106 35 16MB
German Pages 221 Year 1990
STEPHAN SCHRADER
Zwischen betrieblicher Informationstransfer
Betriebswirtschaftliche Forschungsergebnisse Begründet von
Prof. Dr. Dres. h. c. Erich Kosiol Freie Universität Berlin
llerausgegeben von
Prof. Dr. Ralf-Bodo Schmidt
Albert-Ludwigs-Universität Freiburg ;_ Br.
und
Prof. Dr. Mareeil Schweitzer Eberhard-Karls-Universität Tübingen
in Gemeinschaft mit
Prof. Dr. Franz Xaver Bea Eberhard-Karls-Universität Tübingen
Prof. Dr. Knut Bleicher Hochschule St. Gallen
Prof. Dr. Klaus Chmielewicz Ruhr-Universität Bochum
Prof. Dr. Günter Dlugos Freie Universität Berlin
Prof. Dr. Erich Frese Universität zu Köln
Prof. Dr. Oskar Grün WirtschaRsuniversität Wien
Prof. Dr. Wilfried Krüger Justus-Liebig-Universität Gießen
Prof. Dr. Hans-Ulrich Küpper
Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main
Prof. Dr. Siegfried Menrad Eberhard-Karls-Universität Tübingen
Prof. Dr. Dieter Pohmer
Eberhard-Karls-Universität Tübingen
Prof. Dr. Henner Schierenheck Westfälische Wilhelms-Universität Münster
Prof. Dr. Norbert Szyperski Universität zu Köln
Prof. Dr. Dres. h. c. Eberhard Witte Ludwig-Maximilians-Universität München
Prof. Dr. Rötger Wossidlo Universität Bayreuth
Band 96
Zwischenbetrieblicher Informationstransfer Eine empirische Analyse kooperativen Verhaltens
Von Dr. Stephan Sehrader
Duncker & Humblot · Berlin
CIP-Titelaufnahme der Deutschen Bibliothek Schrader, Stephan: Zwischenbetrieblicher Informationstransfer: eine empirische Analyse kooperativen Verhaltens I von Stephan Schrader. Berlin: Duncker u. Humblot, 1990 (Betriebswirtschaftliche Forschungsergebnisse; Bd. 96) Zug!.: München, Univ., Diss., 1989 ISBN 3-428-06924-2 NE:GT
Alle Rechte vorbehalten © 1990 Duncker & Humblot GmbH, Berlin 41 Fotoprint: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin 61 Printed in Germany ISSN 0532-1027 ISBN 3-428-06924-2
Vorwort des Herausgebers Die vorliegende Arbeit ist einem bisher vernachlässigten Forschungsfeld gewidmet, denn die Behandlung der zwischenbetrieblichen Information in der Literatur beschränkte sich auf die vertraglich geregelte Kommunikation und die überbetrieblichen Interessengemeinschaften. Von dem betrieblichen Wissen wurde angenommen, daß es nur dann seinen Wert behält, wenn man es den Konkurrenten vorenthält. Demgegenüber formuliert der Verfasser die Hypothese, daß es durchaus im wirtschaftlichen Interesse des Unternehmens liegen kann, seine Informationen über Produkte und Produktionsverfahren anderen Unternehmen zur Verfügung zu stellen. Insbesondere der informale Transfer von Informationen zwischen den Mitarbeitern verschiedener Unternehmen wird theoretisch und empirisch untersucht. Dabei wird ein interdisziplinärer Ansatz gewählt, der Bausteine sowohl der wirtschaftswissenschaftlichen als auch der sozialpsychologischen Theorie einsetzt. Die empirische Prüfung der theoretisch abgeleiteten Hypothesen erfolgt auf hohem Niveau und mit einer beachtlichen Methodenvielfalt Die empirische Grundlage wurde durch Untersuchungen in amerikanischen Stahlunternehmen gewonnen, so daß sich ein interkultureller Vergleich anbietet. Im Ergebnis wird deutlich, daß ein umfangreicher und viele Inhalte umschließender Informationstransfer tatsächlich stattfindet. Die Partner des Informationsaustausches sind Einzelpersonen, die als Experten mit Experten anderer Unternehmen in Beziehung treten und dabei die Interessen des eigenen Unternehmens fördern. Der Transfer verlangt Gegenseitigkeit. Im Zeitablauf bilden sich stabile Verhaltensmuster. Der Leser gewinnt einen tiefen Einblick in Vorgänge, die der Betrachtung sonst weitgehend entzogen und empirisch schwer faßbar sind. Insgesamt regen die Befunde zur weiteren wissenschaftlichen Bearbeitung der Frage an, inwieweit sich Kooperation und Wettbewerb ausschließen oder gegenseitig ergänzen. Die Schrift bietet hierzu die Grundlage: Der Wettbewerb drängt die Experten zu kooperativen Anstrengungen. Die Kooperation wiederum stärkt die Fähigkeit der Unternehmen, am Wettbewerb teilzunehmen. Eberhard Witte
Vorwort Die vorliegende Schrift widmet sich dem zwischenbetrieblichen Informationstransfer innerhalb eines Industriezweiges. Ein faszinierendes Spannungsverhältnis zwischen Kooperation und Konkurrenz kennzeichnet solche Transfers: Häufig sind es gerade die direkten Konkurrenten eines Unternehmens, die in einem besonderen Maße die Fähigkeit besitzen, wertvolle informationeile Hilfestellungen zu bieten. Dieses liegt darin begründet, daß miteinander konkurrierende Unternehmen vielfach ähnlichen technischen und wirtschaftlichen Problemen gegenüberstehen. Insofern ist es wahrscheinlich, daß Problemlösungswissen, das in einem Unternehmen geschaffen wird, auch im konkurrierenden Unternehmen nützliche Anwendung finden könnte. Aber ist es wirtschaftlich sinnvoll, einen Konkurrenten am eigenen technischen und wirtschaftlichen Wissen teilhaben zu lassen? Die Arbeit zeigt, daß im Rahmen des zwischenbetrieblichen Informationstransfers unter bestimmten Bedingungen auch und gerade direkte Konkurrenten die Möglichkeit zu einer allseitig vorteilhaften Kooperation besitzen. Das Interesse der Arbeit konzentriert sich dabei auf eine besondere Form des zwischenbetrieblichen Informationstransfers: Nicht der vertraglich geregelte, formalisierte Transfer, wie er zum Beispiel im Rahmen von Lizenzverträgen erfolgt, steht im Mittelpunkt des Interesses, sondern der informale, auf persönlichen Beziehungen aufbauende Inforrnationsaustausch zwischen Mitarbeitern unterschiedlicher Unternehmen. Dieser inforrnale Inforrnationstransfer stellt für den empirisch vorgehenden Forscher eine besondere Herausforderung dar. Informale Kontakte werden in der Regel nicht dokumentiert, sie hinterlassen in Unternehmen kaum direkt wahrnehmbare Spuren. Dennoch wird in dieser Arbeit der Versuch unternommen, den informalen Informationsaustausch näher zu beleuchten. Verschiedene Untersuchungen legen nämlich die Verrnutung nahe, daß gerade inforrnale Kommunikationsnetze von besonderer Bedeutung sind, häufig sogar von größerer Bedeutung als forrnalisierte Inforrnationskanäle. Die empirische Forschung hat jedoch wesentliche Fragen bezüglich des informalen zwischenbetrieblichen Informationstransfers unbearbeitet gelassen. Den Anstoß zu diesem Forschungsprojekt hat eine explorative Studie von Eric von Hippe) gegeben, in der er sich mit Fragen des informalen Inforrnations-
VIII
Vorwort
handels auseinandersetzt Professor von Hippe! hat dann auch die vorliegende Arbeit durch vielfältige wissenschaftliche und persönliche Hilfestellungen maßgeblich gefördert. Ihm sei an dieser Stelle herzlich gedankt. Besonderer Dank gilt meinem Doktorvater, Professor Dr. Dres. h.c. Eberhard Witte. Er hat es verstanden, einerseits intellektueller Mentor zu sein und andererseits gleichzeitig großzügigen wissenschaftlichen Freiraum zu gewähren. Die durch ihn begründete Tradition der empirischen Erforschung des Informationsverhaltens hat den Ansatz der vorliegenden Schrift entscheidend beeinflußt. Seine immer noch fortdauernde Unterstützung war und ist von besonderer Bedeutung. Danken möchte ich auch dem Koreferenten dieser Arbeit, Professor Dr. Lutz von RosenstieL Er hat mir verdeutlicht, daß die Erforschung individuellen Verhaltens Voraussetzung für ein Verständnis organisationeUer Phänomene ist. Ebenso danke ich Professor Dr. Jürgen Hauschildt, der durch seine eigenen Arbeiten und durch faszinierende Lehrveranstaltungen mein Interesse an der empirischen Erforschung betriebswirtschaftlicher Phänomene geweckt hat. Professor Thomas Allen, Professor Dr. Klaus Brockhoff, Professor Anne Carter, Professor Toshihiro Kanai und Professor Richard Zeckhauser danke ich für ihre vielfaltigen Hilfestellungen. Weiterhin haben Roberto Arias, M.Arch.; Dipi.-Ing. Dietmar Harhoff, M.P.A.; Dipi.-Kfm. Henrik Sattler und Dipi.Volksw. Torsten Thiele, M.P.A., jeder auf seine Art, wesentlich zu der vorliegenden Arbeit und zur Freude am Forschen beigetragen. Henrik Sattler sei an dieser Stelle insbesondere für die äußerst sachkundige Unterstützung bei der Auswertung des Experimentes gedankt. Weiterhin schulde ich meinen ehemaligen Kollegen am Institut für Organisation der Ludwig-Maximilians Universität München für ihre, nicht nur wissenschaftlichen, Hilfestellungen Dank. An dieser Stelle sei auch der Stiftung Volkswagenwerk Dank gesagt, die mir durch ein McCioy Academic Schalarship die Möglichkeit eröffnet hat, zwei Jahre lang an der Harvard University, John F. Kennedy School of Govemment, zu studieren und dort das empirische Material der vorliegenden Arbeit zu erheben. Schließlich danke ich meinen Eltern, Dr. Renate und Dr. Hans Kar! Schrader, und meiner Frau, Dipl.-Geogr. Martina Willer-Schrader, die mich in allen Phasen der Arbeit verständnisvoll unterstützt haben. Stephan Sehrader
Inhalt
TabeHenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XII Abbildungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XV Einführung ................... ... ........................ ........................ . I. I Das Problem................................... ... ................... ..... .
I
I . 2 Die Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5
2 Pilotstudie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
8
2. I Empirisches Feld: U.S. Minimill- und Edelstahlindustrie.. .. .. . . . . .
9
2. 2 Stichprobe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
13
2. 3 Datenerhebungsmethode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
14
2. 4 Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
15
3 ModeiJ zum zwischenbetrieblichen Informationstransfer . .......... . ..... ..
19
3. I Ausgangspunkt: Informationstransfer als Prisoner's Dilemma . . . . .
21
3. I . I Formale Struktur des Prisoner's Dilemmas . . . . . . . . . . . . . . . . . .
21
3.1.2 Anwendung des Prisoner's Dilemmas auf den Informationstransfer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
25
3.1 .3 Kritik............ ....... .. .. ... ....... ... ... ................ ... .. .. 3. 2 Erweiterung: Informationstransfer als komplexes Entscheidungsproblem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
29 32
3.2.1 Grundprinzip der Transferentscheidung.. .... .. ......... . .. ..
34
3.2.2 Erster Baustein: Änderung des Informationswertes... . .. ... 3.2.2. 1 Kostenbezogene Informationen ... ... .. .. . . . . . . .. . . 3.2.2.2 Qualitätsbezogene Informationen .. . .. ...... .. . .... 3.2.2.3 Informationsalternativen. ..... ... ... ..... ... .. . . . .. .. 3.2.2.4 Konkurrenzintensität .. . . ... . . . . . ..... .. . . . . . .. . . . .. . . 3.2.3 Zweiter Baustein: Instrumentalität der Beziehung .. .. ... ... .
35 39 43 45 46 47
3.2.3. 1 Transferbereitschaft des Nachfragers .. .... ... . .. . . 3.2.3.2 Informationsbestand des Nachfragers . ... .. . . . .. .. 3.2.4 Dritter Baustein: Unsicherheit.... ... ....... .................... 3. 3 Zusammenfassung.. ... ... ......... .. ........ ... ............... ... .. ......
49 52 54 56
X
Inhalt
4 Fragebogenerhebung zum zwischenbetrieblichen Informationstransfer . .
58
4. 1 Stichprobe. ............. ... ................ . .. ...... ................ ..... ..
58
4. 2 Design und Durchführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
61
4.2. 1 Fragebogenkonstruktion ........... .................... ........ . 4.2.2 Pre-Test... .. . . .. ... .... ............ . ... . . . . . . . . . . ... . .. . . ... ..... . 4.2.3 Haupterhebung ...................... ............... ........ .... .
61 62 63
4.2.4 Charakterisierung der befragten Führungskräfte . . . .. . . . . . . .
66
4. 3 Befunde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
68
4.3.1 Bedeutung des zwischenbetrieblichen Informationstransfers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 4.3.2 Situative Abhängigkeit des Transferverhaltens . .. . . . . . . . . . .. 71 4.3.3 Verdichtung der Variablen ....... . .. ... ........ .... ..... ... .... . 72 4.3.3.1 Kontextbezog~"ne Faktoren .................. . .. ... .. 73 4.3.3.2 Inhaltsbezogene Faktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 4.3.4 Analyse der Einflußfaktoren . . . . . .. . . . .. ... .. . . . . ... .. .. .. ..... 78 4.3.4.1 Inhalt der nachgefragten Information . . . . . . . . . . . . . . 78 4.3.4.1.1 Kostenbezogene Informationen... .. .. 78 4.3.4. 1.2 Qualitätsbezogene Informationen . . . . . 82 4.3.4.2 Informationsalternativen ... ... ... ....... .. . . .. . . . . . . . 84 4.3.4.3 Konkurrenzintensität .. .. . . . . . ... . . . . ... . .. ........ ... 86 4.3.4.4 Bedeutung der Information für den Nachfrager . 88 4.3.4.4.1 Einfluß auf die Transferbereitschaft des Nachfragers.... ...... ... .. .... ... ... 89 4.3.4.4.2 Einfluß auf die Transferentscheidung. 93 4.3.4.5 Alter der Austauschbeziehung .. .. . . . . . ...... ... . . . . 94 4.3.4.6 Exkurs: Freundschaft... ... ................. ... ... ... 99 4.3.4.7 Wissen auf Nachfragerseite ................... ... ... 102 4.3.5 Relative Bedeutung der Einflußfaktoren .. .. .. ... .. . . . . . . .. .. . 104 4.3.6 Exploration personenbezogener und unternehmensbezogener Einflußgrößen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 4. 4 Zusammenfassung.. .. .......... ... ........ . .... ............ ....... ... .... 111 5
Experiment zum Transferverhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 5. 1 Stichprobe .... ........ .... .... .... .... ... .. .. ........ .... ... ... .. ... ....... 115 5. 2 Design und Durchführung.... .... ............ .. ............ ..... .. ...... 116
Inhalt
5.2.1 Design ............ ................... ...... ................. ......
XI
117
5.2.2 Durchführung... .................... . .. ... ................... .... 119 5. 3 Befunde.................... ................... ... ... ................ ... .... 120 5. 3 .I Situative Abhängigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 5. 3. 2 Einfluß der Experimentalvariablen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 5.3.2.1 Güte der Präferenzfunktion .. ....................... 5.3 .2.2 Einfluß der Haupteffekte ... ................. . .. ..... 5. 3. 2. 3 Interaktionseffekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. 3. 3 Typologisierung des Transferverhaltens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
123 125 128 130
5.3.4 Reliabilität und Validität ................................ . .......
138
5. 4 Zusammenfassung.... . .. ................... .... . ......................... 142 6
Beurteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 6. I Interkulturelle Gültigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 6. 2 Interindustrielle Gültigkeit...................... .................... ..... 147 6. 3 Relevanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 6. 4 Fazit....................... ................... ...................... ..... ... 152
Anhang 1: Fragebogen zum zwischenbetrieblichen Informationstransfer . . . . . 156 Anhang II: Conjoint-Analyse als Instrument zur Untersuchung des Transferverhaltens ...... . ... . . . . . . ... .. ........... .. . . . . . ....... ... ....... .. . ... . 164 A.
Methodische Grundlagen .................... ...................... ...... 164
B.
Auswahl der Experimentalvariablen....... ... ... ........... ... ... ..... . 169
C.
Erhebungsdesign . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170
D.
I.
Konstruktion der Stimuli . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171
II.
Auswahl der Stimuli .... ..... .. ............ ... ... ...... .. . . ... . . 173
III.
Stimulus-Präsentation.............. ... .. .... .. ........... ....... 175
IV.
Aufgabe für Probanden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177
Auswertungsdesign ... ...................... ...... ................ ....... 182
Literaturverzeichnis .......... ... . .... .... .. .. . .. .. . ... . . . . . . .. .... . ...... ... .. . . ..... 186
Tabellenverzeichnis
Tabelle I:
Produktivitätsverbesserungen bei der Herstellung von Stabstahl (lndustriedurchschnitt) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
ll
Tabelle 2:
Entwicklung des absoluten und des relativen Marktanteils der U.S. Minimills .... .......................... ................ ... ......
ll
Tabelle 3:
Stichprobe für die Pilotstudie............. ... ...................... .
13
Tabelle 4:
Rücklauf der Fragebogenerhebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . .
64
Tabelle 5:
Faktorenladungsmatrix für die Kontextvariablen der Transferentscheidung.............................. ......................... ...
74
Tabelle 6:
Faktorenladungsmatrix für die auf den Informationsinhalt bezogenen Variablen.......................... .......................
76
Tabelle 7:
Informationsinhalt und Transferentscheidung... .. . . .. . . .. . . . . . . .
80
Tabelle 8:
Einfluß des Faktors "Bezug auf wettbewerbsferne Bereiche" auf die Transferentscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
82
Tabelle 9:
Einfluß des Qualitätsbezuges der Information auf die Transferentscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
83
Tabelle 10:
Einfluß des Faktors "Bedeutung der Information für den Informationsbesitzer" auf die Transferentscheidung . . . . . . . . . . . .
83
Tabelle I I:
Einfluß anderweitiger Möglichkeiten zur Erfüllung des Informationsbedarfes auf die Transferentscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
84
Tabelle 12: Einfluß des Faktors "Informationsaltemativen" auf die Transferentscheidung . .. .. .. . .. .. . .. . . . . . . .. .. . . . .. . .. .. . . . . .. . . . . .. .. .. . . .
85
Tabelle 13:
Korrelation absatzmarktbezogener Variablen............. . ... . .. .
87
Tabelle 14:
Einfluß der Konkurrenzintensität auf die Transferentscheidung ....................................... ..... ................ ..... ..
88
Tabelle 15:
Korrelation der Indikatoren zur Messung der Bedeutung der Information für die Nachfragerseite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
89
Tabelle 16: Änderung der Transferbereitschaft des Nachfragers aufgrund der Transferentscheidung des Befragten (Zahl der Fälle) . . .. . . .
90
Bedeutung der Information und Änderung der Transferneigung des Informationsnachfragers (nur TransferSituationen)................................... ................... .....
91
Bedeutung der Information und Änderung der Transferneigung des Informationsnachfragers (nur Nicht-TransferSituationen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
92
Tabelle 17:
Tabelle 18:
Tabellenverzeichnis
Tabelle 19: Einfluß der Bedeutung der Information für den Informations-
nachfrager auf die Transferentscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Tabelle 20: Einfluß des Faktors " Bedeutung der Information für Nach-
fragerseite" auf die Transferentscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
XIII
93 93
Tabelle 21: Korrelation zwischen Alter der Beziehung und Änderung der
Transferbereitschaft des Informationsnachfragers (nur Transfer-Situationen).. .. ... . .................. . ..... ...................... .
95
Tabelle 22: Korrelation zwischen Alter der Beziehung und Änderung der
Transferbereitschaft des Informationsnachfragers (nur NichtTransfer-Situationen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Tabelle 23: Einfluß des Alters der Beziehung auf die Transferentschei-
dung ................ . .. . .................. . .. . .................. . .. ....
Tabelle 24: Einfluß des Faktors "Instrumentalität der Beziehung" auf die
Transferentscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Tabelle 25: Korrelation zwischen Alter der Beziehung und Ausgewogen-
heil der Leistungen innerhalb der Beziehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
96 97 98 98
Tabelle 26: Korrelation zwischen Freundschaft und Variablen, die die
Instrumentalität der Beziehung charakterisieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . I00
Tabelle 27: Einfluß der Freundschaft auf die Transferentscheidung.. . ... . .. I 0 I Tabelle 28: Korrelation zwischen Freundschaft und Variablen, die die
Bedeutung der transferierten Information beschreiben . . . . . . . . . . I0 I
Tabelle 29: Einfluß des technischen Wissens des Nachfragers auf die
Transferentscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I03
Tabelle 30: Einfluß des Faktors "Wissen auf Nachfragerseite" auf die
Transferentscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I04
Tabelle 31: Standardisierte Diskriminanzkoeffizienten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I 06 Tabelle 32: Stabilität der Diskriminanzanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I 07 Tabelle 33: Unternehmensbezogene Variablen und allgemeine Transfer-
neigung des Befragten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I 09
Tabelle 34: Personenbezogene Variablen und allgemeine Transferneigung
des Befragten . . . .. . . . .. . . .. .. .. .. .. . .. . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . .. . . . . . . . .. . I I 0
Tabelle 35: Teilnahme am Experiment und erhaltene Antworten . . . . . . . . . . . . 120 Tabelle 36: Kategorielies Urteil über Transferbereitschaft in Abhängigkeit
vom Szenario (Anzahl der Urteile pro Kategorie und Szenario) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122
Tabelle 37: Varianzanalyse des Zusammenhangs zwischen Szenarien und
Transferbereitschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123
XIV
Tabellenverzeichnis
Tabelle 38: Tau-Werte für die Präferenzfunktionen auf Basis empirisch vorgegebener und zufällig erstellter Rangfolgen .. . .. . .. .. . . . . . . . 124 Tabelle 39:
Verteilung der Teilpräferenzwerte . . ... .... . . ... . . . . . ...... . . . ... . . 125
Tabelle 40:
Verteilung der Absolutbeträge der Teilpräferenzwerte . . . . . . . . . . 127
Tabelle41: Tau-Werte für Präferenzfunktionen auf Basis zufälliger Rangfolgen für fünf und sechs unabhängige Variablen . . . . . . .. . 128 Tabelle42:
Tau-Werte für Präferenzfunktionen ohne und mit Interaktionseffekten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129
Tabelle 43:
Bedeutung der Experimentalvariablen für die Clusterbildung (Varianzanalysen der Teilpräferenzwerte mit Clustereinteilung als Quelle der Varianz) . . . . .......... . . . ... . . . . . . . . ....... .. .. . . . . . .. 132
Tabelle 44:
Cluster I - Wertorientierte Entscheider (Verteilung der durchschnittlichen Teilpräferenzwerte) .. . . . .. . . . .......... .. . . . . . . . . .... 133
Tabelle 45: Cluster 2- Konkurrenzorientierte Entscheider (Verteilung der durchschnittlichen Teilpräferenzwerte) . . ..... ... ........ . . . .. . ... . 134 Tabelle 46: Cluster 3 - Komplexe Entscheider (Verteilung der durchschnittlichen Teilpräferenzwerte) . . . .. ...... ... . . ......... . . .. . . .. . 135 Tabelle 47:
Varianzanalyse des Zusammenhangs zwischen Clustereinteilung und Güte der Präferenzfunktion (gemessen durch Kendall's Tau) ... . .. .. ....... . .. .... .. .. . .. .. . .. . ...... .. . .. . . . . . . . .. 135
Tabelle48:
Führungsebene und Entscheidungsverhalten...... . ..... . . .. .. .. . 138
Tabelle 49:
Einfluß der Experimentalvariablen auf die interval1skalierte Transferbereitschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139
Tabelle 50: Verteilung der standardisierten Einflußstärken der Experimentalvariablen (personenbezogene Analyse).......... ... . . . .........
140
Tabelle 51:
Korrelation der Teilpräferenzwerte (Conjoint-Analyse) mit den standardisierten Einflußstärken (Varianzanalyse) ......... . . .. . . . 141
Tabelle 52:
Korrelation zwischen Ergebnissen der Fragebogenerhebung und des Experiments ... .... .......... ......... .. .. . .. .... ... . .... .. . 141
Tabelle 53:
Durchschnittlicher wirtschaftlicher Erfolg in Abhängigkeit von der Teilnahme am zwischenbetrieblichen Informationstransfer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1:
Gang der Untersuchung ............ . .. . . .. ............. . .. .. ... .
7
Abbildung 2:
Abgrenzung der Segmente der U.S.-Stahlindustrie und Zahl der Hersteller ( 1986) .......... . .. . .. ................... ... .
10
Abbildung 3:
Beispiel für ein Prisoner's Dilemma .. . ................. . .. ... .
24
Abbildung 4:
Struktur des Informationstransfers-Dilemmas (Ergebnisse bei Kombination unterschiedlicher Transferstrategien) ... .. .
27
Abbildung 5:
Transferentscheidung, Informationswert und lnstrumentalität der Austauschbeziehung ..... . . . .. . ............... ... .. ... .. .
34
Abbildung 6:
Informationstransfer und Gewinnerwartung der Unternehmen .... . .......................... . .... . ..... .. ......... . .... . .
37
Abbildung 7:
Hypothesensystem ............. . ...... . .. . ............ .. . .. . . .. . .
57
Abbildung 8:
Berufliche Mobilität .... . ......... . . . .. . .. ... ............. . . ... . . .
66
Abbildung 9:
Berufserfahrung . . .... ..... . ........ ... . .. . ............... . .... .. .
67
Abbildung 10: Mitgliedschaft in Berufsorganisationen ................. ... .. . .
67
Abbildung 11 : Informationsnachfragen durch Mitarbeiter anderer Stahlfirmen..... . ............................. . ................ . . . .. . . . ..
68
Abbildung 12: Bedeutung des zwischenbetrieblichen Informationstransfers für die befragten Führungskräfte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
69
Abbildung 13: Bedeutung der untersuchten Informationstransfers (Beurteilung durch transferierende Führungskräfte) . . . . . . . . .
70
Abbildung 14: Relative Häufigkeit des Transfers nachgefragter Information durch die befragten Führungskräfte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
72
Abbildung 15: Alter der Beziehung zwischen den Transferpartnern . . . . . . . . .
94
Abbildung 16: Beispiele fürdas empirisch verwendete Verständnis des Begriffes "friend" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
99
Abbildung 17: Test des Hypothesensystems . . .. . . . . . . .... ... . ... ... .. .. . . . ... . 113 Abbildung 18: Beispiel für ein Szenario . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 Abbildung 19: Informaler zwischenbetrieblicher Informationstranfer und wirtschaftlicher Erfolg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I 51 Abbildung 20: Kompositions- und Dekompositionsansatz der empirischen Entscheidungsforschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 Abbildung 21 : Ablauf der Conjoint-Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168
XVI
Abbildungsverzeichnis
Ahhildunf? 22: Voll-Profil-Methode- Stimuli bei fünfVariablen mit je 2
Ausprägungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171
Ahhildunf? 23: Zwei-Faktor-Methode- Trade-Off-Matrix ...... .. . . . . . . . . . . .
172
Ahhildunf? 24: Verwendete Struktur der Stimuli . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . ...
175
Ahhildunf? 25: Beispiel für eine Szenariokarte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
179
Ahhildunf? 26: Bearbeitungsanweisung für das Experiment . . . . . . . . . . . . . . . . . .
180
Ahhi/dunR 27: Ablauf des Experiments . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
181
1 Einführung 1. 1 Das Prohlem Technische Informationen über Produkte und Produktionsverfahren verbreiten sich in der Regel mit erstaunlicher Geschwindigkeit innerhalb einer Industrie. I Der dabei stattfindende Informationstransfer erfolgt zum Teil auf explizit vertraglich vereinbartem Wege, zum Beispiel im Rahmen von Lizenzverträgen. Entsprechende Vereinbarungen sind sowohl modell-theoretisch2 als auch empirisch3 ausführlich untersucht, und normative Handlungsempfehlungen sind diesbezüglich formuliert.4 Allerdings wird diese Form des Informationstransfers nur von einem kleinen Prozentsatz aller Unternehmen aktiv genutzt: Nur 5 Prozent der im Rahmen des Konjunkturtests des lfo-lnstituts für Wirtschaftsforschung befragten Unternehmen haben 1970 oder 1971 Lizenzen an andere Unternehmen im Inland vergeben, und gerade 6 Prozent der Unternehmen haben Lizenzen genommen.5 Ein entsprechender Befund findet sich für Kanada. Eine Vollerhebung aller produzierenden Unternehmen in New Brunswik ergab, daß nur 12,6 Prozent der dort angesiedelten Unternehmen jemals Lizenzen erworben haben. 6 Obwohl die Literatur dem explizit geregelten, vertraglich vereinbarten Technologietransfer
I Siehe u.a. die in Rogers (Diffusion, 1983) und Freeman (Economics, 1982), S. 27-104, angeführten Beispiele. 2 Vgl. u.a. Gallini/Winter (licensing, 1985), Niederwestberg (lizenzpolitik, 19X4), Schmalen (Entwicklungs- und Lizenzpolitik, 1980) und die aus der Woodrow Wilson School hervorgegangenen Forschungsbeiträge, e.g. Katz/ Shapiro (licensing, 19X4) und Shapiro (Patent Licensing, 1985). 3 Vgl. u.a. Mittag (Technologiemarketing, 1985), Wolf (Analyse, 1975) und Grefermann/ Röthlingshöfer (Patentpolitik, 1974). 4 Vgl. die Ausführungen in Hatton (Licensing, 1987), S. 41-47, Office of lndustrial Innovation (Supplying or Acquiring, 1986), Fischer (Lizenzen, 1984), S. 236-253, Bames (Technology Transfer, 1982), S. 237-258, Rohe (Technologietransfer, 1980), S. 57-64 und Marcy (Acquiring, 1979), S. 18-21. 5 Vgl. Grefermann/Röthlingshöfer (Patentpolitik, 1974), S. 91 -93. 6 Vgl. hierzu Reid/Reid (Promoting, 1987), S. 96.
2
I Einführung
besondere Aufmerksamkeit schenkt, ist er somit nur für einen Bruchteil der Unternehmen faktisch bedeutsam.? Ein wesentlicher Teil der Diffusion technischer Informationen erfolgt auf nicht vertraglich vereinbartem Wege. Mansfield zeigt, daß in den Vereinigten Staaten Unternehmen in der Regel innerhalb eines Jahres tiefgehende, detaillierte Kenntnisse über Produkt- und Prozeßinnovationen von direkten Konkurrenten auf nicht vertraglich vereinbartem Wege erlangen.S Dabei scheinen insbesondere persönliche Kontakte von hervorragender Bedeutung zu sein.9 Die vorliegende Arbeit widmet sich diesem zwischenbetrieblichen, jedoch nicht formal geregelten Transfer technischer lnformationen.IO Objekt der Untersuchung ist der innerhalb eines Industriezweiges erfolgende Transfer von handlungsrelevantem Problemlösungswissen, das sich sowohl auf Produkteigenschaften als auch auf Produktionsverfahren bezieht. Hierfür wird die Bezeichnung informaler zwischenbetrieblicher Informationstransfer verwendet. "Informale Kommunikation ist mithin immer dann gegeben, wenn der Übermittlungsprozeß entweder in bezug auf den Kommunikationsweg oder in bezug auf den Kommunikationsinhalt oder in bezugauf beide der formalen Vorlage entbehrt."ll
In der Regel wird in der wirtschaftswissenschaftlichen Forschung davon ausgegangen, daß der informale zwischenbetriebliche Informationstransfer die Fähigkeit eines Unternehmens, Nutzen aus eigenen Forschungs- und Entwicklungsleistungen zu ziehen, reduziert.I2 Es wird postuliert, daß ein Unternehmen nur solange Gewinne aus einem technischen Fortschritt realisieren kann, wie die entsprechende Information Exklusivitätscharakter besitzt.l3 Ein informaler
7 Ebenso Mittag (Technologiemarketing, 1985), S. 283. R Vgl. Mansfield (Technology, 1985), S. 218-221. 9 Zur Bedeutung persönlicher Kontakte vgl. Bradbury et al. (Transfer processes, 1978), S. 60-67, und die im folgenden auf Seite 3 angegebene Literatur. 10 Zum Begriff "Technologietransfer" und zu verwandten Begriffen vgl. die entsprechenden Definitionen in v.d. Ohe (Technologieakzeptanz, 1987), S. 106, Boehme (lnnovationsförderung, 1986), S. 155, Mittag (Technologiemarketing, 1985), S. 17-35, Renke! (TechnologietransferManagement, 1985), S. 22, Servatius (Technologie-Management, 1985), Radnitzky (Technologietransfer, 1984), S. 14-18, Corsten (Technologietransfer, 1982), S. 4-7, Strothmann (Bedeutung, 1982), S. 260-261, und Geschka (Technologietransfer, 1979), Sp. 1917-1930. II Coenenberg (Kommunikation, 1966), S. 138. Vgl. auch Mayntz (Organisation, 1958), insbesondere S. 45-46. 12 Vgl. Mansfield (Technology, 1985), S. 222. 13 Vgl. zum Beispiel Brockhoff (Forschung, 1988), S. 56, Mittag (Technologiemarketing, 1985), S. 33, Täger/Uhlmann (Technologietransfer, 1984), S. 93, und Gerybadze (Innovation, 1982), s. 79.
I. I Das Problem
3
Transfer bisher exklusiver Informationen reduziere das Gewinnpotential, das diese Information für das Unternehmen hat, ohne daß gleichzeitig eine direkte Gegenleistung für den entgangenen Gewinn erzielt wird. Insofern läuft, so wird behauptet, der informale Informationstransfer dem Interesse des Unternehmens entgegen. Andererseits besitzt der auf persönlichen Kontakten aufbauende, nicht vertraglich vereinbarte informale Informationstransfer in der Praxis eine große Bedeutung. Diese Art des Transfers stellt sowohl bei der Diffusion wesentlicher Prozeßinnovationen,14 als auch im Rahmen von Beschaffungsentscheidungen 1.5 und bei der Entwicklung neuer Prozesse und Produkte 16 eine der wichtigsten, zum Teil sogar die wichtigste Informationsquelle dar. Die Bedeutung des persönlichen Kontaktes beim Transfer von Informationen wird sowohl von deutschsprachigen als auch von anglo-amerikanischen Autoren hervorgehoben. Coenenberg stellt für den innerbetrieblichen Informationstransfer fest: "Durch direkte informale Kontakte gelangen die Informationen häufig schneller und vollständiger zum Empfänger als über das formale Kommunikationssystem. (... ( Ferner werden durch informale Kontakte oft Informationen übenragen, deren Übermittlung offiziell nicht vorgesehen ist, deren Kenntnis für die Aufgabenerfüllung der informationsempfangenden Stelle jedoch von Bedeutung sein kann. "17
Diese Aussage wird ergänzt durch Bradburry et al., die insbesondere bei zunehmender Spezialisierung einen erhöhten Bedarf an "face-to-face communication" sehen. "The vital imponance of personal contact in transfer processes results from the fact that certain types of information can be communicated only in this way. Thus face-to-face
14 Vgl. die Untersuchung von Czepiel (Word-of-Mouth, 1974), S. 178-179, über die Diffusion des Stranggußverfahrens in der U.S. Stahlindustrie. 15 Manilla (Word-of-Mouth, 1971), S. 174-175, beobachtet in seiner Untersuchung über das Beschaffungsverhalten in der papierverarbeitenden Industrie, daß über 90 Prozent der Entscheidungsträger persönliche Kontakte mit Mitarbeitern außerhalb des eigenen Unternehmens als Informationsquelle nutzen. 48 Prozent der befragten Entscheidungsträger pflegen Kontakte zu Mitarbeitern, die in konkurrierenden Unternehmen arbeiten. Vgl. hierzu einschränkend Webster (Communication, 1970), S. 186-189. 16 Allens Untersuchung über das Informationsverhalten von Ingenieuren hat ergeben, daß bei der Produktentwicklung persönliche Kontakte mit Mitarbeitern in anderen Firmen für den einzelnen Ingenieur die bedeutensie Informationsquelle darstellen. Vgl. Allen (Managing, 1983), insbesondere S. 64. 17 Coenenberg (Kommunikation, 1966), S. 139.
4
I Einführung communication is necessary for the penetration of the interfaces between increasing specialized and differentiated areas of knowledge and expenise." IR
Tushman und Nadler wenden diesen Gedanken auf den Transfer technischer Informationen an und konstatieren: "Verbal communication is a particularly effective medium of the exchange of ideas, information, and concepts since it permits rapid feedback and recoding of information:•19
Teilweise werden die persönlichen zwischenbetrieblichen Kontakte bewußt von Unternehmen und Wirtschaftsvereinigungen unterstützt. Mitarbeiter werden zu Konferenzen geschickt, bei denen sie unter anderem persönliche Beziehungen zu Kollegen in anderen Unternehmen aufbauen und pflegen. Berufsverbände erstellen Verzeichnisse, in denen die Mitgliedsfirmen und deren leitende Mitarbeiter nach Verantwortungsbereich sortiert aufgeführt werden. Dadurch wird es erleichtert, daß ein Mitarbeiter direkt Kontakt mit einem Kollegen in einer anderen Firma aufnehmen kann. Obwohl der informale zwischenbetriebliche Transfer von technischen Informationen offensichtlich ein bedeutsames empirisches Phänomen ist, sind wesentliche Aspekte bisher von der Wissenschaft unbeachtet geblieben. Die empirische Forschung hat sich primär auf den Informationsempranger konzentriert,20 den Informationsanbieter jedoch vernachlässigt. Folgende Fragen sind noch weitgehend unbeantwortet: I . Ist ein informaler Informationstransfer überhaupt im wirtschaftlichen Interesse des Unternehmens, dessen Information transferiert wird?
2 . Welche Faktoren beeinflussen die Transferentscheidung, also die Entscheidung eines Mitarbeiters, ob er einem Kollegen in einer anderen Firma bestimmte Informationen zur Verfügung stellt? Das Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, einen Beitrag zur Beantwortung dieser Fragen zu liefern. Dieses soll sowohl auf empirischem als auch auf modelltheoretischem Wege erfolgen.
lt\ Bradburry et al. (Transfer Processes, 1978}, S. 67. 19 Tushman/Nadler (Communication, 1980}, S. 97. 20 So zum Beispiel Allen (Managing. 1983) und Witte (lnformationsverhalten, 1972). Allen untersucht den Einfluß verschiedener Informationsquellen und -arten auf die Effektivität von Forschungs- und Entwicklungstätigkeiten. Witte analysiert den Zusammenhang zwischen Informationsverhalten und Entscheidungseffizienz in innovativen Entscheidungsprozessen, konzentriert sich dabei aber hauptsächlich auf den Informationsnachfrager bzw. Informationsempfänger.
1.2 Die Untersuchung
5
1. 2 Die Untersuchung Die vorliegende Untersuchung ist grundsätzlich explorativer Natur. Es werden Fragestellungen bearbeitet, die bisher in der empirischen Forschung kaum Beachtung gefunden haben.21 Folglich kann kein ausgereiftes Hypothesensystem an den Ausgangspunkt der Arbeit gestellt werden. Es können zwar in Anlehnung an die Erkenntnisse anderer Fächer Hypothesen fonnuliert werden, jedoch scheint auf Grund der Vielzahl möglicher Zusammenhänge ein rein theoretisch-deduktives Vorgehen nicht angebracht zu sein.22 Vielmehr bildet eine umfangreiche Pilotstudie den Ausgangspunkt der Untersuchung. Im Rahmen der Pilotstudie sind mit 49 leitenden Mitarbeitern aus der U.S. Spezialstahl-und Minimiii-Industrie ausführliche offene Interviews geführt worden. Diese Interviews vennitteln einen ersten Eindruck über die Relevanz und die Natur des infonnalen zwischenbetrieblichen Infonnationstransfers. Die Pilotstudie bestätigt die schon vorhandenen Befunde über die Bedeutung dieser Art des Infonnationstransfers. 23 Die Pilotstudie führt zu der Vennutung, daß Infonnationen nicht willkürlich weitergegeben beziehungsweise geheimgehalten werden, sondern daß Transferentscheidungen bestimmten Regelmäßigkeiten folgen. Ein einzelner Infonnationstransfer scheint Bestandteil einer längerfristigen, kooperativen Austauschbeziehung- auch zwischen konkurrierenden Unternehmen- zu sein. Die Pilotstudie wird in Teil 2 dieser Arbeit dargestellt. Die in der Pilotstudie beobachteten Regelmäßigkeiten geben den empirischen Anstoß für ein spieltheoretisches Modell. Das Ziel der in Teil 3 erfolgenden modell-theoretischen Überlegungen ist es, grundlegende Prinzipien des zwischenbetrieblichen Infonnationstransfers zu erfassen und Hypothesen über zu erwartende Verhaltenstendenzen herzuleiten. Als Ausgangspunkt dienen Ansätze der spieltheoretischen Forschung, insbesondere der Gedanke der Kooperationsspiele.24 Diese Überlegungen werden ergänzt durch Erkenntnisse der Organi21 Eine Ausnahme stellt von Hippels explorative Studie über "Informal Know-How Trading" dar. Vgl. von Hippel (Cooperation, 1987). 22 Ein Vergleich der empirisch-induktiven und der theoretisch-deduktiven Vergehensweise findet sich in Schanz (Methodologie. 1975), S. 57-74. 23 Vgl. hierzu zum Beispiel die Untersuchungen von von Hippel (Cooperation, 1987), Allen (Managing, 1983), Czepiel (Word-of-Mouth, 1974) und Martilla (Word-of-Mouth, 1971 ). 24 Hierbei sind unter anderem die Arbeiten von Sugden (Cooperation, 1986), Axelrod (Evolution, 1984). Hardin (Collective Action, 1982) und SeheHing (Micromotives, 1978) anzuführen.
6
I Einführung
sationsforschung, der Organisationspsychologie, der Strategieforschung und der Volkswirtschaftslehre. Um zu prüfen, ob das empirisch beobachtbare informationsbezogene Transferverhalten von Mitarbeitern Verhaltenstendenzen aufzeigt, die mit dem spieltheoretischen Modell kompatibel sind, erfolgt eine Befragung von 297 leitenden Mitarbeitern aus der amerikanischen Stahlindustrie. Dabei stellen die in der Pilotstudie und bei der Modellkonstruktion gewonnenen Erkenntnisse die Grundlage für die Entwicklung des Fragebogens dar. Die Fragebogenerhebung und die daraus resultierenden Befunde werden in Teil 4 der Arbeit vorgestellt. Da die Fragebogenerhebung durchschnittliche Verhaltenstendenzen ermittelt, individuelles Verhalten unter Umständen aber gravierend von dem durchschnittlichen Verhalten abweichen kann, wird auf den Ergebnissen der Fragebogenerhebung aufbauend mit 41 Führungskräften aus der Stahlindustrie ein Experiment zum zwischenbetrieblichen Informationstransfer durchgeführt. Ziel des Experimentes ist es, genauere Aussagen über das Transferverhalten einzelner Individuen zu gewinnen. Als Hauptergebnis kann eine Realtypologie der Führungskräfte bezüglich ihres Transferverhaltens erstellt werden. Teil 5 der Arbeit diskutiert das Experiment zum Transferverhalten. Die folgende Abbildung I gibt einen Überblick über die Vorgehensweise:
1.2 Die Untersuchung
Pilotstudie Interviews mit 49 Führungskräften aus der U.S. Stahlindustrie (Abschnitt 2)
t
Modell zum zwischenbetrieblichen Informationstransfer (Abschnitt 3)
t
Fragebogenerhebung
Befragung von 297 Führungskräften (Abschnitte 4.1 und 4.2)
t Test des Modells (Abschnitt 4.3)
t
Experiment
Untersuchung des Transferverhaltens v.on 41 Führungskräften (Abschnitte 5.1 und 5.2)
t
Realtypologie des Transferverhaltens (Abschnitt 5.3)
Abbildung 1 : Gang der Untersuchung
7
2 Pilotstudie Im Rahmen einer empirischen Untersuchung, die eine von der Wissenschaft bisher kaum beachtete Fragestellung bearbeitet, besitzt die explorative Pilotstudie eine besondere Bedeutung. Sie soll einen ersten Eindruck über potentiell relevante Variablen und eventuell empirisch bedeutsame Beziehungen vermitteln. I Auf den in der Pilotstudie gewonnenen Erkenntnissen aufbauend, kann beurteilt werden, welcher theoretische Bezugsrahmen angemessen erscheint, und explizite Hypothesen können formuliert werden. Die empirisch-induktive Pilotstudie stellt also die Basis für die darauf folgende analytisch-deduktive Modellkonstruktion und Hypothesenableitung dar.2 In der Regel ist es deshalb angebracht, daß sich die Pilotstudie auf das gleiche empirische Feld bezieht wie die folgende Haupterhebung.-' Bei der Wahl des empirischen Feldes besteht grundsätzlich ein Konflikt zwischen der angestrebten Tiefe der Untersuchung und der gewünschten Verallgemeinerungsfähigkeit der Ergebnisse:4 Um eine möglichst tiefgehende Untersuchung durchführen zu können, muß das empirische Feld eingegrenzt werden, um jedoch eine weitgehende Verallgemeinerungsfahigkeit zu gewährleisten, sollte eine möglichst breit angelegte Erhebung erfolgen. Sowohl für die Pilotstudie als auch für die Fragebogenerhebung und das Experiment zum Transferverhalten wurde die Minimill- und Edelstahlindustrie5 der Vereinigten Staaten als empirisches Feld gewählt. Die Beschränkung auf einen Industriezweig ermöglicht es, die Erhebungsinstrumente weitgehend auf die Charakteristika des gewählten Realitätsausschnittes zuzuschneiden. Allerdings wird dieser Vorteil damit erkauft, daß die Ergebnisse sich nur argumentativ auf andere Industrien übertragen lassen.
I Vgl. Friedrichs (Methoden, 1985), S. 121-123. 2 Vgl. Hill/Fehlbaum/Ulrich (Organisationslehre. 1981) S. 38-43. 3 Vgl. Friedrichs (Methoden. 1985), S. 122-123. 4 Vgl. Yin (Case Study, 1984), S. 15-22. 5 Minimills werden auch als Mini-Stahlwerke bezeichnet. Vgl. z.B. Berden (Veränderungen, 1975), S. 117-118.
2.1 Empirisches Feld: U.S. Minimill- und Edelstahlindustrie
9
Drei Gründe sprechen für die Wahl der Minimill- und Edelstahlindustrie als empirisches Feld: I. Vorangegangene Untersuchungen haben gezeigt, daß der informale Informationstransfer in dieser Industrie ein bedeutendes Phänomen ist.6 Insofern wird keine "Randerscheinung" erforscht. 2. Im Gegensatz zu anderen Bereichen der US-Stahlindustrie ist die Minimill- und Edelstahlindustrie sowohl im Produktions- als auch im Produktbereich äußerst innovativ J Technische Aspekte besitzen eine große Bedeutung für die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen. Dieses ist Voraussetzung für die wirtschaftliche Relevanz des zwischenbetrieblichen Transfers technischer Informationen. 3. Die Minimill- und Edelstahlindustrie ist empirisch eindeutig abgrenzbar; die Betriebe, die diesem Industriesegment zuzurechnen sind, lassen sich anhand vorhandener Verzeichnisse ohne größere Schwierigkeiten bestimmen. 8
2.1 Empirisches Feld: U.S. Minimill- und Edelstahlindustrie Die Stahlindustrie kann in drei Bereiche eingeteilt werden: Integrierte Stahlerzeuger, Minimills und Edelstahlerzeuger. Die Abgrenzung erfolgt anhand der benutzten Technologie und der angefertigten Endprodukte. Die innerhalb der Industrie anerkannte und auch in dieser Arbeit verwendete Abgrenzung der einzelnen Segmente der Stahlindustrie durch die Association of Iron and Steel Engineers ist in Abbildung 2 zusammengefaßt:9
6 Vgl. von Hippel (Sources, 1988), S. 77-83, und von Hippel (Cooperation, 1986) S. 514. Czepiel (Patterns. 1975), S. 6-24, und Czepiel (Word-to-Mouth, 1974), S. 172-180. 7 Vgl. hierzu den folgenden Abschnitt 2.1. 8 Ein solches Verzeichnis ist zum Beispiel das "Directory of lron and Steel Plants", das von der Association of lron and Steel Engineers herausgegeben wird. 9 Die Association of lron and Steel Engineers definiert die einzelnen Segmente wie folgt: "lllte~rated Stee/ Producers: Defined as those companies having blast fumace or direct reduction facilities and whose principal commercial activity is the production and sale of carbon steel.
10
2 Pilotstudie
Hauptsächlich verwendetes Produktionsveifahren
Hauptsächlich hergestellte Produkte
Unlegierter Stahl Edelstahl
Integrierte Produktion incl. Direktreduktionsoder Hochofen
Kombination aus Lichtbogenofen, Stranggußanlage und Stabstahlwalzwerk
Integrierte Stahlerzeuger (26 Hersteller)
Minimills (45 Hersteller)
Edelstahlerzeuger (82 Hersteller)
Abbildung 2: Abgrenzung der Segmente der US-Stahlindustrie und Zahl der Hersteller ( 1986)
In der vorliegenden Arbeit wird das informationsbezogene Transferverhalten von Mitarbeitern untersucht, die in der Minimill- oder der Edelstahlindustrie arbeiten, also in den Segmenten der Stahlindustrie, die in den letzten Jahren die größten technischen Fortschritte sowohl in der Produktionstechnik als auch in der Produktqualität erzielt haben.lO Die produktionstechnischen Verbesserungen lassen sich anhand zentraler Produktionskennziffern belegen. In Tabelle I sind für die Herstellung eines Standardproduktes, Stabstahl. die Fortschritte, die in den letzten Jahren im Industriedurchschnitt bezüglich vier wesentlicher Produktivitätsparameter erzielt werden konnten, wiedergegeben.
Specialty Producers: Defined as those companies whose principal commercial activity is the production and sale of stainless steels, alloy steels, tool steels. bars. wire. pipe. etc. Mini-Piants: Defined as those companies whose production is based on electric fumacecontinuous caster - rod/bar mill operations, generally rolling carbon steel products- rebar. rounds, flats and small shapes." Quelle: Association of lron and Steel Engineers (Directory. 1986). S. 5. Die Zahl der Hersteller wurde anhand derselben Quelle ermittelt. 10 Eine ausführliche Beschreibung technischer Veränderungen und des Strukturwandels in der Stahlindustrie der Vereinigten Staaten wird für die achtziger Jahre in Bamett/Crandall (Up from the Ashes, 1986) und für die siebziger Jahre in Gold/Rosegger/Boylan (Evaluating, 1980) gegeben.
2.1 Empirisches Feld: U.S. Minimill- und Edelstahlindustrie
II
Tabelle/:
Produktivitätsverbesserungen bei der Herstellung von Stabstahl (lndustriedurchschnitt)a
Durchschnittliche Schmelzenfolgezeit b (in Stunden)
1975: 1985:
5,0 1,5
(= -70%)
1,7 0,9
(= -47%)
Mann-Stunden pro Tonne
1972: 1985
Elektrodenverbrauch (kg pro Tonne)
1972: 1985:
5,4 4,1
(= -25%)
Walzgeschwindigkeit (Meter pro Minute)
1972: 1985
3.000 6.000
(= +100%)
a Daten entnommen aus Bamett/Crandall (Up from the Ashes, 1986), S. 57 und 59. b Die Schmelzenfolgezeit gibt den Zeitraum zwischen zwei Anstichen an. Sie ist ein wesentlicher Parameter für die Produktivität des Schmelzprozesses.
Tabelle 2: Entwicklung des absoluten und des relativen Marktanteils der U.S. Minimillsa Rohstahlproduktion in den Vereinigten Staaten (in Millionen Tonnen und in Prozent) 1975
Minimills
1980
1985
7,8
(6,7%)
13,5
(12,1%)
17,6
(20,0%)
Sonstige
108,8
(93,3%)
98,3
(87,9%)
70,7
(80,0%)
Gesamt
116,6
(100,0%)
111,8
(100,0%)
88,3
(100,0%)
a Gekürzt entnommen aus Bamett/Crandall (Up from the Ashes, 1986), S. 12.
12
2 Pilotstudie
Diese Produktivitätsverbesserungen haben für die Minimills konkrete wirtschaftliche Konsequenzen. Sie sind in ihren Marktsegmenten in der Lage, wesentlich preisgünstiger als die weniger innovativen integrierten Stahlwerke zu produzieren. II Dieses spiegelt sich in einem rapide wachsenden Marktanteil wider, wie aus Tabelle 2 zu ersehen ist. Bei den Edelstahlherstellern läßt sich der technische Fortschritt nicht anhand weniger, zentraler Produktivitätskennziffern beschreiben. Die unterschiedlichen Produkte setzen zum Teil stark differierende Produktionsverfahren voraus. Allgemeine Kennziffern besitzen in diesem Bereich eine geringe Aussagekraft Die Edelstahlindustrie wurde in der Pilotstudie von den Interviewpartnern als innovativ charakterisiert. Entsprechende Urteile finden sich in der Fachpresse.l2 Als Beispiel für eine radikale Produktneuerung13 sei das von Allied Steel entwickelte "Metglas" angeführt. Metglas ist ein amorpher Stahl, der physikalische Eigenschaften von Glas und Stahl aufweist, zum Beispiel Korrosionsbeständigkeit auf der einen Seite und Leitfähigkeit und Magnetisierbarkeit auf der anderen. Durch diesen Stahl werden vollkommen neue Marktsegmente erschlossen.14 Zusammenfassend kann festgestellt werden, daß die U.S. Minimill- und Edelstahlindustrie durch eine rege Innovationstätigkeit gekennzeichnet ist. Technischer Fortschritt ist in diesen Segmenten der Stahlindustrie von großer Bedeutung; technisches Know-How besitzt für die Unternehmen strategische Relevanz.
II Vgl. z.B. Miles (U.S. Minimills, 1988), S. 54-55.
12 So z.B. in McManus (Shakeout, 1986) und Saporito (Allegheny, 1984). 13 Eine Innovation wird hier als "radikal" bezeichnet, wenn sie wesentliche Änderungen im
Produktionsverfahren verlangt und gleichzeitig dem Kunden stark unterschiedlich!" Nutzungspotentiale zur Verfügung stellt. 14 Vgl. hierzu Basta (Life, 1986), S. 50.
2.2 Stichprobe
13
2. 2 Stichprobe Im Rahmen der Pilotstudie wurden 44 Führungskräfte aus 34 Unternehmen der Minimill- und Edelstahlindustrie über den zwischenbetrieblichen Informationstransfer befragt. Von diesen 44 Führungskräften wurden 20 anhand einer zufälligen Stichprobe aus dem "Directory of Iron and Steel Plants 1986"15 bestimmt. Diese Stichprobe wurde durch bewußte Hinzunahme von 24 weiteren Führungskräften ergänzt. Dieses geschah sowohl, um bestimmte Forschungsfragen untersuchen zu können, als auch, um neben den zufällig ausgewählten Personen solche zu interviewen, die von anderen Befragten als Experten mit einem sehr speziellen oder einem außergewöhnlichen Verständnis der Stahlindustrie identifiziert wurden.l6 Die entgültige Zusammensetzung der im Rahmen der Pilotstudie verwendeten Stichprobe wird in Tabelle 3 zusammengefaßt. Tabelle 3:
Stichprobe für die Pilotstudie Minimills
Edelstahlerzeuger
Gesamt
4
5
9
Mittleres Management
23
12
35
Gesamt
27
17
44
Topmanagement
Zu den Befragten gehören sowohl Mitglieder des Top-, als auch des mittleren Managements. In dieser Untersuchung werden Führungskräfte, die den Titel "President", "Chief Executive Officer", "General Manager" oder "Vice-President" führen, als Topmanager bezeichnet. Alle übrigen Führungskräfte werden dem mittleren Management zugerechnet. Hierzu gehören zum Beispiel Betriebsleiter ("Plant Manager") und Leiter der Hochofenwerke ("Superintendent of the Mettshop"). Führungskräfte, die hierarchisch unterhalb eines "Superintendents"
15 Dieses Verzeichnis wird von der Association of Iron and Steel Engineers herausgegeben und enthält Angaben über die technische Ausstattung der einzelnen Stahlwerke, über die Produktpalette, sowie ein Verzeichnis der Führungskräfte und ihrer Aufgaben. 16 Insofern handelt es sich um eine Kombination aus Zufallsstichprobe und Expertenausw~.hl.
14
2 Pilotstudie
oder einer vergleichbaren Position einzuordnen sind, werden weder in der Pilotstudie, noch in der Fragebogenerhebung oder in dem Experiment beriicksichtigt. In der Stichprobe überwiegen eindeutig die Mitglieder des mittleren Managements (siehe Tabelle 3). Das liegt darin begriindet, daß sich im Rahmen der Pilotstudie schnell herausgestellt hat, daß in der Regel nicht Mitglieder des Topmanagements technische Informationen auf informalem Wege transferieren, sondern solche Führungskräfte des mittleren Managements, die direkt für technische Aspekte verantwortlich sind und gleichzeitig das für einen Informationstransfer notwendige Detailwissen besitzen. Mitglieder des Topmanagements haben in der Untersuchung betont, daß auch für sie der persönliche Kontakt zu Kollegen in anderen Firmen von großer Bedeutung sei. Jedoch transferieren Topmanager hauptsächlich Informationen, die nicht im Rahmen dieser Untersuchung betrachtet werden. 17 Um die Befragung der Führungskräfte aus der Minimill- und Edelstahlindustrie abzurunden, wurden zusätzlich Gespräche mit Lieferanten, Vertretern wesentlicher Industrieverbände und einer Unternehmensberatungsfirma geführt.
2. 3 Datenerhebungsmethode Im Rahmen der Pilotstudie erfolgte die Datenerhebung durch offene Interviews. Das offene Interview bietet sich insbesondere in der explorativen Phase einer empirischen Untersuchung zur ersten Erkundung einer noch unstrukturierten Fragestellung an.18 Die Interviews wurden 1986 und 1987 telefonisch im Rahmen eines Aufenthaltes an der Harvard Universität und am Massachusetts Institute of Technology durchgeführt.l9 Die Mehrzahl der angerufenen Führungskräfte standen der Befragung positiv gegenüber. In nur zwei Fällen lehnten die Befragten es ab, Auskunft zu 17 Nach Auskünften einiger freimütiger Gesprächspanner handelt es sich unter anderem um marktbezogene Informationen. Da hierbei kartellrechtliche Überlegungen relevant werden können, waren die meisten Topmanager abgeneigt, mit einem Außenstehenden darüber zu sprechen. 18 Vgl. Friedrichs (Methoden, 1985), insbesondere S. 224, und Bonz (Empirische Forschung, 1984), S. 231-234. 19 Eine Ausnahme besteht: Eine Firma wurde im Rahmen der Pilotstudie persönlich besucht. Hier wurden Interviews mit zwei Führungskräften geführt. Diese Interviews dauerten eineinhalb und drei Stunden.
2.4 Ergebnisse
15
erteilen. Je nach Auskunftsbereitschaft der Interviewpartner dauerten die Gespräche zwischen 15 Minuten und eineinhalb Stunden. Mit einigen Mitarbeitern fanden mehrere Gespräche statt, um zu einem späteren Zeitpunkt aufgetretene Fragen klären zu können. In den Interviews sind zwei Fragenkreise angesprochen worden. Der erste Fragenkreis zielt auf eine Beschreibung des konkreten Transferverhaltens des Befragten, der zweite Fragenkreis dient der Erklärung des Verhaltens: Beschreibung des Transferverhaltens: Die Befragten wurden aufgefordert, Situationen zu beschreiben, in denen sie einem Mitarbeiter einer anderen Firma Informationen zur Verfügung stellen würden. Und sie wurden veranlaßt, Umstände zu charakterisieren, unter denen sie keine Informationen transferieren würden. Erklärung des Transferverhaltens: Zusätzlich wurden die Befragten gebeten, ihr Informationstransferverhalten zu erklären. Typische Fragen bezogen sich darauf, warum sie einen Teil ihres Wissens bereitwillig Kollegen aus anderen Firmen zur Verfügung stellen, einen anderen Teil aber nicht weitergeben, oder wie sich Situationen, in denen sie Informationen austauschen, von solchen unterscheiden, in denen kein Transfer stattfindet. Außerdem wurden die Befragten gebeten, über das Transferverhalten ihrer Kollegen zu spekulieren. Zu jedem Interview wurden handschriftlich Notizen angefertigt, die im Anschluß an das Interview langschriftlich ausformuliert wurden. Von einer Tonbandaufzeichnung wurde Abstand genommen. Es hatte sich gezeigt, daß die Antwortbereitschaft der Interviewpartner wesentlich abnahm, sofern danach gefragt wurde, ob der Befragte einer Aufzeichnung durch ein Tonband zustimmen würde.
2. 4 Ergebnisse Die Interviewprotokolle haben zum einen der Bestimmung von Variablen gedient, von denen vermutet wird, daß sie potentiell einen Einfluß auf die Transferentscheidung ausüben, also auf die Entscheidung, ob einem Kollegen in einer anderen Firma bestimmte Informationen zur Verfügung gestellt werden. Zum anderen sind anhand der geführten Interviews Vermutungen über die relevanten Wirkungsbeziehungen zwischen den Variablen angestellt worden. Diese Vermutungen und eine Literaturanalyse bilden die Ausgangsbasis für die Modell-
16
2 Pilotstudie
bildung und Hypothesenformulierung. Im folgenden werden die wichtigsten Vermutungen thesenförmig zusammengefaSt und kurz dargestellt. Vermutung I:
Ein einzelner Informationstransfer ist Bestandteil einer komplexen, auf dem Prinzip der Gegenseitigkeit beruhenden Austauschbeziehung zwischen den beteiligten Parteien.
Informationen werden anscheinend nur dann bereitgestellt, wenn erwartet werden kann, daß der Informationsempfänger seinerseits dazu bereit ist, selbst Informationen zur Verfügung zu stellen. Eine typische Aussage lautet: "I only give information ( ... ) if I get back valuable information." Von beinahe allen Gesprächspartnern ist betont worden, daß ein einzelner Informationstransfer Bestandteil eines Informationsaustausches ist.20 Bei einem solchen Austausch müssen allerdings Leistung und Gegenleistung nicht in einem direkten zeitlichen Zusammenhang stehen. Vielmehr wird ein System langfristiger Verpflichtungen aufgebaut. Teilweise wurde eingeschränkt, es sei nicht unbedingt notwendig, daß der Informationsempfänger auch wirklich bedeutsame Informationen zur Verfügung stellen könne. Vielmehr sei ausschlaggebend, ob er grundsätzlich im Rahmen seiner Fähigkeiten zu einem kooperativen Verhalten bereit sei. Es muß allerdings betont werden, daß in der Regel nicht vom Austauschpartner erwartet wird, dieser stelle in der Zukunft jegliche Informationen zur Verfügung. Im Gegenteil, innerhalb der Austauschbeziehungen besteht anscheinend ein "Recht", bestimmte, für das eigene Unternehmen besonders wichtige Informationen geheimzuhalten. In den meisten Fällen wurden Situationen, in denen ein Informationstransfer stattfand, dadurch charakterisiert, daß die entsprechenden Mitarbeiter sich schon seit längerem kannten und in der Vergangenheit bereits Informationen ausgetauscht hatten. Informationstransfers zwischen Mitarbeitern, die noch nie Informationen ausgetauscht hatten, stellen die Ausnahme dar. Dieses ist eng mit der folgenden Vermutung verbunden: Vermutung 2:
Eine gute persönliche Beziehung zwischen den Transferpartnern ist eng verbunden mit der Bereitschaft, Informationen zur Verfügung zu stellen.
20 Entsprechende Austauschbeziehungen beobachtet von Hippe! in seiner explorativen Studie über den zwischenbetrieblichen Informationstransfer in der Minimillindustrie und prägt dafür die Bezeichnung "Know-How Trading". Vgl. von Hippel (Cooperation, 1987).
2.4 Ergebnisse
17
In der Regel bezeichneten Interviewpartner die Personen, denen sie Informationen zur Verfügung stellen, als "friends". Hierbei ist allerdings zu beachten, daß der amerikanische Ausdruck "friend" nicht mit dem deutschen "Freund" gleichzusetzen ist. Der Begriff "friend" wird viel leichtfertiger verwendet. In einer umfangreichen empirischen Studie zeigt Fischer, daß "friend" für gute Bekanntschaften, jedoch nicht für tiefgehende persönliche Beziehungen verwendet wird.21 Wenn im folgenden "Freundschaft" benutzt wird, wird dabei das amerikanische Verständnis unterstellt. Die Kausalitäten in der Beziehung zwischen Freundschaft und Transferbereitschaft sind allerdings unspezifiziert: Freundschaft kann einerseits als Voraussetzung für eine funktionierende Austauschbeziehung gesehen werden. Andererseits kann es sein, daß Freundschaft das Ergebnis einer solchen Austauschbeziehung ist. Und endlich besteht die Möglichkeit, daß Freundschaft und Austauschbeziehung gleichzusetzende Konzepte darstellen. Einschränkend wurde in den Interviews betont, daß auch einer Person, zu der eine sehr gute Beziehung besteht, nicht jede Information zur Verfügung gestellt werden würde. Es gibt (fast) immer eine Gruppe von Informationen, die geheimgehalten wird. Folglich reicht die persönliche Beziehung allein nicht aus, um das Zustandekommen von Informationstransfers zu erklären. Vermutung 3:
Die Führungskräfte sind bestrebt, Informationen im wirtschaftlichen Interesse ihrer Unternehmen auszutauschen.
Interessanterweise haben fast alle Befragten ihr Verhalten mit dem wirtschaftlichen Interesse ihres Unternehmens motiviert. Einige Infcrmationen werden ausgetauscht, weil es aus Sicht des Unternehmens sinnvoll sei, andere werden aus dem gleichen Grund geheimgehalten. Folgendes Zitat von einem Betriebsleiter soll die eben getroffene Aussage verdeutlichen: ··we exchange information about cost savings. A cost saving advantage is very shon lived. There are a Iot of sharp machinists. And everybody has the same problern and the same equipment. lf we find a solution to a problern today, we can be sure that another one is finding the same or similar solution in the short run. Ir does not pay off to proteer this knowledge. [... ] We do not exchange information about specific grades. They give us an importa/11 competiti1·e adl'antage."
In nur wenigen Fällen wurde das Verhalten nicht mit dem wirtschaftlichen Interesse des Unternehmens, sondern mit expliziten oder impliziten Verhaltens21 Vgl. Fischer (Friend, 1982), S. 291-292.
18
2 Pilotstudie
regeln, die angeblich innerhalb des Unternehmens oder der Industrie bestehen, begründet. Hierbei handelt es sich aber eindeutig um die Ausnahme. In keinem Fall war die persönliche Beziehung zwischen den beteiligten Parteien die einzige Motivation für das Handeln, vielmehr wurden persönliche Argumente immer in Verbindung mit wirtschaftlichen Begründungen genannt. Es muß allerdings betont werden, daß die Dominanz der wirtschaftlichen Begründung nicht überinterpretiert werden darf. Die Interviewpartner wurden gebeten, ihr Verhalten zu erklären. Auch wenn es sich um ein rein habituelles Verhalten hndeln würde, ist es dennoch möglich, daß die Befragten eine nachträgliche Begründung konstruierten. Außerdem ist es möglich, daß nicht die wirkliche Handlungsmotivation angegeben wurde, sondern die, die als sozial erwünscht erachtet wurde. 22
Vermutung 4 :
Ein Informationstransferprozeß beginnt mit der Nachfrage nach Information.
Sofern dieses Thema überhaupt in den Interviews angesprochen wurde, gaben die Befragten an, daß sie nicht von sich aus Informationen einem anderen anbieten würden. Vielmehr steht am Anfang eines Transferprozesses immer die Nachfrage nach Informationen. Wird keine Information nachgefragt, erfolgt auch kein Transfer. Obwohl der Informationsnachfrage folglich eine große Bedeutung zukommt, konzentriert sich die vorliegende Untersuchung auf die Transferentscheidung, also auf die Entscheidung, ob eine bestimmte nachgefragte Information auch wirklich zur Verfügung gestellt werden soll. Letztendlich ist dieses der Punkt, wo endgültig darüber entschieden wird, ob ein potentieller Informationstransfer auch wirklich stattfindet.
22 Vgl. Bortz (Empirische Forschung, 1984), S. 160-163, und Friedrichs (Methoden, 1985), s. 152.
3 Modell zum zwischenbetrieblichen Informationstransfer
Die Pilotstudie hat zu der Vermutung geführt, daß ein informaler zwischenbetrieblicher Transfer technischer Informationen Bestandteil einer längerfristigen Beziehung ist, die auf dem Prinzip der Gegenseitigkeit beruht und in der die Führungskräfte intendieren, im wirtschaftlichen Interesse ihrer Unternehmen zu handeln. Es wird also behauptet, daß ein einzelner Informationstransfer Teil einer Informationsaustauschbeziehung ist, die für die beteiligten Unternehmen wirtschaftliche Vorteile erbringt. Offensichtlich handelt es sich hierbei um eine Form der zwischenbetrieblichen Kooperation.!
Zwischenbetriebliche Kooperation kann verstanden werden als freiwillige Zusammenarbeit von Unternehmen, die beabsichtigen, bei grundsätzlicher Aufrechterhaltung ihrer Dispositionsfreiheit, durch gemeinsame Bemühungen auf abgegrenzten Gebieten technischen und wirtschaftlichen Fortschritt zu realisieren.2 Informationen sind Nachrichten, die dazu beitragen, ein Problem des Informationsempfängers zu lösen. "Information ist also zweckorientiertes Wissen."3
1 Zu einem entsprechenden Ergebnis gelangt von Hippels explorative Studie über "KnowHow Trading". Vgl. von Hippe] (Cooperation, 1987). 2 Vgl. Schubert/Küting (Untemehmenszusammenschlüsse, 1981), S. 10-11, und Küting (Entscheidungsrahmen, 1983), insbesondere S. 1-6 und 16-23. Gerth (Kooperation, 1975), Sp. 2258, definiert zwischenbetriebliche Kooperation "[ ... ] als Oberbegriff über alle möglichen Formen und Arten der Zusammenarbeit zwischen Betrieben". 3 Wittmann (Information, 1969), Sp. 699. Es lassen sich zwei verschiedene Informationsarten unterscheiden. Zum einen kann Information der Reduktion von Unsicherheit dienen. Witte spricht in diesem Zusammenhang von der "Reduktoren-Erklärung"; vgl. Witte (lnformationsverhalten, 1972), S.12-14. Zum anderen besteht die Möglichkeit, daß Information sich auf Tatbestände bezieht, die ohne die Information nicht bekannt wären und auch nicht bekannt werden würden. Hirshleifer (Value, 1971), S. 562, bezeichnet dieses als "Discovery Knowledge".
20
3 Modell zum zwischenbetrieblichen Informationstransfer
Informationstransfer kann dementsprechend als Übermittlung zweckorientierten Wissens vom Sender zum Empfänger definiert werden. Die Vermutung, daß es sich bei dem beobachteten informalen Informationstransfer um eine Form der zwischenbetrieblichen Kooperation handelt, wirft mehrere Fragen auf: I . Kann ein informaler Austausch technischer Informationen tatsächlich im Interesse der beteiligten Unternehmen sein? 2 . Unter welchen Bedingungen ist zu erwarten, daß ein Informationstransfer im wirtschaftlichen Interesse des transferierenden Unternehmens liegt? 3. Widerspricht die Vermutung, daß Mitarbeiter beim Informationsaustausch im wirtschaftlichen Interesse der von ihnen vertretenen Unternehmen handeln, nicht den Untersuchungen, die einen starken Zusammenhang zwischen soziologischen Faktoren, zum Beispiel persönlicher Zuneigung, und der Wahrscheinlichkeit, daß Informationen ausgetauscht werden, nachgewiesen haben?4 Die modellhafte Abbildung des zwischenbetrieblichen, kooperativen Informationstransfers soll dazu beitragen, diese Fragen zu beantworten. Außerdem dient das Modell der Herleitung von Hypothesen über das Transferverhalten von Mitarbeitern. Die hypothetisierten Verhaltenstendenzen müßten empirisch beobachtbar sein, sofern der informale Informationstransfer wirklich eine Form der zwischenbetrieblichen Kooperation darstellt. Ein Modell reduziert die Komplexität der Realität durch vereinfachende Annahmen.5 Die Angemessenheit der Annahmen läßt sich daran überprüfen, ob das Modell in der Lage ist, die Realität hinreichend genau zu beschreiben. Sofern dieses der Fall ist, können die vereinfachenden Annahmen beibehalten werden.6
4 Vgl. zum Beispiel Sitkin (Exposure, 1986), S. 27. 5 Vgl. hierzu Chmie1ewicz (Forschungskonzeptionen, 1979), S. 120-123, und die dort angegebene Literatur. 6 Diese Position wird u.a. von Friedman (Methodo1ogy, 1953), insbesondere S. 21-28, vertreten.
3.1 Ausgangspunkt: lnfonnationstransfer als Prisoner's Dilemma
21
Für die folgende Modellbildung werden insbesondere drei Annahmen getroffen. Erstens wird davon ausgegangen, daß Unternehmen bestrebt sind, ihren Gewinn zu maximieren. Zweitens werden zeitliche Aspekte nicht berücksichtigt: Es erfolgt keine Abdiskontierung zukünftiger Zahlungsströme. Drittens wird davon ausgegangen, daß die am Informationstransfer beteiligten Mitarbeiter vollkommen im Interesse ihrer Unternehmen agieren. Diese Annahmen sollen helfen, das Grundprinzip des kooperativen zwischenbetrieblichen Informationstransfers offenzulegen, ohne eine allzu große Komplexität aufzubauen. Der empirische Test wird zeigen, ob diese Annahmen eine gerechtfertigte Vereinfachung der Realität darstellen.
3.1 Ausgangspunkt: Informationstransfer als Prisoner's Dilemma Information ist ein Gut mit besonderen Eigenschaften. Zum einen wird Information nicht verbraucht, wenn sie gebraucht wird. Zum anderen läßt sich der Wert einer bestimmten Information einem Dritten nicht verdeutlichen, ohne gleichzeitig die Information, jedenfalls teilweise, preiszugeben.? Dieses führt zu besonderen Problemen beim Handel mit Informationen. Sowohl Keck als auch von Hippe! schlagen Prisoner's Dilemma Modelle vor, um die Probleme des Informationshandels beziehungsweise des gegenseitigen Informationsaustausches darzustellen.8
3.1.1 Formale Struktur des Prisoner's Dilemmas Ein Prisoner's Dilemma ist eine besondere Form eines Kooperationsspieles.9 Vereinfachend dargestellt, beschreibt das Prisoner's Dilemma eine Situation, in 7 Vgl. Arrow (Essays, 1971 ), S. 152, und darauf aufbauend zum Beispiel Keck (lnfonnation Dilemma,l987), S. 139, und Michaelis (Organisation, 1985), S. 160. 8 Vgl. Keck (lnfonnation Dilemma, 1987) und von Hippel (Cooperation, 1987). 9 Im Gegensatz zu Nullsummenspielen, wo ein Spieler nur das gewinnen kann, was ein anderer Spieler verliert, gibt es bei Kooperationsspielen Strategiekombinationen, deren Ergebnis von beiden Spieler gegenüber den Ergebnissen anderer Strategiekombinationen bevorzugt wird,
22
3 Modell zum zwischenbetrieblichen Informationstransfer
der für die beteiligten Parteien eine allseitige Kooperation sinnvoll wäre. Für jede Partei besteht aber die aus ihrer individuellen Sicht optimale Strategie 10 darin, nicht zu kooperieren. II Folglich kooperiert letztendlich keine der Parteien und ein Ergebnis wird erzielt, daß aus der Sicht einer jeden Partei schlechter ist als das, was bei allseitiger Kooperation erzielt worden wäre.l2 Die einfachste Version des Prisoner's Dilemmas geht von zwei Spielern aus, die zwischen zwei Handlungsstrategien wählen können.l3 Jeder Spieler kann für sich entscheiden, ob er kooperativ oder nicht kooperativ handeln möchte. Diese Alternativen werden entsprechend als Kooperation und Nicht-Kooperation bezeichnet.l4 Falls beide Spieler kooperieren, erzielen beide ein relativ gutes Ergebnis: IS Dieses Ergebnis sei mit R (ßeward for mutual cooperation) bezeichnet.l6 Anders sieht es aus, wenn ein Spieler kooperiert, der andere sich jedoch zur Nicht-Kooperation entschließt. In diesem Fall erzielt der ausgenutzte Spieler das unter allen Bedingungen schlechteste Ergebnis S (.S.ucker's pay-off), der nicht-kooperiedas heißt. es gibt sogenannte "win-win Situations". Vgl. hierzu Schelling (Strategy. 1980). S. 95-99. und Schelling (Zero-Sum Games. 1973). 10 Der Begriff "Strategie" wird hier in seiner spieltheoretischen Bedeutung verwendet. Eine Strategie legt fest. unter welchen Bedingungen welche Handlungen ergriffen werden sollen. Vgl. Luce/Raiffa (Games, 1957). S. 6-7. II Weber würde das Prisoner's Dilemma den "Spielen mit gemischter lnteressenlage" zuordnen. Vgl. Weber (Bausteine. 1976). S. 16. l2 Die Bezeichnung "Prisoner's Dilemma" beruht auf nachfolgendem. häufig verwendeten Beispiel (vgl. z.B. Schelling (Choice. 1984). S. 209): Zwei Gefangene werden eines gemeinsamen Verbrechens beschuldigt und getrennt verhört. Sie werden vor folgende Situation gestellt: Wenn beide das Verbrechen nicht gestehen. erhalten beide eine kleine Strafeaufgrund eines nichtigen, bereits bewiesenen Vergehens. Wenn ein Angeklagter gesteht. der andere jedoch schweigt. wird die Strafe für den ersten. den Kronzeugen. erlassen. Letzterer wird jedoch mit der Höchststrafe bestraft. Falls beide gestehen. wird für beide eine etwas unter der Höchststrafe liegende Strafe festgesetzt. Der Gedanke dieser Regelung ist. daß es aus Sicht eines jeden Angeklagten sinnvoller ist, den anderen zu verraten. unabhängig davon. wofür der andere sich entscheidet. Folglich gestehen beide das Verbrechen. Dadurch erhalten sie letztendlich eine höhere Strafe. als wenn sie beide geschwiegen hätten. ln der Sprache der Spieltheorie würde in diesem Fall Schweigen kooperatives und Gestehen nicht-kooperatives Verhalten darstellen. 13 Vgl. hierzu und zum folgenden u.a. Rapoport/Guyer (Taxonomy. 1966). insbesondere S. 207, Axelrod (Evolution, 1984), S. 7-10. und die Zusammenfassung in Krivohlavy (Konflikte, 1974), S. 63-73. 14 Vgl. zum Beispiel Weck-Hannemann (Tit for Tat. 1988). S. 185. 15 Der Begriff "Ergebnis" wird bewußt allgemein gehalten. Die Konkretisierung hängt von der Situation ab, auf die das Prisoner's Dilemma angewendet wird. 16 Da sich für die einzelnen Ergebnisse bestimmte, von Axelrod geprägte Bezeichnungen sowohl in der englischsprachigen, als auch in der deutschsprachigen Literatur durchgesetzt haben. wird an dieser Stelle auf einen Eindeutschungsversuch verzichtet.
3.1 Ausgangspunkt: Informationstransfer als Prisoner's Dilemma
23
rende Spieler das günstigste Ergebnis T (Iemptation to defect). Falls beide nicht kooperieren, erreichen sie das Ergebnis P (ßinishment for mutual defection).l7 Damit wirklich ein Prisoner's Dilemma vorliegt, müssen zwei Bedingungen erfüllt sein: 18 Ein jeder Spieler muß die vier möglichen Strategiekombinationen wie folgt beurteilen: Am günstigsten ist es aus seiner Sicht, wenn er selbst nicht, jedoch der andere kooperiert. Er erzielt den Nutzen der Kooperation ohne gleichzeitig die Kosten tragen zu müssen. Die beidseitige Kooperation ist das zweitgünstigste Ergebnis und besser als die beidseitige Nicht-Kooperation. Am ungünstigsten für einen Spieler ist es, wenn er kooperiert, der andere aber gleichzeitig nicht kooperiert. Eine Rangreihung der vier Ergebnisse hat also folgendes Aussehen: (3.1)
1. Bedingung:
T >R>P>S
Die zweite Bedingung für ein Prisoner's Dilemma ist, daß eine Situation, in der ein Spieler mit fünfzigprozentiger Wahrscheinlichkeit ausgenutzt wird, aber selbst auch mit derselben Wahrscheinlichkeit den anderen ausnutzt, schlechter beurteilt wird, als eine beidseitige Kooperation. Diese Bedingung ist in Gleichung 3.2 formalisiert.l9 (3.2)
2. Bedingung:
2R > T+S
In Abbildung 3 ist ein Beispiel für ein Prisoner's Dilemma angegeben. Jeder Kasten stellt eine Strategiekombination dar. Links unten in einem Kasten ist angegeben, welchen Pay-Off bei dieser Kombination Spieler A erzielen würde, rechts oben steht der Pay-Off für Spieler B. Das Besondere an einem Prisoner's Dilemma besteht darin, daß es aus der Sicht eines jeden Spielers rational ist, nicht zu kooperieren, unabhängig davon, welche Strategie der andere Spieler verfolgt.20 (Hierbei wird allerdings angenommen, daß es für beide Spieler keine Möglichkeit gibt, ihr Verhalten in einer verbindlichen Weise zu koordinieren, und daß es sich nicht um ein iteratives
17 R, S, T und P können für beide Spieler unterschiedliche Werte annehmen. Bei der folgenden Betrachtung ist nicht der absolute Wert der Pay-Offs relevant, sondern nur deren ordinale Beurteilung durch die Spieler. 18 Vgl. Axelrod (Evolution, 1984), S. 10. 19 Wäre die Bedingung nicht gegeben, könnte sich ein Spiele. durch sogenannte "SidePayments" die für ihn optimale Lösung "erkaufen". Bei der Formulierung dieser Bedingung wird davon ausgegangen, daß sich Pay-Offs in einer sinnvollen Weise addieren lassen. 20 Vgl. zum Beispiel die Diskussion der Wahl von Handlungsstrategien in einer Prisoner's Dilemma Situation in Hardin (lntuitions, 1986), S. 28-29.
24
3 Modell zum zwischenbetrieblichen Informationstransfer
SpielerB Spieler A
kooperiert
kooperiert
kooperiert nicht
Abbildung J:
kooperiert nicht B's Pay-Off
A's Pay-Off
Beispiel für ein Prisoner's Dilemma
Spiel handelt.) Aus der Sicht beider Spieler ist Nicht-Kooperation jeweils die dominante, unter allen Bedingungen vorzuziehende Strategie.21 Die beidseitige Nicht-Kooperation führt aber zu einem Ergebnis, das eindeutig schlechter ist als das Ergebnis, das bei beidseitiger Kooperation erzielt worden wäre. Im angeführten Beispiel ist es für beide Spieler individuell rational, nicht zu kooperieren, und sie erhalten bei beidseitiger Nicht-Kooperation einen Pay-Off von je 1.22 Hätten sie beide kooperiert, würde jeder einen Pay-Off von 3 erhalten. Das Beispiel verdeutlicht, daß in einem Prisoner's Dilemma individuell rationales Verhalten zu einer eindeutig nicht pareto-optimalen23 Lösung führt. Durch beidseitige Kooperation ließe sich hingegen ein pareto-optimales Ergebnis erzielen. Allerdings ist die pareto-optimale Lösung nicht stabil, 24 da jeder Spieler für sich genommen in einer besseren Lage wäre, wenn er nicht kooperieren würde. 21 Eine Strategie ist dann dominant, wenn sie unter allen Gegebenheiten im Vergleich zu den übrigen Entscheidungsalternativen ein besseres oder mindestens ein gleich gutes Ergebnis erzielt. Vgl. Schelling (Choice, 1984), S. 235. 22 Die absolute Höhe der Zahlen ist belanglos. Wichtig ist nur, daß die in den Gleichungen 3.1 und 3.2 formulierten Bedingungen erfüllt werden. 23 Eine Lösung ist pareto-optimal, wenn eine Besserstellung irgendeines Individuums nur auf Kosten eines anderen möglich ist. Vgl. z.B. Raiffa (Decision Analysis, 1968), S. 199, und Lancaster (Mikroökonomie, 1981 ), S. 323-324. 24 Ein Ergebnis ist stabil, sofern kein Spieler den Anreiz hat, eine andere Strategie zu wählen. Vgl. Rapoport/Gruyer (Taxonomy, 1966), S. 207.
3.1 Ausgangspunkt: Informationstransfer als Prisoner's Dilemma
25
3 .1. 2 Anwendung des Prisoner's Dilemmas auf den Informationstransfer Sowohl Keck als auch von Hippe! untersuchen unter Zuhilfenahme des Prisoner's Dilemma Ansatzes Fragestellungen, die im Rahmen des Transfers von Informationen auftreten.25 Keck konzentriert sich dabei auf den Transfer von Information gegen Bezahlung. Er zeigt, daß der Markt für Informationen Charakteristika eines nicht-effizienten Marktes aufweist und es daher zu einem Marktversagen kommen kann.26 Ein direkter Tausch von Informationen und die dabei auftretenden Probleme werden von ihm nicht behandelt. Der Informationsaustausch wird in dem von von Hippe! entwickelten Modell konzeptualisiert, allerdings unter Annahmen, die die Realität wesentlich vereinfachen:27 Zwei Firmen, A und B, besitzen je eine Information, die der anderen Firma unbekannt ist.28 Dabei entspricht der Wert der Information von Firma A dem Wert der Information von Firma B. Der Wert einer Information wird in von Hippels Modell in zwei Komponenten eingeteilt: Erstens den Wert, den die Information für die eine Firma noch besitzt, wenn auch die andere Firma die Information kennt. Dieser Wert wird Grundwert genannt und mit r symbolisiert.29 Zweitens den Wert, den die Information zusätzlich für die eine Firma darstellt, wenn die Information der anderen Firma unbekannt ist. Dieser Wert wird Zusatzwert genannt und mit ~r symbolisiert.30 Der Zusatzwert einer Information ist hoch, wenn die Information dem Besitzer einen großen Wettbewerbsvorteil verschafft, der durch einen Transfer verloren gehen würde. Bevor ein Informationstransfer stattfindet, ergibt sich der Wert der Information rgesamt, vor Transfer aus der Summe seiner beiden Komponenten: (3.3)
rgesamt,vorTransfer = r+~r
25 Vgl. Keck (Information Dilemma, 1987), von Hippe! (Sources, 1988), S. 85-88, und von Hippe! (Cooperation, 1986), S. 17-24. 26 Vgl. Keck (Information Dilemma, 1987), insbesondere S. 142-152. 27 Vgl. hierzu und zum folgenden von Hippe! (Sources, 1988), S. 85-88, und von Hippe! (Cooperation, 1986), S. 17-24. 28 Es wird dabei vernachlässigt, zu definieren, was unter "einer Information" verstanden werden soll. 29 Die Abkürzung r wird verwendet, um die Verbindung zum ökonomischen Konzept der Rente zu verdeutlichen. Vgl. zum Beispiel Varian (Mikroökonomie, 1981), S. 67. 30 Für die folgende Argumentation wird unterstellt, daß&- einen Wen: Transfer nachgefragter In-
EW(Transfer) < EW(Kein Transfer)
=> Kein Transfer nachgefrag-
formation
ter Information
Der Erwartungswert ergibt sich entsprechend Abbildung 5 aus der erwarteten Änderung des Informationswertes und aus der erwarteten Änderung der Instmmentalität der Beziehung. Damit sind zwei der drei Bausteine der Informationstransferentscheidung bestimmt. Der dritte Baustein ist das Ausmaß der subjektiven Unsicherheit, das einen wesentlichen Einfluß auf den Erwartungswert ausübt. Es sei an dieser Stelle daran erinnert, daß das darzustellende Modell nicht versucht zu beschreiben, wie der Entscheidungsprozeß abläuft, sondern welche Eigenschaften das Entscheidungsergebnis besitzt. Es wird also eine ergebnisorientierte Betrachtung anstelle einer prozeßorientierten vorgenommen.
3. 2. 2 Erster Baustein: Änderung des Informationswertes Ein Informationstransfer verändert potentiell den Wert der Information für das transferierende Unternehmen. Der Wert einer Information für ein Unternehmen läßt sich formal anhand eines Vergleiches des Wertes des Unternehmens mit Information mit dem Wert des Unternehmens ohne Information bestimmen.57 Durch einen Informationstransfer zwischen zwei Unternehmen werden die Informationsstrukturen58 der beteiligten Unternehmen verändert und damit potentiell deren Wettbewerbsfähigkeit verschoben. Ändert sich auf diese Weise der erwartete Gewinn und damit der Wert eines transferierenden Unternehmens, so
expected utility" verwendet werden. Vgl. hierzu die Darstellung und Kritik in Sirnon (Vision of Rationality, 1986), S. 100-103. 57 Vgl. hierzu National Science Foundation (Research Opportunities, 1982), S. 24, Bamberg/Coenenberg/Kleine-Doepke (Bewertung, 1976), S. 31, Hirshleifer (Value, 1971), S. 564, und Albach (Informationswert, 1969), Sp. 722-723. Eine ausführliche, formale Diskussion des Informationswertes findet sich in Stöckigt (Information, 1981 ). 58 Die Informationsstruktur eines Unternehmens wird durch die Informationen bestimmt, die dem Unternehmen bekannt sind. Vgl. Albach (Informationswert, 1969), Sp. 721-726.
36
3 Modell zum zwischenbetrieblichen Informationstransfer
kann diese Gewinnänderung ~7t als transfer-initiierte Änderung des Wertes der Information für das transferierende Unternehmen interpretiert werden. 59 (3.7)
~1t
= 1ttrans - 1tnicht Irans (I) Transferinitiierte Änderung des erwarteten Gewinns des transferierenden Unternehmens bzw.
1tnicht trans 1ttrans
= =
(2) Transferinitiierte Änderung des Wertes der Information für transferierendes Unternehmen Erwarteter Gewinn ohne Informationstransfer Erwarteter Gewinn bei Informationstransfer
Um den Einfluß eines Informationstransfers auf den Wert der transferierten Information modellhaft darstellen zu können, ist zuerst eine Konzeptualisierung der Verbindungen zwischen Handlungen und deren Auswirkungen vorzunehmen (vgl. Abbildung 6). Ein Transfer von Informationen vom Unternehmen A zum Unternehmen B führt zu einem Informationszuwachs bei B. Je nach übertragener Information ermöglicht der Informationszuwachs dem Unternehmen B, unterschiedliche Handlungen durchzuführen. Hierbei kann es sich insbesondere um Verbesserungen der Produktqualität oder um Maßnahmen zur Kostensenkung handeln. Dementsprechend ist davon auszugehen, daß diese Maßnahmen den erwarteten Gewinn von B ändern. Gleichzeitig können die Handlungen des UnternehmensBauch Konsequenzen für das Unternehmen A haben. Zum einen ist vorstellbar, daß B's Maßnahmen direkten Einfluß auf den Gewinn von A ausüben. Eine durch die transferierte Information ermöglichte Qualitätsverbesserung von B's Produkten könnte zum Beispiel zu einer Marktausweitung auf Kosten von A führen, wodurch als Folge A's Gewinn reduziert werden würde. Zum anderen ist es möglich, daß A durch eigene Handlungen auf die Maßnahmen von B reagiert. A könnte eine Verbesserung von B's Produktqualität mit einer Preissenkung bei den eigenen Produkten beantworten. Insofern haben B's Handlungen potentiell nicht nur direkten Einfluß auf A's Gewinn, sondern auch indirekten, in dem sie A zu reaktiven Handlungen veranlassen.
59 Dieses entspricht der Definition des Bruttowertes von Informationen, die in Glaser (Informationswert, 1980), Sp. 936-937, gegeben wird.
3.2 Erweiterung: Informationstransfer als komplexes Entscheidungsproblem
.
~~~~~---············· · ·
t Informationstransfer durch A
Reaktion von A
37
.. ··················..
~
Änderung des erwarteten Gewinns von A
~
Änderung des erwarteten Gewinns von B
~
~
Informationszuwachs bei B
........
-,
Handlungen von B
.-
..................................... , ............................ ...
Abbildung 6:
Informationstransfer und Gewinnerwarlungen der Unternehmen
Aus Sicht des Unternehmens A, des Informationsbesitzers, ist es bei der Transferentscheidung streng genommen irrelevant, ob und in welcher Höhe sich B's Gewinn durch den Informationstransfer verändern wird. Wichtig ist, welchen Einfluß der Transfer auf die eigenen Gewinnerwarlungen ausübt. Langfristig kann ein erhöhter Gewinn von B natürlich negative Konsequenzen für A hervorrufen, und zwar wenn B aus dem Gewinn Maßnahmen finanziert, die für A schädigend sind und die ohne diesen Gewinn nicht finanziert worden wären. Doch dann ist nicht der Gewinn an sich nachteilig für A, sondern die Finanzierungsfunktion, die der Gewinn ausübt. Für die folgende Analyse wird unterstellt, daß den Unternehmen ausreichende finanzielle Mittel zur Verfügung stehen, so daß die Finanzierungsfunktion des zusätzlichen Gewinns aufgrund eines Informationstransfers vernachlässigt werden kann. Um modellhaft darzustellen, wie sich ein Informationstransfer auf die Gewinnerwartung des transferierenden Unternehmens auswirkt, wird angenommen, daß die Unternehmen A und B je ein Produkt a und b herstellen, die potentiell miteinander konkurrieren. Die Qualität dieser Produkte sei durch die Qualitätsindizes Qla und Qlb charakterisiert. Von diesen Produkten setzen die Unternehmen die Mengen Xa und Xb zu den Preisen Pa und Pb ab. Die Stückkosten betragen Ca und Cb. In der folgenden Analyse werden nur diese Parameter be-
38
3 Modell zum zwischenbetrieblichen Informationstransfer
trachtet. Alle anderen Variablen, wie zum Beispiel das Verhalten anderer Produzenten, seien ohne Bedeutung für die Transferentscheidung. Die gewählte formale Darstellung geht davon aus, daß es sich bei beiden Unternehmen um Einproduktunternehmen handelt. Es ist allerdings problemlos möglich, auch die Transferentscheidung von Mehrproduktunternehmen abzubilden. Dieses würde lediglich eine vektorielle Darstellung der Zusammenhänge verlangen. Da die grundlegenden Prinzipien aber nicht davon berührt werden, ob es sich um Einprodukt- oder Mehrproduktunternehmen handelt, wird der formal einfachere Fall des Einproduktunternehmens gewählt. Es ist anzunehmen, daß die abgesetzte Menge X3 sowohl eine Funktion des Produktpreises P3 als auch der Produktqualität Ql3 ist. Zusätzlich hängt X3 aber auch von dem Preis Pb und der Qualität Qlb des Produktes des Unternehmens B ab. Folglich läßt sich der Gewinn 1t Ades Unternehmens A. der sich aus der abgesetzten Menge und dem Stückgewinn ergibt, wie folgt darstellen:60 (3.8) Die technischen Informationen können in zwei idealtypische Klassen eingeteilt werden: qualitätsbezogene und kostenbezogene Informationen. Qualitätsbe:ogene Informationen ermöglichen eine Verbesserung der Qualitätsindizes. kosienbe:ogene Informationen eine Verringerung der Kosten. Aus der Gleichung 3.8 ergibt sich, daß nur solche Maßnahmen des Unternehmens B den Gewinn des Unternehmens A beeinflussen, die entweder die Produktqualität Qlb oder den verlangten Preis Pb ändern. Der Gewinn von B hat direkt keinen Einfluß auf die wirtschaftliche Lage von A. (Siehe hierzu die in diesem Abschnitt weiter oben getroffenen Ausführungen.) Folglich hat Unternehmen A bei der Transferentscheidung zu berücksichtigen. inwieweit ein lnformationstransfer es B ermöglichen würde, den Produktpreis und/oder die Produktqualität zu variieren, und ob dieses wahrscheinlich sei. Dabei ist allerdings nicht die Änderung an sich, sondern nur deren Auswirkung auf die vom Informationsanbieter A abgesetzte Menge X3 maßgebend.
60 Dieses entspricht dem einfachen mikroökonomischen Modell. Vgl. z.B. Varian (Mikroökonomie, 1981), S. 8-9. Zusätzlich wird hier allerdings die Produktqualität als weitere. die Nachfrage bestimmende Variable aufgenommen. Für die ersten Ableitungen wurden folgende. ökonomisch sinnvolle Annahmen getroffen:
axa o
dQia- ;
ax ____l!_>o·. dPb -
axa < o __
dQib -
3.2 Erweiterung: Informationstransfer als komplexes Entscheidungsproblem
39
3.2.2. 1 Kostenbezogene lnformationen Ein Zuwachs kostenbezogener Informationen bei dem informationserhaltenden Unternehmen B wirkt sich nicht direkt auf die beiden den Gewinn von A beeinflussenden Variablen Qlb (Qualitätsindex des Produktes b) und Pb (Preis des Produktes b) aus. Auch ein indirekter Einfluß auf den Qualitätsindex Qlb läßt sich weitgehend ausschließen. Er ist nur dann gegeben, wenn die Kosteneinsparung zur Finanzierung von Qualitätsverbesserungen verwendet wird, die ansonsten nicht finanzierbar wären. Anders sieht es für den Produktpreis Pb aus. Sofern ein kostenorientiertes Preissetzungsverhalten vorliegt, kann der Transfer einer kostenbezogenen Information von A nach B Preisreduktionen durch das informationserhaltende Unternehmen B bewirken und damit unter Umständen zu Absatzeinbußen und Gewinnreduzierungen beim Unternehmen A führen. Die Auswirkung einer Preisänderung von B auf die abgesetzte Menge von A wird formal durch die Kreuzpreiselastizität E(X 3 , Pb) ausgedrückt. Dabei gibt die Kreuzpreiselastizität die proportionale Änderung der nachgefragten Menge X 3 bei einer Änderung des Preises Pb an.61 (3.9)
dXa ()pb
*
Pb
Xa
Durch die Kreuzpreiselastizität wird ausgewiesen, wie sensibel die Nachfrage des Produktes a auf eine Änderung des Preises des Produktes b reagiert. Je größer die Kreuzpreiselastizität ist, desto negativer wirkt sich eine Preissenkung von Firma B auf den Absatz und damit auf den Gewinn von Firma A aus. Es stellt sich jetzt also die Frage, unter welchen Bedingungen mit einer hohen Kreuzpreiselastizität zu rechnen ist. Die Kreuzpreiselastizität hängt davon ab, inwieweit potentielle Käufer die beiden Produkte als funktionale Substitute wahrnehmen. Je ähnlicher die Produkte, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, daß der Käufer auf eine Preissenkung des einen Produktes durch eine erhöhte Nachfrage nach diesem und einer verminderten Nachfrage nach dem anderen Produkt antwortet.62 Aber nicht nur die produktbezogene Ähnlichkeit ist relevant. Damit eine preisinitiierte Substitution wahrscheinlich ist, müssen die beiden Produkte zusätzlich in dem gleichen Marktsegment miteinander konkurrieren.63 Eine Marktsegmentierung kann 61 Vgl. z.B. Lancaster (Mikroökonomie, 1981), S. 40-42. 62 Vgl. z.B. inhaltlich Koller (Marketing Management, 1984), S. 511, und formal Lancaster (Mikroökonomie, 1981 ), S. 260-262. 63 Vgl. Porter (Competitive Advantage, 1985), S. 233-272.
3 Modell zum zwischenbetrieblichen Informationstransfer
40
nach den unterschiedlichsten Kriterien erfolgen. In der Stahlindustrie findet insbesondere eine räumliche Marktsegmentierung durch Transportkosten statt.64 Sofern zwei Stahlfirmen ähnliche Produkte in unterschiedlichen Regionen herstellen, muß für eine preisinitiierte Substituierung die Preisdifferenz die Transportkasten überkompensieren. Zusammenfassend kann festgehalten werden: Eine hohe Kreuzpreiselastizität ist wahrscheinlich, wenn die hergestellten Produkte von den potentiellen Käufern als funktional ähnlich wahrgenommen und wenn die Produkte in gleichen Marktsegmenten angeboten werden. Es gilt nun zu untersuchen, unter welchen Bedingungen ein Transfer kostenbezogener Informationen das informationserhaltende Unternehmen B dazu veranlassen könnte, den Produktpreis zu reduzieren. Aus Sicht des Unternehmens B ist eine Preissenkung nur dann sinnvoll, wenn sie zu einer Erhöhung des Gewinns führt. Entsprechend Gleichung 3.8 kann der Gewinn des Unternehmens B wie folgt dargestellt werden: (3.10)
mit
=
f(Pb. Pa. Qlb, Qla)
g(Xb)
Die abgesetzte Menge Xb ist eine Funktion der Preise Pa und Pb sowie der beiden Qualitätsindizes Ql 3 und Qlb. Die durchschnittlichen Stückkosten Cb sind eine Funktion der Ausbringungsmenge Xb. Die partielle Ableitung der Gewinnfunktion bezüglich des Preises Pb gibt an, welchen Einfluß eine Änderung des Preises Pb auf den Gewinn des Unternehmens B ausübt. Eine Preisreduktion ist aus Sicht des Unternehmens B nur dann angebracht, wenn die erste Ableitung der Gewinnfunktion einen negativen Wert annimmt. In Gleichung 3.lla gibt der erste Klammerausdruck die Auswirkung einer Preisänderung auf die Erlöse des Unternehmens B an. Sofern dieser Ausdruck kleiner als 0 ist, führt eine Preissenkung gleichzeitig zu einer Erlössteigerung.
64 Vgl. Barnett/Crandall (Up from the Ashes, 1986), S. 23-24.
3.2 Erweiterung: Informationstransfer als komplexes Entscheidungsproblem
(3.Ila)
41
=
Änderung des Gewinns
Änderung der Erlöse
Änderung der Kosten
Der zweite Klammerausdruck beinhaltet die Variation der Produktionskosten, die durch eine Preisänderung und die verbundene Änderung der Ausbringungsmenge hervorgerufen wird. Aus Vereinfachungsgründen wird angenommen, daß Absatzmenge und Produktionsmenge miteinander identisch sind. Elementare Umformungen der Gleichung 3.11 a führen zu Gleichung 3.11 b. (3.11b) Aus Gleichung 3.11 b wird ersichtlich, daß die Vorteilhaftigkeil einer Preissenkung einerseits von der Nachfrageelastizität E(Xb, Pb) und andererseits von der Möglichkeit positiver Skalenerträge abhängt. (Positive Skalenerträge liegen dann vor, wenn die Elastizität der durschschnittlichen Stückkosten in Bezug auf die Produktionsmenge kleiner als 0 ist, d.h. E(Cb, Xb) < 0. Eine preiselastische Nachfrage, d.h. E(Xb, Pb)< -1, beziehungsweise die Möglichkeit, die durchschnittlichen Stückkosten durch eine Produktionserweiterung zu reduzieren, sind notwendige Voraussetzung dafür, daß es für den Informationsempfänger ökonomisch rational ist, eine durch einen Informationstransfer ermöglichte Kostenreduktion in Form einer Preissenkung an den Kunden weiterzugeben. Aber selbst wenn diese Bedingungen erfüllt sind, ist aus Sicht des Informationsempfängers B eine Preissenkung nur dann sinnvoll, wenn keine kompensierenden Preissenkungen der Konkurrenten erwartet werden. Es kann jedoch vermutet werden, daß Konkurrenten ähnlichen Verhältnissen gegenüberstehen und daß sie folglich auf eine preisbedingte Nachfrageverschiebung ihrerseits durch eine entsprechende Preissenkung reagieren, sofern dieses für sie wirtschaftlich möglich ist.65 Nur wenn die Preissenkung von B so bedeutend ausfällt, daß die anderen Unternehmen nicht in der Lage sind, ihre Preise entsprechend zu reduzieren, wenn B also durch eine Preissenkung langfristig einen wesentlichen Zuwachs des Marktanteils realisieren kann, nur dann ist es aus B's Sicht sinnvoll, eine Kostenreduktion als Preisreduktion an die Käufer weiterzu65 Vgl. hierzu Porter (Compelilive Advantage. 1985). S. 510-511. Sirnon (Preismanagement. 1982). S. 166-168, beschreibt eine Prisoner's Dilemma Situation, in der eine beidseitige Preiserhöhung pareto-optimal ist. jedoch bei kurzfristiger Gewinnmaximierung unterbleibt. Demgegenüber ist es in der hier analysierten Situation pareto-optimal, wenn beide Unternehmen die Preise beibehalten und nicht senken.
42
3 Modell zum zwischenbetrieblichen Informationstransfer
geben. Entsprechende Kosteneinsparungen seien als außergewöhnliche Kosteneinsparungen bezeichnet.66 Es ist zu vermuten, daß diese insbesondere bei kapitalintensiven Produktionsverfahren eine, wenn auch bedeutende, Ausnahme darstellen. Unter der Annahme, daß Unternehmen wirtschaftlich rational handeln, führt ein Transfer kostenbezogener Informationen also nur dann zu einer Preissenkung beim Informationsempfänger, wenn die Information außergewöhnliche Kosteneinsparungen ermöglicht. Folglich bewirkt ein Transfer kostenbezogener Information keine preisinitiierten Verschiebungen auf dem Absatzmarkt und verstößt somit auch nicht gegen die wirtschaftlichen Interessen des transferierenden Unternehmens- es sei denn, es handelt sich um außergewöhnliche Einsparungsmöglichkeiten. Die Weitergabe kostenbezogener Informationen bewirkt zwar eine potentielle Gewinnerhöhung beim informationserhaltenden Unternehmen, jedoch erfolgt diese Gewinnerhöhung nicht auf Kosten des transferierenden Unternehmens.67 Insofern ist ein solcher Transfer aus Sicht beider Unternehmen pareto-optimal. Zu einem entsprechenden Ergebnis gelangt Niederwestberg in seiner modelltheoretischen Untersuchung über die optimale Lizenzpolitik von Unternehmen. Allerdings schränkt er ein, daß sich eine bestehende Industrie gegen neuhinzukommende Firmen abschotten sollte.6R Niederwestberg unterscheidet zwischen Produkt- und Prozeßinnovationen, wobei letztere hauptsächlich Kosteneinsparungen bewirken.69 Preise werden kostenunabhängig festgesetzt. Insofern sind Kosten nicht für die relative Wettbewerbsfähigkeit relevant. Unter diesen Bedingungen wird folgendes Ergebnis für prozeßbezogene Lizenzen abgeleitet: "Schätzen die Firmen ihre gegenseitig zu vereinbarenden Lizenzgebühren als ungefähr
gleich ein t ... J. so ist es am wirkungsvollsten. gar keine Lizenzgebühren untereinander zu
berechnen. t ... J Die Weitergabe von Pro:eßinnol'Otionen an eine neu in den Markt eindringende Firma wäre für alle unvorteilhaft. Dadurch würde sich N auf (N+ I) erhöhen. was zu einem Absinken der Gewinne aller Firmen führt. Es kann daher durch die theoretische
66 Porter verwendet dafür den Ausdruck "significantly lower costs". Porter (Competitive Advantage, 1985), S. 510. 67 An dieser Stelle sei daran erinnert, daß die Annahme getroffen wurde. die Unternehmen besitzen ausreichende Finanzierungsmöglichkeiten. Ein Gewinnzuwachs ermöglicht dem informationserhaltenden Unternehmen keine Maßnahmen. die ansonsten unterblieben wären. Anders sieht es aus, wenn dieses Unternehmen akuten Finanzierungsproblemen gegenübersteht. Unter dieser Bedingung ist ein Transfer kostenbezogener Informationen wesentlich kritischer zu beurteilen. 68 Vgl. Niederwestberg (Lizenzpolitik, 1984). 69 Vgl. Niederwestberg (Lizenzpolitik, 1984}, S. 106-108.
3.2 Erweiterung: Informationstransfer als komplexes Entscheidungsproblem
43
Analyse erklärt werden, warum Abschottung nach außen und interne Lizenzvergabe zu geringen oder gar keinen Lizenzgebühren die beste Strategie ist, auch wenn die Produkte miteinander konkurrieren."70
Um die Komplexität der folgenden Überlegungen nicht unnötig zu erhöhen, wird davon ausgegangen, daß die Anzahl der Unternehmen nicht durch neu hinzukommende Unternehmen vermehrt wird, eine für die Stahlindustrie realistische Annahme. Aus den dargestellten Überlegungen kann die erste Hypothese abgeleitet werden. Sie und die folgenden Hypothesen beschreiben erwartetes Informationstransferverhalten von Führungskräften unter der Voraussetzung, daß die Führungskräfte im wirtschaftlichen Interesse ihrer Unternehmen handeln und daß die im Modell getroffenen Annahmen eine angemessene Vereinfachung der Realität darstellen.
Hypothese 1:
Eine Nachfrage nach Information, die ausschließlich kostenbezogen ist, wird erfüllt, es sei denn, die Information stellt die Grundlage für außergewöhnliche Kosteneinsparungen dar.
In der Hypothese wird ein deterministischer Zusammenhang ,JO'ituliert. Implizit wird davon ausgegangen, daß ein Transfer kostenbezogener bzw., allgemeiner formuliert, wettbewerbsferner Informationen neben der Reduktion des Informationswertes keine weiteren Kosten verursacht und daß ein Transfer auf keinen Fall einen negativen, sondern höchstwahrscheinlich einen positiven Einfluß auf die Instrumentalität der Austauschbeziehung ausübt.
3.2.2.2 Qualitätsbezogene Informationen Qualitätsbezogene Informationen ermöglichen eine Verbesserung der Produktqualität. Formal führt ein Transfer qualitätsbezogener Informationen von Unternehmen A zu Unternehmen B zu einer Erhöhung des Qualitätsindexes Qlb, der die Qualität des Produktes des informationserhaltenden Unternehmens charakterisiert. Der für das Unternehmen B gültige Qualitätsindex ist nicht nur für B selbst eine wesentliche Variable, sondern auch für Unternehmen A, wie aus der Gewinnfunktion für A (Gleichung 3.8) hervorgeht. Dabei wirkt sich ein Qualitätszuwachs bei B potentiell negativ auf die Absatzmenge von A aus. Insofern kann der Transfer qualitätsbezogener Informationen negative Auswirkungen auf den Gewinn des transferierenden Unternehmens ausüben. 70 Niederwestberg (Lizenzpolitik, 1984), S. 221-222, Hervorhebung nicht im Original. Zu einem entsprechenden Ergebnis gelangt Wilson (Effect, 1977), S. 172-173.
44
3 Modell zum zwischenbetrieblichen lnfonnationstransfer
Entsprechend der Kreuzpreiselastizität (Gleichung 3.9) läßt sich die Stärke der Auswirkungen von Qualitätsverbesserungen bei B auf die abgesetzte Menge von A durch die Kreuzqualitätselastizität E(Xa, Qlb) erfassen. Dabei gibt die Kreuzqualitätselastizität die proportionale Änderung der nachgefragten Menge Xa bei einer Änderung der Qualität Qlb an:
(3.12)
axa * Qlb Xa
E(Xa, Qlb) =()Qib
Die Kreuzqualitätselastizität drückt aus, wie sensibel die Nachfrage des Produktes a auf eine Änderung der Qualität des Produktes b reagiert. Je größer der Betrag der Kreuzqualitätselastitzität ist,? I desto negativer wirkt sich eine Qualitätsverbesserung bei B auf den Absatz und damit auf den Gewinn von A aus. Ebenso wie bei der Diskussion der Kreuzpreiselastizität,72 ist auch hier zu vermuten, daß die Kreuzqualitätselastizität davon abhängt, inwieweit die Kunden die Produkte von A und B als potentielle Substitute wahrnehmen. Dafür ist Voraussetzung. daß sich die Produkte in dem funktionalen Nutzen, die sie dem Käufer spenden, entsprechen,73 und daß die Unternehmen mit ihren Produkten die gleichen Marktsegmente ansprechen.74 Zusammenfassend kann festgehalten werden: Ein Transfer qualitätsbezogener Informationen kann sich negativ auf den Absatz des transferierenden Unternehmens auswirken, und damit dessen Gewinn reduzieren. 75 Dafür ist allerdings Voraussetzung, daß die beiden Unternehmen direkte Konkurrenten sind, d.h. daß sie ähnliche Produkte in gleichen Marktsegmenten anbieten. Dann bewirkt ein Transfer qualitätsbezogener Informationen beim Empfänger einen Gewinnzuwachs, gleichzeitig jedoch beim Informationsanbieter eine Gewinnreduktion. Insofern ist ein solcher Informationstransfer nicht pareto-optimal. In dem dargestellten Zwei-Unternehmen Modell wäre ein Transfer qualitätsbezogener Informationen dann möglich, wenn die beiden Finnen nicht mitein7 1 Es ist zu erwarten. daß bei konkurrienden Produkten die Kreuzqualitätselastizität einen Wert kleiner oder gleich Null annimmt. Eine Qualitätsverbesserung bei der einen Finna übt entweder keinen Einfluß auf die Absatzmenge der anderen Finna aus. oder sie führt (ceteris paribus) zu einer Reduktion der Absatzmenge (qualitätsinitiierte Substitution). Dieses entspricht dem von Lancaster beschriebenen Prinzip der "Effizienz-Substitution". Vgl. Lancaster (Mikroökonomie, 1981), S. 262-263. 72 Vgl. den vorangegangenen Abschnitt 3.2.2.1. 73 Vgl. Porter (Competitive Advantage, 1985), S. 52. 74 Vgl. Porter (Competitive Advantage, 1985), S. 233-272. 75 Dieses gilt auch dann, wenn es dem transferierenden Unternehmen gelingt, durch eine Preisreduktion die Absatzmenge volumenmäßig konstant zu halten. In diesem Fall verringert sich der Stückgewinn und damit wiederum der Untemehmensgewinn.
3.2 Erweiterung: Informationstransfer als komplexes Entscheidungsproblem
45
ander konkurrierenJ6 Anders sieht es aus, wenn das Modell zusätzlich die Möglichkeit berücksichtigen würde, daß das informationserhaltende Unternehmen die Information wiederum an andere Unternehmen weiterleiten könnte. In diesem Fall muß das transferierende Unternehmen befürchten, daß die Information in den Besitz eines Konkurrenten gelangt. Unter solchen Bedingungen kann ein Transfer qualitätsbezogener Informationen selbst an einen Nichtkonkurrenten zu einer Gewinnreduktion beim Informationsbesitzer führen. Faßt man diese Überlegungen zusammen, so läßt sich die zweite Hypothese ableiten, die wie die folgenden Hypothesen einen gerichteten, jedoch keinen deterministischen Zusammenhang angibt, da weitere Variablen die Transferentscheidung beeinflussen.
Hypothese 2:
Mit zunehmendem Qualitätsbezug der nachgefragten Information nimmt die Wahrscheinlichkeit eines Transfers der Information ab.
3. 2. 2. 3 Informationsalternativen Für den Informationsbesitzer reduziert sich der Wert einer qualitätsbezogeneL Information durch einen Transfer, da die Ausschließlichkeit der Information, also der Wettbewerbsvorteil aufgrund eines Informationsvorsprunges, verloren geht.77 Der Wettbewerbsvorteil würde aber auch dann verloren gehen, wenn der Informationsempfänger anderweitig ohne größere Aufwendungen eine entsprechende Information erwerben könnte. Das Ausmaß der aus einem Transfer resultierenden Wertänderung einer Information hängt folglich auch von der Zeitdauer ab, in der die Information dem ursprünglichen Besitzer einen Know-How-Vorsprung gewährt hätte. Je kürzer dieser zeitliche Vorsprung,78 desto kleiner der Wertverlust, der für ein Unternehmen aus einem freiwilligen Informationstransfer resultiert. Der zeitliche Vorsprung, den eine Information bei alleinigem Besitz bietet, hängt von zwei Faktoren ab: erstens von der Möglichkeit, daß der Wettbewerber sich eigenständig entsprechendes Wissen durch Forschungs- und Entwicklungs76 Unter dieser Voraussetzung nimmt die Kreuzqualitätselastizität den Wert null an. 77 Zur Bedeutung der Ausschließlichkeit als Voraussetzung für die Sicherung Know-Howbedingter Wettbewerbsvorteile vgl. Brackhoff (Forschung. 1988), S. 56-60. 78 In der englischsprachigen Literatur wird dieser Zeitraum als "Iead time" bezeichnet. Vgl. von Hippe) (Appropriability, 1982). S . 109.
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3 Modell zum zwischenbetrieblichen Informationstransfer
aktivitäten schafft, und zweitens von der Wahrscheinlichkeit, daß der Wettbewerber eine ähnliche Information durch andere externe Informationsquellen erhält.79 Der Wertverlust, den ein Informationstransfer hervorruft, ist (ceteris paribus) umso kleiner, je kürzer der zeitliche Vorsprung ist, den die Information dem Besitzer gewährt. Da ein Informationstransfer wiederum umso wahrscheinlicher ist, je geringer der resultierende Wertverlust erscheint, kann die folgende Hypothese abgeleitet werden. Hypothese 3:
Mit zunehmender Wahrscheinlichkeit, daß dem Informationsnachfrager Informationsalternativen zur Verfügung stehen, nimmt die Wahrscheinlichkeit eines Transfers der nachgefragten Information zu.
Entsprechend den obigen Ausführungen lassen sich aus dieser Hypothese zwei Unterhypothesen ableiten. Diese sind als Hypothese 3.1 und 3.2 formuliert. Hypothese 3. I:
Mit zunehmender Wahrscheinlichkeit, daß der Informationsnachfrager eigenständig eine entsprechende Information entwickeln kann, nimmt die Wahrscheinlichkeit eines Transfers der nachgefragten Information zu.
Hypothese 3. 2:
Mit zunehmender Wahrscheinlichkeit, daß der Informationsnachfrager eine entsprechende Information durch andere externe Quellen beziehen kann, nimmt die Wahrscheinlichkeit eines Transfers der nachgefragten Information zu.
3. 2. 2. 4 Konkurren:intensität Sowohl bei der Diskussion des Transfers kostenbezogener als auch qualitätsbezogener Informationen hat sich gezeigt, daß das Ausmaß einer potentiellen Gewinnreduktion auf der Seite de~ Informationsanbieters wesentlich davon abhängt, ob die beteiligten Unternehmen miteinander konkurrieren. Dabei wurde als Bedingung für eine Konkurrenzbeziehung die Herstellung ähnlicher Produkte und die Bedienung derselben Marktsegmente angeführt. Bei diesen zwei Merkmalen handelt es sich nicht um dichotom ausgeprägte Variablen. Vielmehr sind 79 Mittag bezeichnet die erste Möglichkeit als "Nachvollziehbarkeit"' der Information. Vgl. Mittag (Technologiemarketing, 1985), S. 35-36.
3.2 Erweiterung: Informationstransfer als komplexes Entscheidungsproblem
47
sowohl die Produktkongruenz als auch die Kongruenz der Marktsegmente kontinuierlich meßbar. Daher empfiehlt es sich, zwei Unternehmen nicht einfach als Konkurrenten bzw. Nicht-Konkurrenten einzustufen, sondern vielmehr die Konkurrenzintensität anzugeben, wobei diese mit zunehmendem Vorhandensein der beiden konkurrenzbestimmenden Merkmale anwächst. Es wurde gezeigt, daß die Konkurrenzintensität sowohl die Höhe der Kreuzpreiselastizität als auch die der Kreuzqualitätselastizität beeinflußt, und daß in beiden Fällen eine höhere Konkurrenzintensität zu dem Betrage nach größeren Elastizitäten führt. Da das Ausmaß, in dem der Informationswert durch einen Transfer reduziert wird, positiv von dem Betrag der Elastizitäten abhängt, ist zu erwarten, daß die Wahrscheinlichkeit eines Transfers mit zunehmender Konkurrenzintensität abnimmt. Dieser Zusammenhang ist in Hypothese 4 noch einmal explizit formuliert.
Hypothese 4 :
Mit zunehmender Konkurrenzintensität nimmt die Wahrscheinlichkeit eines Transfers der nachgefragten Information ab.
3. 2. 3 Zweiter Baustein: lnstrumentalität der Beziehung Ein einzelner Informationstransfer wird als Teil einer Austauschbeziehung gesehen, in der Informationen gegen Informationen getauscht werden. Die Pilotstudie hat zu der Vermutung geführt, daß Leistung und Gegenleistung auf einer langfristigen Basis miteinander verrechnet werden. 80 Der Grad, zu dem ein Austauschpartner meint, langfristig informationeBen Nutzen aus der Beziehung zu ziehen, wird als lnstrumentalität bezeichnet. Die Instrumentalität einer Austauschbeziehung wird danach beurteilt, welche Informationen das transferierende Unternehmen langfristig vom Informationsempfänger zu erhalten erwartet (lnhaltskomponente) und wie bedeutend diese Informationen sein werden (Wer/komponente). Da jedoch das Unternehmen, das die Transferentscheidung zu treffen hat, weder den Informationsbestand des anderen Unternehmens mit Sicherheit kennt, noch mit Bestimmtheit sagen kann, 80 Dieses entspricht der Argumentation von Berg und Clark, die behaupten, daß in Situationen, in denen die Akteure davon ausgehen, langfristig miteinander in Beziehung zu stehen, andere Austauschregeln herrschen als in eher kunfristigen Austauschbeziehungen. Vgl. Berg/ Clark (Differences, 1986), insbesondere S. 104.
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3 Modell zum zwischenbetrieblichen Informationstransfer
ob und welche Informationen davon zur Verfügung gestellt werden, müssen Inhalts- und Wertkomponente noch zusätzlich mit einem Unsicherheitsfaktor (Wahrscheinlichkeitskomponente) versehen werden.R 1 Bei der folgenden Analyse wird davon ausgegangen, daß das transferierende Unternehmen A vermutet, daß das informationserhaltende Unternehmen B seinerseits Informationen besitzt, die für A von Bedeutung sein können. Diese Informationen seien mit IB,i (i= l ... n) bezeichnet. Is,i stellt also die inhaltliche Komponente der i-ten Information von Unternehmen B dar. Bei einer wirtschaftlichen Betrachtung ist jedoch nicht die inhaltliche Komponente der Informationen relevant, sondern deren wirtschaftlicher Wert. Der Wert der Information Is,i wird entsprechend Gleichung 3.7 als Gewinnzuwachs definiert, den A verzeichnen kann, sofern B die Information dem Unternehmen A auch zur Verfügung stellt. W A(ls,i) beschreibt also die Schätzung von A über die Höhe des durch einen Transfer der Information Is,i verursachten Gewinnzuwachses. R2 Damit ist die wertmäßige Komponente der Information erfaßt. Die Wahrscheinlichkeitskomponente gibt die von A geschätzte Wahrscheinlichkeit an, daß B wirklich eine bestimmte Information transferieren wird. P(ls,i) bezeichnet A's subjektive Schätzung der Wahrscheinlichkeit, die Information Is,i zu erhaltenß3 Diese Wahrscheinlichkeit sei auch als erwartete Transferbereitschaft des Nachfragers bezeichnet. Aus den drei beschriebenen Komponenten läßt sich der Erwartungswert, den A möglichen Informationstransfers von B nach A beimißt, errechnen. 84 Dieser Erwartungswert EW(B-7 A) ist ein Maß für den wirtschaftlichen Nutzen, den A aus den Informationen zu ziehen glaubt, die A erwartet von B zu erhalten. In Gleichung 3.13 ist dieser Erwartungswert, der die Instrumentalität der Beziehung aus Sicht des Unternehmens A charakterisiert, formal dargestellt:
(3.13)
EW(B~A)
=
n
I. I P(Is.i) * W A0B.i) I
i=O
81 Im Zusammenhang mit der Ermittlung des Informationswertes nimmt Glaser bei seiner Analyse eine entsprechende konzeptionelle Unterscheidung zwischen Inhalt. Wert und Wahrscheinlichkeit vor. Vgl. Glaser (Informationswert, 1980), Sp. 934. 82 Der Variablenname WA wird verwendet, um auszudrücken. daß es sich um den Wert der Information für Unternehmen A handelt. 83 Hierbei ist es für die folgende Argumentation irrelevant, ob es sich um eine Punktschätzung dieser Wahrscheinlichkeit handelt oder um eine Wahrscheinlichkeitsverteilung. Vgl. zur mathematischen Theorie subjektiver Wahrscheinlichkeilen Raiffa (Decision Analysis, 1968). 84 Vgl. hierzu Anderson (Rules, 1986), S. 86-88.
3.2 Erweiterung: Informationstransfer als komplexes Entscheidungsproblem
49
Die Instrumentalität kann sowohl durch die Entscheidung, Informationen zur Verfügung zu stellen, als auch durch die gegenteilige Entscheidung geändert werden. Die Änderung spiegelt sich in dem Erwartungswert wider, der den potentiellen Informationstransfers von B nach A zugeordnet wird. Sofern die Transferentscheidung es wahrscheinlicher macht, daß A von B in der Zukunft Informationen erhalten wird, erhöht sich der Erwartungswert; verschlechtert sich die Beziehung zwischen den Austauschpartnern, verringert sich der Erwartungswert. Der Erwartungswert hängt aus Sicht des Unternehmens A von drei Faktoren ab: dem Informationsbestand des Unternehmens B, dem Wert, den B's Informationen für Unternehmen A besitzen, und den einzelnen Wahrscheinlichkeiten, daß B die jeweiligen InformationenAzur Verfügung stellt. Es ist anzunehmen, daß eine Transferentscheidung insbesondere diese Wahrscheinlichkeilen beeinflußtß5 Die entsprechenden Änderungen der Wahrscheinlichkeilen sei durch ~P(Is,i) (i= l...n) symbolisiert. Andererseits ist kurzfristig nicht zu erwarten, daß sich aufgrund der Transferentscheidung der für A relevante Informationsbestand von B und die Bewertung dieses Bestandes durch A wesentlich ändert. K6 Auf diesen Überlegungen aufbauend läßt sich die durch eine Transferentscheidung hervorgerufene Änderung der Instrumentalität der betroffenen Austauschbeziehung wie in Gleichung 3.14 dargestellt formalisieren. (3.14)
Mnstrumentalität =
n
I I ~P(Is,i) * W A0B,i) I
i=O
Das Ausmaß, in dem sich die Instrumentalität einer Austauschbeziehung aufgrund einer Transferentscheidung ändert, wird also durch zwei Größen bestimmt: durch die Änderung der Transferbereitschaft des Nachfragers (~P) und durch den ökonomischen Wert (W A), den B's Informationsbestand für A besitzt.
3.2.3.1 Transferbereitschaft des Nachfragers Austauschbeziehungen sind dadurch gekennzeichnet, daß die Akteure eigene Leistungen und erhaltene Gegenleistungen miteinander verrechnen. 85 Vgl. z.B. die Ausführungen in der empirischen Untersuchung von Clark/Mills (Attraction. 1979). S. 12-24. über Charakteristika von Austauschbeziehungen. 86 Es kann allerdings argumentiert werden, daß ein Informationstransfer den Empfanger in die Lage versetzen mag, eigenständig weitere Informationen zu entwickeln. Diese Möglichkeit wird hier formal vernachlässigt. sie hätte auch kaum einen Einfluß auf die Struktur der vo ..1 Modell abgeleiteten Aussagen.
50
3 Modell zum zwischenbetrieblichen Informationstransfer "In exchange relationships, each person is concemed with how much he or she receives in exchange for benefitting the other and how much is owed the other in retum for the benefits received ...g7
Dieses gilt sowohl in bezug auf wirtschaftliche Beziehungen, als auch, wie empirisch gezeigt,RR bei vielen anderen sozialen Beziehungen, die auf dem Prinzip des Austausches beruhenß9 In einer Austauschbeziehung werden Leistungen mit der Erwartung erbracht, daß der Leistungsempfänger sich wiederum zu einer Gegenleistung verpflichtet fühlt, selbst, wenn dieses nicht explizit zwischen den Parteien vereinbart wurde.90 Dafür gibt es zwei Erklärungsansätze: Der ökonomisch orientierte Ansatz geht davon aus, daß ein Leistungsempfänger durch die Nichterbringung einer Gegenleistung die Austauschbeziehung aufkündigt und sich damit langfristig schadet.9 1 Der auf der Equity Theorien aufbauende Ansatz vermutet, daß nicht individueller Egoismus sondern soziale Regulative für ein ausgewogenes Verhältnis von Leistung und Gegenleistung verantwortlich sind.93 Unabhängig davon, welcher Erklärungsansatz unterstellt wird, kann aus der Literatur geschlossen werden: ein Transfer erhöht die Wahrscheinlichkeit, daß der Empfänger selbst in der Zukunft Informationen zur Verfügung stellen wird. Das Ausmaß der Änderung der Wahrscheinlichkeit hängt von dem Wert der transferierten Information für den Empfänger ab:94 Je bedeutender die Information für den Empfänger ist, desto stärker wird dieser zu einer Gegenleistung verpflichtet. Hypothese 5. I:
Je bedeutender eine transferierte Information für den Informationsempfänger ist. umso stärker erhöht sich aufgrund des Transfers dessen Bereitschaft. seinerseits Informationen zur Verfügung zu stellen.
R7 Mills/Clark (Exchange. 1982). S. 125.
RR Vgl. Berg/Clark (Differences. 1986). S. 101-128. 89 Siehe zum Beispiel Hatfield et al. (Equity. 1985). S. 91-117. die die Beziehungen zwischen Ehepannem untersuchen. 90 Levine/White (Exchange. 1968). S. 600. betonen. daß Austauschbeziehungen auch durch implizite Kontrakte geregelt werden können. Dieses gilt. wie Macaulay (Non-Contractual Relations, 1963). S. 55-69, zeigt. für die unterschiedlichsten Bereiche des Wirtschaftslebens. Vgl. auch Küting (Entscheidungsrahmen. 1983). S. 2 und 16. der die Möglichkeit der Kooperation durch konkludentes Handeln hervorhebt. 91 Vgl. von Hippe! (Cooperation. 1986). S. 11-13. 92 Vgl. insbesondere Adams (lnequity. 1965). S.267-299. Siehe auch von Rosenstiel (Grundlagen des Verhaltens, 1975). S. 165-171. 93 Vgl. Perlman/Fehr (Theories, 1986), S. 14-15. 94 Vgl. die Untersuchung von Mills/Clark (Exchange. 1982). insbesondere S. 122-123. Clark (lmplications, 1985) und die Übersicht empirischer Untersuchungen in Bierhoff (Sozialpsychologie, 1984), S. 68-69.
3.2 Erweiterung: Informationstransfer als komplexes Entscheidungsproblem
51
Demnach erhöht ein Transfer die erwartete Instrumentalität einer Austauschbeziehung dann in besonderem Maße, wenn die Information von zentraler Bedeutung für den Informationsempfänger ist. Da ein Informationstransfer ceteris paribus umso wahrscheinlicher ist, je stärker der Transfer einen positiven Einfluß auf die Instrumentalität der Beziehung ausübt, kann gefolgert werden: Die Wahrscheinlichkeit eines Transfers steigt an mit zunehmender Bedeutung der Information für den Informationsnaclifrager. Hypothese 5 . 2:
Mit zunehmender Bedeutung der Information für den Informationsnachfrager steigt die Wahrscheinlichkeit, daß die nachgefragte Information transferiert wird.
Diese Hypothese ist auf den ersten Blick verwunderlich, da für den Empfänger bedeutende Informationen oft auch aus Sicht des Informationsbesitzers besonders wertvoll sind. Es ist jedoch falsch, aus Hypothese 5.2 zu folgern, daß für den Besitzer wertvolle Informationen eher ausgetauscht würden, als Informationen ohne Bedeutung für den Besitzer. Vielmehr muß beachtet werden, daß die Hypothese implizit die Konstanz aller anderen Einflußfaktoren, insbesondere die Konstanz des Informationswertes für den Besitzer, unterstellt. Empirische Forschung hat gezeigt, daß sich Austauschbeziehungen im Zeitablauf ändem.95 In langfristigen, bewährten Beziehungen reduziert sich die Unsicherheit über das zu erwartende Verhalten des Austauschpartners, über seine "Kreditwürdigkeit" und über die impliziten Bedingungen, unter denen ein Leistungstransfer stattfindet.96 Es herrscht ein größeres Maß an Vertrauen; eine Leistung muß nicht unmittelbar durch eine Gegenleistung beantwortet werden.97 Der Einfluß einer einzelnen Transaktion auf Charakteristika der Austauschbeziehung reduziert sich folglich mit zunehmender Dauer der Beziehung. Die Beziehung stabilisiert sich im Zeitablauf. Beidseitig anerkannte Verhaltensregeln bilden sich heraus.98 Also ist zu erwarten, daß bei älteren Beziehungen ein Transfer die Transferbereitschaft des Nachfragers in einem geringeren Umfang ändert als bei jüngeren Beziehungen. Hypothese 6. 1:
Je älter die Austauschbeziehung, desto kleiner ist das Ausmaß der durch einen Transfer nachgefragter Informationen bewirk-
95 Vgl. die ausführliche Übersicht in Walster/Walster/Berscheid (Equity, 1978). 96 Diese Aspekte werden insbesondere in der empirischen Untersuchung von Leblebici/
Salancik (Stability, 1982), S. 227-242, behandelt. 97 Vgl. Mills/Clark (Exchange, 1982), S. 127. 98 Vgl. die ausführliche Abhandlung in Ullmann-Margalit (Emergence, 1977) über die Entwicklung von Verhaltensnormen.
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3 Modell zum zwischenbetrieblichen Informationstransfer
ten Erhöhung der Transferbereitschaft des lnformationsempfängers. Daraus kann allerdings nicht gefolgert werden, daß bei älteren Beziehungen ein Informationstransfer unwahrscheinlicher sei, da dieser nur in geringerem Maße die Instrumentalität der Beziehung ändere. Zwar wird erwartet, daß in solchen Beziehungen ein Transfer die Instrumentalität in der Regel nicht oder nur in unbedeutendem Maße erhöht. Andererseits ist aber zu vermuten, daß ein NichtTransfer nachgefragter Information bei langfristig bestehenden Beziehungen die Instrumentalität stärker reduziert, als dieses bei kurzfristig bestehenden, in denen sich noch keine festen Verhaltensmuster ausgebildet haben, der Fall wäre. In einer langfristig bestehenden Beziehung stellt eine Ablehnung des Informationswunsches für den Nachfrager eine besondere Enttäuschung seiner Erwartungen dar.
Hypothese 6. 2:
Je älter die Austauschbeziehung, desto größer ist das Ausmaß der durch einen Nicht-Transfer nachgefragter Informationen bewirkten Verminderung der Transferbereitschaft des Informationsnachfragers.
3. 2. 3. 2 Informationsbestand des Nachfragers Die Instrumentalität einer Austauschbeziehung hängt den Gleichungen 3.13 und 3.14 folgend nicht nur von der Transferbereitschaft des Austauschpartners, sondern auch von der Bewertung seines Informationsbestandes ab. Selbst wenn ein Informationstransfer die Transferbereitschaft des Empfängers wesentlich erhöht, ist dieses ohne Bedeutung, sofern er keine wesentlichen Informationen besitzt. Die Bedeutung der Informationen des Nachfragers B für das Unternehmen A, aus dessen Sicht die Transferentscheidung analysiert wird, wird in den Gleichungen 3.13 und 3.14 durch den Ausdruck WA(Io,i) erfaßt. Die Informationen des Unternehmens B besitzen dann Relevanz für das Unternehmen A, wenn sie in der Lage sind, einen Informationsbedarf beziehungsweise ein Informationsbedürfnis von A zu befriedigen.99 Notwendige Voraus99 Der Informationsbedarf beinhaltet die objektiv zur Aufgabenerfüllung notwendigen Informationen, wohingegen das Informationsbedürfnis dem subjektiv wahrgenommenen Bedarf entspricht. Vgl. Szyperski (lnformationsbedarf, 1980), Sp. 905. Brockhoff (Informationsverarbeitung, 1983), S. 53-54, definiert Informationsbedarf als die Vereinigungsmenge subjektiv
3.2 Erweiterung: Informationstransfer als komple'les Entscheidungsproblem
53
setzung dafür ist, daß die Informationen von B den gleichen oder zumindest einen weitgehend entsprechenden Objektbezug besitzen wie der Informationsbedarf von A. 100 Diese Bedingung ist innerhalb eines Industriezweiges leicht gegeben. Der Wert der Informationen des Nachfragers B hängt jedoch nicht nur vom Objektbezug der Informationen ab. Weiterhin ist notwendig, daß die Informationen für Unternehmen A bei der Aufgabenerfüllung hilfreich und ansonsten nicht leicht zugänglich sind. Es ist zu vermuten, daß ein Unternehmen mit einer ausgeprägten Forschungsund Entwicklungsorientierung einen umfangreicheren Bestand an zielgerichtetem Spezialwissen besitzt als ein Unternehmen, das in geringem Umfang Forschung und Entwicklung betreibt. Damit besitzen Austauschbeziehungen mit F&Eorientierten Unternehmen potentiell eine höhere Instrumentalität als Austauschbeziehungen mit solchen Unternehmen, die nicht F&E-orientiert sind - vorausgesetzt, die Transferbereitschaft ist bei beiden Unternehmenstypen gleich ausgeprägt.lOl Aus diesem Grund ist es (ceteris paribus) mehr im Interesse des Informationsbesitzers mit einem F&E-orientierten Unternehmen eine kooperative Austauschbeziehung aufzubauen, als mit einem nicht F&E-orientierten Unternehmen. Hypothese 7 faßt diese Überlegungen zusammen und postuliert einen Zusammenhang zwischen dem Informationspool des Informationsnachfragers und der Transferbereitschaft des um Informationen gebetenen Unternehmens. H}pothese 7:
Je größer der relevante und nicht allgemein zugängliche Informationspool des Informationsnachfragers, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit eines Transfers der nachgefragten Information.
vorhandener lnformationsbedürfnisse. "Es ist die intersubjektiv bestimmte, hinreichende und notwendige Menge an Informationen zur Aufgabenlösung." Brackhoff (lnformationsverarbeitung. 1983), S. 54. 100 Vgl. Szyperski (lnformationsbedarf, 1980), Sp. 904. 10 1 Ein entsprechendes Argument findet sich in von Hippel (Cooperation, 1986), S. 20-22.
54
3 Modell zum zwischenbetrieblichen Informationstransfer
3.2.4 Dritter Baustein: Unsicherheit Die verwendeten Modellvariablen sind dadurch gekennzeichnet, daß sie für den Entscheidungsträger unsichere Größen darstellen.I02 Es besteht Unsicherheit bezüglich der durch einen Informationstransfer hervorgerufenen Wertänderung der Informationen, da unter anderem ungewiß ist, in welcher Weise der Informationsnachfrager die Informationen verwenden wird. Der Informationsbestand des Nachfragers stellt eine weitere unsichere Größe dar, genauso wie der Wert, den dieser Informationsbestand potentiell für das Unternehmen des Entscheidungsträgers besitzt. Und schließlich ist auch die Transferbereitschaft des Nachfragers eine mit Unsicherheit beladene Variable. In der bisherigen Darstellung wurde mit Erwartungswerten argumentiert.I03 Das heißt, es wurde implizit unterstellt. daß die Entscheidungsträger risikoneutral agieren.to4 Empirische Untersuchungen haben jedoch gezeigt, daß diese Annahme in der Regel nicht angebracht ist.I05 Sie soll im folgenden durch die realistischere Annahme risikoscheuen Verhaltens ersetzt werden. Ein risikoneutraler Entscheider ist indifferent zwischen Alternativen mit gleichem Erwartungswert aber unterschiedlicher Risikostruktur. Anders sieht es aus bei einem risikoscheuen Entscheider.I06 Sofern die Alternativen den gleichen Erwartungswert besitzen, wird er diejenige aussuchen, die das kleinere Risiko beinhaltet.I07 Unter Umständen zieht er sogar eine Alternative mit niedrigerem 102 Der Begriff "Unsicherheit"" wird hier nicht entsprechend dem Verständnis in der Entscheidungstheorie verwendet. wo Unsicherheit definiert wird als Kenntnis möglicher Umweltzustände, ohne angeben zu können. mit welcher Wahrscheinlichkeit diese Umweltzustände auftreten. Vgl. z.B. Schildbach (Entscheidung. 1984). S. 78-79. Vielmehr wird hier Unsicherheit in seinem alltagssprachlichen Verständnis als "Nicht-Sicherheit" verstanden. 103 Damit handelt es sich entscheidungstheoretisch um eine Analyse von Entscheidungen bei Risiko. Es wird angenommen. daß mögliche Umweltkonstellationen bekannt sind. und daß die Entscheidungsträger subjektive Wahrscheinlichkeilen bzw. Wahrscheinlichkeitsverteilungen über das Eintreten dieser Umweltzustände besitzen. Siehe Schildbach (Entscheidung. 1984). S. 78 und S. 82-88. 104 Die mathematischen Erwartungswerte sind nur dann für die Entscheidung relevant. wenn der Entscheidungsträger risikoneutral agiert. Vgl. hierzu v.Winterfeldt/Edwards (Decision Analysis, 1986), S. 255-256. 105 Vgl. die Übersicht über empirische Arbeiten in Machina (Theory. 1983). S. 52-89. 106 Vgl. hierzu und zum folgenden zum Beispiel Bamberg/Coenenberg (Entscheidungsslehre, 1985), S. 73-78, und Saliger (Entscheidungstheorie. 1981 ). S. 52-57. 107 Risiko kann interpretiert werden als Varianz möglicher Ergebnisse. Vgl. zum Beispiel Raiffa (Decision Analysis, 1968), insbesondere Kapitel 4 . wo Risiko anhand von Lotterien erläutert wird.
3.2 Erweiterung: Infonnationstransfer als komplexes Entscheidungsproblem
55
Erwartungswert einer mit höherem Erwartungswert aber auch höherem Risiko vor. Zwischen Austauschpartnern, die sich nur kurzfristig kennen, besteht Unkenntnis bezüglich des zu erwartenden Verhaltens des Partners und bezüglich der ihm zur Verfügung stehenden Informationen. Durch häufige Interaktion wird diese Unkenntnis reduziert: lOS Die Partner bilden auf Erfahrungen aufbauend Erwartungen über das gegenseitige Verhalten und über die Informationen, die der andere besitzt. I09 Diese Erwartungen werden im Zeitablauf immer präziser. Junge Austauschbeziehungen sind also in der Regel durch hohes subjektives Risiko gekennzeichnet, welches sich jedoch mit der Dauer der Beziehung reduziert. Daraus folgt, daß bei gleichem objektivem Erwartungswert es bei "älteren" Beziehungen wahrscheinlicher ist, daß ein Informationstransfer stattfindet, als bei jüngeren Beziehungen. In diesem Zusammenhang sollte die Eigenschaft "Alter" jedoch nicht nur zeitlich verstanden werden. Vielmehr beinhaltet sie eine Kombination aus Dauer der Beziehung, Anzahl der Kontakte und Intensität der Kontakte. Hypothese 8:
Je älter die Austauschbeziehung, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit eines Transfers der nachgefragten Information.
In der Literatur findet sich umfangreiche empirische Evidenz dafür, daß die Bereitschaft zum Informationstransfer von Charakteristika der persönlichen Beziehung zwischen den beteiligten Personen beeinflußt wird.IIO Diese Befunde lassen sich durch die soeben formulierte Hypothese in das Modell des kooperativen zwischenbetrieblichen Informationstransfers integrieren. Eine intensive persönliche Beziehung erhöht die Wahrscheinlichkeit eines Informationstransfers, da in einer solchen eine wesentlich geringere subjektive Unsicherheit bezüglich des Austauschpartners besteht, als in einer jungen, noch nicht entwickelten Beziehung.
108 Entscheidungstheoretisch betrachtet erfolgt eine Angleichung der subjektiven an die objektiven Wahrscheinlichkeiten. Vgl. Raiffa (Decision Analysis, 1968), S. 30-33 und 174. 109 Vgl. Mills/Clark (Exchange, 1982), S. 127, und Miell/Duck (Strategies, 1986), die allerdings primär die Entwicklung privater Freundschaften untersuchen. 110 Siehe zum Beispiel die Übersichten in Miell/Duck (Strategies, 1986), S. 129-143, und die empirische Untersuchung von Sitkin (Exposure, 1986), in der u.a. die Bedeutung gegenseitigen Vertrauens für den Transfer von Infonnationen nachgewiesen wird.
56
3 Modell zum zwischenbetrieblichen Informationstransfer
3.3 Zusammenfassung Am Anfang dieses Kapitels stand die Frage, ob ein zwischenbetrieblicher Informationsaustausch überhaupt im wirtschaftlichen Interesse der beteiligten Unternehmen sein kann. Anhand eines einfachen Prisoner's Dilemma Ansatzes wurde gezeigt, daß es grundsätzlich Situationen gibt, in denen ein wechselseitiger Informationsaustausch allen beteiligten Unternehmen wirtschaftliche Vorteile erbringt, selbst, wenn diese miteinander im Wettbewerb stehen. Darauf aufbauend wurden in einem mikroökonomisch orientierten Modell, das durch Erkenntnisse der empirischen sozialwissenschaftliehen Forschung ergänzt wurde, spezielle Bedingungen abgeleitet, unter denen aus der Sicht eines einzelnen Unternehmens ein Informationstransfer wirtschaftlich angebracht ist. In diesem Modell wurde berücksichtigt, daß es sich bei der Transferentscheidung um ein Entscheidungsproblem unter Unsicherheit handelt. Außerdem konnte gezeigt werden, daß das dargestellte Modell mit Forschungsergebnissen vereinbar ist, die einen Zusammenhang zwischen der Intensität der persönlichen Beziehung der Austauschpartner und der Wahrscheinlichkeit, daß Informationen ausgetauscht werden, nachgewiesen haben. Aus dem entwickelten Modell wurden empirisch zu überprüfende Hypothesen abgeleitet. Diese Hypothesen beschreiben Tendenzen des Informationstransferverhaltens, die zu beobachten wären, sofern das Modell die Transferentscheidung in einer sinnvollen Weise abbildet. In Abbildung 7 sind die Hypothesen und die wesentlichen Bausteine des Modells des kooperativen zwischenbetrieblichen Informationstransfers zusammenfassend dargestellt.
l J
l I
Informationspool des Nachfr.tgers
r
Legende:
Alterder Austauschbeziehung
fürden Nachfrager
I- I H.
r
1
J
+
.
I· I
(H. 2)
1• 1
i -I
~
(H. 8)
-
I--+
~
Änderung der Tr.111sferbereitschati des Nachfr.tgers
Potentielle lnstrurnentalität der Austauschbeziehung
...
Unsicherheit der Erwartungen
Änderung der lnstrumentalität der Austauschbeziehung aufgrund eines Transfers
~
Wahrscheinlichkeit. daß nachgefragte Information transferiert wird
Ahhildung 7:
Hypothesensystem
negativer Einfluß der unabhängigen Variablen auf das Ausmaß der Änderung der abhängigen Variablen = Hypothese
=
= negativer Einfluß der unabhängigen auf die abhängige Variable
.
1---
+
Änderung des lnformationswenes auf- t - - grund eines Transfers
= positiver Einfluß der unabhängigen auf die abhängige Variable
+ _.... (H. 5. 1/5.2)
(H . 7)
+
I· I
(H. 3)
J (H . I)
l
j
l
f (H. 4)
Verfügbarkeil von Informationsalternativen
Kostenbezug der Information
Qualitätsbezug der Information
l
f Bedeutung der Information l
r
r
~
r
Konkurrenz zwischen den beteiligten Unternehmen
I
w
V. -.J
(JC
"'"'c :::>
öl'
:::>
~
~
~
;..>
4 Fragebogenerhebung zum zwischenbetrieblichen Informationstransfer
Zwei aufeinander aufbauende empirische Untersuchungen sollen die im vorangegangenen Abschnitt formulierten Hypothesen überprüfen: Eine großzahlige Fragebogenerhebung, die mit dem Ziel durchgeführt wurde, das in der amerikanischen Minimill- und Edelstahlindustrie vorherrschende Transferverhalten systematisch zu erfassen, und das im Abschnitt 5 dieser Arbeit zu beschreibende Experiment, das auf den Erkenntnissen der Fragebogenerhebung aufbaut und Fragestellungen untersucht, die von dieser nicht beantwortet werden können. Für die großzahlige Erhebung wurde die Fragebogenerhebung zur Datengewinnung ausgewählt. Diese Erhebungsmethode erlaubt es, systematisch und großzahlig Daten über das in der Regel nicht schriftlich dokumentierte Transferverhalten zu gewinnen.
4.1 Stichprobe Die Fragebogenerhebung untersucht, unter welchen Bedingungen Führungskräfte im Rahmen des zwischenbetrieblichen Informationstransfers Informationen zur Verfügung stellen. Objekt der Untersuchung sind also Transferentscheidungen von Führungskräften und die diese beeinflussenden Faktoren. Eine Befragung über in der Vergangenheit stattgefundene Ereignisse steht immer vor dem Problem, daß der Mensch kein zuverlässiger Informationsspeicher ist. Vielmehr gehen Informationen im Zeitablauf verloren oder ändern sich in der Wahrnehmung des einzelnen.• Um die dadurch auftretenden Probleme zu reduzieren, bezieht sich die Befragung nur auf Transferentscheidungen, die innerhalb eines Zeitraumes von einem Jahr vor der Fragebogenerhebung getroffen wurden. Die Befragung erfolgte Anfang August 1987. Der Zeitraum, auf den sich die Befragung bezieht, reicht also von August 1986 bis Juli 1987. I Vgl. Scheuch (Interview, 1962). S. 175.
4.1 Stichprobe
59
Die Fragebogenerhebung untersucht das Transferverhalten von Führungskräften der mittleren Führungsebene. Die Pilotstudie hatte ergeben, daß ein informaler Transfer technischer Informationen hauptsächlich durch Mitarbeiter erfolgt, die für technische Aspekte verantwortlich und dem mittleren Management zuzurechnen sind. Mitglieder des Topmanagements besitzen häufig nicht mehr das für einen Transfer technischer Informationen notwendige Detail wissen, und Mitarbeiter, die noch nicht zum mittleren Management gehören, verfügen in der Regel nicht über die für einen zwischenbetrieblichen Informationstransfer relevanten Außenkontakte. Ein weiteres Ergebnis der Pilotstudie war die Beobachtung, daß eine Transferentscheidung in der Regel durch eine artikulierte Informationsnachfrage ausgelöst wird. Deshalb konzentriert sich diese Untersuchung auf solche Fälle, bei denen eine Nachfrage am Anfang des Entscheidungsprozesses stand. Dementsprechend besteht die Grundgesamtheit aus allen Transferentscheidungen, die von Führungskräften der mittleren Führungsebene mit direkter Verantwortung für technische Aspekte in der U.S.-amerikanischen Minimill- und Spezialstahlindustrie aufgrund einer Informationsnachfrage eines Mitarbeiters einer anderen Stahlfirma im Zeitraum August 1986 bis Juli 1987 getroffen wurden. Aus dieser Grundgesamtheit galt es, eine Stichprobe auszuwählen. Die Führungskräfte der mittleren Führungsebene wurden anhand des "Directory of Iron and Steel Plants, 1986", der von der Association of Iron and Steel Engineers herausgegeben wird, bestimmt. Dieses Verzeichnis enthält unter anderem die Namen und Positionsbezeichnungen der Führungskräfte der einzelnen Stahluntemehmen. Nach Angaben der Herausgeber des Verzeichnisses ist dieses eine weitgehend vollständige Auflistung der in der amerikanischen Stahlindustrie beschäftigten Führungskräfte des Top- und Mittelmanagements. Für diese Untersuchung wurden alle im Directory aufgelisteten Führungskräfte der Minimills und Edelstahlhersteller ausgewählt, die nicht dem Top-Management zuzurechnen und direkt für technische Aspekte verantwortlich sind. 2
2 Zur Abgrenzung der Managementebenen vergleiche Abschnitt 2.2.
60
4 Fragebogenerhebung zum zwischenbetrieblichen Informationstransfer
Insgesamt erfüllten 477 Führungskräfte die oben aufgeführten Bedingungen. Alle 477 Führungskräfte wurden in die Untersuchung einbezogen. Nicht die Führungskräfte stellen das Objekt der Untersuchung dar, sondern deren Transferentscheidungen. Aus der Menge der durch die Führungskräfte getroffenen Transferentscheidungen, die die genannten Kriterien erfüllen, mußte eine Teilmenge ausgewählt werden. Für die Auswahl wurde ein Verfahren verwendet, daß als "last incident method" bezeichnet werden kann.3 Die Befragten wurden aufgefordert, an den letzten Fall zurückzudenken, in dem sie von einem Mitarbeiter einer anderen Stahlfirma um technische Informationen gebeten wurden. Dieser Fall wurde durch den Fragebogen erhoben. Also nicht eine typische oder besonders bemerkenswerte Transferentscheidung sollte ausgewählt werden, sondern die letzte Entscheidung. Dieses hat mehrere Vorteile: Zum einen wird die Transferentscheidung erfaßt, die zeitlich am wenigsten zurückliegt. So ist anzunehmen, daß die durch den Zeitablauf bedingten Erinnerungs- und Wahrnehmungsverzerrungen bei diesem Fall mit am unbedeutensten sind. Zum anderen stellt die Menge der letzten Entscheidungen eine repräsentative Teilmenge aller Entscheidungen dar, sofern das Entscheidungsverhalten in der Stahlindustrie nicht systematisch im Zeitablauf variiert. Es ist jedoch kein Grund zu sehen, warum sich das durchschnittliche Entscheidungsverhalten im Sommer 1986 von dem im Sommer 1987 unterscheiden sollte. Unter dieser Prämisse handelt es sich bei dem gewählten Verfahren also um eine Zufallsauswahl, und es kann davon ausgegangen werden, daß die Stichprobe repräsentativ für die Grundgesamtheit ist.
3 Diese Bezeichnung stellt eine Anlehnung an den von Flanagan geprägten Ausdruck "critical incident method" dar. Vgl. Flanagan (Criticallncident Technique, 1954).
4.2 Design und Durchführung
61
4. 2 Design und Durchführung 4.2.1 FraKehoKenkonstruktion
Der Fragebogen wurde so konstruiert, daß er zwei Aufgaben erfüllen kann. Zum einen dient er der Erhebung von Daten für den empirischen Test der formulierten Hypothesen. Zum anderen besitzt er aber auch explorativen Charakter: Zusätzlich zu den die Hypothesen betreffenden Variablen wurden solche aufgenommen, die in der Pilotstudie von mindestens einem Befragten als für die Transferentscheidung relevant hervorgehoben wurden. Damit sollte sichergestellt werden, daß empirisch bedeutende Variablen nicht aufgrund einer voreingenommenen Sichtweise des Forschers von der Erhebung ausgeschlossen würden. Der Fragebogen besteht aus vier Teilen. 4 Der erste Teil besitzt einleitenden Charakter und ist für die Hypothesenprüfung von untergeordneter Bedeutung. Die Fragen zielen auf das allgemeine Transferverhalten des Befragten, auf die Bedeutung unterschiedlicher Informationsquellen für ihn und auf die im Unternehmen vorherrschende Einstellung gegenüber dem zwischenbetrieblichen Informationstransfer. Der eigentliche Kern des FraKehogens befindet sich im zweiten Teil, von dem zwei unterschiedliche Versionen verwendet wurden: Version 1:
Der Befragte wird gebeten, an den letzten Fall zurückzudenken, in dem er von einem Mitarbeiter einer anderen Stahlfirma um technische Informationen gebeten wurde, und er die gewünschte Information zur Verfügung gestellt hat. Version 2:
Der Befragte wird gebeten, an den letzten Fall zurückzudenken, in dem er von einem Mitarbeiter einer anderen Stahlfirma um technische Informationen gebeten wurde, und er die gewünschte Information nicht zur Ve~fügung gestellt hat. Die entsprechenden Situationen sind anband der theoretisch und empirisch abgeleiteten Variablen zu charakterisieren. Dabei werden hauptsächlich sieben-
4
Der Fragebogen ist in Anhang I wiedergegeben.
62
4 Fragebogenerhebung zum zwischenbetrieblichen Informationstransfer
stufige Ratingskalen verwendet. Diese sind in der Regel um eine weitere Spalte ergänzt, die der Befragte bei Unkenntnis der Antwort ankreuzen kann.s Jeder Fragebogen enthält nur eine Version: Entweder soll der Befragte anhand der Skalen einen Fall beurteilen, in dem er Informationen zur Verfügung gestellt hat, oder er soll einen Fall beschreiben, in dem er dieses nicht getan hat. Ein Fragebogen, der beide Versionen enthält, wurde im Pre-Test als zu lang empfunden. Insofern mußte auf diese an sich wünschenswerte Kombination verzichtet werden. In dem sehr kurzen dritten Teil werden explorative Fragen gestellt, die im Rahmen der vorliegenden Untersuchung nicht ausgewertet werden, aber eventuell Anstöße für zukünftige Forschung geben können. Der abschließende vierte Teil des Fragebogens erhebt allgemeine Daten über die Person des Befragten und über das Unternehmen, bei dem er beschäftigt ist. Auch diese Fragen sind weitgehend explorativer Natur. Es soll untersucht werden, ob das Transferverhalten wesentlich von allgemeinen, personen- oder unternehmensbezogenen Faktoren geprägt wird.
4. 2.2 Pre-Test Dem Pre-Test kam im Rahmen dieser Fragebogenerhebung eine besondere Bedeutung zu.6 Da Frager und Befragte unterschiedlichen kulturellen Kontexten angehören, wurde im Pre-Test besonderer Wert darauf gelegt, Formulierungen auf semantische und pragmatische Eindeutigkeit zu überprüfen und festzustellen, ob die Fragen so wahrgenommen werden, wie es beabsichtigt war. Daneben diente der Pre-Test der Gewinnung von Erkenntnissen über die Akzeptanz und Durchführbarkeit der Untersuchung, über mögliche Validitäts- und Reliabilitätsprobleme und über die zu erwartende Rücklaufquote. Im Rahmen des Pre-Tests wurden vier Unternehmen, zwei Edelstahlerzeuger und zwei Minimills, persönlich besucht. Das kleinste Unternehmen beschäftigte siebzig Mitarbeiter, das größte ungefähr 2.000. Die Firmen wurden bewußt aus5 Im Pre-Test hat sich gezeigt, daß so die Validität der Antworten wesentlich erhöht werden kann. 6 Zur Aufgabe des Pre-Tests im Rahmen empirischer Sozialforschung vgl. z.B. Friedrichs (Methoden, 1985), S. 153-154.
4.2 Design und Durchführung
63
gewählt, um eine möglichst große Vielfalt zu gewährleisten. In jedem Unternehmen wurden zwei Mitarbeiter, die die im Abschnitt 4.1 genannten Bedingungen erfüllen, zum Pre-Test herangezogen. Dementsprechend nahmen insgesamt acht Führungskräfte am Pre-Test teil. Die Führungskräfte wurden zunächst gebeten, den Fragebogen so zu beantworten, als ob er ihnen postalisch zugestellt worden wäre. Anschließend erläuterte jeder Mitarbeiter sein Verständnis der einzelnen Fragen. Zusätzlich wurden die Befragten gebeten, den Fragebogen als Ganzes (Aufbau, Länge, Art und Inhalt der Fragen) zu kritisieren. Dieser Analyseprozeß dauerte pro Mitarbeiter zwischen eineinhalb und vier Stunden. Der Vorteil dieses pro Befragten sehr aufwendigen Pre-Tests besteht im Detaillierungsgrad der Kritik und der Verbesserungsvorschläge, die auf diese Weise gewonnen werden konnten. Als Nachteil ist zu vermerken, daß nur knapp zwei Prozent der in der Haupterhebung zu befragenden Mitarbeiter in den Pre-Test einbezogen wurden. Da die Stahlfirmen aber räumlich über die gesamten Vereinigten Staaten verteilt liegen, wäre diese Form des Pre-Tests mit einer größeren Anzahl der Befragten zu kostspielig gewesen. Neben umfangreichen sprachlichen Korrekturen hat der Pre-Test insbesondere ergeben, daß es ungünstig ist, jeden Befragten sowohl über einen erfolgten Informationstransfer als auch über eine Verweigerung eines solchen Transfers zu befragen. Erstens hätte die dadurch bedingte Länge des Fragebogens von neun Seiten zu einer niedrigen Rücklaufquote geführt, und zweitens reduzierte sich das Interesse der Befragten und damit die Zuverlässigkeit und Gültigkeit der Antworten mit zunehmender Länge des Fragebogens dramatisch. Es wurde deshalb beschlossen, die Stichprobe zu zweiteilen. Die eine Hälfte der Befragten erhielt einen Fragebogen mit der ersten Version von Teil 2 (lnformationstransfer fand statt), die andere Hälfte einen Fragebogen mit der zweiten Version (Informationstransfer fand nicht statt). Beide Versionen enthalten die gleichen Fragen.
4. 2.3 Haupterhebung Die Fragebogen wurden im August 1987 an die ausgewählten 477 Führungskräfte postalisch versendet. 239 erhielten einen Fragebogen der ersten Version (=Transfer), 238 einen der zweiten Version (=kein Transfer). Den Fragebogen wurden jeweils ein persönliches Anschreiben und ein frankierter Rückumschlag beigefügt.
64
4 Fragebogenerhebung zum zwischenbetrieblichen Informationstransfer
Eine Woche nach Fragebogenversand wurde den Befragten eine Postkarte zur Erinnerung an die Untersuchung zugesandt. Weitere drei Wochen später erhielten die Befragten, die bis zu diesem Zeitpunkt nicht geantwortet hatten, ein erneutes persönliches Anschreiben, in dem die Bedeutung ihrer Antwort hervorgehoben wurde, und einen weiteren gleichen Fragebogen. In 29 Fällen konnte der Befragte nicht erreicht werden (Ausscheiden des Mitarbeiters aus dem Unternehmen, Geschäftsaufgabe des Unternehmens). Von den 448 erreichbaren Führungskräften haben 297 den Fragebogen beantwortet. Damit beträgt die Rücklaufquote 66,3 Prozent. Drei Fragebögen konnten im Rahmen der Untersuchung nicht ausgewertet werden, da sie offensichtliche Inkonsistenzen enthielten bzw. nicht vollständig genug beantwortet waren. Eine Rücklaufquote von 66,3 Prozent ist auch für amerikanische Verhältnisse als ausgesprochen gut zu beurteilen. 7 Diese hohe Antwortrate mag ein Indikator für die Bedeutung sein, die die Befragten dem Thema der Untersuchung zuweisen.
Tabe/le4: Rücklauf der Fragebogenerhebung Für Untersuchung ausgewählte Führungskräfte - davon nicht erreichbar
477 29
Postalisch erreichte Führungskräfte
448
( 100%)
Erhaltene Antworten
297
(66,3%)
Brauchbare Antworten
294
(65,6%)
Es stellt sich die Frage, ob die beiden Versionen des Fragebogens unterschiedlich hohe Rücklaufquoten aufweisen. Das heißt, es gilt zu prüfen, ob durch die Verwendung unterschiedlicher Fragebogenversionen Verzerrungen hervorgerufen wurden sind. Die Rücklaufquoten der beiden Fragebogenversionen weisen keinen signifikanten Unterschied auf. Insgesamt wurden 145 brauchbare Fragebogen der ersten Version und 149 Fragebogen der zweiten Version zurückgesandt.
7 Siehe zum Beispiel die Übersichten in Miller (Handbook, 1983), S. 103-106.
4.2 Design und Durchführung
65
Zusätzlich wird geprüft. ob sich diejenigen Befragten, die Version I beantworteten. von denjenigen. die Version 2 bearbeiteten. systematisch unterscheiden. Bei allen Merkmalen. die das allgemeine Transferverhalten des Befragten beschreiben (Teil I des Fragebogens). und bei allen intervall-skalierten personenund unternehmensbezogenen Merkmalen (Teil 4 des Fragebogens) kann kein signifikanter Unterschied festgestellt werdenß Durch Verwendungzweier unterschiedlicher Versionen des Fragebogens sind offensichtlich keine Verzerrungen im Antwortverhalten hervorgerufen worden. Der zweite Teil des Fragebogens stellt den Kern der Untersuchung dar. Aus der Konstruktion des Fragebogens ergibt sich jedoch. daß nicht alle Befragten diesen auch wirklich zu bearbeiten hatten. Unter drei Bedingungen erübrigte sich eine Beantwortung von Teil 2: I . Der Befragte wurde im Untersuchungsjahr von keinem Kollegen aus einem anderen Unternehmen um Informationen gebeten (44 Fälle).
.,
Der Befragte sollte in der für ihn bestimmten Version des Fragebogens einen Fall beschreiben. in dem er sich geweigert hatte. die nachgefragte Information zu transferieren. Im Untersuchungsjahr wurde aber jeder Informationswunsch durch ihn erfüllt (43 Fälle).
3. Der Befragte sollte in der für ihn bestimmten Version des Fragebogens einen Fall beschreiben. in dem er nachgefragte Information transferiert hat. Im Untersuchungsjahr kam der Befragte jedoch keinem Informationswunsch nach (3 Fälle). Folglich liegen zur Auswertung vor: I 19 Antworten. in denen die Befragten eine Situation beschreiben. in der sie nachgefragte Informationen transferiert haben (TransferSituationen), und 85 Antworten, in denen die Befragten eine Situation beschreiben. in der sie nachgefragte Informationen nicht transferiert haben (Nicht-TransferSituationen).
8 Bei keiner der Variablen weist der t-Test einen Mittelwertunterschied aus. der mindestens ein Signifikanzniveau von a=O, I erreicht.
66
4 Fragebogenerhebung zum zwischenbetrieblichen Informationstransfer
4. 2. 4 Charakterisierung der hefrw?ten Führungskräfte Entgegen der allgemeinen Vermutung, daß Arbeitnehmer und insbesondere Führungskräfte in den Vereinigten Staaten besonders mobil sind und häufig den Arbeitgeber wechseln, zeichnen sich die Führungskräfte in der amerikanischen Stahlindustrie in der Regel durch eine große Verbundenheit mit ihrem Arbeitgeber aus. 37 Prozent der Befragten haben nie den Arbeitgeber gewechselt, 31 Prozent haben einmal gewechselt (Abbildung 8).
30%
24,0
Prozent der antwortenden Führungskräfte (n=288) 3
1-5
a
6- 10
11 -15 16-20 21 -25 26-30 31 -35 36-40 41 -45
Berufsjahre in der Stahlindustrie
7 Befragte haben diese Frage nicht beantwortet.
Abbildung 8:
Berufliche Mobilität
Dieser Befund wäre nicht erstaunlich, wenn es sich um relativ junge Führungskräfte handeln würde, aber 60 Prozent der Befragten sind seit mindestens 21 Jahren in der Stahlindustrie beschäftigt. Nur 7 Prozent haben weniger als ll Jahre Berufserfahrung (Abbildung 9). Im Rahmen dieser Untersuchung ist es von besonderem Interesse, ob die befragten Führungskräfte Außenkontakte als wichtig erachten. Die Zahl der Berufsorganisationen, denen eine Führungskraft angehört, stellt einen ersten Indikator für die Bedeutung dar, die sie Außenkontakten beimißt. Nur 7 Prozent der Befragten konnten keine Berufsorganisation nennen, in der sie Mitglied sind. 50 Prozent der Befragten gaben 4 oder mehr Organisationen namentlich an (Abbildung I 0).
4.2 Design und Durchführung
67
24,0
Prozent der antwortenden Führungskräfte (n=288)a
1-5
a
6-10
11-15 16-20 21-25 26-30 31-35 36-40 41-45
Berufsjahre in der Stahlindustrie
6 Befragte haben diese Frage nicht beantwortet.
Ahhildung 9:
30'7c
Prozent der antwortenden Führungskräfte (n=294)
Berufserfahrung
25.5
2QC;(
IOCfc
()Cfc
Zahl der Berufsorganisationen, in denen Führungskraft Mitglied ist
Ahhildung 10: Mitgliedschaft in Berufsorganisationen
Zusammenfassend kann festgestellt werden, daß es sich bei den Befragten im Durchschnitt um Führungskräfte mit einer mehrjährigen Berufserfahrung handelt. Die berufliche Mobilität der Führungskräfte ist überraschend gering. Außenkontakte jedoch scheinen beruflich wichtig zu sein.
6!!
4 Fragebogenerhebung zum zwischenbetrieblichen Informationstransfer
4 .3 Befunde 4. 3. I Bedeutung des :wischenhetriehlichm
ll!f(n-mationstran.~fers
In einem ersten Schritt wird untersucht, ob der informale Transfer technischer Informationen ein empirisch bedeutsames Phänomen ist oder ob es sich um eine unwesentliche Randerscheinung handelt. Die Bedeutung des zwischenbetrieblichen Informationstransfers kann sowohl anhand quantitativer als auch durch qualitative Indikatoren erfaßt werden . Ein quantitatives Maß ist die Zahl der an einen Mitarbeiter gerichteten Informationsnachfragen. 85 Prozent aller Befragten gaben an. mindestens einmal im Untersuchungsjahrvon einem Mitarbeiter aus einer anderen Stahlfirma um spezifische technische Informationen gefragt worden zu sein.9 19 Prozent der Befragten wurden sogar zehnmal oder häufiger im Untersuchungsjahr um Informationen gebeten (Abbildung II ).
4()Ck
31.6
Prozent der 30Ck antwortenden Führungs- 20'k kräfte (n=294) lOCk O'lc ()
1-3
4-6
7-9
10 und mehr
Zahl der im Untersuchungszeitraum an die Führungskraft gerichteten Informationsnachfragen
Ahhildung II : Informationsnachfragen durch Mitarbeiter anderer Stahlfirmen
Die Anzahl der Informationsnachfragen allein stellt jedoch noch keinen ausreichenden Indikator für die Bedeutung des informalen zwischenbetrieblichen Informationstransfers dar. Um einen zusätzlichen Indikator zu gewinnen. wurden
9 Teil I des Fragebogens, vorletztes Statement.
69
4.3 Befunde
die Führungskräfte gebeten, auf einer siebenstufigen Skala anzugeben, welche Bedeutung sie Kollegen in anderen Stahlfirmen als Informationsquelle zuordnen würden.lO Dabei besagt der Skalenwert I, daß es sich für sie um eine unbedeutende Informationsquelle handelt, der Skalenwert 7 gibt an, daß Kollegen in anderen Stahlfirmen für den Befragten eine äußerst wichtige Informationsquelle darstellen. 61 Prozent der Befragten sehen in Kollegen in anderen Stahlfirmen eine wichtige Informationsquelle (angegebener Skalenwert größer als 4). Nur acht Führungskräfte (2,7 Prozent) beurteilen den informalen zwischenbetrieblichen Informationstransfer mit Kollegen in anderen Stahlfirmen als bedeutungslos (Skalenwert gleich 1, siehe Abbildung 12).
30%
24,8
Prozent der antwortenden 20% Führungskräfte 10% (n=294) 0%
2
unbedeutend
3
4
5
6
7
sehr bedeutend
Beurteilung des zwischenbetrieblichen Informationstransfers durch Führungskraft
Abbildung 12: Bedeutung des zwischenbetrieblichen Informationstransfers für die befragten Führungskräfte Spiegelt sich diese Einschätzung des informalen zwischenbetrieblichen Informationstransfers auch in den konkreten Fällen wider, die von den Befragten in der Fragebogenerhebung beschrieben worden sind? Zur Prüfung dieser Frage wurden die befragten Führungskräfte gebeten, jeweils die Bedeutung, die ihrer Meinung nach die transferierte Information für ihr Unternehmen und für das Unternehmen des Informationsnachfragers besitzt, auf einer siebenstufigen Skala anzugeben.!! Die Mehrzahl der Führungskräfte bezeichnet die von ihnen trans-
10 Teil I des Fragebogens, zweites Statement. 11 Frage Sb des Fragebogens. Die folgende Tabelle bezieht sich also nur auf die 119 Fälle, in denen ein Informationstransfer erfolgte.
70
4 Fragebogenerhebung zum zwischenbetrieblichen Informationstransfer
ferierte Infonnation in beiden Kategorien als bedeutend oder sehr bedeutend (Skalenwert größer oder gleich 5, siehe Abbildung 13).
27.4
0.3
Prozent
29.1
0 ·2
der Fälle (n= 117) \u
I
unbedeutend
2
3
4
5
6
7
sehr bedeutend
Legende: Bedeutung der transferienen Information für. .. LSI Firma des Befragten
B Firma des Nachfragers
Durchschnittliche Bedeutung der transferienen Information für ... - Firma des Befragten 4. 7 -Firma des Nachfragers 5.6 a
2 Befragte haben diese Frage nicht beantwortet.
Abbildung /3: Bedeutung der untersuchten lnfonnationstransfers (Beurteilung durch transferierende Führungskraft) Zusammenfassend kann dreierlei festgehalten werden: I . Infonnale zwischenbetriebliche Infonnationstransfers sind ein häufig anzutreffendes Phänomen. 2. Die Mehrheit der befragten Führungskräfte rechnet dem zwischenbetrieblichen Infonnationstransfer eine erhebliche Bedeutung zu. 3. In der Mehrzahl der von den Führungskräften beschriebenen Situationen besitzen die transferierten Infonnationen sowohl erhebliche Bedeutung für den Infonnationsbesitzer, als auch für den Infonnationsnachfrager.
4.3 Befunde
71
4. 3. 2 Situative Abhängigkeit des Transferverhaltens Die in Abschnitt 3 formulierten Hypothesen gehen davon aus, daß Führungskräfte situationsspezifisch entscheiden, ob sie eine Informationsnachfrage erfüllen. Situationsspezifisch bedeutet in diesem Zusammenhang, daß das konkrete Transferverhalten von Faktoren wie dem Inhalt der nachgefragten Information und der Beziehung zwischen Informationsbesitzer und -nachfrager abhängt. Die Hintergrundhypothese des situationsabhängigen Transferverhaltens soll einem ersten Test unterzogen werden. In diesem Test wird geprüft, ob die einzelnen Führungskräfte ein gleichförmiges und damit situationsunabhängiges Transferverhalten aufweisen. Es wird also untersucht, ob eine bestimmte Führungskraft entweder alle Informationsnachfragen erfüllt bzw. alle Nachfragen nicht erfüllt, oder ob es Situationen gibt, in denen die Führungskraft einer Informationsnachfrage nachkommt, und solche, in denen dieses nicht der Fall ist. Genau zwei Drittel der Befragten, die im Untersuchungsjahr von Kollegen aus anderen Stahlfirmen um Informationen gebeten worden waren, gaben an, daß es in dem Jahr sowohl Fälle gab, in denen sie Informationen zur Verfügung stellten, als auch solche, in denen sie einen Informationstransfer ablehnten.I2 Die Mehrzahl der Befragten hat also offensichtlich situationsabhängige Transferentscheidungen getroffen. Bemerkenswert ist, daß der größere Teil der Befragten häufiger positiv als negativ auf eine Informationsnachfrage reagierte (Abbildung 14). Ein Drittel der Befragten reagierte jedoch gleichförmig auf Informationsnachfragen: 80 Führungskräfte erfüllten jede der an sie gerichteten Nachfragen. 5 Führungskräfte stellten nie eine gewünschte Information zur Verfügung. Für ein gleichförmiges Transferverhalten während des Untersuchungszeitraums gibt es zwei mögliche Erklärungen: Entweder reagieren die betroffenen Führungskräfte in immer gleicher Weise auf alle Informationsnachfragen. In diesem Fall würde keine echte Transferentscheidung vorliegen. Oder die Führungskräfte treffen zwar grundsätzlich situationsspezifische Entscheidungen, aber im Untersuchungsjahr waren alle Fälle so gelagert, daß sie ein gleichförmiges Verhalten hervorriefen. Dieses ist insbesondere dann der Fall, wenn an den Be-
12 Teil I des Fragebogens, letztes Statement. Diese Frage konnte nur von 250 der 294 Antwortenden bearbeitet werden, da 44 der Befragten im Untersuchungszeitraum von keinem Kollegen aus einem anderen Unternehmen um Informationen gebeten wurden. Siehe Abschnitt 4.2.3.
72
4 Fragebogenerhebung zum zwischenbetrieblichen Informationstransfer
fragten im Untersuchungszeitraum nur eine Informationsnachfrage gerichtet wurde.
50%
Prozent der im Untersuchungszeitraum um Informationen gebetenen Führungskräfte (n=250)
46.0
40% 30% 20% 10% 0%
Nie
In weniger als 50~k der Fälle
In ca. 50% der Fälle
In mehr als 50% der Fälle
Immer
Häufigkeit des Transfers nachgefragter Informationen
Abbildung 14: Relative Häufigkeit des Transfers nachgefragter Information durch die befragten Führungskräfte
Bei der Mehrzahl der Befragten läßt sich also ein situationsabhängiges Transferverhalten vermuten. Bei einer Minderzahl ist dieses nicht der Fall; hier kann aufgrundder vorliegenden Daten nicht eindeutig entschieden werden, ob Charakteristika der Situation die Transferentscheidung der Befragten beeinflußt haben. Da der größte Teil der befragten Führungskräfte anscheinend situationsabhängig über Informationsnachfragen entscheidet, ist es sinnvoll zu prüfen, ob das Transferverhalten der Befragten den in Abschnitt 3 formulierten Hypothesen entspricht. Es gilt also, die Einflußfaktoren des Transferverhaltens zu untersuchen.
4. 3. 3 Verdichtung der Variablen Die im Fragebogen erhobenen unabhängigen Variablen beziehen sich teilweise auf ähnliche beziehungsweise eng miteinander verbundene Tatbestände. Dieses drückt sich darin aus, daß die Variablen stellenweise hoch miteinander korrelieren. Sofern Lei der Datenanalyse diese Korrelationen vernachlässigt werden, besteht die Gefahr, daß die Befunde in einer unzulässigen Weise interpretiert werden.
4.3 Befunde
73
Zwei sich ergänzende Wege werden daher bei der Befundinterpretation eingeschlagen. Zum einen werden die Variablen, auf die sich die abgeleiteten Hypothesen beziehen, in univariaten Analysen so betrachtet, wie sie durch den Fragebogen erhoben wurden. Zum anderen erfolgt eine Verdichtung der Einzeldaten durch eine Faktorenanalyse.l3 Die Faktorenanalyse faßt miteinander hoch korrelierende Variablen zu wenigen, unabhängigen Faktoren zusammen. Damit wird das Problem der Korrelation zwischen den erklärenden Variablen umgangen. Zum anderen ermöglicht die Datenreduktion durch die Faktorenanalyse, daß sich die Untersuchung nicht im Detail verliert, sondern daß immer wieder der Blick für das zugrundeliegende Gesamtmuster frei wird. Für die Faktorenanalyse werden die situationsbezogenen Variablen in zwei Gruppen eingeteilt: Die eine Gruppe bezieht sich auf den Kontext der Informationsnach frage, die andere Gruppe auf den Inhalt der nachgefragten Information.14
4. 3. 3. 1 KontextbezoRene Faktoren Eine Faktorenanalyse der Kontextvariablen 15 führt zu 4 Faktoren, die zusammen 67,2 Prozent der Ausgangsvarianz erklären. Die gefundenen Faktorladungsmuster sind relativ eindeutig ausgeprägt und empirisch sinnvoll interpretierbar: 16
13 Es wird eine Hauptkomponentenanalyse mit dem Programmpaket SYSTAT in der Version 3.1 durchgeführt. Zur Beschreibung der Hauptkomponentenanalyse vgl. Hartung/Eipelt (Multivariate Statistik, 1986), S. 527-533. Das Kaiser-Kriterium (Eigenwert> I) dient als Abbruchkriterium für die Faktorextraktion. Vgl. Backhauset al. (Analysemethoden, 1987), S. 90. Die Faktorenanalyse erfolgt unter Verwendung der Korrelationsmatrix. Um bei gleichzeitiger Beibehaltung der Orthogonalität der Faktoren gut interpretierbare Faktorladungen zu ermitteln. wird eine Varimaxrotation vorgenommen. Vgl. Kim/Mueller (Factor Analysis, 1978). s. 35-36. 14 Für die Faktorenanalyse und für alle folgenden Auswertungen wird unterstellt, daß sich die verwendeten Ratingskalen als Intervallskalen interpretieren lassen, obwohl sie streng genommen nur ordinales Skalenniveau besitzen. Vgl. zu dieser, in den Sozialwissenschaften weit verbreiteten Annahme Kim (Ordinal Variables, 1976), S. 261-298, und Kim (Ordinal Variables Revisited, 1978), S. 448-456. 15 Die Variablen beruhen auf den entsprechenden Statements in den Abschnitten 2b, 2c und 4 des Fragebogens. 16 Bei der Faktorinterpretation wird die in Backhaus et al. (Analysemethoden, 1987), S. 92, vorgeschlagene Regel verwendet, daß nur Faktorladungen, die größer als 0,5 sind, zur Interpretation eines Faktors herangezogen werden.
74
4 Fragebogenerhebung zum zwischenbetrieblichen Informationstransfer
Tabelle 5: Faktorladungsmatrix für die Kontextvariablen der Transferentscheidung Instrumentalität des Kontaktes
Variable
Faktor I
Kongruenz Wissen auf Kongruenz der MarktNachim Prosegmente fragerseile duktbereich
Faktor 2
Faktor 3
Faktor4
o. 79
0.08
0.17
-0.19
Firma des Befragten
0, 76
-0.03
0.37
-0.02
Informationsnachfrager persönlich
0,86
-0.02
-0.13
-0.09
Nut:>:en früherer Kontakte für ... - Befragten persönlich
-
0, 79
-0.08
0.09
0.10
Freundschaft
o. 73
-0.07
0.30
-0.05
Alter der Beziehung
0,54
0.03
0.08
0 .21
0,52
-0.16
0.49
-0.12
Kongruenz des regionalen Absatzmarktes
-0.01
0,92
0.04
0.07
Kongruenz der Kundengruppe
-0.06
0,89
-0.01
0.29
0.10
0.11
0,82
0 .00
Erfolg der Firma des Nachfragers
0.04
-O.tt
o. 79
0.25
Technisches Wissen des Nachfragers
0.34
0.10
0,62
-0.12
0.00
0.06
0.08
0,86
-0.02
0.35
0 .02
o. 75
- Firma des Nachfragers
Koopemtionsbereitschaft des
Nachfrc~gers
Technologieführerschaft der Firma des Nachfrc~gers
Kongruenz der Produktionsverfahren Kongruenz der Produkte
Die Variablen, die mit einem Wert von größer 0,5 auf den ersten Faktor laden. beschreiben unterschiedliche, aber eng miteinander in Verbindung stehende Aspekte der Beziehung zwischen dem Informationsbesitzer und dem Informationsnachfrager. Dieser Faktor nimmt einen hohen Wert an. wenn bereits in der Vergangenheit für beide Seiten nützliche Informationstransfers stattgefunden haben, nützlich sowohl aus Sicht der einzelnen Personen als auch aus Sicht der jeweiligen Unternehmen. Mit den vier nutzenorientierten Variablen eng verbunden sind das Ausmaß, in dem der Informationsbesitzer den Nachfrager als Freund charakterisiert, das Alter der Beziehung zwischen den beiden Partnern und die Einschätzung der Kooperationsbereitschaft des Nachfragers. Faßt man die genannten Variablen zusammen, so läßt sich dieser Faktor als lnstrumentalität des Kontaktes zwischen Informationsnachfrager und -besitzer interpretieren.
4.3 Befunde
7S
Der zweite Faktor bezieht sich auf Aspekte des Absatzmarktes. Zwei Variablen bilden den Kern dieses Faktors. Diese Variablen beschreiben, inwieweit die Unternehmen des Informationsbesitzers und des -nachfragers die geographisch gleichen Märkte bedienen und die gleichen Kundengruppen ansprechen. Dementsprechend wird dieser Faktor Kongruenz der Marktsegmente genannt. Für den dritten Faktor wird die Bezeichnung Wissen auf Nachfragerseite gewählt. Dieser Faktor nimmt dann einen besonders hohen Wert an, wenn der Informationsbesitzer die Firma des Informationsnachfragers als Technologieführer und als erfolgreiches Unternehmen beurteilt, und wenn er dem Informationsnachfrager bedeutendes technisches Wissen zuerkennt. Auffällig ist hierbei die offensichtlich enge Beziehung zwischen wirtschaftlichem Erfolg und technischem Fortschritt des Unternehmens. Erfolg und Technologieführerschaft korrelieren mit r=0,59 (p