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German Pages 424 Year 2016
Valentin Kramer Zwischen den Heimaten
Histoire | Band 106
Valentin Kramer, geb. 1984, Historiker, arbeitet als Archivar.
Valentin Kramer
Zwischen den Heimaten Deutsch-argentinische Einwanderervereine in Rosario und Esperanza 1856-1933
Im Mai 2015 in einer leicht abweichenden Fassung als Inaugural-Dissertation an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt angenommen. Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Axel Springer Stiftung, der Evangelischen Kirche von Westfalen, der Deutschen Gesellschaft für Missionswissenschaft, der Evangelischen Kirche in Deutschland und des Gustav-Adolf-Werks e.V.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2016 transcript Verlag, Bielefeld
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Danksagung Ich möchte mich bei Herrn Prof. Dr. Thomas Fischer bedanken, der dieses Forschungsvorhaben ermöglicht hat und der mir als Doktorvater über die Jahre in allen Belangen verlässlich zur Seite stand. Meiner Zweitbetreuerin, Frau Prof. Dr. Angela Treiber, gilt ebenfalls mein Dank für die kritische, aber stets konstruktive Begleitung der Arbeit. Meinen Kollegen aus dem Graduiertenkolleg »Migration« an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt danke ich für die nützlichen Anregungen und die fruchtbare Zusammenarbeit. Zu Dank verpflichtet bin ich außerdem den zahlreichen Fachkollegen im Inund Ausland, die mich bereitwillig durch Ideen, Diskussionen und praktische Hinweise unterstützt haben. Stellvertretend möchte ich an dieser Stelle Frau Dr. Regula Rohland de Langbehn meinen besonderen Dank für ihre wertvolle und kontinuierliche Unterstützung aussprechen. Während meiner Forschungsaufenthalte in Argentinien profitierte ich von der herzlichen Aufnahme in den Vereinen und Kirchgemeinden von Rosario und Esperanza, bei denen ich mich hiermit bedanken möchte. Mein Dank gilt insbesondere den »damas evangélicas« Graciela, Ana und Alejandra, die meine Arbeit in Esperanza mit großem Engagement begleiteten. In Rosario danke ich Mario Hellwig, Helga Gundel und María Antonia Torres G., die ohne Zögern ihr Wissen und ihre Quellen mit mir teilten. Ich bedanke mich zudem bei der Iglesia Evangélica del Río de la Plata in Buenos Aires für die optimalen Arbeitsbedingungen in der Bibliothek und dem Archiv. Bei der Durchsicht der Arbeit halfen Bernd Kramer und Alexandra Jaik. Dafür möchte ich mich herzlich bedanken. Schließlich gilt mein Dank meiner Familie, auf deren Unterstützung ich mich stets verlassen konnte. Für die großzügige Förderung der Drucklegung danke ich der Axel Springer Stiftung, der Evangelischen Kirche von Westfalen, der Deutschen Gesellschaft für Missionswissenschaft, der Evangelischen Kirche in Deutschland und dem Gustav-Adolf-Werk e.V.
Inhaltsverzeichnis
Verzeichnis der Abkürzungen
xi
Einleitung
1
I
Migration, Vereine, Identität
9
1 Tendenzen der Migrationsforschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
9
2 Verein und Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 3 Kollektive Identitäten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 4 Möglichkeiten und Grenzen der interdisziplinären Auseinandersetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26
II »Auslandsdeutschtum« und Vereinswesen zwischen den Kontexten
31
1 Versuch einer Einordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 2 Migration und Vereinswesen in Deutschland . . . . . . 2.1 Vereine und die deutsche Nationsbildung . . . . . 2.1.1 Vom Elitenphänomen zur Massenbewegung 2.1.2 Der Verein im Deutschen Kaiserreich . . . . . 2.2 »Deutschtum in der Welt« . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.1 Deutsche Auswanderung nach Amerika . . . 2.2.2 Deutsche Migrations- und Außenpolitik . . . 2.2.3 Protestantische Auslandsarbeit . . . . . . . .
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34 34 35 38 41 41 42 45
3 Argentinien und die europäische Immigration . . . . . . . . . . . . 3.1 Wege aus der Wüste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2 Die europäische Massenimmigration . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.1 Etappen und Dimensionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.2 Deutsche Einwanderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3 Santa Fe als Ziel europäischer Einwanderung und Ansiedlung 3.3.1 Eine Provinz im Wandel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.2 Rosario: Einwanderung und Stadtentwicklung . . . . . . 3.3.3 Esperanza: Blaupause einer argentinischen Agrarkolonie
. . . . . . . . .
52 52 54 54 60 63 63 68 72
3.4 »argentinidad«: Staatliche Konstruktion und gesellschaftliche Aushandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.1 Einwanderung als Bedrohung . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.2 Staatliche Identitätspolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.3 Gesellschaftliche Mechanismen der Identitätskonstruktion: Die Rolle der Vereine . . . . . . .
. 76 . 76 . 78 . 81
III Das deutsche Vereinswesen in Rosario und Esperanza
85
1 Quellen und Forschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Ein Forschungsüberblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Enteignung und Vergessen: Deutsche Vereinsquellen in Argentinien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3 Vereinsquellen in Rosario und Esperanza . . . . . . . . . 1.4 Substituierende Quellenarbeit . . . . . . . . . . . . . . . 1.4.1 Archive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4.2 Periodika aus Deutschland und Argentinien . . . . 1.4.3 Regionale und institutionelle Veröffentlichungen
. . . . . 85 . . . . . 85 . . . . . .
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. 90 . 92 . 94 . 94 . 96 . 100
2 Die Anfänge deutscher Vereinstätigkeit in Argentinien . . . . . . . . 107 3 Entstehung und Organisation . . . . . . . 3.1 Deutsch-argentinische Lebenswelten 3.2 Phasen, Typen, Dimensionen . . . . . 3.3 Organisationsformen . . . . . . . . . . 3.4 Akteure . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.5 Netzwerke . . . . . . . . . . . . . . . .
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4 Identitäten und ihre (Re-)Konstruktion . . . . . . . . . . . . . 4.1 Was ist deutsch, was argentinisch? Stationen einer Selbstfindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2 Sprache, Kultur, Werte: Dreieinigkeit des »Deutschtums« . 4.2.1 Vernetzung und ethnische Festkultur in deutschen Gesangvereinen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.2 Die Sociedad Cultural Alemana Argentina . . . . . . 4.2.3 Kulturelle Bruchstellen . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3 »Für Kaiser und Reich«: Über die Beständigkeit nationaler Identitäten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.1 Patriotische Erinnerungs- und Festkultur . . . . . . 4.3.2 Besuche und Auszeichnungen . . . . . . . . . . . . . 4.3.3 Transatlantische Wohltätigkeit . . . . . . . . . . . . . 4.3.4 »Vaterland« oder »patria«? . . . . . . . . . . . . . . .
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. 111 . 111 . 118 . 122 . 125 . 130
. . . . 136 . . . . 136 . . . . 143 . . . . 144 . . . . 153 . . . . 156 . . . . .
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. 158 . 160 . 175 . 186 . 190
4.4 Der Erste Weltkrieg . . . . . . . . . 4.4.1 Patriotismus und Solidarität 4.4.2 Trauma und Krise . . . . . . 4.4.3 Regeneration und Spaltung .
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IV Deutsche Schulen
. 195 . 198 . 212 . 215
227
1 Nation, Einwanderung und Bildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 2 Entwicklung des deutschsprachigen Schulwesens in Argentinien . . 231 3 Die Schulsituation in der Provinz Santa Fe . . . . . . . . . . . . . . . . 240 4 Zwischen »geistiger« und »natürlicher« Heimat: Deutsche Schulen in Rosario . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1 Entstehung und Organisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2 Selbstverständnis und Sendungsbewusstsein . . . . . . . . . . 4.3 Deutsche Kinder und argentinische Staatsbürger: Lehrpläne und Schulordnungen der »ersten« deutschen Schule . . . . . . 4.4 Deutsche, Argentinier, »Bindestrichler«. Die Schulstatistiken . 4.5 Deutsch-argentinische Fest- und Erinnerungskultur . . . . . .
V Deutsche evangelische Kirchgemeinden
. 243 . 243 . 250 . 253 . 261 . 265
273
1 Religion und Migration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 2 Deutsches evangelisches Kirchenwesen in Argentinien . . . . . . . . 275 3 »Deutsch-evangelisch sollt ihr sein«: Deutsche Gemeinden in Rosario und Esperanza . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1 Organisation und Zusammensetzung . . . . . . . . . . . . . . 3.1.1 Gründungsinitiativen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.2 Die Kirchgemeinde als Verein . . . . . . . . . . . . . . . 3.2 Identität und Identitätsarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.1 »Deutsch-evangelisch«: Die Verbindung von Sprache, Kultur, Religion und Nation . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.2 Sprachenfrage und Bildungsinitiativen . . . . . . . . . . 3.2.3 Religiöse und ethnische Grenzen: Das Verhältnis zum Katholizismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.4 »Ein Denkmal des Deutschtums«: Das Kirchbauprojekt in Rosario . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.5 Kirche und Propaganda . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Schlussbetrachtung
. . . . .
. 281 . 281 . 282 . 286 . 292
. . 292 . . 300 . . 312 . . 320 . . 326
333
Literaturverzeichnis
339
Anhang
377
A Tabellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 377 B Grafiken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 388 C Abbildungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 393 D Dokumente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 400
Vereinsverzeichnis
405
Verzeichnis der Abkürzungen AA AB AT AV AW BArch Bl. BN CEE-A CNE DAD DAI DEKB DELPS DLPZ DVA DWÜ EGB EGR-A EM EOK EZA F.C.C.A. FP GAV GM IERP IERP-A IfA INPS LPP MM o.Dat. PA AA RZ SCAA SZ
Auswärtiges Amt Argentinischer Bote Argentinisches Tageblatt Argentinischer Volksfreund Argentinisches Wochenblatt Bundesarchiv Blatt Blattnummer(n) Archiv der Congregación Evangélica de Esperanza Consejo Nacional de Educación Der Auslanddeutsche Deutsches Auslands-Institut Deutscher Evangelischer Kirchenbund Deutsche Evangelische La Plata-Synode Deutsche La Plata-Zeitung Deutscher Volksbund für Argentinien Deutsche Wochenübersicht Evangelisches Gemeindeblatt Archiv der Escuela Goethe Rosario El Municipio Evangelischer Oberkirchenrat Evangelisches Zentralarchiv Ferrocarril Central Argentino Freie Presse Gustav-Adolf-Verein Gestos y Muecas Iglesia Evangélica del Río de la Plata Archiv der Iglesia Evangélica del Río de la Plata Institut für Auslandsbeziehungen Instituto Nacional del Profesorado Secundario La Plata Post Monos y Monadas ohne Datum Politisches Archiv des Auswärtigen Amts Rosariner Zeitung Sociedad Cultural Alemana Argentina Rosario Seitenzahl(en)
Einleitung Als die jungen Brüder Wilhelm und Engelbert Tietjen 1856 von Bremen nach Argentinien auswanderten und sich wenige Jahre später im Landesinnern, in der Provinz Santa Fe, niederließen, war die bedeutende Rolle, die sie in der entstehenden »deutschen Kolonie« Rosario spielen würden, noch nicht abzusehen. Sie gehörten zum wachsenden Aufgebot europäischer Einwanderer, die nach der Öffnung des Landes in den 1850er Jahren mit ganz unterschiedlichen Vorgeschichten und Zielsetzungen in Argentinien eintrafen. Die einen hatten sich mit der Aussicht auf Landbesitz und staatliche Beihilfen von Agenten als Siedler anwerben lassen und hofften, in Südamerika eine neue Zukunft zu finden. Andere, wie auch die Tietjens, kamen auf Zeit und versuchten, als Kaufleute ein Vermögen zu erwerben, um später in ihre Heimat zurückzukehren. Die argentinische Politik bemühte sich aktiv um Einwanderer aus Europa. Das leuchtende Vorbild der Vereinigten Staaten, der »nation of immigrants«, hatte auch im Süden Amerikas den Wunsch geweckt, das koloniale Erbe endgültig hinter sich zu lassen. Die Einwanderer wurden mithin zum Bestandteil der umfassenden Modernisierungsstrategie Argentiniens, die auf dem Transfer von Arbeitskraft, Wissen und Kultur aus Europa beruhte. Von der staatlich subventionierten Besiedelung und Urbarmachung des weiträumigen und bevölkerungsarmen Hinterlandes versprach man sich wirtschaftliches Wachstum. In langfristiger Perspektive sollte die europäische Einwanderung zudem einen kulturellen und gesellschaftlichen Wandel anstoßen, um das Land dauerhaft auf dem sich globalisierenden Weltmarkt zu etablieren. Dass zumindest ein Teil dieser Agenda Wirklichkeit werden sollte, zeigt die argentinische Entwicklung im ausgehenden 19. Jahrhundert. Parallel zur staatlichen Konsolidierung sorgte die massive Zuwanderung für einen steilen wirtschaftlichen Aufschwung. Mit den Erfolgen kam allerdings auch die Kehrseite der liberalen Einwanderungs- und Entwicklungspolitik immer klarer zum Vorschein: Argentinien war zu einem Einwanderungsland mit ganz neuen gesellschaftspolitischen Herausforderungen geworden. In Ballungsräumen wie Buenos Aires oder Rosario und den zahlreichen regionalen Agrarsiedlungen stellten Europäer bald einen bedeutenden Prozentsatz der Bevölkerung. Ebenso wie die Brüder Tietjen mit ihrer Handelstätigkeit in Rosario nutzten die Einwanderer auf verschiedenen Wegen das große wirtschaftli-
2 | ZWISCHEN DEN HEIMATEN
che Potential Argentiniens und verschafften sich damit auch gesellschaftlich mehr Gewicht. Gleichzeitig machte eine von europäischen Ideengebern angeleitete Arbeiterbewegung immer selbstbewusster auf sich und ihre Forderungen aufmerksam. Die alten Eliten sahen sich zunehmend mit einer aufstrebenden Mittel- und einer wehrhaften Arbeiterschicht konfrontiert, die das tradierte politische Machtgefüge in Frage stellten. Aus dieser konfliktiven gesellschaftlichen Gemengelage und der Furcht der politischen Führung vor Machtverlust und Überfremdung heraus entspann sich in Argentinien ein lebhafter Diskurs über die Integration der Einwanderer, die zukünftige Gestalt der Nation und die argentinische Identität. Den Einwanderervereinen kam im Prozess der argentinischen Nationsbildung eine besondere und bisher wenig gewürdigte Rolle zu. Initiiert, geführt und unterstützt von bürgerlichen Mäzenen wie den Tietjens in Rosario, prägten ethnisch organisierte Vereine, Schulen und Kirchgemeinden nachhaltig den öffentlichen Raum. Darüber hinaus gehörten sie selbst zu den Räumen, in denen das neue Selbstverständnis des Einwanderungslandes Argentinien verhandelt wurde und bildeten gleichsam einen gesellschaftlichen Gegenpol zur staatlichen Einwanderungspolitik. Infolge der Massenimmigration prallten europäische Kulturen und Traditionen häufig auf eine in vielen Aspekten verschiedenartige argentinische Lebenswelt. Die Auseinandersetzung mit den zwei Bezugssystemen in den Vereinen trug zur Überwindung dieser Grundspannung bei. Aus Enklaven der ethnischen Segregation und Solidarität wurden sukzessive aktive gesellschaftliche Akteure und Schnittstellen zwischen den Neueingewanderten und einer im Wandel begriffenen Aufnahmegesellschaft. Freilich blieb dieser Prozess nicht konfliktfrei. Die Pflege und Weitergabe von Sprache und Kultur in den Migrantenorganisationen und die fortgesetzten Verbindungen zum Herkunftsland standen deutlich im Gegensatz zum staatlichen Homogenitätsanspruch Argentiniens und wurden daher als mögliche Gefahr für den nationalen Zusammenhalt problematisiert. Die Forschung hat sich nur ansatzweise mit Einwanderervereinen in Amerika auseinandergesetzt. Bisher standen vor allem die Ursachen und der Ablauf der transatlantischen Massenemigration im 19. und 20. Jahrhundert im Vordergrund. Für einige Hauptzielländer wie die Vereinigten Staaten, Brasilien oder Kanada liegen zudem Studien über Ankunft, Aufnahme und Akkulturation der numerisch wichtigsten Gruppen vor. Die institutionelle Geschichte der Einwanderer hingegen blieb in vielen Fällen bis heute ungeschrieben. Dabei gewährt ihr Vereinswesen seltene Einblicke in die häufig zeugnislosen Lebenswelten der europäischen Gemeinschaften.
EINLEITUNG | 3
Das gilt auch für die deutschen Emigranten, die nur zu einem vergleichsweise geringen Prozentsatz den amerikanischen Subkontinent als Wanderungsziel wählten, als Minderheit aber eine beachtliche wirtschaftliche und gesellschaftliche Wirkung entfalteten. Im argentinischen Fall zählen vor allem die organisatorischen und gesellschaftlich-kulturellen Aktivitäten der Deutschen zu den wissenschaftlichen Leerstellen. Zwar ist bekannt, dass diese Gruppe eine hohe Affinität zur Vergesellschaftung zeigte, grundlegende Fragen nach den Wurzeln, der Verfasstheit, dem Wirken und dem Einfluss der deutschen Gemeinschaften und ihrer Organisationen harren aber nach wie vor einer Antwort. In der Literatur begegnete man diesem Phänomen bislang vor allem mit Staunen, versäumte es allerdings, den Gegenstand – über eine Bestandsaufnahme der Breite und Vielfalt deutscher Vereinstätigkeit hinaus – in einen historischen Kontext zu stellen, der sowohl den Entwicklungen im Herkunfts- als auch im Zielland gerecht wird. An dieser Stelle setzt die vorliegende Arbeit an. Der doppelte Kontext, in dem alle Einwanderergemeinschaften zwangsläufig stehen, bildet den Ausgangspunkt für eine detaillierte regionale Untersuchung des deutschen Vereinswesens in Argentinien. Die verschiedenen Formen der Vereinsbildung, so die Prämisse, standen in einem engen Entwicklungszusammenhang mit der politischen, gesellschaftlichen sowie der ideen- und kulturgeschichtlichen Vergangenheit und Gegenwart Deutschlands und Argentiniens. Besonders relevant erscheint in diesem Zusammenhang die Geschichte der Nationsbildung in beiden Ländern. Sie dient einerseits als Schlüssel zum Verständnis des regen deutschen Vereinsaktionismus im Ausland: Die enorme, schichtenübergreifende Vereinsbewegung in Deutschland, deren Bedeutung für die Konstruktion der deutschen Nation und Identität heute unumstritten ist, multiplizierte sich auch außerhalb der Staatsgrenzen. Zum anderen bereitete der politisch forcierte Nationsbildungsprozess in Argentinien den Hintergrund, vor dem die Einwanderervereine tätig wurden. Daran anschließend macht erst die beiderseitige Betrachtung der Migrationspolitiken, des Umgangs mit den Ein- bzw. Auswanderern, der innen- und außenpolitischen Ambitionen sowie der staatlichen Handlungsmuster und gesellschaftlichen Initiativen das komplexe Beziehungsgeflecht verständlich, das die Struktur des deutschen Vereinswesens in Argentinien bestimmte und seine Aktivitäten umgrenzte. Es stellt sich also die Frage, welche Bedeutung deutsche Tradition und argentinische Gegenwart für die Einwanderer hatten und wie beide Einflüsse im Vereinsleben austariert wurden. Letztlich handelt es sich hierbei auch um die Frage nach der ethnischen und nationalen Zugehörigkeit. Die Sozialwissenschaften haben dafür mit dem Konzept der gesellschaftlich konstruierten kollektiven Identitäten einen analytischen Rahmen geschaffen.
4 | ZWISCHEN DEN HEIMATEN
Es gilt nun zu untersuchen, wie sich deutsche Einwanderer in den Vereinen zwischen ihren »Heimaten« positionierten. Im Zuge des deutschen Nationsbildungsprozesses wurden Sprache, Kultur, Werte, etc. als kanonische Elemente eines neuen bürgerlichen Nationalbewusstseins konfiguriert, das bis in die »auslandsdeutschen« Gemeinschaften ausstrahlte. Das deutsche Vereinswesen in Argentinien musste mutmaßlich ein vitales Interesse daran haben, dieses »Erbe der Väter« zu schützen und an die folgenden Generationen weiterzugeben. Auch vor dem Hintergrund des in Deutschland geläufigen »ius sanguinis«, welches Auswandererkinder als Deutsche apostrophierte, liegt es nahe, die Konservierung und Tradierung von Identitäten als einen Hauptzweck dieser Organisationen anzunehmen. Wahrscheinlicher ist aber, dass sich in den deutschen Gemeinschaften und Vereinen im Laufe der Zeit ein viel breiteres soziokulturelles Projekt verwirklichte. Um dieser Frage auf den Grund zu gehen, bietet sich eine Analyse der Vereinsstrukturen und -diskurse an. So lassen sich aus Statuten, Protokollen, Jahresberichten und anderen Dokumenten nicht nur Beweggründe, Ziele und Machtverhältnisse ersehen, sie geben aller Voraussicht nach auch Aufschluss über ideologische und identifikatorische Orientierungspunkte. Für die Erörterung des Überlieferungsprozesses und des kollektiven Bewusstseins der Gemeinschaft kommt zudem die traditionell stark im Vereinsaktionismus verankerte Fest- und Erinnerungskultur in Betracht. Will man den Diskurswandel und die gesellschaftlichen Wechselwirkungen darstellen, müssen zu guter Letzt auch interne Dynamiken und externe Einflussfaktoren auf nationaler und internationaler Ebene mit einbezogen werden. Im Zentrum der vorliegenden Lokal- und Regionalstudie steht das deutsche Vereinswesen in Rosario und Esperanza.1 Die Wahl fiel bewusst auf diese Orte in der argentinischen Provinz Santa Fe. Beide beherbergten größere, aber nur unzureichend erforschte deutsche Gemeinschaften. Bisher konzentrierte sich die Beschäftigung mit Deutschen in Argentinien fast ausschließlich auf die Hauptstadt Buenos Aires. Die Erkenntnisse wurden anschließend oft unreflektiert auf die »Kolonien« im Hinterland übertragen. Spezifische Entwicklungen in den Provinzen sowie die lokalen, regionalen und nationalen Netzwerke deutscher Vereine blieben dadurch im Verborgenen. Die Beispiele aus Rosario und Esperanza sollen zeigen, dass die thematische Bandbreite, organisatorische Komplexität und Eigenständigkeit des deutschen Vereinswesens in der argentinischen Peripherie bisher unterschätzt wurden.
1 | Vgl. Grafik B1.
EINLEITUNG | 5
In Rosario, einem aufstrebenden Handelshafen, entwickelte sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine lebendige »Kolonie« unter Führung einer deutschen Mittel- und Oberschicht. Gesellschaftlich arrivierte Akteure wie die Brüder Tietjen, die als Kaufleute und Konsuln wirkten, initiierten und beförderten das deutsche Vereinswesen. Gemessen an der Größe der ethnischen Community erreichte dieses eine außergewöhnliche Breite und Varietät. Esperanza hingegen war das erste erfolgreiche Agrarsiedlungsvorhaben in Argentinien. Ab der Jahrhundertmitte wurde es zum Zielpunkt von Einwanderern aus Deutschland, Frankreich und der Schweiz, die als Landwirte reüssieren wollten. Auch hier entwickelte sich rasch eine ethnische Vereinsinfrastruktur, die im Vergleich zu Rosario aber durchaus Unterschiede aufwies. Der zeitliche Rahmen der Untersuchung wird durch das Eintreffen der ersten deutschen »Kolonisten« in Esperanza 1856 und die Machtergreifung der Nationalsozialisten begrenzt. Er steht damit ebenfalls im Zeichen des beschriebenen doppelten Kontextes und der Grundannahme, dass das deutsche Einwanderervereinswesen in seiner Entwicklung entscheidend von Ideen, Ereignissen und politischen Maßgaben auf beiden Seiten des Atlantiks bestimmt wurde. Das Jahr 1933 markiert auch deshalb einen Einschnitt, weil sich in der Folge der Charakter und die Zusammensetzung der deutschen Auswanderung entscheidend veränderte und die Gemeinschaften in Argentinien unter diesem und dem nationalsozialistischen Einfluss in eine gänzlich neue Entwicklungsphase eintraten. Während das vielfältige deutsche Vereinswesen in seiner Gesamtheit nur zusammenfassend anhand bestimmter Kriterien untersucht werden soll, widmet sich die Arbeit eingehend den deutschen Schulen und evangelischen Kirchgemeinden in Rosario und Esperanza. Beiden Organisationsformen maßen die deutschen Gemeinschaften eine essenzielle Bedeutung im Ringen um die ethnische und nationale Positionierung »in der Fremde« bei. Vom wissenschaftlichen Standpunkt aus sind sie ebenfalls von besonderem Interesse, da sie in der Regel zu den beständigsten Vereinigungen gehörten und am tiefsten in die Aufnahmegesellschaft hineinragten. Der einleitende erste Teil der Arbeit rekapituliert in Kürze die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit den Themen »Migration«, »Vereine« und »Identität« in den verschiedenen Disziplinen. Er umreißt zentrale Arbeitsbegriffe und schafft die theoretischen Grundlagen für das Verständnis von Wanderungsbewegungen, der Konstruktion von Identitäten und den gesellschaftlichen Wirkungen von Vereinigungen. Insbesondere die Identitätstheorie soll an dieser Stelle auf ihre Relevanz für historische Studien und das Untersuchungsobjekt überprüft werden.
6 | ZWISCHEN DEN HEIMATEN
Im zweiten Teil wird der doppelte historische Kontext für die Detailstudie aufgebaut. Hervorgehoben werden etwa die Geschichte des deutschen Vereinswesens und der Nationsbildung, die außenpolitischen Zielstellungen und die deutsche Migrationspolitik sowie Grunddaten und -zusammenhänge der deutschen Auswanderung nach Amerika. Analog dazu rücken auf argentinischer Seite der Verlauf der Masseneinwanderung und ihre politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Implikationen in den Blick. Zudem werden die Effekte der Immigration auf die Provinz Santa Fe und die beiden Schauplätze der Untersuchung abrissartig dargestellt. Ein abschließendes Kapitel diskutiert die Konstruktion der argentinischen Nationalidentität zwischen politischem Gestaltungswillen und gesellschaftlicher Aushandlung. Der dritte Abschnitt behandelt das deutsche Vereinswesen in Argentinien und seine grundlegenden Charakteristika und verstärkt damit das Fundament für die nachfolgenden Kapitel. Da aktuelle wissenschaftliche Studien oder Quellendokumentationen nicht oder nur in bescheidenem Umfang vorliegen, soll zunächst die Literatur- und Quellensituation problematisiert und der Arbeitsmodus besprochen werden. Auf einen kurzen historischen Überblick über die deutsche Vereinstätigkeit in Argentinien folgt die intensivere Auseinandersetzung mit den Vereinen und ihren Diskursen in Rosario und Esperanza. Die Analyse konzentriert sich auf Vereinstypen, Organisationsformen, Akteure, Netzwerke und den lokalen bzw. regionalen Kontext. In einem weiteren Schritt werden Zeugnisse und Aktivitäten der Vereine entlang der formulierten Kriterien und Fragestellungen untersucht. Das Ziel ist es, allgemeine Merkmale der Lebenswelt deutscher Einwanderer, ihres Vereinswesens und ihrer ethnischen und nationalen Identitätskonstruktionen herauszuarbeiten. Im Detail betrachtet bildete jede der Vereinigungen dabei ganz eigene Strategien aus, die in dieser Arbeit nicht vollumfänglich behandelt werden können. Stattdessen sollen verschiedene thematische Teilaspekte der Identitätskonstruktion aufgegriffen und anhand von Beispielen in einer komprimierten, organisationsübergreifenden Darstellung veranschaulicht werden. Dabei spielen Äußerungen der maßgeblichen Akteure, kollektive Selbst- und Fremdbilder und verschiedene Formen der Erinnerungs- und Festkultur ebenso eine Rolle wie der Erste Weltkrieg als prägendes externes Ereignis. Im Ergebnis soll der kulturelle Wandel, der zu identifikatorischen Neuorientierungen bzw. Rekonstruktionen in den Vereinen führte, in seiner Prozesshaftigkeit sichtbar gemacht werden. Die Teile vier und fünf der Arbeit beleuchten die Tätigkeit deutscher Schulen und deutscher evangelischer Kirchgemeinden in Rosario und Esperanza. Beiden Fällen ist eine kurze einleitende Darstellung des Bildungs- bzw. Kirchenwesens in Argentinien vorangestellt. Im Anschluss sollen die Identitätskon-
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struktionen in diesen Vereinen unter Bezugnahme auf die Kategorien »Nation« und »Ethnizität« analysiert werden. Ein besonderes Augenmerk liegt hierbei auf Pfarrern und Lehrern als gestaltenden Akteuren, den Rückkopplungen mit den einschlägigen Institutionen und Regierungsstellen in Deutschland und der Erinnerungs- und Festkultur. Darüber hinaus sollen die sich verändernden identifikatorischen Vermittlungs- und Bildungsstrategien in den Schulen und Gemeinden zur Sprache kommen. Die nationalen Vereinsnetzwerke der deutschen Gemeinschaften, in denen sich die Organisationen bewegten, werden als kontextueller Hintergrund besonders berücksichtigt. In allen Kapiteln sollen punktuelle Exkurse in die argentinische und die gesamtamerikanische Migrationsgeschichte eine Einordnung der Ergebnisse ermöglichen. Die deutschen Vereine und Schulen in Rosario werden den entsprechenden spanischen bzw. italienischen Vereinigungen gegenübergestellt. Weitere Parallelen und Unterschiede werden anhand von Beispielen aus den deutschen Gemeinschaften in Chile und den nordamerikanischen Staaten herausgearbeitet. Schlussendlich soll auch auf die im lokalen Rahmen geschaffenen ethnisch-nationalen Zwischenräume verwiesen werden. Vor allen Dingen von den Kooperationsprojekten europäischer Einwanderervereine lassen sich Hinweise auf die allmähliche Entgrenzung der multiethnischen Stadtgemeinschaften und die sozialen Ausformungen der »argentinidad«, des neuen »Argentiniertums«, erwarten.
I Migration, Vereine, Identität »Damit etwas wie Zusammenhang, etwas wie Kausalität, etwas wie Sinn entstehe, damit überhaupt irgend etwas auf Erden erzählbar werde, muß der Geschichtsschreiber Einheiten erfinden: Einen Helden, ein Volk, eine Idee, und muß das, was in Wirklichkeit im Namenlosen passiert ist, dieser erfundenen Einheit geschehen lassen.« — Hermann Hesse, Die Morgenlandfahrt, 1932
1 Tendenzen der Migrationsforschung Die unter dem Hyperonym »Migration« zusammengefassten Formen menschlicher Wanderung sind ebenso komplex wie vielfältig. Die Bewegung von einem Ort zum anderen kennt zahlreiche Zustände und Qualitäten, die sich zum Teil erst in der Betrachtung aus verschiedenen Blickwinkeln offenbaren. So unterscheidet man etwa zwischen Immigration, Emigration und Rückwanderung, zwischen internationaler Migration und der Binnenwanderung im regionalen oder nationalen Rahmen, zwischen freiwilliger und erzwungener Migration. Die dabei auf die Akteure einwirkenden Faktoren wie auch die daraus resultierenden Handlungsmuster sind Legion. Wirtschaftliche, politische und gesellschaftliche Umgebungsvariablen in den Herkunfts- und Zielländern spielen ebenso eine Rolle wie individuelle oder gruppenspezifische Antriebe, Bindungen und Netzwerke, die sich der Pragmatik nationaler Grenzen entziehen. Nach Ankunft am Bestimmungsort eröffnet sich den Einwanderern wiederum ein gänzlich neuer Kontext, der von der wirtschaftlichen Behauptung über den Prozess der Akkulturation und gesellschaftlichen Integration bis hin zur Konstruktion neuer Identitäten reichen kann. In der Summe verweisen diese Migrationszusammenhänge auf die Individualität eines jeden Falles und die Aussichtslosigkeit monokausaler Erklärungsversuche. Die Migrationsforschung hat seit den Pionierarbeiten Ernst Georg Ravensteins und seiner »Laws of Migration« im ausgehenden 19. Jahrhundert einen intensiven Entwicklungsprozess durchgemacht. Pflegte man in Europa lange Zeit einen politisch induzierten wissenschaftlichen »Ethnozentrismus«1 , 1 | Hoerder 2010, 14.
10 | KAPITEL I. MIGRATION, VEREINE, IDENTITÄT
der sich vor allem der Kategorien Nation und Rasse bediente, um sich vom »Anderen« abzugrenzen, kamen um die Jahrhundertwende aus der noch jungen Soziologie neue Impulse für eine differenziertere Auseinandersetzung.2 In den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg bestimmte diese auch den wissenschaftlichen Diskurs, der sich zwischen der wirtschaftlich-politischen Makro- und der familiären Mikroebene abspielte, erstmals auch ethnische Minderheiten berücksichtigte und für eine Beschäftigung mit Einwanderungszielen jenseits der USA, zum Beispiel in Lateinamerika, eintrat.3 Der kulturellgesellschaftliche Anpassungsprozess der Einwanderer und ihr Wirken über nationalstaatliche Grenzen hinweg wurden in der Folge ebenfalls einer Neubewertung unterzogen.4 Insbesondere Historiker kritisierten aber die einseitige Beschäftigung in den Sozial- und Wirtschaftswissenschaften. Klaus J. Bade etwa beanstandete, dass die stark theoretisierenden oder allein auf wirtschaftliche Zusammenhänge und Statistiken abhebenden Studien den komplexen Gesamtkontext von Wanderungsbewegungen nur unzureichend abbildeten. Vielmehr seien in einer interdisziplinären Auseinandersetzung u.a. auch die Ausgangs- und Zielländer als historisch gewachsene politische, gesellschaftliche und kulturelle Räume näher in den Blick zu nehmen.5 In der aktuellen, äußerst kleinteiligen Migrationsforschung rücken zunehmend transnationale, transkulturelle und globale Zusammenhänge in den Vordergrund. Im Prozess der Dekonstruktion von nationalen Homogenitätsmythen wird die sprachliche und kulturelle Vielfalt der Einwanderergruppen betont und in einen Erklärungszusammenhang mit den Herkunftsregionen und -kulturen gestellt.6 Von einer einheitlichen, allgemein anerkannten Migrationstheorie ist man trotz vielfältiger Ansätze heute weit entfernt. Vielmehr unterstreichen neuere Arbeiten die Mannigfaltigkeit der möglichen Zugänge und Methoden.7 Die Interdisziplinarität ist zum Leitbegriff der Migrationsforschung geworden. 2 | Besonderen Einfluss hatten z.B. die Arbeiten der »Chicago School«. Vgl. Kleinschmidt 2002, 22; Harzig/Hoerder 2009, 56. 3 | Vgl. Massey et al. 1998, 18-21; Harzig/Hoerder 2009, 73-76; Hoerder 2010, 16; Kamphoefner 1998, 23. 4 | Vgl. Harzig/Hoerder 2009, 58. 5 | Vgl. für diesen Absatz: Bade 2004b, 16-20. 6 | Vgl. Harzig/Hoerder 2009, 4f.; 72f.; 133. Für das Konzept des Transnationalismus vgl.: Glick Schiller et al. 1992; Portes 1999. 7 | Vgl. Michael Bommes und Ewa Morawska, Hrsg. 2005. International Migration Research. Constructions, Omissions and the Promises of Interdisciplinarity. Aldershot/Burlington: Ashgate. Für ein Beispiel aus der sozialhistorischen Forschung vgl. Jan Lucassen et al., Hrsg. 2010. Migration History in World History. Multidisciplinary Approaches. Leiden/Boston: Brill. Hier werden historische mit biologischen, linguistischen und anthropologischen Ansätzen konfrontiert.
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2 Verein und Gesellschaft Die Lebenswelten der Einwanderer und ihre Vereine – als unmittelbarer Ausdruck ethnischer Vergesellschaftung im Ausland – sind im Zuge dieser Entwicklungen ebenfalls in den Fokus der Migrationsforschung gerückt. Auf Grundlage vornehmlich aktueller Beispiele und in vergleichender Perspektive beschäftigen sich zahlreiche soziologische Studien mit den Funktionen von Vereinigungen in den einzelnen Gemeinschaften, ihrem Integrationspotential sowie den Rückwirkungen auf die Aufnahmegesellschaft.8 Die historischen Hintergründe der Vereinsbildung hingegen werden meist nur sporadisch miteinbezogen. Dabei liefern diese einen wichtigen Beitrag zum Verständnis der Wurzeln und Eigenheiten ethnischer Vereinstätigkeit im Ausland.9 In Deutschland unternahm die Soziologie erste Anstrengungen, das deutsche Vereinswesen wissenschaftlich zu erschließen.10 In seiner programmatischen Rede auf dem ersten Soziologentag in Frankfurt 1910 regte Max Weber unter anderem auch eine »Soziologie des Vereinswesens« an. Er verortete Vereine als Instanz zwischen dem Staat und der Kirche auf der einen und der Familie auf der anderen Seite. Als vielbeachtetes gesellschaftliches Massenphänomen waren sie für Weber ein geeignetes Objekt für Untersuchungen zur Ausübung von Herrschaft, Verbreitung von Ideologien und der individuellen und kollektiven Prägung ihrer Mitglieder.11 Auch infolge der Weltkriege zog sein Appell allerdings keine intensivere Beschäftigung mit dem Thema nach sich.12 Einen weiteren indirekten Annäherungsversuch unternahm Georg Simmel mit seiner »Soziologie der Geselligkeit« aus dem Jahr 1911. Er begründete den Hang zur »Vergemeinschaftung« mit dem Bedürfnis, der »Einsamkeit des Individuums« zu begegnen. Die Geselligkeit diene zwar keinem direkten »sachlichen
8 | Das Forschungsinteresse ist dabei nicht selten mit einer politischen Agenda verknüpft. Die ausführliche Debatte über die Integration türkischer Einwanderer und ihrer Nachkommen in Deutschland etwa fand ein breites Echo in der Wissenschaft, welches sich nicht zuletzt auch durch die verstärkte staatliche Wahrnehmung und Förderung in diesem Bereich erklären lässt. Vgl. als ein Beispiel: Dirk Halm und Marina Sauer. 2007. Bürgerschaftliches Engagement von Türkinnen und Türken in Deutschland. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. 9 | Das gilt insbesondere auch für den deutschen Fall, der einige Besonderheiten aufweist. Für die Entwicklung des deutschen Vereinswesens und seine Bedeutung für die Auslandsvereine vgl. Kapitel II, 2.1 dieser Arbeit. 10 | Vgl. Nathaus 2009, 13f. Die folgende Übersicht zur Vereinsforschung stützt sich in Anbetracht des Untersuchungsgegenstandes vor allem auf die deutschsprachige Sekundärliteratur zum Thema. 11 | Vgl. für diesen Absatz: Weber 1911, 441-447. 12 | Vgl. Dann 1993, 120.
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Zweck«, entfalte aber durch ihre wichtigsten Elemente, die Kommunikation und Interaktion »unter Gleichen«, eine befriedigende Wirkung auf die Teilnehmer.13 Nach 1945 erlebte die Vereinsforschung vor allem in der Volkskunde und ab den 1970er Jahren im Rahmen der Sozialgeschichte eine Renaissance.14 Die Entstehung des deutschen Vereinswesens seit dem 18. Jahrhundert, seine Entwicklung zur Massenbewegung und seine Rolle bei der deutschen Nationsbildung standen dabei im Vordergrund. Dennoch blieben die Vereine und ihre Geschichte, auch auf internationaler Ebene, stets ein wissenschaftliches Randthema.15 Zwar entstanden bis heute zahlreiche Regional- und Lokalstudien, die sich zum Teil ausführlich den Entwicklungen in den einzelnen deutschen Staaten und auf Reichsebene widmen. Eine umfassende Würdigung des Phänomens, die all diese Stränge zusammenführt, fehlt aber nach wie vor. Besonders gegen Ende der 1990er Jahre ging das wissenschaftliche Interesse merklich zurück. Webers »Soziologie des Vereinswesens« wurde nie Wirklichkeit, wie Heinz Sahner bereits 1993 beklagte.16 Nichtsdestotrotz wurden bis heute in verschiedenen Disziplinen wichtige Grundlagen der historischen Vereinsorganisation in Deutschland herausgearbeitet. Der Vereinsbegriff selbst blickt auf eine lange Geschichte zurück, in deren Verlauf sich seine Bedeutung wiederholt wandelte. Ungeachtet seines mehrere Jahrhunderte zurückliegenden Ursprungs, wurde der Ausdruck »Verein« erst im ausgehenden 18. Jahrhundert und in staatsrechtlichen Zusammenhängen geläufig. In der Folgezeit gebrauchte man ihn, der heutigen Bedeutung entsprechend, zunehmend für freiwillige und zielgerichtete Vereinigungen, deren Vorläufer bis dahin »Gesellschaften« oder »Societäten« hießen.17 Otto Dann hat in diesem Zusammenhang auf wichtige Bedeutungsunterschiede im 18. Jahrhundert hingewiesen. Mit »Vereinen« und »Bünden« waren häufig noch »befristete Vereinigungen von selbstständigen Herrschaftsträgern«18 mit konkreten politischen Zielen gemeint. »Gesellschaften« wiederum waren zunächst wirtschaftlich ausgerichtet und erweiterten ihren Wirkungsbereich erst allmählich hin zu kulturellen Aufgaben. Der ähnlich angelegte, aus dem Französischen entlehnte Begriff »Societät« verschwand um die Jahrhun-
13 | Vgl. für diesen Absatz: Simmel 1911, 178-188. Simmels »Geselligkeit« beschränkte sich freilich nicht nur auf Vereine, sondern wurde auch im Hinblick auf größere gesellschaftliche Zusammenhänge formuliert. 14 | Vgl. Dann 1993, 120; Foltin 1984, 11f. 15 | Vgl. Foltin 1984, 9. 16 | Vgl. Sahner 1993, 54. 17 | Vgl. für diesen Absatz: Hardtwig 1990, 789-791. 18 | Dann 1993, 126.
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dertwende. Darüber hinaus ist der »Verein« auch von den bis dahin existenten, aber ständisch organisierten »Korporationen« zu unterscheiden.19 Der Begriffswandel vollzog sich freilich nur langsam, viele der Bezeichnungen wurden im Alltag noch lange parallel gebraucht.20 Bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts etablierten sich vor allem »Bund«, »Verein« und der Galli- bzw. Anglizismus »Assoziation« für die verschiedenen Formen bürgerlicher Vergesellschaftung.21 Infolge der »Ausdifferenzierung« und gesellschaftspolitischen Aufladung des Vereinswesens nach 1848 trennten sich vom »Verein« sukzessive u.a. Gewerkschaften und Parteien als eigenständige Organisationsformen ab.22 Als subsumierender Oberbegriff wurde das »Vereinswesen« ab den 1870er Jahren gebräuchlich.23 Die Frage der Terminologie und der Definition ist heute keineswegs leichter zu beantworten als vor 200 Jahren.24 Mit Blick auf die Gegenwart formulierte Sigurd Agricola treffend: »Das Vereinswesen ist ein Spiegel der Pluralität der Gesellschaft. Es gibt weder den Verein noch ein einheitliches Vereinswesen.«25 Auch in der Forschung ist man sich weitgehend einig, dass Homogenität in dieser Hinsicht weder möglich noch zielführend ist. Da sich Begriffe und Inhalte im Laufe der Zeit wandeln und im internationalen Vergleich sehr unterschiedliche Entwicklungen zu beobachten sind, ist vielmehr ein weit gesteckter Vereinsbegriff ratsam, der je nach Forschungsgegenstand individuell anzupassen ist.26 Thomas Nipperdey wagte in seinem richtungsweisenden Aufsatz von 1972 einen ersten Definitionsversuch aus historischer Perspektive, der bereits einige wichtige Charakteristika des modernen Vereinswesens umfasst: »Assoziation ist zunächst ein freier organisatorischer Zusammenschluss von Personen, d.h. in ihr besteht Freiheit zum Beitritt, zum Austritt und zur Auflösung; sie ist sodann unabhängig vom rechtlichen Status der Mit19 | Vgl. für diesen Absatz: Dann 1993, 126; Kröll et al. 1982, 10. 20 | Vgl. Nipperdey 1972, 1. 21 | Vgl. Dann 1993, 126; Foltin 1984, 5; Kröll et al. 1982, 11; Hardtwig 1990, 809f. 22 | Vgl. Kröll et al. 1982, 11f. Im Nachfolgenden soll der Schwerpunkt auf sogenannten »freiwilligen« Vereinen liegen, Parteien und Gewerkschaften werden als institutionelle Sonderformen weitgehend ausgeklammert. 23 | Vgl. Hardtwig 1990, 811. 24 | Der Vereinsbegriff variiert in den Wissenschaften. In der soziologischen Organisationsforschung etwa werden Einwandererereine als Migrantenorganisationen (MO) bzw. Migrantenselbstorganisationen (MSO) der Gruppe der »kollektiven Akteure« zugeordnet, die sich von korporativen Organisationen wie z.B. Unternehmen unterscheiden (vgl. Pries 2010, 26). Daneben sind Vereine als Non-Profit-Organisationen (NPO) Gegenstand der Dritte-Sektor-Forschung (vgl. Zimmer 2007). Wenngleich Kollektiv- und Akteursbezüge bei Bedarf herangezogen werden, soll in dieser Arbeit der historisch gewachsene Vereinsbegriff im Mittelpunkt stehen. 25 | Agricola 1997, 23 (Hervorhebungen im Original). 26 | Vgl. für diesen Absatz: Foltin 1984, 4f.; Sahner 1993, 23.
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glieder und verändert diesen Status auch nicht, sie ist also im Rechtssinne statusneutral; sie ist schließlich dazu begründet, selbst und frei gesetzte und in gewisser Weise spezifizierte Zwecke zu verfolgen.«27
Die von Nipperdey betonten Prinzipien der Freiwilligkeit, Gleichheit und kollektiven Zielgerichtetheit sind heute wissenschaftlicher Konsens: Der Bei- und Austritt liegt im Ermessen des Einzelnen.28 Alle Mitglieder sind untereinander und in ihrer Entscheidungskraft gleich. Durch Vorstandswahlen und Generalversammlungen wird eine demokratische Grundstruktur und die Flexibilität der Vereinsausrichtung gewährleistet.29 Ein Verein in seiner Gesamtheit verfolgt überdies bestimmte eigen- und gemeinnützige Absichten, die im Vorfeld festgelegt wurden. Weitere allgemeine Vereinsmerkmale umfassen einen gewissen Organisationsgrad, der sich in Satzungen oder Statuten widerspiegeln kann, die langfristige Anlage der Vereinigung und gesellige Umgangsformen im Sinne der Mitgliedergleichheit.30 Die Rechtsform hingegen ist kein konstitutives Element. Sowohl Vereinigungen mit rechtlicher Anerkennung und einem komplexen organisatorischen Unterbau als auch solche mit einer nur losen, wenig formalisierten Struktur können als Vereine gelten.31 Die typologische Einteilung von Vereinen erfolgte in der Literatur auf sehr verschiedene Weise, zumeist wurde sie jedoch auf Grundlage von Funktionen, angenommenen Zielen oder der organisatorischen Verfasstheit vorgenommen.32 In vielen Fällen greifen solche Typologien aber zu kurz und geben die Wirklichkeit nur unzureichend wieder. Nicht selten verfolgen Vereinigungen parallel ganz unterschiedliche Zwecke und changieren intern zwischen formellen und informellen Organisationsformen. Eine eindeutige Zuordnung ist unter diesen Voraussetzungen nicht möglich. Sahner bemerkt dazu: »Ein befriedigendes Kategoriensystem gibt es nicht und kann es nicht geben. Man kann nur versuchen, die Defizite zu reduzieren.«33 Eine Vereinstypologie muss demnach individuell auf Fach, Gegenstand und die vorliegenden Daten abgestimmt werden. Die Vereine von Einwanderern werden als Sonderform im Rahmen der fächerübergreifenden, vor allem aber der sozialwissenschaftlichen Migrationsforschung behandelt, die sich vornehmlich auf gegenwärtige Beispiele bezieht. Ersten Annäherungsversuchen der US-Soziologie Anfang des 20. Jahrhunderts 27 | Nipperdey 1972, 1. 28 | Freilich ist der Zugang häufig durch Sachzwänge und Beitrittsregeln beschränkt (vgl. Foltin 1984, 5f.). 29 | Vgl. Agricola 1997, 17; 19. 30 | Vgl. Foltin 1984, 5-7. 31 | Vgl. Agricola 1997, 17; Kröll et al. 1982, 17f. 32 | Vgl. für Beispiele: Agricola 1997, 21-23. Und für Einwanderervereine: Wolf 2009, 10-13; Moya 2005, 22-32. 33 | Sahner 1993, 61.
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folgte eine breitere und intensivere Beschäftigung seit den 1980er Jahren, u.a. im Zusammenhang mit Migrantennetzwerken und dem Phänomen des Transnationalismus.34 Die Notwendigkeit des interdisziplinären Zusammenspiels wurde auch in diesem Bereich früh erkannt. Einerseits, um an analytischer Tiefe zu gewinnen, aber auch, um sich die historischen Ursprünge scheinbar neuartiger Entwicklungen zu vergegenwärtigen.35 Der Grundlagenbedarf dieses noch relativ jungen Forschungsbereichs ist allerdings recht hoch, wie ein Blick in die theoretisch und methodisch fragmentierte Sekundärliteratur zeigt. Bereits die Begriffe des »freiwilligen« oder »ethnischen« Vereinswesens wurden als problematisch identifiziert: Ist »freiwillig« überhaupt ein adäquates Abgrenzungskriterium oder werden darunter zu viele verschiedene Organisationsformen subsumiert? Sind Einwanderervereine auch zwangsläufig ethnische Vereine und umgekehrt? Ab wann und vor allem bis zu welchem Zeitpunkt kann man überhaupt von Einwanderervereinen sprechen?36 Zahlreiche Beispiele, wie etwa der Fortbestand vieler Einwanderervereine auch nach der vollständigen Integration in die Aufnahmegesellschaft, belegen die Relevanz dieser Fragen. Ein anderer Diskussionspunkt betrifft das Problem der Sichtbarkeit und die Repräsentativität von Einwanderervereinen in Relation zur Gesamteinwanderung. Vereine, die in den Quellen gut abgebildet sind, werden von der Forschung häufig gegenüber der Masse kleinerer, informeller Vereinigungen bevorzugt. Der Einwand José Moyas, dass letztere womöglich als typischere Beispiele für Zusammenschlüsse von Einwanderern zu betrachten sind, ist daher berechtigt.37 Darüber hinaus engagieren sich viele Einwanderer auch in den Vereinen der Einheimischen oder gar anderer Gemeinschaften.38 Der Begriff des »Einwanderervereinswesens« steht also keineswegs stellvertretend für alle möglichen Aspekte der migrantischen Vergemeinschaftungspraxis. Ähnliches lässt sich hinsichtlich möglicher Rückschlüsse auf die Gesamteinwanderung feststellen. In der Regel war und ist nur ein prozentual geringer Anteil der Immigranten in Vereinen aktiv.39 Wie deshalb richtig angemerkt wurde, darf man von der Sichtbarkeit dieser Gruppe nicht auf ihre Legitimität 34 | Vgl. Pries 2010, 18; Fauser 2012, 2. 35 | Vgl. Merino 2012, 20; 173. 36 | Vgl. zu diesen Fragen: Moya 2005, 11f. 37 | Vgl. ebd., 13. 38 | Für Rosario existieren zahlreiche Belege dafür, dass das gesellschaftliche Leben der Stadt Grenzen zwischen den einzelnen Einwanderergemeinschaften sowie zwischen Einwanderern und Einheimischen auflöste. Vgl. Kapitel III, 3.4 dieser Arbeit. 39 | Der Umkehrschluss allerdings, dass die Größe der Einwanderergruppe ein zwingendes Indiz für die Ausmaße ihrer Vereinsaktivitäten ist, gilt als widerlegt (vgl. Schrover/Vermeulen 2005, 830).
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schließen.40 Sie repräsentiert nur einen kleinen Ausschnitt der Einwanderung. Die ungleich schwerer zu fassenden Lebenswelten der großen Masse entziehen sich – vor allem aus historiographischer Sicht – weitgehend dem wissenschaftlichen Zugriff. Heruntergebrochen auf die interne Struktur dieser Vereine kommt das Problem der Repräsentativität auch im Verhältnis zwischen der Mehrzahl der Mitglieder und eines besonders aktiven, einflussreichen »Kerns« zum Ausdruck, der häufig der gesellschaftlichen Elite angehört. Während letztgenannter weitgehend Alltag und Geschicke des Vereins bestimmt und folglich eine exponierte Stellung in den Annalen einnimmt, bleibt die Mehrheit für den externen Beobachter in der Regel unsichtbar. Es wurde gemutmaßt, dass das außergewöhnliche Engagement ethnischer »Führer« in den Vereinen und der Presse der Einwanderer auch im Zusammenhang mit einer davon erhofften Erweiterung des persönlichen Einflussbereichs in der Gemeinschaft steht.41 Es muss daher zum Bewusstsein gebracht werden, dass eine Geschichtserzählung auf Grundlage von Vereinszeugnissen vor allem Aussagen über diese Eliten trifft, die aber nicht notwendigerweise auf alle Vereinsmitglieder übertragen werden können.42 Wenig Einigkeit herrscht über die dominanten Wirkungen von Einwanderervereinen und ihre Bedeutung für den gesellschaftlichen Wandel. Bisher wurde dieser Komplex in Deutschland vor allem unter den Gesichtspunkt des Integrationspotentials betrachtet.43 Einerseits war man bestrebt, nachzuweisen, dass die Vereinigungen als Teil der ethnischen Community44 bzw. der »ethnischen Infrastruktur«45 durch Unterstützungsnetzwerke u.Ä. Grenzen zur Aufnahmegesellschaft abbauen und zur Integration beitragen. Andererseits glaubte man in ihren Anlagen und Tätigkeiten, die stark auf Bewahrung von Sprache, Bräuchen,
40 | Vgl. Núñez 2006, 27. Wenngleich festzustellen ist, dass ebensolche Vertretungsansprüche durchaus Teil des Selbstverständnisses von Einwanderervereinen sein können, wie das deutsche Beispiel in Argentinien belegt. Zumal das dortige Vereinswesen von einer gesellschaftlichen Elite geprägt worden ist. 41 | Vgl. Bjerg 2009, 46; 50. 42 | Vgl. dazu: Águila/Caldo 2008, 161f. Wie Núñez aber richtig darlegt, darf der Einfluss der »líderes étnicos« auf den Rest der Einwandererschaft ebenfalls nicht unterschätzt werden (vgl. Núñez 2006, 18; 22). 43 | Vgl. z.B. Fijalkowski/Gillmeister 1997. 44 | Während sich im Englischen der Community-Begriff etabliert hat, finden sich in der deutschsprachigen Literatur verschiedene Begriffe wie »Kolonie«, »Gemeinschaft« oder gar »Gemeinde«, die wenig trennscharf und ohne Rücksicht auf ihren geschichtlichen Kontext nebeneinander gebraucht werden. In dieser Arbeit soll vor allem »Gemeinschaft« als wissenschaftlich akzeptierter Terminus und »Kolonie« als zeitspezifische Selbstbezeichnung deutscher Migrantengruppen zur Anwendung kommen. 45 | Fijalkowski/Gillmeister 1997, 28.
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etc. abheben, die »Gefahr einer sozialen und kulturellen Abschottung«46 zu erkennen. Ludger Pries rät an dieser Stelle zu einem Perspektivwechsel, da beide Dimensionen Einwanderervereinen gleichsam natürlich eingeschrieben seien.47 Wichtiger sei eine Untersuchung der funktionalen Variabilität der Vereine, der »Wechselwirkungen zwischen Migrantenorganisationen und ihrer Umwelt«48 und ihrer grenzübergreifenden Tätigkeit und Wirkung.49 Die Doppelung der Bezugssysteme dieser Vereine, die »genuin zwischen den Herkunfts- und Ankunftsgesellschaften aufgespannt sind«50 , sollten dabei mehr Beachtung finden.51 Die Frage nach den gesellschaftlichen Funktionen und Wirkungen von (Einwanderer-) Vereinen verweist auch indirekt auf ihr identifikatorisches Potential. Wenngleich eine grundsätzliche Trennung nur schwer möglich ist, bietet sich zur besseren Veranschaulichung die Unterscheidung zwischen gemeinschaftsimmanenten Innen- und die Umwelt betreffenden Außenwirkungen an.52 Vereine schaffen durch einen kollektiven Interessen- und Ideenkonsens, Einwanderervereine zusätzlich durch sprachliche und kulturelle Kontinuität »vertraute Räume«53 . Immigranten nutzen diese Räume, um die Erfahrung des Fremdseins zu relativieren bzw. zu verarbeiten. Die Bewahrung und Weitergabe von Sprache und Kultur, von Traditionen und Werten sowie die Artikulation von Verlustängsten sind deshalb in der Regel durchgehender Bestandteil der zum Teil anachronistischen Vereinsdiskurse. Sind Vereine in sich bereits institutionalisierte Netzwerke, begünstigen sie durch ihre weitgehend homogene und abgesicherte Umgebung die Bildung von erweiterten privaten Verflechtungen, 46 | Pries 2010, 19f. 47 | Dieser scheinbare Widerspruch wird in der sozialwissenschaftlichen Forschung auch als »ethnic paradox« bezeichnet (vgl. Fauser 2012, 18f.). 48 | Pries 2010, 20. 49 | Auch Fijalkowski und Gillmeister betonen, dass ethnische Einwanderervereine zumeist »multifunktional« angelegt und ihre Ziel- und Schwerpunktsetzungen situationsgebunden und flexibel sind (vgl. Fijalkowski/Gillmeister 1997, 209). 50 | Pries 2010, 24. 51 | Vgl. für diesen Absatz: Pries 2010, 19-24. Vgl. für eine ähnliche Argumentation: Merino 2012, 29. Ein Beispiel für eine mögliche Umsetzung bietet die Studie von Margit Fauser (Fauser 2012). 52 | Dieser Ansatz orientiert sich an Sahners Einteilung in »individuelle« und »gesellschaftliche« Funktionen von Interessenverbänden, wenngleich unter dem Vorbehalt, dass freilich auch die Funktionen für den Einzelnen stets auf die Gemeinschaft zurückverweisen. (vgl. Sahner 1993, 46; 49). 53 | Häfner 2008, 119. Sahner spricht in diesem Zusammenhang von »Geborgenheit«. Er vermutet, je kleiner die Minderheit im Ausland, desto enger der Zusammenschluss (Sahner 1993, 47).
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die in ganz unterschiedliche Richtungen Wirksamkeit und Nutzen entfalten können.54 Auf der einen Seite stehen scheinbar banale gemeinsame Aktivitäten wie interne Feste oder Ausflüge, die den inneren Zusammenhalt stärken und nicht zuletzt im Hinblick auf die ethnisch-nationale Identifizierung von großer Bedeutung sind, wie sich auch im Verlauf der vorliegenden Arbeit zeigen wird. Andererseits sind diese Netzwerke Voraussetzung für das häufig zu beobachtende Phänomen der ethnischen Solidarität, die auch über den Vereinsrahmen hinaus Bestand hat. Als Beispiele seien an dieser Stelle die Arbeitsvermittlung, Spendensammlungen für humanitäre Zwecke im Herkunftsland oder die Bereitstellung von Beratungs-, Bildungs- oder Versicherungsleistungen genannt, die häufig auf Vereinsinitiativen zurückgehen. In bestimmten Fällen werden dadurch Versorgungslücken in den Zielgesellschaften geschlossen. Einwanderervereine verbinden also im Innern den Einzel- und Gemeinschaftsnutzen auf praktischer als auch auf ideeller Ebene und leisten der aktiven Partizipation ihrer Mitglieder Vorschub.55 Im Verhältnis zu ihrer Umwelt ist zunächst die Betonung der Differenz augenfällig, die sich im Vereinsnamen, der Vereinssprache sowie Aufnahmeregeln und Praktiken niederschlagen kann. Fijalkowski und Gillmeister haben dazu angemerkt, dass »die Bildung ethnischer Vereine gewissermaßen definitionsgemäß segregativ«56 ist. Ethnizität, Nationalität und Religion gehören zu den häufigsten Abgrenzungsmerkmalen und bilden neben gemeinsamen Zielen in vielen Fällen den Ausgangspunkt für die Vergemeinschaftung. Jenseits dieser Kategorien darf auch die kollektive Migrationserfahrung als wichtiges Prozesselement nicht außer Acht gelassen werden.57 Auf dieser Basis werden aus Minderheiten wahrnehmbare Interessengemeinschaften, die gesellschaftlich und indirekt auch politisch partizipieren und spezifischen Forderungen mehr Gewicht verleihen können.58 Einwanderervereine fungieren somit als »Relais« zwischen politischen und gesellschaftlichen Akteuren.59 Freilich stellen sie keine losge-
54 | Dass die Netzwerke der Einwanderer und ihrer Vereine nicht nur lokal bestehen, sondern sich auch vereins- bzw. gemeinschaftsübergreifend sowie auf regionaler und nationaler Ebene ausweiten können, belegen Beispiele im dritten Kapitel der vorliegenden Arbeit. 55 | Vgl. zu den Vereinsfunktionen für diesen Absatz: Agricola 1997, 83-87. 56 | Fijalkowski/Gillmeister 1997, 265. 57 | Vgl. Gadea/Albert 2011, 12. 58 | Vgl. Sahner 1993, 49-51. 59 | Vgl. Ragi 1998, 37.
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lösten Instanzen dar und wandeln sich fortwährend an den Reibungspunkten zu ihrer Umwelt.60 Ganz unabhängig von internen Bewahrungstendenzen bieten Einwanderervereine ihren Mitgliedern auch die Möglichkeit des begleiteten Ankommens in den neuen gesellschaftlichen Kontext. Durch individuelle und – infolge des ähnlichen Erfahrungshintergrunds – effektive und praxisorientierte Hilfestellungen werden Hürden abgebaut und Integrationspotentiale aufgezeigt. Traditionsreiche Vereine akkumulieren quasi den Erfahrungsschatz vorangegangener Einwanderergenerationen und schlagen eine Brücke zwischen Herkunfts- und Zielgesellschaft. Dabei ist allein die Tatsache der Vereinsgründung im Ausland Ausdruck kollektiver Identifizierung, ein Bekenntnis zur Heimat und ein Akt der Selbstpositionierung als Gemeinschaft, die im selben Moment institutionalisiert wird.61 Je nach Vereinsausrichtung geht damit eine oft aktive, zumindest aber passive kulturelle Sendung einher. Nicht selten prägen Einwanderervereine den sie umgebenden öffentlichen Raum und bestimmen durch ihre Aktivitäten das gesellschaftliche Leben ganzer Stadtviertel. Die Fest- und Erinnerungskultur, wie sie in ihrer praktischen Anwendung z.B. durch spezifische Bräuche, Symbole, Kleidung oder auch Nahrungsangebote erfahrbar wird, ist der für die Umwelt erste wahrnehmbare Teilausdruck ihrer ethnischen, nationalen oder religiösen Identität. Durch das Aufeinandertreffen kultureller Bezugssysteme in den Vereinen ergibt sich aber auch »ein vielfältiges Überlappen und Überschneiden von Traditionen und Diskursen«62 . Die Folge sind neuartige hybride oder Mischidentitäten, die im Generationengefüge der Einwandererschaft unterschiedliche Ausprägungen erfahren.63
3 Kollektive Identitäten Im Gegensatz zu Selbstorganisationen und Wanderungsbewegungen lassen sich menschliche Identitäten empirisch nur schwer fassen64 . Sie stehen in Abhängigkeit zu einem komplexen und ständig im Wandel begriffenen Beziehungsgeflecht, das von zahlreichen individuell-internen Faktoren und externen 60 | Schrover hebt hierbei vor allem die (Migrations-)Politiken in den Herkunfts- und Zielgesellschaften und die Beziehungen letzterer zueinander als Einflussfaktoren hervor (vgl. Schrover 2006, 848; 862). 61 | Vgl. Schrover 2006, 848. 62 | Krauss 2009, 23. 63 | Vgl. Eickelpasch/Rademacher 2004, 76. In der Forschung wird Hybridität oft mit einem starken Gegenwartsbezug diskutiert. Die folgenden Kapitel werden zeigen, dass es sich durchaus auch um ein historisches Phänomen handelt. 64 | Vgl. zum Thema Identität und Empirie: Müller 2011.
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Umgebungsvariablen beeinflusst wird. Vor allem aber zeigen Identitäten keine unmittelbare Präsenz, kommen häufig nur temporär und indirekt zum Ausdruck und lassen sich allenfalls über Umwege silhouettenhaft rekonstruieren. Nicht ohne Grund kamen deshalb aus den einzelnen Fachrichtungen sehr unterschiedliche Vorschläge für eine mögliche Annäherung.65 Identität war von der Antike bis in die Frühe Neuzeit ein durchgängiges Sujet in Wissenschaft und Literatur, kam aber erst zusammen mit den Ideen der Aufklärung zu seiner modernen Bedeutung.66 In der deutschen Philosophie beschäftigten sich z.B. Immanuel Kant und Georg Wilhelm Friedrich Hegel mit dem Thema.67 Hegel arbeitete u.a. den heute anerkannten Zusammenhang zwischen Identität und Alterität heraus, den Umstand also, dass der Identitätsbegriff auch auf den Unterschied und das »Andere« verweist und Identität ohne diese Abgrenzung nicht denkbar ist.68 Über diese Diskurse und vor dem historischen Hintergrund der Industrialisierung mit ihren sozialen Implikationen fand der Gegenstand in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts auch Eingang in die Psychologie und die Sozialwissenschaften.69 Pioniere wie die US-amerikanischen Psychoanalytiker Erik H. Erikson oder George Herbert Mead prägten den modernen Identitätsdiskurs.70 Die Psychologie konzentriert sich seitdem auf die Erforschung personaler bzw. von »Ich«-Identitäten im Kontext der psychischen Entwicklung und gesellschaftlichen Umgebung von Individuen, bei der auch ausdrücklich die Fremdperspektive eine Rolle spielt.71 Daran anschließend wurde in den Sozialund Kulturwissenschaften das Konzept der kollektiven Identitäten entwickelt, dass sich mit Ursprung und Wandel von Identitätskonstruktionen innerhalb von Gruppen auseinandersetzt.72 Es liegt eine Fülle von Versuchen vor, den Identitätsbegriff theoretisch und inhaltlich einzufassen. Die meisten davon weisen eine starke fachliche Färbung auf und heben folglich sehr unterschiedliche Aspekte hervor. Auch der bloße Rückverweis auf die Wortherkunft und die daraus abzuleitende Erkenntnis der Übereinstimmung zwischen Begriff und Wirklichkeit bietet für einen sozialund kulturhistorischen Ansatz wenig Erhellendes.73 Eine Alternative zu starren 65 | Vgl. für einen Überblick: Müller 2011 sowie Benjamin Jörissen und Jörg Zifras, Hrsg. 2010. Schlüsselwerke der Identitätsforschung. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. 66 | Vgl. Müller 2011, 20-24. 67 | Vgl. Bergem 2005, 42. 68 | Vgl. Haselbach 1998, 2f. 69 | Vgl. Wagner 1998, 53f.; Assmann/Friese 1998, 11f. 70 | Vgl. Straub 1998. 74; Bergem 2005, 21. 71 | Vgl. Bergem 2005, 45-47; Eickelpasch/Rademacher 2004, 77f. 72 | Vgl. Assmann/Friese 1998, 12-14. 73 | Vgl. Zifras 2010, 11. Vgl. für eine Kritik des Identitätsbegriffes: Wagner 1998.
3. KOLLEKTIVE IDENTITÄTEN | 21
Definitionen, die dem unsteten Wesen von Identitäten naturgemäß schwerlich gerecht werden können, liegt in der Betonung ihres Konstruktcharakters, wie er sich in der sozialwissenschaftlichen Identitätsforschung durchgesetzt hat.74 Der Begriff Identität beinhaltet demnach verschiedene Bedeutungs- und Konstruktionsebenen. Eine Grundlage stellt das menschliche Selbstbewusstsein und das Verständnis der eigenen Existenz dar.75 Die Konstitution des »Ich« ist Voraussetzung für die individuelle, aber auch kollektive Wahrnehmung der Umwelt, die über die Aufnahme und Verarbeitung von Informationen und Ereignissen zu Erfahrung wird. Der Erfahrungsschatz speist sich aber nicht nur aus der Gegenwart, sondern auch aus der Vergangenheit. Unsere Erinnerung vermittelt zusammen mit dem Handlungs- auch ein angeschlossenes Verantwortungsbewusstsein und ermöglicht somit die persönliche Reflexion über Getanes.76 Mit Hilfe des Konzeptes der Erinnerungskultur lässt sich dieser Umstand auch auf das Kollektiv übertragen. Aus der zyklischen Auseinandersetzung mit Geschichte, Kultur und allgemein Vergangenem beziehen Gemeinschaften ein Verständnis über die eigene Herkunft und erzeugen Kontinuitäten, die für den inneren Zusammenhalt von Bedeutung sind.77 Eng mit der Erinnerung verbunden ist zudem die Erzählung: Narration und Diskurs sind, ganz unabhängig vom Genre, wichtige Elemente jeder Identitätskonstruktion. Sie bringen Selbstund Fremdwahrnehmungen zum Ausdruck und werden – nicht immer bewusst – als externe Bildungsinhalte, Meinungen, Verweise, usw. verinnerlicht.78 Darüber hinaus sind auch biologische Identitätseinflüsse wie beispielsweise der Alterungsprozess im Gespräch.79 Der These folgend, dass personale und kollektive Identitäten nicht grundsätzlich voneinander zu trennen sind, sondern sich auf vielfältige Weise wechselseitig beeinflussen, kann das oben Rekapitulierte für beide gleichermaßen Gültigkeit beanspruchen.80 Nichtsdestotrotz wurden in der Literatur einige Aspekte kollektiver Identitätskonstruktionen besonders hervorgehoben. Kollektive Identitäten beschreiben eine Gruppenzugehörigkeit entlang spezifischer Gemeinsamkeiten bzw. Alleinstellungsmerkmale, die sie von denen anderer 74 | Vgl. Giesen 1999, 12f.; 19. Der konstruktivistische Ansatz in der Identitätsforschung blieb allerdings nicht unwidersprochen. Nach Bergem verliere man auf diese Weise einen möglichen essentiellen Kern und die sehr greifbaren politischen und gesellschaftlichen Wirkungen von Identitäten aus den Augen (vgl. Bergem 2005, 85-87). 75 | Vgl. Friese 1998, 26. 76 | Vgl. ebd., 27f. 77 | Vgl. Zimmer 1998, 23. 78 | Vgl. zur Erzählung: Friese 1998, 27f.; Bergem 2005, 74-77; Straub 1998, 104. 79 | Vgl. Haselbach 1998, 5; Müller 2011, 290-292. 80 | Vgl. Peters 2003, 14f.; Wagner 1998, 45f.
22 | KAPITEL I. MIGRATION, VEREINE, IDENTITÄT
Gemeinschaften unterscheiden.81 Der interne Abgleich ist demnach ebenso wichtig wie die bereits angesprochene Grenze nach außen. Das Prinzip der »Distinktion«82 findet sich als konstitutives Merkmal sowohl in der vereinsmäßigen Vergesellschaftung als auch im Prozess der kollektiven Identitätsbildung wieder. Bei Einwanderern wurde diese Abgrenzung auch als Schutzmaßnahme verstanden, um Minderheitskulturen und -identitäten zu konservieren.83 Einige weitere wichtige Annahmen aus den Sozialwissenschaften betreffen den Konstruktcharakter von kollektiven Identitäten und ihr Verhältnis zu Kultur und Gesellschaft. Prämissen über »feststehende Formen und Inhalte«84 sind demnach grundsätzlich nicht möglich. Kollektividentitäten stehen vielmehr in Abhängigkeit zu zahlreichen externen Faktoren sowie individuellen Handlungen. Ob bestimmte Lebenselemente tatsächlich Einfluss entfalten, ist nicht determiniert. Identitäten wohnt somit auch nichts kulturell Musterhaftes inne. Gemeinschaften werden nicht statisch durch nur eine Kultur bestimmt, sondern erfinden sich durch einen »aktiven Schaffensprozess«85 selbst immer wieder neu. Folglich sind auch Identitäten einer ständigen Transformation unterworfen.86 Wie bereits angedeutet, wurden die bestimmenden Einflussfaktoren bei der Konstruktion und gesellschaftlichen Aushandlung von Identitäten äußerst vielfältig besprochen. Für den Zusammenhang zwischen Einwanderervereinen, kollektiven Identitäten und Geschichte sind darüber hinaus die Überlegungen des Politikwissenschaftlers Wolfgang Bergem und des Soziologen Bernhard Giesen von Interesse. Bergem misst »Erinnerungen, Räumen, Werten und Institutionen«87 eine besondere Bedeutung zu. Vergangenheit ist in seiner Konzeption eine »zentrale Ressource kollektiver Selbstvergewisserung«88 , die durch Kommunikation, Diskurs, Erinnerungskultur, Geschichtsschreibung, usw. immer wieder aufs Neue konstruiert und somit zu Identität wird. Die als Ergebnisse einer vorläufigen Grenzziehung entstehenden Räume werden zu »Arenen für Prozesse kollektiver Identifikation«89 . Sie spielen besonders bei der historischen Betrachtung nationaler Identitäten eine bedeutsame Rolle und sind geeignet, einer Gruppe Vertrauen, Schutz und Geborgenheit zu vermitteln. Als einen weiteren zentra81 | Vgl. Wagner 1998, 48f. 82 | Bergem 2005, 88. 83 | Vgl. Rosoli 1993, 341. 84 | Wagner 1998, 59. 85 | Baumann 1998, 310. 86 | Vgl. für diesen Absatz: Giesen 1999, 19; Baumann 1998, 310; Wagner 1998, 59. 87 | Bergem, 2005, 22. 88 | Ebd., 115f. 89 | Ebd., 125f.
3. KOLLEKTIVE IDENTITÄTEN | 23
len Baustein im Grundgerüst aller Gesellschaften nennt Bergem gemeinsame verbindliche Werte, die Regeln und Grenzen des Zusammenlebens definieren und handlungsleitend bzw. stabilisierend wirken.90 Institutionen sind ebenfalls in der Lage, Identität zu strukturieren, wenn sie z.B. aus Wertüberzeugungen heraus entstehen und diese zu bewahren suchen.91 Diese Erkenntnis lässt sich auf Einwanderervereine als Schutzräume tradierter Kultur- und Lebensmodelle übertragen. Bernhard Giesen konzentriert sich in seiner Analyse auf den historischen und sozialen Kontext und die »symbolische Codierung« von kollektiven Identitäten.92 Die gemeinschaftliche Grenzziehung auf Grundlage von Ethnizität, Geschlecht, etc., die als naturgegeben wahrgenommen werden, bezeichnet er als »primordiale Codes«.93 Demgegenüber basieren »traditionale Codes« auf nicht natürlichen gesellschaftlichen Konstruktionen, die wesentlich durch kollektive Erinnerungen, Rituale und symbolträchtige Orte bestimmt werden. Für den vorliegenden Fall bedeutsam ist Giesens Annahme, dass traditionale Identitätskonstruktionen einerseits häufig in geschützten Räumen stattfinden und die Außenwelt dabei als potentielle Gefahr erscheint, sie andererseits aber vergleichsweise flexibel angelegt und wandelbar sind.94 Vor allem Religionsgemeinschaften, aber auch sendungsbewusste Nationen bedienen sich darüber hinaus »universalistischer Codes«, die auf dem Gegensatz zwischen dem Weltlichen und einer übergeordneten Instanz beruhen. Die eigene Anschauung wird dabei als überlegen wahrgenommen und das Fremde soll nach Möglichkeit integriert werden. Wie auch bei traditionalen Konstruktionen stellen regelmäßige Rituale eine dauerhafte Bindung zwischen den Gemeinschaftsmitgliedern sicher.95 Bereits diese komprimierte Wiedergabe einiger der zahlreichen Dimensionen von Identität weist auf die Flüchtigkeit und Instabilität des Gegenstandes hin. Jürgen Straub formulierte hierzu treffend: »Identität ist limitiert, vorläufig, fragil und sie ist dies alles unausweichlich.«96 Damit verbindet sich zugleich eine wissenschaftliche Handlungsanweisung: Identitäten müssen in ihrer Entwicklung beobachtet und einer kontinuierlichen Neuüberprüfung und -bewertung 90 | Vgl. ebd., 129. 91 | Vgl. ebd., 131f. Vgl. für diesen Absatz: Bergem 2005, 125-132. 92 | Vgl. Giesen 1999, 27. Giesen verbindet in seinen zwei Studien über deutsche Kollektividentitäten sozialwissenschaftliche Ansätze mit historischen Beispielen. Das Vorgehen und die Ergebnisse können als wegweisend bezeichnet werden (vgl. Giesen 1993 und 1999). 93 | Vgl. Giesen 1999, 32f. 94 | Vgl. zu traditionalen Codes: Ebd., 42-47. 95 | Vgl. zu universalistischen Codes: Ebd., 54-58; 62f. 96 | Straub 1998, 82.
24 | KAPITEL I. MIGRATION, VEREINE, IDENTITÄT
unterzogen werden. Vor allem aber sind sie von jedem Absolutheitsdenken auszunehmen. Die hier beschriebenen Ansätze zeigen außerdem an, dass sich »Identität« prinzipiell nur im Plural denken lässt. Das gilt auch für die Analyse der Zeugnisse von Gemeinschaften und ihrer freiwilligen Organisationen, bei der kaum ein einziges, kohärentes Bild zu erwarten ist. Viel wahrscheinlicher wird sich die Komplexität und Variabilität des Konstruktionsprozesses in unterschiedlichen Entwicklungslinien niederschlagen, denen es im einzelnen nachzuspüren gilt. Die Sozialwissenschaften arbeiten zu diesem Zweck mit zentralen Kategorien »kollektiver Zugehörigkeiten«97 – darunter Nation, Ethnie, Geschlecht, Klasse und Rasse –, die auch für historische Studien fruchtbar sein können.98 Insbesondere Nation und Ethnizität sind zentral für die Beschreibung des deutschargentinischen Kontextes europäischer Massenmigration im 19. und 20. Jahrhundert.99 In der historischen Rückschau sind die Begriffe »Nation« und »Ethnizität« kaum voneinander zu trennen. Das lateinische natio wie auch das griechische ethnos verweisen auf Abstammung und Volkszugehörigkeit und dienen seit der Antike als kollektives Abgrenzungsmerkmal.100 Besonders das 19. und das 20. Jahrhundert sahen eine starke Überlappung von »Nation«, »Staat« und »Volk« sowie den essentialistischen Vorstellungen sprachlicher, kultureller und rassischer Homogenität und Determiniertheit. Kolonialismus, Imperialismus und die permanenten internationalen Konfliktherde standen in direkter Beziehung zum übersteigerten Nationalismus dieser Epoche.101 Erst seit den 1980er Jahren erfolgte eine grundlegende Unterscheidung zwischen Staat und Nation als einer real existierenden politischen Struktur auf der einen und einem gesellschaftlichen Konstrukt auf der anderen Seite.102 In seinem grundlegenden Werk beschrieb etwa Benedict Anderson Nationen als »imagined political communities«, da u.a. keine persönlichen Bindungen
97 | Eickelpasch/Rademacher 2004, 12. 98 | Diese Kategorien sind von einer einheitlichen wissenschaftlichen Fixierung weit entfernt, sei es in definitorischer oder terminologischer Hinsicht. Es konnten sich darüber hinaus z.B. »kulturelle« und »politische« (vgl. Bergem 2005) oder auch »soziale« Identitäten (vgl. Haselbach 1998, 4-9; Fuller 2008, 4f.; Müller 2011, 13f.) als Arbeitsbegriffe etablieren, die die genannte Klassifizierung ersetzen oder in Teilen zusammenfassen. So ordnet Müller – u.a. in Anlehnung an Mead – die kollektive Identität der sozialen Identität unter (vgl. Müller 2011, 73). 99 | Vgl. Kapitel II dieser Arbeit. 100 | Vgl. Jansen/Borggräfe 2007, 10; Kohl 1998, 270; Dann 2003b, 182. 101 | Vgl. Dann 1996, 22. 102 | Vgl. Jansen/Borggräfe 2007, 14f.; Geulen 1998, 356f.
3. KOLLEKTIVE IDENTITÄTEN | 25
zwischen der Mehrheit ihrer Glieder vorliegen.103 Eine Minimaldefinition aus geschichtswissenschaftlicher Perspektive, die diese Konstruktionsebene berücksichtigt, könnte lauten: »Nationen sind Gesellschaften, die aufgrund gemeinsamer geschichtlicher Herkunft eine politische Interessengemeinschaft bilden. Sie verstehen sich als Solidargemeinschaft; denn sie gehen aus von der Rechtsgleichheit ihrer Mitglieder. Nationen sind stets auf ein konkretes Territorium (patria) bezogen. Ihr wichtigstes Anliegen ist die eigenverantwortliche Gestaltung ihrer Lebensverhältnisse, d.h. politische Selbstverwaltung (Souveränität) innerhalb ihres Territoriums bzw. ein eigener Staat. Nationen werden zusammengehalten durch einen Grundkonsens über ihre politische Verfassung und Kultur.«104
Ethnizität ist nach wie vor Teil des modernen Nationskonzepts und wird auf ähnliche Weise »erdacht«. Der Konstruktcharakter ethnisch begründeter Gemeinschaften wurde früh erkannt, etwa von Max Weber, der gemeinsame Bräuche, Werte und historische Kontinuitätslinien als deren Stützpfeiler ausmachte.105 Sprachliche oder kulturelle Gemeinsamkeiten und Identitäten gehörten auch danach noch zu den bevorzugten sozialwissenschaftlichen Bezugspunkten, um den Begriff »Ethnizität« auszufüllen. Hinzu trat der bereits angesprochene Grundsatz, dass Ethnizität nicht nur auf Grundlage von Gemeinsamkeiten, sondern vor allem durch Abgrenzung von anderen Gruppen konstruiert wird.106 Dass dieser Prozess nicht zwangsläufig in einer ethnischen Sackgasse enden muss, sondern häufig in »multiple ethnicities« mündet, lässt sich auch anhand historischer Beispiele belegen.107
103 | Vgl. Anderson 2006, 6. Das Werk erschien 1983 in erster Ausgabe. Für eine ähnliche Stoßrichtung vgl. Eric Hobsbawm und T. O. Ranger, Hrsg. 1983. The Invention of Tradition. Cambridge: Cambridge University Press. 104 | Dann 1996, 12. Gleichwohl muss darauf hingewiesen werden, dass sich diese vergleichsweise aktuelle Definition, insbesondere im deutschen Fall, nicht gänzlich mit den Vorstellungen von Nation deckte, die das 19. und weite Teile des 20. Jahrhunderts dominierten. Vgl. dazu Kapitel II, 2 dieser Arbeit. 105 | Vgl. Fijalkowski/Gillmeister 1997, 27. 106 | Vgl. Kohl 1998, 271f. 107 | Vgl. Lesser 1999, 4. Lesser kommt in seiner historischen Studie über japanische Einwanderer und ihre Nachfahren in Brasilien zu dem Schluss, dass sich aus der Migrationserfahrung eine »hyphenated culture« entwickelt, die die Parallelität nationaler und ethnischer Elemente aus den Herkunfts- und Zielgesellschaften zu ihren Grundeigenschaften zählt (vgl. Lesser 1999, 123).
26 | KAPITEL I. MIGRATION, VEREINE, IDENTITÄT
4 Möglichkeiten und Grenzen der interdisziplinären Auseinandersetzung Die vorangegangenen Kapitel haben gezeigt, dass ein interdisziplinärer Rundumblick notwendig ist, um den Zusammenhang Migration – Vereine – Identität herzustellen. Insbesondere die Sozialwissenschaften zeichneten sich auf diesen Gebieten für die theoretische Grundlegung verantwortlich und diskutierten wesentliche Arbeitsbegriffe, die auch für andere Fachrichtungen erkenntnisleitend sein können. All dies gilt es nun an einem konkreten historischen Gegenstand zu erproben. Denn auch eine Beschäftigung mit deutschen Einwanderervereinen und identitäten in Argentinien kann nicht aus sich selbst heraus zu historischem Erkenntnisgewinn führen. Ohne theoretische und kontextuelle Ordnungselemente bliebe das Ergebnis bezugslos und eindimensional. Ebenso wenig ist es aber möglich, einer zu rekonstruierenden Wirklichkeit a priori eine Idee überzustülpen, ohne dabei das Quellenfundament zu vernachlässigen und sich vom eigentlichen Gegenstand zu entfernen.108 Die Auseinandersetzung muss deshalb zu jeder Zeit in beide Richtungen kritisch und ergebnisoffen verlaufen. Dazu gehört auch, sich die Grenzen und Schwächen von Konzepten, Theorien und interdisziplinären Ansätzen bewusst zu machen. Es wurde in den Sozialwissenschaften bereits ein beachtlicher Wissensstand zu Einwanderervereinen und Identitäten zusammengetragen. Zwar erkennt man auch dort zunehmend die Notwendigkeit, diese in einen historischen Zusammenhang zu stellen,109 das Bewusstsein für kulturhistorische Determinanten und Vorgängerorganisationen fehlt jedoch nach wie vor der Mehrzahl der Arbeiten. Die historische Migrationsforschung wiederum beginnt erst allmählich, Vereine und Identitäten als wichtige Bausteine internationaler Wanderungsbewegungen in den Mittelpunkt zu rücken. Eine Verbindung zwischen diesen Richtungen herzustellen, muss somit ein Anliegen der vorliegenden Studie sein. Während vor allem Soziologie und Ethnologie die Analysewerkzeuge bereitstellen, um den Ablauf des Vergesellschaftungs- und Identitätskonstruktionsprozesses zu erklären, wird sich die Geschichtswissenschaft darauf konzentrieren, die politischen, wirtschaftlichen, gesellschaftlichen, etc. Begleitumstände und die Entwicklung der Vereine in eine akkurate und wirklichkeitsnahe historische Erzählung zu übertragen. Wie auch immer diese beiden Ebenen austariert 108 | Zahlreiche Chroniken und Schriften deutscher Amerika-Auswanderer mit ihren ethnozentristischen Zerrbildern homogener und harmonischer Gemeinschaften liefern dafür anschauliche Beispiele. 109 | Vgl. Gadea/Albert 2011, 12 und Giesen 1999.
4. MÖGLICHKEITEN UND GRENZEN | 27
werden, wird sich die zu erwartende Kultur- und Sozialgeschichte in erster Linie auf dem Boden der kritischen Quellenanalyse bewegen müssen. Diese scheint am ehesten geeignet, der diskursiven Dimension von Identitätskonstruktionen gerecht zu werden und – in Ermangelung mündlicher Zeugnisse aus dem untersuchten Zeitraum – historische Selbst- und Fremdbilder in den Vereinen sowie in ihrem Umfeld zu erfassen. Von diesem gefestigtem Fundament aus bieten sich vielfältige Anknüpfungs- und Vergleichsmöglichkeiten mit anderen Wissenschaftsbereichen. Allerdings sind diese nicht grenzenlos. Die historische Rekonstruktion von Einwanderervereinen und -identitäten folgt mitunter eigenen und nicht uneingeschränkt kompatiblen Regeln. So offenbart etwa ein Blick auf die zerklüftete Forschungslandschaft zum Thema Identität, dass der Nutzen ausgeprägter Interdisziplinarität nicht selten ins Gegenteil verkehrt wird. Die Vielzahl divergierender theoretischer und methodischer Zugänge versperrt bisweilen die Sicht und erschwert es, Essentielles herauszufiltern. Wagner fragte in diesem Zusammenhang nach der »Identität der Identitätsdebatte«110 : Zwar wird Identität als einheitlicher Begriff in verschiedenen Wissenschaftszweigen gebraucht, aber oft mit unterschiedlichen Konzepten unterlegt und mit abweichenden Parametern besprochen.111 Folglich wird eine genaue Abstimmung nötig sein respektive eine Prüfung der Theorie am Gegenstand und vice versa. Die Geschichtswissenschaft hat hier den Vorteil, sich mit vergangenen, zumeist abgeschlossenen Entwicklungen zu befassen. Sie ist somit in der Lage, Identitäten in ihrer Prozesshaftigkeit zu betrachten und in einen erweiterten historischen Kontext einzubetten, der erfahrungsgemäß erst aus einer gewissen zeitlichen Distanz vollumfänglich wahrzunehmen ist. Die Gefahr der »Momentaufnahme«, wie sie für die gegenwartsbezogene sozialwissenschaftliche Identitätsforschung erkannt wurde, besteht daher kaum.112 Die mittlerweile gängige Auffassung von Identitäten als veränderbare Konstrukte, die ständig in Transformation begriffen sind, eröffnen der Historiographie somit die Möglichkeit, eine ganz eigene Dimension des Sujets herauszustellen. In der Verbindung zwischen Identität und Einwanderervereinen sind ihrer Suche nach den »großen Zusammenhängen« allerdings auch Grenzen gesetzt. Das hängt mit der Frage der Repräsentativität dieser Vereine zusammen, die erwiesenermaßen nur stellvertretend für eine relativ kleine Gruppe innerhalb der Gesamteinwanderung stehen. Die Erforschung von kollektiven Identitäten in diesem Umfeld kann im Ergebnis allenfalls einen Ausschnitt einer ungleich größeren anzunehmenden Gemengelage leisten. Abstrahierende Rückschlüsse 110 | Wagner 1998, 46f. 111 | Vgl. ebd. 112 | Vgl. ebd., 70-72.
28 | KAPITEL I. MIGRATION, VEREINE, IDENTITÄT
über den festgelegten institutionellen, kontextuellen und national-ethnischen Rahmen hinaus sind nur sehr eingeschränkt möglich. Eine davon abgeleitete Universalgeschichte der Identitätskonstruktionen im Umfeld von Einwanderervereinen oder gar einer ganzen Gemeinschaft erscheint aus diesen Gründen abwegig. Ein weiteres Beispiel für das schwierige Verhältnis zwischen Theorie und historischer Wirklichkeit geben die aktuell in der Migrationsforschung stark rezipierten Konzepte des Transnationalismus und der Transkulturalität. Zwar wird die Relevanz grenzübergreifender bzw. globaler Zusammenhänge für die Geschichtswissenschaft, wie sie mit Hilfe dieser Ansätze beschrieben werden kann, von verschiedenen Seiten immer wieder betont.113 Eine Geschichte deutscher Einwanderervereine im argentinischen Hinterland zwischen den 1850er und den 1930er Jahren kann darauf aber nur teilweise zurückgreifen. Im Verlauf dieser Arbeit wird deutlich werden, dass durch die fortbestehenden Bindungen der Vereine nach Deutschland, regelmäßige Korrespondenzen und Reisen der Protagonisten in Ansätzen durchaus ein neuer Raum entstand, der für die Entfaltung transnationaler und transkultureller Effekte nötig ist.114 Allerdings fehlte es an einer hochentwickelten Kommunikations- und Transportinfrastruktur, die durch intensiven Informations-, Güter- und Personenaustausch die Dichte und Persistenz eines solchen Raumes entscheidend mitbestimmt.115 Wenngleich in Ansätzen zu erkennen, deckt sich die Idee eines engmaschigen Netzes transnationaler und transkultureller Verflechtungen in diesem konkreten Fall kaum mit der historischen Wirklichkeit. Die Suche nach gemeinsamen regionalen oder gar globalen Zusammenhängen, wie sie für die gegenwärtige Forschungsdebatte kennzeichnend ist und im Transnationalismus und der Transkulturalität stellvertretend zum Ausdruck kommt, birgt Chancen und Risiken. Obschon grenz- bzw. kulturübergreifende Vergleiche unzweifelhaft von Bedeutung für die migrationstheoretische 113 | Vgl. Wimmer/Glick Schiller 2002, 322f.; Glick Schiller et al. 1992, 34; Harzig/Hoerder 2009, 110-112; Portes et al. 1999, 224. 114 | Das dominierende transatlantische Kommunikationsmittel in den Vereinen war bis in die 1930er der Brief, der mitunter einige Wochen nach Deutschland benötigte. Nur in dringenden Fällen bediente man sich der Telegrafie. Reisen fanden in beide Richtungen nur vereinzelt statt. Mit der Dampfschifffahrt verkürzte sich zwar die Reisedauer von Argentinien nach Deutschland von mehreren auf schließlich nur noch eine Woche. Von einem regelmäßigen, breiten Austausch auf Vereinsebene kann aber dennoch nicht die Rede sein. 115 | Vgl. zur Konstruktion dieser Räume: Portes et al. 1999, 219; 223f.; Harzig/Hoerder 2009, 84; Bergem 2005, 109f.; Bernecker 2009, 37. Pries verweist auf die Zunahme und Verdichtung transnationaler Räume im ausgehenden 20. Jahrhundert (vgl. Pries 2010, 43). Auch Klaus J. Bade geht von einer beschränkten Anwendbarkeit dieser Konzepte in der historischen Migrationsforschung aus (vgl. Bade 2007, 119f.).
4. MÖGLICHKEITEN UND GRENZEN | 29
Grundlegung sind, bedeutet die Loskopplung von lokalen Faktoren und die Betrachtung im Grunde sehr verschiedenartiger Entwicklungen auf einer rein wissenschaftlichen Metaebene im Umkehrschluss auch eine Verwischung kausaler Zusammenhänge. Im vorliegenden Fall kann das Ziel der Historiographie demnach zum einen nur eine möglichst genaue Darstellung der Geschichte auf lokaler bis nationaler Ebene sein, die den maßgeblichen Erklärungsrahmen für die Einwandereraktivitäten bildet. Zum anderen muss sie ausgewählte Schnittstellen analysieren, die zwar über den nationalen Rahmen hinausweisen, für das Verständnis der historischen Zusammenhänge aber unerlässlich sind. Vergleiche bleiben dabei möglich, erscheinen aber nur auf dem eng begrenzten Raum in unmittelbarer Nachbarschaft zum Forschungsgegenstand sinnvoll. Ähnliches lässt sich für die vorgestellten identifikatorischen Kollektiveinheiten »Ethnizität« und »Nation« feststellen. Ramirez weist auf die Gefahr einer »ethnic history« ohne Bezüge zur Aufnahmegesellschaft hin, die die Tätigkeit und den Zusammenhalt einer Gemeinschaft »mythisch« verklärt.116 Straub gibt darüber hinaus zu bedenken, dass kollektive nicht wie personale Identitäten an eine real existierende Person gebunden, sondern nur gedachte Gemeinschaften seien. Je nach »Denker« könnten stereotype oder ideologisch gefärbte »Pseudo-Identitäten« das Ergebnis sein.117 Diese Einwände sind nicht von der Hand zu weisen, werden im Hinblick auf den Gegenstand aber entscheidend entschärft. Die untersuchten Einheiten, die Einwanderervereine, sind nicht mehr imaginär, vorgeformt oder bezugslos, sondern bilden einen aus eigenem Antrieb institutionalisierten und mehr oder weniger formalisierten Mikrokosmos. Dieser ist zwar nicht hermetisch abgeschlossen, erlaubt aber, auch in Anbetracht der dargelegten allgemeinen Vereinscharakteristika, eine genauere und, dank der Quellenbasis, vor allem fundiertere Annäherung an die Identitäten von Einwanderern. Gleichwohl muss das Bewusstsein für die Problematik von z.B. politisch motivierten Fremdzuschreibungen und ihren Einfluss auf Kollektividentitäten insbesondere im vorliegenden Fall stets vorhanden bleiben. Die Frage danach, wer wann von wem wie und zu welchen Zweck zu einer Gruppe zusammengefasst wird, ist aber ohnehin fester Bestandteil des Kanons geschichtswissenschaftlicher Arbeitsweisen. 116 | Vgl. Ramirez 1993, 405-407. 117 | Vgl. Straub 1998, 98-101. Peters begegnet der Kritik an der stereotypen Vereinfachung komplexerer Zusammenhänge mit dem Verweis auf die großen Unterschiede zwischen personalen und kollektiven Identitäten, die sich nicht ohne weiteres vergleichen lassen, und auf den Umstand, dass letztere vor allem durch Diskurse, Symbole, Praktiken und Akteure geprägt werden (vgl. Peters 2003, 14f.).
30 | KAPITEL I. MIGRATION, VEREINE, IDENTITÄT
Auf theoretischer Ebene ergibt sich schließlich noch ein anders gelagertes Problem mit der Aufspaltung in die genannten Identitätskategorien. Wie allen idealtypischen Einteilungen eigen, ermöglichen »Ethnizität« und »Nation« zwar die Erfassung ungleich abstrakterer und komplexerer Zusammenhänge, gelangen aber in ihrer Ausschnitthaftigkeit zugleich rasch an argumentative Grenzen.118 Die vorliegenden historischen Fallbeispiele werden zeigen, dass eine überscharfe Trennung nationaler, ethnischer, religiöser, etc. Elemente nicht erkenntnisleitend sein kann. Als Denkhorizont bzw. Ergebnisse individueller Sozialisation bedingen sie sich bisweilen gegenseitig und sind in fließenden Übergängen und unterschiedlichen Gewichtungen stets Bestandteil kollektiver Identitätskonstruktionen.
118 | Haselbach kritisiert, dass die genannten Kategorien deshalb ihrem Erkenntnisanspruch bei der Beschreibung kollektiver Identitäten im Grunde nicht gerecht werden können (vgl. Haselbach 1998, 12f.).
II »Auslandsdeutschtum« und Vereinswesen zwischen den Kontexten »Wir kennen und bewundern einen der größten Züge Ihrer Race [sic] und dieses Jahrhunderts, jene wahrhaft poetische That [sic] der Colonisation, welche sechs Millionen Deutsche verwirklicht haben in den Territorien des Westens der Vereinigten Staaten, in dem sie in den Kämpfen mit der primitiven Natur die Hülfsmittel [sic] und die Tugenden der fortgeschrittenen Civilisation [sic] entfalten, und es würde auch für uns ein ersehntes Regierungsprogramm sein, unter dem Schutze freier Institutionen die Bearbeitung und Bevölkerung eines großen Theiles [sic] unserer wüsten Territorien der mannhaften Einwanderung des Nordens von Europa zu übergeben.« — Nicolás Avellaneda, Rede in Buenos Aires, 18761
1 Versuch einer Einordnung Die Beschäftigung mit deutschen Gemeinschaften und Vereinen im Ausland wirft zwangsläufig das Problem der historischen Verortung auf. Der im 19. Jahrhundert einsetzenden europäischen Massenmigration in die amerikanischen Staaten schlossen sich »freiwillig«2 Millionen von Deutschen an, oft mit dem Ziel, sich dort auf Dauer, zumindest aber für einen längeren Zeitraum niederzulassen. Mit der Verlagerung des Wohnortes waren bestimmte Erwartungen verknüpft, die von den Einwanderern auf die »Fremde« projiziert wurden: Der Aufbau eines neuen, besseren Lebens, einer neuen beruflichen Zukunft, einer Familie. Es existieren zahlreiche Beispiele dafür, dass diese Hoffnungen nicht unbegründet waren. In vielen Fällen sicherte die rasche wirtschaftliche 1 | Deutsche La Plata-Zeitung (DLPZ), 6. Jg., Nr. 38 (31. März 1876), ohne SZ. Nicolás Avellaneda war von 1874 bis 1880 Präsident Argentiniens. Die Rede hielt er beim Empfang des neuen Ministerresidenten des Deutschen Reichs, Baron von Holleben, in Buenos Aires. 2 | Die häufig anzutreffende grundsätzliche Unterteilung in freiwillige und unfreiwillige Migration ist kritisch zu sehen, da auch vermeintlich freiwilligen Wanderungsbewegungen in der Regel zwanghafte Momente zu eigen sind (vgl. Lucassen et al. 2010, 10f.). Als Beispiele wären ökonomische und soziale Krisen anzuführen.
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Integration den Einwanderern einen zunehmenden Einfluss in der Aufnahmegesellschaft. Dem gegenüber stand der ungleich schwierigere soziale und und kulturelle Anpassungsprozess. Die ersten Einwanderergenerationen waren in die ideen- und kulturgeschichtlichen Bezugssyteme ihrer »alten Heimat« verstrickt und brachten Bräuche, Wertvorstellungen und Weltbilder mit, die sich zum Teil deutlich von denen der Zielländer unterschieden. Das Erziehungsverhältnis zwischen Eltern und Kindern oder die vielgestaltige Tradierung kultureller Verhaltensweisen im Alltag konservierten zumindest Bausteine nationaler und ethnischer Identifizierung, die, bewusst oder unbewusst, in den Grenzgebieten kollektiver Zugehörigkeiten gelebt wurden. Die Vereine stellten im Prozess der Akkulturation eine unter vielen Möglichkeiten dar, den alltäglich auftretenden Brüchen und Widersprüchen zwischen dem Denkhorizont der deutschen Einwanderer und der sie umgebenden Lebenswelt zu begegnen. Der historische Kontext für die Vergesellschaftung und Identitätsbildung deutscher Einwanderer in Argentinien ist daher ein doppelter. Er speist sich aus Entwicklungslinien auf beiden Seiten des Atlantiks, die sich wiederum in den ethnischen Gemeinschaften vereinen und auf unterschiedliche Weise sichtbar werden. In Deutschland stimulierten zunächst die politischen, wirtschaftlichen und sozialen Rahmenbedingungen die Wanderungsbewegungen. Vor allem Krisensituationen ließen die Emigration als vielversprechende Zukunftsperspektive und gangbaren Ausweg aus Armut und Subordination erscheinen. Die deutschen Staaten bzw. das Reich waren nun vor die Aufgabe gestellt, die Ströme der Auswanderungswilligen mit Hilfe migrationspolitischer Vorgaben zu schützen und zu regulieren. Ergänzend engagierten sich immer mehr private und Vereinsinitiativen auf dem Sektor der Auswandererunterstützung und -förderung. Jeder deutsche Emigrant war gezwungen, sich mit diesen institutionellen Rahmenbedingungen auseinanderzusetzen, bevor er seine Reise antrat. Als prägender Epocheneindruck ist auch die deutsche Emanzipation von französischer Herrschaft in den Kontext miteinzubeziehen, die wesentlich zur Ausbildung eines deutschen Nationalbewusstseins beitrug und u.a. in der Entstehung einer schichtenübergreifenden Vereinsbewegung mündete. Den vorläufigen Höhepunkt dieser Entwicklungen markierte die Reichsgründung, deren identifikatorische Bedeutung für Deutschland kaum unterschätzt werden kann. Die Umstände der deutschen Einigung und der folgende, politisch aktivierte und instrumentalisierte Nationalismus des in die Welt ausgreifenden Deutschen Kaiserreichs bildeten – in affirmativer oder ablehnender Weise – ebenfalls wichtige Bezugspunkte für das Selbst- und Weltbild deutscher Auswanderer.
1. VERSUCH EINER EINORDNUNG | 33
Dies trifft umso mehr zu, da sich das Reich nun mit einer eigenen außenpolitischen Agenda aktiver dem »Auslandsdeutschtum« zuwandte. Vom diesem neuen kulturellen Sendungsbewusstsein, welches ganz offen mit außenwirtschaftlichen Ambitionen gekoppelt war, profitierten vor allem die Vereine, Schulen und Kirchengemeinden deutscher Auswanderer, die nun mit einer erhöhten Aufmerksamkeit in der deutschen Öffentlichkeit, aber auch mit finanziellen Beihilfen des Staates rechnen konnten. Die fortgesetzten Beziehungen verdichteten sich nach Reichsgründung auf globaler Ebene zu einem Netzwerk, dessen Fäden in den preußischen Ministerien und Kirchenbehörden in Berlin zusammenliefen. Die Sensibilität für die Geschicke Deutschlands blieb daher besonders innerhalb des auslandsdeutschen Vereinswesens hoch und begünstigte eine dauerhafte Identifizierung mit dem ehemaligen Heimatland. Es wird im Folgenden deutlich werden, dass darüber hinaus vor allem Krisen, Kriege und Katastrophen, die Deutschland betrafen, Anteilnahme unter deutschen Auswanderern erregten und die Aktivitäten und Initiativen im Umfeld der Vereine befeuerten.3 Auf argentinischer Seite eröffnet sich ein ähnlich komplexer Erklärungshintergrund für die deutsche Immigration und ihr Vereinswesen. Eingeleitet durch die erfolgreiche Unabhängigkeitsbewegung und unter den erschwerten Bedingungen zahlreicher interner und externer Konflikte begann sich Argentinien seit Anfang des 19. Jahrhunderts als Staat und als Nation zu konstituieren. Die Beförderung der europäischen Einwanderung wurde rasch als bevorzugter Weg zur Bewältigung der augenscheinlichen Diskrepanz zwischen dem enormen ökonomischen Potential des Landes und seinem vergleichsweise bescheidenen Entwicklungsstand erkannt und umgesetzt. Eine aktive staatliche Migrationspolitik und privatwirtschaftliche Initiativen bereiteten das Setting für die massenhafte europäische Zuwanderung. Zu den wichtigsten Maßnahmen gehörten umfangreiche Anwerbungs- und Förderprogramme und die Gewährung von Bürgerrechten für Ausländer. Die Bemühungen auf nationaler Ebene fanden auch ihre Entsprechung in den argentinischen Provinzen, die zum Teil eigene Programme aufsetzten. Bei der Kontextualisierung des Einwanderervereinswesens spielen aber auch diejenigen Strukturmerkmale eine Rolle, die Staat, Gesellschaft und Institutionen in Argentinien nicht oder erst in Ansätzen bereitstellen konnten: soziale Sicherungssysteme, der flächendeckende Zugang zu Bildung und die religi-
3 | Das zeigte sich auf eindrucksvolle Weise während des Ersten Weltkrieges. Vgl. dazu Kapitel IV, 4.4 und VI, 3.2.5 der vorliegenden Arbeit. Diese Beobachtung deckt sich mit Erkenntnissen aus der Psychologie, nach denen personale Identitäten in Krisensituationen ebenfalls stärker hervortreten (vgl. Müller 2011, 70).
34 | KAPITEL II. »AUSLANDSDEUTSCHTUM« UND VEREINSWESEN
öse Versorgung der anwachsenden protestantischen Minderheiten.4 An den Stellen, die der Staat oder private Unternehmungen noch nicht in ausreichendem Maße besetzen konnten, boten sich Freiräume, die den Einwanderern früh die Möglichkeit eröffneten, sich nachhaltig in die argentinische Gesellschaft einzubringen. In den genannten Bereichen war der Verein die bevorzugte Organisationsform, um das institutionelle Vakuum auszufüllen. Spätestens gegen Ende des 19. Jahrhunderts konnte das Gewicht und der Gestaltungswille der europäischen Einwanderung in Argentinien kaum mehr ignoriert werden. Längst prägte sie das öffentliche Leben, besetzte wirtschaftliche Schlüsselpositionen und wurde auch politisch aktiv. Ihre Vereins- und Verbandsorganisation erreichte ebenfalls einen Höhepunkt. Angesichts der ethnischen und nationalen Vielgestaltigkeit und des zunehmenden Konfliktpotentials der argentinischen Einwanderungsgesellschaft rückte die Frage nach dem »ser nacional« und der zukünftigen Ausgestaltung des Nationsbildungsprozesses in den Mittelpunkt eines elitären Macht- und Identitätsdiskurses. Welchen Rahmen sollte man dem kulturellen und gesellschaftlichen Wandel geben, welche Grenzen sollte man ihm setzen? Die politischen Antworten darauf sind für den Vereinskontext insofern von Bedeutung, als dass sie ein stärkeres staatliches Engagement im Bildungsbereich bzw. bei der »Nationalisierung« der Einwanderer und ihrer Nachkommen nach sich zogen. Unabhängig von den politischen Maßgaben sind aber auch die gesellschaftlichen Aspekte der Nationswerdung zu berücksichtigen. Die Deutschen, wie auch der Rest der vorwiegend europäischen Immigration, waren auf der Suche nach ihrem Platz in der Gesellschaft. Dabei wurden, im Spannungsfeld zwischen Herkunft bzw. Abstammung und der argentinischen Lebenswelt, auf beiden Seiten grundlegende Elemente des Selbst- und Gruppenverständnisses neu verhandelt. Unter den Räumen, in denen dieser Gestaltungsprozess ablief, finden sich auch die Einwanderervereine.
2 Migration und Vereinswesen in Deutschland 2.1 Vereine und die deutsche Nationsbildung Dem deutschen Vereinswesen kommt durch seine historische Entwicklung eine Sonderstellung zu, die es auch im vorliegendem Fall zu beachten gilt. Als wichtige Organisationsform der sich formierenden bürgerlichen Gesellschaft wurde 4 | Mit der Masseneinwanderung übertrug sich auch das gesamte Spektrum protestantischer Glaubensrichtungen auf Argentinien. Für die Zusammenarbeit und die Konfliktpunkte zwischen diesen Gruppen vgl. am deutschen Beispiel Kapitel VI dieser Arbeit.
2. MIGRATION UND VEREINSWESEN IN DEUTSCHLAND | 35
der Verein im deutschsprachigen Raum seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert zum Menetekel für die Ablösung überkommener Herrschaftsverhältnisse und Sozialstrukturen. In ihm und durch ihn artikulierten sich die Hoffnungen auf ein selbstbestimmtes, geeintes Deutschland, die Überwindung von Ständegrenzen und eine stärkere politische Partizipation des Bürgertums. Mit der Ausbreitung auf alle Gesellschaftsschichten und der grenzübergreifenden Vernetzung wurde die Vereinsbewegung endgültig zu einem ernstzunehmenden politischen Faktor und prägte die deutsche Gesellschaft auf nachhaltige Weise. Im Reich setzte sich dieser Einfluss – unter anderen Vorzeichen – fort. Die Reichweite der Bewegung wird mit Blick auf die Vereine deutscher Einwanderer im Ausland deutlich, die sich grundlegend an dieser Vergemeinschaftungspraxis orientierten.
2.1.1 Vom Elitenphänomen zur Massenbewegung Den erweiterten historischen Hintergrund für die deutsche Vereinsbewegung bilden die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Veränderungsprozesse, die mit der Aufklärung und der Industrialisierung angestoßen wurden. Der Wunsch nach individueller Verwirklichung, Weiterbildung und kulturellem Leben sowie der unbedingte Fortschrittsglaube waren der Antrieb für die bürgerlichen Eliten, erste Vereine zu gründen oder sich in losen Versammlungen zusammenzuschließen.5 Die Bandbreite der Geselligkeit war bereits im 18. Jahrhundert groß und nahm im europäischen Vergleich – von der englischen Kaffeehausbis zur französischen Salon-Kultur – durchaus unterschiedliche Formen an.6 Für die deutsche Vereinsentwicklung sind aber vor allem die weit verbreiteten Lese- und Geheimgesellschaften von Interesse. In den nach dem Gleichheitsgrundsatz organisierten Lesegesellschaften trafen sich seit der Jahrhundertmitte Bürger und Adlige im Sinne des aufklärerischen Bildungsgedankens zum Zweck der gemeinsamen Lektüre, der politischen Diskussion und des Informations- und Ideenaustausches. Zwar waren Geheimbünde wie die Freimaurerlogen nach englischem Vorbild, die sich parallel zu den Lesegesellschaften durchsetzten, ungleich hierarchischer und exklusiver organisiert, aber auch sie verschrieben sich der Selbstverwirklichung und der freien Meinungsäußerung. Neben diesen beiden bedeutsamen Beispielen kannte das 18. Jahrhundert die den Lesegesellschaften verwandten, aber privaten »Hauskreise« und die zumeist praktisch orientierten wirtschaftlichen, 5 | Vgl. Nipperdey 1972, 6-11; Dann 1993, 122. Ökonomische Gründe hingegen waren – im Gegensatz zu Großbritannien – in Deutschland zunächst nachrangig bis bedeutungslos (vgl. Nathaus 2009, 44f.). 6 | Vgl. Sobania 1996, 170.
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technologischen oder sozialen Fördervereine, die sich der Modernisierung städtischer Infrastruktur und der Beseitigung von Missständen widmeten.7 Über die Bedeutung und den Einfluss dieser frühen Vereinstypen für die folgenden Entwicklungen herrscht Einigkeit. Das geschützte Umfeld der Vereine begünstigte die Verbreitung aufklärerischen Gedankenguts und den kritischen Austausch über politische Sachlagen, der öffentlich in dieser Form nicht ohne Konsequenzen geblieben wäre.8 Ihre progressiven inneren Strukturen, die sich so deutlich von der gesellschaftlichen Wirklichkeit unterschied, stellten im Kleinen bereits eine Umsetzung des im Vereinskreis diskutierten bürgerlichen Modernisierungsmodells dar. Der Verein wurde auf diese Weise zum »Faktor der Mobilisierung im Übergang von der ständischen zur bürgerlichen Gesellschaft«9 . In seiner Gesamtheit war das Verhältnis des ausgreifenden Vereinswesens zum Staat aber durchaus ambivalent. Durch die »Einübung demokratischer Regeln«10 und den informellen politischen Austausch bereitete sich das Bürgertum in den Vereinen auf eine stärkere Herrschaftsbeteiligung vor. Zugleich unterstützten Förder- und Wohltätigkeitsvereine indirekt die staatliche Kontinuität, indem sie Versorgungslücken schlossen und damit soziales Konfliktpotential entschärften. Eine entscheidende Wendung nahm die deutsche Vereinsentwicklung mit der Französischen Revolution, die Ende des 18. Jahrhunderts rasch auf Europa übergriff. Der dadurch auch in Deutschland angestoßene gesellschaftliche und politische Transformationsprozess musste in seinen Grundzügen auf Zustimmung der aufgeklärten Vereinsteile stoßen, nicht jedoch die restaurativen Bemühungen der deutschen Staaten und die expansiven Ambitionen des napoleonischen Frankreich. In den folgenden Jahren und Jahrzehnten entwickelte sich deshalb eine grenzübergreifende patriotische Nationalbewegung gegen die »Fremdherrschaft«, an der Vereine als zentrale Akteure mitwirkten.11 Bei näherer Betrachtung krankte diese Erhebung aber an dem inneren Widerspruch zwischen dem bürgerlichen Wunsch nach einem grundsätzlichen Wandel auf der einen und der gleichzeitigen Ablehnung der Usurpation mit ihrem immensen Veränderungspotential auf der anderen Seite. Diese Positionierung zwischen den Polen spiegelte sich auch im Vereinswesen und dessen zunehmenden politischen oder gar revolutionären Aktivitäten wider. Patriotische »Unterstützungsvereine« etwa bezogen in Preußen Stellung 7 | Vgl. für diesen Absatz: Hardtwig 1990, 796f.; Dann 2003a 19f.; Dann 1993, 129-131.; Foltin 1984, 5. 8 | Vgl. Nathaus 2009, 32f. 9 | Nipperdey 1972, 42. 10 | Sahner 1993, 20. 11 | Vgl. Dann 1996, 68.
2. MIGRATION UND VEREINSWESEN IN DEUTSCHLAND | 37
gegen Napoleon und für den König, während studentische Burschenschaften und Jahns Turnbewegung für die nationale Einheit unter freiheitlichen, republikanischen Vorzeichen eintraten.12 Das von allen Vereinen gepflegte antagonistische Verhältnis zu Frankreich, welches nun offen zutage trat und bis weit in das 20. Jahrhundert hinein fortgeschrieben werden sollte, war ein wichtiger Mosaikstein im Gesamtbild der sich ausbildenden deutschen Nationalidentität.13 Hinzu trat die sich formierende Selbstwahrnehmung als natürliche bzw. romantisch-schicksalhafte Sprach- und Kulturgemeinschaft, die im Bürgertum rasche Verbreitung fand und in ein »neues reichsdeutsches Bewußtsein«14 mündete.15 Über die tatsächliche Ausgestaltung eines künftigen staatlichen Integrationsprozesses in den deutschen Staaten bestand freilich weiterhin großer Dissens. Der Niederlage Napoleons folgte die Zeit der monarchischen Restauration in Europa. Aus Furcht vor revolutionären Erhebungen wurde insbesondere die politische Vereinstätigkeit in den deutschen Bundstaaten mit Verboten und Verfolgung erheblich eingeschränkt.16 Die Aussicht auf einen geeinten Nationalstaat waren damit vorerst wieder in weite Ferne gerückt. Erst der deutsche Vormärz brachte mit neuen Freiheiten auch ein Wiederaufleben der Nationalbewegung und der Vereinskultur, die sich auf breiterer gesellschaftlicher Basis neu formierte, spezialisierte und grenzübergreifend vernetzte.17 Als zeittypische Strukturen gewannen beispielsweise die seit den 1820er Jahren nach schweizerischem Vorbild organisierten Gesangvereine oder die zahlreichen Wohltätigkeitsvereine, in denen sich auch Frauen engagierten, an Bedeutung.18 Die Jahre um 1840 gelten gemeinhin als »Durchbruch« des »modernen Vereinswesens«19 und markierten ihren Übergang zur Massenbewegung, dem sich eine Hochphase in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts anschloss.20 Trotz des Scheiterns der Revolution blieb das erstmals in der Frankfurter Verfas12 | Vgl. Dann 2003a, 34f.; Dann 1996, 96; Hardtwig 1990, 804f.; Düding 1984, 23f.; 35-37. 13 | Vgl. Bergem 2005, 151. 14 | Dann 2003b, 103. 15 | Vgl. Jansen/Borggräfe 2007, 38f.; Bergem 2005, 144. Der Historiker Friedrich Meinecke hat hierfür den häufig zitierten Begriff der »Kulturnation« geprägt, der auf den Umstand verweist, dass eine Nation auch jenseits staatlicher Strukturen denkbar ist. 16 | Vgl. Dann 1993, 134. 17 | Vgl. Hardtwig 1984, 15-19; Nathaus 2009, 34. 18 | Vgl. Dann 1996, 103. Der Einfluss der Vereine auf die deutsche Parteienlandschaft und die entstehende Arbeiterbewegung kann an dieser Stelle nur erwähnt werden. 19 | Dann 1993, 135. 20 | Vgl. ähnliche Einschätzungen bei: Sahner 1993, 19; Nipperdey 1972, 3; Hardtwig 1984, 19; Nathaus 2009, 105. Türk et al. halten dem nicht zu Unrecht entgegen, dass mit dem Vereinswesen auch ein »neues System sozialer Ungerechtigkeit« etabliert wurde. Da es sich zunächst um ein elitäres Phänomen innerhalb des männlichen Stadtbürgertums handelte, konnten Frauen, Arbeiter oder die Landbevölkerung in weit
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sung festgesetzte Vereinsgründungsrecht auch nach 1848 mit Einschränkungen Bestandteil der einzelnen Landesverfassungen.21
2.1.2 Der Verein im Deutschen Kaiserreich Nach 1848 führte der Weg zur deutschen Einheit über die kriegerischen Auseinandersetzungen Preußens und seiner Verbündeten mit dem Deutschen Bund und mit Frankreich. Die Niederlage Napoleons III. bei Sedan wurde dabei zum identifikatorischen Schlüsselmoment für das nun unter preußischer Ägide konstituierte Kaiserreich.22 Unter dem Eindruck dieses doppelten Triumphs und trotz der großen innenpolitischen Spannungen etablierte sich in weiten Teilen der Gesellschaft ein übersteigerter Patriotismus mit nationalistischen und militaristischen Zügen, der auch im bürgerlichen Vereinswesen im In- und Ausland manifest wurde.23 An der rechtlichen Situation der Vereine veränderte sich zunächst nichts. Nach der Verfassung von 1871 war das Vereinsrecht Reichssache, in Ermangelung einer einheitlichen Regelung wurde dieses aber lange von den einzelnen Bundesstaaten wahrgenommen und unterschiedlich umgesetzt. Die Vereinsfreiheit blieb in der Regel dennoch gewahrt. Gegen den Staat gerichtete, politische und vor allem sozialdemokratische »Umtriebe« zogen aber weiterhin polizeiliche Verfolgung nach sich. Der Kaiser war überdies in der Lage die Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit in Notlagen nach eigenem Ermessen einzuschränken.24 Mit dem »Reichsvereinsgesetz« von 1908 erfolgte erstmals eine liberalere rechtliche Normierung auf Reichsebene, die allerdings immer noch eine starke Kontrolle politischer Aktivitäten beinhaltete. Die Aufhebung fast sämtlicher Restriktionen war erst in der Zeit der Weimarer Republik gewährleistet.25 Nichtsdestotrotz nahm die Zahl der Vereine nach 1871 stetig zu. Neue wirtschaftliche und gesellschaftliche Interessen- bzw. Berufsverbände traten ebenso auf den Plan wie Freizeitvereine oder politisch-nationalistische Vereinigungen.26 Die Ausmaße werden am Beispiel der Stadt München deutlich, die Ende geringerem Maße partizipieren bzw. wurden ganz ausgeschlossen (vgl. Türk et al. 2002, 130f.). 21 | Vgl. Sahner 1993, 13; 27f. 22 | Vgl. Dann 1996, 187. 23 | Dietmar Klenke weist darauf hin, dass die potentielle Bedrohung durch Frankreich den deutschen Nationalismus und Vereinsaktionismus bereits vor den Einigungskriegen wesentlich befeuerte (vgl. Klenke 1995, 395; 431f.). 24 | Vgl. zum Vereinsrecht im Kaiserreich ausführlicher: Schultze 1973, 240f.; 256; 269272; 295. 25 | Vgl. Kröll et al. 1982, 44f. 26 | Vgl. Dann 1993, 138.
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des 19. Jahrhunderts etwa 3000 Vereine aufweisen konnte.27 Entsprechend ihrer Verbreitung und öffentlichen Präsenz rückten Vereine als meinungsbildende Instanzen in das Wahrnehmungsfeld des Staates und konnten zunehmend auf Förderung hoffen. Um Volksnähe zu demonstrieren, traten etwa die Kaiser als Wohltäter auf und stifteten Preise für Vereinskonkurrenzen. Die Vereine wiederum profitieren von lokalen Mäzenen, die dem kaiserlichem Beispiel nacheifern wollten.28 Der organisatorische Aufbau und die inneren Strukturen der Vereine folgten zumeist ähnlichen Mustern, die sich im Laufe des 19. Jahrhunderts herausgebildet hatten. Michael Sobania hat am Beispiel der Geselligkeitsvereine allgemeine Charakteristika erarbeitet, die auch für andere Typen Gültigkeit beanspruchen können. Mit der Konstituierung des Vereins wurden grundlegende Ziele, Organisationsprinzipien und Verhaltensregeln in Satzungen, Statuten, Hausordnungen, etc. festgesetzt. Aufnahmeberechtigt waren in der Regel nur volljährige Männer mit einem einwandfreien Lebenswandel, die mitunter einer zusätzlichen Anwärterprüfung unterzogen wurden. Frauen waren grundsätzlich ausgeschlossen. Sie konnten nur über öffentliche und Spezialveranstaltungen am Vereinsleben teilhaben oder sich aber – unter besonderen Voraussetzungen – in eigenen Vereinigungen organisieren. In den jährlichen Generalversammlungen wählten die Mitglieder aus ihren Reihen einen Vorstand als Verwaltungs- und Entscheidungsträger und stimmten über wichtige Fragen ab. Den finanziellen Grundstock für die Vereinsarbeit bildeten in der Hauptsache die Mitgliedsbeiträge, die durch Einnahmen aus Sonderveranstaltungen ergänzt wurden. Größere Ausgaben, wie zum Beispiel für den Vereinshausbau, wurden durch verzinste Aktien, sogenannte »Subskriptionen«, realisiert, die man an die Mitglieder ausgab. Die erheblichen Kosten der Mitgliedschaft erklären zu einem Teil die bürgerliche Dominanz in vielen Vereinen. Im Festkalender spielten zunächst die »Stiftungsjubiläen« eine zentrale Rolle. Je nach Ausrichtung organisierten die Mitglieder zudem Feiern mit nationalem, kulturellem oder geselligem Hintergrund. Zum Jahreswechsel waren wohltätige Sammlungen, sogenannte »Neujahrsablösungen«, geläufig. Katastrophen oder Unglücke im Reich nahm man zum Anlass, Spendenaktionen zu organisieren, die häufig über den eigenen institutionellen Rahmen hinausreichten. Die lokalen Vereine waren in der Regel vernetzt und taten sich zu ebensolchen Initiativen oder gemeinsamen Veranstaltungen zusammen. Zum Teil waren sie auch durch »Doppelmitgliedschaften« verbunden.29 27 | Vgl. Sobania 1996, 170. 28 | Vgl. Nathaus 2009, 131. 29 | Vgl. für die vorangegangenen drei Absätze: Sobania 1996, 170-186.
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Im Hinblick auf den argentinischen Fall lohnt eine gesonderte Beschäftigung mit dem bürgerlichen Vereinswesen, das sich mit seinem »affirmativen Reichspatriotismus«30 mehrheitlich hinter den neuen Staat stellte. Es wurde damit zum Bestandteil eines radikalen, gesellschaftlich sanktionierten Nationalismus, dessen Ursprünge sich, wie Jansen und Borggräfe richtig bemerken, nicht erst im Kaiserreich, sondern bereits weitaus früher ansetzen lassen.31 Die Ausrichtung dieser Vereine auf »Kaiser und Reich« konnte dabei auf ganz unterschiedliche Weise zum Ausdruck kommen: durch interne Huldigung, öffentliche Ehrbekundungen oder die aktive Unterstützung staatlicher Ziele. So stimmte man in Gesangvereinen patriotische Lieder an, Kriegervereine erinnerten an historische Siege und Flottenvereine propagierten die deutsche Aufrüstung. Nationalistische »Loyalitätsfeste«32 wie die Sedan-Feiern und die Kaisergeburtstage wurden zu den Kristallisationspunkten einer staatlich gelenkten Fest- und Erinnerungskultur, die in den Vereinen bereitwillig aufgegriffen wurde.33 Davon zeugen auch die zahlreichen, von Vereinen initiierten Denkmalprojekte für die Kaiser, Bismarck und andere Helden der deutschen Einigung.34 Die bürgerlichen Vereine waren zu Stützen des Konservativismus und der Monarchie geworden. Vor diesem Hintergrund sind die emotionalen Reaktionen auf den Kriegsbeginn 1914 nicht verwunderlich. Es handelte sich um die Kulmination von Entwicklungen und Konfliktlinien, die sich durch das gesamte 19. Jahrhundert zogen: Der Nationalismus, der sich tief in die europäischen Gesellschaften vorgearbeitet hatte; das aggressive expansionistische und imperialistische Gebaren der einzelnen Staaten; das manische Wettrüsten; die folgenden außenpolitischen Verwerfungen. Angeheizt durch die anlaufende staatliche Propagandamaschinerie, erfasste das »Augusterlebnis« – nicht nur in Deutschland – sämtliche Bevölkerungsschichten und war sogar in der Lage, soziale Grenzen zu transzendieren.35
30 | Vgl. Dann 1996, 186f. 31 | Vgl. Jansen/Borggräfe 2007, 79f. 32 | Herzig 2007, 43. 33 | Vgl. ebd., 42f. Herzig weist an gleicher Stelle auf die Spannungen zwischen Bürgerund Arbeiterschicht über die einseitige Inbesitznahme der nationalen Festkultur hin. Dann erwähnt darüber hinaus die Existenz eines »linken Reichspatriotismus« (Dann 1996, 208). Die Verbreitung der patriotischen Festkultur in der Gesellschaft illustrieren ausführliche Handbücher, die für den Einsatz in Vereinen und an Schulen herausgegeben wurden und Anregungen zur Ausgestaltung von Sedanfeiern und Kaisergeburtstagen – inklusive passenden Redevorlagen, Liedtexten und Gedichten – gaben (vgl. Hirtz 1909). 34 | Vgl. Jansen/Borggräfe 2007, 71. 35 | Vgl. Dann 1996, 222-224.
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Das Bürgertum und seine Vereinsbewegung stehen stellvertretend für die allgemeine Euphorie und das enorme Mobilisierungspotential des Krieges. Die Aktivitäten der Vereine reichten von Kriegspropaganda bis hin zu Spendensammlungen. Auch Frauen wurden mobilisiert, vor allem für Wohltätigkeitsund Pflegedienste wie beispielsweise in den Vaterländischen Frauenvereinen.36 Die deutschen Vereine entwickelten sich seit dem 19. Jahrhundert zu einem integralen Bestandteil des bürgerlichen Selbstverständnisses. Sie waren als Orte der ungezwungenen Geselligkeit und des freien Austausches und als Symbol bürgerlicher Emanzipation fest in der deutschen Vorstellungswelt verankert. Zudem standen sie stellvertretend für die Möglichkeiten der kollektiven Interessenvertretung und Zielverwirklichung. Im Kaiserreich erreichten sie als Instrumente des konservativen Bürgertums einen neuen Höhepunkt. Ihre spezifischen Organisationsformen, Verhaltensregeln und Traditionen, die sich nach und nach herausbildeten, sind bis heute musterhaft bei der Vereinsbildung. Das gilt ohne Einschränkungen ebenso für das Vereinswesen deutscher Auswanderer im 19. und 20. Jahrhundert, das bisweilen wie ein Spiegel- oder auch Zerrbild deutscher Verhältnisse erschien.
2.2 »Deutschtum in der Welt« 2.2.1 Deutsche Auswanderung nach Amerika Das Zeitalter der europäischen Massenauswanderung im »atlantic migration system« reichte etwa vom Beginn des 19. bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts.37 In diesen Rahmen ordnete sich auch die deutsche Auswanderung ein, wenngleich Antriebe und Ursachen zwischen einzelnen Ländern und Regionen zum Teil erheblich variierten. Für den deutschen Fall markierten u.a. Wirtschafts-, politische und Versorgungskrisen, Pauperismus und kriegerische Auseinandersetzungen zuverlässig die Konjunkturen der Wanderungsbewegungen. Hinzu traten ein zeitweises und punktuelles migrationspolitisches Engagement, das in der Auswanderung einen Ansatz zur Lösung sozialer Spannungen zu erkennen glaubte, sowie fremdstaatliche Bemühungen zur Migrantenwerbung.38 Nach Schätzungen wanderten bis zum Beginn des Ersten Weltkrieges zwischen sechs und sieben Millionen Deutsche nach Amerika aus, über 90 Prozent 36 | Vgl. Artus 1993b, 221f. 37 | Vgl. Harzig/Hoerder 2009, 35f. 38 | Vgl. Zimmer 1996, 51; Conrad 2006, 231; Marschalck 1973, 19. Wie bereits angedeutet, entwickelt sich die Migrationsentscheidung in Abhängigkeit zu einem komplexen Geflecht aus externen Ursachen, zwischenmenschlichen Beziehungen und individuellen Einstellungen und Entscheidungen. Da andere Aspekte der Migrationserfahrung im Mittelpunkt stehen, muss an dieser Stelle der Verweis auf einige allgemeine Gründe genügen.
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davon in die nordamerikanischen Staaten.39 Nur etwa fünf Prozent wandte sich den Hauptzielen in Lateinamerika zu: Argentinien, Brasilien und Chile.40 Die Hochzeiten der Emigration lassen sich fast ausschließlich im 19. Jahrhundert festmachen: Von 1846 bis 1857, Mitte der 1860er bis 1873 und 1880 bis 1893. Die krisen- respektive politisch induzierten Abwanderungswellen 1923 und in den 1930er Jahren reichten an jene Phasen nicht mehr heran.41 Anfangs entstammten die Migranten in der Mehrzahl vermutlich den Staaten im deutschen Südwesten wie Württemberg, Baden oder Hessen. Im weiteren Verlauf nahm die Abwanderung aus dem Norden und Nordosten, bes. aus Preußen, deutlich zu. Die tendenzielle demografische Zusammensetzung blieb über den Zeitraum weitgehend stabil. War zu Beginn eine verstärkte Familienwanderung zu verzeichnen, dominierten in der Folge ledige junge Männer, die – je nach regionaler Herkunft – zunächst einen agrarischen oder handwerklichen Hintergrund aufwiesen. Ende des 19. Jahrhunderts verschob sich das Gewicht hin zu Arbeitern und Tagelöhnern. Nach 1933 nahm die jüdische Emigration aufgrund politischer Verfolgung stark zu.42
2.2.2 Deutsche Migrations- und Außenpolitik Wie auch das Vereinsrecht nahm die Migrationspolitik vor 1871 in den deutschen Einzelstaaten unterschiedliche Formen an. Anfang des 19. Jahrhunderts sahen sich die Fürsten erstmals mit einer signifikanten Auswanderung infolge von Hungerkrisen konfrontiert. Der Verlust von Untertanen war zu diesem Zeitpunkt allgemein negativ konnotiert, bedeutete er doch auch eine wirtschaftliche und militärische Schwächung. Folglich war die Auswanderungsfreiheit kein verbrieftes Recht, ein Zuwiderhandeln wurde zum Teil mit Strafen belegt.43 Die folgenden Jahrzehnte brachten zwar, wie in vielen anderen Bereichen, auch in dieser Beziehung eine Liberalisierung mit sich, der Weg zur Emigration blieb aber, je nach Herkunft, hürdenreich. Nach 1871 fiel die Regulierung der stetig anwachsenden Migrationsströme in die Zuständigkeit des Reichs. Die Maßnahmen beschränkten sich zunächst auf die Entsendung von Kommissaren zu den Überseehäfen, die über die dortigen Vorgänge Bericht erstatten sollten. Erst 1897, als die letzte große Auswande39 | Vgl. Hoerder 2010, 56; Bade 2004a, 307. Die mangelhafte und widersprüchliche Quellenlage, besonders für das 19. Jahrhundert, erlaubt keine absoluten Zahlen. 40 | Vgl. Bernecker/Fischer 1992, 198. Im Zeitraum zwischen 1820 und 1930. 41 | Vgl. zu den Phasen weitgehend übereinstimmend: Hoerder 2010, 59f.; Saint SauveurHenn 1995, 85-88; Bade 2004a, 307f. 42 | Vgl. zu den demografischen Angaben: Marschalck 1973, 77; 82f.; Saint Sauveur-Henn 1995, 96-102. 43 | Vgl. Saint Sauveur-Henn 1995, 76-78.
2. MIGRATION UND VEREINSWESEN IN DEUTSCHLAND | 43
rungswelle bereits wieder abflaute, wurde ein allgemeines Auswanderungsgesetz verabschiedet, das u.a. Formalitäten und die gewerbliche Rekrutierung und Verschiffung von Emigranten stärker regulierte.44 Darauf aufbauend intensivierten sich auch die behördlichen Aktivitäten in diesem Bereich, wie die Bildung von Sonderämtern und die zahlreichen Initiativen zum Schutz und zur Beratung der Auswanderer nach 1900 belegen. Das zunehmende öffentliche und staatliche Interesse an der Auswanderung muss im Kontext der von Deutschland angestrebten Rolle als Weltmacht und den damit verbundenen kolonialistischen und imperialistischen Ambitionen betrachtet werden. Diese beschränkten sich nicht nur auf territoriale Zugewinne oder wirtschaftliche Expansion, sondern umfassten auch ein dezidiert kulturelles Sendungsbewusstsein. Der Emigration kam in dieser Konzeption eine besondere Rolle zu: Zum einen als Abnehmer deutscher Waren, Kontaktvermittler und Wegbereiter wirtschaftlicher Zusammenarbeit, zum anderen als Vorhut deutscher Kultur im Ausland. Noch im Laufe des 19. Jahrhunderts wandelte sich daher die Perzeption der Auswanderung, die nun als strategisches Gut und eine Möglichkeit des zivilisierenden Kulturtransfers verstanden wurde.45 Dies musste auch für die deutschen Gemeinschaften in Südamerikas gelten, die sich vor allem in Argentinien, Brasilien und Chile niedergelassen hatten. Bereits zu Zeiten des Norddeutschen Bundes wurden die deutschen Eliten in den urbanen Zentren dieser Länder für den konsularischen Dienst rekrutiert, um die Wirtschaftsbeziehungen mit dem amerikanischen Subkontinent zu befördern. In den Jahren nach der Reichsgründung wurde dieses Netz ebenso wie der Export von Fertigprodukten und Investitionsgütern bzw. der Import von Rohstoffen und Nahrungsmitteln deutlich ausgebaut. Damit einher ging die Gründung zahlreicher Handelshäuser und Niederlassungen sowie eine vermehrte Investitions- und Bankentätigkeit.46 Das Reich firmierte nun als wichtiger Handelspartner Südamerikas zumeist direkt hinter Großbritannien und den USA.47 Auch in der Zeit der Weimarer Republik blieb das wirtschaftliche Interesse an Lateinamerika ungebrochen.48 44 | Vgl. Marschalck 1973, 44-46; Blancpain 1994, 43. 45 | Vgl. für diesen Absatz: Marschalck 1973, 18; Conrad 2006, 232; 265f. Die imperialistischen Bestrebungen und das kulturelle Sendungsbewusstsein beruhten u.a. auch auf einem völkisch-rassischen Überlegenheitsdenken, das als Nebenprodukt aus dem deutschen Nationsbildungsprozess im 19. Jahrhundert hervorging und weite Verbreitung fand (vgl. Van Laak 2005, 56f.). 46 | Vgl. Bernecker/Fischer 1996, 373f.; 376-381. 47 | Vgl. Conrad 2006, 266. 48 | Zur deutschen Lateinamerikapolitik zwischen 1918 und 1933 vgl.: Rinke 1996a; Rinke 1996b.
44 | KAPITEL II. »AUSLANDSDEUTSCHTUM« UND VEREINSWESEN
Die dort ansässigen »Auslandsdeutschen« wurden, wie auch in den anderen Ländern und Weltregionen, in denen das Reich Fuß zu fassen suchte, zu Instrumenten deutscher Kultur- und Wirtschaftspolitik. Beide Elemente gingen im Diskurs um die neue »Weltgeltung« Deutschlands eine eigentümliche Symbiose ein. Jürgen Kloosterhuis hat die »auswärtige Kulturpolitik« des Reichs, die zwischen nationalistischem Kulturchauvinismus und wirtschaftlichem Kalkül changierte, untersucht und verortet den Beginn intensiverer Aktivitäten um das Jahr 1906.49 Tatsächlich aber lässt sich die Förderung deutscher Gemeinschaften im Ausland unter genannten Vorzeichen, zumindest für Preußen, mindestens seit dem 19. Jahrhundert nachweisen.50 Das Reich knüpfte in allen Belangen nahtlos an diese Tradition an und baute das Unterstützungsnetzwerk sukzessive aus. Einen Schwerpunkt dieser Politik bildeten deutsche Schulen und evangelische Kirchengemeinden. Als elementare Bestandteile auslandsdeutscher »Kolonien« und aufgrund ihrer gesellschaftlichen Tiefenwirkung schienen sie am ehesten geeignet, deutsche Sprache und Kultur dauerhaft zu erhalten und zu verbreiten. Wie auch in den Jahrzehnten zuvor liefen die Fäden zur Umsetzung der politischen Vorgaben in Berlin zusammen. Das Auswärtige Amt (AA) und der Evangelische Oberkirchenrat (EOK) der eng mit mit dem Staat verbundenen Preußischen Landeskirche fungierten als zwei wichtige Schaltstellen der auswärtigen Kulturpolitik und verfolgten dabei ähnliche Ziele. Da sich unter den subventionierten Einrichtungen auch viele Gemeindeschulen befanden, entwickelte sich zwischen beiden Behörden ein reger Austausch und eine intensive Zusammenarbeit auf verschiedenen Ebenen. Das Auswärtige Amt verfügte seit Ende des 19. Jahrhunderts über ein eigenes Referat, das sich mit dem deutschen Schulwesen außerhalb der Reichsgrenzen befasste, v.a. in China, Südamerika und der Türkei. Die Abteilung war die erste Anlaufstelle für die Vermittlung deutscher Lehrer ins Ausland. Darüber hinaus verteilte sie die vom Reichstag bewilligten Mittel aus dem »Reichsschulfonds«, der bis 1914 jährlich aufgestockt wurde und schließlich 1,5 Mio. Mark umfasste. Im selben Jahr wurden ca. 900 deutsche »Auslandsschulen« registriert, ein Großteil davon in Südamerika.51 Zwar lag der Fokus der Behörde auf den Schulen, das Vereinswesen der deutschen Auswanderer stand dennoch unter ständiger Beobachtung. Über das dichte Netz an Gesandten, Konsuln und Vize-Konsuln, die nicht selten selbst 49 | Vgl. Kloosterhuis 1994a, 16. 50 | Vgl. Kapitel IV, 3 dieser Arbeit. 51 | Vgl. für diesen Absatz: Kloosterhuis 1994a, 188; 193-195; 199; Geißler 2011, 187; Tabelle A7 im Anhang. Zum Kompetenzkonflikt zwischen EOK und AA im Vorfeld der Schulunterstützung vgl.: Müller 1995, 132-151.
2. MIGRATION UND VEREINSWESEN IN DEUTSCHLAND | 45
enge Kontakte zu den lokalen Vereinen pflegten, gelangten detaillierte Berichte nach Deutschland und wurden dort gesammelt und ausgewertet. Die Vereinsaktivitäten galten als Seismograph für den Zustand der Gemeinschaften sowie für Tendenzen in der Einwandererschaft, die aus Sicht des Reichs ungewollt waren und ggf. eine Intervention der diplomatischen Vertretung nötig machten. Das Interesse an der deutschen Emigration war aber keineswegs auf die staatliche Ebene beschränkt. Aus Gesellschaft und Privatwirtschaft kamen ebenfalls zahlreiche Initiativen zur Auswandererunterstützung und zur Ausgestaltung der Migrations- und Außenpolitik. Die Publizistik reagierte früh mit der Herausgabe von Auswandererzeitungen sowie von Beratungs- und Reiseliteratur. Kolonialisationsunternehmen warben Landarbeiter für entstehende Agrarsiedlungen in Argentinien und Brasilien an. Auslandsvereine traten als Akteure der Kulturpolitik auf und beteiligten sich – in Zusammenarbeit mit den Behörden – z.B. an der Förderung deutscher Auslandsschulen. Das Engagement staatlicher und nicht-staatlicher Akteure setzte sich in den 1920er Jahren unvermindert fort.52 Nach dem Ersten Weltkrieg, dessen Ausgang in Deutschland tiefgreifende politische Veränderungen provozierte, wurden neue migrationspolitische Weichen gestellt. Die Weimarer Verfassung räumte 1919 erstmals das uneingeschränkte Recht auf Auswanderung ein.53 Das sogenannte »Reichswanderungsamt« wurde als neue Zentralbehörde für Ein- und Auswanderungsfragen eingerichtet. Wie seine behördlichen Vorgänger auch, stellte es Beratungs- und Informationsressourcen für Migranten bereit. Es wurde 1924 durch die »Reichststelle für das Auswanderungswesen« ersetzt.54
2.2.3 Protestantische Auslandsarbeit Die wachsenden Auswanderungsströme im 19. Jahrhundert stellten auch die protestantischen Kirchen in Deutschland vor die Frage, welche Haltung sie zum »Auslandsdeutschtum« einnehmen sollten. Denn in den Zielländern formierten sich immer mehr verstreute deutsche Gemeinden, die eigenständig nach dem Vereinsprinzip organisiert waren. Sie entwickelten sich mit ihren Gottesdiensten und ihrem Gemeindeleben in deutscher Sprache nicht selten zum Nukleus der lokalen ethnischen Gemeinschaften. Sollten diese Keimzellen des Glaubens, 52 | Vgl. Kloosterhuis 1994a, 23; 26; 77. Als vermutlich wichtigstes Beispiel ist der Verein für das Deutschtum im Ausland zu nennen. Für ein ausführliches Verzeichnis der deutschen Auslandsvereine und ihrer Aktivitäten vgl.: Kloosterhuis 1994b. Zur auswärtigen Kulturpolitik des Reichs und der Weimarer Republik vgl. zudem: Rinke 1996b; Barbian 2014, 46-49. 53 | Vgl. Saint Sauveur-Henn 1995, 23 54 | Vgl. ebd., 79f.
46 | KAPITEL II. »AUSLANDSDEUTSCHTUM« UND VEREINSWESEN
die sich außerhalb der Landesgrenzen und oftmals inmitten einer andersgläubigen Umgebung befanden, sich selbst überlassen werden? Die Geschichte des deutschen Protestantismus zeigt, dass diese Frage bereits im Vorfeld der europäischen Massenauswanderung beantwortet und die Grundlagen für eine auswärtige Kirchen- und Kulturpolitik gelegt worden waren. Die Kirchenlandschaft in Deutschland, wie sie sich um 1800 präsentierte, war das Ergebnis einer Vielzahl religions- und machtpolitischer Konfliktlinien mit internationalen Ausprägungen, die bis in das 16. Jahrhundert zurückreichten. Im Ergebnis standen die konfessionelle Spaltung Deutschlands und das landesherrliche Kirchenregiment, welches auch im Verhältnis der Kirchen zu den Auslandsgemeinden von Bedeutung sein sollte. Unter den protestantischen deutschen Landesfürsten erbrachten vor allem die preußischen Pionierleistungen auf dem Feld der Förderung deutscher Gemeinden im Ausland. Preußen war aus dem Reformationszeitalter als gemischtkonfessioneller Staat hervorgegangen. Weite Landesteile waren zwar lutherisch geprägt, die Hohenzollerndynastie, die Anfang des 18. Jahrhunderts das preußische Königtum begründete, hatte sich aber 1613 den Reformierten angeschlossen.55 Die kirchliche Einigung erfolgte unter König Friedrich Wilhelm III., der 1817 per »Kabinettsorder« eine unierte Landeskirche aus Lutheranern und Reformierten initiierte.56 Staat und Kirche waren in der Folge auf das Engste verwachsen. Der preußische König hatte weitreichende Leitungs- und Entscheidungsbefugnisse und agierte als Protektor und Förderer der Landeskirche. Das galt ausdrücklich auch für die angeschlossenen deutschen Gemeinden im Ausland.57 Somit waren bereits in der Organisationsstruktur der Preußischen Landeskirche die Umrisse ihrer politisch-ideologischen Positionierung angelegt. Die unbedingte Treue zum Landesherren bzw. später zu Kaiser und Reich gehörte zu den Konstanten eines innerkirchlichen Diskurses, der weitgehend im Einklang mit den zeitgenössischen patriotischen und nationalistischen Strömungen stand. Vor diesem Hintergrund gingen Nation und Glauben eine Verbindung ein und die 1871 verwirklichte Einheit Deutschlands erschien in Kirchenkreisen als göttliche Fügung.58 In der Konsequenz identifizierten sich die Kirchenglieder auf breiter Basis mit den staatlichen Zielen und deren politischer Umsetzung und transportierten das konservativ-monarchische Gesellschafts- und Wertemodell über 55 | Vgl. Wellnitz 2003, 50. 56 | Vgl. Goeters/Mau 1992, 94. 57 | Camphausen/de Will merken aber an, dass dieses »Episkopalsystem« auch eine rechtliche Trennung von monarchischer Staats- und Kirchengewalt vorsah, die den schrittweisen Prozess hin zur kirchlichen Eigenständigkeit begünstigte (vgl. Camphausen/de Will 2006, 29). 58 | Vgl. Rogge/Ruhbach 1994, 178.
2. MIGRATION UND VEREINSWESEN IN DEUTSCHLAND | 47
die Gemeinden in die Gesellschaft hinein. Ebenso wie von den konservativen Vereinen des Bürgertums im Kaiserreich ging von der Landeskirche damit eine integrative und stabilisierende Wirkung für den preußischen Staat aus. Ein Teilgrund für die Ausdehnung des Wirkungsbereichs der preußischen Kirche über die Landesgrenzen hinaus, wird gemeinhin in der singulären Machtposition Preußens als protestantischer Staat im deutschsprachigen bzw. auch im europäischen Raum gesehen.59 Zusammen mit der politischen, militärischen und wirtschaftlichen Stärkung des Landes erwuchs auch das Selbstverständnis als Vorreiter in der kirchlichen Missionsarbeit. Als größte und mit erheblichen Mitteln ausgestattete deutsche Landeskirche brachte sie gute Voraussetzungen mit, um beispielsweise Pfarrer zu entsenden und den Aufbau von Gemeinden nachhaltig zu unterstützen.60 Ihre innere Verfasstheit als unierte Kirche kam überdies den Verhältnissen im Ausland entgegen, wo sich, in Ermangelung von Alternativen, häufig Anhänger verschiedener protestantischer Glaubensrichtungen in einer gemischten Gemeinde zusammenfanden.61 Nach 1871 traten zu diesen Punkten in verstärktem Maße die kirchlichen Verflechtungen in die oben angeschnittenen wirtschafts- und kulturimperialistischen Ambitionen des Reichs. Die deutschen Auslandsgemeinden gewannen nun als schützenswerte Horte des »Deutschtums« an Bedeutung. Darüber hinaus wurden erhebliche Anstrengungen und Mittel in die Missionsarbeit in Afrika und China investiert. Diese mündeten zum Teil in der Verquickung von missionarischen und kolonialpolitischen Zielen.62 Frühe und noch wenig formalisierte Gemeinden dieser Art lassen sich in Europa bereits für das 16. Jahrhundert nachweisen. Ihre Förderung war in der Folgezeit zunächst punktuell und wenig organisiert. Neben Pietisten wie Zinzendorf taten sich etwa auch die preußischen Fürsten als Unterstützer von Gemeinden in Osteuropa hervor. Erst im Zusammenhang mit der Industrialisierung, dem staatlichen Ausgreifen in andere Weltregionen und der europäischen Massenemigration erfolgten weltweit Gründungen in größerem Umfang. In diese Zeit fallen auch die Anfänge eines zielgerichteten preußischen Programms zur Förderung der protestantischen Auslandsarbeit, das unter Friedrich Wilhelm III. und Friedrich Wilhelm IV. vorangetrieben wurde.63 Erste Schritte in diese Richtung wurden kurz nach Gründung der preußischen Unionskirche unternommen. Ab 1819 installierte die Landeskirche »Ge59 | Vgl. Wellnitz 2003, 60; Rogge/Ruhbach 1994, 461. 60 | Die deutschen Gemeinden im Ausland waren oft dringend auf derartige Unterstützungen angewiesen. Beispiele für die schwierigen Gründungs- und Alltagsbedingungen finden sich in Kapitel VI, 1-3 der vorliegenden Arbeit. 61 | Vgl. Mirbt 1907, 56f. 62 | Vgl. Rogge/Ruhbach 1994, 442-453. 63 | Vgl. für diesen Absatz: Wellnitz 2003, 13f.; 18-20; 43-45; 49f.
48 | KAPITEL II. »AUSLANDSDEUTSCHTUM« UND VEREINSWESEN
sandtschaftsprediger«, u.a. in Rom, Florenz und Konstantinopel.64 Noch in den 1820er Jahren wurde der Radius wesentlich erweitert, wobei Südamerika von Beginn an einen der Schwerpunkte bildete. Die vom preußischen Generalkonsul in Rio de Janeiro angeregte und 1827 verwirklichte Gründung einer deutschen Gemeinde wurde von Preußen mit einer jährlichen Unterstützung subventioniert und 1843 als erste auswärtige Gemeinde der Landeskirche angeschlossen.65 Diesem Beispiel folgte 1845 die Gemeinde in Buenos Aires. Bis 1903 waren der Preußischen Landeskirche 67 Auslandsgemeinden formal angeschlossen, 31 weitere standen mit ihr in loser Verbindung.66 Parallel zur Intensivierung der Auslandsarbeit erfolgte eine Anpassung der innerkirchlichen Strukturen. Mit der Einrichtung des Evangelischen Oberkirchenrats 1850 war die Landeskirche nun verwaltungstechnisch unabhängiger von den staatlichen Ministerien, rückte dafür aber näher an ihren »Summus Episcopus«, den preußischen König, heran.67 Die Auslandsgemeinden, die zuvor unter der Aufsicht des Brandenburger Konsistoriums und dem direkten königlichen Protektorat gestanden hatten, kommunizierten ab 1852 in allen Angelegenheiten mit dem EOK.68 Gleiches galt für diejenigen Gemeinden, die sich in Zukunft anschließen wollten. Wegen der stetig wachsenden Zahl an Auslandsgemeinden musste Mitte der 1860er Jahre sogar eine zusätzliche »Hilfskraft« angestellt werden, die in der Person des Berliner Pfarrers Noël über 30 Jahre konstant blieb.69 Der EOK wurde im Zuge dieser Reformen zur wichtigsten Schaltzentrale der kirchlichen Auslandsarbeit in Preußen. Anfang der 1850er Jahre war die deutsche »Diaspora« auch ein Thema im beginnenden Austausch zwischen den protestantischen Staaten. Auf der ersten »Deutschen evangelischen Kirchenkonferenz« 1852 in Eisenach, an der Vertreter der Landeskirchen teilnahmen, wurde auch über die Unterstützung der Auslandsgemeinden beraten. Auf den folgenden Konferenzen trugen aber vor allem die preußischen Delegierten die Diskussionen um die Auslandsarbeit voran und traten für mehr Förderung auch seitens der anderen Landeskirchen und Staaten ein.70 Die Reaktionen darauf waren verhalten. Die Preußische Landeskirche blieb in dieser Beziehung die mit Abstand aktivste kirchliche Instanz in Deutschland. Ausnahmen bildeten die Hannoversche Landeskirche, die sich
64 | Vgl. Mirbt 1907, 58. 65 | Vgl. Rogge/Ruhbach 1994, 460. 66 | Vgl. ebd., 474. 67 | Vgl. Goeters/Mau 1992, 418. 68 | Vgl. Rogge/Ruhbach 1994, 460f. 69 | Vgl. Krieg 1950, 118. 70 | Vgl. Mirbt 1907, 61-65.
2. MIGRATION UND VEREINSWESEN IN DEUTSCHLAND | 49
in erster Linie in Südafrika engagierte, und die evangelischen Kirchen Sachsens, die u.a. in Asien und Chile aktiv wurden.71 Der Anschluss an die Preußische Landeskirche war zunächst kaum an Bedingungen geknüpft. Einen Antrag und die Zustimmung der jeweils zuständigen Kirchenbehörde vorausgesetzt, wurden Gemeinden mit deutschem Hintergrund und einem deutschsprachigen Gemeindeleben aufgenommen. Es bestand lediglich die Verpflichtung, jährliche Berichte und Statistiken nach Deutschland zu übermitteln.72 Im Gegenzug konnten die Gemeinden die Entsendung eines deutschen Pfarrers beantragen und mit finanzieller Unterstützung rechnen. Die Mittel dafür stammten z.B. aus Kollekten, Privatspenden und Sondergaben des preußischen Herrscherhauses. Ihr neuer Status erleichterte den Gemeinden zudem die Kommunikation mit Behörden und potentiellen Spendern in Deutschland. Ab 1871 konnten auch Mittel aus dem Reichsfonds gewährt werden, wenn der Pfarrer vor Ort eine Lehrtätigkeit ausübte.73 Auf den regelmäßigen Generalsynoden der Landeskirche, die seit Mitte der 1870er Jahre stattfanden, wurden weitere Details der Zusammenarbeit mit den Auslandsgemeinden verhandelt. Bis zur Jahrhundertwende beschloss dieses Gremium u.a. die Einrichtung von »Diasporakollekten« in Deutschland und arbeitsrechtliche Verbesserungen für die entsandten Pfarrer, die nun von einer reibungslosen Reintegration in den Inlandsdienst und Pensionsansprüchen für die Dienstjahre im Ausland profitieren konnten.74 Eine grundlegende Neuordnung erfolgte 1900 mit dem Kirchengesetz über die Auslandsgemeinden, welches das Verhältnis zwischen Landeskirche und Diasporagemeinden regelte. Unter anderem wurden auch die zentralen Anschlusskriterien präzisiert. Die Gemeinde musste demzufolge deutsch sein oder zumindest mit dem »deutschen Volkstum« in Verbindung stehen. Des Weiteren hatte sie einer protestantischen Glaubensrichtung anzugehören und über genügend Mitglieder und Mittel zur Pastorenbesoldung sowie eine ausreichende Gemeindeinfrastruktur zu verfügen. Der EOK in Berlin war als oberste Entscheidungsinstanz für die Auslandsgemeinden verantwortlich. Er entschied etwa über die Genehmigung bzw. Ablehnung der von den Gemeinden einzureichenden Statuten und hatte die Aufsicht über die entsandten Pfarrer inne. Weiterhin gewährleisteten die Bestimmungen des Kirchengesetzes eine bessere Versorgung von unabhängigen Pfarrern nach ihrem Auslandsdienst.75
71 | Vgl. Wellnitz 2003, 86-88; Bussmann 1908, 106f. 72 | Vgl. Mirbt 1907, 60f. 73 | Vgl. Rogge/Ruhbach 1994, 463. 74 | Vgl. Mirbt 1907, 102-104. 75 | Vgl. für diesen Absatz: Ebd., 108-114; Krieg 1950, 130.
50 | KAPITEL II. »AUSLANDSDEUTSCHTUM« UND VEREINSWESEN
Über das behördliche Engagement hinaus beteiligte sich das kirchennahe Vereinswesen intensiv an der Auslandsarbeit. Als promintentestes Beispiel gilt die Gustav-Adolf-Stiftung, die 1832 auf einer Feier zu Ehren des Schwedenkönigs in Leipzig initiiert und nach diesem benannt wurde.76 Mit Blick auf ihre Anlage und ihre Förderer kann sie dem bürgerlichen Vereinswesen dieser Zeit zugeordnet werden. Ursprünglich nur zur Umsetzung eines Denkmalprojekts für seinen Namensgeber gegründet, widmete sich der Gustav-Adolf-Verein (GAV) bald der Unterstützung in Not geratener Gemeinden im Ausland.77 Größere Wirksamkeit konnte er aber erst seit den 1840er Jahren entfalten, nachdem er sich mit Hauptsitz in Leipzig neu gegründet hatte, zunehmend mit der Preußischen Landeskirche zusammenarbeitete und der preußische König den Verein offiziell protegierte.78 In der Folge nahm die nationale und internationale Verbreitung des GAV stetig zu. Zwischen 1843 und 1902 konnte die Zahl der Zweigvereine von 29 auf 1930 gesteigert werden. Hinzu kamen sechs Studentenvereine und 614 evangelische Frauenvereine, die sich angeschlossen hatten und von denen sich insbesondere letztere für die Diasporaarbeit einsetzten. Auch im Ausland, vor allem dort, wo sich deutsche Protestanten in größerer Zahl niedergelassen hatten, entstanden um die Jahrhundertwende Zweigvereine des GAV. Im gleichen Zeitraum wurden Leistungen über ca. 39 Mio. Mark für 5050 Gemeinden erbracht, 642 davon im nichtdeutschen Ausland. Die in den Vereinen des Gustav-AdolfNetzwerkes gesammelten Mittel gingen zu gleichen Teilen an Gemeinden in Not, an solche, die sich in andersgläubigen Umgebungen behaupten mussten und zur Kapitalbildung an den Zentralvorstand in Leipzig. Mit den Spenden wurden etwa Kirchen, Schulen, Waisenhäuser und »Reiseprediger« finanziert.79 Die Arbeit des Gustav-Adolf-Vereins auf fremdem Staatsgebiet tangierte ab den 1870er Jahren zwangsläufig die außenpolitischen Ziele des Reichs. Mit seiner Förderung deutscher Gemeinden passte diese aber vorzüglich in die verfolgte Strategie, das »Auslandsdeutschtum« aus wirtschafts- und kulturpolitischen Gründen zu befördern. Der Verein stemmte sich nicht aktiv gegen die ihm zugedachte Rolle. Die weithin wahrgenommene Verbindung zwischen »Deutschtum« und Protestantismus und der Reichsnationalismus waren auch
76 | Vgl. Mirus 1943, 65. Die starke Bezugnahme auf Gustav Adolf, der nach seinem Eingreifen im Dreißigjährigen Krieg als protestantischer Held gefeiert wurde, kann als Antwort auf die katholische Heiligenverehrung verstanden werden (vgl. Kaiser 2007, 22). 77 | Vgl. Kaiser 2007, 16f. 78 | Vgl. Zorzin 2009, 15; Fitschen 2007, 43f. 79 | Vgl. für diesen Absatz und zu den genannten Zahlen: Evangelisches Gemeindeblatt (EGB), 10. Jg., Nr. 446 (13. Januar 1904), 5-8.
2. MIGRATION UND VEREINSWESEN IN DEUTSCHLAND | 51
im Diskurs der Führungsgremien des GAV präsent.80 Auf der Hauptversammlung in Stralsund im September 1910 bezog Superintendent Hartung aus Leipzig zur »nationalen Frage« folgendermaßen Stellung: »Wenn der G. A.-V. unter fremdsprachigen Gemeinden arbeitet, germanisiert er nicht, ein vielsprachiger Chor bezeugt ihm das, aber ebensowenig kann er mithelfen, wo deutsche Gemeinden entgermanifiziert, entdeutscht werden sollen. Und dankbar und freudig, ebenso aus religiösen, wie aus nationalen Gründen, nimmt er, jetzt besonders in Brasilien und so vielen Orten sonst, die Aufgabe auf sich, unsern [sic] deutschen evangelischen Gemeinden draußen mit dem Evangelium auch die Muttersprache zu erhalten, in der es verkündigt wird.«81
Nach Jahrzehnten der kirchlichen Fürsorgetätigkeit stellte der Erste Weltkrieg in mehrerlei Hinsicht eine Zäsur dar. Ebenso wie weite Teile des Reichs, wurde auch die Preußische Landeskirche von der Kriegseuphorie erfasst. Mit ihren Gottesdiensten und Publikationen stellte sich die Kirche bereitwillig in den Dienst deutscher Kriegspropaganda.82 Angesichts der zunehmend prekären wirtschaftlichen und finanziellen Lage musste sie allerdings, ebenso wie der Gustav-Adolf-Verein, die Auslandsarbeit beschränken. Zahlreiche Gemeinden, besonders im »Feindesland«, sahen sich daraufhin zur Auflösung gezwungen.83 Der Zusammenbruch des Reichs nach Kriegsende und der Übergang zu einer demokratischen Staatsordnung veränderten die protestantische Kirchenlandschaft in Deutschland nachhaltig. Die ehemaligen Landesherren verloren ihren Einfluss auf kirchliche Belange und die Kirchen organisierten sich – getrennt vom Staat – auf nationaler Ebene von Grund auf neu.84 Als Zentralorgan wurde 1922 der Deutsche Evangelische Kirchenbund (DEKB) ins Leben gerufen, der nun nach und nach die gesamte Auslandsarbeit übernahm.85 Die Förderung der angeschlossenen Gemeinden stand in der Zeit der Weimarer Republik, wenn auch unter schwierigen finanziellen Rahmenbedingungen, weiterhin auf der kirchlichen Agenda. Gerade angesichts des verlorenen Krieges und der ungünstigen Bestimmungen des allgemein abgelehnten Versailler Vertrages erkannte man die Notwendigkeit, sich für das »Deutschtum« jenseits der Grenzen einzusetzen.86 Diese Zielstellung mündete u.a. auch in einer weiteren 80 | Vgl. Bauer 2007, 55f. 81 | EGB, 16. Jg., Nr. 45 (2. November 1910), 533. 82 | Die allgemeine Kriegsrhetorik hallte erstaunlich klar und ungebrochen in den Auslandsgemeinden wider. Vgl. dazu Kapitel VI, 3.2.5 dieser Arbeit. 83 | Vgl. Rogge/Ruhbach 1994, 477f. 84 | Vgl. Camphausen/de Will 2006, 30-32. 85 | Vgl. Besier/Lessing 1999, 35; Wellnitz 2003, 105f. 86 | Vgl. Wellnitz 2003, 103f.
52 | KAPITEL II. »AUSLANDSDEUTSCHTUM« UND VEREINSWESEN
Annäherung zwischen Politik und kirchennahen Vereinen wie dem GAV, dessen Arbeit nun verstärkt subventioniert wurde.87
3 Argentinien und die europäische Immigration 3.1 Wege aus der Wüste Nach Erhebungen gegen die spanische Kolonialherrschaft unter der Führung kreolischer Eliten hatte sich Argentinien im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts erfolgreich seine politische Unabhängigkeit erstritten. Die Abnabelung von der »metrópoli« bildete die Grundlage für die Konstitution eines souveränen Nationalstaats. Der Prozess der Staatswerdung stand damit aber erst am Anfang. Innenpolitische Machtkämpfe und äußere Krisen begleiteten über viele Jahrzehnte die langsame Konsolidierung Argentiniens. Das Land, aus dem nun eine moderne Republik nach europäischem und nordamerikanischem Vorbild geformt werden sollte, wies deutliche Spuren einer langen kolonialen Vergangenheit auf. Einseitige Wirtschafts- und restriktive Einwanderungs- und Gesellschaftspolitiken hatten die Fortentwicklung der La-Plata-Region praktisch unterbunden. Die weiten Landstriche waren kaum erschlossen und mit 0,014 Einwohnern pro Quadratkilometer selbst im südamerikanischen Vergleich nur gering bevölkert.88 Angesichts dieses niedrigen Entwicklungsstandes und der tiefgehenden Strukturdefizite nahmen viele Kreolen die großen, teils nur von indigenen Stämmen bewohnten Teile Argentiniens als »Wüste« war. Dennoch erkannten sie das immense Entwicklungspotential ihres Landes und suchten nach Möglichkeiten, es auszuschöpfen. Die politischen Weichen für ein neues Modernisierungs- und Fortschrittsmodell wurden bereits während der Revolution gestellt. Der frühen Erkenntnis, dass Wachstum und Entwicklung nur mit einer deutlichen Bevölkerungszunahme zu erreichen waren, folgten erste konkrete Maßnahmen zur Einwanderungsförderung, die aufgrund der anhaltenden Kämpfe aber wenig Wirksamkeit entfalten konnten.89 Weitere wichtige Projekte wurden u.a. von Bernadino Rivadavia, Minister in Buenos Aires und erster Präsident Argentiniens, angestoßen. Von seinen Europareisen war Rivadavia als Befürworter der europäischen Immigration zurückgekehrt. Unter seiner Ägide wurde in den 1820er Jahren die erste Einwandererkommission eingerichtet, die aktive Werbungspolitik in Europa betreiben sollte. Zudem sicherte man Einwanderern u.a. staatliche Unterstützung
87 | Vgl. Bauer 2007, 58f. 88 | Vgl. Saint Sauveur-Henn 1995, 112f. 89 | Vgl. ebd., 118.
3. ARGENTINIEN UND DIE EUROPÄISCHE IMMIGRATION | 53
sowie Religionsfreiheit und die Befreiung vom Militärdienst zu.90 In diese Zeit fielen auch erste, allerdings wenig erfolgreiche Versuche der landwirtschaftlichen Kolonisierung. Die instabile innenpolitische Lage behinderte aber eine effektive Weiterverfolgung dieser Pläne bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts. In intensiven Parteikonflikten um die Machtverteilung zwischen der starken Hauptstadt Buenos Aires und den einzelnen Provinzen standen sich Unitarier und Förderalisten zunehmend unversöhnlich gegenüber. Juan Manuel de Rosas – Föderalist und mit diktatorischen Vollmachten ausgestatteter Gouverneur von Buenos Aires – bestimmte in diesem Zeitraum die Geschicke Argentiniens. In der Literatur gilt das repressive und fremdenfeindliche Regime Rosas’ als Bremse für das von seinen politischen Gegnern vorangetriebene Einwanderungsprojekt. Tatsächlich wurden unter seiner Regierung die Einwanderungskommission aufgelöst und das Förderprogramm zusammengestrichen. Die Immigration blieb entsprechend gering.91 Erst nachdem Rosas 1852 in der Schlacht bei Caseros von einer internationalen Allianz seiner Widersacher unter der Führung des Gouverneurs der Provinz Entre Ríos, Urquiza, besiegt und vertrieben worden war, eröffneten sich für Argentinien neue Entwicklungsperspektiven. Bereits während der autoritären Herrschaft hatte sich die liberale intellektuelle und politische Elite, die nun zum Zuge kommen sollte, intensiv mit der möglichen Zukunft ihres Landes befasst. Politische Vordenker wie Juan Bautista Alberdi oder Domingo Faustino Sarmiento aktualisierten in ihren Schriften die Modernisierungsstrategien der 1820er Jahre.92 Mit Alberdis Leitsätzen »gobernar es poblar« und »poblar es civilizar« rückte auch die europäische Einwanderung wieder in das Zentrum des politischen Fortschrittsdiskurses.93 Die vielfältigen Erwartungshaltungen, die man mit der Zuwanderung verknüpfte, wirken in der Rückschau diffus und kaum realistisch, finden aber im ideengeschichtlichen Gesamtkontext des 19. Jahrhunderts ihre Erklärung. Wie schon in der Konzeption Rivadavias sollten europäische Einwanderer zu Protagonisten der Erschließung und agrarischen Nutzbarmachung des nach wie vor schwach bevölkerten Inlandes und zur entscheidenden Triebkraft des argentinischen Wirtschaftswachstums werden. Ausländisches Kapital und KnowHow sollten die Entwicklung von Landwirtschaft, Industrie und Infrastruktur 90 | Vgl. Sarramone 1999, 188; Devoto 2009, 211f. 91 | Vgl. Devoto 2009, 216; Sarramone 2009, 103. 92 | Vgl. als wichtige Werke Alberdis »Bases y puntos de partida para la organización política de la República Argentina« (1852) und Sarmientos »Facundo: civilización y barbarie« (1845). 93 | Vergleichbare Diskurse wurden im 19. Jahrhundert auch in anderen lateinamerikanischen Ländern gepflegt (vgl. Blancpain 1988, 376f.).
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voranbringen.94 Die Einwanderung wurde aber von der politischen Elite auch als gesellschaftliches Reformprogramm verstanden, mit dessen Hilfe die argentinische Bevölkerung auf eine höhere zivilisatorische Stufe gehoben und ein stabiler Nationalstaat geformt werden konnte. Insbesondere Mittel- und Nordeuropäern wurden bestimmte Vorzüge hinsichtlich Bildung, Moral, Religiosität und Arbeitsethos zugeschrieben, die sich, so die verbreitete Überzeugung, über die Einwanderung auf Argentinien bzw. ganz Südamerika übertragen ließen.95 Die politische Umsetzung dieser Ideen erfolgte seit den 1850er Jahren.
3.2 Die europäische Massenimmigration 3.2.1 Etappen und Dimensionen Die innenpolitischen Voraussetzungen für eine zentralisierte Einwanderungsförderung waren zunächst denkbar schlecht. Argentinien befand sich nach dem Sturz Rosas inmitten einer unruhigen Konsolidierungsphase. Die fortwährenden Machtkonflikte führten zur politischen Spaltung zwischen der Konföderation der Provinzen auf der einen und Buenos Aires, dem wichtigsten Überseehafen, auf der anderen Seite. Bis zur Beilegung des Konflikts und der Wiedervereinigung vergingen noch einmal fast zehn Jahre, in denen die zum Teil kriegerischen Auseinandersetzungen eine gemeinsame Koordination der Einwanderung verhinderten. Ungeachtet dessen fielen in diese Periode wichtige Grundsatzregelungen zur Einwanderungsfrage. Die aus den liberalen Diskursen der Rosas-Zeit hervorgegangene republikanische Verfassung von 1853, die zunächst nur in den Provinzen Gültigkeit beanspruchen konnte, war das Fundament für die Einwanderungspolitik der kommenden Dekaden. Ihre ideellen Wurzeln werden vor allem in Artikel 25 deutlich: »El Gobierno federal fomentará la inmigración europea y no podrá restringir, limitar ni gravar con impuesto alguno la entrada en el territorio argentino de los estrangeros [sic] que traigan por objeto labrar la tierra, mejorar las industrias e introducir y enseñar las ciencias y las artes.«96
Weiterhin räumte die Verfassung Immigranten beinahe sämtliche Bürgerrechte ein, u.a Rechtsgleichheit, Religionsfreiheit, Vereinigungsfreiheit und die freie Betätigung in Wirtschaft und Handel. Nach spätestens zwei Jahren Aufenthalt bestand die Option [sic] zur unbürokratischen Einbürgerung. Im Land 94 | Vgl. Germani 1994, 37. 95 | Vgl. Halperín 1995, 31; 161f. 96 | Constitución de la Confederación Argentina 1853, 5.
3. ARGENTINIEN UND DIE EUROPÄISCHE IMMIGRATION | 55
geborene Einwandererkinder erhielten automatisch die argentinische Staatsbürgerschaft.97 Sowohl in Buenos Aires als auch in den Provinzen begann in den folgenden Jahren die aktive Anwerbung und Förderung der Immigration aus Europa. Es wurden Einwanderungskommissionen sowie die nötige Infrastruktur zur Aufnahme der Neuankömmlinge geschaffen. Von den Regierungen finanzierte Agenten bauten ihre Werbetätigkeit in europäischen Städten aus. Die private bzw. staatlich geförderte Agrarkolonisierung lief u.a. in den Provinzen Santa Fe und Entre Ríos an.98 Diese Maßnahmen wie auch die fortgesetzte Einwanderungsförderung unter den Präsidenten Mitre und Sarmiento zeigten Wirkung. Die Immigration nahm zwischen Ende der 1850er und Ende der 1870er Jahre stetig zu. Vor allem die Aussicht auf Landbesitz und staatliche Unterstützungszusagen lockte zahlreiche Europäer nach Argentinien. Im Einklang mit den politischen Vorgaben, entstammten die ersten Kontingente überwiegend der Mitte und dem Norden Europas, v.a. Frankreich, England, Österreich, der Schweiz, Deutschland und Belgien. Der Anteil sank allerdings rasch zugunsten südeuropäischer Immigranten, die bereits in den 1880er Jahren die europäische Einwanderung nach Argentinien dominierten.99 Bis zu diesem Zeitpunkt kann man nach einhelliger Meinung noch nicht von einem Massenphänomen sprechen, da u.a. die innen- und außenpolitische Instabilität, die schlechte Sicherheitslage sowie Epidemien und Wirtschaftskrisen einen größeren Zustrom verhinderten.100 Während der Präsidentschaft von Nicolás Avellaneda ebnete ein neues, ausführliches Einwanderungsgesetz den Weg für eine stärkere staatliche Regulierung und eine effizientere Förderung der Einwanderung. Zu den Bestimmungen aus dem Jahr 1876 zählte etwa die Einrichtung eines Departamento General de Inmigración im Innenministerium, das die Unterstützungs- und Werbemaßnahmen lenken und bündeln und die im Hafen von Buenos Aires eintreffenden Ausländer überwachen sollte. Bei dieser Gelegenheit wurden auch die Rahmenbedingungen des staatlichen Agentenwesens in Europa und die Kolonisierung des Inlandes auf eine rechtliche Grundlage gestellt. Die Einwanderer profitierten direkt nach Ankunft von weitreichenden staatlichen Fördermaßnahmen. So hatten sie zum Beispiel Anspruch auf Unterkunft in Buenos Aires und kostenlosen Transport zum 97 | Vgl. ebd. (Art. 14-20), 3-5. 98 | Vgl. Devoto 2009, 227f.; 231. Für eine detailliertere Darstellung der Agrarkolonisation vgl. Gori 1983; Gori 2002. Auch im Nachbarland Brasilien wurde dieses Instrument zur Bevölkerung und Nutzbarmachung des Hinterlandes eingesetzt (vgl. Lesser 2013, 34-44). 99 | Vgl. Tedesco 2009, 101-103. 100 | Vgl. Saint Sauveur-Henn 1995, 132; Devoto 2009, 237; 247; Blancpain 2011, 31.
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Zielort in den argentinischen Provinzen. Darüber hinaus erhielten sie Hilfe bei der Vermittlung von Land und Arbeit.101 Zwar stieg die Immigration in der Folge an, aber längst nicht alle Maßnahmen waren erfolgreich: Die massenhafte Bezuschussung von Überfahrten bestimmter Gruppen nach Argentinien, die einem italienischen Übergewicht entgegenwirken sollten, das sich Ende des 19. Jahrhunderts anzudeuten begann, brachte keine signifikante Steigerung der angestrebten nordeuropäischen Einwanderung.102 Begünstigt durch die guten wirtschaftlichen Aussichten, die staatlichen Fördermaßnahmen und die innere Stabilisierung Argentiniens setzte in den 1880er Jahren die Phase der Masseneinwanderung ein, in der bis 1914 etwa 4,2 Mio. Menschen nach Argentinien kamen.103 Es dominierten junge männliche Zuwanderer aus den ländlichen Regionen Italiens und Spaniens. Andere Nationen stellten maximal fünf Prozent der Einwanderer.104 Infolge statistischer Ungenauigkeiten und Lücken existieren nur Schätzungen über die tatsächlichen Gesamtausmaße der Einwanderung in Argentinien. Für den Zeitraum von 1857 bis 1930 variieren die Zahlen zwischen 6,3 und 7,5 Mio., wobei in jedem Fall eine hohe Rück- und Weiterwanderungsquote von durchschnittlich 40-50 Prozent zu berücksichtigen ist.105 Die massenhafte Zuwanderung aus Europa veränderte die demografische Struktur Argentiniens auf nachhaltige Weise. Zwischen 1860 und 1920 versechsfachte sich die Zahl der Einwohner auf etwa neun Millionen.106 Zwar nahm auch die Bevölkerung in den ländlichen Regionen deutlich zu, die Immigration in Argentinien blieb aber vor allem ein städtisches Phänomen. Allein in Buenos Aires ließen sich zwischen 1869 und 1947 40-50 Prozent aller Einwanderer nieder.107 Dieser Trend lässt sich in Beziehung zur allgemeinen Urbanisierungstendenz im Zuge der industriellen Entwicklung des Landes setzen. Hinter der Hauptstadt firmierten bis Ende des 19. Jahrhunderts vor allem die Provinzen Buenos Aires, Santa Fe und Entre Ríos als Hauptziele der Einwanderung.108 Zu den Hochzeiten um 1914 betrug der Ausländeranteil fast ein Drittel der 101 | Vgl. zu den einzelnen Bestimmungen: Ley de inmigración y colonización de la República Argentina [. . . ] 1878. 102 | Vgl. Bjerg 2009, 21f.; 25. 103 | Vgl. Devoto 2009, 247f. 104 | Vgl. Saint Sauveur-Henn 1995, 134-138. 105 | Vgl. Devoto 2009, 234; Fischer 2009, 252; González 2010, 173. Bernecker hat für den Zeitraum zwischen 1830 und 1930 nach diversen Quellen die Ankunft von etwa 5,5 Mio. Europäern in Argentinien errechnet (Bernecker 2009, 46). 106 | Vgl. Sabato 2002, 101. 107 | Vgl. Saint Sauveur-Henn 1995, 139; Bjerg 2009, 28. 108 | Vgl. Devoto 2009, 264. Als »capital federal« genießt die Stadt Buenos Aires seit jeher Autonomität. Aus diesem Grund wird sie in statistischen Erhebungen von der sie umgebenden Provinz Buenos Aires getrennt aufgeführt.
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argentinischen Gesamtbevölkerung. In den Großstädten lag er zeitweise sogar noch deutlich darüber. Handelte es sich dabei in der großen Mehrheit noch um Europäer, war nach den beiden Weltkriegen eine kontinuierliche Verschiebung zugunsten von Zuwanderern aus angrenzenden Staaten zu verzeichnen.109 Die Öffnung des Landes brachte auf mittlere Sicht die erhofften Impulse für die argentinische Wirtschaft. Mit Hilfe ausländischer Kapitalgeber konnte die Infrastruktur erheblich ausgebaut werden. Bereits Ende des 19. Jahrhunderts verfügte Argentinien über ein weitläufiges Eisenbahnnetz, das zum einen die Provinzen untereinander und zum anderen die Zentren der boomenden Agrarwirtschaft wie die Provinz Santa Fe mit dem wichtigen Exporthafen in Buenos Aires verband. Auch größere Binnenhäfen wie Rosario, die sukzessive ausgebaut wurden, partizipierten nach der Vereinigung Argentiniens aktiv am Aufschwung und erlebten eine Phase beispiellosen Wachstums. Die kontinuierliche Einwanderung war eine der Vorbedingungen für diese Entwicklung. Sie garantierte den Nachschub an dringend benötigter Arbeitskraft auf dem Land und sorgte mit einer Vielzahl privater Initiativen für eine Diversifizierung der argentinischen Wirtschaft jenseits agrarischer Produktion. Das galt insbesondere für die nun entstehende Industrie, deren Anfänge maßgeblich auf die Immigration und Unternehmen aus dem Ausland zurückgingen.110 Dort, wie auch in der Landwirtschaft oder dem Bauwesen, waren die Einwanderer der Motor des wirtschaftlichen und strukturellen Wandels. Im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts konnte sich Argentinien international als wichtiger Exporteur landwirtschaftlicher Erzeugnisse etablieren. Zu den Hauptausfuhrprodukten zählten Getreide, Wolle und Häute. Insbesondere der Weizenexport konnte seit Ende der 1880er Jahren bedeutend gesteigert werden. Fortschritte in der Gefriertechnik erlaubten bald auch die Verschiffung von Fleisch in größerem Maßstab nach Europa.111 Dem gingen staatliche Initiativen zur Konsolidierung des argentinischen Staatsgebietes und zur massenhaften Ansiedlung europäischer Einwanderer voraus. Im Jahr 1879 konnte die »Conquista del Desierto« unter General Roca abgeschlossen werden, eine langfristige Kampagne zur Sicherung der Grenzen und Siedlungen sowie zur Eroberung der von Indigenen bevölkerten Gebiete der argentinischen Peripherie.112 Ähnliche Kampagnen wurden auch auf Provinzebene realisiert. Parallel dazu entstanden in den 1850er Jahren die ersten Agrarsiedlungen, die vor allem von Einwande-
109 | Vgl. Instituto Nacional de Estadística y Censos 1997, 9f. 110 | Vgl. Sarramone 2009, 74f. 111 | Vgl. zur Wirtschaftsentwicklung: Fischer 2009, 253; Conrad 2006, 266; Gallo 1983, 242f. 112 | Vgl. Halperín 1995, 100.
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rern bewohnt und bewirtschaftet und nicht selten als schützende Vorposten nahe der »frontera india« angelegt wurden. Umfangreichere Kolonisierungsversuche fanden zunächst v.a. in den Provinzen Santa Fe, Entre Ríos, Córdoba und Buenos Aires statt. In der Folgezeit gewannen in dieser Hinsicht aber auch Misiones, La Pampa und Corrientes an Bedeutung. Nicht alle Unternehmungen dieser Art waren erfolgreich: Viele Kolonisten verbrachten die ersten Jahre unter prekären Bedingungen, einige Siedlungen mussten wieder aufgegeben werden. In der Gesamtschau muss die Kolonisierung aber als Erfolg gewertet werden. Die Ergebnisse des zweiten nationalen Zensus von 1895 untermauern die Konjunktur des neuen landwirtschaftlichen Modells, das mit Hilfe der europäischen Einwanderung umgesetzt wurde. Seit der ersten Gründung Mitte der 1850er Jahre waren Hunderte Agrarkolonien entstanden, vor allem in Santa Fe, Entre Ríos und Córdoba, aber auch in vielen weiteren Provinzen.113 Trotz der ausgedehnten Siedlungswanderung war der Bedarf an Arbeitskräften in der Landwirtschaft ungebrochen. So lässt es sich erklären, dass vor allem italienische und spanische Wanderarbeiter, sogenannte »golondrinas«, während der europäischen Wintermonate in größerer Zahl nach Argentinien kamen, um bei der Ernte und im Baugewerbe auszuhelfen. Anschließend kehrten sie mit oft bedeutsamen Ersparnissen in ihre Heimatländer zurück. Unterschiede im Lohnniveau und die günstige Überfahrt machten ein solches Wanderungsverhalten rentabel. Das Phänomen war auch in anderen südamerikanischen Ländern zu beobachten. Schätzungen zufolge emigrierten vor dem Ersten Weltkrieg bis zu 100 000 europäische Wanderarbeiter pro Jahr zeitweise nach Lateinamerika.114 Der wirtschaftliche Einfluss der Einwanderung war auch in den urbanen Zentren deutlich wahrnehmbar. Sie prägte das Stadtbild großer Ansiedlungen wie Buenos Aires oder Rosario von Grund auf neu. Das städtische Leben zog zum einen die Einwanderereliten an, die als Großhändler, Unternehmer, Wissenschaftler, etc. tätig waren. Zum anderen waren die Städte der Schauplatz für die rasche Expansion der argentinischen Mittelschicht, die sich zu einem Gutteil auf die europäische Immigration zurückführen lässt und unter anderem im Handwerk und im Einzelhandel reüssieren konnte. Für viele Einwanderer war damit auch ein sozialer Aufstieg verbunden.115 Im Laufe der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts waren es wiederum europäische Einwanderer, die einen wach-
113 | Vgl. Sarramone 1999, 237. 114 | Vgl. für diesen Absatz: Sarramone 2009, 54f.; Fischer 2009, 254; Bernecker 2009, 47f. 115 | Vgl. Germani 1994, 43f; Fischer 2009, 256-259.
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senden Teil des städtischen Industrieproletariats stellten und die im Entstehen begriffene Arbeiterbewegung anführten.116 Der insgesamt erfolgreiche Prozess der wirtschaftlichen Modernisierung wurde allerdings von einigen Rückschlägen und Krisen begleitet. Strukturdefizite und die langwierige und konfliktreiche staatliche Konsolidierungsphase gehörten zu den größten Hindernissen. Es offenbarte sich in diesem Zusammenhang die Kehrseite der einseitig agrarischen Exportwirtschaft Argentiniens. Nicht nur war diese auf durchgehend gute landwirtschaftliche Erträge angewiesen und konnte durch die häufigen Ernteausfälle, bedingt durch Hitze, Hagel oder Heuschreckenplagen im Inland, empfindlich aus den Gleichgewicht geraten. Die zunehmende Verzahnung mit den internationalen Märkten stellte sie überdies in Abhängigkeit zu ihren Absatzgebieten und machte sie anfällig für Nachfrageschwankungen und grenzübergreifende Krisen. Die möglichen Folgen eines solchen Wirtschaftsmodells offenbarten sich während der argentinischen Finanz- und Bankenkrise 1890/91. Mit Aussicht auf eine weitere landwirtschaftliche Expansion hatte Argentinien übermäßig Kredite bei einem britischen Bankhaus aufgenommen und sich hoch verschuldet. Die politische Strategie, den Fortschritt im Land durch ausländisches Kapital zu erkaufen, scheiterte, da die Schulden infolge sinkender Rohstoffpreise nicht mehr zurückgezahlt werden konnten. Für die argentinische Wirtschaft bedeutete diese Krise ein Abrutschen in die Rezession, den vorläufigen Rückgang der Einwanderung und gesellschaftlichen Aufruhr. Die Erholung gelang nur langsam durch Umschuldung und Finanzreformen im Laufe der 1890er Jahre.117 Der Erste Weltkrieg ließ die europäischen Migrationsströme nach Argentinien zunächst völlig versiegen. In den 1920er Jahren stiegen die Zahlen – unter anderem aufgrund von Einwanderungsbeschränkungen in den USA – wieder deutlich an, ohne aber je wieder das Vorkriegsniveau zu erreichen.118 Die staatlichen Fördermaßnahmen wurden nach dem Krieg fortgesetzt, allerdings suchten auch die argentinischen Regierungen nach Möglichkeiten für eine stärkere Regulierung der Immigration. Ausschlaggebend war u.a. das sozialrevolutionäre Potential der europäischen Einwanderung, welches in den Aufständen 1893 und der »Semana Trágica« 1919 deutlich zum Vorschein gekommen war.119 Anfang der 1930er führten die negativen Folgen der Weltwirtschaftskrise und erste staatliche Restriktionen zu einem erneuten Rückgang der Einwanderung. 116 | Vgl. García 2010, 71f. 117 | Vgl. für diesen Absatz: Wallich 1986, 5-8; Bjerg 2009, 25; Zorzin 2009, 57. 118 | Vgl. Devoto 2009, 162f. 119 | Vgl. Bjerg 2009, 28f.; 107f.
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Zwar waren im Zusammenhang mit der politischen Situation in Europa bis unmittelbar vor und nach dem Zweiten Weltkrieg wieder Zuwächse zu verzeichnen, die europäische Immigration in Argentinien verlor aber sukzessive an Bedeutung und spielte nach 1950 nur noch eine untergeordnete Rolle.120
3.2.2 Deutsche Einwanderung Bis zum Beginn der europäischen Masseneinwanderung gelangten deutsche Einwanderer nur vereinzelt nach Argentinien. Die frühesten Belege stammen aus dem 16. Jahrhundert, als sich Deutsche in verschiedenen Funktionen an den spanischen Expeditionen nach Südamerika beteiligten.121 Seitdem gelangten sie vor allem im Zuge individueller Auswanderung als Missionare, Kaufleute oder Soldaten nach Argentinien und kehrten in der Regel bald wieder in ihre Herkunftsstaaten zurück. Für das Jahr 1852 wird die Zahl der Deutschen im Land auf etwa 1000 geschätzt, der Zensus von Buenos Aires registrierte in der Stadt etwa 800 Personen dieser Herkunft122 Die Öffnung Argentiniens nach außen und die betont einwanderungsfreundliche Politik nach dem Ende des Rosas-Regimes stimulierte auch die deutsche Immigration. Über ihre Ausmaße herrscht gleichwohl Unklarheit. Es wurde verschiedentlich darauf hingewiesen, dass sich der Personenverkehr zwischen Europa und Argentinien zur Zeit der Massenmigration nur schwerlich in absoluten Zahlen ausdrücken lässt. Mangelhafte und uneinheitliche Erfassungsmethoden oder die kaum abschätzbare illegale Einwanderung lassen an der Akkuratesse staatlicher Statistiken auf beiden Seiten des Atlantiks zweifeln. Erst seit Ende des 19. Jahrhunderts liegen einigermaßen belastbare Daten vor.123 Im deutschen Fall waren außerdem Ungenauigkeiten bei der Erfassung der nationalen und ethnischen Herkunft die Regel. Nicht alle Deutschen wurden in den argentinischen Statistiken als solche identifiziert. Das betraf beispielsweise Migranten, die aus den angrenzenden Ländern Südamerikas nach Argentinien weiterwanderten. Auch die Russlanddeutschen – in der zeitgenössischen Terminologie als »Volksdeutsche« bezeichnet – wurden ungeachtet ihrer ethnischen Selbstwahrnehmung als Russen registriert. Für ganz Lateinamerika ist überdies die oft synonyme Verwendung von »Deutscher« und »deutschsprachig« charakteristisch, die ebenfalls zu statistischen 120 | Vgl. für diesen Absatz: García 2010, 145; Devoto 2009, 185; Bjerg 2009, 31f.; Sarramone 2009, 211. 121 | Das bekannteste Beispiel ist Ulrich »Utz« Schmidl aus Regensburg, der als erster Chronist Argentiniens in die Geschichte eingegangen ist. 122 | Vgl. für diesen Absatz: Saint Sauveur-Henn 1995, 10-16; 24; 33; 245; Lütge et al 1981, 41-52; 76; 84-90; Devoto 2009, 218. 123 | Vgl. Devoto 2009, 46-48; Sarramone 2009, 84f.; Zimmer 1996, 52.
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Schwächen führte, etwa bei der Erfassung von nicht-deutschsprachigen Minderheiten des Deutschen Reichs oder Angehörigen des eidgenössischen Vielsprachenstaates. Auch der seit 1869 regelmäßig in Argentinien durchgeführte Nationalzensus ist kaum im Stande, verlässlich Auskunft über die Größe der deutschen Gemeinschaften zu geben. Naturalisierte Einwanderer und die im Land geborenen Einwandererkinder wurden grundsätzlich als Argentinier erfasst. Es kann sich bei den Zahlen zur deutschen Einwanderung und Bevölkerung in Argentinien demnach nur um Näherungswerte handeln.124 Der Zustrom aus Deutschland nahm bis zur Wirtschaftskrise Anfang der 1890er Jahre stetig zu und erreichte seinen Höhepunkt in den Jahren 1888 und 1889 mit einem Migrationssaldo von über 1000 bzw. 2700 Personen.125 Nach einem kurzzeitigen Einbruch stiegen die Zahlen bis zum Beginn des Ersten Weltkrieges wieder. Dem argentinischen Nationalzensus zufolge verdreifachte sich die deutsche Bevölkerung im Zeitraum zwischen 1869 und 1895 auf über 17 000 Personen. Zwischen 1895 und 1914 wuchs sie nochmals um das 1,6-Fache. Dennoch machte der Anteil gebürtiger Deutscher an der aus Europa stammenden Bevölkerung Argentiniens im Durchschnitt nie mehr als rund drei Prozent aus, ein Wert, der sich zudem bis 1914 auf 1,3 Prozent verringerte.126 Der Weltkrieg brachte die deutsche Auswanderung praktisch zum Erliegen. Erst die prekäre Nachkriegssituation und die schwere Wirtschaftskrise in Deutschland stimulierten bis Mitte der 1920er Jahre eine größere Migrationsbewegung in Richtung Argentinien, die im Saldo zuletzt über 8000 Personen jährlich und bis zu 10 Prozent der deutschen »Gesamtauswanderung« umfasste, danach aber wieder deutlich zurückging.127 Über die Gesamtgröße der deutschen Gemeinschaften in Argentinien existierten zu keiner Zeit verlässliche Angaben. Die Gründe hierfür liegen aber nicht allein in unscharfen Statistiken. Die »Kolonien« waren derart heterogen aufgestellt, dass eine eindeutige Zuordnung ihrer Mitglieder schlechterdings unmöglich war. Zwar führte eine zumeist reichsdeutsche Elite das jeweilige Gemeinwesen an, dieses war aber vor allem ethnisch definiert und zählte auch andere Nationalitäten wie Schweizer oder Österreicher zum erweiterten Mitgliederkreis.128 In den deutsch-argentinischen Quellen umfasste der Begriff »Deutschtum« daher häufig auch die »volksdeutschen« bzw »germanischen« Teile der Einwanderung. Newton veranschlagt die Zahl der Deutschsprechen124 | Vgl. für die vorangegangenen beiden Absätze: Saint Sauveur-Henn 1995, 238; Zimmer 1996, 48f.; Gabert 1908, 11. 125 | Vgl. Saint Sauveur-Henn 1995, 246. 126 | Vgl. Tabelle A1. 127 | Vgl. Saint Sauveur-Henn 1995, 247f.; 251; Bernecker/Fischer 1992, 200. 128 | Vgl. für eine Diskussion dieses Problems: Lütge 1936, 36.
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den in Argentinien um 1914 mit etwa 100 000.129 Zeitgenössische Schätzungen aus dem Umfeld der Gemeinschaften gehen für 1906 von ca. 150 000, für 1936 gar von 230 000 »Deutsch-Germanen« aus, von denen wiederum maximal 20 Prozent Reichsdeutsche gewesen sein sollen.130 Die regionale Verteilung der deutschen Bevölkerung ist – unter Berücksichtigung der genannten Einschränkungen – recht gut belegt. Laut den Zensusdaten von 1869, 1895 und 1914 ließ sie sich bevorzugt im argentinischen Kernland nieder: der Hauptstadt Buenos Aires, der Provinz Buenos Aires sowie den nördlich angrenzenden Provinzen Entre Ríos, Santa Fe und Córdoba – den Zentren der Mitte des 19. Jahrhunderts anlaufenden Agrarkolonisierung.131 Insgesamt waren dort 1869 95 Prozent, 1895 92 Prozent und 1914 87 Prozent der vom Zensus erfassten Deutschen ansässig. Die Provinz Santa Fe zählte in diesem Zeitraum stets zu den drei wichtigsten Zielorten, zum Teil noch vor der Provinz Buenos Aires. Bis zu einem Viertel aller Deutschen lebten dort. Zwischen 1895 und 1947 verringerte sich dieser Anteil allerdings kontinuierlich auf schließlich rund 6 Prozent. Nach 1914 gewannen vor allem die Provinzen Misiones und Chaco an Bedeutung für die deutsche Ansiedlung.132 Trotz der Bedeutung der ländlichen Agrarkolonisation zog es die deutsche Immigration in erster Linie in die argentinischen Städte. Allein Buenos Aires beherbergte bis 1933 etwa ein Drittel der deutschen Einwanderer.133 Die demografische Zusammensetzung dieser Gruppe entsprach weitgehend dem europäischen Gesamtdurchschnitt. Bis Anfang der 1930er Jahre war die Mehrheit jung, männlich und ledig. Im Hinblick auf die Sozial- und Erwebsstruktur dominierten lange die städtische Mittelschicht u.a. aus Kaufleuten, Handwerkern und Angestellten und, in geringerem Maße, die Bauern im Hinterland. Seit Ende des 19. Jahrhunderts diversifizierte sich die soziale Zusammensetzung mit der Separation einer urbanen Elite und der Herausbildung einer Arbeiter-
129 | Vgl. Newton 1992a, 406. 130 | Vgl. Gabert 1908, 11f.; Lütge 1936, 39. Dies sind nur zwei Beispiele aus einer ganzen Reihe von – nicht immer ausreichend belegten – Hochrechnungen aus den deutschen Gemeinschaften. Besonders in Schulen, Gemeinden und Vereinen entwickelte sich eine großes Interesse an der Durchführung solcher Erhebungen, die die »wahre Größe« des »Deutschtums« in Argentinien besser veranschaulichen sollten. Waren derartige Versuche zunächst regional begrenzt, hoben in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts die Bemühungen des Deutschen Volksbundes für Argentinien (DVA) dieses Projekt auf eine neue Stufe. 131 | Diese Feststellung trifft auch auf die spanische Einwanderung in Argentinien zu. 132 | Vgl. für diesen Absatz: Tabelle A1. 133 | Vgl. Saint Sauveur-Henn 1994, 411; 424; Saint Sauveur-Henn 2010, 30.
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schicht. Konfessionell war die deutsche Einwanderung vor allem protestantisch geprägt, Katholiken waren stets in der Minderheit.134
3.3 Santa Fe als Ziel europäischer Einwanderung und Ansiedlung 3.3.1 Eine Provinz im Wandel Als Folge der Kolonialherrschaft war die Provinz Santa Fe – ebenso wie das gesamte argentinische Hinterland – bis weit in das 19. Jahrhundert hinein nur spärlich bevölkert und wirtschaftlich kaum entwickelt. Ende des 18. Jahrhunderts existierten auf dem heutigen Territorium lediglich sechs Städte und Siedlungen, darunter Rosario und die spätere Hauptstadt Santa Fe de la Vera Cruz. Nach frühen Schätzungen lebten zu diesem Zeitpunkt etwa 12 600 Menschen auf einer Fläche von mehr als 133 000 Quadratkilometern.135 Die Unabhängigkeitsrevolutionen und die Konstituierung als »autonome Provinz« 1819 läuteten, unter den bereits beschriebenen liberalen Vorzeichen, die politische und wirtschaftliche Neuausrichtung Santa Fes ein. Die Bedingungen dafür waren günstig. Weite Teile der Provinz gehörten zur fruchtbaren und klimatisch gemäßigten Pampa-Region, die sich hervorragend für die landwirtschaftliche Nutzung eignete. Im Norden erstreckte sich der subtropische santafesinische Chaco, der zwar schlechtere Voraussetzungen für die Anbau von Kulturpflanzen bot, aber für die Viehwirtschaft genutzt werden konnte.136 Um die Jahrhundertmitte etablierte sich im Süden Santa Fes die Schafzucht und verdrängte mit der Wollgewinnung die bis dahin wenig ertragreiche Rinderzucht. Im Norden blieb die Rindtierhaltung zur Fleisch- und Milchproduktion hingegen dominant und konnte in der Folge noch ausgebaut werden. Der Pflanzenanbau war zu diesem Zeitpunkt in der gesamten Provinz noch kaum ausgeprägt.137 Zur allgemeinen Rückständigkeit der Region traten entwicklungshemmende Faktoren auf lokaler und nationaler Ebene. In zeitgenössischen Zeitungsartikeln und Berichten wurde bereits das Fehlen von Brücken und befestigten Wegen sowie die schlechte Sicherheitslage beklagt. Zahlreiche kriegerische Auseinandersetzungen mit Buenos Aires, die zum Teil gewaltsam ausgetragenen internen Machtkämpfe um die Vorherrschaft in der Provinz und die bis in die 134 | Vgl. zu den Angaben dieses Absatzes: Saint Sauveur-Henn 1995, 262; 264-67; 269-272; Bernecker/Fischer 1992, 207. 135 | Vgl. Ensinck 1979, 10f.; 88f. Über die Größe der Indigenenpopulation liegen keine Zahlen vor. 136 | Vgl. Gallo 1983, 18f. 137 | Vgl. ebd., 38; 129; 209.
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1880er Jahre andauernden Konflikte mit der indigenen Bevölkerung, die als Nomadenstämme weite Landstriche kontrollierten und immer wieder Siedlungen angriffen, schufen ein Klima der Instabilität und behinderten zunächst den wirtschaftlichen Aufschwung.138 Der Mangel an Arbeitskräften, Know-How und Kapital wiederum ließ größere landwirtschaftliche oder infrastrukturelle Projekte undenkbar erscheinen. Im Einklang mit dem argentinischen Entwicklungsdiskurs wuchs daher auch in der Elite Santa Fes die Erkenntnis, dass der Fortschritt in der Region nicht aus eigenen Kräften, sondern nur mit Unterstützung aus dem Ausland gelingen konnte. Eine Säule der Anfang der 1850er Jahren anlaufenden Modernisierungspolitik bildete die aktive Förderung der Einwanderung. Siedler aus Europa sollten die notwendige Arbeitskraft zur Urbarmachung und Bewirtschaftung potentieller Agrarflächen bereitstellen. Ab 1853 wurden Kolonisationsverträge mit privaten Unternehmern geschlossen, die über Subagenten in Europa auswanderungswillige Familien und Einzelpersonen anwerben und sie mit staatlicher Unterstützung in ländlichen Kolonien in Santa Fe ansiedeln sollten. Die geografische Zielrichtung dieser ersten Vorhaben waren Gebiete im Norden und Westen der Schweiz, in Frankreich und in den deutschen Staaten, aus denen bereits Mitte der 1850er Jahre die ersten Kolonisten in Argentinien eintrafen.139 In den 1860er und 1870er Jahren entstanden zudem auf die Einwanderung ausgerichtete administrative und Unterstützungseinrichtungen. Oft in Zusammenarbeit mit den Kolonisationsunternehmern wurden staatliche Einwanderungskommissionen in den Städten Rosario und Santa Fe gegründet. Zu den Aufgaben dieser Einrichtungen gehörten u.a. die Förderung der europäischen Einwanderung über Agenten und Publikationen in Europa sowie die Gewährleistung von Hilfestellungen für die eintreffenden Immigranten. Wegen fehlender Mittel war ihr Wirkradius aber nur begrenzt. Ab den 1870er Jahren zentralisierte die Nationalregierung die lokalen Einwanderungskommissionen in den Provinzen und betrieb sie von Buenos Aires aus.140 In den Transitstädten Rosario und Santa Fe, durch die sich ein Gutteil des Zustroms auf seinem Weg in das Landesinnere bewegte, wurden mit Unterstützung der Provinzregierung sogenannte »Asilos de Inmigración« eingerichtet, die den Ankommenden für acht Tage kostenlose Unterkunft und Verpflegung boten. Weiterhin fungierten sie als Anlaufstelle sowohl für Einwanderer als auch für Arbeitgeber auf der Suche nach Beschäftigung bzw. nach Angestellten. Allerdings
138 | Vgl. ebd., 26; 325. 139 | Vgl. für diesen Absatz: Ensinck 1979, 27-34. 140 | Vgl. Sarramone 2009, 139; Ensinck 1979, 52-54; 63-68; 208; Hiller 1912, 42f.
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krankten die Einrichtungen an Überfüllung, notorischer Unterfinanzierung und mangelhaften hygienischen Zuständen.141 Nach anfänglichen Schwierigkeiten, die sich vor allem auf Fehlplanungen zurückführen lassen, entwickelte sich die Agrarkolonisierung in Santa Fe zum Erfolgsmodell. Waren die ersten Siedlungen noch intensiv von der Provinzregierung subventioniert und kontrolliert worden, dominierten bald privatwirtschaftliche Kolonisierungsstrategien. Unternehmer erwarben zu diesem Zweck größeren Landbesitz und verkauften Parzellen an Kolonisten weiter, die ihre Schulden meist innerhalb mehrerer Jahre durch Ernteerträge tilgen mussten. Nach dieser Vorlage entstand die Mehrzahl der santafesinischen Kolonien.142 Der wirtschaftliche Transformationsprozess und die hohen Wachstumsziffern in der Region waren eine direkte Folge der Einwanderungs- und Siedlungspolitik. Knapp zwanzig Jahre nach Gründung der ersten Kolonie Esperanza im Jahr 1856 wurden 32 weitere Siedlungen mit über 15 000 Einwohnern gezählt, Mitte der 1880er Jahre waren es bereits 98.143 Dieser Trend setzte sich unvermindert fort. Selbst die Wirtschafts- und Finanzkrise in den 1890er Jahren hatte kaum Einfluss auf die fortschreitende Kolonisierung Santa Fes. Um 1890 stieg die Zahl der Kolonien auf 204, drei Jahre später auf 341.144 Mit ähnlicher Geschwindigkeit vergrößerte sich das Kulturland Santa Fes. Begünstigt durch den Paraguay-Krieg und seine Nachschubwege, dehnten sich die bewirtschafteten Flächen zwischen 1863 und 1895 von 8437 auf 1 661 291 Hektar aus.145 Der größte Teil davon wurde für den Weizenanbau genutzt, den die Provinz um die Jahrhundertwende im landesweiten Vergleich dominierte. Dahinter rangierten Mais, Luzerne und Lein.146 Begleitet wurde diese Entwicklung von gezielten Maßnahmen auf nationaler Ebene zum Ausbau der Infrastruktur und einer voranschreitenden Technisierung und Industrialisierung. Ab den 1860er und in verstärktem Maße seit den 1880er Jahren begann in Santa Fe die Konstruktion eines Eisenbahnnetzes, das den stetigen Fluss landwirtschaftlicher Erzeugnisse von den Kolonien zu den Exporthäfen und in andere Landesteile gewährleisten sollte. Für das benötigte Kapital und die technische Realisierung öffnete sich Argentinien ausländischen Unternehmen. 141 | Vgl. für diesen Absatz: Ensinck 1979, 159-162; 166-168. 142 | Vgl. Gallo 1983, 70-72. 143 | Vgl. Grenón 1945, 15f. Bereits seit den 1820er Jahren wurden in verschiedenen argentinischen Landesteilen Kolonisationsversuche unternommen, die aber allesamt scheiterten (vgl. Gori 1969, 19f.). 144 | Vgl. De Marco (h) 1992, 118; Carrasco 1894, 12; Devoto 2009, 262. 145 | Vgl. Ensinck 1979, 233f. 146 | Vgl. Gallo 1983, 207-212. Auch im Leinanbau hatte die Santa Fe unter den argentinischen Provinzen eine führende Position inne (vgl. De Marco (h) 1992, 135).
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In Santa Fe erhielt die britische Central Argentine Railway (span.: Ferrocarril Central Argentino (F.C.C.A.)) eine staatliche Konzession für den Bau der Strecke Rosario – Córdoba. Der Kontrakt sah außerdem vor, dass die Gesellschaft mehrere Kilometer Land zu beiden Seiten des Streckenverlaufs erhalten sollte, um dort im Gegenzug weitere Siedlungen mit europäischen Einwanderern zu errichten. Mit Carcarañá, Cañada de Gómez und dem heutigen Roldán gründete das eigens dafür ins Leben gerufene Subunternehmen der Eisenbahngesellschaft in den 1870er Jahren die ersten »Zentralbahnkolonien«.147 Die Verbesserung der Rahmenbedingungen und die Zunahme der landwirtschaftlichen Produktion hatte auch eine belebende Wirkung auf andere Wirtschaftszweige. Eine wachsende Anzahl von Industriebetrieben spezialisierte sich auf die Herstellung landwirtschaftlicher Gerätschaften oder – wie Mühlen, Brauereien und Molkereien – auf die Verarbeitung der Erzeugnisse aus Agrar- und Viehwirtschaft. In den sich rasch entwickelnden Hafenstädten der Provinz bildeten sich neue Marktstrukturen mit Getreidebörsen und zahlreichen Handelshäusern heraus, die in der Hochphase der landwirtschaftlichen Exportwirtschaft Santa Fes in den 1880er Jahren zunehmend an Bedeutung gewannen.148 Die wirtschaftliche Stärkung der Region zog zusätzlich Einwanderer aus Europa an. Sie waren der Hauptfaktor des rasanten Bevölkerungswachstums. Zwischen den nationalen bzw. Provinzzählungen der Jahre 1858, 1869, 1887, 1895 und 1914 stieg die Einwohnerzahl Santa Fes im Durchschnitt um mehr als das Doppelte.149 Die größten Zuwächse verzeichneten die Agrarkolonien und Transitstädte wie Rosario und Santa Fe, die im Zuge der Urbanisierung rasch expandierten. Der Ausländeranteil erreichte seinen Höhepunkt um die Jahrhundertwende: 1895 waren rund 42 Prozent der 397 188 Provinzbewohner keine gebürtigen Argentinier, sondern stammten mehrheitlich aus Italien, Spanien und Frankreich.150 Dem steilen Bevölkerungs- und Wirtschaftswachstum folgten tiefgreifende gesellschaftliche Veränderungen und Herausforderungen. Innerhalb kürzester Zeit hatte sich unter den Einwanderern eine wohlhabende und einflussreiche Mittel- und Oberschicht herausgebildet. Nach Erhebungen des Nationalzensus gab es in Santa Fe 1895 erstmals mehr ausländische als argentinische Grundstücksbesitzer. Zudem war die Zahl der Hausbesitzer unter den Immigranten doppelt so hoch wie unter den Einheimischen. Die wirtschaftliche Dominanz 147 | Vgl. für die vorangegangenen beiden Absätze: Hagedorn 1944, 63f.; Ensinck 1979, 334f.; Grafik B1. 148 | Vgl. für diesen Absatz: Prieto 2010, 65; De Marco (h) 1992, 136; Gallo 1983, 246-248. 149 | Berechnungen auf Grundlage der Zensusdaten in: Ensinck 1979, 89-103. 150 | Vgl. ebd., 14.
3. ARGENTINIEN UND DIE EUROPÄISCHE IMMIGRATION | 67
setzte sich in Industrie und Handel fort: Rund 84 Prozent der Handelshäuser und 91 Prozent der Industriebetriebe waren in ausländischen Händen.151 Auf der anderen Seite des sozialen Spektrums stellten die Einwanderer bedeutende Teile der Land- und Industriearbeiterschaft. Ihre starke Präsenz im öffentlichen Raum und ihr ethnischer Aktionismus überformten die santafesinische Gesellschaft auch in kultureller Hinsicht. Im Kontrast dazu stand der zunächst geringe politische Einfluss der Immigranten. Die Provinzverfassung Santa Fes von 1872 räumte Ausländern das Munizipalwahlrecht ein, das aber 1890 wieder aufgehoben wurde.152 Außerdem konnten Ausländer in den Kolonien das Amt eines »juez de paz«, eines Friedensrichters, bekleiden, der polizeiliche und zivilgerichtliche Funktionen innehatte und auch einigen lokalpolitischen Einfluss besaß.153 Auf nationaler und Provinzebene blieb Ausländern das aktive und passive Wahlrecht grundsätzlich vorenthalten. Als Hauptmotiv hierfür lässt sich die Angst der argentinischen Eliten vor einem Machtverlust anführen. Da auch die erfolgreiche Naturalisierung an den politischen Möglichkeiten nichts änderte und die Einwanderer ohnehin mit weitreichenden Bürgerrechten ausgestattet waren, erschien ein Wechsel der Nationalität kaum attraktiv.154 Wie die Revolutionen Ende des 19. Jahrhunderts zeigen sollten, war den Einwanderern die formale politische Partizipation zwar weitgehend verwehrt, durch ihre zahlenmäßige Stärke hatten sie aber durchaus politisches Gewicht. Anfang der 1890er Jahre führte die Aberkennung des Munizipalwahlrechts zusammen mit der Getreidesteuer zu Zusammenschlüssen und Protesten unter den Kolonisten, die sich 1893 gewaltsam entluden. Ausgehend von der Kolonie Humboldt im Departement Las Colonias und in parteipolitischer Verbindung mit der Unión Cívica Radical kam es zu Spannungen zwischen den Siedlern und der Provinzregierung und einer allgemeinen Bewaffnung. Die Juli-Erhebungen der Radikalen, an denen viele Schweizer und Deutsche beteiligt waren, endeten mit dem Sturz der Regierung Santa Fes. Mehrere militärische Interventionen der Nationalregierung waren nötig, um die Revolution im September des Jahres zu beenden. Es folgten staatliche Repressionsmaßnahmen in den Kolonien. Schlussendlich wurde das Kommunalwahlrecht 1900 wieder eingeführt.155
151 | Vgl. für die Daten dieses Absatzes: Ebd., 98-102. 152 | Vgl. Gallo 1983, 352f. 153 | Vgl. Ensinck 1979, 287. 154 | Vgl. Germani 1994, 48f. 155 | Vgl. für diesen Absatz: Gallo 1983, 372; 404-419.
68 | KAPITEL II. »AUSLANDSDEUTSCHTUM« UND VEREINSWESEN
3.3.2 Rosario: Einwanderung und Stadtentwicklung Die Entwicklung Rosarios im 19. und 20. Jahrhundert steht paradigmatisch für das enorme Veränderungspotential der europäischen Einwanderung in Argentinien. Innerhalb weniger Jahrzehnte wandelte sich die rückständige dörfliche Siedlung nordwestlich von Buenos Aires zu einer prosperierenden Hafengroßstadt und einem wichtigen Industriestandort. Verbunden war das bemerkenswerte Wachstum mit tiefgreifenden gesellschaftlichen Veränderungen und der Entstehung einer völlig neuen Stadtkultur. Die Anfänge Rosarios gehen auf spanische Siedlungen zurück, die seit Ende des 17. Jahrhunderts im erweiterten Umfeld des heutigen Stadtgebiets gegründet wurden. Ihre gute Lage am Paraná, der bei Buenos Aires in den Río de la Plata mündet, prädestinierte die nach der Unabhängigkeit langsam anwachsende Ortschaft als Anlaufstelle für die Binnen- und Seeschifffahrt. Nach der Abspaltung von Buenos Aires stieg Rosario folgerichtig zum wichtigsten Hafen und Militärstützpunkt der Konföderation auf.156 In ebendieser Zeit wurden die Grundlagen für das spätere Wachstum gelegt. Die Erlangung des Stadtrechts 1852 und die nach dem Sturz Rosas’ möglich gewordene Öffnung der Schifffahrtswege ins Landesinnere waren wichtige Voraussetzungen für die Etablierung des Binnenhafens und den »Boom« der santafesinischen Exportwirtschaft in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts.157 Das sprunghafte Bevölkerungswachstum, angetrieben durch die europäische Massenimmigration, war ein weiterer Faktor des Aufstiegs Rosarios zum wichtigsten argentinischen Handelszentrum nach Buenos Aires. Als Transitstation auf dem Weg vom hauptstädtischen Seehafen zu den landwirtschaftlichen Kolonien Santa Fes durchlief Rosario seit den 1850er Jahren eine jährlich steigende Zahl an Einwanderern bzw. Wanderarbeitern, von denen sich viele direkt in der Stadt niederließen. Die während der landwirtschaftlichen Aufschwungphase in der Provinz immer günstigeren Rahmenbedingungen und Erwerbsaussichten machten sie zu einem attraktiven Wanderungsziel, z.B. für Unternehmer, Händler und Arbeiter. Zwischen 1851 und 1895 stieg die Einwohnerzahl Rosarios um das Dreißigfache auf 91 669. Bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges wuchs sie nochmals auf mehr als das Doppelte an. Mitte der 1920er Jahre war Rosario mit einer Bevölkerung von über 400 000 Menschen die mit Abstand größte Stadt in der Provinz.158 Ein Blick auf den Ausländeranteil verdeutlicht die Bedeutung der Einwanderung für diese Entwicklung. In der Dekade ab 1858 betrug dieser noch relativ 156 | Vgl. De Marco 1992, 77; 86. 157 | Vgl. Hardoy 1985, 63; Sarramone 2009, 141. Bis in die 1870er Jahre war Rosario sogar als argentinische Hauptstadt im Gespräch (vgl. Álvarez 1981, 409-437). 158 | Vgl. für diese Zahlen: Megías 2010, 15.
3. ARGENTINIEN UND DIE EUROPÄISCHE IMMIGRATION | 69
konstant um die 22 Prozent, steigerte sich aber Ende der 1880er Jahre auf über 40 Prozent. Bis weit in die 1920er Jahre hinein bewegte sich der Ausländeranteil auf diesem hohen Niveau. In der Spitze, 1895 und 1910, registrierten die Demografen gar eine Quote von rund 46 Prozent.159 Auch die Provinzhauptstadt Santa Fe zog als Regierungssitz und Hafenstadt Einwanderer an, aber in einem geringeren Maße als Rosario. Der Ausländeranteil betrug zu den Hochzeiten bis zu 30 Prozent, ein Wert, der nach 1900 rasch abnahm.160 Ähnlich wie in anderen Regionen Argentiniens stellten Europäer das größte Einwandererkontingent in Rosario: 1895 stammten 94 Prozent der in der Stadt ansässigen Ausländer von dort. Zu den wichtigsten Gruppen gehörten Italiener und Spanier, die auch in Santa Fe die Statistiken über weite Strecken anführten. Dem gegenüber waren die vergleichsweise geringen Anteile an Franzosen, Engländern, Deutschen, Österreichern und Schweizern, die den beiden führenden Herkunftsländern bis in die 1920er Jahre in den Erhebungen nachfolgten, in Stagnation begriffen bzw. rückläufig.161 Die europäische Einwanderung prägte das aufkeimende Wirtschaftsleben Rosarios, das eng an die landwirtschaftliche Produktion in den Kolonien gekoppelt war. Auf dem Weg zum Großhandelsplatz mussten aber zunächst grundlegende strukturelle Defizite überwunden werden. Seit 1857 wurden am Paraná die ersten, oft kurzlebigen Molen für die Handelsschifffahrt konstruiert. Der sukzessive Ausbau konnte aber kaum mit der landwirtschaftlichen Expansion in Santa Fe Schritt halten und die Hafenanlagen blieben bis zur Jahrhundertwende insgesamt unzureichend und schlecht organisiert.162 Nach verschiedenen Versuchen, u.a. der spanischen Gemeinschaft Rosarios, einen dauerhaften Zentralhafen zu errichten, die zuvorderst an fehlenden Mitteln gescheitert waren, begann 1902 der von der städtischen Kaufmannschaft mit Ungeduld erwartete Bau des »Puerto Moderno«.163 Im selben Zeitraum wurde die Erweiterung der Eisenbahnrouten vorangetrieben, die die landwirtschaftlichen Produktionsstätten im Innern mit dem Warenumschlagplatz in Rosario verbanden und 1886 eine Direktverbindung nach Buenos Aires herstellten. Der innerstädtische Verkehr erfuhr durch die Einführung der elektrischen Straßenbahn eine Modernisierung. Ebenfalls von Bedeutung, sowohl in wirtschaftlicher als auch in gesellschaftlicher Hinsicht, war der Anschluss an technische Kommunikationsmittel. Ende der 1870er Jahre
159 | Vgl. zu diesen Zahlen: Ensinck 1979, 108-112; 116f.; 120-125. 160 | Vgl. ebd., 132; Sarramone 2009, 138. 161 | Vgl. für diesen Absatz: Ensinck 1979, 109; 111; 116; 125; Gallo 1983, 289f. 162 | Vgl. Prieto 2010, 56-58; Megías 2010, 17. 163 | Vgl. Hardoy 1985, 67; Miragaya/Solanes 1934, 125-128.
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wurde eine Telegrafenverbindung zwischen Rosario und Buenos Aires eingerichtet, die Einführung des Siemens-Telefons erfolgte ab 1883.164 Die lokale Wirtschaft florierte im Takt der Modernisierung und Einwanderung. Nach einer ersten Hochkonjunktur in den Jahren des Tripel-Allianz-Krieges gegen Paraguay, in denen der noch rudimentäre Hafen der Stadt an Bedeutung für die militärische Versorgung gewann, kam der Handel in den Jahren nach 1870 vorerst ins Stocken.165 Mit dem Beginn des Weizenexports nach Europa, der ab 1878 vor allem von spanischstämmigen Kaufleuten initiiert und vorangetrieben wurde, konnte die Krise aber überwunden werden.166 Handel, Gewerbe und Industrie erlebten in der folgenden Dekade eine beispiellose Blütezeit. Immer mehr europäische Schifffahrtsgesellschaften richteten regelmäßige Direktverbindungen ein und sorgten für den regen Austausch von Personen und Waren. Bis 1887 zählte Rosario 46 Handelshäuser und vereinte mehr als ein Drittel der »establecimientos comerciales« Santa Fes in ihrem Einzugsgebiet.167 Zahlreiche ausländische Unternehmen und Banken unterhielten Niederlassungen vor Ort, die wichtigsten europäischen Staaten Konsulate. Ab 1884/85 verfügte Rosario über eine eigene große Börse, die spätere Bolsa de Comercio, die den städtischen Handel auf eine neue Stufe hob.168 Diese Phase des Wachstums und der Prosperität setzte sich, unterbrochen nur durch wenige Krisenjahre, bis zum Ende des Ersten Weltkrieges fort.169 In der unmittelbaren Umgebung Rosarios entstanden industrielle Großbetriebe wie die Eisenbahnwerkstätten der F.C.C.A., die auf erste Streckenprojekte in der Provinz zurückgingen und sich in der Hochzeit des Eisenbahnbaus weiter vergrößern konnten. Der Netzausbau kam auch der argentinischen Zuckerindustrie zugute, die nun den Zucker aus dem Norden zu den Verarbeitungsstätten im argentinischen Kernland transportieren konnten. Eine der größten Raffinerien wurde 1889 von Ernesto Tornquist mit europäischen Fachkräften und Maschinen in Rosario eröffnet.170 Beide Industrien bildeten das Zentrum neuer Stadtviertel, dem »Barrio Talleres« und dem »Barrio Refinería«, die maßgeblich von Arbeitern aus Europa geprägt wurden.
164 | Vgl. für diesen Absatz: De Marco 1992, 111; Grenón 1939, 326; Hardoy 1985, 65. 165 | Vgl. Gallo 1983, 32; Elsner 1932, 193f. 166 | Vgl. De Marco 1992, 108. 167 | Vgl. Gallo 1983, 252. 168 | Vgl. Colomé/Gumierato 2009, 127-129. Megías weist darauf hin, dass bereits seit den 1850er Jahren kleinere Vereinigungen gegründet worden waren – u.a. auch die Sala Comercial de Residentes Extranjeros von 1859 –, die Handelstätigkeit und Geselligkeit verbanden (vgl. Megías 1996, 90f.). 169 | Vgl. Álvarez 1981, 598. 170 | Vgl. Guy 1988, 354-356; Prieto 2010, 72.
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Diese außerordentlichen Fortschritte veranlassten zeitgenössische Medien, Rosario zum argentinischen Chicago zu verklären. Die euphorische Grundstimmung konnte aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die strukturelle Stadtentwicklung nicht mit dem Bevölkerungs- und Wirtschaftswachstum hatte schritthalten können. Hohe Sterblichkeitsraten und zahlreiche Seuchen bezeugen die schlechten sanitären Verhältnisse, wie sie bis Ende des 19. Jahrhunderts charakteristisch waren. Allein die drei großen Cholera-Epidemien in der zweiten Jahrhunderthälfte forderten mehr als 2000 Todesopfer und behinderten die wirtschaftliche Entwicklung.171 Besserung trat erst mit der verstärkten Konstruktion von Kloaken sowie von Wasser- und Abwasserleitungen in den 1880er Jahre ein.172 Außerdem fehlte es an Wohnraum für die nun massenweise ankommenden Einwanderer. Die Wohn-, Arbeits- und Lebensbedingungen in den Arbeitervierteln im Umfeld der großen Fabriken sowie in den Hafenanlagen waren nicht selten prekär. Dies trug mit zur steigenden Kriminalität sowie zur Entstehung und Radikalisierung der Arbeiterbewegung in Rosario bei.173 Von Aufschwung und Einwanderung gingen aber auch aktivierende Impulse für das gesellschaftliche Leben und die Stadtkultur Rosarios aus. Im Zentrum entstanden lebendige Geschäftsstraßen, in denen Mode und Importartikel aus Europa gehandelt wurden. Eine wachsende Anzahl Restaurants, Bars und Cafés profitierte von der immer zahlreicher werdenden Laufkundschaft. Anfang des 20. Jahrhunderts existierten mit den Häusern Colón, La Opera und Olimpo gleich drei große Theater, die auch Gastspiele vieler europäischer Künstler und Truppen brachten.174 Die gesellschaftliche Elite traf sich in exklusiven Clubs zu Empfängen, Konzerten und Bällen, die Mittel- und Unterschichten suchten Zerstreuung beim alljährlichen Karneval oder populären Volksfesten wie den von spanischen Immigranten eingeführten »romerías españolas«.175 Das nun entstehende Vereinswesens wurde entscheidend von der Einwanderung mitgeprägt. Ausgehend von den ethnisch fundierten Hilfsvereinen der 1850er und 1860er Jahre, den »Sociedades de Socorros Mutuos«, entwickelte sich eine breite, durch alle Gemeinschaften gehende Vereinskultur, die in der Regel zwischen kulturellen, rekreativen, pädagogischen und wohltätigen Zielen changierte. Als eine der wenigen nationenübergreifenden Institutionen versammelte der 1871 gegründete Club de Residentes Extranjeros die städtische Einwandererelite, vor allem Engländer und Deutsche.176 Einen Sonderfall stell171 | Vgl. Prieto 2010, 68. 172 | Vgl. Álvarez 1981, 480. 173 | Vgl. Prieto 2010, 74; 76; Gallo 1983, 294. 174 | Vgl. Ielpi 2001, 154f. 175 | Vgl. ebd., 41-43. 176 | Vgl. Galassi 2006, 67; Megías 1996, 87.
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ten die zahlreichen protestantischen Kirchgemeinden dar, die sich zwar häufig einer Mutterkirche anschlossen, aber vereinsmäßig organisiert waren und von ihren Mitgliedern getragen wurden. Um die Jahrhundertwende löste der stetige Zustrom eine regelrechte »explosión asociativa«177 aus und machte Rosario zur Stadt mit der größten Vereinsdichte in der Provinz.178 Die Vereine wurden dabei nicht nur zum Identifikationspunkt für die Einwanderer und zum Ort der ethnischen Abgrenzung und Konservierung, sondern, durch ihren vielgestaltigen Aktionismus im öffentlichen Raum, auch zu integralen Bestandteilen der Rosariner Stadtkultur.
3.3.3 Esperanza: Blaupause einer argentinischen Agrarkolonie Esperanza war das erste Produkt der staatlichen Siedlungsplanung auf dem Boden der Provinz Santa Fe. Die rund 40 Kilometer nordwestlich der Provinzhauptstadt gelegene landwirtschaftliche Kolonie ging 1856 aus der vertraglichen Einigung des argentinischen Unternehmers Aarón Castellanos mit der Provinzregierung hervor und entwickelte sich zum Vorzeigeprojekt für die Ansiedlung europäischer Einwanderer in Argentinien. Der mittelfristige Erfolg Esperanzas läutete die Hochzeit der Agrarkolonisation und den Aufschwung der argentinischen Exportwirtschaft ein. Nicht nur in Santa Fe, sondern im ganzen Land wurden in der Folge ähnliche Siedlungsvorhaben realisiert. In Übereinstimmung mit der dominierenden Strömung des argentinischen Modernisierungs- und Fortschrittsdiskurses, der eine Einwanderung aus Nordund Mitteleuropa bevorzugte, wurden die ersten Siedler für Esperanza in der Schweiz, dem Norden Frankreichs und den deutschen Staaten von beauftragten Subunternehmern angeworben.179 Der Kolonisationsvertrag sah ursprünglich die Verschiffung von insgesamt 1000 Familien zu je fünf Personen vor, die in Gruppen von 200 Familien nach Argentinien kommen sollten. Jede dieser Gruppen sollte den Grundstock für eine eigene Kolonie bilden. Die Werbungsund Transportkosten hatte Castellanos vorzustrecken, während die Provinzregierung verbindlich zusagte, Land, Häuser, Lebensmittel, Saatgut und Vieh bereitzustellen. Die angeheuerten Kolonisten waren ebenfalls an Pflichten gebunden und genossen gewisse Privilegien. So musste die zugewiesene Landkonzession von ca. 33 Hektar zur Hälfte mit dem bereitgestellten Saatgut bewirtschaftet werden.180 Weiterhin legten die Vertragsbestimmungen fest, dass die erhaltenen 177 | Megías 2010, 18f. 178 | Vgl. Ensinck 1979, 209. 179 | Vgl. Grenón 1939, 75; 137. 180 | Bis zur verpflichtenden Einführung des metrischen Systems Ende der 1880er Jahre wurde Land auf Grundlage alter spanischer Längenmaße vergeben. Eine Konzession
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Vorleistungen – entsprechende Ernteerträge vorausgesetzt – innerhalb weniger Jahre verzinst zurückzuzahlen seien. Dafür waren die Siedler vom Militärdienst befreit und erhielten Steuererleichterungen. Nach fünf Jahren ging die bewirtschaftete Parzelle in ihren Besitz über.181 Aber bereits bei Ankunft der Einwanderer, die auf dem Paraná über Rosario und Santa Fe zu ihrem Bestimmungsort gelangt waren, offenbarten sich schwerwiegende organisatorische Mängel. Entgegen den Vereinbarungen hatte die Provinzregierung die Häuser noch nicht fertiggestellt und es fehlte an wichtigen Voraussetzungen, um mit der Landwirtschaft beginnen zu können. Zeitgenössischen Berichten zufolge waren außerdem viele der angeworbenen Kolonisten gar keine Bauern und brachten keinerlei Erfahrungen im Landbau mit182 Dennoch ließen sich bis Mitte 1856 etwa 1162 vorwiegend junge Einwanderer in Esperanza nieder. Mehr als die Hälfte der 200 »Gründerfamilien« bzw. Einzelpersonen, die sich einen Verbund an- oder zu einem solchen zusammenschlossen, um eine Konzession zu bewirtschaften, stammte aus der Schweiz, vor allem aus den Kantonen Bern und Wallis. Deutsche Einwanderer, viele davon aus Rheinhessen, stellten die zweitstärkste Gruppe. Eine bedeutende Anzahl von Familien kam aus Frankreich, einige wenige aus Belgien.183 Um Konflikte zu vermeiden, wurden den französischsprachigen Kolonisten Konzessionen im Osten und den deutschsprachigen ebensolche im Westen Esperanzas zugelost. Nach Möglichkeit versuchte man auch, Katholiken getrennt von Anhängern protestantischer Glaubensrichtungen anzusiedeln, die sich in Unterzahl befanden.184 Die ersten Jahre Esperanzas waren bestimmt von Widrigkeiten und Rückschlägen. Das Tagebuch des hessischen Schuhmachers Melchior Neder ermöglicht unmittelbare Einblicke in die harten Lebens- und Arbeitsbedingungen
umfasste demnach exakt 20 Cuadras. Eine Cuadra entsprach 150x150 Varas bzw. ca. 129x129 Meter (vgl. Grenón 1945, 86f.). 181 | Vgl. zu den genannten Bestimmungen: Saint Sauveur-Henn 1995, 350; Ensinck 1979, 285-287; Grenón 1939, 58. Der genaue Wortlaut des Vertrags findet sich bei Cervera 1906, 26-30. 182 | Vgl. für diesen Absatz: Grenón 1939, 72-75; Ensinck 1979, 294f. 183 | Vgl. Grenón 1939, 126; 128; Gori 1974, 17-19. Die regionalen Schwerpunkte bei der Herkunft der Auswanderer wurden wesentlich vom Aktivitätsradius der jeweiligen Agenturen beeinflusst. Der Agent C. H. Textor war beispielsweise in Frankfurt am Main ansässig (vgl. Saint Sauveur-Henn 1995, 350f.). Der argentinische Historiker Gastón Gori hat nachgewiesen, dass tatsächlich wesentlich mehr als 200 Familien an der Gründung Esperanzas beteiligt waren, da sich häufig mehrere Familien und Einzelpersonen eine Konzession teilten (vgl. Gori 1969, 86-88; Gori 1974). 184 | Vgl. Grenón 1939, 136; Ensinck 1979, 293.
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der Kolonisten.185 Nach der langen und beschwerlichen Anreise erwartete die Einwanderer eine in vielen Belangen unfertige Siedlung. Es fehlte vor allem an Häusern und Brunnen. Einige mussten ihre Häuser – meist primitive Holzhütten – mit dem vorhandenen Material selbst bauen. Da Esperanza nicht nur als landwirtschaftliches Zentrum, sondern auch als Schutzwall für die nahe gelegene Stadt Santa Fe gegen die zu dieser Zeit noch häufigen Überfälle der indigenen Urbevölkerung konzipiert worden war, errichtete man die Häuser zu Beginn nahe beieinander, an den jeweiligen Ecken von vier aneinander grenzenden Konzessionen. Das Vieh wurde in der Mitte zusammengetrieben, um es zu schützen.186 Zwar stellte die Regierung Lebensmittel, Mehl, Saatgut, Kühe, Ochsen und Pferde bereit, allerdings mit oft großer Verzögerung. Zum Teil handelte es sich um wildes Vieh, dass erst gezähmt werden musste. Viele Familien litten unter großer Armut, so dass bisweilen Almosen verteilt wurden. Nur durch die Lebensmittellieferungen der Regierung in den ersten zwei Jahren nach Gründung, die auch über die vertraglichen Verpflichtungen hinausgingen, konnte die Versorgung der Kolonie gesichert werden.187 Der Weizen- und Maisanbau lief ebenfalls nur langsam an. Viele der Siedler hatten keine Erfahrung im Ackerbau, es fehlte an Pflügen und Wagen. Die erste Ernte 1857 brachte auch deshalb sehr unterschiedliche Erträge. Im gesamten 19. Jahrhundert verursachten zudem Heuschreckenplagen und die zeitweise extremen klimatischen Bedingungen, die von Dürre über Hagel bis hin zu Frost reichen konnten, große wirtschaftliche Einbußen und zwangen einige Kolonisten zur Umsiedlung. Da noch keine Eisenbahnanbindung existierte, war die nahe gelegene, ebenfalls noch sehr rückständige Kleinstadt Santa Fe zunächst der einzige Markt für die landwirtschaftlichen Produkte Esperanzas. Die geringen Einnahmen reichten kaum aus, um die Schulden zurückzuzahlen, die sich durch die dauerhafte Subvention ergeben hatten. Ende 1857 verzichtete
185 | Neder stammte aus dem Großherzogtum Hessen und wanderte 1855 nach Argentinien aus. Emil Wrege, zwischen 1889 und 1898 Pfarrer der protestantischen Gemeinde Esperanza, entdeckte das Tagebuchmanuskript während seiner Amtszeit und veröffentliche 1897 Teile daraus mit eigenen Anmerkungen im EGB der Deutschen Evangelischen La Plata-Synode (DELPS). 186 | Nach Gastón Gori wurde die Gefahr von den verunsicherten Neueingewanderten mitunter übertrieben. Beim Aufbau Esperanzas spielten die indigenen Raubzüge wohl kaum eine Rolle (vgl. Gori 1972, 15; 49f.). 187 | Vgl. für die vorangegangenen beiden Absätze: EGB, 3. Jg., Nr. 107 (2. Juli 1897), 7f.; Nr. 108 (9. Juli 1897), 578; Nr. 109 (16. Juli 1897), 35-40; Nr. 110 (23. Juli 1897), 52-56; Nr. 111 (6. August 1897) [falsche Datumsangabe im Original], 68-76; Nr. 112 (6. August 1897), 92-96.
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die Regierung schließlich auf die eigenen Ansprüche und übernahm sämtliche Verbindlichkeiten.188 Den anfänglichen Hindernissen zum Trotz entwickelte sich das 1884 eingerichtete Departement Las Colonias mit seiner Hauptstadt Esperanza zu einer Wachstumsregion. Im weiteren Umfeld der ersten Agrarkolonie entstanden weitere Siedlungen, die ebenfalls von der europäischen Immigration geprägt waren wie z.B. San Carlos (1858), San Jerónimo Norte (1858), Humboldt (1869), Franck (1870), Felicia (1877) und Progreso (1881).189 Diese Ortschaften bildeten zusammen einen Schwerpunkt der landwirtschaftlichen Produktion, vor allem im Weizenanbau, und trugen somit zu den bereits erwähnten hohen wirtschaftlichen Wachstumsziffern der Provinz im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts bei. Dem ersten großen »Censo General« Santa Fes von 1887 zufolge war Las Colonias das Departement mit der größten bewirtschafteten Fläche und nahm sowohl im Anbau von Weizen als auch von Lein und Gerste eine führende Position ein. Nur beim Maisanbau wurde die Region vom Departement San Lorenzo überflügelt. Mit rund 54 Prozent war Esperanza zu diesem Zeitpunkt der Distrikt mit dem größten Anteil an landwirtschaftlich genutztem Terrain in der gesamten Provinz.190 Der großflächige Landbau erforderte während der Ernteperioden mehr Arbeitskräfte als im regionalen Umfeld verfügbar waren. Deshalb wurden auch europäische Wanderarbeiter beschäftigt, die im lunfardisch beeinflussten Volksmund »linyeras« genannt wurden. Die fast ausschließlich aus Italien stammenden Arbeitsmigranten kamen ohne Familie oder Besitz und kehrten nach der Ernte in ihr Herkunftsland zurück.191 Die Gesamtbevölkerung von Las Colonias nahm zwischen 1869 und 1887 deutlich zu, von 8843 auf 39 452 Menschen.192 Esperanza vergrößerte sich in den 1860er Jahren zunächst nur schleppend um einige Hundert Einwohner. Insbesondere seit Mitte der 1870er Jahre waren infolge des landwirtschaftlichen Booms aber signifikante Zuwächse zu verzeichnen. Bis zum Ende des Jahrhunderts stieg die Einwohnerzahl des Bezirks im Vergleich zum Jahr 1879 um mehr als das Doppelte auf auf etwa 7000.193 Gegen Ende der 1880er Jahre 188 | Vgl. für diesen Absatz: EGB, 3. Jg., Nr. 113 (13. August 1897), 107-112; Nr. 116 (3. September 1897), 156-161; Nr. 117 (10. September 1897), 171-175; Nr. 120 (1. Oktober 1897), 220f.; Nr. 127 (19. November 1897), 340-344. 189 | Vgl. Grafik B1. 190 | Vgl. Carrasco 1888b, VIII-XII. 191 | Vgl. dazu: Grenón 1945, 100-106. 192 | Vgl. Carrasco 1888a, 1. 193 | Auf Grundlage der Angaben bei: Ensinck 1979, 295; Grenón 1939, 137; 232; 308; 330; 336; Grenón 1947, 89; 116f.
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war Esperanza der neben Rosario am dichtesten besiedelte Distrikt und eine von fünf Städten in Santa Fe mit mehr als 2000 Einwohnern.194 Die stetige Zuwanderung und der zunehmende Wohlstand unter den Kolonisten beförderte auch das gesellschaftliche Leben Esperanzas, soweit es in dem nach wie vor provinziellen Rahmen der kleinen Agrarsiedlung und der Nachbargemeinden möglich war. Viel davon spielte sich ohne Zweifel im kirchlichen Umfeld und den wenigen gastronomischen Betrieben ab. Für 1887 wurden im Distrikt drei Cafés, fünf Gaststätten und Kneipen sowie ein Hotel registriert. Öffentliche Bibliotheken oder die in der zweiten Jahrhunderthälfte beliebten »billares« waren nicht vorhanden.195 Regionale und überregionale Verkehrsmittel, die eine zügige Anbindung an die urbanen Zentren Santa Fes ermöglicht hätten, standen in Esperanza vergleichsweise spät, ab Mitte der 1880er Jahre, zur Verfügung. Eine Alternative zu dem häufig als kulturelle Einöde beschriebenen Stadtleben war die Selbstorganisation. Seit Mitte der 1860er Jahre formierte sich ein vielfältiges Vereinswesen, das in erster Linie von europäischen Einwanderern und ihren Nachfahren getragen wurde. Im Laufe der Zeit reichte die Bandbreite von schweizerischen Schützenvereinen über deutsch-schweizerische Gesangvereine bis hin zu italienischen, spanischen und französischen Geselligkeitsund Hilfsvereinen. Wie auch in Rosario waren die öffentlichen Feste, Konzerte und sonstige Veranstaltungen dieser Vereinigungen Höhepunkte des lokalen Gesellschaftslebens.
3.4 »argentinidad«: Staatliche Konstruktion und gesellschaftliche Aushandlung 3.4.1 Einwanderung als Bedrohung Die europäische Masseneinwanderung hatte den erhofften Beitrag zum Wirtschaftswachstum und zur allgemeinen Modernisierung Argentiniens erbracht. Arbeitskraft, Kapital, Technik und Unternehmergeist aus dem Ausland sicherten dem Land bis Ende des 19. Jahrhunderts einen Platz unter den wichtigen Exportnationen im transatlantischen Rohstoffmarkt und leiteten damit eine Epoche relativen Wohlstandes ein. So gut das politische Entwicklungsprogramm auch aufzugehen und die wirtschaftliche Integration der ausländischen Bevölkerung zu gelingen schien, die wahre gesellschaftliche Tragweite der Einwanderung blieb zunächst kaum abschätzbar und kam den argentinischen Entscheidungsträgern in ihrer Fortschrittseuphorie erst allmählich zu Bewusstsein. 194 | Vgl. Carrasco 1888a, LXIIIf.; 2f. 195 | Vgl. Carrasco 1888b, 99-105.
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Nicht nur in den großen Metropolen, auch in den kleinen Agrarkolonien im Hinterland mit ihren großen Ausländeranteilen waren neue gesellschaftliche Strukturen entstanden, die die Aufmerksamkeit der Politik auf sich zogen. Viele der Einwanderer fanden sich in starken und einflussreichen ethnischen Gemeinschaften zusammen, bauten solidarische Netzwerke auf und suchten auf unterschiedlichen Wegen Anbindung an die Herkunftsländer. Die zahlreichen Vereine, Schulen und Kirchen dienten der internen Pflege von Sprache, Kultur, Bräuchen und Identitäten, strahlten aber – auch in Ermangelung einer umfassenden staatlich-institutionellen Durchdringung des Nationalterritoriums – ebenfalls in das gesellschaftliche Umfeld aus. Eine Annahme der argentinischen Nationalität oder intensivierte Bemühungen zur kulturellen Anpassung erschienen vielen Immigranten angesichts der weitgehenden rechtlichen Gleichstellung und der verzweigten ethnischen Infrastruktur in Argentinien kaum notwendig oder gar erstrebenswert, wie die niedrigen Nationalisierungsziffern belegen. Auf der anderen Seite waren die Einwanderer ein zentraler Faktor der sich organisierenden und radikalisierenden argentinischen Arbeiterbewegung, die sich in einem konfliktiven Verhältnis zu Staat und Unternehmertum befand. Neben sozialen Inhalten wurde mit den Zusammenschlüssen auch ein konkretes politisches Mitspracherecht der Immigranten artikuliert, welches nicht selten die Auflösung bestehender staatlicher Strukturen beinhaltete. Dass dieses revolutionäre Veränderungspotential der »Fremden« tatsächlich vorhanden war, hatten spätestens die Umsturzversuche in Santa Fe Anfang der 1890er Jahre unter Beweis gestellt. Die negativ konnotierten Begleiterscheinungen der Einwanderung gaben nach 1880 Anlass zu einem kritischen Diskurs innerhalb der argentinischen Elite, der machtpolitische mit kulturellen und identifikatorischen Grundmotiven verband. Im Vordergrund stand die Angst vor kultureller Überfremdung und der Entstehung von Parallelgesellschaften. Der hohe Organisationsgrad der Einwanderung, ihre mangelhafte Akkulturation in vielen Bereichen bei gleichzeitig intensiver Heimatbindung sowie ihre schiere Masse – insbesondere der Italiener – weckten zudem Sorgen vor neuerlichen europäischen Kolonialansprüchen, die mit Hilfe der starken ethnischen Gemeinschaften die staatliche und territoriale Integrität Argentiniens gefährden könnten. Das nationalistische und imperialistische Gebaren in Europa schien diese Bedenken zu bestätigen. Implizit schwang aber auch die Furcht der Eliten vor einem politischen Machtverlust mit, der die folgerichtige Konsequenz des wirtschaftlichen Erfolgs und des unbedingten Aufstiegswillens der Einwanderer sein musste. Dieselbe Gefahr ging, wenn auch unter anderen Vorzeichen, von der sozialrevolutionären
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Agitation der Arbeiterbewegung aus, die maßgeblich von Ideen und Führern aus Europa beeinflusst wurde.196
3.4.2 Staatliche Identitätspolitik Die argentinische Führung sah sich nun vor die Aufgabe gestellt, die sozialen Spannungen zu entschärfen und Strategien zur Naturalisierung der ausländischen Bevölkerung zu entwickeln. Es musste ihr darum gehen, den machtpolitischen Status quo zu sichern und Möglichkeiten zu finden, die grundlegend veränderte, äußerst heterogene Landesbevölkerung »regierbar« zu machen. Neben einem erweiterten gesetzlichen Instrumentarium zur Ablehnung bzw. Abschiebung unerwünschter »Elemente« brachte die folgende Einwanderungsdebatte Grundzüge einer staatlichen Identitätspolitik als erste Lösungsansätze hervor. Aber wie sollte etwas vermittelt werden, das selbst nur als diffuses und kaum konturiertes Gebilde vorlag? Die Suche nach den essenziellen Konstanten der eigenen Kultur, nach einer nationalen Identität, nach der »argentinidad« war in der Folge das Kernelement eines kontinuierlichen und positivistisch geprägten Diskurses in Argentinien.197 Der Begriff der »argentinidad« ist, wie alle Identitätsbegriffe, ein Konstrukt, dem in diesem Fall bestimmte politische Interessenlagen und Zielsetzungen zugrunde lagen. Er ist zudem ein Anachronismus und wurde erst 1910 vom spanischen Schriftsteller Miguel de Unamuno in einem Zeitungsartikel eingeführt. Unamuno gab dem einen Namen, was bereits seit längerer Zeit Bestandteil des argentinischen Diskurses gewesen und fast synonym als »ser nacional« oder »alma nacional« bezeichnet worden war.198 Die Frage nach der Nationalität hatte bei der Nationswerdung noch kaum eine Rolle gespielt und wurde erst wieder in den 1830er Jahren vom argentinischen »romanticismo« aufgegriffen, um Ende des 19. Jahrhunderts unter den geschilderten Umständen in den Fokus zu rücken.199 Das Wahrnehmungsbild nationaler Identität war erwartungsgemäß kaum entwickelt, unstet, widersprüchlich und vielfach überlagert. 196 | Vgl. für diesen Absatz: Devoto 2009, 254f.; 258; Blancpain 2011, 39; Bertoni 2001, 22-25. 197 | Vgl. García 2010, 171. Als wichtige Vertreter des argentinischen Positivismus machten sich u.a. José María Ramos Mejía, José Ingenieros und Carlos Octavio Bunge für die »Kreolisierung« der Einwanderer und die Konstruktion einer nationalen Identität stark (vgl. Senkman 1994, 104-108). 198 | Vgl. García 2010, 49f. Der Artikel »Sobre la argentinidad« erschien am 11. März 1910 in der argentinischen Tageszeitung La Nación. In seinem Artikel nähert sich Unamuno der »argentinidad« als »fisionomía moral« (Unamuno 1969, 52) und hebt die Bedeutung der Einwanderung und wichtiger politischer Vordenker wie Ricardo Rojas hervor. 199 | Vgl. Bertoni 2001, 18.
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Eine Ebene bildeten die zahlreichen Regional- und Lokalidentitäten, wie sie beispielsweise im gespannten Verhältnis zwischen Hauptstadt und Provinzen und dem Gegensatz zwischen Stadt und Land bzw. zwischen »Zivilisation« und »Barbarei« zum Ausdruck kamen. Daneben überdauerten Identitätsfragmente aus der spanischen Kolonialvergangenheit. Diese traten zunächst in Form einer abgrenzenden »hispanofobia« auf, um dann durch panhispanistische Strömungen im Zuge der spanischen Einwanderung in einer allmählichen Akzeptanz der eigenen Wurzeln zu münden. Ähnliches lässt sich für die indigene Vergangenheit Argentiniens feststellen. Das ursprüngliche Zivilisierungsprojekt, das mit Hilfe europäischer Einwanderer vorangetragen werden sollte, wurde durch derartige Tendenzen zunehmend relativiert. Als emblematische Figuren und identitätsstiftende Elemente waren außerdem die Helden der Unabhängigkeitsrevolutionen, die großen Staatsmänner des Landes und der gaucheske Volksmythos von Bedeutung. Hinzu kam der große Einfluss Europas, sei es indirekt als politischer Ideengeber und allgemeines gesellschaftliches Vorbild oder unmittelbar durch die vielgestaltigen Wirkungen der Einwanderung, die ihre ganz eigenen kulturellen Bezugssysteme importierte.200 An diesem Punkt lancierte der argentinische Staat verschiedene Initiativen, um gestaltend und lenkend in die Konstruktion einer nationalen Identität einzugreifen. Die zentralen Elemente umfassten die patriotische Umformung des Bildungswesens, die verstärkte Überwachung der Einwandererschulen, die militärische Instruktion der Zivilgesellschaft sowie eine massenwirksam inszenierte staatliche Erinnerungskultur. Auf diese Weise sollte zum einen die gesellschaftliche Integration der Einwanderergemeinschaften vorangetrieben und der Patriotismus in der Bevölkerung gefördert werden. Zum anderen betonte eine klar ausgeformte »nacionalidad« die Souveränität und Eigenständigkeit des argentinischen Staates nach außen.201 In der konkreten Umsetzung bedeutete das unter anderem eine stärkere staatliche Regulierung und Beaufsichtigung des öffentlichen und privaten Bildungswesens. Das kostenlose Primarschulwesen wurde in Konkurrenz zu den in der Regel gebührenpflichtigen Einwandererschulen weiter ausgebaut, die Schulpflicht energischer durchgesetzt und die spanische »idioma nacional« als zentrales und verbindliches Unterrichtselement festgelegt. Letzteres war
200 | Vgl. für die vorangegangenen beiden Absätze: Biagini 2009, 21-25; 44; 57-59; Germani 1994, 46; Devoto 2009, 281f. Zum Beispiel war der ab 1912 am 12. Oktober in Argentinien begangene »Día de la Raza« ein deutlich sichtbares Bekenntnis zur hispanischen Vergangenheit (vgl. Devoto 2009, 283). 201 | Vgl. für diesen Absatz: Devoto 2009, 257; 277f.; Bertoni 2001, 38f.; 79; 216.
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ebenfalls auf die Einwandererschulen gemünzt, an denen das Spanische zum Teil den Charakter einer Fremdsprache hatte. Darüber hinaus erfolgte eine Reform der Lehrplaninhalte, die nun argentinische Geographie und Staatsbürgerkunde vorschrieb und die sogenannte »historia patria« in den Lehrkanon einführte. Es handelte sich dabei um eine aufkommende patriotische Geschichtsschreibung, die ihren Teil zur Konstruktion der Nation und der »cultura nacional« beitrug. Als Vorbild diente hierbei das preußische Schulwesen, das die Vermittlung nationaler Identität früh als Teil seines Bildungskonzepts verstanden hatte. Ab 1917 war zudem vom Bildungsministerium an allen Schulen die Anstellung mindestens einer argentinischen Lehrkraft vorgeschrieben.202 Komplementär dazu stand die »Cruzada Patriótica«203 , die patriotisch-militärische Durchdringung der Zivilbevölkerung und des öffentlichen Raumes. Um die Jahrhundertwende wurden zu diesem Zweck die Militärschulen ausgebaut und die allgemeine Wehrpflicht eingeführt. Die wiederbelebten »fiestas patrias« zum 25. Mai und 9. Juli, zwei zentralen Daten der politischen Geschichte Argentiniens, entwickelten sich zu Höhepunkten einer staatlich gelenkten Erinnerungskultur. Sie machten eine Wandlung von Volksfesten hin zu nationalistisch-patriotischen Massenveranstaltungen mit Militärparaden, Umzügen, patriotischen Reden und marschierenden Schülerbataillonen durch. Die Einrichtung patriotischer Gedenkorte wie Statuen, Plätze oder Museen, die oft der Verehrung von Nationalhelden gewidmet waren, war ebenfalls Bestandteil der Strategie, ein »Wir«-Gefühl in der Bevölkerung wachzurufen. Zu solchen Gelegenheiten wie auch zu vielen anderen öffentlichen Veranstaltungen räumten die Organisatoren nationalen Symbolen – argentinischen Flaggen, Straßenschmuck in den Landesfarben, der Nationalhymne – bewusst eine prominente Stellung ein.204 Die argentinische Regierung suchte mit den Mitteln der öffentlichen Bildung, des Militärdienstes und einer patriotischen Erinnerungskultur, die gesellschaftliche Kohäsion zu befördern und soziale Konflikte zu relativieren bzw. ihnen vorzubeugen. Sie drang damit tief in die Lebens- und Erfahrungswelt der Bevölkerung ein und prägte über Generationengrenzen hinweg das argentinische Selbstverständnis. Der Erfolg diese Identitätspolitik lässt sich an dem Umstand ablesen, dass der neue Patriotismus allgemein gut angenommen wurde und 202 | Vgl. für die vorangegangenen beiden Absätze: Bertoni 2001, 45; 47; 49f.; 255-258; Sarramone 2009, 35; Buchbinder 2011, 45; 48; Caruso 2004, 292; Devoto 2009, 280. Bereits unter Rosas war die patriotische Bildung als staatliches Stabilisierungsinstrument erkannt und genutzt worden (vgl. Tedesco 2009, 61f.). 203 | García 2010, 18f. 204 | Vgl. für diesen Absatz: Ebd.; Bertoni 2001, 79-83; 96-98; 103; 107-109; 217.
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sich sogar aus der Zivilgesellschaft heraus derartige Initiativen entwickelten.205 Gleichwohl regten sich auf gesellschaftlicher Ebene nach wie vor entgegengesetzte Strömungen und Aktivitäten, die weitgehend außerhalb des staatlichen Zugriffsbereichs lagen, aber nicht minder bedeutsam für die Konstruktion kollektiver Identitäten waren.
3.4.3 Gesellschaftliche Mechanismen der Identitätskonstruktion: Die Rolle der Vereine Die neue gesellschaftliche Wirklichkeit Argentiniens, wie sie sich im Zuge der europäischen Masseneinwanderung herausformte, musste sich unweigerlich auf die identifikatorischen Prozesse im Land auswirken. Vor allen in den Städten waren die Einwanderer schon bald omnipräsent und dominierten viele Bereiche des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lebens. Neben Arbeitskraft, Kapital und Techniken brachten sie auch Kulturen, Werte, Weltsichten und Identitäten mit, die beispielsweise in ihrer Festkultur öffentlichkeitswirksam Verbreitung fanden.206 Die liberale argentinische Verfassung mit ihren weitreichenden Bürgerrechten sowohl für Staatsbürger wie auch für Ausländer ermöglichte es, diesen ethnischen Hintergrund weitgehend unbehelligt von staatlicher Intervention in Vereinen, Schulen und Kirchgemeinden weiterzutragen. Im konkreten Zusammen- bzw. Gegenspiel solcher Instanzen sowie auf der Mikroebene familiärer Bindungen und des alltäglichen Miteinanders – Faktoren, die sich natürlicherweise einstellten und in der Lage waren, sich über die statischen Grenzen gesellschaftlicher Konventionen hinwegzusetzen – verwirklichten sich alternative Mechanismen der Identitätskonstruktion.207 Ähnlich wie in Europa gehörte das noch junge Vereinswesen Argentiniens Ende des 19. Jahrhunderts zu den zentralen gesellschaftlichen Verhandlungsorten kollektiver Identitäten. Während die Vergemeinschaftungspraxis unter der spanischen Kolonialherrschaft kaum entwickelt war und sich fast ausschließlich im religiös-karitativen Rahmen abspielte, markierte die argentinische Nationswerdung und die damit einhergehende Modernisierung auch die Anfänge des bürgerlichen Vereinswesens. Zwar waren im regionalen Vergleich des lange nicht konsolidierten und phasenweise autoritär regierten Staatsgebietes zum Teil unterschiedliche Entwicklungsverläufe zu beobachten, die Entstehung ei205 | Vgl. Bertoni 2001, 96-98; 167. 206 | Vgl. Germani 1994, 44f. 207 | Die Bedeutung der gesellschaftlichen Aushandlung der argentinischen Nationalität und die Entstehung einer neuen Kultur bzw. »multipler Identitäten« in einem fließenden Prozess ist in der historischen Forschung weitgehend Konsens (vgl. Bjerg 2009, 52; Germani 1994, 51; Bertoni 2001, 168).
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nes öffentlichen Raumes und einer individualisierten Zivilgesellschaft nach freiheitlichen Grundsätzen führten aber schließlich überall zum Aufschwung einer zunächst elitären und aufklärerisch geprägten, aber staatlich und kirchlich unabhängigen Vereinskultur.208 Einen weiteren Schub erhielt das argentinische Vereinswesen durch die Immigration. Bereits kurz nach der Mai-Revolution entstanden erste ausländische Gründungen. Aber erst ab 1852 setzte, begünstigt durch die liberalere Gesetzgebung, eine beschleunigte Diversifizierung des Einwanderervereinswesens ein.209 Zu den ersten Vereinigungen gehörten, unabhängig von der Gemeinschaft, in der Regel »Sociedades de Socorros Mutuos«, Hilfsvereine, die auf der Grundlage ethnischer Solidarität Lücken in der staatlichen Sozialversorgung schlossen. Es folgten u.a. Freizeit- und Geselligkeitsvereine, Wohltätigkeitsvereine, Turn- und Sportvereine, Kulturvereine, Freimauererlogen und Unternehmer- bzw. Berufsvereinigungen. Selbst Privatschulen und protestantische Kirchgemeinden wurden häufig nach dem Vereinsprinzip organisiert bzw. waren als Unterabteilung einer Vereinigung angeschlossen. Viele der Einwanderervereine widersetzten sich allerdings einer klaren Kategorisierung. Im Laufe ihres Bestehens verfolgten sie oft mehrere Ziele gleichzeitig oder veränderten von Grund auf ihren Charakter. Ein auf Geselligkeit ausgerichteter Klub konnte sich ebenso kulturellen oder karitativen Aufgaben widmen, ein Hilfsverein konnte eine Schule unterhalten. Allen Organisationen gemeinsam waren hingegen starke ethnische, nationale bzw. religiöse Bezüge zu den jeweiligen Herkunftsländern oder -regionen, die sich in ihrer inneren Struktur, ihrem Festkalender und in Praktiken, Bräuchen und Diskursen widerspiegelten. Konkret konnte dies etwa bedeuten, dass nur Personen bestimmter Nationalität in den Kreis der Mitglieder aufgenommen wurden, die jeweilige Sprache des Herkunftslandes als Umgangssprache im Vereinsumfeld verpflichtend war oder dass nationale Feiertage begangen und Spenden für die »alte Heimat« gesammelt wurden. Die Hochzeit der europäischen Immigration in Argentinien und die staatliche Konsolidierung Argentiniens Ende des 19. Jahrhunderts brachte eine neuerliche starke Ausdehnung des Vereinswesens mit sich, besonders in den großen Städten wie Buenos Aires und Rosario, in denen sich auch die Einwanderung konzentrierte. Die größten Zuwachsraten konnten die »asociaciones mutuales« verzeichnen: Dem Nationalzensus zufolge gab es 1914 1202 Vereinigungen dieser Art mit etwa einer halben Million Mitgliedern.210 208 | Vgl. für diesen Absatz: Di Stefano 2002, 25-31; 44f; 50. 209 | Vgl. Devoto 2009, 240-242. 210 | Vgl. Sabato 2002, 141. Die Zahl umfasst sowohl unabhängig organisierte Hilfsvereine als auch die der einzelnen Gemeinschaften.
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Aber auch jenseits des »mutualismo« erfasste die Vereinskultur – weitgehend unabhängig von Geschlecht, Alter, Herkunft und Klasse – alle Bereiche der argentinischen Gesellschaft und deckte dabei eine große funktionelle Bandbreite ab. Vereine wurden etwa zu den Sprachrohren und Aktionszentren marginalisierter und benachteiligter Gruppen, sei es in der Arbeiter-, Frauen- oder Studentenbewegung. Zugleich strukturierten Klubs und die an Popularität gewinnenden Sportvereine die Freizeit breiter Bevölkerungsschichten.211 Nach dem Ersten Weltkrieg und mit dem zunehmendem Vordringen des Staates in viele gesellschaftliche Bereiche ging das ethnische Vereinswesen, insbesondere der »mutualismo«, zurück. Dem gegenüber gewannen Gewerkschaften und andere Arbeiterorganisationen in der fortgesetzten sozialen Konfliktsituation an Größe und Bedeutung. Gleiches galt für Sportvereine, zuvorderst die Fußballklubs, und die zahlreichen, oft informellen Basisbewegungen und Kooperativen, die im nachbarschaftlichen Umfeld der großstädtischen »barrios« entstanden und sich zumeist lokalen Entwicklungs- und Versorgungszielen verschrieben.212 Die hier skizzierten Verläufe verweisen bereits auf die Bedeutung des argentinischen Vereinswesens als wichtiger Baustein bei der Herausbildung einer unabhängigen Zivilgesellschaft. Einerseits Reaktion auf staatliche Versäumnisse, Versorgungslücken und allgemeine Benachteiligung, manifestierten sich in ihm auch konkrete gesellschaftliche Entwürfe und Interessenlagen. Als freie und vielstimmige Foren mit zum Teil erheblichen wirtschaftlichem, politischem und gesellschaftlichem Einfluss prägten die Vereine die argentinische Öffentlichkeit und ihre Diskurse und schufen Räume für soziale Vernetzung und Kommunikation. Ihr Aktionismus im kulturellen, wohltätigen oder Freizeitbereich erreichte eine große Sichtbarkeit und ragte tief in das soziale Umfeld hinein. Aus staatlicher Perspektive erlangten die Vereine durch ihre unabhängige Organisation und ihre demokratische Struktur zusätzlich Relevanz als Multiplikatoren republikanischer Werte und Verhaltensweisen und Förderer einer mündigen Bürgernation modernen Zuschnitts. Turn-, Sport- und Schützenvereine erschienen in dieser Konzeption als probate Mittel, die dauerhafte Wehrhaftigkeit der Zivilbevölkerung für den Fall der Landesverteidigung zu gewährleisten.213 In diesem Sinne waren auch die Einwanderervereine ein aktiver und gestaltender Part der argentinischen Gesellschaft. Ihre integrative Funktion als Mittler zwischen den Neuankömmlingen und ihrem Zielland ist heute unumstritten. 211 | Vgl. für die vorangegangenen beiden Absätze: Ebd., 130f.; 134; 154-156. 212 | Vgl. Romero 2002, 171-179; 182f.; 192-195 213 | Vgl. Di Stefano 2002, 74; Sabato 2002, 161.
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Sie waren Anlaufstelle für Einwanderer auf der Suche nach Wohnung oder Arbeit und Orte der gemeinsamen Interessenartikulation sowie der ethnisch und national begründeten Solidarität. In geschützten Räumen boten die Vereine Anschluss, Vertrautheit und Kontinuität und halfen bei der Orientierung in einem fremden gesellschaftlichen Umfeld. Sie leisteten damit einen Beitrag zur Integration der neuen Bevölkerungsteile.214 Darüber hinaus wirkten das Einwanderervereinswesen und seine sozialen Netzwerke auf verschiedenen Wegen nach außen. Die eingeführten neuen Formen und Praktiken der Vergemeinschaftung belebten und veränderten die argentinische Vereinskultur.215 Kultur, Sprache und Religion, ethnische und nationale Identitäten, deren Bewahrung fest in den Vereinsalltag integriert war und die durch externe Ereignisse häufig noch zusätzliche Stimulierung erfuhren, wurden an den semipermeablen Schnittstellen – Privatschulen, Kirchgemeinden, öffentliche Feste und Veranstaltungen, Freizeitangebote, etc. – in die argentinische Gesellschaft getragen. Auf diese Weise entstand ein komplexe Gemengelage aus Nativem und Entlehntem, die charakteristisch für Argentinien werden sollte. Das ethnische Vereinswesen fungierte demnach nicht nur als Plattform, um die eigene Herkunft und Kultur herauszustellen und zu konservieren, sondern auch als Verhandlungsort neuer Identitäten im Rahmen eines gesellschaftlichen Wandlungsprozesses.216
214 | Vgl. für diesen Absatz: Sarramone 1999, 134f.; Bjerg 2009, 46; Megías 2010, 18f.; Devoto 2009, 267. 215 | Vgl. Di Stefano 2002, 81. 216 | Vgl. Bjerg 2009, 44f.
III Das deutsche Vereinswesen in Rosario und Esperanza »Da kamen eines Tages echt deutsche Maenner her, Betrachteten den Kamp hier und sprachen inhaltsschwer, ›Dies Stueckchen Land hier draussen, ists von der Stadt auch weit, Liegt mitten drin im Zentrum, in nicht zu ferner Zeit‹. – Und jene Männer wurden sich einig kurzerhand, Denn bald darauf bezahlten den Preis sie fuer das Land, Dann kauften sie auch Steine, Zement und sonst noch viel, Sie dachten an ein grosses, schon laengst ersehntes Ziel. – Das Ziel nahm bald Gestalt an, wuchs aus der Erde raus, Und als ein Dach darueber, war es ein schoenes Haus, Mit Einrichtung und Moebeln, da wurde nicht gespart, Und so entstand das Klubhaus, ein Heim nach deutscher Art. – Die Heimat zu ersetzen,... Geselligkeit zu ueben, Gemuetlichkeit zu finden,... genau so gut wie drueben, Als Deutscher unter Deutschen,... auf einem eigenen Fleck, Das war das Ziel der Maenner,... das war des Hauses Zweck. –« — Ernst Rubarth, Es stand in alten Zeiten..., 19351
1 Quellen und Forschung 1.1 Ein Forschungsüberblick Die Geschichte des deutschen Vereinswesens in Argentinien wurde bisher nur punktuell erforscht. Eine kontinuierliche wissenschaftliche Tradition, wie sie sich beispielsweise in Brasilien, Kanada oder den USA im Zuge detaillierter Community-Studien etablieren konnte, ist kaum vorhanden.2 Frühe Arbeiten 1 | Deutscher Verein Rosario 1935, 10. Auszug aus einem längeren Gedicht zum 50. Stiftungsfest des Deutschen Vereins in Rosario. Darstellung der Umlaute im Original. 2 | Die Bezugnahme auf die Ergebnisse von Studien über deutsche Gemeinschaften in anderen Ländern ist zwar geboten, muss aber mit Bedacht erfolgen, da sich die
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zum Thema, die auf beiden Seiten des Atlantiks entstanden, weisen häufig eine starke ideologische Färbung auf, wahren nicht die gebotene Distanz zum Gegenstand oder haben den Charakter pseudowissenschaftlicher Berichte und Chroniken. Zwar wurden nach dem Zweiten Weltkrieg ernsthaftere Versuche unternommen, sich den deutschen Gemeinschaften auf kultur- und sozialhistorischer Ebene zu nähern, die Einwanderervereine spielten dabei aber oft nur eine untergeordnete Rolle. Die intensivere Auseinandersetzung mit deutschen Gemeinschaften im Ausland fiel fast unmittelbar mit dem Beginn der massenhaften Emigration nach Amerika im 19. Jahrhundert zusammen. Für Argentinien muss entsprechend der dortigen politischen Entwicklung auf die zweite Jahrhunderthälfte verwiesen werden. Steigende Auswanderungszahlen riefen zunächst vor allem Kritiker auf den Plan, die sich mit den drohenden demografischen und wirtschaftlichen Folgen für die deutschen Staaten beschäftigten. Die Reichsgründung bildete den Ausgangspunkt für eine neue diskursive Strömung in Gesellschaft und Wissenschaft. Die deutsche Auswanderung wurde nun zum einen unter dem Aspekt ihrer wirtschafts- und entwicklungspolitischen Nützlichkeit für das Reich, zum anderen unter dem der nationalen Repräsentation und der kulturellen Sendung analysiert. Ähnliche Argumentationslinien finden sich auch in anderen Gattungen wie den beliebten Reiseberichten oder der breiten Einwandererliteratur und überdauerten wenigstens bis 1945.3 Die Publikationen deutscher Auswanderer in Argentinien schwenkten auf diesen Kurs ein und besitzen deshalb vor allem Quellenwert. Das Vereinswesen wurde in diesen Werken in der Regel nur oberflächlich oder in anekdotischer Form abgebildet, zumeist wenn der Nachweis der Beständigkeit nationaler und ethnischer Merkmale bzw. »deutscher Werte« im Ausland erbracht werden sollte. Dieser politisch motivierte Ansatz wich nach 1945 moderneren und reflektierteren wissenschaftlichen Zugängen. Wichtige Impulse kamen in den 1970er Jahren vom US-amerikanischen Historiker Ronald Newton, der sich mit der deutschen Gemeinschaft in Buenos Aires befasste und dabei auch die Rolle der
politischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen zum Teil erheblich von denen in Argentinien unterschieden. 3 | Vgl. zum Beispiel: Friedrich 1884; Schnabl 1886; Vallentin 1907; Vallentin 1908; Oppen 1911; Hiller 1912; Schuster 1913; Regel 1915; Benignus 1917; Hauff 1923; Hauff 1925. Als prominentes Beispiel sei noch Louis Ferdinand Prinz von Preußen erwähnt, der u.a. auf Grundlage zweier Argentinienreisen 1931 seine Dissertation zur »Theorie der Einwanderung« veröffentlichte. Auch in der Schweiz fand ein ähnlich gelagerter Diskurs statt und brachte eine Reihe von Publikationen über den Nutzen der Auswanderung nach Südamerika hervor.
1. QUELLEN UND FORSCHUNG | 87
Vereine beleuchtete.4 Im gleichen Zeitraum erschienen erste bibliographische Arbeiten und Sammelbände zur deutschen Auswanderung nach Lateinamerika.5 Ein neuerlicher Schub war erst in den 1990er Jahren zu verzeichnen als sich eine Reihe wissenschaftlicher und populärwissenschaftlicher Aufsätze, Sammelbände und Monographien schwerpunktmäßig mit der deutschen Lateinamerikapolitik, den Charakteristika der deutschen Emigration und der Aufarbeitung des nationalsozialistischen Einflusses in Argentinien beschäftigte. In diesem Zusammenhang entstand auch die Habilitationsschrift der französischen Germanistin Anne Saint Sauveur-Henn, die bisher umfassendste Gesamtdarstellung zur deutschen Einwanderung in Argentinien.6 In Argentinien selbst stießen die deutschen Gemeinschaften als kleine Minderheiten zunächst kaum auf ein größeres Forschungsinteresse. Bis auf wenige Ausnahmen stammten die historiographischen Versuche aus dem deutschargentinischen Umfeld und richteten sich nicht an ein wissenschaftliches Publikum. Nicht zuletzt in den Vereinen blieb die Tradition, die eigene Geschichte in Chroniken festzuhalten, bis heute bestehen. Sieht man von einigen Anachronismen und inhaltlichen Fehlern ab, sind diese Werke wegen des oft exklusiven Zugangs zu Quellen und Zeitzeugen auch für die wissenschaftliche Forschung von Bedeutung.7 Einen ebenfalls wichtigen Beitrag zum Verständnis der Gemeinschaften leistete die Iglesia Evangélica del Río de la Plata (IERP) im Rah-
4 | Vgl. Newton 1977. 5 | Vgl. zum Beispiel: Arndt/Olson 1973; Marschalck 1973; Harry Werner, Hrsg. 1973. Die deutsch-argentinischen Schulen. Beiträge zum Verständnis ihrer Geschichte und ihrer Gegenwart. Gedanken über ihre Zukunft. Bonn: Kopp; Illi 1977; Hartmut Fröschle, Hrsg. 1979. Die Deutschen in Lateinamerika. Schicksal und Leistung. Tübingen [u.a.]: Horst Erdmann Verlag. 6 | Vgl. Saint Sauveur-Henn 1995. Des Weiteren vgl. zum Beispiel: Bernecker/Fischer 1992; Newton 1992; Bergmann 1994; Blancpain 1994; Meding 1995; Holger M. Meding, Hrsg. 1995. Nationalsozialismus und Argentinien: Beziehungen, Einflüsse und Nachwirkungen. Frankfurt am Main [u.a.]: Lang; Karl Kohut, Hrsg. 1996. Deutsche in Lateinamerika – Lateinamerika in Deutschland. Frankfurt am Main: Vervuert; Rinke 1996a; Rinke 1996b; Rosenberg 1998. 7 | Vgl. zum Beispiel: Elsner 1932; Hagedorn 1944; Lütge/Hoffmann/Körner 1955; Zago 1985; Zago 1992; Hein/Bertotti 2002. Vgl. als Ausnahme: Sommi 1945. Einen wissenschaftlichen, wenn auch ideologisch überzeichneten Zugang zur Geschichte und Entwicklung der deutschen Gemeinschaften in Argentinien und insbesondere des deutschen Schulwesens bieten die Studien der Lehrer Max Wilfert und Wilhelm Keiper aus Buenos Aires. Keiper verfasste u.a. eine Gesamtdarstellung und eine Bibliographie zum »Deutschtum in Argentinien« (vgl. Keiper 1943a; Keiper 1943b; Keiper 1949).
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men der durchaus wissenschaftlich-kritischen Aufarbeitung ihrer deutschen Wurzeln seit den 1970er Jahren.8 Im Zuge der Minderheitenforschung in Argentinien, Nordamerika und Deutschland entstehen in jüngerer Zeit wieder vermehrt Beiträge zur Geschichte der deutschen Einwanderung. Auf der Basis moderner theoretischer Zugänge werden u.a. die Sozialstruktur der Gemeinschaften und die deutsch-argentinischen Beziehungen einer Neubewertung unterzogen. Das Hauptaugenmerk liegt dabei nach wie vor auf Buenos Aires und der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts.9 Auf Betreiben der Deutsch-Argentinischen Industrie- und Handelskammer und in Zusammenarbeit mit den noch bestehenden Vereinigungen konnte zudem eine aktuelle Übersicht des deutsch-argentinischen Vereinswesens erarbeitet werden. Diese versammelt einige wesentliche historische Daten, vermag aber eine lückenlose oder erschöpfende Darstellung des Phänomens nicht zu leisten.10 Auf dem Gebiet der bibliographischen Grundlagenarbeit wird derzeit von Regula Rohland de Langbehn ein Verzeichnis deutschsprachiger Publikationen in Argentinien vorbereitet, welches auch Druckerzeugnisse aus den Vereinen enthält und zu einem wichtigen Hilfsmittel für kommende Forschungsprojekte werden dürfte.11 Die genannten regionalen und thematischen Schwerpunkte bei der Erforschung der deutschen Einwanderung in Argentinien wurden freilich nicht willkürlich gewählt. Sie waren das Ergebnis historischer Realitäten in den Gemeinschaften sowie historiographischer Konjunkturen, letztere selbst Produkte der gesellschaftlichen und politischen Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit. So lässt sich zum einen der intensive Fokus auf Buenos Aires erklären, der insofern gerechtfertigt erscheint, als dass hier die mit Abstand größte deutsche Gemeinschaft Argentiniens und die meisten deutschen Vereine angesiedelt waren. Das bonarenser Vereinswesen hatte zudem eine vorbildhafte Wirkung auf die deutschen »Kolonien« im Landesinnern. Zum anderen wird dadurch das große Interesse der deutschen und argentinischen Forschung am Nationalsozialismus verständlich, dessen Aufarbeitung in beiden Ländern als politische Notwendigkeit vorangetrieben wurde. Andere Aspekte und Schauplätze deutscher Präsenz in Argentinien stehen dahinter weit zurück.
8 | Vgl. zum Beispiel: Büntig 1973; Münter 1993 sowie die Arbeiten von Alejandro Zorzin. Vgl. für eine frühere Aufarbeitung: Schmidt 1949. 9 | Vgl. zum Beispiel: Luna 2001; Kegler 2006; Ismar 2006; Krüger 2007; Carreras et al. 2008; Häfner 2008; Friedrich 2008; Knoll 2008; Rohland 2008; Friedmann 2010; Saint Sauveur-Henn 2010; Bryce 2013; Bindernagel 2014. 10 | Vgl. Lege 2007. Für eine weitere, wenngleich aus historiographischer Sicht weniger relevante Übersicht vgl. Wolf 2009. 11 | Vgl. Rohland 2013.
1. QUELLEN UND FORSCHUNG | 89
Zu den Desideraten zählt etwa die Vergemeinschaftungs- und Freizeitkultur der deutschen bzw. deutschsprachigen Einwanderer und ihrer Nachfahren im argentinischen Hinterland. Hier liegen erst vereinzelte Studien auf regionaler Ebene vor. In den entsprechenden Überblickswerken wird das Thema allenfalls angeschnitten, eine zusammenhängende Darstellung existiert nicht.12 Die in der Vergangenheit oft angewandte Praxis, vom Beispiel Buenos Aires pauschal auf die Entwicklungen in ganz Argentinien zu schließen, erscheint zumindest fragwürdig. Eine solche einseitige Perspektive ebnet die verschiedenen Rahmenbedienungen, die strukturellen und kulturellen Unterschiede in den Organisationen, atypische Entwicklungen, u.Ä., wie sie zweifellos zwischen der Hauptstadt und den Provinzen bestanden haben, weitgehend ein. Der Nutzen kulturhistorischer Studien der »Peripherie« liegt folglich auch darin, zu einem vielfältigeren und ausgewogeneren Bild der deutschen Einwanderung in Argentinien beizutragen. Heruntergebrochen auf die Situation in der Provinz Santa Fe ergibt sich eine ähnliche Ausgangslage. Die dortige europäische Vereinslandschaft ist bis heute kaum erforscht. Wir verfügen weder über eine Gesamtdarstellung noch über umfassende Detailstudien aus neuerer Zeit, die das verfügbare Quellenmaterial in ausreichendem Maße berücksichtigen. Selbst das Wirken von Italienern und Spaniern, der mit Abstand größten Einwanderergruppen, ist nur in Teilaspekten durch Aufsätze und populärwissenschaftliche Literatur erschlossen, die meist nur eine erste Annäherung darstellen bzw. einer Aktualisierung bedürfen. Die Erforschung der deutschsprachigen Einwanderung in Santa Fe konzentrierte sich bisher vor allem auf die Agrarkolonien, wobei das gesellige, kulturelle und religiöse Leben nur eine untergeordnete Rolle spielte. Davon Zeugnis geben – wie auch in Buenos Aires – vor allem die Chroniken deutscher Einwanderer und ihrer Nachfahren aus dem Vereinsumfeld, die wichtige Etappen der institutionellen und gemeinschaftlichen Entwicklung aus einem häufig sehr subjektiven Blickwinkel und auf Grundlage einer fehlerhaften Datenbasis dokumentieren. Von großem Wert sind die zahlreichen, von den Autoren teils aus privater Hand aufwändig zusammengetragenen bildlichen und schriftlichen Quellen, die andernfalls für die Wissenschaft verloren gewesen wären. Darüber hinaus können die Chroniken selbst als Quelle dienen, da sie in der Regel zeitgenössische Mentalitäten und Weltsichten transportieren.
12 | Vgl. dazu die Literaturhinweise in den Fußnoten fünf bis acht dieses Kapitels.
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1.2 Enteignung und Vergessen: Deutsche Vereinsquellen in Argentinien13 In Anbetracht der unzureichenden wissenschaftlichen Erschließung des Themas muss sich eine Geschichte des deutschen Vereinswesens in Rosario und Esperanza in besonderem Maße auf Primärliteratur stützen. Die Recherche in Argentinien wird allerdings durch verschiedene Problemlagen hinsichtlich Verfügbarkeit und Qualität der Überlieferung erschwert. Diese haben ihre Ursachen vor allem in der kulturellen Fortentwicklung der Gemeinschaften und der institutionellen Transformation der Vereinigungen selbst, rühren mitunter aber auch von externen Faktoren außerhalb des Einflussbereichs der Vereine her. Rückblickend zeichneten sich früh drohende Brüche in der deutschen Vereinsüberlieferung ab. Die »Kolonien« außerhalb der Hauptstadt Buenos Aires waren meist überschaubar und verzeichneten selten eine signifikante Zuwanderung aus Deutschland über einen längeren Zeitraum. Viele der Gründungen verfügten daher nicht über den nötigen finanziellen und personellen Hintergrund, um mittel- oder langfristig einen kontinuierlichen Betrieb aufrecht erhalten zu können und waren oft gezwungen, ihre Aktivitäten bald wieder einzustellen. Wenn vorhanden, blieb das Aktenmaterial danach im Privatbesitz weniger ehemaliger Mitglieder und ging häufig verloren. Die Tätigkeit von Vereinen, die über keinen eigenen Sitz verfügten, nur geringe gesellige Aktivitäten entfalteten oder aber einen informellen Charakter hatten, ist heute kaum oder nur noch durch externe Quellen nachzuvollziehen. In einigen Fällen ist nicht mehr als der Name der Vereinigung bekannt.14 Im Umkehrschluss lässt sich die Fokussierung auf die gut dokumentierten »großen Beispiele« unter den Prämissen Kontinuität, Aktivität und Formalität kaum vermeiden. Einen weiteren Bruch in der Überlieferung erlebte das deutsche Vereinswesen durch die großangelegte Enteignungsaktion des argentinischen Staates seit April 1945. Im März des Jahres war Argentinien auf Seiten der Alliierten in den Zweiten Weltkrieg eingetreten. Deutsche Unternehmen und Vereinigungen wurden kurz darauf per Dekret dem Consejo Administrativo de Capitales Enemigos unterstellt und überwacht. Es folgten zeitweilige und auch dauerhafte Verbote. In Buenos Aires, Rosario und anderen Städten wurden Immobilien und Inventar beschlagnahmt. Betroffen waren Periodika wie die Deutsche La PlataZeitung (DLPZ), die Deutsche Evangelische La Plata-Synode sowie zahlreiche 13 | Das bisher ausführlichste Verzeichnis deutscher Vereinspublikationen in Argentinien bietet Rohland 2013. Dieser Katalog umfasst auch eine umfangreiche Sektion zu Rosario und Esperanza, die vom Verfasser dieser Arbeit erstellt wurde. 14 | Vgl. dazu Grafik B2 im Anhang.
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deutsche Vereine und Schulen. Erst in den 1950er Jahren leiteten die Initiativen Ludwig Erhards und der Federación de Asociaciones Argentino-Germanas (FAAG), des jungen Dachverbandes der deutsch-argentinischen Vereine, die allmähliche Rückgabe der Gebäude ein. Für nicht restituierte Liegenschaften konnten Entschädigungsleistungen erwirkt werden.15 Die Organisationsstruktur des deutschen Vereinswesens war durch diese Ereignisse empfindlich getroffen worden und konnte erst im Laufe der 1960er Jahre neu formiert werden. Für die Aktenbestände und Bibliotheken der betroffenen Vereinigungen bedeuteten diese Jahre zumeist große bis vollständige Verluste. In die Vereinshäuser waren u.a. staatliche Schulen und Institutionen eingezogen, die die alten Bestände entweder entsorgten oder verkommen ließen. Was nicht kurzfristig in Mitgliederbesitz ausgelagert werden konnte, war häufig für immer verloren. Aber selbst wenn die Tradierung – diesen Widrigkeiten zum Trotz – gesichert war, ist das Vorhandensein von Vereinsquellen in Argentinien heute keine Selbstverständlichkeit. In den Vereinen mangelt es in der Regel an Personal, Zeit, Mitteln und geeigneten Lokalitäten, um das Material unter den, aus archivarischer Sicht, ungünstigen klimatischen Bedingungen sachgemäß zu lagern. Vielfach fehlt den weitgehend »argentinisierten« Vereinen auch das historische Bewusstsein und die zur Einordnung und Bewertung der Bestände notwendigen Sprach- und Schriftkenntnisse. Bis weit in das 20. Jahrhundert hinein wurden Protokolle, Briefe und Publikationen auf Deutsch und in den zeittypischen deutschen Schriften verfasst. Als Druckschrift war die Fraktur, als Schreibschrift die deutsche Kurrentschrift gebräuchlich. Die 1911 auf staatliche Initiative in Deutschland entwickelte Sütterlinschrift spielt in den Quellen des Untersuchungszeitraums hingegen eine untergeordnete Rolle. Der Übergang zur spanischen Sprache und zur lateinischen Schrift setzte erst gegen Ende des Zweiten Weltkriegs ein. Zu diesen Faktoren tritt in den Vereinen häufig die Furcht vor der eigenen Vergangenheit, die sich aus der Erfahrung der Enteignung gegen Kriegsende und der internationalen Ächtung des Nationalsozialismus speist. Für verschiedene Vereinigungen sind Versuche belegt, diese Spuren nach Möglichkeit aus der eigenen Geschichte zu tilgen. Derartige Maßnahmen haben den Quellenbestand weiter verkleinert. Es ist heute nur noch schwer möglich, die Zeit zwischen 1930 und 1945 vor Ort aufzuarbeiten, denn in den Vereinen fehlt zum einen das Material und zum anderen oft die Bereitschaft zu einer ernsthaften Auseinandersetzung. 15 | Vgl. für diesen Absatz: Lange 1973, 57; Hoffmann 1979, 128; Zago 1985, 43-45; 124; Lege 2007, 27-29; Häfner 2008, 83-85.
92 | KAPITEL III. VEREINSWESEN IN ROSARIO UND ESPERANZA
In den Bibliotheken Argentiniens ist die Überlieferungslage kaum besser. Die Druckschriften des Einwanderervereinswesens bzw. der deutschen Gemeinschaften zählen selten zu den Sammlungsgebieten. Vorhandene Publikationen, wie etwa einige deutschsprachige Presseerzeugnisse des La-Plata-Raumes, befinden sich oft in einem mäßigen bis schlechten Erhaltungszustand.16 Der zunehmende Verlust von einmaligen Dokumenten wird daher kaum aufzuhalten sein und die historische Forschung auf diesem Gebiet bereits in absehbarer Zeit erheblich erschweren. Seit 2013 arbeitet ein u.a. von Regula Rohland de Langbehn initiierter Förderverein in Buenos Aires an der Einrichtung eines Dokumentationszentrum zur deutschsprachigen Einwanderung in Argentinien. In Kooperation mit der Universidad Nacional de San Martín (UNAM) sollen im Centro de Documentación de la Inmigración de Habla Alemana en la Argentina (Centro DIHA) künftig Quellen und Publikationen aus den deutschen Gemeinschaften zusammengetragen, konserviert und der Wissenschaft zugänglich gemacht werden.
1.3 Vereinsquellen in Rosario und Esperanza Die Vorrecherchen zum deutschen Vereinswesen in Santa Fe ließen vor allem die Existenz lokaler schriftlicher und bildlicher Quellen erwarten. Das Potential mündlicher Überlieferung musste wegen der zeitlichen Parameter und der thematischen Schwerpunkte der Untersuchung als gering eingestuft werden. Als sicherlich wichtigste schriftliche Überlieferungsform können die sogenannten »Actas«, die internen handschriftlichen Protokollbücher der Vereine, gelten. Sie geben Auskunft über den Verlauf und die Ergebnisse von Vorstandssitzungen und Generalversammlungen, enthalten Jahresberichte und Bilanzen und haben zum Teil den Charakter von Vereinschroniken. Verschiedentlich finden sich in ihnen auch seltene Vereinspublikationen wie Programmhefte, Einladungen oder Urkunden. Größere Vereinigungen pflegten darüber hinaus zusätzliche Archive für Schriftverkehr und Rechnungen, aus denen sich etwa spezifische Aktivitäten und die Vernetzung im argentinischen und internationalen Rahmen ersehen lassen. Unter den Drucksachen nehmen die Jahresberichte eine bedeutende Stellung ein. Ihrem offiziellen Charakter entsprechend, bieten sie eine kompakte und oft nüchterne Übersicht über die Ereignisse eines Vereinsjahres. In vielen Fällen sind Bilanzen, Statistiken und Mitgliederlisten angeschlossen. Im Unter-
16 | Zumindest die beiden wichtigsten deutschsprachigen Periodika aus Argentinien, die Deutsche La Plata-Zeitung und das Argentinische Tageblatt (AT), liegen als Mikroformen vor.
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schied zu Protokollen und Briefen gewähren sie keine tieferen Einblicke in die Vereinsinterna. Unter kultur- und gesellschaftshistorischen Gesichtspunkten interessanter sind daher Statuten, Ordnungen, Einladungen, Flugblätter, Programmhefte, Fest- und Werbeschriften sowie die Lehrpläne der Schulen. In diesen Publikationen kommen organisatorische Grundlagen, der Charakter vieler Aktivitäten, Selbst- bzw. Fremdbilder und die gesellschaftlich-kulturellen Zielsetzungen der Vereine klar zum Ausdruck. Wichtige Hintergrundinformationen zur lokalen ethnischen Infrastruktur und der beruflichen Tätigkeit einzelner Mitglieder können zudem Werbeanzeigen liefern, die in vielen Vereinspublikationen und der deutschsprachigen Presse Argentiniens geschaltet wurden. Die Herausgabe eigener Zeitschriften und Mitteilungsblätter, wie sie im deutschen Vereinswesen von Buenos Aires verbreitet war, konnte in den relativ kleinen deutschsprachigen »Kolonien« von Rosario und Esperanza nur selten realisiert werden. Der letzte zentrale Quellenkomplex umfasst verschiedene Arten von Bildquellen aus dem Vereinsumfeld. Als ein Beispiel sei an dieser Stelle die seit Ende des 19. Jahrhunderts verbreitete Vereinsfotografie angeführt, die mit Symbolen und Arrangements u.a. Hinweise auf das Selbstverständnis der Mitglieder liefert. Im grafischen Bereich sind die kleineren karikierenden Zeichnungen von Interesse, die vor allem in Festschriften erschienen. Als Charakterstudien fassten sie, meist im Zusammenspiel mit kurzen anekdotischen bzw. lyrischen Texten, die Eigenschaften und den Werdegang einzelner Vereinsmitglieder zusammen. Die Überlieferungslage deutscher Vereinsquellen in Rosario und Esperanza fügt sich fast nahtlos in das oben beschriebene Gesamtbild ein und ist von Verlust, Vergessen und Verdrängung gekennzeichnet. Ungeachtet dessen bestehen zwischen beiden Orten wesentliche Unterschiede, die umso mehr von Interesse sind, da sie auf abweichende historische Entwicklungen verweisen und eine Anpassung der Aufarbeitungsstrategie erforderlich machen. In den noch bestehenden Vereinen Rosarios sind nach der erzwungenen Schließung und Enteignung 1945 nur wenige Akten und Publikationen erhalten geblieben, die Licht auf vergangene Diskurse und interne Vorgänge werfen könnten. Die Ausnahme bilden kleinere Bestände in der Congregación Evangélica Alemana und der Nachfolgeeinrichtung der Deutschen Schule. Dazu gehören einzelne Protokollbücher, Briefe und Rechnungen aus dem Untersuchungszeitraum. Der Deutsche Verein verfügt über eine größere deutschsprachige Bibliothek, die einige wenige Publikationen und Ephemera zur deutschen Vereinsgeschichte in Rosario und in Argentinien enthält. Zeugnisse der zahlreichen älteren Vereine am Platz sind praktisch nicht mehr auffindbar. Im Gegensatz dazu bestehen in Esperanza gute Voraussetzungen für die Quellensuche. Die staatlichen Repressionsmaßnahmen gegen die deutschen Vereine
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waren hier weitgehend ausgeblieben. Die Protokollbücher einiger traditionsreicher Vereine sind sogar noch vollständig erhalten. In den Vereinsarchiven lagern – wenngleich in einem oft mangelhaften Zustand – zahlreiche Briefe, Register, Fotos und sonstige handschriftliche Dokumente, die wichtige Hinweise auf die regionalen Netzwerke der Vereinigungen liefern. Die im Vergleich zu Rosario ungleich kleinere publizistische Produktion der Vereine in Esperanza lässt sich hingegen nur noch ansatzweise in den Vereinsbibliotheken und anhand von Aktenbeigaben nachvollziehen. Wie auch in Rosario sind die Dokumente zwischenzeitlich aufgelöster Vereine weitgehend verschollen oder kommen nur zufällig zwischen den Unterlagen anderer Organisationen zum Vorschein. Ein charakteristisches Beispiel sind die drei deutschen Vereinsschulen in Esperanza, von denen die letzte Anfang der 1930er Jahre schließen musste. Das vorhandene Aktenmaterial wurde nach der Auflösung bzw. »Argentinisierung« dieser Einrichtungen auf die Mitglieder verteilt und ist nur noch teilweise über Recherchen im privaten Umfeld zugänglich.
1.4 Substituierende Quellenarbeit Die unzureichende Quellenlage und Erhaltungstradition in den deutschen Vereinen Argentiniens macht die Suche nach alternativen Überlieferungsformen notwendig. Hierbei ist das Wissen um die Präsenz der Vereine im öffentlichen Raum und ihre über weite Strecken des 19. und 20. Jahrhunderts bestehenden nationalen und internationalen Netzwerke hilfreich. Vor diesem Hintergrund wird es einerseits möglich, mit Hilfe von »Ersatzquellen« aus deutschen und argentinischen Archiven und Publikationen Lücken in der Überlieferung zu schließen. Zum anderen eröffnen sich durch diese Arbeitsweise neuartige Blickwinkel auf die Geschichte der Einwanderervereine. Da viele dieser Substitute schwer zugänglich oder wissenschaftlich kaum erfasst sind und oft eng mit dem Gegenstand der vorliegenden Untersuchung in Verbindung stehen, erscheint eine eingehendere Besprechung zweckmäßig.
1.4.1 Archive Durch das Auslandsengagement Preußens, des Reichs sowie der deutschen protestantischen Landeskirchen unterhielten die deutschsprachigen Gemeinschaften in Übersee vielfältige institutionelle Beziehungen zu Deutschland und standen im Schlaglicht eines breiten Entwicklungs- und Expansionsdiskurses. Den zentralen organisatorischen Strukturen der Auswanderer – Vereinen, Schulen und Kirchgemeinden – wurde besondere Aufmerksamkeit zuteil, wirkten
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sie doch im zeitgenössischen Verständnis als stabilisierende Faktoren der »Kolonien« und des »Deutschtums« im Ausland. Dies schlug sich auf staatlicher und kirchlicher Ebene in einer umfangreichen archivischen Überlieferung nieder, welche für das Verständnis des deutschen Vereinswesens in Argentinien unerlässlich ist. Heute verwahren drei Berliner Archive die maßgeblichen Teile dieser Bestände: Das Bundesarchiv (BArch), das Politische Archiv des Auswärtigen Amts (PA AA) und das Evangelische Zentralarchiv (EZA). Im Politischen Archiv und im Bundesarchiv, Standort Berlin Lichterfelde, befinden sich die Amtsakten der auswärtigen Angelegenheiten des Norddeutschen Bundes, des Deutschen Reichs und der Weimarer Republik sowie die Bestände nahestehender Institutionen wie des Deutschen Auslands-Instituts (DAI). Zusammen decken sie den Großteil des Untersuchungszeitraums ab. Für die deutsch-argentinische Vereinsgeschichte ist zunächst der darin enthaltene Schriftverkehr zwischen den diplomatischen und konsularischen Vertretungen in Argentinien und den maßgeblichen Stellen in Deutschland essenziell. Die Berichte der häufig eng mit dem Vereinswesen verbundenen deutschen Gesandten und Wahlkonsuln ermöglichen tiefe Einblicke in die Entwicklung der Gemeinschaften und ihrer Organisationen. Nicht selten enthalten sie wertvolle statistische Daten und Publikationen, die bei den Vereinen vor Ort in dieser Form nicht mehr vorhanden sind. Von besonderer Bedeutung sind diese Bestände für die Geschichte des deutschen Vereinsschulwesens in Argentinien. Das ausgedehnte und in vielen Weltteilen agierende Schulunterstützungsnetzwerk des Auswärtigen Amts ist in den Akten detailliert abgebildet. In der argentinischen Sektion sind u.a. handschriftliche und gedruckte Jahresberichte, Subventionsnachweise, Auskünfte über innere Schulangelegenheiten sowie Lehrpläne, Statuten und sonstige Schulpublikationen enthalten. Erste Anlaufstelle für die Aufarbeitung der deutschsprachigen evangelischen Kirchgemeinden in Argentinien ist das EZA in Berlin. Dort finden sich die Akten der Preußischen Landeskirche und ihrer Nachfolgeorganisationen. Die jährlichen Berichte der entsandten Pfarrer an den Oberkirchenrat in Berlin über die Entwicklung ihrer Gemeinden gehören zu den wichtigsten Zeugnissen für die Erforschung deutscher Gemeinschaften in Argentinien. Sie beinhalten neben Kirchensachen häufig interessante Einschätzungen und statistische Daten zum kulturellen und gesellschaftlichen Transformationsprozess in den »Kolonien«. Da die Gemeinden im 19. Jahrhundert häufig eigene Schulen unterhielten und auch im Zeitalter der Vereinsschulen von kirchlicher Seite ein reges bildungspolitisches Interesse vorhanden war, bieten die Dokumente darüber hinaus einen umfangreichen Fundus an schulhistorischem Material. Die Korre-
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spondenz zwischen der Kirchenbehörde in Berlin und der DELPS in Argentinien macht grundlegende Mechanismen der transatlantischen Zusammenarbeit verständlich, von der Pfarrerbestellung bis hin zu den vielfältigen Unterstützungsleistungen. Schließlich befinden sich auch zahlreiche Publikationen der Synode und ihrer Gemeinden im Bestand des EZA. Das EZA wird auf argentinischer Seite vom Archiv und der Bibliothek der Nachfolgeorganisation der DELPS, der IERP in Buenos Aires, ergänzt, die über bedeutende Materialien zu den angeschlossenen Gemeinden verfügen. Als Schnittstelle zwischen dem Oberkirchenrat in Berlin und den deutschsprachigen Gemeinden vor Ort beherbergt die Synode nach wie vor zahlreiche Briefe, Berichte und Publikationen im Zusammenhang mit dem evangelischen Kirchenwesen in Argentinien. Kirchen- und kulturpolitische Zielrichtungen werden daraus ebenso ersichtlich wie die Beziehungen der DELPS zu Deutschland und die Entwicklung der Einwanderergemeinschaften. In der Bibliothek existiert zudem eine nahezu vollständige Sammlung des Synodalorgans Evangelisches Gemeindeblatt. Ebenfalls in Buenos Aires befindet sich das mit der IERP in Verbindung stehende Instituto Superior Evangélico de Estudios Teológicos (ISEDET), das vor allem historische Publikationen zur deutsch-evangelischen Gemeindegeschichte sowie einige Quellenbestände versammelt.
1.4.2 Periodika aus Deutschland und Argentinien Neben Archivmaterial bieten sich historische deutschsprachige Periodika als Substitute an. Es handelt sich im Einzelnen um Publikationen der ethnischen Gemeinschaften in Argentinien sowie verschiedener Institutionen und Organisationen in Deutschland. Nicht wenige davon waren über lange Zeitabschnitte zuverlässige Gradmesser und Dokumentationsinstanzen des deutschen Vereinswesens. Sie gewähren unmittelbare Einblicke in den Alltag von Vereinigungen, Schulen und Gemeinden – wenn auch häufig vor einem politischideologischen Hintergrund. In Deutschland stand die zunehmende Herausgabe von Büchern und Zeitschriften über das »Auslandsdeutschtum« im Kontext der politisch und gesellschaftlich fest verankerten Weltmachts- und Sendungsambitionen des Reichs. Die starken institutionellen Bindungen zu den deutschen »Kolonien« in Übersee, besonders im Schul- und Kirchenwesen, boten ausreichend Stoff für die Herausgabe einer breitgefächerten seriellen Auswandererliteratur. In all diesen Publikationen wurde vor allem die mögliche wirtschaftliche und kulturelle Einflussnahme Deutschlands im Ausland diskutiert. Für den vorliegenden Fall von besonderen Interesse sind die Diskurse über die Integration der Einwanderer in das politische Gesamtkonzept und die Rollen, die ihren Vereinen dabei
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zugeschrieben wurden. Die Zielrichtung der Schriften war zwar durchaus vergleichbar, dennoch wiesen sie einen durchaus differenzierten institutionellen Hintergrund und entsprechende inhaltliche Schwerpunkte auf. Einige Beispiele aus dem frühen 20. Jahrhundert werden das verdeutlichen. Die Zeitschrift Deutsch-Evangelisch bzw. Deutsch-Evangelisch im Auslande erschien seit 1901 auf Initiative des in Buenos Aires tätig gewesenen Pastors Wilhelm Bußmann im Umfeld der Preußischen Landeskirche. Sie widmete sich der evangelischen »Diasporaarbeit« und gab die Erlebnisse und Eindrücke deutscher Pfarrer im Auslandsdienst wieder. Pädagogische Serienschriften wie Die Deutsche Schule im Auslande des Vereins Deutscher Lehrer im Auslande verfolgten analog dazu die Entwicklung deutscher Auslandsschulen und veröffentlichten Berichte der dort beschäftigten Lehrer. Die von der Zentralstelle für Erforschung des Deutschtums im Ausland herausgegebene Reihe Deutsche Erde wiederum hatte sich als »Zeitschrift für Deutschkunde« seit Anfang des Jahrhunderts einer nationalistisch gefärbten Historiografie und Völkerkunde verschrieben. Mit einem konkreten LateinamerikaBezug informierte Süd- und Mittel-Amerika über das »Deutschtum« und die »deutschen Interessen« in der Region. Die in Berlin erscheinende »Halbmonatsschrift« war u.a. Organ der Deutsch-Südamerikanischen Gesellschaft in Berlin und des deutschen Wissenschaftlichen Vereins in Buenos Aires. Eher dokumentierende Berichte und Bildstrecken aus den »Kolonien« lieferte die Zeitschrift Der Auslanddeutsche, verlegt vom DAI in Stuttgart. Ab 1917 verzeichnete die Publikation akribisch die Tätigkeit deutscher Einwanderervereine. Diese Reihe ließe sich fortsetzen. Einen wertvolleren, weil direkteren und kontinuierlicheren Zugang zum deutschen Vereinswesen vermittelt die deutschsprachige Presse Argentiniens. Diese Erkenntnis lässt sich im Übrigen auf alle größeren Einwandergemeinschaften in Argentinien übertragen. Ethnische Zeitungen waren stets genaue Beobachter der jeweiligen »Kolonien«.17 Die ersten Redaktionen spanischer Einwanderer wurden bereits in den 1850er ins Leben gerufen.18 Das in den 1860er Jahren entstehende deutschsprachige Zeitungswesen brachte nach zahlreichen kurzlebigen Versuchen zwei Leitmedien in Buenos Aires hervor, die Deutsche La Plata-Zeitung und das Argentinische Tageblatt. Als große überregionale Veröffentlichungen bestimmten sie die deutschsprachige Presselandschaft in Argentinien. Vor allem die DLPZ gehört zu den Hauptquellen dieser Arbeit. 17 | Bindernagel erkennt in der deutschsprachigen Presse Argentiniens zudem ein wichtiges Medium u.a. zur »Herstellung von Öffentlichkeit und Vernetzung« in der deutschen Gemeinschaft (vgl. Bindernagel 2014, 45). 18 | Vgl. Devoto 2009, 241.
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Von den vielen kleineren Periodika werden die in der Provinz Santa Fe einschlägigen Regionalblätter Rosariner Zeitung (RZ; Rosario), Argentinischer Bote (AB; u.a. Esperanza) und Deutsche Wochenübersicht (DWÜ; Esperanza) Eingang finden. Zudem wurden die Ausgaben des traditionsreichen Evangelischen Gemeindeblatts (Buenos Aires; Rosario) der DELPS berücksichtigt, der zentralen institutionellen Serienschrift für die Geschichte der deutschsprachigen Gemeinden.19 Jede dieser Publikationen beleuchtet das deutsche Vereinswesen in Argentinien aus einem originären Blickwinkel.20 Die Deutsche La Plata-Zeitung ging über einige Zwischenstationen aus der 1863 gegründeten La Plata-Zeitung hervor.21 Ab 1871 wurde sie von Ruhland und Reinhardt in Buenos Aires als Deutsche Zeitung verlegt und erschien ab Mai 1874 unter ihrem endgültigen Namen. Den Durchbruch erlebte sie unter Hermann Tjarks, einem Kolonisationsunternehmer aus dem Staat Hannover, der die Redaktion seit dem 1. April 1880 leitete und den Betrieb drei Jahre als Besitzer übernahm. Erst danach wurde die DLPZ zu einer Tageszeitung erweitert.22 Im Unterschied zum Argentinischen Tageblatt, mit dem die Zeitung immer wieder in Konflikt geriet, verfolgte die DLPZ einen nationalistisch-monarchistischen Kurs und stand damit stellvertretend für nicht unerhebliche Teile der deutschen Gemeinschaften im Land.23 Wegen ihrer Nähe zum Nationalsozialismus wurde sie 1945 in Argentinien verboten. Bis dahin war die DLPZ – neben ihrer internationalen politischen Berichterstattung – auch ein wichtiges Publikationsorgan des deutschsprachigen Vereinswesens. Seit Ende des 19. Jahrhunderts entwickelte sich die DLPZ, noch vor dem AT, zur beständigsten und relevantesten Zeitungsquelle für Nachrichten aus den deutschen Vereinen und »Kolonien« in Argentinien.24 In nicht immer regelmäßigen Abständen erschienen »Korrespondenzen« aus der Provinz, zum Beispiel aus Rosario und Esperanza, die seltene und persönliche Einblicke in das Alltagsund Vereinsleben der Deutschen ermöglichen. Die Zeitung veröffentlichte zu-
19 | Die seit 1895 erscheinende katholische Zeitschrift Argentinischer Volksfreund (AV), herausgegeben von den Steyler Patres in Buenos Aires, wird aufgrund ihres missionarischen Hintergrunds und des oft fehlenden Vereinsbezugs nur am Rande einbezogen. 20 | Vgl. Abbildung C1. 21 | Vgl. DAD, 14. Jg., Nr. 14 (Juli 1931), 474. 22 | Vgl. zu diesen Daten: Ismar 2006, 44f.; Lütge et al. 1981, 188f. Tjarks hatte sich bereits 1878 in die DLPZ eingekauft. 23 | Vgl. zum Verhältnis von DLPZ und AT: Ismar 2006. 24 | Eine Ausnahme stellten lediglich die evangelischen Gemeinden dar, die im EGB ihre primäre Veröffentlichungsplattform hatten. Einige republikanische und sozialistische Vereinigungen bevorzugten das AT für ihre Veröffentlichungen bzw. wurden von der DLPZ ignoriert.
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dem Statuten, Aufrufe, Jahres- und Festberichte und zeigte Vereinsveranstaltungen und neue Gründungen an. Häufig fungierte die Zeitung auch als Bindeglied zwischen den verstreuten deutschen Gemeinschaften und war Ausgangspunkt für vereinsübergreifende Aktionen, vor allem im karitativen Bereich. Schließlich wurden sogar eigene, in ihrem Umfang stetig zunehmende Zeitungsteile für die Vereinsnachrichten und -anzeigen aus ganz Argentinien reserviert. 1926 eröffnete die Zeitung eine »Surcursal« in Rosario – die erste Filiale überhaupt außerhalb von Buenos Aires – und brachte zweimal wöchentlich Sonderbeilagen mit Nachrichten und Anzeigen aus dem lokalen Vereinswesen heraus. Den deutschen Schulen maß die DLPZ von Beginn an besondere Bedeutung zu. Bis in das 20. Jahrhundert hinein wurden die Jahresberichte von Einrichtungen aus ganz Argentinien häufig sogar auf der Titelseite abgedruckt.25 Die starke Vereinspräsenz in der Zeitung war zum einen solidarischen und kulturpolitischen Gründen, zum anderen aber auch ganz pragmatischen Umständen geschuldet. In den Vereinen fehlten oftmals die Mittel, um gedruckte Jahresberichte oder eigene Zeitschriften herausgeben zu können, weshalb der Bedarf nach alternativen Publikationsmöglichkeiten stets vorhanden war. Der enorme Informationspool, den die fast vollständig erhaltene Deutsche La Plata-Zeitung bietet, ermöglicht es, die häufigen Lücken in der Vereinsüberlieferung zu schließen und tiefer in das gesellschaftliche Umfeld der »Kolonien« vorzudringen. Zwar liegt der eindeutige Schwerpunkt der Berichterstattung auf der deutschen Gemeinschaft in Buenos Aires. Unter den Provinzen des Hinterlands nimmt Santa Fe mit den Städten Rosario und Esperanza aber eine herausragende Stellung im Hinblick auf die verfügbaren Vereinsberichte ein. Darüber hinaus gibt die DLPZ Hinweise auf provinzübergreifende Vereinsentwicklungen und -trends zu verschiedenen Zeiten und ist durch ihr langes Erscheinen ein guter Beleg für das wachsende deutsche Interesse an Vereinszusammenschlüssen seit Ende des 19. Jahrhunderts. Die andere große deutschsprachige Zeitung Argentiniens, das Argentinische Tageblatt, geht auf die Initiative des schweizerischen Journalisten Johann Alemann zurück, der Anfang der 1870er Jahre einwanderte und seitdem als Redakteur und Leiter an diversen Zeitungsunternehmungen beteiligt war. Das AT erschien seit 1889 als Ableger des 1878 in Buenos Aires begründeten Argentinischen Wochenblattes (AW) und stand als Tageszeitung in direkter Konkurrenz
25 | An Jahresberichten erschienen dort sonst nur die Bilanzen der großen deutschen Vereine aus Buenos Aires.
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zur DLPZ. Auch in der Folgezeit verblieb die Leitung in den Händen der Familie Alemann.26 Aus verschiedenen Gründen ist das AT aber nur mit Einschränkungen als Quelle für das deutsche Vereinswesen geeignet. Im Unterschied zur DLPZ war das Tageblatt von Beginn an demokratisch-republikanisch ausgerichtet und zielte auf einen erweiterten »germanischen« Leserkreis ab. Auch wenn die Berichterstattung aus den deutschsprachigen Gemeinschaften als breit bezeichnet werden kann, galt ein besonderes Augenmerk der schweizerischen Einwanderung. Zudem war das Verhältnis zu den reichsdeutschen »Kolonien« und ihren Vereinen besonders nach der Jahrhundertwende zunehmend angespannt. Das AT beteiligte sich zwar aktiv am »Deutschtums«-Diskurs, der die Bewahrung deutscher Sprache und Kultur in den Mittelpunkt der kollektiven Bemühungen rückte. Seine liberale Haltung brachte es aber häufig in Konflikt mit der DLPZ, den deutschen Gemeinschaften sowie den diplomatischen Vertretungen des Reichs in Argentinien, die sich in ihren Berichten nach Deutschland oft kritisch über das Blatt äußerten. Seinen deutlichsten Ausdruck fand dieser offen ausgetragene Antagonismus 1924 im »Anzeigenboykott« deutscher Unternehmen und Vereine gegen das AT, dem heftige politische und ideologische Auseinandersetzungen vorausgegangen waren.27 In der überwiegend konservativen und reichstreuen deutschen Vereinswelt war folgerichtig die DLPZ das bevorzugte Medium. Seinen besonderen Quellenwert erhält das AT im vorliegenden Fall daher weniger durch die lückenlose Dokumentation des Vereinswesens als vielmehr in seiner Eigenschaft als Korrektiv gegen die in den Quellen dominierende, tendenziöse Perspektive der Anhänger und Vertreter des Reichs in Argentinien.
1.4.3 Regionale und institutionelle Veröffentlichungen Auf regionaler und lokaler Ebene existierten zahlreiche weitere deutschsprachige Periodika, die allerdings in puncto Größe, Reichweite und Beständigkeit nicht an die Zeitungen aus Buenos Aires heranreichten. Für die Geschichte der Vereine sind sie dennoch wichtige Quellen, da die Redaktionen direkt vor Ort tätig waren und intensive Beziehungen zu den jeweiligen Gemeinschaften pflegten bzw. selbst Bestandteil dieser Gemeinschaften waren. In der Provinz Santa Fe gehörten der Argentinische Bote, die Deutsche Wochenübersicht und 26 | Vgl. für diesen Absatz: Saint Sauveur-Henn 1994, 335; Lütge et al. 1981, 189; Ismar 2006, 46f.; Hoffmann 2009, 125f. 27 | Vgl. Lege 2007, 591; Ismar 2006, 55-59. Zum Konflikt zwischen Monarchisten und Republikanern in Argentinien vgl. außerdem Kapitel III, 4.4.3 dieser Arbeit.
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die Rosariner Zeitung zu den wichtigsten deutschsprachigen Presseerzeugnissen. Der Argentinische Bote wurde 1873 von jenem Johann Alemann in Santa Fe gegründet, der später auch das AW und das AT publizierte. Damit ist es die älteste deutschsprachige Zeitung der Provinz. Wegen der schwierigen wirtschaftlichen Situation verkaufte Alemann den Boten nach nur einem Jahr an den Schweizer Wilhelm Lehmann in Esperanza und siedelte nach Buenos Aires über. Die Zeitung wurde dort vom Redakteur Carl Kleiber-Gietz und unter zeitweiliger Mitarbeit u.a. von Pedro Dürst, dem Lehrer der örtlichen protestantischen Gemeindeschule, weitergeführt.28 Kleiber-Gietz war ein aus Frankfurt stammender Apotheker und betrieb am Platz die »Droguería Esperanza«. Unter seiner Leitung erschien der AB zweimal wöchentlich und unterhielt Agenturen in den umliegenden Kolonien sowie in Rosario und Buenos Aires.29 Nach internen Konflikten wurde der Bote jedoch an C. M. Reinhardt verkauft, der das Blatt später nach Rosario überführte.30 Für das Jahr 1877 wird die Stadt in der Literatur kurze Zeit als Erscheinungsort angegeben, Álvarez führt das Blatt gar als erste »hoja teutónica« Rosarios auf.31 Der Wechsel zu Reinhardt stand mutmaßlich auch im Zusammenhang mit einer schweren Krankheit des Katholiken Kleiber-Gietz, der er am 6. Januar 1879 im evangelischen Pfarrhaus von Esperanza erlag.32 Eine abschließende Überprüfung der Daten ist allerdings nicht möglich, da kein Exemplar aus dieser Zeit erhalten zu sein scheint. Moritz Reinhardt, Inhaber der gleichnamigen Buchdruckerei und aktives Mitglied des deutschen Vereinswesens in Esperanza, wird 1882 in den Quellen abermals als Redakteur erwähnt.33 Für 1886 und Juli 1888 sind ebenfalls Exemplare des AB belegt, während ihn der Provinzzensus Santa Fes 1887 (Stand: August 1888) nicht mehr unter den erscheinenden Zeitungen listete.34 In den 1890er Jahren beriefen sich aber das AW, das EGB und die DWÜ auf aktuelle Artikel des Boten, was entweder auf eine zeitweise Einstellung oder aber auf
28 | Vgl. Dürst 1913, 61. Die erste Ausgabe des AB erschien 1874. 29 | Vgl. AB, 3. Jg., Nr. 43 (27. Mai 1876), ohne SZ; Nr. 45 (3. Juni 1876), ohne SZ. 30 | Vgl. Dürst 1913, 62. 31 | Vgl. FP, 7. Jg., Nr. 2162 (13. Januar 1952), 4; 4; Álvarez 1981, 460; Lütge et al. 1981, 189; Elsner 1932, 74f. 32 | Vgl. EZA 5/2142, ohne BN (Jahresbericht von Pfarrer Carl Finkbein in Esperanza an den EOK in Berlin vom 13. Januar 1880). 33 | EZA 5/2142, ohne BN (Brief von Pfarrer Rosenthal in Esperanza an den EOK in Berlin vom 31. August 1882). 34 | Vgl. EZA 5/2143, ohne BN; Carrasco 1888b, 148; Rohland 2013.
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Schwächen im Zensus und ein durchgängiges Erscheinen hindeutet.35 Danach lässt sich der Argentinische Bote nicht mehr nachweisen. Heute sind nur noch wenige Nummern und Ausschnitte der Zeitung in deutschen und argentinischen Archiven und Bibliotheken erhalten. Dieser Umstand kann die Bedeutung dieser Quelle jedoch nicht schmälern. Sie liefert aus kulturhistorischer Sicht wichtige Hinweise auf das deutschsprachige Geschäfts- und Gesellschaftsleben Esperanzas sowie auf lokale Entwicklungen und Diskurse. Bis zu seinem Ende lässt sich der AB sogar als das deutschsprachige Referenzmedium für Nachrichten aus den Agrarkolonien um Esperanza bezeichnen. Seine Artikel dienten zum Beispiel häufig als wortwörtliche Grundlage für die Santa-Fe-Berichte deutscher Zeitungen in Buenos Aires und deutscher Vertretungen an das Auswärtige Amt in Berlin.36 Ebenfalls in Esperanza erschien seit Ende April 1893 die Deutsche Wochenübersicht als zweiseitige sonntägliche Beilage der Lokalzeitung La Unión. Die Unión (1891-1912) stand in enger Beziehung zum lokalen und vor allem dem deutschsprachigen Vereinswesen Esperanzas. Das Unternehmen unterhielt eine gleichnamige Druckerei im Ort, die auch zahlreiche Publikationen lokaler Vereinigungen produzierte. Zu den Aktionären von Druckerei und Zeitung gehörten so einflussreiche Mitglieder der deutschen Gemeinschaft wie Nicolaus Schneider oder Peter Stein, der auch für die Leitung zuständig war. Die DWÜ brachte es – mit größeren Unterbrechungen zwischen August und November 1896 – bis Mitte Mai 1897 auf insgesamt 207 Nummern, die lückenlos erhalten sind. Da ein ähnlicher Sonderteil auch in italienischer Sprache herausgegeben wurde, dürfte es sich in erster Linie um einen Versuch der Zeitung gehandelt haben, mehr Subskribenten unter der sprachlich sehr heterogenen Einwohnerschaft Esperanzas zu gewinnen. Die erste Ausgabe vom 30. April 1893 informiert über Hintergrund und Anspruch der Publikation: »Zu wiederholten Malen ist aus unserem Leserkreise die Aufforderung an uns ergangen, die Union [sic] theilweise in deutscher Sprache herauszugeben, damit das Blatt auch denjenigen unserer Freunde zugänglich werde, die der Landessprache nicht hinreichend mächtig sind. Wir kommen diesem Wunsche von heute ab nach [. . . ]. [Die Deutsche Wochenübersicht wird, Anm. d. Verf.] in gemeinfasslicher Weise alle wichtigeren Vorkommnisse auf dem Gebiete der Landwirthschaft, des Handels und der Industrie zur Kenntnis des Lesers bringen [. . . ]. [Darüber hinaus, Anm. d. Verf.] werden wir uns mit den von der provinzialen Regierung in so auffälliger und 35 | Vgl. AW, 17. Jg., Nr. 862 (30. August 1894), 41; EGB, 1. Jg., Nr. 12 (6. September 1895), 189; DWÜ, 1. Jg., Nr. 19 (17. September 1893), ohne SZ. 36 | Berichte des AB finden sich etwa in der DLPZ, dem EGB und den diplomatischen Korrespondenzen des PA AA.
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gefahrdrohender Weise vernachlässigten Interessen unserer Colonien beschäftigen und durchaus kein Blatt vor den Mund nehmen, wenn es gilt, die Feinde des Fortschrittes und der Ordnung zu brandmarken oder den Fremden, dessen Fleiss und Ausdauer den Wohlstand dieser Provinz begründet, auf seine Rechte und Pflichten aufmerksam zu machen und ihn gegen Gewalt und Unrecht zu vertheidigen.«37
Den Hauptteil des Blattes nehmen politische und wirtschaftliche Orts- und Provinznachrichten ein. Von besonderem Interesse sind davon sicherlich die ausführlichen Berichte über die Erhebungen der santafesinischen Kolonisten im Jahr 1893 und die kaum verhehlte Sympathie für die Aufständischen. Zugleich zeichnet die DWÜ aber auch ein Panorama der deutschsprachigen Vereins- und Geschäftswelt Esperanzas. Berichte von Vereinsversammlungen und -festen stehen Inseraten zahlreicher Unternehmen aus diesem Umfeld gegenüber. Mit dem Argentinischen Boten teilte die DWÜ den mitunter subjektiv-unsachlichen Argumentationsstil sowie eine, durch die intensive Konkurrenzsituation begründete, gegenseitige Abneigung, die in mehreren Artikeln an die Oberfläche trat. Die im Vergleich zu Esperanza um die Jahrhundertwende ungleich größere deutsche Gemeinschaft in Rosario verfügte mit der Rosariner Zeitung lediglich über ein deutschsprachiges Medium, das über mehrere Jahre Bestand hatte. Von 1905 bis 1908 wurde die RZ von Gerhard ten Winkel, der zuvor in Cañada de Gómez ansässig war, zweimal wöchentlich herausgegeben, konnte sich aber nicht dauerhaft halten. Nach Auflösung der gleichnamigen Aktiengesellschaft wurden Teile des Restvermögens u.a. der Deutschen Schule und der Deutschen Evangelischen Gemeinde in Rosario vermacht.38 Am 1. August 1912 belebte Carlos Baxmann das Blatt mit Unterstützung der deutschen »Kolonie« in einer weiteren »Sociedad Anónima« neu und gab Anlass zu positiven Erwartungen. Der Pastor der deutschen Gemeinde Rosarios, Gebhardt, schrieb im Gemeindeblatt: »Seit 1. August haben wir eine deutsche Zeitung, die zunächst dreimal wöchentlich erscheint. Die Gründung der Rosariner Zeitung darf als ein Zeichen des Wachstums unserer deutschen Kolonie angesehen werden. Auch steht zu erwarten, daß das neue Unternehmen [...] zur Einigung aller Deutschen beitragen wird.«39
Infolge des Weltkrieges und der verschlechterten wirtschaftlichen Lage zerschlugen sich diese Hoffnungen aber. Zwar erschien die Zeitung schließlich 37 | DWÜ, 1. Jg., Nr. 1 (30. April 1893), ohne SZ. 38 | Vgl. BArch R 901/38672, Bl. 23; Deutsche Evangelische Gemeinde Rosario 1908, 10f. 39 | EGB, 18. Jg., Nr. 33 (14. August 1912), 392.
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sogar »täglich ausser [sic] Montag«40 , am 31. Dezember 1916 musste sie ihren Betrieb aber endgültig einstellen.41 Chronist Elsner bemerkte dazu: »Die Kolonie ist eben für eine eigene Zeitung zu klein.«42 Der Großteil des RZ-Bestandes muss heute als verloren gelten. Vereinzelte Ausgaben und Ausschnitte finden sich vor allem in deutschen Archiven und sind nur über den Umweg der Aktenrecherche zugänglich. Trotzdem muss die Zeitung Berücksichtigung finden. Die vorhandenen Exemplare vermitteln mit ihren oft detaillierten Artikeln und seltenen Fotografien eine unmittelbare Vorstellung vom deutschen Gemeinschaftsleben in Rosario. Besonders für die Zeit nach 1912, als sich die Berichterstattung zum deutschen Vereinswesen der Stadt aus der DLPZ zunehmend in die Rosariner Zeitung verlagerte, stellt die Publikation eine wichtige Ergänzung dar. Als einzige institutionelle Serienschrift wird das Evangelische Gemeindeblatt der Deutschen Evangelischen La Plata-Synode besondere Berücksichtigung finden.43 Von Pastor Bußmann 1895 gegründet, erschien das EGB bis 1945 durchgängig in deutscher Sprache, zunächst wöchentlich, ab 1933 wegen finanzieller Schwierigkeiten zweimal im Monat. Allein die innenpolitischen Maßnahmen der argentinischen Regierung nach Kriegseintritt machten eine Publikation in der gewohnten Form zwischen 1945 und März 1948 unmöglich. Herausgegeben wurde das Gemeindeblatt in Buenos Aires von wechselnden Pastoren im Auftrag der Synode.44 Zwischen 1903 und Februar 1906 wurde es aufgrund geringerer Herstellungskosten unter Leitung von Pfarrer Achilles in Rosario gedruckt und verlegt. Das EGB reihte sich damit ein in eine Anzahl evangelischer Periodika, die bereits in Buenos Aires erschienen, wie dem schottischen Life and Work, dem englischen Ark of Faith, dem nordamerikanischen Christian Advocate oder dem spanischen Estandarte evangélico.45 Die Verbreitung des Gemeindeblattes lässt sich rückblickend nur noch schwer abschätzen, es liegen kaum verlässliche Angaben vor. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts waren landesweit etwa 1000 Abonnenten belegt.46 Deren Zahl verringerte sich wegen grundlegender Änderungen im folgenden Jahrzehnt aber deutlich. Hinweise auf die Abonnentenzahlen in den einzelnen Gemeinden existieren kaum. Für Rosario ist bekannt, dass das EGB dort um 1908/09 »in 80
40 | RZ, 4. Jg., Nr. 714 (9. November 1915), 1. 41 | Vgl. EGB, 22. Jg., Nr. 50 (13. Dezember 1916), 698. 42 | Elsner 1932, 75. 43 | Der DELPS gehörten auch die Gemeinden in Rosario und Esperanza an. Vgl. Kapitel V dieser Arbeit. 44 | Vgl. für eine umfassende Liste: Mirus 1943, 37. 45 | Vgl. EGB, 3. Jg., Nr. 158 (24. Juni 1898), 855. 46 | Vgl. EGB, 11. Jg., Nr. 500 (25. Januar 1905), 1.
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Exemplaren gehalten«47 wurde. In Esperanza und Umgebung gab es 1928 65 Abonnenten.48 In den 1930er Jahren betrug die gesamte Auflagenstärke wohl zwischen 1300 und 1500 Exemplaren, was für eine deutschsprachige institutionelle Zeitschrift in Argentinien durchaus beachtlich war.49 Freilich lässt sich nur auf dieser Grundlage nicht zuverlässig auf die Reichweite der Publikation schließen. Erst in Verbindung mit demographischen Daten zur Zielgruppe und den Vertriebsstrukturen ist es möglich, zu realistischen Aussagen zu gelangen. In Anbetracht der wöchentlichen Publikationsweise und des anzunehmenden Austausches des Blattes im Gemeindekreis dürfte die tatsächliche Reichweite die Auflagenstärke deutlich überstiegen haben. Gerade die evangelischen Gemeinden waren durch die Person des Pfarrers und ihre öffentlichen Aktivitäten in der Lage, weit in die deutschen »Kolonien« hineinzuwirken. In seiner Hauptfunktion als Sprachrohr der DELPS und der ihr angeschlossenen Gemeinden bildete das Gemeindeblatt zuvorderst die dort geleistete religiöse Arbeit und das deutsche evangelische Gemeindeleben in Argentinien, Uruguay und Paraguay ab. Erbauliche »Andachten« und ausführliche Korrespondenzen der einzelnen Pfarrer aus den Gemeinschaften wurden begleitet von Gottesdienst- und Veranstaltungsanzeigen und den Jahresberichten der vereinsmäßig organisierten Kirchgemeinden. Die Kongregationen in Rosario und Esperanza gehörten zu den größten der Synode und wurden im EGB entsprechend regelmäßig und ausführlich behandelt. Durch die enge Anbindung der DELPS an die Preußische Landeskirche nahmen zudem die politischen und religiösen Entwicklungen und Diskurse in Deutschland einigen Raum im Gemeindeblatt ein. Dieses Verhältnis bestimmte auch seine durchgehend konservative Grundhaltung. Im Laufe seines Bestehens war das EGB Austragungsort von Diskussionen rund um die Organisation und Ausgestaltung des Gemeindelebens und des deutschen Bildungswesens. Es kann – neben dem AT und der DLPZ – als eine der zentralen Plattformen des »Deutschtums«-Diskurses in Argentinien gelten. Für weite Teile der deutschsprachigen Immigration in Argentinien war das Gemeindeblatt folglich eine Instanz sowohl der religiösen als auch der ethnisch-nationalen Identifizierung. So nutzbringend diese Periodika aus heutiger Sicht auch sind, unter Zeitgenossen war ihre Qualität durchaus umstritten. Unter anderem in den Aktenbeständen des Auswärtigen Amts finden sich zahlreiche kritische Einschätzungen deutscher Beobachter. Walter von Hauff, der als Lehrer in Buenos Aires tätig gewesen war, resümierte 1910: 47 | EGB, 15. Jg., Nr. 20 (12. Mai 1909), 233. 48 | Vgl. IERP-A Bestand 197, ohne BN. 49 | Vgl. Zorzin 1995, 10.
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»Sehr tief steht auch das Zeitungswesen. Die 1870 gegründete ›La PlataZeitung‹ ist höchstens mit Provinzialblättern zu vergleichen, wie sie in Städten von 8 bis 10 000 Einwohnern erscheinen, wenn auch die äußere Ausstattung etwas besser ist. Selbstständiger im Urteil ist das ›Argentinische Tageblatt‹, das jedoch in den letzten Jahren derartig gehässig gegen Deutschland vorging, daß es den Namen einer deutschen Zeitung nicht mehr verdiente. [. . . ] Zu erwähnen wäre noch die spanisch und deutsch erscheinende ›Buenos Aires Handelszeitung‹, während das ›Evangelische Gemeindeblatt‹ für die La Plata-Staaten außerordentlich Dürftiges leistet. Wie die Dinge stehen, ist auch der Deutsche in erster Linie auf die großen spanischen Zeitungen, besonders die ›Prensa‹ angewiesen.«50
Die spanischsprachige Presse spielt als Quellenbasis für den vorliegenden Fall allerdings nur eine untergeordnete Rolle. Vor allem in Rosario entwickelte sich mit der politischen Liberalisierung und dem Boom der Landwirtschaft zwar eine breite lokale Zeitungslandschaft, die sich auch intensiv mit dem gesellschaftlichen Leben der Stadt auseinandersetzte: Der bereits 1854 gegründeten La Confederación folgten bis 1888 dreizehn weitere Blätter, u.a. El Municipio oder die traditionsreiche La Capital.51 In den entsprechenden Zeitungsteilen dominierten allerdings Berichte aus den bedeutenden spanischen und italienischen Gemeinschaften. Die vergleichsweise kleine deutsche »Kolonie« wurde nur am Rande wahrgenommen. Die vereinzelten Artikel beschränken sich entweder auf Ankündigungen oder wenig detaillierte Berichte von Vereinsfeierlichkeiten, aus denen sich oftmals keine Fremdperspektive auf die Ereignisse ableiten lässt.52 Lediglich einige auf Gesellschaftsnachrichten spezialisierte, aber nur kurzlebige Boulevardzeitschriften berichteten ausführlicher aus den verschiedenen Einwanderergemeinschaften. Zu den wichtigsten gehörten die Anfang des 20. Jahrhunderts in Rosario publizierten Gestos y Muecas (GM) und Monos y Monadas (MM). Nach Einschätzung von Álvarez bilden diese beiden Zeitschriften den »más completo archivo gráfico local de esa época«.53 Die reich bebilderten Ausgaben dokumentierten Bälle, Vereins- und Volksfeste, Besuche ausländischer Würdenträger und andere gesellschaftliche Ereignisse in Rosario und Esperanza. Sie beinhalten auch seltene Berichte und Fotografien über die Aktivitäten der deutschen »Kolonie«. 50 | Hauff 1910, 113. 51 | Vgl. Álvarez 1981, 333; 496. 52 | Für die personellen Verschränkungen im Gemeinschaftswesen der europäischen Einwanderer und die Integration führender Mitglieder der deutschen »Kolonie« in die Stadtgesellschaft können die spanischsprachigen Zeitungen aber durchaus interessante Hinweise liefern. Vgl. Kapitel III, 3.4 dieser Arbeit. 53 | Álvarez 1981, 585f.
2. DIE ANFÄNGE DEUTSCHER VEREINSTÄTIGKEIT | 107
2 Die Anfänge deutscher Vereinstätigkeit in Argentinien Die ersten deutschen Vereinsgründungen in Argentinien lassen sich für die 1820er und 1830er Jahre nachweisen und konzentrierten sich ausschließlich auf Buenos Aires. Als bedeutender Handelshafen und wirtschaftliches und gesellschaftliches Zentrum des Landes zog die Hauptstadt früh Einwanderer an. Kaufleute, die sich zumeist nur temporär und in Abhängigkeit zu einer erfolgreichen Geschäftstätigkeit in Argentinien aufhielten, zählten in dieser Phase zu den wichtigsten Mitgliedern innerhalb der übersichtlichen Stadtgemeinschaft. Sie prägten mutmaßlich auch das entstehende deutsche Vereinswesen, das zunächst vor allem auf Geselligkeit, ethnische Solidarität und sprachliche und kulturelle Kontinuität ausgelegt war. Bis 1830 entstanden eine Deutsche Wohltätigkeits-Gesellschaft und ein Deutscher Klub mit Versicherungsfunktion. Beide wurden allerdings noch unter Rosas als staatsgefährdend verboten.54 Die folgende Etappe der ethnischen Selbstorganisation wurde in den 1840er Jahren durch die Initiative deutschsprachiger Protestanten in Buenos Aires eingeläutet und führte zu dauerhafteren Gründungen. Seit den ersten Gottesdiensten anglikanischer Pastoren Anfang des 19. Jahrhunderts waren die englischen Gemeinden ein wichtiger Sammelpunkt protestantischer Einwanderer in der Hauptstadt gewesen.55 Auch Deutsche dieser Konfession schlossen sich an und nutzten gemeinschaftlich Kirchen und Friedhofsanlagen. Der Wunsch nach einer eigenständigen Gemeinde mit Gottesdiensten und christlich fundierter Schulbildung in deutscher Sprache war aber von Beginn an vorhanden und wurde 1843 schließlich aus der Gemeinschaft heraus nach Vereinsprinzipien verwirklicht. In seiner Einführungsrede betonte der aus Deutschland entsandte erste Pastor der Gemeinde, August Ludwig Siegel, die erweiterte Bedeutung dieser Gründung. Die Ansprache lässt sich – mit geringfügigen Abwandlungen – auch für die Folgezeit als Grundtenor deutscher Vereinsdiskurse heranziehen: »Ist unsere Stiftung zunächst nur eine religiöse, so ist doch mit ihr unzertrennlich ein hohes volksthümliches Interesse verbunden; denn so weit die deutsche Zunge klingt und Gott im Himmel Lieder singt, so weit schlägt auch das grosse [sic] deutsche Herz. Ja, wenn irgend einer Nation, so ist
54 | Vgl. für diesen Absatz: Saint Sauveur-Henn 1995, 61; Devoto 2009, 211; Newton 1977, 10. Vgl. insbesondere Newton für eine ausführlichere Darstellung der Entwicklung der deutschen »Kolonie« in Buenos Aires. Eine frühe Beschreibung findet sich auch in: Schnabl 1886, 148-166. Nähere Informationen zum deutschen Vereinswesen in Buenos Aires versammelt u.a.: Bindernagel 2014, 34-45. 55 | Vgl. Häfner 2008, 45.
108 | KAPITEL III. VEREINSWESEN IN ROSARIO UND ESPERANZA
dem deutschen Volke sein Vaterland ans Herz gewachsen, und im fremden Lande bleibt ihm der Name seines Vaterlandes ein süsser [sic] Klang.«56
Der deutschen Gemeinde und der ihr angeschlossenen evangelischen Schule folgten unmittelbar keine größeren Gründungen. Erst die politische Umbruchzeit und die zunehmende Einwanderung in den 1850er Jahren schufen in der Hauptstadt und erstmals auch im Hinterland das notwendige gesellschaftliche Klima für eine verstärkte ethnische Vereinstätigkeit. In Buenos Aires war dies am deutlichsten zu beobachten. Dort formierten sich innerhalb weniger Jahre der Deutsche Turnverein (1855)57 , der Gesangverein »Germania« (1855) und der Deutsche Krankenverein (1857).58 Auch im Landesinnern, wo die Agrarkolonisation allmählich anlief, waren erste deutschsprachige Selbstorganisationen wie z.B. die Evangelische Kirchgemeinde in Esperanza (1857) zu verzeichnen. Langsam aber kontinuierlich setzte sich diese Entwicklung in den 1860er Jahren fort. Um 1870 wurden in Buenos Aires acht deutsche Vereinigungen registriert.59 Ein für weite Strecken des 19. Jahrhunderts typisches Phänomen war der organisatorische Schulterschluss zwischen Einwanderern unterschiedlicher Herkunft. Ein Beispiel dafür war die bereits angedeutete Solidarisierung von Mitgliedern unterschiedlicher protestantischer Glaubensrichtungen. Darüber hinaus fanden Deutsche und Engländer in den großen Städten in sogenannten »Ausländer-Klubs« zusammen, die u.a. wirtschaftsfördernden und geselligen Zwecken dienten. In diesen Fällen genügte die Fremd- und Minderheitserfahrung als Vergemeinschaftungsfaktor. Bei Deutschen, Österreichern und Schweizern wiederum war vor allem die große sprachliche und kulturelle Schnittmenge ursächlich für das häufige gemeinsame Vereinsengagement. Das Anwachsen der europäischen Gemeinschaften infolge der Masseneinwanderung und der Einfluss des Nationalismus weichten diese frühe Bande allerdings auf und begünstigten die Separierung des Einwanderervereinswesens nach nationalen oder ethnischen Merkmalen. Im deutschen Fall gab die Reichsgründung 1870/71 den entscheidenden Impuls für die Entstehung eines genuin deutschen Vereinswesens. Deutsche, österreichische und schweizerische Einwanderer organisierten sich nun, unter Betonung der nationalen Zugehörigkeit, zunehmend in eigenständigen Organi-
56 | Buettner 1893, 7f. 57 | Aus dem Turnverein ging 1910 der einflussreiche und bis heute bestehende Deutsche Klub hervor (vgl. Lütge et al. 1981, 237). 58 | Vgl. Lütge et al. 1981, 151; 156; Zago 1985, 25. 59 | Vgl. Saint Sauveur-Henn 1995, 322. Die Autorin beruft sich auf einen Artikel aus der deutsch-argentinischen Zeitung Freie Presse vom 30. Dezember 1951, der deutsche Schulen und Kirchengemeinden nicht als Vereine zählt.
2. DIE ANFÄNGE DEUTSCHER VEREINSTÄTIGKEIT | 109
sationen.60 Der in Buenos Aires herausgegebene Deutsche La Plata Kalender beschrieb 1873 die einigende Wirkung dieser Erfahrung auf die deutschen Einwanderer wie folgt: »Jeder Deutsche, welcher die Periode unseres vaterländischen Krieges gegen den Erbfeind hier am La Plata verlebt hat, wird sich mit Stolz dieser Zeit der Aufregung, Begeisterung und patriotischen Opferwilligkeit erinnern. Alle partikularistischen Verhältnisse im Vereins-, Geschäfts- und Privatleben der Deutschen verschwanden wie mit einem Zauberschlage. Alle Feindschaften wurden vergessen und blieben es; Leute, die durch die Verschiedenheit ihrer Lebensstellung nie mit einander in Berührung gekommen waren, traten in freundschaftliche Berührung, kurz – der Deutsche war eben nur – Deutscher.«61
Ein hermetischer Abschluss der deutschsprachigen Gemeinschaften blieb gleichwohl aus, da einerseits das Bewusstsein für die gemeinsamen »germanischen« Wurzeln stets vorhanden und andererseits die Parallelität deutschsprachiger Organisationsstrukturen jenseits der zahlenmäßig starken Stadtgemeinschaften aus rein pragmatischen Gründen kaum erstrebenswert, geschweige denn praktikabel war. In den 1880er und 1890er Jahren erlebte die sich transformierende argentinische Gesellschaft einen regelrechten Vereinsboom. Dieser wurde maßgeblich getragen von der europäischen Einwanderung, die in jener Zeit einen ersten Höhepunkt erreichte. In Buenos Aires vermehrte sich das deutsche Vereinswesen zwischen 1885 und 1914 von 14 auf 40 Einzelorganisationen. Der Stadtzensus registrierte 1887 und 1904 zwar nur einen Bruchteil dieser Vereine, dafür aber eine Verdoppelung ihrer Mitgliederzahlen.62 Das Jahrbuch Der Kondor listete bereits 1908 an die 40 deutsche Vereine im städtischen Einzugsgebiet von 60 | Vgl. Saint Sauveur-Henn 1995, 504; Lütge et al. 1981, 239; Newton 1977, 12f.; Schobinger 1957, 170-172. 61 | Ruhland & Reinhardt 1873, 186. 62 | Vgl. Saint Sauveur-Henn 1995, 321f. Die Autorin geht fälschlicherweise davon aus, dass sich die Angaben für 1885 und 1914 auf ganz Argentinien beziehen. In der zugrunde liegenden Quelle ist aber nur von Buenos Aires die Rede. Vergleicht man parallel dazu die Ausmaße des deutschen Vereinswesens in Rosario und Esperanza um 1914 sowie weiterführende Statistiken aus den 1920er Jahren, scheint die Zahl von 40 Vereinen allein in der Hauptstadt nicht zu hoch angesetzt. Der Lehrer Wilhelm Keiper aus Buenos Aires berichtete Anfang 1914 von »mehr als« 20 lokalen Vereinen, zu denen noch deutsche Schulen und Kirchengemeinden hinzukamen (vgl. Keiper 1914, 20). Die oft widersprüchlichen Ergebnisse offizieller und gemeinschaftlicher Zählungen sind einerseits ein Zeichen für unterschiedliche Messkriterien, andererseits belegen sie die große Dynamik und die zahlreichen Formalisierungsgrade innerhalb des deutschen Vereinswesens, die selten in ihrer ganzen Breite erfasst wurden. Eine verlässliche Abschätzung des landesweiten Gesamtumfangs ist daher für den behandelten Zeitraum kaum möglich.
110 | KAPITEL III. VEREINSWESEN IN ROSARIO UND ESPERANZA
Buenos Aires auf.63 Jenseits der Hauptstadt spiegelte sich diese Entwicklung im Kleinen wider. Vor allem in den angrenzenden Provinzen – Buenos Aires, Santa Fe, Entre Ríos –, die immer mehr Einwanderer aufnahmen, konnten sich dauerhafte deutsche Organisationsstrukturen etablieren.64 Zusammen mit dem allgemeinen Wachstum setzte auch eine Diversifizierung und Vernetzung des deutschen Vereinswesens ein. Bildeten bis dahin vor allem Geselligkeits-, Gesangs- und Hilfsvereine den Grundstock, kamen um die Jahrhundertwende in den genannten Landesteilen vermehrt Schulvereine, Kirchengemeinden, Arbeitervereine und Berufsvereinigungen hinzu. Auf Grundlage der verstärkten Mitgliederbasis wurden in größeren Städten wie Buenos Aires oder Rosario parallel wirkende Vereinigungen mit ähnlichen Zielrichtungen möglich. Dank der verbesserten Transport- und Kommunikationsinfrastruktur rückten die einzelnen »Kolonien« und ihre Vereine gegen Ende des 19. Jahrhunderts näher zusammen. Auf lokaler, provinzialer und nationaler Ebene bildeten sich weitverzweigte Vereinsnetzwerke heraus. Am eindrücklichsten lässt sich das anhand von Kirchengemeinden, Gesangvereinen und der deutschsprachigen Lehrerschaft Argentiniens nachvollziehen, die jeweils gemeinsame Dachorganisationen gründeten bzw. gemeinsame kulturelle Aktivitäten pflegten. Es existieren darüber hinaus Beispiele für einen vereinstypenübergreifenden Aktionismus im nationalen Rahmen. Dieser kam meist auf Initiative der deutschen Gemeinschaft in Buenos Aires zustande, wurde über deutschsprachige Medien kommuniziert und diente wohltätigen, kulturellen oder politischen Zwecken.65 Wenngleich zweifellos nur ein kleiner Teil der deutschen Einwandererschaft in Argentinien zu den Mitgliedern gehörte, erreichten die zunehmend verdichteten Vereinsstrukturen bis zum Ersten Weltkrieg eine Sichtbarkeit, die sie im In- und Ausland als legitime Vertretungen derselben erscheinen ließen. Die hervorgehobene Position der Vereine im öffentlichen Raum beruhte vor allem auf ihrem hohen Organisationsgrad und dem beständig nach außen getragenen ethnischen Aktionismus, sei es in Form von Festen, Schul- und Gemeindeaktivitäten, Kulturveranstaltungen oder wohltätigen Sammlungen.
63 | Vgl. Cappus 1908, 218-220. 64 | Für eine detailliertere Darstellung der Vereinsentwicklung in Rosario und Esperanza vgl. Kapitel III, 3 dieser Arbeit. 65 | Es kann an dieser Stelle nicht ausführlicher auf die Entwicklung in den Provinzen oder einzelne Vereine eingegangen werden. Für eine vollständigere, wenngleich auch nicht lückenlose Übersicht vgl.: Lütge et al. 1981; Lege 2007. Die Erforschung deutscher Vereinsnetzwerke im La-Plata-Raum, die von Argentinien aus bis nach Uruguay und Paraguay reichten, stellen nach wie vor ein Desiderat dar. Beispiele aus der Provinz Santa Fe finden sich in den nachfolgenden Kapiteln.
3. ENTSTEHUNG UND ORGANISATION | 111
Im Ergebnis wurden die in den Vereinen gepflegten Diskurse, Praktiken und Verhaltensweisen als Fremdzuschreibungen auf die gesamte deutsche Einwandererschaft transponiert.66 Staatliche Stellen und staatsnahe Institutionen in Deutschland und Argentinien erkannten in den einflussreichen Vereinen zudem einen Hebel zur Beeinflussung der deutschen Gemeinschaften und ein Instrument zur Erreichung außen- bzw. innenpolitischer Zielstellungen. In diesem Zusammenhang erhielt beispielsweise bis 1914 eine zunehmende Zahl von deutschen Schulen und protestantischen Kirchengemeinden in Argentinien Unterstützungsleistungen aus Deutschland. Aber auch das restliche Vereinswesen profitierte indirekt von der erhöhten Aufmerksamkeit auswärtiger Behörden und Würdenträger. Die regelmäßigen offiziellen Besuche vergrößerten das Ansehen und die Reichweite der Vereinigungen und bestätigten ihre Legitimation als Sprachrohr der jeweiligen Gemeinschaft. Auf argentinischer Seite stellten die Vereine ebenfalls eine willkommene Zugangsmöglichkeit zu den deutschen Gemeinschaften dar. Die politische Führung hatte früh erkannt, dass eine stärkere Reglementierung der Vereinstätigkeit unter Umständen dazu geeignet war, die Entwicklung von Teilen der Immigration nach den eigenen Vorstellungen zu beeinflussen. Ein paradigmatisches Beispiel ist die argentinische Schulpolitik, die durch die Kontrolle und Transformation des Einwandererschulwesens eine Beschleunigung der »Argentinisierung« der »colectividades« erreichen wollte.67
3 Entstehung und Organisation 3.1 Deutsch-argentinische Lebenswelten Je nach Zielort fanden deutsche Einwanderer in der Provinz Santa Fe Mitte des 19. Jahrhunderts sehr unterschiedliche Bedingungen vor. Die Spannweite reichte von primitiven Agrarkolonien mit kaum entwickelter Infrastruktur bis hin zu kleinen bis mittleren städtischen Siedlungen mit guten Wachstumsaussichten. Diese variable wirtschaftlich-soziale Umgebung bestimmte die Eckpunkte der gemeinschaftlichen Entwicklung. Eine solche Stadt-Land-Dichotomie wäre allerdings unvollständig, würde man sie nicht auch aus der Perspektive der Einwanderer betrachten und individuelle Lebensentwürfe und soziale Hintergründe berücksichtigen. An den Beispielen Rosario und Esperanza lässt sich 66 | In der Forschungsliteratur wird allerdings zu Recht darauf verwiesen, dass eine homogene deutsche Gemeinschaft in Argentinien nie existiert hat. Vielmehr führten soziale und ideologische Unterschiede und Konflikte zu einer immer deutlicheren Fragmentierung der »Kolonie« (vgl. Carreras 2008, 202f.). 67 | Vgl. zu diesen Wechselwirkungen Kapitel IV der vorliegenden Arbeit.
112 | KAPITEL III. VEREINSWESEN IN ROSARIO UND ESPERANZA
die Vielfältigkeit der impliziten deutschen Vereinsgründungszusammenhänge anschaulich nachvollziehen. Getragen von der Einwanderung und Kolonisation stieg Rosario aus bescheidenen Anfängen rasch zum wirtschaftlichen und kulturellen Zentrum Santa Fes auf. Der Binnenhafen war der erste Anlaufpunkt für Personen, Waren oder Nachrichten, die per Schiff aus Buenos Aires und später aus Übersee in der Provinz eintrafen. Mit dem voranschreitenden Eisenbahnausbau wurde Rosario endgültig zum wichtigen Verkehrsknotenpunkt zwischen Hauptstadt und Hinterland. Die städtische Kulisse und die guten wirtschaftlichen Perspektiven zogen auch deutsche Einwanderer an. Noch 1887 gehörten sie mit rund 800 registrierten Personen nach Italienern und Engländern zur drittgrößten Einwanderergruppe in Rosario. In den folgenden Erhebungen nahmen die Reichsdeutschen bis Anfang des 20. Jahrhunderts in der Regel die fünfte oder sechste Position ein und bildeten – noch vor Österreichern und Schweizern – die größte deutschsprachige Minderheit der Stadt. Laut offiziellen Zensusdaten pendelte ihre Zahl in diesem Zeitraum zwischen rund 1000 und 1500 Personen.68 Schätzungen aus der deutschen Gemeinschaft selbst waren meist höher angesiedelt. So gab Emil Hagedorn, Pfarrer der örtlichen evangelischen Gemeinde, die Zahl der Deutschen bzw. Deutschredenden um die Jahrhundertwende mit 2000 bis 2500 an.69 Sein Amtsvorgänger ging auf Grundlage des Schul- und Kirchenbesuches 1913 gar von 2000 bis 4000 Deutschen aus.70 In jedem Fall garantierten die urbanen Strukturen und Einkommensmöglichkeiten in der Epoche der Masseneimmigration eine kontinuierliche deutsche Zuwanderung in Rosario, die für die Entwicklung eines beständigen Gemeinschaftswesens grundlegend war. Eng verknüpft mit der Frage nach der Basis ist die nach der sozialen Zusammensetzung und den finanziellen Ressourcen der »Kolonie«. Aus den Antworten lassen sich wiederum Schlüsse auf die Vereinstätigkeit ableiten. Wie sich deutsche Einwanderer in das Wirtschaftsleben Rosarios integrierten und welchen Einfluss sie dort ausübten, kann man an verschiedenen Aspekten festmachen. Aus statistischer Perspektive sind Berufs- und Besitzverhältnisse von besonderem Interesse. Der Zensus von 1900 erfasste 1066 Deutsche, von denen 412
68 | Vgl. zu diesen Zahlen: Ensinck 1979, 109-125; Gallo 1983, 289f. 69 | Vgl. Hagedorn 1944, 21. 70 | Vgl. EGB, 19. Jg., Nr. 3 (15. Januar 1913), 31f. Diese beträchtlichen Unterschiede kamen u.a. dadurch zustande, dass in Argentinien geborene Kinder deutscher Einwanderer unterschiedlich zugeordnet wurden. Derartige Erhebungen sollten daher stets mit Vorsicht gelesen werden.
3. ENTSTEHUNG UND ORGANISATION | 113
Frauen waren und 96 das 14. Lebensjahr noch nicht erreicht hatten. Nur etwa jede dritte bis vierte deutsche Frau über 14 Jahre übte einen Beruf aus. Unter den Erwerbstätigen lassen sich eindeutige Tendenzen zu einigen der insgesamt 79 Berufsgruppen erkennen. Die mit Abstand größten Anteile stellten Kaufleute (»comerciantes«) und Angestellte (»empleados«) mit 106 bzw. 110 Personen.71 Weiterhin auffällig ist die vergleichsweise hohe Quote an deutschen Grundbesitzern, die auf eine hervorgehobene Stellung im Wirtschaftsleben schließen lässt. Mit über 17 Prozent nahmen sie 1910 unter den in Rosario ansässigen Europäern die zweite Position hinter den Franzosen ein.72 Konkretere Hinweise auf die wirtschaftliche Integration deutscher Einwanderer finden sich in der Primär- und Sekundärliteratur. Wie in vielen vergleichbaren Fällen auch, waren es Kaufleute, die in den 1850er und 1860er Jahren Pionierarbeit auf diesem Gebiet leisteten. Zu diesem Zweck übernahmen sie neben ihrer Handelstätigkeit häufig konsularische Aufgaben und richteten die ersten deutschen Vertretungen ein. Im 19. Jahrhundert bestanden in Rosario Konsulate der Hansestadt Hamburg (1858), Preußens (1865), des Norddeutschen Bundes (1868) und des Deutschen Reichs (1871).73 Ein Teil der Kaufmannschaft bewegte sich gleichberechtigt in den Institutionen der lokalen Handelselite und hatte hohe Posten inne. Heinrich Napp wirkte als zweiter Konsul am Handelsgericht, Engelbert Tietjen und Emil O. Schiffner waren Mitbegründer und zeitweise Präsidenten der Bolsa de Comercio.74 Der prosperierende Handels- und Industriestandort Rosario veranlasste zudem eine Reihe deutscher Unternehmen, Niederlassungen in Rosario einzurichten.75 Hochqualifizierte und Lohnarbeiter aus Deutschland waren in großen Fabriken wie den Eisenbahnwerkstätten oder aber in Tornquists Zuckerraffinerie tätig, die viele Techniker dieser Herkunft beschäftigte.76
71 | Gefolgt von Lohnarbeitern (57), Hausfrauen/häusliche Arbeiten (37), Zimmermännern (32), Heizern (24), Matrosen (22), Dienstboten (21) und Maschinenwärtern (20). Vgl. dazu und zu den obigen Zensusdaten: Lamas 1902, 188-195. Diese Angaben decken sich weitgehend mit denen Hagedorns. Danach bestand die deutsche »Kolonie« vor allem aus »Großkaufleuten, Geschäftsangestellten, Handwerkern, Gastwirten und vielen Fabrikarbeitern« (vgl. Hagedorn 1944, 21). 72 | Vgl. Ensinck 1979, 122f. Dagegen waren nur rund acht Prozent der Argentinier Grundbesitzer. Legt man die absoluten Zahlen zugrunde, führten 1910 Argentinier und Italiener die Besitzstatistiken an (vgl. Martino 1998, 14f.). 73 | Vgl. Carrasco/Carrasco 1897, 364; Elsner 1932, 64; 125. Auch konsularische Doppelfunktionen waren keine Seltenheit. So vertrat etwa der Kaufmann Georg Ruscheweyh Ende der 1850er Jahre neben der Hansestadt Hamburg auch die Niederlande als Wahlkonsul (vgl. Carrasco/Carrasco 1897, 375). Vgl. zudem Tabelle A2. 74 | Vgl. De Marco/Ensinck 1984, 23; 25; Carrasco/Carrasco 1897, 316. 75 | Vgl. Elsner 1932, 51f. 76 | Vgl. Guy 1988, 356.
114 | KAPITEL III. VEREINSWESEN IN ROSARIO UND ESPERANZA
Erfolgreiche unternehmerische Initiativen deutscher Einwanderer in Rosario fußten vor allem auf dem Landwirtschaftsboom in Santa Fe. Friedrich Wildermuth richtete 1877 ein Geschäft für landwirtschaftliche Maschinen ein, das 1900 von Karl Preumayr weitergeführt wurde. Mitte der 1880er Jahre begann die Likörfabrik »Germania« der Brüder Paul und Gustav Wiedenbrüg ihre Produktion und wurde zu einer der bedeutendsten am Platze. Emil R. Werner, der spätere deutsche Konsul, baute ab 1889 ein Mühlenimperium auf und gründete die langlebige Aktiengesellschaft »Molinos Fénix«.77 Jenseits dieser großen Beispiele entstand in Rosario bis zum Ersten Weltkrieg eine sich beständig diversifizierende deutsche ethnische Infrastruktur, deren Bandbreite sich u.a. an zeitgenössischen Anzeigen ablesen lässt. Im Jahr 1904 warben beispielsweise die Schankwirtschaften Jung’s Bier-Local und Bierlokal Gambrinus, das Hotel und Restaurant »Zum Vaterland«, eine Deutsche Apotheke, die Relojería Alemana und die Armería Mathey um Kunden. Darüber hinaus wurde die Aktivität einer Niederlassung der Gerberei, Lederhandlung & Sattlerei Meiners aus Esperanza sowie einer Geburtshelferin Huber »mit besten Diplomen von Leipzig und Bs. Aires« angezeigt.78 Für denselben Zeitraum ist die Existenz von wenigstens 13 Import-/Exporthäusern, fünf »Kommissionsgeschäften« und sieben Getreidehändlern unter deutscher Führung belegt. Die Fabriken von Herwig und Schlau stellten Liköre und Limonade bzw. Bier und Eis her, weitere produzierten Bürsten, Besen oder Koffer. Es gab deutsche Geschäfte für Bekleidung, Fotografie, Spiel-, Eisen- oder Backwaren und für Zigarren. Deutsche Maler, Klempner, Tapezierer, Tischler, Zimmerer, Klavierlehrer, Sachverwalter und Beerdigungsunternehmer boten ihre Dienste an. Im Hotel »Hansa« oder in Hoffmanns Bierlokal wurde man auf Deutsch bedient.79 Die Niederlassung der bonaerensischen Buch- und Papierhandlung Jakob Peuser, bis 1913 die letzte verbliebene deutsche Buchhandlung in Rosario, hielt ein großes Portfolio an deutschen Zeitungen und Zeitschriften und nahm Druckaufträge entgegen.80 Ein Blick auf die städtische Verteilung der deutschen Bevölkerung und ihrer ethnischen Infrastruktur Anfang des 20. Jahrhunderts bestätigt den Eindruck einer räumlich überdurchschnittlich konzentrierten Gemeinschaft. Um 1900 77 | Vgl. für diesen Absatz: Elsner 1932, 52f.; 67; Ielpi 2001, 133-135. 78 | Vgl. EGB, 10. Jg., Nr. 447 (20. Januar 1904), ohne SZ. 79 | Vgl. zum Vorangegangenen: Elsner 1932, 66. 80 | Vgl. EZA 5/2148, ohne BN. Das Angebot für 1913/14 umfasste die Publikationen Die Woche, Das Echo, Die Gartenlaube, Vom Fels zum Meer, Fliegende Blätter, Meggendorfer Blätter, Simplicissimus, Der Bazar, Kindergarderobe, Wäschezeitung, Berliner Wochenblatt, Leipziger ill. Zeitung, Berliner ill. Zeitung und Sport im Bild. In den 1920er Jahren führte auch die Druckerei von Friedrich Lufft Publikationsaufträge in Rosario aus.
3. ENTSTEHUNG UND ORGANISATION | 115
sammelten sich über 83 Prozent der Deutschen in drei der sieben historischen Sektionen Rosarios. Die größten Anteile fanden sich mit rund 30 bzw. 35 Prozent in den Sektionen I und III, die den heutigen Altstadtkern bilden. Diese Verwaltungseinheiten grenzten unmittelbar aneinander und verbanden sich zu einem Streifen am südöstlichen Ufer des Paraná. Weitere 19 Prozent ließen sich in der fünften Sektion nieder.81 Damit waren die Deutschen zu diesem Zeitpunkt die Einwanderergruppe mit der größten ethnischen Wohnraumballung in Rosario.82 Die Siedlungskonzentration war nicht dem Zufall geschuldet, sondern lässt sich zu einem Gutteil auf die bereits angeführten Beschäftigungsschwerpunkte deutscher Einwanderer zurückführen. In den Abschnitten I und III befanden sich beispielsweise die zentralen Verladepiers des Hafens sowie wichtige Handelshäuser.83 Im weiteren Umkreis der Hafeneinrichtungen entwickelte sich eine lebendige Geschäftswelt. Von den deutschen Ladenbesitzern und Gewerbetreibenden, die 1904 in der zitierten Ausgabe des Gemeindeblatts inserierten, waren bis auf eine Ausnahme alle in Abschnitt I ansässig. Die fünfte Sektion war hingegen proletarisch geprägt. Dort produzierten u.a. die Zuckerraffinerie und die Werkstätten der F.C.C.A., die auch zahlreiche Deutsche beschäftigten. Im Vergleich zur pulsierenden Großstadt Rosario bot Esperanza lange ein denkbar kontrastreiches Bild. Als unterentwickelte dörfliche Siedlung in der argentinischen Pampa war sie einem Großteil der eingewanderten Kolonisten ein zunächst raues, von Mühsal und alltäglichen Widrigkeiten bestimmtes Lebensumfeld. Zwar entstammten bei weitem nicht alle Siedler landwirtschaftlichen Berufszweigen, dennoch war Esperanza, entsprechend seiner Bestimmung, in der Anfangszeit fast ausschließlich bäuerlich geprägt. Erst allmählich entwickelten sich handwerkliche, manufakturelle und schließlich industrielle Strukturen. Demografische und wirtschaftliche Dynamiken wie sie den Aufstieg Rosarios begleiteten, waren in Esperanza in einem wesentlich geringeren Umfang wahrnehmbar. Die stadtplanerisch begründete räumliche Segregation deutsch- und französischsprachiger Siedler im Westen bzw. im Osten der Stadt mit zum Teil eigenen Verwaltungsstrukturen gab in gewisser Weise bereits die Konturen der ethnischen Gemeinschaften vor. Von den ca. 1162 Einwohnern, die Esperanza bei Gründung im Jahr 1856 aufwies, wurden laut Konzessionsregister 609 der deutschen Sektion zugeordnet. Es handelte sich dabei vor allem um Schwei-
81 | Vgl. Abbildung C2. Die fünfte Sektion im Norden der Stadt ist in diesem Plan noch nicht verzeichnet. 82 | Vgl. Datenauswertung bei: Lanciotti 2003, 394-397. 83 | Vgl. Lanciotti 2003, 397.
116 | KAPITEL III. VEREINSWESEN IN ROSARIO UND ESPERANZA
zer und Einwanderer aus den deutschen Staaten.84 Mit 56 der insgesamt 77 registrierten evangelischen Familien stellte diese Gruppe auch die Mehrheit der Protestanten Esperanzas. Davon stammten 25 aus Deutschland, vor allem aus dem Großherzogtum Hessen, die restlichen aus der Schweiz. Hinzu kamen 55 deutschsprachige katholische Familien.85 Bis zur Jahrhundertwende vermehrte sich die Einwohnerzahl Esperanzas um das Sechsfache. Der Anteil der Deutschen nahm gleichwohl ab, u.a. weil neue Einwanderergruppen – insbesondere Italiener – sich verstärkt hier niederließen und die weitere deutsche Zuwanderung vergleichsweise gering ausfiel. War Mitte der 1860er Jahre noch etwa jeder dritte bis vierte Bewohner Esperanzas in Deutschland geboren worden, war es 1887 nur noch jeder zehnte. Die absolute Zahl der vom Zensus erfasst Deutschen schwankte in dieser Zeit zwischen rund 300 und 460 Personen. Über die tatsächliche Größe der deutschen »Kolonie« geben diese Zahlen aber nur in begrenztem Maße Auskunft, da die Kinder deutscher Eltern und »Naturalisierte« in den offiziellen Statistiken als Argentinier geführt wurden.86 Die ersten Generationen konzentrierten sich auf die Bewirtschaftung des Landes, welches die Provinzregierung zur Verfügung gestellt hatte. Dieses Parzellensystem, das einerseits Wohnraum und Arbeitsumgebung der Siedler vereinte, andererseits durch große räumliche Entfernungen dezentrale Ortsstrukturen schuf, sollte sich als Entwicklungshindernis erweisen. Auf seiner Reise durch die neue Siedlung bemerkte schon der deutsche Pastor Schweinitz aus Buenos Aires 1857: »Für den Ackerbau mag es sehr vortheilhaft [sic] sein, daß jeder sein Feld so nahe hat, aber für Bildung einer Gemeinde [. . . ], für Schulwesen und Polizei, für Geselligkeit und gegenseitige Unterstützung ist eine solche Auseinanderstreuung [sic] gewiß sehr nachtheilig [sic].«87
Noch im ausgehenden 19. Jahrhundert begann das Land um Esperanza knapp zu werden.88 Einzelne Parzellen oder Teile davon wurden veräußert. Der Landbesitz wurde immer kleinteiliger bzw. konzentrierte sich in den Händen wohlhabender Kolonisten. Vom Ertrag der vererbten Konzessionen konnten nicht 84 | Vgl. Grenón 1939, 122. Auch die Bewohner der französischen Sektion kamen vermutlich überwiegend aus der Schweiz (vgl. Grenón 1947, 25). 85 | Vgl. EGB, 13. Jg., Nr. 38 (18. September 1907), 449; Grenón 1939, 131-134. Detaillierte biografische Angaben zu den deutschen Konzessionsnehmern liefern: Hein/Bertotti 2002. Zum »Familien«-Begriff in Esperanza vgl. außerdem Kapitel II, 3.3.3. 86 | Berechnungen dieses Absatzes auf Grundlage der Zahlen bei: Grenón 1939, 137; 330; Grenón 1947, 89; 116f. 87 | EZA 5/2142, ohne BN. 88 | Vgl. Bjerg 2009, 57.
3. ENTSTEHUNG UND ORGANISATION | 117
alle der oft zahlreichen Nachkommen leben. Viele von ihnen mussten entweder auf umliegende Siedlungen ausweichen, um weiterhin in der Landwirtschaft tätig sein zu können, oder aber einen anderen Beruf ergreifen.89 Angesichts dieser Entwicklung auf der einen und der stetigen Zunahme der Einwohnerschaft und der Ernteerträge auf der anderen Seite, gewannen alternative unternehmerische Aktivitäten für Einheimische und Zuzügler an Attraktivität. Die anlaufende industrielle Produktion zielte folgerichtig vor allem auf technische Gerätschaften und die Verarbeitung von Agrarprodukten ab. So betrieb beispielsweise die Familie Bosch zusammen mit dem Schweizer Santiago Denner ab Mitte der 1880er Jahre eine Dampfmühle. Nicolás Schneider besaß eine große Eisengießerei und eine Fabrik für landwirtschaftliche Maschinen.90 Trotz der wirtschaftlichen Diversifizierung und beruflichen Streuung gehörte der Anbau von Agrarprodukten noch lange Zeit zu den wichtigsten Einkommensquellen für die Mehrheit der Einwohner Esperanzas. Im Gegensatz zu Rosario bildete sich in Esperanza nur ansatzweise eine dezidiert ethnische Infrastruktur heraus. Aus den 1890er Jahren sind die Sastrería Alemana von Augusto Zierenberg, die Zapatería Alemana von Federico Kraus und die Gaststätte Casa Germánica von N. Hisgen bekannt. Die Buchund Papierhandlung Carlos R. Müller hatte u.a. deutschsprachige Bücher und Kalender in ihrem Sortiment. Daneben bot sie Abonnements deutscher Unterhaltungsschriften wie Das Neue Blatt, Für alle Welt! oder Lustige Blätter an.91 Ein Bericht des Argentinischen Wochenblattes legt nahe, dass dennoch bestimmte Anlaufstellen für eine »germanische« Geselligkeit existierten: »In der That [sic]: Esperanza ist völlig germanisch. Deutsche und Schweizer sind weitaus der größte Teil der Bevölkerung: Hier wird beinahe nur deutsch und ›schwyzerdütsch‹ gesprochen. Als deutsche Stadt ist natürlich auch Esperanza mit recht vielen Wirthschaften [sic] beglückt. Der Germane ist selbstverständlich stets durstig und so gehen wir in Esperanza zu unserem Agenten Herrn Federico Eichenberger, ein Quader von der Plaza entfernt, wo wir stets einen guten Tropten und viele Gesellschaft [sic] antreffen, oder wir gehen zu einem ›Jaß‹ zu unserem Landsmanne Zollinger, wo uns ein billiger und guter ›Schlau‹-Schoppen winkt, oder aber knobeln in der Confiteria [sic] von Christen an der Plaza Einen aus und haben wir 89 | Vgl. EZA 5/2143, ohne BN (Jahresbericht der Evangelischen Kirchgemeinde Esperanza von Pastor Koch an den EOK in Berlin vom 1. Dezember 1901). 90 | Vgl. EGB, 11. Jg., Nr. 514 (3. Mai 1905), 11; Grenón 1945, 165; Hoffmann 1979, 98. 91 | DWÜ, 1. Jg., Nr. 8 (18. Juni 1893), ohne SZ; 2. Jg., Nr. 58 (22. Juli 1894), ohne SZ; Nr. 182 (19. Juli 1896), ohne SZ; 3. Jg., Nr. 199 (14. März 1897), ohne SZ. Daneben hatte die Buchhandlung Müller auch französische, italienische und spanische Publikationen im Angebot.
118 | KAPITEL III. VEREINSWESEN IN ROSARIO UND ESPERANZA
dann noch Durst, so verfügen wir uns in das deutsche Vereinshaus, wo wir bei Herrn Richter sicher einen dritten Mann zum Skat erbitten und einen schäumenden Humpen finden. Von dort aus würden wir alsdann, wenn es nicht allzuweit entfernt wäre, auch noch in das Schweizer-Vereinshaus gehen, wo Herr Engelmann uns in seiner zuvorkommenden Art noch ›Einen‹ kredenzen würde.«92
In den meisten Fällen blieben ethnische Merkmale im deutschen Geschäftsleben aber ohne besondere Betonung. Die geringe Größe der Siedlung und die nationale Heterogenität der Einwohnerschaft ließen solch exklusive Tendenzen nicht zu. Eine deutsche konsularische Vertretung bestand in Esperanza ebenfalls nicht. Bis zur Einrichtung eines entsprechenden Vizekonsulats in Santa Fe 1906 waren die Vertretungen in Rosario und Buenos Aires Hauptansprechpartner bei Anfragen und Konflikten.93 In der Gesamtschau gehörten Faktoren wie das Vorhandensein einer ethnischen Basis und die erfolgreiche wirtschaftliche Integration der Einwanderer zu den Voraussetzungen für die Etablierung dauerhafter Organisationsstrukturen. Während sich im urbanen Umfeld Rosarios das wohlhabende deutsche Bildungsbürgertum – Kaufleute, Unternehmer, Ärzte, führende Angestellte – bald als gestaltende Akteure eines recht homogenen Gemeinschaftswesens herauskristallisierten, überwogen in der Agrarkolonie Esperanza zunächst kleinbürgerliche bis bäuerliche Schichten, die über begrenzte ökonomische Mittel verfügten und eine größere ethnische und nationale Heterogenität aufwiesen. Die sozialen Unterschiede zwischen den Gemeinschaften und die Verschiedenartigkeit ihrer Lebenswelten wirkten sich nachhaltig auf Form, Wesen und Umfang ihrer Vereinstätigkeit aus.
3.2 Phasen, Typen, Dimensionen Die Formationsphase des deutschen Vereinswesens setzte unmittelbar nach Ankunft der ersten Kolonisten in Esperanza bzw. mit der signifikanten Zunahme der deutschsprachigen Einwanderung in Rosario zwischen Mitte der 1850er und Ende der 1860er Jahre ein. Verschiedene Faktoren bewirkten in den folgenden Jahrzehnten an beiden Orten die Entstehung einer – gemessen an der Größe der Gemeinschaften und der Aktivität anderer Einwanderergruppen – überaus vielfältigen Vereinslandschaft. Für Esperanza sind bis Anfang 92 | AW, 17. Jg., Nr. 840 (29. März 1894), ohne SZ. Das optimistische Bild des »völlig germanischen« Esperanza entsprach bereits bei Drucklegung des Artikels nicht mehr der Realität, da u.a. die Zahl italienischstämmiger Einwohner gegen Ende des 19. Jahrhunderts deutlich zunahm. 93 | Vgl. Tabelle A2.
3. ENTSTEHUNG UND ORGANISATION | 119
der 1930er Jahre 13, für Rosario 37 Gründungen mit deutschem Hintergrund belegt.94 Im innerargentinischen Vergleich ordnete sich die Provinz Santa Fe damit direkt hinter der Hauptstadt Buenos Aires ein.95 Die ersten deutschen Vereine entstanden aus dem Verlangen heraus, in der »Fremde« eine sprachliche und kulturelle Kontinuität zu den Ursprungsgesellschaften herzustellen. Ein weiteres zentrales Motiv war die Schließung von Versorgungslücken des argentinischen Staates im Bildungs- und Sozialbereich. In Esperanza gründeten protestantische Siedler aus deutschen und anderen Staaten 1857 gemeinsam die Evangelische Kirchgemeinde mit einer angeschlossenen deutschsprachigen Gemeindeschule. Die Einrichtung war zu diesem Zeitpunkt eine der ersten Schulen am Platz und empfing später staatliche Subventionen.96 In Rosario nahm das deutsche Vereinswesen 1868 auf kaufmännische Initiative mit dem Deutschen Hilfsverein seinen Anfang. Dieser bot seinen Mitgliedern Versicherungsleistungen im Krankheitsfall und unterstützte darüber hinaus »hilfsbedürftige Landsleute«.97 Ähnlich wie in Buenos Aires, folgte auf die Absicherung der religiösen, schulischen oder sozialen Versorgung der Aufbau kultureller Vereinigungen. Es gruppierten sich u.a. der Deutsche Gesangverein (1869) in Rosario und der Männer-Gesangverein (1870) in Esperanza, die zu den ältesten deutschsprachigen Gesangvereinen Argentiniens gehören.98 Die Größe und finanzielle Ausstattung der Gemeinschaften erlaubten allerdings keine grenzenlose Ausdehnung ihrer ethnischen Organisationsstrukturen. In den 1870er Jahren konnten sich in Esperanza nur die Allgemeine Kranken94 | Vgl. Grafiken B2 und B3. In den vorstehenden Übersichten werden Vereine berücksichtigt, die unter direkter deutscher Führung standen oder in denen zumindest ein wesentlicher deutscher Anteil bzw. Einfluss nachgewiesen werden kann. Österreichische und deutsch-schweizerische Vereine wurden hingegen nicht aufgenommen. Zu den Gründen vgl. Kapitel III, 4.1. Es sind zudem einige informelle Vereinigungen verzeichnet, die zumeist indirekt Spuren in der zeitgenössischen Presse oder den Quellen anderer Vereine hinterlassen haben. Naturgemäß ist die historische Rekonstruktion für solche Selbstorganisationen – auch durch die zeitliche Distanz – nicht vollumfänglich möglich, weshalb vor allem in Rosario von einer Anzahl weiterer, kleinerer Vereinigungen mit geringem Organisationsgrad ausgegangen werden kann, die zeugnislos geblieben sind. 95 | Das gilt umso mehr, wenn man auch die Vereine in den zahlreichen kleineren Kolonien – San Carlos, Humboldt, San Gerónimo, Roldán, Carcarañá, etc. – hinzurechnet, von denen gleichwohl viele eine sehr gemischte Mitgliederbasis bzw. einen starken schweizerischen Einschlag hatten. 96 | Vgl. EGB, 14. Jg., Nr. 48 (25. November 1908), 567; Zorzin 2009, 36f. Vgl. dazu ausführlicher: Kapitel V, 3.2.2 dieser Arbeit. 97 | Vgl. Elsner 1932, 191-193. 98 | Weiterhin existierte ein Gemischter Chor (1865) in Esperanza, welcher offenbar mit der Evangelischen Kirchgemeinde in Verbindung stand.
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kasse und der Deutsche Verein (beide 1875) etablieren, Rosario sah in dieser Zeit keine weitere deutsche Vereinsgründung. Erst das Einsetzen der europäischen Massenimmigration und die positiven wirtschaftlichen Rückwirkungen der argentinischen Entwicklungspolitik in den 1880er und 1890er Jahren gaben den Anstoß zu einer Verbreiterung und thematischen Diversifizierung des Vereinswesens in diesen Orten. Charakteristisch für diese Phase um die Jahrhundertwende, die Moya in weltweiter Perspektive als Zeit des »hyperasociacionismo«99 bezeichnet, ist die Entstehung deutscher Vereinsschulen v.a. im Grundschulbereich. Sie positionierten sich in direkter Konkurrenz zu den kirchlichen Unterrichtsangeboten und entwickelten sich zu dauerhaften Fixpunkten der jeweiligen Gemeinschaft.100 In den ländlichen Ausläufern Esperanzas richteten deutsche Kolonisten für ihre Kinder die Nordwestschule (1888) und die Südwestschule (1889) ein, im Stadtzentrum vereinigten sich verschiedene Schulinitiativen 1901 zur sogenannten Stadtschule. Der Deutsche Schulverein von Rosario stellte nach 1892 die deutschsprachige Unterrichtsversorgung von Mittelschichtkindern sicher, während sich der Deutsch-Argentinische Schulverein (Barrio Talleres) (1900) als Hauptzweig des Germanischen Arbeiter Unterstützungs-Vereins auf die Ausbildung deutschstämmiger Arbeiterkinder konzentrierte. Auch in anderen Vereinsbereichen wirkten sich die günstigen Rahmenbedingungen belebend aus. Mehr als ein Drittel der bis Anfang der 1930er Jahre in Rosario und Eperanza gegründeten Selbstorganisationen formierte sich in den Jahren zwischen 1880 und 1901. Zu den vier Vereinsschulen in Esperanza traten nur noch der wohltätige Evangelische Frauenverein (1887) und der Katholische Männerverein (1894). Rosario hingegen verzeichnete einen veritablen Vereinsboom mit einer breiten thematischen Streuung. Im genannten Zeitraum entstanden der Deutsche Verein (1885) und die Deutsche Evangelische Gemeinde (1894), beides zentrale Sammlungsorte der »Kolonie« und Ausgangspunkte für weitere Gründungen. Daneben wurden nicht weniger als fünf Gesangvereine und Chöre aktiv, darunter der Deutsche Gesangverein »Lyra« (1892) und der traditionsreiche Deutsche Männerchor (1895).101 99 | Moya 2005, 18. Moya hatte bereits in seiner Studie über spanische Einwanderer in Buenos Aires darauf hingewiesen, dass zahlreichen Einwanderergruppen in unterschiedlichen amerikanischen Ländern eine besondere Neigung zur Vereinsbildung nachgesagt wurde (vgl. Moya 1998, 277). Das legt den Schluss nahe, dass es sich um kein spezifisch ethnisches oder nationales Phänomen handelte, sondern um ein zeittypisches Charakteristikum migrantischer Gemeinschaften in den Amerikas. 100 | Vgl. Kapitel IV dieser Arbeit. 101 | Zu den weiteren Chorvereinigungen zählten der Gesangverein »Harmonie« (1891), der Gesangverein »Concordia« (1900) und der Kirchenchor der Deutschen Evangelischen Gemeinde (1900).
3. ENTSTEHUNG UND ORGANISATION | 121
Als erste Berufsvereinigung gründete sich 1885 der vermutlich kurzlebige Deutsche Handwerker Verein. Ihm folgte 1900 die Pädagogische Vereinigung »Union«, die Lehrer deutscher Schulen aus der Provinz Santa Fe versammelte. Außerdem wurden der Deutsche Theaterverein (1896), die Freimaurerloge »Libertas« (1901) und der karitative Frauenverein »Auxilio« (1892) ins Leben gerufen.102 Nach 1900 führte die geringe deutsche Zuwanderung in Esperanza zu einem abrupten Ende der Vergemeinschaftung. Es wurden keine weiteren deutschen Vereinsgründungen vollzogen. Auch in Rosario trat eine Sättigungseffekt ein, stand doch die Zahl von wenigstens 13 parallel agierenden Vereinen bereits um 1900 in keinem Verhältnis mehr zur Größe der örtlichen deutschen Gemeinschaft. Bis zum Ersten Weltkrieg verlangsamte sich folgerichtig das Wachstum des Vereinswesens. Für diese Phase lassen sich nur fünf Neugründungen in Rosario nachweisen, drei davon in enger organisatorischer Verbindung mit bereits bestehenden Vereinen. Im Einzelnen handelte es sich um den Deutschen Militärverein (1904), den Männerchor des Germanischen Arbeiter UnterstützungsVereins (1905), den Gemischten Kegelverein »Alle Neune« (1907) im Deutschen Verein, die kirchennahe Deutsche Armenpflege (Verein gegen Hausbettelei) (1910) und den Gemischten Chor (1914). Der Ausbruch des Ersten Weltkrieges wirkte sich nachhaltig auf die deutsche Vergemeinschaftskultur in Argentinien aus. Zum einen stürzten die negativen wirtschaftlichen Folgen viele Vereine in die Krise, andererseits intensivierte der Krieg als Katalysator die deutschen Vereinsaktivitäten. Dabei verlief die Entwicklung in den städtischen und ländlichen Siedlungen durchaus unterschiedlich. Während in Esperanza vor allem die bereits existierenden Vereine eine rege Tätigkeit entfalteten, kam es in Rosario zwischen 1914 und 1919 aus denselben Motiven zu einer signifikanten Verbreiterung des Vereinswesens.103 Von den acht Vereinen, die in dieser Zeit in Rosario gegründet wurden, standen sechs in direktem Zusammenhang mit dem Kriegsgeschehen. Der DeutschÖsterreichisch-Ungarische Hilfsausschuß (1914), der Vaterländische Frauenverein (1914), der Patriotische Chor (1915) und die Deutsche Frauenhilfe (1919) widmeten sich der wohltätigen Unterstützung Deutschlands. Der Kegelklub »U9« (1915) und die Ortsgruppe (1916) des landesweit agierenden Deutschen Volksbundes für Argentinien (DVA) ergingen sich in der patriotischen Verklärung deutscher Erfolge bzw. leisteten lokale »Deutschtums«-Arbeit. Lediglich der Deutsche Hospitalverein und die Ortsgruppe des Wissenschaftlichen Ver102 | Die Hochzeit der deutschen Vereinsgründungstätigkeit wurde in den santafesinischen »Kolonien« durchaus kritisch reflektiert wie ein satirisches Stück des Gesangvereins »Harmonie« aus San Carlos Sud, einem Nachbarort Esperanzas, zeigt (vgl. Dokument D1). 103 | Vgl. dazu ausführlicher: Kapitel III, 4.4 der vorliegenden Arbeit.
122 | KAPITEL III. VEREINSWESEN IN ROSARIO UND ESPERANZA
eins Buenos Aires (beide 1915), kamen vordergründig ohne Kriegsbezüge aus. Mit mindestens 18 zur selben Zeit bestehenden Organisationen markierten die Jahre von 1915 bis 1917 den Höhepunkt des deutschen Vereinswesens in Rosario. Die Wirkung der deutschen Niederlage und die nach wie vor akuten wirtschaftlichen Probleme vieler Mitglieder sorgten in den 1920er Jahren in Rosario für einen Rückgang der Vereinstätigkeit. Besonders Vereine mit geringem finanziellen Spielraum und sämtliche patriotisch-wohltätigen Organisationen, die aus der allgemeinen Kriegseuphorie hervorgegangen waren, lösten sich auf. Bis 1930 wurden nur fünf neue Vereine gegründet: die Germanisch-Republikanische Vereinigung (1922), der Deutsche Turn- und Sportverein (1925), die Sociedad Cultural Alemana Argentina (SCAA) (1927), der Verein ehemaliger Schüler der Deutschen Schule (1930) und der Deutsche Handwerkerbund (1930). Die Gesamtgröße des Vereinswesens in Rosario verringerte sich kontinuierlich bis Mitte der 1920er Jahre und erreichte auch danach nur knapp das Vorkriegsniveau. In Esperanza waren ähnliche Auflösungserscheinungen zu beobachten. Bis 1931 wurden alle drei deutschen Schulen aus finanziellen Gründen geschlossen bzw. in öffentliche Bildungseinrichtungen umgewandelt. Neue Vereinigungen kamen in diesem Zeitraum nicht hinzu. Erst der Einfluss des Nationalsozialismus gab der Entwicklung des Vereinswesens – vor allem in Rosario – nach 1933 neue Impulse.
3.3 Organisationsformen Die Organisationsformen der Vereine in Rosario und Esperanza orientierten sich von Beginn an wesentlich am deutschen Vorbild, sei es bei der Namenswahl, der Zusammensetzung des Vorstandes oder internen Abläufen. Selbst Schulen und Kirchgemeinden übernahmen die charakteristische Gliederung. Aufgebrochen wurde die vom Vereinstyp weitgehend unabhängige strukturelle Uniformität lediglich vom Grad der Formalität. Während die mitgliederstarken Vereine eine große organisatorische Dichte aufwiesen und zum Teil die »personería jurídica«104 besaßen, waren viele der kleineren Vereinigungen in einem weit geringerem Maße formalisiert und neigten entsprechend weniger zur Herausbildung fixer Ämter oder turnusmäßiger Entscheidungsroutinen.
104 | Um als juristische Person auftreten und beispielsweise Grundstücke erwerben zu können, mussten die Vereine die »personería jurídica« erlangen. Die Genehmigung bei der Provinzregierung in Santa Fe war an verschiedene Bedingungen geknüpft, die sich im Laufe der Zeit änderten. Anfang des 20. Jahrhunderts mussten etwa die Statuten ins Spanische übersetzt und von einem Revisor geprüft und gegebenenfalls erweitert werden.
3. ENTSTEHUNG UND ORGANISATION | 123
Der grundsätzliche Aufbau der formellen Vereine war in Statuten oder Satzungen festgeschrieben, den wichtigsten konstituierenden Dokumenten. Zunächst vor allem handschriftlich niedergelegt, wurden diese seit dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts zur weiteren Verbreitung zunehmend als Druckschriften veröffentlicht. Die ersten Paragraphen beinhalteten in der Regel Gründungsdatum und -ort und umrissen kurz den grundlegenden Charakter und die angestrebten Ziele des Vereins. Dem schlossen sich die Voraussetzungen für eine Mitgliedschaft, die Festsetzung der regelmäßig zu entrichtenden Beiträge und die Vorstellung der Vorstandsämter mit ihren Rechten und Pflichten an. Ein weiterer Teil befasste sich mit den regelmäßigen Versammlungen, den Wahlmodi und der Gewährung der aktiven und passiven Wahlberechtigung. Schlussendlich wurden die Umstände geregelt, die zum Ausschluss einzelner Mitglieder und zur Auflösung des Vereins führten. Die Statuten und ihre praktische Umsetzung im Vereinsalltag folgten einem festen Schema, das sich auf die meisten der hier behandelten Fälle übertragen lässt. Variationen ergaben sich aus Unterschieden in der thematischen Ausrichtung der Selbstorganisationen sowie in Detailaspekten. Ein Vereinsjahr beispielsweise nahm am 1. April seinen Anfang und reichte bis zum 31. März des Folgejahres. Es schloss mit einer Generalversammlung, in der der Vorstand den Mitgliedern Bericht erstattete. Weiterhin wurden zu diesen Terminen vakante Ämter per einfachem Mehrheitsentscheid besetzt und Grundsatzfragen diskutiert und abgestimmt. In der übrigen Zeit lag die Entscheidungsgewalt beim Vereinsvorstand, der außerdem Verwaltungsaufgaben übernahm und zu regelmäßigen Sitzungen zusammentrat. In Angelegenheiten von besonderer Wichtigkeit musste eine außerordentliche Generalversammlung einberufen werden. Die Leitung des Vorstandes lag im Verantwortungsbereich des Präsidenten bzw. des ersten Vorsitzenden, der repräsentative Funktionen innehatte, den Schriftverkehr abzeichnete und bei Abstimmungspatts häufig den Ausschlag gab. Als seine Vertretung wurde ein Vizepräsident bzw. zweiter Vorsitzender gewählt. Ein Schriftwart erledigte die Korrespondenz, führte bei den Sitzungen Protokoll und leistete teilweise zusammen mit dem Präsidenten seine Unterschrift auf wichtigen Dokumenten. Der Kassenwart war für die Buchführung und die Vereinskasse zuständig und musste darüber jederzeit Rechenschaft ablegen können. Hinzu kamen sogenannte Beisitzer mit verschiedenen Aufgabenbereichen und eine Anzahl gewählter Ersatzmänner, die bei Ausfällen in den Vorstand nachrückten. Alle Vorstandsmitglieder mussten in der Regel ein bestimmtes Alter und eine bestimmte Mitgliedsdauer erreicht haben, um von der Generalversammlung für diese Ämter aufgestellt werden zu können.
124 | KAPITEL III. VEREINSWESEN IN ROSARIO UND ESPERANZA
Die Finanzierung der Vereine erfolgte vor allem über die Mitgliedsbeiträge, die in aller Regel den satzungsgemäßen Betrieb sicherstellen konnten. Deutsche Kirchen- und Schulvereine erhielten darüber hinaus regelmäßig Subventionen und Sachspenden von verschiedenen Instanzen in Deutschland. Vor allem in der Initiationsphase der santafesinischen Kolonisation profitierten deutsche Schulen außerdem von Mitteln der Provinzregierung.105 Besonders kostenintensive Vereinsvorhaben, wie der Ankauf von Grundstücken oder der Bau eines Vereinshauses, wurden häufig über viele Jahre hinweg mittels Spendensammlungen, Benefizveranstaltungen oder Aktienausgaben gemeinschaftlich realisiert. Den Ausschlag gaben nicht selten erhebliche Kredite oder Bürgschaften von wohlhabenden Vertretern der »Kolonie«. Die genannten Strategien kamen auch bei finanziellen Engpässen oder dem Schuldenabbau zum Einsatz. Mehr noch als die innere Struktur, die sich auf durchaus ähnliche Weise in den Vereinen anderer Einwanderergruppen wiederholte106 , verwiesen die äußere Form und die Aktivitäten des deutschen Vereinswesens in Rosario und Esperanza auf seine kulturhistorischen Ursprünge. Wie auch in Deutschland setzte sich eine äußerst kleinteilige Vereinslandschaft durch. Während andere Gemeinschaften in Argentinien dazu neigten, bestehende ethnische Selbstorganisationen durch kulturelle oder sportliche Unterabteilungen zu erweitern, waren im deutschen Fall Neugründungen typisch.107 Das traf insbesondere auf Gesang- und Sport- bzw. Turnvereine zu, deren große Bedeutung im Ausland sich u.a. aus ihrer Rolle im deutschen Nationswerdungsprozess speiste. Selbst wenn sich die Mitgliederbasis weitgehend mit der anderer Vereine deckte, sah 105 | Vgl. zur Unterstützung deutscher evangelischer Gemeindeschulen: Kapitel V, 3.2.2 dieser Arbeit. 106 | Vgl. für ähnlich gelagerte Beispiele aus dem spanischen und italienischen Vereinswesen Rosarios: Megías 1996, 101-114. 107 | Die Vereinsentwicklung in den europäischen Einwanderergemeinschaften Argentiniens lässt sich allerdings nicht prototypisch darstellen. Vergleicht man etwa das deutsche und das spanische Vereinswesen in Rosario offenbaren sich grundlegende Unterschiede. Spanische Einwanderer unterhielten ein wesentlich kompakteres Netz an Selbstorganisationen. In Rosario war der Club Español die zentrale Einrichtung, in der spanische Kultur und Geselligkeit in eigenen Abteilungen gepflegt wurden. Daneben existierten noch die »mutuales«, die weit verbreiteten ethnischen Versicherungsvereine, die ebenfalls kulturell tätig waren. Besonders nach 1900 mündete der starke spanische Regionalismus in separaten baskischen, katalanischen, etc. Organisationen. Zwischen 1902 und 1922 wurden zehn verschiedene dieser »centros regionales« in Rosario gegründet, um für den Erhalt der spanischen Regionalsprachen und -kulturen zu wirken. Spanische Vereinsaktivitäten im kirchlichen und schulischen Bereich sind hingegen für den Untersuchungszeitraum nicht nachweisbar (vgl. Fischer 2009, 260; Fernández 2010, 165; Fernández 2008, 471; 475f.; Devoto/Fernández 1990, 136; Instituto de Cultura Hispánica de Santa Fe 1989, 19; Miragaya/Solanes 1934, 187-190). Für eine Übersicht spanischer Vereine in Rosario vgl. Megías 1996.
3. ENTSTEHUNG UND ORGANISATION | 125
man von Neugründungen nicht ab. Mitgliedschaften in mehr als einem Verein waren keine Seltenheit. Ungeachtet der Vereinsvielfalt und der daraus resultierenden eng umgrenzten thematischen Ausrichtung einzelner Organisationen, war ihr Aufgabenspektrum keineswegs zementiert. Viele verfolgten mehrere Ziele, veränderten ihren Wirkungsbereich im Laufe der Zeit und widersetzen sich so einer eindeutigen Kategorisierung. Der Deutsche Verein in Esperanza etwa verstand sich in erster Linie als Geselligkeitsverein, agierte aber zeitweise auch als Krankenkasse für seine Mitglieder. Der Germanische Arbeiter Unterstützungs-Verein aus Rosario begann als Hilfsverein zur Vermittlung deutschen Unterrichts an Arbeiterkinder und zur Unterstützung hilfsbedürftiger Einwanderer. Später betrieb er als Schulverein eine angeschlossene private Lehranstalt, um sich schließlich in einen Geselligkeits- und Kulturverein zu verwandeln.
3.4 Akteure Sowohl in Rosario als auch in Esperanza prägte eine überschaubare Anzahl von Akteuren die örtliche Vereinsentwicklung. Sie initiierten neue Vereinsprojekte, übernahmen leitende Posten oder stützten die Selbstorganisationen mit privaten finanziellen Mitteln. Trotz der im Kern demokratischen Organisationsstrukturen bildeten sich auf diese Weise interne Hierarchien heraus, die offen im Vereinsalltag zutage traten und den organisatorischen ebenso wie den ideologischen Kurs der Vereine beeinflussten. Die Zusammensetzung und der Charakter dieser Führungsschicht in den hier behandelten städtischen und ländlichen Milieus weist im Vergleich zahlreiche Gemeinsamkeiten, aber auch Unterschiede auf. Einige Lebensläufe und Zusammenhänge seien im Folgenden exemplarisch vorgestellt. Die zunächst bestimmenden Akteure des deutschen Vereinswesens in Rosario entstammten dem gehobenen Bürgertum. Mitgliederlisten und Vorstandsprotokollen zufolge war die recht homogene Führungsriege mehrheitlich von Reichsdeutschen besetzt.108 Es handelte sich vor allem um Kaufleute und Unternehmer, die oft als junge Männer in Argentinien eingewandert und dort zu erheblichem Wohlstand und Ansehen gekommen waren. In vielen Fällen migrierten sie über verschiedene Stationen nach Südamerika und förderten die Nachwanderung weiterer Familienmitglieder. Von ihnen gingen die ersten 108 | Österreicher und Schweizer blieben im deutschen Vereinswesen Rosarios stets in der Minderheit und drangen nur vereinzelt bis in die Vorstände vor. Das lässt sich zum einen durch parallele schweizerische und österreichische Vereinsstrukturen, zum anderen durch Beitrittsbeschränkungen erklären. Am durchlässigsten waren deutsche Schulen und Kirchen, die, unter gewissen Voraussetzungen, z.B. auch Skandinavier oder Holländer als Mitglieder aufnahmen. Vgl. dazu Kapitel IV, 4.2 und 4.4.
126 | KAPITEL III. VEREINSWESEN IN ROSARIO UND ESPERANZA
Vereinsinitiativen aus, die das organisierte ethnische Gemeinschaftswesen der deutschen »Kolonie« in Rosario begründeten. Die Biografien dieser Einwandererelite zeigen aber auch, dass sie sich – ganz unabhängig von ihrer Herkunft und jenseits der Grenzen separierter ethnischer Gemeinschaften – als Teil einer neuen Stadtgesellschaft verstand. Schon die erste deutsche Gründung in Rosario, der Deutsche Hilfsverein von 1868, verweist auf zwei zentrale Akteure der folgenden Jahrzehnte: Wilhelm »Wöltje« Tietjen und Engelbert Tietjen. Auf einer Feier anlässlich des 55. Jahrestages der Völkerschlacht bei Leipzig regte der Kaufmann und Konsul Wöltje Tietjen die Einrichtung eines »Hülfsverein« an, der wenig später mit 27 Mitgliedern zustande kam. Sein Bruder Engelbert wurde von der Generalversammlung zum ersten Präsidenten gewählt.109 Die Tietjens stammten aus Bremen und waren in den 1850er Jahren nach Amerika übergesetzt, um sich schließlich in Rosario niederzulassen. Gemeinsam betrieben sie unter anderem ein Exportgeschäft und verschifften Wolle und Häute nach Deutschland. Anfang der 1870er gründeten sie auf ihrem Landbesitz nahe Cañada de Gómez die Kolonie »Hansa« mit deutschen und skandinavischen Siedlern. Beide übernahmen darüber hinaus konsularische Vertretungen, die damals vor allem der Wirtschaftsförderung dienten: Engelbert Tietjen trat in den 1880er Jahren als Konsul der skandinavischen Staaten auf, Wöltje Tietjen war seit Mitte der 1860er Jahre Konsul Preußens und später des Norddeutschen Bundes sowie des Deutschen Reichs.110 Auf diese Weise fanden die Tietjens bald Zugang zur Rosariner Handelselite und drangen in hohe Ämter vor. Engelbert Tietjen war etwa in der 1884 gegründeten Bolsa de Comercio aktiv und stand dieser zeitweise als Präsident vor. Außerdem wirkte er im Vorstand des Agrarwirtschaftsverbandes Sociedad Rural Santafesina.111 Die hervorgehobene Stellung der Tietjens im wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Leben der Stadt stand im Einklang mit ihrem Einfluss in der deutschen Gemeinschaft. In vielen Vereinen gehörten sie zu den treibenden Kräften und maßgeblichen finanziellen Förderern. Wöltje Tietjen hatte lange Jahre das Amt des Präsidenten der Deutschen Evanglischen Gemeinde inne. In dieser und anderen Vorstandsfunktionen war er auch im Deutschen Schulverein und dem Deutschen Verein aktiv und arbeitete in diversen Bau- und Festkommissionen mit. Neben den genannten Vereinen unterstützte er auch die deutsche Arbeiterschule im Talleres-Viertel mit großzügigen Spenden, Darlehen und Bürgschaften. Zudem verwaltete er Besitztitel von Vereinigungen ohne »per109 | Vgl. Elsner 1932, 64f.; 191f. 110 | Vgl. Tabelle A2. 111 | Vgl. zu den Lebensdaten: Elsner 1932, 63; 107-109; 123-125; Hagedorn 1944, 8; De Marco/Ensinck 1984, 23; 25; Sarramone 2009, 134; Brandt/Pommerenke 1901, 3.
3. ENTSTEHUNG UND ORGANISATION | 127
sonería jurídica«, wie der Kirchgemeinde. Schließlich wurde er von beiden deutschen Schulvereinen zum Ehrenmitglied ernannt. Engelbert Tietjen war bis zu seinem Tod im Dezember 1909 mehrmals Präsident und später Ehrenmitglied des Deutschen Vereins. Neben seiner Vorstandstätigkeit im Deutschen Hilfsverein agierte er u.a. als zweiter Vorsitzender des Deutschen Schulvereins, als Beisitzer des Deutsch-Englischen Hospitalvereins und als Gründungsmitglied des Gesangvereins »Lyra«. Er tat sich ebenfalls zu vielen Gelegenheiten als Vereinsmäzen hervor. Waren die Tietjens das paradigmatische Beispiel für die Vereinsaktivitäten der deutschen Kaufmannschaft Rosarios, kann die Familie Werner stellvertretend für das industrielle Unternehmertum stehen. Unter den drei Brüdern Werner ragt Emil R. Werner als prägende Persönlichkeit des deutschen Vereinswesens hervor. 1859 im heutigen Lampertswalde112 , in Sachsen, als Sohn eines Getreidehändlers geboren, arbeitete er u.a. als Müllergeselle im thüringischen Mühlhausen. Nach dem Militärdienst wanderte er 1883 in die Vereinigten Staaten aus und war in der Mühlenindustrie von Kansas und Minnesota tätig. Desillusioniert von den wirtschaftlichen Möglichkeiten in den USA, zog er allerdings weiter nach Chile und schließlich 1885 nach Rosario, wo er als Geselle in der Coffin-Mühle begann. Bereits 1889 eröffnete Emil R. Werner seine erste eigene Mühle in der nahe gelegenen Ortschaft Casilda. Unter den günstigen Vorzeichen der europäischen Kolonisation und des landwirtschaftlichen Aufschwungs folgten acht weitere Mühlen in Santa Fe und jenseits der Provinzgrenzen, u.a. in San Urbano, Venado Tuerto, Río Cuarto, Villa Mercedes, General Villegas und General Pico. Seine Brüder – Arthur Robert Werner und Alwin Richard Werner – waren ihm in der Zwischenzeit nachgefolgt. Letztgenannter arbeitete im selben Gewerbe und wurde bald Geschäftsführer der Filiale in Rosario. Das Mühlenimperium wurde schließlich in die Aktiengesellschaft »Molinos Fénix« mit Hauptsitz in Rosario überführt. 1921 übernahm Emil R. Werner zudem das Amt des örtlichen Konsuls des Deutschen Reichs.113 Werner war Mitglied der wichtigsten lokalen deutschen Organisationen – dem Deutschen Verein, dem Deutschen Schulverein und der Deutschen Evangelischen Gemeinde. Im Gegensatz zu den Tietjens und seinem Bruder Richard, der im Gemeindevorstand wirkte, stand er aber offenbar nicht für Vorstandsämter zur Verfügung. Sein Beitrag zum Vereinswesen bestand vor allem in regelmäßigen Großspenden, Bürgschaften, Ehrenämtern, etc., u.a. zugunsten des Deutschen Turn- und Sportvereins, des Deutschen Männerchors und der 112 | Der Ort war im 19. Jahrhundert u.a. auch unter dem Namen »Lamprechtswalde« bekannt (vgl. Elsner 1936, ohne SZ). 113 | Vgl. Tabelle A2.
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Sociedad Cultural Alemana Argentina. Die gesamte Familie Werner trat zudem in besonderer Weise als Unterstützerin von Schule und Gemeinde auf. In Anerkennung seiner Verdienste wurde ihm die Ehrenmitgliedschaft im Turnverein sowie der Ehrenvorsitz des Deutschen Vereins und des Deutschen Schulvereins angetragen.114 Das große Engagement von Teilen der deutschen Einwandererelite für das Vereinswesen darf aber nicht als bloßes Zeichen ethnischer Segregation gewertet werden. Es war vielmehr ein Teilaspekt einer neuen Bürgerlichkeit, die sich in Argentinien infolge der massiven Zuwanderung aus Europa herausgebildet hatte und sich keineswegs durch nationale oder ethnische Grenzziehungen einengen ließ. Denn andererseits bewegten sich die deutschen Akteure auch in argentinischen und den Kreisen anderer Einwanderergemeinschaften und entfalteten dort ganz ähnliche Aktivitäten. Die Familie Tietjen etwa beteiligte sich an Wohltätigkeitsvereranstaltungen des Club Social und war über die Frau von Wöltje Tietjen mit den Damas de Beneficencia in Rosario verbunden.115 Die im deutschen Vereinswesen überaus aktiven Alwin Schneider und Curt Erdfehler gehörten 1912 zu den Gründungsmitgliedern der bedeutenden Kulturvereinigung El Círculo.116 Noch eindrücklicher aber belegt das Beispiel des Arztes Moritz Hertz die häufig fließenden Grenzen zwischen den Gemeinschaften.117 Der 1820 in Kiel geborene Hertz, Sohn eines Arztes aus Potsdam, wanderte bereits in den 1840er Jahren nach Argentinien aus. Nach einem mehrjährigen 114 | Vgl. für die vorangegangenen drei Absätze: Elsner 1936, ohne SZ; Hagedorn 1944, 12f. An dieser Stelle ist lediglich Raum für einige ausgewählte Biografien. Die Reihe einflussreicher Vereinsakteure ließe sich um Rudolf O. Schmidt, Wilhelm O. Schneider, Carl Luchtenberg, Albert von Rosenberg-Lipinsky, Alwin Schneider, Hermann Amelong, Max F. Bohm, Hermann Schlieper, Ferdinand Kessler, Paul Wiedenbrüg, uvm. erweitern. Mit der Rolle deutscher Pfarrer und Lehrer im Vereinswesen werden sich die folgenden Kapitel eingehender beschäftigen. 115 | Vgl. EM, 5. Juli 1887, ohne SZ; 30. August 1887, ohne SZ. 116 | Vgl. Elsner 1932, 58. 117 | Es existierte durchaus eine gemeinsame Öffentlichkeit der europäischen Communitys in Rosario. Gesellschaftliche Ereignisse wurden in der Lokalpresse angekündigt und ausführlich besprochen. So berichtete die spanischsprachige Zeitschrift Gestos y Muecas im Oktober 1913 zunächst mit einer mehrseitigen Bilderstrecke vom Basar zugunsten des »Hospital Alemán« und anschließend vom Verlauf der »romerías españolas« (vgl. GM, 1. Jg., Nr. 7 (19. Oktober 1913), ohne SZ). Im November des Jahres widmete das Unterhaltungsblatt den Feierlichkeiten zum Jubiläum der Völkerschlacht bei Leipzig im Deutschen Verein einen Artikel (vgl. GM, 1. Jg., Nr. 8 (1. November 1913), ohne SZ). Die Vorgängerzeitschrift Monos y Monadas besaß einen ganz ähnlichen Fokus und dokumentierte sowohl die Besuche deutscher Würdenträger in den ethnischen Vereinen als auch katalanische Bälle oder den Baufortschritt des Krankenhauses der spanischen Gemeinschaft (vgl. MM, 1. Jg., Nr. 2 (19. Juni 1910), ohne SZ; Nr. 3 (26. Juni 1910), ohne SZ; Nr. 6 (15. Juli 1910), ohne SZ).
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Aufenthalt in Buenos Aires ließ er sich 1847 als erster ausländischer Arzt und einer der ersten Deutschen überhaupt im noch kaum entwickelten Rosario nieder. Dort fand er u.a. Anstellung in Militärhospitälern und war 1854 an der Begründung des Hospital de Caridad beteiligt. Während des Paraguay-Krieges trat er einen Freiwilligendienst als Militärarzt an und setzte danach seine Tätigkeit in Rosario als Polizeiarzt sowie im Deutsch-Englischen Hospital fort. Hertz war Mitglied und zeitweiliger Präsident des neu eingerichteten Tribunal de Medicina und des Primer Consejo de la Higiene. Besondere Verdienste als Mediziner erwarb er sich während der Cholera-Epidemien in den 1860er und 1880er Jahren. Er starb 1896 kurze Zeit nach seiner Pensionierung. Bemerkenswerter noch als seine berufliche Karriere war die Bandbreite von Hertz’ gesellschaftlichen Wirkungsstätten in Rosario. Nach langer Mitgliedschaft ernannte ihn der Deutsche Verein zu seinem ersten Ehrenmitglied. In den Vereinen von gleich drei weiteren lokalen Einwanderergemeinschaften war er als »socio« aktiv: der Sociedad Italiana Garibaldi, der ebenfalls italienischen Sociedad Unione e Benevolenza, der Sociedad Francesa und der Sociedad Suiza. Weiterhin gehörte er der Sociedad de Socorros Mutuos del F.C.C.A. und der Sociedad Protectora de la Educación an und engagierte sich u.a. im Colegio Nacional Rosarios. Wenngleich es oft an solch eindeutigen Beispielen fehlt, zeigt der Fall Hertz doch, dass die Vereine und »colectividades« der Einwanderer weit weniger abgeschlossen waren als gemeinhin angenommen und wie auch immer geartete Verbindungen durch Mehrfachmitgliedschaften durchaus im Bereich des Möglichen lagen.118 Personelle Kontinuitäten waren auch innerhalb des deutschen Vereinswesens zu beobachten. Pfarrer Gebhardt wertete 1914 die Mitgliederstatistiken von zwölf deutschen Vereinen in Rosario aus und kam zu dem Ergebnis, dass diese nur aus 333 Familien und 258 »Einzelnen« bestanden. Gemessen an den absoluten Zahlen mussten demnach viele Personen in mehreren Vereinigungen organisiert gewesen sein.119 Diese Beobachtung deckt sich mit Erkenntnissen aus der Auswertung von Protokollen und Jahresberichten. Häufig führten wenige Familien über viele Jahre oder gar mehrere Generationen einen Verein bzw. hatten wichtige Vorstandsposten inne. Die Vereinsaktivität eines Familienmitglieds, meist des männlichen Oberhauptes, zog oftmals andere Familienteile mit, die daraufhin ebenfalls vereinsmäßig tätig wurden. Das verweist einerseits auf das für Selbstorganisationen nicht untypische besondere Engagement einiger weniger Mitglieder, die bereit waren, die oft zeitund arbeitsintensiven Ämter zu übernehmen. Zum anderen lässt sich daraus 118 | Vgl. zu den biografischen Daten der vorangegangenen beiden Absätze: Gómez 1955, 687-690; Elsner 1932, 89f.; 183f. 119 | Vgl. Tabelle A3 und EGB, 20. Jg., Nr. 24 (10. Juni 1914), 333f.
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auch auf eingeschliffene Hierarchien und Machtverhältnisse schließen, die von neu Eingetretenen nur schwer überwunden werden konnten. Aus den Quellen vieler Vereine geht etwa hervor, dass die Stimmen von Ehrenmitgliedern besonderes Gewicht bei Versammlungen und Diskussionen hatten. Ebenso musste im internen Entscheidungsprozess auf Abhängigkeiten, wie sie etwa durch Schulden eines Vereins bei einzelnen Mitglieder zustande kamen, Rücksicht genommen werden. Den Akteuren des deutschen Vereinswesens in Esperanza lässt sich schwerer nachspüren, da nur wenige biografische Daten vorliegen. Die Zusammensetzung der Vereinsführungen unterschied sich im Vergleich zu Rosario deutlich. Dominierte dort das oft wohlhabendere Bildungsbürgertum, waren die Vorstände in Esperanza, der Bevölkerungs- und Wirtschaftsstruktur entsprechend, mit Mitgliedern kleinbürgerlicher und bäuerlicher Schichten besetzt. Stammten die Akteure in Rosario fast ausschließlich aus den deutschen Staaten bzw. aus dem Reich, fanden sich in Esperanza aus bereits genannten Gründen Angehörige verschiedener Nationen in gemeinsamen Vereinen zusammen. Insbesondere der Männer-Gesangverein, die Evangelische Kirchgemeinde und die deutschen Schulvereine vereinten u.a. Deutsche, Schweizer, Österreicher und zum Teil auch Franzosen. Anhand der verfügbaren Vereinsquellen lassen sich aber durchaus auch vergleichbare Tendenzen ausmachen. Die zahlreichen Überschneidungen bei den Mitgliedschaften und die oft starke Präsenz nur weniger Familien waren auch für das deutsche Vereinswesen in Esperanza kennzeichnend. Unter den überlieferten Namen in Protokollen und Jahresberichten finden sich besonders häufig die deutscher »familias fundadoras«: Schneider, Feller, Rossler, Heil, Neder, Schnell, Spies, Jennerich oder Rohrmann.
3.5 Netzwerke Die Blütezeit des deutschen Vereinswesens in Argentinien im ausgehenden 19. Jahrhundert wurde begleitet von einer zunehmenden institutionellen Vernetzung auf lokaler, regionaler, nationaler und internationaler Ebene, welche sich in den folgenden Jahrzehnten fortsetzte und teilweise noch intensivierte. Der gemeinsame Aktionismus stand vor allem im Zeichen geselliger, kultureller, sportlicher, wohltätiger und von Bildungszwecken. Unabhängig von seinen expliziten Zielrichtungen hatte der organisationsübergreifende Austausch vielfältige Effekte auf die Entwicklung der deutschen Gemeinschaften und nicht zuletzt auf die Konstruktion ethnischer und nationaler Identitäten. In den Vereinsnetzwerken realisierte sich u.a. die Tradierung deutscher Sprache, Kultur und Wertesysteme, die Entwicklung, Verstärkung
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bzw. Verbreitung eines Gemeinschaftsgefühls und die fortgesetzte Bindung der Einwanderer an Deutschland. Auf lokaler Ebene gestaltete sich die jeweilige Zusammenarbeit zwischen den Vereinen in Rosario und Esperanza besonders eng. Im stetigen Bewusstsein der gemeinsamen sprachlichen und kulturellen Wurzeln, mitunter verstärkt durch Überschneidungen in den Vorständen und den Mitgliederkreisen, etablierte sich in den deutschen Organisationen eine Art Selbstverpflichtung zu ethnischer Solidarität. Der Spielraum der erbrachten Leistungen war kaum begrenzt und richtete sich nach aktuellen Anlässen und Erfordernissen. Implizit schwang jedoch stets als Grundbedingung für die Unterstützung mit, dass der Gegenstand oder das Ereignis dazu angetan war, das »Deutschtum« vor Ort zu stärken. Zu den häufigsten Formen der Solidarisierung gehörte die Bereitstellung und die gemeinsame Nutzung von Vereinsinfrastruktur, denn nur die mitgliederstärksten Vereinigungen waren in der Lage, ein eigenes Lokal zu unterhalten. Der Deutsche Verein in Rosario überließ daher der Deutschen Schule, dem Deutschen Turn- und Sportverein und diversen anderen Gesang- und Kulturvereinen seine Räumlichkeiten für Konzerte und Stiftungs- und Schulfeiern. Eine ähnliche Rolle übernahm der Männer-Gesangverein in Esperanza, der ebenfalls einen großen Saal mit Bühne für derartige Festlichkeiten besaß und diesen u.a. der Stadtschule regelmäßig zur Verfügung stellte.120 Die unterstützten Vereine revanchierten sich zu verschiedenen Gelegenheiten mit Festbeiträgen und Aufführungen bei ihren Gastgebern. Aus derartigen Gefälligkeiten erwuchsen zum Teil langjährige Vereinsfreundschaften und kollektive Festtraditionen.121 Ein zweiter, nicht minder wichtiger Zweig der lokalen Vernetzung war die ethnisch begründete Wohltätigkeitsarbeit, die sowohl auf das deutsche Vereinswesen als auch auf die deutschsprachige Bevölkerung in den jeweiligen Ortschaften ausgerichtet war. Als zentrale Vermittlungsinstanzen deutscher Sprache und Kultur standen insbesondere die Schulen im Mittelpunkt zahlreicher karitativer Veranstaltungen – Konzerte der Gesangvereine, Basare, vereinsübergreifende Spendensammlungen –, an denen sich oft weite Teile des Vereinswesens beteiligten. In Rosario wiederum förderte der Deutsche Schulverein, in einem Akt schichtenübergreifender Solidarität, die Schwesteranstalt im Arbeiterviertel Talleres.122 Am gleichen Ort taten sich die Deutsche Evangelische Gemeinde und 120 | Vor der Fertigstellung des Saales richtete der Männer-Gesangverein seine Feiern z.T. im Haus des schweizerischen Vereins in Esperanza aus (vgl. DWÜ, 2. Jg., Nr. 61 (12. August 1894), 2; Nr. 64 (2. September 1894), 1; Nr. 77 (2. Dezember 1894, 1). 121 | Vgl. Kapitel III, 4.2 und 4.3 dieser Arbeit. 122 | Vgl. dazu ausführlicher: Kapitel IV der vorliegenden Arbeit.
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der Deutsche Hilfsverein in einem Gemeinschaftsprojekt zur Armenhilfe für die hier ansässigen Deutschen zusammen und organisierten zu diesem Zweck Wohltätigkeitskonzerte, u.a. gemeinsam mit dem Deutschen Männerchor. Ihren vorläufigen Höhepunkt erreichte die karitative Zusammenarbeit der Vereine in Rosario und Eperanza während des Ersten Weltkrieges.123 Konzentrierte sich der lokale Aktionismus vor allem auf den Erhalt wichtiger Institutionen und der Förderung des »Deutschtums«, traten bei der Vernetzung auf Provinzebene verstärkt gesellige Momente hinzu. Ein reger Austausch bestand z.B. zwischen den deutschsprachigen Gesangvereinen Santa Fes, schwerpunktmäßig in den Agrarkolonien nahe der Provinzhauptstadt Santa Fe und der Region um Rosario.124 Besonders nach 1900 versammelten sich die deutschen und schweizerischen Chöre aus Rosario, Esperanza, Santa Fe, San Carlos, Humboldt, Felicia, Roldán oder San Gerónimo in unregelmäßigen Abständen zu Sängerfahrten bzw. Sängerfesten. Es erfolgten zudem wechselseitige Einladungen zu den jeweiligen Stiftungsfeiern. Den gemeinsamen Auftritten oder Wettstreiten nach deutschem Vorbild folgte häufig ein geselliger, von Brauchtum und ethnischer Symbolik durchwirkter Festteil für die gesamte »Kolonie«. In vielen Fällen kamen die Einnahmen der größeren Feste wohltätigen Zwecken zugute.125 Ebenfalls um die Jahrhundertwende formierte sich mit der Pädagogischen Vereinigung »Union« die lange Zeit einzige dauerhafte deutsche Berufsvereinigung der Provinz Santa Fe. 1900 in Rosario als »Vereinigung von deutschsprechenden Lehrern und Schulfreunden«126 gegründet, bestand sie im Kern aus Lehrern der deutschen und schweizerischen Schulen in Rosario und den »Zentralbahnkolonien« Roldán und Carcarañá. Vereinzelte Mitglieder stammten aus anderen landwirtschaftlichen Siedlungen Santa Fes sowie der Provinz Córdoba.127 Obwohl im Grunde dezentral organisiert und an stets wechselnden Tagungsorten tätig, hatte der Verein seinen »Zentralsitz« in Roldán, von wo aus er federführend von den Lehrern Pedro Dürst (Roldán), Juan Meyer (Carcarañá) sowie
123 | Vgl. Kapitel III, 4.4 und Kapitel V, 3.2.5 dieser Arbeit. 124 | Vgl. Grafik B1. 125 | Vgl. Kapitel III, 4.2.1 dieser Arbeit. 126 | Pädagogische Vereinigung »Union« 1902, ohne SZ. 127 | Vgl. Gabert 1908, 35. Nach Meyer und Dürst fand bereits 1899 eine initiierende Versammlung von Lehrern aus Roldán, San Gerónimo und Carcarañá statt (vgl. Dürst 1913, 174; 176). Um 1902 wurden 34 Mitglieder registriert, von denen 26 als Lehrer an deutschen Schulen arbeiteten. Sie kamen, neben den bereits genannten Ortschaften, aus San Carlos Sud, Villa Casilda, Esperanza, Grütli, General Roca, Progreso, Colonia Artagaveytia, Marcos Juárez, San Gerónimo und Córdoba. Ein Mitglied stammte aus Baradero in der Provinz Buenos Aires (vgl. BArch R 57/NEU/649, ohne BN).
3. ENTSTEHUNG UND ORGANISATION | 133
Pädagogen aus Rosario wie Reinhold Gabert von der Deutschen Schule geleitet wurde.128 Das artikulierte Ziel des Lehrernetzwerkes war es, »[...] das deutsche und schweizerische Schulwesen [. . . ] durch regelmässige Zusammenkünfte mit Gedankenaustausch, Vorträgen über Erziehungsund Unterrichtsfragen, durch Musterlektionen, Einrichtung von Bibliotheken, und Einführung geeigneter Lehrmittel etc. auf jede Weise zu fördern.«129
Überregionale Bedeutung erlangte die Pädagogische Vereinigung durch die seit 1906 gemeinsam mit dem Deutschen Lehrerverein Buenos Aires organisierten »deutschen Lehrertage«. Die Union war darüber hinaus Gründungsmitglied und »Bezirk Santa Fe Süd« des Allgemeinen Verbandes Deutscher Lehrer in den La Plata Staaten von 1910.130 Der Zusammenschluss in nationalen Dachverbänden setzte sich, analog zum Beispiel der Lehrervereine, in verschiedenen Bereichen fort.131 Wie die folgenden Beispiele zeigen, kamen die Initiativen dazu meist aus Buenos Aires, erfuhren aber auch im deutschsprachigen Vereinswesen Santa Fes großen Zuspruch. In der 1899 gegründeten Deutschen Evangelischen La Plata-Synode mit Sitz in Buenos Aires gehörten die Deutsche Evangelische Gemeinde Rosario und die Evangelische Kirchgemeinde Esperanza zu den ersten angeschlossenen Kirchenvereinen. Der Deutsche Turn- und Sportverein Rosario beteiligte sich 1926 am jungen La Plata-Gau der Deutschen Turnerschaft. Einige Gesangvereine aus Santa Fe schlossen sich dem zunächst nur kurzzeitig bestehenden Deutschen Sängerbund am La Plata (1930) an, der, ebenso wie der Turnerbund, von der Hauptstadt aus geleitet wurde. In all diesen Fällen rückten die im Land verstreuten Selbstorganisationen durch gemeinsame Sport- und Sängerfeste, Synoden oder Verbandspublikationen wie der seit 1927 vom Architekten Immel in Buenos Aires herausgegebenen Zeitschrift Deutscher Sport in Südamerika näher zusammen.132 Die Korrespondenzen der Vereine aus Rosario und Esperanza 128 | Vgl. Cappus 1910, 100; Schuster 1913, 148. 129 | Vgl. Zeitungsausschnitte aus der deutsch-argentinischen Presse vom Dezember 1912 in: IfA 2o B 138-2, Bl. 32. 130 | Vgl. EGB, 17. Jg., Nr. 18 (3. Mai 1911), 206. 131 | Trotz nationalstaatlicher Grenzen wurde das »Deutschtum« des La-Plata-Raums von den Vereinen weitgehend als Einheit wahrgenommen. Die folgenden Verbände umfassten daher z.T. auch Selbstorganisationen aus Uruguay, Paraguay oder gar Brasilien. Sie können dennoch als nationale Verbände gelten, da ihre Verwaltung, ihr Wirkungszentrum und die große Mehrheit ihrer Mitglieder in Argentinien angesiedelt waren. 132 | Deutscher Sport in Südamerika war das Organ des La Plata-Gaus der Deutschen Turnerschaft.
134 | KAPITEL III. VEREINSWESEN IN ROSARIO UND ESPERANZA
zeigen, dass auf ähnliche Weise zahlreiche weitere Fäden von den Vereinen der Hauptstadt in die Provinzen verliefen. Weit früher noch als die formalen Verbandsnetzwerke sind die häufig zu beobachtenden spontanen, temporären und informellen Kooperationen deutscher Vereine in Argentinien anzusiedeln. Einschneidende externe Ereignisse in Deutschland oder Argentinien, die intensiv von der deutsch-argentinischen Presse rezipiert und diskutiert wurden, lösten mitunter landesweite Aktionen in den deutschen Gemeinschaften aus, die zumeist von den Vereinen in Buenos Aires als Ideengeber oder Initiatoren in die Wege geleitet wurden. Typisch waren beispielsweise Spendensammlungen zur Unterstützung deutscher Kriegs- und Katastrophenopfer oder die Förderung kultureller und patriotischer Vorhaben. Verbreitung fanden die Aufrufe in den deutschsprachigen Hauptmedien Argentiniens, der Deutschen La Plata-Zeitung und dem Argentinischen Tageblatt, die auch den Fortschritt der Aktionen begleiteten. Das Vereinswesen von Rosario und Esperanza beteiligte sich in aller Regel an dieser überregionalen Form der ethnisch motivierten Wohltätigkeit, erweiterte diese aber bisweilen um lokale Angebote und eigene »Liebesgaben«.133 Die internationale Vernetzung der deutschen Vereine konzentrierte sich auf die Beziehungen zu Deutschland bzw. den deutschen Einzelstaaten. Die frühe Einrichtung deutscher Gesandtschaften, Konsulate und Wahlkonsulate bis tief in das argentinische Hinterland hinein stellte nicht nur die Wahrung politischer und wirtschaftlicher Interessen sicher, sondern knüpfte auch ein Band zwischen der »alten Heimat« und den lokalen deutschen Gemeinschaften. Dieses reichte bis in die Vereine, in denen sich viele der deutschen Vertreter engagierten. Einerseits dienten die Konsuln als Vermittlungsinstanzen zwischen den Emigranten und dem deutschen Staat, andererseits erstatteten sie dem Auswärtigen Amt in Berlin Bericht über den Zustand der »Kolonien«. Verdichtet wurde dieses Netzwerk durch die regelmäßigen Besuche deutscher Gesandter und Würdenträger in den Gemeinschaften und Vereinen im Inland, die dort mitunter euphorisch aufgenommen und gefeiert wurden. Die Visiten galten als Hinweis darauf, dass Deutschland die »Volksgenossen« jenseits seiner Grenzen nicht vergessen hatte.134 Dieser Eindruck bestätigte sich auch mit Blick auf deutsche Förderprogramme in Argentinien. Alle deutschen Schulvereine sowie die evangelischen Kirchgemeinden der DELPS in Rosario und Esperanza erhielten zum Teil schon seit Ende des 19. Jahrhunderts Unterstützungsleistungen des Reichs bzw. der Preußischen Landeskirche, sei es in Form von Personal, Sachspenden oder jährlichen Subventionen. Laut den Kassenberichten der genannten Institutio133 | Vgl. Kapitel III, 4.3.3 und 4.4 dieser Arbeit. 134 | Für Beispiele aus Rosario und Esperanza vgl. Kapitel III, 4.3.2 dieser Arbeit.
3. ENTSTEHUNG UND ORGANISATION | 135
nen waren auch Zuwendungen von Privatpersonen aus Deutschland keine Seltenheit.135 Die Leistungen hatten aber keineswegs nur einseitigen Charakter. So erreichten die Gemeinden in Argentinien z.B. zahlreiche Bittschreiben deutscher Wohltätigkeitseinrichtungen. Schulen und Gemeinden profitierten zwar durch Subventionsanträge bzw. institutionelle Verbindungen nach Deutschland, fanden sich zugleich aber in weltweiten Unterstützungsnetzwerken wieder, die von verschiedenen Stellen in Berlin gelenkt wurden und letztlich auf den Erhalt und die Verbreitung des »Deutschtums« zu politischen Zwecken abzielten. In dieser Hinsicht erwarteten die politischen Entscheidungsträger durchaus Eigenleistungen der Auslandsvereine. Der deutsche Gesandte in Buenos Aires, Hilmar von dem Bussche-Haddenhausen, sah sich 1912 genötigt, auf den Vorwurf aus Deutschland zu reagieren, die Vereine würden nicht genug in die »Deutschtumsarbeit« investieren. Er übermittelte daraufhin eine Aufstellung der u.a. in Rosario »im Interesse des Deutschtums aufgebrachten Gelder« an das AA.136 Für die kulturelle und sprachliche Kontinuität und Entwicklung in den Vereinen war zudem der Informationsaustausch über den Atlantik von kaum zu überschätzender Bedeutung. Deutsche und deutsch-argentinische Tageszeitungen und Zeitschriften, die das aktuelle politische und gesellschaftliche Geschehen in Deutschland zeitnah abbildeten waren – wenn auch mit Verspätung – in vielen Buchhandlungen und Vereinen nachweislich zugänglich.137 Der inländische bzw. transatlantische Radioempfang im La-Plata-Raum wurde im Laufe der 1920er und 1930er Jahre allmählich ausgebaut und spielte für die deutschen Gemeinschaften besonders während des Zweiten Weltkrieges als Informationsmedium eine wichtige Rolle.138 Im Reich wurde das »Auslanddeutschtum« Argentiniens in der Tagespresse thematisiert. Diverse Fachzeitschriften zu diesem Thema veröffentlichten ausführliche Berichte u.a. der vor Ort tätigen Lehrer und Pfarrer, die sich mit der Vereinsarbeit und häufig auch mit der Verfassung der »Kolonien« beschäftigten. In der Konsequenz konnte die Tätigkeit einzelner Vereine – nicht nur 135 | Vgl. für diesen Absatz auch: Kapitel II, 2.2.2 und 2.2.3 sowie die Kapitel IV und V der vorliegenden Arbeit. 136 | Vgl. Tabelle A4. 137 | Das Bibliotheksverzeichnis des Deutschen Vereins in Rosario listet für 1901 elf aktuelle sowie drei ältere deutschsprachige Periodika, darunter Über Land und Meer, die Fliegenden Blätter, die Illustrirte Zeitung, der Kladderadatsch und Die Gartenlaube. Als einzige fremdsprachige Zeitung war die London News verfügbar. Insgesamt umfasste die Zeitungssammlung des Vereins über 130 Bände (vgl. Deutscher Verein Rosario 1901, 4f.). 138 | Vgl. EGB, 48. Jg., Nr. 13 (1. Juli 1942), 128f.
136 | KAPITEL III. VEREINSWESEN IN ROSARIO UND ESPERANZA
derjenigen aus Buenos Aires – in Deutschland nachvollzogen werden.139 Dass dieses Informationsnetzwerk jedoch keinen Ersatz für das tatsächliche Erlebnis gesellschaftlicher Realitäten und Veränderungen darstellte, veranschaulichen die zum Teil anachronistischen Entwicklungstendenzen des deutschargentinischen Vereinswesens im Laufe des 20. Jahrhunderts.
4 Identitäten und ihre (Re-)Konstruktion 4.1 Was ist deutsch, was argentinisch? Stationen einer Selbstfindung Die Konstruktion kollektiver Identitäten ist wesentlich mit der Wahrnehmung und Definition des Eigenen und des Fremden innerhalb einer Gruppe verknüpft. Zwischen diesen scheinbar gegensätzlichen, sich im Grunde aber bedingenden Polen verläuft eine imaginierte Grenze. Wenngleich sie in beide Richtungen verschoben werden kann, gibt sie doch den Ausschlag für so zentrale Gemeinschaftsaspekte wie Zugehörigkeit, kulturelle Praktiken oder gemeinsame Wertvorstellungen. Diese Erkenntnis lässt sich auch auf das Einwanderervereinswesen in Argentinien übertragen, dessen Konstitution und Entwicklung wesentlich von der Selbst- und Fremdwahrnehmung bestimmt wurde. Als Ausgangspunkte für eine Analyse bieten sich erneut die Statuten der Vereine an, in denen für gewöhnlich die ersten Grenzziehungen formuliert und sanktioniert wurden.140 Eine Möglichkeit, das Mitgliedergefüge über die Satzungen zu regulieren, stellten die Beitrittsbedingungen dar. Vergleicht man die Dokumente der deutschen Vereine in Rosario und Esperanza, wird deutlich, dass in vielen Fällen ethnische Restriktionen existierten. Die Nationalität hingegen spielte bei der Aufnahme nur selten eine Rolle. Der Deutsche Verein in Rosario beispielsweise beschränkte seinen Mitgliederkreis auf »Deutsche und Deutschredende«141 . Auch der Deutsche Hilfsverein Rosario und der Deutsche Verein Esperanza nahmen ausschließlich Personen auf, die deutsche Sprachkenntnisse vorweisen konnten.142 139 | Der private Schriftverkehr zwischen Deutschland und Argentinien dürfte im Informationsfluss ebenfalls eine wichtige Rolle gespielt haben. Leider liegen hierzu keine größeren Studien oder Sammlungen vor. 140 | Im Folgenden wurden die frühesten publizierten Statuten berücksichtigt. Das Datum der Publikation entspricht dabei dem der letzten Modifikation bzw. der Neuauflage. Der Hauptteil ist aber zumeist wesentlich älter. 141 | Deutscher Verein Rosario 1895, 3. 142 | Vgl. Deutscher Hilfsverein Rosario 1898, 3; Deutscher Verein Esperanza 1926, 4. Zu den Regelungen in den Schulen und Kirchgemeinden vgl. Kapitel IV, 4.1 und 4.2 bzw. Kapitel V, 3.1.1 dieser Arbeit.
4. IDENTITÄTEN UND IHRE (RE-)KONSTRUKTION | 137
Etwas offener zeigte sich der Frauenhilfsverein »Auxilio« in Rosario: »Mitglieder des Vereins können alle deutschsprechenden Frauen und Mädchen, sowie alle Ehefrauen deutschsprechender Männer (ohne Rücksicht auf die Nationalität) werden [. . . ].«143 Der Männer-Gesangverein Esperanza stand ebenfalls ausdrücklich »Personen jeder Nationalität«144 offen. Im Folgesatz wurde jedoch einschränkend hinzugefügt, dass »die von dem Gesangverein zu allen seinen Verhandlungen und Protokollen zu brauchende Sprache, die deutsche«145 sei. Allein der Evangelische Frauenverein in Esperanza knüpfte offiziell keinerlei Voraussetzungen an die Mitgliedschaft. Seine Zusammensetzung lässt allerdings darauf schließen, dass auch hier die deutsche Sprache für eine aktive Beteiligung am Vereinsleben und in der Führungsebene von Bedeutung war.146 Trotz der Öffnung und kulturellen Anpassung in anderen Bereichen, hielten viele der Selbstorganisationen in Rosario und Esperanza mindestens bis Ende der 1920er Jahre an diesen Zugangsbeschränkungen fest.147 Die deutsche Sprache war folglich eines der grundlegenden Merkmale der kollektiven Zugehörigkeit und der gesellschaftlichen Segregation im Vereinsumfeld. Im Umkehrschluss bedeutete dies zwar, dass Österreicher, Deutsch-Schweizer, Russlanddeutsche oder Argentinier mit den entsprechenden Sprachfertigkeiten in den deutschen Vereinen nicht ausgegrenzt wurden. Für die große Mehrheit der Gastgesellschaft waren die Beitrittsbarrieren aber praktisch unüberwindbar. Wie streng diese Regelungen tatsächlich durchgesetzt wurden, lässt sich rückblickend kaum noch überprüfen. Ein humoristisches Gedicht Ernst Rubarths aus dem Umfeld des Deutschen Vereins in Rosario deutet zumindest darauf hin, dass Ausnahmen möglich waren und »Deutschtum« durchaus auch »erlernt« werden konnte:148
143 | Deutscher Frauenverein »Auxilio« 1926, 3. 144 | Männer-Gesangverein Esperanza 1905, 3. 145 | Ebd. Dieser Passus war 1874 in die Statuten aufgenommen worden (vgl. Breuer 1912, 9). 146 | Vgl. Evangelischer Frauenverein Esperanza 1903, ohne SZ; Evangelischer Frauenverein Esperanza. Protokoll-Buch und Gliederverzeichnis [. . . ] [1887-1948]. 147 | Vgl. zum Beispiel: Deutscher Hilfsverein Rosario 1924, 2; Deutscher Verein Rosario 1928, 3. 148 | Vgl. Kramer 2015, 103.
138 | KAPITEL III. VEREINSWESEN IN ROSARIO UND ESPERANZA
»In dem Klub als Mitglied sein, Kann nur der, der ziemlich rein, Ohne dass die Zunge bricht, Unsre deutsche Sprache spricht.-
Aleman... er dort studierte, La cerveza... er probierte, Y... als todo er begriffen, Tat er wieder ein sich schiffen.-
Señor Ruiz... el comandante, Der die Klubgesetze kannte, Saben... lo que hizo él... ? Der fuhr mal nach drueben schnell.-
Und als er zurueckgekommen, Wurde er dann aufgenommen, Als ein Mitglied voll und wert, Wie er es sich laengst begehrt.-«149
Die in den Statuten festgeschriebenen Praktiken der Abgrenzung fanden im Vereinsalltag ihre Fortsetzung. Die deutsche Sprache dominierte die interne Kommunikation und war für gesellige Abende, Veranstaltungen, Vorstandssitzungen, Protokolle oder Publikationen obligatorisch. Auch nach außen behielten die Vereine diesen Kurs lange Zeit bei. Die im Vorfeld größerer Veranstaltungen öffentlich zugänglich gemachten Einladungen und Programmhefte, erschienen zunächst ausschließlich auf Deutsch. Damit war die Zielgruppe bzw. Nicht-Zielgruppe der geselligen Festkultur klar umrissen. Eine ähnliche gruppenbildende Wirkung hatte die kontinuierliche Kontrastierung der deutschen und argentinischen Verhältnisse und Mentalitäten in den gemeinschaftlichen Diskursen. Galt Deutschland dem Politiker Sarmiento und anderen Befürwortern der Massenimmigration in vielen Belangen als Vorbild und als bevorzugte Quelle des eigenen Bevölkerungs- und Zivilisierungsprojekts, war das Argentinien- und Argentinierbild unter den deutschen Einwanderern keineswegs nur positiv. Unter dem Einfluss nationalistischer Rhetoriken aus Deutschland, die besonders zusammen mit deutschen Presseerzeugnissen sowie entsandten Lehrern, Pfarrern und diplomatischen Vertretern in ständig aktualisierter Form ihren Weg über den Atlantik fanden, festigten sich in den deutschen Vereinen stereotype Eigen- und Fremdzuschreibungen. Das deutsche »Volkstum« und dessen Bewahrung bildete den Angelpunkt in der nicht selten mit rassistischen Argumenten geführten Diskussion um kulturelle und gesellschaftliche Anpassung bzw. Differenzierung. Dem »Deutsch«und dem »Argentiniertum« wurden dabei bestimmte, scheinbar natürliche Eigenschaften zugeordnet. Arnold Richter, Pastor der evangelischen Gemeinde in Nueva Helvecia, zeichnete auf der Synodaltagung der DELPS 1911 einige typische Charakterbilder nach, wie sie auch immer wieder in den Vereinsquellen erscheinen. Demzufolge würden die Deutschen zwar als »verschlossen«, »mürrisch« und unbeholfen wahrgenommen und blieben vor allem durch ihre »blöde Gewohn149 | Deutscher Verein Rosario 1935, 20. Umlaute und Akzentsetzung wie im Original.
4. IDENTITÄTEN UND IHRE (RE-)KONSTRUKTION | 139
heitstrinkerei« in Erinnerung. Dafür zeichneten sie sich aber durch Bescheidenheit, Ehrlichkeit, Gewissenhaftigkeit, Arbeitseifer, Forscherdrang und geistige Regsamkeit aus. Der Argentinier wiederum überzeuge durch sein »freundliches, höfliches Wesen«, seine »Grazie«, »ruhige Würde« und öffentliche Gewandtheit. Negativ seien ihm eine großtuerische »Neigung [. . . ] zum schönen Schein«, Eitelkeit (»Puder, Schminke und Metallschmuck in derben Rationen«), Unzuverlässigkeit, Unpünktlichkeit und fehlende Gewissenhaftigkeit anzurechnen. Weiterhin falle er durch »Verachtung der Arbeit und Flucht vor der Anstrengung«, »Zeitverschwendung«, Träumerei, »schlaffe [. . . ] geistige Fähigkeiten« und »GedächtnisSchwäche« auf. Kennzeichnend seien außerdem die »Unlust zum Denken«, »Unlust zum Lesen«, Neigung zum Glücksspiel, »Grausamkeit gegenüber Tieren« und die fehlende Naturverbundenheit. Ferner bemängelte Richter die verzogene argentinische Jugend, der es an einer »tüchtigen soldatischen Erziehung« fehle.150 Derartige Bilder wurden in den deutschen »Kolonien« und ihren Vereinen weitergetragen und verdichteten sich in Verbindung mit kontinuierlichen Verweisen auf die großen deutschen Geistes- und zivilisatorischen Leistungen zu einem »völkischen« Überlegenheitsgefühl. Dieses war vor allem moralischer und sprachlich-kultureller Natur und wurde bei jeder sich bietenden Gelegenheit diskursiv erneuert. Als Spaltprodukte leiteten sich davon einerseits eine grundsätzliche Geringschätzung bzw. das Misstrauen gegenüber der argentinischen Regierung, Justiz und dem staatlichen Bildungswesen ab. Andererseits war man bemüht, dezidiert deutsche Angebotsalternativen zu schaffen, wie sie sich etwa in Schulen, Kirchen und Hilfsvereinen verwirklichten. Die schleichende »Verhiesigung« der Einwanderer galt in weiten Teilen des deutschen Vereinswesens, auch aufgrund dieser Zuschreibungen, als Fanal für einen möglichen Identitätsverlust, dem es in jedem Fall entgegenzuwirken galt. Pastor Richter kam, in Abwägung der Vor- und Nachteile einer kulturellen Angleichung der Deutschen, daher zu dem Schluss: »Ist jedem das Seinige lieb,
150 | Vgl. für die Zitate der vorangegangenen beiden Absätze: EGB, 17. Jg., Nr. 40 (4. Oktober 1911), 474f. Solche Vorurteile wurden bisweilen auch auf andere europäische Einwanderer mit romanischen Wurzeln ausgedehnt. In seinen »Reiseskizzen« berichtete ein Reporter des Argentinischen Wochenblattes 1894 aus dem deutsch und schweizerisch geprägten Esperanza und darüber, »wie germanischer Fleiß eine Wüste in eine Stadt zu verwandeln vermag.« Der Artikel schließt mit der provokativen Frage: »Wo bieten uns die Romanen im Lande ein ähnliches Bild?« (Vgl. AW, 17. Jg., Nr. 840 (29. März 1894), ohne SZ).
140 | KAPITEL III. VEREINSWESEN IN ROSARIO UND ESPERANZA
so uns das Unsrige, und wäre selbst bei einem Tausch der Gewinn größer, so wäre das Bessere der Fremde noch lange nicht unser inneres Eigentum.«151 Genährt wurden solche Ansichten vom oft kolportierten Selbstbild als »Vorposten« des »Deutschtums« im Ausland, das sich vor allem im Vereinswesen durchsetzte. Ursprünglich eine in Deutschland verbreitete Formel des wirtschaftlichen und kulturellen Reichsexpansionismus, ging sie mit der verstärkten finanziellen und ideologischen Hinwendung zu den deutschen Gemeinschaften und ihren Organisationen auch auf diese über.152 Daraus erwuchs eine selbstauferlegte Verpflichtung, sich als Quasi-Repräsentanten Deutschlands in der »Fremde« des alten Vaterlandes »würdig« zu erweisen – etwa durch ein rechtschaffenes, arbeitsames Leben oder die Pflege und Verbreitung deutscher Sprache, Kultur und »Wesensart«, dem so genannten »Erbe der Väter«. Beim Besuch des deutschen Gesandten Julius von Waldthausen 1907 in Esperanza äußerte sich der Vorsitzende des dortigen Deutschen Vereins, Hugo Breuer, wie folgt: »Bei dem großen und glänzenden Bankett am Abend in dem festlich geschmückten Saal des Deutschen Männergesangvereins sprach zuerst Herr Hugo Breuer [. . . ] in spanischer Sprache, indem er im Namen der Anwesenden den Gästen die Widmung des Banketts darbrachte und dann auf die Gründung der Kolonie Esperanza durch deutsche Ansiedler im Jahre 1856 einging, die immer sich entwickelnde Stärke des deutschen Vereinswesens betonte [. . . ]. Alle diese Vereine bewiesen die Liebe und Anhänglichkeit der Deutschen von Esperanza an ihr geliebtes Vaterland. Und diese Liebe, diese Anhänglichkeit sei kein Hemmnis für die Laufbahn in diesem Lande, vielmehr seien sie ein Ansporn alle physischen und moralischen Kräfte anzuspannen, um sich würdig des alten Vaterlandes zu zeigen.«153
151 | EGB, 17. Jg., Nr. 40 (4. Oktober 1911), 475. Wilhelm Keiper, ein angesehener Schulmann aus Buenos Aires, machte vergleichbare Beobachtungen hinsichtlich der Wahrnehmung der europäischen Einwanderung und insbesondere der Deutschen in Argentinien vor 1914 und vermerkte außerdem: »[...] man liebte die Franzosen, man bewunderte und fürchtete zugleich die Engländer und man achtete die Deutschen [. . . ]. [. . . ] Für die feineren und tieferen Züge des deutschen Wesens: den deutschen Humor, das deutsche Gemüt, die Zartheit deutschen Empfindens versagte das Verständnis meistens gänzlich. Immerhin, es ließ sich mit ihnen leben, sie waren leicht zugänglich und aufgeschlossen und paßten sich den Verhältnissen bequemer an, als die starren Engländer, die dem romanisch bedingten Argentinier ewig fremd bleiben werden.« (Keiper 1942, 15). 152 | Das Motiv des »Vorpostens« findet sich insbesondere in den Quellen deutscher Schulen und evangelischer Kirchengemeinden. Vgl. dazu die Kapitel IV, 4.2 und V, 3.2 der vorliegenden Arbeit. 153 | DLPZ, 39. Jg., Nr. 274 (12. November 1907), 1.
4. IDENTITÄTEN UND IHRE (RE-)KONSTRUKTION | 141
In Anlehnung an die »deutschen Tugenden« könne man, so die häufige Argumentation, auch der argentinischen Republik ein besserer Staatsbürger sein und zum Fortschritt beitragen. Zwischen den Zeilen klang aber stets das alte deutsche Bedürfnis nach internationaler Ankerkennung, nach Achtung und Respekt, nach Weltgeltung mit. Ferdinand Kessler, Präsident des Deutschen Vereins Rosario, führte in seiner Rede anlässlich der Grundsteinlegung des deutschen Schulhauses, die 1897 zusammen mit dem 100. Geburtstag Kaiser Wilhelms I. gefeiert wurde, aus: »Für uns besteht die Dankbarkeit und die Ehrung seines [Kaiser Wilhelms I., Anm. d. Verf.] Andenkens in dem Gelöbnis, immerdar deutsch zu bleiben, zu fühlen und zu handeln, unserem Vaterlande und seinen grossen [sic] Männern zur Ehre. [...] Nehmen wir von dieser feierlichen Stunde den Vorsatz mit hinweg, zu bethätigen [sic] und zu beweisen überall, dass es ein Vorzug ist im besten Sinne, Deutscher zu sein, und täglich wollen wir zeigen, dass die persönliche Ehre, treue Pflichterfüllung jedes Deutschen Richtschnur ist; das macht uns zu den besten Bürgern auch der neuen Heimat.«154
Die in den Auslandsvereinen wahrgenommene Superiorität speiste sich aber nicht nur aus der Quelle kulturchauvinistischer Ideen, wie sie im Zuge der deutschen Nationswerdung und vor allem nach Reichsgründung von breiten Bevölkerungsschichten in Deutschland angenommen wurden. Sie stützte sich auch auf einem internationalen Rassendiskurs, der innerhalb der aufgeklärten politischen Elite Argentiniens nach der Unabhängigkeit auf fruchtbaren Boden fiel. Den verschiedenen menschlichen Rassen wurden auf Grundlage vermeintlich prädeterminierter Eigenschaften und Wesenszüge, die sich zum Teil aus ihrer Lebensumgebung heraus erklärten, ein bestimmter »Wert« beigemessen. Der Einfluss dieser Denkweisen in Argentinien lässt sich z.B. anhand der Diskussion um die Förderung bestimmter Einwanderergruppen nachvollziehen.155 154 | EGB, 2. Jg., Nr. 96 (o.Dat.; 1896/97), Beilage »Erziehung und Schule«, Nr. 8 (16. April 1897), ohne SZ. 155 | So unterteilte Luis del Carril, ab 1885 argentinischer »General-Einwanderungsagent« in Europa, dessen Bewohner in eine »lateinische« und eine »germanische« Rasse, die sich »physisch und moralisch« voneinander unterschieden. Die Immigration letzterer in Argentinien sei anzustreben, da »die Strenge des Klima’s [sic], die Kärglichkeit der Natur und die Unfruchtbarkeit des Bodens, welche einen beständigen Kampf um die Existenz erfordern, in der germanischen Rasse die Herrschaft der Berechnung über die Phantasie erzeugt, und durch die beständige Bewegung, in welcher der Organismus sich befindet, die physische Kraft entwickelt [hätten]. Während die lateinische Rasse im Vertrauen auf die Gunst der Natur stehen bleibt, schreitet die germanische vorwärts, alles mit der Intelligenz und der Arbeit dominirend [sic] und selbst der Natur ihre verborgenen Kräfte entreißend, um sie sich nutzbar zu machen.« (DLPZ, 16.
142 | KAPITEL III. VEREINSWESEN IN ROSARIO UND ESPERANZA
Das Bild Argentiniens, welches im Vereinsumfeld konstruiert wurde, wies allerdings früh eine weitere Konstante auf, die deutlich von der eben beschriebenen defektversessenen Überlegenheitsrhetorik abwich. Bei Feiern und in Festreden kam, weitgehend unabhängig vom Anlass, mit der Zeit immer häufiger eine tiefe Dankbarkeit gegenüber der argentinischen Republik zum Ausdruck. Die deutschen Einwanderer hatten hier bereitwillig Aufnahme gefunden und waren in die Lage versetzt worden, aus einfachen Verhältnissen, wenn nicht zu Reichtum, so doch zu relativem Wohlstand zu gelangen und ein neues Leben zu beginnen. Es war dies eines der ersten Leitmotive des deutsch-argentinischen Patriotismus. Ursprünglich nur als »Gastland« verstanden, festigte sich die Wahrnehmung Argentiniens in den Vereinsdiskursen der ersten Generationen allmählich als »neue Heimat«, »zweite Heimat« oder »zweites Vaterland«.156 Für Rosario resümierte der deutsche Vereinschronist Erich Elsner: »[...] unsere Kolonie steht auf einem guten Fundament auf argentinischer Erde. Wir alle dürfen hier Anteil nehmen an der glänzenden Entwicklung des Landes und verdanken der großen Republik und seinem liebenswürdigen Volke auch zum guten Teil unsere starke, heute gutausgebaute deutsche Kolonie. Denn aus kleinen Anfängen hat sie sich bis heute zu einer ansehnlichen Stellung heraufgearbeitet und stets an Rosarios Entwicklung und Entfaltung in jeder Weise tätigen Anteil genommen. Und das ist der schönste und reinste Dank, den wir Rosario und unserer zweiten Heimat darbringen können, daß wir jegliche Gelegenheit benutzen [. . . ][,] Anteil zu haben an dem Erblühen des Landes Argentinien und der werdenden Weltstadt Rosario.«157
In der Gegenüberstellung und Hierarchisierung der beiden »Heimaten« wurde allerdings erneut der Drang zur Differenzierung sichtbar. Auf der einen Seite stand Argentinien, das vor allem mit Zukunftsperspektiven verknüpft und als das Land der folgenden Generationen verstanden wurde. Die Einwanderer sahen sich verpflichtet, einen Beitrag zu seinem Fortschritt in wirtschaftlicher, gesellschaftlicher und kultureller Hinsicht zu leisten.158 Auf der anderen war Jg., Nr. 167 (30. Juli 1885), 1). Bereits neun Jahre zuvor hatte sich der argentinische Präsident Avellaneda in ähnlicher Weise geäußert (vgl. das Eingangszitat dieses Kapitels). 156 | Auch Carreras verweist auf die Bedeutung des Konzeptes der »zwei Heimaten« bei der Identitätskonstruktion deutscher Einwanderer in Argentinien (vgl. Carreras 2008, 211). 157 | Elsner 1932, 79. 158 | Die Möglichkeit der politischen Betätigung wurde in den Vereinen interessanterweise wiederholt zurückgewiesen. Bei Elsner heißt es zum Beispiel mit Blick auf die Revolution in Santa Fe 1893: »Die deutsche Kolonie [Rosarios, Anm. d. Verf.] blieb den verschiedenen politischen Strömungen vollständig fern, sodaß niemand in irgendwelche Mitleidenschaft gezogen wurde.« (Elsner 1932, 90).
4. IDENTITÄTEN UND IHRE (RE-)KONSTRUKTION | 143
Deutschland die »alte« oder, je nach Kontext, »geistige« und »seelische« Heimat, die über weite Strecken der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts der primäre identifikatorische Bezugspunkt des ethnischen Vereinswesens blieb.159 Wenngleich mit einiger Wirkmacht ausgestattet, waren die anfänglich in Statuten und Diskursen gezogenen Grenzen zwischen den deutschen Gemeinschaften und der argentinischen Lebenswelt keine festgefügten und statischen, sondern vielmehr formbare und bewegliche Gebilde. Wie die folgenden Beispiele aus dem Vereinsleben zeigen werden, reagierten die Konstruktionen sensibel auf innere Entwicklungen und äußere Einflüsse und veränderten sich in die jeweiligen Richtungen.
4.2 Sprache, Kultur, Werte: Dreieinigkeit des »Deutschtums« Die Identitätsdiskurse in den deutschen Vereinen Argentiniens folgten bestimmten Mustern, welche sich aus dem bereits angedeuteten kultur- und ideengeschichtlichen Hintergrund der Einwanderer erklären lassen. Eines der zentralen Schlagworte der weitgehend intern ausgetragenen Debatte im Spannungsfeld zwischen den Erfahrungswelten war das »Deutschtum«. Im Grunde ein abstrakter und subjektiver Begriff, der sehr unterschiedliche Elemente des deutschen »Wesens« in essentialistischer Weise akkumulierte, gewann er unter dem Einfluss des deutschen Einigungsprozesses und der damit verbundenen nationalen Bewegung doch erhebliches Gewicht in den Auslandsvereinen und wurde als gruppenbildendes und handlungsleitendes Fundament herangezogen.160 Das Verständnis vom »Deutschtum« beruhte dabei im Wesentlichen auf drei Säulen, die den Ausgangspunkt für einen Gutteil des ethnischen Vereinsaktionismus bildeten: der Sprache, der Kultur sowie einem weit gefassten Wertebegriff, der auf positiv konnotierte deutsche Alleinstellungsmerkmale verwies.161 Auf dieser Grundlage entfalteten die Vereine vielfältige Strategien der Pflege, 159 | Das Konzept der zwei Heimaten fand seinen deutlichsten Niederschlag in den Lehrplänen der Deutschen Schule in Rosario. Vgl. Kapitel IV, 4.3 dieser Arbeit. 160 | Rinke betont demgegenüber zu Recht die große Heterogenität des »Auslandsdeutschtums« in seiner Gesamtheit: »Die monolithische Einheit, die in Vereinsschriften oder anderweitigen Verlautbarungen der auslandsdeutschen Oberschicht mit dem Hinweis auf die Vergangenheit beschworen wurde und in der Benutzung des Terminus Deutschtum zum Ausdruck kam, war eine idealisierende Konstruktion.« (Rinke 1996a, 410). Für das deutsche Vereinswesen allein trifft dies aber nur eingeschränkt zu. Der mehrheitliche Konsens in politischen, weltanschaulichen oder eben Identitätsfragen in den Vereinen war im Gegenteil einer der wichtigsten konstituierenden Faktoren, trug er doch u.a. wesentlich zu ihrer organisatorischen Dauerhaftigkeit bei. 161 | Dabei konnte es sich sowohl um soziale Konventionen als auch um individuelle Eigenschaften bzw. geistige und moralische Stärken handeln, die – vor allem im Kontrast zur argentinischen Einwanderungsgesellschaft – als genuin deutsch wahrgenommen und häufig als »Tugenden« umschrieben wurden.
144 | KAPITEL III. VEREINSWESEN IN ROSARIO UND ESPERANZA
Bewahrung bzw. Weitergabe. Zum einen sollten die nachfolgenden »deutschargentinischen« Generationen vor dem als Bedrohung wahrgenommenen Identitätsverlust in der »Fremde« bewahrt werden, der zugleich das Ende der Organisationen selbst implizierte. Zum anderen hatte man die fortschrittsoptimistische Gewissheit, befruchtend in die sich beständig transformierende argentinische Einwanderungsgesellschaft hineinwirken zu können. Die Umsetzung dieser Ansprüche war auf verschiedenen Ebenen zu erreichen. Zu den Möglichkeiten zählten etwa Restriktionen im Vereinsumfeld, um den gesellschaftlichen Anpassungsdruck zu relativieren – z.B. das Beharren auf der deutschen Schrift- und Umgangssprache – oder die aktive und nach außen gerichtete Sprach- und Kulturförderung. Beide Strategien lassen sich im deutschen Vereinswesen Rosarios und Esperanzas nachweisen. Abgesehen davon realisierten sich Pflege, Bewahrung und Weitergabe allein schon durch die Existenz dauerhafter ethnischer Organisationsstrukturen, die Praxis kultureller Handlungen, die Geselligkeit und die dadurch geförderte regelmäßige Anwendung der deutschen Sprache. Die Aktivitäten der Gesangvereine stehen beispielhaft für diese Art der »Deutschtumsarbeit«.
4.2.1 Vernetzung und ethnische Festkultur in deutschen Gesangvereinen Das 19. Jahrhundert sah eine Blüte des bürgerlichen Gesangvereinswesens in Deutschland und der Schweiz, die eng im Zusammenhang mit der deutschen Nationsbildung stand. Die Lieder der Turner und Studenten fanden Eingang in das Programm neu gegründeter Männergesangvereine. Innerhalb kürzester Zeit entwickelte sich daraus eine überregionale »patriotisch-volkstümliche Sängerbewegung«, die sich zunächst gegen die Fürstenherrschaft stellte, um nach 1870 zur Stütze des neuen Kaiserstaates zu werden.162 Derartige Organisationsformen waren auch unter den Einwanderern dieser Herkunft in Argentinien weit weitverbreitet. Selbst in der Provinz Santa Fe, deren deutschsprachige Bevölkerungsteile kaum geschlossen, sondern eher räumlich fragmentiert angesiedelt waren, pflanzte sich das Gesangvereinswesen bis in die kleinsten Agrarkolonien fort. Die vergleichsweise überschaubare Gemeinschaft in Esperanza verfügte über zwei etablierte Gesangvereine und verschiedene Chorinitiativen aus den Reihen der Evangelischen Kirchgemeinde. In Rosario wurden insgesamt elf deutsche Gesangvereine – entweder als eigenständige Organisationen oder als angeschlossene Vereinssparten – ins Leben gerufen, die meisten davon in der zentralen Gründungsphase dieses 162 | Vgl. Düding 1984, 160-166; 174-179; Klenke 1998, 5-9; 11f. Vgl. außerdem: Kapitel II, 2.1 dieser Arbeit.
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Vereinstypus zwischen dem Ende des 19. Jahrhunderts und dem Beginn des Ersten Weltkrieges. Bis in die 1930er Jahre hinein war demzufolge mehr als jeder vierte in Rosario gegründete deutsche Verein ein Gesangverein.163 Über die große Bedeutung dieser Form der Geselligkeit für die sprachliche und kulturelle Kontinuität herrschte in den deutschen »Kolonien« Argentiniens weitgehende Einigkeit. Die Einwanderer erkannten früh das identifikatorische Potential des Gesangs und versuchten dieses für die eigenem Ziele nutzbar zu machen.164 Insbesondere dem »deutschen Lied« wurden in dieser Hinsicht positive Effekte zugesprochen. So vermerkte beispielsweise Pastor Arnold Richter: »Kaum etwas ist wie das deutsche Lied Träger der Heimatsgefühle [sic], der Heimatsprache, des Lebensgeistes der Heimat, der heimatlichen Ideale [. . . ]. Wer singt und Gesang liebt, vergißt die Heimat nicht.«165 Auch auf die Frage, wie man die deutsch-argentinische Nachkommenschaft langfristig an das »Deutschtum« binden könnte, schien der Gesang als pädagogisches Hilfsmittel die Antwort zu geben. In der »Bazarzeitung« der Deutschen Schule in Rosario lesen wir dazu: »Auch die Jugend, die Land und Leute in Deutschland nicht kennt, hat Verständnis für sein Lied; eifrig und mit Liebe pflegt sie deutschen Volksgesang, denn der spricht unmittelbar zum Herzen und eröffnet einen tiefen Einblick in des Volkes Seele, denn in seinen Liedern schildert sich das Volk, sie sind die Blume seiner Eigenheit, seiner Sprache und seines Landes.«166
Die deutsche »Eigenheit« trat vor allem auch im direkten Vergleich mit den kulturellen Aktivitäten anderer europäischen Gemeinschaften vor Ort zutage. Denn selbst im lebendigen Rosario mit seinem vielfältigen Einwanderervereinswesen, das enorme Summen für gesellschaftliche Großereignisse aufbrachte, hatte das zeitweise überaus aktive deutschsprachige Gesangvereinswesen praktisch keine Entsprechung. Das Air des Außergewöhnlichen, dass diesen Vereinen anhaftete, leistete einen Beitrag zur identifikatorischen Umgrenzung der deutschen »Kolonie« und trug zum Stolz auf die eigenen kulturellen Leistungen bei. Dieser wird in den Quellen kaum verhehlt. So schreibt Elsner über den 1892 gegründeten Gesangverein »Lyra«: 163 | Vgl. Grafiken B2 und B3. Die Gesangvereine gehörten auch zu den mitgliederstärksten Organisationen. Der Deutsche Männerchor etwa war 1914 mit 149 Mitgliedern der drittgrößte deutsche Verein Rosarios (vgl. Tabelle A3). 164 | Der Vereinsgesang als Mittel der Identifikation im Ausland war auch in anderen deutschen Gemeinschaften von Bedeutung, wie Barbara Lorenzkowski für das Grenzgebiet zwischen Kanada und den USA nachgewiesen hat (vgl. Lorenzkowski 2010, 101-107). 165 | EGB, 17. Jg., Nr. 42 (18. Oktober 1911), 494f. 166 | Deutscher Schulverein Rosario 1899a, ohne SZ.
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»Die kleine deutsche Kolonie, die sonst gar kein Aufsehen erregte, trat durch die ›Lyra‹ und diese wiederum durch die verschiedenen begabten und feingeschulten Solisten sowie namentlich durch das Streichquartett aus der Masse bedeutend hervor und erregte wohlbegründetes Aufsehen. In dieser Hinsicht bestand ein auffallender Unterschied zwischen der deutschen Kolonie und den großen, reichen Kolonien der Italiener, Spanier und Engländer.«167
Innerhalb der deutschen Gemeinschaften Rosarios und Esperanzas kam den Gesangvereinen eine mehrfache Rolle zu. Nach innen boten sie ein geselliges Umfeld mit dezidiert ethnischem Charakter und vielfältigen Aktivitäten, die weit über die regelmäßigen Chorproben und Auftritte hinausreichten. Sie strukturierten so die Freizeit ihrer Mitglieder sowie der ganzen »Kolonie«. Indirekt schufen sie damit Räume der individuellen Vernetzung, des Austausches und der Meinungsbildung und trugen zur Stärkung der ethnischen Gemeinschaft bei. Durch Konzerte und Beiträge zu öffentlichen oder privaten Veranstaltungen wirkten sie – häufiger als andere deutsche Vereine – aber auch über die eigenen organisatorischen Grenzen hinaus und traten als Repräsentanten deutscher Kultur auf.168 Die Höhepunkte des Festkalenders der Gesangvereine bildeten die großen, in Eigenregie veranstalteten Konzerte und Bälle sowie die Stiftungsfeste, die jährlich in zeitlicher Nähe zum Gründungstag abgehalten wurden. Hinzu kamen regelmäßige Auftritte bei den Feiern deutscher Vereine, Schulen und Kirchgemeinden vor Ort. Als außerordentliche gesellige Zusammenkünfte, die sich zum Teil nur auf die Mitgliederfamilien beschränkten, waren gemeinsame Ausflüge, Picknicks und die so genannten »Tanzkränzchen« beliebt. Von besonderer Bedeutung waren die Gesangvereine für karitative Initiativen der Gemeinschaften. Mit Hilfe von Wohltätigkeitskonzerten konnten in der Regel bedeutende Beträge erzielt und die Spendenbereitschaft erhöht werden. All diese Veranstaltungen waren in hohem Maße ethnisch kodiert. Wie das Beispiel des Männer-Gesangvereins in Esperanza zeigt, von dem eine größere Anzahl historischer Proben- und Programmhefte überliefert ist, beschränkte sich das Repertoire der Gesangvereine fast ausschließlich auf deutsche und 167 | Elsner 1932, 267. 168 | Die Frage der kulturellen Repräsentation in der Öffentlichkeit war auch in anderen Einwanderergemeinschaften zentral. Die spanischen »Kolonien« in Santa Fe feierten ihren wichtigsten Festtag – die Entdeckung Amerikas durch Kolumbus – mit sogenannten »romerías españolas«. Die mehrtägigen Volksfeste setzten sich aus Umzügen, Spiel, Tanz und Darbietungen spanischer Musik- und Theatergruppen zusammen. Das ethnische Vereinswesen war federführend bei der Organisation dieser Kulturveranstaltungen (vgl. Instituto de Cultura Hispánica de Santa Fe 1989, 32; 36-40; Fernández 2010, 154).
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schweizerische Volkslieder und Gesangs- und Theaterstücke deutschsprachiger Autoren. Lieder, Reden und die häufig im zweiten Programmteil vorgetragenen Schwänke, Possen und kleineren Theaterstücke beruhten auf Motiven aus der deutschen bzw. der deutsch-schweizerischen Lebenswelt.169 Die zahlreichen sprachlichen und kulturellen Verweise in den Programmen, den Stücken und im allgemeinen Ablauf erschlossen sich nur mit dem nötigen Hintergrundwissen und mussten auf Gäste aus der argentinischen Gesellschaft oder anderen Einwanderergemeinschaften zumindest befremdlich oder exotisch wirken. Für die eigentliche Zielgruppe im Umfeld der deutschen Einwanderer und ihrer Nachkommen waren diese Feste hingegen Akte der Selbstvergewisserung, mit denen ethnische Identitäten kontinuierlich bestätigt und erneuert werden konnten. Diese Strategie kam auch kolonieübergreifend zur Anwendung. Wie bereits angedeutet, waren die Gesangvereine Santa Fes untereinander stark vernetzt und unterhielten zum Teil auch auf nationaler Ebene, besonders zu Vereinen in Buenos Aires, freundschaftliche Kontakte. Nationale Grenzen wurden dabei weitgehend ausgeblendet. Der Gesang und die gemeinsame Sprache brachte deutsche, schweizerische und gemischtnationale Vereine zu Veranstaltungen zusammen, die von wechselseitigen Besuchen bis hin zu Großkonzerten mehrerer Gesangvereine reichten. Die kleinste Einheit dieser Form der Vernetzung und Kooperation waren die häufigen Sängerfahrten. Sie beruhten auf teils traditionsreichen Vereinsfreundschaften im regionalen Umfeld, wie sie beispielsweise zwischen dem schweizerisch geprägten Gesangverein »Harmonie« in San Carlos Sud und seinem »Bruderverein«170 , dem Männer-Gesangverein im etwa 50 Kilometer entfernten Esperanza bestanden. Ein ähnliches Verhältnis unterhielten der Deutsche Männerchor Rosario und die deutschsprachigen Chören in Roldán, San Gerónimo und den anderen nahe gelegenen »Zentralbahnkolonien«. Anlass für die Fahrten gaben Vereinsausflüge oder aber Einladungen zu Stiftungsfesten.171 Die Beziehung zwischen dem Männer-Gesangverein und der »Harmonie« war besonders eng und reichte bis in die 1870er Jahre zurück. In gewisser Weise hatte die erstgenannte Organisation sogar Anteil an der Entstehung des Chores in San Carlos Sud. 1876 besuchten die Sänger aus Esperanza mit ihrem damaligen Leiter Pedro Dürst die kleine Siedlung und zeigten, so der Chronist 169 | Vgl. Männer-Gesangverein Esperanza. Protokollbuch No. 4 [1902-1923]. 170 | Dürst 1913, 85. 171 | So ist in den »Actas« des Männer-Gesangvereins von 1903 ausdrücklich vermerkt, dass zum 33. Stiftungsfest der Gesangverein »Harmonie« San Carlos Sud, der Gesangverein aus Felicia und der Gesellschaftsverein »Frohsinn« aus Progreso eingeladen werden sollten (vgl. Männer-Gesangverein Esperanza. Protokollbuch No. 4 [1902-1923], 15).
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Fritz Huber, »was ein Gesangverein unter tüchtiger Leitung für das Zusammengehörigkeitsgefühl und das gesellschaftliche Leben einer Kolonie bedeutet. Jener Besuch führte [. . . ] zur Gründung unseres Gesangvereins [. . . ].«172 Zwei Jahre später folgte die erste Sängerfahrt der »Harmonie« nach Esperanza. Der Männer-Gesangverein und der Deutsche Hilfsverein hatten dazu eingeladen, um, wie es der Präsident des Hilfsvereins, Carlos Kleiber-Gietz, in einem Schreiben formulierte, »der deutschen Colonie am Río de la Plata einen Beweis zu geben, dass auf unsern [sic] Nachbar-Colonien das Deutsche und Schweizer [sic] Element fest und innig verbunden ist, wenn es gilt etwas Gemeinsames für Geist und Gemüt, für Eintracht und Bildung zu schaffen [. . . ].«173
Dieser Fahrt folgten zahlreiche weitere.174 Zur wahrgenommenen Wirkung des kontinuierlichen Austausches schreibt Huber: »Auf diesen Sängerfahrten hat man sich gegenseitig kennen und schätzen gelernt und der Wille an deutschem Lied und Wort festzuhalten, fand dabei neue Stärkung.«175 Ungeachtet des eigentlichen Zweckes der Treffen – dem gemeinsamen Gesang – konnten sich die begleitenden Feierlichkeiten zu regelrechten deutschen Volksfesten auswachsen. Über die Sängerfahrt des Männer-Gesangvereins Esperanza zu den Chören in Rosario im April 1929 berichtete ein enthusiasmierter »Korrespondent« aus Esperanza: »Nach der Ankunft dortselbst um 17.30 Uhr wurden die Quartiere aufgesucht, gemeinsam zu Abend gegessen und in der Festhalle des Deutschen Klubs eine Probe der Gesamtchöre abgehalten. Kurz vor 22 Uhr begann das Konzert ebendaselbst, das gut verlief und kurz nach Mitternacht endete. Ein Ball machte den Beschluß des Festes. [. . . ] Nach elf Uhr [am nächsten Tag, Anm. d. Verf.] begann das Picknick in der ›Brauerei Schlau‹. Die Aufnahme dortselbst übertraf alles Erwarten! Schon der erste Blick auf den Festplatz legte beredtes Zeugnis ab von einer geradezu glänzenden Organisation! Da fehlte nichts! [. . . ] Geradeaus die riesengroße, palmengeschmückte Festhalle mit zwölf langen, weißgedeckten Tischen mit Sitzplätzen für je einige vierzig Personen. Ein Heer von Brauereiangestellten sorgte für die tadellose, schnelle Bedienung und fünfhundert Festteilnehmer [sic]. Nach einem vorzüglichen Aufschnitt, ebensolcher Erbsensuppe, gab es einen ›Hammel Asado‹, der seinesgleichen suchte; danach für ›Nimmersatte‹ noch Würstchen, Weintrauben und Schweizer Käse machten den Beschluß des Banketts, das dem besten 172 | Huber 1926, 10. 173 | Ebd., 12. 174 | Vgl. Abbildung C5. 175 | Huber 1926, 14.
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Hotel Ehre gemacht hätte. Selbstverständlich fehlte es nicht an einem ganz vorzüglichen Tropfen, so daß nach und nach eine recht ›feuchtfröhliche Stimmung‹ aufkam, der sich niemand entziehen konnte. Gesangsvorträge trugen zur Unterhaltung bei, ebenso die aus Angestellten der Brauerei gebildete Musikkapelle, die auch die Tanzmusik lieferte.«176
Beteiligten sich an solchen Besuchen in der Regel nur die Vereine der jeweiligen zwei Ortschaften, kamen zu den großen »Provinzial-Sängerfesten« Chöre aus der ganzen Provinz zusammen.177 Den Kern bildeten Organisationen aus den städtischen Regionen Rosarios und Santa Fes und dem erweiterten Umland, wo sich deutsche und schweizerische Siedler verstärkt niedergelassen hatten. Am ersten »Provinzial-Sängerfest«, das an zwei Tagen im März 1911 in San Carlos ausgetragen wurde, nahmen der Deutsche Männerchor Rosario, der Männer-Gesangverein Esperanza, der Männer-Gesangverein Felicia und der Gesangverein »Harmonie« San Carlos Sud teil. Als offizieller Gast war u.a. der deutsche Vizekonsul Nagel aus Santa Fe anwesend. Den Schwerpunkt des Festprogrammes bildete gemütliche Geselligkeit in einem ethnisch durchwirkten Umfeld. Nach dem Empfang am Samstagvormittag und einem gemeinsamen Mittagessen im Hotel Schneider wurde eine Generalprobe aller Chöre abgehalten. Im Anschluss an das Abendessen im Hotel Wagner begann das große Konzert, bei dem u.a. deutsche Chorstücke und deutsche und schweizerische Volksweisen zur Aufführung kamen. Als »Glanznummer des Abends« brachte der Männer-Gesangverein Esperanza das »humoristische Terzett« »Eine urfidele Gerichtssitzung« zur Aufführung, bevor ein Ball, der »bis in den frühen Morgen« dauerte, das Fest beschloss.178 Am nächsten Tag stand die von Braumeister Otto Schneider geführte Besichtigung der Brauerei Häflinger auf dem Programm, wo »Katerfrühstück und Frühschoppen« eingenommen werden sollten, bevor die Gesangvereine in ihre Heimatorte zurückkehrten.179 Ein Zeitungsbericht belegt, dass solche Feste meist auf ähnliche Weise verliefen: »Hierauf ging es nun in den eigentlichen Festraum, welcher eine allgemeine Begeisterung hervorrief, denn die Dekoration war großartig, und hunderte von Guirlanden und Fähnchen schmückten den Raum, in welchem in langen Reihen die weißgedeckten Tische aufgestellt waren. Sofort 176 | DLPZ, 61. Jg., Nr. 92 (4. April 1929), 7. 177 | Die regionale Vernetzung der Gesangvereine ging ebenfalls auf die Sängerbewegung in Deutschland im 19. Jahrhundert zurück, die traditionell auf »Liederfesten«, »Regional-Sängerfesten«, etc. zusammentraf und eine vergleichbare, wenn auch politischere Festkultur pflegte (vgl. Düding 1984, 258-263; Klenke 1998, 63-69). 178 | Vgl. DLPZ, 43. Jg., Nr. 74 (29. März 1911), 1. 179 | Vgl. für den Programmablauf: Deutscher Männerchor Rosario et al. 1911, ohne SZ.
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labte sich alt und jung an den prächtigen Schoppen, welche serviert wurden und wahre Berge von gut hergerichteten Sandwiches wurden vertilgt. Zahlreiche Damen hatten sich auch hier eingefunden und bald walzten denn auch die Paare in fröhlicher Stimmung durcheinander. Um 12 Uhr gab es dann eine ausgezeichnete Erbsensuppe mit darauffolgenden Knackund Wienerwürstchen. Bei stetig abwechselndem Konzert, Gesangsvorträgen und humoristischen Reden, bei welcher Gelegenheit Herr Otto Schneider alle aus dem Felde schlug, denn der Humor sprudelte nur so hervor bei ihm, war es 2 Uhr geworden. [. . . ] Die übrigen Herrschaften blieben dann noch in feuchtfröhlicher Stimmung bis 4 Uhr beieinander [. . . ].«180
In der Wahrnehmung der beteiligten Vereine war das erste »Provinzial-Sängerfest«, sowohl hinsichtlich seiner künstlerischen Ausgestaltung als auch der Aufnahme und Beteiligung seitens der deutschen »Kolonien«, derart erfolgreich verlaufen, dass bald eine Folgeveranstaltung in Rosario in Aussicht genommen wurde. Das nächste »Wettsingen« fand allerdings erst im November 1913 in Santa Fe statt, organisiert vom örtlichen Sängerquartett und dem Deutschen Verein, die als Gastgeber eingesprungen waren, nachdem die für 1912 in Rosario geplante Ausrichtung wegen »ungünstiger Umstände«181 nicht zustande gekommen war. Zu diesem Konzert im »Roma Nostra«-Saal fanden sich 120 Sänger aus Rosario, Esperanza, Felicia, San Carlos Sud und Santa Fe sowie über 500 Gäste ein.182 Die Tradition der »Provinzial-Sängerfeste« wurde durch den Ersten Weltkrieg unterbrochen und erst in den 1920er Jahren fortgesetzt. Über die identifikatorischen Wirkungen solcher Feste, die über Geselligkeit und Vernetzung hinauswiesen, war man sich in den Gesangvereinen von Anfang an im Klaren. So schließt der Bericht über das erste Sängerfest in San Carlos Sud in den Vereinsakten des Männer-Gesangvereins Esperanza resümierend: »Nicht nur hat dieser so harmonisch verlaufene Sängertag sehr viel zur Hebung des Gesanges und auch zu einem engeren Zusammenschluß der deutschen Gesangvereine beigetragen, sondern auch den besten Beweis geliefert, daß die Pflege der deutschen Lieder einen nicht zu unterschätzenden Faktoren [sic] in der Erhaltung unseres Deutschtums im Auslande bedeutet.«183
180 | DLPZ, 43. Jg., Nr. 74 (29. März 1911), 1. 181 | Elsner 1932, 309. 182 | Vgl. DLPZ, 45. Jg., Nr. 272 (18. November 1913), 4f. Der Gesangverein aus Roldán sagte seine Teilnahme kurzfristig ab. Am Tag nach dem Konzert nahmen noch Hunderte Gäste an Dampferausflug und Picknick teil. 183 | Vgl. Männer-Gesangverein Esperanza. Protokollbuch No. 4 [1902-1923], 152.
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Einen noch weiteren Bogen spannten die »Deutschen Sängerfeste« in Rosario, zu denen auch Gesangvereine aus Buenos Aires anreisten.184 Das erste Fest dieser Art fand auf Betreiben des Deutschen Männerchors Rosario und des Deutschen Männer-Gesangvereins Buenos Aires im Dezember 1900 statt. Neben diesen beiden beteiligten sich der neu gegründete Gesangverein »Concordia« Rosario, die Gesangsabteilung des Schweizer Turnvereins Rosario und diverse Solisten aus den beiden deutschsprachigen Gemeinschaften. Insgesamt waren 150 Sänger anwesend. Auch zu diesem Anlass wurde die ethnische Bande zwischen deutschen und schweizerischen Einwanderern in Argentinien, wie sie vor allem in den Gesangvereinen zum Ausdruck kam, demonstrativ betont. In der zweiten Strophe der Festhymne heißt es in Anlehnung an ein Gedicht von H. Rohde: »Erstes Glas dem Vaterland, Deutschland soll es klingen, Deutscher Männer Treue-Band Uns fortan umschlingen! Auch Helvetia lebe hoch! Hoch die Schweizer Brüder! Mögen viele Jahre noch Uns einen deutsche Lieder!«185
Das Programm glich den bereits beschriebenen. Auf Empfang und Proben folgten das ausverkaufte Konzert im Teatro Olimpo mit deutschen und schweizerischen Liedern sowie ein »Humoristischer Abend« im Teatro Nuevo Politeama. Am nächsten Tag traf man sich zum Frühschoppen im Deutschen Verein mit anschließendem Spaziergang im Victoria-Park. Die Einnahmen kamen dem Deutsch-Englischen Hospital zugute.186 Der Erfolg des ersten »Deutschen Sängerfestes« trug dazu bei, dass die nun mit neuem Selbstbewusstsein ausgestattete deutsche Gemeinschaft Rosarios in der Öffentlichkeit wieder stärker wahrgenommen wurde. Korrespondent »Nemo« schrieb dazu in der DLPZ: »Die gesammte [sic] Lokalpresse hat sich in sehr anerkennender Weise über das Sängerfest ausgesprochen und den Dirigenten, sowie den Mitwirkenden volle Gerechtigkeit widerfahren lassen. Zum ersten Mal, kann man 184 | In Buenos Aires existierte ebenfalls eine lebendige deutsche Gesangvereinskultur. Die ersten Chortreffen fanden bereits in den 1860er Jahren statt. Ab 1922 wurden jährliche deutsche Sängerfeste im Cervantes-Theater veranstaltet (vgl. Lütge et al. 1981, 155; Zago 1985, 39). 185 | Elsner 1932, 296. 186 | Vgl. für diesen Absatz: DLPZ, 32. Jg., Nr. 279 (27. November 1900), 1; Nr. 291 (11. Dezember 1900), 1; Nr. 292 (12. Dezember 1900), 1; Nr. 293 (13. Dezember 1900), 1.
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wohl sagen, ist es geschehen, daß argentinische Blätter so ausführliche und enthusiastische Berichte über ein deutsches Fest veröffentlicht haben. Eines Umstandes, der bei dieser Gelegenheit von den hiesigen Kollegen erwähnt wird, möge hier noch gedacht werden: Bei der Beschreibung des humoristischen Abends, den der ›Deutsche Männer-Gesangverein Buenos Aires‹ im Nuevo Politeama veranstaltete, bemerkt ›La Capital‹, daß die Begeisterung wegen der vorzüglichen Leistungen der Vortragenden eine derartige war, daß selbst eine Reihe von Vollblut-Argentiniern, die kein Wort Deutsch verstanden, die allgemeinen Lieder mitsangen, als wenn sie von Jugend auf es gar nicht anders gekannt hätten.«187
Ein weiteres Ergebnis des Festes war die allgemein begrüßte Idee, die deutschsprachigen Gesangvereine auf lokaler und nationaler Ebene in »Bünden« bzw. Dachverbänden zu organisieren. Wenige Monate später taten sich tatsächlich der Deutsche Männerchor und der Gesangverein »Concordia« in Rosario zu einem Sängerbund zusammen und absolvierten einige Auftritte, bevor die Kooperation Ende 1901 infolge von Differenzen aufgegeben wurde.188 Ein landesweiter Verband konnte erst am 25. Mai 1930 mit der Gründung des Deutschen Sängerbundes am La Plata in Buenos Aires verwirklicht werden, dem sich aus Rosario der Deutsche Männerchor und der Gemischte Chor 189 anschlossen. Bereits das »2. Sängerbundesfest« des neuen Dachverbandes wurde im Oktober 1931 in Rosario ausgetragen. Die Schirmherrschaft übernahmen der deutsche Gesandte in Buenos Aires, Friedrich von Keller, und die beiden deutschen Konsuln in Rosario, Emil R. Werner und Albert von Rosenberg-Lipinsky. Die Festkommission setzte sich aus Mitgliedern des nach wie vor bestehenden Deutschen Männerchores, den Konsuln und Vertretern der meisten deutschen Vereine Rosarios zusammen.190 Mit zwölf teilnehmenden Gesangvereinen aus Buenos Aires, Rosario und San Gerónimo Sud und drei aufeinander folgenden Festtagen war es die bis dahin größte und längste derartige Veranstaltung in der Provinz Santa Fe.191 187 | DLPZ, 32. Jg., Nr. 296 (16. Dezember 1900), 1. 188 | Vgl. Elsner 1932, 298-301. 189 | Der Gemischte Chor war 1914 aus dem Umfeld des Schulvereins »Talleres« als eigenständiger Chor hervorgegangen und wollte ursprünglich die zweite deutsche Schule unterstützen. 1930 verband er sich aufgrund der mäßigen Mitgliederzahl mit dem Verein Germania (vgl. Elsner 1932, 341; 348). 190 | Es waren u.a. Mitglieder des Deutschen Vereins, des Deutschen Schulvereins, des Deutschen Hospitalvereins, der Deutschen Evangelischen Gemeinde, der Sociedad Cultural Alemana Argentina, der Deutschen Krankenkasse, des Vereins Germania und des Deutschen Turn- und Sportvereins vertreten (vgl. Deutscher Sängerbund am La Plata 1931, ohne SZ). 191 | Es nahmen teil der Deutsche Männerchor Rosario, der Gemischte Chor San Gerónimo Sud, der Schweizer Jodlerclub Buenos Aires, der Gesangverein »Germania«
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Am ersten Tag stand ein gemeinsamer Auftritt der »vereinigten Männerchöre« mit dem Orchester der Asociación del Profesorado Orquestral de Rosario im Teatro Colón auf dem Programm, bei dem u.a. Stücke von Mozart, Schubert, Mendelssohn, Strauss und deutsche Volkslieder gebracht wurden. Eingeleitet wurde das Konzert mit dem »Sängerbundesgruss«: »Grüß Gott mit hellem Klang / Heil deutschem Wort und Sang«. Der nächste Tag begann mit einem morgendlichen Frühschoppen in der »Schlaubier-Brauerei«, setzte sich abends im Saal des Deutschen Vereins fort, wo jeder der zwölf Bundeschöre zwei deutsche bzw. schweizerische Lieder vortrug und gipfelte in einem Ball. Den Abschluss machte am letzten Festtag eine »Sängerfahrt nach San Gerónimo«, um dort die Vereinsfahne, ein Geschenk des Gesangvereins »Germania« an den Gemischten Chor San Gerónimo, zu weihen. Das Sängerbundesfest endete mit einem »Familien Pick-Nick auf dem Festplatze der Chopería Suiza«.192 Den vorstehenden Beispiele aus verschiedenen Abschnitten der Geschichte des deutschsprachigen Gesangvereinswesens in Santa Fe ließen sich noch zahlreiche weitere anfügen. Aber bereits diese Fragmente sind Beleg für die große Kontinuität und Übereinstimmung in diesem Bereich, sowohl im Hinblick auf die formulierten Ziele und den selbst wahrgenommenen Kulturauftrag als auch auf die überaus homogene Festkultur, die nationale Grenzen transzendierte und zur Herausbildung einer weiter gefassten ethnischen Gemeinschaft beitrug. Die traditionsreiche Vernetzung über Siedlungs- und Provinzgrenzen hinaus konnte diese Effekte noch verstärken und sorgte zudem für eine gesteigerte Wirkung und Sichtbarkeit des Vereinsaktionismus in den deutschsprachigen »Kolonien« und der argentinischen Gesellschaft.
4.2.2 Die Sociedad Cultural Alemana Argentina Dass die Festkultur ein zentrales Instrument der Tradierung bzw. Diffusion von Kultur und Sprache in den deutschen Gemeinschaften war, zeigen auch die Aktivitäten deutscher Kulturvereine wie der Sociedad Cultural Alemana Argentina in Rosario. Ausgehend von der Idee der kulturellen Überlegenheit und der Bewahrung ethnischer Identität im Ausland entwickelte die Organisation ein starkes Sendungsbewusstsein mit dem ausdrücklichen Ziel, über ihre Veranstaltungen eine möglichst große gesellschaftliche Wirkung zu entfalten. Allerdings Buenos Aires, der Gesangverein »Eintracht« Buenos Aires, der Deutsche MännerGesangverein Buenos Aires, der Gesangverein »Liederkranz« Piñeyro-Buenos Aires, der Gesang- und Geselligkeitsverein Villa Ballester , der Gesang- und Geselligkeitsverein Dock Sud, die Schwabenvereinigung Buenos Aires, der Gesang- und Geselligkeitsverein Belgrano, und der Gemischte Chor des Vereins Germania Rosario (vgl. ebd.). 192 | Vgl. für diesen Absatz: Deutscher Sängerbund am La Plata 1931, ohne SZ.
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setzte sie, im Gegensatz zu den meisten ihrer Schwestervereine, auf betont offene Strukturen und trat für kulturelle Vielfalt und Verständigung ein. Sie ist damit Beispiel für eine neue Generation von Einwanderervereinen, die sich in den deutsch-argentinischen Zwischenräumen am kulturellen Zusammenwachsen beider Lebenswelten beteiligten.193 Wie viele andere deutsche Vereine in Rosario auch, hatte die Sociedad Cultural Alemana Argentina ihren Ursprung im Umfeld des Deutschen Vereins, wo sie auf Initiative Gustav F. Schäffers und Hermann Amelongs im August 1927 gegründet wurde.194 In den ersten drei Jahren ihres Bestehens firmierte sie unter dem Namen Sociedad Cultural Alemana und konzentrierte ihre Tätigkeit auf »Konzerte, Ausstellungen deutscher Künstler [und] wissenschaftliche Vorträge«195 . Der Namenszusatz »Argentina«, den sich der Verein im August 1930 gab, war ein sichtbares Bekenntnis zur proklamierten Offenheit und zur kulturellen Vielfalt der Gastgesellschaft, die sich auch verstärkt in den Veranstaltungen widerspiegelte.196 Bereits in ihrer Anlage war die kurz Cultural Alemana genannte Vereinigung auf weitgehende Inklusion und große Außenwirkung angelegt, auch wenn die deutsche Kultur bei Gründung noch im Vordergrund stand: »Mitglied kann jede Dame oder Herr über 18 Jahr werden. [. . . ] Alle Vortragsabende, Konzerte, Ausstellungen, usw. tragen öffentlichen Charakter und können von jedem, der sich dafür interessiert und das festgesetzte Eintrittsgeld erlegt, besucht werden[,] ohne daß er von einem Mitgliede der Gesellschaft eingeladen oder eingeführt worden wäre. Die Vereinigung will sich in keiner Weise als geschlossene Gesellschaft irgendwelche Kunstgenüsse verschaffen, sondern ist bestrebt, vor allen Dingen neben der Pflege und Verbreitung deutscher Kultur auf jedem Gebiete, auch deren Verbreitung in weiteste Kreise zu bewerkstelligen. [. . . ] Bemerkt sei noch, daß die Vereinigung keine Schranken für Mitglieder weder in Bezug auf 193 | Vgl. für diesen Absatz: Kramer 2015, 102. 194 | Die Familie Amelong war seit Generationen auf vielfältige Weise mit dem deutschen Vereinswesen in Rosario verbunden. Der Musiklehrer Heinrich Amelong war Anfang der 1850er Jahre als einer der ersten Deutschen nach Rosario gekommen und dort zusammen mit seinem Neffen Hermann Amelong im Importhandel tätig gewesen. Letzterer war u.a. Gründungs- und Vorstandsmitglied der Deutschen Evangelischen Gemeinde, des Deutschen Vereins und des Deutschen Schulvereins. Der hier als Mitbegründer der SCAA auftretende gleichnamige Sohn Hermann Amelongs arbeitete u.a. als Zahnarzt in Rosario. Er gehörte 1893 zu den ersten Schülern der neuen Deutschen Schule. Wie sein Vater engagierte er sich im Vorstand des Deutschen Vereins sowie in der evangelischen Gemeinde und dem Deutschen Schulverein (vgl. EZA 5/2149, ohne BN; Elsner 1932, 64; 66; 135; Elsner 1942, 5; Deutscher Schulverein Rosario 1933, 25; Hagedorn 1944, 10f.). 195 | DLPZ, 59. Jg., Nr. 212 (10. September 1927), 7. 196 | Vgl. für diesen Absatz: Elsner 1932, 69; 284f.
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Religion noch auf Nationalität vorsieht und es daher erwünscht ist, wenn recht viele Einheimische für diese Gesellschaft geworben werden.«197
Neben »Offenbarungen deutscher Kunst und Wissenschaft, besonders auf musikalischem Gebiete« war der Verein aber auch bereit, »fremde Musik« in sein Programm aufzunehmen, »wenn der Vorstand dies für angebracht hält.«198 Für einen vergleichsweise geringen Monatsbeitrag von zunächst einem Peso erhielten die Mitglieder freien bzw. ermäßigten Eintritt zu den regelmäßig stattfindenden Veranstaltungen. Damit sollte auch den weniger wohlhabenden Teilen der Rosariner Gesellschaft die Teilnahme ermöglicht werden. Die Liste der »socios« für das Jahr 1930 zeigt, dass dieses Konzept aufging. Unter den 838 registrierten Namen finden sich nicht nur beinahe alle wichtigen Persönlichkeiten der deutschen »Kolonie«, zum Teil mitsamt ihrer Familien, sondern auch zahlreiche Argentinier sowie Vertreter anderer Einwanderergemeinschaften.199 Die Umgangs- und Protokollsprache war folgerichtig Spanisch, der kleinste gemeinsame sprachliche Nenner aller Mitglieder. Die ersten öffentlichen Aktionen der SCAA orientierten sich noch deutlich am Ausgangskonzept, das die Verbreitung deutscher Kultur in Rosario als zentrales Anliegen in den Mittelpunkt rückte. Es wurden Musikabende mit geladenen Solisten, den Streichern der Asociación del Profesorado Orquestral oder dem Quartett »Diapason« aus Rosario organisiert. Die Konzerte fanden im Salon des Deutschen Vereins statt und umfassten vor allem Werke deutscher und österreichischer Komponisten wie Johann Sebastian Bach, Franz Schubert, Robert Schumann, Wolfgang Amadeus Mozart oder Ludwig van Beethoven. Anlässlich der zwölften »Reunión« im Juni 1928 lud die Vereinigung zu einem »Recital de canciones del folklore y canciones populares alemanas« ein, der von Mitgliedern der deutschen Gemeinschaft bestritten wurde und sich in die Abschnitte »Heimat und Vaterland«, »Abschied und Wanderlust« und »Von der Liebe Freud’ und Leid« unterteilte. Deutsche Arien und Lieder wurden in den Programmheften allerdings stets auch in einer spanischen Übersetzung abgedruckt, die Hermann Amelong besorgte.200 Wesentlich seltener waren Rezitationen wie die der deutschen Schauspielerin Charlotte Christann vom Stadttheater Hannover, die im Mai 1928 u.a. Gedichte von Theodor Fontane, Annette von Droste-Hülshoff und August Kopisch vortrug. Lyrik, Lieder und Konzertwerke deutscher Herkunft gehörten auch in den folgenden Jahren zu den zentralen Programmbestandteilen. Aus den Konzert197 | DLPZ, 59. Jg., Nr. 212 (10. September 1927), 7f. 198 | DLPZ, 59. Jg., Nr. 221 (21. September 1927), 8. 199 | Vgl. Sociedad Cultural Alemana Argentina 1930, 15-20. Mitte des Jahres 1931 zählte der Verein bereits über 900 Mitglieder (vgl. DAD, 14. Jg., Nr. 16 (August 1931), 532). 200 | Vgl. Elsner 1932, 285.
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heften wird aber ersichtlich, dass die SCAA durchaus bemüht war, sich kulturell variabler aufzustellen und eine noch breitere Öffentlichkeit anzusprechen. Ab Juli 1928 wechselte man dazu vom deutschen Vereinshaus in den größeren Saal des Teatro del Círculo de Obreros und lud zunehmend international renommierte Künstler ein, die auf Tournee in Argentinien waren.201 Am neuen Spielort fanden u.a. das »Recital de laudes españoles« des Cuarteto Aguilar sowie Auftritte des katalanischen Violinisten Pedro Vidal, des italienischen Pianisten Carlo Zecchi und des London String Quartett statt. Den deutschen Klassikern wurden immer öfter Werke von Claude Debussy, Frédéric Chopin, Antonio Vivaldi, Edvard Grieg oder Tschaikowski zur Seite gestellt. Pro Jahr konnten zwischen elf und 20 Kulturabende abgehalten werden, sodass die Vereinigung bereits im Juni 1931 die 50. »Reunión« mit einem Konzert des Leipziger Pianisten Max Pauer begehen konnte. Die SCAA war damit innerhalb kurzer Zeit zur festen Größe im gemeinschaftsübergreifenden Kulturleben Rosarios geworden.202
4.2.3 Kulturelle Bruchstellen Der graduelle Prozess der kulturellen Anpassung machte auch vor längst etablierten deutschen Vereinen in Rosario und Esperanza nicht halt. Häufig handelte es sich nur um subtile Veränderungen, Kompromisse und Zugeständnisse, die allmählich in den Vereinsalltag Einzug hielten und auf diese Weise die ethnische Abgeschlossenheit der Organisationen von innen her aufbrachen. Keiner der Vereine konnte sich diesem Vorgang entziehen, der im einzelnen zwar sehr individuell und eher asynchron verlief, sich infolge starker externer Reize aber durchaus auch auf kollektiver Ebene manifestierte. Erste Anzeichen dafür lassen sich in der so genannten »Sprachenfrage« erkennen, die sich früh zu einem Kerndiskurs vieler deutscher Selbstorganisationen entwickelte. Gegenüber der allgemeinen verbreiteten Vorgabe, im Vereinskontext ausschließlich Deutsch zu sprechen, regte sich ab Ende des 19. Jahrhunderts intern zunehmender Widerstand. Die Reaktionen auf diese Spannungen reichten von vorsichtiger Öffnung bis hin zu einem demonstrativem Abschluss nach außen.
201 | Die Círculos de Obreros Católicos genannten katholischen Arbeitervereine waren Ende des 19. Jahrhunderts vom deutschen Redemptoristen-Pater Friedrich Grote in Buenos Aires ins Leben gerufen worden. Bis Ende der 1920er Jahre hatten sich insgesamt 87 Zweigvereine mit zehntausenden Mitgliedern in ganz Argentinien gebildet, u.a. auch in Rosario (vgl. Holzer 1929, 90). 202 | Vgl. für die vorangegangenen vier Absätze die Programmhefte der SCAA in: PA AA Buenos Aires 63.
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Im Männer-Gesangverein Esperanza verlangte der wachsende Anteil rein spanischsprachiger Mitglieder im 20. Jahrhundert nach einer Neuorientierung und verstärkter Kompromissbereitschaft. So wurde auf Wunsch dieser Vereinsteile 1930 ein spanischer Theaterabend veranstaltet.203 In den Programmheften des Vereins fanden sich in den 1920er und 1930er Jahren zudem immer häufiger spanischsprachige Abschnitte und Erklärungen. Das Deutsche dominierte dennoch weiterhin Vereinsalltag, Protokolle und Publikationen. Erst ab September 1947 ging man dazu über, die »Actas« »por motivos de mejor entendimiento y tranquilidad«204 ausschließlich auf Spanisch zu führen. Der Deutsche Verein in Rosario schlug einen entgegengesetzten Kurs ein und schloss sich nach außen hin ab. Noch Anfang der 1920er Jahre wurde der Antrag eines Mitgliedes nach Aufnahme »Nicht-Deutschsprechender« mehrheitlich abgelehnt.205 Die Publikationen des Vereins zeigen aber, dass beispielsweise spanische Sprachfragmente oder Kulturelemente wie der »asado«, das argentinische Grillfest, längst Teil des Vereinslebens waren. Ähnliche Beispiele für die Überblendung »deutscher Kultur« durch die bunte und vielstimmige argentinische Alltagskultur lassen sich auch in den Quellen anderer Vereine ausmachen. An die Stelle des »reinen Deutschtums« trat ein ständiges Nebeneinander der Bezugssysteme, das häufig nicht einmal von den Protagonisten selbst in dieser Klarheit wahrgenommen wurde. Das ethnische Umfeld der Vereine war demnach nur scheinbar ein geschütztes und trug, im Gegenteil, als soziales Netzwerk und kultureller Multiplikator sogar zur »Argentinisierung« der Gemeinschaften bei. Ungeachtet ihrer starken Bewahrungstendenzen bildeten die Selbstorganisationen der Einwanderer damit auch Räume für die Aushandlung neuer deutsch-argentinischer Identitäten. Zusätzliche Schübe erhielt die kulturelle Transformation durch prägende externe Ereignisse. Die in den Vereinen gelebte politische und kulturelle Nähe zu Deutschland mündete in einem gewissen Abhängigkeitsverhältnis zu den dortigen Entwicklungen. Krisen, Kriege oder Katastrophen in der »alten Heimat« provozierten vielfältige Reaktionen in den deutschen Gemeinschaften Argentiniens, die fast immer von den Vereinen ausgingen. Als charakteristische Beispiele können die beiden Weltkriege dienen. Der negative Ausgang dieser Konflikte und die unangenehmen Folgen für die deutschen »Kolonien« blieben im kollektiven Gedächtnis haften und riefen Zweifel bezüglich der eigenen Identität und der kulturellen und gesellschaftlichen Positionierung »in der Fremde«
203 | Vgl. DLPZ, 62. Jg., Nr. 313 (13. November 1930), 6. 204 | Männer-Gesangverein Esperanza. [Protokollbuch 6], 37. 205 | Vgl. Elsner 1932, 326.
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hervor. Diese Krisenstimmung übertrug sich auch auf die Einwanderervereine und beschleunigte mitunter die Anpassungsprozesse.206 Ein weiterer Effekt der in weiten Teilen des deutschen Vereinswesens von Rosario und Esperanza empfundenen sprachlichen und kulturellen Verlustängste und des hohen Anpassungsdrucks waren die verstärkten Bemühungen, das »Deutschtum« zu konservieren und an die Nachkommen weiterzugeben. Besonders Schulen und Kirchgemeinden erkannten in der Bindung der Jugend an Kultur, Sprache, Wertesysteme und Lebenswelt der Eltern und Großeltern eines ihrer Hauptaufgabengebiete.207 Die Überzeugung, dass von den folgenden Generationen das Überleben des deutschen Vereinswesens abhing, setzte sich auch in vielen anderen Organisationen durch. Es erfolgten nun speziell auf diese Zielgruppe ausgerichtete Angebote, z.B. im Bereich des Gesangs, des Sports oder des Tanzes. Pastor Vöhringer aus Esperanza hielt 1927 auf der Pfarrerkonferenz in Buenos Aires ein engagiertes Referat über ethnische Jugendbildung im Ausland und gab darin gewissermaßen auch das künftige Motto für das gesamte deutsche Vereinswesen aus: »Wer die Jugend hat, hat die Zukunft.«208
4.3 »Für Kaiser und Reich«: Über die Beständigkeit nationaler Identitäten Das deutsche Nationalbewusstsein erlebte in der gesellschaftlichen und politischen Umbruchszeit des 19. Jahrhunderts einen wesentlichen Aufschwung. Noch bevor das Deutsche Reich staatsrechtlich wie auch territorial seine endgültige Form erreichte und damit der ungeliebten »Kleinstaaterei« ein Ende setzte, hatte eine grenzübergreifende Elite bereits das imaginiert, was Friedrich Meinecke später als »Kulturnation« bezeichnen sollte. Nationale und ethnische Elemente wurden in den Diskursen dieser Vordenker in einen Zusammenhang gebracht und verdichteten sich zu einem Amalgam aus Sprache, Kultur, Geschichte und einer z.T. progressiven gesellschaftspolitischen Zukunftsvision. Mit der im gleichen Zeitraum einsetzenden, massenhaften deutschen Überseewanderung wurden diese Ideen in die amerikanischen Staaten transportiert und fanden u.a. in den Einwanderervereinen einen geeigneten Nährboden.
206 | Vgl. zu den Wirkungen des Ersten Weltkrieges in den deutschen Gemeinschaften Kapitel III, 4.4 und V, 3.2.5 dieser Arbeit. 207 | In den Vereinsschulen und Kirchgemeinden trat auch die angestrebte Wertevermittlung deutlicher als in den hier genannten Beispielen zutage. Vgl. dazu Kapitel IV und V, 3.2.2 dieser Arbeit. 208 | Vgl. EZA 5/2072, ohne BN.
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Wie früh die nationalen Diskurse in Argentinien und den deutschen Selbstorganisationen zirkulierten, zeigt das Beispiel der evangelischen Gemeinde in Buenos Aires. In seiner Antrittsrede 1843 identifizierte Pfarrer Ludwig Siegel Deutschland als einen einheitlichen Kulturraum und beschwor ein starkes deutsches »Wir«-Gefühl, das bis über den Atlantik reichte. Als nationale Abgrenzungsmerkmale hob er die Tugenden der »germanischen Stämme« – Disziplin, Exaktheit, Tiefgründigkeit, etc. – und die hoch entwickelte Wissenschaft, Kunst und Poesie hervor. Mit lebendigen, identitätsstiftenden Motiven – deutsche Berge, Wälder und Kinderspiele, der deutsche Frühling – umriss Siegel ein kollektives Heimatbild, das sich auch in der Folgezeit in zahlreichen deutsch-argentinischen Vereinspublikationen und Heimwehgedichten wiederfand. Zugleich betonte er aber auch die nationale Verantwortung der deutschen Auswanderer, die deutsche Sprache, Kultur und den deutsch-evangelischen Glauben im Ausland zu bewahren und zu verbreiten.209 Die Wünsche und Hoffnungen vieler Deutscher auf einem einheitlichen Nationalstaat materialisierten sich 1871 in der Gründung des Deutschen Reichs. Auf die Bedeutung und belebende Wirkung dieses Schlüsselereignisses für die deutschen Gemeinschaften und ihr Vereinswesen, vor allem in Buenos Aires, wurde wiederholt hingewiesen.210 Über konkrete Reaktionen im argentinischen Hinterland, zumal in der Provinz Santa Fe, gibt es hingegen nur wenige Informationen. Zeugnisse aus dieser Zeit sind nicht vorhanden. Allerdings belegen einige Chroniken und historische Rückblicke, dass die Effekte in dieser Region mit denen in anderen Landesteilen im Wesentlichen übereinstimmten. Erich Elsner zufolge waren die Kriegsjahre vor der Reichsgründung auch für die Deutschen in Rosario schwierig. Es gelangten kaum Nachrichten nach Argentinien und in der Presse dominierte ein negatives Deutschlandbild. Nach den Siegesmeldungen aber war ein »steigendes Ansehen der Deutschen unter der hiesigen Bevölkerung« zu registrieren, viele »Landsleute bekannten sich jetzt mit umso mehr Eifer zur deutschen Kolonie und andere, Abseitsstehende, besannen sich wieder auf ihr Volkstum«211 . Die nationale Einigung bewirkte allerdings wohl auch eine verstärkte Rückwanderung und Verkleinerung der Kolonie.212 In Esperanza hatte der Ausgang des Deutsch-Französischen Krieges – neben der neuen nationalen Begeisterung – noch eine weitere Dimension. Deutsche und Schweizer, die in den Jahren seit der Koloniegründung zu einer ethnischen 209 | Vgl. Quellenabdruck in: Buettner 1893. 5-9. 210 | Vgl. Kapitel II, 2 dieser Arbeit sowie: Lütge et al. 1981, 157; 183; 186; Saint SauveurHenn 1995, 504; Werner 1996, 184; Zorzin 2009, 101f. 211 | Elsner 1932, 192. 212 | Vgl. ebd.
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Gemeinschaft verwachsen waren, zogen sich nun vermehrt auf ihre nationalen Vereinsräume zurück. Edmund Koch, evangelischer Pfarrer in Esperanza, schreibt dazu in seiner Gemeindegeschichte: »Der siebziger Krieg entflammte auch hier das deutsche Nationalbewusstsein. Die Sympathien der Schweizer, auch der Deutschredenden, standen allerdings wohl in der Mehrzahl auf französischer Seite. Eine gewisse Spannung zwischen deutschen und schweizerischen Elementen ist seitdem immer zu bemerken gewesen.«213
Begünstigt durch die politische Hinwendung zum »Auslanddeutschtum«, konnte sich der neue Nationalismus auch außerhalb der Reichsgrenzen rasch verbreiten. Insbesondere deutsche Vereine, Schulen und Kirchgemeinden entwickelten sich dort zu seinen Hauptträgern. Innerhalb dieser Strukturen war es möglich, nationale Zugehörigkeiten über Generationen wachzuhalten, beständig zu revitalisieren und teilweise sogar neu zu formen. Eines der in diesem Zusammenhang wichtigsten Instrumente war die patriotische Erinnerungs- und Festkultur, die sich in regelmäßigen Abständen bedeutenden Daten und Persönlichkeiten des deutschen Einigungsprozesses zuwandte. Daneben wirkten vor allem die Besuche deutscher Diplomaten, Würdenträger und Reisender als Impulsgeber für eine Erneuerung des Bekenntnisses zu »Kaiser und Reich«. Ihre aktionistische Entsprechung fanden diese Bekundungen u.a. in der finanziellen Unterstützung Deutschlands zugunsten nationaler Ziele, deutscher Kriegs- und Katastrophenopfer, etc. Mit der Zeit und unter dem Einfluss der staatlichen Nationalisierungspolitik Argentiniens wurde das deutsche Vereinswesen darüber hinaus zum Konstruktionsraum einer durchaus mit eigenen Motiven durchsetzten argentinischen Nationalidentität.
4.3.1 Patriotische Erinnerungs- und Festkultur214 In allen europäischen Einwanderergemeinschaften Argentiniens war die kontinuierliche Vergewisserung der nationalen Herkunft wichtiger Bestandteil der jeweiligen Vereinskulturen. Sie fand ihren ersten Ausdruck in patriotischen Festen anlässlich von nationalen Feiertagen, Kriegserfolgen oder offiziellen Visiten von Diplomaten oder Staatsbeamten. Nationalitäten überlagerten in vielen Fällen sogar die ethnisch begründeten Gemeinsamkeiten einzelner Gemeinschaften. Deutsche, Österreicher und Schweizer in Argentinien etwa pflegten zwar das Bild des gemeinsamen »Germanentums«, das als Sprach- und Kul213 | Koch 1904a, 168. 214 | Für die Erinnerungs- und Festkultur in deutschen Schulen und evangelischen Kirchgemeinden vgl. Kapitel IV, 4.5 und V, 3.2 dieser Arbeit.
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turgemeinschaft auf vielen Gebieten zusammenarbeitete, auf ihre nationalen »Eigenarten« wollten sie deshalb aber nicht verzichten. Im deutschen Vereinswesen Rosarios und Esperanzas blieb die Nation bis zum großen Bruch, den der Erste Weltkrieg markierte, der maßgebliche Bezugspunkt des kollektiven Aktionismus. Vor allem der Gründungsmythos des Deutschen Reichs, der in Deutschland bewusst an bestimmte Daten und Persönlichkeiten gekoppelt war und politisch intensiv verwertet wurde, lieferte Anlässe und Leitmotive für die patriotische Erinnerungs- und Festkultur. Feiern zur Reichsgründung oder den Geburts- und Todestagen der Kaiser und anderer prägender deutscher Staatsmänner wurden häufig als lokale Ereignisse organisationsübergreifend zelebriert. Sie strukturierten und befeuerten die Vereinsaktivitäten. Vor allem ihre Periodizität machte diese Veranstaltungen zu einem wichtiger Faktor für Kontinuität und Selbstverständnis deutscher Vereinigungen. Doch auch abseits solcher Anlässe ragte der latente Nationalismus beständig in Vereinsdiskurse und -feste hinein.215 Die Feiern zur Reichsgründung waren fixe Termine im jährlichen Festkalender von Deutschen, Militär- und anderen dezidiert national orientierten Vereinen. Das genaue Datum der Feierlichkeiten wechselte hingegen im Laufe der Zeit. Wie auch in Deutschland wurde bis Ende des 19. Jahrhunderts oft der 2. September als inoffizielles Einigungsfest begangen. An diesem Tag war im Jahr 1870 das französische Heer in der Schlacht von Sedan endgültig geschlagen worden und Napoleon III. in deutsche Gefangenschaft geraten. Um die Jahrhundertwende etablierte sich aber zunehmend der eigentliche Gründungstag des Deutschen Reichs, der 18. Januar 1871, als Feiertag, nachdem vereinzelt beide Daten parallel gewürdigt worden waren.216
215 | Hinweise auf spezifische nationale Festkulturen finden sich auch in anderen europäischen Einwanderergemeinschaften Rosarios. Das spanische Vereinswesen etwa, das ebenfalls von Kaufleuten, Unternehmern und Geschäftsinhabern angeführt wurde, feierte die Geburtstage der spanischen Könige, den Besuch spanischer (Kriegs-)Schiffe im örtlichen Hafen und militärische Erfolge Spaniens im Ausland. Dabei zeigte sich auch die enge Verbindung der Vereine mit der konsularischen Vertretung des Landes in Rosario. Der Club Español hatte gar die »amor a la patria« in sein Gründungsdokument eingeschrieben (vgl. Miragaya/Solanes 1934, 105f.; 114; Águila/Caldo 2008, 154; 162; Club Español Rosario. Memorias 1908-1938). 216 | So veranstaltete der Deutsche Verein Rosario 1895 eine Feier anlässlich des 25. Jahrestages von Sedan. Wenige Monate später, im Januar 1896, feierte derselbe Verein die »Wiedererrichtung des Deutschen Reichs« (vgl. DLPZ, 27. Jg., Nr. 207 (4. September 1895), 1; 28. Jg., Nr. 16 (21. Januar 1896), 1). Zur Entstehung der Sedanfeste in Deutschland vgl. Schellack 1990, 67-101. Ähnlich wie die Kaisergeburtstage gewannen auch die Sedantage unter Wilhelm II. an Bedeutung und wurden zu Bestandteilen einer neuen nationalen Erzählung (vgl. Schellack 1990, 107).
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Die Ausgestaltung der Sedan- bzw. Reichsgründungsfeiern folgte einem stets ähnlichen Muster. Teile der »Kolonie« versammelten sich in den mit nationalen Farben und Symbolen dekorierten Räumlichkeiten eines großen und angesehenen Vereins – z.B. des örtlichen Deutschen Vereins – und realisierten, in Zusammenarbeit mit anderen deutschen Vereinigungen, ein patriotisches Festprogramm mit Reden, Gesangsbeiträgen und kleinen Theaterstücken. Von der »Sedanfeier« im Deutschen Verein Rosario 1892 lesen wir in der DLPZ: »Schon zu früher Stunde füllten zahlreiche Festtheilnehmer [sic] den glänzend erleuchteten und mit Fahnen und patriotischen Emblemen ausgeschmückten Saal. [. . . ] Die Eröffnung bildete der Vortrag des Liedes ›Freiheit, die ich meine‹, durch den gemischten Chor ›Lyra‹ [. . . ]. Hieran schloß sich die Festrede [. . . ] von Herrn Schneider [. . . ]. [Der] Redner führte aus, wie der Sedanstag [sic] so recht als eine Art Vorfeier zum Geburtsfest des Deutschen Reiches zu betrachten sei und wie die junge Generation leicht geneigt sei, das Deutsche Reich in seiner jetzigen Gestalt als etwas selbstverständliches hinzunehmen. Nach einem äußerst interessanten historischen Rückblicke auf das hl. römische Reich Deutscher Nation [sic] [. . . ] schilderte der Redner den allmählichen Verfall desselben und zeichnete mit kräftigen Strichen ein lebendiges Bild der deutschen Kleinstaaterei zu Anfang dieses Jahrhunderts, und wie sich aus Knechtschaft und Schmach allmälig [sic] der Einheitsgedanke emporrang, der durch Bismarck unter dem greisen Heldenkönig zur That wurde. Dem Hoch auf das neue deutsche Reich, in das alle Anwesenden begeistert mit einstimmten, folgte ein lebhafter Beifall für den Redner.«217
In die patriotische Inszenierung wurden bewusst auch Frauen und Kinder eingebunden. Unter anderem mit sogenannten »lebenden Bildern« trugen sie aktiv zur visuellen Vermittlung der nationalen Erzählung bei: »Nun stimmte der Gesangverein an: ›Deutschland, Deutschland über Alles [sic]‹, das von der ganzen Versammlung mitgesungen wurde, und als die markigen Klänge des feurigen Liedes durch den weiten Saal brausten, da theilte [sic] sich im Hintergrund der purpurne Vorhang und von glänzend bengalischem Lichte umfluthet [sic], erschien die imposante Gestalt der Germania, in der rechten, hoch erhobenen Hand die deutsche Kaiserkrone, die Linke auf den Schwertknauf stützend, ihr zu Füßen eine liebliche Gruppe, süße Kindergesichter, kraftvolle Jünglings- und Mädchengestalten, alle den begeisterten Blick auf die Lichtgestalt geheftet und mit Blumen- und Lorbeerzweigen ihr huldigend. Das schöne Bild machte einen mächtigen Eindruck auf die Zuschauer, der sich erst allmählich in nicht enden wollendem Beifallsklatschen löste. Hierauf ergriff der deutsche Consul, Herr 217 | DLPZ, 24. Jg., Nr. 210 (6. September 1892), 1.
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Tietjen, das Wort. Im Anschluß an das eben Gesehene führte er in kurzen Worten aus, daß Germania das Hüteramt am Rhein unserem jungen, kraftvollen Kaiser in die Hand gelegt habe, der gegebenen Falls [sic] es eben so tapfer wahren würde, wie seine Vorfahren. Er schloß mit einem dreimaligen Hoch auf Kaiser Wilhelm II., das bei der Versammlung lebhaften Widerhall fand, worauf dieselbe die ›Wacht am Rhein‹ intonirte [sic], womit die offizielle Festfeier ihren Abschluß fand, um den mehr geselligen Vergnügungen Raum zu geben.«218
Der Unterhaltungsteil begann mit dem komischen »einaktigen Genrebild« »Kurmärker und Pikarde« und ging in einen Tanz- und Gesellschaftsabend mit Musik und weiteren Chorgesängen über. In seinem Artikel vermerkte der Zeitungskorrespondent abschließend: »Mögen alle Deutschen in der Heimat oder in der Fremde so gemüthlich [sic] und so deutsch den Tag von Sedan feiern, wie die Deutschen in Rosario.«219 Daneben war das deutsche Vereinswesen die treibende Kraft hinter weiteren Jubiläumsakten mit nationalem Hintergrund. Einen Höhepunkt erreichte die patriotische Festkultur mit den großen Feierlichkeiten zum 100. Jahrestag der Völkerschlacht bei Leipzig 1913, die gemeinsam von deutschen Vereinen, Schulen und Gemeinden in ganz Argentinien organisiert wurden und zu einem weithin sichtbaren nationalen Bekenntnis gerieten.220 An Schulen, Kirchen, Vereinsgebäuden und auch Privathäusern wurden die deutschen Farben Schwarz-Weiß-Rot gehisst. Die deutschsprachige Presselandschaft Argentiniens behandelte das Thema ausgiebig: Zeitungen, Zeitschriften und Sonderpublikationen widmeten sich in zum Teil reich bebilderten Artikeln und Sonderteilen der Geschichte und Bedeutung der Ereignisse des Jahres 1813 und druckten Gedichte, historische Briefe und Heldenmotive ab. Die Rezeption des Jubiläums erfolgte vor der Folie der nationalen Einigung Deutschlands und des deutsch-französischen Gegensatzes. Die in hohem Maße von der patriotischen Bevölkerung getragene Befreiung von der napoleonischen »Fremdherrschaft« wurde einerseits als Grundlage deutscher »Größe« und Einheit gefeiert, andererseits aber als Hypothek für die nachfolgenden Generationen begriffen. Man hatte sich als Deutscher, zumal hier im Ausland, dieser großen Taten »würdig zu erweisen«. Eine Möglichkeit, diesen Anspruch in die Tat umzusetzen, war – wie in Reden, Artikeln und Anzeigen immer wie218 | Ebd. 219 | Ebd. 220 | Das starke Echo dieses Jubiläums in den Einwandererorganisationen folgte einer historischen Tradition. Dieter Düding hat nachgewiesen, dass die seit 1814 begangenen Völkerschlachtfeste in Deutschland vor allem auf die »bürgerliche Initiativkraft« im Vereinswesen zurückgingen und zur »Matrix« für folgende Nationalfeste wurden (vgl. Düding 1988, 68f.; 85).
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der betont wurde – auch im Ausland am »Deutschtum« festzuhalten und als ethnische Gemeinschaft nicht an Kohäsion einzubüßen. Neben der deutschen Gemeinschaft in Buenos Aires221 legten vor allem die vergleichsweise kleinen »Kolonien« in der Provinz Santa Fe einen besonderen Eifer bei der Würdigung der Völkerschlacht an den Tag. Die Rosariner Zeitung veröffentlichte im Oktober 1913 eine aufwändig gestaltete 78-seitige »Festnummer«, »gewidmet den Germanischen Kolonien der Provinz Santa Fe Argentinien«.222 Darin werden die Ereignisse des Jahres 1813, der Prozess der deutschen Nationswerdung und die deutsche Auswanderung nach Amerika in einen Zusammenhang gestellt. Im Vorwort beschreibt der Herausgeber Carlos Baxmann die Völkerschlacht als Ausgangspunkt für ein neues deutsches Nationalgefühl, dass die »allzu unwürdige und schwachsinnige Anlehnung an die französische Kultur«223 zunehmend in Frage stellte und sich stattdessen auf das »Deutschtum« besann. Die enormen wirtschaftlichen und zivilisatorischen Leistungen deutscher Einwanderer bei der Besiedelung Nord- und Südamerikas seien der beste Beweis dafür, dass Deutschland den anderen europäischen »Kulturnationen« in nichts nachstehe. In dieser Tradition stünden auch die »germanischen« Einwanderer in der Provinz Santa Fe, die sich ihrer nationalen Verantwortung durchaus bewusst seien und diese an Festtagen klar zum Ausdruck bringen würden, denn: »[...] das sprachliche und kulturelle Band, das unser provinziales Germanentum mit den alten starken Wurzeln der europäischen Heimat eint, ist nie zerrissen worden und wird, dafür stehen wir alle ein, nie zerrissen werden. Und darum ist für uns die glorreiche Ueberlieferung [sic] des europäischen Deutschtums mit seinen Unabhängigkeitskämpfen im Teutoburger Wald, an der Unstrut, bei Grandson und Murten, bei Leipzig und bei Sedan, kein leerer Schall, sondern unserm Fühlen und Denken heilig.«224
Die folgenden Artikel befassen sich eingehend mit dem Verlauf der »deutschen Freiheitskämpfe« und der Schlacht bei Leipzig, hinterlegt mit großformatigen Schlachtengemälden und Porträts prägender Persönlichkeiten dieser Zeit wie Gebhard Leberecht von Blücher, August Neidhardt von Gneisenau und den europäischen Monarchen. Zwei ganzseitige Bildnisse des deutschen Kaisers Wilhelm II. und des argentinischen Staatspräsidenten Roque Sáenz Peña markieren den symbolischen Übergang bzw. das Verbindungsstück zwischen deutscher und argentinischer Geschichte. 221 | Vgl. Bindernagel 2014, 92-107. 222 | Vgl. Abbildung C7. 223 | Rosariner Zeitung 1913a, 3. 224 | Ebd.
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Der zweite Teil der Publikation widmet sich denn auch ganz den »Deutschen Kolonien in der Provinz Santa-Fé«, deren Entwicklungsstand und Leistungen der nationalen Erzählung Deutschlands gewissermaßen angegliedert werden. Bezeichnenderweise galt dabei das Hauptaugenmerk der Genese von Vereinen, Schulen und evangelischen Kirchgemeinden in Rosario, Esperanza, Santa Fe, Roldán und weiteren santafesinischen Kolonien, die mit zahlreichen Bildern von Vereinsprotagonisten und -lokalen eindrucksvoll dokumentiert wurde. Das Vereinswesen war in der Auffassung der Zeitgenossen der beste Beleg für die Einheit und die ethnische und nationale Kontinuität in den deutschsprachigen Einwanderergemeinschaften, ein Bild, welches – trotz der zu diesem Zeitpunkt bereits bestehenden kulturellen Bruchstellen und internen Differenzen – im Sinne einer kraftvollen deutschen »Kulturnation« nach außen transportiert werden sollte.225 Die Völkerschlacht war zuvor schon Anlass für deutsche Festversammlungen in der Provinz Santa Fe gewesen. In Rosario hatte gar die deutsche Vereinsgeschichte an einem solchen Tag ihren Anfang genommen. Am 18. Oktober 1868 beging eine Anzahl Deutscher das 55. Jubiläum der Schlacht. Noch während der Feier wurde die Gründung des ersten deutschen Vereins Rosarios, des Deutschen Hilfsvereins, beschlossen.226 Die Feierlichkeiten zum 100. Jahrestag der Schlacht 1913 erinnerten somit zugleich an die Wurzeln des örtlichen deutschen Vereinswesens. Eine eigens zu diesem Zweck eingerichtete Festkommission, bestehend aus wichtigen Vertretern der »Kolonie«, organisierte die kollektiven Festakte im Deutschen Verein und in der Deutschen Schule.227 Neben der Festpublikation der Rosariner Zeitung wurde außerdem eine bronzene »Erinnerungsmedaille« mit der Aufschrift »Zur Jahrhundertfeier der Schlacht bei Leipzig 1813-1913. Die germanische Kolonie in Rosario. Sta. Fé. Argentinien« aufgelegt. Die Vorderseite zeigt die Germania zwischen dem argentinischen und dem deutschen Wappen. Auf dem Revers ist das Völkerschlachtdenkmal in Leipzig abgebildet.228 Die Feiern selbst verliefen in den deutschen Gemeinschaften von Rosario und Esperanza in vergleichbarer Weise. Als Veranstaltungsorte wurden die jeweils größten Vereine am Ort ausgewählt: der Deutsche Verein und die Deutsche 225 | Vgl. ebd. 226 | Vgl. Elsner 1932, 64f. 227 | An der Kommission beteiligt waren u.a. der deutsche Konsul Wöltje Tietjen, die Vorsitzenden des Deutschen Vereins, des Deutschen Schulvereins, des Deutschen Männerchors, des Deutsch-Argentinischen Schulvereins und des Deutschen Militärvereins sowie der Herausgeber der Rosariner Zeitung, der Rektor der Deutschen Schule, der Pfarrer der Deutschen Evangelischen Gemeinde und der Filialleiter der Deutschen Bank in Rosario. (vgl. Rosariner Zeitung 1913a, 38). 228 | Vgl. Abbildung C8.
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Schule in Rosario bzw. der Männer-Gesangverein in Esperanza. An der Ausgestaltung des Programms waren aber auch andere Vereine beteiligt. In den schwarz-weiß-rot dekorierten Sälen wechselten sich patriotische Reden, Gedichte, Gesangsbeiträge und Theateraufführungen ab. So kamen in Esperanza die »Hauptmomente aus der Zeit der Freiheitskriege« in »lebenden Bildern« zur Aufführung. Darüber hinaus waren die Organisatoren an beiden Orten sichtlich bemüht, Kinder und Jugendliche für das nationale Fest zu begeistern und ihnen die historischen Zusammenhänge näherzubringen. Das Programm war kindgerecht ausgestaltet und die kleinen Gäste bekamen aktive Parts in der Festfolge zugewiesen. Schüler der deutschen Stadtschule Esperanza hielten Vorträge über die »Einsegnung des preußischen Freikorps«, »Die Leipziger Schlacht«, »Blücher am Rhein« und »Vor Rauchs Büste der Königin Luise«. In Rosario schloss das Jubiläum mit einem »Volksfest« in der Deutschen Schule, das mit »Musik, Tanz, Kinderspielen, Bescherung und Bewirtung« bewusst auf die jungen Gäste ausgerichtet war, die ihrerseits Lieder und Turnübungen aufführten. Anschließend händigte man den Kindern Erinnerungsmedaillen aus.229 Ein weiterer Teilbereich der patriotischen Fest- und Erinnerungskultur in den Vereinen umfasste die Veranstaltungen zu Ehren prägender deutscher Persönlichkeiten, denen an Geburts- und Todestagen und zu Amtsjubiläen gedacht wurde. Die Konstrukteure der deutschen Einheit standen auch hier im Mittelpunkt. Um bedeutende Staatsmänner wie Otto von Bismarck oder die deutschen Kaiser entwickelte sich ein regelrechter Personenkult. Ebenso wie die Feiern zum Gedenken an glorreiche Wegmarken der deutschen Geschichte waren auch diese Anlässe ein Bekenntnis zur eigenen Herkunft. Dieses wurde bewusst in die Öffentlichkeit und die »fremde« Umgebung getragen, um sich zum einen nach außen als Minderheitengemeinschaft zu definieren und zum anderen im Inneren für Kohäsion und Kontinuität zu sorgen. Die Kaisergeburtstage waren bis zum Ende des Ersten Weltkrieges und zum Teil noch darüber hinaus wichtige Höhepunkte im jährlichen Festkalender der deutschen »Kolonien« Argentiniens.230 Sie wurden auch in der deutschsprachigen Presse des Landes ausführlich gewürdigt. Über die Gründe für ihre weitreichende Bedeutung als »Nationalfeste« im Ausland schrieb die DLPZ im Januar 1903: 229 | Vgl. für die vorangegangenen beiden Absätze: DLPZ, 45. Jg., Nr. 248 (21. Oktober 1913), 6; Nr. 249 (22. Oktober 1913), 3; Deutscher Schulverein Rosario 1914, 4. 230 | Die Feiern hatten ihre Entsprechung in Deutschland. Aus Furcht, die Kaiserwürde könnte das preußische Königtum in den Hintergrund drängen, lehnte Wilhelm I. große Feierlichkeiten zu diesem Anlass ab. Erst nach Amtsantritt Wilhelms II. 1888 wurden die Kaisergeburtstage Teil einer von offizieller Seite verordneten und gestalteten nationalen Festkultur (vgl. Schellack 1990, 17; 44f.).
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»Wenn andere Völker den Jahrestag denkwürdiger Ereignisse, die von einschneidender Bedeutung für die nationale Entwicklung geworden sind, als Nationalfest begehen [. . . ], so ist das Nationalfest der Deutschen der Geburtstag des Kaisers, und er ist es nicht bloß, weil er in monarchistischen Staaten die Person des Herrschers die Gesammtheit [sic] der Nation repräsentirt [sic], er ist es mit viel höherem Rechte deshalb, weil das deutsche Volk und das Kaiserthum [sic] untrennbare Begriffe sind, weil die Geburtsstunde des Kaiserthums [sic] auch die Geburtsstunde der deutschen Nation war, weil das kaiserliche Deutschland nicht nur das neue Deutschland, sondern das geeinte, das erst zur Nation gewordene Deutschland bedeutet.«231
Als »lebendige Verkörperung der deutschen Nation«232 und ihrer neuen Stärke und »Weltgeltung« war die Person des Kaisers vielen Deutschen und Deutschstämmigen in Argentinien eine zentrale Identifikationsfigur. Diese nationale bzw. internationale Perspektive wurde in den gemeinschaftlichen Diskursen zudem auf eine sehr persönliche, fast intime Verbindung des Monarchen zu seinem Volk heruntergebrochen, die sich in devoten bis liebevollen Treuebekundungen und Charakterbildern nachverfolgen lässt. So konstatierte die DLPZ im Jahr darauf, dass das deutsche Volk »sich in seinem innersten Denken und Fühlen eins mit den Kaiser weiß«233 . Gleichwohl es sich hierbei freilich um Elemente einer propagandistisch gestreuten nationalen Erzählung handelte, war ihre bereitwillige Aufnahme und Diffusion unter den »Auslandsdeutschen« bemerkenswert. Besonders in weiten Teilen des deutschen Vereinswesens war deutlich erkennbar, dass man sich nach wie vor der deutschen Nation zurechnete.234 Die Kaisergeburtstagsfeiern wurden in Argentinien vor allem von den Deutschen Vereinen organisiert und durchgeführt.235 In der Regel nahmen auch Gesang- und andere Vereine teil und gestalteten gemeinsam das Begleitprogramm. Am 21. März 1880 feierten 33 Deutsche erstmals den Geburtstag von Kaiser Wilhelm I. im Hotel »Universal« in Rosario. Eine gerade in der Stadt gastierende deutsche Opernsängerin steuerte »patriotische Lieder« bei.236 In der 231 | DLPZ, 35. Jg., Nr. 22 (27. Januar 1903), 1. 232 | Ebd. 233 | DLPZ, 36. Jg., Nr. 22 (27. Januar 1904), 1. 234 | Keineswegs alle deutschen Einwanderer und Vereine in Argentinien ergaben sich dieser Form des Patriotismus. Durchaus kritische Stimmen am Kaiser und der deutschen Politik kamen etwa aus Richtung des liberal und demokratisch gesinnten Argentinischen Tageblatts oder Vereinen wie dem Vorwärts in Buenos Aires. Dennoch war die patriotisch-nationalistische Strömung im bürgerlichen Vereinsmilieu dominant und prägte auch das Bild der Deutschen in Argentinien. 235 | Für die Ausgestaltung der Feiern in Buenos Aires vgl.: Bindernagel 2014, 74-79. 236 | Vgl. Deutscher Schulverein Rosario 1899a, ohne SZ.
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Folgezeit übernahm das deutsche Vereinswesen in Rosario die Organisation der Feierlichkeiten, die nach der Inthronisierung Wilhelms II. im »Dreikaiserjahr« 1888 um den 27. Januar herum abgehalten wurden. Die mit nationalen Symbolen und Farben dekorierten Räumlichkeiten des Deutschen Vereins in Rosario wurden an diesem Tag alljährlich zum Schauplatz patriotischer »Herrenabende« oder Familienfeste. Vereinspräsidenten, deutsche Honorarkonsuln und andere angesehene Mitglieder der »Kolonie« hielten flammende Reden auf den Kaiser und die deutsche Nation und rekapitulierten Episoden aus der Geschichte der deutschen Einigung. Die Gesellschaft stimmte patriotische Lieder wie »Heil dir im Siegerkranz« oder »Deutschland, Deutschland über alles« an, brachte »Hochs« auf den »Landesvater« aus und schickte Glückwunschtelegramme an den kaiserlichen Gesandten in Buenos Aires. Zur Musik deutscher Komponisten wie Wagner oder Beethoven dauerten die anschließenden Bälle oft bis in die Morgenstunden.237 Die Kaisergeburtstage dienten vor allem dem Zweck, die Beziehung zwischen Deutschland und seinen Auswanderern und damit auch nationale Zugehörigkeiten diskursiv zu erneuern. In seiner Festrede 1908 beschrieb Kurt Großmann, ein »altbekanntes langjähriges Mitglied der Kolonie«238 , der u.a. in der Deutschen Evangelischen Gemeinde und dem Gesangverein »Lyra« aktiv war, die einigende Wirkung dieser Festtage. Die Kaisergeburtstage erscheinen darin als Klebstoff, der das in der Welt verstreute »Deutschtum« verband und zusammenhielt. In der Person des Monarchen bündelten sich aber nicht nur die gemeinsamen nationalen Gefühle und Erwartungen der »Auslandsdeutschen«, sie evozierte auch romantisierende Heimatmotive, die ebenfalls zur fortgesetzten Identifizierung mit Kaiser und Reich beitrugen: »Im Geiste überbrücken wir die Schranke, die das Weltmeer zwischen uns und unseren Volksgenossen in der alten Heimat gezogen hat, und Seite an Seite mit ihnen nehmen wir Anteil an dem Jubel, der heute Alldeutschland durchbraust, da sein geliebter Kaiser das 50. Lebensjahr antritt. [. . . ] Für uns, die wir dem heimatlichen Boden entrückt sind, ist der heutige Tag besonders bedeutungsvoll. Wie keine andere Gelegenheit im Jahre bringt er uns unsere Zugehörigkeit zum Vaterland zum Bewußtsein, läßt er die Vergangenheit machtvoll vor uns erstehen, mit all’ ihrem Zauber die Erinnerung in uns wirken an die glücklichen Tage der Kindheit, an alle die Lieben, denen wir die Hand drückten, als uns unser Schicksal in die Ferne führte. Heimat und Vaterland! Wie so traute Bilder ruft ihr doch in unserer Seele wach! Wir sehen dich wieder, sagenumwobener Rhein mit deinen 237 | Die Kaisergeburtstage in Esperanza liefen ähnlich, wenngleich in einem etwas kleineren Rahmen ab. Auch hier tat sich besonders der Deutsche Verein als Veranstalter hervor (vgl. DLPZ, 30. Jg., Nr. 28 (3. Februar 1898), 1). 238 | DLPZ, 40. Jg., Nr. 26 (31. Januar 1908), 1.
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rebenbekränzten Ufern. In deinen heiligen Dom, du deutscher Wald, treten wir ein und lauschen dem Raunen, das durch die Wipfel deiner Eichen und Tannen zieht. In eurer unwandelbaren Schönheit, ihr Berge der Heimat, geht uns das Herz auf und wir atmen reinen, tiefen Gottesfrieden. Dich, murmelndes Bächlein, in deinem silberhellen Laufe, dich ewig wogendes und brandendes Meer, das du der Heimat Gestade bespülst, dich grüßen wir! O, weites, teures Vaterland, wie sind wir doch eins mit dir in dieser Stunde, wie fest und innig ist doch das Band, das uns mit dir umschlingt, trotz Zeit und Raum!«239
Die patriotische Stimmung der deutschen Gemeinschaft während dieser Feste war aber nicht nur nach innen gerichtet. Wie zu vielen anderen Gelegenheiten auch, suchte man im Vereinswesen die Abgrenzung nach außen und setzte die Verhältnisse in Deutschland und Argentinien gegeneinander. Vor dem Hintergrund der Versöhnungsbemühungen zwischen Kaiser Wilhelm II. und dem »Altreichskanzler« Bismarck im Jahr 1894, die im Deutschen Verein am Kaisergeburtstag »feuchtfröhlich« gefeiert wurden, und den parallel dazu in Rosario für Unruhe sorgenden revolutionären Nachwirkungen des Vorjahres urteilte ein Festteilnehmer: »Nach solch’ einem erhebenden Ereigniß [sic], das uns so recht fühlbar macht, wie fest wir Deutschen mit allen Fasern unseres Gemüthslebens [sic] in der alten theuren Heimath [sic] wurzeln, kommen uns die hiesigen Zustände doppelt verrottet, die Parteikämpfe und Wahlmanöver doppelt kleinlich und verächtlich vor.«240
Dass die versuchte Aussöhnung der beiden deutschen Staatsmänner in den deutschen Vereinen euphorisch aufgenommen wurde, war kein Zufall. Seit Reichsgründung gehörte Otto von Bismarck zu den zentralen Heldenfiguren der deutschen Nationalerzählung, die auch in Argentinien mit Begeisterung weitergetragen wurde. Das Schicksal des ersten Reichskanzlers stieß, ebenso wie dasjenige der Kaiserfamilie, auf lebhaftes Interesse in den deutschen Einwanderergemeinschaften Rosarios und Esperanzas. Seine Verdienste um die nationale Einheit Deutschlands waren beständiges Element der Vereinsdiskurse und bildeten die Grundlage für zahlreiche festive Ehrbekundungen, die sich nach seiner Entlassung 1890 teilweise sogar noch intensivierten. Seit 1890 verschickte beispielsweise der Deutsche Verein Rosario zum 1. April, dem Geburtstag Bismarcks, »Huldigungstelegramme« nach Deutschland und veranstaltete »Festkommerse«.241 Ebenfalls in Rosario fand eine der größten 239 | Ebd. 240 | DLPZ, 26. Jg., Nr. 24 (30. Januar 1894), 1. 241 | Vgl. Elsner 1932, 89.
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»Bismarckfeiern« der Provinz Santa Fe statt: Auf Anregung des Gesangvereins »Lyra« feierte die deutsche Gemeinschaft 1895 den 80. Geburtstag des Fürsten. Unter der Ehrenpräsidentschaft des angesehenen Arztes Moritz Hertz und des deutschen Konsuls Wöltje Tietjen wurde eine Festkommission, bestehend aus namhaften Mitgliedern der »Kolonie« und des deutschen Vereinswesens, ins Leben gerufen, die den Programmablauf organisieren sollte. Der Aufruf der Kommission »an die deutsche Kolonie von Rosario [. . . ] und deren Freunde«242 , der in der DLPZ geschaltet wurde, vermittelt einen Eindruck vom Anspruch und den Beweggründen der Feierlichkeiten: »Der achtzigste Geburtstag unseres Bismarck rückt heran. Aller Orten, wo Deutsche weilen, in der Heimath [sic], wie im entlegensten Auslande, werden Zurüstungen getroffen, diesen Tag würdig zu feiern. Auch die Mitglieder und Freunde der deutschen Kolonie von Rosario wollen sich zu solcher Feier ihren Brüdern anschließen. Es gilt, unserm hochbetagten Bismarck die Liebe und Verehrung des ganzen deutschen Volkes zu zeigen, dem er Einigkeit und Macht und damit Ansehen und Geltung gegeben hat, in der alten und neuen Welt. Diese auf blutiger Wahlstatt, wie in diplomatischer Geistesarbeit errungenen Güter sind der höchste Besitz der ganzen Nation. Deshalb soll die bevorstehende Feier den Charakter eines allgemeinen nationalen Festes haben. [. . . ] Die Mitglieder der deutschen Kolonie werden ersucht, ihre Häuser durch Flaggen [. . . ] zu schmücken.«243
Der Bismarckgeburtstag nahm am Nachmittag des 31. März mit einem Konzert im Teatro Olimpo seinen Anfang. Die Vorbereitungen im Vorfeld waren auf Sichtbarkeit und Öffentlichkeit ausgelegt und veränderten für einen Tag das Stadtbild Rosarios. Ein Berichterstatter schrieb dazu: »Wer sich am Sonntag Morgen frühzeitig dem ›gliederlosen Schlafe‹ entriß, dem konnte ein geschäftiges Treiben an den Thüren [sic], an den Façaden [sic], auf den Dächern vieler Häuser nicht entgehen, und es dauerte denn auch nicht lange, so standen die Straßen im Schmucke der Flaggen und Guirlanden [sic] da, Zeugniß [sic] ablegend: hier wohnen Deutsche, die ihren Bismarck lieben und ehren. [. . . ] Gegen 2 Uhr machte sich eine eigenartige Bewegung in den Straßen bemerkbar, eine Art Völkerwanderung, die als Zielpunkt das Teatro Olimpo hatte, das größte Lokal, welches für gesellige Zwecke in Rosario vorhanden ist.«244
Auch der ausverkaufte Festsaal des Olimpo war mit deutschen Farben und Symbolen ausgeschmückt. Das Programm wurde von den örtlichen deutschen 242 | Vgl. DLPZ, 27. Jg., Nr. 57 (9. März 1895), 1. 243 | Ebd. 244 | DLPZ, 27. Jg., Nr. 80 (5. April 1895), 1.
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Vereinen gemeinsam bestritten und umfasste verschiedene deutsche Orchesterstücke, einen Kinderchor aus Schülern der Deutschen Schule und Beiträge der lokalen deutschen Gesangvereine. Die patriotischen Lieder wie »Heil dir im Siegerkranz« stimmte die versammelte Gesellschaft gemeinsam an und das, wie der Korrespondent ehrfürchtig bemerkte, »mit einer Begeisterung, einer Wucht, wie ich hier noch nichts Aehnliches [sic] gehört habe.«245 Die Ansprache auf den Kaiser hielt Konsul Tietjen. Moritz Hertz besorgte die Festrede auf Bismarck, »in der es widerhallte von glühender Vaterlandsliebe und von Bewunderung, Dank und Verehrung gegen Den [sic], der unser Vaterland einigte« und die den Auftakt zum großen Finale der Feierlichkeiten darstellte:246 »So konnte es nicht fehlen, daß die Wort des Redners, von Herzen kommend, auch zu Herzen gingen, und daß die nun folgende ›Wacht am Rhein‹ wirklich erklang wie ›Donnerhall, wie Schwertgeklirr und Wogenprall‹, und als beim letzten Verse sich der Vorhang erhob, um die Kolossalbüste Bismarcks zu zeigen (Bildhauer Fontana), umgeben von allegorischen Figuren (Kunst und Wissenschaft Frau Gietz, Frau Jeckeln, Arrangeur Herr Lithograph Möller), und solchen aus dem wirklichen Leben, aus dem Wehr-, Lehr-, und Nährstande, bekrönt von der streitbaren Germania auf der Wacht (Fräulein Anna Jessen), da stockte der Gesang, da erreichte die Feststimmung ihren Höhepunkt mit jubelnder Begeisterung und Rührung, da brach mit wahrhaft elementarer Gewalt ein Begeisterungssturm los, der in dem donnernden Refrain ausklang: ›Lieb Vaterland magst ruhig sein, wir Alle [sic] wollen Hüter sein.‹«247
Auf das »schönste Fest [. . . ], welches die deutsche Kolonie von Rosario je gefeiert hat«248 , folgte der traditionelle »Festkommers« der Herren im Deutschen Verein, der ebenfalls mit patriotischen Reden und Liedern durchsetzt war. Schließlich wurden dem Gefeierten die Glückwünsche der Deutschen in Rosario telegrafisch übermittelt. Am Tag des 1. Aprils ließ der Deutsche Verein in Rosario die Festtage mit einem »Familienabend« ausklingen.249 Deutsche Vereinskomitees veranstalteten in ganz Argentinien zeitgleich ähnliche Feiern. Zwar wurden diese separat voneinander organisiert und waren zum Teil durch enorme räumliche Entfernungen getrennt, erhielten aber in Form von »Fest-Telegrammen«, die an diesem Tag auch zwischen den Vereinigungen zirkulierten, einen kolonieübergreifenden, gemeinschaftlichen Charakter. Auf 245 | Ebd. 246 | Ebd. 247 | Ebd. 248 | Ebd. 249 | Vgl. für die vorangegangenen beiden Absätze: DLPZ, 27. Jg., Nr. 57 (9. März 1895), 1; Nr. 80 (5. April 1895), 1.
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die Grußbotschaft der Kommission in der Hauptstadt antwortete man aus Rosario: »Die Deutschen aus Rosario, festlich vereint, begrüßen ihre Festgenossen in Buenos Aires mit einem donnernden Hoch auf Bismarck!«250 Doch der »eiserne Kanzler« war den Deutschen in Argentinien nicht nur Symbolfigur der nationalen Einheit, wie es angesichts der zutiefst patriotischen Bismarckfeier in Rosario den Anschein haben konnte. Mit seiner Person verbanden die Auswanderer, ähnlich wie mit den Kaisern, auch einen anderen Teil der kollektiven Selbstwahrnehmung: »Denn an Bismarck erkennen wir, was der Deutsche ist, was er sein soll«251 , so Pastor Gebhardt aus Rosario. Das Bild Bismarcks als mustergültigen Deutschen, der alle deutschen Tugenden auf sich vereinte, gab ihnen Halt und Orientierung auf der Suche nach der eigenen Identität in der »Fremde«. Gebhardt vermerkte dazu weiter: »Bismarcks Gedächtnis pflanzt sich fort in der Welt, soweit sie deutsch ist, weil wir fühlen, daß mit diesem Namen und persönlichen Charakter unauflöslich verbunden ist das deutsche Wesen, die Seele des deutschen Volkes, dasjenige, was uns Deutsche alle adelt und was wir auch im Auslande nicht preisgeben dürfen ohne Schaden für unsere Seele.«252
Angesichts dieser weit verbreiteten Vorstellungen und der teils kultischen Verehrung Bismarcks war es wenig verwunderlich, dass sein Tod drei Jahre nach diesen großen Feiern ein überaus starkes Echo in den deutschen Gemeinschaften Argentiniens fand. Die Deutsche La Plata-Zeitung, die am 31. Juli 1898 im Trauerflor, mit schwarz umrandeten Spalten, erschien, machte das Ereignis tagelang zum ersten Thema und brachte auch Wochen später noch Berichte über das Ableben des ehemaligen Reichskanzlers.253 Im ganzen Land wurden Trauerfeiern und -gottesdienste abgehalten, organisiert und ausgestaltet in erster Linie von den lokalen Vereinen. Die eigens dazu einberufene Kommission in Rosario schaltete in der DLPZ einen emotionalen »Aufruf an die deutsche Colonie«: »Eine Trauerkunde aus dem Sachsenwalde durchzittert das Herz des deutschen Volkes; Bismarck, sein treuester Berather [sic], der Held seines Jahrhunderts, ist nicht mehr! Wir stehen an dem offenen Grabe dieses Vorkämpfers für deutsche Einigkeit, Recht und Freiheit! Ueberall [sic] wo die deutsche Zunge klingt, wird die heilige Pflicht empfunden, ihm die letzte 250 | DLPZ, 27. Jg., Nr. 78 (3. April 1895), 2. Vgl. außerdem für diesen Absatz: DLPZ, 27. Jg., Nr. 79 (4. April 1895), 1. 251 | EGB, 21. Jg., Nr. 14 (31. März 1915), 161. 252 | Ebd. 253 | Auch das Evangelische Gemeindeblatt beteiligte sich intensiv an der Würdigung Bismarcks und veröffentlichte u.a. eine ganzseitige Todesanzeige (vgl. EGB, 4. Jg., Nr. 163 (3. August 1898), 9).
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Ehre zu erzeigen. Die Deutschen Rosario’s bleiben nicht zurück; die Vorstände ihrer Vereine sind zusammengetreten und treffen die nöthigen [sic] Vorbereitungen, um die Trauerfeier in angemessener Weise zu begehen. Dieselbe wird am 7. August [. . . ] im Teatro Olimpo [. . . ] stattfinden. Es werden dazu alle Deutschen und deren Familien von nah und fern, sowie jeder, der unsere Trauer theilt [sic], hierdurch eingeladen.«254
Die Trauerfeier im abermals voll besetzten Olimpo geriet zur öffentlichen Demonstration nationaler Zugehörigkeit. Das Theatergebäude war weithin sichtbar dekoriert mit »[...] schwarzen Draperien, der von dem Giebel herabhängenden, mit dem Zeichen tiefster Trauer versehenen großen deutschen Flagge, den mit schwarzen Tüchern umwundenen Säulen [. . . ] und einer auf dem Dache halbmast gehißten zweiten Flagge in unsern Landesfarben [. . . ]. Eine Abtheilung [sic] der berittenen Polizei in ihrer Galauniform in der Straße, in liebenswürdiger Weise von der Stadtverwaltung zur Verfügung gestellt, sowie Trauerherolde[,] am Eingang des Theaters postiert, erhöhten die Wirkung.«255
Neben der deutschen Gemeinschaft waren Ehrengäste aus der Rosariner Gesellschaft in den ebenfalls in Trauerfarben gehaltenen Saal des Olimpo geladen. Für prominente Lokalpolitiker, führende Beamte des städtischen Verwaltungsapparats, Angehörige der »angesehensten der hiesigen Familien« sowie für die »Konsuln der uns befreundeten fremden Nationen« wurden Logenplätze reserviert. Gleiches galt für die deutschen »Veteranen aus dem großen Kriege [. . . ], die zur Feier des Tages alle ihre Orden und Ehrenzeichen angelegt hatten.«256 Das Programm bestritten die Mitglieder der deutschen »Kolonie« und des Vereinswesens. Der Ingenieur und aktive Vereinsmann Alwin Schneider verantwortete als Dirigent die Orchester- und Chorbeiträge. Die »Gedächtnisrede« übernahm der Pfarrer der Deutschen Evangelischen Gemeinde, Werner Achilles, in der er vor allem die Verdienste Bismarcks um die Genese und den Aufstieg der deutschen Nation hervorhob und dass dieser es vermochte »sein Bestes, ja sein eigenstes Wesen hineinzuprägen in die Nation als einer ihrer größten Bildner, die sie besessen hat.«257 Den »Glanzpunkt der Trauerfeierlichkeit« bildete die große »Huldigungsszene«, ein stark mit nationaler Symbolik aufgeladenes »tableau vivant«:
254 | DLPZ, 30. Jg., Nr. 181 (6. August 1898), 1. 255 | DLPZ, 30. Jg., Nr. 184 (10. August 1898), 1. 256 | Vgl. für diesen Absatz: Ebd. 257 | DLPZ, 30. Jg., Nr. 185 (11. August 1898), 1.
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»Auf schwarzdrapiertem Postamente erhob sich im Hintergrunde die über lebensgroße [sic] Büste Bismarck’s in überraschend wirkungsvoller Weise zu beiden Seiten von einem künstlerisch schönen Aufbaue von Blattpflanzen und prächtigen Palmen flankiert. Angelehnt an den Fuß des Postamentes steht trauernd über dem mit schwarzem Flor verhängten Reichswappen ›Germania‹, dem Besten ihrer Söhne eine über das Grab hinaus reichende letzte Huldigung bringend. Ueber [sic] dem Haupte Bismarck’s schwebt der Genius des Ruhmes, im Begriffe die Stirne des theuren [sic] Toten mit dem Lorbeerkranze zu schmücken, während noch weiter nach oben der mit einem Palmenzweige geschmückte Genius des Friedens mit gen Himmel weisender Hand uns daran erinnert, daß die Kämpfe des großen Toten nunmehr beendet, und er zu einem fried- und freudevollen Jenseits eingezogen ist. Die Wirkung des in edelster Weise gruppirten [sic] und vom Lichte umflossenen Bildes war eine mächtige, und als dann ein verdeckter Chor hinter der Bühne in ergreifender Weise die Melodie Integer vitae [. . . ] intonirte [sic], da ging ein Zittern durch die Versammlung, und wohl Niemand [sic] hat bei dem ergreifenden Effekte dieses Momentes daran gedacht, die Thränen [sic] des Schmerzes zu verbergen über den unersetzlichen Verlust.«258
Nach weiteren deutschen und spanischen Ansprachen und musikalischen Beiträgen trat die Trauerfeier mit dem Lied »Deutschland, Deutschland über alles«, das von den Anwesenden gemeinsam gesungen wurde, in ihre letzte Phase. Georg Marx, Mitglied u.a. des Deutschen Vereins, beschloss den Abend mit einem Gedicht auf Bismarck, das er zu diesem Anlass verfasst hatte und das implizit auch die Konstruktionsmechanismen nationaler Identität in der vereinsgeleiteten patriotischen Erinnerungs- und Festkultur deutscher Gemeinschaften im Ausland noch einmal zusammenfasste: »Und Bismarck’s Größe ist uns Deutschlands Größe – Wenn wir Ihn ehren, ehren wir uns selbst – Jedwedes Wort zu seinem Lobe ist, – Ein Lob, ein Gruß, ein Treueschwur unsrer Heimath [sic]. – Des sei’n wir eingedenk, und bei den Manen – Des treuen Eckart unsres Vaterlandes, – Laßt uns geloben, immer treu wie Er – Der theuren [sic] deutschen Heimath [sic] anzuhängen.«259
Die Sedantage, Kaisergeburtstage und Bismarckfeiern in Rosario und Esperanza waren allerdings nur die festiven Höhepunkte eines viel weitreichenderen und tiefgreifenderen Phänomens. Denn zum einen gesellten sich zu diesen jährlich wiederkehrenden noch weitere, außerordentliche Vereinsfeste mit ähnlichem Charakter wie das 25. Regierungsjubiläum Kaiser Wilhelms II. (1913) oder der 80. 258 | DLPZ, 30. Jg., Nr. 184 (10. August 1898), 1. 259 | Ebd.
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Geburtstag Hindenburgs (1927). Auch der 100. Geburtstag Wilhelms I. (1897), der in Deutschland per kaiserlichen Erlass drei Tage lang in Schulen, Kirchen, auf Volksfesten, etc. ausgiebig gefeiert wurde, fand in den deutschen Vereinen Argentiniens große Resonanz.260 Ablauf und Inhalte glichen dabei den oben angeführten Beispielen.261 Aber auch unabhängig von derartigen Anlässen war das Nationale unlösbar mit der Alltags- und Festkultur der Vereine in Rosario und Esperanza verflochten. Patriotische Lieder gehörten zum Standardrepertoire der Gesangvereine und wurden bei allen Auftritten dargeboten. Kaum eine Vereinsversammlung oder -feier vor 1918 kam ohne nationale Symbole, ohne das Anstimmen einer der inoffiziellen Hymnen – dem Deutschlandlied oder der Kaiserhymne »Heil dir im Siegerkranz« –, ohne eine flammende Rede oder ein »Hoch« auf den Kaiser und die deutsche Nation aus. Durch seine patriotische Erinnerungs- und Festkultur bildete das bürgerliche deutsche Vereinswesen in Argentinien nach innen eine Projektionsfläche für die »Deutschtums«-Politik des Reichs, nach außen gerierte es sich als seine verlässliche Stütze im Ausland.
4.3.2 Besuche und Auszeichnungen Ebenso wie der symbolische Schulterschluss mit Deutschland in den parallel auf beiden Seiten des Atlantiks begangenen patriotischen Festen waren die unmittelbaren Kontakte zu deutschen Institutionen und Vertretern von großer Bedeutung für die fortgesetzte nationale Identifizierung in den deutschen Gemeinschaften. Die offiziellen und inoffiziellen Besuche von Diplomaten, Sonderbotschaftern, Politikern und anderen durchreisenden Amts- und Würdenträgern gerieten zu gesellschaftlichen Ereignissen, die maßgeblich von den Vereinen mitgestaltet wurden. Gleiches galt für deutsche Kriegsschiffe, die auf ihren Überseefahrten in den Häfen von Buenos Aires oder Rosario vor Anker gingen. Vor Ort wirkten diese Visiten lange nach und formten Diskurse und Stimmungen in den Gemeinschaften. Bisweilen beeinflussten sie sogar die Entwicklung des Vereinswesens selbst. Rinke hebt die Besuche ab Mitte der 1920er Jahren als »wichtigen Bestandteil der offiziellen Lateinamerikapolitik«262 Deutschlands hervor. Tatsächlich ist der Beginn dieser Politik aber schon wesentlich früher anzusetzen. Die Vereinsquellen aus Rosario und Esperanza belegen, dass regelmäßige Besuche aus
260 | Vgl. Wulf 1998b, 76; Schellack 1990, 33-43. 261 | Vgl. Abbildung C6 für das Programm der Feier zum Regierungsjubiläum Kaiser Wilhelms II. im deutschen Vereinswesen Esperanzas. Die Rosariner Zeitung widmete dem Jubilar gar eine Sonderausgabe (vgl. Rosariner Zeitung 1913b.) 262 | Rinke 1996a, 181f.
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kultur- und wirtschaftspolitischen Absichten seit der Reichsgründung üblich waren und auch zuvor schon vereinzelt stattfanden. Bereits im September 1857 begaben sich Ernst Wilhelm Schweinitz, Pastor der deutschen evangelischen Gemeinde in Buenos Aires, und Herbert Friedrich von Gülich, der bis dahin als königlicher Geschäftsträger und Generalkonsul Preußens in Chile gewirkt hatte und nun über mehr als zehn Jahre lang die preußischen Interessen in den La-Plata-Staaten vertrat, gemeinsam auf die Reise zu den deutschen Gemeinschaften in der Provinz Santa Fe.263 Dabei machten sie auch Station in Rosario und Esperanza, wo sie den noch kaum organisierten deutschen Gemeinschaften erste Impulse gaben. Sie nahmen Kontakt zu den Einwanderern auf, führten Gespräche und organisierten deutsche Gottesdienste.264 Die Besuche nahmen erst um die Jahrhundertwende deutlich zu. Ursächlich war zum einen das zunehmende Interesse des Reichs an den wachsenden deutschen »Kolonien« und Organisationsstrukturen in Argentinien. Zum anderen sorgte die Einrichtung eines regelmäßigen Schiffsverkehrs zwischen Deutschland und dem argentinischen Landesinnern seit den 1880er Jahren für eine engere Verbindung beider Räume. Erste Vermittlungsinstanzen zwischen den Gemeinschaften und dem Reich waren die konsularischen und diplomatischen Vertretungen. Während die Wahlkonsuln in den größeren Städten des argentinischen Hinterlandes meist aus der lokalen deutschen Wirtschaftselite, also der Einwandererschaft rekrutiert wurden, arbeiteten in Buenos Aires kaiserliche Ministerresidenten oder Gesandte als Berufsdiplomaten für Preußen, den Norddeutschen Bund, das Deutsche Reich und die Weimarer Republik.265 Neben politischen und repräsentativen Funktionen fiel ihnen im Zuge der »auswärtigen Kulturpolitik« des Reichs auch die Aufgabe der Beobachtung und Unterstützung der deutschen »Kolonien« zu. Zum deutschen Vereinswesen entwickelten die Vertreter dabei enge Kontakte, zumal die Wahlkonsuln in den einzelnen Ortschaften häufig selbst aktiv am Vereinsleben teilnahmen und der Gesandtschaft in Buenos Aires aus erster Hand berichten konnten. Die Fokussierung auf die Selbstorganisationen der 263 | Vgl. EZA 5/2142, ohne BN; FP, 15. Jg., Nr. 5119 (25. Mai 1960), Sonderbeilage, ohne SZ. Von Gülich war u.a. für die Unterzeichnung des ersten preußisch-argentinischen Freundschafts- und Handelsvertrages 1857 verantwortlich. Als »agente prusiano« besuchte er Rosario bereits 1855 (vgl. Carrasco/Carrasco 1897, 318). 264 | Vgl. EZA 5/2142, ohne BN. Im Jahr darauf besuchte von Gülich erneut Rosario, dieses Mal zusammen mit dem Neffen des preußischen Königs, Herzog Wilhelm von Mecklenburg-Schwerin (vgl. Duve 2008, 278; Elsner 1932, 36). 265 | Der erste Ministerresident des Reichs trat 1871 seinen Dienst in Buenos Aires an. Ab 1890 besaß der Reichsvertreter den Status eines kaiserlichen Gesandten. Erst 1933 wurde die Gesandtschaft in den Rang einer Botschaft erhoben.
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deutschen Gemeinschaften entsprach der kultur- und wirtschaftspolitischen Konzeption des Kaiserreichs. Starke und dauerhafte ethnische Strukturen im Ausland sollten demnach die deutsche Sprache und Kultur über Generationen bewahren und verbreiten und somit künftigen nationalen Interessen dienlich sein. Den diplomatischen Vertretern oblag es nun, die Gemeinschaften auf diese Position einzuschwören und sie auf dem eingeschlagenen Weg zu bestärken. Persönliche Besuche bei den Vereinen waren ein Mittel, um dieses Ziel zu erreichen. Die Provinz Santa Fe, lange Zeit das wichtigste Siedlungsgebiet deutscher Einwanderer nach der Hauptstadt und der Provinz Buenos Aires, war eines der bevorzugten Reiseziele der kaiserlichen Diplomaten. Zu ihren regelmäßigen Stationen gehörten vor allem Rosario und Esperanza, die beiden santafesinischen Städte mit den größten deutschen Gemeinschaften. Die Gesandten Julius von Waldthausen (1904-1910) und Hilmar von dem Bussche-Haddenhausen (1910-1914) pflegten eine besonders intensive Beziehung zu den Deutschen in diesen Ortschaften, die sie zu mehreren Gelegenheiten aufsuchten. Anlass dazu gaben etwa dienstliche Rundreisen oder Einladungen zu größeren Einweihungsfeiern und Basaren. Sie konnten dort stets mit aufwändigen Empfängen und einem festiven Rahmenprogramm der lokalen Vereine rechnen. Die offiziellen Visiten liefen auf ähnliche Weise und unter großer öffentlicher Aufmerksamkeit ab, die weit über die Grenzen der deutschen Gemeinschaften hinausreichte. Die Gesandten reisten mit der Bahn an und wurden auf einzelnen Etappen durch Santa Fe von deutschen Konsuln und ranghohen politischen Vertretern der Provinzregierung begleitet. Dem Zug schlossen sich nach und nach immer mehr Deutsche aus den besuchten Gemeinschaften an. Während der Fahrt Waldthausens von Santa Fe nach Esperanza im April 1905 ließ die Regierung gar die Polizeikapelle zur Unterhaltung im Zug musizieren und Rodolfo Freyre, der Gouverneur Santa Fes, erklärte dem deutschen Gast persönlich »in aufmerksamster Weise« die Streckenumgebung.266 Bei Ankunft wurden die Gesandten von einer Abordnung der Vereine bzw. einer größeren Gesellschaft am Bahnhof begrüßt. Zum Rosario-Besuch Waldthausens im Jahr 1905 hießen ihn alle »Präsidenten der deutschen Vereine sowie zahlreiche Herren der Kolonie«267 willkommen. In Esperanza erwartete ihn ein noch weitaus größerer Empfang, der in einer regelrechten Parade gipfelte: »Am Bahnhof hatte sich die gesamte deutsche Kolonie, die lokalen Behörden und ein großes Publikum von Einheimischen zum Empfang des Gastes eingefunden, der bei seiner Ankunft stürmisch begrüßt wurde. [. . . ] 266 | Vgl. DLPZ, 37. Jg., Nr. 98 (28. April 1905), 5. 267 | DLPZ, 37. Jg., Nr. 96 (26. April 1905), 4.
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Hier war die Munizipalkapelle am Bahnhof aufgestellt, und mit dieser sowie der santafeciner [sic] Kapelle an der Spitze begaben sich die Gäste, gefolgt von einem zahlreichen Publikum und von der Bevölkerung überall enthusiastisch begrüßt, zu Fuß durch die beflaggten Straßen nach dem Munizipalitätsgebäude, wo ein großer Empfang stattfand, der fast sämtliche hiesigen Familien vereinte.«268
Auch in Esperanza waren Vertreter der deutschen Vereine erschienen. In einer anderen Korrespondenz heißt es dazu ergänzend: »Beim Einlaufen des Zuges intonirte [sic] die hiesige Stadtkapelle ›Deutschland, Deutschland über alles‹. Der Herr Gesandte verweilte länger am Bahnhof, wo der ›Deutsche Verein‹, die ›Allgemeine Krankenkasse‹ und der ›Männnergesangverein‹ [sic] mit ihren Fahnen und allen anderen Angehörigen der deutschen Kolonie Aufstellung genommen hatten, begrüßte die sich ihm Vorstellenden mit einem Händedruck und gewann sich im Fluge durch sein liebenswürdiges Wesen Aller Herzen [sic].«269
Nach der öffentlichen Begrüßung übernahmen die deutschen Gemeinschaften die weitere Betreuung der Gäste aus Buenos Aires. Beherbergt wurden die Diplomaten in der Regel in einem örtlichen Hotel oder Gasthaus. In Esperanza aber ließ es sich der wohlhabende deutsche Industrielle und Vereinsmäzen Nicolás Schneider 1905 nicht nehmen, von Waldthausen in seinem eigenen Heim unterzubringen.270 In der Zeit ihres Aufenthalts besichtigten die Gesandten die Stadt sowie die lokalen deutschen Vereine und Unternehmen, um sich vom Entwicklungsstand der »Kolonien« zu überzeugen. Den deutschen Schulen in Rosario und Esperanza widmeten sie dabei besondere Aufmerksamkeit, wurden diese doch als zentrale Elemente der »auswärtigen Kulturpolitik« vom deutschen Staat subventioniert.271 Die geselligen Höhepunkte der Besuche bildeten die großen Vereinsfeste, die zu Ehren der Gesandten gegeben wurden. Für beide Seiten erfüllten diese Feiern bestimmte Funktionen. Den Vereinen war damit die Möglichkeit gegeben, sich einem offiziellen Vertreter der »alten Heimat« als starke, geschlossene Gemeinschaft zu präsentieren und ihre Treue zum »Deutschtum« unter Beweis zu stellen. Die Diplomaten wiederum wollten sich genau davon persönlich überzeugen, um anschließend nach Berlin Bericht zu erstatten. Entsprechend prunkvoll und patriotisch fielen diese Feierlichkeiten aus. Der Deutsche Verein in Rosario gab von Waldthausen 1905 ein »Bankett, an welchem [. . . ] auch die lokalen Behörden und bei welchem fast die gesamte 268 | DLPZ, 37. Jg., Nr. 98 (28. April 1905), 5. 269 | DLPZ, 37. Jg., Nr. 99 (29. April 1905), 4. 270 | Vgl. EGB, 11. Jg., Nr. 514 (3. Mai 1905), 10. 271 | Vgl. Tabelle A8 und Kapitel IV dieser Arbeit.
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Kolonie vertreten war.«272 Am nächsten Tag veranstaltete die Gemeinschaft ein großes Picknick. Im Saal des Männer-Gesangvereins Esperanza fand wenige Tage später zu gleichem Anlass ein allgemeines »Festessen« mit 130 Teilnehmern statt, zu dem auch Gouverneur Freyre und Minister Pera aus Santa Fe geladen waren, die den Gesandten begleitet hatten. Es folgten zahlreiche Reden und »Toaste« auf Gast, die deutschen »Kolonien«, den Kaiser und das Reich; in Esperanza trug der Männer-Gesangverein deutsche Lieder vor.273 Zwei Jahre später brach von Waldthausen zu einem neuerlichen, achttägigen Besuch nach Santa Fe auf. Auch bei dieser Gelegenheit bereiteten ihm die Vereine von Rosario und Esperanza einen festlichen Empfang. In seinem Bericht an Reichskanzler von Bülow vom 1. März 1908 zeigte sich der Gesandte mit den Visiten in der Provinz Santa Fe hochzufrieden: »Wie bei allen meinen früheren Reisen in den La Plata Staaten, so ist mir auch auf dieser Reise seitens der deutschen Kolonien ein überaus patriotischer Empfang zuteil geworden, bei dem die warme Vaterlandsliebe der Deutschen in der gedachten Provinz und ihre Anhänglichkeit an Kaiser und Reich von neuem glänzend zu Tage trat. [. . . ] Bei den grösseren [sic] Festlichkeiten wurden stets auch auf Seine Majestät den Kaiser Reden gehalten, bei denen die Allerhöchstdemselben dargebrachte Verehrung und die treue Liebe zur fernen Heimat zum Ausdruck kamen. Obwohl die Reise nur acht Tage währte, habe ich in Erwiderung auf erwiesene Ehren und Freundlichkeiten nicht weniger als fünfzehnmal Reden oder Ansprachen halten müssen.«274
Die Realisierung großer Bauprojekte in den »Kolonien« gehörte zu den weiteren Ereignissen, zu denen offizielle deutsche Vertreter aus Buenos Aires anreisten und mit den Vereinen in direkten Kontakt traten. So nahm der kaiserliche Gesandte von Waldthausen 1904 an der Grundsteinlegung der deutschen Kirche in Rosario teil. Zu ihrer Einweihung im November 1913 erschien der Nachfolger Waldthausens, von dem Bussche-Haddenhausen, zusammen mit dem »MilitärAttachee« von Scheven und dem kaiserlichen Generalkonsul Bobrik.275 Neben den Gesandtenbesuchen rief auch die Anwesenheit deutscher Kriegsschiffe starke Reaktionen in den Gemeinschaften hervor. Die Präsenz deutscher Kreuzer in Lateinamerika nahm bereits Mitte des 19. Jahrhunderts mit ersten Überfahrten der preußischen Marine ihren Anfang. Bisher wurden diese Expeditionen in erster Linie als Werbemaßnahme für wirtschaftliche Kooperatio272 | DLPZ, 37. Jg., Nr. 96 (26. April 1905), 4. 273 | Vgl. für diesen Absatz: EGB, 11. Jg., Nr. 514 (3. Mai 1905), 10f; DLPZ, 37. Jg., Nr. 96 (26. April 1905), 4. 274 | BArch R 901/38645, Bl. 122f. 275 | Vgl. für diesen Absatz: Hagedorn 1944, 31; Elsner 1932, 179.
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nen oder als »Kanonenbootpolitik« unter dem Gesichtspunkt der Verteidigung auswärtiger Reichsinteressen besprochen. Zudem standen die folgenden Konflikte mit anderen europäischen Mächten und den betreffenden Nationen im Fokus.276 Dabei waren die Besuche in den deutschen Gemeinschaften und die Interaktion der Besatzungen mit den deutschen Auswanderern und ihren Nachfahren ebenfalls Teil der politischen Strategie und für die »Kolonien« von zentraler Bedeutung. In der Provinz Santa Fe liefen die Kriegsschiffe vor allem den Hafen von Rosario an. Die Ankunft der Kreuzer, die zuvor bereits in Buenos Aires Station gemacht hatten und nun die Stadt auf den Binnenschifffahrtsrouten des Río Paraná erreichten, wurde zu einem gesellschaftlichen Ereignis. Oft standen die Schiffe Besuchern offen, eine Möglichkeit, die in der deutschen Gemeinschaft gern wahrgenommen wurde. Bisweilen fanden auch Vereinsfeiern auf den Schiffen statt. Die Schiffsoffiziere wiederum wurden zu Empfängen und Festen in den Vereinen eingeladen. Der Deutsche Verein in Rosario hatte derartige Visiten sogar gesondert in seinen Statuten geregelt. Ab 1895 erhielten die diplomatischen Vertreter der »deutschredenden Nationen« sowie die Offiziere »der deutschen und österreichischen Kriegsschiffe und Handelsdampfer« offiziell »freien Eintritt« in den Klub.277 Das erste deutsche Kriegsschiff erreichte Rosario bereits in den 1880er Jahren. Mit großer Wahrscheinlichkeit handelte es sich dabei um das Kanonenboot »Albatross«, das sich 1883 nach Südamerika begab. Dort steuerte es zunächst Buenos Aires und Montevideo an, um später auf dem Paraná in das Landesinnere vorzudringen.278 Auf dieser Reise besuchte das Schiff erstmals Rosario.279 Die deutsche »Kolonie« der Stadt bereitete der Besatzung einen herzlichen Empfang und ließ ihnen diverse »Aufmerksamkeiten« als Beweis ihrer »warmen vaterländischen Gesinnung« zuteil werden.280 Auch die Mannschaften der 276 | Vgl. zum Beispiel: Wiechmann 2002; Bernecker/Fischer 1996, 388; Kloosterhuis 1994, 146f. 277 | Vgl. Deutscher Verein Rosario 1895, 7. 278 | Vgl. Hildebrand et al. 1983, 81-84. Über die genaue Ankunft der »Albatross« existieren in den Vereinspublikationen Rosarios widersprüchliche Angaben. Der Deutsche Schulverein gibt in einer Festzeitung das Jahr 1881 an, Vereinschronist Erich Elsner hingegen das Jahr 1889 (vgl. Deutscher Schulverein Rosario 1899a, ohne SZ; Elsner 1932, 67f.). Offenbar sind beide Angaben unzutreffend. Denn zum einen wurde die »Albatross« zwischen April 1880 und April 1882 zur Wartung außer Dienst gestellt. Zum anderen fungierte sie ab November 1888 nur noch als »Vermessungsfahrzeug« in der Nordsee und unternahm keine derartigen Fahrten mehr (vgl. Koch 1899, 600; Hildebrand et al. 1983, 81-84). 279 | Vgl. Koch 1899, 592f. Im selben Jahr wurden regelmäßige Dampfschifffahrtsverbindungen zwischen Hamburg und Rosario eingerichtet (vgl. Elsner 1932, 68). 280 | Vgl. Deutscher Schulverein Rosario 1899a, ohne SZ.
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Schiffe »Falke«, »Panther« und »Karlsruhe«, die in der Folgezeit in Rosario Halt machten, wurden besonders in den Vereinen gern aufgenommen. Der Besuch des Kreuzers »Falke« im Oktober 1904 war zunächst nicht geplant gewesen und kam nur auf Anfrage der Deutschen in Rosario zustande. Die »Kolonie« würdigte die Zusage mit einem mehrtägigen Festprogramm. Zu diesem Anlass ordnete die DLPZ eigens einen »Spezialkorrespondenten« nach Santa Fe ab, der die Ereignisse in einer Artikelserie genau dokumentierte. Nach der Besichtigung der Hafenwerke, die von einem deutschen Ingenieur geleitet wurden, begaben sich die Offiziere auf Einladung zum Frühstück und Frühschoppen in den Deutschen Verein. Es folgte ein vereinsübergreifend organisiertes Volksfest für die gesamte Mannschaft der »Falke« in der Deutschen Schule: »Dann ging es mit in mehreren bereit stehenden Equipagen nach der festlich geschmückten Deutschen Schule, wo die Mannschaften inzwischen bereits eingetroffen waren und sich mit den Mitgliedern der deutschen Kolonie gemütlich an den aufgestellten Tischen auf dem großen[,] mit Bäumen bestandenen und beflaggten Spielplatz niedergelassen hatten. Gutes Bier floß in Strömen, für eine gute Bewirtung war von den Kommissionen des Deutschen Militärvereins, des Deutschen Männerchors und des Deutschen Vereins bestens Sorge getragen, eine Musikkapelle spielte heitere Weisen, der Männerchor brachte einen Vortrag, und dann erscholl frisch, froh und frei aus deutschen Seemannskehlen das deutsche Flaggenlied.«281
Am Nachmittag ging die Feier mit »stürmisch ausgebrachten Hochs« auf die Besatzung und die deutsche »Kolonie« Rosarios zu Ende. Im Anschluss an eine weitere Stadtführung stand ein »Diner« für den Kommandanten und die Offiziere im Haus des deutschen Konsuls Tietjen auf dem Programm. Reden und »Hochs« auf Deutschland, Argentinien, den Konsul und die Besatzung der »Falke« kulminierten in der feierlichen Überreichung eines »von allen Anwesenden unterzeichneten und in künstlerischer Ausführung hergestellten Gedenkblattes« an Kapitän Behnke. Der Abend endete mit einem »guten Glase Bier« im Deutschen Verein.282 Am nächsten Tag wurden die Schüler der oberen Klassen der beiden deutschen Schulen auf dem Kreuzer herumgeführt. Auch deutsche Familien erhielten die Möglichkeit, das Schiff zu besichtigen. Abends war die Mannschaft zum Gartenfest und Ball in den Deutschen Verein geladen:
281 | DLPZ, 36. Jg., Nr. 251 (25. Oktober 1904), 1. 282 | Vgl. für diesen Absatz: Ebd.; DLPZ, 36. Jg., Nr. 253 (27. Oktober 1904), 1.
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»Die Räume des Deutschen Vereins von Rosario und besonders der schöne Garten deselben [sic] wurden [. . . ] mit Fahnen und Lampions geschmückt. Ueberhaupt [sic] wehten auf vielen deutschen Häusern von Rosario während dieser Tage deutsche und argentinische Fahnen. Die Front des stattlichen Gebäudes vom Deutschen Verein war mit einer besonderen Illuminationsvorrichtung ausgestattet worden und als der Abend seine dunklen Schatten über die Stadt gelegt hatte, leuchtete es hier in den deutschen und argentinischen Farben.«283
Die Feierlichkeiten hatten – wie so oft bei derartigen Gelegenheiten – einen stark patriotischen Charakter. Zu Beginn ließ Konsul Tietjen den Kaiser hochleben, der so bereitwillig für die Entsendung des deutschen Kriegsschiffes nach Rosario gesorgt und damit die Festtage erst möglich gemacht hatte. Nach dem Gesang der deutschen Nationalhymne sprach der Präsident des Deutschen Vereins, Max Bohm, über die Bedeutung der deutschen Flotte für das »Deutschtum« im Ausland: »Fern vom Vaterlande, sind wir doch in Gedanken mit ihm auf das Innigste verbunden, und wir hören mit Freuden auf das Rauschen der Fittiche des kaiserlichen Aar’s, der sich aufgeschwungen aus dem Horst im Schwabenland, sonnenauf die Adlerjungen führte zu des Meeres Strand. Nein, nicht nur zu des Meeres Strand, über alle Meere, hinaus in die weite Welt begleitet er uns, zu unserem Schutze, unserer Ehre. In allen Teilen der Erde hat sich der deutsche Kaufmann eine angesehene Stellung erworben; er arbeitet in seiner Weise zum Besten des allgemeinen Vaterlandes; aber seine Arbeit würde manchmal unfruchtbar, seine Stellung gefährdet sein, ohne den starken Schutz des Reiches, ohne seine Marine [. . . ].«284
»Gemeinsame patriotische Lieder und Musikvorträge«285 , Beiträge des Deutschen Gesangvereins »Lyra« und weitere Reden und »Hochs« auf die kaiserliche Marine und die deutsche »Kolonie« Rosarios leiteten über zum Ball im neuen Saal des Deutschen Vereins. Besuche in den beiden deutschen Schulen durch Kapitän Behnke in Begleitung von Konsul Tietjen und Konsul Kettler aus Córdoba beschlossen den Aufenthalt der »Falke« in Rosario.286 Ebenso wie die regelmäßigen offiziellen Besuche aus Deutschland waren Auszeichnungen an »Auslandsdeutsche« Bestandteil der auswärtigen Kulturpolitik des Reichs. Die Ehrungen, etwa für »Verdienste um das Deutschtum«, 283 | DLPZ, 36. Jg., Nr. 254 (28. Oktober 1904), 1. 284 | Ebd. 285 | Ebd. 286 | Vgl. für die vorangegangenen drei Absätze: DLPZ, 36. Jg., Nr. 251 (25. Oktober 1904), 1; Nr. 253 (27. Oktober 1904), 1; Nr. 254 (28. Oktober 1904), 1; Deutscher Schulverein Rosario 1905c, ohne SZ.
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gingen vor allem an langjährige Funktionäre deutscher Vereine bzw. Förderer des Vereinswesens. Die vom preußischen König gestifteten Königlichen Kronenorden bzw. Roten Adlerorden III. und IV. Klasse, Ehrenmünzen der preußischen Landeskirche sowie persönliche »Anerkennungsschreiben« waren die am häufigsten vergebenen Auszeichnungen. Vorschlagsberechtigt waren u.a. die Auslandspfarrer und konsularische und diplomatische Vertretungen des Reichs in den jeweiligen Ländern. Nachdem beispielsweise Pastor Koch aus Esperanza 1904 ein mehrseitiges Empfehlungsschreiben an den EOK in Berlin gerichtet hatte, erhielt der Gemeindepräsident Johannes Spies im Jahr darauf den Kronenorden IV. Klasse.287 Kochs Amtskollege in Rosario, Pfarrer Gebhardt, setzte sich 1912 bei der deutschen Gesandtschaft in Buenos Aires für eine »Ordensauszeichnung« der Gemeindemitglieder Rudolf O. Schmidt, Theobald Zschocke und Wilhelm Tietjen ein, die den Bau der evangelischen Kirche vorangetrieben hatten.288 Zwei Jahre später erhielt auch Schmidt »in Anerkennung seiner Verdienste um das Deutschtum Rosarios«289 den Kronenorden. Aus ähnlichen Gründen wurden Konsul Wilhelm Tietjen und sein Bruder Engelbert, beides erfolgreiche Kaufleute und rührige Vereinsmänner aus Rosario, dekoriert. Erstgenannter war Inhaber des Kronenordens III. Klasse und des Roten Adlerordens III. und IV. Klasse, letzterem war der Rote Adlerorden verliehen worden.290 Die Auszeichnungen von deutscher Seite für verdiente Vereinsmitglieder in Argentinien spielten eine bedeutsame Rolle bei der fortgesetzten Identifizierung der Emigranten mit Deutschland. Das wurde auch von den Zeitgenossen erkannt. So schrieb Pfarrer Koch 1904 in seiner Empfehlung an den EOK vom 27. Mai 1904, dass diese Ehrung auch dem »gesamten Deutschtum Esperanzas« zugute käme und eine Hebung des nationalen Selbstbewusstseins zur Folge hätte.291 Und tatsächlich waren diese Bekundungen der Wertschätzung zentrale Elemente des kollektiven Bewusstseins in den Vereinen und wurden voller Stolz über Generationen hinweg überliefert. Die Verleihung von Orden stellte somit eine Möglichkeit dar, die nationalen Bindungen deutscher Auswanderer an die ehemalige Heimat zu beleben und dauerhaft zu stärken. Das Reich konnte an solchen Effekten nur interessiert sein, war das Vereinswesen im Ausland doch Ausdruck deutscher »Weltgeltung« und ein verlässlicher Partner bei den eigenen politischen und wirtschaftlichen Ambitionen. 287 | Vgl. EZA 5/2144, ohne BN. 288 | Vgl. EZA 5/2148, ohne BN. 289 | Vgl. EGB, 20. Jg., Nr. 14 (1. April 1914), 194. 290 | Vgl. Hagedorn 1944, 8; Elsner 1932, 109. 291 | Vgl. EZA 5/2144, ohne BN.
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Über die Wirkung von Besuchen aus Deutschland waren sich Gastgeber und Gäste ebenfalls einig. Im bereits zitierten Brief an den Reichskanzler resümierte der Gesandte von Waldthausen: »Wenn ich zurückdenke an die allgemeine Freude und Dankbarkeit, den Jubel und die patriotische Begeisterung, die auf der Reise zum Ausdruck kamen, an die herzliche Aufnahme, die zahlreichen Blumenspenden und Gedichte, die Blumen, mit denen wir beworfen wurden, die grossen [sic] Empfänge und vielen Festlichkeiten, kurz an alle die Ehrenbezeigungen, die dem Vertreter Seiner Majestät zuteil geworden sind, so vermag ich in Bestätigung des bereits früher mit Bezug auf die damaligen Reisen Berichteten nur erneut zu melden, in wie hohem Maasse [sic] derartige Reisen in den La Plata Staaten geeignet sind, dazu beizutragen, das Deutschtum in denselben zu stärken, das Ansehen der hiesigen Deutschen zu heben und die Einigkeit unter ihnen zu fördern.«292
Innerhalb der deutschen »Kolonien« und ihrer Vereine waren ebenfalls positive Effekte für das jeweilige lokale Gemeinwesen erkennbar. Die Anwesenheit deutscher Gäste, zumal wenn sie offizieller Natur waren, wurden mit Stolz und Dankbarkeit aufgenommen. Sie vermittelte den Auswanderern das Gefühl, nach wie vor mit der »alten Heimat« in Verbindung zu stehen und von den dortigen Stellen nicht vergessen worden zu sein. Während der Besuchs- und Festtage konnten sich die »Auslanddeutschen«, mehr noch als sonst, als Teil einer ethnischen und nationalen Gemeinschaft begreifen. Die öffentlichkeitswirksame Ausgestaltung der Feiern zeigte, dass es ihnen zu solchen Anlässen besonders wichtig war, in »der Fremde« ihre nationale Zugehörigkeit zu demonstrieren. Dabei handelte es sich keineswegs um einen unreflektierten Prozess. Auch die »Kolonien« knüpften konkrete Erwartungen an die Besuche aus Deutschland. Sie sollten das »Nationalbewusstsein« der deutschstämmigen Bevölkerung befeuern und nicht zuletzt den ethnischen Vereinen selbst neuen Auftrieb geben. Vom Besuch des Gesandten von Waldthausen in Esperanza 1905 schrieb ein Berichterstatter im EGB: »Der Besuch des Repräsentanten des deutschen Kaisers in dieser ältesten deutschen Ackerbaukolonie von Argentinien hat ohne Zweifel das Nationalbewußtsein unter den hiesigen Deutschen wesentlich gestärkt und allen deutschen Bestrebungen einen neuen Impuls gegeben. Mit dankbarem Herzen schaut darum jeder deutschfühlende Mann auf diesen Besuch zurück. Mögen recht viele hiesige Deutsche dadurch angeregt worden sein, deutsche Sprache, deutsche Art, deutsche Sitte tatkräftig pflegen und
292 | BArch R 901/38645, Bl. 125.
4. IDENTITÄTEN UND IHRE (RE-)KONSTRUKTION | 185
fördern zu helfen! Das wäre die schönste Frucht jener Tage und zugleich die größte Freude für den Vertreter des deutschen Reiches.«293
Die Erwartungen wurden nicht enttäuscht, das deutsche Vereinswesen in Rosario und Esperanza ging stets gestärkt aus diesen Visiten hervor. Dafür war nicht nur die Anerkennung der Vereinsarbeit durch die deutschen Vertreter und das intensivierte Gemeinschaftsgefühl verantwortlich, die neue Impulse für die Fortführung der Tätigkeit gaben.294 Ihre Anwesenheit verlieh Feiern und anderen Vereinsaktionen zudem eine besondere Weihe. Die Gesandten bedachten Einrichtungen wie die Schulen darüber hinaus mit großzügigen Geld- und Sachspenden und vermittelten Subventionszahlungen aus dem Reich.295 In einer Rede auf dem Fest zu Ehren der Besatzung des Kriegsschiffes »Panther« im Februar 1906 fasste der Präsident des Deutschen Militärvereins in Rosario die Bedeutung der Besuche für die deutsche Gemeinschaft und die damit verbundenen Erwartungen, Vorstellungen und Emotionen noch einmal treffend zusammen: »Frohe Kunde hat uns Rosariner Deutschen die [. . . ] deutsche Kriegsflagge, die heute in unserem Hafen vom ›Panther‹ weht, gebracht. Wir sind nicht vergessen daheim in unserem alten Vaterland, die Heimat reicht uns heute ihre Hand. Freudig schlagen wir ein in die dargebotene Rechte, freudig geloben wir, im fremden Lande unser Deutschtum zu wahren und zu schirmen, immerdar und allerwege würdige Söhne Deutschlands zu sein.«296
Und weiter: »[. . . ] S.M.S. ›Panther‹ hat deutschen Gruß uns gebracht. Stolz weitet sich unsere Brust, und voller Jubel erwidern wir den Gruß. [. . . ] Doch das Schiff Seiner Majestät redet noch eine besondere, eine hehre, erfurchtgebietende Sprache zu uns. In S.M.S. ›Panther‹ spricht der oberste Kriegsherr Deutschlands, spricht der erlauchte Hohenzollernkaiser zu uns Auslandsdeutschen. 293 | EGB, 11. Jg., Nr. 514 (3. Mai 1905), 11. 294 | In Esperanza beispielsweise verstärkte der Besuch von Waldthausens 1905 das allgemeine Interesse an der deutschen Vereinsschule im Stadtzentrum, die der Gesandte besonders gewürdigt hatte. Die Mittel zum Bau eines neuen Schulgebäudes konnten danach problemlos mit Spenden aus der Gemeinschaft zusammengetragen werden (vgl. DLPZ, 37. Jg., Nr. 141 (20. Juni 1905), 1). 295 | Bisweilen bewirkten Besuche aus Deutschland gar die Entstehung neuer Vereine. Die Anwesenheit Prinz Heinrichs von Preußen, der als Großadmiral 1914 zusammen mit deutschen Kriegsschiffen im Hafen von Buenos Aires einlief, zog dort die Gründung eines neuen Deutschen Flottenvereins nach sich (vgl. DLPZ. 46. Jg., Nr. 80 (5. April 1914), 1). Bereits 1899 war in Buenos Aires erstmals ein Flottenverein ins Leben gerufen worden (vgl. Kapitel III, 4.3.2 dieser Arbeit). 296 | DLPZ, 38. Jg., Nr. 40 (17. Februar 1906), 1.
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[. . . ] Unablässig und unermüdlich ist Kaiser Wilhelm II. bemüht, Deutschland die Flotte zu schaffen, die seiner Stellung auf dem Erdenrund entspricht. Voller Bewunderung, voller Verehrung und Liebe schauen wir Auslandsdeutschen zu unserem deutschen Kaiser empor. Erhält Deutschland die Flotte, die sein Kaiser ihm zugedacht hat, dann können wir ruhig im Auslande leben und arbeiten, dann können die Bande, die uns mit dem alten Vaterland jenseits des Ozeans verbinden, nun und nimmermehr zerreißen, dann – – aber auch nur dann sind wir sicher geborgen.«297
4.3.3 Transatlantische Wohltätigkeit Die ethnisch fundierte Solidarität und Wohltätigkeit war als weiteres Merkmal der deutschen Gemeinschaften in Rosario und Esperanza von grundlegender Bedeutung für das Einwanderervereinswesen. Mitgliedsbeiträge und sonstige Einnahmen reichten in vielen Fällen nicht aus, um den Vereinsbetrieb dauerhaft aufrechtzuerhalten oder große Projekte aus den vorhandenen Mitteln zu finanzieren. Die freiwilligen Spenden und Darlehen wohlhabender Teile der »Kolonien« sowie die kollektiv erbrachten Erlöse der zahlreichen Veranstaltungen und Sammlungen waren daher wichtige Stützen des Vereinslebens und der gemeinschaftlichen Karitas. Die Wohltätigkeit – insbesondere für ethnische und nationale Zwecke – gehörte in den deutschen Einwandererelite Argentiniens zum guten Ton. Beleg dafür ist etwa das Phänomen der »Neujahrsablösungen«. Im Januar eines jeden Jahres spendeten vermögende Familien in einigen deutschen Gemeinschaften für die wohltätige Arbeit der örtlichen deutschen Vereine. Die Spender, die vor allem aus den Städten Buenos Aires und Rosario kamen, wurden namentlich in der DLPZ erwähnt.298 Ethnische Solidarität wurde aber nicht exklusiv in den lokalen Gemeinschaften praktiziert, sondern konnte zweckgebunden auf eine landesweite Ebene transferiert werden. In den Kassenberichten der Vereine von Rosario und Esperanza erschienen immer wieder Spenden für auswärtige deutsche Einrichtungen, vor allem in der Hauptstadt. Gelder flossen beispielsweise an das Deutsche Hospital in Buenos Aires, das deutsche Waisenhaus in Baradero oder an ein von Soldaten in Buenos Aires vergewaltigtes deutsches Mädchen.299
297 | Ebd. 298 | Dass die Spendenbereitschaft in den »Kolonien« stieg, sobald die Möglichkeit bestand, den eigenen Namen in der Zeitung zu lesen, wurde besonders von kirchlicher Seite häufig kritisiert. 299 | Vgl. DLPZ, 23. Jg., Nr. 260 (13. November 1891), 1; 43. Jg., Nr. 75 (30. März 1911), 5.
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Der Aktionismus des deutschen Vereinsnetzwerks reichte über die Landesgrenzen Argentiniens hinaus. Zu verschiedenen Gelegenheiten wurde für wohltätige, kulturelle und sogar politische Vorhaben in Deutschland gesammelt. Die Initiative dazu ging zumeist vom deutschen Vereinswesen in Buenos Aires aus, das – teils im Verbund mit der deutschen Gesandtschaft – in den großen deutschsprachigen Zeitungen, dem Argentinischen Tageblatt und der Deutschen La Plata-Zeitung, zu landesweiten Spendenaktionen aufrief. In den »Kolonien« des Hinterlandes waren es ebenfalls die Vereine, die die lokalen Teilsammlungen organisierten. Seit Ende des 19. Jahrhunderts verstetigte sich die Wohltätigkeitsarbeit und gewann strukturell an Tiefe. Wann immer eine Katastrophe Deutschland erschütterte oder ein Projekt von nationaler Tragweite in Übersee realisiert werden sollte, bildeten sich in den deutschen Vereinen Argentiniens beinahe umgehend Komitees, um in den Gemeinschaften für Unterstützung zu werben. Die Gründe für den Aktionismus finden sich auch in diesem Fall in den Vereinsdiskursen. Aus der Wahrnehmung einer fortgesetzten Verbindung mit dem Reich und einer gedachten Gemeinschaft mit den »Brüdern« jenseits des Atlantiks heraus leiteten die Einwanderer eine Verantwortung für die Geschicke Deutschlands ab. Die unbedingte transatlantische Solidarität in karitativen oder patriotischen Angelegenheiten wurde so Teil ihres Selbstverständnisses. Eine der ersten Wohltätigkeitssammlungen für Deutschland fand 1866 in der »Kolonie« von Buenos Aires zugunsten der »im Felde verwundeten und erkrankten [. . . ] Krieger« des Deutschen Krieges statt. Nach einem Treffen der Vereinsvertreter beim hamburgischen Konsul Roosen bildete sich ein Spendenkomitee, das einen Aufruf startete und schließlich 5900 Pesos fuertes aus Buenos Aires und den Provinzen nach Deutschland überwies. Vor dem Hintergrund des deutschen Einigungsprozesses sahen es die Protagonisten bereits damals als eine »heilige Pflicht« der Auslandsdeutschen an, etwas zu diesem Zweck beizutragen.300 Patriotismus und die Behauptung der deutschen Nation im Wettbewerb der europäischen Großmächte blieben bis zum Ende des Ersten Weltkrieges zwei der Hauptmotive für kollektive Spendenaktionen. Zum 70. Geburtstag und 50. »Dienstjubiläum« Bismarcks 1885 beteiligten sich u.a. Komitees in Buenos Aires, Montevideo und Rosario an einem »nationalen Ehrengeschenk«, für das ein »Central-Comité« in Berlin Mittel zusammentrug.301 Fünf Jahre später erging abermals ein internationaler Aufruf zu einer Bismarck-Spende, um dem scheidenden Reichskanzler ein »Nationaldenkmal« in Berlin zu errichten. Dieser 300 | Vgl. für diesen Absatz: Ruhland & Reinhardt 1873, 180f. 301 | Vgl. dazu: DLPZ, 16. Jg., Nr. 46 (28. Februar 1885),1; Nr. 70 (29. März 1885), 1; Nr. 72 (1. April 1885), 1; Nr. 94 (29. April 1885), 1.
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fand in den deutschen Gemeinschaften Argentiniens wiederum ein starkes Echo. Landesweit lagen Subskriptionslisten in deutschen Vereinen, Banken, Geschäften und Zeitungsredaktionen aus. Auch aus Rosario und Esperanza, wo diese Listen ebenfalls zirkulierten, liefen Beträge ein, wobei die größten aus dem Umkreis der lokalen Vereine stammten. Allein in Rosario summierten sich die Spenden auf knapp 1200 Pesos.302 Einen deutlich politischeren Charakter hatten die patriotischen Wohltätigkeitsaktionen, die auf eine militärische Stärkung des Reichs abzielten. Die Vereinsdiskurse anlässlich der Besuche deutscher Kriegsschiffe in Rosario haben bereits gezeigt, welche Bedeutung der kaiserlichen Flotte um die Jahrhundertwende beigemessen wurde. Die deutsche Öffentlichkeit verstand sie als wichtige Vertreterin nationaler Interessen und eine »Lebensbedingung« Deutschlands. Einwandererorganisationen wie der Deutsche Flottenverein in Buenos Aires, der als Gemeinschaftsprojekt des örtlichen Vereinswesens entstanden war, sahen folglich ihre Aufgabe darin, die Pläne zum Ausbau der deutschen Marine auch finanziell zu unterstützen, z.B. mit regelmäßigen Mitgliedsbeiträgen.303 Im Vereinswesen von Rosario waren ähnliche Tendenzen zu beobachten. Zwar scheiterte die Gründung eines lokalen Flottenvereins, dennoch bezogen die deutschen Vereine in dieser Angelegenheit deutlich Stellung. Im Dezember 1897 versandten sie eine gemeinsame »Eingabe« an den Reichskanzler mit der Forderung nach »Vermehrung der deutschen Flotte«.304 Am Vorabend des Ersten Weltkrieges bekamen die Bemühungen deutscher Einwanderer in Argentinien, dem Reich eine günstige Ausgangsposition im Konkurrenzkampf der europäischen Mächte zu verschaffen, neuen Aufschwung. Der schwelende Konflikt in Übersee wurde auch in den deutschsprachigen Tageszeitungen und den deutschen Vereinen Argentiniens aufmerksam verfolgt. Unter dem Einfluss der nationalistisch-militaristischen Propaganda und ähnlichen Aktionen in Deutschland veranstaltete etwa die Gemeinschaft in Buenos Aires 1912 eine »National-Flugspende«, »um der deutschen Heeresverwaltung ein Flugzeug zu schenken« und damit zur »Stärkung der deutschen Aviatik beizusteuern«. Es zirkulierten Spendenlisten und auch die »Vorstände sämtlicher deutscher Vereine« und die deutschen Zeitungen nahmen Beträge an. Den Organisatoren zufolge war: »[. . . ] auch die kleinste Spende [. . . ] willkommen, da wir mit der Zeichnung zugleich die Liebe zu unserem großen und schönen Vaterlande, wie die Achtung und Sympathie für unsere deutsche Wehrmacht
302 | Vgl. dazu: DLPZ, 21. Jg., Nr. 136 (18. Juni 1890), 1; Nr. 164 (23. Juli 1890), 1; Nr. 197 (4. September 1890), 1. 303 | Vgl. DLPZ, 31. Jg., Nr. 262 (7. November 1899), 1; Nr. 271 (17. November 1899), 1. 304 | Vgl. Elsner 1932, 95f.
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kundgeben wollen.«305 Lokal beschränkte Initiativen wie diese gaben bereits eine Vorahnung auf die patriotische Wohltätigkeit der deutschen Gemeinschaften in Argentinien während des »Großen Krieges«, die ein bis dahin unbekanntes Ausmaß erreichte.306 Zwar nicht vollständig losgekoppelt vom alles überlagernden Nationaldiskurs, aber in ihrer Rhetorik doch weit weniger aggressiv waren die humanitären Hilfsaktionen für Deutschland. Notlagen der deutschen Bevölkerung, sei es nach Naturkatastrophen oder infolge kriegerischer Konflikte, wurden in den Gemeinschaften intensiv wahrgenommen und zogen wiederholt Spendensammlungen nach sich. Eine erste größere, überregionale Sammlung wurde zugunsten der Opfer des Rheinhochwassers im Winter 1882/83 veranstaltet. Nach einem Aufruf des Kaiserlichen Geschäftsträgers Schöll und anderer Vertreter der deutschen »Kolonie« von Buenos Aires in der DLPZ liefen u.a. aus Buenos Aires, Córdoba und der uruguayischen Schweizer-Kolonie Nueva Helvecia 135 769 Pesos (rd. 22 780 Mark) ein, die nach Deutschland an die Kölnische Zeitung überwiesen wurden.307 Das »Jahrhunderthochwasser« der Elbe fünf Jahre später rief ähnliche Reaktionen in den deutschen Gemeinschaften hervor. In Buenos Aires wurde eine Kommission unter dem Ehrenvorsitz des Gesandten von Rotenhan eingerichtet, um die Sammlung zu koordinieren. Damen aus dem gehobenen Bürgertum planten einen Basar, um die Sach- in Geldspenden umzuwandeln. Der Aktionismus reichte bis in die Provinz Santa Fe. In Esperanza etwa zeichneten sich der Männer-Gesangverein und der Argentinische Bote für die Einsammlung der Beträge verantwortlich. Vergleichbare Initiativen gab es auch in der kleinen deutschen »Kolonie« der Provinzhauptstadt Santa Fe.308 Die konzertierten Aktionen deutscher Einwanderer in ganz Argentinien kamen aber nicht nur Deutschland zugute, sondern zeitigten indirekt auch positive Effekte für die Gemeinschaften selbst. Denn das erhebende Erlebnis der landesweiten Solidarisierung wirkte lange nach und die teils stattlichen Erträge der Sammlungen wurden in den Vereinen mit Genugtuung registriert. Mit jeder Aktion, die erfolgreich verlief, war, in der Wahrnehmung der Zeitgenossen, von Neuem der Beweis erbracht, dass die Deutschen in Argentinien treu zum »Vaterland« und ihrem »Deutschtum« standen. Die Sammlungen bedeuteten 305 | EGB, 18. Jg., Nr. 22 (27. Mai 1912), 262. 306 | Vgl. Kapitel III, 4.4 der vorliegenden Arbeit. 307 | Vgl. für diesen Absatz: DLPZ, 13. Jg., Nr. 235 (27. Januar 1883), 1; Nr. 261 (2. März 1883), 1; Nr. 269 (11. März 1883), 1; Nr. 278 (22. März 1883), 1; Nr. 291 (8. April 1883), 1. 308 | Vgl. für diesen Absatz: DLPZ, 19. Jg., Nr. 109 (15. Mai 1888), 1; Nr. 117 (25. Mai 1888), 1; Nr. 118 (27. Mai 1888), 1.
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demnach einerseits die Aktualisierung der Bindungen zu Deutschland und waren Ausdruck eines nationalen Zugehörigkeitsgefühls, zum anderen verstärkten sie aber auch die Kohäsion innerhalb der Gemeinschaften sowie der Vereine und ihrer landesweiten Netzwerke.
4.3.4 »Vaterland« oder »patria«? Der Kultur- und Nationaldiskurs in den deutschen Vereinen war, wie in den vorangegangenen Kapiteln deutlich wurde, von der Vorstellung einer wie auch immer gearteten Überlegenheit gegenüber der argentinischen Aufnahmegesellschaft durchdrungen. Das »Argentiniertum« wurde beständig mit dem Bild einer homogenen deutschen Gemeinschaft im La-Plata-Raum kontrastiert, die vorgeblich von höherstehenden Idealen und Ansprüchen geleitet wurde. Diese Auffassung ging soweit, dass der deutsche Generalkonsul von Sanden bei seiner Verabschiedung im Deutschen Klub in Buenos Aires 1911 als Zukunftswunsch ausgab, »daß die deutsche Kolonie auch hier als Kulturfaktor immer mehr die Anerkennung finde, die sie verdient hat, und sich immer mehr die Erkenntnis Bahn breche, daß dem in der Bildung befindlichen argentinischen Nationalcharakter ein künftiger deutscher Einschlag nicht fehlen darf.«309
Die Realität hingegen war eine andere. Im Vergleich der europäischen Nationen blieb der deutsche Anteil an der Masseneinwanderung in Argentinien nur marginal, was den Ambitionen der deutschen Außenpolitik, wie sie von Sanden hier beispielhaft formulierte und wie sie sich auch auf die Gemeinschaften im Ausland übertrugen, natürliche Grenzen setzte. Der nationale und gesellschaftlich-kulturelle Formationsprozess in Argentinien wurde in Wahrheit von der italienischen und spanischen Einwanderermehrheit dominiert. Die Erkenntnis, dass der Einfluss der deutschen Einwanderung auf den Verlauf der argentinischen Nationsbildung nur begrenzt sein würde, setzte sich auch innerhalb der Gemeinschaften durch. Als einen zentralen Faktor dafür erkannte man die Anziehungskraft der »patria«, die vom argentinischen Staat im Rahmen seiner Nationalisierungspolitik besonders gewürdigt wurde. So legte Wilhelm Keiper, Lehrer in Buenos Aires, in einem Vortrag vor dem Preußischen Abgeordnetenhaus 1914 über »Deutsche Kulturaufgaben in Argentinien« dar: »Wenn in den Volksschulen täglich die argentinische Fahne gehißt und die argentinische Nationalhymne gesungen wird, dann stimmen auch die kleinen Españoles und Italianos begeistert mit ein, und der schwarzhaarige 309 | EGB, 17. Jg., Nr. 26 (28. Juni 1911), 310f. Von Sanden übernahm anschließend das Amt des Kaiserlichen Gesandten in Bolivien.
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Abkömmling der südeuropäischen Völker wie der blonde Germanensprößling, die im Lande geboren sind, sprechen mit gleichem Stolz ihr: ›Yo soy Argentino‹ (ich bin ein Argentinier) aus, wie es etwa in alter Zeit der Römer mit seinem ›Civis Romanus sum‹ tat. Die Kraft des Bodens ist stärker als die Bande der Familie und der geschichtlichen Ueberlieferung [sic], die die Einwanderer mit nach drüben bringen, und alle Versuche der fremdländischen Schulen und Vereine wie des Vaterhauses, diesen naturwüchsigen Einflüssen gegenüber die überlegene Kultur des alten Heimatlandes ins Feld zu führen, sind nur von einer beschränkten Wirkung.«310
Gleichwohl hob Keiper den Stellenwert familiärer und institutioneller Bewahrungsstrategien hervor, die durchaus in der Lage seien, das nach wie vor im Entstehen begriffene »Argentiniertum« um individuelle Aspekte zu erweitern und zu einer neuen nationalen Identität beizutragen: »Die Nachkommen der ins Land eingewanderten Fremden sind oder werden, wenn sie im Lande bleiben, unfehlbar Argentinier, aber freilich Argentinier einer neuen Art, Argentinier mit französischem, englischem, italienischem oder deutschem Einschlag.«311 In dieser Analyse erscheinen die Vereine lediglich als Garanten für die Konservierung des »Deutschtums« – sei es Kultur, Sprache oder ein deutsches Nationalbewusstsein –, das an die folgenden Generationen weitergegeben werden sollte. Dieses Bild entsprach in der Tat ganz dem Selbstverständnis dieser Organisationen und dem zeitgenössischen gemeinschaftlichen Diskurs. Tatsächlich aber blieben auch die Vereine nicht von der staatlichen Argentinisierungskampagne um die Jahrhundertwende unberührt und trugen bald selbst zur Diffusion und Festigung argentinischer Nationalkultur in den Gemeinschaften bei. Die bereits angedeutete Wahrnehmung Argentiniens als »zweite Heimat«, die sich allmählich in den Vereinen durchsetzte, fand vor allem nach der Jahrhundertwende in der Festkultur ihren öffentlichen Widerhall. Die führenden Vereine in Rosario und Esperanza – der Männer-Gesangverein, die beiden Deutschen Vereine und die deutschen Schulen – beteiligten sich mit regelmäßigen Feiern an den beiden großen argentinischen Nationalfeiertagen, dem »9 de julio« und dem »25 de mayo«.312 Ein zentrales Ereignis, das die Integration der deutschen Gemeinschaften in die nationale Erinnerungskultur beschleunigte, waren die großen Feierlichkeiten anlässlich des »Centenario« der Mai-Revolution 1910. Der Beitrag der Einwanderer zur Entwicklung des Landes wurde bei dieser Gelegenheit, im 310 | Keiper 1914, 6. 311 | Ebd. 312 | An diesen Tagen gedachte Argentinien alljährlich der argentinischen Unabhängigkeitserklärung bzw. der ersten Regierung während der Mai-Revolution. Vgl. Kapitel IV, 4.5 dieser Arbeit zur Bedeutung und zum Charakter dieser Feiern in den deutschen Schulen.
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Sinne der Schaffung eines kollektiven Nationalbewusstseins, besonders gewürdigt.313 Auch von deutscher Seite erfuhr das Jubiläum große Beachtung. Dazu trug u.a. der Umstand bei, dass das Reich mit Generaloberst Colmar von der Goltz einen prominenten Sondergesandten nach Argentinien beordert hatte. Von der Goltz wohnte den offiziellen Festakten bei und nahm dabei auch Fühlung mit den deutschen »Kolonien« in der Hauptstadt und den Provinzen auf.314 Die Gemeinschaften ihrerseits beteiligten sich aktiv an der Organisation des Nationalfestes. So veranstalteten die deutschen Vereine in Buenos Aires diverse »Zentenarfeiern« und gaben den Anstoß zu einem großen Geschenk der Deutschen Argentiniens an das »argentinische Volk«. Dieses kam schließlich in Form eines »Monumental-Brunnens« im Stadtzentrum von Buenos Aires zustande und wurde durch eine landesweite Spendensammlung in den Gemeinschaften realisiert.315 Das deutsche Vereinswesen in Rosario und Esperanza gliederte sich nahtlos in diese Aktivitäten ein. Unter dem Vorsitz von Konsul Tietjen bildete sich ein »Deutsches Komitee für die Jahrhundertfeier Argentiniens« und sammelte in der »Kolonie« Rosario über 2100 Pesos für das Brunnenprojekt der Hauptstadtvereine. Eine ähnliche Kommission ist auch für Esperanza belegt. In der ersten Jahreshälfte fand zudem eine Vielzahl von außerordentlichen Vereinsfeiern und -aktivitäten statt. Bereits im März brachen Mitglieder des Männer-Gesangvereins Esperanza zum »Zentenar-Ausflug«, einer »Vergnügungsfahrt« in die benachbarte Provinz Entre Ríos, auf. Zwei Monate später, während der offiziellen Feierlichkeiten der Stadt Esperanza, beteiligte sich der Verein am Festumzug und veranstaltete selbst einen großen patriotischen Ball in seinem Saal, zu dem lokale Würdenträger geladen waren: 313 | Die Hundertjahrfeier der Unabhängigkeit sechs Jahre später hatte einen ganz ähnlichen Charakter. Ein Dokument, das die sich festigende Wahrnehmung der Einwanderergemeinschaften als integrale Bestandteile der argentinischen Nation gut veranschaulicht, ist die monumentale Sonderausgabe der bedeutenden argentinischen Tageszeitung La Nación aus Buenos Aires, die 1916 aus diesem Anlass erschien. Darin wird die Geschichte der wichtigsten Gemeinschaften – darunter auch der deutschen – mit der nationalen Erzählung Argentiniens verschmolzen (vgl. La Nación 1916). 314 | Colmar von der Goltz bereiste nach den Feierlichkeiten u.a. zusammen mit seinem Sohn, der zum Zeitpunkt des Besuchs »Instruktionsoffizier« im argentinischen Heer war, auch die Provinz Santa Fe und machte dort in der deutschen Gemeinschaft Rosarios Station (vgl. FP, 7. Jg., Nr. 2162 (13. Januar 1952), 4). 315 | Vgl. für diesen Absatz: DLPZ, 42. Jg., Nr. 53 (5. März 1910), 3; Nr. 113 (15. Mai 1910), 1; 4; Nr. 123 (28. Mai 1910), 1; Nr. 125 (31. Mai 1910), 1; Nr. 126 (1. Juni 1910), 1; 3. Zur Erinnerungskultur der deutschen Gemeinschaft in Buenos Aires während der Feierlichkeiten vgl. zudem: Bindernagel 2014, 56-73.
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»Die Wände waren mit den von Fahnen und Palmblättern umgebenen Wappenschildern der 14 argentinischen Provinzen geziert. [. . . ] Ueber [sic] der Bühne prangte als Transparent die aufgehende argentinische Sonne, flankiert von den Jahreszahlen 1810–1910. Die Bühne war [. . . ] ganz in weißen – an den Decken in blauen – Tüll [den argentinischen Nationalfarben, Anm. d. Verf.] gehüllt und gewährte einen feenhaften Anblick. [. . . ] Unter den Ehrengästen befanden sich die Herren Polizeichef Lasave, Intendant Ladregt, Normalschuldirektor Basualdo u.a.«316
Im weiteren Programmverlauf zeigte sich einmal mehr die kulturelle und nationale Ambiguität deutscher Vereinsräume. Der ethnische Festcharakter kam u.a. durch Stücke deutscher Komponisten wie Joseph Gungl, Friedrich Wilhelm Kücken oder Richard Wagner zum Ausdruck, die den Großteil des musikalischen Rahmenprogramms ausmachten. Kontrastiert wurde er von demonstrativen Akten argentinischen Nationalstolzes:317 »Als sich zum ersten Mal der Vorhang hob, bot sich den erwartungsvollen Zuschauern ein entzückendes und erhebendes Bild: eine im Halbkreise malerisch aufgestellte allegorische Gruppe junger Damen und kleiner Mädchen. In der Mitte stand, etwas erhöht, die personifizierte Republik Argentinien, dargestellt von Fräulein Catalina Schneider, die linke Hand auf das argentinische Wappenschild gestützt, zu ihrer Rechten die argentinische Fahne. Die anderen allegorischen Figuren stellten dar: den Ackerbau mit einem Aehrenbündel [sic] als Symbol [. . . ], die Industrie mit einem Hammer [. . . ], den Handel mit dem Merkurstab [. . . ], die Wissenschaft mit dem Buch [. . . ] und die Kunst mit einer Leier. [. . . ] Die [. . . ] Damen hoben in sinnreichen spanischen Versen [. . . ] die hohe Bedeutung dessen hervor, was sie allegorisch darstellten. Alsdann legte die Kunst huldigend den Lorbeerkranz vor der Argentina nieder, worauf der hinter der malerischen Gruppe stehende Gemischte Chor gut einstudiert die [argentinische, Anm. d. Verf.] Nationalhymne unter der trefflichen Klavierbegleitung von Frl. Angela Hugentobler sang. Diese erste Programmnummer [. . . ] gab dem Fest die rechte patriotische Weihe und wurde vom Publikum mit begeistertem Beifall aufgenommen.«318
Auch wenn die Jahrhundertfeiern der deutschen Vereine in ihrer Ausgestaltung häufig gleichsam unentschieden zwischen den althergebrachten und neuen ethnischen und nationalen Positionen oszillierten, stärkte doch das gesamtgesellschaftlich entstandene Erinnerungswerk des »Centenario« die Bindung 316 | DLPZ, 42. Jg., Nr. 137 (14. Juni 1910), 1. 317 | Vgl. für die vorangegangenen beiden Absätze: DLPZ, 42. Jg., Nr. 66 (20. März 1910), 3; Nr. 70 (25. März 1910), 1; Nr. 126 (1. Juni 1910), 3; Nr. 137 (14. Juni 1910), 3. 318 | DLPZ, 42. Jg., Nr. 137 (14. Juni 1910), 1.
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zwischen den Einwanderern und ihrer »neuen Heimat«. Nationale Großereignisse wie dieses trugen dazu bei, die gegenläufigen Bewahrungsdiskurse und -prozesse im ethnischen Vereinswesen zu relativeren und ein argentinisches Nationalbewusstsein in den Gemeinschaften zu festigen. Wie sich das Verhältnis zur »patria« Argentinien in den deutschen Organisationen veränderte, lässt sich anhand der Vereinsfeste nachverfolgen. Kamen die Feiern bis Ende des 19. Jahrhunderts oft ohne jegliche Referenzen an das Aufnahmeland aus, setzte sich danach zunehmend eine Doppelstruktur durch. Ebenso wie man den »Centenario« 1910 mit deutschen Elementen anreicherte, wurden auch genuin deutsche Feste mit Versatzstücken aus der nationalen Symbolwelt Argentiniens ausgestattet. Das galt selbst für zutiefst patriotische Gemeinschaftsakte wie die Kaisergeburtstage. Bei den Kaisergeburtstagsfeiern des Deutschen Vereins in Rosario Anfang des 20. Jahrhunderts beispielsweise stand die argentinische Nationalhymne mit großer Selbstverständlichkeit neben den deutschen Nationalliedern auf dem Programm. Emotionalen Reden auf den Kaiser folgten solche, die den Dank der »Kolonie« gegenüber Argentinien in deutscher, häufiger noch in spanischer Sprache zum Ausdruck brachten. Dabei waren die Adressaten oft direkt anwesend: Städtische Intendanten, der Polizeichef Rosarios oder argentinische Offiziere waren gern gesehene Gäste und trugen mit Reden – z.B. auf Deutschland, den »Kriegslehrmeister der argentinischen Nation«319 – selbst zu den deutschen Festen bei. Der Polizeichef stellte mehrmals die Polizeikapelle Rosarios für diese Feiern zur Verfügung, die, dem Anlass entsprechend,»Heil dir im Siegerkranz« oder Ausschnitte aus der »Walküre« aufführten.320 Diese Parallelität nationaler Zugehörigkeitsdiskurse wurde im neuen Jahrhundert zum Normalzustand in den deutschen Einwanderervereinen. Anstatt zwangsweise eine Entscheidung zwischen »Vaterland« und »patria« herbeizuführen, trug man nun der Tatsache Rechnung, dass vielen Mitgliedern Argentinien endgültig zum Lebensmittelpunkt, zur »zweiten Heimat« geworden war und dass die folgenden Generationen zuerst in der argentinischen und nicht der deutschen Kultur und Lebenswelt verwurzelt sein würden. Ihre Ambitionen, das »Deutschtum« zu erhalten und Deutschland ein treuer Partner zu sein, gaben die Vereine im Zuge dieses Wandels aber keineswegs auf. Die Organisationen waren von nun an zugleich Sinnbild für die Beständigkeit deutscher Nationalidentität im Ausland und Botschafter eines neuen Nationalbewusstseins in Argentinien. Deshalb konnte Walter Kunz, Präsident des 319 | DLPZ, 43. Jg., Nr. 26 (31. Januar 1911), 5. 320 | Vgl. für diesen Absatz die Berichte über die Kaisergeburtstage im Deutschen Verein Rosario 1908, 1910 und 1911: DLPZ, 40. Jg., Nr. 26 (31. Januar 1908), 1; 42. Jg., Nr. 26 (1. Februar 1910), 3; 43. Jg., Nr. 26 (31. Januar 1911), 5.
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Deutschen Vereins Rosario, der »deutschen Jugend« auf der Kaisergeburtstagsfeier 1909 getrost zurufen: »Gut. Ihr seid Argentinier, seid gute Argentinier, aber bleibt im Wesen und in der Sprache, in eurem Fühlen und Denken deutsch.«321
4.4 Der Erste Weltkrieg »Auch wir im fremden Land, wir standen vor dem Feinde, Auch wir, wir kämpften einen schweren Kampf Um unser Volkstum und um Haus und Herd. Wir standen stolz, von Haß und Neid umbrandet, Und wehrten lachend ab die gift’gen Pfeile Die uns von allen Seiten dicht umschwirrten« — E. Duerselen, Des Ringens Ende, 1918322
Als sich 1914 die über Jahre und Jahrzehnte zwischen den europäischen Nationen angestauten Konfliktlagen im »Großen Krieg« entluden, befand sich Argentinien auf dem vorläufigen Höhepunkt seiner Entwicklung. Millionen von Einwanderern hatten maßgeblich zum enormen Bevölkerungswachstum und dem nachhaltigen, wenn auch nicht ungebrochenen wirtschaftlichen Aufschwung des Landes beigetragen. Fast ein Drittel der zu diesem Zeitpunkt in Argentinien lebenden Menschen war in Übersee geboren, in der Hauptstadt Buenos Aires stammten sogar etwa die Hälfte der Bewohner aus dem Ausland.323 Der Beginn des Krieges bedeutete das abrupte Ende der Phase der massenhaften europäischen Einwanderung.324 Argentinien konnte während der gesamten Kriegsdauer dem inneren und äußeren Druck standhalten und seine Neutralität wahren. Dennoch trugen wirtschaftliche Verflechtungen, überdauernde transatlantische Loyalitäten, die Propaganda der europäischen Mächte sowie die organisatorisch stark aufgestellten Einwanderergemeinschaften den Konflikt in den La-Plata-Raum. In der intensiven öffentlichen Debatte über die Haltung der argentinischen Regierung und die faktische und moralische Rechtfertigung der kriegführenden Parteien standen sich die Anhänger der Alliierten, die sogenannten »aliadófilos«, und solche der Mittelmächte, die »germanófilos«, zunehmend unversöhnlich gegenüber.325 Die folgenden sozialen Spannungen nahmen in Großstädten wie 321 | DLPZ, 41. Jg., Nr. 25 (30. Januar 1909), 1. 322 | EGB, 24. Jg, Nr. 50 (11. Dezember 1918), 694. Auszug aus einem längeren Gedicht über die Folgen des Krieges für die deutschen Gemeinschaften im Ausland. 323 | Vgl. Bjerg 2009, 28; Saint Sauveur-Henn 1995, 140. 324 | Vgl. Devoto 2009, 247. 325 | Zu den »germanófilos« zählten etwa der einflussreiche Politiker Estanislao Zeballos sowie zahlreiche Angehörige des argentinischen Militärs (vgl. Cisneros/Escudé 1999, 37f.).
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Buenos Aires oder Rosario bisweilen radikale oder gar gewalttätige Züge an.326 Die Einwanderergemeinschaften Argentiniens und insbesondere ihre Vereine trugen mit ihrem Aktionismus zur gesellschaftlichen Polarisierung bei.327 Für die deutschen Gemeinschaften in Argentinien kam der Ausbruch des Krieges nicht überraschend. Bereits in den Jahren zuvor war die sich zuspitzende Konfliktsituation in Europa in der Presse und den Vereinen ausführlich besprochen worden.328 Eine kriegerische Auseinandersetzung zur Auflösung der Gegensätze wurde dabei stets als Möglichkeit, oft sogar als Notwendigkeit in Betracht gezogen. Die Kriegserklärung des Reichs provozierte daher auch unter den Deutschen in Argentinien regelrecht euphorische Reaktionen. Der Konflikt wurde augenblicklich zum wichtigsten Thema in den »Kolonien« und führte dort zu ganz eigenen Dynamiken.329 Der Einberufung durch das deutsche Generalkonsulat in Buenos Aires Anfang August 1914 waren zahlreiche deutsche Wehrpflichtige und Freiwillige aus Argentinien und den südamerikanischen Nachbarstaaten gefolgt.330 Auch die deutschen Vereine und die deutschsprachige Presse wurden von der allgemeinen Euphorie erfasst. Der Krieg war sogar in der Lage, die dort bestehenden politischen und sozialen Gegensätze zu transzendieren, wie der »Burgfriede« und die Zusammenarbeit zwischen konservativen und sozialistischen Vereinen
326 | Antideutsche Ausschreitungen folgten etwa der »Luxburg-Affäre« 1917. Zuvor hatte der deutsche Gesandte in Argentinien, Graf Luxburg, sich in von den Alliierten abgefangenen und veröffentlichten Geheimtelegrammen abfällig über den argentinischen Präsidenten geäußert und die Versenkung argentinischer Schiffe empfohlen (vgl. Newton 1977, 49f.; Zago 1985, 39). 327 | Vgl. für diesen Absatz: Tato 2010, 304-312. Tato zeigt in ihrem Aufsatz, dass alle europäischen Einwanderergruppen in Argentinien, die durch ihre Herkunft mit dem Kriegsgeschehen in Verbindung standen, ihre Heimatländer mit patriotisch-wohltätigen Aktionen unterstützten – seien es Franzosen, Engländer, Italiener, Tschechen oder Belgier. Für eine vergleichende Darstellung dieser »mobilisation des opinions« in Argentinien und Brasilien vgl. außerdem: Compagnon 2013, 63-112. 328 | Für einen Vergleich der Berichterstattung im AT und der DLPZ vgl: Hoffmann 2009. 329 | Derartige Reaktionen auslandsdeutscher Gemeinschaften auf den Kriegsbeginn sind für ganz Amerika belegt. Vgl. z.B. für Brasilien: Dreher 1978, 98; für Chile: Blancpain 1974, 843-845; Blancpain 1994, 244f.; 276f.; für die Vereinigten Staaten: Kazal 2004, 151-158; Luebke 1990, 22f. 330 | Vgl. Keiper 1942, 19; Saint Sauveur-Henn 1995, 526; 529f. Keiper schreibt von »tausenden« Deutschen, die nach Buenos Aires kamen, um nach Europa überzusetzen. Auch wenn keine verlässlichen Daten zum Ergebnis der Einberufung vorliegen, scheint diese Zahl übertrieben. In vielen Fällen scheiterte bereits die Überfahrt an der englischen Seeblockade. Berichten zufolge, diente der Deutsche Klub in Buenos Aires als Anlaufstelle für gefälschte dänische oder holländische Pässe, mit denen Deutsche anschließend auf italienischen Dampfern die europäischen Kriegsschauplätze erreichen konnten (vgl. Keiper 1942, 21).
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in Buenos Aires oder die Hinwendung des im Grunde liberalen Argentinischen Tageblatts zum »Deutschtum« belegen.331 Innerhalb der deutschen Einwandererschaft formierte sich eine breite Front, die nun gemeinsam versuchte, für die »deutsche Sache« tätig zu werden, etwa mit Initiativen, um die öffentliche Meinung in Argentinien zu Deutschlands Gunsten zu beeinflussen.332 Der bereits zuvor zu vielen Gelegenheiten postulierte nationale Zusammenhalt der Deutschen in Argentinien – so zumindest die Wahrnehmung der Zeitgenossen – verstärkte sich in den Jahren des Krieges.333 Ein weiterer Grund für das Zusammenrücken der Gemeinschaften findet sich in den, trotz der geografischen Entfernung, ganz konkreten und mitunter sehr negativen Folgen der Auseinandersetzungen in Europa für die deutschen Einwanderer vor Ort. Neben der allgemeinen Verschlechterung der wirtschaftlichen Situation machte sich, u.a. infolge von Berichten über deutsche Greueltaten in der argentinischen Presse und der sehr präsenten englischen und französischen Propaganda, vielerorts eine antideutsche Stimmung in der Bevölkerung breit. Hinzu kamen die sogenannten »Schwarzen Listen«, ein im Kriegsverlauf von England erstelltes Verzeichnis deutscher und »deutschfreundlicher« Unterneh331 | Vgl. BArch R 57/474/36, ohne BN. In seinem vermutlich 1921 verfassten Bericht über die »Kriegstätigkeit« der Deutschen in Argentinien an das AA in Berlin schilderte Wilhelm Keiper die Annäherung zwischen dem Deutschen Klub und dem Verein »Vorwärts« in Buenos Aires: »Dass ein Sozialist im Deutschen Klub einen Vortrag über das Deutschtum hielt, dass zu den literarischen Veranstaltungen des ›Vorwärts‹ auch Mitglieder der ›kapitalistischen Kreise‹ gern kamen, war eine Erscheinung, die vor dem Kriege unmöglich gewesen wäre.« Im deutschen Vereinswesen Rosarios und Esperanzas spielten derartige Gegensätze eine wesentlich geringere Rolle. Das deutsche Bürgertum Rosarios zeigte sich auch vor dem Krieg gegenüber der örtlichen deutschen Arbeiterschicht weitgehend solidarisch. Vgl. dazu das Beispiel der TalleresSchule in Rosario in Kapitel IV, 4.1 dieser Arbeit. Zum Diskurswandel im AT vgl.: Bryce 2008, 129f. 332 | So wurde in Argentinien patriotisch-propagandistische Literatur in deutscher Sprache verlegt, u.a. in Gestalt der »Südamerika-Kriegsausgaben« (vgl. Gedult von Jungenfeld 1917; Valentiner 1918; Spiegel 1918). Hermann Tjarks, Herausgeber der DLPZ, veröffentlichte zudem ab 1914 landesweit die spanischsprachige Zeitung La Unión, die die deutsche Sicht auf den Kriegsverlauf wiedergeben und alliierter Propaganda entgegenwirken sollte (vgl. Ismar 2006, 49). Eine ähnliche Richtung schlugen die Wochenzeitung Germania und der Noticiero Alemán ein, die ebenfalls auf Spanisch erschienen (vgl. Keiper 1942, 40). In Rosario engagierte sich die Rosariner Zeitung und gab spanische Sonderpublikationen mit Presseartikeln heraus, die darauf abzielten, das Deutschlandbild in der argentinischen Öffentlichkeit zu verbessern (»Una carta del general Mackensen a un amigo argentino«) (vgl. Rosariner Zeitung 1915). 333 | Friedrich schreibt dies auch dem Wirken des Deutschen Volksbundes für Argentinien zu (vgl. Friedrich 2008, 87f.).
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men, das in Argentinien verteilt wurde und ausdrücklich zum Boykott deutscher Waren, Händler und Geschäftsleute aufrief.334 In den deutschen »Kolonien« von Buenos Aires, Rosario und Esperanza wurden diese Entwicklungen für die sich mehrenden Entlassungen deutscher Arbeiter und Angestellter sowie die wirtschaftlichen Probleme vieler Gemeinschaftsmitglieder verantwortlich gemacht. Die Stimmungen und Herausforderungen in der deutschen Community übertrugen sich auch auf ihr ethnisches Vereinswesen. Als Räume, in denen man nationale und ethnische Zugehörigkeiten intensiv und bewusst lebte, wurden die Vereine in besonderer Weise vom »Augusterlebnis« erfasst. In den folgenden Jahren übernahmen sie – vor allem in wohltätiger Hinsicht – die Hauptrolle bei der Solidaritätsarbeit für Deutschland und für die Angehörigen der Mittelmächte in Argentinien. Dabei konnten sie auf die in den Jahren zuvor etablierten Netzwerke zwischen den deutschen Gemeinschaften und Vereinen in Argentinien zurückgreifen. Im Umkehrschluss bedeutete diese Fokussierung, dass der Krieg, seine Begleiterscheinungen und sein Ausgang das deutsche Vereinswesen selbst nachhaltig transformierten und auch das Verhältnis zwischen den europäischen Einwanderergemeinschaften neu gestaltete. Die traditionellen Vorstellungen von »Deutschtum« und nationaler Zugehörigkeit innerhalb der Vereine waren im Verlauf dieses Prozesses großen Belastungsproben ausgesetzt.
4.4.1 Patriotismus und Solidarität Wie auch in anderen europäischen Gemeinschaften Argentiniens, übte der Erste Weltkrieg in den deutschen »Kolonien« einen großen Einfluss auf Struktur und Wesen der ethnischen Vereine aus. Neue patriotische und wohltätige Vereinigungen wurden ins Leben gerufen und die bestehenden organisatorischen Strukturen – Vereine, Schulen, Kirchgemeinden – in den Dienst des Krieges gestellt, um Geld- und Sachspenden für die Opfer zu sammeln und Werbung für die »deutsche Sicht« auf den Krieg zu machen. Die Freizeitkultur im Umkreis der Vereine stand ebenfalls im Zeichen des Konflikts. Die Erlöse vieler 334 | Vgl. Keiper 1942, 29. Auch in Chile, Brasilien und anderen Ländern der Welt waren derartige Listen im Umlauf. Sie waren zum einen Teil der Kriegsstrategie und sollten das Reich ökonomisch schwächen, auf der andere Seite versuchte England mit diesem Mittel auch auf lange Sicht die deutsche Konkurrenz aus den südamerikanischen Märkten zu verdrängen. Allerdings ist die Effektivität dieser Maßnahme umstritten. Da die »Schwarzen Listen« auch argentinische Unternehmen betrafen, sah sich Argentinien veranlasst, eine »diplomatische Beschwerde« bei der englischen Regierung einzureichen, die aber wirkungslos blieb (vgl. Bergmann 1994, 29f.; Cisneros/Escudé 1999, 39; 162; Kloosterhuis 1994a, 253; Friedrich 2008, 76; Keiper 1942, 46f.).
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Veranstaltungen und Unternehmungen, seien es Gottesdienste, Feste, Ausflüge oder Konzerte, kamen der »Kriegsspende« zugute. Besonders in Buenos Aires entfaltete das deutsche Vereinswesen umfangreiche Hilfsaktivitäten in Form von Vorträgen, Konzerten, Wohltätigkeitsveranstaltungen, u.Ä. Auch die landesweiten Sammelaktionen nahmen hier ihren Anfang. Noch im August 1914 formierte sich der Hauptausschuß für die deutsche Kriegsspende, eine Kommission, hervorgegangen aus einer gemeinsamen Sitzung der Vorstände der deutschen Vereine im Deutschen Klub. Sie koordinierte fortan die Sammlung der »vaterländischen Spende« in den deutschen Gemeinschaften und die Hilfe für die in Buenos Aires gestrandeten Reservisten, die nicht nach Deutschland ausreisen konnten.335 In seinem ersten Zeitungsaufruf vom 8. August 1914 formulierte der Ausschuss die nationale Verantwortung der Auslandsdeutschen Argentiniens in dieser »Schicksalsstunde des deutschen Volkes«: »Unser deutsches Volk steht in Waffen! [. . . ] Das Vaterland hat seine Söhne gerufen, mit dem Schwerte zu schützen, was in jahrelangem friedlichem Schaffen errungen wurde. [. . . ] Was aber bleibt uns zu tun, die wir, fern von der Heimat, doch nah ihr im Herzen, nur Zeugen des großen Ringens sein dürfen? Wir können fürsorgen und lindern[,] jetzt, wo die Blüte der deutschen Jugend dahinsinkt, wo die bittere Not an die Türen so vieler Tausende pochen wird. [. . . ] So lasst uns helfen! Jeder, der ein Herz für sein Volk hat, steuere seine Gabe bei für die Verwundeten und Siechen, für die notleidenden Familien in der Heimat, für die Hinterbliebenen unserer im Felde gefallenen Brüder. Schnelle Hilfe tut not! [. . . ] Der Dank des Vaterlandes wird der schönste Lohn für die Spender sein!«336
Der Aufruf stieß in den deutschen »Kolonien« Argentiniens auf große Resonanz. Die amtlich beglaubigten Sammellisten des Hauptausschußes, in denen Spender und eingegangene Beträge verzeichnet wurden, zirkulierten auch in den Provinzen und lagen in deutschen Konsulaten, Vereinen, Gemeinden, Restaurants und Geschäften aus. In den folgenden Tagen, Wochen und Monaten konnte man die Ergebnisse in der DLPZ nachverfolgen, die zahlreiche Einzel335 | Vgl. DLPZ, 46. Jg., Nr. 183 (5. August 1914), 5; Nr. 185 (7. August 1914), 5f. An der Sitzung nahmen etwa 100 Vertreter der 30 örtlichen deutschen Vereine sowie der Kaiserliche Geschäftsträger von Dönhoff und der deutsche Generalkonsul Bobrik teil. Auch Vorstandsmitglieder des Vereins »Vorwärts« waren anwesend. Den Vorsitz des neuen Ausschusses hatte Edmund Hermann, Präsident des Deutschen Klubs, inne. Als zweiter Vorsitzender wurde DLPZ-Herausgeber Hermann Tjarks bestimmt, als dritter Vorsitzender fungierte der Lehrer Wilhelm Keiper. 336 | DLPZ, 46. Jg., Nr. 186 (8. August 1914), 1. Die Aufrufe wurden auch in anderen deutschsprachigen Publikationen in Argentinien wie dem Argentinischen Tageblatt oder dem Evangelischen Gemeindeblatt veröffentlicht.
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listen und den aktuellen Stand der »Kriegsspende« veröffentlichte. Allein 1914 waren über 1500 dieser Sammellisten in Argentinien im Umlauf. Bis Ende 1915 erhöhte sich die Zahl auf mindestens 1780. Zumeist handelte es sich bei den gezeichneten Beträgen um einmalige Spenden, einige Gemeinschaftsmitglieder verpflichteten sich aber auch zu monatlichen Zahlungen.337 In den deutschen Gemeinschaften von Rosario und Esperanza hinterließ der Ausbruch des Krieges einen ähnlich nachhaltigen Eindruck. Aus Rosario berichtete der deutsche Gemeindepfarrer Maximilian Gebhardt Anfang Oktober 1914 im Evangelischen Gemeindeblatt: »In der ganzen deutschen Kolonie ist der Krieg der herrschende Gedanke. Wir leben, leiden und hoffen mit dem Vaterlande drüben. Die allgemeine Ueberzeugung [sic] ist, daß wir siegen werden und siegen müssen.«338 Auch sein Amtsbruder in Esperanza, Hermann Motzkau, bestätigte, dass sich die deutschsprachige Gemeinschaft intensiv mit dem Krieg beschäftigte und sich »für die gerechte Sache des deutschen Vaterlandes«339 in vielerlei Hinsicht stark machte. Zwar waren die Reaktionen auf die Ereignisse in Europa an beiden Orten ähnlich, die Wirkungen auf das ethnische Vereinswesen und das Verhältnis zwischen den europäischen Einwanderergemeinschaften unterschieden sich jedoch deutlich, was im Wesentlichen auf Größe und Ausstattung der Gemeinschaften und das jeweilige soziale Umfeld zurückzuführen ist. In der noch immer dörflich anmutenden Kleinstadt Esperanza war augenscheinlich weniger gesellschaftliches Konfliktpotential vorhanden als in den urbanen Zentren mit ihren großen und durchsetzungsstarken Communitys. Pfarrer Motzkau etwa bemerkte, dass die »Stimmung der hiesigen Stadtbevölkerung nichtdeutscher Zunge [. . . ] nicht so deutschfeindselig [sic] [ist], wie dies aus anderen Orten vielfach gemeldet wird«340 . Größere Verwerfungen oder Lagerbildungen innerhalb der europäischen Immigration waren in Esperanza daher nicht zu erwarten. Lediglich die zahlreichen Deutsch-Schweizer solidarisierten sich wiederholt mit der deutschen Gemeinschaft und beteiligten sich an den Spendenaktionen für Deutschland, so dass Motzkau 1915 zufrieden feststellen konnte, dass »die weit überwiegende Mehrheit der hier lebenden Schweizer
337 | Newton wendet ein, dass das ungemein hohe Spendenaufkommen im ersten Jahr zum Teil den »judicious pressures exerted upon dependent employees« geschuldet gewesen sei. Die stagnierenden Folgesammlungen weisen für ihn auf eine bald nachlassende Kriegsbegeisterung unter den Deutschen in Argentinien hin (Newton 1977, 34f.; 48). 338 | EGB, 20. Jg., Nr. 41 (7. Oktober 1914), 562. 339 | Motzkau 1916, 47f. 340 | Ebd.
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in dem von unseren Feinden so brutal und hinterlistig aufgezwungenen Kriege mit unserer Sache sympathisiert.«341 Auf das deutschsprachige Vereinswesen Esperanzas, das vielfach über eine gemischtnationale Mitgliederschar mit überwiegend deutschem, schweizerischem und teils französischem Hintergrund verfügte, wirkte sich der Krieg durchaus belebend, aber weniger strukturell verändernd aus. Zwar waren auch hier zahlreiche Aktionen und organisatorische Zusammenschlüsse auf Vereinsebene zur humanitären Unterstützung Deutschlands zu beobachten. Im Gegensatz zu anderen »Kolonien« waren aber keine patriotischen oder karitativen Neugründungen zu verzeichnen. Auch die wirtschaftliche Krise tangierte die Vereine in Esperanza offenbar nur am Rande und hatte zunächst keine tiefgreifenderen Auswirkungen auf das Vereinsleben. Als erstes Zeichen der Solidarisierung mit Deutschland konstituierte sich Mitte August 1914 das Rot-Kreuz-Komitee, bestehend aus »den Präsidenten der fünf deutsch sprechenden Vereine«342 Esperanzas und dem Pfarrer der Evangelischen Kirchgemeinde. Unter dem Vorsitz von Hugo Breuer organisierte das Komitee den örtlichen Beitrag zur landesweiten »Kriegsspende« der deutschen Gemeinschaften. Die erste Sammlung für das Rote Kreuz, die bereits im September an den Hauptausschuß in Buenos Aires transferiert wurde, umfasste 4912 Pesos. Die höchsten Einzelbeträge kamen aus den Reihen deutschsprachiger Industrieller wie den Familien Meiners und Schneider. Als Hauptspender aus dem Vereinswesen traten der Deutsche Verein mit 1000 Pesos, die Allgemeine Krankenkasse mit 500 Pesos und der Evangelische Frauenverein mit 200 Pesos auf. Bis Ende 1915 wuchs das Spendenvolumen in Esperanza auf über 12 300 Pesos an, auch weil sich der Deutsche Verein, die Evangelische Kirchgemeinde und der Männer-Gesangverein zu monatlichen Beiträgen verpflichteten.343 Auf den ersten Blick handelte es sich bei den Rot-Kreuz-Spenden in Esperanza um humanitäre Hilfsaktionen ohne politischen Charakter. Betrachtet man diese aber im Zusammenspiel mit den Vereinsfesten und -diskursen, wird deutlich, dass der Krieg und das erhebende Erlebnis des kollektiven Aktionismus in Argentinien die bereits in den Jahrzehnten zuvor deutlich durchscheinenden patriotisch-nationalistischen Strömungen innerhalb des deutschen Vereinswesens offen zutage treten ließ. Das »Wohltätigkeitskonzert zum Besten des Roten Kreuzes«, das der MännerGesangverein Ende August 1915 in seinem ausverkauften Saal veranstaltete und 341 | EGB, 21. Jg., Nr. 20 (12. Mai 1915), 239. 342 | DLPZ, 46. Jg., Nr. 196 (18. August 1914), 8. 343 | Vgl. für die vorangegangenen beiden Absätze: Ebd.; Nr. 233 (24. September 1914), 4; 47. Jg., Nr. 135 (5. Juni 1915), 5; Nr. 308 (25. Dezember 1915), 9.
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das einen Reinertrag von 1375 Pesos erbrachte, steht exemplarisch für diese Entwicklung. Neben der deutschen »Kolonie« waren auch einige »österreichische Bundesgenossen« sowie »Neutrale« anwesend. Der Männerchor steuerte die Lieder »Dem Vaterland«, »Kriegers Abschied« und »Das Lied von Hindenburg« zur Feier bei. Ein Vereinsmitglied rezitierte das Gedicht »Der tote Soldat«, andere brachten das »lebende Bild« »Kriegergrab« zur Aufführung. Dass Geselligkeit, Wohltätigkeit und patriotische Kriegseuphorie hier, wie in allen Vereinen, Hand in Hand gingen, zeigt die ebenfalls im Männer-Gesangverein stattfindende Veranstaltung am Abend darauf. Der Schweizer Pastor Gottlieb Zimmerli, der als Generalbevollmächtigter des Deutschen Roten Kreuzes und »Propaganda-Redner«344 durch die deutschen »Kolonien« Südamerikas reiste und zuvor bereits in Rosario Station gemacht hatte, hielt einen Vortrag im Vereinssaal. Darin hob Zimmerli vor allem auf die kulturelle Überlegenheit des »Deutschtums« ab und polemisierte gegen die Kriegsgegner aus England und Frankreich. Ein Teilnehmer aus Esperanza beschrieb die Wirkung auf die Anwesenden wie folgt:345 »Donnernder Applaus lohnte den Redner. Eine von Herrn H. Breuer zum Besten des Roten Kreuzes veranstaltete Kollekte ergab über hundert Pesos. Uns, den Hörern, konnte wohl die Brust schwellen in dem stolzen Gefühl, ein Glied des großen Heldenvolkes zu sein, dessen Lob hier in Begeisterung aus neutralem Munde erscholl! Aber zugleich enthielt es auch die Mahnung für uns: ›Was du ererbt von deinen Vätern hast, erwirb es, um es zu besitzen.‹ Bist du als Deutscher geboren, so zeige dich würdig deines großen Volkes und betätige [sic] durch deinen Lebenswandel seine schönsten Charaktereigenschaften: sei treu und wahr!«346
In der – für santafesinische Verhältnisse – großen und wohlhabenden deutschen Stadtgemeinschaft Rosarios, die bei Kriegsausbruch über ein Dutzend Vereine unterhielt, waren die Folgen des europäischen Konflikts noch deutlicher spürbar. Es lassen sich hier zwei gegenläufige Tendenzen feststellen. Einerseits litt das deutsche Vereinswesen unmittelbar unter der sich verschlechternden wirtschaftlichen Lage und der ausbleibenden deutschen Nachwanderung. Viele der Vereine, insbesondere die Schulen, mussten mit weniger Geldmitteln auskommen und verzeichneten sinkende Mitglieder- bzw. Schülerzahlen. Die ethnischen Wohltätigkeitsorganisationen sahen sich zudem mit 344 | Kloosterhuis 1994a, 253. 345 | Vgl. für die vorangegangenen drei Absätze: Männer-Gesangverein Esperanza. Protokollbuch No. 4 [1902-1923], 239-241; DLPZ, 47. Jg., Nr. 222 (16. September 1915), 6; Kloosterhuis 1994a, 253. 346 | DLPZ, 47. Jg., Nr. 222 (16. September 1915), 6.
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einer stark zunehmenden Zahl von Hilfsbedürftigen konfrontiert, die die finanziellen Möglichkeiten der »Kolonie« auf die Probe stellten. Auf der anderen Seite erlebte das deutsche Vereinswesen durch den Krieg einen Aufschwung bzw. einen engeren Zusammenschluss. Neu gegründete patriotische und karitative Vereine unterstützten die bestehenden Organisationen bei der Sammlung von »Kriegsspenden« und der Versorgung Notleidender in Rosario. Noch 1914 konstituierte sich auf einer Versammlung deutscher Frauen in der deutschen evangelischen Kirche Rosarios der Vaterländische Frauenverein, der von Zinha Wiengreen und der Pfarrersfrau Annie Gebhardt angeleitet wurde. Ihre Hauptaufgabe sah die Organisation in der finanziellen Förderung der Arbeit des Roten Kreuzes in Europa und der Bereitstellung von Kleidung für deutsche Kriegsopfer.347 Bei den wöchentlichen Treffen im Pfarrhaus nähten die Frauen Wäsche für die Verwundeten und bereiteten Spendensammlungen in Rosario vor. Erich Elsner zufolge beteiligten sich daran nicht nur Personen aus dem engeren Umfeld der »Kolonie«: »Es war ein erhebender Anblick und auch ein moralischer Erfolg. Denn viele Argentinierinnen, deren Väter oder Großväter Deutsche waren, die aber sonst nichts mehr mit dem Deutschtum zu tun hatten, erinnerten sich nun ihrer Abstammung und brachten ebenfalls reichliche Gaben!«348
Infolge der Seeblockade gelangten die Spenden und Hilfslieferungen mitunter nur auf indirektem Weg zu ihrem Ziel. So berichtete Pfarrer Gebhardt aus Rosario Ende 1914 an den EOK in Berlin: »Unsere Frauen haben ungefähr 2 Cubikmeter [sic] Wäsche angefertigt, die wir demnächst über Italien absenden wollen [. . . ]. Für die Überweisung der Geldmittel wird der vaterländische [sic] Frauenverein die Hilfe des Evangelischen Oberkirchenrats erbitten.«349 Bis August 1915 überwies der Vaterländische Frauenverein über 10 000 Mark an das Rote Kreuz in Deutschland, Österreich und Ungarn. Diejenigen Spenden, die nicht nach Deutschland gebracht werden konnten, kamen Hilfsaktionen und Einrichtungen wie dem Deutschen Hospital in Rosario zugute.350 347 | Vorbild war der deutsche Vaterländische Frauenverein vom Roten Kreuz, der 1867 in Berlin unter Schirmherrschaft der Deutschen Kaiserin gegründet wurde und in ganz Preußen aktiv war. Er gehörte zu der in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts aufkommenden Bewegung der Rotkreuzgesellschaften, die u.a. im Kriegsfalle einen effektiven Sanitätsdienst garantieren sollten (vgl. Artus 1993b, 221f.). 348 | Elsner 1932, 77f. 349 | EZA 5/2148, ohne BN (Brief von Pfarrer Gebhardt an den EOK in Berlin vom 31. Dezember 1914). 350 | Vgl. für die vorangegangenen beiden Absätze: EZA 5/2148, ohne BN; BArch R 901/82563, ohne BN; EGB 21. Jg., Nr. 34 (18. August 1915), 409; Elsner 1932, 69; 77f.; 235; Hagedorn 1944, 48f. Das Deutsche Hospital (auch: Deutsches Krankenheim) war eine Einrichtung des Deutschen Hospitalvereins.
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Eine ganz ähnliche Ausrichtung gab sich der Patriotische Chor, der im Frühjahr 1915 gegründet wurde, um in erster Linie wohltätige Zwecke im Zusammenhang mit dem Ersten Weltkrieg zu unterstützen. Initiiert und geleitet vom erfahrenen Chormitglied Alwin Schneider, versammelte die Vereinigung bis zu 80 aktive Sänger aus den bestehenden deutschen Gesangvereinen Rosarios. Im Innern wies der Patriotische Chor kaum gefestigte Strukturen auf. Die Proben fanden nicht in einem gesonderten Lokal, sondern im Deutschen Verein statt. Mitgliedsbeiträge wurden nicht erhoben. Alle Erlöse der veranstalteten »patriotischen Konzerte« flossen in die »Kriegsspende« oder Gemeinschaftsprojekte wie die Talleres-Schule, die durch den Krieg in finanzielle Schwierigkeiten geraten waren. Die Existenz des Vereins stand demzufolge in alleiniger Abhängigkeit zum Ereignisverlauf in Übersee. Mit der Organisation der großen »Bismarck-Jahrhundertfeier«, die Anfang April 1915 zum 100. Geburtstag des nach wie vor verehrten ehemaligen Reichskanzlers im Theater La Opera stattfand, erreichten die Kriegsaktivitäten des Patriotischen Chores ihren Höhepunkt.351 Als dritter, mehr patriotisch-geselliger denn wohltätiger Verein und unmissverständliches Produkt deutscher Kriegsbegeisterung in Rosario formierte sich im Januar 1915 der Kegelklub »U9«. Benannt nach dem deutschen U-Boot unter Kommandant Weddigen, das im Herbst des Vorjahres mehrere englische Kriegsschiffe versenkt und dadurch Heldenstatus erlangt hatte, verschrieb sich der Verein neben dem Kegeln der »Förderung des großdeutschen-nationalen Gedankens«352 . Die Interna wurden mit militärischer Genauigkeit und Strenge geregelt. Ebenso wie die U-9-Besatzung durfte die Mitgliederzahl des Vereins 25 Mann nicht überschreiten. Wer den wöchentlichen Trainingseinheiten im Lokal von Emil Werner fernblieb oder schlechte Leistungen erbrachte, wurde mit Geldstrafen belegt. Selbst der Marinejargon wurden auf das Vereinsleben übertragen: Der Präsident wurde als »Kommandant« angesprochen, die Kegelabende hießen »Schießübungen« und wer »Alle Neune« traf, landete einen »Volltreffer«.353 Der Kegelklub »U9« stand mit seinem bedingungslosen Patriotismus stellvertretend für die verstärkte Wahrnehmung ethnischer und nationaler Zugehörigkeit innerhalb der deutschen Gemeinschaft Rosarios während des Ersten Weltkrieges. Die Konflikt- und Notlage in Europa weckte unter den Auslands351 | Vgl. für die vorangegangenen beiden Absätze: BArch R 901/82515, ohne BN; EGB, 21. Jg., Nr. 1 (1. Januar 1915), 10; Nr. 4 (20. Januar 1915), 46; Nr. 13 (24. März 1915), 154; Nr. 22 (26. Mai 1915), 266; Elsner 1932, 281-283; Deutsche Kolonie Rosario 1915, ohne SZ. 352 | Elsner 1932, 246. 353 | Vgl. für diesen Absatz: Ebd., 246-248.
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deutschen ein Gefühl der Verantwortlichkeit gegenüber dem Herkunftsland, dessen Wurzeln auch in der kontinuierlichen Identitäts- und Erinnerungsarbeit des deutschen Vereinswesens seit Ende der 1860er Jahre lagen. Im Angesicht des »Feindes« bekamen Begriffe wie »Nation« oder »Heimat« nun eine neue Qualität. Wie auch immer geartete Angriffe gegen Deutschland waren den Einwanderern gleichbedeutend mit Angriffen auf ihre gelebten Erinnerungen, auf Teile ihres Selbstverständnisses und riefen zwangsläufig emotionale Reaktionen hervor. Die Elsner-Chronik beschreibt, wie sich Krieg, Patriotismus und Heimweherfahrungen im Vereinsleben des Kegelklubs »U9« verbanden: »Niemand hat wohl so genau alle Geschehnisse und Heldentaten unserer wagemutigen und erfolgreichen U-Boote verfolgt und gefeiert wie die Herren vom Kegelklub U 9. Ihre Freude über einen jeden U-Boot-Sieg kam ihnen aus vollem Herzen, und dann gingen die Wogen der Begeisterung und patriotischen Empfindens ganz besonders hoch. Wie oft und wie innig wurde da das Lied: ›Ich hatt’ einen Kameraden‹ mit dem damals so beliebten Ausklang: ›Die Vöglein im Walde, sie singen so wunderschön, in der Heimat, in der Heimat, da gibts [sic] ein Wiedersehen!‹ angestimmt und aus ganzem Herzen gesungen. Daß alles einmal ganz anders kommen würde, daß es für viele kein Wiedersehen mit der Heimat mehr gibt, konnte sich damals niemand ausdenken.«354
Das Engagement des Vaterländischen Frauenvereins, des Patriotischen Chores und des Kegelklubs »U9« waren nur Teilaspekte eines Kriegsaktionismus, der vom gesamten deutschen Vereinswesen bzw. der deutschen Gemeinschaft Rosarios getragen wurde. Im Deutschen Verein, der Deutschen Evangelischen Gemeinde, der Filiale der Deutschen Bank und anderen Orten wurden Sammelbüchsen für die »Kriegsspende« aufgestellt. Gesangvereinigungen wie der Damenkirchenchor der Gemeinde veranstalteten Wohltätigkeitskonzerte, um Geld für das Rote Kreuz oder die Nationalstiftung für die Hinterbliebenen der im Kriege Gefallenen in Berlin zusammenzutragen. Darüber hinaus unterstützten die Vereine die Zeichnung der deutschen Kriegsanleihen in der »Kolonie«.355 Wie auch in Deutschland, wurde die Jugend aktiv in die »Liebestätigkeit« eingebunden: Die Konfirmanden der deutschen Gemeinde und die Schüler der deutschen Schulen Rosarios beteiligten sich an einer argentinienweiten Sammlung von Briefmarken, Stanniolpapier und Flaschenkapseln. Diese war auf Initiative von Lehrer Max Wilfert aus Buenos Aires zustande gekommen 354 | Ebd., 248. 355 | Vgl. für diesen Absatz: BArch R 901/82515, ohne BN; EGB, 20. Jg., Nr. 41 (7. Oktober 1914), 562; 21. Jg., Nr. 15 (7. April 1915), 181.
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und mobilisierte die Kinder in zahlreichen deutschen »Kolonien«. Das Stanniolpapier und die Kapseln sollten eingeschmolzen und veräußert, die Briefmarken nach dem Krieg zum Verkauf nach Deutschland geschickt werden. Der Erlös war den deutschen Kriegswaisen zugedacht.356 Parallel zu den Wirkungen auf Struktur und Aktionismus des deutschen Vereinswesens veränderte der Krieg auch das Verhältnis der europäischen Einwanderergemeinschaften Rosarios zueinander. Das Geschehen in Übersee fand gewissermaßen auf Vereinsebene seine Fortsetzung. Entlang der europäischen Konfliktlinien unterzogen die ethnischen Einwanderervereine ihre Außenbeziehungen einer Neuordnung. Es kam in der Folge zu intensivierten Kontakten und gemeinsamen Aktionen mit »verbündeten« Organisationen, aber auch zu harschen Brüchen und der Aufkündigung langjähriger Kooperationen mit zum Teil unangenehmen Nachwirkungen für die deutsche Gemeinschaft. Besonders auffällig vollzog sich dieser Transformationsprozess zwischen deutschen und englischen Einwanderern in Rosario. Beide Seiten verband seit Mitte des 19. Jahrhunderts eine weitreichende Zusammenarbeit auf verschiedenen Gebieten des gemeinschaftlichen Zusammenlebens. Die beiden ersten protestantischen Friedhöfe Rosarios in den 1860er und 1880er Jahren waren englisch-deutsche Gemeinschaftsprojekte gewesen; Spenden von beiden Seiten gewährleisteten die Erhaltung. Zudem wurden die deutschen Protestanten – bis zur Gründung einer eigenen Gemeinde – von englischsprachigen Seelsorgern bedient und auch danach durfte die Deutsche Evangelische Gemeinde in Ermangelung eines eigenen Hauses ihre Gottesdienste in der St. Bartholomew’s Anglican Church abhalten.357 Gleiches galt für die sonntägliche evangelische »Kinderlehre«, für die zeitweise Räumlichkeiten in der englischen Schule genutzt wurden. Die englische Gemeinde wiederum veranstaltete 1901 einen Basar zum Abbau ihrer Schulden im Saal des Deutschen Vereins.358 Aber auch jenseits protestantischer Solidarität pflegten Deutsche und Engländer in Rosario enge Beziehungen auf Vereinsebene. Im Club de Residentes Extranjeros, der seit 1871 bestand, bildeten sie die beiden größten Mitgliedergruppen.359 Die deutschen Freimaurer der Loge »Libertas«, die 1901 einer 356 | Vgl. für diesen Absatz: EGB, 21. Jg., Nr. 42 (13. Oktober 1915), 517f.; 22. Jg., Nr. 45 (8. November 1916), 623f. 357 | In den Tauf- und Heiratsregistern der englischen Kirche finden sich zahlreiche Hinweise auf die deutschen Gemeindemitglieder: vgl. St. Bartholomew’s Anglican Church Rosario. Bautismos [. . . ] Casamientos [...]. 358 | Vgl. für die vorangegangenen beiden Absätze: EZA 5/2147, ohne BN; DLPZ, 33. Jg., Nr. 64 (17. März 1901), 1; Hagedorn 1944, 14-17; 29. 359 | Newton berichtet von einer ähnlichen nationalen Gewichtung im Club de Residentes Extranjeros von Buenos Aires (vgl. Newton 1977, 5f.).
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Initiative im Deutschen Verein entsprungen war, kamen zu ihren Sitzungen im Lokal der englischen Loge zusammen. Eine andere deutsch-englische Initiative nahm Ende 1902 die Gründung eines Orchestervereins und ein großes Beethoven-Konzert in Aussicht. Das vermutlich größte Gemeinschaftswerk war jedoch das Deutsch-Englische Hospital, das Ende der 1880er Jahre unter dem Eindruck der beiden großen Cholera-Epidemien ins Leben gerufen worden war. Mit Mitteln des Deutschen Hilfsvereins, Wohltätigkeitsbasaren und -konzerten in der Deutschen Schule und dem Deutschen Verein sowie durch Spenden aus beiden »Kolonien« konnte der gemeinsam verwaltete Hospitalverein ein Grundstück erwerben und mit dem Bau beginnen. Auch nach Einrichtung des Hospitals sicherten Zuwendungen wie die Kollekten der Deutschen Evangelischen Gemeinde den fortlaufenden Betrieb.360 Die zunehmenden Spannungen in Europa und der Kriegsbeginn bewirkten eine sukzessive Verschlechterung der Beziehungen zwischen der englischen und der deutschen Gemeinschaft. Viele der traditionsreichen Vereinsbündnisse wurden in den Jahren um 1914 vollständig aufgelöst. Pfarrer Gebhardt hatte bereits 1911 eine deutliche »Feindseligkeit der Engländer« registriert und sich beim EOK anlässlich zwangsweise verkürzter Gottesdienste und anderer »deutschfeindlicher Mannöver [sic]« über den »unwürdigen Zustand in der englischen Kirche« beschwert. Daraufhin beschloss der Vorstand der Deutschen Evangelischen Gemeinde 1912, den geplanten Bau einer eigenen Kirche vorzuziehen, obschon die vorhandenen Geldmittel dafür noch nicht ausreichten.361 Einer ähnlichen Situation sah sich die deutsche Loge »Libertas« ausgesetzt, die 1914 das Lokal der englischen Loge verlassen und in die Räume der argentinischen Logia »Unión No 17« umziehen musste.362 Selbst der gemeinsame Hospitalverein, für den beide Gemeinschaften über Jahre beträchtliche finanzielle Mittel aufgebracht hatten, musste sich der Feindeslogik des Krieges zu ergeben. Das Deutsch-Englische Hospital wurde 1914 »auf Wunsch der Engländer«363 geschlossen. Laut Pfarrer Gebhardt begründete die englische Kommission ihren Schritt damit, »daß der Betrieb nicht weiter 360 | Vgl. für die vorangegangenen beiden Absätze: DLPZ, 20. Jg., Nr. 126 (6. Juni 1889), 1; 34. Jg., Nr. 276 (23. November 1902), 1; Nr. 282 (30. November 1902), 1; EM, 1. Jg., Nr. [?] (7. August 1887), ohne SZ; Deutsche Evangelische Gemeinde 1910, ohne SZ; Deutscher Schulverein Rosario 1899a, ohne SZ; Elsner 1932, 65; 69; 182-184; 239. Die offizielle spanische Bezeichnung lautete Enfermería Anglo-Alemana. 361 | EZA 5/2148, ohne BN (Jahresbericht 1911/12 der Deutschen Evangelischen Gemeinde Rosario; Brief Maximilian Gebhardts an den EOK in Berlin vom 25. Januar 1912). Vgl. außerdem: EGB, 18. Jg., Nr. 5 (31. Januar 1912), 59. 362 | Vgl. Elsner 1932, 238f. 363 | Ebd., 184.
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durchgeführt werden könnte, weil die englischen Schiffe die Beitragsleistungen eingestellt hätten.«364 Tatsächlich, und in diesem Punkt waren sich die Protagonisten einig, dürfte aber vor allem die Tatsache ausschlaggebend gewesen sein, dass die Kooperation mit dem »Feind« auch im Ausland nicht erwünscht war. Der Hospitalverein setzte seine Tätigkeit nach dem Ende des DeutschEnglischen Hospitals fort und betrieb die Liquidation des Besitzes. Im Jahr 1924 wurde das Gebäude an die Provinzregierung verkauft, die dort eine Abteilung des Hospital del Centenario einrichtete.365 In gleichem Maße, wie sich die deutschen und die »alliierten« Gemeinschaften Rosarios während des Krieges voneinander entfernten, demonstrierten die den Mittelmächten nahestehenden »Kolonien« Einigkeit und Solidarität. Deutsche, Österreicher, Ungarn und Türken kamen in den Einwanderervereinen zusammen, um gemeinschaftsübergreifende Wohltätigkeitsprojekte anzustoßen und für die »Kriegsspende« zu sammeln.366 Traditionelle Bündnisse, die vor allem ethnisch fundiert waren, wurden im Zuge dieser Entwicklung aktualisiert und intensiviert. Zum Teil entstanden aber auch gänzlich neue Netzwerke. So schrieb Pfarrer Gebhardt über ein im Deutschen Verein stattfindendes Kinderfest des Vaterländischen Frauenvereins im Juli 1915, das 3000 Pesos für das Deutsch-Österreichisch-Ungarische Rote Kreuz erbrachte: »Wenn wir uns im Interesse unserer verwundeten Soldaten in erster Linie über den materiellen Gewinn freuen, so ist doch außerdem noch eine andere Erfolgsfreude zu verzeichnen, nämlich die an der einigenden Kraft des Deutschtums und der Treue seiner Bundesgenossen, die übrigens auch – es wurde zum ersten Male bemerkt – in einigen Türken vertreten waren.«367
Diese Annäherung blieb kein Einzelfall. Im Jahr darauf etwa nahmen der österreichisch-ungarische Konsul sowie Vertreter der türkischen Gemeinschaft an der Kaisergeburtstagsfeier im Deutschen Verein teil: »Nach der Ansprache des Herrn Konsuls Erdfehler [. . . ] ergriff der Vertreter der türkischen Kolonie, Herr Duggan Hamedi, das Wort, um Deutschlands Kaiser, seine Feldherren und 364 | EGB, 21. Jg., Nr. 2 (6. Januar 1915), 21. 365 | Vgl. für diesen Absatz: EGB, 21. Jg., Nr. 2 (6. Januar 1915), 21; Álvarez 1981, 594; Elsner 1932, 185. Nach der Auflösung des Deutsch-Englischen Hospitals formierte sich 1915 ein neuer Deutscher Hospitalverein, der mit Unterstützung der deutschen »Kolonie« 1916 in der Av. Pellegrini 247-251 das Deutsche Hospital (auch: Deutsches Krankenheim) unter Leitung von Dr. Hans König und Dr. Walter Kunz eröffnete (vgl. DLPZ, 48. Jg., Nr. 131 (6. Juni 1916), 3). 366 | Der Schulterschluss zwischen Deutschen und Österreichern lässt sich auch für Buenos Aires belegen (vgl. Bindernagel 2014, 133-135). 367 | EGB, 21. Jg., Nr. 30 (21. Juli 1915), 361.
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heldenhaften Truppen, seine ruhmreiche Marine und seine hohe Kultur zu feiern.«368 Auch die deutsche »Kolonie« beteiligte sich nun häufiger am Gemeinschaftsleben der »Verbündeten«. Im August 1916 veranstalteten beispielsweise die deutsche, die türkische und die österreichisch-ungarische Community gemeinsam eine Geburtstagsfeier für Kaiser Franz Joseph I. Zum Programm gehörte u.a. ein offizielles Festbankett im Deutschen Verein, auf dem das Spektrum nationaler und ethnischer Identifikationen der einzelnen Gemeinschaften im Zeichen des Krieges diskursiv entgrenzt und erweitert wurde: »Nachdem [. . . ] die argentinische Nationalhymne angehört war und verschiedene Trinksprüche auf Oesterreich-Ungarn [sic], Deutschland, Kaiser Franz Joseph und die Behörden Rosarios ausgebracht waren, erhob sich der k. u. k. Konsul Herr von Galatti und feierte in herzlichen, begeisterten Worten Kaiser Wilhelm den Zweiten und seine erlauchte Gemahlin. Das Orchester spielte hierauf ›Heil dir im Siegerkranz‹. Herr Konsul von Galatti brachte darnach [sic] ein dreimaliges, kräftig aufgenommenes Hoch auf den Sultan der Türkei, König Ferdinand von Bulgarien und die türkische Kolonie der Provinz Santa Fe aus. [. . . ] Stehend wurde dann von den Anwesenden die österreichisch-ungarische Nationalhymne in Kroatisch gesungen. Junge Damen in ungarischer und kroatischer Tracht erschienen, um den Vertreter der Donaumonarchie zu begrüßen [. . . ]. Eine ausgezeichnete Ansprache hielt hierauf der Vertreter der türkischen Kolonie, Herr Hemadi [sic]369 . Er schloß mit einem mit stürmischen Jubel aufgenommenen Hoch auf Deutschland, Kaiser Franz Joseph und den Triumph der Zentralmächte.«370
Ihren größten organisatorischen Niederschlag fand die Solidarisierung zwischen den Gemeinschaften in der Gründung des Deutsch-Österreichisch-Ungarischen Hilfsausschußes im Jahr 1914. Neben der Spendensammlung für das Rote Kreuz in Europa konzentrierte sich der Ausschuss auf die durch den Krieg hervorgerufene Notlage vor Ort. Denn auch in Rosario mehrten sich nach 1914 die Berichte über Diskriminierungen und Entlassungen deutscher Arbeiter und Angestellter aus Unternehmen unter englischer oder französischer Führung wie den Eisenbahnwerkstätten.371 In Verbindung mit der anhaltenden Wirtschaftskrise stieg die Zahl Hilfsbedürftigen in den Kriegsjahren deutlich an, was 368 | DLPZ, 48. Jg., Nr. 24 (29. Januar 1916), 3. 369 | Der Name des türkischen Vertreters wird in den Quellen uneinheitlich mit »Hamedi« bzw. »Hemadi« angegeben. 370 | DLPZ, 48. Jg., Nr. 196 (20. August 1916), 3. 371 | Vgl. EZA 5/2148, ohne BN (Brief Maximilian Gebhardts an den EOK in Berlin vom 31. Dezember 1914); EGB, 21. Jg., Nr. 22 (26. Mai 1915), 266. Für den Fall einer
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in den Einwanderergemeinschaften vor allem durch eine verstärkte Nachfrage nach Leistungen der ethnischen Wohltätigkeitsvereine zum Ausdruck kam. Der Hilfsausschuß in Rosario reagierte auf diese Entwicklung mit der Einrichtung eines »Arbeitsheims« in den Jahren 1916 und 1917.372 Die Eröffnung des Arbeitsheims im Mai 1916 markierte einen Wendepunkt in der Wohltätigkeitsarbeit des deutschen Vereinswesens in Rosario. Hatte man bisher vor allem für die Kriegsopfer in Deutschland und Österreich-Ungarn gesammelt, rückte nun die lokale Hilfe in den Mittelpunkt. Pastor Gebhardt vermerkte gar: »Mit Recht wird von der deutschen Kolonie Rosarios die organisierte Hilfe an den arbeitslosen Deutschen und Bundesgenossen als die zur Zeit wichtigste aller gemeinnützigen Unternehmungen empfunden, hinter der auch unsere Sammlungen für drüben zurückstehen müssen.«373
Das Arbeitshaus wurde in Zusammenarbeit mit der Deutschen Evangelischen Gemeinde und anderen Vereinen und Privatpersonen aus der deutschen und der österreichisch-ungarischen »Kolonie« Rosarios realisiert. Es war von Beginn an als temporäre Maßnahme angelegt, um die Kriegsfolgen unter Angehörigen der Mittelmächte in Rosario zu mildern. Statt bedingungsloser Wohltätigkeit, die im Verdacht stand, Missbrauch anzuregen, sollte Hilfsbedürftigen eine Arbeitsgelegenheit geboten werden. Beschäftigungslose Deutsche, Österreicher, Ungarn, Türken und Bulgaren konnten sich im deutschen bzw. österreichisch-ungarischen Konsulat melden, um in das Arbeitshaus überwiesen zu werden und so die Zeit bis zu einer Neuanstellung zu überbrücken. Gegen Arbeitsleistung erhielten sie dort einen geringen Stundenlohn, Verpflegung, einen Schlafplatz sowie Unterstützung auf der Suche nach einem neuen Arbeitsplatz. Kranke konnten die Leistungen des Deutschen Hospitals in Anspruch nehmen. Als Örtlichkeit für das Arbeitshaus diente die sogenannte »Barraca Alemana« der Familie Tietjen. Engelbert Tietjen, Sohn des im Februar 1915 verstorbenen deutschen Konsuls Wöltje Tietjen, stellte das Grundstück mit einigen Hütten, das er zuvor als Warenlager für sein Exportgeschäft genutzt hatte, unentgeltlich zur Verfügung. Auf dem Gelände wurden Schlafsäle, eine Essensausgabe und die Werkstätten eingerichtet. Die Arbeit bestand im Wesentlichen in der Produktion von Brennholz aus den Quebracho- und Algarrobo-Beständen des Umlandes, der Fabrikation von englischen Brauerei aus der Provinz Santa Fe, die ihre deutschen Arbeiter entließ vgl.: DLPZ, 48. Jg., Nr. 92 (19. April 1916), 3. 372 | Zu dieser Einrichtung liegen außergewöhnlich detaillierte Daten vor, da Pastor Gebhardt im Evangelischen Gemeindeblatt wöchentlich Bericht erstattete. 373 | EGB, 22. Jg., Nr. 27 (5. Juli 1916), 376.
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Besen und dem Anbau von Gemüse. Die Produkte wurden anschließend in Rosario verkauft. Außerdem nahm das Arbeitshaus externe Aufträge für Hilfsarbeiten an und schickte die »Insassen« zu Einsätzen außerhalb der Einrichtung. Zusätzlich wurden im »Asyl« selbst etwa ein Dutzend Arbeitsplätze vergeben, z.B. an Köche, Nachtwächter oder Reinigungskräfte.374 Nach einer sukzessiven Verringerung des Personenbestandes ab Oktober 1916 schloss das Arbeitsheim planmäßig zum 31. Dezember 1916. Die Bilanz des ersten Jahres verdeutlicht einerseits die beachtlichen Ausmaße des Projekts, gibt aber auch Auskunft über den organisatorischen Aufwand und die enorme finanzielle Belastung der federführenden Gemeinschaften. Allein bis Juli 1916 überwiesen das deutsche und das österreichisch-ungarische Konsulat 418 Männer, von denen 321 aufgenommen wurden. Zwischen Juni und Dezember 1916 arbeiteten im Durchschnitt täglich 113 Personen im Heim, in der Periode der Höchstbelegung waren es bis zu 169. Es handelte sich vor allem um Deutsche sowie Österreicher und Ungarn aus der k. u. k. Doppelmonarchie. Türken und Bulgaren waren stets in der Minderheit. Jede Woche wurden 1047 bis 3472 Mahlzeiten ausgegeben und durchschnittlich 690 Übernachtungen ermöglicht. Zudem konnte das Arbeitshaus pro Woche im Schnitt 5 Tonnen Holz, 17 Säcke Holzkohle und 138 Besen aus der eigenen Produktion verkaufen und rund 186 Pesos durch externe Arbeitseinsätze einnehmen. Trotz dieser Erfolge blieb das Arbeitshaus stets eine Wohltätigkeitseinrichtung. Die Einnahmen konnten die monatlichen Kosten des Heims von ca. 3000 Pesos nicht decken. Insgesamt bezuschussten die Gemeinschaften das Heim mit ca. 20 000 Pesos.375 Angesichts der nach wie vor angespannten wirtschaftlichen Lage erfolgte bald der Beschluss zur Wiedereröffnung des Arbeitshauses im Mai 1917. Im Vorfeld wurde vor allem darüber diskutiert, ob die Kolonie die erheblichen Kosten für das Heim aufbringen und wie man einem Missbrauch der Wohltätigkeitsarbeit vorbeugen könnte. Zudem hielt Gebhardt die Euphorie der »Kolonie« für das Hilfswerk für weitgehend »verraucht«, weshalb er mit weniger Mitteln rechnete.376 Schließlich richtete der Deutsch-Österreichisch-Ungarische Hilfsausschuß das Heim nur noch für »kurzfristige Aufnahmen« ein. Die verschärften Heimregeln beschränkten die Aufenthaltsdauer auf 30 Tage und setzten die maximale Bewohnerzahl auf 100 fest. Die Arbeiter bekamen Nahrung und Unterkunft und 374 | Vgl. für die vorangegangenen vier Absätze: EGB, 22. Jg., Nr. 20 (17. Mai 1916), 278; Nr. 27 (5. Juli 1916), 376; Nr. 36 (6. September 1916), 502. 375 | Vgl. für die vorangegangenen drei Absätze: Tabelle A5; EGB, 22. Jg., Nr. 30 (26. Juli 1916), 418; Nr. 34 (23. August 1916), 474; 23. Jg., Nr. 14 (4. April 1917), 193f. 376 | Vgl. EGB, 23. Jg., Nr. 19 (9. Mai 1917), 264.
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nur in Ausnahmefällen Geld. Der Personenbestand blieb danach aber deutlich unter der Maximalmarke, da die wirtschaftliche Notlage offenbar nachließ. Am 30. November 1917 wurde das Heim endgültig geschlossen.377 In der Summe war die patriotische Wohltätigkeitsarbeit der deutschen Einwanderergemeinschaften in Argentinien ein Erfolg. Bereits im Herbst 1914 gelangte eine »erste Rate« der vom Hauptausschuß in Buenos Aires angeleiteten landesweiten »Kriegsspende« über 750 000 Mark nach Deutschland. Weitere Teilraten wurden in den Jahren 1915 und 1916 überwiesen. Das Gesamtvolumen der Spendenaktion belief sich zu diesem Zeitpunkt auf mindestens 1,3 Mio. Mark. Im Oktober 1918 beendete der Hauptausschuß offiziell die Sammlung und löste sich auf. Auch in den kleineren »Kolonien« im Landesinnern war das Spendenaufkommen teils erheblich. Der Deutsch-Österreichisch-Ungarische Hilfsausschuß in Rosario sammelte bis 1918 208 396 Pesos für das Rote Kreuz in Deutschland und Arbeitslose vor Ort. Schätzungen zufolge lag der Beitrag der deutschen Gemeinschaft in Rosario bis 1920 bei insgesamt 400 000 Pesos.378
4.4.2 Trauma und Krise Trotz der erfolgreichen lokalen und nationalen Spendenaktionen und des demonstrativen Zusammenhalts nahm die Kriegseuphorie in den deutschen »Kolonien« in den letzten beiden Kriegsjahren spürbar ab. Die lange Dauer und der ungewisse Ausgang des Konflikts lösten auch unter den Einwanderern in Argentinien eine gewisse Kriegsmüdigkeit aus. Wohltätigkeitssammlungen wurden seltener und erbrachten – im Vergleich zu den großen Veranstaltungen der Jahre 1914, 1915 und 1916 – ungleich geringere Erlöse. In deutschsprachigen Medien wie der Deutschen La Plata-Zeitung, die bis dahin das Geschehen in Europa minutiös dokumentiert hatten, nahmen allmählich wieder argentinische und kriegsfremde Themen die Titelseiten ein. Der Krieg war alltäglich geworden. Erst die Ereigniskette zwischen der deutschen Novemberrevolution 1918 und den Versailler Vertragsverhandlungen 1919 und 1920, die sowohl das Ende des Ersten Weltkrieges als auch des Kaiserreichs bedeutete, löste erneut heftige Reaktionen in den deutschen Gemeinschaften Argentiniens aus. In der Rückschau beschreibt Wilhelm Keiper diese traumatische Erfahrung und die realitätsfernen Erwartungen vieler deutscher Einwanderer:
377 | Vgl. für die vorangegangenen beiden Absätze: EGB, 23. Jg., Nr. 14 (4. April 1917), 193f; Nr. 19 (9. Mai 1917), 264; Nr. 21 (23. Mai 1917), 291f. Zum Arbeitshaus vgl. außerdem: Kramer o.Dat. (im Erscheinen). 378 | Vgl. für diesen Absatz: BArch R 901/82515, ohne BN; BArch R 57/474/36, ohne BN; EGB, 24. Jg., Nr. 2 (9. Januar 1918), 22f.; Elsner 1932, 76. Für Esperanza liegen keine zusammenfassenden Zahlen oder Schätzungen vor.
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»Das alles traf uns wie mit Keulenschlägen. Wir glaubten es nicht und wollten es nicht glauben! [. . . ] Aber [. . . ] schließlich war nicht mehr an der Wahrheit zu zweifeln. Noch zuletzt klammerte sich die Hoffnung der Deutschen in Argentinien an die Erwartung, daß Deutschland die Forderungen Wilsons, die in ihrer Schwere und Überhebung bei uns weit stärker empfunden wurden, als es in der abgekämpften und geschwächten Heimat geschah, rundweg ablehnen und zum letzten Verzweiflungskampf antreten würde. Man sah die politische Lage eben nur von Weitem mit dem Blick der Auslandsdeutschen.«379
Theodor Alemann, Herausgeber des Argentinischen Tageblatts, folgte in seiner Analyse der Gemütslage in den argentinischen »Kolonien« einer ähnlichen Argumentationslinie und bemerkte 1921 treffend: »Die Auslandsdeutschen hatten für die grundstürzenden Vorgänge in der alten Heimat nicht das richtige Verständnis. Sie hatten den Gang der Ereignisse nur von aussen [sic] her, nicht aber von innen heraus miterlebt und konnten deshalb die tieferen Ursachen des Zusammenbruchs ihres vordem so stolzen, kraftvollen Heimatstaates nicht erfassen. So war es nur zu natürlich, dass sie ihr mehr gefühls- als vernunftmässiges [sic] vaterländisches Denken auf die zurückliegenden Verhältnisse einstellten. Indem sie den Blick auf das Vergangene richteten, vermochten sie der Gegenwart und den Wahrscheinlichkeiten, die eine unmittelbare Zukunft bringen musste, nicht zu folgen. Sie hatten für politische Zusammenhänge vor dem Krieg wenig Verständnis an den Tag gelegt und nun, da ihr vaterländisches Ideal in den Staub gesunken war, standen sie fassungslos vor einer neuen, ihnen unbegreiflichen Welt.«380
Die erzwungene Abdankung des Kaisers und die vernichtende Kriegsniederlage durchbrach die Kontinuität, von der die deutschen Gemeinschaften in Argentinien seit Reichsgründung zehrten.381 Ethnische Selbstbilder und nationale Bezugsgrößen, die über Dekaden das diskursive Fundament des auslandsdeutschen Gemeinwesens gebildet hatten, verloren durch die politische Neuordnung Deutschlands und das »Recht der Sieger« mit einem Schlag ihre Gültigkeit. Auch der vom deutschen Vereinswesen getragene Aktionismus zur Unterstützung der »alten Heimat« erschien nun als vergebliche Mühe und das daraus hervorgegangene Gemeinschaftsgefühl als Illusion. Die Euphorie der ersten Kriegsjahre kehrte sich um in einen Zustand tiefer Enttäuschung und identifikatorischer Unbestimmtheit. Welche krisenhaften Folgen dies für 379 | Keiper 1942, 66. 380 | AT, 33. Jg., Nr. 9879 (9. Dezember 1921), 3. 381 | Vgl. für eine ähnliche Einschätzung: Zorzin 2009, 104f.
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die ethnischen Organisationsstrukturen haben konnte, zeigt das Beispiel der deutschen »Kolonie« in Rosario. Sämtliche dort in den Kriegsjahren gegründeten patriotisch-wohltätigen Vereine – der Patriotische Chor, der Kegelklub »U9« und der Vaterländische Frauenverein – wurden zwischen 1917 und 1918 aufgelöst. Andere Organisationen gerieten durch den Krieg und die damit einhergehenden wirtschaftlichen Verwerfungen in eine finanzielle Schieflage und mussten sinkende Mitgliederzahlen hinnehmen. Die Kirchgemeinde und die Schulen waren zudem zeitweise gezwungen, auf dringend benötigte Unterstützungsleistungen aus Deutschland zu verzichten. Einige Vereine wie die Deutsche Evangelische Gemeinde brachten diese Umstände an den Rand ihrer Existenzfähigkeit. Die deutsche TalleresArbeiterschule musste 1919 sogar ganz aufgegeben werden. Die Ausdehnung des deutschen Vereinswesens Rosarios während der Kriegsjahre wurde in der Folgezeit nie wieder erreicht. Auch das Innenleben der Rosariner Vereine war durch die problematische Verarbeitung der deutschen Niederlage geprägt. Der hierdurch angestoßene bzw. verstärkte Prozess der identifikatorischen Neuausrichtung wirkte paralysierend auf den Aktionismus der Organisationen. Der individuellen und kollektiven Suche nach einem neuen Selbstverständnis folgte in vielen Fällen die Entfremdung vom »Deutschtum«, die Abwendung vom deutschen Vereinswesen und eine beschleunigte Akkulturation. Ähnliche Vorgänge spielten sich – in unterschiedlicher Intensität – auch in den anderen deutschen Gemeinschaften Argentiniens ab. Erich Elsner vermerkte später dazu: »Der Krieg war vorüber. Aber viel schlimmer als dieser wirkte der Kriegsausgang auf das Vereinsleben. Der lastete wie ein Alpdruck auf allen und hinterließ tiefe Spuren. Das warme Vaterlandsgefühl, die innige Liebe zur Heimat und dem eigenen Volke wurde durch die Vorgänge seit dem November 1918 und die sich geradezu überstürzenden Ereignisse des Jahres 1919 stark erschüttert.«382
Und weiter: »Es fehlte jetzt der rechte Anteil an allen deutschen Dingen, eine allgemeine Müdigkeit und Erschlaffung hatte Platz gegriffen an Stelle all des früheren hoffnungsvollen Schaffens und Strebens zur Erhaltung des Deutschtums im allgemeinen und seiner hiesigen Einrichtungen im besonderen.«383
Die starke Verunsicherung nach dem verlorenen Krieg bereitete auch in den deutschen »Kolonien« Argentiniens den Boden für die Verbreitung radikaler 382 | Elsner 1932, 128. 383 | Ebd., 129.
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politischer Strömungen. Dabei kristallisierten sich innerhalb des Vereinswesens zwei divergierende Positionen heraus, die auf der einen Seite in der freudigen Begrüßung der Weimarer Republik und auf der anderen in fortgesetzten Treuebekundungen für Kaiser und Monarchie – die sich noch lange Zeit als Symbole der deutschen Einheit behaupten konnten – zum Ausdruck kamen. Die während des Krieges erreichte Annäherung zwischen den verschiedenen politischen Kreisen, besonders in Buenos Aires, konnte unter diesen Bedingungen nicht fortbestehen. Analog zu den gesellschaftlichen Entwicklungen in Deutschland taten sich immer größere Gräben zwischen Anhängern der Republik und der Monarchie auf. Im deutschen Vereinswesen Rosarios dominierte die monarchistische Strömung. Die Unzufriedenheit mit der politischen Entwicklung Deutschlands und dem »Gewaltfrieden« von Versailles nahm dort bald einen festen Platz in öffentlichen Verlautbarungen und Reden ein und wurde so zum neuen diskursiven Vehikel nationaler Kollektividentitäten.384
4.4.3 Regeneration und Spaltung Der Weltkrieg hatte die deutschen Migrationsströme nach Argentinien praktisch versiegen lassen. Nun, in der von sozialer Not und wirtschaftlichen und politischen Krisen geprägten Nachkriegszeit, sahen sich erneut zahlreiche Deutsche veranlasst, nach Südamerika auszuwandern.385 Der Historiker Siegfried Benignus erkannte bereits 1917 die Tragweite der zu erwartenden Migrationsbewegung: »Deutschland bedarf nach Beendigung des entsetzlichsten aller Kriege seiner Söhne nötiger als je. Doch wird sich der Drang auszuwandern nach Friedensschluß ganz besonders stark bemerkbar machen. Eine gewaltsame Hemmung der Auswanderung seitens der deutschen Regierung wäre verhängnisvoll; denn ohne Blutauffrischung durch die alte Heimat wäre das Deutschtum Südamerikas dem Untergange preisgegeben.«386
Und tatsächlich bedeutete die Zuwanderung Anfang der 1920er Jahre für die auslandsdeutschen Gemeinschaften in Argentinien eine Verbreiterung ihrer Basis und eine Stärkung ihres Gemeinwesens. Im deutschen Vereinswesen lassen sich dabei drei organisatorische Tendenzen ausmachen. Erstens formierten sich in den neu besiedelten Provinzen, wie etwa Misiones im Norden des Landes, rasch eigene deutsche Vereine, Schulen und evangelische Kirchgemeinden. Darüber hinaus sorgten die Migranten besonders in 384 | In Esperanza finden sich hingegen kaum Hinweise auf eindeutige Bewegungen des deutschen Vereinswesens in eine der beiden Richtungen. 385 | Vgl. Bernecker/Fischer 1992, 200; Saint Sauveur-Henn 2010, 26. 386 | Benignus 1917, 36f.
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den Großstädten für eine Diversifizierung und Regionalisierung des lokalen Vereinswesens: Ab Mitte der 1920er Jahre gründeten sich erstmals diverse landsmannschaftliche Organisationen sächsischer, schwäbischer und bayerischer Einwanderer in Buenos Aires.387 In Rosario wiederum schlossen sich die so genannten »Neudeutschen« zum ersten deutschen Turn- und Sportverein der Stadt zusammen.388 Drittens war das gestärkte deutsche Vereinswesen nun in der Lage, die überregionale Vernetzung voranzutreiben und mit dem La Plata-Gau der Deutschen Turnerschaft und dem Deutschen Sängerbund am La Plata bis Anfang der 1930er Jahre Dachorganisationen mit nationalem bzw. sogar internationalem Charakter ins Leben zu rufen.389 Die verbesserten Rahmenbedingungen sorgten in diesem Zeitraum auch für eine Erholung des vom Krieg empfindlich getroffenen deutschen Vereinswesens in Rosario. Die sukzessive Regeneration spiegelte sich unter anderem in der deutsch-argentinischen Presse. Ihrer wieder zunehmenden Aktivität und Bedeutung entsprechend, erhielt die deutsche Gemeinschaft 1926 in der Deutschen La Plata-Zeitung einen eigenen Zeitungsteil mit angeschlossenen Anzeigenspalten für Vereine und lokale Unternehmen. Hatte sie nach Kriegsende in der Berichterstattung der großen Zeitungen über Jahre kaum mehr eine Rolle gespielt, wurde sie damit wieder zur sichtbarsten deutschen »Kolonie« nach Buenos Aires. Weitere Anzeichen für eine Wiederbelebung der Vereinstätigkeit kamen aus dem karitativen Umfeld. Anknüpfend an die lange Tradition patriotischsolidarischer Wohltätigkeit, formierte sich in Argentinien eine neue Bewegung, um die Not im Deutschland der Nachkriegszeit lindern zu helfen. Wilhelm Keiper vermerkte dazu in einem Bericht an das AA: »Der Abschluss des Waffenstillstandes und des Friedensvertrages bildete auch für die Deutschen in Argentinien einen tiefen Einschnitt, nicht aber eigentlich den Abschluss ihrer Kriegstätigkeit. Vielmehr standen die nachfolgendem Jahre bis jetzt derart unter den Nachwirkungen des Krieges und im Zeichen abnormer Zustände.«390
Wie schon während der »Kriegsspende«, gehörte Buenos Aires zum Ausgangspunkt vieler lokaler und nationaler Initiativen. Die deutschen Vereinsvorstände der Hauptstadt riefen beispielsweise die große »Heimatspende« ins Leben und 387 | Vgl. Zago 1985, 39. 388 | Vgl. Elsner 1932, 79; 350; Jaeger 1927, 20. 389 | Die Dachorganisationen wurden häufig über die argentinischen Landesgrenzen hinaus auf die La-Plata-Region ausgedehnt und umfassten somit auch deutsche Vereine aus Paraguay und Uruguay. 390 | BArch R 57/474/36, ohne BZ (Bericht von Wilhelm Keiper an das AA, vermutl. 1921).
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der DVA plante, über ein angemietetes Lager in Hamburg »Lebensmittelsendungen« nach Deutschland zu organisieren. In den Provinzen fanden die karitativen Bemühungen ebenfalls ihre Entsprechung. Größere Aktionen sind u.a. für die Städte Córdoba, Rosario und Esperanza belegt.391 Die Wohltätigkeitsarbeit nach dem Krieg wurde wesentlich von Frauen aus den deutschen Gemeinschaften mitgetragen. Bereits während des Krieges hatten sich diese innerhalb des Spektrums sozial akzeptierter Geschlechterrollen – die sie in erster Linie als Hausfrauen und Bewahrer- bzw. Vermittlerinnen des »Deutschtums« definierten – neue Spielräume erarbeitet und waren als wichtige Stützen der »Kriegsspende« verstärkt in das ethnische Vereinswesen und die Öffentlichkeit vorgedrungen.392 Der weibliche Aktionismus setzte sich nach Kriegsende in bestehenden und neu gegründeten Frauenorganisationen fort, die vor allem »Geld, Kleider und Gebrauchsgegenstände« für »notleidende Frauen und Kinder in der Heimat« sammelten. An der von der Deutschen Frauenhilfe in Buenos Aires bis 1920 veranstalteten landesweiten Hilfsaktion beteiligten sich u.a. deutsche Frauenvereine aus Rosario, La Plata, Tucumán und Mendoza.393 Der Ableger der Deutschen Frauenhilfe in Rosario wurde 1919 von Frieda Schmidt, ehemals Präsidentin des Vaterländischen Frauenvereins, gegründet, um Spenden zur Übersendung nach Deutschland zusammenzutragen. An ihrer Seite engagierten sich u.a. die Pfarrersfrau Annie Gebhardt und Mitglieder der angesehenen Familien Werner und Mongsfeld. In Zusammenarbeit mit dem Deutschen Verein hielten die Frauen zwischen 1919 und 1924 diverse Wohltätigkeitsveranstaltungen ab und sammelten Kleidung, Lebensmittel und Geldspenden ein. Ab 1923 verpflichteten sich zahlreiche Mitglieder der »Kolonie« sogar zu monatlichen Beiträgen für die Frauenhilfe. Die Erträge wurden zum Teil eigenverantwortlich verschifft bzw. überwiesen und kamen Dutzenden Einzelpersonen, Vereinen, Stadtverwaltungen und Waisen- und Krankenhäusern u.a. in Berlin, Dresden, Stuttgart und Kiel zugute. Frieda Schmidt, Zinha Wiengreen, Maria Werner, Annie Gebhardt und 391 | Vgl. DAD, 3. Jg., Nr. 21 (1920), 654; Nr. 24 (1920), 748. Auch in anderen amerikanischen Ländern wie Brasilien und den Vereinigten Staaten sammelten deutsche Vereine nach Kriegsende »Liebesgaben« für Deutschland. 392 | Die untergeordnete Rolle der Frau im öffentlichen bzw. im Vereinsleben deckte sich mit den europäischen Verhältnissen. In Argentinien war diese Position durch die »patria potestad« fixiert. Frauen waren dem Vater bzw. Ehemann in vielerlei Hinsicht weisungsgebunden bzw. mit weniger Rechten ausgestattet (vgl. Sarramone 2009, 60f.). 393 | Vgl. DAD, 3. Jg., Nr. 4 (1920), 118. Eine ähnliche Aktion wurde von argentinischen Frauen organisiert, die zu wohltätigen Zwecken u.a. insgesamt 71 000 Pesos an Geldspenden an den EOK in Berlin bzw. die Erzbischöfe in Köln und Wien überwiesen (vgl. DAD, 3. Jg., Nr. 16 (1920), 490).
218 | KAPITEL III. VEREINSWESEN IN ROSARIO UND ESPERANZA
Maria Schubert wurden 1926 für ihre Arbeit von Hindenburg mit der Rot-KreuzMedaille erster Klasse geehrt.394 Der Erfolg des weiblichen Kriegsengagements sowie die neue öffentliche Präsenz und Anerkennung änderte allerdings wenig an den etablierten Machtstrukturen und den konservativen Rollenvorstellungen im deutschen Vereinswesen Rosarios. In vielen Vereinen blieben den Frauen nach wie vor Zutritt, Mitgliedschaft bzw. Vorstandsposten verwehrt. Die einzige Möglichkeit, diese Barrieren zu umgehen, war die gesellschaftlich akzeptierte Vergemeinschaftung in eigenen Organisationen im kirchlichen oder wohltätigen Bereich. Wenngleich sie damit traditionelle Frauenbilder im Kern bestätigten, steigerten die Frauen auf diese Weise ihre Bedeutung innerhalb des Vereinswesens und ebneten den Weg für eine stärkere und gleichberechtigtere Stellung in der Folgezeit.395 Die mit großem Eifer betriebene Karitas für Deutschland in den 1920er Jahren war, nach der Enttäuschung über den Kriegsausgang, ein wichtiger Anker kollektiver Zugehörigkeit in den deutschen Gemeinschaften Argentiniens. Mit den Spenden für deutsche Kriegs- oder Katastrophenopfer erhielt man eine Verbindung aufrecht, die in ideologischer Hinsicht durch den Zusammenbruch des Kaiserreichs und der Errichtung der Weimarer Republik eigentlich durchtrennt worden war. In Ermangelung anderer Bezugsgrößen wurde die Wohltätigkeit zum Ausgangspunkt eines neuen Nationalismus, wenn auch unter alten Vorzeichen. Als im September 1921 bei der Explosion der BASF-Stickstofffabrik im pfälzischen Oppau über 500 Menschen starben, beschwor die DLPZ in Buenos Aires erneut formelhaft die »Zusammengehörigkeit aller Deutschen in der ganzen Welt« und die Unterstützung für das durch die »Feinde« ohnehin schon geschwächte »Vaterland«. Der Aufruf erbrachte Spenden in Höhe von mehreren Tausend Pesos aus ganz Argentinien, darunter auch Rosario.396 Einen noch wesentlich größeren nationalistischen Widerhall in Argentinien fand die französisch-belgische Besetzung des Ruhrgebiets, die nach Konflikten um die deutschen Reparationszahlungen im Januar 1923 erfolgt war und den Widerstand der Bevölkerung provozierte. Noch im selben Monat wurde im Deut394 | Vgl. für die vorangegangenen beiden Absätze: DLPZ, 55. Jg., Nr. 228 (29. September 1923), 5; Nr. 257 (2. November 1923), 5; Nr. 262 (8. November 1923), 5; Nr. 280 (29. November 1923), 6; Nr. 281 (30. November 1923), 5; 56. Jg., Nr. 77 (1. April 1924), 7; Nr. 247 (18. Oktober 1924), 1; Elsner 1932, 236f. Ausmaße und Verteilungsgrad der Hilfssendungen der Deutschen Frauenhilfe veranschaulicht Dokument D2 im Anhang dieser Arbeit. 395 | Zu einem ähnlichen Befund kommt Kazal in seiner Studie über den »war relief«Aktionismus der deutschen Gemeinschaft in Philadelphia (vgl. Kazal 2004, 158). 396 | Vgl. dazu: DLPZ, 53. Jg., Nr. 225 (25. September 1921), 1; Nr. 244 (18. Oktober 1921), 4.
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schen Klub von Buenos Aires eine Sitzung der »Deutschen und Deutschfreunde« einberufen. Diese beauftragte eine Kommission aus führenden Mitgliedern der »Kolonie« unter dem Ehrenvorsitz des deutschen Gesandten Adolf Pauli mit der Organisation einer landesweiten »Ruhrgebiet-Spende«. In einem ersten Aufruf des Ausschusses in der DLPZ heißt es: »Frankreich hat seinen lange vorbereiteten Plan ausgeführt und das Ruhrgebiet besetzt. Nicht etwa um Sicherheiten für die Eintreibung der Kriegsentschädigung in der Hand zu haben, sondern [um] Deutschland zu vernichten. [. . . ] Deutsche Landsleute, dieser Plan unseres haßerfüllten Nachbars [sic] muß zerschellen. Das ist für uns Alle [sic] eine Lebensfrage. Darum auf zum Widerstand! Helft den Kämpfern im Ruhrgebiet! Helft jenen guten deutschen Männern und Frauen, die aus Liebe zum Vaterlande mutig dem frechen Eindringling trotzen, die stolz sich von dem brutalen Franzosen ins Gefängnis schleppen lassen, denkt an die Frauen und Kinder, an alle jene, die ins Elend kommen, weil sie ihr Vaterland nicht verraten wollen und lieber Hunger und Mißhandlung erleiden, als sich dem Eindringling fügen. Deutsche Frauen und Männer, die Kämpfer im Ruhrgebiete sollen nicht Hunger leiden, darum helft mit vollen Händen. Nicht eine kleine Gabe des Mitleids! Es handelt sich um den letzten Verzweiflungskampf in der Heimat. Verlieren wir das Ruhrkohlengebiet, so ist Deutschland für immer vernichtet.«397
Die Bedienung eingeschliffener Ressentiments und der allgemeine Appell an das auslandsdeutsche Nationalbewusstsein unter dem ausgegebenen Motto »Wer 1914 einmal gab, der gebe heute hundertfach« zeigte auch in diesem Fall Wirkung, sodass sich die »Liebesgabe« für das Ruhrgebiet zur größten Spendenaktion der deutsch-argentinischen Gemeinschaften seit der »Kriegsspende« entwickelte.398 Innerhalb von zwei Wochen waren im ganzen Land von deutschen Vereinen und Privatpersonen sowie von Unternehmen, Restaurants, Hotels und Geschäften mit deutschem Hintergrund über 500 Sammellisten in Umlauf gebracht worden, die einen Betrag von mehr als 465 000 Pesos einbrachten. Bis September 1923 war die Zahl der Listen auf mindestens 728 und der Gesamtertrag auf über 695 000 Pesos angewachsen.399 397 | DLPZ, 55. Jg., Nr. 20 (25. Januar 1923), 1. 398 | Saint Sauveur-Henn sieht in der Ruhrgebietsspende die letzte große gemeinsame Aktion der deutschen Gemeinschaften in Argentinien (vgl. Saint Sauveur-Henn 2010, 40). 399 | Vgl. für die vorangegangenen beiden Absätze: DLPZ, 55. Jg., Nr. 18 (23. Januar 1923), 1; Nr. 19 (24. Januar 1923), 1; Nr. 20 (25. Januar 1923), 1; Nr. 30 (6. Februar 1923), 8; Nr. 181 (5. August 1923), 3; Nr. 206 (4. September 1923), 1. In Brasilien, Mexiko,
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In den deutschen »Kolonien« von Rosario und Esperanza erfuhr die Ruhrgebietsspende ebenfalls großen Zuspruch durch Vereine, Firmen und Ladengeschäfte. In Rosario lagen die Listen u.a. in der Germanisch-Republikanischen Vereinigung, dem Deutschen Hilfsverein, dem Frauenhilfsverein »Auxilio« und der Ortsgruppe des DVA aus. Darüber hinaus sammelten das Hotel »Hansa«, das Restaurant »Braustübl«, das deutsche Konsulat, die Deutsche Überseeische Bank sowie die Firmen Staudt y Cía. und Lufft y Corrales Spenden ein. Bis Ende März 1923 konnten rund 12 400 Pesos an den Zentralausschuss in Buenos Aires überwiesen werden. Die größte Vereinsspende steuerte der Deutsche Verein mit 4534 Pesos bei. In Esperanza kam eine vom Pastor der Evangelischen Kirchgemeinde, Karl Rohloff, und dem Deutschen Verein in Esperanza organisierte Stadtsammlung bis Mitte März auf 2719 Pesos. Auch hier war der lokale Deutsche Verein mit 1000 Pesos der größte Spender.400 Ebenso wie vor und während des Ersten Weltkrieges, hatten in den 1920er Jahren vor allem äußere Einflüsse im deutschen Vereinswesen zu einer verstärkten Mobilisierung und einem Prozess der kontinuierlichen nationalen und ethnischen Selbstvergewisserung geführt. Die reflexartige Solidaritätsbewegung für Deutschland mit ihrem nationalistischen Impetus war dabei nur ein Teilaspekt einer umfassenderen gemeinschaftlichen Anpassung an die veränderte politische Lage in Übersee. Im Zuge dieser Entwicklung kamen auch die Gegensätze zwischen konservativen und liberalen Kräften, die während des Krieges vorübergehend beigelegt worden waren, wieder offen zum Ausbruch. Die Anhänger der Monarchie und der Republik standen sich in den »Kolonien« nun zunehmend unversöhnlich gegenüber. Seinen vorläufigen Höhepunkt erreichte dieser Konflikt in den Auseinandersetzungen über die »Flaggenfrage«. Die Reorganisation der Konservativen in der Hauptstadt setzte bereits kurz nach Kriegsende ein. Als Ausgangspunkte dienten ihnen, wie schon in den Jahren zuvor, maßgebliche Teile des deutschen Vereinswesens: der Deutsche Klub, der Deutsche Volksbund für Argentinien oder der Kriegerverein in Buenos Aires. Dort wurden die Kriegsfolgen und die politische Umwälzung in Deutschland diskutiert und neue Strategien für die Erhalt des »Deutschtums« in Argentinien erarbeitet. Als kleinster gemeinsamer Nenner dieser Strömung innerhalb der deutschen Gemeinschaft etablierte sich bald die Ablehnung der Weimarer Re-
Chile und anderen lateinamerikanischen Ländern wurden ebenfalls »Ruhrspenden« organisiert, die im Ganzen einen Betrag von 220 Mrd. Mark ergaben (vgl. DLPZ, 55. Jg., Nr. 206 (4. September 1923), 1). 400 | Vgl. für die vorangegangenen beiden Absätze: Elsner 1932, 250; DLPZ, 55. Jg., Nr. 51 (3. März 1923), 4f.; Nr. 53 (6. März 1923), 5; Nr. 58 (11. März 1923), 5; Nr. 59 (13. März 1923), 5; Nr. 61 (15. März 1923), 5; Nr. 73 (29. März 1923), 5; Nr. 150 (29. Juni 1923), 5.
4. IDENTITÄTEN UND IHRE (RE-)KONSTRUKTION | 221
publik und der von den Alliierten erhobenen Entschädigungsforderungen.401 In der Konsequenz bedeutete dies die Rekonstruktion einer Scheinkontinuität zum Kaiserreich, die sich im Vereinswesen vor allem im Rückgriff auf traditionelle Diskurse, Symbole und Feste aus dieser Zeit erschöpfte. In Buenos Aires wurden in vielen Vereinen auch nach der Entmachtung Wilhelms II. und bis weit in die 1920er Jahre hinein demonstrativ Kaisergeburtstage gefeiert, wenn auch in bescheidenerem Rahmen. Daneben kam aus dem konservativen Milieu der Anstoß zu den »Deutschen Tagen«, den großen jährlichen Feierlichkeiten zum Gründungstag des Deutschen Reichs, die neben den nach wie vor stattfindenden Hindenburg- und Bismarck-Feiern zu den wichtigsten Bestandteilen der nationalen Festkultur der Vereine zählten. Unterstützung erfuhren die Vereine durch die Deutsche La Plata-Zeitung, die den konservativen Diskurs befeuerte und damit in einen bisweilen verbittert geführten Widerstreit mit dem liberalen Argentinischen Tageblatt trat. Die Verherrlichung von Kaiser und Monarchie und die provokative Zurschaustellung der alten Reichsfarben Schwarz-Weiß-Rot gehörten bei diesen Gelegenheiten zum Standardrepertoire.402 Insbesondere die schwarz-weiß-rote Reichsflagge wurde nach dem Krieg zum Symbol der konservativen Opposition gegen die politischen Veränderungen in Deutschland. Als Sinnbild der Einheit und wirtschaftlichen und politischen Stärke des Deutschen Reichs genoss sie allgemeine Verehrung und Anerkennung und war in den deutschen »Kolonien« zum wichtigen Element der nationalen Identifizierung geworden. Nachdem in Deutschland Schwarz-Rot-Gold 1919 unter heftigen Protesten aus dem monarchistischen Lager zur neuen Nationalflagge der Weimarer Republik erhoben worden war und nur noch die Handelsflagge die alten Farben aufwies, regte sich auch in den auslandsdeutschen Gemeinschaften zunehmender Widerstand.403 Der konservative Teil des deutschen Vereinswesens in Buenos Aires gehörte zu den Antreibern des »Flaggenstreits«. Mehrere Vereinsinitiativen wandten sich mit Aufrufen und Protestnoten an die deutsche Regierung und die »Kolo401 | Saint Sauveur-Henn geht sogar davon aus, dass die »Mehrheit der Deutschen in Argentinien« gegen die deutsche Republik und die Bestimmungen des Versailler Vertrages eingestellt waren (vgl. Saint Sauveur-Henn 2010, 40; vgl. auch: Rinke 1996a, 368). Die unbestimmte Quellenlage und die in Kapitel I, 2 angestellten Vorüberlegungen zur Frage der Repräsentativität in Einwanderergemeinschaften schränken die Gültigkeit solch allgemeiner Schlüsse jedoch ein. 402 | Vgl. für diesen Absatz: PA AA Buenos Aires 25, ohne BN; DLPZ, 53. Jg., Nr. 23 (28. Januar 1921), 4; 54. Jg., Nr. 8 (10. Januar 1922), 1; Nr. 10 (12. Januar 1922), 5; Saint Sauveur-Henn 2010, 41; Ismar 2006, 54f. 403 | In Chile, Paraguay, Brasilien, Mexiko, u.a. waren ähnliche Konflikte zu beobachten (vgl. Rinke 1996a, 384f.).
222 | KAPITEL III. VEREINSWESEN IN ROSARIO UND ESPERANZA
nien« in Argentinien, um eine Bewahrung der alten Reichsfarben zu erwirken. Zudem weigerten sich noch bis in die zweite Hälfte der 1920er Jahre hinein viele der Vereine, eine andere als die schwarz-weiß-rote Flagge bei internen Feiern und zu offiziellen Festanlässen zu gebrauchen. Die deutsche Gesandtschaft in Buenos Aires und das Auswärtige Amt in Berlin registrierten diese, streng genommen, verfassungsfeindliche Haltung und versuchten, indirekt Einfluss auf die Gemeinschaft zu nehmen. Schlussendlich waren sie aber lange nicht in der Lage, den öffentlichen Gebrauch der alten Farben zu unterbinden.404 Auf welch emotionale Weise die »Flaggenfrage« in Buenos Aires diskutiert wurde, illustriert ein Bericht des Gesandten Pauli an das AA vom 18. Juli 1920: »Nach vertraulichen Mitteilungen befreundeter Mitglieder der Kolonie haben [. . . ] sonst ganz vernünftige Leute schon erklärt, dass wenn der neue Geschäftsträger zum 9. Juli [dem argentinischen Unabhängigkeitstag, Anm. d. Verf.] die Schwarz-Rot-Goldene Flagge auf der Gesandtschaft hisst, sie sich aus dem Reichsverband lossagen und die argentinische Staatsangehörigkeit annehmen würden; ein anderes ultrareaktionäres Mitglied der Kolonie liess [sic] mir indirekt sagen, ich würde nach Hissen der SchwarzRot-Goldenen Flagge nicht mehr in seinem Hause verkehren dürfen.«405
Im selben Schreiben appellierte Pauli daher an die Regierung, die neuen Fahnen, deren Eintreffen sich verspätet hatte, »auf das Dringendste« nach Argentinien zu senden, um trotz »Beschimpfungen [. . . ] von rechtsstehender Seite« verfassungsgemäß flaggen zu können. Die bereits zu diesem Zeitpunkt aufgeladene Situation eskalierte im September 1922 anlässlich der Einweihung eines Denkmals für die gefallenen Soldaten aus den Reihen der deutschen Gemeinschaft auf dem protestantischen Friedhof in Buenos Aires. Ein Mitglied des Kriegervereins entfernte während der Feierlichkeiten »gewaltsam« die schwarz-rot-goldene Schleife vom Kranz der Gesandtschaft und sorgte damit für einen Eklat.406 Der Vorfall blieb ohne Konsequenzen und auch Pauli riet im internen Austausch mit den Behörden in Deutschland von einer Strafverfolgung ab, die den Täter zum »Märtyrer« der »extremen rechtsradikalen Kreise« gemacht und die »rechtsradikale Hetze« in der »Kolonie« zusätzlich verschärft hätte.407 404 | Vgl. dazu die Korrespondenz des Gesandten Pauli zur Flaggenfrage: PA AA Buenos Aires 24, ohne BN. 405 | Ebd. 406 | Vgl. zur Geschichte des »Kriegerdenkmals«: Bindernagel 2014, 194-210. 407 | Vgl. PA AA Buenos Aires 24, ohne BN (Brief vom Gesandten Pauli an das AA in Berlin im Oktober 1922). Für die vorangegangenen vier Absätze und weiterführend zur »Flaggenfrage« vgl. zudem: PA AA Buenos Aires 24, ohne BN; Newton 1977, 113f.; Saint Sauveur-Henn 1995, 327; Rinke 1996a, 370; 381-389; Ismar 2006, 54-
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Zwar war Buenos Aires in den 1920er Jahren der wichtigste Schauplatz des konservativ-liberalen Gegensatzes und des »Flaggenstreits« gewesen, die Auseinandersetzungen spiegelten sich aber – mit unterschiedlicher Intensität – auch in den deutschen Gemeinschaften im Landesinnern. Während etwa im santafesinischen Esperanza der Konflikt zwischen Republikanern und Monarchisten nur am Rande eine Rolle spielte, setzte sich die sozial heterogenere deutsche »Kolonie« in Rosario intensiv damit auseinander und geriet darüber an den Rand der Aufspaltung. Ähnlich wie in der Hauptstadt, wurde ein großer Teil des deutschen Vereinswesens in Rosario von konservativen Kräften bestimmt. Die Vereine nahmen folgerichtig fast geschlossen am landesweiten Diskurs gegen die Weimarer Republik und die Versailler Bestimmungen teil. Selbst die sonst kaum öffentlich in Erscheinung tretende Loge »Libertas« verbreitete 1919 zusammen mit Freimaurern aus Buenos Aires einen »Protest der deutschen Johannis-Logen in Argentinien gegen den Gewaltfrieden«.408 Lediglich zwei aus der deutschen Arbeiterschaft Rosarios hervorgegangene Vereine – der Deutsch-Argentinische Schulverein (Barrio Talleres) und die 1922 gegründete Germanisch-Republikanische Vereinigung – setzten einen politischen Kontrapunkt. Vor allem letztere gab sich ein dezidiert demokratisches Programm und trat für Pazifismus und »gegen Rassenhaß« ein.409 Angesichts der gegensätzlichen Vereinspositionen und der gärenden Unzufriedenheit mit der politischen Situation in Deutschland und Europa, die bisweilen radikale diskursive Züge annahmen, bemühten sich angesehene Gemeinschaftsmitglieder wie der deutsche Konsul Emil Werner um Ausgleich und Versöhnung. Dabei stand aber weniger eine politische Annäherung als vielmehr die Bewahrung des Bildes einer geschlossenen deutschen »Kolonie« im Vordergrund. Das Ringen um eine zeitweise einvernehmliche Beilegung des Konflikts wurde etwa bei der Reichsgründungsfeier 1922 deutlich, die als Gemeinschaftsprojekt des deutschen Vereinswesens in Rosario organisiert wurde. Das Volksfest mit Bierzelten und deutschen Trachten auf dem Hof der Deutschen Schule, an 59; Friedrich 2008, 86f.; Bindernagel 2014, 210-213 sowie die Berichterstattung im Argentinischen Tageblatt und der Deutschen La Plata-Zeitung. Erst mit der Flaggenverordnung Reichskanzler Luthers im Mai 1926, die neben Schwarz-Rot-Gold auch die schwarz-weiß-rote Handelsflagge mit der schwarz-rot-goldenen Gösch in den »gesandtschaftlichen und konsularischen Behörden an außereuropäischen Plätzen« zur Vorgabe machte, kam der »Flaggenstreit« zu einem Ende. In den rechten Kreisen der deutsch-argentinischen Gemeinschaften wurde die Verordnung als »Sieg der Auslandsdeutschen« gefeiert (vgl. DLPZ, 58. Jg., Nr. 125 (30. Mai 1926), 13). 408 | Vgl. LPP, 35. Jg., Nr. 1821 (27. Mai 1919), 7. 409 | Vgl. Elsner 1932, 250f.
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dem auch Gäste aus der argentinischen Gesellschaft wie der Bürgermeister Rosarios oder der »Vizegobernador« Santa Fes teilnahmen, wies einen »reichen Flaggenschmuck« mit deutschen und argentinischen Farben auf. Offenbar waren die Veranstalter aber im Vorfeld über die Frage gespalten, welche deutschen Farben am Reichsgründungstag gezeigt werden sollten, SchwarzWeiß-Rot oder Schwarz-Rot-Gold. In einem Zeitungsbericht heißt es: »[Konsul Emil Werner legte, Anm. d. Verf.] besonderen Wert darauf [. . . ], dass alles Trennende und Störende an diesem Abend vermieden und alle Deutschen und Deutschfreunde sich in Frieden und Einigkeit versammeln konnten. [. . . ] Um allen Landsleuten gerecht zu werden und um kein Parteigezänk aufkommen zu lassen wurden beide Flaggen gehisst, so dass der Festabend einen glänzenden und ungestörten Verlauf nahm.«410
Die folgenden deutschen und spanischen Ansprachen aus der »Kolonie« auf das »Wiederaufleben und Wiederauferstehen des Deutschen Reiches« oder die gastfreundliche argentinische Nation erweckten tatsächlich zunächst den Eindruck allgemeiner Übereinstimmung. Aus der anschließenden, euphorisch aufgenommen deutschen Festrede Pastor Gebhardts, einem der führenden deutschen Konservativen, klang jedoch deutlich die nach wie vor gegenwärtige Enttäuschung und Verbitterung heraus, die unausgesprochen über dem gesamten Fest lag: »Eine rechte Festfreude kann ja freilich noch nicht aufkommen. Denn zu allem Schweren, das unser Volk hat durchmachen müssen im Krieg, kommt der dauernde Druck eines unvernünftigen Gewaltfriedens, der anscheinend das Ziel verfolgt, durch Hunger und Kummer weitere Millionen zu töten [. . . ] wir hegen die Hoffnung, dass eines Tages unser jetzt versklavtes Volk aufstehen und seine Freiheit wiedergewinnen wird.«411
Nach dem Dankesgruß an Präsident Irigoyen und das argentinische Volk, die »dem Banditentum des ersten Weltkrieges gewehrt« hätten und denen deshalb »alle deutschen Herzen in Argentinien« entgegenschlügen, fuhr Gebhardt fort: »Mein zweiter Gruss [sic] gilt unserer alten deutschen Reichsfahne Schwarzweiss-rot. 1871 wehten noch viele Fahnen im Deutschen Reich und viele Schlagbäume waren aufgerichtet, den Deutschen zu trennen. Aber wir Aelteren [sic] haben doch erleben dürfen, dass allmählich viele Fahnen hereingeholt wurden, so dass bei unseren Volksfesten drüben zuletzt fast nur noch die Fahne wehte: Schwarz-weiss-rot. [. . . ] Es ging doch vorwärts unter dieser Flagge der Einheit zu. 410 | AT, 34. Jg., Nr. 9915 (21. Januar 1922), 2. 411 | AT, 34. Jg., Nr. 9913 (19. Januar 1922), 2.
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Wir Deutschen im Ausland haben diese Entwicklung schneller begriffen, denn wir sind nie Partikularisten oder Parteipolitiker gewesen. Ob wir aus dem grossen [sic] strammen Preussen [sic], ob aus einem kleinen thüringischen Ländchen, wir waren hier immer nur Deutsche. Und unsere Politik war, ist und wird sein immer nur die, die sich in dem Liede verkörpert: ›Deutschland, Deutschland über alles, über alles in der Welt, wenn es stets zum Schutz und Trutze brüderlich zusammenhält‹. Trotzdem haben wir heute noch eine andere Fahne aufgerichtet an [sic] unserer gemeinsamen Feier, weil wir [. . . ] allen Wünschen gerecht werden wollten. Und wenn ich nun auch die neue Fahne des Deutschen Reiches grüsse [sic], so kann keiner erwarten, dass ich das mit Begeisterung tue. Wir Auslandsdeutschen sind ja über den Fahnenwechsel nicht befragt worden. Wir hätten dagegen gestimmt. Uns wäre es lieber gewesen, wenn wir nur die eine ruhmgekrönte Fahne als einziges Wahrzeichen unserer Einheit uns erhalten hätten. Aber ich grüsse [sic] die neue Fahne mit der Achtung, die auch der Auslandsdeutsche einem Mehrheitsbeschlusse unseres gequälten Volkes entgegenbringen muss.«412
Im gleichen Atemzug mit der widerwilligen Anerkennung von Schwarz-RotGold erfolgte ihre konservative Vereinnahmung als »Zeichen des Protests« gegen Gebietsabtrennungen und »Beraubung friedlicher Deutscher in allen Weltteilen«. In Anlehnung an ihre Bedeutung während der deutschen Befreiungskriege, konnten die Farben nun von der Rechten zum Symbol gegen Unterdrückung und Fremdbestimmung umgedeutet werden. Gebhardt hatte das erkannt und war der Überzeugung, dass der Streit um die Fahne nicht von Bedeutung sei und zugunsten deutscher »Brüderlichkeit« beigelegt werden sollte, denn: »Es kommt nicht auf die Fahne an, sondern auf das, was wir bei unseren Fahnen denken.«413 Mit dieser Episode war der »Flaggenstreit« in Rosario jedoch nicht beendet. Er blieb noch mehr als ein Jahrzehnt ein stiller Begleiter des deutschen Vereinswesens. Erich Elsner bemerkte 1932: »Mit ganz besonderer Erbitterung wurde hier außer den Umwälzungen innerhalb des Reiches der Flaggenwechsel aufgenommen, mit dem sich die alte Kolonie bis heute noch nicht abgefunden hat.«414 Als Schwarz-Weiß-Rot nach 1933 unter nationalsozialistischer Ägide eine erneute Konjunktur erlebte und die Vereine den neuen »Führer« Deutschlands freudig begrüßten, wurde deutlich, dass in Argentinien die Sehnsucht nach den alten Farben und damit nach der alten Stärke und »Weltgeltung« des Reiches immer lebendig geblieben war. 412 | Ebd. 413 | Vgl. für diesen Absatz: Ebd. 414 | Elsner 1932, 128.
IV Deutsche Schulen »Vor allem laßt uns hier, im fremden Land nach allen Kräften unser Deutschtum wahren. Die deutsche Sprache, Sitte, deutsche Art, vergeßt sie nicht und lehrt sie euren Kindern; und lehrt sie deutsche Ehrlichkeit und Treu’, auf daß sie g u t e Argentinier werden, die ihrem Vaterland dereinst von Nutzen sind.« — Georg Marx aus Rosario, 18981
1 Nation, Einwanderung und Bildung2 Seit Ende des 18. Jahrhunderts wurden in Argentinien die politischen Weichen für ein modernes Bildungswesen gestellt. Unter dem Einfluss europäischer und nordamerikanischer Vorbilder, erarbeiteten Politiker wie Domingo Faustino Sarmiento oder Juan Bautista Alberdi eigene Bildungskonzepte, die nach dem Ende der Rosas-Diktatur 1852 in die Tat umgesetzt werden konnten. Bildung wurde in den folgenden Jahrzehnten zu einem wichtigen Baustein der liberalen Modernisierungsstrategie Argentiniens und sollte, im Einklang mit der neuen Verfassung, nicht nur das Fundament für den wirtschaftlichen und zivilisatorischen Fortschritt des Landes bereiten, sondern durch möglichst flächendeckende Organisationsstrukturen und patriotische Lehrinhalte auch zur Herausbildung eines nationalen Bewusstseins in der Bevölkerung beitragen.3 Der Zentralisierung und Vereinheitlichung des Bildungswesens standen allerdings erhebliche Entwicklungshindernisse entgegen. Die große territoriale Ausdehnung und die unterentwickelte Infrastruktur Argentiniens erschwerten die Durchsetzung nationaler Vorhaben und eine gleichmäßige schulische Versorgung. Dieses Problem verschärfte sich mit der anlaufenden europäischen 1 | DLPZ, 30. Jg, Nr. 184 (10. August 1898), 1. Aus einer Rede anlässlich der BismarckTrauerfeier in Rosario im August 1898. Marx war u.a. Mitglied im Deutschen Verein, in der Deutschen Evangelischen Gemeinde und der Deutschen Armenpflege. Hervorhebungen im Original. 2 | Die argentinische Hochschulpolitik wird an dieser Stelle weitgehend ausgespart, da sie für die Entwicklung des deutschen Schulwesens nur eine untergeordnete Rolle spielte. 3 | Vgl. für diesen Absatz: Tedesco 2009, 23-28; 61f.; Germani 1994, 37; Sarramone 1999, 176; Caruso 2004, 288f.; Buchbinder 2011, 43; 45; 48.
228 | KAPITEL IV. DEUTSCHE SCHULEN
Masseneinwanderung, die das argentinische Bildungssystem mit Sprachbarrieren und schulischen Parallelstrukturen vor gänzlich neue Herausforderungen stellte. In der agrarisch geprägten Wirtschaft des Landes galt zudem die Arbeitskraft der Kinder häufig mehr als ihre Schulbildung, was die Hebung des Schulbesuchs und der Alphabetisierungsrate behinderte.4 Trotz deutlicher Fortschritte nahm noch Anfang der 1880er Jahre im Landesdurchschnitt nur knapp ein Drittel der »población escolar« am Unterricht teil, in einigen Provinzen waren es sogar unter 10 Prozent. Die Zahl der Analphabeten innerhalb dieser Gruppe betrug hingegen zwischen rund 30 und über 50 Prozent.5 Die zunächst vor allem auf Elitenförderung ausgerichtete argentinische Bildungspolitik war nicht dazu angetan, die Situation zu verbessern. Anstatt sich auf den Ausbau dringend benötigter Grund- und Berufsschulen im Landesinnern zu konzentrieren, richtete die Regierung in den 1860er Jahren Sekundarschulen, die »colegios nacionales«, ein, um die künftige Führungsschicht auf das Universitätsstudium vorzubereiten. Auch die Gründung des Consejo Nacional de Educación (CNE), einer zentralen Schulbehörde, Anfang der 1880er Jahre änderte wenig am Primat humanistischer Bildung und der Benachteiligung praktischer und naturwissenschaftlicher Zweige. Sein Einflussbereich beschränkte sich zudem zunächst nur auf die Hauptstadt und die Nationalterritorien, die Provinzen waren gemäß der Verfassung bei der »enseñanza primaria« weiterhin eigenständig.6 Ungeachtet der Auseinandersetzungen zwischen Anhängern der Volks- und der Elitenbildung, brachte die argentinische Politik 1884 mit der Ley No 1420 de Educación Común eine der wichtigsten Bildungsreformen dieser Zeit auf den Weg, die bis weit in das 20. Jahrhundert hinein maßgeblich bleiben sollte. Nach dem Gesetz war der Besuch einer staatlichen, nach säkularen Prinzipien organisierten Primarschule für jedes Kind kostenfrei und obligatorisch. Neben weiteren Artikeln über einheitliche Lehrinhalte, Schulfinanzierung und staatli4 | Kinderarbeit blieb in Argentinien im 19. Jahrhundert ohne gesetzliche Regelung und war, nach Einschätzung des Vorsitzenden des nationalen Erziehungsrates Gutiérrez, einer der Hauptgründe für die stockende Durchsetzung der Schulpflicht (vgl. EGB, 2. Jg., Nr. 76 (o.Dat.; 1896/97), 514f.). Vgl. auch Quellenauszüge bei: Ensinck 1979, 139f. 5 | Vgl. zu diesen Zahlen den argentinischen »Censo Escolar Nacional« 1883/84: Resúmenes Generales [...] 1884, IX; XI. Die Analphabetenstatistik wurde bereits von denjenigen Teilen der Schulbevölkerung bereinigt, die zu diesem Zeitpunkt noch nicht lesen und schreiben können mussten. Eine Ausnahme bildete die Hauptstadt Buenos Aires, wo etwa 60 Prozent der Kinder im schulfähigen Alter den Unterricht besuchten und nur 1,3 Prozent davon Analphabeten waren. 6 | Vgl. für diesen Absatz: Tedesco 2009, 64-67; 73; Caruso 2004, 289-291; Bertoni 2001, 42.
1. NATION, EINWANDERUNG UND BILDUNG | 229
che Kontrollmöglichkeiten durch Behörden wie den CNE regelte die Ley 1420 außerdem das Privatschulwesen, dem auch die Einwandererschulen zugerechnet wurden. Dem Grundsatz der »libertad de enseñanza« folgend, waren private Schulen zulässig, sofern sie den gesetzlichen Mindestanforderungen an die Ausbildung des Lehrpersonals, die Schulausstattung und die obligatorischen Lehrinhalte genügten und staatliche Kontrollen zuließen. Abgesehen von diesen Einschränkungen, genossen die »escuelas particulares« einen relativ großen Gestaltungsspielraum, sowohl hinsichtlich ihrer äußeren Form als auch ihrer Curricula. Die Provinzen folgten den Bestimmungen der Ley 1420 in weiten Teilen.7 Die ebenfalls in den 1880er Jahren einsetzende europäische Massenimmigration wurde bald zu einem bestimmenden Faktor des argentinischen Bildungsdiskurses. Die Präsenz und der zunehmende Organisationsgrad der Einwanderer schürten Ängste vor Machtverlust, kultureller Überfremdung und nationalem Verfall innerhalb der argentinischen Elite. Als ein mögliches Gegenmittel wurde die »Argentinisierung« der Bevölkerung mit Hilfe der patriotischen Bildung ausgemacht.8 Zwar war ein Großteil der Einwanderer bereits jenseits des schulfähigen Alters, ihre Nachkommen jedoch sollten möglichst früh an die argentinische Nation gebunden werden – auch weil der Staat in den Gemeinschaften zunehmend mit dem boomenden ethnischen Vereinswesen in Konkurrenz um die nationale Deutungshoheit treten musste.9 Zu den Maßnahmen dieser staatlich gelenkten Identitätskampagne zählten u.a. Modifikationen des Lehrplans, die die nationale Geschichtsschreibung und den staatsbürgerlichen Unterricht in den Mittelpunkt rückten. Außerdem wurden die Schulkinder durch patriotische Lieder, den Flaggenkult und die aktive Beteiligung an den Nationalfeiertagen in die nationale Festkultur integriert. Die Inhalte dieser »educación nacional« waren fester Bestandteil des staatlichen
7 | Vgl. die detaillierten Bestimmungen des Gesetzes: Campobassi 1985, 48-79. Vgl. weiterhin für die vorangegangenen beiden Absätze: López Barrios 2008, 146f.; Tedesco 2009, 90f; 128.; Caruso 2004, 291. 8 | Vgl. dazu und zu weiteren Initiativen in dieser Richtung: Kapitel II, 3.4.1 und 3.4.2 dieser Arbeit. 9 | Als Gefahr für den jungen argentinischen Nationalstaat wurde vor allem die sozialistische und teils anarchistische Arbeiterbewegung begriffen, die sich unter dem Einfluss der europäischen Einwanderung organisierte (vgl. García Fanlo 2010, 45; 142). Auf der anderen Seite des politischen Spektrums fanden sich konservative Einwanderervereine, die das argentinische Nationalisierungsprojekt mit einem eigenen Nationaldiskurs indirekt herausforderten (vgl. Kapitel II, 3.4.3 sowie die Kapitel III, 4.3 und 4.4 der vorliegenden Arbeit).
230 | KAPITEL IV. DEUTSCHE SCHULEN
Schulprogramms und wurden seit Ende des 19. Jahrhunderts zunehmend in die Privatschulen der Einwanderer getragen.10 Die umfangreichen staatlichen Bemühungen um eine »Argentinisierung« des Schulwesens dürfen aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass das gesamte argentinische Bildungssystem in hohem Maße von der Immigration und anderen externen Impulsen abhing. Kamen bereits die Einflüsse für dessen Umgestaltung aus Europa und Nordamerika, trugen Einwanderer dieser Provenienz auch wesentlich zur Umsetzung der Reformen bei. Mitte der 1880er Jahre stammten rund ein Drittel aller Lehrer an Grundschulen, »colegios nacionales« und »escuelas normales« aus dem Ausland.11 Im Hoch- und Berufsschulbereich war es häufig sogar unerlässlich, Ingenieure und Vertreter anderer technischer Berufe als Immigranten zu gewinnen, da diese Ausbildungszweige in Argentinien bis Ende des 19. Jahrhunderts kaum angeboten wurden.12 In der argentinischen Peripherie wiederum schlossen Einwandererinitiativen vielerorts die Lücken bei der staatlichen Schulversorgung und stellten zumindest die Grundschulbildung ihrer Kinder durch kollektiv finanzierte Privateinrichtungen sicher. Selbst bei der Instruktion des argentinischen Lehrpersonals, das als künftiger Vermittler der »educación nacional« einen Eckpfeiler der Reformbestrebungen bildete, war man auf professionelle Unterstützung aus dem Ausland angewiesen. Nachdem seit den 1870er Jahren – auch unter Beteiligung immigrierter Pädagogen – im ganzen Land Dutzende »escuelas normales« eröffnet worden waren, um die bis dahin mangelhafte Ausbildung von Grundschullehrern zu verbessern, widmete sich die Politik nach 1900 verstärkt dem Sekundarschulwesen. Dort hatten unzureichende Lehrpläne und der weit verbreitete Einsatz fachlich und pädagogisch ungeschulter Akademiker eine Neuordnung notwendig erscheinen lassen.13
10 | Vgl. für die vorangegangenen beiden Absätze: Tedesco 2009, 108-112; Bertoni 2001, 45; 67; 91f.; 115; 119; Devoto 1999, 48f.; López Barrios 2008, 146f. Für Inhalt und Charakter argentinischer Geschichtsbücher für das Primarschulwesen vgl.: Braslavsky 1994. Zu den entscheidenden Vordenkern der »educación nacional« gehörte der Politiker José María Ramos Mejía, späterer Präsident des CNE (vgl. Senkman 1994, 104f.). 11 | Vgl. Tedesco 2009, 115. 12 | Vgl. ebd., 52f.; 55. Statistischen Auswertungen bei Tedesco zufolge beschränkten sich die argentinischen Universitäten hauptsächlich auf medizinische und rechtswissenschaftliche Fakultäten. Der Anteil der »Ciencias Físico-Matemáticas« blieb vergleichsweise gering. Für den Einfluss deutscher Naturwissenschaftler in Argentinien vgl. auch: Pyenson 1985. 13 | Vgl. für diesen Absatz: BArch R 901/38638, Bl. 5-8; Bujaldón de Esteves 2008, 159-161; Tedesco 2009, 143; Gabert 1908, 17.
2. ENTWICKLUNG DES DEUTSCHSPRACHIGEN SCHULWESENS | 231
Ersten Sondierungen in Europa folgte der Plan eines eigenen staatlichen Lehrerseminars nach preußischem Vorbild, der von Unterrichtsminister Juan R. Fernández und von Innenminister Joaquín V. González vorangetrieben wurde. Eine Anfrage der argentinischen Regierung, die über das AA Anfang Mai 1903 den preußischen »Minister der geistlichen, Unterrichts- und MedizinalAngelegenheiten« erreichte und die Bitte um Entsendung von sechs deutschen Lehrern zur Bildung eines »pädagogischen Seminars« in Buenos Aires zum Inhalt hatte, erhielt einen positiven Bescheid. Im Dezember des Jahres unterschrieben die ersten sechs Oberlehrer ihre Verträge, darunter auch Dr. Wilhelm Keiper, der den pädagogischen und philosophischen Unterricht übernahm und später eine herausragende Rolle im deutschen Schul- und Vereinswesen von Buenos Aires spielen sollte. Das 1904 eröffnete Seminar wurde noch im selben Jahr zum Instituto Nacional del Profesorado Secundario (INPS) unter der Leitung Keipers erweitert.14
2 Entwicklung des deutschsprachigen Schulwesens in Argentinien15 Das bis in das 20. Jahrhundert hinein nicht vollständig ausgeformte und in vielen Belangen noch lückenhafte argentinische Bildungswesen begünstigte private Schulinitiativen der Einwanderer. Für beinahe alle größere Gemeinschaften lassen sich – vor allem in Großstädten wie Buenos Aires und Rosario – Eigengründungen aus dem kirchlich-religiösen oder dem ethnischen Vereinsumfeld belegen.16 Neben englischen und französischen gehörten deutsche Schulen zu den ersten privaten Lehranstalten europäischer Einwanderer im Land. Das deutschsprachige Schulwesen erreichte in der Folgezeit, speziell im Grund- aber auch im Mittelschulbereich, eine besondere Qualität, Ausdehnung und Vernetzung.17 14 | Vgl. für diesen Absatz: BArch R 901/38638, Bl. 108; 162; Pyenson 1985, 147f.; Bujaldón de Estevez 2008, 162; Koch 1968, 321; Keiper 1943b, 457-463. Der INPS engagierte bis 1909 noch weitere preußische Oberlehrer. Die Dominanz deutscher Lehrkräfte am Institut endete 1917 als viele der auslaufenden Verträge nicht erneuert wurden. 15 | Es sollen an dieser Stelle nur einige Schlaglichter auf das Thema geworfen werden, die für das Verständnis der folgenden Fallstudie aus der Provinz Santa Fe von Bedeutung sind. Eine umfassende wissenschaftliche Darstellung der deutschen Schulentwicklung in Argentinien steht noch aus. 16 | Weitere Schulformen wie die klassische Privatschule ohne kirchlichen oder Vereinsbezug oder die sogenannte »Familienschule« sollen an dieser Stelle ausgeklammert werden. Zwar sind für Santa Fe und andere Provinzen zahlreiche dieser meist kleineren Einrichtungen belegt, doch haben sie kaum Zeugnisse hinterlassen. 17 | In der »enseñanza primaria« konnte das Privatschulwesen auf Dauer allerdings nicht mit den kostenlosen staatlichen Schulen konkurrieren. Der Anteil an den Einschrei-
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Die Beweggründe deutscher Einwanderer, die Bildung und Erziehung ihrer Kinder selbstständig zu organisieren, lassen sich zu einigen, immer wiederkehrenden Hauptmotiven verdichten. Auf der einen Seite wurden die gemeinschaftlichen Diskurse durchgehend von der Sorge um Erhaltung und Verbreitung des »Deutschtums« bestimmt. Den Nachkommen sollte »in der Fremde« nicht nur die Muttersprache ihrer Eltern, sondern auch deutsche Kultur, Bräuche und Werte vermittelt werden. Im Hintergrund schwang dabei stets die der nationalen Bewegung in Deutschland entsprungene Gewissheit mit, »Träger einer höheren Kultur« zu sein, die man keinesfalls gegen die des Gastlandes eintauschen dürfe.18 In enger Verbindung mit dieser Argumentation stand die immer wieder artikulierte Unzufriedenheit mit dem argentinischen Schulwesen, das im Hinblick auf pädagogische Methoden, Lehrerausbildung, Lehrmaterialien, etc. weit hinter dem deutschen Pendant zurückstünde.19 Der Schweizer Peter Dürst, der viele Jahre als Grundschullehrer in der Provinz Santa Fe arbeitete, schrieb dazu in seinen Memoiren: »Große Schwierigkeiten bot der Mangel an einer brauchbaren spanischen Fibel. In den Regierungsschulen fühlte man die Unbrauchbarkeit der Lehrmittel nicht so sehr, denn da war das Auswendiglernen an der Tagesordnung. Ein Schüler konnte z.B. grammatische Regeln hersagen wie am Schnürchen, aber eine Zeile zu lesen war er nicht imstande.«20
Auf dem sogenannten »Kamp«, den ländlichen Gegenden des argentinischen Hinterlandes, die ab Mitte des 19. Jahrhunderts von europäischen Siedlern bevölkert wurden, trat schließlich als drittes Motiv zur Gründung eigener Bildungseinrichtungen die notorische schulische Unterversorgung hinzu.21 bungen ging bis Anfang des 20. Jahrhunderts deutlich zurück (vgl. Tedesco 2009, 104). 18 | Vgl. zum »Deutschtums«-Begriff ausführlicher: Kapitel II, 2 sowie Kapitel III, 4.2 dieser Arbeit. 19 | Vgl. für eine Analyse des argentinischen Schulwesens aus deutscher Sicht: Gabert 1908. Reinhold Gabert wirkte u.a. als Lehrer und Rektor an deutschen Schulen in Rosario und Buenos Aires. Seine Dissertation »Das deutsche Bildungswesen in Argentinien und seine Organisation« gibt die ablehnende Haltung von wesentlichen Teilen der deutschen Gemeinschaften gegenüber den staatlichen Schulen, die sie sich im Laufe des 19. Jahrhunderts diskursiv verfestigte, stellvertretend wieder. 20 | Dürst 1913, 84. 21 | Blancpain zeigt, dass die Motive für deutsche Schulgründungen in Chile bzw. in ganz Südamerika ähnlich gelagert waren (vgl. Blancpain 1974, 583; Blancpain 1994, 213). In ihrer Studie über deutsche Einwanderer in den USA kommt Christiane Harzig zu fast identischen Ergebnissen und bezeichnet die Einwandererschulen darüber hinaus als zentrale Bausteine einer »ethnischen Stadtkultur« (vgl. Harzig 1992, 168).
2. ENTWICKLUNG DES DEUTSCHSPRACHIGEN SCHULWESENS | 233
Als erste deutsche Schule Argentiniens und ganz Südamerikas wurde im November 1843 die Evangelische Gemeindeschule in Buenos Aires ins Leben gerufen.22 Die behördliche Genehmigung für die Einrichtung wurde unter der Bedingung erteilt, dass in ihr ausschließlich deutsche Kinder in deutscher oder englischer Sprache unterrichtet werden sollten. In den Anfangsjahren übernahm Gemeindepfarrer Siegel die Direktion und fungierte zunächst als einziger Lehrer, bevor die Grundschule weiteres Lehrpersonal aus Deutschland einstellte. Nachdem die Aufnahmebeschränkungen aufgehoben worden waren, erreichte sie Mitte der 1880er Jahre mit einem Bestand von über 300 Schülern ihren Höhepunkt.23 Diese vorgelagerte Episode deutscher Schultätigkeit in Argentinien, die sich im Wesentlichen auf die Handelsaktivitäten deutscher Kaufleute in Buenos Aires zurückführen lässt, fand in anderen Landesteilen erst mit der verstärkten europäischen Einwanderung seit Mitte der 1850er Jahre ihre Fortsetzung. Die Provinz Santa Fe, Versuchsstätte staatlich gelenkter Agrarkolonisierung und Ziel der ersten größeren deutschen und schweizerischen Siedlungswanderung, wurde folgerichtig zum neuen Schauplatz privater Bildungsinitiativen. Weitere deutschsprachige Schulen entstanden in den 1860er und 1870er Jahren schwerpunktmäßig im Gebiet des später eingerichteten Departements »Las Colonias« und der Kolonien an der Eisenbahnstrecke der F.C.C.A., u.a. in den Ortschaften Esperanza, San Carlos, Roldán-Bernstadt und San Gerónimo24 .25 Die europäische Masseneinwanderung und die verstärkten Handelsbeziehungen mit Deutschland nach Reichsgründung bewirkten im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts eine Vermehrung bzw. Stärkung der deutschen »Kolonien« in Argentinien und eine erhebliche Ausweitung des deutschen Schulwesens 22 | Es folgten die evangelische Gemeindeschule in Montevideo 1846/47 und die deutsche Schule im chilenischen Osorno 1854. In Brasilien dehnte sich das deutsche Schulwesen verstärkt seit den 1860er Jahren aus (vgl. Amrhein 1905, 68-85; Wilfert 1924, 38f.; Blancpain 1974, 585; Nelke 1921, 232; Kreutz 2000, 23-36). 23 | Vgl. für diesen Absatz: Saint Sauveur-Henn 1995, 65; 330; Lange 1973, 40; 47; Lütge et al. 1981, 148. 24 | Es existieren in Santa Fe mehrere Orte mit dem Namen San Gerónimo bzw. San Jerónimo, die in den Quellen häufig nicht sauber voneinander getrennt werden. »San Gerónimo« ist eine nahe Roldán gelegene, vor allem von Schweizern besiedelte »Zentralbahnkolonie«. Im Verwaltungsbezirk »Las Colonias«, unweit von Esperanza, liegen darüber hinaus »San Gerónimo del Sauce«, heute San Jerónimo del Sauce, und die ebenfalls schweizerisch geprägte Ortschaft »San Gerónimo [Norte]«, heute San Jerónimo Norte. 25 | Die genauen Gründungsdaten der Einrichtungen sind zum Teil widersprüchlich überliefert: San Carlos (1865 und/oder 1870), San Gerónimo (1873 oder 1886), RoldánBernstadt (1870 oder 1876), Esperanza (1856/57) (vgl. EGB, 14. Jg., Nr. 48 (25. November 1908), 567; Amrhein 1905, 72; Gabert 1908, 19f.; Dürst 1913, 48f.; Wilfert 1924, 38f.)
234 | KAPITEL IV. DEUTSCHE SCHULEN
in Provinzen wie Buenos Aires, Santa Fe, Entre Ríos oder Córdoba sowie im Stadtzentrum und den Vororten von Buenos Aires. Mehrheitlich handelte es sich dabei um vereinsmäßig organisierte, säkulare Primarschulen mit deutschem oder schweizerischem Lehrpersonal.26 Vor allem in Buenos Aires konnte sich nach der Jahrhundertwende aber auch ein deutsches Mittelschulwesen etablieren, das teilweise bis zum deutschen Abitur führte. Neben den Einwanderergemeinschaften engagierten sich auch katholische Orden aus Deutschland im privaten Bildungssektor und erteilten zum Teil Deutschunterricht. Deutsche Jesuiten betrieben beispielsweise eine Pfarrschule im santafesinischen San Gerónimo. Die Pater vom göttlichen Wort (»Steyler Missionare«) waren u.a. in Schulen in Buenos Aires und der Provinz Santa Fe aktiv und leiteten seit Anfang der 1890er Jahre das Colegio San José in Esperanza.27 Die in den 1880er Jahren einsetzende Welle der Neugründungen hielt bis zum Ersten Weltkrieg an. In diesem Zeitraum vergrößerte sich das deutsche Schulwesen in Argentinien um ein Vielfaches: Wurden 1875 nur fünf deutsche Schulen registriert, existierten 30 Jahre später bereits 58 und 1916 schätzungsweise 90 dieser Einrichtungen. Ersten verlässlichen Zahlen zufolge führten 1906 die vier Hauptstadtschulen mit zusammen 1140 Schülern die Statistiken an, gefolgt von 23 Schulen mit 1056 Schülern in der Provinz Santa Fe, 17 Schulen mit 669 Schülern in Entre Ríos und fünf Schulen mit 204 Schülern in Córdoba. Insgesamt besuchten in diesem Jahr in Argentinien 3207 Kinder eine deutsche Schule.28 Diese Entwicklung stand, nach Meinung von Teilen der argentinischen Politik, den Zielen der staatlichen Nationalisierungskampagne entgegen, zumal die Einwandererschulen zunächst kaum Restriktionen hinsichtlich der Unterrichtssprache oder den Lehrplaninhalten unterworfen waren. Die Schulberichte staatlicher Inspektoren aus der Provinz Santa Fe boten ausreichend Stoff, um diese Position zu untermauern. Kolonieinspektor Guillermo Coelho, der die Schulsituation in den Agrarsiedlungen untersucht hatte, wandte sich 1875 empört an den Vize-Gouverneur Santa Fes: »Las escuelas en muchas colonias están mal regenteadas puesto que algunos de los preceptores no conocen el idioma castellano y solo enseñan el 26 | Die protestantischen Gemeindeschulen spielten mit wenigen regionalen Ausnahmen in der Folge nur noch eine Nebenrolle. In Buenos Aires löste sich die Gemeindeschule nach internen Konflikten Anfang des 20. Jahrhunderts von der Kirche ab und konstituierte sich als Germania-Schule neu (vgl. Lange 1973, 47). Für die Entwicklung der Evangelischen Gemeindeschule in Esperanza vgl.: Kapitel V, 3.2.2 dieser Arbeit. 27 | Vgl. für die vorangegangenen beiden Absätze: Wilfert 1924, 38f.; Holzer 1929, 90f.; Lütge et al. 1981, 150; 268; Zago 1985, 31. 28 | Vgl. für diesen Absatz: Cappus 1910, 96 und Tabelle A6 im Anhang.
2. ENTWICKLUNG DES DEUTSCHSPRACHIGEN SCHULWESENS | 235
idioma frances y aleman [sic] cuando gran parte de los niños son hijos de este suelo. Esto señor lo he probado en mi visita Oficial cuando al examinar algunas escuelas he dirijido [sic] preguntas sencillas en castellano a los alumnos y no me han sabido comprender, y este, señor, es un abuso que se debe cortarse [. . . ].«29
Auch fast 20 Jahre danach waren in dieser Hinsicht noch nicht die erwünschten Fortschritte erzielt worden, sei es im Hinblick auf die Durchsetzung der spanischen Sprache in den Schulen oder auf die nationale Durchdringung der Einwanderergemeinschaften. So mahnte der Politiker Nicanor E. Molinas die santafesinische Abgeordnetenkammer 1892 vor dem drohenden Verlust von »numerosos compatriotas«: »[...] hay en la provincia lugares donde no se enseña el idioma nacional [. . . ]. [. . . ] un ex miembro del Consejo de Educación me decía hace pocos días que visitando las escuelas de las Colonias encontró una separación en los alumnos, preguntó el porqué y le contestaron: Aquellos son hijos del país, éstos los hijos de extranjeros. ¿Qué es Ud.? preguntó a un niño. Alemán le respondió. ¿Dónde ha nacido? En la Colonia Esperanza. ¿Y Ud.? preguntó a otro. Suizo, le contestó. ¿Dónde nació? En la Colonia Humboldt.«30
Etwaige Pläne und entsprechende Eingaben im argentinischen Kongress, Spanisch als einzig gültige Unterrichtssprache einzuführen, scheiterten allerdings gegen Ende des 19. Jahrhunderts. Ab 1910 wurden neue Kontrollmechanismen geschaffen, um mehr Einfluss auf die Privatschulen nehmen zu können.31 Die rasche Expansion des deutschen Schulwesens beförderte Anfang des 20. Jahrhunderts auch die Gründung von Dachverbänden. Das organisatorische Spektrum reichte von lokalen bzw. regionalen Interessenvertretungen angestellter Pädagogen bis hin zu nationalen Schulverbänden, die dem deutschen Bildungswesen in Argentinien eine einheitliche Grundlage geben wollten. Eine erste Initiative, die beide Aspekte vereinte, entsprang der florierenden Schullandschaft der Provinz Santa Fe. Seit 1900 widmete sich die Pädagogische Vereinigung »Union«, die sich vor allem aus Lehrern der deutschen Schulen in Rosario und den santafesinischen »Zentralbahnkolonien« rekrutierte, dem »Studium pädagogischer Fragen«32 und der Lehrerunterstützung.33 Ebenfalls in Rosario wurde ein Jahr später der Allgemeine Deutsche Schulverband ins Leben 29 | Coelho 1875, VIII. 30 | Quellenauszug in: Ensinck 1979, 204f. 31 | Vgl. für diesen Absatz: EGB, 2. Jg., Nr. 65 (o.Dat.; 1896/97), 244-249; López Barrios 2008, 146. 32 | Gabert 1908, 35. 33 | Vgl. ergänzend zur Pädgagogischen Vereinigung »Union« Kapitel III, 3.5 dieser Arbeit.
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gerufen, der zwar national ausgerichtet war, aber nur eine begrenzte Wirkung entfalten konnte.34 Der 1902 gegründete Deutsche Lehrerverein war das Pendant zur »Union« in Buenos Aires und opponierte zunächst gegen die Anstellung von Akademikern und argentinischen Lehrern an deutschen Schulen. Bereits in seinem Gründungsjahr regte der Verein die Einrichtung einer Pensionskasse für Lehrer an, die 1906 zuerst von der Germania-Schule in der Hauptstadt verwirklicht wurde.35 Neben ihren lokalen und regionalen Aktivitäten gaben die Pädagogische Vereinigung »Union« und der Deutsche Lehrerverein gemeinsam den Anstoß zu einem nationalen bzw. internationalen Zusammenschluss deutscher Lehrer in Argentinien und darüber hinaus. Auf den von ihnen seit 1906 organisierten und seitdem regelmäßig stattfindenden »Lehrertagen« diskutierten Vertreter der deutschen Schulen u.a. über die Vereinheitlichung und Optimierung von Lehrplänen und Schulbüchern, ein eigenes deutsches Lehrerseminar in Argentinien und die Organisation einer landesweiten Pensionskasse. Mit dem vierten Treffen 1910 institutionalisierten sich die »Lehrertage« im Allgemeinen Verband Deutscher Lehrer in den La Plata Staaten36 unter dem Vorsitz von Max Wilfert. Der Dachverband unterteilte sich in fünf Schulbezirke in Argentinien und je einem in Uruguay und Paraguay. Über die Bedeutung der fortschreitenden Vergemeinschaftung des Lehrpersonals vermerkte Lehrer Peter Dürst 1913:37 »Nur wer das Einst und Jetzt zu vergleichen imstande ist, nur wer weiß, in welch zerfahrenem Zustande das deutsche Schulwesen am La Plata noch bis in die jüngste Vergangenheit verharrte, kann den Fortschritt schätzen, den die Existenz und Arbeitsleistung dieser ›Allgemeinen Lehrertage‹ mit sich gebracht haben. Die Teilnehmer kehrten jeweilen vollauf befriedigt, mit frischem Mut und mit einer Fülle von neuen Eindrücken in ihre Schulen zurück.«38
34 | Vgl. BArch R 57/NEU/649, Bl. 29; Gabert 1908, 32-34. Der Verband umfasste nicht alle deutschen Schulen Argentiniens, verfügte über nur rudimentäre Organisationsstrukturen und war vor allem in Buenos Aires aktiv. Zu seinen Erfolgen zählte die Herausgabe deutscher Lese- und Liederbücher für den Unterricht, die eigens auf die Verhältnisse in Südamerika zugeschnitten waren. Vgl. auch: Allgemeiner Deutscher Schulverband 1901. 35 | Vgl. Cappus 1910, 95f. 36 | Später: Deutscher Lehrerverein am La Plata. 37 | Vgl. für die vorangegangenen beiden Absätze: DLPZ, 38. Jg., Nr. 218 (18. September 1906), 1; Nr. 219 (19. September 1906), 1; EGB, 17. Jg., Nr. 18 (3. Mai 1911), 206. 38 | Dürst 1913, 179.
2. ENTWICKLUNG DES DEUTSCHSPRACHIGEN SCHULWESENS | 237
Die stetige Fortentwicklung des deutschen Schulwesens bis zum Ersten Weltkrieg war aber nicht nur ein Ergebnis von Immigration und gemeinschaftlichem Aktionismus, sondern beruhte zu einem guten Teil auch auf Unterstützungsleistungen aus der »alten Heimat«. Nach der Reichsgründung erwachte dort allmählich das politische Interesse an den Auslandsschulen, wie die steigenden Ausgaben für die auswärtige Schulförderung und die regelmäßigen Visiten deutscher Gesandter und Würdenträger in den »Kolonien« belegen.39 Die deutschen Schulen in Argentinien konnten seit Ende des 19. Jahrhunderts mit jährlichen finanziellen Zuwendungen aus dem Reich rechnen, die im Laufe der Jahre zunahmen. Wurden 1903 noch 30 000 Mark an deutsche Schulen in Argentinien verteilt, waren es 1914 bereits 84 600 Mark.40 Mitgliedsbeiträge, Schulgebühren und Wohltätigkeitsfeste in den »Kolonien« blieben zwar weiterhin die Haupteinnahmequellen deutscher Lehranstalten, viele der unterstützten Einrichtungen wären aber ohne die Subventionen aus Deutschland nicht lebensfähig gewesen. Ebenso wichtig wie die jährlichen Zahlungen war die Versorgung mit qualifiziertem Lehrpersonal. Auf Antrag vermittelte das Auswärtige Amt in Berlin vor allem preußische Lehrer nach Argentinien. Dazu griff die Behörde auf ein Netzwerk von Freiwilligen zurück, die sich für den Auslandsdienst gemeldet hatten, oder schaltete Anzeigen in deutschen Zeitungen. Die Anstellung war oft auf drei Jahre befristet, von der Verlängerungsoption wurde aber in vielen Fällen Gebrauch gemacht. Um die Attraktivität des Auslandsschuldienstes zu erhöhen, führte das Reich sukzessive Vergünstigungen ein und bezuschusste die Überfahrten. Bestellungen von Schulbüchern und Lehrmitteln konnten ebenfalls direkt an das AA gerichtet werden.41 Die Reichsunterstützung hatte freilich auch eine politische Dimension. In der Finanzierung des deutschen Schulwesens und der Entsendung deutscher Lehrer nach Argentinien sah man ein mögliches Instrument der Einflussnahme in der Region, vor allem in wirtschaftlicher Hinsicht. Der deutsche Gesandte in Buenos Aires, Hilmar von dem Bussche-Haddenhausen, schrieb 1911 an Reichskanzler Bethmann Hollweg:
39 | Zu den Hintergründen der Unterstützung und zum »Reichsschulfonds« vgl. Kapitel II, 2.2 der vorliegenden Arbeit. 40 | Vgl. Tabelle A7. Im Vergleich zu Nationen wie Frankreich oder Italien fielen die Schulzuschüsse aber gering aus. Das wurde von deutschen Pädagogen in Argentinien immer wieder bemängelt (vgl. Wilfert 1918, 8f.). 41 | Vgl. für diesen Absatz: BArch R 901/38672, Bl. 37-42; PA AA R 62484, ohne BN. Neben dem Reich waren auch nichtstaatliche Organisationen wie der Verein für das Deutschtum im Ausland in Berlin mit der Unterstützung der Auslandsschulen befasst. Vgl. dazu näher: Kloosterhuis 1994a; Kloosterhuis 1994b.
238 | KAPITEL IV. DEUTSCHE SCHULEN
»[Ich möchte, Anm. d. Verf.] mir erlauben, darauf hinzuweisen, wie notwendig es ist[,] unsere deutschen Schulen von Reichswegen mehr zu unterstützen. Die Keime, die in diesen Unterrichtsanstalten gehegt werde, bilden einen wertvollen Schatz für die Ausbreitung unseres Handels und unserer heimatlichen Industrie, die immer mehr auf den Export angewiesen ist. Ich bedaure es unter diesen Umständen lebhaft, daß [. . . ] der Schulfonds des Auswärtigen Amts nicht erhöht worden ist. Die deutschen Schulen sind von den [US-, Anm. d. Verf.] Amerikanern längst als eine Stütze unseres Handels erkannt worden, und ich habe aus den immer wiederkehrenden Fragen meines amerikanischen Kollegen in Buenos Aires [. . . ] sowie [. . . ] des ersten amerikanischen Delegierten auf dem letztjährigen amerikanischen Kongreß, des frühren Botschafters Henry White, der uns bekanntlich wenig wohl will, klar erkennen können, das [sic] den Amerikanern die deutschen Schulen in Südamerika ein Dorn im Auge sind.«42
Ebenfalls 1911 bemerkte Wilhelm Hauff, der an der Germania-Schule in Buenos Aires lehrte, in einem Vortrag vor dem Deutsch-Argentinischen Centralverband zur Förderung wirtschaftlicher Interessen in Berlin zu den Erwartungen an die Auslandsschulen in Argentinien: »Ich verspreche mir von den deutschen Schulen, insbesondere auch von den vielen kleinen Landschulen auf keinen Fall irgend welche [sic] politischen Erfolge. Aber wenn diese Schulen im richtigen Zusammenhang mit Deutschland bleiben, können sie in erster Linie den deutschen Einfluß so stärken, daß die Deutschen bei allen wichtigen Fragen, die sich infolge der Entwicklung des jungen Landes in reichem Maße ergeben, ein entscheidendes Wort mitzureden haben.«43
Wenige Jahre später aber stellte der Ausbruch des Ersten Weltkrieges das deutsche Schulwesen in Argentinien vor eine erste Belastungsprobe. Die fehlende deutsche Nachwanderung und die englische Seeblockade verursachten einen allgemeinen Mangel an deutschen Lehrern sowie an Lehr- und Lernmitteln und trieben einige Schulen an den Rand des Ruins. Obwohl die Reichsbeihilfen zumindest in den ersten Kriegsjahren weiterhin gewährt wurden, gingen insbesondere viele kleinere »Kampschulen« ein. Über die Schulentwicklung während des Ersten Weltkrieges liegen zwar keine genauen Zahlen vor, berücksichtigt man aber die Vergleichswerte der 1920er Jahre, ist vor allem im ländlichen Raum von einer Stagnation bzw. einem Rückgang der Schultätigkeit auszugehen. Eine landesweite Umfrage von Lehrer Max Wilfert ergab für 1924 die Zahl von nur noch 59 deutschen Lehranstalten.44 42 | BArch R 901/38646, Bl. 86. 43 | Hauff 1911, 116. 44 | Vgl. für diesen Absatz: EGB, 22. Jg., Nr. 45 (8. November 1916), 623f.; Wilfert 1924, 41; Tabelle A6. Auch in anderen amerikanischen Ländern wirkte sich der Erste
2. ENTWICKLUNG DES DEUTSCHSPRACHIGEN SCHULWESENS | 239
Auf der anderen Seite gingen vom Weltkrieg emanzipatorische Effekte aus. Waren die Schulen bis dahin auf Schulbuchimporte aus Deutschland angewiesen, führte die Knappheit geeigneter Lehrwerke nach 1914 zur Wiederaufnahme der Herausgabe eigener deutscher Schulbücher mit Modifikationen für den Gebrauch in Südamerika. Die Notwendigkeit angepasster Schulliteratur, um im Unterricht sowohl der deutschen Tradition als auch der südamerikanischen Umgebungswelt gerecht zu werden, war bereits Ende des 19. Jahrhunderts erkannt worden. Die Publikationen des Allgemeinen Deutschen Schulverbandes um 1905 blieben zunächst aber die einzigen sichtbaren Ergebnisse dieser Debatte. Ab 1917 erschienen nun unter der Leitung des Deutschen Lehrervereins in Buenos Aires diverse »Lesebücher für die deutschen Schulen Südamerikas«, die zwar auf Deutsch verfasst waren, sich aber auch mit der amerikanischen Lebenswelt, Geschichte, etc. auseinandersetzten.45 Mit der fortgesetzten europäischen Immigration nach Kriegsende setzte bald eine Phase der Regeneration sowie der regionalen Schwerpunktverlagerung ein. In dem Maße wie sich deutsche Einwanderer in neuen Siedlungen in der Provinz Misiones und Nationalterritorien wie dem Chaco oder der Pampa niederließen, wuchs dort bis Mitte der 1930er Jahre auch das Schulangebot. Gleiches gilt für die russlanddeutschen »Kolonien« in Entre Ríos, die die Zahl ihrer Schulen zwischen 1930 und 1935 fast verdreifachten, und für das Schulwesen der Hauptstadt Buenos Aires.46 Darüber hinaus erlebten die katholischen und protestantischen Gemeindeschulen in der argentinischen Peripherie im Zuge dieser Entwicklung eine Renaissance.47 Traditionelle Zentren des deutschen Schulwesens wie die Provinzen Santa Fe und Córdoba verloren hingegen nach dem Ersten Weltkrieg an Bedeutung.48 Weltkrieg negativ auf das deutsche Schulwesen aus. In Kanada und den Vereinigten Staaten, die gegen die Mittelmächte in den Krieg zogen, ging der Gebrauch der deutschen Sprache und der Deutschunterricht in diesen Einrichtungen auch aus Angst vor Repressalien stark zurück (vgl. Lorenzkowski 2010, 98; Kazal 2004, 176). 45 | Vgl. für diesen Absatz: EGB, 23. Jg., Nr. 8 (12. Februar 1917), 109; López Barrios 2008, 147-154. Für Beispiele vgl.: Deutscher Lehrerverein Buenos Aires 1917; Siewers 1920. Die Publikationstätigkeit wurde bis in die 1940er Jahre fortgesetzt. 46 | Viele Russlanddeutsche wanderten nach dem Krieg aus Kanada und Brasilien nach Argentinien weiter (vgl. LPP, 35. Jg., Nr. 1819 (13. Mai 1919), 3). Vgl. zudem zur Geschichte der Russlanddeutschen in Argentinien: Riffel 1928. 47 | Dazu trug nicht zuletzt auch die verstärkte Schultätigkeit der »Missourier« im Chaco und in der Pampa bei. Es handelte sich dabei um deutschstämmige Lutheraner aus den Vereinigten Staaten, die ab Anfang des 20. Jahrhunderts als Iglesia Evangélica Luterana Argentina (IELA) in Argentinien missionierten (vgl. Franco 1970, 134; Luebke 1990, 5-7). 48 | Vgl. für diesen Absatz: FP, 15. Jg., Nr. 5119 (25. Mai 1960), Sonderbeilage, ohne SZ; Keiper 1942, 44; Wilfert 1931; Wilfert 1936, 65; Deutscher Lehrerverein am La Plata 1924; Deutscher Lehrerverein am La Plata 1927; Tabelle A6 im Anhang. Buenos Aires
240 | KAPITEL IV. DEUTSCHE SCHULEN
Die Bemühungen, deutsche Schulen und Lehrer in Argentinien zu vernetzen und dauerhaft an Deutschland zu binden, fanden auch in den 1920er Jahren ihre Fortsetzung. Die Tradition der »Lehrertage«, die während des Weltkrieges eingeschlafen war, wurde wiederbelebt. In Buenos Aires schuf die deutsche Gesandtschaft mit dem »Kulturrat« 1925 ein Organ, das anstelle des AA Unterstützungsanträge entgegennehmen und die Beihilfen auf die einzelnen Schulen in Argentinien verteilen sollte. Ab 1931 wurde diesem ein »Schulbeirat« zur Seite gestellt, der sich auf Reisen von den Bedürfnissen der Schulen in den Provinzen überzeugte. Im selben Jahr gründete sich in Buenos Aires der Deutsche Schulverband als Dachorganisation des deutschen Schulwesens im La-Plata-Raum. Sein Ziel war es, einheitliche Lehrpläne bereitzustellen, Lehrer zu vermitteln und die häufig defizitären »Kampschulen« zu unterstützen.49 Der Krieg hatte jedoch auch deutliche identifikatorische Brüche in den deutschen Gemeinschaften hinterlassen. Das längst nicht mehr ungetrübte Verhältnis vieler Mitglieder zum »Deutschtum« schlug sich auch auf die Ausrichtung der deutschen Schulen nieder und wies den Weg in einen neuen Abschnitt der deutschen Schulgeschichte, der von einer weiteren Annäherung an die argentinische Lebenswelt geprägt war. In seinem Vortrag auf dem 9. Lehrertag in Buenos Aires im April 1924 resümierte Wilhelm Keiper: »Aber die Not der deutschen Heimat hat langsam umgestaltend gewirkt. Sie entfremdete den Eltern die alte und rückte ihnen die neue Heimat näher. Daher fordert man von der deutschen Schule mehr als früher, die Ausbildung in den Fächern, die für das Fortkommen in Argentinien dienen.«50
Das deutsche Schulwesen geriet nun zunehmend in den Zwiespalt, den Schülern einerseits eine deutsche Bildung zukommen lassen zu wollen, zugleich aber den neuen Ansprüchen der Elternschaft und den komplexer werdenden Vorgaben der argentinischen Schulbehörde gerecht werden zu müssen.
3 Die Schulsituation in der Provinz Santa Fe In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde die Provinz Santa Fe zu einem Zentrum des deutschsprachigen Schulwesens. Ursächlich waren dabei aber war von dem deutschen Schulschwund während des Ersten Weltkrieges offenbar nicht betroffen. Die große Mehrzahl der deutschen Auslandsschulen befand sich im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts in Lateinamerika (vgl. Rinke 1996a, 339). 49 | Vgl. für diesen Absatz: FP, 15. Jg., Nr. 5119 (25. Mai 1960), Sonderbeilage, ohne SZ; Keiper 1936, 52f.; Keiper 1957, 61-63; Bujaldón de Estevez 2008, 167. 50 | Keiper 1924, 38.
3. DIE SCHULSITUATION IN DER PROVINZ SANTA FE | 241
nicht allein die kulturellen Konservierungsansprüche der Einwanderer, sondern auch der niedrige Entwicklungsstand der Region selbst. Dieser ließ sich u.a. an Wirtschaft und Infrastruktur ablesen und setzte sich bis in das öffentliche Bildungswesen fort. Handlungsbedarf bestand besonders im ländlichen Raum und im Grundschulbereich, wo es an Schulen und Lehrern fehlte. Unter den Maximen des Fortschritts und der Modernisierung wurde das staatliche Engagement im Schulausbau seit den 1850er Jahren entsprechend verstärkt.51 Allerdings konnten kurzfristig keine wesentlichen Verbesserungen erzielt werden. Im Jahr 1869 waren noch knapp 84 Prozent der santafesinischen Landbevölkerung Analphabeten. Zur selben Zeit besuchte etwa die Hälfte der schulpflichtigen Kinder Rosarios eine Lehranstalt, im Provinzdurchschnitt war es allerdings nur ein Fünftel.52 Die parallel anlaufende europäische Immigration war zugleich Teil und Lösung des Problems. Zwar musste der Staat nun für eine schulische Grundversorgung in den verstreuten Agrarkolonien sorgen und sah sich durch die Bevölkerungszunahme in den folgenden Dekaden mit einer wachsenden Schülerzahl konfrontiert. Andererseits befanden sich unter den Einwanderern auch Pfarrer, Ordensleute und ausgebildete Pädagogen, die das bald in den europäischen Gemeinschaften erwachende Bedürfnis nach einer ethnisch fundierten Grund- und Mittelschulbildung zu befriedigen wussten. Die Einwanderung gab dem Privatschulwesen einen deutlichen Schub. In den Städten und landwirtschaftlichen Siedlungen Santa Fes wurden Dutzende neue Privat-, Vereins-, Gemeinde- und Ordensschulen gegründet. Der Schulzensus von 1883/84 zählte in der Provinz 34 private Grundschulen, sieben davon mit kirchlichen Trägern.53 Um 1900 wird allein aus Rosario von 121 Privat- und Vereinsschulen berichtet, die zusammen über 80 Prozent des Schulwesens der Stadt ausmachten. Jedes zweite Schulkind Rosarios besuchte damals eine »escuela particular«.54 Mit den Privatinitiativen und den Bildungsreformen der Provinzregierung in den 1870er und 1880er verbesserte sich die Schulsituation in Santa Fe merklich. Seit 1876 war die Grundschulbildung kostenlos und verpflichtend und erhielt vermehrt staatliche Fördermittel. Eltern, die ihre Kinder nicht in die Schule schickten, konnten nun sogar strafrechtlich belangt werden.55 Das neue Bildungsgesetz von 1884 bestätigte erneut die allgemeine Schulpflicht, schuf den 51 | Vgl. De Marco 1992, 84. 52 | Vgl. Gallo 1983, 295f.; Álvarez 1981, 430; Tedesco 2009, 131. 53 | Vgl. Tedesco 2009, 105. 54 | Vgl. DLPZ, 33. Jg., Nr. 174 (28. Juli 1901), 1. Drei der 149 Schulen wurden von der Nationalregierung und 25 von der Provinzregierung betrieben. Bereits seit den 1860er Jahren bestanden in Rosario englische, italienische und französische Privatschulen (vgl. De Marco/Ensinck 1978, 228-231). 55 | Vgl. Gallo 1983, 298f.
242 | KAPITEL IV. DEUTSCHE SCHULEN
Consejo Provincial de Instrucción Primaria und ordnete die Gründung eines unabhängigen Schulfonds an.56 Im selben Jahr registrierte der Censo Escolar Nacional bereits positive Tendenzen. Santa Fe erreichte mit 34,2 Prozent die höchste Schulbesuchsquote aller Provinzen, überboten allein von der Hauptstadt Buenos Aires. Die Alphabetisierungsrate unter der Schulbevölkerung lag mit 29,3 Prozent ebenfalls über dem Landesdurchschnitt.57 Besonders die Distrikte Rosario und Esperanza entwickelten sich in dieser Hinsicht bis Ende der 1880er Jahre mustergültig. Während in den meisten Distrikten Santa Fes weniger als die Hälfte der Kinder zwischen sechs und 14 Jahren zur Schule gingen, waren es in Esperanza rund 68 Prozent und in Rosario sogar 79 Prozent. Die beste Grundschulversorgung gab es laut dem ersten Provinzzensus von 1887 in der nahe Rosario gelegenen »Zentralbahnkolonie« Roldán. Fast 93 Prozent der schulpflichtigen Kinder waren dort in einer Lehranstalt untergebracht.58 Wie in anderen Agrarkolonien auch, hatten sich Einwandererfamilien – im Fall von Roldán vornehmlich aus der Schweiz – in Ermangelung guter öffentlicher Bildungsangebote zu einem eigenen Schulverein zusammengeschlossen.59 Die Auswirkungen des zunehmenden Engagements der Provinzregierung Santa Fes im Bildungssektor bekamen die Privatschulen Ende des 19. Jahrhunderts deutlich zu spüren. Mit dem kostenlosen und sich sukzessive ausweitenden öffentlichen Primarschulwesen konnten viele der nur durch Schulgebühren finanzierten Einrichtungen nicht konkurrieren. Es schien, als habe die staatliche Bildungsoffensive somit auch ein Mittel gegen die ungeliebten Einwandererschulen gefunden, die mit ihrer Tätigkeit das argentinische Nationalisierungsprogramm in Frage stellten. Die qualitative und quantitative Steigerung im öffentlichen Bildungsbereich konnte aber nicht alle Bedürfnisse der Einwanderer befriedigen. Der fortwährende Wunsch nach sprachlicher und kultureller Kontinuität über Generationen hinweg garantierten den Fortbestand des ethnischen Schulwesens in Santa Fe bis weit in das 20. Jahrhundert hinein.
56 | Vgl. De Marco (h) 1992, 114. 57 | Vgl. für diese Zahlen: Resúmenes Generales... 1884, IX; XI; XIX. 58 | Vgl. Carrasco 1888a, LXXXVII. 59 | Vgl. Dürst 1913, 137; Hagedorn 1944, 64.
4. DEUTSCHE SCHULEN IN ROSARIO | 243
4 Zwischen »geistiger« und »natürlicher« Heimat: Deutsche Schulen in Rosario 4.1 Entstehung und Organisation Die ersten Hinweise auf eine deutsche Schultätigkeit in Rosario stammen aus den späten 1870er Jahren. Unter der Leitung der Pädagogin A. van Oppen wurde mit dem Colegio Anglo Alemán 1879 eine der ersten gemischtgeschlechtlichen Schulen der Stadt eröffnet. Für 1887 ist zudem eine Mädchenschule mit demselben Namen belegt, der die »distinguida educacionista« Frau Demmler vorstand.60 Von diesen bescheidenen privaten Anfängen bis zum Beginn eines gemeinschaftlich organisierten ethnischen Schulwesens vergingen noch einmal über zehn Jahre. Wie bei vielen ähnlichen Projekten erfolgte die Initialzündung im Zentrum der deutschen »Kolonie« Rosarios, dem Deutschen Verein. Eine außerordentliche Generalversammlung im September 1892, die ursprünglich einberufen worden war, um über den geplanten Bau eines Tanzsaales zu beraten, nahm auf Anregung von Wilhelm O. Schneider eine entscheidende Wende. Sein Vorschlag zur Gründung eines eigenen Primarschulvereins fand großen Zuspruch unter den etwa 60 Anwesenden. Ein Sitzungsteilnehmer schilderte die Bedeutung einer solchen Organisation für die deutsche Gemeinschaft wie folgt: »Bekanntlich ist das Schulwesen für die hierorts ansässigen Deutschen eine brennende Frage, die bei dem steten Wachsen unserer Colonie gebieterisch Lösung verlangt. Nicht jeder Familienvater ist in der Lage, seine Kinder durch Privatlehrer im Hause unterrichten zu lassen; Privatschulen sind immer nur ein Nothbehelf [sic], da auch bei den besten Kräften die letzteren zu sehr zersplittert werden müssen, und was dabei herauskommt, die Kinder in hiesige [öffentliche, Anm. d. Verf.] Schulen zu schicken, das sieht man am besten daran, daß Eltern, die ihre Kinder denselben anvertraut haben, dieselben immer nach kurzer Zeit zurückziehen, weil sie dort nicht nur nicht viel lernen, sondern auch in jeder Beziehung verrohen.«61
Noch am selben Abend wurde eine Kommission mit dem Auftrag gewählt, die weitere Organisation voranzutreiben und einen Schulfonds einzurichten.62 Unter den Mitgliedern des Gründungskomitees fanden sich ausschließlich exponierte Persönlichkeiten des lokalen deutschen Bürgertums bzw. Vereins60 | Vgl. EM, [?]. Jg., Nr. [?] (17. November 1887), 1; De Marco/Ensinck 1978, 231; Mesanich/Schmidt 2007, 99. Ebenfalls in den 1870er Jahren entstanden in Rosario Privatschulen italienischer und englischer bzw. nordamerikanischer Einwanderer. 61 | DLPZ, 24. Jg., Nr. 229 (28. September 1892), 1. 62 | Vgl. für diesen Absatz: Deutscher Schulverein Rosario 1905b, ohne SZ; Elsner 1942, 3; Lege 2007, 195.
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wesens. Neben dem Ideengeber selbst engagierten sich u.a. Ferdinand Kessler, technischer Leiter in der Refinería Argentina und mehrmaliger Präsident des Deutschen Vereins, und Engelbert Tietjen, erfolgreicher Kaufmann und Bruder des deutschen Konsuls in Rosario. Um das notwendige Kapital für die Eröffnung der Schule zusammenzutragen, hinterlegte die Kommission Sammellisten in Rosario und Buenos Aires und schaltete in der Deutschen La Plata-Zeitung einen landesweiten Aufruf an »alle deutschen Brüder [. . . ], dieses hochherzige, patriotische Werk«63 mit Spenden zu unterstützen.64 Das gemeinsame Schulgründungsvorhaben wurde bald zum »bevorzugten Kind der Kolonie«65 und belebte und einte die deutsche Gemeinschaft Rosarios. Verschiedene deutsche Vereine, Unternehmen und Privatpersonen trugen in den folgenden Jahren mit großem Enthusiasmus zum Gelingen des Projekts bei. Wohltätige Chor- und Theaterabende des Gesangvereins »Harmonie« oder des Deutschen Vereins ließen den Fonds in einem Maße anwachsen, dass bald der Ankauf eines Grundstücks und ein Schulneubau in Aussicht genommen werden konnte. Die innere Konstituierung ging dank der kollektiven Bemühungen in einem ähnlichen Tempo voran. Bereits im November 1892 erlangte der Deutsche Schulverein den Status eines eingetragenen Vereins. Auf der ersten Generalversammlung wenige Tage darauf wurden die Statuten verabschiedet und ein Vereinsvorstand unter dem Vorsitz von Wilhelm O. Schneider gewählt.66 Am 1. März 1893 konnte die Deutsche Schule eröffnet werden. Die ca. 45 Schüler, fast ausschließlich der deutschen Mittel- und Oberschicht Rosarios entstammend, wurden zunächst in provisorischen Mieträumen von Lehrer und Schulleiter Karl Meyer unterrichtet, der wenig später Unterstützung durch die Lehrerin Marie Lehmann erfuhr.67 Die Zahl der Vereinsmitglieder und Schüler stieg in der Folgezeit immer weiter an und machte bald eine räumliche Erweiterung der Lehranstalt erforderlich.68 Nachdem behelfsweise zusätzliche Nebengebäude angemietet worden waren, konnte der Schulverein Ende 1896 mit Hilfe von Spenden, Erbschaften und Darlehen des Deutschen Hilfsvereins 63 | DLPZ, 24. Jg., Nr. 242 (14. Oktober 1892), 1. 64 | Vgl. für diesen Absatz: Ebd; FP, 7. Jg., Nr. 2162 (13. Januar 1952), 4. Vgl. Abbildung C3 für das Beispiel einer Sammelliste. 65 | Elsner 1932, 155. 66 | Vgl. für diesen Absatz: DLPZ, 24. Jg., Nr. 253 (27. Oktober 1892), 1; Nr. 263 (8. November 1892), 1; Nr. 282 (1. Dezember 1892), 1; Elsner 1932, 154f.; Deutscher Schulverein Rosario 1932, 11. Die Statuten wurden in einer Hauptversammlung am 14. Januar 1893 angenommen. Bis zur Erlangung der »personería jurídica« 1897 war das Schulgrundstück auf den deutschen Konsul Wöltje Tietjen eingetragen (vgl. Deutscher Schulverein Rosario 1899a, ohne SZ). 67 | Meyer war zuvor Leiter der deutschen Schule in San Carlos gewesen (vgl. BArch R 901/38671, Bl. 142). 68 | Zur Entwicklung der Mitglieder- und Schülerzahlen vgl. die Grafiken B4 und B5.
4. DEUTSCHE SCHULEN IN ROSARIO | 245
und derDeutschen Evangelischen Gemeinde den Kauf eines eigenen Grundstücks in der Calle Buen Orden (heute: España 150) realisieren. Der Grundstein für das neue Schulgebäude wurde im März 1897 gelegt und die Deutsche Schule ein Jahr später offiziell eingeweiht.69 Gemäß ihrer Anlage war die Deutsche Schule in Rosario eine »escuela particular«, eine staatlich anerkannte Privatschule, und damit weitgehend in das argentinische Schulwesen integriert. Sie wurde im Laufe des 20. Jahrhunderts zunehmend von der Schulbehörde beaufsichtigt und musste ihren Lehrplan in zentralen Punkten den Vorgaben für staatliche Bildungseinrichtungen angleichen. Die zunächst einklassige Grundschule wuchs bis 1901 zu einer bilingualen Grund- und Mittelschule mit bis zu acht Klassenstufen heran.70 Erklärtes Ziel war es, eine »deutsche Realschule ohne Latein in Verbindung mit den 6 grados der argentinischen gehobenen Schule«71 anzubieten. Die Unterrichtsgrundlage bildete folgerichtig eine Kombination deutscher und argentinischer Lehrpläne. Ungeachtet kleinerer Anpassungen des Stufensystems blieb diese Grundstruktur bis Ende der 1920er Jahre erhalten.72 Ab Mai 1925 betrieb der Deutsche Schulverein zusätzlich einen Kindergarten mit deutschem Sprachunterricht – auch, um Nachwuchs für die eigene Schule zu rekrutieren.73 Die Vertretung und Verwaltung der Deutschen Schule fiel in den Aufgabenbereich des Schulvereinsvorstandes. Er verfügte über weitreichende Vollmachten im Finanz- und Ausgabenbereich, verpflichtete und entließ Lehrer, verkehrte mit den Behörden und hatte ein Mitbestimmungsrecht bei der Ausarbeitung der Lehrpläne. Das Lehrerkollegium und die Schulvereinsmitglieder waren ihm weisungsgebunden. Die monatlich tagende Versammlung setzte sich ab 1899 aus erstem und zweitem Vorsitzenden, Schrift-, Kassen-, Haus- und Bücherwarten und vier Beisitzern zusammen. Ihnen wurden sieben Ersatzmänner und zwei Kassen- und Rechnungsrevisoren zur Seite gestellt.74 Auf den halbjährlich stattfindenden Hauptversammlungen wurde der Vorstand von den Mitgliedern des Schulvereins auf zwei Jahre gewählt. Als wichtigstes Partizipationsinstrument der Vereinsbasis hatten diese Zusammenkünfte aber noch weitere Funktionen. So konnte eine bestimmte Anzahl Mitglieder ordentliche und außerordentliche Anträge auf die Tagesordnung setzen und 69 | Vgl. für diesen Absatz: Deutscher Schulverein Rosario 1931, 50; Deutscher Schulverein Rosario 1905, ohne SZ; Deutscher Schulverein Rosario 1899a, ohne SZ; Elsner 1942, 5. 70 | Die achte Klasse kam allerdings nur selten zustande, da die Schüler oft früh in das Berufsleben eintraten oder ihre Ausbildung in Deutschland fortsetzten. 71 | Deutscher Schulverein Rosario 1893a, ohne SZ. 72 | Vgl. Deutscher Schulverein Rosario 1927a, ohne SZ. 73 | Vgl. Deutscher Schulverein Rosario 1926b, 9. 74 | Vgl. für diesen Absatz: Deutscher Schulverein Rosario 1899c.
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abstimmen lassen. Bei Grundstücksankäufen, Hypotheken und Neu- und Umbauten musste die Hauptversammlung zudem zwingend konsultiert werden. Mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit konnten gar Statutenänderungen erzwungen und Vorstandsbeschlüsse aufgehoben werden.75 Die Mitgliedschaft im Schulverein stand jedem Erwachsenen mit »unbescholtenem Ruf« offen, der die monatlichen bzw. vierteljährlichen Beiträge aufbringen konnte. Neben einer Stimme in den Generalversammlungen brachte dies weitere Vorteile mit sich. Eltern zahlten beispielsweise eine ermäßigte monatliche Schulgebühr. Besuchten mehr als zwei Kinder die Schule, konnten sie mit Ermäßigungen bzw. sogar Erlass des Schulgeldes für das jüngste Kind rechnen. Die Hoffnungen, dass sich viele Eltern nach Beendigung der Schulzeit ihrer Kinder aus Dankbarkeit darüber zu einer Weiterführung der Mitgliedschaft und einer dauerhaften Unterstützung entschließen würden, bestätigten sich aber nicht.76 Finanzielle Abhängigkeiten und Problemlagen zogen sich folglich wie ein roter Faden durch die Geschichte der Deutschen Schule. Ethnische Netzwerke auf lokaler, nationaler und internationaler Ebene halfen dabei, diese zu überwinden. Ein Gutteil der Arbeit wurde durch Mitgliedsbeiträge, Schulgelder und Wohltätigkeitsveranstaltungen finanziert. Im Schnitt gaben die Mitglieder mehr als den Mindestbetrag. Engpässe glich der Vorstand durch die Ausgabe von Anleihen und die Erlöse von Schulbasaren sowie Festen und Konzerten befreundeter deutscher Vereine aus. Viele der Ausstattungsgegenstände wie Sportgeräte, Bücher oder Naturaliensammlungen stammten zudem aus Sachspenden der deutschen »Kolonie« in Rosario oder deutscher Vertreter in Argentinien. Auch die testamentarische Berücksichtigung durch ehemalige Mitglieder oder Freunde der Schule waren keine Seltenheit. Um den Schuletat nicht über die Maßen zu beanspruchen, wurde häufig auf ehrenamtliche Helfer und kostenlose Dienstleistungen aus der »Kolonie« zurückgegriffen. Ein weiterer wichtiger Einnahmeposten waren Unternehmensspenden. Die Reedereien »Hamburg Amerika Linie« (Hapag), »Hamburg Südamerikanische Dampfschiffahrtsgesellschaft« (HSDG; Hamburg Süd) und »Hansa« brachten jährlich zum Teil bedeutende Summen ein. Nach dem Ersten Weltkrieg gewann die Unterstützung durch Niederlassungen deutscher Industrieunternehmen in Rosario wie Mannesmann an Bedeutung. Die Überlassung von Werbespalten in den einschlägigen deutschen Tageszeitungen durch deutsche Firmen oder
75 | Vgl. für diesen Absatz: Ebd. 76 | Vgl. für diesen Absatz: Ebd.; Deutscher Schulverein Rosario 1912b, 11.
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Anzeigen lokaler Unternehmen in den Publikationen des Schulvereins gehörten ebenfalls zu den wiederkehrenden Formen der Schulförderung.77 Darüber hinaus erhielt die Deutsche Schule Hilfestellungen aus dem Reich. Bereits 1893 berichtete der deutsche Gesandte in Buenos Aires an Reichskanzler Leo von Caprivi von der vielversprechenden Schulgründung in Rosario und merkte an, dass diese »die Aufmerksamkeit und Unterstützung der Kaiserlichen Regierung verdiene«78 . Allerdings wurde Rosario erst ab 1900 bei der Vergabe der Mittel aus dem Reichsschulfonds mit zunächst 5000 Mark berücksichtigt. Dazu mussten jährlich Anträge und Formulare mit detaillierten Angaben zur Schulorganisation und der Lehrer- und Schülerschaft über den Umweg der deutschen Gesandtschaft in Buenos Aires an das AA bzw. ab 1925 direkt an den Kulturrat übermittelt werden. Die Subventionen, die sich zwischen 1902 und 1906 mehr als vervierfachten, waren eine zentrale Stütze des Schulbetriebs.79 Auch die Lehrervermittlung nach Rosario erfolgte in vielen Fällen über das AA. Die ersten Schulstatuten sahen die Anstellung von deutschen bzw. in Europa ausgebildeten Lehrern mit gutem Staatsexamen vor.80 In der Folge warb der Schulverein vor allem Kräfte aus Deutschland – viele davon aus Preußen, aber auch aus anderen Reichsteilen – für eine meist auf drei Jahre befristete Beschäftigung an. Seminaristen wurden wegen ihrer Einsatzfähigkeit in mehreren Fächern häufig gegenüber Akademikern bevorzugt. Der Briefwechsel zwischen der Deutschen Schule in Rosario bzw. der deutschen Gesandtschaft in Buenos Aires und dem AA bietet einen guten Einblick in die Mechanismen der Lehrervermittlung. In einem ersten Antrag bat der Schulvereinsvorstand bzw. der Rektor in dessen Auftrag um eine Lehrkraft aus Deutschland. Individuellen Wünschen der Schule nach Geschlecht, akademischer oder seminaristischer Ausbildung oder fachlichem Einsatzgebiet wurde weitestgehend entsprochen. Anschließend versendete das AA Schreiben mit den Angeboten und Vertragsbedingungen an in Frage kommende Personen innerhalb seines Lehrernetzwerkes. Freie Überfahrten, Reisekostenzuschüsse und Beurlaubung von der aktuellen Stelle sollten zusätzliche Anreize bieten. War eine passende Kraft gefunden, musste sie sich schriftlich verpflichten, den Dienst anzutreten. Der eigentliche Vertrag wurde direkt mit dem Schulvereinsvorstand in Rosario geschlossen. Die Vermittlung kam meist innerhalb weniger Monate zustande. Viele der ange77 | Vgl. für die beiden vorangegangenen Absätze die Jahresberichte des Deutschen Schulvereins Rosario. 78 | BArch R 901/38671, Bl. 12. 79 | Vgl. Tabelle A8. Nach Höhe der Zuwendungen gehörte die Deutsche Schule in Rosario zu den wichtigsten deutschen Lehranstalten Argentiniens. 80 | Vgl. Deutscher Schulverein Rosario 1893b, 12.
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worbenen Lehrer verfügten bereits über praktische Erfahrungen im deutschen Auslandsschuldienst.81 Nach der Jahrhundertwende war die Deutsche Schule auch selbst als Ausbildungsstätte aktiv und brachte mehrere Lehrer für den Elementarunterricht hervor. Für Fortbildungen und weiterführende Examen verließ das übrige Lehrpersonal mitunter Argentinien und kehrte nach einem vorübergehenden Aufenthalt in Deutschland nach Rosario zurück. Infolge der verschärften Bestimmungen für Privatschulen nahm im ersten Drittels des 20. Jahrhunderts der Anteil nichtdeutscher Lehrkräfte zu. Die von der Schulbehörde vorgeschriebenen spanischsprachigen Stunden, etwa im Fach »argentinische Kulturkunde«, wurden von ein bis zwei argentinischen Lehrern angeboten.82 Diese blieben innerhalb des Kollegiums der Deutschen Schule aber stets eine Minderheit. Ein fester Bestandteil der Tätigkeit von Schule und Schulverein war die Förderung von Kindern, die sich die Privatschulausbildung eigentlich nicht leisten konnten. Ihnen wurden Schulgeldzuschüsse oder -erlasse gewährt und Lernmittel, Kleidung und Schulverpflegung gestiftet. Der Verein agierte dabei im Sinne einer selbstauferlegten sozial-kulturellen Verantwortung für alle Mitglieder der deutschen »Kolonie« Rosarios. Demzufolge sollten auch Kinder aus weniger wohlhabenden deutschen Familien, vor allem aus den Arbeitervierteln am Rande der Stadt, in den Genuss einer »guten deutschen Erziehung«83 kommen. Die logische Konsequenz dieses Schulterschlusses zwischen Bürgertum und Arbeiterschaft zum Wohle des »Deutschtums« war die Einrichtung einer zweiten deutschen Vereinsschule in Rosario.84 Im Oktober 1900 hatte sich aus der deutschen Arbeiterschaft heraus der Germanische Arbeiter Unterstützungs-Verein mit einer ähnlichen Zielrichtung konstituiert. Unter Führung von Präsident Eduard Deutsch, der auch im Deutschen Männerchor und im Deutschen Hilfsverein organisiert war, wollte die Vereinigung, neben der Unterstützung notleidender Familien, »[...] denjenigen 81 | Vgl. für diesen Absatz: BArch R 901/38672, ohne BN. Josef Hubrich, zwischen 1914 und 1926 Rektor der Deutschen Schule, war zuvor an einer deutschen Schule in Bukarest beschäftigt gewesen. Sein Nachfolger, Edgar G. Rohn, hatte bereits die deutsche Schule im bolivianischen Cochabamba geleitet und an deutschen Einrichtungen in Buenos Aires gelehrt. Die 1922 in das Kollegium eingetretenen Lehrerinnen Emilie Koch und Ellinor Mumm brachten Erfahrungen aus deutschen Schulen in Montevideo, Río de Janeiro und Kopenhagen bzw. Bukarest und Konstantinopel mit (vgl. Deutscher Schulverein Rosario 1922a, 25; Deutscher Schulverein Rosario 1927c, 5; 14; Tabelle A9). 82 | Vgl. Deutscher Schulverein Rosario 1927a, ohne SZ. 83 | Deutscher Schulverein Rosario 1931, 6. 84 | Das Vorbild für diese Form der Solidarität stammte aus Deutschland. Dort bemühten sich bürgerliche »Bildungsvereine« seit den 1820er Jahren um eine bessere Integration von Arbeitern in das Bildungswesen (vgl. Roth 1996, 133).
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deutschsprechenden Arbeitern, welche nicht in der Lage sind, ihren Kindern guten, deutschen Schulunterricht angedeihen lassen zu können, solches [. . . ] vermitteln«85 . Bereits kurz nach Gründung konnte der Deutsche Schulverein als strategischer Partner gewonnen werden.86 Eine von Eduard Deutsch angeleitete Kommission, die mit der Erarbeitung von Förderungsmöglichkeiten betraut worden war, überreichte dem Schulvereinsvorstand am 13. Oktober 1900 den Bericht »Über die Notwendigkeit der Errichtung einer zweiten deutschen Schule für die Bezirke Talleres, Refinería und weitere Umgebung«. Darin wird der Bedarf einer deutschen Lehranstalt in den Arbeitervierteln – besonders in der Umgebung der F.C.C.A.-Werkstätten – zahlenmäßig begründet und die Einrichtung einer günstigeren »Zweigschule« des Deutschen Schulvereins an Ort und Stelle empfohlen. Eine Aufnahme der Kinder in der »ersten« Deutschen Schule verwarf die Kommission u.a. aufgrund der teuren und langwierigen Anfahrt in das Stadtzentrum. Zu erwartende Ausfälle des Schulgeldes bei Krankheit oder Verlust der Arbeit wollte der Germanische Arbeiter Unterstützungs-Verein ausgleichen.87 Die Eröffnung der Talleres-Schule am 1. Mai 1901 verdankte sich, wie auch im Falle der Deutschen Schule, der bereitwilligen Mitarbeit des deutschen Vereinswesens. Wohltätigkeitskonzerte und Spenden in den Jahren 1900 und 1901 bildeten den Grundstock für einen Fonds, mit dem ein Gebäude in der Calle Iriondo angemietet und der Schulbetrieb mit einem Lehrer begonnen werden konnte. Um 1905 besaß die Einrichtung bereits sechs Klassenstufen mit 60-80 Kindern, die von drei Lehrkräften unterrichtet wurden. Im selben Jahr übernahm der Germanische Arbeiter Unterstützungs-Verein die alleinige Verwaltung der Talleres-Schule und führte sie ab 1906 unter dem Namen DeutschArgentinischer Schulverein (Barrio Talleres) weiter. Neben regelmäßigen Unterstützungsleistungen des Deutschen Schulvereins erhielt die Lehranstalt seitdem auch Zuschüsse aus dem Reichsschulfonds.88
85 | Germanischer Arbeiter Unterstützungs-Verein Rosario 1900, 1. 86 | Vgl. für diesen Absatz: DLPZ, 32. Jg., Nr. 195 (21. August 1900), 1; Elsner 1932, 216; 291. Aus der Deutschen Evangelischen Gemeinde Rosarios, die sich ebenfalls an der Diskussion beteiligte, kam der Vorschlag zur Gründung einer deutschen Gemeindeschule im Talleres-Viertel (vgl. EGB, 6. Jg., Nr. 260 (14. Juni 1900), 8). 87 | Vgl. für diesen Absatz: BArch R 901/38671, Bl. 74-78. 88 | Vgl. für diesen Absatz: EZA 5/407, Fiche 2055; DLPZ, 32. Jg., Nr. 260 (4. November 1900), 1; 33. Jg., Nr. 30 (5. Februar 1901), 1; Nr. 58 (10. März 1901), 1; Nr. 140 (16. Juni 1901), 1; Elsner 1932, 217f.; 220-222.
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4.2 Selbstverständnis und Sendungsbewusstsein In der deutschen Gemeinschaft Rosarios wurde die Deutsche Schule als Symbol der Einheit und der nationalen Zusammengehörigkeit begriffen. Sie sollte die Erhaltung und Verbreitung der deutschen Sprache und des »deutschen Wesens« in den folgenden Generationen gewährleisten. Als Vermittlerin der Muttersprache lieferte sie, so der geläufige Diskurs, auch den »Schlüssel« zum deutschen Kulturerbe. Die Deutsche Schule war damit zugleich Repräsentantin und aktive Vermittlerin deutscher Identität.89 Der ethnische Charakter der Einrichtung war bereits in den Gründungssatzungen fest eingeschrieben und äußerte sich in klaren Grenzziehungen inhaltlicher und organisatorischer Natur, die wiederum direkte Rückschlüsse auf Selbst- und Fremdbilder zulassen. Eine erste Version der Statuten von 1893 gab neben der Konfessionslosigkeit das Vereinsziel aus, »nach deutschen Grundsätzen erziehen und unterrichten« und »im allgemeinen zur Pflege und Förderung einer reinen, unvermischten deutschen Sprache in Wort und Schrift« beitragen zu wollen.90 Als Mitglieder wurden zu diesem Zeitpunkt ausschließlich Deutsche oder »Deutschredende« akzeptiert.91 Die sechs Jahre später erfolgende Revision der Statuten änderte nur wenig an der inhaltlichen Ausrichtung der Schule. Die nach wie vor angestrebte Bewahrung des »Deutschtums« wurde nun aber in Einklang mit dem argentinischen Fortschrittsdiskurs gebracht und sollte fortan der »sittlichen u. geistigen Wohlfahrt des Landes«92 dienen. Die parallele Lockerung sprachlicher und nationaler Zugangsbarrieren, die den Kreis potentieller Mitglieder bis dahin erheblich eingeschränkt hatten, war hingegen weniger ein Zugeständnis an die soziale Wirklichkeit Argentiniens, sondern geschah in der Voraussicht, dass man die Lehranstalt mit Mitteln und Schülern aus der deutschen »Kolonie« allein nicht würde dauerhaft erhalten können. 89 | Ein Blick auf die Schulen anderer europäischer Gemeinschaften in Rosario zeigt, dass sich Diskurse, Methoden und Strukturen ähnelten, wenngleich die Gründungszusammenhänge oft andere waren. Italienische Schulen beispielsweise entstanden in Argentinien entweder als Religionsschulen unter Leitung von katholischen Ordensleuten – z.B. den Salesianern – oder aber als Abteilungen ethnischer Versicherungsvereine. In Rosario existierten um 1890 fünf Schulen im Umfeld dieser »mutuales«, u.a. unter dem Dach der Unione e Benevolenza (1874) oder der Sociedad Garibaldi (1888). Diese Vereinsschulen legten ebenfalls großen Wert auf die Bewahrung der italienischen Sprache und der kulturellen Identität unter den Nachkommen der Einwanderer. Lehrer, Schulbücher und Lehrpläne stammten meist aus Italien. Zudem erhielten die Einrichtungen Subventionen vom italienischen Staat (vgl. Frid 1985, 87-92; 102-104; Frid 1992, 104; 107f.; 114). 90 | Deutscher Schulverein Rosario 1893b, 3. 91 | Vgl. ebd., 4. 92 | Deutscher Schulverein Rosario 1899c, 3f.
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Auf die Implementation eines ethnischen Schutzmechanismus wollte der Verein allerdings auch in dieser Satzung nicht verzichten. Zwar bestand nun die Möglichkeit, dem Schulverein unabhängig von Nationalität und Sprachkenntnissen beizutreten, die Vorstandsämter waren aber immer noch den »Deutschsprechenden« vorbehalten. Auf diese Weise war es möglich, die Mitgliederbasis, die Schülerschaft und damit die Einnahmen zu mehren, ohne dabei die Führungsposition der deutschen »Kolonie« zu kompromittieren. Zugleich wurde man mit der Öffnung dem eigenen Anspruch gerecht, das »Deutschtum« in die argentinische Gesellschaft tragen zu wollen.93 Die Paragraphen der ersten Schulvereinssatzungen stehen stellvertretend für die Sicht weiter Teile der deutschen Gemeinschaft auf sich selbst und auf ihre Umgebung. Der kaum verhüllten Geringschätzung des argentinischen »Mischvolkstums« und des vermeintlich minderwertigen öffentlichen Bildungswesens des Landes stand in schriftlichen und mündlichen Diskursen die Idealisierung reiner deutscher Sprache, Moral und Tugend sowie kultureller und wissenschaftlicher Leistungen der Deutschen gegenüber. Das Migrationsziel Argentinien wurde aus derartigen Gründen allerdings nicht in Frage gestellt. Vielmehr wuchs die Überzeugung heran, die »neue Heimat« nach den eigenen Vorstellungen mitgestalten zu können. Die beiden deutschen Schulen in Rosario wurden in der Folge einerseits zur Projektionsfläche für das allgemeine Bedürfnis nach ethnischer und nationaler Kontinuität, andererseits zum Ausgangspunkt für eine neue und dauerhafte Zukunft deutscher Einwanderer in der »Fremde«. Bei der feierlichen Grundsteinlegung des neuen Gebäudes der Deutschen Schule 1897 wurde diese Positionierung zwischen den nationalen Kontexten deutlich. Die Beteiligten waren sichtlich bemüht, eine Verbindung zwischen der deutschen Vergangenheit und der argentinischen Gegenwart herzustellen. Der Festtag wurde bewusst mit einem anderen großen Jubiläum synchronisiert, dem 100. Geburtstag Wilhelms I., der während seiner Regierungszeit als preußischer König zusammen mit Bismarck die Grundlagen für die lang ersehnte nationale Einheit Deutschlands gelegt hatte. Die Reden von Schulvereinsvorständen und Ehrenmitgliedern trugen dem Rechnung. Ferdinand Kessler betonte in seiner Ansprache die große Verpflichtung der Auslandsdeutschen, die aus dem nationalen Erbe des Kaisers erwuchs: »Für uns besteht die Dankbarkeit und die Ehrung seines Andenkens in dem Gelöbnis, immerdar deutsch zu bleiben, zu fühlen und zu handeln, unserem Vaterlande und seinen grossen [sic] Männern zur Ehre. [. . . ] Nehmen wir von dieser feierlichen Stunde den Vorsatz mit hinweg, zu bethätigen 93 | Vgl. für die vorangegangenen beiden Absätze: Deutscher Schulverein Rosario 1899c, 3-7.
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[sic] und zu beweisen überall, dass es ein Vorzug ist im besten Sinne, Deutscher zu sein, und täglich wollen wir zeigen, dass die persönliche Ehre, treue Pflichterfüllung jedes Deutschen Richtschnur ist; das macht uns zu den besten Bürgern auch der neuen Heimat.«94
Und weiter: »Versäumen wir besonders nicht, das deutsche Wesen auf unsere Kinder zu übertragen, lehren wir sie vor allen Dingen unsere Muttersprache, aus ihr spricht der deutsche Geist, in ihr liegt, in ihr singt ja das deutsche Herz, das bewahren wir ihnen. – Wir ehren das Andenken, bezeugen die Dankbarkeit am besten durch Treue am Vaterlande, wie es unser unsterblicher Kaiser Wilhelm geschaffen. – Unseren Festjubel lassen wir ausklingen in ein Hoch auf unser geliebtes deutsches Vaterland! Unser deutsches Vaterland, hoch, hoch, hoch!«95
Nachdem die Festgesellschaft gemeinsam die »Wacht am Rhein« angestimmt hatte, bestätigte einer der Schulgründer, Wilhelm O. Schneider, in seiner Rede, dass das Andenken an Bismarck, dem »Recken dort im Sachsenwalde, der dem deutschen Namen im Auslande erst richtig Achtung verschafft hat«96 , am besten durch die sprachliche und kulturelle Konservierungstätigkeit der Deutschen Schule bewahrt werde könne. Darüber hinaus präzisierte er Stellung und Aufgaben der Einrichtung innerhalb der argentinischen Nation: »Der bis jetzt errungene Erfolg soll uns aber auch allen neuen Mut geben, weiter daran zu arbeiten an dem begonnenen Werk, dessen Ziele sind: eine Pflanzstätte deutschen Wissens, deutscher Sitten und Tugend, deutscher Wahrheitsliebe und Treue, sowie deutscher Ehrlichkeit und Rechtlichkeit zu schaffen und zu erhalten, und so sind wir im Stande, unserem zweiten Vaterlande, der argentinischen Republik, tüchtige und sittsame Frauen und brave und brauchbare Bürger zu schenken.«97
Das Selbstverständnis und das Sendungsbewusstsein der deutschen Bürgerschule unterschied sich nicht wesentlich von dem der Schwesterschule im Arbeiterviertel Talleres. Bis auf einige Versatzstücke aus dem proletarischen Ideenkosmos finden sich in den offiziellen Äußerungen dieser Lehranstalt fast dieselben Motive. Die Talleres-Schule sollte die Kinder ebenfalls zu leistungsfähigen Staatsbürgern ausbilden, gleichermaßen verwurzelt in den nationalen 94 | EGB, 2. Jg., Nr. 96 (o.Dat.; 1896/97), Beilage »Erziehung und Schule«, Nr. 8 (16. April 1897), ohne SZ. 95 | Ebd. 96 | Ebd. 97 | Ebd.
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und ethnischen Bezugssystemen Deutschlands und Argentiniens. Ihre Abstammung und deutsche Erziehung sollte sie in besonderer Weise befähigen, zum Fortschritt der argentinischen Nation beizutragen: »Das Ziel der Schule ist, Kinder auszubilden, die im späteren Leben mit Erfolg den Kampf um die Hebung ihrer sozialen Stellung führen können, die jeder religiösem Haarspalterei abhold bleiben, und die stolz sind auf die Weltmachtstellung des deutschen Volkes, ohne sich bei der Beurteilung der Verhältnisse irgend eines Landes jemals von doktrinärer Engherzigkeit oder chauvinistischer Albernheit leiten zu lassen. Der argentinischen Heimat, dem Lande, das ihnen und ihren Eltern das tägliche Brot freigiebig und gastfreundlich spendet, sollen die aus der Schule hervorgehenden jungen Leute innige Liebe und Dankbarkeit entgegenbringen, sie sollen Hochachtung zollen den freiheitlichen Institutionen des Landes und sollen freudig mitarbeiten an einer weiteren Erschliessung der Reichtümer des gesegneten argentinischen Vaterlandes. Mit dem Finger soll man hinweisen auf den in deutscher Schule zum sittenstarken, arbeitsfrohen, selbstbewussten Manne erzogenen Germanen, der als argentinischer Bürger mit deutscher Kraft in seinem Berufe schafft für sich, Familie und Volk.«98
4.3 Deutsche Kinder und argentinische Staatsbürger: Lehrpläne und Schulordnungen der »ersten« deutschen Schule Über die Ausgestaltung des Unterrichts und des Schulalltags der Deutschen Schule in den ersten Jahren ihres Bestehens ist nur wenig bekannt. Die rechtlichen Rahmenbedingungen ließen der Einrichtung in dieser Hinsicht aber offenbar große Spielräume. Bei Eröffnung 1893 existierte bereits ein »ausführlicher Lehrplan«, der für die unterste Klasse ausschließlich deutschsprachigen Unterricht vorsah.99 Der Vorstand des Schulvereins erkannte allerdings bald die Notwendigkeit zu Reformen und beauftragte 1899 eine Kommission mit der Ausarbeitung eines neuen Plans.100 Einen ersten eingehenden Überblick über Charakter und Ziele des Unterrichts ermöglicht der 1903 veröffentlichte »Lehrplan der Deutschen Schule in Rosario de Santa Fe«. Er setzte die bilinguale Ausrichtung der Schule konsequenter um. Im Gegensatz zum Entwurf aus dem Jahr 1893 war neben dem deutschen auch das spanische »Schreiblesen« nun für alle Klassenstufen vorgesehen. In der Summe wurde dem Deutschen im Unterricht allerdings mehr Raum zugebilligt. Die zweiten bis siebten Klassen hatten ein bis zwei Wochenstunden mehr Deutsch 98 | AW, 33. Jg., Nr. 1701 (24. September 1910), 19. 99 | Vgl. Deutscher Schulverein Rosario 1893a, ohne SZ. 100 | Vgl. Deutscher Schulverein Rosario 1899a, ohne SZ.
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als Spanisch. Fächer wie »Religion und Moral«, »Naturgeschichte« und Physik wurden ausschließlich auf Deutsch unterrichtet. In den Fächern Mathematik, »Anschauungsunterricht«, Geografie und Geschichte überwog entweder das Deutsche oder es bestand ein paritätisches Verhältnis. Lediglich der Unterricht in »Heimatkunde« erfolgte ausschließlich auf Spanisch. Auch die verwendeten Lern- und Lehrmittel stammten zum überwiegenden Teil aus Deutschland. Der Lehrplan von 1903 ist ein Spiegelbild zeittypischer Pädagogik und des angestrebten Spagats zwischen deutscher und argentinischer Lebenswelt. Der »Anschauungsunterricht« der ersten Klassen beschäftigte sich mit der unmittelbaren Umgebung der Schüler (»Schule, Haus, Wohnort, Natur«101 ). Das Fach »Heimatkunde« steuerte ergänzendes Wissen zu Rosario und der Provinz Santa Fe bei. In »Naturgeschichte« wiederum kam auch die deutsche Flora und Fauna zur Sprache. Der Gesangunterricht umfasste in allen Stufen sowohl deutsche als auch spanische Lieder. In den oberen Klassen standen darüber hinaus »Bilder« der deutschen und argentinischen Geschichte auf dem Plan, wobei die großen deutschen Persönlichkeiten und Kriege besonders ausführlich behandelt wurden. Der Sprachunterricht der sechsten bis achten Klassen beinhaltete die Grundzüge der deutschen und spanischsprachigen Literaturgeschichte. Die Aufstellung über »Stunden- und Stoffverteilung« vermittelt einen Eindruck davon, wie die Zukunft der Schüler der Deutschen Schule gedacht wurde. Zwischen den Geschlechtern bestanden dabei deutliche Unterschiede. Das »Geometrische Zeichnen« in den Klassen fünf bis acht war den Jungen vorbehalten. Für Mädchen war hingegen der Handarbeitsunterricht ab der zweiten Klasse obligatorisch. Diese Trennung korrespondierte mit zeitgenössischen Rollenmodellen, denen vor allem an einer Arbeitsmarktintegration des männlichen Teils der Schulbevölkerung gelegen war.102 Dieses Ziel verfolgten auch die Lehrinhalte und Ergänzungsfächer in den letzten Schuljahren, die sich von den wichtigsten Tätigkeitsfeldern der deutschen »Kolonie« ableiteten. Als neue Fächer wurden etwa Stenografie und »Handelskorrespondenz« eingeführt. In Physik besprach man die Funktionsweise technischer Geräte wie Saug- und Druckpumpen. Der Mathematikunterricht vertiefte noch einmal die »Zins-, Rabatt-, Gewinn- und Verlustrechnung« sowie die »Diskont-, Termin-, Gesellschafts- [und] Mischungsrechnung«.103 Der reibungslose berufliche Übergang in den für Rosario so wichtigen Export-, Großund Einzelhandel war damit gewährleistet. Gleichzeitig entsprach die Deutsche Schule in dieser Hinsicht dem von der argentinischen Regierung ausgegebe101 | Deutscher Schulverein Rosario 1903, 5. 102 | Die ursprünglich angestrebte vollständige Trennung von Mädchen und Jungen im Unterricht konnte nie ganz verwirklicht werden. 103 | Vgl. Deutscher Schulverein Rosario 1903, 14; 17.
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nen Ziel eines mehr an der Praxis und den Naturwissenschaften orientierten Bildungswesens.104 Die bereits 1899 eingeführte Schulordnung zementierte – »entsprechend dem vornehmlich deutschen Charakter der Anstalt«105 – die von Beginn an im Lehrplan verankerte Bevorzugung des Deutschen im Unterricht und machte diese auch zur Norm im Schulalltag. Danach war die Aufnahme nicht deutschsprachiger Kinder nur für die erste und zweite Klasse zugelassen. Ab der dritten Klasse mussten Deutschkenntnisse nachgewiesen werden. Außerdem war es die »Pflicht der Lehrer[,] darauf zu achten, dass die Schüler und Schülerinnen in ihrem Verkehr innerhalb der Schule sich der deutschen Sprache bedienen«106 . Die Vorgabe betraf insbesondere auch die Pausenzeiten. Schulberichte aus den folgenden Jahren zeigen allerdings, dass sich dieses Ansinnen kaum umsetzen ließ und die Kinder häufig in das Spanische bzw. eine deutsch-spanische Mischsprache wechselten. In der neuen Schulordnung von 1922 war dieser Passus bereits nicht mehr enthalten.107 Nur vier Jahre nach Veröffentlichung des Lehrplans von 1903 legte das Lehrerkollegium um den neuen Rektor Reinhold Gabert eine komplett überarbeitete Version vor, die 1908 in Kraft trat. Zwar orientierte sich diese in Grundzügen an den Inhalten des Vorgängers, gab aber ausführlicher Auskunft über Entstehungshintergrund, Unterrichtsinhalte und pädagogische Zielsetzungen. Einen Haupteinfluss und Schlüssel zum Verständnis des Lehrplans von 1907 bildet die parallel dazu verlaufende wissenschaftliche Tätigkeit des Pädagogen Gabert. Reinhold Gabert war 1901 auf Vermittlung des AA aus Deutschland an die Deutsche Schule in Rosario gekommen und übernahm dort nach wiederholter Vertragsverlängerung 1906 das Amt des Schuldirektors. Die Erfahrungen im Auslandsschuldienst flossen in sein Forschungsprojekt über das deutsche Schulwesen in Argentinien ein. Einen Urlaub in Deutschland zwischen Dezember 1907 und März 1908 nutzte Gabert, um das Promotionsvorhaben in Jena abzuschließen. Seine Dissertation »Das deutsche Bildungswesen in Argentinien und seine Organisation« erschien 1908 bei Dietrich Reimer in Berlin. Nach seiner Rückkehr blieb er noch bis 1912 Rektor in Rosario und wechselte danach als Schulleiter an die Belgrano-Schule (später: Goethe-Schule) in Buenos Aires, bevor er Anfang der 1920er Jahre nach Deutschland zurückkehrte.108 104 | Vgl. Tedesco 2009, 66f.; 73; 128. Vgl. für die vorangegangenen vier Absätze: Deutscher Schulverein Rosario 1903, 3-22. 105 | Deutscher Schulverein Rosario 1899b, 4. 106 | Ebd. 107 | Vgl. Deutscher Schulverein Rosario 1922b. 108 | Vgl. für diesen Absatz: BArch R 901/38672, Bl. 23; 98-100; DLPZ, 33. Jg., Nr. 207 (5. September 1901), 1; Deutscher Schulverein Rosario 1905c, ohne SZ; Gabert 1908; Elsner 1942, 9.
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Der von Gabert 1907 herausgegebene »Lehrplan für die deutsche Schule in Rosario de Santa Fé« war speziell auf die örtlichen Verhältnisse zugeschnitten und sollte mehr Kontinuität und Stabilität in den Schulalltag bringen. Er stützte sich u.a. auf die Werke des deutschen Pädagogen Richard Seyfert und die Pläne württembergischer Volksschulen. Im Vorwort schilderte Gabert den Anspruch des neuen Lehrplans und die zu überwindenden Hürden. Die Kinder sollten zugleich auf ein Leben in Argentinien vorbereitet und mit deutschen Bildungsinhalten vertraut gemacht werden. Die Bilingualität vieler Fächer und die inhaltliche Verortung zwischen Deutschland und Argentinien ließen den vorgesehenen und den verpflichtenden Unterrichtsstoff jedoch so stark anwachsen, dass »Beschneidungen« notwendig wurden.109 In seiner Dissertation greift Gabert die Positionierung der Auslandsschulen zwischen den Kontexten erneut auf und präzisiert deren Funktionen und Ziele in Argentinien. Die deutsche Schule ist demzufolge die wichtigste Kraft bei der langfristigen Erhaltung des »Deutschtums«. Denn andere Organisationen, wie die deutschen Vereine, kämen »in erster allererster Linie dem Deutschtum der ersten, der eingewanderten Generation zu gute [sic].«110 Aus ihrem Zukunftsauftrag und ihrer Zielgruppe – einer Jugend, die »zwei Völkern und zwei Ländern«111 angehört – ergibt sich ein doppeltes Ziel für die deutsche Schule in Argentinien. Zum einen sollte sie den Schülern Deutschland als »geistige Heimat« vermitteln, damit diese »später deutsches Wesen, deutsche Art, deutsches Ansehen im Auslande erhalten und stärken [. . . ] können.«112 Im Sinne ihrer »natürlichen« bzw. »physischen« Heimat Argentinien sollten die Kinder andererseits zu »tüchtigen Staatsbürgern und zu willigen und erfolgreichen Mitarbeitern an seiner [des Landes, Anm. d. Verf.] besonderen kulturellen Bestimmung« erzogen werden.113 Der »doppelte Heimatsbegriff«114 war auch für den Lehrplan von 1907 grundlegend. Der spanischsprachige Unterricht setzte den Schwerpunkt auf eine technisch-praktische Ausbildung entlang der gesetzlichen Richtlinien, um die Kinder auf das Arbeitsleben in Argentinien, ihrer »natürlichen« Heimat, vorzubereiten. Der deutsche Unterricht und der ausgesprochen deutsche Charakter des Schulalltags hatten hingegen ihre Identifizierung mit dem viel beschworenen »Deutschtum« und der »geistigen« Heimat Deutschland zum Ziel. 109 | Vgl. für diesen Absatz: Gabert 1907, 3f. 110 | Gabert 1908, 13. 111 | Ebd., 26. 112 | Ebd. 113 | Vgl. ebd., 26; 58; 62. Bryce hat für die deutschen Schulen in Buenos Aires einen ähnlich gelagerten Diskurs herausgearbeitet, der sowohl deutsche als auch argentinische Elemente umfasste (vgl. Bryce 2013, 257). 114 | Gabert 1908, 58.
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Die Bedeutung des deutschen Unterrichts bei der Umsetzung dieses Vorhabens beschreibt Gabert in seiner Doktorarbeit im Detail. Er bildete ein Kernelement seines Unterrichts- und Erziehungskonzepts und sollte der »Geistes- und Charakterbildung« und die »Pflege der (deutschen) Gesinnung« der Schüler dienen. Zwar bestand die Schülerschaft in zunehmenden Maße aus gebürtigen Argentiniern, dennoch sollte es ein Anliegen sein, »deutsche Kinder« hervorzubringen. Da Spanisch ohnehin als Umgangssprache die Lebenswelt der Kinder bestimmte, plädierte Gabert dafür, dem Deutschen im Sprachunterricht größere Bedeutung beizumessen.115 In den Lehrplan von 1907 fand Gaberts Pädagogik auf unterschiedliche Weise Eingang. Das Konzept der zwei Heimaten und die identifikatorische Doppelbindung der Schüler wurden systematisch und fächerübergreifend umgesetzt. Als weiterer zentraler Schulauftrag neben der Vermittlung deutscher Sprache und Kultur wurde die charakterliche und moralische Erziehung der Schulkinder nach deutschen Maßstäben formuliert. Die Kontrastierung hehrer deutscher Bildungsziele mit den »fremden« und vermeintlich widrigen argentinischen Verhältnissen, wie im folgenden Beispiel, setzte sich auch in Bezug auf andere Fächer fort: »Das deutsche Kind im Auslande lernt außerhalb des Hauses auf der Straße, beim Spiel mit nichtdeutschen Kameraden, im Umgang mit fremden Dienstboten in der Regel keine deutsche Volkssitte, vielfach fremde Unsitte; häufig sind Schimpfwörter und Flüche der Gewinn der Gasse. [. . . ] Ja, aber wer lehrt denn unsere Jugend im Auslande auf deutsche Art Pfeifen schneiden und blasen, wer lehrt sie deutsch singen und spielen, wer führt ihre hungernde Phantasie in den deutschen Märchenwald? Niemand, wenn es nicht die Schule tut!«116
Als Lernmittel kamen überwiegend deutschsprachige Werke zum Einsatz. Nur in den Fächern Spanisch, argentinische Geschichte und argentinische Erdkunde griff man, gemäß den behördlichen Anforderungen, auf spanischsprachige Lehrbücher zurück. Die Bevorzugung deutscher Schulliteratur setzte sich auch in den folgenden Jahrzehnten fort. Infolge der Importbeschränkungen während des Ersten Weltkrieges wurde der Bestand ab 1918 zudem mit in Argentinien verlegten deutschen Schulbüchern ergänzt. Einer Aufstellung aus dem Schuljahr 1921 zufolge nutzte die Deutsche Schule in allen Klassen ausgiebig die vom Deutschen Lehrerverein in Buenos Aires herausgegebenen Fibeln und Lesebücher »für die deutschen Schulen in Südamerika«.117 115 | Vgl. für diesen Absatz: Ebd., 61f. 116 | Gabert 1907, 3f. 117 | Vgl. Deutscher Schulverein Rosario 1922a, 8-23.
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Die deutsche Sprache nahm laut Lehrplan wiederum den größten Raum im Schulalltag ein und stand unter besonderem Schutz des Lehrpersonals: »Unterrichtssprachen sind das Deutsche und das Spanische, doch überwiegt das Deutsche, [. . . ]. Auch werden die Kinder angehalten, im Verkehr untereinander, beim Spiel u.s.w. deutsch zu sprechen. [. . . ] Der allgemeinen Unsitte, die deutsche Sprache mit spanischen Wörtern und Redensarten zu durchsetzen, ist kräftig entgegenzuarbeiten.«118
Der Sprachunterricht zielte zwar gleichermaßen auf die Beherrschung des Deutschen und des Spanischen ab, verknüpfte die Sprachen aber mit unterschiedlichen Funktionen. Der Deutschunterricht sollte das Verbindungsstück zum geistigen »Erbe der Väter«, zu deutscher Literatur, Kultur und Geistigkeit bilden, »während der Spanischunterricht mehr auf die Beherrschung der Sprache für den praktischen Gebrauch hinarbeitet.«119 Unterstützung erfuhr der deutsche Sprachunterricht vom Gesangsunterricht, der in allen Stufen als wichtiges Unterrichtselement mit diesem abgestimmt war. Deutsche Lieder machten laut Lehrplan das Gros des Unterrichtsstoffes aus. Das Singen sollte zum einen die Freude der Schüler an der deutschen Sprache wecken und ihr Sprachgefühl verbessern. Darüber hinaus fungierten die Volkslieder mit ihren Themen als anschauliche Mittler zwischen zwei Lebenswelten, von denen eine den Kindern oft nur über Erzählungen bekannt war. Der Gesang sollte den Schülern ihre »geistige« Heimat näherbringen. Spanische Schullieder hingegen wurden – mit Ausnahme der argentinischen Nationalhymne – »wegen ihrer Wertlosigkeit« nicht mehr im Unterricht berücksichtigt.120 Im Vergleich zum Lehrplan 1903 behandelte der Unterricht nun von Beginn an verstärkt Stoffe aus der deutschen Literatur und Lebenswelt. Zu diesem Zweck wurde der Anschauungsunterricht in den ersten vier Klassen fortgeführt und erweitert. Er sollte: »die Kinder an anschauende und denkende Beobachtung und Betrachtung ihrer Umgebung und engeren Heimat nach Form und Inhalt wie an die sprachliche Bewertung der so gemachten Erfahrungen [. . . ] gewöhnen, er soll ihnen zugleich jene in deutschem Boden wurzelnden Stoffe nahebringen, die geeignet sind, das Empfinden, Denken, Sprechen, Wollen und Handeln der Kinder als das deutscher Kinder zu bestimmen, und damit schon auf der Unterstufe Deutschland als geistige Heimat der ganzen Schule zu kennzeichnen.«121 118 | Gabert 1907, 7. 119 | Ebd. 120 | Vgl. für diesen Absatz: Ebd., 29f. 121 | Ebd., 8.
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Als mögliche Unterrichtsformen wurden u.a. Hör- und Sprechübungen, Alltagserzählungen der Kinder und deutsche Spiele, Lieder und Gedichte in Betracht gezogen. Erzählungen und Bilderbücher lieferten anschauliche Beispiele aus der deutschen Lebens- und Erfahrungswelt und machten die Kinder mit dem »deutschen Hof«, der »deutschen Wiese« oder dem »deutschen Wald« vertraut. In den höheren Klassen verlagerte sich der Schwerpunkt hin zu Geschichte, Geografie, u.Ä.122 Eine Herausforderung des Anschauungsunterrichts waren die unterschiedlichen Sprachkenntnisse der Schüler. Viele beherrschten die Muttersprache ihrer Eltern nur ungenügend oder kamen vereinzelt gar aus Familien ohne deutschen Hintergrund. Laut Lehrplan sollten auch diese Kinder integriert und gegebenenfalls besonders gefördert werden. Der sprachliche und kulturelle Transfer über die deutsche Gemeinschaft hinaus war somit Teil des Schulkonzepts. Um auch die Klassenteile mit mangelhaften Deutschkenntnissen anzusprechen, setzte man im Anschauungsunterricht beispielsweise auf die imaginative Kraft deutscher Märchen: »[...] Märchen bilden [. . . ] ein Mittel, alle Kinder trotz der großen Ungleichheit ihrer sprachlichen Vorbildung und der dadurch bedingten Verschiedenheit im Umfang des Erfassten doch gleichmäßig stark anzuziehen und zu beschäftigen, gleichzeitig schlagen sie unmerklich die Brücke zwischen dem wirklich beobachteten Leben der natürlichen argentinischen und dem innerlich geschauten und empfundenen Gemütsleben der geistigen deutschen Heimat.«123
Der Unterricht in den höheren Stufen versuchte Deutschland und Argentinien in gleicher Weise gerecht zu werden, behielt aber die funktionale Trennung der beiden »Heimaten« bei. Das vermittelte Grundwissen über Argentinien konzentrierte sich auf den Gesichtspunkt der praktischen Anwendbarkeit. Neben der geografischen Beschaffenheit und der Flora und Fauna des Landes lernten die Schüler der achten Klasse im Mathematikunterricht die »Währungsverhältnisse Argentiniens« kennen und lösten »Aufgaben aus dem Verkehrs- und Handelsleben mit besonderer Berücksichtigung der argentinischen Verhältnisse«.124 In diesem Zusammenhang rückten auch lokale und regionale Zusammenhänge stärker in den Fokus. In allen Fächern befassten sich einzelne Unterrichtseinheiten mit Rosario und der Provinz Santa Fe und Themen wie Handel, Stadtplanung oder Geografie. Obwohl ohne unmittelbare Entsprechung im Alltag
122 | Vgl. für diesen Absatz: Ebd., 8f.; 33; 36-38. 123 | Ebd., 9. 124 | Ebd., 26.
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der Kinder, waren die Deutschland betreffenden Unterrichtsschwerpunkte in vielen Fällen deckungsgleich.125 Besonderes Gewicht bei der Positionierung der Schüler zwischen den »Heimaten« hatte der Geschichtsunterricht. Entscheidende Anregungen kamen hierfür aus dem Schulwesen des Kaiserreichs, das dem Fach Geschichte eine wichtige Rolle bei der Vermittlung einer »vaterländischen« Gesinnung zudachte.126 Laut Lehrplan von 1907 sollten zuvorderst die Grundzüge der deutschen und der spanisch-argentinischen Geschichte anhand bedeutender Personen und Ereignisse vermittelt werden. Dahinter verbarg sich aber ein weiteres Ziel, nämlich durch »Hinführung zu den großen Persönlichkeiten, in denen sich deutsches Wesen und Streben am schönsten verkörpert, in den Kindern das Gefühl der Zugehörigkeit zum deutschen Volk und die Begeisterung für deutsche Größe hervorzurufen und zu pflegen«.127 Ab der fünften Klasse beschäftigten sich die Schüler etwa mit den Germanen im Römischen Reich, dem Dreißigjährigen Krieg, deutschen Fürsten und Kaisern, den Einigungskriegen und der Verfassung des Deutschen Reichs. Auf der anderen Seite standen u.a. die Entdeckung und die indigenen Kulturen Amerikas, das spanische Kolonialreich, die Unabhängigkeitsrevolutionen und die Genese des argentinischen Staates auf dem Plan.128 Der Ausgangs- und fortwährende Bezugspunkt für den Geschichtsunterricht war aber die Geschichte der Deutschen in Argentinien, ein Punkt, an dem deutsche und argentinische Vergangenheit erstmals eine großflächige Schnittmenge bildeten. Die Einwanderungserfahrung der Deutschen im Allgemeinen bzw. der Eltern oder Großeltern vieler Schüler im Besonderen wurde mit den restlichen Lehrstoff verknüpft und in Beziehung gesetzt. Beim inhaltlichen Übergang in die Frühe Neuzeit sollten beispielsweise auch die ersten Deutschen, die den La Plata erreichten, thematisiert werden. Den Umständen der Reichsgründung folgte ein Exkurs zum »Deutschtum im Ausland«. Die in Argentinien und im Alltag der Kinder überall greifbare Einwanderungsgeschichte sollte im Unterricht als vereinendes Vehikel ihre leichtere Identifizierung mit der deutschen Vergangenheit und der deutschen Nation gewährleisten und zugleich ihre Selbstwahrnehmung als Mitglieder einer ethnischen Gemeinschaft schärfen. Die pädagogische und ideologische Ausrichtung der Deutschen Schule blieb im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts weitgehend konstant. Eine zweisprachige Werbebroschüre aus dem Jahr 1927 mit dem bezeichnenden Titel »Deutsche 125 | Vgl. für diesen Absatz: Ebd., 21-26; 50f. 126 | Vgl. Löher 1998b, 42. 127 | Gabert 1907, 19. 128 | Vgl. für die vorangegangenen beiden Absätze: Ebd., 19-21.
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Zucht und Lehr’ sich allzeit bewaehr [sic]« bestätigte die meisten der vorgenannten Unterrichtsstrategien und -ziele. »Fleiss [sic], Ordnung und Pflichtbewusstsein im guten deutschen Sinne« und eine Vorbereitung der Schüler auf Berufe »industrieller oder kommerzieller Art« in der Tradition der »Arbeitsschule« gehörten nach wie vor zu den zentralen Anliegen der Einrichtung. Unter dem neuen Rektor Edgar Willy Rohn war allerdings in mehrerlei Hinsicht eine Öffnung zu beobachten. Die Aufnahme in den Kindergarten und die ersten Klasse war unabhängig von den Deutschkenntnissen der Aspiranten möglich. Mit Erlaubnis des Schulleiters bzw. des Vorstandes konnten nicht deutschsprachige Kinder sogar in die oberen Klassen eintreten. Zudem wurde der Unterricht in »argentinischer Kulturkunde«, gemäß den behördlichen Vorgaben, nun von argentinischen Lehrkräften besorgt, von denen zwei dauerhaft angestellt waren. Der zuvor vor allem einseitig gedachte Kulturtransfer gestaltete sich nun zunehmend bidirektional. Im Deutschunterricht wurde »[...] nicht nur eine ausfuehrliche [sic] Kenntnis des grammatischen Aufbaus, der schriftlichen und muendlichen [sic] Ausdrucksformen des taeglichen [sic] Lebens, sondern auch ein gewisser allgemeiner Grundstock an Kenntnissen ueber [sic] die Geschichte, Wissenschaft, Dichtung, Kunst und Allgemeinkultur angestrebt [. . . ][,] [um] auch allen denen, die als nicht Deutsch Sprechende in die Schule eintreten, eine weitestgehende Einfuehlung [sic] in den deutschen Kulturkreis [zu] gewährleiste[n].«129
Auf der anderen Seite legte die Deutsche Schule nun mehr Gewicht auf »Argentinische Geschichte und Bürgerkunde«, um »in den rein deutschen Schuelern Verstaendnis fuer [sic] das neue Vaterland zu wecken und zu pflegen.«130
4.4 Deutsche, Argentinier, »Bindestrichler«. Die Schulstatistiken Die deutschen Gemeinschaften in Argentinien definierten sich in hohem Maße über Sprache. Im Zuge der diskursiven Auseinandersetzung über Zugehörigkeit und Abgrenzung und unter dem Einfluss der politischen und wissenschaftlichen Debatte über das »Deutschtum« in der »alten Heimat« entwickelten sie eine eigene Terminologie, die sich auch im Vereinswesen durchsetzte. Die wechselnde Grundlage bildeten ethnische Merkmale und die regionale oder nationale Herkunft der Bezeichneten. Man unterschied etwa zwischen in Deutschland geborenen »Reichsdeutschen« und »germanischen« Schweizern, Österreichern und »Wolga«- oder »Russlanddeutschen«, die in sprachlicher und kultureller Hinsicht dem »Deutschtum« zuzurechnen seien. 129 | Deutscher Schulverein Rosario 1927a, ohne SZ. 130 | Vgl. für die vorangegangenen beiden Absätze: Ebd.
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Daneben transportierten derartige Bezeichnungen auch den Grad der Akkulturation in die Aufnahmegesellschaft. Wilhelm Keiper vermerkte dazu mit Blick auf die Aufgaben des deutschen Schulwesens in Argentinien: »[...] die ehemaligen Reichsdeutschen werden zu ›Bindestrichlern‹, zu jener Mittelschicht, die zwei Seelen hat, und schließlich zu vollbürtigen Argentiniern, die bestenfalls noch eine verschwommene Erinnerung daran haben, woher ihre Ahnen einst gekommen sind.«131 Die hier als »Bindestrichler« bezeichneten »DeutschArgentinier«, die zwar in Argentinien geboren, aber häufig in einer ethnisch durchwirkten Umgebung aufgewachsen waren, spielten im Alltag deutscher Auslandsschulen in Argentinien eine zunehmende Rolle.132 Aus den Statistiken der Deutschen Schule in Rosario lassen sich die Wahrnehmungen, Abstufungen und die im Laufe der Zeit vorgenommenen Modifikationen nationaler und ethnischer Zugehörigkeit ersehen. Die Schulstatistiken lagen im Verantwortungsbereich des Rektors und erschienen auszugsweise in den jährlichen bzw. halbjährlichen Berichten an Eltern und Vereinsmitglieder.133 Erhoben wurde in der Regel die monatliche Entwicklung der Schülerzahlen sowie die Gesamtschülerzahl eines Jahres bzw. Halbjahres. Zwischen 1893 und 1900 nahm die Zahl der in der Deutschen Schule unterrichteten Kinder kontinuierlich zu. Nach einem Mitgliedereinbruch und finanziellen Schwierigkeiten Anfang des 20. Jahrhunderts, die mit Hilfe der »Kolonie« überwunden werden konnten, stiegen die Schülerzahlen bis 1906/07 auf ein Allzeithoch an. Wirtschaftliche Probleme, Wegzüge und interne Auseinandersetzungen führten in den Jahren seit 1908 erneut zu einem deutlichen Rückgang, der sich mit Ausbruch des Ersten Weltkrieges nochmals verstärkte.134 Erst nach 1918 lässt sich eine allmähliche Erholung der Schülerzahlen feststellen. Die neuerliche deutsche Zuwanderung und die Einrichtung eines Kindergartens ermöglichten ab Mitte der 1920er Jahre sogar größere Zuwächse, die sich bis in die 1930er Jahre fortsetzten.135 Vor allem im 20. Jahrhundert wurden die Schulstatistiken zusätzlich mit Angaben zu Sprachkenntnissen, Religionszugehörigkeit und Abstammung bzw. Herkunft der Kinder angereichert. Der Schulvereinsvorstand und das Lehrpersonal maßen der nationalen und ethnischen Zusammensetzung der Schülerschaft besondere Bedeutung bei. Mit dieser war nicht nur das Prädikat »deutsch« verbunden, welches der Schule seit 1900 finanzielle und sonstige Hilfeleistungen 131 | Keiper 1936, 50. 132 | Vgl. Tabelle A10. 133 | Vgl. Deutscher Schulverein Rosario 1899b, 5. 134 | Vgl. Elsner 1932, 163f. 135 | Vgl. für die vorangegangenen beiden Absätze die Grafiken B4 und B5.
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aus Deutschland garantierte. Sie stand auch stellvertretend für das Selbstverständnis der Einrichtung und spiegelte den Grad ihrer »Argentinisierung« wider. Veränderungen dieser Werte wurden daher intensiv verfolgt und reflektiert. Seit der ersten Erhebung dieser Art im Jahr 1901 bis in die Mitte der 1920er Jahre bildeten »Reichsdeutsche« die Mehrheit der Schülerschaft. In einem Unterstützungsgesuch von 1906 berichtete der Schulverein stolz an Reichskanzler von Bülow: »Der Charakter der Schule ist rein deutsch, wie die beigefügten Statuten, Lehrplan und Schulordnung zeigen, der Lehrplan ist dem preussischen [sic] Lehrplänen angepasst, soweit es die hiesigen gesetzlichen Vorschriften sowie die nötige Rücksicht auf die Zukunft und das Fortkommen der Schüler hier im Lande erlauben. Der Prozentsatz der Kinder anderer Nationen, die unsere Schule besuchen, ist äußerst gering (c. 5%).«136
Die Statistik von 1908 zeigt allerdings, dass dies nicht der Wirklichkeit entsprechen konnte. Die Schülerschaft war national breit aufgestellt und umfasste Spanier, Italiener, Engländer und Franzosen. Selbst bei Nichtberücksichtigung aller sonstigen mit dem »Deutschtum« in Verbindung stehenden Schülergruppen war der Anteil von »Kindern anderer Nationen« mehr als dreimal so hoch.137 Zumal die nationalen bzw. kulturellen Grenzen zu anderen »germanischen« Einwanderern in den statistischen Aufstellungen stets sichtbar waren und gepflegt wurden: »(Deutsch-)Österreicher«, »Deutsch-Russen« und »DeutschSchweizer«, die die Schule besonders vor dem Ersten Weltkrieg in größerer Zahl besuchten, wurden gesondert aufgeführt. Als weitere, nicht immer trennscharfe Kategorien dienten die Bezeichnungen »Deutsch-Argentinier« und »Argentinier«. In beiden Fällen konnten ein oder beide Elternteile deutscher Abstammung oder Nationalität sein. Die Einordnung erfolgte auf Grundlage der nationalen Herkunft oder der vorhandenen bzw. nicht vorhandenen Sprachkenntnisse. Ein Kind mit deutschen Wurzeln und argentinischer Staatsbürgerschaft, das Deutsch sprach, konnte als »Deutsch-Argentinier« aufgenommen werden, während ein entfernt deutschstämmiges Kind mit keinen oder unzureichenden Deutschkenntnissen als »Argentinier« firmierte.138 Nationalität, Abstammung und Muttersprache der Schüler stimmten allerdings nicht immer überein. Die scheinbar eindeutigen Kategorien in den Schülerstatistiken der Deutschen Schule bildeten diese Divergenz nicht ab. Zum Beispiel waren 1909 16 der 83 registrierten »Reichsdeutschen«, sechs der 24 136 | BArch R 901/38671, Bl. 160f. 137 | Für die deutsche »Zweigschule« im Arbeiterviertel Talleres bietet sich ein ähnliches Bild. Von den 76 Schülern im Jahr 1901 waren 21 »Deutsche«, 15 »Schweizer« und fünf »Österreicher« (vgl. DLPZ, 33. Jg., Nr. 207 (5. September 1901, 1). 138 | Vgl. für die vorangegangenen beiden Absätze: Tabelle A10.
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»Deutsch-Schweizer« und fünf der acht »Deutsch-Argentinier« nicht deutschsprachig. Dagegen beherrschten zwei der neun »Engländer«, zwei der sechs »Italiener« und alle fünf »Spanier« Deutsch auf Muttersprachenniveau.139 Der Gesamtanteil deutschsprachiger Schüler lag in diesem Jahr bei rund 65 Prozent. Dieser Wert blieb bis zum Beginn des Ersten Weltkrieges relativ stabil und ging erst ab Mitte der 1920er Jahre deutlich zurück.140 Für die Schulstatistik von 1925 wurden neben den Deutsch- auch die Spanischkenntnisse der Schüler abgefragt. Während 45 der 136 Schüler kein oder nur »mangelhaftes« Deutsch sprachen, waren nur 29 Kinder nicht in der Lage, sich in spanischer Sprache auszudrücken.141 Unter diesen Voraussetzungen erscheinen der oft betonte »rein deutsche« Charakter der Schule und die Belastbarkeit der ethnischen Terminologie der deutschen Gemeinschaften in einem anderen Licht. Die Schülerkategorien der Deutschen Schule – und mit ihr die Selbst- und Fremdwahrnehmungen der deutschen »Kolonie« – machten im Laufe der Jahre wiederholt Veränderungen durch. Bis 1912 war »Deutsch-Argentinier« eine anerkannte Bezeichnung in den halbjährlichen Berichten. In den Jahren 1913 und 1921 verschwand diese Gruppe aber aus den Statistiken und wurde, ungeachtet von Abstammung und Sprachkenntnissen, unter der Rubrik »Argentinier« subsumiert. In den Berichten ab 1926 erfasste man beide wieder getrennt voneinander. Noch deutlicher vollzog sich der Wahrnehmungswandel im folgenden Schuljahr. Obwohl die Schülerzahl fast gleich blieb, veränderte sich 1927 das Verhältnis zwischen »Reichsdeutschen« und den nun als »Deutsch-Südamerikaner« zusammengefassten »Bindestrichlern« dramatisch. Während die Zahl der »Reichsdeutschen« ohne konkreten Anlass von 80 auf 27 schrumpfte, nahm die Gruppe der »Deutsch-Südamerikaner« fast um das Sechsfache zu. Dieser Trend setzte sich in Jahren bis 1933 fort. »Deutsch-Südamerikaner« und »Argentinier« bildeten bald die zwei größten Schülergruppen. Der Anteil »reichsdeutscher« Kinder verharrte auf einem niedrigen Niveau. Das Verständnis vom »Deutschsein« an der Deutschen Schule in Rosario war ein anderes geworden.142 Die augenfällige »Argentinisierung« der Schule in den 1920er und 1930er Jahren rief gemischte Reaktionen hervor. Zwar sicherte die Öffnung, die vor allem mit Hilfe des auch unter Argentiniern gut angenommenen Kindergartens erreicht wurde, kontinuierlich steigende Mitglieder- und Schülerzahlen und letztlich die Zukunft der Einrichtung. Auf der anderen Seite standen Bedenken, 139 | Vgl. BArch R 901/38672, Bl. 93. 140 | Vgl. die Tabellen A10 und A11. 141 | Deutscher Schulverein Rosario 1926b, 7. 142 | Vgl. für die vorangegangenen beiden Absätze: Tabelle A10.
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ob sich die eingeschlagene Entwicklung mit der nach wie vor angestrebten »Erhaltung des Deutschtums« vereinbaren lasse. Die Schulleitung sah sich diesbezüglich offenbar mit Vorwürfen aus der deutschen Gemeinschaft konfrontiert. Noch 1929 ließ sie daher angesichts nur zweier neu eingeschriebener argentinischer Kinder im laufenden Schuljahr verlauten: »Die geringe Erhoehung [sic] der Kinderzahl fuer [sic] ›Argentinier‹ weist darauf hin, dass die Deutsche Schule Rosario auch bei steigender Schuelerzahl ihre Eigenart als ›deutsche‹ Schule nicht aufgeben wird, selbst wenn sie bestrebt ist, allen schulischen Forderungen des Gastlandes Genuege [sic] zu leisten und auch keinesfalls auf die Bezeichnung ›Werbeschule‹ verzichten will.«143
Aber schon 1930 erhöhte sich die Zahl der »Argentinier« wieder deutlich. Als deutsche Muttersprachler 1932 sogar erstmals eine Minderheit unter der Schülerschaft bildeten, sah sich die Schule zu einer offiziellen Stellungnahme im Jahresbericht veranlasst und trat darin die Verantwortung an die Eltern ab:144 »Diese bedauerliche Feststellung hat ihren Grund besonders darin, dass in den verschiedenen Ehen, bei denen der eine Teil reindeutscher oder deutschargentinischer, der andere ebenfalls deutschargentinischer oder fremder Abstammung ist, das Kind nur in den seltensten Faellen [sic] noch des Deutschen maechtig [sic] ist. Es gibt sogar Einzelbeispiele besonders krasser Art: der Vater Reichsdeutscher, die Mutter Deutsch-Argentinierin, das Kind spricht kein Wort Deutsch! Betrübend und erschreckend ist, dass dieser Verfall der Deutschsprachigkeit immer weiter fortschreitet!«145
Dieser Entwicklung versuchte die Schule ab Ende der 1920er Jahre u.a. mit »Vorbereitungs«- und »Sonderhilfskursen« für Schüler mit mangelhaften Deutschkenntnissen zu begegnen. Dem schleichenden Prozesse der sprachlichen und kulturellen Überformung der Lebenswelt der Schüler konnte die Deutsche Schule Rosario mit ihren Anstrengungen aber nichts Wesentliches entgegensetzen.
4.5 Deutsch-argentinische Fest- und Erinnerungskultur Die identifikatorische Doppelstrategie, die in Schulkonzepten und Lehrplänen verankert war, fand in der Fest- und Erinnerungskultur der Deutschen Schule ihre Fortsetzung. Kaum eine interne oder öffentliche Feier kam ohne ethnisch-nationale Bezüge aus. Nach den Vorstellungen des Vereinsvorstandes 143 | Deutscher Schulverein Rosario 1930, 13. 144 | Vgl. Tabelle A11. 145 | Deutscher Schulverein Rosario 1933, 24.
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und der Schulleitung sollten die Schüler auch bei diesen Gelegenheiten fortwährend zwischen der deutschen und der argentinischen »Heimat« positioniert werden. Im Unterschied zur eher passiven Vermittlung im Unterricht spielten sie während der Schulfeste aber eine aktivere Rolle und wurden stärker in die Diskurskonstruktion der deutschen Gemeinschaft einbezogen. Zu den traditionsreichsten Einrichtungen der Festkultur zählten die regelmäßigen »Bazare« der Deutschen Schule, die seit 1896 stattfanden. Vordergründig dienten sie dem Schulverein zur Aufbesserung der Vereinskasse. Vor allem in Jahren mit großen Fehlbeträgen waren erfolgreiche Basare eine wichtige Bedingung für den Fortbestand der Einrichtung.146 Unternehmen mit deutschem Hintergrund nutzten die Feste zudem als Werbe- und Verkaufsplattform und trugen mit Anzeigen und Ständen zur Steigerung der Erlöse bei. Neben diesen finanziellen Aspekten verband die Schulleitung mit den Veranstaltungen aber auch einen kulturellen Auftrag. Dekoration, Attraktionen, kulinarische Angebote und das Begleitprogramm transportierten deutsche Kultur und Lebensart. Als Volksfeste sollten die Schulbasare das Zusammengehörigkeitsgefühl der deutschen »Kolonie« Rosarios stärken. Einen detaillierteren Einblick in Organisation und Charakter der Basare ermöglichen die zu diesen Anlässen eigens publizierten großformatigen »Festzeitungen«.147 Fast durchgehend in deutscher Sprache verfasst, gaben die Schriften einen Überblick über die Schulgeschichte, brachten Anekdoten und humorvolle Gedichte aus dem Alltag der Gemeinschaft und informierten über Programmfolge und Attraktionen. Der dreitägige Basar 1899 bot beispielsweise ein reichhaltiges Angebot an deutschen Speisen und Getränken. Neben Fassbier der lokalen bzw. regionalen deutsch-argentinischen Marken Bieckert, Schlau und Germania hielten die Stände Torten, Pfefferkuchen und Heringssalat bereit. Für Unterhaltung sorgten eine Reihe von Volksfestattraktionen und Vereinsdarbietungen: »Welche Freuden der Schulbazar bieten wird: Unzähliche [sic] ungenannte (Pst!), ausserdem [sic] noch: Man kann gewogen, gemessen und conterfeit werden (Gewichtsschmuggel und hohe Hacken werden unbarmherzig verfolgt und abgesägt). Eine fesche Henne legt unaufhörlich Eier und quakst jedesmal danach. Ein Guckkasten zeigt die schönsten Rheinfälle [sic]. An Messerwerfen und Angelkorb wird Gross [sic] und Klein sich vergnügen. 146 | Der Schulbasar von 1905 erzielte Einnahmen in Höhe von über 11 500 Pesos (vgl. Deutscher Schulverein Rosario 1906b, ohne SZ). In der Rosariner Öffentlichkeit wurden die Erfolge der »Bazares Alemanes« häufig mit ungläubigem Staunen registriert (vgl. DLPZ, 41. Jg., Nr. 292 (12. Dezember 1909), 1). Die Schulbasare waren aber nicht nur in Rosario üblich, sondern ein von deutschen Schulen in ganz Argentinien notwendigerweise angewandtes Mittel zur Finanzierung des Schulbetriebs. 147 | Vgl. Abbildung C4.
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Verschiedene germanische Gesang- und Turnvereine produzieren sich; Luftballons und Feuerwerk wird man steigen lassen.«148
Darüber hinaus verbesserten Glücksräder, »Würfelbuden«, ein »Griff in den Krabbelbeutel« und der Verkauf von Zeitungen, Festpostkarten und Zigarren die Gesamtbilanz. Ein »Quintett unter der Leitung von Herrn Professor Scharping« steuerte Märsche und Walzer bei.149 Der wohltätige Zweck der Veranstaltungen stand trotz zahlreicher Zerstreuungsmöglichkeiten stets im Vordergrund. Ein Gedicht aus der Basarzeitung von 1905 erinnerte: »So tretet ein, und schaut euch um und spendet! Centavos nehmen wir, doch Pesos lieber. Herbei, herbei, geht keinem Stand vorüber! Und geht ihr heim, wenn spät das Fest beendet, Legt euch zur Ruhe, froh der guten Sache: Ein Scherflein gabt ihr für die Muttersprache!«150
Auf dem Basar von 1905 wurden die Schüler der Deutschen Schule als Funktionsträger auf verschiedene Weise in den Programmablauf eingebunden: Bei der Präsentation des als deutsche Errungenschaft gefeierten Turnens und der Diffusion deutscher Sprache und Lieder. Die Jungen zeigten bei einer »Turnschau« ihre Fähigkeiten im Stabturnen sowie im Keulen- und Fahnenschwingen, gefolgt vom »Reigen der Mädchen«. Am Abend brachte ein »Kinderterzett« Mendelssohn Bartholdys »Hebe deine Augen auf« und Schumanns »Schlaf nun in Ruh...« zur Aufführung. Der ausgesprochen ethnische Charakter der Schulbasare blieb auch in den folgenden Jahren beinahe unverändert erhalten.151 Im Einklang mit ihren Grundprinzipien partizipierte die Deutsche Schule auch an der vereinsübergreifenden Fest- und Erinnerungskultur der deutschen »Kolonie«. Die regelmäßig abgehaltenen Vereinsfeiern erfüllten mehrere, für den Fortbestand der Gemeinschaft essentielle Funktionen. Sie transportierten einerseits Elemente deutscher Kultur und Geschichte und übergaben diese an die nachrückenden Generationen. Daneben aktualisierten sie die vielgestaltigen Bindungen zum Heimatland und schufen die Grundlage für ein fortgesetztes Bekenntnis zur eigenen Herkunft. Schließlich gerierten sich deutsche Einwanderer durch diese Festakte in der Öffentlichkeit als ethnische Gemeinschaft. 148 | Deutscher Schulverein Rosario 1899a, ohne SZ. 149 | Vgl. für diesen Absatz: Ebd. 150 | Deutscher Schulverein Rosario 1905b, ohne SZ. 151 | Vgl. für diesen Absatz: Ebd.
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Die Zusammenarbeit zwischen Schule und Vereinen nutzte beiden Seiten. Die Deutsche Schule war dadurch in der Lage, ihr Bildungskonzept praktisch umzusetzen und die Schüler mittels neuer Impulse auch außerhalb der Unterrichtsräume zu »deutschen Kindern« zu konfigurieren. Für die Vereine bedeuteten die gemeinsamen Festprojekte vor allem Nachwuchsarbeit. Mit der Vermittlung deutscher Sprache und Kultur hatte die Deutsche Schule bereits die Grundlagen für eine spätere Beteiligung der Kinder am deutschen Vereinsleben gelegt. Über die Festkultur sollten diese nun näher mit den Organisationen vertraut gemacht werden.152 Große deutsche Jubiläen wie Kaisergeburtstage oder Bismarck- und Sedanfeiern waren besonders dazu geeignet, die Schulkinder an die Nationaldiskurse ihrer »deutschen Heimat« heranzuführen. Diese Form der »Nationalerziehung« hatte ihren Ursprung u.a. in der stark unter dem Einfluss der anti-französischen Emanzipationsbewegung stehenden preußischen Pädagogik des 19. Jahrhunderts und wurde nach 1871 zu einem Werkzeug nationaler Identitätskonstruktion weiterentwickelt. Die vom Kaiser persönlich befürwortete Bildungsstrategie sollte in breiten Bevölkerungsschichten die Treue zu Monarchie und Vaterland erhalten und das »Deutschtum« stärken. Patriotische Schulfeiern zu Kaisergeburtstagen oder Sedantagen im Rahmen der nationalen Erinnerungskultur waren ein wesentlicher Bestandteil des Konzepts. Deutsche Sprache, Kultur und Geschichte wurden darin als verbindende Elemente zelebriert.153 Die Deutsche Schule setzte die »vaterländische Erziehung« zusammen mit dem deutschen Vereinswesen konsequent um, etwa im Rahmen der opulenten Bismarck- und Sedanfeiern im Teatro Olimpo und dem Deutschen Verein 1895. Die Schüler begleiteten beide Feste aktiv mit Liedern und »lebendigen Bildern« wichtiger deutscher Persönlichkeiten. Noch Jahre später waren die Wirkungen der eindrucksvollen Feierlichkeiten zu Bismarcks 80. Geburtstag Thema in den Schulpublikationen: »[...] die Wogen der Begeisterung, die damals die Versammlung durchbrauste, mögen wohl manchen Nachklang in den Seelen der jungen Teilnehmer gefunden haben, die durch ihren Gesang die Feier verschönerten.«154
152 | Zu Zusammenarbeit und Solidarität im deutschen Vereinswesen vgl. auch Kapitel III, 3.5 dieser Arbeit. 153 | Vgl. für diesen Absatz: Löher 1998b, 40; 54; Wulf 1998b, 57f.; 82; 86; May 2000, 148; 158; Stübig 2006, 22; 101; 109; 275; Geißler 2011, 234f. Deutsche Nationalbildung wurde früh auch außerhalb des deutschsprachigen Raums gedacht. Bereits 1819 veröffentlichte Karl Follen dahingehende Überlegungen in seinem »Plan einer deutschen Bildungsanstalt in Nordamerika« (vgl. Stübig 2006, 139). 154 | Deutscher Schulverein Rosario 1899a, ohne SZ. Zur Bismarck-Feier vgl. ergänzend Kapitel III, 4.3.1.
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Die nach Bismarcks Tod 1898 ebenfalls in großem Rahmen im Teatro Olimpo abgehaltene Trauerfeier konfrontierte die Schüler erneut mit dem in der deutschen Gemeinschaft Rosarios verehrten Nationalhelden. Dieses Mal wurden sie auf die Bühne geführt und von Kurt Großmann in kaum verdeckter pädagogischer Absicht zunächst auf Deutsch adressiert.155 In stilistischer Anlehnung an die emotional-patriotischen Ansprachen der Kaiserzeit würdigte Großmann einerseits Bismarck als den Konstrukteur der deutschen Einheit und einem in jeglicher Hinsicht vorbildlichen »Vaterlandsfreund«. Auf der anderen Seite verband er den deutschen Nationaldiskurs mit dem argentinischen Fortschrittsdiskurs als er die Schüler dazu aufforderte, ihrem »Vaterland« Argentinien zu dienen, indem sie dem leuchtenden Beispiel des ehemaligen Reichskanzlers folgten. Zum Schluss fasste er auf Spanisch zusammen: »Queridos niños! A grandes rasgos os he demostrado lo que Bismarck ha sido para su patria, la tierra natal de vuestros padres: os he enseñado como debeis imitar su ejemplo, amar como él á la patria [sic], servirla como él con lealtad y fidelidad. Y, al concluir mis modestas palabras, hago votos fervientes por la prosperidad y felicidad de vuestra Patria [sic], deseándole que bajo los auspicios de una paz honrosa le sea dado desarrollar todas sus fuerzas físicas é intelectuales y seguir en labor fecunda el camino que le han trazado sus gloriosos antepasados. Así podreis cantar siempre con entusiasmo legitimo, las bellas estrofas de vuestro [sic!] himno nacional: ›Se levanta á la faz de la tierra Una nueva y gloriosa Nacion!‹«156
Die Schüler der Deutschen Schule, die immer noch vor Kurt Großmann auf der Bühne des Teatro Olimpo standen, stimmten nun die argentinische Nationalhymne an. Direkt im Anschluss sangen sie mit Unterstützung der Festgemeinde »Deutschland, Deutschland über alles«.157 Die Parallelität der ethnischen und nationalen Bezugssysteme bestimmte auch den argentinischen Teil der schulischen Festkultur. Als Schablone dienten die »fiestas patrias« zum »25 de mayo« und »9 de julio«, die als Kernelemente der nationalen Erinnerungskultur Argentiniens seit Ende des 19. Jahrhunderts landesweit inszeniert wurden. Besonders der Unabhängigkeitstag am 9. Juli gab in großen Städten wie Buenos Aires Anlass zu patriotischen Massenveranstaltungen. Die aktive Beteiligung der Zivilgesellschaft und vor allem der 155 | Vgl. Dokument D3. 156 | DLPZ, 30. Jg., Nr. 184 (10. August 1898), 1. Akzentsetzung wie im Original. 157 | Vgl. für diesen Absatz: DLPZ, 27. Jg., Nr. 79 (4. April 1895), 1; Nr. 80 (5. April 1895), 1; Nr. 207 (4. September 1895), 1; 30. Jg., Nr. 184 (10. August 1898), 1.
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Einwanderergemeinschaften an den Festakten und Paraden war Bestandteil der staatlichen Nationalisierungsstrategie. Die schulische Festkultur hatte in dieser Beziehung komplementäre Funktionen. Sie sollte die Argentinier bereits in jungen Jahren auf die Nation einschwören und zu treuen Staatsbürgern erziehen. Neben den öffentlichen Schulen, die sich ohnehin auf dem Kurs der »patriotischen Bildung« befanden, waren auch die Privatschulen bald zur Partizipation an den »fiestas patrias« verpflichtet. Das Beispiel der Deutschen Schule in Rosario zeigt allerdings, dass die argentinischen Nationalfeiertage in den »escuelas particulares« auf ganz eigene Weise interpretiert und instrumentalisiert werden konnten.158 Die Schulfeiern zum »9 de julio« wurden – im Gegensatz zu den oft internen Feiern zum »25 de mayo« – im großen Saal des Deutschen Vereins öffentlich begangen. Die Angehörigen der Schüler und Mitglieder der »Kolonie« bildeten das stets zahlreiche Publikum. Über den Zweck der Festakte, der sich zwischen Werbung und Sendung bewegte, herrschte von Beginn an Klarheit: »Herr Rektor Rohn leitete die Feier [1927, Anm. d. Verf.] mit einer Begrüßungsansprache ein, in welcher er sich u.a. an die Eltern wandte, sie um weiteres reges Interesse an der Schule und ihren Veranstaltungen bittend. Die Darbietungen der Schüler sollten zeigen, daß neben Weckung der Liebe zum deutschen Wesen es auch möglich ist, den Kindern Verehrung für ihre neue Heimat Argentinien einzupflanzen, und diese beiden Erziehungseinrichtungen sehr wohl möglich sind.«159
Die Schulfeste zum »9 de julio« trugen diesem Anspruch mit einem zweigeteilten Programm Rechnung. In einem patriotischen, spanischsprachigen Teil feierte man die argentinische Nation. Die Kinder sangen die argentinische Nationalhymne, den »Saludo a la bandera« sowie spanische Kinderlieder und führten »juegos patrióticos« und komische Stücke wie »El tío Domingo« auf. Der folgende Programmteil versetzte die Schüler wieder in ihre »deutsche Heimat«. Die höheren Klassen absolvierten ein »Schauturnen«, die Jüngsten trugen deutsche Volkslieder und Sing- und Märchenspiele wie »Zwerg Nase« oder »Liebes Kindchen, tanz mit mir« vor. Den »9 de julio« des Jahres 1927 beschloss eine Lichtbildvorführung von Wilhelm Buschs »Max und Moritz«. Trotz des eindeutig argentinischen Anlasses besaßen diese Veranstaltungen mit ihrer Kombination aus argentinischem Patriotismus und deutscher Kulturpflege eine Doppelstruktur. Die aktive Rolle der Schüler war eine Variante
158 | Vgl. für die vorangegangenen beiden Absätze: Bertoni 2001, 79; 96-98; 115f. 159 | DLPZ, 59. Jg., Nr. 161 (13. Juli 1927), 4
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des gelenkten Kultur- und Identitätstransfers, der bis zur Jahrhundertmitte ein Grundsatz der Deutschen Schule in Rosario bleiben sollte.160
160 | Vgl. für die vorangegangenen beiden Absätze: DLPZ, 57. Jg., Nr. 166 (18. Juli 1925), 10f.; 59. Jg., Nr. 161 (13. Juli 1927), 4; Deutscher Schulverein Rosario 1925, ohne SZ; Deutscher Schulverein Rosario 1926a, ohne SZ; Deutscher Schulverein Rosario 1927b, ohne SZ. Eine ähnliche Doppelstruktur erkennt Häfner in der Arbeit der Deutschen Evangelischen La Plata-Synode (vgl. Häfner 2008, 21f.) und Bryce in der Festkultur der Cangallo-Schule in Buenos Aires (vgl. Bryce 2013, 300f.). Zum »bioder pluri-nationalen Charakter« von Einwanderervereinen vgl. außerdem: Pries 2010, 24.
V Deutsche evangelische Kirchgemeinden »Kennst du das Kirchlein im fremden Lande, Das Kinder der Heimat gebaut? Sagt’s nicht von Liebe und Treue zu Deutschland Und ihrem Herrgott, dem sie vertraut? O heiliges Kirchlein, Wir denken dein!« — Annie Gebhardt, Rosarios Kirchlein, 19431
1 Religion und Migration Die drei Jahrhunderte andauernde spanische Kolonialherrschaft hatte Argentinien den Katholizismus als unverrückbares Erbe hinterlassen. Durch eine strikte Abschottung nach außen und die konsequente Arbeit von Missionsorden im Innern blieb der La-Plata-Raum in dieser Zeit weitgehend unberührt von sonstigen religiösen Einflüssen. Die tief in der Gesellschaft verwurzelte Anlehnung an die römisch-katholische Kirche überdauerte die Epoche der Unabhängigkeitsrevolutionen. Als bald darauf Überlegungen angestellt wurden, den wirtschaftlichen Fortschritt und die gesellschaftliche Modernisierung des jungen Staates mit Hilfe europäischer Einwanderer voranzutreiben, stieß man unausweichlich auf die Frage nach den religiösen Implikationen einer derartigen Entwicklungspolitik. Etwaige Bedenken gegenüber einer signifikanten, in diesem Falle vor allem protestantischen Zuwanderung konnten sich allerdings nicht durchsetzen. Argentinien versuchte in der Folge einen Spagat zwischen religiöser Freizügigkeit und der Verteidigung des Katholizismus. Bereits 1826 sicherte Präsident Rivadavia Einwanderern neben diversen Vergünstigungen auch das Recht zu, ihre Religion frei auszuüben.2 Die richtungsweisende Bundesverfassung von 1853 1 | Anna Maria »Annie« Gebhardt war die Frau von Pfarrer Maximilian Gebhardt, der die Deutsche Evangelische Gemeinde in Rosario zwischen 1908 und 1926 betreute. Die hier wiedergegebene erste Strophe ihres Liedes »Rosarios Kirchlein« ist Bestandteil einer »Jubiläumsgabe«, die sie anlässlich des 50. Jahrestages der Gemeinde verfasste (vgl. Gebhardt 1943). 2 | Vgl. Saint Sauveur-Henn 1995, 118.
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bestätigte dieses Recht, bekannte sich auf der anderen Seite aber ausdrücklich zum »culto Católico Apostólico Romano«, den die Regierung nach Kräften stützen sollte.3 Aus dieser Konstellation erwuchsen in der Zeit der Massenimmigration religiös motivierte Konflikte, vor allem zwischen Katholiken und Protestanten. Dabei war die Bedeutung der protestantischen Immigration in Argentinien unter rein nominellen Gesichtspunkten nur marginal. Die beiden Haupteinwanderungsgruppen – Spanier und Italiener – hingen in der Hauptsache dem katholischen Glauben an. Nur etwa sechs Prozent der sich dauerhaft in Argentinien niederlassenden Einwanderer waren Schätzungen zufolge Protestanten.4 Ihr Einfluss lässt sich allerdings nicht allein zahlenmäßig erfassen. Denn neben den gut organisierten ethnischen Einwandererkirchen waren nach der Öffnung des Landes auch zahlreiche protestantische »Missionskirchen« in der Region aktiv, die ihre Gemeindearbeit bevorzugt unter der spanischsprachigen Bevölkerung leisteten.5 Erste anglikanische und schottisch-presbyterianische Gemeinden formierten sich infolge des starken wirtschaftlichen Engagements Großbritanniens in der Region Anfang des 19. Jahrhunderts in Buenos Aires. Bis 1853 hatte sich die Zahl der dort ansässigen protestantischen Kirchen auf insgesamt vier erhöht. Hinzugekommen waren eine nordamerikanische Methodistengemeinde, die von hier aus ihre Missionsarbeit organisierte, und eine evangelische Kongregation6 deutscher Einwanderer. In den folgenden Jahrzehnten ließen sich weitere protestantische Missionare in den Städten und im Landesinnern Argentiniens nieder, darunter Anhänger der Waldenser, der nordamerikanischen Missouri-Synode und der holländischen Reformkirche.7 Die gesellschaftliche Akzeptanz der Religionsvielfalt hielt allerdings nicht mit ihrer rechtlichen Sanktionierung Schritt. Vor allem in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts führte die häufig unmittelbare Nachbarschaft katholischer und protestantischer Gemeinden zu teils erheblichen Spannungen. Zum einen bedrohte der unverhohlen geäußerte protestantische Missionsanspruch die Integrität der katholischen Basis. Geistliche beider Seiten sparten in Predigten 3 | Vgl. Constitución de la Confederación Argentina 1853, 1; 4f. Zu den unterschiedlichen Standpunkten in Argentinien vgl.: Bianchi 2004, 43-45. 4 | Vgl. Zorzin 2009, 257. 5 | Vgl. Krüger 2007, 130. Eine ethnische Fundierung lässt sich für sämtliche Einwanderergemeinden in Argentinien nachweisen (vgl. Bianchi 2004, 71). 6 | Der Terminus »Kongregation« wurde der spanischen Selbstbezeichnung der deutschen evangelischen Gemeinden in Argentinien – »congregación« – entlehnt und war unter Zeitgenossen geläufig. Er wird im weiteren Verlauf dieser Arbeit synonym mit dem Begriff »Gemeinde« verwendet. 7 | Vgl. für diesen Absatz: Buettner 1893, 45; Franco 1970, 99; 121; Devoto 2009, 209.
2. DEUTSCHES EVANGELISCHES KIRCHENWESEN | 275
deshalb nicht mit eindringlichen Warnungen vor den drohenden negativen Folgen einer religiösen Neuorientierung ihrer Gemeindemitglieder und schürten damit Ressentiments und Intoleranz. Zum anderen ergaben sich aus den konfessionellen Unterschieden und der gesellschaftlichen Entwicklung des Einwanderungslandes Argentinien ganz neue Problemlagen, wie die ungeliebten »Mischehen« zwischen Protestanten und Katholiken. Im selben Zeitraum zog der argentinische Staat immer mehr traditionell kirchliche Aufgabengebiete an sich. Die Säkularisierung des Bildungswesens und besonders die Einführung der Zivilehe rührten am religiösen und institutionellen Selbstverständnis der katholischen Kirche in Argentinien und trugen zu einer weiteren Verschärfung der Situation bei.
2 Deutsches evangelisches Kirchenwesen in Argentinien Deutsche Einwanderer in Argentinien gehörten bis 1933 meist der katholischen oder einer der protestantischen Glaubensrichtungen an. Im Unterschied zur Gesamtimmigration in Argentinien überwogen unter den Deutschen allerdings die Protestanten.8 Dieses Phänomen ist noch nicht hinreichend erforscht. Walter Kamphoefner argumentiert, dass die Konfession bei der Wahl des Zielortes kaum eine Rolle spielte. Die Einwanderungsstatistiken zeigten, dass weder deutsche Katholiken Lateinamerika bevorzugten, noch deutsche Protestanten diese Region mieden. Alberto Sarramone hingegen geht davon aus, dass europäische Protestanten Nordamerika auch aus religiösen Gründen präferierten.9 Im 19. und dem ersten Drittel des 20. Jahrhunderts gab es für deutsche protestantische Gemeinden in Argentinien in der Regel drei typische Entstehungszusammenhänge.10 Die ersten Anzeichen für eine religiöse Sammlung fanden sich in den urbanen Zentren des Landes. Dort hatte früh u.a. eine internationale 8 | Saint Sauveur-Henn ermittelte, dass zwischen 1876 und 1909 rund 41 Prozent der in Argentinien eingewanderten Deutschen dem katholischen Glauben anhingen. Zwischen 1923 und 1933 wanderten mit einem Anteil von über 60 Prozent doppelt so viele Protestanten wie Katholiken aus Deutschland ein (vgl. Saint Sauveur-Henn 1995, 262). Für die deutsche Einwanderung in Chile wurde ein ähnliches Verhältnis hinsichtlich der religiösen Zugehörigkeit nachgewiesen (vgl. Blancpain 1974, 602). 9 | Vgl. Kamphoefner 1998, 33; Sarramone 2009, 47. 10 | Bereits im inneramerikanischen Vergleich treten diesbezüglich allerdings deutliche Unterschiede zutage. Benjamin Bryce hat gezeigt, dass die Entstehung evangelischlutherischer Gemeinden in der kanadischen Provinz Ontario weniger mit der örtlichen deutschen Einwanderung als mit religiösen Einflüssen aus den benachbarten Vereinigten Staaten in Verbindung stand (vgl. Bryce 2013, 38f.). Bryces Annahme, deutsche evangelische Gemeinden in Argentinien seien »the result of the concerted efforts of a pre-existing church body« sowie von deutscher Missionsarbeit, muss in Anbetracht der vereinsmäßigen Ursprünge vieler dieser Kongregationen allerdings widersprochen werden (vgl. Bryce 2013, 79).
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protestantische Kaufmannschaft Fuß gefasst, die nicht nur nach sprachlicher und kultureller, sondern auch nach spiritueller Kontinuität strebte. Ein Beispiel dafür gibt die 1843 in Buenos Aires gegründete erste deutsche protestantische Gemeinde Argentiniens. Der vereinsmäßig organisierte Betrieb wurde durch die Beiträge der Mitglieder sichergestellt und orientierte sich sowohl sprachlich als auch inhaltlich stark an der deutschen »Heimatkirche«. Zusätzlich konnten die Mitglieder mit finanzieller und personeller Unterstützung aus Deutschland, vor allem seitens der Preußischen Landeskirche und des Gustav-Adolf-Vereins, rechnen. Der folgerichtige Anschluss der deutschen Stadtgemeinde von Buenos Aires an die preußische Staatskirche erfolgte nur zwei Jahre später.11 Die zweite Phase deutscher protestantischer Gemeindebildung in Argentinien verlief parallel zur europäischen Siedlungswanderung seit den 1850er Jahren. Provinzen wie Santa Fe, Entre Ríos oder Buenos Aires – die ersten Zentren der Agrarkolonisation – verfügten über zahlreiche junge Ansiedlungen mit signifikanten protestantischen Bevölkerungsanteilen. Die alleinige Bedienung durch katholische Geistliche konnte die kulturell-religiösen Bedürfnisse vieler Landwirte offensichtlich nicht befriedigen. Ebenso wie die städtische Mittelschicht begannen sie daher mit der Gründung eigener, dezidiert deutschsprachiger Protestantengemeinden. Der ersten Gemeinde im santafesinischen Esperanza 1857 folgten – vor allem in den zuvor genannten Provinzen – zwischen 1886 und 1913 mehr als ein Dutzend weitere. Nach dem Ersten Weltkrieg verlagerten sich mit den Siedlungsinitiativen auch die ländlichen Neugründungen schwerpunktmäßig in die Misiones sowie in die russlanddeutschen »Kolonien« von Entre Ríos.12 Der organisatorische Aufbau und die institutionelle Anbindung an die Preußische Landeskirche stimmte in den meisten Fällen mit denen der Stadtgemeinden überein. Allerdings fanden sich auf dem Land häufiger Protestanten deutscher, schweizerischer, französischer, etc. Herkunft zusammen. Der dritte Entstehungszusammenhang umfasste die Aktivitäten deutschsprachiger protestantischer Missionskirchen in Argentinien. Zu den bedeutendsten zählte der argentinische Ableger der US-amerikanischen Missouri-Synode, die 1847 von »treulutherischen« Emigranten aus Sachsen in Chicago gegründet worden war. Anfang des 20. Jahrhunderts griff diese als Evangelisch-lutherische Kirche in Argentinien bzw. Iglesia Evangélica Luterana Argentina (IELA) nach Südamerika aus. Die Gemeinden des Distrikts wurden aus den Vereinigten Staaten mit Finanzmitteln und deutschsprachigen Missionaren versorgt. Mit 11 | Vgl. Häfner 2008, 55f.; Mirbt 1907, 58. Zur protestantischen Auslandsarbeit in Deutschland vgl. Kapitel II, 2.2.3 dieser Arbeit. 12 | Vgl. Tabelle A12.
2. DEUTSCHES EVANGELISCHES KIRCHENWESEN | 277
Blick auf das Gemeindeleben waren die starken Rückbezüge auf deutsche Sprache und Kultur augenfällig. Damit traten die Lutheraner in direkte Konkurrenz mit dem anderen großen deutschen Gemeindeverbund in Argentinien, der Deutschen Evangelischen La Plata-Synode (DELPS).13 Die Entstehung der DELPS14 war von Beginn an eng mit der Auslandstätigkeit der Preußischen Landeskirche verknüpft. Seit 1863 hatte es in Argentinien regelmäßige »Konferenzen der Geistlichen der evangelischen Landeskirche Preußens« in Buenos Aires gegeben, an denen zunächst nur die von der »Heimatkirche« entsandten deutschen Pastoren von Buenos Aires und Montevideo teilnahmen. Mit der zunehmenden Bedienung kleinerer Gemeinden im Inland der La-Plata-Staaten – z.B. in Esperanza – wuchsen die nun als »Synoden« bezeichneten Versammlungen an. Die Teilnehmer tauschten sich über die Entwicklung ihrer Gemeinden und Schulen sowie die religiöse Gesamtsituation in Argentinien aus. Bis 1880 wurden vierzehn Synodalkonferenzen realisiert. Danach schlief diese Tradition vorübergehend ein.15 Im Dezember 1895 wurde die Idee eines Zusammenschlusses deutscher protestantischer Gemeinden in Argentinien erneut aufgegriffen. In einem Leserbrief an das Evangelische Gemeindeblatt für alle Deutschredenden am La Plata, dessen Herausgabe Pastor Bußmann aus Buenos Aires im selben Jahr begonnen hatte, regte Luis Lucca, ein deutscher Lehrer und Gemeindemitglied aus dem santafesinischen Progreso, eine Delegiertenversammlung aller deutschen Gemeinden in Rosario an. Dort sollte die Gründung eines gemeinsamen »Verbandes« vorbereitet werden. Nach den Vorstellungen Luccas sollte dieser die deutschen Gemeinden besser vernetzen, ihre Interessen zentral vertreten und Hilfestellungen für kleinere Gemeinden leisten. Nicht zuletzt erhoffte man sich dadurch, die »[...] zerstreut lebenden Glaubensgenossen zum Anschluss an die ihnen nächstliegende Gemeinde [. . . ]«16 zu bewegen.17 Der Vorschlag Luccas wurde in den Gemeinden und im Gemeindeblatt weiter diskutiert. Parallel dazu entstand 1898 ein erster Statutenentwurf, der bereits die wesentlichen Punkte der späteren Verbandsordnung vorwegnahm. Auf der »Vorsynode« am 1. Oktober 1899 wurden die Statuten von den teilnehmenden 13 | Vgl. für diesen Absatz: Luebke 1990, 5-7; Franco 1970, 134; Trünow 1930. Zwischen beiden Kirchen entwickelte sich in der Folge ein äußerst angespanntes Verhältnis. In einem Brief an den EOK in Berlin vom 27. März 1925 bezeichnete der DELPSVorstand die »Missourier« wegen der zahlreichen verbalen Angriffe als »fanatischste aller Sekten« (EZA 5/2064, ohne BN). 14 | Spanisch: Sínodo Evangélico Alemán del Río de la Plata (SEARP). 15 | Vgl. für diesen Absatz: EZA 5/2070, ohne BN; Schmidt 1949, 12f. 16 | EGB, 1. Jg., Nr. 30 (10. Januar 1896), 469. 17 | Vgl. für diesen Absatz: EGB, 1. Jg., Nr. 26 (13. Dezember 1895), 420f.; Nr. 30 (10. Januar 1896), 469; 5. Jg., Nr. 230 (15. November 1899), 9; Mirus 1943, 89; Zorzin 2009, 75.
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Gemeinden überarbeitet und die »La Plata-Synode« formal konstituiert. Zu den Teilnehmern gehörten Vertreter der deutschen Gemeinden von Buenos Aires, Baradero und Quilmes (Capital Federal bzw. Provinz Buenos Aires), Rosario, Esperanza, Felicia und Progreso (Provinz Santa Fe) sowie Nueva Helvecia (Uruguay).18 Die »Synodalverordnung für die Evangelischen Gemeinden am La Plata« wurde von allen Mitgliedsgemeinden angenommen. Die Synode setzte sich danach zusammen aus »sämtlichen evangelischen Geistlichen, die einer deutschen oder schweizerischen Landeskirche angehören und innerhalb des Synodalkreises ihren Wohnsitz haben«, »weltlichen Abgeordneten« und evangelischen »Vertretern des Deutschen Reiches und der Schweiz«. Konkret bedeutete dies, dass neben Pfarrern und Gemeindemitgliedern auch der kaiserliche deutsche Gesandte und der deutsche Generalkonsul in Buenos Aires automatisch Mitglied der Synode bzw. des Synodalvorstandes waren.19 Die Aufgaben der Synode umfassten u.a. die Überwachung von Gemeinden und Geistlichen sowie der Einhaltung der Kirchenordnung, die Beratung und Beschlussfassung über Vorlagen der Kirchenregierung und externe Anträge, die Vermittlung von Pfarrern und Unterstützungsleistungen aus Deutschland und die Verlagstätigkeit zur Verbreitung religiöser Literatur. Zudem übernahm die Synode die Korrespondenz mit der Preußischen Landeskirche, der sich die Gemeinden in Argentinien sukzessive anschlossen. Alle zwei Jahre sollten an wechselnden Orten Synodalversammlungen mit Pfarrern und Gemeindevertretern stattfinden. Das Evangelische Gemeindeblatt entwickelte sich zum offiziellen Organ der Synode.20 Der formelle Anschluss der ersten Gemeinden an die Synode – darunter die santafesinischen Kongregationen Rosario, Esperanza, Felicia und Progreso – erfolgte im Frühjahr 1900.21 Zehn Jahre später umfasste die DELPS ca. 17 415 »Seelen« in 15 deutschen Gemeinden, darunter zwei in Uruguay und eine in Paraguay. Darüber hinaus beschäftigte die Synode nun drei »Reiseprediger« für die verstreuten deutschen Siedler im Norden und Süden Argentiniens sowie in Paraguay. Die ebenfalls aus Deutschland stammenden Pfarrer übernahmen neben der religiösen Versorgung auch Bildungsaufgaben. Im Jahr 1919 waren 18 | Vgl. für diesen Absatz: EGB, 4. Jg., Nr. 174 (19. Oktober 1898), 9f.; Nr. 175 (26. Oktober 1898), 9; 5. Jg., Nr. 224 (4. Oktober 1899), 9; Deutsche Evangelische La Plata-Synode 1899, 6-11; Mirus 1943, 69. 19 | Dieser Passus ergab sich aus der Nähe zur Preußischen Landeskirche. 20 | Vgl. für die vorangegangenen beiden Absätze: DLPZ, 31. Jg., Nr. 233 (4. Oktober 1899), 1. Die durchaus vorhandenen missionarischen Ambitionen der DELPS mussten aufgrund begrenzter finanzieller Mittel immer wieder aufgeschoben werden. Vgl. detaillierter zum Evangelischen Gemeindeblatt: Kapitel III, 1.4.2 dieser Arbeit. 21 | Vgl. EGB, 6. Jg., Nr. 248 (22. März 1900), 7.
2. DEUTSCHES EVANGELISCHES KIRCHENWESEN | 279
der Synode 19 Gemeinden angeschlossen. Bis 1931 nahm ihre Zahl nochmals auf insgesamt 28 zu. Die DELPS war damit der größte deutschsprachige Gemeindeverbund Argentiniens.22 Die Synodalarbeit und Einrichtungen wie das Reisepredigeramt erfuhren von Beginn an intensive finanzielle und personelle Unterstützung aus Deutschland. Die Preußische Landeskirche, der die Einzelgemeinden der DELPS angehörten, stellte jährlich bedeutende Mittel zur Verfügung und übernahm die Entsendung der Auslandspfarrer. Im Gegenzug wurden ihr in der Synodalsatzung weitreichende Kontroll- und Sanktionsvollmachten eingeräumt.23 Weitere Subventionen kamen u.a. von den Gustav-Adolf-Vereinen bzw. der Gustav-Adolf-Stiftung und dem Evangelischen Verein für die La Plata Staaten in Bremen.24 Trotz dieser engen Anbindung an Deutschland wurde auf beiden Seiten des Atlantiks früh das Recht der Synode auf Eigenständigkeit betont. Zwar war offensichtlich, dass die DELPS und ihre Gemeinden in Personal- und Finanzfragen bis 1945 von der »Mutterkirche« abhängig waren. Bei der Pflege der »Eigenarten«, der auf die lokalen Verhältnisse abgestimmten Kirchenpolitik oder gar der Wahl der Pfarrer wurde ihnen aber vergleichsweise viel Spielraum zugestanden. Franz Pfeiffer, ehemaliger Auslandspfarrer im englischen Hull, beschrieb 1904 das anzustrebende Verhältnis zwischen Preußischer Landeskirche und Auslandsgemeinden wie folgt: »Die Heimatkirche ist die Mutter, die Auslandsgemeinden die Tochter, die treu zur Mutter hält, sich auch von ihr beraten, warnen, unterstützen, aufrichten läßt, im übrigen aber selbst ihren Weg gehen, ihre eigenen Arbeiten verrichten, für sich selber sorgen muß. Darum ist ihre Eigenart in Verwaltung und Bekenntnis durchaus anzuerkennen[,] zu schonen und zu pflegen.«25
Die bei Häfner geäußerte Annahme, die Synode sei nur eine reine kirchliche »Auslandsfiliale« gewesen, deren »Lateinamerikanisierung« erst nach dem Zweiten Weltkrieg einsetzte, muss daher relativiert werden.26 Viele der Aktionen innerhalb des Synodal- und Gemeindebetriebs weisen im Gegenteil darauf hin, dass es sich hierbei um eine stetige Entwicklung seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert handelte.
22 | Vgl. für diesen Absatz: Deutsche Evangelische La Plata-Synode 1911, 20; Deutsche Evangelische La Plata-Synode 1920, 30; Deutsche Evangelische La Plata-Synode 1931, 18f. 23 | Vgl. DLPZ, 31. Jg., Nr. 233 (4. Oktober 1899), 1. 24 | Vgl. EGB, 14. Jg., Nr. 20 (13. Mai 1908), 238; Zorzin 2009, 77. 25 | EGB, 10. Jg., Nr. 454 (9. März 1904), 3. 26 | Vgl. Häfner 2008, 9.
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Der institutionelle wie auch ideologische Einfluss der »Heimatkirche« war dennoch allgegenwärtig und wurde durch die kontinuierliche Entsendung von Auslandspfarrern beständig gestärkt und aktualisiert. Die in Deutschland und Argentinien gepflegten kirchlichen Diskurse waren folglich beinahe deckungsgleich. Ein Beispiel für die dominierende Selbstwahrnehmung innerhalb der DELPS gab ihr Vorsitzender Pastor Scheringer in einem Artikel für das EGB aus dem Jahr 1911. Darin betonte er nicht nur die kirchlich-religiöse, sondern auch die national-kulturelle Bedeutung der Synode. Als sehr heterogener Verband aus Deutschen, Schweizern und Russlanddeutschen, aus Lutheranern und Reformierten, sei sie ein vorbildliches Beispiel für den evangelischen Gemeinschaftssinn, der zugunsten des Zusammenhalts in einer katholisch dominierten Umgebung religiöse und nationale Gegensätze überwinde.27 Zudem sah Scheringer in der DELPS den größten und wichtigsten Sammlungspunkt des »Deutschtums« in den La-Plata-Staaten, dem in nationaler wie kultureller Hinsicht eine besondere Aufgabe zukam. Als Vertreterin des traditionsreichen »deutsch-evangelischen« Glaubens, der, kulturgeschichtlich gesehen, der »argentinischen Zivilisation« überlegen sei, sei sie in der Pflicht, diesen »geistigen Besitz« in Zusammenarbeit mit allen Mitgliedern zu schützen. Entsprechend der immer wieder betonten engen Verbindung von »Deutschtum« und Evangelium hätte ein Verlust des »Deutschtums«, der sich vielerorts bereits ankündigte, auch den Verlust der deutsch-evangelischen Glaubenstradition zur Folge. Diesem Prozess wollte die Synode ausdrücklich entgegenarbeiten.28 Mit diesem Anspruch integrierte sich die DELPS nahtlos in das Aktionsprogramm des deutschen Vereinswesens in Argentinien. Auch institutionell und personell gab es zahlreiche Überschneidungen. Die Pfarrer waren in der Regel gut mit den lokalen Vereinen vernetzt und zum Teil selbst Mitglieder. Viele Vereinsvorstände übernahmen auch Aufgaben in den evangelischen Kirchgemeinden. Die Synodalversammlungen der DELPS fanden zudem häufig im Umkreis der deutschen Vereine statt. Diese stellten Räumlichkeiten zur Verfügung und organisierten Nachmittagsprogramme oder Abendunterhaltungen.
27 | Die Korrespondenz der Synode zeigt allerdings, dass trotz des kolportierten Idealbildes eines vereinten »Germanentums« v.a. zwischen »Reichsdeutschen« und Russlanddeutschen durchaus Spannungen bestanden. Auf russlanddeutsche Initiative kam es Anfang der 1920er Jahre gar zu einer Abspaltung von der DELPS und Neuformierung der Iglesia Evangélica Congregacional (IEC), die sich an die US-amerikanische Congregacionalist Church anlehnte und ebenfalls deutsche Gottesdienste anbot (vgl. Franco 1970, 146-151). 28 | Vgl. für die vorangegangenen beiden Absätze: EGB, 17. Jg., Nr. 36 (5. September 1911), 422.
3. DEUTSCHE GEMEINDEN IN ROSARIO UND ESPERANZA | 281
Die Synode und die deutschen Gemeinden wurden als natürliche Bestandteile des Vereinswesens begriffen.29
3 »Deutsch-evangelisch sollt ihr sein«: Deutsche Gemeinden in Rosario und Esperanza 3.1 Organisation und Zusammensetzung Die religiöse Sammlung deutscher Protestanten in der Provinz Santa Fe wurde von zahlreichen Widrigkeiten begleitet. Zwischen dem zunehmend städtischen Milieu der Hafenstadt Rosario und der strukturschwachen, dörflichen Umgebung der Agrarsiedlung Esperanza bestanden in dieser Hinsicht teils erhebliche Unterschiede. Zu den entscheidenden Entwicklungsfaktoren gehörten die Größe und finanzielle Ausstattung der »Kolonien« sowie die ethnische und soziale Zusammensetzung der Mitgliederbasis. Daraus ergaben sich in den Gemeinden jeweils verschiedene inhaltliche Schwerpunkte und Organisations- und Machtstrukturen. Um sich in der überwiegend konfessionsverschiedenen Umgebung behaupten zu können, mussten die protestantischen Einwanderer neue kirchliche Organisationen schaffen und Unterstützungsnetzwerke knüpfen. Die gewählte Vereinsform ermöglichte zwar eine weitgehende Autonomie, blieb aber im Innern nicht unwidersprochen, insbesondere was die Autorität und Befugnisse der angestellten Pfarrer anbelangte. Zudem war die Unabhängigkeit gleichbedeutend mit einer finanziellen Dauerbelastung der Gemeinden, die im Falle großer außerplanmäßiger Ausgaben ihre Existenz bedrohen konnte.
29 | Im Gegensatz zu den deutschen Protestanten in Argentinien waren deutsche Katholiken aus verschiedenen Gründen weniger geneigt, ethnische Gemeinden bzw. Gemeindeverbände zu gründen. Zum einen konnten sie auf eine bereits etablierte religiöse Infrastruktur zurückgreifen und sich über ihren Glauben vergleichsweise leicht integrieren. Auf der anderen Seite liefen die Bemühungen der Katholischen Kirche in Deutschland, die Deutsch-Katholiken im Ausland in eigenen Gemeinden zusammenzufassen und enger an die »alte Heimat« zu binden, erst 1918 an als der Reichsverband für das katholische Deutschtum im Ausland seine Arbeit aufnahm, um »die deutschen Auslandskatholiken ihrem Glauben und Volkstum zu erhalten und kulturell und wirtschaftlich [. . . ] zu fördern« (Mai 1939, 21). Bis auf die deutsche katholische Gemeinde in Buenos Aires oder den Katholischen Männerverein in Esperanza finden sich in Argentinien daher wenige Beispiele für eine dezidiert deutsch-katholische Vereinstätigkeit. Eine zentrale Organisation wurde erst 1934 mit dem Landesverband deutschsprechender Katholiken in Argentinien geschaffen (vgl. AV, 41. Jg., Nr. 1 (2. Januar 1935), 5). Vgl. für die Aktivität deutscher Katholiken in Buenos Aires: Bryce 2013, 82-87.
282 | KAPITEL V. DEUTSCHE EVANGELISCHE KIRCHGEMEINDEN
3.1.1 Gründungsinitiativen Kirchliche Strukturen und seelsorgerische Betreuungsangebote waren in der Provinz Santa Fe Mitte des 19. Jahrhunderts – sowohl aus katholischer als auch aus protestantischer Sicht – nur spärlich vorhanden. Erst die europäische Einwanderung und die damit verbundene Bevölkerungszunahme führte zu einer Ausdehnung und Diversifizierung des Kirchenwesens. In der »región cerealera« um die Hauptstadt Santa Fe, der Wiege der argentinischen Agrarkolonisierung, existierten 1876 nur sieben Kirchen. Knapp 20 Jahre später waren es bereits 62.30 Eine der ersten Kirchgemeinden in der Region, die direkt auf die Immigration zurückging, war die Evangelische Kirchgemeinde in Esperanza. Protestanten aus der Schweiz, Frankreich und den deutschen Staaten hatten sich 1857 in Ermangelung adäquater kirchlicher Angebote zu einer eigenen Gemeinde zusammengefunden. Nicht nur in nationaler, auch in religiöser Hinsicht war die Gemeinde überaus heterogen aufgestellt.31 Sie umfasste nach eigenen Angaben »evangelisch Unierte«, Lutheraner, Reformierte und Waldenser. Besonders die rheinhessischen Mitglieder drängten in der Folge auf eine professionelle Betreuung durch Geistliche. Die gemischtethnische Struktur der Gemeinde machte die Anstellung von zwei Pastoren notwendig: einem für die deutsche und einem für die französischsprachige Seelsorge. Auf Vermittlung des Basler Geschäftsmanns Karl Beck in Santa Fe konnte noch im selben Jahr Philipp Heinrich Staiger aus Baden als Pastor gewonnen werden. Eigentlich Schreiner von Beruf, hatte sich Staiger zuvor im Basler Missionshaus St. Chrischona zum Seelsorger ausbilden lassen. Den französischen Gemeindeteil übernahm der Franzose Eugen Sauvain, ein Lehrer, der ebenfalls in St. Chrischona studiert hatte.32 Ernst Wilhelm Schweinitz, Pfarrer der deutschen Gemeinde in Buenos Aires, der auf seiner Reise durch die Provinz Santa Fe im September 1857 auch Esperanza besuchte, beschreibt in seinem Bericht an den EOK die bescheidenen Verhältnisse der Bewohner und der noch jungen Gemeinde: »Alles fand ich [. . . ] dort noch in einem sehr primitivem Zustand; alle wohnten in solchen ranchos [. . . ]. [. . . ] Ich traf den Prediger Steiger [sic] mit seiner Frau in einer kleinen Hütte; wurde freundlich aufgenommen und blieb die Zeit meines Aufenthaltes bei ihnen. [. . . ] Es fehlte bis jetzt so am Nothwendigsten [sic], daß die Leute sich scheuten[,] auch nur einen vorläufigen rancho für die Kirche und Schulzwecke zu errichten. Ich wurde 30 | Vgl. Gallo 1983, 338. 31 | Vgl. Tabelle A15. 32 | Vgl. für die vorangegangenen beiden Absätze: EGB, 3. Jg., Nr. 150 (29. April 1898), 727; 13. Jg., Nr. 38 (18. September 1907), 450; Mirus 1943, 54; Feller 2008, 65.
3. DEUTSCHE GEMEINDEN IN ROSARIO UND ESPERANZA | 283
sehr von ihnen angegangen, ob [es] [. . . ] möglich sei, eine Unterstützung von Deutschland zu erhalten.«33
Schweinitz mahnte bei seinem Aufenthalt die Bildung eines festen Gemeindevorstandes und klarer organisatorischer Strukturen an und rief zu mehr Aktivität der Kolonisten in der Gemeinde auf: »Eine große Schwierigkeit ist, daß die Leute gar nicht daran gewöhnt sind, selbst Hand anzulegen [. . . ].«34 Aus den Erinnerungen Melchior Neders, eines rheinhessischen Schuhmachers und Gründungsmitglieds der Evangelischen Kirchgemeinde, geht hervor, dass diese anfangs 58 Familien umfasste. Da die Bezahlung nicht für den Lebensunterhalt des Pfarrers ausreichte, musste Staiger zusätzlich eine Landparzelle bewirtschaften. Ein geregeltes Gemeindeleben in Esperanza setzte erst nach 1858/59 ein als mit Unterstützung deutscher Protestanten aus Buenos Aires ein Bet- und Pfarrhaus »in der Mitte der deutschen Hälfte der Kolonie« errichtet werden konnte:35 »Der erste Gottesdienst hatte in einem der Ranchos stattgefunden. Später schenkte die Agentur [das Kolonisationsunternehmen, Anm. d. Verf.] im westlichen Teil der Kolonie ein Grundstück, auf dem ein einfaches Haus aus Luftziegeln mit Gras gedeckt errichtet wurde, das als Kirche, Schule und Pfarrwohnung diente.«36
In Rosario war die Bildung einer deutschen Gemeinde mit anderen Schwierigkeiten verbunden. Im Gegensatz zu Esperanza, wo gezielt eine größere Anzahl deutschstämmiger und deutschsprachiger Familien und Einzelpersonen angesiedelt worden war, konnte sich in der Hafenstadt am Fluss Paraná bis in die 1860er Jahre hinein keine nennenswerte ethnische oder religiöse Gemeinschaft deutscher Immigranten etablieren. Die Zuwanderung dieser Provenienz war zu gering. Das erste Zeugnis einer religiösen Sammlung der dort ansässigen Deutschen stammt wiederum aus dem Reisebericht von Pastor Schweinitz, der Rosario 1857 zusammen mit dem preußischen Diplomaten Herbert Friedrich von Gülich besuchte.37 In der Wahrnehmung der deutschen Reisenden war auch Rosario zu diesem Zeitpunkt unterentwickelt und ließ grundlegende Annehmlichkeiten einer städtischen Siedlung vermissen. Die europäische Einwanderung in der Provinz 33 | EZA 5/2142, ohne BN (Bericht von Pastor Schweinitz an den EOK in Berlin vom 16. Oktober 1857). 34 | Ebd. 35 | Vgl. für diesen Absatz: EGB, 14. Jg., Nr. 48 (25. November 1908), 567; Nr. 49 (2. Dezember 1908), 579. Vgl. zur Siedlungsstruktur Esperanzas: Kapitel II, 3.3.3 der vorliegenden Arbeit. 36 | Koch 1910, 7. 37 | Vgl. dazu auch: Kapitel III, 3.1 und 4.3.2 dieser Arbeit.
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Santa Fe stand noch am Anfang und der später einsetzende wirtschaftliche Aufschwung war noch kaum spürbar. Unter den wenigen Deutschen in Rosario bestand Schweinitz zufolge aber dennoch das Bedürfnis nach kirchlicher Bedienung in ihrer Muttersprache: »Viele [Deutsche, Anm. d. Verf.] sind nicht da; die, welche ich fand, hießen mich alle freundlich willkommen. Mein Hauptbestreben war, wo möglich einen Gottesdienst dort zu halten. Es handelte sich dabei zunächst um ein Lokal. Ein Deutscher erbot sich, ein solches herzugeben, andere versprachen, auch die entfernt wohnenden Deutschen zu benachrichtigen und alle, die ich sprach, erklärten mir, daß sie hocherfreut wären, wieder einmal einen deutschen Gottesdienst beiwohnen zu können. [. . . ] Ich bemerkte doch, daß fast überall noch mehr von religiösem Sinn da war, als ich eigentlich vorausgesetzt hatte.«38
Der deutsche Gottesdienst – vermutlich der erste überhaupt in Rosario – fand am 4. September 1857 im kleinen Kreis statt: »Mit einem Kapitän, der einige Matrosen mitgebracht, waren es einige zwanzig.« Als improvisierter Kirchenraum diente ein »Lokal«, das ein Deutscher organisiert hatte. Der Eigentümer spielte »geistliche Musik, da wir keinen Gesang haben konnten«. Auf seiner Rückreise nach Buenos Aires zwölf Tage später hielt Schweinitz einen weiteren Gottesdienst in Rosario ab und taufte zwei Kinder.39 Eine deutsche Gemeinde entwickelte sich aus diesen Anfängen allerdings nicht. Zwar nahm die Zahl deutscher Protestanten in Rosario in den folgenden Jahren merklich zu, die soziale Struktur der deutschen Einwanderung ließ Gründungsversuche aber von vornherein aussichtslos erscheinen. Der Bonner Theologe Heinrich Bleek40 , seit 1867 in Santa Fe als Prediger tätig, berichtete dazu 1869 an den Evangelischen Oberkirchenrat in Berlin: »In Rosario [. . . ] leben jetzt fast 200 Deutsche, meist der ev. Kirche entstammend. Dieselben sind fast alle unverheiratete junge Kaufleute und haben für kirchliches Leben so wenig Interesse, daß selbst ein nur periodisch wiederkehrender Gottesdienst keine Aussicht auf Teilnahme fand. So ist auch ein neuerdings durch einen jungen Theologen aus der lutherischen Kirche 38 | EZA 5/2142, ohne BN (Bericht von Pastor Schweinitz an den EOK in Berlin vom 16. Oktober 1857). 39 | Vgl. für diesen Absatz: Ebd. 40 | Bleek arbeitete als Pastor im Süden Santa Fes. Unter anderem besuchte er 1870/71 als Gastprediger Esperanza. Bei dieser Gelegenheit trat er als Vermittler zwischen der Gemeinde Esperanza und dem EOK auf und beförderte die Entsendung eines deutschen Pfarrers dorthin. Später betätigte er sich als Landwirt auf der santafesinischen Estancia »Tres Leones«. Er kehrte 1887 nach Deutschland zurück (vgl. EZA 5/2070, ohne BN; EGB, 14. Jg., Nr. 30 (22. Juli 1908), 358).
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Frankreichs gemachter Versuch zur Bildung einer deutsch-evangelischen Gemeinde im Scheitern und das Unternehmen schon in den ersten Monaten seines Bestehens in der Auflösung begriffen.«41
Deutschsprachige Protestanten schlossen sich daher ab Ende der 1860er Jahre vor allem der neuen St. Bartholomew’s Anglican Church (span. Iglesia Anglicana San Bartolomé) an, die mit Unterstützung der englischen South American Missionary Society in Rosario Fuß fasste. Der deutsche Anteil am Gemeindeleben war ungewöhnlich hoch. Von den 106 Eheschließungen der Gemeinde im Zeitraum von 1868 bis 1878 – mehrheitlich vollzogen in Rosario und den umliegenden »Zentralbahnkolonien« – entfielen 63 Prozent auf Brautleute deutscher oder schweizerischer Abkunft. Nur 29 Prozent waren Engländer oder US-Amerikaner.42 Die enge Kooperation zwischen englischen und deutschen Protestanten setzte sich auch in den folgenden Jahrzehnten fort. Mehrere Initiativen in den 1860er und den 1880er Jahren mündeten in der Einrichtung zweier gemeinsam verwalteter Friedhöfe, von denen der »Cementerio de Disidentes« dauerhaft in Betrieb blieb. Selbst patriotische Gottesdienste deutscher Gemeindemitglieder wie die Trauerfeier für Kaiser Friedrich III. 1888 konnten unter Mitwirkung des Deutschen Gesangvereins in der englischen Kirche stattfinden. Zu dieser Gelegenheit hielt der englische Pfarrer George Adams eine »Gedächtnisrede«.43 Die Zunahme protestantischer Einwanderung aus Deutschland Ende des 19. Jahrhunderts ließ jedoch die Pläne für eine eigenständige evangelische Kirchgemeinde wieder aufleben. Das Verlangen nach Gottesdienst und Gemeindeleben in deutscher Sprache war groß, denn, so der spätere Pfarrer Hagedorn in der Rückschau: »Nur in der Sprache der Mütter schütten wir vor Gott das Herz aus.«44 Erste Schritte in diese Richtung unternahmen die Gemeindemitglieder mit der Einladung deutscher Pastoren aus der Evangelischen Kirchgemeinde in Esperanza. Die Pfarrer in Esperanza waren im 19. Jahrhundert auch als »Reiseprediger« in ganz Santa Fe tätig. Pfarrer Finkbein machte etwa bereits 1876 und 1878 in Rosario Station und feierte dort deutsche Gottesdienste. Unter Pfarrer Wrege wurden die Reisen ab 1893 zur dauerhaften Einrichtung. Eine wachsende Zahl deutscher Protestanten in Rosario bezahlte einerseits Wrege für die in zweimonatigen Abständen stattfindenden Besuche, andererseits die englische Gemeinde für die Bereitstellung ihrer Kirche. 41 | EZA 5/2147, ohne BN (Bericht von Pastor Bleek an den EOK in Berlin vom 3. September 1869). 42 | Vgl. Howat 2003, ohne SZ. 43 | Vgl. für diesen Absatz: Hagedorn 1944, 14-17. 44 | Ebd., 6.
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Nur ein Jahr später wurde auf Initiative des Kaufmanns Wilhelm Otto Schneider der erste deutsche Kirchenverein Rosarios ins Leben gerufen, der schon bald über 100 Mitglieder zählte. Mit Werner Achilles, Theologiestudent und eigentlich Hauslehrer der Kaufmannsfamilie Tietjen, konnte die Gemeinde ihren ersten eigenen Pfarrer gewinnen, der gemeinsam mit seinen Kollegen aus Esperanza ab 1895 regelmäßige Gottesdienste in der englischen Kirche abhielt.45
3.1.2 Die Kirchgemeinde als Verein Die Kirchgemeinden von Rosario und Esperanza waren nach gängigen Vereinsprinzipien organisiert. Beide Vereinigungen schrieben ihre Ziele und Organisationsstrukturen in eigenen Statuten fest und trugen sich in die offiziellen Register der Provinz Santa Fe ein. Der Inhalt der Satzungen war den jeweiligen ethnischen und sozialen Gegebenheiten in den Gemeinden angepasst. Die Kirchenordnung der Deutschen Evangelischen Gemeinde in Rosario von 1895 hatte eine eng umgrenzte Zielgruppe. Sie wollte das Christentum unter »deutschredenden Protestanten« bewahren und fördern, die »Kinder protestantischer Eltern« im christlichen Glauben »unterweisen« und seelsorgerisch tätig sein. Bereits zu diesem frühen Zeitpunkt wurde der Anschluss der deutschsprachigen Siedlungen an der argentinischen Zentralbahn in Betracht gezogen. Laut Satzung umfasste der Gemeindebezirk neben Rosario die umliegenden Ortschaften bis einschließlich Cañada de Gómez.46 Die internen Machtstrukturen untermauerten die ethnische Ausrichtung und den Unabhängigkeitsanspruch der Gemeinde. Für eine Mitgliedschaft waren neben dem protestantischen Glauben und der Entrichtung des Monatsbeitrags auch deutsche Sprachkenntnisse Voraussetzung. In den jährlichen Generalversammlungen konnten ausschließlich männliche Mitglieder mit einem Mindestalter von 20 Jahren abstimmen. Der bei diesen Gelegenheiten gewählte Vorstand, der in seiner Zusammensetzung dem anderer Vereine glich, bestand folglich ausschließlich aus Männern deutscher Herkunft oder Abstammung.47 45 | Vgl. für diesen Absatz: EZA 5/2142, ohne BN (Bericht Pfarrer Finkbeins an den EOK in Berlin über das Jahr 1876, o.Dat.); Mirus 1943, 6; Elsner 1932, 175; Hagedorn 1944, 6f.; 9; 19; Tabellen A13 und A14. Die deutsche Kaufmannschaft war auch in den folgenden Jahrzehnten die treibende Kraft im Kirchenverein Rosarios. Pastor Achilles bezeichnete ihn daher treffend als »Kaufmannsgemeinde« (EGB, 19. Jg., Nr. 5 (29. Januar 1913), 67). 46 | Um die Jahrhundertwende gründeten sich die deutsch-schweizerischen Gemeinden in Roldán, San Gerónimo und Carcarañá, die bald darauf von Rosario aus als »Außengemeinden« bedient wurden. 47 | Vgl. für die vorangegangenen beiden Absätze: Deutsche Evangelische Gemeinde Rosario 1895, 3f.
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Als Gemeindepfarrer sollten »ordinirte [sic] evangelische Theologen«, bevorzugt aus Deutschland, eingestellt werden, die »der Gemeinde mit einem unbescholtenen, christlichen Lebenswandel vorangehen und überall den Ernst und die Würde eines Geistlichen wahren«. Der Pfarrer war verantwortlich für Gottesdienste, Amtshandlungen »unter der Beobachtung der hiesigen Gesetze«, Registerführung, Christenlehre, Armenpflege und Gemeindestatistiken. Darüber hinaus waren seine Befugnisse jedoch beschränkt. Gegenüber dem Vorstand hatte er eine Rechenschaftspflicht die Gottesdienstgestaltung betreffend. An den Vorstandssitzungen der Gemeinde nahm er zwar teil, hatte dort allerdings nur eine »berathende Stimme«. Die Entscheidungsgewalt verblieb in Händen der Gemeindemitglieder.48 Nicht zuletzt durch ihre Organisationsstruktur war die Deutsche Evangelische Gemeinde fest im deutschen Vereinsleben Rosarios verankert. Der Briefverkehr in den »Actas« belegt die weitreichende Vernetzung und Zusammenarbeit mit anderen lokalen Vereinigungen.49 Die Gründe hierfür sind sicherlich auch in der vergleichsweise überschaubaren deutschen »Kolonie« und den zahlreichen Überschneidungen bei der Besetzung der Vorstandsämter zu suchen. Rudolf O. Schmidt, der die Gemeinde ab 1909 über 30 Jahre leitete, stand darüber hinaus auch dem Deutschen Schulverein vor. Der Gründungsvater und zeitweise Vorsitzende des Kirchenvereins, Wilhelm Otto Schneider, war außerdem Mitbegründer der Deutschen Schule und der Freimaurervereinigung Loge »Libertas«, Präsident des Deutschen Schulvereins, Vorsitzender des Deutschen Hilfsvereins und Vorstandsmitglied im Deutschen Verein. Darüber hinaus bestand ein enges Verhältnis zum örtlichen deutschen Konsulat. Der deutsche Vize-Konsul in Rosario, Albert von Rosenberg-Lipinsky, fungierte seit 1926 als Schriftführer der Gemeinde und hatte zuvor bereits lange Jahre dem Vorstand angehört.50 Im Vergleich zur deutschen Gemeinde in Rosario war die Gemeinde in Esperanza offener aufgestellt. Ihre gemischtnationale und -ethnische Basis verlangte nach entsprechenden Anpassungen und Formulierungen in den Statuten. Die ältesten erhaltenen Satzungen aus den 1870er Jahren, noch handschriftlich und auf Französisch verfasst, sprechen folgerichtig nur von einer »communauté évangélique«.51 Obwohl der deutschsprachige Gemeindeteil bald deutlich 48 | Vgl. für diesen Absatz: Ebd., 4; 10f. 49 | Vgl. Deutsche Evangelische Gemeinde Rosario. Protokoll-Buch der Deutschen Evangelischen Gemeinde in Rosario de Sta. Fe von 1894 bis 1916. 50 | Vgl. für diesen Absatz: Elsner 1932, 92; 154; 165; 196; 238; Hagedorn 1944, 37; 50; 79f. 51 | Vgl. CEE-A Archivo II, ohne BN. Ein noch früherer symbolischer Akt des protestantischen Zusammenschlusses über ethnische und nationale Grenzen hinaus ist aus dem Jahr 1864 überliefert. Der Grundstein der neuen evangelischen Kirche beinhal-
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überwog, blieb es bei dieser Bezeichnung. Aus der ersten gedruckten deutschen »Kirchen-Ordnung« von 1888 wird der Umgang der Evangelischen Kirchgemeinde mit ihrer heterogenen Mitgliederstruktur ersichtlich. Die Gemeinde definierte sich als alleinige lokale Vertreterin des protestantischen Glaubens und hatte den Anspruch, »alle evangelischen Bewohner in Esperanza und der ganzen Umgebung«52 zu umfassen. Ethnische Schranken bestanden nicht. Die Aufnahme war ohne Weiteres durch Eintragung in die Gemeindeliste möglich. Die Stimmfähigkeit in den Generalversammlungen setzte nur das evangelische Bekenntnis und die rechtzeitige Begleichung des Jahresbeitrages voraus. Selbst nach außen präsentierte sich die Gemeinde Esperanza überaus aufgeschlossen: Nichtmitgliedern und »Christen anderer Confession [sic]« wurde die »vollständige Theilname [sic] an allen gottesdienstlichen Handlungen« eingeräumt.53 Ebenso wie in Rosario bestand der zehnköpfige Kirchenvorstand der Evangelischen Kirchgemeinde in Esperanza aus Präsident, Vizepräsident, Schriftführer, Kassenführer und Beisitzern. Übereinstimmungen gab es auch bei der Ausgestaltung der Rolle des Pfarrers: Er war im Vorstand präsent, konnte dort aber ebenfalls nur als Berater auftreten. Ansonsten galt in den Sitzungen das unbedingte Gleichheitsprinzip. Als Neuerungen fanden einige Passagen über die Bestellung des Pfarrers und sein Verhältnis zur Gemeinde Eingang in die Kirchenordnung von 1888. Im Jahr zuvor war der »Pseudo-Pfarrer« Wilhelm Forster engagiert worden, der bereits nach kurzer Zeit wegen fehlender Papiere und eines unangemessenen Lebenswandels abgesetzt werden musste.54 Als Lehre aus dem Fall Forster hatte sich der Pfarrer von nun an als ordninierter Theologe auszuweisen und musste – wie auch in Rosario – einen »unbescholtenen und christlichen Lebenswandel« pflegen. Klagen gegen den Pfarrer durften nur dem Vorstand selbst bekannt gemacht werden, was eine, den Ruf der Gemeinde schädigende öffentliche Auseinandersetzung verhindern sollte. Weiterhin waren französische Sprachkenntnisse Voraussetzung für eine Anstellung. Die französischsprachige Minderheit
tete u.a. je eine deutsche, französische und englische Bibel, ein deutsches und ein französisches Gesangbuch, die argentinische und die santafesinische Verfassung sowie die Unterschriften der Mitglieder (vgl. EGB, 14. Jg., Nr. 48 (25. November 1908), 569). 52 | Evangelische Gemeinde Esperanza 1888, 1. 53 | Vgl. ebd., 2. 54 | Vgl. EGB, 13. Jg., Nr. 41 (9. Oktober 1907), 486. Der Begriff »Pseudo-Pfarrer« etablierte sich nach dem Fall Forster in der DELPS als Bezeichnung für praktizierende Pastoren ohne adäquate theologische Vorbildung bzw. Referenzen.
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in der Evangelischen Kirchgemeinde beharrte bis zur Jahrhundertwende auf regelmäßige Gottesdienste und Amtshandlungen in ihrer Muttersprache.55 Die Gemeindestruktur blieb auch nach der Statutenreform 1906 weitgehend in dieser Form bestehen. Als Zweck des Zusammenschlusses wurde nun die »Erhaltung und Förderung des von den Vätern ererbten evangelischen Glaubens« festgeschrieben. Einschränkungen hinsichtlich der Nationalität und der Sprache der Mitglieder bestanden aber weiterhin nicht. Französische Protestanten spielten allerdings zu diesem Zeitpunkt in den Statuten und im Gemeindeleben bereits keine Rolle mehr.56 Von zunehmender Bedeutung waren hingegen die sogenannten »Nebengemeinden« in den umliegenden Agrarkolonien, die sich keinen eigenen deutschen Pastor leisten konnten und daher in das Gemeindegebiet Esperanzas integriert wurden. Sie blieben weitgehend selbstständig und unterhielten eine eigene Verwaltung. Für die regelmäßigen Gottesdienste und Amtshandlungen entrichteten sie einen vertraglich festgesetzten Betrag an die Muttergemeinde.57 Die Einnahmen, die durch den Anschluss externer Gemeinden erzielt wurden, waren wichtige Posten im Jahresetat. Zwischen dem 1. April 1909 und dem 31. März 1910 machten diese in Rosario rund zehn Prozent, in Esperanza sogar knapp ein Viertel der Gesamteinnahmen eines Vereinsjahres aus. Des Weiteren finanzierten sich die Gemeinden vor allem über Kollekten, kostenpflichtige Amtshandlungen und die monatlichen bzw. jährlichen Mitgliedsbeiträge. Größere Ausgaben wie Kirchbauten oder die An- und Abreisekosten der deutschen Pfarrer wurden mit Hilfe von langfristigen Sondersammlungen, Wohltätigkeitsveranstaltungen und Privat- und Bankkrediten realisiert.58 Als weitgehend unabhängige Vereinsgemeinden, die nicht auf die unbedingte Unterstützung einer großen Kirchenorganisation zählen konnten, reagierten die Kongregationen von Rosario und Esperanza empfindlich auf externe Krisensituationen, die sich unmittelbar auf ihre Mitgliederbasis auswirkten. In Esperanza wurde wiederholt der kausale Zusammenhang zwischen der finanziellen Lage der Gemeinde und der lokalen Landwirtschaft betont. Eine schlechte Ernte war gleichbedeutend mit finanziellen Einbußen. In der Folge erlahmte
55 | Vgl. für die vorangegangenen drei Absätze: Evangelische Gemeinde Esperanza 1888, 1-9. 56 | Vgl. Tabelle A15. 57 | Vgl. für die vorangegangenen beiden Absätze: Evangelische Gemeinde Esperanza 1906, 2; 10. Zu den Außengemeinden Esperanzas zählten unter anderem San Carlos, Progreso, Felicia und Humboldt (vgl. Grafik B1). 58 | Vgl. für diesen Absatz: EGB, 16. Jg., Nr. 17 (20. April 1910), 197; Deutsche Evangelische Gemeinde Rosario 1910, ohne SZ.
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das Gemeindeleben und Bauprojekte bzw. größere Anschaffungen mussten zurückgestellt werden. Auch in Rosario ergaben sich aus der Vereinsorganisation tiefe Abhängigkeiten, nicht direkt von Ernteerträgen, sondern vielmehr von der wirtschaftlichen Situation führender Persönlichkeiten. Der erfolgreiche deutsche Kaufmann Rudolf O. Schmidt, der die Gemeinde ab 1909 über Jahrzehnte als Präsident führte, sicherte vor allem in den Jahren des Ersten Weltkrieges mit seinem Privatvermögen ihr Überleben. Nachdem Schmidt selbst hart von der Wirtschaftskrise getroffen worden war, die Gemeinde ihre Schulden aber nicht zurückzahlen konnte, befand sich die Kongregation in den 1920er Jahren kurz vor ihrer Auflösung.59 Die enge Anbindung an die DELPS in Argentinien sowie an die Preußische Landeskirche und weitere protestantische Organisationen in Deutschland wirkte in derartigen Situationen stabilisierend und bewahrte die Gemeinden mehr als einmal vor dem Kollaps. Esperanza vollzog den Anschluss an die Landeskirche 1897, Rosario folgte im Jahr 1903.60 Neben den finanziellen Vorteilen waren damit auch bestimmte Richtlinien und Zwänge verbunden. Die Gemeinden standen nun unter der »kirchenregimentlichen Aufsicht« des EOK in Berlin, waren zu jährlichen Lageberichten verpflichtet und mussten sich dem »Bekenntnisstand« sowie den »liturgischen Anordnungen« der Preußischen Landeskirche unterwerfen. Gottesdienste und Amtshandlungen sollten ausschließlich nach der landeskirchlichen »Agende« ausgeführt werden. Dem EOK oblag zudem die Genehmigung von Statutenänderungen und die Berufung oder Entlassung der Auslandspfarrer.61 Dafür erhielten die evangelischen Gemeinden von Rosario und Esperanza regelmäßige Unterstützungsleistungen der Landeskirche, sei es in Form von finanziellen oder materiellen Subventionen. Die DELPS und das deutsche Generalkonsulat in Buenos Aires organisierten den Transfer der Zuschüsse. Der 59 | Vgl. für diesen Absatz: EZA 5/2064 (Brief von Probst Kaetzke an den EOK in Berlin vom 23. April 1924), ohne BN; EZA 5/2060 (Brief von Geheimrat Rahlwes an den EOK in Berlin vom 18. Dezember 1929), ohne BN). 60 | Besonders die Kontakte Esperanzas mit der Preußischen Landeskirche reichten allerdings noch weiter zurück. Nach einem vorübergehenden Anschluss an die Methodistenkirche in Buenos Aires zwischen 1864 und 1870, der zu einer Spaltung der Gemeinde führte, versuchte der Vorstand noch im selben Jahr bei der Preußischen Landeskirche die Vermittlung eines Pfarrers aus Deutschland zu erreichen. Der Antrag hatte Erfolg. Ab 1873 entsandte der EOK in Berlin Pastoren nach Esperanza und legte damit den Grundstein für eine lange, wenn auch nicht ununterbrochene Kooperation (vgl. EGB, 14. Jg., Nr. 49 (2. Dezember 1908), 579; Grenón 1939, 383; Koch 1910, 10). 61 | Vgl. für diesen Absatz: EGB, 13. Jg., Nr. 42 (16. Oktober 1907), 496; Koch 1910, 10; Mirus 1943, 51.
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Fürsprache und dem weit verzweigten Beziehungsnetzwerk der Synode war es auch zu verdanken, dass die kleinen Gemeinden von Rosario und Esperanza in das Blickfeld wohltätiger Organisationen wie der protestantischen Gustav-Adolf-Stiftung in Deutschland gelangten. Als erster überseeischen Gemeinde überhaupt wurde Esperanza 1903 die »große Liebesgabe« der deutschen Gustav-Adolf-Vereine über 22 156 Mark zugesprochen, mit der alle Schulden auf einen Schlag getilgt und der Neubau eines Pfarrhauses begonnen werden konnte. Auch Rosario profitierte vom Hilfswerk deutscher Protestanten: Bis 1916 bezog die Gemeinde insgesamt 14 665 Mark an Beihilfen aus den Gustav-Adolf-Ortsvereinen in Erfurt, Leipzig, Berlin, etc.62 Zwar ermöglichten größere Zuwendungen wie diese die zeitweise Überwindung von Krisen oder die Realisierung von Bauvorhaben, eine kontinuierliche finanzielle Sicherheit boten sie aber nicht. Auch aus diesem Grund blieb die Aufstellung der Kirchgemeinden als Vereine nicht unwidersprochen. Die häufig prekäre Finanzsituation, die internen Machtstrukturen und der vergleichsweise bescheidene Einfluss des Pfarrers auf wichtige Gemeindebelange stießen besonders in Esperanza auf Widerstände. Angesichts beständiger finanzieller Schwierigkeiten kritisierte Edmund Koch, der die Gemeinde zwischen 1898 und 1904 als Pfarrer begleitete, in einem Schreiben an den Ober-Konsistorialrat in Berlin vom 30. Mai 1901 heftig die Nachteile der vereinsmäßigen Gemeindeorganisation. Für die große Mehrheit der Gemeindemitglieder zähle, so Koch, bloß die Bereitstellung von Amtshandlungen. Ohne die Gebührenordnung, die Mitgliedern Vergünstigungen bei Taufen oder Hochzeiten einräumte, wäre die Zahl der regelmäßigen Beitragszahler wesentlich geringer. Die häufig gebrauchte Bezeichnung »Kirchenverein« betone denn auch eher die Vereinsmäßigkeit als die Kirchlichkeit der Gemeinde. Ein Nachteil dieser Organisationsform sei der große Einfluss von in Kirchenangelegenheiten eigentlich unbewanderten »begüterten oder redefertigen« Personen im Gemeindevorstand, die die eigentliche Schuld an der Notlage der Gemeinde in Esperanza hätten. Nachdem bereits zuvor Fälle von Misswirtschaft in der Kongregation bekannt geworden waren, entzündete sich der Zorn Kochs vollends an der »Glockenfrage«. Der Evangelische Frauenverein Esperanza hatte der mit ihr verbundenen Gemeinde Kirchturmglocken gestiftet, die in Bochum von Meisterhand gegossen und aufwändig nach Argentinien verschifft werden sollten. Pfarrer Koch riet vom Kauf ab: »Denn die Anschaffung von Glocken scheint mir bei der sonstigen Misere der Gemeinde ein entbehrlicher Luxus zu sein.«63 Ohne Stimm- oder Vetorecht sah er sich aber nicht in der Lage, das Geschäft zu verhindern. Der 62 | Vgl. Deutsche Evangelische Gemeinde Rosario 1916, ohne SZ; Koch 1910, 14. 63 | EZA 5/2143, ohne BN.
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tatsächliche Einfluss des Pfarrers auf derartige Entscheidungen hing folglich allein von seiner Persönlichkeit, seinem Durchsetzungsvermögen und seinen Beziehungen zu den Mitgliedern des Kirchenvorstandes ab.64
3.2 Identität und Identitätsarbeit 3.2.1 »Deutsch-evangelisch«: Die Verbindung von Sprache, Kultur, Religion und Nation Aus den kirchlichen Organisationsversuchen in Rosario und Esperanza hatten sich zwei unterschiedliche Gemeindetypen herausgebildet. Während sich der Kirchenverein in Rosario ausdrücklich als »reichsdeutsche« Gemeinde positionierte, stand die Evangelische Kirchgemeinde in Esperanza infolge ihrer Mitgliederstruktur vor allem in der Anfangszeit zwischen den Nationen, Kulturen und Bekenntnissen. Trotz aller Unterschiede waren die Kongregationen in zwei wesentlichen Aspekten kongruent. Zum einen begriffen sie sich als Teil des lokalen deutschen Vereinswesens und standen organisatorisch wie personell auf vielfältige Weise mit diesem in Verbindung, zum anderen verband sie ein gemeinsamer ideologischer Überbau. Ihr Selbstverständnis, ihre Wahrnehmung der Umgebungswelt und die daraus resultierenden praktischen Schlüsse befanden sich im Einklang mit dem »Deutschtums«-Diskurs der anderen Vereine.65 Sprache, Kultur, Nation und der kollektive Wertekanon bildeten dabei die Grenzsteine der deutschen Gemeinschaftserfahrung. Innerhalb der protestantischen Kirchgemeinden und des Verbundes der Deutschen Evangelischen La Plata-Synode erweiterte die Komponente »Religion« dieses ideelle Konglomerat zu einem »deutsch-evangelischen« Identitätsdiskurs. Dieser wurde über viele Jahrzehnte genährt sowohl durch die gleichsam dogmatischen Vorgaben der deutschen Mutterkirche als auch durch die Auseinandersetzung mit Themen wie Heimat, Glauben, Tradition und Fremdheit in den Gemeinden selbst.66 64 | Vgl. für die vorangegangenen beiden Absätze: Ebd.; EGB, 7. Jg., Nr. 332 (31. Oktober 1901), 3. Im Rückblick auf seine Dienstjahre in Esperanza konnte Koch dem Prinzip des »Kirchenvereins« allerdings auch einige positive Seiten abgewinnen: »Nach meinem persönlichen Erfahrungen und Beobachtungen an Anderen glaube ich auch nicht, daß der Würde des Amts irgend etwas vergeben wird, wenn [der Pfarrer, Anm. d. Verf.] nicht als der geborene Vorsitzende angesehen ist.« (Koch 1906, 261). Denn auch als Vorsitzende könnten sich Pfarrer nicht gegen den Willen der gesamten Gemeinde stellen. Außerdem würden ihm durch die Vereinsstruktur viele Aufgaben wie etwa die Schriftführung abgenommen (vgl. ebd., 262f.). 65 | Vgl. Kapitel III, 4 dieser Arbeit. 66 | Eine zeitgenössische Antwort auf die Frage »Was ist deutsch-evangelisch?« kommt von Pastor Schneider aus dem chilenischen Valdivia: »Wenn wir von deutschevangelisch reden, so ist es weder im Sinne des Gegensatzes noch der Beschränkung,
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Die DELPS formte diesen Diskurs unter dem maßgeblichen Einfluss der Preußischen Landeskirche. In Briefen und Rundschreiben des EOK in Berlin spiegelte sich die zeitgenössische Vorstellung, dass der Erhalt des evangelischen Glaubens im Ausland zugleich eine »nationale Aufgabe« sei. Religiöse Bindungen sollten dazu beitragen, das »Deutschtum« unter den Einwanderern über Generationen aufrecht zu erhalten, damit diese der »Heimat« nicht »verloren gingen«. Die »Diasporagemeinden« hatten demnach den Charakter von »Pflegestätten deutscher Art, deutscher Sitte und deutsch-evangelischen Glaubenslebens«.67 Verbreitung fanden derartige Positionen in erster Linie über ein unabhängiges Netz von Medien und Kirchenvertretern in ganz Argentinien, etwa im landesweit erscheinenden Evangelischen Gemeindeblatt und anderen Publikationen der Synode, auf Synodal- und Pfarrerversammlungen sowie in Predigten und öffentlichen Reden der Pastoren in den Gemeinden. Der deutsche Auslandspfarrer war als Bindeglied zwischen Kirche und Basis von großer Wichtigkeit. In der Konzeption der preußischen Staatskirche hatte er neben seinen religiösen noch weitere Pflichten. Er diente nicht nur der Kirche sondern auch dem »Vaterland«. Er sollte zugleich »Pastor und Patriot« sein und dies auch in seiner Gemeindearbeit verwirklichen. Der »Verbindung von deutschem und evangelischem Wesen« im Ausland wurde grundlegende Bedeutung beigemessen. Demzufolge gehörte auch die Förderung von Bildungsund Kulturangelegenheiten in den Gemeinden zu seinen Aufgabenbereichen.68 Die Kraft und Persistenz des »Deutsch-evangelisch«-Diskurses lässt sich an der Bereitwilligkeit ablesen, mit der protestantische Pfarrer in Argentinien dessen Elemente in ihren Sprachgebrauch übernahmen und mit geringen Abwandlungen über einen langen Zeitraum verbreiteten. Die ihnen zugedachte Rolle interpretierten sie mit teils missionarischem Eifer. In seiner Synodalpredigt aus dem Jahr 1902 sprach der erste Pastor der deutschen Gemeinde in Rosario, Werner Achilles, über die schicksalhafte Dimension der seelsorgerischen Arbeit sondern allein im Sinne der gegenseitigen Entfaltung. Wir behaupten nämlich, dass sowohl das Deutschtum durch das Evangelium, als [auch] das Evangelium durch das Deutschtum eine tiefere, vollere, kräftigere Entfaltung seines eigentlichen Wesens erhält als für sich allein.« So würden z.B. die »männlichen, ehrlichen Tugenden« der Deutschen das Evangelium erst »befruchten« (vgl. EGB, 7. Jg., Nr. 333 (7. November 1901), 2). 67 | Vgl. dazu den »Runderlaß des Evangelischen Ober-Kirchenrats« von 1907 (EGB 13. Jg., Nr. 35 (28. August 1907), 411-413). Auch Häfner und Zorzin haben in ihren Arbeiten darauf hingewiesen, dass die Bewahrung des »Deutschtums« und des evangelischen Glaubens in der DELPS Hand in Hand gingen (vgl. Häfner 2008, 114; Zorzin 2009, 99). Zorzin spricht an dieser Stelle von einer »simbiosis entre identidad nacional y cristianismo evangélico«. 68 | Vgl. für diesen Absatz: EGB, 10. Jg., Nr. 454 (9. März 1904), 2-4.
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in der Diaspora: »Gott hat uns hineingestellt in die evangelische Kirche und in unser deutsches Volksthum [sic]. Beide Güter in ihrer innigen Vereinigung uns zu bewahren, eins durch das andere zu erhalten und zu stützen, dazu sind wir von Gott gesandt [. . . ].«69 Sein Nachfolger, Maximilian Gebhardt, der die Gemeinde zwischen 1908 und 1926 bediente, führte diesen Diskurs konsequent weiter. Reden, Publikationen und biographische Daten, die für Gebhardt ungewöhnlich zahlreich vorliegen, erlauben detaillierte Einblicke in den Werdegang und den Denkhorizont des Pfarrers und geben eine Ahnung von der identifikatorischen Wirkung seiner Arbeit in der Gemeinde. Christian Friedrich Maximilian Gebhardt wurde 1865 als Sohn eines Landwirts in Egeln bei Magdeburg geboren. Nach seinem Universitätsstudium in Erlangen und Halle-Wittenberg legte er 1889 und 1891 die theologischen »Kandidatenprüfungen« ab und ging bald darauf seine erste Ehe ein. Zuvor hatte er beim fünften bayerischen Infanterieregiment in Erlangen seinen Militärdienst geleistet. Erste Amtsstationen führten ihn u.a. als Pfarrvikar ins schlesische Lipine und als Pastor nach Hirschberg in Thüringen, bevor er 1904 eine Pfarrstelle in der neuen Lutherkirche in Berlin-Schöneberg antrat. Im Zentrum des preußischen Protestantismus angekommen, ergaben sich für Gebhardt zunächst gute Zukunftsaussichten. Mit einigen weiteren Pastoren betreute er eine große und wohlhabende Stadtgemeinde. Aus seiner Jugendarbeit ging eine ausgesprochen liberale Abhandlung über »Modernen Religionsund Konfirmandenunterricht« hervor, die er 1906 veröffentlichen konnte. Einige Passagen, etwa über »Luthers Starrsinn und Engherzigkeit« oder die sehr freizügigen Abschnitte über »Selbstbefleckung« und Prostitution, brachten ihn allerdings in Konflikt mit der Landeskirche.70 Gebhardts scharfe Kritik an der Berliner Stadtmission zeitigte ebenfalls überwiegend negative Reaktionen und wurde aktenkundig. Diese Auseinandersetzungen und die anstehende Scheidung von seiner Ehefrau belasteten zunehmend die nervliche Gesundheit Gebhardts. Seinem Antrag auf Urlaub wegen Überarbeitung wurde Ende 1907 stattgegeben. Im Jahr darauf schied er auf eigenen Wunsch aus dem Amt als Pastor der Lutherkirche und meldete sich für den Auslandsdienst in Argentinien. Im Februar 1908 schrieb er an das Königliche Konsistorium in Berlin: »Ich sah keine andere Möglichkeit, mich der Gehässigkeit meiner Frau zu entziehen als in der Aus-
69 | EGB, 8. Jg., Nr. 357 (24. April 1902), 2. 70 | Vgl. Gebhardt 1906, 108; 114f. Das Exemplar, das seiner Personalakte beiliegt, enthält neben zahlreichen Anstreichungen und Kommentaren den Vermerk: »[...] keine neue Auflage ohne Bearbeitung.« (vgl. EZA 5/3327, ohne BN).
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wanderung.«71 Nach einer kurzen Station als Lehrer und Leiter einer deutschen Schule in Esperanza übernahm Gebhardt mit Genehmigung des EOK die Deutsche Evangelische Gemeinde in Rosario.72 Ein Jahr nach seiner Amtseinführung trat Gebhardt wieder als Autor in Erscheinung. Seine »Andachten«, die 1909 wöchentlich auf der Titelseite des Evangelischen Gemeindeblatts der Synode veröffentlicht wurden, offenbaren seinen umfassenden Wandel vom liberalen Querdenker zum konservativen Konformisten. Inhaltlich und rhetorisch war er völlig auf den offiziellen Kurs der Preußischen Landeskirche für die evangelische Auslandsarbeit eingeschwenkt und trug diese Positionen nun als Pastor und Autor in die deutschen Gemeinden Argentiniens. Die Andachten Gebhardts vereinen das Bewusstsein der kulturellen Überlegenheit der deutschen Einwanderer mit einem ausdrücklichen Sendungsanspruch. Er zeichnete darin das Bild des deutschen Einwanderers als »Träger einer höheren Kultur« »deutsch-evangelischer« Prägung, die, eingepflanzt in das »Samenland Argentinien«, dazu geeignet sei, reiche Früchte zu tragen. In seiner Synodalpredigt 1909 führte Gebhardt diesen Gedanken weiter. Argentinien beschrieb er als Nation ohne Geschichte, ohne endgültige Gestalt, die nicht zuletzt auch durch den Einfluss der europäischen Einwanderung geformt werde. Deutschen Pastoren und Lehrern sprach er in dieser Hinsicht eine besondere Rolle bei der Heranbildung »neuer Menschen« zu, die »eine neue, bessere Zukunft« Argentiniens mitgestalten sollten. Damit unterstrich er den, in der Synode meist relativierten missionarischen Sendungsgedanken und gab implizit der Hoffnung Ausdruck, das »Deutschtum« bzw. den deutschen Protestantismus als Teil des argentinischen Selbstverständnisses etablieren zu können.73 Missionsarbeit musste nach seinen Vorstellungen aber nicht nur unter Argentiniern, sondern auch unter Deutschen geleistet werden. Zu häufig zeige sich die Indifferenz der Deutschen und Deutschstämmigen gegenüber »ihrer« Religion, hervorgerufen durch eine um sich greifende Oberflächlichkeit und Seelenleere. Selbst die beständigsten »Accumulatoren«74 des deutsch-evangelischen Christentums seien vor dem Generationenfluch der »Verhiesigung« nicht gefeit. Die 71 | EZA 5/3327, ohne BN (Brief von Gebhardt an das Königliche Konsistorium in Berlin vom 3. Februar 1908). 72 | Vgl. für die vorangegangenen drei Absätze: EZA 5/3327, ohne BN; Mirus 1943, 71. 73 | Vgl. für diesen Absatz: EGB, 15. Jg., Nr. 1 (1. Januar 1909), 1f.; Nr. 2 (6. Januar 1909), Titelseite; Nr. 41 (6. Oktober 1909), 481f. Diese Hoffnung findet sich z.B. auch in den Diskursen der deutschen Schulvereine wieder (vgl. Kapitel IV, 4 dieser Arbeit). 74 | Gemeint sind einzelne Menschen oder Familien, die durch ihre profunde christliche Erziehung in Deutschland auch im Ausland als »Kraftstationen« des Protestantismus wirken (vgl. EGB, 15. Jg., Nr. 11 (10. März 1909), Titelseite).
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Bewahrung des religiösen Erbes, so Gebhardt, sei ein fortwährender Kraftakt, ohne den es spätestens in der dritten Generation verblasse.75 Dies habe negative Folgen zum einen für die Verbreitung und die Vitalität des Protestantismus in Argentinien, zum anderen aber auch für die Beständigkeit des gesamten »Deutschtums«. Als räumlich separierte »Splitter vom Baum unsres [sic] Volkstums« hätten es die Auslandsdeutschen in Südamerika ohnehin schwer, ihre Eigenart, ihre Identität zu bewahren. Den Pastoren als »Soldaten Christi« und dem Gottesdienst komme daher in gleichsam doppelter Verantwortung die Aufgabe zu, die Verbindung zwischen ihnen und ihrer alten Heimat aufrechtzuerhalten. In der Synodalpredigt rief Gebhardt seinen Kollegen in diesem Sinne zu:76 »Prediget das Evangelium! [. . . ] Evangelium predigen heißt Leben mitteilen, Leben einpflanzen, heißt Menschen zur Erfahrung der ewigen Liebe bringen, daß sie neuen Lebensmut, neuen Frieden gewinnen, ihre Sorgen los, voll Kraft und Freude werden. Und das ist, was alle Welt braucht, was erst recht unsere deutschen Kolonien, was erst recht der im weiten Kamp vereinsamte Genosse unseres Glaubens, unseres Volkstums, unserer Sprache nötig hat.«77
In seinen Andachten berührte Gebhardt zudem das Thema der nationalen Herkunft und die Möglichkeiten, ihrer über die Religion zu gedenken. Im Einklang mit den charakteristischen Topoi auslandsdeutscher Erinnerungskultur näherte er sich der Heimat über romantische Naturbeschreibungen. Zu Pfingsten schilderte er mit Wehmut die fehlende Übereinstimmung zwischen dem auch in Argentinien gebräuchlichen deutsch-evangelischen Festkalender und den lokalen Naturerfahrungen, die nicht mit den aus Deutschland erinnerten korrespondierten. Für Gebhardt ergab sich daraus ein anderes Verständnis von Pfingsten ausschließlich als »Fest des Geistes«, da die gewohnten naturgebundenen Sinneseindrücke ausblieben. Das Pfingstfest wird in diesem Kontext zu einem Erinnerungsakt, einer Besinnung auf die eigene Herkunft. Diese Episode und die häufige Bedienung von idealisierten Naturbildern unter deutschen Einwanderern, korrespondiert mit wissenschaftlichen Erkenntnissen, die das Territorium und seine Beschaffenheit als Teil der nationalen Identität beschreiben.78 Seine Pfingstandacht schloss Gebhardt 1909 mit der Botschaft: 75 | Vgl. für diesen Absatz: EGB, 15. Jg., Nr. 11 (10. März 1909), Titelseite. 76 | Vgl. für diesen Absatz: EGB, 15. Jg., Nr. 30 (21. Juli 1909), 349f.; Nr. 41 (6. Oktober 1909), 481f. 77 | EGB, 15. Jg., Nr. 41 (6. Oktober 1909), 482. 78 | Vgl. Kapitel I, 3 dieser Arbeit. Vgl. für die vorangegangenen beiden Absätze: EGB, 15. Jg., Nr. 22 (26. Mai 1909), 253f.
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»Nun grüße ich alle unsere Freunde in den drei Republiken [Argentinien, Uruguay und Paraguay, Anm. d. Verf.], die unsere Synode umfasst. Mein Pfingstgruß will zur Hoffnung rufen. Zur Hoffnung, daß wir mit unserer kirchlichen Arbeit vorwärts kommen, vorwärts in beidem, im Deutschtum und im Christentum.«79
Diese Form der »kirchlichen Arbeit«, die beinahe selbstverständlich die ethnischen und nationalen Belange der Deutschstämmigen umfasste, lässt sich auch in Rosario und Esperanza über den gesamten Untersuchungszeitraum nachverfolgen. Pfarrer und Kirchenvorstände standen in stetigem Kontakt mit dem lokalen deutschen Vereinswesen und partizipierten an Feiern und kulturellen Veranstaltungen. Besonders deutlich wurde der Anspruch, Identitätsarbeit in den »Kolonien« zu leisten jedoch bei »vaterländischen Festen« in den Gemeinden selbst. Hermann Motzkau, Pfarrer in Esperanza, sagte dazu 1913 in einem »Synodalreferat«: »Wir lassen keine derartige Feier vorübergehen, ohne ihr in unsern Gotteshäusern freudigen und dankbaren Widerhall zu geben. Im laufenden Jahre waren es die Regierungsjubiläumsfeier des deutschen Kaisers und die Jahrhundertfeier der Leipziger Schlacht, an welchen wir zahlreich besuchte Festgottesdienste abhielten. Und nicht wenigen unserer Landsleute dürfte gerade bei diesen Feiern zum Bewußtsein gekommen sein, wie gerade die Kirchenfeier den übrigen Feierlichkeiten und der patriotischen Stimmung Weihe und Adel gab.«80
Die nationale Festkultur wurde als unverzichtbarer Teil des Gemeindelebens und Bekenntnis zum »Deutschtum« von den Pfarrern und der Synode bereitwillig gefördert. Denn durch ihre Nähe zur Preußischen Landeskirche hatten die Auslandsgemeinden in Argentinien auch ein besonderes Verhältnis zu den Monarchen des von Preußen dominierten Deutschen Reichs. Sein Oberhaupt aus dem Haus Hohenzollern war zum einen als preußischer König Inhaber des landesherrlichen Kirchenregiments ihrer »Heimatkirche« und zum anderen als deutscher Kaiser der Fixpunkt ihres kollektiven Nationalbewusstseins.81 Anlass zu regelmäßigen Ehrungen gaben vor allem die Kaisergeburtstage, die zu konstanten Terminen im Festkalender der deutschen Gemeinden wurden. Das EGB widmete ihnen alljährlich diverse Extraseiten bzw. ganze Ausgaben mit häufig martialisch-nationalistischen Lobreden und Gedichten. Die Pfarrer wiederum würdigten das Jubiläum des Monarchen in den Gemeinden mit 79 | Ebd., 254. 80 | Motzkau 1913, 338f. 81 | Vgl. zur Beziehung zwischen dem Kaiser und preußischen König und der Preußischen Landeskirche: Kapitel II, 2.2.3 dieser Arbeit.
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Festpredigten und -gottesdiensten. Die wiederkehrenden Motive der Beiträge setzten insbesondere die Religiosität des Kaisers mit seiner politischen Funktion als Staatenlenker und Garant für die Einheit und die Weltgeltung Deutschlands in Zusammenhang. Im Falle Wilhelms I. wurde stets die vorbildliche Frömmigkeit des Kaisers und der kaiserlichen Familie als Quell seiner Tatkraft und moralischen Stärke betont. Sie galt damit gleichsam als Fundament für die bedeutende Rolle Wilhelms im Vorfeld der deutschen Einigung und seine folgende exponierte Stellung als Kaiser der Deutschen. Von seinem Geburtstag ging, im zeitgenössischem Verständnis, eine einigende Wirkung auf die Deutschen in Argentinien und aller Welt aus.82 Derartige Effekte schrieb man auch anderen nationalen Festen wie den Reichsgründungsfeiern zu, die ebenfalls in den Gemeinden begangen wurden. Ein Pastor aus Buenos Aires erklärte aus diesem Anlass die große Bedeutung nationaler Jubiläen für die deutschen Protestanten wie folgt: »Wenn wir wieder zu heiliger vaterländischer Feier rüsten durften, so ist wohl die Frage erlaubt, warum wir im Auslande mit ganz besonderer Freude [. . . ] jubeln über des neu entstandenen Reiches Herrlichkeit. Man schätzt ja manchmal die Dinge besser aus einiger Entfernung, oder – nachdem man sie ganz entbehren muss. Auch blicken wir mit Stolz auf unser Vaterland, dessen Kraft und Macht sich uns hier im Ausland besser offenbart und bezeugt. Aber das ist es nicht allein. Sondern an solchen Tagen überwinden wir das Heimweh, das manchmal unsere Gedanken durchzieht, das Heimweh nach der Heimatberge Grün, nach Deutschlands gelben Weizenfeldern, nach seinen Rebhügeln [. . . ] heute aber, wo wir uns zusammenfinden unter dem fröhlich flatternden Banner, das des Kaisers Ehre, des Reiches Macht und Freiheit, der Bürger Recht und Frieden bedeutet, heute zaubern wir gewissermassen [sic] die Heimat in das fremde Land!«83
Der »Deutsch-evangelisch«-Diskurs und seine ethnischen und nationalen Implikationen blieben bis in die 1940er Jahre die entscheidenden Triebfedern der religiösen, kulturellen und Bildungsarbeit in den deutschen Gemeinden. Allerdings machte sich zunehmend eine Asynchronität zwischen den ideologischen Ansprüchen der Synode, Pfarrer und Vorstände und der tatsächlichen Lebenswelt der Mehrzahl der Gemeindemitglieder bemerkbar. Der Erste Weltkrieg hatte auch hier nachhaltige Brüche im Selbstverständnis der Deutschstämmmi82 | Vgl. für diesen Absatz: EGB, 7. Jg., Nr. 294 (7. Februar 1901), 1-4. Die Vorzüge Wilhelms I. wurden auch auf seinen Nachfolger übertragen. 83 | EGB, 1. Jg., Nr. 32 (24. Januar 1896), 489.
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gen hinterlassen.84 In den 1920er und 1930er Jahren stellte sich nun vermehrt die Frage, ob die Gemeinden in Esperanza und Rosario ihren deutschen Charakter beibehalten oder sich stärker ihrer argentinischen Umwelt anpassen sollten. Die Deutsche Evangelische Gemeinde in Rosario konnte trotz massiver finanzieller und interner Probleme in der Nachkriegszeit ihren Fortbestand sicherstellen. Auch ihr deutsches Profil blieb weitgehend unbeschadet. Lediglich einzelne Amtshandlungen und Teile des Konfirmandenunterrichts wurden auf Spanisch abgehalten. Erst 1932 beschloss die Generalversammlung als Zugeständnis an die vielen Konfirmanden ohne Deutschkenntnisse die Einführung eines spanischsprachigen Gottesdienstes, der zunächst einmal im Monat stattfand.85 Ein anderes Bild boten die schweizerisch geprägten Außengemeinden Rosarios, Roldán und San Gerónimo, die laut Pastor Gebhardt aufgrund des Desinteresses der Jugend am deutschen Gottesdienst »keinen längeren Bestand« haben würden. Superintendent Kaetzke, der fünf Jahre später in Rosario Station machte, kam ebenfalls zu diesem Schluss. Er berichtete an den EOK, die beiden »Filialgemeinden« seien »im Begriff, sich aufzulösen«. Es fehle an Gemeindenachwuchs, der selbst durch Predigten und Konfirmandenunterricht in spanischer Sprache nicht gewonnen werden könne. Pastor Rahlwes sprach nach seinem Besuch 1929 sogar offen davon, dass die Bedienung durch Gebhardt bald ganz eingestellt werden müsse, da sich die Schweizer dem »Deutschtum« völlig entfremdet hätten.86 In Esperanza war der Verlust des »Deutschtums« auch in der Hauptgemeinde deutlich spürbar. Unter Pfarrer Rohloff, der den Gemeindeverbund 1920 übernahm, mussten immer mehr Amtshandlungen auf Spanisch abgehalten werden. Im Jahr 1922 betraf dies fast ein Drittel aller Taufen und Beerdigungen, die Hälfte der Trauungen und zwei Drittel der Konfirmationen.87 Rohloffs Nachfolger Johannes Vöhringer begann daher 1926, den deutschen Gottesdienst mit spani84 | Vgl. Kapitel III, 4.4.2 der vorliegenden Arbeit. 85 | Vgl. DAD, 15. Jg., Nr.15/16 (August 1932), 434. 86 | Vgl. für diesen Absatz: EZA 5/2060, ohne BN (Bericht von Pfarrer Rahlwes an den EOK in Berlin vom 18. Dezember 1929); EZA 5/2064, ohne BN (Bericht von Superintendent Kaetzke an den EOK in Berlin vom 23. April 1924); EZA 5/2148, ohne BN (Bericht Pastor Gebhardts über die »Gemeindeverhältnisse« an den EOK in Berlin vom 31. Oktober 1919). Kaetzke war mehrere Jahre als Pfarrer im Auslandsdienst in Argentinien aktiv gewesen. 1924 bereiste er im Auftrag des EOK die La-PlataStaaten, Chile und Brasilien, um die angeschlossenen Gemeinden zu besuchen, über die dortigen Verhältnisse Bericht zu erstatten und die Beziehungen zur »Heimatkirche« zu stärken. Auch Rahlwes war als Vertreter des EOK in den Gemeinden der evangelischen La-Plata-Synode zu Gast. 87 | Vgl. EZA 5/2145, ohne BN (Jahresbericht von Pastor Rohloff für 1922 an den den EOK in Berlin vom 23. April 1925).
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schen Andachten zu ergänzen und den Konfirmandenunterricht vollständig auf Spanisch umzustellen, um die Gemeinde zusammenzuhalten.88 Geheimrat Rahlwes, der 1929 auch Esperanza besuchte, zeigte sich wenig erfreut über diese Entwicklung: »Ich fand dort eine deutsche Gemeinde, die im Begriff ist, völlig spanisch zu werden. [. . . ] Mit der Verwelschung [. . . ] setzte auch die Preisgabe des evangelischen Glaubens ein. Nach Angabe des Pfarrers sind in Esperanza grosse [sic] Verluste an den Katholizismus zu verzeichnen, sodass nur ein Bruchteil der evangelischen Gemeinde übrig geblieben ist, ein klassisches Beispiel, wie der Verlust von Volkstum und Glaube in Südamerika zusammenhängt.«89
Als Konsequenz warf Rahlwes die Frage in den Raum, ob solchen Gemeinden nicht die Mittel von der »Heimatkirche« gestrichen werden sollten. Das Urteil seines Kollege Kaetzke, der 1930 erneut in die Provinzen Santa Fe und Entre Ríos reiste, fiel ähnlich negativ aus. Dieser bezeichnete Esperanza in seinem Bericht gar als eine »spanisch-evangelische Gemeinde«. Die Bemühungen Pastor Vöhringers, dem entgegenzuarbeiten, seien zwar löblich, allerdings, so seine treffende Einschätzung: »ein Zurückdrehen des Rades dürfte in Esperanza nicht mehr möglich sein.« Kaetzke erkannte zu diesem Zeitpunkt bereits die allmählich erfolgende Trennung von »Deutschtum« und Evangelium: Der Großteil der Gemeinde sei an der Erhaltung ethnischer und nationaler Traditionen und Werte nicht mehr interessiert, sondern nur noch am religiösen Leben. Für die Zeit nach dem Abtritt Vöhringers stellte er daher den Fortbestand der Gemeinde in Frage.90
3.2.2 Sprachenfrage und Bildungsinitiativen Die angenommene Einheit von »Deutschtum« und evangelischem Glauben, welche als diskursbestimmendes Konzept von der Preußischen Landeskirche in die angeschlossenen Auslandsgemeinden getragen wurde, verwies von Beginn an auch auf potentielle Bedrohungsszenarien. Im Verständnis deutscher Protestanten in Argentinien zählten dazu vor allem die starken religiösen 88 | Vgl. EZA 5/2146, ohne BN (Bericht von Pastor Vöhringer an den EOK in Berlin vom 27. Juni 1927). Gesonderte spanische Gottesdienste wurden in Esperanza bereits seit 1899 als Ersatz für die französischsprachigen Gottesdienste etwa fünf Mal jährlich abgehalten (vgl. EGB, 5. Jg., Nr. 234 (13. Dezember 1899), 9f.). 89 | Vgl. EZA 5/2060, ohne BN (Bericht von Pfarrer Rahlwes an den EOK in Berlin vom 18. Dezember 1929). 90 | Vgl. für diesen Absatz: EZA 5/2146, ohne BN (Bericht von Kaetzke an den EOK in Berlin vom 13. Mai 1930).
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und sprachlich-kulturellen Einflüsse der spanisch-katholisch geprägten Umgebungswelt. Bereits seit Mitte des 19. Jahrhunderts entspannen sich aus dieser Wahrnehmung intensive Diskussionen in den einzelnen Gemeinden, die sich später auf die DELPS übertrugen. Von essenzieller Bedeutung war dabei vor allem die »Sprachenfrage«. Die Bewahrung der deutschen Sprache wurde als Grundvoraussetzung für den langfristigen Bestand des deutsch-evangelischen Gemeindelebens in Argentinien betrachtet. Neben dieser pragmatischen Perspektive berührte dieser Punkt auch das religiöse Selbstverständnis der Einwanderer. Kazal geht mit Blick auf die deutschen Lutheraner in Philadelphia davon aus, dass das Deutsche als »Sprache Luthers« und seiner Bibelübersetzung einen wichtigen Teil der religiösen Identität auslandsdeutscher Protestanten ausmachte.91 Bestätigung hierfür findet sich auch in Argentinien. Pastor Koch aus Esperanza etwa erblickte im Sprachverfall eine »Gefahr« für das »evangelische Bekenntnis«: »Woher will einer das Recht ableiten, sich protestantisch zu nennen, wenn ihm die Bibel ein verschlossenes Buch mit sieben Siegeln ist? Die spanische Bibelübersetzung kann nun nicht im Entferntesten mit dem gewaltigen Werke Luthers verglichen werden.«92 Der sukzessive Anpassungsprozess deutschsprachiger Einwanderer und ihrer Nachkommen ließ allerdings früh die Endlichkeit der ethnischen Kirchenarbeit in Argentinien erahnen. Nach ihrer Gründung verfolgte die DELPS daher zwei wesentliche Anliegen. Einerseits wollte sie dem offensichtlichen Sprach- und Kulturverfall entgegenarbeiten, andererseits suchte sie nach Möglichkeiten, die »hispanisierten« Mitglieder in den Gemeinden zu halten. Viele Synodaltagungen und Arbeitstreffen beschäftigten sich in der Folge mit der Sprachenfrage. Als mögliche Lösungswege nahmen die Teilnehmer in erster Linie verstärkte lokale Bildungsangebote und die Verbreitung von speziell auf die argentinischen Verhältnisse zugeschnittenen kirchlichen Publikationen in den Blick.93 Diese Maßnahmen hatten aber nur Fortsetzungscharakter. Beispiele aus Rosario und Esperanza zeigen, dass in den Gemeinden selbst bereits zuvor vergleichbare Initiativen angeregt und Strategien im Umgang mit der Sprachenfrage erarbeitet wurden.
91 | Vgl. Kazal 2004, 83f. 92 | EGB, 5. Jg., Nr. 207 (7. Juni 1899), 9. 93 | Vgl. Zorzin 2009, 107; 115. Vgl. auch die Referate und Tagesordnungspunkte der Synodalversammlungen von 1907, 1911 und 1928 (Deutsche Evangelische La PlataSynode 1907; Deutsche Evangelische La Plata-Synode 1911; Deutsche Evangelische La Plata-Synode 1928a). Darunter befindet sich u.a. das Referat Pastor Richters »Über Bedeutung und Erhaltung der Muttersprache in unsern deutsch-evangelischen Gemeinden« von 1911.
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Eine der zentralen Instanzen der Sprachvermittlung in den evangelischen Gemeinden von Rosario und Esperanza war der deutsche Gottesdienst. Dort setzten die besonders in Esperanza regelmäßig wechselnden deutschen Pfarrer, die »Träger« deutscher Sprache und Kultur, mit Predigten und Gebeten neue linguistische und diskursive Impulse und aktualisierten auf diese Weise das Gemeindeleben. Als Raum der Erzählung und Erinnerung gingen vom evangelischen Gottesdienst noch weitere Wirkungen aus. Mit der kontinuierlichen Wiederholung gottesdienstlicher Handlungen in deutscher Sprache verband sich für die Einwanderergemeinden u.a. die stetige Vergegenwärtigung ihrer nationalen und ethnischen Wurzeln. Vor allem im Absingen vertrauter deutscher Kirchenlieder erkannten die Pfarrer ein wirkungsvolles Mittel der Identifikation mit der Gemeinde und ihren Zielen.94 Darüber hinaus boten die eingängigen Melodien und leicht zu erfassenden Texte eine Möglichkeit, spanischsprachige Mitglieder an das Deutsche heranzuführen. Sowohl in Esperanza als auch in Rosario waren zu diesen Zwecken Kirchenchöre aktiv und begleiteten die Gottesdienste. Bei der Wahl der Gesangbücher achtete man auf bewährte Werke aus Deutschland und der Schweiz, die eigens importiert wurden. Die Evangelische Kirchgemeinde Esperanza nutzte unter methodistischer Führung das »Evangelische Gesangbuch für Kirche, Schule und Haus in Basel-Stadt und Basel-Land« von 1854. Dieses wurde 1893 zunächst durch das in Zürich verlegte »Neue Gesangbuch für die Evangelisch-reformierte Kirche der deutschen Schweiz« ersetzt, bevor die Gemeinde 1910 das vom Deutschen Evangelischen Kirchenausschuss herausgegebene »Evangelische Liederbuch für Deutsche im Ausland« beschaffte. Das schweizerische Gesangbuch blieb aber in Benutzung, da es »manchen älteren Leuten lieb geworden« war.95 In Rosario standen der Deutschen Evangelischen Gemeinde anfangs keine Gesangbücher zur Verfügung. Daher wurden deutsche Kirchenlieder aus der Schwestergemeinde Esperanza eingesandt, abgeschrieben und durch die Druckerei Pongs kostenlos für den Gottesdienst vervielfältigt. Erst 1897, drei Jahre nach der Gründung, führte der Vorstand parallel zu den evangelischen Gemeinden in Buenos Aires und Montevideo das »Evangelische Gesangbuch für die 94 | Dass die Ziele der Gemeinde häufig die Ziele Deutschlands waren, zeigte sich während des Ersten Weltkriegs als die patriotischen Gottesdienste mit den entsprechenden nationalistischen Kirchenliedern angereichert wurden (vgl. Kapitel V, 3.2.5 dieser Arbeit). 95 | Vgl. für diesen Absatz: EZA 5/2144, ohne BN (Jahresbericht 1910 von Pastor Krüger aus Esperanza an den EOK in Berlin vom 6. Januar 1911; EGB, 13. Jg., Nr. 42 (16. Oktober 1907), 496; Koch 1904a, 166. Die Benutzung schweizerischer Gesangbücher ging vor allem auf das Wirken der ersten Pastoren zurück, die im Basler Missionshaus St. Chrischona ausgebildet worden waren.
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deutschen Gemeinden in den La Plata Staaten« ein, welches im Wesentlichen dem »Gesangbuch für Rheinland und Westfalen« entsprach.96 Als konsequente Fortsetzung ihrer sprachlichen Vermittlungsarbeit in Gottesdienst und Gemeindeleben entfalteten viele der deutschen Gemeinden in Argentinien eine intensive Schultätigkeit. Ähnlich gelagerte Fälle aus Einwanderungsländern wie Brasilien oder Chile belegen, dass das auslandsdeutsche Pfarramt im 19. Jahrhundert – besonders in ländlichen Regionen – fast immer auch mit einem Schulamt verknüpft war.97 Die Zielrichtung dieser kirchlichen Unternehmungen entsprach weitgehend der deutscher Vereinsschulen: Das »Deutschtum« der Nachkommenschaft sollte erhalten und damit der langfristige Bestand der deutschen »Kolonien« und ihrer gemeinschaftlichen Strukturen sichergestellt werden.98 Infolge der Synthese ethnischer, nationaler und religiöser Diskurselemente in den Gemeinden galt die evangelische Gemeindeschule als geeignetes Instrument der proaktiven Nachwuchsarbeit, um das »Erbe der Väter« in die folgenden Generationen hinüberzuretten. Die deutsche Gemeinde in Buenos Aires und später die DELPS unterstrichen bereits ab 1896 mit der Gemeindeblattbeilage »Erziehung und Schule« ihre Ansprüche im Bereich der deutschsprachigen Bildung und unterstützten in der Folge die evangelischen Schulen ihres Einzugsgebiets. Die traditionsreiche Gemeindeschule in Buenos Aires und ihre zahlreichen kleinen russlanddeutschen Pendants in der Provinz Entre Ríos waren die auffälligsten Zeugnisse des deutsch-evangelischen Schulwesens in Argentinien.99 Aber auch in der Nachbarprovinz Santa Fe regte sich bereits kurz nach Ankunft einer größeren Anzahl deutschsprachiger Siedler Mitte des 19. Jahrhunderts das Bedürfnis, in den jungen evangelischen Gemeinden einen deutschsprachigen Unterricht zu verwirklichen. Derartige Vorhaben waren in beinahe allen Kongregationen präsent, ihre tatsächliche Umsetzung hing allerdings stark von lokalen Gegebenheiten in den ethnischen Gemeinschaften und dem städtisch bzw. ländlich geprägten Umfeld ab. In Rosario existierten bei Gemeindegründung bereits zahlreiche konkurrierende staatliche und Privatschulen, darunter auch die Deutsche Schule, die ihren Betrieb 1893 aufgenommen hatte. Viele der Gründungs- und Vorstandsmitglieder, wie Wilhelm Otto Schneider oder Hermann Amelong, waren zudem sowohl im Kirchen- als auch im Schulverein aktiv. Die Einrichtung einer gesonderten Gemeindeschule, die von den Pastoren durchaus angeregt wurde, schien unter diesen Voraussetzungen weder praktikabel noch gewollt. 96 | Vgl. für diesen Absatz: Mirus 1943, 39; Hagedorn 1944, 24. 97 | Vgl. Dreher 1978, 56f.; Blancpain 1994, 217. 98 | Vgl. Kapitel IV, 4 der vorliegenden Arbeit. 99 | Vgl. Wilfert 1924, 38f.; Beros 2012, 76.
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Gänzlich anders gestaltete sich die Situation in Esperanza. Als die Evangelische Kirchgemeinde 1857, ein Jahr nach der Ansiedlung, ins Leben gerufen wurde, war die Frage der schulischen Versorgung in der Agrarkolonie noch weitgehend ungeklärt. Mangels privater und staatlicher Bildungsangebote, zumal im deutschsprachigen Bereich, hatte eine evangelische Gemeindeschule gute Aussichten auf Erfolg. Die protestantischen Pfarrer in Esperanza waren daher von Beginn an auch als Lehrer für die Kinder der Mitglieder zuständig. Über Art und Umfang der Schultätigkeit in den 1850er und 1860er Jahren ist nur wenig bekannt. Der erste Pfarrer Philipp Staiger verpflichtete sich, täglich drei Stunden Unterricht in einem kleinen Haus zu geben, das zugleich als Pfarrwohnung und Kirche diente. Unter den Methodisten wurde die deutschsprachige Unterweisung fortgesetzt und sogar ein zusätzlicher Lehrer eingestellt. Laut Pfarrer Koch war die Schule »gut besucht, auch von Katholiken, und [galt] in ihrer Zeit als die beste in Esperanza [. . . ].«100 Nachdem Pfarrer David Sauvain die Gemeinde 1870 vorzeitig verlassen hatte, führte der deutsch-schweizerische Lehrer Rudolf Luder die Schule während der Vakanz fort. In dieser Zeit konnte die Einrichtung bereits von Subventionen der Provinzregierung profitieren, die private Schulprojekte in der Region förderte.101 Mit Antritt von Pfarrer Finkbein aus Deutschland 1873 befand sich nun auch die Gemeindeschule im Einflussbereich der Preußischen Landeskirche. Finkbein selbst erteilte keinen Unterricht, da er als »Reiseprediger« aktiv war. Stattdessen engagierte der Vorstand 1874 mit Gemeindemitteln sowie den Beihilfen der Provinz Santa Fe und des Stadtrats von Esperanza den Schweizer Peter Dürst als Direktor, Lehrer und Organist. Er unterrichtete die ca. 50 Schüler ausschließlich auf Deutsch in der evangelischen Kirche. Seine Approbation durch die Provinzregierung war trotz der ethnischen Schulausrichtung offenbar problemlos möglich. Mit Ausnahme der Bibelgeschichte, die vom Gemeindevorstand als Fach vorgegeben wurde, durfte Dürst den Stundenplan sogar selbstständig gestalten.102 In seinen Memoiren räumt er aber freimütig ein, dass er in der Gemeindeschule anfangs nicht nur Lehrer, sondern auch Schüler war: »Noch nie hatte ich spanisch lesen gehört, und tat deshalb wohl daran, die Schüler zuerst lesen zu lassen, um von ihnen die richtige Aussprache zu lernen, wo sie dem grünen Pädagogen zweifelhaft oder unbekannt war.«103 Dessen ungeachtet setzte ein 100 | Koch 1904a, 166. 101 | Vgl. für diesen Absatz: EGB, 14. Jg., Nr. 48 (25. November 1908), 567; Nr. 49 (2. Dezember 1908), 579; Koch 1904a, 166f.; Koch 1910, 7; Schuster 1913, 147; Thurner 1986, 99; 107; Zorzin 2009, 36f. 102 | Vgl. für diesen Absatz: Koch 1904a, 170; Dürst 1913, 51f. 103 | Dürst 1913, 52.
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zufriedener Pastor Finkbein den EOK 1875 über die gelungene Verschränkung der örtlichen Bildungs- und Glaubensarbeit in Kenntnis: »Die derzeitigen Lehrer der protestantischen Schulen in Esperanza und San Carlos sind Schweizer und haben auf schweizerischen Seminarien [sic] für ihren Beruf methodische und tüchtige Vorbildung erworben. Die Leistungen der Schulen müssen, mit dem Maßstab hiesiger Verhältnisse gemessen, durchaus befriedigend genannt werden. Anfang Dezember jeden Jahres findet eine öffentliche Schulprüfung statt. Die einmaligen jährlichen Ferien fallen in die heißen Erntemonate Dezember und Januar. Der Kirche dienen unsere Schulen durch Bibellesen, biblischen Geschichtenunterricht und Einübung von Chorälen.«104
Allerdings stellte die Regierung die Subventionen für die Gemeindeschule nach 20 Jahren im Januar 1876 plötzlich ein. Finkbein zufolge begründete der santafesinische Generalschulinspektor Malbrán die Anweisung damit, dass die Provinz protestantische Erziehungsarbeit nicht unterstützen könne. Ohne staatliche Hilfe war die Gemeinde aber nicht mehr in der Lage, das Lehrergehalt selbst zu bestreiten. Um die Schule dennoch zu erhalten, wurde schließlich ein Abkommen mit der Munizipalität Esperanzas geschlossen und die Gemeindeschule in eine konfessionslose Schule überführt. Lediglich evangelischer und katholischer Religionsunterricht wurde von den Pfarrern erteilt. Lehrer Peter Dürst setzte seinen Dienst zunächst im alten Schulgebäude fort, sollte die Kinder nun aber ausschließlich auf Spanisch unterrichten: »In dem von der Munizipalität aufgestellten Lehrplan fehlt das Deutsche gänzlich, was ich als Sünde, begangen an der deutschen Jugend, betrachtete. Die Kinder sollten also ihre Muttersprache nicht mehr lesen und schreiben lernen! Dies zu verhüten, gab ich in der Woche einige Stunden deutschen Unterricht auf die Gefahr hin, von meinen Vorgesetzten gerüffelt oder gar abgesetzt zu werden.«105
Derweil errichtete die Stadtverwaltung ein neues Schulgebäude, um die Bildungsstätte 1879 schließlich vollständig zu übernehmen.106 Das Ende der Gemeindeschule stieß verschiedene Entwicklungen in der deutschsprachigen Gemeinschaft Esperanzas an. Zum einen entstanden nun verstärkt Privat- bzw. Vereinsschulen, um dem nach wie vor vorhandenen Be104 | EZA 5/2142, ohne BN (»Bericht des Reisepredigers in der Argentinischen Republik, Pfarrer C. Finkbein, über seine pfarramtliche Wirksamkeit« 1873-1875, o.Dat.). 105 | Dürst 1913, 66f. 106 | Vgl. für diesen Absatz: EZA 5/2142, ohne BN (Bericht Pfarrer Finkbeins an den EOK in Berlin über das Jahr 1876, o.Dat.).
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dürfnis nach deutscher Ausbildung zu entsprechen.107 Andererseits intensivierten die Pfarrer der Evangelischen Kirchgemeinde ihre Bemühungen zur Gründung einer neuen konfessionellen Schule. Unmittelbar nach der »Hispanisierung« der Gemeindeschule 1879 wandte sich Finkbein in dieser Angelegenheit an den Vertreter des Deutschen Reichs in Buenos Aires, Ministerresident Theodor von Holleben. In dem Briefwechsel setzte sich der Pastor für die Errichtung einer deutschen Schule in Esperanza ein und erbat mit eindringlichen Worten die Unterstützung der Reichsregierung: »Die Errichtung einer deutschen Schule in Esperanza ist jetzt, nachdem die Munizipalschule die deutsche Sprache zu Gunsten der Spanischen so gut wie ausgewiesen [sic] ist, für den Fortbestand[,] die Zukunft der deutschen evangelischen Gemeinde zur Lebensfrage geworden.«108
Der Plan von Hollebens, einen Schulverein mit einer seminaristisch ausgebildeten Lehrkraft zu gründen, gelangte im Juni 1880 zur Ausführung. Aus dem Etat des AA »zur Unterstützung deutscher Schulen im Auslande« wurde zu diesem Zweck eine Beihilfe über 2000 Mark gewährt.109 Parallel dazu begann der alte Gemeindelehrer Rudolf Luder 1881 eine Privatschule im »Kirchlocal«, zog sich zum Jahresende aber vom Schuldienst zurück. Nach seinem Weggang sah sich der neue Gemeindepfarrer Wilhelm Rosenthal in der »Pflicht«, die Einrichtung zu erhalten. Als wichtigsten Grund dafür führte er die Entwicklung der von seinem Vorgänger angestoßenen Vereinsschule an, die nicht mit den Zielen der Gemeinde korrespondierte: »Nachdem nun gegen Ende des vergangenen Jahres die Einrichtung einer deutschen Schule unter Leitung eines in Oesterreich [sic] gebildeten Lehrers katholischer Konfession von einigen Männern des deutschen Schulvereins beschlossen worden ist (es ist nicht der ganze Schulverein dabei befragt worden) und die von der deutschen Regierung bewilligte Subvention dieser neuen deutschen Schule zu gute kommen soll, scheint es mir zur Förderung des Protestantismus durchaus nothwendig [sic], die in der Kirche im letzten Jahre angefangene Schule keineswegs aufzugeben, sondern als deutsch-protestantische zu erhalten.«110 107 | Vgl. Koch 1904a, 171. Unter anderem wurde noch in den 1870er Jahren eine Privatschule unter Leitung des Schweizers von Kännel gegründet. Es folgten Vereinsschulen wie die Nordwestschule und die Südwestschule sowie eine Mädchenschule unter Frau von Hohenfels in den 1880er Jahren. 108 | EZA 5/2142, ohne BN (Jahresbericht 1879 von Pfarrer Finkbein aus Esperanza an den EOK in Berlin vom 13. Januar 1880). 109 | Vgl. für diesen Absatz: Ebd.; EZA 5/2142, ohne BN (Brief des Königlichen Ministeriums für Auswärtige Angelegenheiten in Berlin an den EOK in Berlin vom 10. Oktober 1881). 110 | EZA 5/2142, ohne BN (Jahresbericht 1881 von Pfarrer Rosenthal aus Esperanza an den EOK in Berlin vom 22. März 1882).
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In der Gemeindeschule unterrichte Rosenthal nun mit Unterstützung des Hilfslehrers Feller. Er begann mit der Vermittlung von Grundlagen wie dem »Deutsche[n], Lesen, Schreiben und Rechnen«, nahm später aber auch Französisch und Spanisch in den Lehrplan auf. Innerhalb eines Jahres konnte die Schülerzahl fast verdreifacht werden und stieg auf 44 Kinder in zwei Klassen an. Die Lehrerbesoldung stellte die Gemeinde vor große Herausforderungen, die sie selbst bewältigen musste, denn Subventionsanträge an die Provinzregierung hielt man wegen des politischen Einflusses des »Jesuitismus« für aussichtslos.111 Die Konkurrenzsituation mit der konfessionslosen Vereinsschule bewirkte auch, dass die Anträge von Rosenthal auf Reichsunterstützung für die Gemeindeschule abschlägig beschieden wurden. Der Kompromissvorschlag der deutschen Vertretung in Buenos Aires, beide Schulen zusammenzulegen, scheiterte u.a. an der Weigerung des Verwaltungsrats, dem Pfarrer das Unterrichtsrecht und eine Mitsprache bei der Schulaufsicht einzuräumen. Wegen fehlender Beihilfen musste die Gemeindeschule in der ersten Hälfte der 1880er Jahre schließen. Einem gescheiterten Wiederbelebungsversuch Pfarrer Forsters folgte zwischen 1889 und 1893 eine provisorische Schultätigkeit Pfarrer Wreges, der allein 50 bis 70 Kinder in vier Klassen im Pfarrhaus unterrichtete. Allerdings verhinderten finanzielle Engpässe der Gemeinde nach Missernten und dem Kirchbauprojekt sowie die angeschlagene Gesundheit Wreges eine dauerhafte Fortführung.112 Der kirchliche Einfluss auf die lokalen deutschen Schulangelegenheiten war damit aber nicht beendet. Nach der Vereinigung der zwei deutschen Privatschulen 1901 stand die neu entstandene Stadtschule die ersten Jahre unter der Leitung des protestantischen Pfarrers bzw. eines theologisch ausgebildeten Lehrers. Erst um die Jahreswende 1908/09 gab Pastor Krüger die Leitung wegen Überlastung, Krankheit und »Differenzen« mit dem Schulvorstand auf. Die Pastoren wirkten auch danach häufig als Bindeglied zwischen den »Kampschulen« und den deutschen Konsulaten bzw. den zuständigen Stellen in Deutschland. Sie übermittelten Nachrichten und Unterstützungsgesuche und leiteten Geld- und Lehrmittelsendungen weiter. Noch 1912 gelangten Lehrmit111 | Vgl. für diesen Absatz: Ebd.; EZA 5/383, ohne BN (Tabellarischer Jahresbericht 1881 von Pastor Rosenthal aus Esperanza an den EOK in Berlin, o.Dat.); EZA 5/2142, ohne BN (Bericht Pfarrer Rosenthals aus Esperanza an den EOK in Berlin vom 31. August 1882). 112 | Vgl. für diesen Absatz: EZA 5/2142, ohne BN (Antrag Pfarrer Rosenthals aus Esperanza auf Unterstützung der Gemeindeschule an die Vertretung des Deutschen Reichs in Buenos Aires aus dem Frühjahr 1883); EZA 5/2143, ohne BN (Brief von Pastor Wrege aus Esperanza an den EOK in Berlin vom 25. November 1896); EGB, 13. Jg., Nr. 42 (16. Oktober 1907), 496; Thurner 1986, 110f.; Koch 1904a, 178.
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tel des AA für die Schulen in Esperanza über die Gesandtschaft in Buenos Aires an den Pfarrer in Esperanza, der sie wiederum an die Schulen weitergab.113 Die schwere Krise der Stadtschule, der letzten verbliebenen deutschen Lehranstalt in Esperanza, im Jahr 1930 rief erneut die Evangelische Kirchgemeinde auf den Plan. Pastor Vöhringer berichtete dem EOK von der Schuldenlast des Schulvereins und den ausbleibenden Anmeldungen und bat um die Entsendung eines Lehrvikars, um der Schule wieder »aufzuhelfen« und wenigstens regelmäßige Deutschstunden einzurichten. Bis 1932 unternahmen die Gemeinde und die DELPS mit Unterstützung der Heimatkirche und des Deutschen Kulturrats in Buenos Aires Anstrengungen in diese Richtung. Vöhringer war zeitweise selbst als Lehrer tätig. Darüber hinaus verfolgte er Pläne, sich mit der Gemeinde wieder stärker im Schulwesen zu engagieren und einen Kindergarten zu gründen. Beides wurde wegen fehlender Finanzierung, der schlechten Infrastruktur in der Region und dem abnehmenden »Deutschtum« aber endgültig fallengelassen.114 Der Einsatz protestantischer Pfarrer in Argentinien für die deutsche Sprache beschränkte sich nicht nur auf Schulfragen, sondern mündete bereits seit den 1870er Jahren in einer Reihe von Publikationen, die vor allem auf die kirchliche Jugendarbeit im Ausland ausgerichtet waren. Anstelle von Buenos Aires, dem unbestritten Zentrum des deutschen evangelischen Christentums im Land, bildete interessanterweise die kleine Evangelische Kirchgemeinde in Esperanza ungewöhnlich häufig den Ausgangspunkt für eine entsprechende Autorentätigkeit. Esperanza gehörte zu den Gemeinden, in denen sich einerseits der Sprachverlust und andererseits der Mangel an deutscher Kirchenlektüre früh bemerkbar machten. Die Pfarrer beklagten wiederholt die geistige Verödung auf dem Land, die sie vor allem auf das eintönige soziale Leben, fehlende kulturelle Reize und den Mangel an deutscher Literatur zurückführten. In Übertragung auf die Gemeindemitglieder und ihre Nachkommen, erkannten sie daher früh die
113 | Vgl. für die vorangegangenen beiden Absätze: CEE-A Archivo 20 und Archivo 21, ohne BN; EZA 5/2143, ohne BN (Brief von Pastor Koch aus Esperanza an den Ober-Konsistorialrat in Berlin vom 30. Mai 1901); EZA 5/2144, ohne BN (Brief Pastor Krügers aus Esperanza an den EOK in Berlin vom 14. Januar 1909); IfA 2o B 138-1, 114; EGB, 13. Jg., Nr. 42 (16. Oktober 1907), 498; Nr. 43 (23. Oktober 1907), 509; Motzkau 1913, 338. 114 | Vgl. für diesen Absatz: EZA 5/2146, ohne BN (Brief von Pastor Kaetzke an den EOK in Berlin über seine Reise nach Esperanza vom April 1930); EZA 5/2146, ohne BN (Brief von Pastor Vöhringer aus Esperanza an den EOK in Berlin vom 6. Februar 1930); EZA 5/2146, ohne BN (Brief von Pastor Vöhringer aus Esperanza an den EOK in Berlin vom 27. März 1931); EZA 5/2146, ohne BN (Briefverkehr zwischen Propst Reifenrath in Buenos Aires und dem EOK in Berlin vom Juni 1931 und Januar 1932).
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Notwendigkeit, selbst Abhilfe zu schaffen und einer sprachlichen Entfremdung publizistisch entgegenzuarbeiten. Dazu stellte Pfarrer Finkbein bereits 1879 ein schmales »Hülfsbüchlein beim Religionsunterricht« zusammen, das er in Esperanza bei der »Deutschen Buchdruckerei« von C. M. Reinhardt veröffentlichte. Es handelte sich um eine Kompilation, die »fünf Hauptstücke des Katechismus, die wichtigsten Heilswahrheiten und eine Auswahl von Stellen der Heiligen Schrift« enthielt. Das Heft erschien in deutscher Sprache und Fraktur und richtete sich damit ausschließlich an die Jugend der »germanischen« Gemeinschaft.115 Dem folgte 1895 der ebenfalls von Reinhardt gedruckte »Evangelische Katechismus zum Unterricht für Kirche, Schule und Haus«, den Pastor Emil Wrege während seiner Zeit in Esperanza verfasst und speziell auf die argentinischen Verhältnisse hin angepasst hatte. Mit seiner »schlichten Sprache« war das Buch vor allem für den Hausunterricht in denjenigen Einwandererfamilien bestimmt, die »ihre Kinder nicht wie Wilde aufwachsen lassen wollten«. Es sollte sie in die Lage versetzen, ihrem Nachwuchs den deutsch-evangelischen Glauben selbstständig nahezubringen. In der Besprechung des Werkes im Gemeindeblatt heißt es dazu weiter: »Die Sprache des Katechismus ist eine ausserordentlich [sic] einfache und klare, ganz und gar den schwierigen Sprachverhältnissen bei den hier geborenen Kindern entsprechend, denen in den meisten Fällen das Spanische leichter als das Deutsche von der Zunge und in den Verstand geht.«116
Der häufigen konfessionellen Heterogenität in den Agrarkolonien entsprechend, sollte der »Unionskatechismus« sich gleichermaßen für Reformierte und Lutheraner eignen und außerdem vor »katholischen Irrtümern« schützen. Er enthielt daher neben den fünf katechetischen »Hauptstücken« und Beispielgebeten auch eine »Gegenüberstellung der evangelischen und katholischen Lehre«.117 Nach der Jahrhundertwende wurde die »Sprachenfrage« immer drängender. Die neu gegründete DELPS reagierte umgehend auf die alarmierenden Berichte aus den angeschlossenen Kongregationen und erarbeitete gemeinsam mit Pfarrern und Gemeindevertretern neue Lösungsstrategien. Zwar wurde der 115 | Vgl. Finkbein 1879. 116 | EGB, 1. Jg., Nr. 16 (4. Oktober 1895), 252f. 117 | Vgl. für diesen Absatz: EGB, 1. Jg., Nr. 7 (2. August 1895), 108; Nr. 16 (4. Oktober 1895), 252f. In den Quellen wird Wreges Werk oft als erster deutschsprachiger evangelischer Katechismus in Argentinien bezeichnet. Finkbeins frühere Veröffentlichung mit einem zwar geringerem Umfang, aber doch ähnlichem Inhalt wird an keiner Stelle erwähnt.
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Primat des »Deutsch-evangelisch«-Diskurses zu keiner Zeit ernsthaft in Zweifel gezogen, gleichwohl definierte man das Verhältnis der Gemeinden zu ihrer Umwelt und ihren spanischsprachigen Mitgliedern von Grund auf neu. Impulse dazu kamen wiederum aus Esperanza. Auf der ersten Synodaltagung 1900 in Buenos Aires erhielt der Vorschlag von Pastor Koch und den mitgereisten Vorständen, ein spanischsprachiges Buch für den Konfirmandenunterricht herauszugeben, von allen Seiten viel Beifall. Koch hatte sich bereits 1899, nach einem Jahr Pfarrdienst in Esperanza, beim EOK für eine sprachliche Annäherung seiner Gemeinde an das Gastland eingesetzt, »um den Abfall der Hispanisierten zu verhindern und den Fortbestand [. . . ] zu sichern«.118 Nun entstand unter seiner Ägide ein Buch für den kirchlichen Jugendunterricht, das 1901 als erste Publikation des neuen »Schriftenvertriebs« der DELPS herausgegeben wurde. Das bilinguale Werk mit dem Titel »Biblische Geschichten in deutscher und spanischer Sprache« richtete sich an Kinder ohne Deutschkenntnisse und untermauerte das Ziel der Synode, Deutschstämmige unter allen Umständen in die Glaubensgemeinschaft zu integrieren. Ein ähnliches Ansinnen verfolgte Koch mit seiner Kolumne für »junge Leser« im EGB. Sie sollte deutschstämmige Kinder erreichen, die aufgrund ihrer abgelegenen Wohnlage auf dem Land keinen Zugang zum evangelischen Gottesdienst hatten bzw. nur unregelmäßig von »Reisepredigern« bedient wurden. Ab März 1904 stellte Koch ihnen biblische Fragen und Rätsel. Auf die beste Antwort wurde ein Buchgewinn ausgesetzt.119 Die »Biblischen Geschichten« waren ein erster Schritt zur Anpassung der Synode an die realen Anforderungen des immer häufiger mehrsprachigen deutschen Gemeindelebens in Argentinien. Auch in anderen Bereichen erschienen Änderungen notwendig. Aus den Verhandlungen von Pfarrer Wrege in Esperanza und dem EOK über einen geeigneten Nachfolger ging um die Jahrhundertwende ein neuartige Stellenbeschreibung hervor. Die schnelle Aneignung des Spanischen wurde darin als Voraussetzung genannt, um zukünftig auch Gottesdienste in dieser Sprache halten zu können. Als Reaktion auf die zunehmend nachgefragten spanischen Amtshandlungen beauftragte die DELPS wenig später Pastor Gebhardt aus Rosario eine »spanische Agende« auszuarbeiten. Gebhardt stellte seinen Entwurf, der die Amtsführung auf Spanisch erleichtern 118 | Vgl. EZA 5/2143, ohne BN (Brief von Pastor Koch aus Esperanza an den EOK in Berlin vom 10. November 1899). 119 | Vgl. für die vorangegangenen drei Absätze: EGB, 7. Jg., Nr. 312 (13. Juni 1901), 6f.; 10. Jg., Nr. 462 (4. Mai 1904), 4; 13. Jg., Nr. 42 (16. Oktober 1907), 498; Deutsche Evangelische La Plata-Synode 1901; Mirus 1943, 37. Koch schrieb außerdem Artikel für das EGB und für die von Pastor Bußmann ins Leben gerufene und seit 1901 in Marburg erscheinende Zeitschrift Deutsch-Evangelisch, deren Mitherausgeber er 1910 wurde.
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und vereinheitlichen sollte, 1912 auf der Pastoralkonferenz in Buenos Aires vor. Er wurde vervielfältigt und an die Pfarrer verteilt.120 Deutlichen Ausdruck fand die neue sprachliche Doppelstrategie der deutschen Gemeinden auch im Konfirmandenunterricht. Die Konfirmation galt als wichtiges Mittel der Identifizierung mit dem evangelischen Glauben. Der vorangehende, teils mehrjährige Unterricht, der mit einer Katechismusprüfung abschloss, sollte die Jugendlichen auf ihre künftige Aufgabe einschwören, als ethnische und religiöse Minderheit unter »Andersgläubigen« ihr Bekenntnis und ihr »Volkstum« zu verteidigen. Charakter und Bedeutung der Unterweisung durch den Pfarrer wandelten sich nun unter dem Eindruck der Sprachenfrage.121 Bereits 1899 musste Pastor Koch in Esperanza den Konfirmandenunterricht aufteilen und einen zusätzlichen spanischsprachigen Kurs abhalten. Viele Kinder verstanden zwar noch etwas Deutsch, konnten aber die deutsche Schrift nicht lesen. Diese Einrichtung verfestigte sich in den folgenden Jahren. Im Anforderungsprofil für seinen Nachfolger vermerkte Koch 1904 ausdrücklich die Befähigung zum spanischsprachigen Konfirmandenunterricht. Nur zwei Jahre später erreichte der Anteil der Konfirmanden im Pfarrbezirk Esperanza, die aufgrund fehlender Sprachkenntnisse nicht am deutschen Unterricht teilnehmen konnten, mit 53 Prozent (1905 42 Prozent) einen neuen Höchststand. Sogar die Einsegnung erfolgte nun auf Spanisch.122 Dem Konfirmandenunterricht kam in der Folgezeit eine kulturelle Brückenfunktion zu. Er wurde zum Instrument der deutsch-evangelischen Bildungsund Erziehungsarbeit mit dem neuen Ziel, den Kontakt der Gemeinden zur »argentinisierten« Jugend zu halten. In diesem Sinne hatte auch Pfarrer Richter 1911 angeregt, den Konfirmandenunterricht zu einem »Sprachunterricht« 120 | Vgl. für diesen Absatz: EGB, 13. Jg., Nr. 42 (16. Oktober 1907), 497; 18. Jg., Nr. 50 (11. Dezember 1912), 587f. 121 | Zu ähnlichen Erkenntnissen kommt auch Bryce in seiner Studie über deutschen Konfirmationsunterricht in Buenos Aires (vgl. Bryce 2013, 126f.). 122 | Vgl. für diesen Absatz: EZA 5/2144, ohne BN (Brief von Pfarrer Koch aus Esperanza an den EOK vom 27. Mai 1904); EGB, 5. Jg., Nr. 230 (15. November 1899), 9; 6. Jg., Nr. 284 (29. November 1900), 7; 12. Jg., Nr. 588 (14. November 1906), 9; 13. Jg., Nr. 17 (24. April 1907), 195; 14. Jg., Nr. 46 (11. November 1908), 549. Zur gleichen Zeit mehrten sich auch in der Deutschen Evangelischen Gemeinde Rosario die Beschwerden des Pfarrers über mangelhafte Deutschkenntnisse der Konfirmanden. Spanischer Unterricht wurde hier aber erst in den 1920er Jahren begonnen. Pfarrer und Kirchenvorstände gaben den Eltern die Schuld an dieser Entwicklung, da diese ihre Kinder nicht auf deutsche Schulen schicken und nicht zum Deutschreden anhalten würden (vgl. EZA 5/2148, ohne BN (Bericht über die Generalversammlung der Gemeinde in Rosario an den EOK, Ende März 1927); Deutsche Evangelische Gemeinde Rosario 1908, 7).
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umzudeuten, um so die »Rückgewinnung« spanischsprachiger Kinder einzuleiten.123 Pastor Motzkau aus Esperanza unterstrich ebenfalls die Bedeutung der religiösen Unterweisung für die Bewahrung der deutschen Sprache. Er selbst unterrichtete alle Konfirmanden bilingual in einer einzigen Klasse. Die wichtigsten Stoffe wurden simultan auf Spanisch übersetzt. Verschiedentlich beinhalteten die Stunden auch Elemente des Deutschunterrichts oder waren Ausgangspunkt für eine intensivere Beschäftigung mit dem Deutschen in Wort und Schrift unter Anleitung des Pfarrers. In nicht wenigen Fällen war der Konfirmandenunterricht der einzige Berührungspunkt der Kinder mit der deutschen Sprache im Alltagsund Schulleben. Motzkaus Bemühungen, die Schüler ohne Deutschkenntnisse zum Selbststudium zu animieren, zeigten offenbar Wirkung: »Der Erfolg war nicht überraschend groß, aber immerhin erfreulich: Von den nur spanisch Sprechenden sangen schließlich einige unsere deutschen Kirchenlieder vom Blatte mit, und unter jenen 20 waren immerhin einige, die die deutsche Schrift erlernt und sichtliche Fortschritte im Deutschen gemacht hatten; bei einigen von ihnen, die zu Hause kein deutsches Wort zu hören bekommen, war es geradezu rührend, wie sie sich abmühten, die Schwierigkeiten des Deutschen zu meistern, so daß ich mich zu dem Plane ermutigt fühlte, für die konfirmierte Jugend einen deutschsprachlichen Freikursus einzurichten.«124
Gleichwohl wurde in den folgenden Jahren und Jahrzehnten deutlich, dass der Konfirmandenunterricht allein in dieser Beziehung nur Begrenztes zu leisten imstande war.125
3.2.3 Religiöse und ethnische Grenzen: Das Verhältnis zum Katholizismus Der »Deutsch-evangelisch«-Diskurs erschöpfte sich nicht in kulturellen und nationalen Fragen. In Argentinien und aus der konfessionellen Minderheitserfahrung der deutschen Protestanten heraus, vertrat er eine religiöse Antihaltung und richtete sich offen gegen den Katholizismus und seinen vorgeblich negativen Einfluss auf die Gesellschaft. Das Bild des »Romanen«, der dem deutschen Einwanderer in vielerlei Hinsicht unterlegen war, wurde auch in der DELPS gepflegt.126 Im Unterschied zu den häufig rassisch begründeten Erwägungen, die im deutschen Vereinswesen weite Verbreitung gefunden hatten, stützte man 123 | Vgl. EGB, 17. Jg., Nr. 42 (18. Oktober 1911), 494f. 124 | Motzkau 1913, 337. 125 | Vgl. für diesen Absatz: Ebd., 336f. 126 | Vgl. Kapitel III, 4.1 der vorliegenden Arbeit.
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sich in der Synode und den Gemeinden dabei jedoch vor allem auf theologische Argumente. Im deutschen Protestantismus und seinen »religiös sittlichen« Faktoren glaubte man eine Ursache für die »Blüte des deutschen Volkes« zu erkennen, dem Katholizismus hingegen schrieb man zumindest eine Teilschuld an den gesellschaftlich-moralischen Defiziten der argentinischen Bevölkerung zu.127 Die Vertreter der katholischen Kirche in Argentinien beschworen ihrerseits mit Vehemenz die Gefahren des Protestantismus. In Rosario trat dieser konfessionelle Gegensatz durch die räumliche Trennung und Weitläufigkeit in der Großstadt nur selten zutage. Zu Beginn seiner Amtszeit gab Pastor Gebhardt in seinen »Andachten« gar das Motto aus: »Wir sollen als Protestanten in einer katholischen Welt das Evangelium der Weitherzigkeit, Freiheit und Duldsamkeit anderen vorleben.«128 Auch nach öffentlichen Warnungen der lokalen katholischen Kirche, den Basar der deutschen Gemeinde zugunsten des Baus einer evangelischen Kirche 1909 nicht zu besuchen, kommentierte Gebhardt nur: »[Die Warnung, Anm. d. Verf.] hat uns nicht geschadet und wird für uns eine Veranlassung sein, Unternehmungen der katholischen Liebestätigkeit in Rosario nach Kräften zu unterstützen.«129 Die kleine Stadtkolonie Esperanza aber, in der sich die evangelische und die katholische Kirche lange Zeit am zentralen Hauptplatz der Stadt direkt gegenüberstanden, wurde v.a. in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zum Schauplatz einer von beiden Parteien verbittert geführten Auseinandersetzung. Erste Spannungen waren 1864 aufgekommen, als die Evangelische Kirchgemeinde am Platz ein Grundstück für den Bau einer Kirche erwerben wollte. Der katholische Friedensrichter Pedro Trombert verweigerte die Bewilligung des Vertrags aus Furcht vor einer Ausbreitung des Protestantismus. Das Grundstück konnte schließlich über einen Mittelsmann aus Buenos Aires doch noch angekauft und bebaut werden.130 Im selben Jahr veröffentlichte Guillermo Perkins die Ergebnisse seiner Recherchen über die jungen Kolonien Santa Fes.131 Voll Sorge blickte er auf die 127 | Vgl. EGB, 6. Jg., Nr. 265 (19. Juli 1900), 1-4. 128 | EGB, 15. Jg., Nr. 1 (1. Januar 1909), 1. 129 | EGB, 15. Jg., Nr. 44 (27. Oktober 1909), 527. 130 | Vgl. EGB, 2. Jg., Nr. 77 (o.Dat.; 1896/97), 532f. Derartige Konflikte traten auch in anderen Agrarkolonien auf (vgl. Bianchi 2004, 47f.). 131 | Perkins war Inhaber einer Konzession für die Produktion von Papier und Mitglied der ersten Einwanderungskommission in Rosario (vgl. Grenón 1939, 208). Später war er als Einwanderungsagent tätig und sollte u.a. europäische Siedler für das heutige Roldán anwerben (vgl. Ensinck 1979, 335). Im Auftrag und mit der Unterstützung von Provinzgouverneur Patricio Cullen bereiste er Anfang der 1860er Jahre die Agrarkolonien Santa Fes und veröffentlichte seine Erfahrungen zunächst in einer Reihe von Artikeln für die Zeitung El Ferro-carril in Rosario und schließlich in Buchform.
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Spannungen zwischen Katholiken und Protestanten, die seiner Meinung nach vor allem dem »caloroso fanatismo« und der Intoleranz katholischer Familien und Ordensleute geschuldet sei. Diese könnten die protestantische Nachwanderung, den Fortbestand der Einwandererkolonien an sich und damit das wirtschaftliche Entwicklungsprojekt Santa Fes gefährden. Den Entscheidungsträgern der Provinz empfahl er daher:132 »En vista que pueda venir una grande inmigración protestante, lo que nos conviene de ningún modo rechazar, importa al Gobierno hacer efectivas las leyes que garanten el culto de desidentes [sic], en el modo más claro y preciso. No somos fanáticos en este país, como en otros de Sud América [sic]; y no podemos permitir que el fanatismo de religiosos forasteros haga nulas las prescripciones de la Constitución.«133
In der Tat verschärfte sich der Konflikt in den 1870er Jahren. In seinem Rapport an den EOK von 1875 berichtete der Reiseprediger Carl Finkbein über die Gemeinde Esperanza: »Dem römischen Katholizismus gegenüber befestigt sich ein berechtigtes Selbstgefühl der Evangelischen, wie dies in Mitten einer überwiegend katholischen Bevölkerung ganz besonders noth thut [sic].«134 Indirekt spielte er damit auf das gespannte Verhältnis der Protestanten zum »militanten Jesuiten«135 Johann Auweiler aus Deutschland an, der die katholische Gemeinde in Esperanza seit Ende der 1860er Jahre bediente. Kurze Zeit darauf wurde Finkbein noch konkreter: »Auf religiösem Gebiet ist es einzig der Kampf gegen und resp. für Rom, welcher [. . . ] auch bei uns die Geister [. . . ] erhitzt. Die hier in Esperanza und auch den anderen Colonien als Pfarrer fungierenden deutschen Jesuiten thuen [sic] ihr Bestes, um den Kampf zu führen. Sie treten mit unglaublicher Rücksichtslosigkeit und Anmaßung auf. Daß der hiesige Jesuitenpater, Pfarrer Auweiler, seinem Auditorium [. . . ] predigt, ihm für sein Theil [sic] sei die Pest auf der Kolonie lieber als die Protestanten, ist auch keineswegs das stärkste.«136
Der umfassende Widerstand gegen die protestantische Nachbargemeinde wirkte sich auch auf andere Bereiche des deutschen Vereinswesens in Esperanza aus. Peter Dürst, ab 1874 Leiter des in den evangelischen Gemeinderäumen 132 | Vgl. für diesen Absatz: Perkins 1864, 41f. 133 | Perkins 1864, 42. 134 | EZA 5/2142, ohne BN (»Bericht des Reisepredigers in der Argentinischen Republik, Pfarrer C. Finkbein, über seine pfarramtliche Wirksamkeit« 1873-1875, o.Dat.). 135 | Grenón 1945, 107. 136 | EZA 5/2142, ohne BN (Bericht von Pfarrer Finkbein an den EOK in Berlin über das Jahr 1876, o.Dat.).
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probenden Männer-Gesangvereins, beklagte den Verlust von Sängern, »denn die deutschen Jesuiten, die auf der andern Seite des Platzes, wo zwei große Türme standen, Unduldsamkeit predigten, sorgten dafür, dass ihre Schäflein nicht in die protestantische Kirche zum Singen und damit verloren gingen.«137 Zwei Jahre später machte Pfarrer Finkbein den Einfluss der Jesuiten schließlich für die Einstellung der Subventionen der Provinzregierung für die beiden evangelischen Gemeindeschulen in San Carlos und Esperanza verantwortlich und veröffentlichte ein Protestschreiben in der Lokalzeitung Argentinischer Bote.138 Der Redakteur des Boten, Carlos Kleiber-Gietz, der selbst im Konflikt mit Auweiler stand, unterstützte die Evangelische Kirchgemeinde in dieser und anderen Auseinandersetzungen mit scharfzüngigen Artikeln und boshaften Gedichten gegen die Jesuiten. Er trug damit zur Vertiefung der Gräben zwischen Protestanten und Katholiken bei. Sein Engagement blieb in Deutschland nicht unbemerkt. Als er dem Reichskanzler 1875 ein Tigerfell übersandte, dankte ihm der Staatssekretär im AA, von Bülow, im Namen Bismarcks für das Geschenk und den »Kampfe gegen Übergriffe des Jesuitismus«.139 Dass der Konfessionsstreit in Esperanza nicht nur religiöse, sondern auch ethnische Züge trug, legen weitere Episoden aus den 1890er Jahren nahe. In der katholischen Gemeinde hatte inzwischen ein Bedienungswechsel stattgefunden. Ab 1893 übernahmen die Steyler Missionare von der Gesellschaft des Göttlichen Wortes die Pfarrei Esperanza und richteten das Colegio San José ein.140 Als weitere katholische Ordensgemeinschaft begannen Vertreter der Kongregation des Heiligen Erlösers, die »Redemptoristen«, ihr Werk in der Region. Die meisten Mitglieder dieser Orden stammten wiederum aus Deutschland.141
137 | Dürst 1913, 56f. Aus späteren Berichten geht allerdings hervor, dass der MännerGesangverein sowohl in der protestantischen als auch in der katholischen Kirche verkehrte und dort regelmäßig Konzerte oder »Ständchen« gab (vgl. Breuer 1912, 20). 138 | Vgl. AB, 3.[?] Jg., Nr. 43, (27. Mai 1876), ohne SZ; Nr. 45 (3. Juni 1876), ohne SZ. 139 | Vgl. DLPZ, 6. Jg., Nr. 50 (28. April 1876), ohne SZ. Zur katholisch-jesuitischen Sicht auf das Verhältnis zur Evangelischen Kirchgemeinde in Esperanza vgl.: Isérn 1912. Das Misstrauen von Teilen der deutschen »Kolonie« gegenüber den Jesuiten überdauerte. Noch Ende des Jahres 1894 gab es einen Aufschrei in der Lokalpresse als der Vorsitzende des santafesinischen Schulrates und »Erzjesuit« Romero protestantische Privatschulen dazu verpflichten wollte, katholischen Religionsunterricht zu geben (vgl. DWÜ, 2. Jg., Nr. 80 (23. Dezember 1894), 1). 140 | Die Steyler Missionare waren auf Gesuch der deutschen Katholiken von Esperanza 1889 nach Argentinien gekommen. Neben Esperanza waren sie u.a. in auch Humboldt und Buenos Aires tätig (vgl. Holzer 1929, 91). 141 | Die verstärkte Präsenz deutscher Ordensmitglieder im Ausland ist auch auf das Jesuitengesetz Bismarcks von 1872/73 zurückzuführen, dass u.a. Jesuiten und Redemptoristen dazu zwang, ihre Niederlassungen in Deutschland aufzugeben.
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Durch die missionarische Tätigkeit der Patres brachen in Esperanza die alten Ressentiments wieder hervor. Besonders über die Redemptoristen wurden im protestantischen Lager Klagen laut. Es sei eine »Schande«, dass diese »schwarze Internationale« aus Deutschland komme und hier in Argentinien ihre Hetzreden verbreiten könne, so ein Korrespondent aus Esperanza 1895 im EGB: »Niemand hat etwas dagegen, wenn sie in allen Kolonien Männer- und Jünglingsvereine ›zum guten Tode‹ oder ›zum guten Leben‹ gründen, aber da sie in wirklich unheilvoller Weise ihren Einfluss auch in den gemischt religiösen Schulen ausüben, so ist es Zeit auf dieses schwarze Treiben hinzuweisen. Seit einiger Zeit wird durch einen der Patres in der hiesigen Staatsschule Religionsunterricht erteilt, mit welchem Erfolg aber zeigt die Thatsache [sic], dass am Montage einige katholische Schüler wie die Wilden durch die Strassen [sic] rannten und ›nieder mit den Protestanten‹ (mueran los protestantes) schrieen [sic].«142
Noch im Jahr darauf berichtete das Gemeindeblatt von Schulkindern, die vor dem evangelischen Pfarrhaus in Esperanza »Esta es la casa del diablo!« gerufen hätten.143 Erst Pastor Krüger ließ in seinem Jahresbericht 1910 wissen, dass die Protestanten mit der katholischen Gemeinde »in Frieden« lebten und von »Übergriffen [. . . ] seit Jahren nichts bekannt geworden [sei].«144 Als in Europa der Erste Weltkrieg ausbrach, wurden die religiösen Differenzen schließlich vollends zugunsten der patriotischen Wohltätigkeit für Deutschland hintangestellt. In der Kriegsspendenkommission des deutschen Vereinswesens in Esperanza berieten Vertreter der Evangelischen Kirchgemeinde und des Katholischen Männervereins, der mit der katholischen Gemeinde und dem örtlichen Colegio San José in Verbindung stand, gemeinsam über mögliche Sammlungen und Hilfslieferungen.145 Zwar blieben direkte Konfrontationen nach der Jahrhundertwende weitgehend aus, die Folgen der beiderseitigen religiösen Grenzziehungen waren in der Gemeindearbeit aber nach wie vor spürbar. Insbesondere die Frage der »Mischehen« zwischen Protestanten und Katholiken stieß auf viel Kritik und Gegenwehr. Die katholischen Vorbehalte waren vor allem religiös begründet. In den deutsch-evangelischen Gemeinden fürchtete man aufgrund der engen Verbindung zwischen Glaube und Ethnizität neben dem potenziellen Verlust 142 | EGB, 1. Jg., Nr. 12 (6. September 1895), 189. 143 | Vgl. EGB, 2. Jg., Nr. 71 (o.Dat.; 1896/97), 388f. 144 | Vgl. EZA 5/2144, ohne BN (Jahresbericht 1909 von Pastor Krüger aus Esperanza an den EOK in Berlin vom 10. Januar 1909). 145 | Vgl. EGB 20. Jg., Nr. 36 (2. September 1914), 500; AV, 41. Jg., Nr. 3 (16. Januar 1935), 13f.
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eines Glaubensgenossen auch die drohende kulturelle »Verhiesigung« eines Deutschstämmigen. Die argentinische Migrationsforscherin María Bjerg geht davon aus, dass Mischehen auf dem Land häufiger waren als in den Großstädten, da letztere eine größere ethnische Separierung aufwiesen.146 Die Studienergebnisse Rudolf Thurners über die Evangelische Kirchgemeinde in Esperanza bestätigen diese Annahme. Seine Untersuchung des Heiratsregisters ergab, dass interkonfessionelle Ehen in Esperanza üblich und häufig waren, während »interethnische« Heiraten in weitaus geringerem Maße vorkamen.147 Tatsächlich wurden früh gemischtkonfessionelle Paare in der evangelischen Kirche Esperanzas getraut. Allerdings berichtete bereits Pfarrer Finkbein in den 1870er Jahren von rechtlichen Anerkennungsproblemen. Gemäß Gesetz waren Mischehen damals nur gültig, wenn sie von einem katholischen Priester eingesegnet wurden. Die Einführung der Zivilehe Ende des 19. Jahrhunderts beseitigte dieses Problem, ließ zugleich aber die kirchlichen Trauungen deutlich zurückgehen.148 Trotz dieser Praxis blieb die Mischehe in der Evangelischen Kirchgemeinde nicht unwidersprochen. Edmund Koch, Pfarrer der Gemeinde zwischen 1898 und 1904, veröffentlichte auf Grundlage seiner Erfahrungen in Esperanza 1902 in der Zeitschrift Deutsch-Evangelisch den Aufsatz »Zur Mischehenfrage in der ausländischen Diaspora«. Darin wies er auf die »Gefahren« dieser Institution hin und glaubte darin einen kulturellen und religiösen Verfall erkennen zu können. Laut Koch würden evangelische Deutsche in diesen, meist vom katholischen Ehepartner dominierten Konstellationen nicht nur ihres Glaubens, sondern auch ihrer Sprache und ihres »Volkstums« entfremdet: »Die Klage, dass der Deutsche an einem empfindlichen Mangel an nationalem Selbstbewusstsein und Ehrgefühl krankt, ist alt. Schneller als der Sohn eines andern Volkes giebt [sic] er sein Volkstum und seine Muttersprache auf. Kinder aus rein deutschen Familien, deren Eltern die Landessprache nur mühsam verstehen, schämen sich oft, deutsch zu sprechen, ja sogar den Eltern auf ihre Fragen deutsche Antworten zu geben. Bei nationaler Mischehe der Eltern wird die Sache noch schlimmer. Ist der Vater ein Deutscher, dann darf das Kind nicht deutsch sprechen lernen, denn das Kind 146 | Vgl. Bjerg 2009, 88f. 147 | Vgl. Thurner 1986, 120-124. Seine Untersuchung bezieht sich auf den Zeitraum zwischen 1907 und 1913. 148 | Vgl. für diesen Absatz: EZA 5/2142, ohne BN (»Bericht des Reisepredigers in der Argentinischen Republik, Pfarrer C. Finkbein, über seine pfarramtliche Wirksamkeit« 1873-1875, o.Dat.); EZA 5/2143, ohne BN (Brief von Pastor Koch aus Esperanza an den evangelischen Ober-Konsistorialrat in Berlin vom 30. Mai 1901).
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hat die Mutter, die nicht deutsch versteht, mehr als den Vater um sich. Ist dagegen die Mutter eine Deutsche, so wird es ihr nicht einfallen, die Kinder deutsch zu lehren, denn der Vater könnte seine Kinder ja nicht verstehen. So sprechen die Kinder gewöhnlich nur die Landessprache.«149
Die alleinige Orientierung am Spanischen und der lokalen Kultur lasse die Deutschstämmigen »um mehrere Kulturstufen« herabsinken. Durch die fehlende »Kulturhöhe« gingen sie schließlich dem deutsch-evangelischen Glauben und nicht selten dem Christentum an sich verloren. Als zwei der wenigen positiven Effekte der Mischehe registrierte Koch mehr religiöse Toleranz und den Abbau von Vorurteilen. Um der Tendenz zur Mischehe entgegenzuwirken, empfahl er vor allem mehr Aktivität im Bereich der deutschsprachigen Seelsorge und der Bildung. Insbesondere die Einrichtung von Gemeindeschulen könne dem Verlust von deutscher Sprache, Kultur und »deutschem Bewusstsein« entgegenwirken und eine »Erziehung zu nationalem Ehrgefühl« begünstigen. Er schloss mit der Feststellung: »Die Verbindung von Schule und Gemeinde scheint im Auslande ohne Ausnahme notwendig zu sein.«150 Ein Verbot der Mischehe hielt er hingegen nicht für zielführend, da die Gemeinde als Kirchenverein auf diese Einnahmen angewiesen sei.151 Die Gemeindestatistiken schienen die Befürchtungen Kochs zu bestätigen. Der Anteil der geschlossenen Mischehen stand kurz nach der Jahrhundertwende bei 43 Prozent und steigerte sich bis 1917 auf 60 Prozent.152 1907 bestanden unter den 165 Beitragenden der Gemeinden 46 Mischehen, von denen 13 mit katholischen Männern geschlossen wurden.153 Vier Jahre später schätzte Pfarrer Bruckner die Zahl der »matrimonios mixtos« im kirchlichen Einzugsgebiet bereits auf 150, wobei nur 40 Prozent ihrem Nachwuchs eine »evangelische Kindererziehung« angedeihen ließe.154 Laut Taufstatistik stammte zudem eine steigende Zahl an Kindern aus Mischehen: Waren es 1912 noch 28 Prozent aller Täuflinge gewesen, waren es 1917 schon 40 Prozent.155 Die Kindererziehung war eines der Kernelemente der protestantischen Kritik an der Mischehe. Bei der katholischen Trauung musste der andersgläubige 149 | Koch 1902, 66. 150 | Ebd., 71. 151 | Vgl. für die vorangegangenen drei Absätze: Ebd., 63-73. 152 | Vgl. EZA 5/404, Fiche 2043; EGB, 22. Jg., Nr. 18 (3. Mai 1916), 242f.; 23. Jg., Nr. 18 (2. Mai 1917), 240-242; Evangelische Gemeinde Esperanza 1910, ohne SZ; Evangelische Gemeinde Esperanza 1911, ohne SZ. 153 | Vgl. Krüger 1907, 64. 154 | Vgl. EZA 5/2145, ohne BN (»Ergänzungsbericht zum tabellarischen Jahresbericht« von Pfarrer Albert Bruckner an den EOK in Berlin vom 8. Januar 1912). 155 | Vgl. EGB, 19. Jg., Nr. 18 (30. April 1913), 212-214; 21. Jg., Nr. 20 (12. Mai 1915), 237-240; 22. Jg., Nr. 18 (3. Mai 1916), 242f.; 23. Jg., Nr. 18 (2. Mai 1917), 240-242; 24. Jg., Nr. 21 (22. Mai 1918), 288f.
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Ehepartner das Versprechen ablegen, seine Kinder katholisch zu taufen und zu erziehen. Welche religiösen und moralischen Konflikte dies hervorrufen konnte, zeigen die Briefe verunsicherter deutscher Protestanten, die bei der DELPS eingingen und eine Debatte im Gemeindeblatt hervorriefen. Pastor Dufft aus Buenos Aires, der diese Zuschriften empfangen hatte, antwortete auf die Frage, ob dieser Eid bindend sei mit »Ja«, da es sich grundsätzlich um ein Versprechen handele. Auf seine Bitte beschäftigte sich Pfarrer Gebhardt aus Rosario 1914 in einem ergänzenden Artikel aber noch einmal ausführlicher mit der Angelegenheit und kam zu einem anderen Ergebnis. Einführend bekannte er: »Wir protestantischen Pfarrer sind keine Päpste«. Die Ratschläge der Pastoren seien zwar zu beherzigen, die endgültige Entscheidung müsse aber selbstständig überdacht und getroffen werden. Der Widerspruch des Betroffenen sei gerechtfertigt, da dieser Eid mit dem protestantischen Gewissen nicht vereinbar sei. Außerdem hätte die »katholische Kirche [. . . ] kein Recht ein protestantisches Gewissen zu binden.« Pastor Dufft erwiderte darauf, es gehe in dem Versprechen vor allem um die Taufe, was noch kein Verlust für den Protestantismus darstelle, da das Kind auch danach noch protestantisch erzogen und konfirmiert werden könne. Abschließend regte Dufft eine Leserdiskussion zum Thema an.156 Die intensive Auseinandersetzung mit der Mischehenfrage seit der Jahrhundertwende führte zumindest in Esperanza zu keiner wesentlichen Verbesserung der Situation. Ein Dreivierteljahr nach seinem Amtsantritt als Pfarrer in Esperanza hielt Johannes Vöhringer auf der »Pfarrerkonferenz« der DELPS in Buenos Aires 1927 eine engagiertes Referat mit dem Titel »Wer die Jugend hat, hat die Zukunft«. Er berichtete von alarmierenden Signalen in der Gemeindearbeit. Von seinen Konfirmanden verstünde nur noch eine Minderheit Deutsch. Unter den Jugendlichen sei im Allgemeinen eine abnehmende Religiosität zu beobachten. Die Hälfte der Taufkinder stammten aus Mischehen und es seien »in den letzten 10 Jahren 35% weniger Kinder konfirmiert als getauft« worden. Vöhringer forderte daher ein stärkeres Jugendengagement der Synode, um sie dem deutsch-evangelischen Glauben zu erhalten. Er riet zu einem aktiveren Gemeindeleben und einer Förderung des deutschen Schulwesens (»Wir leisten auf Schulgebiet weniger als nichts!«). Zudem sollte ein eigenes Seminar zur Nachwuchsarbeit eingerichtet werden. Die Vorschläge Vöhringers stießen zwar auf Zustimmung, ihre Finanzierbarkeit wurde von der Versammlung jedoch angezweifelt.157 156 | Vgl. für die vorangegangenen beiden Absätze: EGB, 20. Jg., Nr. 30 (16. Juli 1914), 408f. 157 | Vgl. für die vorangegangenen beiden Absätze: EZA 5/2072, ohne BN (Bericht über die »Pfarrerkonferenz« in Buenos Aires, 17.-20. Februar 1927, o.Dat.).
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Einen potentiellen Bruch mit der bisherigen Mischehenpraxis in den deutschen evangelischen Gemeinden Argentiniens brachte das neue deutsche Kirchengesetz vom 12. März 1930, das die Einsegnung dieser Ehen verbot.158 Diese Vorgabe war prinzipiell auch für die angeschlossenen Auslandsgemeinden bindend. Pastor Vöhringer aus Esperanza merkte 1932 dazu kritisch bei der Synode an, dass der Gemeinde dadurch Mitglieder verloren gingen. Propst Reifenrath in Buenos Aires antwortete ihm lapidar: »Man kann nicht Ja und Nein sagen, und obwohl ich die oft bestehenden häuslichen und familiären Schwierigkeiten durchaus nicht gering schätze, muss doch betont werden, dass halbe und laue Gemeindemitglieder, die ihren Willen und ihre Bequemlichkeit haben wollen, kein Gewinn für die Gemeinschaft sind.«159
Der EOK widersprach Reifenrath allerdings in dieser Angelegenheit und unterstützte die Position Vöhringers. Aus Berlin hieß es, dass die Regelung »für diese Gemeinden nicht ohne weiteres zwingend« sei.160
3.2.4 »Ein Denkmal des Deutschtums«: Das Kirchbauprojekt in Rosario Die intensiv beworbene Verbindung von »Deutschtum« und Evangelium in den Gemeinden der La-Plata-Synode führte mitunter zu unerwünschten Nebeneffekten. Sie wurde zwar von Pfarrern und Vorständen gern hervorgehoben, um größere Teile der deutschen Einwandererschaft für gemeinsame kirchliche Vorhaben zu mobilisieren. Allerdings erkannten schon die Zeitgenossen die Gefahr, dass beide Elemente dabei in Konkurrenz zueinander treten könnten und das Religiöse von ethnischen und nationalen Vorstellungen überlagert bzw. entfremdet würde.161 Ein solcher Fall lag beim Kirchbauprojekt in Rosario vor. Bald nach der Gründung der Deutschen Evangelischen Gemeinde im Jahr 1894 standen die Mitglieder vor der Frage, ob sie ein eigenes Gotteshaus errichten sollten. Bis dahin hatte man sich für Gottesdienste und Amtshandlungen in 158 | Die »Auslandsdiasporafürsorge« wurde seit den 1920er Jahren von den Landeskirchen auf den DEKB übertragen und dort zentralisiert (vgl. Wellnitz 2003, 105f.). 159 | EZA 5/2146, ohne BN (Schriftwechsel zwischen Vöhringer und Reifenrath vom 3. Juni 1932 und zwischen Reifenrath und dem EOK in Berlin vom 13. Juli 1932). 160 | Vgl. für diesen Absatz: Ebd. 161 | In seinem Standardwerk »Evangelische Diasporakunde« von 1908 hatte Pastor Wilhelm Bussmann, der zuvor als prägende Persönlichkeit des deutschen Gemeindewesens in Buenos Aires tätig gewesen war, bereits vor einer zu »engen Verschmelzung des Volkstums mit dem religiösen Leben« gewarnt: »Es läßt sich vielleicht so ausdrücken: Alle Vorzüge werden durch Überspanung in Schäden verwandelt.« (Bussmann 1908, 153).
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der St. Bartholomew’s Anglican Church eingemietet und pflegte ein insgesamt freundschaftliches Verhältnis zu den englischen Protestanten. Die Pläne der Anglikaner, einen Kindergottesdienst einzurichten und in der Folge die Nutzung der Kirche durch die deutsche Gemeinde einzuschränken, zwang diese jedoch, mittelfristig über Alternativen nachzudenken. Bei der Ordination des ersten deutschen Pfarrers Werner Achilles im Januar 1900 rief Pastor Bußmann aus Buenos Aires die Gemeinde erneut dazu auf, sich um den Kirchbau zu bemühen. Wenig später nahm das Projekt konkrete Züge an.162 Einer ersten »privatimen« Spendensammlung von Achilles unter den Mitgliedern 1902 schlossen sich weitere an. Bekannte Familien, Unternehmen und Einrichtungen aus dem Umfeld der deutschen »Kolonie« und des Vereinswesens in Rosario ließen den »Baufond« bis 1903 auf über 4000 Pesos anwachsen. Für den Grundstückskauf und den Kirch- und Pfarrhausbau wurde eine Planungskommission unter Leitung des deutschen Konsuls Wöltje Tietjen eingesetzt. Architekt Alwin Schneider veröffentlichte gegen Ende des Jahres im Gemeindeblatt einen ersten Entwurf, in dem die Gesamtkosten für eine »bessere Dorfkirche« mit 23 800 Pesos veranschlagt wurden. Auf dieser Grundlage konnte 1904 ein günstiges Grundstück am Boulevard Oroño erworben werden. Für weitere Schritte reichten die gesammelten Mittel allerdings nicht aus. Pfarrer Achilles appellierte daher an den Nationalstolz der deutschen Gemeinschaft und bat um mehr Unterstützung: »Die ganze deutsche Kolonie sollte ihr Interesse der Förderung einer Institution zuwenden, deren Aufgabe nicht nur die Erhaltung unserer religiösen, sondern auch unserer nationalen Besonderheit ist.«163 Sein Ruf nach kollektiven Anstrengungen aller Deutschen für den Kirchbau und das »Deutschtum« blieb nicht ungehört. Der Kirchenbasar, der ein halbes Jahr später zusammen mit der Grundsteinlegung stattfand, wurde im Zusammenspiel der maßgeblichen deutschen Kräfte vor Ort und mit Gästen aus ganz Argentinien realisiert und erhielt dadurch ein starkes nationalpatriotisches Gepräge. Den Grundstock für das Volksfest bildeten zahlreiche Sachspenden der Gemeinschaft, die verkauft und verlost werden sollten. Weitere Geschenke und Zuwendungen kamen aus der Gemeinde Esperanza und der deutschen Gemeinschaft in Buenos Aires. Die Druckerei Pongs & Brunner erklärte sich bereit, die Flugblätter für das Ereignis kostenlos zur Verfügung zu stellen. 162 | Vgl. für diesen Absatz: EGB, 2. Jg., Nr. 69 (o.Dat.; 1896/97), 340f.; Hagedorn 1944, 25f.; Gebhardt 1943, 4f. 163 | EGB, 10. Jg., Nr. 457 (30. März 1904), 10. Vgl. für die vorangegangenen beiden Absätze: EZA 5/2147 (Jahresbericht 1902 von Pastor Achilles aus Rosario an den EOK in Berlin vom 17. Dezember 1902); EGB, 9. Jg., Nr. 418 (1. Juli 1903), 13; 10. Jg., Nr. 457 (30. März 1904), 10.
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In Anwesenheit des deutschen Gesandten Julius von Waldthausen und diversen Synodalvertretern begann die Gemeinde am Morgen des 30. Oktober 1904 mit der Grundsteinlegung. Waldthausen begleitete seine Hammerschläge mit den Worten: »Für unsern evangelischen Glauben, unsere Ehre und deutschen Namen.« Es folgte ein Mittagessen der Festgäste im Deutschen Verein. Der Basar eröffnete schließlich nachmittags auf dem Gelände der Deutschen Schule und bot ein Glücksrad, den beliebten »Krabbelbeutel« und Verkaufsstände für Bier, Zigarren und die eingegangenen Spenden. Die örtliche Polizeikapelle sorgte für die musikalische Begleitung. Der Reingewinn von über 6300 Pesos kam dem Baufonds zugute.164 Mit den Unterstützungszusagen des EOK und der deutschen Gustav-AdolfVereine plante die Gemeinde 1909 einen weiteren Anlauf, um den Kirchbau voranzutreiben. Pfarrer Achilles versuchte erneut, die deutsche Gemeinschaft über den Verweis auf das ethnische und nationale Erbe für das Projekt zu begeistern. Im Gemeindeblatt schrieb er: »Wir wollen eine christliche Kirche bauen, in der die Liebe Christi gepredigt wird. Es soll auch eine protestantische Kirche sein, eine Stätte, wo die Geistesfreiheit ihre Flügel regt. Aber was wir Deutschen evangelisches Christentum nennen, ist doch so eng verwachsen mit deutschem Wesen, daß wir jedem Mitgliede unserer deutschen Kolonie zurufen dürfen: ›Hilf uns mitbauen ein Wahrzeichen des Deutschtums, ein Heim und Haus des Friedens für uns alle, ein Denkmal der Erinnerung, daß keiner von uns vom Brot allein leben kann und darf.‹«165
Für Oktober 1909 wurde daraufhin ein weiterer dreitägiger Kirchenbasar in der Deutschen Schule organisiert, der den ersten noch übertreffen und an dem die »gesamte deutschsprechende Kolonie Rosarios« mitwirken sollte. Konsul Tietjen und der Gesandte von Waldthausen sagten wiederum ihre Teilnahme und Unterstützung zu. Aus Buenos Aires kamen im Vorfeld über 3800 Pesos an »Geldgeschenken«. Auch das Engagement und die Spendenbereitschaft vor Ort waren hoch, so dass der Basar nach aufwändigen Vorbereitungen der Damenund Herrenkommissionen schließlich über 17 000 Pesos Gewinn einbrachte.166 164 | Vgl. für die vorangegangenen beiden Absätze: EGB, 10. Jg., Nr. 479 (31. August 1904), 10; Nr. 483 (28. September 1904), 8; Nr. 483 (28. September 1904), 8; Nr. 486 (19. Oktober 1904), 8; Nr. 488 (2. November 1904), 7f.; Nr. 493 (7. Dezember 1904), 8; Hagedorn 1944, 31. 165 | EGB, 15. Jg., Nr. 20 (12. Mai 1909), 223. 166 | Vgl. für diesen Absatz: BArch R57/NEU/1189, ohne BN (»Ergänzungsbericht über die Verhältnisse der deutschen Evangelischen Kirchgemeinde zu Rosario de Santa Fé für das Kalenderjahr 1907« von Pastor Achilles an den EOK in Berlin, o.Dat.); EGB, 15. Jg., Nr. 30 (21. Juli 1909), 358; Nr. 39 (22. September 1909), 467; Nr. 41 (6. Oktober 1909), 491; Nr. 43 (20. Oktober 1909), 515; Nr. 49 (1. Dezember 1909), 586.
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Im selben Zeitraum erfüllte sich die Hoffnung der Gemeinde »auf weitere Hilfe vom deutschen Vaterlande auf unserem Vorpostendienste zur Erhaltung und Einigung des Deutschtums«167 . Colmar von der Goltz, der 1910 als deutscher Sondergesandter zum 100. argentinischen Unabhängigkeitsjubiläum gereist war und auch die deutsche »Kolonie« in Rosario besucht hatte, setzte sich auf Bitte des Gemeindevorstandes persönlich bei der preußischen Regierung für den Kirchbau ein: »Ich wurde in ihrer Mitte [der deutschen Gemeinde, Anm. d. Verf.] auf das Herzlichste aufgenommen und konnte mich davon überzeugen, daß in ihr rege Anhänglichkeit an das deutsche Vaterland, an Kaiser und Reich gehegt und gepflegt wird, daß auch die deutsche Muttersprache von der Nachkommenschaft in der Kolonie nicht vergessen, sondern geehrt und geliebt wird.«168
Bedeutende Kirchbauspenden kamen in den folgenden Jahren vom EOK in Berlin, dem Centralverband der Gustav Adolf Stiftung zu Leipzig, den GAV-Ortsund Zweigvereinen in Erfurt, Gera, Berlin und Düsseldorf sowie von zahlreichen Unternehmen und Gemeinden aus Deutschland. Allein 1913 erhielt die Deutsche Evangelische Gemeinde Rosario vom GAV insgesamt 13 665 Mark.169 Der tatsächliche Beginn des Baus der achten protestantischen Kirche in Rosario im Jahr 1912 war allerdings zu einem Gutteil dem Verhältnis zwischen der deutschen und der englischen Gemeinde geschuldet, das sich um die Jahreswende rapide verschlechtert hatte. Ausgelöst wurden die Spannungen u.a. durch die zwangsweise Verkürzung des deutschen Gottesdienstes auf 45 Minuten und die angebliche Feindseligkeit der Anglikaner. In der Rückschau der deutschen Seite waren vor allem die bis nach Argentinien ausstrahlenden Spannungen zwischen Deutschland und Großbritannien im Vorfeld des Ersten Weltkriegs verantwortlich für diese Situation.170 Obwohl noch nicht ausreichend Mittel vorhanden waren, erschien den Kirchenvorständen unter diesen Bedingungen der Bau einer eigenen Kirche alternativlos.171 167 | BArch R57/NEU/1189, ohne BN (Kirchenbericht 1909/10 der Deutschen Evangelischen Gemeinde Rosario an den EOK in Berlin vom 31. März 1910). 168 | EZA 5/2148, ohne BN (Brief von Colmar von der Goltz an den kaiserlich-königlichen Oberhofmeister Freiherr von Mirbach in Potsdam vom 25. September 1912). 169 | Vgl. für diesen Absatz: BArch R57/NEU/1189, ohne BN (Kirchenbericht 1909/10 der Deutschen Evangelischen Gemeinde Rosario an den EOK in Berlin vom 31. März 1910); EGB, 16. Jg., Nr. 38 (14. September 1910), 454; 20. Jg., Nr. 34 (19. August 1914), 468f; Gebhardt 1943, 11. Anna Maria Gebhardt gibt die Spenden aus Deutschland zum Kirchbau mit 21 643 Mark an. 170 | Vgl. dazu ausführlicher: Kapitel III, 4.4.1 dieser Arbeit. 171 | Vgl. für diesen Absatz: EZA 5/2148, ohne BN (Brief von Pastor Gebhardt aus Rosario an den EOK in Berlin vom 25. Januar 1912); EGB, 18. Jg., Nr. 1 (3. Januar 1912), 10f.; Nr. 4 (24. Januar 1912), 46; Nr. 5 (31. Januar 1912), 59; Hagedorn 1944, 39.
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Die deutsche Kirche in Rosario sollte trotz der Umstände kein »Notbau« werden. Vielmehr sollte mit Hilfe der versprochenen Subventionen aus Deutschland und der deutschen Gemeinschaft laut Gebhardt »ein würdiges Baudenkmal des Deutschtums« entstehen, »das nicht den Eindruck ärmlicher Notdürftigkeit machen dürfe«172 . Gebhardt selbst versuchte mit seinem Buch »Lebenskraft II. Teil«, das er über den Synodalverlag veröffentlichte, zusätzliche Mittel für diesen Zweck einzutreiben.173 Die Frage der nationalen und ethnischen Repräsentation in der heterogenen Einwanderungsgesellschaft Rosarios blieb auch in der Folge der zentrale Antrieb für die Fertigstellung einer angemessenen deutschen evangelischen Kirche. Konsequenterweise wurden die wesentlichen Elemente des Baus 1912/13 in die Hände deutscher oder zumindest protestantischer Unternehmer gelegt. Auch Teile der Einrichtung besorgte man eigens aus Deutschland. Der aus Dresden stammende Architekt Theobald Zschocke, selbst langjähriges Mitglied der Gemeinde, erhielt den Zuschlag für seinen Kirchenentwurf. Die praktische Realisierung übernahm der »evangelische« Bauunternehmer Carlos Medici. Mit den Arbeiten an Altar und Gestühl beauftragte man die Tischlerei Richard Fuhrmann, mit der Elektrizität Ernst Kraus, beides deutsche Handwerker aus Rosario. Die Orgel bestellte die Gemeinde bei den Gebrüder Link im württembergischen Giengen an der Brenz und transportierte sie mit der Bremer Dampfschifffahrtsgesellschaft »Hansa« nach Argentinien. Die Glasgemäldefenster, die von führenden Mitgliedern der deutschen Gemeinschaft gestiftet worden waren, fertigte die Firma Wilhelm Franke aus Naumburg. Selbst die Kanzel, die Altarbibel und die Stand-, Wand- und Kronleuchter wurden eingeschifft. Aus einer persönlichen Spende von Kaiserin Auguste Viktoria erhielt die Kirche zudem ein Altarkeuz. Die Gemeinde ließ keinen Zweifel an ihrem Vorhaben: Es sollte ein genuin deutsches Gotteshaus entstehen.174 Die Einweihung der neuen Kirche am 16. November 1913 fiel mit der achten ordentlichen Tagung der DELPS in Rosario zusammen. Im aktuellen Jahresbericht hatte Pfarrer Gebhardt noch vom »fröhlichen Erleben einer stärkenden Gemeinschaft sowohl in der La Plata-Synode als auch mit dem deutschen Vater172 | EGB, 18. Jg., Nr. 22 (27. Mai 1912), 259f. 173 | Vgl. Gebhardt 1912. Das Folgewerk zu seinem in Berlin erschienenem Buch »Lebenskraft« enthielt eine »Sammlung von Betrachtungen und Andachten« unter besonderer Berücksichtigung der »Eigenart unserer Auslandsverhältnisse«. Die Stücke waren zuvor bereits im EGB veröffentlicht worden (vgl. EGB, 18. Jg., Nr. 28 (10. Juli 1912), 334f.). 174 | Vgl. für die vorangegangenen beiden Absätze: EGB, 18. Jg., Nr. 12 (20. März 1912), 141; 19. Jg., Nr. 3 (15. Januar 1913), 34; Nr. 21 (21. Mai 1913), 247f.; Hagedorn 1944, 40-42.
3. DEUTSCHE GEMEINDEN IN ROSARIO UND ESPERANZA | 325
lande«175 als Wirkung des Kirchbaus gesprochen. Auf der Feier versammelten sich denn auch die maßgeblichen religiösen und politischen Vertreter des Deutschen Reichs in Argentinien. Unter den Gästen befanden sich elf Pastoren und 17 Abgesandte der DELPS-Gemeinden sowie Mitglieder der Methodisten, Anglikaner und Waldenser aus der Provinz Santa Fe. Als Reichsvertreter waren der kaiserliche Gesandte von dem Bussche-Haddenhausen, Militärattaché Hauptmann von Scheven und Generalkonsul Bobrik aus Buenos Aires angereist.176 Der Schlüsselübergabe durch Architekt Zschocke folgte die Einweihungsansprache Pastor Duffts aus Buenos Aires, der dem Neubau als künftiges »Bollwerk des deutsch-evangelischen Christentums [. . . ] in Südamerika« würdigte. Nach der Liturgie von Pfarrer Motzkau aus Esperanza hielt Maximilian Gebhardt seine Festpredigt. Darin stellte er die Funktionen und Wirkungen des Kirchbaus als Instanz der Vergemeinschaftung, Identifizierung und ethnisch-nationalen Sendung in den Mittelpunkt. Zum einen sollte die Kirche das Bedürfnis der »Einsamen« und Familienlosen nach Anschluss und Gemeinschaft befriedigen. Zum anderen könne sie als »Stück deutsches Vaterland« in der Fremde zu einem intensivierten Zusammenschluss aller Deutschen beitragen, die hier auf »Vorpostendienste« für Deutschland tätig seien. Denn die nationale Herkunft spiele im Ausland eine besondere Rolle: »Das andere Wort, das durch den Mund Gottes geht, ist das Wort V a t e r l an d. Daß wir davon leben, wissen wir besser als unsere Stammesgenossen drüben. Was denen selbstverständlich ist und ihrer viele zu nörgelnder Kritik veranlaßt, das entbehren wir und fühlen deshalb um so mehr seinen Wert. [. . . ] Aber Vaterland bedeutet mehr als Heimat. Vaterland bedeutet, daß der einzelne einem großen Ganzen angehört und als lebendiges Glied eines großen Ganzen mitwirken kann. Anteilnahme am Vaterland bedeutet Leben. Denn infolge der tätigen Anteilnahme am Vaterlande schwinden die kleinen, kleinlichen Sorgen des eigenen, engen Kreises, weil der einzelne eine größere, edlere Sorge kennt. Er leidet und freut sich mit, mit den Hunderttausenden, die mit ihm raten und taten, singen und dichten und, wenn es sein muß, auch marschieren mit Gott für König und Vaterland.«177
Die Kirche habe zudem einen verantwortungsvollen Erziehungsauftrag. Insbesondere der jüngeren Generation müsse sie ein Verständnis für deutschevangelische Kultur und »ein Stück deutscher Art und edler deutscher Gesinnung [. . . ] vererben«. Gebhardt konfigurierte das neue Gotteshaus in seiner Rede als Stellvertreter und Symbol der vorgeblich hohen deutschen kulturellen 175 | EGB, 19. Jg., Nr. 21 (21. Mai 1913), 247f. 176 | Vgl. für diesen Absatz: EGB, 19. Jg., Nr. 48 (26. November 1913), 566-569. 177 | EGB, 19. Jg., Nr. 49 (3. Dezember 1913), 577f. Hervorhebungen im Original.
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und moralischen Werte im Ausland. Im gleichen Atemzug erhob er das deutsche »Wesen« über das des Gastlandes Argentinien und mahnte mit Blick auf das Nationalisierungsprojekt der Regierung, dass man nicht versuchen solle, die »Volkstümlichkeit« deutscher Einwanderer einzuebnen. In ihr liege nämlich der Schlüssel zur kulturellen Weiterentwicklung des Landes. In diesem Sinne betrachtete Gebhardt auch die deutsche Kirche als ein wertvolles »Geschenk« an die Stadt Rosario und ganz Argentinien.178 Die Einweihungspredigt Gebhardts markierte den vorläufigen Höhepunkt der nationalistischen Tendenzen in der Deutschen Evangelischen Gemeinde Rosarios, die seit dem patriotischen Aufruf von Pastor Achilles aus dem Jahr 1904 immer deutlicher zutage traten. Der Chronist der deutschen »Kolonie«, Erich Elsner, bestätigte später indirekt, dass die Religion bei der Realisierung des Kirchbauvorhabens zunehmend in den Hintergrund trat, denn auch Nichtgläubige »gaben [. . . ] mit derselben Freudigkeit und Bereitwilligkeit, handelte es sich doch um ein deutsches Kulturwerk«.179 Gebhardts Nachfolger, Pastor Emil Hagedorn, merkte sogar kritisch an, dass die Opferbereitschaft der deutschen Gemeinschaft in dieser Zeit zwar »eine große, herzbewegende Sache« gewesen sei, das Interesse daran aber »nicht einer direkten Sehnsucht nach Anteilnahme am deutschen evangelischen Gottesdienst entstammen« würde, sondern »im Ganzen mehr dem Deutschtum als der Religion zu verdanken« sei.180 Bereits ein Dreivierteljahr nach der Kircheinweihung, im August 1914, zeigte sich, dass das Missverhältnis zwischen »Deutschtum« und Evangelium in der Gemeinde von Dauer war.
3.2.5 Kirche und Propaganda Der Ausbruch des Ersten Weltkrieges traf die Deutsche Evangelische La PlataSynode und die ihr angeschlossenen Kongregationen mit einer ähnlichen Intensität wie das übrige deutsche Vereinswesen in Argentinien. Diskurse, innere Strukturen und der kollektive Aktionismus des Gemeindeverbunds schwenkten unvermittelt auf Kriegskurs ein. Neue Meldungen von den europäischen Kriegsschauplätzen beherrschten in den folgenden Jahren kirchliche Publikationen, Gottesdienste und das Gemeindeleben. Die Synode wurde zum Multiplikator deutscher Auslandspropaganda.
178 | Vgl. für die vorangegangenen beiden Absätze: EGB, 19. Jg., Nr. 49 (3. Dezember 1913), 577-579; Hagedorn 1944, 47. Der von Pfarrer Gebhardt angesprochene deutsch-argentinische Entwicklungsdiskurs findet sich auch im restlichen deutschen Vereinswesen wieder. Vgl. dazu: Kapitel II und III dieser Arbeit. 179 | Elsner 1932, 178. 180 | Vgl. Hagedorn 1944, 44.
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Am 12. August 1914 machte das Evangelische Gemeindeblatt mit der Nachricht vom Kriegsbeginn auf. Pastor Arnold Richter aus dem uruguayischen Nueva Helvecia artikulierte auf der Titelseite den allgemeinen Gemütszustand in der DELPS und umriss die kollektive Verantwortung all ihrer Glieder in diesem Konflikt. Sichtlich schockiert von den Geschehnissen, betonte er die Unschuld Deutschlands an der Eskalation und bezichtigte die »Feinde ringsum«, »unsere blühende edle Kulturmacht [. . . ] vernichten« zu wollen. Bereits zu diesem frühen Zeitpunkt hob Richter den Krieg auf eine globale Ebene, indem er die Auslandsdeutschen am La Plata, die nach wie vor Teil der »Heimat« seien, in das Geschehen einbezog und zur Unterstützung Deutschlands aufrief. Dies blieb, in Grundzügen, die Haltung der Synode während der Kriegsjahre.181 Die Arbeit der DELPS war von den negativen Folgen des Ersten Weltkriegs für die deutschen Transport- und Kommunikationswege direkt betroffen und nachhaltig gestört. Die Preußische Landeskirche musste ihre Diasporafürsorge beschränken bzw. ganz aussetzen. Es flossen weniger Subventionen in die deutschen Gemeinden Argentiniens. Der Nachschub an deutschsprachiger Kirchenliteratur konnte wegen der englischen Seeblockade ebenfalls nur schwerlich gewährleistet werden. Nachdem auch eine Postsperre über Deutschland verhängt worden war, musste die Synode zum Teil dazu übergehen, ihren Briefverkehr mit dem EOK in Berlin bis in die 1920er Jahre hinein über »holländische Deckadressen« abzuwickeln.182 Manche Poststücke aus Argentinien erreichten Deutschland gar erst nach Kriegsende 1919. Auf Beschluss des DELPSVorstandes und mit Zustimmung der Gemeinden wurden zudem die regelmäßigen Synodalkonferenzen in der Zeit zwischen 1915 und 1919 ausgesetzt.183 Der kirchliche Umgang mit dem Konflikt verbreitete sich ausgehend von der Preußischen Landeskirche über die Zentrale der DELPS in Buenos Aires und die deutschen Pastoren bis in die kleinsten Protestantengemeinden im argentinischen Hinterland weiter. Wie ihre Kollegen in Deutschland, stand die Mehrheit der Auslandspfarrer hinter dem Krieg und den Zielen des Reichs und versuchte, diese Position in den Gemeinden zu vermitteln.184 In der Deutschen Evangelischen Gemeinde Rosarios entfaltete Pfarrer Maximilian Gebhardt einen
181 | Vgl. für diesen Absatz: EGB, 20. Jg., Nr. 33 (12. August 1914), 449f. 182 | Zu den Kontaktpersonen gehörte u.a. Pastor Freymark in Rotterdam (vgl. CEE-A Archivo 22, ohne BN (Brief von Pastor Dufft in Buenos Aires an Pastor Motzkau in Esperanza vom 7. April 1920)). 183 | Vgl. für diesen Absatz: CEE-A Archivo 22, ohne BN (Brief von Pastor Dufft in Buenos Aires an Pastor Motzkau in Esperanza vom 7. April 1920); EZA 5/2072, ohne BN (Brief von Pastor Dufft in Buenos Aires an den EOK in Berlin vom 10. Mai 1917); Rogge/Ruhbach 1994, 477f.; Zorzin 2009, 93; 97. 184 | Vgl. Rogge/Ruhbach 1994, 494-496.
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besonderen Aktionismus, der über die Grenzen der »Kolonie« hinausreichte und den synodalen Kriegsdiskurs in seiner Essenz widerspiegelte. Die Augustereignisse des Jahres 1914 hatten in der deutschen Gemeinschaft Rosarios ein vornehmlich euphorisches Echo hervorgerufen. Das ethnische Vereinswesen brachte ohne Verzögerung verschiedene Initiativen hervor, um ein patriotisches und wohltätiges Hilfswerk für die »alte Heimat« zu organisieren.185 Die evangelische Gemeinde wurde in gleicher Weise von der kollektiven Hochstimmung erfasst. Vom ersten Gottesdienst nach der Kriegserklärung Deutschlands an Russland berichtete Pfarrer Gebhardt: »Am 2. August war die deutsche Kirche stärker besucht als sonst. Jeder Teilnehmer des Gottesdienstes wurde ergriffen von heiliger Begeisterung, die sich ebenso fern hielt von übermütiger Siegeszuversicht wie von Verzagtheit. Ein tiefer Ernst lag auf den Gesichtern. Man sah Männer weinen. Einige Personen, darunter die Oberschwester vom englisch-deutschen Hospital, rüsten sich, dem Vaterlande ihre Dienste anzubieten. Eine Mutter war schmerzlich bewegt in dem Gedanken an ihre fünf Söhne, die wohl jetzt schon im Felde stehen.«186
Die Neubelebung der Gemeinde unter dem Banner »vaterländischer Gesinnung« setzte sich in den ersten Kriegsjahren fort und bewirkte eine weitere Diskursverschiebung. In der internen Auseinandersetzung mit dem Konflikt diente das Religiöse nunmehr ausschließlich als Vehikel für patriotische und nationalistische Botschaften. Als Leitfaden zog die Gemeinde v.a. die Kriegstätigkeit der Preußischen Landeskirche heran, die nach 1914 u.a. »patriotische Gottesdienste« als propagandistische Massenveranstaltungen inszenierte, zur Zeichnung deutscher Kriegsanleihen aufrief und unter der Schirmherrschaft Kaiser Wilhelms II. »Bettage« und Kollekten zugunsten bedürftiger Soldatenfamilien veranstaltete. Der EOK in Berlin führte gar einen obligatorischen Gebetszusatz ein, der Gottes »Beistand für unser deutsches Vaterland« und seinen Segen für »die gesamte deutsche Kriegsmacht« erbat.187 Die Deutsche Evangelische Gemeinde in Rosario schloss sich diesem kirchlichen Aktionismus in vollem Umfang an. Pastor Gebhardt organisierte gut besuchte »Kriegsgottesdienste« mit patriotischen Gebeten, Liedern und Predigten. Die Kriegsbettage und Kaisergeburtstagsfeiern in der deutschen Kirche gerieten zu »Höhepunkten unseres Gemeindelebens«188 . Gebharts »Kriegspredigt«, die er 1916 anlässlich des dritten Kriegsbettages in Rosario hielt, steht 185 | Vgl. zur Kriegstätigkeit des deutschen Vereinswesens in Rosario: Kapitel III, 4.4 dieser Arbeit. 186 | Gebhardt 1916b, 46. 187 | Vgl. dazu: Rogge/Ruhbach 1994, 483-487. 188 | Deutsche Evangelische Gemeinde Rosario 1916, ohne SZ.
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exemplarisch für die zu diesen Anlässen übliche nationalistische Polemik und die politische Propagandaarbeit deutscher Auslandspfarrer in Argentinien. Bereits zu Beginn seiner Predigt beantwortete Gebhardt die Kriegsschuldfrage in eindeutiger Weise und machte England und Frankreich allein für Tod und Leid in Europa verantwortlich. Der »herzlose Neid« dieser Nationen und die planmäßige Unterminierung der deutschen Entwicklung durch die »bösen Nachbarn« hätten zu der Katastrophe geführt. Was bleibe, sei zum einen das Vertrauen auf Gott, den »allerhöchsten Bundesgenossen« der Deutschen, dass sich »das Böse« nicht gegen die Gerechtigkeit durchsetzen werde. Darüber hinaus sollten alle Deutschen in dieser »Schicksalsstunde des deutschen Volkes« zusammenstehen und gemeinsam für den Sieg streiten. Das gelte insbesondere auch für die deutschen Auswanderer in Argentinien, die u.a. direkt vom englischen Wirtschaftskrieg betroffen seien. Gebhardt erkannte in dieser Situation ein großes identifikatorisches Potential. Im Angesicht des Feindes konnte in der Rosariner »Kolonie« ein neues Gefühl kollektiver Zusammengehörigkeit entstehen: »Und, Gott seis [sic] gedankt, wir Deutschen in Rosario wissen auch, daß wir nicht mehr einzelne Leute sind, die deutsch sprechen, wenn sie zusammenkommen. Wir sind in diesem Kriege eine Gemeinschaft geworden. Wir fühlen uns heute als Kinder eines großen, heiligen Vaterlandes, und ob selbst unsere Wiege am La Plata stand, als Erben des deutschen Wesens, das in der ganzen Welt ausgerottet werden soll, als Brüder, die um Gottes Willen sich verpflichtet fühlen, einer dem anderen in schwerer Not ein Helfer zu sein.«189
Pfarrer Gebhardt schloss seine »Kriegspredigt« mit einem Appell an die Gemeinschaft, ihre Anstrengungen fortzusetzen und wehrhaft zu bleiben: »Zwar müssen wir noch weiterkämpfen und weiter leiden. Und wir wissen nicht, wie lange noch. Aber wir werden durchhalten, unsere Soldaten, das deutsche Volk und das Deutschtum in der Welt.«190 Die praktische Konsequenz des patriotischen Gemeindediskurses war eine intensive Unterstützung der Wohltätigkeitsaktionen des lokalen Vereinswesens zugunsten Deutschlands. Wie auch im Deutschen Verein wurden in der Kirche separate »Sammelbüchsen« für die »Kriegsspende« aufgestellt und patriotische Konzerte veranstaltet. Zusammen mit seiner Frau Annie förderte Pastor Gebhardt außerdem die Arbeit des Vaterländischen Frauenvereins, der seinen Sitz im evangelischen Pfarrhaus hatte, Wäsche für deutsche Verwundete herstellte und Geld für das Rote Kreuz sammelte. Auch an der Neuordnung der 189 | EGB, 22. Jg., Nr. 32 (9. August 1916), 436. 190 | Ebd., 437. Vgl. für die vorangegangenen beiden Absätze: EGB, 22. Jg., Nr. 32 (9. August 1916), 435-437; Nr. 33 (16. August 1916), 460.
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Armenhilfe der »Kolonie« nach 1914 und der Koordinierung des deutschen »Arbeitsheims« in Rosario für bedürftige Mitglieder der Mittelmächte war die Gemeinde maßgeblich beteiligt. Pfarrer Gebhardt, der sich in der Verwaltung der Einrichtung engagierte, berichtete im EGB regelmäßig über den Stand des Hilfsprojekts.191 Der Einflussbereich des Pastors der Deutschen Evangelischen Gemeinde beschränkte sich aber keineswegs nur auf Rosario, vielmehr trieb er auch den Kriegsdiskurs in der Synode weiter voran. Mit seinen »Andachten«, die 1909 im Gemeindeblatt der DELPS erschienen waren, hatte sich Gebhardt bereits als konservativer Denker hervorgetan. Im Stile dieser Kolumnen verbreitete er ab Oktober 1914 an gleicher Stelle seine patriotisch verklärten »Kriegsgedanken« in den angeschlossenen Gemeinden und reihte sich damit in die breite Phalanx deutscher Kriegspropaganda in Argentinien ein. Im Einklang mit der vorherrschenden Meinung in den ethnischen Vereinen, negierte Gebhardt in seinen Artikeln die deutsche Verantwortung am Ausbruch des Krieges und schrieb ihn stattdessen der Gier, Aggressivität und dem Expansionsdrang der Entente-Staaten zu. Zudem hob er den Konflikt auf eine religiös-kulturelle Ebene, indem er den Gedanken eines »heiligen Krieges« der Deutschen gegen die moralische und kulturelle Dekadenz der feindlichen Nationen entwarf. Der Kampf der Deutschen im Weltkrieg wurde vor diesem Hintergrund für Gebhardt zum allgemeinen Kampf für Kultur und Werte zum »Segen der ganzen Welt«. Anknüpfend an das »Deutsch-evangelisch«-Konzept konstatierte er, dass der Sieg nur mit Gottes Hilfe für »sein deutsches Volk« davongetragen werden könne. Damit verband er eine klare Handlungsanweisung, das ethnische, nationale und religiöse Erbe deutscher Einwanderer in Argentinien betreffend:»Und schließlich, daß alle Welt uns haßt, wissen wir Auslandsdeutschen ganz genau. Aber um so mehr müssen wir Deutschen deutsch bleiben und nicht etwa mit dem Gedanken spielen, zu werden wie alle Welt.«192 Die Euphorie, mit der die DELPS und ihre Gemeinden auf den Beginn des Ersten Weltkrieg reagiert hatten, kehrte sich nach 1918 ins Gegenteil. Pastor Dufft aus Buenos Aires schrieb 1919 an den EOK in Berlin:
191 | Vgl. für diesen Absatz: EGB 20. Jg., Nr. 37 (9. September 1914), 516; 22. Jg., Nr. 20 (17. Mai 1916), 278; Elsner 1932, 235. Vgl. zudem weiterführend: Kapitel III, 4.4.1 dieser Arbeit. 192 | EGB 21. Jg., Nr. 25 (16. Juni 1915), 298. Vgl. für die vorangegangenen beiden Absätze: EGB 20. Jg., Nr. 43 (21. Oktober 1914), 580f.; 21. Jg., Nr. 14 (31. März 1915), 157f.; Nr. 15 (7. April 1915), Titelseite; Nr. 25 (16. Juni 1915), 298; Nr. 27 (30. Juni 1915), 323f.
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»Aufs tiefste sind naturgemäss [sic] alle durch den für uns völlig unerwarteten traurigen Ausgang des Krieges erschüttert. Noch bis zuletzt vor Abschluss des Waffenstillstandes hatten wir die Hoffnung nicht aufgegeben, dass wenigstens ein erträglicher Friede zustande käme. Wir fühlen uns mit der Heimat eins im Protest gegen solche Vergewaltigung [. . . ].«193
In die allgemeine Bestürzung über den Umbruch in Deutschland mischten sich alsbald drängende Zukunftsfragen. Zum einen machte sich die große Abhängigkeit der Synode von der Heimatkirche und ihren Subventionen bemerkbar. Die 1920er Jahre waren geprägt von einer notorischen Mittelknappheit und der Suche nach neuen Finanzierungsmöglichkeiten. Damit verbunden war auch die Frage nach dem künftigen Charakter der DELPS. Am Ende eines längeren Sondierungsprozesses stand schließlich ein klares Bekenntnis der Synode zum »Deutschtum«.194 Die Stimmung in den einzelnen Gemeinden wich teilweise von diesem Diskurs ab. In der Deutschen Evangelischen Gemeinde von Rosario hatten sich die wirtschaftlichen Auswirkungen des Krieges und die fehlende Nachwanderung ebenfalls negativ auf Mitgliederzahlen und Finanzen niedergeschlagen. Die Schuldenlast wuchs stetig an und gefährdete die Existenz des Kirchenvereins. Unter den führenden Mitgliedern herrschten Wut, Frustration und Resignation über den Kriegsausgang vor. Die Vereinsorganisation wurde nachlässiger und interne Strukturen wurden aufgeweicht. Es fanden weder Vorstandssitzungen statt, noch veröffentlichte die Gemeinde Jahres- oder Kassenberichte.195 Tiefere Einblicke in die Gemütsverfassung der Gemeindemitglieder vermittelt die »Gedächtnisfeier des Waffenstillstandes« am 24. November 1918 in der deutschen Kirche. Pfarrer Gebhardt berichtete von einer allgemeinen Trauerstimmung in der überdurchschnittlich besetzten Kirche: »Es scheint, dass die Trauer die Herzen heiligt.« In seiner Predigt zog er eine Bilanz des Krieges und verbarg dabei nicht seine persönliche Enttäuschung: »Gott war nicht mit uns. Er hat nicht gewollt, dass die Welt deutsch würde. Die Welt wird englisch sein.« Ähnlich wie in anderen Gemeinden, wurde der ungünstige Kriegsausgang in Rosario auch als Glaubenskrise wahrgenommen. Die von den Pfarrern verbreitete Zuversicht, dass Gott stets zu der gerechten »deutschen Sache« stehen würde, war mit den Ereignissen von 1918 und 1919 unwiederbringlich verloren gegangen. Implizit stand nun gar die Frage im Raum, ob die deutsche Nieder193 | EZA 5/2072, ohne BN (Brief von Pastor Dufft aus Buenos Aires an den EOK in Berlin vom 16. Juli 1919). 194 | Vgl. Häfner 2008, 67; Zorzin 2009, 85-98. 195 | Vgl. für diesen Absatz: EZA 5/2148 (Brief von Pastor Gebhardt aus Rosario an den EOK in Berlin vom 31. Oktober 1919); EGB, 24. Jg., Nr. 47 (20. November 1918), 651-653.
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lage am Ende nicht ein Beleg für die Nichtexistenz Gottes war. Das Vertrauen in den »deutsch-evangelischen« Glauben und die Einheit von »Deutschtum« und Christentum war in jedem Fall nachhaltig erschüttert. Auf der »PfarrerKonferenz« 1920 formulierte Pastor Gebhardt diesen Bruch mit drastischen Worten: »Ich habe nicht Gott und nichts von Gott verloren, sondern mein deutsches Volk. Das heutige deutsche Volk hasse, verabscheue ich. Ich sehe ein, wir haben nicht das deutsche Volk, sondern das deutsche System geliebt.«196 Im Laufe der 1920er Jahre überwand die evangelische Gemeinde ihre Schulden- und Identitätskrise. Maßgeblich für den Neuanfang war vor allem der Pfarrerwechsel 1926. Der junge Düsseldorfer Pastor Karl Venske übernahm das Amt vom altgedienten Maximilian Gebhardt, der in den Ruhestand verabschiedet wurde. Der von der DELPS reaktivierte »Deutschtums«-Diskurs fand auch in Rosario wieder Anhänger und gab Anlass zu vorsichtigem Optimismus der Vorstandsmitglieder. Man verstand sich nun wieder als »Trägerin der deutschen Kultur« und Vertreterin der Heimatkirche im Ausland mit eindeutig deutschevangelischem Charakter. Die Bewahrung der »seelischen Verbindung« mit der Heimat und des »religiösen Erbes unserer Väter« wurde erneut als zentrale Aufgabe der Gemeinde formuliert. Allerdings standen diese alten identifikatorischen Versatzstücke bereits im neuen Kontext des politischen Konservativismus und der nationalsozialistischen Bewegung, die sich in dieser Zeit parallel in Deutschland und Argentinien formierten, um Anfang der 1930er Jahre in Gänze hervorzutreten.197
196 | EZA 5/2066, ohne BN (Bericht über die »Pfarrer-Konferenz« 1920 in Buenos Aires an den EOK in Berlin vom 10. Juli 1920). Vgl. die vorangegangenen beiden Absätze: EGB, 24. Jg., Nr. 49 (4. Dezember 1918), 682; Nr. 50 (11. Dezember 1918), 690-692. 197 | Vgl. für die vorangegangenen beiden Absätze: Deutsche Evangelische Gemeinde Rosario 1928, ohne SZ; Hagedorn 1944, 51f.
Schlussbetrachtung Die Gestalt und der Aktionismus des deutschen Vereinswesens in Rosario und Esperanza waren das Ergebnis zweier Entwicklungslinien. Aus dem Verbund individueller Ambitionen und komplexer sozialer und politischer Problemlagen im Europa des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts ging die massenhafte Migrationsbewegung in Richtung Amerika hervor, die in Argentinien und anderen jungen Ländern des Doppelkontinents als Entwicklungschance begriffen und gefördert wurde. Im gleichen Zeitraum begannen auf beiden Seiten des Atlantiks nationalstaatliche Formationsprozesse, zumeist dirigiert von einer aufgeklärten gesellschaftlichen Elite und ausgestattet mit einem konkreten Emanzipationsanspruch gegenüber den althergebrachten staatlichen Ordnungen. In Argentinien führte ein revolutionärer Umsturz zur Unabhängigkeit vom spanischen Mutterland, in den deutschen Staaten richtete sich eine wachsende bürgerliche Bewegung gegen jedwede Art der Fremdbestimmung. Für die Konstitution als eigenständige Nation musste in beiden Fällen eine gemeinsame und stabile Grundlage gefunden werden. Ein wirksames Instrument waren sprachliche, kulturelle, moralische, etc. Grenzziehungen, die die Innenwelt der jeweiligen Gemeinschaften definierten. Sie bildeten den Ausgangspunkt für die lange Epoche des Nationalismus in Deutschland und Argentinien. Von diesen imaginierten Konstruktionen zehrte auch das »auslandsdeutsche« Vereinswesen und sein kollektiver ideologischer Überbau. Ideen, Diskurse, Selbst- und Fremdbilder der Einwanderer waren im Wesentlichen herkunftsbestimmt. Die Antriebe des gemeinschaftlichen Engagements, die Formen der Selbstorganisation und die inhaltliche Ausgestaltung des Vereinslebens wurzelten im deutschen Nationsbildungsprozess und der damit verknüpften reichen Vereinstradition. Aus der Wahrnehmung der deutschen »Kulturnation« und der Erfahrung der Reichsgründung heraus, entspann sich in den Vereinigungen ein dominanter Diskurs über Nation und Ethnizität, der, je nach Kontext, einen deutlichen Religions- und Wertebezug aufweisen konnte. Dieses Verständnis vom »Deutschtum« mündete in einer permanenten Verteidigungshaltung des deutschen Vereinswesens. Stimuliert durch die imperialen und kolonialen Ambitionen des Reichs, begriffen sich die Mitglieder als »Vorposten« Deutschlands im Ausland. Um sich der »alten Heimat« »würdig« zu
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erweisen, strebten sie ein arbeitsames, moralisch einwandfreies Leben und den dauerhaften Erhalt deutscher Kultur und Sprache an. Im Umkehrschluss sollte alles daran gesetzt werden, eine »Verhiesigung«, also eine Anpassung an die vorgeblich unterlegene »romanische« Umwelt, zu verhindern. Den Protagonisten war vielmehr daran gelegen, die junge argentinische Republik mit dem »deutschen Wesen« zu »befruchten«. Viele der Vereinsinitiativen in Rosario und Esperanza waren daher zugleich das Produkt kulturchauvinistischer Vorstellungen und Reaktion auf die Fremdheitserfahrung sowie die soziale Realität im Aufnahmeland. Der Anspruch, das »Deutschtum« über Generationen hinweg zu konservieren und weiterzugeben, manifestierte sich insbesondere in der Entwicklung spezifischer Selektions- und Bildungsstrategien. Am einen Ende des Spektrums standen ethnische Zugangsbeschränkungen, sprachliche Direktiven und wiederkehrende Diskurse in Reden, Vereinsschriften und Zeitungsartikeln, welche von den maßgeblichen bürgerlichen Akteuren verbreitet wurden. Die sich ebenfalls periodisch wiederholende ethnisch-nationale Erinnerungs- und Festkultur aktualisierte beständig deutsche Selbstbilder und war der Jugend eine anschauliche Vermittlerin des sprachlichen und kulturellen »Erbes der Väter«. Es offenbarte sich in ihr abermals die enge Verbindung zu den Traditionen der Vereinsbewegung in Deutschland und den Helden der deutschen Einheit. Auf der anderen Seite etablierten die Immigranten gesonderte Bildungseinrichtungen, die sich inhaltlich dem staatlichen Argentinisierungsprojekt widersetzten. Deutsche Schulen in Rosario sollten mit Hilfe von speziell angepassten Lehrplänen und Schulbüchern die Erziehung von dezidiert »deutschen Kindern« gewährleisten. Die Pfarrer der evangelischen Gemeinde in Esperanza versuchten über Gemeindeschulen, den Konfirmandenunterricht und kirchliche Publikationen auf die Gemeinschaft einzuwirken. Auf diese und ähnliche Weise schuf das deutsche Vereinswesen in seiner ganzen Breite Räume der aktiven Identitätskonstruktion. Zur Konsolidierung und Verbreitung des »Deutschtums« bildeten die Vereine Netzwerke auf verschiedenen Ebenen. Die Chöre benachbarter »Kolonien« versammelten sich regelmäßig auf Sängerfesten zur öffentlichkeitswirksamen Pflege deutschen Liedguts und deutscher Geselligkeit. Schulen und evangelische Gemeinden knüpften Bildungsnetzwerke im regionalen und nationalen Rahmen und erhielten stets neue Impulse von deutschen Stellen in Übersee. Derart ausgedehnte Initiativen schlossen häufig ein breiteres »Germanentum« mit ein und richteten sich ausdrücklich auch an Schweizer und Österreicher. Ein noch dichteres soziales Gewebe entstand aus der weit verbreiteten ethnisch motivierten Solidarität heraus. Hervorragende Persönlichkeiten der deutschen Gemeinschaften traten als Mäzene des lokalen Vereinswesens auf und
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trugen mit Geld- und Sachleistungen zur Vielfalt und Wirksamkeit des kollektiven Aktionismus bei. Die einzelnen Organisationen vor Ort unterstützten sich nicht nur gegenseitig, sondern betrieben auch Wohltätigkeit zugunsten bedürftiger Landsleute. Ihrer ideologischen Ausrichtung entsprechend, waren die Vereine außerdem federführend an der Durchführung von Hilfssammlungen für Kriegs- und Katastrophenopfer in Deutschland beteiligt. In entgegengesetzter Richtung hielten staatliche und private Einrichtungen den Kontakt im Zeichen der auswärtigen Kulturpolitik aufrecht. Subventionen, Besuche oder Auszeichnungen nährten die in diesem Punkt äußerst sensible Wahrnehmung der »Auslandsdeutschen«, als Glieder der deutschen »Volksgemeinschaft« nicht vergessen worden zu sein. Durchbrochen wurden die überwiegend stabilen und homogenen Diskurse des bürgerlichen Vereinswesens in Rosario und Esperanza durch prägende externe Ereignisse wie den Ersten Weltkrieg. Der Konflikt löste eine bis dahin beispiellose patriotische Mobilisierung der deutschen Selbstorganisationen in Argentinien aus und reaktivierte bzw. intensivierte alte Bindungen an das Heimatland. Wie eng dieses Verhältnis auf dem vorläufigen Höhepunkt des europäischen Nationalismus tatsächlich war, zeigen die zerstörerischen Folgen des negativen Kriegsausgangs auf das im Grunde nur mittelbar beteiligte Vereinswesen Rosarios. Die strukturellen und ideologischen Auflösungserscheinungen wirkten sich im Zusammenspiel mit anderen Faktoren nachhaltig verändernd auf die deutschen Vereinigungen aus. Denn trotz der ethnisch-nationalistischen Dogmatik waren die deutschen Vereine als semipermeable Strukturen nicht resistent gegenüber äußeren Einflüssen. Das »Wesen« der ethnischen Organisationen war zugleich ein Ergebnis ihres unmittelbaren Umfelds. In dem Maße, wie sich die Mitglieder etwa wirtschaftlich integrierten, fand die Kultur der Aufnahmegesellschaft Eingang in das Vereinsleben. Strikte Zugangsbeschränkungen wurden so im Laufe der Zeit aufgeweicht. Voraussetzung für die Integration Nichtdeutscher war nunmehr allein der Wille zur Anpassung: Das »Deutschtum« entwickelte sich mithin zum Lernfach. Besonders die Privatschulen und evangelischen Kirchgemeinden verkörperten zum einen das deutsche Sendungsbewusstsein und verwiesen zum anderen auf die großen kulturellen Zwischen- und Spielräume der argentinischen Einwanderungsgesellschaft. Mit ihrer gemischtnationalen Schülerschaft bzw. ihrer Bildungs- und religiös-wohltätigen Arbeit im lokalen Raum traten sie notwendigerweise in Interaktion mit der Umgebungswelt. Die deutschen Vereine wurden zum Bestandteil eines größeren europäisch dominierten gesellschaftlichen Konstruktionsprozesses, der vor allem in denjenigen argentinischen Regionen vonstatten ging, die größere Ausländeranteile verzeichneten. In Rosario wurde
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dies bereits seit den 1860er Jahren deutlich, als sich, trotz klarer ethnischer Grenzziehungen, eine neue, kolonieübergreifende Stadtgesellschaft herauskristallisierte. Die Maßgabe, innerhalb der intergenerationalen Gemeinschaft »deutsch« sein und bleiben zu wollen, blieb eine Konstante in den Vereinsdiskursen. Dennoch war ausreichend Raum für einen zweiten Diskursstrang vorhanden, der in den Organisationen nach der Jahrhundertwende immer mehr an Bedeutung gewann: Die deutschen Einwanderer wurden zu Angehörigen zweier »Heimaten«. Zunächst ein pädagogischer Ansatz in den Vereinsschulen, um den Kindern die parallele Existenz einer »geistigen Heimat« und einer »natürlichen Heimat« zu vermitteln, nahm dieses Konzept eine Entwicklung voraus, die sich allmählich im gesamten deutschen Vereinswesen Bahn brach. Das Bild Argentiniens und der Argentinier durchlief einen umfassenden Wandel vom »Fremden« zum »Eigenen«. Den scheinbaren inneren Widerspruch dieser Positionen lösten die Akteure durch eine symbiotische Verbindung deutscher und argentinischer Traditionen. Die Vereinskultur passte sich dem u.a. in Inhalten, Aktionsformen und dem Sprachgebrauch an. In die »Deutschtums«-Debatten mischten sich sukzessive argentinische Elemente. Es kam zu Verschiebungen von gemeinschaftlichen Grenzen und Zugehörigkeitsbezeichnungen. Aus »Deutschen« wurden »Deutsch-Argentinier« bzw. »Bindestrichler« und schließlich »Argentinier«. Die Vorstellung vom kulturell und moralisch unterlegenen »Romanen« relativierte sich vor dem Hintergrund der gemeinsamen Vision einer modernen und wirtschaftlich starken argentinischen Nation, an der nun auch die Deutschen tatkräftig mitarbeiten wollten. Dieser Aspekt wurde bald zum Kernstück öffentlicher Vereinsverlautbarungen und deutscher Schullehrpläne, die zunehmend auf die argentinische Arbeitswelt ausgerichtet waren. Der neue Patriotismus der Einwanderer kam darüber hinaus in der nationalen Festkultur zum Ausdruck. Unter dem Einfluss der staatlichen Identitätspolitik Argentiniens, die öffentliche Anlässe für ihre Zwecke instrumentalisierte, wurden Nationalfeiertage in den Festkalender der deutschen Organisationen übernommen und häufig gemeinsam begangen. Dabei offenbarte sich erneut die identifikatorische Doppelstrategie des Vereinswesens. Es vereinnahmte argentinische Feste wie den »25 de mayo« oder den »9 de julio« und erweiterte sie mit eigenen kulturellen Bräuchen und Stoffen. Aus eindeutig argentinischen wurden so – in ethnischer wie nationaler Beziehung – deutsch-argentinische Veranstaltungen. In gesamtgesellschaftlicher Perspektive war die Wirkung der Vereine in Rosario und Esperanza jedoch begrenzt. Trotz ihrer diskursiven Dominanz in den »Kolonien«, repräsentierten sie lediglich einen kleinen Ausschnitt der loka-
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len deutschen Immigration. Zieht man andere Gemeinschaften vergleichend hinzu, wird außerdem deutlich, dass der deutsche Fall nur eine Randzone eines ungleich weiter reichenden Phänomens war: dem Eingliederungsprozess der europäischen Masseneinwanderung in Argentinien. Dieser wurde nicht von den Deutschen, sondern von den numerisch überlegenen spanisch- und italienischstämmigen Bevölkerungsteilen bestimmt. Gleichwohl partizipierten die deutschen Einwanderer und ihre Vereine aktiv an der gesellschaftlichen Überwindung ethnischer und nationaler Barrieren. Die Kooperationen zwischen Deutschen und Engländern in Rosario oder zwischen Deutschen und Franzosen in Esperanza markierten die Anfänge eines kollektiven Zusammengehörigkeitsgefühls, das auch ohne staatliche Eingriffe auf den Weg gebracht wurde. Dabei wuchs die Erkenntnis, dass das deutsche Vereinswesen keine singuläre Erscheinung war und zwischen den gemeinschaftlichen Organisationen der Europäer durchaus zahlreiche strukturelle und inhaltliche Gemeinsamkeiten bestanden, an die sich anknüpfen ließ. Die Einwanderervereine zählten somit zu den ersten Räumen, in denen sich der argentinische Zukunftstraum eines genuinen »Argentiniertums«, einer »argentinidad«, verwirklichte. Mit dem Wissen um die Gegenwart muss das »Deutschtums«-Projekt der Vereine trotzdem als gescheitert angesehen werden. Das Ziel, Argentinien einen »deutschen Stempel« aufzudrücken und die Nation nach den eigenen Vorstellungen entscheidend mitzugestalten, wurde nicht erreicht. Nichtsdestotrotz war der Vereinsaktionismus der Beginn von etwas Neuem. Die kontinuierliche, oft aber unbeabsichtigte Öffnung gegenüber der Aufnahmegesellschaft führte zur Reform von Selbst- und Fremdbildern und der Entstehung teils hybrider ethnischer und nationaler Identitätskonstruktionen. Die deutschen Vereine entwickelten sich zu integrativen Mittlern zwischen den Lebenswelten. Die Frage nach der Bedeutung der lokalen und regionalen deutschen Organisationen in der Provinz Santa Fe für das Gesamtpanorama deutscher Vereinstätigkeit in Argentinien lässt sich ebenso klar beantworten. Von Rosario und Esperanza gingen vielfältige landesweite Impulse für die Diversifizierung und die thematische Gestaltung kollektiver ethnischer Strukturen aus, besonders in kirchlichen und Bildungsbereichen. Die Fallbeispiele verdeutlichen, dass eine Historiographie der Hauptstädte, wie sie für die Migrationsgeschichte in Lateinamerika kennzeichnend ist, nicht ausreicht, um die Motive und Praktiken ethnischer Gruppen in ihrer ganzen Komplexität zu verstehen. Auch die deutschen Vereine in Buenos Aires existierten nicht im luftleeren Raum, sondern bezogen seit ihrem Bestehen die Schwestervereinigungen im Hinterland intensiv in ihre Diskurse und Anstrengungen mit ein. Eine ertragreiche Sozial- und
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Kulturgeschichte der deutschen Einwanderung in Argentinien bedarf demnach einer Kombination regionaler, nationaler und internationaler Blickwinkel. Die Annäherung zwischen »Deutschtum« und »Argentiniertum« stieß allerdings schon bald auf neue Hindernisse. Der ethnische und nationale Absolutheitsanspruch aus der Frühzeit des Vereinswesens erlangte wieder mehr Gewicht in den deutschen »Kolonien«. Bereits in den 1920er Jahren hatte sich eine konservative Opposition gegen die politischen Veränderungen in Deutschland formiert. Parallel zum Aufstieg der Nationalsozialisten wurden vor allem in Buenos Aires sympathisierende Organisationen aktiv. Geblendet von der aggressiven Großmachtrhetorik Hitlers, stellte sich das deutsche Vereinswesen nach der Machtergreifung zu einem großen Teil hinter die politische und ideologische Marschrichtung des neuen Deutschen Reichs. Das »Deutschsein« um jeden Preis war wieder zum Leitmotiv der Gemeinschaften geworden. In Santa Fe gehörte vor allem Rosario zu den Hochburgen des Nationalsozialismus. Der »neue Geist« in der »alten Heimat« spiegelte sich ungebrochen in den deutschen Organisationen der Stadt wider. Die Ortsgruppe des DeutschArgentinischen Pfadfinderkorps nahm die Indoktrination der Jugend in Angriff. Hakenkreuzflaggen und der deutsche Gruß wurden feste Bestandteile vieler Vereinsveranstaltungen. Herausragende Vereinsmänner der »Kolonie« beteiligten sich 1934 enthusiastisch an dem »Treuegelöbnis für Volk und Führer«, einem zweiteiligen Prachtband mit Unterschriften aus ganz Argentinien, den die deutschen »Kolonien« Hitler als Geschenk übersandten. Die neuerliche Euphorie hielt nicht lange an. Zum Dankopfertag 1936 berichtete Emil Hagedorn, Pfarrer der Deutschen Evangelischen Gemeinde in Rosario, noch beruhigt von seinem Heimaturlaub: »Wie eine Insel des Friedens liegt Deutschland inmitten der kochenden Völkerwelt.«1 Nur wenige Jahre später wurde das Reich zum Epizentrum eines noch gewaltigeren Konflikts. Es sollte zugleich die bis dahin größte Prüfung für die deutschen Gemeinschaften, ihre Vereine und ihr ethnisches und nationales Selbstverständnis werden.
1 | Hagedorn 1943, ohne SZ.
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Anhang A Tabellen A1 Deutsche in den argentinischen Provinzen, 1869-19471
Capital Federal Buenos Aires Santa Fe Entre Ríos Corrientes Córdoba Mendoza Tucumán Misiones Chaco Sonstige Summe Total Dt.4 Total Eur.5
18692
Eur. (%)3
1895
Eur. (%)
1914
Eur. (%)
1947
Eur. (%)
2072 1120 1146 358 118 67 16 12 k.A. k.A. 82
2,5 2,1 9,2 3,0 4,0 5,1 5,7 6,7 -
5297 3154 4475 1794 272 1061 227 254 119 34 456
1,7 1,2 2,8 3,6 4,0 3,1 2,2 2,6 12,6 1,7 -
11 272 6188 4074 1261 287 1377 467 388 450 150 1820
1,5 0,9 1,4 2,5 3,3 1,0 0,6 1,4 6,5 3,4 -
19 848 17 261 3012 1641 387 1868 620 331 3151 919 2580
2,7 2,4 1,5 6,1 7,2 1,5 1,1 1,9 17,1 3,7 -
4909 4991 166 556
3,0
16 687 17 143 881 121
2,0
25 914 27 734 2 108 261
1,3
49 038 51 618 2 018 791
2,6
1 Auswahl aus den Provinzen mit den meisten deutschen Einwohnern. Zur Problematik argentinischer
Zensusdaten vgl. Kapitel III, 3.2.2 dieser Arbeit. 2 Daten nicht für alle Provinzen verfügbar. 3 Gerundeter prozentualer Anteil der Deutschen an der gesamten in Europa geborenen Bevölkerung
der Provinz bzw. Argentiniens (»Total Dt.«). 4 Gesamtzahl der in diesem Jahr in Argentinien vom Zensus erfassten Deutschen. 5 Gesamtzahl der in diesem Jahr in Argentinien vom Zensus erfassten Europäer.
Quellen: Instituto Nacional de Estadística y Censos 1997, 11-144; Datenauswertung durch den Autor.
378 | ANHANG
A2 Deutsche Konsuln und Vizekonsuln in Rosario und Santa Fe, 1858-1936
Rosario: Konsuln und Vizekonsuln Amtszeit
Name
Amt
Vertretung
ab 1858 1865 1865-1868 1868-1871 1871-1889 1889-1915 1915-1917 1917 1917-1921 1921-1936 1924-1939
Georg Ruscheweyh O. Z. Söhle Wilhelm Tietjen Wilhelm Tietjen Wilhelm Tietjen Wilhelm Tietjen Curt Erdfehler Paul Wiedenbrüg Alwin Schneider Emil R. Werner Albert von Rosenberg-Lipinsky
Konsul Konsul Vizekonsul Vizekonsul Vizekonsul Konsul Konsul Konsul Konsul Konsul Vizekonsul
Hamburg Hamburg Preußen Norddt. Bund Deutsches Reich Deutsches Reich Deutsches Reich Deutsches Reich Deutsches Reich Deutsches Reich Deutsches Reich
Quellen: DLPZ, 50. Jg., Nr. 223 (22. September 1918), 6; Elsner 1932, 73f.; Diers 1940, ohne SZ; Handbuch für das Deutsche Reich.
Santa Fe: Vizekonsuln und Konsularagenten Amtszeit
Name
Amt
Vertretung
1891-1892 1893-1894 1895-1896 1897-1900 1901 1901-1905
Konsularagent Vizekonsul Vizekonsul Vizekonsul Vizekonsul Vizekonsul
Deutsches Reich Deutsches Reich Deutsches Reich Deutsches Reich Deutsches Reich Deutsches Reich
1906-1912 1912
Hermann von Schenck Hermann von Schenck unbesetzt Julius Fallenstein unbesetzt unbek. kommissar. Verwaltung Hermann Nagel Emil Braun
Deutsches Reich Deutsches Reich
1912-1914 1914
Adolf Rothschild Ernst Groll
1914-19201 1920-19362
Robert Kunst Friedrich Gebien
Vizekonsul Verweser des Vizekonsulats Vizekonsul Verweser des Vizekonsulats Vizekonsul Vizekonsul
Deutsches Reich Deutsches Reich Deutsches Reich Deutsches Reich
1 Genaues Ende der Amtszeit nicht eindeutig feststellbar. 2 Bis mindestens 1936 im Amt.
Quellen: PA AA Buenos Aires 15, ohne BN; Handbuch für das Deutsche Reich.
A TABELLEN | 379
A3 Maximilian Gebhardt: Mitglieder deutscher Vereine in Rosario, 19141
Dt. Ev. Gemeinde Verein gegen Hausbettelei Deutscher Verein Gemischter Chor Frauenverein Auxilio Dt. Hilfsverein Deutsche Schule Dt.-arg. Schule Eng.-dt. Hospital Männerchor Militärverein Damenkirchenchor Summe
Mitglieder
Familien
Einzelne
127 25 177 70 202 105 128 129 77 149 35 27
102 21 106 26 165 69 116 53 44 98 22 10
25 4 71 41 37 35 12 76 23 51 13 17
1250
832
405
1 Der Ersteller war Pfarrer der Deutschen Evangelischen Ge-
meinde in Rosario. Angaben wie im Original. Quelle: EGB, 20. Jg., Nr. 24 (10. Juni 1914), 333f.
A4 Hilmar von dem Bussche-Haddenhausen: »Im Interesse des Deutschtums aufgebrachte Gelder« in Rosario zwischen 1909 und 1911, 19121 1909
1910
1911
I. Deutsche Schule2 II. Deutsche Schule2 Dt. Ev. Gemeinde Dt. Frauenverein Engl.-Dt. Hospital3
17 310 5450 23 785 3911 2123
40 436 5928 6981 3200 2458
15 535 6669 5877 3659 4227
Summe
52 579
59 002
35 966
1 Der Ersteller war von 1910 bis 1914 Gesandter
des Deutschen Reichs in Buenos Aires. Alle Angaben in Pesos (moneda nacional). Angaben wie im Original; Beträge gerundet. 2 Inkl. Schulgeld. 3 Beitrag der deutschen Gemeinschaft. Quelle: BArch R 901/38646, Bl. 134.
51 47 k.A. 56 56 60 61 k.A. 68 65 65 66 k.A. 38 34 k.A. k.A. 30 k.A. 29 33 k.A. k.A.
159 156 161 158 161 168 169 169 166 153 94 70 61 60 61 56 50 49 54 58 59
Leistungen SchlafMahlunterkommen zeiten Holz (t)
k.A. k.A. 150,00 113,80 140,05 k.A. 316,60 77,45 312,90 177,75 169,90 297,75 51,50 322,25 164,35 17,00 36,00 354,35 213,75 237,55 k.A.
k.A. k.A.
Einnahmen Außenarbeit (Pesos)
Quellen: EGB, 22. Jg., Nr. 25 (21. Juni 1916), 347f.; Nr. 27 (5. Juli 1916), 376; Nr. 30 (26. Juli 1916), 418; Nr. 33 (16. August 1916), 460; Nr. 34 (23. August 1916), 474; Nr. 35 (30. August 1916), 488; Nr. 36 (6. September 1916), 502; Nr. 37 (13. September 1916), 514f.; Nr. 38 (20. September 1916), 529; Nr. 39 (27. September 1916), 544; Nr. 40 (4. Oktober 1916), 558; Nr. 41 (11. Okt. 1916), 571f.; Nr. 42 (18. Oktober 1916), 585; Nr. 43 (25. Oktober 1916), 598; Nr. 45 (8. November 1916), 627; Nr. 46 (15. November 1916), 641; Nr. 47 (22. November 1916), 655; Nr. 48 (29. November 1916), 669f.; Nr. 49 (6. Dezember 1916), 684; Nr. 50 (13. Dezember 1916), 698; Weihnachtsnr. (20. Dezember 1916), 716; 23. Jg., Nr. 1 (3. Januar 1917), 10.
k.A. k.A. 12 34 7 7 384 194 206 291 11 374 2 626 2 308 11 3 15 k.A.
k.A. k.A.
Verkauf Kohle Besen (Sack)
92 7 7 k.A. k.A. k.A. k.A. 83 9 7 k.A. k.A. k.A. k.A. 321 Aufnahmen, 50 vermittelte Arbeitskräfte, 11 Hospitalüberweisungen k.A. k.A. k.A. 140 477 k.A. k.A. 75 16 8 1093 3249 k.A. k.A. 81 16 8 1130 3363 5,5 22 77 14 7 k.A. k.A. 6 22 82 14 4 k.A. k.A. 3,2 10 k.A. k.A. k.A. k.A. k.A. 8,9 45 82 17 2 1183 3472 5,8 10 84 17 3 1182 3469 4,3 16 85 15 2 1160 3418 4,9 9 73 12 2 1066 3132 5 27 k.A. k.A. k.A. 825 2385 10,1 13 32 491 1413 2,4 8 27 425 1244 2,8 5 k.A. k.A. k.A. 420 1251 6,6 39 k.A. k.A. k.A. 427 1272 2,3 4 25 1 398 1188 8,3 10 k.A. k.A. k.A. 353 1059 1,6 6 19 1 345 1047 4,8 17 20 1 376 1134 1,8 13 k.A. k.A. k.A. k.A. k.A. 6,4 30 k.A. k.A. k.A. 414 1240 k.A. k.A.
Belegung nach Nationalität ÖsterreichTürken Bulgaren Ungarn
Deutsche
157 146
1 Angaben wie im Original.
10.06. 18.06.-24.06. bis 13.07. 19.07. 30.07.-05.08. 06.08.-12.08. 13.08.-19.08. 20.08.-26.08. 27.08.-02.09. 03.09.-09.09. 10.09.17.09. 17.09.-23.09. 24.09.-30.09. 01.10.-07.10. 08.10.-14.10. 22.10.-28.10. 29.10.-04.11. 05.11.-11.11. 12.11.-18.11. 19.11.-25.11. 26.11.-02.12. 03.12.-09.12. 10.12.-16.12. 17.12.-23.12.
Tagesbelegung
380 | ANHANG
A5 Belegung, Produktion und Leistungen des Arbeitsheims des Deutsch- Österreichisch-Ungarischen Hilfsausschußes in Rosario, Juni–Dezember 19161
A TABELLEN | 381
A6 Deutsche Schulen in Argentinien, 1843-1935
1843 1875 1900 1906 1908 1916 1924 1930 1932 1935
Gesamt
BA Stadt1
BA
Santa Fe
Entre Ríos
Córdoba
Sonstige
1 5 30-36 58 66 902 59 96 190 208
1 1
-
4
-
-
-
4
4
23
17
5
5
1
193
3
564
k.A. k.A. k.A. 13 17 20 24
46 21
5
33 170
25
7
93
1 Buenos Aires Stadt (Capital Federal). 2 Schätzung nach: Wilfert 1918, 10. 3 Misiones: 14; Mendoza: 2; Corrientes: 1; Chubut: 1; Santa Cruz: 1. 4 Misiones: 26; Pampa: 12; Chaco: 12; Río Negro: 2; Corrientes: 1; Chubut: 1;
Mendoza: 1; Santa Cruz: 1. Quellen: Keiper 1914, 20; Keiper 1957, 61; Cappus 1910, 96; Vallentin 1908, 92; Wilfert 1918, 10; Wilfert 1924, 41; Wilfert 1931; Wilfert 1936, 65; DLPZ, 38. Jg., Nr. 218 (18. September 1906), 1; DAD, 15. Jg., Nr. 15/16 (August 1932), 434f.
A7 Reichsschulfonds für das Auslandsschulwesen, 1898-19141 Jahr
Betrag
Jahr
Betrag
1898 1903 1905 1906 1908
150 000 ca. 300 000 500 000 650 000 850 000
1910 1912 1913 1914
900 000 1 Mio. 1,1 Mio. 1,5 Mio.
1 Alle Angaben in Mark.
Quellen: Kloosterhuis 1994, 199; EGB, 12. Jg., Nr. 549 (17. Januar 1906), 14.
382 | ANHANG
A8 Reichsbeihilfen für deutsche Schulen in Rosario und Esperanza, 1900-19221
1900 1902 1903 1905 1906 1907 1908 1909 1910 1911 1912 1913 1914 1915 1920 1921 1922
Gesamt2
Erste Schule
k.A. k.A. 30 000 35 000 47 500 49 550 51 950 36 800 70 500 70 300 71 900 81 100 84 600 84 600 408 0003 500 0003 800 0003
5000 2300 3000 6150 10 000 10 000 10 000 10 000 10 000 10 000 10 000 10 000 10 000 10 000 40 000 40 000 50 000
Rosario Talleres-Schule 3000 3000 3000 2500 3000 3000 3000 3000 3000 3000 -
Stadt k.A. k.A. 1000 1250 1750 2000 2500 2500 2500 2500 2000 2200 2500 2500 12 000 12 000 20 000
Esperanza Südwest Nordwest k.A. k.A. k.A. 300 300 300 300 300 400 400 400 400 400 400 4000 4000 9000
k.A. k.A. k.A. 300 300 300 300 300 300 400 500 500 500 500 4000 4000 9000
1 Alle Angaben in Mark. 2 Gesamtleistungen des Reichs an deutsche Schulen in Argentinien. 3 Inflationsbedingte Zunahme.
Quellen: BArch R 901/38644, Bl. 91; BArch R 901/38645, Bl. 6; 88; 207; BArch R 901/38646, Bl. 43; 46; 53; 81; 159; 254; BArch R 901/38671, Bl. 66; 113; 143; 216; BArch 901/38672, Bl. 14; PA AA, R 62484, ohne BN.
A9 Rektoren der Deutschen Schule Rosario, 1893-1946 Amtszeit
Rektor
1893-1904 1904-1906 1912/13 1914-1927 1927-1936 1936-1946
Carl [auch: Karl] Meyer Th. Preuss [auch: Preuß] A. Nabe Josef Hubrich Edgar Willy Rohn Erich Elsner
Quellen: DLPZ, 59. Jg., Nr. 49 (17. Februar 1927), 8; Deutscher Schulverein Rosario 1927b, 6; 14; Deutscher Schulverein Rosario 1931, 51; Elsner 1932, 164; Lege 2007, 197; 199.
k.A. 562 17 k.A. 123 1 2 1 -
1901 192 119 17 2 8 3 5 6 5 12 2 4 9 -
1908 161 83 24 3 8 8 8 6 5 6 1 9 -
1909 149 70 26 3 13 3 5 4 10 1 7 7 -
1910 145 69 25 5 9 4 5 5 9 3 6 5 -
1911 138 89 11 9 5 2 3 4 4 5 2 3 k.A. 1 -
1912
1921 121 77 9 3 k.A. 143 2 4 3 1 2 2 1 2 1 -
1913 1084 71 10 5 k.A. 6 4 4 2 2 3 1 130 80 3 10 2 16 5 3 2 6 2 1
1926 136 27 3 3 595 3 24 1 3 2 1 4 2 k.A. 2 2
1927 169 26 3 1 755 3 38 1 3 1 2 3 4 2 k.A. 2 5
1928 275 43 11 10 1165 4 58 1 8 3 2 3 4 8 2 1 1 k.A. -
1930 291 31 13 4 1395 68 5 10 4 1 2 12 2 k.A. -
1933
Quellen: BArch R 901/38672, Bl. 93f.; 142; DLPZ, 33. Jg., Nr. 207 (5. September 1901), 1; 45. Jg., Nr. 54 (6. März 1913), 5; 60. Jg., Nr. 36 (11. Februar 1928), 8; Deutscher Schulverein Rosario 1909b, ohne SZ; Deutscher Schulverein Rosario 1912b, 4; Deutscher Schulverein Rosario 1914, 3f.; Deutscher Schulverein Rosario 1922a, 5; Deutscher Schulverein Rosario 1927b, 11f.; Deutscher Schulverein Rosario 1929, 16; Deutscher Schulverein Rosario 1931, 15; Deutscher Schulverein Rosario 1934, 15.
5 Als »Deutsch-Südamerikaner« zusammengefasst.
3 Mehrheitlich »Deutsch-Argentinier«. 4 Schülerzahl am Jahresende. Gesamtschülerzahl: 122.
1 Angaben wie im Original. 2 Inklusive »mehrere Österreicher«.
Gesamt Reichsdeutsche Deutsch-Schweizer (Deutsch-)Österreicher Deutsch-Argentinier Deutsch-Russen Argentinier Skandinavier Spanier Italiener Franzosen Belgier Engländer (Deutsch-)Dänen Russen Deutsch-Jugoslaven Deutsch-Rumänen/-Serben Deutsch-Polen (Deutsch)-Holländer Deutsch-Brasilianer (Deutsch-)Ungarn Kroaten Uruguayer Italienisch-Schweizer
A TABELLEN | 383
A10 Schülerstatistik der Deutschen Schule Rosario, 1901-19331
384 | ANHANG
A11 Sprachkenntnisse der Schüler der Deutschen Schule Rosario, 1909-1933
Sprachkenntnisse, 1909-1913 1908
1909
1910
1911
1913
Gesamt Muttersprache Deutsch Andere Muttersprache
192 124 68
161 104 57
149 98 51
145 91 54
108 72 36
dt. Muttersprachler (~%)
65
65
66
63
67
Sprachkenntnisse, 1921-1929 1921
1925
1926
1928
1929
Gesamt Muttersprache Deutsch Andere Muttersprache
121 101 20
136 91 45
130 83 47
169 98 71
222 121 101
dt. Muttersprachler (~%)
83
67
64
58
55
Sprachkenntnisse, 1930-1933 1930
1931
1932
1933
Gesamt Muttersprache Deutsch Andere Muttersprache
275 160 115
266 159 107
272 129 143
291 138 153
dt. Muttersprachler (~%)
58
60
47
47
Quellen: BArch R 901/38672, Bl. 93; 142; Deutscher Schulverein Rosario 1909b, ohne SZ; Deutscher Schulverein Rosario 1912b, 4.; Deutscher Schulverein Rosario 1914, 4; Deutscher Schulverein Rosario 1922a, 5; Deutscher Schulverein Rosario 1926, 7; Deutscher Schulverein Rosario 1927b, 11; Deutscher Schulverein Rosario 1929, 16; Deutscher Schulverein Rosario 1930, 13; Deutscher Schulverein Rosario 1931, 15; Deutscher Schulverein Rosario 1932, 15; Deutscher Schulverein Rosario 1933, 24; Deutscher Schulverein Rosario 1934, 15.
A TABELLEN | 385
A12 Deutschsprachige ev. Gemeindegründungen in Argentinien bis 19301 Jahr
Gemeinde
Provinz
1843 1857 1886 1887 1888 1894 1895
Buenos Aires Esperanza Villa Urquiza Progreso Humboldt Rosario Felicia General Alvear Aldea Protestante Quilmes Urdinarrain Coronel Suárez Villa Iris Villa Alba General Ramírez Leandro N. Alem Lucas González San Antonio Villa Carlota/Potrero Villa Crespo Colonia Bompland Viale Irazusta Eldorado Monte Carlo Galarza Colonia Liebig Santo Domingo Campo Baucis
Capital Federal Santa Fe Entre Ríos Santa Fe Santa Fe Santa Fe Santa Fe Santa Fe Santa Fe Buenos Aires Entre Ríos Buenos Aires Buenos Aires Pampa Entre Ríos Misiones Entre Ríos Entre Ríos Entre Ríos Entre Ríos Misiones Entre Ríos Entre Ríos Misiones Misiones Entre Ríos Misiones Santa Fe Entre Ríos
1898 1902 1907 1908 1909 1910 1911 1912 1913 1920 1921 1925
1926 1927 1928 1929
1 Auswahl. Es wurden nur Gemeinden berücksichtigt,
die mit der DELPS in Verbindung standen. Quellen: Deutsche Evangelische La Plata-Synode 1943, ohne SZ; Mirus 1943.
386 | ANHANG
A13 Pfarrer der Deutschen Evangelischen Gemeinde Rosario, 1893-1951 Amtszeit
Pfarrer
1900-1908 1908-1926 1926-1930 1930-1951
Emanuel Heinrich Werner Achilles Christian Friedrich Maximilian Gebhardt Karl Venske Emil Gottfried Hagedorn
Quellen: EZA 5/3327, ohne BN; EZA 5/3361, ohne BN; Diers 1940, ohne SZ; Hagedorn 1944, 30; 84.
A14 Pfarrer der Evangelischen Kirchgemeinde Esperanza, 1857-1946 Amtszeit
Pfarrer
1857-1864 1857-1862 1864-1866 1866-1870 1870-1873 1873-1880 1880-1887 1887-1888 1889-1898 1898-1904 1904-1911 1911-1912 1912-1920 1920-1926 1926-1946
Philipp Heinrich Staiger Eugen Sauvain Johannes Andres David F. Sauvain ohne Bedienung Carl [auch: Karl] Ernst Hermann Finkbein Wilhelm Rosenthal Friedrich Wilhelm Forster Friedrich Heinrich Emil Wrege Edmund Koch Carl Krüger Albert Bruckner Hermann Motzkau Friedrich Karl Rohloff Johannes Vöhringer
Quellen: EZA 5/404, Fiche 2043; EZA 5/2142, ohne BN; EZA 5/2143, ohne BN; EZA 5/2144, ohne BN; EZA 5/2145, ohne BN; EZA 5/3737; EGB, 13. Jg., Nr. 40 (2. Oktober 1907), 473f.; Nr. 41 (9. Oktober 1907), 485; 487; 20. Jg., Nr. 43 (21. Oktober 1914), 578; Grenón 1939, 383; Mirus 1943, 10f.; 20; 25; 30-32; 54; 90.
A TABELLEN | 387
A15 Nationale Zugehörigkeit der Mitglieder der Evangelischen Kirchgemeinde Esperanza, 1901-19101
Deutsche Deutsch-Schweizer Argentinier Franzosen Holländer Dänen Russen Italiener Brasilianer Nordamerikaner Luxemburger Gesamt
1901
1907
1909
1910
54 21 272 5 1 1 -
593 20 694 1 2 5 1 -
58 20 76 3 1 6 3 2 1
56 22 77 3 6 4 2 -
109
128
170
170
1 Angaben wie im Original. 2 Davon 20 mit deutschen,
sechs mit deutschschweizerischern und einer mit italienischen Eltern. 3 Davon 25 aus dem Königreich Preußen, 13 aus Hessen, sechs aus Baden, vier aus dem Königreich Sachsen, drei aus Württemberg, zwei aus Bayern und je einer aus Oldenburg, Braunschweig, Sachsen-Weimar, Schwarzburg-Rudolstadt, Hamburg und Lothringen. 4 Davon 44 mit deutschen, 25 mit schweizerischen und acht mit französischsprachigen [sic] Eltern.
Quellen: EZA 5/2143, ohne BN; EZA 5/2144, ohne BN; Krüger 1907, 64.
388 | ANHANG
B Grafiken B1 Agrarkolonien in der Provinz Santa Fe 1
1 Ausgewählte Agrarkolonien mit Gründungsdaten auf einem Kartenausschnitt
der Provinz Santa Fe. Quelle: Kompilation des Autors via stepmap.de.
B GRAFIKEN | 389
B2 Deutsche Vereine in Rosario, 1868-1930
Anmerkungen: 1 1930 wiederbelebt. 2 Es ist nur das Gründungsjahr 1885 bekannt. 3 Es ist nur das Gründungsjahr 1930 bekannt. 4 Es ist nur das Gründungsjahr 1896 bekannt. 5 Erneute Gründung im Mai 1921. 6 Auch: Deutscher Frauenverein Auxilio. 7 1930 Anschluss an den Verein Germania. 8 Auch: Deutsch-Republikanische Vereinigung. 9 Zugleich: Deutsch-Argentinischer Schulverein (Barrio Talleres); 1929 Umbenennung in Verein Germania. 10 Nur für 1900 belegt. 11 In Rosario gegründet. Versammlungen in der Region. 12 1930 gegründet.
Anmerkungen: 1 Schulverein wurde 1931 aufgelöst. 2 Mindestens bis 1882 existent. 3 Es ist nur das Gründungsjahr 1916 bekannt. 4 Belegt für die Jahre 1887, 1895, 1898, 1904, 19071910, 1913, 1928. Nicht bekannt, ob durchgängig aktiv. 5 Auch: Gesellschaft katholischer Männer oder Deutscher Katholischer Männer-Verein.
390 | ANHANG
B3 Deutsche Vereine in Esperanza, 1857-1930
B GRAFIKEN | 391
B4 Mitgliederentwicklung des Deutschen Schulvereins Rosario, 1892-1933
Quellen: Deutscher Schulverein Rosario 1934, 31; Deutscher Schulverein Rosario 1899a, ohne SZ.
B5 Entwicklung der Schülerzahlen der Deutschen Schule Rosario, 1893-1933
Schülerzahlen, 1893-1913
392 | ANHANG
Schülerzahlen, 1926-1933
Gesamtschülerzahlen eines Schuljahres, 1906-1933
Quellen: BArch R 62484, ohne BN; BArch R 901/38672, Bl. 93f.; PA AA Buenos Aires 59, ohne BN; EGB, 2. Jg., Nr. 88 (o.Dat.; 1896/97), Beilage »Erziehung und Schule«, Nr. 4 (19. Februar 1897), ohne SZ; DLPZ, 30. Jg., Nr. 61 (15. März 1898), 1; 39. Jg., Nr. 208 (5. September 1907), 1; 43. Jg., Nr. 69 (23. März 1911), 1; 45. Jg., Nr. 54 (6. März 1913), 5; 53. Jg., Nr. 47 (27. Februar 1923), 7; 59. Jg., Nr. 203 (31. August 1927), 14; 60. Jg., Nr. 207 (29. August 1928), 10; Deutscher Schulverein Rosario 1898, 7; Deutscher Schulverein Rosario 1905c, ohne SZ; Deutscher Schulverein Rosario 1906a, ohne SZ; Deutscher Schulverein Rosario 1906b, ohne SZ; Deutscher Schulverein Rosario 1907a, ohne SZ; Deutscher Schulverein Rosario 1907b, ohne SZ; Deutscher Schulverein Rosario 1908b, ohne SZ; Deutscher Schulverein Rosario 1909b, ohne SZ; Deutscher Schulverein Rosario 1910, ohne SZ; Deutscher Schulverein Rosario 1912a, ohne SZ; Deutscher Schulverein Rosario 1912b, 3; Deutscher Schulverein Rosario 1913, 3; Deutscher Schulverein Rosario 1914, 3; Deutscher Schulverein Rosario 1922, 4f.; Deutscher Schulverein Rosario 1926, 6f.; Deutscher Schulverein Rosario 1927c, 11f.; Deutscher Schulverein Rosario 1929, 14f.; Deutscher Schulverein Rosario 1930, 12; Deutscher Schulverein Rosario 1931, 11; 14; Deutscher Schulverein Rosario 1932, 12; 14; Deutscher Schulverein Rosario 1933, 21; 23; Deutscher Schulverein Rosario 1934, 11; 14.
C ABBILDUNGEN | 393
C Abbildungen C1 Deutschsprachige Periodika aus Argentinien
Deutsche La Plata-Zeitung (Buenos Aires)
Rosariner Zeitung (Rosario)
Der Argentinische Bote (Esperanza, u.a.)
Deutsche Wochenübersicht (Esperanza)
394 | ANHANG
Evangelisches Gemeindeblatt (Buenos Aires; Rosario) Aufnahmen: Autor.
C ABBILDUNGEN | 395
Quelle: Carrasco 1888a, 98-99.
C2 Sektionen in Rosario, 1887
396 | ANHANG
C3 »Freiwillige Beiträge zur Bildung des ›Deutschen Schulvereins Rosario‹«, 1892
Quelle: EGR-A, ohne BN. Aufnahme: Autor.
C ABBILDUNGEN | 397
C4 Basarzeitung der Deutschen Schule in Rosario, 1905
Quelle: Deutscher Schulverein Rosario 1905b / BArch R 57/NEU/1189.
398 | ANHANG
C5 Männer-Gesangverein Esperanza und Gesangverein »Harmonie« auf einem Sängertreffen in San Carlos, 1901
Quelle: Breuer 1910, 70-71 / BArch R 57/NEU/1189.
C6 Programmheft zur Kaiserfeier in Esperanza, 1913
Quelle: Männer-Gesangverein Esperanza. Protokollbuch No. 4 [1902-1923]. Aufnahme: Autor.
C ABBILDUNGEN | 399
C7 Festnummer der Rosariner Zeitung zum Völkerschlachtsjubiläum, 1913
Quelle: Rosariner Zeitung 1913a. Aufnahme: Autor.
C8 Gedenkmünze zum Völkerschlachtsjubiläum, 1913
Quelle: Abdruck mit freundlicher Genehmigung der Leipziger Münzhandlung und Auktion Heidrun Höhn.
400 | ANHANG
D Dokumente D1 Gedicht aus dem Umfeld des Gesangvereins »Harmonie« in San Carlos, 1892 Aufruf! Schulverein und Singverband Jägerclub und Schützenstand Musikchor, Theaterbande Alles gibt es hier zu Lande Ein Verein zum Bau der Strassen Und ein Club der roten Nasen Ungezähltes Heer Doktoren Lässt uns weder Haut noch Ohren Hospital- und Krankenkasse Zur Veredelung der Rasse Einen Junggesell’nverband Alles, alles ist zur Hand Eins nur fehlt uns hier am Orte Und ich richte meine Worte In des Zweckes guten Namen An die hochverehrten Damen Welche nur aus Nächstenliebe Streu’n nach allen Seiten Hiebe Gründet, dass ihr recht könnt lästern Den Verein der Kaffeeschwestern. Quelle: Huber 1926, 24.
D DOKUMENTE | 401
D2 »Liebesgabensendung der Deutschen Frauenhilfe in Rosario«, März 1924 Zum Verteilen an Bedürftige: 1. An den Hauptvorstand des Vaterländischen Frauenvereins in Berlin: 20 Sack Mehl, 48 Dutzend Suppenwürfel, 10 Dosen Fett, 5 Kisten Milch a 24 Liter. 2. Frl. H. Nagel, Fürsorgerin, Kiel: 12 Dutzend Suppenwürfel, 10 Paar Knabenstifel [sic], 1 Ballen Kinderwäsche. 3. Frau E. Prüfer, Fürsorgerin Schwarzenberg i. Erzg.: 12 Dutzend Suppenwürfel, 3 Sack Mehl. 4. Superintendent Stiffer, Göttingen: 12 Dutzend Suppenwürfel. 5. Pfarrer Dr. J. Mahring, Göttingen: 12 Dutzend Suppenwürfel. 6. Frauen-Verein, Reinbeck: 12 Dutzend Suppenwürfel, 5 Dosen Fett. 7. Herrn Pastor Stäsche, Berlin: 1 Sack Mehl, 5 Dosen Fett. 8. Herrn Prof. H. Schmidt, Ettlingen: 1 Sack Mehl, 12 Dutzend Suppenwürfel, 2 Kisten Milch. 9. Frauengruppe des Deutschen Offiziervereins, Hamburg: 12 Dutzend Suppenwürfel, 2 Sack Mehl. 10. Frau Eleonore v. Heeringen, Berlin-Charlottenburg: 2 Sack Mehl, 24 Dutzend Suppenwürfel, 10 Dosen Fett. 11. Herrn Pastor Stier, Lorenzberg (Schlesien): 5 Dosen Fett, 2 Sack Mehl, 12 Dutzend Suppenwürfel. 12. Frauen-Verein, Bergedorf: 2 Sack Mehl, 5 Dosen Fett, 5 Dutzend Suppenwürfel. 13. Frl. von Rosenberg-Lipinsky, Oels in Schlesien: 2 Sack Mehl[,] 12 Dutzend Suppenwürfel. 14. Hrn. Schuldirektor Oswald, Glauchau in Sachsen: 12 Dutzend Suppenwürfel, 2 Sack Mehl, 8 Dosen Honig, 5 Dosen Fett. 15. Herrn Hauptmann v. Rosenberg-Lipinsky, Schweidnitz: 2 Sack Mehl und 5 Dosen Fett. 16. Frau A. Wenkebach, Neuhaldensleben: 2 Sack Mehl, 12 Dutzend Suppenwürfel, 5 Dosen Fett. Zum eigenen Gebrauch für die Anstalten: 1. Waisenhaus Godesheim in Godesberg: 3 Sack Mehl, 12 Dutzend Suppenwürfel. 2. Lehr: 3 Sack Mehl, 36 Kilo Fett. 3. Kinderheim Brunshaupten: 1 Ballen Kinderwäsche. 4. Kinderheim Hamburg, Vors. Frau G. Gobert: 2 Kisten Milch, 8 Dosen Honig, 1 Ballen Kinderwäsche, 12 Dutzend Suppenwürfel, 1 Sack Mehl. 5. Jugendheim Klein-Graupa: 9 Dosen Honig, 3 Sack Mehl, 1 Ballen Leder, 10 Paar Stiefel. 6. St. Josefsheim vom Göttl. Kind, Berlin-Weißensee: 2 Sack Mehl, 5 Dosen Fett, 2 Kisten Milch.
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7. Friedrichsstift Heidelberg: 5 Dosen Fett, 2 Sack Mehl, 2 Kisten Milch, 12 Dutzend Suppenwürfel, 10 Paar Knabenstiefel. 8. Kaiserin Augusta Victoria-Haus in Charlottenburg: 10 Kisten Milch. 9. Eilbecker Warteschule in Hamburg: 2 Sack Mehl, 2 Kisten Milch, 1 Ballen Kinderwäsche. 10. Warteschule Barnbeck: 2 Sack Mehl und 2 Kisten Milch. 11. Eleonorenheim, Darmstadt: 2 Sack Mehl, 2 Kisten Milch, 12 Dutzend Suppenwürfel, 5 Dosen Fett. 12. Heilanstalt Bethesda, Niederlöschnitz: 8 Kilo Honig, 10 Dosen Fett, 2 Kisten Milch, 2 Sack Mehl, 12 Dutzend Suppenwürfel. 13. Luisenheilanstalt, Heidelberg: 12 Dutzend Suppenwürfel, 2 Kisten Milch. 14. Anstalt von Pastor Bodelschwingh, Bielefeld. 36 Kilo Fett, 5 Sack Mehl. 15. Das Rauhe Haus, Hamburg: 5 Sack Mehl, 68 Kilo Fett. 16. Diakonissen-Erholungsheim, Freudenstadt: 3 Sack Mehl, 5 Dosen Fett, 2 Kisten Milch, 12 Dutzend Suppenwürfel. 17. Diakonissenhaus, Mannheim (Kinderhospital): 14 Dosen Honig, 3 Kisten Milch, 24 Dutzend Suppenwürfel. 18. Volkssanatorium, Weilmünster: 5 Sack Mehl, 1 Ballen Leder, 10 Paar Stiefel, 5 Dosen Fett. 19. Kinderheim, Süßendill bei Stollberg: 12 Dutzend Suppenwürfel, 2 Sack Mehl, 10 Dosen Fett. 20. St. Elisabeth-Stift, Düren: 12 Dutzend Suppenwürfel, 1 Ballen Leder, 2 Sack Mehl. 21. Für 5 deutsche Kriegswaisenhäuser an Herrn Hofrat und Major a.D. Nitz: 50 Sack Mehl, 100 Dosen mit 250 Kilo Fett, 10 Paar Stiefel. 22. Loge Ruprecht zu den 5 Rosen, Heidelberg: 3 Sack Mehl, 34 Kilo Fett. 23. Lehrerinnenheim, Lichtenthal: 3 Sack Mehl, 5 Dosen Fett, 12 Dutzend Suppenwürfel. 24. Elisabeth v. Offensand[t], Ber[c]kholz-Stiftung in Karlsruhe: 3 Sack Mehl, 2 Kisten Milch, 1 Ballen Leder, 12 Dutzend Suppenwürfel. 25. Arnesenstift, Hamburg: 13 Dutzend Suppenwürfel, 5 Dosen Haferflocken, 10 Kilo Reis, 3 Dosen Marmelade. Nach Neu-Ruppin wurde für die drei Kinder einer Kriegswitwe Kleidung geschickt, ebenso nach Kassel für drei Kinder und nach Frankfurt a. Oder für eine 80jährige Dame Kleidung und Wolle. Geldsendungen wurden überwiesen in Höhe von: $m/n " "
200.– 50.– 20.–
für das Hamburger Säuglingsheim. zum Verteilen an Frau Schuhmann in Stuttgart. an drei alte Schwestern im Schmilinsky-Stift in Hamburg.
An alte Damen, zum Teil erwerbsunfähig, gingen Musterpakete zu je 3 Dutzend Suppenwürfel ab. Quelle: DLPZ, 56. Jg., Nr. 77 (1. April 1924), 7.
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D3 Rede Kurt Großmanns anlässlich der Bismarck-Trauerfeier im Teatro Olimpo in Rosario, März 1895 Liebe Kinder! Als vor wenig mehr als 3 Jahren ein großer Theil [sic] von Euch mit uns in diesen Räumen weilte, da galt es, ein hohes Freudenfest zu feiern: Fürst Otto von Bismarck, der große erste Kanzler des Vaterlandes Eurer Eltern, vollendete damals in körperlicher und geistiger Frische seinen 80. Geburtstag, und Ihr ward Zeuge, wie die Deutschen Rosario’s einmüthig [sic] zusammenstanden, um ihrer Dankbarkeit für den gottbegnadeten Mann Ausdruck zu geben, dessen Verdienste um sein Volk und Vaterland so überaus hohe sind. Heiße Wünsche stiegen damals auf zum Himmel, daß Gott uns ihn noch lange erhalten möchte, und mit Stolz erfüllte es uns, wenn wir Euch sagen konnten: »Sehet, Kinder, das ist Bismark! Das ist unser Bismarck, der unser geliebtes Vaterland aus Zerrissenheit zur Einheit, den deutschen Namen in der Welt zu nie gekannten Ansehen gebracht hat. So wissen wir die Verdienste unserer großen Männer zu feiern!« Auch heute wieder soll Eure Gegenwart die Weihe dieser Stunden erhöhen. Aber, wie ganz anders ist die Veranlassung, die uns heute zusammengeführt hat! Wieder gilt es dem Gedächtnisse jenes großen Mannes und Vaterlandsfreunds, aber nicht mehr als eines Lebenden, sondern als eines Verklärten, dessen Augen nun für immer geschlossen sind, dessen Mund, der so oft Worte glühender Begeisterung, edelster Vaterlandsliebe sprach, für immer verstummt ist. Liebe Kinder! Gefühle tiefster Trauer, unendlicher Wehmuth [sic] sind es, die in diesem Augenblicke die Seelen Eurer Väter erfüllen. Millionen und Abermillionen, die auf dem weiten Erdenrund das gemeinsame Band der deutschen Sprache umschlingt, stehen im Geiste an der Bahre des besten Sohnes seines Vaterlands. Thränen [sic] umfloren unsern Blick. Fast übermannen will uns der Schmerz über den unermesslichen Verlust, den uns das Schicksal auferlegte. Wahrlich, liebe Kinder, ergreifend ist das Schauspiel, das eine Welt in Trauer Euch heute darbietet. Nur selten im Menschenleben treten Momente so tiefernster Natur an uns heran, und wenn Ihr auch die Dinge noch nicht mit der Weise des Geistes Eurer Eltern und Erzieher zu erfassen vermögt, die Größe ihres Schmerzes muß Euch doch lehren, wie nahe der uns im Leben stand, der uns nun entrissen ist. Oh! Ehret diesen heiligen Schmerz Eurer Väter! Haltet die Eindrücke dieser Stunde in Eurer jungen Seele fest! Laßt sie befruchtend wirken für euer ganzes ferneres Leben. Was der große Verblichene seinem Volke und Vaterland gewesen ist, das hat auch Euch oft der Mund Eurer Lehrer und Erzieher verkündet. Auch Ihr kennt ihn und seine Thaten [sic], und ist er auch nicht ein Sohn der Scholle, da Eure Wiege stand, so achtet ihn dennoch Euer Vaterland und begleitet uns heute in der Trauer um ihn. Diesem großen Todten [sic] es jederzeit nachzuthun [sic], ihm nachzustreben und seinem Vorbilde zu nachzuleben, das ist die ernste Mahnung, die ich von dieser Stelle aus an Euch richte. Ein seltenes Beispiel glühender Verehrung und Liebe für sein Vaterland, treuer Hingabe an seinen Kaiser und selbstloser Pflichterfüllung hat er uns gegeben. So sei es allezeit auch Euer Streben, Eurem argentinischen Vaterland in aufrichtiger Liebe und Verehrung
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zu dienen. In Achtung vor Gesetz und Recht wahrt ihm die Treue. Als nützliche Bürger arbeitet mit an seiner Wohlfahrt und an seinem Fortschritt. – Und gelingt es Euch in redlicher Arbeit, mit offenem Sinne für alles Schöne und Gute, Euern [sic] Platz im Leben mit Ehren zu behaupten, so freut Euch immerhin des Erfolges, aber meidet jede Ueberhebung [sic]. Schauet hin auf unsern großen Kanzler, wie er es gethan [sic] hat. Weltbewegende Thaten [sic] waren es, auf die er zurückblicken konnte, Thaten [sic], die sein Herz wohl höher schlagen lassen und mit stolzer Genugthuung [sic] erfüllen durften. Und dennoch welche Gottesfurcht athmen [sic] seine gewaltigsten nationalen Reden; wie bescheidenen Sinnes, wie demüthigen [sic] Herzens war er, der auf seinem Grabstein keine andere Inschrift haben wollte als die: »Hier ruhet Fürst Bismarck, der treue Diener Kaiser Wilhelms I.« Jawohl, sein alter kaiserlicher Herr, mit dem er nun im Tode vereint ist, der kannte ihn; der wusste, welch’ lauteres Gold er war. So seid auch Ihr, liebe Kinder, gläubigen, schlichten Sinnes, seid treu, wie er es war, lauter und ohne Falsch wie er. – Und mehr noch sollt Ihr lernen aus dieser Stunde Weihe: Was ist es denn, das die Herzen Eurer Väter und ihrer Brüder drüben im alten Vaterland so mächtig bewegt; was ist es, das auch diese Feier uns veranstalten ließ? Was anders als das Gefühl unwandelbarer Dankbarkeit, das wir unserm großen Todten [sic darbringen. Gott sei Dank! Noch ist die Dankbarkeit in unserm deutschen Volke nicht erloschen, und so wie wir Aelteren [sic] es gelernt, so wie wir festhalten an Tugend, die von Alters her unser Volk geziert hat, so blicket auch Ihr in dankbarer Verehrung empor zu den großen Männern Eures Vaterlands. Auch seine Geschichte feiert große Geister, die ihr Alles auf dem Altare des Vaterlands opferten, die Gut und Blut einsetzten für die Wohlfahrt und Ehre ihres Vaterlands. Ehret das Andenken dieser großen Männer; laßt ihre Thaten [sic] nicht der Vergessenheit anheim fallen; Ihr ehret damit nicht nur das Vaterland: Ihr ehret damit Euch selbst und Eure Eltern, die den Samen der Dankbarkeit, der Anerkennung alles Guten und Schönen in Euch legten. Quelle: DLPZ, 30. Jg., Nr. 184 (10. August 1898), 1.
Vereinsverzeichnis
B BA C D E
Baradero Buenos Aires Carcarañá Deutschland Esperanza
F H P Pa Q
Felicia Humboldt Progreso Paraguay Quilmes
A Allgemeine Krankenkasse (E) 120, 148, 178, 201, 390 Allgemeiner Deutscher Schulverband (BA) 235, 239 Allgemeiner Verband Deutscher Lehrer in den La Plata Staaten (BA) . 133, 236 Asociación del Profesorado Orquestral (R) 153, 155 B Belgrano-Schule (BA) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 C Círculo de Obreros Católicos (R) . . . . . . . 156 Cangallo-Schule (BA) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 Centro DIHA (BA) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 Club de Residentes Extranjeros (BA) . . . 206 Club de Residentes Extranjeros (R) . 71, 206 Club Español (R) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124, 161 Club Social (R) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 D Damas de Beneficencia (R) . . . . . . . . . . . . .128 Damenkirchenchor (R) . . . . . . . 205, 379, 389 Deutsch-Österreichisch-Ungarischer Hilfsausschuß (R) 121, 209–212, 380, 389 Deutsch-Argentinische Industrie- und Handelskammer (BA) . . . . . . . 88
R Ro SA SC SF
Rosario Roldán San Antonio San Carlos Santa Fe
SG U
San Gerónimo Uruguay
Deutsch-Argentinischer Centralverband zur Förderung wirtschaftlicher Interessen Berlin (D) . . . . . . 238 Deutsch-Argentinischer Schulverein (R) 120, 125, 126, 131, 134, 152, 165, 178, 181, 182, 191, 197, 205, 214, 223, 248, 249, 251, 252, 263, 295, 334, 379, 382, 389 Deutsch-Argentinisches Pfadfinderkorps (R) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 338 Deutsch-Englisches Hospital (R) . 127–129, 151, 207, 208, 379, 389 Deutsch-Südamerikanische Gesellschaft (D) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 Deutsche Armenpflege (R) . . . 121, 132, 227, 379, 389 Deutsche Ev. Gemeinde (BA) .107, 108, 159, 176, 274, 276–278, 282–284, 298, 302, 303, 311, 320 Deutsche Ev. Gemeinde (F) . . . . . . . 278, 289 Deutsche Ev. Gemeinde (P) . . 277, 278, 289 Deutsche Ev. Gemeinde (R) . . . 93, 103, 104, 112, 120, 121, 126–128, 131, 133, 134, 152, 154, 165, 168, 172, 173, 179, 183, 200, 203, 205–208, 210, 214, 224, 227, 245, 249, 273, 278, 281, 283, 285–287, 289–297, 299, 301–303, 310, 311, 313, 319–332, 338, 379, 385, 386, 389 Deutsche Ev. Gemeinde Asunción (Pa) 278 Deutsche Ev. Gemeinde Montevideo (U) 277, 278, 302
406 | VEREINSVERZEICHNIS Deutsche Ev. La Plata-Synode (BA) . . 74, 90, 96, 98, 104, 105, 133, 134, 138, 271, 277–280, 288, 290, 292, 293, 295, 296, 301, 303, 308–310, 312, 319, 320, 322, 324–327, 330–332 Deutsche Frauenhilfe (BA) . . . . . . . . . . . . . 217 Deutsche Frauenhilfe (R) 121, 217, 218, 389, 401 Deutsche Kath. Gemeinde (BA) . . . . . . . . 281 Deutsche Krankenkasse (R) . . . . . . . . . . . . 389 Deutsche Schule (SC) . . . . . . . . . . . . . 233, 244 Deutsche Schule (SG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 Deutsche Wohltätigkeits-Gesellschaft (BA) 107 Deutscher Flottenverein (BA) . . . . . 185, 188 Deutscher Gesangverein (R) . .119, 285, 389 Deutscher Gesangverein »Lyra« (R) 120, 127, 145, 162, 168, 170, 182, 389 Deutscher Handwerker Verein (R) 121, 389 Deutscher Handwerkerbund (R) . . 122, 389 Deutscher Hilfsverein (E) 120, 148, 178, 201, 390 Deutscher Hilfsverein (R) 119, 126, 127, 132, 136, 137, 152, 165, 207, 220, 244, 248, 287, 379, 389 Deutscher Hospitalverein (R) 121, 152, 203, 208, 210, 389 Deutscher Klub (BA) 107, 108, 190, 196, 197, 199, 219, 220 Deutscher Krankenverein (BA) . . . . . . . . . 108 Deutscher Lehrerverein (BA) .133, 236, 239, 257 Deutscher Männer-Gesangverein (BA) 151–153 Deutscher Männerchor (R) . . 120, 127, 132, 145, 147, 149, 151, 152, 165, 248, 379, 389 Deutscher Militärverein (R) . . 121, 165, 185, 379, 389 Deutscher Offiziersverein Hamburg (D) 401 Deutscher Sängerbund am La Plata (BA) 133, 152, 153, 216 Deutscher Schulverband (BA) . . . . . . . . . . 240 Deutscher Schulverein (E) . . . .306, 307, 390 Deutscher Schulverein (R) . . . . 93, 103, 120, 126–128, 131, 133, 134, 141, 143, 145, 152, 154, 165, 166, 171, 178, 180–182, 191, 205, 207, 214, 223, 232, 243–257, 259–271, 287, 295,
303, 322, 334, 379, 382–384, 389, 391, 392, 397 Deutscher Schulverein (Ro) . . . . . . . 233, 242 Deutscher Theaterverein (R) . . . . . . 121, 389 Deutscher Turn- und Sportverein (R) . . 122, 127, 131, 133, 152, 216, 389 Deutscher Turnverein (BA) . . . . . . . . . . . . . 108 Deutscher Verein (E) 120, 125, 136, 140, 168, 191, 201, 220, 390, 398 Deutscher Verein (R) . . . . . . .85, 93, 120, 121, 126–129, 131, 135–137, 141, 148, 151–155, 157, 161, 162, 165, 168, 169, 171, 174, 178, 180–182, 191, 194, 195, 204–209, 217, 220, 227, 243, 244, 268, 287, 322, 329, 379, 389 Deutscher Verein (SF) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 Deutscher Volksbund für Argentinien (BA) 62, 121, 197, 217, 220 Deutscher Volksbund für Argentinien, Ortsgruppe Esperanza . . . . .390 Deutscher Volksbund für Argentinien, Ortsgruppe Rosario . . 121, 220, 389 Deutsches Hospital (BA) . . . . . . . . . . . . . . . 186 Deutsches Hospital (R) . . . . . . . 203, 208, 210 Deutsches Krankenheim (R) . 203, 208, 210 Deutsches Waisenhaus (B) . . . . . . . . . . . . . 186
E El Círculo (R) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 Ev. Frauenverein (E) 120, 137, 201, 291, 390 Ev. Gemeinde (B) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 Ev. Gemeinde (C) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286 Ev. Gemeinde (H) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289 Ev. Gemeinde (Ro) . . . . . . . . . . . . . . . . . 286, 299 Ev. Gemeinde (SC) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .289 Ev. Gemeinde (SG) . . . . . . . . . . . . . . . . .286, 299 Ev. Gemeinde Nueva Helvecia (U) 138, 278, 327 Ev. Gemeindeschule (BA) 108, 233, 234, 303 Ev. Gemeindeschule (E) . 101, 119, 233, 234, 304–308, 390 Ev. Gemeindeschule (SC) . . . . . . . . . . . . . . . 305 Ev. Gemeindeschule Montevideo (U) . . 233 Ev. Kirchengemeinde (Q) . . . . . . . . . . . . . . . 278 Ev. Kirchgemeinde (E) 74, 101, 105, 108, 117, 119, 130, 133, 134, 144, 158, 160, 183, 200, 201, 220, 273, 276–278,
VEREINSVERZEICHNIS | 407 281–292, 297, 299–302, 304–321, 325, 334, 385–387, 390 Ev. Verein für die La Plata Staaten Bremen (D) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279 F Federación de Asociaciones ArgentinoGermanas (BA) . . . . . . . . . . . . . .91 Frauen-Verein Bergedorf (D) . . . . . . . . . . . 401 Frauen-Verein Reinbeck (D) . . . . . . . . . . . . 401 Frauenhilfsverein »Auxilio« (R) 121, 137, 220, 379, 389 G Gemischter Chor (E) . . . . .119, 193, 390, 398 Gemischter Chor (R) 121, 152, 153, 379, 389 Gemischter Chor (SG) . . . . . . . . . . . . . 152, 153 Gemischter Kegelverein »Alle Neune« (R) 121, 389 Germania-Schule (BA) . . . . . . . 234, 236, 238 Germanisch-Republikanische Vereinigung (R) . . . . . . . . . . .122, 220, 223, 389 Germanischer Arbeiter UnterstützungsVerein (R) . . . 120, 121, 125, 248, 249, 389 Gesang- und Geselligkeitsverein Belgrano (BA) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 Gesang- und Geselligkeitsverein Dock Sud (BA) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 Gesang- und Geselligkeitsverein Villa Ballester (BA) . . . . . . . . . . . . . . 153 Gesangverein »Eintracht« (BA) . . . . . . . . . 153 Gesangverein »Liederkranz« (BA) . . . . . . 153 Gesangverein »Concordia« (R) 120, 151, 152, 389 Gesangverein »Germania« (BA) . . . 108, 152, 153 Gesangverein »Harmonie« (R) 120, 244, 389 Gesangverein »Harmonie« (SC) . . . . . . . . 121, 147–149, 398, 400 Gesellschaftsverein »Frohsinn« (P) . . . . . 147 Goethe-Schule (BA) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 Gustav-Adolf-Verein (D) . . . 50–52, 276, 279, 291, 322, 323 H Hauptausschuß für die deutsche Kriegsspende (BA) 199, 201, 212 Hospital Español (R) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128
I Iglesia Evangélica Congregacional (SA) 280 Iglesia Evangélica del Río de la Plata (BA) v, 87, 96 Iglesia Evangélica Luterana Argentina (BA) 239, 276 K Kath. Männerverein (E) . 120, 201, 281, 316, 390 Kegelklub »U9« (R) . .121, 204, 205, 214, 389 Kirchenchor (R) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120, 389 Kriegerverein (BA) . . . . . . . . . . . . . . . . . 220, 222 L La Plata-Gau der Deutschen Turnerschaft (BA) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133, 216 Landesverband deutschsprechender Katholiken in Argentinien (BA) 281 Loge »Libertas« (R) . 121, 206, 207, 223, 287, 389 Loge »Ruprecht zu den fünf Rosen« Heidelberg (D) . . . . . . . . . . . . . 402 Logia »Unión No 17« (R) . . . . . . . . . . . . . . . . 207 M Männer-Gesangverein (E) 119, 130, 131, 137, 146–150, 157, 166, 178, 179, 189, 191, 192, 201, 202, 315, 390, 398 Männer-Gesangverein (F) . . . . . . . . . 147, 149 Männerchor (Ro) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 Männerchor »Frohsinn« (R) . . . . . . . . . . . . 389 Männerchor des Germanischen Arbeiter Unterstützungs-Vereins (R) 121, 389 N Nordwestschule (E) . . 94, 120, 130, 134, 178, 191, 306, 308, 382, 390 P Pädagogische Vereinigung »Union« (R/Ro) 121, 132, 133, 235, 236, 389 Patriotischer Chor (R) 121, 204, 205, 214, 389 R Rot-Kreuz-Komitee (E) . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 S Südwestschule (E) . . . 94, 120, 130, 134, 178, 191, 306, 308, 382, 390
408 | VEREINSVERZEICHNIS Sängerquartett (SF) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .150 Sala Comercial de Residentes Extranjeros (R) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 Schwabenvereinigung (BA) . . . . . . . . . . . . 153 Schweizer Jodlerclub (BA) . . . . . . . . . . . . . . 152 Schweizer Turnverein (R) . . . . . . . . . . . . . . .151 Schweizer Verein (E) . . . . . . . . . . . . . . . 118, 131 Sociedad Cultural Alemana Argentina (R) 122, 128, 152–156, 389 Sociedad de Socorros Mutuos del F.C.C.A. (R) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 Sociedad Francesa (R) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 Sociedad Italiana Garibaldi (R) . . . . 129, 250 Sociedad Protectora de la Educación (R) 129 Sociedad Rural Santafesina (R) . . . . . . . . . 126 Sociedad Suiza (R) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 Sociedad Unione e Benevolenza (R) 129, 250 St. Bartholomew’s Anglican Church (R) 206, 207, 285, 286, 321, 323 Stadtschule (E) . .94, 120, 130, 131, 134, 166, 178, 185, 191, 295, 307, 308, 382, 390
V Vaterländischer Frauenverein (R) . 121, 203, 205, 208, 214, 217, 329, 389 Vaterländischer Frauenverein Berlin (D) 203, 401 Verein »Vorwärts« (BA) . . . . . . . 167, 197, 199 Verein deutscher Lehrer im Auslande (D) 97 Verein ehem. Schüler der Deutschen Schule (R) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122, 389 Verein für das Deutschtum im Ausland Berlin (D) . . . . . . . . . . . . . . 45, 237 Verein gegen Hausbettelei (R) 121, 132, 227, 379, 389 Verein Germania (R) . . . . . 125, 152, 153, 389
W Wissenschaftlicher Verein (BA) . . . . . 97, 122 Wissenschaftlicher Verein Buenos Aires, Ortsgruppe Rosario . . .121, 389
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