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German Pages 158 Year 2002
Zwischen nationaler Identität und europäischer Harmonisierung
Staatskirchenrechtliche Abhandlungen Herausgegeben von Otto Depenheuer · Alexander Hollerbach · Josef Isensee Joseph Listl · Wolfgang Losehelder · Hans Maier · Paul Mikat Stefan Mucket · Wolfgang Rüfner · Christian Starck
Band 36
Zwischen nationaler Identität und europäischer Harmonisierung Zur Grundspannung des zukünftigen Verhältnisses von Gesellschaft, Staat und Kirche in Europa
Herausgegeben von Burkhard Kämperund Michael Schlagheck
Duncker & Humblot · Berlin
Übersetzung der Aufsätze von Hippolyte Sirnon durch Christine Keidel von Norman Doe, Frank Cranmer und Mark Hill durch Holger Krawinkel
Die Deutsche Bibliothek- CIP-Einheitsaufnahme Zwischen nationaler Identität und europäischer Harmonisierung : zur Grundspannung des zukünftigen Verhältnisses von Gesellschaft, Staat und Kirche in Europa I Hrsg.: Burkhard Kämper ; Michael Schlagheck. Berlin : Duncker und Humblot, 2002 (Staatskirchenrechtliche Abhandlungen ; Bd. 36) ISBN 3-428-10637-7
Alle Rechte vorbehalten
© 2002 Duncker & Humblot GmbH, Berlin
Fremddatenübernahme und Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0720-7247 ISBN 3-428-10637-7 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 0
Vorwort Mit dem Beginn der Arbeit des EU-Verfassungskonventes im Februar 2002 ist ein weiterer Schritt zur Profliierung der Identität Europas unternommen worden. Von vielen wird ein Verfassungsentwurf als das ideale Ergebnis der Konventsberatungen angesehen. Der "Konvent zur Zukunft Europas" löst offensichtlich eine neue Dynamik im europäischen Einigungsprozeß aus. Einen solchen Schub konnte man bereits bei der Erarbeitung der Charta der Grundrechte der Europäischen Union beobachten, die seit Dezember 2000 vorliegt. Dieser Prozeß war zweifellos ein weiterer Baustein für die Entwicklung der Europäischen Union zu einer Rechts- und Wertegemeinschaft In diesem Zusammenhang ist die Grundrechtecharta Ausdruck gemeinsamer Verfassungsüberlieferung. Auf der Grundlage eines gemeinsamen Wertegerüstes und zugleich unter Bezugnahme auf das geistig-religiöse Erbe und die unterschiedlichen nationalen Kulturen und Traditionen gründet die EU auf den unteilbaren und universellen Grundrechten der Menschenwürde, der Freiheit, der Gleichheit und der Solidarität sowie auf den Grundsätzen von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Eine europäische Verfassung würde diese Grundprinzipien an ihre Spitze setzen müssen und damit die Wertegebundenheit des Gemeinwesens verdeutlichen. Die Wertediskussion und die Verfassungsdebatte sind auf das Engste miteinander verzahnt. Auch deshalb kommt dem derzeitigen Konventsprozeß für die Kirchen eine besondere Bedeutung zu. Ihn gilt es, aufmerksam mit eigenen Beiträgen und Konzepten zu begleiten. In diesem Kontext hat die Katholische Akademie des Bistums Essen "Die Wolfsburg" im September 2000 in Kooperation mit der Konrad Adenauer Stiftung, dem Erzbistum Kattowitz, der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Straßburg und dem Centre for Law and Religion der Universität Cardiff eine Internationale Akademietagung im Christ Church College Canterbury durchgeführt. Wissenschaftler vor allem der Disziplinen Recht, Theologie und Gesellschaftswissenschaften sowie Politiker und Kirchenvertreter aus Großbritannien, Frankreich, Polen, Spanien und Deutschland diskutierten die Grundspannung zwischen nationaler Eigenständigkeit und Harrnonisierung im zukünftigen Staat-Kirche-Verhältnis in Europa und die Frage nach einer möglichen Konvergenz des Religionsrechtes der europäischen Staaten sowie den sich daraus ergebenden Konsequenzen für den weiteren europäischen Einigungsprozeß. Den Ausgangspunkt für diese Betrachtung bildete die Darstellung und Analyse der Gesellschaft-Staat-Kirche Verhältnisse in Frankreich, Großbritannien, Polen und Deutschland. Diese Staaten bieten sich für den Diskurs über die Konvergenzthese in besonderer Weise an, da sie nahezu idealtypisch die grundlegenden drei Systeme von Staatskirchentum, strikter
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Vorwort
Trennung von Staat und Kirche und ein eher auf Zuordnung von Staat und Kirche ausgerichtetes Verhältnis repräsentieren. Die im vorliegenden Band veröffentlichten Beiträge der Tagung zeigen, daß die klassischen Systeme in Bewegung geraten sind. So sind z. B. in Frankreich Entwicklungen hin auf eine neue Laizität zu beobachten, die sich eher durch Kooperation als Leitprinzip auszeichnen. Treffen von Politikern mit Religionsführern nach den Terroranschlägen des 11. September scheinen diese Einschätzung zu bestätigen. Das englische Staat-Kirche-System zeigt eine größere Toleranz anderen Religionsgemeinschaften gegenüber als noch in früheren Jahren. So wurde die von Gerhard Robbers vorgetragene Grundthese "Das Religionsrecht der europäischen Staaten konvergiert. Wir erleben eine graduelle, vorsichtige Entstaatlichung von Staatskirchen einerseits und eine zunehmende Kooperationsbereitschaft der Trennungssysteme andererseits." bei der Tagung anhand der Länderberichte eingehend erörtert, wenngleich eine umfassende Bestätigung nicht allen Teilnehmenden besonders im Blick auf das je eigene System gleichermaßen möglich war. Gemeinsam sah man jedoch die Notwendigkeit einer noch verstärkten kirchlichen Aufmerksamkeit im europäischen Einigungsprozeß, da durch die Entwicklung von der Wirtschafts- zur Rechtsgemeinschaft Lebensbereiche erreicht wurden, die nicht nur unter ökonomischen Gesichtspunkten zu betrachten sind. Zahlreiche Beispiele aus der europäischen Rechtsprechung zeigen, wie sehr der Bereich des Religiösen berührt wird, z. B. im Blick auf den Schutz religiöser Feiertage, das Arbeitsrecht in kirchlichen Einrichtungen oder den Datenschutz in seiner Bedeutarnkeit für seelsorgliche Gespräche. Dies wirft die Frage auf, ob eine Klärung des Religionsbegriffes notwendig ist und ausgehend von einer solchen Definition durch die Mitgliedsstaaten trotz aller auch weiterhin bestehenden Besonderheiten ein vereinheitlichend wirkender Prozeß beginnt. Eingehend diskutierten die Teilnehmenden die Frage nach der Integration des Islam in das europäische Religionsrecht Es sei notwendig, die Wurzeln und Einflüsse des Islam für die gemeinsame europäische Kultur und die ihr zugrundeliegenden Werte näher zu untersuchen. Die Internationale Akademietagung konnte dies jedoch nur als Desiderat benennen. Die Klärung muß einem Folgeprojekt vorbehalten bleiben. Die vorliegenden Beiträge ermöglichen eine genauere Kenntnis der verschiedenen Staat-Kirche-Systeme sowie der europäischen Rechtsentwicklung und erst auf dieser Grundlage eine sachgerechte Wahrnehmung der bereits beobachtbaren bzw. möglichen Konvergenzentwicklung. In allen Beiträgen wird die öffentliche Relevanz von Religion und ihre Bedeutung für die europäische Einigung unterstrichen. Unabhängig von den einzelnen Systemen gilt dies für alle Staaten Europas, was besonders im jeweiligen Religionsrecht zum Ausdruck kommt. Es zeigt Wurzeln und Selbstverständnis des Staates, seinen Anspruch und seine Grenzen gleichermaßen. Dies gilt in gleicher Weise für die Europäische Union. In diesem Sinne hoffen Herausgeber und Auto-
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Vorwort
ren, daß der vorliegende Band einen hilfreichen Beitrag zur Debatte um die europäische Identität leistet und damit helfen kann, Europa die vielbeschworene Seele zu geben. In besonderer Weise danken wir der Europäischen Union und der KonradAdenauer Stiftung für die Förderung des Tagungsprojektes, Prof. Dr. Gerhard Robbers für die stete Beratung und Begleitung bei der Vorbereitung und Durchführung, Rechtsreferendar Michael Marty für die redaktionelle Betreuung des vorliegenden Bandes, dem Direktor des Institutes für Staatskirchenrecht der Diözesen Deutschlands, Prof. Dr. Wolfgang Rüfner, in seiner Eigenschaft als geschäftsführender Herausgeber für die kritische Durchsicht und die Aufnahme der Tagungmanuskripte in die Schriftenreihe "Staatskirchenrechtliche Abhandlungen" und dem Verband der Diözesen Deutschlands für die Unterstützung der Drucklegung. Essen/Mülheim, im März 2002
Burkhard Kämper Michael Schlagheck
Inhaltsverzeichnis Das Verhältnis der Europäischen Union zu Religion und Religionsgemeinschaften Schritte zu einem europäischen Religionsrecht Von Gerhard Robbers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Wechselseitige Erwartungen und bestehende Voraussetzungen im Verhältnis von Gesellschaft, Staat und Kirche
Das Verhältnis von Gesellschaft, Staat und Kirche in Polen Von Remigiusz Sobariski . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Das Verhältnis von Gesellschaft, Staat und Kirche in Frankreich Von Roland Minnerath . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Das Verhältnis von Gesellschaft, Staat und Kirche in Großbritannien Von Norman Doe und Joanna Nieholsan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Das Verhältnis von Gesellschaft, Staat und Kirche in Deutschland Von Heinrich de Wall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Die Einigung Europas und das Verhältnis von Gesellschaft, Staat und Kirche aus der Perspektive eines deutschen Politikers Von Hermann Kues . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 Die Beziehungen zwischen Gesellschaft, Staat und Kirche im Vereinigten Königreich aus parlamentarischer Sicht Von Frank Cranmer...... . ..... . ... . .. .. ............. . .. . ................. . .... .. . . . 107 Das Verhältnis von Gesellschaft, Staat und Kirche aus der Perspektive der Kommission der Bischofskonferenzen der Europäischen Gemeinschaft (COMECE) Von Noel Treanor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123
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Inhaltsverzeichnis Die Einigung Europas und das Verhältnis von Gesellschaft, Staat und Kirche Statements
Die "Charta der Grundrechte der Europäischen Union" - Ein Diskussionsbeitrag zum Gemeineuropäischen Grundrechtsschutz und hier speziell zum Schutz von Ehe und Familie Von Peter 1. Tettinger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 Die religiöse Freiheit und ihre Zukunft in Europa- Ein französischer Gesichtspunkt Von Hippolyte Simon . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 Die Angst vor der Europäischen Union mindern- Aufgabe der Christen in der Europäischen Union Stefan Cichy . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 Der Geist spendet Leben - Fragen zu den Beziehungen zwischen Gesellschaft, Staat und Kirche in der Europäischen Union VonMarkHill .................... . .. .. .................... . .................. . ... . .. 151
Verzeichnis der Teilnehmer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . .. .. . . . . .. . . . . 155
Zu den Herausgebern und Autoren . . . . .. .. . . . . . . .. .. . . . . . . . . . . .. . . . .. . . . .. . . .. . .. .. . . . . !57
Das Verhältnis der Europäischen Union zu Religion und Religionsgemeinschaften Schritte zu einem europäischen Religionsrecht
Von Gerhard Robbers
I. Religion ist Privatsache, und sie ist mehr als das. Religion ist öffentlich relevant und öffentlich wirksam. Was jemand glaubt oder nicht glaubt gehört zum Privatesten, das sich denken läßt. Aber Religion will wirksam sein, und ohne solche Wirksamkeit ist sie nicht wirklich frei. Religion ist ein öffentlicher Faktor. Das gilt für alle Staaten Europas als eine Grundvoraussetzung, und es gilt in allen Staaten Europas auf unterschiedliche Weise. In allen europäischen Staaten muß das Private der Religion und muß das Öffentliche der Religion miteinander in Ausgleich gebracht werden. Religion transzendiert jede Staatlichkeit. Im Religionsrecht findet das Selbstverständnis staatlich verfaßter Gemeinschaft deshalb seinen prägnantesten Ausdruck. In ihm symbolisiert sich Anspruch und Grenze des Staates. Deswegen reagiert die Bevölkerung so besonders sensibel auf Veränderungen gerade dieses Rechtsbereiches. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts 1 in Deutschland gegen Kruzifixe in bayerischen Schulen hat Entrüstung hervorgerufen und entschiedene Befürwortung. Fragen des Religionsunterrichts schaffen verhärtete Fronten. Ob islamische Schülerinnen oder islamische Lehrerinnen im Schulunterricht ein Kopftuch tragen dürfen, ob der Imam öffentlich zum Gebet rufen darf, ob Gemeinschaften mit einigen tausend Mitgliedern Religionsgemeinschaften sind, das erregt die Menschen. Das Gemeinsame soll man betonen. Die Vielfalt der Systeme ist deutlich genug. Das Recht der Europäischen Union respektiert diese Vielfalt, in der Wahrung der Kulturen und der nationalen Identitäten? Im Respekt vor dieser Vielfalt ein gemeinsames Religionsrecht für die Europäische Union zu schaffen ist die Aufgabe. Religion erfüllt Funktionen, unterschiedliche für unterschiedliche Gemeinschaften und für unterschiedliche Staaten. 3 Diese Funktionen spiegeln sich in den Mitglied' BVerfGE 93, 1 ff. V gl. Präambel, Art. 6 EU; Erklärung Nr. 11 zur Schlußakte von Amsterdam.
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Gerhard Robbers
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staaten der Europäischen Union in großer Vielfalt. Der Protestantismus hat die Entwicklung der Nationalstaaten begleitet und begünstigt. Der Gallikanismus ist als unmittelbar konkrete politische Idee in seiner Zeit gescheitert: die Laizität in Frankreich darf danach als Selbstvergewisserung der Nation gelten. Deutsche Staatlichkeit hat sich nicht zuletzt in der Ausbalancierung zweiergleich starker Religionsparteien entfaltet. Solche Kräfte sind auch heute wirksam. Die gegenwärtige Nationalisierung der orthodoxen Kirchen in Osteuropa gründet nicht zuletzt in der Suche nach neuer, gemeinschaftstiftender Legitimität in den osteuropäischen Staaten. Solchen Funktionszusammenhängen verschließt sich auch die Europäische Union nicht. Sie sucht ihr eigenes Verhältnis zu Religion und Religionsgemeinschaften. Wie das Europäische Religionsrecht gestaltet wird, wird Auskunft geben über ihr Selbstverständnis. Wie die Europäische Union es mit der Religion hält, wird zeigen, wer sie ist. Einfache Modelle gibt es nicht, aber jeder soll sich in der Europäischen Union wiederfinden können. Der christliche Grundzusammenhang Europas ist unübersehbar, aber Atheisten gibt es in großer Zahl. Der Islam ist heute eine europäische Potenz, in der Union und unmittelbar vor ihren Toren. Europäisches Religionsrecht muß sich offenhalten auch für Besonderheiten des Islam. Die Vielfalt kleinerer Religionsgemeinschaften in Europa ist immens, die großen und traditionellen Kirchen sind in sich komplex und heterogen. Längst lassen sich Staat und Kirche nicht mehr entgegenstellen. Der Staat als Einheit löst sich in metastaatliche Institutionen auf wie eben in der Europäischen Union oder den Vereinten Nationen oder einzelnen internationalen Funktionsträgern. Nach innen pluralisiert sich der Staat, zieht sich aus angestammten Aufgaben zurück. Neue Kräfte wachsen in diese Aufgaben hinein: Wirtschaftsunternehmen und Nichtregierungsorganisationen, die ihrerseits längst global handeln. Heute stehen religiöse Institutionen in einerneuen Vielzahl von öffentlich wirkenden Kraftfeldern. Der Staat ist eines davon, die Europäische Union ein anderes. Überall in Europa tritt die Frage neu in den Vordergrund: Wie ist das Verhältnis von Kirche und Wirtschaft zu verstehen? Dies ist eine ganz andere Frage als die nach dem Verhältnis von Kirche und Staat. Aber es ist die alte Frage nach dem Verhältnis von geistlicher Herrschaft und weltlicher Herrschaft.
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Allgemein R. Spaemann, Funktionale Religionsbegründung und Religion, S. 9 ff. sowie
T. Luckmann, Über die Funktion der Religion, S. 26 ff., jeweils in: P. Koslowski (Hrsg.), Die
religiöse Dimension der Gesellschaft, Tübingen 1985; N. Luhmann, Funktion der Religion,
Frankfurt a. M. 1996.
Das Verhältnis der Europäischen Union zu Religion und Religionsgemeinschaften
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II.
Europa wächst zusammen. Der Sog der Integration besitzt normative Kraft. Das gilt schon für den Begriff der Religion selbst als Begriff des Rechts. 4 Europäisches Recht verlangt nach einem europäisch gültigen Begriff von Religion. Das gilt für Art. 13 EG, der gegen religiöse Diskriminierung steht. Das gilt für die europäische Grundrechtecharta. Das gilt für die vielen religionsrelevanten Bestimmungen des sekundären und primären Gemeinschaftsrechts im einzelnen. Das gilt besonders aber auch für die Religionsbegriffe in den Rechten der Mitgliedstaaten selbst. In Europa ist juristische Interpretation integrationsverpflichtet Was in anderen Mitgliedstaaten allgemein als Religion angesehen wird, indiziert den religiösen Charakter der Lebensäußerung auch in den übrigen Staaten der Union. Das wird zu neuen Allgemeingültigkeiten führen, vereinheitlichend wirken und manche Besonderheit des nationalen Religionsrechts beseitigen. In Frankreich macht laizistisches Grundverständnis schon fraglich, ob staatliche Gerichtsbarkeit überhaupt befugt sei, Religion zu definieren. Der Cour d'appel von Lyon hat jüngst erstmals Elemente eines Rechtsbegriffes von Religion beschrieben: als objektives Element eine Gemeinschaft, dazu als subjektives Element ein gemeinsamer Glaube. Der Cour de cassation hat dies als Verletzung der Laizität sogleich verworfen. 5 In Schweden dagegen scheut das neue Gesetz über Glaubensgemeinschaften eine Definition keineswegs, und deutsche Gerichte kennen eine große Zahl unterschiedlicher Beschreibungen von Religion. Unabhängig vom rechtsdogmatischen Vorgehen im Einzelnen wird es aber schon faktisch nicht möglich bleiben, einer Gemeinschaft den religiösen Charakter in einem Mitgliedstaat abzusprechen, die in einem anderen Mitgliedstaat als Religionsgemeinschaft registriert ist. Dazu besitzt der univeralistische Anspruch der Menschenrechte einheitsbildende Kraft. Die Religionsfreiheit begrundet heute in allen Mitgliedstaaten der Union das Verhältnis von Staat und Religion. Religion ist beides, Glauben und Handeln. Religionsfreiheit ist deshalb Gedankenfreiheit und Handlungsfreiheit. Religionsfreiheit trägt die Funktion positiver Freiheit. Das staatliche Recht muß Raum geben für die möglichst umfassende, ungehinderte Entfaltung religiösen Lebens. Das gilt überall 4 Zu den vielfältigen außerjuristischen Religionsbegriffen vgl. etwa aus theologischer Sicht W C. Smith, The Meaning and End of Religion, London 1991; Luhmann, Funktion der Religion (Anm. 3); P. Tillich, Die Überwindung des Religionsbegriffs in der Religionsphilosophie, Kantstudien 27 (1922), S. 446 ff.; K. Barth, Der Römerbrief, München 1922, S. 211 ff.; vgl. noch G. Mensching, Die Religion, Stuttgart 1959; F. Heller, Erscheinungsformen und Wesen der Religion, 1961; E. Feil, Religio, Göttingen 1986; C. Elsas, Religion, München 1975; F. Wagner, Was ist Religion?, 2. Aufl., Gütersloh 1991; W Kem / H. J. Pottmeyer/M. Seckler (Hrsg.), Handbuch der Fundamentaltheologie, I. Traktat: Religion, Freiburg 1985, S. 19 ff.; J. Hick, An Interpretation of Religion, London 1989. 5 C.A. Lyon, 28. 07. 1997, J.C.P. 1998, II, 10025; Cass. crim. 30. 06. 1999, Eglise de Scientologie, Juris-Data Nr. 003147.
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in allen Mitgliedstaaten der Europäischen Union. In diesen Gegebenheiten der juristischen Auslegung liegen heute gemeinsame Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten; sie sind deshalb Bestandteil auch des Gemeinschaftsrechts selbst. Faktische Bedürfnisse führen zusammen. Das zeigen die Entwicklungen der deutschen Vorstellung religiöser Neutralität einerseits, der französischen Doktrin der Laizität andererseits. Die juristische Ausfaltung der Laizität im Trennungsgesetz von 1905 lautet: Freiheit des Gewissens, Trennung von Staat und Kirche, Verbot staatlicher Finanzierung von Religionsgemeinschaften. Laizität als Rechtsbegriff bedeutet Neutralität und Toleranz. Der Staat darf zwischen individuellen Glaubenshaltungen keinen Unterschied machen. In religiöse Institutionen darf er nicht intervenieren. 6 So kann man von der neuen Laizität sprechen, von positiver oder neutraler Laizität. Kooperation erscheint als Leitprinzip. All das könnte so wörtlich in einem Lehrbuch des deutschen Religionsrechts stehen mit eher marginalen Abweichungen als Beschreibung von Grundprinzipien des deutschen Systems. Neutralität bedeutet: keine Identifikation des Staates mit einer Religion, keine Intervention des Staates in eine Religionsgemeinschaft, Toleranz, Glaubens- und Gewissensfreiheit. Das Recht kennt allerdings Latenzbegriffe, Begriffe, die latent versteckt vorhandene Bedeutungen enthalten. Diese latenten Begriffsgehalte können in geeigneten Umständen aktualisiert werden, Interpretationen in bestimmte Richtungen lenken, Akzente setzen. Das Recht besitzt die Dimension des Erinnerns, des Fühlens, es ist kollektives Bewußtsein und enthält kollektives Unterbewußtsein, besonders gilt dies für das Religionsrecht Jedenfalls für den Außenstehenden kann Laizität als ein solcher Latenzbegriff erscheinen. Und wenn die These kritischer Diskussion gerade in diesem Kreis standhält, ist sie Beleg für die Sorgfalt, die bei der Entwicklung eines europäischen Religionsrechtes walten muß. Laizität erscheint in dieser Latenz noch immer als Kampfbegriff für manche. Dann behauptet sie eine eigene laizistische Moral, die Fundamentalwerte den Grundwerten der katholischen Kirche entgegenstellt. Laizität steht in dieser Ausprägung, in dieser Latenz für reine Privatheit der Religion. Aus einer deutschen Perspektive liegt dem ein besonderer Begriff von Öffentlichkeit zugrunde. Öffentlichkeit meint hier strikte Gleichheit und republikanische 6 Vgl. J. Morange, Le droit et Ia lalcite, Revue d'ethique et de tbeologie morale, "Je Supplement", 1988, Nr. 164, S. 53 ff.; J. Rivero, La notion de lalcite, D. 1949, ehr., S. 137 ff.; A. Frhr. von Campenhausen, Staat und Kirche in Frankreich, Göttingen 1962, passim; R. Metz Das Verhältnis von Kirche und Staat in Frankreich, in: J. List! I H. Müller I H. Schmitz (Hrsg.), Handbuch des katholischen Kirchenrechts, Regensburg 1983, S. 1109 ff.; J. Hauberot, La France, "Repub1ique 1ai·que", in: ders. (Hrsg.), Religionset 1alcite dans 1'Europe des douze, Paris 1994, S. 57 ff.; A. Boyer. Le droit des religions en France, Paris 1987, S. 105 f.
Das Verhältnis der Europäischen Union zu Religion und Religionsgemeinschaften
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Unteilbarkeit. Intermediäre Gewalten und lokale Besonderheiten sind diesem Begriff von Öffentlichkeit fremd. Ein im deutschen Recht prägender Begriff von Öffentlichkeit kennt dagegen Partikularität sehr wohl. Das allgemeine Gesetz ist hier Ort von Wichtigkeit, von Wertvollem. Partikularität ist damit ein positives Element der Bereicherung. Das zeigt sich schon in der föderalen Struktur Deutschlands. Auf das Religionsrecht bezogen liegt hier ein Grund, warum in Deutschland so viele verschiedene Religionsgemeinschaften als Körperschaften des öffentlichen Rechts anerkannt werden können, eben als Teil der guten öffentlichen Ordnung, und dieses gerade in ihrer je eigenen Besonderheit.
111. Der Blick auf das Vereinigte Königreich7 zeigt eine weitere Dimension der Entwicklung eines europäischen Religionsrechts. Es ist wieder der Blick eines Außenstehenden, ein Blick, der um kritische Diskussion bittet. Gefährdet die europäische Integration das System der Staatskirche? Oder kann eine "Established Church" gegenüber gemeinschaftsrechtlicher Neutralität, Religionsfreiheit und Gleichheit Bestand haben? Das Beispiel Englands zeigt: Die enge institutionelle Verbindung zwischen Staat und Staatskirche hindert nicht die Gewährleistung der Religionsfreiheit. Sie hindert auch nicht staatliche Neutralität gegenüber religiösen Lehrinhalten, jedenfalls grundsätzlich nicht. Dasselbe gilt im übrigen für Dänemark, für Finnland und für Schweden. Die Toleranz des englischen Rechts gegenüber anderen Religionsgemeinschaften als der anglikanischen Kirche ist heute beispielhaft. Die Gelassenheit, die es auszeichnet, kann als Vorbild wirken. Das gilt gerade auch für das Verhältnis zum Islam. Für den europäischen Vergleich muß dabei die Unterschiedlichkeit der historischen Lage bedacht werden: 7 Zu Reichweite und Vielfalt des Begriffs "established Church" vgl. N. Doe, The Legal Framework ofthe Church ofEngland, Oxford 1996, S. 8; M. H. Ogilvie, What is a Church by Law Established?, Osgoode Hall Law Jornal 28 (1990), S. 179 ff.; L. Leeder, Ecclesiastical Law Handbook, London 1997, S. ll ff.; T. Briden/B. Hanson (Hrsg.), Moore's lntroduction to English Canon Law, 3. Aufl., London 1992, S. 10 ff.; D. McClean, Establishment in a European Context, in: N. Doe/M. Hill/R. Ombres (Hrsg.), English Canon Law, Cardiff 1998, S. 128 ff.; St. J. A. Robilliard, Religion and the Law, Manchester 1984, S. 84 ff. ; A. Hastings, Church and State. The English Experience, Exeter 1991, S. 51 ff. ; zu Auswirkungen für das Glockenläuten vgl. T. G. Watkin, A Happy Noise to Hear? Church Beils and the Law of Nuisance, Ecclesiastical Law Journal 1996, S. 545 ff.; zur Inkompatibilität von geistlichem Amt in den Kirchen von England und Schottland und Mitgliedschaft im House of Commons vgl. N. Doe, The Legal Framework of the Church of England (vgl. oben), S. 9, 11 ; zur Entwicklung D. Say, Towards 2000: Church and State Relations, Ecclesiastical Law Journal 1991, S. 152 ff.; vgl. auch Legal Opinions Concerning the Church of England, Loseblatt, London 1994; B. d'Hellencourt, Les vicissitudes d' une "secularisation chretienne" au Royaume-Uni, in: BauMrot (Hrsg.), Religionset lai'cite (Anm. 6), S. 123 ff.
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Das Vereinigte Königreich hat aus der Kolonialzeit vielfältige Erfahrung mit Islam und Hinduismus, ähnliches gilt für Frankreich mit dem Islam. Spanien und Portugal haben ihre Erinnerung an die maurische Zeit, Österreich seit den Türken. Nicht alle europäischen Staaten besitzen solche Erfahrungen. Andererseits ähneln sich die gegenwärtigen Erfahrungen und die damit einhergehenden Fragen der Integration des Islam in das europäische Religionsrecht: 8 Die Existenzweise des Islam entzieht sich weitgehend den christlich geprägten Kategorien des Amtes, der Repräsentation, der Gemeinde. Das macht den Umgang mit ihm organisatorisch schwierig. Die legitime Erwartung, daß islamisches Leben sich den in Europa gegebenen Rechtsinstitutionen anpaßt, findet allerdings Grenzen in der Religionsfreiheit. Man kann nicht erwarten, daß der Islam etwa Gemeinden bildet wie die christlichen Kirchen. Aber es zeigt sich schon, daß der Islam die Möglichkeiten der Vereinsbildung nutzt. So erscheint die Integration des Islam eher als eine Frage der Zeit, die Schwierigkeiten als Schwierigkeiten des Übergangs. Oft haben Religionsgemeinschaften besondere Stellungen in der Rechtsordnung. Diese besonderen Stellungen variieren vielfältig: Staatskirchen, vorherrschende Religionen, öffentlich-rechtliche Körperschaften, anerkannte Religionsgemeinschaften, Kultvereine, registrierte Religionsgemeinschaften. Die soziale und kulturelle Bedeutung der Religionsgemeinschaften rechtfertigt solche besonderen Stellungen im Staat. Sie liegen im staatlichen Demokratieinteresse, weil und soweit sie Ausdruck religiöser Zugehörigkeit der Bevölkerung sind. Sie liegen im staatlichen Friedensinteresse, weil und soweit sie Lösungen aus historischen Kämpfen sind. Sie dienen umfassender Freiheitsausübung, weil und soweit sie angemessene Wirkungsmöglichkeiten positiver Religionsausübung sind. Sie bedeuten antitotalitäre Begrenzung der Staatsmacht, weil und soweit die Religionsgemeinschaften dem Staat gegenüber Widerpart sein können. Keiner Religionsgemeinschaft darf der Staat den Zugang zu angemessener Religionsausübung versperren. 9 Die Auseinandersetzung der kommenden Jahre wird nicht so sehr der Religionsfreiheit gelten. Die Auseinandersetzung der kommenden Jahre wird die religionsrechtliche Gleichheit zum Hauptgegenstand haben. Die Auseinandersetzung kommt wesentlich aus den Vereinigten Staaten von Amerika. Religionsrechtliche Gleichheit verlangt nach mehr als dem bloß freien Marktplatz der Religionen. Der freie Marktplatz der Religionen: das ist zunächst eine einleuchtende, eine verführerische Idee. Aber sie verkürzt Religion auf Konversion. Strukturell bevorzugt sie missionarische vor kontemplativer Religion. Sie bedeutet Verengung von Religionsfreiheit auf Marktfreiheit Wer sich den Gesetzen des Marktes nicht unterwirft, wird unterworfen. Freiheit des Marktes ist doch nur eine Art der Freiheit. Und kein Markt kommt ohne Marktgesetze aus. Er ruft nach fai8 Vgl. S. Ferrari/ A. Bradnay (Hrsg.), Isalm and European Legal Systems, Ashgate, Dartmonth, 2000. 9 Vgl. G. Robbers, Staat und Religion, VVDStRL 59 (2000), S. 231 ff.
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rem Wettbewerb und Antikartellbehörden. Die Idee vom freien Marktplatz der Religionen - absolut gesetzt - weist staatlicher Intervention zur Marktregulierung den Weg. Gleichheit bedeutet vielmehr Angemessenheil der rechtlichen Wahrnehmung von Religion und damit Ungleichbehandlung, wo legitime Ungleichheiten bestehen, und Gleichbehandlung legitimer Gleichheit. Gleichheit ist deshalb ein zutiefst wertbezogenes Rechtsinstitut, nicht nur selbst ein Wert, sondern abhängig von anderen Werten, die in der demokratischen Gesellschaft der Verständigung bedürfen. Die bloße Marktfreiheit der Religion fragt vor allem nach der Zahl der Mitglieder, vielleicht auch nach deren Finanzkraft Historische Verpflichtungen zählen da nicht. In Deutschland besitzen die beiden großen Kirchen, Katholiken und Protestanten, regelmäßig Sitz und Stimme in den Aufsichtsgremien der öffentlich-rechtlichen Medien oder in öffentlichen Gremien sittlich-moralischer Relevanz. Regelmäßig sind dort auch die jüdischen Kultusgemeinden vertreten. Die Zahl der Mitglieder spielt da keine Rolle. Sie darf auch keine Rolle spielen. Das Recht der jüdischen Kultusgemeinden zur Mitwirkung ist sittliche Pflicht Deutschlands nach dem Nationalsozialismus. Dies sind andere Gleichheitsvoraussetzungen als sie in anderen Staaten Europas bestehen. IV. Das Religionsrecht der europäischen Staaten konvergiert. Wir erleben eine graduelle, vorsichtige Entstaatlichung von Staatskirchen einerseits und eine zunehmende Kooperationsbereitschaft der Trennungssysteme andererseits. Das ist nicht überall so, und wo es geschieht, geschieht es in unterschiedlichem Maße und in unterschiedlicher Geschwindigkeit. Wir haben es aber in Spanien, Portugal und Italien erlebt, und wir erleben es gegenwärtig in Schweden, Finnland und England, in anderer Richtung längst in Frankreich und wieder in den Niederlanden. Diese Konvergenz muß von innen, aus den Mitgliedstaaten selbst herauswachsen. Sie wird unterstützt durch die integrative Kraft der Europäischen Union und der Europäischen Menschenrechtskonvention. Schweden 10 ist ein besonders aktuelles Beispiel für solche europäische Konvergenz. Die Reform des schwedischen Religionsrechts ist auch ein besonders gelungenes Modell für Entwicklung im Konsens. Entflechtung von Staat und Staatskirche war hier das Ziel. Dieses Ziel ist weitgehend verwirklicht worden. Von vollständiger Trennung von Staat und Kirche kann dagegen nicht gesprochen werden. Sie war auch nicht das Ziel. Wandel und Kontinuität waren die beherrschenden, durchaus spannungsreichen Grundprinzipien der Neugestaltung. IO Vgl. L. Friedner; Church and State in Sweden in 1998, European Journal for Church and State Research 1999, S. 183.
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Einerseits ist die Schwedische Kirche in sehr erheblichem Maße von staatlicher Bindung freigestellt worden. Sie ist nun für ihre konkrete innere Ordnung selbst zuständig und hat sich auf der Grundlage der neuen staatlichen Gesetzgebung eine umfassende eigene Kirchenordnung gegeben. Andererseits behält die Schwedische Kirche eine besondere, herausgehobene Stellung in der schwedischen Rechtsordnung. Das wird schon daraus deutlich, daß sie im neuen Gesetz über die Glaubensgemeinschaften besonders genannt und von Gesetzes wegen registriert ist. Vor allem aber besteht die Schwedische Kirche im Rahmen eines besonderen, nur für sie geltenden staatlichen Gesetzes, dem Gesetz über die schwedische Kirche. Dieses Gesetz enthält grundlegende Bestimmungen über das Verhältnis dieser Kirche zum Staat, vor allem aber auch staatliche Regelungen über ihr Bekenntnis und ihre innere Organisation. Die Einheit von schwedischem Staat und schwedischer Kirche ist deshalb durch die Reform des Jahres 2000 nicht beendet, sie ist vielmehr auf eine neue Ebene gehoben worden, auf eine Ebene des Grundsätzlichen und der Basisstrukturen. Die anderen Religionsgemeinschaften besitzen nun angemessene Rechtsfähigkeit und Wirkungsmöglichkeiten. Die Umgestaltung weist damit einen Weg für eine ebenso tiefgreifende wie ruhige Entwicklung des Verhältnisses von Staat und Religionsgemeinschaften 11 , eine Entwicklung, die kulturellen Bestand wahrt, gerade indem sie auf den sozialen Wandel eingeht. Die anstehende Erweiterung stärkt den Katholizismus, und sie wird die Orthodoxie zu größerer Kraft und neuem Einfluß bringen. Die Europäische Union muß hierauf anders aufbauen als die Nationalstaaten. Sie muß neue Wege suchen, aber sie kann auch auf alte Erfahrungen vertrauen. Ein staatskirchliches System verbietet sich, darüber sind kaum Worte zu verlieren. Zu vielfaltig sind die Religionen und Weltanschauungen, als daß die Europäische Union ihr Selbstverständnis aus solcher Besonderheit begründen könnte, von den theologischen Klippen und den menschenrechtliehen Untiefen solcher Neugründung nicht zu reden. Ein US-amerikanisches Modell der "wall of separation" zwischen Staat und Religionsgemeinschaften für Europa? Die Vielzahl der Religionen und Weltanschauungen ist ein Integrationsproblem auch in Europa. Das mag auch für Europa zunächst nahelegen, strikte Trennung zu suchen. Aber die Doktrin der "wall of Separation" läßt sich nicht durchhalten, das zeigt gerade auch die heterogene Rechtslage in den Vereinigten Staaten von Amerika. 12 Vielfältig ist die Mauer durchbrachen. Wo sie hält, drängt sich der Verdacht der Diskriminierung des Religiösen 11 Vgl. S. -A. Selander, Evangelisch-lutherisch -demokratisch - landesumfassend -über die Schwedische Kirche damals und heute, ZevKR 45 (2000), S. 293 (309 ff.). 12 Vgl. M. S. Ariens/R. A. Destro, Religious Liberty in a Pluralistic Society, Durharn 1996, S. 947 ff. Vgl. als Schlüssel zu Schrifttum und Rechtsprechung eben dieses Werk von Ariens/Destro sowie S. Monsma/J. C. Soper, The Challenge of Pluralism, Lanham 1997, 15 ff.
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Das Verhältnis der Europäischen Union zu Religion und Religionsgemeinschaften
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auf. Das amerikanische Modell lebt zudem von einer sozialen Intensität der Religion, die sich in Europa kaum findet.
V. Europäische Konvergenz des Religionsrechts führt zu religionsrechtlicher Neutralität. Neutralität der Europäischen Union bedeutet aber nicht Blindheit und Indifferenz gegenüber Grundwerten und Überzeugungen der europäischen Bevölkerung. Die europäische Gesellschaft und ihr Recht sind zutiefst christlich geprägt. Das mag man wollen oder man mag das nicht wollen. Aber keine Gesellschaft und kein Staat kann sich neben die Geschichte stellen. Über allen Grundspannungen gibt es doch diese Gemeinsamkeit. Zweimal beruft sich die Präambel der neuen Europäischen Grundrechtecharta ausdrücklich auf die gemeinsamen Werte Europas. Die Verständigung darüber steht erst noch aus. Der Beitritt der mittel- und osteuropäischen Staaten wird diese Grundspannung verstärken, die bisher als europäischer Konflikt eher wenig hervorgetreten ist: die Frage der Axiologie, die Auseinandersetzung um Grundwerte. Sie besteht freilich schon in den Mitgliedstaaten selbst. Diese nun neu zu führende Grundwertedebatte betrifft gewiß das rechte Verständnis von Neutralität. Sie betrifft dabei aber schon die Frage der Aufklärung und ihrer Rolle in Europa. Was für ein schiefer Gegensatz ist das aber, wenn Christentum und Aufklärung in Gegensatz gebracht werden. Die Durchdringung der Ratio in der Scholastik ist eine Voraussetzung der Aufklärung mit ihrer Zentrierung in der Vernunft. Menschenrechte haben in der Gemeinsamkeit von Christentum und Aufklärung ihre Basis. Die Theologie der unmittelbaren Beziehung des einzelnen Menschen zu Gott führt zur Idee des Individuums und so zur Idee individueller Menschenrechte. Die Gleichheit der Menschen vor Gott liegt den Gleichheitssätzen der Verfassungen zugrunde und ebenso der Idee der Universalität der Menschenrechte. Die spanische Spätscholastik hat Wesentliches davon ins Praktische gewendet und ist den geschundenen Indios Südamerikas beigesprungen. Thomas von Aquin lehrt von der Freiheit auch des irrenden Gewissens; die Gewissensfreiheit hat hier eine Wurzel. Die Religionsfreiheit ist in religiösen Kämpfen erfochten worden. All das durchzieht die konkreten Gewährleistungen unserer Verfassungen. Es stimmt doch, daß alle wesentlichen staatsrechtlichen Begriffe säkularisierte theologische Begriffe sind, Souveränität und Freiheit, Dreiteilung der Gewalten, Würde und Gewissen. Die Würde des Menschen ist unantastbar. Das ist inzwischen Gemeingut staatlicher Verfassungen und internationaler Vertragswerke. Dem liegt die Vorstellung von der dignitas humana zugrunde, begründet besonders in der Lehre von der Gottebenbildlichkeit des Menschen. 2*
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VI. Diese Sinnprinzipien durchziehen auch den Entwurf der Europäischen Grundrechtecharta. 13 Sie wird in der Anwendung durch die Rechtsprechung, durch die Bearbeitung in der Rechtswissenschaft und nicht zuletzt in der politischen Durchsetzung weiteres Profil gewinnen. Auch wenn sie zunächst keine Rechtsverbindlichkeit besitzen wird, wird sie mindestens rechtliche Bedeutsamkeil erlangen. Nur ein Beschluß des Rates, und die Rechtsverbindlichkeit ist hergestellt. In manchem ist die Grundrechtecharta ein Komprorniß, ein Kompromiß der politischen Interessen, besonders ein Kompromiß der Rechtskulturen. Dabei ist erneut Gemeinsamkeit erzielt worden. Achtung und Schutz der Menschenwürde stehen am Anfang. Die Charta ist in sieben Kapitel geordnet, das erste ist der Würde des Menschen gewidmet. Im zweiten Kapitel erscheinen einzelne Freiheiten, darunter die Gedanken-, Gewissensund Religionsfreiheit. Sie entspricht dem Wortlaut des Art. 9 Abs. 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention. Damit ist soweit irgend möglich sichergestellt, daß individuelle wie kollektive Religionsfreiheit angemessen geschützt sein müssen. Religiöse Bedürfhisse sind auch in anderen Zusammenhängen ausdrücklich geschützt. Das Recht auf Bildung (Art. 14 Entwurf der Charta der Grundrechte der EU) umfaßt die Freiheit zur Gründung von Lehranstalten, also auch die Gründung religiös geprägter Schulen. Es umfaßt zudem das Recht der Eltern, gemäß der einzelstaatlichen Regeln die Erziehung und den Unterricht ihrer Kinder entsprechend ihren eigenen religiösen, weltanschaulichen und erzieherischen Überzeugung sicherzustellen. Diskriminierungen wegen der Religion oder der Weltanschauung sind verboten (Art. 21 Abs. 1 Entwurf der Charta der Grundrechte der EU). Hier wird sich der Streit um religionsrechtliche Gleichheit neu festmachen . Hier wird auch der Streit um kirchliche Autonomie und kirchliche Selbstbestimmung neu auszufechten sein, die gegenwärtig in den Entwürfen zu einer Richtlinie diskutiert werden, die religiöse und weltanschauliche Diskriminierung bekämpfen soll. Wichtig sind die Bestimmungen über die Einschränkung der Grundrechte. Einschränkungen stehen unter der Pflicht der Gesetzmäßigkeit und der Verhältnismäßigkeit, die im Einzelnen näher bestimmt sind. Auch dies ist Frucht der europäischen Grundrechtstradition und in diesem Horizont anzuwenden. Keine Bestimmung der Charta darf so ausgelegt werden, daß sie hinter dem Schutzniveau bestehender Gewährleistung zurückbleibt. Das gilt auch im Blick auf die Verfassungen der Mitgliedstaaten.
13 Vgl. G. Robbers, Ein Dokument mit Zukunftspotential, Herder Korrespondenz 2000, S. 615 ff.
Das Verhältnis der Europäischen Union zu Religion und Religionsgemeinschaften
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Das Positive dieser Grundrechtecharta überwiegt bei weitem. Was nicht unmittelbar einleuchtet, erscheint doch jedenfalls vertretbar. Und im Übrigen markiert sie die Stellen, an denen Überzeugungsarbeit geleistet werden muß. VII. Die Säkularisierung - oft wird sie beklagt oder aber begrüßt, aber sie stößt schon an ihre Grenzen. In Osteuropa bietet die Kirche neue Legitimität und Identität nach dem Zusammenbruch des Kommunismus. In Deutschland, wie besonders in Polen oder in der Tschechoslowakei, hat sich die soziale Kraft der Kirchen in der Überwindung des totalitären Regimes erwiesen. Sie waren Dach des Widerstandes. Auf die schiere Zahl eingetragener Mitglieder kommt es doch nicht wirklich an, doch auch nicht auf die Menge sonntäglicher Kirchgänger. Die Statistiker stellen bloß die falschen Fragen. Die Kirchenfremdheit großer Teile der Bevölkerung schlägt um in neues Interesse, allmählich. Der Streit um die Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre von katholischer und lutherischer Kirche ist in den großen Zeitungen breit dokumentiert worden; die schreiben, was ihre Leser lesen wollen. Die Botschaft ist gefragt. Erklärungen der vatikanischen Glaubenskongregation erscheinen auf den Titelseiten der Zeitungen und sind Gegenstand von Leitartikeln wie jüngst die Erklärung Dominus Deus zum Begriff der Kirche. Im Fernsehen und im Radio häufen sich religiöse Themen. Die Austritte aus den Kirchen nehmen ab, die Wiedereintritte nehmen zu. Dies ist jedenfalls der Eindruck in Deutschland, wo in die niedersächsische Verfassung durch Volksentscheid vor wenigen Jahren ein Gottesbezug in die Präambel neu aufgenommen worden ist. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung druckt im Feuilleton anstelle des Fortsetzungsromans das Erste Buch Mose. All dies bezeichnet aktuelle Bedürfnisse. In einem Staat mögen sie stärker, jedenfalls anders geartet sein, als in einem anderen. Jedenfalls gebieten sie, in Europa ein Religionsrecht zu entwickeln, das demokratischen Grundsätzen verpflichtet ist und den Menschenrechten.
Wechselseitige Erwartungen und bestehende Voraussetzungen im Verhältnis von Gesellschaft, Staat und Kirche
Das Verhältnis von Gesellschaft, Staat und Kirche in Polen Von Remigiusz Sobanski
I. Einführung
Im Rahmen des Tagungsthemas "Die Einigung Europas und das Verhältnis von Gesellschaft, Staat und Kirche" wurde um Beiträge gebeten über die "wechselseitigen Erwartungen und bestehenden Voraussetzungen", die an den Beispielen des Verhältnisses von Staat und Kirche in vier Ländern illustriert werden sollten: Polen, Frankreich, Großbritannien, Deutschland. Mir kommt dabei die Aufgabe zu, das Beispiel Polens aufzurollen. Die den vier Referenten vorgegebenen Themenbereiche zeugen eindeutig davon, daß das Institutionenverhältnis thematisiert werden soll. Eingangs sei daher bemerkt, daß sich das Staat-Kirche-Verhältnis nicht im Institutionenverhältnis erschöpft. 1 Nicht von ungefähr wird die Gegenüberstellung dieser Begriffe - wie im Programm unserer Tagung2 - mit dem Begriff der Gesellschaft zu einer Triade erweitert.3
I Wahrend einer Auslandssitzung der Katholischen Akademie "Die Wolfsburg" am 12. II. 1994 in Kattowitz hatte ich die Ansicht vertreten, "vordergründig sei in Polen nicht das Problem ,Kirche und Staat', sondern ,Kirche und Gesellschaft'": R. Sobariski, Verkündigung und Recht (im Kontext des Verhältnisses von Kirche und Staat in Polen 1989 - 1994), in: H. J. F. Reinhardt (Hrsg.), Theologia et Ius Canonicum. Festschrift für H. Heinemann zum 70. Geburtstag, Essen 1995, S. 137 (145). 2 Vgl. auch E.-W Böckenförde, Staat- Gesellschaft- Kirche, in: ders., Religionsfreiheit. Die Kirche in der modernen Welt. Schriften zu Staat - Gesellschaft - Kirche, Band 3, Freiburg, Basel, Wien 1990, S. 113 ff. 3 Vor diesem Hintergrund sei auch daran erinnert, daß mit dem Begriff "Kirche" eine zweifache Erscheinungsform gemeint ist: als eine institutionelle Einheit, die durch ihre Amtsträger repräsentiert wird und handelt, und als eine Gemeinschaft von Gläubigen, die sich zur Kirche bekennen und am Vollzug der Sendung der Kirche teilhaben (Böckenförde, Staat- Gesellschaft- Kirche (Anm. 2), S. 152). Der Umfang und das Gewicht des Auftretens der Kirchen durch ihre Amtsträger und durch die sich auf die Zugehörigkeit zur Kirche berufenden Gläubigen und auch die innere Zuordnung dieser Weisen des Auftretens weist Unterschiede zwischen der katholischen und den reformatorischen Kirchen auf, doch diese Differenzen heben die zweifache Erscheinungsform nicht auf (Böckenförde, Staat - Gesellschaft Kirche (Anm. 2), S. 153).
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II. Die Rechtsquellen des Staat-Kirche-Verhältnisses Auf höchster staatsrechtlicher Ebene ist das Verhältnis des Staates zu den Kirchen und Religionsgemeinschaften in Art. 25 der polnischen Verfassung geregelt. Als "Grundnorm" sei dieser hier wörtlich wiedergegeben: (I) Die Kirchen und Konfessionsgemeinschaften sind gleichberechtigt.
(2) Die öffentlichen Behörden in der Republik Polen bewahren Unparteilichkeit in Sachen der religiösen, weltanschaulichen und philosophischen Überzeugungen und sichern die Freiheit deren Ausdrucks im öffentlichen Leben ab. (3) Die Verhältnisse zwischen dem Staat und den Kirchen und anderen Konfessionsgemeinschaften werden gestaltet aufgrund der Prinzipien der Achtung ihrer Autonomie und gegenseitiger Unabhängigkeit eines jeden in seinem Bereich, wie auch des Zusamrnenwirkens für das Wohl des Menschen und für das Gemeinwohl. (4) Die Verhältnisse zwischen der Republik Polen und der katholischen Kirche bestimmen ein mit dem Apostolischen Stuhl geschlossener Vertrag und Gesetze. (5) Die Verhältnisse zwischen der Republik Polen und anderen Kirchen und Konfessionsgemeinschaften werden bestimmt durch Gesetze, die aufgrund von zwischen der Regierung und deren kompetenten Vertretern geschlossenen Verträgen erlassen werden. Dem Auftrag des Abs. 4 gemäß wurde am 28. 7. 1993 ein Konkordat zwischen der Republik Polen und dem Heiligen Stuhl unterzeichnet, das am 27. 4. 1998 in Kraft getreten ist. 4 Der Verfassung und dem Konkordat folgen einfachgesetzliche Quellen: 1. Das Gesetz vom 17. 5. 1989 über die Garantien der Freiheit des Gewissens und Glaubens.5 2. Das Gesetz vom 17. 5. 1989 über das Verhältnis des Staates zur Katholischen Kirche in der Volksrepublik Polen.6
4 Oe facto wurde das Konkordat noch zur Zeit der Geltung der Verfassung vom 22. 7. 1952 unterzeichnet. Über die u. a. deswegen aufgebrochene Kontroverse vgl. R. Sobanski, Rechtsfragen in der Kontroverse um das polnische Konkordat vom 28. Juli 1993, in: P. Boekholt/1. Riedel-Spangenberger (Hrsg.), Justitia et modestia. Festschrift für H. Socha zum 65. Geburtstag, München 1998, S. 306 ff. 5 Dz. U. 1989, N. 29, P. 155- mit Änderungen, vor allem vom 26. 6. 1997- Dz .U. 1998, N. 59, P. 375. Eine deutsche Übersetzung der ursprünglichen Fassung dieses Gesetzes findet sich im Anhang der Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche (EssGespr.) 29 (1995), hrsg. von H. Marre/D. Schümmelfeder, S. 244 ff. 6 Dz. U. 1989, N. 29, P.154 mit vielen nachträglichen Änderungen. Eine deutsche Übersetzung der ursprünglichen Fassung dieses Gesetzes findet sich in: EssGespr. 29 (Anm. 5), S. 222 ff.
Das Verhältnis von Gesellschaft, Staat und Kirche in Polen
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3. Gesetze über das Verhältnis des Staates zu verschiedenen Kirchen und Religionsgemeinschaften. 7 Die Gesetze über die Garantien der Freiheit des Gewissens und Glaubens sowie über das Verhältnis des Staates zur Katholischen Kirche wurden noch vor der Wende verabschiedet, die anderen wurden - im Übereinkommen mit den entsprechenden Kirchen und Religionsgemeinschaften - in den Jahren 1991-1997 promulgiert. 8 Sie alle wurden bereits novelliert. Alle oben erwähnten Gesetze funktionieren tatsächlich und effektiv. Es sind nicht bloß verbale Bekenntnisse oder (wie einst so manches Gesetz der Ära des realen Sozialismus) nach außen demonstrierte Symbole, dieses Recht wird von den Behörden beachtet und konkret angewendet. Der Quellenbasis sind noch weitere Gesetze zuzurechnen, nämlich solche, deren Normen in den kirchlichen Bereich direkt oder indirekt hinein wirken9 , aber auch solche, an denen die Kirchen aus ethischen Gründen interessiert sind. 10 Mit Art. 4 des Gesetz vom 17. 5. 1989 über das Verhältnis des Staates zur Katholischen Kirche erhielt der Gemeinsame Ausschuß aus Vertretern der Regierung und der Bischofskonferenz seine gesetzliche Fundierung. Ihm obliegt die Erörterung der mit der Entwicklung der Kirche-Staat-Beziehungen zusammenhängenden Probleme und der mit der Interpretation dieses Gesetzes verbundenen Fragen, wodurch die Kompetenz der staatlichen und kirchlichen Organe - wie auch des Heiligen Stuhls - keineswegs angetastet wird. Nach dem lokrafttreten des Konkordats wurde am 9. 5. 1998 vom Staatssekretariat die Kirchliche Konkordatskommission einberufen, der einen Tag später die vom Premierminister einberufene Staatliche Konkordatskommission folgte. Sie sollen einer möglichst reibungslosen Durchführung der konkordatären Bestimmungen dienen. Im Gesetz vom 4. 9. 1997 "über die Abteilungen der Regierungsadministration"11 wird unter den 28 Abteilungen auch die für "Konfessionsgemeinschaften"
7 Über das Verhältnis zur Orthodoxen Kirche, zur Evangelischen Kirche Augsburgischen Bekenntnisses, zur evangelisch-reformierten Kirche, zur Methodistenkirche; zur Kirche der Christen-Baptisten; zur Kirche der Siebenten-Tags-Adventisten; zur polnisch-katholischen Kirche; zu den jüdischen Gemeinden; zur katholischen Kirche der Mariaviten, zur altkatholischen Kirche der Mariaviten, zu der Pentecosteskirche. s Außerdem gelten noch der Erlaß des Staatspräsidenten vom 22. 3. 1928 über das Verhältnis zur Östlichen Altrituellen Kirche und zwei Gesetze vom 21. 4. 1936 über das Verhältnis zum Museimanischen Religionsverein und zum Karamaischen Religionsverein. 9 Z. B. Datenschutzgesetze, Steuergesetze, Gesetze über das Rundfunk- und Fernsehwesen, über das Bildungssystem, über die Hochschulen, Arbeitsrecht, Eherecht, Vereinsrecht, Friedhofsrecht, Denkmalschutzgesetzgebung, Finanz- und Versicherungsrecht 10 Z. B. über den Schutz des Lebens. II Dz. U. 1998, N. 141, P. 943, Art. 5 und 30.
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genannt, die für "die Beziehungen des Staates zur katholischen Kirche und zu anderen Kirchen und Konfessionsgemeinschaften" zuständig ist. Erwähnt sei noch, daß im Jahre 1989 die diplomatischen Beziehungen Polens mit dem Heiligen Stuhl wieder aufgenommen wurden und daß seit dem 23. 11. 1989 der Apostolische Nuntius in Warschau residiert. Weder das Recht noch die Doktrin definieren Religion, Kirchen und Religionsgemeinschaften, sie definieren sich selbst. Nach Maßgabe des Gesetzes über die Garantien der Gewissens- und Glaubensfreiheit 12 steht einer Gruppe von mindestens 100 Personen das Recht zu, die Eintragung einer Religionsgemeinschaft ins Register des Innenministeriums zu beantragen. Vorzulegen sind das Statut, eine Darstellung ihrer Formen des religiösen Lebens, der Doktrin, der Ziele und Wirkungsmethoden, eine Anzeige des Sitzes und der Organe. Der Antrag kann abgelehnt werden aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, der Moral und auch, wenn Grundrechte und Freiheit anderer bedroht sind. Mit der Eintragung erlangt die Gemeinschaft die zivile Rechtspersönlichkeit und alle sich aus der Religionsfreiheit ergebenden Rechte. In den Gesetzen, die das Verhältnis des Staates zu den einzelnen Kirchen regeln, werden auch die sich der Rechtspersönlichkeit erfreuenden kirchlichen Einrichtungen aufgezählt. Bezüglich der katholischen Kirche wurden generelle Regelungen im Konkordat getroffen (Art. 4). Demzufolge anerkennt der Staat die Rechtspersönlichkeit der katholischen Kirche und aller ihrer Einrichtungen, denen Rechtspersönlichkeit aufgrund des Kirchenrechts zukommt (Bischofskonferenz, Diözesen, Pfarreien, Priesterseminare, Orden und Ordensprovinzen usw.). Sie erlangen die zivile Rechtspersönlichkeit in dem Moment, in dem die entsprechende staatliche Behörde über ihre Errichtung informiert wird. Anderen kirchlichen Einrichtungen (nämlich jenen, die die kirchliche - öffentliche - Rechtspersönlichkeit nicht aufgrund des Kirchenrechts, sondern aufgrund einer besonderen Verleihung per Dekret seitens der zuständigen kirchlichen Autorität erlangen) wird die zivile Rechtspersönlichkeit auf Antrag der zuständigen kirchlichen Autorität durch einen Erlaß des Innenministers verliehen. Paradigmatisch ist freilich das Verhältnis des Staates zur katholischem Kirche. 13 Auf die Gleichberechtigung aller Kirchen und Religionsgemeinschaften wird jedoch allseits großer Wert gelegt. Das polnische Recht kennt den Begriff "gesetzlich anerkannte Kirchen bzw. Religionsgemeinschaften" nicht, es bedient sich des Ausdrucks "Kirchen bzw. Kon12 Dz. U. 1989, N. 29, P. 155, Art. 30-38 (Übersetzung: EssGespr. 29 (Anm. 5), S. 252 ff.) und Erlaß des Innenministers vom 31. 3. 1999- DZ v. 1999, N. 38, P 374. 13 Wenn in Polen vom Staat-Kirche-Verhältnis die Rede ist, wird praktisch die katholische Kirche gemeint. Die Ursachen dafür sind nicht nur demographischer Natur. Sie sind auch in der Tatsache zu sehen, daß nur diese Kirche ihre Position dem Staat gegenüber behauptete (was freilich auch bedingt war durch das zahlenmäßige Verhältnis der Katholiken zu den Nichtkatholiken).
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fessionsgemeinschaften mit reguliertem Rechtsstatus". 14 Eine gesetzliche Regulierung setzt freilich eine implizite Anerkennung voraus, zumal diesen Gesetzen beiderseits getroffene Vereinbarungen vorausgingen. 15 Einen ebenbürtigen rechtlichen Status haben alle nach dem bisherigen Recht - mitsamt dem Gesetz vom 17. 5. 1989 über die Garantien der Freiheit des Gewissens und Glaubens- eingetragenen Religionsgemeinschaften. 16 Im geltenden polnischen Recht wird der Begriff "Trennung von Kirche und Staat" gemieden. Nach den Erfahrungen der Nachkriegszeit und der Deutung dieses Begriffs in Theorie und Praxis des sozialistischen Staates war er für die katholische Kirche unerträglich, und zwar um so mehr, als diese Deutung auch in den neunziger Jahren, während der Debatte um die Verfassung und um das Konkordat, zur Sprache kam. 17 Als grundlegendes Prinzip des Staat-Kirchen-Verhältnisses wird in der Verfassung die "Achtung deren Autonomie und gegenseitigen Unabhängigkeit eines jeden in seinem Bereich" wie auch das "Zusammenwirken für das Wohl des Menschen und für das Gemeinwohl" proklamiert. 18 Hinsichtlich der katholischen Kirche wurde diese Grundlage der Beziehungen im Konkordat festgeschrieben.19 Im Gesetz über die Garantien der Freiheit des Gewissens und Glaubens wirkt sich dieses Prinzip in folgenden Rechten aus: Artikulierung und Verkündigung der Doktrin, öffentliche Ausübung des Kultus, unbehinderte Gestaltung der Strukturen und Besetzung der Ämter, Ausbildung der Geistlichen, Eigentumserwerb und -verwaltung, Betätigung auf dem Gebiet der Bildung mitsamt dem Zugang zu den öffentlichen Medien, karitative Betätigung, Mitgliedschaft in internationalen Organisationen. 20 Alle öffentlichen Behörden sind verpflichtet, die in der angeborenen und unveräußerlichen Würde des Menschen verankerten Freiheiten und Rechte zu achten und zu schützen21 , darunter die Religionsfreiheit. Diese umfaßt "die Freiheit des Bekennens und der Annahme einer Religion nach eigener Wahl und der Ausübung So z. B. Art. 53 Abs. 4 der Verfassung. Außer der katholischen Kirche sind es 14 Kirchen bzw. Religionsgemeinschaften. 16 M. Pietrzak, Prawo wyznaniowe, Warszawa 1999, S. 241-243, zählt 138 registrierte Gemeinschaften auf (Stand vom 30. 9. 1998). 17 R. Sobanski, Der Bürger, die Gesellschaft und der Staat im Projekt der polnischen Verfassung, in: R. Puza/ A. Weiß (Hrsg.), Justitia in caritate. Festgabe E. Rößler zum 25jährigen Dienstjubiläum als Offizial der Diözese Rottenburg-Stuttgart, Frankfurt a. M., Berlin, Bem, New York, Paris, Wien 1997, S. 747 ff. 18 Art. 25 Abs. 3 der Verfassung. 19 "Der Staat respektiert die Unabhängigkeit und Autonomie der katholischen Kirche. Die Republik Polen und der Heilige Stuhl halten fest, daß Staat und katholische Kirche, jeder in seinem eigenen Bereich, unabhängig und autonom sind, und daß sie sich im vollen Respekt dieses Prinzips in ihren wechselseitigen Beziehungen und ihrer Zusammenarbeit zur Förderung des Menschen und des Gemeinwohls verhalten."- Art. 1. 20 Zusammengestellt von H. Misztal, in: ders. (Hrsg.), Prawo wyznaniowe, Lublin 2000, S. 220-223. 21 Art. 30 der Verfassung. 14
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seiner Religion individuell oder mit anderen, öffentlich oder privat, durch Kultushandlungen, Gebet, Teilnahme an Zeremonien, Praktizieren und Lehre. Die Religionsfreiheit umfaßt auch den Besitz von Gotteshäusern und anderen Kultstätten, abhängig von den Bedürfnissen der Gläubigen, sowie das Recht der Inanspruchnahme religiöser Hilfe dort, wo sich die Gläubigen befinden. ,m Das Recht der Ausübung der Religion kann nur durch Gesetz begrenzt werden und das nur dann, wenn dies notwendig ist für den Schutz der Sicherheit des Staates, der öffentlichen Ordnung, der Gesundheit, der Moral oder der Freiheit und der Rechte anderer.Z3 Zur Teilnahme oder Nichtteilnahme an religiösen Praktiken darf niemand gezwungen werden, niemand darf durch die öffentlichen Behörden genötigt werden, seine Weltanschauung, religiöse Überzeugungen oder sein Bekenntnis zu äußern. 24 In den Personenstandsbüchern wird die Zugehörigkeit oder Nichtzugehörigkeit zu einer Kirche nicht vermerkt. Die den Diensteid Ablegenden können hinzufügen "so wahr mir Gott helfe". 25 111. Kirchenfinanzierung und Kirchenvermögen 1. Kirchenfinanzierung
In der Ausübung des religiösen Kultus werden die Kirchen vom Staat finanziell nicht unterstützt. Grundlegend ist also ein System der freiwilligen Spenden. 26 Eine staatliche Subventionierung ist möglich in solchen Bereichen des öffentlichen Lebens, in denen es zur Berührung der Kirchen mit der Betätigung des Staates und anderer, nicht auf Gewinnerzielung ausgerichteter Organisationen kommt. Dies gilt insbesondere für: (1.) Staatsleistungen, die im Gesetz über den Kirchenfonds begründet sind27 ; (2.) Zuwendungen zur Bestreitung von Aktivitäten, die solchen ähnlich sind, die staatliche oder soziale Subjekte betreiben.Z8
Art. 53 Abs. 2 der Verfassung. Art. 53 Abs. 5 der Verfassung. 24 Art. 53 Abs. 6 n. 7 der Verfassung. Art. 53 stimmt überein mit Art. 10 (Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit) und Art. 50 (Tragweite der garantierten Rechte) des Entwurfes der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (abgedruckt in: F.A.Z., Nr. 181 vom 7. 8. 2000, S. 12). Art. 50 des Entwurfes entspricht nunmehr Art. 52 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union. 25 Z. B. Art. 104 Abs. 2 der Verfassung. 26 Das Funktionieren dieses Systemsam Beispiel einer Diözese nach dem Stand im Jahre 1989 wird dargelegt von: R. Sobariski, Die finanziellen Grundlagen des Wirkens der katholischen Kirche in Polen, in: H. Paarhammer (Hrsg.), Kirchliches Finanzwesen in Österreich. Geld und Gut im Dienste der Seelsorge, Thaur 1989, S. 409 ff. 27 Dz. U. 1950, N. 8, P. 87. 28 Außerdem sind zu erwähnen die Finanzierung des Religionsunterrichts, des privaten Schulwesens, der Anstaltsseelsorge, Stipendien für Seminaristen - siehe unten. 22 23
Das Verhältnis von Gesellschaft, Staat und Kirche in Polen
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a) Staatsleistungen nach dem Gesetz über den Kirchenfonds Der Kirchenfonds wurde im Jahre 1950 gegründet als Ausgleich für die Verstaatlichung der kirchlichen Liegenschaften. Das Einkommen von diesem Vermögen sollte laut Gesetz verwendet werden: (1.) für Unterhalt und Wiederaufbau von Kirchen, (2.) als soziale Hilfe für den Klerus, (3.) für kirchliche karitative Tätigkeit. Dieser Fonds war jedoch nie im staatlichen Haushalt gesondert ausgewiesen. Nach der Wende wurden seine Aufgaben durch zwei Erlasse der Regierung erweitert.29 Unter den heutigen Gegebenheiten stellt er jedoch einen Fremdkörper dar; über seine Zukunft wird in den konkordatären Kommissionen verhandelt. Es fehlt die Zeit, um zu tragfähigen Lösungen zu gelangen. 30
b) Betätigungen analog den staatlichen Tätigkeiten Nach der konkordatären Vereinbarung wird die von kirchlichen juristischen Personen getragene Betätigung rechtlich der analogen Zielen dienenden und von staatlichen Institutionen geführten Betätigung gleichgestellt, wenn sie humanitären, karitativ-fürsorglichen, wissenschaftlichen und bildungs-edukativen Zielen dient (Art. 22). Die kirchlichen und die staatlichen Institutionen haben in solchen Fällen denselben Zugang zu den öffentlichen Mitteln. 31 Im Gesetz über die öffentlichen Finanzen wurde bestimmt, daß allen Subjekten das Recht der Erfüllung der aus öffentlichen Mitteln finanzierten Aufgaben zusteht. Auf dieser Grundlage werden subventioniert (außer der humanitären und karitativen Tätigkeit): Die von kirchlichen (der katholischen Kirche und anderer Kirchen) juristischen Personen geführten Schulen, die Katholische Universität Lublin und die Päpstliche Akademie in Krakau (deren Finanzierung aber auch im Konkordat verbürgt ist). Dazu muß noch die vom Staat geleistete Hilfe bei Erhalt und Renovierung der Baudenkmäler erwähnt werden.32
2. Steuervergünstigungen 1. Nach dem Gesetz vom 20. 11. 199833 zahlen die Geistlichen 34 eine pauschale Einkommenssteuer, deren Höhe jedes Jahr festgelegt wird. Dz. U. 1990, N. 61, P. 354 und Monitor Polski 1991, N. 39, P. 279. Das Gesetz über den Kirchenfonds ist nicht zu vereinbaren u. a. mit dem Gesetz vom 26. 11. 1998 über die öffentlichen Finanzen. 31 Das wird schon seit 1991 praktiziert. 32 Art. 23 Abs. 5 des Konkordats; Art. 43 Abs. 3 des Gesetzes über das Verhältnis des Staates zur Katholischen Kirche (Übersetzung: EssGespr. 29 (Anm. 5), S. 234). 33 Dz. U. 1998, N. 144, P. 930. 34 Der Begriff des Geistlichen wurde nicht definiert. 29
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2. Aus dem Ausland kommende Schenkungen für kirchliche juristische Personen sind zollfrei, wenn sie für die der Verwirklichung der kirchlichen Aufgaben dienende Tätigkeit bestimmt sind35 (seit 1998 ausgenommen sind Personenkraftwagen und mit einer Verbrauchssteuer belegte Waren). 3. Sammlungen für die von den Kirchen realisierten Aufgaben, wenn sie auf kirchlichem Terrain oder auf üblichen Orten durchgeführt werden, unterliegen nicht dem staatlichen Sammlungsrecht 36 4. Steuerfrei ist das Einkommen kirchlicher juristischer Personen, das sich aus nichtwirtschaftlicher, den Statuten entsprechender Tätigkeit ergibt. Die Erträge aus anderer Tätigkeit sind steuerfrei, sofern sie verwendet werden für die Ziele des religiösen Kultus, der Bildung und Edukation, der Wissenschaft und Kultur, der karitativen und fürsorglichen Betätigung, der Denkmalpflege, des Aufbaus und der Instandsetzung von Kirchen und Kapellen. 37 Darunter fallen auch Firmen, deren einzige Aktionäre kirchliche juristische Personen sind?8 5. Steuerfrei sind kirchliche Immobilien, sofern sie nicht der wirtschaftlichen Tätigkeit dienen und nicht als Wohnungen benutzt werden. Wohnungen sind nur dann frei von Steuern, wenn sie im Register der Denkmale eingetragen sind. Nicht besteuert sind auch: Häuser, die als Schul- oder Seminarinternate benutzt werden, Häuser der kontemplativen Orden, Formationshäuser der Ordensgemeinschaften, Heime für emeritierte Priester und Ordensleute, Gebäude der Diözesankurien und des Sekretariates der Bischofskonferenz. 39 6. Erbschafts- und schenkungssteuerfrei und auch frei von Stempelgebühren sind Vermögenserwerb und -veräußerung, wenn sie nicht der wirtschaftlichen Tätigkeit dienen sollen. 40 3. Soziale Versicherung der Geistlichen
In den Jahren 1945-1989 hatten die Geistlichen41 - seit 1977 als einzige soziale Gruppe - kein Anrecht auf soziale Versicherung. Dieses wurde ihnen zugebilligt 35 Art. 56 des Gesetzes über das Verhältnis des Staates zur Katholischen Kirche (Übersetzung: EssGespr. 29 (Anm. 5), S. 237). 36 Art. 21 Abs. 2 des Konkordats. 37 Art. 55 Abs. 2 und 3 des Gesetzes über das Verhältnis des Staates zur Katholischen Kirche (Übersetzung: EssGespr. 29 (Anm. 5), S. 236). 38 Gesetz vom 15. 2. 1992- Dz. U. 1993, N. 106, P. 482 (mit späteren Änderungen). 39 Art. 55 Abs. 4 und 5 des Gesetzes über das Verhältnis des Staates zur Katholischen Kirche (Übersetzung: EssGespr. 29 (Anm. 5), S. 236). 40 Art. 55 Abs. 6 des Gesetzes über das Verhältnis des Staates zur Katholischen Kirche (Übersetzung: EssGespr. 29 (Anm. 5), S. 236 f.). 41 Mit Ausnahme derer, die sich dem Erlaß vom 19. 8. 1961 "über die katechetischen Punkte" beugten, und auch derer, die dem vom Staat privilegierten Verband Caritas angehörten.
Das Verhältnis von Gesellschaft, Staat und Kirche in Polen
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mit dem Gesetz über die Sozialversicherung der Geistlichen vom 17. 5. 1989.42 Mit dem Begriff "Geistlicher" waren auch Ordensleute umfaßt, die im Gesetz benutzte Terminologie der katholischen Kirche sollte auf andere Kirchen entsprechend angewendet werden. Dieses Gesetz galt bis zum Inkrafttreten der generellen Reform der sozialen Versicherung durch Gesetz vom 13. 10. 1998.43 Nach Maßgabe dieses neuen Reformgesetzes werden alle Personen, die bisher als Geistliche begriffen wurden44 , aufgrund des Status einer geistlichen Person von der Pensions-, Renten- und Unfallpflichtversicherung umfaßt, von der Krankenversicherung können sie freiwillig Gebrauch machen. Falls eine geistliche Person aus anderem Grunde von der Pflichtversicherung umfaßt ist, braucht sie nicht mehr als geistliche Person versichert werden. Der für die Sozialpflichtversicherung zu leistende Beitrag wird berechnet nach der Quote der niedrigsten, vom Arbeitsminister festgelegten Belohnung. Die Geistlichen (oder- im Falle der Ordensleute- ihre Vorgesetzten) selbst zahlen jedoch nur 20% des Beitrags. Der Rest(!) wird finanziert vom Kirchenfonds, der übrigens für die Mitglieder der kontemplativen Orden und für die Missionare den gesamten Beitrag zahlt. Obligatorisch ist auch die Gesundheitsversicherung. Der Beitrag wird von den Geistlichen selbst (bzw. ihrem Ordensoberen) gezahlt; für die Geistlichen, die keine Einkommens- oder pauschale Steuer zahlen, wird er vom Kirchenfonds getragen.45
4. Vermögensrecht
Seit 1990 wurden alle Vorschriften, die die Kirchen irgendwie im Erwerb, in der Verwaltung und der Verfügung ihres Vermögens beschränkten, aufgehoben. Kraft Art. 60 Abs. 1 des Gesetzes vom 17. 5. 1989 über des Verhältnis des Staates zur Katholischen Kirche wurden alle Immobilien oder ihre Teile zu Eigentum der katholischen Kirche erklärt, falls sie im Eigentum der Diözesen, Gemeinden oder Klöster standen, oder sie zwar kraft des Gesetzes vom 20. 3. 1950 verstaatlicht wurden, aber doch von kirchlichen juristischen Personen benutzt wurden, oder aber sich auf ihnen sakrale Objekte oder Friedhöfe befinden (mit Ausnahme der Gamisionskirchen). Bezüglich anderer Immobilien wurde in Art. 61 verfügt, daß sie auf dem Wege eines "Regulationsverfahrens" auf Antrag kirchlicher juristischer Personen rückübereignet werden, falls sie nicht unter das Gesetz vom 3. 1. 1946 über die Verstaatlichung der Hauptzweige der nationalen Wirtschaft fallen. Außerdem können Dz. U. 1989, N. 29, P. 156. Gesetz vom 13. 10. 1998- Dz. U. 1998, N. 137, P. 887. 44 Alumnen und Novizen nur vom vollendeten 25. Lebensjahr ab. 45 Gesetz vom 6. 2. 1997 über die allgemeine Gesundheitsversicherung- Dz. U. 1997, N. 28, P. 153. 42
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3 Schlagheck/Kämper
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der Kirche auf den sog. West- und Nordgebieten unentgeltlich agrarische Liegenschaften übereignet werden, wenn diese dem staatlichen Agrarfonds angehören und nicht von einer anderen juristischen Person verwaltet werden. 46
IV. Religionsunterricht an staatlichen Schulen Mit dem Schuljahr 1990 I 91 kehrte per Instruktion des Ministers der nationalen Erziehung der Religionsunterricht in die Volks- und Mittelschulen47 zuriick. Die Instruktion wurde von der gemeinsamen Kommission von Vertretern der Kirche und der Regierung ausgearbeitet. Diese Weise der Wiedereinführung des Religionsunterrichts löste den Protest eines Teils der Gesellschaft aus und wurde auch vom Ombudsmann vor dem Verfassungsgericht wegen Illegalität angefochten. Das Tribunal pflichtete der Meinung des Ombudsmanns nicht bei, wodurch allerdings die Streitigkeiten nicht beigelegt werden konnten. Die Gemüter haben sich erst beruhigt, als die Sache juristisch mit dem Gesetz vom 7. 7. 1991 über das Bildungssystem48 geregelt wurde und - andererseits - durch die Praxis die Befürchtungen (z. B. hinsichtlich der Desorganisation des Schulunterrichts oder der Diskriminierung der dem Religionsunterricht Fernbleibenden) entkräftet wurden. Seine rechtliche Verankerung findet der Religionsunterricht in der Verfassung49 , im Konkordat (Art. 12), im erwähnten Gesetz vom 7. 7. 1991 und in einem Erlaß des Ministers vom 14. 4. 1992.50 Dazu kommen noch entsprechende Verfügungen, die sich in den Gesetzen über das Verhältnis des Staates zu den einzelnen Kirchen und Religionsgemeinschaften befinden. In allen öffentlichen Schulen wird der Religionsunterricht angeboten - und zwar in den Volksschulen und Gymnasien auf Wunsch der Eltern, in den übergymnasialen Schulen (Lyzeen, technische Fachschulen) auf Wunsch der Eltern oder der Schüler. Dieser Unterricht - als fakultatives Fach, das zwar auf dem Zeugnis mit einer Zensur bekundet wird, aber keinen Einfluß auf die Versetzung hat - muß immer dann organisiert werden, wenn sich in der Schule mindestens sieben Schüler der entsprechenden Konfession befinden.5 1 46 Novelle vom 11. 10. 1991 - Dz. U. 1991, N. 107, P. 459. Bezüglich der Orthodoxen Kirche vgl. Gesetz vom 4. 7. 1991- Dz. U. 1991, N. 86, P. 287. 47 Als Mittelschulen sind hier die Schulen gemeint, die mit dem Abitur absolviert werden. 48 Ustawa o systemie oswiaty - Dz. U. 1991, N. 95, P. 425. Novellierung: 1998, N. 117, P. 759. 49 "Die Religion einer Kirche oder anderer Konfessionsgemeinschaften, die einen regulierten Rechtsstatus haben, kann Gegenstand des Schulunterrichts sein, wobei die Gewissensfreiheit und Religion anderer Personen nicht angetastet werden darf."- Art. 53 Abs. 4. so Rozporutdzenie w sprawie warunk6w i sposobu organizowania religii w szkolach publicznych- Dz. U. 1992, N. 36, P.155, novelliert: Dz. U. 1993, N. 83, P. 390; 1999, N. 67, P. 753. 51 In Art. 12 des Gesetzes ist die Rede von 7 Schülern, nicht von Teilnahmewilligen. Diese Bestimmung ist von der Rücksicht auf die nichtkatholischen Gemeinschaften geleitet und
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Der Religionsunterricht ist konfessionell konzipiert. Er wird nach dem ausschließlich von den jeweiligen Kirchen erarbeiteten Programm erteilt, wobei die Lehrpläne und die Schulbücher dem Ministerium zur Kenntnisnahme vorgelegt werden. Die Religionslehrer sind dem staatlichen und dem kirchlichen Recht verpflichtet. Sie werden von entsprechenden staatlichen Behörden (Arbeitsvertrag mit dem Schuldirektor, Ernennung vom Kurator) angestellt, wobei sie als conditio sine qua non die kirchliche Ermächtigung52 vorlegen müssen. Der Entzug dieser Ermächtigung schließt eine weitere Anstellung als Religionslehrer aus. 5 3 In diesem Kontext sei noch erwähnt, daß in den Klassenräumen "religiöse Symbole" angebracht werden dürfen und, wenn es "ein gemeinsamer Wunsch der Schüler ist", am Beginn und am Ende des Unterrichtes (nicht nur des Religionsunterrichts!) ein Gebet gesprochen werden kann, wobei sich die Lehrer "taktvoll und delikat" verhalten sollen. 54 V. Theologische Fakultäten an staatlichen Universitäten
Dieses Thema bedarf eines Rückblicks in die unmittelbare und auch etwas weiter zuriickliegende Vergangenheit. setzt stillschweigend voraus, daß diese Schüler sich zum Religionsunterricht anmelden. Da das Religionsbekenntnis in amtlichen Urkunden und Dokumenten nicht vermerkt wird, kommt die Konfessionszugehörigkeit in der Schule praktisch nur durch den Wunsch nach dem Religionsunterricht zur Sprache. (Nicht auszuschließen wäre, daß mindestens sieben Schüler- bzw. deren Eltern -einen Unterricht in einer anderen als ihre eigene Religion wünschen.) Wenn die Zahl dieser Schüler zwischen 3 und 7 beträgt, kann der Unterricht gemeinsam für Schüler verschiedener Schulen organisiert werden. 52 Zum katholischen Unterricht die vom Diözesanbischof erteilte missio canonica. Hinsichtlich anderer Konfessionen wurde der zur Erteilung der Ermächtigung zuständige Vorgesetzte entsprechend vereinbart. 53 Die Regelungen gehen nicht ins Detail hinsichtlich der Folgen des Entzugs der kirchlichen Ermächtigung einerseits und des geltenden Arbeitsrechts (mitsamt der "Lehrer-Charta") anderseits. Gegen den Entzug wird der Rechtsweg an eine staatliche Instanz nicht zugestanden. Es wird also vorausgesetzt, daß die Ermächtigung eine innerkirchliche Angelegenheit ist. Die Verfügung des Ministers der Nationalen Edukation, daß der Entzug der Ermächtigung gleichbedeutend ist mit der Auflösung des Arbeitsverhältnisses (Erlaß vom 14. 4. 1992- Dz. U. 1992, N. 36, P. 155, § 5 Abs. 2), wurde vom Ombudsmann bei Verfassungstribunal angeklagt. Das Tribunal entschied am 20. 4. 1993, daß diese Norm verfassungs-und gesetzeswidrig ist. Der Entzug der Ermächtigung hat keine "automatische" Wirkung, er bedeutet aber, daß dem betroffenen Lehrer die erforderte Qualifikation fehlt und aufgrund dieses Defektes ein entsprechendes Verfahren eingeleitet werden soll. Falls der Lehrer außer Religion noch andere Fächer lehrte, wird sein Aufgabenbereich geändert, sonst wird er - bei Einhaltung der arbeitsrechtlichen Vorschriften -entlassen. 54 Laut Entscheidung des Verfassungsgerichts vom 20. 4. 1993 würde ein Gebetsverbot der Religionsfreiheit widersprechen. Hinsichtlich der Kreuze in den Klassenzimmern wurde auf die Pflicht der Schule hingewiesen, die Aufrechterhaltung der nationalen, ethnischen und religiösen Identität zu ermöglichen (Art. 13 des Gesetzes über das Bildungssystem). 3*
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Von den vier bis 1939 an polnischen Universitäten vorhandenen theologischen Fakultäten (Krakau, Lemberg, Wilno und - mit Promotionsrechten in Theologie, Kirchenrecht und christlicher Philosophie, aber zugänglich nur für Absolventen der Priesterseminare - Warschau) blieben 1945 innerhalb der polnischen Staatsgrenzen nur die Krakauer und die Warschauer Fakultät. Die Tätigkeit der Fakultät in Krakau wurde per Erlaß der Regierung vom 11. 8. 1954 beendet. 55 Die Warschauer Fakultät wurde durch eine Verfügung der Regierung vom 2. 8. 1954 in die Akademie für katholische Theologie umgestaltet mit drei Fakultäten, nämlich der Theologie, des Kirchenrechts und der christlichen Philosophie.56 Gleichzeitig wurde die seit 1918 an der Warschauer Universität wirkende Fakultät für christliche Theologie (aller nichtkatholischen Konfessionen) in eine autonome Hochschule umgestaltet, die bis heute als Akademie für christliche Theologie tätig ist. Die drei Fakultäten an der (staatlichen) Akademie für katholische Theologie funktionierten nach Maßgabe des staatlichen und kirchlichen Rechts. 57 Nach der Wende wurde die Frage aufgeworfen, ob sie an die Universität zurückkehren sollten. Kirchlicherseits setzte sich die negative Antwort durch. Im Jahre 1999 wurde die Akademie in eine (staatliche) Universität umgestaltet58 - mit sechs Fakultäten, darunter drei der kirchlichen Wissenschaften (Theologie, Kirchenrecht, christliche Philosophie), deren Status und Aktivität, dem staatlichen und kirchlichen Recht entsprechend, durch einen vom Minister und vom Vorsitzenden der polnischen Bischofskonferenz unterschriebenen Vertrag geregelt wird. Außer der Warschauer Kardinai-Stefan-Wyszynski-Universität verfügen inzwischen die Universitäten in Oppeln, Posen und Allenstein (Olsztyn) über eine theologische Fakultät, wobei die Universitäten in Oppeln und in Allenstein von Anfang an per Gesetz mit einer theologischen Fakultät errichtet wurden. 59 Die theologische Fakultät in Posen entstand durch Beschluß des Senats der Universität und einer Genehmigung der Congregatio pro Institutione Catholica. 60 Außer 55 Formell - dem Wortlaut nach - wurde sie in die am 2. 8. 1954 gegründete Akademie für katholische Theologie einverleibt. 56 Bis 1970 promovierte die Fakultät für Kirchenrecht zum Dr. und Dr. habil. des Kirchenrechts, die Fakultät für Christliche Philosophie zum Dr. und Dr. habil. der christlichen Philosophie. Seit 1970 wurde entsprechend in den Rechtswissenschaften und in den humanistischen Wissenschaften promoviert. 57 Vollen kanonischen, dem can. 1376 CIC/1917 entsprechenden Status erhielt die Akademie erst mit dem Dekret der Congregatio pro Institutione Catholica vom 29. 6. 1989 (Prot. N. 531/75/55). Der Erzbischof von Warschau wurde mit dem Dekret der Kongregation vom 25. 2. 1974 (Prot. N. 552/599/44) zum Cancellarius Magnus der Akademie ernannt. Dieser erließ-aufgrundder ihm erteilten Ermächtigung- arn 12. 9. 1974 ein Dekret, mit dem die kanonische Geltung der bisher und zukünftig verliehenen Diptarne anerkannt wurde. 58 Gesetz vom 3. 9. 1999 (Dz. U. 1999, N. 79, P. 884) und Dekret der Congregatio deInstitutione catholica vom 28. 9. 1999 (AAS). 59 In Oppeln perGesetzvom 10. 3. 1994- Dz. U. 1994, N. 55, P. 225. Dekret der Congregatio de Institutione catholica vom 12. 9. 1994- AAS 86 (1994), S. 1008. In Allensteinper Gesetz vom 1. 9. 1999 - Dz. U. 1999, N. 69, P. 762. 60 Prot. N. 124/98 vom 26. 6. 1998.
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der Universität Posen haben sich für die Gründung einer theologischen Fakultät die Universitäten in Kattowitz und Thorn entschlossen, die Abstimmungen an den Universitäten in Breslau und Danzig fielen negativ aus. Für Kattowitz wurde mit dem Dekret der Kongregation vom 9. 8. 2000 eine theologische Fakultät errichtet, die in die Schlesische Universität einverleibt wurde. 61 Weiteren Initiativen scheint die Kongregation ablehnend gegenüber zu stehen. Der Beschluß des Senats, eine theologische Fakultät zu errichten62 , ist zwar ein unerläßlicher, aber auch nur ein erster Schritt. In Art. 15 des Konkordats wurde festgelegt, daß der rechtliche Status dieser Fakultäten durch einen Vertrag zwischen der Regierung und der - vom Heiligen Stuhl ermächtigten - polnischen Bischofskonferenz geregelt wird. Deshalb wird in jedem Fall ein Vertrag abgeschlossen, der vom Minister für nationale Edukation, dem Vorsitzenden der Bischofskonferenz, dem Rektor der Universität und dem zuständigen Diözesanbischof unterzeichnet wird. De iure et de facto funktionieren also theologische Fakultäten (außer an der Warschauer Kardinal-Stefan-Wyszynski-Universität) an den Universitäten Posen, Oppeln, Allenstein, Kattowitz und Thorn. Einen Sonderfall bildet Krakau, wo sich die 1954 aufgelöste theologische Fakultät inzwischen in eine Päpstliche Akademie umgebildet hat. Der Zugang zum Studium der Theologie (bzw. des Kirchenrechts oder der christlichen Philosophie an der Kardinal-Stefan-Wyszynski-Universität) ist unabhängig von der Konfessions- oder Staatszugehörigkeit VI. Die Kirche als Trägerio von Schulen und Hochschulen
1. Hochschulen Der Staat "gewährleistet der katholischen Kirche das Recht der ungehinderten Errichtung und Leitung von Hochschulen, darunter auch Universitäten, eigener Fakultäten und Priesterseminare wie auch wissenschaftlicher Forschungsinstitute". 63 Die katholische Universität Lublin wirkt seit 1918 nach Maßgabe des staatlichen Rechts und ihres Statuts.64 Seit 199265 wird diese Universität vom Staat finanziert, 61 "Ecclesiastica Facultas Theologiae in Universitatem Silesianam Katoviciae inserenda." Der definitive Beschluß des Senates wurde am 8. II. 2000 getroffen. 62 Das betrifft freilich theologische Fakultäten im Sinn des can. 816 CIC/ 1983, also Fakultäten mit kirchlicher Anerkennung. 63 Art. 15, I des Konkordats. 64 Nach Maßgabe des Statuts und des Art. 38 des Gesetzes über den wissenschaftlichen Titel und über die wissenschaftlichen Grade werden die Professoren der Katholischen Universität Lublin nicht vom Staatspräsidenten, sondern vom Senat der Universität ernannt. 65 Gesetz vom 14. 6. 1991 - Dz. U. 1991, N. 60, P. 259, Art. 1.
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nur die Baulasten werden aus eigenen Mitteln gedeckt. In derselben Weise wird die Päpstliche Akademie in Krakau finanziert. In Anknüpfung an Art. 15 des Konkordats wurde am 1. 7. 1999 ein Vertrag "über den rechtlichen Status der von der katholischen Kirche gegründeten und geleiteten Hochschulen, darunter auch Universitäten, gesonderte Fakultäten und Priesterseminare, und auch über den Modus und Umfang der staatlichen Anerkennung der von diesen Hochschulen verliehenen Grade und Titel" unterzeichnet. 66 Als kirchliche Hochschulen sind erwähnt die Katholische Universität Lublin (die jedoch auch vom Gesetz über die [staatlichen] Hochschulen betroffen ist), die Päpstliche Akademie in Krakau, die päpstlichen theologischen Fakultäten in Warschau und Breslau, die Philosophisch-pädagogische Hochschule Ignatianum in Krakau. Die kirchlichen Hochschulen haben das Recht, den Berufstitel "Magister" der Theologie zu verleihen, sowie auch Promotions- und Habilitationsrechte, falls sie den Erfordernissen der im staatlichen Hochschulwesen geltenden Gesetze entsprechen, was aufgrund vorgelegter Dokumentation im Wege eines administrativen Aktes vom Minister festgestellt wird. Auch der nach Maßgabe der Statuten verliehene Titel des Professors wird vom Staat anerkannt, wenn die vorherige Prozedur der staatlichen entsprach. Die Studenten der kirchlichen Hochschulen erfreuen sich aller den Studenten staatlicher Hochschulen zustehenden Rechte.
2. Priesterseminare
Nach dem Vertrag vom 1. 7. 1999 können Absolventen der Priesterseminare den Berufstitel des "Magisters" der Theologie erlangen im Wege eines Vertrages zwischen dem zuständigen Ordinarius und einer mit entsprechenden Rechten ausgestatteten - staatlichen oder kirchlichen -Hochschule. Die Seminare anderer christlicher Konfessionen erlangen dieselben Möglichkeiten aufgrund einer individuellen Regelung. Sowohl die Dozenten, wie auch die Alumnen der Priesterseminare sind - auch hinsichtlich der sozialen Rechte - denen anderer Hochschulen ebenbürtig.
3. Schulen Das allen physischen und juristischen Personen zustehende Recht, Schulen und Bildungs- bzw. Erziehungsstätten zu gründen und zu führen, ist verfassungsrechtlich verankert.67 In Art. 14 des Konkordats wird dieses Recht der katholischen Kirche eigens verbürgt, wobei ausdrücklich Vorschulen (Kindergärten) und Schulen jeder Art erwähnt werden - mit dem Hinweis, daß dies nach Maßgabe des kanoni66 67
Publiziert in Dz. U. 1999, N. 63, P. 727. Art. 70 der Verfassung.
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sehen Rechts und im Einklang "mit den Prinzipien entsprechender Gesetze" erfolgen muß. Die Gründung einer öffentlichen Schule bedarf einer Genehmigung der zuständigen Behörde, wobei präzis festgelegte Erfordernisse erfüllt werden müssen (Qualifikation des Personals, sanitäre und hygienische Voraussetzungen, finanzielle Absicherung usw.). Die Gründung einer nicht-öffentlichen Schule bedarf keiner Genehmigung, sie wird nur eingetragen. Allerdings liegt solchen Schulen daran, die Rechte einer öffentlichen Schule zu erlangen - Volksschulen ohne öffentliche Rechte sind nicht mehr zugelassen. Die von kirchlichen juristischen Personen getragenen Schulen werden vom Staat bzw. von den Kommunen subventioniert in der Höhe des Aufwandes, der in gleichartigen staatlichen oder kommunalen Schulen pro Schüler entsteht (Pro-Kopf-Finanzierung). Die Rechte der Lehrer und der Schüler decken sich mit denen der staatlichen Schulen. Sie verbleiben unter der pädagogischen Aufsicht des Kurators, ihr Lehrplan darf nicht unter dem für die Pflichtfächer festgelegten Minimum liegen.
VII. Die karitative Betätigung der Kirchen Den kirchlichen Institutionen wird das - ihrer Sendung entsprechende - Recht der karitativen Betätigung verbürgt. 68 Darunter fallt auch das Recht der Gründung und Leitung entsprechender Einrichtungen, gleichberechtigt mit gleichartigen staatlichen Einrichtungen. In Art. 39 des Gesetzes über das Verhältnis des Staates zur Katholischen Kirche (und in analoger Weise in den Gesetzen über das Verhältnis zu anderen Religionsgemeinschaften) wurden - nicht erschöpfend - verschiedene Formen dieser Tätigkeit aufgezählt: Wohltätigkeitsanstalten; Heime für Greise, Waisen und Obdachlose; Krankenhäuser mitsamt Apotheken; Hilfsleistungen für Kriegsopfer und Opfer von Naturkatastrophen; Kindergärten, Schülerheime und andere Tagesstätten; Hilfsleistungen für Opfer von Naturkatastrophen im Ausland. Von größter Bedeutung war die Ermöglichung der Reaktivierung der "Caritas Polska" und der - autonomen - Caritas jeder Diözese.69 Die Quellen der dieser Betätigung dienenden Mittel sind weit gefächert: Geldspenden, Schenkungen, Hinterlassenschaften, Vermächtnisse, Erträge von Sammlungen und Veranstaltungen, Subventionen, Zuwendungen, Spenden von privaten oder staatlichen Institutionen, Entgelt für Dienstleistungen kirchlicher Institutionen, Kircheneinkommen. 70 Das 68 Art. 21 Abs. 1 des Konkordats; Art. 19 Abs. 2, P. 15 des Gesetzes über die Garantien der Freiheit des Gewissens und Glaubens (Übersetzung: EssGespr. 29 (Anm. 5), S. 249 f.). 69 Das Statut der Caritas wurde von der polnischen Bischofskonferenz erlassen. Informationen über die Tätigkeit der "Caritas Polska" und der Caritas aller Diözesen sind vor allem im alljährlich publizierten "Informator Caritas" zu finden. Die von der Caritas Polska koordinierte Tätigkeit wird von den diözesanen Caritas geführt. In jeder Pfarrei wirken karitative Gremien, insgesamt über 50.000 Volontäre. Im Internet findet man Adressen von über 250 von den Orden geführten Stellen (vor allem Kinderheime).
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durch die wirtschaftliche Betätigung dieser Einrichtungen erlangte Einkommen ist - sofern es der karitativen Betätigung dient- steuerfrei, ausländische Schenkungen - sofern es nicht Personenkraftwagen sind- zollfrei. Zusammenfassend kann man sagen, daß das polnische Recht den Kirchen nicht nur die für die Entfaltung ihrer karitativen Tätigkeit notwendigen Freiräume läßt, sondern darüber hinaus alles, was nach heutigem Wissen praktisch für eine ungehinderte Ausübung dieser Tätigkeit geboten ist, wohlwollend verbürgt. VIII. Kategoriale Seelsorge 1. Militärseelsorge
Diese wird ausgeübt vom Militärbischof ("Feldbischof' im Range eines Generals) und Militärgeistlichen, die einer freien religiösen Betätigung der Soldaten, darunter der im Konkordat (Art. 16 Abs. 2) verbürgten Freiheit der Teilnahme an der Sonntags- und Feiertagsmesse, dienen. 71 Geistliche und Ordensleute werden nicht zum Militärdienst eingezogen, sondern in die Reserve versetzt (nur Kandidaten zum Dienst als Militärgeistliche werden zur entsprechenden Ausbildung einberufen). Den Priesteramtskandidaten wird die Einberufung verschoben, bis sie nach der Diakonatsweihe - in die Reserve versetzt werden. 2. Anstaltsseelsorge
"Die Republik Polen versichert Bedingungen zur Erfüllung der religiösen Praktiken und zur Inanspruchnahme von religiösen Diensten allen Personen, die in pänitentiären, edukativen, der Resozialisierung dienenden Anstalten und in Krankenund Fürsorgehäusern, wie auch in anderen Anstalten und Stellen dieser Art verbleiben."72 All diesen Personen wird die Möglichkeit der Teilnahme an der Sonntagsund Feiertagsmesse wie auch an der Katechese und an Andachtsübungen verbürgt. Allen steht auch das Recht zu, für sich individuell die religiöse Beihilfe in Anspruch zu nehmen, was jedoch mit dem Sinn des Aufenthalts in der Anstalt nicht kollidieren darf. Die praktische Durchführung dieser Prinzipien wird durch Gesetze73 und Ministerialerlasse74 geregelt. Der vom Diözesanbischof ernannte Kaplan 70 Art. 24 Abs. 2 des Gesetzes über die Garantien der Freiheit des Gewissens und Glaubens (Übersetzung: EssGespr. 29 (Anm. 5), S. 251); Gesetz vom 29. 11. 1990 über die soziale. 71 Kraft der Gesetze wird die Möglichkeit der Ausübung der Militärseelsorge 14 Religionsgemeinschaften verbürgt. Außer der katholischen Kirche haben die Orthodoxe Kirche und die Evangelische Kirche Augsburgischen Bekenntnisses Strukturen der Militärseelsorge ausgebildet. n Art. 17 des Konkordats. 73 Strafvollzugskodex vom 6. 7. 1977 - Dz. U. 1997, N. 90, P. 557 und N. 160, P. 1083.
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schließt einen Vertrag mit dem Direktor der Haftanstalt ab, in dem die Modalitäten seines Wirkens festgelegt werden. Der Kaplan wird entlohnt wie andere zivile Bedienstete. 75 Auch die Krankenhausseelsorge wird von vom Bischof ernannten Kaplänen ausgeübt, die einen Vertrag - üblicherweise einen Arbeitsvertrag - mit dem Direktor abschließen. 76 IX. Sonn- und Feiertage
Im Konkordat wurden folgende arbeitsfreie Tage vereinbart: Alle Sonntage sowie der 1.1., 15.8., 1.11., 25.12., 26.12, Ostermontag und Fronleichnam (Art. 9). Mitsamt den nationalen Feiertagen (3.5. und 11.11.) werden diese Tage auf dem ganzen Gebiet des Staates als Feiertage begangen. In den Gesetzen über das Verhältnis zu den nichtkatholischen Kirchen bzw. Religionsgemeinschaften wurden deren Festtage aufgezählt, in denen die Gläubigen das Recht haben, von der Arbeits- bzw. Schulpflicht befreit zu werden. 77 Unabhängig davon hat jeder Angestellte oder Schüler das Recht, für die Feiertage seiner Konfession einen arbeitsfreien Tag zu beantragen. 78 Der Sinngehalt dieser Tage wird freilich von den Gesetzen nicht bestimmt, auch unterliegen sie "als solche" keinem besonderen Schutz.79 Praktische Auswirkungen betreffen nur das Arbeitsleben ("arbeitsfreie Tage"), die an diesen Tagen verrichtete Arbeit wird höher belohnt. 80 X. Zivilrechtliche Wirkungen der kanonischen Ehe
Bis zum 17. 5. 1989 galt in Polen die obligatorische Zivilehe81 , und zwar derart, daß die Vornahme einer kirchlichen Trauung ohne vorherige standesamtliche EheDz. U. 1998, N. 111, P. 699 und 700, N. 139, P. 904. Erlaß des Arbeitsministers vom 30. 4. 1999- Dz. U. 1999, N. 45, P. 448. Nach dem vom Erzbischof W. Zi6lek für die konkordatären Kommissionen vorbereiteten "Pro memoria" vom 7. 1. 1999 üben über 250 Kapläne ihren Dienst in ca. 160 Haftanstalten aus (wenn die Zahl der Häftlinge 600 überschreitet, werden zwei Kapläne angestellt). Außerdem wirken ca. 400 Volontäre, in den meisten Anstalten wurde eine Kapelle errichtet. 76 Nach kirchlichen Vorstellungen soll es in Krankenhäusern mit bis zu 500 Betten einen Kaplan geben, wird diese Zahl überschritten, noch einen zweiten. Von den konkordatären Kommissionen werden (ministeriale und kirchliche) Instruktionen vorbereitet. 77 Z. B. werden im Gesetz über das Verhältnis zu den jüdischen Glaubensgemeinden aufgezählt: Neujahr (2 Tage), Tag der Versammlung des 8. Tages, Tag der Freude der Thora, Pesach (4 Tage), Schawuot (2 Tage)- Art. 11 Abs. 1. 78 Erlaß vom 11. 3. 1994- Dz. U. 1999, N. 26, P. 235. 79 Indirekt werden sie geschützt durch den strafrechtlichen Verbot der böswilligen Störung der öffentlichen Ausübung des religiösen Kultus - Art. 195 Abs. 1 Kodeks Kamy. 80 Aktuell wird über die Öffnungszeiten der Läden und Kaufhäuser diskutiert. 81 Eingeführtper Dekret vom 25. 9. 1945 - Dz. U. 1945, N. 48, P. 270. 74
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schließung einen Straftatbestand bildete. 82 Nach dem lokrafttreten des Gesetzes vom 17. 5. 1989 war eine solche Trauung nicht mehr rechtswidrig, zog aber keine bürgerlich-rechtlichen Wirkungen nach sich. Nach der konkordatären Vereinbarung hat die "kanonische Ehe" Wirkungen gemäß den polnischen Gesetzen, wenn (1.) keine staatlichen Ehehindernisse entgegenstehen, (2.) die Nupturienten bei der Eheschließung übereinstimmend erklären, daß ihre Ehe solche Wirkungen haben soll, und (3.) die Ehe in einer Frist von fünf Tagen im Register des Standesamtes eingetragen wird. Es wurde vereinbart, daß im polnischen Recht entsprechende Veränderungen durchgeführt werden. Dies geschah nach der Ratifizierung des Konkordates mit dem Gesetz vom 24. 7. 1998 "über die Veränderungen des Familien- und Vormundschaftskodex, des Zivilverfahrenskodex, des Rechts über die Zivilstandsakten, des Gesetzes über das Verhältnis des Staates zur katholischen Kirche in der Republik Polen und mancher anderer Gesetze". 83 Dem Gesetz folgten eine Ausführungsverordnung des Innenministers84 und eine Verfügung über die amtlichen Formulare. Die Pflicht zur Benachrichtigung des Standesamtes über die geschlossene Ehe wurde dem Pfarrer aufgebürdet. Kirchlicherseits wurde von der Bischofskonferenz eine Instruktion ausgearbeitet. Der Heilige Stuhl erteilte seine recognitio dem Beschluß der Bischofskonferenz, der die Katholiken verpflichtet, die zivilrechtliehen Wirkungen für ihre in kanonischer Form geschlossene Ehe zu erlangen. Eine Trauung, der diese Wirkungen nicht folgen sollen, bedarf der Erlaubnis des Ortsordinarius, der diese nur aus wichtigen Griinden erteilen darf. Den Gläubigen bleibt es unbenommen, auch von der zivilen Form Gebrauch zu machen (vor der kanonischen Eheschließung). 85 Die Kompetenz sowohl der Kirche wie des Staates in Ehesachen bleibt unangetastet und getrennt, die kirchlichen Entscheide über die Ungültigkeit oder Auflösung der Ehe haben zivilrechtlich keine Auswirkungen, ebenso wie ein staatliches Verfahren (z. B. die Scheidung) keine Wirkungen im kirchlichen Bereich zeitigt. Auf die Möglichkeit weiterer Vereinbarungen über die Benachrichtigung der anderen Seite über die getroffenen Entscheide wurde hingewiesen (Art. 10 Abs. 5). Dieses Problem trat bisher in der Praxis nicht auf. Die Veränderungen im polnischen Recht wurden durch eine Bestimmung des Konkordats herausgefordert (Art. 10 Abs. 6), doch die Möglichkeit zivilrechtlicher Auswirkungen wurde im Gesetz jeder in religiöser Form geschlossenen Ehe eröffnet. Im Erlaß des Innenministers, der die zur Benachrichtigung des Standesamtes ermächtigten Amtsträger aufzählt, werden außer der katholischen Kirche erwähnt: die orthodoxe Kirche, die evangelisch-augsburgische Kirche, die evangelisch-reDekret vom 8. 6. 1955- Dz. U. 1955, N. 25, P. 151, Art. 50 und 78. Dz. U. 1998, N. 117, P. 757. 84 Verordnung vom 26. 10. 1998- Dz. U. 1998, N. 136, P. 884. 85 Ich verfüge über keine Forschungsergebnisse, aber aufgrund von Umfragen darf man wohl sagen, daß wenn weder kirchliche nach staatliche Hindernisse im Wege stehen von der "konkordatären Ehe" Gebrauch gemacht wird. 82
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formierte Kirche, die evangelisch-methodistische Kirche, die Kirche der Baptisten, die Kirche der Adventisten des siebenten Tages, die polnisch-nationale Kirche, die Gemeinschaft der jüdischen Gemeinden, die altkatholische Kirche der Mariawiten sowie die Pfingstkirche. 86 Im Kontext des Eherechts ist noch zu erwähnen, daß im Art. 11 des Konkordats die vertragsschließenden Parteien ihre Entschlossenheit bekunden, auf den Schutz und die Achtung der Ehe und Familie als Fundament der Gesellschaft hinzuwirken. Als Folge dessen darf man die 199987 eingeführte Institution der Separation sehen. Die Separation hat generell dieselben Folgen wie die Scheidung, sie öffnet aber nicht die Tür zur Schließung einer neuen Ehe. Ratio legis war der Erhalt der Möglichkeit zur Rückkehr zur ehelichen Gemeinschaft. XI. Schlußbemerkungen
Das Verhältnis von Staat und Kirche in Polen entspricht den Erwartungen der katholischen Kirche. Auch die anderen Kirchen und Religionsgemeinschaften haben daran wohl nichts auszusetzen. Auf die Intensität des Wohlwollens und auf das freundliche Klima der gegenseitigen Kontakte bleibt zwar die jeweilige politische Konstellation nicht ohne Einfluß, doch Polen ist politisch ausreichend stabil, so daß das Verhältnis des Staates zur Kirche nicht von den Veränderungen auf der politischen Bühne abhängt. Auch die Präsenz der- nicht nur katholischen -Würdenträger bei offiziellen Staatsfeierlichkeiten wird dadurch nicht berührt. Von den parlamentarischen Mehrheitsverhältnissen hängt jedoch der indirekte Einfluß der Kirche ab, vor allem auf die Gesetzgebung. Das brisanteste Problem war die Strafbarkeit der Abtreibung. Das Problem betrifft zwar nicht direkt das Verhältnis des Staates zur Kirche, doch verständlicherweise engagierte sich die Kirche stark für den "rechtlichen Schutz des empfangenen Kindes". 88 Für viele war das ein Prüfstein für die Haltung des Staates.89 Die Debatte über die aus doktrinären Gründen die Kirche interessierenden Gesetze findet starken Widerhall in den Medien, das Institutionenverhältnis wird dadurch weniger beeinflußt.
Monitor Polski 1998, N. 40, P. 554. Gesetz vom 21. 5. 1999- Dz. U. 1999, N. 52, P. 532. 88 Im Handbuch des Staatskirchenrechts (Misztal (Hrsg.), Prawo wyznaniowe (Anm. 20)) wird dieser Frage ein eigenes Kapitel gewidmet. 89 Nach dem jetzt geltenden Recht wird die Abtreibung nicht als Delikt betrachtet, wenn: 1. Durch die Schwangerschaft das Leben oder die Gesundheit der schwangeren Frau bedroht ist; 2. Große Wahrscheinlichkeit besteht, daß die Leibesfrucht schwer gestört oder lebensgefährlich krank ist; 3. Ein begründeter Verdacht besteht, daß die Schwangerschaft infolge einer verbotenen Tat entstanden ist. 86 87
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Wenn man vom "Schutz des empfangenen Kindes" absieht, könnte man kaum von weiteren Erwartungen der Kirche sprechen, was allerdings nicht bedeutet, daß in der Gesellschaft Erwartungen oder gar Forderungen nicht laut werden - darunter auch von Bischöfen als "Vertretern" der Gesellschaft, wie auch- in umgekehrter Richtung- von Politikern als "bouche d 'Etat". Die laut werdenden Stimmen geben vor, repräsentativ zu sein, oft auch "im Namen der Nation" zu sprechen, was jedoch nur Einbildung oder ein propagandistischer Trick ist. Die Politiker sind oft geneigt, ihr Verhältnis zur Religion und Kirche ins politische Spiel einzubringen oder gar die Religion zu instrumentalisieren, doch dies scheint sich immer weniger auszuzahlen. In Polen wird das Verhältnis zur Kirche immer noch als eines der entscheidenden Kriterien für eine Rechts- oder Linksorientierung betrachtet, doch mit einer Profilierung nur nach dem Verhältnis zur Kirche kann man schon jetzt keine politische Karriere mehr machen. Anders als noch zu Beginn der neunziger Jahre werden auch gar keine Gesetzesinitiativen mehr laut, die offensichtlich auf den Erwerb der Gunst der katholischen Hierarchie abgestimmt sind. 90 Auch hinsichtlich des Beitritts zur Europäischen Union scheiden sich die Geister nicht an den Kriterien der Kirchentreue. Zwar wird mancherorts unter national-katholischen Schlagworten lautstarke antieuropäische Agitation betrieben91 , doch fehlt es nicht an Bischöfen, die in der Öffentlichkeit für den Beitritt plädieren (genau entgegengesetzte bischöfliche Stimmen klingen freilich auch an). Auch diejenigen, die den Beitritt nur (oder zumindest: vor allem) aus dem religiös-patriotischen Blickwinkel der national-katholischen Identität wahrnehmen, nehmen entgegengesetzte Standpunkte ein. Wahrend die einen ihr "Nein" mit dem Schutz der polnischen Identität, Kultur, Souveränität usw. vor depravierenden Einflüssen begriinden, meinen die anderen, Polen stehe vor der Aufgabe, Europa geistlich und kulturell zu animieren. Obwohl diese Stimmen recht laut klingen und - vor allem anläßlich verschiedener Feiertage - auch von so mancher hohen Kanzel zu hören sind, ist solcher Extremismus eine Randerscheinung und schon gar keine typisch polnische Spezialität. Freilich ergibt sich daraus auch für die Kirche in Polen eine Aufgabe, die die Österreichischen Bischöfe mit auf ihr Land gerichteten Augen so formuliert haben: "Österreich hat im Blick auf seine europäische Aufgabe die besondere Verpflichtung, allen Symptomen von Fremdenfeindlichkeit, Ausgrenzung und politischem Extremismus - von welcher Seite immer - mit Entschlossenheit entgegenzutreten."92 Besonders wichtig in dieser Aussage scheint mir der Einschub "von welcher Seite immer". Die kirchlichen Amtsträger sollten es wagen, auch von kirchentreuen Gläubigen zu fordern, daß sie ihre politische Haltung nicht 90 R. Sobanski, Die christlichen Werte im politischen Diskurs in Polen 1989-1995, in: G. Riße/H. Sonnemans/B. Theß (Hrsg.), Wege der Theologie: an der Schwelle zum dritten Jahrtausend. Festschrift für H. Waldenfels zum 65. Geburtstag, Paderbom 1996, S. 995 ff. 91 Mit antieuropäischen Schlagworten startete auch ein Präsidentschaftskandidat 92 Zitiert nach: Christ in der Gegenwart, 2000, Nr. 19 vom 7. 5. 2000, S. 146.
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in religiöser Verpackung feil bieten. In politischen Fragen hat niemand das Recht, "die Autorität der Kirche ausschließlich für sich und seine eigene Meinung in Anspruch zu nehmen". 93 Und wenn unter katholischer Fahne Forderungen laut werden, die implizit oder gar explizit auf einen katholischen Staat hinauslaufen 94 , sollte sich die Hierarchie davon deutlich distanzieren, damit dies nicht aufs Konto der Kirche geht. Die Bischöfe sehen sich der Behauptung gegenüber, sie wollten einen katholischen Staat errichten. Dies streben sie als corpus episcoporum bestimmt nicht an (was ihnen von der "rechtsradikalen" Publizistik übelgenommen wird), wenn auch einzelne Stimmen solchen Verdacht wecken könnten. Sowohl in Polen wie auch im Ausland95 zeigen die Forschungsergebnisse, daß die Antworten auf die Frage, ob die Kirche in Polen einen zu großen Einfluß hat, diametral verschieden sind. Tatsache ist, daß die katholische Kirche aus der polnischen Landschaft nicht wegzudenken ist. Das bedeutet aber keinesfalls, daß die katholische Kirche (wie auch andere Kirchen) in Polen und das Staat-Kirchen-Verhältnis in Polen nicht europafähig seien. Und im Vergleich zu den Mitgliedstaaten der Union ist wohl auch die polnische Gesellschaft europafähig. 96 Die Besonderheiten des Staat-Kirchen-Verhältnisses in Polen gehen nicht so weit, daß man Polen als einen "Sonderfall" in Buropa bezeichnen sollte. Auch das politische Engagement der Hierarchie und des Klerus ist vielleicht spektakulärer als in den Ländern westlich Polens, läuft aber den Grundprinzipien eines demokratischen Staates und den europäischen Standards nicht zuwider, ungeachtet dessen, daß die Auswirkungen in einer pluralistischen Gesellschaft begrenzt sind. Ich wage nicht, hinsichtlich der Einigung Europas einen Vergleich zu ziehen, aber wenn die Feststellung, daß "die politische Klasse, die über Grenzen von Ländern, Institutionen und Parteien hinweg das Geschäft der europäischen Integration betreibt", sich "unversehens wieder als Avantgarde ohne Garde" wiederfindet97 , richtig ist, stehen die Kirchen in allen Ländern Europas vor ähnlichen Aufgaben. Die Kirchen in Polen verfügen über ungehinderte Wirkungsmöglichkeiten. Vonnöten scheint eine im Lichte ihrer genuinen Sendung und im Horizont des plausiblen Wohls der Menschen begrünII. Vat. Konzil, Konstitution Gaudium et Spes, AAS 58 (1966), S. 1025 ff., 43, 3. Z. B. die wiederholt vorgetragene Forderung des Präsidenten des Katholischen Juristenvereines, daß vor der Zulassung zur Ausübung eines Juristenberufes (Richter, Rechtsanwalt, Staatsanwalt, Notar) ein von diesem Verein ausgefertigtes Leumundszeugnis berücksichtigt werden sollte. 95 L. Kolarska-Bobiliska/X. Doliriska, Sarmaccy Biznesmeni, Gazeta Wyborcza vom 17. 8. 2000, S. 16. 96 Diese Behauptung versuchte ich zu begründen im Vortrag: R. Sobariski, Die Veränderungen in der Religiosität Polens im Blick auf die Einigung Europas, in: W. Boloz/G. Höver (Hrsg.), Die Einigung Europas als Herausforderung für die Kirche, Baden-Baden 2000, s. 101 ff. 97 J. Isensee, Europäische Union - Mitgliedstaaten. Im Spannungsfeld von Integration und nationaler Selbstbehauptung, Effizienz und Idee, in: Europa - Idee, Geschichte, Realität, Mainz 1996, S. 72. 93
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dete Konkretisierung ihrer Aufgaben. Die Frage nach den "verfassungsstaatlichen Erwartungen an die Kirche"98 ist jetzt in der europäischen Perspektive zu stellen und zu beantworten. Freilich ist dies eine Frage, die nicht ein für alle mal erledigt werden kann.
98 J. /sensee, Verfassungsstaatliche Erwartungen an die Kirche, in: Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche (EssGespr.) 25 (1991), hrsg. von H. Marre/J. Stüting, Münster 1991, s. 104 ff.
Das Verhältnis von Gesellschaft, Staat und Kirche in Frankreich Von Roland Minnerath I. Einige Meilensteine in der Geschichte der Beziehung zwischen Kirche und Staat in Frankreich
- Über tausend Jahre hinweg bestanden enge Verbindungen zwischen der katholischen Kirche und der Monarchie, ideell seit der Taufe von Chlodwig im Jahre 496, später noch erweitert durch die gallikanische Ideologie. 1 - 1789: Die Revolution zerschlägt die hergebrachte Ordnung. Die Monarchie und der Klerus als Stand werden abgeschafft. Im Rahmen der Revolution wird versucht, eine nationale Kirche zu schaffen, die von einem nichtkonfessionellen Staat regiert wird und von Rom getrennt ist (1790). - 1795: Erste Erfahrung mit einer vollständigen Trennung von Staat und Kirche: Keine religiöse Institution genießt gesetzliche Anerkennung und keine darf staatlich finanziert werden. 2 - 1801 I 1808: Das Konkordat und die Organischen Artikel: Erneut schreibt ein nichtkonfessioneller Staat den vier anerkannten Religionen (katholische, lutherische, reformierte, jüdische) ihre rechtlichen Strukturen vor. Ihre Amtsträger werden vom Staat finanziert und streng kontrolliert. 3 - 1877- 1901: Diskriminierende Gesetze verbieten nicht anerkannten Ordensgemeinschaften die Lehrtätigkeit sowie den Betrieb von Privatschulen. Dieses Verbot wird später auf alle Ordensgemeinschaften ausgedehnt. - 1905: Auf dem Höhepunkt kirchenfeindlicher Politik wird die Trennung von Kirche und Staat gesetzlich verkündet, indem der Staat einseitig das Konkordat für nichtig erklärt und der napoleonischen Regelung ein Ende setzt. 4 I Vgl. die Texte in J. F. Maclear (Hrsg.), Church and State in the Modem Age. A documentary history, New York, Oxford 1995, S. 3-10. Vgl. auch A. G. Martimort, Le gallicanisme, Paris 1973. 2 Vgl. Maclear (Hrsg.), Church and State (Anm. 1), S. 75-93. 3 Vgl. Maclear (Hrsg.), Church and State (Anm. 1), S. 95-104. Siehe 1.-M. Leniaud, L'administration des cultes al'epoque concordataire, Paris 1988; E. E. Y. Haies, The emperor and the pope, London 1962. 4 Vgl. Maclear (Hrsg.), Church and State (Anm. 1), S. 304 - 310. Siehe 1.-M. Mayeur; La separation des Eglises et de !'Etat, Paris 1991.
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- Im Jahre 1905 arbeiteten im wesentlichen zwei Geistesströmungen zusammen: die der Liberalen, welche die gegenseitige Unabhängigkeit von Kirche und Staat forderten, sowie die der Radikalen, welche die Beseitigung des religiösen, insbesondere des katholischen Einflusses auf die Gesellschaft anstrebten. Der letztere Trend ist weiterhin wirksam und liefert den Schlüssel zum Verständnis von einigen Aspekten der französischen Gesetzgebung sowie der Geisteshaltung gegenüber Religionsgemeinschaften. Ausgehend von ihren gallikanischen und napoleonischen Wurzeln basiert die französische Gesetzgebung auf dem Konzept der staatlichen Kontrolle über kirchliche Einrichtungen und deren Aktivitäten. - Entsprechend steht Religion im freien Belieben des einzelnen, ist jedoch auf dessen Privatsphäre beschränkt. Ihr soll kein Wirkungsfeld im öffentlichen Leben gewährt werden. Gesetzlich wird Religion unter der restriktiven Kategorie des "Kultes" [culte], also des Gottesdienstes, erlaßt. Staatliche Schulen bieten keinen Religionsunterricht an. In Frankreich werden im öffentlichen Recht Vermittlergruppen zwischen Individuum und Staat praktisch ausgeschlossen, seien diese ethnisch, sprachlich oder religiös. Organisierte Religionsgemeinschaften, so die Auffassung, erscheinen als eine potentielle Bedrohung, welche die allumfassende Loyalität anfechten könnten, die die Bürger dem Staat schulden. 5 II. Finanzierung6
Vor 1905 waren die sogenannten "öffentlichen Einrichtungen der Religion" [etablissements publies du culte] Verwalter der Kirchengüter. Sie erhielten vom Staat Zuschüsse zur Instandhaltung der Gebäude sowie zur laufenden Verwaltung des religiösen Lebens. Pfarrer wurden vom Staat besoldet. Diese finanzielle Unterstützung wurde als Ausgleich dafür gerechtfertigt, daß zu Beginn der Französischen Revolution der Kirchenbesitz beschlagnahmt und verkauft wurde. 7 Mit dem Trennungsgesetz von 1905 wurde der Kirchenbesitz den neu geschaffenen "Vereinigungen zur Religionsausübung" [associations cultuelles] übertragen, die den Status privatrechtlicher Vereinigungen innehaben. Wahrend die protestantischen und jüdis Zum gesamten Thema vgl. R. Metz, Eglises et Etat en France: situation juridique actuelle, Paris 1977; B. Basdevant-Gaudemet, Le regime general de Ia France, in: B. BasdevantGaudemet/F. Messner (Hrsg.), Les origines historiques du statutdes confessions religieuses dans !es pays de !' Union europeenne, Paris 1999, S. 57 ff. ; A. Boyer, Le droit des religions en France, Paris 1987. 6 Vgl. P. Valdrini u. a. (Hrsg.), Le droit canonique, Paris 1989, S. 586 - 640. 7 Hinsichtlich der Zeitspanne zwischen 1801 und 1905 siehe F. Messner, Le financement des Eglises. Le systemedes cultes reconnus, Strasbourg 1984.
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sehen Gemeinden die Bestimmungen dieser Vereinigungen akzeptierten, wurden sie von der katholischen Kirche abgelehnt, da sie behauptete, daß diese Bestimmungen ihrer internen Rechtsordnung widersprächen. Die protestantischen und jüdischen Seminare, Gotteshäuser, Synagogen und Pfarrhäuser fielen in den Besitz der "Vereinigungen zur Religionsausübung", die verantwortlich waren für Reparaturen, Versicherungsabgaben und weitere Kosten, die mit den Gebäuden und ihrer Einrichtung zusammenhängen (Art. 13). Bis 1924 befand sich die katholische Kirche in einem juristischen Vakuum. Entsprechend ordnete der Staat in den Jahren 1907 I 1908 an, die Gebäude (Kirchen, Kapellen, kirchliche Wohnhäuser) der vormals öffentlichen "Vereinigungen zur Religionsausübung" dem Staat, den Departements oder den Gemeinden zu übereignen. So tritt der Staat, der zuvor eine schroffe kirchliche Trennungspolitik betrieben hat, weiterhin als Eigentümer der katholischen Kirchengebäude auf und bleibt verantwortlich für deren Instandhaltung. Er erhebt keinerlei Gebühren oder Steuern, wenn es lediglich um die Überlassung dieser Gebäude an die Gläubigen und ihre Pfarrer zur Ausübung ihrer Religion geht. 1924 wurde eine Vereinbarung mit der katholischen Kirche getroffen. An Stelle der "Vereinigungen zur Religionsausübung", die durch das Gesetz aus dem Jahre 1905 vorgesehen waren, erkannte der Staatsrat sogenannte "Diözesanvereine" an, die von der katholischen Kirche vorgeschlagen wurden. Diese verfügen über eine private Rechtspersönlichkeit und haben den lokalen Bischof als Präsidenten. Auch sind sie gemeinnützige Vereinigungen, die in den Genuß von Steuerermäßigungen kommen. Deshalb befinden sich die Gemeindekirchen, die vor 1905 erbaut wurden, im Besitz der Gemeinden, die Kathedralen hingegen in dem des Staates, der erfreulicherweise ihre Instandhaltung gewährleistet. Gemeinden können, doch müssen nicht für die Instandhaltung von religiösen Gebäuden Sorge tragen. Gelegentlich können auch die Gläubigen das für Reparaturen notwendige Geld aufbringen, doch ist in diesem Fall die Gemeinde lediglich befugt, die dabei anstehende Arbeit auszuführen. Kirchengebäude, die nach 1905 errichtet wurden, sind Eigentum der "Diözesanvereine" und werden ausschließlich über private Gelder irrstand gehalten. Seit 1962 ist es für Firmen und Privatpersonen zulässig, Steuerabzüge auf die Mittel geltend zu machen, die dazu verwendet worden sind, Kirchen zu restaurieren oder wohltätige Ausbildungsprojekte bzw. Projekte philanthropischer Natur zu fördern. Diözesen, Gemeinden, Priesterseminare oder andere kirchliche Rechtspersonen werden von der französischen Rechtsordnung juristisch nicht anerkannt. Das Gesetz von 1905 strich die Budgets für die Religionsausübung von seiten des Staates, der Departements und der Kommunen. Seit dieser Zeit ist ihnen untersagt, Geistliche mit Gehältern zu versorgen. Eine Ausnahme bilden in diesem Zusammenhang Seelsorger, die in staatlichen Einrichtungen wie Gymnasien, Internaten, Krankenhäusern, Heimen oder Strafanstalten beschäftigt sind (Art. 2). Mit diesen Gehältern soll die freie Religionsausübung derjenigen gewährleistet werden, die in solchen öffentlichen Institutionen leben müssen. Insofern können diese Gehälter nicht als Finanzhilfen für eine Religionsgemeinschaft betrachtet werden. 4 Schlagheck/Kämper
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Die Departements und Kommunen können, doch müssen nicht die Gebäude der Priesterseminare, die Bischofs- und Pfarrhäuser ihrem ursprünglichen Zweck weiterhin überlassen. Wenn sie so verfahren, muß die Kirche diese Wohnräume zu einem Geldbetrag mieten, der nicht als indirekter Zuschuß aufgefaßt werden kann. Sowohl die "Vereinigungen zur Religionsausübung" als auch die "Diözesanvereine" können lediglich Eigentümer von Gebäuden sein, die eng mit der Durchführung von Gottesdiensten in Verbindung stehen. Andere Rechtspersonen im Sinne des allgemeinen Vereinsrecht von 1901 obliegt es indes kirchliche Güter mit einem breiteren Verwendungszweck wie beispielsweise Erziehung oder Sport zu halten und verwalten. Die Besoldung der Geistlichen erfolgt über private Finanzmittel anhand einer freien Abgabe, die regelmäßig unter katholischen Kirchgängern gesammelt wird. Jedoch muß der Betrag dieser Einkünfte durch Geldsammlungen bei den Gottesdiensten aufgestockt werden, aber auch durch Spenden, die mit seelsorgerischen Dienstleistungen in Verbindung stehen. Die Löhne der Pfarrer werden nicht als Gehälter aufgefaßt. Priester und Mitglieder von Ordensgemeinschaften, die einen zivilrechtlichen Arbeitsvertrag schließen, sind nicht dazu verpflichtet, ihr kirchliches Bekenntnis anzugeben. Auch kann eine solche Angabe nicht als Entlassungsgrund ins Feld geführt werden. Allerdings hatten bis 1978 die katholischen Geistlichen keinen Zugang zum sozialen Wohlfahrtssystem, da sie über keinen Arbeitsvertrag verfügten. Wiederum erlaubt seit 1987 das "Gesetz zum Mäzenatentum", daß Spenden von einkommensteuerpflichtigen Personen an die "Vereinigungen zur Religionsausübung" bis zu einem bestimmten Prozentsatz ihres Gehalts abgeschrieben werden können. 8
111. Religiöse Erziehung Bis 1880 war das Falloux-Gesetz von März 1850 in Kraft, das in Frankreich die Möglichkeit eines konfessionellen Primarschulwesens einräumte. In staatlichen Grundschulen stellte Religion ein Pflichtfach dar und wurde von Geistlichen unterrichtet. Hingegen war in den staatlichen höheren Schulen, so zum Beispiel in Lycees, Religionsunterricht wählbar. Jedes Gymnasium verfügte über einen Geistlichen, der gleich anderen Lehrern ernannt und besoldet wurde. Diese Regelungen wurden durch die sogenannten "laizistischen Gesetze" von 1880 für das gesamte Schulwesen aufgehoben. 9 So steht seit 1880 das Fach Religion nicht länger auf dem Lehrplan von Schulen. Auf Grundlage eines Gesetzes von Dezember 1880 besteht die Möglichkeit, in UnVgl. R. Gaucher, Les finances de I'Eglise de France, Paris 1981. Auszüge aus den französischen Schulgesetzen: Maclear (Hrsg.), Church and State (Anm. 1), S. 275-277. Auch P. Chevallier, Laseparation de I'Eglise et de I'ecole, Jules Ferry et Uon XIII., Paris 1981. 8
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terrichtsräumen der höheren Schulen religiöse Erziehung durchzuführen, jedoch außerhalb der regulären Unterrichtszeit und ausschließlich auf elterliche Anfrage hin. Dieser Unterricht wird von Geistlichen oder Pastoralassistenten erteilt, denen dieser Dienst nicht vergütet wird. Jedenfalls haben die örtlichen Schulbehörden das Recht, darüber zu befinden, ob in ihren Schulräumen die Erteilung von Religionsunterricht dienlich sei oder nicht. In Grundschulen muß der Religionsunterricht außerhalb der Schulgebäude und außerhalb der regulären Unterrichtszeit erteilt werden. Aus diesem Grund verfügte ein Gesetz von März 1882, daß donnerstags- mittlerweile mittwochs- kein Unterricht stattfindet, damit auf Elternwunsch die religiöse Erziehung erfolgen kann. Derzeit wird erwogen, den Mittwoch durch den Samstag zu ersetzen. Vertreter der Kirchenleitungen versuchen jedoch, den schulfreien Mittwoch beizubehalten, da sie sich dessen nur allzu gut bewußt sind, daß wenige Kinder während des Wochenendes für Religionsunterricht abkömmlich wären. Privatschulen steht es frei, religiöse Erziehung in ihr curriculares Pflichtprogramm aufzunehmen. 10
IV. Theologische Fakultäten In Frankreich verfügte die Napoleonische Universität über sechs katholische und zwei protestantische theologische Fakultäten, doch wurden diese ohne Mitwirkung kirchlicher Behörden eingerichtet. Sie verliehen theologische Abschlüsse, die nicht als kirchliche Abschlüsse anerkannt waren. Nach der Trennung von Kirche und Staat im Jahre 1905 wurden diese Fakultäten aufgelöst. Ein Gesetz vom Juli 1875 verbürgt die Möglichkeit zur Schaffung von freien Hochschulen. Dank der Einrichtung von gemischten Kommissionen, die zur einen Hälfte aus Professoren von staatlichen Universitäten und zur anderen Hälfte aus Professoren der freien Universitäten bestanden, konnten staatlich anerkannte Abschlüsse verliehen werden. 1880 wurde den freien Universitäten das Recht entzogen, derlei gemischte Priifungsausschüsse zu bilden und sich Universitäten zu nennen, selbst wenn sie entsprechend einer Universität die gesamte Bandbreite an Fakultäten und Forschungszentren anboten. Deshalb mußten sie die Bezeichnung "Institut" tragen. Beispielsweise ist das Institut catholique de Paris nach Kirchenrecht eine katholische Universität mit zehn Fakultäten und weiteren wissenschaftlichen Lehranstalten. 11 Doch in den vergangenen dreißig Jahren sind über verschiedene Abkommen, die zwischen mehreren Instituts catholiques und staatlichen Universitäten geschlossen wurden, die gemischten Priifungsausschüsse wieder neu eingerichtet worden. 10 Vgl. F. Messner/F. Tricard (Hrsg.), Les statuts de l'enseignement religieux, Paris 1996; Valdrini, Droit canonique (Anm. 6), S. 665-674. II Vgl. P. H. Prelot, Naissance de l'enseignement superieur libre: loi du 12 juillet 1875, Paris 1987.
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Gegenwärtig verfügt die staatliche Universität zu Straßburg über lediglich zwei theologische Fakultäten, und zwar aus folgendem Grunde: Die protestantische Fakultät, die vor der Napoleonischen Universität zu Straßburg schon eingerichtet war und beibehalten wurde, bestand nach 1870 unter deutschem Recht fort. Wahrend der deutschen Herrschaft wurde 1902 in der gebührenden Form eines internationalen Abkommens zwischen Staat und Heiligem Stuhl eine katholische theologische Fakultät eingerichtet. Über ein Gesetz von 1924 war durch das weiter geltende Sonderrecht im ehemaligen Elsaß-Lothringen der Fortbestand beider Fakultäten an der französischen Universität gesichert. V. Erziehungswesen in freier Trägerschaft In Frankreich ist das Erziehungswesen in freier Trägerschaft niemals abgeschafft worden. Traditionell liegt der überwiegende Zahl solcher Schulen in den Händen von katholischen Einrichtungen (zu 90%). Im Zeitraum zwischen 1904 bis 1942 wurde dem Personal von katholischen Ordensgemeinschaften die unterrich~liche Lehrtätigkeit- selbst an freien Schulen- schlichtweg verboten. Im Jahre 1984 unternahm in Frankreich die sozialistische Regierung einen letzten Versuch, freie Schulen abzuschaffen, doch mußte das Vorhaben unter dem Druck der öffentlichen Meinung zurückgezogen werden. Erst seit 1960 ist der Staat gesetzlich befugt, Privatschulen finanziell zu unterstützen (Debre-Gesetz von Dezember 1959). Ihnen steht es offen, mit dem Staat ein Abkommen zu treffen, auf dessen Grundlage der Staat Lehrprogramme festlegt und die Auswahl der Lehrkörper bestimmt. Die Lehrer an Schulen in freier Trägerschaft müssen die gleichen Qualifikationen wie Lehrer an staatlichen Schulen aufweisen. Seit 1971 haben die meisten Privatschulen ein "einfaches Abkommen" mit dem Staat getroffen, wonach der Staat für den Unterhalt der Lehrer aufkommt, doch wird den Schulen ein großer Freiraum bei der Gestaltung des Lehrplans und bei der Auswahl der Lehrerschaft eingeräumt. Demgegenüber sind nahezu alle höheren Privatschulen durch einen engeren Assoziationsvertrag mit dem Staat verbunden: Sie sind nicht länger befugt, ihre Lehrkräfte selbst auszuwählen, doch deckt im Gegenzug der Staat auch ihre Unterhalts- und laufenden Verwaltungskosten. 12 VI. Karitative Tätigkeiten Die karitativen Tatigkeiten der Kirchen werden nicht als religiöse Tätigkeiten anerkannt, da sich nach staatlichem Verständnis die Religionsausübung auf den "Gottesdienst" beschränkt. Seit 1883 wurde die Anzahl der Dienststellen von Seelsorgern in Krankenhäusern verringert und ferner versucht, die kirchliche Trägert2
Vgl. N. Fontaine, La liberte d'enseignement de Ia Iai Debre
Paris 1978.
a Ia Iai Guermer, 2. Auf!.,
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schaft von Hospitälern aufzuheben. Die 1924 eingerichteten "Diözesanvereine" sind nicht befugt, Krankenhäuser als kirchliches Eigentum zu halten. In Frankreich wird das Gesundheitswesen als zum öffentlichen Dienst gehörig betrachtet, zu dessen Unterhalt der Staat verpflichtet ist. Ein freies Gesundheitswesen ist jedoch zugelassen. Dem Gesetz von 1901 zufolge können freie Fürsorgeeinrichtungen von Privatvereinigungen getragen werden. Diese Vereine werden über aufgebrachte private Mittel sowie durch Sammlungen und Kapitalerträge finanziert. Es besteht die Möglichkeit, daß die Kommunen, die Departements oder auch der Staat Krankenhäuser in privater Trägerschaft finanziell fördern, doch lediglich in Anbetracht ihrer sozialen und humanitären Arbeit, nicht zur Förderung ihrer religiösen Ausrichtung. Der Staatsrat kann auch die Gemeinnützigkeit von Gesundheitseinrichtungen in freier Trägerschaft ungeachtet ihrer jeweiligen konfessionellen Zugehörigkeit anerkennen. In einem solchen Fall gelangen diese Einrichtungen in den Genuß von erheblichen Steuerbefreiungen und können ferner private Zuwendungen erhalten. Gemeinnützige Einrichtungen unterliegen einer stärkeren Überprüfung von seiten der öffentlichen Hand. Das Personal von Ordensgemeinschaften schließt keine direkten Arbeitsverträge mit den Gesundheitsanstalten, in denen es tätig ist. Verträge werden vielmehr zwischen dem Hospital und dem Orden selbst geschlossen.13 Der Rechtsprechung zufolge steht allen Schulen in kirchlicher Trägerschaft, die ein besonderes Erziehungsziel aufweisen, das Recht zu, von ihrem Personal zu fordern, sich in Übereinstimmung mit der katholischen Morallehre zu verhalten. Daher ist die Entlassung eines wiederverheirateten Geschiedenen juristisch rechtmäßig. In katholischen Krankenhäuser hingegen pflegt die Justiz keine Ausnahmen vom allgemeinen Arbeitsrecht zu machen.
VII. Einige Besonderheiten des französischen Systems Von den Besonderheiten des französischen Systems sind einige Punkte herauszugreifen: 1. Ordensgemeinschaften Die Rechtssatzung der Mitglieder von Ordensgemeinschaften bezeugt noch immer einige Spuren der Diskriminierung. 14 Obwohl die Verfassung jegliche Form von Diskriminierung verbietet, die sich auf die religiöse Zugehörigkeit eines Individuums bezieht, schließt das Gesetz zur Vereinigungsfreiheit (Juli 1901) die Mitglieder der katholischen Ordensgemeinschaften von der Gunst dieses Gesetzes aus, 13 Vgl. A. Bamberg, Höpital et Eglises. France et Republique Federale d' Allemagne, Strasbourg 1987. 14 Vgl. J. P. Durand, La liberte des congregations religieuses en France, Band 3, Paris 1999.
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wohingegen dies bei Mitgliedern der nichtkatholischen Gemeinschaften nicht der Fall ist. Katholische Ordensgemeinden konnten ausschließlich durch ein besonderes Gesetz anerkannt werden, um über den Status einer Rechtsperson zu verfügen. Tatsächlich wurde in den vergangeneo vierzig Jahren niemals ein solches Gesetz zur Anerkennung von Ordensgemeinschaften verabschiedet. Selbst eine anerkannte Ordensgemeinde könnte durch schlichtes Ministerialdekret aufgelöst werden. Diese Diskriminierung wurde 1942 aufgehoben. Doch erst nach 1970 beantragten einige katholische Ordensgemeinden überhaupt ihre rechtliche Anerkennung, die ohnehin nach Ermessen der Regierung jederzeit widerrufen werden kann. Nicht anerkannte Orden sind seit 1942 zulässig und stellen de facto eine Rechtsperson dar. Sie müssen nicht länger ihr Eigentum den Vereinigungen des bürgerlichen Rechts anvertrauen, die nur Laienpersonal als Mitglieder führen. Außerdem bestand bis 1960 die Gepflogenheit, katholischen Priestern die Kandidatur für eine Lehrtätigkeit an staatlichen Schulen zu verbieten. Dies stellte eine Diskriminierung dar, die auf keinem Gesetz beruhte und im Widerspruch zum verfassungsmäßigen Prinzip der Gleichheit aller Bürger stand. 2. Öffentliche Subventionen
Staat, Departements und Kommunen ist es gesetzlich strengstes untersagt, jedwede religiöse Aktivitäten mit Subventionen zu unterstützen, während alle weiteren Aktivitäten des Privatinteresses, wie Sport oder Kultur, durch öffentliche Finanzierung umfangreich gefördert werden können. Das Erziehungswesen hat sich mittlerweile derart weit von der Religion entfremdet, daß dringend geboten scheint, einen nicht konfessionell gebundenen Einführungskurs in Religionskunde im Curriculum von staatlichen Schulen zu verankern. 3. Stillschweigendes Konkordat bei der Bischofsernennungen
Bei der strikten Trennung von Kirche und Staat könnte man erstaunt darüber sein, daß noch immer eine Art stillschweigendes Konkordat zwischen Frankreich und dem Heiligen Stuhl im Hinblick auf die Ernennung von Bischöfen besteht. Nachdem im Jahre 1921 die diplomatischen Beziehungen wieder aufgenommen wurden, brachte das Staatssekretariat des Heiligen Stuhls ein Aide-memoire heraus, das auf Frankreich Regelungen übertrug, die im allgemeinen von den meisten Konkordaten der Nachkriegszeit befolgt wurden. Dort heißt es, daß Regierungen bekanntzugeben haben, wenn sie Einwände genereller politischer Natur gegen die Ernennung der Kandidaten vom Heiligen Stuhl haben. Dies stellte kein Vetorecht dar, doch es lieferte offenkundig der Regierung ein Kontrollmittel, das nach dem Gesetz von 1905 nicht bestehen sollte. 15 15 Siehe R. Minnerath, L'Eglise et les Etats concordataires (1846 - 1981), Paris 1983, S. 299 ff.
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4. Behandlung neuer Religionen
Die Gesetzgebung in Frankreich reagiert mit einiger Ratlosigkeit auf das Phänomen neuer religiöser Bewegungen sowie auf religiösen Fundamentalismus. Das verfassungsmäßige Prinzip der laicite scheint durch die Präsenz von islamischen Kopftüchern in staatlichen Schulen angefochten zu sein. Auch ruft das Verhalten von einigen Führern der neuen Kulte scharfe Kritik hervor. Im Jahre 1996 wurde eine parlamentarische Kommission eingesetzt, die eine Liste von als gefährlich eingestuften "Sekten" erstellte. 16 Ein kürzlich durchgeführtes Projekt zielt darauf ab, die proselytischen Aktivitäten einzudämmen, die als "geistige Manipulation" betrachtet werden. Religion wird meistens dann mißbilligt, wenn sie militante Formen annimmt und die Tendenz hervorruft, in der Gesellschaft zur Bildung von sozialen Subgruppen zu führen. Die öffentliche Meinung verwechselt bisweilen Religion mit allerlei Mißbräuchen der Religionsfreiheit. Gesetzwidrige Handlungen müssen selbstverständlich verboten und bestraft werden, doch sollte man sich vor der Erhebung von unzulässig verallgemeinerten Verdächtigungen hüten. Der erneute Versuch, die Verbreitung von neuen religiösen Vorstellungen oder von neuem religiösen Verhalten zu unterbinden, ist nur vor dem Hintergrund der französischen Geschichtserfahrung verständlich, aus deren Perspektive starkes religiöses Engagement häufig als Bedrohung für die "laizistische" Gesellschaftsordnung empfunden wird. 5. Staatskirchenrecht im früheren Elsaß-Lothringen Bemerkenswert angesichts der französischen Betrachtungsweise des zentralistischen und einheitlichen Staates ist aus historischen Griinden der Fortbestand des ehemaligen napoleonischen Staatskirchenrechts im früheren Elsaß-Lothringen. 17 VIII. Europatauglichkeit des französischen Systems Im Vergleich zu anderen europäischen Rechtsbestimmungen weist das französische System einige besondere Charakteristika auf. 18 Es wurden Stimmen laut, die anregen, daß das französische Modell auf ganz Europa ausgeweitet werden sollte, da es bestmöglich die Freiheit in einer pluralisti16 Vgl. Observatoire interministeriel sur !es sectes (France), Rapport annuel 1997, La documentation frantraise, Paris 1998; Les sectes et Je droit en France, Paris 1999; G. Fenech, Face aux sectes: Politique, Justice, Etat, Paris 1999. 17 Vgl. J. Schlick/M. Zimmennann, Eglise et Etat en Alsace et en Moselle, Strasbourg 1979. 18 Vgl. European Journal for Church and State Research, Leuven (Jahresrückblick seit 1994) oder G. Robbers (Hrsg.), Staat und Kirche in der Europäischen Union, Baden-Baden 1995.
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sehen Gesellschaft schütze. Andere betonen, daß das französische Modell das einzige in Europa sei, das durch ein latentes Mißtrauen gegenüber Religion gekennzeichnet sei. Der Schutz der Religionsfreiheit wurde durch die Unterzeichnung der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten von 1950 erweitert. In der Tat wird Religionsfreiheit weder unter den Grundfreiheiten in der gegenwärtigen französischen Verfassung, noch in der Menschenrechtserklärung von 1789 aufgeführt. Letztere bringt lediglich die Toleranz gegenüber religiösen Privatansichten zum Ausdruck (vgl. Art. 10), und die Verfassung von 1958 erklärt lediglich, daß die Republik "jedweden Glauben respektiert". Der französische Begriff laicite ist nicht einmal in andere Sprachen übersetzbar. 19 Dessen Bedeutungsumfang umfaßt mehr als einfach nur 'staatliche Neutralität gegenüber Religionsgemeinschaften'. Er deutet ebenso an, daß sich der Staat befugt sieht, die Gesellschaft von der Bedrohung religiöser Einflüsse zu schützen. Laidte stellt fürwahr einen Wert dar, der häufig in Konkurrenz zum religiösen Glauben gestellt wird und dergestalt endlose Konflikte bereitet. Die Staatsidee, die hinter der französischen laicite steht, geht von einem Staat aus, der sich die Bildung einer uniformen Gesellschaft auf die Fahnen schreibt, wohingegen der moderne Rechtsstaat sich selbst im Dienste der Bürger sieht, doch unbefugt in Angelegenheiten, die philosophische oder religiöse Überzeugungen betreffen. Als Folge der seit nahezu einem Jahrhundert bestehenden Trennung von Kirche und Staat kann folgendes konstatiert werden: - Eine vollständige Trennung in Form von gegenseitiger Ignoranz hat sich als unmöglich und unausführbar erwiesen. Die Tilgung der religiösen Lehre aus dem Schulcurriculum führte zu einem kulturellen Desaster. Die radikale Ideologie der antireligiösen laiCite entlarvt sich als unvereinbar mit einem wahren Verständnis von Menschenrechten und Rechtsgrundsätzen. Die meisten europäischen Staaten erkennen religiöse Organisationen als solche rechtlich an und räumen diesen interne Autonomie ein. Deutschland gewährt den Kirchen die vollständige rechtliche Anerkennung und die Handlungsfähigkeit von öffentlich-rechtlichen Körperschaften; ferner gewährt es die öffentliche Anerkennung von kirchlichen Einrichtungen. Das Selbstbestimmungsprinzip religiöser Organisationen ist allmählich zu einem verfassungsmäßigen Grundsatz geworden, das auch in den jüngsten Konkordaten zum Ausdruck kommt. 20 Dies bedeutet, daß der Staat endgültig darauf verzichtet, den Kirchen ein bestimmtes juristisches Rahmenwerk aufzuerlegen. 19 Vgl. J. B. Trotabas, La notion de lal'cite dans Je droit de I'Eglise catholique et de I'Etat republicain, Paris 1961 ; E. Poulat, Liberte, lalcite. La guerre des deux France et Je principe de Ia modemite, Paris 1987; J. Boussinesq, La lai"cite fran~aise, Paris 1994. 20 Siehe R. Minnerath, The right to autonomy in intemal religious affairs, in: The Oslo coalition, Freedom of religion or Belief, Kapitel 18 (geplante Publikation).
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In Europa erkennen einige moderne Staatsverfassungen ausdrücklich an, daß kirchliche Institutionen nicht in den Kompetenzbereich des Staates fallen, daß ferner das Prinzip der internen Autonomie religiöser Organisationen Bestand haben muß. Man mag wünschen, daß der derzeit kurz vor der Verabschiedung befindliche Entwurf einer Grundrechtecharta der Europäischen Union dies berücksichtigen möge.
Das Verhältnis von Gesellschaft, Staat und Kirche in Großbritannien Von Nonnan Doe und Joanna Nieholsan
I. Einleitung
Grundsätzlich definieren sich die Beziehungen zwischen Staat und Kirche nicht nur über juristische Vorgaben (über die staats- und kirchenrechtlichen Vorschriften), sondern auch über deren wechselseitige Erwartungen. Dieser Beitrag widmet sich vier Themenbereichen: Zunächst werden die Stellungen der christlichen Kirchen im Vereinigten Königreich unter staatsrechtlichen Gesichtspunkten umrissen (B). Danach wird die Art der Erwartungen von Staat und Kirche untersucht (C). Sodann bemühen wir uns um eine Einordnung der gegenseitigen Erwartungen, von Kirchen und Staat (D u. E). In dieser Hinsicht wirft der Beitrag verschiedene Fragen auf. Worin besteht das Selbstverständnis des Staates in seinen Beziehungen zu den Kirchen? Was erwartet der Staat von den Kirchen hinsichtlich ihrer institutionellen Beziehungen zum Staat sowie im Hinblick auf ihre Rolle in der Gesellschaft? Worin besteht das Selbstverständnis der Kirchen in ihren Beziehungen zum Staat und zur Gesellschaft? Welche Behandlung erwarten die Kirchen vom Staat? Durchgängig wird das Verhältnis untersucht, das zwischen den Erwartungen und den juristischen Rechtsinstrumenten der Kirchen und des Staates besteht. Schließlich ziehen wir einige Schlußfolgerungen, wie diese zwei Arten von Erwartungen aufeinander bezogen sind. Im allgemeinen zeigt sich eine offensichtliche Unausgewogenheit zwischen den wechselseitigen Erwartungen: Kirchen erwarten mehr vom Staat als dieser von den Kirchen (F). II. Beziehungen zwischen Kirchen und Staat: Bestehende Vorbedingungen
Im folgenden wird ein Überblick über die juristischen Strukturen in den Beziehungen zwischen Kirche und Staat gegeben. Auf der juristischen Ebene beruhen die Beziehungen auf Vorbedingungen - einerseits auf dem Staatsrecht und anderseits auf dem kircheneigenen Recht. Dieser Abschnitt erörtert die Stellung der Kirchen auf der Grundlage des Staatsrechts. Die Regierungsfonn des Vereinigten Kö-
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nigreichs - einer pluralistischen Gesellschaft - besteht aus einer ungeschriebenen monarchischen und parlamentarischen Verfassung. Die Verfassung, die weder uneingeschränkt weltlich noch religiös ist, gliedert sich in folgende Bereiche: formale Gesetzgebung; richterliche Entscheidungen, die das Common Law enthalten, sowie sonderrechtliche Konventionen, die bei staatlichen Gerichten nicht einklagbar sind. Die Verfassung unterteilt die christlichen Kirchen in drei Rechtskategorien: staatlich etablierte (established), vom Staat getrennte (disestablished) und nichtstaatliche (non-established) Kirchen.
1. Allgemeine Prinzipien Staatsrechtlich ist die anglikanische Kirche die etablierte Staatskirche Englands. Die presbyterianische Kirche wird gemeinhin als die staatlich etablierte Landeskirche Schottlands aufgefaßt. Weder Wales noch Nordirland verfügen über etablierte Staatskirchen. Jedoch sind sowohl die anglikanischen Kirchen in Wales und Nordirland als auch die walisische und irische Kirche vom Staat getrennte Kirchen. Alle weiteren christlichen Kirchen in England, Schottland, Wales und Nordirland sind nicht-staatliche Kirchen. Wahrend die staatlich etablierten Kirchen Bestandteil des öffentlichen Rechts sind, werde die vom Staat getrennten und nicht-staatlichen Kirchen allgemein dem Privatrecht zugeordnet. Ihre Stellung ist die von Freiwilligenorganisationen, und ihr internes Rechtssystem liefert die Vertragsbedingungen, zu denen sich die Mitglieder verpflichten. Ebenso gelten alle religiösen Organisationen, die nicht christlich fundiert sind, als Freiwilligenorganisationen. 1 Der Staat regelt mittels rechtlicher Bestimmungen die Zuteilung kirchlicher Anrechte (Vorrechte, Rechte sowie Privilegien der Kirchen und ihrer Mitglieder), indem er den Rahmen ihrer Tätigkeiten (Verbote, Bedingungen und Pflichten) festlegt. Häufig sind die rechtlichen Vergünstigungen und Lasten unter den Kirchen gleichmäßig verteilt, doch gelegentlich ist ihre Aufteilung auch ungleich. Staatliche Gesetze, die generell alle Kirchen (staatlich etablierte, vom Staat getrennte, nicht-staatliche) betreffen und die ein hohes Maß an Gleichberechtigung unter den Kirchen widerspiegeln, enthalten beispielsweise Regelungen zu folgenden Bereichen: öffentliche Ordnung beim Gottesdienst, gemeinsame Nutzung von Kirchengebäuden, Datenschutz, Instandhaltung von Kirchengebäuden, Beschäftigung von Laien, Gesundheit und Schutz am Arbeitsplatz, Gründung und Verwaltung von Wohltätigkeitsorganisationen sowie Schulbetrieb. Dabei gibt es geringfügige I Re South Place Ethical Society [1980] I W.L.R. 1565: Nach Dillon, J. "[sind] die zwei wesentlichen Eigenschaften von Religion Glaube und Verehrung, Glaube an Gott und religiöse Verehrung dieses Gottes". "Religion befaßt sich mit der Beziehung des Menschen zu Gott, und Moral hat mit der Beziehung der Menschen untereinander zu tun." Siehe T. Macklem, Faith as a secular value, McGill L.J. 2000, S. I (10 ff.) hinsichtlich der Auffassung, daß rechtliche Begriffsbestimmungen von Religion keine ergiebige Quellen für Konzepte zur Rechtfertigung von Religionsfreiheit sind.
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Rechtsunterschiede, bei denen der Staat jedoch im allgemeinen die Einhaltung des Gleichheitsgrundsatzes unter den Rechtsträgern beachtet. 2 Im Gegensatz zum oben Dargelegten zeichnet sich das Staatsrecht zugleich durch Ungleichheiten bei der Behandlung unterschiedlicher Kirchen aus. Diese Ungleichheiten sind wiederum der Grund für die besondere Komplexität, die Doppeldeutigkeiten und die bisweilen auftretenden Widersprüche im britischen System, durch welche die Beziehungen zwischen Kirche und Staat sowie deren rechtliche Seite geprägt sind? Das System offenbart eine verwirrende Bandbreite an Staat-Kirche Verhältnissen: von der Identifizierung von Kirche und Staat (wie in England, wo die anglikanische Kirche Staatskirche ist)4 bis zur Trennung von Staat und Kirche (wie in Wales, wo die anglikanische Kirche vom Staat getrennt wurde5) - von Rechten, welche die Religionsfreiheit garantieren6 , über positive Rechtsansprüche7 bis hin zu Sonderrechten und Privilegien. 8 Doch die Gerichte erklären, daß der "Ausgangspunkt unseres inländischen Rechts darin besteht, daß jeder Bürger berechtigt ist zu tun, was er wolle, es sei denn, er verstieße gegen das bürgerliche Recht ( ... ) oder gegen Gesetze. " 9 Trotz offenkundiger Ungleichheiten, Doppeldeutigkeiten und Widersprüchen hat der Staat lange Zeit behauptet, daß er Religionsfreiheit als einen fundamentalen Grundsatz des bürgerlichen Rechts gewährleiste. 10 Religionsfreiheit wurde mittlerweile als Grundrecht im Gesetz über die Menschenrechte von 1998 (Human Rights Act) verankert (siehe unten): Mit dem Gesetz wird angestrebt, die Europäische Menschenrechtskonvention umzusetzen, einschließlich der Bestimmungen zur Religionsfreiheit in Artikel 9. 11 Übrigens hat der Ausdruck "Kirchenrecht" in GroßZur Veranschaulichung dieser Gesetze siehe weiter unten. Zum generellen Vergleich siehe N. Doe, National identity, the constitutional tradition and the structures of law on religion in the United Kingdom, in: Religions in European Union Law, Proceedings of the European Consortium for Church-State Research, Mailand 1998, S. 93. 4 Siehe z. B. N. Doe, The Legal Framework ofthe Church ofEngland, Oxford 1996, S. 7 ff. s Siehe unten. 6 Hinsichtlich der Frage, ob den Zeugen Jehovas das Recht auf Adoption von Kindem gewährt werden solle, siehe R. Terrell, Religious considerations in custody and adoption, Family Law 9 (1979), S. 198. 7 Zum Beispiel die von Quäkern und Juden, Ehen in Übereinstimmung mit ihren eigenen Riten zu schließen, wenn den zivilrechtliehen Ansprüchen an die Ehe entsprochen wird: Ehegesetz von 1949 [Marriage Act 1949], ss. 26 und 47. 8 Siehe z. B. das Motorradschutzhelm (Religiöse Ausnahme)-Gesetz von 1976 [Motor-Cycle Crash Helmets (Religious Exemption) Act 1976]. 9 AG v. Guardian Newspapers Ltd. (No. 2) [1990] I A.C. 109, insbesondere Donaldson, M.R., S. 178. Siehe auch Malone v. Metropoliran Police Commissioner [1979] Ch. 344, insbesondereS. 357. JO Hinsichtlich der möglicherweise fiktiven Natur dieses Prinzips siehe N. Doe, The legal position of religious minorities in the United Kingdom, in: Religions in European Union Law (Anm. 3), S. 299. 2
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britannien für gewöhnlich zwei Bedeutungen: Im engeren Sinne wird unter Kirchenrecht nur das Gesetzeswerk verstanden, das die anglikanische Staatskirche betrifft, im weiteren Sinne gilt als Kirchenrecht das Staatsrecht, das sich auf alle Kirchen bezieht. 12
2. Die rechtliche Stellung der einzelnen Kirchen Aufgrund der hohen Anzahl an verschiedenen christlichen Kirchen im Vereinigten Königreich ist es im Rahmen dieses Beitrages nicht möglich, unter staatsrechtlichen Gesichtspunkten auf die rechtliche Stellung jeder einzelnen Kirche einzugehen.13 Wir skizzieren lediglich einige wenige. Es ist hervorzuheben, daß Kirchen keine gesonderte rechtliche Identität besitzen. Das Gesetz behandelt sie nicht als juristische Personen. Sie sind keine Körperschaften, können nicht klagen oder verklagt werden und sind als Einrichtung nicht fähig, über Eigentum zu verfügen. Allerdings können Institutionen und Stellen innerhalb der Kirchen eigene Rechtspersönlichkeit erwerben und so über Eigentum verfügen, - sei es über Treuhandgesellschaften, Firmen oder gemeinnützige Vereine, wobei Treuhandgesellschaften der Regelfall sind. 14 Die anglikanische Kirche (Church ofEngland) wurde durch Gesetz zur Staatskirche erklärt. Dies ergab sich teilweise aus dem vom Souverän veranlaßten parlamentarischen Gesetzgebungsprozeß und aus der Lossagung Englands von der päpstlichen Gerichtsbarkeit in den dreißiger Jahren des sechzehnten Jahrhunderts. Während die staatskirchliche Verfassung als solche schwierig zu definieren ist 15 , sind 11 Siehe P. Cumper, The protection of religious rights under section 13 of the Human Rights Act 1998, Public Law (2000). 12 In genereller Hinsicht siehe Doe, Legal Framework of the Church of England (Anm. 4 ), Kapitell. 13 Die anglikanische Kirche, die walisische Kirche, die schottische Episkopalkirche und die irische Kirche; die presbyterianische Kirche; die römisch-katholische Kirche; mehr als 160 Kirchen oder Gruppen der afrikanischen und afro-karibischen Kirchen; die vereinigten presbyterianischen Kirchen Schottlands; die baptistische Kirche; die Kirche Christi, Wissenschaftler; die Kirche Jesu Christi der Heiligen der letzten Tage (Mormonen); der Verband der Gemeinden [Congregational Federation]; die freie Kirche Schottlands [Free Church of Scotland]; die freie presbyterianische Kirche Schottlands [Free Presbyterian Church of Scotland]; die unabhängige methodistischen Kirche; die Zeugen Jehovas; die lutherische Kirche; die methodistische Kirche; die orthodoxen Kirchen; die Pflogstkirchen [Pentecostal Churches]; die irisch-presbyterianische Kirche; die walisisch-presbyterianische Kirche; die religiöse Gesellschaft der Freunde (Quäker); die Heilsarmee; die Siebenten-Tags-Adventisten, Undeb yr Annibynwyr Cymraeg (Die Union walisischer Unabhängiger); die unitarischen und freien christlichen Kirchen; die vereinte reformierte Kirche; die Wesley'sche reformierte Union (hinsichtlich statistischer Daten siehe Whitacker's Almanack (1999)). 14 Diese werden inter alia verwaltet durch Treuhandgesetze, Firmenrecht sowie durch das Gesetz zu gemeinnützigen Vereinigungen von 1974 [Friendly Societies Act 1974). 15 Siehe z. B. R. Davies, Church and State, Cambrian Law Review 7 (1976), S. 11.
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deren rechtliche Bestimmungen eindeutig: Der Monarch, Kirchenoberhaupt und Hüter des Glaubens (Defenderofthe Faith), ist gesetzlich dazu berechtigt, Bischöfe zu ernennen. Er übt diese gesetzliche Vollmacht gemäß verfassungsmäßiger Übereinkunft auf Vorschlag des Premierministers aus. Einige Bischöfe sind Mitglieder des Oberhauses. Die Gesetzgebung der kirchlichen Generalsynode muß um zu ihrer Rechtswirksamkeit vom Souverän im Parlament gebilligt werden. Ein solcher Synodenbeschluß hat den gleichen gesetzlichen Status wie ein vom Parlament verabschiedetes Gesetz. Dem von der Generalsynode entworfenen Kirchenrecht muß der Monarch zustimmen, und die Rechtsgültigkeit von Kirchengesetzen erfordert, daß sie mit dem kodifizierten und bürgerlichen Recht vereinbar sind. Das Kirchengesetz (law ofthe church) gilt als Teil des allgemeinen Landesrechts (law ofthe land). Alle Personen, die in Pfarrbezirken der anglikanischen Kirche wohnen, haben rechtlichen Anspruch auf die religiösen Dienste der Kirche: auf Taufe, Heilige Kommunion, Trauung und Beisetzung. 16 Derzeit wird allgemein davon ausgegangen, daß im Laufe des 20. Jahrhunderts die Entwicklungen in der Gesetzgebung zu einer größeren Unabhängigkeit der anglikanischen Kirche vom Staat geführt haben. 17 Die presbyterianische Kirche (Church of Scotland) gilt als evangelisch-reformierte Kirche mit einer presbyterianischen Leitungsstruktur. Die Beziehung zwischen dieser Kirche und dem Staat wird über das Church of Scotland-Gesetz von 1921 sowie über die dem Gesetz angehängten Deklarationsartikel der Verfassung der presbyterianischen Kirche in geistlichen Angelegenheiten ("Articles Declaratory of the Constitution of the Church of Scotland in Matters Spiritual") geregelt. Die presbyterianische Kirche ist die schottische Landeskirche (national church) und wird für gewöhnlich als staatlich etablierte Kirche aufgefaßt, obgleich diese Auslegung häufig Gegenstand von Auseinandersetzungen ist: 18 Der Erhalt der presbyterianischen Kirche war eine grundlegende Bedingung für die Rechtsunion zwischen Schottland und England im Jahre 1707, und ihre Kirchengerichte werden als Foren der öffentlichen Rechtsprechung anerkannt. Der Monarch ist durch seinen eidesstattlichen Schwur dazu verpflichtet, die presbyterianische Kirche zu schützen. Er ernennt einen Oberkommissar (Lord High Commissioner), der an der jährlichen Generalversammlung der Kirche teilnimmt. Das Gesetz von 1921 ermöglicht eine koordinierte Rechtsprechung zwischen Kirche und Staat in deren jeweiligen Bereichen und garantiert die kirchliche Unabhängigkeit vom Staat. 19
Die walisische Kirche (Church in Wales) wurde infolge der parlamentarischen Verabschiedung des Welsh Church-Gesetzes aus dem Jahre 1914 1920 in Wales Siehe M. Hili, Ecclesiastical Law, London 1995. Eine Kurzdarstellung der Rechtslage liefert Hili, Ecclesiastical Law (Anrn. 16), Kapitel 1. Politische Sichtweisen liefern die Studien in G. Moyser (Hrsg.), Church and Politics Today, Edinburgh 1985. 18 Siehe z. B. C. Munro, Does Scotland have an established church?, Ecclesiastical Law Joumal1997, S. 639. 19 In genereller Hinsicht siehe F Lyall, Of Presbyters and Kings, Aberdeen 1980. 16 17
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vom Staat getrennt. Auch bewirkte das Gesetz von 1914 in institutioneller Hinsicht die Gründung der gegenwärtigen walisischen Kirche, die unabhängig von der anglikanischen Kirche als ein autonomer Teil der anglikanischen Glaubensgemeinschaft besteht. Bei ihr sind unterschiedliche juristische Klassifikationen möglich. Zumeist wird sie als eine vom Staat getrennte Kirche (disestablished church) aufgefaßt Genau genommen trifft dies jedoch nicht zu. Schließlich war es die anglikanische Kirche in Wales, die im Jahre 1920 vom Staat getrennt wurde- die (neue) walisische Kirche wurde im Anschluß an die staatliche Trennung der anglikanischen Kirche gegründet. Gleichwohl führte das Disestablishment-Gesetz zu einer umfangreichen Trennung von Staat und walisischer Kirche. Das englische Kirchenrecht, so wie es vor der staatlichen Trennung galt, hat seitdem für die walisische Kirche als Landesrecht nicht länger Bestand. Anwendung findet es als Vertragsbedingung unter ihren Kirchenmitgliedern. Ferner beendete dieses Gesetz in Wales die oberste Gewalt des Monarchen. Der Monarch ist dort nicht Kirchenoberhaupt Es verlangt, daß die Ernennung der walisischen Bischöfe nicht länger von der Krone erfolgt. Vielmehr werden diese von der Kirche gewählt. Auch verfügen walisische Bischöfe nicht länger über Sitze im Oberhaus. Die Kirchengerichte können keine rechtsverbindlichen Urteile sprechen. Die walisische Kirche hat den gesetzlichen Status einer Freiwilligenorganisation. Jedoch wurde sie auch als staatlich "re-etablierte" Kirche ("re-etabliert" auf einer Vertragsbasis nach dem Gesetz von 1914) oder als eine "quasi-staatlich etablierte" Kirche (zum Teil vertragsrechtlieh geregelt) eingestuft. Tatsächlich haben einige beachtliche Restbestände des Establishment-Status weiterhin Bestand: Die Kirche ist gesetzlich dazu verpflichtet, auf Wunsch bei all denjenigen Personen, die in ihren Pfarrbezirken wohnen, Trauungen zu schließen oder Bestattungen durchzuführen. Auch hat sie Geistliche für die walisischen Strafvollzugsanstalten bereitzustellen. 20 Die römisch-lwtholische Kirche entspricht in ihrer rechtlichen Stellung größtenteils derjenigen der meisten anderen christlichen Kirchen, einschließlich der anglikanisch-schottische Episkopalkirche und der Kirche von Irland (in Nordirland). 2 1 Staatsrechtlich gilt die römisch-katholische Kirche als eine Konfession und "als quasi-körperschaftliche Einrichtung, die sich aus den Personen zusammensetzt, die weiterhin den römisch-katholischen Glauben praktizieren".Z2 Sie besteht als eine auf dem Konsensprinzip gründende Einrichtung (consensual body), als freiwilliger Zusammenschluß, deren Mitglieder vertraglich organisiert und aneinander gebun20 Siehe N. Doe, Disestablishment and the legal position of the Church in Wales, unveröffentlichtes Referat, gehalten am 29. März 2000 auf einem Seminar anläßlich des achtzigsten Jahrestages der kirchlichen Trennung vom Staat (1920- 2000), organisiert vom Zentrum für Rechtswissenschaft und Religion, Cardiff Law School. Siehe auch T. G. Watkin, The vestiges of establishment: the ecclesiastical and canon law of the Church in Wales, Ecclesiastical Law Journal 1990, S. 110 sowie N. Doe, (Hrsg.), Essays in Canon Law: A Study of the Law of the Church in Wales, Cardiff 1992. 21 Siehe N. Doe, Canon Law in the Anglican Communion, Oxford 1998, Kapitel 1. 22 R v. Registrar General, ex parte Segerdal [1970] 3 All E.R. 886; Re Schoales [1930] 2 Ch. 75.
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den sind. Urteile der weltlichen Gerichte geben zu erkennen, daß sich ihr Kirchenrecht in weltlichen Gerichten Geltung verschaffen kann, insbesondere wenn vertraglich über Eigentum verfügt wird oder wenn es Teil von vertraglichen Vereinbarungen ist. Ein formales Konkordat zwischen der katholischen Kirche und der Krone besteht nicht. Doch in den Bereichen Erziehung, gemeinsame Nutzung von Kirchengebäuden und Trauung wird die katholische Kirche sowohl vom bürgerlichen Recht als auch von parlamentarischen Gesetzen anerkannt. In der Tat wird durch das Ecclesiastical Titles-Gesetz von 1871 die Hierarchie der katholischen Kirche und ihre Leitungsstruktur rechtlich anerkannt, obschon das Gesetz keinerlei rechtskräftige Gerichtsbarkeit für die Kirche schafft. Zugleich deuten sowohl die Ausdrucksweise der reformatorischen Gesetzgebung des sechzehnten Jahrhunderts als auch bisweilen richterliche Urteilssprüche an, daß das römisch-katholische Kirchenrecht eine Art Auslandsrecht ist. Es besteht generelle Übereinstimmung darin, daß die gesetzliche Benachteiligung der Katholiken in Folge der englischen Reformation aufgehoben ist und daß die katholische Kirche die gleiche gesetzliche Freiheit wie alle anderen religiösen Organisationen genießt. 23 Die baptistische Kirche und die methodistische Kirche, Exempel der sogenannten "freien Kirchen", bestehen ebenfalls als freiwillige Zusammenschlüsse. Jedoch werden sie unmittelbar durch parlamentarische Gesetze beherrscht. Als das Parlament im Jahre 1951 das Baptist and Congregational Trusts-Gesetz verabschiedete, welches verfügt, daß mit der Ernennung ihrer Treuhandkörperschaften diese als Treuhänder der Baptisten- und Gemeinde-Wohltätigkeitsverbände autorisiert sind, erkannte das Parlament die "Verfassung" im "Handbuch" der Baptisten rechtlich an. Gleichermaßen wurde nach parlamentarischer Verabschiedung des Methodist Church-Gesetzes aus dem Jahre 1976 die interne "Verfassung" der methodistischen Kirche anerkannt, wobei für diese "Verfassung" weitere Vorkehrungen zu deren Vereinigungsdokumenten und Mustern für Treuhandverträge getroffen wurden. Methodisten, Baptisten und die vereinigte reformierte Kirche sind verpflichtet, für Gesetzgebungsverfahren im Parlament zu sorgen, wenn sie Änderungen bezüglich des Eigentumsrechts in ihren Verfassungen und Treuhandverträgen vornehmen wollen. Allerdings hebt diese Art der gesetzlichen Anerkennung nicht die Vertragsnatur ihrer Vereinigungen und Organisationen auf. 24 111. Die Art der Erwartungen
Die Suche nach der genauen Beschaffenheit der Erwartungen erweist sich als problematisch, wenn vorausgesetzt wird, daß unter einer Erwartung allgemein eine 23 In allgemeiner Hinsicht siehe Doe, Legal Framework of the Church of England (Anm. 4), Kapitel I. 24 Doe, Legal Framewerk of the Church of England (Anm. 4), Kapitel 1; siehe auch das United Reformed Church-Gesetz aus dem Jahre 2000 und das Salvation Army-Gesetz von 1980. 5 Schlagheck/Kämper
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"Vorwegnahme" verstanden wird - eine Vorstellung über die Wahrscheinlichkeit oder Möglichkeit eines erwarteten Ereignisses oder einer Handlungsweise. Erwartete Ereignisse oder Handlungsweisen können erwünscht oder unerwünscht sein. Wenn wir daher von Erwartungen sprechen, reden wir nicht notwendigerweise ausschließlich darüber, was sich Staat und Kirchen voneinander erhoffen. Die Tatsache, daß Erwartungen schwierig zu fassen sind - eine notwendige Bedingung, wenn es um Erwartungen zukünftiger Ereignisse und Handlungsweisen geht-, erschwert ihre Analyse immens. Dieser Abschnitt erörtert deshalb einige naheliegende Schwierigkeiten, wenn der Versuch unternommen wird, die jeweiligen Erwartungen der Kirchen und des Staates in ihren Beziehungen zu beschreiben. ]. Hinweise auf Erwartungen
Erstens besteht die Schwierigkeit, Hinweise auf Erwartungen ausfindig zu machen. In Großbritannien ist es seit jeher weder für die Kirchen noch für den Staat üblich, formell oder programmatisch die jeweiligen Erwartungen zu artikulieren. Es existiert kein allgemeines Handbuch, das über die gegenseitigen Erwartungen in den Staat-Kirche Beziehungen Aufschluß gäbe. Weder der Staat noch die Kirchen verfügen über ein schriftliches Programm ihrer gegenseitigen Erwartungen. Selbstverständlich liegt keine geschriebene Verfassung vor, die imstande wäre, die Erwartungen von Kirche und Staat auszudrücken, noch bestehen zwischen ihnen formale, ausgehandelte Konkordate, die womöglich anderweitig Erwartungen zum Ausdruck brächten. Vielmehr werden Erwartungen schrittweise und pragmatisch entwickelt und geäußert, das heißt als Reaktion auf praktische Probleme. Die Hinweise auf die betreffenden Erwartungen sind verstreute und daher schwierig zusammenzutragen. 25 Aus kirchlicher Perspektive hängen die Hinweise zum Teil von den verfassungsmäßigen Strukturen der Kirchen ab. Entwicklungen in den internen Satzungen der Kirchen scheinen auf eine größere Bereitschaft und Möglichkeit der Kirchen hinzuweisen, ihre Erwartungen an den Staat zu artikulieren. Beispielsweise besteht eine der rechtlich festgesetzten Aufgaben, denen die Generalsynode der anglikanischen Kirche nachgeht, darin, "(ihre) Meinung über jedwede ( ... )Angelegenheit, die das religiöse oder öffentliche Interesse verdient, zu erwägen und kundzutun". 26 Gleichermaßen ist gemäß der Verfassung des Evangelischen Rats von Großbritan25 Es mag gute politische Gründe für diesen Stand der Dinge geben, die vermutlich auf plausiblen historischen Erklärungen basieren. Es ist nicht unwahrscheinlich, daß Erwartungen häufiger als man glauben mag unbekannt, unsichtbar, unausgesprochen, unveröffentlicht und gelegentlich unbeachtet bleiben. Kurzum, Skeptiker könnten behaupten, daß die Erwartungen bestenfalls unbekannt, schlimmstenfalls gar nicht erkennbar sind. Auf diese Fragen wird jedoch in unserem Aufsatz nicht näher eingegangen. 26 Synodenregierungs-Maßnahme von 1969 [Synodical Govemment Measure 1969], s.
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nien 27 (einer Gruppierung mehrerer Kirchen) eine der Aufgaben, "den evangelischen Standpunkt gegenüber der Regierung und öffentlichen Institutionen im Hinblick auf Angelegenheiten, deren Wichtigkeit und Interesse die Allgemeinheit betreffen, im In- und Ausland zu vertreten". 28 Ebenso zählt zu den Aufgaben der Evangelischen Allianz29 , eines Zusammenschlusses mehrerer Pfingstkirchen, ihrer Stimme bei der Regierung Gehör zu verschaffen und "die heutige politische Landschaft zu beeinflussen". 30 Bedeutsame Quellen, die Auskunft über kirchliche Erwartungen geben, sind die Erklärungen, die von den obersten Kirchenleitungen zu spezifischen Themen des öffentlichen Interesses veröffentlicht werden, aber auch Berichte, die den obersten Kirchenleitungen von Ausschüssen, Räten und Ratsversammlungen vorgelegt werden. Beispielsweise unterhält die presbyterianische Kirche einen Kirchen- und Landesausschuß31 : Seine Aufgabe besteht darin, "ein wachsames Auge auf Entwicklungen im öffentlichen Leben Schottlands zu richten, bei denen moralische und geistliche Betrachtungen besonders virulent sind, sowie zu erwägen, welche Maßnahmen für die Kirche von Zeit zu Zeit ratsam sein könnten, um den geistlichen Bedürfnissen der Menschen gerecht zu werden". Der Jahresbericht des Kirchen- und Landesausschusses von 1999, welcher der Generalversammlung vorgelegt wurde, enthält Empfehlungen für die kirchliche Tätigkeit in weltlichen Angelegenheiten, so zum Beispiel Empfehlungen zum Strafrecht, zur Wahlrechtsreform, zu Menschenrechten, zur Reform des Wohlfahrtsstaats sowie zu Europa und Schottland. 32 Unter den Kirchen sind es nicht nur die etablierten Staatskirchen, die für die Zunahme an öffentlichen Erklärungen zu weltlichen Angelegenheiten sorgen. Zum Beispiel formuliert die nicht-staatliche Kirche der Siebenten-Tags-Adventisten Erwartungen in "Positionspapieren", "Richtlinien" und weiteren Dokumenten, die von der Generalkonferenz der Kirche, von ihrem Verwaltungsausschuß und vom Präsidentenbüro der Generalkonferenz herausgegeben werden. Diese Dokumente enthalten Stellungnahmen zu einem weiten Themenspektrum, so zum Beispiel zu Familie, Umwelt, Einrichtungen der Gesundheitsvorsorge, Rassismus, ObdachloAnm. d. Übersetzers: British Evangelical Council. Verfassung des Evangelischen Rats von Großbritannien (1969, erweitert 1998), 2. Konstituierende Mitglieder dieses Rats sind die evangelisch-presbyterianische Kirche in England und Wales, die evangelische Mitgliedschaft der Gemeindekirchen sowie die freie Kirche Schottlands. 29 Anm. d. Übersetzers: Evangelical Alliance. 30 Die Evangelische Allianz verfügt über eine Abteilung für öffentliche Angelegenheiten [Public Affairs Department] und über einen parlamentarischen Beauftragten in Westminister: Web-Seiten enthalten Gebete zur Unterstützung oder Ablehung von parlamentarischen Gesetzesanträgen. 31 Anm. d. Übersetzers: Church and National Committee. 32 Hinsichtlich der Aufgaben des Komitees siehe A. Heran, The Law and Practice of the Kirk, Glasgow 1995, S. 403. 27
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sigkeit und Armut. 33 Erwartungen können teilweise auch im eigenen Kirchenrecht ihren Ausdruck finden, beispielsweise solche, die implizit im römisch-katholischen Kirchenrecht formuliert sind. Mit ihm beansprucht die katholische Kirche das Recht, unabhängig von der jeweiligen staatlichen Macht Eigentum erwerben, verwalten und veräußern zu können?4 Auch von seiten des Staates liegen Hinweise auf Erwartungen in verstreuter Form vor - die Erwartungen sind nicht systematisch in einem einzelnen Handbuch formuliert, sondern werden schrittweise entwickelt. Anfänglich mag natürlich eine bestimmte Erwartung eine besondere Regierungsinitiative anregen oder beeinflussen. Dann mag die Erwartung die Verabschiedung eines Gesetzes zum Ergebnis haben. Zuletzt wird das verabschiedete Gesetz selbst zu einer neuen Erwartung führen - nämlich im Hinblick auf die Erfüllung des Rechtsanspruchs oder der Pflicht, die im Gesetz jeweils angesprochen wird. Die Kirchen und der Staat erwarten, daß ihre Beziehungen eine besondere Form annehmen, da diese Erwartungen durch die jeweiligen Gesetze hervorgerufen werden. Oder, um es anders auszudrücken: Wenn diese Einschätzung zutreffend ist, deckt sich die abschließende Erwartung mit der anfangliehen Ausrichtung des Gesetzes. Die parlamentarische Verabschiedung des Sunday Trading-Gesetzes aus dem Jahre 1994 war beispielsweise zum Teil eine Folge der Erwartung von seiten der christlichen Kirchen, daß der Staat Verkaufsangestellte absichere, die sich aus religiösen Gründen weigern, sanntags berufstätig zu sein. Das Gesetz gewährt den Erwerbstätigen das Recht, sonntägliche Berufstätigkeit zu verweigern. Dieses Recht wiederum führte bei Verkaufsangestellten zur rechtmäßigen Erwartung, daß Arbeitgeber ihre gesetzlich fixierten Berechtigungen respektieren, und daß staatliche Gerichte, falls dem nicht so ist, ihren Rechten Geltung verschaffen. 35 Mit anderen Worten, einzelne Erwartungen sind sowohl Grund als auch Folge von gesetzlichen Bestimmungen.
2. Die Vielfalt an Erwartungen Zweitens erweist sich in der Gegenwart die Ermittlung von Erwartungen auch aus folgenden Gründen als kompliziert: aufgrund der starken Zunahme an unterschiedlichen christlichen Kirchen einerseits und an Regierungsorganen und -institutionen andererseits. Die hohe Anzahl an Kirchen, an zwischenkirchlichen Allianzen und Interessengruppen innerhalb der Kirchen führt zu einem weiten Spektrum an Erwartungen. Zudem hängt die Art der Erwartungen von der in Frage stehenden Kirche ab: Zum Beispiel weichen die Erwartungen, die der Staat gegenüber einer etablierten Staatskirche hegt, sehr stark von denen gegenüber nicht-staatlichen Kir33 Seventh-Day Adventist Church, Statements, Guidelines and Other Documents, A Compilation issued by the Communications Department of the General Conference ( 1996). 34 Can. 1254 CIC/ 1983. 35 Zum Hintergrund des Sunday Trading-Gesetzes aus dem Jahre 1994 siehe V. Brentford, In favour of keeping Sunday special, Ecclesiastical Law Journal 1990-92, S. 14.
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eben ab. Wenige nicht-staatliche Kirchen verfügen über einen Beauftragten, der auf gleicher Stufe mit dem Londoner Vertreter der Generalversammlung der presbyterianischen Kirche steht Dieser Vertreter fungiert als Vermittler zwischen der presbyterianischen Kirche und dem Parlament in Westminster. 36 Weiterhin unterscheiden sich die Erwartungen, die eine etablierte Staatskirche an den Staat richtet, gravierend von den Erwartungen der nicht-staatlichen Kirchen: Nicht-staatliche Kirchen brauchen nicht zu befürchten, daß der Premierminister Ernennungen zum Kirchenamt der Oberbischöfe zurückweist, wie dies in der anglikanischen Kirche im Jahre 1997 unter der Regierung Blair im Zusammenhang mit der Ernennung des Bischofs der Diözese Liverpool erfolgte. Die Vielfalt an Erwartungen hat sich in den letzten Jahren auch durch den quantitativen Zuwachs an untergeordneten Organen innerhalb der Kirchen (Ausschüsse, Gremien, Abteilungen und Räte) erhöht, zu deren Aufgaben es gehört, die obersten Kirchenleitungen in Angelegenheiten des öffentlichen Interesses zu beraten. Solche Organe können kirchliche Erwartungen prägen. In der römisch-katholischen Kirche verfügt die Bischofskonferenz von England und Wales über eine Abteilung für Christliche Verantwortung 37 , die wiederum einen Ausschuß zu Gemeindebeziehungen38 unterhält. Dieser befaßt sich mit der "sozialen und ethnischen Gerechtigkeit in der britischen Gesellschaft, wobei besonderes Augenmerk auf ethnische Minderheiten sowie auf mittellose und am gesellschaftlichen Rande stehende Personenkreise in städtischen Problemzonen geworfen wird"?9 Ein gleiches Grundmuster dürfte auf staatlicher Seite vorliegen, ist doch der moderne Staat durch viele Facetten gekennzeichnet. Natürlich unterscheiden sich die Erwartungen zwischen den staatlichen Organen der Exekutive, Legislative und Judikative. Beispielsweise neigen die staatlichen Gerichtshöfe stärker dazu, die Rechtsaufsicht über die Gerichte der anglikanischen Staatskirche auszuüben als über Gerichte der staatlich getrennten walisischen Kirche. Dem Gesetz nach sind die Erstgenannten öffentliche Gerichtshöfe und somit zugänglich für eine gerichtliche Überprüfung,. während die staatlichen Gerichtshöfe die Auffassung vertreten, daß die Letztgenannten dies nicht seien. 40 Die hohe Zahl an staatlichen Institutionen und Tatigkeitsfeldern in der heutigen Regierungsarbeit ist ein gewichtiger Einflußfaktor in Hinblick auf Anzahl und Art der Beziehungen zwischen Kirchen und Staat: Man denke an das Parlament in Westrninster, die Regionalregierung und (seit der Einführung der Dezentralisierung) an die regionalen Institutionen und Regierungen in Schottland, Wales und Nordirland. Jede Institution hat zweifelsohne 36
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Heron, Law and Practice of the Kirk (Anm. 32), S. 375. Anm. d. Übersetzers: Department of Christian Responsibility.
Anm. d. Übersetzers: Committee ofCommunity Relations. Informationen zur Konferenz liefert Doe, Legal Framework of the Church of England (Anm. 4), S. 90. 40 In allgemeiner Hinsicht siehe M. Hili, Judicial review of ecclesiastical courts, in: N. Doe/M. Hill/R. Ombres (Hrsg.), English Canon Law, Cardiff 1998, S. 104. 38
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ihre eigenen speziellen Erwartungen an die Kirchen und umgekehrt. Zum Beispiel verfügt Churches Tagether in Wales (CYTUN), eine ökumenische Vereinigung, die sich aus Baptisten, Methodisten, Anglikanern und Katholiken zusammensetzt, über ein Rechtsausschuß, "um die Auswirkungen der Gesetzgebung auf die Glaubensgemeinschaften in Wales zu erörtern", die von der walisischen Nationalversammlung verabschiedet werden. 41 Auch die britische Mitgliedschaft in der Europäischen Union hat sich auf die institutionellen Beziehungen zwischen Kirche und Staat ausgewirkt. Sie veranlaßte die Kirchen, interne Gremien einzurichten, die beauftragt sind, oberste Kirchenleitungen in politischen Angelegenheiten der Union zu beraten. Beispielsweise besteht die Aufgabe des von der katholischen Kirche eingerichteten Ausschusses für Europäische Angelegenheiten 42 sowie die Aufgabe der Abteilung für Internationale Beziehungen43 der Bischofskonferenz von England und Wales darin, "all diejenigen Entwicklungen in Europa im Auge zu behalten, die sich insbesondere auf das Leben der Kirche beziehen, und ferner die Gesetzgebung der Europäischen Union zu kontrollieren". In der Tat berichtete der Kirchen- und Landesausschuß44 der presbyterianischen Staatskirche der Generalversammlung: "Die (Europäische) Union läßt eine Vision ihrer Ideale und Ziele vermissen. Auch verfügt sie über keine Strategien, diese Vision schriftlich zu fixieren, unter den Bürgern zu verbreiten, die Meinungen der EU-Bürger zu erfassen und sie in einem einfachen und klaren verfassungsmäßigen Dokument festzulegen". 45 3. Die Veränderlichkeit der Erwartungen
Drittens ist es nicht verwunderlich, daß eine historische Betrachtung der Entwicklung der staatlichen Kirchengesetzgebung zeigt, wie sehr sich die wechselseitigen Erwartungen grundlegend ändern können. Die englische Geschichte mag dies veranschaulichen. 46 In der Zeitspanne von der normannischen Eroberung bis zur englischen Reformation (von 1066 bis zu den dreißiger Jahren des sechzehnten Jahrhunderts) bestand die Erwartung vonseitender Kirche und des Staats vorwiegend darin, umfassende Stabilität zu erzielen, ein partnerschaftliebes Verhältnis zu pflegen, und die Zuständigkeit in der Rechtsprechung auf vernünftige Weise klar einzugrenzen. In den Bereichen der Regierungsarbeit und der Rechtspflege kooperierten Kirche und Staat im hohen Maße bei der Umsetzung von Ideen und Verfah41 Die Versanunlung wurde durch das Govemment of Wales-Gesetz von 1998 einberufen; CYTUN wurde 1990 eingerichtet, ihr Rechtsausschuß im Jahre 1999. 42 Anm. d. Übersetzers: Committee for European Affairs. 43 Anm. d. Übersetzers: Department of International Affairs. 44 Anm. d. Übersetzers: Church and National Committee. 45 Church and Nation Comrnittee Report (1999). 46 Einen historischen Überblick über das staatliche Kirchenrecht liefert Doe, National identity (Anm. 3), S. 93.
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rensweisen. Die vorwiegend gemeinsam geteilte Erwartung von Kirche und Staat in der Zeitperiode zwischen den dreißiger Jahren des sechzehnten Jahrhunderts bis 1689 (wohl die Ära des Konfessionsstaats in England) war geprägt von Diskriminierung, da in diesem Zeitraum aufgrund der Vorherrschaft der anglikanischen Staatskirche Katholiken und protestantische Andersdenkende in vielen Bereichen unter fehlender Rechtsfähigkeit zu leiden hatten. Katholiken und Andersdenkende befürchteten, auf Intoleranz zu stoßen, und der Staat nahm theoretisch und praktisch das Recht in Anspruch, Intoleranz walten zu lassen. Im Zeitraum von 1689 bis 1800 stellte sich allmählich die Erwartung religiöser Tolerierung ein, indem rechtliche Benachteiligungen schrittweise aufgehoben wurden - ein Prozeß, der 1689 mit dem Gesetz zur Tolerierung47 seinen Anfang nahm. Die Zeitperiode von 1800 bis 1919, die ungefähr dem Viktorianischen Zeitalter entspricht, bezeugte durch die Fixierung eines allgemeinen Konzepts der Religionsfreiheit (über die positive Gewährung von gesetzlichen Rechten) das Auftauchen liberalerer Erwartungen. Während dieser Zeitspanne vollzog sich ein umfangreicher Entspannungsprozeß im Hinblick auf die vormals strikte Rechtsunfähigkeit von Katholiken, protestantischen Andersgläubigen und Juden (und weiteren Glaubensgemeinschaften). In diese Zeitphase fallt auch die Wiedereinführung der römisch-katholischen Kirchenhierarchie ( 1850), die Auflösung der Rechtsunion zwischen der irischen Kirche und der anglikanischen Kirche (1869), der Höhepunkt und die umfangreiche Beschränkung des Parlaments als Gesetzgebungsorgan für die anglikanischen Kirche, der Ausbau einer repräsentativen Laien- und Klerikergesetzgebung für jene Kirche (1919) und in Wales die Trennung der anglikanischen Kirche vom Staat (1920). In den Beziehungen zwischen Staat und Kirche wird aus der Perspektive des 20. Jahrhunderts deutlich, daß das Moment der Veränderung bestimmend ist. Der historische Liberalisierungsprozeß fand möglicherweise mit dem 1998 in Kraft getretenen Gesetz über die Menschenrechte48 seinen Abschluß, durch das im Vereinigten Königreich Religionsfreiheit als formales Grundrecht kodifiziert wurde. Diese Entwicklung ruft wiederum neue Erwartungen hervor.49 Wenn ein Urteil an staatlichen Gerichten in irgendeinem Bereich möglicherweise die Ausübung der Religionsfreiheit einer Glaubensgemeinschaft (dieser selbst oder aller ihrer Mitglieder) betrifft, gilt dem Gesetz nach, daß das Gericht diesem Recht "besondere Beachtung schenken" muß. Dariiberhinaus ist es rechtswidrig, wenn Behörden in einer Art und Weise handeln, die dem Recht auf Religionsfreiheit zuwiderläuft. Obschon diese Vorschrift gemeinhin für staatliche Institutionen gilt, hat dies für er-
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Anm. d. Übersetzers: Act ofToleration 1689. Anm. d. Übersetzers: Human Rights Act 1998. 49 In der Tat könnte durch die Aufnahme des Konzepts der Religionsfreiheit als Menschenrecht in die britische Rechtsprechung paradoxerweise die Erwartung eintreten, daß Religionsfreiheit möglicherweise ein unveränderlicher und konstanter Erwartungswert der Kirchen und des Staates wird. so Human Rights Act 1998, s. 13. 47
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hebliehe Unruhe in einigen Kirchen gesorgt. Da beispielsweise rechtlich betrachtet die meisten Dienststellen der anglikanischen Kirche in öffentlicher Hand sind, erwarten manche Kommentatoren einige Problemfelder für die betreffende Kirche.5 1 Daher beginnen die Kirchen, den Einfluß des Menschenrechtsgesetzes auf das kirchliche Leben in Betracht zu ziehen: In der presbyterianischen Kirche hat zum Beispiel kürzlich die Generalsynode der Kirche die Empfehlung ausgesprochen, "auf ihre eigenen Verfahren bei der Einhaltung der Erwartungen des Gesetzes über die Menschenrechte zu achten und dabei gleichzeitig (der Kirchen-)Verfassung die Treue zu halten". 5 2 IV. Die Erwartungen des Staates In diesem Abschnitt erfolgt lediglich eine Beschreibung und Einordnung der staatlichen Erwartungen, einschließlich ihrer Bedingungen. Auf ein Bewertung wird dabei bis auf offensichtliche Fälle verzichtet. In den Dokumenten des Volkerrechts beanspruchen die Werte Toleranz und Respekt eine zentrale Stellung im Zusammenhang mit religiöser Freiheit, die selbst auf grundlegende Weise mit "der allen Menschen angeborenen Würde und Gleichwertigkeit" in Verbindung steht. In den internationalen Dokumenten wird betont, daß "es unerläßlich ist, Verständigung, Toleranz und Respekt in Angelegenheiten der Religionsfreiheit53 zu unterstützen". Intoleranz54, in Form von religiöser Diskriminierung, sei "ein Affront gegen die Menschenwürde". Ferner "bilden Religion und Glaube für jeden, der sich hierzu bekennt, fundamentale Grundbegriffe in dessen Lebensentwurf'. "Religions- und Glaubensfreiheit müssen vollständig respektiert und garantiert werden". 55 Im Vereinigten Königreich sprechen einige Anzeichen in Regierungsäußerungen und dem Handeln von Verwaltungen, Gesetzgebung und Rechtsprechung dafür, daß sich der Staat selbst als tolerant, respektvoll und neutral gegenüber den Kirchen versteht. Dieser Wunsch und diese Erwartung werden zweifelsohne von den Kirchen geteilt.
51 M. Hili, The impact for the Church of England of the Human Rights Act 1998, Ecclesiastical Law Journal 2000, S. 431. 52 Church and Nation Committee Report (Anm. 45). 53 Erklärung der Vereinten Nationen zur Beseitigung jeglicher Formen von Intoleranz und Diskriminierung, basierend auf Religions- oder Glaubenszugehörigkeit ( 1981 ), verkündet von der Generalversammlung der Vereinten Nationen am 25. November 1981 (Resolution 36/ 55). 54 UN Res. 36 I 55 (Anm. 53), Art. 2: "Intoleranz und Diskriminierung aufgrund von Religion oder Glauben' bezieht sich auf jedwede Form von Unterscheidung, Ausschluß, Beschränkung oder Bevorzugung aufgrund von Religion oder Glaube. Die Absicht oder Folge ist, daß die Anerkennung, der Genuß oder die Ausübung von Menschenrechten und von Grundrechten auf einer gleichberechtigten Grundlage aufgehoben oder beeinträchtigt wird." 55 UN Res. 36/55 (Anm. 53), Art. 2.
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In der Praxis des Staates zeigt sich das Konzept der religiösen Toleranz sowohl in richterlichen Urteilen56 als auch in der Regierungspolitik, die von Zeit zu Zeit betont, daß die Gesetzgebung "auf religiöser Toleranz beruht". Dies selbst sei "ein wichtiger und unerläßlicher Bestandteil unserer Gesellschaft". 57 Bei der Einbringung von Gesetzesvorlagen wird häufig auf die Vorstellung verwiesen, daß die Gesetzgebung dazu bestimmt sei, "unseren eigenen Werten der Toleranz und des Respekts gegenüber Religion Ausdruck (zu verleihen)". 58 Der Begriff "Gleichberechtigung", der in internationalen Dokumente Verwendung findet, wird gelegentlich von den Gerichten anband des Begriffs der "Unparteilichkeit" aufgegriffen: Die Gerichte verweisen auf die Neutralität des Staates gegenüber Religionsgemeinschaften59, obgleich einige Kommentatoren dies für illusorisch halten. 60 In der Tat sind einige Richter der Auffassung, daß "es gute Griinde geben mag, die dafür sprechen, daß Religionsgruppen unterschiedlich behandelt werden sollten, zum Beispiel, aus Hochachtung vor religiösen Überzeugungen". 61 Juristische Unparteilichkeit gegenüber Angelegenheiten der Religion besteht "deshalb, weil Gerichte keinerlei Anhaltspunkte, Wissen oder Anschauung bezüglich der jeweiligen Leistungen von religiösen Anschauungen der unterschiedlichen Konfessionen haben".62 Doch Toleranz hat ihre Grenzen. So dulden Gerichte nicht, daß eine religiöse Motivation die Aktivität eines Priesters der anglikanischen Kirche, die einen Verstoß gegen staatliches Recht darstellt, rechtfertigen könne. So aufrichtig seine Überzeugungen auch sein mögen, sind sie gleichwohl im englischen Recht keine Rechtfertigung und können dies auch nicht sein. 63 Das gleiche Prinzip fand eben56 Zur richterlichen Zurückhaltung, aus politischen Gründen religiöse Konditionen in Treuhandgesellschaften abzulehnen, siehe z. B. Clayton v. Ramsden [1943] A.C. 320: Blaythwayt v. Lord Cawley [1975] 3 All E.R. 625. 57 Report of H.C. Stauding Committee 'F', 3. Juni 1976, col. 11: Dies betrifft die Verordnung, die Sikhs davon freistellt, Motorradschutzhelme tragen zu müssen; siehe S. Poulter, Ethnicity, Law and Human Rights, Oxford 1998, S. 295. Siehe auch H.L. Debs 512, col. 7879, 84 (hinsichtlich der Freistellung von Sikhs, Schutzhelme in der Bauindustrie tragen zu müssen). 58 H.L. Debs 512, col. 79. Hinsichtlich der Sikhs und der Bauindustrie siehe Poulter, Ethnicity, Law and Human Rights (Anm. 57), S. 317. 59 Siehe z. B. Neville Estates Ltd v. Madden [1961) 3 All E.R. 769, insbesondere Cross, J., S. 781: "Das Gesetz nimmt eine neutrale Haltung gegenüber den verschiedenen Religionen ein." 60 In allgemeiner Hinsicht siehe A. Bradney, Religions, Rights and Laws, Leicester 1993, S. 7 und 156 ff. 61 Mackay, L.C., The roJe of the profession in securing access to justice, in: Conference Papers on the Ninth Commonwealth Law Conference, Auckland 1990, S. 59. 62 Re Caroll [1931] 1 K.B. 317, dort Scrutton, L.J. (C.A.). 63 Siehe z. B. Blake v. DPP [1992], dazu Hili, Ecclesiastical Law (Anm. 16), S. 13: Einem Priester der anglikanischen Kirche "wurde von Gott ein Mandat gegeben, und er fühlte sich verpflichtet zu tun, was er tat [ ... ] und ich wünschte nicht, daß Herr Blake meint, daß meine Rückschlüsse in irgendeiner Form ihnen gegenüber Geringschätzung widerspiegle." "Ich für meinen Teil akzeptiere, daß dies ein Glaube war, der ehrlich und tief wurzelte" (Otton, J.).
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falls beim Tatbestand des Totschlags Anwendung bei Eltern, die bekennende Zeugen Jehovas waren und ihrem Kind die medizinische Behandlung aus religiösen Überzeugungen vorenthielten, mit der Folge, daß ihr Kind verstarb. 64 In der Tat wurde auf das vorrangige Wohlergehen des Kindes verwiesen, um eine einstweilige Verfügung gegen Kindstaufen zu rechtfertigen. 65 Die Erwartungen, mit denen der Staat an die Kirchen herantritt, zeigen Vergünstigungen und Lasten. Politische und juristische Hinweise deuten auf fünf Grunderwartungen hin. Erstens erwartet der Staat von den Kirchen, daß sie den sozialen Frieden befördern. Einige Gesetze des Staates scheinen zur Beilegung von Konflikten zwischen den christlichen Gruppierungen verabschiedet worden zu sein, beispielsweise in Nordirland das verfassungsmäßige Verbot der religiösen Diskriminierung am Arbeitsplatz (im öffentlichen oder Privatbereich). 66 Andere Gesetze wurden von staatlicher Seite verabschiedet, um zwischen den Kirchen Joint Ventures zu ermöglichen, so zum Beispiel das Gesetz zur gemeinsamen Nutzung von Kirchengebäuden aus dem Jahre 1969. Zweitens erwartet der Staat von den Kirchen, daß sie am politischen Prozeß mitwirken. Die gegenwärtige Regierung rechnet mit einer stärkeren Einbeziehung der Kirchen in die politische Debatte und einer umfangreicheren Mitwirkung verschiedener Kirchen an einer Reform des Oberhauses: Die kürzlich einberufene Kommission zur Reform des Oberhauses empfiehlt eine verringerte Anzahl an Vertretern der anglikanischen Staatskirche und eine erhöhte Anzahl an Vertretern von anderen religiösen Organisationen.67 Drittens ist deshalb wahrscheinlich davon auszugehen, daß der Staat von den Kirchen eine Einflußnahme auf dessen Regierung und auf das Recht erwartet, und es erübrigt sich der Hinweis, .daß in der Geschichte der Einfluß von christlichen 64 R v. Senior [1899] I Q.B. 283; siehe auch Jane v. Jane (1983) 4 F.L.R. 712, Family Law 13 (1983), S. 209: "Wenn ein Konflikt zwischen der Achtung des religiösen Glaubens der Mutter und dem Interesse am Fortleben des Kindes besteht, ist es vollständig klar, daß in solch einem Konflikt die Interessen des Kindes und seine Fürsorge vorrangig sind. Der Staat hat sich über die religiösen Einstellungen der Mutter hinwegzusetzen, um das Kind zu retten" (Cumrning-Bruce, L.J.). 65 Siehe Canon Law Society Newsletter No. 96 (1993), S. 17: "Die Ausübung der väterlichen Rolle eines mostemischen Vaters bei der christlichen Taufe der Tochter", Auszug aus: Independent vom 24. Juli 1993 (Die Handlung erfolgte unter dem Kindergesetz von 1989.). Siehe auch die UN-Kinderrechtskonvention, Art. 3 Abs. I: "In allen Handlungen, die Kinder betreffen, [ . .. ] sollen die obersten Interessen des Kindes hauptausschlaggebend sein." 66 Fair Employment (Northem lreland) Act 1989. 67 Zum Wakeham-Gutachten siehe Analysis, Public Law (2000), S. 49: Die Vertretung der anglikanischen Kirche bliebe bestehen, obgleich sie von 26 Bischöfen auf 16 Vertreter verringert würde, die in einem Modus gewählt würden, der von der Kirche festgelegt wird (und die nicht zwangsläufig Bischöfe sein müssen). Auch gäbe es 5 Kirchenvertreter von anderen Regionen des Vereinigten Königreichs, 5 von anderen christlichen Kirchen in England und 5 von anderen Glaubensgemeinschaften.
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Vorstellungen auf das bürgerliche Recht beträchtlich gewesen ist. 68 Ein Weg, auf dem dies erfolgt, ist die Lobbyarbeit Kirchliche Lobbytätigkeit hat zumindest teilweise zu derjenigen Vorschrift in den Erziehungsgesetzen geführt, die besagt, daß schulischer Religionsunterricht der "Tatsache" Rechnung tragen müsse, daß in Großbritannien die religiöse Überlieferung vorwiegend christlich ist (obgleich der Lehrplan auch die Beriicksichtigung der anderen großen Religionen vorschreibt). Auch muß die Durchführung des Gottesdiensts in Schulen "ganz oder vorwiegend eine allgemein christliche Prägung haben". 69 Zugleich erwartet der Staat jedoch, daß Kirchen weder unangemessen in die Politik eingreifen, noch daß sie durch ausschweifende Kritik die Regierung destabilisieren. Zum Beispiel führte in sehr prominenten Fällen die Kritik der anglikanischen Kirche an der Regierungsarbeit zu Zurechtweisungen von seiten der Regierung, selbst wenn die Kirche rechtlich befugt war, Kritik zu üben - so beim Versöhnungsgottesdienst, der in der Sankt Pauls-Kathedrale im Anschluß an den Falkland-Krieg (1982) stattfand, oder im Zusammenhang mit dem "Church and the Bomb Report" (1983) im Anschluß an die im Fernsehen übertragene Debatte der Generalsynode. 70 Viertens erwartet der Staat insbesondere, daß die Kirchen die staatlichen Grundnormen respektieren- im Hinblick auf designierte Amtsträger, die interne kirchliche Organisationsstruktur und Tätigkeit: beispielsweise beim Schutz und bei der Fürsorge von Kindern, bei den Beschäftigungsmodalitäten von Laien71 und bei der Instandhaltung von historischen Gebäuden. 72 Gleichermaßen erwartet jedoch der Staat - und dies selbst von etablierten Staatskirchen -, daß Kirchen nicht als Dienststellen des Staates agieren.73 Die aus der Geschichte erwachsene Erwartung des Staates, daß Kirchen für die grundlegenden geistlichen Bedürfnisse der Gesellschaft zuständig seien, hat weiterhin Bestand. Beispielsweise wird diese Erwartung in Verbindung mit der anglikanischen Kirche und der vom Staat getrennten Kirche in Wales wirksam: Beide Kirchen sind gesetzlich verpflichtet, in betreffenden Fällen Mitglieder ihrer Pfarrbezirke zu trauen oder zu bestatten. 74 Fünftens erwartete der Staat, daß die Tätigkeiten der Kirchen einen öffentlichen Nutzen erbringen. Es zählt zu den Grundlagen des Wohltätigkeitsrechts, daß Kirchen und ihren Mitgliedern die allgemeine Rechtsfreiheit gewährt wird, Vereinigungen zur Förderung von Religion zu griinden. Diese genießen einen Wohltätig68 Einen rudimentären Versuch, Einflüsse zu klassifizieren, liefert N. Doe, The citizen, the believer and the law in the United Kingdorn: England and Wales, in: Religions in European Union Law (Anm. 3), S. 159 (163 -168). 69 Siehe Doe/Hill/Ornbres (Hrsg.), English Canon Law (Anm. 40), Kapitel II. Siehe auch das Sunday Trading-Gesetz von 1994 und bezüglich der Lobbyarbeit z. B. Brentford, In favour ofkeeping Sunday special (Anrn. 35), S. 14. 70 In allgemeiner Hinsicht siehe Moyser (Hrsg.), Church and Politics Today (Anrn. 17). 71 Siehe lvory v. Dean and Chapterof St Paul's Cathedral (1998). 72 Siehe M. Hili, Losing one's facu1ties, Ecclesiastica1 Law Joumal1999, S. 164. 73 Marshall v. Graham [1907} 2 K.B. 112, insbesondere S. 126. 74 Siehe oben.
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keitsstatus (und die sich daraus ergebenden steuerlichen Vergünstigungen), vorausgesetzt, daß die in Frage stehenden Vereinigungen dem Allgemeinwohl dienen. Die Gerichte erkennen ein Vorhaben als wohltätig an, wenn von dieser Tätigkeit die Allgemeinheit profitiert, und deshalb erlauben sie die religiöse Tätigkeit, die hiermit verbunden ist. Kurz gesagt werden Vereinigungen zur Förderung der Religion als wohltätig eingestuft, weil der Staat davon ausgeht, daß ihre Gemeinnützigkeit der Gesellschaft in ihrer Gesamtheit zugute kommt: Bezeichnenderweise sind Gerichte dazu "berechtigt, anzunehmen, daß der Allgemeinheit ein gewisser Nutzen dadurch zuteil wird, daß an religiösen Orten solche Personen aufsucht werden, die dort leben und mit ihren Mitbürgern verkehren". Das Gesetz "geht davon aus, daß wahrscheinlich jedwede Religion zumindest besser ist als überhaupt keine". 75
V. Die Erwartungen der Kirchen Im folgenden werden die unterschiedlichen Erwartungen der verschiedenen Kirchen im Hinblick auf ihre Beziehungen zum Staat und ihrer Rolle in der Gesellschaft dargestellt. Welches Verständnis besitzen die Kirchen von ihren Beziehungen zum Staat und zur Gesellschaft in ihrer Gesamtheit? Wieder gilt, daß dies von Kirche zu Kirche und von Region zu Region unterschiedlich ist, nicht zuletzt geprägt durch die jeweiligen Ekklesiologien. Drei Aspekte kommen in Betracht: geistliche, erzieherische und politische. Die geistlichen Dienste an der Gesellschaft variieren von Kirche zu Kirche, und dabei sind die Rechtsbestimmungen der jeweiligen Kirche bedeutsam. Die anglikanische Kirche hat das Selbstverständnis, daß sie als Kirche der gesamten Bevölkerung zur Verfügung steht: Im Zusammenhang mit ihr wurde behauptet, daß "der eigentlich entscheidende Aspekt an ihr als staatlich etablierter Kirche ( ... ) sei, daß sich ihre Pfarrbezirke über jeden Quadratmeter Englands erstrecken und jeder Bürger, der in einem ihrer Pfarrbezirke wohnhaft ist, unabhängig von seiner eigenen religiösen Bindung oder ihrer Abwesenheit, rechtlichen Anspruch auf deren Gemeindepriester hat". 76 Gleichermaßen wird im Church of Scotland-Gesetz von 1921 erklärt, daß die etablierte presbyterianische Staatskirche "als Landeskirche, die den christlichen Glauben der schottischen Bevölkerung repräsentiert ( .. . ) - ihre besondere Pflicht und Aufgabe darin erkennt, die religiösen Bestimmungen an die Menschen in jeder Gemeinde Schottlands über die jeweiligen Regionalgeistlichen heranzutragen". Erwartungen dieser Art sind indes nicht auf die staatlich etablierten Kirchen beschränkt. Während staatsrechtliche Bestimmungen der vom Staat getrennten walisischen Kirche vorschreiben, ihre kirchlichen Dienste der Trauung und Bestattung allen Bewohnern des Pfarrbezirks anzuNeville Estates v. Madden [1962] Ch. 832, insbesondere Cross, J., S. 853. D. Say: Towards 2000: Church and State Relations, Ecclesiastical Law Journal 1991, 152.
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bieten, verbietet das walisische Kirchenrecht ihren Geistlichen, die Kindertaufe von Gemeindemitgliedern abzulehnen. 77 Zweitens gehört es zum kirchlichen Selbstverständnis, den Staat und die Gesellschaft insgesamt in Fragen von Moral und Werten zu prägen, nicht zuletzt über die Veröffentlichung von Dokumenten, welche die Lehre der Kirche darlegen. Dies gilt insbesondere für die katholische Kirche,- vor allem geformt durch ihr Kirchenrecht.78 Im Laufe der letzten zehn Jahre hat die katholische Bischofskonferenz von England und Wales Dokumente zur Reform des Oberhauses, zu Kirche und Menschenrechten sowie zur Kindesmißhandlung herausgegeben. 79 Indes dürfte ein Dokument von 1996 ('The Common Good') das vielleicht bekannteste sein: Es enthält die Soziallehre der Kirche und tritt dafür ein, daß ,jede öffentliche Verordnung dahingehend beurteilt werden sollte, welche Auswirkungen sie auf die menschliche Würde und das Gemeinwohl" hat. 80 In der Tat betrachten einige die Verbindung der anglikanischen Kirche zum Staat als ein erzieherisches Sinnbild für "die weiterhin bestehende Gegenwart des Christentums in öffentlichen Angelegenheiten, als Anerkennung ihrer kirchlichen Rolle in Englands geschichtlicher Entwicklung und nicht zuletzt als einen Weg, über den die Kirche weiterhin politischen Einfluß ausüben kann". 81 Drittens wirken die Kirchen am politischen Prozeß mit. In Schottland sucht beispielsweise eine hohe Anzahl an Kirchen eine partnerschaftliehe und kooperative Zusammenarbeit mit dem schottischen Parlament. Kürzlich wurde das Parlamentarische Büro der Schottischen Kirchen 82 eingerichtet, um "eine produktive Beziehung" zum neuen schottischen Parlament zu knüpfen. Das Büro hat drei Aufgaben: "sich wirkungsvoll am neuen politischen Prozeß zu beteiligen"; "die Verpflichtung der Kirche gegenüber dem Wohlergehen Schottlands in die parlamentarische Debatte einzubringen" und "den Umfang und die Tiefe ihrer Erfahrungen sowie ihre damit verbundenen Glaubensbetrachtungen in den Entschei77 Die Vorschrift, die der staatlichen Trennung vorausging (Bestandteil des kanonischen Kirchenrechts von 1603), ist weiterhin für die Kirche rechtskräftig: Diese Vorschrift verwehrt Geistlichen, den elterlichen Wunsch auf Kindstaufe auszuschlagen. 78 Can. 756-772 CIC/ 1983. 79 Reform des Oberhauses (1999), Menschenrechte und die Kirche (1998), Kindesmißhandlung (1994). 80 The Common Good and the Catholic Church's Social Teaching, 1996: "Religion ist stets persönlich, doch niemals eine rein private Angelegenheit." "Die Kirche hat das Recht und die Pflicht, eine Sozialordnung zu befürworten und zu schützen, in der die menschliche Würde von allen gefördert wird, und zu protestieren, falls diese in irgendeiner Form gefährdet ist. Daher stellt sich die Kirche dem Totalitarismus entgegen, da er die Menschen unterdrückt und sie ihrer Freiheit beraubt." "Die Kirche liefert kein politisches Programm, noch weniger ein parteipolitisches. Die in diesem Dokument dargelegte Soziallehre der katholischen Kirche liefert eine Zusammenstellung einheitlicher und ergänzender Prinzipien, Werte und Ziele." 81 G. Moyser, The Church of England and politics: pattems and trends, in: Moyser (Hrsg. ), Church and Politics Today (Anm. 17), Kapitel 1. 82 Anm. d. Übersetzers: Scottish Churches Parliamentary Office.
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dungsprozeß zu integrieren." Das Büro wird auch daran beteiligt sein, die schottischen Parlamentarier über die kirchliche Haltung in solchen Angelegenheiten zu unterrichten, die in den Zuständigkeitsbereich des schottischen Parlaments fallen, und generell Menschen zum Dialog zusammenzuführen. Ferner praktiziert die presbyterianische Kirche eine enge Zusammenarbeit mit dem schottischen Parlament. Diese Zusammenarbeit erfolgt bereits hauptsächlich über ihren Kirchenund Landesausschuß. 83 Gleichermaßen betrachten viele Beobachter die politische Rolle der anglikanischen Kirche als eine erzieherische: "in Form von moralischen Kommentaren zu bestimmten Themengebieten, beispielsweise zum Wohnungswesen. Diese Themenfelder werden nur bedingt als politische im vollen Bedeutungssinn aufgefaßt, vielmehr als eher moralisch-seelsorgerische, was gewährleistet, daß die grundsätzliche politische Neutralität der anglikanischen Kirche nicht untergraben wird. " 84 Die politischen und rechtlichen Erwartungen der Kirchen an den Staat fallen vorwiegend in die Kategorie von Unterstützungsleistungen, die der Staat nach Auffassung der Kirchen erbringen sollte. Finanzhilfen an Kirchen stellen natürlich für den Staat eine finanzielle Belastung dar. Dies mag kurz veranschaulicht werden: Es bedarf kaum der Erwähnung, daß die Kirchen vom Staat und seinen Institutionen keine Einmischung in ihre inneren Angelegenheiten erwarten. Diese Erwartung, die eher von den vom Staat getrennten und nicht-staatlichen Kirchen ausgeht85, gründet auf der Annahme, daß für diese Kirchen Religion und Kirchenleben im großen und ganzen Privatangelegenheiten sind, die nicht in den Rahmen der öffentlichen Aufgaben des Staates fallen. 86 Diese Erwartung wird größtenteils 83 Church of Scotland: Church and Nation Committee Report (2000): Der Kirchen- und Landesausschuß veröffentlichte vor kurzem die Ergebnisse seiner Besprechungen mit dem schottischen Parlament bezüglich der Immigrations- und Asylgesetzgebung, der moralischen Standards im öffentlichen Leben und der Vorschläge an die Menschenrechtskommission. Es hat Ausschüssen Hinweismaterial geliefert und Versammlungen mit schottischen Parlamentariern abgehalten. Auch steht es in Kontakt mit dem Stab des Parlaments während der frühen Stadien der Entwicklung politischer Positionen. Das Komitee traf vor kurzem mit schottischen Unterhausabgeordneten zusammen und lieferte dem Westminster Scottish Affairs Committee Datenmaterial zu dessen Studie über Armut in Schottland. 84 Siehe A. Dyson, 'Little eise but the name' - reflections on four church and state reports, in: Moyser (Hrsg.), Church and Politics Today (Anm. 17), S. 282 und G. S. Ecclestone, The Church ofEngland and Politics (GS 457, 1980). 85 Siehe Buckley v. Cahal Daly [1990] N.I.J.B. 8: Vorschriften aus dem Codex luris Canonici von 1983 der katholischen Kirche wurden durchgesetzt, damit die Entscheidung des obersten Zivilgerichts gerechtfertigt werden konnte, daß ein Priester nicht dazu berechtigt ist, disziplinarische Entscheidungen von Bischöfen zu konterkarieren. Zur Achtung des katholischen Kirchenrechts siehe auch Daly v. Commissionersfor Inland Revenue [1934]18 Tax. Cas. 641. 86 Siehe z. B. R v. Provincial Court ofthe Church in Wales, ex parte Williams (1998) CO/ 2880/98, dort Latham, J.: Als Folge der Trennung der walisischen Kirche vom Staat im Jahre 1920 (kraft des Welsh Church-Gesetzes von 1914), wurde die Kirche auf Vertragsbasis organisiert. Die walisischen Kirchengerichte wurden mit den Gerichten der anglikanischen Staatskirche verglichen, die Einrichtungen des öffentlichen Rechts sind. Ein weiterer Grund für die
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durch den Hang staatlicher Gerichte bestärkt, sich nicht in religiöse Auseinandersetzungen (zwischen Kirchenmitgliedern und Kirchenleitung) einzumischen. In den Fällen, in denen staatliche Gerichte einen Rechtsstreit entscheiden, neigen die sie dazu, das Urteil zugunsten der Kirchenleitungen zu fällen. 87 Weiterhin wird diese Erwartung durch das Grundrecht auf Religionsfreiheit gestützt, das im Gesetz über Menschenrechte von 1998 verankert ist (siehe oben). Allerdings geht bei der anglikanischen Kirche die Wahrscheinlichkeit eines staatlichen Eingriffs mit ihrem staatlich etablierten Status einher. Die jüngsten Fälle sind bekannt: im Jahre 1984 das gesetzliche Einschreiten, durch welches das Parlament diejenige Maßnahme der Synode verwarf, die eine Reform des Ernennungsverfahrens von Bischöfen beabsichtigt; Mitte der 90er Jahre der positive Rechtsentscheid staatlicher Gerichte zur Gültigkeit der Gesetzgebung bezüglich der Ernennung von weiblichen Priestern (obgleich die Gerichte diese Gesetzgebung nicht zurückwiesen); und im Jahre 1997 der Eingriff der Exekutive durch die Weigerung des Premierministers, den kirchlichen Vorschlag zur Bischofskandidatur von Liverpool anzunehmen. 88 Zugleich behaupten jedoch einige Kommentatoren auf der Grundlage von Vereinbarungen, die in vier anglikanischen Gutachten zu Kirche und Staat aus dem zwanzigsten Jahrhunderts (Church and State Reports)89 dargelegt werden, daß es eine althergebrachte wechselseitige Abhängigkeit zwischen anglikanischer Kirche und Staat gebe: Vom Parlament wird die "geistliche Unabhängigkeit" der anglikanischen Kirche anerkannt, aber auch ihre Selbstbestimmung bei der Handhabung doktrinärer Fragen. Im Gegenzug akzeptierte die Kirche "eine ungeschriebene Übereinkunft, die als Ausgleich für die kirchliche Autonomie in 'geistlichen' Fragen einräumt, daß für Politik ( . . . ) der Staat zuständig ist".90 Zweitens erwarten die Kirchen ein bestimmtes Maß an staatlichem Schutz, damit sie ihre Liturgie ohne ordnungswidrige Störungen durch die Gesellschaft durchführen können: Das Gesetz zur öffentlichen Ordnung beim Gottesdienst zielt darauf ab, dieser Erwartung nachzukommen. 91 Auch erwarten die Kirchen, daß sie in der Lage sind, ihren karitativen Tatigkeiten nachzugehen, soziale Wohlfahrtsprogramme umzusetzen sowie ihre Kirchengebäude ungehindert verNichteinmischung bestand darin, daß eine Berufung gegen die Absetzung des Geistlichen bei der Landessynode der Kirche anstand. 87 Siehe M. Hili, Judicial approaches to religious disputes, op cit. 88 Hinsichtlich des Ereignisses von 1984 und weiterer Begebenheiten siehe F. Field, The Church of England and parliarnent: a tense partnership, in: Moyser (Hrsg.), Church and Po1itics Today (Anm. 17), S. 55. 89 Das Se/baume-Gutachten (1917); das Cecil-Gutachten (1935); das Moberley-Gutachten ( 1952); das Chadwick-Gutachten ( 1970). Siehe auch A. Hastings, Church and State. The English Experience, Exeter 1991, insbesondere S. 67-76. 90 A. Dyson, 'Little eise but the narne' (Anm. 84), S. 282. 91 Gesetz über die Rechtsprechung von Kirchengerichten aus dem Jahre 1861 [Ecclesiastical Courts Jurisdiction Act] .
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walten und instand halten zu können. 92 Im karitativen Bereich variieren die kirchlichen Erwartungen sehr stark voneinander. Dem Gesetz nach müssen Vereinigungen zur Förderung der Religion der Öffentlichkeit bzw. einem ausreichenden Anteil derselben dienen. 93 Der Gegenstand der Vereinigung muß ein "religiöser" sein, das heißt ein theistisches System, das entweder monotheistisch oder polytheistisch ist. 94 Die Vereinigung darf der öffentlichen Ordnung nicht zuwiderlaufen oder "die Grundlagen aller Religion ablehnen und subversiv gegenüber aller Moral" sein.95 Eine Vereinigung zur Bekehrung vom Katholizismus zum Protestantismus wurde für gemeinnützig befunden. 96 Die Fälle sind bekannt: Tätigkeiten, die vornehmlich auf das soziale und nicht auf das religiöse Wohlbefinden der Empfänger gerichtet sind, stellen keine ausreichende Grundlage für die Anerkennung von wohltätigen Vereinigungen zur Föraerung von Religion dar.97 Religiöse Aktivitäten können als solche unter Umständen nicht anerkannt werden, wenn der öffentliche Nutzen immaterieller Natur ist. Dies betrifft beispielsweise die geistliche Unterstützung, die einzelne aus der Bevölkerung durch Fürbitten von Klosterschwestern erlangen. Das Anliegen besteht darin, daß Personen der Öffentlichkeit durch deren beispielhaftes, dem Gebet gewidmetes Leben Erbauung finden. 98 Umgekehrt wird aus Gründen der öffentlichen Ordnung keine religiöse Betätigung geduldet, die sich schädlich auf das moralische Wohlergehen der Gesellschaft99 oder "nachteilig auf die Grundlagen aller Religion und ( ... ) zersetzend auf das Fundament aller Moralität" auswirkt. 100 Das Gleiche betrifft die Verbreitung religiösen Glaubens, der juristisch als "gefährliches Gedankengut" oder "schädlicher Unsinn" erachtet wird. 101 Es wäre lehrreich zu erfahren, was die Kirchen von der (historischen) Beschränkung des staatlichen Schutzes beim Siehe Bradney, Religions, Rights and Laws (Anrn. 60), Kapitel 7. Holmes v. AG (1981): "Das Gesetz verleiht den Status der Gemeinnützigkeit nicht zum Vorteil der Glaubensanhänger einer Religion, sondern im öffentlichen Interesse." Gilmour v. Coats [1949] A.C. 426: Ein Treuhänderschaft für den kontemplativen, klösterlichen Karmeliterorden verfügt über keine ausreichende "öffentliches" Komponente. Doch in Neville Estates v. Madden [1962] Ch. 832 wurde die Gemeinnützigkeit eines Treuhandfonds zur Unterstützung einer Synagoge anerkannt, die rechtlich keinen öffentlichen Zutritt gestattet. 94 Buddhistische Treuhandschaften können gemeinnützig sein. Segerdal [1970] 2 Q.B. 697; hinduistische Treuhandschaften wurden von den Mitgliedern der Wohltätigkeitskommission als gemeinnützig registriert. In allgerneiner Hinsicht siehe auch Re South Place Ethical Society [1980]1 W.L.R. 1567. 95 Re Watson [1973] 1 W.L.R. 1472. Der Gemeinnützigkeitsstatus der Munsekte wurde in Frage gestellt, siehe Bradney, Religions, Rights and Laws (Anrn. 60), Kapitel 7. 96 AG v. Becher [1910]2 I.R. 251. 97 Inland Revenue Commissioners v. Baddeley [1955] A.C. 572. 98 Gilmour v. Coats [1949] A.C. 426. 99 Charity Law and Voluntary Organisations. The Goodrnan Report, Bedford 1976, S. 24. 100 Re Watson [1973] 1 W.L.R. 1472, Plowrnan, J., insbesondere S. 1482 f., im Anschluß an Thomton v. Howe [1862]31 Beav. 14. 101 Church of Scientology v. Kauftrum [1973) R.P.C. 635, insbesondere Goff, J., S. 658. 92
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Strafbestand der Blasphemie auf das Christentum erwarten, wovon andere (nichtchristliche) Religionen ausgeschlossen sind. 102 Drittens erwarten die Kirchen vom Staat eine bescheidene finanzielle Unterstützung: in Form von steuerlichen Vergünstigungen für ihre karitative Tätigkeit, durch Zuschüsse zur Instandhaltung nicht genutzter Kirchengebäude und mittels einer Befreiung von Grundsteuern für Orte religiöser Andacht, Gemeindesäle, Kapellen und ähnlicher Gebäude. Im übrigen wird ungeachtet der Tatsache, daß die mormonische Kirche (Kirche der Heiligen der letzten Tage) als solche rechtlich anerkannt ist, ihr Tempel in England (zugänglich nur für Mormonen "mit gutem Leumund") nicht als Ort der "öffentlichen" Andacht bei der Erhebung der Gemeindesteuer anerkannt.103 Allerdings kann keine Kirche (auch nicht die staatlichen etablierten) staatliche Finanzhilfen für folgende Bereiche geltend machen: Besoldung ihrer Geistlichen und anderer Kirchenbediensteten oder Betriebsausgaben, die im Rahmen der kirchlichen Administration anfallen. 104 Viertens erwarten die Kirchen vom Staat, daß er Vorkehrungen für die geistliche Fürsorge von Gemeindemitgliedern trifft, die physisch nicht dazu in der Lage sind, die religiösen Dienste der Kirche in Anspruch zu nehmen: Tatsächlich verfährt der Staat so aus rechtlichen Griinden in Strafanstalten 105 und aus politischen Griinden wie auch aus Griinden der spirituellen Beratung bei der Seelsorge in Krankenhäusern.106 Fünftens ist es durchaus wahrscheinlich, daß Kirchen einen stetigen Zuwachs an staatlicher Regulierung ihrer kirchlichen Aktivitäten erwarten, insbesondere bei der direkten und indirekten Anwendbarkeit des abgeleiteten Exekutivrechts auf Kirchen. Diese Tendenz zeigt sich in den letzten Jahren beispielsweise auf den Gebieten Finanzbuchhaltung 107, Kinderbetreuung 108 , Urheberrecht 109 sowie Gesund1o2 In allgemeiner Hinsicht siehe D. W Elliott, Blasphemy and other expressions of offensive opinion, Ecclesiastical Law Joumal1993, S. 70. 103 Church of Jesus Christ of Latter-Day Saints v. Henning (Valuation Officer) [1963] 2 All E.R. 733. 104 Siehe D. McClean, State financial support for the church: the United Kingdom, in: Religions in European Union Law (Anm. 3), S. 77. 105 Gesetz über die Strafanstalten von 1952 [Prison Act] und Vorschriften für Strafanstalten von 1964 [Prison Rules], SI 1964/388. 106 Siehe z. B. HSG (92)2. 107 Siehe z. B. die Vorschriften für Wohltätigkeitsvereine (Berichte und Gutachten) von 1995 [Charities (Accounts and Reports) Regulation]; Vorschriften für Wohltätigkeitsvereine (zur Ausnahme von der Registrierung) von 1996 [Charities (Exception from Registration) Regulation]; Vorschriften zur Wirtschaftsprüfung der Kirchen aus dem Jahre 1997 [Church Accounting Regulations]. 108 Siehe z. B. die Vorschriften zur Untauglichkeitserklärung bezüglich der Fürsorge von Kindern aus dem Jahre 1991 [Disqualificationfor Caring with Children Regulations 1991]. (Siehe auch das Kindergesetz von 1989 [Children Act], ss. 71 -78, 80). 109 Vorschrift zur Dauer der Gültigkeit des Urheberrechts und Laufzeitrechte von 1995 [Duration of Copyright and Rights in Performance Regulations].
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heit und Sicherheit. 110 Eine ähnliche Tendenz könnte bei der Anwendung des europäischen Rechts auf Kirchen gesehen werden, wie dies beispielsweise bereits beim Datenschutz erfolgt ist. 111 Auch wurde einige Besorgnis über die unsicheren Erwartungen zur Ausübung von Befugnissen über die Kirchen ausgedrückt, mit denen die neuen Institutionen der Regionalregierung ausgestattet sind. 112 Der deutliche Zuwachs an Rechtsstreitigkeiten, in denen während der letzten zwanzig Jahre Kirchen an staatlichen Gerichten verwickelt waren und in denen die Gerichte im allgemeinen Streitfälle entschieden haben, doch davon Abstand nahmen, die Entscheidung umzusetzen, mag ebenfalls die Grundlage neuer Erwartungen bilden. 113 Schließlich scheinen die Kirchen die Erwartung zu teilen, daß der Staat in öffentlichen Schulen weiterhin Religionsunterricht und religiöse Andacht unter christlichen Vorzeichen fördern wird. Dies ist gegenwärtig gesetzlich abgesichert. Eltern haben die Pflicht zu gewährleisten, daß ihre Kinder (im Alter von 5 bis 16 Jahren) eine ganztägige Erziehung erhalten (für gewöhnlich durch Schulbesuch). Durch staatliches Recht verankert ist die Bestimmung, daß der schulische Lehrplan für das Fach Religion dem Umstand Rechnung tragen muß, daß die religiöse Überlieferung in Großbritannien hauptsächlich christlich fundiert ist, obgleich Lehrpläne auch die anderen großen Religionen zu berücksichtigen haben. Allerdings können Eltern ihre Kinder vom Religionsunterricht befreien. Ferner sind sie dazu berechtigt, daß ihre Kinder am Religionsunterricht anderer Schulen teilnehmen, wenn die von ihnen gewünschte Ausrichtung des Religionsunterrichts nicht angeboten wird. Auch für solche Kinder gilt die gesetzliche Vorgabe, daß die der Schulgottesdienst ein hauptsächlich christliches Gepräge aufzuweisen hat. Obschon die Bestimmungen nach Maßgabe des jeweiligen Schultyps variieren, sind Eltern auch hier befugt, ihre Kinder von dem betreffenden Schulgottesdienst zu befreien. 114 Weiterhin dürfen die Schulbehörden Kinder nicht dadurch diskriminieren, daß ihnen aus Gründen der Religionszugehörigkeit die Aufnahme an gewünschten Schulen verweigert wird. 115
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1998.
In allgemeiner Hinsicht siehe J. Behrens, Practical Church Management, Leominster
Datenschutzgesetz von 1998 [Data Profeetion Act]. Siehe z. B. N. Doe, 'The National Assembly and religious organisations in Wales' , ein Referat, das auf einer gleichnamigen Konferenz am 12. April 1999 an der Rechtsschule zu Cardiff gehalten wurde. Im Referat werden die Kompetenzen der Versammlung untersucht. Darüber hinaus geht es der Frage nach, wie diese Kompetenzen möglicherweise die religiösen Organisationen in Wales betreffen. ll3 Siehe M. Hili, 'Secular approaches to religious disputes' , ein Referat, das am Vierten Jahreskolloquium zu Recht und Religion am 3. und 4. Juli 2000 an der UCL gehalten wurde. 114 Gesetz zur Reform des Erziehungswesens von 1988 [Education Reform Act]. 115 Mandia v. Dowell Lee [1983] 2 A.C. 548. 111
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VI. Fazit Wechselseitige Erwartungen prägen das Verhältnis zwischen Kirchen und Staat in einer tiefgreifenden Weise. Sie prägen auch die Art, in der die Beziehungen zwischen Staat und Kirche verfassungsmäßig verankert werden. Erwartungen führen zu rechtlichen Bestimmungen, resultieren aber auch aus ihnen: Erwartungen sind sowohl der Grund als auch die Folge gesetzlicher Verbindlichkeiten - des staatlichen Rechts einerseits und der internen Regeln der Kirchen und ihrer Politik andererseits. Erstens ist zu betonen, daß das staatliche Recht des Vereinigten Königreichs Kirchen in drei Rechtskategorien untergliedert: staatlich etablierte (established), vom Staat getrennte (disestablished) und nicht-staatliche (non-established). Recht enge Verbindungen bestehen zwischen Staat und staatlich etablierten Kirchen, obgleich sich die Grundzüge des Establishment-Status in Schottland von denen in England unterscheiden. Die Beziehungen zwischen Staat und den vom Staat getrennten Kirchen sind weniger ausgeprägt als ihre trennenden Momente, obschon die walisische Kirche einige Aufgaben des öffentlichen Rechts weiterhin wahrnimmt. Nichtstaatliche Kirchen haben wenige direkte Verbindungen zum Staat, obwohl sie von einem stetig anwachsenden Gesetzeswerk des staatlichen Kirchenrechts betroffen sind und als Freiwilligenorganisationen bestehen. Zweitens ist die Art der staatlich-kirchlichen Erwartungen häufig schwierig zu bestimmen. Traditionell pflegen weder der Staat noch die Kirchen ihre jeweiligen Erwartungen in formaler und programmatischer Art und Weise zu artikulieren. Vielmehr werden diese schrittweise entwickelt. Doch in den zurückliegenden Jahren haben die Kirchen institutionelle Strukturen geschaffen, die ihnen erlauben, sich stärker in Angelegenheiten des öffentlichen Interesses zu engagieren. Dies führte zu einem Anstieg kirchlicher Veröffentlichungen, in denen die Kirchen ihre Ansichten über die Rolle und die Aufgaben des Staates, über die Gesellschaft insgesamt und ihre jeweiligen Funktionen hierzu darlegen. Die Fülle an kirchlichen und staatlichen Institutionen führt zu einer großen Vielfalt an Erwartungen im Hinblick auf das Staat-Kirche Verhältnis. Die Mitgliedschaft in der Europäischen Union, die politische Dezentralisierung sowie die Einrichtung der Regionalregierung haben allesamt zu der Vielfalt an Erwartungen beigetragen. Aus geschichtlicher Perspektive besteht eine Kerneigenschaft der Erwartungen in ihrer Veränderlichkeit: ausgehend von Erwartungen, diskriminiert zu werden; über solche von Tolerierung bis hin zur Erwartung kirchlicher Selbstbestimmung. Die Inkraftsetzung des Gesetzes über die Menschenrechte von 1988 hat wiederum zu neuen und häufig ungewissen Erwartungen geführt. Drittens scheint es, daß der Staat in seinen Beziehungen zu den Kirchen von sich selbst eine tolerante, respektvolle und neutrale Haltung gegenüber den Kirchen erwartet. Dies entspricht der offiziellen Lesart und ist mehr oder weniger das, was generell aus dem staatlichen Recht hervorgeht. Die Erwartungen des Staates an 6*
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Kirchen variieren nach Maßgabe der rechtlichen Stellung der in Frage stehenden Kirche. Die Erwartungen an staatlich etablierte Kirchen dürften höher sein als an die der anderen Kirchen. Grob gesprochen erwartet der Staat von den Kirchen, daß sie schlicht dessen Recht zur Umsetzung seiner eigenen politischen Ziele anerkennen. Genauer betrachtet scheint der Staat folgendes von den Kirchen zu erwarten: Förderung des sozialen Friedens in der Gesellschaft; Kooperation untereinander (Einige staatliche Gesetze zielen darauf ab, dies zu ermöglichen.); Mitwirkung an politischen Debatten und Abläufen (Die Reform des Oberhauses soll hierzu einen Beitrag leisten.); Beeinflussung der Ausrichtung von Politik und Gesetzen (nicht zuletzt über ihre Lobbytätigkeit); Aufrechterhaltung der Grundnormen, die der Staat für die innere Struktur der Kirchen und im Kirchenleben festsetzt (beispielsweise im Bereich der Kinderfürsorge); Erbringung von eindeutig gemeinnützigen Leistungen, insbesondere im Bereich ihrer karitativen Tätigkeiten. Viertens erwarten die Kirchen und ihre Mitglieder aufgrund ihres religiösen Glaubens vom Staat das politische Recht auf Selbstbestimmung, ihren Glauben in seinen Bräuchen, im Gottesdienst und in der Missionars- und Missionstätigkeit frei zu praktizieren sowie Aktivitäten in der internen Kirchenregierung, im Erziehungswesen, in sozialen Wohlfahrtsprogrammen und in der Vermögensverwaltung selbstbestimmt organisieren zu können. Allgemein bestehen die Selbsterwartungen der Kirchen darin: Sorge zu tragen für geistliche Einrichtungen im Dienste der Gesellschaft insgesamt; Staat und Gesellschaft durch Überzeugungsarbeit in der christlichen Soziallehre zu prägen (Vor allem gilt dies für die katholische Kirche.) und am politischen Prozeß direkt mitzuwirken (In Schottland ist die Zunahme an Kirchenstrukturen, die zu diesem Zweck eingerichtet wurden, äußerst offenkundig). Allgemein erwarten die Kirchen vom Staat, daß dieser nicht in die inneren Angelegenheiten der Kirchen eingreift (In dieser Hinsicht sind beispielsweise die Erwartungen der vom Staat getrennten und nicht-staatlichen Kirchen realistischer und stärker gesetzlich gestützt als diejenigen der anglikanischen Staatskirche). Weiterhin erwarten die Kirchen vom Staat, daß er sie vor unrechtmäßigen Störungen von seiten der Gesellschaft schützt (das heißt einen gewissen Grad an Privatsphäre) und daß er unter Umständen die besondere historische Stellung des Christentums sichert, (was deutlich im staatlichen Recht zur Erziehung und zur Blasphemie nachweisbar ist). Darüber hinaus erwarten die Kirchen vom Staat, daß er für die geistlichen Bedürfnisse von Personen in Gefängnissen und Krankenhäusern Sorge trägt. Die kirchlichen Erwartungen bezüglich staatlicher Finanzhilfen sind bescheiden - ebenso die diesbezügliche Tätigkeit des Staats. Insofern zeigen sich im Vereinigten Königreich die wechselseitigen Erwartungen von Kirche und Staat in einer Fülle von Kategorien, politischen, konventionellen und gesetzlichen - einseitigen, gemeinsamen und widersprüchlichen sowie solche, die Grund oder Folge von vorherigen Erwartungen sind. Eine zentrale Frage ist, ob die Erwartungen wechselseitig sind. Insgesamt scheint der Eindruck zu bestehen, daß die Kirchen bei weitem mehr vom Staat erwarten als dieser von den Kirchen.
Das Verhältnis von Gesellschaft, Staat und Kirche in Deutschland Von Heinrich de Wall
I. Grundsätzliches zum Verhältnis von Kirche, Gesellschaft und Staat. Wechselseitige Erwartungen und bestehende Voraussetzungen
1. Voraussetzungen Zu den Voraussetzungen, die das Verhältnis von Staat, Gesellschaft und Kirche in Deutschland prägen, gehört die konfessionelle Bevölkerungsstruktur, die in den letzten Jahrzehnten nicht unerheblichen Änderungen ausgesetzt war. Obwohl durch Zuwanderung aus dem Ausland, durch die Wiedervereinigung und durch Kirchenaustritte der Anteil der beiden großen christlichen Kirchen deutlich geringer geworden ist, dominieren sie mit ihrem Mitgliederanteil von 2 I 3 der Wohnbevölkerung immer noch die religiöse Landschaft. Von den etwa 82 Millionen Einwohnern Deutschlands gehören je etwa 27 Millionen der römisch-katholischen Kirche oder einer der in der EKD zusammengeschlossenen evangelischen Landeskirchen an. Hinzu treten etwa 3 Millionen Muslime, I ,5 Millionen Orthodoxe und mehr als 2 Millionen Angehörige anderer Glaubensgemeinschaften von christlichen Freikirchen bis hin zur Scientology church. 1 Der nicht unerhebliche und stetig wachsende Rest ist konfessionslos. Die konfessionelle Gliederung ist dabei regional sehr unterschiedlich. In den östlichen Bundesländern auf dem Gebiet der ehemaligen DDR sind mehr als zwei Drittel der Bevölkerung konfessionslos, ein Ergebnis der religionsfeindlichen Politik des früheren Sozialismus, die nirgends so erfolgreich war wie hier. Eine wichtige historische und soziologische Voraussetzung für die Entwicklung des Staat-Kirche-Verhältnisses in Deutschland ist zum zweiten die konfessionelle Spaltung zwischen Römischem Katholizismus und Protestantismus. Diese zwingt den Staat zur Beachtung der jeweiligen Besonderheiten und zur Entwicklung von rechtlichen Regelungen, die beiden gerecht werden. Der Grundsatz der Gleichbehandlung der Religionsgemeinschaften erhält dadurch einen besonderen Akzent. 2 I Zu den einzelnen Gemeinschaften siehe M. Klöcker/U. Tworuschka (Hrsg.), Handbuch der Religionen, Loseblatt, Landsberg am Lech, München 1997 ff. 2 Dazu siehe M. Hecke/, Gleichheit oder Privilegien?, Tübingen 1993, passim.
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Im öffentlichen Leben spielen die Kirchen eine zwar abnehmende, nach wie vor aber nicht unerhebliche Rolle. Das gilt insbesondere, wenn man das diakonische bzw. karitative Engagement und die Tätigkeit im Erziehungs- und Bildungswesen einbezieht. Darauf wird noch zurückzukommen sein.
2. Erwartungen Was die gegenseitigen Erwartungen an die Regelung des Staat-Kirche-Verhältnisses angeht, so kommt es für die Kirchen darauf an, daß ihnen die Rechtsordnung Spielraum zur Entfaltung ihrer vielfältigen Tätigkeit nach eigenem Selbstverständnis beläßt. Die anderen Religionsgemeinschaften haben ein berechtigtes Interesse daran, gegenüber den beiden Großkirchen nicht diskriminiert zu werden. Der Staat schließlich ist daran interessiert, daß die Kirchen ihr Engagement aufrechterhalten3; zum einen, weil er dadurch in den genannten Bereichen entlastet wird, zum anderen, weil er generell die Tätigkeit gesellschaftlicher Organisationen wie der Kirche als Ausdruck tätiger Freiheit befürwortet und fördert. Dazu wird in der jüngsten Zeit ein dritter Aspekt hervorgehoben: Der weltanschaulich neutrale, pluralistische Staat ist darauf angewiesen, daß das religiöse und weltanschauliche Ethos der Bürger durch freie Organisationen geformt und gelebt wird, die Lebenssinn und Lebensverantwortung nach gemeinwohlverträglichen Grundsätzen vermitteln. Gerade z.B. ausländerfeindliche Übergriffe zeigen die Bedeutung der sittlichen Bildung, zu der- neben anderen- auch die Kirchen und anderen Religionsgemeinschaften einen Beitrag leisten können. Auch insofern hat der Staat ein erhebliches Eigeninteresse an deren Tätigkeit. In rechtlicher Hinsicht ist es jedoch zweifelhaft, von "wechselseitigen Erwartungen" von Staat und Kirche zu sprechen. Die Erwartungen der Religionsgemeinschaften sind durch das geltende Verfassungsrecht weitestgehend erfüllt. Erwartungen des Staates an die Kirchen dergestalt, daß ihre Nichterfüllung unmittelbare rechtliche Konsequenzen hätte, können aber nicht legitimerweise gestellt werden. Grundlage des Verhältnisses der Kirchen zum Staat ist nämlich ihre Freiheit, von der sie in der vom Staat "erwarteten" Weise Gebrauch machen können, aber nicht müssen. Insofern mag man die skizzierten Erwartungen als Voraussetzung und Hintergrund der verfassungsrechtlichen Regelungen verstehen; unmittelbare rechtliche Bedeutung haben sie nicht, solange der Staat sie nicht in gesetzliche Gebote umsetzt, die freilich ihrerseits der Religionsfreiheit entsprechen müssen.4 3 Ausführlich J. Jsensee, Verfassungsstaatliche Erwartungen an die Kirche, in: Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche (EssGespr.) 25 (1991), hrsg. von H. Marre/J. Stüting, S. 104 ff. Siehe auch M. Hecket, Der Rechtsstatus des Religionsunterrichts im pluralistischen Verfassungssystem des Grundgesetzes, ZThK 96 (1999), S. 525 (530). Dazu, wie sich die Erwartungen in den Kirchenverträgen der neuen Bundesländer niedergeschlagen haben H.-U. Anke, Die Neubestimmung des Staat-Kirche-Verhältnisses in den neuen Ländern durch Staatskirchenverträge, Tübingen 2000, S. 53 ff. , 371 ff. 4
Siehe dazu /sensee, Verfassungsstaatliche Erwartungen (Anm. 3), S. 118 ff.
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3. Veifassungsrechtliche Grundlagen
Die wichtigsten Regelungen des Staat-Kirche-Verhältnisses finden sich im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland, das in Art. 140 GG seinerseits auf die Verfassung des Deutschen Reiches von 1919, die Weimarer Reichsverfassung, verweist. Im übrigen gehört das Staatskirchenrecht in die Regelungskompetenz der Länder, die z. T. besondere Bestimmungen in ihre Verfassungen aufgenommen haben. Große Bedeutung haben überdies die Konkordate der Länder mit dem Heiligen Stuhl und die Staatskirchenverträge mit den evangelischen Kirchen, die in den meisten Bundesländern das Staat-Kirche-Verhältnis allgemein und in den Einzelheiten regeln. 5 Auch in den neuen Bundesländern sind solche Verträge geschlossen worden. 6 Die durch das Grundgesetz vorgegebenen Grundlinien des Staat-Kirche-Verhältnisses möchte ich in sechs Merkmalen zusammenfassen: I. An erster Stelle ist die in Art. 4 Abs. I und 2 GG gewährleistete Religionsfreiheit zu nennen. Dabei wird die korporative Seite besonders betont, indem der Religionsfreiheit in den einzelnen staatskirchenrechtlichen Regelungen besondere Bestimmungen zur Seite gestellt werden: Das Staatskirchenrecht ist als Ergänzung und Konkretisierung der Religionsfreiheit zu lesen. Besonders deutlich wird dies am in Art. 137 Abs. 3 WRV gewährleisteten Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften, das ihnen Autonomie in den Schranken des für alle geltenden Gesetzes einräumt.
2. Der Religionsfreiheit zur Seite tritt das Verbot der Bevorzugung oder Benachteiligung nach dem Glauben (Art. 3 Abs. 3, Art. 33 Abs. 3 GG), also die religiöse Gleichheit. 3. Staat und Kirche bzw. Religionsgemeinschaften sind als Institutionen von einander getrennt (Art. 137 Abs. I WRV). Aus diesen drei Grundprinzipien kann der Grundsatz der staatlichen Neutralität in religiösen und weltanschaulichen Fragen abgeleitet werden.7 Dieser ist im Grundgesetz nicht ausdrücklich enthalten und bietet (nur) dann Orientierungs- und Auslegungshilfe, wenn eine Rechtsfrage mit den vorhandenen verfassungsrechtlichen Einzelvorschriften nicht gelöst werden kann.
5 Zum Staatskirchenvertragsrecht A. Hollerbach, Die vertragsrechtliehen Grundlagen des Staatskirchenrechts, in: J. Listl/D. Pirson (Hrsg.), Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland (HdbStKirchR f), Band I, 2. Auf!., Berlin 1994, S. 253 ff.; Vertragstexte bei J. List! (Hrsg.), Die Konkordate und Kirchenverträge in der Bundesrepublik Deutschland, 2 Bände, Berlin 1987. 6 Dazu ausführlich Anke, Neubestimmung des Staat-Kirche-Verhältnisses (Anm. 3). 7 Grundlegend dazu K. Schlaich, Neutralität als verfassungsrechtliches Prinzip, Tübingen 1972, insb. S. 129 ff., 192 ff.
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4. Die Trennung von Staat und Kirche schließt die Möglichkeit der Kooperation etwa durch Konkordate und Staatskirchenverträge - nicht aus (siehe z. B. auch Art. 7 Abs. 3 S. 2 GG). 5. Die Religionsfreiheit des Grundgesetzes bedeutet nicht nur die Freiheit von staatlichem Glaubenszwang. Vielmehr fördert der Staat die Religionsausübung und ermöglicht sie auch im öffentlichen Bereich. Dies kommt etwa in der Garantie des Religionsunterrichts in Art. 7 Abs. 3 GG und bei der Anstaltsseelsorge (Art. 140 GG i. V. m. Art. 141 WRV) zum Ausdruck. 6. Überdies versucht der Staat, dem religiösen Selbstverständnis der Religionsgemeinschaften - auch in seiner historischen Entwicklung - gerecht zu werden. 4. Der Status als Körperschaft des öffentlichen Rechtes
Ein Beispiel hierfür stellt gleichzeitig eine charakteristische Besonderheit im Verhältnis zwischen Staat und Kirchen in Deutschland dar. Neben dem üblichen Vereinsrecht stellt das Grundgesetz den Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften zu ihrer Organisation die besondere Rechtsform der Körperschaft des öffentlichen Rechts zur Verfügung (Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 5 WRV). Damit wird es den Religionsgemeinschaften ermöglicht, bestimmte Gestaltungsmöglichkeiten des öffentlichen Rechts zu verwenden, die mit ihrem Selbstverständnis besser zu vereinbaren sind als die Formen des allgemeinen bürgerlichen Rechtsverkehrs. So gleicht das Verhältnis des evangelischen Pfarrers zur Kirche dem eines Beamten zum Staat weit mehr als dem eines Arbeiters oder Angestellten zum privaten Arbeitgeber. Überdies ist der Rechtsstatus der Körperschaft des öffentlichen Rechts mit weiteren Vergünstigungen verbunden, welche die Tätigkeit der Religionsgemeinschaften erleichtern und fördern, wie z. B. dem Recht, Kirchensteuern zu erheben, Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 6 WRV. Der Status einer Körperschaft des Öffentlichen Rechts ist kein Privileg der Großkirchen. Vielmehr steht er jeder Religions- und Weltanschauungsgemeinschaft offen, wenn sie durch ihre Verfassung und die Zahl ihrer Mitglieder die Gewähr der Dauer bietet. Dementsprechend besitzt eine große Zahl von Religionsgemeinschaften, auch recht kleine, den Körperschaftsstatus. 8 Eine inhaltliche Kontrolle und Bewertung darf bei der auf Antrag einer Religionsgemeinschaft durch das entsprechende Bundesland vorzunehmenden Verleihung der Körperschaftsrechte nicht stattfinden.9 Auch für muslimische Religionsgemeinschaften ist der s Siehe dazu P Kirchhof, Die Kirchen und Religionsgemeinschaften als Körperschaften des öffentlichen Rechts, in: List! I Pirson (Hrsg.), HdbStKirchR f (Anm. 5), S. 651 (678 f.). 9 Zu den Verleihungsvoraussetzungen, insbesondere zur umstrittenen Frage der ungeschriebenen Verleihungsvoraussetzungen nunmehr BVerfGE 102, 370. Anders noch BVerwGE 105, 117, dazu R. Tzllmanns, Zur Verleihung des Körperschaftsstatus an Religionsgemeinschaften, DÖV 1999, S. 441 ff.; M. Morlokl M. Heinig, Parität im Leistungsstaat - Körperschaftsstatus nur bei Staatsloyalität?, NVwZ 1999, S. 697 ff., jeweils mit zahlreichen Nachweisen. Speziell
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Körperschaftsstatus daher interessant. Daran, daß der Islam als Religionsgemeinschaft dauerhaft und daß die Zahl seiner Mitglieder hinreichend ist, besteht kein Zweifel. Allerdings fehlte es ihm bisher an der erforderlichen Verfaßtheit. So gibt es keine den Kirchen mit ihren Bischöfen, Synoden und Konsistorien vergleichbare Strukturen. Daher ist schon unklar, wer gegenüber dem Staat überhaupt für den Islam sprechen und handeln kann, bzw. wem gegenüber z. B. die Anerkennung als Körperschaft des öffentlichen Rechts ausgesprochen werden soll. Auch ein den Kirchen vergleichbares Mitgliedschaftsrecht existiert nicht, so daß nicht eindeutig ist, wer Mitglied "des Islam" ist. Überdies zerfällt dieser - wie das Christentum in eine große Zahl unterschiedlicher Schulen und Richtungen. Daß "der Islam" den Status als Körperschaft des öffentlichen Rechts nicht besitzt, beruht somit nicht auf unzulässiger Diskriminierung. Vielmehr erfordert die Erlangung dieses Status' die Herausbildung von innerislamischen Verfassungsstrukturen. Mittlerweile haben sich in Deutschland eine große Zahl muslimischer Vereinigungen und auch zwei Dachorganisationen gebildet, so daß sich die Frage nach der Einräumung des Körperschaftsstatus' neu stellen könnte. 10 Der Begriff der Körperschaft des öffentlichen Rechts bezeichnet üblicherweise Personenverbände, die unter staatlicher Aufsicht Staatsaufgaben wahrnehmen. Er kann daher zu dem Mißverständnis Anlaß geben, daß die entsprechenden Kirchen und Religionsgemeinschaften in besonders enger Verbindung mit dem Staat stünden oder gar mit diesem organisatorisch verknüpft seien. Das wäre indes mit dem Grundsatz der Trennung von Staat und Kirche nicht vereinbar. Der Begriff der Körperschaft des öffentlichen Rechts ist in unserem Zusammenhang anders zu verstehen. Er ist hier eine Sammelbezeichnung für einzelne Befugnisse öffentlichrechtlicher Natur. 11 Deren wichtigstes ist eben das noch gesondert zu behandelnde Recht der Erhebung von Kirchensteuern. Mit einer Verbindung von Staat und Kirche hat das nichts zu tun. Es ändert auch nichts daran, daß die Kirchen gegenüber dem Staat als Teil der "Gesellschaft" zu verstehen sind und ihm grundsätzlich ebenso gegenüberstehen wie andere Vereinigungen. In diesem Sinne ist die Frage nach dem Verhältnis von Kirche und Gesellschaft so zu beantworten, daß die Kirchen ebenso Teil der Gesellschaft sind wie andere Religionsgemeinschaften oder wie jeder Bürger.
zum Islam siehe S. Muckel, Muslimische Gemeinschaften als Körperschaften des öffentlichen Rechts, DÖV 1995, S. 311 ff. 10 Siehe zu den Organisationen S. Kaweh, in: Klöcker/Tworuschka (Hrsg.), Handbuch der Religionen (Anm. 1), IV (Muslimische Gemeinschaften)- 1.3; N. Feindt-Riggers/U. Steinbach, Islamische Organisationen in Deutschland, Harnburg 1997. II Siehe dazu BVerfGE 102, 370 (388); A. Frhr. von Campenhausen, Staatskirchenrecht, 3. Auf!., München 1996, S. 287 ff.; C. Link, ZeugenJehovasund Körperschaftsstatus, ZevKR 43 (1998), S. 1 (12 f.); H. de Wall, Die Bindung der Kirchen an das Rechtsstaatsprinzip, ZevKR 43 (1998), S. 441 (453).
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II. Die Finanzierung der Religionsgemeinschaften, insbesondere durch die Kirchensteuer
Wie jede andere Vereinigung benötigen auch die Religionsgemeinschaften zur Erfüllung ihrer Aufgaben finanzielle Mittel. Da wesentliche Teile des Vermögens der Kirchen in Deutschland im Verlaufe der Geschichte enteignet worden sind, und da der Grundsatz der Trennung von Staat und Kirche die Finanzierung aus dem Staatshaushalt verbietet, müssen diese Mittel vor allem durch Beiträge der Mitglieder aufgebracht werden. Den Religionsgemeinschaften, die Körperschaften des öffentlichen Rechts sind, gibt das Grundgesetz das Recht, diese Beiträge in Form von Steuern zu erheben. 12 Sie tragen bei den beiden großen Kirchen den größten Teil zum Haushalt bei. Ihr Gesamtaufkommen betrug im Jahr 1998 etwa 16 Mrd. DM. Obwohl die Kirchensteuer nicht mehr ist als eine besondere Form der Erhebung von Mitgliedsbeiträgen, ist sie immer wieder Gegenstand heftiger Kritik und Polemik. So soll die Kirchensteuer ein Privileg der Großkirchen sein. Das ist aber deshalb falsch, weil nach Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 5 und 6 WRV jede Religionsgemeinschaft, die als Körperschaft des öffentlichen Rechts organisiert ist, das Recht der Steuererhebung besitzt. Die Voraussetzungen dafür sind, wie soeben dargelegt, formaler Natur und haben mit einer ungerechtfertigten Begünstigung bestimmter Religionsgemeinschaften nichts zu tun. Auch die Bezeichnung als "Zwangsabgabe" geht an der Sache vorbei. Jeder Mitgliedsbeitrag zu einem beliebigen Verein ist bei einer unberechtigten Weigerung des Mitglieds mit Hilfe staatlichen Zwangs beitreibbar: Der Verein kann vor den ordentlichen Gerichten ein entsprechendes Urteil erwirken. Dieses ist durch den staatlichen Gerichtsvollzieher zwangsweise vollstreckbar. Die Besonderheit des Mitgliedsbeitrages in Form der Kirchensteuer besteht darin, daß der Betrag auch ohne vorherige Anrufung des Gerichts beigetrieben werden kann. Allerdings ist selbstverständlich nachträglicher Rechtsschutz für den Kirchensteuerptlichtigen nicht ausgeschlossen. Eine zweite Besonderheit des derzeitigen Kirchensteuersystems liegt im Verfahren des Steuereinzugs. Diese Besonderheit beruht allerdings auf vertraglichen und gesetzlichen Regeln und ist nicht durch die Verfassung gewährleistet. Die Kirchensteuer wird danach durch das staatliche Finanzamt verwaltet. 13 Sie wird in der Regel zusammen mit der staatlichen Lohnsteuer durch den Arbeitgeber vom Lohn bzw. Gehalt des Arbeitnehmers abgezogen und an das Finanzamt abgeführt, das es an die Kirchen weiterleitet. Der Staat erhält für diese Leistung einen Anteil des 12 Allgemein zur Kirchensteuer von Campenhausen, Staatskirchenrecht (Anm. 11), S. 256 ff.; H. Marre, Das kirchliche Besteuerungsrecht, in: List!/ Pirson (Hrsg.), HdbStKirchR (Anm. 5), S. llOI ff. ; U. Suhrbier-Hahn, Das Kirchensteuerrecht, Stuttgart 1999. 13 Siehe z. B. Art. 15 Ev. Kirchenvertrag, § 10 KirchStG Sachsen-Anhalt.
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Kirchensteueraufkommens als Gebühr. Die Besonderheiten des Kirchensteuerrechts gegenüber den "normalen" Vereinsbeiträgen haben erhebliche Bedeutung für die Kirchenfinanzierung, stellen sie doch einen stetigen und verläßlichen Zufluß finanzieller Mittel sicher, ohne den namentlich die Großkirchen ihre Aufgaben nicht sicherstellen könnten, an deren Erfüllung der Staat aber ein erhebliches Interesse hat. Einen Eingriff in die Religionsfreiheit enthält die Kirchensteuer nicht. Jedermann kann sich ihr durch Austritt aus seiner Religionsgemeinschaft entziehen. Anlaß für eine Änderung des Kirchensteuersystems besteht daher an sich nicht. Allerdings wäre die derzeit diskutierte und umgesetzte Steuerreform, die zu einer deutlichen Senkung des Einkommensteuertarifs führt, nach den ursprungliehen Plänen mit erheblichen Einnahmeverlusten der Kirchen bis zu etwa 20% verbunden gewesen, da die Lohn- bzw. Einkommensteuer die Berechnungsgrundlage der Kirchensteuer ist. Es hat erheblicher Überzeugungsarbeit durch die Kirchen bei den politisch Verantwortlichen bedurft, dies durch Sonderregelungen zu verhindern. Hier wird ein Problem des derzeitigen Einzugsverfahrens deutlich, nämlich die Abhängigkeit von der staatlichen Einkommensteuerpolitik. Diese führt dazu, daß die Kirchensteuer auch die jeweiligen ganz verschiedenen Ziele und Wendungen der staatlichen Politik mitmacht. Bei der aktuellen Steuerreform macht sich auch der europäische Einfluß bemerkbar. Zwar hat die EG an sich wenig Einfluß auf die Einkommensteuer als direkte Steuer. 14 Allerdings besteht ein erheblicher Anpassungsdruck für das deutsche Steuerrecht mit seinen bisher hohen direkten Steuersätzen an den gesamteuropäischen Standard. Die Kirchen dürfen legitimerweise erwarten, daß der Staat die Auswirkungen seiner Steuerpolitik auf die Kirchensteuer beriicksichtigt und Regelungen zur Vermeidung unerwünschter Nebeneffekte zu treffen bereit ist. Neben der Kirchensteuer sind die direkten staatlichen Zuwendungen an die Kirchen von geringerer Bedeutung. Für die "auf Gesetz, Vertrag oder besonderen Rechtstiteln beruhenden Staatsleistungen" sieht Art. 138 Abs. 2 WRV, der ebenfalls gern. Art. 140 GG weitergilt, bereits seit 1919 eine Ablösung vor. 15 Diesen Auftrag hat der Staat bis heute nicht erfüllt, so daß diese Leistungen weiter zu entrichten sind. Sie beruhen zum Teil darauf, daß der Staat in der Vergangenheit Kir14 Siehe dazu Gemeinsame Stellungnahme des Rates der EKD und der Deutschen Bischofskonferenz "Zum Verhältnis von Staat und Kirche im Blick auf die Europäische Union", Gemeinsame Texte 4, hrsg. vom Kirchenamt der EKD und vom Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz, 1995, S. 24; A. Hollerbach, Europa und das Staatskirchenrecht, ZevKR 35 (1990), S. 250 (279 f.); C. Link, Staat und Kirche im Rahmen des europäischen Einigungsprozesses, ZevKR 42 (1997), S. 130 (149); W Rüfner, Staatskirchenrechtliche Überlegungen zu Status und Finanzierung der Kirchen im vereinten Europa, in: J. lpsen/H.-W. Rengeling/ J. M. Mössner/ A. Weber (Hrsg.), Verfassungsrecht im Wandel, Festschrift zum ISOjährigen Bestehen der Carl Heymanns Verlag KG, Köln, Berlin, Bonn, München 1995, S. 485 (491 f.). 15 J. lsensee, Staatsleistungen an die Kirchen und Religionsgemeinschaften, in: Listl/Pirson (Hrsg.), HdbStKirchR f (Anm. 5), S. 1009 ff., A. Frhr. von Campenhausen, in: H. von Mangoldt/F. Klein/C. Stark, Das Bonner Grundgesetz, Band 3, 4. Aufl., München 2001, Art. 140 GG/ 138 Abs. 1 WRV, Rdnr. 7 f.
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ehengut entschädigungslos enteignet hat, aber dabei bestimmte auf dem Vermögen ruhende Lasten weitererfüllen mußte. Darüber hinaus fördert der Staat die Kirchen auch dann, wenn sie im diakonischen Bereich Gemeinwohlaufgaben übernehmen, etwa bei der Errichtung und dem Unterhalt von Kindergärten. 16 Da der Staat hier und in anderen Bereichen auch andere freie Träger fördert und durch diese Gemeinwohltätigkeit gesellschaftlicher Gruppen erheblich entlastet wird, wäre alles andere auch eine durch das Verbot der Ungleichbehandlung aus religiösen Gründen verbotene Diskriminierung kirchlicher Tätigkeit. Im übrigen erbringt der jeweilige Träger noch erhebliche finanzielle, personelle und organisatorische Eigenleistungen. Die kirchlichen Krankenhäuser werden ebenso über das System der gesetzlichen Krankenversicherung und die staatliche Krankenhausförderung mitfinanziert wie dies für Krankenhäuser anderer Träger gilt.
111. Religionsunterricht an staatlichen Schulen Nach Art. 7 Abs. 3 GG ist der Religionsunterricht in den öffentlichen Schulen mit Ausnahme der bekenntnisfreien Schulen ordentliches Lehrfach. 17 Er ist nicht als vergleichende Betrachtung religiöser Lehren, sondern als konfessionell gebundener Unterricht zu erteilen 18 , d. h. als evangelischer oder katholischer Religionsunterricht. Er dient dazu, im weitgehend verstaatlichten Schulwesen eine über die bloß religionskundliehe Information hinausgehende religiöse Unterweisung zu ermöglichen. Dies ist deshalb von besonderer Bedeutung, weil die Schüler zu einem eigenverantworteten und eigengestalteten Leben in der Gesellschaft befähigt werden sollen. Der Staat nimmt einen eigenen Erziehungsauftrag neben den Eltern wahr. Würde die religiöse Dimension hier ausgeklammert, bedeutete diese Abwertung als private Marginalie eine Stellungnahme des Staates gegen die Religion.19 Da der religiös neutrale Staat aber selbst religiöse Inhalte nicht mit dem 16 Siehe dazu die Beiträge von J. Isensee, Die karitative Betätigung der Kirchen und der Verfassungsstaat, S. 665 ff., 0. Depenheuer, Finanzierung und Organisation der kirchlichen Krankenhäuser, S. 757 ff., J. Schmitz-Elsen, Die karitativen Werke und Einrichtungen im Bereich der katholischen Kirche, S. 789 ff., P. von Tiling, Die karitativen Werke und Einrichtungen im Bereich der evangelischen Kirche, S. 809 ff. und 8. Kämper, Kindergärten in kirchlicher Trägerschaft, S. 831 ff., jeweils in: J. List! I D. Pirson (Hrsg.), Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland (HdBStKirchR II\ Band 2, 2. Auf!., Berlin 1995. 17 Zum Religionsunterricht aus der umfangreichen Literatur siehe nur C. Link, Religionsunterricht, in: Listl/Pirson (Hrsg.), HdbStKirchR (Anm. 16), S. 439 ff.; M. Hecket, Der Rechtsstatus des Religionsunterrichts im pluralistischen Verfassungssystem des Grundgesetzes, ZThK 96 (1999), S. 525 ff. und ZThK 97 (2000), S. 128 ff.; V. Hildebrandt, Das Grundrecht auf Religionsunterricht, 2000, insbes. S. 44- 82. 18 BVerfGE 74, 244 (252 f.). 19 H. de Wall, Zum Verfassungsstreit um den Religionsunterricht in Brandenburg, ZevKR 42 (1997), S. 353 (365); zum Zusammenhang zwischen staatlicher Neutralität und konfessio-
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Anspruch auf Wahrheit oder Verbindlichkeit vermitteln und dazu nicht Stellung nehmen darf, liegt die inhaltliche Verantwortung für den Religionsunterricht bei den Religionsgemeinschaften (Art. 7 Abs. 3 S. 2 GG). Diesen wird dadurch auch die Möglichkeit eingeräumt, ihrem eigenen Verkündigungsauftrag gegenüber den Schülern nachzukommen. Der Religionsunterricht dient damit sowohl der Religionsfreiheit der Schüler, als auch dem religiösen Erziehungsrecht der Eltern (Art. 6 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 4 Abs. I und 2 GG) und dem religiösen Verkündigungsrecht der Religionsgemeinschaften, das ebenfalls durch Art. 4 Abs. I und 2 GG geschützt ist. Der "negativen" Religionsfreiheit der Schüler und Eltern ist durch das Recht zur Abmeldung vom Religionsunterricht Rechnung getragen (Art. 7 Abs. 2 GG). Nicht konfessionsangehörige Schüler sind ohnehin nicht zu seinem Besuch verpflichtet. Die Erteilung des konfessionellen Religionsunterrichts ist keinesfalls Privileg der Großkirchen und auch unabhängig vom Status der Kirchen als Körperschaften des öffentlichen Rechts. 20 Voraussetzung ist nur, daß die jeweils durch die Landesgesetzgebung festgelegte Mindestschülerzahl erreicht wird. Die grundrechtliche Bedeutung des Religionsunterrichts und damit auch seine Garantie selbst sind unabhängig von der Religionsstatistik. Daß in den neuen Bundesländern die Zahl der Kirchenmitglieder erheblich geringer ist als in den alten, stellt seine Legitimation nicht in Frage. Dennoch sieht das Land Brandenburg keinen Religionsunterricht vor, sondern hat einen für alle Schüler verbindlichen Unterricht in Lebensgestaltung, Ethik, Religionskunde eingerichtet, dessen Inhalt allein vom Staat bestimmt wird. Damit liegt die schulische Unterrichtung der Schüler über religiöse Sachverhalte allein in staatlicher Hand. Dies ist mit dem Grundsatz der religiösen und weltanschaulichen Neutralität des Staates kaum zu vereinbaren. 21 Am Bundesverfassungsgericht liegt es zu entscheiden, ob dieser Unterricht, für den sich das Land Brandenburg auf Art. 141 GG (sog. "Bremer Klausel", wonach die Garantie des Religionsunterricht in einem Land nicht gilt, in dem am 1. 1. 1949 eine andere landesrechtliche Regelung bestand) beruft, mit dem Grundgesetz in Einklang steht. 22 nellem Religionsunterricht siehe Hecke/, Rechtsstatus des Religionsunterrichts (Anm. 17),
s. 546 ff.
20 So für die ganz herrschende Ansicht Link, Religionsunterricht (Anm. 17), S. 500; siehe auch mit weiteren Nachweisen M. Rohe, Rechtliche Perspektiven eines deutschen und europäischen Islam, RabelsZ 64 (2000), S. 256 (284); die in neuererZeitvon S. Korioth, Islamischer Religionsunterricht und Art. 7 111 GG, NVwZ 1997, S. 1041 (1046 f.) vertretene abweichende Ansicht vermag nicht zu überzeugen, weil sie der grundrechtliehen Bedeutung des Religionsunterrichts nicht gerecht wird. Wie Korioth jetzt auch C. Hillgruber. Der deutsche Kulturstaat und der muslimische Kulturimport, JZ 1999, S. 538 (545 f.); ferner B. Jeand'Heur/S. Korioth, Grundzüge des Staatskirchenrechts, Stuttgart, München, Hannover, Berlin, Weimar, Dresden 2000, S. 222 f. 21 M. Hecke/, Religionskunde im Lichte der Religionsfreiheit. Zur Verfassungsmäßigkeit des LER-Unterrichts in Brandenburg, ZevKR 44 (1999), S. 147 (198 ff.). 22 Aus der umfangreichen Literatur dazu Hecke/, Religionskunde im Lichte der Religionsfreiheit (Anm. 21), S. 147 ff.; de Wall, Verfassungsstreit um den Religionsunterricht (Anm. 19), S. 353 ff.
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Ein aktuell vieldiskutiertes Problem ist auch das des Religionsunterrichts für muslirnische Kinder. 23 Auch hier spielen die organisatorischen Eigenarten des Islam eine Rolle: Da nach Art. 7 Abs. 3 S. 2 GG die inhaltlichen Grundsätze von den Religionsgemeinschaften bestimmt werden, bedarf es eines Ansprechpartners, der diese Grundsätze für die betreffende Religionsgemeinschaft gegenüber dem Staat festlegen kann. Der islamische Religionsunterricht ist bisher nicht am Unwillen der Kultusministerien gescheitert, die z. T. zu rechtlich gewagten Ersatzlösungen gegriffen haben, sondern am Fehlen einer entsprechenden islamischen Organisationsstruktur. Allerdings zeichnet sich ab, daß dieses organisatorische Defizit von islamischer Seite behoben werden könnte. Dies ist aus der Sicht der Religionsfreiheit und im Sinne des umfassenden schulischen Erziehungsauftrages nur wünschenswert. Von staatlicher Seite ist es geboten, im Bezug auf die geforderte Verfassungsstruktur großzügig zu sein. 24 Dann stellt sich allerdings die Anschlußaufgabe, einen Lehrplan zu entwickeln, der islamischen Grundsätzen ebenso entspricht wie den inhaltlichen Grundanforderungen, die jeder Schulunterricht im Verfassungsstaat des Grundgesetzes einhalten muß. IV. Theologische Fakultäten an staatlichen Universitäten
Die wissenschaftliche Theologie wird in Deutschland durch die theologischen Fakultäten an staatlichen Hochschulen mitgeprägt Aus staatlicher Sicht ist dies ein Stück Bildungs- und Kulturpflege. Zur Zeit existieren 12 katholische und 18 evangelisch-theologische Fakultäten an staatlichen Universitäten. 25 Die Rechtslage dieser Fakultäten, an denen auch theologischer Nachwuchs der Kirchen ausgebildet wird, ist durch das Grundgesetz nicht speziell geregelt. Die Gesetzgebung obliegt insofern den Ländern, die z. T. Garantien der theologischen Fakultäten in die Länderverfassungen aufgenommen haben. Regelungen sind auch in den Staatskirchenverträgen und Konkordaten enthalten. Kirchliche Mitwirkungsrechte bestehen bei der Ernennung der Professoren. Dies beruht darauf, daß der weltanschaulich23 Hierzu Rohe, Rechtliche Perspektiven (Anm. 20), S. 282 ff.; M. Heckel, Religionsunterricht für Muslime?, JZ 1999, S. 741 ff.; C. Langenfeld, Integration und kulturelle Identität zugewanderter Minderheiten: AöR 123 (1998), S. 375 (401 ff.). St. Mucke!, Islamischer Religionsunterricht und Islamkunde an öffentlichen Schulen in Deutschland, JZ 2001, S. 58 ff. 24 So - nicht ohne Spannung zum eigenen Vorschlag, den Körperschaftsstatus zur Voraussetzung des Religionsunterrichts zu machen - Jeand'Heur/ Korioth, Staatskirchenrecht (Anm. 20), S. 223 f. Es gibt keinen Zwang, den Körperschaftsstatus zu beantragen. Weshalb den Religionsgemeinschaften, die das nicht wollen, der Religionsunterricht versperrt sein soll, ist nicht verständlich. 2s Zu den Rechtsproblemen der theologischen Fakultäten A. Hollerbach, Theologische Fakultäten und staatliche Pädagogische Hochschulen, in: Listl/Pirson (Hrsg.), HdbStKirchR If (Anm. 16), S. 549 ff.; M. Hecke!, Die theologischen Fakultäten im weltlichen Verfassungsstaat, Tübingen 1986; H. Weber, Theologische Fakultäten und Professuren im weltanschaulich neutralen Staat, NVwZ 2000, S. 848 ff.
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neutrale Staat nicht bestimmen kann, wer aus kirchlicher Sicht in der Lage ist, die Lehre der jeweiligen Kirche bekenntnistreu wiederzugeben. Daher enthalten die Konkordate und Kirchenverträge Bestimmungen dahingehend, daß der Staat niemanden zum Professor ernennt, gegen den kirchlicherseits im Bezug auf Lehre und Bekenntnis (im Bereich der römisch-katholischen Fakultäten auch hinsichtlich des Lebenswandels) Bedenken bestehen. Für die römisch-katholischen theologischen Fakultäten ist dies unmißverständlich zum Ausdruck gebracht. Im evangelischen Bereich deuten die Formulierungen hingegen darauf hin, daß die kirchliche Stellungnahme unverbindlich sei. Dies trifft allerdings wegen der weltanschaulichen Neutralität des Staates nicht zu. Für die römisch-katholische Kirche, nicht aber für die evangelischen Landeskirchen ist in den Konkordaten und Kirchenverträgen auch das Recht enthalten, die kirchliche Lehrbefugnis nachträglich zu entziehen. Da nicht der Staat, sondern nur die Kirche darüber befinden kann, ob ein Theologieprofessor ihre Lehre noch bekenntnisgemäß verkündet, und weil auch nicht geduldet werden kann, daß ein staatlicher Amtsträger mit dem falschen Anspruch auftritt, die kirchliche Lehre wiederzugeben, steht dieses Recht auch den evangelischen Kirchen zu. 26 Als Staatsbeamter ist der Betreffende unkündbar und kann seine abweichende Lehre weiterhin vertreten. Seiner Wissenschaftsfreiheit ist damit genüge getan. 27 Er ist aber aus der theologischen Fakultät zu entfernen. Eine ganz andere Frage ist, ob der Staat für Ersatz in der theologischen Fakultät sorgen muß. Dies ist z. T. in den Konkordaten geregelt. V. Die Kirchen als Träger von Schulen und Hochschulen
Weniger Rechtsprobleme ergeben sich in dieser Hinsicht für Hochschulen in kirchlicher Trägerschaft Allerdings existiert lediglich eine Volluniversität, nämlich die katholische Universität Eichstätt. Daneben gibt es aber eine ganze Reihe von wissenschaftlichen Hochschulen, die vor allem der Ausbildung von Theologen dienen und von Fachhochschulen, an denen anwendungsbezogen in den Bereichen des Sozial- und Gesundheitswesens unterrichtet wird. Schließlich verdienen die Hochschulen für Kirchenmusik Erwähnung. Zumeist sind die Studiengänge und Abschlüsse der kirchlichen Hochschulen auch staatlich anerkannt. 28 Zunehmende Tendenz weist das kirchliche Engagement im Schulwesen auf. Die auch in Deutschland zu verzeichnenden Probleme im staatlichen Schulwesen füh26 So Hecket, Die theologischen Fakultäten im weltlichen Verfassungsstaat (Anm. 25), S. 94 ff.; von Campenhausen, Staatskirchenrecht (Anm. 11), S. 252 ff.; Hollerbach, Theologische Fakultäten und staatliche Pädagogische Hochschulen (Anm. 25), S. 588; anders Weber, Theologische Fakultäten und Professuren (Anm. 25), S. 856 f. 27 Vgl. zum aktuellen "Fall Lüdemann" OVG Lüneburg, DÖV 2000, S. 513; R. Mainusch, Lehrmäßige Beanstandung eines evangelischen Theologieprofessors, DÖV 1999, S. 677 ff. 28 M. Baldus, Kirchliche Hochschulen, in: Listl/Pirson (Hrsg.), HdbStKirchR 112 (Anm. 16), S. 601 ff.
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ren zu einer erhöhten Nachfrage bei den privaten Schulen. Die Kirchen, namentlich die römisch-katholische Kirche, sind der bedeutendste Anbieter auf diesem Gebiet. Sie nehmen dabei die im Grundgesetz gewährleistete Privatschulfreiheit wahr?9 Für Ersatzschulen, d. h. insbesondere die allgemeinbildenden Schulen, stellt freilich das Grundgesetz erhöhte Anforderungen auf: Sie bedürfen der Genehmigung, die unter der Voraussetzung zu erteilen ist, daß sie in ihrem pädagogischen und wissenschaftlichen Standard nicht hinter den öffentlichen Schulen zuriickstehen und eine Sonderung der Schüler nach den Besitzverhältnissen der Eltern nicht gefördert wird (Art. 7 Abs. 4 GG). Dies bedingt eine verfassungsrechtliche Zwickmühle: Einerseits muß der kostenträchtige Standard der staatlichen Schulen eingehalten werden, andererseits ist eine Finanzierung durch Schulgelder nur sehr eingeschränkt möglich. Daher leistet auch hier der Staat allen privaten Schulträgem finanzielle Hilfe, um nicht die Privatschulfreiheit leerlaufen zu lassen. Im übrigen ist dies auch deshalb gerechtfertigt, weil er durch diese Schulen ja entlastet wird. 30 VI. Die karitative Betätigung der Kirchen
Nicht mehr zum Schulwesen gehören die Kindergärten, die in großer Zahl von den Kirchen unterhalten werden. 31 Kirchliche Kindergärten machen hier etwa 1/2 des Angebots aus. Mit den Kindergärten ist bereits die karitative Betätigung der Kirchen angesprochen. Auch dariiber hinaus ist das Engagement der Kirchen ganz beträchtlich. Auch dazu einige Zahlen: Die Organisationen der katholischen Caritas und der evangelischen Diakonie betreiben Einrichtungen der Gesundheits-, Jugend-, Familien-, Alten- und Behindertenhilfe mit insgesamt über 2,3 Mio. Betten bzw. Plätzen. Sie haben rund 860.000 hauptberufliche Mitarbeiter. 32 Diese Zahlen sollten den in Deutschland bisweilen laut werdenden Vorwurf relativieren, daß das gesellschaftliche Engagement zu gering sei und man sich lediglich auf den Staat verlasse. Auch das kirchliche ist gesellschaftliches Engagement, denn die Kirchen sind Teil der Gesellschaft, nicht des Staates. Daran ändert auch nichts, daß diese Einrichtungen vom Staat sehr weitgehend finanziell unterstützt werden bzw. in die Systeme der gesetzlichen Sozialversicherung einbezogen sind. Das gilt zum einen auch für die Einrichtungen anderer Träger, wie beispielsweise des Roten Kreuzes etc. Zum anderen wird durch diese Einrichtungen der Staat ja tatsächlich von der 29 Zu den Kirchen als Schulträgem W. Loschelder, Kirchen als Schulträger, in: List!/ Pir(Anm. 16), S. 511 ff. son (Hrsg.), HdbStKirchR 30 Hierzu und zur Frage, ob die Träger von Privatschulen einen Anspruch auf Förderung haben BVerfGE 75, 40; 90, 107; BVerwGE 70, 290; C. Link, Staatliche Subventionierung konfessioneller Privatschulen, in: H. J. Faller I P. Kirchhof /E. Träger (Hrsg.), Verantwortlichkeit und Freiheit, Festschrift für Willi Geiger zum 80. Geburtstag, Tübingen 1989, S. 600 ff. 31 Dazu B. Kämper, Kindergärten in kirchlicher Trägerschaft, Berlin 1991; ders. , Kindergärten in kirchlicher Trägerschaft (Anm. 16), S. 831 ff. 32 Reinhart Schmidt, in: scientia halensis I I 2000, S. 21.
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eigenen Aufgabenerfüllung entlastet, so daß die staatliche Förderung nur "recht und billig" ist. Ohne sie könnte die Tätigkeit der Kirchen und anderer gemeinnütziger Träger auf diesen Gebieten nicht aufrechterhalten bleiben. Dies wäre gewiß nicht im Sinne der Subsidiarität, des Gedankens, bei der Aufgabenerfüllung so wenig wie möglich dem Staat zu überlassen. Eine mangelnde Trennung von Staat und Kirche kommt darin ebensowenig zum Ausdruck wie eine ungerechtfertigte Privilegierung der Kirchen: Die staatlichen Beihilfen in verschiedener Form kommen grundsätzlich allen gesellschaftlichen Organisationen zugute - allerdings sind die kirchlichen hier bei weitem die bedeutendsten. Die Einrichtungen von Caritas und Diakonie werden zum großen Teil nicht direkt von den Kirchen und ihren Gemeinden betrieben, sondern von rechtlich selbständigen Organisationen. 33 Dies hat historische und auch praktische Gründe. In der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist dessenungeachtet geklärt, daß es sich bei der Tätigkeit von Diakonie und Caritas um die Ausübung von Religionsfreiheit handelt und daß sie am Selbstbestimmungsrecht der Kirchen teilhaben. 34 Dies führt dazu, daß die Kirchen für sie eigene rechtliche Regeln schaffen können. Für Mitarbeiter diakonischer Einrichtungen dürfen etwa, wie auch sonst bei kirchlichen Betrieben, über das normale staatliche Arbeitsrecht hinaus Anforderungen gestellt werden: Die Kirchen können bestimmen, daß nur Kirchenmitglieder beschäftigt werden sollen oder daß die Mitarbeiter erhöhten Loyalitätsanforderungen auch bezüglich ihres außerdienstlichen Verhaltens unterliegen.35 Dies läßt sich in der Sache damit begründen, daß es zur Freiheit der kirchlichen Betätigung in diesem Bereich gehört und geradezu ihren Sinn ausmacht, daß der besondere kirchliche Charakter deutlich wird. Dies erfordert auch, daß die Mitarbeiter den kirchlichen Charakter glaubwürdig vertreten können. Die Rechtsprechung ist hier den Kirchen bisher recht weit entgegengekommen, indem sie Möglichkeit und Umfang solcher besonderer Obliegenheiten dem Selbstverständnis der Kirchen überlassen hat. 36 Gerade in diesem Bereich zeigen sich aber jüngst Schwierigkeiten in europarechtlicher Hinsicht. 37 Durch den Amsterdamer Vertrag ist in den EG-Vertrag Art. 13 eingefügt worden, wonach die Gemeinschaft im Rahmen ihrer Befugnisse Diskriminierungen auch aus Gründen der Religion oder der Weltanschauung oder der sexuellen Ausrichtung bekämpfen darf. Diese Vorschrift kann zu tiefen Eingriffen in die Rechtsstellung der Religionsgemeinschaften führen. Dies hat die Dis33 Schmitz-Elsen, Karitative Werke der katholischen Kirche (Anm. 16), S. 789 f. ; von Tiling, Karitative Werke der evangelischen Kirche (Anm. 16), S. 809 ff. 34 BVerfGE 46, 73. 35 Ausführlich dazu R. Richardi, Arbeitsrecht in der Kirche, 3. Aufl., München 2000; W Rüfner, Individualrechtliche Aspekte des kirchlichen Dienst- und Arbeitsrechts, in: Listi/Pirson (Hrsg.), HdbStKirchR 112 (Anm. 16), S. 901 ff. 36 BVerfGE 70, 138. 37 Zu den Einwirkungen des Europarechts auf das kirchliche Arbeitsrecht allgemein G. Müller-Volbehr, Europa und das Arbeitsrecht der Kirchen, Heidelberg 1999, insbes. S. 106 ff.
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kussion um die Richtlinie des Rates zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf38 gezeigt. Nach dem ursprünglichen Kommissionsentwurf39 war unsicher, inwieweit die Kirchen und anderen Religionsgemeinschaften bei der Beschäftigung von Arbeitnehmern nach religiösen Kriterien, etwa der Zugehörigkeit zu religiösen Vereinigungen, differenzieren dürfen. Um dies grundsätzlich zu ermöglichen, war zwar eine Ausnahmevorschrift vorgesehen (Art. 4 Abs. 2). Allerdings war u. a. unklar, inwieweit diese auch organisatorisch selbständige, kirchennahe Einrichtungen, wie etwa die diakonischen Werke bzw. die Caritas, erfassen sollte. Auf Intervention der Kirchen ist diese Ausnahmevorschrift nunmehr weiter gefaßt worden.
VII. Zukunftsperspektiven im Blick auf die Einigung Europas Das Beispiel des Richtlinienentwurfs ist symptomatisch für den Einfluß des Europarechts auf das Verhältnis von Staat und Kirche. 40 Zwar hat die Europäische Gemeinschaft keine Kompetenz zur Regelung des Religionsverfassungsrechts in seinen Mitgliedstaaten. Andererseits sind aber die Kirchen auch nicht vom Europarecht entbunden, wo sie Tätigkeiten entfalten, die ihrerseits vom Kompetenzbereich der Gemeinschaften erfaßt werden. Nun sind die unmittelbaren Kompetenzen der Union gerade in den hier angesprochenen Bereichen des Schul- und Hochschul- oder auch des Sozialwesens nicht sehr ausgeprägt. Sie kommen aber über ihre Bedeutung für die Berufsausübung und damit namentlich die Arbeitnehmerfreizügigkeit des Art. 39 EG immer mehr unter den Einfluß des Europarechts. So beeinflußt das Europarecht die Rechtsstellung der Kirchen zwar nur mittelbar, aber nachhaltig. Die verschiedenen zwar indirekten, aber sehr bedeutsamen Auswirkungen des Buroparechts auf die Rechtsposition der Kirchen sind an anderer Stelle dargestellt worden. 41 Insofern kommt es für die Religionsgemeinschaften darauf 38 Richtlinie 2000/78/EG des Rates, ABI. EG Nr. L 303/16 vom 2. 12. 2000. Dazujetzt M. Heinig, Art. 13 EGV und die Religionsfreiheit nach dem GG, in: Religion und Weltanschauung im säkularem Staat, hrsg. v. A. Haratsch et.al., Stuttgart etc. 2001, S. 236 ff. 39 Vorschlag der Kommission vom 25. 11. 1999, KOM (1999) 565. 40 Dazu siehe M. Vachek, Das Religionsrecht der Europäischen Union, Frankfurt a.M. etc. 2000; H. de Wall, Europäisches Staatskirchenrecht, ZevKR 45 (2000), S. 157 ff. ; Hollerbach, Europa und das Staatskirchenrecht (Anm. 14), S. 250 ff.; G. Robbers, Die Fortentwicklung des Buroparechts und seine Auswirkungen auf die Beziehungen zwischen Staat und Kirche in der Bundesrepublik Deutschland, in: Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche (EssGespr.) 27 (1993), hrsg. von H. Heinemann/H. Marre, S. 81 ff.; ders., Europarecht und Kirchen, in: Listl/Pirson (Hrsg.), HdbStKirchR (Anm. 5), S. 315 ff.; ders., Das Verhältnis von Staat und Kirche in Europa, ZevKR 42 (1997), S. 122 ff.; R. Streinz. Auswirkungen des Europarechts auf das deutsche Staatskirchenrecht, in: Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche (EssGespr.) 31 (1997), hrsg. von H. Marre/D. Schümmelfeder/B. Kämper, S. 53 ff.; Link, Staat und Kirche im Rahmen des europäischen Einigungsprozesses (Anm. 14), S. 130 ff.; Gemeinsame Stellungnahme (Anm. 14). 41 Siehe dazu die Nachweise in Anm. 40.
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an, deutlich zu machen, daß ihre Tätigkeit, auch wenn sie wie etwa bei der Diakonie mit säkularen Angeboten konkurriert, Ausübung religiöser Freiheit ist und daß dieser Aspekt besonderer Berücksichtigung und besonderen Schutzes bedarf. Die europäische Rechtssetzung wird dabei zu berücksichtigen haben, daß das Staatskirchenrecht der Mitgliedstaaten im Grundsatz die institutionelle Ergänzung der Religionsfreiheit ist, die an die verschiedenen historischen, religionssoziologischen und konfessionellen Ausgangsbedingungen angepaßt und daher je nach Mitgliedstaat unterschiedlich ist. Die Berücksichtigung solcher Unterschiede stellt nicht die europäische Einigung in Frage, sondern dient der religiösen Entfaltung in einem Europa der Bürger. Das bedeutet natürlich nicht, daß das Europarecht hier nicht möglicherweise auch Anpassungen von Staat und Kirche verlangen darf. Allerdings muß nicht alles vereinheitlicht werden. Die sog. Kirchenerklärung von Amsterdam unterstreicht dies. Nach dieser Erklärung der Mitgliedstaaten, die der Schlußakte zum Vertrag von Amsterdam vom 2. 10. 1997 beigefügt ist, "achtet" die Europäische Union "den Status, den Kirchen und religiöse Vereinigungen oder Gemeinschaften in den Mitgliedstaaten nach deren Rechtsvorschriften genießen, und beeinträchtigt ihn nicht. In gleicher Weise achtet die Union den Status von weltanschaulichen Gemeinschaften. " 42 Das deutsche Verfassungsrecht ist einen etwas anderen Weg gegangen als den eines strikten Laizitätsverständnisses nach französischem Muster. Allerdings wird in der politischen und rechtlichen Diskussion immer wieder gefordert, daß Staat und Kirchen endlich vollständig getrennt werden müßten. Nun sind gemäß Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 3 WRV staatskirchliche Formen, insbesondere institutionelle Verbindungen von staatlichen und kirchlichen Organen, nicht erlaubt. Staat und Kirche sind damit auch in Deutschland getrennt. Das staatskirchenrechtliche System des Grundgesetzes leidet insofern an keinerlei Defiziten. Indes genießen die Kirchen und andere Religionsgemeinschaften in der Tat einige besondere Rechte, die sie von den übrigen gesellschaftlichen Vereinigungen unterscheiden. Diese haben ihren historischen Ursprung in einer Zeit, in der Staat und Kirche noch nicht in dem von WRV und GG angeordneten Sinn getrennt waren. Beispiele dafür sind der Status der Kirchen als Körperschaften des öffentlichen Rechts und ihr Recht, Steuern zu erheben. Entscheidend für die heutige Bewertung solcher Besonderheiten ist aber nicht die Frage, ob und inwiefern sie Reminiszenzen an vergangene Zeiten sind, sondern ob sie in einem Religionsfreiheit gewährleistenden religiös und weltanschaulich neutralen Staat zu rechtfertigen sind. Bei näherem Hinsehen erweist sich, daß dies in den allermeisten, und gerade in den politisch umstrittenen Fragen der Fall ist. Der Religionsunterricht ermöglicht in einer die Religionsfreiheit anderer nicht tangierenden Weise religiöse Unterweisung auch im für die Persönlichkeitsentwicklung so wichtigen Bereich der Schule; der Körperschaftsstatus eröffnet den Kirchen Gestaltungsmöglichkeiten, die ihrem Selbstverständnis und daher der Entfaltung ihrer Freiheit besser entsprechen als das pri42
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Siehe dazu auch de Wall, Europäisches Staatskirchenrecht (Anrn. 40), S. !57 f.
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vatrechtliche Vereinsrecht, ohne daß dadurch der Stellung anderer Abbruch getan würde; die Kirchensteuer findet ihre Rechtfertigung in den zahlreichen Aufgaben, welche die Kirchen für die Gesellschaft nicht nur im Bereich der Diakonie erfüllen und die einer verläßlichen finanziellen Grundlage bedürfen, jedermann kann sich ihr durch Austritt entziehen usw. Die besondere Behandlung der Religionsgemeinschaften im deutschen Staatskirchenrecht hat sich als - für Deutschland - sinnvolle Lösung der Frage erwiesen, wie der Staat mit den Religionsgemeinschaften umgehen soll. Zu großen Spannungen im Verhältnis von Staat und Religionsgemeinschaften ist es bisher nicht gekommen. Das Staatskirchenrecht konnte nach der Wiedervereinigung auch für die neuen Bundesländer mit ihren abweichenden historischen und religionssoziologischen Voraussetzungen übernommen werden. Das staatskirchenrechtliche System der Bundesrepublik hat sich bewährt. Daher besteht kein Anlaß, aber auch derzeit keine Gefahr, dieses System im Interesse der europäischen Einigung in den Grundlagen zu ändern. Die Probleme liegen hier eher im - freilich nicht unwichtigen Detail. Der genannte Entwurf einer Anti-Diskriminierungsrichtlinie ist ein Beispiel dafür. Hier besteht aber eine berechtigte Erwartung der Kirchen an Staat und europäische Gemeinschaft, daß ihre Belange beriicksichtigt werden. Andererseits sind auch die Details des Staatskirchenrechts an die europäische Entwicklung anzupassen. Hier liegt eine unserer bleibenden Aufgaben. Für die Kirchen kommt es dabei darauf an, ihre Selbstbestimmung als eigenständiges, Schützenswertes Rechtsgut zu verdeutlichen und zur Geltung zu bringen. Dazu bedarf es der aktiven Mitarbeit der Kirchen beim Integrationsprozeß und gegenüber den europäischen Organen und den nationalen Regierungen. In diesem Zusammenhang ist es erfreulich, daß Art. 10 Abs. 1 der Grundrechtecharta der Europäischen Union ausdrucklieh auch die kollektive Seite der Religionsfreiheit schützt und gern. Art. 52 Abs. 3 insofern an Art. 9 der Europäischen Menschenrechtskonvention anknüpft. 43
43 Zur Frage, inwieweit Art. 9 EMRK als Grundlage eines kirchlichen Selbstbestimmungsrechtes dienen kann H.-T. Conring, Korporative Religionsfreiheit in Europa, Frankfurt a. M., Berlin, Bern, New York, Paris, Wien 1998; G. Müller-Volbehr, Europa und das Arbeitsrecht (Anm. 37), S. 60 ff.; A. Bleckmann, Von der individuellen Religionsfreiheit des Art. 9 EMRK zum Selbstbestimmungsrecht der Kirchen, 1995; N. Blum, Die Gedanken-, Gewissens- und Bekenntnisfreiheit nach Art. 9 der Europäischen Menschenrechtskonvention, Berlin 1990. M. Vachek, Religionsrecht (Anm. 40), S. 211 f.
Die Einigung Europas und das Verhältnis von Gesellschaft, Staat und Kirche aus der Perspektive eines deutschen Politikers Von Hermann Kues Auf die kenntnisreichen Beiträge der vergangenen zwei Tage, die uns ein umfassendes Bild des Staat-Kirchen-Verhältnisses in wichtigen Ländern der Europäischen Union gegeben haben, kann ich nicht als Staatskirchenrechtier eingehen. Ich bin vielmehr gebeten worden, aus der Sicht des Politikers Position zu beziehen. Um welche Herausforderungen geht es, wie kann die Kirche unter den Voraussetzungen von Religionsfreiheit und Pluralismus ihre Stimme zur Sprache bringen und wie kann sie einen Beitrag dazu leisten, daß eine Verständigung auf ethische Maßstäbe möglich wird? Es hängt dabei sehr viel ab von Menschen, die sich persönlich und konkret engagieren. Was wäre aus der Grundrechtecharta geworden, wenn nicht jemand wie der ehemalige Bundespräsident Prof. Herzog sich bereit erklärt hätte, die Leitung des Konvents zu übernehmen? Auch für mich als Person gelten noch Selbstverständlichkeiten, die heute in keiner Weise mehr automatisch gegeben sind. Ich bin in einer christlichen volkskirchlichen Tradition groß geworden und habe bestimmte Grundwerte und Grundhaltungen des Christentums und der Kirche praktisch mit der Muttermilch aufgesogen. Auch die CDU, meine Partei, ist ohne ihre christlichen Wurzeln nicht vorstellbar. Ihre Gründung war die ökumenische Antwort auf das Desaster eines totalitären und gottlosen Systems. Das ,C' war eine programmatische Aussage und Meßlatte. Heute muß es im Lichte moderner Entwicklungen neu buchstabiert werden. Dem Nachkriegsdeutschland ging es so ähnlich wie den modernen Gesellschaften der Gegenwart. Sie lechzen nach Orientierung, und die Kirchen haben eine wichtige Bedeutung für die Wertbildung und Sinnfindung. Und deswegen hat man in der Bundesrepublik Deutschland einem institutionellen Rahmen für die Kirche eine große Bedeutung beigemessen, einem Rahmen, der ihr Luft zum Atmen läßt. Und es ist schon ein wenig betrüblich, wenn aus Unkenntnis jetzt sogar von interessierter kirchlicher Seite das bewährte Staat-Kirchen-Verhältnis in Frage gestellt wird. Denn Europa braucht ein Ethos, braucht eine moralische Grundlage, braucht auch eine Leitkultur, die verdeutlicht, was uns auf Dauer zusammenhält. Dieses sage ich auch angesichts eines allgemeinen Trends zur Beliebigkeit und zum unentschiedenen Wertepluralismus. Es ist auch gut, daß Deutschland nicht nur durch seine Wirtschaftskraft zur Union beiträgt, sondern auch durch das Bemühen um eine gemeinsame moralische
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Grundlage. Ich will mich auf den Aspekt beschränken, welchen Beitrag das Christentum zur Beantwortung der Fragen leisten kann, die ganz Europa betreffen. Wie gestaltet sich das Verhältnis zwischen Gesellschaft und einzelnem und wie sehen die Grundwerte und Ordnungsprinzipien aus? Und: Was kann aus Sicht eines Politikers, der sich als Christ versteht, unternommen werden, daß Europa nicht ein neuer "Über-Staat" wird, sondern daß es ein Europa wird selbständiger, an Werten gebundener Bürger?
Unzweifelhaft: Das Projekt der Europäischen Einheit konnte in seinen Anfängen nur gelingen, weil die "Herkunftseinheit" (Lübbe) der lateinischen christianitas genügend Verbindendes in sich barg, um einen friedlichen Neubeginn in Europa zu wagen. Und gibt es ein treffenderes Bild für diese einende Tradition als dies, das Charles de Gaulle und Konrad Adenauer gemeinsam betend im Dom zu Reims zeigt? Als Christen ist uns der Gedanke eines Nationen übergreifenden Bandes nicht fremd. Deshalb vielleicht waren es nach dem Zweiten Weltkrieg unzählige christliche Initiativen, die einen neuen Frieden aufbauen wollten. Eine Aachener Arbeitsloseninitiative z. B. hatte in einem Kloster nahe Paris, wo deutsche Besetzer eine Flak-Station errichtet hatten, an eben jener Stelle ein Versammlungshaus für Besucher des Klosters gebaut. Solche Initiativen gab es viele, und sie sind es, die wirklich Europa bauen. Sie waren von einem Geist geprägt, der das Gemeinsame der abendländischen Kultur und Geschichte über das Trennende des Krieges gestellt hat. Wer die Geschichte unserer Länder studiert, der weiß, wie sehr wir durch Christentum und Aufklärung eine kulturelle und historische Einheit bilden. Diese kulturelle "Hintergrundschwingung" scheint aber in den letzten Jahren irgendwie abhanden gekommen zu sein. Nüchternheit hat sich breit gemacht. Gleichzeitig steht die EU mit der Erweiterung um einige osteuropäische Länder und der Vertiefung ihrer Regierungsfunktionen vor der größten Aufgabe seit vielen Jahren. Als Politiker muß ich mich fragen, ob das Christentum als Leitkultur noch die spirituelle Kraft hat, eine europäische Gesellschaft zu prägen, die in einigen Ländern bereits als "nachchristlich" bezeichnet wird. Nicht die Gegnerschaft von Atheisten ist die Herausforderung, sondern die Gleichgültigkeit von vielen Menschen, die Unkenntnis von vielen Kindern und Jugendlichen, die in einem Elternhaus aufwachsen, in dem Jesus Christus keine Rolle mehr spielt. Es gibt einen Trend zur Beliebigkeit. Ein Blick auf die deutschen Verhältnisse mag dies zeigen: Rund ein Viertel der Bevölkerung ist konfessionslos; nur 15% sieht in der religiösen Erziehung ein vorrangiges Erziehungsziel; rund 40% der unter 30jährigen gibt an, in einem praktisch areligiösen Elternhaus aufgewachsen zu sein.
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Der eine oder andere spricht auch von einem "dramatischen Säkularisierungsschub". Die Folgen einer zunehmend religionslosen Erziehung sind noch gar nicht abzusehen. Wenn Europa friiher christlich gewesen ist, so können wir sicher sein, daß die zukünftige europäische Gesellschaft keineswegs von vornherein eine christliche sein wird. Dabei will ich positive Entwicklungen nicht unterschlagen, so z. B. den Hinweis, daß es in den neuen Bundesländern so etwas gibt wie eine "Neugierde" auf Religion und auf religiöse Fragestellungen. Dieses schlägt sich u. a. nieder in einer Beteiligung am Religionsunterricht in einer Größenordnung, die über den Anteil kirchlich gebundener Eltern hinausgeht. Insofern sind wir als Christen gefordert, unsere Leitsterne blankzuputzen. Wenn wir meinen, etwas zu bieten zu haben, das für die Gesellschaft insgesamt interessant sein dürfte, dann müssen wir unseren Überzeugungen Strahlkraft verleihen, sie selbstbewußt in einer säkularen Gesellschaft vertreten und auch mutig andere befragen, welche Konzepte sie denn anzubieten haben, nicht besserwisserisch, sondern in dem Bemühen um Antworten auf drängende Fragen. Denn gerade die Menschen, die sich von den Kirchen entfernt haben, sind auf der Suche. Europa nimmt Gestalt an. Durch den Euro wird die Union zu einem beachtenswerten Faktor in der globalen Wirtschaft. Doch wenn Europa eine Seele haben soll (Jacques Delors), dann genügt das Vertrauen auf die Herkunftseinheit des christlichen Europas nicht mehr. Es geht darum, in diesem zusammenwachsenden Europa das christliche Element zu bewahren, zu pflegen und es zu einer gestaltenden Kraft zu machen. Wir Christen müssen uns in der Gemeinschaft offen bekennen, wir dürfen uns nicht verstekken. Wie Bischof Lehrnano sagte: Der Christ der Zukunft wird ein Zeuge sein, oder er wird bald nicht mehr sein. Der Christ ist nur in der Gemeinschaft Christ, und in der Gemeinschaft muß er offen nach außen wirken, er darf sich nicht in eine vermeintlich heilige Nische zuriickziehen. Denn die Gebote des christlichen Lebens sind Angebote an alle Menschen. Schon lange gehören sie zu den Fundamenten des ethischen Denkens unserer europäischen Kultur. Sie stellen ein Orientierungswissen dar, wie die Menschen ein gelingendes, ein erfülltes Leben leben können, nicht hinweg getrieben vom Strom der Zeit, aber auch nicht eingeigelt und abgeschirmt von den Sorgen und Nöten, aber auch Freuden der Mitwelt. Die immens politische Klugheit der Gebote besteht darin, nicht den einzelnen gegen den Nächsten oder Gott auszuspielen, sondern alle in gegenseitiger Verbindung zu sehen. So wird eine christlich geprägte Gesellschaft immer den Ausgleich suchen zwischen Individuum und Gemeinschaft, zwischen Freiheit und Solidarität.
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Ich betone das "Suchen". Denn gerade das Bewußtsein unserer Fehlbarkeit vor Gott behütet uns davor zu glauben, wir hätten die Patentlösung zur Hand. Hüten wir uns vor dem Machbarkeitswahn der Politik. Wir werden nur Orientierung geben können durch unsere Werte und Grundüberzeugung, die, wie wir meinen, in keiner Gesellschaft fehlen dürfen, die allen, Christen wie Nicht-Christen, ein gelingendes Leben erlauben. Die katholischen Laienbewegungen in Deutschland und Frankreich, und darauf will ich beispielhaft eingehen, haben begonnen, darauf hinzuweisen, welchen Beitrag sie leisten können, damit in einer Phase, in der Europa sich weder unter dem Druck der Ereignisse entwickelt noch auf der Grundlage automatischer Verkettungsmechanismen, eine orientierende Debatte in den europäischen Gesellschaften ausgelöst wird, was eigentlich die Ziele des europäischen Integrationsprojektes sind, was die Orientierung und die konkrete Ausgestaltung dieser Politik sein soll. Nach Auffassung des Zentralkomitees der Deutschen Katholiken und des Semaines sociales de France braucht Europa einen Willen. Und dieser europäische Wille kann nach Überzeugung der deutschen und französischen Katholiken nur auf der Grundlage einer klar definierten europäischen Identität entstehen. Europa muß sich vergewissern, was sein Ethos ist und worin also die sittliche Grundhaltung besteht, die dem europäischen Projekt zugrunde liegen soll. Weiter heißt es in einer Stellungnahme: "Wir sind davon überzeugt, daß der Mensch Geschöpf und Ebenbild Gottes ist. Und auf diese Überzeugung begrunden wir unsere Überlegungen. Deshalb benennen wir "unser" Manifest Freiheit und Subsidiarität, Verantwortung und Solidarität sowie Toleranz und Anerkennung des Pluralismus unserer Zeit als jene Grundwerte und Grundprinzipien, die für die Transparenz und das Voranbringen der europäischen Idee von entscheidender Bedeutung sind." Sie entsprechen dem personalen und sozialen Charakter des Menschen und waren zugleich die Grundlage, auf dem die bisherige Erfolgsgeschichte der Europäischen Union entstehen konnte. Als Grundprinzipien werden benannt: I. Freiheit und Subsidiarität Betont wird, daß eine politische Ordnung ohne Freiheit zwangsläufig in eine totalitäre Herrschaft führt und auf das wichtigste Potential des Menschen verzichtet. Als gesellschaftliches Strukturprinzip wird die Subsidiarität benannt, weil sie der Freiheit auf personaler Ebene entspricht. 2. Verantwortung und Solidarität Wahre Freiheit gibt es nicht ohne Verantwortung, deshalb ist die Bereitschaft des einzelnen, Verantwortung zu übernehmen und nach Gerechtigkeit zu streben, zentrales Kennzeichen für eine menschenwürdige Gesellschaft. Solidarität ist das entsprechende Strukturprinzip, welches die Gesellschaft vor einem exzessiven Individualismus bewahrt. Für eine Gesellschaft freier Bürger bedeutet der christliche
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Gestaltungsauftrag, Eigenverantwortung und Solidarität in der Gesellschaft in einem ausgewogenen Verhältnis zu halten. Es darf nicht dazu kommen, daß ein Netz der "sozialen Fernwärme" Unternehmen und Arbeitnehmer belastet, die Beziehung zwischen Leistung und Gegenleistung anonymisiert und letztlich Eigeninitiative unterdrückt. Die Staaten der Europäischen Union sind, was ihre Sozialsysteme betrifft, ein Flickenteppich. Eine Harmonisierung oder Vereinheitlichung ist auch gar nicht anzustreben. Was wir erreichen müssen, ist eine bessere Koordination der Systeme und eine Zusammenarbeit der Sozialverwaltungen, um der wachsenden Mobilität der Arbeitnehmer gerecht zu werden. Dabei müssen wir erkennen, und dabei spreche ich vor allem für Deutschland, daß Eigenvorsorge wieder einen höheren Stellenwert bekommen und Hilfe immer Hilfe zur Selbsthilfe sein muß. Subsidiarität muß die Freiheit des einzelnen sichern, erfordert aber auch dessen Selbstverantwortlichkeit 3. Toleranz und Pluralismus Angesichts der vielfältigen ethnischen, kulturellen und religiösen Unterschiede kommt der Toleranz eine besondere Bedeutung zu. Auf personaler Ebene ist sie die erste Voraussetzung, um Konflikte bewältigen zu können. Auf der Ebene der Ordnungsprinzipien muß deshalb die Anerkennung der Pluralität und der Verschiedenheit unserer Gesellschaften im Vordergrund stehen. Gegenseitiger Austausch, Achtung des anderen und Versöhnung von gegensätzlichen Positionen werden so zu entscheidenden Voraussetzungen für die Bewahrung des Friedens. In diesem Sinne braucht Europa einen Willen, braucht Europa Identität. Wichtig ist für uns, daß diese Werte und Prinzipien als Kriterien der Politik kohärent in allen Bereichen angewendet werden. Nur dann werden unsere Mitbürgerinnen und Mitbürger Europa nicht als Bedrohung auffassen, sondern als das entscheidende politische Instrument, um die künftigen Herausforderungen zu bewältigen und die Ängste und Unsicherheiten, die mit einem Mehr an Freiheit verbunden sind, zu überwinden. Als Christen können und müssen wir einen Beitrag leisten.
Die Beziehungen zwischen Gesellschaft, Staat und Kirche im Vereinigten Königreich aus parlamentarischer Sicht Von Frank Cranmer
I. Einleitung
In einer jeden Diskussion über die Beziehungen zwischen Kirche und Staat im Vereinigten Königreich sollte bedacht werden, daß es in Großbritannien auf Landesebene vier Kirchen gibt: die anglikanische Kirche 1, die (reformierte) presbyterianische Kirche2 , die walisische Kirche3 (die 1920 infolge des Welsh Church-Gesetzes aus dem Jahre 1914 vom Staat getrennt wurde) sowie die irische Kirche4 (die auf Grundlage des Irish Church-Gesetzes aus dem Jahre 1869 vom Staat getrennt wurde). Die Folge ist, daß es im Vereinigten Königreich selbst in der Gegenwart weiterhin zwei Staatskirchen gibt (die anglikanische und die presbyterianische Kirche), diebeidein einem besonderen konstitutionellen Verhältnis zum Staat stehen, während die übrigen Kirchen und Glaubensgemeinschaften (die römischkatholische Kirche und freien Kirchen, Juden, Moslems, Hindus, Sikhs und andere) über Sonderrechte und Privilegien unter besonderen Umständen verfügen.
1. Frühe Geschichte
Traditionell vollzog sich die Verbindung zwischen Politik und Kirchen auf dem Prinzip, das Richard Hooker im späten sechzehnten Jahrhundert formulierte: Die Kirche, das war die Bevölkerung - die Bevölkerung, das war die Kirche; und der Souverän, als Herrscher der Bevölkerung, war naturgemäß auch der Herrscher der Kirche: "[E]s gibt niemanden in der anglikanischen Kirche, der nicht zugleich auch Mitglied des Gemeinwesens ist. Ebenso gibt es niemanden im Gemeinwesen, der nicht zugleich auch Mitglied der anglikanischen Kirche ist [ ... ]. [K]einer Person, die zur einen Gruppe gehört, kann verweigert werden, auch zur anderen zu zählen."5 I 2 3
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Anm. d. Übersetzers: Church of England. Anm. d. Übersetzers: (Reformed) Church of Scotland. Anm. d. Übersetzers: Church in Wales. Anm. d. Übersetzers: lrish Church. [Übersetzt aus] R. Hooker, Laws of Ecclesiastical Polity, Book VIII.l.2.
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Wie wir wissen, war dies kein ausschließlich englisches Phänomen: Das Gleiche galt für Skandinavien, wo die nach-reformierten Kirchen alle per Gesetz eingeführt wurden und unter der Autorität der Krone standen - oder für Deutschland, wo die Religionszugehörigkeit schließlich durch den Augsburger Religionsfrieden geregelt wurde, demzufolge die Staatsreligion diejenige des lokalen Herrschers war: cuius regio, eius religio. Wahrend der Reformationszeit in Schottland, wo Königin Maria katholischen Glaubens war, erließ das Parlament ein Gesetz, das den reformierten Glauben festsetzte 6 , und behauptete mit Erfolg sein Recht, über die Machtstruktur in der Kirche und ihre theologische Position zu befinden.7 Doch wie in England wurde auch in Schottland vorausgesetzt, daß es kein privates Recht auf Religionsausübung in dem Sinne gebe, daß die hierbei praktizierte Religion von der staatlich vorgeschriebenen abwich.
2. Die formale Stellung der Religion im Parlament
Das Parlament des Vereinigten Königreichs wurde historisch stark durch seine Verbindung zur Kirche beeinflußt. Das Unterhaus tagte in der Sankt Stephanus-Kapelle, bis diese in den dreißiger Jahren des 19. Jahrhunderts niedergebrannt wurde. Noch immer beginnt das Parlament seine tägliche Arbeit mit Gebeten, die im Unterhaus von dem Geistlichen des Parlamentssprechers und im Oberhaus von einem Bischof verlesen werden. Der Grund, weshalb sich die Abgeordneten des Oberund Unterhauses statt in Hufeisenform oder im Halbkreis in parallelen Reihen einander gegenübersitzen, besteht darin, daß der Parlamentssprecher ursprunglieh dort saß, wo sich der Altar befunden hatte, während die Abgeordneten im Chorgestühl saßen. Eine solche Sitzordnung begünstigt tendenziell eher einen oppositionellen als einen konsensorientierten DiskussionsstiL Zumindest einige Aspekte der parlamentarischen Praxis in Großbritannien riihren wahrscheinlich von dem Zufall her, daß sich die Unterhausabgeordneten regelmäßig in einer Kapelle statt an einem weltlichen Ort versammelten. Im Gegensatz zum europäischen Festland kennt das Vereinigte Königreich allerdings keine konfessionellen politischen Parteien. Es gab eine Zeit, in der Mitglieder der katholischen Arbeiterklasse dazu neigten, die Labour-Partei zu wählen. Menschen in ländlichen Gebieten (hauptsächlich Anglikaner) tendierten dazu, die konservative Partei zu wählen. Im späten neunzehnten und friihen zwanzigsten Jahrhundert bestand eine Verbindung zwischen Liberalismus und Nonkonformität Auch gab es eine starke traditionelle Affinität zwischen Methodismus und LabourPartei, insbesondere in Nordengland. Doch all dies ist zum größten Teil Vergangenheit. So gibt es selbstredend keine englische Entsprechung zum niederländi6 Confession of Faith Act 1560 [Schottland]. Das schottische Parlament war in der glücklichen Lage, daß Königin Maria im Jahre 1560 minderjährig war. Die Regentschaft hatte als Königswitwe die unfähige Maria von Guise inne. 7 Claim of Right 1689.
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sehen "Säulensystem", das aus konfessionellen Parteien, konfessionellen Freiwilligenorganisationen und sogar konfessionellen Radio- und Fernsehsendem besteht.
3. Politik und die Kirchen
Die christlichen Kirchen und anderen Glaubensgemeinschaften sind noch immer Hauptakteure im politischen und sozialen Leben des Vereinigten Königreichs, nicht nur aufgrund dessen, was sie sagen oder wie viele Menschen ihre Gottesdienste besuchen, sondern auch aufgrund dessen, was sie tun. Die anglikanische Kirche und die katholische Kirche betreiben einen großen Anteil des Schulsystems - insbesondere im Grundschulbereich -; und deshalb sind sie zumeist an allen Beratungen der Regierung über Fragen des Erziehungssystems beteiligt. Die größte Wohlfahrtsorganisation, die weder an die zentrale noch an eine regionale Regierung gekoppelt ist, bildet die Heilsarmee. Obgleich sie von der Mitgliederzahl her als Glaubensgemeinschaft eher klein ist, sind die sozialen Dienste, die sie anbietet, von immenser Bedeutung. So nimmt sie sich besonders der Obdachlosen auf eine Art und Weise an, wie es Regierungsstellen wahrscheinlich nicht könnten. Darüber hinaus scheinen sich Politiker generell für eine stärkere Einbindung der Glaubensgemeinschaften auszusprechen statt für eine geringere. Das christliche Engagement des Premierministers Tony Blair ist bekannt. Selbst der Oppositionsführer William Hague hat kürzlich engere Beziehungen zwischen den Glaubensgemeinschaften und der Regierung in sozialpolitischen Angelegenheiten gefordert. Am Anfang des dritten Jahrtausends scheinen die Kirchen und politischen Parteien enger aneinanderzurücken.
II. Die englische Sichtweise
Seit Ende des neunzehnten Jahrhunderts entwickelten sich stufenweise Institutionen, welche die anglikanische Kirche innerhalb der Kirchenregierung repräsentieren. Dies erfolgte über einen Prozeß der allmählichen Anerkennung der Laienvertretung sowohl von seiten der Kirchenspitze als auch von seiten des Parlaments: - 1885: Laienräte [Hauses of Laymen] wurden von den Diözesenkonferenzen gewählt, die mit den kirchlichen Versammlungen [Convocations] konferieren sollten. 1904: Ein Repräsentativer Kirchenrat [Representative Church Council] wurde eingerichtet, bestehend aus den zwei kirchlichen Versammlungen, die gemeinsam mit den Laienräten tagten. 1919: Auf Grundlage des Church of England Assembly (Powers)-Gesetzes wurde eine Nationalversammlung einberufen, die bevollmächtigt war, für die Kirche
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rechtliche Maßnahmen [Measures] zu verabschieden, welche statutarische Geltung hatten und der parlamentarischen Zustimmung bedurften. 1969: Die Synodical Government-Maßnahme führte zur Einrichtung der Generalsynode der anglikanischen Kirche, der erstmals sowohl durch das Kirchengesetz [Canon] als auch durch weitere Maßnahmen das Recht gewährt wurde, Gesetze zu verabschieden. 8 - 1974: Die Church of England (Worship and Doctrine)-Maßnahme ermächtigte die Synode, neue Formen der Andacht ohne parlamentarische Zustimmung zu billigen. Doch sowohl die Regierung als auch das Parlament bleiben in die Angelegenheiten der anglikanischen Kirche auf vielfältige Weise einbezogen. Erstens sind Maßnahmen der Generalsynode (obwohl nicht Kirchenrecht) weiterhin vom Parlament zu billigen. Maßnahmenentwürfe werden eingehend vom Kirchenausschuß (einem statutarischen Ausschuß von Mitgliedern des Parlaments und des Hochadels, eingerichtet nach dem Gesetz von 1919) geprüft. Dieser spricht gegenüber dem Parlament eine Empfehlung aus, ob der Maßnahmenentwurf "angebracht" sei oder nicht. Im Falle von Uneinigkeit zwischen dem Kirchenausschuß des Parlaments und dem Gesetzgebungsausschuß der Synode (wie es gegenwärtig beim Gemeindevorsteher-Maßnahmenentwurf der Fall ist, der im Juli 1997 von der Generalsynode gebilligt wurde9 ), kann es zu langwierigen Verhandlungen kommen. In sehr seltenen Fällen wurden Maßnahmenentwürfe sogar schlichtweg zurückgewiesen. 10 Zweitens verfügen die sechsundzwanzig Oberbischöfe der anglikanischen Kirche als vollberechtigte Stirnmitglieder über einen Sitz im Oberhaus; und - dies sollte angemerkt werden - sie sprechen und votieren über "weltliche" wie auch über "religiöse" Angelegenheiten. Drittens werden Bischöfe, Dekane der Kathedralen und bestimmte weitere Würdenträger nach wie vor von der Krone ernannt - und dies nicht auf Rat der Kirche, sondern auf Rat des Premierministers. 1976 gab der damalige Premierminister James Callaghan seine Einwilligung zu einem höheren Maß an Kirchenbeteiligung bei der Ernennung von Diözesanbischöfen, indem er eine königliche Ernennungskommission einrichtete, die Empfehlungen aussprechen sollte. Doch er war nicht bereit, seine Beteiligung vollständig aufzugeben, da er meinte, daß
8 Synodical Govemment Measure 1969, s. 1. Die öffentliche Bekanntgabe religiöser Vorschriften war zuvor das Vorrecht des Bischofsrats [House of Bishops] und der kirchlichen Versammlungen. 9 GS 1165C. w Die jüngsten Vorfälle einer Zurückweisung waren der Maßnahmenentwurf zur Ernennung von Bischöfen [Appointment of Bishops Measure] aus dem Jahre 1983 sowie der Maßnahmenentwurfzur Ordination von Geistlichen [Clergy (Ordination) Measure] von 1989.
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"[e]s [ ... ] zwingende Gründe [gibt], warum sich der Staat der Verantwortung für diese Ernennungen durch die Staatskirche nicht selbst entziehen darf. Der Souverän muß in einer solchen Angelegenheit Rat einholen können; und für einen verfassungsmäßig eingesetzten Souverän ist dies zwangsläufig der Rat von Ministern. Die Erzbischöfe sowie einige weitere Bischöfe sitzen zurecht im Oberhaus. Ihre Nominierung muß deshalb eine Angelegenheit bleiben, für die der Premierminister zuständig ist." 11
Ein synodischer Arbeitskreis unter der Leitung von Sir William van Straubenzee, einem ehemaligen Parlamentarier, empfahl 1992, daß die Rolle des Premierministers bei kirchlichen Ernennungen beschränkt werden sollte. Doch die Empfehlungen dieses Gutachtens sind nie aufgegriffen worden. 12 Im gegenwärtigen System wird ein Vakanzausschuß ernannt, der von Vertretern der Diözese gebildet wird und in dem gepriift wird, welche möglichen Kandidaten zu dem Profil passen, das sich die Diözese wünscht. Die königliche Ernennungskommission übermittelt dem Premierminister zwei Namen über dessen Ernennungssekretär. Entweder entsendet der Premierminister diese Kandidaten der Königin oder er kann alternativ um weitere Vorschläge bitten. Es wird allgemein angenommen, daß der gegenwärtige Premierminister die ursprungliehen Kandidatenvorschläge zuriickwies, die ihm für das vakante Bistum Liverpool unterbreitet worden waren. 13 Schließlich ist der Second Church Estates Commissioner14 stets Parlamentsmitglied. Er beantwortet parlamentarische Fragen zur Arbeit der Kirchenbeauftragten und in der Praxis auch allgemeine Fragen zu Angelegenheiten der anglikanischen Kirche - obwohl strenggenommen einige der Themen, die in den Zusatzfragen angesprochen werden, bisweilen jenseits seines Aufgabenbereiches liegen. 1. Die gegenwärtige Debatte
Seit der Zeit Heinrichs VIII. ist die anglikanische Kirche in England mehr oder minder unangefochten bis in die Gegenwart hinein eine staatlich etablierte Kirche [established church] gewesen. Verschiedene Aspekte der Kirchenregierung wurden in den zuriickliegenden Jahren überdacht. Das letzte grundlegende Gutachten wurde 1970 von einer Kommission unter der Leitung von Owen Chadwick verfaßt 15 [Übersetzt aus] H.C. Debs (1975- 76) 912 col. 613. Sir W van Straubenzee u. a., Senior Church Appointments, London 1992. 13 Vgl. z. B. R. Gledhill, Blair's Block on Bishop May Lead to Church Crisis, The Times vom 15. September 1997, und C. Morgan, Blair Blocks Church Choice ofTwo Bishop Candidates, Sunday Times vom 2. Juli 2000. 14 Anm. d. Übers.: Der Second Church Estates Commissioner wird ebenfalls vom Premierminister ernannt und ist als Parlamentsmitglied Vermittler zwischen Parlament und Kirchenverwaltung. 15 0. Chadwick u. a., Church and State - Report of the Archbishops' Commission, London 1970. Revd. Prof. Owen Chadwick war seinerzeit Rektor des Selwyn College, Cambridge und Regius Professor für neuzeitliche Geschichte. II
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Das Chadwick-Gutachten selbst schlug keine radikale Erneuerung des Systems der Staatskirche vor. Im großen und ganzen entschied sich die Mehrheit für Empfehlungen, die, obwohl sie darauf abzielten, die Kirche weiter vom Staat zu trennen, den status quo mehr oder weniger aufrecht erhielten: Die Hauptforderung bestand darin, daß die Kirche mehr Mitspracherecht in Angelegenheiten wie beispielsweise der Ernennung von Bischöfen und Dekanen erhalten sollte. Dieser Forderung wurde durch die Änderungen von 1976 zum Teil entsprochen. Noch 1988 konnten Kenneth Medhurst und George Moyser die Auffassung vertreten, der Status der Staatskirche sei "kein großes Thema. Es besteht nicht nur wenig Druck in Richtung auf eine Trennung von seiten der anglikanischen Kirche selbst; auch Nonkonformisten unterstützen die fortgesetzte Verbindung zum Staat mit Nachdruck. Solch eine Verbindung wird gemeinhin als anschauliche Erinnerung an Englands offiziell christliche Vergangenheit gesehen sowie an die gestalterische Rolle, die folglich die Kirchen im nationalen Leben spielen könnten. Daher scheinen radikale Veränderungen in naher Zukunft höchst unwahrscheinlich. Was möglicherweise in den Bereich der praktischen Politik fallen könnte, sind Überlegungen hinsichtlich einer stärker gelockerten Beziehung zum Staat.'.J 6 Ungeachtet der Frage, ob diese Einschätzung zu dem Zeitpunkt, als sie vorgenommen wurde, vollständig zutreffend war oder nicht, steht unzweifelhaft fest, daß sich die Situation seitdem geändert hat. Es dürften verschiedene Faktoren sein - einige internen und andere externen Ursprungs - , die zu diesem Meinungsumschwung beigetragen haben. Von politischer Warte aus betrachtet besteht der erste Punkt darin, daß die anglikanische Kirche unter einem kontinuierlichen Mitgliederschwund leidet. Mittlerweile gibt es an einem durchschnittlichen Sonntagmorgen vermutlich genauso viele katholische Kirchgänger wie anglikanische. Unweigerlich stellt sich die Frage, warum die anglikanische Kirche weiterhin eine - wie es viele Christen außerhalb der anglikanischen Kirche sehen - privilegierte Stellung innehaben soll, wenn sie nicht mehr die Loyalität der Bevölkerungsmehrheit genießt. Zweitens besteht ein gewisses Maß an Unruhe über die Mechanismen bei kirchlichen Ernennungen. Ganz abgesehen von der Auseinandersetzung über die jeweilige Prozedur haben sowohl innerhalb als auch außerhalb der Politik einige Kritiker die Frage aufgeworfen, warum der Staat bei kirchlichen Ernennungen überhaupt beteiligt sein müsse. Drittens ändert sich die religiöse Demographie. Im Vereinigten Königreich gibt es zur Zeit etwa eine Million Moslems, von denen wahrscheinlich die Mehrheit aus Bürgern besteht, die bereits in der zweiten Generation dort lebt, darüber hinaus eine beträchtliche Zahl an Hindus und Sikhs. Die Kommission zur Zukunft eines Multiethnischen Britanniens, eingerichtet vom Runnymede Trust, forderte vor kur16 [Übersetzt aus] K. N. Medhurst/G. Moyser; Church and Politics in a Secular Age, Oxford 1988, S. 365.
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zem, im Interesse guter Beziehungen zwischen den Rassen den Status der staatlich etablierten Kirchen zu überdenken. Anfängliche Berichte besagten, daß die Kommission das Ende der privilegierten Stellung des Christentums im allgemeinen sowie der anglikanischen Kirche im besonderen fordern werde, um wirklich glaubhaft dem Umstand Rechnung zu tragen, daß das Vereinigte Königreich eine multikulturelle Gesellschaft mit mehreren Glaubensbekenntnissen sei. 17 Doch schließlich bestand das Fazit der Kommission darin, die Einberufung einer weiteren Regierungskommission zu fordern. Diese sollte Empfehlungen zu den gesetzlichen und konstitutionellen Aspekten hinsichtlich der Rolle von Religion im öffentlichen Leben einer Gesellschaft mit mehreren Glaubensbekenntnissen aussprechen. 18
2. Politische Konsequenzen Doch die politische Debatte ist nach wie vor recht verhalten, und die Idee einer etablierten Staatskirche hat weiterhin ihre Fürsprecher. Der Parlamentarier Frank Field, ein ehemaliges Synodenmitglied sowie meinungsabweichendes Mitglied des van Straubenzee-Arbeitskreises von 1992, tritt vehement dafür ein, daß zumindest eine modifizierte Form der etablierten Staatskirche als Mittel zur Sicherung der kirchlichen Offenheit und des theologischen Pluralismus beibehalten wird. Field sieht die Theologie ganz offensichtlich als viel zu bedeutend an, um sie den Theologen zu überlassen (geschweige denn der Synode), und versteht das Laienelement in der etablierten Staatskirche als ein wichtiges Gegengewicht zum Klerikalismus. "Eine der vielen Besonderheiten, durch die sich die anglikanische Kirche auszeichnet, [ ... ] ist die Tatsache, daß sie aufgrund ihrer Nähe zur englischen Nation verstanden hat, wieviel Religion die Engländer anzunehmen bereit sind, und das ist nicht sehr vie1." 19 Er glaubt, daß die anglikanische Tradition des relativ undogmatischen Christentums im Einklang mit dem religiösen Naturell der Engländer steht. Es gibt objektive Anhaltspunkte, daß andere ebenso denken: In den Jahren 1992/93 ließ eine Umfrage unter 500 anglikanischen Amtsinhabern ernsthafte Sorgen erkennen, daß die Kirche in die Hände ihrer Aktivisten falle und zunehmend sektiererisch an die Bedürfnisse derjenigen herantrete, die keiner Kirche angehören. 20 Schließlich argumentiert Field, daß jedweder Versuch, die Rolle der Krone bei kirchlichen Ernennungen zu verringern, zu einer Trennung durch Abwesenheit führen werde.
17 Vgl. z. B. R. Sylvester, Multi-Faith Coronation for Charles, Daily Telegraph vorn 10. April2000. 18 B. Parek u. a., Report of the Cornrnission on the Future of Multi-Ethnic Britain, London 2000, s. 243. 19 [Übersetzt aus] H.C. Debs (1995 - 96) 281 col. 1090. 20 T. Harrison, Mernbers Only?, London 1994, passim, doch besonders S. 112- 126.
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"Denn was bliebe vom Einfluß der Krone bestehen, wenn die Regierung die Reformvorschläge des [van Straubenzee-]Gutachtens aufgreifen würde? Und wie könnten die Privilegien der Kirche, insbesondere ihre Stiftungen, Bestand haben, wenn die Krone ihren bestehenden Einfluß bei Ernennungen verlöre?"21
Er zöge eine Lösung in der Art des gegenwärtigen Ernennungssystems vor, indes sollte es in der Öffentlichkeit durchgeführt werden. 22 Doch liegen klare Anzeichen für einen Meinungsumschwung vor. Am Montag, dem 18. September 200023 , votierte die liberaldemokratische Partei auf ihrer jährlichen Konferenz während der Debatte über konstitutionelle Angelegenheiten zugunsten der folgenden Gesetzänderung zur Trennung von Staat und Kirche: Die Konferenz stimmt ferner dem Prinzip der Trennung von Kirche und Staat als wichtigem Schritt bei der Reform der Regierungsgewalt innerhalb des Vereinigten Königreichs zu und beschließt, dieses Prinzip in das liberaldemokratische Rahmenwerk für die britische Verfassung aufzunehmen. Die Konferenzfordert insbesondere: (a) daß dem Staatsoberhaupt untersagt wird, eine Position von hoher Autorität innerhalb jedweder Konfession, Kirche oder jedwedem Bekenntnis innezuhaben
(b) die Reform der Thronfolgeordnung von 1701 und anderer Gesetze, damit die religiöse Diskriminierung bei der Thronbesteigung aufgehoben werde.
111. Die schottische Sichtweise Nichts von dem bisher Gesagten läßt sich in einem größeren Umfang auf Schottland beziehen. Es gibt kein nennenswertes Verlangen nach staatlicher Trennung der presbyterianischen Kirche, nicht zuletzt deswegen, weil viele Schotten sie überhaupt nicht als staatlich "etabliert" betrachten. Das derzeitige gesetzliche Fundament der presbyterianischen Kirche basiert auf dem Churches (Scotland)-Gesetz von 1905 und auf dem Church of Scotland-Gesetz von 1929. Dem letzteren sind die Deklarationsartikel angegliedert, die für die presbyterianische Kirche eine Art "Rechtscharta" darstellen. Am bedeutsamsten ist, daß die Artikel der Kirche das Recht einräumen, keiner zivilen Autorität zu unterstehen, wenn sie Gesetze erläßt und Recht spricht. Sie entscheidet zuletzt über diese und [ ... ] in allen Angelegenheiten der Doktrin, Andacht, Regierung und Glaubenstreue in der Kirche [ .. . ] (Art. IV); [Übersetzt aus] van Straubenzee, Senior Church Appointments (Anm. 12), S. 115. In der nachfolgenden Diskussion machte der Rechtsberater der Generalsynode, Brian Hanson, darauf aufmerksam, daß aus der Perspektive der Generalsynode zunehmend Unzufriedenheit gegenüber dem aufkam, was als unnötige parlamentarische Einmischung in die Gesetzentwürfe der Synode betrachtet wurde. 23 im Anschluß an die Konferenz, auf der dieses Referat gehalten wurde: als Bericht vgl. R. Harden, Lib Dems Vote to Abolish Establishment Privileges, Church Times vom 22. September 2000. 21
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[die Deklarationsartikel räumen der schottischen Kirche überdies das Recht ein,] ihre untergeordneten Standards zu formulieren oder zu übernehmen, die Bedeutung bekanntzugeben, die ihr Glaubensbekenntnis für sie hat, die Ausdrucksweise desselben zu modifizieren oder andere doktrineHe Erklärungen zu formulieren [ ... ]. (Art. V)
Einmalig ist, daß unters. 4 das Gesetz nicht auf Initiative der Regierung in Kraft trat, sondern erst, nachdem die Artikel im Konsens mit einer Mehrheit der Presbyterien von einem Gesetz der Generalversammlung der presbyterianischen Kirche übernommen worden waren; und das Gesetz trat schließlich mit der Church of Scotland- Verordnung von 1926 in Kraft. Prof. Duncan Farrester bemerkt, daß im Gesetzestext von 1921 der Ausdruck "etabliert" gar nicht verwendet wird, sondern daß dort von einer Landeskirche ['national' Church] gesprochen wird?4 Nach den gegenwärtigen Vereinbarungen lassen in gesetzlicher Hinsicht sowohl das britische als auch das schottische Parlament die Autonomie der presbyterianischen Kirche konsequent unangetastet. Doch weist diese weiterhin einige Merkmale auf, die eine staatliche Prägung erkennen lassen, obschon ihr staatlich etablierter Status im Vergleich zur anglikanischen Kirche ein gänzlich anderer ist: die Stellung des Oberkommissars [Lord High Commissioner] in der jährlich von der Königin einberufenen Hauptversammlung, "um unsere Anwesenheit und unseren Platz [bei Sitzungen der Hauptversammlung] zu erhalten": diese Verbindung zwischen Staat und Kirche ist auf die presbyterianische Kirche beschränkt; - der besondere Schutz, welcher der Kirche durch das Sicherungsgesetz [Act of Security] und das Vereinigungsabkommen [Treaty of Union] gewährt wird25 ; - der Kirchenhaushalt (Geistliche der Königin) [Ecclesiastical Household (Queen's Chaplains)] in Schottland, ausschließlich zusammengesetzt aus Pfarrern der presbyterianischen Kirche; die besondere Stellung der Gemeindepfarrer hinsichtlich des Ehegesetzes in Schottland [Marriage (Scotland) Act] von 1977, das jedwede Form der Trauung als gültig anerkennt, die von der Kirche "als ausreichend für die feierliche Begehung von Ehen" anerkannt wird; und die gegenwärtige Freiheit der schottischen Kirchengerichte von Überprüfung durch staatliche Gerichte, sofern oder solange nicht das Sitzungsgericht [Court of Sessionf6 oder das Oberhaus einen Standpunkt vertritt, der im völligen Gegensatz zu den zuvor entschiedenen Fällen steht?7 24
CII.
D. B. Forrester, Ecclesia Scoticana - Established, Free or National?, in: Theology 1999,
Siehe unten. Anm. des Übersetzers: Das Court of Session ist das höchste schottische Zivilgericht. 27 Vgl. z. B. Lockhart v. Presbytery of Deer [1851]13 D. 1296, insbesondere Boy1e, L.P., S. 1299; Wight v. Presbytery of Dunkeld [1870) 8 M. 92 1, insbesondere Clerk Moncreiff, L.C., S. 925; und der jüngste Fall Logan v. Presbytery of Dumbarton 1995 S.L.T. 1228. 25
26
8*
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Was könnte dies in politischer Hinsicht bedeuten? Von 1707 bis 1999 gab es kein eigenständiges schottisches Parlament. Daher bemühte sich die Hauptversammlung der presbyterianischen Kirche - und insbesondere ihr Kirchenausschuß sowie ihre Landesgruppe -, ein Forum auf Landesebene für innere schottische Angelegenheiten bereitzustellen. Vor der politischen Dezentralisierung besuchten viele schottische [Westminster-]Parlamentarier die Versammlung der jährlichen Kirchen- und Nationaldebatte wie selbstverständlich. Der Verfasser dieses Referats fragte einst einen bestimmten schottischen [Westminster-]Parlamentarier, ob er die Kirchen- und Nationaldebatte in jenem Jahr besuchen würde und erhielt die Antwort: "Natürlich. Ich mag Atheist sein, doch bin ich ein presbyterianischer Atheist." Schottland ist ein kleines Land mit einer Gesamtbevölkerung von etwa 5,5 Millionen Einwohnern. Es gibt dort zwei große Kirchen: die presbyterianische und die römisch-katholische Kirche. Weitaus mehr Schotten als Engländer sind regelmäßige Kirchgänger. Tendenziell ist der religiöse Beitrag zu politischen Abläufen viel ausgeprägter: Einer der Hauptwortführer in der vor kurzem in Schottland stattgefunden Debatte über s. 28 des Regionalregierungs-Gesetzes [Local Govemment Act] aus dem Jahr 1988 war der Kardinalerzbischof von Glasgow, Thomas Winning. 28 Gleichermaßen bringen sich die schottischen Kirchen häufig und gerne in den politischen Prozeß ein. Bei vielen sozialen und ökonomischen Streitfragen üben sie starken Einfluß auf Politiker aus und tragen ihre Standpunkte in parlamentarischen Untersuchungen vor. Vieles spricht dafür, daß durch die Einrichtung des schottischen Parlaments die Beziehung zwischen Politikern und Kirchen sogar enger wird, nicht zuletzt ganz einfach aufgrund der geographischen Nähe. Wie sich im folgenden zeigen wird, hat das neue Parlament bereits damit begonnen, sich für ein besonderes Thema von religiöser und konstitutioneller Bedeutsamkeil zu interessieren, nämlich für die Thronfolgeordnung [Act of Settlement]. IV. Reform des kirchlichen Establishments und der Thronfolgeordnung29 Bereits 1995 erklärte der Erzbischof von York, John Habgood, daß sich die Reform des kirchlichen Establishments als viel komplexer erwiesen habe als dies auf den ersten Blick schien:
28 Dieses Gesetz hinderte Regionalregierungen daran, die Lehrmeinung zu fördern, "homosexuelle Lebensgemeinschaften seien als ein vermeintliches Familienverhältnis zu akzeptieren". Mittlerweile wurde es in Schottland aufgehoben. 29 Ich danke zutiefst meinem Kollegen Barry Winetrobe für die Bereitstellung eines Exemplars einer unveröffentlichten Arbeit über dieses Gesetz, die er für das schottische Parlament anfertigte: The Act of Settlement (Scottish Parliament Information Centre: Research Paper 99/17, 14. Dezember 1999).
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"Das Vereinigungsgesetz [Act of Union] zwischen England und Schottland trat sechs Jahre nach der Thronfolgeordnung in Kraft und kam in England aufgrund der Gewähr einer protestantischen Thronfolge zur Anwendung. Deshalb drängt sich die Frage nach der Einheit zwischen England und Schottland förmlich auf." 30
Ende 1999 wurden Stimmen laut, die eine Änderung der Thronfolgeordnung von 1700/01 31 mit dem Ziel forderten, das dem Souverän erteilte Verbot abzuschaffen, einen katholischen Partner nicht ehelichen zu können. 32 Am 2. Dezember stellte Lord Forsyth von Drumlean 33 den folgenden an die Majestät gerichteten Antrag auf eine Bittschrift im Oberhaus: .... .daß eine demütige Bittschrift an Ihre Majestät gerichtet werde, die darum bittet, daß Ihre Majestät gnädig gestatte, daß sich Ihr unbestrittenes Vorrecht und Eigeninteresse nicht der Überlegung des Parlaments der gegenwärtigen Sitzungsperiode verschließen möge, jedwede Maßnahme abzuschaffen, die einer solchen Person verbietet, die Krone zu übernehmen, die kein Protestant ist oder die mit einer Person verheiratet ist, die kein Protestant ist. Ferner soll die Bittschrift damit in Verbindung stehende Anliegen vorbringen."
Der Antrag wurde durch Hammelsprung abgelehnt. 34 Am 16. Dezember beschloß das schottische Parlament: "[D]as Parlament vertritt die Auffassung, daß die in der Thronfolgeordnung vorliegende Benachteiligung keinen Platz in unserer modernen Gesellschaft hat. Es bringt seinen Wunsch zum Ausdruck, daß jene diskriminierenden Aspekte des Gesetzes abgeschafft werden sollten, und bekräftigt seine Ansicht, daß die schottische Gesellschaft niemandem die Erlaubnis zur Teilnahme an irgendeinem Bereich unseres nationalen Lebens aus religiösen Gründen entziehen darf. Das Parlament räumt ein, daß eine Gesetzänderung oder aufhebung komplexe verfassungsmäßige Fragen nach sich zieht und daß für diese [das] Parlament in Wesiminster zuständig ist. "35
30 [Übersetzt aus] R. Gledhill, Waming by Habgood on Constitution, The Times vom 2. Juli 1994. 31 Die Thronfolgeordnung ist c. 2 der Statuten, die vom Parlament in der Sitzungsperiode zwischen dem 6. Februar 1700 und dem 24. Juni 1701 verabschiedet wurden. Einige nennen als Verabschiedungsdatum das Jahr 1700, andere das Jahr 1701. Nachträglich wurde dem Gesetz auf Grundlage des Kurztitel-Gesetzes (Short Titles Act) von 1896 eine kurze Bezeichnung gegeben, doch ohne Angabe des Verabschiedungsdatums; vgl. Halsbury's Laws of England, Band 8 (2): Constitutional Law and Human Rights, Neubearbeitung der 4. Auf!., London 1996, § 35, dort Anm. 3 (S. 44). 32 Der spezielle Einwand richtet sich gegen s. II: "Daß kraft der Einschränkung dieses Gesetztes alle, jede Person sowie Personen, welche die Krone übernehmen sollten, könnten oder erben -und die sich mit dem Heiligen Stuhl oder der römisch-katholischen Kirche aussöhnen oder die Kommunion mit ihr feiern oder die sich zur päpstlichen Religion bekennen sollten oder einen Papisten heiraten sollten, solchen rechtlichen Einschränkungen unterliegen, wie in einem solchen Fall oder in solchen Fällen [ .. . ]vorgesehen, ausgeübt und festgesetzt sind." 33 Schottlands Secretary of State in der vorherigen (konservativen) Regierung. 34 Lords Minute (1999-2000), 2. Dezember. 35 [Übersetzt aus] Scottish Parliament Official Report (1999) 3 I 16 c1744.
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Einem Bericht der Sunday Times zufolge wies Downing Street die Forderung nach einer Gesetzänderung zurück. 36 Doch im selben Bericht wird der damalige Erzbischof von York, Dr. David Hope, zitiert, der zwar nicht die Forderung nach einer Trennung von Kirche und Staat erhob, sich aber für die Aufhebung der monarchischen Beschränkung auf die Wahl von protestantischen Ehepartnern ausgesprochen haben soll: "Die gegenwärtige Regelung ist ziemlich schlecht. Es ist für mich nicht wirklich nachvollziehbar, warum Mitglieder der königlichen Familie nicht die Freiheit haben sollten, zu heiraten, wen sie möchten. Diese Auffassung reflektiert eine ziemlich negative Einstellung zur katholischen Kirche. Wir leben in einem andersgearteten Zeitalter und in einem grundverschiedenen Zeitgeist. In den Regelungen sollte sich dies widerspiegeln." 37
Natürlich würde letztendlich solch eine Entwicklung einem Katholiken ermöglichen, den Thron zu besteigen. In einem solchen Fall müßte die Stellung des Monarchen als Oberhaupt der anglikanischen Kirche neu überdacht werden. Dies hätte nicht nur Auswirkungen auf die staatliche Verankerung der anglikanischen Kirche, sondern auch umfangreiche Auswirkungen auf die presbyterianische Kirche. Das schottische Parlaments-Gesetz38 , verabschiedet im Jahre 1706, "um die wahre protestantische Religion und die presbyterianische Regierung zu schützen" (gemeinhin als Sicherungsgesetz39 bekannt), bestätigte das Gesetz zur Ratifizierung des Glaubensbekenntnisses von 169040 und verkündete: 41 [N]ach dem Ableben Ihrer derzeitigen Majestät (die Gott lange erhalten möge) soll der Souverän, der ihr in der Regierung des Königreiches von Großbritannien nachfolgt [sowie allen nachfolgenden Souveräne], für alle Zeiten bei seiner oder ihrer· Thronbesteigung schwören und schriftlich besiegeln, daß sie die besagte Vereinbarung der wahren protestantischen Religion einschließlich der Govemment Worship Discipline und der Privilegien dieser Kirche, wie weiter oben durch die Gesetze dieses Königreiches in der Anwendung der Claim of Right festgesetzt wurde, unantastbar aufrechterhalten und bewahren. Und hiermit wird es gesetzlich verfügt, daß dieses Parlamentsgesetz, welches die Anhindung der Kirche an den Staat impliziert, für alle Zeit gültig und verbindlich sein soll. Das Gesetz bildet einen fundamentalen und wesentlichen Bezugspunkt für alle Verträge und eine jede Union zwischen den zwei Königreichen, und zwar für immer ohne Erweiterung oder Abweichung.
Im Anschluß verabschiedete 1706 das schottische Parlament auf dieser Grundlage das Gesetz zur Vereinigung mit England42 , woraufhin das englische Parlament 36 C. Morgan, Archbishop Opens Way to Catholic Crown, Sunday Times vom 26. Dezember 1999. 37 [Übersetzt aus] Morgan, Archbishop Opens Way to Catholic Crown (Anm. 35). 38 Anm. d. Übersetzers: Act ofthe Scottish Parliament 1706. 39 Anm. d. Übersetzers: Act of Security 1706. 40 Anm. d. Übersetzers: Confession of Faith Ratification Act 1690. 41 Im folgenden wird die [übersetzte] wortgetreue Fassung des Quellentexts wiedergegeben.
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das Scots-Gesetz als Ablaufplan für das Gesetz zur Vereinigung mit Schottland43 verabschiedete. Es würde den Rahmen dieses Referates sprengen, das Ausmaß zu bestimmen, in dem der Vertrag und die Vereinigungsgesetze unabänderliche "Grundnorm" im Sinne Kelsens sind.44 Doch die Tatsache, daß der presbyterianische und protestantische Charakter der Kirche von Schottland in der die Union begründenden Gesetzgebung explizit erwähnt wird, verkompliziert die Fragen nach einer potentiellen kirchlichen Loslösung vom Staat, nach der Thronfolgeordnung sowie nach der Form des Königseides. Obwohl der angesehene Verfassungshistoriker Lord St. John of Fawsley (selbst ein Katholik) diesen Vorschlag prinzipiell guthieß, verwies er in der Debatte über den oben erwähnten Antrag von Lord Forsyth auf einige Komplikationen, die sich im Fall einer Gesetzänderung ergäben: "Der Status des vorn Souverän geleisteten Krönungseides, der auf das Jahr 1952 zurückgeht, steht zur Diskussion. Die Bittschrift impliziert nicht nur die Änderung eines Gesetzes, sondern vieler Gesetze einschließlich des Vereinigungsgesetzes mit Schottland von 1706: Das Westininster-Statut von 1931 45 verlangt, daß ein Antrag auf Gesetzänderung der Zustimmung aller relevanten Commonwealth-Regierungen und ihrer Parlamente bedarf. Deshalb [ ... ] wird eine so bedeutende Angelegenheit arn besten auf den Weg gebracht - und sollte auf den Weg gebracht werden -, indem die Regierungs- und Oppositionsparteien offiziell mit einer Stimme sprechen [ ... ]." 46
Das Gesetz zur Kirche Irlands aus dem Jahre 186947 trennte die irische Kirche vom Staat ungeachtet der Tatsache, daß dies Artikel V des Gesetzes zur Vereinigung mit Irland von 180048 zuwiderlief. 49 Doch die Zeiten haben sich geändert. Am Ende des zwanzigsten Jahrhunderts ist die verfassungsrechtliche Situation bezüglich des Verhältnisses zwischen England und Schottland recht verschieden von der zwischen England und Irland in der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts, nicht zuletzt wegen der Auswirkungen des Gesetzes zu Schottland von 1998.50 Als John Habgood 1995 auf die mögliche Auswirkung der Trennung von Kirche und Staat Anrn. d. Übersetzers: Union with England Act 1706. Anrn. d. Übersetzers: Union with Scotland Act 1706. 44 Auch sollte betont werden, daß dieses Thema Gegenstand einer Debatte zwischen englischen und schottischen Rechtsgelehrten ist, die mindestens auf A. V. Dicey zurückgeht. Vgl. z. B. seine Introduction to the Study of the Law of the Constitution, S. 65-69, 10. Auflage, London 1961, herausgegeben und mit einer Einführung versehen von E.C.S. Wade, die Diceys 7. Auflage von 1908 enthält. 45 Anrn. d. Übersetzers: Statute ofWestminster 1931. 46 [Übersetzt aus] H.L. Debs (1999 - 2000) 607 col. 918. 47 Anrn. d. Übersetzers: Irish Church Act 1869. 48 Anrn. d. Übersetzers: Union with Ireland Act 1800. 49 "Daß die Kontinuität und Bewahrung der besagten Vereinigten Kirche in Gestalt der anglikanischen und irischen Staatskirche als wesentlicher und fundamentaler Bestandteil der Vereinigung angesehen und angenommen werden soll." so Anrn. d. Übersetzers: Scotland Act 1998. 42
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auf die Union zu sprechen kam, wirkten seine Ansichten leicht exzentrisch. Nun scheinen sie es nicht mehr zu sein. 5 1
V. Trennung vom Staat?
Ein Leitartikel im führenden katholischen Wochenblatt The Tablet hob kürzlich hervor, daß niemand eine Staatskirche in eine moderne konstitutionelle Satzung aufnähme. Obgleich Kardinal Hume seit einiger Zeit die Auffassung vertrete, daß die kirchliche Trennung vom Staat "[i]n einer pluralistischen Gesellschaft mit mehreren Glaubensrichtungen" nicht dringlich sei, "[ ... ]läuft der nach wie vor besondere Status einer bestimmten Kirche Gefahr, dem Prinzip zu widersprechen, daß der Staatsmechanismus und sein Oberhaupt sowie die Staatsführung, Regierung und die Gesetzgebung alle Bürger gleichberechtigt repräsentieren und allen ebenso dienen müsse. Die anglikanische Kirche ist restlos imstande, einer solchen Herausforderung ins Auge zu sehen und sich zu modernisieren, sofern sie es will."52
Die königliche Kommission zur Reformierung des Oberhauses sprach sich abschließend zugunsten einer Änderung der religiösen Vertretung im Oberhaus aus: Die Zahl der gegenwärtig 26 anglikanischen Bischöfe solle auf 16 gesenkt werden, zu denen fünf Vertreter hinzukämen, welche die anderen Kirchen in England repräsentieren, sowie weitere fünf Vertreter für die anderen Kirchen in Nordirland, Schottland und Wales. Die Kommission forderte auch mindestens fünf Mitglieder, die andere Glaubensbekenntnisse repräsentieren sollen. 53 Andere Kirchen reagierten darauf mit Zustimmung: Die herausragende anglikanische Joumalistin Monica Furlong berichtet, daß die katholischen Bischöfe der Königlichen Kommission 51 Nachdem ich dieses Referat als Entwurf fertiggestellt hatte, entdeckte ich, daß das Rechtsfragenkomitee des Praxis- und Prozeduren-Ausschusses [Practice and Procedure Committee] der presbyterianischen Kirche auf eine Nachfrage über seine Haltung in dieser Angelegenheit folgendes zur Antwort gegeben hatte: "Solch eine Überprüfung soll dazu führen, daß sowohl die diskriminierende Vorschriften aufgehoben werden als auch Lösungen zu den konstitutionellen Fragen gefunden werden, die dann anstehen dürften. Solche konstitutionellen Fragen hätten keinen direkten Bezug zur presbyterianischen Kirche. [ ... ] Die presbyterianische Kirche fände es bedauernswert, wenn ein Katholik Souverän würde und eine Position inne hätte, aus der er die Gültigkeit der Verordnungen der presbyterianischen Kirche abstreitet und ihn das katholische Bekenntnis daran hindert, innerhalb der presbyterianischen Kirche oder sogar innerhalb einer anderen protestantischen und reformierten Kirche im Vereinigten Königreich die Kommunion zu empfangen. Obschon dies schwierige und empfindliche Fragen sind, ist es nicht unmöglich, daß Personen, die guten Willens sind, sie bewältigen werden." Report to the General Assembly by the Board of Practice and Procedure, Edinburgh, Mai 2000, Appendix K. Dies ist jedoch eine theologische Erwiderung und bezieht sich nicht auf das verfassungsmäßige Problem des Widerrufs. 52 31. Januar 1998. Der Artikel wurde geschrieben, als Kardinal Hume noch Erzbischof von Westininster war. 53 Vgl. P. Nortons unbetitelten Aufsatz in 'Religion and Public Life', The House Magazine vom 24. April 2000, S. 18.
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mitteilten, daß sie unter Vorbehalt der päpstlichen Erlaubnis und unter Lossprechung von can. 285 CIC Vorzüge in ihrer Repräsentation innerhalb eines reformierten Oberhauses sehen könnten. 54 Die jüngste Forderung nach einer staatlichen Trennung der anglikanischen Kirche wurde im Juli 2000 erhoben, als Lord Dormand von Easington im Oberhaus eine Frage an das Horne Office55 richtete. Der Horne Office Minister, Lord Bassam von Brighton, erwiderte, daß die Regierung die kirchliche Trennung vom Staat nicht in Erwägung zöge [ ... ], außer wenn die Kirche dies selbst wünsche 56 ;
und an dieser Stelle dürfte die Angelegenheit aller Wahrscheinlichkeit nach zumindest momentan ruhen. Obgleich die politische Debatte rund um den Status der staatlich etablierten Kirchen Höhen und Tiefen erlebte, scheint die Erfahrung der letzten zwanzig Jahre nahezulegen, daß die aufeinanderfolgenden Regierungen eine radikale Reform der Beziehungen zwischen Kirche und Staat als nicht sehr dringlich einschätzen und daß eine allmähliche Veränderung sehr viel wahrscheinlicher ist als eine drastische.
54 M. Furlong, C of E - The State lt's In, London 2000, S. 239. Das Problem der Vertretung von nicht-bischöflichen Kirchen und anderen Glaubensgemeinschaften besteht darin, daß es bisweilen keine eindeutigen Kandidaten gibt, die als ständige Vertreter agieren könnten: Kirchen in der reformierten oder Wesley'schen Tradition tendieren dazu, Präsidenten oder Moderatoren zu ernennen, die das Amt nur ein Jahr bekleiden. 55 Anm. d. Übers.: Das Home Office ist im europäischen Vergleich eine Besonderheit innerhalb der britischen Regierungsstellen, da es sowohl Aufgaben des Justiz- als auch des Innenministeriums wahrnimmt. Im gewissen Maße ist es auch für verfassungsmäßige Fragen zuständig (daher Lord Dormands Anfrage an Lord Bassambetreffend der oben dargelegten Angelegenheit). 56 H.L. Debs (1999 - 2000) 27. Juli col. 571.
Das Verhältnis von Gesellschaft, Staat und Kirche aus der Perspektive der Kommission der Bischofskonferenzen der Europäischen Gemeinschaft (COMECE) Von Noet Treanor Im Mai 2000 wählte das Europäische Parlament "Einheit in der Vielfalt" als Motto für die Europäische Union. Angesichts der zahlreichen Beispiele, die bisher auf diesem Seminar vorgestellt wurden, um die Vielfalt der "gegenseitigen Erwartungen und bestehenden Voraussetzungen" im Verhältnis von Kirche und Staat auf nationaler Ebene in Europa zu illustrieren, stellt sich mit Recht die Frage, wie denn eine so breite Palette von Erwartungen integriert werden kann. Es gibt vierzehn römisch-katholische Bischofskonferenzen in den fünfzehn Mitgliedstaaten der Europäischen Union, die jeweils für ein ganz spezifisches Beziehungsmodell zwischen Kirche und Staat stehen. Das Sekretariat der Kommission der Bischofskonferenzen der Europäischen Gemeinschaft (COMECE), das im Namen der Bischofskonferenzen in den Mitgliedstaaten arbeitet, ist eine von rund 16.000 Vertretungen von Interessengruppen und Lobbies, die im Umfeld der Europäischen Institutionen in Brüssel tätig sind. Bei seiner Arbeit ist sich das Sekretariat der Vielfalt der in den Mitgliedstaaten bestehenden Beziehungen zwischen Kirche und Staat bewußt und betrachtet diese Beziehungen als Teil des kulturellen Erbes Europas. Bevor ich auf die Erwartungen der Europäischen Union gegenüber den Kirchen und anderen Religionsgemeinschaften und umgekehrt eingehe, möchte ich kurz den derzeitigen Sachverhalt auf europäischer Ebene darstellen. In der Europäischen Union sind die Beziehungen zwischen Kirche und Staat auf nationaler Ebene geregelt und durch die Kultur, Geschichte und Tradition des jeweiligen Mitgliedstaates geprägt, die als "nationale Identität" der Mitgliedstaaten eingestuft und geschützt1 werden. Sie sind somit Teil des gemeinsamen europäischen Erbes. In der Europäischen Union sind diese Beziehungen im Anhang zum Vertrag von Amsterdam in der feierlichen Erklärung Nr. 11 zum Status der Kirchen und weltanschaulichen Gemeinschaften festgeschrieben. Dieser Erklärung zufolge nimmt die Europäische Union keinen Einfluß auf den in der nationalen Gesetzgebung geregelten Status der Kirchen und Religionsgemeinschaften. Dennoch betreffen immer mehr
I
Art. 6 Abs. 3 EU sichert die Achtung der nationalen Identität der Mitgliedstaaten.
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Maßnahmen der Europäischen Union- ob rechtlicher oder sachlicher Art- auch spezifische Interessen der Kirche. Eine Darstellung der wesentlichen Merkmale der vielseitigen Beziehungen zwischen den christlichen Kirchen und den Institutionen der Europäischen Union sowie eine zusammenfassende Beschreibung der proaktiven Kontakte zu bestimmten Themen sollen hier den Hintergrund bilden für eine Beschreibung der europäischen Sachlage, so wie sie sich in unserer praktischen Arbeit zeigt. Sie können zudem als Grundlage für Überlegungen dienen, welche Erwartungen auf beiden Seiten bestehen und wie diese in Zukunft weiter verfolgt werden könnten.
I. Historischer Überblick
In der Zeit von der Unterzeichnung der Römischen Verträge (1957) bis zur Einheitlichen Europäischen Akte (1986) lagen die Hauptinteressen und Ziele der Organe der Europäischen Union vor allem im wirtschaftlichen und marktpolitischen Bereich. Als Ende der 80er Jahre die Einheitliche Europäische Akte (EEA) verabschiedet war, begannen verschiedene politische Führungskräfte2 , sich wieder auf das eher umfassende politische Denken der europäischen Gründungsväter zu besinnen bzw. dieses wieder zu entdecken. Für die Gründungsväter war das europäische Aufbauwerk ein moralisches Vorhaben, sowohl in bezug auf seine Ziele als auch seine institutionellen Möglichkeiten. Ihre Vision, die in den Präambeln zu den Gründungsverträgen ihren Niederschlag gefunden hat und ohne die es heute kein geeintes Europa gäbe, ist durch die Tradition der katholischen Soziallehre und der christlich-sozialen Lehre geprägt. In diesem Sinne sollte hier festgehalten werden, daß die Tradition der christlichen Lehre und somit auch das Leben der Kirchen von Anfang an im europäischen Einigungsprozeß, der nach dem Zweiten Weltkrieg begann, vertreten waren. Die Kirchen nahmen und nehmen am europäischen Prozeß teil, vor allem durch die Arbeit christlicher Politiker und Beamte und die Inspiration, die sie für ihre Arbeit aus ihrem Glauben schöpfen. Das 1956 auf Initiative der Jesuiten gegründete Katholische Sekretariat für europäische Fragen (Office Catholique d'lnformation et d'Initiative pour l'Europe, OCIPE) war der Vorreiter für zahlreiche kirchliche Organisationen, die anschliez In diesem Zusammenhang ist vor allem die führende Rolle von Jacques Delors zu nennen, der zu verschiedenen Anlässen vor dem Plenum des Europäischen Parlaments daran erinnert hat, daß für das europäische Aufbauwerk nicht nur wirtschaftliches, kommerzielles oder juristisches Know-how erforderlich seien, sondern auch ethische und spirituelle Aspekte eine wichtige Rolle spielten. Delors' Sichtweisen können nachgelesen werden in: J. Delors, Le Nouveau Concert Europeen (eine Auswahl von Reden), Paris, 1992; C. Grant, Delors, Inside the House that Jacques Built, Nicholas Brealey, London 1994; J. Delors, Einleitung zu: EnQuete d' Europe, Les Carrefours de Ia Science et de Ia Culture, Rennes, 1994, S. 9 ff. Aber auch Präsident Mitterand nahm auf diesen Aspekt des Europäischen Aufbauwerks Bezug, als er auf der Plenartagung des Europäischen Parlaments am 17. 01 . 1995 in Straßburg die politischen Schwerpunkte der französischen Ratspräsidentschaft vorstellte.
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ßend auf europäischer Ebene eingerichtet und tätig wurden. Die Ökumenische Vereinigung für Kirche und Gesellschaft (AOES) wurde 1965 als Forum für christliche Beamte der Europäischen Gemeinschaften gegründet, in dem aus einer christlichen Sichtweise über Aufgaben und Verantwortung im Berufsalltag diskutiert werden konnte. 1973 trat die Europäische Ökumenische Kommission für Kirche und Gesellschaft (EECCS) auf die europäische Bühne. Ihre Aufgabe war es, im Namen der in dieser Kommission vertretenen Kirchen und kirchlichen Gremien den Kontakt zu den Institutionen der Europäischen zu suchen und zu pflegen. 1970 nahm der Heilige Stuhl diplomatische Beziehungen mit der Europäischen Union auf: Der Apostolische Nuntius für Belgien und Luxemburg erhielt eine zweite und getrennte diplomatische Akkreditierung bei den Europäischen Gemeinschaften. 3 Ende der achtziger Jahre gab es sowohl in der katholischen als auch in der reformierten Tradition eine große Zahl von kirchlichen Organisationen, die Arbeitsbeziehungen mit der EWG aufgebaut hatten. 1995 richtete auch das Ökumenische Patriarchat ein Büro in Brüssel ein. Die obengenannten Büros verfolgen vor allem drei Zielsetzungen: (1.) Unterrichtung der Ortskirchen in den Mitgliedstaaten über die Politik der EU, um so zur europäischen Meinungsbildung in der christlichen Gemeinschaft beizutragen; (2.) Analyse der EU-Politik und Dialog mit den Beamten der EU und (3.) gelegentliche Interessenvertretung und Lobby-Arbeit. Die nachstehende Kurzdarstellung zur Entwicklung der Kommission der Bischofskonferenzen der Europäischen Gemeinschaft (COMECE) kann stellvertretend dafür herangezogen werden, wie sich die Präsenz der Kirche im Rahmen der EU entwickelt hat. Der Vorschlag, im Namen der Bischofskonferenzen der Mitgliedstaaten ein Büro einzurichten, wurde von mehreren Seiten vorgebracht. Zunächst wurde der Vorschlag vor allem von einigen Mitgliedern des Rates der Europäischen Bischofskonferenzen (CCEE) unterstützt. Ein erster Schritt in diese Richtung war die Einrichtung des Service d'Information Pastorale Europeenne Catholique (SIPECA) im Jahre 1976. Aufgabe des SIPECA war es, ein Informationsblatt über einschlägige politische Entwicklungen und Entscheidungen der EWG und des Buroparats zu erstellen, die sich auf Bereiche beziehen, die für die Kirche von Interesse sind. Bereits 1979, dem Jahr der ersten allgemeinen Direktwahl des Europäischen Parlaments, wurde einhellig die Auffassung bezogen, daß die Vertretung der örtlichen Kirche in den Mitgliedstaaten gegenüber den Europäischen Gemeinschaften über einen reinen Informationsdienst hinausgehen müsse. Im Zuge dieser Entwicklungen wurde am 3. März 1980 die COMECE gegründet. Sie sollte die vom SIPECA geleistete Informationsarbeit fortsetzen und wurde darüber hinaus mit der Beobachtung der EG-Politik sowie mit der Organisation kirchlich inspirierter Überlegungen über kirchliche und gesellschaftliche Fragen beauftragt. In den ersten zehn Jahren standen der COMECE für ihre Tätigkeit in diesen drei Arbeitsbereichen nur 3 Dies war bis Sommer 1996 der Fall; mittlerweile besteht eine eigens eingerichtete, separate Apostolische Nuntiatur bei den Europäischen Gemeinschaften.
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sehr begrenzte Mittel zur Verfügung. Das in Brüssel eingerichtete Sekretariat arbeitete in einem institutionellen Umfeld, in dem die Trennung zwischen Staat und Kirche nach französischem Verständnis die Grundlage für den Aufbau der angestrebten Beziehungen zwischen Kirche und öffentlichen Institutionen bildete. 1990 beauftragte Jacques Delors, der damalige Präsident der Europäischen Kommission, ein Mitglied der Gruppe für prospektive Analysen der Europäischen Kommission, die Verbindungsarbeit mit den Büros der Kirchen, die bei den Europäischen Institutionen vertreten sind, aufzunehmen. Dies erfolgte zum Teil als Antwort auf die bisherige Arbeit, die von den kirchlichen Büros in Brüssel im Laufe der Jahre geleistet worden war, und zum Teil aus seiner persönlichen und beruflichen Überzeugung als Staatsmann. Mit dieser Initiative eröffnete Jacques Delors neue Möglichkeiten für die Mitwirkung der Kirche am europäischen Einigungsprozeß. Es fanden zunehmend Seminare zwischen EG und Kirche statt; der Austausch zwischen Kirche und Europäischer Union verstärkte sich. Innerhalb der COMECE wurde, insbesondere als die Regierungskonferenz, die zum Vertrag über die Europäische Union führte (1992), mit großen Schritten vorankam, immer deutlicher, daß neue Arbeitsmethoden erforderlich waren, um den Herausforderungen einer politischen Union und eines noch stärker integrierten und weiter wachsenden Europas angemessen Rechnung tragen zu können. Es wurden neue Maßnahmen ergriffen, um die Arbeitsfähigkeit der COMECE und ihre Fähigkeit, an der europäischen Debatte teilzunehmen, zu stärken. Gleichzeitig rückte die Frage danach, welchen Platz die Kirchen im konzeptuellen Rahmen des primären Gemeinschaftsrecht einnehmen sollten, innerhalb der COMECE immer weiter in der Vordergrund. Ihren konkreten Niederschlag fand diese Debatte in doppelter Weise. Zunächst fand im Herbst 1995 in Brüssel ein Kolloquium statt, das sich mit der Frage der Beziehungen zwischen Kirche und Staat in der Europäischen Union befaßte. Aus diesem Kolloquium ging dann ein entsprechender Vorschlag (für einen "Kirchenartikel", aus dem eine "Kirchenerklärung" wurde) hervor, der der Regierungskonferenz, die zum Vertrag von Amsterdam geführt hat, unterbreitet wurde. 4 Nehmen wir den Vertrag von Amsterdam als Meßlatte für die derzeitige Lage, lassen sich die bisherigen Erfahrungen der COMECE im Rahmen der Beziehungen mit den Europäischen Gemeinschaften in folgenden Etappen zusammenfassen: (1) Eine erste Phase, in der die Kontakte vor allem von der Kirche ausgingen, die
spontan Beiträge leistete.
(2) Ab Anfang der 90er Jahre zeigt sich immer deutlicher, daß die EU die Kirchen als Akteure der Zivilgesellschaft betrachtet, die einen wichtigen Beitrag zur Gestaltung des zukünftigen Europas leisten können. 4 Die Sitzungsberichte des Kolloquiums wurden unter folgendem Titel veröffentlicht: COMECE, La Construction Europeenne et !es Institutions Religieuses, Louvain-la-Neuve, 1997.
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(3) Seit dem Beginn der Regierungskonferenz zur Überarbeitung des Maastrichter Vertrags verstärkt sich bei den Kirchen aller Mitgliedstaaten die Auffassung, daß die Beziehungen zwischen den Kirchen und der EU ausgebaut werden müssen. Diese Präsenz der Kirche ging und geht weiterhin von kirchlicher Seite aus. Sie ist Ausdruck des gesellschaftspolitischen Verständnisses der Kirche von ihrer Mitverantwortung für Europa und des Wunsches der Kirche, einen konkreten Beitrag zum Aufbau Europas zu leisten. Die Beziehungen dieser kirchlichen Organisationen zur Europäischen Union sind informeller Art und de facto. II. Beispiele für die de facto- Präsenz in bestimmten politischen Bereichen Die Arbeitsschwerpunkte der Kommission der Bischofskonferenzen der Europäischen Gemeinschaft (COMECE) richten sich in erster Linie nach der Agenda der europäischen Institutionen. Dem Subsidiaritätsprinzip gemäß werden bestimmte brennende Themen der nationalen Ebene jedoch nicht von der COMECE erörtert. Zu diesen Themen zählen z. B. der Religionsunterricht im nationalen Schulsystem oder das Bestehen theologischer Fakultäten an staatlichen Universitäten. Oft betreffen Maßnahmen der EU oder sogar die Gesetzgebung jedoch direkt oder indirekt viele andere Themen, die für die Kirchen von besonderem Interesse sind. Diese stehen im Mittelpunkt der täglichen Arbeit der COMECE. So verdient die im März 2000 auf dem Gipfel der Staats- und Regierungschefs in Lissabon vorgeschlagene Entwicklung eines europäischen Curriculums sicherlich besonderer Beachtung, denn Bildung darf schließlich nicht nur als Vorbereitung auf den Arbeitsmarkt betrachtet werden, sondern muß als ganzheitliche Förderung der persönlichen Entfaltung verstanden werden, zu der auch eine spirituelle Erziehung gehört. Im Anschluß an den Gipfel organisierte das COMECE-Sekretariat ein informelles Treffen mit einigen Partnern des katholischen Bildungswesens (CEEC - Europäischer Ausschuß des katholischen Bildungswesens, und FEECA - Europäische Föderation für katholische Erwachsenenbildung, Jugendverbände und Universitäten), um die Grundlagen für eine gemeinsame Stellungnahme zu diesem Thema zu legen. Das Dokument befindet sich zur Zeit in Vorbereitung.
1. Nichtdiskriminierung
Im gesetzgebensehen Bereich konzentriert sich die Debatte im Moment auf einen Richtlinienentwurf zur Festsetzung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf.5 Die Unangemes-
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senheit der Ausnahmeregelung im vorgeschlagenen Art. 4 des besagten Entwurfs ist ein gutes Beispiel dafür, wie die auf nationaler Ebene definierten spezifischen Interessen der Kirche in ein gemeinsames Interesse der Kirche auf europäischer Ebene einmünden können. Die Richtlinie ist Bestandteil eines Maßnahmenbündels, das die Europäische Kommission gemäß Art. 13 der konsolidierten Verträge vorbereitet hat. Dieser Artikel wurde im EG-Vertrag von Amsterdam verankert und berechtigt die Union, "geeignete Vorkehrungen zu treffen, um Diskriminierungen aus Gründen des Geschlechts, der Rasse, der ethnischen Herkunft, der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung zu bekämpfen". In seiner jetzigen Form erlaubt Art. 4 des Richtlinienentwurfs den Mitgliedstaaten festzusetzen, daß eine ungleiche Behandlung, die sich auf ein Merkmal eines beliebigen Diskriminierungsgrundes stützt, dann keine Diskriminierung darstellt, wenn dieses Merkmal "eine wesentliche berufliche Anforderung" darstellt. Der Artikel sieht eine Ausnahmeregelung insbesondere für jene Berufe vor, deren Ethos durch eine bestimmte Religion oder Weltanschauung bestimmt wird. Der Artikel legt allerdings nicht die Grenzen für eine solche Ausnahmeregelung fest. Die Anerkennung begründeter Unterschiede wird in einer sehr engen Begrifflichkeit definiert. So erstreckt sich der Artikel nicht auf Einrichtungen und Organisationen, die Sozial- und Gesundheitsdienste anbieten. Des weiteren fehlt ein ausdrücklicher Verweis auf Religionsausübung, seelsorgliche Betreuung und Beratung. Die Bestimmungen bezüglich des Bildungswesens scheinen ebenfalls einer weiteren Klärung zu bedürfen. Das britische evangelisch-christliche Institut (evangelical Christian Institute) behauptete in einem Gutachten gar, daß Privatschulen nur noch ihren Religionslehrer auswählen dürften und die Gefahr bestehe, daß sie ihren spezifischen Ethos verlören, was allerdings zweifelsohne nicht das Ziel dieser Richtlinie ist. Erwartungsgemäß waren die ersten Reaktionen, die das COMECE-Sekretariat von den Bischofskonferenzen zu diesem Richtlinienentwurf erhielt, sehr gemischt. In einigen Mitgliedstaaten ist die Stellung der Kirche gegenüber der nationalen Arbeitsgesetzgebung geregelt. In anderen zählen die Kirchen zu den führenden Anbietern von Sozial- bzw. Gesundheitsdiensten. Aus diesem Grunde ist die Vorgehensweise der lokalen Kirchen gegenüber den zuständigen nationalen Ministerien sehr unterschiedlich. Auch wenn es zu Beginn unmöglich erschien, einen gemeinsamen Nenner zu finden, so setzte sich doch in den verschiedenen Bischofskonferenzen allmählich die Auffassung durch, daß diese Frage die Religionsfreiheit in ihrem Kern berührt - ein Thema, das nicht nur alle Ortskirchen, sondern alle Religionsgemeinschaften betrifft. Im Rahmen einer Anhörung, die das Europäische Parlament im Mai 2000 5 KOM ( 1999) 565 endg., 1999 I 0225 (CNS), Richtlinie zur Festsetzung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf, angenommen von der Kommission am 25. November 1999.
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zum Thema der Bekämpfung von Diskriminierungen organisiert hatte, unterstrich Professor Gerhard Robbers, wie wichtig es sei zu verhindern, daß Gesetze zur Bekämpfung von Diskriminierungen nicht selbst durch unangemessene Verbote, Einschränkungen oder Definitionen gegen religiöse Aktivitäten oder religiöse Einrichtungen diskriminieren. 6 Das COMECE-Sekretariat bereitet zur Zeit ein Treffen für Rechtsexperten und andere Vertreter der Bischofskonferenzen vor, um eine gemeinsame Stellungnahme auszuarbeiten. Wir hoffen, daß auch ein Vertreter der Konferenz Europäischer Kirchen (KEK) dem Treffen beiwohnen wird, so daß die Vertretungen der Kirchen auf nationaler Ebene der Mitgliedstaaten und im Rahmen der (französischen) Ratspräsidentschaft auch eine ökumenische Dimension aufweisen.7
2. Die Beziehungen zwischen Kirche und Staat: Ein Artikel im Vertrag
Die Regierungskonferenz zur Überarbeitung des Maastrichter Vertrags war ein besonders geeigneter Kontext für die Kirchen, um die Aufnahme eines solchen Artikels in den Vertrag vorzuschlagen. Das von den deutschen Kirchen diskutierte Thema wurde für das COMECE-Seminar im November 1995 in Briissel als Thema gewählt. Wenig später wurde den Mitgliedstaaten ein konkreter Vorschlag unterbreitet, der die Zustimmung des deutschen Bundesrats fand. Anfang 1996 waren infolge von Gesprächen mit den verschiedenen Regierungen Änderungen des Entwurfs im Umlauf. Am 7. April 1996 wurde schließlich auf einem Treffen im COMECE-Sekretariat, an dem Vertreter der Orthodoxen Kirchen, der Evangelische Kirche in Deutschland (EKD), der Anglikanischen und Reformierten Kirche, des Heiligen Stuhls und der COMECE teilnahmen, eine auf ökumenischer Ebene gebilligte Fassung ausgearbeitet. Dieser Text, der der Regierungskonferenz ordnungsgemäß unterbreitet wurde, bekräftigte das ökumenische Einverständnis zu diesem Thema. Auch wenn es hilfreich gewesen wäre, dieses Einverständnis friiher zu erzielen, schienen die Kirchen diese thematische Auseinandersetzung und die Erfahrungen mit der anschließenden Vorlage bei den politischen Instanzen der Mitgliedstaaten benötigt zu haben, um sich der Notwendigkeit einer auf ökumenischer Ebene gebilligten Fassung bewußt zu werden. 6 G. Robbers, Key Issues In Tackling Discrirnination on the Grounds of Religion, Beitrag zur gemeinsamen Anhörung im Europäischen Parlament arn 23. Mai 2000: "The Fight Against Discrirnination: New Perspectives Under Art. 13", S. 5. 7 Nachtrag: Der EU-Ministerrat hat die Richtlinie 2000178/EG im Oktober 2000 einstimmig verabschiedet. Nunmehr dürfen Mitgliedstaaten die Richtlinie umsetzen, indem sie derzeitige Rechtsvorschriften beibehalten oder in künftigen Rechtsvorschriften Bestimmungen vorsehen, die derzeitige nationale Praktiken widerspiegeln. Die Ausnahmeregelung des Art. 4 findet Anwendung auf Kirchen oder andere Organisationen, deren Ethos sich auf Religion oder Weltanschauung gründet, und hinsichtlich der Art bestimmter Tätigkeiten oder der Bedingungen ihrer Ausübung (ABI. EG Nr. L 303 I 16 vorn 2. 12. 2000).
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Aus dieser Erfahrung, die dann zur Befürwortung eines gemeinsamen Vorschlags geführt hat, lassen sich mehrere Schlußfolgerungen ziehen. Erstens ist die Tatsache, daß die EU-Organe die Relevanz des Vorschlags nicht sofort anerkannt haben, zweifelsohne zum Teil auf die unterschiedlichen Beziehungen zwisc~en Kirche und Staat in den einzelnen Mitgliedstaaten zurückzuführen. Ihre träge Reaktion spiegelt aber auch eine funktionalistische Auffassung des europäischen Aufbauwerkes wider. Zweitens schien den Beamten und Politikern der Mitgliedstaaten in vielen Fällen der politische Wille zur Erörterung dieses Themas zu fehlen. Fragen wie die Unterscheidung zwischen Religion, Kirche und Sekten, Religionsfreiheit und die Rechte von Minderheiten gingen ihnen sicherlich durch den Kopf, als das Thema angesprochen wurde. Aber es zeigte sich auch eine gewisse kulturelle Unflihigkeit, das Thema wirklich anzugehen. Auch für die Bischofskonferenzen war die Bedeutung des Vorschlags nicht von vornherein ganz klar. Hier wie dort galt es, zunächst einmal das Interesse zu wecken. Langfristig wird sich zeigen, wie wichtig dieser Vorschlag gegenüber den nationalen Regierungen gewesen ist, denn er hat maßgeblich dazu beigetragen, das Bewußtsein der lokalen Kirchen für die europäische Dimension in den Beziehungen zwischen Kirche und Staat und für die Rolle, die die Kirchen im europäischen Aufbauwerk spielen können, zu wecken. Und schließlich hat dieses Vorgehen den Kirchen auch gezeigt, wie wichtig eine ökumenische Zusammenarbeit in derartigen Fragen ist. Aber mit der feierlichen Erklärung Nr. 11 des Vertrags von Amsterdam ist dieser Prozeß noch nicht abgeschlossen. Wahrend ihr rechtlicher Wert noch unter Beweis gestellt werden muß, gibt es bereits einige Hinweise dafür, daß sich gewisse Politiker für weitere Bemühungen um die Aufnahme eines entsprechenden Artikels in den Text des Vertrags einsetzen werden.
3. Charta der Grundrechte
Auf der Sitzung des Europäischen Rates in Köln im Juni 1999 wurde beschlossen, ein spezielles Gremium mit dem Entwurf einer Grundrechte-Charta zu beauftragen, die dann im Dezember 2000 dem Europäischen Rat in Nizza unterbreitet werden sollte. Einige Wochen später organisierte das COMECE-Sekretariat eine Anhörung für Experten und Vertreter der Bischofskonferenzen, um die lokalen Kirchen auf die Charta aufmerksam zu machen. Darüber hinaus bereitete das Sekretariat im Februar 2000 einen Text vor, der dem Konvent unterbreitet werden sollte und auf den während der Sitzungen des Konvents mehrmals verwiesen wurde. Das COMECE-Sekretariat beobachtet und begleitet weiterhin den Prozeß und trägt zur Arbeit des Konvents bei. Mehrere Mitglieder des Konvents haben die Kirchen um ihre Meinung gebeten und ihre Änderungsvorschläge unterstützt. 8 s Einige Beispiele: Auf der Vollversammlung der COMECE im Frühjahr 2000 hat der Vizepräsident des Konvents, Ifiigo Mendez de Vigo (MdEP), das aktive Interesse der Kirche an
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4. Anerkennung der de facto-Präsenz
Die Anerkennung der legitimen Rolle und Mitwirkung der Kirchen bei europäischen Angelegenheiten (z. B. bei der vorgeschlagenen Charta) könnte das erste Anzeichen für eine wachsende Offenheit für eine "europäische Gesellschaft" sein, in der Religion und Religionsgemeinschaften ihren festen Platz haben. Schon seit einigen Jahren bitten die Kirchen regelmäßig um ein Treffen mit der turnusmäßig neuen EU-Präsidentschaft, um über einzelne Aspekte des vorgeschlagenen Arbeitsprogramms zu diskutieren und den Standpunkt der Kirchen zu zentralen Themen des Programms darzulegen. Dieser Austausch, der entweder mit dem Premierminister, dem Außenminister oder dem Minister für Europäische Angelegenheiten erfolgt, ist mittlerweile schon eine feste Einrichtung geworden. Eine nähere Betrachtung dieses vielschichtigen Gefüges der Beziehungen zwischen den Kirchen und der EU zeigt, daß diese Qualität der Offenheit seitens der EU-Institutionen genauso wichtig ist wie die Ambivalenz gegenüber der religiösen Dimension, die ebenfalls bei diesen Institutionen zu erkennen ist. Gegenwärtig können wir festhalten, daß die Beziehungen zwischen den Kirchen und der Europäischen Union, ein institutionelles und politisches Gebilde sui generis, de facto vorhanden sind und sich in einer Phase der Entwicklung befinden. Sie sind eine Art Laboratorium. Während das Selbstbestimmungsrecht der Kirche auf nationaler Ebene anerkannt wird, muß das Bewußtsein und die Anerkennung der Autonomie der Kirche auf europäischer Ebene noch konkrete Gestalt annehmen. In einigen Fällen ist die Nichtanerkennung der Interessen der Kirchen in bestimmten Bereichen eher auf Unwissenheit als auf eine entschiedene Ablehnung ihres Mitwirkungspotentials zurückzuführen. 111. Gegenseitige Erwartungen und realistische Perspektiven In den Beziehungen der Kirchen zur EU hat die praktische Arbeit ein Niveau erreicht, auf dem jetzt eine weitere Strukturierung sinnvoll wäre. Die Kirchen müssen deshalb Mut zeigen und eine Institutionalisierung der bestehenden Mechanismen fordern, ungeachtet der erheblichen, aber nicht unüberwindlichen Unterschiede in bezug auf die Ekklesiologie und die nationalen Befindlichkeiten im Hinblick auf die Beziehungen zwischen Kirche und Staat. Die EU muß sich ihrerseits endder Formulierung der Charta befürwortet. Auch Prof. Jürgen Meyer (MdB) begrüßte das Interesse und die Vorschläge, die die EKD bei einer von der Protestantischen Kirche in Deutschland organisierten Konferenz bekundet bzw. vorgebracht hatte. Der französische Senator Braibant hatte zu einer Konsultationssitzung eingeladen, an der auch die Korrunission Justitia et Pax der französischen Bischofskonferenz teilnahm. Der Vizepräsident des Europäischen Parlaments, Dr. lngo Friedrich (MdEP), griff ebenfalls einige Änderungsvorschläge der Kirchen auf (Nachtrag: Dr. Friedrich hat sich auch maßgeblich für die Bewahrung des Begriffs "geistig-religiöses Erbe" in der Präambel der Charta eingesetzt.). 9*
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lieh dazu entschließen, den Beitrag der Kirchen und Religionsgemeinschaften zur europäischen Gesellschaft und die bestehenden Vorkehrungen in den Mitgliedstaaten, die das Verhältnis zwischen Kirche und Staat regeln, im Vertrag ausdrücklich anzuerkennen. Dies wird Hand in Hand gehen mit einer Öffnung des politischen Diskurses für religiöse und ethische Aspekte als horizontale und wesentliche Dimensionen einer integrierten EU-Politik. Wie können die Beziehungen zwischen Kirchen und Europäischer Union weiter strukturiert werden? Auf der Vollversammlung der Europäischen Ökumenischen Kommission für Kirche und Gesellschaft (EECCS) im September 1998 erklärte der damalige Präsident der Europäischen Kommission, Jacques Santer, ausdrücklich, daß es nicht in Frage käme, daß spezifische nationale Vorkehrungen, die die Beziehungen zwischen Staat und Kirche regeln, auf die europäische Ebene übertragen würden. Seiner Meinung nach müßte für die EU-Ebene ein eigenes Modell entwickelt werden. 9 Mit dem Ziel, die soeben beschriebene Situation weiter auszubauen, unterbreitete der Präsident der COMECE, Bischof Homeyer, 1998 Kommissionspräsident Santer ein Memorandum, in dem verschiedene Möglichkeiten vorgeschlagen werden, wie dem Dialog mit der Kommission ein formellerer Rahmen verliehen werden könnte. Zusätzlich zu den eingerichteten Dialogseminaren könnten gemäß dieses Memorandums folgende Maßnahmen ins Auge gefasst werden: Treffen mit den jeweils zuständigen Dienststellen der Europäischen Kommission zu spezifischen politischen Themen; mehrere ökumenische Treffen auf Präsidentenebene während der Amtszeit der Kommission sowie Einrichtung einer Gruppe, in der EU-Beamte und Mitarbeiter der Kirchenbüros in Brüssel gemeinsam diese Veranstaltungen vorbereiten. In der Zwischenzeit wurde dieser Vorschlag auf ökumenischer Ebene verabschiedet, so daß Kommissionspräsident Prodi 1999 ein Folgedokument unterbreitet werden konnte. Ein weiterer Schritt in diese Richtung, den die COMECE den EUBeamten vorgeschlagen hatte, könnte darin bestehen, in der Europäischen Kommission ein eigenes Referat (unite) für religiöse Fragen einzurichten, das unter anderem mit folgenden Aufgaben betraut werden könnte: Koordination möglicher Beiträge der Kirchen und Religionsgemeinschaften zu einschlägigen Aspekten der EU-Politik; Funktion als Ansprechpartner und Sammelstelle für proaktive Beiträge der Kirchen und Religionsgemeinschaften innerhalb der Europäischen Kommission sowie Weiterleitung der Beiträge der Kirchen und Religionsgemeinschaften an die jeweiligen Politikbereiche, die sich mit der Entwicklung eines europäischen Gesellschaftsmodells als zentralem Thema befassen. 9 J. Santer; Ansprache vor der abschließenden Vollversammlung der Europäischen Ökumenischen Kommission für Kirche und Gesellschaft (EECCS), 14. September 1998, Vaalbeek, Belgien; veröffentlicht unter dem Titel "The European Union as a Community of Values" in: A. Hulbert (Hrsg.), Ethics and the European Institutions, Occasional Paper No. 6, Ecumenical Association for Church and Society, Brüssel, 1999, S. 23 ff.
Gesellschaft, Staat und Kirche aus der Sicht der COMECE
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Nach dieser Beschreibung der Erwartungen der Kirchen gegenüber der Europäischen Union stellt sich natürlich auch die Frage, was die Europäische Union von den Kirchen erwarten könnte. Die Kirchen sind Bestandteil der europäischen Gesellschaft. Ganz im Sinne der christlichen Soziallehre und der aktiven Mitwirkung in der Gesellschaft und ihren Einrichtungen müssen die Kirchen in Europa weiterhin aktiv zur Förderung des europäischen Ideals und der wirtschaftlichen und politischen Errungenschaften Europas beitragen. Dies erfordert eine proaktive und zugleich positive kritische Unterstützung der europäischen Institutionen sowie eine konstruktive Wachsamkeit in Bezug auf die Qualität der rechtlichen und wirtschaftlichen Instrumente und Mechanismen, die unser europäisches Gesellschaftsmodell bestimmen. Deshalb müssen die Kirchen weiter in ihre europäischen Strukturen investieren, die im Anfangsstadium befindlichen Formen der Kontakte mit den EU-Institutionen fortführen und ausbauen und in den Ortskirchen geeignete Instrumente und Wege finden, die dazu beitragen können, daß die Menschen in die Gestaltung Europas einbezogen werden.
Die Einigung Europas und das Verhältnis von Gesellschaft, Staat und Kirche Statements
Die "Charta der Grundrechte der Europäischen Union" Ein Diskussionsbeitrag zum Gemeineuropäischen Grundrechtsschutz und hier speziell zum Schutz von Ehe und Familie Von Peter J. Tettinger Einen ganz wichtigen Baustein für die weitere Entwicklung des Verhältnisses von Gesellschaft, Staat und Kirche kann in den Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft im Zuge der fortschreitenden Einigung Europas die "Charta der Grundrechte der Europäischen Union" bilden, auf die ich Ihre Aufmerksamkeit lenken möchte. Auf dem Kölner Gipfel im Juni 1999 hatte der Europäische Rat in der Wahrung der Grundrechte ein Gründungsprinzip der Europäischen Union und eine unerläßliche Voraussetzung für ihre Legitimität gesehen. 1 Die Verpflichtung der Europäischen Gemeinschaft(en) zur Beachtung der Grundrechte hatte der EuGH schließlich in einer mehr als dreißigjährigen Judikatur im Ansatz bestätigt und im einzelnen näher ausgeformt Im gegenwärtigen Entwicklungsstand der Europäischen Union wurde es angesichts rasanter gesellschaftlicher, sozialer, wissenschaftlicher und technologischer Evolution für notwendig erachtet, in Gestalt einer Charta diese Rechte sichtbarer zu machen und dadurch ihren Schutz zu verstärken. Der Text der Charta wurde so abgefaßt, als ob er später in die Unionsverträge aufgenommen und zwingende Wirkung haben würde; letztlich vermag nur ein solcher Ansatz auftragsgemäß die grundlegende Entscheidung offen zu lassen, welche vom Europäischen Rat zu gegebener Zeit bei Erreichen allseitigen Konsenses zu treffen sein wird, ob nämlich diese Charta auf Dauer lediglich programmatischen Charakter haben oder in die Verträge aufgenommen und damit rechtsverbindlich sein solle. Der auf seiner Sondertagung im Oktober 1999 in Tampere (Finnland) vom Europäischen Rat speziell eingesetzte Konvent hat unter Vorsitz des früheren deutschen Bundespräsidenten und Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts, Roman Herzog, soeben einen konsensual formulierten Entwurf vorgelegt, der im Dezember dieses Jahres in Nizza feierlich verabschiedet werden soll. Zwei Komplexe aus dieser "Charta der Grundrechte der Europäischen Union" dürften die Kirchen besonders nachdrücklich interessieren, nämlich zum einen die Diskussion um die Ausge1 Schlußfolgerungen des Vorsitzes, Anhang IV, abgedruckt in: Bulletin der Europäischen Union 611999, S. 39 f.
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staltung der Präambel und zum zweiten die Thematik der Sicherung von Ehe und Familie, während die grundrechtliche Gewährleistung der Religionsfreiheit, wie sie dort in Art. 10 verankert werden soll, derjenigen Rechtsposition entspricht, wie sie bereits durch Art. 9 der EMRK garantiert ist.
I. Zu den Grundlagen des gemeineuropäischen Grundrechtsschutzes Die soeben bereits angesprochene Präambel bildete für die Konventsberatungen beträchtlichen Konfliktstoff, war doch im Ursprungsentwurf des Präsidiums vom 28. 7. 20002 in Ziffer 1 einleitend sehr nebulös nur die Rede von der .,Grundlage gemeinsamer Werte" der Völker Europas. Demgegenüber war in der öffentlichen Diskussion, die übrigens in Deutschland, soweit ersichtlich, wesentlich engagierter geführt wurde als in anderen Mitgliedstaaten - die Frankfurter Allgemeine Zeitung hatte hierfür beispielgebend einem pluralistisch strukturierten Kreis von Vertretern der Staatsrechtswissenschaft, der Politik und der Justiz über mehrere Wochen hin eine Diskussionsplattform geboten - die Frage diskutiert worden, ob es nicht eigentlich eine deutlicher benennbare gemeinsame europäische Wertebasis für diese Charta gebe, ein in einem Jahrhunderte überspannenden Prozeß namentlich im westlichen Europa, aber etwa auch in Polen - denkt man an die polnische Verfassung vom 3. 5. 1791, in der bereits richtungweisend zentrale Ausprägungen der Religionsfreiheit verankert worden waren - entwickeltes homogenes Grundrechtsbewußtsein. Moniert wurde im Rahmen dieser öffentlichen Debatte, daß für eine Bekräftigung der historischen und ideengeschichtlichen Grundlagen des europäischen Grundrechtsschutzes etwa in Gestalt von nicht nur auf der Französischen Revolution und dem Humanismus, sondern weiter ausgreifend und zurückschauend auf christlich-abendländischer Tradition basierenden Wertvorstellungen einer .,dignitas humana" (Thomas von Aquin) wohl teils der Wille, teils der Mut gefehlt habe. 3 Auch eine Berufung oder ein Hinweis auf Gott war - anders als 1997 in der polnischen Verfassung und 1999 in der Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft, den beiden jüngsten markanten Verfassungsschöpfungen in Mitteleuropa - augenscheinlich nicht mehrheitsfähig. Fazit: Europa ohne Gott? Dem Geiste eines französischen Laizismus entspräche dies sehr wohl. In der Magna charta libertatum sowie in den Präambeln des deutschen Grundgesetzes, der griechischen und der irischen Verfassung liest sich dies freilich ganz anders. In Art. 151 EG ist zumindest die Rede von einem gemeinsamen kulturellen Erbe. In der Folgezeit gelang zwar keine Positionierung eines Bezugs auf Gott in der Präambel, wohl aber die Einfügung einer kompromißhaften Formulierung, die in CHARTE4422/00, CONVENT45. Vgl. im einzelnen P. J. Tettinger, Mehr als eine fleißige Sammlung zum Schutz vor Eurokraten? - Zum Entwurf einer Charta der Grundrechte der Europäischen Union, F.A.Z., Nr. 198 vom 26. 8. 2000, S. 6. 2
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den verschiedenen Sprachfassungen möglichst nahe linguistische und juristische Affinität erkennen lassen sollte. Im deutschen Text wird Absatz 2 der Präambel nunmehr mit der Formel eingeleitet: "In dem Bewußtsein ihres geistig-religiösen und sittlichen Erbes"; in der französischen Fassung heißt es "Consciente de son patrimoine spirituel et moral", in der englischen Fassung "Conscious of its spiritual and moral heritage", in der spanischen Fassung: "Consciente de su partrimonio espiritual y moral". Auch wenn hier der grundlegende Divergenzen überbrückende Formelkompromiß unübersehbar ist, so konnte doch zumindest in der amtlichen deutschen Fassung eine beachtliche Präzisierung erreicht werden, bei der die christlich-abendländischen Elemente bereits vorab wenigstens angesprochen werden, die dann im weiteren Duktus der Gewährleistungen der Charta, wie im einzelnen aufzuzeigen wäre, mehr oder weniger deutlich zum Ausdruck kommen.
II. Der Schutz von Ehe und Familie Zu den zentralen europäischen Kulturwerten gehören namentlich die tradierten Rechtsinstitute der monogarnisehen Ehe als der bei voller rechtlicher Gleichstellung geschlossenen Verbindung von Mann und Frau, wie dies etwa in Art. 32 der spanischen Verfassung deutlich dokumentiert ist, und der Familie als der Keimzelle jeder menschlichen Gesellschaft, wie es in Art. 16 der Europäischen Sozialcharta heißt. Insoweit findet sich in Art. 9 unter der Überschrift "Recht, eine Ehe einzugehen und eine Familie zu gründen", lediglich die Formel: "Das Recht, eine Ehe einzugehen, und das Recht, eine Familie zu gründen, werden nach den einzelstaatlichen Gesetzen gewährleistet, welche die Ausübung dieser Rechte regeln."
Hierzu heißt es in der Erläuterung des Präsidiums: "Dieser Artikel stützt sich auf Art. 12 der Europäischen Menschenrechtskonvention, der wie folgt lautet: ,Männer und Frauen im heiratsfähigen Alter haben das Recht, nach den innerstaatlichen Gesetzen, welche die Ausübung dieses Rechts regeln, eine Ehe einzugehen und eine Familie zu gründen.' Im Hinblick auf die gesellschaftliche Entwicklung wurde die Formulierung des Artikels geändert, um Fälle zu erfassen, in denen nach den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften andere Formen als die Heirat zur Gründung einer Familie anerkannt werden. Durch diesen Artikel wird es weder untersagt noch vorgeschrieben, Verbindungen von Personen gleichen Geschlechts den Status der Ehe zu verleihen."4
In einer wahren Formelkompromiß-Gala werden hier bedauerlicherweise Ehe und Familie nahezu völlig gesetzgebenscher Beliebigkeit in den Mitgliedstaaten überantwortet. Zwar trifft es zu, daß die EU keine Definitionshoheit über diese Begriffe hat; eine Ermächtigung zur Begriffsauflösung kommt ihr freilich auch nicht zu. In Art. 9 ist aber von einer Verbindung von Mann und Frau, wie sie über Art. 12 EMRK ihre Verankerung gefunden hat, gar nicht mehr die Rede. Bei der Ehe han4
CHARTE4471100, S. 11.
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delt es sich aber doch um einen klassischen europäischen Verfassungswert, der nicht nur die in ihr gelebten partnerschaftliehen Elemente abdeckt, sondern in dem zugleich in typisierender Vorausschau bereits die verläßliche Basis für die Erziehung gemeinsamer Kinder honoriert wird. Die schon hierin zum Ausdruck kommende enge Verknüpfung von Ehe und Familie wird schließlich in der EMRK nachdrücklich vor Augen geführt, wenn dort in Art. 12 das Recht zur Heirat und Familiengründung ("the right to marry and to found a family") als ein zusammengehöriges Recht apostrophiert wird, in den dort ausweislich der Schlussbestimmungen maßgeblichen englischen und französischen Textfassungen ("this right" resp. "ce droit") noch prägnanter als in der deutschen; in ganz ähnlicher Weise geschieht dies übrigens auch in Art. 41 Abs. 3 Nr. I der irischen Verfassung und in Art. 29 Abs. I der italienischen Verfassung. Nimmt man demgegenüber in Ansehung eines diesbezüglich ersichtlichen Regelungsunwillens der Schöpfer der Charta noch hinzu, daß Art. 21 Abs. I ganz allgemein Diskriminierungen wegen der sexuellen Ausrichtung verbietet, wobei das Verständnis des Diskriminierungsverbots als eines Begriffes, der ja eigentlich nur solche Ungleichbehandlungen auszuschalten vermag, für die ein tragfähiger Rechtsgrund fehlt, zunehmend im Sinne pauschaler Nachteilabwehr extensiviert wird, so dürfte mit beträchtlicher, nicht zuletzt angesichts der demographischen Entwicklung in manchem Mitgliedstaat in der Akzentuierung doch wohl eher verfehlter Symbolwirkung europaweit der Weg zur "Homosexuellen-Ehe" geradezu vorgezeichnet sein. Ob Art. 52 Abs. 3 insoweit als Notbremse zu fungieren vermag, ist eher zweifelhaft, weil zu erwarten steht, daß behauptet wird, das Recht der Union gewähre mit einer "progressiven" Ausrichtung auf diesem Feld eben einen weitergehenden Schutz. Der objektive Wertgehalt des klassischen Rechtsinstituts "Ehe" bleibt dann aber wohl letztlich auf der Strecke. So stellt der Schlußsatz des Erläuterungstextes nur einen schwachen Trost dar. Immerhin stehen Ehe und Familie gemäß Art. 6 Abs. 1 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland, wie es dort heißt, "unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung". Bleiben das allein mit hinreichender Zuverlässigkeit für die leibliche und seelische Entwicklung von- gemeinsamen(!)- Kindem (vgl. Art. 6 Abs. 5 GG) und damit für den Weiterbestand eines Volkes förderliche klassische Begriffsverständnis der Ehe sowie das "Leitbild" der Einheit von Ehe und Familie mithin nurmehr historische Relikte wie Monolithe in der Wüste? Bezeichnenderweise enthält der in Art. 33 Abs. 2 - auch sprachlich wenig geglückt - verankerte, "jeder Person" zustehende Anspruch auf einen bezahlten Mutterschaftsurlaub und auf einen Elternurlaub nach der Geburt oder Adoption eines Kindes ein umfassendes Solidaritätspostulat, wie auch immer die Betreuungskonstellationen sein mögen. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, daß hier ein allzu sehr zeitgeistorientiertes, europäische Werttraditionen durch Spezifizierungsverzicht geringschätzendes Konzept des Windkanals verfolgt wurde. Von anderer Seite wird demgegenüber die betont liberale Haltung bekräftigt, manche Grundrechtsfragen wie die nach dem Schutz des ungeborenen Lebens oder
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dem Schutz von Ehe und Familie könnten im Detail in verschiedenen Nationen Europas durchaus verschieden beantwortet werden; dies zu akzeptieren gehöre zu der Verpflichtung der Europäischen Union, die Vielfalt in Europa zu achten.5 Ob so aber die von Jacques Delors beschworene und in der aktuellen Diskussion häufig strapazierte "gemeinsame europäische Seele" sichtbar wird, bleibt fraglich.
111. Perspektiven Vor dem geschilderten Hintergrund und in Erwartung einer höchst kontroversen Debatte um den Stellenwert dieser Charta und die Ausgestaltung der in ihr enthaltenen Gewährleistungen besteht aller Anlaß, über eine stärkere Präsenz der christlichen Kirchen bei den Institutionen der Europäischen Union in Brüssel nachzudenken, und zwar sowohl jeweils einzeln als auch in konfessionsübergreifenden gemeinsamen Initiativen und zu rascher Reaktion befugten Organisationseinheiten, will man nicht riskieren, daß die christlichen Kirchen und die von ihnen vertretenen Werte bei der weiteren europäischen Entwicklung noch stärker als bisher schon an den Rand gedrängt werden und daß bei der zukünftigen Ausgestaltung des europäischen Primärrechts und Sekundärrechts auch weiterhin unliebsame Überraschungen zu registrieren sind.
s So etwa der sächsische Staatsminister für Bundes- und Europaangelegenheiten, S. Tillich, Nicht mehr und nicht weniger - Die Charta der Grundrechte soll die Rechte des Bürgers gegenüber der EU benennen, F.A.Z., Nr. 223 vom 25. 9. 2000, S. 9.
Die religiöse Freiheit und ihre Zukunft in Europa Ein französischer Gesichtspunkt
Von Hippolyte Sirnon Ein kurzer Überblick erlaubt es zu behaupten, daß die Europäische Union derzeit unter dem Zeichen der religiösen Freiheit lebt. Diese Freiheit hat sich unter sehr unterschiedlichen Umständen verwirklicht. Einige europäische Staaten sind konfessionell. Andere haben Vereinbarungen mit den unterschiedlichen Konfessionen getroffen. Frankreich seinerseits lebt unter einer laizistischen Regierung oder einer Regierung der Separierung. Diese offizielle Separierung, abgesehen davon, daß sie nicht auf das ganze Land anwendbar ist, verhindert nicht eine de facto Anerkennung, wie die konstante Rechtsprechung des Staatsrates seit 1907 zeigt. Im Gegensatz zu anderen Kontinenten oder anderen Ländern kennen wir keine religiösen Verfolgungen mehr. Und die Sensibilität der europäischen Bürger, Verbindungen und Medien lassen hoffen, daß die politischen Instanzen der Europäischen Union fortfahren, für die Achtung dieser fundamentalen Freiheit, welche die Religionsfreiheit darstellt, Sorge zu tragen. Auch wenn seit dem Vertrag von Amsterdam beschlossen wurde, die religiöse Gesetzgebung der Verantwortung jedes Mitgliedstaats der Union selbst zu überlassen, sind diese dazu angehalten, diese Freiheit in Übereinstimmung mit den unterschiedlichen Erklärungen der Menschenrechte zu garantieren. Dennoch macht eine eingehendere, auf die unterschiedlichen Länder bezogene Untersuchung deutlich, daß die konkrete Ausübung der religiösen Freiheit nicht so einfach zu garantieren ist. Im Falle Frankreichs sehen wir punktuell eine bestimmte Anzahl an Schwierigkeiten auftreten: 1. Es existiert eine faktische Ungleichheit zwischen der Gesamtheit der Länder und drei Departements im Elsaß und an der Mosel, Konkordatsdepartements genannt. Diese Situation erklärt sich durch die Geschichte der drei Departements seit 1870. Aber wie erklärt man sie im Hinblick auf die Gleichheit aller Bürger vor dem Gesetz? 2. Die "relativ neue" Anwesenheit französischer Bürger und Ausländer muslimischen Glaubens wirft bereits jetzt und wird weiterhin vielerlei Fragen aufwerfen.
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Inwiefern kann sich die religiöse Partikularität für die Schüler in den Schulen und Gymnasien manifestieren? Wie kann in den Schulkantinen den speziellen Ernährungsverboten der einen oder anderen Konfession Rechnung getragen werden? Wie soll man reagieren, wenn Schüler oder Studenten darum bitten, vom Unterricht oder für Prüfungen befreit zu werden, um die Feiertage, die mit ihrer Religionszugehörigkeit verbunden sind, zu respektieren? Die Satzungsunterschiede zwischen der religiösen (fast ausschließlich katholischen) Ordnung, die dem Gesetz von 1905 vorausgeht, und der seit dieser Zeit eingesetzten religiösen Ordnung wirft eine Frage auf, die mehr und mehr an Bedeutung gewinnt. Tatsächlich können sich die neu in Frankreich eingeführten Religionen über eine faktische Ungleichheit, was die Erhaltung ihrer kulturellen Besonderheiten betrifft, beklagen. Um dauerhaft die religiöse Freiheit als solche und ihre Einzelverbürgungen zu garantieren, müßten die unterschiedlichen Länder der Europäischen Union bei genauer Betrachtung zwei Paradoxe auf sich nehmen: 1. Die religiöse Freiheit setzt voraus, daß der Staat, die Religionen und die Gesamtheit der Gesellschaft damit einverstanden wären, den Staat und die Religion zu unterscheiden. Doch spontan streben die meisten der Religionen danach, die Union von Religion und Gesetz zu realisieren. Die unterschiedlichen christlichen Konfessionen haben selbst lange Zeit unter dem Motto gelebt: "cuius regio, eius religio." Wenn sie es nach langen Debatten und tragischen Perioden erreicht haben, die religiöse Freiheit gelten zu lassen, dann sind sie in der Lage, die von Jesus von Nazareth vorgenommene Trennung zwischen "Caesar" und "Gott" neu zu interpretieren. Man kann also das europäische Paradox wie folgt formulieren: 1 Daß der Staat, wenn er nicht-konfessionell ist, christlich ist. Könnten Europa und die Länder, die es bilden, dieses Paradox den unterschiedlichen religiösen Bekenntnissen, die die Trennung zwischen religiöser und staatlicher Zugehörigkeit nicht anerkennen, auferlegen? 2. Die religiöse Freiheit setzt voraus, daß der Staat sich als nicht-zuständig auf religiösem Gebiet erkennt. Er läßt jedem Bürger die Freiheit, offen über seine Religionszugehörigkeit zu entscheiden. Er vertraut den unterschiedlichen Konfessionen und religiösen Gemeinschaften, daß sie ihren Mitgliedern dabei helfen, gleichzeitig ihre religiösen Erfahrungen zu leben, die Überzeugungen anderer zu respektieren und dem Gemeinwohl zu dienen. Aber um zum Gleichgewicht zu gelangen und zur notwendigen Vollendung dieses doppelten Engagements
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V gl. Karl Marx, (Euvres philosophiques. Hrsg. von Molitor. Band IV.
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in einer speziellen religiösen Gemeinschaft die universellen Ziele respektierend und ihnen dienend, brauchen die Bürger Zeit und die GestaltungsmitteL Man sieht: Die Frage nach der Schule und der Katechese stellt sich sofort. Der Staat kann gegenüber der religiösen Bildung der zukünftigen Staatsbürger nicht gleichgültig sein, auch wenn er sich verbietet, gegen die religiöse Initiation der Kinder und Jugendlichen zu intervenieren. Er muß also die konkrete Ausübung der religiösen Freiheit fördern, den unterschiedlichen Gemeinschaften vertrauend, um die Verantwortung für die Bildung der Jugend auszuüben. Frankreich hat seit langer Zeit aufgrund der Aufgabenteilung zwischen der Schule und den drei großen, historischen Konfessionen, die in unserem Land vertreten sind, bestanden: die katholische Kirche, der protestantische Bund und die jüdische Gemeinschaft. Aber dies war eine tatsächliche Teilung, die eine tatsächliche Kenntnis dieser drei Kulte voraussetzte, auch wenn das Gesetz von 1905 bestimmt, daß die Republik keinerlei Kult anerkennt. Dieses zerbrechliche Gleichgewicht löst sich auf - durch das Aufkommen von Kulten, die 1905 noch nicht vorhanden waren und die sehr viel Mühe hatten, sich auf die existierenden Bestimmungen einzulassen; - durch die Tatsache, daß vor allem eine große Mehrheit der Jugend überhaupt keine religiöse Bildung im Rahmen der historischen Religionen erhält. Also nochmals: Die religiöse Freiheit setzt - das persönliche Engagement in einer speziellen religiösen Erfahrung, - den bewußten Respekt gegenüber anderen Glaubensüberzeugungen und - den ungehindert übernommenen Dienst für das Gemeinwohl im Rahmen des Rechtsstaates voraus. Kann sich diese religiöse Freiheit dauerhaft in einem generalisierten Klima der religiösen "Unkultur" etablieren?
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Die Angst vor der Europäischen Union mindern Aufgabe der Christen in der Europäischen Union Von Stefan Cichy
I. Vielfalt der Äußerungen über die Einigung Europas und das Verhältnis von Gesellschaft, Staat und Kirche In den Vorträgen, die wir gehört haben, in den gedruckten Veröffentlichungen und im Internet sieht man, wie vielfältig das Verhältnis von Gesellschaft, Staat und Kirche in den Staaten des heutigen Europa ist. Im Internet kann man allein in der Schweiz 3.516 Dokumente, weltweit 17.865, aber in Polen nur 76 Dokumente zu diesem Thema finden. Es wird auch viel über Europa und die Europäische Union geschrieben und gesprochen. Vor einem Jahr erschien in Italien ein Buch mit 669 Ansprachen von Papst Johannes Paul II. über Europa, die er in den Jahren 19781999 gehalten hat. Dem KontinentEuropa wurden zwei Bischofssynoden gewidmet, im Jahre 1991 undimJahre 1999.
II. Die Wirklichkeit der Beziehungen zwischen Gesellschaft, Staat und Kirche in Europa Die gegenseitigen Beziehungen zwischen Staat und Kirche in den Europäischen Gemeinschaften gestalten sich auf verschiedene Art und Weise und sind das Ergebnis langjähriger historischer Prozesse. Man kann von drei Modellen der Beziehungsregelung sprechen. Das erste Modell - formelle Verbindung von Kirche und Staat, z. B. in Großbritannien und Griechenland. Das zweite Modell - freundschaftliche Separation zwischen Staat und Kirche, z. B. in Italien, Spanien und Portugal, wo das Beziehungssystem zwischen Staat und Kirche durch Konkordat geregelt wird. Das dritte Modell - Hervorhebung der Weltlichkeit des Staates, so in Frankreich, wo seit der Französischen Revolution eine deutliche Trennung von Staat und Kirche gilt. Die Europäische Union schätzt die Traditionen der Mitgliedstaaten und bevorzugt keines dieser Modelle. Die Stellung der Kirchen und der Glaubensgemeinschaften wurde im Amsterdamer Vertrag festgelegt, wo gesagt wurde: "Die Europäische Union respektiert und verletzt den im Staatsrecht vorgesehenen Status von Kirchen, Verbänden und Glaubensgemeinschaften in den Mitgliedstaaten nicht." 10*
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111. Die Aufgabe der Christen in der Europäischen Union
Die Kirche muss sich der europäischen Wirklichkeit widmen, wenn sie in der sozialen Wirklichkeit wirksam sein will. Deswegen gibt es den Rat der Europäischen Bischofskonferenzen (CCEE) und die Kommission der Bischofskonferenzen der Europäischen Gemeinschaft (COMECE). 1. Wichtigkeit der Grundwerte
So wie der Staat Wertgrundlage braucht, so braucht sie auch die Europäische Union. Die Christen sollen auf Wichtigkeit der Grundwerte verweisen. Die Vertreter der Kirchen sollen von diesen Grundwerten sprechen, von ihnen verkünden. Vor 10 Jahren hat die Deutsche Bischofskonferenz einen Brief veröffentlicht, in dem gesagt wird, daß die Grundwerte das Fundament des Zusammenlebens sind. Es wurden folgende Grundwerte erwähnt: Die Würde des Menschen, der Grundwert der Freiheit, der Gerechtigkeit, der Solidarität und der Subsidiarität. Zum letzten schreiben die Bischöfe: "Menschlich wird unsere Gesellschaft nur bleiben, wenn die Familie, Verbände und Gemeinden - übrigens auch die Pfarrgemeinden ihre Vitalität erhalten können. Im Bereich der gewerblichen Wirtschaft und - besonders - in den Einrichtungen des Gesundheits- und Sozialwesens werden subsidiäre Strukturen beleben und menschlich bereichern." Über diese Grundwerte sprach Papst Johannes Paul II. zum diplomatischen Korps am 10. Januar 1998.
2. Dialog mit den Politikern, Wissenschaftlern, Menschen der Kultur und Medien Die Kirche wird nach dem 2. Vatikanischen Konzil als Kirche des Dialogs bezeichnet. Der Dialog mit den Politikern, mit den Menschen der Wissenschaft und Kultur und den Mitarbeitern der Massenmedien ist notwendig. Die deutschen Bischöfe schrieben im oben genannten Brief, daß man aus christlicher Verantwortung die Zukunft gestalten soll. Dabei unterstrichen sie folgende Themen, die im Dialog zu berücksichtigen sind: Schutz des menschlichen Lebens, Sorge um Ehe und Familie, Erziehung und Bildung, wirtschaftlicher Wohlstand und soziale Sicherheit (hier verteidigen sie den Sonntag, der unverzichtbar und unaufgebbar ist und durch keinen anderen Tag ersetzt werden darf), und wir finden auch einen Aufruf zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. 3. Das Europa des Geistes bauen
Es ist notwendig, die kulturellen und geistlichen Werte zu unterstreichen. Hier soll jedes Land seinen Anteil haben.
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Im Jahre 1999 sagte Johannes Paul II. im polnischen Parlament, daß alle Christen der Integration Europas dienen sollen. Das geistige Antlitz Europas haben große Missionare und Märtyrer, es wurde in Kirchen und Klöstern, wie auch an den Universitäten geformt. Die Kirche brachte in die europäische Kultur die Grundwerte. Wie arm wäre die europäische Kultur ohne christliche Inspiration? Man kann Europa nicht nur unter den ökonomischen, politischen Aspekten betrachten, sondern auch unter den geistlichen Werten. Es soll eine große Europäische Gemeinschaft des Geistes entstehen. Der Papst betonte hier ausdrücklich: "Die Integration Polens in die Europäischen Union wird von Anfang durch den Heiligen Stuhl unterstützt." Zur polnischen Bischofskonferenz sagte der Papst während seiner Pastoralreise im Jahre 1999, daß in der Perspektive der Aufnahme in die Europäische Union der schöpferische Einfluß der Gläubigen auf die Kultur besonders wichtig ist. Bei dem "Ad limina"-Besuch der polnischen Bischöfe Anfang 1998 sagte der Papst: "Europa braucht tief gläubiges und kulturell schöpferisches Polen. [ . . . ] Wo Polen Europa dienen kann und soll, ist prinzipiell identisch mit der Aufgabe des Wiederaufbaus der Gemeinschaft des Geistes, die auf der Treue dem Evangelium im eigenen Haus gründet" (14. 2. 1998). Alles soll in die Richtung gehen, Europa eine Seele zu geben. Prof. Eugen Biser hat im Juli 2000 vor der Gefahr gewarnt, das neue Europa auf dem Fundament des Atheismus zu bauen. 4. Verständnis für die anders Glaubenden und Nichtgläubigen
Obwohl Europa christliche Wurzel hat, ist es heute nicht überall christlich. In verschiedenen Ländern Europas wohnen viele Muslime und nicht Glaubende. Es gibt aber auch eine Anzahl der nicht praktizierenden Christen. Prof. Biser schreibt, daß nach einer Befragung der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" in Deutschland 43% sich als Gläubige und 47% als areligiöse Menschen bekennen. Das ist eine Herausforderung an die Hierarchie der Kirche und auch an alle Glaubenden. 5. Menschen erziehen, im neuen Europa zu leben
Die Zukunft der modernen Gesellschaft hängt in hohem Maß von der Leistungsfahigkeit des Bildungswesens ab. Bildung und Erziehung dienen nicht nur der Vermittlung von Wissen und Fähigkeiten, sie müssen auch die ganzheitliche Entfaltung der Persönlichkeit fördern. In der Erziehung soll man auf das Formen der Friedenshaltungen, auf die Toleranz und die Solidarität achten.
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Stefan Cichy 6. Die Angst vor der Europäischen Union mindern
Manche Menschen haben Angst vor der Europäischen Union. Was kann die Kirche hier tun? Informieren und überzeugen. Seit einigen Monaten schreiben in katholischen Zeitschriften die polnischen Bischöfe über die Integration in die Europäische Union. "Habt keine Angst vor Europa," schreibt Erzbischof Zycinski aus Lublin in einem Hirtenbrief an die Gläubigen vor dem Kulturkongreß in der Bischofsstadt. Jan Wieczorek, Bischof der Diözese Gliwice, Jan Chrapek, Bischof der Diözese Radom, und andere Bischöfe äußerten überzeugend ihre Meinungen über den Beitritt zur Europäischen Union. Auf der Internet-Seite der katholischen Kirche Polens OPOKA sind mehrere Beiträge über die Europäische Union und die Rolle der Kirche in dieser Gemeinschaft zu lesen. Alle Bemühungen der Christen, in dem neuen Europa anwesend zu sein, sollen aus dem Glauben heraus wachsen und in der Taufe und der Firmung das Fundament haben. Am 12. und 13. 3. 1998 haben sich die Bischöfe im COMECE entschlossen, ein Manifest für Europa vorzubereiten. Dort wird man weitere Impulse für die Bemühungen um ein einheitliches Europa finden.
Der Geist spendet Leben Fragen zu den Beziehungen zwischen Gesellschaft, Staat und Kirche in der Europäischen Union Von Mark Hili
Eine abschließende Zusammenfassung Im Verlauf unserer Gespräche haben wir uns auf verschiedene Inhalte konzentriert, die sich aus dem Verhältnis zwischen Kirche und Staat in einigen europäischen Staaten ergeben. Die Referate haben ausgesprochen detaillierte und aufschlußreiche Einblicke in die Arbeitsweise bestimmter Kirchen in bestimmten Staaten geliefert. Doch wie bei der Kathedrale zu Canterbury, die wir zur Abendandacht im Verlauf der Konferenz besuchten, gilt, daß man zwar einzelne architektonische Charakteristika im Detail und in Großaufnahme studieren und bestaunen kann, daß es aber nur durch ein Zurücktreten möglich ist, die Gesamtheit des Gebäudes zu betrachten, so daß dergestalt vor Augen geführt wird, wie sich die Schönheit des Ganzen aus der Zusammensetzung aller ihrer Bestandteile ergibt. Jede Epoche in der Geschichte der Kathedrale spricht von den Werten, Idealen und Vorstellungen der jeweiligen Konstrukteure und Facharbeiter, die zu ihrer Struktur beigetragen haben. Doch ist die Harmonie in der Vielfalt leicht ersichtlich. Dies schließt den Beitrag der gegenwärtigen Generation ein. Ebenso gilt für unsere Konferenz, daß man sich vom Besonderen zu distanzieren hat, um das Allgemeine zu beurteilen. Ich werde kurz den Umfang untersuchen, der zeigt, inwieweit wir uns mit den Gedanken und Bestrebungen von Prof. Gerhard Robbers beschäftigt haben - in Anlehnung an dessen Eröffnungsreferat, das sowohl herausfordernd war als auch nachdenklich stimmte. Ich schlage vor, einige Fragen zu formulieren, auch wenn diese nicht notwendigerweise beantwortet werden. In welchem Ausmaß wird es voraussichtlich innerhalb der Europäischen Union in den Beziehungen zwischen Kirche und Staat zu einer Annäherung kommen?
Ich vermute, daß es wegen der Gemeinsamkeit der Interessen mehr statt weniger Homogenität im Hinblick auf die Rolle der Kirchen in ganz Europa geben wird. Allerdings ist eine Annäherung weder als Bewegung noch als Ziel wahrscheinlich. Als Jurist beobachte ich, daß der übliche Spielraum, in dem der Europäische Ge-
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richtshof für Menschenrechte in Straßburg bisher danach gestrebt hat, den regionalen und nationalen Gepflogenheiten seine Anerkennung zu zollen, gerade im Bereich der Religionsfreiheit besonders ausgeprägt ist. Wie durch die auf der Konferenz gehaltenen Referate weiterhin deutlich wurde, besteht ein gewisses Maß an Unvereinbarkeit zwischen den Modellen von Staat und Kirche. Wir haben erfahren, daß der Staat in Frankreich unverhohlen weltlich ist, während in Deutschland durch Konkordatsbeschluß oder anderweitige Bestimmungen detaillierte systematische Verordnungen zur Regulierung von religiösen Belangen verabschiedet worden sind. Im stets eigenwilligen Vereinigten Königreich beugen sich die anglikanische und die presbyterianische Kirche einer Kultur des Pragmatismus, statt daß eine ausgefeilte Rechtsprechung bezüglich Staat und Kirche vorläge. Die beabsichtigte Erweiterung der Europäischen Union wird wahrscheinlich dazu führen, daß diese Unterschiede eher hervorgehoben als ausgeglichen werden. Dies ist insbesondere in den Staaten des ehemaligen Ostblocks der Fall, wo Religion einen prägenden Einfluß auf das Verständnis der eigenen Nationalität gehabt hat. Die Diskussion, die im Anschluß an Prof. Remigiusz Sobanskis Referat und dem Beitrag von Bischof Stefan Cichy aufkam, war in dieser Hinsicht besonders sachdienlich. Besonders hervorgehoben sei auch die Situation in der Türkei, einem weltlichen Staat mit einer breiten moslemischen Bevölkerung. Neben den konzeptionellen Unterschieden gibt es auch praktische Fragen, die sich aus den spezifischen Eigenarten der Nationalstaaten ergeben. Prof. Roland Minnerath erinnerte uns daran, daß in Frankreich der Staat trotz der Trennung von Staat und Kirche für die Instandhaltungskosten vieler Kirchengebäude aufkommt, während im Vereinigten Königreich die anglikanische Kirche nur äußerst geringfügige Finanzhilfen vom Staat erhält. In Deutschland lehnt der Staat ungeachtet seiner kirchlichen Neutralität Unterstützungsleistungen für islamische Religionsgemeinschaften mangels ihrer organisatorischen Strukturen ab. Diese Aspekte wurden von Heinrich de Wall aufgeworfen und von Hermann Kues erörtert. Als weiteres Beispiel kann angeführt werden, daß in einigen Staaten Unterschiede hinsichtlich der Kirchensteuer einen Gemeinplatz darstellen, während in anderen Staaten diese Unterschiede unbekannt sind. Die Anerkennung und Zulassung religiöser Institutionen unterscheidet sich gravierend zwischen den Staaten. Dieser Punkt wurde sowohl von Bischof Hippolyte Sirnon als auch von Peter J. Tettinger angesprochen. Falls es zu einer Annäherung kommen sollte, worin bestehen voraussichtlich die gemeinsamen Prinzipien? Ich glaube, daß es geringe Schwierigkeiten bereiten würde, ein Prinzip der Religionsfreiheit zu verkünden. Dieses kann jedoch vielfältige Formen mit feinen Abstufungen annehmen. Neutralität könnte darin bestehen, daß sich der Staat prinzipiell nicht in religiöse Belange einmischt. Alternativ könnten einer, vielen oder auch allen Religionen Respekt gezollt werden - durch eine freiwillige Zuriickhaltung, sich in die Angelegenheiten der betreffenden Kirchen einzumischen. Auf ei-
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ner offensiveren Grundlage könnten Vorkehrungen zum aktiven Schutz der Religionsfreiheit getroffen werden. Uns ist die in Art. 9 proklamierte Religionsfreiheit der Europäischen Konvention über Menschenrechte ebenso vertraut wie die jüngere Fassung von Art. 10 der Charta der Grund- und Freiheitsrechte. In beiden wird die berechtigte Natur dieser Freiheit und die unvermeidliche Verknüpfung mit anderen Rechten und Freiheiten sowie mit politischen und ökonomischen Belangen anerkannt. Wir erwarten die Erweiterung dieser Prinzipien auf die Arbeitsweise der supranationalen Institutionen innerhalb des Europarats. Doch die Frage ist, ob wir im Laufe des halben Jahrhunderts seit der Formulierung der Europäischen Menschenrechtskonvention von der bloßen Erklärung der Freiheiten zu deren aktiven und sinnvollen Umsetzung in die Praxis gelangt sind. Zu berücksichtigen ist auch die Auswirkung des 12. Protokolls der Konvention, das die Diskriminierung aus religiösen Gründen ächtet. Worin bestehen voraussichtlich die praktischen Folgen einer Annäherung ?
Im Zentrum unserer Diskussionen standen die etablierten christlichen Kirchen im begrenzten Maße auch Moslems und Juden. Organisierte Religion hat auf nationaler Ebene und in der gesamten Europäischen Union eine größere Bedeutung. Noei Treanor sprach über die Arbeit der Kommission der Bischofskonferenzen der Europäischen Gemeinschaft. Norman Doe verwies auf die in Buropa gelegene Diözese Gibraltar, eine vollständig exterritoriale Diözese der anglikanischen Kirche. Führt dies in dem Maße, wie sich diese und andere Organisationen in der europäischen Politik betätigen, dazu, daß der einzelne, die kleine Glaubensgemeinschaft oder -gruppierung entrechtet wird? Diese Frage steht in äußerst engem Zusammenhang mit zwei richtungsweisenden Fragen, die zukünftig beantwortet werden müssen - nämlich: (1.) Wird eine Annäherung die Ausbreitung des Säkularisierung aufhalten? Und: (2.) Ist eine Annäherung mit religiösem Pluralismus vereinbar? Hat die Europäische Union eine Seele ?
Es fällt nicht in das Gebiet eines Juristen, wenn ich mich dazu äußere, ob die Europäische Union eine Seele haben könne oder vielleicht auch habe. Doch möglicherweise liefert eine Analogie mit dem Vereinigten Königreich den Rahmen für eine sachkundige Diskussion. Das anschauliche Referat von Frank Cranmer zeigte uns, wie durch die staatliche Verankerung der anglikanischen Kirche diese keine unverhältnismäßig hohen Zuwendungen erhält, sondern daß ein Klima religiöser Freiheit und Toleranz geschaffen wird. Der Beitrag, den Religion - zuweilen auch kritisch - zum moralischen Wohlergehen der Gesellschaft liefert, darf nicht übersehen werden. Der Ruf nach einer Trennung von Staat und Kirche kommt teilweise von Personen innerhalb der Kirche selbst, von solchen, welche die Lasten als nicht verträglich mit einem pluralistischen Gesellschaftskonzept auffassen, teilweise aber auch von außerhalb, von weltlichen Verfassungsrechtlem, die solcherlei als anachronistisch betrachten. Religiöse Organisationen anderer Bekenntnisse unterstützen hin-
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gegen aktiv die Beibehaltung des etablierten Status der anglikanischen Kirche. Für sie ist der Umstand, daß Religion auf der nationalen Tagesordnung steht und bleibt und sich in der Struktur des gesetzgebenden Oberhauses widerspiegelt, von entscheidender Bedeutung. Kardinal Basil Hume sprach häufig über Fragen von nationaler Bedeutsamkeit. Sein Nachfolger, Erzbischof Cormac Murphy O'Connor, sagte vor kurzem im Berufungsgericht aus, um der Justiz zu helfen, die rechtlichen, theologischen und moralischen Fragen zu lösen, die im Zusammenhang mit der Frage auftauchten, ob die siamesischen Zwillinge Mary und Jodie getrennt werden sollten. Lord Jacobovits, ein ehemaliger Oberrabbiner, verfügte über einen Sitz im Oberhaus (eingestandenermaßen wegen seiner persönlichen Stellung); und die Vorschläge, die Zusammensetzung des Oberhauses zu ändern - eine Forderung des kürzlich erschienenen Wakeharn-Gutachtens - sprechen dafür, Kirchenführer als Mitglieder des Oberhauses beizubehalten, wobei sie jedoch von einer größeren Auswahl an religiösen Organisationen stammen sollten. Eine ähnlich diskrete Teilnahme der Kirchen in den Mitgliedstaaten und innerhalb des Europarats wird ein Schritt in die Richtung sein, daß das Vorhandensein einer Seele in der Europäische Union gewährleistet wird. Wohin führt unser Weg?
Die Eröffnungsansprachen von Bemhard Lamers und Bischof Christopher Hili waren optimistisch. Ihre hohen Erwartungen waren wohlbegründet, da wir über unsere Gespräche und unser gemeinsames Zusammenleben zu einem tieferen Verständnis unseres Glaubens und unserer Nationalität gelangt sind. Solange nicht Konferenzen wie diese fortgeführt werden, gibt es keine Aussicht auf gegenseitiges Verständnis, noch weniger auf Annäherung und darauf, eine Seele für die europäische Union ausfindig zu machen. Selbst bei einem fortgesetzten Dialog wird diese Aussicht von einigen als illusorisch betrachtet werden. Am Ende der Abendandacht in der Kathedrale zu Canterbury sangen wir ein geistliches Loblied, dessen letzte Strophe wie folgt lautete: Herr, leite uns in allen unseren Taten. Stolz und Haß mögen uns niemals entzweien. Mit Dir an unserer Seite schreiten wir voran, und mit Freude bemühen wir uns beharrlich. Meine leidenschaftliche Hoffnung und mein inbrünstiges Gebet gilt dem Ziel, daß die Ergebnisse dieser Konferenz, die ich vor vielen Monaten zuerst mit Michael Schlagheck im großen Saal des Londoner Middle Temples besprach, zu einem dauerhaften Engagement im Hinblick auf Ideenaustausch und Vertiefung der Bande der Geschwisterlichkeit führen werden, so wie dies während der Konferenz unser Anliegen war. Unsere jetzige Aufgabe besteht demnach darin, uns in Freude beharrlich zu bemühen.
Verzeichnis der Teilnehmer Barrett, Dr. Richard Cranmer, Frank Cichy, Weihbischof Dr. Stefan Oe Wall, Prof. Dr. Heinrich Deckers, Dr. Daniel Doe, Prof. Dr. Norman Durand OP, Prof. Jean-Paul Engelhardt, Dr. Hanns Germann, Dr. Michael Goodchild, Jonathan Greiner, Philippe Guillaume, Michel Hanson, Brian Heinemann, Prof. Dr. Heribert Hili, Bischof Christopher Hili, Mark Hollerbach, Prof. Dr. Alexander Kalbusch, Marco Kämper, Dr. Burkhard Kreuter, Dr. Jens Kriege, Hartmut Kues, Dr. Hermann, MdB Kupny, Dr. Jozef Lamers, Dr. Bernhard Leinemann, Dr. Felix Marre, Prof. Dr. Reiner
Meyer, Dr. Matthias Minnerath, Prof. Dr. Roland Oliva, Javer Gracia Ombres, Dr. Robert Pearce, Augur Pix, Dr. Stephen Pouquillon, Fr. Olivier Reinhardt, Prof. Dr. Heinrich J. F. Robbers, Prof. Dr. Gerhard Rouxel, Dr. Jean-Yves Sablik, Dr. habil. Maciej Schanda, Dr. Bahizs Schirmers, Martin Schlagheck, Dr. Michael Schlief, Dr. Karl-Eugen Simon, Bischof Hippolyte Sobanski, Prof. Dr. Remigiusz, Sobotta, Dr. Joachim Swiatkiewicz, Prof. Dr. Wojciech Tettinger, Prof. Dr. Peter J. Thiele, Dr. Christoph Treaner, Noei Trott, Stephen Villernin, Laurent Wiek, Volker Wingert, Annetraut
Zu den Herausgebern und Autoren Dr. Stefan Cichy, Weihbischof im Erzbistum Kattowitz Frank Cranmer, Clerk of bills, The Hause of Commons, London Prof. Dr. Heinrich de Wall, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Juristische Fakultät, Lehrstuhl für Öffentliches Recht und Kirchenrecht Prof. Dr. Normann Doe, The Law school, Cardiff, University, The Centre for Law and Religion Mark Hili, The Law school, Cardiff, University, The Centre for Law and Religion, Kanzler der Diözese Chichester Dr. Burkhard Kämper, Rechtsanwalt, Lehrbeauftragter für Staatskirchenrecht an der juristischen Fakultät der Ruhr-Universität Bochum Dr. Hermann Kues, Mitglied des Deutschen Bundestages, CDU I CSU Fraktion, Berlin Prof. Dr. Roland Minnerath, Universite de Strasbourg II, Faculte de Theologie catholique Joanna Nicholson, Research fellow at the Law school, Cardiff University, Centre for Law and Religion Prof. Dr. Gerhard Robbers, Universität Trier, Juristische Fakultät, Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Kirchenrecht, Staatsphilosophie und Verfassungsgeschichte Dr. Michael Schlagheck, Direktor der Katholischen Akademie "Die Wolfsburg", Mülheim Hippolyte Simon, Bischof von Clermont - Perrand Prof. Dr. Remigiusz Sobaßski, Professor für Theorie des Kirchenrechts an der Kirchenrechtlichen Fakultät der Akademie für Katholische Theologie Warschau Prof. Dr. Peter J. Tettinger, Universität zu Köln, Institut für Öffentliches Recht und Verwaltungslehre Msgr. Noel Treanor, Generalsekretär der Kommission der Bischofskonferenzen der Europäischen Gemeinschaft (ComECE), Brüssel