Zwischen den Künsten: Edward Gordon Craig und das Bildertheater um 1900 [Reprint 2014 ed.] 9783050080796, 9783050037219

Die vorliegende Arbeit fokussiert erstmals die Ursprünge des zeitgenössischen Bildertheaters, welche sich bis ins ausgeh

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German Pages 302 [304] Year 2003

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Table of contents :
Dank
Vorwort
Teil I. Theaterreform und bildende Kunst in Deutschland: Theorie, Praxis und zeitgenössische Rezeption
1. Theaterkritik: Die beständige Angst des Logos vor der Opsis
a) Hörspiel versus Schauspiel: Die Meininger als Ärgernis
b) Theater als Bilderzyklus? Apropos Robert Wilson
2. „Virtuosentum der bildenden Künste“: Das Münchener Künstler-Theater
a) Georg Fuchs und das Vorbild der bildenden Kunst
Visualisierung
Intimisierung
b) Theorie der Reliefbühne
Reduktion der Bühnenausstattung oder die Unmöglichkeit der Wirklichkeitsillusion
„Dekoration als Ausdruck “
Bild-Fläche und Relief-Tableau
Tableau und Sprache
c) Die Faust-Aufführung 1908 und ihre Kritiker
3. „Die Bühne als Traumbild“: Max Reinhardts Illusionstheater
a) Der Schauspieler im Mittelpunkt
b) Regie und visuelle Gestaltung
c) Neues Meiningertum
4. Der „englische Maler“ Edward Gordon Craig in Deutschland
a) Künstler, Mäzen und Public Relations
b) „Bühnenprimitivismus“
c) Ein Maler als Regisseur?
d) „...und dem Dichter wird der Craig erklärt“
Teil II. Bild-Bewegung: Theaterinszenierung als Komposition
1. Der „Maler-Regisseur“ Craig
a) Herkunft: Viktorianisches Schautheater
b) Vom Schauspieler zum Grafiker - vom Grafiker zum Regisseur
c) Ankunft: Symbolismus
2. Regie als bildende Kunst
a) Inszenierung als Illustration von Dichtung
Die Meininger
Henry Irving
b) Inszenierung ohne Dichtung: Hubert von Herkomers „Pictorial Music-Plays“
c) Inszenierung ohne Schauspieler: Craigs Werk- und Materialbegriff
3. „Argument is silenced“: Craigs Verabsolutierung der Opsis
a) „Not stories, but sights“
b) Der Einfluß des französischen Symbolismus: Craig und Maeterlinck
„ Über-Marionette“
„ Drama of silence“
4. Teile eines Ganzen: Die Materialien des Regisseurs Craig
a) „Action“: Tanz, Pantomime, Bewegung
„ The world as ballet “
Sänger als Tänzer jenseits klassischer Ballettästhetik
Pantomime asemantisch
Körper versus Design: Tänzer als „Über-Marionetten “
Mimodramen
b) „Scene“: Darstellendes Licht und Theater der Gegenstände
Bühnenlicht: Vom intimisierenden Stimmungsträger zum selbständigen Ausdruckselement
„movement of things“
c) „Voice“: Musik, Synästhesie - Stimme, Klang
Visuelle Transformationen von Musik
Musikalisierung
5. Wassily Kandinskys „Bühnencompositionen“
a) Kandinsky und die Theaterreform um 1900
b) Die Bühne als Möglichkeit einer kinetisch-synästhetischen Malerei
c) Theater als Komposition bewegter Farben, Formen und Klänge: Von Craig zu Kandinsky
d) Ausblick: Dissonanz als neue Harmonie
Teil III. Darstellende Architektur: Die Bühne als performatives Medium
1. Vom Bühnenbild zur Bühnenarchitektur
a) „Architectural revival“ im viktorianischen Schautheater
b) Monumentale Architektur: Craigs Rezeption antiker Baukunst
c) Gebaute versus gemalte Räume: Craigs Rezeption barocker Bühnenbildkunst
2. Craigs Scene: „the union of (...) Architecture, Music and Motion“
a) Die Überwindung des Anthropomorphen
Figurengruppen als bewegte stereometrische Formen im Raum
Geometrie und musikalische Proportionen als Ausdruck von Bewegung
Die menschliche Körperform als unbrauchbares Material
b) Die Konzeption der Scene
Bewegte Bühnenarchitektur als „ instrument“
Zeitgenössische Theatertechnik und traditionelle Bühne
Einheit der Gegensätze: Eine verworfene Variante der Scene
c) Bewegte Kuben als Instrument einer visuellen Musik
d) Scene - eine frühe Form der Kinetischen Kunst
3. Die kinetische Bühne der italienischen Futuristen
a) Futuristische Bühnenräume in der Nachfolge Craigs
b) Craig und der Futurismus: Bewegung versus Geschwindigkeit
4. Medienwechsel: Vom Theater zur Grafik
a) Scene als grafisches Experiment
b) „Screens“ und „cubes“ als visionäre Architektur
c) Fixierte Bewegung
d) Ausblick: Die Grafikfolge Scene als filmische Sequenz
Nachwort
Quellen und Literatur
Quellen
Primärliteratur
Sekundärliteratur
Ausstellungskataloge
Abkürzungen
Personenregister
Abbildungsnachweis
Abbildungen
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Zwischen den Künsten: Edward Gordon Craig und das Bildertheater um 1900 [Reprint 2014 ed.]
 9783050080796, 9783050037219

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Uta Grund Zwischen den Künsten

Uta Grund

Zwischen den Künsten Edward Gordon Craig und das Bildertheater um 1900

Akademie Verlag

Abbildung auf dem Einband: Edward Gordon Craig: Über-Marionette, 1908, Lithografie (Bibliotheque Nationale de France, Paris)

ISBN 3-05-003721-0

© Akademie Verlag GmbH, Berlin 2002 Das eingesetzte Papier ist alterungsbeständig nach D I N / I S O 9706. Alle Rechte, insbesondere die der Übersetzung in fremde Sprachen, vorbehalten. Kein Teil dieses Buches darf ohne schriftliche Genehmigung des Verlages in irgendeiner Form - durch Photokopie, Mikroverfilmung oder irgendein anderes Verfahren - reproduziert oder in eine von Maschinen, insbesondere Datenverarbeitungsmaschinen, verwendbare Sprache übertragen oder übersetzt werden. Einbandgestaltung: Dören + Köster, Berlin Satz: Katrin Moya Restrepo, Berlin Druck und Bindung: Druckhaus „Thomas Müntzer" GmbH, Bad Langensalza

Printed in the Federal Republic of Germany

Inhalt

Dank

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Vorwort

11

Teil I Theaterreform und bildende Kunst in Deutschland: Theorie, Praxis und zeitgenössische Rezeption

15

1. Theaterkritik: Die beständige Angst des Logos vor der Opsis a) Hörspiel versus Schauspiel: Die Meininger als Ärgernis b) Theater als Bilderzyklus? Apropos Robert Wilson

15 15 21

2. „Virtuosentum der bildenden Künste": Das Münchener Künstler-Theater a) Georg Fuchs und das Vorbild der bildenden Kunst Visualisierung Intimisierung b) Theorie der Reliefbühne Reduktion der Bühnenausstattung oder die Unmöglichkeit der Wirklichkeitsillusion „Dekoration als Ausdruck" Bild-Fläche und Relief-Tableau Tableau und Sprache c) Die Faust-Auffuhrung 1908 und ihre Kritiker

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3. „Die Bühne als Traumbild": Max Reinhardts Illusionstheater a) Der Schauspieler im Mittelpunkt b) Regie und visuelle Gestaltung c) Neues Meiningertum

52 52 55 58

4. Der „englische Maler" Edward Gordon Craig in Deutschland a) Künstler, Mäzen und Public Relations b) „Bühnenprimitivismus" c) Ein Maler als Regisseur? d) „... und dem Dichter wird der Craig erklärt"

64 64 69 70 72

26 26 26 32 34

6

Inhalt

Teil II Bild-Bewegung: Theaterinszenierung als Komposition

77

1. Der „Maler-Regisseur" Craig a) Herkunft: Viktorianisches Schautheater b) Vom Schauspieler zum Grafiker - vom Grafiker zum Regisseur c) Ankunft: Symbolismus

77 77 84 89

2. Regie als bildende Kunst a) Inszenierung als Illustration von Dichtung Die Meininger Henry Irving b) Inszenierung ohne Dichtung: Hubert von Herkomers „Pictorial Music-Plays" c) Inszenierung ohne Schauspieler: Craigs Werk- und Materialbegriff

92 92 93 95 98 105

3. „Argument is silenced": Craigs Verabsolutierung der Opsis a) „Not stories, but sights" b) Der Einfluß des französischen Symbolismus: Craig und Maeterlinck „ Uber-Marionette " „Drama of silence"

112 112 116 118 120

4. Teile eines Ganzen: Die Materialien des Regisseurs Craig a) „Action": Tanz, Pantomime, Bewegung „The worldas ballet" Sängerais Tänzer jenseits klassischer Ballettästhetik Pantomime asemantisch Körper versus Design: Tänzer als „ Üb er-Marionetten" Mimodramen b) „Scene": Darstellendes Licht und Theater der Gegenstände Bühnenlicht: Vom intimisierenden Stimmungsträger zum selbständigen Ausdruckselement „movement ofthings" c) „Voice": Musik, Synästhesie - Stimme, Klang Visuelle Transformationen von Musik Musikalisierung

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5. Wassily Kandinskys „Bühnencompositionen" a) Kandinsky und die Theaterreform um 1900 b) Die Bühne als Möglichkeit einer kinetisch-synästhetischen Malerei c) Theater als Komposition bewegter Farben, Formen und Klänge: Von Craig zu Kandinsky d) Ausblick: Dissonanz als neue Harmonie

162 162 169

143 149 152 153 159

173 186

Inhalt

Teil III Darstellende Architektur: Die Bühne als performatives Medium

1

189

1. Vom Bühnenbild zur Bühnenarchitektur a) „Architectural revival" im viktorianischen Schautheater b) Monumentale Architektur: Craigs Rezeption antiker Baukunst c) Gebaute versus gemalte Räume: Craigs Rezeption barocker Bühnenbildkunst

189 189 191 194

2. Craigs Scene: „the union of (...) Architecture, Music and Motion" a) Die Überwindung des Anthropomorphen Figurengruppen als bewegte stereometrische Formen im Raum Geometrie und musikalische Proportionen als Ausdruck von Bewegung Die menschliche Körperform als unbrauchbares Material b) Die Konzeption der Scene Bewegte Bühnenarchitektur als „Instrument" Zeitgenössische Theatertechnik und traditionelle Bühne Einheit der Gegensätze: Eine verworfene Variante der Scene c) Bewegte Kuben als Instrument einer visuellen Musik d) Scene - eine frühe Form der Kinetischen Kunst

196 196 196 198 200 202 202 204 207 208 211

3. Die kinetische Bühne der italienischen Futuristen a) Futuristische Bühnenräume in der Nachfolge Craigs b) Craig und der Futurismus: Bewegung versus Geschwindigkeit

212 212 217

4. Medienwechsel: Vom Theater zur Grafik a) Scene als grafisches Experiment b) „Screens" und „cubes" als visionäre Architektur c) Fixierte Bewegung d) Ausblick: Die Grafikfolge Scene als filmische Sequenz

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Nachwort

233

Quellen und Literatur Quellen Primärliteratur Sekundärliteratur Ausstellungskataloge

237 237 237 251 263

Abkürzungen

265

Personenregister

266

Abbildungsnachweis

270

Abbildungen

273

Dank

Diese Untersuchung wurde im Sommer 1999 am Kunsthistorischen Seminar der HumboldtUniversität Berlin als Dissertation abgeschlossen. Für die vorliegende Publikation ist der Text im Hinblick auf neuere Forschungsliteratur (bis einschließlich 2000) überarbeitet worden. In erster Linie danke ich Horst Bredekamp und Joachim Fiebach, die den Fortgang der Arbeit unermüdlich gefördert haben. Werner Busch hat freundlicherweise das dritte Gutachten übernommen. Auch ihm sei sehr herzlich gedankt. Mein Dank gilt weiterhin Jessica Boissel (Centre Pompidou, Paris), Annegret Hoberg (Lenbachhaus, München) und Nicole Laillet (Bibliotheque Nationale, Paris), die mir unbürokratisch Einsicht in nicht publiziertes Quellenmaterial gewährten. Für hilfreiche Anregungen danke ich Susanne von Falkenhausen, Wolfgang Mühl-Benninghaus und vor allem Holger Kuhla, dessen ausdauernde Diskussionsfreude so manchem meiner Gedanken auf die Sprünge half. Gedankt sei auch Gerd Giesler für die sorgfältige verlegerische Betreuung und der Deutschen Forschungsgemeinschaft, die mich im Rahmen des Mainzer Graduiertenkollegs Theater als Paradigma der Moderne mit einem Stipendium gefördert hat. Schließlich möchte ich mich bei Freunden und Bekannten herzlich bedanken, die in unterschiedlicher Weise dazu beigetragen haben, daß dieses Buch entstehen konnte: Mirko Gemmel, Bärbel Kawretzke-Hähner, Christa Hasche, Steffi Oehmke, Susanne Richter, Beate Tembridis und vor allem Tilmann von Stockhausen. Ein besonderer Dank geht an meine Eltern, denen ich dieses Buch widme. Berlin, im Frühjahr 2002

Vorwort

Seit Robert Wilson mit seinen eigenwilligen Inszenierungen international Furore macht, spricht die Theaterkritik von „Bilder-Theater" 1 und meint damit die ungewöhnliche Dominanz des Visuellen auf der Sprechtheaterbühne. Eine solche Emanzipation der Opsis 2 prägt nunmehr auch die Arbeitsweise von Regisseuren wie Achim Freyer, Jan Fabre, Robert Lepage oder Jo Fabian. Angesichts dieser Tendenz zur „Übermacht der Bilder" 3 wird in der theaterwissenschaftlichen Forschung zuweilen von einer „Renaissance des Bildnerischen" 4 seit den 1970er Jahren gesprochen. Der Begriff „Renaissance" bezieht sich hierbei auf Theaterformen, die beispielsweise zu Beginn des 20. Jahrhunderts von Wassily Kandinsky, den italienischen Futuristen und Oskar Schlemmer entwickelt wurden. Dieser historische Kontext ist im Hinblick auf das Bildertheater der 1990er Jahre bisher nur von Peter Simhandl in einer überblickshafiten Studie thematisiert worden. 5 Simhandl versucht, die verschiedenen Facetten optisch dominierter Theaterexperimente des 20. Jahrhunderts aufzuzeigen, d. h., er beginnt mit der Theaterreform um 1900 und endet bei Robert Wilson. Aufgrund dieses breiten Ansatzes gehen Simhandls Ausführungen kaum ins Detail. Zudem stehen die Konzepte der einzelnen Künstler relativ isoliert nebeneinander, so daß weder mögliche Zusammenhänge und Überschneidungen noch grundlegende Unterschiede deutlich werden. Die vorliegende Arbeit fokussiert erstmals die Ursprünge des zeitgenössischen Bildertheaters 6 , welche sich bis ins ausgehende 19. Jahrhundert zurückverfolgen lassen. 7 Das Untersuchungsfeld umfaßt einen Zeitraum von ca. fünfzig Jahren (1870-1920), in denen ein 1 Ritter 1979. 2 Den Begriff der „Opsis" verwendet Aristoteles in der Poetik, Kap. 6 (vgl. Aristoteles 1979, 28). Er verstand darunter die ausschließlich visuell wahrnehmbaren Bestandteile einer Theaterauffuhrung. In diesem Sinne definierte Lehmann 1991, 30 die Opsis als „das Gesamt der sichtbaren Auffuhrung." Damit ist klar, daß sich das hier anzusprechende Problemfeld nicht auf die Mitarbeit bildender Künstler beschränkt, die allein das Bühnenbild gestalten, sondern es geht um die visuelle Gesamtkonzeption einer Inszenierung. 3 4

Oltmanns/Tiedemann 1987, 90. Heeg 1998, 148. Vgl. auch F. Quadri, der von der „Wiederkehr des Bildlichen" spricht. (Quadri in: Quadri/Bertoni/Stearns 1997,9.) 5 Vgl. Simhandl 1993. 6 Hier wird der Begriff „Bild", soweit er im Zusammenhang mit Theater nicht gänzlich vermieden wird, im Sinne von primär optischer Wahrnehmung verstanden und kommt damit dem Terminus „Opsis" nahe. (Vgl. Anm. 2.) 7 Von einer weiterreichenden historischen Perspektivierung im Hinblick auf das Barocktheater oder auf D. Diderots Tableautheorie wird dabei abgesehen, da dies nur im Rahmen einer mehrbändigen Geschichte des Bildertheaters zu leisten wäre.

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Vorwort

grundlegender kulturhistorischer Paradigmenwechsel vonstatten ging. Als ein Symptom dieses Wandels kann die allmähliche Veränderung der Funktion und Bedeutung des Optischen auf dem Theater angesehen werden, welche im Zentrum des ersten Hauptteils steht. Im Zuge dieser Entwicklung entdeckte das Theater gegen Ende des 19. Jahrhunderts nach langen Jahren der Abstinenz erneut die bildende Kunst. Das bedeutendste Beispiel einer solchen Hinwendung zum Bildnerischen ist Herzog Georg II. von Sachsen-Meiningen, dessen Inszenierungen ab 1874 in Europa großes Aufsehen erregten. Anhand der Inszenierungsideen des Herzogs von Meiningen wird im zweiten Hauptteil u. a. gezeigt, daß die bildende Kunst bei der Ausprägung einer modernen Auffassung von Regie maßgeblichen Einfluß hatte. Die Inszenierungen des Meininger Herzogs fungierten in erster Linie als detailgetreue Illustration der jeweiligen dramatischen Dichtung, d. h., das Hauptaugenmerk des Regisseurs lag auf der möglichst genauen Reproduktion historischer Schauplätze, die vom Dramenautor vorgegeben waren. Max Reinhardts Arbeitsweise verdeutlicht indessen ab 1903 die neu gewonnene Freiheit des Regisseurs gegenüber den Vorgaben des Dichters. Eine ähnlich kreative Umsetzung des literarischen Textes kennzeichnete auch die Auffuhrungen des von Georg Fuchs 1908 gegründeten Münchener Künstler-Theaters. Von besonderem Interesse ist, daß die zeitgenössische Theaterkritik sowohl bei Reinhardt als auch hinsichtlich der Inszenierungen des Künstler-Theaters allgemein eine starke visuelle Orientierung konstatierte. Diese Beobachtung spiegelt eine grundlegende Aufwertung der Opsis und wird im ersten Hauptteil mit Hilfe der Beschreibungskategorien Visualisierung und Intimisierung untersucht. Dabei werden einerseits die verschiedenen ästhetischen Ideen und praktischen Umsetzungen exemplarisch thematisiert, andererseits soll als Nebenschauplatz auch auf die tradierten Erwartungshaltungen eingegangen werden, welche die Kritik an das Theater herantrug. Diese Erwartungshaltungen blieben, wie die Rezeption der Inszenierungen Robert Wilsons zeigen wird, das gesamte 20. Jahrhundert aktuell. Bei den Meiningern, Max Reinhardt und dem Münchener Künstler-Theater existierte das Wort, die Sprache, stets noch weitestgehend gleichberechtigt neben der aufgewerteten Opsis. Dagegen verabsolutierte der englische Grafiker, Regisseur und Bühnenbildner Edward Gordon Craig ab ca. 1903 erstmals radikal den Augensinn. In der bisherigen theaterhistorischen Forschung gilt Craig zwar als einer der bedeutendsten Erneuerer des europäischen Theaters im frühen 20. Jahrhundert, aber die Tatsache, daß er Theater primär als visuelles Medium verstanden hat, wurde bisher noch nicht im Kontext des Bildertheaters behandelt. 8 Dieser Sachverhalt steht im Zentrum der vorliegenden Studie und wird anhand zahlreicher neuer Quellen aus dem Craig-Archiv der Pariser Bibliotheque Nationale untersucht. Im zweiten Teil werden zunächst drei Faktoren hergeleitet, die Craigs Regie- und Theaterkonzeption entscheidend beeinflußt haben: Aspekte der viktorianischen Theaterkultur, des französischen Symbolismus sowie Craigs Tätigkeit als Grafiker. Ziel ist es, zu zeigen, daß der bildende Künstler und Regisseur Gordon Craig um 1900 den ersten Kulminationspunkt einer Entwicklung markiert, welche die tradierten Gattungsgrenzen zwischen den Künsten im Verlauf des 20. Jahrhunderts bis zur Unkenntlichkeit verwischt hat. Um die 8

Nur Simhandl 1993, 2 0 - 2 7 hat Craig in seine Studie zum Bildertheater des 20. Jahrhunderts einbezogen. Dennoch wird nicht klar, warum Simhandl Craig in diesen Kontext einordnet, da er die allgemeine Argumentationsrichtung der Craig-Forschung übernimmt.

Vorwort

13

Richtung dieser von Craig mitbegründeten Entwicklung genauer zu bestimmen, werden seine Ideen exemplarisch mit der zwischen 1908 und 1912 entstandenen Theaterkonzeption des Malers Wassily Kandinsky verglichen, der gemeinhin als einer der ersten Vertreter des Bildertheaters im 20. Jahrhundert gilt. Dadurch lassen sich nicht nur neue Erkenntnisse über Craig gewinnen, sondern auch über Kandinsky, dessen Theatertheorie in der bisherigen Forschung zumeist isoliert diskutiert wurde, d. h. ohne seine Ideen fundiert in den theaterhistorischen Kontext einzuordnen.9 Während Kandinsky beim Entwerfen seiner Bühnenkompositionen der Jahre 19081914 stets den menschlichen Darsteller mitgedacht hat, entwickelte Craig bereits 1907 die Idee eines architektonischen Bühnenraumes, aus dem der Schauspieler ausgeschlossen bleiben sollte. In seinem Entwurf der Scene wird die Bühnenarchitektur zum autonomen szenischen Ausdrucksträger - eine Idee, die sich ab 1915 in der futuristischen Theatertheorie und -praxis wiederfindet. Diese Zusammenhänge werden im letzten Teil der vorliegenden Studie thematisiert. Craigs visionäre Vorstellungen eines Theaters bewegter architektonischer Formen waren jedoch in letzter Konsequenz nicht adäquat auf der Bühne realisierbar, sondern viel eher im Rahmen einer Grafikfolge, wie abschließend gezeigt wird. An diesem Punkt ging Craigs Theatertheorie gänzlich in einer Sequenz von Bildern auf und verweist damit auf die bewegten Bilder des Stummfilms. Nachfolgend wird erstmals der Versuch unternommen, eine in weiten Teilen theaterhistorische Materie aus kunsthistorischer Perspektive zu untersuchen. Dies meint, daß es in erster Linie um visuelle Erscheinungsformen von Theater gehen wird, welche die Kunstgeschichtsschreibung bislang nicht interessiert haben. Insofern versteht sich die vorliegende Arbeit als interdisziplinärer Beitrag zur Kunst- und Theatergeschichte um 1900 und begibt sich damit in das zuweilen konfliktgeladene Spannungsfeld zwischen den Wissenschaften.

9 Zum Stand der Kandinsky-Forschung im Hinblick auf dessen Theatertheorie vgl. Teil II, Kap. 5 a, c der vorliegenden Arbeit. Generell werden die jeweiligen Forschungsdiskussionen, soweit vorhanden, an den entsprechenden Stellen im Text besprochen.

Teil I Theaterreform und bildende Kunst in Deutschland: Theorie, Praxis und zeitgenössische Rezeption Die Generation, welche die Epoche trägt, hat sich gegen die frühere umgestellt in bezug auf den Sinn des Auges. Hugo von Hofmannsthal, 1918 Aber nun wäre es Zeit, wieder einmal Lessings „Laokoon" hervorzuholen und die verwischten Grenzen zwischen Malerei und Poesie auf der Bühne herzustellen. Herbert Eulenberg, 19102

1. Theaterkritik: Die beständige Angst des Logos vor der Opsis a) Hörspiel versus Schauspiel: Die Meininger als Ärgernis Seit der Aufklärung wurde in Deutschland unter Theater primär die „äußere Exekution des dramatischen Kunstwerks"3 verstanden, wie man bei Georg Wilhelm Friedrich Hegel in seinen Vorlesungen über die Ästhetik nachlesen kann. Auf der Bühne „bedient sich (...) die dramatische Poesie (...) jener Schwesterkünste nur als einer sinnlichen Grundlage und Umgebung, aus welcher sich das poetische Wort als der hervorstechende Mittelpunkt, um den es eigentlich zu tun ist, in freier Herrschaft heraushebt".4 Das gesprochene Wort der Dichtung galt demnach mehr als das Gesamtbild der Inszenierung, die Opsis. Entsprechend wurde Theater vorzugsweise als auditive, nicht als visuelle Kunstform begriffen, und es war der gesprochene Dialog, den Hegel als das „eigentlich Dramatische"5 definierte. Der literarisch vorgefertigte Dialog als „ A u s s p r e c h e n der Individuen in dem Kampf ihrer Interessen"6 avancierte damit zur allgemeingültigen Definition von Theater schlechthin.7 Dieses seit Ende des 18. Jahrhunderts vorherrschende Literaturtheater8 war Ausdruck eines Verständnisses von (Theater-)Hochkultur, die das Visuelle gegenüber dem Sprachlichen deutlich als minderwertige Kommunikationsform verstand, denn nach Hegel sei „die Rede allein das der

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Hofmannsthal 1918,253. Eulenberg 1910, 118. Hegel 1993, 504. Ebd., 505. Ebd., 491. Ebd. Vgl. auch Szondi 1965, 14ff. Vgl. u. a. ebd., 9 - 1 9 ; Bayerdörfer 1995, 250ff. Zur Literarisierung des Theaters seit der Aufklärung vgl. Graf 1992; Fischer-Lichte 1993, 88-98.

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I. Theaterreform und bildende Kunst in Deutschland

Exposition des Geistes würdige Element". 9 Der Gesichtssinn hingegen war mit dem Makel behaftet, jener „Exposition des Geistes" nicht annähernd Genüge leisten zu können. 10 Das tradierte Mißtrauen gegen die Opsis auf dem Theater erlangte in Deutschland mit dem Aufkommen der privaten Geschäftstheater ab 1869 eine neue Aktualität, denn die hier gezeigten Feerien, Zauberpossen und Ausstattungsstücke waren nahezu ausschließlich visuell orientiert." So berichtet die Vossische Zeitung über die im Berliner Victoria-Theater gezeigte Feerie Faust und die schöne Helena im Jahre 1873: „Der zauberhafte Reiz (...) liegt wiederum in der decorativen Ausstattung (...). Der Inhalt selbst (...) bleibt gewohntermaßen ein völlig Gleichgültiges und Nebensächliches. Der Text hat keinen anderen Zweck, als den 12 Bildern der Feerie eine wenn auch noch so lose und lockere Verbindung zu geben". 12 Der Verweis darauf, daß bei dieser Theaterform gewohntermaßen der Inhalt hinter dem Übermaß an Ausstattung zurücktrat, spiegelt das allgemeine Urteil der Theaterkritik, wonach das Ausstattungsstück stets nur einen „Cyclus von schönen (lebenden) Bildern" 13 zeige, welcher generell dem Anspruch einer intellektuell gehobenen Theaterunterhaltung nicht gerecht werden könne. Wo das Visuelle, die Opsis, vorherrsche, sei das vernünftige Denken, der Logos, weitestgehend ausgeschaltet. Theodor Alt z. B. folgte diesem Argumentationsschema, indem er 1888 schreibt, daß es sich bei einem Stück, dessen „Wirkung von vornherein auf Wirkung durch die räumliche Erscheinung" angelegt sei, „lediglich um Amüsement, aber nicht um einen geistigen Genuss" handeln könne. Der „höhere ästhetische Genuss" 14 bleibe allein dem literarischen Drama vorbehalten. Ein maßgeblicher Impuls für diese gängige Einschätzung war die Tatsache, daß die Vergnügungs- und Geschäftstheater nicht nur eine intellektuelle Oberschicht, sondern vor allem ein breites, zum Großteil weniger gebildetes Publikum ansprachen. 15 „Die große Zahl des Publikums", beklagt Otto Brahm im Jahre 1913 rückblickend, „suchte im Theater seichten Genuss und Zerstreuung, aber nicht mehr anspruchsvolle Kunst." 16 In der Folge entwickelte sich in der Theaterkritik eine Kopplung der Vorstellung von ,,seichte[m] Genuss", unteren Bevölkerungsschichten und visuell ausgerichteten Theaterformen, denn diese bereiteten vor allem den mehr „Schaulustigen als Verständnisvollen wahres Vergnügen". 17 Diese Idee von der dominanten Schaulust des Massenpublikums im Gegensatz zur literarisch gebildeten Elite kulminierte u. a. in Gustave Le Bons berühmter Schrift Psychologie des Foules, die 1911 erstmals in deutscher Übersetzung erschien: „Die Massen können nur in Bildern denken und lassen sich nur durch Bilder beeinflussen. Nur diese schrecken oder verführen sie und werden zu Ursachen ihrer Taten." 18 In dieser Aussage sind zwei Aspekte evident. Zum einen deutet Le Bon das Medium Bild gewissermaßen als, wie es später Ralf Konersmann

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Hegel 1993,474. Zum philosophischen Hintergrund dieses Gedankens seit Piaton vgl. Konersmann 1997. Ab 1869 gab es eine Gewerbefreiheit für Theater in Deutschland. Vgl. Klis 1980; Jansen 1990, 64ff. Vossische Zeitung \om 23. 1. 1873. Alt 1888, 135. Ebd. Vgl. Klis 1980,38-69. Brahm 1913,448. Genee 1889, 69. Le Bon 1911,44. Die französische Ausgabe erschien bereits 1895.

I. 1. Theaterkritik: Die beständige Angst des Logos vor der Opsis

17

ausdrückt, „Narkotikum"19, welches die kritische Distanz des Logos ausschalte und dadurch unreflektiert beeinflussen könne. Desweiteren impliziert Le Bons Aussage, daß Bilder vor allem der trivialen Massenunterhaltung dienen, eine Position, die in Deutschland ab 1908 schließlich auch die Debatte um die bewegten Bilder des Stummfilms bestimmt hat. Ein Kritiker schreibt beispielsweise 1911: „Volksbelustigungen werden stets die Geschmackskundgebung der Masse bedeuten. (...) Das haben die alten Jahrmarktsfeste getan - und das tut heute der Kinematograph. Kino ist nun der Unterhalter der breiten Volksschichten. (...) Dieser Abklatsch der nackten Wirklichkeit, diese brutale Bildreporterei".20 Neben der sich hierin andeutenden Ablehnung des fotografischen Realismus der Filmbilder wurde ein weiteres Defizit besonders häufig thematisiert: die fehlende Verbalsprache. Nur das Wort könne demnach höheren intellektuellen und künstlerischen Ansprüchen genügen, wie Moritz Heimann 1913 in seiner Polemik gegen den Kinematographen-Unfug nahelegt: „Der Hall, der aus dem Munde fährt, ist Träger der Botschaft von Seele zu Seele. Das Wort, die Sprache ist zugleich Zeugnis und schöpferisches Element des höheren Gemeinsinns, der zwischen den Menschen waltet. Im Wesen und in der Wirkung erfahrt das Drama durch das Wort die Vergeistigung."21 Diese tradierte logozentristische Weltsicht, welche sich ausschließlich an der Wortsprache orientiert, kritisierte in den 1920er Jahren wohl erstmals in aller Schärfe der Filmtheoretiker Bela Baläzs: „Nicht reden bedeutet noch nicht, daß man nichts zu sagen hat. Wer nicht spricht, kann angefüllt sein mit Erlebnissen, die nur in Formen, in Bildern, durch Mienenspiel und Bewegung ausgedrückt werden können. Denn ein Mensch der visuellen Kultur wird durch seine Gesten nicht Worte ersetzen. (...) Seine Gesten bedeuten Begriffe und Empfindungen, die durch Worte überhaupt nicht ausgedrückt werden können. Sie stellen innere Erlebnisse dar (nicht rationale Gedanken), die auch dann unausgesprochen geblieben wären, wenn der Mensch alles, was mit Worten gesagt werden kann, bereits gesagt hätte."22 Die Kontroverse um Sinn und Wirkung des Kinos ab 1908 war letztlich nur Ausläufer und zugleich Kulmination einer Diskussion, die bereits viel früher im Hinblick auf das Theater eingesetzt hatte: Als das Meininger Hoftheater erstmals im Jahre 1874 ein Gastspiel mit Shakespeares Julius Cäsar in Berlin gab, ging ein Aufschrei durch die Presse, weil man „eine Art der Darstellung wie diese" auf deutschen Bühnen „noch nicht gesehen" hatte.23 Das Erstaunen bezog sich in erster Linie auf den ungewohnt konsequent arrangierten historischen Realismus dieser Inszenierung. Jedes Detail der Bühnenausstattung - vom gemalten Bühnenbild über die Kostüme bis zum geringfügigsten Accessoires - hatte Herzog Georg II. von Sachsen-Meiningen im Interesse einer exakten Wiedergabe der jeweiligen historischen Schauplätze für die Bühne nachbilden lassen und genauestens aufeinander abge-

19

Konersmann 1997, 39. Konersmann verweist auf Parallelen der Bildkritik zur Religionskritik: „Bild und Religion trifft derselbe Verdacht. ( . . . ) Wie die Religion, so soll auch das Bild ein Narkotikum sein, 'Opium fürs Volk'."

20

F. Pfemfert: Kino als Erzieher. 1911. (Neuabdruck in: Kaes 1978, 5 9 - 6 2 , hier: 61.) Vgl. weiterführend ebd.; Mühl-Benninghaus 1997, 172-180.

21 22

M. Heimann: Der Kinematographen-Unfug. Baläzs 1 9 2 4 , 2 3 .

23

Theater Moniteur

1913. (Neuabdruck in: Kaes 1978, 7 7 - 8 1 , hier: 78.)

vom 3. 5. 1874. (Zitiert nach Hahm 1970, 19.)

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I. Theaterreform und bildende Kunst in Deutschland

stimmt. 24 Da die Meininger vorrangig Dramen von klassischen Bühnenautoren, wie z. B. Shakespeare, Schiller und Kleist, zur Auffuhrung brachten, beanspruchten sie damit in der Nachfolge Franz von Dingelstedts 25 für die rational anspruchsvolle, weil literarisch orientierte Hochkunst des deutschen Theaters eine neuartige Betonung der Opsis (Abb. 1). Das von den Meiningern erstmals vorgeführte perfekte Zusammenspiel aller visuellen Komponenten stand geradezu in krassem Gegensatz zur damaligen Auffuhrungspraxis des literarischen Bildungstheaters. Während beispielsweise die Meininger in z. T. jahrelanger Probenarbeit jeden Bühnenvorgang als Gesamtbild gewissenhaft einstudierten, waren hier die Probenzeiträume meist zu kurz, um eine angemessene Ensembleleistung zu erreichen. So wurden die Proben in der Regel nicht „vor, d. h. mit voller Berücksichtigung der Dekoration abgehalten" bzw. die Dekoration wurde „nicht ebenso vorher probiert wie das Stück selbst". 26 Auch war es bis in die späten 1880er Jahre allgemein üblich, daß Schauspieler ihre Kostüme selbst stellen mußten, was eine zufallig zusammengewürfelte optische Vielfalt erzeugte, da sich die Darsteller entsprechend ihrer eigenen Vorstellungen, Eitelkeiten und fnanziellen Mittel kleideten. 27 Für die Bühnendekoration gab es in den Theatern einen Generalfundus, der eine Anzahl von gemalten Typendekorationen, bestehend aus Bühnenprospekten und Kulissen, beinhaltete, die beliebig in den unterschiedlichsten Stücken als „wilder" oder „offener" Wald, „Rittersaal", „altdeutsche" oder „moderne" Stadt eingesetzt wurden. 28 Julius Bab schildert 1928 den allgemeinen Zustand der Bühnenausstattung in Deutschland vor dem Auftreten der Meininger: „Man hatte sich auf dem dramatischen Theater so ziemlich an einen Schauplatz gewöhnt, der auf alle Fälle in der Mitte ein großes, leeres Viereck zeigte, das von irgendwelchen Kulissen, Landschaft oder Zimmer andeutend, umsäumt, eben den Ort des Spieles angab." 29 „Vergegenwärtigt man sich die Stellung des Dekorativen im früheren Theater," schreibt der Dramaturg Heinz Herald 1915, „so muß man sagen, daß es sie im künstlerischen Sinne überhaupt nicht gab. Man kann darüber aus der Anschauung sprechen, denn diese Theaterart ist heute noch an hundert Orten anzutreffen (...). Jenes Theater stellte dar, aber wie mit einem Lächeln: die Dekoration ist nicht ernst gemeint, schaut, bitte, nur auf die Schauspieler." 30 Ausschlaggebend war die Deklamation der Schauspielervirtuosen, deren Darstellung vor allem auf sprachlicher und stimmlicher Gestaltung beruhte. „Die Kunst der Rede" galt allgemein als „Grundlage aller Schau24 25

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Vgl. die Standarduntersuchungen zu den Meiningern: Grube 1926; Jansen 1948; Hahm 1970; Osborne 1980; Hoffmeier 1988. Vgl. auch Bab 1928, 15-30; Fischer-Lichte 1993, 217-235. Der Regisseur und spätere Burgtheaterdirektor F. von Dingelstedt (1814-1881) bemühte sich bereits seit Mitte der 1860er Jahre um eine optische Aufwertung von Klassikerinszenierungen. Vgl. u. a. Röhrig 1979, 28f.; Hahm 1970, passim. Deiters 1904, 322. Vgl. auch Eulenberg, der noch 1906 diese vor allem für Provinzbühnen typische Theaterpraxis kritisiert. So schreibt Eulenberg 1906, 27, „daß die Klassikervorstellungen schnell herausgeworfen werden, d. h. in ein paar Proben einstudiert und dann mit mangelhaften Kostümen und meist direkt schlechten Dekorationen aufgeführt". Vgl. Baum 1996, 83-86. Vgl. auch die Erinnerungen E. von Wintersteins 1982, 44-39; Zabel 1911, 7. K. Raupp kritisiert diese Gepflogenheit noch 1904: „Auch die Kostümierung des Chores, der Volksmassen, welche auf der Bühne zu erscheinen haben, sollte mit der Dekoration, ganz besonders der Landschaft immer zusammen gedacht sein, um ein einheitliches Bild zu geben." (Raupp 1904, 328.) Vgl. Grube 1926, 20. Zur Situation des Theaters vor den Meiningern vgl. auch Hahm 1970, 7-17. Bab 1928,21. Herald 1915, 124f.

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spielkunst." 31 Dies verdeutlicht die primäre Bedeutung der Dramenliteratur, auf deren pathetisch modulierte Rezitation man besonderen Wert legte. Die Klassiker wurden, wie es ein Kritiker 1913 ausdrückt, „referiert", und das Gesamtbild der Aufführung trat in der Regel gar nicht ins Bewußtsein der Zuschauer, denn man „hatte sich (...) in Deutschland daran gewöhnt, nur dem gerade Sprechenden seine Aufmerksamkeit zuzuwenden." 32 Theater war somit nicht nur in der Theorie, sondern auch in der Bühnenpraxis des 19. Jahrhunderts vorrangig eine auditive Angelegenheit: Man „hörte die Stücke, aber hatte völlig darauf verzichtet sie zu sehen". 33 Bei der Julius Cäsar-Aufführung der Meininger 1874 war das Publikum nun genötigt, auch im anspruchsvollen Theater zu schauen. Man sah „die Engelsburg von außen, die Sixtinische Kapelle von innen und gar das Conclave selbst mit allem geistlichen Pomp und der Fülle priesterlicher Erscheinungen! Auf den Straßen Bürger und Bauern, Räuber und Sbirren, Aufläufe und Prozessionen, in den Palästen adlige Pracht." 34 Zahlreiche Kritiker bemängelten dieses ungewohnte Aufgebot an Ausstattung, Aufzügen und pantomimischen Einlagen als „Äußerlichkeiten" 35 bzw. als „Hypertrophie des Nebensächlichen" 36 , weil sie vom gesprochenen dramatischen Dialog ablenkten, der in den herkömmlichen Theaterauffuhrungen stets im Zentrum der Aufmerksamkeit gestanden hatte. „Kaum daß sich zwei Bürgersleute auf der Bühne unterreden wollen, so geht gleich hinter ihnen ein Marktgewühl los, das mich fortwährend wider Willen von der Wichtigkeit des Dialogs ablenkt." 37 Diese Kritik meint nicht nur den Lärm, der nicht selten aufgrund der z. T. großen Masse sich bewegender Statisten entstand, sondern beschreibt auch jene perzeptive Irritation, die eintrat, weil ungewohnt viele optisch wahrnehmbare Vorgänge und Eindrücke simultan auf den Zuschauer einwirkten. Paul Lindau charakterisiert diese Verwirrung 1879 als Folge der langwierigen Veraachläßigung des Augensinns: „Die Dürftigkeit, die Unkenntnis und die Geschmacklosigkeit, die bisher an den meisten deutschen Bühnen den Rahmen für die Dichtung geschaffen, haben uns verwahrlost, sagt man. Wir haben uns daran gewöhnt, im Theater elenden Kram zu sehen, oder vielmehr: wir haben uns des Sehens ganz entwöhnt. Deshalb frappiren uns jetzt der Reichthum, die Kenntnis und der Geschmack, wie sie aus den Meininger Aufführungen zu uns sprechen, und wir schenken dem Sehenswerten eine zu große Aufmerksamkeit. Der Fehler liegt also nicht an den Meiningern, sondern an uns, nicht an dem Überwuchern der schönen Äußerlichkeit, sondern an unserer ungenügsamen Schulung, diese Äußerlichkeit schnell zu fassen." 38 Diese Einsicht war nicht unbedingt verbreitet, denn es überwog allgemein die Meinung, daß Theater als intellektuelles Hörerlebnis mit Visualität wenig zu tun habe. „Man hat oft das

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Goldmann 1910, 27. Vgl. auch Hegel 1993, 510ff. Zur deklamatorischen Spielweise bis ca. 1900 vgl. Baum 1996, 103-107; Grube 1926, 19f. Gaehde 1913, 95. Zabel 1911,8. Hopfen 1874. (Neuabdruck in: Osborne 1980, 63-72, hier: 67.) Vgl. z . B . Genee 1887,56. Hopfen 1874. (Neuabdruck in: Osborne 1980, 63-72, hier: 69.) Ebd., 66. Lindau 1879, 140.

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Gefühl," schreibt ein Kritiker 1911, „daß die Meininger eigentlich nur für taube Menschen spielen." 39 Diese diskriminierende Einschätzung des Augensinns gegenüber dem favorisierten Wahrnehmungsorgan Ohr findet sich wieder in der Kino-Debatte. So argumentiert Moritz Heimann 1913, daß der Film vor allem für „Taubstumme" relevant sei, nicht aber für den „vollsinnigen Menschen". 40 Hier war allerdings die Sprache tatsächlich (zunächst) zugunsten des Bildes aufgegeben, während die Meininger dem literarischen Text stets verbunden blieben. Indem jedoch die Übermacht des Optischen von den Kritikern der Meininger Inszenierungen so vehement beklagt wurde, weil sie die „Aufmerksamkeit des Hörers" 4 ' offenbar nachhaltig beeinträchtigte, bestätigte sich ungewollt eine These, die bereits bei Horaz in der Ars Poetica nachzulesen ist: „Doch Gehörtes ergreift das Gemüt nur allmählich, anders als das, was das zuverlässige Auge vermittelt." 42 In der überwältigenden Dominanz optischer Reize bei den Meiningern sah die literarisch orientierte Kritik das Theater um seine inhaltliche Substanz beraubt: „Die Dichtung selber hat nicht mehr Werth als den eines gefälligen Kleiderständers, an dem ein archäologischer Liebhaber seine Merkwürdigkeiten aufhängen kann. (...) Das ist keine Tragödie mehr, sondern ein Ausstattungsstück." 43 Mit diesem Begriff war ein entscheidender Verdacht geäußert, den viele Kritiker teilten, denn die klassischen Dramen schienen Gefahr zu laufen, auf das Niveau der seichten Ausstattungspossen abgewertet zu werden. So erging der Vorwurf, daß die Meininger Inszenierungen vor allem auf „naive Gemüter" 44 gewirkt hätten. Es war folglich die „gemeine" oder „platte Schaulust" 45 der breiten Masse, die man nun auch im literarischen Theater aufkommen sah. „Ich will eine Dichtung genießen, und ihr kommt mir mit reichen Kleiderstoffen und angepinselter Leinwand; ich will mich am warmen Atem eines Künstlers ergötzen, und ihr werft mir ganze Rotten gestikulierender, sumsender und schreiender Statisten entgegen; ich will gerührt, erbaut, erschüttert sein, und statt dessen macht man mich zum geblendeten, verblüfften und bestürzten Maulaffen." 46 Der Inhalt schien demnach von der Ausstattung überlagert und entwertet zu sein: Die Opsis narkotisierte den Logos. Das Resümee lautete daraufhin in der Regel: „Zwar bereichert durch sinnliche Anschauung, aber innerlich nicht erbaut, kehren wir zurück zur echten Kunst." 47 Da eine „innerliche", intellektuelle Erbauung nur im Bereich des Sprachlich-Literarischen vorstellbar war, wurde die Dichtung als eigentliche Bestimmung der Theaterkunst nachdrücklich eingeklagt. Viele Kritiker erahnten „für die Zukunft die Gefahr der zu scharfen Betonung der ersten Silbe im Worte Schauspiel, fürchtete[n], daß man auf dem hier eingeschlagenen Wege schließlich doch dazu kommen könne, aus dem Drama eine Reihe von

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Speidel 1911, 91. M. Heimann: Der Kinematographen-Unfiig. 1913. (Neuabdruck in: Kaes 1978, 77-81, hier: 79.) Speidel 1911,91. Horatius 1961, 25, Vers 180-183. Hopfen 1874. (Neuabdruck in: Osborne 1980, 63-72, hier: 67.) Gaehde 1913, 96. Hopfen 1874 (Neuabdruck in: Osborne 1980, 63-72, hier: 69); vgl. auch Blumenthal 1885, 336; Genee 1889, 56-78; Fischer-Lichte 1993, 217-235, hier: 225f. Speidel 1911, 61f. Ebd., 91.

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malerisch-schönen Bildern mit unterlegtem und verbindendem Text zu machen."48 Diese Sorge der literarisch orientierten Kritik war in der Tat berechtigt.

b) Theater als Bilderzyklus? Apropos Robert Wilson Im Jahre 1906 veröffentlichte der Hannoversche Courier einen Artikel mit dem Titel Theater und Malerei, in dem der Verfasser eine eindringliche Warnung ausspricht: „Unseren Bühnen droht, wie mir scheint, eine beachtenswerte Gefahr. Die Maler wollen sich des Theaters bemächtigen. (...) Aus einer helfenden Stellung im Dienste der dramatischen Kunst wollen die Maler in stürmischem Anlauf sich gegenwärtig zu ihren Herren erheben. Um eine Berechtigung dafür zu finden, hat man in Kreisen der bildenden Künstler und derer, die ihnen nahe stehen, eine völlig neue Definition der dramatischen Kunst ersonnen. Man findet sie am klarsten (...) in einer Veröffentlichung ausgesprochen, die den geistvollen Münchener Kritiker für bildende Kunst, Georg Fuchs, zum Verfasser hat. (...) Ungefähr gleichzeitig erschien die ,Kunst des Theaters' von dem englischen Maler E. Gordon Craig (...) und beide Schriften lassen keinen Zweifel daran, was man für unsere Theater plant."49 Der Autor reflektiert hier eine Entwicklung, die im Rahmen der Kunstgewerbebewegung seit Ende des 19. Jahrhunderts ein neues Interesse von renommierten bildenden Künstlern für das Theater nach sich zog. In Deutschland gingen diese Impulse von Peter Behrens, Georg Fuchs und Joseph M. Olbrich aus, deren erste Inszenierungen zu den Festspielen der Darmstädter Künstlerkolonie 1901 aufgeführt wurden.50 Die in den folgenden Jahren verstärkt einsetzende Mitarbeit von bildenden Künstlern am Theater veränderte nicht nur die Vorstellung von Bühnendekoration, sondern auch die vom Beruf des Bühnenmalers. Der Kritiker Herbert Eulenberg beschreibt diesen Wandel im Jahre 1910: „Früher mußten die Theatermaler einfach hinpinseln und hinbesen, was sie ,in Kommission' bekamen, und ihr Beruf war völlig konventionell und unschöpferisch geworden. Heute ist diese Zeit der Knechtschaft und Unpersönlichkeit für den Theatermaler so gänzlich vorbei (...). Die einstigen Heloten sind zu Herren der Bühne geworden".51 Mit der verstärkten Einmischung von bildenden Künstlern in den Bereich des Theaters erlangte die seit den Meiningern andauernde Diskussion um die Bedeutung des Optischen auf der Bühne eine neue Qualität. So gab es in den Jahren 1905-1920 eine Flut von Programmschriften und Zeitungsbeiträgen, die nicht selten in der eingangs zitierten Zuspitzung vor einer bevorstehenden Übernahme des Theaters durch die bildende Kunst, also vor dem Primat des Visuellen gegenüber dem Wort, warnten, weil dies dem „Verfall der Theaterkunst"52 gleichkäme. Die Protagonisten, welche um 1900 diese Kontroverse über die „Bühnen-Invasion der bildenden Künstler"53 theoretisch bzw. durch ihre praktische Theaterarbeit

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Lindau 1917,327. Kohlrausch 1906. Vgl. Boehe 1968; Trübsbach 1969. Eulenberg 1910, 117. Ebd., 114. Oberländer 1909, 3.

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ausgelöst hatten, waren neben dem Kunst- und Literaturessayisten Georg Fuchs und dem Regisseur Max Reinhardt vor allem der englische „Maler-Regisseur" 54 Edward Gordon Craig, der im Oktober 1904 nach Deutschland gekommen war. Anläßlich der ersten Auffuhrungen des von Georg Fuchs gegründeten Münchener Künstler-Theaters erreichte dieser Disput - zeitgleich mit dem Einsetzen der Kino-Debatte 55 - im Jahre 1908 einen Höhepunkt. Die im folgenden dargestellte zeitgenössische Rezeption des Münchener KünstlerTheaters, der Inszenierungen Max Reinhardts sowie der Publikationen und Ausstellungen Edward Gordon Craigs in Deutschland zeigt die Tendenz einer versuchten Grenzziehung zwischen bildender Kunst und Bühne unter der Prämisse, daß Theater beharrlich aus der Perspektive des literarisch Dramatischen betrachtet wurde. Interessanterweise flammte diese Diskussion im Laufe des 20. Jahrhunderts periodisch wieder auf. In den 1960er Jahren beispielsweise erschien anläßlich der Ausstellung Bild und Bühne, welche u. a. die Theaterarbeit Oskar Schlemmers wiederentdeckte, ein Artikel des renommierten Theaterwissenschaftlers und -kritikers Siegfried Melchinger mit dem Titel Integration des Theaters in die bildende Kunst?, in dem es heißt: „Der Erfindungsmöglichkeit des bildenden Künstlers ist im Theater eine unverrückbare Grenze gesetzt durch den Geist, der sich im Wort ausdrückt und verständlich macht. Daß sich der Geist auch in visuellen Formen manifestiert, soll nicht bestritten werden. Aber das Theater, als eine öffentliche Institution, in der einige lebende Menschen vielen lebenden Menschen etwas vorspielen, ist auf Verstehen angewiesen, auf Logos und alles, was darum kreist: Rationalität, Sinn, Dialog, Drama. (...) Denn es kommt darauf an, daß das Optische auf der Bühne weder den Menschen noch das Wort brutalisiert. Diese Brutalisierung, die wir auch Dehumanisierung nennen könnten, sollte keine Chance in unserem Theater haben." 56 Die 1965 von Melchinger mit dogmatischer Eindringlichkeit vorgetragene Verteidigung des Literaturtheaters, welche der Kritik im Hannoverschen Courier aus dem Jahre 1906 in keiner Weise nachsteht, verdeutlicht einen normativen, logozentristisch geprägten Theaterbegriff, der die Verabredung „Theater" innerhalb eines institutionalisierten Theatergebäudes an jene tradierte Hegeische Erwartungshaltung knüpft, daß ein möglichst dialogisch aufgebautes und damit textzentriertes Schauspielertheater gegeben wird. Für diese Theaterauffassung ist kennzeichnend, daß handelnde Menschen im Mittelpunkt stehen, die miteinander kommunizieren. Es gehe demnach auf der Bühne primär um das Ausagieren zwischenmenschlicher Beziehungen und Konflikte. Hegel hat diesen Aspekt wie folgt formuliert: „Das eigentlich sinnliche Material der dramatischen Poesie ist (...) nicht nur die menschliche Stimme und das gesprochene Wort, sondern der ganze Mensch, der nicht nur Empfindungen, Vorstellungen und Gedanken äußert, sondern, in eine konkrete Handlung verflochten, seinem totalen Dasein nach auf die Vorstellungen, Vor-

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Hofmannsthal 1923, 297. Zur sog. Kino-Debatte vgl. Kaes 1978. Melchinger 1965, 34.

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sätze, das Tun und Benehmen anderer wirkt und ähnliche Rückwirkungen erfahrt, oder sich dagegen behauptet." 57 Hegels dramentheoretisches Paradigma der lebenden Menschen bestimmte auch den Theaterbegriff Melchingers. Insofern scheint es folgerichtig, daß Theaterkonzepte kritisiert wurden, welche diesem Grundsatz nicht entsprachen. Ein solches Festhalten an tradierten Normen erschwerte jedoch, neuartige und ungewohnte Darstellungsformen auf dem Theater als Theater zu akzeptieren. Dieser Aspekt prägte auch die Kontroverse um Robert Wilsons erste deutsche Inszenierung Death Destruction & Detroit (DD&D) im Jahre 1979 an der Berliner Schaubühne, die sich in letzter Konsequenz um die Frage rankt, ob diese pantomimischen, tänzerischen und lichttechnischen „Bühnenmalereien" 58 überhaupt der Kunstform „Theater" zuzurechnen seien. So überlegt Christoph Müller, Kritiker bei der Ulmer Südwest-Presse, ob es sich hierbei um „bluffendes modisches Luxuskunstgewerbe oder höchste Sensibilisierungskunst" handele und kommt zu dem Schluß, daß Wilsons „frei assoziierendes Spiel mit dem Medium Theater (...) eher der bildenden Kunst zugehörig" sei, „als den herkömmlichen Vorstellungen von Theaterhandlung." 59 Selbst den zahlreichen Kritiken, die durchaus begeistert über Wilsons „Bilderrätsel" 60 berichten, ist diese Fragestellung immanent, denn die „Verweigerung jeglicher literarischer Ebenen" 61 irritierte nachhaltig. Vor allem verdeutlichen die Kritiken zu DD&D, daß die deutsche Theaterkritik im Umgang mit der visuell angelegten Struktur außersprachlicher (Theater-)Bilder zu diesem Zeitpunkt gänzlich überfordert war, denn sie mußten, wie zumindest festgestellt wurde, auch „primär vom Visuellen her begriffen" 62 werden. Diese Ratlosigkeit haben Piet Oltmanns und Kathrin Tiedemann noch 1987 anhand von fünfundzwanzig Kritiken zu Wilsons Hamburger Inszenierung von Heiner Müllers Hamletmaschine nachgewiesen, indem sie ihre eingangs gestellte Frage „Haben Theaterkritiker einen Bildbegriff?" eindeutig verneinen. 63 Dieser Aspekt tritt bei den fast zehn Jahre früheren Kritiken zu DD&D in einer z. T. extremen Verweigerungshaltung zutage, indem, nach Erklärungen für diesen „Aberwitz (...) der entfesselten Bilder" 64 suchend, auf Stefan Brechts Wilson-Monographie von 1978 verwiesen wird. Brecht führt Wilsons Hang zum Bildlichen auf dessen ursprüngliche Sprachschwierigkeiten zurück, und als Ursache hierfür gibt er an, daß bei Wilson die rechte Gehirnhälfte dominat sei, welche die sinnlich

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Hegel 1993, 506. Vgl. auch Freytag 1905, 93. Ignee 1979. Müller 1979. Vgl. auch K. Wolfsjäger, die von einem „Handikap dieses vom Autor inszenierten AntiTheater-Projektes" spricht (Wolfsjäger 1979). H. Hagenbach verweist in Abgrenzung zu Wilson auf die früheren Schaubühnen-Erfolge: „Da bekommt man eben doch ,'Theater' zu sehen." (Hagenbach 1979.) Vgl. auch die Kritik von W. Ignee, der Wilsons DD&D mit seiner früheren Inszenierung Einstein on the Beach (1976) vergleicht und feststellt, daß DD&D aufgrund größerer Anteile von eingesetzter Verbalsprache „sich wieder stärker aufs Theater zuzubewegen" scheine, und dadurch „nun offenbar ,mehr' Theater werden will." (Ignee 1979.) Henrichs 1979. Kulenkampf 1979. Kotschenreuther 1979. Vgl. Oltmanns/Tiedemann 1987. Kotschenreuther 1979.

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konkrete Wahrnehmung repräsentiere. 65 Dieser Gedanke einer pathologisch begründeten Vernachlässigung des abstrakt Sprachlichen zugunsten des sinnlich Bildhaften ist gewissermaßen der hirnphysiologisch untermauerte Höhepunkt aller Diskussionen um das Visuelle auf dem Theater seit Ende des 19. Jahrhunderts. Der Kölner Theaterwissenschaftler Elmar Buck brachte diese verbreitete Sichtweise im Jahre 1983 kritisch auf eine einfache Formel: „Wer in Bildern .denkt' muß krank sein zumindest ist er nicht ganz normal. Damit ist das Theater wieder in Ordnung." 66 Der letzte Satz ist von besonderer Bedeutung: Das Bildertheater des „Analphabeten] und NonReader[s]" Wilson, wie es Peter Iden 1979 ausdrückt, wurde gewissermaßen als Affront gegen das Theater schlechthin begriffen, denn es „kann kein Theater geben ohne ein, wie immer notwendig ängstliches, zögerndes, zweifelndes Vertrauen auf die Verbindlichkeit von Wörtern. (...) Die vollständige Negation von sprachlichem Zusammenhang negiert nicht nur das Theater: Sondern auch unsere Möglichkeit zu leben. Darum ist dieser Wilson so tot." 67 Hierin offenbart sich ein interessanter Zirkelschluß: Die Negation von Sprache wird gleichgesetzt mit der Negation von Leben - ein lebendes Bild ist eben nur Bild, die Tatsache, daß dieses in der Lage sein könnte, auf Leben zu verweisen, Assoziationsfelder zu eröffnen, wird nicht anerkannt. Idens Kritik ist ähnlich wie die Siegfried Melchingers 68 eine Zuspitzung der verbreiteten logozentristischen Auffassung eines „Theaters der Wörter". 69 Beide Kritiker treffen sich neben der Favorisierung des Sprachlichen in einem weiteren Punkt: Wenn Melchinger von „Dehumanisierung" oder „Brutalisierung" des menschlichen Darstellers durch das Optische spricht, argumentiert Iden: „Man sieht die schlimmen Folgen bei einem der ,Schaubühnen'-Darsteller, der sich Wilson leider ganz willenlos unterworfen hat, bei Otto Sander: Der wird hier zu einem harmlosen Nummern-Spieler - ein leiser Clown, der beifallssüchtig seine Tricks vorfuhrt. Es wird sich später zeigen, ob Sander aus diesen eitlen Auftritten hier noch einmal zur Darstellung von Menschen zurückfinden kann." 70 Wilsons Theater war folglich nicht nur ein Affront gegen die Sprache, sondern auch gegen den tradierten Protagonisten einer Theaterauffiihrung, den Schauspieler, der hier, jeglicher Individualität enthoben, zur willenlosen Marionette des Regisseurs geworden ist.71 Daß man dieser Entindividualisierung des Darstellers nur mit der Akzeptanz eines übergeordneten Bildkonzepts begegnen kann, wurde von beiden Kritikern verweigert. Ein maßgeblicher, bisher noch nicht angesprochener Grund hierfür war offenbar die Tatsache, daß Wilsons Theaterbildem weniger Inhaltlichkeit zugetraut wurde als der rationalen Diskursivität, die gewohntermaßen Sprache auf dem Theater erzeugt. Hier wird jene Kontroverse um die fehlenden Inhalte auf neuer Ebene verhandelt, die mit den Meiningern 65 66

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Vgl. Brecht 1978 sowie beispielsweise die Kritiken von Ignee 1979; Müller 1979. Buck 1983, 88. Diese von Buck bewußt zugespitzte Sichtweise findet sich noch 1997 bei Ch. Pricelius vom Berliner Tagesspiegel, der Wilson anläßlich der Inszenierung von Gertrude Steins Saints and Singing fragt: „Sie waren bis zu ihrem 17. Lebensjahr nach herkömmlichen Maßstäben sprach- und verhaltensgestört. Hat diese persönliche Erfahrung mit dem Autismus geholfen, abstrakte Zeichen zu entschlüsseln?" (Pricelius 1997.) Iden 1979. Melchinger 1965, 34 (wie Anm. 56). Buck 1983,87. Iden 1979. Vgl. auch Oltmann/Tiedemann 1987, 90.

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begonnen hatte: Das Narkotikum Bild setze den Logos außer Kraft. So bemängelt Iden, daß DD&D „keinen Gedanken, keine Sprache, keinen Ausblick auf Menschen" enthalte; diese Inszenierung sei eine „kalte, höhnische, hoffnungslose Absage an jede Form der Mitteilung und des Verstehens".72 Georg Hensel, Theaterkritiker der FAZ, beschreibt diesen „durch optische Schönheiten betörenden Analphabetismus" freundlicher, aber nicht weniger deutlich: „Eine erlesene Optik hungert das Sinnbedürfnis der Sprache aus."73 Diese Polemik, welche davon ausgeht, daß nur Verbalsprache Sinn und Inhaltlichkeit vermitteln kann und sich folglich der spezifischen Assoziationskraft von Bildern verweigert, durchzieht mehr oder weniger vordergründig fast alle Besprechungen der DD&D-Inszenierung. Es wird von „optische^] Attraktionen ohne klaren Sinnzusammenhang"74, von „Leertheater"75, „blödesinnentleerte [n] Bildchen"76 gesprochen, und davon, daß Wilson es verstehe, „seine Inhaltslosigkeiten chic herauszuputzen."77 Dieses 1979 fast einmütige Unverständnis der Theaterkritik haben noch zehn Jahre später Oltmanns und Tiedemann charakterisiert als „Kapitulation (...) vor der Herausforderung, die eine neue Art, Bilder auf dem Theater - und nicht nur da - zu gebrauchen, darstellt."78 Eine solche Art der Kapitulation läßt sich bis in die späten 1990er Jahre feststellen. So führte beispielsweise das im September 1997 uraufgefuhrte Stück Fax Germania des Berliner Regisseurs Jo Fabian, bei dem acht Darsteller im Verlauf der gesamten Auffuhrung als stumme, lebende Bilder arrangiert wurden, zu heftigen Reaktionen innerhalb des Premierenpublikums. Während der ersten dreißig Minuten des Abends ließ Fabian seine Darsteller in einer Linie fast regungslos aufgereiht stehen. Nur ab und zu, fast unmerklich, bewegte sich eine der denkmalhaft erstarrten Figuren, machte eine Handbewegung oder drehte sich zu seinem Nebenmann. Zeitweise waren innerhalb dieses Bühnen-Bildes als einzige Bewegungen eine an den oberen Rand der Bühne projizierte digitale Videoanzeige ausmachbar, die Frames, Sekunden und Minuten zählte, eine beständig flatternde rote Fahne sowie das monotone, durch Geräuscheffekte verstärkte Aufschlagen eines Tennisballs, mit dem einer der Akteure in abwesender Gelassenheit spielte. Nach zwanzig Minuten kamen die ersten Zuschauerreaktionen, einige verließen das Theater, ein weiterer begann, rhythmisch zu klatschen, wie um zu zeigen, daß die Vorstellung nun doch beginnen könne. Die Kritiker bemängelten den ,,tranige[n] Minimalismus"79 und wären vermutlich bereit gewesen, die folgende Meinung zu teilen: „Als Bild genommen oft wundervoll, als dramatische Szene unmöglich."80 Diese Ansicht vertrat der Kritiker Otto Falckenberg 1908 innerhalb einer Rundfrage zur Inszenierung von Goethes Faust, mit der das Münchener Künstler-Theater im selben Jahr eröffnet wurde. Im nächsten Kapitel gilt es, die um 1900 in Deutschland heftig einsetzenden Diskussionen über das Verhältnis von Bild, dramatischer Dichtung und 72 73 74 75 76 77

Iden 1979. Hensel 1979. Kotschenreuther 1979. Hensel 1979. Iden 1979. Beckelmann 1979.

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Oltmanns/Tiedemann 1983, 94. Brug 1997. Vgl. auch die Kritik von Walde 1997. Falckenberg 1908, 161. Vgl. u. a. die Kritik von Th. Steinfeld zu Wilsons Inszenierung von Strindbergs Traumspiel am Stockholmer Stadttheater im November 1998. (Steinfeld 1998.)

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Theater näher zu beleuchten und zu zeigen, vor welcher Folie das Phänomen einer dominanter empfundenen bzw. veränderten Bildlichkeit/Visualität damals praktiziert und rezipiert worden ist.

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2. „Virtuosentum der bildenden Künste" : Das Münchener Künstler-Theater a) Georg Fuchs und das Vorbild der bildenden Kunst Visualisierung Die Schaubühne der Zukunft des Münchner Kunstkritikers und Dramenautors Georg Fuchs (1868-1949) aus dem Jahre 1905 gilt in der theaterhistorischen Forschung als eine der Gründungsurkunden der antinaturalistischen Bewegung82 auf dem Theater in Deutschland.83 Es ist diese Publikation, auf die sich der Kritiker des Hannoverschen Courier bezog, als er 1906 die oben angeführte Polemik verfaßte. Wenn er davon spricht, daß die Maler „eine völlig neue Definition der dramatischen Kunst ersonnen" haben, bezieht er sich auf eine Passage aus der Schaubühne der Zukunft, die er zitiert und kritisch kommentiert: „,Die dramatische Kunst ist ihrem Wesen nach rhythmische Bewegung des menschlichen Körpers im Räume, ausgeübt in der Absicht, andere Menschen in dieselbe Bewegung zu versetzen.' Das ist eine Malerdefinition, nicht mehr und nicht weniger. Sie haftet am äußerlichen, an der Bewegung, sie macht den Eindruck des Auges maßgebend für das Ganze, sie mißachtet die Wirkung des gesprochenen Wortes auf Gehör und Seele."84 Das Fuchs-Zitat und die Einschätzung des Kritikers sind in zweierlei Hinsicht von besonderem Interesse: Zum einen reflektieren sie einen um 1900 zentralen Paradigmenwechsel, zum anderen bergen sie ein im folgenden zu behandelndes Mißverständnis, dessen Ursache sich als Ambivalenz durch die Schriften von Georg Fuchs zieht.

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Kilian 1908, 186. Dieser heute in der Theaterwissenschaft allgemein übliche Begriff wurde von Romstöck 1954 in die Forschungsliteratur eingeführt. Er umfaßt die gesamte Theaterreform, die sich sowohl vom Naturalismus eines O. Brahm als auch vom Historismus der Meininger abwandte. Die einzige umfassende Untersuchung zu Fuchs wurde von Prutting 1971 vorgelegt. Neben der beispielgebenden Dissertation Romstöcks aus dem Jahre 1954 ist diese Studie das wichtigste Standardwerk zu den Theaterreformideen von G. Fuchs. Prutting erschloß zahlreiche Quellen, die Romstöck noch nicht vorlagen. Kürzere, sehr allgemein gehaltene Passagen zu Fuchs finden sich bei Janssen 1957, 63-70; Hoßner 1981, 83-92; Brauneck 1989, 74-77. Ansonsten ist das wissenschaftliche Interesse an der Fuchsschen Theaterreform eher begrenzt. (Vgl. z. B. Patterson 1981, der Fuchs nur am Rande erwähnt oder Jelavich 1985, der vor allem Fuchs' unkreative und nationalistische Seite behandelt.) Kohlrausch 1906. (Zitat aus Fuchs 1905, 35f.)

I. 2. „ Virtuosentum der bildenden Künste ": Das Münchener Künstler-Theater

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Der Paradigmenwechsel, von dem hier die Rede sein soll, wurde in der Forschung mehrfach unter dem von Fuchs 1909 geprägten Begriff der „Retheatralisierung" beschrieben.85 Diese Bezeichnung wird zugleich als Synonym für das Paradigma der Entliterarisierung verwendet, nämlich „der Abkehr vom logozentristischen d. h. dem Dramentext verpflichteten Theater", wie es Christopher Balme ausdrückt.86 Hierfür gilt Fuchs' Postulat von 1905 als richtungsweisend, wonach die Dichtung „nichts als die Partitur" sei, „aus welcher von den nachschaffenden, ausführenden Intelligenzen die eigentliche Erscheinungsform des Werkes erst entnommen werden muß."87 Mit dieser Forderung setzte Fuchs, zeitgleich mit Craigs Publikation Die Kunst des Theaters, nicht mehr die möglichst genaue Reproduktion des dramatischen Textes, sondern die Inszenierung als eigentliches Ziel des Theaters und wertete diese als eigenständige Kunstform auf. Die „rhythmische Bewegung des menschlichen Körpers"88, welche Fuchs als neues Zentrum der dramatischen Kunst vorschlug, spiegelt vor allem ein neues Körperverständnis, auf das an anderer Stelle eingegangen wird.89 Fürs erste ist relevant, daß sich hierin auch ein primäres Interesse an der visuell wahrnehmbaren Erscheinung des menschlichen Körpers zeigt. Wenn der Kritiker des Hannoverschen Courier dies als „Malerdefmition" bezeichnet, weil der „Eindruck des Auges" überbewertet werde, trifft er demnach einen Kernpunkt, der jedoch nur einen Teil der Fuchsschen Theaterreform ausmacht. Die oben erwähnte Ambivalenz seiner Ideen besteht darin, daß Fuchs einerseits bereits 1899 eine „Sc/zawbühne"90 proklamiert, die das visuelle Erleben des Zuschauers favorisiert, andererseits bleibt er mit der letzten Konsequenz eines Literaten stets dem gesprochenen Drama verpflichtet, was nicht zuletzt die Eröffnungsinszenierung des Münchener Künstler-Theaters belegt: Goethes Faust - ein traditionelles Beispiel ,,wahre[r] Dichtkunst"91. Georg Fuchs, der zwischen 1889 und 1891 kurzzeitig Theologie und Germanistik in Leipzig und Gießen studiert hatte, arbeitete im Anschluß daran als freier Journalist in München. In dieser Zeit entstanden seine ersten literarischen Versuche, u. a. ein dem Geist Nietzsches verpflichtetes Drama, Sanctus Diabolus. Ab 1893 arbeitete Fuchs für die Allgemeine Kunst-Chronik und wandte sich nun verstärkt der bildenden Kunst zu. Er verfaßte vor allem Artikel über die Künstler der neu gegründeten Münchner Sezession, die zu dieser Zeit den Großteil seines Bekanntenkreises ausmachten, so z. B. Franz von Stuck, Wilhelm Trübner, Ludwig Dill, Albert Keller und Peter Behrens.92 Im Laufe der nächsten Jahre wurde Fuchs zu einem der nachdrücklichsten Apologeten der Münchner Sezession, der ersten deutschen Künstlervereinigung, welche die modernen Bestrebungen in der bildenden Kunst repräsentierte. Entsprechend ist in Fuchs' erster selbständiger Publikation Was erwarten die

85 86 87 88 89

90 91 92

Fuchs 1909, 157. Vgl. Romstöck 1954, 161-166; Fiebach 1991,49-82; Fischer-Lichte 1993, 301-307. Balme 1988, 12. Vgl. auch Fiebach 1991, 49-73; Brauneck 1989, 63ff. Fuchs 1905, 105. Ebd., 36. Vgl. Teil II, Kap. 4 a der vorliegenden Arbeit. Allerdings kann auf diesen komplexen Themenbereich im Rahmen dieser Untersuchung nicht ausgiebig, sondern nur punktuell eingegangen werden, zumal zum veränderten Körperverständnis um 1900 bereits eine umfangreiche Forschungsliteratur vorliegt. Fuchs 1899a, 302. (Hervorhebung v. Vf.) Vgl. auch Fuchs 1899b, 485: „Die Schauburg - diese Bezeichnung lasst uns aus dem alten Wortschatze wieder aufnehmen!" Fuchs 1899b, 483. Vgl. Prütting 1971,37-47.

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I. Theaterreform und bildende Kunst in Deutschland

Hessen von ihrem Großherzog Ernst Ludwig? aus dem Jahre 1892 auch nicht vom Theater die Rede, sondern ausschließlich von bildender Kunst. „Wir stehen am Beginn einer großen Blüteperiode der deutschen Malerei", schreibt Fuchs hier und plädiert für eine durch den Großherzog geförderte „Akademie der bildenden Künste"93 in Darmstadt. Erst sieben Jahre später kam es zur Gründung der Künstlerkolonie, welcher Fuchs bis zum Jahre 1904 angehörte. Hier wurde sein anläßlich der Ausstellung Ein Dokument deutscher Kunst verfaßtes Festspiel Das Zeichen in der Inszenierung von Peter Behrens (1868-1940) im Mai 1901 uraufgeführt. 94 Die nähere Bekanntschaft mit Behrens reichte bis in die Münchner Zeit zurück. Es ist kaum zu entscheiden, wer von beiden den anderen in seinen Theaterreformideen stärker beeinflußt haben könnte. Als Behrens sein Manifest zur Theaterreform Feste des Lebens und der Kunst 1900 veröffentlichte, lag bereits der Artikel Die Schaubühne - ein Fest des Lebens von Fuchs aus dem Jahre 1899 vor.95 Die Gleichheit der Wortwahl in den Titeln steht zugleich für die Ähnlichkeiten der Grundideen. Diese Übereinstimmungen führt Lenz Prutting, der 1971 die bislang einzige umfassende Untersuchung zu Georg Fuchs vorgelegt hat, auf die enge Zusammenarbeit in München und seit 1899 in Darmstadt zurück.96 Insofern ist es sehr wohl wahrscheinlich, daß diese Reformideen gemeinsam entwickelt wurden, einerseits als Reflex einer bereits mehrfach von der Forschung nachgewiesenen Wagner- und Nietzsche-Rezeption97, andererseits aber auch im produktiven Spannungsfeld von Literatur und bildender Kunst.98 Wenn Behrens bei der „Betrachtung des Verhältnisses sämmtlicher Künste zueinander" die Meinung vertritt, daß „die bildende Kunst als die am weitesten in kultureller Beziehung vorgeschrittene"99 einzuschätzen sei, so kann man dies vor allem als Hinweis in eigener Sache werten. Daß auch der Literat Fuchs die Vorreiterposition der bildenden Kunst voraussetzte, ist hingegen bemerkenswert.100 In seinem Aufsatz Vom Stil der Schaubühne, geschrieben 1900 in Darmstadt, ging er sogar noch einen Schritt weiter, indem 93 94 95 96 97 98

99 100

Fuchs 1892,28. Vgl. Boehe 1968, Teil II, 15, 68ff. Vgl. Behrens 1900b; Fuchs 1899b. Vgl. Prütting 1971,80. Vgl. ebd. Das Hauptaugenmerk dieser Studie liegt auf Fuchs' Wagner- und Nietzsche-Rezeption. Vgl. auch Hoßner 1981, 88f.; Jelavich 1985, 195ff.; Fischer-Lichte 1993, 272-275. Diesen Sachverhalt benennt auch Fuchs, indem er, auf seine Artikel von 1899 (vgl. Bibliographie) und Behrens' Manifest verweisend, schreibt: „Es sei dies deshalb angemerkt, weil es nicht unwesentlich erscheinen kann, daß der Dichter und der bildende Künstler, jeder seinen eigenen Weg unbeirrt verfolgend, an diesem höchsten Ziele sich in voller Übereinstimmung finden mußten." (Fuchs 1900b, 398.) Behrens 1900a, 401. Hierfür finden sich zahlreiche Belege in Fuchs' Schriften, z. B. Fuchs 1899a, 301; Fuchs 1901, 200. Im Jahre 1908 schreibt Fuchs, daß „gerade die bildende Kunst auf die Weltanschauung der jungen Generation einen vorherrschenden Einfluß hat." (Fuchs 1908a, 435f.) Diese Haltung ist umso bemerkenswerter, da sie in zeitgenössischen Kunstkritiker-Kreisen durchaus nicht gängig war. (Vgl. Servaes 1893, 4.) In Theaterkreisen hingegen war diese Idee einer Vorläuferschaft der bildenden Kunst, ausgehend von Fuchs und Craig, nach 1900 relativ verbreitet und gab Anlaß zur Kritik. So warnte P. Westheim davor, „den Irrtum zu nähren, der eine Morgenröte der Tragödie aus dem Farbentopf emporsteigen sieht. (...) In Wirklichkeit liegt die Zukunft der Schaubühne weder bei den Theatermachern, noch bei den dekorativen Gewerblern, sondern ganz allein bei der dichterischen Persönlichkeit." (Westheim 1911, 64f.)

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er nämlich am Beispiel der mittelalterlichen Mysterienspiele die bildende Kunst zum Paradigma der Theaterkunst erhob: „Die Misterien waren also Tragödien, nicht durch die im Formelhaften und Hymnischen erstarrte Dichtung, sondern vielmehr durch ihre Stellung im Kulte. Ihr künstlerisches Ausdrucksmittel war nicht so sehr das Wort - und wohl auch nicht die Musik als die Kunst in der prunkvollen Entfaltung der Aufzüge und Gruppen, der Geberden, Masken und Gewänder. Sie waren so unlitterarisch, wie wir es nur wünschen können. Es gab nichts Neues in Text und Handlung, jeder erwachsene Zuschauer wußte Wort für Wort (...). Man bedurfte der Gewänder und der rhythmischen Beherrschung von Geberden, Gruppen und Scharen, mußte also bildnerisch schaffen, indessen man sich, was Wort und Musik anlangt, noch lange an der altkirchlichen Liturgik genügen ließ. Wir dürfen nicht zweifeln, daß die bildende Kunst in diesen Aufführungen eine gewisse, stilistische Entwicklungs-Stufe erreichte und daß sie recht eigentlich die Trägerin der tragischen Wirkungen war. Christus, Maria, St. Johannes und St. Peter, Maria Magdalena und Maria Salome erschienen hier als ,Helden' im ästhetischen Sinne und somit als Gottheiten durch Gestalt, Haltung, Tracht, Geberden und Mienen der Darsteller, ja - welch' ein großes, stilistisches Motiv! - durch Sitz und Stellung innerhalb der Aufzüge und Gruppen. (...): alle die hunderte köstlich gekleideter und geschmückter Gestalten versammeln sich im rückwärtigen Teile der sonst jeglicher Dekoration entbehrenden Bühne und sitzen dort nieder. Welch ein Bild! Wir müssen die Erinnerung an die erhabenen Tafeln Memlings und Lochners zu Hilfe rufen, um annähernd das Ungeheure dieses Eindruckes anzudeuten."101 Er beschließt den Aufsatz mit der Feststellung, „daß unsere Schaubühne, bevor sie ,litterarisch' geworden, alle Elemente schon besaß, um nach der bildnerischen Seite hin den Anforderungen einer hohen Kultur Genüge zu thun. (...) Denn ob wir gleich nicht beabsichtigen, die Alten nachzuahmen, so können wir doch gewiß auf der Grundlage unserer modernen Kultur (...) mit gleicher stilistischer Strenge aufbauen."102 Was Fuchs in diesen Passagen schildert, ist das Arrangieren lebender Bilder, die jenseits von Sprache, zum eigentlichen Träger der dramatischen Wirkungen avancieren. Diese Radikalität, mit der er hier dem gesprochenen Wort gegenüber dem gestellten Bild eine zu vernachlässigende Rolle beimißt und die sich in keiner seiner anderen Schriften in vergleichbarer Ausprägung findet103, läßt die Kritik des Hannoverschen Couriers durchaus als angemessen erscheinen, in welcher Fuchs eine „Malerdefinition" der dramatischen Kunst unterstellt wird. Diese Malerdefinition spiegelt ein bedeutsames Phänomen des oben angesprochenen Paradigmenwechsels im Theater der Jahrhundertwende. Es handelt sich hierbei um den Wandel einer primär an das Wort gebundenen, begrifflichen Kultur hin zu einer dominant visuellen Kultur, der bereits von dem Filmtheoretiker Bela Baläzs in den 1920er

101 102 103

Fuchs 1900b, 396. (Hervorhebungen v. Vf.) Ebd., 398. Fuchs wiederholt diese Passage allerdings in seinem Buch über das Oberammergauer Passionsspiel von 1911. (Vgl. Fuchs 1911, 62ff.)

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I. Theaterreform und bildende Kunst in Deutschland

Jahren beschrieben wurde.' 04 Joachim Fiebach hat 1991 den ursprünglich aus der Medientheorie stammenden Terminus der Visualisierung für die Bezeichnung dieses Paradigmenwechsels auf dem Theater eingeführt.105 Die Beschreibungskategorie der Visualisierung ergänzt den bisher von der Theaterwissenschaft vorrangig gebrauchten Begriff der Entliterarisierung bzw. Retheatralisierung sinnvoll, denn sie umreißt präziser, wohin die Negation des Literarischen auf dem Theater u. a. gefuhrt hat: zu einer Dominanz des Visuellen bei gleichzeitiger Zurückdrängung der Wortsprache.106 Diese Tendenz kündigt sich zunächst als Rehabilitierung der Opsis101 in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in den Inszenierungen Franz von Dingelstedts, vor allem aber in denen des Meininger Herzogs an und findet ihren ersten Höhepunkt im frühen 20. Jahrhundert in der Verabsolutierung der Opsis durch Gordon Craig, wie noch zu zeigen sein wird. Bei Georg Fuchs bleibt diese Sachlage ambivalent. Wenn der Berliner Kunstkritiker Robert Breuer 1908 in der Zeitschrift Deutsche Kunst und Dekoration emphatisch verkündet, daß die „größte Entdeckung der Gegenwart" die „Entdeckung des Auges" sei, die zum „definitive [n] Garaus der alten Weltanschauung", nämlich zu einer „Weltanschauung des Auges" führe, so beschreibt er dies als eine befreiende Überwindung der Zeiten, „da das Auge ausgelöscht wurde, da man die Sinne tötete. Das Wort, der Begriff, die Abstraktion fraßen die Glückseligkeit des Fleisches". „Noch heute", so schreibt Breuer weiter, „gibt es ganze Scharen, die es für Höllenwerk achten, daß die Pforten der Sinne aufgestoßen werden sollen, daß sogar das Auge wieder sehen und genießen will. Indessen, diese übereifrig sich ereifernden vermögen nichts mehr daran zu ändern: das Wort hat seine Allmacht eingebüßt, die Sinneswahrnehmung, die Empfindung und die Anschauung marschieren." Als „Pioniere der neuen Weltanschauung" bezeichnet Breuer die Künstler, welche „kunstgewerblich arbeiten" und die „vom Morgen zum Abend dafür sorgen, daß die Menschen sehend werden."108 Diese Auffassung einer „neuen Weltanschauung" teilte auch Georg Fuchs109, allerdings hat er den von Breuer aufgezeigten Gegensatz von Sinnlichkeit/Auge versus Abstraktion/Wort nicht gleichermaßen empfunden. 104 105

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Vgl. u. a. Baläzs 1961,32. Vgl. Fiebach 1991, 58ff.; Fiebach 1991a, Fiebach 1995, 17ff. Industrialisierung, Technisierung, Film, moderne Werbungs- und Warenästhetik sind ihm zur Beschreibung des Phänomens der Visualisierung stichwortgebende Problemfelder. Fiebach baut dabei u. a. auf Untersuchungen von McLuhan 1962; Schivelbusch 1979; Sternberger 1979 und Kleinspehn 1989 auf. Weiterhin waren in den späten 1980er Jahren eine Reihe von Dissertationen zum Thema Wahrnehmungsumbruch Teil eines Forschungsschwerpunktes bei Fiebach an der Humboldt-Universität Berlin. (Vgl. Schmidt 1989; Wilzopolski 1989; Kolditz 1990.) Das Phänomen der Visualisierung wird durch ein weiteres bedeutsames Paradigma ergänzt, welches die auditive Ebene anbelangt: die Musikalisierung. Dieser Prozeß bewirkte eine Desemantisierung der Sprache. (Vgl. Teil II, Kap. 4 c der vorliegenden Arbeit.) Dies meint, daß die große Bedeutung, die dem Optischen beispielsweise im Barocktheater zukam, nun wieder in vergleichbarer Ausprägung erlangt wurde. Breuer 1908, 154f„ 157f. So schreibt Fuchs 1909, 15: „Die bisher vorwiegend literarische ,Geistes-Kultur' Deutschlands weicht einer allgemeineren Lebensformung, deren treibende Kräfte eher bildnerischer Herkunft als kritisch-literarischer" sind.

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Indem Fuchs gegen die Literatur auf dem Theater polemisierte, meinte er die „ungeheure Publizität des Theaters als Tribüne", wo in „möglichst ,wirklichkeits getreuen' Abschilderungen" der Zuschauer gezwungen werde, „leibhaftig all die Zustände oder Mißstände mit zu erleben, deren Mitteilung oder Erörterung der Verfasser des Stückes für notwendig erachtete."110 Als Grundtenor durchzieht diese Kritik seine Schriften und richtet sich explizit gegen den „neuerdings von einzelnen verkündete[n] .Naturalismus'", wie Fuchs 1899 schreibt, der nach seiner Auffassung ,glicht eine Richtung in der Kunst" sei, „sondern eine Richtung gegen die Kunst, d. h. er ist nur Literatur."" 1 Mit dem Negativbegriff der Literatur verband Fuchs das Aufklärerisch-Diskursive der zeitgenössischen naturalistischen Dramatik, beispielsweise Hauptmannscher Prägung. Literarisch bedeutete für ihn „lehrhaft"." 2 Seine Kritik an der zeitgenössischen Dramatik betraf demnach weniger die Leistungsfähigkeit der Wortsprache an sich, als vielmehr die dargestellten Sujets. Für Fuchs „schließen sich (...) literarischer Wert und dramatische Kunstform selbstverständlich gar nicht aus."" 3 Aber die Dichter müßten lernen, so vermerkt er 1895 in einem Kommentar zu seinem ersten Drama Sanctus Diabolus, daß „wenn sie die Dinge der Welt nennen, nicht diese abbilden, nicht von ihnen berichten, sondern sie als Spiegel ihrer Innerlichkeit aufrichten."114 Als Gegenentwurf zu der Wirklichkeit abbildenden Dramenliteratur des Naturalismus verwendete Fuchs den Terminus der Innerlichkeit. Dieser war bei ihm einerseits im Sinne der „Entfaltung des Individuums"' 15 durch Friedrich Nietzsche geprägt, andererseits meinte Innerlichkeit „absolut subjektiv"116 im Gegensatz zu der als äußerlich verstandenen naturalistischen „Surrogat"-Kunst117: Eine Dramatik, die, in Anlehnung an den Symbolismus eines Maurice Maeterlinck, „durchdrungen" sein soll „von den Rhythmen (...) des unbekannten Lebens der Seele".118 Bereits 1893 konstatiert er, daß in der Darstellung dieser „höchsten künstlerischen Sublimierung"119 der zeitgenössischen Dichtung zwei Künste voraus seien: „Wir haben eine moderne bildende Kunst, eine moderne Musik120, aber, trotz einzelner Talente, keine moderne Dichtkunst."121 Die Malerei von Albert Keller, Max Klinger, den englischen Präraffaeliten, vor allem aber diejenige von Franz von Stuck und Arnold Böcklin war für ihn beispielgebend im Darstellen von „optischen Symbolen, welche nicht Abbilder von ,Außendingen' sind, sondern Mittel, um in dem Beschauer die gleiche seelische Stimmung, denselben Endgedanken zu entzünden, der vom schaffenden Geiste erzeugt und gewollt wurde."122 Fuchs war überzeugt, daß eine adäquate „seelische Stimmung" nicht nur durch

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Fuchs Fuchs Ebd. Fuchs Fuchs

1908b, 146. 1899a, 302.

115

Ebd., 111. Zur Herleitung von Fuchs' Künstlerbegriff aus Nietzsches Philosophie vgl. Prutting 1971, 25-66.

116 117 118 119 120 121 122

Fuchs 1894, 12. Fuchs 1899a, 300. Fuchs 1900b, 2. Er bezieht sich hier auf Maeterlincks Publikation Der Schatz der Ebd. Zur Musik als Paradigma vgl. Teil II, Kap. 4 c der vorliegenden Arbeit. Fuchs 1893b, 733. Fuchs 1894, 12.

1908b, 146. 1895, 109.

Armen.

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/. Theaterreform und bildende Kunst in Deutschland

„optische Symbole", sondern grundsätzlich auch in der „sprachlichen Schönheit (...) des dramatischen Verses"123 zum Ausdruck gebracht werden könne, der dementsprechend symbolhaft zu sein habe. Hier übersprang Fuchs einen Argumentationsschritt der zeitgenössischen Sprachskepsis. Friedrich Nietzsche hatte bereits 1876 festgestellt, daß die „Sprache erkrankt" sei, weil sie nicht (mehr) Empfindungen ausdrücken könne, sondern den Menschen nur noch „in das Netz der deutlichen Begriffe' einspinne".124 Obwohl Fuchs dieses Argument eines grundsätzlichen Zweifels an den Ausdrucksmöglichkeiten der Wortsprache in seinen Schriften nicht reflektierte, wie es beispielsweise Hugo von Hofmannsthal wiederholt seit 1895 getan hat, kam er doch, ähnlich wie Hofmannsthal, im Rekurs auf den französischen Symbolismus125 zu der Forderung nach einer stimmungshaften Symbolsprache126 - einer Sprache, die der zeitgenössischen Malerei ebenbürtig sei. Die „unausbleibliche Konsequenz aus der großen Kulturbewegung der angewandten Kunst'" stehe somit nach Fuchs paradigmatisch für die Schaffung einer „unsere Seelen wieder ergreifenden Schaubühne"127, denn „die Träger des modernen Kulturlebens" seien „fast alle (...) durch die Schule der modernen Malerei" gegangen.128 Georg Fuchs' Variante dieser „unausbleiblichen Konsequenz" war die Theorie der Reliefbühne, wie noch zu zeigen sein wird. Intimisierung Bereits in seinem ersten Aufsatz für die Allgemeine Kunst-Chronik vom August 1893 charakterisiert Fuchs die Malerei der ein Jahr zuvor gegründeten Münchner Sezession folgendermaßen: „Das Wesen der ,modernen' Kunst ist die ,Intimität'."129 Was Fuchs unter diesem Begriff verstand, läßt sich anhand weiterer Textstellen desselben Artikels näher bestimmen. Demnach würden sich Max Liebermann oder auch der Münchner Maler und Grafiker Friedrich Wahle in ihren Zeichnungen und Gouachen „von dem Monumentalen ab- und dem Intimen zuwenden". Im Gegensatz zur überlebten Historienmalerei, welche der Kategorie des Monumentalen zugeordnet wird, gebe die ,„neue' Kunst (...) nur durch unmittelbare Lichteindrücke hervorgerufene, von dem Individuum während des Schaffens erlebte Stimmungen wieder." Es sei ein „Hauch von Sinnlichkeit" oder ein Ausdruck von „tiefer, intimer Stimmungsgewalt"130, der nach Fuchs' Bildbeschreibungen die Malerei von Albert Keller bzw. die Aquarelle von Hans Thoma dominiere. Eine adäquate „Intimität" forderte Fuchs in seinen späteren Aufsätzen auch für das Theater - ein Gedanke, der im Kontext eines um 1900 geradezu inflationären Gebrauchs von Begriffen wie „Stimmung", „seelisch", „innerlich", „sinnlich", „Empfindung" und „intim" steht. Die auch bei Fuchs evidente Betonung der sinnlichen Erlebnissphäre, der Emp123 124 125

Fuchs 1900b, 2. Nietzsche 1981, 307. Zur Sprachkrise um 1900 vgl. u. a. Grimminger/Murasov/Stückrath 1995. Fuchs hatte, ebenso wie Behrens, Kontakt zum S. George-Kreis in München, so daß er mit den Ideen des französischen Symbolismus engstens vertraut war. (Vgl. Jelavich 1985, 188f.; Weiss 1979, 8 1 91 •>

126

Zu Hofmannsthals Versuch einer Überwindung der Sprachkrise vgl. u. a. Matala de Mazza 1995. Vgl. auch Teil II, Kap. 3 a der vorliegenden Arbeit. Fuchs 1908a, 439. Fuchs 1905, 30. Fuchs 1893a, 397. Ebd., 598, 397, 599f.

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I. 2. „ Virtuosentum der bildenden Künste ": Das Münchener Künstler-Theater

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findung bzw. des Seelischen als Ausdruck des Unbewußten und Emotionalen ist zugleich eine wichtige Facette des Paradigmenwechsels auf dem Theater um 1900, die Marianne Streisand und Dirk Baum in jeweils breit angelegten Studien untersucht haben. 131 Baum gibt am Beispiel der Theaterarchitektur, des Bühnenraumes, der Regie, der Dramenliteratur und der Schauspielkunst einen Überblick dieses komplexen Wandlungsprozesses im deutschen Theater, ohne näher auf die theoretischen Grundlagen einzugehen, d.h., er fokussiert vor allem die theaterpraktischen Veränderungen und deren Reflexion in der Theaterkritik. Streisand zeichnet erstmals die Bedeutungsgeschichte des Begriffs „Intimität" nach und analysiert die Ausprägung einer „intimen Ästhetik" auf dem Theater. Während Streisands Untersuchung auf die nähere Bestimmung des maßgeblich durch August Strindberg geprägten Konzepts des „intimen Theaters" hinausläuft, verwendet Baum den Begriff „Intimisierung", um den Prozeß der Umstrukturierung theatraler Produktion und Rezeption an der Wende zum 20. Jahrhundert allgemein zu kennzeichnen. Diese Intention verfolgt auch die vorliegende Arbeit. Deshalb gilt es, den Terminus Intimisierung erstmals für Georg Fuchs' Theaterkonzept und den Kontext der Visualisierung nutzbar zu machen. Die Theorien von Fuchs spiegeln in beispielhafter Ausprägung eine Hinwendung zur sinnlichen Unmittelbarkeit, Stimmungshaftigkeit und Verinnerlichung, eben jene produktions- und rezeptionsästhetischen Komponenten, die schlagwortartig das Phänomen der Intimisierung um 1900 charakterisieren. 132 Indem Fuchs die zeitgenössische Malerei als vorbildhaft betrachtet, da sie sich nach seiner Auffassung von der streng mimetischen Widerspiegelung der Realität abgewendet und zu einer subjektivierten, intimen Bildsprache gefunden habe, definiert er analog die dramatische Bühnenhandlung auf sprachlicher und optischer Ebene als Erzeugung einer ,,seelische[n] Stimmung" 133 und fordert damit eine symbolische Darstellung psychologischer Vorgänge. Dieser innere Schauplatz sollte entsprechend nicht mittels detailgetreuer historistischer Dekorationen dargestellt werden, sondern in vereinfachter, den Grundtenor des Dramas veranschaulichender Stilisierung. Es ging darum, die „Einbildungskraft des Zuschauers" 134 , bzw. dessen „teilnehmende Phantasie" zu aktivieren, wie es Peter Behrens im Jahre 1900 ausgedrückt hat. 135 Das theaterhistorische Paradigma der Intimisierung ist als ein äußerst komplexer und heterogener Wandlungsprozeß zu verstehen, der sich auf verschiedenen Ebenen beschreiben läßt. Aus rezeptionsästhetischer Perspektive betrachtet, betrifft dies beispielsweise das Verhältnis zwischen Bühne und Zuschauer. In diesen Bereich gehört die von Behrens angestrebte „teilnehmende Phantasie" des Zuschauers: Das Publikum nimmt durch seine Einbildungskraft aktiv teil an der Bühnenhandlung und nähert sich auf diese Weise dem theatralen Geschehen. Ein weiterer Aspekt dieser neuen Form des intimisierten Kommunikationsverhältnisses ist das Kammertheater, welches kleiner, intimer, als herkömmliche Theaterbauten ausfällt und auf architektonischer Ebene eine Annäherung von Schauspieler und Publikum ermöglicht, da der Abstand zwischen Bühnenraum und Zuschauerraum minimiert

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Vgl. Streisand 1999; Baum 1996. Allerdings gehen beide Autoren nicht auf Fuchs' Theorien ein. Vgl. Baum 1996, 2. Fuchs 1894, 12. Fuchs 1905,49. Behrens 1900b, 49.

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I. Theaterreform und bildende Kunst in Deutschland

ist.136 Schauspieler können hier mit feinsten sprachlichen und gestischen Nuancen ihre Rollen gestalten. Neben dieser allgemein akzeptierten rezeptionsästhetischen Komponente kann jedoch auch auf der Ebene der Produktion ein Intimisierungsprozeß geltend gemacht werden. Dirk Baum hat diesen Aspekt beispielsweise anhand des intimisierten Verhältnisses vom Schauspieler zu seiner Rolle beschrieben, d.h., der Schauspieler deklamiert nicht mehr in statischer Pose einen Text, sondern er verinnerlicht und spielt ihn psychologisch differenziert. 137 Eine vergleichbare Annäherung kann auch zwischen dramatischem Text und Bühnenausstattung festgestellt werden, die im folgenden als intimisiertes Verhältnis von Drama und Dekoration bezeichnet wird. Dieser Aspekt wird hier aus dem Gesamtkomplex der Intimisierung herausgegriffen. Da es ein Ziel der Untersuchung ist, den allgemeinen Wandel in der Funktion des Optischen um 1900 zu charakterisieren, der über stilistische Zuordnungen hinausgeht, erscheint der Terminus Intimisierung als übergeordnete Beschreibungskategorie gegenüber den von der Forschung bislang häufig gebrauchten Begriffen wie Jugendstil, Impressionismus und Antinaturalismus praktikabler. 138 Obwohl eine solche ausweitende Anwendung des Begriffs aufgrund bisheriger Bedeutungszuschreibungen problematisch bleibt, ist es dennoch kein Widerspruch, daß Intimisierung z. B. einerseits das veränderte Kommunikationsverhältnis zwischen Bühne und Zuschauer sowie einen psychologisierenden Schauspielstil umfaßt und andererseits ebenso zur Beschreibung eines neuartig engen Verhältnisses von Drama und Dekoration dienen kann, welches ermöglicht hat, daß die „seelische Stimmung" 139 der Dichtung nicht mehr nur durch den Schauspieler, sondern nun auch durch Ausstattung und Bühnenlicht zum Ausdruck gebracht werden konnte.

b) Theorie der Reliefbühne Reduktion der Bühnenausstattung

oder die Unmöglichkeit der

Wirklichkeitsillusion

„Das konventionelle Theater spekuliert geradezu darauf, dass das Auge abgelenkt und so schliesslich das Wesentliche, das Drama, der Darsteller durch ungünstige räumliche Dispositionen in seinen Wirkungen beeinträchtigt, ja sogar nicht selten vernichtet wird." 140 Diese Einschätzung von Georg Fuchs stammt aus dem Programmbuch, welches 1908 anläßlich der Eröffnung des Münchener Künstler-Theaters veröffentlicht wurde. Er kritisiert hier, wie auch schon in seinen früheren Schriften, vor allem das Meininger Prinzip des historischen Realismus, welches sich seit Ende der 1880er Jahre auf deutschen Bühnen durchgesetzt hatte und sehr bald als sog. „Meiningerei" von verschiedenen Autoren bemängelt wurde.141 Nach Fuchs werde das (Zuschauer-)Auge im illusionistischen Kulissentheater durch die

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Fuchs' Forderung nach einem Weglassen der Rampe ist gleichfalls in diesen Kontext des intimisierten Verhältnisses von Bühne und Zuschauer einzuordnen. (Vgl. Prutting 1971, der dieses Thema schwerpunktmäßig behandelt.) Vgl. Baum 1996, 103-115; Streisand 1999, 173-179. Vgl. u. a. Romstöck 1954; Boehe 1968; Trübsbach 1969; Sternath 1976; Dietrich 1978; Simhandl 1993. Fuchs 1894, 12. Fuchs 1908c, 23. Vgl. Jansen 1948.

I. 2. „ Virtuosentum der bildenden Künste ": Das Münchener Künstler-Theater

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„aufdringlichen Dekorationen"142 vom Wesentlichen einer Theateraufführung abgelenkt. Dieses Wesentliche war für Fuchs der menschliche Darsteller, was bereits seine Beschreibung des mittelalterlichen Mysterienspiels aus dem Jahre 1900 verdeutlicht, indem er hier das Arrangieren der Darsteller als lebende Bilder auf einer „sonst jeglicher Dekoration entbehrenden Bühne" schildert.143 Schon Friedrich Schinkel hatte 1813 die „Trödelbude" der Guckkastenbühne kritisiert, weil sie „als Hauptsache behandelt, die Aufmerksamkeit fesselt und vom Wesentlichen der Handlung abzieht."144 Schinkel nahm damit einen wichtigen Kritikpunkt der antinaturalistischen Theaterreform von 1900 vorweg, ein Zusammenhang, der in der Forschung bisher nicht näher benannt worden ist, obwohl Schinkels Traktat von Fuchs 1908 auszugsweise im Programmbuch als eines der ,,Historische[n] Dokumente des Künstler-Theaters" zitiert wurde.145 Die von Schinkel erstmals klar formulierten Forderungen nach Vereinfachung des Bühnenapparates, welche sich im gesamten 19. Jahrhundert nachweisen lassen146, gipfeln schließlich in dem Fuchsschen Verdikt aus dem Jahre 1905: „Diese ganze Talmiwelt aus Pappdeckel, Draht, Sackleinwand und Flitter ist reif zum Untergang!"147 Somit steht Fuchs' Kritik in einer Tradition und trifft sich hierin mit den Gegnern jeglicher „Übertreibungen im Dekorations- und Kostümluxus"148, die seit den 70er Jahren des 19. Jahrhunderts gegen die Meininger zu Felde zogen. Beispielsweise kritisierte Rudolph Genee 1887 im Rekurs auf Schinkel, daß die zeitgenössischen Dekorationen zu aufdringlich seien, „für sich selbst unsere Aufmerksamkeit erregen wollen", und dadurch mehr den „Schaulustigen als Verständnisvollen" ansprechen, weil sie „von der Dichtung ablenken".149 Analog bemängelt Fuchs die Vordergründigkeit der historistischen Kulissenbühne, weil die „heillosen Kulissen, Prospekte und Versatzstükke"150 das Auge zerstreuen würden. Allerdings differieren seine Argumente von denen Genees dahingehend, daß Fuchs nicht jene die Dichtung vernachlässigende Schaulust anprangert, sondern grundsätzlicher auf die historistische Bühnenästhetik abzielt, welche nach

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Fuchs 1901,204. Fuchs 1900b, 396. Am deutlichesten formulierte Fuchs diese Auffassung in seinem Traktat Die Schaubühne der Zukunft: „Das Drama ist möglich ohne Wort und ohne Ton, ohne Szene und ohne Gewand, rein als rhythmische Bewegung des menschlichen Körpers." (Fuchs 1905, 41.) Schinkel 1813,423. Vgl. Münchener Künstler-Theater 1908, 36-39. Weder Romstöck 1954, noch Janssen 1957, noch Prutting 1971, Hoßner 1981 und Brauneck 1989 gehen auf diesen Sachverhalt ein. Einzig in der Vorbemerkung zu Schinkels Aufsatz erwähnen Lazarowicz/Balme, daß Schinkels Reformideen erst 1900 durch die Reliefbühne realisiert wurden. (Vgl. Lazarowicz/Balme 1993, 421.) Beispielsweise bezeichnete E. Delacroix 1835 die Dekorationen der Pariser Bühnen als „un ramassis de friperie" (Zitiert nach Wolff 1974, 153.) Vgl. auch Genee 1889, 56-78, der sich auf Schinkel beruft. Die Ablehnung des traditionellen Kulissensystems äußerte sich u. a. auch in der Neubelebung der alten dekorationsarmen Shakespeare-Bühne. (Z. B. L. Tiecks Berliner SommernachtstraumAuffiihrung von 1843. Vgl. Wolff 1974, 149-152. Zu den Rekonstruktionsversuchen der Shakespeare-Bühne von W. Poel seit den 80er Jahren des 19. Jahrhunderts vgl. Speaight 1954.) Zu Appias ersten Versuchen der Überwindung des Kulissensystems seit 1891/92 vgl. Beacham 1987, 8-41. Fuchs 1905, 33. Genöe 1887, 62. Vgl. auch Teil I, Kap. 1 a der vorliegenden Arbeit. Ebd., 76, 69. Fuchs 1901, 208f.

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I. Theaterreform und bildende Kunst in Deutschland

seiner Meinung „mit der gänzlichen Vernachlässigung des Auges (...) rechnet".151 Wenn Genee den Ausstattungsprunk beklagte, so ging er davon aus, daß „das Auge durch den Reichtum der Ausstattung und den ganzen so sehr vervollständigten scenischen Apparat (...) verwöhnt" 152 werde, d.h., er zweifelte nicht daran, daß die Illusionierung von historischer Wirklichkeit auf der Bühne mittels Kulissen, Soffitten und Prospekten möglich sei. Indem Fuchs dagegen fast zwanzig Jahre später von der „Vernachlässigung des Auges" spricht, stellt er jede Möglichkeit einer ,,absolute[n] Illusion der Wirklichkeit" auf der Bühne grundsätzlich in Frage, da diese dem Vergleich mit den ,,Erinnerungsbilder[n]" 153 nicht standhalte, welche das Publikum von der realen Welt hat. Hier präzisiert Fuchs, dem gegenüber der Generation Genees veränderten Wahmehmungs- und Kunstanspruch der Jahrhundertwende gemäß, die Aussagen Schinkels, der bereits zu Bedenken gegeben hatte, daß die Soffitten und Kulissen „überall auseinanderfallen und bei der besten Anordnung nie aus einem einzigen Punkte einen Zusammenhang bilden". 154 Dies meint, daß beispielsweise ein auf die seitliche Kulisse gemalter Baum mit der darüber hängenden blauen Soffitte niemals die perfekte Illusion eines Baumes unter freiem Himmel erzeugen könne. Fuchs teilte diese Ansicht und ergänzte Schinkels Kritik um einen Aspekt, der um 1900 verstärkt als Darstellungsproblem diskutiert wird: Das als visuell unausgewogen empfundene Verhältnis vom beweglichen, dreidimensionalen Schauspieler zur statischen, zweidimensionalen Kulisse ein bühnenästhetisches Problem, das der Herzog von Meiningen ebenso wie die antinaturalistischen Theaterreformer Adolphe Appia und Gordon Craig zur Sprache gebracht haben. 155 Fuchs beschreibt dieses wie folgt: „Die konventionelle Guckkastenbühne spiegelt uns räumliche und landschaftliche Tiefen vor, ohne doch irgend imstande zu sein, die menschliche Figur entsprechend kleiner erscheinen zu lassen." 156 Während der Meininger Herzog nur mildernde Maßnahmen vorgeschlagen hat, die das traditionelle Kulissensystem nicht grundsätzlich in Frage stellten157, begegneten die Theaterreformer um 1900 dieser als ausweglos empfundenen Diskrepanz auf zwei unterschiedliche Weisen: Appia und Craig forderten eine Raumbühne, bei der Tiefenillusion nicht mehr malerisch vorgetäuscht, sondern als real begehbarer Raum gebaut werden soll.158 Fuchs und Behrens schafften ebenfalls die Kulissenbühne ab, hielten aber mit dem gemalten Hintergrundsprospekt an der tradierten Vorstellung des Bühnen- und Kulissenmalers fest, wie noch zu zeigen sein wird.

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Fuchs 1905, 30. Genee 1887, 61. Fuchs 1905, 30ff. Schinkel 1813, 423f. Vgl. Appia 1899. Zu Craig vgl. Grund 1997, 28, Anm. 109. Auch Georg II. von Sachsen-Meiningen thematisierte um 1895, 63 die „weit verbreitete Nachlässigkeit der Regie, daß auf die Stellung des Schauspielers zur Architektur, zu den perspektivisch gemalten Bäumen, Gebäuden usw. nicht genügend geachtet wird." Das Bewußtsein für diese Problematik findet sich allerdings auch schon früher, so z. B. bei Breysig 1799, 56: „Theaterscenen-Mahlerey ist hauptsächlich darum so schwer, (...) weil diese Gemälde mit wirklich lebenden Gegenständen vermischt werden." Fuchs 1908a, 442f. Vgl. Georg II. von Sachsen-Meiningen 1895. Der Herzog von Meiningen stellte beispielsweise Kinder mit Bärten auf die Hinterbühne, um den Eindruck von Entfernung zu erzeugen - ein Experiment, das er selbst als wenig erfolgreich bezeichnet hat. (Vgl. Georg II. von Sachsen-Meiningen 1895, 64.) Vgl. Teil III, Kap. 1 c der vorliegenden Arbeit.

1. 2. „ Virtuosentum der bildenden Künste ": Das Münchener Künstler-Theater

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Seit Ende des 19. Jahrhunderts mehrten sich einerseits Stimmen, die trotz bzw. aufgrund der Weiterentwicklung der Bühnenmaschinerie, vor allem in der Beleuchtungstechnik159, weiterhin Mängel der Illusionswirkung einklagten160, andererseits wuchs auch die Zahl derjenigen, welche dieser Perfektionierung des Dekorationswesens argwöhnisch gegenüberstanden. Die literarisch orientierten Kritiker, wie z. B. Rudolph Genee und später der Münchner Dramaturg Eugen Kilian, gaben hierfür als Hauptgrund an, daß der „Auf- und Untergang der Theatersonne" oder die Tatsache, daß ein „Wasserfall (...) auf der Bühne zum Ereignis geworden"161 sei, vom Darsteller, vor allem aber „von der Dichtung ablenken"162 würde. Dieser Ereignischarakter der bühnentechnischen Nachbildung von Naturphänomenen wurde auch von einem Berliner Theaterkritiker bemängelt, den Carl Hagemann 1902 in seinem Buch über die Regie zitiert. Demnach sollte während einer Auffuhrung der Giaconda ein Unwetter vorgetäuscht werden, und zu diesem Zweck hätten sechs lange Fenstervorhänge so stark geweht, daß „die Sinne der Zuschauer unaufhörlich von dem Dialog abgelenkt" wurden, denn „alle hätten fortwährend auf die wehenden Gardinen gesehen, manchem war obendrein der Akt in Betrachtungen verflossen, wie das wohl technisch angestellt werde, dass die sechs Shawls fortwährend so natürlich wie im Sturme flogen (...). Wahrlich, ein hübscher Dienst, den der Regisseur hier der zarten Dichtung geleistet hatte!"163 Das hier beschriebene vordergründig wahrgenommene Wehen der Vorhänge wird von einem anderen Zeitgenossen im Jahre 1914 als grundsätzliches Merkmal der realistisch-historistischen Theaterästhetik folgendermaßen charakterisiert: „Dies Interesse des Wiederfindens von Dingen der Alltagsumwelt, die Freude an der geschickten Nachahmung, verfuhren leicht zu einem übergroßen stofflichen Interesse, jenem ästhetischen Irrtum vergleichbar, der bei Darstellungen der bildenden Kunst nach dem wiedergegebenen ,Was', anstatt nach dem ,Wie' fragt."164 Das „übergroße stoffliche Interesse", von dem hier die Rede ist, bezeichnet einen grundlegenden Kritikpunkt, den Fuchs mit Rudolph Genee

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Vgl. Baumann 1988, 272-305. So schreibt z. B. Presber 1901, 15: „Die Zeiten, wo der tückische Kaspar in der Wolfsschlucht zu einem ganz unwahrscheinlichen Donnergetön und im Schein von ganz unmöglichen, aus der linken Seitencoulisse mit Rauch und Gestank grell aufzuckenden Blitzen die verdächtigen Kugeln goß, sind längst vorbei. Heute gehört ein schönes, stimmungsvolles Gewitter zu den nötigsten und beliebtesten Requisiten jedes Theaters." Er kritisiert aber, daß „kein Hauch der Befreiung von diesem kopierten Kampf der Elemente her aus den steifen Soffiten (...) weht (...). Für sie duftet es nicht nach erquikkendem Ozon, es riecht nach Leim und Leinwand; und sie hören die Theaterarbeiter beim Geschäft, unter Aufsicht des Inspicienten die Donnermaschine zu bedienen. Ja, selbst der wirkliche Regen macht keinen Eindruck. Er trifft und näßt nur staubige Bretter, nicht die lechzende, atmende Erde." Vgl. auch die Kritik von Schick 1900, sowie die Meinungen von bildenden Künstlern wie H. Deiters, K. Raupp oder A. Fitger innerhalb der Rundfrage Zur Reform der Bühnendekoration der Zeitschrift Bühne und Welt (1904). Vgl. auch Brandt 1898 (Neuabdruck in: Balme 1988, 127-131).

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Kilian 1905, 305f. Genee 1887, 76. Der höhere Stellenwert der Dichtung äußert sich vor allem darin, daß Genee immer wieder zuerst von der Dichtung spricht und den Darsteller, wenn überhaupt, erst an zweiter Stelle nennt. Zitiert nach Hagemann 1902, 73f. Hagemann gibt als Quelle nur an, daß diese Kritik von K. Strecker mit dem Titel Gute und böse Regiekunst in der Täglichen Rundschau erschienen ist (ohne Datumsangabe). Zucker 1914, 18.

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teilte, denn dieses Stoffliche wurde von beiden mit Äußerlichkeit gleichgesetzt.165 So forderte Genee 1887 eine Vereinfachung der „durch unbeschränkte und übertriebene Entfaltung reicher Mittel gehobene Äußerlichkeit" der Bühnendekoration, um wieder auf „die Stimmung der Dichtung selbst und das Spiel der Darsteller"166 zurückzukommen. Wenn Genee hier einmalig von „Stimmung" der Dichtung sprach, während er ansonsten den Begriff Dichtung ohne diesen Zusatz verwendete, kündigt sich ein Aspekt an, der dann später von Fuchs betont wird. Allerdings fand bei Fuchs eine ästhetische Neubewertung statt, die eine „Überwindung der bisher geltenden lehrhaften (literarischen) Auffassung unserer Kunst und ebenso der stofflichen (als ,Lebensersatz' im romanhaften Sinne)"167 anstrebte. Es ist dies eine Herangehensweise, die im Rekurs auf den literarischen Symbolismus, beispielsweise eines Maurice Maeterlinck, das subjektiv Symbolhafte gegenüber dem Objektivitätsanspruch der realistischen Bühnenästhetik favorisiert. Fuchs wollte das Äußerliche, Stoffliche möglichst abschaffen, wohingegen Genee lediglich eine Reduzierung desselben anstrebte: Während Genees Kritik auf eine „einfache Scenerie", eine optische Unterordnung der Ausstattung, hinauslief, die zudem weiterhin einer historischen Korrektheit ohne „auffällige Verstöße"168 Genüge leisten sollte, erfuhr das Visuelle bei Fuchs eine im Vergleich dazu vollkommen neue Wertigkeit, welche sich als intimisiertes Verhältnis von Drama und Dekoration beschreiben läßt. „Dekoration als Ausdruck"169 In einer Rezension zur ersten Münchner Sezessions-Ausstellung 1893 lobt Fuchs die Gestaltung der einzelnen Räume und schildert diese wie folgt: „Die diskreten Farben der Wandbekleidungen, die wohl berechnete Nuancierung und die den aufgestellten Kunstwerken entsprechende Licht-Dämpfung der einzelnen Gemächer erhöhen die ,intime Stimmung' ungemein. Nirgends sind Anleihen bei verflossenen Jahrhunderten gemacht, keine Gobelins, keine Renaissance- und Rokokomotive drängen sich störend in diesen Bereich des souveränen Geistes der Modernen."170 Fuchs faszinierte demnach die durchdachte Anpassung der Räumlichkeiten an die darin gehängten Kunstwerke, d. h., Raum und Bilder ergaben jeweils eine Gesamtstimmung, die er als „intim" bezeichnet. In einem späteren Artikel zitierte Fuchs Joseph M. Olbrich aus einer Festschrift, die anläßlich der Grundsteinlegung des Künstlerhauses von der Darmstädter Künstlerkolonie herausgegeben wurde. Olbrich beschreibt hier das vorgesehene Gestal-

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Diese gängige Sichtweise verdeutlicht beispielsweise auch ein Zitat von L. Wagner aus den 1920er Jahren: „Das Theater wurde zum Museum - die Vorherrschaft des Dekorativen verdrängte den Schauspieler und den Dichter. (...) Man wollte auf der Bühne eine optische Spiegelung des Lebens sehen (...). Die ganze Methode blieb im Stofflichen stecken und klebte an der Außenerscheinung der Dinge." (Wagner 1926, 17.) Genee 1887, 75f. Fuchs 1899a, 302. Genee 1887, 75f. Bahr 1908, 26. Fuchs 1893a, 397.

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tungsprinzip der Häuser auf der Mathildenhöhe, wonach jedem Raum seiner Funktion entsprechend eine spezifische Stimmung verliehen werden sollte: „Das Schlafzimmer nur der Ort des Schlafes, einem ruhigen Abendlied gleichend, für Speise und Trank ein festlich fröhlicher Trinkliedraum, das Bad als perlende Reinheit. Bis unter das Dach das Ganze eine Reihe von Stimmungen. Niemals dabei die Gebrauchsfähigkeit vergessend stets bedacht, daß jedes Stück seinem Zweck entspreche, jedes die ihm zugewiesene Rolle zur Erreichung der beabsichtigten Wirkung vollendet vertrete."171 Als Facette des sich hierin andeutenden Funktionalismus172 veranschaulicht dieses Zitat das Bestreben, die unterschiedlichen Zweckbestimmungen der Räume in adäquaten Farben und Formen zu versinnlichen und den Betrachter in bestimmte Stimmungen zu versetzen. Dieses Gestaltungsprinzip der Kunstgewerbebewegung forderte Peter Behrens in seinen ersten Texten zur Theaterreform auch für die Bühnendekoration. So schreibt er beispielsweise im Jahre 1900: „Die Malerei sollte soweit stylistisch, fast oder ganz zur Auflösung ins Ornament, behandelt werden, dass die ganze Stimmung des Aktes durch Farbe, Linie getroffen wird."173 Daß Behrens' Empfehlung in verblüffender Weise einem Leitsatz ähnelt, den fast zehn Jahre früher der französische Symbolist Piene Quillard geprägt hat, wurde von der Forschung bisher übersehen. Quillard schrieb im Mai 1891 in der Zeitschrift La Revue d'Art Dramatique: „Die Bühnendekoration muß eine reine ornamentale Fiktion sein, die Illusion und Drama durch Analogien der Farbe und der Linien gegenseitig ergänzt".174 Diese neuartige Definition von Bühnenausstattung erschien kurz nach der ersten Inszenierung des kurzlebigen Pariser Theätre d'Art (1890-1892), für welche ein Mitglied der Künstlergruppe Nabis, Paul Serusier, die Dekorationen entworfen hatte.175 Inwiefern die symbolistischen Theorien zur Theaterdekoration bzw. die elitären Theaterexperimente des Theätre d'Art und des nachfolgenden Theätre de l'CEuvre, die gemeinsam mit den Malern der Na6/j-Gruppe erarbeitet wurden176, in Deutschland bekannt geworden sind, läßt sich schwer nachvollziehen. Es wäre möglich, daß diese neuen Tendenzen der französisch-symbolistischen Bühnenästhetik im Münchner Kreis um Stefan George diskutiert worden sind, in dem sowohl Georg Fuchs als auch Peter Behrens verkehrte.177 Naheliegender ist jedoch die Annahme, daß Behrens durch den Wiener Publizisten Hermann Bahr, der nicht nur den Symbolismus in Frankreich direkt rezipiert hat, sondern ein spezielles Interesse für das

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Olbrich zitiert bei Fuchs 1900a. Allerdings ist diese Passage nicht in der von Fuchs angegebenen Quelle enthalten. (Vgl. Sonderheft der Künstler-Kolonie Darmstadt als Festschrift zur Feier der Grundstein-Legung ihres Arbeits-Hauses auf der grossherzoglichen Mathildenhöhe. Hrsg. von A. Koch, Darmstadt 1899.) Zu den Anfängen des Funktionalismus vgl. Posener 1964. Behrens 1900a, 405. Quillard 1891, 180: „Le decor doit etre une pure fiction ornementale qui complete l'illusion par des analogies de couleur et de lignes avec le drame". Vgl. auch Robichez 1957; Bablet 1965a, 148-156. Die Dekorationen des Theätre d'Art bzw. des Theätre de l'CEuvre sind nicht erhalten und es existieren auch keine Auffuhrungsfotos. Zum Einfluß der Nabis auf die Theorien zur symbolistischen Theaterdekoration vgl. Robichez 1957, 105-110, 168; Bablet 1965a, 148-164; Freches-Thory/Perucchi-Petri 1993, 399-406. Allerdings muß man hinzufügen, daß George als Dichter das Theater ablehnte. Vgl. Bayerdörfer 1991, 123.

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Theater hegte, über die Pariser Theaterexperimente informiert worden ist, denn beide waren ab 1899 in der Darmstädter Künstlerkolonie beschäftigt. Die Grundstimmung der Dichtung soll demnach in eine vereinfachte, stilisierte Bühnendekoration übersetzt werden, welche in der „teilnehmende [n] Phantasie"178 des Zuschauers eine adäquate Stimmung auslöst. Das hierin ersichtliche Bestreben einer Annäherung von Dichtung und Ausstattung ist Ausdruck eines intimisierten Verhältnisses von Drama und Dekoration, das sich vom historistisch-realistischen Bühnenillusionismus abgrenzen läßt: Während dort die Ausstattung weitestgehend unabhängig vom Text das jeweilige historische Erscheinungsbild, den äußeren illustrativen Rahmen der Theaterhandlung, detailreich nachzubilden sucht, sollte nun der „Schauplatz zum dramatischen Ausdruck (...), zur Resonanz des inneren Geschehens"179 werden, wie ein Beobachter in den 1920er Jahren diese Tendenz der Szenengestaltung beschreibt, die sich seit der Jahrhundertwende auch in der allgemeinen Theaterpraxis allmählich durchgesetzt hatte. Fuchs propagierte die von Behrens oder Bahr übernommene Idee einer intimisierenden Bühnendekoration ab 1900 in seinen Schriften.180 Neben diesen Gestaltungsabsichten, die sich aus der Jugendstil- bzw. der Kunstgewerbebewegung und somit der bildenden Kunst herleiten, führte Fuchs in seinem Buch Die Schaubühne der Zukunft von 1905 eine weitere Inspirationsquelle an, die dem Theaterkontext angehört: das japanische Theater. Die Bedeutung der japanischen Kunst für die europäische Moderne seit Ende des 19. Jahrhunderts ist von der kunsthistorischen Forschung vielfach untersucht worden181, und Jutta Boehe hat diesen Einfluß bereits 1968 auch für das Theater geltend gemacht.182 Das erste Gastspiel einerjapanischen Schauspieltruppe fand im Jahre 1900 auf der Pariser Weltausstellung statt, und diesem folgte eine ausgedehnte Tournee durch Europa, die in zahlreichen Rezensionen begeistert besprochen wurde. Fuchs, der vermutlich eine Aufführung von Otojiro Kawakamis Truppe 1901 in Wien oder Berlin gesehen hat, beschreibt den japanischen Bühnenstil als vorbildhaft für die Schaubühne der Zukunft, denn er „folgt mit Farbenkomposition der Gewänder und der Ausstattung der Szene ganz wundervoll dem psychischen Gange des Stückes. Wir haben z. B. eine Szene, in welcher ein Mann und eine Frau sich anfangs ganz harmlos unterhalten. Plötzlich nimmt das Gespräch eine ernste, gefahrvolle Wendung. Im Nu wird der koloristische Akkord umgestimmt. War er erst etwas helles Grün mit Kirschblüte, so fallen nun plötzlich die Mäntel, eine Matte wird aufgerollt, einige Statisten treten in den Hintergrund, einige neue Geräte und Stoffe werden gebracht, und der Akkord ist mit einem Male blutrot mit schwarz geworden: unheimlich, grausig".183 Damit gab Fuchs ein theaterpraktisches Beispiel, wie der szenische Rahmen gewissermaßen mitspielt, d. h. wie dem Gang der dramatischen Handlung auch auf visuell-gegenständlicher

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Behrens 1900b, 49. Wagner 1926,22. Z. B. Fuchs 1902, 121: „Wie der grosse Raum in allen Teilen der Dichtung entsprechend abgestimmt ist, so treffen auf der Bühne die Farben und Formen dieser Stimmung gleichsam zu ihrem Glanzpunkt zusammen." Vgl. auch Fuchs 1905,49ff. Stellvertretend sei hier nur auf Freches-Thory/Perucchi-Petri 1993 verwiesen. Vgl. Boehe 1968, Teil I, 35^10. Fuchs 1905, 78.

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Ebene Nachdruck verliehen wird. Dieses intimisierende Prinzip hat Hermann Bahr „Verseelung der Dekoration" bzw. „Dekoration als Ausdruck"184 genannt, und der russische Regisseur Wsewolod Meyerhold vermerkt 1908 in seinem Tagebuch: „Die Reformer des zeitgenössischen Theaters haben den malerischen Aspekt einer Aufführung in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit gerückt. Sehr bedeutsam erscheint ihnen die Rolle der farbigen Flächen, das Wechselspiel der Linien, die Ausdruckskraft der Gruppen. Die Idee eines Stücks kann nicht nur über den Dialog feinfühlig angelegter Gestalten ausgedrückt werden - auch über den Rhythmus des gesamten Bildes, jenes Bildes, das der Maler mit Farben auf die Bühne wirft und der Regisseur über die Stellung der Praktikabel, den Ablauf der Bewegung, die Arrangements festlegt."185 Bild-Fläche und Relief-Tableau Die Theorie der Reliefbühne wird von den Theaterhistorikern Walter Romstöck und Lenz Prutting vorrangig auf Einflüsse der zeitgenössischen bildenden Kunst zurückgeführt: einerseits auf die, wie Fuchs es selbst ausdrückte, Jüngste Entwicklungsrichtung der Malerei, die so sehr das Flächenprinzip hervorkehrt"186, andererseits auf die Relieftheorie, welche der Bildhauer Adolf von Hildebrand in seinem erstmals 1893 erschienenen Traktat Das Problem der Form in der bildenden Kunst entwickelt hat - eine Schrift, auf die sich Fuchs ausdrücklich bezog.187 Der kleinste gemeinsame Nenner dieser beiden Inspirationsquellen ist das gegenüber der realistisch-naturalistischen Kunst neuartige Thematisieren der BildFläche. So vertrat Fuchs 1905 in der Schaubühne der Zukunft einen Bildbegriff, der stark an der dekorativ-flächenhaften Formensprache des Art Nouveau/Jugendstils orientiert war, eine Tatsache, auf die weder Romstöck noch Prütting fundiert eingehen.188 Indem Fuchs die Fläche als „Gesetzmäßigkeit", als „Grundprinzip des malerischen Schaffens" und die Malerei „als echte Kunst der zeichnerisch und koloristisch belebten Fläche"189 definierte, spiegelt sich hierin das bereits 1890 von dem Nabi Maurice Denis geprägte Diktum, wonach ein Bild zuallerst eine mit Farben bedeckte Fläche sei.190 Fuchs dürfte diesen paradigmatischen Ausspruch nicht gekannt haben, aber als Kenner und Verfechter der zeitgenössischen Kunst beruft er sich auf die „Münchener Malerei", welche von einem „dekorativen Zuge beherrscht" werde, der sich vor allem darin äußere, daß diese Bildideen - und hier nennt er als

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Bahr 1908,26. Meyerhold 1979, Bd. 1, 166. Fuchs 1905, 54. Vgl. Hildebrand 1901, 73-93; Fuchs 1909, 115. Vgl. Romstöck 1954, 166-173; Prütting 1971, 176178, 183-193. Während beide Autoren den Einfluß von Hildebrands Theorien relativ ausführlich diskutieren, wird der Zusammenhang zur zeitgenössischen Malerei und Grafik von Romstöck nur konstatiert. (Vgl. Romstöck 1954, 173.) Pruttings Versuch einer Herleitung der „Flächen-Kunst des Jugendstils als Modell des neuen Theaters" ist ohne kunsthistorischen Sachverstand allein aus theaterwissenschaftlicher Perspektive behandelt. (Vgl. Prütting 1971, 176-178.) Fuchs 1905, 55. Denis 1913, 1: „Se rappeler qu'un tableau - avant d'etre un cheval de bataille, une femme nue, ou une quelqonque anecdote - est essentiellement une surface plane recouverte de couleurs en un certain ordre assemblees." Vgl. Hofstätter 1963, passim; Humbert 1967, 91.

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I. Theaterreform und bildende Kunst in Deutschland

weiteres Vorbild die mittelalterliche Tafelmalerei - durch „unperspektivische (...) Bildabschlüsse" gekennzeichnet seien, wo ,jeder Wunsch nach einer naturalistischen Illusionsund Tiefenwirkung ausgeschlossen bleibt."191 Unter „Bild und bildmäßiger Wirkung" 192 versteht Fuchs demnach keine illusionistische Erzeugung von dreidimensionaler Räumlichkeit, sondern für ihn ist Bild gleich zweidimensionale Fläche, über die nicht hinweggetäuscht werden soll. Damit vertrat Fuchs einen Bildbegriff, der für das Jahr 1905 als ausgesprochen progressiv zu bewerten ist. Zugleich ist man hier an einem Punkt angelangt, der den maßgeblichen Unterschied der Fuchsschen Theaterreform zu den gleichfalls antinaturalistischen Bühnenkonzeptionen von Appia und Craig markiert: Während Appia und Craig die Raumbühne forderten, übertrug Fuchs einen Bildbegriff, der das Zweidimensionale formal verabsolutiert, auf das Theater. In Georg Fuchs' Vorstellung ist die Bühne „von geringer Tiefe im Verhältnis zu ihrer Breite (6:10 etwa)" und wird von einem bemalten Hintergrundprospekt abgeschlossen, das „rein als flächenmäßiges Bild wirkt, nicht als ,Tiefe', nicht als räumliche Illusion." Diese schmale Bühne fungiert als Bildfläche, innerhalb der sich eine dramatische Handlung vollzieht, die entsprechend räumlich eingeschränkt bleibt und auf raumgreifende Bewegungen verzichtet: „Wir sind gezwungen, auf den Illusionismus der Kulissenbühne zu verzichten, das Bild als Bild sprechen zu lassen und die dramatische Bewegung vor dem Bilde, ausdrücklich vor dem Bilde zu entwickeln, kurz, uns der Gesetzmäßigkeit des Reliefs zu nähern, welches ebenso im Vordergrund die figürliche Komposition klar herausbildet und den nur im Großen angedeuteten, lediglich impressionistisch-suggestiv wirkenden Hintergrund dazu nicht in Perspektive setzt."193 Der von Fuchs hier verwendete Begriff des Reliefs wird von Romstöck und Prutting allein auf seine Rezeption der Hildebrandschen Relieftheorie von 1893 zurückgeführt. Eine solche Interpretation verschleiert jedoch den komplexen Rahmen der Fuchsschen Theoriebildung, die sich zwar einerseits vorrangig aus der zeitgenössischen Bildästhetik erklären läßt, andererseits aber dezidiert auch historische Quellen wie Schinkel, Goethe und Tieck einbezieht.194 Die inhaltlichen Schwerpunkte dieser Inspirationsquellen lassen sich in zwei Kate-

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Fuchs 1905, 53f. Als Beispiele für mittelalterliche Malerei nennt er die „frühen ravennatischen Mosaizisten", die italienischen „Trecentisten von Siena und Florenz" sowie die „altniederländischen, altfranzösischen und altdeutschen Meister des gotischen Zeitalters" (ebd., 52). Für die zeitgenössische Malerei gibt Fuchs nur Künstler aus der 2. Hälfte des 19. Jahrhundert an, wie z. B. P. Puvis de Chavannes und H. v. Marees, während er die jüngste Entwicklung der deutschen Kunst nicht näher charakterisiert. Es ist vorstellbar, daß er sich hier z. B. auf P. Behrens' Grafik der 1890er Jahre bezieht, in der stark das Flächenprinzip herausgearbeitet ist. In seiner Publikation Die Revolution des Theaters verweist Fuchs auf das serielle Bildkonzept F. Hodlers, wo die Figuren vor einem „nahen, ruhig abschließenden Hintergrunde" gesetzt sind, der folglich nicht perspektivisch behandelt ist. (Fuchs 1909, 106.) Fuchs 1905, 55. Ebd., 47, 96ff. So schreibt Fuchs 1908a, 444: „Das Drama und sein lebendiger Träger, der Schauspieler, bedürfen, um zur höchstmöglichen Wirkung zu gelangen, eine Reliefwirkung der szenischen Erscheinung, wie sie Goethe (Basrelief), Schinkel und alle Grossen angestrebt, die sich je mit dem Theater befasst haben."

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gorien einteilen: zum einen der Rückbezug auf das antike Theater bzw. die ShakespeareBühne, zum anderen die Idee des Stellens von Tableaus. So bezog sich Schinkel auf das griechische Theater und schlug in seinem Traktat aus dem Jahre 1813 eine von Soffitten und Kulissen befreite Bühne vor, bei der nur mittels eines gemalten Hintergrundprospektes eine „symbolische Andeutung des Orts" vorgenommen werden soll.195 Während Schinkel in diesem Zusammenhang nicht explizit von einer zu erstrebenden Reliefwirkung sprach, forderte Ludwig Tieck im Rekurs auf die Shakespeare-Bühne eine Art Relief: „Man müßte die Tiefe, die bei uns alles verdirbt (...) wieder aufgeben und (...) alles sozusagen ins Profil ziehen."196 Fuchs, der sich u. a. auf diese beiden Textstellen bezieht197, gibt als weitere Quellen beispielsweise Schriften zum antiken Theater an, wonach „das antike Bühnenbild in großer Breite bei ganz geringer Tiefe gestaltet"198 war, vor dem die Darsteller „ein bewegliches Relief 1 , 9 9 bildeten. Er beruft sich zudem mehrmals auf Goethe und dessen Rede vom „Basrelief', welches auf das Theater zu übertragen sei. 200 Wichtig ist, daß der Begriff des Reliefs in diesem Zusammenhang mit dem des Bildes bzw. des Tableaus gleichzusetzen ist, welches als visuell-bildnerisches Ordnungsprinzip für die Schauspielerfuhrung fungiert, denn es ging letztlich um eine „bildmäßige"20' Wirkung der Bühnendarstellung, wie sie bereits Denis Diderot in den Unterredungen über den ,Natürlichen Sohn' oder Johann Wolfgang von Goethe in den Regeln für Schauspieler gefordert haben.202 In Fuchs' Theorie ist das Tableau, die „figürliche Komposition", wie er es nennt203, nicht räumlich und damit perspektivisch angelegt, sondern flächig, d. h., die Darsteller bewegen sich nach der „Gesetzmäßigkeit des Reliefs" in der Fläche vor einem Hintergrundprospekt, das gleichfalls nur Fläche darstellt. In ähnlicher Weise argumentiert auch Behrens,

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Schinkel 1813, 422. (Vgl. auch den Neuabdruck in: Münchener Künstler-Theater 1908, 36-39, hier: 37.) Der von Lazarowicz/Balme 1988, 421 festgestellte „Verzicht auf die Tiefenperspektive zugunsten einer flachen Raumbühne" im Schinkelschen Konzept ist jedoch anhand dieses Textes nicht nachweisbar. Schinkel wendet sich allein gegen die „zerstückelte Komposition" der Kulissen und Soffitten, nicht aber gegen eine perspektivische Wirkung des im klassizistischen Sinne kompositionell vereinfachten Hintergrundprospektes (Vgl. Schinkel 1813a, 38f.) L. Tieck, zitiert nach Münchener Künstler-Theater 1908, 44. Beide Autoren wurden in dem Programmbuch zur Eröffnung des Münchener Künstler-Theaters 1908 zitiert, das wesentlich in der Redaktion von Fuchs entstanden sein dürfte. (Vgl. Münchener KünstlerTheater 1908, 36-39, 44.) Fuchs 1905, 58. Fuchs bezieht sich hier auf C. Moritz: Die Entwicklung des modernen Theaters. In: Deutsche Bauzeitung. Nr. 98ff., 1904. Fuchs bezieht sich hier auf H. Taine, ohne die genaue Quelle anzugeben. (Vgl. Fuchs 1909, 57.) Daß dieses Zitat authentisch ist, steht außer Frage, da Fuchs stets genau recherchiert hat und die Quellen korrekt zitiert. In einem Brief an A. W. Schlegel schrieb Goethe am 27. 10. 1803: „Wir führen hier den Julius Cäsar (...) nur mit symbolischer Andeutung der Nebensachen auf und unser Theater ist, wie ein Basrelief, oder ein gedrängtes historisches Gemälde, eigentlich nur von den Hauptfiguren ausgefüllt." (Goethe 1894, 335; vgl. Baumann 1988, 249f.) Vgl. Fuchs 1908a, 444 bzw. Fuchs 1909, wo er sich wiederholt auf Goethe bezieht. Fuchs 1905, 55. Vgl. Diderot 1986, 81-179, hier: 98; Goethe 1973, vor allem der Absatz „Stellung und Bewegung des Körpers auf der Bühne", 77f.: „... man muß nur immer suchen das Schönste mit dem Wahren zu vereinigen, und das vorzustellende Bild durch keine widrige Stellung zu verunstalten." Fuchs 1905, 97f.

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I. Theaterreform und bildende Kunst in Deutschland

der im Jahre 1900 eine „reliefartige Wirkung" für die Bühne fordert204 und im Rekurs auf die französisch-symbolistische Theaterästhetik davon spricht, daß die „Malerei (...) bis zur Auflösung ins Ornament behandelt werden" solle.205 Diese vollständige Ablehnung der malerischen Erzeugung von Raumillusion auf einem Hintergrundprospekt unterscheidet die Fuchs-Behrenssche Theorie der Reliefbühne von den historischen Bühnenreformen eines Schinkel, Tieck und Goethe, weil sie letztlich am perspektivischen Hintergrundprospekt und damit an der Raumillusion - festhielten, denn das Konzept Bild als Fläche wurde erst nach 1890 zur ästhetischen Kategorie. In diesem Sinne ist die Reliefbühne „kein technischer, sondern ein stilistischer Begriff, wie Fuchs 1909 hervorhebt.206 Wenn Fuchs 1905 von der „Gesetzmäßigkeit des Reliefs" spricht, so bezieht er sich hier noch nicht explizit auf die Theorie Adolf von Hildebrands. Erst im Jahre 1909 rekurriert er auf dessen Schrift Das Problem der Form und zitiert den folgenden Satz des Bildhauers: „Nicht die Grundfläche des Reliefs (der Hintergrund) soll als Hauptfläche wirken, sondern die vordere Fläche, in der sich die Höhen der Figuren treffen."207 Da Fuchs, wie bereits gezeigt wurde, in einer Theaterreform-Tradition stand, die für eine Vereinfachung der Kulissenbühne eintrat, um „den Schauspieler und seine Ausdrucksmittel"208 zu betonen, ist es naheliegend, daß er in der Hildebrandschen „Reliefauffassung" eine Bestätigung fand. Diese wahrnehmungsästhetischen und kunsttheoretischen Überlegungen zur bildhauerischen Reliefgestaltung verwendete Fuchs ab 1909 als Untermauerung seiner Theorie. Hildebrand, der in seinem Traktat nicht auf bühnenästhetische Fragen eingegangen war, zeigte wiederum Interesse am Theater, indem er neben Malern wie Franz von Stuck und Fritz von Uhde 1908 Mitglied im Künstlerischen Beirat des Vereins Münchener Künstler-Theater wurde.209 In seiner Schrift Das Problem der Form unterteilt Hildebrand den menschlichen Gesichtssinn „in eine rein schauende und in eine sich bewegende Augenthätigkeit". Die bewegte Sehtätigkeit sei demnach erforderlich bei einem „Nahbild", welches dadurch entstehe, daß das Auge näher liegende Gegenstände abtastet, um die Erkenntnis der dreidimensionalen Form „durch ein zeitliches Nacheinander von Wahrnehmung zu gewinnen." Ein „Fembild" hingegen entstehe durch das „rein schauende" Sehen, d.h., die aus der Ferne ruhig blickenden Augen, deren Achsen parallel stehen, empfangen „ein Bild, welches das Dreidimensionale nur in Merkmalen auf einer Fläche ausdrückt." Dieses „Fernbild" ist somit zugleich Flächenbild, welches, so Hildebrand, gegenüber dem „Nahbild" den Vorteil habe, ein „einheitliches Gesamtbild" zu ermöglichen, das sich zugleich in einem „einheitlichen Sehakt" erschließe. Für die künstlerische Gestaltung erstrebte er ein solches „einheitli-

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Behrens 1900b, 48. Fuchs spricht in seinen Schriften erst ab 1902 von „reliefartiger Wirkung" und er zitiert diesen Ausspruch von Behrens. (Vgl. Fuchs 1902, 121.) In seinen früheren Schriften zum Theater (z. B. Fuchs 1899a, b, c; Fuchs 1901) beschäftigt er sich ausschließlich mit den künstlerischen Mißständen der deutschen Bühnen, ohne formale Lösungen anzubieten. Erst durch Behrens scheint er mit der Idee des Reliefs bekanntgeworden zu sein und in seinen ersten Äußerungen über die Reliefbühne argumentiert er mit Behrens' Worten. (Vgl. Behrens 1900b, 48; Fuchs 1902, 121.) Behrens 1900c. Fuchs 1909, 94. Ebd., 102. Vgl. Hildebrand 1901, 81. Fuchs 1905,96. Vgl. Münchener Künstler-Theater 1908, 5. Stuck war sogar - neben Fuchs - Mitglied des Vorstandes.

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ches Gesamtbild", das mittels „Vereinfachung und Koncentration (...) die zerstreute Anregung der Natur"210 zu übertreffen vermöge. Es ging ihm um klare Überschaubarkeit und disziplinierte Gliederung der Binnen- und Umrißformen. Dieser Aspekt der neoklassizistischen Kunsttheorie Hildebrands entspricht der Fuchsschen Theaterästhetik, welche, so vermerkt ein Kritiker 1912, ebenso wie die Ideen von Peter Behrens „zur dekorativen Disziplinierung drängt"211 und damit auf eine Konzentration des Zuschauerblicks hinausläuft. An diesem Punkt wird zugleich deutlich, daß Zielsetzungen der dekorativ orientierten Jugendstilästhetik mit denen des formstrengen Neoklassizismus zusammenlaufen können.212 Ein wichtiger Indikator hierfür ist Hildebrands Betonung der Fläche, für deren Bezeichnung er das Synonym „Fernbild" verwendet, und in seiner Theorie fußt die „Reliefvorstellung (...) auf dem Eindruck eines Fernbildes." Diese sei in der Formgestaltung einerseits durch eine „Vereinfachung der gegenständlichen Erscheinung" gekennzeichnet, andererseits dadurch, daß sich die dargestellten Figuren innerhalb einer Flächenschicht von gleichem Tiefenmaß ausbreiten, indem „so viele Höhepunkte der Darstellung in einer Fläche liegen, daß sie den Eindruck der Fläche hervorrufen." Somit wird die vordere Fläche betont, „in der sich die Höhen der Figuren treffen." 213 Das Bespielen dieser vorderen Fläche ist es, was Fuchs unter Figurenrelief auf der Bühne verstand: Die Vorderbühne, das Proszenium, sei „der eigentliche Schauplatz"214, denn auch für das Drama, so schreibt er 1909, „sind die ,Höhen der Figuren', d. h. ihre am weitesten hervortretenden Züge und Aktionen die Hauptsache, werden daher durch den dramatischen Vorgang selbst immer in die vorderste Fläche getrieben". Fuchs bezieht sich hier zwar auf Hildebrand, er argumentiert aber nicht mit bildnerischen Absichten, sondern mit - nach seiner Ansicht - spezifisch schauspielerischen: „Es ist eine Erfahrung, so alt wie das Theater selbst, daß sich Sänger und Sprecher unwillkürlich in einer Figurenanordnung im Reliefe ähnlichen Weise nach vom drängen und immer einer neben den andern, sobald es gilt sonderlich wichtige Stellen oder auch nur ,Effekte', .Pointen', ,Glanzpunkte', ,Bomben-Nummern' anzubringen."215 Was Fuchs hier als Relief bezeichnet, beschreibt die um 1900 durchaus noch gängige Praxis des Rampenspiels einzelner Schauspielervirtuosen. In seiner Argumentation entspricht die schmale Reliefbühne diesem „vorwärts gerichteten Drange"216 der Schauspieler. Fuchs rekurrierte in seiner Reliefbühnenidee somit nicht allein auf die bildnerische Relieftheorie Adolf von Hildebrands, wie es Romstöck und Prütting nahelegen, sondern führte stets auch Beispiele aus Theaterpraxis und Theatergeschichte an. Auffallend ist dabei, daß sich Fuchs

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Hildebrand 1901,20f., 24, 32, 53. Schur 1912, 56. Die von Hamann/Hermand 1967 vorgeschlagene Chronologie „ästhetisch-dekorative Phase", „volkhaft-monumentale Phase" und „werkbetont sachliche Phase" der Stilkunst um 1900, die von der Forschung häufig übernommen wurde (z. B. Boehe 1968, Teil I, 14), ist damit kaum haltbar, weil sie von einer linearen Stilabfolge und nicht von der Gleichzeitigkeit der Stilphänomene ausgeht. Hildebrand 1901, 79, 59f.,80f. Fuchs 1905,47. Fuchs 1909, 102, 100, 96. (Hervorhebungen v. Vf.) Ebd., 97.

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vorrangig auf bildbezogene Theaterformen berief, die seinem Bildbegriff entsprachen, wie z. B. das japanische Theater217 oder die mittelalterlichen Mysterienspiele. Tableau und Sprache Ein wesentlicher Aspekt, den Fuchs weiterhin im Zusammenhang mit der Reliefwirkung anführte, ist die Sprache. Diese war neben der dominanten Bühnenpräsenz des Darstellers von maßgeblicher Bedeutung, denn durch geringere Bühnentiefe und Abschaffung des konventionellen Kulissensystems glaubte Fuchs, die Schallwirkung in Richtung Zuschauerraum zu verstärken, so daß „unsere Dichter zum erstenmal ganz verstanden werden."218 Dies verdeutlicht, daß es Fuchs zwar um eine neue Form von „bildmäßiger Wirkung"219 ging, aber die optische Ebene wurde komplettiert durch eine auditive, die in ihrer Bedeutung gleichrangig war. So schreibt bereits Behrens 1900 in seinem Theatermanifest: „Wohl muß verlangt werden, dass die Kunst der Dichtung uns wahrhaft künstlerisch vorgetragen werde."220 Dementsprechend bezeichnet Behrens den Schauspieler als „Priester des Wortes, der schönen Gebärde und des Tanzes".221 Der Bühnenpraktiker Max Martersteig kennzeichnet diese Schauspielkonzeption als „Dramaturgie des lebenden Bildes", weil sie sich deutlich vom „Spiel der Leidenschaften, das dem Dramatiker vorschwebt"222 unterscheide - ein Problem, das 1908 anläßlich der Faust-Aufführung des Münchener Künstler-Theaters diskutiert wurde. Tatsächlich ging es Behrens nicht um das schauspielerische Aufgehen in einer Rolle, wie es beispielweise das zeitgenössische Stanislawski-System vorschreibt, sondern um eine weitestgehend statische, symbolhafte Repräsentaion einer Idee durch den Darsteller, der die Dichtung rezitiert, aber nicht verkörpert.223 Hierin findet sich erneut eine Parallele zum symbolistischen Darstellungsstil des Pariser Theätre d'Art bzw. des Theätre de l'CEuvre (1890-1897), dessen Aufführungen Behrens jedoch nicht aus eigener Anschauung gekannt hat. Möglicherweise war er aber durch seinen Darmstädter Kollegen Herrmann Bahr über die Ideen Aurelien Lugne-Poes, dem Leiter des Pariser Theätre de l'CEuvre, informiert. Lugne-Poe forderte im Oktober 1896 im Mercure de France einen entindividualisierten Schauspielstil, der nur wenige, langsam ausgeführte Gesten und Bewegungen zuläßt, während der dramatische Text in monotoner Deklamation vorgetragen werden soll.224 Fuchs, der eine ähnlich symbolistische Schauspielkonzeption vertrat, bezeichnete diese „vorschauspielerische (...) Stufe" der Bühnendarstellung am Beispiel der Oberammergauer Pas-

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Daß die japanische Theaterform um die Jahrhundertwende im Gegensatz zum europäischen Theater vor allem als stark bildlich rezipiert wurde, belegt z. B. ein Artikel B. Kellermanns über die japanische Schauspielkunst. (Vgl. Kellermann 1912; Scheffler 1904, 70; Schur 1912, 57f. Vgl. auch Fischer-Lichte 1995, 178f.) Fuchs 1905, 58. Ebd., 55. Behrens 1900b, 49. Behrens 1901,29. Gespräch Martersteig/Behrens (Behrens 1900c). Behrens spricht hier von „schönen Menschen in prächtigen Gewandungen", die „mit feinen Bewegungen die schönste Sprache reden. Die Kostüme der Chöre und Statisten sind für koloristische Wirkungen auszunützen, die der Hauptdarsteller als selbständige Kunstwerke." Vgl. die Regieanweisungen zu Dehmels Lebensmesse. (Behrens 1901.) Lugn6-Poe 1896. Zum symbolistischen Schauspielstil vgl. Tribble 1990, 679-684.

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sionsspiele als „sprechende Maske".225 Es sind somit sprechende lebende Bilder, die Fuchs und Behrens, vermutlich in Anlehnung an die Ideen der französischen Symbolisten, auf der reliefartigen Bühne zur Darstellung bringen wollten. Bereits 1905 war sich Fuchs im klaren darüber, daß „niemals ein Bild auf die Bühne zu .übertragen'" sei, „da der Stil der Bühne ein Stil der Bewegung ist."226 An diesem Punkt befand er sich in einem ähnlichen Zwiespalt wie schon Diderot, denn ein Bild, welches auf der Fläche fixiert ist, ergibt noch keine bühnenwirksame Handlung.227 Fuchs versuchte dieser Diskrepanz - statisches Bild versus bewegtem Bühnenvorgang - auf theoretischer Ebene zu entgehen, indem er annahm, daß es eine innere Gesetzmäßigkeit des Theaterspiels gebe, wonach „nicht etwa durch bewußte Anordnung, durch .Stellen' nach bildnerischen Absichten" Tableaus bzw. Reliefs entstehen, sondern diese „erzeugen sich von selbst aus dem dramatischen .Betrieb' (...). Jede dramatische Aktion treibt dazu, ihre Höhepunkte, verkörpert in den Darstellern, in eine Fläche zu legen."228 Es handele sich um eine Folge von „Moment-Reliefs", die jeweils auf einen sich auch im Visuellen manifestierenden dramatischen Höhepunkt zulaufen, so, wie es Diderot in ähnlicher Weise für die an der Malerei geschulten Theatertableaus gefordert hat. Als Argument für seine Theorie verwies Fuchs 1909 nicht auf Diderot, sondern interessanterweise auf die Nähe zur filmischen Bilderfolge229, eine Haltung, die im Hinblick auf die zeitgenössische Kino-Debatte230 als durchaus progressiv zu bewerten ist. In der Schaubühne der Zukunft sollten demnach bewegte lebende Bilder aufgeführt werden, die im Gegensatz zum damaligen Stummfilm durch eine sprachliche Tonspur bereichert werden.

c) Die Faust-Aufführung 1908 und ihre Kritiker Die Reliefbühnenidee, welche Georg Fuchs seit 1905 progagiert hatte, konnte 1908 in Zusammenarbeit mit dem Münchner Architekten Max Littmann realisiert werden 231 Das Münchener Künstler-Theater wurde anläßlich der Ausstellung München 1908 errichtet und sollte in der Folge auch nur im Sommer parallel zu laufenden Ausstellungen bespielt werden. Als

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Fuchs 1911, 55f. Fuchs 1905, 52. Zu Diderot vgl. Heeg 2000. Auch A. von Hildebrand reflektiert dieses Problem im Programmbuch des Münchener Künstler-Theaters: „Der, welcher Ruhe und Zeit hat, das Augenbild abzulösen vom Vorgang, befindet sich außerhalb des rein dramatischen Zusammenhangs, die Kette ist zerrissen und er ist ein bildender Künstler. Hier liegen die Gesichtspunkte der beiden Künste beim Erlebnis weit auseinander, und sie müssen es, sobald jeder einheitlich bleiben soll." (Hildebrand 1908, 10.)

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Fuchs 1909, 100. Ebd.: „Zerlegen wir nun (...) die Bewegung ,Drama' so wie die Kinematographen-Aufnahme einen Bewegungsvorgang in kleinste Einzelphasen, .Momentaufnahmen', zerlegt, so erhalten wir für den Augeneindruck jedesmal ein reliefartiges Bild." Vgl. die von Kaes 1978 herausgegebenen zeitgenössischen Texte. Grohmann behandelt in seiner Dissertation von 1935 die bauliche Planung und Ausfuhrung des Künstler-Theaters, welche in einigen Punkten vom Fuchsschen Konzept abwich. Eine entscheidende Veränderung betraf beispielsweise die Bühnentiefe: Aus den ursprünglich geforderten Bühnenmaßen von 6 zu 10 Metern wurden 8,70 zu 10 Meter, was die räumlichen Bedingungen der flächigen Reliefwirkung um 2,70 Meter verringerte. (Vgl. Grohmann 1935, 12-21.)

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I. Theaterreform und bildende Kunst in Deutschland

Eröffhungsinszenierung wurde am 17. Mai 1908 der erste Teil von Goethes Faust gegeben. Hierfür zeichneten Georg Fuchs, der Münchner Künstler Fritz Erler, der Komponist Max Schillings und der Regisseur Albert Heine verantwortlich. Die einzelnen Verantwortlichkeitsbereiche folgten einer von der damaligen Theaterpraxis abweichenden Ordnung: Während sich zu dieser Zeit der Regisseur als künstlerischer Leiter einer Inszenierung bereits durchgesetzt hatte, wie das Beispiel Max Reinhardt belegt232, war der Regisseur bei der Münchner Faw5/-Inszenierung eher untergeordnet, denn das Regiebuch wurde von Georg Fuchs in Zusammenarbeit mit Fritz Erler erstellt, und Albert Heine hatte diese prinzipiell fertig ausgearbeiteten Regieanweisungen auf der Bühne umzusetzen.233 Bereits im Vorfeld der Eröffnung des Künstler-Theaters gab es über die zu erwartenden Neuerungen rege Diskussionen. So schreibt Fuchs 1909 rückblickend: „Die Wortführer der Literatur hatten die Gründung des Künstlertheaters mit einer nervösen Angst begrüßt (...). Sie hatten geweissagt, nun werde die Arroganz der bildenden Künstler Drama und Schauspieler in Bildlichkeit und zweckwidriger Maler-Phantastik ersticken." Diese offenbar auf der Rezeption seiner Schriften basierende negative Erwartungshaltung glaubte Fuchs durch die ersten Aufführungen des Künstler-Theaters von 1908 entkräftet, denn die bildenden Künstler hätten sich „ganz in den Dienst des Dramas und des Darstellers"234 gestellt. Hierin war ein Großteil der Kritiker anderer Meinung. Beispielsweise argumentiert Theodor Alt, ein Verfechter des Meininger Bühnenhistorismus, daß bei dieser Inszenierung „die bildende und nicht die dramatische Kunst" die Führung übernommen hatte, denn „nicht ,Faust' von Goethe, sondern ,Faust' von Fritz Erler"235 sei an diesem 17. Mai des Jahres 1908 zur Aufführung gelangt. Diese Kritik verdeutlicht symptomatisch, daß der Vorwurf des Übermaßes an bildender Kunst eine Polemik gegen jegliche Form der individuellen Interpretation von Theaterstücken einschließt, weil eine solche Regiekonzeption von der tradierten reproduktiven Veranschaulichung der dramatischen Literatur abweicht. So kritisiert auch der Berliner Literat Hans Oberländer am Beispiel des OsterSpaziergangs, „wo der lange Zug der Spaziergänger die bildhafte Wirkung einer stattlichen Reihe farbenprächtiger Fresko-Gemälde erkennen läßt", daß diese „Gemälde" auf der Bühne wenig wirksam gewesen seien, weil „alles, was sie bedarf, um die frische Lebensfreude auszuschöpfen, die Goethescher Geist mit olympischer Heiterkeit (...) in eine Fülle von heiteren Gestalten goß, das ist im Dienste der .bildenden Kunst' zerstört worden. Goethe hat sich keine stilisierten Züge, sondern ein Durcheinander von Spaziergängern gedacht".236 Dieses Stilisieren, d. h. Vereinfachen und Arrangieren der Bühnenvorgänge „in einer Reihe"237 auf der schmalen Spielfläche, nach gestalterischen Gesichtspunkten, die nur optische Andeutungen zuließen und allen tradierten Vorstellungen von realistischer Bühnenatmosphäre widersprachen 232 233

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Vgl. Teil I, Kap. 3 der vorliegenden Arbeit; Hagemann 1902. Vgl. Prutting 1971, 208ff., der das originale Regiebuch ausgewertet hat, ohne jedoch daraufhinzuweisen, wo sich dieses befindet. Zur Rekonstruktion der Fimsf-Auffuhrung vgl. Grohmann 1935, 2 6 63; Janssen 1957, 71-75. Fuchs 1909,16. Alt 1909, 26. Eine ähnliche Kritik geben auch Leyen 1908, 190 („Bilderwut"); Kilian 1908, 186 und Falckenberg ab, der 1908, 159 schreibt: „Ein Theater das nicht vom Dichter und nicht vom Schauspieler ausgeht, sondern vom bildenden Künstler. Wie erklärt sich dessen Entstehung?" Oberländer 1909, 24f. Vgl. auch die ähnliche Kritik von Leyen 1908, 190. Oberländer 1909,31.

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(Abb. 7), wurde demnach als „ein schwerer Frevel an dem Dichter"238 empfunden, und Oberländer schlußfolgert daraus: „Aber jedenfalls ist das ,Mehr' aller dekorativen Zutat, die das Echte sucht, noch immer besser als ,das Weniger', wenn Theorie und Praxis der bildenden Kunst den warmen Pulsschlag des dramatischen Lebens unterbinden."239 Es war dieser „warme Pulsschlag des dramatischen Lebens", den zahlreiche Kritiker in ähnlicher Weise einklagten. So vermißt Theodor Alt die „Freiheit des lebendigen Sichbewegens"240, beanstandet ein Kritiker der Münchner Neuesten Nachrichten die „zweidimensionale (...) Aktionsbeschränkung" 24 ', und Julius Bab vermerkt im Jahre 1928 rückblickend, daß den Münchner Reliefbühnen-Inszenierungen der „zentrale Theatersinn, der mimische" gefehlt habe, weil wenn „ein optisches Prinzip zur Herrschaft gebracht wird, die natürliche Lebensfunktion des Schauspielers (...) zerbrochen und ihrer Macht beraubt"242 werde. Oberländer spitzte diese Sichtweise noch zu, indem er von „der willkürlichen Umschaffung der Gestalten in redende Bildnisse, in eine von uns als tot empfundene Materie"243 spricht. Ein anderer Kritiker, der zwar die „Notwendigkeit der Stilisierung" anerkennt, gibt 1913 zu Bedenken, daß die „idealistischen Stilbestrebungen auf der Bühne eine natürliche Grenze" haben, denn „sie lassen sich nicht, wie in Malerei und Zeichnung, beliebig weit steigern. Der lebende menschliche Körper kann nie vollständig in einer abstrakten Figur aufgehen."244 Wilhelm Worringer schließlich, der als Kunsthistoriker diese Polemik der Theaterkritiker unterstützt hat, weil er gleichermaßen das tradierte Illusionstheater zu verteidigen suchte, schlug vor, doch besser Schattenrisse oder Marionetten anstelle von lebendigen Schauspielern auf die Bühne zu stellen, denn „der moderne Schauspieler gibt nun mal seine ganze volle Lebendigkeit, gibt organische Differenziertheit und psychologische Vertiefung."245 Worringer war sich höchstwahrscheinlich nicht bewußt, daß der hier eher sarkastisch gemeinte Ratschlag aus eben diesem genannten Grund bereits im Jahre 1890 von Maurice Maeterlinck in der Zeitschrift La Jeune Belgique sehr ernsthaft unterbreitet wurde.246 Die Idee des Ersatzes menschlicher Schauspieler durch künstliche Figuren, welche dem Umfeld des französischen Symbolismus entstammt, wurde jedoch erst zwanzig Jahre später zum aufsehenerregenden und vieldiskutierten Theatertheorem: Im April 1908 veröffentlichte Gordon Craig seinen Aufsatz The Actor and the Über-Marionette, den jedoch Worringer vermutlich zum Zeitpunkt seiner Kritik am Münchener Künstler-Theater (noch) nicht kannte.247 238 239 240 241 242 243

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Leyen 1908, 192. Oberländer 1909, 56. Alt 1909, 28. Gumppenberg 1908. Bab 1928, 142. Vgl. auch Leyen 1908, 190. Oberländer 1909, 61. Vgl. auch Schur 1912, 109-119. Zu weiteren zeitgenössischen Rezensionen, in denen ähnlich argumentiert wird, vgl. Grohmann 1935, 42-60. Grohmann folgt in seiner Darstellung den Argumenten der zeitgenössischen Kritiker und spricht sich parteiisch - ähnlich wie später auch Prutting - gegen das Zuviel an bildender Kunst aus. (Vgl. Prutting 1971, 183.) Krüger 1913, 94. Vgl. auch Schur 1912, 112, der anhand der Prolog im Himmel-Szene feststellt, daß es besser gewesen wäre, Masken zu verwenden, weil die „Köpfe dieser Gegenwartsmenschen" dem artifiziellen Charakter der Bühnendarstellung widersprochen hätten. Worringer 1908, 1710. Vgl. Maeterlinck 1890; vgl. auch Lugne-Poe 1893 sowie Teil II, Kap. 3 b der vorliegenden Arbeit. Worringer wird diesen Aufsatz deshalb noch nicht gekannt haben, weil Craigs englischsprachige Theaterzeitschrift The Mask, in der dieser Aufsatz erschien, gerade erst im Mai 1908 gegründet wor-

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Die Kritiken von Alt, Oberländer, Bab und Worringer verdeutlichen eine Theater- und Schauspielauffassung, die noch sechzig Jahre später Siegfried Melchinger verteidigt, indem er vor der Brutalisierung durch das Optische warnt.248 Dieser Haltung liegt ein letztlich an der aristotelischen Poetik geschultes Bestreben nach einfühlender Identifikation des Zuschauers in den menschlichen Darsteller zugrunde, welche durch die „willkürliche Umschaffung der Gestalten in redende Bildnisse, in eine von uns als tot empfundene Materie"249 verhindert werde. So besteht Melchinger ebenso wie seine Kollegen des frühen 20. Jahrhunderts auf der Lebendigkeit schauspielerischer Darstellung - mit dem Unterschied allerdings, daß sich um 1900 die Idee vom, wie es Julius Bab und Willi Handl 1908 ausgedrückt haben, „voll und toll besessenen Schauspieler, der nicht nur Sprecher und Mime", sondern „der ganz der Erleber seines Parts scheint"250, erst auf deutschen Bühnen durchzusetzen begann.251 In Anbetracht dieser damals neuen, psychologisierenden Spielweise müssen die „sprechenden Maske[n]"252 des Münchener Künstler-Theaters wie ein Rückschritt in die Zeiten des deklamierenden, unbeweglichen Schauspielervirtuosen gewirkt haben.253 Insofern konnte Worringer, dessen Theaterverständnis offenbar der neuen Spielweise verpflichtet war, aus seiner Position heraus mit Recht davon sprechen, daß auf der Bühne des Münchener Künstler-Theaters eine „Enttheatralisierung des Theaters"254 betrieben worden sei, eine Aussage, die der Fuchsschen Forderung von 1909 nach „Retheatralisierung"255 diametral entgegensteht. In der Gegensätzlichkeit dieser beiden Meinungen gerinnt gewissermaßen der Interessenkonflikt, welcher sich im Zuge der Ausdifferenzierung unterschiedlicher Theaterbegriffe um 1900 entwickelt hat, und der, wie das Beispiel Siegfried Melchingers und die Kritiken zu Robert Wilson gezeigt haben, das gesamte 20. Jahrhundert aktuell war. Während ein großer Teil der Kritiker in ihren Rezensionen der FawsMnszenierung vor der „Gefahr, einem Virtuosentum der bildenden Künste entgegenzugehen"256 warnten, gab es auch Stimmen, die, wie z. B. Max Halbe feststellten, „daß bei gelungener (...) Darstellung Goethe oder Shakespeare selbst die kühnsten Malerexperimente vertragen können, ohne an ihrer lebendigen Wirkung wesentliche Einbuße zu erleiden."257 Auch der Autor Wilhelm von Scholz bekannte, daß die Reliefbühne ihn überzeugt hätte, denn „das Wort ward mir lebendig wie seit langem nicht", weil das „Augenmerk (...) auf die Gruppe und den

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den war und zum Ende dieses Jahres - im November 1908 veröffentlichte Worringer seinen Artikel noch nicht allgemein bekannt gewesen sein dürfte. Melchinger 1965, 34 (wie Anm. 56). Oberländer 1909,61. Bab/Handl 1908, 85. Zu dieser Thematik der „alten" und „neuen" Spielweise vgl. Baum 1996, 103-115. Fuchs 1911, 55f. So schreibt Schur 1912, 121: „Das Gespenst der alten, polternden Deklamationen, das man längst gestorben wähnte, stand schrecklich wieder auf." Vgl. auch die Kritik von Kahn 1908, der davon spricht, daß das Münchener Künstler-Theater „manches Rückschrittliche" biete. Hiermit kann eigentlich nur die Spielweise gemeint sein, weil Ausstattung und Beleuchtungseffekte allgemein als unkonventionell und neuartig beschrieben werden. Worringer 1908, 1711. Fuchs 1909, 157. Kilian 1908, 186. Halbe 1908.

I. 2. „ Virtuosentum der bildenden Künste ": Das Münchener Künstler-Theater

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Sprechenden"258 gelenkt wurde. Offenbar kam dieser von Fuchs beabsichtigte Effekt der schmalen Bühne dem vorrangig literarisch Interessierten aufgrund der ,,starke[n], akustisch so glücklichefn] Wirkung des Wortes"259 entgegen. Daß Halbe und Scholz, denen vermutlich jede theaterpraktische Erwägung fem lag, die dramatische Dichtung Goethes so ungetrübt genießen konnten, lag zudem an der besonderen Bedeutung, die der sprachlichen Gestaltung von Seiten der Inszenatoren beigemessen wurde. Lenz Prütting hat anhand des Regiebuches von Fuchs und Erler herausgefunden, daß die Texte in einer rhythmisierten Deklamation vortragen werden sollten.260 So war etwa für den Prolog im Himmel festgelegt, den „Chor in der Hinterbühne (...) in gesprochenen Rhythmen"261 die Verse als Echo wiederholen zu lassen, welche von den drei Erzengeln auf der Vorderbühne chorisch gesprochen wurden. Um bestimmte Wirkungen der Dichtung zu verstärken, war zusätzlich der Einsatz von Musik geplant. Beispielsweise sollte die Stimme des Herrn im Prolog durch Orgelklänge als „akustischer Goldgrund"262 untermalt werden. Inwiefern diese Regieideen letztendlich in der FawjMnszenierung umgesetzt wurden, läßt sich nur andeutungsweise rekonstruieren.263 Ein Rezensent betonte jedenfalls, daß der Prolog im Himmel „besonders imposant (...) die majestätisch feierliche Stimmung der Dichtung"264 vorgeführt habe. Neben der großen Bedeutung, die der sprachlichen Vermittlung und akustischen Akzentuierung der Dichtung bei der Münchner Fawsf-Auffuhrung beigemessen wurde, kamen auf visueller und auditiver Ebene zahlreiche Regieeinfälle zur Anwendung, die dem im vorangegangenen Kapitel entwickelten Prinzip der Intimisierung von dramatischem Text und Bühnendarstellung entsprachen. So vermerkten Fuchs und Erler im Regiebuch zur Gestaltung der Hexenküchen-Szene: „Mephisto (...) erhebt sich, reckt den Wedel mit gewaltiger Herrschergeberde gegen den Mittelvorhang, wo alsbald das Spiegelbild der Helena erscheint. Zugleich ertönt eine gespenstigsüße Harmonie (Orgel)."265 Diese musikalische Untermalung der Geste Mephistos sollte jenseits von Sprache auf akustischem Wege eine Stimmung erzeugen, welche den Verlauf dieser Szene antizipiert bzw. kommentiert.266 In ähnlicher Weise wurden mittels einer gezielten Lichtregie267 visuelle Zeichen gesetzt. Beispielsweise beschreibt ein Kritiker der Kölnischen Volkszeitung die Geist-Szene in Fausts Studierzimmer: „Bei der Erscheinung des Erdgeistes, dessen Stimme wir nur hören, färben sich die Mauern als wollte das Blut aus ihren Poren dringen; der Vorhang wird zur tiefblau258

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Scholz 1908, 446, 448. Diesen Aspekt hebt auch Krüger 1913, 94 positiv hervor und Schur 1912, 120f. schreibt: „... denn wenn die Ausstattung, die Szene auf ein Minimum reduziert wird, so bleibt als große Wirkung der Sprecher." Martersteig 1908, 447. Vgl. Prütting 1971, 213-216. Anmerkung von Fuchs/Erler im Ftfujf-Regiebuch von 1907. (Zitiert nach Prütting 1971, 214.) Leider versäumt es Prütting, anzugeben, wo sich das originale Regiebuch befindet. Ebd. (Zitiert nach ebd., 217.) Vgl. Grohmann 1935, 26-63. Gumppenberg 1908. Fuchs/Erler im Foi«/-Regiebuch von 1907. (Zitiert nach Prütting 1971, 217.) Ein solcher Stimmung auslösender Einsatz von Geräuschen und Musik findet sich bereits in M. Reinhardts frühen Inszenierungen. (Vgl. Romstöck 1954, 194f.; vgl. auch die Texte von B. Fleischmann, E. Nilson, O. Bie. Neuabdruck in: Boeser/Vatkova 1984, 279-283.) Zu den Anfängen der Lichtregie und deren technischen Voraussetzungen vgl. Baumann 1988, 2 7 2 337.

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en Meeresfläche, von der sich Faust's Silhouette in dunklem Purpur abhebt. Das Ringen einer Seele in Einsamkeit und furchtbarer Qual wird uns dadurch wie in einem Relief plastisch, ohne die Mätzchen und die Pose der alten Mimik." 268 Indem der Kritiker hier die (alte) Mimik des Schauspielers gegen die (neue) „Mimik" der gesamten Bühnenszenerie absetzt, wird nicht nur deutlich, welche eminente Bedeutung den szenischen Mitteln beigemessen wurde, sondern auch, daß sich das „dramatische Erlebnis" 269 des Zuschauers jenseits von Worten und Schauspiel vor allem auch über den pointierten Einsatz von Farbe und farbigem Licht eingestellt haben muß. In diesem Sinne beurteilt auch ein anderer Rezensent die Fawi'/-Inszenierung: „Bewiesen ist, dass in der Symbolik der Farbe und den Zauberkräften des Lichtes spezifische Reizmittel der Phantasie gefunden sind, die stark und gewaltig wirken, ohne die Kritik des Intellekts zu entfesseln." 270 Diese positive Einschätzung belegt, daß der suggestive Einsatz von Farbe auf der Bühne von zeitgenössischen Kritikern durchaus als wirkungsvoll erkannt wurde 271 , weil „das Wort des Dichters und das Können des Schauspielers in der solchermassen illustrierten Szene einen Rahmen finden, der sie mit Kraft und Nachdruck hervorhebt." 272 Offenbar stellte sich in der Wahrnehmung dieses Kritikers das von Fuchs 1909 als „Zweck" der Schaubühne definierte „dramatische Erlebnis" ein, das den sprachlich orientierten „Intellekt" ebenso wie das Auge als „spezifisches Reizmittel der Phantasie" einschloß und damit den vieldiskutierten Konflikt zwischen Logos und Opsis ausgesöhnt zu haben schien. Die Reliefbühne des Münchener Künstler-Theaters kann damit, aus der Perspektive der Visualisierung betrachtet, als ein Konzept des Übergangs bezeichnet werden, bei dem die Wortsprache noch gleichbedeutend neben dem Optischen existierte.

3. „Die Bühne als Traumbild"273: Max Reinhardts Illusionstheater a) Der Schauspieler im Mittelpunkt Ein entscheidender Vorwurf, der 1908 von Seiten der Theaterkritik gegenüber den Auffuhrungen des Münchener Künstler-Theaters erhoben wurde, war, daß die Theaterreform sich hier ausschließlich auf die bildnerischen Aspekte der Bühnenausstattung beschränkt hatte, während die Schauspieler als Träger und Vermittler der „dichterischen Szenen" 274 im offenbar rückständigen pathetisch-deklamatorischen Darstellungsstil auftraten. „Das Gespenst der alten, polternden Deklamationen", wie es Ernst Schur 1912 ausdrückt, „das man schon

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Popp 1908. Fuchs 1909, 95. Michel 1908. Weitere positive Kritiken zum Einsatz von farbigem Licht in: Fuchs 1909,236-283. Michel 1908. Hofmannsthal 1903. Kilian 1908, 186.

I. 3. „Die Bühne als Traumbild": Max Reinhardts Illusionstheater

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längst gestorben wähnte, stand schrecklich wieder auf."275 In seinem Buch Bühne und Kunst beanstandet Schur, ähnlich wie auch andere Kritiker, daß die Schauspielkunst bei dem Reformprojekt des Münchener Künstler-Theaters zu kurz gekommen sei: „Packt erst mal das Nächstliegende an und reformiert eure Schauspielkunst!"276 Indem die Schauspieler - eingebunden in das Bildkonzept der Reliefbühne - als „redende Bildnisse"277 in leblosen Posen agierten, trat, so Schur, „das Abstrakte, Lebensferne, Konstruierte dieses Unterfangens (...) deutlich ans Licht. (...) Darum das Unlebendige solcher Reformen und das Lebensvolle Brahmscher278 und Reinhardtscher Versuche (...). Das Theater ist Anschaulichkeit, Sinnlichkeit. Gerade das Bewegliche, Schillernde ist sein Wesen."279 Mit diesem Gegensatzpaar unlebendig versus lebensvoll, das die Polarität beweglich versus statisch einschließt, definiert Schur einen vom Fuchsschen Reformversuch abgegrenzten Theaterbegriff, der maßgeblich von Max Reinhardts Theater geprägt ist. Schurs klare Stellungnahme verdeutlicht zugleich einen weiteren Aspekt, der Reinhardt vom Münchener Künstler-Theater unterschied: Während die Reliefbühne zunächst auf theoretischer Basis konzipiert worden ist, um dann in die Praxis umgesetzt zu werden, war der ehemalige Brahm-Schauspieler Reinhardt (1873-1943) ein „Theater-Routinier" mit „Theaterinstinkt", der jenseits theorielastiger Vorüberlegungen „die Erfahrung des Bühnenpraktikers mit dem Wagemut des Künstlers"280 zu verbinden verstand. Max Reinhardt formulierte bereits 1901 als damaliger Mitbegründer und Schauspieler des Berliner Kabaretts Schall und Rauch in seinem Aufsatz Über das Theater, wie es mir vorschwebt: „Freilich ist mir das Theater mehr als eine Hilfskunst anderer Künste. Es gibt nur einen Zweck des Theaters: das Theater, und ich glaube an ein Theater, das dem Schauspieler gehört. Es sollen nicht mehr, wie in den letzten Jahrzehnten, die rein literarischen Gesichtspunkte die allein beherrschenden sein. Es war so, weil Literaten das Theater beherrschten; ich bin Schauspieler, empfinde mit dem Schauspieler, und für mich ist der Schauspieler der natürliche Mittelpunkt des Theaters."281 Diese frühe Äußerung Reinhardts steht programmatisch für eine Theaterauffassung, der er in seinen ersten Inszenierungen ab 1902 bis zum Ende seiner Laufbahn treu geblieben ist. Indem er 1901, ebenso wie etwa zeitgleich Georg Fuchs und Gordon Craig, das Theater, die Bühneninszenierung, von ihrer tradierten Funktion als „Hilfskunst" der dramatischen Dichtung lossagte, wurde Reinhardt zu einem der Mitbegründer und schillernsten Exponenten des modernen Regietheaters - eine Tatsache, die längst zum theaterwissenschaftlichen Allgemeinplatz geworden ist.

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Schur 1912, 121. Ebd., 120. Vgl. auch Bab 1908a, 158: „Eine wahre Reform der Bühne kann immer nur Reform der Schauspielkunst sein!" Oberländer 1909, 61. Zur Durchsetzung eines identifikatorischen, psychologisierenden Darstellungsstils im naturalistischen Theater O. Brahms vgl. Brahm 1892, Baum 1996, 107ff. Schur 1912, 122f. (Hervorhebungen v. Vf.) Ebd., 123f. Reinhardt 1901,7.

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Reinhardt, der „Regisseur der Schauspieler"282, wie ihn Julius Bab nannte, trug maßgeblich zur Durchsetzung eines neuen psychologisierend-emotionalen und damit individualisierten Darstellungsstils bei, den Dirk Baum als intimisiertes Verhältnis vom Schauspieler zur dramatischen Rolle charakterisiert.283 Beispielsweise erkannte man bereits in einer der ersten Reinhardt-Inszenierungen, Pelleas und Melisande von Maurice Maeterlinck (Premiere: 3. April 1903, Neues Theater Berlin), „eine neue Epoche der Schauspielkunst", weil die Schauspieler es vermochten, .jeder feinsten Stimmung, jeder leisesten Seelenregung gerecht zu werden". Während sich diese enthusiastische Rezension noch vorrangig auf die „Gestaltung (...) des realen, handgreiflichen Wortes"284 bezieht, verdeutlichen die späteren Kritiken zu Hofmannsthals Elektro (Uraufführungspremiere: 30. Oktober 1903, Neues Theater Berlin), daß die Reinhardt-Schauspieler, vor allem Gertrud Eysoldt in der Titelrolle, entgegen der naturalistischen Figurencharakterisierung Brahmscher Prägung auch pantomimisch-tänzerische Elemente im Spiel betont haben, die, lösgelöst vom gesprochenen, literarisch gebundenen Wort einen besonderen Stellenwert hatten. So schreibt ein Kritiker über die Verkörperung der Elektra durch die Eysoldt: „Die Schlußszenen, in denen sie wie ein aufgeregter Wächterhund vor dem Tor des Schlosses auf und ab lief, dann in krampfhafter Kreuzesstellung das Tor bewachte und endlich in einem groteskfurchtbaren Tanze ihre wilde Erregung über das Gelingen der Tat austobte, gehören zu dem Eigentümlichsten der Schauspielkunst, das ich miterlebt habe."285 In dieser Beschreibung wird einerseits das Bewegliche, Sinnliche der schauspielerischen Darstellung deutlich, andererseits zeigt sich hierin auch das Ausagieren pantomimisch-bildhafter Posen.286 Die körperbetonte, nonverbale Gebärdensprache, beispielhaft veranschaulicht im Spiel der Gertrud Eysoldt, war charakteristisch für die Reinhardtsche Regiekunst. Eine solche visuell orientierte Schauspielauffassung kennzeichnet u. a. dessen Zugehörigkeit zum Paradigma der Visualisierung um 1900, ein Sachverhalt, auf den bereits Joachim Fiebach hingewiesen hat.287 Reinhardts Regieinteresse, bei dem, wie es der Berliner Theaterkritiker Siegfried Jacobsohn 1909 ausgedrückt hat, „die Liebe zum Bild" ausgeprägter war als „die Liebe zum Wort"288, gipfelte 1910 in der Inszenierung Sumurun, einer Pantomime nach orientalischen Märchenmotiven von Friedrich Freska. Im Jahre 1913 schließlich inszenierte Reinhardt seine ersten Stummfilme: Insel der Seligen und Venezianische Nachtn9

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Bab 1928, 132. Vgl. auch Herald 1915, 140f.; Jhering 1921, 57; Hofmannsthal 1918, 1923, 1923a. Vgl. Baum 1996, 107-115. Reinhardt arbeitete mit herausragenden Schauspielerpersönlichkeiten des neuen Darstellertyps, wie z. B. T. Durieux, G. Eysoldt, P. Wegener und F. Kayßler. Vgl. auch Bab 1928, 118-138. P. Mahn in: Tägliche Rundschau vom 5. 4. 1903. (Neuabdruck in: Jaron/Möhrmann/Müller 1986, 514-517, hier: 515f.) A. Klaar in: Vossische Zeitung, Nr. 51, 31. 10. 1903. (Neuabdruck in: Fetting 1987, 234-238, hier: 237.) Daraufhaben auch Jaron/Möhrmann/Müller 1986, 527 hingewiesen. Zur Betonung der mimischen Elemente des Schauspiels bei Reinhardt vgl. Romstöck 1954, 216; Herald 1915, 109-112. Zu den „malerischen Konzentrationen" von Darstellern in Reinhardts Inszenierungen vgl. ebd., 131f. Vgl. Fiebach 1991, 56ff.; Fiebach 1991a, 84f.; Fiebach 1995, 23f. S. Jacobsohn in: Die Schaubühne. Bd. 14, 1909, 387. (Zitiert nach Fiebach 1995, 23.) Zu weiteren Pantomimen-Inszenierungen und Filmen von Reinhardt vgl. die Werkchronologie in: Fiedler 1994, 140-144.

I. 3. „Die Bühne als Traumbild": Max Reinhardts Illusionstheater

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Jacobsohn wandte sich 1909 in seiner Kritik gegen die Überbetonung der körperlichsinnlichen Erscheinung des Schauspielers, weil diese komme „hier besser weg, als was Geist ist".290 Die damit angenommene Dualität von Körper und Geist erweist sich in diesem Zusammenhang als der bereits mehrfach angesprochene Konflikt zwischen Logos und Opsis, d.h., die betonte Ausstellung des visuell wahrnehmbaren Körpers wird gleichgesetzt mit dem Zurücktreten des Gedanklichen - eine Haltung, die im vorangegangenen Kapitel bereits diskutiert wurde. Diese Meinung kritisiert Hugo von Hofmannsthal 1923 indirekt in einem seiner Aufsätze über Reinhardt: „Ihm ist das Schauspielerische der Schlüssel zur Welt (...). Man könnte versucht sein zu sagen, daß dieser Schlüssel nur die leibliche Seite, die Erscheinung aufschließt, und nicht die geistige Seite oder die Essenz; aber ich glaube, wir haben diese Unterscheidung zwischen Außen und Innen, zwischen Kern und Schale, von uns abgetan, und sie mit anderen Dualismen bei den hinter uns liegenden Jahrhunderten liegengelassen."291 Diese Gleichsetzung des tradierten Gegensatzes von Kern und Schale, welche sich zugleich als Versuch einer Aussöhnung von Logos und Opsis darstellt, mündet bei Hofmannsthal als beredeter Ausdruck des Paradigmas der Intimisierung - in dem Begriff der „Stimmung".292 Eine solche Haltung ist in der Theaterkritik um 1900 nicht gerade weit verbreitet, denn die an Reinhardt vielfach geübte Kritik war bestimmt von dieser im Denken tief verwurzelten Dualität, die sich in den Begriffspaaren Dichtung versus Ausstattung bzw. Inhaltlichkeit versus Äußerlichkeit zusammenfassen läßt.

b) Regie und visuelle Gestaltung Als im April 1903 Maeterlincks Pelleas und Melisande zur Premiere kam, wurde das vor allem an Otto Brahms Naturalismus gewöhnte Berliner Publikum mit einer neuen Bühnenästhetik konfrontiert.293 Die Münchner Neuesten Nachrichten verkündeten eine „Umwälzung im Dekorationswesen"294, weil, so ein Kritiker des Berliner Tageblatts, „der verfeinerte Kunstgeschmack, den wir in den letzten Jahrzehnten erworben haben, das Theater, das sich bis jetzt dem Einfluß der neueren Malerei spröde verschloß, mit einem Schlag erobert" habe.295 Für Bühnenbild und Kostüme zeichneten Leo Impekoven und Lovis Corinth verantwortlich. Daß Reinhardt nicht auf die katalogmäßig angebotene Bühnenbildauswahl herkömmlicher Theaterateliers zurückgriff, sondern in den Jahren 1903 bis ca. 1910 vorzugs-

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Jacobsohn 1909. Hofmannsthal 1923a, 315. Ebd.: „Je sensibler der betrachtende Mensch ist, desto deutlicher und vielfältiger wird für ihn der durchsichtige Schatten dieser Stimmung, in welcher die eigentliche Essenz der einzelnen Dinge über ihnen selber zu schweben scheint." Zur Rekonstruktion dieser Inszenierung vgl. Janssen 1957, 31-33. Ankündigung in den Münchner Neuesten Nachrichten vom 7. 4. 1903. Vgl. auch die Rezensionen von P. Legband. (Neuabdruck in: Jaron/Möhrmann/Müller 1986, 520f.) So schreibt Legband ebd., 521: „Die dringend nötige Reform des Dekorations- und Kostümwesens hat er praktisch begonnen." F. Stahl in: Berliner Tageblatt vom 4. 4. 1903. (Neuabdruck in: Jaron/Möhrmann/Müller 1986, 513f., hier: 513.)

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weise renommierte Maler projektbezogen für seine Inszenierungen heranzog 296 , ist als eine theatergeschichtliche Innovation im deutschen Theater des frühen 20. Jahrhunderts mehrfach von der Forschung gekennzeichnet worden. 297 Bereits im Jahre 1901 hatte Reinhardt vermerkt, daß er ebenso wie J e d e Rolle mit dem geeignetsten Schauspieler" zu besetzen sei, „für jedes einzelne Werk den geeignetsten, womöglich den einzig geeigneten Maler ausfindig machen" wolle. 298 Es war Reinhardts erklärtes Ziel, dem jeweiligen Stück die adäquate Versinnlichung auf der Bühne zu geben: Schauspieler, Bühnenbild, Licht und Musik waren hieran gleichermaßen beteiligt und wurden von ihm mit äußerster Aufmerksamkeit bedacht und wechselseitig aufeinander abgestimmt. 299 Nach Hofmannsthals Beschreibung umfaßte Reinhardts Regieinteresse jede Einzelheit: „Nie wird in einer seiner Inszenierungen eine schöne Dame einen Handspiegel in die Hand nehmen, über dessen Form er nicht eingehend nachgedacht hätte (...); dies ist die große Stärke seiner Inszenierungen: nichts, auch nicht das Geringste, ist in ihnen mit geringerer Aufmerksamkeit und mit einem geringeren Aufwand von Kraft und Phantasie behandelt, als womit andere Regisseure das behandeln, was sie für die Hauptsache halten." 300 Aufschlußreich ist auch ein Brief, den Reinhardt 1906 in Vorbereitung der Inszenierung von Ibsens Gespenstern an Edvard Münch geschrieben hat. Die hier vorgeschlagene Gestaltung des Interieurs verdeutlicht, wie konkret und detailliert seine Vorstellungen des jeweiligen Bühnenbilds gewesen sind, die er vom bildenden Künstler möglichst adäquat umgesetzt wissen wollte.301 Die Bühnenbildgestaltung war somit dem Blick des Regisseurs untergeordnet, eine Tatsache, die schließlich ab 1910 zur nachlassenden Mitarbeit von namhaften bildenden Künstlern im Reinhardtschen Theater geführt hat, da dieser dem selbständigen gestalterischen Drang der Maler zu wenig entsprechen wollte. 302 Insofern erweiterte und nobilitierte Reinhardt in Deutschland durch die Ausschließlichkeit seiner Arbeitsmethode

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In dieser Zeit arbeitete Reinhardt mit A. von Menzel, M. Slevogt, E. Münch, M. Kruse, E. Orlik u. a. zusammen. Daß er sich in den Jahren danach verstärkt E. Stem zuwandte, lag daran, daß Stern dem in dieser Zeit neu entstandenen und vor allem durch Reinhardt etablierten Berufsbild des Bühnenbildners, der dem Regisseur zuarbeitet, stärker entsprochen hat. Vgl. u. a. Janssen 1957, 14; Scheper 1988, 15; Schober 1994, 25. In Frankreich und England setzte diese neuartige Zusammenarbeit von bekannten bildenden Künstlern und Theatern schon früher ein. So arbeiteten P. Fort und A. Lugne-Poe ab 1890 mit den Nabis als Bühnendekorateure und H. Irving mit E. Bume-Jones sowie L. Alma-Tadema. (Vgl. u. a. Janssen 1957, 12f.; Robichez 1957, 105-110; Bablet 1965a, 157f.; Meisel 1983, 402-432.) Reinhardt 1901, 8. Diese Zielstellung fand einen Höhepunkt 1906 in der Inszenierung von Ibsens Gespenstern, wo E. Münch in kongenialer Weise das Bühnenbild gestaltet hat. (Vgl. Janssen 1957, 53-57.) Vgl. die Regiebücher Reinhardts, in denen jede Einzelheit genauestens vermerkt ist. (Auszüge daraus z. B. veröffentlicht in: Boeser/Vatkova 1984, 171-177; vgl. auch Herald 1984.) Holmannsthal 1923,309. Vgl. Reinhardt 1906. C. Niessen berichtet, daß die Mitarbeit von bedeutenden Malern und Bildhauern mitunter zu „unerfreulichen Spannungen" führte, weil .jeder von ihnen möglichst viel von seiner persönlichen Handschrift in die Bühnenwirklichkeit hinüberretten wollte." (Niessen 1984, 228; vgl. auch Janssen 1957, 23f.)

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den Tätigkeitsbereich des Regisseurs zum eigenständigen Künstler.303 Die Stückvorlage wurde das „Objekt seiner Interpretation".304 Dies hatte wiederum zur Folge, daß nicht wenige Kritiker, für die weiterhin der dramatische Dichter und dessen Textvorgabe die eigentliche „Hauptperson"305 geblieben war, das Reinhardtsche „Virtuosentum der Regie"306 anfeindeten, denn: „Das Werk des Dichters, die Leistungen der Schauspieler - das alles ist nur Material für den Inszenierungskünstler. (...) Die Nebensache wird zur Hauptsache."307 Bereits bei der Pe/Zeas-Inszenierung des Jahres 1903 wurde das aufeinander abgestimmte, perfekte Zusammenspiel der einzelnen Bühnenelemente von zahlreichen Rezensenten positiv hervorgehoben308, während andere Kritiker bemängelten, daß nicht mehr der Text im Zentrum der Aufführung stünde, weil Musik und Ausstattung „das zarte Gewebe der Maeterlinckschen Dichtung" dominieren würden.309 Diese Polemik wurde auch gegenüber den späteren Inszenierungen Reinhardts immer wieder vorgebracht. So prangert einer der erbittertsten Kritiker, Paul Goldmann, seines Zeichens Berliner Theaterreferent der Wiener Neuen Freien Presse, den „Reinhardtismus" an, der die „klassischen Dramen" zu „Ausstattungsstücken" degradiere, weil sie ihm nur „Vorwände für Dekorationen, Lichteffekte, Kostüme, Aufzüge, Gruppierungen" seien, kurzum: der Text werde hergegeben „für Beleuchtungskunststücke und Schaustellungen von Dekorationsmalerei".310 Mit dem Hinweis auf die klassischen Dramen ist ein wichtiges Stichwort

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Zur Entwicklung der modernen Regie seit der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts vgl. Röhrig 1979. Die Forderung „Regisseur als Künstler" findet sich bereits in C. Hagemanns Buch über die Regie, allerdings mit dem Hinweis, daß diese Vorstellung „heute noch nicht allgemein durchgedrungen" sei. (Hagemann 1902, 36.) Hofmannsthal 1923a, 312. Eulenberg 1910, 118: „Denen, die (...) nachgrübeln, was im Anfang alles öffentlichen Theaterspielens stand, muß man klar machen, daß es der Dichter war, ist und sein muß. Er ist noch immer die Hauptperson." Kilian 1908, 186. Den Vorwurf des „Virtuosentums der Regie" wird Kilian von O. Blumenthal übernommen haben, denn dieser prangerte 1885 mit eben diesem Wortlaut die Inszenierungen der Meininger an. (Vgl. Blumenthal 1885, 327; vgl. auch Hahm 1970, 183ff.) Goldmann 1908, 37. Vgl. die Kritiken in Jaron/Möhrmann/Müller 1986, 513-521. Auch Hofmannsthal vermerkt 1923, daß bereits in seinen ersten Inszenierungen das „Zusammenspiel (...) außerordentlich" war „und besonders fühlte man (...) einen ordnenden rhythmischen Instinkt hinter dem Ganzen, der den einzelnen Momenten des Spiels eine wunderbare Abstufung von Schnell und Langsam und vom Pianissimo bis zum Fortissimo gab." (Hofmannsthal 1923, 300.) Landau 1903: „Der Ort und Anlaß aber weist deutlich genug daraufhin, daß die vorherrschende Stellung hier dem Drama, dem Wort gehören muß und daß die Schwesternkünste sich hier zu bescheiden haben. (...) So stimmungsvoll und wirksam, so durchtränkt von Poesie die Scenenbilder auch waren, sie schienen manchmal zu schwer, zu massiv für das zarte Gewebe der Maeterlinckschen Dichtung. (...) Die (...) Dichtung hatte es nicht gar so leicht, unter einem solchen Reichtum der Ausstattung, aus diesem Meer von Musik heraus, unter diesem Aufgebot von reizender Stimmungsmalerei." Goldmann 1908, 38, 235. (Zu ähnlichen Kritiken vgl. Eulenberg 1906, 28; Bergmann 1906; Neumann-Jödermann 1906.) Ein weiterer Vorwurf, den vor allem Goldmann 1908, 36 und NeumannJödermann gegen Reinhardts Inszenierungen vorbrachten, war, daß die Ausstattung „das Publikum in schläfriges Entzücken einlulle (...), so daß es nichts von der mäßigen Darstellung und ihrem liederlichen Sprechen merkt." In dieser Kritik zeigt sich sehr deutlich, wie hartnäckig der alte Deklamationsstil der Schauspielervirtuosen des 19. Jahrhunderts in den Erwartungshaltungen zeitgenössischer Kritiker fortbestand.

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gegeben: Während Reinhardt zu Beginn seiner Regietätigkeit vor allem Stücke der zeitgenössischen, symbolistisch geprägten Dramatiker Maurice Maeterlinck, Oscar Wilde und Hugo von Hofmannsthal inszenierte - Autoren, die von den Verfechtern der klassischen Handlungsdramen abgelehnt wurden 3 " - kam am 31. Januar 1905 ein Bühnenklassiker, Shakespeares Sommernachtstraum, zur Premiere. Auf diese berühmt gewordene Inszenierung Reinhardts bezieht sich Goldmann vorzugsweise, wenn er dessen ,Ausstattungsregie" kritisiert.312

c) Neues Meiningertum Die von Reinhardt in Zusammenarbeit mit Gustav Knina und dem Schweizer Künstler Karl Walser erarbeitete Bühnendekoration des Sommernachtstraums „übertraf in der Tat alles was man bisher in Berlin gesehen" hatte313, und unzählige Rezensenten schilderten begeistert das spektakuläre Bühnenbild dieser Inszenierung (Abb. 3): „Die Auffuhrung von Shakespeares wunderduftigen Waldmärchen (...) ist vor allem eine Sehenswürdigkeit. Und zwar liegt der Hauptreiz dieses Schaustückes in den verschiedenen Bildern, die den elfenbeherrschten Spukwald bei Athen zeigen. (...) Der Eindruck der Echtheit wird dadurch vollendet, daß die Dekorationsstücke praktikabel sind.314 Man sah Stämme und Zweige zum Greifen und Schütteln. Richtiges Blättergeranke zog sich von Baum zu Baum, und die Äste knackten und krachten gelegentlich."315 Um die Täuschung zu vervollkommnen, war der Bretterboden ungewöhnlicherweise mit „echtem grünen Moos"316 ausgelegt, und es wurde Tannenduft versprüht. Eduard von Winterstein, der eine der Hauptrollen spielte, berichtet weiterhin: „An Zwirnsfäden hängende und hüpfende kleine Lichtbirnen täuschten Glühwürmchen vor, und das Mondscheinwerfer-Licht warf berückende Lichtreflexe durch das Laub der Bäume auf die Bühne. Im Hintergrunde war ein Teil des Bühnenbodens (...) durch dicke Glasscheiben ersetzt, die von unten her erleuchtet waren; das Licht traf in den ebenfalls künstlich erzeugten Wassernebeln die auf dem Spiegel des kleinen Sees tanzenden Elfen."317 Diese „farbenprächtigen Bilder" wurden ergänzt durch „Vogelstimmen und Windes- und Blätterrauschen, seltsame (...) Waldesstimmen, heimliche[s] Lachen und Kichern"318, wie 311 312 313 314 315 316

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Vgl. die von Jaron/Möhrmann/Müller 1986, 511 f., 522f., 531 ff. kommentierten Rezensionen. Goldmann 1910, Titel. Zur Kritik an Reinhardts Sommernachtstraum vgl. Goldmann 1908, 232f. Neue Freie Presse vom 3. 2. 1905. (Neuabdruck in: Jaron/Möhrmann/Müller 1986, 570f., hier: 570.) Vgl. Teil III, Kap. 1 a der vorliegenden Arbeit. B. in: Norddeutsche Allgemeine Zeitung vom 2. 2. 1905. (Zitiert nach Jaron/Möhrmann/Müller 1986, 565.) Goldmann 1908, 232. Diese Idee hatte Reinhardt, wie E. v. Winterstein 1986, 206 mitteilt, von dem englischen Regisseur H. Beerbohm Tree übernommen. Daß der „hölzerne Theaterboden" trotz allem Streben nach Illusion auf deutschen Bühnen um 1900 gewöhnlich ungestaltet blieb, belegt die Kritik von Raupp 1904, 328. Winterstein 1982,422. J. Hart in: Der Tag vom 2. 2. 1905. (Neuabdruck in: Jaron/Möhrmann/Müller 1986, 572f„ hier: 573.)

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es Julius Hart beschreibt. Entscheidend war bei dieser Inszenierung, daß Reinhardt zwar alle Register naturalistischer Wirklichkeitsillusion gezogen hatte, aber nicht, wie es der Naturalist Otto Brahm getan hätte, im Sinne einer möglichst objektiven Nachbildung der Wirklichkeit, sondern hier ging es um die perfekte Illusion einer real nicht existierenden Welt: Shakespeares „Elfenzauber".319 Julius Bab hat diese sich in Reinhardts späteren Inszenierungen manifestierende Gestaltungstendenz als „höchste (...) Vervollkommnung des Illusionstheaters" bezeichnet320, eine Einschätzung, die von vielen Zeitgenossen geteilt wurde. So bewertet ein Kritiker das Reinhardtsche Theateruntemehmen als „die vertiefte Fortführung des Überkommenen".321 Andere Autoren benennen dieses „Überkommene" näher und bezeichnen Reinhardt als den „Dingelstedt von heute"322 oder werten dessen Regiekunst als „die letzte Konsequenz des Meininger Prinzips".323 Das Heranziehen „naturillusionistische[r] Mittel"324 war für diese Einschätzungen ebenso Indiz wie die opulente Bildwirkung. Die allgemeine Argumentationsrichtung der Theaterkritik verdeutlicht symptomatisch, daß diese Kontinuität gegeben war. So treffen sich beispielsweise die ablehnenden Stellungnahmen zum Prinzip des Meininger Bühnenillusionismus mit Paul Goldmanns bissiger Kritik an Reinhardt in dem wesentlichen Punkt des Vorwurfs einer überbordenden Bildlichkeit, welche den geistigen Gehalt der Dichtung hinter skopophilen „Aeußerlichkeiten"325 zurücktreten lasse. Den Unterschied zur visuell orientierten Regie des Burgtheaterdirektors Franz von Dingelstedt im ausgehenden 19. Jahrhundert hat der Kritiker Erich Everth bereits 1912 benannt: „Diese modernen Farbenreize, die delikate und pikante Stimmungen, aber auch sehr wohl eine dramatisch günstige Erregung bewirken können, sind nun sehr etwas anderes oder gerade das Gegenteil von Dingelstedts bloß bunter, farbig nur geräuschvoller ,Ausstattungsregie'." 326 Everths Beobachtung beschreibt den Paradigmenwechsel der Bildästhetik auf dem Theater nach 1900, der gerade im Falle Reinhardts nicht ausschließlich, wie es die theaterhistorische Forschimg in der Regel darstellt, als Umschwung vom naturalistisch-historistischen Bühnenobjektivismus zum antinaturalistischen Regietheater zu kennzeichnen ist327, sondern auch hier kann man, ähnlich wie beim Reliefbühnenkonzept von Georg Fuchs, einen Paradigmenwechsel in der funktionalen und ästhetischen Wertigkeit des Visuellen feststellen, der sich mit dem Begriff der Intimisierung charakterisieren läßt. Dingelstedts Bühnenästhetik wurde vom Repräsentationsanspruch der prunkvollen Historienmale-

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E. Heilborn in: Frankfurter Zeitung vom 4. 2. 1905. (Neuabdruck in: Jaron/Möhrmann/Müller 1986, 569f., hier: 569.) Bab 1928, 146. Hahn 1908. Everth 1912, 320. Fuchs 1908b, 144. Vgl. auch Zabel 1911, 28: „Die Bühnenphantasie der Meininger kehrte bei der Reinhardtschen Regie (...) in moderner Ausgestaltung und Verfeinerung wieder." Poppenberg 1906,43. Genee 1889, 56. Everth 1912,320. Diese Zuschreibung bezieht sich vor allem auf Reinhardts Inszenierungen ab ca. 1906, wo unter dem Einfluß Gordon Craigs naturillusionistische Mittel zugunsten symbolisch eingesetzter Bühnenelemente zurücktreten. (Vgl. Teil I, Kap. 4 b der vorliegenden Arbeit.) Zum antinaturalistischen Theater Reinhardts vgl. u. a. Romstöck 1954, 189-225; Trübsbach 1969, 57-80; Fiedler 1991.

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rei des 19. Jahrhunderts geprägt. Seine Bühnentableaus waren der Malerei eines Karl Theodor von Piloty328 und Hans Markart nachempfunden bzw. zitierten Bildtopoi, die dem repräsentativen Herrschafitsgestus der habsburgischen Monarchie entsprachen. Zugespitzt formuliert, wurden bereits existierende Bildformeln der Bühnendichtung appliziert.329 Im Gegensatz dazu entwickelte Reinhardt gemeinsam mit seinen Bühnendekorateuren die Bildideen jeweils aus dem Stück heraus330, d.h., es ging nicht mehr um das „verblüffende ZurSchaustellen"331 aufwendiger Theatertableaus, sondern um „delikate und pikante Stimmungen"332, die den „Pulsschlag der Dichtung (...) dem Auge sichtbar"333 werden lassen, wie es Paul Westheim 1911 ausdrückt. Reinhardt sei, so Westheim weiter, der „Schildträger dieses Gedankens" gewesen, welcher sich vor allem auch vom „akademischen Historizismus"334 der Meininger unterscheide, der, ähnlich wie bei Dingelstedt, von der Bildästhetik der zeitgenössischen Historienmalerei geprägt war.335 Auch Siegfried Jacobsohn argumentiert 1910 dahingehend, wenn er den Unterschied zwischen Meiningertum336 und Reinhardts Theater auf eine einfache Formel bringt: „Dort hatte Geschichtsechtheit gegolten, hier galt Stimmungsechtheit."337 Diese in der zeitgenössischen Rezeption häufig anzutreffende Abgrenzung von szenischem Historismus und neuer „Stimmungskunst"338 beschreibt in pointierter Vereinfachung den Übergang von einer repräsentativ-positivistischen Bildästhetik hin zu einem intimisierten Verständnis vom dramatischen Text und seiner Veranschaulichung auf der Bühne. Daß sich dieser Prozeß bereits in den Inszenierungen des Herzogs von Meiningen ab 1870 andeutete, bleibt damit unerwähnt. Adolf Winds hat 1925 in seinem Buch Geschichte der Regie darauf aufmerksam gemacht, daß der Inszenierungspraxis des Herzogs von Meiningen eine - wenngleich der historistischen Bildästhetik folgende - „Stimmungsregie"339 zugrundelag. Es ging ihm um die suggestive Veranschaulichung von historischer Wirklichkeit, die, wie es zeitgenössiche Beobachter wahrgenommen haben, eine neuartige „Verle328

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So teilt Borcherdt 1931, 183 mit, daß Dingelstedt beispielsweise in seiner Münchener WallensteinInszenierung Pilotys berühmtes Gemälde Seni an der Leiche Wallensteins (1855, München, Neue Staatsgalerie) in der entsprechenden Szene als Tableau nachgestellt hat. Dieser Aspekt bedürfte einer eingehenderen interdisziplinären Untersuchung, kann aber im vorliegenden Rahmen nicht geleistet werden. Beispielsweise schreibt Epstein 1918, 139: „In dieser Kunst, eine eigene Stimmung, einen eigenen Ton für jedes Werk zu finden, liegt Reinhardt grosses Können und Verdienst." Poppenberg 1906, 37. Er beschreibt hier, ähnlich wie Everth 1912, den Wandel in der Wertigkeit des Visuellen auf dem Theater. Everth 1912, 320. Westheim 1911, 182. Ebd., 66. Westheim charakterisiert diesen Historismus wie folgt: „... daß der Sinn der Zeit auf eine beweis- und belegbare Korrektheit gerichtet war. Die Kunst wurde infolgedessen weniger sinnlich als verstandesgemäß aufgenommen." (Ebd., 68.) Vgl. Grube 1926, 59ff.; Osborn 1905, 589. Dieser zeitgenössische Begriff meint die vom Meininger Hoftheater ausgehenden Bestrebungen nach historistisch-naturalistischer Echtheitsillusion auf der Bühne, welche um 1900 allgemein die Bühnenästhetik in deutschen Theatern dominierten. (Vgl. Jansen 1948.) Jacobsohn 1910, 1. Dieser Begriff war in der zeitgenössischen Literaturkritik gängig. (Vgl. Jaron/Möhrmann/Müller 1986,512.) Winds 1925, 87.

I. 3. „Die Bühne als Traumbild": Max Reinhardts

Illusionstheater

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bendigung des Stückes"340 auf der Bühne bewirkt habe. Mit den Worten Jacobsohns ausgedrückt, wurde hier „Geschichtsechtheit" und zugleich eine dieser Ästhetik adäquate „Stimmungsechtheit" in Szene gesetzt. So steht die Verwendung von Gerüchen, pantomimischen Einlagen, musikalischen Elementen und diversen Geräuscheffekten symptomatisch für das Bestreben, den historischen Schauplatz der Dichtung zu versinnlichen.341 Dazu gehörte auch, daß zunächst die Gasbeleuchtung und in späteren Inszenierungen das neu entwickelte elektrische Bühnenlicht gezielt eingesetzt wurde, um entsprechende Tages- und Lokalstimmungen zu erzeugen.342 Diese verschiedenen „Stimmungsmittel"343 hat Reinhardt später, wie z. B. die Sommernachtstraum-lnszemeTung belegt, mit Hilfe einer ausgereifiteren Bühnentechnik perfektioniert. Die sich bei den Meiningern andeutende Intimisierung von Drama und Inszenierung läßt sich im Hinblick auf Reinhardt anhand zweier grundlegender Aspekte modifizieren: Zum einen inszenierte Reinhardt vorzugsweise am Anfang seiner Regietätigkeit zeitgenössisch symbolistische Bühnenstücke, die aufgrund ihrer veränderten dramatischen Struktur344 von der damaligen Literaturkritik mit dem Schlagwort „Stimmungskunst" belegt wurden, zum anderen bekennt sich Reinhardt entgegen dem positivistischen Objektivismus der Meininger Schule bereits 1901 zu einem vorbehaltlos neuartigen Subjektivismus: „Man muß die Klassiker neu spielen; man muß sie so spielen, wie wenn es Dichter von heute, ihre Werke Leben von heute wären. Man muß sie mit neuen Augen anschauen, mit derselben Frische und Unbekümmertheit anpacken, wie wenn es neue Werke wären, man muß sie aus dem Geist unserer Zeit begreifen".345 Diese von Reinhardt hier geforderte zeitgemäße Aktualisierung klassischer Bühnenstücke ist zugleich das Resultat einer individuellen Interpretation des Regisseurs, eine Tatsache, die ein Rezensent 1905 wie folgt beschreibt: „Man sah einen

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Berliner Montags-Zeitung vom 3. 5. 1875. (Zitiert nach Hahm 1970, 136.) Vgl. auch Zabel 1911, 9: „Aber sein Hauptruhm bestand darin, daß er (...) die Bühne farbig belebte und beseelte, Prospekte, Kostüme und Requisiten einführte, aus denen das innerste Wesen der Dichtung zu uns sprach". Das gesamte Bühnengeschehen war in diesem Sinne nicht bloß als separat wahrgenommener, illustrativer Rahmen aufgefaßt, sondern als ganzheitliche Versinnlichung des Bühnentextes - ein Effekt, der z. B. von Zabel 1911, 9f. beschrieben wurde: „Sie gaben dem Shakespeareschen 'Wintermärchen' das Duftige, Phantastische und Buntfarbige wieder (...) und ließen uns all die reizenden Sprünge über Zeit und Raum, über Länder und Meere mitmachen, zu denen uns die Phantasie des Dichters fortträgt." (Zu Beschreibungen szenischer Stimmungseffekte vgl. u. a. ebd.; Winds 1925, 86ff.; vgl. auch Hahm 1970, 168f.) Zur Schauspielauffassung des Herzogs, die Parallelen zur deterministischen Milieutheorie des Naturalismus aufweist, vgl. u. a. Osborne 1980, 26ff.; Balme 1988, 57f. Daß es auch Differenzen zum naturalistischen Konzept gab, belegt die Kritik von Brahm an den Meiningern. So verglich Brahm die Meininger Szene mit den Historienbildern K. T. von Pilotys und meinte, daß hier wie dort das Menschliche fehle und der äußerliche theatralische Effekt dominiere. (Vgl. Brahm 1964, 472; Brahm 1892.) Vgl. Frenzel 1877, Bd. 2,142; Baumann 1988, 272ff. Winds 1925, 86. Zur Theorie des modernen Dramas vgl. Szondi 1965. Zum sog. lyrischen Drama vgl. Szondi 1975. Vgl. auch Teil II, Kap. 3 b der vorliegenden Arbeit. Reinhardt 1901, 8. Vgl. auch Hofmannstahl 1923, 298f.: „Reinhardt hat in den zwanzig Jahren, seit er Direktor eines oder mehrerer Theater ist, nie einen Augenblick lang aufgehört, dem Publikum seinen Geschmack zu diktieren (...). Er ist, als Individuum, so voll Lebenskraft, das er alles, auch das sehr Entfernte oder der Zeit nach sehr Entlegene, nur als ein Stück Leben zu sehen vermag. Er sieht nichts historisch, sondern alles unmittelbar".

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I. Theaterreform und bildende Kunst in Deutschland

,Sommernachtstraum', der mehr von Max Reinhardt als von William Shakespeare war."346 Dieses „mehr" drückte sich beispielsweise darin aus, daß Reinhardt nicht den in der Shakespeareschen Bühnenanweisung vermerkten Wald bei Athen auf die Bühne brachte, sondern „er stellt uns den deutschen Buchenwald hin, den einzelne weiße, im Mondlicht glänzende Birken gespenstisch durchschimmern."347 Anhand dieses Details läßt sich symptomatisch erkennen, daß das Reinhardtsche Meiningertum bereits in seinen Anfängen nicht gleichermaßen wie die Meininger an der Genauigkeit einer historistisch-naturalistischen, von der Dichtung vorgegebenen Wirklichkeitsillusion interessiert war. Diese Tatsache zeigte sich vor allem bei den Inszenierungen zeitgenössischer Autoren. So offenbarte nach Max Osborn bereits die frühe Inszenierung von Oscar Wildes Salome (Premiere: 29. September 1903, Neues Theater Berlin) „die neugewonnene Freiheit im Auftragen eines Historienkolorits, das die geschichtlichen Elemente nur so weit nutzte, wie sie geeignet waren, dem modernen Stimmungsraffinement des Werkes"348 zu entsprechen. Analog wurde auch die Beleuchtung nicht ausschließlich, wie noch bei den Meiningern, zur Darstellung realistisch-natürlicher Phänomene genutzt349, sondern auch als symbolischer Verweis auf psychologische Handlungskonstellationen im Stück. Nach der Beschreibung von Carl Niessen wurde z. B. das Bühnenlicht bei der Inszenierung von Hofmannsthals is/efera-Bearbeitung (Abb. 4) in einem solchen symbolhaften Sinne eingesetzt: „Da nicht nur Elektra in dieser Kontrafaktur nach Sophokles nach Blut lechzt, war es eine für die Zeit erstaunliche Lichtsymbolik, daß (...) über die rechte niedere Mauer hinweg und durch die Schatten eines Feigenbaumes rotes Licht" fiel, „das auf dem Boden wie eine Blutlache" lag.350 Wie der Einsatz des Lichts den weiteren Verlauf der Handlung kommentiert hat, belegen Hofmannsthals Szenische Vorschriften zu ,Elektra', die erst nach der Reinhardtschen Uraufführung des Stücks veröffentlicht worden sind351 und deshalb die Vermutung nahelegen, daß sich Hofmannsthal in seinem Text auf die Ausstattung dieser Inszenierung bezieht352: „Während der Szene Chry-

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Neue Freie Presse vom 3. 2. 1905. (Neuabdruck in: Jaron/Möhrmann/Müller 1986, 570f., hier: 570.) Th. Müller-Fürer in: Neue Preussische Zeitung vom 1. 2. 1905. (Neuabdruck in: Jaron/Möhrmann/ Müller 1986, 571 f., hier: 571.) Osborn 1909, 64. Auch F. Stahl hebt hervor, daß diese Dekoration „ohne irgendwie Anspruch auf historische Echtheit zu machen, in ihrem phantastischen orientalischen Charakter den echten Schauplatz für das Drama bildete." (Stahl in: Berliner Tageblatt vom 30. 9. 1903. Neuabdruck in: Jaron/Möhrmann/Müller 1986, 524f., hier: 525.) Zur Rekonstruktion dieser Aufführung vgl. Janssen 1957, 33f. Vgl. Baumann 1988, 302ff. Niessen 1984, 255. Die Premiere von Elektra war am 30. 10. 1903 und am 7. 11. 1903 erschienen im Heft 3 des 1. Jgs. der Zeitschrift Das Theater Hoftnannsthals Szenische Vorschriften zu .Elektra'. Ein Vergleich von Rezensionen und Abbildungen läßt erkennen, daß die Reinhardtsche Inszenierung mit dem von Hofmannsthal beschriebenen Bühnenaufbau und Lichteinsatz weitestgehend identisch war. (Vgl. die bei Jaron/Möhrmann/Müller 1986, 531-542 neu abgedruckten Rezensionen.) Bereits Janssen 1957, 35ff. geht - allerdings ohne Begründung - davon aus, daß Hofmannsthal in seinen Vorschriften zu ,Elektra' „den Bühnenaufbau der Reinhardtschen Aufführung" beschreibt. Fiedler 1994, 40 dagegen nimmt an, daß Hofmannsthal unter dem Eindruck von Reinhardts frühen Inszenierungen bei der Erarbeitung dieses Stücks „detaillierte Vorschläge" zur Inszenierung unterbreitet habe. Wer von beiden - Dichter oder Regisseur - auf die visuelle Umsetzung stärker eingewirkt hat, ist nicht eindeutig zu entscheiden. Sicher ist nur, daß Hofmannsthal bei den Proben anwesend war, so daß es zu einem direkten Austausch gekommen sein wird. (Vgl. Fiedler 1991, 80.)

/. 3. „Die Bühne als Traumbild": Max Reinhardts Illusionstheater

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sothemis-Elektra nimmt die Röte ab, der ganze Hof versinkt in Dämmerung."353 Der durch das farbige Licht visualisierte Stimmungsverlauf der Szene war - ebenso wie später in Georg Fuchs' Münchener Künstler-Theater - Ausdruck eines symbolhaften, intimisierten Verständnisses von Bühnendekoration, das über die historistische „Stimmungsregie"354 der Meininger weit hinaus ging. In den Texten Hermann Bahrs zur Theaterreform ist diese Entwicklung seismographisch festgehalten, wenn er z. B. 1908 davon spricht, daß die moderne Bühnenausstattung „nicht Realität, sondern Suggestion" vor Augen führe, indem sie „das Wort des Dichters weder realisieren noch illustrieren, sondern denselben Wert, den es für die Stimmung hat, in Farben umgesetzt" enthalte.355 Reinhardt war einer der Protagonisten dieser neuen, intimisierten Bühnenästhetik, welche von Hofmannsthal im Jahre 1903 paradigmatisch benannt worden ist: Die Bühne als Traumbild. Obwohl Hofmannsthal in diesem poetischen Text nicht den Namen Reinhardts erwähnt, umschreibt er indirekt die neue, durch Reinhardt geprägte, individuell künstlerische Qualität des Regisseurs, der „das Bühnenbild aufbaut" und dessen gestalterische „Kraft (...) sich jedem seiner Gehilfen aufprägen" soll356: „Sein Auge muß schöpferisch sein, wie das Auge des Träumenden, der nichts erblickt, was ohne Bedeutung wäre (...), er (...) muß durch das Auge gelebt und gelitten haben (...). Und in seine stärksten feierlichsten Trunkenheiten (...) gießt er die Worte des Dramas aus, läßt sie in seine flutende, von Lichtern durchwogte Seele fallen, sich lösen, riesige geheimnisvolle Scheine werfen".357 Isidor Landau, Kritiker des Berliner Börsen-Courier, beschreibt Reinhardts Sommernachtstraum als eine „Traumphantasie", denn die „mannigfachen Waldgeräusche bildeten ein lebensvolles, stimmungssattes Konzert, und das Tummeln der kleinen Elfen, ihr Tanzen, Purzeln, Kollern mutete an wie ein verführerisches Traumbild."358 Neben der Affinität zu Hofmannsthal in der Anwendung des Begriffs „Traumbild" auf die Bühne ist in dieser Beschreibung ein anderer Aspekt wichtig, der kennzeichnend für Reinhardts Bühnenkunst gewesen ist: die gesteigerte Bewegung.359 Anhand der Sommernachtstraum-lnszemerung von 1905 läßt sich damit exemplarisch eine weitere Paradigmenverschiebung gegenüber den Meiningera festmachen, die sich neben der betonten Lebendigkeit und Beweglichkeit in der schauspielerischen Darstellung360 vor allem in dem neuartigen Einsatz moderner Bühnentechnik manifestiert hat. So verwendete Reinhardt in dieser Inszenierung die von Karl Lautenschläger 1896 entwickelte Drehbühne erstmals nicht als praktikablere Lösung zum 353 354 355 356

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Hofmannsthal 1903a, 241. Winds 1925, 87. Bahr 1908, 21. Hofmannsthal hatte Reinhardt im Mai 1903 bei einem Gastspiel des Kleinen Theaters in Wien durch die Vermittlung von H. Bahr kennengelernt. (Vgl. Fiedler 1991, 78.) Dies war der Beginn einer langanhaltenden, fruchtbaren Bekanntschaft. Daß sich Hofmannsthal in seinem Aufsatz Die Bühne als Traumbild auf die frühen Inszenierungen Reinhardts bezieht, hat bereits Fiedler 1994, 40 nahegelegt. Hofmannsthal 1903,490,492f. Zu Hofmannsthals Theaterästhetik vgl. u. a. Stefanek 1981. I. Landau in: Berliner Börsen-Courier, Nr. 53, 1. 2. 1905. (Neuabdruck in: Fetting 1987, 284-287, hier: 285, Hervorhebung v. Vf.) Auf diesen Aspekt haben bereits Romstöck 1954, 189ff. und Fiebach 1991, 56f.; Fiebach 1991a, 84f. hingewiesen. So berichtet beispielsweise E. v. Winterstein, einer der Hauptdarsteller: „Wir mußten durcheinander wirbeln, daß uns die Puste ausging." (Winterstein 1982, passim; vgl. auch Winterstein in: Boeser/Vatkova 1984,207 sowie die Rezensionen in: Jaron/Möhrmann/Müller 1986, 564-575.)

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I. Theaterreform und bildende Kunst in Deutschland

Zwecke des schnelleren und rationelleren Umbaus zwischen den Akten361, sondern er ließ den ganzen Theaterwald „bei offener Bühne"362 drehen, d.h., er nutzte die Drehscheibe als visuell-dramaturgisches Ausdrucksmittel. Während des Spiels drehte sich der Wald, und die Darsteller „bewegten sich sichtbar von einem Bild ins andere."363 Diese Idee eines auf verschiedenen Darstellungsebenen bewegten Bühnen-Bildes realisierte Reinhardt verstärkt und in teilweise dynamisierter Ausprägung bei seinen späteren Inszenierungen364, ein Effekt, der von Zeitgenossen als „kinomäßige Illusion"365 beschrieben wurde. In diesem Zusammenhang trifft die Bemerkung Heinz Heraids, wonach Reinhardt vor allem die „Erscheinungsform des Augenblicks"366 interessiert habe. Reinhardts gesteigert dynamische Auffassung vom Gesamtgeschehen auf der Bühne, die Joachim Fiebach als Reflex einer umfassenden Dynamisierung der Lebensprozesse und damit der Wahrnehmung seit 1900 gekennzeichnet hat367, unterscheidet sich nicht nur von den vergleichsweise statisch aufgefaßten BühnenBildern der Meininger368, sondern letztlich auch von jenen unbeweglichen Relieft>ildern des Münchener Künstler-Theaters.

4. Der „englische Maler" Deutschland

Edward Gordon Craig in

a) Künstler, Mäzen und Public Relations Die Zeitschrift Kunst und Künstler vermeldet im Oktober des Jahres 1904: „Ein eigenartiger Maler wird seine Thätigkeit auf der Bühne des Lessing-Theaters unter der Direktion von Otto Brahm entfalten: Edward Gordon Craig, der sehr talentvolle Sohn von Ellen Terry aus ihrer Ehe mit dem scenischen Architekten Craig370 (...). Der Sohn ist ein ausgesprochenes Malertalent (...). Er hat in London 361 362 363 364

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Zur Erfindung der Drehbühne vgl. u. a. Bab 1928, 139. Ph. Stein in: Berliner Lokal-Anzeiger vom 1. 2. 1905. (Zitiert nach Jaron/Möhrmann/Müller 1986, 566.) Herald 1953, 19. Vgl. u. a. die Meinung H. Harts zu Reinhardts Inszenierung Der Kaufmann von Venedig (1905): „Eine bewegtere Darstellung ist mir noch nicht vorgekommen. Das war ein Rennen, Tollen, Zappeln, Stürmen von Anfang bis zum Ende." (H. Hart in: Der Tag, Nr. 562, 11. 11. 1905, Neuabdruck in: Fetting 1987, 307-311, hier: 310.) Kerschenzew 1922, 10. Vgl. zu diesem Sachverhalt Fiebach 1991a, 84f.; Fiebach 1995, 24f. Herald 1915, 13. Fiebach 1991a, 77-80; Fiebach 1995, 25. Zur Bühnenbewegung bei den Meiningern vgl. Osborne 1980, 16ff. Osborne legt dar, daß bei den Meiningern ein - im Vergleich zu Dingelstedts Betonung statischer Elemente - verstärkter Hang zur Bewegung offensichtlich war. Insofern ist Reinhardt auch hierin ein Vollender der Meininger Theaterreform. Fuchs 1905,77. Gemeint ist E. W. Godwin, englischer Architekt. Er entwarf Bühnenkostüme und führte in den 80er Jahren des 19. Jahrhunderts auch selbst Regie. (Vgl. Stokes 1972, 31-68 und Teil II, Kap. 1 b; Teil III, Kap. 1 a der vorliegenden Arbeit.)

I. 4. Der „englische Maler" Edward Gordon Craig in Deutschland

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sechs Werke für das Theater eingerichtet: zwei Opern von Purcell, ein Werk von Händel, ein Stück von einem modernen Engländer, ,Viel Lärm um Nichts' und .Nordische Heerfahrt' von Ibsen."371 Bei den hier aufgezählten Londoner Inszenierungen Gordon Craigs (1872-1966) aus den Jahren 1900 bis 1903 handelte es sich um frühe Versuche einer Überwindung des tradierten Bühnenhistorismus.372 Das rasche Bekanntwerden dieser Reformideen in Deutschland verdankte Craig vor allem der engagierten Vermittlung eines Mannes, der in der Zeit der Weimarer Republik zu den progressivsten und einflußreichsten Kunstmäzenen gehörte: Harry Graf Kessler.373 Der damalige Direktor des Weimarer Großherzoglichen Museums hatte die letzten beiden Inszenierungen Craigs im Frühjahr 1903 in London gesehen und war begeistert, denn hier erlebte er offenbar zum ersten Mal, „daß der Zweck der Bühne nicht naturalistische Täuschung oder historische Belehrung sei, sondern Ausdruck".374 Im September desselben Jahres lernte er Craig durch die Vermittlung des Malers William Rothenstein im Londoner Cafe Royal kennen.375 Diese Begegnung war der Beginn einer bis zum Tode Kesslers im Jahre 1937 andauernden freundschaftlichen Beziehung, die vor allem darauf beruhte, daß Kessler unermüdlich bestrebt war, den ausgesprochen eigenwilligen Künstler ideell und materiell zu fördern.376 Bereits beim ersten Treffen im Cafe Royal dürfte er Craig den Vorschlag unterbreitet haben, die Inszenierung eines von Hofmannsthal eigens für die seit längerem geplante Freilichtaufführung im Naturtheater des Weimarer Schlosses Belvedere verfaßten Stückes zu übernehmen - ein Projekt, daß vor allem aufgrund Craigs mangelnder Kooperationsbereitschaft und horrender Honorarforderungen nicht zustande kommen sollte.377 Kessler versuchte in den folgenden Monaten auf verschiedenen Wegen und mit gro371 372

Heilbut 1904. Vgl. u. a. die Standarduntersuchungen von Romstöck 1954, 63-143; Löffler 1969; Bablet 1965; Bablet 1965a, 279-337. Craig war nicht der erste Bühnenreformator, der den Historismus und Naturalismus auf der Bühne überwandt. Die Chronologie stellt sich wie folgt dar: Die frühesten Versuche unternahm P. Fort in Zusammenarbeit mit den Nabis am Pariser Theätre d'Art ab 1890. A. Appias Bestrebungen in der Schweiz setzten vor 1895 ein. Die ersten Entwürfe Craigs stammen unabhängig davon aus der Zeit kurz vor 1900, seine erste Londoner Inszenierung hatte im Mai 1900 Premiere. In Deutschland fanden die Theaterauffuhrungen der Darmstädter Künstlerkolonie (G. Fuchs, P. Behrens, J. M. Olbrich) 1901 statt, und M. Reinhardts erste eigenständige Inszenierungen fallen schließlich in die Jahre 1902/03.

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Dieser Tatbestand wurde in den bisherigen theaterwissenschaftlichen Untersuchungen zu Craig nie näher beleuchtet. (Vgl. Romstöck 1954; Bablet 1965; Innes 1983.) Eine Ausnahme bildet Newman 1986 und 1995. Allerdings beschränkt sich Newman, ohne wertend vorzugehen, auf eine minutiöse Darstellung biographischer Zusammenhänge und Abläufe. Zur Position Kesslers als Mäzen moderner Kunst und Kultur vgl. u. a. Nabbe 1990. Kessler 1930, 177. Die Darmstädter Inszenierungen aus dem Jahre 1901 waren ihm demnach nicht bekannt. Für ihn waren Craigs Inszenierungen die ersten, überzeugenden Versuche einer antinaturalistischen Bühnengestaltung. Vgl. die Tagebucheintragung Kesslers vom 29. 9. 1903. (Veröffentlicht im Ausstellungskat. Harry Graf Kessler 1996, 170.) Vgl. den Briefwechsel Craig-Kessler 1995. Vgl. den Briefwechsel Hofmannsthal-Kessler 1968, 43-62; hier: 62. (Vgl. auch Doswald 1976, 135; Steim 1997, 279ff.) Das Problem eines extremen Starrsinns gekoppelt mit mangelndem Durchstehvermögen, welches Craig u. a. zeitlebens von einer häufigeren praktischen Bühnenarbeit abgehalten

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I. Theaterreform und bildende Kunst in Deutschland

ßem Enthusiasmus, den jungen Engländer nach Deutschland zu vermitteln. So hatte er Hofmannsthal durch seine Erzählungen derartig für Craigs Theaterreformideen eingenommen, daß dieser ihn in einem Brief überschwenglich als „die wichtigste Sache der Welt"378 bezeichnet, und Kessler schreibt schließlich im Oktober 1903 an den Dichter: „Sie haben es wirklich in der Hand, ihm einen großen Dienst zu erweisen, für den er Ihnen wahrhaft dankbar sein würde, und der außerdem unsere Pläne dadurch wesentlich fördern würde, daß er Craig nach Deutschland brächte."379 Daraufhin setzte sich Hofmannsthal bei Otto Brahm ein, daß Craig für die Inszenierung seiner Bearbeitung von Thomas Otways Das gerettete Venedig am Berliner Lessing-Theater mit dem Entwurf des Bühnenbildes und der Kostüme beauftragt wurde.380 Die geplante Zusammenarbeit von Craig und Brahm wurde nicht nur von der oben zitierten Kunstzeitschrift Kunst und Künstler erwartungsvoll angekündigt, sondern auch von fuhrenden Tageszeitungen.38' Kessler hatte zudem den Kontakt zum Herausgeber von Kunst und Künstler, Emil Heilbut, vermittelt382, worauf im November 1904 ein ausführlicher und wohlwollender Artikel über Craig erschien, der durch einen Aufsatz des Künstlers ergänzt wurde, in dem er erstmals in Deutschland seine Ideen zu einer reformierten Bühnenausstattung darlegt.383 In den folgenden Jahren setzte eine ausgedehnte publizistische Verbreitung seiner Reformideen in Europa und den USA ein, die sich einerseits aus der eigenen umfangreichen Schreibtätigkeit, andererseits aus dem großen journalistischen Interesse ergab, das Craig in den Jahren 1904 bis ca. 1914 entgegen gebracht wurde.384 Dieses steigerte sich ab 1905 noch zusätzlich durch dessen medienwirksame Beziehung zu der prominenten Tänzerin Isadora Duncan.385 Craig hatte ein ausgeprägtes Bewußtsein für die Bedeutung des öffentlichen Interesses und der Werbung. So vermerkt er 1905 in einem seiner Notizbücher: „Repeat & repeat same thing in all papers. Repeat and REECHO."386 Diese Werbestrategie, die auch aus heutiger Sicht noch aktuell ist, verfolgte Craig zeit seines Lebens - ein Tatbestand, der sich anhand seiner umfangreichen schriftstellerischen Tätigkeit nachprüfen läßt.

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hat, beleuchtet auch der Briefwechsel von M. Beerbohm und W. Rothenstein 1975 (hier: 47f.) Diese Tatsache wird von der zumeist affirmativ ausgerichteten Craig-Forschung beschönigt oder vernachlässigt. Hofmannsthal an Kessler vom 6. 10. 1903. In: Briefwechsel Hofmannsthal-Kessler 1968, 55. Kessler an Hofmannsthal vom 22. 10. 1903. In: ebd., 58. Vgl. den Brief Kesslers an Hofmannsthal vom 24. 12. 1903. In: ebd., 61. Beispielsweise: Berliner Börsen-Courier vom 5. 10. 1904; Neue Freie Presse vom 5. 10. 1904; Leipziger Neueste Nachrichten vom 8. 10. 1904; Prager Tageblatt vom 9. 10. 1904; Münchner Neueste Nachrichten vom 6. 11. 1904. Vgl. Kessler an Craig vom 9. 5. 1904. In: Briefwechsel Craig-Kessler 1995, 21. Vgl. Heilbut 1904a; Craig 1904. Craig hatte bereits in London ab ca. 1901 einen Zeitschriften-Ausschnittdienst beauftragt. Im Laufe der Jahre entstand auf diese Art eine umfangreiche Sammlung von Zeitungsartikeln über seine Person und sein Schaffen. Dieses Konvolut befindet sich heute im Craig-Archiv der BN. Zur CraigRezeption in amerikanischen Zeitschriften vgl. Myers 1970. Craig begleitete Duncan 1905/06 auf ihren ausgedehnten Tourneen durch Europa. Die Tageszeitungen berichteten während dieser Zeit häufig über das unverheiratete Paar. Im Craig-Archiv der BN befinden sich zahlreiche Zeitungsnotizen zu diesem Thema. Zur Beziehung Craig-Duncan vgl. die bei Steegmuller 1974 veröffentlichten Briefe und Tagebuchauszüge (CD). Vgl. auch Splat 1988. Craig, Agenda, 31. 5. 1905, BN. (Zitiert nach Newman 1986, 18.) Weitere Notizen zur Werbung finden sich in Craigs Notizbuch Über Marions-B, 1905-1906, 22f. (BN).

I. 4. Der „ englische Maler" Edward Gordon Craig in Deutschland

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In diesem Zusammenhang ist auch erwähnenswert, daß Craig zwischen 1904 und 1907 den Amerikaner Maurice Magnus als persönlichen „manager"387 beschäftigte, der dafür zuständig war, Craigs Projekte zu vermarkten.388 Die zunehmende Bekanntheit des englischen Bühnenreformators in den kunstinteressierten Kreisen Deutschlands und Österreich-Ungarns wurde ab 1904 vor allem auch durch die Ausstellungen seiner Holzschnitte, Zeichnungen und Bühnenbildentwürfe in angesehenen Kunstgalerien gefördert. Dieser Tatbestand kann als Novum in der Ausstellungspraxis um 1900 bezeichnet werden, denn bis zu diesem Zeitpunkt waren Entwürfe zu Bühnenausstattungen in den kommerziell angelegten Katalogen der Ausstattungsfirmen nachzuschlagen389, nicht aber in Galerien zu besichtigen. Die serienmäßig produzierten Dekorationen wurden als rein handwerkliches Produkt verstanden390 und besaßen demnach keinen Anspruch auf künstlerische Einmaligkeit. Durch die im Rahmen der Kunstgewerbebewegung einsetzende Beschäftigung von bildenden Künstlern mit dem Theater, wie z. B. in der Darmstädter Künstlerkolonie, in München und in Berlin bei Reinhardt, trat der individuell künstlerische Wert einer Bühnenbildgestaltung ins öffentliche Bewußtsein391, so daß Entwurfszeichnungen und Bühnenbildmodelle erstmals außerhalb des Theaterkontextes in die Ausstellungsräume der Galerien und Museen Eingang fanden. Harry Graf Kessler hatte hieran maßgeblichen Anteil. Bereits im Mai 1904 zeigte er Bühnenbildentwürfe von Gordon Craig in der Ausstellung Jung-Englische Kunst im Weimarer Museum für Kunst und Kunstgewerbe.392 Die Integration von Craigs Arbeiten in den Bereich der Kunstausstellungen war allerdings schon deshalb naheliegend, weil dieser nicht ausschließlich Theaterentwürfe anfertigte, sondern auch Landschaftsdarstellungen, Porträts und Exlibris. So wurde Kessler, als er im Frühjahr 1903 in London weilte, zunächst auf Craigs Holzschnitt-Exlibris aufmerksam, die er in einer Ausstellung gesehen hatte.393 Eine erste Personalausstellung in Deutschland ermöglichte Kessler kurz nach Craigs Eintreffen in Berlin: Am 3. Dezember 1904 wurde die Galerie Friedmann & Weber mit szenischen Entwürfen, Skizzen und Holzschnitten des englischen Malers eröffnet.394 Hier-

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Craig an Kessler vom 3. 3. 1905. In: Briefwechsel Craig-Kessler 1995, 40. Nach E. A. Craig 1968, 204 bezahlte Craig als Honorar ca. 60 Mark pro Woche. Zu den Aufgabenbereichen von Magnus vgl. ebd., 203. Vgl. Stange 1995. Vgl. Ibscher 1969 zu den Arbeitsweisen und -inhalten der deutschen Ausstattungsfinnen am Ende des 19. Jahrhunderts. Daß dieser Prozeß nicht problemlos ablief, zeigt der Streitfall von M. Kruse mit der Berliner Ausstattungsfirma Hugo Baruch & Co. bezüglich des Urheberrechts für die Dekorationen zu Reinhardts Salome-Inszenierung. Die Firma, welche die Entwürfe Kruses nur ausgeführt hatte, bekam in diesem Streitfall recht. (Vgl. Ibscher 1969, 58f.) Für den „Schutz des Bühnenenbildes" plädiert 1906 u. a. R. Treitel. (Vgl. Treitel 1906.) Vgl. die Ausstellungschronologie im Ausstellungskat. Harry Graf Kessler 1996, 139ff. Tagebucheintragung Kesslers vom 16. 4. 1903, DLA. (Vgl. Newman 1995, 6.) Es handelt sich hierbei vermutlich um die bei Fletcher/Rood 1967, 105 angegebene Gruppenausstellung in The Gallery, wo Craig neben P. Anderson, D. Calthrop, W. Crane, J. Harker u. a. vertreten war. In London stellte Craig regelmäßig seit 1901 aus. (Vgl. die Ausstellungschronologie bei Fletcher/Rood 1967, 96-111.) Abbildungen der Exlibris finden sich u. a. in Craig 1924; Craig 1925. Vgl. die Ankündigung in der Berliner Morgenpost vom 4. 12. 1904, 2. Zur Ausstellung erschien ein reich bebilderter Katalog, für den Kessler das Vorwort geschrieben hatte. (Vgl. Katalog über ver-

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I. Theaterreform

und bildende

Kunst in

Deutschland

für ist weitreichend geworben worden, und Kessler dürfte dafür gesorgt haben, daß wichtige Persönlichkeiten des kulturellen Lebens von diesem Ereignis in Kenntnis gesetzt wurden. 3 9 5 Bereits während eines kurzen Aufenthalts im Juli 1904 in Weimar hatte er Craig in die Kreise des ,,neue[n] Weimar" eingeführt, zu denen beispielsweise Henry van de Velde und Ludwig v o n H o f m a n n gehörten. 3 9 6 Im folgenden Jahr arrangierte Maurice M a g n u s in brieflicher Absprache mit Kessler weitere Ausstellungsmöglichkeiten in renommierten Galerien. 397 So waren Craigs Bühnenbildentwürfe i m März/April 1905 in der VI. Ausstellung der Berliner Galerie Paul Cassirer u. a. neben Gemälden Auguste Renoirs vertreten. 398 Zur gleichen Zeit fand zunächst in der Düsseldorfer, danach in der Kölner Dependance der Galerie Schulte eine j e w e i l s vierwöchige Einzelausstellung von 5 0 grafischen Werken statt. 399 U m 5 0 Arbeiten erweitert, ging diese Schau im August nach München, um im dortigen Kunstverein präsentiert zu werden. 4 0 0 Besonders erfolgreich war dann eine Ausstellung von ca. 130 Holzschnitten, Kostüm- und Bühnenbildentwürfen s o w i e Landschaftszeichnungen, die im Oktober 1905 in der Wiener Galerie Miethke und einen Monat später im KunstSalon Ernst Arnold in Dresden zu sehen war. 401 Wichtig ist hierbei, zu erwähnen, daß in der vorangegangenen Ausstellung des Kunst-Salons Arnold Werke von Vincent van G o g h gezeigt wurden. 4 0 2 Speziell das Ausstellungsprofil dieser Dresdner Galerie, w e l c h e frühzeitig

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schiedene Entwürfe für Scenen und Kostüme für das Theater und einige Zeichnungen englischer Landscenen von Edward Gordon Craig 1904.) Nach Newman 1986, 14 wurden 4000 Einladungen zur Eröffnung verschickt. Diese Ausstellung hatte, wie die Münchner Neuesten Nachrichten vom 7. 12. 1904 berichten, „das größte Aufsehen erregt." Sie wurde daraufhin z. B. vom Hamburger Kunstgewerbe-Museum angefordert. Einem unveröffentlichten Brief Craigs zufolge (HRC) befand er aber die Stadt Hamburg als „unimportant". (Zitiert nach Newman 1995, 41, Anm. 28.) Hausen 1904, Titel. Hier ist auch ein Foto publiziert, auf dem Kessler, H. van de Velde, L. v. Hofmann und Craig vor einem Architekturmodell von van de Velde zu sehen sind. Im November desselben Jahres treffen sich Craig und van de Velde erneut in Weimar, um sich über Fragen der Theaterreform auszutauschen. (Van de Velde 1962, 270 berichtet über diese Begegnung; vgl. auch Brief Kessler an Hofmannsthal vom 22. 11. 1904, in: Briefwechsel Hofmannsthal-Kessler 1968, 67.) Im Craig-Archiv der BN befinden sich unveröffentlichte Briefe von van de Velde an Craig aus den Jahren 1913, 1914 und 1953, die von der anhaltenden, aber lockeren freundschaftlichen Beziehung der beiden Künstlern seit jener Begegnung im Hause Kesslers zeugen. Aus den Briefen geht weiterhin hervor, daß eine Zusammenarbeit geplant war: Craig sollte 1914 die Eröffnungsinszenierung des Kölner Werkbundtheaters übernehmen - eine Arbeit, die nicht zustande kam. Vgl. Craig an Kessler vom 3. 3. 1905. In: Briefwechsel Craig-Kessler 1995, 40. Vgl. Ausstellungskat. VI. Ausstellung Paul Cassirer 1904/1905 sowie Rezensionen der Ausstellung in: Vossische Zeitung vom 21.4. 1905; National-Zeitung vom 28. 4. 1905. Zu weiteren Ausstellungsbeteiligungen in Deutschland vgl. die Chronologie bei Newman 1995, 327-332. Vgl. Newman 1995,41. In der Münchner Allgemeinen Zeitung vom 4. 8. 1905 wurde die Eröffnung der Craig-Ausstellung für den 6. 8. 1905 angekündigt. Parallel dazu lief im Kunstverein eine H. von Herkomer-Ausstellung. Vgl. Katalog über einige Entwürfe für Szenen, Kostüme, Theaterdekorationen, einige Zeichnungen englischer Landschaften, Holzschnitte 1905; Ausstellungskat. Entwürfe für Szenen, Kostüme und Theaterdekorationen von E. G. C. 1905. Rezensionen erschienen z. B. in: Neues Wiener Tageblatt vom 3. 10. 1905; Deutsches Volksblatt, Wien, vom 1. 10. 1905. Zur Dresdner Ausstellung in: Dresdener Anzeiger vom 5. 11. 1905. Vgl. Dresdener Anzeiger vom 5. 11. 1905 (BN): „Die Ausstellung von van Gogh interessiert lebhaft. (...) Nach van Gogh wird Edward Gordon Craig Entwürfe für Szenen, Kostüme und Theaterdekora-

I. 4. Der „englische Maler" Edward Gordon Craig in Deutschland

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die Durchsetzung der internationalen künstlerischen Avantgarde in Deutschland gefordert hat, belegt, daß Craig vom zeitgenössischen Fachpublikum in diesen Kontext eingeordnet wurde.

b) „Bühnenprimitivismus"403 Anläßlich der Craig-Personalausstellung in der Galerie Friedmann & Weber schreibt ein Kritiker der Berliner Zeitung: „Zu gleicher Zeit, da bei uns in Berlin eine Reihe von Künstlern, wie vor allem Max Kruse, dann Lovis Corinth, Max Slevogt und die Herren aus dem Atelier von Impekoven, durch den frischen Geist der Reinhardtschen Bühnen angeregt, auf eine Umgestaltung der Bühnenausstattung hinzuarbeiten begannen, vielleicht schon etwas vorher, fing Craig damit an, die Wichtigkeit der großen Linien und Flächen, der souveränen dekorativen Vereinfachung, der starken Farben- und Lichtkontraste für die szenischen Wirkungen zu betonen."404 Dieser Zusammenhang zu den frühen Reinhardt-Inszenierungen ist auch von zahlreichen anderen Kritikern konstatiert worden 405 Bemerkenswerterweise wird von den zeitgenössischen Beobachtern bei dem Stichwort „dekorative Vereinfachung" nicht auch der Bezug zu den Inszenierungen von Joseph M. Olbrich und Peter Behrens hergestellt, die 1901 noch vor Reinhardt im Rahmen der Darmstädter Spiele gezeigt wurden. Offenbar war dieses elitäre Theaterprojekt nicht über die Grenzen Darmstadts hinaus bekannt geworden. Da von diesen Inszenierungen heute kaum noch Bildmaterial erhalten ist, läßt sich deren Ausstattung nur ansatzweise rekonstruieren.406 So kann Olbrichs Bühnenästhetik von dessen Illustrationen zu Wilhelm Holzamers Stück In der Thüre (1901) abgeleitet werden (Abb. 5). Der Bühnenaufbau setzte sich demnach aus klaren, geometrisch vereinfachten Flächen zusammen, die mit wenigen stilisiertdekorativen Details versehen waren. Zieht man als Vergleich Gordon Craigs aquarellierten Bühnenbildentwurf zu seiner ersten Londoner Inszenierung Dido and Aeneas (1900, Abb. 6) heran, so finden sich hier neben formalen Unterschieden, die vor allem die lockere, impressionistisch aufgefaßte Flächendurchbildung betreffen, durchaus Ähnlichkeiten, beispielsweise in der Reduktion auf einen zentralen Bildgegenstand: Bei Olbrich ist der Blick auf die Tür und in Craigs Skizze auf den Pavillon konzentriert. Auf realistische Details wurde gänzlich verzichtet; bei beiden wird der Ausschnitt eines nicht näher lokalisierbaren Raumes gegeben - ganz im Sinne von Craigs 1904 geäußertem Vorsatz: „Die Form der Zimmer und Möbel darf niemals zuvor gesehen worden sein ausser in der Phantasie."407

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tionen ausstellen. In Wien wurde seine interessante Ausstellung kürzlich viel besprochen und anerkannt." Zum Ausstellungsprogramm des Kunst-Salons Arnold vgl. Negendanck 1998. Deutsches Volksblatt, Wien, vom 21. 6. 1906 über Craig (BN). Berliner Zeitung vom 17. 12. 1904 (BN). Vgl. u. a. Plehn 1904 (BN); Münchner Neueste Nachrichten vom 7. 12. 1904 (BN); Berliner Zeitung vom 17. 12. 1904 (BN); Berliner Börsen-Courier vom 10. 12. 1904 (BN); Bahr 1905. Ein Großteil der Dokumente über die Darmstädter Spiele 1901 sind während des 2. Weltkrieges verbrannt. (Vgl. Boehe 1968, Teil I, 6.) Craig 1904, 85.

I. Theaterreform und bildende Kunst in Deutschland

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Die stilistische Parallele der Auffuhrungen in Darmstadt und London ist damit stärker gegeben als die von den zeitgenösssichen Kritikern angemerkte Ähnlichkeit zum erneuerten Meiningertum der frühen Reinhardt-Inszenierungen. Dies läßt sich beispielsweise anhand eines Vergleichs von Max Kruses Bühnenbild zu Hofmannsthals Einakter Elektro (1903, Abb. 4) und Craigs Entwurf zum gleichen Stück (1905, Abb. 8) belegen. Kruse baute, wie Carl Niessen es ausdrückt, „das zyklopische Gemäuer eines mykenischen Palasthinterhofs auf." 408 Zwei verschiedene Eingangsportale links und rechts im Bild mit vorgesetzten Treppenstufen ermöglichen ein Spielen auf verschiedenen Ebenen. Die Rückwand des Palastes ist durch Säulen und Fenster reich gegliedert und mit begehbaren Mauervorsprüngen versehen. Aufgestellte Fahnen und Bänke sorgen für eine Binnengliederung des Handlungsraumes der Schauspieler. Dagegen wird der Bühnenraum in Craigs Entwurf allein von einer hoch aufragenden Toröffnung dominiert, die nicht wie bei Kruse auf ein konkret wahrnehmbares Gebäude verweist, sondern einfach nur eine Öffnung in einer ungegliederten Wand darstellt, zu der lediglich ein paar Treppenstufen hinaufführen. Folglich war Craig in der Vereinfachung der Bühnenaufbauten sehr viel radikaler als Kruse und Reinhardt. 409 Ein Kritiker der Wiener Craig-Ausstellung, in der besagter Entwurf zu Elektro ausgestellt war 410 , kennzeichnet diese Besonderheit seiner Bühnenbildideen: „Seine szenischen Landschaften beruhen auf geometrischen Einheiten, Empfindungslinien, Kunstpausen des Raumes, mächtigen Auf- und Abstufungen (...). Eine Simplizität ist in ihnen, wie in einer Formel, einem Symbol, das eine Anzahl Worte durch ein sinnfälliges Zeichen ersetzt."411 Eine solche symbolhafte Reduktion des Bühnenbildes hat im europäischen Theater - u. a. auf den Bühnen Max Reinhardts - sehr bald als „Prinzip Gordon Craigh" 412 Schule gemacht.

c) Ein Maler als Regisseur? Anhand der kurz skizzierten Popularität, die Craig im Verlauf des Jahres 1905 in Deutschland und Österreich-Ungarn erlangte, lassen sich weitere wichtige Aspekte seiner Rezeption ableiten. Zum einen entsprach Craigs Auftreten dem sich allmählich durchsetzenden Bedürfnis nach künstlerisch-visueller Reform des Theaters. Häufig wurde sein Name in Zusammenhang mit Georg Fuchs und Max Reinhardt genannt, und aufgrund seiner Prominenz trug er maßgeblich zur Verbreitung der antinaturalistischen Theaterreformideen in Deutschland bei. Andererseits bestimmte die Tatsache, daß er vorrangig über seine Zeichnungen

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Niessen 1984, 255. Vgl. auch Hofmannsthal 1903a. Dies bemerkte auch Plehn 1904 (BN): „Wenigstens bringt er nichts für uns Neues, wenn auch seine Vorschläge vielleicht konsequenter und bewußter die modernen malerischen Prinzipien vertreten." Vgl. Kat. über einige Entwürfe für Szenen, Kostüme, Theater-Dekorationen ... 1905, Verzeichnis der ausgestellten Werke. Pester Lloyd, Budapest, vom 3. 10. 1905 (BN). Poppenberg 1906, 42. Vgl. z. B. den Streit um die Dekorationen von E. Orlik zu dem von Reinhardt inszenierten Wintermärchen (Premiere: 15. 9. 1906). Hier gab es Plagiats-Vorwürfe von Craig gegenüber Reinhardt und Orlik. (Vgl. Berliner Tageblatt vom 20. 11. 1906, BN; Niessen 1984, 2 6 0 263.) Zum Einfluß Caigs auf A. Roller vgl. Deutsches Volksblatt, Wien, vom 21. 6. 1906. Zum allgemeinen Einfluß von Craigs Bühnenbildentwürfen vgl. Bablet 1965a, 330-337. Vgl. auch den Abbildungsband von Trübsbach 1969.

I. 4. Der „englische Maler" Edward Gordon Craig in Deutschland

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und Entwürfe für diese neue Theaterästhetik warb, das Rezeptionsverhalten in Deutschland grundlegend. Als „eigenartiger Maler"413 wurde er 1904 in den schwelenden öffentlichen Diskurs um die Erneuerung des Theaters eingeführt, obwohl er sich selbst als Regisseur verstand. Doch hatte es einen holzschneidenden und zeichnenden Regisseur, der seine Arbeiten als Kunstwerke in Galerien ausstellt, bis dahin nicht gegeben. Das einzig passende Berufsbild schien folglich für viele zeitgenössische Beobachter das des bildenden Künstlers zu sein. Ein weiterer Aspekt, der die Zuschreibung Maler untermauerte, war die von zahlreichen Rezensenten seiner Ausstellungen attestierte „bizarr veranlagte Einbildungskraft", die der bildenden Kunst näher sei als dem Theater, weil diese Entwürfe letztlich nur auf dem Papier realisierbar erschienen, sich aber nicht „in ein harmonisches Gebilde aus Holz und Leinwand, Flitter und Seide, Fleisch und Blut übertragen" ließen.414 So wurde dann auch vielfach betont, daß, wie es der Architekt Fritz Schumacher rückblickend ausdrückt, „die Blätter zum großen Teil nur als graphische Leistungen bewertet werden konnten, da der Maßstab der Menschengestalten zur Höhe des Bildes, auf der vielfach überhaupt die Wirkung beruhte, technisch nicht erreichbar war".415 Das Beispiel des Entwurfs zu Hofmannsthals Elektro (1905) mag belegen, was damit gemeint ist. Hier beträgt das Verhältnis von menschlicher Figur zur Toröffnung etwa 1:8, ein Maßstab, der das Bühnenportal eines jeden Theaters bei weitem übersteigt (Abb. 8). Anläßlich der Ausstellung im Münchener Kunstverein polemisierte auch Georg Fuchs gegen Craig, weil dieser „offensichtlich und eingestandenermaßen von der Malerei seinen Ausgang nimmt. (...) Er träumt und phantasiert über das Thema .Theater'". 416 Ein Wiener Kritiker schließlich spricht von dessen „aufs Phantastische gerichteten Malerauge".417 Dieses häufig geäußerte Verdikt des malenden ,,Phantast[en]"418 Craig wurde in der öffentlichen Meinung zunehmend dadurch bestärkt, daß die mit Spannung erwartete Verwirklichung seiner Ideen auf sich warten ließ, denn die im November 1904 angekündigte Zusammenarbeit mit Otto Brahm am Berliner LessingTheater war nicht zustande gekommen. Craigs Streit mit Brahm, der in den Tageszeitungen weitreichend diskutiert worden ist419, fuhrt die theaterwissenschaftliche Forschung zu Recht auf die unterschiedlichen 413 414

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Heilbut 1904. Der Tag, Berlin, vom 16. 12. 1904 (BN). Auch G. Graf Vitzthum vermerkt im Vorwort zum Ausstellungskat. der Galerie Arnold: „Dass Craig ein Maler, ein Graphiker großen Ranges ist, wird kein Besucher dieser Ausstellung bestreiten. Wohl aber hat die Frage ein Recht: Wie soll dies alles nun auf der Bühne wahr werden? Wie soll die überreiche, überfeine Phantasie die Schranken überwinden, die die Realitäten des Bühnenmaterials: abgemessener Raum, Menschen von festem Maass und Wuchs, Gewänder von bestimmtem Fall, Licht von beschränkter Modulationsfähigkeit ihr setzen?" (Vitzthum 1905.) Vgl. auch Berliner Zeitung vom 17. 12. 1904 (BN) sowie Osborn 1905, 594. Schumacher 1935, 266. Fuchs 1905a, 2. F. Georgi um 1905/05 in einer Wiener Zeitung. (Diese Rezension befindet sich im Craig-Archiv der BN. Die genaue Quellenangabe ist nicht erhalten.) B. S. in: Neues Wiener Journal vom 9. 8. 1905 (BN). Diese Kritik vertrat u. a. auch einer der schärfsten Gegner Craigs, L. Simonson. (Vgl. Simonson 1932, 309-350, Kap.: Day-Dreams: The Case of Gordon Craig.) Vgl. u. a. Berliner Börsen-Courier vom 10. 1. 1905 (BN); Die Zeit, Wien, vom 10. 1. 1905 (BN); Neue Freie Presse, Wien, vom 10. 1. 1905 (BN).

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künstlerisch-ästhetischen Ansichten des Naturalisten Brahm und des Theaterreformers zurück.420 Jedoch war Craigs bewußte Vernachlässigung realistischer Details, die Brahm nachdrücklich einforderte, nicht der einzige Grund für das Scheitern der Zusammenarbeit. Es ist vielmehr auch von Wichtigkeit, zu erwähnen, daß Craig sich in seiner Position als Maler, der als künstlerische Instanz im deutschen Theater ohnehin ein umstrittenes Novum war, in die Belange der Regie einmischen wollte. Diesen Sachverhalt vermeldet z. B. der Berliner Börsen-Courier. „Für Brahm kommen immer und allzeit zuerst der Dichter und sein Wort, danach der Schauspieler, zuletzt erst die Hilfskünste (...). Dr. Brahm hat doch auch Gordon Craigh zuerst herangezogen. Freilich, als sich der englische Bühnenillusionist, Maler und Kostümier für den Oberkommandanten hielt, (...) da war der Bruch gegeben."421 Daß Craig nicht willens war, sich mit dem begrenzten Aufgabenbereich eines Dekorationsmalers zu begnügen, zeigt bereits ein im Jahre 1903 an seinen Freund William Rothenstein geschriebener Brief, in dem es um die von Kessler vorgeschlagene Inszenierung eines Hofmannsthal-Stücks im Weimarer Schloßpark von Belvedere ging: „I can do nothing unless he can assure me that absolute power will be given me over play, actors and actresses, scenery, costume and every detail in the production."422 Dieser uneinschränkbare Anspruch mußte unweigerlich zum Eklat mit Brahm fuhren und war letztlich der Hauptgrund dafür, daß es auch nicht zu einer von Kessler angeregten Zusammenarbeit mit Reinhardt kam.

d) „... und dem Dichter wird der Craig erklärt"423 Als der englische Maler im Juni 1905 seine Schrift Die Kunst des Theaters424 veröffentlichte, erregte er in „literarischen Kreisen (...) großes Aufsehen"425, denn hier hatte er, wie die theaterwissenschaftliche Forschung später feststellen wird, „als einer der ersten umfassend und mit theatergeschichtlicher Wirksamkeit das moderne Regietheater theoretisch umrissen."426 Craig polemisiert in seinem Traktat indirekt gegen die zeitgenössischen Theaterzustände, die er im Hinblick auf den Brahm-Eklat als normativ und unflexibel erlebt hatte. So schreibt er im Juli 1905 als Antwort auf diesen Vorfall in dem Aufsatz Etwas über den Re-

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Vgl. Nagler 1960; Marotti 1961, 64f.; Bablet 1965, 91ff.; Innes 1983, 110f.; Steim 1997. Vgl. auch Craigs eigene Stellungnahme in: Craig 1905c. Berliner Börsen-Courier vom 11. 5. 1906 (BN). Craig an Rothenstein, um 1903. (Veröffentlicht in: Rothenstein 1931, Bd. 2, 54f., hier: 55.) Der Tag, Berlin, vom 28. 9. 1906 (BN). Die Kunst des Theaters erschien 1905 zugleich in englisch und deutsch, wobei beide Versionen leicht differieren. Z. B. strich Craig aus der deutschen Übersetzung den Satz: „I only wish you to understand that the poet is not of the theatre, has never come from the theatre, and cannot be of the theatre". Dies ist offenbar ein Zugeständnis, weil die Dichtung im deutschen Theater einen besonders hohen Stellenwert hatte. Im Jahre 1906 folgten eine holländische und russische Übersetzung. (Vgl. Fletcher/Rood 1967, 14f.) Da in diesem Kapitel die zeitgenössische Rezeption Craigs in Deutschland behandelt wird, verwende ich hier die deutsche Übersetzung von The Art of the Theatre. In den folgenden Kapiteln (Teil II, Teil III) wird aus dem englischen Original zitiert. Leipziger Neueste Nachrichten vom 27. 9. 1906 (BN): „Der englische Maler, der durch seine Schrift 'Die Kunst des Theaters' in literarischen Kreisen so großes Aufsehen erregt hat". Fiebach 1991, 103.

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gisseur und die Bühnenausstattung: „Neben dem Mißstand, dass der DurchschnittsRegisseur kein Verständnis für wirklich künstlerische Ausstattung der Szenerie hat, hat er auch meist keine Idee von der Berechtigung der Forderung nach Einheit in Bewegung, Kostüm, Farben und Linien."427 Entsprechend schildert Craig in der Kunst des Theaters seine Vorstellungen eines „idealen Regisseur[s]", dessen „schöpferische Kunst" alle Bereiche der Inszenierung umfasst. Mit dieser Forderung brachte er, wie ein Kritiker anmerkte, „nichts wesentlich neues zur Frage des modernen Regisseurs".428 So hatte Carl Hagemann 1902 in seinem Buch über Regie den ,,künstlerische[n] Regisseur (...) als die wichtigste, einflußreichste und verantwortungsvollste Persönlichkeit des heutigen Theaters" definiert.429 Diese Forderung, welche bereits die Meininger erfüllt hatten, fand ihre konsequenteste Vollendung ab 1903 in der Person Max Reinhardts, wie oben dargestellt wurde. Wenn Craig in seinem Traktat weiterhin fordert, daß der Regisseur sich um gestalterische Belange des Bühnenbildes zu kümmern habe, so findet sich diese Einstellung gleichfalls schon angedeutet bei Hagemann: „Er wählt aus und arrangiert die für seine Zwecke gerade notwendigen Details nach den Gesetzen der scenischen Wirkung zu einem Ganzen."430 Auch hierin hatten die Meininger Pionierarbeit geleistet, und Reinhardt perfektionierte diesen Aufgabenbereich - allerdings in Zusammenarbeit mit seinen Bühnenbildnern. In erster Linie aber praktizierte Reinhardt bereits in seinen frühen Regiearbeiten vor dem Erscheinen der Craigschen Schrift dessen Theorie, wonach das Theaterkunstwerk vom Regisseur aus den gleichwertigen Elementen „Bewegung, Worte, Linien, Farben, Rhythmus"431 geschaffen werde. Das Beispiel der Sommernachtstraum-lnszeniemng belegt diesen Tatbestand. Schauspieler und Bühnenbild wurden hier mit gleicher Aufmerksamkeit bedacht wie das gesprochene Wort oder musikalische Einlagen: „Das Zusammenwirken aller Faktoren macht eigentlich die Stärke dieser Aufführung und, wie es scheint, ein für allemal der Reinhardtschen Betätigung aus. (...) Musik, Spiel und szenische Bildkunst wirkten zusammen, um alles aus einem Guß zu formen."432 Damit ergaben die visuellen und auditiven Inszenierungselemente ein ganzheitlich versinnlichtes Bild der Shakespeareschen Dichtung, so, wie es Craig in seinem Buch anregte. „Vielleicht, in einer Weise, ist die Bewegung wertvoller"433, vermerkt dieser einschränkend bezüglich der Gleichwertigkeit der einzelnen Komponenten. Auch diesem Aspekt hatte Reinhardt bereits in der Sommernachtstraum-lnszemerung entsprochen, indem

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Craig 1905c, 600. Rheinisch-Westfälische Zeitung, Essen, vom 4. 10. 1905 (BN). Er verweist hierbei auf A. Appias „viel zu wenig bekannte" Schrift Die Musik und die Inszenierung aus dem Jahr 1899. Diese Tatsache, daß Appias Traktat kurz nach 1900 in Deutschland kaum bekannt war, belegt u. a. auch Keyserling 1903, 33: „... bisher war es eigentlich nur Appias persönlicher Freundeskreis, der sich seine Ideen und Anschauungen zu eigen gemacht hatte." Einen Grund dafür gibt Fuchs 1905, 28, der schreibt, daß Appia die „künstlerische Gestaltung der Kulissenbühne für die Zwecke des Musikdramas" fordere. In dieser Position läßt sich erkennen, daß Appias Theorien zu Beginn des 20. Jahrhunderts vor allem als Ausstattungs- und Inszenierungsvorschläge für Wagner-Opern bzw. Opern im allgemeinen galten. (Zur frühen Appia-Rezeption in Deutschland vgl. auch Sternath 1976, 127-133.)

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Hagemann 1902, 88, 30. Ebd., 61. Craig 1905b, 12. P. Mahn in: Tägliche Rundschau vom 2. 2. 1905. (Zitiert nach Jaron/Möhrmann/Müller 1986, 564.) Craig 1905b, 12.

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I. Theaterreform und bildende Kunst in Deutschland

er z. B. das „Tanzen, Purzeln, Kollern"434 der Schauspieler durch die Bewegung der Drehscheibe verstärkte. Demnach waren einige Prämissen, die Craig im Hinblick auf den Regisseur in der Kunst des Theaters 1905 darstellte, vor allem aufgrund der Regiearbeit Max Reinhardts bereits bekannt. Weshalb sorgte nun Craigs Traktat für so großes Aufsehen? Zum einen lag dies sehr wahrscheinlich daran, daß Craig jenes in der damaligen öffentlichen Diskussion häufig zur Disposition gestellte „Virtuosentum der Regie"435 theoretisch untermauerte, zum anderen zweifelte der englische Maler in ungewohnt radikaler Form den Dichter als eine der Grundfesten des deutschen Theaters an. Sein idealer Regisseur „wird (...) nicht länger die Hilfe des Bühnenschriftstellers brauchen, denn unsere Kunst wird sich dann auf sich selbst verlassen können."436 Dieser Leitsatz war bis dahin unbekannter Sprengstoff für die deutsche Theaterkritik 437 Ein Max Reinhardt war zwar stets den Vorwürfen ausgesetzt, daß er sich zu wenig um die Dichtung schere, aber mit Craigs Traktat war eine Steigerungsstufe erreicht, die ihresgleichen suchte. Dies äußerte sich nun auch in den Kritiken zu Reinhardts Inszenierungen: „Noch einen Schritt weiter, so ist der Maler Hauptperson, und dem Dichter wird der Craig erklärt."438 Diese Position vertrat auch der eingangs zitierte Kritiker des Hannoverschen Courier, der Georg Fuchs' Schaubühne der Zukunft und Craigs Kunst des Theaters rezensiert hat. Er diagnostiziert „kleine Unterschiede", denn „was dieser [Fuchs] auf seiner neuen Schaubühne vom vorhandenen Drama noch bestehen läßt, das zertrümmert Craig".439 Die späteren Aufführungen des Münchener Künstler-Theaters haben gezeigt, daß er Recht behalten sollte. Somit deutet sich bereits in der zeitgenössichen Rezeption an, daß der junge Engländer im Vergleich zu Fuchs und Reinhardt das Paradigma der Visualisierung am konsequentesten vertreten hat. Craig bekannte sich vorbehaltlos zu der Horazschen These, wonach, wie er es in der Kunst des Theaters ausdrückt, „das Auge viel schneller und viel beherrschender angezogen werden kann, als irgend ein anderer Sinn, und daß die Sehkraft ohne Frage der schärfste Sinn des Menschen ist."440 Einer der wenigen zeitgenössischen Beobachter, der diese von Craig vertretene konsequente Tendenz der Visualisierung begrüßte, war Hermann Bahr. Bezugnehmend auf Craigs berühmtes Traktat notiert er im September 1905 in sein Tagebuch:

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I. Landau in: Berliner Börsen-Courier, Nr. 53, 1. 2. 1905. (Neuabdruck in: Fetting 1987, 284-287, hier: 285.) Kilian 1905, 302. Craig 1905b, 17. Vgl. z. B. die Meinung von G. Altman 1905, 23: „Er will uns vergessen machen, was seit den Tagen Gottscheds (oder sagen wir doch lieber der Neuberin) auf deutschen Bühnen geleistet wurde, und dagegen müssen wir energisch Protest erheben!" Der Tag, Berlin, vom 28. 9. 1906 (BN). Kohlrausch 1906 (BN). Craig 1905b, 13. Vgl. Horatius 1961, 25, Vers 180-183. Craig hat diese Aussage nicht von Horaz übernommen, sondern von Goethe. In seinem Band Criticisms, Reßections, and Maxims of Goethe (London 1897; Craig-Bibliothek, BN) hat er folgende Passage dick angestrichen: „The sight is the finest of the senses. The other four teach us only through the organs of contact; we hear, feel, smell, and touch everything by means of contact, but the sense of sight stands far higher, is refined above the material, and approaches the faculties of he mind itself."

I. 4. Der „englische Maler" Edward Gordon Craig in Deutschland

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„Mit seiner Wut gegen die Vorherrschaft des Dichters hat er (...) sicher recht. Im dramatischen Ganzen ist der Dichter gewiß nicht mehr als der Schauspieler und der Maler und es ist darum durchaus nicht einzusehen, warum er, der Dichter, mehr Recht auf die Leitung des Dramas haben soll als der Schauspieler oder Maler. (...) Vielleicht wirkt Reinhardt nur dadurch so, daß er nun einmal den Schauspieler vor den Dichter drängt. Und vielleicht wird der Maler, für eine Zeit zum Herrn über das Drama gemacht, dramatische Wirkungen vermögen, die wir jetzt noch gar nicht ahnen können."441 Dieser Ausblick ist zunächst vor allem hinsichtlich der späteren Theaterexperimente von Wassily Kandinsky und des Dessauer Bauhauses bemerkenswert. Hervorzuheben ist weiterhin, daß Bahr den Begriff des Malers weiter faßt als z. B. Georg Fuchs, der in seiner polemischen Rezension zu Craigs Münchner Ausstellung vermerkt: „Da ich vom Drama ausgehe (...) und also das Prinzip der rhythmischen Bewegung als das Grundgesetz aller Bühnenkunst anerkenne, so befinde ich mich von vornherein im diametralen Gegensatze zu Craig, welcher offensichtlich und eingestandenermaßen von der Malerei seinen Ausgang nimmt, deren Grundprinzip die Ruhe, die rhythmisch erfüllte Fläche ist."442 Für Bahr war diese Beschränkung der Malerei auf die fixierte Fläche nicht gegeben, denn er hielt primär visuell angelegte „dramatische Wirkungen" für möglich, die auf dem Theater zwangsläufig die Bewegung einfordern - wenngleich er nur „ahnen" konnte, wie ein solches Theater aussehen würde. Diese Frage beschäftigte zahlreiche zeitgenössische Beobachter. Beispielsweise vermeldet der Berliner Lokal-Anzeiger. „... nach ihm wird das Theater sich mit der Zeit zu irgend etwas Unfaßbarem entwickeln, eine Art Universalkunstwerk, das nicht mehr auf den Dichter angewiesen ist. Bevor man diese neue Kunst nicht zu Gesicht bekommt, kann man sie sich nur als etwas recht Unklares vorstellen."443 Ein anderer Kritiker fand darauf eine Antwort: „... das Endergebnis seiner Forderungen wäre eine Art Diorama - wenn auch gewiß ein sehr künstlerisches - mit oder ohne erklärenden Text, mit oder ohne begleitende Musik".444 Dagegen konstatiert ein Wiener Rezensent: „Er liebt das Wort nicht, sondern denkt an ein Gesamtkunstwerk aus Malerei, Tanz, Gebärde. Ja, mit Verlaub, dann nenne er seine Tätigkeit eine Reform des Balletts. (...) Wir fangen eben erst an - unsere ganze Schauspielkunst ist ja so lächerlich jung ( . . . ) - eine stilvolle Darstellung mit Natürlichkeit zu verbinden, und da soll nun wieder zur Vorherrschaft des gestellten Bildes (...) der fluchwürdige Schritt rückwärts oder, wie Craig meint, vorwärts getan werden? (...) Aber er hat ja wohl Pantomimen im Auge oder Stücke, in denen das Wort weniger wichtig ist".445

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Bahr 1909, 19. Bahr hielt auch am 16. 11. 1905 einen Vortrag in der Wiener Galerie Miethke anläßlich der dortigen Craig-Ausstellung. Fuchs 1905a, 2. (Hervorhebung v. Vf.) Vgl. auch die Rezension in: Die Post, Berlin, vom 27. 8. 1905 (BN). Berliner Lokal-Anzeiger vom 11. 7. 1905 (BN). Dekorative Kunst, München, Datumsangabe nicht erhalten (BN). F. Georgi in einer Wiener Zeitung um 1906 (BN, genaue Quellenangabe nicht erhalten); vgl. auch Altman 1905, 24.

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I. Theaterreform und bildende Kunst in Deutschland

Zwei Aspekte sind hierbei von Interesse: Zum einen, daß ganz ähnlich wie später bei der FawsJ-Inszenierung des Münchener Künstler-Theaters auf den alten statischen Schauspielstil angespielt wird, zum anderen die Annahme, daß Craig, obwohl er in seinem Traktat das gesprochene Wort als ein Element des Theaterkunstwerks angibt, die Wortsprache in letzter Konsequenz ablehne. So kommt dann auch Paul Westheim 1911 zu dem Schluß, daß „Gordon Craig von rein dekorativen, wortlosen Bilderszenen träumt". 446 Um diese Bilderträume zu realisieren, „bedient" sich Craigs „idealer Regisseur", schreibt 1905 ein Rezensent der Neuen Freien Presse, „seiner Schauspieler wie der Maler der Farben (...). Sie sind ihm Material ohne Willen." 447 „Kadavergehorsam fordert er vom Schauspieler", bemängelt ein anderer Wiener Kritiker, „er soll und darf nichts anderes, als ein Farbenton in der großen Symphonie, die der Regisseur komponiert hat". 448 Inwiefern diese Kritik einen Kernpunkt der Craigschen Theatertheorie getroffen hat, wird neben den historischen Vorläufern und Nachfahren dieser Ideen im zweiten Hauptteil exemplarisch untersucht.

446 447 448

Westheim 1911,64. A. Freiherr von Berger in: Neue Freie Presse vom 19. 11. 1905 (BN). Neues Wiener Journal vom 9. 8. 1905 (BN).

Teil II Bild-Bewegung: Theaterinszenierung als Komposition Die Emanzipation des Schauspielers, das ist das leere, für einen Virtuosen geschriebene Rollenstück. (...) Die Emanzipation des Malers, das ist Gordon Craig: the dumb show, die Pantomime, der festliche Aufzug an Stelle des dramatischen Ganzen. Hugo von Hofinannsthal, I9231 The Art of the Theatre is neither acting nor the play, it is not scene nor dance, but it consists of all the elements of which these things are composed. Edward Gordon Craig, I9051 i

1. Der „Maler-Regisseur" Craig a) Herkunft: Viktorianisches Schautheater In Deutschland erregten die Gastspiele der Meininger ab 1874 in gehobenen, literarisch orientierten Theaterkreisen vor allem aufgrund der ungewohnten Sorgfalt in der Behandlung des Optischen großes Aufsehen. Dagegen verzeichnete England bereits eine längere Tradition visuell ausgerichteter Theaterformen, die seit dem frühen 19. Jahrhundert für alle Gesellschaftsschichten relevant war.4 Exponierte Beispiele hierfür sind die englischen Melodramen, aber auch Pantomimen und sog. Extravaganzas.5 In der britischen Forschung ist dieser Aspekt zunächst von George Rowell, später vor allem von Michael R. Booth und Martin Meisel thematisiert worden.6 So beschreibt Booth die allgemeine Tendenz des englischen Theaters seit der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts mit den Termini „pictorialism" und „spectacle".7 Booth konnte zeigen, daß diese beiden Begriffe die gesamte Theaterkultur des viktorianischen England kennzeichnen. Nicht wie im Deutschland der Gründerjahre gab es hier eine deutliche Trennung zwischen der Hochkunst des literarischen Theaters als na1 2 3 4

Hofmannthal 1923a, 314. Craig 1905, 52. Hofmannsthal 1923, 297: Vgl. Booth 1981, 3: „It was a homogenous, a ubiquitous taste that had nothing to do with income levels, employment (...) or class position." 5 Vgl. Vardac 1949, 20-88, 152-164; Booth 1976, llff.; Hera 1981, 177-219; Meisel 1983, 38-51; Booth 1991, 150-162,194-202. 6 Vgl. Rowell 1956,14-18, 38-43; Meisel 1983; Booth 1981; Booth 1991, 95f. 7 Booth 1981, 2: „The steady progression towards pictorialism and spectacle was (...) evident in the first half of the nineteenth Century, a progression also determined by public taste and technological change." Vgl. auch Rowell 1956,14: „The staple fare of the early Victorian Theatre was spectacle".

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II. Bild-Bewegung: Theaterinszenierung als Komposition

tionaler Bildungsstätte und den neu gegründeten Geschäftstheatern8, wo Zauberpossen und Ausstattungsstücke gegeben wurden, die nach Meinung zahlreicher Kritiker „nicht über das Niveau einer oberflächlichen Unterhaltung" hinausgelangten, denn die „Kunst hatte mit diesen zu Theatern promovierten Chantants (...) nichts zu tun."9 Diese Scheidung in high und low basierte in Deutschland auf der primären Bedeutung des Literarischen, während es im englischen Theater diese „Erfurcht vor dem Dichter"10 nicht annähernd gegeben hat, wie George Rowell nahelegt: „The playwright's place in the Victorian theatre was, at the outset, that of handyman to the Company. He existed to make their Performance possible, rather than they to interpret his work to an audience."11 Dieses Verhältnis von Stück und Inszenierung war in Deutschland grundsätzlich umgekehrt und wurde von der Literaturkritik stets eingeklagt, wie bereits gezeigt wurde. Insofern war Fuchs' Forderung von 1905, wonach die Dichtung „nichts als die Partitur" für das eigentliche Kunstwerk der Inszenierung sei12, nur ein theatergeschichtliches Novum im Hinblick auf das deutsche Theater. In der englischen Theaterpraxis war diese Auffassung seit dem 19. Jahrhundert verbreitet, so konstatierte z. B. der actor-manager13 Henry Irving, in dessen Londoner Lyceum Theatre Gordon Craigs Laufbahn als Schauspieler begann, „that the theatre is bigger than the playwright, that its destiny is a higher one than that of the mouthpiece for an author's theses, and finally that plays are made for the theatre and not the theatre for plays."14 Vor dem Hintergrund dieser Aussage erscheint Craigs Stellungnahme gegen die exponierte Bedeutung des Dichters für das Theater, die 1905 in Deutschland so großes Aufsehen erregte, als konsequente Verarbeitung einer Tendenz der englischen Aufführungspraxis des 19. Jahrhunderts. Während auf deutschen Bühnen vor dem Erscheinen der Meininger, so Eugen Zabel 1911, „die Dramen Shakespeares und Lessings, Goethes und Schillers (...) zu verdorren" drohten, „ohne jeden Sinn für die blühende Anschaulichkeit, die in ihnen enthalten war"15, notierte 1859 der Biograph von Charles Kean (1811-1868) im Hinblick auf dessen Shakespeare-Revivals, daß die Bühnenästhetik „had become eminently pictorial and exacting beyond all former precedent. The days had long passed when audiences could believe themselves transplanted from Italy to Athens by the power of poetical enchantment without the aid of scenic devices."16 Bereits ein Jahr zuvor vermerkte ein anderer Beobachter: „The visions which our ancestors saw with the mind's eye, must be embodied for us in palpable forms (...) all must be made palpable to sight".' 7 Beide Äußerungen kennzeichnen die klare Veränderung der Sehgewohnheiten gegenüber der dekorationslosen Auffuhrungspraxis des

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In Deutschland konnten erst ab 1869 mit der Erteilung der Gewerbefreiheit private Theater gegründet werden. Vor allem in Berlin entstanden nun zahlreiche Varietes u. a. massenwirksame Unterhaltungstheater. (Vgl. Klis 1980, 20-27; Günther 1978, 119-182.) Zabel 1911, 7; Räder 1886, 166. Altman 1905, 22. Rowell 1956, 1. Zur untergeordneten Bedeutung von Stück und Autor in den Pantomimenaufführungen des 19. Jahrhunderts vgl. Booth 1976, 50f.; Booth 1981, 75f. Fuchs 1905, 105. Zu den Aufgaben des actor-managers im englischen Theater vgl. Booth 1991, 27-57. H. Irving o. D. (Zitiert nach Vardac 1949, 89.) Zabel 1911, 7. C o l e l 8 5 9 , Bd. II, 26. Donne 1858,206.

II. 1. Der „Maler-Regisseur"

Craig

79

elisabethanischen Theaters. Der historische Realismus der Shakespeare-Inszenierungen von Charles Kean seit den frühen 50er Jahren des 19. Jahrhunderts, der den detailreichen Illusionismus des Meininger Herzogs vorwegnahm18, entsprach diesem Bedürfnis nach pictorialism, denn der Text war hier, so erinnert sich William Charles Macready, „allowed to be spoken (...) more like a running commentary upon the spectacles exhibited, than the scenic arrangements an illustration of the text."19 Diese Beobachtung deckt sich mit einer Äußerung Percy Fitzgeralds aus dem Jahre 1870 über das zeitgenössische Publikumsverhalten: „We go not so much to hear as to look. (...) It is like a gigantic peep-show, and we pay the showman, and put our eyes to the glass and stare."20 Zur selben Zeit ging man in Deutschland nach Eugen Zabels Aussage vor allem ins Theater, um Stücke zu hören, nicht zu sehen.21 Der im Vergleich zu Deutschland untergeordneten Bedeutung des Dichters für das englische Theater entsprach demnach die untergeordnete Rolle des Wortes auf der Bühne. So konstatierte im Jahre 1866 der Intendant des renommierten Londoner Drury Lane Theatre: „... for a person to bring out a merely talking drama, without any action in it, or sensational effects, is useless; the people will not go to that theatre, they will go where there is scenic effect, and mechanical effects to please the eye."22 Drei Jahrzehnte später wiederholt Max Beerbohm diese Beobachtung: „Our public cares not at all for the sound of words, and will not tolerate poetry on the stage unless it gets also gorgeous and solid scenery, gorgeous and innumerable supers (...). The poetry must be short and split; must be subordinated to the action of the piece, and to the expensive scenery and the expensive costumes."23 Diese zeitgenössischen Zitate verdeutlichen neben der übergeordneten Bedeutung des Visuellen vor allem den Hang zu Schaueffekten, zum Sensationellen, Spektakulären. In Deutschland wurde dieser Zeitgeschmack ab 1870 nahezu ausschließlich von den populären Ausstattungsstücken befriedigt, die beispielsweise im Berliner Victoria-Theater ein breites Publikum anzogen. Dagegen waren in England sensationelle Schaueffekte ein Kennzeichen sowohl des Populartheaters, wie z. B. Pantomimen oder Melodramen, als auch der Auffuhrungen klassischer Shakespeare-Stücke. Michael Booth hat diese Sehgewohnheiten in Zusammenhang mit der Industrialisierung, dem sprunghaften Anwachsen der Großstädte und dem daraus folgenden Wahrnehmungsumbruch gebracht, der in England bereits in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts einsetzte. Dementsprechend ist die Visualisierung auf dem Theater, die in Deutschland erst mit der Reichsgründung und dem zeitlich parallelen Entstehen von Varietes, populären Geschäftstheatern sowie dem Auftreten der Meininger Theatertruppe einzusetzen begann, in England einige Jahrzehnte früher wirksam geworden. In diesem Kontext ist Nicholas Vardacs frühe theaterwissenschaftliche Untersuchung Stage to Screen aus dem Jahre 1949 von Interesse. Vardac beschäftigt sich schwerpunktmä-

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Zum Einfluß von Ch. Kean auf den Inszenierungsstil des Herzogs von Meiningen vgl. Stahl 1918; Byrne 1964; Fischer-Lichte 1993, 219f. Macready 1875, Bd. II, 446. Fitzgerald 1870, 15. Zabel 1911,8: „Man hörte die Stücke, aber man hatte völlig darauf verzichtet sie zu sehen." E. T. Smith: Report from the Select Committee on Theatrical Licences and Regulations. 1866. (Zitiert nach Booth 1981,2.) Beerbohm 1899.

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II. Bild-Bewegung: Theaterinszenierung als Komposition

ßig mit dem englischen Schautheater das 19. Jahrhunderts als Vorläufer des Stummfilms.24 Das Beispiel des populären Schauspielers, Regisseurs und Bühnenautors Dion Boucicault, dessen mit Sensationsszenen angereicherte Stücke u. a. Königin Victoria begeistert haben, sei an dieser Stelle herausgegriffen, um zu zeigen, daß dieses Spektakeltheater ein weiteres Charakteristikum der Visualisierung vorwegnahm, welches in Deutschland erst in den Inszenierungen Max Reinhardts evident war: das Paradigma der gesteigerten Bewegung. Wie die oben zitierten Äußerungen von Zeitgenossen aus den 60er bis 90er Jahren des 19. Jahrhunderts nahelegen, war neben dem Hang zum Visuellen und Spektakulären vor allem „action" ein zentraler Begriff. Diesem Bedürfnis nach einer vorrangig visuell wahrnehmbaren Handlung, die allein in der Bewegung vom gesamten Bühnen-Bild ihren adäquaten Ausdruck fand, entsprachen die aktionsreichen Inszenierungen Boucicaults seit den 1850er Jahren. So gibt es in dem Stück Arrah-na-Pogue (1864) eine Ausbruchsszene, in der der unschuldige Held Shaun einem Turmgefängnis entflieht. Diese Flucht inszenierte Boucicault mittels beweglicher Wände, welche den Bühnenraum in damals unerwartetem Tempo von einer Kerkerzelle in die Außenseite eines Turms und schließlich in eine Klippe verwandelten, an der Shaun entlangkletterte. Eine solche bewegte Szene ist nicht nur als Vorwegnahme filmischer Sequenzen zu betrachten25, sondern symptomatisch auch als historische Folie der Craigschen Forderung nach Bewegung, nach „action", wie er es 1905 im englischen Original der Kunst des Theaters formuliert hat.26 Auch dieser Zusammenhang ist in der theaterwissenschaftlichen Forschung bislang übersehen worden. Es ist somit ein Anliegen dieses Kapitels, Craigs Verankerung im englischen Schautheater des späten 19. Jahrhunderts stärker zu betonen, ohne dabei das Neuartige seiner Ideen zu vernachlässigen, die weit in das 20. Jahrhundert weisen. Die gefeierten Inszenierungen des Schauspielervirtuosen und actor-managers Henry Irving (1838-1905) am Ende des 19. Jahrhunderts gelten in der englischen Theatergeschichte als ein Höhepunkt des historistischen pictorialism in der Nachfolge Charles Keans und der Meininger.27 Als siebzehnjähriger Sohn Ellen Terrys, der leading lady des Londoner Lyceum Theatres, wurde Gordon Craig 1889 in Irvings Schauspieltruppe aufgenommen. In seinen Memoiren schreibt Craig später: „Lyceum Theatre and Henry Irving - my real school and my real master" 28 Dennoch behandelt die theaterwissenschaftliche Forschung diese prägende Lehrzeit zumeist sehr kurz und episodisch.29 Daß der junge Schauspieler hier vor allem auch aufs engste mit den Prinzipien einer visuell orientierten Theaterpraxis vertraut gemacht wurde, hat bisher nur Michael Peter Loeffler angemerkt. Allerdings kommt Loeffler ohne nähere Beschreibung der Irvingschen Inszenierungspraxis zu der Schlußfolgerung, daß dessen „starke Betonung der optischen Effekte" Craig beeindruckt habe.30 Es erscheint je24

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Vgl. Vardac 1949. Wenngleich einige Thesen Vardacs durch neuere theater- und filmwissenschaftliche Studien ergänzt bzw. modifiziert wurden (vgl. Brewster/Jacobs 1997; Remshardt 1998), ist diese Arbeit bis heute ein Standardwerk zum Thema Theater und Film um 1900. Vgl. Vardac 1949, 25-67; Remshardt 1998. Craig 1905, 71. Vgl. Vardac 1949, 89-107; Booth 1981, 93-126; Meisel 1983, 402^132. Craig 1957, 103. Vgl. Marotti 1961, 18-24; Bablet 1965, 27-34; E. A. Craig 1968, 63-79; Eynat-Confino 1987, lOf. Innes 1983, 9 - 1 8 dagegen behandelt den Schauspielstil Irvings und dessen Einfluß auf Craig näher. Loeffler 1969, 24ff„ hier: 24.

II. 1. Der „Maler-Regisseur"

Craig

81

doch sinnvoll, den Einfluß der Bühnenästhetik des ausgehenden 19. Jahrhunderts differenzierter zu betrachten. Der renommierte Theaterkritiker William Archer schreibt im Jahre 1883 über Irvings Inszenierungen: „As one thinks of the past five years at the Lyceum there rises to the mind's eye a whole gallery of scenic pictures, each as worthy of minute study as any canvas of the most learned archeological painter".31 Solcherart Vergleiche der Bühnen-Bilder mit dem Status von Gemälden finden sich in zahlreichen Rezensionen zu den Auffuhrungen des Lyceum Theatres. Dabei wurde hauptsächlich nach bildkompositorischen Kriterien geurteilt und nicht, wie in der deutschen Diskussion um 1900, ausschließlich nach den Maßstäben einer möglichst perfekten Illusion von historischer oder zeitgenössischer Realität.32 So schreibt ein Londoner Kritiker über die Szene in Marthens Garten der FaM^-Auffuhrung von 1885 (Abb. 9): „In itself here is a stage picture that might be successfully transferred to canvas. It is earnest and interesting in composition, pleasing in colour, teils its story, has good lines in it, is well grouped, and might be criticised from the Standpoint of a cabinet painting."33 Diesen ephemeren Bildern wurde demnach ein hoher künstlerischer Wert zugesprochen, der weder darin bestand, ein bekanntes Gemälde als tableau vivant, als „Realization"34, auf der Bühne mittels Schauspielern, Kulissen und Requisiten möglichst orininalgetreu zu reproduzieren, sondern diese Szenenbilder sind als eigenständige Kunstwerke rezipiert worden, die darüber hinaus sogar für wert befunden wurden, auf der Leinwand realisiert zu werden. Im Hinblick auf die Bildästhetik Irvingscher Inszenierungen zogen Rezensenten der Faust-Auffuhrung Vergleiche mit Rembrandt, Albrecht Dürer, John Martin oder Gustave Dore. So erinnerte die Wiederkehr der Soldaten im dritten Akt an Rembrandts Nachtwache, aber „Mr. Irving's picture is in no sense a copy: it is rather a work of a great master of composition."35 Als Henry Irving 1878 das Lyceum Theatre übernahm, engagierte er Gordon Craigs Mutter, Ellen Terry, als erste Schauspielerin. „I brought help, too, in pictorial matters", erinnert sie sich in ihren Memoiren, „Henry Irving had had little training in such matters - 1 had had a great deal. Judgement about colours, clothes and lighting must be trained. I had learned from Mr. Watts, from Mr. Godwin and from other artists, until a sense of decorative effect had become second nature to me."36 Terry spielt hier auf ihre kurze Ehe mit dem renommierten Maler George Frederick Watts und auf die spätere Lebensgemeinschaft mit dem Vater ihrer Kinder, dem Architekten Edward William Godwin (1833-1887), an. Godwin, der in den Künstlerkreisen um Oscar Wilde, John Ruskin und James McNeill Whistler verkehrte, wurde von Wilde als „one of the most artistic spirits of the Century in England" bezeichnet.37 Vor allem aufgrund seiner Tätigkeit als Möbeldesigner war er einer der frühes-

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Archer 1883, 96. Vgl. die Rundfrage Zur Reform der Bühnendekoration in Bühne und Welt 1904. Hatton 1886,20. Diesen Begriff hat Meisel 1983 eingeführt, welcher die im 19. Jahrhundert gängige Praxis des Nachstellens von berühmten Gemälden auf der Bühne bezeichnet. (Ebd., 38-51.) Vgl. auch Booth 1981, 9 11; Booth 1986. Pennell 1887, 310. Terry 1982,96. Wilde 1894,233.

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II. Bild-Bewegung:

Theaterinszenierung

als

Komposition

sten Vertreter der englischen Arts & Crafts Movement. 38 In diesen Kontext gehört auch sein bereits 1857 einsetzendes Interesse für das Theater. Seit jener Zeit veröffentlichte er eine Reihe von Zeitungsartikeln, in denen er den zeitgenössischen Aufführungsstil kritisierte. Er beanstandete, daß die erstrebte historische Korrektheit zumeist nur ein historistisches Konglomerat der Stile sei, so daß kein künstlerisch einheitliches Gesamtbild der Vergangenheit für den Zuschauer entstehen könne. 39 Ellen Terry wird diese kritische Sicht eines Architekten und Designers an Henry Irving weitergegeben haben, und entsprechend konstatiert Craig später in seiner Monographie über Irving, daß dieser von den Ideen Godwins beeinflußt war. 40 Es ist somit nicht unwahrscheinlich, daß Irving daraufhin die Zusammenarbeit mit bekannten bildenden Künstlern seiner Zeit angestrebt hat. Neben Edward William Godwin, der vor allem als künstlerischer Berater tätig war, beschäftigte er ab ca. 1880 Lawrence Alma-Tadema, Ford Madox Brown und Edward Burne-Jones für die Gestaltung der Kostüme und Bühnenbilder. Dieses konsequente Einbeziehen renommierter bildender Künstler nahm die Reinhardtsche Bühnenpraxis um einige Jahre vorweg. „Even the best scene-painters sometimes think more of their pictures than of scenic effects", schreibt Ellen Terry in ihrer Autobiographie, „Henry would never accept anything that was not right theatrically as well as pictorially beautiful." 41 Diese Aussage bestätigt, daß Irvings Inszenierungspraxis weit über das bloße Zurschaustellen eines historisch korrekt komponierten Bildes hinausreichte, welches Godwin eingefordert hatte. So vermerkt Huntley Carter 1912, daß Irving „was one of the first to distinguish and promote the mood of a scene, giving it füll expression by means of colour, sound, and movement, and this with the aid of wellknown modern artists - among them Sir Alma Tadema and Ford Madox Brown." 42 Ihm ging es demnach stets um eine suggestive Übersetzung der dramatischen Vorlage in Bühnentermini. Diese Vorgehensweise stellte einerseits die individuelle Interpretationsleistung des Regisseurs ins Zentrum der Aufmerksamkeit, so, wie es später für die Inszenierungen Craigs und Reinhardts kennzeichnend war. Andererseits deutet sich in Irvings Regiearbeiten - ähnlich wie bei den Meiningern - der Aspekt der Intimisierung von dramatischem Text und Inszenierung an. Die Brocken-Szene aus der Fa«.?/-Aufführung, welche Craig in einem seiner Notizbücher als „absolutely splendid" hervorhebt 43 , belegt diesen Tatbestand (Abb. 10). Irving inszenierte Goethes Walpurgisnacht als schaurig-düstere Szenerie, die Craig später mit den Illustrationen Gustave Dores zu Dantes Inferno verglichen hat.44 Ein zeitgenössischer Kritiker nahm diese Szene ganz ähnlich wahr: „Earth and air are enveloped in a burning mass. The rocks seem to melt like lava. (...) The clowds shower down fiery rain, the thunder rolls away into the distand Valleys. The ghost-like crew of fiends and

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Vgl. Aslin 1986. Vgl. u. a. Godwin 1868. (Zu Godwins Theaterkonzeption und -praxis vgl. Stokes 1972, 31-68; Finkel 1986, 32-40.) Vgl. Craig 1930, 93; Craig 1957, 52. Terry 1982, 110. Carter 1912, 12. Craig um 1897, handschriftliche Notiz in: MSS Book 13, 1897-1903, 2 (BN). Irvings erfolgreiche Fai/jf-Inszenierung erlebte zwischen der Premiere 1885 und 1902 mehrere Wiederaufnahmen. (Vgl. Booth 1981, 123.) Craig 1930, 127ff.: „I mean he entered into the very essence ofthese (...) designs; absorbed every scrap that was in them; added his own power to them".

II. 1. Der „Maler-Regisseur" Craig

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witches and beings of nameless shape cower beneath the fiery hail and raise their writhing arms in shivering protest. It is a scene from Dante's ,Inferno'". 45 Diese Atmosphäre stellte Irving vor allem durch den suggestiven Einsatz von Licht, Geräuscheffekten und Musik her. Ein Rezensent des Amerika-Gastspiels von 1896 hob die besondere Bedeutung der Musik hervor: „The continous music of the Irving plays, now suggesting the emotions of the Situation, now intensifying the effects of the acting, now dominating the scene, now almost unheard in the excitement of the dramatic incident, was unknown."46 Dieser der Auffiihrungspraxis englischer Melodramen entnommene unterstützende Einsatz von Musik wird später auch Reinhardts Inszenierungen kennzeichnen. Analog waren Irvings Inszenierungen seit den 1880er Jahren in bis dahin unbekanntem Maße durch ein abgestimmtes Zusammenwirken aller Bühnenelemente gekennzeichnet, so daß ein Kritiker der New York Times nahelegte, die Bühnenhandlung würde sich allein darüber, auch ohne Worte, mitteilen: „... the whole drama moved panoramically. The lights shift, the stage grows dark, the organ blares, stealthy and devilish figures flit in the shadows, angelic faces burn out on the canvas (...). While we gaze the stage grows black and the sun vanishes. So is the story told in pictures."47 Ein grundlegender Aspekt, der Irvings Inszenierungspraxis kennzeichnete, war die Behandlung des Lichts als mitspielender Faktor. In der Fawsr-Inszenierung beispielsweise wurden für die Duellszene von Faust und Valentin die Degen präpariert, so daß bei jeder Berührung Funken aufblitzten.48 Anhand dieses Beispiels läßt sich erkennen, daß Irvings Bühnenästhetik letztlich in die Tradition des englischen Spektakeltheaters eingebunden war, denn diese Funken erzeugten eine Wirkung aufgrund ihres autonomen Schauwerts, d.h., sie waren keineswegs ein notwendiges visuelles Äquivalent der Bühnenhandlung, sondern ein bestaunenswerter austauschbarer Effekt49, eine Reminiszenz melodramatischer Sensationsszenen. Brennende Häuser, Erdbeben oder fahrende Lokomotiven gehörten zu diesem Repertoire, dem ausschließlich die Faszination einer mehr oder weniger perfekten Illusion spektakulärer Situationen auf der Bühne zugrunde lag. Hier eröffnet sich eine Parallele zu dem Begriff des Stofflichen, der im Zusammenhang mit der Relieftheorie von Georg Fuchs diskutiert worden ist. Fuchs wollte jeglichen verselbständigten Schauwert des Vortäuschens von Stofflichem, sei es ein Sonnenaufgang- oder -Untergang, zugunsten eines symbolhaften, intimisierten Verhältnisses von Drama und Dekoration abschaffen. Nur unmittelbar für den Fortgang der Handlung notwendige visuelle Effekte waren demnach angestrebt, um das austarierte Zusammenspiel aller Inszenierungselemente zu gewährleisten. In diesem Sinne erarbeitete auch Gordon Craig seine ersten Londoner Inszenierungen der Jahre 1900-1903. Wenngleich Irving stets innerhalb der historistischen Bühnenästhetik verblieben ist, zeigte auch er gerade im Einsatz des Lichts zuweilen eine ähnliche Herangehensweise. Er ließ beispielsweise in einer seiner frühen Inszenierungen, Leopold Lewis' Melodrama The Beils von 1871, eine Szene gänzlich im Dunkeln liegen und, so erinnert sich Ernst Leopold Stahl, 45 46 47 48 49

Hatton 1886,26. Fiske 1896. New York Times vom 8. 11. 1887. Zur technischen Beschreibung dieses Effekts vgl. Vardac 1949, 100. Vgl. Remshardt 1998, 82: „Die Sensationsszene lebte von ihrem autonomen Schauwert, sie war austauschbar, und ersetzte daher in der dramatischen Struktur Kausalität durch Ikonizität. So lenkte sie, wie auch der frühe Film, die Aufmerksamkeit auf die Möglichkeiten und Bedingungen der Repräsentation, der Wirklichkeitsillusion selbst."

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II. Bild-Bewegung: Theaterinszenierung als Komposition

„nur einen gespenstischen grellen Schein wie das böse Gewissen selber sich dem gleich einem gehetzten Wild auf der Bühne auf und ab jagenden Matthias an die Ferse heften". 50 Hier wurde das Licht nicht im Sinne einer Reproduktion äußerer, stofflicher Umstände eingesetzt, sondern als suggestives, intimisierendes Element, das - zwar im Rahmen der melodramatischen Situation verbleibend - die psychische Situation des Matthias veranschaulichte. Neben der generellen Betonung des Visuellen wird eine solche kreative Handhabung des mitagierenden Bühnenlichts auf Craig ebenso gewirkt haben wie das bewegte Treiben des gejagten Matthias, die action, auf der Bühne."

b) Vom Schauspieler zum Grafiker - vom Grafiker zum Regisseur Seit seinem Eintritt in Henry Irvings Lyceum Theatre entwickelte sich Craig zu einem gefragten Nachwuchsdarsteller. Neben seinen Verpflichtungen dort spielte er bald auch in verschiedenen Theatertruppen außerhalb Londons. Der junge Schauspieler interessierte sich bereits frühzeitig für Fragen der Bühnendekoration. Seine Notizbücher aus dieser Zeit belegen, daß er stark beeinflußt war vom pictorial realism des Irvingschen Theaters. So vermerkt er 1936 rückblickend: „What where my earliest endeavours towards a new theatre - a devotion to the old one."52 Das Streben nach weitestgehender historischer Korrektheit wurde ihm vor allem durch die Schriften seines Vaters Edward William Godwin vermittelt, den er sehr verehrte, aber persönlich kaum kannte.53 Der junge Craig sammelte und kommentierte Godwins wichtigste Aufsätze zur Bühnenausstattung. Beispielsweise unterstrich er eine Stelle in der Artikelserie Architecture and Costumes of Shakespeare 's Plays von 1875, in der Godwin vorschlägt, den Blick auf „paintings and prints in our public galleries" zu lenken, um historisch korrekte Kostüme gestalten zu können.54 Ab ca. 1890 besuchte Craig regelmäßig die Londoner Museen, vorzugsweise die National Gallery, und begeisterte sich für die Alten Meister.55 Er begann zu zeichnen. Mit Vorliebe studierte er anhand der Italiener des Quattrocento zeitgenössische Kostüme. Seine frühen Skizzen aus dem Jahre 1891 sind nicht nur erste Annäherungsversuche an ein neues Medium, sondern auch an die von Godwin geforderte detailgetreue Abbildung historischer Kostüme.56 Dieser Anspruch war auch Grundlage von Craigs

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Stahl 1914, 323. Craig kannte die Inszenierung The Beils, vermutlich in einer Wiederaufnahme. (Vgl. Craig 1930, 4 9 61.) Zu einer späteren aktionsreichen Inszenierung Irvings vgl. die Rezension der Faust-Aufführung von Pennell 1887, 311: one minute a wild shrieking, singing crowd of misty shapes, moving hither and thither, clambering over the rocks and up the trees, dancing and turning, the next, afiter one last shriek, wilder, shriller than the rest". Craig, handschriftliche Notiz in: Ms A 46 Notebook ofa young actor. 1890-1892-1896-1936, 1 (BN). Vgl. die psychoanalytisch orientierte Untersuchung von Eynat-Confino 1987, 3-14. Von Craig angestrichene Stelle in: E. W. Godwin: Architecture and Costumes of Shakespeare 's Plays. 3. 4. 1875. (In: Craig, unveröffentlichtes Notizbuch MSS Book 13, 1897-1903, BN.) Godwins Artikelserie erschien wöchentlich in 32 Folgen zwischen Oktober 1874 und Juni 1875 in der Zeitschrift The Architect. Einen Neuabdruck dieser Artikel gibt Craigs Zeitschrift The Mask (Mai 1908—April 1914). Vgl. Craig 1957, 107f. Dies belegen beispielsweise kolorierte Federzeichnungen in einem unveröffentlichten Notizbuch Craigs, die er 1891, neunzehnjährig, angefertigt hat. (Vgl. Ms BookA 46, 1891, BN.)

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erster eigener Inszenierung im Jahre 1893, dem Stück No Trifling with Love von Alfred de Musset. So war auf dem Theaterzettel zu lesen, daß die „costumes are an exact reproduction of the clothes worn in the fourteenth Century".57 Fünf Jahre später notiert Craig dagegen in einem seiner Notizbücher: „The fault of the best modern scenery is chiefly that there is too much detail. It has the effect of blustering the eye."58 Offenbar hatte während dieser Zeit eine Veränderung seiner ästhetischen Auffassung stattgefunden. Im Frühsommer 1893 lernte Craig die Künstler William Nicholson (1872-1949) und James Pryde (1866-1941) kennen, deren Karriere als international bekannte Plakatgestalter unter dem Pseudonym J. & W. Beggarstaff zu dieser Zeit begann. In den Jahren vor der Jahrhundertwende war der junge Schauspieler eng mit Nicholson und Pryde befreundet.59 Wie sich Craig später erinnert, förderten die beiden Freunde seine suchenden Anfänge als Zeichner: "I used a pencil at that time probably worse than any amateur, so it was a privilege to know these painters (...) who had such immense talents, with such capacity to help." 60 Craigs Begeisterung für die bildende Kunst entsprach dem großen Interesse, welches Nicholson und Pryde dem Theater entgegenbrachten. Ab 1894 entstanden zahlreiche Theaterplakate, deren prägnante formale Vereinfachung auf der International Artistic Pictorial Poster Exhibition desselben Jahres im Londoner Westminster Aquarium für großes Aufsehen sorgten61 (Abb. 11). Hier waren auch - als Initiatoren dieser neuen Kunstgattung - französische Künstler wie Jules Cheret, Theophile Steinlen, Henri de Toulouse-Lautrec und Pierre Bonnard vertreten. Der Einfluß der französischen Plakatkunst auf die Arbeiten der Beggarstaff wurde in dieser unmittelbaren Gegenüberstellung offensichtlich, schließlich hatte Nicholson an der Pariser Academie Julien studiert und die neuen Tendenzen der Grafik rezipiert, aber viele Rezensenten erkannten bereits, daß die Beggarstaff eigene Wege gingen. Ein Vergleich von Bonnards Plakat für die Revue Blanche von 1894 (Abb. 12) mit dem Theaterplakat zu Henry Irvings ßec&eMnszenierung (Abb. 11) verdeutlicht diese Differenz. Beide Plakate beziehen zwar ihre Wirkung aus dem Schwarz-weiß silhouettenhafter Figuren, aber Bonnards Bildfindung ist viel nuancierter, die Umrisse sind bewegter und verspielter als bei dem Becket-Poster. Dieses besticht durch die großangelegte, gleichförmig strukturierte Flächigkeit der Bildaufteilung. Eine solche formale Verknappung widersprach grundsätzlich dem realistischen Detailreichtum des Lyceum Theatres und mußte zwangsläufig das Mißfallen Irvings hervorrufen.62 Auch für Craig war diese radikal vereinfachende Formensprache eine neue Seherfahrung. Er stand dem jedoch weitaus aufgeschlossener gegenüber als Irving, und nach seinem Besuch der Plakatausstellung im Westminster Aquarium schreibt er im November 1894 an seinen damaligen Freund J. Paul Cooper, daß ihn gerade Bonnards Poster zur Revue Blanche begeistert habe: „I have bought a copy of it & hang it on our walls to cheer us up."63

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Zitiert nach Rose 1931, 21. Craig, handschriftliche Notiz in: MSS Book 13, 1897-1902, 2 (BN). Zur Beziehung Cmg-Beggarstaff vgl. Campbell 1990, 14; Craig 1957, 147f.; E. A. Craig 1968, 80-95. Craig 1924, 8f. Vgl. Jackson 1922, 275; Campbell 1990, 29-32. Vgl. Campbell 1990, 22ff. Craig an J. P. Cooper vom 24. 11. 1894 (BN).

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II. Bild-Bewegung: Theaterinszenierung als Komposition

Im Jahre 1893 begann Craig, unter Anleitung von William Nicholson die Technik des Holzschnitts zu erlernen. Auch in diesem Bereich gehörte Nicholson zu den Künstlern, die Anregungen der künstlerischen Avantgarde aus Frankreich verarbeiteten. Er galt bald als einer der profiliertesten Holzschneider, einer originalgrafischen Technik, die Ende der 1880er Jahre u. a. von Paul Gauguin wiederentdeckt worden war.64 Nicholson arbeitete jedoch nicht wie Gauguin im Langholz, sondern verwendete weiterhin das harte Hirnholz des Buchsbaums, welches beim Holzstich Verwendung fand. Allerdings verzichtete er weitestgehend auf Binnenzeichnung, Valeurs und feine Konturen. Er schnitt vereinfachte Umrisse in den Block und nicht, wie beim Holzstich üblich, filigrane Linien. Damit war Nicholson neben Felix Vallotton und Edward Münch einer der ersten Grafiker, der aus dem Holz kraftvolle Flächengegensätze herauszuarbeiten begann.65 So kontrastieren beispielsweise bei dem Porträt von James McNeill Whistler (1897) große Flächen in Hell und Dunkel (Abb. 13). Nicholson baut den Bildraum aus einer schwarzen und einer, durch wenige Linien klar strukturierten weißen Fläche. Diese hart aufeinander stoßenden Flächen werden durch die silhouettenhaft gegebene Figur verklammert. Die wenigen, schlaglichtartig herausgearbeiteten Details, wie z. B. das weiß blitzende Augenglas, charakterisieren pointiert die Person Whistlers. Dieses Prinzip einer formalen Verknappung der Bildsprache war um 1900 in der englischen Grafik eine singulare Erscheinung66 und ist in dieser Hinsicht allein mit Aubrey Beardsley vergleichbar, dessen subtile Federzeichnungen jedoch stärker dekorativ angelegt sind. Craigs frühe Arbeiten belegen, daß er von Nicholson nicht nur die Technik des Schneidens im harten Hirnholz gelernt hat. Das Blatt The Incorruptible (1899), welches Irving in der Rolle des Robespierre porträtiert (Abb. 14), zeigt eine an den Arbeiten Nicholsons geschulte pointierte Kontrastierung schwarzer und weißer Flächen: Der schwarze Hintergrund stößt unvermittelt auf das reine Weiß des Sofas, gegen das sich wiederum in gleicher Schärfe die glatt schwarze Form der hochgestellten Beine absetzt. Ähnlich wie bei Nicholsons Whistler-Porträt ist die Bildfläche von einem zentralen Bildgegenstand dominiert. Insgesamt herrschen große, unstrukturierte Flächen vor, Details sind nur partiell herausgearbeitet. Jedoch zeigt dieser Holzschnitt auch, daß Craig stärker zum dekorativen Stilisieren der Naturvorlage tendiert: Während Nicholson beispielsweise im Gesicht Whistlers die tatsächlichen Licht- und Schattenreflexe akzentuiert ausarbeitet, vermeidet Craig Schattierungen und umreißt in ornamental geschwungenen Linien das Gesicht Irvings. Auch ist Craigs Bildgegenstand stärker in die Fläche eingebunden als bei Nicholsons Holzschnitt. Hier steht die Figur Whistlers innerhalb einer durch wenige Linien angedeuteten räumlichen Weite, die einen realen Raum suggeriert. Craig hingegen hat das Sofa, auf dem Irving ruht, aus einer glatt schwarzen Fläche herausgeschnitten, die keinerlei Räumlichkeit wiedergibt. Craigs Hang zum Flächenhaft-Dekorativen offenbart vor allem auch bei einem anderen Blatt, Outwardly 64

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Seit Beginn der 1890er Jahre experimentierte Nicholson mit dieser Technik. Im Dezember 1898 war er neben J. F. Millet, Th. St. Moore, Ch. Shannon, Ch. Ricketts und L. Pissarro auf der First Exhibition of Original Wood Engraving in The Dutch Gallery London vertreten. (Vgl. Campbell 1992, 245.) Zur Wiederentdeckung des Holzschnitts als originalgrafische Technik vgl. Melot 1981. Die Flächenholzschnitte Nicholsons wurden bereits 1898 von The Studio in Verbindung mit Vallottons Arbeiten gebracht. (Vgl. Campbell 1992, 14.) Zur Bedeutung Nicholsons im internationalen Maßstab vgl. auch Hofstätter 1963. Vgl. die Abb. im Ausstellungskat. Whistler-Haden 1985.

II 1. Der „Maler-Regisseur" Craig

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I was a Curate (1899, Abb. 15), eine deutliche Nähe zu den eleganten Federzeichnungen Aubrey Beardsleys.67 Die glatt schwarze Silhouette der Figur erscheint hier vor den geschwungenen Umrissen üppiger Baumkronen, die minutiös mit Punkten ausgearbeitet sind, so, wie es zuweilen auch bei Beardsley zu sehen ist (Abb. 16). Hier zeigt sich, daß Craig dem harten Buchsbaumholz durchaus subtilere Formen abzugewinnen suchte, als Nicholson es ihn gelehrt hatte.68 In den Jahren seiner Bekanntschaft mit den Beggarstaff widmete sich Craig mit zunehmender Intensität dem Holzschnitt. Der enge Kontakt zu Nicholson und Pryde hat ebenso wie die eigene bildnerische Tätigkeit dazu beigetragen, daß er sich schließlich, im Dezember 1897, endgültig gegen den Schauspielerberuf entschied.69 Später bezeichnet er diese Zeit als „perilous years, end of 1896 to 1899". 70 Es waren Jahre der Neubestimmung, „the beginning of perception"71, wie es Craig auch ausgedrückt hat. Während dieser drei Jahre andauernden Umorientierungsphase wurde das Holzschneiden nicht nur zu seiner Hauptbeschäftigung72, sondern er bestritt hiermit auch seinen Lebensunterhalt. Er verkaufte Exlibris, begann Bücher mit seinen Holzschnitten zu illustrieren73 und veröffentlichte Skizzen von Schauspielern in The Tatler, The Sphere, The Sketch u. a. Zeitschriften.74 Zudem gab Craig in den Jahren 1898 bis 1901 eine eigene Zeitschrift heraus, The Page, die, dem damaligen Trend der neu gegründeten Kunstzeitschriften folgend75, von ihm typographisch gestaltet und mit Originalgrafik reich bebildert wurde. Neben eigenen Arbeiten veröffentlichte er hier Arbeiten seiner Künstlerfreunde William Nicholson, James Pryde, James Joshua Guthrie, dem Karikaturist Max Beerbohm, William Rothenstein und Charles Conder.76 Daß er vor allem wegen dieser vielfältigen bildnerischen Aktivitäten, aber auch aufgrund seiner Präsenz

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Im Juni 1893 erwarb er z. B. Beardsleys Illustrationen zu Th. Morleys Le Morte d'Arthur. (Vgl. Craig 1957, 148.) Vgl. Craig 1924, 14.: „... and idly dreaming that grey would be an addition to black and white, I began to cut fine lines close together which would form grey when printed. Nicholson would have chuckled; grey to him was all nonesense ... and so I went on escaping from his influence". Godfrey 1978; Guichard 1977 und Garrett 1980 stellen in ihren Kompendien zur britischen Grafik Craigs Werk in die Reihe der bedeutenden Grafiker des frühen 20. Jahrhunderts. Godfrey bezeichnet ihn sogar als „one of the most inventive and technically adroit of all English wood engravers." (Ebd., 113.) Diese pauschalen Urteile sind bisher von der kunsthistorischen Forschung nicht näher hinterfragt worden, da eine Erschließung des gesamten grafischen (Euvres noch aussteht. Vgl. Grund 1997, 17f. Craig 1957, 182. Craig, handschriftliche Notiz in: Uber Marions-B, 1905-1906, 14 (BN). Vgl. Craig 1924, 2: „From 1898 to 1901 I was cutting boxwood all day." Craigs Tätigkeit als Illustrator reicht von 1898 bis Mitte der 1930er Jahre. (Vgl. Fletcher/Rood 1967, 39-46.) Vgl. Craig 1924, 16f. Dies meint die Zeitschriften der künstlerischen und literarischen Moderne, wie z.B. La Revue Blanche (1891), Pan (1895), Ver Sacrum (1898). Vgl. auch Grund 1997, 16. W. Rothenstein, der zum Whistler-Kreis gehörte, war der einzige unter den oben genannten, der in diesen Jahren mit dem New English Art Club ausstellte. Gegründet 1886, hatte diese britische Form einer Sezession ihre innovative Kraft bereits gegen Ende der 1890er Jahre eingebüßt. (Vgl. Watney 1980, 22-26.) Die von Marotti 1961, 31; Bablet 1965, 37 u. a. Autoren angedeutete Wichtigkeit des N. E. A. C., sowohl für die neuen Strömungen in der Malerei als auch speziell für Craig, ist somit grundsätzlich in Frage zu stellen.

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in der Boheme des Londener Cafe Royal, in damaligen Künstlerkreisen relativ bekannt war, belegt Holbrook Jacksons Zeitzeugenbericht The Eighteen Nineties. Hier wird Craig als Grafiker und Illustrator neben bedeutenden Künstlern seiner Zeit angeführt.77 Seit 1901 stellte er seine Arbeiten regelmäßig in London aus - einzeln oder gemeinsam mit befreundeten Künstlern. Eine solche Ausstellung war 1903 auch der Anlaß, daß Harry Graf Kessler zunächst auf den Grafiker Craig aufmerksam wurde. Im Jahre 1904 gehörte Craig zu den Gründungsmitgliedern der Society of Twelve, einer unabhängigen Ausstellungsgemeinschaft, die sich explizit dem „revival of original work on stone and wood", also der Förderung von Originalgrafik, widmete.78 Hier stand Craigs Name neben dem prominenter Künstler wie William Nicholson, William Rothenstein, Charles Ricketts, Muirhead Bone, Thomas Sturge Moore, Charles Conder oder später Alphonse Legros.79 Die Society of Twelve stellte auch international aus, so beispielsweise im Mai 1905 in dem renommierten Dresdner Kunst-Salon Ernst Arnold, noch bevor dort Craigs Personalausstellung im November 1905 zu sehen war.80 Diese Aktivitäten Craigs verdeutlichen, daß er in den Jahren um die Jahrhundertwende in die Kreise bildender Künstler eingebunden war und daß er sich vor allem auch selbst sehr stark darüber definiert hat. Dennoch hat er während dieser perilous years den Kontakt zum Theater nie abbrechen lassen, wie Notizen und Bühnenentwürfe aus jener Zeit belegen. Die dreijährige intensive Beschäftigung mit dem Holzschnitt beschreibt Craig später als Lehrzeit, als handwerklich-künstlerische Vorbereitung auf den Beruf des Regisseurs: „Why did I wood-engrave? First: to teach myself how to design scenes for the Drama (I had already learnt how to rehearse them)."81 Den Einfluß der Holzschnittästhetik auf das Entwerfen von Bühnendekorationen belegt folgende bislang unveröffentlichte Notiz von 1897, wo er eine unbestimmte Szene imaginiert: „A grey scene - touches of black - & everyone dressed in brown & grey. Some all brown - some all grey. Away with that old 3 or 30 colour print & revert to the black & white of ordinary (...) printing. If use of colour necessary - make a rule never to use more than 1 or 2".82 Als Holzschneider hatte Craig am Beispiel der flächig vereinfachenden Schwarzweißkunst Nicholsons und Beardsleys seinen Blick für die Kunst des Weglassens unwichtiger Details, des Straffens der Umrisse sowie der Beschränkung auf einen zentralen Bildgegenstand geschult. Dieses ästhetische Prinzip sparsam eingesetzter Formen bzw. einer reduzierten, kontrastierenden Farbigkeit wandte er nun auf der Bühne an: „By 1900 I feit I had served a sufficiently long woodcutting apprenticeship to produce a play."83

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Vgl. Jackson 1922, 51, 290. Zum Cafe Royal vgl. auch Deghy/Waterhouse 1955. L. Binyon im ersten Ausstellungskat, der Society of Twelve 1904, o. S. Diese Vereinigung existierte bis 1915. (Vgl. Farr 1978, 195.) Vgl. Deutsche Tageszeitung, Berlin, vom 9. 5. 1905 (BN). Craig 1924, 1. Craig, handschriftliche Notiz in: MSS Book 13, 1897-1903, 2 (BN). Craig 1924, 2.

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c) Ankunft: Symbolismus Gegen Ende des Jahres 1899 begannen die Vorbereitungen zu Henry Purcells Oper Dido and Aeneas™ Im Mai 1900 fand die Premiere schließlich in einem Hampsteader Konzertsaal statt, den Craig für seine Zwecke umgebaut hatte. Eine Entwurfsskizze zur Eröffhungsszene (Abb. 6) zeigt den von einem zierlichen Baldachin bekrönten Thron der Königin Dido. Dieser rahmt eine Hecke mit roten Blüten, die quer über die Bühne vor einem azurblauen Hintergrundprospekt verläuft.85 Wenige Bildelemente genügen, um den königlichen Palast in Carthago darzustellen. In der ausgeführten Szene dominierten schließlich auch nur zwei Farben: violett und dunkelgrün.86 Kritiker beschrieben diese symbolhafte Reduktion als „rigid simplicity, yet extreme picturesqueness in the exposition of the opera".87 Im Verlauf der Aufführung erinnerte vor allem der Einsatz von Licht manchen Zuschauer an den Holzschneider Craig: „The real triumph of the setting was, however, in the use of light and shade; it was as carfully considered as in a wood engraving"88 und Haidane Macfall lobte insgesamt den „decorative effect, (...) the swifttelling pantomime of it, the black-and-white, all displayed that broad, masterly treatment that we associate with the great masters in paint."89 Die renommierte Zeitschrift The Musical Courier feierte den jungen Regisseur als „bold pioneer of a distinctly new movement in stage productions"90, denn Craig hatte mit dieser Inszenierung sowohl die historistische Bühnenästhetik des viktorianischen Schautheaters überwunden, als auch den gesamten konventionellen Bühnenapparat der Kulissen und Soffitten zugunsten einer stilisierten Bühnendekoration abgeschafft. Dennoch war Craigs Dido andAeneas längst nicht die erste nach solchen Grundsätzen gestaltete Inszenierung der Theatergeschichte. In London konnte man bereits fünf Jahre früher Aufführungen sehen, die mit den Gestaltungsprinzipien des Historismus gebrochen hatten: Ende März 1895 gab das sym84 85

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Vgl. E. A. Craig 1968, 116, der aus einem unveröffentlichten Brief Craigs an M. F. Shaw vom 14. 10. 1899 (Nachlaß M. F. Shaw) zitiert. Speziell diese Szene schien dem japanischen Theater sehr nahe zu kommen, wie Kritiker feststellten (z. B. The Pilot vom 30. 3. 1901, BN), als Dido and Aeneas in einer Wiederaufnahme der Auffuhrung von 1900 ein Jahr später erneut zu sehen war. In der Zwischenzeit hatte man in London das erste Gastspiel einer japanischen Schauspieltruppe gesehen. Wichtig ist jedoch, daß Craigs Inszenierung bereits Anfang Mai 1900 nach sechsmonatiger Probenzeit Premiere hatte (vgl. Cox 1900, 130), während die Japaner erst im Juni 1900 in London gastierten (vgl. Lee 1981, 219). Aus eigener Anschauung kannte er somit zum Zeitpunkt der Inszenierungsvorbereitungen noch keine japanische Theaterauffuhrung. Japanische Farbholzschnitte waren ihm aber seit längerem bekannt, da diese in den Künstlerkreisen der 1890er Jahre kursierten. Außerdem klebte er um 1900 in sein Notizbuch MSS Book 13, 1897-1903, 12 (verso) ein Foto einer Alltagsszene in Yokohama zur Kirschblütenzeit. Aus dieser fotografierten, realen Szene entwickelte er eine Bühnenszene: „Blossom of fruit trees. White floor cloth dotted with circular petals." Vgl. The Morning Leader vom 26. 5. 1901 (BN): „There are only two colours in the scene - Tyrian purple and dark green." Es sind nur wenige Entwürfe zur Bühnengestaltung erhalten. Innes 1983, 37-50 hat versucht, das Gesamtbild der Inszenierung anhand von Notizbüchern und der annotierten Partitur zu rekonstruieren. Weitere, sehr lückenhafte Rekonstruktionsversuche geben Hähnel 1961, 2 8 - 33; Bablet 1965, 58-64; Loeffler 1969, 63-72; E. A. Craig 1968, 11-16. Rezension ohne Zeitungstitel im Craig-Archiv der BN vom 28. 5. 1901. The Review ofthe Week vom 11.8. 1900. (Zitiert nach E. A. Craig 1968, 123.) Vgl. auch Macfall 1901, 255. Ebd., 256. The Musical Courier vom 18.5.1900.

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II. Bild-Bewegung: Theaterinszenierung als Komposition

bolistische Pariser Theätre de l'CEuvre für fünf Tage ein Gastspiel, u. a. mit Maurice Maeterlincks Pelleas et Melisande in der Inszenierung von Aurelien Lugne-Poe.91 Dieses wichtige Faktum ist bislang von der Craig-Forschung übersehen worden, was vor allem daran liegen mag, daß Craig dieses Gastspiel in keiner seiner Aufzeichnungen je erwähnt hat. Edward A. Craig berichtet in der Biographie über seinen Vater, daß dieser von März bis Juni mit einer Theatertruppe in Eastbourne, Bath, Coventry, Stratford, Southampton u. a. Städten unterwegs gewesen sei.92 Demnach war Craig zum Zeitpunkt des Gastspiels nicht in London. Er wird jedoch sehr wahrscheinlich davon erfahren haben, denn diese ungewöhnlichen Auffuhrungen wurden weitläufig in den Zeitungen besprochen, so von George Bernard Shaw, einem engen Freund von Craigs Mutter, Ellen Terry. Shaw, der sich in seiner Kritik vorrangig auf die darstellerischen Leistungen der Schauspieler bezog, lobte die „true poetic atmosphere"93 der Inszenierung. Andere Kritiker gingen näher auf die Bühnendekoration ein, welche zum Teil auf Unverständnis gestoßen war, denn „what seemed to be a large diagram representing a coal or other mine, the seams of ,metaP being depicted in dull buff on a dark ground. A reference to the book informed us that this was meant to indicate a forest."94 Da keine Abbildungen der Auffuhrung existieren, läßt sich nur anhand dieser irritierten Beschreibung feststellen, daß die Dekoration jenseits der detailreichen historistisch-realistischen Darstellungskonvention angesiedelt war. Der Wald war von dem Maler Paul Vogler, der dem Kreis der Nabis nahestand, offenbar nur schemenhaft auf das Hintergrundprospekt gebracht. Das Licht wurde größtenteils so reduziert eingesetzt, daß die Bühne in ein geheimnisvolles Halbdunkel getaucht war. Hinzu kam noch ein Gazevorhang, der während der gesamten Vorstellung zwischen Bühne und Publikum gespannt war, wodurch das Bühnengeschehen entrückt und verunklärt erschien - wie in einem „poetical dream"95. In seiner Besprechung zu Craigs Dido and Aeneas verwies der Kritiker des Pilot zu Recht auf das Gastspiel des Theätre de l'(Euvre von 189596, dessen symbolhaft vereinfachende Bühnenausstattung Craigs Experimente vorweggenommen hatte. Dennoch fand Craig in seinen Inszenierungen Ausdrucksformen, die auf eine eigenständige Entwicklung seiner Ideen verweisen. Während beispielsweise die Farbigkeit der Pe/Zeas-Inszenierung des Theätre de l'(Euvre in verschiedenen dezent harmonischen Pastelltonabstufungen gehalten war97, verwendete Craig wenige, zumeist sehr kräftige und konstrastierende Farbtöne, welche ein Kritiker als „crude colour and deliberate discords" beschrieben hat, deren „effect is that of a collection of strong aniline dyes".98 Auch der Einsatz von Licht und Schatten war weniger auf eine gleichbleibend mystisch entrückte Atmosphäre ausgerichtet als beim

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Vgl. Robichez 1957, 328ff.; Stokes 1972, 169ff. E . A . Craig 1968,93. Shaw 1895,412. The Era vom 30. 3. 1895. The Daily News vom 23. 3. 1895. (Zitiert nach Stokes 1972, 169.) Vgl. auch Robichez 1957, 247f. The Pilot vom 30. 3. 1901 (BN). Vgl. C. Mauclair in Le Journal vom 17. 5. 1893 anläßlich der Premiere: „... la coloration du decor se gradue en bleu sombre, mauve, orange, vert-mousse, vert de lune, vert d'eau, s'allie par des violets eteints et des gris bleus". (Zitiert nach Robichez 1957, 168.) Einen anderen Kritiker erinnerten die Farben an „les admirables camaieux indecis et symboliques de Puvis de Chavannes". (Echo de Paris vom 16. 5. 1893, zitiert nach Bablet 1965a, 160.) Vgl. auch Vedder 1978, 22f. Cox 1900, 131.

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Theätre de l'(Euvre. Craig entwickelte vielmehr eine ausgeklügelte, kontrastreiche Lichtregie, die, wie bereits zitiert wurde, einige Kritiker an dessen Holzschnittkunst erinnerte. So endete beispielsweise die Schlußszene der Oper mit einem „dance of arms - white white arms - The rest of the scene dark".99 Der wichtigste Unterschied zur PeV/eos-Inszenierung aber betraf die Kostüme. Lugne-Poe selbst hatte in Absprache mit Maeterlinck Kostüme entworfen, die im 11./12. Jahrhundert angesiedelt waren.100 Craigs Kostüme dagegen vermieden jegliche Anlehnung an historische Epochen. Eine ablehnende Kritikerstimme verdeutlicht dies: „Dido's dress was not particularily satisfactory. It was a long, loose green robe, hanging from a yoke of purple satin, with long gauze sleeves. It had too much the look of a modern tea-gown, the sleeves particularily gave a touch of frivolity which destroyed anything royal or imposing in the dress".101 „What Mr. Craig does", vermerkt Arthur Symons 1903, „he gives us suggestion instead of reality, a Symbol instead of an imitation".102 Beispielsweise findet sich in Craigs Textbuch zum zweiten Akt der Dido-Oper folgende Regieanweisung: „Black snow is falling as curtain rises. One lime moon. One lime on Sorceress. Rest black. Düring this scene huge shadows sweep across the floor & people on the floor".103 Es sind symbolische visuelle Entsprechungen, Bilder, welche die „essential values"104 der dramatischen Handlung jenseits illusionistischer Imitation versinnlichen. So schreibt der Review of the Week: „The main idea was never lost sight of, no detail was allowed to detach itself from the picture, and every touch was of importance in the gradual development of the tragedy."105 Während die Intimisierungstendenz bei den Meiningern und Henry Irving grundsätzlich im Rahmen der historistischen Bühnenästhetik verblieb, war in Craigs Inszenierung eine Form des intimisierten Verhältnisses von Drama und Dekoration erreicht, die den Forderungen der französischen Symbolisten entsprach: „Die Inszenierung selbst (...) ist Zeichen und Symbol (...). Die Bühnendekoration muß eine reine ornamentale Fiktion sein, die Illusion und Drama durch Analogien der Farbe und der Linien gegenseitig ergänzt (...) das Theater wird sein, was es sein soll: ein Vorwand, um zu träumen."106 Die französischen Texte zur symbolistischen Bühnendekoration kannte Craig sehr wahrscheinlich ebensowenig wie Georg Fuchs und Peter Behrens. Seine Freunde William Nicholson und William Rothenstein107 hatten aber um

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Craig in einem unveröffentlichten Brief an M. F. Shaw. (Nachlaß M. F. Shaw, zitiert nach E. A. Craig 1968, 117f.) In Craigs Notizbuch MSS Book 13, 1897-1903, 13 (BN) findet sich eine unveröffentlichte Bleistiftskizze dazu. Vgl. Robichez 1957, 164f. Cox 1900, 131. Es sind keine Kostümentwürfe zu Dido oder Abbildungen der Auffuhrung erhalten. Symons 1903,44. Craig, annotierte Partitur Dido andAeneas, 1899/1900 (Ms A 53, BN). Macfall 1901,250. The Review ofthe Week vom 11.8. 1900. (Zitiert nach E. A. Craig 1968, 123.) Quillard 1891, 180: „La mise-en-scene (...) est le signe et le symbole meme (...). Le decor doit etre une pure fiction omemental qui complete l'illusion par des analogies de couleur et de lignes avec le drame (...) le theätre sera ce qu'il doit etre: unpretexte au reve." Rothenstein kannte Craig seit ca. 1897. (Vgl. Rothenstein 1931, Bd. I, 272ff.) Im Craig-Archiv der BN befindet sich ein unveröffentlichter Brief von Rothenstein an Craig aus Paris vom 24. 7. 1897.

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II. Bild-Bewegung: Theaterinszenierung als Komposition

1890 an der Pariser Academie Julien studiert108 und könnten ihm diese neuen Theorien vermittelt haben. Vor allem Rothenstein, der vier Jahre in Paris weilte, war sehr bewandert in den dortigen Künstlerkreisen. So kannte er den fuhrenden Kopf der Nabis, Maurice Denis. 109 Diese möglichen indirekten Informationen über die symbolistischen Tendenzen der Bühnenbildgestaltung sind jedoch nur von sekundärer Bedeutung. Entscheidend ist, daß Craigs Londoner Inszenierungen der Jahre 1900-1903 eine eigenständige Qualität erreichten, zu einem Zeitpunkt, als die Theaterexperimente der französischen Symbolisten bereits abgebrochen waren und mehrere Jahre zurücklagen. 110 Dies belegt auch eine Einschätzung des irischen Dichters William Butler Yeats, der die Aufführungen des Theätre d'Art und Theätre de l'CEuvre aus eigener Anschauung kannte. Nachdem er Craigs DWo-Inszenierung gesehen hatte, schreibt er dem jungen, ihm noch unbekannten Regisseur einen enthusiastischen Brief: „I thought your scenery to ,Aeneas and Dido' is the only good scenery I ever saw. You have created a new art."111

2. Regie als bildende Kunst a) Inszenierung als Illustration von Dichtung Im April 1875 veröffentlichte Craigs Vater, Edward William Godwin, eine Polemik gegen die zeitgenössische Auffuhrungspraxis am Beispiel von Shakespeares Theaterstücken: „For one man to design an interior for Olivia's house with no control of or understanding as to the stage management; another to arrange the business of the action in total ignorance of the inner arrangements of an Italian mansion (...); for one to paint the walls knowing nothing of the colours of the costume; another to design the dresses utterly different to the colours of his background, are the happy-go-lucky processes usually employed on the English stage".112 Dementsprechend hatte Godwin bereits im Jahre 1868 gefordert, daß „art principles should govern the whole process of production, and be allowed to determine every detail." 113 Mit

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An der Academie Julien studierten zwischen 1883 und 1889 die Mitglieder der Nabis-Gmppe (M. Denis, P. Bonnard, P. Serusier, P. Ranson, E. Vuillard u. a.). Vgl. u. a. Freches-Thory/Perucchi-Petri 1993,474. Vgl. Rothenstein 1931, Bd. I, 44. Aufgrund seiner Kontakte zu Pariser symbolistischen Kreisen vermittelte er z.B. im Jahre 1893 eine Lesung von P. Verlaine nach Oxford. (Vgl. ebd., 148; vgl. auch Beckson 1987, 92ff.) Das Theätre de l'CEuvre wandte sich bereits 1897 vom Symbolismus ab. Die Aufführungen waren nun wieder stärker vom Realismus geprägt. (Vgl. Grimm 1982, 38f.) Die Phase des streng symbolistisch ausgerichteten Theaters begann demnach 1890 mit dem Theätre d'Art unter P. Fort und wurde bis 1897 durch A. Lugne-Poe am Theätre de l'CEuvre fortgeführt. Brief von Yeats an Craig vom 2. 4. 1901. (BN, veröffentlicht in Craig 1957, 239.) Dieser Brief war der Beginn einer lang währenden Freundschaft. Zur Zusammenarbeit von Craig und Yeats vgl. Dorn 1975. Godwin 1875, 240. Eingeklebt und annotiert in Craigs Notizbuch MSS Book 13, 1897-1903 (BN). Godwin 1868, 105. Eingeklebt und annotiert ebd.

II. 2. Regie als bildende Kunst

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diesem frühen Bewußtsein für die (bild)künstlerische Geschlossenheit einer Theateraufführung stand Godwin am Beginn einer modernen Auffassung von Inszenierung und Regie. Als im Jahre 1881 erstmals die Meininger Theatertruppe ein Gastspiel in London gab, fand Godwin das von ihm geforderte Prinzip der harmonischen Abstimmung aller Bühnenelemente in ungewohnter Perfektion verwirklicht. Er lobt in seiner Rezension zu Julius Cäsar, daß die „complete earnestness" der Deutschen „results emphatically in pictures, as if painted by one master hand".114 Die Hand eines Meisters habe demnach das Gesamtbild der Inszenierung entworfen, weil jedes Detail einem einheitlichen künstlerischen Gestaltungswillen unterworfen war. Die Meininger Herzog Georg II. von Sachsen-Meiningen (1826-1914) war nicht nur ein historisch gebildeter Mann, sondern „in allererster Linie Augenmensch"115 und ein begabter Zeichner. Dies war ein maßgeblicher Impuls für die Entwicklung seines neuartigen Regiestils, der in Europa zwischen 1874 und 1890 für Furore sorgte." 6 Der Schauspieler und spätere Regisseur Max Grube erinnert sich: „Des Herzogs Inszenierungstrieb und Freudigkeit ging zunächst von der rein malerischen Seite an die Aufgaben heran. (...) Das Theater war ihm zunächst als eine Riesenleinwand erschienen (...). Er schuf sozusagen Illustrationen zu Bühnendichtungen".1'7 Diese Illustrationen entstanden zunächst auf dem Papier (Abb. 1). Der Herzog entwarf Bühnendekorationen, Kostüme und skizzierte die Gesamtkomposition wichtiger Szenen. In der konkreten Probenarbeit mit den Schauspielern führte er jedoch nicht selbst Regie, sondern er beschäftigte einen Regisseur, Ludwig Chronegk, der seine Anweisungen weitergab und deren Ausführung überwachte. Obgleich Chronegk in seiner Funktion auch geringfügige gestalterische Freiheiten genoß118, galt das Konzept des Herzogs als bindend, so daß der Regisseur letztlich nur ausführendes Organ war. In den 1895 retrospektiv verfaßten Inszenierungsregeln legte Georg II. seine Prinzipien zusammenfassend dar. Oberstes Gebot war die Vervollkommnung der Illusion historischer Wirklichkeit, die er nicht nur durch genaues und detailreiches Nachbilden in der Ausstattung zu erlangen suchte, sondern auch durch das Bestreben, den „Eindruck des Lebendigen und Natürlichen" zu erzeugen. Das in vielen damaligen Theatern vernachlässigte Größenverhältnis vom Schauspieler zu den Dekorationen wollte er beispielsweise realistischen Proportionen annähern, d.h., der Darsteller „soll nicht, wie man das so oft sieht, unmittelbar vor einem Hause stehen, dessen Tür ihm bis an die Hüfte reicht, wo er, ohne sich zu recken in die Fenster des ersten Stocks sehen und, wenn er die Hand aufhebt, den Schornstein berühren kann."119 Als Lösung schlägt er vor, nur markante Ausschnitte von Gebäuden zu zeigen, ei-

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Godwin 1881, 303. Bab 1928, 16. Zur Rezeption der Meininger Gastspiele in Europa vgl. Hahm 1970; Osborne 1980. Zur Entwicklung des Regiegedankens im 19. Jahrhundert vgl. Kreidt 1968,17-35; Röhrig 1979. Grube 1926, 33f. Vgl. Röhrig 1979, 31. Georg II. von Sachsen-Meiningen 1895, 66, 63.

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II. Bild-Bewegung: Theaterinszenierung als Komposition

ne Empfehlung, die auch Edward William Godwin 1875 gegeben hat.120 Der Herzog schreibt weiterhin, daß bei der „Komposition des Bühnenbildes" asymmetrisch vorgegangen werden soll, weil das „Gesamtbild" ansonsten „hölzern, steif und langweilig" wirke. Hierin zeigt sich, daß er beim Erarbeiten seiner Inszenierungen zuerst von einem Bild ausging, das in seiner Komposition den Gesetzen der Malerei folgt: Um den Eindruck eines bewegten Geschehens auf der Fläche zu erzeugen, müssen die Bildelemente möglichst asymmetrisch zueinander ins Verhältnis gesetzt werden, wohingegen eine symmetrische Bildkomposition stets den Eindruck von statischer Ruhe erzeugt. Da die „Bühne (...) nun aber vorwiegend die Bewegung, das unaufhaltsame Vorwärtsschreiten der Handlung zu veranschaulichen" habe, rät der Herzog folglich von einer solchen Ausgangskomposition des Bildes ab, „da sie erstarrend wirkt und die Bewegung aufhält." Seine Ablehnung dieser für die Bühne unvorteilhaften Komposition verdeutlicht, daß jede Bewegung gewissermaßen im vorgegebenen Bild zu verbleiben hatte, d.h., ein Wechsel innerhalb eines bestimmten Bildes zu einer dynamischeren Anordnung war für ihn nicht denkbar. Um dieses Im-Bilde-Bleiben der Darsteller zu gewährleisten, wurden Schauspieler und Komparsen in langen Probenzeiten aufs genaueste instruiert, so daß vor allem in den Massenszenen malerische Wirkungen erzielt wurden, die man bis dahin auf dem Theater noch nicht kannte. „Der Hauptreiz in der Gruppierung liegt", so vermerkt Georg II., „in der schönen Linie der Köpfe. Wie die Gleichmäßigkeit in der Haltung ist auch die Gleichheit der Kopfhöhe der Nebeneinanderstehenden tunlichst zu vermeiden. (...) Einem jeden Statisten ist einzuschärfen, seine Stellung zu ändern, sobald er merkt, daß er ebenso steht, wie sein Nachbar. Auf keinem guten Bilde wird man viele nebeneinanderstehende Figuren in gleicher Stellung und Schulterrichtung finden."121 Dies verdeutlicht, wie genau der Herzog sein Auge an den Kompositionstechniken der zeitgenössischen Historienmaler geschult hatte. Auffallend ist, daß Georg II. an keiner Stelle seiner Inszenierungsregeln die Schauspielkunst im Sinne der individuellen Interpretation einer dramatischen Rolle auch nur erwähnt. Analog erging von Seiten der Kritiker wiederholt der Vorwurf, daß die subjektiv gestaltende Schauspielkunst in den Inszenierungen der Meininger gänzlich zu kurz gekommen sei.122 So vermerkt Maximilian Harden: „... die szenische Kunst hat gewonnen, die Schauspielkunst, die eigentliche Trägerin der zum Leben erwachten dramatischen Dichtung, hat an Wert und Bedeutung beträchtlich verloren"123, und Otto Brahm bemängelt: „... was sie nicht können: einer Szene zu ihrem Recht verhelfen, die rein auf schauspielerische Wirkung gestellt ist und auf stark ausgeprägte künstlerische Individualitäten zählt, nicht auf Statisten."124 Da Georg II. selbst nie Schauspieler gewesen ist und sein Zugang zum Theater eher von der bildnerisch-visuellen Seite bestimmt war, ist das scheinbare Unvermögen im Umgang mit

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Vgl. Godwin 23. 1. 1875. Daß dieses hier kritisierte Vernachlässigen des proportionalen Verhältnisses vom Darsteller zur Dekoration auf deutschen Bühnen noch 1904 weit verbreitet war, belegt die Umfrage Zur Reform der Bühnendekoration der Zeitschrift Bühne und Welt 1904, hier: 321-323. Georg II. von Sachsen-Meiningen 1895, 62, 68. Vgl. auch Osborne 1980, 28-30 bzw. die ebd. neu abgedruckte Kritik von H. Hopfen 1874, 63-72. Vgl. auchHahm 1970, 161ff., 183ff. Harden 1896, 86. Brahm 1882, 131.

II. 2. Regie als bildende Kunst

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der schaupielerischen Individualität jedoch eine logische Konsequenz. Für ihn war der Schauspieler nur ein bewegliches Bildelement, das den statischen Bühnenraum in immer neuen Bildzusammenhängen zum Leben erweckt.125 Um den vom Herzog entwickelten Bildabläufen zu entsprechen, mußte sich der Schauspieler unterordnen, d.h., seine eigene künstlerische Gestaltungskraft wurde, so Brahm, auf die eines Statisten reduziert. Jede Bühnenbewegung wurde ihm von der „Formregie" vorgegeben, „die sich die Herstellung eines möglichst richtigen und charakteristischen Bildes zur Aufgabe macht."126 Der menschliche Darsteller war gewissermaßen die Farbe, mit der Georg II. sein dreidimensionales kinetisches Bühnengemälde schuf. Die Stärke der Regieleistung des Herzogs lag demnach, wie es ein Zeitgenosse ausgedrückt hat, im „Herausarbeiten der bildlichen Wirkung des Dramas".127 Henry Irving Es war vor allem jene neuartige Perfektion der „bildlichen Wirkung" des historischen Illusionismus, durch welche die Meininger in ganz Europa Aufsehen erregten. Auch im England des Pictorial Realism hatte man auf der Bühne solch minutiös organisierten Bilder noch nicht gesehen. Beispielsweise beschreibt der englische Kritiker Clement Scott 1881 anläßlich des Julius Cäsar-Gastspiels im Londoner Drury Lane Theatre die überwältigende Wirkung der dargestellten Volksmassen: „The unanimity is wonderful, if anything too wonderfiil. The yells come out like an electric shock with startling and sudden effect; the arms and hands are shot out as if they had been pulled by wires. In timing, unison, and precision such an effect has seldom been seen on any stage, and the only fault that can possibly be found with it is that the sense of training is too obvious; the hand of the drillmaster is too often seen".128 Die hier beobachtete Präzision, mit der die Darsteller gedrillt worden waren, erinnert an militärische Disziplinierungstechniken.129 Scott, der ein gewisses Befremden nicht verbergen konnte, zieht daraufhin einen Vergleich zu Henry Irvings Inszenierung von Alfred Tennysons The Cup, die zu Beginn des Jahres 1881 Premiere hatte. Nach Scotts Meinung war hier bei einer größeren Gruppenszene nicht so vordergründig der Regiedrill spürbar geworden: „All was natural, exact, and harmonious."130 Auch Ellen Terry beschreibt eben diese Szene:

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In der theaterwissenschaftlichen Forschung ist dieser Aspekt bislang nur von Osborne 1980, 28 angedeutet worden. Doch bereits in der zeitgenössischen Rezeption läßt sich eine solche Beobachtung, wenngleich äußerst negativ belegt, finden. So schreibt z. B. P. Lindau über die Meininger FieskoAuffuhrung von 1875, daß die Regie das Schauspiel vernachlässige, „wenn sie ihr Hauptaugenmerk darauf richtet, vor dem entzückten Auge die Wirkung der Malerei hervorzuzaubern." (Zitiert nach Hahm 1970, 165.) Lindau 1895, 75. Zabel 1911, 10. Scott 1881, 122. Dieses Thema untersucht derzeit Marc Steinbach (Berlin), denn Georg II. hatte neben der bildenden Kunst eine weitere Leidenschaft: das Militär. Scott 1881, 122.

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II. Bild-Bewegung: Theaterinszenierung als Komposition

„The thrilling effect always to be gained on the stage by the simple expedient of a great number of people doing the same thing in the same way at the same moment, was seen in 'The Cup', when the stage was covered with a crowd of women who raised their arms above their heads with a large, rhythmic, sweeping movement and then bowed to the goddess with the regularity of a regiment saluting."131 In beiden Beschreibungen läßt sich erkennen, daß Irving bereits vor dem Londoner Gastspiel der Meininger eine genau kalkulierte Massenregie praktizierte, die freilich von den Deutschen noch überboten wurde. Wenn Craig in seinen Memoiren berichtet, daß „Irving took up the challenge"132, so waren die Meininger eine Herausforderung, die seine eigenen Prinzipien letztlich bestätigten. Ellen Terry berichtet über die Proben am Lyceum Theatre: „There was no detail too small for Henry Irving's notice. (...) There was timing. Nothing was left to chance. (...) The great aim at the Lyceum was to get everything ,rotten perfect'". 133 „He was for ever counting - " , erinnert sich Craig, „one, two, three, - pause - one, two - a step, another, a halt, a faintest turn, another step, a word. (...) whatever it might be - there was no chance movement; he left no loose ends."134 Der Grund für eine solche präzise Probenarbeit war eine Regieauffassung, die der des Herzogs von Meiningen sehr nahe kam. In seinem Buch The Art of Acting vermerkt Irving 1893: „It is most important that an actor should learn that he is a figure in a picture"135, welche - so muß man hinzufügen - vom Regisseur in das Bühnenbild hineinkomponiert wird. Auf die Frage, ob er alle Details seiner Produktionen selbst überwachen würde, antwortet Irving 1886 in einem Interview mit der Pall Mall Gazette: „Certainly. In everything. We built up the whole play scene by scene, in order to produce a perfect work of art. (...) as far as possible I do everything myself (...). Each scene is like his picture to a painter. You have to combine colours, group figures, and arrange the mountings."136 Vermutlich in Anlehnung an die von Edward William Godwin seit den frühen 1860er Jahren geforderte künstlerische Geschlossenheit einer Inszenierung setzt Irving in dieser Aussage die Arbeit des Regisseurs mit der des Malers gleich, der jeden Arbeitsgang der Kunstproduktion selbst konzipiert und ausfuhrt. Bezeichnenderweise ist dieser Vergleich mit der bildenden Kunst auch von der zeitgenössischen Kritik gezogen worden: „Mr. Irving sees the stage in his mind's eye as a painter sees the picture he proposes to put upon his canvas."137 Von Interesse ist nun, wie weit dieses von Irving konstatierte „everything myself' bezüglich der Bühnendekoration gegangen ist. Hier unterscheidet sich die Vorgehensweise Ir-

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Terry 1982, 125. Craig 1957, 51. Terry 1982, 109f. Craig 1930, 77. Irving 1893, 63f. So wurde von der Kritik hervorgehoben, daß bei Irving „every pose is a subject for the painter". (Pennell 1887, 309.) Die New York World vom 8. 11. 1887 schrieb über Irvings Mephisto, daß „most of his endeavour was in the direction of posture and picture." Analog wurde Ellen Terry als „Painter's Actress" beschrieben, die „appealed to the eye before the ear". (Robertson 1931, 54.) Keine andere Darstellerin sei „so much of a picture in herseif, or falls so readily into the composition of the larger pictures formed by the combinations of a drama." (Pemperton 1902,181.) Zur englischen Tradition der „pictorial acting styles" vgl. Booth 1986; Brewster/Jacobs 1997, 85-98.

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H. Irving in The Pall Mall Gazette vom 13. 9. 1886. (Zitiert nach Booth 1981,98.) London Daily Telegraph vom 3 1 . 1 2 . 1 8 8 8 .

II. 3. „Argument is silenced": Craigs Verabsolutierung der Opsis

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vings von der des Meininger Herzogs, denn Irving entwarf seine Ausstattung nicht selbst, sondern zog wie später Max Reinhardt bildende Künstler hinzu. Aber ähnlich wie Reinhardt überließ auch Irving den Künstlern nicht gänzlich das Terrain der Bühnenbildgestaltung, sondern er entwickelte selbst konkrete optische Vorstellungen. Ellen Terry berichtet, daß Irving sich zumeist in einer dreimonatigen Vorbereitungsphase intensiv mit dem jeweiligen Stück auseinandersetzte.138 Während dieser Zeit durchdachte er alle Aspekte der künftigen Inszenierung. Beispielsweise beschäftigte er sich im Vorfeld der i^ms'/-Inszenierung von 1885 intensiv mit dem deutschen Mittelalter (Abb. 9). Zusammen mit Ellen Terry und dem Bühnenmaler Hawes Craven fuhr er nach Nürnberg, um die Atmosphäre der Stadt zu studieren. Nach der Rückkehr war seine Wohnung, so berichtet ein anderer Zeitzeuge, „crowded with the sketches of (...) Craven, Burgkmair, Cranach, and others; with relics of Nuremberg and the Goethe country, with textiles ancient and modern; with studies by Albrecht Dürer; with folios of costume; and with many editions of Faust,"139 Diese Praxis des umfassenden Sammeins von Büchern und Bildmaterial hat Craig später übernommen und perfektioniert. Seine zahlreichen scrapbooks, die er ab ca. 1890 angelegt hat, sind eine Art Bilderreservoir für die Bühne.140 Craig sammelte verschiedenste Abbildungen, die er nach Sujets thematisch ordnete. Fotos von Brücken, historischen Möbeln, Pyramiden und neueren Bauwerken, von Naturphänomenen, wie z. B. Meeresbrandungen oder Himmelsstimmungen, stehen hier neben Reproduktionen von Kunstwerken unterschiedlicher Epochen, die als Anregungen für Bühnenszenen fungiert haben.141 Doch ebenso wie Irving nutzte Craig diese Bilder nur als einen möglichen imaginativen Ausgangspunkt, nicht als direkte Vorlage für die Bühnendarstellung. In diesem Sinne behandelte Irving auch die Angebote der bildenden Künstler, mit denen er zusammenarbeitete. „He never hesitated to discard scenery if it did not suit his purpose"142, erinnert sich Ellen Terry. „His will was all that mattered"143, denn, so schreibt ein anderer Zeitzeuge: „He had passed the whole production through his mind before the first rehearsal."144 Insofern gingen auch zeitgenössische Beobachter davon aus, daß „down to the smallest detail of dresses, decorations, and stage management, everything bears trace of the consummate artistic taste of Mr. Henry Irving."145 Eine ähnliche Einschätzung ließe sich nicht nur über die Regiepraxis Max Reinhardts abgeben, sondern dies entspricht auch der Craigschen Beschreibung des Regisseurberufs in seinem Traktat The Art ofthe Theatre von 1905. Dennoch schreibt Craig im Jahre 1930 über seinen Lehrer: „Irving was not a producer in the sense that Reinhardt and I are producers." Als Begründung hierfür gibt er an, daß dieser zuallererst Schauspieler war: „... he stage-managed for one actor's sake, for the sake of Irving - and a producer does not do that. (...) A producer has to think of everything, (...) but he will not think of himself, as he is not to appear on the stage during the Performance."146 138 139 140 141 142 143 144 145 146

Vgl. Terry 1982, 107f. Hatton 1886, 10. Vgl. auch Terry 1982, 154ff. Die unveröffentlichten scrapbooks befinden sich in der BN. So vermerkt er an einem Bild von E. Claus, in dem Bäume dunkle Schatten auf eine Hausfassade werfen: „Maeterlinck. ,Interieur'" {Scrapbook um 1903, Botte 16, 31, BN). Terry 1982,110. Craig 1930, 97. Booth 1943, 99. lllustratedLondon News vom 8. 1. 1881, 31. Craig 1930, 90, 87f.

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II. Bild-Bewegung: Theaterinszenierung als Komposition

Tatsächlich war Irving einer der berühmtesten Schauspielvirtuosen seiner Zeit und galt neben Ellen Terry als der Aar jedes Theaterabends. Insofern genoß er auch den Ruf, daß jede Inszenierung um seine Person organisiert war.147 Dieses wichtige Detail der Irvingschen Bühnenpraxis kritisiert Craig bereits in seiner Schrift The Art ofthe Theatre: „... and if he is a better actor than his fellows, a natural instinct will lead him to make himself the centre of everything (...) and he will, in fact, gradually cease to look upon the work as a whole."148 Craig zweifelt hier grundsätzlich an, daß der Blick für das Ganze gewährleistet ist, wenn der Regisseur selbst auf der Bühne steht. Seiner Konzeption entspricht vielmehr die Theaterpraxis Max Reinhardts, der das Schauspielen zugunsten der Regietätigkeit frühzeitig aufgegeben hatte. Allerdings fordert Craig in The Art of the Theatre, daß der Regisseur generell auch sein eigener Bühnenbildner sein solle. Das Hinzuziehen eines anderen bildenden Künstlers für die Gestaltung der Dekorationen und Kostüme bezeichnet er sogar als „first blunder of the modern theatre"149, weil der Regisseur damit einen wichtigen Teil der künstlerischen Verantwortung aus der Hand gebe, so daß die Aufführung letztlich nicht vollständig aus einem Guß sein könne. An diesem Punkt nähert sich Craigs Regiekonzept stärker dem des Herzogs von Meiningen an, denn dieser entwarf die gesamte Bühnenausstattung selbst. Jedoch führte Georg II. nicht direkt Regie, sondern seine Anweisungen wurden von einem Mittelsmann, Ludwig Chronegk, ausgeführt, so daß wiederum eine Person neben dem eigentlichen Regisseur in den Entstehungsprozeß der Inszenierung eingriff. Insofern besitzt Craigs Regiekonzeption eine neue Qualität, denn er forderte 1905 in seinem berühmten Traktat, daß der Regisseur alle Bereiche einer Inszenierung ungeteilt selbst gestaltet und in der konkreten Probenarbeit einstudiert.

b) Inszenierung ohne Dichtung: Hubert von Herkomers „Pictorial Music-Plays"150 In seinem Traktat The Art of the Theatre schreibt Craig 1905 über den Regisseur: „When he interprets the plays of the dramatist by means of his actors, his scene painters, and his other craftsmen, then he is a craftsman - a master craftsman; when he will have mastered the uses of actions, words, line, colour, and rhythm, then he may become an artist. Then we shall no longer need the assistance of the playwright - for our art will then be self-reliant."151 Nach dieser Auffassung waren Georg II. von Meiningen, Henry Irving und Max Reinhardt nur auf der Stufe des Handwerklichen, nicht des Künstlerischen angesiedelt, denn alle drei Regisseure hatten eines gemeinsam: Sie haben stets in unterschiedlicher Weise das vorgegebene Stück eines Dramatikers interpretiert. Craigs Vorstellung von der Kunst eines künftigen, idealen Regisseurs schließt jedoch den Text als bindende Interpretationsvorlage aus. In The Art of the Theatre offenbart sich somit ein evolutionäres Zwei-Phasen-Reformmodell, auf

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Vgl. Loeffler 1969,44f.; Innes 1983, 9. Craig 1905, 68. Ebd., 60. Herkomer 1889,317. Craig 1905, 57f.

II. 2. Regie als bildende Kunst

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das bereits Dietrich Kreidt hingewiesen hat.152 Die erste Phase umfaßt die unmittelbare Gegenwart bzw. die nahe Zukunft, in welcher Craig den Regisseur angesichts der zeitgenössischen theatergeschichtlichen Situation noch als Interpret des Dramatikers anerkennt. So vermerkt Craig 1906 in einem seiner unveröffentlichten Notizbücher: „The immediate tomorrow: slow reforms chiefly of the Theatre as Institution."'53 Für diese Phase akzeptiert er die tradierte Form der Institution Theater, in der das dramatische Stück stets die Grundlage einer Auffuhrung gewesen ist: „The theatre (...) was & is based upon a reliance on Literatur."154 Innerhalb dieses Rahmens einer „interpretation of another's art"155 fordert er gewissermaßen als mildernden Umstand den Regisseur, welcher die künstlerische Einheit der Inszenierung in neuer Weise gewährleisten soll. Jedoch verbleibe dieser Regisseur auf der Ebene des Handwerks, weil er aufgrund der Bindung an das Drama letztlich nicht absolut eigenständig gestalte: „We may have interpreted better or worse but we created not a jot."156 Zur Kunst werde die Tätigkeit des Regisseurs somit erst ohne jeglichen Rückbezug auf einen dramatischen Text: „The Theatre of the Future" bzw. „The Theatre of Tomorrow will be selfreliant."157 Dieses „Free Theatre", so notiert Craig 1906 in einem bisher unveröffentlichten Manuskript, „exists to-day only in the Imagination".158 Craigs visionär angedeutete Idee eines künftigen Theaters, das unabhängig von der Literatur „as a creative art, and no longer as an interpretative craft"159 existieren soll, hatte jedoch direkte Vorläufer in der viktorianischen Theaterkultur. So basierten die populären englischen Pantomimen zwar auf einer Textvorlage, die aber in der Auffuhrungspraxis zumeist bis zur Unkenntlichkeit verändert wurde. Ein zeitgenössischer Beobachter beschreibt diesen Tatbestand 1884 eine Woche nach der Premiere von Edward L. Blanchards Cinderella: „By that time the whole of the author's text is forgotten; new songs and new verses were added (...). I purchased a book of the words of the Drury Lane pantomime, intending to follow it as well as I could. But I soon flung it away, for I found that scarcely a word of the text was delivered from the stage. The pantomime had been virtually re-written by the performers since the first night."160 Diese Äußerung zeigt, daß die Sprache bei den Pantomimen eine nicht unbedeutende Rolle gespielt hat, aber der Anteil der verbalen Improvisation war gegenüber dem geschriebenen Text deutlich dominant. Die sprachliche Struktur der opulent ausgestatteten viktorianischen Pantomimen basierte allerdings - wie beim klassischen Drama - auf dem zwischenmensch-

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Vgl. Kreidt 1968, 103f. Craig, handschriftliche Notiz in: Ms B 45, 1906, 40 (BN). Ebd., B. Brief Craig an M. F. Shaw vom Mai 1905 (HRC, auszugsweise veröffentlicht in: Eynat-Confino 1987, 60). Ebd. Craig, handschriftliche Notiz in: Ms B 45, 1906, B (BN). Ebd., 41, eingelegtes Manuskript, um 1906. Craig 1905, 70. Truth vom 10. 1. 1884. (Zitiert nach Booth 1981, 75.) Zu den englischen Pantomimen vgl. ebd., 6 0 92; Booth 1976; Hera 1981, 35-200; Frow 1985.

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II. Bild-Bewegung: Theaterinszenierung als Komposition

liehen Dialog, der durch Couplets, Balletteinlagen, Prozessionen und Schaueffekte aufgelockert wurde.161 Eine andere Form des populären Unterhaltungstheaters, die zudem gänzlich ohne Sprache auskam, waren die beliebten tableaux vivants oder living pictures. Beispielsweise berichtet George Bernard Shaw von sechzehn lebenden Bildern, die 1895 im Londoner Palace Theatre abendfüllend auf der Bühne gezeigt wurden.162 Ohne auf die verschiedenen Formen und Kontexte des Bilderstellens mit menschlichen Darstellern näher eingehen zu können163, seien hier nur drei Aspekte herausgegriffen, welche diese ephemere Kunstform im viktorianischen England des späten 19. Jahrhunderts gekennzeichnet haben. Einerseits beruhte der Reiz von living pictures auf der Wiedererkennbarkeit bekannter Bildsujets bzw. tradierter Bildtopoi. Mit der Auswahl von Bildvorlagen oder der freien Komposition von Bildern, die menschliche Nacktheit ausstellten, kam zweitens eine erotische, voyeristische Komponente hinzu.164 Schließlich beruhte die Faszination der living pictures vor allem auch auf dem Aspekt des Stillstellens, indem lebende Menschen jeweils für einen kurzen Moment zu statischen Bildwerken erstarrten. Dagegen entwickelte der Maler Hubert von Herkomer in den 1880er Jahren eine neuartig selbstbezügliche Form von lebenden und zudem bewegten Bildern, die in Londoner Kunst- und Theaterkreisen große Beachtung fanden. Der aus Oberbayern stammende Maler und Grafiker Hubert von Herkomer (1849-1914) war zu Lebzeiten aufgrund seiner eindringlichen Milieustudien und Bildnisse hoch angesehen. So porträtierte Herkomer, der ab 1885 als Professor an der renommierten Oxforder Slade School lehrte, bedeutende Persönlichkeiten wie Richard Wagner, John Ruskin, Alfred Tennyson und Cecil Rhodes. Während die kunsthistorische Erschließung seines malerischen und grafischen (Euvres in den letzten Jahren eingesetzt hat165, sind Herkomers sonstige künstlerische Aktivitäten, speziell seine Theater- und Filmarbeit, in der Forschung weiterhin relativ unbeachtet geblieben. Eine Ausnahme bildet der instruktive Aufsatz von John Stokes, der erstmals einen Überblick der Bühnenexperimente Herkomers gibt.166 Allerdings fokussiert Stokes auf Herkomers Wagner-Rezeption, d.h., weder dessen Einbindung in den Kontext der Visualisierung wird näher thematisiert, noch stellt er die Herkomerschen Ideen in Bezug zu Craig. Christoper Innes und Edward A. Craig wiederum haben den Einfluß Herkomers auf Craig geltend gemacht, der sich jedoch demnach allein auf dessen lichttechnische Neuerungen beschränkt habe.167 161 162 163

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Vgl. die von Booth 1976 edierten Pantomimen des 19. Jahrhunderts sowie dessen einleitender Text (ebd., 1-63). Vgl. Shaw 1932, Bd. 1, 79-86. Während die Erforschung der lebenden Bilder im deutschsprachigen Raum inzwischen in Gang gekommen ist (vgl. Koslowski 1998; Frey 1998; Jooss 1999), fehlen bislang Untersuchungen zur englischen Praxis des Bilderstellens im 19. Jahrhundert. Vgl. Shaw 1932, Bd. 1, 79-86; Jooss 1999,259-272. Lange Zeit war das malerische Werk Herkomers buchstäblich in Vergessenheit geraten. Im Jahre 1984 erschien erstmals eine differenzierte kunsthistorische Untersuchung (vgl. Edwards 1984 und 1999); 1988 und 1999 fanden größere Personalausstellungen in Herkomers Heimatort Landsberg statt. Vgl. Stokes 1972, 71-110. Vgl. Innes 1983, 29ff., E. A. Craig 1969. Herkomer hatte für die Nachbildung von Naturphänomenen auf der Bühne neuartige Beleuchtungstechniken entwickelt. So schaffte er bereits 1887 die illusionsstörende Fußbodenbeleuchtung ab, weil diese unnatürliche Schatten auf den Gesichtern der Darsteller hervorrief. Weiterhin erzeugte er mittels eines entsprechend beleuchteten Gazevorhangs, der vor das

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Der vornehmlich durch Porträtmalerei zu einigem Reichtum gekommene Hubert von Herkomer gründete 1883 eine private Kunstschule in Bushey bei London, die im Laufe der nächsten zwanzig Jahre zum Zentrum einer florierenden Künstlerkolonie wurde. Hier studierte auch Craigs späterer Freund William Nicholson vor seinem Parisaufenthalt Malerei. Als Student erlebte Nicholson 1889 in Bushey die Entstehung von Herkomers zweitem Theaterexperiment An Idylm, eine Inszenierung, die auch der junge Craig, Ellen Terry, Henry Irving u. a. Prominente des Londoner Kunstlebens besucht haben.169 Die Darsteller waren ausnahmslos Studenten der Kunstschule bzw. Herkomer selbst. Insofern ist es erstaunlich, daß dieses Amateurtheater in Bushey ein derart renommiertes Theaterpublikum anzog. Der Grund hierfür ist vor allem darin zu suchen, daß Herkomer, wie es der namhafte Kritiker William Archer ausdrückt, „is doing exellent work in carrying scenic illusion to the highest power, developing its utmost possibilities".170 Herkomers Perfektion in der szenischen Illusion von Naturphänomenen übertraf in der Tat alles bis dahin auf dem Theater Gesehene: „So complete was the illusion that the audience were convinced at one point that the entire back wall of the theatre had been removed and that they were looking into the living landscape and sunshine outside."171 Auch Craig erinnert sich in seinen Memoiren: „... most moving it was - perfect realism."172 Herkomer, der in zwei Aufsätzen und einem Vortrag im Londoner Avenue Theatre theoretisch über seine Experimente reflektiert hat, schreibt 1892, daß „through the management of lights, the strängest deception can be practised upon our Visual organs. (...) The real secret of perfect scenic-art lies in illusion - in deception - in not allowing the eye of the spectator to see the means whereby the semblance of reality is obtained."173 Damit steht Herkomer in der jahrhundertealten Tradition einer Kunst des Vortäuschens von Realität durch Künstlichkeit, der Trompe-1'ceil, welche von jenen die gemalten Weintrauben anpickenden Vögeln des Zeuxis über die barocke Quadraturmalerei bis zu den Dioramen und Panoramen des 19. Jahrhunderts reicht. Ein grundlegender, bislang nicht gewürdigter Aspekt der Herkomerschen Theaterarbeit betrifft jedoch den Entstehungshintergrund dieser außergewöhnlichen Experimente, welche - und dies gesteht er selbst ein - nur zustande kommen konnten, weil sie jenseits kommerzieller Zwänge das Steckenpferd eines äußerst wohlhabenden Malers waren. Als Ausgangspunkt seiner Beschäftigung mit dem Theater benennt Herkomer nicht etwa ein ursächliches Interesse für das mimetische Rollenspiel im Sinne einer schauspielerischen Darstellung zwischenmenschlicher Beziehungen, sondern er bekennt vorbehaltlos, daß „my whole efforts in stage work have been to realise a painter's view of nature, and that to the füllest."174 Es interessierte ihn demnach ausschließlich, seine Bildideen in einem anderen Material zu realisie-

Hintergnindprospekt gespannt wurde, eine ungewohnt perfekte atmosphärische Illusion, die der des Fortunyschen Rundhorizonts sehr nahe kam. E. A. Craig 1969 zeigt, daß Craig diese technischen Neuerungen in seinen Inszenierungen 1900-1903 angewandt hat. 168 169 170 171 172 173 174

1887 wurde Herkomers erste Theaterarbeit The Sorceress in Bushey gezeigt. (Vgl. Stokes 1972, 84f.) Zu Nicholson in Bushey vgl. Campbell 1990, 12f. Vgl. Craig 1957, 122. Archer 1888,388. Mills 1923, 185. Craig 1957, 100. Herkomer 1892, 260. Ebd., 317.

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ren, das der Natur näher sei als Farbe und Leinwand, und so ruft er 1892 seine Malerkollegen in dem Vortrag Scenic-Art dazu auf, der „inadequacy of our paints" zu entfliehen, denn „in stage work the artist has more materials at his commend than in any other form of artistic expression".175 Dieser Aufruf zum Austausch der Leinwand gegen die Bühne zwecks einer vollendeteren Naturillusion war insbesondere durch die Konkurrenzsituation begründet, die das neue Medium Fotografie hinsichtlich einer perfekten Abbildung von Realität ausgelöst hatte.176 Die Bühne bot demnach eine Möglichkeit des Umgangs mit dieser Herausforderung.177 Herkomers neue „art of ,picture-making"'178 war aber zugleich auch eine bis dahin unbekannte, kreativ gestaltete Variante der tradierten living pictures, welche das Tätigkeitsfeld des bildenden Künstlers als „source of recreation" erweitern sollte: „It would not be unreasonable for a painter to have the same longing for a private theatre, in which he could experiment in scenic art, in grouping figures, and in storymaking, only changing his canvas for the stage in order to express with real objects and real people the thoughts he placed ordinarily upon canvas with brush and colour. And such an theatre would be unfettered by tradition, or by the demands of a paying public."179 Was Herkomer hier im Jahre 1889 vorschlägt, ist - mit Blick auf das 20. Jahrhundert - geradezu sensationell. Zwar setzte das Interesse der bildenden Künstler für das Theater vor 1900 generell neu ein, aber bei allen Theaterarbeiten seit den 1890er Jahren, ausgehend vom Pariser Theatre d'Art und Theatre de l'CEuvre über Henry Irving, der Darmstädter Künstlerkolonie, Max Reinhardt und dem Münchener Künstler-Theater, waren die bildenden Künstler stets nur Mitarbeiter, denen gewiß nicht unerhebliche Einflußmöglichkeiten gegeben waren, jedoch stand an vorderster Stelle letztlich die interpretative Umsetzung einer Textvorlage. Die Maler praktizierten hier im besten Sinne der Arts & Crafts Movement angewandte Kunst. Herkomer hingegen sah die Bühne nicht mit den Augen des Kunstgewerblers, sondern als eigenständig schaffender Maler, der die Theaterplattform als erweiterte Leinwand verstand: „It was based upon the fantasy of a painter who used as pigment living colours, and a magic canvas, his mind all aflame with the exitement inseparable from a new experiment."180 Mit diesem bereits 1887 in Bushey bei London realisierten Anspruch einer experimentellen Okkupation der Theaterbühne durch den Maler nahm Hubert von Herkomer Ideen vorweg, die in einer vergleichbar autonomen Ausprägung erst wieder in der ersten Hälfte des 20. Jahrhundert von Wassily Kandinsky, den italienischen Futuristen und am

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Ebd. Herkomers widersprüchliches Verhältnis zur Fotografie behandelt kurz Stokes 1972, 79-82. Herkomer 1892, 259 hat jedoch auch betont, daß eine identische, unkreative Abbildung der Natur nicht letztes Ziel der Kunst sei: „Natural phenomena must always be expressed through an art, and that art is applied by a human being whose idiosyncrasy leaves its mark on every effort. Therefore, the aspect of reality is by no means always attained by actuality on the stage, because the very foundation of scenic-art is artificiality." Der „scenic-artist" sei demnach ein „magician whose especial privilege is to take you into a world of his making. It is through his craft that he makes you realise nature, and it is through artificiality that his craft becomes expressive."

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Herkomer 1911,42. Herkomer 1889,316. Herkomer 1911,43.

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Dessauer Bauhaus umgesetzt wurden. Die Maler wurden hier zu „Inhaberfn] und Vollstreckern] der Gesamtidee von Theater"181, wie es Oskar Schlemmer ausgedrückt hat. Herkomer bezeichnete seine Bühnenexperimente als „Pictorial Music-Plays", ein Titel, der, wie er 1889 erklärt „precisely expresses my purpose in these plays, ( . . . ) - i. e., first the picture, then the music to attune you to the picture, and lastly the story, or the excuse for the whole thing."182 Diese Herangehensweise bedeutete konkret, daß er für sein Stück, An Idyl, als Ausgangspunkt eines seiner frühen Ölgemälde, After the Toil of the Day (Abb. 17), wählte, welches er abgewandelt zunächst in einem Tableau nachstellte (Abb. 18). Dieses lebende Bild wurde nun pantomimisch und lichttechnisch in Bewegung versetzt. Dazu komponierte der vielseitig begabte Künstler eine untermalende Musik „as an additional source of interpretation and colouring".183 Wie diese „musical picture[s]"184 im einzelnen ausgesehen haben, läßt sich anhand der detaillierten Bild-Beschreibung von Alice Corkran sehr genau nachvollziehen. Corkran schildert z. B. die Anfangssequenz des ersten Aktes von An Idyl: Eine enge, holprig gepflasterte Dorfstraße wird beiderseits von mittelalterlichen Fachwerkhäusern flankiert. Alte Frauen sitzen entlang der Häuserreihe auf Bänken, unterhalten sich, spinnen oder beschäftigen sich mit den Kindern, die ausgelassen auf der Straße spielen und tanzen. Es ist ein herbstlicher Abend und im Verlauf dieser Szene „the golden sunshine of late afternoon bathes the street; the light slowly deepens into the glow of sunset; passes into the soft mellowness of after-glow (...). The landscape is alive with intricacies of light and shadow." Rechterhand befindet sich die Dorfschmiede. Der Schmied und seine Gesellen schlagen den Amboß, und dieser „rhythmic stroke becomes a melody dominating the cadences of the orchestra, as might a voice of cheerful labour." Der Chor der alten Frauen singt ein Abendlied, während die Kinder mit ihren „fresh voices" einen „pretty song" trällern. „Meanwhile the picture moves and changes. Now an old granny crosses the stage leaning on a little child. Now the children group themselves at the foot of the cross, their pointed caps and tunics outlined duskily against the glowing sky; then again a toddling child, in a close cap and quaint long short-waisted frock, clambers on the knee of the blacksmith, as he rests a moment. The impressive figure of the elderly man, with flowing beard, and tawny pointed cap, tunic, and leggings, and the quaint little figure on his knee, is a picture in itself. The quietude of the scene is shortly after disturbed".185 Daraufhin entwickelt sich in drei Akten die „simple story"186 der schönen Tochter des Dorfschmieds, welche von einem reichen Grafen umworben wird, der Versuchung aber widersteht und schließlich ihren Verlobten, einen „honest working man"187, heiratet. Herkomer charakterisiert seine Art des Geschichtenerzählens als „distinctly a painter's method of story-making, not a literary man's", denn „situations shall be at once clear with-

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Schlemmer 1958, 135. Herkomer 1889,317. Ebd., 316. Ebd., 317. Corkran 1889,42. Herkomer 1889,320. Corkran 1889,45.

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out explanation of word (...). In this present play I have introduced many little pictorial incidents such as would happen in a street of that kind, and I give the eye the chance of looking about and seeing all there is to see."188 Indem Herkomer 1889 die Vorgänge auf der Dorfstraße als pictorial incidents, als bildhafte Geschehnisse, bezeichnet, vertritt er einen evident kinematographischen Bildbegriff - und zwar kurz bevor die ersten Filmvorführungen stattgefunden haben.189 Herkomer hat die neuen Entwicklungen unmittelbar vor Erfindung des Stummfilms interessiert verfolgt. So lud er 1892 Eadweard Muybridge in die Herkomer Art School nach Bushey ein, wo dieser seine fotografischen Bewegungsstudien von Tieren und Menschen mittels eines selbst entwickelten Apparats, dem sog. Zoöpraxiscope, als bewegte Sequenzen vorführte.190 Daß Herkomer die Anfänge des Films enthusiastisch begrüßt hat, ist insofern nicht verwunderlich. Schließlich verwandelte er sein Theater in Bushey 1913 sogar in ein Filmstudio, um den Versuch einer Herkomer Film Company zu starten. Im Oktober des Jahres 1913 bekennt er in einem Vortrag About Cinemas, daß ihn der Film, ähnlich wie das Theater, aus rein bildkompositorischen Gründen interessieren würde.191 Herkomer erkannte frühzeitig die neuen Möglichkeiten der Kinematographie, und wertete 1914, kurz vor seinem Tode, den Vorteil der bewegten Bilder gegenüber der Sprache ganz im Sinne des Paradigmas der Visualisierung: „The moving picture is the thing of the fiiture (...). A well projected image on the screen requires so little elucidation and conveys so much more in a clearer way than the written or spoken word. And we all love pictures don't we?"192 Es sind diese kinematographischen pictorial incidents, welche Herkomer jedoch zunächst auf dem Theater interessiert haben. Das Erzählen einer kohärenten Geschichte193 war ihm letztlich nur Vehikel, das er als Rechtfertigung für immer neue bewegte Bilder und szenische Effekte nutzte: „There is just story enough to give reason to the changes of pictorial effects, and music enough to attune the mind of the spectator to the pictures."194 Entscheidend war dabei, daß Wortsprache weitestgehend ausgeklammert blieb, es wurden zwar Lieder gesungen, die den Verlauf der Handlung kommentierten, aber es gab keine gesprochenen Dialoge. So schreibt Herkomer 1889 von der intendierten „absence of all dialogue" und: „Words are sung only when it is absolutely necessary to carry on the story. All that can be

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Herkomer 1889, 319. (Hervorhebung v. Vf.) Die ersten öffentlichen Filmvorführungen fanden ab 1895 statt. (Vgl. u. a. Toeplitz 1992.) Zu den ersten Vorführungen in London vgl. North 1973, 2 0 f f ; Barnes 1976 sowie die bei Herbert 2000, 1—45 neu abgedruckten Presseartikel des Jahres 1897. Vgl. Edwards 1999, 122, die allerdings nur berichtet, daß Muybridge einer Einladung von Herkomer nach Bushey gefolgt ist. Es ist anzunehmen, daß er dort sein Zoöpraxiscope vorgeführt hat, mit dem er seit den 1880er Jahren in den USA und Europa unterwegs war. (Vgl. Herbert/McKernan 1996, 99f.; zur Technik des Zoöpraxiscopes vgl. ebd., 3f.) Vgl. Zitate Herkomers zum Film bei Stokes 1972, 105f. Zu Herkomers Filmproduktionen der Jahre 1912-1914 vgl. Pritchard 1987. Herkomer 1914. Zur Definition des Terminus Geschichte als „Substrat" dramatischer Texte vgl. Pfister 1977, 265ff., hier 266: „... die Geschichte liegt als das Präsentierte der Darstellung zugrunde und kann vom Rezipienten aus der Darstellung rekonstruiert werden." Eine Geschichte bildet seit Aristoteles' Poetik die „Makrostruktur jedes dramatischen Textes". (Ebd., 265.) Herkomer 1911,43.

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done in dumb show".195 In diesem Sinne schildert auch Alice Corkran die theatrale Struktur des aufgeführten Pictorial Music-Plays: „The difficult art of pantomime, rhythmic gesture to the accompaniment of music, is used as the principal means of telling the story of the Idyl."l96 Damit gingen die Theaterszenen des Oxforder Kunstprofessors einen bedeutsamen Schritt weiter als die populären englischen Pantomimen: Hier blieb der vom Autor vorgegebene oder improvisierte gesprochene Dialog neben verschiedensten szenischen Effekten doch stets ein integraler Bestandteil jeder Aufführung. 197 Bei Herkomer hingegen waren die Pantomimen größtenteils stumm. Die Modernität der Herkomerschen Bildauffassung vor allem in Bezug auf den Film bzw. filmische Erzählstrukturen konnte an dieser Stelle nur angedeutet werden, da dies Thema einer speziellen Untersuchung wäre, welche zum Ziel haben sollte, das Phänomen Herkomer differenzierter in den Zeitkontext einzuordnen. Für den Zusammenhang der vorliegenden Studie ist wichtig, daß Hubert von Herkomers Bühnenexperimente dem jungen Craig die neuartige Perspektive eines Theaters eröffnet haben, das weitestgehend ohne Worte allein auf dem Reiz bewegter lebender Bilder basiert. Craig hatte schließlich nicht nur Herkomers Aufführungen 1887 und 1889 in Bushey gesehen, sondern er kannte ihn höchstwahrscheinlich persönlich198 und rezipierte auch dessen Theorien sehr bewußt. So besuchte er im Januar 1892 Herkomers Vortrag über Scenic-Art im Londoner Avenue Theatre und, wie Craigs Sohn später mitteilt, „this (...) first opened his eyes to the shortcomings of the established Theatre."199 Als Herkomers Vortrag im selben Jahr vom Magazine of Art abgedruckt wurde, bewahrte Craig diesen Aufsatz in einem seiner frühen Notizbücher auf.200 Obwohl Herkomers Realismus seiner symbolistischen Theaterkonzeption widersprach, vermerkte er noch über fünfzig Jahre später in seiner Autobiographie: „I think our stage owes something to Herkomer".201

c) Inszenierung ohne Schauspieler: Craigs Werk- und Materialbegriff Während Henry Irving und Max Reinhardt als Schaupieler und Regisseure ein stark optisch ausgerichtetes Theater vertreten haben, fügten der Herzog von Meiningen und Hubert von Herkomer dem Paradigma der Visualisierung auf dem Theater einen wichtigen Aspekt hinzu: die Perspektive des bildenden Künstlers. Als ein Kennzeichen dieser Sichtweise kann 195 196 197 198

Herkomer 1889, 316f. Corkran 1889,41. Vgl. die von Booth 1976 edierten Pantomimenstücke des 19. Jahrhunderts. Auf verschiedenen Wegen konnte Craig den bekannten Maler kennenlernen. Zum einen gab es die Möglichkeit als Sohn der berühmten Schauspielerin E. Terry, die kurzzeitig mit dem Maler G. F. Watts verheiratet war und zahlreiche renommierte Londoner Maler kannte. Irving, Craigs Lehrer, war vermutlich auch mit Herkomer bekannt. Am wahrscheinlichsten aber ist die Möglichkeit, daß Craig den Maler über seinen Freund W. Nicholson kennengelernt hat, der bei Herkomer in Bushey Malerei studiert hatte.

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E. A. Craig 1969, 8. Vgl. E. A. Craig 1969, 10. Da sich dieses Notizbuch nicht im Craig-Archiv der BN befindet, wird es vermutlich zum Nachlaß E. A. Craigs gehören, der vor kurzem in Teilen vom Eton-College (Windsor) übernommen wurde. Diese Archivalien sind bislang noch nicht bearbeitet bzw. systematisiert. Craig 1957, 122.

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jene Vernachläßigung der schauspielerischen Individualität angesprochen werden, die dem Herzog von Meiningen wiederholt zum Vorwurf gemacht wurde. Herkomer verübelte man diese Vorgehensweise wohl deshalb nicht, weil seine Aufführungen ausnahmslos Laien bestritten und von vorn herein als Experimente eines Malers galten. Aus anderen Gründen wurde eine solche Kritik auch Irving und Reinhardt nicht entgegengebracht. So beklagten zwar nicht wenige Rezensenten, daß Reinhardts Schauspieler im Sinne des alten deklamatorischen Schauspielstils die Kunst der Rede zu stark vernachlässigen würden, aber insgesamt überwog die Meinung, daß die spezifische Bühnenpräsenz zahlreicher hervorragender Darsteller wie Gertrud Eysoldt und Eduard von Winterstein die Reinhardtschen Inszenierungen durchaus entscheidend geprägt habe. Am Beispiel von Reinhardts Probenarbeit läßt sich symptomatisch nachvollziehen, weshalb Reinhardt als der „Regisseur der Schauspieler"202 bezeichnet wurde. Dieser erarbeitete für jede Inszenierung ein detailliertes Regiebuch, in dem er jeden Bühnenvorgang bereits vor Beginn der Proben minutiös festlegte. Die Schauspieler setzte er dabei entsprechend ihrer darstellerischen Qualitäten ein: „Schon bei seiner Arbeit am Regiebuch spricht das Schauspielerische am stärksten mit, er rechnet von vorn herein mit seinen Schauspielern, legt sie bei der Ausgestaltung den Dramenfiguren sozusagen unter, läßt sich in seinen künstlerischen Berechnungen manchmal gleich von ihrem Wesen beeinflussen, allerdings nur, wenn sie Persönlichkeiten sind, die ein solches Vorgehen rechtfertigen; die kleineren biegt er sich zurecht, so wie er sie für sein Gesamtwerk nötig zu haben glaubt."203 Diese Schilderung verdeutlicht, wie sehr Reinhardt sich bereits in der Vorbereitungsphase einer Inszenierung in die jeweiligen Schauspieler einfühlte und von diesen ausgehend seine Konzeption erarbeitete. Die Proben leitete er dann zwar entsprechend dem festgelegten Schema seines Regiebuchs, aber stets in Zusammenarbeit mit den Schauspielern, wie Gertrud Eysoldt berichtet: „Reinhardt hat sein Buch. Wir unsere Rollen. Jeder hat das Seine mitgebracht, ausgearbeitet oder gelernt und trägt es in wichtigen Händen. Und Buch und Rollen und Ideen werden hier vom Strömen sich begegnender Sinne umgeschmolzen".204 In dieser produktiven Begegnung von Schauspielern und Regisseur zeigt sich, daß Reinhardt bei aller Vehemenz, mit der er letztlich seine Ideen durchgesetzt hat - Theater nicht primär als Leistung eines Einzelnen, sondern als Ensembleleistung verstanden hat. So beschreibt der Dramaturg Heinz Herald, „wie stark er in jedem Augenblick die Zügelung des Ganzen in der Hand hat, wie er alles in vorbestimmte Bahnen lenkt, die seine Phantasie schon durchmessen hat, ohne deswegen immer starr in jeder Kleinigkeit bei der einmal gefaßten Meinung auszuharren, wie er jeden Einzelnen befeuert, steigert, befruchtet, sein Innerstes mühsam ans Tageslicht bringt." Die Flexibilität Reinhardts im Umgang mit den eigenen Gestaltungsideen habe zwangsläufig aus der Tatsache resultiert, „daß die lebendige Persönlichkeit" des Schauspielers „sich nicht völlig berechnen läßt" und dadurch mitunter „des sauber zurechtgelegten Schemas spottete."205

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Bab 1928, 132. Vgl. auch Teil I, Kap. 3 a der vorliegenden Arbeit.

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Herald 1 9 8 4 , 2 2 1 . Eysoldt 1 9 8 4 , 7 9 . Herald 1984, 68.

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Es ist exakt diese Einsicht, welche Craig verweigert hat. Nach seiner Auffassung, wie er sie erstmals 1905 in The Art of the Theatre dargelegt hat, sei die Theaterinszenierung in erster Linie das abgeschlossene Kunstwerk eines einzelnen Künstlers. Jedes Einmischen anderer Personen in den Schaffensprozeß verändere oder beeinfluße das künstlerische Ergebnis unweigerlich, denn „each of whom see or think differently".206 Indem Craig diese Möglichkeit einer schöpferischen Zusammenarbeit aller an der Inszenierung Beteiligten gänzlich ausschließen wollte, negierte er in ungewöhnlich radikaler Weise, daß Theater traditionell eine Kunstform ist, die kollektiv entsteht bzw. an Gemeinschaftsarbeit gebunden ist. Es ist insofern naheliegend, daß sich in der Zuspitzung seiner Forderung, wonach generell nur eine Person alle Gestaltungsvorgänge selbst ausfuhren solle, der Einfluß seiner langjährigen Tätigkeit als Grafiker manifestiert hat - eine Tatsache, die bislang von der theaterwissenschaftlichen Forschung übersehen worden ist. Dies ist umso erstaunlicher, da Craig selbst im Jahre 1922 einen Aufsatz mit dem Titel Wood-Engraving and the Theatre verfaßt hat: „What has wood-engraving to do with the theatre? Besides its use for embellishing posters, programmes and the illustrating of books on the theatre (...) I have personally found it closely connected with the theatre".207 Zunächst läßt sich eine Parallele der Craigschen Regiekonzeption zum Entstehungsprozeß des Holzschnitts feststellen. Infolge der Aufwertung des Handwerklichen seit John Ruskin und William Morris wurden die Arbeitsprozesse bei der Herstellung einer Grafik nicht mehr geteilt in Vorzeichnung des Künstlers und Ausfuhrung durch einen spezialisierten Handwerker, der die Zeichnung auf die Druckplatte übertrug, sondern der Künstler vollzog alle Arbeitsgänge selbst. So fertigte Craig generell keine Vorzeichnungen an, sondern skizzierte seine Bildidee in groben Umrissen direkt auf den Block, die er dann in einem weiteren Arbeitsgang mit Hohleisen und Schneidemessern aus dem Holz herausarbeitete und schließlich selbst druckte: „By that I do not mean that I send it out for it to be printed by hand - some other hand. I print it with my own hand."208 Das Endergebnis war somit die eigenverantwortliche Leistung eines Künstlers, der den gesamten Entstehungssprozeß steuert. Dieses Arbeitsprinzip forderte Craig für das Theater: Ebenso wie der Grafiker die Oberfläche des Holzblocks entsprechend seiner Bildidee bearbeitet und jede Einzelheit bis zum fertigen Druck selbst ausfuhrt, soll der Regisseur ein ähnlich unmittelbares Verhältnis zu den komplexen Gestaltungsvorgängen seiner Inszenierung entwickeln. Ein weiteres Indiz für die Übertragung von Prinzipien der bildenden Kunst auf das Theater ist Craigs Werkbegriff209: Ein Bildhauer, Maler oder Grafiker entwirft traditionell sein Kunstwerk, fuhrt es aus und damit ist es abgeschlossen, unveränderlich. Diesen genuin bildnerischen Arbeitsprozeß beschreibt Craig in seinem wohl bekanntesten und umstrittensten Aufsatz The Actor and the Über-Marionette, den er im März 1907 in Florenz verfaßt hat, anhand eines fiktiven Gesprächs zwischen einem Schauspieler, einem Musiker und einem Maler. Die sprachliche Führung des Gesprächs zeigt deutlich, daß Craig die Position des Malers einnimmt, der den Schauspieler darüber belehrt, warum das mimische Spiel - im Gegensatz zur Malerei und Musik - keine Kunst sein könne. Er betont, daß der bildenden 206 207 208 209

Craig 1905, 60. Craig 1922, 956. Ebd. Zur Geschichte des Werkbegriffs vgl. Thierse 1990.

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Kunst, ebenso wie der Musik, die er in diesem Fall auf eine Stufe stellt, „laws which control our arts" wesenseigen seien. Der Maler fährt fort, die spezifischen „laws" der Bilder zu beschreiben: „A picture (...) may consist of four lines, or four hundred lines, placed in certain positions; it may be as simple as possible, but it is possible to make it perfect. That is to say, I can first choose that which is to make the lines; I can choose that on which I am to place the lines: I can consider this as long as I like; I can alter it; then in a State which is both free from exitement, haste, trouble, nervousness, in fact in any State I choose, (...) I can put these lines together (...). The line can be straight or it can wave; it can be round if I choose (...). And then it is ready .... finished .... it undergoes no change but that which Time, who finally destroys it, wills."210 Craig setzt in dieser Passage die spezifischen Entstehungsbedingungen eines Werkes der bildenden Kunst und dessen endgültige Fixierung auf der Fläche, wie er es aus der Grafik kannte, als Vorbild für das Theater. Dieser Werkbegriff mußte zwangsläufig mit der komplexen Struktur des Bühnenkunstwerks kollidieren, vor allem aber mit dem traditionellen Protagonisten des Theaters, dem menschlichen Darsteller. Während Reinhardt sein Regiekonzept stets im Verlauf der Proben aufgrund der einfühlenden Zusammenarbeit mit den Schauspielern modifiziert hat, näherte sich Craig dem dogmatischen Regiedrill des Herzogs von Meiningen an, der entsprechend seiner Bildidee jede Bewegung der Darsteller in z. T. jahrelanger Probenarbeit genauestens einstudieren ließ. Analog war für Craig ein Zugeständnis an die schöpferische Mitarbeit des Schauspielers ausgeschlossen, es zählte nur die übergeordnete Bildkonzeption des Regisseurs. Als beredeter Ausdruck dieser Auffassung können die Black Figures gelten, welche Craig für seine Hamlet-Inszenierung am Moskauer Künstlertheater zwischen 1908 und 1912 angefertigt hat. Während dieser fast vierjährigen Vorbereitungsphase spielte er jede Bühnenbewegung auf einer eigens angefertigten Modellbühne mittels 17 bis 25 cm hohen Figuren aus Pappe und Holz durch. Folglich hatte Craig den Hamlet bereits lange vor Beginn der Proben auf seiner Modellbühne in Florenz inszeniert, d. h., er trat in Moskau mit sehr genauen optischen Vorstellungen an die Darsteller heran. Um den Schauspielern sein Regiekonzept zu verdeutlichen, erfand er sogar eine für das Theater bis dahin ungewöhnliche Methode: Er legte ihnen in Schwarz gedruckte Abzüge seiner Modelltheater-Figuren vor - Black Figures (Abb. 25). „Into each engraving of each character in the play I have put what I saw in my mind's eye, and not to exhibit as wood-cuts, but to show the actor what I had seen."211 Diese Vorgehensweise läßt sich nicht allein mit der Tatsache erklären, daß Craig ebensowenig des Russischen mächtig war wie die Schauspieler des Englischen, denn Craig lehnte nicht nur die Übersetzung eines Dolmetscher ab, sondern grundsätzlich die Transformation seines optischen Gestaltungskonzepts in das Medium Sprache. Die Black Figures boten ihm vielmehr die Möglichkeit einer direkten Vermittlung „without a word said".212 Ihm ging es primär nicht darum, dem Schauspieler bei der psychologischen Einfühlung in die Rolle behilflich zu sein, so, wie es Konstantin Stanislawski am Moskauer Künstlertheater praktiziert hat,

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Craig 1908, 43f. Craig 1922, 956. Ebd.

II. 2. Regie als bildende Kunst

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sondern darum, ihm ein optisches Korsett anzulegen, das er mittels seiner Black Figures vorgab. Die Schauspieler sollten weitestgehend die Gestalt der Holzschnitte annehmen. Bewegungen wurden im Rahmen dieser Ganzkörpermaske auf wenige Gesten reduziert, und Craig wählte besonders schwere Stoffe für die Kostüme aus, so daß die Gewandfalten wie in Stein gemeißelt erschienen.213 Craig veranlaßte damit, „intelligent actors almost to become puppets"214, wie er es bereits 1905 in The Art of the Theatre angedeutet hat. Die Schauspieler fungierten demnach als lebende Puppen, welche die von ihm auf der Modellbühne mit den Holzfiguren entwickelten Bewegungsschemata möglichst unverändert zu reproduzieren hatten. In diesem Sinne beschrieb er 1911 die Vorzüge der Maske gegenüber der vom Regisseur schwer kontrollierbaren Mimik des individuellen Schauspielers: „The advantage of a mask over a face is that it is always repeating unerringly the poetic fancy, repeating on Monday in 1912 exactly what it said on Saturday in 1909 and what it will say on Wednesday in 1999. Durability was the dominant idea in Egyptian art. The theatre must learn that lesson."2'5 Obwohl die Moskauer Hamlet-Inszenierung 1912 von der internationalen Theaterkritik als durchschlagender Erfolg gefeiert wurde, war Craig mit dem Ergebnis gänzlich unzufrieden.216 Die Erfahrung von Moskau veranlaßte ihn sogar, sich für fast fünfzehn Jahre vom öffentlichen Theaterbetrieb zurückzuziehen.217 Ausschlaggebend war hierfür u. a. die Tatsache, daß die Moskauer Schauspieler seine Anweisungen nicht in der von ihm geforderten Bedingungslosigkeit angenommen und ausgeführt hatten: „... it is hard to remain patient and silent while my imaginings are being messed about."218 Dementsprechend vermerkte er in seinem Regiebuch während der Moskauer Probenarbeit: „The quiet work in the room with the models ... I enjoy the most"219, denn diese Holzfiguren waren weitaus gefügiger und manipulierbarer als eigenmächtige Schauspielerpersönlichkeiten. Die Schwierigkeiten im Umgang mit den Schauspielern bestätigten seinen bereits 1908 in The Actor and the Über-Marionette veröffentlichten Vorschlag, den menschlichen Darsteller durch eine künstlische Figur zu ersetzen. Diese Feststellung basierte auf der Erkenntnis, daß die menschliche Persönlichkeit aufgrund ihres individuellen Darstellungswillens letztlich unberechenbar sei. Jedes Schauspiel bleibe zwangsläufig den Emotionen der Darsteller unterworfen, und diese subjektiven Gefühle seien für den Regisseur nicht kalkulierbar: Sie spiegeln sich nur bedingt kontrollierbar im Gesicht des Schauspielers, in seinen Bewegungen, in seiner Stimme.220 Damit erklärte Craig den menschlichen Darsteller - im krassen Gegensatz zum adaptiven

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Vgl. Bablet 1965, 157-187, hier: 179. Zur umfassenden Rekonstruktion dieser Inszenierung vgl. die grundlegende Untersuchung von Senelick 1982 sowie die Abb. ebd. Craig 1905, 66. Craig 1911. (Zitiert nach Leeper 1948,46.) Vgl. Bablet 1965, 185-187; Innes 1983, 159-175. Vgl. den Brief von Craig an J. Poulsen vom 29. 8. 1926, veröffentlicht in: Craig 1930a, 5. Erst im Jahre 1926 arbeitet er wieder an einem kommerziellen Theater (Kopenhagen, Royal Theater: Ibsens Kronprätendenten). Craig, handschriftliche Notiz in K. Stanislawski: My life in Art. London 1924, 522 (Craig-Bibliothek, BN). Craig, handschriftliche Bemerkung im Hamlet-Regiebuch. Eintragung vom 20. 4. 1910 (BN). Vgl. Craig 1908, 38. Daß Craig hierin Ideen des französischen Symbolismus verarbeitet, wird im folgenden Kapitel zu untersuchen sein.

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II Bild-Bewegung: Theaterinszenierung als Komposition

Regiestil Max Reinhardts - zum störenden Unsicherheitsfaktor, weil er das Regiekonzept des Regisseurs entscheidend gefährden könne. Dies betraf einerseits die mögliche Verweigerung einer Regievorgabe bzw. ihre inadäquate Ausfuhrung, andererseits meinte sein Verdikt auch, daß jede Theaterauffuhrung in unliebsamer Weise von der jeweiligen Tagesform der Schauspieler abhängig sei: „See Paintings Sculpture Architecture - what of all these what strikes us strikes our neighbour ... that the Venus stands so."221 Hierin zeigt sich ein weiteres Mal Craigs Orientierung am Werkbegriff der bildenden Kunst: Während die vom Bildhauer aus dem Stein gehauene Venus-Statue als Kunstwerk definitv abgeschlossen und fixiert ist, sind auf der Theaterbühne einmal einstudierte Bewegungen nie absolut genau wiederholbar. Folglich sei jede Auffuhrung, so Craig, ein Zufallsprodukt und „accident is an enemy of the artist. Art is the exact antithesis of Pandemonium, and Pandemonium is created by the tumbling together of many accidents; art arrives only by design. Therefore in order to make any work of art it is clear we may only work in those materials with which we can calculate. Man is not one of these materials."222 Der Begriff „material" ist hierbei von Bedeutung, der bereits in seiner frühen Schrift The Art of the Theatre auftaucht. Indem Craig die Erfahrungen seiner Tätigkeit als Grafiker auf die Theaterbühne übertrug, war es nur folgerichtig, daß der menschliche Darsteller diesem an der bildenden Kunst geschulten Materialbegriff widersprach. Der Schauspieler eigne sich, so Craig, aufgrund seiner Individualität, Emotionalität und seines Bestrebens nach eigenständigen künstlerischen Ausdrucksmöglichkeiten nicht dazu, das „medium for another's thoughts"223 zu sein. Bereits um das Jahr 1904 favorisierte Craig in einer bislang unveröffentlichten Notiz die bildnerische Arbeit mit leblosen Materialien: „And art is the power to put life into that which is dead. To make to live. To make to seem to have life. But art is not to put life into what already possesses life. Clay is dead - an artist is he who can make it seem to live".224 Folglich zog Craig in seinem heftig umstrittenen Aufsatz The Actor and the Über-Marionette die für ihn einzig mögliche Konsequenz. Ihm lag es näher, als MalerRegisseur mit Materialien zu arbeiten, die formbar sind und keinerlei Anspruch auf individuellen Ausdruck erheben.225 In diesem Sinne beschloß er auch sein Traktat The Art of the Theatre: „... we are permitted to attempt to give form to an idea in whatever material we find or invent".226 Während Georg Fuchs und Peter Behrens das visuelle Konzept Bild als 221

Craig, Uber Marions-B, 1905-1906, 17 (BN).

222 223 224 225

Craig 1908, 37f. Ebd., 40. Craig, handschriftliche Notiz, um 1904, in: Symons 1903, Frontispiz (Craig-Bibliothek, BN). Es soll nicht unerwähnt bleiben, daß Craig zur Unterstützung dieser Gedanken auch nach historischen Vorläufern suchte. Beispielsweise bezieht er sich auf den Maler Ph. J. de Loutherbourg (1740-1812), der zunächst leitender Dekorationsmaler im Londoner Drury Lane Theatre war und im Jahre 1781 eine Vorform des bewegten Dioramas, das Eidophusikon, erfand. Mittels Transparentmalerei und Lichteffekten bildete Loutherbourg auf einer Miniaturbühne verschiedenste Naturphänomene und Katastrophen nach. Diese Ansichten wurden zumeist als Bildfolge in zwei Akten vorgeführt. (Vgl. Allen 1966.) Craig 1904, 80 beschreibt das Eidophusikon in seinem Sinne als positives Beispiel eines Theaters, bei dem der Maler seine eigenen Bildphantasien verwirklicht, ohne auf einen Schauspieler Rücksicht nehmen zu müssen: „De Loutherbourg (...) hatte anfangs für David Garrick, später für sich selbst gearbeitet. Bei diesem seinem eigenen Unternehmen hatte er von den Schauspielern Abstand genommen. Weshalb sollten die Schauspieler die Aussicht verderben ...?" Craig 1905,71.

226

II. 2. Regie als bildende Kunst

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Fläche in die Theatertheorie einführten, übertrug Craig in der Nachfolge Hubert von Herkomers das Material- und Werkverständnis eines bildenden Künstlers auf das Theater. Diese Tatsache kann - im theater- wie kunsthistorischen Kontext betrachtet - als eines seiner größten Verdienste gelten, denn Craig legte im Jahre 1905 die Grundlage für einen erweiterten Theaterbegriff, der schließlich ermöglicht hat, daß Theater weder von der dramatischen Literatur, noch vom menschlichen Darsteller abhängig ist. Nach Craigs Auffassung könne der ideale Regisseur vollkommen selbstbezüglich mit jedem Material Theater machen. Allein die künstlerische Intention entscheide demnach über die Wahl des Mediums. Mit diesem avantgardistischen Materialbegriff ließ Craig Henry Irving, Max Reinhardt, Georg Fuchs, die Meininger, aber auch Hubert von Herkomer weit hinter sich, denn jede dieser Theaterkonzeptionen rechnete mit der unweigerlichen Bühnenpräsenz des menschlichen Darstellers, der trotz einer zuweilen starken Betonung der Ausstattung bzw. bühnentechnischer Effekte doch letztlich stets das handlungstragende Element jeder Aufführung geblieben war. Craigs Theaterkonzeption bildet damit den Ausgangspunkt einer Entwicklung, welche das Theater im Verlauf des 20. Jahrhunderts in die gattungsüberschreitenden Tendenzen der Moderne integriert hat, deren Spannweite von Wassily Kandinsky über die italienischen Futuristen, Kurt Schwitters, dem Dessauer Bauhaus, Fernand Leger bis zur Performance- und Happeningbewegung der 60er/70er Jahre reicht.227 Unter anderem haben diese Theaterexperimente schließlich auch in der Forschung dazu geführt, über eine Neudefinition der Kunstform Theater nachzudenken. So sieht der Prager Strukturalist Jan Mukarovsky das „Wesen" des Theaters „in einem schillernden Band ständig sich umgruppierender unstofflicher Beziehungen". Entscheidend für den vorliegenden Zusammenhang ist Mukarovskys Überzeugung, daß keine der verschiedenen „Komponenten des Theaters", auch nicht der Schauspieler, „als grundlegend, als unerläßlich für das Theater angesehen werden"228 könne. In diesem Sinne vermerkt Craig 1908, daß der Regisseur eine bestimmte Darstellungsintention losgelöst vom menschlichen Darsteller betrachten solle, weil diese sich ebenso äußern könne „through something to do with line, colour, movement - things far removed from impersonation or representation".229 Während Craig mit „impersonation" die individuell-lebendige Verkörperung einer dramatischen Rolle durch den menschlichen Darsteller meinte, verstand er unter dem Begriff „representation" die „visible world as shown by means of Scene".230 Craigs grundsätzliche Verweigerung einer individuellen schauspielerischen „impersonation" kennzeichnet als ein weiterer grundlegender Aspekt seine Zugehörigkeit zur symbolistischen Theaterästhetik, wie im folgenden Kapitel zu zeigen sein wird.

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Auf den Bezug zu Performance- und Happeningbewegung hat bereits Fiebach 1991, 98 hingewiesen. Mukarovsky 1975, 84, 82. Craig 1908f, 146. Craig beschreibt in diesem Aufsatz eine Restaurantszene und kommt zu dem Schluß, daß die menschlichen Darsteller letztlich nicht nötig seien: „And then, although it is the waiters who make the most impression on me as I sit here watching them, when we come to transfer it to a platform or a canvas it is not necessarily through these figures of the waiters that we shall produce the same impression as I am now receiving. More likely it will be through something to do with line, colour, movement - things far removed from impersonation or representation". (Ebd., 145f.) Craig 1908a, 32f.

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II Bild-Bewegung: Theaterinszenierung als Komposition

3. „Argument is silenced"231: Craigs Verabsolutierung der Opsis a) „Not stories, but sights"232 Sein Traktat The Art of the Theatre beschließt Craig mit einer Definition der Grundelemente, welche nach seiner Auffassung die vom idealen Regisseur entworfene Theateraufführung charakterisieren: „action, scene and voice." Mit dem Begriff „action" meint er „gesture and dancing", „scene" umfaßt den gesamten Komplex der Ausstattung und Beleuchtung, und „voice" definiert er als „spoken word or the word which is sung". Jedes dieser Elemente sei in seinem Materialwert zunächst gleichwertig: „One is no more important than the other, no more than one colour is more important to a painter than another".233 Analog dem Maler, der mit den Farben seiner Palette auf der Leinwand ein Bild entwirft und ausführt, soll der Regisseur mit diesen Grundfarben auf der Bühne sein Theaterkunstwerk komponieren. Im Jahre 1904 vermerkt er in einem seiner unveröffentlichten Notizbücher, wie er sich diesen Gestaltungsprozeß vorstellt: „* We select our idea for presentation, such as Content - Peace - Love - Despair * we keep each of these separate - or we may take 2 for presentation together. * In a large a subject as ,Love' it will be necessary to divide the presentations into several parts Opus I: Opus II: & so on. * Such titles as Content, Love, etc. may be all too much of a good thing. * Smaller & more charming titles must be used. * The scene shall be designed first - the tones & colours fixed. (...) * The figures & their costumes are next designed. We now have all which is stationary. * Now the movements of the figures in this or that pattern - each movement connected with the other. * And with these movements ... come words a few or many, as is necessary."234 In der hier angegebenen Hierarchie der Gestaltungsvorgänge zeigt sich, daß Craig die visuellen Komponenten action und scene eindeutig favorisiert, d. h., dem von ihm gewählten Thema entsprechend entwickelt er zunächst die szenische Ausstattung, in die er Kostüme und Bewegungen der Figuren hineinkomponiert. Verbale Elemente ergeben sich aus den jeweiligen Bühnenbewegungen und werden erst nach Fertigstellung des optischen Konzepts hinzugefügt. Die Sprache ist zwangsläufig den visuellen Elementen untergeordnet, da ansonsten der angestrebte Fluß der Bewegungen gestört wäre. Eine klassisch dramatische Dialogstruktur ist somit nicht denkbar, sondern nur eingestreute Worte oder Wortgruppen, die mit den optischen Bühnenvorgängen verschmelzen. Die Worte, so schreibt Craig 1908, „shall play their part in the general impression, but their part is (...) to add touches of colour; they shall bring colour to the impression - a colour of sound".235 Nicht nur die Diskursivität von Sprache wird damit bewußt ausgeschaltet, sondern auch deren handlungstragende Funktion, welche nunmehr vom bewegten Bühnenbild übernommen wird. Bereits im Jahre 1903 notiert er in einem seiner Notizbücher: „What I would do is to reverse the order of the settings - action accompanies the words of the Poet & action is 1/16 231 232 233 234 235

Craig 1911,262. Craig 1904, handschriftliche Notiz in: Ms A 45, 1903-1904, 64 (BN). Craig 1905, 71, 52. Craig, handschriftliche Notiz in: Ms A 45, 1903-1904, 67 (BN). Craig 1908f, 148. Zur Problematik des Klangs vgl. Teil II, Kap. 4 c der vorliegenden Arbeit.

II. 3. „Argument is silenced": Craigs Verabsolutierung der Opsis

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of the whole, the words 1 5 / 1 6 - 1 would have action the body of the work & the words the appendages."236 Es sei eine Kunst, „which says less yet shows more than all".237 Daß dabei Wortsprache gänzlich entbehrlich sein könne, vermerkt er im Jahre 1913: „I feel that dramas should never teil you anything. I don't mean that you should never hear any word spoken, although that would be a great blessing".238 In dieser Position eines „unspoken drama"239 finden sich zunächst Anknüpfungspunkte zu Hubert von Herkomers Pictorial Music-Plays. Ebenso wie Craig entwickelte bereits Herkomer die visuellen Vorstellungen zu seinen Inszenierungen nicht aus dem dramatischen Text, sondern er ging den umgekehrten Weg: Bewegte Bilder waren der Ausgangspunkt, und aus diesen optischen Konstellationen ergaben sich erst die spärlich eingesetzten gesprochenen Worte. Herkomer lehnte hierfür die klassische Dialogstruktur ab. Sprache verwandte er erklärtermaßen, „only when it is absolutely necessary to carry on the story."240 Die story wiederum erfand Herkomer lediglich, „to give reason to the changes of pictorial effects".241 Es ging ihm nicht primär um das Erzählen einer kausallogischen Geschichte bzw. einer Fabel242, welche bereits Aristoteles als die Grundlage der Tragödie definiert hat243, sondern um pictorial effects bzw. um pictorial incidents. Analog kann man auch Craigs Vermerk in seinem Notizbuch vom November 1904 verstehen: „Not stories, but sights - I show you."244 Die Herkomerschen pictorial incidents wurden demnach bei Craig zu sights. In seinem Aufsatz In a Restaurant aus dem Jahre 1908 erläutert Craig anhand eines Beispiels aus dem täglichen Leben, was er unter sights verstand. Er beschreibt eine Situation, in der er wie durch ein Kameraobjektiv das bewegte Treiben in einem Restaurant beobachtet. Sein „sweeping glance" erfaßt Kellner, die geschäftig den Raum durchqueren, während die Gäste essend und plaudernd an den Tischen sitzen, deren unterschiedlichste Gruppierungen er wahlweise fokussiert und genauer betrachtet. „Here is no play certainly, no words; and no series of incidents, no development of any greater character. Yet it is Drama. It is enough; there is an impression, and a strong one (...). I find the conventional forms are useless. No five-act play is before me, no Tragedy, no Comedy. A study - a sketch, an impression, a specimen." Angesichts dieser bewegten „powerful picture[s]" sieht Craig keinerlei Notwendigkeit für „words, (...) character, plot, story as told by words".245 Sprache, Handlung246 und

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Craig, handschriftliche Notiz in: Ms A 45, 1903, 5 (BN). Craig 1906, 549. Craig 1913, 23. Craig 1911, 137, Anm. Herkomer 1889, 316f. Herkomer 1911,43. Zum Verhältnis von Geschichte und Fabel im Drama vgl. Pfister 1977, 266-268, hier: 266: „Der Geschichte als einer Kategorie auf der Ebene des Dargestellten entspricht auf der Ebene der Darstellung die Fabel. Beinhaltet die Geschichte das rein chronologisch geordnete Nacheinander der Ereignisse und Vorgänge, so birgt die Fabel bereits wesentliche Aufbaumomente in sich - kausale und andere sinnstiftende Relationierungen, Phasenbildung, zeitliche und räumliche Umgruppierungen usw."

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Aristoteles 1979,25ff. versteht die Fabel als „Seele der Tragödie". Craig November 1904, handschriftliche Notiz in: Ms A 45, 1903-1904, 64 (BN). Craig 1908f, 146, 143, 144, 148. Bei Aristoteles 1979, 25ff. ist die Fabel mit der Handlung des Stücks identisch. Er definiert sie als „Verknüpfung von Begebenheiten", als Handlungs- und Ereignisfolge, und benennt die wichtigsten Charakteristika: Ganzheit, Einheitlichkeit und kausale Geschlossenheit. (Vgl. Szondi 1965, 9-19.)

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II. Bild-Bewegung: Theaterinszenierung als Komposition

Fabel werden damit gleichermaßen negiert, denn es ging ihm weder um den Aufbau von psychologisch ausdifferenzierten, konfliktfähigen Charakteren, die als handelnde Individuen seit Aristoteles für das traditionelle literarische Drama kennzeichnend waren247, noch um eine zwingend kausale Verknüpfung der Begebenheiten im Sinne einer sprachlich vermittelten Fabel. Ihn interessierte allein der Bildeindruck und die „under-currents"248, welche sich als „silent speech. A speech of actions"249 außersprachlich-visuell erschließen. So gibt er das Beispiel eines Bildausschnitts innerhalb des Restaurant-szgAte: „The powerful picture of two of the eaters, their amazingly entertaining actions, (...) the air of friendship which passes from one to the other and the more certain under-current - the sense of animosity."250 „On the stage what impresses us", vermerkt er 1905 in einem Notizbuch, „is not what is said but what is done & how it is done."251 Für Herkomer war die Bedeutung der story, der Fabel, den pictorial incidents aus dem Grunde untergeordnet, weil ihn in erster Linie die perfekte Nachbildung natürlicher Phänomene in bewegten Bildern interessiert hat, so z. B. die verschiedenen Farbnuancen einer allmählich untergehenden Sonne. Die illusionistische Perfektionierung des empirisch wahrnehmbaren Erscheinungsbildes der Natur war demnach sein Hauptanliegen in der Bühnendarstellung, weshalb Sprache und Fabel in den Hintergrund rückten. Craig erstrebte keine mimetische Abbildung von äußerer Wirklichkeit und lehnte daher die aristotelische Fabel aus anderen Gründen ab. Im Jahre 1903 notiert er: „A story is not a necessity, a Passion yes!252 Er erklärt nicht näher, was er konkret unter passion versteht, aber es ist naheliegend, daß Craig den Begriff story mit dem Wort, dem Begriff, dem Logos assoziiert, während er passion der Empfindungsebene zuordnet. Diesen Bereich sollen die shows des Regisseurs, welche nicht aus verbalsprachlichen, logozentristischen stories, sondern aus sights bestehen, ansprechen: „An art which is simple for all to understand it feelingly".253 Während „the poets (...) would put difficult psychological thoughts before the public expressed in difficult words, (...) whereas the theatre must show them sights, show them life, show them beauty, and not speak in difficult sentences. And the reason why the theatre is being kept back to-day is because the poet is pulling one way, saying they should only be given words, using the theatre and all its crafits as a medium for those words; and the people are pulling the other way, saying they desire to see the sights, realistically or poetically shown, not turned into literature."254

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Pfister 1977, 268-271 differenziert diesen Handlungsbegriff dahingehend, „daß jede Handlung und jede Handlungssequenz eine Geschichte oder Teil einer Geschichte ist; daraus folgt aber nicht, daß jede Geschichte nur oder auch nur zum Teil aus Handlungen oder Handlungssequenzen besteht. (...) .Geschichte' erweist sich als der weitere Begriff, wobei Handlung durch die differentia speciflca einer intentionalen Situationsveränderung von anderen Formen oder Bestandteilen von Geschichte abgegrenzt wird." Vgl. Szondi 1965, 14-19. Craig 1908f, 143. Craig 1903, handschriftliche Notiz in: Ms A 45, 1903-1904, 6 (BN). Craig 1908f, 144. Craig, handschriftliche Notiz in: Ms A 42, 1905, 30 (BN). Craig Oktober 1903, handschriftliche Notiz in: Ms A 45,1903-1904, 3 verso (BN). Craig 1906, 549. Craig 1905a, 11 f.

II. 3. „Argument is silenced": Craigs Verabsolutierung der Opsis

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Craig plädiert hier für ein rein visuell bestimmtes Theater, das direkt und ausschließlich den Augensinn anspricht und nicht den Umweg über das Ohr, die Literatur, nimmt. In diesen Positionen aus den Jahren 1903-1908 zeigt sich folglich jene Dominanz der Opsis über den Logos, die Craigs exponierte Stellung innerhalb des kulturhistorischen Paradigmas der Visualisierung zu Beginn des 20. Jahrhunderts kennzeichnet. So vermerkt er 1903 in einem seiner Notizbücher: „To learn a mans character & life it is not necessary to hear him speak. With the invisible cap on our heads we have only to enter his room & observe him. (...) his actions & his manner (...) are his thoughts & character. (...) At the Lawyers. Who are the people waiting in the outer Chamber. They are silent, but watch & we shall learn their whole history. They go into the office - now they come out - each man & woman explains without a word all that has transpired - we only need Eyes."255 Diese frühe, bislang unveröffentlichte Notiz verdeutlicht, daß Craig nicht nur für ein außersprachliches Theater plädiert, sondern weitergehend für eine differenzierte Schulung des Auges und damit eine neue Kultur des Sehens. Sights sind nach Craigs Auffassung weniger präzise in ihrer Bedeutung festgelegt als Sprache. Beispielsweise notiert er im November 1904: „I give you shows (...). Whatever value you may find in them will be of your finding. This will be beautiful or that will be ugly just as your eyes make it seem so. Not stories, but sights I show you. If you choose to invent a meaning to anything you may see, that will be as I wish, but I will not answer for it that it will be what I mean. For what we see, far more than what we hear, has many meanings - a different meaning to each. So I leave to each of you a free mind."256 Hierin deutet sich eine Analogie zu Positionen der zeitgenössischen Sprachskepsis an, wie sie Friedrich Nietzsche bereits in den 1870er Jahren vertreten hat. Er bezeichnete die Wortsprache als „das Netz der .deutlichen Begriffe'" 257 , welches die komplexen Erfahrungswerte des Menschen reduziere. Hugo von Hofmannsthal knüpfte an diese Kritik an, indem er beispielsweise 1891 in seinem Tagebuch vermerkt: „Die Sprache (sowohl die gesprochene als die gedachte, denn wir denken heute schon fast mehr in Worten und algebraischen Formeln als in Bildern und Empfindungen) lehrt uns, aus der Alleinheit der Erscheinungen einzelnes herauszuheben, zu sondern; durch diese willkürlichen Trennungen entsteht in uns der Begriff wirklicher Verschiedenheit und es kostet uns Mühe, zur Verwischung dieser Klassifikation zurückzufinden und uns zu erinnern, daß gut und böse, Licht und Dunkel, Tier und Pflanze nichts von der Natur Gegebenes, sondern etwas willkürlich Herausgeschiedenes sind."258 Hofmannsthals Antwort auf diese begrifflich-formelhafte Reduktion der Sprache war die Suche nach alternativen poetischen Ausdrucksformen, nach sprachlichen „Bildern, Gleichnissen, Symbolen, Metaphern"259, wie Ethel Matala de Mazza nachgewiesen hat. In diesen

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Craig 1903, handschriftliche Notiz in: Ms A 45, 1903-1904, 6f. (BN). Craig November 1904, handschriftliche Notiz in: Ms A 45, 1903-1904, 64 (BN). Nietzsche 1981, 307. Hofmannsthal 1980, 324. (Tagebucheintragung vom 21. 3. 1891.) Matala de Mazza 1995, 91.

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II. Bild-Bewegung: Theaterinszenierung als Komposition

Zusammenhang gehört auch der 1979 von Carlpeter Braegger aufgezeigte Tatbestand, wonach für Hofmannsthal die Malerei als das Bildmedium per se vorbildhaft gewesen ist. So notiert der Dichter beispielsweise: "Poesie (Malerei): mit Worten (Farben) ausdrücken, was sich im Leben in tausend anderen Medien komplex äußert."260 Hofmannsthals Poetologie kann demnach als Reflex des Paradigmas der Visualisierung verstanden werden, ein Aspekt, der sich auch in dessen Dramenkonzeption niedergeschlagen hat.261 Während Hofmannsthal das diagnostizierte Defizit der Sprache dichterisch zu überwinden suchte, war Craig dem Wort nie in gleicher Weise verpflichtet. Indem er in der oben zitierten Notiz davon ausgeht, daß Bilder mehr Bedeutungsebenen beim Betrachter evozieren als Worte, kann man dies unmittelbar in den Kontext der Sprachskepsis stellen: Hofmannsthal verstand das Wort als begriffliche Reduktion der Vielfalt menschlicher Wahrnehmungen und Gefühle, und er empfand Bilder als adäquateres Medium dieser Komplexität. Craig ging vermutlich gleichfalls von der Vorstellung eines im Vergleich zur Sprache komplexeren künstlerischen Ausdrucks des Bildlichen aus, in der Annahme, daß Bilder in stärkerem Maße Emotionen kommunizieren als die analytische Sprache des Logos. Ein Indiz dafür ist die Tatsache, daß Craig den sights ein-eindeutige Bedeutungsproduktionen absprach, sondern jeder Zuschauer solle den gezeigten Bildern eigene, auch individuell verschiedene Bedeutungen entnehmen. Diese Auffassung impliziert eine Neubewertung des Zuschauers262: Er soll nicht passiv vorgegebene Bedeutungen rezipieren, sondern selbst aktiv generieren. Ein solch aktiver Rezeptionsprozeß basiert in der Vorstellung Craigs auch auf der angestrebten Symbolhaftigkeit seiner sights - eine Idee, die dem Maeterlinckschen Symbolverständnis sehr nahe kommt.

b) Der Einfluß des französischen Symbolismus: Craig und Maeterlinck Der belgische Autor Maurice Maeterlinck (1862-1949), der zu den einflußreichsten symbolistischen Theoretikern, Dichtern und Dramatikern des ausgehenden 19. Jahrhunderts gehört, charakterisiert 1890 das Symbol als „vielgestaltig, geschmeidig, unbestimmt", dessen „tiefe, geheimnisvolle, düstere Stimme im Einklang stehen sollte mit all den Stimmen des

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Hofmannsthal 1980, 400. Zum Einfluß der bildenden Kunst auf Hofmannsthal vgl. Braegger 1979; Matala de Mazza 1995, 90ff. In diesem Zusammenhang ist das von Kessler 1903 geplante Theaterprojekt von Interesse, für das Hofmannsthal ein Masquenspiel verfassen wollte, das von Craig ausgestattet und inszeniert werden sollte. Im Oktober 1903 schwärmt Hofmannsthal in einem Brief an Kessler davon, ein Bühnenstück allein aus einzelnen Bildsequenzen zu „dichten", die der „stage-designer" Craig ihm als „Buchstaben" liefern solle: "Was ich machen will, ist eine vage lyrisch-dramatische Conception (...). Aber mein Scenarium, die Amplitude der äußeren Vorgänge, bis zu denen ich das Pendel schwingen lassen darf, das möchte ich gerade von ihm erfahren, von dem stage-designer." (Hofmannsthal-Kessler Briefwechsel 1968, 56f.; vgl. auch den weiteren Wortlaut des Zitats in Teil II, Kap. 4 b, Anm. 443 der vorliegenden Arbeit.) Hofmannsthal verfaßte ab 1900 auch Pantomimen und Ballette. (Vgl. Teil II, Kap. 4 a der vorliegenden Arbeit.) In diesen Kontext gehört auch, daß Craig beispielsweise im Zusammenhang mit der Moskauer Hamfef-Inzenierung (1912) vorgeschlagen hat, daß die Zuschauer kommen und gehen, wann sie wollen. (Vgl. Bablet 1965, 163.) Diese Idee impliziert eine neuartige Freiheit des Zuschauers gegenüber dem Kunstwerk. (Vgl. Fiebach 1991, 113f.)

II. 3. „Argument is silenced": Craigs Verabsolutierung der Opsis

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Unbekannten".263 Demnach seien Symbole in ihrer Bedeutung nicht präzise festgelegt, so daß eine möglichst große Vieldeutigkeit der Aussage vorausgesetzt werden kann, die für Maeterlinck ein wichtiges künstlerisches Qualitätskriterium darstellte.264 Symbole sollen die Reflexion des Zuschauers anregen. Dieser Aspekt kann ergänzend in Zusammenhang mit Craigs Auffassung von einer im Vergleich zum Wahrnehmungsorgan Ohr vieldeutigeren Opsis gebracht werden: Indem Craig sich sights nicht als realistische Abbildungen von Wirklichkeit, sondern als symbolisch gefilterte Darbietungen allgemein menschlicher Erfahrungen wie „friendship" und „animosity" oder „Content - Peace - Love - Despair"265 vorstellte, waren diese folglich, mit Maeterlinck gesprochen, nicht nur aufgrund ihrer dominanten Visualität mehrdeutig, sondern auch aufgrund ihrer Symbolhaftigkeit. Symbole seien demnach unbestimmt und geheimnisvoll verschlüsselt. In diesem Sinne fordert auch Craig: „Therefore, facts are only to be dimly shown, only by suggestion, not by Statement, (...) in bringing our impression to you we must leave it vague".266 Solch andeutende Darstellungen „should always be a mystery"267 und seien das Gegenteil von „mathematically clear".268 Es kann jedoch nicht davon ausgegangen werden, daß Craig sich eingehender mit Maeterlincks Symbolbegriff beschäftigt hat, den dieser in kleineren französischsprachigen, verstreut publizierten Aufsätzen und Interviews seit 1890 dargelegt hat.269 Craig, der zu diesem Zeitpunkt des Französischen noch nicht mächtig war, hatte zwar die englischen Übersetzungen von Maeterlincks Theaterstücken frühzeitig zur Kenntnis genommen, kannte aber dessen theoretische Schriften lange nicht.270 Seine Informationen über den französischen Symbolismus bezog der junge Craig zunächst vor allem aus den Schriften des Publizisten und Dichters Arthur Symons (1865-1945), dem einflußreichsten englischen „interpreter of the decadence"271, der in den Londoner wie Pariser Künstlerkreisen der 1890er Jahre gleichermaßen bewandert war 272 Symons rezipierte und propagierte nicht nur die neuen französischen Tendenzen des Symbolismus um Stephane Mallarme, Paul Verlaine273, Arthur Rimbaud und Maurice Maeterlinck, sondern bereits seit den 80er Jahren veröffentlichte er Studien über englische Autoren, die den damaligen Vorstellungen von symbolistischer Dichtung entsprachen. So beschäftigte sich Symons eingehend mit Robert Browning, Tho-

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Brief Maeterlinck vom 15. 2. 1890 an A. Mockel: „... Symbole, qu'il soit multiforme, elastique, indecis, il faut que sa voix profonde, mysterieuse, obscure, puisse s'accorder ä toutes les voix de l'inconnu". (Veröffentlicht in: Vanwelkenhuyzen 1964, 210.) Zu Maeterlincks Dramen vgl. Vedder 1978; Gross 1985; McGuinness 2000.

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Vgl. Gross 1985, 9f.; Bayerdörfer 1991, 128. Zu Maeterlincks Symbolbegriff vgl. weiterführend Vedder 1 9 7 8 , 4 5 - 5 3 . Craig, handschriftliche Notiz in: Ms A 45, 1903-1904, 67 (BN). Craig 1908f, 147f. Craig 1913, 23. Craig 1908f, 147f. Vgl. das Interview Maeterlinck/J. Huret in: Huret 1891, 116-129; Maeterlinck 1891. So vermerkte er in seinem Exemplar von Maeterlincks wichtigster Aufsatzsammlung The Treasure of Humble, London 1908 (Craig-Bibliothek, BN): „Began to read this book about Febr. 1909 for the Ist time." Die französische Originalausgabe erschien 1896. Jackson 1922,55. Speziell zu Symons' Rezeption des französischen Symbolismus vgl. Goodman 1969. Gemeinsam mit dem befreundeten Maler W. Rothenstein organisierte Symons beispielsweise 1893 eine Lesung mit Verlaine in Oxford. (Vgl. Rothenstein 1931, Bd. I, 148.)

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II. Bild-Bewegung: Theaterinszenierung als Komposition

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mas Carlyle, Dante Gabriel Rosetti, vor allem aber entdeckte er gemeinsam mit dem befreundeten irischen Dichter William Butler Yeats einen im Laufe des 19. Jahrhunderts fast vergessenen Dichter und Maler: William Blake.274 Eben diese Autoren gehörten zur favorisierten Lektüre des jungen Craig275, der in den 90er Jahren gemeinsam mit seinen Malerfreunden William Rothenstein, James Pryde und William Nicholson in den Kreisen der Londoner „Decadence"276 verkehrte, die sich u. a. im Cafe Royal trafen. Die Bekanntschaft von Craig und Arthur Symons wurde vermutlich bereits vor der Jahrhundertwende durch Rothenstein vermittelt. In den folgenden Jahren waren beide freundschaftlich verbunden und standen nach Craigs Weggang aus England in regelmäßigem brieflichen Kontakt.277 „ Über-Marionette " Im Jahre 1899 erschien Symons' Studie zur Symbolist Movement in Literature, welche der englischsprachigen Leserschaft erstmals die wichtigsten Autoren des französischen Symbolismus kompendiarisch vorstellte.278 Vermutlich durch diese Publikation oder bereits durch frühere verstreute Artikel in englischen Zeitschriften279 lernte der junge Craig die ästhetischen Positionen der Symbolisten in Frankreich kennen, die seine Theatertheorie grundlegend prägen sollten. Dieser Bezug zum Symbolismus wurde in der Forschung bisher oft vernachläßigt, zugunsten einer weitestgehend isolierten Diskussion seiner Theorien, wodurch die Kontinuität künstlerisch-ästhetischer Entwicklungen seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zumeist aus dem Blickfeld geriet. Dies betrifft u. a. Craigs Postulat eines ritualisierten, zeremoniellen Theaters, welches bereits bei Stephane Mailarme zu finden ist.280 Exponiertes Beispiel ist jedoch Craigs Idee der Über-Marionette aus den Jahren 1907/08, deren geistesgeschichtliche und ästhetische Ursprünge eindeutig im französischen Symbolismus des späten 19. Jahrhunderts zu suchen sind.281

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Vgl. Munro 1969, 98-104. Beispielsweise zeichnete Craig in einem unveröffentlichten Brief an seinen Jugendfreund J. P. Cooper vom 15. 5. 1893 (BN) eine Bücherpyramide als eine sprudelnde „Fountain" von Ideen. Auf den Buchrücken vermerkt er u. a. die Namen: J. Ruskin, W. Shakespeare, Dante, T. Carlyle, R. Browning, D. G. Rosetti, J. Keats und W. Blake. Jackson 1922, 55. Craig verließ England endgültig im Sommer 1904. Im Craig-Archiv der BN befinden sich Briefe von Symons an Craig aus den Jahren 1900-1907. Nach Symons' körperlichem Zusammenbruch verkehrte Craig nur noch brieflich mit dessen Frau, Rhoda Symons. Vgl. Symons 1899. The Symbolist Movement in Literature befindet sich in Craigs Bibliothek (BN). Symons 1899, 179197 gibt einen Überblick der seit 1891 verstreut erschienenen englischen Artikel und Übersetzungen von und über die wichtigsten symbolistischen Autoren Frankreichs. Zur Theatertheorie Mallarmes vgl. Block 1963; Tribble 1990, 1-104. Zu einer weitestgehend kontextlosen Darstellung der Craigschen Über-Marionette vgl. Romstöck 1954; Marotti 1961; Bablet 1965; Eynat 1980; Siniscalchi 1980; Innes 1983; Laksberg 1993; Spieckermann 1994; Kirchmann 1997 (in: Louis/Stooss 1997, 70-95). Eine Ausnahme bilden Bayerdörfer 1976; 1991 und Tribble 1990, die Craig im Zusammenhang des europäischen Symbolismus diskutieren.

II. 3. „Argument is silenced": Craigs Verabsolutierung der Opsis

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Unter dem Titel An Apology for Puppets veröffentlichte Arthur Symons 1897 einen Artikel in der renommierten Zeitschrift The Saturday Review, den Craig gekannt hat.282 Symons rekurriert hier auf eine Diskussion, welche in französischen symbolistischen Kreisen seit ca. 1885 geführt wurde und die schließlich 1890 in der Maeterlinckschen Forderung nach Ersatz des menschlichen Darstellers durch eine künstliche Figur kulminierte: „Die Bühne ist der Ort, an dem die Meisterwerke sterben, denn die Aufführung eines großen Werkes wird durch die Vermittlung über nebensächliche, zufällige Subjektivität in sich widersprüchlich. Jedes Meisterwerk ist ein Symbol, und Symbole ertragen keine aktive menschliche Gegenwart. (...) Ich weiß es nicht; die Abwesenheit des Menschen scheint mir allerdings unerläßlich."283 In diesem Verdikt äußert sich ein zentrales Paradigma der symbolistischen Theatertheorie: Der lebendige „Mensch kann einzig für sich selbst sprechen"284 und sei demnach aufgrund seiner Subjektivität nicht in der Lage, das „Symbol der Dichtung"285 adäquat umzusetzen, weil sein persönliches Schicksal und seine persönlichen Ziele in die schauspielerische Darstellung unweigerlich Eingang fänden. Somit werde das „vollkommene Meisterwerk" durch die Zufälligkeit der menschlichen Persönlichkeit zerstört.286 Eben dieses Argument, das bereits 1892 von Oscar Wilde im Daily Telegraph propagiert wurde287, durchzieht Symons' Artikel von 1897 und findet sich schließlich wieder in Craigs berühmt gewordenem Aufsatz The actor and the Über-Marionette. „The marionette may be relied upon", schreibt Symons zehn Jahre vor Craig, „he will respond to an indication without reserve or revolt (...); he can be trained to perfection. As he is painted, so will he smile; as the wires lifit or lower his hands, so will his gestures be" 288 Letztere Aussage hat Craig in seiner Ausgabe von Symons' Plays, Acting and Music (1903) dick angestrichen, in welcher der Aufsatz von 1897 erneut veröffentlicht wurde.289 Insofern muß man die oben hergeleitete These, wonach Craig einen bildkünstlerischen Material- bzw. Werkbegriff auf das Theater überträgt, durch den Tatbestand ergänzen, daß die symbolistische Theaterästhetik per se eine Affinität zum Bildnerischen aufweist, und 282 283

Falls er diesen nicht bereits 1897 zur Kenntnis genommen hat, so dann im Jahre 1903 in Symons Publikation Plays, Acting and Music, wo der Artikel erneut abgedruckt wurde. (Vgl. Symons 1903, 193f.) Maeterlinck 1890, 334f.: „La scene est le lieu oü meurent les chefs-d'ceuvre, parce que la representation d'un chef-d'ceuvre ä l'aide d'elements accidentels et humains est antinomique. Tout chef-d'ceuvre est un Symbole et le Symbole ne Supporte jamais la presence active de Phomme. (...) Je ne sais; mais l'absence de l'homme me semble indispensable." (Dt. Übersetzung in: Lazarowicz/Balme 1991, 364-373, hier: 370f.) Zur Diskussion 1885-1890 in den Zeitschriften Revue Wagnerienne und Revue Independante vgl. Tribble 1990, 458f.; Henderson 1971, 122-133. Zum Vorfeld dieser Diskussion in der Romantik vgl. Taube 1995,156-163.

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Maeterlinck 1890, 335: „L'homme ne peut parier qu'au nom de lui-meme". Ebd., 334: „Le Symbole du poeme". Vgl. ebd.: „chef-d'ceuvre absolu"; „l'accident a detruit le Symbole". Vgl. O. Wilde, offener Brief an den Herausgeber des Daily Telegraph vom 19. 2. 1892 (Neuabdruck in: Wilde 1962, 310ff., hier 311): „Let me note the danger of personality, and pass on to my puppets. There are many advantages in puppets. They never argue. They have no crude views about art. They have no private lives. (...) They recognize the presiding intellect of the dramatist (...). They are admirably docile, and have no personalities at all." Wilde verweist auf das Vorbild der Marionetten in M. Bouchors Pariser Puppentheater, das in Symbolistenkreisen eine wichtige Rolle spielte. (Vgl. Tribble 1990, 282-348.)

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Symons 1897, 55. Vgl. Symons 1903,193. (Craig-Bibliothek, BN.)

II. Bild-Bewegung: Theaterinszenierung als Komposition

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zwar indem sie ein Artefakt dem menschlichen Darsteller vorzieht.290 So hält Maeterlinck 1890 den „Gebrauch der Skulptur" auf der Bühne ebenso für möglich, wie den Ersatz des menschlichen Darstellers durch „einen Schatten (...), einen Reflex, eine Projektion symbolischer Formen oder durch ein Wesen, das sich wie ein lebendiges verhält, ohne doch zu leben"291, denn diese künstlich geschaffenen „Wesen ohne Schicksal"292 seien im Sinne des Dichters beliebig manipulierbar. Als einzig gravierenden Unterschied zur Auffassung Maeterlincks, Symons' und Wildes sieht jedoch Craig nicht die auf dem Papier fertiggestellte Dichtung als das Meisterwerk und damit den „dramatist" als den „presiding intellect"293, dem sich diese künstlichen Figuren auf der Bühne zu fugen haben, sondern die Craigschen Über-Marionetten sollen allein dem Willen des Regisseurs gehorchen, der das Bühnenkunstwerk mit diesem von ihm gestalteten Material einer „symbolic creature"294 erst entwirft. Während also Maeterlinck, Symons und Wilde eine primär dichterische Position vertreten und aus diesem Grunde die manipulierbare künstliche Figur dem menschlichen Darsteller vorziehen, ist Craigs Theoriebildung viel eher durch theatrale und vor allem bildkünstlerische Arbeitsprozesse geprägt, wie bereits gezeigt wurde. „Drama of silence"29S Um Maeterlincks Idee eines „symbolical theatre" zu erläutern, zitiert Arthur Symons in seinem Buch The Symbolist Movement in Literature aus dessen 1896 erschienener Aufsatzsammlung Der Schatz der Armen folgende Passage in englischer Übersetzung: „,I have come to believe (...) that an old man seated in his armchair, waiting quietly under the lamplight, listening without knowing it to all the eternal laws which reign about his house, interpreting without understanding it all that there is in the silence of doors and windows, and in the little voice of light, enduring the presence of his soul and his destiny, bowing his head a little, without suspecting that all the powers of the earth intervene and stand on guard in the room like attentive servants, not knowing that the sun itself suspends above the abyss the little table on which he rests his elbow, and that there is not a star in the sky nor a force in the soul which is indifferent to the motion of a falling eyelid or a rising thought - I have come to believe that this motionless old man lived really a more profound, human, and universal life than

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Dieser Aspekt ist in der theatergeschichtlichen Forschung bislang vorrangig unter dem eher negativ belegten Blickwinkel der Enthumansierung des Theaters betrachtet worden. (Szondi 1965, 61 spricht von „Verdinglichung des Menschen".) Dagegen kann man diese Tendenz auch positiv mit der Nähe zum Bildkünstlerischen beschreiben. So bezeichnet Kolär 1967, 32 das Puppentheater als „sculpture in action". Demnach verschmilzt hier die Theaterkunst mit der plastischen Kunst. (Vgl. auch Rovit 1989, 120f.; Bell 1993.) Maeterlinck 1890, 335: „Sera-ce un jour l'emploi de la sculpture (...)? L'etre humain sera-t-il remplace par une ombre, un reflet, une projection de formes symboliques ou un etre qui aurait les allures de la vie sans avoir la vie?" (Dt. Übersetzung in: Lazarowicz/Balme 1991, 364-373, hier: 371.) Analog bezeichnet Craig 1908, 52 die Über-Marionette als „descendent of the stone images of the old Temples". Maeterlinck 1890, 335: „etres sans destinees". Wilde 1892, in: Wilde 1962, 311. Craig 1908, 52. Craig 1913, 41.

II. 3. „Argument is silenced": Craigs Verabsolutierung der Opsis

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the lover who strangles his mistress, the captain who gains a victory, or the husband who avenges his honour.'" 296 In diesem Bild des alten, reglosen Mannes im Lehnstuhl treffen sich in geradezu provokanter Pointierung die wichtigsten Merkmale der Maeterlinckschen Dramatik. Indem er davon ausgeht, daß auf dem Theater eine unbeweglich sitzende und selbstvergessen schweigende Person eine tiefgründigere Darstellung des menschlichem Daseins ermögliche als beispielsweise ein von Eifersucht gepeinigter Liebhaber, der seine Geliebte erdrosselt, distanziert sich Maeterlinck nachdrücklich von der klassisch aristotelischen Konfliktdramaturgie, deren wichtigstes Kennzeichen der Dialog als sprachliche Ausdrucksform zwischenmenschlicher Kommunikation ist.297 Maeterlinck interessieren nicht die individuell-subjektiven Beweggründe, die einen Liebhaber dazu bringen, seine Geliebte zu töten, sondern die unpersönlichen, universalen Schicksalsmächte, die nach seiner Auffassung das Leben des Menschen allgemein bestimmen. Das Bild des regungslos sitzenden Mannes, der sich allein im stummen „Dialog" mit den „powers of the earth" befinde, ist somit die Zuspitzung einer antiaristotelischen, weil tendenziell handlungslosen und außersprachlichen Dramaturgie, die sich bereits in Maeterlincks frühen Theaterstücken der Jahre 1888-1894 andeutet. Beispielsweise agieren die dramatis personae in Die Blinden (1891) nicht wie im traditionellen Drama als sprechende und handelnde Subjekte298, sondern als entindividualisierte Figuren ohne Eigennamen und ohne entwicklungsfähige Charaktere, sie sind, wie es HansPeter Bayerdörfer treffend ausdrückt, „Marionetten des Schicksals".299 Peter Szondi hat bereits 1965 nachgewiesen, daß in diesem Stück die handlungstragende Funktion des zwischenmenschlichen Dialogs grundsätzlich in Frage gestellt ist, weil die Sprache hier nicht im Sinne eines Gesprächs oder einer Auseinandersetzung zwischen Protagonist und Antagonist eingesetzt wurde, sondern als verbale Zustandsbeschreibung, als erzählerische Darstellung der „Stimmung (...), die in den Seelen aller herrscht." Damit wird die aristotelische Kategorie der Handlung durch die der „Situation" ersetzt. Diese Dramaturgie bezeichnet Szondi in Abgrenzung zur traditionellen Dramenform als „Wendung zum Epischen".300 Ergänzend dazu kann man jedoch auch - als ein weiterer Aspekt des Paradigmas Visualisierung - eine Wendung zum Bildlichen feststellen, denn im Gegensatz zum sprachlichdialogisch orientierten Drama wird die gewünschte Stimmung nicht nur verbal erzeugt, son-

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Symons 1899, 155f. (Hervorhebung v. Vf.) Vgl. das französische Original: Maeterlinck 1896, 104f. Dieser Aspekt ist bereits mehrfach von der literatur- und theaterwissenschaftlichen Forschung untersucht worden und wird an dieser Stelle deshalb nicht näher ausgeführt. (Vgl. u. a. Szondi 1965, 1419; Vedder 1978, 33^13; Bayerdörfer 1991; 1995; Streisand 1999, 160-179.) Nach Szondi 1965,62. Bayerdörfer 1991, 124f. Vgl. auch Szondi 1965, 60: „... das ist (...) letzlich nur Audruck dessen, daß die dramatis personae hier, weit entfernt, Urheber, also Subjekte einer Handlung zu sein, im Grunde bloß ihre Objekte sind." Zu Maeterlincks Fatalismus und dessen Beeinflussung durch die deutsche Romantik vgl. Tribble 1990, 176-234, 573-591. Dieser philosophische Fatalismus, welcher fast alle dramatischen Figuren Maeterlincks kennzeichnet, ist als ein wichtiger Unterschied in Craigs ÜberMarionetten-ldee nicht enthalten. Craigs Über-Marionetten sind nicht dem unabwendbaren Schicksal, sondern ausschließlich dem gestaltenden Regisseur ergeben. Szondi 1965, 57, 60ff. Zu Szondis Definition des Epischen vgl. ebd., 13: „... es bezeichnet einen gemeinsamen strukturellen Zug von Epos, Erzählung, Roman (...), nämlich das Vorhandensein dessen, was man das ,Subjekt der epischen Form' oder das ,epische Ich' genannt hat."

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II. Bild-Bewegung: Theaterinszenierung als Komposition

dem äußert sich auch im szenischen Bild, das Maeterlinck für Die Blinden sehr genau vorgegeben hat: „Ein uralter nordischer Forst, der wie von Ewigkeit her in den tief gestirnten Himmel aufragt. In der Mitte, nach dem nächtlichen Hintergrund zu, sitzt ein greiser Priester, in einen weiten, schwarzen Mantel gehüllt. Oberkörper und Kopf sind leicht zurückgeneigt und lehnen in toter Ruhe an einem mächtigen, hohlen Eichstamm. Das Gesicht ist entsetzlich bleich und von wachsfahler Unbeweglichkeit, die bläulichen Lippen halbgeöffnet. (...) Das ehrwürdige, weisse Haar fällt in wenigen, starren Strähnen über das müde Gesicht, das heller als alles ringsum aus dem erwartungsvollen Schweigen des düsteren Waldes hervorleuchtet. Die auffallig abgemagerten Hände sind steif auf den Knieen gefaltet. - Rechts sitzen sechs blinde Greise auf Steinen, Baumstämmen und dürrem Laub. - Links, ihnen gegenüber, aber durch einen entwurzelten Baum und Felsblöcke getrennt, sechs gleichfalls blinde Frauen. Drei von ihnen beten und wehklagen ununterbrochen mit dumpfer Stimme. (...) Die fünfte, in der Haltung des stummen Wahnsinns, wiegt auf den Knieen ein schlafendes Kind. Die sechste ist von wunderbarer Jugend und ihr Haar umwallt ihre ganze Gestalt. Sie tragen, ebenso wie die Greise, weite, einförmige dunkle Gewänder. Die meisten sitzen und harren, die Ellenbogen auf das Knie gestützt und das Gesicht zwischen den Händen, und alle scheinen die Gewohnheit unnötiger Bewegungen verlernt zu haben und wenden den Kopf nicht mehr nach den dumpfen, unruhigen Nachtgeräuschen der Insel. Grosse Totenbäume, Eiben, Trauerweiden und Cypressen hüllen sie in milde Schatten ein. Ein Strauß hochgeschossener Asphodelen blüht neben dem Priester kränkelnd in die Nacht. Es ist auffallig finster, obschon der Mond hier und da versucht, das Blätterdach zu durchdringen."301

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Maeterlinck 1901, 64: „Une tres ancienne foret septentrionale, d'aspect eternel sous un ciel profondement etoile. - Au milieu, et vers le fond de la nuit, est assis un tres vieux pretre enveloppe d'un large manteau noir. Le buste et la tete, legerement renverses et mortellement immobiles, s'appuient contre le tronc d'un chene enorme et caverneux. La face est d'une immuable lividite de cire oü s'entr'ouvrent les levres violettes. Les yeux muets et fixes ne regardent plus du cöte visible de l'eternite, et semblent ensanglantes sous un grand nombre de douleurs immemoriales et de larmes. Les cheveux, d'une blancheur tres grave, retombent en meches roides et rares, sur le visage plus eclaire et plus las que tout ce qui l'entoure dans le silence attentif de la morne foret. Les mains amaigries sont rigidement jointes sur les cuisses. - A droite, six vieillards aveugles sont assis sur des pierres, des souches et des feuilles mortes. - A gauche, et separees d'eux par un arbre deracine et des quartiers de roc, six femmes, egalement aveugles, sont assises en face des vieillards. Trois d'entre elles prient et se lamentent d'une voix sourde et sans interruption. Une autre est tres vieille. La cinquieme, en une attitude de muette demence, porte, sur les genoux, un petit enfant endormi. La sixieme est d'une jeunesse eclatante et sa chevelure inonde tout son etre. Elles ont, ainsi que les vieillards, d'amples vetements, sombres et uniformes. La plupart attendent, les coudes sur les genoux et le visage entre les mains; et tous semblent avoir perdu l'habitude du geste inutile et ne detournent plus la tete aux rumeurs etouffees et inquietes de l'Ile. De grands arbres funeraires, des ifs, des saules pleureurs, des cypres, les couvrent de leurs ombres fideles. Une touffe de longs asphodeles maladifs fleurit, non loin du pretre, dans la nuit. II fait extraordinairement sombre, malgre le clair de lune qui, fä et lä, s'efforce d'ecarter un moment les tenebres des feuillages." (Dt. Übersetzung: Maeterlinck 1904, 33f.)

II. 3. „Argument is silenced": Craigs Verabsolutierung der Opsis

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In dieser als Regieanweisung fungierenden detaillierten, epischen Bildbeschreibung wird die visuelle und auch akustische Atmosphäre302 des Einakters festgelegt, der auf sprachlicher Ebene darin besteht, daß die Figuren - fast bewegungslos - monologisch „an der Grenze des Bewußtseins" oder „als chorische Litanei"303 ihren mentalen Zustand schildern. Dieser Zustand bezeichnet die unbestimmte Angst und den Schrecken im Angesicht des unabwendbaren Todes304, der sich bereits in den sichtbaren Symbolen der Maeterlinckschen Bildbeschreibung ankündigt. So fungieren beispielsweise der dunkle Wald, die tiefe Nacht, der tote Priester, welke Blätter, der entwurzelte Baum, Trauerweiden und die kränklich aussehenden Affodille als Zeichen der Vergänglichkeit, als Vanitas-Symbole. In diesem Zusammenhang hat Beatrix Vedder darauf verwiesen, daß die vorgegebene Szene „gleichsam das Psychogramm der dargestellten Personen liefert."305 Der szenische Raum wird damit bei Maeterlinck sowohl zum akustischen, als auch vor allem zum visuellen Indikator jener im Sprachlichen vermittelten Grundstimmung. Bereits Arthur Symons kennzeichnete 1899 die Maeterlinckschen Dramen in seinem Buch The Symbolist Movement in Literature als ungewöhnlich bildhaft: „And the aim of Maeterlinck, in his plays, is not only to render the soul and the soul's atmosphere, but to reveal this strangeness, pity, and beauty through beautiful pictures. No dramatist has ever been so careful that his scenes should be in themselves beautiful, or has made the actual space of forest, tower, or seashore so emotionally significant. He has realised (...) that the art of the stage is the art of pictorial beauty, of the correspondance in rhythm between the speakers, their words, and their surroundings."306 Diese Beobachtung bestätigt, daß Maeterlinck nicht nur eine symbolhafte Bildlichkeit, sondern auch das im vorangegangenen mehrfach angesprochene intimisierte Verhältnis von Drama und Bühnenausstattung bereits in seine Stücke eingeschrieben hat. Craig beruft sich mehrfach auf Maeterlinck.307 So vermerkt er beispielsweise 1913: „I think it is Maeterlinck who pointed out to us that drama is not only that part of life which is concerned with the good and bad feelings of individuals, and that there is 302

Dies meint das permanente Wehklagen der blinden Frauen und die gedämpften Geräusche der Insel. Im Verlauf des Stückes setzt Maeterlinck weiterhin an dramaturgisch wichtigen Stellen Geräusche wie Meeresplätschern, Vogelschreie, Windrauschen oder Schritte auf raschelnden Blättern ein, so daß von einer audiovisuellen Wirkung gesprochen werden kann. (Vgl. Bayerdörfer 1991, 510.)

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Bayerdörfer 1976, 511. Zur Art der Verwendung der Sprache und des Dialogs bei Maeterlinck vgl. auch Szondi 1965, 57-62; Vedder 1978, 3 3 ^ 3 . Vedder 1978, 34 schreibt: „Anders als in den herkömmlichen Gesprächstypen setzt sich (...) der Dialog in Maeterlincks Dramen nicht aus einer Kette durchgehend logisch verknüpfter Inhaltselemente zusammen; vielmehr entfaltet der Autor - zumeist auf der Folie einer knapp umrissenen Märchenhandlung - ein Netz von Unstimmigkeiten, durch die der logische Dialogablauf an bestimmten Stellen unterbrochen und der informationelle Texthorizont zugunsten assoziationsstiftender Konnotationen überschritten wird." Maeterlinck nannte diese Form des Dialogs „du second degre" (Maeterlinck 1896, 108). Dieser Topos ist das bestimmende Thema der frühen Dramen Maeterlincks. (Vgl. u. a. Bayerdörfer 1976, 510f.; 1991, 124; Grimm 1982, 31-35.) Zur Deutung der Dramen vgl. Vedder 1978. Daß dieser Topos auch humoristisch-grotesk gelesen werden kann, hat Gross 1985 gezeigt. Vedder 1978,68. Symons 1899, 158f. Vgl. z. B. Craig 1908f, 149; Craig 1913,41.

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II Bild-Bewegung: Theaterinszenierung als Komposition

much drama in life without the assistance of murder, jealousy, and the other first passions. (...) Still I think that he might have told us that there are two kinds of drama, and they are sharply divided. Theses two I would call the drama of speech and the drama of silence, and I think that his trees, his fountains, his streams, and the rest come under the heading of the drama of silence - that is to say, dramas where speech becomes paltry and inadequate."308 Craig nimmt hier einen Hauptgedanken Maeterlincks auf, den dieser 1896 in seiner Publikation Der Schatz der Armen im Kapitel Das Schweigen geäußert hat: „Man glaube nur ja nicht, daß Worte den wirklichen Mitteilungen zwischen zwei Wesen dienten. Die Lippen oder die Zunge können die Seele nur darstellen, wie z. B. eine Ziffer oder eine Katalognummer ein Bild von Memling darstellt; aber sobald wir wirklich etwas zu sagen haben, müssen wir schweigen".309 Als äußerste Konsequenz dieser Auffassung kann jener schweigend im Lehnstuhl sitzende alte Mann gelten, und Craig hat diese Passage in seinem Exemplar des Traktats angestrichen.310 Das Bild des verstummten Greises ist damit nicht nur Ausdruck einer antiaristotelischen Dramaturgie, welche den zwischenmenschlichen, individualisierten Dialog negiert, sondern auch Zeugnis einer grundlegenden Sprachskepsis3": Sobald man etwas zu sagen habe, müsse man schweigen, weil Worte, ebenso wie die Katalognummern eines Gemäldeinventars, nur Reduktionen, Abbreviaturen dessen sind, wofür sie stehen sollen. „Die Zeichen und Worte taugen zu nichts mehr, und fast alles wird bestimmt durch die mystischen Kreise einer einfachen Präsenz."312 Eine solche außersprachliche Präsenz besitzt das Bild des alten Mannes im Lehnstuhl ebenso wie die dunklen Wälder, Springbrunnen und Bäche der Maeterlinckschen Regieanweisungen, auf die Craig verweist, ohne die sprachliche Ebene in dessen Dramen zu berücksichtigen. Diese nunmehr gänzlich verstummten Bilder faßt Craig im Rekurs auf Maeterlincks Begriff des Schweigens unter dem Titel „drama of silence", welches er als Alternative dem traditionellen „drama of speech" gegenüberstellt. Insofern fand Craig in der Sprachskepsis Maeterlincks einen wichtigen Anknüpfungspunkt für seine Konzeption eines Theaters der Bilder, das nicht wie bei den Theaterexperimenten Hubert von Herkomers primär auf der illusionistischen Nachahmung der Wirklichkeit beruht, sondern symbolhafte Bildfmdungen vor Augen führt. Ebenso wie Maeterlinck war auch Craig nicht an individuellen, entwicklungsfähigen Charakteren interessiert, welche dialogisch miteinander kommunizieren, und deren Konflikte bzw. Handlungen durch ein klassisches Fabelschema verknüpft sind. Während jedoch Maeterlincks

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Craig 1913,41. (Hervorhebungen v. Vf.) Maeterlinck 1896, 16: „II ne faut pas croire que la parole serve jamais aux communications veritables entre les etres. Les levres ou la langue peuvent representer l'äme le la merae maniere qu'un chiffre ou un numero d'ordre represente une peinture de Memlinck, par exemple, mais des que nous avons vraiment quelque chose ä nous dire, nous sommes obliges de nous taire". (Dt. Übersetzung: Maeterlinck 1923, 2.) Die erste englische Übersetzung von Der Schatz der Armen erschien 1897. Craig war erst ab 1909 im Besitz einer englischen Ausgabe (Craig-Bibliothek BN). Symons 1899, 165f. geht jedoch auf Maeterlincks Konzept des Schweigens ein. M. Maeterlinck: The Treasure ofHumble. London 1908, passim (Craig-Bibliothek, BN). Auf diesen Aspekt haben vereinzelt Vedder 1978, 43; Hoßner 1981, 53; Bayerdörfer 1991, 123 hingewiesen. Maeterlinck 1896, 33: „Les signes et les mots ne servent plus de rien, et presque tout se decide dans les cercles mystiques d'une simple presence."

II 3. „Argument is silenced": Craigs Verabsolutierung der Opsis

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Dramenfiguren mittels der Sprache313 symbolhaft verschlüsselte Zustandsbeschreibungen äußern, die sich visuell analog im szenischen Raum wiederfinden, suchte Craig die sprachlich-semantische Ebene tendenziell zu eliminieren, so daß Figuren und Raum zu primär optisch wahrnehmbaren Ausdrucksträgern der angestrebten dramatischen Situation werden. Die bildhafte Präsenz des schweigenden Greises, welche Maeterlinck in dieser außersprachlichen Konsequenz letztlich nie in seinen Dramen umgesetzt hat, fand somit eine direkte Nachfolge in der Craigschen Theatertheorie. Allerdings unterscheidet sich Craigs Theaterauffassung von der des Belgiers in einem maßgeblichen Punkt. Maeterlinck vermerkt im Anschluß an seine Beschreibung des unbeweglichen Greises im Lehnstuhl: „Ich weiß indes nicht, warum ein Theater ohne Bewegung nicht möglich sein sollte. (...) Man hat Zeit, ihn in der Ruhe zu sehen."314 Damit beschreibt Maeterlinck ein Schauerlebnis, das in letzter Konsequenz der bildenden Kunst näher steht als dem Theater. Diese Ansicht vertritt bereits Adolf von Hildebrand 1908 im Programmbuch des Münchener Künstler-Theaters: „Der, welcher Zeit und Ruhe hat, das Augenbild abzulösen vom Vorgang, befindet sich ausserhalb des rein dramatischen Zusammenhangs, die Kette ist zerrissen und er ist ein bildender Künstler. Hier liegen die Gesichtspunkte der beiden Künste beim Erlebnis weit auseinander".315 Analog ist also der alte Mann im Lehnstuhl aus einem Vorgang herausgelöst bzw. unabhängig von einem Vorgang gedacht: Es ist ein statisches und zugleich stummes Bild, das von einem Maler auf Leinwand übertragen werden könnte. Craig dagegen ging niemals von einem statischen Bild aus, sondern er dachte Vorgänge visuell, in bewegten Bildern - wie das Beispiel der oben erwähnten RestaurantSzene gezeigt hat. Maeterlincks Idee eines Theaters ohne Bewegung steht damit in diesem Punkt der Anschauung Craigs diametral entgegen. So vermerkt Craig im Hinblick auf Maeterlincks Stücke: „To say that a play has absolutely no action is to damn it."316

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Daß Maeterlinck, ebenso wie Hofmannsthal, nach alternativen sprachliche Ausdrucksformen suchte, um den Reichtum unterschwelliger menschlicher Empfindungen ausdrücken zu können, hat bereits H. Bahr 1908, 99 erkannt: „Nervöses soll geäußert und erweckt werden. Die alte Sprache, welche logische und allenfalls sentimentale Reihen vermittelte, kann dafür nicht genügen. Nicht um das Verstandesmäßige und das klare Gefühl, die in sichere und helle Worte faßlich sind, sondern um das jenseits des Verstandes und vor dem Gefühle, um die trüben und verworrenen Anfange der Empfindung (...), darum handelt es sich: um eine neue Sprache, welche Nervenstände ausdrücken und mitteilen soll (...). Das ist der große Fund Maurice Maeterlincks." Zur Analyse der Sprache Maeterlincks in den Dramen vgl. Vedder 1978, 33-43. Vgl. auch Maeterlinck 1896, 101-110, wo er sich u. a. über die zu erstrebende Qualität von Worten, Sprache und Dialog äußert. Zum Einfluß von Maeterlinck auf Bahr und Hofmannsthal vgl. Gorceix 1998.

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Maeterlinck 1896, 105f.: „Je ne sais s'il est vrai qu'un theätre statique soit impossible. (...) On a le temps de le voir en repos." (Dt. Übersetzung: Maeterlinck 1923, 99ff.) Hildebrand 1908, 10. Craig um 1902, handschriftlicher Vermerk in: Maeterlinck 1897, ix (Craig-Bibliothek, BN).

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II. Bild-Bewegung: Theaterinszenierung als Komposition

4. Teile eines Ganzen: Die Materialien des Regisseurs Craig a) „Action": Tanz, Pantomime, Bewegung Der Meininger Herzog erklärt in seinen Inszenierungsregeln, daß die Bühne „die Bewegung, das unaufhaltsame Vorwärtsschreiten der Handlung zu veranschaulichen"317 habe. Diese Vorstellung von Handlung war noch weitestgehend an den vom dramatischen Text vorgegebenen sukzessiven Verlauf der Bühnenvorgänge gebunden. Das englische Spektakeltheater des 19. Jahrhunderts arbeitete dagegen bereits mit visuellen Effekten und Bühnenaktionen, die nicht nur einen autonomen Schauwert aufwiesen, sondern auch beschleunigte Tempi, wie das Beispiel der Fluchtszene in Dion Boucicaults Arrah-na-Pogue aus dem Jahre 1864 gezeigt hat. Der visuelle Reiz dieser Szene beruhte zum einen auf der weitestgehend perfekten Nachahmung oder Vortäuschung von Realität auf der Theaterbühne, zum anderen aber vor allem auf dem Phänomen der gesteigerten Bewegung, welcher gegenüber dem gesprochenen Wort ein eigenständiger Ereignischarakter zukam. Während zur selben Zeit die Textdeklamationen der deutschen Schauspielvirtuosen vorwiegend statisch vorgetragen wurden, kann damit der Bewegungsaspekt seit Mitte des 19. Jahrhunderts im viktorianischen Schautheater bereits als eine feste Größe bezeichnet werden. Dies ist der historische Ausgangspunkt Craigs, der aber in den Jahren 1900-1913318 ein Bewegungskonzept entwikkelte, das in wesentlichen Punkten von der heimatlichen Theatertradition abwich. Indem Craig einerseits die mimetisch-realistische Illusionierung auf der Bühne ablehnte, andererseits das verschriftlichte Drama sowie die traditionellen aristotelischen Kategorien von Handlung und Fabel, kam er zu einem Begriff von dramatischer Handlung, action, die im Sinne von Bewegung, movement, zum selbstbezüglichen Material des Regisseurs wurde. Bereits im Jahre 1905 erklärt er action - und damit Bewegung319 - gegenüber scene und voice zum wichtigsten Bestandteil des Theaterkunstwerks: „In one respect, perhaps, action is the most valuable part. Action bears the same relation to the Art of the Theatre as drawing does to painting, and melody does to music."320 Ein Jahr später radikalisiert er diese Position in einem Artikel für den Saturday Review: „The theatre of the future will be a theatre of visions (...). An art which says less yet shows more than all; (...) an art which springs from movement, movement which is the very symbol of life."321 Ein weiteres Jahr später schließlich notiert er: „Movement will be for the sake of Movement".322 Hierin wird deutlich, daß Craig Bewegung weder als konstituierendes Element einer spektakulären Aktion verstand, noch als dramaturgische Notwendigkeit, um das Bühnen-Bild zum theatralen Ereignis werden zu lassen, sondern Bewegung war für ihn ab ca. 1906 sowohl Material, als auch symbolträchtiges Sujet der Theateraufführung. Diese Form der Thematisierung bzw. Verabsolu317 318

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Georg II. von Sachsen-Meiningen 1895, 62. Craigs künstlerische Entwicklung endet etwa in dieser Zeit. Bereits 1913 begann er, seine eigene künstlerische Biographie zu schreiben. (Vgl. Craig 1913, 1.) Zahlreiche seiner späteren Schriften sind retrospektiv angelegt, und seine früheren revolutionären Ideen werden hier zum Großteil in sentimentaler, diluierter Form vorgetragen (vgl. z. B. Craig 1924; 1925; 1930; 1957). Vgl. Craig 1905, 52. Er verwendet hier action und movement synonym. Ebd. Craig 1906, 549. Craig 1908d, 8.

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tierung von Bewegung ansich ist gegenüber der Theatertradition des 19. Jahrhunderts eine neue Qualität, worauf bereits Joachim Fiebach hingewiesen hat.323 „The worldas

ballet"324

Bevor Craig 1907 das adäquate „instrument"325 zur Darstellung seiner Idee von Bewegung mittels der Scene - bewegte Kuben im Raum - erfunden hatte, welches gänzlich ohne den menschlichen Akteur auskommen sollte326, betrachtete er Bewegung noch nicht in dieser radikalen Weise vom Menschen abgekoppelt. So vertrat er in den Jahren 1900 bis ca. 1906 die Auffassung, daß Tanz und Pantomime die einzig akzeptablen Ausdrucksformen auf der Bühne seien. Tänzer und Mimen agieren stumm. Allein mittels der visuellen Präsenz ihres Körpers erzeugen sie ein transitorisches Bühnengemälde. In diesem Sinne vermerkte auch Arthur Symons 1925 in einem Artikel über die Ballets Russes: „A ballet is simply a picture in movement. (...) It is a picture where the colours change, re-combine, before one's eyes; where the outlines melt into one another, emerge, and are again lost in the mazes of the dancing."327 Was Symons hier beschreibt, galt als eines der Markenzeichen des 1909 von Sergej Diaghilev in Paris gegründeten Russischen Balletts. Die Choreographien der Ballets Russes begründeten eine „Renaissance des klassischen Balletts"328 und entstanden außerdem stets in enger Zusammenarbeit mit herausragenden Künstlern wie Georges Braque, Max Ernst, Henri Matisse, Pablo Picasso oder Giorgio de Chirico - sie waren das populärste, vor allem aber vielseitigste Zeugnis einer Symbiose von Theater und bildender Kunst in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts.329 Die „Balletomania"330, welche das spektakuläre Auftreten der Ballets Russes ab 1909 in Europa auszulösen schien, kündigte sich jedoch bereits in den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts an. Während das Tanz- und Ballettgewerbe bis dahin in der Hierarchie der Künste eine eher untergeordnete Rolle gespielt hatte, erlebte es nun vor allem in den Varietes einen enormen Aufschwung. Drei grundlegende Symptome der modernen Wahrnehmungskultur lösten diese neuartige Faszination für den bewegten menschlichen Körpers aus, die sich schlagwortartig zusammenfassen lassen: Sprachskepsis, ein neues Körperbewußtsein sowie die zunehmend als transitorisch und flüchtig empfundene menschliche Existenz.331 Beispielsweise diagnostiziert der junge Hugo von Hofmannsthal im Jahre 1895: 323

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Vgl. Fiebach 1991, 98ff. Er bezieht sich hier vor allem auf den Zusammenhang zur Performance- und Happeningbewegung der 1960er/70er Jahre. Fiebach 1991a, 81 f. bringt ferner Craigs Bewegungskonzept mit den neuen Geschwindigkeiten des industriellen Zeitalters in Verbindung. (Vgl. Teil III, Kap. 3 b der vorliegenden Arbeit.) Symons 1898, Titel. (Neu abgedruckt in: Symons 1906, 387-391.) Craig 1908, 40. Craig verwendet diesen Begriff bereits 1905, 69. Craigs Scene ist Thema des III. Teils der vorliegenden Arbeit. Symons 1925, 301. Schneiders 1980,24. Vgl. auch Brandenburg 1921, 61-73. Entsprechend äußerte L. Bakst 1919, der lange Zeit als Kostümgestalter, Bühnenbildner und Librettist für die Ballets Russes gearbeitet hat: „The theatre of the future means the triumph of painting and the gradual abolution of the spoken word." Zu den Ballets Russes vgl. u. a. Lieven 1936; Stegen 1966; Bertrand 1990; Ausstellungskat. Art and Dance 1982; Jeschke/Berger/Zeidler 1997. Haskell 1934, Titel. Diese Aspekte können hier nur angedeutet werden, zumal zu diesem Thema bereits eine umfangreiche Forschungsliteratur existiert. (Vgl. den bibliographischen Anhang der vorliegenden Arbeit.)

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II. Bild-Bewegung: Theaterinszenierung als Komposition

„Die Leute sind es nämlich müde, reden zu hören. Sie haben einen tiefen Ekel vor den Worten: Denn die Worte haben sich vor die Dinge gestellt. (...) So ist eine verzweifelte Liebe zu allen Künsten erwacht, die schweigend ausgeübt werden: die Musik, das Tanzen und alle Künste der Akrobaten und Gaukler."332 Im Zuge dieses prinzipiellen Zweifels am Leistungsvermögen der begrifflichen Sprache prägte bereits Stephane Mallarme das Diktum der „ecriture corporelle".333 Mallarmes Formel verdeutlicht paradigmatisch die Sicht eines symbolistischen Dichters, der mit bewegten Tänzerkörpern eine neuartige Vorstellung vom poetischen Schreiben verband.334 Seit den späten 1870er Jahren wandten sich auch zahlreiche bildende Künstler wie z. B. Edgar Degas, Henri de Toulouse-Lautrec, Georges Seurat oder Auguste Rodin der aufblühenden Tanzkultur zu und erschlossen neue Bildwelten in den Pariser Opernhäusern, Varietes und Ballhäusern.335 Ein besonders beliebtes Sujet waren ab 1892 die gefeierten Serpentinentänze der Amerikanerin Loi'e Füller, deren furios bewegtes Spiel mit farbigem Scheinwerferlicht und Stoffdraperien den Nerv der Zeit zu treffen schien.336 Füller gehörte neben Isadora Duncan und Ruth St. Denis zu den Wegbereiterinnen des sog. Neuen Tanzes oder Ausdruckstanzes.337 Während Füller ihren Körper unter meterlangen, in verschiedensten Figurationen schwingenden Stoffbahnen verschwinden ließ, betonten St. Denis und Duncan die Ausdruckskraft des ungeschnürten, natürlichen Körpers, der jeglicher überkommener Regeln des klassisch-akademischen Balletts enthoben war.338 Somit galt der Tanz einerseits als vorbildhafte außersprachliche Kunstäußerung, andererseits als Sinnbild der modernen Großstadtwelt und wurde schließlich mit dem Beginn des Ausdruckstanzes zum Paradigma einer freieren Lebens- und Körperauffassung. Diese hier nur kurz skizzierten Aspekte deuten an, daß der Tanz, so vermerkt Gabriele Brandstetter, um 1900 zum „Symbol der Moderne"339 schlechthin avancierte. Auch im London der 1890er Jahre war man tanzbegeistert. Arthur Symons beispielsweise galt als „scholar in music-halls as another man might be a Greek scholar or an authority on the age of Chaucer."340 Er verteidigte wiederholt die Tänzer und Sänger der Music Halls341 gegenüber Angriffen der konservativen Kritik, welche diese Form der populären

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Hofmannsthal 1895, 479. Mallarme 1945, 303. Brandstetter 1996, 279 bezeichnet dies als „ein Schreiben, das an den Körper gebunden ist - ephemer, fugitiv, transitorisch". Brandstetter ebd., 35 verweist u. a. auf Ch. Baudelaires Aufsatz Le peinture de la vie moderne von 1863: „La modemite, c'est le transitoire, le fugitif, le contingent." (Baudelaire 1954, 892.) Vgl. auch Brandstetter 1995; Gumpert 1994; Marschall 1995. Vgl. den Ausstellungskat. Art and Dance 1982; Adelsbach 1996. Zum Tanz als Motiv im frühen 20. Jahrhundert vgl. Farese-Sperken 1969. Vgl. Brandstetter/Ochaim 1989. Neuer Tanz bzw. Ausdruckstanz bezeichnet jene Bewegung, die den erstarrten Formenkanon der klassisch-akademischen Ballett-Tradition überwand und nach neuen Ausdrucksmöglichkeiten des menschlichen Körpers suchte. (Vgl. u. a. Sorell 1985; Oberzaucher-Schüller 1992; Müller 1996.) Vgl. Brandstetter 1995, 336f. Ebd., 35. Yeats 1934, 144. Vgl. auch Guest 1992, 7f. Music Halls waren zwischen ca. 1850 und 1920 die britische Variante der kontinentalen Varietes. Das Programm bestand aus einer losen Abfolge von Songs, kurzen Sketchen, Akrobatik, Tiernummern und vor allem Balletteinlagen. (Vgl. Günther 1981, passim.)

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Unterhaltung als vulgär, amoralisch und unkünstlerisch anprangerten.342 Symons war gerade von jenen Qualitäten angezogen, welche die puritanische Kritik vehement ablehnte: „I liked the glitter, barbarous, intoxicating, the violent animality, the entire spectacle, with absurd faces, gestures, words, and the very odour and suffocating heat."343 Diese Faszination teilte auch der junge Schauspieler Craig, der in den Jahren vor 1900 regelmäßig die Londoner Music Halls besuchte: „I was hugely attracted by what was in them - Vibration and glitter, music and a bit of dancing, variety and a giddy sort of life".344 Während auf Craig vor allem die flüchtig glitzernde Atmosphäre der Music Halls Eindruck machte, betonte Symons in mehreren Zeitungsartikeln zudem die besondere visuelle Anziehungskraft der dort aufgeführten Ballette: „I found the beauty, the poetry that I wanted only in two theatres!: the Alhambra, and the Empire. The ballet seemed to me the subtlest of the visible arts, and dancing a more significant speech than words."345 Bereits im Jahre 1898 veröffentlichte Symons einen Aufsatz mit dem Titel The World as Ballet, in dem er Gedanken äußerte, die den Einfluß sprachskeptischer Positionen des französischen Symbolismus offenbaren: „And something in the particular elegance of the dance, the scenery; (...) and above all, the intellectual as well as sensuous appeal of a living Symbol, which can but reach the brain through the eyes, in the visual, concrete, imaginative way (...). Nothing is stated, there is no intrusion of words used for the irrelevant purpose of describing; a world rises before one, the picture lasts only long enough to have been there: and the dancer with her gesture, all pure symbol, evokes from her mere beautiful motion, idea, sensation, all that one need ever know of event."346 Damit nahm Symons gedanklich Craigs Ideal eines außersprachlich-visuellen Theaters bewegter Körper vorweg, das dieser in den Jahren 1900 bis 1906 vertrat. Sänger als Tänzer jenseits klassischer Ballettästhetik Symons' Tanzbegeisterung der 1890er Jahre bezog sich überwiegend auf die Ballette der Londoner Music Halls Alhambra und Empire, welche die klassisch-akademische Tanztradition im Rahmen populärer Unterhaltung fortführten.347 Die hier gezeigten Choreographien

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Vgl. Beckson 1987, 75-79. Vgl. auch Symons 1906, 387f. Symons 1977, 109. Craig 1957, 115. Zu diesem Aspekt des Anrüchigen, Unmoralischen der populären Music Halls und die daran anknüpfenden zeitgenössichen Auseinandersetzungen vgl. Kift 1991. Symons 1925, 302. Dieser Artikel wurde in Symons 1906, 387-391 neu abgedruckt (hier: 391). Diese Theater waren keine Music Halls im herkömmlichen Sinne mehr, sondern gehörten zu einem neuen Typus des Londoner Varietes. (Vgl. Kift 1991, 167ff.; Guest 1992.) Zur Entwicklung des Balletts in England vgl. Guest 1954. Nach Guest endete die Blütezeit des klassisch romantischen Balletts gegen Mitte des 19. Jahrhunderts, aber: „Ballet never died out in London. Its centre merely shifted from the opera house to the music hall; and with this shift, there necessarily came a lowering of artistic Standards". (Ebd., 142.) Diese These vom Verfall des klassischen Balletts am Ende des 19. Jahrhunderts durchzieht die gesamte Ballettforschung. (Vgl. u. a. auch Balcar 1957, 42; Sorell 1985, 258.) Inwiefern diese Sichtweise berechtigt ist, kann im Rahmen der vorliegenden Arbeit nicht geklärt werden.

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verbanden die kanonische Schrittabulatur des überlieferten Ballettanzes 348 einerseits mit den neuen Tanzformen des Varietes, beispielsweise dem Cancan 349 , Chahut oder Quadrille, andererseits wurden pantomimische Einlagen und opulent ausgestattete Prozessionen hinzugefügt. 350 Bereits 1872 vermeldet die Times, daß der besondere Wert des Alhambra Theaters "lies in its richness of setting, its continous flow of incident, and its brilliancy of costume. For something between an hour and an hour and a half processions of rieh dresses flit on and off the stage, each more glittering and many-coloured than its predecessor". 351 Die Ballette des Alhambra und später des Empire 352 waren damit ein weiterer Ausdruck des Hangs zum spektakelhaften Ausstattungsprunk in der Theaterkultur der viktorianischen Ära. Bei aller Prachtentfaltung stand auf den Bühnen des Alhambra und Empire stets die auf Schuhspitzen tanzende Primaballerina im Zentrum der Aufmerksamkeit (Abb. 19). So lobte die Kritik wiederholt die Grazilität der Pirouetten, Battements und Sprünge, welche die Tänzerinnen im weißen Tutu entsprechend dem klassischen Ballettkanon als Soli vortrugen. 353 Es war das traditionelle Ideal eines schwerelosen Schwebens, eines Tanzens gegen die Gesetze der Schwerkraft 354 , das die Music Hall-Ballerinen ebenso wie im klassischen Ballett zum Ausdruck brachten. Craig dagegen notiert im Jahre 1905: „Dancing must not suggest the attempt & failure to fly. It is to show the beauty of the body in action. This is not shown by attempting what is unnatural to the body - flying." 355 Craigs betonte Ablehnung jener als unnatürlich empfundenen Bewegungsfiguren der akademischen Ballett-Tradition kann bereits im Kontext seiner zu diesem Zeitpunkt bestehenden Liaison mit Isadora Duncan (1877-1927) gesehen werden, deren Tänze er Ende des Jahres 1904 in Berlin erstmals gesehen hatte. 356 Der Einfluß von Duncans Tanzästhetik wird in der Forschung häufig als

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Spitzentanz, Pirouetten, Battements und Sprünge bildeten u. a. die Grundelemente dieses streng vorgegebenen Bewegungskanons, welche nach dem traditionellen Schema von Solo, Pas de deux und Ensemble-Auftritten zu einer Choreographie zusammengestellt wurden. Entsprechend der noch heute gültigen fünf Grundpositionen des Körpers sind Füße und Beine nach außen gekehrt, so daß entgegen der natürlichen Steh- und Gehgewohnheiten künstliche Haltungen antrainiert werden. Zum Formenkanon des klassischen Balletts vgl. Balcar 1957, 76-99. Zur historischen Entwicklung vgl. ebd., 5-42; Otterbach 1992, 64-105.

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Sorell 1985, 272 schreibt: „Die letzte Dekade des Jahrhunderts wurde cancanisiert. Der Cancan war der Geist der Zeit". Vgl. Guest 1992. The Times vom 2. 4. 1872. (Zitiert nach Guest 1992, 29.) Das Empire wurde erst 1884 eröffnet und war bald das Konkurrenzunternehmen des Alhambra. (Vgl. Guest 1992, 87-145.) Vgl. ebd., 46-54. Vgl. u. a. Otterbach 1992, 105. Craig, handschriftliche Notiz in: The Theatre. Costume. Action. 1901,1905, 30 ( M s A 4 2 , BN). Vgl. Craigs bei Steegmuller 1974, 19-31 veröffentlichte Tagebuchnotizen aus Book Topsy, 1905 (CD). Hier schreibt Craig begeistert über Isadoras neue Art zu tanzen: "Only just moving - not pirouetting or doing any of those things which we expect to see, and which a Taglioni or a Fanny Elssler would have certainly done. She was speaking her own language (...) not echoing any ballet master, and she came to move as no one had ever seen anyone move before." (Ebd., 23.) Vgl. auch Duncan 1903, 14: „All the movements of our modern ballet school are sterile movements because they are unnatural, their purpose is, to create the delusion that the law of gravitation does not exist for them."

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Initialzündung für Craigs Beschäftigung mit dem Tanz gewertet.357 Diese Fokussierung vernachlässigt jedoch den relevanten Tatbestand, daß Craig bereits in seinen frühen Londoner Operninszenierungen der Jahre 1900-1902 mit dem bewegten menschlichen Körper gearbeitet hat. Wichtig ist auch, zu bemerken, daß diese „violent experiments"358 weder von der klassischen Ballettästhetik, noch vom beginnenden Ausdruckstanz, noch von den prunkhaften Tanzformationen der corps de ballet in den populären Londoner Music Halls beeinflußt waren. Craig erfand Tänze für seine Darsteller, die sich entsprechend der reduziert-stilisierten Bühnenausstattung auch auf einfachste, klar überschaubare Bewegungen und Gesten beschränkten, wie z. B. langsames Schreiten, Arme heben oder Kopf neigen. So notiert er in der D/tfo-Partitur für das Ende der ersten Szene im ersten Akt: „When chorus starts Belinda raises her arms & suggests to group of girls that they should retire - as they do so she moves across to Dido & arrives in front of the throne by slow steps - as next bar is sung she stops, makes a motion with her head shoulders arm & hand & more & passes over to trellis where she stops." Der Chor der Mädchen ,,go[es] off slowly, fingers to Ups, then slowly extend arms. Four men move into a group. Stand still. Heads up. Two slaves carry fruits, presents in golden baskets, and lay them each side to Dido. The 4 [men] sink." Am Ende des Chorgesangs „boys [put] fingers on lips. On last 3 notes the 2 slaves move arms and swirl cloaks around".359 Dieser kurze Ausschnitt deutet an, daß die Darsteller wechselweise zur Ruhe kamen, in maßvoll gleitenden, erdverbundenen Schritten über die Bühne gingen oder entsprechend dem dramatischen Verlauf der Musik schnellere Armbewegungen ausführten, so daß ein kontinuierlicher Bewegungsfluß entstand. Sowohl die Hauptdarsteller als auch die Chorsänger waren darin eingebunden, d.h., die Sänger fungierten zugleich auch als Tänzer. Im Kontext der Aufführungsgeschichte betrachtet, kann dies als ein Novum auf der Opernbühne gelten. Traditionell war dort die tänzerische Bewegung allein den Balletteinlagen vorbehalten, während die Chorsänger und Solisten ihre Partien statisch posierend vortrugen. Craig dagegen versetzte die Sänger in eine kontinuierliche, darstellende Bewegung. Diesen Gedanken hatte bereits der Schweizer Theaterreformer Adolphe Appia (18621928) ein Jahr früher in seinem Traktat Die Musik und die Inscenierung propagiert. Jedoch konnte Craig gegen Ende des Jahres 1899, als die Proben zu Dido and Aeneas begannen, Appias Publikation mit Sicherheit noch nicht kennen.360 Der junge Engländer hat aber - wie viele seiner Zeitgenossen - Richard Wagners Reformschriften zum Theater gelesen, auf die 357 358 359 360

Vgl. u. a. Obraszowa 1982; Eynat-Confmo 1987, 62-71; Vincent 1991. Calthrop 1902, 60. Craig, annotierte Partitur Dido and Aeneas, 1899/1900 (Ms A 53, 16f., BN). Appia veröffentlichte bereits 1895 eine erste Broschüre in Französisch mit dem Title La Mise en Scene du Drame Wagnerien, welche die wichtigsten Ideen des 1899 in Deutsch erschienenen Hauptwerkes Die Musik und die Inscenierung verkürzt enthielt. Allerdings waren beide Schriften zum Zeitpunkt ihres Erscheinens bis ca. 1903 kaum bekannt. So schreibt Keyserling 1903, 31 hinsichtlich des Traktats Die Musik und die Inscenierung: „Bahnbrechende Gedanken waren darin enthalten, und doch fand es nur wenige Leser: bisher war es eigentlich nur Appias persönlicher Freundeskreis, der sich seine Ideen und Anschauungen zu eigen gemacht hatte." Craig kannte Appia um 1899 noch nicht und beherrschte weder ausreichend die deutsche noch die französische Sprache, um dessen Schriften zu lesen. Er hörte zum ersten Mal 1905 in Berlin von den Reformvorschlägen des Schweizers und lernte ihn erst 1914, anläßlich der Züricher Theaterkunstausstellung, persönlich kennen. (Vgl. Bablet 1965, 202-210.)

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sich auch Appia bezog. 361 So schrieb Wagner in Das Kunstwerk der Zukunft (1849), daß der Tanz neben der Ton- und Dichtkunst zu den „drei reinmenschlichen Kunstarten" des Gesamtkunstwerks Oper zähle. Nach Wagners Ansicht müsse „der singende und sprechende Mensch (...) nothwendig leiblicher Mensch sein; durch seine äußere Gestalt, durch das Gebahren seiner Glieder gelangt der innere, singende und sprechende Mensch zur Anschauung".362 Während Wagner diese Ideen nur ansatzweise auf der Bühne umsetzte363, hat Craig in seiner Purcell-Inszenierung aus dem Jahre 1900 die Bewegungen der Sänger erstmals durchgängig choreographiert. Wenngleich die vereinfachende, gravitätische Körpersprache der Darsteller in Dido and Aeneas auf Basis der erhaltenen Regieanweisungen heute nicht bis in alle Details rekonstruiert werden kann364, ist doch erkennbar, daß diese Bewegungen weder dem tradierten Formenkanon des klassischen Balletts zuzuordnen sind, noch sind sie vergleichbar mit den stampfenden Bewegungen und Rüscheneffekten des Cancan u. a. populärer Tänze der Music Halls (Abb. 20). Craig berief sich vielmehr auf traditionelle Tanzformen des Mittelalters und der Renaissance, vor allem in seiner zweiten Inszenierung The Masque365 of Love, die im März 1901 zur Premiere kam. In einem unveröffentlichten Notizbuch mit dem Titel Dance sammelte er seit ca. 1900 Abbildungen und eigene Aufzeichnungen zu diesem Thema. Hier findet sich beispielsweise der reproduzierte Kupferstich eines Gemäldes von 1463, das eine Tanzszene am Hof von Burgund darstellt.366 Paarweise wird hier die Basse danse getanzt, ein für das 15. Jahrhundert typischer Schreittanz, der mit langsamen, maßvoll gleitenden Fußbewegungen ausgeführt wurde.367 Es ist dieses Element des erhabenen Schrei361

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Der Craig-Biograph Bablet verweist mehrmals auf dessen Wagner-Lektüre. (Vgl. Bablet 1965, 47ff.) Zu Appias Wagner-Rezeption vgl. Kreidt 1968, 71-81 sowie Teil II, Kap. 4 c der vorliegenden Arbeit. Wagner 1872, Bd. 3, 82, 87. In Wagners Bayreuther Inszenierungen zwischen 1876 und 1882 wurden z. T. einzelne Szenen im traditionellen, klassischen Ballettstil choreographiert. (Vgl. S. Dahms in: Müller/Hundsnurscher/Sommer 1984, 145-162.) Es gibt keine Filmaufnahmen der frühen Craig-Inszenierungen und nur wenige erhaltene Skizzen, die es für die DWo-Inszenierung kaum möglich machen, ein detailliertes Bild der Bühnenbewegungen zu rekonstruieren. Den bislang ausführlichsten Rekonstruktionsversuch, der auch die Bewegungen der Darsteller einbezieht, unternahm Innes 1983, 37-50. Die Masque war eine aristokratischen Unterhaltung im Barock, die aus allegorischen Versen, Prozessionen und Tänzen mit musikalischer Begleitung bestand. Im frühen 17. Jahrhundert erreichte das Maskenspiel unter B. Jonson und I. Jones seine Vollendung. Nach der Restauration der britischen Monarchie (1660) ist diese Tradition nicht fortgeführt worden, und erst um 1900 entdeckte man diese Theaterform neu. So wurde am 29. 6. 1899 das Masquenspiel Beauty's Awakening. A Masque of Winter and of Spring „written, designed & contrived by the members of the Art Workers Guild" in der Londoner Guildhall aufgeführt. Diese Masque orientierte sich weitestgehend an der traditionellen Form. (Vgl. Beautys Awakening 1899. Vgl. die Masques von B. Jonson in: Jonson 1969.) Craig kannte die Masque der Art Workers Guild, welche sehr wahrscheinlich den Anlaß gab, sich eingehender mit dieser historischen Theaterform auseinanderzusetzen. Beispielsweise legte er um das Jahr 1900 ein Notizbuch mit dem Titel Masque (Boite 9, BN) an, in dem er Material zu diesem Thema sammelte. Die Masque of Love von 1901 unterschied sich jedoch dahingehend vom historischen Vorbild, daß der gesprochene oder gesungene Text zugunsten der Tänze und Prozessionen auf ein Minimum reduziert wurde. Vgl. Craig, Scrapbook G. C. Dance, 2. (Boite 6, BN.) Vgl. Otterbach 1992, 48ff.

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tens, einer „solemn movement"368, welches Craig in modifizierter Form sowohl in seiner Dido and Aeneas-Inszenierung einsetzte, als auch in The Masque of Love, die er frei nach Henry Purcells Oper Dioclesian in Szene setzte. Bei dieser seiner zweiten Regiearbeit war das Libretto der Oper nur Stoffvorlage369, aus der er eine eigenständige Kreation entwickelte, die als „ballet"370 zu Purcells Musik aufgeführt wurde. Craig verwendete hier neben dem Schreittanz u. a. die mittelalterliche Form des Reigentanzes.371 Beispielsweise ließ er Tänzer kreisförmig um einen Maibaum tanzen.372 Dieser Tanz war in ein System verschiedenster Lauf-, Schreit-, Beuge-, Arm- und Kopfbewegungen der Darsteller eingebunden, die nicht vollständig auf traditionelle Vorbilder zurückzufuhren sind, d. h., er verwendete historische Tanzformen nicht eklektizistisch, sondern verband verschiedene Bewegungselemente zu einer neuartigen Choreographie. So bildeten die Tänzer in der Szene Oh the sweet delights of love drei Kreise (Abb. 21). Über ihren Köpfen fielen breite Stoffbänder herab, die in der Mitte gebündelt waren, und jeder Tänzer hatte ein Band um beide Handgelenke gebunden, so daß, wie es Symons beschreibt, „each figure is held to the centre by a tightly stretched line like the spoke of a wheel."373 Die Tänzer hockten zunächst am Boden und richteten sich sukzessive auf (Abb. 22). Es entstand eine lineare Wellenbewegung, die durch die Bänder räumlich akzentuiert wurde. „He has (...) an extraordinary gift for grouping and devising movements", urteilt ein begeisterter Rezensent, „the movements of the witches in the second scene of the first act of ,Dido' owed something, perhaps, to the Brocken Scene in the Lyceum ,Faust', but the evolutions in the Masque owed nothing to anyone but Mr. Gordon Craig."374 Auch Arthur Symons betont die Neuartigkeit dieser Choreographien: „Mr. Craig, it is certain, has a genius for line, for novel effects of line. His line is entirely his own".375 Pantomime asemantisch Im Jahre 1905 vermerkt Craig in einem seiner Notizbücher: „On the stage what impresses us is not what is said but what is done & how it is done. Acting is dumb show. Dancing is the poetry of movement. Most dumb show or acting must have something of the poetry of dance about it".376 Craig postuliert hier das Verwischen der Grenzen zwischen Tanz, einer musikalisch begleiteten, rhythmischen Bewegungssequenz, und Pantomime, dem mimischen Ge-

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Programmzettel für The Masque ofLove, 1901. (Sammlung E. A. Craig, Eton-College, Windsor.) In Purcells Dioclesian ist eine Masque enthalten, in der es um die Verherrlichung der Macht der Liebe geht, die Craig offenbar als Grundlage seiner Inszenierung benutzt hat. (Vgl. Hähnel 1961, 178.) Die eigenständige Leistung Craigs gegenüber der dramatischen Vorlage wurde auch von der Kritik hervorgehoben. So schreibt die Zeitschrift Athenaeum am 6. 4. 1901 (BN): „The masque was not carried out on the lines of the published scenario, but according to the ideas, we presume, of the stage director, Mr. Gordon Craig." Craig, unveröffentlichtes Daybook 6,120, HRC. (Zitiert nach Innes 1983, 62.) Zum Reigentanz vgl. Otterbach 1992, 39ff. Zur Rekonstruktion von The Masque of Love vgl. Innes 1983, 56-69. Symons 1906, 350. The Lady vom 4. 4. 1901 (BN). Die Anspielung auf Faust meint H. Irvings /vmsMnszenierung im Lyceum Theatre. (Vgl. Teil II, Kap. 2 a der vorliegenden Arbeit.) Symons 1906, 349. Craig, handschriftliche Notiz in Ms A 42, 1901-1905, 30 (BN). Vgl. auch Craig 1903, 610: „Acting is dumb show - is the expression of face and body."

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bärdenspiel ohne Worte.377 Daß diese Grenzverwischung offenbar auch für die Tänze in The Masque ofLove zutraf, legt die Zeitschrift Athenaeum nahe: „Some of the grouping was effective, and some of the effects were quaint, yet throughout there was a suggestion of pantomime".378 Die von Craig choreographierten Bewegungen entsprachen offenbar nicht dem konventionellen Verständnis von Tanz. „He prefers gestures that have no curves in them;" notiert Symons, „the arms held straight up, or straight forward, or straight out sideways. He likes the act of kneeling, in which the body is bent into a sharp angle; he likes a sudden spring to the feet, with the arms held straight up."379 Diese Art der Körpersprache war jedoch auch der traditionellen Pantomime nicht zuzuordnen. Die englischen Pantomimen hatten sich als eine Form der populären Unterhaltung am Ende des 19. Jahrhunderts ebenso wie die Ballette des Alhambra und Empire zu opulenten Schauspektakeln entwickelt.380 Es wurden prachtvolle Prozessionen und akrobatische bzw. beleuchtungstechnische Sensationen vorgeführt, welche in eine zumeist märchenhafte Handlung, wie beispielsweise die von Cinderella, Aladdin, Sindbad the Sailor oder The Sleeping Beauty and the Beast, eingebettet waren. Die aufgrund der dominanten szenischen Effekte marginalisierte pantomimische Darstellungsweise entsprach, soweit sie nicht durch dialogische Kommunikation ersetzt wurde, weitestgehend der seit dem 18. Jahrhundert tradierten erzählerischen Gebärdensprache. Worte wurden durch stumme Gesten veranschaulicht.381 Um beispielsweise eine Liebeserklärung darzustellen, legte man beide Hände gekreuzt über das Herz und verklärte das Gesicht hingebungsvoll. Diese Formel verwendete sehr wahrscheinlich auch Hubert von Herkomer in seinem Stück An Idyl, als der reiche Graf dem schönen Mädchen seine Liebe gestand. Bereits Arthur Symons kritisierte 1898 die tradierte Pantomimensprache als zu stark semantisch orientiert: „It is an error to believe that pantomime is merely a way of doing without words, that it is merely the equivalent of words. Pantomime is thinking overhead. It begins and ends before words have formed themselves, in a deeper conscious than that of speech."382 In einer Zeit, da eine sprachunabhängige Pantomime, eine Mime pure, noch nicht existierte383, ist diese Meinung erstaunlich. Sie deckt sich mit einer Feststellung des Filmtheoretikers Bela Baläzs: „Denn ein Mensch der visuellen Kultur wird durch seine Gesten nicht Worte ersetzen. Er deutet nicht Worte an, wie es der Taubstumme mittels seiner Zeichensprache 377 378 379 380 381 382 383

Dies findet sich jedoch bereits tendenziell in den Ballettchoreographien des Alhambra und Empire. (Vgl. Guest 1992, 39-64.) Athenaeum vom 6. 4. 1901 (BN). Symons 1906, 350. Zur Entwicklung der englischen Pantomime im 19. Jahrhundert vgl. Booth 1976, 1-63; Booth 1981, 60-92; Hera 1981, 177-200. Vgl. Hera 1981, 251 f. Symons: Pantomime and the Poetic Drama. 1898. (Neuabdruck in: Symons 1906, 381-384, hier: 381.) Diese eigenständige Pantomimensprache kam, so Hera 1981, 251, erst mit E. Decroux (1898-1991) auf: „Bis zu Decroux ersetzten diejenigen, die zum Schweigen gezwungen wurden, das Wort durch ihre Gesten. Sie bedienten sich dabei vor allem der Hände. Ihre Kunst war die Kunst von Stummen. Decroux machte die Pantomime zu einer Kunst des Schweigens. Die Pantomime der Vergangenheit erzählte. Der Mime brach [nun] mit der Fabel, um Eindrücke bildlich darzustellen." Zu Decrouxs „Mime pure" vgl. ebd., 252f.; Leeker 1993, 178-199.

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tut. Er denkt nicht an Worte, deren Silben er, Morsezeichen vergleichbar, in die Luft schreibt. Seine Gesten bedeuten Begriffe und Empfindungen, die durch Worte überhaupt nicht ausgedrückt werden können. (...) Was hier ausgedrückt werden soll, liegt tief in einer Schichte der Seele, die von Worten und Begriffen nicht erreicht werden kann, ähnlich wie ja unsere musikalischen Erlebnisse nicht in rationale Begriffe eingefangen werden können."384 Symons' Forderung einer solchen asemantischen Körpersprache in der Pantomime ist somit ein weiterer Aspekt des Paradigmas Visualisierung, den Craig in sehr ähnlicher Weise reflektiert hat: „Modern pantomime attempts to take the place of words - this is bad. Pantomime should be used in place of words - but should never illustrate those ideas which words can suggest better."385 „Pantomime", schreibt Symons 1898, „is again no mere imitation of nature: it is a transposition".386 Diese Position einer Verweigerung mimetisch-realistischer Abbildung bezieht auch Craig in seinem Uber Mariom-Notizbuch aus dem Jahre 1905: „The Kiss: the lips not to meet - the faces not to touch - the hands not to touch. Why not? For this reason: that two veriest fools can show the audience that they are supposed to be in love by kissing - just as a boy of 5 years old by drawing so on the wall can show other schoolboys that he intended to draw a donkey (...). Our business in the theatre is first to find what we wish to show the audience. Let us say Love. Then to refuse the usual, common, external poses of Love but to search the imagination for symbols - beautified signs - that will almost bring the very spirit of Love. This Spirit of Love we must then seize and retain and while it remains with us we must invent some pattern of symbols by which this spirit can be summoned before the eyes of the spectator. We all know what the majoritiy of the pantomimists have arrived at and use to indicate the passion. They place their hands one upon the other over their hearts and move their body sideways in a movement indicative of physical pleasure. That means ,my heart is filled with Love for you'. Now, is it not the equivalent of the donkey drawn by the boy on the wall? (...) Is there any art in it?"387 Nimmt man das Beispiel der hier angeführten konventionellen Form einer Liebeserklärung als Ausdruck einer semantisch geprägten Körpersprache, so erweist sich Craigs Meinung in der Nachfolge von Symons gewissermaßen als Sprachkritik der Pantomime. Beiden ging es um einen symbolhaften mimischen Ausdruck, der in Worten letztlich nicht vermittelt werden kann. Dies meint körpersprachlicher Symbole, die weder semantisch nachvollziehbar noch mimetisch-realistisch sind. Da Craigs Londoner Inszenierungen heute leider nur ansatzweise rekonstruierbar sind, fällt es schwer, festzustellen, inwiefern er hier diesem Anspruch gerecht geworden ist. Einzelne Beispiele belegen jedoch, daß ihm dies zumindest partiell geglückt war. Der dance of white arms in Dido and Aeneas, bei dem die Körper der 384 385

Baläzs 1 9 6 1 , 3 2 . Craig, handschriftliche Notiz in: Ms A 45, 1903, 5 (BN). Diese Äußerung verdeutlicht, daß Craig die Pantomime nicht für unbegrenzt einsetzbar hielt, weil sie an Darstellungsgrenzen stößt, die von der Wortsprache besser überwunden werden können. In diesem Sinne sprach auch Symons von den „artful limitations o f its craft". (Symons 1898, in: Symons 1906, 381.)

386 387

Symons 1898, in: Symons 1906, 382. Craig, Uber Marions-A, 1905-1906, 9f. (BN). Vgl. auch Eynat-Confino 1987, 77.

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II Bild-Bewegung: Theaterinszenierung als Komposition

Chorsänger im Dunkel verblieben und nur die hell angeleuchteten Arme als bewegte Körpersegmente sichtbar waren, kann in diesem Zusammenhang angeführt werden. Auch Symons' Beschreibung der vorherrschenden einfachen Bewegungen in The Masque of Love, das rechtwinklige Seitwärtshalten oder senkrechte Hochheben der Arme beispielsweise, kann als Versuch einer - nur im Gesamtkontext der Aufführung zu deutenden - symbolhaften Körpersprache gewertet werden. Körper versus Design: Tänzer als „ Uber-Marionetten " In der Szene Oh the sweet delights of love der Masque of Love bewegten sich die Tänzer in Kreisen, und ihre Tanzbewegungen wurden durch die wehenden Leinenbänder ergänzt, die ihnen um die Handgelenke gebunden waren (Abb. 23). Der visuelle Reiz dieser Sequenz beruhte demnach nicht allein auf den Bewegungen der menschlichen Darsteller, sondern die Aufmerksamkeit des Zuschauers wurde auch von den auf- und abwärts flatternden Bändern angezogen. Diesen Effekt setzte Craig verstärkt in seiner dritten Inszenierung ein, Georg Friedrich Händeis Oper Acis and Galatea, die im März 1902 Premiere hatte388 (Abb. 23,24). Hier ließ Craig abermals vertikal hängende weiße Leinenstreifen über der Bühne anbringen. Auch die weiten, bis zum Boden reichenden Kostüme versah er mit parallel gelegten, langen Bändern, welche an den Schultern und Armen befestigt wurden. Diese „hang to the ground, and make almost a Square of the body when the arms are held out at right angles"389, wie Arthur Symons feststellt. Außerdem trugen die Darsteller mehrere lange Leinenbänder schleierartig um die Köpfe gebunden. Somit waren die natürlichen Körperformen der Tänzer fast vollständig negiert. Die reduzierten, langsam und gleitend ausgeführten Bewegungen erzeugten zusätzlich den Eindruck eines unbewußten Entrücktseins der Darsteller, so daß ein Kritiker nicht von Personen, sondern von „figures moving, weird and unreal"390 sprach. Die Tänzer wurden demnach zu depersonalisierten Trägern sich bewegender Stoffstreifen, welche mit den im Raum aufgehängten Bändern zu einer vom individuellen menschlichen Körper abstrahierten Gesamtbewegung verschmolzen. Graham Robertson vermerkt dazu: „... each was for all; and for the actors it is the highest compliment to say that they were forgotten".391 Zugespitzt formuliert, stand in dieser Tanzszene nicht die Bewegung des menschlichen Körpers im Zentrum des Interesses, sondern vielmehr die von den Darstellern in Bewegung versetzten Stoffbänder. Ein solch entindividualisierter, den Körper negierender Umgang mit den Tänzern entsprach in keiner Weise der Tanzauffassung Isadora Duncans, die im Jahre 1903 eine naturbelassene Leiblichkeit und deren individuelle Ausdruckskraft propagiert: „Only the movements of the naked body can be perfectly natural. (...) There will always be movements which are the perfect expression ofthat individual body and that individual soul".392 In ähnlicher Weise argumentiert auch Georg Fuchs: „Das Drama ist möglich ohne Wort und ohne Ton, ohne Szene und ohne Gewand, rein als rhythmische Bewegung des menschlichen Kör-

388 389 390 391 392

Zur teilweisen Rekonstruktion dieser Inszenierung vgl. Innes 1983, 50-55. Symons 1906, 350. Calthrop 1902, 57. G. Robertson. Vorwort zu Craig 1905a, 5-8, hier: 7. Duncan 1903, 12, 22.

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pers."393 „Welch reizende Tanzformen brachte so die von der Madeleine enthusiasmierte Münchnerin Rita Sacchetto", schreibt Fuchs 1906 in seinem Aufsatz Der Tanz, „wenn sie sich frei machte von der in München leider immer noch vorherrschenden dekorativmalerischen Kostümierung und ganz einfache, ganz schlichte Weisen mit den Regungen ihres schlanken, zarten Leibes auffing!"394 Während Craig den menschlichen Körper in seinen Inszenierungen unter Artefakten, Kostümen, verschwinden ließ, thematisierte Georg Fuchs ebenso wie Isadora Duncan den natürlichen, leicht bekleideten bzw. nackten Körper und dessen Ausdrucksmöglichkeiten. Für Fuchs war dabei der innere Impuls des Tänzers ausschlaggebend, der sich in schöpferisch gestalteten Bewegungsfiguren manifestiert, „als ein bis zum ekstatischen Orgiasmus aufschäumendes Erleben der in unserer Körperlichkeit gebunden[en] rhythmischen Mächte."395 Die rauschartigen Tänze der sog. Traumtänzerin Madeleine entsprachen diesem Ideal eines an Nietzsches Konzept des Dionysischen geschulten Körperbegriffs.396 Fuchs ging demnach vom inneren Bewußtseinszustand des Tänzers aus, welcher im aufschäumenden Erleben Tanzbewegungen hervorbringt. Craig dagegen trat in seinen frühen Londoner Inszenierungen mit anderen Prämissen an den menschlichen Darsteller heran. Ihn interessierte weder die Ursprünglichkeit und Natürlichkeit des bewegten menschlichen Körpers noch dessen innerer Darstellungsimpuls, sondern er vertrat den Standpunkt des Designers, der ein visuelles Konzept von außen an den Darstellerkörper heranträgt. Dies bemerkte auch ein Rezensent der Inszenierung The Masque of Love: „And (...) the characters, instead of playing their parts in the usual fashion, adapted themselves more or less to the pictorial or living-picture conception of the matter".397 Craig behandelte die Tänzer in seinen Regiearbeiten der Jahre 1900 bis 1902 als „living design"398, und damit bereits als Über-Marionetten, deren naturgegebene Körperlichkeit zugunsten einer übergeordneten Gestaltungsidee weitestgehend eliminiert wurde. Dieser Anspruch änderte sich auch während seiner Beziehung zu Isadora Duncan nicht wesentlich. Beide Künstler trafen sich neben der gefuhlsmäßig-partnerschafitlichen Ebene vor allem in dem Bestreben, elementare Bewegungsformen zu entdecken. Folglich berichtete Craig enthusiastisch in seinen Tagebüchern über Isadoras neuartig freie Art zu tanzen.399 Während aber der beginnende Ausdruckstanz zum wichtigen Bestandteil des Theaterreformkonzepts von Georg Fuchs wurde, blieb Craig auf theatertheoretischer Ebene gewissermaßen immun gegen diese neue Körperbezogenheit.400 Bereits kurz nach seinen ersten

393 394 395 396 397 398 399 400

Fuchs 1905, 41. (Hervorhebung v. Vf.) Fuchs 1906, 12. Ebd., 21. Zu Madeleine vgl. Brandstetter 1995, 249-252. Zum Aspekt einer orgiastischen Bewegungskunst im Zusammenhang mit Fuchs' Nietzsche-Rezeption vgl. Prutting 1971, 19-35, 48-58, 109-162. The Westminster Gazette vom 27. 5. 1901 (BN). Symons 1906,351. Vgl. Craig, Book Topsy, 1904-1906 (CD, auszugsweise veröffentlicht in: Steegmuller 1974). Ein wichtiger Aspekt dieser Ablehnung war vor allem auch die Erotik, die der leicht bekleidete weibliche Körper ausstrahle. Dies empfand Craig, im Gegensatz zu vielen Zeitgenossen (z. B. A. Symons, vgl. Munro 1969, 74-77), als störend und ablenkend, weil sich das natürliche, geschlechtliche Interesse gewissermaßen vor die Kunst dränge. Craig, der weiblichen Reizen zeitlebens sehr aufgeschlossen gegenüberstand, forderte aus diesem Grunde sogar, daß Frauen nicht auf die Bühne gehören: „Woman - beautiful, noble, and intelligent (...) is a continual threat to the existence of art in the theatre (...).

II. Bild-Bewegung: Theaterinszenierung als Komposition

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begeisterten Begegnungen mit Isadora und ihren Tänzen schreibt er im Mai 1905 an seinen Londoner Freund Martin Fallas Shaw über ein - nicht verwirklichtes - Inszenierungsprojekt: „I am now at work creating a work of theatrical art (.. .). I shall make its shape and colour, its sound and sense, its movement and tone. I shall not employ actors nor pantomimists but what I shall call ,figures"'. 401 In seinem Uber Marions-B-Notizbuch vermerkt er schließlich ein Jahr später, zu einem Zeitpunkt, als er Isadora auf ihren Tourneen durch Europa begleitete402: „That which you may express by means of the ubermarionettes you may not express by means of live beings."403 Duncan wiederum kommentiert seine Pläne im März 1905 mit scherzhafter Eifersucht: „I've done a great deal of Hexerizing - ( . . . ) - I've danced wickedly in a Circle enough to bring you on the next train - I can only ascribe my defeat to the Baneful and Powerful influence of that Chief Lady Marionette, the Painted Jebezel (sie) - ! who keeps you glued to her side! So you've decided you prefer 'em made of Wood!!!! - and she's Hypnotizing you against my Hexerizing is she?"404 Mimodramen Die beiden Uber M/r/owj-Notizbücher aus den Jahren 1905/1906 beinhalten hauptsächlich Craigs unverwirklichte Ideen zu einem eigenen „Ubermarionetten Theatre". In einer Liste gibt er beispielsweise den Mitarbeiterstab an, den er sich hierfür vorstellte. An erster Stelle steht der „Director&inventor", es folgen technische Mitarbeiter wie der „General overseer (mechanical engineer)", „2 Scene painters", „1 Master-electrician", „1 Master-carpenter", „4 Shifters of the scenery", „5 Costumiers" und die „6 Men to manipulate the lighting". Für den künstlerisch-darstellenden Bereich plante er „4 Readers. Bass. Bariton. Tenor. Alt", „1 Musical conductor", „8 to 12 Musicians for orchestra", „4 Singers" und schließlich „25 Ubermarionettes" 405 Die Größe der Über-Marionetten ist mit vier einhalb bis fünf foot, also ca. anderthalb Meter, angegeben. Die Figuren sollten demnach unterlebensgroß sein. Über die genaue Beschaffenheit und Form dieser Über-Marionetten war sich Craig zu diesem Zeitpunkt vermutlich noch nicht im klaren. Es gibt nur eine Skizze in den Uber Manowi-Notizbüchern, die zeigt, daß diese Figuren unverkennbar von menschlicher Gestalt waren, welche jedoch wiederum in lange, weite Gewänder gehüllt werden sollte (Abb. 30). Ergänzend vermerkt Craig im selben Notizbuch: „Instead of an actor who speaks, moves & feels all sorts of emotions, I have something which stands for a man or woman, which moves, and something eise which speaks and the only emotions feit are those feit by the audience."406 Die Über-Marionette war nach dieser Planung, ebenso wie die traditionelle Mario-

401

402 403 404 405 406

I arrived at this conclusion first through my study of the stage, and secondly because of my great admiration for, and some small knowledge of, womankind." (Craig 1921, 275f.) Craig an M. F. Shaw, Mai 1905 (HRC, zitiert nach Eynat-Confino 1987, 60). Craig bezieht sich hier sehr wahrscheinlich auf eines seiner in den Uber Mano/is-Notizbüchern zwischen 1905 und 1906 skizzerten Projekte, die auszugsweise im folgenden Unterkapitel vorgestellt werden. (Vgl. auch Eynat 1980.) Vgl. Steegmuller 1974, 121 ff. Craig, Uber Marions-B, 1905-1906,17 verso (BN). Duncan an Craig, 27728. 3. 1905. Veröffentlicht in: Steegmuller 1974, 93. Craig, Uber Marions-A, 1905-1906, 15 (BN). Craig, Uber Marions-B, 1905-1906, 18 (BN).

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nette, eine Puppe, die in mehr oder weniger symbolhafter Verallgemeinerung dem menschlichen Körper nachempfunden ist und stellvertretend für diesen auf der Bühne agiert. Als depersonalisierte Kunstfigur sollte sie den Menschen symbolisieren und dessen Empfindungen nicht erleben, sondern vorfuhren - ohne jegliches Bewußtsein ihrer selbst. Craigs Ideen zu einem Über-Marionetten-Theater aus den Jahren 1905/06 verdeutlichen, daß er zwar auf den menschlichen Darsteller als Medium verzichten wollte, aber nicht generell auf den Menschen als Sujet. Dieser Aspekt wird besonders anhand seiner Mimodramen407 deutlich, die er in verschiedenen Notizbüchern skizzenhaft festgehalten hat. Seit ca. 1903 versuchte Craig, eigene Mimodramen zu entwickeln408, um sein Ideal einer visuell bestimmten, kreativen, nicht interpretativen, d. h. von der Dramenliteratur unabhängigen Theaterkunst praktisch umzusetzen. Diese Szenarien sind jedoch, wie viele Ideen Craigs, durchgängig fragmentarisch: Sie tauchen als einzelne Gedankensplitter verstreut in seinen Notizbüchern auf und blieben zumeist im ersten Entwurf stecken. So notiert er beispielsweise 1905 im ersten Uber Marz'ows-Notizbuch folgende blitzlichtartig kurze Sequenz: „Curtain flat background & sides behind which is an arrangement of lights - showing here & there (...) the opening of windows & figures which appear."409 Dieses Motiv des Auftauchens und Bewegens von Figuren vor oder hinter Fenstern findet sich bereits in einem anderen Notizbuch, wo er im Jahre 1904 eine etwas längere Szene skizziert: „The King passes. Outside of a window. (...) Bed seen inside. Figures round the bed - moving here & there. Crowd outside. Noise. Chatter. Here a word. There a word. ,Vile King - Adorable King - Silly King - Such a wise King.' All contradictions. King dies. Curiosity. Window flung open. Speech - but not heard by audience - everyone disperses. Change of scene. Inside. Other side of Bed. Valets play cards!"410 Damit bricht diese Episode ab, bei der es ihm offenbar darum ging, Bewegungen und Aktionen anzudeuten, die sich um einen sterbenden König abspielen. Interessanterweise baut er in dieser kurzen Sequenz einen plötzlichen Perspektivwechsel des Betrachters ein: Der Zuschauer sieht zunächst gemeinsam mit dem „crowd" von außen durch das Fenster in das Sterbezimmer des Königs, dann wechselt die Szene unvermittelt, und der Betrachter blickt nun direkt ins Zimmer. Diese Intention eines abrupten Wechsels der Betrachterperspektive wäre im Jahre 1904 auch auf der Drehbühne nur mit Abstrichen ausfuhrbar gewesen 4 " und

407 408

409 410 411

Vgl. Craig 1913, 27, wo er seine selbstentwickelten Dramen als „mimo-drama" bezeichnet. Craigs erste eigene Szenarien, die sich in der dramatischen Struktur und im Sujet noch weitestgehend an den traditionellen märchenhaften Pantomimen orientieren, stammen aus dem Jahre 1903 (Ms A 45, 1903, BN). Die von Craig als „Masque" bezeichneten Stücke sind noch unveröffentlicht und werden hier nicht berücksichtigt, da die Abhängigkeit von den viktorianischen Pantomimenszenarien in einem anderen Zusammenhang zu untersuchen wäre. (Vgl. die von Booth 1976 veröffentlichten Pantomimen des 19. Jahrhunderts.) Craig, handschriftliche Notiz in: Uber Marions-A, 1905-1906, 20 (BN). Craig, handschriftliche Notiz in: Ms A 45, 1903-1904, 197 (BN). Der Vorgang des Drehens der Bühne hätte unweigerlich einen Bruch bedeutet, so daß eine nahtlose Aneinanderreihung der verschiedenen Betrachterperspektiven nicht möglich gewesen wäre.

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II. Bild-Bewegung: Theaterinszenierung als Komposition

hätte sich nur mit den Mitteln des Filmschnitts in der hier angestrebten Perfektion eines nahtlosen Übergangs realisieren lassen.412 Das Sujet dieser kurzen Episode könnte vermuten lassen, daß Craig hier entgegen seiner oben dargelegten Aussagen doch eine Art Handlung anvisiert hat, die sich im Anschluß an den Tod des Königs beispielsweise anhand der Karten spielenden Kammerdiener entwickeln ließe. Eine solche der aristotelischen Dramaturgie entsprechende kausale Verknüpfung von Geschehnissen findet sich beispielsweise bei Hugo von Hofmannsthals frühen Ballettpantomimen Der Triumph der Zeit und Der Schüler aus den Jahren 1900/01, in denen zudem verbalsprachliche Dialoge die stummen Handlungen ergänzen und z. T. wie im klassischen Drama ersetzen.413 Hofmannsthal dachte diese Dialoge sehr wahrscheinlich als Vorlage für eine weitestgehend gebärdensprachliche Umsetzung. Entscheidend aber bleibt, daß ein sprachlich konzipierter Dialog die Grundlage bildete 4 ' 4 Craig lehnte dagegen eine handlungstragende Dialogstruktur sowohl im Sprachlichen als auch im Pantomimischen ab. Für ihn war es zudem vorstellbar, verschiedene sights, bewegte Bilder also, assoziativ miteinander zu verknüpfen, ohne daß diese im Sinne der klassischen Dramaturgie als Einheit von Handlung, Ort und Zeit aufeinander bezogen sein müssen. Dies belegt eine szenische Skizze aus dem Jahre 1906, notiert im zweiten Uber Marions-Notizbuch: „Meetings & Partings The Street The street woman The 300 other street women - shades. general movement. drones. She - a light. The men - beetles. The man - a light. The meeting - 3 words. The love - one word. The Parting - silence. The Fields The fields men & women The girl - all chatter dying away. The old woman - silence. meeting parting The Seashore - The miserable woman - moans. meets the sea behind her comes death & holding her as the 412 413 414

Zu Craigs Rezeption des Mediums Film vgl. Teil III, Kap. 4 d der vorliegenden Arbeit. Vgl. Hofmannsthal 1979,13-66. (Zu Hofmannsthals Pantomimen vgl. Mauser 1981.) So gibt es beispielsweise in Der Triumph der Zeit, 1. Aufzug, folgendes Gespräch: „Das ALTE WEIB (...): Komm mit mir, weg von hier. Komm nur. Schau, ich gebe dir Gold, einen Beutel voll Gold. Das MÄDCHEN: Ich will kein Gold. Zu ihm will ich, muß ich! Das ALTE WEIB: Du wirst schöne Kleider haben, schönen Schmuck. Wie die drinnen wirst du werden, eine schöne Tänzerin. Alle werden sich um dich drängen, nach deinen Händen haschen, sie zu küssen. Das MÄDCHEN: Aber er! Die ALTE: Du bist nicht gescheit. An ihm wirst du vorbeigehen und tun, als erkenntest du ihn gar nicht." (Hofmannsthal 1979, 17.)

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father holds the child takes her in The woman meets Ugliness & takes it for Beauty When she parts from it it is Beauty but she takes it for Ugliness."415 Es handelt sich hierbei um eine Abfolge kurzer Episoden, die in unterschiedlicher Weise, an unterschiedlichen Orten und mit unterschiedlicher Personnage das Thema Begegnung und Abschied darstellen. Beim ersten sight The Street handelt es sich beispielsweise um das im Zeitraffer visionierte Kennenlernen von Mann und Frau, die sich ihre Liebe gestehen und schließlich wieder auseinander gehen. Darauf folgt das nächste bewegte Bild The Fields usw. Der Einsatz von Wortsprache ist insgesamt auf wenige Worte beschränkt, ansonsten stellte sich Craig ausschließlich Laute und Geräusche vor - Summen, undeutliches Geplapper und Wehklagen. Zu den Bewegungen der Figuren gibt er keine näheren Erläuterungen. Es ist jedoch anzunehmen, daß sich diese wie bei seinen früheren Operninszenierungen auf einfachste Bewegungen beschränken sollten. Von Bedeutung ist dabei, daß Craig plante, dieses Szenarium im Rahmen des Über-Marionetten-TheaXers mit Puppen aufzuführen. Als wichtigste Darstellungsqualität dieser Figuren nennt er im ersten Uber Manows-Notizbuch den Begriff „stillness", den er wie folgt erklärt: „Let me say a word onto the stillness of my marionettes. (...) Much movement does not represent Life anymore than much colour represents Life or much sound. Only a certain selected movement as only a selected colour or sound. And just as a bad painter will cover a canvas with all the colours at once because he thinks that will obtain the rieh glowing colours of life, so have bad artists of the theatre believed that exuberant action - unconsidered action in short would suggest the movement of Life. Whereas a good painter knows that by the use of but a very little but well selected colour he can create the impression of intense gaiety. So does a good theatre artist also know that by the use of etc etc movement. Hence the stillness of my marionettes."416 Craigs Kritik an der „exuberant action" belegt ein weiteres Mal, daß er den Begriff action nicht im Sinne der bewegungs- und aktionsreichen Inszenierungsformen des englischen Schautheaters verstanden hat, welches am Beispiel Dion Boucicaults kurz angedeutet wurde. Craig bevorzugte vielmehr symbolhaft reduzierte, genauestens abgezirkelte Bewegungen. Die äußerste Konsequenz dieses Gedankens verdeutlicht beispielsweise eine Figur, die er 1908 als „Akteur" für sein Modelltheater angefertigt hat (Abb. 26). Bei dieser Holzfigur sind nur zwei Körperteile mobil: die rechte Hand und der linke Arm, welche jeweils in einem eingeschränkten Radius bewegt werden können. Innerhalb der auf dem Modelltheater erprobten „inanimate pantomime"417 gab es folglich nur drei Möglichkeiten der Bewegung: zum einen die Verschiebung der gesamten, in sich starren Figur auf der Modellbühne und zum anderen das Auf- und Abwärtsbewegen des Armes bzw. der Hand.418

415 416 417 418

Craig, Uber Marions-B, 1905-1906, 36 (BN). Craig, Uber Marions-A, 1905-1906, 24 verso f. (BN). Cotton 1907. Vgl. die Beschreibung dieser Modellfiguren in: Craig 1945. Vgl. auch Cotton 1907.

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II Bild-Bewegung:

Theaterinszenierung als Komposition

Zeitgleich zu den Uber Manows-Notizbüchern entstand im Jahre 1906 das Szenarium The Steps (Abb. 27), welches belegt, daß Craigs Entscheidung über den Ersatz des menschlichen Darstellers durch eine künstliche Figur nicht immer eindeutig ausfiel. In vier Pastellzeichnungen und jeweils ergänzenden Kommentaren 419 veranschaulicht er vier verschiedene Stimmungen, „moods", die eine zentralperspektivisch dargestellte Treppenflucht allein durch Lichtveränderungen und Figurenbewegungen ausdrücken kann. 420 Schaut man sich die Figuren näher an, so fällt auf, daß hier bewegte Körper gezeigt werden, die eher einer natürlichen Leiblichkeit entsprechen, als jener oben hergeleiteten symbolhaft reduzierten Künstlichkeit. So kommentiert Craig die First Mood: "... three children are playing on it as you see the birds do on the back of a large hippopotamus lying asleep in an African river." Für die Second Mood vermerkt er, daß „we see many girls and boys jumping about like fireflies." 421 Dementsprechend sieht man auf der dazugehörigen Zeichnung ausgelassen hüpfende und springende Kinder in leichten, kurzen Gewändern. Die rechts außen dargestellte Figur beispielsweise erinnert an eine Tanzfigur Isadora Duncans (Abb. 28, oben rechts): Mit locker vor dem Körper ausgestreckten Armen vollführt Isadora hier, ebenso wie Craigs Figur, im weiten Ausfallschritt eine beschwingte Laufbewegung. Auch die in den Kommentaren zu The Steps gebrauchten Naturmetaphern entsprechen Duncans Tanzauffassung. Beispielsweise berichtet Isadora in einem Brief an Craig über ihre Ideen einer tänzerischen Umsetzung von Bewegungen in der Natur, wie z. B. Wellenbewegungen. 422 Als Ausdruck einer natürlichen Körperfreiheit favorisierte Duncan ferner Bewegungen wie laufen, rennen und hüpfen. 423 Damit trifft jener in der Forschung geltend gemachte Einfluß von Duncans Tanzästhetik auf Craig 424 für das Szenarium The Steps tatsächlich zu: Die gleitenden, erdgebundenen und symbolhaft artifiziellen Bewegungen der Tänzer-Marionetten seiner frühen Inszenierungen weichen hier einer im Vergleich dazu eher naturbelassenen Bewegtheit und Leiblichkeit. Es muß jedoch betont werden, daß diese Körper- und damit Tanzauffassung in Craigs (Euvre eine Ausnahme bleibt. Sie wird zudem durch die Tatsache relativiert, daß die bewegte menschliche Gestalt bei den Steps nicht im Zentrum von Craig Interesses stand, so, 419

420 421 422

423 424

Die Zeichnungen sind entgegen der bislang vertretenen Datierung nicht 1905 entstanden (vgl. alle Standardwerke zu Craig, u. a. Bablet 1965), sondern wurden von Craig 1906 signiert und datiert. Diese Fehldatierung beruht darauf, daß bisher nur schlechte Schwarzweiß-Reproduktionen der Steps bekannt waren, auf denen Craigs handschriftliche Datierung nicht zu erkennen war. (Vgl. Abb. 27, Second Mood, rechts unten.) Die Kommentare hat Craig 1913, 41 ff. gemeinsam mit den Zeichnungen veröffentlicht. Bislang ist in den Archiven kein eindeutig in das Jahr 1906 zu datierendes Manuskript dieser Kommentare gefunden worden. Zur First Mood schreibt Craig 1913,41: „What the children do I cannot teil you, although I have it written down somewhere." Dieser Verwies läßt vermuten, daß es ein Manuskript dieser Kommentare gibt, welches höchstwahrscheinlich zeitgleich mit den Zeichnungen, also 1906, entstanden ist und für die Publikation von 1913 als Vorlage gedient hat bzw. hierfür umgearbeitet wurde. Im Kontext seines Gesamtoeuvres betrachtet, ist grundsätzlich anzunehmen, daß die von Craigs 1913 veröffentlichten Texte zu den Steps weitestgehend den szenischen Überlegungen folgen, die er 1906 beim Anfertigen der Zeichnungen im Kopf hatte. Vgl. Teil III, Kap. 2 b der vorliegenden Arbeit. Craig 1913, 41f. Duncan an Craig, März 1905. (Veröffentlicht in: Steegmuller 1974, 91.) Vgl. auch Splat 1991, die eine Zeichnung Craigs aus dem Jahre 1906 veröffentlicht, welche „Duncan with Wave Motive" zeigt. (Ebd., Plate 15.) Vgl. u. a. Eynat-Confino 1987, 63-70; Splat 1988; Vincent 1991. Vgl. u. a. Obraszowa 1982; Eynat-Confino 1987; Vincent 1991.

II. 4. Teile eines Ganzen: Die Materialien des Regisseurs Craig

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wie es in den TanzaufEuhrungen Isadora Duncans stets der Fall war. „But although the man and woman interest me to some extent," kommentiert er die dritte Zeichnung der Steps, „it is the steps on which they move which move me. The figures dominate the steps for a time, but the steps are for all time."425 Die bewegten Figuren sind nur ein Aspekt innerhalb des gesamten Bildes, welche den visuellen Charakter der statischen Treppenarchitektur verändern helfen. Die lichttechnischen Effekte werden demnach zum gleichrangigen Gestaltungsfaktor, wie im folgenden zu zeigen sein wird.

b) „Scene": Darstellendes Licht und Theater der Gegenstände Bühnenlicht: Vom intimisierenden Stimmungsträger zum selbständigen Ausdruckselement Die Meininger nutzten künstliches Licht auf der Bühne in bis dahin unerreichter Qualität zur Veranschaulichung der vom Dramatiker vorgegebenen historischen Schauplätze.426 So lobte die Kritik beispielsweise die „in Sonnenschein gebadeten Straßen"427 der WintermärchenInszenierung von 1878. In vergleichbarer Weise verwendete auch Henry Irving zunächst Gasbeleuchtung und später elektrisches Licht428 für die Erzeugung von Lokalkolorit. Er setzte Lichttechnik seit den 70er Jahren darüber hinaus zur Intensivierung dramatischer Situationen ein, wie das Beispiel des vom Scheinwerfer verfolgten Matthias in der BellsInszenierung von 1871 gezeigt hat. Hier liegen die Anfänge einer gezielten Lichtregie, welche die 1899 von Adolphe Appia gestellte Forderang nach einer Nutzung der „gestaltenden Thätigkeit des Lichts"429 innerhalb der historistischen Bühnenästhetik vorwegnahmen.430 Craigs Londoner Operninszenierungen der Jahre 1900-1902 wurden von der zeitgenössischen Kritik auch deshalb gelobt, weil er hier „novel lighting effects"431 auf die Bühne gebracht hatte. In Dido and Aeneas betraf dies beispielsweise die Hexen-Szene des zweiten Akts, für die Craig angewiesen hatte, daß „huge shaddows sweep across the floor & people on the floor".432 Diese schweifenden Schatten symbolisierten die Verschwörung der Hexen gegen Aeneas. Neu war weiterhin die bereits erwähnte kontrastreiche Farbigkeit, die durch ein ausgeklügeltes Zusammenspiel von Kostümen, Bühnenausstattung und Scheinwerfer-

425 426 427 428 429 430

431

432

Craig 1913,45. Vgl. Baumann 1988, 272ff. Lindau 1879, 127. Zur Entwicklung der Bühnenbeleuchtung in England vgl. Booth 1991, 82-93. Appia 1899,103. Vgl. auch Baumann 1988, 306-235. Appia ebd., 100 kritisierte die traditionelle Verwendung von Licht auf der Bühne wie folgt: „Auf unseren jetzigen Bühnen entwickelt die Beleuchtung keine eigentliche, keine gestaltende Thätigkeit; ihr einziger Zweck ist, die Dekorationsmalereien gut ersichtlich zu machen." Diese Kritik trifft jedoch nicht auf die Inszenierungen Irvings zu, der die Beleuchtung auch im Hinblick auf dramatische Wirkungen, also gestaltend, einsetzte. Bereits R. Wagner erkannte 1865 die Möglichkeit, mit Licht nicht nur zu erhellen, sondern auch zu gestalten. Allerdings war die Beleuchtungstechnik zu diesem Zeitpunkt noch zu unausgereift. (Vgl. Baumann 1988, 306-312.) St. James Gazette vom 26. 5. 1901 (BN). Zu den technischen Neuerungen, wie z. B. das Weglassen der traditionellen Rampenbeleuchtung, vgl. E. A. Craig 1969, der nachweist, daß Craig sich in dieser Hinsicht stark an den Bühnenexperimenten Herkomers orientiert hat. Craig, annotierte Partitur Dido and Aeneas, 1899/1900 (BN).

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II. Bild-Bewegung: Theaterinszenierung als Komposition

licht erzeugt wurde. So berichtet Mabel Cox über den Wechsel der Farbstimmungen im Verlauf der Oper: „... in the first act (...) we have a vivid grass green, a deep purple, and a (...) blue background, while Dido's throne is embellished by light scarlet cushions; the effect is that of a collection of strong aniline dyes. (...) In the last act, Mr. Craig modifies the whole scheme into one of extreme beauty, by throwing a yellowish light upon it. Under the play of this light the background becomes a deep shimmering blue, apparently almost translucent, upon which the green and purple make a harmony of great richness, while Dido's scarlet cushions are mercifully allowed to give place to black." 433 Die Bühnenausstattung blieb demnach im ersten und letzten Akt gleich, welche Craig entsprechend der dramatischen Situation leicht modifizierte. So wurden die zu Anfang scharlachroten Kissen des Throns der Königin Dido durch schwarze Kissen ersetzt, auf denen Dido, gleichfalls in Schwarz gehüllt, den Verlust von Aeneas beweint. Diesem tragischen Ende entsprach auch eine veränderte Beleuchtung, welche die gesamte Szene graduell in ein „sternly tragic picture" 434 verwandelte, wie es Haidane Macfall ausgedrückt hat. Das farbige Licht wurde dabei nicht im Sinne einer realistischen Reproduktion natürlicher Lichtverhältnisse eingesetzt, sondern ebenso wie die veränderten Ausstattungsdetails als symbolische Entsprechung der Handlung. Der in seiner realen räumlichen Qualität unverändert gebliebene Bühnenraum wurde allein durch das Scheinwerferlicht in unterschiedliche Stimmungen verwandelt. Eine solche gestaltende Handhabung von Beleuchtung, die dramatische Vorgänge durch Lichtveränderungen symbolisiert, gehörte zu den wichtigsten Grundsätzen der Theaterreform Adolphe Appias. 435 Craig hat das intimisierende, symbolhaft „gestaltende Licht" 436 jedoch noch vor Appia auf der Bühne praktisch umgesetzt. Ab 1903 kennzeichnete diese Form der Lichtregie auch Max Reinhardts Regiearbeit und später vor allem die Inszenierungen des Münchener Künstler-Theaters. Die Beleuchtung fungierte hier jeweils als Stimmungsvermittler der dramatischen Handlung, d.h., sie wurde in erster Linie als visuellsymbolisches Äquivalent der vom Drama vorgegebenen psychologischen Handlungskonstellationen eingesetzt. 437 Da Craig in den Jahren nach seinen ersten Regieerfahrungen das Konzept einer literaturunabhängigen, vom Regisseur kreativ gestalteten Theaterkunst entwickelte, finden sich in seinen Notizbüchern aus dieser Zeit vereinzelt auch Ideen, die dem Licht nicht mehr nur vermittelnde, sondern auch eigenständige Darstellungsqualitäten zukommen ließen. Beispielsweise notiert er ca. 1903 in sein MSS Book 13: „20 glass bowls of gold fish suspended by a string & lime lights on them look beautiful. It is curious how the shaddows play around." 438 Diese Idee, welche ohne jeglichen Bezug auf eine dramatische Vorlage entstand, ist - wie die bereits zitierten Mimodramen - ein Gedankensplitter, ein spontaner Einfall. Hierbei interessierte ihn allein der visuelle Reiz bewegter Schatten, die durch das Zusam433 434 435 436 437 438

Cox 1900, 131. Macfall 1901,256. Vgl. Teil II, Kap. 4 c der vorliegenden Arbeit. Appia 1899, 86. Vgl. Teil I, Kap. 2 b, c und Kap. 3 b, c der vorliegenden Arbeit. Craig, handschriftliche Notiz in: Mss Book 13, 1897-1903, 25 (BN).

II. 4. Teile eines Ganzen: Die Materialien des Regisseurs Craig

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menspiel von schwimmenden Fischen in runden Goldfischgläsern, Wasser und Scheinwerferlicht entstehen können. Die Bewegung der Fische ergibt eine zufällige Abfolge von bewegten, durch Wasser und Glasrundung verzerrt vergrößerten Schattenrissen, die sich auf den umliegenden Wänden abzeichnen. Daß er sich dieses Arrangement in Form einer Installation 439 von zwanzig hängenden Goldfischgläsern vorstellte, ist für das Jahr 1903 äußerst bemerkenswert. Diese nie verwirklichte Idee, bei der Licht und Schatten als selbstbezügliche Gestaltungsfaktoren eingesetzt werden sollten, nimmt damit - ohne allerdings den Aspekt der Technik zu thematisieren - die mechanischen Lichtobjekte der 1920er Jahre gedanklich vorweg, welche am Dessauer Bauhaus u. a. von Läszlo Moholy-Nagy entwickelt wurden. 440 Eine weitere Idee, die Craigs Faszination für die Bewegung von Licht und Schatten zeigt, findet sich im Uber Marions-A-Notizbuch. Er skizziert hier im Jahre 1906 ein Beleuchtungsprojekt, das gleichfalls nie verwirklicht wurde. Auf das Hintergrundprospekt einer Bühne sollte fließendes Wasser projiziert werden, welches davor in mehrere nach unten spitz zulaufende „flat pans" gelenkt wird: „water flowing down: light on the water from limes or electric lights & reflecting up on the cloth which hang close to it. Study to find the angles for reflexion & the amount water & width of pans." Ergänzend vermerkt er: „The purpose. Not to try to show ,a reflexion of water' but to show light in movement". 441 Ähnlich wie bei den Goldfischgläsern intereressierte ihn hier die Übersetzung einer materiellen Bewegungsform, wie die des Wassers oder der Fische, in die virtuelle Bewegung von Licht und Schatten. Beide Projekte blieben fragmentarische Ideenskizzen. Sie sind ebenso wie die Mimodramen unvollendete Versuche, um die Möglichkeiten zu erproben, die sich dem Theaterkünstler eröffnen, der unabhängig vom literarischen Drama und diskursiver Sprache bewegte Bilder, sights, kreativ gestalten will. 442 Es sind visuelle Bruchstücke, die von Craig jedoch nie zu einem Gesamtbild zusammengesetzt wurden. Diesen Sachverhalt beschreibt auch Hugo von Hofmannsthal im Oktober 1903 in einem Brief an Harry Graf Kessler, zu einem Zeitpunkt, als er Craig nur aus den Erzählungen Kesslers kannte: „Ich denke mir ihn innerlich voller Möglichkeiten, für die kein existierendes Stück den Vorwand bietet, sie zu realisieren. Er träumt, denke ich, von trucs, die anzuwenden kein vorhandenes Drama phantastisch genug ist. Er möchte mit Lichtern, mit tanzenden Schatten, mit Wasser, mit Wolken, mit dem grünen Rasenteppich, mit

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Ich habe hier bewußt einen Begriff benutzt, der auf die Kunst der Postmoderne verweist. Craigs Idee der zwanzig hängenden Goldfischgläser kann als eine der frühesten Überlegungen zur Installation gelten. Zu Moholy-Nagy vgl. Popper 1968, 124-127; Popper 1975, 30. Diese Parallele zwischen Craig und der kinetischen Lichtkunst konnte bislang von der Forschung noch nicht zur Kenntnis genommen werden, weil die entsprechenden Quellen aus Craigs Notizbüchern nicht publiziert waren. (Zu Craig als Vorläufer der Kinetischen Kunst vgl. Teil III, Kap. 2 d der vorliegenden Arbeit.) Craig, Uber Marions-A, 1905-1906, 29 (BN). Damit ist jedoch noch nicht ausgeschlossen, daß Craig die oben beschriebenen Lichtgestaltungsideen nicht auch im Rahmen von Inszenierungen dramatischer Literatur hätte einsetzen können. Aber der Ursprung dieser Ideen liegt bei Craig nicht in dem Bestreben nach experimenteller Erarbeitung lichttechnischer Neuerungen, die letztlich der Inszenierung des literarischen Dramas dienen, sondern diese Ideen beanspruchen eine gestalterische Eigenständigkeit.

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II. Bild-Bewegung:

Theaterinszenierung als Komposition

Gewändern, mit entblößten und mit verhüllten Gestalten, mit Pferden, Hunden, Blumen, Stämmen, Katen, Höhlen, Vögeln und Springbrunnen zum Dichter und er rast, daß kein Dichter ihm das armselige Netzwerk von Worten liefern will, diese Wunderdinge, die unverbunden sind, einzufangen und die Magie des Ganzen daraus zu machen. Und ich wäre vielleicht sein Dichter. Er hat die einzelnen Buchstaben, und mein Scenarium wäre das Gedicht, das sich daraus zusammensetzen läßt."443 Diese enthusiastische Einschätzung Craigs ist vor allem im Hinblick auf Hofmannsthals visuell ausgerichtete Poetik sehr aussagekräftig. 444 Hofmannsthal irrte jedoch, wenn er annahm, daß Craig einen Dichter suchte, der seine einzelnen Bildideen im Sinne von „Buchstaben" zu einem „Gedicht" zusammenfugen kann. Nicht zuletzt aus diesem Grunde ist es nie zu einer fruchtbaren Kooperation beider Künstler gekommen, wie sie Hofmannsthal hier vorgeschlagen hat. Wenngleich viele sights Fragmente geblieben sind, die nie zu einer „Magie des Ganzen" verbunden wurden, gibt es ein Beispiel, bei dem Craig über das Stadium der ersten spontanen Idee hinausgedacht hat: Das Szenarium The Steps von 1906, welches er selbst als „some of his best" betrachtete. 445 Die architektonische Konstante einer Treppenflucht wird in diesen vier farbigen Pastellzeichnungen (Abb. 27) durch die aufeinander abgestimmte Veränderung zweier Variablen, Figuren und Licht, jeweils in vier verschiedene Stimmungen verwandelt. Dabei treten beide Gestaltungsfaktoren entweder gleichzeitig oder abwechselnd in Aktion. Die First Mood zeigt drei spielende Kinder: eines, das leichtfüßig die Stufen herunterhüpft, und zwei andere, die dabei zuzuschauen scheinen. Die Pastellkreide fixiert jedoch nur einen Moment des Spiels, für dessen Fortlauf sich Craig vorstellte, daß alle drei Figuren „queer quick little movements" ausführen und sich vermutlich entlang der auf dem Boden vor der Treppe angegebenen Kreise bewegen. Ziel war es, der Treppe einen Ausdruck zu verleihen, den er in seinem Kommentar als „light and gay" bezeichnet. 446 Diese Stimmung wird auch durch die Beleuchtung veranschaulicht. Die helle gelb-bräunliche Färbung des Papiers ist hier weitestgehend belassen, nur die mit braunem Pastell schraffierte dunklere linke Seite deutet auf einen Schattenwurf hin, welcher sich gegenüber der mit weißer Pastellkreide leicht überzogenen rechten Treppenhälfte abzeichnet. Ein hauchdünner weißer Kreis auf der Rückwand der Treppe soll sehr wahrscheinlich die Projektion 447 einer Sonne andeuten, die sich gleichfalls als weißer Kreis auf dem Boden vor der Treppe widerspiegelt.

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Briefwechsel Hofmannsthal-Kessler 1968, 56f. Vgl. Teil II, Kap. 3 a der vorliegenden Arbeit. Handschriftlicher Vermerk am unteren Rand des Originals der First Mood, vermutlich von Dorothy Nevile Lees (Lebensgefahrtin von Craig in Florenz): „EGC. Thought that these designs for The Steps were some of his best." Craig 1913,41. Mildenberger 1961, lf. definiert Projektion folgendermaßen: „Die Projektion erfordert einen Apparat, dessen Gehäuse den Austritt der Lichtstrahlen in anderer Richtung als durch Projektionsoptik und Kondensor verhindert." Die so ausgerichteten Lichtstrahlen werden durch einen Bildträger, „das gemalte oder photographisch hergestellte oder aus transparenten oder auch undurchsichtigen Stoffen zusammengesetzte Diapositiv", geleitet. In Craigs Uber Manons-Notizbüchern (1905/06) befinden sich mehrere Ideenskizzen zu dieser Form der gestaltenden Beleuchtung. Auch Appia 1899, 90-102 erwog den Einsatz von Projektionen auf der Bühne. (Zur historischen und technischen Entwicklung der Projektion im Theater vgl. Mildenberger 1961, 1-48.)

II. 4. Teile eines Ganzen: Die Materialien des Regisseurs Craig

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In der Second Mood verwendet Craig die braune Pastellkreide nachdrücklicher, deren weiche Striche nun die gesamte Treppenarchitektur mit einem rötlichen Braun ausfüllen und sie damit dunkler als in der First Mood erscheinen lassen: „... the steps have not changed, but they are (...) going to sleep". Die Rückwand der Treppe erscheint heller als zuvor und ist zudem mit weißen, wellenförmig parallel verlaufenden Strichen versehen. Davor, auf dem obersten Absatz der Treppe, befinden sich zahlreiche „girls and boys jumping about like fireflies. And in the foreground (...) I have made the earth respond to their movements."448 Die Bewegungen der Kinder sollen demnach den hellen Wellenlinien entsprechen, welche im Vordergrund der Zeichnung angedeutet sind. Das ausgelassene Springen und Hüpfen der Kinder wird damit synchron auf gegenständlicher Ebene durch eine Art Wellengang wiederholt, der an plätscherndes Wasser erinnert. Craig nimmt hier offenbar das Motiv des fließenden Wassers auf, welches er in seinem Uber Manows-Notizbuch als Beleuchtungsprojekt skizziert hat. Jene wellenförmigen Bewegungen, die er an der Rückwand der Treppe und auf dem Boden davor andeutet, sind nur als lichttechnische Projektionen denkbar. Insofern veranschaulicht die Second Mood eine Anwendungsmöglichkeit der oben vorgestellten Beleuchtungsidee, die er hier ausnahmsweise in einen Gestaltungszusammenhang integriert. Im diesem Falle ergänzen sich die Bewegungen der Figuren mit den durch Licht virtuell erzeugten Wellenbewegungen und konstituieren damit gleichrangig den gewünschten Gesamteindruck der Treppe. Da das Original der Third Mood verschollen ist449 und nur Schwarzweiß-Abbildungen dieser Zeichnung existieren, kann über den farblichen Ausdruck der dritten Stimmung keine genaue Aussage getroffen werden, wobei jedoch anzunehmen ist, daß wie in den anderen drei Zeichnungen ein rötliches Braun dominiert. Das raumgestaltende Licht ist hier erneut modifiziert: Während die Treppenstufen und die rechte Seitenwand gegenüber der Second Mood nahezu unverändert geblieben sind, ist der hellste Teil des Bildes auf die linke Seite verlagert. Die Rückwand überzieht nun ein nicht näher strukturiertes und vermutlich tiefschwarzes Dämmerlicht, welches alle bis dahin verwendeten Tonabstufungen an Dunkelheit übertrifft. „Something a little older has come upon the steps. It is very late evening with them", schreibt Craig zu dieser Zeichnung. Diesem Alterungsprozeß der Treppe entsprechen auch die beiden Figuren. Es sind keine Kinder mehr, sondern Mann und Frau. Folgt man Craigs Kommentar, so bleibt die Lichtsituation unverändert, d. h., nur die Figuren sind Gestaltungsvariablen während dieser Szene, welche die Stimmung der Treppe durch ihre Bewegungen charakterisieren. Zunächst kommt der Mann und versucht, das Labyrinth, „which is defined upon the floor", zu durchqueren. Jedoch erreicht er den Mittelpunkt nicht. Indessen erscheint eine Frau auf der Treppe - diese Konstellation ist in der Zeichnung festgehalten - und gemeinsam „they might once more commence to thread the maze."450 In der letzten Mood schließlich werden das Licht bzw. lichttechnische Projektionen wieder als aktiv-bewegte Gestaltungsfaktoren eingesetzt. Die Zeichnung fixiert hier einen Zeitpunkt unmittelbar vor dem Ende dieses vierteiligen Dramas der Treppe, welches Craig im

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Craig 1913,43. Die Originale der First, Second und Fourth Mood befinden sich in der Ohtani Women's University, Osaka. Der Verbleib des Originals der Third Mood ist nicht bekannt. Craig 1913,45.

148

II. Bild-Bewegung:

Theaterinszenierung

als Komposition

Rekurs auf Maeterlinck als „drama of silence" 451 bezeichnet. „The steps this time have to bear more weight. It is füll night, and to commence with, I want you to cover with your hand the carved marks on the floor and to shut out from your eyes the curved fountains at the top of the steps. Imagine also the figure which is leaning there, placed over on the other side of the steps - that is to say in the shadow." Die Ausgangssituation ist demnach folgende: Der dunkle rötlich-braune Schatten dominiert nicht wie bei der Third Mood den rechten Teil der Treppe, sondern er hat die Seite gewechselt, und die rechte Seitenwand ist nun die hellste, nur spärlich braun schraffierte Fläche. Der bläulich-schwarze Schatten, welcher diagonal von links oben nach rechts unten fällt und in dem sich die zwei hellen ovalen „marks" abzeichnen, ist, ebenso wie die beiden Fontänen vor der Rückwand der Treppe, noch nicht zu sehen. Auf der linken, dunkleren Seite befindet sich die männliche Gestalt. Die dramatische Sequenz der Fourth Mood fängt an, indem der Mann sich quer über die Treppe zu bewegen beginnt: „He is heavy with some unnecessary sorrow (...), and you see him moving hither and thither upon this highway of the world. Soon he passes on to the position in which I have placed him. When he arrives there, his head is sunk upon his breast, and he remains immobile." Während die Figur ab diesem Zeitpunkt unbeweglich an der rechten Seitenwand verharrt, wie in der Zeichnung dargestellt, wird das dramatische Geschehen nun allein durch Lichtänderungen, Projektionen und gegenständliche Bewegungen weitergetragen, die sich losgelöst und unabhängig von der menschlichen Gestalt vollziehen: „Then things commence to stir; at first ever so slowly, and then with increasing rapidity. Up above him you see the crest of a fountain rising like the rising moon when it is heavy in autumn. It rises and rises, now and then in a great throe, but more often regulary. Then a second fountain appears. Together they pour out their natures in silence. When these streams have risen to their füll height, the last movement commences. Upon the ground is outlined in warm light the carved shapes of two large windows, and in the centre of one of these is the shadow of a man and a woman. The figure on the steps raises his head. The drama is finished." 452 Indem Craig schreibt, daß „things commence to stir", ist anzunehmen, daß dieser Effekt durch Scheinwerferbewegungen oder Projektionen virtuell erzeugt werden soll, denn es sind keinerlei Hinweise auf materiell-gegenständliche Veränderungen gegeben. Bei den aufschießenden Fontänen kann nicht eindeutig festgestellt werden, ob diese als reales Wasserspiel auf der Bühne gedacht sind oder lediglich als Projektionen. Letzteres wäre vor allem deshalb naheliegend, weil die Verwandlungen der Treppenrückwand in den vorangegangenen drei Moods ausschließlich auf lichttechnische Anwendungen verweisen. Es ist jedoch ebenso wahrscheinlich, daß Craig tatsächlich an Springbrunnen gedacht hat, deren Wasserdruck variiert, so daß der Eindruck eines „great throe" entsteht, welcher sich allmählich legt. Da die Fontänen in der Zeichnung mit weißer und bläulicher Pastellkreide angedeutet sind, soll dieser Kampf der Wasserspiele vermutlich durch den Einsatz von farbigem Scheinwerferlicht oder durch Projektionen ergänzt, näher charakterisiert bzw. bühnenwirksam verstärkt werden. Am Ende dieser Sequenz werden schließlich zwei runde Fensteröffnungen auf den Boden vor der Treppe projiziert, in denen sich die Schatten zweier Menschen ab-

451 452

Ebd., 41. Ebd., 47.

II 4. Teile eines Ganzen: Die Materialien des Regisseurs Craig

149

zeichnen. Erst jetzt wird die Figur auf der Treppe wieder aktiv, indem sie den Kopf hebt. Sie reagiert auf die dramatischen Entwicklungen, welche sich allein auf gegenständlicher bzw. lichttechnischer Ebene abgespielt haben. Während das Licht beispielsweise in der Third Mood nur als unterstützender, eher passiver Gestaltungsfaktor fungiert, ist es hier als bewegtes Hell-Dunkel, als farbige Projektion oder als Schattenwurf aktiv an der Entstehung dieser vierten Stimmung beteiligt. Das Bühnenlicht tritt als gleichrangiges Gestaltungselement neben die menschliche Figur und wird damit zum eigenständigen szenischen Aktionsträger. Hierin manifestiert sich ein weiteres Mal Craigs bildkünstlerischer Materialbegriff, dem die prinzipielle Gleichwertigkeit unterschiedlicher Darstellungsmedien immanent ist. „ Movement of things "453 Interpretiert man die Fontänen in der letzten Stimmung der Steps nicht als lichttechnische Projektion, sonderns als reale Wasserspiele, so zeigt sich hierin ein weiterer Aspekt, der Craig seit ca. 1903 beschäftigt hat: die Verdinglichung der szenischen Aktion. Jene Autonomie, welche dem Bühnenlicht in den Steps teilweise als aktiver Ausdrucksträger zukommt, kann bereits diesem Kontext zugeordnet werden. Maßgebliche Voraussetzung hierfür ist die bereits besprochene Überwindung der klassisch-aristotelischen Dramenform und deren wichtigstes Kennzeichen, der interpersonale Dialog. Craigs Bestreben, den Menschen auf der Bühne durch eine Kunstfigur, die ÜberMarionette, zu ersetzen, ist als Vorstufe einer solchen Verdinglichung der szenischen Aktion zu verstehen. Diese These erscheint demjenigen fragwürdig, der davon ausgeht, daß der Ersatz des Schauspielers eine Enthumanisierung und damit automatisch eine Verdinglichung des Theaters nach sich zieht. Folgerichtig wäre dann auch das traditionelle Puppentheater als enthumanisiert-verdinglichte Theaterform zu bewerten. Die Geschichte des europäischen Figurentheaters454 belegt jedoch, daß dieser Rückschluß keinesfalls zutrifft, denn die Marionette agiert hier stellvertretend für den Schauspieler und verweist damit auf den Menschen. Analog fungiert die Über-Marionette in Craigs Theatertheorie als Substitut des menschlichen Darstellers. Der für Craig wohl wichtigste Anlaß dieses Austauschs war die Tatsache, daß diese Figuren ohne Schicksal besser manipuliert werden können und folglich das Gestaltungskonzept des Regisseurs gefugiger umsetzen als subjektiv denkende und empfindende Schauspieler. Von maßgeblicher Bedeutung ist dabei, daß diese künstlichen Wesen in Craigs Vorstellung - ebenso wie im traditionellen Puppentheater - stets erkennbar menschliche Gestalt aufwiesen (Abb. 30). Aufgrund dieser formalen Kennzeichnung verweist die Über-Marionette zwangsläufig auf die Referenz Mensch - wenn auch jenseits individuellsubjektiver Charakterisierung in einem symbolhaft-abstrahierten Sinne. Die Über-Marionette kann somit als eine Form der Verdinglichung des menschlichen Darstellers bezeichnet werden, welche den Rückbezug zum Menschen bewahrt und erkennen läßt. Von einer Verdinglichung der szenischen Aktion kann erst dann gesprochen werden, wenn das theatrale Geschehen maßgeblich durch Objekte getragen wird, die nicht anthropomorph gestaltet sind und damit keinen direkten referentiellen Bezug zum Menschen herstellen. Das heißt, sollte ein Verweis auf den Menschen und dessen komplexe Erlebniswelt

453 454

Craig 1907a, 7. Zum traditionellen Puppentheater vgl. u. a. Taube 1995.

II. Bild-Bewegung: Theaterinszenierung als Komposition

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intendiert sein, so erfolgt dieser in einem solchen Falle auf indirektem, metaphorischem Wege, und zwar vermittelt durch Gegenstände, things. In den Stücken Maeterlincks kündigt sich diese Tendenz an, indem er dem gegenständlichen szenischen Raum eine im Vergleich zur klassischen Dramenform neuartige Bedeutung verlieh.455 Wie bereits am Beispiel der Blinden dargestellt wurde, spiegelt sich der mentale Zustand der Figuren nicht nur in der Sprache, sondern auch in den Dingen, die sie umgeben. Auch die an bestimmten Stellen der Handlung gezielt eingesetzten Geräusche wie Blätterascheln, Meeresbrandung, Windrauschen und Vogelschreie werden zu aktiven Gestaltungsfaktoren, welche auf akustischer Ebene das Psychogramm der Blinden zeichnen. Diese Eigenart der Maeterlinckschen Stücke kennzeichnete bereits im Jahre 1908 ein deutscher Literaturkritiker, indem er feststellt, daß hier „die psychologische Motivierung (...) aus dem Innern der Menschen in die Umgebung (...), in die Landschaft, in die Dinge (...) hinausverlegt"456 sei. Eben jener Aspekt faszinierte Craig an den Stücken Maeterlincks: „He (...) leads us up to a fountain or into a wood, or brings a stream upon us, makes a cock crow, and shows us how dramatic these things are."457 Allerdings existiert die dramatische Ausdruckskraft der gegenständlichen szenischen Umgebung bei Maeterlinck weder unabhängig von den dramatis personae noch von der Sprache. Sie ergänzt gewissermaßen das dramatische Geschehen auf visueller und akustischer Ebene, d. h., die Dinge sind in ihrer performativen Qualität aufgewertet und treten gleichberechtigt neben den Text und die menschlichen Figuren. Während die Dinge bei Maeterlinck stets auf der komplettierenden Ebene verbleiben und somit nie ein gänzlich unabhängiges dramatisches Eigenleben erlangen, gewinnen sie in Craigs Überlegungen als szenische Aktionsträger seit ca. 1903 eine eigenständige Ausdrucksqualität. Seine langjährige Beschäftigung mit diesem Thema mündete schließlich in einer Vorstellung vom dramatischen Geschehen, wonach jede kleinste dingliche Bewegung ein theatrales Ereignis darstellt. So schreibt er 1921 in einem bislang unveröffentlichten Manuskript: „The leaves on a branch tremble in a breeze or the water of a stream flows along - a whole hillside of trees sway in the wind. Their boughs tossing or their leaves just shimmering. All these movements being acts (alltough insignificant) are dramas. Where there is movement there must be drama." Er gibt weiterhin eine Liste von „Things in motion", welche diesem erweiterten Theaterbegriff entsprechen: „* The clocks pendulum mechanism. (...) * The blown window curtain. * The door which swings open without assistance. * The coals falling from a grate. * The weathercock seen through the window. * The washing seen on the line. * The moving train without engine (...). * The waters reflections on the ceiling (...). * The cigarette

455

Hoppe 1971 hat als bislang einziger eine vergleichende Studie zu ausgewählten Dramen angefertigt, bei denen „das objektive, gegenständliche Element aktiv hervortritt]." (Ebd., 7.) Diese literaturwissenschaftlich orientierte Untersuchung, welche in vielen Punkten revisionsbedürftig ist, behandelt für die Jahrhundertwende ausschließlich Stücke von K. Valentin, A. Tschechow, C. Sternheim und G. Kaiser, um dann zu E. Ionesco, S. Beckett, W. Hildesheimer u. a. überzugehen. Nicht nur, daß Hoppe im Hinblick auf Craig zu falschen Schlußfolgerungen kommt (ebd., 61-64), er erwähnt auch mit keiner Silbe die neuartige Form der Stücke Maeterlincks. Hoppe verkannte bzw. übersah damit Maeterlincks Schlüsselstellung innerhalb des von ihm untersuchten Zusammenhangs.

456 457

Lothar 1908, 803. Craig 1913,41.

II. 4. Teile eines Ganzen: Die Materialien des Regisseurs Craig

151

placed on edge of table - its smoke rising straight up - 3 feet. All things which act without any interference of ours - & seemingly automatically."458 Eine vergleichbar radikale, minimalistische Definition von Theater findet sich vierzig Jahre später wieder bei John Cage, der einen durch Wind bewegten Fenstervorhang als „theatrical experience" beschreibt.459 Das früheste praktische Beispiel für Craigs Theaterkonzept der things in motion war dessen dritte Inszenierung Acis and Galatea aus dem Jahre 1902, bei der er lange schmale Stoffstreifen auf der Bühne und an den Kostümen anbrachte, die dann durch die Tänzer in Bewegung versetzt wurden (Abb. 23, 24). Der Mensch als Antrieb der Bewegung war hier zwar verschleiert, aber dennoch erkennbar. Ab ca. 1903 beschäftigten ihn dann Bewegungsformen, bei denen direktes menschliches Eingreifen in die Bewegung entweder unnötig, vermieden oder für den Betrachter unsichtbar bleiben sollte, d. h., er suchte nach Darstellungsmöglichkeiten einer weitestgehend verdinglichten Bewegung: „Do you know what movement I mean. Not the movement of persons - the movement of things".460 Es ist auffällig, daß einige Motive, die Craig 1921 als beispielhafte „things which act without any interference of ours" angibt, zum Großteil bereits in seinen frühen Notizbüchern der Jahre 1903— 1905 zu finden sind. So skizzierte er ca. 1903 im MSS Book 13 eine Zigarrette, von der eine „fountain of smoke" aufsteigt 461 Erste Überlegungen zur projizierten Reflexion von Wasserbewegungen auf der Bühne sind in den Uber Manows-Notizbüchern der Jahre 1905/06 festgehalten, wie oben gezeigt wurde. Craig entwarf auch andere Motive, die diesem Bewegungsprinzip entsprachen. Beispielsweise notierte er im Uber Marions-B: „Try air balls rising & falling. Try butterflies. Try paper falling - piain paper & also metallic paper."462 Bereits 1903 skizzierte er die Idee eines hängenden, in Kreisbewegungen versetzten Lampenschirms: „A glass gas shade hanging by a long string is set in motion (circular) by heat from below" 463 Im Jahre 1905 beschreibt er ferner anhand der Radierung Heimkehr des verlorenen Sohnes von Rembrandt (Abb. 29), wie ein winziges Bildelement, der fallengelassene Stock im linken unteren Drittel des Blattes, in Bewegung gerät, die sich von den Figuren verselbständigt: „Here (...) are things playing their parts. A stick alive with suggestion as it rolls from the mans hand onto the steps edge - in a moment it will fall onto the next step" 464

458 459

Craig, unveröffentlichtes Manuskript Scene. First version 1921, 19, 24 (Ms B 52, BN). J. Cage in: Kostelanetz 1988, 101: „If you're in a room and a record is playing and the window is open and there's some breeze and a curtain is blowing, that's sufficient, it seems to me, to produce a theatrical experience." Bei Craig und Cage lassen sich darüber hinaus weitere Anknüpfungspunkte finden, so daß eine spezielle Studie zu diesem Thema lohnend wäre. Beispielsweise berufen sich sowohl Craig als auch Cage auf die Schriften des Hinduismus- und Buddhismus-Kenners A. K. Coomaraswamy. (Zu Cage und Coomaraswamy vgl. u. a. Kostelanetz 1988, 63; zu Craig und Coomaraswamy vgl. Pasquier 1984.)

460

Craig, handschriftliche Notiz, um 1906, in: W. Whitman: Two Rivulets. Camden 1876 (Craig-Bibliothek, BN). Craig in: MSS Book 13, 1897-1903, 4 (BN). Craig vermerkt an dieser Skizze im Jahre 1914: „An early perception of something in movement". Craig, handschriftliche Notiz in: Uber Marions-B, 1905-1906, 20 verso (BN). Craig, handschriftliche Notiz in: MSS Book 13, 1897-1903, 25 (BN). Craig, handschriftliche Notiz in: Ms A 42, 1905, 41 (BN).

461 462 463 464

152

II. Bild-Bewegung: Theaterinszenierung als Komposition

In diesem Ausschnitt von Craigs Bildbeschreibung465, bei der ein statisches Bild gewissermaßen animiert wird, ist die Spannung ausschlaggebend, welche sich in Erwartung des fallenden Stockes beim Betrachter aufbauen soll. Im Gesamtkontext des Bildes betrachtet, ist dies ein nebensächliches Detail. Craig jedoch betrachtet den bewegten Stock als hochspannende dramatische Situation, die unabhängig vom Hauptmotiv der Begrüßungsszene abläuft und in seiner Wahrnehmung zum eigentlichen Zentrum des Geschehens avanciert. Eine solche autonome szenisch-dramatische Ausdruckskraft erlangen auch die beiden Springbrunnen in der Fourth Mood der Steps: Die Fontänen stellen einen Kampf dar, der einzig auf dieser gegenständlichen Ebene ausgetragen wird.

c) „Voice": Musik, Synästhesie - Stimme, Klang Der Hang zum Gesamtkunstwerk466 ist von der kulturwissenschaftlichen Forschung wiederholt als ein zentrales und folgenreiches Paradigma der Kunst seit 1800 beschrieben worden.467 Es ist jenes von den Theoretikern der Romantik formulierte Ideal einer Verknüpfung der verschiedenen Künste zu einem neuen, gattungsübergreifenden Kunstwerk 468 Das auf diesen Ideen der Romantiker basierende Konzept des Gesamtkunstwerks, welches Richard Wagner in seinen Züricher Schriften (1849-52) entwickelt hat469, war am Ende des 19. Jahrhunderts in weiten Teilen Europas ein locus communis, dessen theoretische Definition, ebenso wie die praktische Umsetzung in Bayreuth, nicht nur vielerorts zur Kenntnis genommen wurde, sondern auch - vor allem in symbolistischen Künstlerkreisen - einen veritablen Wagner-Kult nach sich zog.470 Auch Hubert von Herkomers Pictorial Music-Plays waren an Wagners Konzept einer „unification of the arts"471 orientiert. Während jedoch Wagner der Musik die fuhrende Rolle

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Ebd., 38-42 bespricht Craig mehr oder weniger ausfuhrlich verschiedene Radierungen von Rembrandt. Dessen Werke waren für Craig vorbildhaft. So schreibt er beispielsweise über Die Opferung des Isaac: „There we have what may indeed be called dramatic: expressive in action - each line of each movement speaks (...). It is a masterpiece of the art of expression - quite apart from any draughtsmanship or painter quality. Here is DRAMA & a great lesson in the Art of the Theatre at its highest." (Ebd., 38.) Ausstellungskat. Der Hang zum Gesamtkunstwerk 1983. Von der theater-, musik-, literaturwissenschaftlichen und kunsthistorischen Forschung wurden bereits zahlreiche Einzelstudien vorgelegt. Neben der umfangreichen Wagner-Literatur vgl. die Untersuchungen zum Symbolismus (u. a. Block 1963, 52-82; Lehmann 1968, 194-247). Vgl. auch Bablet 1965a, 55-69; Ausstellungskat. Der Hang zum Gesamtkunstwerk 1983; Müller/Hundsnurscher/Sommer 1984; Hines 1991; Fischer-Lichte 1993, 199-206; Günther 1994; Reynolds 1995, 204-215; Pütz 1995, 24-81. Vgl. Lingner 1983; Borchmeyer in: Finscher 1995, 1282f; Pütz 1995, 25-35. Eine sehr gute überblickshafte Herleitung der Idee des Gesamtkunstwerks gibt Borchmeyer in: Finscher 1995, 1282-1289. Zur Wagner-Rezeption in England vgl. u. a. Symons 1906, 44-76; Stokes 1972, 71-77; zum Wagnerismus in Frankreich vgl. u. a. Block 1963; Lehmann 1968; Müller 1983; Pütz 1995, 86-115. W. Archer in: The World \om 2. 5. 1889 über Wagner und Herkomer. (Zitiert nach Stokes 1972, 91.) Auf den Zusammenhang Bayreuth verweist auch Corkran 1889, 41. Zu Herkomers Wagner-Rezeption vgl. Stokes 1972, 71-92; Herkomer 1892, 259. Herkomer engagierte beispielsweise für seine Auffuh-

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innerhalb der Künste zuerkannte472, veränderte Herkomer dieses hierarchische Verhältnis in seinem Sinne zugunsten einer Priorität des Bildes. Die Musik komponierte er als „additional source of interpretation and colouring (...). In composing the music for it, I wished to be entirely guided by the scenes, and not by the mere development of musical phrases. Hence the music must necessarily sound fragmentory without the scenes."473 Diese „musical picture[s]"474 wurden von der Kritik als „charming the eyes and the ears"475 beschrieben. Eine folgenreichere Antwort auf die Herausforderung des Wagnerschen Gesamtkunstwerks war die Inszenierungstheorie des Schweizers Adolphe Appia, die von der theaterwissenschaftlichen Forschung im Kontext der antinaturalistischen Theaterreform bereits ausfuhrlich behandelt worden ist.476 Appias Reform betraf zwar die visuellen Komponenten der Inszenierung, aber im Zentrum seiner Theorien stand wie bei Wagner die Musik. So beschäftigt er sich in seinem theoretischen Hauptwerk Die Musik und die Inscenierung (1899) mit den Möglichkeiten einer „Inscenierung als Schöpfung der Musik".477 Weitaus radikaler als Wagner gestand Appia damit der Musik den ersten Rang innerhalb der Künste zu, für die er adäquate Darstellungsformen zu entwickeln suchte. Im Gegensatz zu Appia, der sich intensiv mit Wagners Bayreuther Inszenierungen, Theorien und vor allem mit dessen Musik auseinandersetzte, war Craigs Wagner-Rezeption weniger enthusiastisch.478 Er hat sich beispielsweise nie eingehend mit Wagners Opern beschäftigt. Arthur Symons hätte dies aufgrund seiner Londoner Purcell- und Händel-Inszenierungen gern gesehen, denn Craig „would bring", vermutete er 1906, „the atmosphere of the music for the first time upon the stage."479 Visuelle Transformationen von Musik Wagners Theorien zum Gesamtkunstwerk implizieren nicht einfach die additive Zusammenfuhrung aller Künste auf der Opernbühne, sondern die einzelnen Kunstgenres sollten amalgamiert werden, um die organische Einheit eines Kunstwerks höherer Ordnung zu erlangen.480 Im Kontext der Theatertheorie des 19. Jahrhunderts ist Wagners utopisches Gesamtkunstwerk-Konzept damit eines der frühen Versuche, die auseinandergefallenen,

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rungen in Bushey den bekannten Wagner-Dirigenten H. Richter. (Vgl. Herkomer 1911, 48-52; Stokes 1972, 86.) In seiner Reformschrift Das Kunstwerk der Zukunft (1849) visionierte Wagner die harmonische Einheit der Einzelkünste Dichtung, Tanz, Musik, Malerei und Architektur innerhalb der ,jede Kunstart in ihrer höchsten Fülle vorhanden" sein solle (Wagner 1872, Bd. 3, 178). Diese prinzipielle Gleichwertigkeit der Künste modifizierte er in seinen späteren Abhandlungen unter dem Einfluß von A. Schopenhauer. Er ging nun von einer Wertigkeitspyramide aus, an deren Spitze er die Musik setzte. (Vgl. die grundlegende Studie von Stein 1960.) Herkomer 1889, 316. Ebd. Corkran 1889,45. Vgl. u. a. Romstöck 1954, 18-62; Bablet 1965a, 239-279; Kreidt 1968, 40-94; Kindermann 1968, Bd. 8, 768-780; Volbach 1968; Giertz 1975; Hoßner 1981, 57-68; Beacham 1987; Simhandl 1993, 12-17. Appia 1899, 10. Vgl. Bablet 1965a, 287f.; Kreidt 1968, 100. Symons 1906, 359. Vgl. Fischer-Lichte 1993, 201f.; Pütz 1995, 24-84.

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spezialisierten Einzelkünste - unter Vorherrschaft der Musik - aufeinander abzustimmen, zu intimisieren.481 Eine Möglichkeit, diese Synthese zu erreichen, bot das Prinzip der Synästhesie, welches Albert Wellek als „Verschmelzung zweier oder mehrerer Sinnesmodi in einem übergreifenden Akt der Wahrnehmung"482 definiert hat. Dieses Phänomen der Doppelempfindung wurde, wie u. a. Ludwig Schräder gezeigt hat, bereits in der griechischen Antike kunsttheoretisch reflektiert.483 Das Interesse daran hielt sich über die Jahrhunderte und flammte zuweilen stärker auf, so im Manierismus oder in der Romantik. Eine besondere Bedeutung erlangte die Synästhesie auch in der Kunsttheorie und Poetik des Symbolismus, die sich symptomatisch in Charles Baudelaires Lehre der Correspondances niederschlägt.484 Nach Baudelaire gibt es für jede Farbe, jeden Klang, Geruch, jedes Gefühl, wie z. B. Liebe oder Haß, oder auch für jedes noch so komplexe Bild ein Äquivalent in einer anderen Sinnesmodalität 485 Baudelaires Auffassung von Synästhesie entspricht den späteren Erkenntnissen des Musikwissenschaftlers Wellek.486 Im Rekurs auf Wellek hat Andreas Pütz 1995 die komplexen synästhetischen Strategien untersucht, die Richard Wagner in seinen Opernkompositionen anwendete.487 Pütz zeigt u. a., daß dessen Musik sehr stark bildliche Assoziationen weckt. Diese Tonmalerei ergänzte Wagner durch seine Ideen zur Inszenierung. So schlägt er beispielsweise vor, daß sich ein durch Musik und Poesie dargestelltes Thema auch in der visuellen Erscheinung des Darstellers widerspiegeln solle: „Die Mittheilung eines Gegenstandes aber, den die Wortsprache nicht zu völliger Überzeugung an das nothwendig auch zu erregende Gefühl kundgeben kann, (...) bedarf durchaus der Verstärkung durch eine begleitende Gebärde. Wir sehen also, daß, wo das Gehör zu größerer sinnlicher Theilnahme erregt werden soll, der Mittheilende sich unwillkürlich auch an das Auge zu wenden hat: Ohr und Auge müssen sich einer höher gestimmten Mittheilung gegenseitig versichern, um dem Gefühle sie überzeugend zuzuführen. (...) Das somit in der Worttonsprache Unaussprechliche der Gebärde vermag nun aber die, von dieser Wortsprache gänzlich losgelöste Sprache des Orchesters wiederum so an das Gehör mitzutheilen, wie die Gebärde selbst es an das Auge kundgiebt."488 481

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Diesem Aspekt kann im Rahmen der vorliegenden Arbeit nicht weiter nachgegangen werden. Es ist aber m.E. evident, daß Wagners Überlegungen zum Gesamtkunstwerk Oper bereits jene Betonung des leiblich-sinnlichen Erlebens vorprägen, welche um die Jahrhundertwende paradigmatisch wird. (Vgl. Murasov in: Günther 1994, 29-54.) Wellek 1963, 103. Zu den verschiedenen Formen von Synästhesie vgl. Wellek 1929; Werner in: Metzger 1968, 285. Vgl. Schräder 1969; Jewanski 1995, 345. Vgl. u. a. Lehmann 1968, 207-213. Baudelaire bezieht sich in seiner Theorie der universalen Analogien auch auf Wagner. (Vgl. ebd.; Robichez 1957, 35f.) Vgl. Lehmann 1968, 207f.; Dorra 1994, 7-11. Wellek 1929, 19: „Unter Synästhesie verstehen wir jeden psychologischen Vorgang, in dem verschiedene Sinnesräume miteinander verbunden und in Parallele gesetzt sind, also die Sinnenentsprechungen in jeder erdenklichen Weite des Begriffs." Pütz 1995, 15 verweist darauf, daß Synästhesie, die ursprünglich in diesem weiten Sinne zu verstehen ist, im Verlauf des 19. Jahrhunderts immer stärker auf das Phänomen des Farbenhörens beschränkt wurde. Vgl. Pütz 1995,36-84. Wagner 1872, Bd. 4, 219f. Vgl. Murasov in: Günther 1994, 3 8 ^ 5 .

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Eine solche körpersprachliche Visualisierung von Dichtung und Musik ermögliche der Tanz, wie Wagner bereits 1849 in Das Kunstwerk der Zukunft feststellt: „Ton- und Dichtkunst werden in der Tanzkunst (Mimik) dem vollkommenen kunstempfänglichen Menschen, dem nicht nur hörenden, sondern auch sehenden, erst verständlich." 489 Dieses hier nur kurz skizzerte, auf dem Prinzip der Synästhesie basierende „intermediale Verweisungsspiel" 490 Wagners, wie es Jurij Murasov treffend bezeichnet hat, versah Adolphe Appia mit neuen ästhetischen Prämissen. Nach Appias Meinung hatte es Wagner in seinen Bayreuther Inszenierungen der Jahre 1876-1882 nicht vermocht, den eigenen Werken auf der Bühne gerecht zu werden491 (Abb. 32). Diese Einschätzung lag primär in der Tatsache begründet, daß er den historistischen Ausstattungsstil, der in Bayreuth mit Hilfe neuester Bühnentechnologien einen Höhepunkt erreicht hatte, als inadäquaten szenischen Rahmen für Wagners Musik betrachtete. Seiner Reformschrift Die Musik und die Inscenierung stellte Appia 1899 folgenden Ausspruch Arthur Schopenhauers voran: „Die Musik an sich und durch sich allein drückt niemals die Erscheinung aus, sondern das innere Wesen der Erscheinung." 492 Der als äußerlich empfundene Historismus verhindere, so Appia, eine adäquate Veranschaulichung dieses inneren Wesens der Musik auf der Bühne. Wichtig ist dabei, zu erwähnen, daß er nicht von Hause aus bildender Künstler, sondern Musiker war.493 So ist es irreführend, wenn Peter Simhandl Appias Reform dahingehend interpretiert, daß „er den Grundstein für die Entwicklung des an der Bildkunst orientierten Theaters" im 20. Jahrhundert gelegt habe. 494 Die von Simhandl implizierte starke Gewichtung der bildenden Kunst bei Appia führt letztlich am Kern der Sache vorbei, denn dieser Grundstein ist, wie die vorangegangenen Ausführungen gezeigt haben, viel eher bei den Meiningern, Hubert von Herkomer, Georg Fuchs und Gordon Craig zu suchen. Appias Reform entsprang zwar der Unzufriedenheit mit dem tradierten Kulissensystem und dem übersteigerten Historismus der Bayreuther Inszenierungen, aber den Anlaß hierfür gab allein die Musik. Inszenierung bedeutete für ihn in erster Linie die werkgetreue „Übertragung der Partitur auf die Bühne". Die neue symbolhaft reduzierte Bühnenästhetik Appias (Abb. 33) war das Ergebnis einer intensiven Beschäftigung mit den Kompositionen Wagners, einer intimen Kennerschaft musikalischer Strukturen sowie eines ausgeprägten synästhetischen Gespürs für visuelle Wirkungen auf der Bühne. Nach seiner Ansicht ist es eine „allgemeine Vereinfachung, welche die Musik bedingt". Appia überwand somit die illustrative Bühnenästhetik des Historismus und gelangte aufgrund seines analytischen Verständnisses musikalischer Gesetzmäßigkeiten seit ca. 1895 zu einem stärker strukturell-abstrakt geprägten Denken. Dies äußerte sich sowohl in der Abschaffung der illusionistischen Kulissenmalerei, als auch in seiner Auffassung vom gesamten Bühnengeschehen, welches sich dem „ordnenden Princip" der Musik unterordnen solle. Appia meint damit „nicht (...) ein willkürliches Nebeneinander von Partitur und Darstellung", das er Wagners Inszenierungen

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Wagner 1872, Bd. 3,87. Murasov in: Günther 1994, 43. Vgl. Appia 1899, 121-154; Beacham 1987, 8-19. Zu Wagners historistischem Inszenierungsstil vgl. u. a. Borchmeyer 1982. Zitiert nach Appia 1899, Frontispiz. Vgl. Beacham 1987, 8ff. Simhandl 1993, 13.

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II. Bild-Bewegung: Theaterinszenierung als Komposition

vorwarf, sondern „die gleichmäßig beständige Parallelbewegung zwischen den dichterischmusikalischen und den darstellerischen Modulationen." Das „Zeitmass" der Musik habe demnach die Bühnenpräsenz des Darstellers zu bestimmen, denn „sein Mienenspiel und seine Bewegungen [werden] von der Musik vorgeschrieben". 495 In seinem Traktat von 1899 hatte Appia noch keine konkreten Vorstellungen hinsichtlich der Bewegungen der Darsteller, außer daß diese tänzerisch-rhythmisch sein sollen.496 Ab 1906 fand er dann in der sog. Rhythmischen Gymnastik seines Landsmannes Emile JaquesDalcroze eine kongeniale Ergänzung seiner Ideen 497 Unabhängig von Appia hatte sich Dalcroze - verkürzt formuliert - zum Ziel gesetzt, den menschlichen Körper als visuelles Pendant musikalischer Strukturen zu bilden. Zu diesem Zwecke entwickelte er in den Jahren kurz vor der Jahrhundertwende ein Übungssystem, bei dem jeder Notenwert einer bestimmten Körperbewegung zugeordnet war.498 Eine solche direkte Kopplung von physischer Bewegung und musikalischen Tonfolgen entspricht dem synästhetischen Prinzip, denn es handelt sich hierbei um den Versuch einer körpersprachlichen Visualisierung von Musik. 499 Wagners Überlegungen wurden damit auf einer systematischen und rationaleren Ebene weitergeführt. Als zweite grundlegende Inszenierungsstrategie zur visuellen Transformation von Musik betrachtete Appia den gezielten Einsatz des Bühnenlichts: „Was in der Partitur die Musik, das ist im Reiche der Darstellung das Licht. (...) Mit Licht malt der Wort-Tondichter sein Bild." Demnach soll das Licht auf symbolischer Ebene ebenso wie die Darstellerbewegungen der Musik angepaßt werden. Das „musikalische Zeitmass" lasse sich, so Appia, besser durch bewegliches, farbiges Scheinwerferlicht veranschaulichen als mit der statischen Kulissenmalerei. Die Farbe wäre dadurch „nicht mehr an die senkrechten Leinwandflächen gebunden", sondern könne „frei in den Raum hinaus(...)treten und sich dort (...) verbreiten". Diese „Färb- und Form- und Bewegungskombinationen" des beweglichen Scheinwerferlichtes, die „sich untereinander und dann noch mit dem übrigen Bilde in stetem Wechsel verflechten, schaffen (...) eine wahrhaft unbegrenzte Zahl von Möglichkeiten" 500 , um Musik visuell adäquat darzustellen. In diesem Zusammenhang hat Richard C. Beacham zu Recht darauf hingewiesen, daß Appia als erster Theatertheoretiker eine solche Transformation musikalischer Verläufe in die visuell-virtuelle Bewegung des Scheinwerferlichtes gefordert habe.501 Jedoch das Verdienst, diese Ideen einer Verschmelzung von Visuellem und Auditiven 495 496 497 498 499

500 501

Appia 1899, 29, 105, 5, 82, 10 (vgl. auch 5-24), 15. Vgl. ebd., 36-41. Zur Zusammenarbeit Appia-Dalcroze vgl. u. a. Giertz 1975; Beacham 1987, 42-85. Vgl. u. a. Brandenburg 1921, 75-138; Beacham 1987, 47ff.; Schmidt 1989, 166-180; Bochow 1995, 17-22 (vgl. hier auch den Unterschied Duncan-Dalcroze). So läßt sich Dalcroze' Bewegungslehre mit verschiedenen synästhetischen Theorien vergleichen. Beispielsweise schlug A. W. Schlegel in seinen Betrachtungen über Metrik vor, den Buchstaben des Alphabets Farben zuzuordnen. Den Buchstaben A beispielsweise koppelte Schlegel mit der Farbe Rot, I mit Himmelblau usw. (Vgl. die umfangreiche Studie von Schräder 1969, hier: 18ff.) Analog ordnete Dalcroze den Notenwerten bzw. Tonfolgen Bewegungen des menschlichen Körpers zu. Während es also bei Schlegel um farbige Worte ging, die sich aus den einzelnen Buchstaben zusammensetzen, entwickelte Dalcroze eine tanzende Musik. Allerdings veränderte Dalcroze seine Methode ab ca. 1907. (Vgl. Schmidt 1989, 169ff.) Appia 1899, 8 1 , 9 3 , 3 5 , 8 8 , 9 4 . Vgl. Beacham 1987, 27.

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erstmals praktisch auf der Bühne umgesetzt zu haben, gebührt nicht Appia, sondern Gordon Craig. Wie oben bereits erwähnt wurde, konnte der junge Engländer gegen Ende des Jahres 1899, als die Proben zu Henry Purcells Oper Dido and Aeneas begannen, Appias Reformschriften noch nicht kennen. Craig kam unabhängig von dessen theoretischen Überlegungen auf praktischem Wege zu sehr ähnlichen Ergebnissen in der Wahl seiner Mittel: So ersetzte er die gemalten Dekorationen weitestgehend durch farbiges Scheinwerferlicht, das mit dem dramatischen Verlauf der Musik koordiniert wurde. Musikalische Stimmungswerte sollten in visuell erzeugte Emotionen übersetzt werden, so z. B. in der Ouvertüre von Dido and Aeneas, für die Craig folgende Regieanweisung in der Partitur notiert: „Drums - swell & fall. Lights - lights fall as drums fall."502 Die Änderung der Lichtintensität, welche demnach mit dem Verlauf der Musik synchron verlief, symbolisierte in synästhetischer Entsprechung die nachlassenden Trommelschläge. Ein solches der musikalischen Komposition angepaßtes, sukzessives Zu- und Abnehmen der Lichtstärke intendierte auch Appia in seinen unverwirklichten Bühnenbildentwürfen zu Wagners Opern seit Mitte der 1890er Jahre.503 Seine Farblicht-Palette war jedoch, wie die 1899 veröffentlichten Inszenierungsvorschläge zum Ring der Nibelungen belegen, eher zurückhaltend.504 Es taucht zwar hier und da ein rotes Scheinwerferlicht auf, beispielsweise in Form eines Blitzes505, aber größtenteils ging es ihm um verschiedene Tonabstufungen des blauen Himmels mit Wolkenbewegungen, um „Silbernes Mondlicht"506 oder um ein veränderliches atmosphärisch-diffuses Hell-Dunkel. Craig dagegen arbeitete stärker mit einer bereits mehrfach angesprochenen - kontrastreichen Farbigkeit, die der jeweiligen Szene auf symbolischer Ebene entsprach. „The spirit of each scene in the opera", schreibt Haidane Macfall, „was carried out in a colour-scheme that essayed to convey the emotion of that scene as deliberately to the eye as the music essayed to convey it to the ears. (...) the eye helped the ear in grasping the intention of the scene."507 Dieses „colour-scheme" betraf sowohl die Ausstattung, als auch das Bühnenlicht. So zeigte z. B. die Schlußszene von Dido and Aeneas, in der die Königin um den Verlust ihres Geliebten trauert, einen homogen hellblauen Hintergrundprospekt, auf den zunächst violettes, dann blaues Licht projiziert wurde. Während eine andere Beleuchtungsquelle Dido und ihre Gefolgschaft allmählich in grünes Licht tauchte, kam zusätzlich ein gelber Scheinwerfer zum Einsatz, der zusammen mit dem blauen Licht auf das Hintergrundprospekt strahlte. Das Gelb wurde nun schrittweise zurückgenommen, dann das Blau, und am Ende der Szene blieb schließlich ein Dunkelviolett, das sich entsprechend dem dramatischen Verlauf der Musik immer weiter verdunkelte, bis nur noch die winkenden weißen Arme des Chores zu sehen waren.508 Solch intensive Farbstimmungen gingen über Appias Ideen hinaus. Insofern waren Craigs „great masses of col502 503 504 505 506 507 508

Craig, annotierte Partitur Dido and Aeneas, 1899/1900 (Ms A 53, BN). Erst in den 1920er Jahren konnte Appia seine Ideen zu Wagners Opern in veränderter Form auf der Bühne praktisch umsetzen. (Vgl. Beacham 1987, 169ff.) Vgl. Appia 1899,233-273. Vgl. ebd.; Beacham 1987, 39f. Zum Einsatz von rotem Licht in Appias ersten eigenen ModellInszenierungen (2 Akte von Carmen, eine Szene aus Manfred) 1903 in Paris vgl. Keyserling 1903, 35. Keyserling 1903, 35 über Appias Inszenierung von 1903. (Vgl. vorangehende Anm.) Macfall 1901,255. Vgl. die Rekonstruktion von Innes 1983, 36-50, hier: 43.

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II. Bild-Bewegung: Theaterinszenierung

als Komposition

our" 509 , deren Wechsel synchron zur Musik verlief, im Jahre 1900 ein Novum auf der Theaterbühne. Jene für das Theater neuartige synästhetische Strategie einer symbolhaften Transformation musikalischer Stimmungen in Farbenwerte war jedoch um die Jahrhundertwende gerade in England ein vieldiskutiertes Thema. Anlaß hierfür gab vor allem das aufsehenerregende Experiment eines Professors für Fine Arts am Londoner Queen's College: Alexander Wallace Rimingtons Colour-Organ.51° In Anlehnung an synästhetische Überlegungen und wissenschaftliche Abhandlungen des 19. Jahrhunderts ging Rimington (1854-1918) davon aus, daß es physiologische Analogien zwischen Tönen und Farben gibt.511 Bei seiner Colour-Organ war jedem Ton eine Farbe zugeordnet, die als adäquate visuelle Darstellung dieses Klangs empfunden werden sollte. Das Anschlagen einer Taste ließ die entsprechend farbige Lampe aufleuchten, beispielsweise sah man beim Ton C ein tiefrotes, bei E ein gelbes und bei F ein gelbgrünliches Licht. Der Intensitätsgrad der Farben konnte ferner durch Register beeinflußt werden, die denjenigen einer normalen Orgel glichen (Abb. 34). Ebenso wie die meisten früheren Farblicht-Instrumente aus dem 18. und 19. Jahrhundert konnte die Colour-Organ jedoch nur Farbfolgen spielen, aber keine Töne. 512 Rimington strebte aber an, Kompositionen, die in Farbe, also visuell, gespielt wurden, simultan auch zu Gehör zu bringen. So wurde die Colour-Organ während einer Vorführung im Juni 1895 in der Londoner St. James's Hall von einem Klavier, einer normalen Orgel und einem Orchester begleitet.513 Am selben Abend hielt Rimington einen ergänzenden Vortrag mit dem Titel A New Art. Colour Music. Er vertrat hier die Meinung, daß Farbe, die in Bewegung versetzt werde, eine vergleichbare emotionale Wirkung erzielen könne wie Musik. 514 Diese Ansicht deckt sich mit der Überzeugung Adolphe Appias, der die „leblosen Farben" der Kulissenmalerei zugunsten von bewegtem farbigen Licht abschaffen wollte, das dem „Zeitmass" der Musik entspreche, und somit musikalische Emotionen visuell adäquat darstellen könne. 515 Eine direkte Zuordnung von Farbwerten und Tönen, wie sie Rimington mit seiner Colour-Organ vorgenommen hat, kann jedoch bei Appia nicht nachgewiesen werden. Hingegen läßt sich Craigs gezielter Einsatz von kräftigen Farblicht-Kontrasten, die sich entsprechend dem dramatischen Verlauf der Musik veränderten, in Zusammenhang mit Rimingtons Experiment bringen. Da die Rekonstruktionsversuche der frühen Craig-Inszenierungen aufgrund des lückenhaften Materials nur fragmentarisch sein können, ist heute nicht zu klären, ob er die Lichtfarben in Rimingtons Sinne direkt auf die Notenwerte der Musik abstimmte. Es ist auch nicht erwiesen, daß Craig Rimingtons Vortrag bzw. die Vor-

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W. B. Squire in: The Pilot vom 30. 3. 1901. (Zitiert nach Loeffler 1969, 67.) Zur großen Presseresonanz, die Rimingtons Experiment in England auslöste, vgl. Klein 1926; Seiwood 1985, 415, 420; Peacock 1988, 401 f. Nach Klein 1926 besuchten 1895 über eintausend Personen einen Vortrag von Rimington in London. Vgl. Seiwood 1985, 414f.; Peacock 1988, 399ff. Jewanski 1995 gibt einen sehr guten Abriß der Geschichte dieses Gedankens. Die Forschung zu Farbe-Ton-Beziehungen ist in den letzten Jahren sehr in Gang gekommen. (Vgl. u. a. Jewanski 1995 und die hier angegebene Literatur.) Zur Colour-Organ vgl. Rimington 1912; Peacock 1988; Schibli 1983, 243. Zu den verschiedenen Instrumenten, die seit dem 18. Jahrhundert entwickelt wurden, vgl. Peacock 1988. Vgl. ebd., 402. Vgl. Stokes 1972, 94f.; Rimington 1912. Appia 1899,93, 10.

II. 4. Teile eines Ganzen: Die Materialien des Regisseurs Craig

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führung der Colour-Organ 1895 in London besucht hat.516 Das Phänomen der Farblichtmusik wurde aber in der Presse weitreichend diskutiert.517 Craig kannte zudem Hubert von Herkomer, der sich für synästhetische Phänomene interessierte und über Rimingtons Experiment informiert war. So schrieb Herkomer bereits 1889 im Magazine of Art „But unlike any other sensation I can think of, is the sensation of seeing sound."518 Im Jahre 1911 schließlich verfaßte Herkomer das Vorwort für Rimingtons Publikation Colour-Music. The Art of Mobile Colour. Ihn faszinierte dessen „mobile colour system", welches ermögliche „to see sound and hear colour."519 In diesem Zusammenhang ist zu betonen, daß Herkomers Begeisterung für die synästhetische Entsprechung von Musik und Farbe um 1900 kein Einzelfall, sondern äußerst populär war.520 Insofern verarbeitete Craig in seiner Inszenierung von Purcells Diclo and Aeneas im Jahre 1900 eine Idee, die bereits seit längerem en vogue war. Musikalisierung Als einer der bekanntesten Farblichtmusiker des ausgehenden 19. Jahrhunderts versuchte Alexander Wallace Rimington, Farben mit seiner Colour-Organ nach dem Vorbild des „musikalischen Zeitmasses"521 in Bewegung zu versetzen. Wie er 1895 in seinem Londoner Vortrag nahegelegt hat, solle „with this changefulness, the three great influences of Time, Rhythm, and Combination" ermöglicht werden, daß die Farbe „is freed from the trammeis of form". Ein Jahrzehnt vor Beginn der abstrakten Malerei markiert Rimingtons Experiment das Bestreben, die Farbe vom Sujet, vom Gegenstand zu lösen: „We have not yet had pictures in which there is neither form nor subject, but only pure colour. Even the most advanced Impressionism has not carried us so far."522 Diese Idee einer gegenstandslosen Malerei, die allein aus rhythmisch bewegter „pure colour" bestehen soll, hat Sara Seiwood 1985 als Vorläufer des abstrakten Films der 1920er Jahre hergeleitet.523 Rimingtons ColourOrgan steht somit symptomatisch für eine Tendenz, die sich in der Malerei seit dem Ende des 19. Jahrhunderts abzeichnet: Die Musik wird zum Leitbild einer neuen Malerei, die sich schrittweise vom Darstellungsgegenstand löst.524 Damit ist neben der Visualisierung ein weiteres Paradigma genannt, das die Ästhetik um 1900 entscheidend geprägt hat: die Musikalisierung.525

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In seinen Memoiren findet sich kein Hinweis darauf. Craig hat sich meines Wissens auch nur einmal 1927 in seiner Zeitschrift The Mask zum Thema Coloriflc Music and its early Protagonists geäußert. (Vgl. Craig 1927.) Vgl. die Bibliographie in Klein 1926; Seiwood 1985,415, 420. Herkomer 1889,318. Herkomer 1912, xiv. Vgl. u. a. Schibli 1983, 237f.; Pütz 1995, 15; Schawelka 1993, passim. Appia 1899,35. Rimington, Broschüre des Vortrags vom Juni 1895. (Zitiert nach Stokes 1972, 95.) Vgl. Seiwood 1985. Sie verweist hier u. a. auf L. Survage, H. Richter und V. Eggeling. Zu diesem Aspekt existiert bereits eine umfangreiche kunsthistorische Forschungsliteratur. Vgl. u. a. den Ausstellungskat. Vom Klang der Bilder 1985 und ebd., 465-469 die weiterführenden Literaturangaben; Schawelka 1993. Dieser Begriff ist in der literaturwissenschaftlichen Forschung relativ verbreitet. (Vgl. z. B. Müller 1983.) Der Kunsthistoriker Schawelka spricht vom „Ideal des .Musikalischen'" (Schawelka 1993, Titel.)

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Theaterinszenierung

als Komposition

Dieses Paradigma prägte - vor allem unter dem Einfluß der Musik Wagners - auch die Dichtung des Symbolismus, wie Margaretha Müller 1983 nachgewiesen hat. 526 Müller untersucht das Verhältnis von Musik und Sprache im Zeitraum 1835 bis 1900 anhand der Poetiken von Gerard de Nerval, Paul Verlaine und Stephane Mallarme. Sie zeigt, wie sich bereits in den späten 1860er Jahren bei Verlaine die Tendenz einer Annäherung von Sprache und Musik ankündigt, die zur Folge hatte, daß die tradierte semantische Bedeutungszuschreibung von Worten schließlich zugunsten einer sprachlichen Produktion von Tönen und Klängen aufgegeben wurde. Ziel war es, eine Lyrik zu schaffen, die gleich der Musik sinnlich-emotionale Wirkungen hervorrufen könne. Diese Entwicklung kulminierte in der „Klangmagie des Wortes" 527 , welche die späte Dichtung Mallarmes kennzeichnet. Mallarme orientierte sich, so Müller, „an der inhaltslosen Struktur der Musik, an Musik als Form und Bewegung, wie sie in einer Partitur sichtbar wird." 528 Damit verliefen in der bildenden Kunst und der Dichtkunst parallele, zeitlich etwas versetzte Abstraktionsprozesse, die maßgeblich auf die Orientierung an der Musik zurückzuführen sind: Während sich die Malerei allmählich von der Gegenständlichkeit löste, entfernte sich die Poesie schrittweise vom Inhalt der Worte. Die Musikalisierung der Sprache wirkte sich auch in der symbolistischen Theaterdichtung und Theaterpraxis 529 aus. Bei Maeterlinck beispielsweise läßt sich nicht nur eine neuartige Betonung des visuellen szenischen Rahmens feststellen, sondern auch eine musikalisierte Verwendung von Sprache. So hat Beatrix Vedder 1978 nachgewiesen, daß Maeterlinck in seinen Stücken durch monotone Wortwiederholungen bzw. durch die „leitmotivische Wiederaufnahme" von bestimmten Begriffen ein „akustisches Reizklima" erzeugt, welches musikähnliche, rational nicht faßbare Emotionen hervorruft. 530 Vedders literaturwissenschaftliche Analyse entspricht in etwa auch den zeitgenössischen Beobachtungen. Beispielsweise schreibt Kandinsky 1912 über die Sprachverwendung bei Maeterlinck: „Geschickte Anwendung (...) eines Wortes, eine innerlich nötige Wiederholung desselben zweimal, dreimal, mehrere Male nacheinander kann nicht nur zum Wachsen des inneren Klanges führen, sondern noch andere nicht geahnte geistige Eigenschaften des Wortes zutage bringen. Schließlich bei öfterer Wiederholung des Wortes (...) verliert es den äußeren Sinn der Benennung. Ebenso wird sogar der abstrakt gewordene Sinn des bezeichneten Gegenstandes vergessen und nur der reine Klang des Wortes entblößt."531 In einer englischen Ausgabe von Maeterlinck-Stücken aus dem Jahre 1897 schlußfolgert J. W. Mackail im Vorwort sehr ähnlich: „The use of language to produce the emotional ef-

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Vgl. Müller 1983. Zur Forschungsliteratur, die gleichfalls das Thema „Musik und Sprache" behandelt, vgl. ebd., bibliographischer Anhang; Lehmann 1968, 149-175. Müller 1983, 5. Ebd., 2. Im symbolistischen Pariser Theätre d'Art bzw. Theätre de l'CEuvre wurden die Texte von den Schauspielern mit dumpfer, entrückter Stimme und montoner Diktion fast singend vorgetragen. (Vgl. Robichez 1957, 124-141; Tribble 1990, 681ff.) Vedder 1978, 39f. Vgl. auch ebd., 14f., 3 3 - t t ; Tribble 1990, 462ff. Zum Verhältnis von Musik und dramatischer Poesie vgl. ferner Block 1963, 66-71, 98f. Kandinsky 1912,45f.

II. 4. Teile eines Ganzen: Die Materialien des Regisseurs Craig

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fect of music, which has been noticed as a distinctive quality of Maeterlinck".532 Diesen Satz hat der junge Craig in seinem Exemplar angestrichen.533 Im Jahre 1908 schreibt Craig in seinem Aufsatz In a Restaurant, daß die „words (...) shall play their part in the general impression, but their part is (...) to add touches of colour; they shall bring colour to the impression - a colour of sound".534 Diese Aussage belegt, daß er zwar wortlose Bilder-Szenen anstrebte, aber die Ebene des Auditiven nicht gänzlich ausblenden wollte. In der Nachfolge der französischen Symbolisten suchte Craig die Semantik der Wortsprache zu eliminieren, um allein mit dem sound der Worte zu arbeiten, der die sights durch Klangfarben ergänzen sollte. Insofern fand Craig bei Maeterlinck nicht nur Anregungen für seine Konzeption eines primär visuellen Theaters, sondern auch für eine klangorientierte Sprache. Die Fusion der Paradigmen Visualisierung und Musikalisierung, welche bereits die Dramen Maeterlincks kennzeichnet, findet somit in Craigs Theaterkonzeption eine konsequente Fortsetzung. In Maeterlincks Theaterstücken ist jedoch die Semantik der Worte nie aufgegeben. Allein die Geräusche, wie z. B. Donnerschläge, Meeresrauschen oder Vogelschreie, befinden sich auf der asemantischen Wahrnehmungsebene. Craig dagegen wollte die Wortsprache gänzlich eliminieren. So schreibt er im Februar 1909 in eines seiner Notizbücher: „I wish to remove the word with its dogma but to leave the sound."535 Dies bedeutete für ihn in letzter Konsequenz, daß die wenigen Worte, die er seinen Figuren in den Mund legte, schließlich durch Laute ersetzt werden sollten. Bereits 1904 hatte er in einem anderen Notizheft vermerkt: „Instead of words in all cases must come confused sounds produced by the voices (...) voices which shall clearly suggest what the words could only State." Um diese Idee zu erläutern, skizziert er die folgende Szene: „A love passage between a man & woman in the open air - we can hardly hear what is said - They move along together. (...) His words sound angular & abrupt & suddenly sink to soft pleading noises - but the main sounds are gruff & bearded. She has but one reply - noises such as one hears the female bird make. (In all these presentations it is the noises which the animals & birds make, which must guide us in this section.)"536 Was Craig im Jahre 1904 mit diesem hier erstmals veröffentlichten Szenarium vorschlägt, sind stimmlich erzeugte Geräusche: Lautmalereien jenseits der Wortsprache. Craig nahm damit gedanklich eine Entwicklung vorweg, die bislang mit dem italienischen VorkriegsFuturismus angesetzt wurde.537 532

J. W. Mackail in: M. Maeterlinck: Aglavaine

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A u f dem Frontispiz findet sich die handschriftliche Eintragung „EGC 1902", d. h. Craig besaß dieses Buch seit 1902 (Craig-Bibliothek, BN). Craig 1908f, 148. Craig, unveröffentlichtes Daybook I, Nov. 1908 - March 1910, 77 (HRC, zitiert nach Eynat-Confino 1987, 165). Craig, handschriftliche Notiz in: Ms A 45, 1903-1904, 67f. (BN). Vgl. Fischer-Lichte 1995, lOf. sowie die einschlägige Forschungsliteratur zu den Sprachexperimenten der Futuristen und Dadaisten. L. Russolo proklamierte z. B. im Jahre 1913 in seinem Manifest L 'arte dei rumori die Verwendung von „voci di animali e di uomini: Gridi, Strilli, Gemiti, Urla, Ululati, Risate, Rantoli, Singhiozzi." (Russolo 1913, 97.) Zum Vergleich von Craigs Theaterkonzeption mit der des Futurismus siehe Teil III, Kap. 3 b der vorliegenden Arbeit.

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and Selysette.

London 1897, xv (Craig-Bibliothek, BN).

162

II. Bild-Bewegung: Theaterinszenierung als Komposition

Craigs Ideen zur stimmlich-lautmalerischen Erzeugung von Klängen und Geräuschen haben das Stadium des ersten spontanen Gedankens nie überschritten. In keinem seiner zahlreichen veröffentlichten Texte hat er dies auch nur angedeutet. So schreibt er 1905 in dem Manuskript seines berühmten Traktats The Art of the Theatre zunächst: „I am now going to teil you out of what material an artist of the theatre of the future will create his masterpieces. Out of action, line, colour and sound,"538 In der Version, die schließlich veröffentlicht wurde, ersetzt Craig die Worte „line" und „colour" durch „scene" und aus „sound" wurde „voice". Den Begriff „voice" erklärt er hier nun als „the spoken word or the word which is sung".539 Wenngleich er damit die Radikalität seines ursprünglichen Gedankens abgeschwächt hat, bleibt dennoch sein Verweis auf das gesungene Wort, also die vorrangig klangliche, nicht semantische Qualität der Sprache. In diesem Sinne bemerkt er bereits 1903 in einem Interview mit der englischen Zeitschrift The Free Lance: „But the art of the theatre is (...) more or less a new art, and its appeal is through the eyes and ears of the audience to their emotions, and so on to their intelligence. To their eyes by the movement, scene, and costume; to their ears by the music in speech or song, the noises - harmonious or discordant."540 Daß diese Theaterauffassung spätere Bühnenkonzepte bildender Künstler vorweggenommen hat, soll im folgenden exemplarisch dargestellt werden.

5. Wassily Kandinskys „Bühnencompositionen"541 a) Kandinsky und die Theaterreform um 1900 Sowohl die kunsthistorische als auch die theaterwissenschaftliche Forschung hat sich in den vergangenen Jahrzehnten häufig mit den Bühnenstücken von Wassily Kandinsky (1866— 1944) beschäftigt. Bereits 1954, zu einem Zeitpunkt, als gerade erst die kunsthistorische Aufarbeitung von Kandinskys malerischem Werk in Gang kam, behandelte Walter Romstöck dessen Theorien im Zusammenhang der antinaturalistischen Theaterreform um 1900. Er stellte damit den Maler Kandinsky erstmals in die Reihe der Initiatoren der Theaterreform neben Gordon Craig, Adolphe Appia, Georg Fuchs und Max Reinhardt. Seine Analyse deutet bereits wesentliche Punkte an, die von der späteren Forschung ausgebaut wurden. So verweist Romstöck auf Kandinskys Auseinandersetzung mit dem Wagnerschen Gesamtkunstwerk, auf das Vorbild der Musik sowie auf dessen synästhetisches Interesse.542 Paul Pörtner kam 1960 in seinem Überblickswerk Experiment Theater zu dem Schluß, daß Kandinskys Bühnenkomposition Der Gelbe Klang aus dem Jahre 1912 einer der ersten Texte gewesen sei, „die nur mit malerisch-bildlichen Elementen eine gegenstandlose Dramatik in

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Craig, unveröffentlichtes Manuskript vom 8. 5. 1905, o.S. (Ms B 29, BN, Hervorhebung v.Vf.). Craig 1905,71. Craig 1903. Kandinsky 1909a, 1: „Bühnencompositionen wurden diese Theaterstücke genannt, da sie in keine der gewöhnlichen Formen paßen und aus den Elementen componiert sind, die unbedingt die Bühne als Ausfuhrungsmittel verlangen." Romstöck 1954, 144ff., 151f.

II. 5. Wassily Kandinskys

„Bühnencompositionen"

163

einer Synthese reiner Elementarteile (Farbe, Linie, Form, Bewegung) schaffen."543 Dieser Aspekt wurde 1963 von Horst Denkler näher untersucht, der Kandinskys Gelben Klang im Kontext des expressionistischen Dramas behandelte. Während Romstöck und Pörtner stärker theaterhistorische Entwicklungen im Blick hatten, untersuchte Denkler Kandinskys Bühnenentwurf vor allem aus literaturwissenschaftlicher Perspektive. Er analysierte erstmals die dramatische Struktur des Gelben Klangs, die grundsätzlich vom klassisch aristotelischen Schema abweicht, und legte damit die literaturgeschichtlich-dramentheoretische Grundlage für alle späteren Interpretationen.544 Den Untersuchungen der 1970er und 1980er Jahre lag aufgrund der Erschließung neuer Quellen eine erweiterte Materialbasis zugrunde. Während bis dahin nur Der Gelbe Klang für die Forschung zugänglich war, den Kandinsky 1912 im Almanach Der Blaue Reiter veröffentlicht hatte545, wurde 1975 von Philippe Sers eine Auswahl weiterer Bühnenstücke herausgegeben, allerdings in französischer Übersetzung.546 Jelena Hahl-Koch edierte 1980 den Briefwechsel zwischen Arnold Schönberg und Kandinsky und thematisierte das synästhetische Interesse des Malers erstmals ausführlicher als wichtigen Ausgangspunkt für seine Beschäftigung mit dem Theater.547 Seit 1998 liegen alle bisher bekannten Manuskripte Kandinskys für und über das Theater (1907-1914) in einer dreisprachigen Publikation vor.548 Vor allem die Frage nach der historischen Einbettung von Kandinskys Theatertheorie hat die Forschung wiederholt beschäftigt. Es wurden unterschiedlichste Einflußquellen geltend gemacht, die sich keineswegs gegenseitig ausschließen, sondern vielmehr ergänzen. John E. Bowlt hat sehr ausfuhrlich die Verbindungen recherchiert, welche Kandinsky, der seit Ende des Jahres 1896 in München lebte, weiterhin mit Künstlerkreisen in Moskau, Odessa und St. Petersburg unterhielt. Bowlt konnte aufzeigen, daß Kandinsky dem russischen Symbolismus nahestand und daß er steten Kontakt mit den Literaten und Künstlern pflegte, die zur Gruppe der Zeitschrift Mir Iskusstwa (1898-1904) gehörten.549 Ferner beleuchtete Bowlt die Ideen, welche im Umfeld der Mir Iskusstwa florierten, und wies nach, daß der Gedanke einer Synthese der Künste als zentrale Fragestellung diskutiert wurde.550 Diese Intention einer Synthese der verschiedenen Kunstgattungen ging wiederum maßgeblich auf die Rezeption des Wagnerschen Gesamtkunstwerks zurück, denn ebenso wie die französischen Symbolisten begeisterten sich in deren Nachfolge auch die russischen symbolistischen Kreise für die

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Pörtner 1960,58. Vgl. Denkler 1963, 41-57; Sheppard 1975; Jelavich 1985, 224-235; Göricke 1987; Eller-Rüter 65-93; Hines 1991, 99-124; Schober 1994, 130-145; Plassard 1995; Verdi 1996, 125f.; Zander 211-216. Kandinsky 1912b. Vgl. Kandinsky 1975. Vgl. auch Stein 1983. Vgl. Hahl-Koch 1980. Dieser grundlegende Aspekt wurde u. a. von Washton Long 1980, 53f. sprochen und ist in der Forschung seither des öfteren aufgegriffen worden. (Vgl. Eller-Rüter 26-36; McDonnell 1990; Teichmann 1990; Klussmann 1993; Schober 1994, 123-126; Verdi 43-47; Lista 1998,46-49.)

1990, 1998,

ange1990, 1996,

Vgl. Kandinsky 1998. Die Texte sind hier in Deutsch, Russisch und Französisch veröffentlicht. Vgl. Bowlt: The Russian Connection. In: ders.AVashton Long 1984, 2-41. Zu Kandinskys Kontakten mit russischen Symbolisten vgl. auch Hahl-Koch 1993, 190f. Zu Kandinskys häufigen und ausgedehnten Reisen nach Rußland vgl. die Chronologie von E. Schmitt in: Ausstellungskat. Der frühe Kandinsky 1994, 15-45. Vgl. Bowlt 1973.

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II. Bild-Bewegung: Theaterinszenierung als Komposition

Ideen Wagners.551 Hier liegt u. a. der Ursprung der legendären Ballets Russes, die ab 1909 Malerei, Ballett und Musik auf neuartige Weise publikumswirksam verbanden.552 Es ist insofern naheliegend, mit Bowlt anzunehmen, daß auch Kandinskys Ideen zur Synthese der Künste dieser Begeisterung der russischen Symbolisten für das Gesamtkunstwerk entsprangen. Peg Weiss' Bemühen, Kandinsky stärker dem symbolistischen Milieu in München speziell dem Stefan George-Kreis - zuzuordnen, wirkt in Anbetracht der damaligen internationalen Wirksamkeit des von Frankreich ausgehenden Symbolismus etwas mühsam, aber ergänzend.553 Daß Kandinsky wie viele seiner Zeitgenossen von den Ideen des europäischen Symbolismus beeinflußt war, steht außer Frage. In diesen Zusammenhang gehört auch Kandinskys Rezeption theosophischer bzw. anthroposophischer Ideen, welche erstmals Sixten Ringbom 1970 nachgewiesen hat.554 Auf diesen Forschungen aufbauend, hat beispielsweise 1995 die Frankfurter Ausstellung Okkultismus und Avantgarde ein weiteres Mal die enge Verknüpfung von okkultistischen Ideen, Symbolismus und Avantgarde vor Augen gefuhrt.555 Die ersten Überlegungen zu seinen Bühnenstücken skizzierte Kandinsky im Spätherbst 1908556, also noch bevor die Ballets Russes im Frühjahr 1909 im Pariser Theätre du Chätelet ihr aufsehenerregendes Debüt gaben. Als konkrete theaterhistorische Kontexte, die Kandinskys Interesse für die Bühne bestärkt bzw. bei der Ausprägung seiner Ideen unterstützend gewirkt haben könnten, wurden von der Forschung folgende Vorschläge gemacht: das russische Theater, vor allem die frühen Inszenierungen Wsewolod Meyerholds; Georg Fuchs und Peter Behrens; Max Reinhardt sowie Edward Gordon Craig.557 Diese möglichen Einflußfak-

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Vgl. ebd., 39f.; Pütz 1995, 86-118. Vgl. u. a. Lieven 1936; Bowlt 1973, 47; Jeschke/Berger/Zeidler 1997. Vgl. Weiss 1979, 81-91. Vgl. Ringbom 1970. S. Ringbom publizierte weiterhin 1982 Kandinskys Annotationen zu R. Steiner. (Ringbom in: Ausstellungskat. Kandinsky und München 1982, 102-105.) Vgl. Ausstellungskat. Okkultismus und Avantgarde 1995. Vgl. auch Ackermann 1998. Vgl. Hahl-Koch 1993, 144; Boissel 1986, 246. Eine wichtige Grundlage für diese Datierung ist eine Tagebuchnotiz von G. Münter, die 1911 rückblickend über den Jahreswechsel 1908/09 schreibt: „Im Winter (od. Spätherbst) diktierte er [Kandinsky] mir (...) - die erste - Bühnenkomposition (Schwarz-weiß-bunt). Im Febr. fuhren wir zu Hartmanns nach Kochel (...). Im Spätherbst schon hatte K. Prolog und Bühnenkomposition gemacht zum Daphnis für Sacharoffs Tanz und Hartmanns Musik." (Zitiert nach Boissel 1986, 246.) Es existiert ferner in der GM/JE St. ein Notizbuch, das E. Hanfstaengl auf 1908/09 datiert hat (vgl. Hanfstaengl 1974, 148), welches Kandinskys erste Notizen zu dem Bühnenstück Schwarz und Weiß beinhaltet. (GMS 328, 79-81; vgl. Kandinsky 1908/9.) HahlKoch 1993, 144 bezieht sich auf einen unpublizierten Vortrag aus dem Jahre 1950 von Th. v. Hartmann (MLY), der die Musik für den Gelben Klang geschrieben hat. Demnach arbeitete er 1908 zusammen mit Kandinsky an einem Bühnenspiel nach einem Märchen von H. Ch. Andersen (Garten des Paradieses) und etwas später, um die Jahreswende 1908/09, an dem Stück Daphnis und Chloe (beide Manuskripte in der GM/JE St., veröffentlicht in: Kandinsky 1998). Zu Meyerhold und Kandinsky vgl. Washton Long 1980, 56-58; Hahl-Koch 1993, 143f.; Eller-Rüter 1990, 129f. Zu Fuchs/Behrens vgl. Weiss 1979, 92-103; Washton Long 1980, 54f. Zu Reinhardt und Kandinsky vgl. Kleine 1994, 287f.; Schmitt in: Ausstellungskat. Der frühe Kandinsky 1994, 35. Zu Craig und Kandinsky vgl. Boissel 1986, 244; Behr 1991, 110f.; Hahl-Koch 1993, 143; Kleine 1994, 288f.; Schober 1994, 118-123. In Anlehnung an Ringboms Forschungen (vgl. Ringbom 1970) schlug Washton Long 1980, 55f. weiterhin vor, daß R. Steiners Inszenierungen von E. Schure-Dramen, die 1907 und 1909 in München aufgeführt wurden, Kandinskys Ideen zum Theater beeinflußt haben könnten. Behr 1991, 114-123 baute diesen Ansatz weiter aus, kam aber zu dem Schluß, daß die wortlastigen u n d statischen Inszenierungen Steiners sich doch erheblich von Kandinskys Biihnenkomposi-

II. 5. Wassily Kandinskys

„Bühnencompositionen"

165

toren wurden jedoch von den entsprechenden Autoren größtenteils nicht näher hinterfragt bzw. ohne fundierte theaterhistorische Kontextualisierung angeführt. In seinem gegen Ende des Jahres 1911 erschienenen Traktat Über das Geistige in der Kunst hebt Kandinsky das russische Theater hervor, weil es den ,,nötige[n] Übergang vom Materiellen zum Geistigen"558 geschafft habe. Er spielt in diesem Zusammenhang auf die Inszenierung eines Maeterlinck-Stückes in Petersburg an, die nicht historistisch-naturalistisch ausgestattet war, sondern in stilisierter Vereinfachung.559 Da Wsewolod Meyerhold der erste Regisseur war, der seit 1905 in Rußland dieses neuartige Ausstattungsprinzip auf der Bühne umgesetzt hat, könnte sich Kandinskys Verweis auf dessen Maeterlinck-Inszenierungen im Petersburger Theater der Komissarshewskaja aus den Jahren 1906/07 beziehen. Bereits 1902 hatte der symbolistische Dichter Waleri Brjussow in der Nachfolge französischer Bestrebungen eine stilisierte Bühnenausstattung gefordert.560 Kandinsky kannte höchstwahrscheinlich Brjussows in der Mir Iskusstwa erschienenen Artikel561, auf den auch Meyerhold 1907 in seiner Schrift Zur Geschichte und Technik des Theaters rekurriert.562

tionen unterschieden. (Vgl. ebd., 121.) Erst 1913 entwickelte Steiner die Eurythmie, d.h., erst nachdem Kandinsky seinen Gelben Klang veröffentlicht hatte, gestaltete Steiner seine Inszenierungen bewegter. Insofern kann zwar davon ausgegangen werden, daß die theosophische Lehre Kandinsky beeinflußt hat, aber theaterästhetisch war Steiner sehr wahrscheinlich für Kandinsky kaum von Interesse. Deshalb wird auf Steiner im folgenden nicht eingegangen. 558 559

Kandinsky 1912, 54, Anm. Angeblich hatte, so Kandinsky, Maeterlinck selbst in Petersburg Regie geführt (vgl. Kandinsky 1912, 45). Maeterlinck hat jedoch nur einmal 1893 bei der Pariser Uraufführung von Pelleas et Melisande im Pariser Theätre d'Art mitgewirkt, wo der von Kandinsky beschriebene „fehlende (...) Turm" durch „ein Stück Leinwand" ersetzt wurde. (Kandinsky ebd.; zur Pariser /W/eos-Uraufführung vgl. Robichez 1957, 158-171.) Es stellt sich somit die Frage, wie Kandinsky von dieser Inszenierung erfahren konnte, die er irrtümlicherweise in Petersburg ansiedelte. Möglich wäre, daß er ein Gastspiel des Pariser Theaters in Petersburg gesehen hat, oder daß der Ausstattungsstil der Pariser Uraufführung in Petersburg nachgeahmt wurde, z. B. von Meyerhold, der in den Jahren 1906/07 in Petersburg mehrere Maeterlinck-Stücke, u. a. Pelleas, inszeniert hat. (Vgl. die Chronologie in: Meyerhold 1979, Bd. 2, 616-618.) Eine andere Möglichkeit wäre, daß Kandinskys Information über die besagte MaeterlinckInszenierung aus zweiter Hand war. Vermutlich kannte Kandinsky Meyerholds Schrift K istorii i technike teatra (Zur Geschichte und Technik des Theaters), die 1908 unter dem Titel Das Theater. Ein Buch über das Neue Theater im Petersburger Schipownik-Verlag erschienen war (vgl. Meyerhold 1979, Bd. 1, 319). Meyerhold verweist hier, ähnlich wie Kandinsky, auf eine Inszenierung, an der Maeterlinck selbst beteiligt war, und zitiert einen belgischen Kritiker, der den durch ein Stück Leinwand ersetzten Turm beschreibt. (Vgl. Meyerhold 1979, Bd. 1, 117.) Meyerhold meint sehr wahrscheinlich die Pariser fW/eos-Inszenierung von 1893, was aber im Text nicht deutlich wird, so daß Kandinsky angenommen haben könnte, daß diese in Petersburg zu sehen war.

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W. Brjussow veröffentlichte 1902 in der Mir Iskusstwa (Nr. 1-6, 67-74) den Artikel Die unnötige Wahrheit. Er wandte sich hier gegen den tradierten historistisch-naturalistischen Illusionismus und forderte eine Stilisierung der Bühnendarstellung. Da der russische Symbolismus stark durch den französischen geprägt war (vgl. Pyman 1994; Pütz 1995, 113ff.), ist anzunehmen, daß Brjussow, ebenso wie Behrens und Fuchs (vgl. Teil I, Kap. 2 b der vorliegenden Arbeit), auf direktem oder indirektem Wege die Stilisierungsbestrebungen des symbolistischen Theaters in Frankreich (vgl. Quillard 1891) rezipiert hat.

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Vgl. Hahl-Koch 1993, 143f. Vgl. Meyerhold 1979, Bd. 1, 118f. Diese Schrift erschien 1908 in dem Sammelband Das Theater. Ein Buch über das neue Theater. Es ist möglich, daß Kandinsky diese Publikation kannte. (Vgl. Anm. 559.)

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II. Bild-Bewegung: Theaterinszenierung als Komposition

Hier bezieht sich Meyerhold jedoch auch auf Georg Fuchs und dessen 1905 erschienenes Traktat Die Schaubühne der Zukunft,563 Meyerhold, der aufgrund seiner familiären Herkunft die deutsche Sprache beherrschte, war sehr gut über die Theaterreformbestrebungen in Deutschland informiert und rezipierte Fuchs' Ideen frühzeitig.564 Noch bevor Fuchs das von ihm beschriebene Relief-Prinzip praktisch umsetzen konnte, wurde es von Meyerhold in den Petersburger Inszenierungen angewandt. Wie später die FawjMnszenierung des Münchener Künstler-Theaters wurden die bildhaften Arrangements und leblos-erstarrten Posen der Schauspieler in Meyerholds Inszenierungen der Jahre 1906/07 von zeitgenössischen Beobachtern mit kritischen Rezensionen bedacht.565 Allerdings ist es kaum möglich, daß Kandinsky Meyerholds Stilbühnenexperimente aus eigener Anschauung gekannt hat, da er in den Jahren 1903 bis 1905 nur kurz und zwischen 1906 und 1910 gar nicht in Rußland weilte.566 Gisela Kleine vermutet in ihrer Kandinsky-Münter-Biographie, daß der Aufenthalt des Paares in Berlin zwischen September 1907 und April 1908 ein wichtiger Auslöser für Kandinskys Beschäftigung mit dem Theater war.567 Anlaß hierfür sei vor allem die Regiearbeit Max Reinhardts gewesen. Daß Kandinsky dessen Inszenierungen besucht hat, ist anzunehmen, denn zum einen waren diese eine kulturelle Attraktion in Berlin, und zum anderen arbeitete seit 1906 Ernst Stern als Bühnenbildner für Reinhardt, den Kandinsky seit seiner Münchner Studienzeit näher kannte. Wie bereits gezeigt wurde, vertrat Reinhardt eine neuartig visuell-sinnliche Theaterauffassung, die auf den Maler gewirkt haben muß. Wie kein zweiter vermochte es Reinhardt, Theater jenseits akademischer Wortlastigkeit zu einem bewegt-spielerischen und vor allem optischen Erlebnis werden zu lassen. Die legendäre Sommernachtstraum-Inszenienmg des Jahres 1905 war beispielsweise während Kandinskys Berlin-Aufenthalt noch auf dem Spielplan des Deutschen Theaters568 (Abb. 3). Er hätte weiterhin die von Emil Orlik ausgestatteten Inszenierungen von Schillers Räubern oder Shakespeares Kaufmann von Venedig sehen können. Im Oktober 1907 fand zudem die Premiere von Shakespeares Was Ihr wollt statt, eine Auffuhrung, für die Ernst Stern die Kostüme

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Vgl. Meyerhold 1979, Bd. 1, 114. Zu Meyerholds Rezeption von Fuchs' Reliefbühne vgl. Braun 1995, 48f. Vgl. Tribble 1990, 810-842; Fiebach 1991, 123-125; Braun 1995, 45-78. Zur Theorie und Rezeption des Münchener Künstler-Theaters vgl. Teil I, Kap. 2 der vorliegenden Arbeit. Vgl. die äußerst genau recherchierte Biographie Kandinskys von Schmitt 1994, die auch anhand von Briefen dessen Reisen detailliert aufschlüsselt. (Schmitt in: Ausstellungskat. Der frühe Kandinsky 1994, 27-36.) Am 19. 12. 1903 hatte Meyerholds erste Inszenierung in Moskau Premiere, die sich bereits deutlich vom Naturalismus der Stanislawski-Schule absetzte. (Vgl. Braun 1995, 22.) Kandinsky war jedoch nur im Oktober 1903 kurz in Moskau. 1904 kam er gar nicht nach Moskau, sondern fuhr nur für ca. vier Wochen in seine Heimatstadt Odessa. Im Jahre 1905 war Kandinsky ebenfalls im Herbst für kurze Zeit in Odessa. 1906 fuhr er gar nicht nach Rußland, sondern war ab Mai in Paris, wo er sich bis Juni 1907 aufhielt. Auch im Jahre 1907 besuchte er nicht sein Heimatland, sondern verbrachte mehrere Monate, bis Ende April 1908, in Berlin. Den Rest des Jahres verlebte er u. a. in München und Murnau, d.h., auch 1908 fuhr er nicht nach Rußland. Erst im Oktober/November 1910 kam er wieder nach Moskau und Petersburg. Sehr wahrscheinlich war Kandinsky aber durch die Berichte in der Kunstzeitschrift Apollon über die russischen Theaterexperimente informiert (vgl. HahlKoch 1993, 148). Vgl. Kleine 1994, 287f. Vgl. Boeser/Vatkova 1984, 328. Zu Reinhardts Sommernachtstraum genden Arbeit.

siehe Teil I, Kap. 3 c der vorlie-

II 5. Wassily Kandinskys

„Bühnencompositionen"

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entwarf.569 Mit Reinhardts Inszenierungen lernte Kandinsky einen visuell orientierten Inszenierungsstil kennen, der den Meininger Illusionismus zu einer stimmungshaften, energiegeladenen „Bühnenmalerei"570 weiterentwickelt hatte. Daß Kandinsky durch diese Bildästhetik beeinflußt worden wäre, ist jedoch für keines seiner Stücke nachweisbar. Während Max Reinhardts Inszenierungen zum überwiegenden Teil durch „Unruhe und Überfluß"571, gekennzeichnet waren, kam im Mai 1908 auf der Reliefbühne des Münchener Künstler-Theaters Fritz Erlers und Georg Fuchs' FawsMnszenierung zur Premiere, deren Bildsprache weitaus klarer und stilisiert reduzierter ausfiel. Wie bereits im vorangegangenen angemerkt wurde, galt diese Eröffnungsinszenierung des Künstler-Theaters als ein kulturelles Ereignis von besonderem Rang, das in der Presse sowohl national als auch international große Beachtung fand.572 Kandinsky kam Anfang Juni 1908 nach München zurück, ging aber bald erneut auf Reisen und verweilte erst wieder ab Ende September längere Zeit - bis Ende Februar 1909 - in der bayerischen Hauptstadt.573 In diesem Zeitraum entstanden seine ersten Skizzen zu den Bühnenstücken. Peg Weiss geht davon aus, daß die Theaterreform von Georg Fuchs und die praktischen Ergebnisse des Münchener Künstler-Theaters Kandinskys Beschäftigung mit der Bühne ausgelöst hätten.574 Diese zugespitzte These muß jedoch relativiert werden, denn um 1900 interessierten sich bildende Künstler allgemein verstärkt für das Theater. Hubert von Herkomer war einer der ersten Maler, der die bildnerischen Möglichkeiten dieses Mediums für sich entdeckte und die Bühne sehr bewußt als eine Alternative zur Leinwand betrachtete. Die Mitarbeit renommierter bildender Künstler bei Max Reinhardt seit 1903 eröffnete schließlich einem breiten, internationalen Publikum neuartige Perspektiven der visuellen Gestaltung auf dem Theater. In diesen Kontext gehören auch Georg Fuchs' Überlegungen einer bildnerischen Reform der Bühnendarstellung, die er seit den späten 90er Jahren des 19. Jahrhunderts gemeinsam mit Peter Behrens entwickelt hatte. Das „Thema ,Die Schaubühne der Zukunft'" wurde um 1900, wie die Münchener Zeitung im Jahre 1905 vermeldet, generell „leidenschaftlich diskutiert(...)". 575 Kandinsky sind diese Diskussionen sicherlich nicht entgangen. Er kannte zudem Peter Behrens576 und sehr wahrscheinlich auch Georg Fuchs, der in den damaligen Münchner Künstlerkreisen vor allem als Kunstkritiker relativ bekannt war.577 Fuchs gelang es sogar, für den Vorstand seines 569 570 571 572 573 574 575 576

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Vgl. Boeser/Vatkova 1984, 328f. Kleine 1994, 287 nimmt irrtümlich an, daß Die Räuber von E. Stern ausgestattet waren. F. Engel über Reinhardts Kaufmann von Venedig in: Berliner Tageblatt vom 13. 11. 1905. (Neuabdruck in: Fetting 1987, Bd. 1,315.) Ebd. Vgl. Teil I, Kap. 2 b, c der vorliegenden Arbeit. Fuchs 1909, 245-279 gibt nicht nur nationale, sondern auch internationale Pressestimmen wieder. Vgl. Schmitt in: Ausstellungskat. Der frühe Kandinsky 1994, 36f. Vgl. auch Münters Tagebuchaufzeichnungen in: Kandinsky/Münter 1996, 46f. Vgl. Weiss 1979, 92f. Münchener Zeitung vom 18. 8. 1905 (BN). Vgl. auch Marsop 1905. Beide Künstler stellten gemeinsam auf der 2. Phalanx-Schau aus, und 1903 bot Behrens Kandinsky die Leitung der Klasse für dekorative Malerei an der Kunstgewerbe-Schule Düsseldorf an. (Vgl. u. a. Schmitt in: Ausstellungskat. Der frühe Kandinsky 1994, 26ff.) Weiss erwähnt, daß Fuchs' Name mehrmals in einem Notizbuch Kandinskys aus der Zeit um 1908 auftaucht. (Vgl. Weiss 1979, 199, Anm. 23.)

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II Bild-Bewegung: Theaterinszenierung als Komposition

Künstler-Theaters einen derart renommierten Maler wie Franz von Stuck zu gewinnen.578 Bei Stuck wiederum hatte Kandinsky 1900/1901 Malerei studiert. Es ist somit anzunehmen, daß Kandinsky die viel besprochene Eröffnungsinszenierung des Münchener KünstlerTheaters, Goethes Faust, im Laufe der ersten Saison besucht hat und daß er vermutlich auch das 1905 erschienene Traktat Die Schaubühne der Zukunft oder einen der vielen Artikel zu diesem Thema kannte, die Georg Fuchs bzw. Peter Behrens seit 1899 veröffentlicht hatten. Peg Weiss versucht nun, Kandinskys Ideen zum Theater direkt auf Georg Fuchs und dessen Münchener Künstler-Theater zurückzufuhren. Auch hier ist die Ausschließlichkeit ihrer Argumentation zu relativieren. Sowohl Fuchs als auch Kandinsky waren durch die Gedankenwelt des Symbolismus geprägt; beide beriefen sich beispielsweise auf Maurice Maeterlinck.579 Entsprechend ist anzunehmen, daß Kandinsky - vermutlich durch Brjussows Artikel in der Mir Iskusstwa aus dem Jahre 1902 - bereits mit der Idee einer stilisierten Bühnenausstattung vertraut war. Er dürfte dieses Gestaltungsprinzip jedoch erstmals 1908 in der Fa«i7-Inszenierung des Münchener Künstler-Theater in einer derart konsequenten praktischen Ausfuhrung gesehen haben (Abb. 7). Der symbolhafte Einsatz des farbigen Lichts und die marionettenhafte Statuarik der Schauspieler, die in ein artifizielles, nicht realistisches Bildkonzept eingebunden waren, könnten auf Kandinsky tatsächlich anregend gewirkt haben.580 Neben dem Bildnerischen sprach Georg Fuchs jedoch auch dem dichterischen Wort eine besondere Bedeutung zu.581 Peg Weiss hat diesen wichtigen Aspekt vernachläßigt, denn die wortreich sprechenden lebenden Bilder der Fai«/-Aufführung unterscheiden sich grundsätzlich von Kandinskys Bühnenkonzept, das die Wortsprache weitestgehend ausklammert. Weiss beruft sich ferner auf Fuchs' singulare Äußerung in der Schaubühne der Zukunft, wonach Theater möglich sei „ohne Wort und ohne Ton, ohne Szene und ohne Gewand, rein als rhythmische Bewegung des menschlichen Körpers."582 Diese Idee von bewegten nackten Körpern auf einer kahlen Bühne war maßgeblich durch die Traumtänzerin Madeleine geprägt und hat gleichfalls kaum etwas mit Kandinskys Vorstellungen gemein. Der Unterschied zwischen Kandinskys und Fuchs' Tanzauffassung entspricht dem zwischen Craig und Fuchs583, wie im folgenden gezeigt wird. Bevor jedoch Kandinskys Theaterkonzeption mit den Ideen Gordon Craigs verglichen wird, muß zunächst auf einen weiteren Aspekt eingegangen werden, der als einer der wichtigsten - zumeist vernachläßigten - auslösenden Faktoren für Kandinskys Beschäftigung mit dem Theater gelten kann: die Idee einer musikalisierten Malerei.

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Vgl. Münchener Künstler-Theater 1908, 5. Zu Fuchs und Maeterlinck vgl. Teil I, Kap. 2 a der vorliegenden Arbeit. Auch Kandinsky 1912, 44f. berief sich explizit auf Maeterlinck. Seine Bibliothek enthält grundlegende Publikationen Maeterlincks in deutscher Übersetzung. (Vgl. Hahl-Koch 1993, 193: Der Schatz der Armen, 1898; Von der inneren Schönheit, ohne Jahresangabe. MNAM, GM/JE St.) Es ist allerdings müßig, wie es Weiss 1979, 96ff. versucht, Kandinskys Bildwelt nach einzelnen visuellen Motiven der Aufführungen des Künstler-Theaters abzusuchen, um eine direkte Beeinflussung nachzuweisen. Dieses Vorgehen ist ebenso konstruiert wie Weiss' Annahme: „There is even good reason to believe, (...) that Kandinsky had the stage of the Munich Artists' Theater in mind when he composed Der Gelbe Klang." (Weiss 1979, 93.) Vgl. Teil I, Kap. 2 b, c der vorliegenden Arbeit. Fuchs 1905,41. Vgl. Teil II, Kap. 4 a der vorliegenden Arbeit.

II. 5. Wassily Kandinskys

„Bühnencompositionen"

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b) Die Bühne als Möglichkeit einer kinetisch-synästhetischen Malerei Kandinskys Bühnenstücke wurden von der Forschung häufig seinem schriftstellerischen (Euvre zugeordnet. Beispielsweise vermerkt Horst Denkler im Rahmen seiner literaturwissenschaftlichen Analyse des Gelben Klangs: „Der Text beschreibt (...) nur szenische Abläufe (...) und nimmt dem Regisseur die Mühe ab, ein Regiebuch herzustellen".584 Dieser Gedankengang Denklers, dem das konventionelle Verhältnis von Bühnenautor und Regisseur zugrunde liegt, wird jedoch Kandinskys Intention nicht gerecht. Daß seine Bühnenkompositionen im Medium der Wortsprache festgehalten sind, die allerdings nicht selten durch Skizzen ergänzt wurden, ist kein Indiz dafür, den Gelben Klang, wie es Ulrika-Maria Eller-Rüter noch 1990 getan hat, als primär „literarische[s] Werk"585 zu bezeichnen. Natürlich kann man Kandinskys Bühnenstücke als (Dramen-)Literatur untersuchen, aber es erscheint naheliegender, diese Theatertexte - mit Ausnahme der eingefugten Gedichte586 - als detaillierte Regieanweisungen zu lesen, welche, durch Sprache vermittelt, eine visuelle Realisation einfordern.587 Insofern brauchte der Maler Kandinskys keinen Regisseur, der seine Stücke interpretierend auf die Bühne bringt, weil die Inszenierung bereits weitestgehend in den Text eingeschrieben ist. Entsprechend seiner visuellen Konzeption wollte Kandinsky die praktische Realisation bis in jede Einzelheit ungeteilt selbst überwachen und gestalten. Beispielsweise lehnte er im Jahre 1914 das Angebot Hugo Balls ab, für eine Inszenierung an den Münchner Kammerspielen Ausstattung und Bühnenbild zu gestalten. „Es ist ebenso unmöglich", schreibt er in einem Brief an Ball, „nur die ,Farbenangabe' zu bestimmen, wie für eine fremde Symphonie nur die Instrumente zu wählen. Ich habe ganz bestimmte Ansichten über die ,Bühnenfrage' und könnte nur dann sie auch praktisch zu verwirklichen versuchen, wenn dies im vollen Maße geschehen könnte."588 Diese Ablehnung einer bühnenbildnerischen Mitarbeit hätte Gordon Craig sehr ähnlich begründet.589 Beide Künstler wollten offenbar ausschließlich ihre eigenen Bildideen inszenieren. Aufgrund der Tatsache, daß vieles in der Realität nur fragmentarisch umsetzbar war, zog sich Craig schließlich aus der Inszenierungspraxis zurück. Eine solche Enttäuschung blieb Kandinsky erspart, da er selbst nie die Gelegenheit hatte, seine frühen Stücke auf der Bühne zu realisieren.590 Wie unmittelbar Malerei und Theater im Denken Kandinskys korrespondiert haben, belegt der Vergleich einer Skizze aus den ersten Notizen zur Bühnenkomposition Schwarz und Weiß (1908/09) mit einer ca. 1907/08 entstandenen Aquarellskizze. Die mit Bleistift ausge584 585 586 587

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Denkler 1963,43. Eller-Rüter 1990,4. Zu den Gedichten Kandinskys vgl. u. a. Brinkmann 1980; Hahl-Koch 1993, 139-142; Emmert 1998, 118-210. Daß diese Regieanweisungen nicht selten die damaligen Grenzen der bühnentechnischen Realisierbarkeit überschritten haben, ist m.E. nicht, wie es Schober 1994, 137 annimmt, auf Kandinskys „literarische Ambition[en]" zurückzuführen. Dieser Tatbestand ergibt sich vielmehr aus dem visionären Charakter dieser Bühnenstücke, welche von einem Maler erdacht wurden, der keinerlei praktische Bühnenerfahrungen hatte. Brief Kandinsky an Ball vom 27. 3. 1914. Veröffentlicht in: Ausstellungskat. Hugo Ball 1986, 83. Vgl. Teil I, Kap. 4 a, c der vorliegenden Arbeit. Vgl. Schober 1994, 163-166. Erst 1928 gestaltet Kandinsky im Dessauer Friedrich-Theater eine Inszenierung nach M. Mussorgskys Klavierwerk Bilder einer Ausstellung.

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II. Bild-Bewegung: Theaterinszenierung als Komposition

führte Skizze für das vierte Bild des Bühnenstückes zeigt drei Baumkronen sowie drei runde Wolken am Himmel (Abb. 36). Am Rand der Skizze notiert Kandinsky die Farbgebung der einzelnen Bildgegenstände. Kleine Striche verweisen auf die jeweilige Fläche, an deren Ende er „gelblich", ,,w.[eiß]", „zinnober + grün", „grünlich" oder ,,schw.[arz]" vermerkt.591 Ebenso verfährt er auch in der aquarellierten Skizze, die von der Forschung zumeist als Vorstudie für einen Farbholzschnitt betrachtet wird592 (Abb. 37). Für den Verlauf der vierten Szene von Schwarz und Weiß gibt Kandinsky im Text einen „Reiter auf wfeißem] Roß" an, der quer durch das Bild reitet. Das Motiv des weißen Pferdes findet sich in abgewandelter Form auch in der aquarellierten Holzschnitt-Vorstudie. Die farbige Skizze links daneben, welche gleichfalls als Entwurf für einen Holzschnitt angesehen wird, zeigt im Vordergrund schemenhaft angedeutete Figuren. Ganz ähnlich sind auch die drei Figuren in der Skizze zur zweiten Szene von Schwarz und Weiß ins Bild gesetzt: In beiden Entwürfen wurden sie jeweils direkt auf dem unteren Bildrand positioniert und ergeben so einen flächigen Figurenfries. Eine solche Gegenüberstellung von Kandinskys Holzschnitt-Vorstudien und dessen Theaterskizzen verdeutlicht, daß seine Bildideen für beide Medien nahezu identisch und damit austauschbar waren, d.h., der Entwurf für ein Bild hätte ebenso ein Bühnen-Bild sein können oder vice versa. Kandinsky trat somit in erster Linie als Maler, nicht als Dichter, an das Theater heran. Die Bühne war für ihn - wie bereits für Hubert von Herkomer - eine erweiterte Leinwand. Daß eine solche Herangehensweise die Berufsgruppe der bildenden Künstler nicht zwangsläufig kennzeichnen muß, verdeutlicht die 1994 erschienene Dissertation von Thomas Schober, welche die Dramen von Malern wie Ernst Barlach, Max Beckmann oder Oskar Kokoschka als - im Vergleich zu Kandinsky - stärker sprachlich-literarisch orientierte Theaterauffassungen behandelt.593 Die außerordentliche Bedeutung der Musik für die bildende Kunst der Jahrhundertwende ist inzwischen mehrfach von der kunsthistorischen Forschung thematisiert worden.594 Kandinsky gilt als einer der Hauptvertreter dieser Bestrebungen einer musikalisierten Malerei. In diesem Zusammenhang verweist Jelena Hahl-Koch auf die Koinzidenz von Kandinskys ersten Überlegungen zu einer an der Musik orientierten, ungegenständlichen Malerei und dessen Beschäftigung mit dem Theater.595 Daß Kandinsky die Bühne in dieser Schaffensphase bewußt als Medium gewählt hat, um seine Bildideen adäquater umsetzen zu können, ist damit nicht erwähnt und soll im folgenden behandelt werden. Die Orientierung der Malerei an der Musik umfaßt als grundlegenden Bestandteil das Phänomen der Synästhesie. Kandinskys Interesse daran wird von der Forschungsliteratur zumeist mit einer Passage aus dessen autobiographischer Schrift Rückblicke (1913) belegt, in der er aus dem Abstand von über zehn Jahren synästhetische Wahrnehmungen der Stadt Moskau bzw. einer LoAewgnw-Aufführung erinnert. Er assoziiert hier das visuelle Erlebnis der über Moskau untergehenden Sonne mit Orchesterklängen und beschreibt, wie die Musik Wagners bei ihm Farbvorstellungen auslöste.596 Solcherart synästhetische Verknüpfungen,

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Kandinsky 1908/09, 100. Vgl. Ausstellungskat. Das bunte Leben 1995, 600f. Vgl. Schober 1994. Vgl. u. a. Ausstellungskat. Vom Klang der Bilder 1985; Schawelka 1993. Vgl. Hahl-Koch 1985, 355; dies. 1997, 75f. Vgl. Kandinsky 1913, 29, 33.

II. 5. Wassily Kandinskys

„Bühnencompositionen"

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speziell von Farben und Klängen, durchziehen beispielsweise auch die Briefe an Gabriele Münter. So schreibt er am 23. Juli 1903: „Auf dem Wege sah heute alles anders aus: die Farben waren unglaublich ernst, tief, alles tiefe Töne, Cellotöne."597 In einer anderen Briefpassage aus dem Jahre 1904 heißt es: „Viel schönes in Farbenwerthen heute gesehen - tiefklingende ruhige Orgeltöne."598 Diese zunächst ausschließlich intuitiven synästhetischen Empfindungen beobachtete und verfolgte Kandinsky in den folgenden Jahren systematischer. So findet sich beispielsweise in einem seiner Notizbücher aus der Zeit 1908/09 eine Liste von Farbtönen, denen er bestimmte Instrumente zuordnete. „Violett auf w.[eiß]" wirke demnach „wie Holzinstrumente", „Gelb wie Blechinstrumente" oder „Grün" wie „Fagotte".599 In abgewandelter Form publizierte er diese Überlegungen später in seinem Aufsatz Über das Geistige in der Kunst.600 An dieser Stelle ist zu betonen, daß Kandinskys Überlegungen zu Farbe-Ton-Entsprechungen dem Trend der Zeit folgten. Vor allem das Phänomen des Farbenhörens war seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ein weitverbreitetes Thema, zu dem verschiedenste Autoren Ideen beisteuerten, u. a. die Gründerin der Theosophischen Gesellschaft, Helena Blavatsky.601 Insofern ist es nicht von allzu großem Belang, ob Kandinsky, wie vorrangig die ältere Forschung nahelegt, direkt von Alexander N. Skijabin und dessen Farbensymphonie Prometheus beeinflußt war.602 Ebenso wie Kandinsky rezipierte Skrjabin zeitgenössische Theorien zur Farbe-Ton-Entsprechung, u. a. die theosophischer Autoren.603 So ist in der Partitur des Prometheus eine mit „Luce" bezeichnete Stimme integriert, welche - mittels eines Farbenklaviers - Farben sichtbar machen soll, die den notierten Tönen zugeordnet sind.604 In diesem Zusammenhang wird in der musikwissenschaftlichen Forschung zumeist auf Alexander Wallace Rimingtons Colour-Organ verwiesen, die Skrjabin zur Schaffung seiner Farbensymphonie angeregt haben soll.605 Tatsächlich war Rimingtons Instrument um 1900 nicht nur das technisch ausgereifteste seiner Art, sondern auch über die Grenzen Englands hinaus bekannt. So berichtet Hermann Bahr bereits 1895 in der Wiener Wochenschrift Die Zeit über Rimingtons Colour-Music.606 Daß die Ideen einer Farblichtmusik um 1900 auch in 597 598 599 600 601 602

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Brief Kandinsky an Münter, 23. 7. 1903 (GM/JE St., in Auszügen publiziert bei Kleine 1994, 178). Bisher unveröffentlichte Passage aus einem Brief von Kandinsky an Münter, 3. 4. 1904 (GM/JE St.). Dieser Absatz ist bei Kleine 1994, 200, wo aus diesem Brief zitiert wird, weggelassen. Kandinsky, handschriftliche Notiz in GMS 328, 57 (GM/JE St.). Vgl. Kandinsky 1912, 93, 95, 101,103. Vgl. u. a. Schibli 1983, 235-245; Pütz 1995, 14-21; Jewanski 1995. Neuwirth 1980, 95 bezeichnet die Synästhesie als „den Zentralwahn der Epoche". Vgl. Grohmann 1958, 56; Washton Long 1980, 58-61; Weiland 1981, 3f. Wichtigstes Indiz für die Annahme einer Beeinflussung durch Skrjabin war die Tatsache, daß Kandinsky selbst mehrfach auf die Ideen des Landsmannes hingewiesen hat. (Vgl. Kandinsky 1912, 48, 63, 126.) Er nahm zudem 1912 einen Artikel über Skrjabins Prometheus in den Almanach Der Blaue Reiter auf. (Vgl. Sabanejew 1912.) Zu Skrjabins Rezeption der Theosophie siehe u. a. Schibli 1983, 303-227, 237, 303-315. Einen Vergleich von Skrjabin und Kandinsky unternahm Verdi 1996. Zu Kandinskys Rezeption theosophischer Ideen von Farbe-Klang-Ensprechungen vgl. Ringbom in: Ausstellungskat. Kandinsky und München 1982, 88-94. Zu Prometheus vgl. u. a. Jewanski 1995, 362f.; Pütz 1995, 121-175; Verdi 1996, 61-91. Vgl. Schibli 1983, 243; Peacock 1988, 402f.; Verdi 1996, 62. (Zu Rimington vgl. Teil II, Kap. 4 c der vorliegenden Arbeit.) Vgl. Bahr 1895.

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II. Bild-Bewegung: Theaterinszenierung als Komposition

Rußland relativ verbreitet waren, hat Bulat M. Galeyev nachgewiesen.607 Es ist insofern naheliegend, anzunehmen, daß auch Kandinsky über Rimingtons Experiment informiert war. Rimington ist in diesem Zusammenhang vor allem deshalb von Interesse, weil er neben den gängigen synästhetischen Überlegungen zu Farbe-Ton-Entsprechungen bereits 1895 in seinem Londoner Vortrag die Idee einer neuen Malerei vertrat, welche nach dem Vorbild der Musik in eine reale, zeitliche Bewegung versetzt werden solle, um musikähnliche Emotionen beim Betrachter zu erzeugen. Es ging ihm darum, die musikalischen Strukturprinzipien „Time" und „Rhythm"608 in visuelle Farbenklänge umzusetzen. Zu diesem Zweck entwickelte Rimington die Colour-Organ und bezeichnete das Ergebnis in seiner Publikation von 1912 als Art of Mobile Colour.609 Das Paradigma der Musikalisierung äußerte sich hier demnach auch in dem Bestreben, die statischen Farben des gemalten Tafelbildes zu überwinden. Der Aspekt des Zeitlichen wurde von Kandinsky in Über das Geistige in der Kunst als ein Wesensmerkmal der Musik hervorgehoben.610 Im Gegensatz dazu könne die Malerei, „indem sie den erwähnten Vorzug nicht besitzt, in einem Augenblick den ganzen Inhalt des Werkes dem Zuschauer bringen, wozu wieder die Musik nicht fähig ist." Er erachtete folglich die Statik der Malerei im positiven Sinne als deren grundlegende Qualität. In diesem Zusammenhang schreibt er weiterhin, daß „eine Kunst von der anderen lernen" könne, aber „sie muß es lernen, um dann ihre eigenen Mittel prinzipiell gleich zu behandeln, d. h. in dem Prinzip, welches ihr allein eigen ist." Die Malerei solle demnach Strukturprinzipien der Musik übernehmen, wie z. B. den „Rhythmus", welche dann aber innerhalb der spezifischen Grenzen dieser Kunstgattung umzusetzen seien.611 Im Gegensatz zu Rimington akzeptierte Kandinsky also die statische Fixierung von Farben auf der Leinwand als ein grundlegendes Charakteristikum der Malerei. Dennoch interessierte ihn als Maler das Phänomen der zeitlichen Bewegung.612 So schreibt er 1913 in seinen Rückblicken: „Meine vor zehn bis zwölf Jahren in München gemalten Bilder sollten diese Eigenschaft bekommen. Ich habe bloß drei oder vier solcher Bilder gemalt, wobei ich in jeden Teil eine .unendliche' Reihe erst verborgener Farbentöne hineinstecken wollte. Sie mußten erst ganz versteckt (besonders im dunklen Teil) sitzen und nur mit der Zeit dem vertieften aufmerksamen Beschauer erst unklar und gleichsam prüfend sich zeigen und dann immer mehr und mehr, mit wachsender, ,unheimlicher' Kraft herausklingen."613 Indem Kandinsky hier erläutert, wie eine Farbe zunächst kaum zu sehen ist und sich erst allmählich mit wachsender Intensität dem Betrachter zeigt, beschreibt er ein Seherlebnis, das auch Rimington in Analogie zur Musik mit seiner Colour-Organ erzeugen wollte. Er verwendete hierfür nicht statische Farbpartikel, sondern farbiges Licht, das sich in seiner Inten-

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Vgl. Galeyev 1988, 392-396. Rimington 1895 (Broschüre des Vortrags vom Juni 1895, zitiert nach Stokes 1972, 95). Vgl. Rimington 1912, Titel. Kandinsky 1912, 55: „Z. B. hat die Musik die Zeit, die Ausdehnung der Zeit zur Verfugung." Ebd. Auf diesen Aspekt hat auch Kleine 1994, 287 hingewiesen. Kandinsky 1913, 35f.

II 5. Wassily Kandinskys

„Bühnencompositionen"

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sität regulieren ließ.614 Eine prinzipiell ähnlich bewegte Licht-Malerei konnte Kandinsky 1908 in der Faust-Auffuhrung des Münchener Künstler-Theaters erleben, denn hier färbte sich beispielsweise im Verlauf der Erdgeist-Szene eine Wand allmählich rot.615 Diese „spezielle Bühnenmöglichkeit" des „farbigen Ton[s] und seine [r] Bewegung"616, wie es Kandinsky 1912 ausdrückt, bot damit für ihn eine willkommene Gelegenheit, über eine neue Form der bewegten Malerei nachzudenken. Kandinsky nannte diese Kunstform jedoch nicht Malerei, sondern „malerische Bewegung", die er neben der ,,musikalische[n] Bewegung" und der ,,tanzkünstlerische[n] Bewegung" als Grundelemente der „Bühnenkomposition"617 definiert. Eine in diesem Sinne „malerische [Farblicht-]Bewegung" beschreibt Kandinsky beispielsweise in dem 1908/09 entstandenen ersten Entwurf zur Bühnenkomposition Schwarz und Weiß. So notiert er für den Verlauf des vierten Bildes: „Menschen kommen u. setzen sich im Profil. Himmel wird weiß-blau. Es wird dunkel. Die M.[enschen] stehen auf. Haben plötzlich Fakeln w.[eiß]".618 Diese Bildidee baut er in einer wenig später entstandenen Version des Bühnenstücks aus: „Der Himmel wird allmählig ganz weiß, einige schwarze Streifen bilden sich ganz oben. Es wird ziemlich dunkel. Die Gestalten stehen plötzlich auf u. haben plötzlich weiß brennende Fakeln in der Hand."619 Das bewegte Licht ist hier die Farbe, mit der Kandinsky imaginativ sein kinetisches Bühnen-Bild malt. Während Rimington mittels seiner Colour-Organ eine Art of Mobile Colour als neue Form der Malerei zu entwickeln suchte, wandte sich Kandinsky aus sehr ähnlichen Beweggründen der Bühne zu. Ihm ging es offenbar darum, die Möglichkeiten der Malerei in einem anderen Medium zu erweitern. Dies war für Kandinsky der wohl entscheidendste Anlaß seiner Hinwendung zum Theater. Wassily Kandinskys zwischen 1908 und 1912 entstandene Theaterkonzeption kennzeichnet die bis dahin äußerste Konsequenz einer Annäherung der bildenden Kunst an das Theater. Während sich bei den Meiningem, Henry Irving, Max Reinhardt und Georg Fuchs in erster Linie das Theater der Malerei annäherte, kehrte Kandinsky in der Nachfolge Hubert von Herkomers diese Strategie um: Die Malerei machte das Theater uneingeschränkt für ihre Zwecke und Ziele nutzbar. Wie im folgenden zu zeigen sein wird, hat der Maler-Regisseur Gordon Craig jedoch einige Jahre früher wichtige Ideen Kandinskys vorweggenommen.

c) Theater als Komposition bewegter Farben, Formen und Klänge: Von Craig zu Kandinsky Bevor 1986 bekannt wurde, daß Kandinsky im Besitz von Gordon Craigs Schrift Die Kunst des Theaters gewesen ist, wurde Craigs Name mit dem des Malers nur dann in Verbindung gebracht, wenn es sich um den allgemeinen Kontext der antinaturalistischen Theaterreform handelte. Im Jahre 1981 war der Nachlaß Kandinskys von der Witwe des Künstlers an das

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Vgl. Teil II, Kap. 4 c der vorliegenden Arbeit. Vgl. Teil I, Kap. 2 c der vorliegenden Arbeit. Kandinsky 1912a, 206. Kandinsky 1912, 125. Kandinsky 1908/09, 100. Kandinsky 1909, 106.

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II. Bild-Bewegung: Theaterinszenierung als Komposition

Pariser Musee National d'Art Moderne (Centre Georges Pompidou) übergeben worden, und Craigs Traktat wurde in der Bibliothek dieses Nachlasses entdeckt.620 Die KandinskyBiographin Gisela Kleine bezog daraufhin erstmals Craig in ihre Betrachtungen ein und recherchierte die Umstände, welche dazu gefuhrt haben könnten, daß Kandinsky in den Besitz der Craigschen Schrift kam. Ursprünglich war dieses Exemplar ein Geschenk des CraigÜbersetzers und -Managers Maurice Magnus an Emmy Schroeter, die Schwester Gabriele Münters. Aller Wahrscheinlichkeit nach überließ Schroeter im Winter 1907/08, als sich Münter und Kandinsky in Berlin aufhielten, diese Broschüre dem theaterinteressierten Paar.621 Nach weiteren Anknüpfungspunkten suchend, vermutet Kleine, daß Kandinsky Craigs Bühnenbildentwürfe kannte, welche zwischen 1904 und 1906 in vielen deutschen Städten und Wien ausgestellt waren. In der Tat wäre es möglich, daß Kandinsky im Mai 1905 in Dresden einige von Craigs Arbeiten gesehen hat. Zu diesem Zeitpunkt stellte der damals in Deutschland vielbesprochene englische Maler zusammen mit der Londoner Society of Twelve in dem namhaften Kunst-Salon Arnold aus.622 Kandinsky hätte weiterhin im August 1905 die umfangreiche Craig-Exposition im Münchener Kunstverein sehen können, welche u. a. von Georg Fuchs in den Münchner Neuesten Nachrichten besprochen wurde.623 Auch wenn Kandinsky diese Ausstellungen nicht zur Kenntnis genommen haben sollte, dürfte ihm der Name Gordon Craig nicht unbekannt gewesen sein, zumal dieser 1905/06 im Rahmen der Diskussionen um die Erneuerung des Theaters große Popularität erlangt hatte. Gerade im Zeitraum Mai bis September 1905, als sich Kandinsky in Dresden und München aufhielt, wurden sowohl Craigs Ausstellungen, als auch dessen gerade erschienenes Traktat Die Kunst des Theaters häufig in der Presse besprochen. Vor allem die von zahlreichen Kritikern als spektakulär oder skandalös beschriebene Tatsache, daß ein Maler die Theaterbühne zu okkupieren beabsichtige und obendrein noch den Dichter aus dem Theater verbannen wolle624, war für Kandinsky sicherlich von Interesse. Genauere Informationen über Craigs Theaterkonzept hat Kandinsky jedoch sehr wahrscheinlich erst 1907/08 in Berlin von Mau-

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Vgl. Boissel 1986, 244. Vgl. Kleine 1994, 288f. Der Übersetzer M. Magnus hatte ein Exemplar der Kunst des Theaters am 2 8 . 6 . 1905 E. Schroeter gewidmet. (Handschriftliche Widmung von Magnus in: Craig 1905b, MNAM.) Kandinsky hielt sich vom 21. 5. bis 14. 8. 1905 mit kurzen Unterbrechungen in Dresden auf. (Vgl. Schmitt in: Ausstellungskat. Der frühe Kandinsky 1994, 31 f.) Die Deutsche Tageszeitung besprach am 9. 5. 1905 die erste Ausstellung der Society of Twelve in Deutschland, welche im Kunst-Salon Arnold stattfand. (Vgl. auch Negendanck 1998.) Zur Society of Twelve vgl. Teil II, Kap. 1 b der vorliegenden Arbeit. Vgl. Fuchs 1905a. Vgl. auch Münchner Neueste Nachrichten vom 9. 8. 1905 („Von ungewöhnlichem Interesse ist endlich die Sondervorführung der Studien des englischen Malers Edward Gordon Craig."); Münchener Zeitung vom 18. 8. 1905. Kandinsky fuhr am 17. 8. 1905 von Dresden direkt nach München, wo er sich bis 28. 9. 1905 aufhielt. (Vgl. Schmitt in: Ausstellungskat. Der frühe Kandinsky 1994, 32.) Zur Craig-Ausstellung in München vgl. auch Teil I, Kap. 4 a der vorliegenden Arbeit. Vgl. Teil I, Kap. 4 der vorliegenden Arbeit.

II. 5. Wassily Kandinskys

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rice Magnus erhalten, der zum Bekanntenkreis Emmy Schroeters gehörte.625 Hier las er vermutlich auch erstmals Die Kunst des Theaters. Daß es darüber hinaus zu persönlichen Begegnungen Kandinskys mit Craig gekommen sein könnte, wie Kleine vermutet, ist jedoch eher unwahrscheinlich.626 Gisela Kleine nimmt an, daß „die Wirkung der Craigschen Kunsttheorie auf Kandinsky gar nicht überschätzt werden" könne.627 Auch Jelena Hahl-Koch argumentiert ähnlich, ohne jedoch diese These fundiert zu belegen.628 Im Rekurs auf Gisela Kleines Vermutung hat lediglich Thomas Schober 1994 versucht, die bis dahin nur konstatierten Ähnlichkeiten der Theatertheorien Craigs und Kandinskys näher zu untersuchen.629 Schober geht von einer direkten Beeinflußung Kandinskys durch Craig aus und kommt u. a. zu der - im kunsthistorischen Zusammenhang betrachtet - nicht haltbaren Vermutung, daß Craigs antinaturalistisches Theatermodell, welches ab 1905 in publizierter Form vorlag, „den Übergang zur abstrakten Malerei bei Kandinsky angeregt und befördert" habe.630 Damit übersieht Schober, daß Ideen zu nichtmimetischen, abstrakten Bildvorstellungen von bildenden Künstlern bereits seit den 90er Jahren des 19. Jahrhunderts entwickelt wurden, wie das Beispiel Rimingtons belegt. Zuallererst ist Kandinsky in diesen kunsthistorischen Kontext zu stellen. Daß Craig für das Theater in der Nachfolge symbolistischer Theaterexperimente ähnliche Ideen entwickelt hat, wirkte auf Kandinsky sicherlich bestätigend, aber keinesfalls im Sinne einer Initialzündung für den Übergang zur abstrakten Malerei. Ein weiterer Aspekt, den Schober allerdings aus der Kandinsky-Forschung übernommen hat, ist die durch keine konkreten Fakten belegte These, daß die gelben Riesen im Gelben Klang „als (...) direkte Visualisierung" der Craigschen Über-Marionette angesehen werden können.631 Damit vernachlässigt Schober nochmals einen grundlegenden Tatbestand: Sowohl Craig als auch Kandinsky standen in der Tradition des Symbolismus - und beide beriefen sich auf Maurice Maeterlinck. In den folgenden Ausfuhrungen werden u. a. diese Zusammenhänge berücksichtigt. Dabei geht es nicht in erster Linie darum, eine direkte Beeinflussung Kandinskys durch Craig nachzuweisen. Kandinsky kannte vermutlich nur Die Kunst des Theaters und eventuell einige Bühnenbildentwürfe des Engländers. Viele Ideen Craigs, die im vorangegangenen behandelt wurden, sind zudem nie bzw. nur in abgemilderter Form publiziert worden. Neben den wenigen möglichen Einflüssen, die sich sehr wahrscheinlich auf Kandinskys Lektüre der Kunst des Theaters beschränken, soll vielmehr erstmals gezeigt werden, daß Craig in ei-

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Vgl. Kleine 1994, 288. Vgl. auch ebd., 719, Anm. 27: Demnach hatte Kandinsky 1907/08 in seinen Berliner Adreßbüchern Anschrift und Empfangszeiten von M. Magnus notiert. Es ist somit anzunehmen, daß Kandinsky Magnus persönlich kennengelernt hat. Vgl. ebd., 289f. Als Kandinsky 1907/08 in Berlin weilte, hatte Craig bereits seinen Wohnsitz nach Florenz verlegt. Craig kam zwar 1908 anläßlich der Eröffnung des Münchener Künstler-Theaters nach München, ob er aber hier, wie Kleine vermutet, Kandinsky getroffen hat, ist kaum nachvollziehbar, zumal weder Craig, noch Kandinsky sich je aufeinander bezogen haben. Kleine 1994,292. Vgl. Hahl-Koch 1993,143. Vgl. Schober 1994,118-123. Ebd., 121. Schober sind in diesem Zusammenhang weitere gravierende Fehler unterlaufen, die hier nicht im einzelnen angesprochen werden können. Schober 1994, 122. Diese niemals näher erläuterte These vertritt in der kunsthistorischen Forschung vor allem Hahl-Koch (vgl. Hahl-Koch 1980, 203; dies. 1993, 143). Vgl. auch Kleine 1994, 292.

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II. Bild-Bewegung: Theaterinszenierung als Komposition

nigen wesentlichen Punkten als ein Vordenker der Theatertheorie Kandinskys zu betrachten ist. Im Exemplar der Kunst des Theaters, das sich heute im Pariser Kandinsky-Nachlaß befindet, gibt es Anstreichungen bzw. Unterstreichungen mit Bleistift, bei denen jedoch nicht erkennbar ist, wer diese vorgenommen hat.632 Es ist allerdings auffällig, daß Passagen markiert sind, die für Kandinsky von speziellem Interesse gewesen sein dürften. Vor allem die letzten beiden Seiten des Traktats sind genau durchgearbeitet. So wurde ein Absatz teilweise doppelt angestrichen, in dem Craig erklärt, warum kein schriftlich fixiertes Stück für das Theater notwendig sei: „Sie begehen einen Fehler, wenn Sie voraussetzen, daß etwas in Worten gemacht werden muß. (...) Ist nicht eine Idee auch etwas? (...) ist es nicht erlaubt, eine Idee in eine Form zu kleiden, die der Künstler wählt? (...) Dann ist es uns also erlaubt, den Versuch zu machen, einer Idee Form zu geben mit solchem Material, wie wir es finden oder erfinden können".633 Diese Anstreichungen greifen einen zentralen Aspekt der Craigschen Theatertheorie heraus. Wie bereits im vorangegangenen gezeigt wurde, vertritt er hier einen der bildenden Kunst angenäherten Materialbegriff und erklärt den Regisseur zum autonomen, schöpferisch gestaltenden Künstler, der das Material für eine Darstellung entsprechend seiner Intention auswählt. Dieser von Craig relativ geradlinig formulierte Gedanke634 findet sich wieder bei Kandinsky in abgewandelter, mystizistischer Form. So schreibt er in dem 1912 publizierten Aufsatz Über Bühnenkomposition, daß zwar jede Kunstform durch eine „eigene Sprache" bzw. ,,eigene(...) Mittel"635 gekennzeichnet sei, aber „das letzte Ziel löscht die äußeren Verschiedenheiten und entblößt die innere Identität."636 Es kann an dieser Stelle nicht darum gehen, die verschlungenen Wege von Kandinskys Argumentation im einzelnen nachzuvollziehen.637 Entscheidend ist, daß er dieses „letzte Ziel" im künstlerischen Schaffensprozeß verankert, in dessen Verlauf der Künstler die passenden „Mittel" aussucht, um bestimmte „Vibrationen (...) in der Seele des Empfängers"638 auszulösen: „Das vom Künstler richtig gefundene Mittel ist eine materielle Form seiner Seelenvibration, welcher einen Ausdruck zu finden er gezwungen ist."639 Diese Aussage im Kontext des Aufsatzes Über Bühnenkomposition legt die Interpretation nahe, daß Kandinsky hier ein ähnliches künstlerisches Selbstverständnis vertritt, wie vor ihm bereits Craig: Einer bestimmten Intention folgend, sucht der Künstler nach den adäquaten Mitteln, bzw. mit den Worten Craigs ausgedrückt, nach dem passenden Material. Der Maler Kandinsky fand somit in den Mitteln, dem Material, der Theaterbühne die entsprechende „materielle Form" seines Ausdrucksinteresses, so, wie es Craig in seinem Traktat angeregt hatte. Dieser Gedanke war eventuell

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Craig 1905b (MNAM). Die Anstreichungen könnten sowohl von Kandinsky, aber auch von G. Münter oder E. Schroeter stammen. Craig 1905b, 36 (MNAM). Die Übersetzung von Magnus nimmt dem englischen Original jedoch etwas die Schärfe. Kandinsky 1912a, 189. Vgl. auch Kandinsky 1912, 55. Kandinsky 1912a, 190. Beispielsweise kann das Thema der „inneren Notwendigkeit" im Rahmen der vorliegenden Arbeit nicht behandelt werden. Hierzu existiert bereits eine umfangreiche Forschungsdiskussion. (Vgl. u. a. Denkler 1963, 33-38; Sinn 1966; Kropfinger 1984, 191f.; Hahl-Koch 1993, 193.) Kandinsky 1912a, 191f. Zum Begriff der Vibration vgl. u. a. Ringbom 1970, passim; Ringbom in: Ausstellungskat. Kandinsky und München 1982, 98f. Kandinsky 1912a, 192. (Hervorhebung v. Vf.)

II. 5. Wassily Kandinskys

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sogar der entscheidende Impuls für Kandinsky, die Bühne in seine Überlegungen zur Malerei einzubeziehen. Im Pariser Exemplar der Kunst des Theaters ist weiterhin die gesamte abschließende Passage angestrichen, in der Craig darlegt, aus welchen Materialien ein von jeglicher literarischer Vorlage befreit arbeitender Regisseur sein Stück komponieren640 soll. Dies seien „Handlung [action], Ausstattung [scene] und Stimme [voice]."641 Beim Vergleich mit Kandinskys Ideen zur Bühnenkomposition fallt auf, daß dieser eine sehr ähnliche Dreiteilung der Mittel vorgenommen hat. So schreibt er in Über das Geistige in der Kunst „1. musikalische Bewegung, 2. malerische Bewegung, 3. tanzkünstlerische Bewegung."642 Sowohl bei Craig als auch bei Kandinsky handelt es sich um zwei visuelle Ausdrucksformen und ein auditives Element. Kandinskys „tanzkünstlerische Bewegung" entspricht dabei Craigs Begriff der „Handlung", denn diesen bezog er hier ausdrücklich auf den Tanz. Das Pendant zu Kandinskys „malerischer Bewegung" ist Craigs Idee der „Ausstattung", die in der deutschen Übersetzung der Kunst des Theaters nicht nur mit „Szenerie", „Kostüme" und „Beleuchtung", sondern auch durch den Begriff der „Handlung" erklärt wird. Inwiefern diese Andeutung der Idee Kandinskys von „malerischer Bewegung" entspricht, wird noch zu zeigen sein. Allein die Vorstellungen über die auditiven Elemente weichen stärker voneinander ab. Der „musikalischen Bewegung" Kandinskys steht hier Craigs „Stimme" gegenüber, welche er als „das gesprochene Wort oder das Wort, das gesungen wird" erklärt.643 Daß Kandinsky unter „musikalischer Bewegung" ausschließlich Musik verstanden hat, zeigt sein Aufsatz Über Bühnenkomposition, denn hier bezeichnet er das erste Element als ,,musikalische[n] Ton und seine Bewegung".644 Demgemäß erarbeitete Kandinsky gemeinsam mit dem russischen Komponisten Thomas von Hartmann eine Musik für den Gelben Klang.645 Hartmann berichtet in einem von Jelena Hahl-Koch teilweise veröffentlichten Aufsatz aus dem Jahre 1913, daß Kandinsky sich zum Zeitpunkt ihrer Zusammenarbeit verstärkt mit dem Wagnerschen Gesamtkunstwerk auseinandersetzte.646 Neben der von der Forschung bereits mehrfach besprochenen Kritik Kandinskys an Wagners Opern und deren

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Vgl. Craig 1905, 52: „... the Art of the Theatre (...) consists of all the elements of which these things are composed." Er verwendet somit ebenso wie Kandinsky den Begriff der Komposition. Craig 1905b, 37 (MNAM). Vgl. Teil II, Kap. 3 a der vorliegenden Arbeit. Kandinsky 1912, 125. Vgl. Craig 1905b, 37. Kandinsky 1912a, 206. Hartmann war 1908 aus Rußland nach München gekommen und lernte Kandinsky im Salon der M. von Werefkin kennen. Seit ca. der Jahreswende 1908/09 waren beide befreundet. (Vgl. u. a. HahlKoch 1980, 179, 213.) G. Munter erinnert sich, daß Hartmann im Februar 1909 „mit K.[andinsky] zusammen" (Münter in: Kandinsky/Münter 1996, 47) die Musik zu den Riesen entworfen hatte, jenem Stück welches später unter dem Titel Der Gelben Klang weiterentwickelt wurde. (Vgl. Stein 1983.) Wichtig an dieser Erinnerung Münters ist vor allem, daß Kandinsky offenbar bei der musikalischen Komposition mitgewirkt hat. Diesen Aspekt bestätigen auch Aussagen des Musikers G. Schuller, der Hartmanns fragmentarisch erhaltene Musik zum Gelben Klang (MLY) mit dessen anderen Kompositionen verglichen hat und zu dem Schluß kam, daß diese Musik sehr wahrscheinlich „unter Kandinskys Diktat" (Boissel 1986, 251, Anm. 49) geschrieben wurde. Festzuhalten bleibt, daß Kandinsky offenbar unabhängig von Hartmann eigene musikalische Vorstellungen entwickelt hat. Vgl. Hahl-Koch 1985, 355. Zu Kandinskys Auseinandersetzung mit Wagner vgl. Kandinsky 1912, 56; Kandinsky 1912a, 195-202.

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II. Bild-Bewegung: Theaterinszenierung als Komposition

traditioneller historistisch-illusionistischer Inszenierung647 unterscheidet sich jedoch seine Konzeption des Gesamtkunstwerks648 in einem weiteren grundlegenden Punkt: Während bei Wagner die Musik vorherrschend ist, verwendet sie Kandinsky nur als ein Element unter dreien. Er orientiert sich zwar an der Wagnerschen Idee einer Synthese der Künste, aber zur Lösung dieser Aufgabe bedient er sich eines Gestaltungsmodells, das Gordon Craig in der Kunst des Theaters vorgeschlagen hat. Nach Craig seien alle Gestaltungselemente, aus denen der Regisseur sein Theaterkunstwerk komponiert, in ihrem Materialwert gleichrangig.649 Dieser Gedanke findet sich auch bei Kandinsky: „Alle drei Elemente spielen eine gleich wichtige Rolle (...) und werden gleich behandelt, das heißt dem inneren Ziele untergeordnet."650 Insofern ist Kandinskys Vorstellung von Bühnenkomposition eine konsequente Fortfuhrung des Craigschen Inszenierungsmodells. Wie bereits im vorangegangenen dargestellt, war der Aspekt der Bewegung sowohl für Craig als auch für Kandinsky von zentraler Bedeutung. Entsprechend gehörte bei beiden der Tanz zu den grundlegenden Bestandteilen einer Theateraufführung. Auch Kandinsky meinte damit nicht das traditionelle klassische Ballett651, sondern ebenso wie Craig beobachtete er mit Interesse den beginnenden Ausdruckstanz. Beispielsweise erwähnt er in seinen Briefen an Gabriele Münter seit 1902 mehrmals Isadora Duncan.652 Zudem verweist er in Über das Geistige in der Kunst auf die amerikanische Tänzerin als Hauptvertreterin der neuen Tanzauffassung. Allerdings wertet er deren Ideen nur als „ein Übergangsstadium", denn der zu erstrebende „Tanz der Zukunft" sei mit Isadora noch nicht erreicht.653 Als Begründung hierfür nennt er Duncans Rückbesinnung auf den Tanz der griechischen Antike. Dieser Aspekt war in der Tat ein wichtiges Kennzeichen der Tanzkunst Isadoras. So studierte sie vor Beginn ihrer internationalen Karriere im Londoner British Museum Tanzdarstellungen auf griechischen Vasen und entwickelte aus diesen antiken Körperbildern ihre Tänze, welche sie dann, nur mit einer Tunika bekleidet, vorführte.654 In sehr ähnlicher Weise trat auch der russische Tänzer Alexander Sacharoff im Jahre 1910 erstmals vor das deutsche Publikum. Ebenso wie Isadora bezog er sich ausdrücklich auf den „Tanz der Griechen".655 647 648 649 650 651

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Vgl. u.a. Romstöck 1954, 144-149; Denkler 1963, 38-41; Hoßner 1981, 156ff.; Kropfinger 1984; Hahl-Koch 1993, 152. Kandinsky 1912, 56 benutzt hierfür den Begriff „monumentale Kunst". Vgl. Teil II, Kap. 3 a der vorliegenden Arbeit. Kandinsky 1912a, 208. So zitiert Hahl-Koch 1993, 144 aus einem unpublizierten Vortrag Th. v. Hartmanns (um 1950, MLY), in dem sich der Musiker an die Theaterexperimente der Jahre 1908/09 mit Kandinsky erinnert: „Wir begannen an die einzelnen Szenen zu denken und wie sie in Ballett umzusetzen seien; da erkannten wir, daß die existierende Ballettform uns nicht das geben konnte, wonach wir suchten. Wir wollten etwas völlig anderes." Zu Kandinskys Kritik am klassischen Ballett siehe Kandinsky 1912, 124; Kandinsky 1912a, 200. Unveröffentlichte Briefe Kandinskys an Münter vom 18. 11. 1902, 30. 11. 1902 (GM/JE St.). Kandinsky 1912, 124. Kandinsky übernimmt die Bezeichnung „Tanz der Zukunft" höchstwahrscheinlich von Duncan, denn ein 1903 in Buchform erschienener Vortrag Isadoras trägt diesen Titel. (Vgl. Duncan 1903.) Vgl. Duncan 1903, 16-18, 24; Duncan 1928, 146f., 165ff.; Brandenburg 1921, 21-36; Brandstetter 1995, 72-74, 82-87; vgl. auch die Abb. ebd., 73. Sacharoff in: Programmheft zum Tanz-Abend. Alexander Sacharoff vom 21. 6. 1910. (SacharoffArchiv im Lenbachhaus, München.) Zu Sacharoff vgl. auch Brandenburg 1921, 144ff.; Brandstetter 1995, 75-82; vgl. auch die Abb. ebd., 76.

II. 5. Wassily Kandinskys „Bühnencompositionen"

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Sacharoff (1886-1963), der am Beginn des Jahrhunderts zunächst Malerei in Paris studiert hatte, verkehrte seit ca. 1906 im Münchner Salon der Marianne von Werefkin.656 Als Kandinsky ihn hier kennenlernte, befand sich Sacharoff gerade in den Anfängen seiner Karriere als Tänzer. Den Erinnerungen Gabriele Münters zufolge arbeitete Kandinsky im Spätherbst und Winter 1908/09 gemeinsam mit Thomas von Hartmann und Alexander Sacharoff an seinen ersten Bühnenkompositionen.657 Auf diese Tatsache ist in der Forschung wiederholt hingewiesen worden, so vermutet beispielsweise Jelena Hahl-Koch, daß Sacharoff als Tänzer im Gelben Klang vorgesehen war.658 Gisela Kleine nimmt ferner an, daß die Figurenbewegungen in Kandinskys Bühnenstücken maßgeblich durch die Tänze Sacharoffs angeregt worden seien.659 Ein detaillierter Vergleich der Tanzauffassung Kandinskys mit der Sacharoffs liegt jedoch bisher nicht vor. Dieser wichtige Aspekt kann im Rahmen der vorliegenden Arbeit nur angedeutet werden. Im Münchner Sacharoff-Archiv befindet sich ein Notizbuch mit Zeichnungen des Tänzers, die im September 1908, also kurz vor dem Beginn der Zusammenarbeit mit Kandinsky, entstanden sind.660 Sacharoff skizziert hier verschiedene Gesten und Gebärden nach Kunstwerken der italienischen Frührenaissance661 (Abb. 38). So übersetzte er beispielsweise die Körperhaltungen der drei schlafenden römischen Söldner in Luca della Robbias Florentiner Relief Auferstehung Christi (1442^5) 662 in vereinfachte Strichzeichnungen, welche ihm dann als Vorlagen für Tanzbewegungen dienten. Kennzeichnend für seinen Tanz war, daß er sich betont langsam und gemessenen Schrittes über die Bühne bewegte. Jede Pose wurde sukzessive entwickelt und bis ins kleinste durchgebildet663 (Abb. 39). Der Zeitgenosse Hans Brandenburg berichtet, daß Sacharoffs Tänze nicht durch einen steten Bewegungsfluß gekennzeichnet waren, der einzelne Gesten und Gebärden verwischt bzw. zusammenfaßt, sondern die Tanzfolgen ,,zerfiel[en] in lauter Einzelbewegungen, die an sich sehr viel Muskelspiel enthielten und noch mehr blosse Gruppierung der Glieder." Sacharoffs Choreographien waren demnach „mehr eine Bilderfolge als Bewegung."664 Diese Affinität zur bildenden Kunst betonte auch Sacharoff selbst, indem er 1910 vermerkt, daß der Tänzer mittels 656 657 658 659 660 661

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Vgl. Hahl-Koch 1985, 355; Kleine 1994, 719. Vgl. Kandinsky/Münter 1996,48. Vgl. Hahl-Koch 1985, 355. Vgl. Kleine 1994, 293; Behr 1991,42ff. Sacharoff, Schwarzes Notizbuch, handschriftlich datiert: September 1908 (Sacharoff-Archiv im Lenbachhaus, München). Ebenso wie I. Duncan bezog sich Sacharoff neben der griechisch-römischen Kunst auch auf die italienische Renaissance der Antike. Vgl. Brandstetter 1995, 72-87. Brandstetter beschreibt hier, wie und warum sich die Begründer des modernen Tanzes in den Museen von Malerei und Plastik inspirieren ließen. Sie bezeichnet dies als die „Geburt des modernen Tanzes aus den Archiven der antiken Kunst." (Ebd., 7.) Vgl. die Abb. in: Propyläen Kunstgeschichte. Spätmittelalter und beginnende Neuzeit. Berlin 1990, Tafel LXII. So hebt Sacharoff im Programmheft Tanz-Abend. Alexander Sacharoff vom 21. 6. 1910 „die ruhigen Stellungen des Körpers" hervor, „die gleichsam eine erstarrte Bewegung sind, und die für den Tanz eine ganz besondere Bedeutung haben." Er schreibt weiterhin, daß das "Drehen und Wenden und jedes Berauschende (...) denn auch womöglich zu meiden oder nur mit Vorsicht" zu verwenden sei. Vgl. auch die Beobachtungen von Brandenburg 1921, 144ff. sowie zeitgenössische Rezensionen im Sacharoff-Archiv (Lenbachhaus, München). Brandenburg 1921,145.

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II. Bild-Bewegung: Theaterinszenierung als Komposition

seines Körpers wirke, „ebenso wie der Bildhauer durch die Form im Steine seine Wirkung erzielt."665 Sacharoffs Überlegungen zu einer tänzerischen Variation des Bilderstellens könnte tatsächlich auf Kandinsky anregend gewirkt haben, zumal die Figuren seiner Bühnenstücke größtenteils auch sehr statisch angelegt sind. So kommen beispielsweise im zweiten Bild des ersten Entwurfs von Schwarz und Weiß (1908/09) mehrere schwarz gekleidete Figuren auf die Bühne, bleiben „in gehender Stell[un]g" stehen und drehen sich schließlich langsam um (Abb. 40). Im vierten Bild laufen erneut dunkle Figuren quer über die Bühne, „setzen sich im Profil" und verbleiben als lebendes Bild geraume Zeit in dieser Haltung.666 Eine exemplarische Gegenüberstellung dieser Körper-Bilder mit denen Sacharoffs (Abb. 38, 39) zeigt jedoch sehr deutlich, daß Kandinsky eine grundsätzlich andere Bildästhetik verfolgte. Während sich Sacharoff weitestgehend an der bildenden Kunst der Antike und Renaissance orientiert hat und in Anlehnung daran eine differenziert ausgearbeitete Gebärdensprache entwickelte, wirken die Bewegungen von Kandinskys Figuren deutlich reduzierter und archaischer. Diesen offensichtlichen Unterschied hat die Kandinsky-Forschung bisher nicht beachtet. Es kann aus diesem Grunde keinesfalls von einem unmittelbaren Einfluß der Sacharoffschen Tanzästhetik auf den Maler gesprochen werden. Vielmehr sollte hervorgehoben werden, daß Kandinsky eine gänzlich eigenständige Vorstellung von „tanzkünstlerische[r] Bewegung"667 entwickelt hat, die sich grundlegend von den Konzepten des damaligen Ausdruckstanzes unterscheidet.668 Man führe sich beispielsweise die 1909 entstandene erweiterte Version des oben erwähnten zweiten Bildes von Schwarz und Weiß vor Augen: „Sehr bald v. r. nach 1. schwarz gekleidete Männer (junge, alte mit grünlichen, rosigen etc. Gesichtern) gehen langsam im Vordergrund über die Bühne, sich auf Stöcke (schwarze) stützend. Wenn ungefähr 10-12 vorbei sind, kleine Pause, dann Fortsetzung. Nachdem 6-8 schon auf der Bühne sind, kommt v. 1. schnell ein ganz weißgekleideter junger Mann mit sehr warm gelbem Gesicht u. sehr blonden Haaren. Ziemlich nah zu den anderen tretend, streckt er plötzlich den linken Arm aus, Handfleche nach oben u. vorne, rechter Arm etwas nach hinten ausgestreckt. Alles bleibt stehen. Von links nach r. hinter den Männern gehen weißgekleidete Frauen mit dunklen und hellen Gesichtern, die Arme an den Seiten hengend, gerade Haltung. Nachdem 10-12 vorbei sind, Pause, weitere 6-8 (...), von r. schnell gehende schwarzgekleidete Frau, die wie oben die Bewegung unterbricht. Alles bleibt eine Weile unbeweglich. Dann

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Sacharoff im Programmheft Tanz-Abend. Alexander Sacharoff vom 2 1 . 6 . 1910 (Sacharoff-Archiv im Lenbachhaus, München). Kandinsky 1908/09, 100. Kandinsky 1912, 125. Diese These, welche in erster Linie auf dem Vergleich mit Sacharoff beruht, kann im Rahmen der vorliegenden Arbeit nicht erschöpfend behandelt werden und bleibt damit weiteren Studien vorbehalten. Mir ist jedoch kein Tanzkonzept aus dieser Zeit bekannt, das annähernd mit Kandinskys Ideen vergleichbar wäre. Weiß 1979, 198 erwähnt, daß in Kandinskys Notizbuch GMS 328, 86 (GM/JE St.) aus dem Jahre 1908/09 der Name Jaques-Dalcroze auftaucht. Jedoch ist ein Einfluß von dessen Tanzsystem bei Kandinskys Bühnenkompositionen gleichfalls nicht erkennbar. (Zu Dalcroze vgl. Teil II, Kap. 4 c der vorliegenden Arbeit.) Zu den Körperbildern im Ausdruckstanz um 1900 vgl. u. a. Brandenburg 1921; Oberzaucher-Schüller 1992; Brandstetter 1995.

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drehen sich alle Menschen sehr langsam zum Zuschauer. Pause. Sie heben die Arme mit etwas gebogenen Ellbogen und geradeausgestreckten Händen (Händerücken nach oben) bis zur Hüftenhöhe, Köpfe legen sich auf die Seite. Es erklingt ein fein unterstrichener Hornton ganz kurz. Die Arme gehen ganz in die Höhe, Köpfe zurückgelehnt. Stille. Nur die Wolken ziehen langsam nach oben u. verschwinden. Die Arme fallen, die Menschen brechen zusammen u. sitzen in verschiedenen Stellungen."669 (Abb. 40) Die Figuren in dieser Passage „gehen langsam", kommen „schnell", sie strecken „plötzlich" einen Arm nach vorn, sie heben allmählich die Arme, die Köpfe legen sich zur Seite, um schließlich nach hinten zu fallen. Zwar haben auch Isadora Duncan und Alexander Sacharoff Lauf- und Schreitbewegungen vorgeführt, aber stets waren diese in eine Folge von rhythmischen Tanzschritten eingebunden, die durch bestimmte Armhaltungen bzw. fließende Armbewegungen begleitet wurden. Kandinskys Figuren wirken dagegen eher regunglos, deren lapidares, holzschnittartig vereinfachtes Bewegungsrepertoire im Vergleich zu Duncan und Sacharoff weniger tänzerisch-rhythmisch als vielmehr pantomimisch zu bezeichnen ist. Diesen Unterschied reflektierte offenbar auch Kandinsky, indem er in seinem Aufsatz Über Bühnenkomposition, der kurz nach Über das Geistige in der Kunst erschienen ist, nicht mehr von ,,tanzkünstlerische[r] Bewegung"670, sondern vom ,,körperlich-seelische[n] Klang und seine[r] Bewegung durch Menschen (...) ausgedrückt"671 spricht. Kandinsky entwickelte eine neuartige Körpersprache, die keinem der bis dahin praktizierten Bewegungsmuster entsprach - weder im Freien Tanz, noch in der traditionellen Pantomime. Dieser wichtige Aspekt könnte der Ausgangspunkt einer weiterfuhrenden Studie sein, die auch prüfen sollte, inwiefern Kandinsky bereits 1908/09 eine eigenständige, selbstreferentielle Form der asemantischen Körpersprache, einer Mime pure, entwickelt hat, welche u. a. Arthur Symons und Gordon Craig gefordert hatten672, und die nach Bela Baläzs als ein Kennzeichen des ,,Mensch[en] der visuellen Kultur"673 zu bezeichnen ist. Ein weiterer wesentlicher Aspekt, der Kandinskys Figurenauffassung vom damaligen Ausdruckstanz unterscheidet, ist die Tatsache, daß er den natürlichen menschlichen Körper nicht thematisiert. Seine Darsteller sind zumeist in lange, verschiedenfarbige Gewänder gehüllt. Sie betreten die Bühne nicht als Individuen, die aus einem bestimmten Körpergefuhl heraus Bewegungen hervorbringen, sondern agieren als bewegte Formen, als Farbenträger im Rahmen einer dreidimensionalen Bildkomposition. Beispielsweise beginnt das zweite Bild der Bühnenkomposition Schwarz und Weiß, in dem schwarze Männer und weiße Frauen zeitlich versetzt die Bühne überqueren, mit der Bemerkung: „Bewegung von Schwarz und Weiß."674 Es ist demnach in erster Linie das Bild einer farbigen Figurenkette, das ihn interessiert hat, nicht die Ausdrucksmöglichkeiten des individuellen menschlichen Körpers. An diesem Punkt unterscheiden sich Kandinskys Ideen nicht nur von denen Isadora Duncans und Alexander Sacharoffs, sondern auch von Georg Fuchs' Tanzauffassung, die sich

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Kandinsky 1909, 102. Kandinsky 1912,125. Kandinsky 1912a, 206. Vgl. Teil II, Kap. 4 a der vorliegenden Arbeit. Baläzs 1961,32. Kandinsky 1909, 102.

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II. Bild-Bewegung: Theaterinszenierung als Komposition

am orgiastischen Bewegungsrausch der Traumtänzerin Madeleine orientierte. Ebenso wie bereits Craig faszinierte Kandinsky am menschlichen Darsteller nicht dessen naturgegebene Leiblichkeit, sondern auch er behandelte ihn als „living design".675 Damit läßt sich eine direkte Linie von Craig zu Kandinsky ziehen, denn bei beiden war der bewegte menschliche Körper nur eine Art Rohmaterial, welches in das Bildkonzept des Maler-Regisseurs eingefügt und entsprechend gestaltet wurde. Kandinsky behandelte den menschlichen Darsteller ganz im Sinne Craigs als Über-Marionette. Allerdings hat Kandinsky in keiner seiner Schriften zum Theater den Ersatz des menschlichen Darstellers durch eine künstliche Figur nahegelegt.676 Dies mag nicht zuletzt daran gelegen haben, daß er keinerlei praktische Erfahrungen in der Arbeit mit Schauspielern hatte und folglich auch nicht - wie Craig - die Enttäuschung einer ungenügenden Realisation auf der konventionellen Theaterbühne erlebt hat. Neben der evidenten Übertragung bildkünstlerischer Arbeitsprinzipien auf die Bühne ist wie bei Craig auch Kandinskys Rezeption symbolistischer Ideen zu erwähnen. So bezieht er sich in Über das Geistige in der Kunst ausdrücklich auf Maurice Maeterlincks Theaterstükke 677 Wie im vorangegangenen bereits dargestellt wurde, läßt Maeterlinck beispielsweise in dem Stück Die Blinden entindividualisierte Figuren auftreten, die keine Eigennamen besitzen. Diese dramatis personae sind demnach keine handelnden Individuen, sondern Symbole einer übergeordneten, vom Subjekt abstrahierten Idee. In Maeterlincks Stücken fand Kandinsky somit ein dramaturgisches Figurenkonzept vorformuliert, welches seine Bühnenkompositionen kennzeichnet.678 Auch Kandinskys Personnage ist typisiert und namenlos. Sie werden allein, wie z. B. in Schwarz und Weiß, nach, jung", „alt" oder „Frau", „Mann" unterschieden. Diese Wesen treten in keine direkte zwischenmenschliche Kommunikation, sei es verbaler oder körpersprachlicher Art, sondern agieren als symbolhafte Verkörperung der von Kandinsky mit den Farben Schwarz und Weiß konnotierten Ideen. Hier radikalisiert Kandinsky den Ansatz des Belgiers. Während die Figuren bei Maeterlinck auf sprachlichem Wege den zwischenmenschlichen Dialog negieren, bewegen sie sich bei Kandinsky größtenteils als stumme, depersonalisierte Farbformen im Raum.679 Dieses Theater der bewegten

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Symons 1906, 351 über Craigs Londoner Inszenierungen. (Vgl. Teil II, Kap. 4 a der vorliegenden Arbeit.) Selbst in dem Aufsatz Über die abstrakte Bühnensynthese, der während seiner Bauhaus-Zeit entstand, erwähnt er den Menschen als Tänzer neben den „abstakten Bewegungen (...) des Raumes, der abstrakten Formen". (Kandinsky 1923, 81.) Craigs Aufsatz The Actor and the Über-Marionette (1908), auf den sich u. a. O. Schlemmer beruft (vgl. Schlemmer: Mensch und Kunstfigur. 1925. Neuabdruck in: Brauneck 1989, 145-153, hier: 149), hat Kandinsky vermutlich erst in den 1920er Jahren am Bauhaus kennengelernt. Kandinsky war im Besitz der russischen Erstausgabe von Maeterlincks Theaterstücken (Petersburg 1896, GM/JE St., vgl. Hahl-Koch 1980, 180.) Hahl-Koch 1993, 193 erwähnt ferner, daß sich in der Kandinsky-Bibliothek (MNAM) eine französische Ausgabe der Maeterlinck-Stücke befindet (Theätre. Brüssel 1903, ohne Bandangabe). Dies ist der eigentliche Grund, weshalb seine Figuren mitunter an künstliche Figuren erinnern. Es ist allerdings anzunehmen, daß er die Überlegungen der französischen Symbolisten zu diesem Thema z.T. gekannt hat. Zumindest wußte er aus seinem Exemplar der frühen Maeterlinck-Stücke, daß diese für die Marionettenbühne gedacht waren. Dennoch sind Kandinskys Figuren in den frühen Bühnenstücke für menschliche Darsteller konzipiert. Allerdings ist dem hinzuzufügen, daß in den meisten Stücken Kandinskys mindestens ein Gedicht eingebaut ist, welches von den Figuren in entrückter, Maeterlinckscher Manier vorgetragen wird.

II 5. Wassily Kandinskys „Bühnencompositionen"

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Bilder hatte Gordon Craig mit seiner gleichfalls an Maeterlinck geschulten Idee eines drama of silence vorgezeichnet. Daß die menschliche Figur für Kandinsky in ihrer visuellen Präsenz nur ein Darstellungselement neben anderen war, zeigt bereits der erste Entwurf zu Schwarz und Weiß (1908/09). Für das zweite Bild vermerkt er hier nach den Auftritten der schwarzen Männer und weißen Frauen ein „Wachsen v. Schwarz."680 Die im Jahre 1909 weiterentwickelte Version verdeutlicht, daß damit ein „großer schwarzer Berg" gemeint war, der sich wie „ein liegende[s] Ungeheuer (...) über die ganze Bühne im Hintergrund" ausbreitet. Während die Menschen „in verschiedenen Stellungen" auf der Bühne verstreut sitzen, „wächst" dieser schwarze Berg „erst langsam und dann immer schneller in die Höhe."681 Der wachsende schwarze Berg ist in dieser Sequenz das einzige bewegte Bildelement und erhält dadurch eine - im Vergleich zu den regungslos sitzenden Figuren - eigenständige performative Qualität. In diesem Sinne agiert auch im zweiten Bild des Gelben Klangs eine große gelbe Blume als Darsteller.682 Die personellen wie gegenständlichen Mittel waren folglich für Kandinsky prinzipiell gleichrangig. Dementsprechend faßt er körperliche und gegenständliche Bewegung in Über Bühnenkomposition als eine Darstellungseinheit zusammen: „2. körperlichseelischer Klang und seine Bewegung durch Menschen und Gegenstände ausgedrückt".683 Auch in diesem Punkt steht Kandinsky somit in der Nachfolge der Überlegungen Gordon Craigs, der in seinen Notizbüchern seit 1903 Ideen zur verdinglichten Bewegung skizziert hat.684 Walter Romstöck ging 1954 davon aus, daß Kandinsky in seinem Bühnenkompositionen erstmals in der Theatergeschichte farbiges Scheinwerferlicht als gänzlich ,,eigenständige[s] Spielelement" verwenden wollte.685 Vor dem Hintergrund der vorangegangenen Ausfuhrungen ist diese These zu korrigieren, denn Craig hatte bereits ab 1903 Projekte entworfen, bei denen farbiges Licht als autonomer Gestaltungsfaktor eingesetzt werden sollte.686 Kandinsky hat diese „spezielle Bühnenmöglichkeit"687 jedoch noch sehr viel stärker als Craig im Sinne der Malerei angewandt. So beschreibt er bereits 1909 im vierten Bild von Schwarz und Weiß einen Himmel, der „ganz weiß" wird, danach schwarze Streifen bildet und sich schließlich gänzlich dunkel färbt. Dieser Farbenwechsel vollzieht sich, während die Figuren bewegungslos nebeneinander im Profil sitzen, d.h., erst nachdem der Himmel dunkel geworden ist, werden sie erneut aktiv.688 Im Jahre 1914 schließlich entwarf Kandinsky für das Bühnenstück Violett ein Praeludium, in dem der „farbige Ton und seine Bewegung"689 zum alleinigen Darsteller wurde:

680 681 682 683 684 685

686 687 688 689

Kandinsky 1908/09, 100. Kandinsky 1909, 102. Vgl. Kandinsky 1912b, 219. Die Blume taucht auf der Bühne auf, wächst und schaukelt hin und her. Kandinsky 1912a, 206. Vgl. Teil II, Kap. 4 b der vorliegenden Arbeit. Vgl. Romstöck 1954, 152; Denkler 1963, 55; Baumann 1988, 345-347. Kandinsky schreibt in Über Bühnenkomposition, daß der „farbige Ton" eine „selbständige Bedeutung" erlangen soll. (Kandinsky 1912a, 208.) Vgl. Teil II, Kap. 4 b der vorliegenden Arbeit. Kandinsky 1912a, 206. Vgl. Kandinsky 1909, 106. Kandinsky 1912a, 206.

184

II. Bild-Bewegung: Theaterinszenierung als Komposition

„Vorhang auf. Auf einer großen quadratförmigen Leinwand ein großer roter Kreis. (10) In der Mitte des Kreises ein violetter kleiner Kreis, der langsam wächst und endlich den roten Kreis vollkommen deckt. (10) Der Rote Kreis wird allmählich kleiner, so daß ein blauer Rand entsteht. Langsam zieht sich das Rot zusammen. Es verschwindet und der große Kreis ist blau. (5) Es wird plötzlich dunkel."690 Kandinsky malt hier ausschließlich mit Farblicht ein abstraktes kinetisches Bild. Damit verweist dieser szenische Entwurf, dessen formale Konsequenz sich bereits in Kandinskys Stücken seit 1909 angedeutet hat691, auf die etwa zeitgleich entstandenen ersten abstrakten Filmexperimente.692 So haben bereits vor 1912 die italienischen Futuristen Arnaldo Ginna (1890-1982) und Bruno Corra (1892-1976) abstrakte Farbbewegungen auf Filmstreifen gemalt. Diese kurzen Filme sind heute nur noch als Beschreibung Corras aus dem Jahre 1912 erhalten.693 In einer Sequenz beispielsweise war zunächst nur eine grüne Fläche zu sehen. Dann erschien im Zentrum des Bildes ein kleiner roter sechszackiger Stern, der sich um sich selbst drehte und allmählich wuchs, bis er die gesamte Bildfläche ausfüllte. Diese nunmehr rote Fläche wurde schließlich mit grünen Punkten übersät, welche größer wurden, bis sie das Rot völlig absorbiert hatten und die ganze Fläche wieder grün war.694 Ebenso wie bei Kandinskys Praeludium zur Bühnenkomposition Violett waren hier ausschließlich abstrakte Farbformen in Bewegung versetzt, die somit zu performativen Ausdrucksträgern wurden. Seinen Aufsatz Über Bühnenkomposition beendet Kandinsky mit der Bemerkung, daß das „Wort als solches oder in Sätze gebunden" verwendet werden solle, „um eine gewisse .Stimmung' zu bilden".695 Diese Intention einer wortsprachlichen Erzeugung von Stimmungen verweist ein weiteres Mal auf Kandinskys Maeterlinck-Rezeption 696 Darüber hinaus solle aber der „Klang der menschlichen Stimme (...) auch rein angewendet" werden, „d. h. ohne Verdunklung desselben durch das Wort, durch den Sinn des Wortes."697 Mit dieser Idee einer stimmlichen Erzeugung von asemantischen Klängen geht er über Maeterlinck weit hinaus. Bereits im Bühnenstück Schwarz und Weiß aus dem Jahre 1909 findet sich eine solche Art der stimmlichen Klangerzeugung. Hier notiert Kandinsky für das Ende des zweiten Bildes: „Der schw.[arze] Berg wächst (...) in die Höhe. Wenn er ziemlich den Hinter690 691 692 693 694

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Kandinsky 1914a. Die Zahlen geben die Dauer in Sekunden an. Vgl. u. a. auch den Gelben Klang, wo es zahlreiche Passagen gibt, in denen Kandinsky mit farbigem Licht malt. (Kandinsky 1912b.) Eichner 1957, 91 berichtet, allerdings ohne Quellenangabe, daß Kandinsky daran dachte, seine Bühnenkompositionen zu verfilmen. (Vgl. auch Lawder 1975, 246.) Corra 1912. Vgl. Ausstellungskat. Film als Film 1978, 36ff.; Scheugl/Schmidt 1974, 319ff.; Kirby 1986, 141. Corra 1912, 250: „... i temi cromatici che mi stanno sotto gli occhi abbozzati sopra strisce di celluloide sono tre: il primo e quanto di piü semplice si possa immaginare, a due soli colori, complementari, rosso e verde, al principio tutta la tela e verde, poi appare, nel centro, una stellina rossa a sei punte la quäle ruota su se stessa vibrando le punte come tentacoli e ingrandisce, ingrandisce, ingrandisce sino a occupare tutta la tela, tutta la tela e rossa, allora improwisamente su tutta la superficie illuminata appare un brulichio nervoso di punti verdi che crescono, crescono, crescono sino a divorare tutto il rosso, alla fine tutta la tela e verde, questo dura un minuto". Kandinsky 1912a, 208. Vgl. Brinkmann 1980; Teil II, Kap. 4 c der vorliegenden Arbeit; Kandinsky 1912,44ff. Kandinsky 1912a, 208.

II. 5. Wassily Kandinskys

„Bühnencompositionen"

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grund verdeckt hat wird hörbar hinter der Bühne eine hochklingende gutturale Stimme, die etwas undeutliches nervös u. aufdringlich verkündet."698 Diese stimmlichen Lautmalereien, welche er später auch im Gelben Klang einsetzt699, wertete u. a. Jelena Hahl-Koch als Vorwegnahme der futuristischen Sprachexperimente.700 Jedoch ist auch diese These aufgrund der vorangegangenen Ausfuhrungen zu korrigieren, denn Gordon Craig hatte bereits seit ca. 1904 über den Einsatz stimmlich erzeugter Laute jenseits der Wortsprache nachgedacht.701 Eine letzte wichtige Parallele zwischen den Theaterkonzeptionen Craigs und Kandinskys ergibt sich aus der Tatsache, daß beide Künstler die tradierte Form der kausallogisch aufgebauten Dramenhandlung ablehnten. So vermerkt Kandinsky in Über Bühnenkomposition, daß der ,,äußere(...) Vorgang (= Handlung) zu streichen" sei.702 Dieser Aspekt ist von der Forschung am Beispiel des Gelben Klangs wiederholt untersucht worden. Horst Denkler hat gezeigt, daß beim Gelben Klang nicht im Sinne der klassisch aristotelischen Dramenform eine „erzählbar-gegenständliche Handlung" vorliegt, sondern die „Fabel" dieser Bühnenkomposition ist „nur als Folge von Bild-, Ton- und Bewegungsassoziationen zu beschreiben."703 Eine solche assoziative Aneinanderreihung von bewegten Bildern kennzeichnet bereits die frühen Entwürfe aus der Zeit 1908/09. Beispielsweise erscheinen die vier Bilder von Schwarz und Weiß (1909) - gemessen an der klassischen Dramaturgie - als gänzlich unverbunden, denn sowohl die szenische Ausstattung als auch die Figuren sind jeweils visuell verschieden und verweisen damit nicht auf das im vorherigen Bild Geschehene. Es sind vier assoziativ aneinandergereihte Bildsequenzen, die den Antagonismus von Schwarz und Weiß thematisieren. Daß man darin wiederum eine übergeordnete narrative Ebene aufdekken kann, hat Claudia Emmert 1998 nahegelegt, indem sie das Bühnenstück Schwarz und Weiß als symbolische Szenenfolge von Leben, Tod und Auferstehung interpretiert.704 Eine sehr ähnliche Erzählstruktur läßt sich bereits bei den 1906 entstandenen szenischen Entwürfen Craigs feststellen. So reiht er in den Szenarien Meetings & Partings und The Steps verschiedene sights aneinander, die assoziativ ein übergeordnetes Thema variieren. Während es bei dem einen Mimodrama um das Sujet Begegnung und Abschied geht705, thematisiert Craig in The Steps die verschiedenen visuellen Erscheinungsformen einer Treppe.706 Dementsprechend wechselt auch die Personnage. In Meetings & Partings sind es im ersten sight („The Street") ein Liebespaar, im zweiten („The Fields") ein Mädchen und eine alte Frau, im dritten („The Seashore") eine unglückliche Frau und die allegorische Figur des Todes. In The Steps sind im ersten Bild drei spielende Kinder dargestellt, im zweiten eine 698 699

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Kandinsky 1909, 104. Hier vermerkt er für das Ende des dritten Bildes: „Plötzlich hört man hinter der Bühne eine grelle, angsterfüllte Tenorstimme, die vollkommen undeutliche Worte sehr schnell schreit (oft hört man a: z. B. Kalasimunafakola!)." (Kandinsky 1912b, 223.) Vgl. Hahl-Koch 1993, 150; Eller-Rüter 1990, 197. Vgl. Teil II, Kap. 4 c der vorliegenden Arbeit. Kandinsky 1912a, 206. Denkler 1963, 46. Vgl. auch Sheppard 1975; Jelavich 1985, 224-235; Göricke 1987; Eller-Rüter 1990, 65-93; Hines 1991, 99-124; Schober 1994, 130-145; Verdi 1996, 125f. Vgl. Emmert 1998, 139-145. Zur Interpretation des Stückes vgl. auch Eller-Rüter 1990, 90ff. Allerdings lag beiden Autoren nur die französische Übersetzung des Stückes vor. Vgl. Teil II, Kap. 3 a der vorliegenden Arbeit. Craig 1913, 45: „But although the man and the woman interest me to some extent, it is the steps on which they move which move me."

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II. Bild-Bewegung: Theaterinszenierung als Komposition

größere Gruppe von Kindern, im dritten sowie vierten jeweils ein Mann und eine Frau. Für beide Szenarien ist nicht anzunehmen, daß die Figuren der einzelnen sights identisch sind. Dies würde sich beispielsweise darin zeigen, daß die drei spielenden Kinder der First Mood zwangsläufig in der Second Mood wieder auftauchen bzw. identifizierbar wären. Indem aber Craig die Figuren nur skizzenhaft andeutet und nicht näher charakterisiert, war eine solche Identität für ihn offenbar nicht von Interesse. Hätte er dies angestrebt, so wäre eine kausale Abfolge gegeben, eine Geschichte, die über das jeweilige Bild hinausweist. Statt dessen bleiben die einzelnen sights in The Steps auf sich selbst bezogen und lassen erst in der additiven Aneinanderreihung einen übergeordneten Zusammenhang erkennen. Bei Meetings & Partings läßt sich zudem - ähnlich wie bei Kandinskys Stück Schwarz und Weiß - ein übergeordneter Handlungsstrang erkennen, der sich als symbolische Abfolge von Leben („The Street"), Altern („The Fields") und Tod („The Seashore") beschreiben läßt. Damit war Craig auch im Hinblick auf Kandinskys visuelle Dramaturgie ein Vordenker des modernen Bildertheaters. Craig selbst hat sich jedoch diese Verwandtschaft nie eingestanden. Er nahm die nachfolgenden Entwicklungen zwar zur Kenntnis, aber zumeist nur mit einem Kopfschütteln.707 Dieses Verhalten liegt vor allem darin begründet, daß sich bereits die Theaterkonzepte Craigs und Kandinskys in einem wesentlichen Punkt unterscheiden, der symptomatisch für eine bild- und bühnenästhetische Paradigmenverschiebung steht und deshalb abschließend kurz angedeutet werden soll.

d) Ausblick: Dissonanz als neue Harmonie „Jedenfalls spitze Farben klingen in ihrer Eigenschaft stärker in spitzer Form (z. B. Gelb im Dreieck). Die zur Vertiefung geneigten werden in dieser Wirkung durch runde Formen erhöht (z. B. Blau im Kreis). Natürlich ist es andererseits klar, daß das Nichtpassen der Form zur Farbe nicht als etwas .Unharmonisches' angesehen werden muß, sondern umgekehrt als eine neue Möglichkeit und also auch Harmonie."708 Diesen Gedanken äußert Kandinsky in seinem Traktat Über das Geistige in der Kunst. Das Zusammenbringen disparater Gestaltungselemente war für ihn nicht nur ein neuer, zukunftsweisender Weg des bildnerischen Arbeitens auf der Leinwand, sondern auch auf der Theaterbühne. Dieser Aspekt zeigt sich am deutlichsten in Kandinskys Ideen zur Synthese der musikalischen und visuellen Darstellungsmittel. Während beispielsweise Rimington mit seiner Colour-Organ und Skrjabin mit seiner Farbensymphonie Prometheus eine direkte Übersetzung musikalischer Tonfolgen in Farbwerte anstrebten, lehnte Kandinsky eine solche reine Anwendung synästhetischer Zuordnungen als ausschließliche Darstellungsform auf der Bühne ab:

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In der Craig-Bibliothek der BN befindet sich z. B. ein Exemplar des Ausstellungskatalogs der International Theatre Exposition (New York 1926), in dem neben Kandinsky, den italienischen Futuristen und den Bauhaus-Künstlern alle neuen Strömungen des Theaters der 1920er Jahre vertreten waren. Craigs Annotationen zeugen von einem tiefen Unverständnis. (Vgl. auch Teil III, Kap. 3 b der vorliegenden Arbeit.) Kandinsky 1912,69.

II. 5. Wassily Kandinskys „Bühnencompositionen"

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„Die Wiederholung (...) des einen Mittels einer Kunst (z. B. Musik) durch ein identisches Mittel einer anderen Kunst (z. B. Malerei) ist nur ein Fall, eine Möglichkeit. Wenn diese Möglichkeit auch als ein inneres Mittel verwendet wird (z. B. bei Skrjabin), so finden wir auf dem Gebiete des Gegensatzes und der komplizierten Komposition erst einen Antipoden dieser Wiederholung und später eine Reihe von Möglichkeiten, die zwischen der Mit- und Gegenwirkung liegen."709 Mit dieser Idee einer „komplizierten Komposition" ging Kandinsky nicht nur über die zeitgenössischen Gedanken zu Farbe-Ton-Analogien hinaus, sondern er überwand auch erstmals die Wagnersche Vorstellung eines harmonischen Zusammenwirkens der einzelnen Kunstgattungen auf der Theaterbühne. Wie die Ausführungen im vorangegangenen Kapitel gezeigt haben, basierte Wagners Idee des Gesamtkunstwerks u. a. auf dem Bestreben nach einer synästhetischen Gleichschaltung der Sinne. Dieses Prinzip wurde von den Theaterreformern Adolphe Appia und Gordon Craig weiterentwickelt, denn beide Künstler versuchten, musikalisch-akustische Reize in adäquate visuelle Reize zu transformieren.710 Kandinsky verwendete diese Form der synästhetischen „Wiederholung (...) in zwei Substanzformen"7" als eine Möglichkeit des Zusammenspiels der auditiven und visuellen Inszenierungselemente. Beispielsweise „spiegelt sich" der Flug vogelartiger Wesen im ersten Bild des Gelben Klangs „auch in der Musik ab."712 Neben einer solchen synästhetischen „Mitwirkung" interessierte ihn aber vor allem die „Gegenwirkung"713 der einzelnen Künste. So gibt er für das dritte Bild des Gelben Klangs folgende Regieanweisung: „Es wird einen Augenblick schwarz. Dann fließt auf die Bühne ein mattes gelbes Licht, welches allmählich immer intensiver wird, bis die ganze Bühne grell zitronengelb wird. Mit der Steigerung des Lichtes geht die Musik in die Tiefe und wird immer dunkler (diese Bewegung erinnert an das Hineindrücken einer Schnecke in ihre Muschel)."714 In dieser Sequenz ist dem grellen Zitronengelb eine Musik beigegeben, die parallel zur Steigerung der Farbintensität allmählich zurückhaltender wird. Dem harmonisch synästhetischen Empfinden sollte hier offenbar entgegengewirkt werden.715 Ziel war es, eine „Complikation des Gefühls" darzustellen, welche dem „Gefühle des modernen Menschen"716 entspreche. „In meinem .Geistigen'", schreibt Kandinsky im Jahre 1914, „de-

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Kandinsky 1912a, 193. Bereits 1910 schrieb Kandinsky in einem Brief an Münter: „Er [Skrjabin] denkt auch viel an das Correspondieren des musik.[alischen] und farbl.[ichen] Tones, aber, so viel ich weiss, zu kurz." (Brief Kandinsky an Münter vom 23. 10. 1910, GM/JE St., vgl. auch Hahl-Koch 1993, 155.) Die unterschiedlichen Auffassungen Skijabins und Kandinskys hinsichtlich der Anwendung synästhetischer Prinzipien wurden von der Forschung bislang kaum beachtet. Vgl. die vorangegangenen Ausführungen (Teil II, Kap. 4 c) über Craigs Londoner Operninszenierungen im Vergleich zu Appias Inszenierungsvorschlägen. Kandinsky 1912a, 196. Kandinsky 1912b, 216: „Schnell fliegen von links nach rechts rote undeutliche Wesen, die etwas an Vögel erinnern, große Köpfe haben, die eine entfernte Ähnlichkeit mit menschlichen haben. Dieser Flug spiegelt sich in der Musik ab." In diesem Stück gibt es noch weitere Stellen, die eine ähnliche Entsprechung von Musik und Bühnengeschehen andeuten. Kandinsky 1912a, 208. Kandinsky 1912b, 222f. In seiner Farbenlehre (Kandinsky 1912, 59-112) ordnet er dem grellen Zitronengelb, welches „dem Auge nach längerer Zeit weh" tut, eine „hochklingende Trompete" zu. (Ebd., 60.) Kandinsky 1909a, 48.

188

II. Bild-Bewegung: Theaterinszenierung als Komposition

finiere ich die heutige Harmonie als das Zusammenstoßen und dramatische Kämpfen der einzelnen Elemente unter sich."717 Das „.Prinzip' des Mißklanges"718, wie er es auch genannt hat, wurde von ihm demnach als adäquater Darstellungsmodus der menschlichen Empfindungswelt am Beginn des 20. Jahrhunderts verstanden. Dieser Aspekt kündigt sich bereits 1909 in Kandinskys Vorwort zu den Bühnenkompositionen an719, also noch bevor er in Arnold Schönberg einen Gleichgesinnten gefunden hatte.720 Eine weiterfuhrende Studie könnte prüfen, inwiefern dieses von Kandinsky favorisierte Prinzip des Mißklanges überhaupt noch mit dem Wagnerschen Gesamtkunstwerk-Begriff vereinbar ist, denn als einer der ersten Künstler der Klassischen Moderne interessierte ihn nicht mehr das harmonische Zusammenspiel, sondern das konfliktgeladene Gegeneinander der einzelnen Künste.721

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Kandinsky 1914,55. Kandinsky in einem Brief an A. Schönberg vom 22. 8. 1912. (Veröffentlicht in: Schönberg/Kandinsky-Briefwechsel 1980, 71 f., hier: 72.) Vgl. Kandinsky 1909a. Den Briefwechsel mit Schönberg begann Kandinsky am 18. 1. 1911. Anlaß war der Besuch eines Schönberg-Konzerts. Über das Verhältnis Kandinsky-Schönberg ist bereits viel geschrieben worden. (Vgl. u. a. Hahl-Koch 1980; Wham 1987; Schober 1994, 126ff.; Hahl-Koch 1997.) Auf diesen Aspekt hat Brandstetter 1995, 462 bereits im Rahmen ihrer Untersuchung von Reläche (Ballets Suedois, 1924) hingewiesen. Allerdings nennt sie auch Appia und Craig fälschlicherweise in diesem Zusammenhang (ebd., Anm. 59). Aus meiner Sicht kann man eine solche Infragestellung des Gesamtkunstwerk-Begriffs erst mit Kandinsky ansetzen.

Teil III Darstellende Architektur: Die Bühne als performatives Medium We must Surround the people with symbols ... in silence ... in silence we will reveal the movement of things. This is the natura of our Art - the Art of the Theatre. Edward Gordon Craig, 1908' This Art about which I write and to which I have given my life, transcends the Theatre. Edward Gordon Craig, 19082

1. Vom Bühnenbild zur Bühnenarchitektur a) „Architectural revival"3 im viktorianischen Schautheater Als Max Reinhardts Sommernachtstraum zu Beginn des Jahres 1905 im Berliner Neuen Theater Premiere hatte, war diese Inszenierung u. a. deshalb in aller Munde, weil sich hier kein gemalter, sondern ein plastisch aufgebauter künstlicher Wald vor den Augen der Zuschauer erhob (Abb. 3). Die Verwendung dreidimensionaler, begehbarer Bühnenaufbauten hatte sich zwar für Interieur-Szenen bereits seit dem Ende des 19. Jahrhunderts durchgesetzt4, aber für die Gestaltung architektonischer bzw. landschaftlicher Außenräume war dies auch 1905 auf deutschen Bühnen noch keine Normalität.5 In der Regel wurde hier weiterhin das seit dem 17. Jahrhundert tradierte Kulissensystem verwendet, bestehend aus perspektivisch gestaffelten Kulissen, einem Hintergrundprospekt und den Soffitten als oberer Abschluß, welches Landschaftsräume und Architekturen durch Trompe-l '«//-Malerei illusioniert.6 In England gab es dagegen bereits seit Mitte des 19. Jahrhunderts erste Tendenzen einer plastisch gestalteten Bühne. Charles Kean ließ die gemalten Bühnenbilder seiner Inszenierungen durch begehbare Balkone und Treppen ergänzen, wodurch das Spiel auf verschiede1 2 3 4 5

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Craig 1908b, 2. Craig 1908d,Anm. G.A.S. in: The IllustratedLondon News vom 15. 1. 1881, 55. Vgl. z. B. Abb. von Inszenierungen O. Brahms (u. a. in: Brauneck 1988, 28ff.). Reinhardt war auch in dieser Hinsicht dem allgemeinen Stand der deutschen Bühnenpraxis voraus. Bereits 1903 verwendete er für die Salome- und £7efara-Inszenierungen plastische Architekturteile. (Vgl. die Abb. in Bab 1928, 120; die Kritiken in Jaron/Möhrmann/Müller 1986, 525f.) Zum Bühnenbild von Elektro vgl. Teil I, Kap. 4 b der vorliegenden Arbeit. Vgl. Hampe 1961.

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III. Darstellende Architektur: Die Bühne als performatives Medium

nen räumlichen Ebenen möglich wurde.7 Dieser Gedanke wurde von Henry Irving in Zusammenarbeit mit renommierten Malern und Architekten am Londoner Lyceum Theatre weiterentwickelt. So ließ der Architekt James Th. Knowles für die Inszenierung The Cup (1881) z. T. vollplastische Versatzstücke eines griechischen Tempels vor dem illusionistischen Architekturprospekt errichten, so daß die Schauspieler nun auch andeutungsweise in das Bild hineintreten konnten. Diese Tempelszene wurde von der zeitgenössischen Kritik als „architectural revival"8 gepriesen. Einen weiteren entscheidenden Schritt in diese Richtung machte Gordon Craigs Vater, der Architekt Edward William Godwin.9 Zwei Jahre nach The Cup stattete er für das Londoner Princess's Theatre die Inszenierung von W. G. Wills' Claudian aus. Eine Szene im dritten Akt erregte großes Aufsehen, an welche sich sogar Craig, der eine Auffuhrung als Zwölfjähriger gesehen hatte, noch siebzig Jahre später in seinen Memoiren erinnert: „I still see one scene - an earthquake and tumbling masonry."10 Der aus plastischen Bühnenaufbauten bestehende Palast des Claudian erbebte, und das künstliche Mauerwerk „feil with a crash"." Das Erdbeben wurde hier nicht nur - wie sonst üblich - durch Lichteffekte bzw. durch den Wechsel des bemalten Hintergrundprospektes dargestellt, sondern es wurde dreidimensional vorgeführt und damit realen Körpererfahrungen angeglichen. Mit seiner dritten eigenen Inszenierung, John Todhunters Helena in Troas, setzte Godwin im Jahre 1886 weitere neue Akzente in der architektonischen Bühnenraumgestaltung (Abb. 2). Diese Auffuhrung fand nicht im vorgegebenen Proszeniumsrahmen einer konventionellen Theaterbühne statt, sondern in einem Zirkus, in dessen Manege Godwin ein kleines Amphitheater bauen ließ. Die Schauspieler befanden sich hier inmitten einer real präsenten (Bühnen-)Architektur, die als solche ohne gemalte perspektivische Täuschungen vollständig bespielbar war. Nur hinter den Fensteröffnungen gab ein gemalter Prospekt Ausblick in eine vom Balkon ohnehin nicht zu erreichende Ferne. Der Versuch Godwins, den griechischen Theaterbau zu rekonstruieren12, wurde ergänzt durch die Führung und Kostümierung der Schauspieler, die den griechischen Skulpturen im British Museum nachempfunden waren. So erinnerte das ungebleichte Leinen der Gewänder an Marmor und die Frauen des Chores

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Zum Aufführungsstil von Ch. Kean vgl. Kindermann 1965, Bd. VII, 83-110; Rosenfeld 1973,120-127; Abb. bei Byrne 1964. G.A.S. in: The Illustrated London News vom 15. 1. 1881, 55. Zu The Cup vgl. Meisel 1983, 414f. Irving und seine Bühnenbildner gingen damit sogar noch einen Schritt weiter als das Meininger Hoftheater, das zu diesem Zeitpunkt noch ausschließlich mit gemalten Dekorationen arbeitete. Der Meininger Herzog ließ sich während seines Gastspiels 1880/81 vom englischen Vorbild einer plastisch gestalteten Bühne inspirieren und stellte in seinen Briefen an die Brüder Brückner (1880/81, Sammlung Niessen, Institut für Theatergeschichte, Köln) Überlegungen zu diesem Thema an, die allerdings aus Kostengründen zum Großteil nicht realisiert wurden. (Vgl. Krengel-Strudthoff 1974.) Zu Godwin vgl. Teil II, Kap. 1 a; Teil II, Kap. 2 a der vorliegenden Arbeit. Craig 1957, 58. Modern Society vom 15. 12. 1883, 47: „With a migthy upheaval the walls, pillars, and arches shook, then split up and feil with a Crash; and then, in a quarter of a minute, the magnificient palace was reduced to a fearful desolation, amid which Claudian stood pale, dignified, and unharmed." Nach heutigem Forschungsstand wich diese Rekonstruktion allerdings deutlich vom griechischen Original ab. So war es eine römische halbrunde orchechstra, die hier zur Ausfuhrung kam. Ebenso entsprachen die ife/ie-Aufbauten mit den Balkons nur andeutungsweise den griechischen Skenengebäuden.

III. 1. Vom Bühnenbild zur

Bühnenarchitektur

191

posierten nach dem Vorbild des Parthenon-Frieses. 13 Diese Inszenierung wurde von Oscar Wilde als „the most perfect exhibition of a greek dramatic Performance that has yet been seen in this country" 14 gepriesen und war ein gefeierter Höhepunkt des Klassizismus der späten viktorianischen Ära.15 Innerhalb dieses Kontextes war Godwins Inszenierung Helena in Troas zugleich auch eine konsequente Vollendung des architectural revival auf dem Theater: Um den „Greek spirit" 16 aufleben zu lassen, rekonstruierte Godwin im verkleinerten Maßstab die vollständige Architektur einer antiken Bühne.

b) Monumentale Architektur: Craigs Rezeption antiker Baukunst Die Hinwendung zur klassischen Antike, welche in der bildenden Kunst Englands seit dem 18. Jahrhundert nachweisbar ist, zeigte sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts verstärkt auch in der Bühnenkunst. 17 Vor allem August Wilhelm Schlegels Vorlesungen über die dramatische Kunst, die seit 1815 in englischer Übersetzung vorlagen, sowie Richard Wagners Schriften trugen hierzu bei. 18 Beide Autoren beschreiben die griechische Tragödie als ein ideales Gesamtkunstwerk. Nach diesem Vorbild verfaßte John Todhunter sein Stück Helena in Troas19, das von Godwin im Jahre 1886 mit Anspruch auf historische Authentizität inszeniert wurde. Craig besuchte eine der Auffuhrungen als Dreizehnjähriger 20 und las später Schlegels Lectures on dramatic art ebenso wie die Schriften Richard Wagners.21 Im Juni 1895 entdeckte Craig im Century Magazine Abbildungen einer Theaterauffuhrung der Comedie Fran9aise in der Ruine des römischen Theaters von Orange (Abb. 42). Die von Louis Loeb in fotografischer Genauigkeit ausgeführten Zeichnungen des antiken Theaters beschreibt Craig später als einen wichtigen Impuls für die Entwicklung seiner Ideen zur Bühnengestaltung. 22 Diese Rezeption steht im Kontext der oben angedeuteten klassizistischen Tendenzen im viktorianischen England. Allerdings betonte Craig im Zusammenhang mit Orange einen neuartigen Aspekt. Während Godwins griechisches Theater

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Vgl. Habron 1949, 180; Gaunt 1952,126; Jenkyns 1980, 301-304. O. Wilde, zitiert nach Habron 1949, 176f. Zur Antike-Rezeption des 18./19. Jahrhunderts in England vgl. Jenkyns 1980, 1-28; 298ff.; Gaunt 1952. O. Wilde in: The Dramatic Review vom 7. 8. 1886, 12 (zitiert nach Stokes 1972, 56). Vgl. Jenkyns 1980; Gaunt 1952. Vgl. Jenkyns 1980, der u. a. den Einfluß der Schlegelschen Schriften auf die englische Dramatik im 19. Jahrhundert nachweist. Vgl. ebd., 303f. Vgl. Craig 1957, 71. Zwischen 1897 und 1903 sammelte Craig in einem Notizbuch Informationen über seinen Vater, den er persönlich kaum kannte. Dieses Heft beinhaltet auch eine Abbildung der Inszenierung Helena in Troas. (Craig, MSS Book 13. E. W. G. 1875, 1897-1903, BN.) In diesem Notizbuch verwahrte der junge Craig zudem eine fast komplette Folge von Godwins Artikelserie Architecture and Costumes of Shakespeare's Plays (Oktober 1874-Juni 1875). Diese Artikel veröffentlichte Craig nochmals in seiner Zeitschrift The Mask (Mai 1908—April 1914). In Craigs Bibliothek (BN) befindet sich ein mit zahlreichen Anmerkungen versehenes Exemplar von Schlegels Lectures on dramatic art and literature (London 1894), welches Craig 1896 mit einem Exlibris gekennzeichnet hat. Besonders die Passagen zur griechischen Tragödie sind intensiv durchgearbeitet. Craig, Oktober 1936, handschriftliche Notiz in: Janvier 1895 (Craig-Bibliothek, BN).

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III. Darstellende Architektur: Die Bühne als performatives

Medium

für Helena in Troas Größenverhältnisse aufwies, die den Proportionen eines Innenraumes angeglichen waren (Abb. 2), interessierte sich Craig viel stärker für die monumentale Größe eines antiken Bauwerks. So vermerkt er im Hinblick auf Loebs Zeichnungen (Abb. 42): „What these designs drew out of me was a realization of the spaces which large open air theatres give us." 23 Diese Anregung verarbeitete Craig beispielsweise in seinem Bühnenbildentwurf zu Hofmannsthals Elektro aus dem Jahre 1905 (Abb. 8). Wie bei der antiken scaena in Orange ist hier die Spielfläche durch eine parallel zur Bühnenrampe verlaufende Wand begrenzt. Für die Gliederung dieser Wand zitiert Craig nur das zentrale Eingangstor, die regia, welche sich in majestätischer Höhe hinter den Darstellern öffnet. Der Sockel und die zum Tor hinaufführende Treppe sind bei diesem Entwurf fast so hoch wie die vordere Figur. Craig orientiert sich hier offenbar an der extremen Vertikalität der antiken scaena, deren untere Sockellinie in Orange etwa mannshoch ist.24 Er übernimmt folglich das ungefähre Maßverhältnis vom zentralen Eingangstor einer römischen scaena zum menschlichen Darsteller. In dem 1905 verfaßten Vorwort zu The Art of the Theatre skizziert Craig seine Vorstellungen vom Gebäude des „theatre of the future" und führt den griechischen ParthenonTempel als beispielgebend an. Er visioniert einen gigantischen Theaterbau: „I see a great building to seat many thousands of people. At one end rises a platform of heroic size". 25 Einen 1915 erschienenen Artikel überschreibt Craig mit In Defence of a Scene of Vast Proportions.26 Er reagiert hier auf zahlreiche Kritiker, die bemängelten, daß hoch aufragende Architekturen die Schauspieler zu winzigen Staffagefiguren werden lassen. Als Argument für „Vast Proportions" bzw. für eine „heroic size" von Bühnenaufbauten beruft sich Craig auf die Maß Verhältnisse des antiken Theaters in Orange. Craigs Rezeption römischer Theaterarchitektur wurde weiterhin maßgeblich durch die Tatsache bestimmt, daß Orange in den Zeichnungen von Louis Loeb als Ruine wiedergegeben war. Das schroff abfallende Mauerwerk läßt hier nur noch andeutungsweise erkennen, daß die scaena ursprünglich durch mehrstöckige Säulengalerien reich gegliedert war. 27 Es ist das Prinzip eines hoch aufragenden, nahezu ungegliederten massiven Baukörpers, das Craig an diesen Zeichnungen fasziniert hat. 28 So schreibt er 1936: „Our scenes, even those in the Lyceum Theatre (...) were cramped: crowded with too many bits. They had no line little form. (...) But the design here on page 170 gave me my cue. (...) I began to understand that a single line is better than 60 lines. (...) Less ,romanticism' than ,serene romanticism' - a leaving towards classicism". 29 Damit sind drei Kriterien angesprochen, die in der kunsthistorischen Forschung als grundlegende Charakteristika einer ,,monumentale[n] Baugesinnung" 30 gelten: die Hinwendung zur Antike, gewaltige Ausmaße sowie blockhafte Ver-

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Ebd. Die Höhe der scaena gibt Janvier 1895, 166 mit 120 feet (ca. 36 m) an. Craig 1905c, 14. Vgl. Craig 1915, 163f. Vgl. Molinari 1975, 57ff. Aus dem gleichen Grunde sammelte er in seinen Notizbüchern z. B. auch Abbildungen der ägyptischen Pyramiden und des megalithischen Denkmals in Stonehenge. (Vgl. Boite 16, BN.) Craig, Oktober 1936, handschriftliche Notiz in: Janvier 1895 (Craig-Bibliothek, BN). Hamann/Hermand 1967,400.

III. 1. Vom Bühnenbild zur Bühnenarchitektur

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einfachung des Baukörpers.31 Diese Kriterien kennzeichnen ein zentrales Paradigma der Architektur um 1900, wie Richard Hamann und Jost Hermand 1967 nachgewiesen haben.32 Kubisch massive Grundformen und glatte Oberflächen wurden bereits von John Ruskin in The Seven Lamps of Architecture als eine mögliche architektonische Ausdrucksform des Erhabenen beschrieben. Um dieses Gefühl des Erhabenen beim Betrachter auszulösen, betont Ruskin einen weiteren Faktor: die überwältigende Größe des Bauwerkes.33 Craig hatte Ruskins Schriften bereits im Elternhaus kennengelernt. In den 1890er Jahren tauschte er sich über diese Lektüre mit dem befreundeten Architekturstudenten J. Paul Cooper aus.34 Eine Tendenz zum Vertikalismus kubischer Bühnenaufbauten zeigt bereits der 1901 entstandene Bühnenentwurf Craigs zu Johann Sebastian Bachs Matthäus-Passion (Abb. 44). Während die im rechten Bildmittelgrund dargestellten Gebäude in ihrer einfachen architektonischen Gliederung mit teilweiser Andeutung von profilierten Rundbögen an die tatsächliche Architektur Jerusalems erinnern, sind die im Hintergrund aufgipfelnden Bauwerke deutlich stärker auf eine stereometrische Grundform reduziert. Die gewaltige Dimension dieses kubischen Bergmassivs verdeutlicht Craig durch einen perspektivisch raffinierten Schachzug: Der gerüstartige Aufbau der linken Bildhälfte ist, dem angestrebten Tiefenzug folgend, perspektivisch verkürzt dargestellt. Indessen erfolgt in der rechten Bildhälfte eine scheinbar gegenläufige Raumentwicklung, denn das größte Bauwerk befindet sich nicht im Vordergrund, sondern im entfernten Bildhintergrund. Die beiden auf der Mittelachse des Bildes dargestellten Figuren verdeutlichen zudem eine extreme Raumausdehnung, da die hintere Figur halb so groß ist wie die vordere. In räumlicher Abfolge setzt Craig zwischen diese beiden Figuren zwei gebogene, treppenartige Absätze, die der cavea, dem Zuschauerraum des antiken Theaters, entlehnt sind. Auch die Bekleidung der Figuren erinnert an den Faltenwurf eines antiken Gewandes. Jene durch die Mauern der scaena abgeschlossene Spielfläche des antiken Theaterbaus hat er hier jedoch nicht übernommen. Die immense Räumlichkeit der Bühne, die Craig in diesem Entwurf imaginiert, zeigt vielmehr seine Beschäftigung mit den illusionistischen Bühnenbildern des Barock.35

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Vgl. ebd, 395-504; Hamann 1983,101-110; Borsi 1987, 54-59; Stoklas 1989. Hamann/Hermand 1967, 395-504. Über Craigs Bühnenbildentwürfe heißt es ebd., 477: „... die in ihrer monumentalen Vereinfachung den Eindruck einer archaisch gesehenen Antike erweckten." Vgl. Ruskin 1880, 106-116. Die Traditionslinie des Erhabenen, in der Ruskin steht, ist kurz skizziert bei Pochat 1986, 545-552. Craig 1957, 105: „January 11, 1890 (...) I do recall it now that I had a great liking for reading in all the books of Ruskin - and my friend, Paul Cooper, read Ruskin too, for he was studying to become an architect." (Zu Craig und Ruskin vgl. Talley 1967, 55f.) Ferner gibt Craig 1912d, 43 Ruskin als einen seiner „headmasters" an. Im zeitgenössischen Bühnenbild kann Craig kaum Anregungen gefunden haben, da eine vergleichbar visionäre räumliche Weite und Monumentalität von illusionistischer Architektur hier nicht mehr dargestellt wurde (vgl. Abb. bei Rosenfeld 1973, 133-141; Meisel 1983, Illustr. 193, 194, 215-217). Zu den Visionen einer „ins Unermeßliche geweiteten Baukunst" der barocken Bühnenbildentwürfe vgl. Miller 1981,30-39, hier: 33.

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III. Darstellende Architektur: Die Bühne als performatives

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c) Gebaute versus gemalte Räume: Craigs Rezeption barocker Bühnenbildkunst Die Bibliothek Edward Gordon Craigs umfaßt über achttausend Bände, welche heute im Craig-Archiv der Pariser Bibliotheque Nationale verwahrt werden. In seinem Besitz befanden sich beispielsweise neben Vitruvs De architectura libri X zwei der bedeutendsten Architekturtraktate der Renaissance in Ausgaben des 16. Jahrhunderts: Leon Battista Albertis De re aedificatoria libri Xund Sebastiano Serlios Tutte l'opere d'architettura etprospetiva. Weiterhin besaß er Nicola Sabbattinis Pratica di fabricar scene, e machine ne 'teatri; Andrea Pozzos Prospettiva de pittori e architetti sowie Ferdinando Galli Bibienas L 'architettura civile36 Anhand seiner frühen Notizbücher ist nachweisbar, daß sich Craig bereits um das Jahr 1900 für die Geschichte des Bühnenbildes interessierte.37 Daß er sich zu dieser Zeit mit den barocken Bühnenbildern Ferdinando Galli Bibienas 38 und Filippo Juvarras beschäftigt hat, belegt der Bühnenentwurf zur Matthäus-Passion aus dem Jahre 1901. Über Juvarra verfaßte Craig später einen Artikel39, in dem er auch auf dessen Bühnenbilder zu Filippo Amadeis Oper Teodosio il Giovane einging, die 1711 zusammen mit dem Libretto veröffentlicht worden waren. So zeigt z. B. Juvarras Seena VII (Abb. 43) eine zum Betrachter hin offene architektonische Flucht, die nicht streng zentralperspektivisch konstruiert ist, sondern bogenförmig in die Bildtiefe führt. Das Gerüst in der linken Bildhälfte von Craigs Bühnenentwurf zur Matthäus-Passion (Abb. 44) zeigt einen formal sehr ähnlich erzielten Tiefenzug: Es bildet eine gekurvte perspektivische Flucht, die sich dem Betrachter über eine Treppe öffnet. Die trichterförmig zulaufenden Mauern im Vordergrund betonen diesen Raumsog, der die Worte „For Bach's Matthew Passion" in die Bildtiefe zu ziehen scheint. Das tradierte bühnenbildnerische Schema einer an den Seiten jeweils von Architektur oder Bäumen flankierten Freifläche, wie es bereits Serlios Traktat vorgibt 40 , wird von Craig in seinem Entwurf zur Matthäus-Passion übernommen: Das Gerüst auf der einen und die Bauten auf der anderen Seite umschließen nicht nur die zentrale Freifläche, sondern fuhren diese auch in die Tiefe des Bildes. Der entscheidende Unterschied zur „imitation architec-

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The Architecture of Marcus Vitruvius Pollio in Ten Books, London 1874 (Craig-Bibliothek, BN); Alberti, Leon Battista: De re aedificatoria libri X. Monte Regale 1565 (Craig-Bibliothek, BN); Serlio, Sebastiano: Tutte l'opere d'architettura et prospetiva. Venetia 1560 (Craig-Bibliothek, BN); Sabbattini, Nicola: Pratica di fabricar scene, e machine ne'teatri. (2. Aufl.) Ravenna 1638 (Craig-Bibliothek, BN); Pozzo, Andrea: Prospettiva de pittori e architetti. Roma 1723 (Craig-Bibliothek, BN); Bibiena, Ferdinando Galli: L'architettura civile, preparata su la geometria, e ridotta alle prospettive pratiche. Parma 1711 (Craig-Bibliothek, BN). Craig erwarb nicht nur um 1900 Godwins Artikelserie Architecture and Costume of Shakespeare's Plays (MSS Book 13, 1897-1903, BN), sondern sammelte auch zahlreiche Abbildungen historischer Bühnenbilder, wie z. B. Ph. J. de Loutherbourgs Bühnendekoration zu Richard III (MSS Book 13, 1897-1903, BN). Als einer der ersten Bühnenmaler überwandt F. Galli Bibiena (1657-1743) in seinen Dekorationen die strenge Symmetrie der Zentralperspektive und kam so zu phantastischen asymmetrischen Architekturkonstruktionen. Zur Entwicklung der sog. Winkelperspektive, die maßgeblich von A. Pozzo vorbereitet wurde, vgl. Zucker 1925, 24f.; Schöne 1933, 66-86. Vgl. Craig 1926. Vgl. Serlio 1560, Libro secondo. Siehe auch die Abb. von Barockdekorationen in: Zucker 1925.

III. 1. Vom Bühnenbild zur Bühnenarchitektur

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ture"41 der illusionistischen Bühnenbilder liegt in der Tatsache, daß Craig diese Räumlichkeit begehbar machen wollte, indem Architektur nicht plan auf der Leinwand, sondern plastisch dargestellt werden sollte: „I wish to remove the pictorial scene but to leave in its place the architectonic scene."42 Diese Intention deutet sich bereits in frühen Notizen des Jahres 1900 an43; und 1913 schreibt er rückblickend: „Anyhow, my whole desire was to get into the picture (...) when I came to design scenes for myself I avoided putting any place in my picture which could not be travelled into actually by the actor" 44 Wenn die Dekorationsentwürfe des Barock Figuren in weitester Entfernung zeigen, so nur im Sinne einer Idealvorstellung, denn die Bühnenräume waren nicht real gebaut, sondern mittels Malerei illusioniert. Bei Craigs Matthäus-Passion hingegen werden die Figuren in der Ferne zum Indikator für die Bespielbarkeit des gesamten, durch die Bühnenarchitektur umbauten Raumes. Daß eine solche immense Räumlichkeit für Craig ebenfalls Idealvorstellung geblieben ist, weil seine Entwürfe dieser Dimension nie zur Ausfuhrung kamen, ist eine weitere - eher unfreiwillige - Gemeinsamkeit mit den barocken Bühnenbildentwürfen. Das Prinzip einer gebauten, permanenten Bühnenarchitektur, welches Craig in seinen Schriften wiederholt auf das Vorbild der antiken scaena zurückgeführt hat45, kombinierte er mit der räumlichen Weite barocker Bühnenbilder. Craig strebte keine illusionistischen Bildräume an, sondern dreidimensionale architektonische Räume. Dieses Anliegen, das sich bereits im viktorianischen Schautheater angedeutet hat, wurde zu einem grundlegenden Kennzeichen der Craigschen Bühnenreform und ist bereits von zeitgenössischen Beobachtern hervorgehoben worden. So bezeichnet ihn Julius Bab als „Raumkünstler", der „als der Erste mit der Idee eines Raumkunstwerks auf der Szene Ernst machte, in diesem Sinne gar nicht Maler, sondern Architekt, hat Craig den falschen Leitgedanken des ,Bühnenbildes' Vernichtet."46 Hinzuzufügen ist dem allerdings, daß auch der Schweizer Adolphe Appia die Fläche der Kulissen seit Mitte der 1890er Jahre zugunsten einer dreidimensional-räumlichen Gliederung der Bühne abschaffen wollte.47 Beide Theaterreformer begründeten unabhängig voneinander den Wechsel vom illusionistischen Bühnenbild zum dreidimensionalen Bühnenraum. Das Theater wurde zum „Raumkunstwerk".48 Im Hinblick darauf ist es berechtigt, die Namen Craig und Appia in einem Atemzug zu nennen. Diese partielle Übereinstimmung führte allerdings mitunter zu einer undifferenzierten Gleichsetzung der beiden Reformkon41 42 43

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Craig 1913, 6. Craig, handschriftliche Notiz in: Day-Book I, Nov. 1908 - March 1910, 77, HRC. (Zitiert nach EynatConfino 1987, 165.) Anhand eines Gemäldes von Ch. Cottet, das eine Prozession von Mönchen darstellt, die weit in die Tiefe des Bildes hineinführt, entwickelt Craig im Notizbuch MSSBook 13, 1897-1903, 22 (BN) seine Kritik nicht nur am gemalten Bühnenbild, sondern auch an der fehlenden Ausdehnung einer herkömmlichen Theaterbühne: „This is one of the scenes and actions which cannot be placed on the stage (...) in the theatre there would be made the exit at x suddenly thus spoiling the rhythm of scene and action and the sense." Craig 1913,18. Z. B. Craig 1913, 6f.: „Once upon a time, stage scenery was architecture". Vgl. auch Craig 1923, 5f. Bab 1928, 105f. Vgl. Appia 1899, 21ff., 53-81. Zu Appia vgl. u. a. Beacham 1987. Bab 1928, 105; vgl. auch Wauer 1909, 4. Gerade bei Wauer läßt sich der Einfluß Craigs eindeutig nachweisen.

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III. Darstellende Architektur: Die Bühne als performatives Medium

zepte.49 Ein grundlegender Unterschied zwischen Appia und Craig ist infolgedessen zu wenig herausgestellt worden. Bei Appia ergibt sich die Räumlichkeit aus der Zeitlichkeit der Musik: „Indem wir das Wort-Tondrama auffuhren, übertragen wir gewissermaßen die Musik aus ihrer bloßen Zeitlichkeit in die sichtbare Räumlichkeit, denn die Musik nimmt - in der Inscenierung - körperliche Gestalt an." Neben dem Bühnenlicht seien es vor allem „die von der Musik festgesetzten Bewegungen" des menschlichen Darstellers, welche das „musikalische Zeitmaß gleichsam im Raum Gestalt gewinnen" lassen.50 Da dem Darsteller bzw. Tänzer eine wichtige Vermittlerposition zukam51, gestaltete Appia die Bühne als Umgebung des menschlichen Körpers. Seine Vorstellungen von Raumkonstruktion blieben stets auf den Menschen bezogen, der sich darin bewegen soll.52 Im Gegensatz dazu entwickelte Craig mit der Scene die Idee eines vom menschlichen Darsteller gänzlich emanzipierten architektonischen Bühnenraumes, der zum Hauptdarsteller der Theaterauffuhrung werden sollte.

2. Craigs Scene: „the union of (...) Architecture, Music and Motion"53 a) Die Überwindung des Anthropomorphen Figurengruppen als bewegte stereometrische Formen im Raum Die anhand des Entwurfs zur Matthäus-Passion aus dem Jahre 1901 besprochene Reduktion der Bühnenarchitektur auf einfache geometrische Grundformen ist ein Prinzip, das Craig zur selben Zeit auch im Hinblick auf den menschlichen Darsteller beschäftigt hat. Ein Beispiel hierfür sind die mit langen Leinenstreifen versehenen Kostüme der Inszenierung Acis and Galatea (Abb. 23, 24), welche die menschlichen Körper bei ausgestreckten Armen rechteckig erscheinen ließen.54 Darüber hinaus beschäftigten ihn auch die Möglichkeiten einer geometrisch vereinfachten Formung von Menschengruppen. So beschreibt er beispielsweise im Jahre 1900 den Einmarsch eines Militärkorps als dramatisches Geschehen und begründet dies folgendermaßen: „That the army may be General Booth's army, and that they are carrying his coffin to the grave, does not seem to me to make it more dramatic, but the fact that it is a body

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Vgl. u. a. Fuerst/Hume 1967, 36f.; Trübsbach 1969, 43ff. Zur Unterschiedlichkeit der Reformideen Craigs und Appias gibt es bislang nur eine Studie von Kreidt 1968, die sich allerdings auf den Vergleich der Regiekonzepte beschränkt. Appia 1899, 11, 15. Appia ebd., 41 sprach auch von „Entpersönlichung" des Darstellers, weil er nur noch „eines der Ausdrucksmittel" (ebd., 15) neben anderen sei. Der Unterschied zu Craig liegt jedoch darin, daß diese Entindividualisierung bei Appia zugunsten der Musik, bei Craig aber zugunsten des eigenmächtig gestaltenden Regisseurs angestrebt war. Dies belegen vor allem die Hellerauer Theaterexperimente mit E. J.-Dalcroze ab 1912. Hier stand der bewegte menschliche Körper gänzlich im Mittelpunkt. (Vgl. Giertz 1975; Beacham 1987, 42-85.) Craig 1907, 59. Vgl. Teil II, Kap. 4 a der vorliegenden Arbeit.

III. 2. Craigs Scene: „the union of (...) Architecture, Music and Motion"

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of men in uniform and that it is marching in unison, that seems to me very dramatic. If they were all divided and split up, in what way would they differ from the ordinary? (...) Certainly the spirit of harmony and uniformity is not a very modern spirit, and, except in the army, or among the police, or in a cricket match, we seldom are aware of its presence. But in art, it seems to me entirely forgotten, and yet it is the one essential thing that should be remembered."55 Zunächst läßt sich aus diesem Zitat ersehen, daß Craig offenbar die perfekt disziplinierte Abstimmung des militärischen Gleichschritts faszinierte. Dieser Gedanke durchzieht seine sämtlichen Schriften, in denen wiederholt die Begriffe „discipline", „perfection", „calculation", „obedience" oder „Law and Order" auftauchen.56 Napoleon beispielsweise betrachtete er als Vorbild.57 In diesem Zusammenhang ist auch Craigs Rezeption der in England überaus einflußreichen Schriften Walter Paters (1839-1894) 58 von Interesse, der in seiner 1895 erschienenen Publikation Plato and Platonism das Ideal einer asketisch durchorganisierten, männlich dominierten Gesellschaft am Beispiel der altgriechischen Stadt Sparta beschreibt.59 Dieses militärische Ideal, das hier nicht näher behandelt werden kann, ist eine weitere Facette des kulturellen Paradigmenwechsels am Ende des 19. Jahrhunderts.60 Craigs Faszination für die militärische Disziplinierung von Menschengruppen spiegelt sich in seinen Formideen seit ca. 1900. Wie die oben zitierte Passage verdeutlicht hat, interessierte ihn die visuelle Vereinheitlichung der uniformierten Soldaten zu einem „body of men". Diesen Aspekt veranschaulicht auch eine frühe Aquarellstudie (um 1902, Abb. 45). Craig skizziert hier den Aufmarsch eines Korps, das nur schemenhaft mit blauer Farbe angedeutet ist. Weder die Größe der Soldaten variiert merklich, noch sind die Gesichter andersfarbig, so daß die einzelnen Körper zu einer homogen blauen, quaderförmigen Masse verschmelzen. Diesen Eindruck verstärkt Craig noch zusätzlich durch den hoch aufschießenden Wald der Standarten, der die Köpfe der Soldaten um mehr als das Doppelte überragt. Es handelt sich somit um einen aus Menschen geformten langgestreckten Quader, der sich potentiell im Raum bewegt. Dieses Gestaltungsprinzip wandte Craig in ähnlicher Weise bereits bei seinen frühen Londoner Inszenierungen an. So notiert er um 1901 in seinem Notizbuch zu Händeis Acis 55 56 57

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Craig 1900, 105. Vgl. Craig 1905, 66f„ Craig 1908,45; Craig 1908a, 14f.; Craig 1910a; Craig 1921, lxxii. Vgl. Craig 1921, lxxii-lxxv. Craig besaß ferner Lord Roseberys Buch über Napoleon (London 1900; Craig-Bibliothek, BN), welches mit zahlreichen Annotationen versehen ist, aus denen hervorgeht, daß er Napoleon sehr verehrt hat. In Craigs Bibliothek (BN) befinden sich die Hauptwerke Paters. Zum Einfluß Paters in England vgl. Jackson 1922, 33, 58ff. Vgl. Pater 1895, Kap. Lacedaemon, passim. Vgl. Keefe 1986, 15f.; Adams 1995, 176ff., 184-228. Dieser Aspekt könnte in einer breit angelegten Studie beispielsweise unter den Begriff der Rationalisierung gestellt werden. Craigs Ideen wären in einer solchen Studie nicht nur mit Pater in Verbindung zu bringen, sondern auch mit F. Nietzsche, W. Whitman und vor allem auch mit dem Herzog von Meiningen (vgl. Teil II, Kap. 2 a der vorliegenden Arbeit). Diese Untersuchung müßte u. a. den Topos der Männlichkeit/Maskulinität, den Aspekt der Disziplinierung des Körpers sowie das Ideal des Griechischen berücksichtigen. Zum Thema „Styles of Victorian Masculinity" gibt es bereits eine Studie von J. E. Adams, der vor allem englische Dichter des 19. Jahrhunderts unter diesem Aspekt behandelt. (Vgl. Adams 1995.) Vgl. auch Bernauer 1990, der versucht, die „Ästhetik der Masse" um 1900 zu beschreiben.

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III. Darstellende Architektur: Die Bühne als performatives Medium

and Galatea: „The stage movement to be far more elaborated, and simpler than ,Dido and AE[neas]'. Conventionalize the actions and retain the general one - movements of the crowds."61 Entsprechend konzentrierte sich Craig bei Acis and Galatea vorrangig auf Gruppenbewegungen, die ausgesprochen geometrisch waren: „He sets squares of pattern and structure on the stage; he forms his groups into irregulär squares, and sets them moving in straight lines, which double on themselves like the two arms of a compass (...)• Then his living design is like an arabesque within strict limits, held in from wandering and losing itself by those square lines".62 Die natürlichen Körperformen der Tänzer wurden dabei durch die mit langen Stoffstreifen versehenen Kostüme kaschiert, d. h., auf der Bühne bewegten sich keine Gruppen von Individuen, sondern entindividualisierte Figurenformationen. Diese Gruppen ergaben durch ihre einheitlichen Kostüme annähernd stereometrische Grundformen. Eine sehr ähnliche Figurenbehandlung zeigt auch ein Szenenentwurf aus dem Jahre 1902 (Abb. 46): Hier wird der Kubus des Laternenaufsatzes gewissermaßen zum formalen Grundelement, welches sich sowohl in den ungegliederten, quaderförmigen Gebäuden des Hintergrundes, als auch im rechteckigen Schattenwurf der vorderen Laterne wiederfindet. Ebenso betonen die würfelförmigen Aufsätze der Laternen die stereometrische Vereinfachung der im Mittelgrund schreitenden Figuren, die in lange Gewänder mit Kapuzen gekleidet sind. Ähnlich wie in der Skizze des militärischen Aufmarsches ergibt die Umrißlinie dieser Figurengruppe tendenziell eine Quaderform. Geometrie und musikalische Proportionen als Ausdruck von Bewegung Die hinsichtlich der Bühnenarchitektur und der Figurengruppen angesprochenen Bestrebungen einer geometrischen Formverknappung kennzeichnen auch Craigs Auffassung von Bewegung.63 Dieser Aspekt wurde in der Craig-Forschung zumeist vernachläßigt. Es ist somit bislang übersehen worden, daß Craig in den Jahren 1900 bis 1913 eine Vorstellung von Bewegung entwickelt hat, die weniger theaterpraktisch als vielmehr philosophisch inspiriert war. In seinem Vorwort zu Towards a New Theatre erwähnt Craig den Landsmann Walter Pater als wichtigen Anreger seiner Ideen, dessen kunstphilosophische Schriften er frühzeitig rezipiert hat.64 Bereits im ersten Heft seiner Zeitschrift The Mask65, das im März 1908 erschienen ist, zitiert Craig eine zentrale These aus Paters Aufsatzsammlung The Renaissance: „All art constantly aspires towards the condition of music."66 Mit diesem Diktum hat Pater im Jahre 1877 die im vorangegangenen Hauptteil angesprochenen Musikalisierungstendenzen der Künste auf eine prägnante Formel gebracht. Vor allem in seinem 1895 erschienenen Spätwerk Plato and Platonism beschreibt Pater das Ideal des Musikalischen als regelhaftes, 61 62 63 64

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Craig handschriftlich in: Notizbuch zu Acis and Galatea, 1901/02, HRC. (Zitiert nach Innes 1983,61.) Symons 1906, 350f. Zur reduzierten Körpersprache in seinen frühen Londoner Inszenierungen vgl. auch Teil II, Kap. 4 a der vorliegenden Arbeit. Craig 1913, Preface. Paters Ideen waren in den 1890er Jahren in Kreisen der viktorianischen „Decadence" (Jackson 1922, 55) sehr verbreitet. (Vgl. ebd., 38, 58ff.) Craig 1912d, 43 gibt Pater als einen seiner „headmaster" an. Craig gab The Mask im Eigenverlag zwischen 1908-1929 in Florenz heraus. (Vgl. Fletcher & Rood 1967, 53-62.) The Mask, vol. 1, no. 1, 1908, 8. Vgl. Pater 1961, 129.

III. 2. Craigs Scene: „ the union of (...) Architecture, Music and Motion "

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ordnendes System.67 Er leitet hier die Philosophie Piatons aus den Ideen des Heraklit, Parmenides und Pythagoras her. Wichtig ist im vorliegenden Zusammenhang die von ihm als „Doctrine of Number" bezeichnete Lehre des Pythagoras.68 Dieser habe es vermocht, Heraklits „Perpetual Flux" in ein System von ordnenden Zahlen zu bannen, „as rhythm or melody now - in movement truly, but moving as disciplined sound and with the reasonable soul of music in it." Auch in den weiteren Ausführungen zu Piaton wird deutlich, daß Pater die mathematisch abstrakten Ordnungsprinzipien der Musik, die „musical proportion", als eine Form der Beherrschung jener Heraklitischen Ur-Energie betrachtete.69 Von dieser Paterschen Idee einer in musikalischen Strukturen gebändigten ewigen Wiederkehr der Dinge zeugen Craigs Aufzeichnungen und Publikationen der Jahre 1906/07. So schreibt er 1907: „And as like as one sphere to another, so is movement like to music. I like to remember that all things spring from movement, even music".70 Craig konstatiert hier die Wesensverwandtschaft von Musik und der „supreme force ... Movement"71, die er auch im Heraklitischen Sinne als „etemal flux of life"72 oder als „law of Change"73 bezeichnet hat.74 Diese Übereinstimmung liege, so Craig, darin begründet, daß Musik und Bewegung auf ähnlichen Gesetzmäßigkeiten basieren: „Movement will be for the sake of Movement - ever attempting to create the perfect Balance, even as in Music Sound is for the sake of Sound, ever attempting to create the perfect Harmony."75 In Craigs Vorstellung von Bewegung findet sich somit jene Verknüpfung von „musical proportion"76 und Heraklitischer Ur-Bewegung wieder, die Paters Interpretation der Philosophie Piatons kennzeichnet. Im März 1907 schreibt Craig in seinem Aufsatz The Artist of the Theatre of the Future: „I think that movement can be divided into two distinct parts, ... the movement of two and four which is the Square, the movement of one and three which is the circle."77 Die Zahlenverhältnisse, welche Craig hier angibt, entsprechen denen des Pythagoräischen Tonintervallsystems 1:2:3:4.78 Da Paters Erläuterungen zur „Doctrine of Number" des Pythagoras im Allgemeinen verbleiben, ohne konkret Zahlenverhältnisse zu benennen, ist es wahrscheinlich, daß Craig diese Informationen aus den Architekturtraktaten der Renaissance bezog. So verweist Alberti im neunten Buch seiner Zehn Bücher über die Baukunst auf die musikali-

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Vgl. Pater 1895. Diese Schrift entstand in den Jahren 1891/92. Ebd., 44-65. Ebd., 7, 44, 224. Weiterführend zu Pater vgl. u. a. Iser 1960, 113-124; Levey 1978; Keefe 1986. Craig 1908a, 33. Ebd. Craig, handschriftliche Notiz, um 1909, in: A. Matthew: Essays in Criticism. First Series, London 1907, 258 (Craig-Bibliothek, BN). Craig 1907a, 8. Daß diese Idee der Heraklitischen Ur-Energie, welche in unablässiger Bewegung Leben gibt und Leben nimmt, nicht nur in Paters Schriften, sondern auch bei F. Nietzsche und H. Bergson eine Grundthese ist, kann an dieser Stelle nicht näher erläutert werden. Craig kannte die Schriften Nietzsches. In seiner Bibliothek (BN) befindet sich u. a. eine Nietzsche-Gesamtausgabe, die Craig 1896 erworben hat. Bergsons Werke besaß Craig nicht, noch erwähnt er dessen Elan Vitale in den von mir konsultierten Schriften. Craig 1908d, 8. Pater 1895, 224. Craig 1908a, 35. Vgl. Wittkower 1969, 83ff.; Pochat 1986, 22ff.

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III Darstellende Architektur: Die Bühne als performatives Medium

sehe Proportion 1:2:3:4.79 Quadrat und Kreis, welche nach der gängigen Meinung um 1900 bereits Vitruv als geometrische Grundformen zur Versinnbildlichung der Analogie von Mensch und Kosmos beschrieben hatte80, definierte Craig als männliches und weibliches Prinzip: „There is ever that which is masculine in the square and ever that which is feminine in the circle." Auf diese Einheit der Gegensätze bezog er augenscheinlich die Pythagoräische Zahlenreihe, um seiner Vorstellung einer „perfect movement" Ausdruck zu verleihen.81 Bereits 1905/06 plante Craig Bühnenbewegungen, denen allein Kreis und Quadrat zugrundeliegen. So zeigt die Skizze eines „floor painted" (Abb. 31) in einem der Uber Marione-Notizbücher das Schema eines schachbrettartig aufgeteilten Quadrats, in das sechs Kreise eingezeichnet sind. Entlang dieser Kreise und Quadrate sollten sich die Figuren schablonenartig in „gliding movement" bewegen. Die „straight lines" der Quadrate entsprechen demnach einer maskulinen „angular and direct - strong - bearing", während die „curved lines" den weiblichen Gegenpol einer „sinuous and delicate bearing" versinnbildlichen.82 Diese Linien als symbolischer Ausdruck der von Craig definierten „bearings" finden sich auch in seinen Zeichnungen zu The Steps im Vordergrund der First und Third Mood (Abb. 27). Die kreisförmigen oder viereckig labyrinthischen Bahnen, welche hier die Bewegungen der Figuren anzeigen, sollen eine entsprechende Stimmung im Betrachter auslösen. Mit seiner Idee einer formalen Reduktion auf kreisförmige und quadratische Bewegungsformen wollte Craig allgemeingültige, universale Gesetzmäßigkeiten des Lebens symbolisieren.83 So hatte er in seiner englischen Übersetzung von Piatons Politeia folgenden Satz aus dem siebenten Buch dick angestrichen: „That the knowledge at which geometry aims is knowledge of the eternal".84 Die menschliche Körperform als unbrauchbares Material „I saw ,Sumurun' yesterday", schrieb der Musiker Martin Fallas Shaw im März 1911 an seinen Freund Gordon Craig, „I think it's quite good in your earlier manner."85 Gemeint ist Max Reinhardts berühmte Inszenierung von Friedrich Freskas Pantomime Sumurun. Shaws lapidare Bemerkung, wonach dieses weitestgehend stumme Schauspiel Craigs „earlier manner" entsprochen habe, verweist auf einen Wandel in Craigs Theaterauffassung.

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Alberti 1988, 497: „Die musikalischen Zahlen selbst (...) sind folgende: eins, zwei, drei, vier." (Zu Alberti vgl. Pochat 1986, 233ff.) Wie bereits erwähnt, befand sich Albertis De re aedificatoria libri X in Craigs Besitz. (Craig-Bibliothek, BN.) Vgl. Wittkower 1969, 13-15. (Dagegen: Zöllner 1987.) Das Deckblatt der ersten Ausgabe von Craigs Zeitschrift The Mask (vol. 1, no. 1, 1908) zeigt eine Darstellung des homo vitruvianus aus dem frühen 16. Jahrhundert. Craig 1908a, 35. Craig, Uber Marions-A, 1905-1906, 11 (BN). Craig vermerkt ebd., 10 verso: „The pattern is a guide for the movement". Es wäre interessant, diese Ideen Craigs mit denen eines P. Mondrian zu vergleichen. Es ließen sich hier sicherlich zahlreiche Parallelen entdecken, denn Mondrian vertrat eine ähnlich dualistische Weltanschauung. The Republic of Plato. Transl. by B. Jowett, Oxford 1888, 229 (Craig-Bibliothek, BN). Laut einem handschriftlichen Vermerk besaß Craig dieses Buch seit 1905. M. F. Shaw an Craig, unveröffentlichter Brief vom 10. 3. 1911 (BN). Craigs langjähriger Freund Shaw war als Dirigent an den Londoner Operninszenierungen 1900-1902 beteiligt.

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Wie die Ausführungen im vorangegangenen Hauptteil gezeigt haben, skizzierte Craig in den Jahren 1900 bis ca. 1906 zahlreiche Ideen zu den Darstellungsmöglichkeiten der menschlichen Figur im Rahmen von außersprachlichen Mimodramen. Parallel dazu beschäftigte ihn stets auch die Frage eines Ersatzes menschlicher Darsteller. Daß dieser Prozeß der Ideenfindung nicht geradlinig verlief, belegen das Szenarium The Steps, Craigs Notizbücher sowie der Briefwechsel mit Isadora Duncan.86 Während Craig bei den Steps, wie bereits beschrieben, das Tanz- und Körperkonzept Duncans verarbeitet hat87, reichte das Spektrum seiner Überlegungen ansonsten von Figuren „made of Wood"88 bis zu Schauspielern, die sich „marionettengleich"89 bewegen. In diesem Sinne behandelte er bereits 1902 die Tänzer der Inszenierung Acis and Galatea als Kunstfiguren. Seit dieser Zeit reifte bei Craig die Erkenntnis, daß der menschliche Darsteller weder seinem Werk- und Materialbegriff, noch seinem an Maeterlinck geschulten Symbolverständnis genügen könne.90 So vermerkt er in einem seiner Notizbücher: „Appia and the others (...), are on the wrong track. They are leaning upon the habitual supports: Music, Dancing and the other Arts (the human person in movement) and though they take these very far, and perfect them (...) they must fail."91 Den vorläufigen Endpunkt dieser gedanklichen Entwicklung bildete die Über-Marionette als Substitut des Menschen auf der Bühne - eine Idee, mit der er erstmals im Dezember 1907 an die Öffentlichkeit trat.92 Craigs nunmehr radikale Ablehnung des bewegten menschlichen Körpers ließ alle damaligen Reformkonzepte weit hinter sich, denn keiner der Theaterreformer hat zu diesem Zeitpunkt den lebendigen Menschen so nachdrücklich von der Bühne verbannt wie Craig. Dennoch kann die Über-Marionette nur als ein Zwischenergebnis seiner Überlegungen gelten. Jene von Craig entworfenen Figuren waren stets unmißverständlich als Stellvertreter des menschlichen Darstellers erkennbar, d. h., obwohl die Über-Marionetten häufig typisiert und auf einfachste Umrisse reduziert sind, verweisen deren formale Charakteristika stets auf den Menschen (Abb. 30). Da Craig seit ca. 1906 verstärkt nach adäquaten, symbolischen Darstellungsformen universaler Gesetzmäßigkeiten suchte, zeichnete sich nun bei ihm auch die Tendenz ab, das Anthropomorphe gänzlich auszuschalten. Ziel war es, jeglichen Hinweis auf die Zufälligkeit der individuellen menschlichen Existenz zu vermeiden. So vermerkt er im Januar 1909 in einem seiner Notizbücher: „But remember that there are two qualities of life, human and divine, material and spiritual & that if the human can be expressed by the human body, the divine cannot be expressed but only through some Channel

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Vgl. u. a. Craig, Uber Mariorts-A, B, 1905-1906 (BN); Briefwechsel Duncan-Craig in: Steegmuller 1974, 92ff. Vgl. Teil II, Kap. 4 a der vorliegenden Arbeit. Brief Duncan an Craig vom März 1905. (Veröffentlicht in: Steegmuller 1974, 93.) Schumacher 1935, 267. Der Architekt F. Schumacher erinnert hier eine Inszenierungsidee Craigs aus dem Jahre 1906 für die damalige Dresdner Kunstgewerbeausstellung. Vgl. Teil II, Kap. 2 c sowie Teil II, Kap. 3 b der vorliegenden Arbeit. Craig, handschriftliche Notiz in: MSS. A 2, 1907-1909, 1911, 1913/14, 1920, 1955 (UCLA.; zitiert nach Eynat-Confino 1987, 178). Vgl. auch die ablehnenden Äußerungen Craigs über die Ballets Russes und E. Jaques-Dalcroze. (Craig 191 la; Craig 1912b.) Vgl. den Beitrag von Cotton 1907 in der Washington Post, der Craig kurz zuvor in Florenz besucht hatte und dessen „scheme to abolish both Actors and Playwrights" vorstellt.

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which is entirely cleansed of all dross."93 Craig spricht hier dem menschlichen Körper jegliche Fähigkeit ab, über die eigene materielle Existenz hinausweisen zu können. Interessanterweise bezieht sich Craig bereits in seinem 1907 verfaßten Artikel The Artist of the Theatre of the Future nicht nur auf den menschlichen Körper, sondern allgemeiner auf die menschliche Form: „So we have to banish from our mind all thought of the use of a human form as the instrument which we are to use to translate what we call Movement."94 Diese Ablehnung des Anthropomorphen trifft in letzter Konsequenz auch die Über-Marionetten. Um seine Vorstellungen einer Darstellung von „Impersonal Movement" umzusetzen, suchte Craig folglich nach „Inanimate Forms"95, deren geometrische Abstraktion über die Vergänglichkeit des Organisch-Menschlichen hinausweist.

b) Die Konzeption der Scene Bewegte Bühnenarchitektur als „ instrument"96 Im Jahre 1905 schreibt Craig in einem Brief an seinen Freund Martin Fallas Shaw: „If you can find in nature a new material, one which has never yet been used by man to give form to his thoughts, then you are on the high road towards creating a new art."97 Seine Vorstellungen über die Beschaffenheit eines solchen Materials skizziert er 1906 im Uber Marions-BNotizbuch: „... the aim is to find a material which is pliable yet solid - which takes the impression of the artist but does not change after the impression is given".98 Diese Auffassung von einem Material, das als Medium des künstlerischen Ausdrucks in seiner Konsistenz unveränderlich und damit unter gleichen Voraussetzungen wiederverwendbar ist, impliziert bereits den Begriff des Instruments, welchen Craig ab 1907 in seinen Texten verwendet.99 Er betont hier, daß er ein Instrument zu konstruieren bzw. zu erfinden sucht, welches ihm ermöglichen soll, seine Intention einer perfekten Darstellung von Bewegung umzusetzen.100 Die Wahl des Begriffs Instrument verdeutlicht, daß Craig an ein dem musikalischen Instrument analoges, visuelles Medium dachte. Es bietet sich hier ein erneuter Vergleich mit Rimingtons Colour-Organ an (Abb. 34): Dieses Instrument produziert aufgrund seiner speziellen Konstruktion in unmittelbarer Folge der Tastenbetätigung nicht Töne, sondern Farben. Analog wollte Craig auf seinem zu erfindenden Instrument visuell wahrnehmbare Bewegungen erzeugen: „I wanted a ,scene' so mobile, which (within rules) might move in all directions - tempos - in all things under the control of the one who could dream how to move

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Craig, handschriftliche Notiz in: Daybook 1, November 1908-March 1910, 87 (HRC, zitiert nach Eynat-Confmo 1987, 166). Craig 1908a, 34. Craig 1908d, 6. Craig 1908, 40. Craig an M. F. Shaw, Mai 1905. Unveröffentlichter Briefwechsel Craig-M. F. Shaw (Shaw-Nachlaß, zitiert nach Innes 1983, 137). Craig, handschriftliche Notiz in: Uber Marions-B, 1905-1906, 18 (BN). Vgl. Craig 1907a, 7; Craig 1908,40; Craig 1908a, 33ff.; Craig 1908d. Vgl. Craig 1908a, 35: „When I have constructed my instrument" und ebd., 36: „Get on with the thought of the invention of an instrument by which on can bring movement before our eyes."

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its parts to produce ,movements'." 101 An anderer Stelle schreibt er: „The mood of the artist, his thought and his impulse, passing through this instrument, shall raise in it one mutable form after another".102 Dieses Instrument sollte demnach nicht nur in der Lage sein, den erstrebten Zeitverlauf visuell vorzufuhren, sondern ebenso wie bei musikalischen Instramenten oder wie bei Rimingtons Colour-Organ zugleich auch eine direkte Verbindung und damit Kontrolle des Künstlers ermöglichen. Die Herleitung von Craigs Idee, plastische Bühnenaufbauten zum Instrument der Darstellung von Bewegung zu machen, hat Craigs Sohn, Edward A. Craig, in einem einzigen Satz abgehandelt, den er zudem nicht durch Quellen belegt.103 Dies wurde dennoch von der Forschung akzeptiert, so z. B. von Arnold Rood, der die Hypothese Edward A. Craigs zitiert, wonach Craig im Jahre 1906 während einer Tanzauffuhrung von Isadora Duncan plötzlich auf den Gedanken gekommen sei104, daß „it might be possible for an audience to derive an emotional experience from the movement of plastic forms as well ... from three-dimensional structures".105 Diese Idee entstand jedoch keinesfalls so unvermittelt wie hier dargestellt. Wie im vorangegangenen Kapitel gezeigt wurde, beschäftigte sich Craig seit ca. 1900 mit der Idee, gemalte Architektur in gebaute Architektur umzuwandeln. So verdeutlicht der Entwurf zur Matthäus-Passion aus dem Jahre 1901 (Abb. 44), daß sich die gesamte Passion Jesu innerhalb eines statischen, in seiner architektonischen Beschaffenheit unveränderlichen Bühnenraumes vollziehen sollte. Diese Intention Craigs leitet sich vor allem daraus ab, daß er den Bühnenraum bereits die Geschichte der Passion erzählen läßt: Jenes Gerüst, das als formale Variation der Kreuzsymbolik gesehen werden kann, steht für den Leidensweg Christi. Die kubischen Gebäude, die sich, wie bereits beschrieben, von den vorderen Gebäuden deutlich absetzen und im hintersten Teil der Bühne aufragen, könnten als Symbol für das Himmlische Jerusalem stehen. Der Zuschauer erhält visuell, ohne die Präsenz eines die Geschichte vortragenden Schauspielers, die notwendigen Informationen über die Passion. Die Bühnenarchitektur ist somit natürlich auch Bild: ein räumliches Bühnenbild. Ebenso wie Gemälde durch ikonographisch festgelegte Sujets oder formale Strukturen über jenen Moment, der auf der Leinwand festgehalten ist, hinausweisen können, versinnbildlicht Craigs Bühnenbild die Passion Jesu. Die Bühnenaufbauten im Entwurf zur Matthäus-Passion sind folglich nicht allein rahmender Spielraum für den Schauspieler, sondern Craig läßt sie zum eigenständigen Material seiner künstlerischen Aussage werden. In dem Szenarium The Steps (Abb. 27) von 1906 geht Craig noch einen Schritt weiter in der Verselbständigung des Bühnenbildes, denn hier thematisiert er die verschiedenen Stimmungen, welche ein und dieselbe Treppenflucht zum Ausdruck bringen kann.106 Die visuellen Veränderungen sind jeweils nicht architektonischer Art, sondern sollen allein durch Lichtveränderungen, Projektionen bzw. Wasserspiele und Figurenbewegungen erzielt werden. Folglich amalgamiert Craig

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Craig, handschriftliche Notizen zur Scene, 1907, o.S. (BN). Craig 1907a, 8. Es könnte sein, daß E. A. Craig sich auf Erinnerungen seines Vaters beruft, jedoch stellt er diesen entscheidenden Fakt nicht heraus, so daß unklar bleibt, ob es sich hierbei um eine Hypothese handelt (vgl. E. A. Craig 1968,234). Rood 1971, 86: „Craig, during the course of a Performance by Isadora, suddenly was Struck with the thought that..." Ebd. Rood zitiert hier E. A. Craig 1968, 234. Vgl. Teil II, Kap. 4 a, b, Kap. 5 c der vorliegenden Arbeit.

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in diesem Entwurf die Ausdruckswerte beweglicher Formen mit den statischen Formen der „noblest of all men's work, architecture".107 Eine passiv unbewegliche, aber doch veränderbare Treppe wird somit zum Thema seines drama of silence. Die Architektur der Treppe bewegt sich dabei indirekt über das Spiel des Lichts und der Figuren. Es ist somit nur ein kleiner gedanklicher Schritt, die architektonischen Elemente des Bühnenbildes als solche in Bewegung zu versetzen, so daß sie zu aktiven szenischen Ausdrucksträgern werden. Die Konstruktion beweglicher Architekturelemente bezeichnet Craig in seiner Konzeption des Jahres 1907 als „instrument of movement"108, für welches er zu diesem Zeitpunkt noch nicht den Titel Scene gefunden hatte. Er verwendet diesen Begriff erst später, so in dem 1915 veröffentlichten Artikel The Thousand Scenes in One Scene. Craig schreibt hier: „The scene remains always the same, while incessantly changing."109 Dies meint, daß die in Bewegung befindlichen Elemente der Bühnendekoration als solche in ihrer materiellen, räumlichen Präsenz unveränderbar sind. Craig kombinierte somit die bereits besprochene Anregung durch die antike scaena, welche in ihrer statischen, architektonischen Qualität permanent ist, mit der Idee der Bewegung. 110 In diesem Sinne bezeichnet er 1907 die Erfindung seines „instrument of movement" als „architecture in movement".111 In den späteren Texten zur Scene baute er unverkennbar auf dieser Konzeption auf.112 Zeitgenössische Theatertechnik und traditionelle Bühne Die handschriftlichen Notizen und Skizzen zur Scene entstanden im Februar 1907 in Nizza, „written the night when Rosmersholm scene had been mutilated"."3 Die in Craigs Augen

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Craig 1913,41. Craig, handschriftliche Notizen zur Scene, 1907, o.S. (BN). In diesem Manuskript vom Februar 1907 taucht der Begriff des Instruments erstmals auf. Somit steht Craigs Gebrauch dieses Terminus in direktem Zusammenhang mit der Scene-Idee und ist folglich auch in den Aufsätzen The Actor and the Über-Marionette und The Artist of the Theatre of the Future, geschrieben im März 1907, mit der Scene konnotiert, obwohl Craig die Scene hier an keiner Stelle erwähnt. Craig 1915a, 130. Den Bezug zur architektonischen scaena des antiken Theaters stellt Craig im Zusammenhang mit seiner Scene-Idee wiederholt dar (vgl. Craig 1913,6; Craig 1923, 1-27). Craig, handschriftliche Notizen zur Scene, 1907, o.S. (BN). Vgl. z. B. Craig 1907a; Craig 1915a; Craig 1923, 1-27. Craig veröffentlichte die im Teil III, Kap. 4 der vorliegenden Arbeit untersuchte Grafikfolge im Jahre 1923 unter dem Titel Scene (vgl. Craig 1923). Craig, handschriftliche Notizen zur Scene, 1907, o.S. (BN). Das Manuskript ist von Craig abschließend datiert: „February 9. 1907". Gegen Ende des Jahres 1906 hatte Craig für die Inszenierung von Ibsens Rosmersholm mit der Schauspielerin E. Duse im Florentiner Teatro della Pergola Bühnenbilder entworfen und zum großen Teil selbst ausgeführt (vgl. E. A. Craig 1968, 216ff.; Bablet 1965, 113f.). Mit dieser Bühnenausstattung gastierte Duse im Februar 1907 im Casino-Theater Nizza. Craig, von Duse nach Nizza gerufen, mußte hier feststellen, daß sein Bühnenbild aufgrund des niedrigeren Proszeniumrahmens des Casino-Theaters etwa um einen Meter gekürzt worden war. Damit waren für ihn die Proportionen ruiniert und es kam nicht nur zu einem heftigen und endgültigen Bruch mit E. Duse (vgl. Briefe von Craig, veröffentlicht bei E. A. Craig 1968, 223; Briefe Duncan-Craig in: Steegmuller 1974, 194f.), sondern dies hatte auch zur Folge, daß Craig die praktische Arbeit am Theater immer weiter zurückdrängte. Die Rückseite eines der drei Blätter, auf denen Craig seine Notizen zur Scene festhielt, zeigt drei Bleistiftskizzen (Abb. 47 a, b, c). Craig, der häufig in späteren Jahren seine Notizbücher erneut durchging und kommentierte, hat hier die obere Skizze (Abb. 47 a) in das Jahr 1906 da-

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rücksichtslose Verstümmelung der Proportionen seines Bühnenbildes zu Henrik Ibsens Rosmersholm in Nizza war der Auslöser für den Entwurf der Scene, in dem sich, losgelöst von den Arbeitsbedingungen des konventionellen Theaters, Craigs Überzeugung eines Selbstzwecks der Bühnenausstattung manifestierte. Die in nervösen Schriftzügen, mit zahlreichen Streichungen aufs Papier gebrachten Zeilen verraten seine Anspannung und veranschaulichen zugleich, daß Craig hier spontan und zusammenfassend Ideen niederschrieb, die er seit 1900 entwickelt hatte: „For in a few minutes I shall have given birth to that which has for a long while been preparing".114 Insofern ist Scene der Kulminationspunkt einer künstlerischen Entwicklung, in dem sich Craigs radikale Vorstellungen von Theater und Inszenierung verdichtet haben. Die Blätter mit den Notizen und Skizzen zur Scene sind eingelegt in das Libro secondo von Serlios Architekturtraktat Tutte l'opere d'architettura etprospetiva. Serlio erörtert hier, durch zahlreiche Schemata veranschaulicht, Fragen der perspektivischen Darstellung und die damit eng verbundene Kunst der Bühnengestaltung. „Learnt much by the enjoyable ... of the cuts in this book", beginnt Craig seine Ausfuhrungen zur Scene, „the squares (...) gave me the idea of a floor which, devided into squares, might be movable"" 5 (Abb. 47 a). Diese Idee eines in Quadrate aufgeteilten Bühnenbodens hatte er bereits 1901 in The Masque ofLove verarbeitet." 6 Das Schema war hier Orientierungshilfe für die genau abgezirkelten Bewegungen der Tänzergruppen." 7 Für die Scene plante Craig jedoch nicht horizontale Bewegungen von Figuren entlang eines dem Fußboden aufgebrachten Schemas, sondern der in Quadrate aufgeteilte Bühnenboden sollte als solcher, „pliable yet firm"" 8 , in vertikale Bewegungen versetzt werden. Craigs Idee einer Vertikalbewegung plastischer Formen entstand jedoch keineswegs losgelöst von den technischen Möglichkeiten der zeitgenössischen Theaterbühne: In Manfred

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tiert, jedoch irrtümlich, denn der Streit um die Rosmersholm-Ange\egenhe\t fand nachweislich erst im Februar 1907 statt. (Vgl. die von E. A. Craig 1968, 222f. veröffentlichten Quellen aus seiner Privatsammlung, welche sich heute zu Teilen im Eton-College, Windsor befindet.) Die untere der drei Skizzen (Abb. 47 c) zeigt die Anbringung von Lichtquellen und deutet durch Pfeile an, daß die Scheinwerfer vertikal bewegt werden können. Die am unteren rechten Rand der Zeichnung vermerkte Datierung „1922" läßt jedoch darauf schließen, daß Craig diesen Entwurf beim späteren Durchgehen seiner Aufzeichnungen hinzufugte. Dies ist auch deshalb wahrscheinlich, weil in den Notizen zur Scene vom Februar 1907 keine Lichtexperimente zur Sprache kommen. Craig, handschriftliche Notizen zur Scene, 1907, o.S. (BN). Im 1908 geschriebenen Vorwort zum Catalogue of Etchings being Designs for Motion vermerkt Craig, daß die Grafikfolge Scene das Resultat einer „sixteen years search" war (vgl. Craig 1908d, 4). Craig, handschriftliche Notizen zur Scene, 1907, o.S. (BN). Craig, handschriftliche Notiz und Skizze in: Scene 1, 1901, 52 (BN). Ob Craig 1901 Serlios Traktat schon besaß, ist nicht erwiesen. Da Craig bereits aus der Zeit seiner Freundschaft mit den Beggarstajf englische Holzschnitte des 15./16. Jahrhunderts kannte, die häufig eine solche schachbrettartige Aufteilung des Fußbodens aufweisen, ist es möglich, daß sich Craig an diesen Darstellungen orientiert hat (vgl. z. B. Holzschnitte aus der „Seven wise masters series" von Wynkyn de Wörde, um 1500, Abb. in Hodnett 1973, Fig. 92, 93). Craig 1911b empfahl Holzschnitte des 15./16. Jahrhunderts als Studienmaterial für den Bühnenbildner: „A Note upon their Use to Modern Scene Designers". So schreibt Craig im MSS Book 13, 1897-1903, 9 (BN): „Now I hold that the floor is the only valuable thing in the theatre. (...) It gives value to each movement - large & small - & itprevents unnecessary movement'. (Hervorhebung v. Vf.) Craig, handschriftliche Notizen zur Scene, 1907, o.S. (BN).

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III. Darstellende Architektur: Die Bühne als performatives Medium

Sempers Band Theater (1904) des Handbuchs der Architektur, den Craig 1904/05 in Berlin gekauft hatte119, wurde erstmals das sog. Asphaleia System vorgestellt, welches das Heben und Senken verschiedener Plattformen auf der Bühne ermöglichte120 (Abb. 35). Verschiedene Variationen von Höheneinstellungen separater Spielebenen waren mit dieser Konstruktion realisierbar. Craig interessierte jedoch nicht die Veränderbarkeit der Spielplattformen, sondern der Vorgang des Auf- und Abwärtsbewegens. Diese neue Entwicklung der Bühnentechnik war für Craig offenbar ein wichtiger Impuls, über rein mechanisch ausgeführte Bewegungsformen nachzudenken. Den Bühnenboden-Quadraten der Scewe-Konzeption, die als „cubes"121 vertikal bewegt werden sollen, liegt demnach das Plattform-Prinzip des Asphaleia Systems zugrunde. Dieses System dachte Craig auch an der Decke zu installieren, denn dort, wo sich bei der Theaterbühne die Soffitten als oberer Abschluß des Bühnenraumes befinden, wollte er ebenfalls bewegliche Kuben anbringen. Der in Quadrate aufgeteilte Fußboden sollte sich spiegelbildlich an der Decke wiederholen: „To these I added a roof composed of the same shapes as the floor - suspended cubes, each cube exactly covering (and meeting when lowered) each Square on the floor."122 In der Skizze (Abb. 47 a) hat Craig diese Idee offenbar nur in groben Zügen veranschaulicht. Trotz aller Flüchtigkeit vermittelt die mit Anmerkungen versehene Skizze, daß Craigs Instrument Scene dem Modell der traditionellen Guckkastenbühne folgt. Dies wird anhand der Kuben sinnfällig, welche jeweils die Seiten der Scene flankieren. So ist bei den äußeren Kuben auf der linken Seite des Entwurfs die kontinuierlich sich verjüngende perspektivische Verkürzung erkennbar, die den Blick in die Tiefe des Bühnenraumes führt. Daß es sich hierbei nicht um eine sukzessive Verkleinerung handelt, die aufgrund der Darstellung eines Raumes auf dem Papier gewählt wurde, zeigen Craigs Vermerke am rechten Rand der Skizze. Hier notiert er Höhenangaben, welche die einzelnen Kuben auf gestaffelte Maße festlegen.123 Diese fixierte Staffelung der äußeren Kuben verdeutlicht, daß Craig statische Flankierungen der Scene plante. Er bezeichnet diese auch nicht als „cubes", sondern nennt sie „screens".124 Somit besteht das Instrument Scene aus zwei Grundelementen: bewegliche Kuben und statische screens.125 Als Anregung für die flankierenden screens gibt Craig in seinen Notizen ein Schema aus Serlios Libro secondo an, welches ihn auf die Idee gebracht habe, die Scene mit durchlau-

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Vgl. E. A. Craig 1968, 186. E. A. Craig, in dessen Privatarchiv (Eton-College, Windsor) sich Craigs Exemplar befindet (vgl. Newman 1976, 48), gibt an, daß Craig diesen Teilband zwischen 1904 und 1905 in Berlin gekauft hat. Diese Angabe erscheint wahrscheinlich, da Craigs einziger längerer Deutschlandaufenthalt in diese Jahre fiel. Vgl. Semper 1904, 296. Semper gibt hier, neben den neuesten Entwicklungen der Bühnentechnik, einen reich bebilderten geschichtlichen Abriß des Theaterbaus und der Theaterdekoration seit der Antike. Craig, handschriftliche Notizen zur Scene, 1907, o.S. (BN). Ebd. Die Maßangeben an der rechten Seite der Skizze legen zudem fest, daß die oberen und unteren Kuben denselben Bewegungsspielraum von 0,5 bis 12 foot haben. Craig notiert am rechten Rand der Skizze die Höhenangaben 15, 12, 10, 8, 6 und 5 foot. Neben den Höhenangaben vermerkt Craig den Begriff „screens". Dies zeigt auch Craigs spätere Notiz am rechten oberen Rand der Skizze: „The ceiling & the floor in movable cubes. Up & down only. The sides screens."

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fenden, glatten Wänden zu rahmen, die gleichfalls den Quadraten des Fußbodens folgen126 (Abb. 48). Die perspektivische Darstellung der screens in Craigs Skizze verweist dagegen nicht auf die Schemata in Serlios Traktat127, sondern vielmehr darauf, daß Craig, wie bereits anhand des Entwurfs zur Matthäus-Passion nachgewiesen, sein Auge an der barocken Bühnenbildkunst geschult hat. So zeigt beispielsweise ein Schema aus Andrea Pozzos Prospettiva de pittori e architetti (Abb. 49) die sich verjüngende Anordnung von perspektivisch verkürzten Kulissen, deren Fluchtlinien in strenger Zentralperspektive auf einen tief liegenden Augenpunkt zulaufen. Dieses Prinzip verarbeitete Craig in seiner Skizze zur Scene (Abb. 47 a): Die Fluchtlinien der screens fuhren den Blick des Betrachters zentralperspektivisch auf einen tief liegenden Augenpunkt. Auf diesen laufen weiterhin die sich extrem verjüngenden Linien zu, welche den Fußboden charakterisieren. Die Illusion einer immensen Raumweite wird in Craigs Skizze dadurch verstärkt, daß er die screens nicht direkt am vorderen Rand des Fußbodens, sondern weiter hinten ansetzt. Somit scheint bereits die Raumausdehnung vor den screens beträchtlich zu sein. Am Vorbild der barocken Bühnenmalerei geschult, illusioniert Craig in seiner Skizze zur Scene einen Bühnenraum, der die realen Raumverhältnisse einer Theaterbühne weit übertrifft. Diese Raumillusion will er jedoch nicht wie die Theatermaler des Barock mittels Malerei, sondern durch die plastischen Aufbauten der screens und cubes erreichen. Die am Rand der Skizze notierten Höhenangaben verweisen darauf, daß Craig bei seiner Konzeption der Scene die Raummaße einer herkömmlichen Theaterbühne dennoch im Blick hatte. So gibt er für die beweglichen Kuben, welche er am vordersten Rand des Bühnenbodens skizziert hat, eine Maximalhöhe von zwölf foot, also ca. dreieinhalb Metern, an.128 Da auch die oberen Kuben auf zwölf foot festgelegt sind, ergibt sich ein maximaler Spielraum von ca. sieben Metern. Damit übertraf Craigs Planung nicht die Größenverhältnisse eines durchschnittlichen Bühnenportals, d.h., seine visionären Überlegungen verblieben letztlich innerhalb der bühnentechnischen Vorgaben einer traditionellen Theaterbühne. Einheit der Gegensätze: Eine verworfene Variante der Scene Die mittlere, durchgestrichene Studie auf dem Skizzenblatt zur Scene (Abb. 47 b) deutet eine weitere Idee an, die Craig auch in seinen schriftlichen Ausführungen erwähnt. Er plant hier, die beweglichen Kuben mit Teilen von Kreissegmenten zu versehen, die zu einem bestimmten Zeitpunkt der Bewegung einen Kreis bzw. Halbkreis bilden. An anderer Stelle skizziert er als eine weitere Variante Kuben, auf die er halbkreisförmige Endstücke als Positivform auf die unteren und als Negativform auf die oberen Kuben setzen wollte, so daß die-

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Craig, handschriftliche Notizen zur Scene, 1907, o.S. (BN): „And shortly after this I found in the 3 and the 4 leaved screen (each leaf the width of each side of the floor squares) the Solution of my question." Die naheliegende Anregung durch die in Serlios Libro secondo enthaltenen Bühnenbildtypen der Seena tragica bzw. scena comica läßt sich anhand von Craigs Skizze nicht nachweisen, da die perspektivische Sicht grundsätzlich anders angelegt ist. Serlio stellt beispielsweise die scena tragica in einer nicht eindeutigen Vermischung von Aufsicht und Untersicht dar und gibt dadurch keine perspektivische Verkürzung der flankierenden Gebäude. Craig vermerkt am unteren Rand der Skizze: „with 12 foot rise to 1/2 foot" und oben: „with 12 foot fall to 1/2 a foot fall". Die jeweils zweite Angabe meint vermutlich die Minimalhöhe der Kuben.

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se beim Auf- und Abwärtsbewegen direkt ineinandergreifen.129 Diese Überlegungen zeigen, daß Craig nach einer Möglichkeit suchte, das Grundelement Quadrat durch den Kreis zu ergänzen. Wie oben bereits erwähnt, setzte Craig Kreis und Quadrat als Symbole des Weiblichen und Männlichen. Er plante demnach ursprünglich, auch das Weibliche in sein Instrument der Scene einzubeziehen, um damit gewissermaßen das männliche und weibliche Prinzip als in Bewegung befindliche Einheit der Gegensätze darzustellen. Diese Idee wurde jedoch schnell verworfen bzw. auf spätere Experimente vertagt: „The possibility of adding to this the occasion of curve and the circle is obvious, but whether it is possible to construct a room or place of curves and circles is [a] matter for further experiment". Nur die männlichen Kuben blieben weiterhin Gegenstand seines Interesses. „We have, therefore," beschließt Craig die Konstruktionsbeschreibung der Scene, „a room or place movable at all parts, and all ways, within certain laws and restrictions - That is to say we have the Square and the right angle and the straight line ... all possible of movement."130 In den geometrisch vereinfachten Kuben der Scene kulminierten somit Craigs Vorstellungen einer rational restriktiven, maskulinen Formbeherrschung, die er seit dem Beginn seiner Regietätigkeit entwickelt hatte.

c) Bewegte Kuben als Instrument einer visuellen Musik Im Verlauf einer Auffuhrung stellte sich Craig die Kuben in verschiedenen Höhenvariationen vor131, und die obere Darstellung auf dem Skizzenblatt zeigt einen möglichen Zustand der Scene (Abb. 47 a): Die sich von oben herab bewegenden Quader scheinen sich gespiegelt den vom Fußboden aufragenden Kuben anzunähern. Während die Kuben im Vordergrund nur minimal über die Bodenebene hinausragen, türmt sich im Mittel- und Hintergrund eine Front von unterschiedlich hohen Quadern auf. Dieses Aufragen quaderförmiger Bühnenaufbauten wurde im vorangegangenen bereits am Beispiel des Entwurfs zur MatthäusPassion als ein Kennzeichen von Craigs Bühnenbildentwürfen seit 1901 untersucht (Abb. 44). Wenngleich er in diesem Entwurf die Umrisse der im Bildhintergrund emporragenden, gestaffelten Quaderformen nicht scharf, sondern verschliffen dargestellt hat, sind hierin bereits die Kuben der späteren Scene absehbar. Daß dieses architektonische Formelement erstmals 1901 in dem Entwurf zu Bachs Matthäus-Passion auftaucht, ist hierbei von besonderem Belang. Friedrich Teja Bach, der 1985 die verschiedenen Facetten der Bach-Rezeption in der Malerei des frühen 20. Jahrhunderts untersucht hat, stellte u. a. einen Aspekt heraus: die Vorstellung des Konstruktiven der Bachschen Musik.132 In diesem Kontext diskutiert er vor allem die Ideen Adolf Hölzeis und dessen Schülers Johannes Itten. Beide Künstler sahen in Bachs Kompositionen das für die Malerei vorbildhafte Modell einer nach strengen Gesetzmäßigkeiten organisierten, absoluten Kunst. So beschreibt Itten rückblickend, daß er in seiner Malerei „durch räumliche und farbklangliche Wirkungen" analog „das großartig ob-

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Craig, Bleistiftskizze in den Notizen zur Scene, 1907, o.S. (BN). Craig, handschriftliche Notizen zur Scene, 1907, o.S. (BN). Ebd.: „... thereby obtaining at any time as many variations of the form of the floor". Vgl. Bach 1985, 330ff.

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jektive und kosmisch abstrakte Bachsche Musizieren zum Erleben bringen"133 wollte. Dieser Gedanke bestimmte auch die Bach-Rezeption des Bauhaus-Schülers Heinrich Neugeboren (1901-1959) 134 , der in zahlreichen Studien anstrebte, „die Konstruktion des Bachschen Werkes"135 optisch erlebbar werden zu lassen. Ursprünglich Musiker, setzte sich Neugeboren auch theoretisch mit musikalischen Strukturen auseinander. Beispielsweise entwarf er 1928 ein Bach-Monument mit dem Titel Plastische Darstellung der Takte 52-55 der Es-MollFuge von J. S. Bach (Abb. 41). Neugeboren versuchte hier, den zeitlichen Verlauf der polyphonen Fugenstimmen dreidimensional darzustellen. Er ging von der tektonischen Konstruktion einer Fuge136 aus und visualisierte diese spezifische Struktur in rechteckigen, verschachtelten Formen. Diesen Entwurf nannte er „in Architektur (= gefrorene) Musik".137 Vergleicht man nun Neugeborens Bach-Monument mit Craigs Bühnenbildentwurf zur Matthäus-Passion von 1901, so fällt auf, daß dessen Kuben in frappanter Weise jener gefrorenen Musik ähneln. Das Craigsche Motiv der in verschiedenen Höhen gestaffelten, rechteckigen Formen, die plastisch Raum greifen, findet sich folglich bei Neugeboren in ähnlicher Weise als Versuch einer Visualisierung der Fuge. Auch Craig beschäftigte sich mit Musik. So vermerkt er in seiner Autobiographie, daß er als junger Mann selbst komponiert habe.138 Auf welchem musiktheoretischen Niveau er sich hierbei bewegte, läßt sich heute aufgrund fehlender aussagekräftiger Quellen nicht bestimmen. Dies gilt auch für Craigs Beschäftigung mit der Musik Bachs. Er besaß seit ca. 1901 die Partitur zur Matthäus-Passion139 und füllte zwischen 1901-1943 zahlreiche Notizbücher mit Überlegungen und Skizzen zur Inszenierung dieses Oratoriums.140 Zudem war Craig über lange Jahre mit dem Komponisten und Dirigenten Martin Fallas Shaw befreundet, durch den er im Jahre 1900 die Matthäus-Passion kennengelernt hatte. Craig beschreibt diesen Vorgang in seiner Autobiographie als Schlüsselerlebnis. Shaw hatte ihm demnach die Passion auf dem Klavier vorgespielt, „which enchanted me so much, and explain[ed] as he played".141 Ob Shaw ihm hierbei das Prinzip der Fuge erklärt hat, welches dem Oratorium zugrundeliegt142, kann aus dieser Passage nicht entnommen werden. Insofern läßt sich nicht mit Bestimmtheit sagen, daß Craig - ähnlich wie Heinrich Neugeboren - musikalische

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Itten 1978,31. Neugeboren studierte in den 1920er Jahren bei P. Klee am Bauhaus. (Vgl. u. a. Wingler 1975, passim.) Neugeboren 1929, 36. Zur musikalischen Struktur einer Fuge vgl. Altmann 1979. Neugeboren 1929, 36. Neugeboren schreibt weiterhin: „1. Horizontal: den konstruktiven Verlauf; 2. Vertikal: Die Entfernung jedes Tones von einem für alle drei Stimmen gleichen Grundton." Vgl. Craig 1957, 213f.: „I composed some music between the ages of eighteen and twenty-eight." Dieses Exemplar befindet sich in der BN (in: Ms B 5, 1901). Ein erster Vermerk von Craig in der Partitur stammt aus dem Jahre 1901. Mehrere Notizbücher befinden sich in der BN. Im Notizbuch Ms B 5 vermerkt Craig, daß er 1901, 1912, 1914, 1915, 1935 und 1943 am Projekt einer Inszenierung gearbeitet habe (vgl. auch Craig 1957, 298f.). Zu Craigs Matthäus-Passion-Projekten vgl. E. A. Craig 1972; Siniscalchi 1972. Beide Autoren behandeln jedoch dieses Thema sehr summarisch und ohne auf die Bedeutung der Bachschen Musik einzugehen. Craig 1957, 231. Der fugierte Satz ist die vorherrschende Kompositionstechnik bei der Matthäus-Passion. Diesen Hinweis verdanke ich Ralf Pleger.

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III Darstellende Architektur: Die Bühne als performatives Medium

Strukturen theoretisch reflektierte bzw. analysierte. Er hat allerdings das strenge Reglement der Bachschen Musik bewußt wahrgenommen. Hiervon zeugen Craigs Notizen zur Scene vom Februar 1907, denn im zweiten Teil seiner Ausfuhrungen bringt er seine Erfindung in direkten Zusammenhang mit Bachs Matthäus-Passion: „Remember how imperceptibly it opens - how it proceeds - advancing in its severe order - its superb rigidity, without haste or delay - lawfully - how it relies on this, its compact and simple form to move us".143 Diese Beschreibung läßt erkennen, daß Craig, ähnlich wie andere Künstler seiner Zeit144, das Konstruktiv-Gesetzmäßige an Bachs Kompositionen fasziniert hat. Zugleich zeigt sich in seiner Wortwahl auch jener Aspekt der bereits angesprochenen formalen Disziplinierung. Dieses Ideal fand er offenbar in Bachs Matthäus-Passion bestätigt. „It is so that the Oratorio catches me", fährt Craig in seinen Notizen zur Scene fort, „and it is some such progression that I would put before you in my .movement'. It is some such laws I would discover (and I think I am discovering), as are at the roots of music."145 Die Regelhaftigkeit der musikalischen „progression" in Bachs Oratorium betrachtete er als Modellfall für seine Vorstellung von Bewegung, die, wie bereits gezeigt wurde, maßgeblich durch Walter Paters Idee einer durch musikalische Ordnungsprinzipien gezähmten Ur-Energie geprägt war. Für Craig wurde demnach in der ausgewogenen Struktur von Bachs Musik das Urprinzip der Bewegung musikalisch erlebbar. Die Konstruktion seines Instruments Scene erlaubte allein das Heben und Senken der Kuben. Wie in der Musik waren damit die Bewegungen nach „certain laws and restrictions"146 festgelegt und Craig strebte an, daß „the entire stage can be so governed by time as to produce Rhythm."147 Diese Intention Craigs, mit den beweglichen Kuben einen visuell wahrnehmbaren Rhythmus zu erzeugen, ist hier jedoch nicht mehr, wie in seinen Londoner Inszenierungen der Jahre 1900 bis 1902, als simultane optische Transformation von Musik zu verstehen148, denn die Scene vom Februar 1907 war nicht als Inszenierungprojekt der Matthäus-Passion gedacht. Craig plante mit der Scene vielmehr ein den musikalischen Gesetzmäßigkeiten analoges Instrument, welches ihm ermöglichen sollte, die „supreme force ... Movement" 149 symbolisch darzustellen. Um dies formal zu gewährleisten, ging er, ähnlich wie beispielsweise die Maler Adolf Holzel und Frantisek Kupka, von der Vorstellung einer gegenstandslosen Abstraktheit der Musik aus.150 So vermerkt Craig in seinem 1908 verfaßten Katalogtext zur Grafikfolge Scene: „Music which not only in the abstract but in the concrete alone produces pure sound."151 Diesen puren Klang, der auf nichts konkret Gegenständliches verweist, versinnbildlichen als „pure form"152 die Kuben der Scene.l53

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Craig, handschriftliche Notizen zur Scene, 1907, o.S. (BN, Hervorhebungen v. Vf.). Zu weiteren Künstlern, die sich neben Holzel, Itten und Neugeboren an der formalen Struktur der Bachschen Fuge orientierten, vgl. den Ausstellungskat. Vom Klang der Bilder 1985. Hier werden u. a. F. Kupka, M. K. Ciurlionis, L. Feininger, P. Klee und J. Albers besprochen. Craig, handschriftliche Notizen zur Scene, 1907, o.S. (BN). Ebd. Craig 1907a, 6. Vgl. Teil II, Kap. 4 c der vorliegenden Arbeit. Craig 1908a, 33. Zu Holzel und Kupka vgl. u. a. Bach 1985, 329-331. Craig 1908d, 6. Ebd.

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d) Scene - eine frühe Form der Kinetischen Kunst Während Craig in seinen Erläuterungen zur Scene allein auf die bewegten Kuben eingeht, deutet die Skizze (Abb. 47 a) noch einen weiteren Aspekt an, der ihn seit seinen Londoner Inszenierungen beschäftigt hat: die Darstellung von Bewegung durch Licht. So hatte Craig, wie bereits besprochen, seit 1903 verschiedene Beleuchtungsprojekte entworfen, bei denen Licht und Schatten zu autonomen Darstellungselementen werden sollten.154 Auch hob er wiederholt die verändernde atmosphärische Wirkung der verschiedenen Sonnenstände auf die statische Architektur der römischen scaena hervor.155 Die Skizze zur Scene zeigt einen breiten Lichtstrahl, der, scheinbar aus der Tiefe der Bühne kommend, von rechts oben diagonal auf den Boden fällt. Die unterschiedlich dicht ausgeführten Schraffuren, welche diesen schlaglichtartigen Lichteinfall säumen, verdeutlichen, daß die Oberfläche der Kuben durch die variierenden Abstufungen von Hell und Dunkel belebt werden soll. Selbst wenn diese Lichtquelle unbewegt und konstant in der Lichtstärke gedacht war, würden doch bei jeder Bewegung der Kuben verschiedenste Schattierungen entstehen. Die mechanische Bewegung der materiellen Kuben wollte Craig folglich durch die virtuelle Bewegung des Lichts ergänzen. Denis Bablet bewertet die Scene als „Ursprung dessen, was wir heute als szenische Kinetik bezeichnen." Den Begriff der „szenischen Kinetik" definiert er als Beweglichkeit des Bühnenbildes, der Szene, in Ergänzung zu den Bewegungen der Schauspieler.156 Dieser Terminus erweist sich jedoch als zu einseitig, um die theater- wie kunsthistorische Dimension der Scene zu beschreiben, denn in dieser Konzeption beweglicher Bühnenaufbauten, die ohne die Präsenz des menschlichen Darstellers auskommen, amalgamiert Craig Theaterkunst und bildende Kunst: Die den Maßstäben einer Theaterbühne angepaßten Kuben werden ebenso wie das elektrische Licht zu Hauptdarstellern der Auffuhrung. Damit antizipiert die Konzeption der Scene vom Februar 1907 die Objekte der Kinetischen Kunst, deren Beginn Frank Popper erst um das Jahr 1920 ansetzt.157 Popper erwähnt zwar Craigs Auffassung von Licht und Bewegung als Vorläufer der Kinetischen Kunst, zieht aber nicht in Betracht, daß dieser auch mechanische Bewegungen, die der Kuben, intendierte. Es ist Popper ent153

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Craigs Idee, die Kuben spiegelbildlich von der Decke herabhängen zu lassen, könnte zudem durch das kontrapunktische Prinzip der horizontalen Spiegelung von Klangfolgen angeregt worden sein, welches als Kompositionsgesetz der Fuge auch für den Laien im Notenbild erkennbar ist (zum Kontrapunkt vgl. Hirsch 1987, 249). So versuchte z. B. der litauische Maler M. K. Ciurlionis im Jahre 1907, dieses Prinzip des Kontrapunkts bildlich darzustellen, indem er Bildelemente an einer Achse horizontal spiegelte. (Zu Ciurlionis vgl. Ausstellungskat. Vom Klang der Bilder 1985, 340-365.) Für die Scene ist diese Erklärung jedoch sehr hypothetisch, da Craig in seinen Notizen zur Scene, 1907, o.S. (BN) nur vermerkt: „To these I added a roof composed of the same shapes as the floor". Solange weitere Recherchen nicht belegen können, daß Craig die Musik Bachs nicht nur emotional, sondern auch analytisch reflektiert hat, muß diese hier vorgeschlagene Deutung als Hypothese stehen bleiben. Vgl. Teil II, Kap. 4 b der vorliegenden Arbeit. Vgl. u. a. Craig 1913, 6; Craig 1923, 5: „... the everlasting change which passed from morn tili morn across its face as the sun and the moon passed." Bablet 1965, 144f. Im Sinne Bablets könnte man diesen Begriff zur Beschreibung von Meyerholds Inszenierung Der großmütige Hahnrei (1922) einsetzen. Hier wurden die von den Schauspielern zum Ausdruck gebrachten Emotionen synchron durch wechselnde Rotationen von Rädern und Windmühlenflügeln veranschaulicht. (Vgl. Gassner 1986,24f.) Vgl. Popper 1968, 254.

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III. Darstellende Architektur: Die Bühne als performatives Medium

gangen, daß Craigs Instrument der Scene zwei entscheidende Kriterien verbindet, die er als Klassifikationen der Kinetischen Kunst angibt: zum einen die virtuelle Bewegung des Lichts und zum anderen die reale, mechanische Bewegung von Objekten im Raum.158 Da Popper nur die Lichtexperimente Craigs - beschränkt auf den Theaterkontext - im Blickfeld hatte, konnte er die kunsthistorische Tragweite und Konsequenz der 5ce«e-Konzeption nicht zur Kenntnis nehmen. „Until quite recently", schreibt Craig 1908, „I was under the delusion that in some way the Theatre was connected with my vision. In me was a longing born of an old affection that this should be so. But I know now that this art about which I write and to which I have given my life, transcends the Theatre."159 Craig selbst erkannte, daß seine Konzeption der Scene unvereinbar war mit der tradierten Theaterform. Folglich bezeichnet er im Jahre 1907 diese neuartige, dem herkömmlichen Theater nicht mehr zugehörige Kunst als "art of movement"160 - Kinetische Kunst.

3. Die kinetische Bühne der italienischen Futuristen a) Futuristische Bühnenräume in der Nachfolge Craigs Die Forschung hat bereits mehrfach darauf hingewiesen, daß Gordon Craigs Reformkonzept Ideen der futuristischen Theatertheorie vorweggenommen hat.161 Allerdings wurde dieser Zusammenhang nie näher betrachtet, so daß bislang weder die Gemeinsamkeiten, noch die grundlegenden Unterschiede hinreichend benannt worden sind. Diese beiden Aspekte stehen im Zentrum der folgenden Ausführungen. Seit März des Jahres 1907 lebte Craig in Florenz. Hier gab er ab 1908 die Zeitschrift The Mask in englischer Sprache heraus und betrieb zwischen März 1913 und August 1914 eine Theaterschule.162 In Florenz war Craig nicht nur als Revolutionär des Theaters bekannt, sondern auch als Bohemien und exzentrischer Künstler-Prophet, der stets eine Schar ergebener Jünger um sich versammelte.163 Im Kreis der florentinischen Futuristen, dem u. a. Ardengo Soffici und Giovanni Papini angehörten, galt der Engländer vor allem als wunderlich

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Zu Craig vgl. ebd., 160; zur Klassifikation der Kinetischen Kunst ebd., 251. Craig 1908d, Note. Craig, handschriftliche Notizen zur Scene, 1907, o.S. (BN). Vgl. u. a. Pörtner i960, 27; Menna 1967, 93f.; Kirby 1986, 75ff.; Fiebach 1991, 182; Bell 1993, 168; Brandt 1995, 99. Zu Craig in Florenz vgl. Larson 1978; Sardelli 1989; ders. 1993. Zu Craigs Theaterschule vgl. u. a. Rood 1983. Vgl. u. a. die Erinnerungen von M. Dodge 1935, 347-351: „Craig used to (...) sit in the sunshine on the lichen-covered seats of stone and talk to the curious collection of devotees who joined themselves to him and followed him about. He always had a string of eamest-looking, gray females with long lines and hungry cheeks (...) following behind him when he entered the cafes in the piazza. They would group themselves about him, and he would teil them things about the theatre for hours. (...) but nothing was ever done (...) it was only talked." Vgl. auch die bei Sardelli 1989, 144f. zitierten Zeitzeugen.

III. 3. Die kinetische Bühne der italienischen Futuristen

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und kauzig, der den futuristischen Kunstidealen keineswegs entsprach.164 Dennoch wurden Craigs Ideen von den Futuristen über die Grenzen von Florenz hinaus mit Interesse zur Kenntnis genommen. So bezieht sich im Jahre 1915 der in Rom ansässige Enrico Prampolini (1894-1956) in seinem Manifest Futuristische Bühnenbildnerei165 dezidiert auf Craig, allerdings mit dem Zusatz, daß dessen Innovationen aus seiner Sicht begrenzt waren.166 Vergleicht man Prampolinis Manifest mit Craigs Theaterreform, so zeigt sich, daß dieser tatsächlich einige grundlegende Vorstellungen der futuristischen Bühnengestaltung vorformuliert hatte. Ähnlich wie Craig vertritt Prampolini in seinem Manifest ein evolutionäres Reformmodell, d. h., er propagiert zunächst unmittelbare, naheliegende Reformen, um dann im letzten Teil seiner Ausfuhrungen auf künftige Entwicklungen einzugehen.167 Der erste Abschnitt des Manifests kommt dem von Craig 1905 in The Art of the Theatre propagierten Theatermodell sehr nahe. So fordert Prampolini zunächst die Abschaffung des Bühnenrealismus. Ferner müsse das Bühnenbild eine „abstrakte Einheit" mit der Aufführung des Theaterstückes bilden und visuell die Emotionen des Zuschauers ansprechen.168 Dies meint in letzter Konsequenz nichts anderes als das bereits mehrfach besprochene intimisierte Verhältnis von Drama und Bühnenausstattung: „Dekoration als Ausdruck".169 Prampolini beschließt diesen ersten Teil des Manifests mit der Forderung eines den dramatischen Text kreativ umsetzenden Bühnenkunstwerkes: „Auch wir müssen Künstler sein und nicht nur Ausführende. Schaffen wir das Bühnenbild, geben wir dem Theaterstück mit all der beschwörenden Kraft unserer Kunst Leben."170 Diesen Anspruch hatte nicht nur Craig 1905 in The Art of the Theatre formuliert, sondern er wurde unabhängig davon in Deutschland bereits von Max Reinhardt und Georg Fuchs praktisch realisiert.171 Der zweite Teil von Prampolinis Manifest ist ein Plädoyer für die Abschaffung der tradierten statischen Kulissenmalerei zugunsten einer dreidimensionalen „dynamischen Szene": „Das Bühnenbild wird nicht länger ein farbiger Hintergrund sein, sondern eine farblose 164

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Vgl. den bei Sardelli 1989, 145 in englischer Übersetzung publizierten Brief von J. Baltrusaitis an G. Papini vom 27. 11. 1910: „Your friend, Prezzolini, - as you have seen and heard yourself- was quite wrong to judge him [Craig] so speedily and as some dreadful scoundrel. Again, - you would do me a very great personal favour if you were to help to make him a bit more famous". (Italien. Original in: Papini Archiv, Primo Conti Foundation, Fiesole.) Vgl. Prampolini 1915. Dies ist das erste fatalistische Manifest, welches explizit und ausschließlich die visuelle Gestaltung des Bühnenraumes thematisiert. (Zur Datierung des Manifests vgl. Kirby 1986, 76; Brandt 1995, 107.) Wie eng die Vorstellungen Prampolinis zur Bühnenraumgestaltung mit der futuristischen Idee von bewegter Plastik zusammenhängen, zeigt Brandt 1995, 105f. (Vgl. auch Boccioni 1912; Balla/Depero 1915.) Prampolini 1915, 161: „Graville Barker e Gordon Graig [Craig], (...), hanno portato innovazioni, limitate e realistiche sintesi oggettive." Zu Craig vgl. Teil II, Kap. 2 b der vorliegenden Arbeit. Prampolini 1915, 161: „Non si tratta di riformare solamente il concetto strutturale dell' allestimento scenico, ma di creare un'entitä astratta che s'identifichi con l'azione scenica dell'opera teatrale." (...) I colori e la scena dovranno destare nello spettatore quei valori emotivi che ne la parola del poeta, ne il gesto dell'attore possono esaltare." Bahr 1908, 26. Prampolini 1915, 161: „Facciamo anche noi finalmente gli artisti, non limitiamoci a semplici esecutori. Creiamo la scena, diamo vita all'opera teatrale con tutta la potenza evocatrice della nostra arte." (Dt. Übersetzung in: Apollonio 1972, 235.) Vgl. Teil I, Kap. 2 u. 3 der vorliegenden Arbeit.

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III Darstellende Architektur: Die Bühne als performatives Medium

elektromechanische Architektur, die durch die farbigen Ausstrahlungen einer Lichtquelle kräftig belebt (...) und der szenischen Handlung jeweils angepaßt wird."172 Diese Idee läßt sich unmittelbar auf Craig zurückfuhren. Seit September 1908 beschäftigte ihn die praktische Umsetzung der Scene. Zu diesem Zwecke mietete er in Florenz die Arena Goldoni, ein antikisiertes Freilichttheater aus dem 19. Jahrhundert, und baute mit seinen Schülern mehrere Modellbühnen in der Größe herkömmlicher Marionettentheater. Allerdings verwirklichte Craig mit diesen Modellen nicht die Konzeption der Scene, so, wie er sie im Februar 1907 in Nizza entworfen hatte, sondern entwickelte eine vereinfachte Variante. Die beweglichen cubes an Boden und Decke wurden hierbei weggelassen, so daß nur die Screens übrigblieben. Diese waren nicht wie bei der ursprünglichen Scewe-Konzeption statisch, sondern konnten als monochrome, hohe Wandschirme horizontal bewegt werden. Der Grund für eine solche Abwandlung war, daß Craig nach einer Möglichkeit suchte, seine Idee auf das konventionelle Theater zuzuschneiden. Während die Scene den menschlichen Darsteller ausschloß, waren die Screens auch im herkömmlichen Schauspielertheater anwendbar: „I have experimented with a modified form of ,scene', and have found it can be used in the plays of Shakespeare, such as ,The Tempest', ,A Midsummer Night's Dream', ,Lear', .Macbeth' and others."173 Diese „modified form" der Scene ließ er 1910 nicht nur in England, Italien und Frankreich patentieren174, sondern bereits seit 1909 warb er für seine Erfindung in öffentlichen Vorführungen mittels einer tragbaren Modellbühne.175 Auf der großen Theaterbühne setzte Craig die Screens erstmals in seiner berühmten Moskauer Hamlet-Inszenierung von 1912 ein. Diese waren einfarbig grau bzw. cremefarben und wurden ausschließlich durch Scheinwerferlicht farbig gestaltet. Licht und Schatten wirkten dabei als unterstützendes Moment zur Darstellung der jeweiligen Szenen und Raumsituationen. So berichtet ein Korrespondent der Times: „Mr. Craig has the singular power of carrying the spiritual significance of words and dramatic situations beyond the actor to the scene in which he moves."176 Die bewegten Wandschirme waren demnach ebenso wie das Licht dem Handlungsverlauf des Dramas angepaßt.177 Damit entsprachen die Screens dem oben zitierten Postulat Prampolinis in mehreren Punkten. Zum einen überwand Craig die statische, illusionistische Kulissenmalerei zugunsten einer bewegten Bühnenarchitektur. Zum zweiten war diese farblich neutral und wurde erst durch die Scheinwerfer in verschiedene Farben ge-

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Prampolini 1915, 161: „La scena non sarä piü uno sfondo colorato, ma un'architettura elettromeccanica incolore, vivificata potentemente da emanazioni cromatiche di fönte luminosa, ( . . . ) coordinati analogicamente alla psiche che ogni azione scenica richiede." Ebd., 162 bezeichnet er dies als „scena dinamica". Craig 1907a, 9. Craig, patent application A.D., 24. 1. 1910, no. 1771, 1. (Vgl. Innes 1983, 143.) Eine technische Beschreibung der Screens reichte Craig 1910 auch im Ministero dell'Industria in Rom ein. (Vgl. Sardelli 1989, 146. Hier finden sich auch Abb. von Craigs Patent.) Vgl. Innes 1983, 143ff. The Times vom 9. 1. 1912. (Zitiert nach E. A. Craig 1968, 272.) Vgl. Craig 1907a, 9: „I shall attempt to show that in the production of a Shakespearian play figures and scene must both move harmoniously together". Die damalige Bühnentechnik erlaubte noch keine mechanische Bewegung der Screens. Diese wurden auf Rollen manuell bewegt. Das Ergebnis war für Craig allerdings unbefriedigend, weil die manuelle Bewegung ungleichmäßig und holprig war. (Vgl. Senelick 1982, 83—173.)

III. 3. Die kinetische Bühne der italienischen Futuristen

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taucht, was ein stimmungshaftes Spiel von Licht und Schatten erzeugte.178 Zum dritten koordinierte Craig die dreidimensionale, mobile Szenerie mit den dramatischen Vorgängen, so, wie es Prampolini 1915 gefordert hat. Da Craig, wie oben angedeutet, sehr bemüht war, die Idee der Screens als seine Erfindung öffentlich bekannt zu machen, ist es nicht unwahrscheinlich, daß auch Prampolini darüber informiert war, als er den Aufruf zur Futuristischen Bühnenbildnerei verfaßte. Während Prampolini in den ersten beiden Abschnitten seines Manifests den Schauspieler als Bestandteil der Theaterauffuhrung noch akzeptiert179, gibt er im letzten Teil einen visionären Ausblick auf künftige Möglichkeiten des futurististischen Theaters, in dem der menschliche Darsteller schließlich überflüssig sei: „In der letzten Synthese können die menschlichen Schauspieler nicht mehr zugelassen werden. Sie reichen - ebenso wie die kindischen Puppen oder die ewigen Über-Marionetten, die von den heutigen Reformatoren in beschränkter Weise gerühmt werden - nicht aus, um die vielfaltigen Aspekte auszudrücken, die der Theaterautor darstellen will."180 Prampolinis Anspielung bezieht sich hier eindeutig auf Craigs Idee der Über-Marionette, welche dieser 1908 in seiner Florentiner Zeitschrift The Mask propagiert hatte.181 Hier wird auch deutlich, warum Prampolini dessen Theaterreform als begrenzt empfand: Craigs Forderung nach dem Ersatz des Schauspielers durch eine künstliche Figur, deren anthropomorphe Gestalt wie bei der herkömmlichen Marionette erkennbar blieb, war für Prampolini noch viel zu stark an den Menschen gebunden. Während Craig sich im Rahmen seiner Überlegungen zur Über-Marionette direkt mit den darstellerischen Unzulänglichkeiten des Schauspielers auseinandersetzte, war der Einsatz von Menschen für Prampolini in erster Linie deshalb indiskutabel, weil er die künftige Bühne entsprechend dem futuristischen Ideal des Technischen in eine zischende, rhythmisch stampfende und rotierende Maschine verwandeln wollte. „Zuckende und leuchtende Formen (durch Stromfluß + gefärbtes Gas erzeugt)" sollten hier den menschlichen Darsteller ersetzen, „echte Gas-Schauspieler eines noch unbekannten Theaters" also, die in einer elektromechanischen „szenisch dynamischen Architektur" agieren.182 Da sich Prampolini in dem letzten Teil seines Manifests ausschließlich auf Craigs ÜberMarionette bezieht, ist anzunehmen, daß er dessen ursprüngliche Idee der Scene nicht kannte. Dies ist insofern nicht verwunderlich, weil Craig für die Scene weitaus weniger gewor-

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Analog formulierte Prampolini 1915, 161: ,,L' irradiazione luminosa di questi fasci e piani di luci colorate, le combinazioni dinamiche di queste fughe cromatiche, daranno risultati meravigliosi di compenetrazioni d'intersecazioni di luce e di ombre, ..." Ebd., 162: „Illuminata con tali mezzi, la scena, gli attori, acquisteranno effetti dinamici imprevisti che nei teatri d'oggi sono trascurati,..." Ebd.: „In ultima sintesi gli attori umani non potranno piü essere sopportati, come gli infantili burattini, o le odierne super-marionette, che, i recenti riformatori vantano meschinamente, non essendo sufficenti ad esprimere i molteplici aspetti concepiti dall'autore teatrale." Vgl. Craig 1908. (Zur Idee der Über-Marionette im Kontext des französischen Symbolismus vgl. Teil II, Kap. 3 b der vorliegenden Arbeit.) Prampolini 1915, 162: „Guizzi e forme luminose (prodotte da corrente elettrica + gas colorati) si divincoleranno contorcendosi dinamicamente, veri attori-gas di un teatro incognito dovranno sostituire gli attori viventi. Poiche con sibili acuti, fruscii, rumori stranissimi, questi attori-gas potranno benissimo dare inusitati significati d'interpretazioni teatrali". Ebd.: „architettura scenicodinamica".

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III. Darstellende Architektur: Die Bühne als performatives Medium

ben hat183 als beispielsweise für die abgeschwächte Variante der Screens. Craigs Zurückhaltung hinsichtlich der Scene läßt sich in erster Linie damit erklären, daß er selbst vor der Radikalität dieser Konzeption zurückschreckte. Hatte doch bereits sein 1908 erschienener Aufsatz The Actor and the Über-Marionette für großes Aufsehen und zahlreiche feindselige Reaktionen gesorgt. Da Craig nie gänzlich mit dem konventionellen Theater brechen wollte, muß es ihm wahnwitzig erschienen sein, nach dem Ersatz des Schauspielers durch eine Kunstfigur nun auch noch bewegte Architekturen und Licht als alleinige Darsteller einer Theateraufführung zu propagieren. Demzufolge kannte Prampolini die Idee der Scene offenbar nicht und warf Craig in seinem Manifest indirekt vor, daß er mit seiner Reform bei den Über-Marionetten stehengeblieben sei. Tatsächlich ging Craig jedoch mit der SceneKonzeption weit darüber hinaus und nahm damit auch in diesem letzten Punkt futuristische Ideen vorweg: So verweisen die bewegten Kuben Craigs bereits auf die Idee der elektromechanischen Bühnenarchitektur, und die virtuelle Bewegung des Lichts kann als Vorform der leuchtenden „Gas-Schauspieler" Prampolinis angesehen werden. Eine erste praktische Umsetzung der Ideen zur futuristischen Bühnengestaltung realisierte nicht Enrico Prampolini sondern Giacomo Balla (1871-1958): Am 12. April 1917 wurde Igor Stravinskys Feuervogel mit Bühnendekorationen von Balla im Teatro Costanzi in Rom aufgeführt (Abb. 50). Diese Ausstattung hatte Sergej Diaghilev im Dezember 1916 für die Ballets Russes in Auftrag gegeben.184 Die berühmten Tänzer des Russischen Balletts wurden jedoch in der knapp fünf Minuten dauernden Vorstellung durch teilweise bewegte Bühnenaufbauten und ca. sechzig verschiedene Lichteffekte ersetzt. Vor einem schwarzen Bühnenhintergrund baute Balla eine abstrakte Landschaft aus bunten, unregelmäßig prismatischen Formen, die von außen in verschiedensten Farben beleuchtet wurden. Auf diese statischen geometrischen Formen waren kleinere bewegliche Teilformen gesetzt, die mit Streifen, Zickzack- und Schlängellinien bemalt waren und von innen beleuchtet werden konnten.185 Um das abstrakte Ballett mit dem Verlauf der Musik koordinieren zu können, konstruierte Balla im Souffleurkasten eine Art Schaltpult, von dem aus er die Lichteffekte steuerte. Diese Idee läßt sich auf die bereits mehrfach angesprochene Farblichtmusik zurückführen: In ähnlicher Weise wie beispielsweise Alexander Wallace Rimington wollte auch Balla musikalische Stimmungen in farbiges Licht umsetzen.186 Die Anwendung dieses Prinzips auf die

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Die Scene-Konzeption des Jahres 1907 wurde von Craig selbst als dreidimensional gebautes Instrument nie realisiert. Er hat diese Idee einzig in einer Folge von Radierungen umgesetzt. (Vgl. Teil III, Kap. 4 der vorliegenden Arbeit.) Diese Radierungen waren 1907 und 1908 in London und Florenz ausgestellt. Die beiden dazu erschienenen Kataloghefte sind die einzigen publizierten Zeugnisse, in denen Craig seine Erfindung zumindest ansatzweise erklärt. (Vgl. Craig 1907a; Craig 1908d, englisch-italienisch.) In dem 1907 verfaßten Text zum Portfolio of Etchings, den er zudem 1908 in The Mask (vol. 1, no. 10, Dec. 1908) veröffentlicht hat, wird das Instrument Scene nicht erläutert. (Vgl. Craig 1907.) Auch in dem Bildband Scene von 1923, in dem er einen Großteil der Scene-Grafiken erstmals in Buchform veröffentlichte, hat er in dem begleitenden Text die ursprüngliche Radikalität der Konzeption deutlich abgemildert. (Vgl. Craig 1923.)

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Vgl. Brandt 1995, 110. Vgl. die Rezensionen in: Antonucci 1974, 119f. Vgl. auch Kirby 1986, 82-86; Brandt 1995, 1 lOff. Zu den futuristischen Überlegungen zur Farblichtmusik (u.a. Corra 1912) vgl. Brandt 1995, U l f . Brandt zieht allerdings keine Parallele zu früheren Farblichtmusik-Experimenten, wie z. B. von A.W. Rimington. Zu Rimington vgl. Teil II, Kap. 4 c der vorliegenden Arbeit.

III. 3. Die kinetische Bühne der italienischen Futuristen

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Bühne in Kombination mit plastischen beweglichen Formen hat wiederum Gordon Craig mit seinem Instrument Scene vorgezeichnet. Bailas Bühnenaufbauten zur Feuervogel-Inszenierung waren nur teilweise beweglich, d. h., während die großen plastischen Formen statisch blieben, konnten nur die kleinen aufgesetzten, von innen beleuchteten Teilstücke in eine rotierende Bewegung versetzt werden. Prampolini dagegen verstand unter elektromechanischer Bühnenarchitektur - ähnlich wie bereits Craig - eine in allen Teilen bewegliche Konstruktion. So entwickelte Prampolini das Konzept des Teatro Magnetico, welches er 1925 auf der Pariser Ausstellung Exposition International des Arts Decoratifs vorstellte. Prampolinis Teatro magnetico, das nie realisiert worden ist, sollte aus einer komplizierten Maschinerie vertikal und horizontal bewegter Plattformen sowie auf- und abwärts rotierender plastischer Formen bestehen.187 Mittels dieser kinetischen Bühnenapparatur, die den menschlichen Darsteller ausschließt, wollte Prampolini das moderne, dynamische Lebensgefuhl auf die Bühne übertragen: „Die neue Plastik holt ihre Anregungen aus den Formen, die von der modernen Industrie geschaffen werden, die Lyrik lernt von der Telegraphie, die Theatertechnik sollte sich an dem plastischen Dynamismus des modernen Lebens, seiner spezifischen Aktivität orientieren."188 Zwischen dem technizistischen Bewegungsrausch der italienischen Futuristen und Craigs Idee von Bewegung, die der Scene zugrundeliegt, gibt es jedoch grundlegende Unterschiede, wie im folgenden zu zeigen sein wird.189

b) Craig und der Futurismus: Bewegung versus Geschwindigkeit Craig, der in Florenz u. a. mit Giovanni Papini, dem Herausgeber der futuristischen Zeitschrift Lacerba, bekannt war, hat die Ideen der italienischen Futuristen frühzeitig reflektiert und deren künstlerische Entwicklungen stets verfolgt.190 Im April 1912 veröffentlicht er in The Mask einen Artikel, in dem er auf die Pariser Futuristen-Ausstellung vom Februar 1912 eingeht. Hier war es nach einem Vortrag Filippo Tommaso Marinettis zu einer Schlägerei gekommen. Craigs Bewertung dieser spektakulären Aktion verdeutlicht, daß seine künstlerischen Ideale zwar mit denen der Futuristen nicht vereinbar waren, aber dennoch brachte er Verständnis für diese neue Kunstrichtung auf: „This is not written in any antagonistic spirit whatever. There has been a positive need for the Futurists (...). The name Futurist is a mask under which the most up to date reformers approach their prelude of destruction. He who laughs at them laughs at the whole farcical fabric of modern life. He who criticises them must first criticise

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Vgl. Kirby 1986, 86f.; Prampolini 1924. Prampolini 1924, 6: „Come la plastica d'avanguardia volge la propria aspirazione verso le forme create dall'industria moderna, la lirica verso la telegrafia, cosi la tecnica teatrale s'orienta verso il dinamismo plastico della vita contemporanea, Pazione." (Dt. Übersetzung in: Brauneck 1989, 98.) Diese Tatsache ist bislang von der Forschung übersehen worden. Kirby beispielsweise sah zwischen dem Bewegungskonzept der Futuristen und dem Craigs einen direkten Zusammenhang: „There is no question that Craig showed, at that time, a fervent involvement with motion similar to what was later to appear in Futurism." (Kirby 1986, 75.) So hat Craig z. B. eine Mappe mit Presseausschnitten aus den 1920er Jahren von und über die Futuristen angelegt. (Bolte 10, BN.)

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III. Darstellende Architektur: Die Bühne als performatives Medium

modern civilization: in short if the Futurists are damnable, ... and they are ... the modern life is damnable." Mit dieser Einschätzung traf Craig einen Kernpunkt der futuristischen Bewegung. Als Antwort auf die neuen Herausforderungen des technischen Zeitalters konnte er die Futuristen akzeptieren. „The Futurists have shown you the external world you live in", schreibt Craig weiter, „but why didn't you notice it? Why didn't you protest against your world being cut into noises, jerks and squirms? You didn't notice it".191 Seiner Meinung nach war es das große Verdienst des Futurismus, die Absurditäten und Abhängigkeiten des modernen Lebens ins öffentliche Bewußtsein gerückt zu haben. Craigs Akzeptanz zeigt sich auch darin, daß er im Januar 1914 Marinettis Manifest Das Variete in The Mask in englischer Übersetzung abdruckte, kurz nachdem es in der florentinischen Zeitschrift Lacerba erschienen war.192 Er leitete Marinettis Artikel sogar mit der Bemerkung ein, daß dieses Manifest seinem Theaterreformprogramm im weitesten Sinne entspreche.193 Im Kommentar zu Marinettis Manifest wird jedoch die Diskrepanz zwischen Craigs Vorstellungen und der futuristischen Ästhetik deutlich: „Signor Marinetti knows what he wants: he wants to stir up everything, and we ought to hope that in spite of giving so much time to politics, religion, and the other arts he will still have a few hours a month to spare to the study of this by no means easy art of ours". Offenbar betrachtete Craig die Bemühungen Marinettis als der (Theater-)Kunst nicht zugehörig. Diese Sichtweise schließt den Vorwurf ein, daß die futuristische Weltsicht zu stark von materiellen Gegebenheiten geprägt sei und keine idealistische Vision vertrete: „But they do less than hope; they announce. With them the task is not difficult for they announce what is ... and what has been, not what is to come."194 Während die Futuristen ihre künstlerischen Ideen in erster Linie den neuen Wahrnehmungs- und Kommunikationsformen des modernen Lebens entlehnten, vertrat Craig weiterhin das Ideal einer symbolistischen Kunstreligion und ästhetisierenden Weltflucht.195 Dieser Aspekt zeigt sich am deutlichsten in seinem ambivalenten Verhältnis zur Technik. Im Jahre 1907 vermerkt Craig in dem Aufsatz The Artist of the Theatre of the Future: „To me there is ever something more seemingly in man when he invents an instrument which is outside his person, and through that instrument translates his message. I have a greater admiration for the organ, for the flute and for the lute than I have for the human voice when used as instrument. I have a greater feeling of admiration and fitness when I see a machine which is made to fly than when I see a man attaching to himself the wings of a bird. For a man through his person can conquer but little, but through his mind he can conceive and invent that which shall conquer all things."196

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Craig 1912d,279f. F. T. Marinetti: II teatro di varieta. In: Lacerba. Giornale Futurista. Firenze, 29. 9. 1913. Englische Übersetzung: Futurism and the Theatre. A Futurist Manifeste by Marinetti. In Praise of the Variety Theatre. In: The Mask. Vol. 6, January 1914, 188-191. Craig 1914, 186: „Those who have read The Mask since 1908 will quickly understand why we have included it here, while they will know that a wider or more advanced programme than that laid down by us in 1908 is not going to appear even by the aid of all the Futurists to come." Zu Craigs Meinung über die Futuristen vgl. auch die bei Lapini 1993,126f. zitierten Briefstellen. Craig 1914a, 198, 195. Zu Craig vgl. Fiebach 1991, 84ff. Craig 1908a, 34.

III. 3. Die kinetische Bühne der italienischen Futuristen

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Craig betont hier nicht nur, daß ihn die künstlich geschaffenen Instrumente und Maschinen mehr faszinieren als die natürlich begrenzten menschlichen Fähigkeiten, sondern er spielt auch auf einen Topos an, der sich bis in die Antike zurückverfolgen läßt: Der Mensch ahmt als zweiter Gott, als homo secundus deus, die schöpferischen Kräfte der natura naturans nach.197 Vor dem Hintergrund dieser Aussage erschiene es naheliegend, daß Craig die technischen Entwicklungen enthusiastisch verfolgt hat. In dem unveröffentlichten Manuskript zur Scene, entstanden im Januar 1921, zeigt sich jedoch seine deutliche Ernüchterung: „Ofiten have (...) ,practicaF men made instruments. They made among other things the train - the gramophone - the photograph - the motor car - the phonograph - the cinema. And the artist considers these things marvellous - he is excitement itself on the appearance of a new machine - he loves machines - but he will make none unless he can give time to perfecting it - if he cannot perfect it he will hide it or announce it as unfinished (...). The practical man on the other hand bring[s] us a motor car which he considers perfect - before it can Start - it (...) kicks - gurgles (...) once started it blunders along - making (...) a smell in the air & a beat of a noise - it annoys everyone who is on foot".198 Während die Futuristen solcherart technische Geräusche, Bewegungsformen und Gerüche zum Vorbild einer neuen Ästhetik erklärten, betrachtete Craig die zeitgenössische Technik als unausgereift. Den von Marinetti im Gründungsmanifest des Futurismus aufgestellten Vergleich zwischen einem aufheulenden Rennwagen und der Nike von Samothrake199 hat Craig demnach nicht - wie Marinetti - zugunsten des Autos, sondern zugunsten der antiken Skulptur entschieden. Das Technische war für ihn nur ein untergeordnetes, gleichsam unsichtbares Medium. So spricht er in dem oben zitierten Manuskript von einem „moving train without engine".200 Die Eisenbahn als Symbol technischen Fortschritts schlechthin will Craig hier von der Technik befreien, um sie allein als geräusch- und geruchlos bewegten Gegenstand zu betrachten. Er wehrte sich grundsätzlich dagegen, die Ästhetik des Maschinellen im Kunstwerk auch nur andeutungsweise zuzulassen, geschweige sie im futuristischen Sinne zu thematisieren. Für ihn war die Maschine lediglich „one of our very best servants".201 Dagegen beschreibt der Futurist Anton Giulio Bragaglia 1926 im Katalog der New Yorker International Theatre Exhibition die Technik als inspirierenden Ausgangspunkt für neue Theaterformen: „Mechanical scenery, mysterious and powerful muse, can alone inspire new methods of spectacles, characteristic of our own modern times".202 Diese Passage hat Craig 1934 in seinem Exemplar des Katalogs angestrichen und wie folgt kommentiert: "Rubbish. Mechanics must be rarely employed."203 Insofern kann man Craig zwar als Vor197 198

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Vgl. Stöcklein 1969, 60-63; Bredekamp 1993. Craig, Manuskript Scene, Ms B 52, 1921, 33 (BN). Craig schreibt hier weiter: „The gramophone tricked out to pose as permanently recording beautifül sounds - the gramophone is the deathrattle of music." (Ebd., 34.) Marinetti 1909, 6: „Un automobile da corsa (...) un automobile ruggente, che sembra correre sulla mitraglia, e piü bello della 'Vittoria di Samotracia'." Craig, Manuskript Scene, Ms B 52,1921, 24 (BN). Craig 1920, 529. A. G. Bragaglia in: Ausstellungskat. International Theatre Exhibition 1926, 33. Craig, handschriftliche Notiz, 1934 in: Ausstellungskat. International Theatre Exhibition 1926, 33 (Craig-Bibliothek, BN).

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III Darstellende Architektur: Die Bühne als performatives Medium

läufer der mechanisch-kinetischen Bühne der Futuristen bezeichnen, aber einschränkend muß auch hervorgehoben werden, daß er selbst diese Verwandtschaft beharrlich geleugnet hat.204 Es läßt sich noch ein weiterer Tatbestand anfuhren, der Craigs ablehnende Haltung gegenüber der futuristischen Thematisierung des Technischen näher beleuchtet: Seine Gestaltungsintention orientierte sich stets an der Natur. Dies kann anhand der Scene-Konzeption des Jahres 1907 nachgewiesen werden, die er als „instrument which can be charged with a living spirit"205 bezeichnet hat. „Scene must be living - seemingly alive - " , konstatiert er 1920 in einem Vortrag, „breathing as in Nature the Earth seems to breathe (...). The Earth shall be revealed through a scene with a pulse - ( . . . ) beating rhythmically, demonstrating the existance of life."206 Die Mechanik des Asphaleia Systems war demnach nur dazu da, die Kuben in eine Bewegung zu versetzen, welche den Puls des Lebens nachahmen soll.207 Craigs Anliegen, den „eternal flux of life"208 in geometrisch gebändigter Form wiederzugeben, war demnach mit der Intention gekoppelt, auf natürliche Lebensprozesse zu verweisen. Wie nah Craig dabei dem Vorbild konkreter Naturformen verhaftet blieb, zeigt die Funktionsbeschreibung seines Instruments Scene vom Februar 1907, die er anhand der Bachschen Matthäus-Passion entwickelt: „Do you remember how the Oratorio by Bach (...) commences? Does it not remind you of the rising of the sun - or a tree growth? Remember how (...) like a splendid tree it rears itself upwards - its thick basic trunk incessantly spreading upwards and outwards in innumerable branches and, lastly, how the joyful green leaves burst noiselessly into blossom, drinking in the moisture of the air - and how at last the sun beams touch the head of its endeavour rippling down and along its top most limbs. It is so that this Oratorio catches me".209 Craig beschreibt hier den Vorgang eines wachsenden und sich verzweigenden Baumes, der normalerweise Jahre dauert, in einer Art filmischen Zeitraffer. Dieser Aspekt wird im letzten Kapitel zu behandeln sein. Für den vorliegenden Zusammenhang ist zunächst von Interesse, daß er das Naturprinzip des Aufkeimens, Wachsens und Knospens analog mittels der beweglichen Kuben darstellen wollte. Solcherart natürliche Wachstumsprozesse bzw. Bewegungsformen der Natur, seien es die durch Wind bewegten Blätter an den Bäumen oder flatternde Wäsche auf der Leine, blieben stets die Grundlage seiner Vorstellung von Bewegung. Die italienischen Futuristen dagegen thematisierten die neuen Wahrnehmungsformen technisch-maschineller und damit beschleunigter Bewegung.210 Es ging ihnen um Dynamik,

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Interessant wäre es, in einer weiterführenden Studie zu untersuchen, inwieweit Craigs Haltung ausschließlich rückwärtsgewandt war, oder ob hierin bereits die Schlemmersche „Erkenntnis des Unmechanisierbaren" mitschwang. (Schlemmer 1925, 145.) Craig 1907a, 6f. Craig 1920, 527f. Vgl. ebd., 530: „ ... we can evolve a mechanism which shall assist in bringing to life Scene". Craig, handschriftliche Notiz, um 1909, in A. Matthew: Essays in Criticism. First Series, London 1907, 258 (Craig-Bibliothek, BN). Craig, handschriftliche Notizen zur Scene, 1907, o.S. (BN). Vgl. Schivelbusch 1979 sowie die Schriften P. Virilios (u. a. Virilio 1986). Vgl. auch Marinetti 1909 u. a. futuristische Manifeste.

III. 4. Medienwechsel:

Vom Theater zur Grafik

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Simultanität, Beschleunigung - um die „Schönheit der Geschwindigkeit".2" Während Marinetti 1909 in seinem Gründungsmanifest des Futurismus eine Autofahrt als rauschhaft rasantes Erlebnis beschreibt212, notiert Craig im selben Jahr: „Miracles are imaginative truths symbolized by nature herseif - the sea is just this. A miracle showing the eternal flux of life."213 Die futuristische Idee von technischer Geschwindigkeit hatte somit mit Craigs naturphilosophisch geprägtem Bewegungsbegriff nichts gemein. 214 Daß auch dessen Auffassung von Bewegung letztlich ein Reflex der umfassenden Dynamisierungsprozesse des modernen Lebens war, hat Joachim Fiebach nahegelegt.215 So bezeichnet Craig 1923 den „modern spirit" als „spirit of incessant change".216 Seine Verarbeitungsstrategien stehen jedoch denen der Futuristen diametral entgegen. Dieser Unterschied ließe sich noch deutlicher machen, wenn man Craigs Bewegungsbegriff historisch weiterverfolgen würde: Man käme z. B. an bei John Cage.

4. Medien Wechsel: Vom Theater zur Grafik a) Scene als grafisches Experiment Die Scene ist als dreidimensional gebautes Instrument von Craig nie realisiert worden.217 Er hat diese Idee jedoch in zweidimensionaler Form verwirklicht, und zwar in einer Folge von vierundzwanzig Radierungen, die zwischen März und Dezember 1907 in Florenz entstanden sind.218 Achtzehn dieser Blätter widmete Craig in seinem 1923 veröffentlichten Buch Scene „To old Bach", und ein begleitender Text faßt die wesentlichen Ideen des Jahres 1907 zu-

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Marinetti 1909, 6 spricht von der „bellezza della velocitä". Vgl. ebd., 3ff. Craig, handschriftliche Notiz, 1909, in A. Matthew: Essays in Criticism. First Series, London 1907, 258 (Craig-Bibliothek, BN). In seinem unveröffentlichten Manuskript Scene von 1921 äußerte er sich auch negativ über die futuristische Idee der beschleunigten Bewegung: „I see him setting his scene in motion. His houses bridges palaces & fiirniture all set in motion & then pamphlets from him & his school packed with the words Dynamic-Synthesis (...). I picture him insisting that a sofa should show signs of emotion on the entrance of its mistress - ( . . . ) I know the kind of nonsense (...) two penny vulgarities which depended solely on the Journalistic trumpets". (Craig, Manuskript Scene, Ms B 52, 1921, 27f., BN.) Craig bezieht sich hier sehr wahrscheinlich auf Marinetti. Vgl. Fiebach 1991a, 81f. Craig 1923, 20. Nur Craigs Sohn, E. A. Craig, hat die Scene nach der Skizze vom Februar 1907 in den 1920er Jahren als Modell in abgewandelter Form nachgebaut. (Vgl. E. A. Craig 1968, 316f.) Die ersten fünfzehn Radierungen entstanden kurz nach seiner Ankunft in Florenz zwischen März und Mai 1907. (Undatierte Anmerkung von Craig in den Notizen zur Scene, 1907, o.S., BN: „Done in 15 etchings april/may 1907". I. Duncan erwähnt jedoch bereits in einem Brief an Craig vom 21. 3. 1907 die Grafikfolge zur Scene. Vgl. Steegmuller 1974, 213f.) In einem Brief an M. F. Shaw vom Dezember 1907 schreibt Craig, daß bis Ende des Jahres weitere neun Radierungen entstanden sind. (Vgl. Brief Craig an M. F. Shaw vom Dezember 1907, HRC, veröffentlicht bei Eynat-Confino 1987, 151 f.)

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III. Darstellende Architektur: Die Bühne als performatives Medium

sammen - ohne allerdings die Radikalität der ursprünglichen Konzeption wiederzugeben.219 Aufgrund dieser Veröffentlichung sind die Radierungen in der theaterhistorischen Forschung stets als direkte Übersetzung des Scene-Projektes vom Februar 1907 angesehen worden. Viele Autoren zogen einzelne Blätter als Illustration der Konzeption heran.220 Eine Bildanalyse war hier nicht intendiert und steht folglich noch aus, denn die kunsthistorische Forschung hat diese Radierungen bisher nicht zur Kenntnis genommen. Craigs schriftliche Konzeption der Scene endet mit der folgenden Anmerkung: „I will cut a wood block showing this last stage. The close of the movement when all the (...) pairs and folds have become still (...) and I will them show in 12 (...) of this same design the 12 different developments into which the coming of the light passes it."221 Er wollte demnach einen bestimmten, statischen Zustand der Kuben in einer grafischen Folge darstellen, und allein durch den variierenden Einfall von Licht sollte Bewegung veranschaulicht werden. Insofern plante Craig für die Übertragung ins Medium der Grafik bereits eine Änderung seiner ursprünglichen Konzeption. Der Schlußbemerkung aus den Scewe-Notizen ist zu entnehmen, daß Craig zunächst an das vertraute Medium des Holzschnitts dachte.222 Er wandte sich jedoch bereits gegen Ende Februar des Jahres 1907 einer anderen druckgrafischen Technik zu: der Radierung. Diese Tiefdrucktechnik hatte er bis dahin noch nicht praktiziert223, und er wendete sie auch nur im Jahre 1907 und sporadisch 1910/11 an.224 In seiner späteren Tätigkeit als Grafiker widmete er sich wieder ausschließlich dem Holzschnitt. Craigs Beschäftigung mit der Radierung kann folglich in direktem Zusammenhang mit der intendierten grafischen Umsetzung seiner Ideen zur Scene gesehen werden. Diese Schlußfolgerung wird auch durch die oben zitierte Passage aus den Notizen zur Scene gestützt: Er beabsichtigte demnach, bewegtes Licht im Medium der Grafik darzustellen. Das Spektrum an Darstellungsmöglichkeiten, welches die unterschiedlichen Radiertechniken bieten, erschien ihm hierfür offenbar angemessener als der Flächenholzschnitt.

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Den begleitenden Text verfaßte Craig 1922 (vgl. Craig 1923, 1-27, hier: 27), der in vielen Punkten von dem unveröffentlichten Manuskript Scene (1921, Ms B 52, BN) abweicht, aus dem oben bereits mehrfach zitiert wurde. Dieses Manuskript war noch sehr viel näher an der ursprünglichen Idee. Vgl. Bablet 1965, 140-148; Bablet 1965a, 315-319; Rood 1971, 87f.; Innes 1983, 191; EynatConfino 1987, 101-118. Craig, handschriftliche Notizen zur Scene, 1907, o.S. (BN). Zu Craig als Holzschneider vgl. Teil II, Kap. 1 b der vorliegenden Arbeit. Die signierte und mit 1907 datierte Kaltnadelradierung „Little Gate" in der BN kommentierte Craig handschriftlich: „The first attempt to etch a plate." Über Craigs offenbar spontan einsetzende Beschäftigung mit dieser Technik schreibt E. A. Craig 1968, 226, daß der holländische Künstler M. Bauer „had given him two or three little copper plates and a dry-point stilus to experiment with, and now he found them at the bottom of his travelling bag. Suddenly, this new medium appealed to him, and his very first attempt to use it was inspired by one of the ancient gates of Vence." Demnach habe Craig in Vence, auf seiner Reise von Nizza nach Florenz, im Februar 1907 die ersten Versuche unternommen, mit der Kaltnadel zu radieren. Vgl. Collection Craig der BN, welche die umfangreichste Sammlung seiner Radierungen besitzt. Hier befinden sich 28 datierte und signierte Radierungen von Craig. 24 dieser Radierungen entstanden 1907. Eine 1911 entstandene Radierung ist als Reproduktion im Buch Scene enthalten. (Vgl. Craig 1923, Plate 18.)

III. 4. Medienwechsel: Vom Theater zur Grafik

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Im folgenden werden exemplarisch drei Radierungen behandelt, die in Craigs Publikation Scene des Jahres 1923 nicht mit Titeln versehen, sondern nur numeriert sind. Das erste Blatt, Plate Nr. 14 (Abb. 51), zeigt durchgängig die feinen, gleichmäßig geätzten Striche der Radiernadel. Die unterschiedlichen Helligkeitsstufen, welche auf verschieden starken Strichen beruhen, verweisen darauf, daß Craig die Metallplatte stufenweise geätzt hat. Weiterhin könnten die an manchen Stellen leicht zerfaserten Linien, wie z.B. in der linken oberen Ecke, in einem späteren Arbeitsgang mit der Kaltnadel hinzugefugt worden sein. Die kreideartig verschwommenen Linien des Plate Nr. 15 (Abb. 52) deuten auf die Verwendung einer anderen Technik hin. Da es sich hierbei gleichfalls um einen Tiefdruck handelt, ist davon auszugehen, daß Craig bei diesem Blatt die Weichgrundtechnik (Vernis mou) angewendet hat. Vermutlich zeichnete er die Linien mit einem weichen Bleistift auf Papier über dem weichen Ätzgrund. Auch diese Platte ist später mit der kalten Nadel überarbeitet worden. Die dritte Grafik, Plate Nr. 17 (Abb. 53), ist sehr wahrscheinlich als Radierung begonnen worden. Über das gesamte Blatt verteilt sind die tief geätzten Linien der Radiernadel deutlich ausmachbar. Die fein gekörnten, homogenen Flächen verweisen auf die zusätzliche Verwendung des Aquatintakorns. Diese drei Blätter belegen, daß Craig die wichtigsten Radiertechniken beherrscht hat. Die handwerklichen Fähigkeiten im Umgang mit dem neuen Material hat er sich offenbar in kürzester Zeit angeeignet, wenn man in Betracht zieht, daß er gegen Ende Februar 1907 erstmals eine Kupferplatte mit der kalten Nadel bearbeitet hatte. Zwischen März und Mai entstanden bereits die ersten fünfzehn Radierungen zur Scene. Die gesichteten Quellen lassen nicht darauf schließen, daß Craig längere Zeit mit dem neuen Medium experimentiert hat und daß eventuell nicht alle Radierversuche erhalten sind.225 Da das Radierwerk Craigs nach derzeitigem Kenntnisstand insgesamt nur achtundzwanzig Arbeiten umfaßt, wovon vierundzwanzig auf 1907 datiert sind, waren die grafischen Blätter zur Scene die ersten, spontan entstandenen Ergebnisse seiner Beschäftigung mit dem Tiefdruck. Die Verwendung unterschiedlicher Radiertechniken innerhalb der Grafikfolge kann folglich damit erklärt werden, daß Craig hier die verschiedenen Möglichkeiten dieser Technik erprobt hat. Demnach sind die Radierungen zur Scene das Ergebnis eines grafischen Experiments. Eine Auswahl von zwölf Blättern gab Craig als originalgrafisches Mappenwerk im November/Dezember 1907 in limitierter Auflage heraus.226 Diese zwölf Radierungen wurden im selben Jahr in der Londoner Baillie Gallery ausgestellt. Im darauffolgenden Jahr stellte er sechs Blätter als Mitglied der Society of Twelve gleichfalls in London aus. Zwanzig seiner

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So schreibt Craig in einem Brief an M. F. Shaw vom Dezember 1907: „And I've had a good 6 months. made 24 etchings - build a theatre in a new villa ... Figures made. about 30". (Zitiert nach EynatConfino 1987, 151.) Die Vielzahl der Aktivitäten zeigt, daß Craig nicht vorrangig mit der Radiertechnik beschäftigt war. Weiterhin sind keine Skizzen bzw. Vorstudien erhalten, die auf eine längerfristige Beschäftigung hinweisen würden. E. G. Craig: Portfolio of Etchings. Florenz 1907. Zur Datierung dieser Mappe vgl. den Brief von Craig an Duncan vom 30. 11. 1907. (Veröffentlicht in: Steegmuller 1974, 275-278.) Craig spricht hier von 30 Exemplaren. Dieses Mappenwerk ist in den Beständen deutscher Museen nicht nachgewiesen. Exemplare befinden sich in Paris, Bibliotheque d'Art et d'Archeologie, und London, British Museum. Die Radierungen liegen einzeln unter Passepartouts und sind datiert, signiert. Ein Faltblatt mit dem Titel Motion ist jeweils beigegeben. Die einzelnen Blätter sind weder betitelt, noch in eine numerierte Abfolge gebracht.

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III. Darstellende Architektur: Die Bühne als performatives Medium

Radierungen präsentierte Craig danach unter dem Titel Etchings being Designs for Motion als einzige Exponate einer Personalausstellung in Florenz.227 Dies verdeutlicht, daß er die Radierfolge nicht als ergänzende Vorstudien eines zu konstruierenden Instruments betrachtete, sondern als eigenständiges künstlerisches Werk, das die Idee der Scene im statischen Medium der Grafik zum Ausdruck bringt.

b) „Screens" und „cubes" als visionäre Architektur Jede der drei Radierungen weist in unterschiedlicher Ausprägung screens und cubes als Grundelemente der Scene-Konzeption auf. Am deutlichsten gleicht Nr. 14 der ursprünglichen Konzeption. So können die seitlich emporragenden Kubenwände als statische Flankierung interpretiert werden und entsprechen damit den screens, die Craig in seiner Skizze vom Februar 1907 als Rahmung der beweglichen Kuben vorgesehen hatte. Der formale Aufbau dieser screens ist gleichfalls von der Skizze übernommen: Links führt eine perspektivische Flucht in die Bildtiefe und die rechte Kubenwand, welche bereits in der Skizze niedriger angesetzt ist, kennzeichnet auch die rechte Bildhälfte der Radierung. Die zentralperspektivische Ausrichtung des skizzierten Kubenraumes ist in der grafischen Umsetzung jedoch zugunsten einer asymmetrischen Komposition aufgegeben, denn der Augenpunkt ist hier etwas nach rechts verlagert. Bei der Radierung ist zudem hinter den Kubenwänden eine weitere, räumlich tiefer gelegene screen-Flucht wiedergegeben, welche in eine Höhe aufgipfelt, die selbst den vordersten Kubus der linken screen-Reihe überragt. Jene hoch aufragende Quaderwand rahmt eine Gruppe einzelner Kuben, die vermutlich bewegliche cubes darstellt. Der Kubenraum-Entwurf vom Februar 1907 ist hierin offenbar verdoppelt. Weiterhin ist bei Nr. 14 nicht die ursprüngliche Idee der Scene umgesetzt, wonach Fußboden und Decke, in Quadrate aufgeteilt, als Kuben korrespondieren. Nur im Mittelgrund erhebt sich eine einzelne Quaderform, der ein hell aus dem Dunkel des oberen Bildraumes aufscheinender Kubus antwortet. Craig reduzierte hier die bewegten cubes auf ein vereinzeltes Kubenpaar. Bei Nr. 15 wurde aus dem Grundelement der Kuben ein gänzlich anderer Bildraum komponiert. Wenngleich auch hier hoch aufragende Quaderformen dominieren, ist deren Ausrichtung streng zentralperspektivisch, wodurch der Eindruck von Stabilität und Harmonie erzeugt wird. Die seitlichen Kubenreihen stehen auf einem Postament, zu dem eine zentrale Freitreppe hinauffuhrt. Insgesamt ist die Darstellung deutlich ablesbar in drei waagerechte Bildzonen gegliedert. Den Vordergrund bildet das nur schmal gegebene Areal vor der Freitreppe, in dem sich eine einzelne Figur befindet. Der Beginn des Mittelgrunds ist sowohl durch die seitlichen Kuben markiert, als auch durch einen Plafond, der über dem vorderen Kubenpaar beginnt, ohne dieses zu berühren. Aus dem mittleren Einschnitt dieser Überdachung ragt ein kurzer Kubus, der direkt auf der mittleren senkrechten Bildachse liegt. Dem oberen Einschnitt entspricht eine Vertiefung im Boden. Ein Vergleich dieses schmalen Schlitzes mit dem breiten trapezförmigen oberen Ausschnitt verdeutlicht, daß Craig den Plafond leicht angeklappt in Untersicht dargestellt hat, während alle anderen Bildelemente

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Vgl. Ausstellungskat. Catalogue of Etchings being Designs for Stage Scenes by Gordon Craig 1907; Ausstellungskat. The Society of Twelve. Fourth exhibition, 1908; Ausstellungskat. Catalogue of Etchings being Designs for Motion by Gordon Craig 1908.

III. 4. Medienwechsel: Vom Theater zur Grafik

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frontal gesehen sind. Die hintere Kante des Plafonds kennzeichnet den Übergang zur letzten Raumzone. Während bis hier, angezeigt durch die geringfügige Verkürzung der seitlichen Kuben, eine allmähliche Raumtiefe erzielt wird, spitzt sich die Raumentwicklung in Hintergrund zu. So sind die beiden hintersten Kuben der drei- bzw. vierteilig gestaffelten Reihen nur noch halb so groß wie die vordersten dieser Bildzone. Bei dieser Radierung sind die beweglichen, korrespondierenden Kubenpaare der Scene gänzlich weggelassen. Die ausgewogene Stabilität der Kubenkonstruktion verweist darauf, daß hier die Idee der statischen Kuben, der screens, dominiert. So entsprechen die perspektivischen Fluchten der hintersten Kubenreihen den screens der Skizze. Ebenso wie dort orientierte sich Craig an der raumillusionierenden Bühnenmalerei des Barock. Zudem deuten der angeklappte Plafond und der relativ hoch liegende Augenpunkt darauf hin, daß Craig diese Darstellung wie ein traditionelles Bühnenbild für die Guckkastenbühne konzipiert hat: Das trichterartige Anklappen der Soffitten und des Bühnenbodens begünstigt, in Ergänzung zu der sich verjüngenden perspektivischen Staffelung der Kulissen, die Erzeugung einer Raumillusion. In der Aquatinta-Radierung Nr. 17 sind erneut die Grundelemente der Scene, bewegte cubes und statische screens, vertreten. Am unteren Bildrand befindet sich eine kleine Plattform, die schluchtartig abfällt. Darauf erhebt sich die hohe Wand eines perspektivisch gestaffelten screens. Hinter der Kubenwand verläuft ein breites, schräg abfallendes Band hellen Lichts. Darüber folgt eine schmale, homogen graue Fläche, die wiederum durch den Einfall eines breiten Lichtstrahls unterbrochen wird. Diese Strahlen lassen die Formen, welche sich dahinter zu befinden scheinen, teilweise verschwinden. So sind am rechten Bildrand Abschnitte einer hellen, zweiteiligen Quaderreihe erkennbar. Die angedeutete perspektivische Verkürzung und die dunkleren Seitenteile dieser Kubenreihe kennzeichnen eine Raumentwicklung. Unterhalb des hellen Lichtstrahls beginnt eine homogen graue, trapezförmige Fläche, in welche eine kleine senkrechte Quaderform gesetzt ist. Es scheint sich hier um einen cube in weitester Entfernung zu handeln. Zwei weitere Kuben sind rechts im Vordergrund zu sehen. Ohne daß man sie räumlich zuordnen kann, tauchen sie unvermittelt am unteren Bildrand auf. Hier ist folglich kein räumliches Kontinuum dargestellt, das die vordere screen-Reihe mit der hinteren bzw. den hintersten einzelnen Kubus mit den beiden cubes im Vordergrund verbindet. Der Raum, den Craig hier imaginiert, scheint vielmehr über die Abmessungen dieser Grafik hinauszureichen, d. h., sie ist nur der Ausschnitt einer immensen räumlichen Weite. Die ursprüngliche Form der Scene, bestehend aus statischen, perspektivisch rahmenden screens und beweglichen, korrespondierenden Kuben an Fußboden und Decke, erfuhr in der grafischen Umsetzung eine deutliche Abwandlung. Dies zeigt sich auch darin, daß Craig erneut den menschlichen Darsteller einbezieht, den er bei der Konzeption der Scene zugunsten des beweglichen Kubenbodens weggelassen hatte. So erfüllt das Figurenpaar in der Radierung Nr. 14 eine wesentliche Funktion als Staffage, denn es verdeutlicht die Größe der umgebenden Architektur. Wie vor der mächtigen Front eines mehrstöckigen Bauwerkes stehen diese Figuren vor den schroff abfallenden Kuben der linken screen-Reihe. Diese hohen Architekturen umfassen nicht nur die vom Boden aufragenden Kubenreihen, sondern auch den einzelnen, vom oberen Bildrand herabzeigenden Kubus. Die gesamte Vertikale des Bildes ist damit durch Kuben ausgefüllt, wodurch die gewaltige Höhendimension dieses Kubenraumes sinnfällig wird. Die bei der Konzeption der Scene intendierte architektonische Quali-

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III Darstellende Architektur: Die Bühne als performatives Medium

tät der cubes und screens wurde von Craig demnach in der grafischen Umsetzung sehr viel stärker akzentuiert. Dies zeigt ein Vergleich der Größenverhältnisse von menschlicher Figur zur Architektur: Die der Skizze zur Scene beigegebenen Maße, welche beispielsweise die vordersten Kuben auf insgesamt ca. sieben Meter festlegen228, würden eine ungefähre Relation von 1:4 ergeben. Bei Nr. 14 hingegen ist diese Proportion deutlich verschoben, denn die architektonische Rahmung der Kuben verhält sich hier zu den Figuren etwa 1:11. Während Craig also bei der Konzeption des Instruments Scene die Abmessungen einer durchschnittlichen Bühne berücksichtigte, entwickelte er mit der Radiernadel architektonische Räume, die weder im Theater noch auf einer Modellbühne realisierbar waren.229 Dieser Aspekt wurde von Craig in der Radierung Nr. 17 sogar noch weitergetrieben, denn hier ist kein eindeutig definierter Raum mehr gegeben, sondern nur der Ausschnitt eines riesigen Areals. Insofern kennzeichnen die Radierungen zur Scene den Höhepunkt einer gedanklichen Entwicklung, die bei Craig bereits sehr viel früher begonnen hatte. Diese Entwicklung läßt sich als Ablösungsprozeß beschreiben, in dessen Folge sich Craig vom realen Theater abwandte, um die visionäre Welt eines mentalen Theaters zu erschaffen, die letzlich nur im Medium der Grafik annähernd realisierbar war - nicht aber auf der Theaterbühne. Daß Craigs Kubenarchitektur der Scene auf eine visionär gesehene Antike verweist, belegen in Nr. 14 die antikisierenden, hellen Gewänder der Figuren, die damit wie Schauspieler vor der hoch aufragenden Wand der römischen scaena in Orange erscheinen.230 Auch die Radierung Nr. 15 verdeutlicht Craigs Rezeption antiker Baukunst: Wenn man die hintere perspektivische Flucht als einzeln stehende Kuben interpretiert, kann hierin der stark vereinfachte architektonische Aufbau eines antiken Ringhallentempels erkannt werden. Entsprechend sind das Postament als Tempelunterbau mit Freitreppe, die Kuben als einfacher Säulenkranz und der Plafond als abschließendes Gebälk zu betrachten. Der sakrale Charakter dieser Darstellung wird zudem durch die Figurengruppe unterstrichen, welche sich im Mittelgrund bewegt. Die gleichmäßig abfallende Linie der Köpfe impliziert eine gemessene Bewegung und läßt auf eine Prozession schließen. Die Relation Mensch-Architektur ist hier deutlich ausgewogener und beträgt etwa 1:4, so wie es die Skizze zur Scene vorgibt. Während Craig die Idee einer kolossalen Kubenarchitektur bei Nr. 14 durch Herausstellung der Vertikalen vermittelt, bedient er sich bei Nr. 15 einer immensen, horizontalen Raumausdehnung. Speziell bei dieser Radierung ist evident, daß Craig die perspektivischen Bildkonstruktionen der barocken Raumsteigerung anwendet, um seiner Vision einer monumentalen Architektur Ausdruck zu verleihen, die der Antike nachempfunden ist. Das Heraufbeschwören antiker Größe hat Craig u. a. anhand der römischen Veduten von Giovanni Battista Piranesi (1720-1778) studiert.231 Möglicherweise bemerkte Craig sogar, daß er als verhinderter Bühnenarchitekt mit dem verhinderten Architekten Piranesi ein ähnliches Schicksal teilte, denn beide Künstler verwirklichten ihre Architekturphantasien vornehmlich in der Grafik. 228 229 230 231

Vgl. Teil III, Kap. 2 b der vorliegenden Arbeit. Vgl. den ausführlichen Nachweis von Simonson 1932, 309-350, hier: 331. Simonson, der einer der schärfsten Gegner Craigs war, bezeichnete seine Ideen als „Day-Dreams". (Ebd., 309.) Die hier dargestellten lang herabfallenden Stoffbahnen zitieren die römische Toga. Zur Herleitung von Craigs Antikenrezeption vgl. Teil III, Kap. 1 b der vorliegenden Arbeit. So sammelte er Abbildungen von Piranesis Kupferstichen, und in einem seiner Notizbücher findet sich ein lapidarer Vermerk, der unmißverständlich auf seine Begeisterung schließen läßt: „Piranesi!!!" (MSSBook 13, 1897-1903, BN.) Zu Piranesi vgl. u. a. Miller 1981.

III. 4. Medienwechsel: Vom Theater zur Grafik

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c) Fixierte Bewegung Im Katalogtext zur Ausstellung der Radierungen in Florenz schreibt Craig 1908: „I hope to be able (...) to reveal more clearly the mystery of the Light and the Shadow which creates the illusion of Motion."232 So ist das Licht bei Plate Nr. 14 durch zahlreiche, diagonal über das Blatt verlaufende Linien der Radiernadel gekennzeichnet, welche auf die streng vertikale Ausrichtung der Kuben treffen. Sie zerteilen die im Bildhintergrund emporragende dreiteilige Kubengruppe in hell aufblitzende Segmente. Der dahinter liegende Bildraum ist durch enger gesetzte Linien in Schatten gehüllt, aus dem schemenhaft weitere kubische Formen auftauchen, deren Existenz nur erahnt werden kann. Ob es sich hierbei um Kuben handelt, die im Dunkel verborgen sind, oder nur um Schattenreflexe, kann nicht eindeutig bestimmt werden. Unterhalb der Schattenzone beginnt eine geringfügig durch Grauabstufungen vermittelte Lichtzone. Diese nur durch einzelne Linien strukturierte Fläche über der linken Kubenreihe erscheint gegenüber dem beschriebenen Dunkel als leuchtend hell. Ebenso erstrahlt ein Kubus, der vom oberen Bildrand herabzeigt. Diese starke Kontrastwirkung von Licht und Schatten in der oberen Bildhälfte erzeugt eine dramatische Stimmung233, die im unteren Teil der Darstellung gemäßigt erscheint: Das durchgängige Grau der Kuben ist hier nur durch wenige Schatten und einen schwachen Lichteinfall im hintersten Teil der linken Kubenreihe unterbrochen. Dennoch ergeben die in der Dichte variierenden Schraffuren den Eindruck einer vibrierenden Oberfläche. Licht und Schatten wechseln einander ab, und die Abstände der Linien bestimmen den visuellen Rhythmus dieses Wandels. Auch die aufschwingenden Linien in den Bildecken vermitteln die Illusion von schweifendem Licht. Es ist ein wechselvolles Spiel von Licht und Schatten, von diffusem Licht und Schlaglicht. Der Eindruck einer fortwährenden Veränderung, die über den grafisch fixierten Zustand hinausweist, ist bei Nr. 17 noch prägnanter. Hier ist das Licht als ein breites helles Band

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Craig 1908d, 12. Dieses akzentuierte Durchdringen von Hell und Dunkel hat Craig anhand der Radierungen Rembrandts studiert. Er war im Besitz einer Mappe von Reproduktionen, auf deren Deckblatt er notierte: „Rerabrandt is the born dramatist, though he writes no words". (Handschriftlicher Vermerk auf dem Deckblatt von Rembrandt, 38 Radierungen. Berlin o. J., zitiert nach E. A. Craig 1968, 165.) Bereits in Craigs frühen Notizbüchern finden sich Eintragungen, die belegen, daß ihn speziell Rembrandts Umgang mit dem Licht fasziniert hat. So vermerkte er um 1900: „A scene. Lighting (...): See Rembrandt". (Craig, MSS Book 13, 1897-1903, 13, BN.) Beispielsweise zeigt Rembrandts Radierung Die drei Kreuze (Abb. in: Bernhard 1976) einen kegelförmigen Lichteinfall, der in das Dunkel des Bildraumes einfällt. Dieser Lichtkegel ergibt sich aus einer geringeren Dichte fragiler Ätzlinien. Der Einsatz verschiedener Schraffuren erzeugt weiche Übergänge zu beschatteten Arealen. Dieses formale Prinzip der parallel gesetzten, in Dichte und Schraffur variierenden Radierlinien hat Craig bei Nr. 14 übernommen, um den Einfall von Licht zu beschreiben. Dennoch weisen Craigs Licht- und Schattenpartien nicht Rembrandts differenzierte Übergange von Hell und Dunkel auf und wirken dadurch robuster und kontrastreicher. Dieser Umstand ist nicht nur damit zu erklären, daß Craigs Radierkunst um einiges geringer ausgereift war als die Rembrandts. Es ist vielmehr evident, daß die z.T. übergangslosen Angrenzungen von Licht und Schatten auf den Holzschneider Craig schließen lassen, dessen Sichtweise durch das Arbeiten mit kontrastierenden Flächen geprägt war. Dies verdeutlicht auch die Aquatinta-Radierung Nr. 17. Craig stellt hier weder malerische Übergange dar, noch nutzt er die Möglichkeiten einer fein abgestimmten, räumlichen Modellierung von Formen, welche das Aquatintakorn bietet. Er setzt helle gegen dunkle Flächen - eine Verfahrensweise, die den Flächenholzschnitt kennzeichnet.

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III. Darstellende Architektur: Die Bühne als performatives Medium

dargestellt, das schräg über die Bildfläche verläuft, und die wenigen parallel verlaufenden Linien suggerieren einen kontinuierlichen Fluß von Lichtstrahlen. Mit dieser Lichtzone korrespondiert eine durch enger gesetzte Radierstriche strukturierte Fläche, die, parallel zu den oberen Lichtstrahlen verlaufend, in die rechte untere Bildecke einmündet und damit die diagonale Bewegungsrichtung in der unteren Bildhälfte fortfuhrt. Es handelt sich hierbei ebenfalls um einen breiten Lichtstrahl, der durch Schattenfelder gedämpft zu sein scheint. Das untere Schattenfeld trifft auf die zwei einzelnen Kuben. Der höhere Quader setzt sich aus einer länglichen, durch enge Ätzstriche gebildeten dunklen Fläche und einem schmaleren weißen Streifen zusammen. Daneben ist direkt in die rechte Bildecke der kleinere Kubus gesetzt, der, nur sehr grob umrissen, ebenfalls aus einem hellen und einem breiteren dunklen Streifen zusammengefugt ist. Die verändernde Wirkung des Schattens verdeutlicht Craig anhand der Umkehrung der hellen und dunklen Flächen, denn im Gegensatz zur linken Kubenwand markieren hier die helleren Flächen die in den Raum weisenden Seitenteile der Quader. Der Verlauf der Schattenzone erschwert weiterhin die räumliche Zuordnung, speziell des höheren Kubus. Dieser erhebt sich direkt über dem unteren Bildrand und befindet sich offenbar im Vordergrund. Der Schatten tritt hinter dem entferntesten Teil der linken Kubenwand hervor und verläuft in einiger räumlicher Entfernung, da er den oberen Teil des senkrechten Kubus nicht zu tangieren scheint. Hingegen ist der untere Teil dieses Kubus von den diagonalen Linien des Schattens berührt, so daß wiederum der Eindruck entsteht, er befinde sich mitten in dieser Zone. Da die diagonalen Linien des Schattens unverändert parallel durchlaufen, wirkt dieser Bereich flächig und kontrastiert deutlich mit der Räumlichkeit der kleinen Plattform links im Vordergrund. Auch taucht hinter der unteren flächigen Schattenzone und dem darüberliegenden hellen Dreieck, das gleichfalls nur als Fläche lesbar ist, der einzelne entfernte Kubus ohne perspektivische Vermittlung auf. Entsprechend unvermittelt ist die graue trapezförmige Fläche des Hintergrundes gegen die helle gesetzt. Dem Aufeinanderstoßen von Raum und Fläche entspricht somit die Kontrastierung von hellen und dunklen Flächen. Bis auf die linke Kubenwand findet das Auge des Betrachters kaum einen ruhenden Punkt, den er fixieren kann. Es ist ein Oszillieren zwischen Räumlichkeit und Flächigkeit, Hell und Dunkel, Licht und Schatten, das den Gesamteindruck der Grafik bestimmt. Insofern läßt sich bei diesem Blatt der Versuch erkennen, die Illusion von Bewegung auch durch formale grafische Mittel zu erzeugen. Der asymmetrische Bildaufbau der Radierungen Nr. 14 und Nr. 17 suggeriert nicht nur den Eindruck des Hinweggleitens von Licht und Schatten, sondern auch den einer Kubenbewegung. Bei Nr. 17 scheinen sich die beiden cubes der rechten Bildecke in einer allmählichen Aufwärtsbewegung zu befinden. Auch Nr. 14 zeigt den momentanen Zustand eines Bewegungsvorgangs, denn offenbar bewegen sich die hellen Kuben - von Decke und Fußboden ausgehend - aufeinander zu. Die in sich ruhende Symmetrie der Nr. 15 zeigt dagegen, daß hier weder bewegte Architekturen, noch bewegtes Licht dargestellt ist. Als einziges Element dieser Bildkomposition verweist eine Figurengruppe auf räumliche Bewegung: Unübersehbar und an zentraler Stelle durchschreitet der Zug von Figuren die rechte Bildhälfte. Craig läßt hier wie bei seinen Londoner Inszenierungen der Jahre 1900-1903 den menschlichen Darsteller erneut zum Vermittler von Bewegung werden. Daß er der menschlichen Figur eine solch zentrale Rolle im Rahmen der Grafikfolge Scene zugestand, verdeutlicht, wie stark letztendlich seine Bindung an das traditionelle Schauspielertheater war. In diesem Punkt blieb Craig bereits 1907 hinter der Radikalität seiner eigenen Erfindung zurück.

III. 4. Medienwechsel: Vom Theater zur Grafik

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d) Ausblick: Die Grafikfolge Scene als filmische Sequenz Ursprünglich beabsichtigte Craig, zwölf verschiedene Lichtstimmungen desselben Kubenraumes in seiner Grafikfolge darzustellen. Jedoch verdeutlicht allein der Vergleich der Radierungen Nr. 14 und Nr. 15, daß es sich hier nicht um zwei Ansichten desselben architektonischen Raumes handeln kann, denn obwohl beide Blätter eine durch Kuben gebildete Architektur zeigen, differiert die räumliche Beschaffenheit grundsätzlich: Während die in verschiedenen Raumtiefen angesiedelten Kubenwände bei Nr. 14 den Eindruck eines architektonischen Ensembles mehrerer Bauwerke hervorrufen, ist die stringente Ausrichtung der Kuben bei Nr. 15 eher als Darstellung einer einzelnen kompakten Räumlichkeit zu lesen. Die Radierung Nr. 14 gewährt demnach Einblick in einen gewaltigen Außenraum, wohingegen Nr. 15 einen nach außen offenen Innenraum zeigt, der dem Auge des Betrachters sehr nahe gerückt ist. Auch die Handlungsträger sind jeweils unterschiedlich: Während Nr. 14 ein visionäres Schauspiel von bewegtem Licht und bewegten Kuben veranschaulicht, konzentriert sich das Bildgeschehen bei Nr. 15 auf die Figuren. Diese beiden Darstellungen, welche Craig in seinem Buch Scene als Plate Nr. 14 und 15 direkt aufeinander folgen läßt, scheinen somit keine sukzessiv lineare Abfolge zu ergeben. Dennoch thematisiert, wie oben festgestellt, jede der drei untersuchten Blätter das Phänomen Bewegung. Die Radierungen fixieren jeweils einen bestimmten Bewegungszustand und die spezifischen Bildstrukturen veranschaulichen den potentiellen Verlauf dieser Bewegung. Den differierenden Bildideen liegt folglich eine verbindende narrative Ebene zugrunde: Die Radierungen erzählen Bewegung. Eine mögliche Verknüpfung dieser unterschiedlichen Narrationsweisen kann darin gesehen werden, daß Craig mit der Radierfolge zur Scene versucht hat, die variablen Bildausschnitte der Kinematographie auf die Grafik anzuwenden. Craigs ausgesprochen filmische Wahrnehmung von Bewegungsvorgängen wurde in den vorangegangenen Ausfuhrungen bereits angesprochen.234 Es ist folglich naheliegend, daß er in dem neuen Medium der Motion Pictures Anregungen für seine Intention einer Darstellung von Bewegung gefunden hatte. So kann man den Einblick in einen Außenraum (Nr. 14) und den näher gerückten Innenraum (Nr. 15) als zwei Kameraeinstellungen deuten, die durch einen Filmschnitt miteinander verbunden sind. Craigs Grafikserie zur Scene wäre damit als Sequenz von Bildern, sights, interpretierbar, bei der sich wie beim Film durch Montage verschiedener Szenen und Einstellungen ein narrativer Zusammenhang ergibt. Diese Überlegungen könnten die Grundlage für eine weiterfuhrende Studie zur gesamten Grafikfolge Scene sein. Craig hat die Anfange des Stummfilms interessiert verfolgt, jedoch bemängelte er wiederholt den Anspruch auf fotografisch-realistische Wiedergabe von Wirklichkeit.235 Betrachtet man das kinematographische Angebot um 1900, so findet man tatsächlich zum

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Vgl. Teil II, Kap. 4 a der vorliegenden Arbeit, wo im Unterkapitel Mimodramen ein Szenarium Craigs aus dem Jahre 1904 vorgestellt wurde, das aufgrund des plötzlichen Wechsels der Betrachterperspektive letztlich nur mit filmischen Mitteln realisierbar gewesen wäre. Vgl. auch Teil II, Kap. 3 a der vorliegenden Arbeit. In seiner Zeitschrift The Mask finden sich häufig Anmerkungen über dieses neue Medium (z. B. Craig 1908e). Vgl. auch Craig, Ms B 52, 1921, 33 (BN).

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III. Darstellende Architektur: Die Bühne als performatives Medium

überwiegenden Teil Filme, die kurze Begebenheiten des täglichen Lebens zeigen.236 Zugleich gab es aber auch eine nicht geringe Anzahl von Trickfilmexperimenten. So konnte man im Jahre 1900 in London sehen, wie ein Haus von unsichtbarer Hand gebaut wird, wie Museumsbesucher eine Statue zerschlagen, die sich von selbst wieder zusammensetzt, wie eine brennende Kerze kleiner wird oder wie zwei Personen ein Tischtennismatch beginnen, das noch im Jahre 2000 von zwei Skeletten gespielt wird.237 Obwohl sich Craig in keiner seiner Schriften auf diese frühen filmischen Zaubereien bezieht, dürfte er sie doch gekannt haben, denn um die Jahrhundertwende war der Film eine populäre Jahrmarktsattraktion. Die im vorangegangenen Kapitel zitierte Beschreibung der Wirkungsweise des Instruments Scene legt nahe, daß Craig eine bestimmte filmische Technik besonders interessiert hat: der Zeitraffer. Dieses Verfahren konnte man um 1900 in verschiedensten Anwendungen sehen, sei es bei dem sich selbst bauenden Haus oder bei der brennenden und dabei kleiner werdenden Kerze. Indem Craig aber die Wirkung der Scene mit dem Vorgang eines wachsenden, sich verzweigenden und grünenden Baumes verglich, läßt sich ein direkter Bezug zu den frühen naturwissenschaftlich orientierten Filmversuchen herstellen, die z. B. von den Brüdern Lumiere bereits vor der Jahrhundertwende unternommen wurden. So nutzten die Lumiere den filmischen Zeitraffer zur Sichtbarmachung von weitestgehend unsichtbaren biologischen und chemischen Prozessen, wie z. B. das Wachstum von Pflanzen oder die Bildung von Kristallen.238 Wenngleich nicht mit Bestimmtheit gesagt werden kann, daß Craig diese frühen französischen Filmexperimente kannte, so ist doch evident, daß ein solches Prinzip des Sichtbarmachens von Wachstumsprozessen der Scewe-Konzeption des Jahres 1907 zugrundeliegt: „Look there to the right - something seems to unfold - something to fold - (...) slowly quickening, without haste, fold after fold loosens itself and clasps another, tili that which was void has become palpable - some spirit seems to work there in the space, as in a gentle mind - a wind which blows open the void and calls it to life and now, to right and to left, one chain of life moves like a sea before us, while slowly breaking from atoms into pairs, slowly shapes, all alike, none less nor more than another, continue to arise in endless numbers - and to rise and rise while still the folds unfold and close - mounting one higher than another, others falling (...) none resting".239 Wie in einer Zeitrafferaufnahme wird hier das Wachstum der Kuben240 beschrieben, das sich einerseits makroskopisch - z. B. als wachsende Pflanzen - andererseits aber auch mikroskopisch - z. B. als wachsende Kristalle - verstehen läßt. Dieser Aspekt eines universal interpretierbaren Wachsens architektonischer Formen könnte in einer weiterführenden Studie mit Bruno Tauts Weltbaumeister, einem Architekturschauspiel für symphonische Musik (1919/20) in Verbindung gebracht werden. Es handelt sich hierbei um siebenundfünfzig

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Vgl. u.a. Sadoul 1947, 583-594; Gifford 1986; Birett 1991; Faulstich/Korte 1994, 14f.; Klepper 1999. Vgl. den britischen Filmkatalog für das Jahr 1900 in: Gifford 1986. Diesen Hinweis verdanke ich Helmut Körte. Speziell der frühe naturwissenschaftlich-dokumentarische Film ist bisher noch nicht bzw. nur in Ansätzen erforscht. Craig, handschriftliche Notizen zur Scene, 1907, o.S. (BN).

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C r a i g 1907a, 7f. spricht von „growth-visible d e v e l o p m e n t " .

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III. 4. Medienwechsel: Vom Theater zur Grafik

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Zeichnungen, die, so Taut selbst, eine „Pantomime ohne Figuren. Phantastische Kulissen in Bewegung"241 darstellen. Ähnlich wie bei Craig wird hier Architektur zum Hauptdarsteller eines „kosmischfen]" Dramas, welches das „hinter den Dingen schaffende und auflösende unpersönliche Prinzip"242 vor Augen fuhren soll. Um dieser Vision Ausdruck zu verleihen, bediente sich Taut kinematographischer Bildausschnitte. So beginnt das Schauspiel mit einer Art vertikalen Kamerafahrt, bei der zunächst am unteren Bildrand die Spitze eines gotischen Kirchturms auftaucht, und erst einige Zeichnungen später sieht man das Portal am Fuße des Gebäudes. Dieses Architekturschauspiel war ursprünglich für die Theaterbühne konzipiert, doch ahnte Taut, daß eine solche Bilderfolge auf der Bühne kaum realisierbar sein würde. Allein der Film konnte dies leisten, und Taut dachte folglich daran, den Weltbaumeister zu verfilmen.243 Ebenso wären auch die verschiedenen Bewegungssequenzen der Scene nur als filmische Motion Pictures in der von Craig angestrebten Perfektion darstellbar gewesen. Anders als beispielsweise Max Reinhardt oder Hubert von Herkomer hat Craig jedoch nie den Versuch unternommen, selbst Filme zu drehen. Sein Verhältnis zu diesem Medium blieb zwiespältig, denn in letzter Konsequenz erkannte er nicht die gestalterischen Möglichkeiten, welche sich gerade ihm durch die Kinematographie eröffnet hätten.

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Taut 1920, 88. Abb. in: Taut 1920a; Prange 1991. Taut 1920a, o.S. Taut nennt das Architekturschauspiel Weltbaumeister in seinem Aufsatz Künstlerisches Filmprogramm (1920) als Beispiel eines ,,selbständige[n] (...) Filmkunstwerk[s]". (Taut 1920, 86f.) Dieses ist jedoch nie realisiert worden.

Nachwort

Als Hugo von Hofmannsthal im Jahre 1918 feststellt, daß sich seine Generation gegenüber der vorangegangenen umgestellt habe „in bezug auf den Sinn des Auges"1, konnte er auf eine Entwicklung zurückblicken, die im Theater eine radikale Befreiung aus der tradierten Text- bzw. Sprachgebundenheit zugunsten visuell wahrnehmbarer Vorgänge nach sich gezogen hatte. Insofern läßt sich der von der theaterhistorischen Forschung bereits aus verschiedenen Perspektiven betrachtete Paradigmenwechsel auf dem Theater um 1900 auch als Symptom des Wandels von einer primär an das Wort gebundenen, begrifflichen Kultur hin zu einer verstärkt visuellen Kultur beschreiben. Das kulturhistorische Paradigma der Visualisierung zeitigte auf der tradierten Sprechtheaterbühne eine grundlegende Veränderung der Funktion und Bedeutung des Optischen. Betrachtet man das europäische Theater zwischen 1870 und 1920 aus diesem Blickwinkel, lassen sich verallgemeinernd drei Phasen kennzeichnen. R e h a b i l i t i e r u n g d e r O p s i s : In den Jahren 1870-1890 wurde die vor allem in Deutschland vorherrschende textzentrierte Theaterpraxis allmählich relativiert durch eine neuartige Aufwertung der visuellen Komponenten. Gleichzeitig erlangte die bildende Kunst abermals Einfluß auf das Theater. Dieser Einfluß kann nicht nur, wie bisher zumeist geschehen, als bewußte Hinwendung renommierter Maler und Bildhauer zum Theater verstanden werden, sondern die Ursprünge des modernen Regieverständnisses waren per se grundlegend durch bildkünstlerische Prämissen geprägt. Dies belegt sowohl die Regieauffassung Henry Irvings als auch vor allem die des zeichnenden und Theaterdekorationen entwerfenden Herzog Georg II. von Sachsen-Meiningen, der seine Darsteller in das Korsett eines visuell dominierten Inszenierungskonzepts gezwängt hat. I n t i m i s i e r u n g v o n D r a m e n t e x t u n d I n s z e n i e r u n g : Um 1890kündigt sich in den Theaterexperimenten der französischen Symbolisten ein neuartiges Verhältnis von Drama und Bühnenausstattung an. Während die Bühnendekoration bis dahin weitestgehend unabhängig vom dramatischen Vorgang das jeweilige historische Umfeld als illustrativen Rahmen detailreich nachzubilden suchte, wurde nun das visuelle Erscheinungsbild der Inszenierung aus dem Text heraus individuell erarbeitet. Hierbei standen nicht die historische Korrektheit der Ausstattung im Zentrum des Interesses, sondern vielmehr symbolhafte Entsprechungen der Dramenhandlung. Zugleich wurden Befindlichkeiten und Konflikte der dramatischen Figuren nicht mehr allein durch Spiel und Rede des Schauspielers, sondern auch durch Ausstattung und vor allem durch die neue Errungenschaft des elektrischen Bühnenlichts zum Ausdruck gebracht. Diese Herangehensweise kennzeichnete die frühen Insze-

1 Hofmannsthal 1918, 253.

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Nachwort

nierungen Edward Gordon Craigs (1900-1903), Max Reinhardts (1903-1905) sowie des Münchener Künstler-Theaters (1908). V e r a b s o l u t i e r u n g d e r O p s i s : Die ersten beiden Etappen des Visualisierungsprozesses waren auf der tradierten Sprechtheaterbühne vor allem dadurch gekennzeichnet, daß ausschließlich Dramentexte inszeniert wurden, d. h., die Wortsprache spielte hier nach wie vor eine grundlegende Rolle im Inszenierungszusammenhang. Parallel dazu läßt sich seit den 1880er Jahren anhand einer theaterhistorischen Randerscheinung, den Bühnenexperimenten des Malers Hubert von Herkomer, eine neuartige Entwicklung beschreiben. Herkomer inszenierte auf der kleinen Bühne seiner privaten Kunstschule mit seinen Schülern nicht literarisch-dramatische Vorlagen, sondern eigene Bildideen als „Pictorial MusicPlays". Das gesprochene Wort wurde hier weitestgehend abgeschafft zugunsten einer visuell dominierten Gestaltung theatraler Vorgänge, „pictorial incidents", die sich nahezu ausschließlich über pantomimisches Spiel und Lichtveränderungen mitteilten. 2 Während sich das Theater der Meininger und Henry Irvings der Malerei annäherte, ging Herkomer ab 1887 einen entscheidenden Schritt weiter: Ohne Rückbezug auf eine literarische Vorlage nutzte er die Theaterbühne in erster Linie für seine bildkünstlerischen Zwecke. Ihm ging es darum, die Möglichkeiten der Malerei in einem anderen Medium zu erweitern. Damit sind Herkomers Bühnenexperimente als Vorläufer der gattungsüberschreitenden Theaterkonzeptionen zu betrachten, die in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts von bildenden Künstlern wie Wassily Kandinsky oder Oskar Schlemmer entwickelt wurden. Herkomers Hinwendung zum Theater resultierte aus der Intention, seine Bildideen in Bewegung zu versetzen, sie zu animieren, um Naturphänomene realistischer nachbilden zu können. Mit seinen bewegten Bühnen-Bildern wollte er nicht primär eine Geschichte bzw. eine Fabel erzählen, die seit Aristoteles als Grundlage des literarischen Dramas galt, sondern Herkomer interessierten vor allem pictorial incidents. Analog konstatierte Edward Gordon Craig, der Herkomers Experimente rezipiert hat, im Jahre 1904, daß es ihm nicht um kohärente Geschichten, sondern um sights gehe. Seine Definition der sights weist Parallelen zu zeitgenössischen sprachskeptischen Positionen auf. Als Konsequenz seines Zweifels an der künstlerischen Leistungsfähigkeit der Wortsprache plädierte Craig für ein rein visuell bestimmtes Theater, das dem Betrachter Folgen von bewegten Bildern vorfuhrt, die nicht im Sinne einer kausallogischen Narration aufeinander abgestimmt sind, sondern beispielsweise assoziativ ein übergeordnetes Thema variieren. Diese Auffassung kann - in Abgrenzung zum tradierten Literaturtheater - als ein grundlegendes Charakteristikum des Bildertheaters im 20. Jahrhundert gelten und kennzeichnet bereits Kandinskys Bühnenkompositionen der Jahre 1908/09. Craigs Regieauffassung war entscheidend durch seine Tätigkeit als Grafiker geprägt, denn er übertrug ein bildkünstlerisches Werk- und Materialverständnis auf das Theater. Er erachtete die spezifischen Entstehungsbedingungen eines Werkes der bildende Kunst und dessen endgültige Fixierung auf der Fläche, wie er es aus der Grafik kannte, als vorbildhaft für die Arbeitsweise des Regisseurs. Dieser Werkbegriff mußte zwangsläufig mit der komplexen Struktur einer Theaterauffuhrung kollidieren. Vor allem der menschliche Darsteller war aufgrund seines persönlichen Darstellungsbestrebens weder vollständig kalkulierbar

2 Vgl. Herkomer 1889, 317ff.

Nachwort

235

noch manipulierbar. Craig zog es deshalb vor, mit Materialien zu arbeiten, die entsprechend seines Bildkonzepts formbar waren und keinerlei eigenmächtigen Anspruch auf individuellen Ausdruck erhoben. Damit legte Craig im Jahre 1905 die theoretische Grundlage für einen erweiterten Theaterbegriff, der in der Folge ermöglicht hat, daß Theater weder von der dramatischen Literatur, noch vom menschlichen Darsteller abhängig ist. Nach Craigs Verständnis könne der Regisseur entsprechend seiner künstlerischen Intention vollkommen selbstbezüglich mit jedem Material bildhafte Vorgänge als Theater gestalten. Die grundlegenden theatertheoretischen Kriterien eines außersprachlich-abstrakten Material-Theaters waren demnach bereits vor dem Ersten Weltkrieg ausformuliert, die dann in den 1920er Jahren, vor allem unter Schlemmer am Bauhaus, verschiedenste formale Ausprägungen fanden. Craigs Suche nach einem Material, das seinen Vorstellungen von Theater angemessen erschien, gipfelte 1907 in der Konzeption der Scene. Dieser in allen Teilen bewegliche architektonische Raum sollte - ohne die Präsenz eines menschlichen Darstellers - zum autonomen szenischen Ausdrucksträger werden. Das spezifische Erscheinungsbild der Scene resultierte einerseits aus Craigs Ideal einer restriktiven, maskulinen Formbeherrschung, andererseits zeigt sich hierin auch sein Interesse an der synästhetischen Visualisierung musikalischer Konstruktionsprinzipien der Fugen Johann Sebastian Bachs. Er entwarf die vertikal bewegten Kuben der Scene als Instrument einer visuellen Musik. Diese Konzeption nahm die Kinetische Kunst der 1920er Jahre ebenso vorweg wie die mechanischen Bühnenaufbauten der italienischen Futuristen. Craigs visionäre Vorstellungen eines Theaters bewegter architektonischer Formen waren jedoch in letzter Konsequenz nicht adäquat auf der Bühne realisierbar, sondern vielmehr im Rahmen einer Grafikfolge. Die grafische Umsetzung war Zuflucht eines Regisseurs, der vorrangig in bewegten Bildern dachte, und zugleich Ersatz für die im räumlichen Maßstab einer konventionellen Theaterbühne kaum zu verwirklichende Idee. Insofern kann Craig als einer der frühesten und radikalsten Vertreter der Visualisierungstendenz auf dem Theater seit 1900 gelten. Craig selbst hat jedoch viele innovative Konzepte nie zu Ende gedacht. Er weigerte sich zudem, neue künstlerische Strömungen als konsequente Weiterentwicklung bzw. Nachfolge seiner Ideen zu akzeptieren. Wie kaum ein anderer Künstler schien Craig zeitlebens an der Schwelle vom 19. zum 20. Jahrhundert zu verharren. Er starb im Juli 1966, vierundneunzigjährig. Robert Wilsons erste Theaterarbeiten, die ab 1964 entstanden, hätte er fast noch erleben können. In Wilsons Theaterbildern finden sich Charakteristika wieder, die im vorangegangenen für das Bildertheater des frühen 20. Jahrhunderts geltend gemacht wurden. Das bei Craig und Kandinsky beschriebene Prinzip einer assoziativen Aneinanderreihung bildhafter Vorgänge, die nicht im Sinne einer kausallogisch erzählten Geschichte verbunden sind, kennzeichnete vor allem Wilsons frühe Inszenierungen. Ein weiteres Phänomen, das die deutsche Theaterkritik seit den Meiningern mit dem Vorwurf des Zuviels an bildender Kunst begleitet hat, gilt als ein Markenzeichen Robert Wilsons: „Einem Scherenschnitt ähnlicher als einem Menschen"3, wird der Schauspieler im Rahmen des vom Maler-Regisseur vorgegebenen Bildkonzepts zur Kunstfigur.

3

Steinfeld 1998.

Quellen und Literatur

Quellen Unveröffentlichte Quellen der Bibliotheque Nationale. Paris (Departement des Arts du Spectacle, Collection Craig)

Notizbücher -

Ms Ms Ms Ms Ms Ms Ms Ms Ms Ms Ms Ms Ms Ms Ms Ms Ms Ms Ms Ms Ms

A 4 , 1902 A 21, um 1900 A 25, 1902-1903 A 26, 1903 A 42, 1901-1905 A 45,1903-1904 A 46, 1890-1892, 1896, 1936 A 47, 1901 A 48, 1900-1901 A 52, 1916 A 53, 1900 A 54, 1902 B 4, 1907 B 5, 1900-1901 B 29, 1905 B 45, 1906 B 46, 1907-1908 B 48 B 52, 1921 B 5 4 , 1913 B 63, 1906

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Ms B 64,1909 Ms B 65, 1907 MSS Book 13, 1897-1903 MSS Book 14, 1913 Uber Marions A, B, 1905-1906 Notebook 26 (A), 27 (2), 1901-1914 Scene 1, um 1901 Handschriftliche Notizen zur Scene, 1907, in: Serlio 1560 (in Auszügen veröffentlicht bei E . A . Craig 1968, 235-238) Boite 6, 9 , 1 0 , 1 3 , 1 6 , 2 6 , 3 3

Briefe -

Martin Fallas Shaw an Craig, 1901-1911 William Butler Yeats an Craig, 1901-1902 Craig an J. Paul Cooper, 1889-1908 Hugo v. Hofmannsthal an Craig, 1904-1905 Arthur Symons an Craig, 1900-1908 William Rothenstein an Craig, 1897-1904 Julius Meier-Graefe an Craig, 19. 4. 1906 Henry van de Velde an Craig, 1913-1953

Primärliteratur ALBERTI, Leon Battista 1988: Zehn Bücher über die Baukunst. Übers, von Max Theuer, Darmstadt 1988. ALT, Theodor - 1888: System der Künste. Mit Rücksicht auf die Fragen der Vereinigung verschiedener Künste und des Baustils der Zukunft. Berlin 1888. - 1909: Das ,Künstlertheater'. Kritik der modernen Stilbewegung in der Bühnenkunst. Heidelberg 1909. ALTMAN, Georg 1905: Edward Gordon Craig. In: Die Schaubühne. 1. Jg., Nr. 1, 7. 9. 1905, S. 20-24. APPIA, Adolphe - 1895: La Mise en Scene du Drame Wagnerien. Paris 1895. Neuabdruck in: ders.: (Euvres Completes. Bd. 1, Montreux 1983, S. 261-283.

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Quellen und Literatur

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Primärl iteratur

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Ausstellungskataloge

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Ausstellungskataloge Adolphe Appia 1862-1928. Darsteller, Raum, Licht. Bearb. von Denis Bablet, Zürich 1982. Art and Dance. Images of the Modern Dialogue 1890-1980. Institute of Contemporary Art, Boston 1982. Ausstellung Entwürfe für Szenen, Kostüme und Theaterdekorationen von Edward Gordon Craig. KunstSalon Arnold, Dresden 1905. VI. Ausstellung Paul Cassirer. VII. Jg., Berlin, Victoriastr. 35, Winter 1904/05. Catalogue of Etchings being Designs for Motion by Gordon Craig. Florence 1908. Catalogue of Etchings being Designs for Stage Scenes by Gordon Craig. London 1907. Film als Film. 1910 bis heute. Hrsg. von Birgit Hein und Wulf Herzogenrath, Kölnischer Kunstverein, Stuttgart 1978. Der Hang zum Gesamtkunstwerk. Europäische Utopien seit 1800. Red. Susanne Häni, Kunsthaus Zürich, Aarau, Frankfurt/M. 1983. Harry Graf Kessler. Tagebuch eines Weltmannes. Hrsg. von Ulrich Ott, Deutsches Literaturarchiv im Schiller-Nationalmuseum, Marbach 1996 (1. Auflage: 1988). Hubert von Herkomer. Hrsg. von Hartfrid Neunzert, Neues Stadtmuseum Landsberg 1988. Hugo Ball. Leben und Werk. Hrsg. von Ernst Teubner, Wasgauhalle Pirmasens, Berlin 1986. International Theatre Exhibition. New York 1926. James Pryde. Scottish Gallery of Modern Art, Edinburgh 1992. Kandinsky und München. Hrsg. von Armin Zweite, Städtische Galerie im Lenbachhaus, München 1982. Der frühe Kandinsky 1900-1910. Hrsg. von Magdalena M. Moeller, Brücke-Museum, Berlin 1994. Vom Klang der Bilder. Die Musik in der Kunst des 20. Jahrhunderts. Hrsg. von Karin von Maur, Staatsgalerie Stuttgart, München 1985. Katalog über einige Entwürfe für Szenen, Kostüme, Theaterdekorationen, einige Zeichnungen englischer Landschaften, Holzschnitte. Edward Gordon Craig. Galerie H. O. Miethke Wien, Oktober 1905. Katalog über verschiedene Entwürfe für Scenen und Kostüme für das Theater und einige Zeichnungen englischer Landscenen von Edward Gordon Craig. Galerie Friedmann & Weber, Berlin 1904. Berliner Kunstfrühling. Malerei, Graphik und Plastik der Moderne (1888-1918) aus dem Stadtmuseum Berlin. Hrsg. von Dominik Bartmann, Stadtmuseum Berlin 1997. Das bunte Leben. Wassily Kandinsky im Lenbachhaus. Hrsg. von Helmut Friedel, Städtische Galerie im Lenbachhaus, München 1995. Die Maler und das Theater im 20. Jahrhundert. Hrsg. von Denis Bablet und Erika Billeter, Schirn Kunsthalle, Frankfurt/M. 1986. Okkultismus und Avantgarde. Von Münch bis Mondrian 1900-1915. Bearb. von Veit Loers, Schirn Kunsthalle, Ostfildern bei Stuttgart 1995. Prampolini. Dal Futurismo aH'Informale. Pallazzo delle Esposizioni, Roma 1992. Raumkonzepte: Konstruktivistische Tendenzen in Bühnen- und Bildkunst 1910-1930. Bearb. von Hannelore Kersting, Städtische Galerie im Städelschen Kunstinstitut, Frankfurt/M. 1986. Der Blaue Reiter. Bearb. von Hans Christoph von Tavel, Kunstmuseum Bern 1986.

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Quellen und Literatur

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Abkürzungen

BN Craig) CD DLA GM/JE St. HRC HTC MLY MNAM TMW UCLA

Bibliotheque Nationale de France, Paris (Departement des Arts du Spectacle, Collection New York Public Library for the Performing Arts (Craig-Duncan Collection) Deutsches Literaturarchiv, Marbach am Neckar Gabriele Münter- und Johannes Eichner-Stiftung, Städtische Galerie im Lenbachhaus, München Humanities Research Center of the University of Texas, Austin Harvard Theatre Collection, Boston Music Library der Yale University, New Häven Musee National d'Art Moderae, Centre Georges Pompidou, Paris Theatermuseum, Wien University of California, Los Angeles

Personenregister

Außer Edward Gordon Craig führt dieses Register die im Buch genannten Personen auf. Albers, Josef 210 Alberti, Leon Battista 194,199f. Alma-Tadema, Lawrence 56 Alt, Theodor 16,48ff. Altman, Georg 209 Amadei, Filippo 194 Andersen, Hans Christian 164 Anderson, Percy 67 Appia, Adolphe 35f.,42,65, 73, 131f„ 143f„ 146, 153,155158,162,187f„ 195f„ 201 Archer, William 81,101,152 Aristoteles 11,104, 113f., 234 Arnold, Ernst 68f„ 71, 88,174 Bab, Julius 18,49f., 53f., 59, 64, 93, 106, 189, 195 Bach, Johann Sebastian 193f., 208-211, 220f., 235 Bahr, Hermann 38-41,46,63, 69, 74f„ 125,171,213 Bakst, Leon 127 Baläzs, Bela 17, 29f„ 134f„ 181 Ball, Hugo 169 Balla, Giacomo 213, 216f. Baltrusaitis, Jurgis K. 213 Barker, Harley Granville 213 Barlach, Ernst 170 Baruch, Hugo 67 Baudelaire, Charles 128,154 Bauer, Marius 222 Beardsley, Aubrey 86ff. Beckelmann, Jürgen 25 Beckett, Samuel 150 Beckmann, Max 170 Beerbohm, Max 58, 66, 79, 87 Behrens, Peter 21, 27f., 32f., 36, 39f., 42—47, 65,69,91, 110, 164f„ 167f. Berger, A. Freiherr von 76

Bergmann, Ernst 57 Bergson, Henri 199 Bibiena, Ferdinando Galli 194 Bie, Oskar 51 Binyon, L. 88 Blake, William 118 Blanchard, Edward L. 99 Blavatsky, Helena P. 171 Blumenthal, Oscar 20 Boccioni, Umberto Böcklin, Arnold 31 Bone, Muirhead 88 Bonnard, Pierre 92 Booth, J. B. 97 Bouchor, Maurice 119 Boucicault, Dion 80, 126, 141 Bragaglia, Anton Giulio 219 Brahm, Otto 16, 26, 53ff„ 59, 61,64, 66, 71 f., 94f., 189 Brandenburg, Hans 127,156, 178ff. Brandt, Friedrich 37, 212f., 216 Braque, Georges 127 Breuer, Robert 30 Breysig, Johann Adam 36 Brjussow, Waleri 165,168 Brown, Ford Madox 82 Browning, Robert 117f. Brückner, Gotthold 190 Brückner, Max 190 Brug, Manuel 25 Burgkmair, Hans, d. Ä. 97 Burne-Jones, Edward C. 56, 82 Cage, John 151,221 Calthrop, Dion Clayton 131,136 Carlyle, Thomas 118 Carter, Huntley 82

67,

Cassirer, Paul 68 Chaucer, Geoffrey 128 Cheret, Jules 85 Chirico, Giorgio de 127 Chronegk, Ludwig 93, 98 Ciurlionis, Mikalojus Konstantinas 210f. Claus, Emile 97 Cole, J. W. 78 Conder, Charles 87f. Coomaraswamy, Ananda K. 151 Cooper, J. Paul 85,118,193 Corinth, Lovis 55, 69 Corkran, Alice 103, 105, 152f. Corra, Bruno 184,216 Cottet, Charles 195 Cotton, Francis 141,201 Cox, Mabel 89ff„ 144 Cranach, Lucas, d.Ä. 97 Crane, Walter 67 Craven, Hawes 97 Dante, Alighieri 82f., 118 Decroux, Etienne 134 Degas, Edgar 128 Dehmel, Richard 46 Deiters, Heinrich 18, 37 Delacroix, Eugene 35 Denis, Maurice 41, 92 Depero, Fortunata 213 Diaghilev, Sergej 127, 216 Diderot, Denis 11, 43,47 Dill, Ludwig 27 Dingelstedt, Franz von 18,30, 59f, 64 Dodge, Mabel 212 Donne, William Bodham 78 Dore, Gustave 81 f. Duncan, Isadora 66,128,130,

267

Personenregister 136ff., 142f., 156, 178f., 181, 101, 203f., 221 f. Dürer, Albrecht 8 1 , 9 7 Durieux, Tilla 54 Duse, Eleonora 204 Eggeling, Viking 159 Elssler, Fanny 130 Engel, Fritz 167 Epstein, Max 60 Erler, Fritz 48, 51, 167 Ernst, Max 127 Eulenberg, Herbert 15,18,21, 57 Everth, Erich 59f. Eysoldt, Gertrud 5 4 , 1 0 6 Fabian, Jo 11, 25 Fabre, Jan 11 Falckenberg, Otto 2 5 , 4 8 Feininger, Lyonel 210 Fiske, Stephen 83 Fitger, A. 37 Fitzgerald, Percy 79 Fleischmann, Benno 51 Fort, Paul 56, 65, 92 Fortuny, Mariano 101 Frenzel, Karl 61 Freska, Friedrich 54, 200 Freyer, Achim 11 Freytag, Gustav 23 Fuchs, Georg 12, 21 f., 26-48, 50-53, 59, 63ff„ 70-75, 78, 83,91, 110f., 136f., 155, 162, 164-167, 173, 181,213 Füller, Loie 128 Gaehde, Christian 19f. Garrick, David 110 Gauguin, Paul 86 Genee, Rudolph 16, 19f., 3 5 38, 59 Georg II. (Herzog von SachsenMeiningen) 12,17-21,26, 30,34,36,59-64,73,77-80, 82,91,93-98,105f„ 108,111, 126, 143,155,173, 190,197, 233,235 George, Stefan 32, 39, 164 Georgi, F. 7 1 , 7 5 Ginna, Arnaldo 184 Godwin, Edward William 64, 81 f., 84, 92ff„ 96, 190f., 194

Goethe, Johann Wolfgang von 25, 2742ff„ 48, 50f„ 74, 78, 82, 97,168 Gogh, Vincent van 68 Goldmann, Paul 19,57ff. Grube, Max 18f„ 6 0 , 9 3 Gumppenberg, Hanns von 49, 51 Guthrie, James Joshua 87 Hagemann, Carl 37,48, 57, 73 Hagenbach, Horst 23 Hahn, Herbert A. 59 Halbe, Max 50f. Händel, Georg Friedrich 65, 136,153, 197 Handl, Willi 50 Harden, Maximilian 94 Harker, Joseph 67 Hart, Heinrich 64 Hart, Julius 58f. Hartmann, Thomas von 164, 177f., 179 Hatton, Joseph 8 1 , 8 3 , 9 7 Hauptmann, Gerhart 31 Hausen, Max 68 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 15f„ 19, 22f. Heilborn, Ernst 59 Heilbut, Emil 65f., 71 Heimann, Moritz 17,20 Heine, Albert 48 Henrichs, Benjamin 23 Hensel, Georg 25 Heraklit 199 Herald, Heinz 18,54,64,106 Herkomer, Hubert von 68, 98, 100, 106, 113f., 124, 134, 143, 152f„ 155,159, 167, 170, 173,231,234 Hildebrand, Adolf von 41 f., 44f., 47, 125 Hildesheimer, Wolfgang 150 Hodler, Ferdinand 42 Hofmann, Ludwig von 68 Hofmannsthal, Hugo von 15, 22, 32, 52, 54-58, 62f„ 65f„ 68, 70ff., 77, 115f., 125, 127f„ 140, 145f„ 192, 233 Holzamer, Wilhelm 69 Holzel, Adolf 208,210 Hopfen, Hans 19f.,94 Horatius, Quintus Flaccus 20, 74

Huret, Jules

117

Ibsen, Henrik Johan 56, 65, 109, 204f. Iden, Peter 24f. Ignee, Wolfgang 23f. Impekoven, Leo 55, 69 Ionesco, Eugene 156 Irving, Henry 56, 78, 80-86, 9 1 , 9 5 - 9 8 , 101f., 105f„ 111, 133, 143, 173, 190, 233f. Itten, Johannes Jackson, Holbrook 85, 88, 117f., 197f. Jacobsohn, Siegfried 54f., 60f. Janvier, Thomas A. 191 f. Jaques-Dalcroze, Emile 156, 180, 196, 201 Jhering, Herbert 54 Jones, Inigo 132 Jonson, Ben 132 Juvarra, Filippo 194 Kahn, Harry 50 Kaiser, Georg 150 Kandinsky, Wassily 11,13, 75, 102, 111, 160, 162-188, 234f. Kawakami, Otojiro 40 Kayßler, Friedrich 54 Kean, Charles 78ff., 189f. Keats, John 118 Keller, Albert 27, 31 f. Kellermann, Bernhard 46 Kerschenzew, Piaton M. 64 Kessler, Harry Graf 65-68, 72, 88. 116, 145f. Keyserling, Hermann von 73, 131,157 Kilian, Eugen 26, 37, 48, 50, 52, 57, 75 Klaar, Alfred 54 Klee, Paul 209f. Kleist, Heinrich von 18 Klinger, Max 31 Knina, Gustav 58 Knowles, James Thomas 190 Koch, Alexander 39 Kohlrausch, Robert 21, 26, 74 Kokoschka, Oskar 170 Kotschenreuther, Hellmut 23,25 Krüger, Max 49, 51 Kruse, Max 56, 67, 69f.

Personenregister

268 Kulenkampf, Verena 23 Kupka, Frantiäek 210 Landau, Isidor 57, 63, 74 Lautenschläger, Karl 63 Le Bon, Gustave 16f. Lees, Dorothy Nevile 146 Legband, Paul 55 Leger, Fernand 111 Legros, Alphonse 88 Lepage, Robert 11 Lessing, Gotthold Ephraim 11, 78 Lewis, Leopold 83 Leyen, Friedrich von der 48f. Liebermann, Max 32 Lindau, Paul 19,21,95,143 Littmann, Max 47 Lochner, Stefan 29 Loeb, Louis 191 f. Lothar, Rudolph 150 Loutherbourg, Philippe Jacques de 110,194 Lugne-Poe, Aurelien 46, 49, 56, 90fT. Lumiere Freres (Auguste und Louis) 230 Macfall, Haidane 89,91,144, 157 Mackail, J. W. 160f. Macready, William Charles 79 Madeleine 137, 168, 182 Maeterlinck, Maurice 31,38, 49, 54f.,57f„ 90f., 97, 116f„ 119-125, 148, 150, 160f„ 165, 168, 175, 182fr., 201 Magnus, Maurice 67f., 174ff. Mahn, Paul 54, 73 Mallarme, Stephane 117f., 128, 160 Marees, Hans von 42 Marinetti, Filippo Tommaso 217-221 Markart, Hans 60 Marsop, Paul 167 Martersteig, Max 46, 51 Martin, John 81 Matisse, Henri 127 Matthew, Arnold 199, 220f. Mauclair, Camille 90 Melchinger, Siegfried 22ff., 50 Memling, Hans 29, 124

Menzel, Adolph von 56 Meyerhold, Wsewolod 41, 164ff., 211 Michel, Wilhelm 52 Miethke, Hugo Othmar 68, 75 Millet, Jean Franfois 86 Mills, J. Saxon 101 Mockel, Albert 117 Moholy-Nagy, Läszlo 145 Mondrian, Pieter Cornelis 200 Moore, Thomas Sturge 86, 88 Moritz, C. 43 Morris, William 107 Müller, Christoph 23f. Müller, Heiner 23 Müller-Fürer, Theodor 62 Münch, Edvard 56, 86 Münter, Gabriele 164, 166f., 171, 174, 176-179, 187 Musset, Alfred de 85 Mussorgsky, Modest P. 169 Muybridge, Eadweard 104 Napoleon I. Bonaparte 197 Nerval, Gerard de 160 Neugeboren, Heinrich 209f. Neumann-Jödermann, Emst 57 Nicholson, William 85-88, 91, 101, 105, 118 Niessen, Carl 56, 62, 70,190 Nietzsche, Friedrich 27f., 31 f., 115, 137, 197, 199 Nilson, Einar 51 Oberländer, Hans 21,48ff.,53 Olbrich, Joseph Maria 21, 3 8f., 65, 69 Orlik, Emil 56,70,166 Osborn, Max 60ff., 64, 71, 93 Otway, Thomas 66 Papini, Giovanni 212f., 217 Parmenides 199 Pater, Walter 197ff., 210 Pemperton, T. Edgar 96 Pennell, Joseph 81,84,96 Pfemfert, Franz 17 Picasso, Pablo 127 Piloty, Karl Theodor von 60f. Piranesi, Giovanni Battista 226 Pissarro, Lucien 86 Piaton 16, 199f. Plehn, Anna L. 69f.

Poel, William 35 Popp, J. 52 Poppenberg, Felix 59f., 70 Poulsen, Johannes 109 Pozzo, Andrea 194, 207 Prampolini, Enrico 213-217 Presber, Rudolf 37 Pricelius, Christian 24 Pryde, James 85,87,118 Purcell, Henry 65, 89, 132f., 153, 157, 159 Puvis de Chavannes, PierreCecile 42,90 Pythagoras 199 Quillard, Pierre

39,91,165

Räder, Alwin 78,211 Ranson, Paul 92 Raupp, Karl 18,37,58 Reinhardt, Max 12, 22,48, 5165, 67, 69f., 72-75, 80, 82f„ 97f., 102, 105f., 108,110f., 144,162, 164,166f„ 173, 189, 200,213,231,234 Rembrandt, Harmensz. van Rijn 81, 151f, 227 Renoir, Auguste 68 Rhodes, Cecil 100 Richter, Hans (Dirigent) 153 Richter, Hans (Maler, Grafiker, Filmemacher) 159 Ricketts, Charles 86, 88 Rimbaud, Arthur 117 Rimington, Alexander Wallace 158f„ 171 ff., 175, 186, 202f., 216 Robbia, Luca della 179 Robertson, Graham 96,136 Rodin, Auguste 128 Roller, Alfred 70 Rosebery, Archibald Philip Primrose, Earl of 197 Rosetti, Dante Gabriel 118 Rothenstein, William 65f., 72, 87f., 91 f., 117f. Ruskin, John 81,100,107, 118, 193 Russolo, Luigi 161 Sabanejew, Leonid 171 Sabbattini, Nicola 194 Sacchetto, Rita 137

269

Personenregister Sacharoff, Alexander 164, 178-181 Sander, Otto 24 Scheffler, Karl 46 Schick, C. U. 37 Schiller, Friedrich von 18, 78, 166 Schillings, Max 48 Schinkel, Friedrich 35f., 42ff. Schlegel, August Wilhelm 43, 156, 191 Schlemmer, Oskar 11, 22, 103, 182,220, 243f. Scholz, Wilhelm von 50f. Schönberg, Arnold 163, 188 Schopenhauer, Arthur 153,155 Schroeter, Emmy 174ff. Schulte, Eduard 68 Schumacher, Fritz 71,201 Schur, Ernst 45f„ 49-53,164 Schure, Edouard 164 Schwitten, Kurt 111 Scott, Clement 95 Semper, Manfred 206 Serlio, Sebastiano 194, 205ff. Serusier, Paul 39, 92 Servaes, Franz 28 Seurat, Georges 128 Shakespeare, William 17f., 35, 43, 50, 58f„ 61f., 73, 78f„ 84, 92, 118, 166, 191,194,214 Shannon, Charles 86 Shaw, George Bernard 90, 100 Shaw, Martin Fallas 89, 91, 99, 1386,200,202, 209, 221,223 Simonson, Lee 71,226 Skrjabin, Alexander N. 171, 186f. Slevogt, Max 56, 69 Smith, E. T. 79 Soffici, Ardengo 212 Speidel, Ludwig 20

Squire, W. B. 158 St. Denis, Ruth 128 Stahl, Ernst Leopold 79, 83f. Stahl, Fritz 55, 62 Stanislawski, Konstantin S. 46, 108f., 166 Stein, Philipp 64 Steiner, Rudolf 164f. Steinfeld, Thomas 25 Steinlen, Theophile 85 Stern, Ernst 56, 166f. Sternheim, Carl 150 Stravinsky, Igor 216 Strecker, K. 37 Stuck, Franz von 27, 31, 44, 168 Survage, Leopold 159 Symons, Arthur 91, 110, 117— 121, 123, 127ff„ 133-137, 152f., 181f„ 198 Symons, Rhoda 118 Taglioni, Maria 130 Taut, Bruno 230f. Tennyson, Alfred 95,100 Terry, Ellen 64, 80ff, 90, 9598, 101, 105 Thoma, Hans 32 Tieck, Ludwig 35, 42ff. Todhunter, John 190f. Toulouse-Lautrec, Henri de 85, 128 Tree, Herbert Beerbohm 58 Treitel, Richard 67 Trübner, Wilhelm 27 Tschechow, Anton 156 Uhde, Fritz von

Verlaine, Paul 92,117,160 Victoria (Königin von Großbritannien und Irland) 80 Vitruv 194,200 Vitzthum, Georg Graf 71 Vogler, Paul 90 Vuillard, Edouard 92 Wagner, Ludwig 38, 40 Wagner, Richard 28, 73, 100, 131f., 143, 152-157, 160, 162ff., 170, 177f„ 187f., 191 Wahle, Friedrich 32 Walde, Gabriela 25 Walser, Karl 58 Watts, George Frederick 81,105 Wauer, William 195 Wegener, Paul 54 Werefkin, Marianne von 177, 179 Westheim, Paul 28, 60, 76 Whistler, James McNeill 81,86f. Whitman, Walt 151,197 Wilde, Oscar 58, 62, 81, 119f„ 191 Wills, William Gorham 190 Wilson, Robert Hfl, 21-25, 50, 235 Winds, Adolf 60ff. Winterstein, Eduard von 18, 58, 63, 106 Wolfsjäger, Kari 23 Wörde, Wynkyn de 205 Worringer, Wilhelm 49 f. Yeats, William Butler 128

92, 118,

44

Valentin, Karl 150 Vallotton, Felix 86 Velde, Henry van de

68

Zabel, Eugen 95 Zeuxis 101 Zucker, Paul

18f„ 59, 61, 78f.,

37,194

Abbildungsnachweis

Abb. 1: Herzog Georg II. von Sachsen-Meiningen: Szenenbildentwurf zu Die Jungfrau von Orleans (IV. Akt) von Friedrich von Schiller, 1887, Bleistift, Tusche (Kulturstiftung Meiningen, Meininger Museen, Abb. in: Grube 1926). Abb. 2: Edward William Godwin: Inszenierung Helena in Troas von John Todhunter, 1886, Zeichnung von H. M. Paget (Abb. in: Rose 1931). Abb. 3: Gustav Knina, Max Reinhardt: Bühnenbild zu Ein Sommernachtstraum von William Shakespeare, 1905, Fotografie (Abb. in: Reinhardt 1968). Abb. 4: Max Kruse: Bühnenbild zu Elektro von Hugo von Hofmannsthal, 1903, Fotografie (Abb. in: Boeser/ Vatkova 1984). Abb. 5: Joseph Maria Olbrich: Illustration zu In der Thüre von Wilhelm Holzamer, 1901 (Abb. in: Holzamer 1901). Abb. 6: Edward Gordon Craig: Bühnenbildentwurf zu Dido and Aeneas (Eröffnungsszene) von Henry Purcell, 1900, Aquarell (Bibliotheque Nationale de France, Paris, Departement des Arts du Spactacle). Abb. 7: Fritz Erler: Szenenbildentwurf zu Faust (Prolog im Himmel) von Johann Wolfgang von Goethe, 1908 (Abb. in: Grohmann 1935). Abb. 8: Edward Gordon Craig: Szenenbildentwurf zu Elektro von Hugo von Hofmannsthal, 1905, Pastellkreide (Verbleib unbekannt, Abb. in: Bablet 1965a). Abb. 9: Henry Irving: Inszenierung Faust (Marthens Garten) von Johann Wolfgang von Goethe, 1885, Zeichner der Illustrated Sporting andDramatic News (Abb. in: Booth 1981). Abb. 10: Henry Irving: Inszenierung Faust (Walpurgisnacht) von Johann Wolfgang von Goethe, 1885, Zeichner der Illustrated Sporting and Dramatic News (Abb. in Booth 1981). Abb. 11: J. & W. Beggarstaff: Plakatentwurf für Henry Irvings ßecte-Inszenierung, 1894, Tusche, Spritztechnik (Verbleib unbekannt, Abb. in: The Studio, September 1895). Abb. 12: Pierre Bonnard: Plakat für La Revue Blanche, 1894, Farblithografie (© Staatliche Museen zu Berlin - Preußischer Kulturbesitz, Kunstbibliothek, Inv.-Nr. 99.760). Abb. 13: William Nicholson: James McNeill Whistler, 1897, Holzschnitt, 24,7 x 22,2 cm (© Staatliche Museen zu Berlin - Preußischer Kulturbesitz, Kupferstichkabinett, Inv.-Nr. 431-1901). Abb. 14". Edward Gordon Craig: The Incorruptible, 1899, Holzschnitt (Verbleib unbekannt, Abb. in: Macfall 1901). Abb. 15: Edward Gordon Craig: Outwardly I was a Curate, 1899, Holzschnitt (Verbleib unbekannt, Abb. in: Craig 1924). Abb. 16: Aubrey Beardsley: Illustration zu Le Morte d'Arthur von Thomas Malory, 1893/94, Tusche (Abb. in: Hofstätter 1987). Abb. 17: Hubert von Herkomer: After the Toil of the Day, 1873, Öl auf Leinwand, 106,6x 195,5 cm (Privatsammlung, Wales, Abb. in: Baldry 1901). Abb. 18: Hubert von Herkomer: Szenenbildentwurf Towards the Close of Day (1. Akt von An IdyT), 1889, Tusche (Abb. in: Herkomer 1889). Abb. 19: Alhambra Theatre: Inszenierung Cupid, London, 1886, zeitgenössischer Zeichner (Abb. in: Guest 1992). Abb. 20: Ansichten einer Londoner Music Hall-Aufführung: Round the Town, 1892, Zeichner der Illustrated Sporting and Dramatic News (Abb. in: Guest 1992). Abb. 21: Edward Gordon Craig: Szenenentwurf zu The Masque ofLove {Oh the sweet delights oflove) nach

Abbildungsnachweis

271

Dioclesian von Henry Purcell, 1900/01, Bleistift, Aquarell (Bibliotheque Nationale de France, Paris, Departement des Arts du Spactacle). Abb. 22: Edward Gordon Craig: Szenenentwurf zu The Masque ofLove (Oh the sweet delights oflove) nach Dioclesian von Henry Purcell, 1900/01, Bleistift (Bibliotheque Nationale de France, Paris, Departement des Arts du Spactacle). Abb. 23, 24: Edward Gordon Craig: Inszenierung Acis and Galatea von Georg Friedrich Händel, 1902, Fotografien (Abb. in: Osborn 1905). Abb. 25: Edward Gordon Craig: Hamlet & Daemon (Black Figure), 1909, Holzschnitt, 15,5 x 7,7 cm (© Staatliche Museen zu Berlin - Preußischer Kulturbesitz, Kupferstichkabinett, Inv.-Nr. 27-1966-14). Abb. 26: Edward Gordon Craig: Figuren für eine Modellbühne, um 1909, Holz (Verbleib unbekannt, Abb. in: Franklin 1980). Abb. 2T. Edward Gordon Craig: The Steps, 1906, Pastellkreide; oben links: First Mood (Ohtani Women's University Library, Osaka); oben rechts: Second Mood (Ohtani Women's University Library, Osaka); unten links: Third Mood (Verbleib unbekannt, Abb. in: Craig 1913); unten rechts: Fourth Mood (Ohtani Women's University Library, Osaka). Abb. 28: Auguste Franfois Gorguet: Verschiedene Tanzfiguren und Tanzschritte von Isadora Duncan, um 1905, Bleistift, Aquarell, Deckweiß (Abb. in: Lever 1988). Abb. 29: Rembrandt Harmensz. van Rijn: Heimkehr des verlorenen Sohnes, 1636, Radierung, 15,6 x 13,6 cm (© Staatliche Museen zu Berlin - Preußischer Kulturbesitz, Kupferstichkabinett, Inv.-Nr. 103-16). Abb. 30: Edward Gordon Craig: Übermarionettes, Seite aus dem Notizbuch Uber Marions-B, 1905/06, S. 16, Bleistift (Bibliotheque Nationale de France, Paris, Departement des Arts du Spactacle). Abb. 31: Edward Gordon Craig: Floorpattern aus dem Notizbuch Uber Marions-A, 1905/06, S. 10 verso, Bleistift (Bibliotheque Nationale de France, Paris, Departement des Arts du Spactacle). Abb. 32: Max Brückner: Bühnenbildentwurf zu Die Walküre von Richard Wagner, 1896, Lichtdruck, 26,7 x 35,2 cm (© Deutsches Theatermuseum, München). Abb. 33: Adolphe Appia: Szenenbildentwurf zu Die Walküre von Richard Wagner, 1892, Kohle, 31,5 x 48,4 cm (© Deutsches Theatermuseum, München). Abb. 34: Alexander Wallace Rimington: Colour-Organ, um 1890, Fotografie (Abb. in: Stokes 1972). Abb. 35: Asphaleia-System, um 1904, Fotografie (Abb. in: Semper 1904). Abb. 36: Wassily Kandinsky: Erste Skizzen und Notizen zur Bühnenkomposition Schwarz und Weiß, 1908, Bleistift (Städtische Galerie im Lenbachhaus, München, GM/JE St. 328, © VG Bild-Kunst, Bonn 2002). Abb. 37: Wassily Kandinsky: Zwei Landschaften mit Staffage, 1907/08, Bleistift, Aquarell, 10,2 x 22,6 cm (Städtische Galerie im Lenbachhaus, München, GM/JE St. 176, © VG Bild-Kunst, Bonn 2002). Abb. 38: Alexander Sacharoff: Skizzenbuch, 1908, S. 5/6, Bleistift (Städtische Galerie im Lenbachhaus, München). Abb. 39: Alexander Sacharoff: Tanzstudie, um 1910, Tusche (Abb. in: Brandenburg 1921). Abb. 40: Wassily Kandinsky (Kopie von Olga von Hartmann): Szenenbildentwurf zu Schwarz und Weiß (2. Bild), um 1909, Deckfarben, 11,7 x 15,4 cm (Musee National d'Art Moderne, Centre Georges Pompidou, Paris, © VG Bild-Kunst, Bonn 2002). Abb. 41: Heinrich Neugeboren: Plastische Darstellung der Takte 52-55 der Es-Moll-Fuge von Johann Sebastian Bach, 1968-70 (nach einem Modell von 1928), Edelstahl, 650 x 650 x 600 cm (Park des Krankenhauses der Stadt Leverkusen, Abb. in: Ausstellungskat. Vom Klang der Bilder 1985). Abb. 42: Louis Loeb: General view of the Roman Theatre at Orange, um 1895, Tusche (Abb. in: Janvier 1895). Abb. 43: Filippo Juvarra: Bühnenbildentwurf zu Teodosio il Giovane (scena VII) von Filippo Amadei, 1711, Tusche, Aquarell, vermutlich eigenhändige Vorzeichnung zum Kupferstich im Libretto (© Staatliche Museen zu Berlin - Preußischer Kulturbesitz, Kunstbibliothek, Inv.-Nr. Lipp Hdz 1242). Abb. 44: Edward Gordon Craig: Bühnenbildentwurf zur Matthäus-Passion von Johann Sebastian Bach, 1901, Tusche, Bleistift, Aquarell (Bibliotheque Nationale de France, Paris, Departement des Arts du Spactacle). Abb. 45: Edward Gordon Craig: The Army, um 1902, Aquarell (Bibliotheque Nationale de France, Paris, Departement des Arts du Spactacle). Abb. 46: Edward Gordon Craig: Szenenbildentwurf For a Masque, 1902, Tusche, Aquarell, (Verbleib unbekannt, Abb. in: Osborn 1905).

272

Abbildungsnachweis

Abb. 47: Edward Gordon Craig: Skizzenblatt zur Scene, 1907/1922, Bleistift (Bibliotheque Nationale de France, Paris, Departement des Arts du Spactacle). Abb. 48: Sebastiano Serlio: Tutte l'opere d'architettura et prospetiva (Libro secondo), Venetia 1560 (Bibliotheque Nationale de France, Paris, Departement des Arts du Spactacle). Abb. 49: Andrea Pozzo: Prospettiva de pittori e architetti (Figura 72), Roma 1723 (Abb. in: Ogden 1978). Abb. 50: Giacomo Balla: Bühnendekoration zu Feuervogel von Igor Stravinsky, 1917, Fotografien einer Rekonstruktion von Elio Marchegiani (Verhältnis 1:13,3), 1967 (Rom, Galleria dell'Obelisco). Abb. 51: Edward Gordon Craig: Plate 14 aus der Grafikfolge Scene, 1907, Radierung, 21,1 x 16,6 cm (Universites de Paris, Bibliotheque d'Art et d'Archeologie). Abb. 52: Edward Gordon Craig: Plate 15 aus der Grafikfolge Scene, 1907, Vernis mou-Radierung, 20,5 x 16,5 cm (Universites de Paris, Bibliotheque d'Art et d'Archeologie). Abb. 53: Edward Gordon Craig: Plate 17 aus der Grafikfolge Scene, 1907, Aquatinta-Radierung, 20,6 x 16,3 cm (Universites de Paris, Bibliotheque d'Art et d'Archeologie).

273

Abb. 1 Herzog Georg II. von Sachsen-Meiningen: Szenenbildentwurf zu Die Jungfrau von (IV. Akt) von Friedrich Schiller, 1887

Abb. 2

Edward William Godwin: Inszenierung Helena in Troas von John Todhunter, 1886

Orleans

274

A b b . 3 Gustav Knina, Max Reinhardt: Bühnenbild zu Ein Sommernachtstraum speare, 1905

Abb. 4

M a x K r u s e : B ü h n e n b i l d z u Elektra

v o n H u g o v o n H o f m a n n s t h a l , 1903

von William Shake

275

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Abb. 5 Joseph Maria Olbrich: Illustration zu In der Thüre von Wilhelm Holzamer, 1901

Abb. 6 Edward Gordon Craig: Bühnenbildentwurf zu Dido and Aeneas (Eröffnungsszene) von Henry Purcell, 1900

Abb. 7 Fritz Erler: Szenenbildentwurf zu Faust (Prolog von Johann Wolfgang Goethe, 1908

im

Himmel)

Abb. 8 Edward Gordon Craig: Szenenbildentwurf zu Elektra von H u g o von Hofmannsthal, 1905

2 77

Abb. 9 Henry Irving: Inszenierung Faust (Marthens von Johann Wolfgang Goethe, 1885

Garten)

Abb. 10 Henry Irving: Inszenierung Faust (Walpurgisnacht) von Johann Wolfgang Goethe, 1885

278

Abb. 11 J. & W. Beggarstaff: Plakatentwurf für Henry Irvings BecketInszenierung, 1894

Abb. 12

Pierre Bonnard: Plakat für

La Revue

Blanche,

1894

279

Abb. 14

Edward Gordon Craig: The Incorruptible,

1899

280

Abb. 15 Edward G o r d o n Craig: Outwardly I was a Curate, 1899

Abb. 16 1893/94

Aubrey Beardsley: Illustration zu Le Morte d'Arthur

von Thomas Malory,

281

Abb. 17

Hubert von Herkomer: After the Toil of the Day, 1873

Abb. 18 Hubert von Herkomer: Szenenbildentwurf Towards the Close of Day (1. Akt von Anldyl), 1889

282

Abb. 19 Alhambra Theatre: Inszenierung Cupid, London 1886

Abb. 20 Ansichten einer Londoner Music Hall-Aufführung: Round the Town, 1892

283

Abb. 21, 22 Edward Gordon Craig: Szenenentwürfe zu The Masque oj Love {Oh the sweet delights of love) nach Dioclesian von Henry Purcell, 1900/01

284

Abb. 23, 24 Edward Gordon Craig: Inszenierung Acis and Galatea von Georg Friedrich Händel, 1902

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Abb. 25 Edward Gordon Craig: Hamlet & Daemon (Black Figure), 1909

Abb. 26 Edward Gordon Craig: Holzfiguren für eine Modellbühne, um 1909

286

i

Abb. 27 Edward Gordon Craig: The Steps, 1906 Oben links: First Mood Unten links: Third Mood

Oben rechts: Second Mood Unten rechts: Fourth Mood

287

Abb. 28 Auguste Frangois Gorguet: Verschiedene Tanzfiguren und Tanzschritte von Isadora Duncan, um 1905

Abb. 29 Rembrandt Harmensz. van Rijn: Heimkehr des verlorenen Sohnes, 1636

288

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Abb. 30

Edward Gordon Craig: Übermarionettes, 1905/06

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E d w a r d G o r d o n C r a i g : Floorpattern,

1905/06

289

Abb. 33

Adolphe Appia: Szenenbildentwurf zu Die Walküre von Richard Wagner, 1892

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A s p h a l e i a - S y s t e m , u m 1904

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Abb. 36 Wassily Kandinsky: Erste Skizzen und Notizen zur Bühnenkomposition Schwarz und Weiß, 1908

Abb. 37

Wassily Kandinsky: Zwei Landschaften

mit Staffage, 1907/08

292

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