekräftig. da sie aus besonders gebildeten Kreisen stammen könnte. Vita Fulg. Rusp. 1 p. 11-3 (quem religiosa mater, moriente celeriter patre, Graecis litteris imbuendum primitus dedit; ... litterarum proinde Graecarum percepta scientia, Latinis litteris, quas magistri ludi docere consuerant, in domo edoctus). Shanzer (1986: 4). Die erwähnten Gedichte sind Anth. 708, 709 (vgl. Anth. Pa!. 9.387 bzw. 7.542) und 712. Zur Beauvais-Anthologie siehe Clover (1997). Fulg. serm. ant. 16 (ne quid te Grecum turbet exemplum, ego pro hoc tibi Latinumferam).

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Einleitung

sich folglich ebensowenig aussagekräftige Schlüsse für oder gegen Dracontius' Griechischkenntnisse ziehen wie aus der Quellenfrage. Desgleichen sagen seine Verstösse gegen die griechische Prosodie bei Eigennamen nichts aus, denn parallele Regelwidrigkeiten bei lateinischen Wörtern fehlen nicht (► E. 3.4.1.) 107 • Die Frage, ob Dracontius Griechisch konnte oder nicht, muss also offen bleiben. Für das Selbstverständnis des Dichters ist immerhin bemerkenswert, dass er sich in Romul. 8,12 und 16 in die epische Dichtungstradition einreiht, als deren Hauptvertreter er Homer und Vergil nennt 10'. In Bezug auf Romul. 10 ist die Frage nach Dracontius' Griechischkenntnissen einerseits für die Untersuchung der Quellen, insbesondere Apollonios von Rhodos und Dionysios Skytobrachion (► E. 3.6.1), und andererseits für sein Verhältnis zu Nonnos relevant, zu dem sich einige wenige, dafür umso auffälligere sprachliche Parallelen finden. Nonnos und Dracontius lebten und schrieben vermutlich zu etwa der gleichen Zeit 109, Nonnos in Ägypten, Dracontius in Karthago. Ein Einfluss könnte demnach in die eine oder andere Richtung verlaufen sein. Ein spezifisches Wort in Romul. 10 lässt es jedoch als wahrscheinlicher erscheinen, dass, wenn überhaupt eine Abhängigkeit besteht, Dracontius Nonnos als Quelle benutzte, und nicht umgekehrt""- Ausser der genannten Stelle könnte in Romul. 10 nur das auf Cupido bezogene Adjektiv Pyrois, das mit diesem attributiven Bezug sonst nur bei Nonnos belegt ist 11 1, auf eine Abhängigkeit hindeuten. Zudem findet sich auch in Romul. 2 eine Rede von Cupido, die einer Rede von Eros bei Nonnos besonders im Aufbau entspricht 112 • Dennoch wären weitere Parallelen für den Nachweis der Abhängigkeit vonnöten.

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Wer wie Clerici (1973: 125f.) glaubt, syntaktische Erscheinungen wie den Gebrauch des lnf. pf_ statt Inf. Präs. oder kausatives facere mit Inf. als Gräzismen erklären und daraus Dracontius' Griechischkenntnisse ableiten zu können, schenkt den Eigenheiten der (spät)lateinischen (Dichter)sprache zu wenig Beachtung. Die Berufung auf Homer ist allerdings in der spätlateinischen Dichtung öfter nachweisbar: z.B. CIL 6.1710,14-7 (Statue für Claudian: EIN ENI BIPrIAIOIO NOON / KAI MOYI:AN OMHPOY ! KAAY11IANON P.QMH KAI / BAI:!AHI: E0EI:AN); Anth. 713 (aus der Beauvais-Anthologie: Alcimi de Vergilio et Homero); Coripp. loh. praef. 11-3 (Smyrnaeus vates fortem descripsit Achillem, / ... / meque Johannis opus docuit ... ); Ps. Iuvenc. praef. pr. 9f. (hos celsi cantus, Smyrnae de fonte fluentes, / illos Minciadae celebrat dulcedo Maronis); vgl. auch Fulg. myth. 1 praef. 12f. M. (quod cecinit pastorali / Maro silva Mantuae, / quod Meonius ranarum / cachinnavit proelio, / Pharrasia candicanti / dente lyra concrepet; / ad meum vetusta carmen / saecla nuper conjluant). Zu Drac. Romul. 8,11-6 vgl. Grillo (1988: 120-7). Die Datierung von Nonnos ist höchst umstritten; er ist wohl zwischen der Mitte des 5. Jh.s n. Chr. und der Mitte des 6. Jh.s n. Chr. anzusetzen; vgl. dazu ausführlich Abel-Wilmanns (1977: 18-28). Es handelt sich um Bybliades in Romul. 10,283. Dracontius scheint das Wort von Repos. 90 oder Nonn. Dion. 3,108 und 29,344 übernommen zu haben. Selbst wenn er es aber von Reposian übernahm, ist ausgeschlossen, dass Nonnos sich bei Dracontius inspirieren Iiess; ► 283.

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Drac. Romul. 10,127 und Nonn. Dion. 1,402; 48,264; 613. Ähnlichkeiten finden sich auch in der Liebkosungsszene zwischen Venus und Cupido (► 122-6). Drac. Romul. 2,15-44 und Nonn. Dion. 33,118-39; vgl. Weber (1995: 162).

3.5. Intertextualität

45

3.5.2. Dracontius' Kenntnisse der lateinischen Dichtung Aufgrund von sprachlichen Parallelen in Romul. l0 kann man erkennen, dass Dracontius mit den Dichtungen von Vergil, Ovid, Lukan, Statius, Valerius Flaccus, Juvenal und Claudian vertraut war und in seiner Dichtung von deren Versmaterial Gebrauch machte'"· Mit derselben Methode lässt sich die Kenntnis weiterer Dichter, z.B. von Catull, Horaz, Properz und Manilius, als wahrscheinlich erweisen; die möglichen Zitate der genannten Dichter sind allerdings auch bei anderen Dichtern belegt oder sehr kurz und somit nicht eindeutig zuweisbar 114 • Dass Dracontius noch andere Dichter, z.B. Seneca, gelesen hatte, ist durchaus anzunehmen, lässt sich jedoch aufgrund der sprachlichen Parallelen in Romul. l0 nicht nachweisen 115 • Wenig Spuren haben in Romul. 10 ferner, anders als z.B. in De laudibus dei, die christlichen lateinischen Dichter hinterlassen"•; dies liegt hauptsächlich an den unterschiedlichen Themen, denn da viele nicht spezifisch christliche, aber in der christlichen Dichtung übliche Wendungen bereits in der früheren Dichtung bezeugt sindrn, ist der thematische Bezug zur klaren Identifizierung einer christlichen Quelle nötig.

3.5.3. Dracontius' Umgang mit den Vorgängertexten Für das Verständnis vieler hellenistischer und lateinischer Dichter sind Kenntnisse der dem jeweiligen Dichter vorausgegangenen griechischen und lateinischen Literatur nicht nur von Vorteil, sondern sogar notwendig, wenn die Pointen erfasst werden sollen. Zwei Beispiele genügen, um dies zu illustrieren: Wenn Jason bei Apollonios Rhodios, bevor er Aietes' Palast aufsucht, zu den Argonauten redet wie Odysseus zu seinen Gefährten vor dem Besuch bei Polyphem, erschliesst sich die Assoziation von Aietes mit Polyphem und deren Ironie nur dem, der den homerischen Hintergrund der Rede kennt 11 •. Ebenso nötig ist eine literarische Vorkenntnis bei der Totenbeschwörungsszene in Statius' Thebais. Wenn Teiresias dort sagt "et nobis saevire facultas" 'auch wir können wüten', ist diese Aussage nur verständlich, wenn

113

► 37; ► 178f.; ► 207; ► 209; ► 343f.; ► 425f.; ► 446; ► 448f.; zu Ov. ► 36f.; ► 38f.; 58f.; ► 126; ► 222f.; ► 340; ► 367f.; ► 56lf.; ► 562; zu Lucan. ► l; ► 172f.; ► 177f.; ► 244; ► 272f.; ► 367f.; ► 382-469; ► 576; zu Stat., der in laud. dei 3,262 explizit als Quelle genannt wird, ► 32f.; ► 165f.; ► 272f.; ► 343f.; ► 366; ► 379f.; ► 436f.; ► 441; ► 490; ► 500; zu Val. Fl. ► 157f.; ► 550f.; ► 580f.; Barwinski (1887: lO0f.) und Weber (1995: 217); zu Iuv. ► 300f.; ► 444f.; ► 527f.; zu Claud. ► 57; ► 115; ► 174f.; ► 275; ► 296; ► 370; ► 410; ► 482; ► 495; ► 504; ► 560f.; ► 569. Parallelstellensammlungen finden sich bei Rossberg (1880), Barwinski (1887: 12-8; 81-104) und im Similienapparat von Vollmer (ed. 1905). Zu Lucr. z.B. ► 130; ► 216f.; ► 382; ► 498f.; zu Catull. ► 38; ► 80 und Barwinksi (1887: 95f.); zu Hor. ► 249f.; zu Prop. ► 275; ► 279 und Shackleton Bailey (1952: 326f.); zu Manil. ► 92f.;

Zu Verg. ►48f.; ►

114

► 118; ► 483. 115

116

117

118

Billerbeck (1999: 204f. und 283) hält einen direkten Einfluss von Sen. Herc. f 35f. und 215b-22 auf Drac. Romul. 4,12-15 bzw. 20-25 für erwiesen. In Romul. 10: z.B. Laktanz' Gedicht über den Phoenix (► 112) und evtl. Paul. No!. ( ► 109). In laud. dei: Prud., Paul. No!., Sedul. und Mar. Victor.; vgl. Moussy(-Camus) (1985: 64-6). In Romul. 10 z.B. 100 (per cuncta); 211 (vita superstes); 241 (corda fatigat). Apoll. Rhod. 3,176-81 und Horn. Od. 9,172-6; vgl. Hunter (1989: 117). Für ein weiteres Beispiel aus der lateinischen Dichtung vgl. McKeown (1987: 41).

46

Einleitung

man weiss, dass er Züge von Lukans Erictho angenommen hat und auf deren Wüten anspielt' 19 • Demgegenüber ist die Kenntnis von Vorgängertexten für das Verständnis von Dracontius' Dichtung nicht erforderlich. Man mag feststellen, dass Medea mit einigen Zügen von Erictho ausgestattet ist, aber diese Erkenntnis bringt keinen weiterführenden Gewinn für das Verständnis der Titelheldin. Manchmal erschwert die Kenntnis eines Vorgängertextes sogar das Verständnis von Romul. 10. Zum Beispiel lehnt sich die Formulierung in 562, als Medea den Schlangenwagen besteigt, klar an Ovids Darstellung von Phaethon an; es wird jedoch betont, dass Medeas Wagen gravis (nicht wie bei Ovid levis) ist. Die Betonung des Gewichtes nimmt stärker wahr, wer Ovids Vers kennt. In 565 hingegen wird, wiederum in Anlehnung an Phaethons Flug, beschrieben, wie die Räder unkontrolliert durch die Luft schlittern. Dieses Detail ist bei Ovid eine direkte Folge des Umstandes, dass der Wagen sehr leicht ist (levis), da ihn Phaethon, nicht Sol lenkt. Das Schlittern der Räder bei Medeas Wagen widerspricht vor diesem Hintergrund indessen der eben erwähnten Betonung seines Gewichts (562: gravis). Ein solcher Widerspruch stört nur die, die hinter 562 Ovid gehört haben. Wer die Schilderung jedoch unvoreingenommen zur Kenntnis nimmt, kann die Verse gut miteinander vereinbaren. Wie dieses und weitere Beispiele zeigen, tragen sprachliche Anspielungen bei Dracontius wenig zur Interpretation einer Stelle bei 12°:Der Dichter verwendet die Vorgänger vielmehr als Fundgrube für sprachliche Wendungen und inhaltliche Ideen und setzt diese je nach Bedarf in einen neuen Zusammenhang 121 • Sein ungezwungener Umgang mit den Vorgängertexten bewirkt, dass sich Leserinnen und Leser nicht in Rückbezügen verlieren, sondern ihre Aufmerksamkeit auf das Endprodukt richten können. Der Dichter hat seinerseits mehr Freiheit, grössere Änderungen an der Mythentradition vorzunehmen. Dracontius' freie Behandlung der Vorgängertexte ist nun keineswegs auf seine geringe Bildung oder die Tatsache, dass er ein christlicher Dichter war, zurückzuführen. Gerade die sprachlichen Anlehnungen zeigen ja, dass er die frühere Dichtung sehr gut kannte, und die christliche Dichtung des 4. Jh.s n. Chr. beweist zur 119 120 121

Stat. Theb. 4,513 und Lucan. 6,726-49; vgl. dazu Korenjak (1996: 47). Weitere Beispiele in Romul. 10: ► 25; ► 44f.; ► 86f.; ► 207; ► 254; ► 254f.; ► 343f.; ► 366; ► 565. Die hier vertretene Auffassung weicht von jener anderer Dracontius-Forscher ab. Dies liegt hauptsächlich daran, dass diese oft nur beschreiben, welche Vorgängertexte hinter welchen Textpassagen stehen, ohne sich die Frage zu stellen, wie ein Hörer oder eine Leserin mit den Anspielungen einen weiteren Sinn des Textes erschliessen kann. Bezeichnend ist BouquetWolffs (1995: 57-67) Einschätzung von Dracontius' Sorgfalt bei der Auswahl der Vorbilder, aus der sich eine zweite Bedeutungsebene des Textes ergebe; wozu diese zweite Ebene jedoch dient, wird nicht diskutiert. Bereits Bouquets ( 1982) Studie über die Ovid-Imitationen bei Dracontius ging von einem alexandrinischen Dichtungsideal aus, wobei Bouquet bei Anspielungen, die auf keine vergleichbare Situation zurückgehen, zum Argument der unabsichtlichen Imitation greift. Unter Webers (1995: passim im Kommentar und insb. 224-7) detaillierten Diskussionen von Anspielungen findet sich nur eine einzige (1995: 200), die dem expliziten Wortlaut von Romul. 2 eine tiefere Deutung hinzufügt. Immerhin ist ihr (1995: 140) aber auch eine Stelle aufgefallen, an der die typische Rezeptionshaltung eines Parallelstellenjägers kontraproduktiv ist. Ähnlich ist Moussy (1989) in seiner Untersuchung über Dracontius' Statius-Imitation zum Schluss gekommen, dass sich viele Stellen nur in der sprachlichen Form, nicht jedoch im Inhalt gleichen. Dass bei Zitaten anderer Dichter der sprachliche Aspekt im Vordergrund steht, mögen auch Dracontius' häufige Selbstzitate zeigen: z.B. Romul. 10,246f. (Orest. 881); 416 (Orest. 744; satisf 311); vgl. Barwinski (1887: 18-33); Vollmer (1905: 443).

3.5. Intertextualität

47

Genüge, dass der christliche Glaube oft Anlass war, genau mit den traditionellen Mitteln der 'imitatio' die heidnische Tradition zu überbieten 122 • Hingegen kann man vermuten, dass Dracontius mit seiner Intertextualität auf das allgemein tiefere Bildungsniveau seines Publikums (► E. 2.2.) Rücksicht nahm. Insbesondere die Methode, nicht auf Zitate zu verzichten, aber deren Kenntnis andererseits nicht vorauszusetzen, machte seine Dichtung auch für Personen reizvoll, die gerade im Begriff waren, sich eine Bildung zu erwerben - d.h. z.B. für die Vandalen, die mit ihm im gleichen Schulraum sassen (► E. 2.2.) -, denn diese konnten sich über jede erkannte Anspielung freuen, ohne bei den verpassten Parallelen den Faden zu verlieren. Wie ein Mosaik aus dem zeitgenössischen Nordafrika zeigt, nahmen im Übrigen auch andere Künstler wenig Rücksicht auf die Mythentradition: Dort ist Achill mit der Chimäre, eigentlich Bellerophons Beutetier, dargestellt 12'. Aufschlussreich ist auch ein Blick auf Verhältnis von Dichter und Publikum am merowingischen Hof, wo sich Venantius Fortunatus' Panegyrik (6. Jh. n. Chr.) von anderer spätlateinischer Panegyrik und von Venantius' übriger Dichtung eben dadurch unterscheidet, dass sie der Intertextualität nur geringe Bedeutung zumisst, möglicherweise ebenfalls aus Rücksicht auf die Adressaten 12•.

3.5.4. Nachleben Im Gegensatz zu Dracontius' christlicher Dichtung war den Romulea kein grosses Echo unter den nachfolgenden Dichtern beschieden 125 • Die Dichtungen dienten später nahezu ausschliesslich als Steinbruch für Versbestandteile, besonders für Versenden. Aufgrund des beschränkten Materials sind Abhängigkeiten zudem schwierig nachzuweisen, denn ist ein Versende zusätzlich auch bei einem anderen Dichter belegt, so ist bereits fraglich, ob Dracontius oder der andere Dichter imitiert wird 126 • Im 6. Jh. lassen sich nur wenige sprachliche Parallelen zu den Romulea

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Vgl. Charlet (1988: 75-9). Dunbabin (1978: Taf. 19): wohl 6. Jh. Die Änderung muss keineswegs durch die mangelnde Bildung des Ktinstlers bedingt sein, wie Dunbabin (1978: 45 mit Anm. 38) meint, denn der Künstler hätte die richtige Zuweisung der Chimäre zu Bellerophon leicht Anth. 97 entnehmen können. Ennatfers (1994: 312) Spätdatierung des Mosaiks (7.18. Jh.) überzeugt nicht. Vgl. Schindler (2003). Zu einem weiterführenden Vergleich wäre ferner Alcimus Avitus heranzuziehen, der sich zwar mit seiner Nachahmung früherer Dichter an ein gebildetes Publikum richtet, diesem jedoch seine (christliche) Botschaft so vermittelt, dass auch jemand mit geringen Kenntnissen der früheren Dichtung sie verstehen kann; vgl. Arweiler (1999: 6). Zum Nachleben von laud. dei siehe Moussy(-Camus) (1985: 99-106), zu jenem von satisf Moussy (1988: 157-9). Nach Vollmer (1905: X Anm. 4) geht z.B. Coripp. loh. 1,155 auf Romul. 9,171 (Versende oscula plantis) zurück, doch (praktisch) identisch sind auch luv. 6,507 (oscula planta) und Ale. Avit. carm. 6,277 (oscula plantis) - Die zuletzt genannte Stelle könnte allerdings bereits eine Imitiation von Dracontius sein (vgl. Romano 1959: 88f.). Aus Vollmers (1905: X Anm. 4-8) Aufzählung sind weiter folgende Stellen aufgrund von Parallelen bei anderen Dichtern zu entfernen: Coripp. loh. 8,512; Arator act. 1,714; 756; 2,941; Anth. 742,79. Dasselbe gilt in Wolffs (1998: 384f.) Liste für Alcuin. carm. 1,64; 89,28,9,4; Theodulf. carm. 58,15; Poeta Saxo 2,298. Zu wenig offensichtlich scheint auch die Verbindung der Stürme in Arator act. 2,1071-86 und Drac. Romul. 8,385-97. Unsicher ist ferner die Bezugnahme in Alcuin. carm. 1,126; vgl. dazu Verdiere (1971: 390).

48

Einleitung

finden, die bei keinem früheren Dichter belegt sind: in Afrika bei Flavius Felix 127 und bei Coripp 12•, in Italien bei Maximinian 129 und Arator 130 und in Gallien bei Venantius Fortunatus 131 • Im 7. bis 9. Jh. n. Chr. sind die Spuren noch dürftiger. Kenntlich sind sie bei Aldhelm 132 , Alkuin 133 , Theodulf 134 , Ermoldus Nigellus 135 und Poeta Saxo 136• Daraus dass im Florilegium Veronense mehrere Romulea-Verse zitiert werden, darf man ferner nicht schliessen, dass diese Gedichte im Mittelalter verbreitet gelesen wurden: Die Zitate können ebenso gut aus einem anderen Florilegium stammen (► E. 3.1.2.). Auf einen geringen Bekanntheitsgrad im Mittelalter weist auch die geringe Anzahl der Handschriften hin.

3.6. DER MEDEA-MYTI-1OS137 VOR UND BEI DRACONTIUS 3.6.1. Die griechischen Versionen In Romul. 10 besteht zu keiner griechischen Version des Medea-Mythos eine so enge Parallele, dass man daraus auf Dracontius' Griechischkenntnisse schliessen könnte (►E. 3.5.1.). Auffällig sind dennoch die Parallelen zu Apollonios von Rhodos in der Gestaltung der Venus-Cupido-Szene (► 49-170) und zu Dionysios Skytobrachion in Medeas Charakterisierung als einer der lphigenie ähnlichen Priesterin, die der Göttin Diana die Ankömmlinge opfern muss ( ► 32-339). Während die Darstellung der Liebesgottheiten auch viele Parallelen zur lateinischen Epithalamiendichtung aufweist, ist die Angleichung von Medea an Iphigenie sonst nirgends belegt 138 • Da 127

Anth. 254,13 (Romul. 3,19: tu mihi numen eris); vgl. Vollmer (1905: X Anm. 3); Morelli (1915: 85-9). Zur Datierung ► E. 1.1. mit Anm. 20. 128 Coripp. Anast. 46 (Romul. 3,16: de vestro Jonte an der gleichen Versstelle); lust. 4,73 (Romul. 2,22: Versende aureus imber); vgl. Vollmer (1905: X Anm. 4). 129 Maxim. eleg. 2,65 (Romul. 8,236: Versende veneranda senectus); 5,149 (Romu/. 5,195: Versende animosque resum-); vgl. Vollmer (1905: X Anm. 5). 130 Arator act. l,527f. (Romu/. 2,46f.: cui subiacet ... I quod natura -at); 2,180 (Romu/. 10,► 601: religionis honor); vgl. Vollmer (1905: X Anm. 7). 131 Z.B. Ven. Fort. Mart. praef. II 13 (Romul. 8,388: per nubila nau- -currit); vgl. Vollmer (1905: X Anm. 6); Clerici (1973: 143-50). 132 Aldh. ad Acirc. 36,2 (Romu/. 7,154: volitans super a-a pinnis); vgl. Vollmer (1905: X Anm. 9). 133 Alcuin. carm. 3,14,3 (Romu/. 8,291: succensus in ira); vgl. Wolff (1998: 384f.). 134 Theodulf. carm. 2,87 (Romul. 8,342: relevare iacentes); vgl. Wolff (1998: 384f.). 135 Ermold. Pipp. 1,145; 195 (Romul. 8,179: in urbe sacerdos); Ludow. 4,147 (dudum Nortmannica regna peragrans) (Romul. 8,228: dum Dorica regna peragras); vgl. Wolff (1998: 384f.). 136 Poeta Saxo 1,159; 2,237 (Orest. 666: accelera- iter); vgl. Wolff (1998: 384f.). 137 In neuerer Zeit sind mehrere Werke erschienen, die verschiedene Aspekte der griechischen und lateinischen Medea-Versionen und ihrer Rezeption behandeln, z.B. Moreau (1994); Clauss-Johnston (1997); Lütkehaus (2002); mit Einbeziehung der bildenden Kunst GentiliPerusino (2000); mit Blick auch auf die Musik Kämmerer-Schuchard-Speck (1998); als auf die Rezeption ausgerichtete Anthologie Lütkehaus (2001); zur deutschen Rezeption im 20. Jh. Steskal (2001). 138 Anders sieht Sansone (2000: 168) Dracontius' Version als letztes Produkt einer Tradition, die seit Euripides die Geschichte der kolchischen Medea und jene der taurischen Iphigenie gegeneinander liest und miteinander verbindet. In seinem Aufsatz (2000) weist er insbesondere auf Parallelen zwischen Eur. lph. T. und Apoll. Rhod. hin.

3.6. Der Medea-Mythos vor und bei Dracontius

49

Dionysios Skytobrachion Dracontius wohl überhaupt nur in Diodors Nacherzählung hätte bekannt sein können (s.u.), Diodor von spätlateinischen Schriftstellern jedoch kaum zitiert wird 139 , ist wie bei Apollonios Rhodios eine Abhängigkeit unwahrscheinlich. Dennoch lohnt sich ein kurzer Durchgang durch die griechischen Versionen im Sinn einer kleinen Motivgeschichte. Die erste ausführliche Version findet sich in Pindars 4. Pythie (462 v. Chr.) 140 • Dort wird berichtet, wie die Argonauten nach Kolchis gelangen, wie Aphrodite Jason in Liebesmagie unterrichtet, damit er Medea gewinnen kann, wie Medea, von Jason gewonnen, ihm bei den von Aietes auferlegten Prüfungen hilft, wie er das Goldene Vlies stiehlt und mit Medea flieht. Zusätzlich tritt Medea zu Beginn der 4. Pythie als Prophetin auf. Parallelen zu Romul. 10 fehlen. In seiner Tragödie Medea (431 v. Chr.) behandelt sodann Euripides den korinthischen Teil des Mythos 141 • Medea erscheint dort einerseits als verlassene Ehefrau und zu verbannende Fremde, andererseits als Rächerin des an ihr verübten Unrechts, die mit List und Zauberkraft Jasons zweite Frau, deren Vater und ihre eigenen Kinder umbringt, um Jason zu bestrafen, und die auf einem Wagen, den sie von Helios erhält, durch die Lüfte nach Athen entflieht. Anlehnungen von Romul. 10 an Elemente, die für uns zuerst bei Euripides fassbar sind, bestehen z.B. beim Kindermord, bei der Lokalisation von Apsyrtos' Mord in Kolchis und bei der Flucht auf dem Schlangenwagen 142 • Für das Geschick der kolchischen Medea sind das 3. und 4. Buch von Apollonios Rhodios' Argonautica (3. Jh. v. Chr.) von besonderer Bedeutung. Sie behandeln die Ereignisse von der Ankunft der Argonauten in Kolchis bis zu ihrer Heimkehr, wobei Medea und ihre Gefühle während des Aufenthaltes der Argonauten in Kolchis im Mittelpunkt stehen. Der Zusage Medeas zur Hilfeleistung geht eine göttliche Handlungssequenz voraus, in der Hera und Athene Aphrodite bitten, ihren Sohn Eros zu beauftragen, Medeas Liebe zu Jason zu wecken, sowie mehrere Szenen, die Medeas innere Zerrissenheit zeigen. Nur durch Medeas Zusage und ihre Zauberei kann Jason die Prüfungen bestehen, die ihm Aietes auferlegt hat. Nach dem Raub des Goldenen Vlieses fliehen Medea und die Argonauten, wobei Jason mit Hilfe einer Falle Apsyrtos tötet, der die Verfolgung aufgenommen hat. Nur bei Apollonios

139

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Die Zitate finden sich (immerhin bei nordafrikanischen Schriftstellern!) bei Tert. nat. 2,12,26 (apud Graecos quoque Diodorum); apol. 10,7 (neque Diodorus Graecus aut Thallus); coron. 7,4 (lovem Diodorus ... honoratum); Min. Fe!. 21,4 (et Thallus ac Diodorus hoc loquuntur); dann bei Lact. inst. 1,13,8 (Graeci Diodorus et Thallus), ein Zitat, das allerdings auf Tert. apo/. 10,7 zurückgehen könnte, und bei Hier. chron. a Abr. 1969 (zu 49 v. Chr.: Diodorus Siculus Graecae scriptor historiae c/arus habetur). Vgl. Zecchini (1991: 348-50). Zum Mythos vor Pindar vgl. Braswell (1988: 6-23). Einen guten Einstieg in das Stück und die Forschung bietet jetzt Mastronardes (2002) Kommentar. Kindermord: ► 530-55 (auch bei Sen.; Hos. Geta); Apsyrtos' Mord in Kolchis: ► 364 (auch in Orph. Arg.); Flucht durch die Luft: ► 556-69 (auch bei Sen.; Hos. Geta). Weitere vergleichbare Stellen: Medeas Wahnsinn: ► 23 (auch bei Ov.; Sen.; Hos. Geta); Verurteilung der ersten Schifffahrt: ► 34f. (auch bei Enn.; Ov.; Sen.); Medeas zwei Kinder: ► 34lf. (auch bei Ov.; Sen.; Hyg.; Hos. Geta); die Brautkrone für Jasons zweite Frau: ► 484-93 (auch bei Sen.; Val. Fl.; Hyg.; Hos. Geta); Kreons Tod, als er seiner Tochter zu Hilfe eilt: ► 520f.; Einhalten vor dem Kindermord: ► 527f. (auch bei Sen.).

50

Einleitung

Rhodios ist das göttliche Arrangement von Medeas Liebe ähnlich ausgeführt wie in Romul. 10 143 • Ebenfalls im 3. Jh. v. Chr. schrieb Dionysios Skytobrachion seine Argonautica, jedoch in Prosa. Ihr Inhalt ist u.a. in Form einer Nacherzählung bei Diodor von Sizilien überliefert 144 • Hier wächst Medea als zauberkundige, aber menschenfreundliche Tochter von Aietes und Hekate, einer ehemaligen taurischen Königin, auf und wird von ihren Eltern gezwungen, als Artemispriesterin Fremde zu opfern. Sie flieht und trifft am Strand auf Jason und die Argonauten. Ihnen verspricht sie, beim Raub des Goldenen Vlieses zu helfen, wenn Jason sie dafür heirate. Eine auffällige Ähnlichkeit zu Romul. IO besteht in dem Menschenopfer fordernden Kult der Artemis/Diana (► 32339). Die letzte ausführliche griechische Version sind die Orphischen Argonautika (5. Jh. n. Chr. [?]). Sie stützen sich hauptsächlich auf Apollonios Rhodios' Epos und erzählen aus Orpheus' Sicht von der Fahrt der Argonauten, den Abenteuern unterwegs, von Medea, vom Raub des Goldenen Vlieses und von der Rückkehr. Wie bei Euripides findet hier Apsyrtos' Ermordung in Kolchis statt (► 364).

3.6.2. Die lateinischen Versionen

145

Die folgende Übersicht über die Parallelen zu Romul. 10 in den lateinischen Versionen setzt die Motivgeschichte von 3.6.1. fort und versteht sich nicht als Quellendiskussion. In ihr fällt die geringe Anzahl der Entsprechungen auf. Sie ist hauptsächlich dadurch bedingt, dass viele Grundelemente des Mythos bereits in den griechischen Versionen belegt und folglich dort aufgeführt sind, aber auch Dracontius' freier Umgang mit der Intertextualität (► E. 3.5.3.) trägt dazu bei. So stammt z.B. keine der sprachlichen Anlehnungen an Ovid (► E. 3.5.2.) aus dessen (erhaltenen) Versionen des Medeamythos' 46 • Nur fragmentarisch erhalten sind die Medea-Tragödien von Ennius, Accius, Pacuvius und Ovid, nur als Titel überliefert jene von Lukan 147 • Eine Parallele zu Romul. 10 lässt sich bei Accius im Staunen eines einfachen Mannes über die Argo finden (► 36-41). Ebenfalls nur in Fragmenten überliefert ist Varro Atacinus' Epos

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►49-170

(Juno und Venus verhandeln auch bei Val. Fl.). Besonders enge Parallelen: Venus' kurze Antwort: ► 82-4; Cupidos möglicher Aufenthaltsort: ► 84f.; Cupidos Wirkung auf die Umgebung: ► l llf.; Liebkosungen zwischen Venus und Cupido: ► 122-6; Venus' Auftrag an Cupido: ► 127-44; Cupidos Lachen: ► 145 (auch sonst); Vergleich Diana-Medea und Endymion-Jason: ► 146f. (auch bei Val. Fl.); Cupidos Reise nach Kolchis: ► 156-70. Weitere Stellen: Medeas Liebe: ► 23 (auch bei Ov.; Val. FI.); Jasons Schönheit: ► 56 (auch bei Ov.; Val. Fl.; Hos. Geta); Jasons frühere Hilfe gegenliber Juno: ► 57 (auch bei Val. Fl.; Hyg.); Cupidos Pfeilschüsse: ► 220; Medeas Sichverlieben: ► 222f. (auch bei Val. Fl.). Diod. 4,45,1-3; 46; 48. Zu anderen Zeugnissen siehe Rusten (1982: 93-101). Einen Überblick mit besonderem Gewicht auf Ovid bietet Schubert (1998); vgl. auch Hinds (1993). Vgl. Bouquet (1982: 183). Enn. scaen. 246-88; Ace. trag. 391-423; Pacuv. trag. 218-43; Ov. Med. frg. 1-2; Vita Lucani p. 336,18. Zu den dramatischen Versionen vgl. Arcellaschi (1990). In Tac. dial. 3,4 wird ausserdem eine Medea von Curiatius Matemus, einem nur in diesem Werk genannten Autor, erwähnt.

3.6. Der Medea-Mythos vor und bei Dracontius

51

Argonautae (l. Jh. v. Chr.), das sich eng an Apollonios Rhodios' Werk anlehnt' 48 ; Parallelen zu Romul. 10 fehlen. Die ersten beiden ausführlichen lateinischen Versionen finden sich bei Ovid (um die Zeitenwende) in epist. 12 (Medea an Jason) und in met. 7,1-424. Der 12. Brief der Heroides zeigt, wie Medea in Korinth versucht, Jason von seiner zweiten Hochzeit abzubringen, indem sie ihn an ihre Verdienste um ihn und an seine Eheverpflichtungen erinnert. Noch während sie den Brief schreibt, zieht die Hochzeitsprozession vorbei. Daraufhin lässt sich Medea vom Zorn mitreissen und scbliesst den Brief mit einer Anspielung auf den Kindermord' 49 . Im 7. Buch der Metamo1phosen erzählt Ovid, wie Medea sich in Jason verliebt und ibm hilft, Aietes' Prtifungen zu bestehen; danach fasst er kurz die Ereignisse in Korinth zusammen und berichtet wieder ausführlicher von Aisons Verjüngung und Pelias' Ermordung''°. Die Parallelen zu Romul. 10 betreffen vor allem die Erzähltechnik - z.B. Medeas zentrale Stellung innerhalb der Erzählung -, daneben aber auch einzelne Motive wie Lunas Zustimmung zur Hilfeleistungrn. Den gleichen Ausschnitt wie Euripides legt Seneca seiner Medea (Mitte des l. Jh.s n. Chr.) zugrunde 152. Erstmals bei Seneca und später in Romul. 10 zu finden sind die Verknüpfung von Liebe und Wahnsinn, die ausgebaute Rolle der Amme, Medeas Bitte an die Unterwelt, ihr beim Mord zu helfen, die Verzauberung der'mit Edelsteinen geschmückten Brautkrone, die Darstellung des verheerenden Feuers, der Kindermord vor Zuschauern und das Entschwinden auf dem Schlangenwagen mit unbestimmtem Ziel' 53 • Dazu finden sich Motive aus dem Prolog der senecanischen Tragödie an verschiedenen Stellen in Romul. 10, z.B. in Dianas Fluch, in Medeas Gebet an Diana und bei ihrer Anrufung der Furien 154• Vaierius Fiaccus' (Ende des 1. Jh.s n. Chr.) Argonautica lehnen sich inhaltlich und formal an Apollonios Rhodios' Epos an. Anders als dort muss Jason Aietes als Teil der Bewährungsprobe im Krieg gegen dessen Bruder helfen. Medea ihrerseits ist stärker als mächtige Zauberin und durch ihren Dienst im Hekatekult charakterisiert denn als naives Mädchen wie bei Apollonios Rhodios' 55 • Diese Entwicklung ist in Dracontius' Medea-Figur weitergeführt: Ihre Zaubermächte sind hier zur Allmächtigkeit geworden (► 4f.; ► 12f.), die nebenher ausgeübte Aufgabe im Hekatekult zur Berufung zum Priesterdienst bei der dreigestaltigen Göttin. Aus Letzterem erklärt sich die Parallele zwischen Dianas Fluch in Romul. 10 und Hekates Klage über den Verlust ihrer Priesterin bei Valerius Flaccus (► 290-300). Neu ist sonst nur die Fernbetäubung des Drachens (► 361f.). '4 8 149

Varro At. carm. 1-10. Einführungen und ausführliche Kommentare bieten Bessone (1997) und Heinze (1997). Einführend zu dieser Version siehe Newlands (1997); Binroth-Bank (1994). 151 Erzähltechnik: ► E. 3.7.1; ► 340-65; ► 364. Lunas Zustimmung: ► 430-33 (auch bei Sen.); sonst: der Brand des Palastes: ► 521 (auch bei Sen,; Hos. Geta). Ansonsten handelt es sich um einzelne Begriffe: z.B. ► 30f.; ► 198; ► 428f. 152 Alle wichtigen Themen dazu schneidet Hine (2000) an, Vgl. auch Maurach (1966). 153 Liebe und Wahnsinn: ► 23 (auch bei Val. FI.; Hos. Geta); Amme: ► E. 3.7.3.; Gebet an die Unterwelt: ► 382-469 (auch bei Hos. Geta); Zauberszene inkl. Schlangen: ► 484-93; ► 489; Feuer: ► 518; Kindermord: ► 547-55; Flucht: ► 556-69. ,,. Dianas Fluch (► 290-300); Medeas Gebet (► 396-430); Furienanruf (► 433-60). 155 Ankündigungen der mächtigen Zauberin: Val. FI. 1,61-3; 224-6; 4,13f. Erster Auftritt bei der Kultausübung: 5,329-49. Vgl. Tschiedel (1991). Zu anderen Aspekten von Valerius Flaccus' Medea siehe Auhagen (2004); Ferenczi (1998); Bessone (1998); Grewe (1998). 150

52

Einleitung

Aus Hygin (l./2. Jh. n. Chr. [?]), der Medeas Geschichte in drei aufeinanderfolgenden Fabulae (25-7) behandelt, stammen insbesondere die Namen der Königstochter Glauke und der Kinder Mermeros und Pheretes 156; sie sind in keiner anderen lateinischen Version belegt. Ebenfalls nur bei Hygin erhalten hat sich die Version, dass Jason durch das Feuer im Palast umkommt (► 519). Die letzte ausführliche Fassung des Mythos vor Dracontius liegt uns in Hosidius Getas (um 200 n. Chr. [?]) Medea, einem Vergil-Cento, vor. Die dramatische Fassung weist enge Parallelen zu Senecas Medea auf, insbesondere, was Medeas Raserei- und Zauberei betrifft. Als einzige zuvor nicht bezeugte Entsprechung zu Romul. 10 ist die Panik unter den Hochzeitsgästen beim Ausbruch des Brandes zu nennen (► 522) 157 • 3.6.3. Die nichtliterarischen Versionen Aus dem Überblick über die früheren griechischen und lateinischen Mythenversionen sind Ähnlichkeiten mit Romul. 10 hervorgetreten, meist ohne dass eine spezifische Quelle identifiziert werden konnte. Dies mag daran liegen, dass sich Dracontius mehr von zeitgenössischen Pantomimen-Aufführungen und tragischen Rezitationen als von den früheren literarischen Versionen beeinflussen liess. Jedenfalls gibt er im Prooemium (► 16-25) an, dass die kolchische Hälfte des Mythos aus dem Pantomimus wohlbekannt ist, während tragische Rezitationen für die Verbreitung der zweiten Hälfte sorgen. Dass solche Aufführungen, kaum jedoch Aquamimen 15&, im vandalischen Karthago stattfanden, ist anzunehmen (► E. 1.2.2.). 3.6.4. Dracontius' Neuerungen

159

Obwohl Medeas Geschichte von Jasons Ankunft in Kolchis bis zur ihrem Entschwinden auf dem Drachenwagen in Romul. 10 in vielen Punkten mit den früheren Versionen übereinstimmt, hat Dracontius im Grossen wie im Kleinen Neuerungen vorgenommen. Diese betreffen einerseits Medeas Charakterisierung und andererseits einzelne Elemente des Mythos 160 • 156 157

158

159

160

Glauke: ► 369; Kinder: ► 53lf. Unklar ist, ob Medea wie bei Dracontius auch bei Hos. Geta die Brautgeschenke selbst überbringt (► 510-6). Zu erwähnen ist ferner auf der sprachlichen Ebene ► 14. D'Ippolito (1962: 3-5) sieht seine Hypothese, Dracontius sei durch Aquamimen beeinflusst gewesen, durch Polyhymnias Erwähnung im Prooemium (16-9) bestätigt, ohne jedoch einen Beleg für die Verbindung von Polyhymnia mit dem Aquamimus zu nennen. Durch die Hypothese vermag er ferner einige Neuerungen in Romul. 10 zu erklären, z.B. Cupidos Aufenthalt im Meer (86-101). Abgesehen davon, dass externes Beweismaterial für die Existenz des Aquamimus, der in Rom unter Domitian eingeführten Theatergattung, im vandalischen Karthago fehlt, stört an der Hypothese besonders, dass der Dichter den Aquamimus ja neben Pantomimus und tragischer Rezitation im Prooernium hätte erwähnen können. Zu Vorsicht hat bereits Weber (1995: 22lf.) gemahnt. Leider konnte Simons' (2005) Studie tlber Dracontius' Verhältnis zum Mythos nicht mehr berücksichtigt werden, da sie beim Abschluss des Manuskripts noch nicht greifbar war. In seiner Diskussion von Dracontius' Neuerungen in dessen mythologischen Dichtungen hebt Bright (1987: 207-10) einerseits den sorgfältigen Aufbau und andererseits die Reduzierung der Personen auf Typen hervor. Beide Einschätzungen sind fragwilrdig: Um in Romul. 10 einen symmetrischen Aufbau nachzuweisen, behandelt Bright (1987: 82) beispielsweise die erste Handlung auf der Götterebene (49-176) als Exkurs und schliesst die entsprechenden

3.6. Der Medea-Mythos vor und bei Dracontius

53

Medea unterscheidet sich von den früheren kolchischen Medeen (Apoll. Rhod.; Ov. epist.; met.; Val. Fl.) vor allem darin, dass sie nicht als wohlerzogene, von Gewissensbissen geplagte Königstochter, sondern als grausame und emanzipierte Dianapriesterin auftritt. Im zweiten Teil beschäftigt sie sich anders als die früheren korinthischen Medeen (Eur. Med.; Ov. epist.; Sen. Med.; Hos. Geta Med.) nicht so sehr mit Jasons Treuebruch und dem Verhältnis zu ihren Kindern, sondern mit ihrem Vergehen gegenüber Diana und mit der diesbezüglichen Sühne(► E. 3.7.1.; ► E. 3.8.). Einzelne Neuerungen im übrigen Mythos ergeben sich sowohl aus dem Verzicht auf traditionelle Bausteine wie aus vorher nicht belegten Elementen. Verzichtet wird auf die Nennung von Pelias als Auftraggeber der Expedition (► 32-5), auf den Gegensatz zwischen Griechen- und Barbarentum (► 36f.), auf Pallas Athene als Mitinitiantin des Auftrages an Venus (► 49-170), auf Aietes' Prüfungen für Jason (► 340-65) und aufMedeas Verbannung durch Kreon (► 366-569). Neu sind Jasons Gefangennahme in Kolchis (► 41-9), Cupido als Dianas Gegenspieler (► 145-55), Medeas Heiratsantrag (► 247-55), Bacchus' Anwesenheit an Medeas und Jasons Hochzeit (► 272-283), Dianas Fluch (► 290-300), Bacchus' Umstimmung von Aietes (► 311-39), Medeas und Jasons vierjähriger Aufenthalt in Kolchis (► 340), Medeas und Jasons Flucht nach Theben (► 366-569), Glaukes Initiative bei ihrer Heirat mit Jason (► E. 3.7 .3.), Glaukes Herrscherdiadem (► 515f.), Medeas Kaltblütigkeit beim Kindermord (► 547-55), Medeas Gebet vor dem Kindennord (► 537-46) sowie die Einbindung des Mythos in Thebens Geschichte (► 574-86), die mit der Rezeption von Statius' Thebais einhergeht (► 366-569). Inwiefern all diese Elemente nur uns neu erscheinen, Dracontius' Zuhörern jedoch aus heute verlorenen Mythenversionen oder aus dem Pantomimus und tragischen Rezitationen bekannt waren (► E. 3.6.3.), wissen wir nicht. Auf jeden Fall ist die Version in Romul. 10 in sich stimmig und auf die im Epilog dargelegte Gesamtinterpretation (► E. 3.8.) ausgerichtet. Sogar wenn Dracontius die als Neuerungen erwähnten Elemente übernommen hat, richtete er sie auf seine Argumentation aus und schuf so eine neue Version 1• 1• Das folgende Schema bietet einen Überblick über die Handlung 162 :

1-31

Prooemium 1-16 Themenangabe I: Medea 16-25 Themenangabe II: Vorschau auf den Mythos 26-31 Musenanruf

32-339

1. Teil: Medea und Jason in Kolchis 32-49 Jasons Ankunft und Gefangennahme in Kolchis

161

162

Verse von der Zählung aus. Dass es sich ferner bei den handelnden Personen von Romul. 10 nicht (nur) um Typen handelt, zeigt ► E. 3.7. Unrichtig ist auf jeden Fall Diltheys (1876: 67) Einschätzung: "In Bezug auf vollständige Abwesenheit jeglichen dichterischen Gestaltungsvermögens und Rohheit der Auffassung überbietet Dracontius vielleicht Alles, was sonst lateinische und spätgriechische Dichter bis ins sechste Jahrhundert hinab geleistet haben. Aber gerade die klägliche Annuth dieses Geistes berechtigt zu der Zuversicht, dass er der Erzählung nicht eben viel vom Eigenen hinzugefügt habe". Vgl. auch Brights (1987: 82) Schema mit der in ► Anm. 160 empfohlenen Vorsicht.

54

Einleitung

49-170

Handlung auf der Götterebene: Junos Bitte an Venus, Cupido nach Kolchis zu schicken und Medeas Liebe zu Jason zu wecken, um ihn vor der Opferung zu bewahren; Venus' Übermittlung des Auftrags an Cupido; Cupidos Aufbruch 171-271 Medea und Jason im Dianatempel: verhinderte Opferung und heimliche Hochzeit 272-310 Reaktion auf der Götterebene: Bacchus' Einzug und Dianas Fluch 311-339 Reaktion in Kolchis: Aietes' Empörung, Bacchus' Eingreifen und die offizielle Hochzeit

340-365 Scharnier: Raub des Goldenen Vlieses und Flucht aus Kolchis 366-569 2. Teil: Medea und Jason in Theben 366-390 Die Vorbereitungen für Glaukes und Jasons Hochzeit 391-469 Medeas Gebet an Diana und die Beschwörung der Unterweltsmächte 470-483 Glaukes und Jasons Hochzeit 484-509 Medeas Vorbereitungen der Morde an Kreon, Glauke und Jason 510-529 Übergabe der Brautgaben; Feuer; Kreons, Glaukes und Jasons Tod 530-569 Medeas Kindermord und Abgang auf dem Schlangenwagen 570-601 Epilog 570-573 574-586 587-592 593-601

Bitte an die zerstörerischen Mächte um Schonung Abriss der Geschichte Thebens Bitte an die Schutzgottheiten um Schonung Begründung der Verbrechen mit der Verehrung der falschen Gottheiten

In Dracontius' übriger Dichtung wird Medea zweimal erwähnt. An beiden Stellen ist von ihrem Verbrechen die Rede. Während die eine Stelle gut mit Romul. 10 vereinbar ist, ja sogar ebenfalls auf eine dramatische Quelle hinweist, interpretiert die andere Medeas Mordtaten als gerechtfertigte Reaktion auf verratene Liebe 163 • Daran zeigt sich, dass Dracontius, wie die früheren Schriftsteller, den Mythos seiner jeweiligen Argumentation unterwirft' 64 : An der betreffenden Stelle setzt ihn nämlich Agamemnon ein, um Orest zu überzeugen, ihn an Klytaimestra zu rächen. Der übergeordneten Aussage von Romul. l O gelten die nächsten beiden Abschnitte zur Charakterisierung der Handlungspersonen (E. 3.7.) und zur Gesamtinterpretation (E. 3.8.).

163

164

Drac. laud. dei 2,456-8 (fabula certa foret Phrixei velleris aurum, / famam scaenaei verax arietis haberet / per populos certamque fidem sine crimine tanto); Orest. 429-31 (si fecit Medea nefas, jlammata dolore / dulcis amoris erat, cum regia tecta cremabat / incolumi viduata viro de paelice Glauce). Die erstgenannte Stelle ist in die Argumentation eingebettet, dass auch das Goldene Vlies auf natürliche Weise entstanden wäre, wenn die ersten Menschen wie die Vögel selbstgenügsam gelebt hätten. Eine weitere Anspielung findet sich möglicherweise in Drac. laud. dei 3,220f. (humana tabe madescens / Taurica per Colchos crudelis virginis ara); vgl. Moussy (1988: 76). Vgl. Bright (1987: 210f.).

3.7. Die Personen in Romul. 10

3.7. DIE PERSONEN

55

rn ROMUL. 10

3.7.1. Medea

Im Vordergrund von Medeas Charakterisierung steht ihre Beziehung zu Diana, deren Priesterin sie am Anfang ist und in deren Dienst sie später zurückkehren möchte. Es ist daher nicht erstaunlich, dass die häufigste Bezeichnung für Medea neben ihrem Namen sacerdos ist 165 , mehrfach am Versende in der Kombination Medea sacerdos 166• Ähnlich häufig wird sie als virgolvirago bezeichnet, was wiederum indirekt auf das Priesteramt hinweist 167 • Im zweiten Teil von Romul. 10 wird Medea vor allem als Mutter charakterisiert (mater, parens, genitrix) 168 • In einem gewissen Widerspruch zu diesen menschlichen Aspekten steht Medeas übermenschliche Natur. Sie kommt an prominenter Stelle im Prooemium (1-16) zum Tragen: Dort erscheint Medea nach dem Vorbild von Lukans Erictho als allmächtige, furienartige Zauberin. Das Thema wird schliesslich bei Medeas Himmelfahrt wirkungsvoll aufgenommen (564-9). Medeas übermenschliche Kräfte kommen aber auch zur Sprache, als Venus sie gegenüber Cupido als Götterquälerin charakterisiert (136-40), als Medea die Furien zwingt, ihr zu helfen (453-60) - wiederum mit Parallelen zu Lukans Erictho -, und als sie die Brautkrone verzaubert (484-93). Gleichzeitig unterliegt sie jedoch gänzlich Cupidos Pfeilen 169 und ist auf Dianas Vergebung (416), die Hilfe der Unterwelt (446-52) und Sols Eingreifen bei der Entzündung der Krone (505-8) angewiesen. Dieser scheinbare Widerspruch lässt sich durch das Prinzip der relativen Macht der Götter erklären (► E. 3. 7.4.): Wie bei den Göttern hängt Medeas Macht davon ab, wieviel man ihr zutraut, aber da sie im Gegensatz zu den Göttern nicht kultisch verehrt wird, ist sie direkt vom Erzähler abhängig (► E. 3.8.). Medea steht klar im Mittelpunkt von Romul. 10, und zwar stärker als bei Apollonios Rhodios, Euripides, Seneca, Valerius Flaccus und Hosidius Geta, am ehesten vergleichbar mit den Medeen in Ovids beiden Versionen. Diese Anlage hätte es dem Erzähler leicht gemacht, sie als durchwegs böse Frau darzustellen und die Schlusskatastrophe durch ihre Bosheit zu erklären 170, doch darauf hat er verzichtet

165

166 167

168 169

170

21 Belege für Medeas Namen (6; 136; 144; 150; 180; 184; 213; 219; 227; 289; 329; 339; 350; 357; 383; 389; 416; 462; 484; 494; 552), 14 für sacerdos (► 63) und 1 für antistita (228). 136· 184· 213 8 B~lege' für ;irgo und 3 für virago (► lf.). Nur selten angesprochen wird Medeas Rolle als unerfahrene junge Königstochter, die bei Apollonios Rhodios ausgeprägt und auch bei Valerius Flaccus erkennbar ist (► 76f.). 4 Belege für mater (22; 296; 532; 536), 3 Belege für parens (297; 535; 555), 1 Beleg für genitrix (537). Zu diesem Thema ► 530-55. Zu Medeas Reaktion auf Cupidos Pfeile vgl. 222-4; 228-30; 242f. Die Unterlegenheit gegenüber Cupido hatte schon Ovids Medea belclagt: vgl. Ov. epist. 12,165f. (quaeque feros pepuli doctis medicatibus ignes, / non valeo flammas effugere ipsa meas). In diese Richtung geht Gualandris (1999: 68 Anm. 108) Ansicht, Dracontius wende sich mit der negativen Darstellung von Medea auch gegen zeitgenössische Zauberinnen. Ohne Belege für die Prominenz solcher Zauberinnen - die von ihr herbeigezogenen Stellen bei Augustin sind nicht zeitgenössisch - bleibt eine solche Vermutung unüberprüfbar.

56

Einleitung

(► E. 3.8.). Er verurteilt sie nur für die Ausübung des Priesteramtes und für die Mordtaten, wobei auch Jason und Kreon nicht unbescholten bleiben 171 •

3.7.2. Jason Jasons Hauptmerkmal in Romul. 10 ist seine Passivität. Aus eigener Initiative handelt er nur einmal, als er vor Kolchis von seinem Schiff ins Meer springt und an Land schwimmt (41-4). In Todesangst betet er ferner zweimal zu Cupido (200-8; 217-9). Sonst fügt er sich dem Willen und den Aufforderungen anderer. Besonders deutlich ist dies, als Medea ihm den Heiratsantrag stellt und er ihr antwortet, dass er ihr auch als Sklave dienen würde, wenn er nur am Leben bliebe (254f.). Seine zweite Heirat verläuft ähnlich: Glauke verliebt sich in ihn, Kreon unterstützt ihre Wahl, und Jason stattet Dank ab (369-80). In der Beziehung zu Medea ist Jason klar unterlegen. Dem einzigen Wunsch, den er äussert, nämlich nach vier Jahren seiner Heimat einen Besuch abzustatten, stimmt Medea zwar zu, aber nach dem Raub des Vlieses und dem Mord an Apsyrtos bleibt nur noch die Flucht, und Jason wird seine Heimat nicht wiedersehen. Jasons Passivität wird sprachlich dadurch unterstrichen, dass auf ihn, obwohl er neben Medea die wichtigste Gestalt ist, in der Regel mit stereotypen Begriffen wie nauta oder maritus verwiesen wird 112. Sie ist bereits bei Apollonios Rhodios angelegt, wenngleich weniger ausgeprägt 173 • Umgekehrt ist seine Schönheit dort wichtiger als hier, wo sich Medea allein aufgrund von Cupidos Pfeilen in ihn verliebt (► 56).

3.7.3. Aietes, die Amme, Kreon und Glauke

Aietes zeichnet sich durch seine Distanz zum Geschehen aus. Zuerst (40) muss er über die Ankunft der Argo unterrichtet werden, später (311-3) über die Heirat seiner Tochter. Ein weiteres Merkmal ist seine Grausamkeit. Auf seinen Befehl hin soll Jason geopfert werden (178), und er hätte seine Tochter für ihre heimliche Hochzeit mit Jason mit dem Tod bestraft, wenn ihn Bacchus nicht daran gehindert hätte (318-21). In diesem Punkt gleicht er Medea, die ihre Kinder umbringen wird. Unter Bacchus' Einfluss wandelt er sich zu einem milden Vater, der Medea und Jason einlädt, im Palast offiziell Hochzeit zu feiern (334-6). Durch den zusätzlichen milden Charakterzug hebt sich Dracontius' Aietes stark von seinen Vorgängern bei Apollonios Rhodios und insbesondere Valerius Flaccus ab, die als wilde, eidbrüchige und grausame Herrscher auftreten 174 • 171

172

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Priesterdienst: impia (177); nocens (180); furens (181); cruenta (195). Mordtaten: nocens (527); necdum satiata (527);furibunda (537); noverca (547); saeva (536; 555). Zu Jason ► E. 3.7.2., zu Kreon ► E. 3.7.3. Zu nauta ► 18, zu maritus ► 252f. Andere mehrfach benutzte Bezeichnungen sind gener (335 von Aietes; 520 von Kreon); pirata (► 210); captivus (58; 60; 217; 251); sponsus (267; 339; 508); iuvenis (50; 56; 141; 248; 371); mehrfach belegte Attribute sind pulcher (► 56); ingratus (► 384); perjidus (► 294); dazu das Partizip iacens (► 18f.). Vgl. auch ► 212f. Z.B. Apoll. Rhod. 3,422-5; vgl. v. Fritz (1959: 67-70) und (1959: 53-7) zu den Ansätzen dazu bei Euripides. Vgl. z.B. Apoll. Rhod. 2,890; 3,367-81; 1105-7; Val. FI. 5,263-72; 532-4; 7,32-77 und bereits Horn. Od. 10,137.

3.7. Die Personen in Romul. 10

57

Die Amme steht in Romul. 10 im Dienst des kolchischen Dianakultes (195-261; 302-10). Dadurch dass sie der Göttin treu bleibt, sogar als Medea sich abwendet, stellt sie ein Gegenmodell zu Medeas Handlungsweise dar und hinterfragt diese implizit (► 303f.) 17 5. Damit hat sie eine grundsätzlich andere Rolle als die Amme in Senecas Medea 116 : Statt einer Vertrauten, die wiederholt die rasende Medea zu beruhigen sucht 177, ermahnt sie sie, dem von Juror gekennzeichneten Priesterdienst treu zu bleiben, und nimmt durch ihre eigene Treue zur Göttin eine Trennung von ihrer Herrin in Kauf. Kreons Rolle in Romul. 10 beschränkt sich im Wesentlichen darauf, Glaukes und Jasons Hochzeit zu organisieren. Das Arrangement begründet er damit, dass mehrere Gottheiten mitgewirkt haben, dass sich die Gelegenheit überhaupt ergab. Dennoch übernimmt er die moralische Verantwortung dafür (► 376). Ausser in 381, wo ihn der Erzähler klar verurteilt - möglicherweise weil er religiöse Autoritäten für die Hochzeit geltend macht, die Medeas und Jasons Familie zerstört -, wird Kreon mit wertfreien Ausdrücken charakterisiert, die sich entweder auf seinen Status, seine verwandtschaftlichen Beziehungen, sein Alter oder seinen Namen beziehen 178 • Seine Rolle ist gegenüber Euripides', Senecas und Hosidius Getas Versionen sehr eingeschränkt: Ein Streitgespräch mit Medea fehlt gänzlich. Bei der Charakterisierung von Glauke hebt Dracontius ihren Status als zu verheiratende Königstochter hervor' 79 • Mit Jasons zweiten Bräuten der früheren Mythenversionen verglichen hat sie hier eine sehr aktive Rolle, denn sie verliebt sich nicht nur in Jason, sondern kann auch ihren Heiratswunsch sogleich durchsetzen. Demgegenüber tritt sie weder bei Euripides noch bei Seneca oder Hosidius Geta je in Erscheinung und Euripides nennt nicht einmal ihren Namen'""· Dadurch dass sie in erster Linie als Tochter charakterisiert wird, scheint Glauke für ihr Begehren keine Verantwortung übernehmen zu müssen, obwohl sie weiss, dass Jason bereits verheiratet ist. Gegenüber Jason handelt sie ähnlich überlegen wie Medea. Ansonsten gleichen sich Jasons zwei Ehefrauen kaum, da Glauke als Tochter und Braut in ihre Familie eingebunden ist, während Medea als Priesterin, Ehefrau, Mutter, Zauberin und Mörderin ihr eigenes Leben führt 181 • 175 176

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So auch Weber (1995: 243f. Anm. 71). Sen. Med. 117-75; 380-430; 670-739; 891f. In den anderen Mythenversionen ist die Rolle der Amme sehr beschränkt: Bei Euripides erscheint sie nur am Anfang des Stückes (Bur. Med. 1-203), bei Apollonios Rhodios gar nicht, bei Valerius Flaccus wird sie nur einmal erwähnt (5,352-62) und bei Hosidius Geta tritt sie nur in wenigen Szenen auf (Hos. Geta Med. 148-80; 374-81). Sen. Med. 150-75; 380-430. Zur unterschiedlichen Rolle der Amme bei Seneca und Dracontius vgl. Beitran Noguer - Sanchez-Lafuente Andres (1998: 299-301). rex (367; 369; 386; 427; 506), rector (374; 520), tyrannus (380; 521) (dieselben Ausdrücke werden auch für Aietes verwendet: ►40f.), genitor (373; in Bezug auf Aietes in 314), locastae frater et heres (450), pater (553), senior (379), Creon (367; 422; 427; 476; 511; 521; 553). Ausnahmen: nocens und iniquus in 381. 369 (nata); 370 (virginitas); 376 (progenies); 378 (virgineo ... dote); 422 (virgo Creontis); 477 (virgo); 505 (virginis ora); 512 (sponsae ... puellae); 519 (cum virgine); 520 (natae). Die einzigen anderen Bezeichnungen für Glauke sind ihr Name (369: pulcherrima Glauce; 426: niveam ... Glaucen; 447; 494), paelex (23; 508) und pulchra noverca (► 552f.). Zum Gebrauch von virgo und puella in der lateinischen Literatur und in Romul. 10 ► 3. Zu den Namensvarianten Glauke und Kreusa ► 369. Ein expliziter Vergleich fehlt in Romul. 10; anders Ov. epist. 12,25 (hoc illic Medeajui, nova nupta quod hie est); 53f. (quam tibi tune lange regnum dotale Creusae / et socer et magni

58

Einleitung

3 .7 .4. Die Götter Die Götter haben einen beträchtlichen Einfluss auf den Ablauf von Romul. 10. Aus dem Epilog (570-601) wird klar, dass sie letztlich an den schrecklichen Ereignissen, d.h. an Medeas fünffachem Mord und an anderen Verbrechen in Thebens Geschichte, schuld sind (► E. 3.8.). Grundlage für das Funktionieren der Götterwelt (und dann auch für die Kritik daran) ist das Prinzip der relativen Macht, nach welchem die Götterwelt hier geordnet ist: Die Gottheiten haben keine absolute Macht, sondern vermögen gerade soviel, wie ihre Verehrer ihnen zutrauen. Wenn z.B. Medea Sol als Weltenherrscher preist (496-508), ermöglicht sie ihm dadurch, ihre Bitte, Glaukes Krone zu entzünden, zu erfüllen. Dieses Prinzip erklärt, wie mehrere Gottheiten (Sol, Cupido) und auch Medea an verschiedenen Stellen in Romul. 10 als mächtigste Gottheit gepriesen werden können 182, und es impliziert gleichzeitig eine christliche Kritik an der fehlenden Hierarchie 183 (► E. 3 .8.). Vor diesem Hintergund sind die Rollen der Gottheiten in Romul. 10 zu verstehen 184• Obwohl Diana(-Luna-Proserpina) nicht oft in Erscheinung tritt 185 , übt sie den grössten Einfluss auf die Handlung aus, denn Medeas Mordtaten an Kreon, Glauke, Jason und ihren Kindern stellen Opfergaben für die Versöhnung mit ihr dar (425-30). Diese Versöhnung ist nötig, weil Diana Medea aus Wut und Trauer über deren heiratsbedingte Absage an den Priesterdienst verfluchte (284-300). Ferner ist der Fluch so zweideutig formuliert, dass man ibm auch entnehmen kann, dass Diana Medea dazu verleiten wird, die Mordtaten auszuführen (► 299f.) • Zum negativem Bild von Diana trägt zudem ihre Assoziation mit der Unterwelt bei (► 539). Sol hat eine zwiespältige Rolle: In 496-518 leistet er Medeas Gebet Folge und entzündet die Brautkrone. Obwohl er in 4 der Befehlsgewalt seiner Enkelin untersteht, deutet bei der Entzündung der Krone nichts auf eine solche Abhängigkeit hin. Noch deutlicher wird seine Unabhängigkeit bei Medeas Himmelfahrt: Als sie sich dort anschickt, die Luft zu verschmutzen und das Tageslicht zu verdunkeln, tritt er als Retter der Welt auf und übertüncht die zerstörerischen Effekte von Medeas Fahrt mit seinem heilbringenden Licht (568f.). Sol ist also gleichzeitig Medeas Komplize und Gegenspieler; er trägt an der Katastrophe eine Mitschuld, beschützt die Welt jedoch auch vor ihr. Venus handelt in erster Linie als Empfängerin und Ausführende von Junos Auftrag, Medeas Liebe zu Jason zu wecken (81-144). Ihre eigenen Interessen kommen 186

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nata Creontis erat?) (vgl. dazu Heinze 1997: l l3f.). Implizit werden Medea und Glauke jedoch m ► 371f. und ► 547f. mit ► 552f. verglichen. Sol von Medea (497-504): Cupido von Venus (127-32); Medea vom Erzähler (l-13). Die fehlende Hierarchie ergibt sich nicht zwingend aus der Tatsache, dass Medea übermächtig ist. Lukan stand mit Erictho vor dem gleichen Problem und vereinbarte es mit einer klaren Hierarchievorstellung: Erictho kiimmert sich zwar nicht um die olympischen Götter (6,515; 523-8) und ist fähig, den Göttern der Unterwelt ihren Willen aufzuzwingen (6,744-9), sie ist Jedoch einem stoisch aufgefasstenfatum unterworfen (6,611-5); vgl. dazu Korenjak (1996: 165f.). Juno und Hymenaios sind von geringer Bedeutung; sie werden deshalb nur im Kommentar (► 49: Juno; ► 87f.: Hymenaios) behandelt. Rückkehr von der Jagd und Verfluchung von Medea und ihrer Ehe mit Jason (284-301); Einverständnis zu Medeas Opferangebot zur Versöhnung (431-3). Ohne auf diesen Punkt in Dianas Fluch einzugehen, stellt Klein (2001: 235f.) "Medeas Rache" als Resultat von Medeas negativer Beeinflussung durch die Götter dar, die Dracontius als Dämonen charakterisiere.

3.8. Die Gesamtinterpretation

59

dabei nicht zur Sprache. Selbst im Zusammensein mit ihrem Sohn ist sie auf die Vermittlung des Auftrages fixiert. Diese ist für den Ablauf der Geschichte wichtig, denn Juno hätte Cupido wohl allein nicht finden können. Aus dem Epilog zu schliessen trifft auch sie eine Mitschuld (587-92). Cupido ist Dianas Gegenspieler, indem er die Göttin ihrer Priesterin beraubt und sie sich selbst unterwirft 187• Mit seinen Pfeilschüssen auf Medea rettet er Jason vor dem Opfertod, denn sie verliebt sich auf der Stelle in ihn und sieht deshalb von seiner Opferung ab. Damit ist Cupido direkt für Medeas Absage an den Priesterdienst verantwortlich und an der Schlusskatastrophe indirekt beteiligt (587-92). Er wird als Knabe, der gern spielt und lacht, charakterisiert 188 • Auch den Auftrag in Kolchis erfüllt er mit Vergnügen: Mit dem Eingreifen wartet er bis zum letzten Augenblick und scheut sich nicht, Jason eine Moralpredigt zu halten 189 • Im Übrigen greift er nur in Kolchis in die Handlung der Menschen ein; Glauke verliebt sich ohne sein Zutun (371-3). Bacchus' Rolle verdeutlicht, dass auch Götter dem Dilemma gegenüberstehen können, dass keine der möglichen Handlungsweisen richtig ist. Als Stadtgottheit müsste Bacchus Theben schützen (587-92). Daraus ergibt sich, dass er Medea zur Treue gegenüber Diana ermuntern müsste. Seiner Natur entsprechend freut er sich jedoch über das Hochzeitsfest und will Cupidos Wirkung auf die Menschen verstärken (278-83). Später überredet er Aietes, seine Tochter nicht zu töten, wenn auch mit dem irreführenden Argument, dass sich dieser zu Unrecht um den vernachlässigten Dianakult sorge (320- 7). Auf Aietes' Versöhnung mit Medea und Jason folgen die offizielle Hochzeit und Dianas Fluch, der für Medeas Mordtaten eine wichtige Rolle spielt. Bacchus ist nicht nur ein schlechter Ratgeber, sondern auch nur bisweilen bereit, in die Handlung der Menschen einzugreifen: Warum z.B. verhindert er Aietes' Mord an seiner Tochter, nicht jedoch Medeas Kindermord? Mit Ausnahme von Sol haben die Götter einen durchwegs negativen Einfluss auf die Handlung in Romul. 10. Da ferner ihre Möglichkeit, Einfluss zu nehmen, nach dem Prinzip der relativen Macht nicht konstant ist, sind sie unzuverlässig und handeln zudem willkürlich zur Verteidigung ihrer eigenen Interessen.

3 .8. DIE GESAMIINTERPRETATION

In Romul. lO wird nicht nur Medeas Geschichte erzählt, sondern sie wird im Epilog (570-601) vom Erzähler auch interpretiert. Thm liegt vor allem daran, die Hintergründe für den fünffachen Mord darzulegen. Seine Interpretation erfolgt in drei Schritten: • Medeas Mordtaten sind der krönende Abschluss der von Gräueltaten geprägten Geschichte Thebens (574-86).

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Dieser Konkurrenzkampf äussert sich auf verschiedene Arten: z.B. werden beide als pharetratus/-a charakterisiert (61; 64); dann wählt Cupido für Medea den Pfeil, mit dem er Dianas Liebe zu Endymion bewirkte (146-9); später vergleicht er seine Pfeile mit jenen Dianas (150-55); schliesslich nimmt er ihren Tempel in Besitz (182f.; 262; 286f.). Spiel im Wasser: 86-110. Lachen: 145 (risit); 210 (ridens gavisus); 240 (surrisit). 209-24 (Predigt und 1. Pfeil); 240f. (2. Pfeil).

60

Einleitung



Venus, Cupido und Bacchus hätten als Stadtgottheiten Theben besser beschützen und die Katastrophen verhindern sollen (587-92). • Angesichts des Wesens der heidnischen Götter ist diese Forderung paradox, denn gerade ihre Verehrung führt zu Gräueltaten (593-601). Die Verbindung zwischen Medeas Verehrung von Diana und ihren Mordtaten geht bereits aus ihrem Gebet (425-30) hervor. Mit den Versöhnungsopfern will Medea ihre Absage vom Priesterdienst wiedergutmachen, die sich als logische Folge der Hochzeit mit Jason ergab. Am Arrangement der Hochzeit waren wiederum Venus, Cupido und Bacchus, die Stadtgottheiten von Theben, massgeblich beteiligt. Vor dem Hintergrund dieser Interpretation ist klar, warum der Erzähler niemandem die Schuld für die Ereignisse zuschreibt, jedoch alle Personen verurteilt, die ihre unmoralischen Handlungen mit religiösen Motiven begründen, z.B. Aietes, als er aus Rücksicht auf Diana seine Tochter töten will, oder Kreon, als dieser sich für die Heirat seiner Tochter mit Jason auf göttliche Autoritäten beruft 190 • Aus den Charakterisierungen der Götter geht deutlich hervor (► E. 3.7.4.), dass sie der Verehrung durch die Menschen nicht würdig sind. Dass Diana eine besonders wichtige Rolle im Ablauf von Romul. 10 spielt, mag mit dem negativen Bild zusammenhängen, das christliche Autoren von ihr vermittelten: In der Apologetik wird die (taurische) Artemis beispielsweise oft für ihren Menschenopfer-Kult verurteilt; ferner wird sie mit den Tierhetzen im Amphitheater assoziiert und dafür kritisiert 191 • Bei Prudenz erscheint die dreigestaltige Göttin als Höllendämon; entsprechend müssen die Menschen vor ihr gewarnt werden, zumal sie fähig ist, Unsterblichkeit zu verleihen 192 • Unsterblich wird Medea in Romul. 10 durch ihre Himmelfahrt (556-69): Steht vielleicht ihre Göttin auch hinter diesem Ereignis? Der Epilog von Romul. 10 ist Dracontius' deutlichste Kritik an den heidnischen Göttern innerhalb seiner nicht-christlichen Werke. Vergleichbar ist der Epilog von Orest. (963-74) 193 , aber dort handelt es sich nicht um eine grundsätzliche Absage an die Götter, sondern vielmehr um eine allgemeine Götterkritik, wie sie auch von verschiedenen nicht-christlichen Philosophen geäussert wurde 194 • In De laudibus dei

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Aietes: furentem (► 320f.); inanis / religio (► 322f.). Kreon: 374-8; nocens; iniquus (► 38lf.). Auch die Amme wird für ihre Frömmigkeit kritisiert: impia turpis anus (► 237f.). In die gleiche Richtung geht die enge Verbindung von Medeas Ptiesteramt mitfuror (► 23). Menschenopfer: z.B. Tert. scorp. 7 p. 160,2-4 (sed enim Scytharum Dianam ... hominum victima placari apud saeculum licuit); Min. Fe!. 30,4 (Tauris etiam Ponticis ... ritus fuit hospites immolare); Lact. inst. 1,21,2 (erat lex apud Tauros inhumanam et feram gentem, ut Dianae hospites immolarentur); Drac. Orest. 867-9 (fuerant ubi templa Dianae; / mos ibi saevus erat: miser advena victima ferri / ducitur). Tierheizen: z.B. Tert. spect. 12 p. 15,12f. (Martern et Dianam utriusque Ludi praesides novimus); Claud. l 7,292f. (non aspemata rogantem / amphitheatralifaveat Latonia pompae); 24,239f. (an Diana: tu quoque nobilibus spectacula nostra laboras / inlustrare feris); Cassiod. var. 5,42,2 (spectaculum ... in honore Scythicae Dianae repertum, quae sanguinis ejfusione gaudebat); vgl. Moussy (1988: 75f.). Prud. c. Symm. 1,356-78, bes. 369f. (Triviae sub nomine daemon I tartareus colitur); vgl. Gnilka (1996: 105-11). Unsterblichkeit: Prud. c. Symm. l,370f. (te modo raptat ad aethram / sidereoque deum venerandum suadet in astro). Vgl. Wolff (1996: 223 Anm. 272); Quartiroli (1947: 29). Z.B. Xenophanes 21 B llf.; 15 D.-K.; Plat. rep. 2,383; Sen. epist. 95,49 (errat si quis illos putat nocere nolle.- non possunt. nec accipere iniuriam queunt nec facere). Der Epikureer Lukrez verurteilt das Opfer der Iphigenie durch Agamemnon als abergläubischen Akt (Lucr. 1,84-101) - vgl. dazu Dracontius' Kritik am gleichen Menschenopfer in laud. dei 3,217-21

3.8. Die Gesamtinterpretation

61

bezeichnet Dracontius die heidnischen Götter als fiktional und den Glauben an sie als nutzlos bzw. schädlich; an einer Stelle gibt er ihn gar als Grund für von Frauen begangene Verbrechen an 195 • An einer anderen Stelle stellt er der blutrünstigen Diana den barmherzigen christlichen Gott gegenüber, was die Interpretation von Romul. 10 als Kritik an den heidnischen Göttern, und insbesondere an Diana, verdeutlicht 196 • In diesem Sinn kann weder dem Epilog von Romul. 10 noch dem ganzen Kurzepos eine christliche Kritik abgesprochen werden 197 • Allerdings gilt es, diese in Dracontius' historisches und kulturelles Umfeld einzuordnen. Aus seinen anderen mythologischen Dichtungen ohne götterkritischen Epilog' 98 ergibt sich, dass eine Götterkritik zur Rechtfertigung dafür, dass er als Christ über mythologische Themen dichtete, nicht erforderlich war. Tatsächlich waren die heidnischen Kulte ja bereits seit langem verboten, und die Katholikenverfolgungen unter Geiserich und Hunerich (► E. 1.1.) machen deutlich, dass die Frage des richtigen christlichen Glaubens den Kampf zwischen der christlichen und der heidnischen Religion in den Hintergrund gedrängt hatte 199 • Etwas klarer wird die Haltung des Erzählers von Romul. 10, wenn man ihn in die euhemeristische Tradition einbettet, die vor allem innerhalb der christlichen Apologetik Anklang gefunden hatte. Ihr zufolge ist die Entstehung der heidnischen Götter auf die Dichter zurückzuführen; Sie hatten nämlich gewisse Menschen nach deren Tod so gepriesen, dass diese unsterblich wurden 200 • Medea ist geradezu ein

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(zitiert in ► Anm. 196). Siehe auch Bouquet-Wolff (1995: 241f. Anm. 749); Fuhrmann (1990: 141-5). Drac. laud. dei 2,590-3 (Mars cadat ex animo, pereant Satumus et Arcas, / luppiter atque Venus, Titania luno Cupido I vel quicumque dei ficti sermone vetusto I credantur nil passe, simul nihil esse probentur); 3,524-30 (milia femineis numerantur ubique catervis I exempla scelerum; modicae vel laudis amore I aut certe fecere pie pro numine vano. I conjicti sennone dei quos fabula menda.x I extulit et miseros incassum adorare coegit, I unde nihil meriti, sed vitae damna tulerunt, I cum sit nemo deus nisi noster ubique tremendus). Drac. laud. dei 3,217-21 (Daniel: ille Dei famulus fuerat, non forte Dianae, / quae so/et insontum Juso gaudere cruore, / sanguinis humani nunquam satiata catervis / hospitibus caesis; humana tabe madescens / Taurica per Colchos crudelis virginis ara). Dieser Punkt ist in der Forschung bis heute umstritten. Vollmer (1905: 441), Provana (1912: 70), Quartiroli (1947: 25), Rapisarda (1951: VII-X) - in Bezug auf Orest. -, Chatillon (1952: 179), Romano (1959: 37f.), Bright (1987: 80), Klein (2001: 233-8) u.a. sehen in Dracontius' mythologischer Dichtung deutliche Kritik am Heidentum, während Schetter (1980: 219f.) und Bouquet-Wolff (1995: 45) auf Parallelen in der nicht-christlichen epischen bzw. philosophischen Tradition verweisen und deshalb zurückhaltend sind. Höchst fragwürdig ist Glasers (2001: 75) Interpretation von Romul. 10 als christliche Kritik an Leidenschaft und Sexualität. Drac. Romul. 2; 4; 8; 9. Bereits zu Augustins Zeit (in Folge von Cod. Theod. 16,10,12 im Jahre 392 n. Chr., als die heidnische Kultausübung als Verbrechen eingestuft wurde) sahen sich die Heiden gezwungen, ihre Kulte und Kultgegenstände zu verstecken; vgl. z. B. Aug. cons. evang. 1,27,42 (nunc certe quaerunt, ubi se abscondant, cum sacrificare volunt, vel ubi deos ipsos suos recludant, ne a Christianis inveniantur adque frangantur) und zu archäologischem Material Ennabli (1997: 50f.). Unklar ist, wie verbreitet heidnische Kulte im vandalischen Afrika waren. Nach Salv. gub. 8,9-11 (vgl. dazu Badewien 1980: 96-8) gab es etliche Christen in Nordafrika, die auch am Kult der Göttin Caelestis teilnahmen, doch da Salvians Schrift von Vorwürfen gegen die römischen Christen geprägt ist, ist der Wahrheitsgehalt dieser Nachricht zweifelhaft. Was die Auseinandersetzung zwischen Arianern und Katholiken betrifft, so hat sich auch Dracontius explizit gegen den arianischen Glauben ausgesprochen (laud. dei 2,100-6). Z.B. Tert. idol. 9,3 (stellam ... non Satumi et Martis et cuiusque ex eodem ordine mortuorum); Min. Fel. 21,1 (ob merita virtutis aut muneris deos habitos Euhemerus exsequitur); 23,1 (carminibus praecipue poetarum qui plurimum quantum veritati ipsi sua auctoritate

62

Einleitung

Paradebeispiel dafür, wie aus einer jungen Frau durch die Dichtung wenn nicht eine Göttin, so jedenfalls eine übermenschliche Zauberin wurde. Indem der Erzähler Medea in Romul. 10 jedoch direkt von sich abhängig macht, schränkt er ihre Macht ein. Durch den götterkritischen Epilog hinterfragt er zudem ihre Himmelfahrt und setzt ihrem literarischen Ruhm ein abruptes Ende.

nocuerunt); Lact. inst. 1,9,8; 11,1 (über Jupiter: quis est tam excors qui hunc regnare in caelo putet, qui ne in terra quidem debuit?); 11,23 (non ergo res ipsa gestas finxerunt poetae, ... sed rebus gestis addiderunt quendam colorem . ... omare cupientes); 11,31 (sie veritatem mendacio velaverunt, ut veritas ipsa persuasioni publicae nihil derogaret); Isid. orig. 8,11,2 (in quorum [d.h. der Götter] etiam laudibus accesserunt et poetae, et conpositis carminibus in caelum eos sustulerunt). Vgl. Seznec (1980: 17-20). Drac. laud. dei 3,118 (si deus ullus erat Satumus falcifer unquam) mag Dracontius' Kenntnisse des Euhemerismus bestätigen, jedenfalls in der von Tertullian (apol. 10,7-10) dargelegten Form, nach der nur nachgewiesen werden muss, dass Saturn kein Gott war, da alle anderen Götter von Saturn abstammten.

4. PROLEGOMENA

ZUM KOMMENTAR

Die neueren Diskussionen über Wesen, Form und Zweck von Kommentaren lassen eine Stellungnahme zu diesem Fragenkomplex unumgänglich erscheinen. Wllhrend Roy Gibson dafü1 plädiert, nur Parallelen zu zitieren, die die Aussage des Kommentators direkt unterstützen, spricht sich Don Fowler für auf dem Internet publizierte Kommentare aus, die die Probleme des Textes nicht lösen, sondern vervielfältigen sollen; nach Simon Goldhill wiederum soll ein Kommentar den postmodernen Erkenntnissen über die Bedeutungsvielfalt einer Textstelle Rechnung tragen 1• Der hier vorgelegte Kommentar ist ein Versuch, die Ansätze und Bedürfnisse von Anhängern verschiedener ideologischer Richtungen zu berücksichtigen. Mit Gibson, aber gegen Fowler, soll ein Kommentar m.E. möglichst für jedes Problem eine Lösung anbieten. Dies bedeutet nicht, dass problematische Stellen nicht als solche gekennzeichnet sein sollen, und auch nicht, dass die vorgestellte Lösung zwangsläufig richtig ist. Solange andere Lösungsmöglichkeiten nicht verschwiegen werden, ist den Benutzern und Benutzerinnen des Kommentars mit einem Lösungsvorschlag jedoch ein grösserer Dienst erwiesen als nur mit dem Hinweis auf das Problem. Mit Fowler und Goldhill, aber gegen Gibson, halte ich indessen eine Beschränkung auf eine eingleisige Interpretation und eine dementsprechend enge Auswahl von Parallelstellen nicht für sinnvoll: Erstens ist bekanntlich die Bedeutung eines Textes weder unveränderlich noch gänzlich in ihm enthalten, und zweitens kann man gerade bei Dracontius' freiem Umgang mit den Vorgängertexten jede Parallelstelle als irrelevant betrachten. Gewiss wäre andererseits eine reine Anhäufung von Parallelstellen nicht sinnvoll, denn sie böte den Benutzerinnen und Benutzern wenig Orientierungshilfe und könnte von ihnen nur unter grossem Zeitaufwand für eine eigene Interpretation fruchtbar gemacht werden. Vielmehr ist ein Kompromiss zwischen eindeutiger Richtungsweisung und Öffnung gegenüber anderen Interpretationen erforderlich. So bietet der vorliegende Kommentar jeweils im ersten Abschnitt eines Lemmas wie auch in den Überblicksdiskussionen 2 meine (subjektive) Interpretation der entsprechenden Stelle. Die im jeweils zweiten Abschnitt aufgeführten sprachlichen Parallelen und die Diskussionen von Realien unterstützen zwar diese Interpretation', aus ihnen können jedoch auch andere Interpretationen herausgearbeitet werden. Die Unterteilung in zwei Abschnitte dient der besseren Orientierung, zumal manche Benutzer und Benutzerinnen - insbesondere solche, die den Kommentar zur Begleitung ihrer Lektüre von Romul. 10 verwenden - vorwiegend den ersten, andere hingegen - z.B. solche, die sich mit der spätlateinischen Dichtungssprache befassen - nur den zweiten

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Gibson (2002); Fowler (1999); Goldhill (1999). Vgl. auch Hinds (1998: 17-51). Das Schema des Aufbaus in >E. 3.6.4. enthält die Titel und Verszahlen der Überblicksdiskussionen. Nicht gespart wurde insbesondere bei (sprachlichen) Parallelen zu anderen spätlateinischen Dichtern, da diese in der Regel weniger leicht zu f"mden sind. Neben dem ThLL und der elektronischen Datenbank POESIS waren auch frühere Editionen (Vollmer ed. 1905; Wolff ed. 1996) und Kommentare (Gnesa 1999; Köhler 2001) bei der Parallelstellensuche hilfreich.

64

Einleitung

Abschnitt werden lesen wollen. Der jeweils dritte Abschnitt eines Lemmas begründet die Wahl einer bestimmten Textvariante und diskutiert die verworfenen Konjekturen. Aus Gründen der besseren Lesbarkeit des Haupttextes finden sich die zitierten Parallelstellen in den Anmerkungen. Dadurch dass diese in der Regel ausgeschrieben sind, wird ein rascher Überblick über die literarische Tradition einzelner Topoi, Themen und sprachlicher Wendungen bis hin zu Dracontius möglich.

Toxr

UND ÜBERSETZUNG

DIE EDITION Über die beiden handschriftlichen Versionen des Codex Neapolitanus, die früheren Ausgaben und die Prinzipien der Textgestaltung in der vorliegenden Ausgabe gibt ►E. 3.1. Auskunft. Dort findet sich auch eine Übersichtstabelle über die Abweichungen der vorliegenden Edition von Wolffs (ed. 1996). CONSPECTIJS SIGLORUM

N: ms. Neapolitanus IV E 48, p. 97-116 n: ms. Neapolitanus IV E 48, p. 77-96 Baehrens: Baehrens (ed. 1883) 1 Buecheler: Buecheler bei Duhn (ed. 1873) 2 Diaz de Bustamante: Diaz de Bustamante (ed. 1978) Duhn: Duhn (ed. 1873) Gudeman: Gudeman bei Vollmer (1905: 455) Leo: Leo bei Vollmer (ed. 1905) Marx: Marx bei Vollmer (ed. 1914) Peiper: Peiper bei Vollmer (ed. 1905) Traube: Traube bei Vollmer (ed. 1905) Vollmer!: Vollmer (ed. 1905) Vollmer2: Vollmer (ed. 1914) Wagler: Wagler bei Baehrens (ed. 1883) Wolff: Wolff (ed.1996) In Artikeln publizierte Konjekturen werden mit Verfassernamen, Jahreszahl und Seitenzahl zitiert und sind in der Bibliographie zu finden. Nicht selten sind Fehler bereits in den beiden handschriftlichen Versionen vermerkt worden, und zwar mit :. oder +. Beide Zeichen erscheinen vor einzelnen Versen und Wörtern wie auch auf (z.B. 127: Pirois) oder nach (z.B. 479: signat+) einzelnen Buchstaben.

DIE ÜBERSETZUNG Die folgende Übersetzung soll die im Kommentar dargelegte Interpretation des lateinischen Textes verdeutlichen. Sie versucht, den bisweilen widerspenstigen Originaltext möglichst präzis wiederzugeben, und strebt keine sprachliche Ausgewogenheit, geschweige denn Eleganz an. Vereinheitlicht wurden einzig die ständig wechselnden Tempora. Ausserdem wurden allzu lange Sätze bisweilen unterteilt. Für das Verständnis unentbehrliche Ergänzungen werden in eckigen Klammern [ ] angefügt. 1

2

Baehrens' erste Konjekturen (1873a) sind mit olim gekennzeichnet, wenn sie keine Aufnahme in seine Edition (ed. 1883) fanden. Wenn nicht anders vermerkt, sind Buechelers Konjekturen in Duhns Text aufgenommen.

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Text und Übersetzung

Fert animus vulgare nefas et virginis atrae captivos monstrare deos, elementa clientes, naturam servire reae, servire puellae, astra poli et Phoebi cursus et sidera caeli arbitrio mulieris agi, pendere Tonantem, quod iubeat Medea nefas, ubi mittere flammas imperet aethereas. penetrat vox illa per auras, cum vitas mortesque facit, cum fata retorquet ad cursus quoscumque velit. licet hospite caeso serviat et Scythicae currat per templa Dianae, possidet astrigerum funesto pectore caelum et superos impune premit prece nixa virago invitos parere sibi. quae carmina linguis murmuret aut urens species quae nomina dicat, haec vatem nescire decet; quae nosse profanum est, quod fuerit vulgasse nefas ! nos illa canemus, quae solet in lepido Polyhymnia docta theatro muta loqui, cum nauta venit, cum captus amatur inter vincla iacens mox regnatwus Iason; vel quod grande boat longis sublata cothurnis pallida Melpomene, tragicis cum surgit iambis, quando cruentatam fecit de matre novercam mixtus amore furor dotata paelice flammis, squamea viperei subdentes colla dracones cum rapuere rotis post funera tanta nocentem. te modo, Calliope, poscunt optantque sorores: dulcior ut venias (non te decet ire rogatam) ad sua castra petunt. lauro succincta poetae Pegaseo de fonte veni, quo rore medullas et sensus infunde meos. cur hospes amatur, qui mactandus erat, vel cur mactatur amatus'? dives apud Colchos Phrixei velleris aurum pellis erat, servata diu custode dracone. hanc propter pelagi temerator primus Iason

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X. Draconcij Medea n om N 111 atrae Nn : arte Peiper II3 reae NnPc : deae nac I servire puellae Nn : sub iure puellae Baehrens 114et ante Phoebi del. Baehrens in app. 1 cursus Nn: currus Peiper 11 5 pendere Nn : perfene Buecheler patrare Schenk/ (1873: 521) penitere Rossberg ( 1878: 16) perhibere Baehrens spondere Giarratano (1906: 15) II 10 serviat Nn: saeviat Gil (1984: 166) II 11 pectore Nn : grarnine Baehrens in app. II 13 linguis Nn : Hngua Duhn in app. labris Baehrens II 16 quod Nn: quae Buecheler quin Baehrens I nos Nn: non Peiper II 17 docta N: docto n II 18 muta Buecheler : multa Nn I amatur Rossberg (1887a: 856) : amator Nn Duhn II19 iacens Nn: iacet Duhn II20 quod Nn : quae Buecheler I boat Baehrens : boans Nn II 24 viperei Buecheler: vipereis Nn II 26 modo N : medo n II 27 non te decet scripsi : nocte decet Nn nunc te decet Buecheler non dedecet Rossberg (1878: 17) sie te decet Baehrens nec te decet Vollmer nec dedecet Giarratano ( 1906: 15) 1rogatam Nn: rogatu Baehrens II 31 qui n : quae N II 32 velleris Nn : lanigeri Baehrens in app. 1aurum Nn : auro Schenk/ ( 1873: 521) Baehrens in app. II33 pellis Nn : arbor Schenkl ( 1873: 521)

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(1] Mein Sinn führt mich dazu, den Frevel allgemein bekannt machen und zu zeigen, dass die Götter die Gefangenen einer düsteren jungen Frau sind, die Elemente ihr untertan, dass die Natur einer Verbrecherin, einem Mädchen dient. dass die Sterne des Himmelsgewölbes, die Bahnen des Phoebus und die Gestirne des Himmels (5) durch das Walten einer Frau angetrieben werden, dass der Donnerer angespannt harrt, welche Untat Medea anordnet, wohin sie die himmlischen Flammen schicken heisst. Ihre Stimme dringt durch die Lüfte, sooft sie Leben und Tod bewirkt, sooft sie die Geschicke umlenkt auf die Bahnen ihrer Wahl. Mag sie auch durch die Tötung von fremden Gästen (10] ihren Dienst leisten und sich im Tempel der skythischen Diana verausgaben. sie hat [dennoch] den Sterne tragenden Himmel als Besitz in ihrer todbringenden Brust und sie, die henische junge Frau, nötigt die Götter kraft ihrer Beschwörung, ihr sogar gegen den eigenen Willen zu gehorchen, ohne dass sie bestraft wird. Was für Zaubersprüche sie mit der Zunge murmelt oder welche Namen sie beim Verbrennen von Duftstoffen nennt, (15) diese zu kennen ziemt sich für einen Dichter nicht. Welch ein Frevel wäre es, was zu kennen ungehörig ist, zu verbreiten! Wir werden jenes besingen, worüber dit! gelehrte Polyhymnia im eleganten Theater ohne Worte zu sprechen pflegt, wenn der Seefahrer kommt, wenn er gefangengenommen und geliebt wird, Jason, der, obwohl er [nun] in Fesseln schmachtet, bald herrschen wird; [20) und [wir werden jenes besingen.] was grossartig ertönen lässt, erhöht durch ihre hohen Kothurne, die bleiche Melpomene, wenn sie sich mit tragischen Jamben erhebt, als der mit Liebe vermischte Wahnsinn aus einer Mutter eine mit Blut besprengte Stiefmutter machte, nachdem die Nebenfrau Flammen als Brautgabe erhalten hatte, als die schlangenhaften Drachen ihre schuppigen Hälse einspannend (25) die Schuldige nach so ungeheuren Todesfällen auf ihrem Wagen fortrissen. An dich, Kalliope, treten die Schwestern heran und bitten dich: Dass du mit mehr Süsse kommst ([erst] auf ihre Bitten hin zu gehen ziemt sich nicht) zu ihrem Lager, verlangen sie. Bekränzt mit Dichterlorbeer komm von der pegasischen Quelle; mit ihrem Tau begiesse mein Inneres [30) und meine Sinne. Warum wurde der Gast geliebt, den man hätte opfern müssen, und warum wurde der Geliebte geopfert? In Kolchis befand sich das kostbare Vlies. das Gold des phrixischen Felles, seit langem bewacht von einem Drachen als Wächter. Seinetwegen war Jason, der erste

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Text und Übersetzung

venerat, ut rutilas subduceret arbore lanas. ut Scytha conspexit Graiam de litore puppim ire per undosum proscissis fluctibus aequor, expavit, nam monstra putat: quis crederet umquam per freta, per rabidas hominem transire procellas? barbarus ignaro regi iam nuntius ibat, quae nova perferret pelagus; sed callidus heros solus Iason adhuc vento currente carina prosilit in fluctus et litora visa natatu nudatus ceu nauta petit. sed Colchis alumnus, nuntius ille, redit secum comitante iuventa, ut nosset, quid puppis erat, quid vela, quid arbor. membra viri mox nuda vident fugientis ad undas; quem sequitur directa manus capiuntque paventem et manibus post terga ligant. tune Iuno Cytheren, ut vidit iuvenem Scythicas artasse catenas et pavidos fugisse simul cum puppe sodales, adloquitur: "lasciva'Venus, iucunda modesta blanda potens rnitis fecunda tvenustas amorist, pulchra voluptatum genitrix et numen amantum, te divum regina precor, matrona Tonantis: est nirnis acceptus iuvenis mihi pulcher Iason, qui gelidum quondam mecum transnaverat Istrum et nunc infelix trahitur captivus ad aulam Aeetis immitis forsan mactandus ad aras. eripe captivum, retinent quem mille catenae, mitte pharetratum puerum, mea Cypris, Amorem, igne tuo flammata cadat furibunda virago, discat amare furor, tandem sit blanda sacerdos, templa pharetratae contemnat virgo Dianae, despiciat delubra deae. licet imrnemor exstet religionis amor timeant nec fulmen amantes, imperio subiecta tuo per templa, per aras te solam putet esse deam, te numen adoret, te metuat metuenda deis, te iudicet unam, quam mare, quam tellus, quam numina cuncta fatentur esse voluptatum dominam. quae corda parentis flectis et exutum telo candente Tonantem

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39 rabidas Duhn : tabidas Nn II 40 nuntius n : Mutius N 11 42 vento Nn : lente Baehrens ( 1873a: 270) et in app. II 44 nudatus Nn : navifragus Baehrens (1873a: 270) et in app. 1Colchis Nn : Colchus Duhn II45 secum Nn : socia Rossberg ( 1887a: 856) II46 nosset Nn: nossent Buecheler II 47 ad undas Nn : ab unda Leo II49 Cytheren Duhn : citherem Nn Cytherem Wolff II 53 fecunda Nn : facunda Müller (1894: 424) 1 venustas amoris Nn ; venusta suavis Schenk[ (1873: 521) venusta decora Ribbeck ( 1873: 471) II 59 Aeetis Duhn: :. Aethios n :. aethos N Aeetae Baehrens Aei:dos (i.q. Dianae) Rossberg (1887a: 856) II 61 mitte n : miete N II 63 furor Nn : ferox Baehrens II65 exstet Buecheler : exstat Nn II66 timeant Buecheler : timen! Nn II71 quae Nn : quia Baehrens quod Wolf! II 72 exutum Nn : exustum suspicatus repudiavit Vollmer 1 in app.

35-72

71

respektlose Bezwinger des Meeres, [35] gekommen, um das rötlich schimmernde Wollfell vom Baum zu entwenden. Als ein Skythe das griechische Schiff vom Strand aus erblickte, wie es durch das wellemeiche Meer fuhr, nachdem es die Fluten durchpflügt hatte, wurde ihm bange, denn er hielt ·es für ein Ungeheuer: Wer hätte je geglaubt, dass der Mensch [einst] das Meer und die tobenden Stürme durchqueren [könnte]? [40] Schon ging der Barbar zum König, der nichts davon wusste, um ihm zu melden, welche Neuigkeiten das Meer brachte. Aber der schlaue Held, Jason, sprang als einziger in die Fluten, als sich das Schiff noch unter dem Wind schnell vorwärts bewegte, und schwamm entkleidet wie ein Matrose dem Strand zu, der sichtbar geworden war. Nun aber kam der Bewohner von Kolchis, [45] jener Bote, mit jungen Männern in seiner Begleitung zurück, um in Erfahrung zu bringen, was ein Heck ist, was Segel, was ein Mastbaum. Bald erblickten sie die nackten Glieder des Mannes, der in Richtung des Meeres floh. Ihn verfolgte die ausgeschickte Schar; sie nahmen ihn gefangen, wobei ihm Angst wurde, und fesselten die Hände hinter dem Rücken. Da redete Juno Kythere an, [50] als sie sah, dass skythische Ketten den jungen Mann zusammengeschnürt hatten und die Gefährten in Angst mitsamt dem Schiff ge·flohen waren: "Freizügige Venus, du angenehme, zurückhaltende, verführerische, mächtige, sanfte, Fruchtbarkeit fördernde t Anmut der Liebet, schöne Erzeugerin von Wonne[stunden] und Gottheit der Liebenden, [55] dich bitte ich, die Herrin der Götter und Frau des Donnerers: Sehr am Herzen liegt mir der schöne Jüngling Jason, der einst mit mir den eiskalten Ister durchschwommen hatte und jetzt, der Unglückliche, als Gefangener zum Palast des unbarmherzigen Aietes geschleppt wird, um vielleicht am Altar geschlachtet zu werden. [60] Erlöse den Gefangenen, den tausend Ketten festhalten, schicke deinen Knaben mit dem Köcher, meine Kypris, Amor, damit von deinem Feuer entflammt die rasende männergleiche junge Frau schwach wird, damit der Wahnsinn lieben lernt, die Priesterin endlich verführerisch wird, die junge Frau den Tempel der köchertragenden Diana gering achtet [65] [und] das Heiligtum der Göttin verschmäht. Obwohl die Liebe die Kultausübung vergisst und Liebende den Blitz nicht fürchten, [70] soll sie [Medea], deiner Herrschaft unterworfen, in Tempeln und an Altären [67] dich allein für eine Göttin halten, dich als Gottheit anbeten; [68] dich soll sie fürchten, die von den Göttern gefürchtet werden muss, dich soll sie als einzige [69] [Göttin] erachten, die das Meer, die die Erde, die alle Gottheiten [71] als Herrin der Wonne anerkennen. Du übst auf das Herz deines Vaters Einfluss aus und heisst den Donnerer oft, wenn er sein weiss blitzendes Wurfgeschoss abgelegt hat,

72

Text und Übersetzung

despiciatme saepe iubes nec castus Olympum destituat; sit ut imber, olor, bacchetur adulter vel quocumque meum placuit mutare maritum, non queror. Aesonidem tantum peto filia regis nunc amet et laudet; mox hunc suspiret anhelet, quem mactare parat; solvat cervice catenas torpescens armata manus, cui bracchia collum circumdent mucro cadat ieiunus ad aras." finierat matrona Iovis. sie orsa Dione: "me V enerem me, Iuno, decet me, blanda noverca, imperio parere tuo. quid plura loquemur? oderunt mea castra moras." sie fata Cythere quaerit amoriferum per tota rosaria natum: ille deas ponti telo flammabat in undis matemis submissus aquis. Hymenaeus ad illum mittitur. hunc fluctus produnt fumantibus undis. ut pelagus caluisse videt, "hie aliger", inquit, ''hie latet ldalius. sed non latet, aequora fervent: agnosco stridere fretum, ceu Phoebus anhelos oceano demergit equos, cum nocte propinqua luna venit stellante polo pendentibus astris. huc ades, o lascive puer, te mater ubique quaerit et e cunctis vestrum me misit alumnum, ut venias parcente mora." sie fatus. at ille fluctibus e mediis surgens rutilante capillo excussit per inane caput, quatit impiger alas, ut pinnas desiccet aquis: micat ignis ut astra plausibus excussus pueri, per cuncta videres scintillare diem, volitant super aequora flamrnae. sie, ubi puniceos rutilans Aurora capillos pectinat ante diem, quae mox perfundat Eoum, phoenix, sola genus, senio lassata vetusto, cinnama cui folium nardum tus balsama amomum informant post saecla pyram reditura, sepulchrum conscendit factura rogos et verberat alas, ut flammas adsciscat avis (sie nascitur ignis

75

· 80

85

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95

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73 nec Nn : ne Ribbeck (1873: 471) II 74 destituat Buecheler : destituet Nn I bacchetur Nn; Baccheius (vel galeatus 1873a: 270) Baehrens II 75 quocumque Duhn : quod cumque N quodcumque n II76 Esonidem Nn corr. Duhn ; Aesoniden Vol/mer 2 II77 anhelet Duhn : anhelat Nn II79 cui Nn : turn Baehrens quin Gi/ ( 1984: 166) 1collum Nn ; collo Baehrens in app. II80 circumdent Nn ; circumdet Baehrens in app. 1 mucroque Baehrens ; mucro Nn et mucro Duhn II 88 hunc Nn : huic Buecheler II93 stellante Nn; stillante Baehrens (1873a: 270) 1 pendentibus Nn : splendentibus repudiavit Duhn II94 huc N: hu•c n II96 parcente Nn : absente Baehrens II99 ut astra Nn : in (vel ad in app.) astra Baehrens II 100 excussus n : excussis N II103 quae Nn : quam Gil (1984: 166) 1perfundat Nn : perfundet Duhn II 104 sola genus Nn : soligena olim Baehrens (1873a: 27Of) soligenes Baehrens II 105 cinnarna Duhn; Cm ni man om. spatio relicto N II 108 avis Nn: avi Baehrens I sie Nn: sibi Schenk/ (1873: 521) distinctione post sibi transposita

73-108

73

mich abzuweisen und unkeusch den Olymp zu verlassen. Mag er zu Regen werden, zu einem Schwan, als Ehebrecher in Ekstase umherschwärmen [75) oder in was auch immer du nach deinem Gefallen meinen Mann verwandelt hast, ich beklage mich nicht. Ich bitte nur darum, dass sich die Königstocher nun in den Aisonsohn verliebt und ihn rühmt; bald möge sie sich nach ihm verzehren und lechzen, dessen Opferung sie vorbereitet; vom Nacken soll die Ketten lösen die bewaffnete Hand, wenn sie erlahmt; ihm sollen ihre Arme den Hals [80) umfassen, und das Schwert soll ungesättigt beim Altar niederfallen." Geendet hatte Jupiters Gattin. So begann Dione: "Mir Venus, mir, Juno, ziemt es, mir, charmante Stiefmutter, deinem Befehl zu gehorchen. Was sollen wir mehr sagen? Mein Lager hasst Verzögerungen." Als Kythere so gesprochen hat, [85] sucht sie ihren Liebe bringenden Sohn in jedem Winkel des Rosengartens. Unter den mütterlichen Wassern war jener daran, mit seinem Geschoss die Göttinnen des Meeres in den Wellen zu entflammen. Hymenaios wurde zu ihm geschickt. Ihn verrieten die Fluten durch ihre dampfenden Wellen. Wie er [Hymenaios] das Meer erwärmt sah, sagte er: "Hier hält sich der idalische Flügelträger, [90] hier hält er sich versteckt. Aber er ist [dennoch] nicht verborgen, die Meeresoberfläche brodelt: Ich merke, dass das Meer zischt, wie wenn Phoebus die keuchenden Pferde in das Weltmeer eintauchen lässt, wenn bei herannahender Nacht der Mond kommt, während die Gestirne am sternefunkelnden Himmel hängen. Komm hierher, freizügiger Junge, deine Mutter sucht dich überall [95] und hat von allen mich, Euren Diener, geschickt, damit du ohne weiteren Aufschub kommst." So sprach er. Gleich darauf stieg jener mitten aus den Fluten auf - sein Haar schimmerte rotgolden -, schüttelte den Kopf in der Luft aus [und] schüttelte emsig die Flügel, um die Federn vom Wasser zu trocknen: Feuer, [100] ausgeschüttelt durch das [Flügel]schlagen des Knaben, funkelte wie Sterne, überall hätte /~n das [Sonnen]licht glitzern sehen können, Flammen flogen flink über das MeerfWieciort, _{ wo die rotgolden schimmernde Aurora das leuchtend rote Haar vor Tagesanbruch 1~ kämmt, um bald darauf den Morgenstern zu übertünchen, der Phoenix, allein in seiner Art, ermüdet vom langandauernden Greisenalter, [105] für den Zimt, Nardeblätter, Narde, Weihrauch, Balsam und Kardamon nach Jahrhunderten, die zurückkehren werden, einen Scheiterhaufen bilden, [diesen] Haufen besteigt, um daraus eine Brandstätte zu machen, und der Vogel die Flügel schlägt, um Flammen zu erhalten (so ent

74

Text und Übersetzung

ante alitem ambrosios iam consumpturus odores): sie puer Idalius spargebat plausibus ignes; piscis aves armenta pecus fera pastor anhelant flammigero surgente deo. volat inde per altum. iam volucer non udus erat: quocumque propinquat aut ubicumque fuit, blando fervore vaporat, quem sequitur vernalis odor; via pulcbra rosarum tenditur et violas pallentes candida peplo lilia distingunt ac florea semita crescit: persulcans per inane polos micat orbita florum. Cypris odoriferos sensit fraglare volatus: "natus adest", inquit, "multis iam spargitur aer floribus, ambrosio totum respirat odore." dum loquitur lasciva Venus, venit ecce Cupido ~ssulus et gremio matris libratur anhelans, quo sessurus erat. nuem protinus illa volantem occupat et crines componit mater Amori ac puerum complexa fovet dans oscula nato. sie blandita iubet: "Pyrois, mens ignea mundi atque vapor fecunde poli, successio rerum, affectus natura genus fons auctor origo, tu vitae fecunda salus, tu blanda voluptas, tu princeps pietatis, Amor, te praeduce mundo altemant elementa vices et non perit orbis, cum pereant, quaecumque , nec sentit ademptum successu redeunte novo. venit ecce noverca, in manibus iam Iuno meis supplexque pr.ecatur. quae fuerant optanda tibi: Medea sacerdos, sacrilega quae voce solet compellere caelum, invitos accire deos, urgere Tonantem, dum precibus elementa quatit mare sidera terras, naturam turbare simul, tua tela medullis excipiat (hoc Iuno petit) iuvenemque Pelasgum diligat optet amet cupiat suspiret anbelet. sollicitus tarnen ista para cautusque memento: Medeam fixurus eris." sie fata Dione. risit Amor matrisque sinu se subtrabit ales; spicula saeva legit, quibus olim Luna per umbras pastorem flammata tenet nec sustinet ignes

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109 alitem Nn : alitem et Rossberg (1878: 17) diem Ellis (1874: 261) ipsam Baehrens agilem Barwinski (1890: 4f.) 11 113 volucrer Nn corr. Duhn I erat Nn : aquis Baehrens II 115 quem Nn : qui Schenk/ (1873: 521) II 118 persulcans N : per sulcans n II 119 fraglare NPcn. flaglare Nac II ante 127 R Nn II 127 Pirols Nn: puer o olim Baehrens (1873a: 271) II 132 vices NnPc: duces nac II 133 creat suppl. Buecheler am. Nn nullo spatio relicto II 135 precatur Baehrens (1873a: 271): vocatur Nn locatum Buecheler profatur suspicatus repudiavit Vollmer 1 II 147 pastorem flammata tenet Nn: pastore inflammata tepet Baehrens (1873a: 271)

109-147

75

steht Feuer, das bald vor dem Vogel die ambrosischen Duftstoffe verzehren wird): [110] So verbreitete der idalische Knabe mit seinen [Flügel]schlägen Feuer[spritzer]. Fisch, Vögel, Rindvieh, [kleineres] Vieh, wildes Tier und Hirte keuchten [erregt], als der Flammen tragende Gott aufstieg. Dann flog er durch den Himmel. Der Geflügelte war nicht mehr nass: An welche Orte er sich auch immer begab oder an welchen er sich aufhielt, [sie alle] erhitzte er mit seinem unwiderstehlichen Glühen; [115] ihn begleitete ein Frühlingsduft. Ein schöner Rosenweg zog sich hin, die durch ihr Kleid weissen Lilien liessen den bleichen Goldlack hervortreten, und der Blumenpfad wuchs: Den Himmel durchfurchend funkelte die Blumenspur durch den weiten Raum. Riechend nahm Kypris den wohlriechenden Flug wahr, wie er Duft ausströmen liess, [120] und sagte: "Mein Sohn ist da; schon ist die Luft mit vielen Blumen übersät, die ganze Welt strömt ambrosischen Duft aus." Während die freizügige Venus redete, siehe, da kam Cupido ein wenig müde und balancierte sich keuchend zum Schoss der Mutter, auf dem er [gleich] sitzen sollte. Sie zog ihn noch im Flug sogleich (125] zu sich, ordnete, die Mutter, dem Amor das Haar, den Knaben umarmend herzte sie ihn und gab ihrem Sohn Küsse. So gab sie schmeichelnd [folgenden] Befehl: "Pyrois, feuriges Prinzip des Weltalls und Fruchtbarkeit verleihende Wärme des Himmels, [Garant der] Erneuerung der Dinge, Substanz, Gründungselement, Quelle, Urheber [und] Ursprung der Zuneigung, [130] du fruchtbares, Leben stiftendes Heil, du verführerische Lust, du Begründer von respektvollen Beziehungen, Amor, während du der Welt vorstehst, wechseln sich die Elemente ab, und die Welt geht nicht zugrunde, während, was immer sie hervorbringt, zugrunde geht, und sie spürt auch keinen Verlust, da eine neue Abfolge ihren Anfang nimmt. Siehe, da kam meine Stiefmutter (135] Juno, bereits in meiner Macht, und bat demütig, was [auch] für dich wünschenswert wäre: Die Priesterin Medea, die es gewohnt ist, mit gotteslästerlicher Stimme den Himmel zu bedrängen, die Götter gegen ihren Willen herbeizuholen, dem Donnerer hart zuzusetzen [und], während sie mit Beschwörungen Elemente, Meer, Sterne und Land erschüttert, [140] zugleich die Natur in Unordnung zu bringen, soll von deinen Geschossen in ihrem Innern getroffen werden (darum bittet Juno) und den griechischen jungen Mann lieb haben, als Geliebten wünschen, lieben, als Geliebten ersehnen, über ihn seufzen [und] nach ihm lechzen. Dies[es Unternehmen] aber bereite sorgfältig vor und denke umsichtig daran: Medea wirst du zu durchbohren haben." So sprach Dione. [145] Es lachte Amor, und der Geflügelte entzog sich dem Schoss der Mutter; er wählte grausame Pfeile mit Spitzen, durch die einst Luna entflammt in [dunkler] Nacht

76

Text und Übersetzung

Luna Cupidineos, Solis quae sustinet orbem et fratris radiis conceptus lucis adoptat. "hoc", ait ignipotens, "telo Medea cremetur, quo Scythicam succendit Amor, dominaeque favillas excutiam per templa volans, et virgo cruenta adprobet hos arcus dominae plus posse pharetris. namque Diana feras, cervos et figere dammas adsolet: hoc telum reges et numina figit." quattuor interea niveas adstare columbas Cypris amoena iubet: roseis frenantur habenis, candida puniceis subduntur colla rosetis (nam iuga sunt compacta rosi), fert dextra flagellum purpura quod mollis, tenuis quod sericus omat. iam volucer conscendit aves et blanda Voluptas it comes, Amplexus veniunt, Hymenaeus adhaeret, Gaudia concurrunt, Risus atque Oscula pergunt. nam licet Idalias sociarint frena columbas et iunctae per cuncta volent, tarnen impiger ales nunc hanc nunc illam residet gaudetque iugales iam relevare suas et se pensare volatu (sublatum propriis persentit in aera pinnis aurigam quadriga volans) iterumque columbas adpetit et pharetris concludit dorsa volantum. - non iam per Scythicas glacies stat barbara Colchis, - et qua bruma rigens Arctoi tristior axis - torpebat concreta gelu < ......................... > - < ..........................>et pinniger audax, - et magis accessu pueri plaga maesta serenat adventum testata dei: mox taetra fugantur nubila, caeruleos excludit flammiger imbres. impia iam Colchis, iam saevior ara Dianae coeperat ostendi: iam tune mandante tyranno ecce trahebatur ceu taurus pulcher Iason, quem sequitur Medea nocens urgetque ministros nudato mucrone furens. delubra subibant iamque propinquabant aris. sie numen amantum

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151 quo Duhn : quos Nn II 152 excutiam n : excipiam N II 154 et figere Buecheler : effigere Nn II 167 se pensare Nn : dispensare Baehrens I volatu Buecheler : volatum Nn Baehrens II 169 iterumque Nn : iterum ecce Baehrens II 170 concludit Nn : conlidit Buecheler conpludit Marx contundit Peiper II 171 non iam scripsi : nondum Nn 11172 et Nn : set Buecheler I qua scripsi : iam Nn II 173 ttorpebat - gelut Diaz de Bustamante I torpebat Nn Baehrens (1873a: 271): torpebatque Vollmer I concreta gelu < ...> / < ...>et scripsi (concreta iam Buecheler) ; coacta gelu et Nn coacta gelu. hoc Vollmerl in app. concreta gelu: it Buecheler conpacta gelu; set Baehrens (1873a: 271) stant cuncta gelu nec Leo II 174 et Nn ; it olim Baehrens (1873a: 271) Vollmer2 II 178 iam tune Nn : torvo Baehrens II 179 ceu taurus distinctione post magis transposita Buecheler : centaurus Nn II 180 ministros Buecheler ; ministras Nn II 182 sie Nn : sed Buecheler hie Baehrens

148-182

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den Hirten [in den Armen] hielt und Cupidos Feuer nicht widerstehen konnte, Luna, die Sols Scheibe standhält und sich das durch die Strahlen ihres Bruders erzeugte Licht aneignet. [150] "Durch das Geschoss", sagte der Feuergewaltige, ••soll Medea verbrennen, durch welches Amor die Kolcherin entflammt hat, und ich werde der Herrin die [Opfer]aschen wegwehen, wenn ich durch den Tempel fliege, und die blutrünstige junge Frau soll zugeben, dass dieser Bogen mehr vermag als der Köcher ihrer Herrin. Diana ist nämlich gewohnt, wilde Tiere, Hirsche und Rehe zu durchbohren: [155] Dieses Geschoss durchbohrt [jedoch] Könige und Gottheiten." Vier schneeweissen Tauben befahl inzwischen die liebenswürdige Kypris aufzuwarten: Sie wurden mit Rosenzügeln gezäumt, ihre weissen Hälse wurden unter unzählige leuchtend rote Rosen gebunden (denn das Joch war aus Rosen zusammengefügt), [Cupidos] Rechte hielt eine Peitsche, [160] die weicher Purpur und feine Seide schmückten. Schon bestieg der Geflügelte das Vogelgespann, und die verführerische Lust ging als Begleiterin mit, die Umarmungen kamen, Hymenaios schloss sich an, die Freuden liefen mit, Lachen und Küsse machten sich auf den Weg. Und ungeachtet dessen, dass das Zaumzeug die idalischen Tauben verbunden hatte [165] und sie angeschirrt überallhin flogen, sass der Geflügelte emsig dennoch bald auf dieser, bald auf jener [Taube] und hatte Freude daran, sein Gespann nunmehr leichter zu machen und sich im Flug zu balancieren (dass sich der Wagenlenker mit seinen eigenen Flügeln in die Luft gehoben hatte, nahm das Viergespann im Flug deutlich wahr), suchte [dann] wiederum die Tauben [170] auf und bildete nach den Rücken der Fliegenden mit dem Köcher den Abschluss. Das barbarische Kolchis wurde nicht mehr von den skythischen Eisflächen festgehalten, und wo der steife, harsche Winter der arktischen Gegend, durch Frost fest geworden, starr war, ....................... wagemutig der Flügelträger, und durch die Ankunft des Knaben heiterte sich die düstere Gegend noch stärker auf [175) und bezeugte so die Erscheinung des Gottes: Bald wurden die grässlichen Wolken vertrieben [und] der Flammen tragende [Gott] hielt die dunklen Regenschauer fern. Schon hatte das frevelhafte Kolchis, schon hatte Dianas grausamer Altar sich zu zeigen begonnen. Schon wurde dann auf Befehl des Herrschers, siehe, [dorthin] geschleppt wie ein Stier der schöne Jason; [180] ihm folgte Medea, die auf Unheil bedacht war, und bedrängte in ihrer Raserei mit dem entblössten Schwert die Diener. Sie betraten den Tempel und näherten sich schon dem Altar. Darauf suchte die

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Text und Übersetzung

furtim templa petit: sonuerunt tela pharetris. exultat gavisa nimis Medea sacerdos: telorum strepitum castae putat arma Dianae increpuisse tholo, credit sua vota sacerdos ante preces audisse dearn. mox numen adorans "omen adest", inquit, "Triviam te, Luna Diana, confiteor perstans, heres Proserpina mundi; nam tria regna tenes: tu caelo Cynthia regnas, venatrix terrena micas, capis atria Ditis, tempora distribuens regnis et cursibus apta: iam grates audita loquor. iacet hostia templis per fluctus advecta tuis." sie fata per aras ·virgo cruenta molam perfert. at mystica nutrix fessa licet tremibunda gemat tarnen ipsa iacentem tendere colla iubet vel pectora prona supinet. ergo peregrinus cum iarn versatur Iason, forte oculos per tecta levat: videt ecce volantem atque salutantem puerum. sed nauta precatur murmure sollicito: "numen, quod mundus adorat, si caelum, si terra tui sunt, alme, triumpbi vel quidquid natura creat, si sanguinis expers mortis et infaustae sed sunt tarnen hostia flores matris et insertae pendent per templa coronae sanguine virginei tantum contenta pudoris: eripe me his, invicte, malis. ego victima servor (atque utinarn server), iaceo feriendus in aris." audiit ignipotens (hominum narn murmura sentit) et ridens gavisus ait: "pirata decore, quid metuis, quem fata manent, cum vita superstes restat adhuc, quem regna petunt, cui pellis tauratat imminet et coniunx dabitur Medea sacerdos? sed memor esto mei, ne te fortuna superbum reddat et incipias iterum ceu nauta venire." dum loquitur pinnatus Amor, iarn virgo levabat destricto mucrone manum. captivus Iason

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210

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183 tela Nn : tecta Buecheler in app. IIante 185 in eadem linea scriptus et postea suppunctus est 187 N 11 185 strepitum Nn : strepitu Schenk/ (1873: 521) II 188 triviam Nn: trinam Baehrens II 189 confiteor Duhn : confidit eo Nn totius et Baehrens I perstans Nn : praestas Baehrens II 190 tenes NPcn : tenens Nac II 191 micas Nn : meas Baehrens in app. II 192 regnis Nn : signis Gil ( 1984: 166) 1apta n Baehrens : acta N aptans Hudson-Williams ( 1946: 97) II200 sed Nn : sie Baehrens (1873a: 271) II 204 sed Nn : si Rossberg (1879: 478) 's et Baehrens I tarnen Nn : tantum Buecheler II 205 insertae Nn : infernae olim Baehrens ( 1873a: 2 71) en sertae Baehrens \1 206 contenta Nn : contente Baehrens II207 me n : am. N nullo spatio relicto I ego n : ergo N 1 208 server Duhn : servar N servor n I iaceo NPcn : iaceor Nac II211 cum Nn Wo/ff : cui Buechele r 11ante 212 :. Nn 11212 quem Nn : cum Wo/ff I cui de/. Wo/ff I aurata Nn : amata Duhn amato Rossberg (1878: 18) inaurata Vollmer arietis Wo/ffll 215 reddat et incipias Buecheler: reddet et incipies Nn

183-217

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Gottheit der Liebenden heimlich den Tempel auf: [Dabei] ertönten ihre Geschosse im Köcher. In übermässiger Freude jubelte die Priesterin Medea: [i85] Sie vermutete, dass die Waffen der keuschen Diana den klirrenden Laut der Geschosse in der Kuppel hervorgebracht hatten, sie, die Priesterin, glaubte, dass die Göttin ihre Wünsche [bereits] vor deren Nennung im Gebet vernommen hatte. Gleich darauf betete sie die Gottheit an und sagte: "Ein [günstiges] Vorzeichen ist da; ohne Wanken bekenne ich, Luna Diana, [meinen Glauben] an dich als Trivia, Proserpina, Erbin der Welt. [190] Du hast nämlich drei Herrschaftsbereiche inne: Du herrschst als Cynthia im Himmel, auf der Erde brillierst du als Jägerin, du nimmst Dis' Palast ein und verteilst die Zeiten, wie sie für die Herrschaftsbereiche und die [Himmels]bahn geeignet sind. Dafür, dass du mich bereits erhört hast, spreche ich [dir] Dank aus. [Hier] liegt das Opfer, das durch die Fluten zu deinem Tempel fuhr." So sprach [195] die blutrünstige junge Frau und verteilte Opferspelt über den Altar. Ihre als Kultdienerin tätige Amme aber befahl, obwohl sie müde zitternd stöhnte, dem daliegenden [Opfer] dennoch, den Hals auszustrecken und die vornübergeneigte Brust nach hinten zu biegen. In dem Moment, als sich der Fremdling Jason nunmehr drehte, erhob er zufällig die Augen zur Decke: Siehe, da sah er den Knaben in der Luft, [200] der [ihn] grüsste. Da betete der Seefahrer in ängstlichem Murmeln: "Gottheit, die die Welt anbetet, wenn der Himmel, wenn die Erde, Gnädiger, zu deinen Triumphen zählt und was immer die Natur hervorbringt, wenn dein Opfer blutlos ist und frei von einem unheilvollen Tod, aber dennoch ein Opfer, [nämlich] Blumen, [205] und [wenn] Kränze überall verteilt im Tempel der Mutter hängen, der bereits mit dem Blut einer züchtigen Jungfrau zufrieden ist; befreie mich aus diesen widrigen Umständen, Unbesiegbarer. Ich werde als Opfer gehalten (möge ich doch erhalten werden!), ich liege zur Schlachtung auf dem Altar." Es hörte ihn der Feuergewaltige (denn er nimmt das Murmeln der Menschen wahr), [210] und vor Freude lachend sprach er: "Hübscher Seeräuber, was fürchtest du, auf den ein [besonderes] Schicksal wartet, solange das Leben noch erhalten bleibt, nach welchem Königreiche die Hand ausstrecken, für welchen das t ...t Vlies in Reichweite ist und [dem] die Priesterin Medea zur Gattin gegeben werden wird? Aber vergiss mich nicht, damit dich das Glück nicht hochmütig [215] macht und du wiederum wie ein Seefahrer kommen wirst." Während der geflügelte Amor redete, zog die junge Frau das Schwert aus der Scheide und hob bereits die Hand. Der

80

Text und Übersetzung

exclamat: "sueeurre Venus, sueeurre Cupido: iam ferior, Medea ferit." sie fatus. at ille ignea sidereo eomponit spieula nervo, misit harundineum per flammea eornua ferrum, stridula tela volant: rapiunt praeeordia flammas, eorda ealent oeulique labant, suspiria rumpunt, mareida funereum laxavit dextera ferrum. sed nutrix mirata moras: "die, virgo, quid haeres?" inerepat, "eeee feri. fibrae rapiantur et exta, eonsultum det fata ieeur. Medea moraris? oeeidimus: torpeseit iners antistita Phoebes permixto pallore rubens, non lumina vibrat, non furit aut tremuli strident in murmure dentes. eur homieida vaeas et stas rea? sed rea non es, si fueris homieida magis. eur explieat artus aut tangit eur saepe eaput, quid spirat hiatus oris et ad zonam digiti mittuntur inermes? an magus est pirata iaeens et saera Dianae murmure sollieito probibet solvitque profanus?" dixerat et gladium dextrae revoeabat inerti impia turpis anus. rursus eonclamat lason: "vietima sum, pereo: iugulis male muero minatur." pinnatus subrisit Amor rursusque sagittas ieeit et ardentis nutantia eorda fatigat. aestuat interea saeris repetita saeerdos ignibus. effatur: "non est haee vietima digna: non torta eerviee iaeet, male palpitat artus, erigit impatiens et saueius ante dolorem, sanguine membra earent. iam non erit hostia grata, quae sieeo muerone eadet." eonversa saeerdos ad iuvenem: "die, nauta fugax, pirata nefande: est eonsors matrona deeens an eaelibe vita degis adhue nullumque domi pignus habetur?" "solus", ait eaptivus, "ego, mihi pignora nulla eoniugis aut subolis." dietis gavisa virago blanda refert: "vis ergo meus nune esse maritus?" "servus", lason ait, "tantum ne vita negetur te preeor et dominam fateor." sie fatus. at illa

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226 rapiantur Buecheler : rapiuntur Nn II228 torpescit Bueche/er : topescit n tepescit N I antistita Duhn : Antistia Nn II 230 tremuli Duhn : tremulis Nn II231 et Buecheler : sed Nn II 232 fueris NnPc : fuerit n°c II 234 inermes Nn : inertes Baehrens II 235 iacens NnPc : nocens nac II 237 revocabat Nn : relocabat Baehrens II243 effatur Nn : et fatur Baehrens (1873a: 271) II244 non torta Nn: nam torta Hudson-Williams (1946: 97) contorta Peiper I post artus dist. Duhn HudsonWilliams (1946: 97), ante artus Baehrens II245 et Nn: est Baehrens se et Hudson-Williams (1946: 97) 1 dolorem Nn : dolonem Baehrens II246 post iam dist. Diaz de Bustamante II248 die nauta Duhn : dignata Nn II250 tibi suppl. Duhn : iam suppt. Baehrens om. Nn spatio relicto II251 soius NPcn: c ante solus eras. N°c I ego Nn : ago Rossberg ( 1887: 857)

218-255

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gefangene Jason schrie laut: "Ko= zu Hilfe, Venus, komm zu Hilfe, Cupido: nunmehr werde ich geschlachtet, Medea schlachtet [mich]." So sprach er. Gleich darauf (220) legte jener einen feurigen Pfeil an die glitzernde Sehne [und] schickte den Bambus[pfeil] mit Eisen[spitze] zwischen den flammenden Bogenenden hindurch, [und] sirrend flog das Geschoss: [Medeas] Innerstes entflammte, ihr Herz glühte, und ihr Blick schwankte, Seufzer brachen hervor, kraftlos liess die Rechte das todbringende Schwert fallen. (225) Da wunderte sich die A=e über die Verzögerung und schalt: "Sag, junge Frau, was zögerst du? Hier, schlag zu. Die Eingeweide und die Innereien sollen [heraus]gerissen werden, die Leber soll auf Befragung das Geschick prophezeien. Du, Medea, hältst dich auf? Wir sind am Ende: Phoebes Priesterin wird unbeweglich starr [und) errötet unter beigemischtem Erbleichen, sie bewegt die Augen nicht hin und her, (230) sie rast nicht, noch klappern und knirschen ihre Zähne beim Murmeln. Warum bist du frei [von der Tätigkeit] als Mörderin und stehst als Schuldige da? Wenn du aber vielmehr Mörderin wärest, wärest du [gerade] nicht schuldig. Warum streckt sie die Glieder aus oder warum berührt sie häufig den Kopf, was holt der weitoffene Mund Atem und was legen sich die unbewaffneten Finger an den Gürtel? (235) Oder ist der Seeräuber, der [hier) liegt, etwa ein Zauberer, [der] die Riten der Diana mit aufgeregtem Murmeln verhindert und sie ruchlos auflöst?" Sprach's und legte das Schwert zurück in [Medeas) untätige Rechte, die frevelhafte, schändliche alte Frau. Wieder schrie Jason auf: "Ein Opfer bin ich, ich gehe zugrunde; schrecklich droht das Schwert meiner Kehle." (240] Der geflügelte Amor lächelte, schoss wieder einen Pfeil ab und schwächte das schwankende Herz der [leidenschaftlich] Entbrannten. Inzwischen glühte die Priesterin, da sie wiederum von den Feuern göttlicher Herkunft heimgesucht wurde. Sie verkündete: ''Dieses Opfer ist nicht würdig: Es liegt nicht mit [zurück]gedrehtem Nacken da, zittert ungehörig an den Gliedern, (245] richtet sich ungeduldig auf und leidet vor dem [eigentlichen] Schmerz; seine Glieder haben kein Blut. Nun wird das Opfer nicht mehr willkommen sein, da es fiele, ohne dass das Schwert feucht würde." Die Priesterin wandte sich zum Jüngling: "Sag, unstet flüchtiger Seefahrer, abscheulicher Seeräuber: Hast du eine ehrbare Frau zur Gattin oder lebst du noch ein eheloses (250) Leben und hast zu Hause kein Unterpfand [deiner Liebe]?" "Allein", sagte der Gefangene, "[bin] ich, ich habe keine Unterpfänder, weder eine Gattin noch Nachwuchs." Über die Worte freute sich die herrische junge Frau und erwiderte verführerisch: "Willst du also nun mein Ehemann sein?" "[Auch dein] Sklave", sagte Jason, "nur dass du [mir] das Leben nicht verweigerst, (255] bitte ich dich und als Herrin anerkenne ich dich."

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Text und Übersetzung

rumpit vincla umeris, virgo suspendit ab aris, ut facinus purget; proprium vocat ipsa maritum vestibus indutum Tyriis, quas sericus ambit mollis et in medio fulvum distinxerat aurum, blattea puniceo radiabant stamina filo. expavit nutrix, omnes stupuere ministri. at puer ignipotens victor per templa triumphat: nudus ludit Hymen, mollis Lascivia saltat, blanda Libido coit, simplex Affectus inhaeret, ludicra puniceis resonabant Oscula labris, dant faciles plausus Concordia, Gratia, Lusus. sponsus Iason erat gaudens et sponsa sacerdos ad thalamos post templa ducit. tune pronuba luno adfuit et grates Veneri facunda canebat. ecce triumphantes lngratia dura iugales consequitur, gressus concors Oblivio iungit. marcidus interea domitis rediebat ab lndis Liber, anhelantes residens post proelia tigres; quem sequitur iucunda manus saltare parata ebria pampineis miscens vestigia thyrsis. sensit amoriferum Scythicam fixisse sagittis et volucrem puerum populatum templa Dianae: "illo iam gressus", dixit, "convertite, tigres: estis opus, mea turba, deo. properate, ministri: pinniger ldalius minor est sine munere nostro." dixerat et Scythicam vacuus iam sponte petebat: iam venit ad Colchos, iam se Semeleia iungunt agmina, Bybliades saltant Bacchaeque rotantur. venatu interea rediens delubra petebat plectriferi germana dei mirata repente,

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ante 256 .·. Nn II 256 rumpit Nn : rumpi Vollmer I umeris scripsi : iuvenique Nn iubetque Buecheler viro olim Baehrens (1873a: 271) viri, quae Baehrens iubet Vollmer umeri, quae Speranza (1961.- 169/) humeri Wolff tiuveniquet Gärtner (1999: 200) 1 virgo Nn : viro Buecheler dein quem olim Baehrens (1873a: 271) tune Baehrens vir Speranza (1961: 169f.) tvirgot Gärtner ( 1999: 200) 1suspendit Nn ; suspendat Buecheler II257 olim post 260 transp. Baehrens (1873a: 271) 1post purget dist. Speranza (1961: 169/) 1post maritum dist. Gärtner ( 1999: 200) distinctione priore deleta II258 indutum Nn : induitur Baehrens I quas NnPc : quam nac II 260 blattea Duhn : bl~ atea n bl"'atea N I radiabant n radiabat N II 264 affeetus Nn : amplexus Gudeman II266 lusus Nn : Risus Rossberg ( 1887: 857) II268 dueit. tune scripsi: ducit et hune Nn ruit. tune Buecheler ruunt; tune Baehrens fugit. tune Leo duci tune Vollmer II269 Veneri Duhn in app. : veneris Nn II270 in gratia dura N corr. Duhn: ni gratia dura n in Thracia (vel Graiia) rura olim Baehrens (1873a: 271) II271 post 275 transp. olim Baehrens (1873a: 271) II 271 gressus Nn ; gressu Buecheler I eoneors N : eonsors n I iungit NPCn ; nungit Nac iungens olim Baehrens (1873a: 271) II272 rediebat Nn ; redigebat olim Baehrens (1873a: 271) II 273 residens Nn; resident olim Baehrens ( 1873a: 271) II280 munere n ; murmure N II281 vacuus Nn : Baeehus Buecheler vaeuam Schenk/ ( 1873: 521) eurrus Duhn in app. noeuus Giarratano ( 1906: 22) 1 iam sponte Nn : mareore (vel languore in app.) Baehrens I petebat Nn : petebant Schenk/ (1873: 521)

256-285

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So sprach er. Aber sie löste die Fesseln von den Schultern, die junge Frau, und hängte sie am Altar auf, um ihre Missetat zu sühnen. Ihren eigenen Ehemann nannte sie ihn, der bekleidet war mit durch tyrischen Purpur gefärbten Gewändern, [deren Rand] weiche Seide umfasste und in [deren] Mitte sich dunkelgelbes Gold[gewebe] abhob: [260) ·Das purpurne Gewebe strahlte durch den leuchtend roten Faden. Die Amme erschrak, alle Diener waren erstaunt. Aber der feuergewaltige Knabe triumphierte als Sieger im Tempel: Der nackte Hymen scherzte, die bewegliche Ausschweifung tanzte, die verführerische Wollust ging mit, die einfache Zuneigung war als Begleiterin da, [265] die tändelnden Küsse gaben den Laut von leuchtend roten Lippen wieder, die Eintracht, die Anmut und die Schäkerei gaben bereitwillig Beifall. Der Bräutigam Jason war voller Freude, und die Braut, die Priesterin, führte ihn nach dem Tempel zum Brautgemach. Dann war als Brautführerin Juno da und stattete Venus beredt singend Dank ab. [270) Siehe, dem triumphierenden Brautpaar folgte die schwer erträgliche Undankbarkeit nach, [und] einmütig schloss sich die Vergesslichkeit [ihren] Schritten an. Erschöpft kehrte inzwischen Liber von der Unterwerfung Indiens zurück, nach den Kämpfen auf seinem keuchenden Tiger[gespann] sitzend; ihm folgte eine fröhliche Schar, bereit zu tanzen, [275] indem sie die trunkenen Schritte mit den Thyrsosstäben aus Weinlaub durcheinander brachten. Er nahm wahr, dass der Liebe bringende Knabe die Kolcherin mit seinen Pfeilen durchbohrt und Dianas Tempel [durch seinen] geflügelt[en Eintritt] verwüstet hatte: "Dorthin wendet nunmehr", sagte er, "eure Schritte, Tiger: ein Gott braucht euch, meine Schar. Beeilt euch, ihr Diener: [280) Der idalische Flügelträger ist weniger stark ohne unser Geschenk." Sprach's und erstrebte frei [von Verpflichtungen] und aus eigenem Willen schon Skythien. Schon kam er nach Kolchis, schon vereinigten sich die Scharen des Semelesprosses, es tanzten die Byblerinnen, und es drehten sich die Bacchantinnen im Kreis. Inzwischen kam die Schwester des Plektron tragenden Gottes [285) von der Jagd zurück, ging auf ihr Heiligtum zu und wunderte sich, dass der Tempel unvermutet still

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Text und Übersetzung

quod sileat templum, subito quod sparsus ubique ambrosius sie fraglet odor. sonuere per aures fescennina deae: "pulchrorum vota geruntur, iungitur Aesonidi fulgens Medea marito." erubuit doluitque simul: "non omine fausto coniungatur", ait, "nec prospera flammea sumat: displiceat quandoque viro, cui turpiter audax sacrilegus processit amor. sed iustius opto: perfidus egregiam contemnat nauta iugalem, dulcior affectus vel amara repudia mittat; ftmera tot videat fuerint quot pignora mater, orba parens natos plangat, viduata marito lugeat et sterilem ducat per saecula noctem; advena semper eat, sit tanti causa doloris auctorem confessa gemat". sie fata Diana tristis abit. delubra tacent, sacraria maerent, sanguine templa carent, nutrix tarnen atria tantum templorum servabat anus. haec anxia crimen virginis et raptum deflebat maesta pudorem. qualis in exhaustis per sordida tecta ruinis strix noctuma sonat rostro stridente per umbras; qualis et horrendus funesto carmine bubo conqueritur deflenda gemens, dum tristia maestus funerea sub nocte canit, sie anxia nutrix ingemit et tremulas diffundit maesta querelas. nuntius interea maesto volat ore satelles ad regem subvectus equo natamque tyranno indieat ignoto passim nupsisse marito. expavit genitor: sie quondam tristis Agenor concidit Europae senior fraudatus amore, cum nesciret adhuc generum meruisse Tonantem. < ...... > numen pietas iniuria regnum unt franguntque virum, iubet arma ministris , nam fama ducem rapiebat in enses.

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288 pulchrorurn Nn : pulchro, durn Rossberg ( 1891: 68) pudibundae. Baehrens in app. Colchorurn Peiper II291 coniungatur N : coniugatur n II294 nauta Duhn : nata Nn II296 rnater N : matri n II298 secula Nn : saecla Rossberg (1879: 478) 1 noctern Nn : sortern Ribbeck (1873: 471) vitarn Buecheler in app. senectarn Rossberg ( 1879: 478) II299 sit Nn Baehrens in app. : se Duhn II300 auctorem Nn : acta loco Baehrens in app. 1 gemat Nn : genus Baehrens in app. IIante 301 :. Nnac (eras. nP, der göttliche Wille, seine Zuneigung [Frömmigkeit?], die [erlittene] Ungerechtigkeit [und die Sorge um die] Königsherrschaft Hessen den Mann [Aietes] und zusammenbrechen; er befahl den Dienern, die Waffen , denn durch die Sorge um den guten Ruf liess sich der Herrscher

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Text und Übersetzung

cum poenas mortesque parat, venit Indus ad aulam Liber et egregia compressit voce furentem: "sie tibi, rector", ait, "mentem possedit inanis religio? sie pignus amas, ut tela parentur? qui furis, expecta dulces de prole nepotes. virginitatis onus melior tolerare sacerdos non potuit: fervescit amans et casta Diana pastorem confessa virum." haec Liber aiebat. mulcentur iam corda ducis natamque tyrannus purgat et extemplo Medeae laudat amorem: sie meruit veniam generum confessus Achilles, sie pater ignovit Lycomedes pectore natae et Pyrrhum suscepit avus gremioque nepotem fovit et ad Troiam post crimina misit Achillem. ut Scytha mollitus blanda pietate mitescit, mox iubet, ut generum vel pignus regis ad aulam deposito terrore rogent. tune regia lauro cingitur et postes soceri pia serta coronant. mox thalamos subiere pares: laetatur Iason sponsus et in castris Veneris Medea triumphat. quattuor interea Phoebus transegerat annos, sed natos Medea duos fecunda marito ediderat, cum nocte iacens suspirat lason nec gemituslatueremagam: "quam, callide, fraudem quodve nefas moliris?" ait. "non fallis amantem. dulcia saepe vigil contrectans pectora coniunx agnovi, quia furta paras, quia mente fugaci infaustum quodcumque cupis. secreta polorum cognosco, si morbus erit, si bella parentur, si pluet aut flamma caelum rutilante coruscet: et tu Medeam credis quia fallis, Iason?" tune sie Aesonides stimulet quae forma medullas indicat et pellis causas vel tempore tanto quod lateat socios, quia iam sie regnat amicus, consumptum quem morte putant planguntque parentes:

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320 cum Nn : dum Peiper II324 qui Nn : quid Buecheler II326 post amans dist. Duhn, post potuit Traube II 327 aiebat Nn : agebat Buecheler in app. aibat Baehrens in app. II 328 natamque N : nimt natamque n nautamque Duhn in app. II329 ex templo Nn corr. Duhn II331 ignovit Duhn : innotuit Nn I pectore Nn : pignora Shackleton Bailey (1955: 183) II 333 crimina Nn : stamina Baehrens (1873a: 271) funera Shackleton Bai/ey (1955: 183) 1 misit Nn : visit o/im Baehrens (1873a: 271) 1 Achillem Rossberg (1878: 18f): Achillis Nn Achilles o/im Baehrens (1873a: 271) II 334 mitescit Nn : nitescit Wag/er tepescit Buecheler in app. ministris Baehrens II 336 deposito Nn : eiecto Baehrens I rogent Nn : vocent Buecheler l l'"auro Nn: electro N"'argnmarg ( an electio nmarg) signo praetermissionis iterato II338 laetatur Buecheler : laetatus Nn II341 sed Nn : et Baehrens (1873a.· 271) IJ343 nec Duhn: ne Nn II 349 caelum Buecheler [sie] : coelo Nn II 351 sie Nn : huic Baehrens I forma Nn : cura Buecheler Baehrens II352 causas Nn : casus Baehrens in app. II 353 quia Nn : qui Duhn II 354 consumptum quem Duhn : consumptum que Nn

320-354

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zu den Waffen hinreissen. [320] Als er die Vorbereitungen für die Bestrafung mit dem Tod traf, kam der indische Liber zum Palast und hielt den Rasenden mit seiner hervorragenden Stimme zurück: "Halten dir, Herrscher", sagte er, "nichtige religiöse Bedenken so sehr den Sinn in Besitz? Liebst du dein Kind so, dass Geschosse vorbereitet werden? Der du [jetzt] rast, stelle dich [vielmehr] auf liebe Enkel aus deinem Spross ein. [325] [Selbst] eine bessere Priesterin hätte die Last der Jungfräulichkeit nicht ertragen können: [Denn] sogar die keusche Diana erglühte in Liebe und bekannte sich zum Hirten als ihrem Liebhaber." Dies sagte Liber. Schon besänftigte sich das Herz des Königs, der Herrscher entschuldigte die Tochter und rühmte sogleich Medeas Liebe: [330] So wurde Achill Verzeihung zuteil, nachdem er sich als Schwiegersohn bekannt hatte, so verzieh der Vater Lykomedes im Herzen seiner Tochter, hob als Grossvater Pyrrhos auf, herzte den Enkel auf seinem Schoss und schickte Achill später trotz dem Vergehen nach Troja. Sobald der Skythe von überwältigender Zuneigung erweicht nachsichtig geworden war, [335] befahl er wenig später, man solle den Schwiegersohn und das Kind des Königs an den Hof einladen, wobei sie ihre schreckliche Angst ablegen könnten. Dann wurde der Palast mit Lorbeer ringsum geschmückt, und fromme Girlanden bekränzten die Türpfosten des Schwiegervaters. Bald betraten sie zusammen das Brautgemach: Der Bräutigam Jason freute sich, und in Venus' Lager triumphierte Medea. [340] Inzwischen hatte Phoebus vier Jahresbahnen vollendet, und Medea ihrerseits, fruchtbar Leben spendend, ihrem Mann zwei Söhne geboren, als Jason eines Nachts, als er im Bett lag, seufzte und das Stöhnen der Zauberin nicht entging. "Was für einen Betrug, Schlaumeier, oder was für ein Verbrechen bemühst du dich zuwege zu bringen?" sagte sie. "Die Geliebte [vermagst] du nicht zu täuschen. [345] Oft habe ich, deine Frau, wach [als du schliefst] deine liebe Brust gestreichelt und wahrgenommen, dass du heimlich etwas planst, dass du daran denkst, [mich] zu verlassen und [damit] etwas Unheilvolles herbeiwünschst. Ich lerne die Geheimnisse des Himmels kennen, [weiss], ob es eine Krankheit geben wird, ob Kriege vorbereitet werden, ob es regnen wird oder ob der Himmel von rötlichem Flamme[nlicht] funkelt: [350] Und du, Jason, glaubst, dass du Medea täusch[en kannst]?" Da eröffnete [ihr] der Aisonsohn also, welches Gespinst sein Inneres quäle, das Problem des Vlieses und dass es den Gefährten schon seit so langer Zeit verborgen sei, dass nunmehr, wie es der Fall sei, zum Königshaus gehöre ihr Freund, den die Eltern beklagen, weil sie

88

Text und Übersetzung

"optarem revidere meos iterumque reverti ad thalamos, regina, tuos, monstrare Pelasgis quid coniunx, quid fata valent." Medea marito: "iam pariter pergamus", ait, "sie aurea pellis tollatur, lateant vastum ut mea facta draconem." dixerat et stratis rapitur sub nocte silenti. astra vocans et signa ciens iubet illa Soporem ad nemus ad pellem vel templum Martis abire. dormierat serpens: pellis subtracta marito traditur, et pariter fugerunt fratre necato. accipiunt natos et singula pignora portant. ventum erat ad Thebas, pellis datur aurea regi. miratur rex ipse Creon, laudatur lason, quod freta, quod terras sie felix praedo vagetur. regis nata decens fuerat pulcherrima Glauce, iam cui virginitas annis matura tumebat; haec ubi conspexit iuvenem, flammata nitore aestuat et laudans alieni membra mariti optat habere virum. sonuit genitoris ad aures. tune rector Thebanus ait: "si luppiter auctor, si Lachesis, si fataiubent, nil ipse morabor. progenies mea turpe cupit: Fortuna favorem praestet et innumeri laudent per saecla nepotes. virgineo dabitur pellis cum dote pudori." finierat senior. votum cognovit lason et grates electus agit. praecepta tyrannus diffundit per regna nocens, invitat iniquus, ut veniant ad vota duces. dum serta parantur, cognovit Medea nefas nec tardius illud credidit; ingratum nam senserat ipsa maritum. ante diem tarnen illa dolens, cum cerneret aulam et regis fervere domum, dum magna parantur prandia (venturi mittebant praemia reges), signorum cursus et plenae cornua lunae captabat Medea furens: iam clauserat orbem

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355 optarem Duhn : optarerii Nn optarim Baehrens II357 fataNn: vota Buecheler in app. facta Leo pacta Ribbeck ( 1873: 471) II359 tollatur Nn : tollitur Duhn l lateant vastum ut Vollmer: ut lateant vastum Nn Duhn I facta Duhn: fata Nn II360 et Nn : ec Ribbeck (1873: 471) II 362 ad nemus ad Nn : in nemus ad Baehrens (1873a: 271) ad nemus ac Buecheler in app. II 363 dormierat Nn : dormitat Baehrens II 365 post 360 transp. Baehrens in app. 1 accipiunt Nn : arripiunt Baehrens ( 1873a: 271) 1 singula Nn : secum Duhn in app. singli Baehrens in app. II370 tumebat n : timebat N IIante 372 :. Nn II 372 aestuat Duhn : aestum Nn II 376 turpe Nn : iure Grillone ( 1984: 196/) 1 cupit Nn : iacet Vollmer 1 in app. perit quoque Vollmer2 in app. II 377 et Nn : ut Baehrens II380 electus NnPC : elatus nac I agit NnPc : ait nac II382 serta scripsi : sexta N festa n (an sesta) II 384 nam Buecheler : nec Nn I ipsa nac : ipse NnPc II 385 tarnen Nn : mente Baehrens II386 dum Baehrens : cum Nn II387 prandia Buecheler : premia Nn praevia Baehrens II 389 captabat Nn : spectabat Baehrens

355-389

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glauben, er sei vom Tod hinweggerafft worden. [355) "Ich möchte gern die Meinen wiedersehen und [dann] wieder zurückkommen zu deinem Brautgemach, Königstochter, [ich möchte] den Griechen [gern] zeigen, was [mir] meine Frau, was [mir] mein Schicksal bedeutet." Medea sprach zu ihrem Mann: "Gemeinsam wollen wir uns nunmehr auf den Weg machen; das Goldene Vlies soll so entwendet werden, dass der riesige Drache meine Taten nicht bemerkt." [360) Sprach's und sprang [noch] während der schweigenden Nacht aus dem Bett. Unter Anrufung der Sterne und Beschwörung der Sternbilder befahl sie dem Tiefschlaf, zum Hain, zum Vlies und zum Marstempel zu gehen. Das Schlangenwesen war eingeschlafen: Das Vlies wurde entwendet und dem Ehemann übergeben; gemeinsam flohen sie nach dem Mord an [Medeas] Bruder. [365) Sie nahmen die Söhne und trugen je ein Kind. Man war nach Theben gekommen, das Goldene Vlies wurde dem König übergeben. Der König Kreon bewunderte es, Jason wurde dafür gelobt, dass er die Meere, dass er die Länder als so erfolgreicher Räuber durchreiste. Der König hatte eine ehrbare, wunderschöne Tochter [namens] Glauke, [370) bei der sich nunmehr die an Jahren reife Jungfräulichkeit in Wölbungen zeigte. Als diese den jungen Mann erblickte, brannte [ihr Herz]; entflammt von seiner Ausstrahlung rühmte sie das Aussehen des fremden Ehemannes und wünschte, [ihn] als Mann zu haben. Dies kam dem Vater zu Ohren. Da sagte der Herrscher von Theben: "Wenn Jupiter als Garant dient, [375) wenn Lachesis und das Schicksal es befehlen, werde ich meinerseits nichts dagegen haben. Meine Tochter begehrt Verwerfliches: Fortuna möge die Gunst gewähren und unzählige Nachkommen mögen in Ewigkeit gut [von mir] sprechen. Mit der Mitgift wird das Vlies der züchtigen Jungfrau mitgegeben werden." Der alte Mann hatte geendet. Jason erfuhr von seinem Wunsch [380] und bedankte sich, dass er erwählt worden war. Skrupellos verbreitete der Alleinherrscher Erlasse im ganzen Königreich, hinterhältig lud er die Fürsten ein zur Hochzeit zu kommen. Während die Girlanden vorbereitet wurden, erkannte Medea [Jasons] Freveltat und glaubte sie ziemlich rasch; denn sie hatte selbst gemerkt, dass ihr Mann [ihr gegenüber] undankbar war. [385) Vor Tagesanbruch aber, als sie voll Schmerz sah, dass der Palast und das Haus des Königs [betriebsam] brodelten, während das Festmahl vorbereitet wurde (die Fürsten schickten ihrer Ankunft voraus Gaben), suchte Medea rasend die Bahnen der Sternbilder und die Hörner des Vollmondes zu erfassen: Schon

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Text und Übersetzung

Cynthia sidereis transcendens saltibus astra. mox Colchis se spargit aquis et sulphura lauro cum taedis fumans purgabat membra sacerdos et campum secreta petens, ubi mille sepulchra, stabat deiecta oculos, confessa reatum, et Lunam manibus tensis cum voce precatur: "astrorum princeps, signorum gratia fulgens et caeli stellantis honos, caliginis hostis ac noctumorum triplex regina polorum atque tenebrarum splendens patrona mearum, cui cancer domus , hora clarissima mundi, bracchia contorquens stellis, quae mense peragras quod Phoebus radians toto vix explicat anno, corporis et dominam verax quam turba fatetur, tu nemorum custos, tu mors pinnata ferarum (ursus cervus aper pantherae damma leones, retia cum veniunt aut cum venabula vibrant, ante necem tua praeda iacent); te tertius heres participem regni, consortem iuris amari optavit mundumque dedit tibi dona secundum (sub tua terribiles rapiuntur sceptra tyranni, dives pauper inops raptor pirata sacerdos advenient sub lege pari, non sorte sub una: tu punis post fata reos et viscera saevo, Persephone, das nostra cani), post regna barathri quae vultum mutare soles visura Tonantem: da veniam, Medea precor. cum clade suorum non decet ira deos. mereor pro crimine poenam, te feriente tarnen, non ut mendicus Iason sit vindex, regina, tuus, qui criminis auctor ipse fuit: miseram solus non puniat, oro, qui mecum feriendus erat; cuicumque iubebis, colla paro feriat, tantum ne virgo Creontis discidium pariat nautam ductura marittim. exaudi famulam: dolor est, non zelus Iason. quinque dabo inferias (sat erint pro crimine nostro) illustres animas, niveam cum lasone Glaucen,

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391 sulphura Nn Speranza (1961: 170) : sulphure Baehrens Vollmer l lauro Nn Speranza (1961: 170) adusto Baehrens puro Vollmer largo Leo II 392 fumans Nn fumant Buecheler II 394 adstabat Buecheler; stabat Nn II399 mearum\(vn: nigrarumBaehrens II400 est, hora Housman (1910a: 193f.) Grillo (2000: 199f): ora Nn nullo spatio relicto est, ora Duhn articulo Baehrens 11 401 stellis quae Duhn : stellis q· Nn stellat, quae Baehrens II406 tveniuntt Baehrens in app. II 410 terribiles Vollmer 2 ; terribilis Nn II 412 advenient Nn : adveniunt Baehrens in app. II 414 regna N II 418 mendicus Nn : mentitus Duhn in app. maledictus Baehrens II421 regna n ; f'l-.1:i! erat Nn : erit Baehrens II422 paro Nn ; para Ellis ( 1874: 261) (dabo) Baehrens II423 pariat Duhn : parat Nn II425 erint Nn ; erunt Duhn Ipost nostro dist. Duhn II426 animas Duhn : animae Nn Vollmer I post animae dist. Vollmer I Glaucen Duhn : Glaucem Nn

390-426

91

hatte Cynthia ihre Bahn vollendet [390] und hatte in glänzender Bewegung Sterne übersprungen. Bald besprengte sich die Priesterin aus Kolchis mit Wasser, reinigte ihren Körper, indem sie Schwefel mit Lorbeer und Fackeln unter Rauch verbrannte, suchte heimlich das Feld auf, wo tausend Gräber [sind], stand da mit gesenktem Blick, bekannte ihre Schuld, [395] und betete mit ausgestreckten Händen laut zu Luna: "Vorsteherin der Sterne, glänzende Zierde der Sternbilder und Schmuck des von Sternen funkelnden Himmels, Gegnerin der Dunkelheit, dreifache Königin der nächtlichen Himmelskuppel und strahlende Beschützerin meiner dunklen Unternehmungen, [400] für die der Krebs, der äusserst berühmte Aszendent der Welt, der unter den Sternen seine Scheren biegt, das Haus ist, [Luna,] die du in einem Monat [den Umlauf] zurücklegst, den der strahlende Phoebus kaum in einem ganzen Jahr vollendet, du, die das Volk wahrheitsgemäss als Herrin über den Körper anerkennt, du Hüterin der Wälder, geflügelter Tod für die wilden Tiere [405] (Bär, Hirsch, Wildschwein, Leoparden, Reh und Löwen liegen, wenn sich die Netze nähern oder die Jagdspeere aufblitzen, [schon] als deine Beute da, bevor sie getötet werden); dich hat der dritte Erbe [des Kronos] als Mitinhaberin an seiner Herrschaft und zur Partnerin über seinen bitteren Herrschaftsbereich gewünscht und dir die andere Welt zum Geschenk gemacht [410] (in deinen Machtbereich werden Schrecken einflössende Herrscher gerafft, der Reiche und der Arme, der Mittellose und der Räuber, der Seeräuber und die Priesterin werden unter der gleichen Grundvoraussetzung ankommen, nicht aber unter einem [gemeinsamen] Geschick: Nach dem Tod bestrafst du die Schuldigen und gibst unsere Eingeweide, Persephone, dem wilden [Höllen]hund [zum Prass]); nach der Herrschaft über die Unterwelt [415] pflegst du dein Aussehen zu verändern, um Jupiter zu besuchen: Gewähre Verzeihung, ich, Medea, bitte dich. Zorn, [der] zugleich Verderben für die eigenen [Leute bedeutet], ziemt sich nicht für Götter. Für mein Vergehen verdiene ich Bestrafung, allerdings [nur], wenn du [mich] bestrafst, so dass nicht der hergelaufene Jason dein Rächer ist, Herrin, der [420] selbst der Anlass meines Vergehens war: Mich Elende möge nur er, ich bitte [dich]. nicht bestrafen, der mit mir hätte bestraft werden müssen; wem auch immer du befehlen wirst zuzuschlagen, halte ich den Hals hin, wenn nur Kreons heiratsfähige Tochter nicht unsere Scheidung zustande bringt, um den Seemann zu heiraten. Erhöre deine Dienerin: Schmerz, nicht eifernde Liebe bedeutet Jason [für mich]. [425] Fünf angesehene Seelen werde ich als Totengaben darbringen (das wird für unser Vergehen genug sein): mit Jason die schneeweisse Glauke, zu den Leichen der beiden

92

Text und Übersetzung

mortibus amborum regem superaddo Creonta et natos miseranda duos, mea pignora, supplex offero, sacrilegos nostro de corpore fructus, ne prosit peccasse mihi." sie fata sacerdos suspexit non ire polos nec Luna videtur sie tauros urgere suos, sed cursibus astra ignitis responsa dabant. gavisa sacerdos vertit ad infemum gemitus regemque barathri secura iam voce ciet Furiasque precatur: "impie rex Erebi, qui formidabile regnum Mortis habes, quem terra premit, qui funera mundi excipis et tantis non exples luctibus aulam; anguicomae vos quoque deae, quibus (impius horror!) turpia vipereae funduntur membra cerastae (plurimus ora tegit pendens de vertice serpens et sinuant orbes per pallida colla dracones): si manibus laniata meis mala victima vestros ad manes pervenit homo, si viscera matris vos propter scindens homines in ventre necavi, nunc nostras audite preces. regnator A verni, crastina cum Glauce veniet nuptura marito, mox Furias admitte tuas; properate, sorores Tartareae: Thebis iterum iam vota geruntur. currite per thalamos: locastae frater et heres coniungit natam. gens est vestra: dicabit mortibus impietas, affectus funera praestant. cur mora? nam nihil est quod non me exaudiat umquam. virginitas si casta placet, retinere pudorem si libet et numquam contagia blanda mariti quaeritis, innuptae nuptam exhorrete sorores. si Furias saevire precor nec sponte nocetis, non estis Furiae: nomen mutate domosque, ponite serpentes, alienas redditeflammas et puerum Veneris, quem iam tempsistis, amate." dixerat et terra spatium tremibunda ciebat: quo steterat Medea loco, telluris hiatus

430

435

440

445

450

455

460

431 non ire polos Rossberg (1878: 19): non iure polos Nn Speranza (1961: 170j.) tonuere poli Buecheler non ire polus Baehrens II432 sie Nn : hie Baehrens I eursibus Nn : erinibus Baehrens Schetter (1980: 214f n. 22) II 436 impie Duhn in app. : iam pie Nn II 440 funduntur NPcn: fundundtur N°c ludunt per Baehrens in app. fundunt se in Schenk[ (1873: 521) II451 gens haee Buecheler genus Nn gens en Baehrens nam gens Giarratano (1906: 16) 1 dieabit Nn : dieavit Baehrens II 452 affeetus Nn : effeetus (sc. impietatis) Baehrens in app. II453 quod n: om. N nullo spatio relicto I non me Duhn : me non Nn I umquam Nn : usquam Baehrens II454-456 post 460 transp. Schenk[ (1873: 521) II454 si Nn : sin Schenk[ (1873: 521) II457 nocetis NPCn: nocebis N°c II458 domosque Nn : modosque Baehrens in app. II460 amate Duhn : aetate Nn II 461 spatium Nn : strepitum Buecheler II462 loeo Nn : loeus vel solum Schenk/ (1873: 522) 1 hiatus Nn : hiatu Duhn

427-462

93

füge ich noch den König Kreon hinzu, und demütig bringe ich beklagenswerte meine Söhne dar, die Beweisstücke [meiner Ehe], die aus Frevel entstandenen Früchte meines Körpers, [430] damit mir mein vergangenes Vergehen keinen Nutzen bringt." So sprach die Priesterin und sah, dass sich das Himmelsgewölbe über ihr nicht weiter bewegte; auch Luna schien ihre Stiere nicht [mehr] anzutreiben, doch die Sterne gaben mit feurigen Bahnen Antwort. Erfreut richtete die Priesterin ihr Heulen an die Unterwelt, rief den Herrscher des Unterweltschlundes [435] mit nunmehr zuversichtlicher Stimme an und betete zu den Furien: "Unerbittlicher König der Unterwelt, der du das furchteinflössende Reich des Todes innehast, du, auf dem die Erde lastet, der du die Toten der Erde aufnimmst und den Hof mit so vielen Trauerfällen nicht füll[en kannst], und ihr schlangenhaarigen Göttinnen, über die (welch ungeheuer Schrecken!) [440] sich die grässlichen Glieder von giftigen Hornvipern ausstrecken (in ihrer ganzen Länge hängt eine Schlange vom Scheitel herab und bedeckt die Gesichter; [andere] Schlangen drehen Windungen überall an den fahlen Hälsen): Wenn [je] ein Unheil bringendes Menschenopfer, von meinen Händen in Stücke gerissen, zu den Manen, [die in] euren [Bereich gehören], gelangt ist, wenn ich [je] die Innereien [445] einer Mutter zerfetzend euretwegen Menschen im Mutterleib getötet habe, hört jetzt auf mein Gebet. Herrscher der Avern[er-Region], wenn Glauke morgen kommen wird, um meinen Ehemann zu heiraten, schicke sogleich deine Furien los; beeilt euch, höllische Schwestern: Schon wieder findet in Theben eine Hochzeit statt. [450] Lauft durch das Hochzeitsgemach: Jokastes Bruder und Erbe vermählt seine Tochter. Familie gehört euch: Ihre Skrupellosigkeit wird sie dem Tod weihen, ihre Liebesgefühle bereiten [ihnen] den Untergang. Weshalb die Weile? Es gibt nämlich nichts, was mich je nicht erhört. Wenn [euch] reine Jungfräulichkeit gefällt, wenn es beliebt, züchtigen Anstand [455] zu wahren und ihr nie die verführerischen und befleckenden Berührungen eines Ehemannes sucht, ekelt euch, unverheiratete Schwestern, vor der [bald] verheirateten Frau. Wenn ich die Furien bitte[n muss) zu wüten und ihr nicht von selbst Schaden anrichtet, seid ihr keine Furien: Ändert euren Namen und Wohnsitz, entledigt euch [eurer] Schlangen, gebt die euch fremd gewordenen brennenden Fackeln zurück [460] und schliesst den Sohn der Venus ins Herz, den ihr bisher verschmäht habt." Sprach's, und die Erde bewegte bebend den Ort: An der Stelle, an der Medea gestanden hatte, öffnete sich ein Spalt im Grund. [Wie vom Donner] gerührt neigte

94

Text und Übersetzung

finditur. attonitas inclinat cautior aures et surgens "audimur", ait, "nam terra tremescit, verberea plaudentum resonant per inane sororum, sibila vipereis vibrant sub dentibus angues. res melior tempusque monet redeatur ad urbem. ante tarnen fluvio corpus mergatur et undis." quod maga digrediens mox perficit et petit urbem. exilit interea tecturus Lucifer astra puniceo praevectus equo rutilusque micansque concusso de crine iubar diffundit in orbem flammigeri roseas praecedens Solis habenas; coeperat aula ducis strepitu resonare clientum. iam Phoebus scandebat equos et luce rubebat post noctem ventura dies, iam tecta Creontis regibus implentur, iam proxima virgo marito sederat et tabulas calamo sulcabat lason. "conventum pactumque", sonat signat tabellas horrida Tartareo veniens de gurgite virgo Tisiphone signumque premit gavisa Megaera, Allecto testis ceras adamante notavit; anguibus horrendis per regia tecta flagellant. interea Medea novam formare coronam coeperat et niveis miscebat sulphura ceris, pix et stuppa ligat, species dat quattuor aris, mascula tura cremans sterili suffire cypresso cura fuit cyproque ligat, quod naufraga puppis perdiderat; cristata manus sancire iubetur: lambere caeruleis permisit serta cerastis. exitiale repit mox praemia taetra venenum atque aurum mentita nocens radiare corona creditur et gemmas flores imitantur iniqui. dum funus Medea parat haec munera Glaucae, processit roseis sol mundum amplexus habenis. at maga sulphuream ponens ad busta coronam haec ait: "o mundi fades pulchenima, Titan,

465

_470

475

480

485

490

495

463 finditur Nn : panditur Baehrens I aures NPCn : auras Nac II464 audimur NPcn : adimur Nac II 466 Sibyla Nn corr. Duhn II469 maga NPcn : magna Nac I digrediens Nn : degrediens Baehrens II 471 prevectus Nn : provectus Buecheler II475 rubebat Buecheler : ruebat Nn nitebat Baehrens II ante 479 + Nn II479 conventurn n : convectum NI sonat Duhn : sonant Nn I signatque Baehrens (1873a: 271) Blomgren (1966: 64) · signat+ Nn signate Buecheler II 481 Tesiphone Nn corr. Duhn 11 482 Allectos Nn corr. Duhn II483 per Nn : ter Walter ( 192617: 113) II486 aris Baehrens : artis Nn arti vel atras Hudson-Williams ( 1946: 98) acris Kuijper ( 1958: 36 n. 5) II487 cremans Nn : cremat Buecheler in app. II 488 cura fuit Nn : curavit Duhn in app. 1 puppis N: _c;yprjspuppis n 11491 repit Nn Hudson-Williams ( 1939: 160f.) rapit Buecheler tegit Baehrens replet Rossberg (1887: 857) II 494 funus (vel inmanis) Baehrens (1873a: 271) : munus Nn Grillone (1984: l 95f.), qui (haec munera Glaucael) legit I haec Nn : nec Leo I munera Nn Leo : funera Buecheler II 495 mundum N : mundum q n

463-497

95

[Medea] ziemlich vorsichtig die Ohren [dorthin] und sagte, als sie sich erhob: "Wir werden erhört, denn die Erbe bebt, [465] die Schläge der peitschenden Schwestern widerhallen durch die Öde, die Schlangen geben unter ihren Giftzähnen züngelnd zischende Laute von sich. Die Aussicht auf Erfolg und die [fortgeschrittene] Zeit mahnen, zur Stadt zurückzukehren. Vorher aber soll mein Körper in die Wasser des Flusses eingetaucht werden." Wenig später verrichtete die Zauberin dies beim Weggehen und ging auf die Stadt zu. [470] Inzwischen erstrahlte Lucifer, um die Sterne zu überdecken, voranreitend auf einem tiefroten Pferd, leuchtend rot funkelnd verteilte er aus seinem Schweif, den er ausgeschüttelt hatte, strahlenden Glanz über die Welt und ging den rosenfarbigen Zügeln des Flammen tragenden Sonne[nwagens] voran; der Palast des Herrschers hatte begonnen vom Lärm der Untertanen zu widerhallen. [475] Schon bestieg Phoebus den Pferde[wagen], und der anbrechende Tag leuchtete nach der Nacht im rötlichen Morgenlicht; schon füllte sich Kreons Haus mit den Fürsten, schon hatte sich die junge Frau neben den Ehemann gesetzt und Jason ritzte den Ehevertrag mit der Rohrfeder ein. "Man ist übereingekommen und hat [die Ehe] vertraglich geregelt", rief Tisiphone und siegelte die Täfelchen, [480] die Schrecken verbreitende Jungfrau, die vom Schlund des Tartarus kam, Megaira drückte freudig ihr Siegel _darauf und Allecto zeichnete als Zeugin das Wachs[siegel] mit einem Stahl[griffel]; mit 'Furcht erregenden Schlangen teilten sie überall im Königshaus Peitschenschläge aus. Inzwischen hatte Medea begonnen, eine neuartige Brautkrone herzustellen [485], und mischte Schwefel mit schneeweissem Wachs; Pech und Werg banden [die Krone]. Medea gab vier Duftstoffe auf den Altar und richtete, indem sie männlichen Weihrauch verbrannte, ihr Augenmerk darauf, [sie] mit unfruchtbarem Zypresse[nholz] zu räuchern, und band [sie] mit Kupfer, den ein schiffbrüchiges Boot verloren hatte; eine kammtragende [Schlangen]schar wurde zur Bekräftigung [des Zaubers] aufgefordert: [490] Sie [Medea] erlaubte den schwarzblauen Hornschlangen, das Gebinde zu lecken. Bald bekroch todbringendes Gift die grässliche Gabe: Die verderbliche Krone täuschte Gold[glanz] [zwar nur] vor, [aber] man hatte den Eindruck, sie strahle, und falsche Blüten ahmten Edelsteine nach. Während Medea diese Geschenke als Verderben für Glauke vorbereitete, [495] ruckte die Sonne vor und umfasste die Welt mit ihrem rosenfarbigen Gespann. Da legte die Zauberin die schwefelhaltige Krone bei den Gräbern [nieder] und sprach Folgendes: "Oh schönster Anblick der Welt, Titan, [der du] die Schöpfung mit

96

Text und Übersetzung

naturam fervore tenens, elementa coartans, ne dispersa fluant aut mundi machina mergat, stelligeri iubar omne poli, quam sphaera polorum sustinet et prohibet rutilam plus ire per aethram, dum contra rapis axe rotas et colligis ignes; ipse pias animas mittis et claudis in aevum orbe tuo: miserere tuae, deus optime, neptis. insidant haec serta comis et virginis ora digna corona premat: sint, inquam, regis in aula munera nostra rogi, dent praemia tanta sepulchrum, ignea mors rapiat sponsum cum paelice busto." sie effata minax Solis mox numen adorat. "tempus est, pergamus", ait. sie fata coronam tollit et insontem fingens ad tecta Creontis venerat, oblata sponsae dat serta puellae: "accipe, virgo, libens auratam in fronte coronam, quam captiva dabo, qualem mea pignora sumant." dixerat et capiti, quod iam diademate regni splendebat, fera serta·locat. laudata recedit Colchis, et infaustas vomuerunt munera flammas: has radians nam Phoebus alit. iam creverat ignis: uritur ingratus usta cum virgine nauta; cum genero nataeque parat succurrere rector, uritur ipse Creon; rogus est mox aula tyranni. diffugiunt omnes, populi conviva ministri, saltantum fugere chori, nam festa canentes ambusti lamenta sonant nec tympana plausu percutiunt, sed turba gemens hinc inde lacertos verberat et flentes sed non sua funera plangunt. stabat sola nocens necdum satiata sacerdos nec secura tarnen: numquam sie passe venena credidit aut precibus tantum servire sorores. sed postquam solos quos iusserat ignis adussit, tune natos furibunda premit. nam Mermerus insons et Pheretes matrem blanda pietate vocabant.

500

505

510

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499 mergat Nn : vergat Buecheler in app. II 501 prohibet Duhn : prohibes Nn II 502 ignes Nn: igni Schenk/ (1873: 520) II503 mittis et NnPc : mitis et nac mites et Buecheler admittens Baehrens mulces et Peiper II 504 neptis Baehrens : nepti Nn II 507 dent Buecheler : dant Nn I tanta Nn : taetra Duhn in app. temptavit 491 collato tacta Leo II508 busto Duhn: busta Nn adusta Rossberg (1878: 20) II510 adest Duhn: est N .-.est n II 511 et Nn : ut Duhn in app. 1fingens ad Duhn in mss. legisse videtur : pingens ad Nn fingit se Baehrens II513 in Nn : de/. Buecheler en Baehrens II 514 dabo Nn : dato Baehrens II 524 ambusti Nn : ambustis Baehrens in app. II526 sed non Nn : pars et Baehrens II 528 nec Nn : et Baehrens II 529 sorores Baehrens Schetter ( 1980: 218): furores Nn Furores Vollmer 2 II 530 solos Nn : solidos repudiavit Vollmer 2 Solis Gärtner (1999: 200/) 1 adusit Nn corr. Duhn II 531 premit Nn: petit Baehrens (1873a: 271) 1 mermer'"us N: Mermrius n IIante 532 + Nn II532 Pheretes Baehrens : ferentes Nn Feretus Duhn

498-532

97

deiner Wänne erhältst und die Elemente eng verbindest, damit sie nicht losgelöst entgleiten und damit der Weltenkomplex nicht untergeht, [500] ausschliessliche Lichtquelle des Sterne tragenden Himmels, den das Himmelsgewölbe trägt und daran hindert, weiter durch die leuchtend rote obere Luftschicht zu gehen, während du mit der Wagenachse die Räder in umgekehrte Richtung reisst und feuriges Licht aufnimmst; du selbst schickst die rechtschaffenen Seelen [in die Welt] und schliesst sie auf Ewigkeit in deiner Kreisgestalt ein: Habe Mitleid, bester Gott, mit deiner Enkelin. [505] Dieses Gebinde soll ihr Haar besetzen, und die angemessene Krone soll das Angesicht der jungen Frau zieren: Im Palast des Königs sollen, sage ich, unsere Geschenke zu Scheiterhaufen werden, die[se] so mächtigen Gaben sollen die Brandstätte stiften, der Feuertod soll den Bräutigam mitsamt seiner Nebenfrau ins Grab reissen." Nachdem sie [diese Beschwörungen] forsch ausgesprochen hatte, betete sie bald Sol an. [510] "Der Zeitpunkt ist gekommen, wir wollen fortfahren", sagte sie. Sprach's, nahm die Krone auf, kam zu Kreons Haus, wobei sie sich den Anschein gab harmlos zu sein, bot der jungen Braut das Gebinde an und überreichte es ihr: "Nimm, junge Frau, die goldschimmernde Krone [und setze sie] freudig auf die Stirn; als Gefangene werde ich sie [dir] geben; mögen [auch] meine Kinder eine solche Krone bekommen." [515] Sprach's und setzte [ihr] das gefährliche Gebinde auf den Kopf, auf dem schon ein Herrschaftsdiadem glänzte. Die Kolcherin wurde gelobt und zog sich zurück, und ihre Geschenke versprühten unheilvolle Flammen: Diese nährte nämlich Phoebus mit seinen Strahlen. Schon war das Feuer gewachsen: Der undankbare Seemann verbrannte mit der jungen Frau, [kaum war sie] verbrannt; [520] als der Herrscher sich anschickte, dem Schwiegersohn und der Tochter zu Hilfe zu eilen, verbrannte er (selbst), Kreon; bald darauf war der Palast des Monarchen ein Scheiterhaufen. Alle liefen auseinander, Leute, Gäste[schar und] Diener. Die Chöre der Tanzenden flohen, und jene, die festliche Weisen sangen, liessen Klagen ertönen wegen ihrer Brandwunden und schlugen die Tamburine nicht [mehr) [525) mit klatschen[den Händen], sondern die Schar schlug stöhnend auf beiden Seiten die Arme, und weinend beklagten sie die Todesfälle, wenn auch nicht den eigenen [Tod]. Die unheilvolle Priesterin stand allein da, noch nicht befriedigt, aber auch nicht selbstsicher: Niemals hätte sie geglaubt, dass das Gift so stark wirke und dass die Schwestern den Beschwörungen in diesem Masse Folge leisteten. [530] Aber nachdem das Feuer nur diejenigen verbrannt hatte, die [zu verbrennen] sie ihm befohlen hatte, da drückte sie rasend ihre Kinder an sich. Denn unschuldig riefen Mermeros und Pheretes die Mutter mit treuherziger Kindesliebe. Um die

98

Text und Übersetzung

ut flammas vitare queat, infantia simplex affectu petit ipsa necem vel sponte pericla quaerit inops, passura necem mucrone parentis, ignari, quae mater erat quid saeva pararet. tune genitrix furibunda manum suspendit et ensem ac fatur: "Sol testis avus Sol Persice Mithra, Luna, decus noctis, Furiae, Proserpina, Pluton: accipe, Sol radians, animas, tu corpora, Luna, nutrimenta animae; fundit quem mucro cruorem sumite vos, Furiae; noctis rex exigat umbras; spiritus in ventos < ............................ . .....................> satis est punisse nocentes insontesque simul. miseros hoc ense necabo, quo genitor feriendus erat: nihil ipsa dolebo, si ingrata maneat nullus de gente superstes." haec ait et geminos uno simul ense noverca transegit pueros. quos sie portabat ad arcem (ut proceres videre nefas, timuere cruentam et doluere simul), ceu quondam baccha Lyaei saeva caput iuvenis mater gestabat Agaue. "his", inquit Medea, "rogis, ubi pulchra noverca et pater ipse Creon vel perfidus arsit Iason, vos, miseri, commendo, mei." sie fata minorum corpora saeva parens funestos mittit in ignes et currus metuenda petit. venere dracones viperea cervice iubas et colla levantes squamea, cristato radiabant vertice flammae. currus taeda fuit, sulphur iuga, temo bitumen et rota cypressus, solidarat frena venenum, plumbeus axis erat raptus de quinque sepulchris. occupat illa gravem funesto corpore currum, ire furore sidens taetros simul imperat angues. tolluntur celeres, mox se tellure levabant, iam nutant per inane rotae hinc inde labantes, aera saeva petit volitans quadriga venenis et poterat fuscare diem, corrumpere ventos,

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533 queat Nn: queant Buecheler II534 post necem legitur .m\l.(:f.O.Ql:.PM~l\tis vel sponte pericla in n II535 post necem legitur Y..;L~.1,>.Qn,~.~fida mucrone parentis in n II 538 Sol Persice Mithra Duhn : so! perste ministra N so! persce minitra n Solisque ministra Baehrens IIinter ventos in 542 et satis in 543 duos versus a Tristano Ca/eo servatos (fr. 2) inserere velit Diaz de Bustamante in app. II543 post ventos lacuncam ind. Duhn in app. 1 satis est Nn : satiet Duhn in app. II 546 maneat Duhn : meneat n meurat N II551 gestabat Buecheler : testabat Nn II554 mei Duhn : meis Nn II560 solidarat NPcn : solidabat Nac IIante 563 :. N II563 furore sidens NnPc Speranza ( 1961: 171f) furore sident nac Furor residens Duhn toro residens Baehrens II564 se Duhn: eNn 1 levabant Nn : levatae Baehrens II565 labantes Duhn : lavantes Nn II566 volitans Nn : vomitans Gil ( 1984: 166) 1 venenis Vollmer! in app. : venena Nn veneni Buecheler I post quadriga dist. Baehrens II567 poterat Nn : poterant Baehrens

533-567

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Flammen vermeiden zu können, gingen die Kinder selbst in ihrer Einfalt, [voller] Zuneigung auf (die Vollstreckerin) ihre(r) Ermordung zu und suchten von sich aus [535] hilflos das Verderben, [die Kinder,] die den Tod durch das Schwert ihrer Mutter erleiden sollten, [weil] sie nicht wussten, was diejenige, die ihre Mutter war, in ihrem Wüten plante. Da erhob die Erzeugerin rasend die Hand und das Schwert und spach: "Sol, Zeuge, Grossvater, Sol, persischer Mithras, Luna, Zierde der Nacht, Furien, Proserpina, Pluton: [540] Nimm, strahlender Sol, die Seelen auf, du die Körper, Luna, die Nährstoffe der Seele; das Blut, das mein Schwert vergiesst, nehmt zu euch, ihr Furien; der Herrscher der Finsternis möge die Schatten einfordern; der Geist [möge] in die Lüfte [entweichen] ..................... Es genügt, Schuldige und Unschuldige zusammen bestraft zu haben. Ich werde die Elenden mit dem Schwert töten, [545] mit dem ihr Erzeuger hätte getötet werden müssen: Mich meinerseits wird es überhaupt nicht schmerzen, wenn niemand aus der undankbaren Familie am Leben bleibt." Dies sprach sie und durchbohrte mit einem Schwertstoss die beiden Knaben zugleich. Diese trug sie dann so zum Burgfelsen (als die Fürsten das Verbrechen sahen, fürchteten sie sich vor der blutbefleckten [550] [Mörderin] und empörten sich zugleich), wie einst Agaue als rasende Bacchantin des Lyaios und Mutter das Haupt ihres Sohnes getragen hatte. "Diesen Scheiterhaufen", sagte Medea, "auf denen die schöne Stiefmutter, der Vater Kreon und der treulose Jason verbrannten, vertraue ich euch an, meine Elenden". Nachdem sie so gesprochen hatte, warf die Mutter [555] in ihrem Rasen die Leichen der Kleinen ins Feuer der Scheiterhaufen und verlangte, die Furcht Einflössende, nach dem Wagen. Die Schlangen kamen, erhoben mit ihren Schlangennacken die Kämme und schuppigen Hälse, und Flammen erstrahlten vom kammtragenden Scheitel. Der W agen war eine Fackel, das Joch Schwefel, die Deichsel Asphalt [560] und das Rad Zypressenholz; Gift hatte die Zügel verstärkt, und die Achse war aus Blei, zusammengerafft von fünf Gräbern. Jene bestieg den Wagen, der von ihrem todbringenden Körper schwer wurde, [und] befahl zugleich im Wahnsinn den grässlichen Schlangen abzuheben, während sie sich setzte. Sie erhoben sich schnell, bald hoben sie sich von der Erde [in die Luft], [565] schon schwankten die Räder, auf beiden Seiten flatternd, durch den Luftraum, im Flug erstrebte der ungezähmte Wagen die Lüfte unter

100

Text und Übersetzung

ni Phoebus rubuisset avus de erimine neptis et totum meliore eoma perfunderet orbem. saeve Furor, crudele Nefas, infausta Libido, Impietas, Furiae, Luetus, Mors, Funera, Li vor, linquite mortales miseroque ignoseite mundo, pareite iam Thebis, diros eohibete furores. inde venit quodeumque nefas: sie Cadmus obruit infaustis erudelia semina sulcis, inde seges ferrata mieat vel Martis anheli heu male eoneeptis praegnatur terra venenis; emieuit galeata eohors aeiesque nefanda, rumperet ensiferis cum ferrea messis aristis, insurgunt elipeis, rapiunt simul arma phalanges mortibus alternis et mutua fata minantur fratemumque nefas qui gessit vindieat ensis. inde Athamas miserandus erat, miser inde Palaemon, inde loeasta fuit turpis fuit Oedipus inde, inde Eteocles erat frater Polynieis et hostis, et Polynices inops germani morte peremptus. blanda Venus, laseive puer, Semeleie Baeehe, pareite vos saltem Thebis, quibus auetor origo aut suboles praeclara fuit: tibi mater, Iaeehe, Thebana de stirpe ttartara tibi dionest Harmoniam nupsisse ferunt: pro munere Thebae et pro tot meritis sie funera tanta merentur? erimen erit genuisse deos ! iam Creta Tonantem depositum nutrisse neget, iam Delos in undas fluetuet et paveat partus meruisse deorum,

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590

595

569 perfunderet Buecheler : profunderet Nn II 571 furie NPC : furire Nac .Ült furiae n II 572 linquite Duhn : liquite Nn II574 sie Nn : hie Duhn in app. ut Baehrens I Cadmus Nn : advena Leo 1 aratro Nmargnmarg: aratis Baehrens Cadmus Leo II576 post 577 transp. Rossberg (1887: 857) II 576 inde Nn : unde Duhn in app. 1 ferrata Duhn : ferri N ferri nPC ferra nac I mieat Nn : pullat Baehrens nutat Rossberg ( 1887: 857) 1 vel Martis (martis N) Nn : mavortis Ribbeck (1873: 471) II ante 583 + Nn II583 Athamas Duhn : thalamus N talamus nPCtalamas nac II585 thocles Nn corr. Duhn I frater N : fratJi n II586 Poliniees n : Polinieeps N I peremptus Buecheler : terentus Nn eruentus Rossberg ( 1879: 478) II587 lascive Nn : laseiva Baehrens I Semeleie Baeehe Duhn: semeleiae baeehae Nn II588 sa)tem scripsi: saltis Nn saltim Duhn II589 Iaeehe Duhn : iaeet Nn Iaeehe, est Baehrens II590 tanara tibi diones Nn correptum putavit Vollmer : tuam Thebisque, Dione Buecheler gener tibi, Cadme, Diones etiam Buecheler apud Vollmer 1 in app. tuam Cadmoque, Dione Baehrens tibi, spartarcha, Diones Leo et, arator, tibi Diones KuUper (1958: 78) 1 591 Harmoniam Duhn : Armonia Nn II592 sie Nn : si Baehrens II 593 genuisse Nn : tenuisse Baehrens in app. II594 undas Nn: undis Baehrens in app.

568-595

101

Gift[schwaden] und hätte den Tag verdunkeln [und] die Lüfte verderben können, wenn nicht Phoebus, der Grossvater, [vor Scham] über das Vergehen der Enkelin errötet wäre und den ganzen Erdkreis mit einem besseren Strahlenteppich überflutet hätte. [570) Ungezügelter Wahnsinn, grässlicher Frevel, unheilvolle Lust, Skrupellosigkeit, Furien, Trauer, Tod, Untergang, Neid, geht weg von den Sterblichen und seid nachsichtig mit der armen Welt, verschont nunmehr Theben, bezähmt euer schreckliches Rasen. [Denn] von dort kam jeglicher Frevel: So deckte Kadmos mit dem Pflug [575] die grässlichen Samen in den unheilvollen Furchen zu, aus denen blitzend eine Saat in eiserner Rüstung entsprang, und die Erde wurde schwanger, nachdem sie, oh weh, zu ihrem Unheil die Gift[samen] des Keuchen erzeugenden Mars empfangen hatte; es entsprangen eine behelmte Schar und eine gräuliche Truppe, als die Ernte in Eisenrüstung aus den Schwert tragenden Ähren hervorbrach, [580) die Phalangen stemmten sich gegen die Schilde, griffen im gleichen Moment zu den Waffen, um sich wechselseitig zu töten, und drohten sich gegenseitig den Tod an; und das Schwert, das das Verbrechen am Bruder vollzog, nahm Rache. Von dort war der beklagenswerte Athamas, von dort der elende Palaimon, von dort war Jokaste, Ödipus war von dort, die Schändlichen, [585) von dort war Eteokles, Polyneikes' Bruder und Feind, und Polyneikes, der nach Verlust seines Bruders vom Tod dahingerafft wurde. Verführerische Venus, freizügiger Junge, Semelesohn Bacchus, schont ihr wenigstens Theben, das einen ausserordentlichen Gründer und Ursprung und eine [ebensolche] Nachkommenschaft hatte: Du, lakchos, hast eine Mutter [590) thebanischer Abstammung, man berichtet, dass t ... Dionet Harmonia heiratete: Verdient Theben für [diese] Funktion und so viele Auszeichnungen denn so grosse Katastrophen? Zum Vorwurf wird es gereichen, Götter in die Welt gesetzt zu haben! Bald mag Kreta leugnen, dass es den ausgesetzten Donnerer aufgezogen hat, bald mag Delos [595) in den Fluten treiben und [weitere Folgen davon] fürchten, dass sie sich durch

102

Text und Übersetzung

te Venerem freta vestra negent, abiuret Amores Cyprus et Idalium pigeat coluisse Dionen, Vulcanus Lemno, luno spernatur ab Argis, Gorgone terribilis Pallas damnetur Athenis, sit nefas eo! uisse deos, quia crimen habetur religionis honos, cum dat pro laude pericla.

600

596 abiuret Duhn : adiures Nn II597 Cyprus NPcnPc : Cypris Nacnac I Dionen Duhn : Dionem Nn II600 sitque Buecheler : sit Nn II601 laude NnPc : laudo nac IIpost 601 ~EÄ.o~scriptum Nn IIin fine scriptum manu recentiore Antonij Seripandi ex Iani Parrhasij testamento N

596-601

103

die Geburt von Göttern verdient gemacht hat. Dich, Venus, mag euer Meer verleugnen, den Amores mag Zypern abschwören und ldalion mag es reuen, Dione verehrt zu haben, Vulcanus mag von Lemnos, Juno von Argos verachtet werden, Pallas, die mit [dem Haupt der] Gorgo Schrecken verbreitet, mag von Athen verflucht werden; [600) (und) es soll ein Frevel sein, Götter verehrt zu haben, da die Ehrung einer Religion als Verbrechen angesehen wird, wenn sie statt Preis Katastrophen bringt.

KOMMENTAR

1-31 PROOEMIUM Das Prooemium besteht aus zwei Teilen, einer Themenangabe (1-25) und einem Musenanruf (26-31). Die Themenangabe umfasst eine Charakterisierung von Medea (1-16) und eine Vorschau auf den zu behandelnden Mythos (16-25). Diese Vorschau ist gleichzeitig eine Quellenangabe, denn der Mythos ist mit zwei Musen, die zeitgenössische Theateraufführungen repräsentieren, verbunden. Daran schliesst sich der Musenanruf des Dichters nahtlos an. Die Reihenfolge Themenangabe - Musenanruf ist in epischen Prooemia üblich 1 • Z.B. Verg. Aen. 1,1-7 (Thema) und 8-11 (Anruf der Musa); Ov. met. 1,lf. (Thema) und 24 (Anruf der di); Lucan. 1,1-32 (Thema) und 33-66 (Anruf Neros in der Funktion einer Muse); Val. FI. 1,1-4 (Thema) und 5-21 (Anruf von Phoebus und Domitian); Sil. 1,1-3 (Thema) und 3-8 (Anruf der Musa); Stat. Theb. 1,1-3 (Thema) und 3-45 (poetologische Auseinandersetzung mit Musen und Domitian); Claud. rapt. Pros. 1.1-4 (Thema), 5-19 (Beschreibung der Inspiration) und 20-31 (Anrufung der Unterweltsgottheiten als Vermittler des Mythos).

1-16 Themenangabe I: Medea In den ersten 16 Versen der Themenangabe erscheint Medea als mit übermenschlichen Fähigkeiten ausgestattete Person: Sie kann den Göttern, den Elementen, den Gestirnen, ja sogar Jupiter Befehle geben, denen diese selbst gegen ihren Willen gehorchen. Ihre Darstellung hier erinnert an Lukans Erictho 2 • Da diese als Superhexe charakterisiert wird, drängt sie sich als Modell für eine übermächtige Zauberin in einem (Kurz- )Epos geradezu auP. Medeas übermenschliche Züge kommen bei ihrer Himmelfahrt (564-9) zwar nochmals zur Sprache, sonst ist ihre Macht in Romul. 10 jedoch sehr beschränkt; zur Erklärung dieses Widerspruchs ► E. 3.7.1. Zu den Bezügen ► lf.; ► 4f.; ► 5f.; ► 7f.; ► 8f.; ► 12f.; ► 14. Dracontius nennt Erictho in Romul. 5,130 (quaere sacerdotem: veniet crude/is Erictho) - gegen Vollmers (1905: 441) Konjektur Enyo. Ihre Beschreibung in Romul. 5,131-6 überbietet die lukanischen Züge der Hexe noch um eine Stufe (wo dies möglich ist); vgl. Lucan. 6,529-69; 628-33. Bemerkenswert ist an der eben zitierten Stelle die Bezeichnung sacerdos, denn so wird auch Medea in Romul. 10 charakterisiert (► 63). Vgl. dazu weiter Korenjak (1996: 23). Lukan dienten ausserdem u.a. Ovids und Senecas Medeen als Vorlage (Korenjak 1996: 22), und nach dem Werkverzeichnis der Vita Vaccae soll er selbst eine Medea zumindest begonnen haben.

1 fert animus vulgare nefas: Programmatisch wird angekündet, dass Romul. 10 von nefas handeln wird, noch bevor Medea selbst genannt wird. In erster Line weist der Begriff auf Medeas Mordtaten hin, auf welche die Handlung hinzielt, denn der Kindermord wird in 549 ausdrücklich als nefas bezeichnet. Im Epilog wird der Begriff jedoch überraschend umgedeutet und erstens auf die Verbrechen in Thebens Ge-

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Kommentar

schichte und zweitens auf die Verehrung der falschen Götter bezogen•. Die Umdeutung wird dadurch erleichtert, dass der Begriff hier absolut steht 5 • nefas erscheint schon in Lukans Bellum Civile als Leitmotiv°, in grösserem Ausmass jedoch in Statius' Thebais im Sinne des natur- und kulturwidrigen Bürger- bzw. Bruderkrieges'. Der Begriff ist auch in früheren Beschreibungen von Medea mit ihr assoziiert worden, vor allem bei Seneca 8 • Die Junktur vulgare nefas ist paradox, denn nefas wurde etymologisch mit fari verbunden, druckt also eine unaussprechliche Sache aus9 • Dadurch wirkt sie umso stärker. Sie erscheint an der gleichen Stelle in 16: Während es der Dichter dort für Unrecht hält, auf Medeas Zauberspriiche einzugehen, will er hier ihr Unrecht einem breiteren Publikum vorstellen 10 • Die Eröffnung des Prooemiums (fert animus) lässt sogleich an die ersten Worte von Ovids Metamorphosen und, mit sprachlich grösserer Entsprechung, an Lucan. 1,67 denken''. Damit beansprucht der Dichter einen Platz in der römischen Epentradition 12• Die Ähnlichkeit zu Lukan passt gleichzeitig zu den Parallelen zwischen Erictho und Medea.

10 ll

12

► 570 und ► 600 (sitque nefas coluisse deos). Vgl. auch Pollmann (2001: 100). Für weitere nicht-programmatische Belege von nefas ► l5f. und ► 344. Interessant ist auch die Kurzversion des Mythos in Drac. Orest. 429-31 (sifecit Medea ~ flammata dolore / dulcis amoris erat, cum regia tecta cremabat / incolumi viduata viro de paelice Glauce), wo die Mordtaten als gerechfertigtes nefas bezeichnet werden; ► E. 3.6.4. Z.B. Lucan. 1,6 (commune nefas); 2,286 (Cato: summum, Brute, nefas civilia bella fatemur); 4,172 (civile nefas); vgl. Glaesser (1984: 4-8; 163f. Anm. 22). Lukan konnte sich an Senecas Tragödien orientieren, deren Tragik auf einem schweren Verstoss gegen das Naturrecht basiert (vgl. Opelt 1969: 93-6; Glaesser 1984: 1-4). In Sen. Med. finden sich allerdings die Begriffe scelus (26 Belege) und crimen (8 Belege) häufiger als nefas (4 Belege), doch als Prinzip hinter Medeas Untaten ist nefas deutlich erkennbar; vgl. Opelt (1969: 111-5). Für nefas in Bezug auf Erictho ► 5f. Z.B. Stat. Theb. 9,882 (Parthenopaeus' Tod: ipsisque ng.fas lacrimabile 1'hebis); 11,475 (Pietas' Wirkung auf dem Schlachtfeld: sentirique n,:.fas); 499 (Eteokles und Polyneikes: instaurant crudele nefas). Das Wort ist in der Thebais 51 Mal belegt; vgl. auch Thome (1993: 324f.). Zur exemplarischen Bedeutung des Bruderkriegs als Hintergrund für Medeas Taten ► 585. Sen. Med. 44f. (Medea: quodcumque vidit Phasis aut Pontus ru:/fil./ videbit lsthmos); 122 (Medea über Jason: adeone credit omne consumptum l/&[{H?); 93 lf. (vor dem Kindermord: incognitum istud facinus ac dirum ru:/fil./ a me quoque absit). Bei Ovid fmdet sich nur ein Beleg (met. 7,70f.: Medea zu sich: quin adspice, quantum / atigrediare ~ et, dum licet, effuge crimen). Zu ihren frühen Vergehen vgl. auch Lucan. 4,555f. (bei Jasons Prüfungen: ipsaque inexpertis quod primum fecerat herbis / expavit Medea- nefas). Z.B. Prise. gramm. III 486,19f. (inde [vonfariJ putant quidam etiamfas et nefas dictum esse, quod iustum est dici vel taceri); Isid. diff. 1,250 (nefasti dies dicti ab eo, quod nefas sit quidquam his diebus agere vel dicere). Weiteres bei Maltby (1991: 407); O'Higgins (1988: 217 Anm. 28). Mit dieser Etymologie spielt Lucan. 2,286 (Cato: summum, Brute, nefas civilia bella fatemur). Eine Verbindung zu Kali. epigr. 28,4 (crncxa{vco 1tav~a ~a.liriµoma) oder Vergils Umsetzung der Aussage (georg. 3,4: omnia iam vulgata) ist nicht offensichtlich. Ov. met. l,lf. (in nova fert animus mutatas dicere formas / corpora); Lucan. 1,67 (fg_n animus causas tantarum expromere rerum). Der Versanfang fert animus ist ferner auch an weniger prominenten Stellen bei Ov. ars 3,467 (fert animus propius consistere); Pers. 4,7 (fert qnimuycalidae fecisse silentia turbae); Stat. silv. 4,4,49 (fert animus quascumque patrare nefas sanctisque vices) und nach Dracontius bei Arator act. l,302f. (fert qnimus verendis / sacrilegas inferre neces) belegt. Vgl. Pollmann (2001: 99).

lf.-3

109

lf. virginis atrae / captivos monstrare deos, elementa clientes: Bereits im zweiten Vers zeigt sich Medeas unbeschränkte Macht: Götter und Elemente sind ihr untertan. In diesem Punkt ist sie Erictho ähnlich, welche den Göttern jeden Frevel befehlen kann 13 • Mit Erictho teilt sie auch die Assoziation mit den Furien, die hier durch atra gegeben ist 14 • Während ihr furienartiges Wesen mehrfach in Romul. 10 in Erscheinung tritt, ist ihre Allmächtigkeit wegen des Prinzips der relativen Macht (► E. 3.7.4.), das unter den Göttern herrscht, auf wenige Stellen beschränkt. ater bezeichnet neben schrecklichen Zuständen und verderblichen Mächten in einer Mischung von wörtlichem und übertragenem Sinn besonders in der epischen Dichtung seit Vergil die Furien 1'. Das Adjektiv ist sonst nicht in Kombination mit virgo belegt. Andererseits sind die Furien wie Medea eingeschworene Jungfrauen, und Medea wird in Romul. 10 oft mit Wörtern verbunden, deren Stamm mit jenem der Furien identisch ist, z.B.furens 1•. Jungfrauen galten ihrerseits von der frühen griechischen Mythologie bis zu den spätantiken christlichen· Schriftstellern (immer aus der Sicht der Männer) als besonders gefährlich 17 • Dass Götter und Elemente hier im gleichen Vers genannt werden, lässt an die göttliche Verehrung der Elemente denken, welche die christlichen Apologeten wahrnahmen und bekämpften 18 • Die Verwendung von clientes ist ungewöhnlich. Das Wort bezeichnet hier eine klare Unterordnung, ohne dass die Untergeordneten Gewinn aus dem Verhältnis zu ihrer patrona ziehen könnten 1•. 13 14

15

16

17

18 19

Lucan. 6,527f. (omne nefas superi prima iam voce precantis / concedunt carmenque timent audire secundum). Erictho als Furie: vgl. z.B. Lucan. 6,5 l 7f. (terribilis Stygio facies pallore gravatur I impexis onerata comis); 654-6 (discolor et vario furialis cultus amictu / induitur, vultusque aperitur crine remoto, / et coma vipereis substringitur horrida sertis); dazu Korenjak (1996: 22; 136; 181; 206f.). Z.B. Verg. Aen. 7,329 (Allecto: tot pullulat atra colubris); Ov. epist. 11,103 (Erinyes ~); Sil. 13,575 (filli! Megaera); Stat. Theb. 11,75 (Tisiphone: atra soror). Vgl. Thome (1993: 117-9). Die schwarze Farbe in Verbindung mit den Furien ist schon bei Aischyl. Eum. 52; Sept. 977 belegt (Horsfall 2000: 230) und wird sowohl mit ihrer Abstammung von Nyx (z.B. Aischyl. Eum. 321) als auch ihrem Wohnort in der Unterwelt (z.B. Aischyl. Eum. 72; 395f.) in Verbindung gebracht. Medea: z.B. Ov. epist. 6,133 (adultera virgo): 12,81 (Jason: o virgo); met. 7,21 (regia virgo); Sen. Med. 49 (haec l!il:gg_feci); 131 (nefandae ~ parvus comes); Val. Fl. 7,103f. (at trepida et medios inter deserta parentes / virgo silet); in Romul. 10 virgo auch 64; 152; 195; 216; 225; 256; 304, virago 12; 62; 252. Vgl. Gnesa (1999: 24). Zur Jungfräulichkeit der Furien ► 454f., zufurensetc. ► 23. So verliert z.B. Kirke ihre Bösartigkeit erst, als Odysseus mit ihr geschlafen hat (Horn. Od. 10,293-8; 321-47); vgl. Reeder (1995: 403-6). Mehr als ein Jahrtausend später wird Geistlichen davon abgeraten, eine Jungfrau allein zu besuchen (Hier. epist. 52,5,6); vgl. RAC 8.258-62. Vgl. z.B. ausführlich Firm .. err. 1,2-5,2. Zur Stellung der Elemente in Dracontius' christlichem Weltbild ► 131 f. Dies entsprach wohl der Praxis vieler patronus-cliens-Verhältnisse bzw. der von Roms Vasallenstaaten erlebten Realität, nicht jedoch der Ideologie dieser Einrichtung. Zu cliens bei Dracontius vgl. auch Romul. 7,147 (Phorcique clientes), sonst ThLL 3.1343.281346. 70.

3 naturam servire reae, ~ puellae: Die furienähnliche virgo atra (1) wird hier auf die menschlichen Erscheinungsformen rea und puella reduziert; gleichzeitig ver-

110

Kommentar

grössert sich aber ihr Herrschaftsbereich von den Elementen auf die ganze Natur. Die Wiederholung des Verbs, die Wortwahl puella (statt z.B. mutier [5]) und Medeas späteres Lob des Sol als Gebieter über die Natur (498) unterstreichen die verkehrte Weltlage. Die Bezeichnungen virgo und puella sind im Spätlatein austauschbar und charakterisieren in Romut. 10 auch Glauke 20 • Die Wiederholung eines Wortes nach Trithemimeres und Hephthemimeres (servire) ist bei Dracontius regelmässig belegt, was deutlich gegen Baehrens' Konjektur sub iure puellae spricht 21 • 20

21

Die Anwendungsbereiche der beiden Begriffe waren nie klar getrennt und vereinigten sich je länger desto mehr (Watson 1983: ll9-43). Zu Glauke ► E. 3.7.3. Als puel/a wird Medea auch bei Ov. Pont. 3,3,80 (Phasias ... puella) bezeichnet. Baehrens (ed. 1883). Wortwiederholung nach Trithemimeres: z.B. Drac. Romul. 5,104 (i/le bonus, servare pios, servare modestos); 10,218 (exclamat: "succurre Venus, succurre Cupido"); Orest. 182 (est nobis commune bonum, commune peric/um); für weitere Beispiele siehe Rossberg (1887a: 846). In der lateinischen Dichtung sind sonst Wiederholungen von Verben in einem anderen Modus als dem Imperativ selten; vgl. Wills (1996: 102-6).

4f. astra poli et Phoebi cursus et sidera caeli / arbitrio mulieris agi: Die Aussage, dass Medea die Bahn der Sonne bestimmt, widerspricht SOU., wo sie diesen Bereich Sol selbst und dem Himmelsgewölbe zuschreibt. Der Widerspruch erklärt sich aus dem Prinzip der relativen Macht (► E. 3.7.4.). Die Bezeichnung mutier in Ergänzung zu virgo (1) und puella (3) unterstreicht, dass Medea vor und nach ihrer Heirat, d.h. in allen Lebensphasen, über die Welt herrscht 22 • Auch andere Hexen können den Lauf der Gestirne beeinflussen, und Lukans Erictho gebietet einmal der Sonne, erst später aufzugehen 23 • Bei Valerius Flaccus schreibt Jason Medea Macht über die Sterne zu 24 • astra poti und sidera caeti sind gleichbedeutend und umrahmen hier durch die Stellung im Vers die Sonnenbahn im Westen und Osten (vgl. 500f.). Die erweiterte Bedeutung 'Himmel' für potus findet sich schon seit Accius 25 • sidera caeti ist ein ausserordentlich häufig belegtes Hexameterende26.poti et ist die einzige Elision eines iambischen Wortes in Dracontius' nichtchristlichen hexametrischen Werken 21 • Solche Elisionen sind schon bei Ovid selten 28 , doch die vorliegende Formulierung ist bei Vergil belegt und wohl von ihm übemommen 29 • Phoebus, ursprünglich"' Apoll, erscheint seit der augusteischen Dichtung auch als Bezeichnung für SoP 0 ; zu Sol in Romut. 10 ► E. 3.7 .4. arbitrium ist an sich nicht negativ konnotiert. In Dracontius' christlicher Dichtung stellt Gott z.B. die Elemente unter das arbitrium von Adam und Eva". Aus anderen Belegen von arbitrium und agere geht allerdings klar hervor, dass Medea hier die Stelle einer Gottheit oder Naturgewalt eingenommen hat und dass sich die Welt damit in einer prekären Lage befindet 32 • In anderen Kasus als dem Nom. findet sich mutier erst in der spätlateinischen Hexameterdichtung, denn die Verwendung bedingt die Längung der dritten Silbe (mutieris ), die normalerweise kurz gemessen wird33 • 22 23

24

Das Wort kann allerdings wiefemina auch generisch verwendet werden; vgl. Adams (1972: 242-9). Hexen: z.B. Prop. l,1,23f.; Lucan. 6,461-5~ 499-502. Erictho: Lucan. 6,826-30. Val. Fl. 7,499 (perque haec, virgo, tuo redeuntia sidera nutu).

4f.-5f. 25 26 27

28 29 30

31 32

33

111

Ace. trag. 678 (pervade ll.fil!illJJ;vgl. auch Varro ling. 7,14 (JlQill,t Graecum, id significat circum caeli: quare quod est pervade polum valet vade 1tEpt 1t6J..ov). Z.B. Verg. georg. 2,1; Aen. 1,259; Ov. met. 7,580; Lucan. 4,521; Cypr. Gall. gen. 100; Drac. laud. dei 2,156; 655; satisj. 87. Vgl. auch Bömer (1976: 347). Wolff (1993: 99). Zu Elisionen bei Dracontius ► E. 3.4.2. Vgl. McKeown (1998: 416). Verg. Aen. l,90 (intonuere ;m1i..Jll_ crebris micat ignibus aether); vgl. Wolff (1993: 99f.). Z.B. Hor. carm. 3,21,24 (rediens fugal astra Phoebus)· Verg. Aen. l l,913 (roseus ... Lampetie). FUr Phoebus); Prop. 3,12,30 (die Rinder des Helios: paverat hos ~filia weitere Stellen vgl. Fontemose (1939: 455) mit der nötigen Vorsicht, was die Zuweisungen zu Sol betrifft. Apoll und Helios sind seit dem 5. Jh. v. Chr. eng verbunden; der früheste Beleg ist wahrscheinlich Aischyl. Suppl. 213f. (DNP 1.867). Vgl. auch Cic. nat. deor. 2,68 (iam Apollinis nomen est Graecum. quem solem esse volunt); 3,51 (solem deum esse lunamque, quorum alterum Apollinem Graeci ... putant); Bömer (1969: 244f.). Drac. laud. dei l,403f. (elementa duorum / arbitrio commissa manent). Für das arbitrium eines Gottes vgl. z.B. Ov. trist. 5,3,l 7f. (an dominae fati quicquid cecinere sorores, / omne sub arbitrio desinit esse dei?) und für weitere Stellen ThLL 2.412.17-32. Für agere in Bezug auf Gestirne und Tageszeiten vgl. Tbll l.1376.8-36; als Subjekte erscheinen z.B. Sol, axis, annus. Für Belege siehe Axelson (1945: 53-7) und Th1L 8.1571.8-13; 53-8. Vgl. auch BouquetWolff (1995: 209 Anm. 459) und Wolff (1996: 187 Anm. 4).

Sf. pendere Tonantem / quod iubeat Medea nefas: Selbst Jupiter kann nur angespannt auf Medeas Befehle warten 34 • Die Situation ist besonders Besorgnis erregend, da Medea gerade Jupiter, dem höchsten Gott, Taten gegen die göttliche Ordnung (Jas) befiehlt 35 • Medeas ungehöriges Verhalten wird durch die Wortstellung Medea nefas unterstrichen. Lukans Erictho trägt nefas den Göttern allgemein, nicht Jupiter, auf'6. Jupiter wird in Romul. 10 ausser an zwei Stellen immer als Tonans bezeichnet 37 • 22 v. Chr. weihte Augustus dem Iuppiter Tonans einen Tempel auf dem Kapitol und reaktivierte damit ein altes Epitheton; in der Dichtung wird die Bezeichnung seit Ovid für Jupiter verwendet und erfreut sich grosser Beliebtheit 38 , seit dem 4. Jh. n. Chr. erscheinen sie auch in Bezug auf den christlichen Gott 39 • 34

35

36 37

38

Zur Verwendung von pendere in dieser Bedeutung und Konstruktion vgl. Val. Fl. 3,93f. (pendent mortalia longo / corda metu, quibus illa fretis, quibus incidat arvis); Claud. 7,l72f. (Kaiser Theodosius' Aufnahme in den Hi=el als Stern: invitantque novum sidus pendentque vicissim I quas partes velit ipse sequi); ThLL 10.l.1037.43-7; Vollmers (1905: 386) Paraphrase "cum metu expectare"; Ziehen (1898: 416f.) für Parallelen bei Dracontius. Zur Verbindung vonfas mit den Göttern vgl. ThLL 6.l.288.25-290.38; Korenjak (1996: 14 lf.). Lucan. 6,527f. (omne uefJH superi prima iam voce precantis / concedunt cannenque timen/ audire secundum). Ausnahmen: 81 (matrona lovis); 374 (si luppiter auctor), sonst Tonans (55; 72; 138; 316; 415; 593). In Dracontius' übrigen Werken wird Jupiter etwa halb so oft mit seinem Namen (laud. dei 2,591; Romul. 2,42; 4,1; 5,243; 8,82; 167; 440; 535; 558; Orest. 243; 367) wie mit Tonans (Romul. 2,8; 19; 4,14; 45; 5,313; 8,147; 152; 198; 464; 472; 528; Orest. 31; 953; 963) bezeichnet. belegt. In der lateinischen Das Epitheton ist bereits bei Hom ll. 1,354 (ZEi>c;U1j11[}pEµe111c;) Dichtung: z.B. Ov. epist. 9,1 (germana Tonqntis)·met. 1,170 (ad magni tecta TqnantirJferner 6 Belege bei Val. Fl.; 22 bei Sil.; 25 bei Stat.; 23 bei Claud. Vgl. Bömer (1958: 87 und 1969: 78).

112 39

Kommentar Z.B. Drac. laud. dei 1,1 (qui (Moussy-)Camus (1985: 235),

cupit

iratum

placidumve

scire

Tqnantem)·

vgl.

6f. ubi mittere tlammas / imperet aethereas: Jupiters Blitze sind das Hauptsymbol seiner Macht. Damit hat er erfolgreich gegen die Titanen gekämpft und kann jederzeit Übeltäter bestrafen 40 • Indem Medea nun bestimmt, wohin die Blitze gesandt werden, tritt sie als moralische Instanz auf. Sonst spielt dieser Aspekt in Romul. 10 allerdings keine Rolle. Orts- und Richtungsbezeichnungen werden im Spätlatein nicht mehr klar unterschieden41. ubi steht hier also statt quo. In Bezug auf Blitze ist die Junktur flammae aethereae erstmals bei Silius belegt' 2 • imperare mit blossem Inf. ist eine vorwiegend dichterische Erscheinung, als solche aber gut belegt 43 • 40 41

42

43

Z.B. Verg. Aen. 6,580-94; Sen. Herc. 0. 847-55; luv. 13,223-6; vgl. Beller (1979: 18-24). Z.B. Drac. Romul. 8,222 (Priamos zu Paris: die, ... u1zicarbasa tendis); Cassiod. hist. 9,44,12 (misit Romae . episcopos); Greg. Tur. Franc. 5,44 (misit epistulas in universis civitatibus regni sui). Bereits im 2. Jh. n. Cbr. hielt es Caper gramm. VII 92,1 ('haec via !JMQ. ducit?' dicemus, non ubi) für nötig, auf den korrekten Gebrauch von quo, ubi und anderen Ortsadverbien aufmerksam zu machen. Eine Richtungs- statt Ortsangabe ist eher selten zu finden; z.B. Cassiod. hist. 5,25,1 (ab Italia discedentes venerunt ad civitatem Thraciae nomine Nicen, /1.!lil. brevi tempore commorantes aliud fecere concilium). Vgl. LHS 2.276-8 § 156 Zusatz 1; zur historischen Entwicklung. Weitere Beispiele in Romul. 10 sind evtl. ► 123f. und ► 594f. Sil. 5, 73f. (Prodigien: ictusque ~ per stagna patentia flamma / fumavit lacus atque arserunt fluctibus ignes). Der Erstbeleg der Junktur bezieht sich auf Sterne (Lucan. 9,494: ulla nisi ~ medio velut aequore flammae) ist jedoch zweifelhaft überliefert (nur in Z 2 G). Zu flamma 'Blitz' vgL TbLL 6.1.866.50-65, zu aetherius als Attribut von Blitzen ThLL 1.1153.32-6. et totas iterum mutare laceLmas); Sil. l,300f. (Hannibal Z.B. Prop. 4,8,85 (Cynthia: ll1]J2.l1li11_ vor Sagunt: pandere ... portas et cedere vallo / ~; vgl. "fhLL 7.1.585.35-49.

7f. penetrat vox illa per auras, / cum vitas mortesque facit: Medea entscheidet über Leben und Tod und ist an ihrer Stimme erkennbar. Auch die thessalischen Hexen bei Lukan lassen ihre Stimme durch die Lüfte dringen 44 • Andererseits ist als erste Zauberin überhaupt Erictho in der Lage, Leben abzukürzen und Leichen wiederzubeleben 45 • Das Hexameterende per auras ist gut belegt 46 . In vox illa ersetzt das Demonstrativpronomen das Possessivpronomen, das Medea als Inhaberin der Stimme bezeichnet 47 • Sprachlich wird die Verbindung von Erictho und Medea durch Lucan. 6,561 (ipsa facit manes) unterstützt, da mortes bzw. vitas facere in der Dichtung sonst kaum belegt ist''. 44

46 47

Lucan. 6,445 (una per aetherios exit ~ illa recessus); vgl. auch 448 (infandum tetigit cum sidera murmur). Sprachlich vergleichbar ist auch ein Vers Ovids (met. 12,42: Fama: penetratque cavas ~ omnis ad aures). Lucan. 6,529-32; 560f.; 607-10; 65lf.; 660f. Vgl. Korenjak (1996: 142). Zwischen Lukans Erictho und Dracontius' Medea steht ferner Claudians als Zauberer verkleidete Megaira, die sich ebenfalls rühmt, Tote wiederbeleben zu können (Claud. 3,154-7). Z.B. Lucr. 2,203; Verg. georg. 1,407; Ov. met. 10,717; Stat. Theb. 9,678. Die gleiche Junktur ist auch bei Ov. fast. 5,56 (et vox audiri nulla, nisi i111L polest) belegt. Vgl. TbLL 7.1.364.28-45; Wolff (1996: 187 Anm. 6) mit weiteren Beispielen.

6f.-8f. 48

113

Z,B. Sil. 14,478 (Omytos: longam sibimet /fil;j1_aequore mortem): vgl. auch Drac. laud. dei 2,808 (die Elemente bei der Vernichtung der Ägypter im Roten Meer: innumeras faciunt sliie sanguine fl!&l:1M.);3,122f. (qui p/anctos mortesque facit per sacra rogatus, / nescio).

8f. cum fata retorquet / ad cursus quoscumque velit: Medea sind neben Jupiter (5) auch diefata untertan./ata retorquet verdeutlicht, dass Medea nicht nur in den Lauf der Dinge eingreift, sondern ihn nach Belieben verdreht. Bei Lukan erklärt Erictho, dass sie zwar das Schicksal einzelner (jata minora) ändern könne, nicht aber den allgemeinen Lauf der Dinge (jata omnia) 49 • Die separate Nennung der fata hier mag dem Umstand Rechnung tragen, dass Jupiter und die fata in den früheren lateinischen Epen in unterschiedlichen Abhängigkeitsverhältnissen zueinander standen. In Vergils Aeneis z.B. unterstehen die fata zwar Jupiter, aber nicht alle Personen durchschauen dies 50 , bei Lukan herrscht völlige Unsicherheit über die oberste Schicksalsmacht 51 , und in Statius' Thebais sind diefata zwar wiederum direkt von Jupiter abhängig, doch da sich Jupiter durch Abwesenheit und Eigensinn auszeichnet, haben sie keinen geregelten AblaufS2 • Mit dem sonst nicht belegten fata retorquere am ehesten vergleichbar istfata torquere, an dessen einziger Belegstelle ebenfalls der quälende Aspekt des Verbes im Vordergrund steht; dies erinnert wiederum an das in der Dichtung oft in Bezug auf Jupiter belegtefulmina torquere 53• Die Überlieferung quoscunque (Nn) reflektiert eine Orthographiekonvention, die den Ausspracheunterschied zwischen nasalisiertem m und dem m, das sich einem folgenden Verschlusslaut angleicht, hier also -qu-, auszudrücken sucht 54 • Sie ist weder spezifisch spätlateinisch noch wird sie im Allgemeinen von modernen Editoren übernommen. quoscumque ist deshalb vorzuziehen. 49

50

51 52

53

54

Lucan. 6,605-7 (Erictho zu Sextus Pompeius: "si fata minora moveres, / pronum erat, o iuvenis, quos vel/es" inquit "in actus / invitos praebere deos"); 611-5 (at, simul a prima descendit origine mundi / causarum series, atque omnia fata laborant / si quidquam mutare ve/is, unoque sub ictu / stat genus humanum, tum, Thessala turba fatemur, / plus Fortuna potest). Vgl. Korenjak (1996: 165f.) zur stoischen Interpretation der Stelle. In Unkenntnis der Unterscheidung zwischen den beiden Arten von fata hatte Sextus Pompeius Erictho vorher als quaeque suo ventura potes devertere cursu (Lucan. 6,591) gepriesen. Z.B. Verg. Aen. 4,651 (dum jgJg_ deusque sinebat). Vgl. EV 2.477-9; Heinze (1915: 2937); Schubert (1984: 154 Anm. 14). Für eine Liste der Stellen vgl. Feeney (1991: 280 mit Anm. 133). Jupiters Allmacht: z.B. Stat. Theb. 3,239-42 (vos o superi, meus ordine sanguis, / ne pugnare odiis, neu me temptare precando / certetis; sie E.fl1.a. mihi nigraeque Sororum / iuravere colus). Jupiters Eigensinn: z.B. Stat. Theb. 3,537f. (Amphiaraos: quae saeva repente / victores agitat leto Iovis ira sinistri ?); 7 ,2 (Iuppiter haud aequo respexit corde Pe/asgos); vgl. Schubert (1984: 166-70). Zu seiner Abwesenheit vgl. Feeney (1991: 357). fata torquere: l\4art. 1,78,6 (aut fQujJ_ lenta tristia ffilg_ fame). Der einzige dichterische Beleg für fata retorquere ist hier irrelevant, weil fata dort das Gesagte meint (Carm. adv. Marc. 4,220: sie errant et dictorum sie jg1Q cetqrguent) fulminq torquere: z.B. Verg. Aen. 4,208 (cum fulmina torques); Claud. 8,202 (fulmenque rudi torquere /acerto); vgl. Pease (1935: 231). Vgl. Allen (1978: 31).

114

Kommentar

9f. licet hospite caeso / serviat et Scythicae currat per templa Dianae: Der starke Gegensatz zwischen Medeas Allmächtigkeit, von der bis anhin die Rede war, und ihrem Priesterdienst wird durch die Wiederverwendung von servire (aus 3) hervorgehoben55.Zu Medeas Ähnlichkeiten mit Iphigenie ► 32-339. Die Konstruktion hospite caeso serviat ist ungewöhnlich. Die Wendung muss bedeuten, dass Medea 'ihren Dienst mit der Opferung von Fremden absolviert' 56. hospite caeso ist also unter Vernachlässigung der Vorzeitigkeit als Abi. instr. oder abs. im kollektiven Sing. aufzufassen 57. Scythica Diana ist erstmals bei Ovid belegt, dort für das Standbild der taurischen Artemis in Nemi58 • Ovid war möglicherweise auch der erste lateinische Schriftsteller, der das Adjektiv auf Kolchis bezog; erst in der nachovidischen Dichtung ist es jedoch mit klarem Bezug auf Kolchis bezeugt 59 • ·rne Ansiedlung von Kolchis in Skythien findet sich allerdings bereits in Scholien zu Pindar und Euripides 60. Die Präposition per, die in der Dichtung und im Spätlatein statt in +Abi.gut belegt ist 61 , wird zusätzlich durch currere gestützt, obwohl das Verb hier metaphorisch 'sich verausgaben' heisst 62 • Diese auf geistige Anstrengungen übertragene Bedeutung ist bei christlichen Autoren belegt und lässt sich auf das neutestamentliche 'tPEXHV zurückführen°'. Das Versende templa Dianae ist bei Lucilius und mehrfach bei Dracontius bezeugt••. 55

Gils (1984: 166) Konjektur saeviat statt serviat ist mit Wolff (1996: 187 Anm. 7) abzulehnen, da sie den Kontrast zwischen Medeas Priesterdienst und ihrer Allmacht schwächt. 56 Vgl. 76-80; 177-247. 57 Vgl. dazu Drac. laud. dei 3,218-20 (Diana: quae so/et insontum Juso gaudere cruore, I sanguinis humani nunquam satiata catervis I hq spitibus caesis)58 Ov. met. 14,331 (colunt Scythicae stagnum nemorale Dianae). Später: z.B. bei Lucan. 1,446 (taurische Artemis: et Taranis Scythicaenon mitior ara Dianae). Zum komplexen Verhältnis der taurischen Artemis zur Diana Nemorensis siehe Bömer (1986: 117) mit weiterer Literatur und Graf (1979: 38). 59 Ov. met. 7,406f. (miscet Medea, quod olim / attulerat secum Scvthicis aconiton ab oris). Später z.B. Val. Fl. 5,516 (Jason zu Aietes: da Scythicassociare domos); 7,42 (Aietes zu Jason: venit Scythicas en hospes in oras); Stat. Theb. 4,505f. (Tiresias zur Unterwelt: Scythicis quotiens medicata venenis / Colchis aget, trepido pallebunt Tartara motu); vgl. auch Serv. georg. 2,140 (in Colchide, civitate Scythiae). Daneben wird bisweilen jedoch auch klar unterschieden, z.B. Sen. Tro. l l04f. (quis Colchus hoc, quis sedis incertae Scytha / commisit?). 60 Schal. Pind. O. 13,70 und identisch Schal. Eur. Med. 9 (d••. 393

394

395 396

397 398

Ebenso: z.B. Ps. Aug. serm. erem. 18 p. 1264 (ligna alis percutit, et sie ignem accendit, et in eodem se comburi pennittit); Schal. Lucan. 6,680 (plausuque alarum voluntarium sibi gignit incendium); vgl. van der Broek (1972: 203f.). Bei Ps. Aug. schlägt der Phoenix auf die Gewürze. So versteht van der Broek (1972: 203) auch die vorliegende Stelle, aber da das Phoenix-Gleichnis dazu dient, das Feuer, das Cupido aus seinen Flügeln schüttelt, zu veranschaulichen, ist diese Auffassung kaum haltbar. Dionysios, lxeuticon seu de aucupio 1,32 (t\ i:&v T]AtctJC&vct1C1:ivrovJCcti:ct Anm, 421 und zu Cupido

425

Z.B. Anth. Pal. 12,256,3-6 (Meleager); Ov. ars 2,115f. (körperliche Attraktivität ist vergänglich: nee Y1Qli1ß.semper nee hiantia l.iliJ1florent, / et riget amissa spina relieta !Qlil,); met. 12,410f. (Hylonome: ut modo rore maris, modo se violave !Q§_gye/ inplieet, interdum YlQlilß.que et malle cyperon, / eanentia lilia gestet); Petron. 127,9 vers. 4f. (emieuere albaque de viridi riserunt !JliJlprato); Stat. silv. l,2,22f. (auf dem Haupt des Bräutigams: tu

►84f.

=

193

l 15-l 16f.

427

modo fronte rosas. ~ modo lilia mixta / excipis); Repos. 38 (purpureos candentia lilia flores), 42 (hie rosa cum violis); Anth. 24,3f. (an Venus: marcent post rarem violae rosa perdit odorem, / liliß post vernum posito candore liquesunt); 393,7f. (Nais amat Thyrsin, Glauce Almona. Nisa Theonem. / Nisa rosas Glauce violas dat, lilia Nais). Z.B. Culex 399f. (et= purpureum crescent pudibunda ruborem / Y1SllMomne genus); 4:03 (IilisJ.que et roris non avia cura marini); Colum. 9,4,4 (nitent candida illiJL .... tum puniceae rosae ... et Sarranae ~; Claud. carm. min. 30,89-92 (Serena: quacumque per herbam / reptares. fulgere rosae candentia nasci / !Jlig,· si placido cessissent lumina somno. / pu,pura surgebat violae); Ven. Fort. carm. 4,26,125 CJi1jQnarcissus YlQlilß.!QliJ. nardus amomus); 7,12,41 (cinnama calta crocus ~ lilEJ. lilia cedunt). Vgl. auch Hier. epist. 54,14,l (suscipe viduas, quas inter virginum lilia et martyrum rosas quasi quasdam violas misceas). Drac. laud. dei l,67f. (et viola est mentita ro mm pallore fugato / ac rubor infelix et candida lilia tinxit); 2,450-l (et rosulas proferret hiems. servaret et aestas / filiil purpurea, flos omnis staret odore / nec marceret honos ~ pallore decenti); Romul. 2,135 (Deiopea zu Hylas: nos ™ nos ~ nos lilia pulchra coronant); 6,8 (li1.iß mixta rosis); 77 (1jJjg sunt inserta rosis iuga pulchra volucrum); 7,45 (Ji1kl mixta rosis socians violasque hyacinthis). '

llSf. via pulchra rosarum / tenditur: Anders als bei Prozessionen und Triumphzügen, bei denen Rosen ausgestreut wurden 428 , wächst dieser Rosenpfad von selbst, was Cupidos Wirkung auf sei~e Umgebung verdeutlicht. 428

=

/

Z.B. Lucr. 2,626-8 (Prozession für Kybele: aere atque argento stemunt iter omne viarum / floribus umbrantes matrem comitumque largifica stipe ditantes ninguntque catervam); Ov. Pont. 2,l,35f. (Germanicus' Triumph: quaque ierit, Jelix adiectum plausibus omen / saxaque roratis erubuisse rosis): Tac. hist. 2, 70.2 (Vitellius auf der Bedriacum-Ebene: nec minus inhumana Jacies viae. quam Cremonenses lauru !!2§.{lque constraverant, exstructis altaribus caesisque victimis regium in morem).

116f. violas pallentes candida peplo / lilia distingunt ac florea semita crescit: Was sich zu einem Blumenkatalog hätte entwickeln können, wird mit florea semita zusammengefasst, nachdem die drei wichtigsten Blumen genannt sind. viola bezeichnet verschiedene Blumen wie das Wohlriechende Veilchen, die Levkoje und den Goldlack, die nach heutigen Kategorien zu verschiedenen Familien gehören 429 • Plinius unterscheidet die Arten nach Farben (purpureae, luteae und albae) 430 • pallentes ist jedoch nur eine ungenaue Farbbestimmung, denn an den anderen dichterischen Belegstellen der Junktur kann die Art der violae nicht eindeutig identifiziert werden 431 • Da die violae pallentes sich hier von den weissen Lilien abheben, handelt es sich wohl um luteae, Goldlack. In der lateinischen Literatur werden Lilien seit der augusteischen Dichtung üblicherweise als weiss bezeichnet4 32 • In Bezug auf eine Blume ist peplum nur hier belegt 433 • Zu semita ► 118. 429 430

431

Vgl. Andre (1985: 272). Plin. nat. 21,27. Verg. ecl. 2,47 (pallentis violas et summa papavera carpens); Manil. 5,257f. (pqllentis ~ et purpureos hyacinthos / liliaque); Colum. 10,!0lf. (tum quae pallet humi, quae frondens purpurat auro / ponatur JlliWl); vgl. ThLL 10. l.125.48f. Clausen (1994: 79) interpretiert die Pflanze bei Vergil als violae luteae, da körperliche Blässe bei den Bewohnern Italiens gelblich sei und nicht weiss. Diese Erklärung überzeugt (Moussy-)Camus (1985: 251), so dass sie davon ausgeht, dass violae pallentes bei

194

432

433

Kommentar

Dracontius immer violae luteae meinen. Coleman (1977: 101) hingegen denkt bei den vergilischen violae an violae albae, weil nur so ein Gegensatz zu dem im gleichen Vers genannten Mohn (papavera), der gelb sei, hergestellt werden könne. Bömer (1976: 98) bestimmt die Pflanzen an der Vergil-Stelle als violae odoratae (Wohlriechende Veilchen). Bei. Manilius erscheinen die Blumen in der näheren Umgebung von Lilien, heben sich aber nicht ausdrücklich von diesen ab, und bei Columella werden sie von rotgoldenen violae unterschieden. Die Stellen und die widersprüchlichen Forschungsmeinungen lassen offen, ob es sich überhaupt um die gleiche Pflanze handelt. Es empfiehlt sich daher hier, die Pflanze aufgrund des Kontextes zu bestimmen. Z.B. Verg. Aen. 6,708f. (candida circum / lilia)· Prop. l,20,37f. (lilia ... / candida); Ov. met. 5,392 (Proserpina: aut violas aut candida lilia carpit); Calp. ecl. 3,53 (at si tu venias, et cqndidaliliafient); Colum. 9,4,4 (at in hortensi Lira consita nitent candida lilia); CE 578,2f. (mihi lilia pone I (canldeda)· vgl. ThLL 3.242.6-9. Dieselbe Assoziation findet sich bereits in der hellenistischen Dichtung, z.B. Nik. Alex. 406f. In übertragener Bedeutung findet sich peplum in Bezug auf Tau, Licht und Gestirne (ThLLl0.1.1127.46-61). Das Geschlecht ist hier wie auch sonst oft unklar (vgl. ThLL 10.1.1126.29-39), aber zwei weitere Stellen bei Dracontius zeigen, dass dieser das SubOrest. 51: p_gJl1g stantiv als Neutrum verwendete (Romul. 8,617: candida l!.B.Jl.lil; coruscabant). Wolffs (ed. 1996) Übersetzung und Gnesas ( 1999: 61) Bezug des Wortes auf Cupidos Kleid (mit zu ergänzendem in) überzeugt nicht, denn damit wären die Lilien inmitten der echten Blumenspur nur auf dem Kleid abgebildet.

118 versulcans per inane polos micat orbita florum: Ein weiteres Mal (► IOOf.) begleitet Licht Cupidos Auftritt, hier in Form einer leuchtenden Blumenspur. Das für Epiphanien typische Element (►94) ist zwar stark reduziert, doch klar fassbar, umso mehr als Blumen, die gewöhnlich nicht als Lichtquelle zählen, hier implizit mit Sternen verglichen werden, so dass die Blumenspur der Milchstrasse gleicht. Unter der Bezeichnung orbita vergleicht Manilius die Milchstrasse mit einer Wagenspur (semita), die durch eine griine Wiese führt 434 . Das Substantiv kann auch Bahnen anderer Himmelskörper bezeichnen 435 • persulcare ist zwar überhaupt nur an drei Stellen belegt436 , doch findet sich sulcus in der Dichtung auch in Kombination mit orbita 437 • micare ist in Bezug auf Blumen belegt 438 ; zu seiner Verwendung für Sterne ►99f. Zur Bedeutung von per inane ►97f., zu polus 'Himmel' ►4f. 434

435

436 437 438

Manil. 1,703-6 (namque in caeruleo candens nitet !J!Jzi!!J. mundo / ceu missura diem subito caelumque recludens, I ac veluti viridis discernit semita campos / quam terit assiduo renovans iter orbita tractu). Für semita als Leuchtspur vgl. auch Stat. Theb. 6,388 (claraque per zephyros etiamnum ~ lucet). Zum Vergleich von Sternen und Blumen vgl. ferner Colum. 10,96 (pingite tune varios, terreslria sidera, flores); Mar. Victor. aleth. l,103f. (nach der Erschaffung der Sterne: astraque distinctis mundum pingentia zonis / florzbus aetherüs varios vibrare colores). Z.B. Stat. silv. 3,3,55 (nec iniussae totiens redit orbita lucis); für andere Gestirne vgl. ThLL 9.2.920.75-921.5. Erstmals bei Claud, 3,135f. (Megaira: mentita senem rugisque severas I o,ersulcata genas); vgl. ThLL 10.1.1773.37-45. Manil. 1,706 (orbita) neben 708 (sulcum ducente carina), zwei Bilder für die Milchstrasse; Stat. Theb. 6,415f. (de/et~ iterata priores I orbitalj vgl. ThLL 9.2.920.45-7. Z.B. Apul. met. 6, 11, 1 (frag/ans balsama Venus remeat totumque revincta corpus tQlli m1cqnt1hus)Auson. app. A3,38 (von verwelkten Blütenblättern: tellus tecta rubore micat); vgl. ThLL 8.931.24-8.

l 18-120f.

195

119 Cypris odoriferos sensit fraglare volatus: Die Häufung der auf den Wohlgerucn hinweisenden Wörter odoriferos sensit 'fraglare weist nach der visuellen Erscheinung auf den reichhaltigen Frühlingsduft hin, der Cupido begleitet (vgl. 115). ,,. Göttliche Epiphanien sind .oft mit Wohlgeruch verbunden 439 • Die Betonung des Duftes geht auch aus dem Vergleich mit einer ähnlichen Szene bei Claudian hervor, wo Venus ihren Sohn am Schatten erkennt 440 • odoriferi vplatus ist sonst nicht belegt, odorifer in Bezug auf Blumen hingegen mehrfach 44 '. Zu Cypris für Venus ► 61. Die Verteilung von fragrare, flagrare und fraglare in den Handschriften ist unsystematisch. fragrare ist die Grundform, flagrare ist, sofern es nicht 'brennen' heisst, in Gallien belegt, undfraglare, die ursprünglich umgangssprachliche Variante, ist ab dem 4. Jh. n. Chr. allgemein zu akzeptieren 442 • Bei Dracontius findet sich das Verb dreimal, wobei die Handschriften in Romul. 10,287 einheitlichfragl- überliefern, an der vorliegenden Stelle fraglare (NPcn) undflaglare (Nac) und in laud. dei 1,309 fraglans (B) undflagrans (MVRU). Da die Grundforrnfragrare nicht belegt ist, ist an allen Stellenfragl- zu lesen;flaglare (N•c) ist ein offensichtlicher Fehler. 439

44

°

441 442

Z.B. Hom. h. 2,277f.; Thgn. 8f. IEG; Bur. Hipp. 1391; Verg. Aen. l,403f. (Venus: ambrosiaeque comae divinum vertice .odorem / spiravere); Ov. fast. 5,376 (Flora entschwindet: mansit odor; posses scire fuisse deam); Claud. 10,239f. (Venus: fundique comarum I gratus odor); vgl. Lohmeyer (1919: 4-7). C!aud. 10,109 (nati venientis conspicit umbram). Z.B. Sil. 16,309 (qdoriferis adspergit jloribus aras); Coripp. Tust. 4,151 (jloris qdoriferi}· vgl. ThLL 9.2.473.80-474.23. Vgl. ThLL 6.l.1237.57-1238.8; Buecheler (1872: lllf.); Engelbrecht (1885: 512-7).

120 "natus adest", inquit: Venus bestätigt Cupidos bevorstehende Ankunft mit dem Verb adesse, mit dem Hymenaios Cupido um sein Erscheinen bat (►94 ). Das Verb ist auch ausserhalb der Formel huc ades (►94) für göttliche Epiphanien belegt 443 • Mit adest an dieser Versstelle werden im Epos jedoch auch auftretende Helden und Götter eingeführt 444 • 443

444

Z.B. Verg. Aen. 3,395 (aderitque vocatus Apollo); Ov. epist. 20,19 (Diana bei Kydippes 'Schwur': adfuit et, praesens ut erat, tua verba notavit); Homer. 394 (bellica Pallas adest). Z.B. Verg. Aen. 7,577 (Turnus !.ld.t:...J);Ov. met. 4,692 (mater adest); vgl. Köhler (2001: 72).

120f. "multis iam spargitur aer / floribus, ambrosio totum respirat odore": Venus wiederholt die Beschreibung des Erzählers (118f.) mit leichten Änderungen. Vorher kam der Duft aus der Luft und war unbestimmt; nun aber strömt er aus der ganzen Umgebung hervor und wird als ambrosius charakterisiert, denn die Natur gibt den Duft des Gottes wider. Ferner braucht Venus keine Vergleiche: Durch die Luft schwirrende Blumen scheinen ihr ein vertrautes Zeichen dafür, dass ihr Sohn nicht mehr fern ist. Die Junktur ambrosi- ... odor- schafft einen direkten Bezug zum PhoenixGleichnis, wo sie an der gleichen Versstelle erscheint (► 108f.). spargere floribus ist eine in der Dichtung seit Statius belegte Variante zum früher und besser bezeugten

196

Kommentar

flores spargere 445 • Substantiviertes totum findet sich öfters in der Prosa, bisweilen auch in der Dichtung 446 . respirare ist auch bei Statius auf diese Weise, d.h. von einem Gegenstand, der nach etwas duftet, belegt 447 ; ebenso wird das Simplex spirare bereits bei Vergil verwendet"'•. 445

446

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448

floribus spargere: Stat. silv. 1,2,19-21 (nec blandus Amor nec Gratia cessat / amplexum niveos optatae coniugis artus / f/pribus innumeris et olenti ~ nimbo ); Theb. 5,580 (den Drachen:~ et vemis adsuetae ~ Nymphae); Ach. 1,289 (skyrische Mädchen beim Fest der Pallas: spargere fl~ hastam); Mart. Cap. 2,98 (vers.) (Sternzeichen Corona: Nysiacis quod sparsum~ ardet); CE 1256,6 ~ ut ~ saepius umbra levem).f/ores spargere: z.B. Hor. epist. 1,5,14; Verg. Aen. 6,884; Ov. met. 14,266. Z.B. Cic. ad Q.fr. 3,1,1 (totum in eo est, quod mihi erit curae, tectorium ut concinnum sit); Sen. apocol. 8,3 (Athenis dimidium licet, Alexandriae totum); Lucan. 10,265f. (quasdam compage sub ipsa / cum toto coepisse reor); Quint. inst. 11,2,16 (quamquam mihi totum de Tyndaridis fabulosum videtur, ...) . Stat. silv. 2,2,77f. (malignum / aera respirat pelago circumflua Nesis); 4,35f. (der tote Papagei: respirant gramine plumae / Sicaniisque crocis). Z.B. Verg. georg. 4,3lf. (graviter spirantis copia thymbrae / floreat).

122-126 Die herzliche Mutter-Sohn-Szene steht in einem spannungsvollen Verhältnis zur grandiosen Ankündigung von Cupidos Ankunft (115-121; ► 94) und zum nachfolgenden Lobpreis des Gottes als Weltenherrscher (► 127-134). Die beiden Erscheinungen des Liebesgottes als Kind und als Urmacht lassen sich auf zwei verschiedene Traditionen zurückführen, die hellenistische (► 61) bzw. die kosmologisch-philosophische (► 127-134 ). Seit der hellenistischen Dichtung sind jedoch auch verschiedene Kombinationen dieser beiden Traditionen belegt"•. Eine ähnliche Liebkosungsszene zwischen Venus und Cupido wird am Anfang von Romul. 2 erzählt(► 123f.; ► 126). Ansonsten finden sich vergleichbare Darstellungen insbesondere in der bildenden Kunst des 5. und 4. Jh.s v. Chr. 450 und in der Literatur vom Hellenismus (z.B. bei Apollonios Rhodios) bis zur Spätantike. Besonders beliebt ist das Thema in den spätlateinischen Epithalamien 451 • 449

Z.B. Apoll. Rhod. 3,132-44; Verg. Aen. 1,663-6; Ov. met. 5,364-72; Sen. Phaedr. 276357. 450 Vgl. LIMC 2.1.120 Nr. 1240-5. Davon zu unterscheiden ist der Darstellungstypus, bei dem AphroditeNenus ihren Sohn als Säugling auf dem Arm hält oder stillt (vgl. LIMC 2.1.120; 3.1.920; 1024; 8.l.223f.). Die beiden Gottheiten sind auch später zusammen abgebildet, aber meist sind sie dann anders beschäftigt, z.B. hilft Cupido seiner Mutter beim Bad (vgl. LIMC 3.1.1025-7). 451 Apoll. Rhod. 3,146-50 (µeiAta 6' EKßOI.Aemivi:a KOI.\ aµq>ai:epncn x11:&voc;/ VO)Aeµec; e!v0a KOI.\ ev0a 0rov E):eVaµqnµeµap,croc;, / Atcrcri:,:o6' a'lva 1topeiv, Ol.1J'tacrxe66v.fi 6' ayo:votcrw / av,:oµEVT\µu0otcrtv enetpucrcracra 1tapwic; / dcrcre 1to·ncrxoµEVTJ).Dann z.B. )!:Ov. met. 5,365 (natumque amplexa volucrem); Stat. silv. l,2,103f. (tenera matris cervice pependit / blandus et admotis tepefecit pectora pennis); Ennod. carm. l.4,95f. (et subolem fotu conplexa benigno / mollia mellitis artavit ad oscula labris ); Claud. 10, 110 (ambrosioque sinu puerum conplexa ferocem); ~idon. carm. 11,56-9 (dt ille / cemuus et laevae pendens in margine palmae / libratos per inane pedes adverberat alis, / oscula sie matris carpens); Nonn. Dion. 33,143-6 (Kat µfoov ay1lAOV ßapoc;· tt;ouevou 61: / KOl.1 cri:6µa 1tat6o5 frucrcre KOl.toµµma), wo der Szene ebenfalls Aphrodites Auftrag an eine Dienerin vorausgeht, Eros zu suchen und herbeizuholen; die Ähnlichkeiten scheinen mir, anders als Köhler (2001: 60), jedoch kaum der Rede wert;

197

l 22ff.-123f. zum Verhältnis von Dracontius und Nonnos auch Gnesa (1999: XIII-XIV).

► E.

3.5.1, Zum Einfluss der Epithalamien vgl.

122f. dum loquitur lasciva Venus, yenit ecce Cupido / fessulus: In betonter Stellung am Versanfang schafftfessulus unauffällig einen Übergang von der als Epiphanie angekündigten Ankunft des Gottes zur tatsächlichen Ankunft des Kindes in den Armen seiner Mutter:" Obwohl fessulus eigentlich nur ausdrückt, dass Cupido 'ein wenig müde' ist, was nach seinem Flug nicht erstaunt, vermittelt der Diminutiv gleichzeitig die Idee, dass es sich beim Subjekt um eine kleine, betreuungsbedürftige Person handelt 452 • Im Gegensatz zum pointierten fessulus beschreibt lasciva Venus aufallgemeine Weise. ecce in einem auf einen temporalen dum-Satz folgenden Hauptsatz ist in der Hexamete'tdichtung gut belegt 453 • Nach venit findet es sich in der Dichtung mehrfach454.fessulus ist ein ä.1ta.l;Ae-y6µevov455 • Vergil, Ovid, Lukan, Valerius Flaccus und Silius meiden Diminutive in ihren Epen, besonders Diminutive von Adjektiven 456 . Die spätlateinischen Dichter zeigen darin jedoch weniger Zurückhaltung 457 • Bei Dracontius ist nicht die Anzahl der Diminutive bemerkenswert, sondern die Tatsache, dass er einige Formen verwendet, die sonst selten oder gar nie belegt sind 458 • Zu lasciva für Venus ► 52, zu Cupido für den Liebesgott ► 61. 452

Gegen Mailfait (1902: 44f.), bei dem dieser Diminutiv in der Liste von '"deminutiva . supervacanea" erscheint. Zum Bedeutungsspektrum von adjektivischen Diminutiven siehe Hakamies (1951: 29-31). 453 Z.B. Hor. sat. l,9,60f. (haec liJi!!J. agit, Fuscus Aristius occurrit); Ov. met. 2,lllf. ... patefecit); Stat. Theb. 10,463-7 (Aurora: ~ ... Phaethon miratur ... / ... =vigil (dumque ... / ... / ,.. tardumque Dymanta queruntur: / ecce ... / venerat Amphion); vgl. ThLL 5.2.29.7-24. 454 Z.B. Verg. ecl. 3,50 (qui venit ecce Palaemon); Ov.fast. 6,676 (auctor vindictae nam venit t:= tuae); Phaedr. 3,5,6 (yeniteccedives et potens); Sen. Herc. 0. 1603 (laeto venit ecce ~ ~---~ vultu); vgl. ThLL 5.2.26.53-8. 455 ThLL 6.1.609.5-7. Das Synonym,fossulus ist zweimal belegt (Catull. 63,35,; Hier. adv. ,,_ Rü,fi"it~ 2~). -------456 Einen Überblick über die Diminutive bei den augusteischen Dichtern bieten Axelson (1945: 38-45) und Gow (1932). 457 Vgl. LHS 2.772-5 § 31.A-C.c. 458 Vgl. Vollmer (1905: 438). Zum Diminutiv bei Dracontius siehe weitef Barwinski (1887: 39f.) und Mailfait (1902: 44f.).

=/

123f. gremio matris libratur anhelans, / quo sessurus erat: Der Umschwung vom mächtigen Gott zum kleinen Kind ist vollzogen. Auf ähnliche Weise stürzt sich Cupido in Romul. 2 in den Schoss seiner Mutter459 . Der mediopassive Gebrauch von librare 'sich fliegend wohin begeben' ist nur bei Claudian und Dracontius belegt 460 , mit dem Dativ der Richtung (► 40f.) nur hier. anhelans erklärt sich in erster Linie aus Cupidos Erschöpfung nach dem Flug und passt gut zufessulus, aber die erotischen Konnotationen des Verbs (► 77f.) sind beim Liebesgott mitzuhören. qua lässt sich auf drei Arten erklären: als spätlateinische Vermischung der Richtungs- und Ortsangabe (► 6f.) 46 1, als normale Ergänzung zu einem reflexiv verstandenen sedere (► 477f.) oder - am einfachsten - als mit in zu

198

Kommentar

ergänzendes Relativpronomen zu gremio 462 • Parallelen zur umschreibenden Verbform sessurus erat, d.h. Part. Fut. act. mit esse im Imperfekt, finden sich von Plautus bis ins Spätlatein vor allem in kausalen, relativen oder kondizionalen Nebensätzen, in der Dichtung mit einiger Häufigkeit bei Ovid 463 . Dracontius zeigt eine Vorliebe für das Part. Fut. und verwendet die Coniugatio periphrastica regelmässig 464 • 459 460 461 462 463

464

Drac. Romul. 2,4-6 lfuderat ]dalius gremio se forte parentis / pinniger et collum violentis cinxerat ulnis / oscula pura rogans). Claud. carm. min. 25,16 (Amores: summas pinnis libranturin ulmos); Drac. laud. dei 1,266 Gunge Vögel: rudibus librantur in aera plumis); vgl. TbLL 7.2.1351.72-4. Für sedere mit Richtungsangabe lassen sich nur wenige Parallelen finden; vgl. ThLL 7.1.796.10-2. Vgl. z.B. Ov. epist. 8,94 (Hermione zu Helena: nec z.r=jQ§.C.di sarcina grata tuo). Z.B. Plaut. Cist. 152f. (quod si tacuisset, tamen / ego eram dicturus); Ov. ars 3,6llf. (qua vafer eludi possit ratione maritus / quaque vigil custos, praeteriturus eram); met. ll,148f. (nocituraque, ut ante, / rursus erant domino stultae praecordi~ mentis); Pont. 1,6,14 (qui mihi praesidium grande futurus eras). Eine Übersicht über die Stellen f"mdet sich bei Blase (1903: 273f. § 64.4) und Neue (1897: 160-2). Die übrigen Belege bei Dracontius sind laud. dei 3,636 (qui veniam missurus eras) und satisf. 18 (quod duraturus cor Pharaonis eras). Part. Fut. in Romul. 10: 19 (regnaturus); 106 (reditura); 107 (jactura); 109 (consumpturus); 387 (venturi); 423 (ductura); 447 (nuptura); 476 (ventura). Vgl. Vollmer (1905: 43lf.). Zur Coni. periphr. ► 144.

124f. quem protinus illa volantem / occupat et crines componit mater Amori: Venus liebkost ihren Sohn und richtet seine Frisur. Der Satz zeichnet sich durch eine bemerkenswerte Häufung von Bezeichnungen für das Subjekt (illa, mater) und Objekt (quem, Amori; ► 126) aus. Bei Cupido zeigen die Bezeichnungen jeweils einen Kasuswechsel an 465 , und abgesehen davon hebt die Häufung die einzelnen Handlungen hervor. Cupidos Frisur wird bisweilen als kunstvoll dargestellt 466 • occupare aliquem 'jmd. ergreifen, fassen' ist seit Vergil mehrheitlich in der Dichtung belegt 467 . crines componere findet sich seit Vergil, componere mit capillum seit Plautus 468 • Zu Amor für Cupido ► 61. 465

466

467

468

Vgl. Wolff (1996: 197 Anm. 70). Die Ersetzung eines Relativpronomens durch ein Substantiv oder ein Demonstrativpronomen ist bei Dracontius nicht selten; vgl. Vollmer (1905: 438). . Vgl. z.B. Ov. Pont. 3,3,15f. (Cupido: neque habens crinale capillo, / nec bene dispositas comptus, ut ante, comas); Apul. met. 5,22,5 (Psyche: videt capitis aurei genialem caesariem ambrosia temulentam, .. . crinium globos decoriter impeditos, alias antependulos, alias retropendulos); 30,6 (Venus kämmt Cupidos Haar: comas quas istis manibus meis subinde aureo nitore perstrinxi). Z.B. Verg. georg. 4,439f. (Aristaeus packt Proteus: manicisque iacentem /~;Sen. Tro. 792f. (Andromache zu Astyanax: quid meos retines sinus / manusque matris cassa praesidia ~?); Stat. Ach. 1.251 (Thetis und Achill: ~ illa manu blandeque adfata paventem); 929f. (Deidameia und Achill: cara cervice mariti / fusa novi lacrimas iam solvit et~ artus); vgl. ThLL 9.2.386.20-8. crines componere: z.B. Verg. georg. 4,417 !comporitis .... crinibus); Prop. 1,15,5 (potes hestemos manibus componere crinir)- Stat. Ach. 1,348 (bevor Thetis den als Mädchen verkleideten Achill entlässt: sparsosque tumet conponere crines). capillum componere: z.B. Plaut. Most. 254 (capillus satis compositust commode?); vgl. ThLL 3.2114.65-73.

124f.-127

199

126 puerum complexa fovet dans oscula nato: Nach der Häufung in ► 124f. wird Cupido hier mit zwei weiteren Substantiven (puerum, nato) identifiziert. Auch über Küsse zwischen Venus und Amor berichtet die antike Literatur an mehreren Stellen•••. In Romul. 2 bittet Cupido um Küsse, hier beko=t er sie ungefragt 470 • puerum complexa findet sich genauso bei Claudian für Venus, die ihren Sohn umarmt und wenig später küsst 471 .fovere 'liebkosen, herzen' ist seit Vergil vorwiegend in der Dichtung belegt, oft in Kombination mit dem Part. Pf. von amplecti oder den Substantiven am-/complexus, bei Statius einmal auch mit puerum 472 • osculuml-a dare ist im Sg. seit Plautus, im PI. seit Tibull gut belegt, bei Ovid einmal in einem fast identischen Versschluss 473 • Zu Cupido als Knaben ► 61. 469 470

471

472

473

Z.B. Apoll. Rhod. 3,149f. (E1tA.CXt µmpi itcipetcnv / IT60oc; &t 't' ouo/;v &napvov / 1:eM0Et 0eAicropt IIEt0ot). Vgl. Philipps m (1980: 270). Ov. am. 1,2,35 (Blanditiae ~ tibi erunt Errorque Furorque) (zu Cupidos Triumphzug ► 156-70). 635 Claud. 10,82 (iucundique Metus et non secura Vo/uptas)· 202f. (tu festas, Hymenaee faces, tu, Gratia, flores I elige, tu geminas, Concordia, necte coronas). Drac. Romul. 6,605 (ibat in obsequium Risus Ame[exibux haerens / iusta Libido coit, venit et moderata Volupta, / candida legitimas accendens Gratia laedas / occurrit, venit alma Fides, Petulantia simplex, / casta Pudicitia procedit mente quieta. / Sobrietas per cuncta vigil devota cucurrit). Vgl. auch Romul. 6,91 ~ in Venus' Gefolge); 7,42 (Gratia); 43 (Pudicitia); 51 (pia Virginitas); 59 (cana Fides Pietasque iugent et casta Voluµtas). Angelegt ist dieses Element_bi;reits bei Statius, allerdings nur in sehr beschriinktem Masse ._.(Stat. silv. 1,2,19: nec (f,iandus--Amornec Gratia cessat; 240: insigni geminat Cqncordia _ taeda). 636 115 (Amor, ~ Venus, Venustas, Gaudium). Dann z.B. Mart. Cap. ) Plaut. Bacch. 7,725 (vers.) (dia Voluptas). 637 Belege für den Sg. fehlen ganz; für den PI. vgl. auch Drac. Romul. 6,60f. (Amplexibus haerens / iusta Libido coit) und ThLL l.1997.55f. 638 Z.B. Plaut. Bacch. 116 (locus, Ludus). An dieser Stelle sei auf das allgemeine Problem hingewiesen, dass meist der Herausgeber entscheidet, ob ein bestimmtes Wort als Personifikation aufzufassen ist oder nicht; so werden viele der von Engelbard (1881: 25634

222

Kommentar

33) gesammelten Beispiele von den jeweiligen Herausgebern nicht als Personifikationen angesehen. 639 Z.B. Ov. am. 3,ll,17f. (quando ego non fixus lateri palienter adhaesi / ipse tuus custos, ipse vir, ipse comes?); Vell. 1,9,6 (quam sit adsidua eminentis fortunae comes invidia altissimisque adhaereat etiam hoc colligi potest); Claud. 3,35f. (in einer Liste von personifizierten Abstrakta: quem semper adhaeren\' I infelix humili gressu comitatur Egestas); Aug. civ. 10,16 p. 427,27f. (Epidaurius serpens Aesculapio naviganti Romam come., adhae.iit)Mart. Cap. 1,26 (sed scandente Phoebo Musarum pedisecus adhaeren.ique comitatus candenti canoraque alite vehebatur). 640 Z.B. Verg. Aen. 6,159; Lucan. 6,828; Si!. 15,153; Stat. Theb. 4,59. Die Junktur ist auch sonst gut belegt, z.B. Hor. sat. 2,5,17; Tib. 1,4,41; Ov. am. 2,16,17; ars 1,301; Petron. 124 vers. 252; Mar. Victor. aleth. 1,289; vgl. ThLL 3.1770.24-6 und McKeown (1998: 342f.).

163 Gaudia concurrunt, Risus atque Oscula pergunt: Mit der Länge des Zuges nimmt die Lautstärke zu: In 161f. war nur eine Gruppe genannt, die ausserdem eine lautarme Tätigkeit verkörpert (Amplexus); hier sind es drei fröhliche Gruppen. Im PI. sind die personifizierten Gaudia seit Vergil belegt, in dem für den Hexameter unmöglichen Sg. bei Plautus 64'. gaudium erscheint oft in erotischem Zusammenhang642. concurrere ist hier in der selten und erst bei christlichen Schriftstellern belegten Bedeutung 'mitlaufen' zu verstehen 643 . Der personifizierte Risus, im Sg., findet sich erstmals in einem Plautus zugeschriebenen Epigramm, später bei Apuleius als thessalischer Gott 644 . Die personifizierten Oscula sind nur hier und in 265 belegt 645 . Der seltene absolute Gebrauch von pergere findet sich in Romul. 10 auch in 358 und 510646_

641 Plaut. Bacch. 115 (Amor, Voluptas, Venus, Venustas, Gaudium). Verg. Aen. 6,278f. (beim Eingang zur Unterwelt: mala mentis / Gaudia); dann auch Val. Fl. 6,178f. (mala leti / Gaudia); Drac. Romul. 6,91 (occurrunt ~ cuncta); vgl. ThLL 6.2.1713.46-55. 642 Z.B. Lucr. 4,1106f. (iam cum praesagit ~ corpus / atque in eost Venus ut muliebria conserat arva); Ov. am. 2,3,2 (mutua nec Veneris raudia nosse potes); Stat. Theb. 5,72 (nullae redeunt in gaudia noctes); Claud. 14,llf. (crescunt difficili gaudia iurgio / accenditque magis, quae refugit, Venus); Mart. Cap. 7,725 (vers.) (Voluptas zu Merkur: tu optati lentus amoris / raudia longa trahis ?); Drac. Romul. 6,23 (an Venus: tua itaudia fervent); vgl. ThLL 6.2.1712.33-53. 643 Z.B. Vet. Lat. psalm. 49,18 (Tert. spect. 15 p. l 7,16f.) (si furem videbas, cqncurrebq,cum eo); vgl. ThlL 4.110.84-111.2. 644 Gell. 1,24,3 (epigramma Plauti, quod dubitassemus, an Plauti foret, nisi a M Varrone positum esset in libro de poetis primo: postquam est mortem aptus Plautus, Comoedia luget, / scaena est deserta, dein Risus Ludus locusque / et Numeri innumeri simul omnes conlacrimarunt); Apul. met. 3,11,3 (nam lusus iste, quem publice gratissimo deo Risui per annua reverticula sollemniter celebramus). 645 Vgl ThLL 9.2.1110.3-5. 646 Vollmers (1905: 388) Umschreibung "veniunt ex ordine" ist mit Wolff (1996: 199 Anm. 85) aus inhaltlichen Gründen abzulehnen. pergere entspricht hier vielmehr proficisci (vgl. TbLL 10.1.1428.6lf.), mit dem Vollmer selbst (1905: 387f.) mehrere Belege von pergere (z.B. in 358) erklärt. Andere Belege für die absolute Verwendung: z.B. Catull. 61,193-5 (~ ne remorare. / non diu remoratus es: / iam venis); Apul. met. 1,26,2 (isto accepto pergit ipse et ... clementer me trahere adoritur); vgl. TbLL 10.1.1428.58-60.

163-165f.

223

~-

164f,,~a~cet

ldalias sociarint frena columbas / et iunctae per cuncta volent:

Angeschirrt zieht das Taubengespann bereits den Wagen durch die Lüfte, den Cupido allerdings nur selten benutzen wird (165-70). Als anknüpfende P~el is!_~erst im Spätlatein belegt 647 • Venus' Tauben werden bei Statius ~sldaliae volucres-'bezeichnet 648 ; zur Bedeutung von Idalius ► 89f. Das Versende Jrena columbas findet sich in vergleichbaren Kontexten in mehreren 649 • iungere ist für das Anschirren spätlateinischen-Epithalamien von Zugtieren seit Plautus belegt, bei Ovid auch in Bezug auf Venus' Tauben 650, während sociare kaum je für den gleichen Sachverhalt verwendet wird 651 • Zu per cuncta bei Dracontius und sonst ► lOOf. 647

648 649

650

651

Z.B. Peregr. Aeth. 7,4 Lll!ll!1 castrum est ibi .... !!..!ll!!. et nos iuxta consuetudinem deduxerunt inde usque ad aliud castrum); vgl. LHS 2.505f. § 274 Zusatz b; Löfstedt (1911: 34f.). Weitere Beispiele dafür bei Dracontius: z.B. satisf 201; Romul. 8,37 (Athene: [ victa dolet, nam tristis abit); Orest. 381; vgl. Westhoff (1883: 28); Mailfait (1902: 123); Bouquet-Wolff (1995: 186 Anm. 267). Stat. Theb. 12,16 (~ volucres fulvum aspexere draconem); Ach. 1,372 (qualiter ~ volucres ). Paul. Nol. carm. 25,3 (Christe deus, pariles duc ad tua frena columbas); Claud. carm. min. 25,104 (florea pu,pureas adnectunt frena columbas); Drac. Romul. 6,75 (florea purpureas retinebant frenacolumbas), Z.B. Plaut. Men. 862 (equos iunctos); Verg. Aen. 3,113 (iuncti currum dominae subiere leones); Hor. carm. 3,28,14f. (Venus: Paphon / iunctis visit oloribus); Ov. am. 1,2,23 (an Cupido: matemas iJm$.e columbqi)· met. 14,597 (Venus: perque leves auras ~ invecta columbiy)· Stat. silv. l,2,142f. (Venus: adfrena citavit o/ores. / iungit Amor); vgl. ThLL 7.2.653.80-654.14. Nach OLD und L&S (jeweils s.v. socio) ist das einzige Beispiel dafür Stat. Theb. l,131f. (delectos per torva armenta iuvencos / agricola imposito sociare adfectat aratro ).

16Sf. tamen impiger ales / nunc hanc nunc illam residet: Cupido reitet auf den Tauben, als ob sie keinen Wagen zögen. Bei den Vögeln, die die Amores in einem der claudianischen Epithalamien anschirren, ist ebenfalls zuerst unklar Qb~ie Reit- oder Zugtiere sind. Erst am_Ende der Beschreibung werden sie als iugales bezeichnet 652 • Das Versendef~piger ales fmdet sich bei Statius für Merkurm;für Cupido ► 98f. (impiger) und ► 145 (ales). Der Hexameteranfang nunc ... nunc ... mit Demonstrativpronomina ist mehrfach belegt6 54 • Transitives residere ist selten, besonders in der wörtlichen Bedeutung 'sitzen auf' 655 . Claud. carm. min. 25, 110-5 (laetantur Amores / frenatisque truces avibus per nubila vecti / ostentant se quisque deae magnoque tumultu / confligunt pronique manus in verbera tendunt / atque inpune cadunt: lapsus meliore volatu / consequitur vincitque suos auriga ~). 653 654 655

Stat. Theb. 1,292 (textkritisch umstritten). Vgl. auch das klanglich ähnliche Versende in Drac. Romul. 10,98 (Cupido: quatit impigerqlq,S). Z.B. Lücr. 2,214; Verg. Aen. 5,441; Ov. epist. 10,19; Mart. 9,46,3. X Apul. met. 8,17,5 (mulieris, qzµ,'!_meum dorsum residebaQl(J,1,1.(quibus ... consueta loca regidentihu(I · Drac. fü1mul. 10,273 ;(Bacchus: anhelantes :residen? .). tigres). Transitiv heisst das Verb sonst '(Zeit)-verbringen', z.B. Plaut. Capt. 468 (venter gutturque resident esurialis ferias); Cic. leg. 2,55 (denicales, quae a nece appellatae sunt, quia residentur mortuis).

224

Kommentar

166f. gaudetque illgales / iam relevare suas et se pensare volatu: Immer wieder fliegt Cupido neben dem Gespann her. Bei Claudian stossen sich die Amores auf dem Weg zur Hochzeit wiederholt gegenseitig vom Gespann und fliegen dann aus eigener Kraft weiter 656 • Das feminine Substantiv iugales für Zugtiere ist sonst nur bei Statius belegt 657 • relevare kann das Ausspannen von· Zugtieren aus dem Joch bezeichnen 658 ; hier jedoch erleichtert Cupido sein Gespann, indem er es zeitweise nicht benutzt. Belege für pensare 'aufhängen, balancieren' sind selten und sonst nicht reflexiv 659 . Buechelers Konjektur volatu für das syntaktisch unhaltbare volatum (Nn) ist sinnvoll und lässt sich durch die eben erwähnte Claudian-Stelle stützen, an der die beiden Verse, in umgekehrter Reihenfolge, ebenfalls auf iugales und volatu enden 660 . 656 657 658 659

660

Claud. carm. min. 25,l 14f. (Lapsus meliore volatu / consequitur vincitque suos auriga iugales). Stat. Theb. 4,678f. (Bacchus' Tiger: Hyrcanae ad signa ~ / intumuere iubas); vgl. ThLL 7.2.625.19-50. Z.B. Sen. Ag. 460 (iam lassa Titan colla relevabat iugo). Vgl. ThLL 10. l.1112.67-1113.6. Die dürftigen Belege rechtfertigen jedoch Baehrens' (ed. 1883) Vorschlag dispensare volatum (Nn) nicht .. ._ Buecheler bei Duhn (ed. 1873). Zur Claudian-Stelle ► Anm. 656.

168f. (sublatum propriis persentit in aera pinnis / aurigam quadriga volans): Die Klammerbemerkung lenkt unsere Aufmerksamkeit vom Wagenlenker auf das Viergespann_und dessen Wahrnehmung. pe;;;ntii?;ist vor dem 2. Jh. n. Chr. nur sehr selten und mit Tieren als Subjekt erst seffTertufiian belegt•• 1• aer- pinnis ist ein häufiges Versende; mit sublatus findet es sich auch bei Ovid 662 • 661

Z.B. Tert. pall. 3,2 (Schlange: ut senium persensit in angustias stipat ... cute egrediens ... novus explicat); Sol. 13,2 (Biber: animal morsu potentissimum, adeo ut cum hominem invaserit, conventum dentium non prius laxet quam concrepuisse persenseril fracta ossa); Paul. Nol. carm. 20,410 (cervicique suae persensit lora parari); vgl. ThLL 10.1.1686.51----.6. . 662 Ov. met. 7,354 (Kerambos: sublatus in aera pennisl. Sonst z.B. Catull. 66,53; Paneg. in Mess. 209; Ov. met. 11,732; Calp. ecl. 2,11; Homer. 120; Val. Fl. 1,233; Prud. ham. 816; Ps. Prosp. carm. de prov. 217; Ale. Avit. carm. 4,565; Coripp. lust. 3,202; Ven. Fort. Mart. 1,290.

169f. iterumque columbas / adpetit et pharetris concludit dorsa volantum: Cupido lässt sich wieder von den Tauben transportieren. Dabei sitzt er so auf dem Wagen oder auf einer der hinteren Tauben, dass sein Köcher noch weiter hinten ist als die Rücken der Tiere, die er damit sozusagen abschliesst 663 • __f{!r p!z_are_trisconcludere dorsa fehlen Paral!~le_}l.do_rsum' ist zwar seltener als tergum belegt, für die Bezeiclmtiiig variT.icnikkcn in der Dichtung jedoch gängig 664 • 663

{Diese Erklärung ist VoiiinerJ (1905: 330) Paraphrase "Amor sedens in curru, 1 i. agmen ~earn:ui ..54) steckt bereits ein Hinweis auf seinen durchschlagenden Erfolg, der in Medeas und Jasons Hochzeit bestehen wird. Eine Gottheit, die durch Waffengeklirr auf sich aufmerksam macht oder eine für den Einsatz bestimmte Waffe erklirren lässt, ist bei Vergil in Homers Nachfolge mehrfach beleg® Buechelers Konjektur sed für das überlieferte ~ien wird, als hinderlich galten 911 ; Medeas Gürtel erschiene folglich unpassend, wenn er nicht auf die Hochzeit hinwiese. hiatus oris ist seit Cicero belegt 912 • An der gleichen Stelle im Vers erscheint digiti mittuntur in Romul. 2 913 • Die Junktur findet sich mehrfach in christlichen Texten 914 • inermis ist sonst in Bezug auf Hände, nicht Finger belegt 915 • Unbewaffnet sind Medeas Finger (oder Hände), weil sie das Schwert zu Boden fallen liess (224) 916 • 908 909

Drac. Romul. 2,113f. (cunctis rewirat hiatus / Q.Lii). Ein weiteres gemeinsames Motiv findet sich in ► 228f. Z.B. Horn. Od. 11,245 (Ä.uaE c'5enap0evfa1v ~ ein zweifelhaft überlieferter Vers; Catull. 2,13 (zonam solvit diu ligatam); 67,28 (passet zonam solvere virgineam); Varro Men. 187 (novos maritus tacitulus taxim uxoris solvebat cingillum); Ov. epist. 2,116 (Phyllis an Demophoon: castaque fallaci Z-.QlliL recincta manu); Lucan. 2,362 (Marcia verzichtet bei der zweiten Hochzeit mit Cato auf den Gürtel: balteus aut fluxos gemmis

232f.-235f.

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astrinxit amictus); Paul. Fest. p. 63 (cingillo nova nupta praecingebatur, quod vir in lecto solvebat . ... hunc Herculaneo nodo vinctum vir solvit); Hier. epist. 147 ,6, 1 (capillos, sudariola infelicis et cingulum, dotale pignus, reportas); Claud. 10,284 (Venus hilft der Braut: substringit amictus); Nonn. Dion. 13,224f. Vgl. RAC 12.1239f.; Treggiari (1991: 163). Dass die Braut oder ihre Freundinnen den Gürtel lösen, ist allerdings bisweilen auch sonst belegt, z.B. Prod. /. 8,45f.; Catull. 61,52f. (tibi virgines / Z!2l!lWlsolvunt sinus). Ov. met. 7,182 (Medeas Vorbereitung zur Zauberei: egreditur tectis vestes induta recinctas); vgl. auch Dido bei ihrem magischen Ritual (Verg. Aen. 4,518: in veste recincta) und dazu Serv. Aen. 4,518 (in sacris nihil so/et esse religatum). Siehe Tupet (1976: 48); RAC 12.1248f. Z.B. Cic. nat. deor. 2,122 (cibumque partim Qrkhiatu et dentibus ipsis capessunt); Verg. Aen. 11,680 (Wölfe); Sen. Oed. 164f. (mors atra avidos !lLii. hiatus I pandit); Avien. orb. terr. 790 (inmodici late palet J2lil hiatus); vgl. Thl.L 6.3.2683.8-13; 51-6. Drac. Romul. 2,114 (et ad crine.67-71) geht Medea zum zweiten Aspekt der dreigestaltigen Göttin über und lobt Diana als Schützerin der Jungtiere und als Jagdgöttin(> 19Of.). custos nemorum ist in der Dichtung an wenigen Stellen belegt 125 , mors pinnata nur einmal in Ennodius' Prosa 126 • Bei Prudenz wird die Göttin als nemorum dea bezeichnet127. ' 25 Für Diana: Hor. carm. 3,22,1 (montium custos nemorumgue}; Verg. Aen. 9,405 (nemorum Latonia custos). Latonia custos) (dazu> Anm. 88); Hos. Geta Med. 32 (Chor: nemorum Vgl. auch Verg. Aen. 11,557 (nemorum cultrix, Latonia virgo). Für andere Gottheiten: Avian. fab. 29,5 (Satyr: nemorum custo.fr vgl. auch Mart. 8,40,2 (rari l1il!1Q1'.li, Priape, custos). 126

Ennod. opusc. 1,67 p. 279,16-8 (dum anceps esset forluna certaminis et pennatae mortes sibi aethera vindicarent, superavit nostri memoria principis); vgl. TbLL 10.l.1094.751095.9 sowie auch Sen. Thy. 860f. (et qui nervo tenet Haemonio / pinnata senex spicula Chiron).

127 Prud. c. Symm. l,373f. (subigit nemorumque putare / esse deam).

362

Kommentar

405 (ursus cervus aper pantherae damma leones: Ohne Überleitung zählt Medea in einem asyndetischen Vers sechs von Dianas Beutetieren auf. Ähnliche, jedoch weniger kompakte Listen verschiedener Tiere finden sich in dichterischen Beschreibungen von Proteus' Verwandlungen 128 . Ob sich Dracontius von nordafrikanischen Jagdmosaiken beeinflussen liess, muss offen bleiben 129 • Zu seiner Vorliebe für asyndetische Listen ► E. 3.3.2. 128

129

Z.B. Rom. Od. 4,456f. (1tpcimcr,;a Urov -yEvE,;'T)U"fEVEto ~6ö' ii011KE/ dEtoYEVTJ~Moucriöv 1tp6mco11.o~ oupaviwv). Griechische literarische Belege: z.B. Anacreontea 8,13 W. (critEVÖE~i/>Aua(cp) (zur Datierung der Anacreontea vgl. West ed. 1993: XVI-XVIII; Rosenrneyer 1992: 3); Plut. symp. 5,6,680b (o Auaio~ 0E6~). Lat. Belege: Verg. georg. 2,229 (rarissima quaeque ~o); Ov. am. 3,15,17 (corniger increpuit thyrso graviore Lyaeus)· Claud. 10,215-7 (apex, qualem non Lydia dives / erexit Pelopi nec construxere Lyaeo / lndorum spoliis et opaco palmite Bacchae), Vgl. DNP 3.657. Vgl. z.B. Anacreontea 49,2 W.;Plut. symp. l,l,613c; Serv. auct. Aen. 4,58 (dictus Lyaeos aito ~oil A.UE\V,quod nimio vino membra solvantur) und RE 13.2.2110.48-62. Z.B. Sen. Phoen. 29lf. (Antigone zu Ödipus: tuque vecordes potes / inhibere iuvenes). Vgl. ThLL 7.2.736.20-30 und auch Wolff (1996: 133 Anm. 98) mit weiteren Stellen. Val. A. 2,265 (Hypsipyle verkleidet ihren Vater als Bacchusstatue: serta patri iuvenisque comam vestesque Lyaei}. Beachtenswert sind auch die Klangähnlichkeiten zwischen serta (Val. FI.) und saeva (Drac.). Verg. Aen. 2,416f. (adversi rupto cguquondam turbine venti / conjligunt); 6,492 (ceu quondam petiere rates); 7,378 (ceu quondam torto volitans sub verbere turbo); 699 (ceu quondam nivei liquida inter nubila cycni); Ov. met. 9,l 70f. (ipse cruor, gelido ~ quondam lammina candens / tincta lacu); Si!. 7,688f. (ceu quondam aeternae regnator noctis, ad imos / cumfugeret thalamos).

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Kommentar

552&554 ''bis", inquit Medea, "rogis ... ! ... ! vos, miseri, commendo, mei": Medea will die Leichen der Kinder dem Feuer im Palast übergeben. Abgesehen von ► 544f. ist dies die einzige Stelle, an der Medea Mitleid für ihre Kinder empfindet (miseri). Dass sich der Palast in einen Scheiterhaufen (rogus) verwandelt hat, wurde in 521 erzählt. Gegen die einhellige Überlieferung meis (Nn) ist hier mit Duhn mei zu lesen 676 • Syntaktisch und inhaltlich könnte meis gehalten werden, aber durch die weite Entfernung vom Bezugswort rogis erhielte es eine starke Betonung, die schwer erklärbar wäre. meis lässt sich ausserdem leicht durch falsche Wortabtrennung und 'geminatio' von s erklären. 676

Duhn (ed. 1873), gefolgt von Baebrens (ed. 1883) und Schetter (1980: 218).

552f. ubi pulchra noverca / et pater ipse Creon vel perfidus arsit Iason: Mit der Charakterisierung von Glauke als noverca teilt Medea ihr die Rolle der Stiefmutter der nun toten Kinder zu, mit der sie selbst kurz vorher (547f.) vom Erzähler bedacht wurde. Damit verhindert sie, dass die Rolle mit ihr selbst assoziiert bleibt. Paradoxerweise wollte sie gerade vermeiden, dass Glauke zur Stiefmutter ihrer Kinder würde. Wenn Medea Jason als perfidus bezeichnet, bestätigt sie indirekt, dass der erste Teil von Dianas Fluch (294f.) eingetroffen ist. Die Bezeichnung pater ihrerseits vervollständigt das Familienbild, obwohl Kreon nicht der Vater von Medeas Kindern ist: Medea stellt ihre Mordtaten als Auslöschung einer Familie dar. Als 'schön' wird Glauke in ► 426 von Medea und in 369 vom Erzähler bezeichnet, als noverca in manchen früheren Mythenversionen 677 • ardere findet sich in Bezug aufGlaukes Tod bei Properz und Ovid 678 • Zu ipse in Kombination mit Creon ► 367, zu Kreons Charakterisierung als Vater ► E. 3.7. 3., zu vel statt et ► 20f., zu den negativen Konnotationen von noverca ► 22, zu perfidus für Jason ► 294. 677

618

Z.B. Ov. epist. 12,188 (saeviet in partus dira noverca meos); Sen. Med. 846f. (Medea zu ihren Kindern: placate vobis munere et multa prece / dominam ac nevercamlProp. 2,16,30 (arserit et quantis nupta Creusa malis); Ov. met. 7,394 (Colchis glli1. nova nupta venenis).

554(. sie fata minorum / corpora saeva parens funestos mittit in ignes: Medea lässt die Leichen ihrer Kinder in das Feuer des Palastes gleiten. funestus ignis bezeichnet auch bei Lukan, wo die Junktur in der Dichtung erstmals belegt ist, einen Scheiterhaufen 679 • Anderswo in Romul. 10 istfunestus, -a, -um negativ gefärbt (► 11). saeva parens ist seit Ovid in der Dichtung mehrmals bezeugt68(]. Zur Übergangsphrase sie fata ► 84f., zum Komparativ (minorum) statt Positiv (parvorum) ► 27f., zu saeva in Bezug auf Medea ► 536, zu ihrer Bezeichnung als 'Mutter' (parens) und zur Zuwiderhandlung gegen diese Rolle ► 530-55. 679

Lucan. 9,178 (Cornelia übergibt Pompejus' Kleider und Ausrüstung nach seinem Tod dem Feuer: funestoque intulit ig!!i). Weniger neutral erscheint die Junktur in Paul. No!. carm. 9, 16f. ( die Israeliten in babylonischer Gefangenschaft: inter et accensas funestis ~ aras I heu! male de nostro laetis maerore canemus).

552&554-556ff. 680

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Z.B. Ov. am. 2,14,31 (utraque saeva parenx}epist. 20,102 (sit magis in natum ™ reperta parens); Stat. Theb. 5,229f. (cum saeva parens iam coniuge Juso / adstitit); Sil. 10,104f. (rapit agmine natos I saeva parens ultro in certamina).

556-569 Medeas Abgang auf dem Schlangenwagen Auf Medeas Wunsch erscheint ein Wagen, der von Schlangen gezogen wird (556-8). Wie imProoemium(► 24f.) angekündigt, fährt sie auf ihm in den Himmel auf, wobei sie versucht, die Luft zu verpesten (562-9). Aus der ausführlichen Beschreibung des Wagens geht hervor, dass dieser bei Medeas Fahrt als Fackel verbrennen soll (► 55961). Dies führt zu zwei Fragen: Wie ist der Fackelwagen am Himmel zu interpretieren, und was geschieht mit Medea? Fackelartige Lichter am Himmel waren bekannt als Prodigien 681 • Auch Dracontius nennt in einem Prodigienkatalog plötzlich aufleuchtende Kometen und unzeitig erscheinende Sterne 682 • Das fackelartige Licht von Medeas Wagen deutet also Unheilvolles an. Ein Licht am Himmel lässt andererseits auch an eine Apotheose denken 683 • Zwar ist von Medeas Tod nicht die Rede, und es fragt sich auch, ob sie, die selbst mächtiger ist als die Götter, überhaupt vergöttlicht werden kann. So ist ihre Himmelfahrt keine Apotheose im eigentlichen Sinn, sondern eher eine negative Apotheose, d.h. die Vergöttlichung einer unmenschlichen Gestalt, bei der die Elemente einer typischen Apotheose in entstellter Form erscheinen 684 • Während bei einer typischen Apotheose ein Gott mit seinem Wagen die betreffende Person von der Erde in den Himmel holt, um sie für ihr tugendreiches Leben zu belohnen 685 , fährt Medea von sich aus und auf ihrem eigenen Wagen in den Himmel. Ferner kann beim Tod einer Person, die später vergöttlicht wird, die Sonne verschwinden 686 ; hier aber muss Sol umso stärker scheinen, um die Welt vor den Giftschwaden, die als Nebeneffekt auftreten, zu bewahren. Für die Gesamtinterpretation von Romul. 10 (► E. 3.8.) ist im Zusammenhang mit Medeas Vergöttlichung der Euhemerismus der christlichen Apologeten wichtig. Diese disqualifizierten die heidnischen Götter, indem sie ihre Existenz auf die Vergöttlichung von Menschen zurückführten 687 • Die Interpretation von Medeas Himmelfahrt als Entrückung ist einerseits bereits für Senecas Medea vorgenommen worden 688 und spielt andererseits auf den römischen Medea-Sarkophagen eine grosse Rolle, wo der Kindermord oft weggelassen wird und Medeas Entrückung dadurch umso stärker als positive Alternative zu Glaukes Tod erscheint 689 • Ohne die Assoziation einer Apotheose gehört Medeas Entschwinden auf dem Wagen seit Euripides fest zur Mythentradition 690 • Allerdings werden bei ihm keine Schlangen erwähnt; diese erscheinen erstmals auf V asendarstellungen um 400 v. Chr. 691• Bei Euripides, Seneca und Hosidius Geta besteigt Medea den Wagen nach dem Kindermord, wie hier, und flieht nach Athen (Eur.) oder entschwindet in den Himmel (Sen.; Hos. Geta) 692 • Ovid und Hygin zeigen den Schlangenwagen losgelöst von Medeas Mordtaten in Kolchis: Medea benutzt ihn für ihre Kräutersuche in Thessalien und um nach dem Mord an Pelias nach Athen zu fliehen (Ov.) bzw. um von Athen nach Kolchis zurückzukehren (Hyg.) 693 • Parallelen für eine Entrückung finden sich andererseits in der jüdisch-christlichen Tradition und in der Magie. Zwar ist eine Beeinflussung der vorliegenden Beschreibung durch frühchristliche Darstellungen von Elias oder Christi Himmelfahrt unwahrscheinlich, weil erstere über-

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Kommentar

haupt selten sind und auf ihnen meist die Übergabe des Mantels an Elisa im Zentrum steht und weil bei letzteren nur selten ein Wagen vorkommt 694 • Eine Inspiration durch die Geschichte (nicht eine bildliche Darstellung) von Elias Himmelfahrt ist indessen nicht auszuschliessen, zumal der Wagen dort ebenfalls als feurig dargestellt wird und lrenaeus erörtert, wie Elia trotz des brennenden Wagens unversehrt blieb 695 , eine Frage, die im vorliegenden Zusammenhang mit Medea offen bleibt. In der Magie sind Apotheose-Rituale überliefert, mit deren Hilfe sich jemand z.B. in einen Himmelskörper verwandeln und so unsterblich werden konnte 696 • 681

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Ov. met. 15,787 (Caesars Ermordung: saepe faces visae mediis ardere sub astris); vgl. Bömer (1986: 465). Lucan. 1,527-9 (vor der Schlacht bei Pharsalos 48 v. Chr.: caeloque volantes / obliquas per inane faces crinemque timendi / sideris et terris mutantem regna cometen). Julius Obsequens (wohl frühes 5. Jh. n. Chr.) nennt in einer Aufzählung von Prodigien, die er wohl aufgrund von Livius und dem Chronikon von Oxyrhynchos erstellte, z.B. je eine brennende Fackel für 167 (Obseq. 11: Lanuvifax ardens in caelo visa) und 166 v. Chr. (Obseq. 12: Lanuvii fax in caelo nocte conspecta); zu Julius Obsequens' Datierung und Quellen vgl. Schmidt (1968b). Vgl. auch Serv. auct. Aen. 10,272 (alter cometes est, qui lampas appellatur et quasi fsg lucet. hie cum orientem attenderit, omnes illas orientis partes dicit nebulis posse laborare frugesque eorum caliginoso aere corrumpi}·Luterbacher (1904: 22) und für eine Sammlung römischer Prodigien, bes. Staatsprodigien Wülker (1903: 2-26). Drac. laud. dei 1,55-114, bes. 62 (nam micat unde polo veniens quicumque cometes); 77f. (quis neget et stellas alieno tempore visas, / caeruleum pallore diem roseumve colore). Vgl. dazu Speyer (1996: 148-52). Die Aufzählung von Prodigien hatte sich seit Verg. georg. 1,466-88 zu einem Merkmal epischer Dichtung entwickelt, z.B. in Ov. met. 15,783-98; Lucan. 1,522-83; Stat. Theb. 7,404-23; Sil. 8,626-55; vgl. dazu Mynors (1990: 92). Z.B. Ov. met. 15,847-50 (Caesar: lumen capere atque ignescere sensit / emisitque sinu: luna volat altius illa / flammiferumque trahens spatioso limite crinem / stella micat); Claud. 7,162-84, bes. 163 (Theodosius: liquido signavit tramite nubes); 169f. (machina laxatur caeli rutilaeque patescunt / sponte fores). Entfernt vergleichbar ist Hor. epod. 17,40f., wo der Dichter der Zauberin Canidia u.a. verspricht, sie mit folgenden Worten zu besingen, falls sie aufhöre, ihn zu quälen: tu pudica, tu proba / perambulabis astra sidus aureum; vgl. dazu Mankin (1995: 283). Z.B. Ov. met. 9,27lf. (Hercules: quem pater omnipotens inter cava nubila raptum / quadriiugo curru radiantibus intulit astris); 14,805-28, bes. 824-6 (Romulus: corpus mortale per auras / dilapsum tenues, ceu lata plumbea funda / missa so/et medio glans intabescere caelo ); Hist. Aug. Sept. Sev. 22, 1 (ipse somniavit quattuor aquilis et gemmato curru praevolante nescio qua ingenti humana specie ad caelum esse raptum). Z.B. Verg. georg. I,466f. (Sol: ille etiam exstincto miseratus Caesare Romam, / cum caput obscura nitidum ferrugine texit); Ov. met. 14,816f. (Jupiter bei Romulus' Apotheose: nubibus aera caecis / occuluit); 15,785f. (vor Caesars Ermordung: solis quoque tristis imago / lurida sollicitis praebebat lumina terris); Drac. laud. dei 2,528f. (Gott bei Jesu Tod: fecit abire diem solis restantibus horis / et noctem sub luce dedit). Vgl. z.B. Tert. apol. 11,11-4 (vergöttlicht werden diejenigen, die die schlimmsten Verbrechen begangen haben, denn sie gleichen den Göttern); Lact. inst. 1,11,38 (die Philosophen: viderunt ex parte quod erat verum, eum scilicet de quo poetae loquantur hominem fuisse, in illo autem naturali love vulgari consuetudine religionis inducti erraverunt, quod in deum nomen hominis transtulerunt). Diese Erklärungen gehen auf die Göttervorstellungen im Roman des Euhemeros (3. Jh. v. Chr.) zurück; vgl. Fuhrmann (1990: 147f.). Vgl. auch Drac. Romul. 7,23f. (ut daret aeternum Romana in saecla Quirinum / et post fata deos faceret super astra senatus). Vgl. Walde (2002). LIMC 6.1.392-4; 396f., bes. 6.l.393f. Nr. 62 und 6.2.201 Nr. 62, eine Aschenurne etwa aus der Mitte des 2. Jh.s n. Chr., auf der die sterbende Kreusa und Medea auf dem Schlangenwagen einander gegenübergestellt sind. Vgl. auch Schmidt (1968a: 32-6).

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Eur. Med. 1321f. (i:m6vo' ox1wa. ,mi:po~ "HAto~ 1ta.i:rip/ oiorocn.v TllllV, epuµa. 1tOAEµi~ xep6~); Hor. epod. 3,13f. (hoc delibutis ulta donis paelicem / se,pente fugit alite); Sen. Med. 1023-5 (squamosa gemini colla serpentes iugo / summissa praebent . ... / ego inter auras aliti curru vehar); Apollod. 1,146 (zitiert in ► Anm. 692); Hyg. /ab. 27,3 (quo Medea in curru iunctis draconibus cum venisset); Hos. Geta Med. 431-3 (paribusque revinxit / serpentum spiris ventosasque addidit alas, / ense levis nudo, perfusos sanguine currus); wahrscheinlich auch Pacuv. trag. 397-9. Als Thema in Schule und Dichtung erwähnt auch Augustin Medeas Himmelfahrt, jedoch ohne deren Ziel anzugeben (Aug. conf. 3,6,11: grammaticorum et poetarum fabellae ... ; volantem autem Medeam etsi cantabam, non adserebam, etsi cantari audiebam, non credebam). Für weitere Stellen ► Anm. 703f. LIMC 6.1.391f.; 6.2.198f. Nr. 35f. Erwähnt werden die Schlangen auch in der Hypothesis zu Eur. Med. Vgl. Hine (2000: 208); Schubert (1996/7), der die Schlangen in der Rezeption des Mythos verfolgt. Eur. Med. 1384f.; vgl. auch Apollod. 1,146 (Aa.!3oucra. !tC!.po.'H.i\.io,i äpµa. 1tt1]viilv opa.ic6vi:rovfol. to"l)i:ou q>euyoucra.f\A0ev Ei~ 'A0iiva.~)- Sen. Med. 1025 (zitiert in ► Anm. 690); 1026f. (Jason: per alta vade spatia sublime aetheris, / testare nullos esse, qua veheris, deos); Hos. Geta Med. 457-9 (feror exul in altum / germanum fugiens et non felicia tela / ultra anni solisque vias). Ov. met. 7,218-37; 350-401. Hyg. /ab. 26,3 (iunctis draconibus); 27,3 (Medea in curru iunctis draconibus cum venisset). Elia: vgl. RAC 4.1157-62. Christus: vgl. Gutberlet (1935: 39-88). Einzig auf ägyptischen Abbildungen von Christi Himmelfahrt ist bisweilen ein Thron mit Rädern, der von vier Tieren gezogen wird, dargestellt; vgl. Gutberlet (1935: 102-7); L'Orange (1953: 125-8). Vulg. LV reg. 2,11 (ecce currus igneus et equi ignei diviserunt utrumque et ascendit Helias per turbinem in caelum). Elias unversehrter Körper: Irenaeus, Adversus haereses 5,5,2 (Ei OEtt~ a.ouva.,:ov {moM:l30t ... tOV 'HAia.v µri evcra.p,cov CI.VCI.A11q>8f\vm, OEOa.1ta.vfjcr0a.t fü: i:-iiv crap11t1lplV06vo~ bzw. Livor bisweilen gegen Ende eines Werkes: z.B. Kali. h. 2,105-12; Prop. 1,8,29 (falsa licet cupidus deponat gaudia livor). personifiziert aufgefasst von Fedeli (1980: 224f.); Ov. am. 1,15,1 (quid mihi, Livor edax, ignavos obicis annos); rem. 389 (rumpere, Livor edax). Obwohl sich Romu/. 10 ebenfalls dem Ende nähert, wäre eine poetologische lnterpretation von Livor hier in der Liste der auf Thebens Geschichte ausgerichteten Unheilsmächte weit hergeholt. Z.B. Lact. inst. 2,8,4f. (suapte invidia tamquam veneno infectus est et ex bono ad malum transcendit ... unde apparet cunctorum malorum fontem esse livorem)· Iuvenc. 1,384 (Jesu Versucher in der Wüste: vis livida); Prud. ham. 397 (im Gefolge des Teufels: livor adulterium, dolus, obtrectatio, furtum); Cypr. ze/. 4 (exinde invidia grassatur in terris, dum livore periturus magistro perditionis obsequitur). Besonders beachtenswert ist Dracontius' Verwendung des sprichwörtlichen livor edax (auch in Romul. 6,85 belegt) im christlichen Kontext: laud. dei I,463f. (die Schlange im Paradies als livor; ergo ibi livor edax, coctum serpente venenum / invidiae mordacis habens sub fronte modesta). Vgl. Thome (1993: 205 Anm. 501).

572 linquite mortales rniseroqne ignoscite rnnndo- Als Ausdruck des allgemein Bösen hat Li vor (► 571) zu der vorliegenden Bitte um Erlösung für die Welt übergeleitet. In Statius' Thebais findet sich ein ähnlicher Appell des Erzählers an die Furien nach Eteokles' und Polyneikes' Zweikampf und Tod: vosque malis hominum, Stygiae, iam parcite, divae 28 • Vergleichbar ist auch die Bitte an die Götter, die 29 Dracontius' Orest. abschliesst: vestro iam parcite !!1J&llfli2 • miser mundus ist in der Dichtung zuerst bei Lukan belegt, dann aber vor allem bei christlichen Dichtern, die damit die Welt in ihrer Verlorenheit bezeichnen' 0 • 28

29 30

Stat. Theb. 11,576. Vgl. Scheiter (1980: 218f.). Drac. Orest. 973. Lucan. 5,469 (miserique fuit spes irrita mundi); 751 (quatiunt ~ cum classica mundum). Prud. ham. 844 (miseri properanda pericula mundi}j Ale. Avit. carm. 4,488 (Sintflut: haec inter miseri ferventia funera mundi}j 6,529 (miseri fraus callida mundi); Coripp. loh. 3,110 (horribili ~ turbabunt /ampade mundum); 337 (invida sunt miserofatorum stamina mundo).

573 parcite iam Thebis, diros cohibete furores: Die allgemeine Bitte von 572 wird nun auf Theben eingeschränkt und leitet so zum historischen Abriss (574-86) über. Durch die Nennung von furores wird aus der Liste in 570f. Furor und Furiae ein besonderes Gewicht beigemessen. dirus Juror ist, vorwiegend im Sg., mehrfach und besonders in der christlichen Dichtung bezeugt31• Etwas weniger Belege finden sich für cohibere furorem/-es 32. 31

Sen. Phaedr. 567 (Hippolytos: sit ratio, sit natura, sit ~~); Si!. 1,595 (Boreae hunc popu/um dirum evasere furorem); Comm. apo/. 872 (Neros Christenverfolgung: persequatur filrQ~); Prud. psych. 561 (filrQ.que ... iJJIIirD; Carm. de aegr. Perd. 17 (Perdicas Verliebtheit in seine Mutter: haec diri causafm:Jll:i.f); Ale. Avit. carm. 4,466f. (Sintflut: ut diros primum pe/agi sensere furores / inlustres fluvii).

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Kommentar Cic. Phil. 5,37 (über Antonius: ut eius ~ ne Alpium quidem muro cqhjhece possemus); Sil. 11,98 (Marcellus: impatiens ultra gemitu cqhjbece(urarem)·Drac. Romul. 8,199 (Apoll zu den Trojanern: ~ furorem).

574-586 Abriss der Geschichte Thebens

Der Abriss der Geschichte Thebens konzentriert sich auf die Untaten, die sich in der Herrscherfamilie abgespielt haben und die auf die genannten (570f.) negativen Mächte zurückzuführen sind. Er beginnt mit Kadmos' Gründung von Theben, der Aussaat der Drachenzähne, aus denen das kriegerische Geschlecht der Sparten entsteht, die sich gegenseitig umbringen (574-82). Ihre Entstehung und Bewaffnung werden in einzelnen Schritten erzählt und nehmen vergleichsweise viel Raum ein. So wird ihr gegenseitiger Kampf für einen Moment hinausgezögert. Dieser hat eine paradigmatische Funktion für die folgenden familienintemen Zwiste (► 578). Auf ihn folgt eine einzeilige Anspielung auf Junos Rache an Ino, Dionysos' Amme und Kadmos' Tochter (583). Die folgenden drei Zeilen handeln vom Labdakidengeschlecht, von Ödipus, dem Ururenkel des Kadmos, seiner inzestuösen Verbindung mit Jokaste und vom Bruderkrieg seiner Söhne Eteokles und Polyneikes (584-6). Implizit bildet Medeas fünffacher Mord den Höhepunkt und Abschluss der Geschichte des thebanischen Königshauses, denn mit dem Tod von Kreon, Jokastes Bruder, von Glauke und Jason ist es ausgestorben. Angesichts dieser Interpretation erscheint die Lokalisierung der zweiten Hälfte von Romul. 10 in Theben statt Korinth (►366-569) zwingend 33 • Ähnliche historische Überblicke finden sich in Senecas Oedipus und in Statius' Thebais 34 : Bei Seneca fügt der Chor Ödipus in die tragische Geschichte der Stadt ein zu einem Zeitpunkt, an dem Ödipus noch nicht ahnt, dass er von Geburt dorthin gehört; bei Statius andererseits bildet die Geschichte den Hintergrund des Bruderkrieges. Ausführlich wird die Geschichte Thebens ferner in Ovids Metamorphosen geschildert3 5 • Sprachlich bemerkenswert ist, dass sich von den verschiedenen Bezeichnungen für die Sparten (seges ferrata; galeata cohors;ferrea messis) keine in dieser Form bei einem früheren Dichter findet, obwohl seges, cohors und messis für die Sparten gängig sind (► 576; ► 578; ► 579). 33

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Einzig Medeas Mord an ihrem Bruder findet nicht in Theben statt; ► 364. Sen. Oed. 709-63; Stat. Theb. 1,4-14; 180-5; 11,487-92. Vgl. Schetter (1980: 219). Vergleichbar ist auch Bur. Phoen. 638- 75, wo der Chor Kadmos' Gründung von Theben erzählt, als die Verhandlungen zwischen Eteokles, Polyneikes und Jokaste eben gescheitert sind; vgl. Mastronarde (1994: 329f.). Ov. met. 3,1-4,603. Zu den negativen Elemente dieser Gründungsgeschichte vgl. Hardie (1990).

574 inde venit quodcumque nefas: Theben wird als Geburtsstätte allen Frevels identifiziert. inde bezieht sich hier wie auch in 583-5 (5 Belege) auf Theben 36 • Zum leitmotivartigen Gebrauch von nefas im Epilog ► 570, in Romul. 10 ► 1.

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574f. sie Cadmus / obruit infaustis crudelia semina sulcis: Thebens unheilvolle Geschichte beginnt mit der Gründung der Stadt durch Kadmos. Die zu den zugehörigen Substantiven (semina sulcis) chiastisch gestellten Adjektive infaustis crudelia lehnen sich an ~ Nefas, infaustaLibido (570) an und stellen die folgenden Ereignisse unter ein düsteres Vorzeichen. Kadmos wurde von seinem Vater Agenor auf die Suche nach seiner Schwester Europa geschickt und für den Fall eines Misserfolgs mit Exil bedroht. Erfolg- und ratlos wandte er sich an das Orakel in Delphi, das ihm weissagte, er solle einer Kuh folgen und an dem Ort, an dem sie sich niederlegen würde, eine Stadt gründen. Als er an besagtem Ort in Böotien Theben gegründet hatte, stiess er beim Wasserholen auf einen Drachen, der die Quelle bewachte, tötete ihn und säte auf Athenes Rat seine Zähne 37 • Im gleichen Kontext und an den gleichen Stellen im Vers redet Ovid von mortalia semina und Statius von infandis ... sulcis'"· In der Antilee war es üblich, die gesäten Samen mittels eines Pfluges mit Erde zu bedecken 39 • Sowohl für obruere aratro als auch für obruere sulcis gibt es Parallelen 40 • aratrum ist in der Hexameterdichtung oft im 6. Fuss belegt". Zur Verbindung des thebanischen Gründungsmythos mit Medeas Geschichte in Romul. 10 ► 314f. aratro wurde in beiden handschriftlichen Versionen (Nn) am Rand hinzugefügt und ist eine metrisch notwendige sowie inhaltlich sinnvolle Ergänzung. 36 37

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Vgl. Scbetter (1980: 219). Vgl. z.B. Ov. met. 3,1-105. Ov. met. 3,105 (spargit humi iussos, mortalia semina dentes). Stat. Theb. l,8f. (agricolam if!fandis condentem proelia sulcis / expediam); vgl. auch Theb. 12,115f. (~que Cadmi / moenia). Vgl. Varro rust. l ,29,2f. (tertio cum arant iacto semine, boves lirare dicuntur, id est cum tabellis additis ad vomerem simul et satum frumentum operiunt in porcis et sulcant fossas, quo pluvia aqua delabatur); Colum. 2,4,11 (sub sulco talis ager seminandus est). Vgl. Mynors (1990: 120) und Spurr (1986: 45-56) zum Ackerbau im römischen Italien. obruere aratro: Colum. 2,12,6 (at medica [eine Kleeartl obruitur non aratro sed, ut dixi, ligneis rastellis). obruere sulcis: Ov. rem. 173 (obrue versata Cerealia semina terra); met. 1, 123f. (im Silbernen Zeitalter: semina tum primum longis Cerealia ~ / obruta sunt); trist. 3,12,11 (herbaque, quae latuit Cerealibus obruta sulcis). Zu obruere 'säen' vgl. ThLL 9.2.152.76-153.2. ThLL 2.399.35.

576 inde seges ferrata micat: Aus den Drachenzähnen geht die bewaffnete Schar der Sparten hervor. Mit inde beginnt auch Ovid den Bericht über die Entstehung der Sparten, die er seges clipeata nennt'2. Die Konstruktion von micare und seine Bedeutung 'blitzend entspringen' 43 erinnern an Lukans negative Kulturentstehungslehre: hac tellure feri micuerunt semina Martis 44 • Wie Medeas Mordtaten nach Theben gehören, so ist Erictho, der Medeamehrfach angeglichen wird (► E. 3.7.1.), in Thessalien heimisch. Für Duhns Konjektur ferrata für die überlieferten Varianten ferri (N), ferri (nPc) undferra (nac) spricht neben den metrischen Zwängen, dass Dracontius ferratusl-a auch sonst in ähnlichem Zusammenhang verwendet 45 • 42

Ov. met. 3,106 (inde - fide maius - glaebae coepere moveri), wo inde nach Bömer (1969: 477) allerdings als "dann" aufzufassen ist; 110 (crescitque seges clipeata virorum). Vgl.

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Kommentar auch Verg. georg. 2,142 (Jasons Drachensaat: ga/eis densisque virum seges horruit hastis); Aen. 7,526 (horrescit strictis seges ensibus) (dazu Horsfall 2000: 346f.); 12,663f. (der Rutuler Saces: strictisque seges mucronibus horret / jgllea). Vgl. ThLL 8.930.1-9; Wolff (1996: 98 Anm. 90; 223 Anm. 275). Siehe auch Drac. Romul. 6,121 (pignorapulchra micent). Lucan. 6,395 (im Hexenland Thessalien). Vgl. Korenjak (1996: 103). Duhn (ed. 1873). Drac. Romul. 5,28 (inter~ acies /ituosque sonantes). Vgl. auch laud. dei 3,412 (Curtius: vir ga/eatus adhuc hI..roJQ_pectore).

576f. vel Martis anheli / heu male conceptis praegnatur terra venenis: Das in den Drachenzähnen enthaltene Gift erklärt implizit die thebanische Neigung zu familieninternen Auseinandersetzungen, was durch die mit dem Ackerbau verbundene Metapher der Schwangerschaft hervorgehoben wird. Durch heu und das aus allwissender Distanz gesprochene Urteil male wird betont, wie wichtig der Moment für den Fortgang der Geschichte Thebens ist46. Bei Ovid besprengt der verwundete Drache, dessen Giftigkeit bereits zuvor betont wurde, das Gras mit seinem giftigen Blut47 • Der Drache und folglich auch seine Giftzähne gehören Mars; bei Euripides wird der Drache sogar als Nachkomme des Ares bezeichnet 48 • Mars anhelus ist sonst in der Dichtung nur bei Vergil belegt 49 • concipere wurde bereits in der klassischen Prosa auf die Erde übertragen 50 • praegnare findet sich erst im Spätlatein, und in einer finiten Form ist es ausser an der vorliegenden Stelle überhaupt nur zweimal belegt 51 • Zu vel für et ► 20f. 46

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Für ähnliche Verwendungen von male vgl. ThLL 8.241.22-55, zur vorwiegend dichterischen Interjektion heu ThLL 6.3.2671.62-2674.56. Ov. met. 3,33 (corpus turnet omne ~); 49 (adflatufunesti tabe veneni); 85f. (iamque venenifero sanguis manare palato / coeperat et virides adspergine tinxerat herbas). Eur. Phoen. 657f. (