Zwischen den Blöcken: NATO, Warschauer Pakt und Österreich 9783205790471, 9783205784692


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German Pages [820] Year 2010

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Zwischen den Blöcken: NATO, Warschauer Pakt und Österreich
 9783205790471, 9783205784692

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Schriftenreihe des Forschungsinstitutes für politisch-historische Studien der Dr.-Wilfried-Haslauer-Bibliothek, Salzburg

Herausgegeben von Robert Kriechbaumer · Franz Schausberger · Hubert Weinberger Band 36

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Manfried Rauchensteiner (Hg.)

Zwischen den Blöcken NATO, Warschauer Pakt und Österreich

Böhlau Verlag Wien · Köln · Weimar

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Gedruckt mit der Unterstützung durch:

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek : Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie ; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http ://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-205-78469-2 Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdruckes, der Entnahme von Abbildungen, der Funksendung, der Wiedergabe auf fotomechanischem oder ähnlichem Wege, der Wiedergabe im Internet und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. © 2010 by Böhlau Verlag Ges.m.b.H. und Co.KG, Wien · Köln · Weimar http ://www.boehlau.at http ://www.boehlau.de Umschlaggestaltung : Stephan Lindner Gedruckt auf umweltfreundlichem, chlor- und säurefrei gebleichtem Papier. Druck : General Druckerei Szeged

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Inhaltsverzeichnis

Manfried Rauchensteiner Die Rahmenhandlung – eine Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Bruno Thoß Österreich in der Entstehungs- und Konsolidierungsphase des westlichen Bündnissystems (1947–1967) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Michael Gehler »to guarantee a country which was a military vacuum«. Die Westmächte und Österreichs territoriale Integrität 1955–1957 . . . . . .

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Wolfgang Mueller Der Warschauer Pakt und Österreich 1955–1991 . . . . . . . . . . . . . . . . 135 Hans Rudolf Fuhrer Neutral zwischen den Blöcken : Österreich und die Schweiz . . . . . . . . . . 193 Manfried Rauchensteiner Sandkästen und Übungsräume. Operative Annahmen und Manöver des Bundesheers 1955–1979 . . . . . . . . 253 Hannes Philipp Der Operationsfall »A«. Gesamtbedrohung im Zeichen der Raumverteidigung, 1973–1991 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 325 Friedrich Korkisch Die atomare Komponente. Überlegungen für einen Atomwaffen-Einsatz in Österreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 387 Peter Jankowitsch Das Problem der Äquidistanz. Die Suche der Zweiten Republik nach außenpolitischen Leitlinien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 451 Andreas Resch Der österreichische Osthandel im Spannungsfeld der Blöcke . . . . . . . . . . . 497

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Inhaltsverzeichnis

Martin Malek Österreich und der Auflösungsprozess des Warschauer Pakts (1989–1991) . . . 557 Horst Pleiner Österreich und die NATO am Ende des 20. Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . 615 Berthold Molden Die Ost-West-Drehscheibe. Österreichs Medien im Kalten Krieg . . . . . . . . 687

Bibliografie (Auswahl) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 775 Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 795 Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 807 Autorenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 815

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Manfried Rauchensteiner

Die Rahmenhandlung – eine Einführung

Jahrzehnte hindurch beherrschte die Existenz zweier Militärblöcke das politische Handeln und militärische Denken Europas. Die theoretische Möglichkeit der gegenseitigen totalen Vernichtung ließ das Bild vom Gleichgewicht des Schreckens entstehen. Und Österreich lag exakt an der Schnittlinie der Blöcke. Das Bewusstsein dieser besonderen Lage stellte sich wohl erst allmählich ein, doch schließlich war es durchgängig vorhanden. Die Wahrnehmungen waren allerdings unterschiedlich. Während man in der NATO meist ein freundliches Militärbündnis sah, wurde immer wieder spekuliert, ob nicht der Warschauer Pakt jenseits aller Beteuerungen aggressive Absichten hegte. Mittlerweile ist klar geworden, dass Österreich in den Planungen des Ostens ebenso wie in jenen des Westens eine sehr wesentliche Rolle zukam. Doch diese Rolle beschränkte sich keinesfalls auf das Militärische. Am Anfang stand die Neutralität. Sie wurde vielfach als etwas gesehen, das Österreich aufgenötigt worden war, um den Staatsvertrag zu erlangen. Doch zweifellos war sie mehr und bedurfte jeder Menge zusätzlicher Interpretationen. Zunächst einmal galt es festzuhalten, dass sie sich in die sicherheitspolitische Architektur Europas einfügen musste. Das Nächste war dann, dass man sich in Ost und West mit der Tatsache abzufinden hatte, dass der österreichische Sonderweg weder Einladung noch Aufforderung sein konnte, es Österreich gleichzutun. Das galt für das eine oder andere Nachbeben, wenn in der Bundesrepublik Deutschland ohne nennenswerte Intensität darüber nachgedacht wurde, ob die Neutralität ein Weg zur Vereinigung der beiden deutschen Staaten sein könnte. Noch viel mehr aber galt das im Fall Ostmitteleuropas, dem die Interventionen 1956 in Ungarn, 1968 in der Tschechoslowakei sowie eine denkbare sowjetische Intervention in Polen, 1981, deutlich machten, dass ein Ausbrechen aus dem Blockgefüge seitens der Sowjetunion nicht geduldet würde. Das neutrale Österreich bot aber jenseits der Vorbildwirkung sehr wohl Möglichkeiten, die jeweiligen politischen Systeme gewissermaßen in die Auslage zu legen. Der kommunistische Osten, vor allem die Sowjetunion, konnte demonstrieren, dass der politische Wettbewerb auch abseits des Suprematiestrebens möglich war, wie umgekehrt der Westen die Vorzüge einer pluralistischen Demokratie und vor allem jene der freien Marktwirtschaft als das weit attraktivere Modell als die Planwirtschaft des »Ostens« vorstellen konnte. Die Neutralität ließ sich folglich auch auf dem Gebiet der Wirtschaftsbeziehungen nutzbringend einsetzen. Und Österreich

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zog letztlich aus dem Status seiner immerwährenden Neutralität etlichen Nutzen. Es trachtete, sich als ehrlicher Makler zwischen den Blöcken zu positionieren, nützte seine historische ebenso wie seine aktuelle Position als Drehscheibe für den mitteleuropäischen Raum und machte aus seinen Bemühungen, die Wirtschaftsbeziehungen vor allem auch mit den Ländern des östlichen Rats für gegenseitige Wirtschaftshilfe zu intensivieren, kein Hehl, ohne dabei seine Bemühungen um Teilnahme an der wirtschaftlichen Integration Westeueropas außer Acht zu lassen. Manches artete dabei vielleicht zum Balanceakt aus, doch im Großen und Ganzen war es ein gelungenes Experiment. Ideologische, politische und wirtschaftliche Fragen sowie solche des Kulturaustausches spiegelten über weite Strecken eine europäische Normalität wider. Manchmal wurde sie auch nur vorgegaukelt, denn die militärischen Begleiterscheinungen der Blockbildung zeigten ein völlig anderes Bild. 1949 war die Nordatlantische Verteidigungsgemeinschaft, die NATO, gegründet worden. Ihre Funktion als Verteidigungsbündnis war klar definiert, ebenso ihre Ausrichtung zur Unterbindung sowjetischer Expansionsbestrebungen. Die kontinentaleuropäische Komponente der NATO gewann allerdings erst mit dem Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zum westlichen Bündnis Gewicht. Das war der Augenblick, in dem die Sowjetunion ihre bis dahin aufgebaute Bündnisstruktur dahingehend abänderte, dass sie die bilateralen Bindungen der unter kommunistischer Herrschaft stehenden Ost- und südosteuropäischen Staaten durch ein multilaterales Bündnis überlagerte und den nach dem Unterzeichnungsort Warschauer-VertragsOrganisation genannten Pakt schuf. Dabei stand zweifellos der NATO-Vertrag Pate. Der Aufbau der beiden Bündnisse ging in Etappen vor sich, und beide Bündnisse hatten dabei keine Schwierigkeit, ihre Existenz zu rechtfertigen. Je nach Sichtweisen und Blockausrichtungen war der Feind einmal der »imperialistische« Westen oder aber der »bolschewistische« Osten. Die Szenarien, die einer immer wieder in den Raum gestellten militärischen Auseinandersetzung zugrunde gelegt wurden, konnten aber nur als Horror erscheinen. Bis in die Siebzigerjahre wurde der Einsatz atomarer Kampfmittel als etwas gesehen, das zu den selbstverständlichsten Dingen gehörte und jener im Osten wie im Westen vertretenen Doktrin verpflichtet schien, die besagte, dass in einem Krieg das Maximum der verfügbaren Gewalt eingesetzt werden sollte. Auch wenn das dann Abstufungen erfuhr, blieben als Möglichkeit die gegenseitige Vernichtung und vor allem die Verwüstung Europas einschließlich des europäischen Teils der Sowjetunion bestehen. Neutralität bot da keinen Schutz. Für Österreich ergaben sich daraus Modifikationen zum Thema Denken über das Undenkbare. Während im politischen Verkehr immer wieder die Bedachtnahme auf Österreichs Neutralität wenn schon nicht das Denken, so das Handeln dominierte, war die militärische Annahme weit weniger von der Frage nach Ausgewogenheit und vielleicht Äquidistanz beherrscht als davon, dass man ein nicht zu bewältigendes Dilemma zu beschwören suchte und weder haltbare Lösungen fand noch Szenarien

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entwerfen konnte, die auch nur einigermaßen trostspendend waren. Jedesmal, wenn eine militärisch-operative Annahme zu Ende gedacht wurde, stand da die atomare Vernichtung. In diesem Worst-Case-Szenario scheint zwar auch eine Art europäischer Gleichklang geherrscht zu haben, doch die Erpressbarkeit von Mitgliedern eines Militärpakts war zweifellos geringer als die Erpressbarkeit eines kleinen immerwährend neutralen Landes, das die europäische Normalität zur Grundlage seines Denkens und vor allem politischen Handelns machte. Noch dazu nahm Österreich die europäische Normalität nicht zur Grundlage seiner eigenen militärischen Existenz. Die Szenarios, operativen Annahmen und das gedankliche Spiel mit dem »Was wäre, wenn ?« waren das eine ; die Flucht aus der Realität ein anderes. Vielleicht ist das aber kein Thema für Historiker und Militärs, sondern eine Herausforderung an die Jünger Sigmund Freuds. Das vorliegende Buch ist das Ergebnis einer fast dreijährigen Arbeit, an der zwölf Wissenschaftler und Wissensträger mitgewirkt haben, die dem politischen Szenario, den zwischenstaatlichen Beziehungen ebenso aber dem Bedrohungsbild, dessen Wahrnehmung und vor allem den Schlussfolgerungen nachgegangen sind, die Österreich aus seiner Existenz zwischen den Blöcken gezogen hat. Die Bilanz kann als »durchwachsen« angesehen werden. Die an den Beginn des Projekts gestellte Hypothese ging davon aus, dass die Existenz der Blöcke Österreich gleichermaßen stabilisierte wie in einem gedachten Kriegsfall vor unlösbare Aufgaben gestellt hätte. Ebenso aber war auch davon auszugehen, dass das neutrale Österreich erheblichen Einfluss auf das Denken und Planen der blockgebundenen Staaten gehabt hat. Und nicht zuletzt hatten die Existenz großer Militärblöcke und deren globales Erscheinungsbild nachhaltigen Einfluss auf die europäische Politik. Um nicht ausschließlich in der militärstrategischen und politischen Dimension zu verharren, sollten auch die medialen und psychologischen Faktoren eingehender untersucht werden. Schließlich sollte sich die Darstellung auch damit beschäftigen, wie Handelsströme gelenkt und umgelenkt wurden und wie die mediale Wahrnehmung meinungsbildend geworden ist. Bruno Thoß behandelt in seinem Beitrag über Österreich in der Entstehungs- und Konsolidierungsphase des westlichen Bündnisses die Bedeutung Österreichs für die Nordatlantische Verteidigungsgemeinschaft, die NATO, in den Jahren 1948 bis 1967. Dabei steht die geostrategische Bedeutung des Alpenraums für das westliche Allianzsystem im Mittelpunkt, da die NATO Österreich immer auch im Zusammenhang mit der Absicherung des westlichen Mittelmeerraums gesehen hat. In die Geburtsstunde der NATO fielen noch Überlegungen hinsichtlich der militärischen Arrondierung des westlichen Bündnisses, wobei die Einbindung der neutralen Schweiz ebenso eine Rolle spielte wie die Einbeziehung der Besatzungsgebiete Westösterreichs in

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eine durchgängige westliche Verteidigungsfront. Der Abschluss des österreichischen Staatsvertrags hatte jedoch für die NATO Stärkung und Komplikation in einem zur Folge. Auf der einen Seite wurde das westliche Bündnis durch die Aufnahme der Bundesrepublik Deutschland und die erst aufzubauende Bundeswehr gestärkt ; auf der anderen Seite wurde das westliche Bündnis durch das neutrale Österreich in einen Mittel- und einen Südabschnitt geteilt und wohl auch geschwächt. Die Fünfziger- und Sechzigerjahre brachten aber für die NATO nicht nur organisatorische Veränderungen, sondern auch einen Strategiewechsel, wobei vor allem der Einsatz von Atomwaffen Kernstück aller strategischen Überlegungen wurde. Von diesen Veränderungen war Österreich wohl nur indirekt betroffen, doch selbstverständlich spürte man die Auswirkungen der Blockbildung und der großen sicherheitspolitischen Umwälzungen. Es ging um Orientierung und Reorientierung. Bei der Herauslösung Österreichs aus der Deutschen Frage im Zuge der letzten Phase der Staatsvertragsverhandlungen waren die Sieger des Zweiten Weltkriegs noch als Assistenz- und Garantiemächte behilflich gewesen. Der Staatsvertrag vom Belvedere bedeutete für diese Phase aber das jähe Ende. Mithilfe der Neutralität begann Österreich einen bemerkenswert erfolgreichen Weg der staatlichen Selbstbehauptung. Die Neutralität hinderte Österreichs Außenpolitik auch nicht an einem rasch einsetzenden Engagement im Rahmen der Vereinten Nationen. Zeitweilig hatte es sogar den Anschein, als wäre die »Welt« für Österreich wichtiger als »Europa«. In Wien suchte man jedoch insofern einen Schritt zurückzumachen, als eine noch in der letzten Phase der Staatsvertragsverhandlungen angestellte Überlegung Aktualität gewann, wonach die Signatare des Vertrags vom 15. Mai 1955 Österreichs Unabhängigkeit und territoriale Integrität auch garantieren sollten. Die Sowjetunion schien daran nicht uninteressiert. Wie sich die Westmächte zu einer Garantie der territorialen Integrität stellten und wie sich schließlich die Ablehnungsformel to guarantee a country which was a military vacuum durchsetzte, wird von Michael Gehler eingehend behandelt. Das Ende der Diskussion über eine Neutralitätsgarantie war 1957 gekommen, auch wenn gelegentliche Äußerungen sowjetischer politischer und militärischer Spitzenrepräsentanten fallweise noch immer ein Interesse an einem diesbezüglichen Abkommen erkennen ließen. Doch die Sowjetunion hatte wohl auch längst zur Kenntnis genommen, dass mit dem Westen über Neutralitätsgarantien nicht zu verhandeln war. Österreich spielte denn auch in den Überlegungen und Maßnahmen des kommunistischen Staatenblocks und der dahinter stehenden Führungsmacht mittlerweile bereits eine andere Rolle. Nachdem einmal die auch häufig nur zu Propagandazwecken gebrauchte Formel von einem möglichen Anschluss Österreichs an die Bundesrepublik Deutschland unaktuell geworden war, schuf die Sowjetunion mit der Gründung des Warschauer Pakts 1955 nicht nur eine Realität, die bis zur Auflösung des Pakts bestehen blieb.

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Gleichzeitig lief ein Prozess an, der die Nutzung des immer mehr anwachsenden Potenzials sicherstellen und die Mitgliedsländer des Warschauer Vertrags auf einen europäischen Krieg einstellen sollte. Die Beschwörungsformel vom gemeinsamen kapitalistisch-imperialistischen Feind wurde systematisch als Integrationsmittel eingesetzt. Dabei bekam Österreich die Doppelfunktion als Vorfeld und Auf- bzw. Durchmarschraum zugewiesen, wie Wolfgang Mueller in seinem Beitrag über den Warschauer Pakt und Österreich 1955–1991 darlegt. Die Sowjetunion war daran interessiert, Österreich so »neutral wie möglich« zu erhalten, hatte aber keine Schwierigkeiten, die militärischen Optionen durchzudenken. Allerdings wurde jedem Kriegsfall eine Aggression des Westens und im Fall Österreichs die Verletzung von dessen Souveränität und territorialen Integrität durch die NATO zugrunde gelegt. Die an Österreich angrenzenden Paktmitglieder spielten dabei insofern eine Rolle, als sie ihre wohl als zu unbedeutend angesehene Rolle im Rahmen der Gesamtorganisation durch besonders forsche operative Annahmen und den gedanklichen Masseneinsatz von Atomwaffen zu steigern suchten. Die Invasion in der Tschechoslowakei 1968 und die Änderungen der sowjetischen Strategie ließen die Mitgliedstaaten freilich immer mehr zu Getriebenen werden. Ihre Handlungsfähigkeit war weitestgehend eingeschränkt, denn letztlich hing alles davon ab, welche Politik die Sowjetunion betrieb und welche strategischen Absichten sie umzusetzen suchte. Dabei kam der Einschätzung der österreichischen Neutralität insofern besondere Bedeutung zu, als sie als Indiz gelten konnte. Und das weit mehr als im Fall der Schweiz. Während schon in den Sechzigerjahren relativ viel über die westliche Kritik an der österreichischen (und schweizerischen) »Scheinneutralität« geschrieben wurde, kam die sowjetische Position anlassbedingt nur dann zur Geltung, wenn über angebliche Neutralitätsverstöße geurteilt, damit aber letztlich nur in den Raum gestellt werden sollte, dass die Sowjetunion eine ihr genehmere Politik vermisste. Die Haltung der Großmächte und vor allem der Sowjetunion gegenüber den beiden immerwährend Neutralen unterlag dabei definitorischen Wandlungen, wobei sich die von Nikita Chruschtschow gebrauchte Formel von der friedlichen Koexistenz mit dem westlichen Neutralitätsverständnis eher in Einklang bringen ließ als frühere Definitionen. Die Begriffe Blockfreiheit und Neutralität wurden im Kontext des Konzepts der friedlichen Koexistenz allerdings weitgehend synonym verwendet, und die Staaten, für die sie galten oder auch nur gelten sollten, wurden wohl sehr vereinfachend dem sogenannten antiimperialistischen Lager zugeordnet. An diesem Punkt endete die scheinbare Gemeinsamkeit der Schweiz und Österreichs, zumindest aus sowjetischer Sicht. Die Schweiz verfolgte natürlich mit besonderem Interesse die Herausbildung der österreichischen Neutralität. Die Gesandten der Schweiz berichteten denn auch akribisch über alle Schritte, die schließlich zur österreichischen Neutralitätserklä-

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rung und deren Anerkennung führten. Nicht minder interessierte freilich, wie sich Österreich anders positionierte und es schließlich zu einer Umkehr der Vorgaben zu kommen schien, die nicht mehr Österreich an das Schweizer Vorbild, sondern die Eidgenossenschaft an ein österreichisches Vorbild gemahnten, wie Hans Rudolf Fuhrer in seinem Beitrag Neutral zwischen den Blöcken ausführt. Der politischen Beurteilung war freilich auch immer die sicherheitspolitische Komponente an die Seite zu stellen, und dabei traten die Unterschiede zwischen einer hochgerüsteten Schweiz und einem »niedergerüsteten« Österreich im Schatten der Blöcke mit aller Deutlichkeit zutage. Es blieb denn auch kein Geheimnis, dass in Österreich ein besonders eklatanter Gegensatz zwischen Planung und Durchführungsmöglichkeiten bestand. Die österreichischen militärischen Planungen waren durchgängig Reaktionen auf ein Feindbild, das zu verifizieren man wohl immer wieder bestrebt war, zu dem es aber letztlich kaum konkrete Hinweise gab. Ebenso durchgängig stand dabei der Ostkrieg im Vordergrund. Schon 1956 wurde ein Kriegsbild entworfen, das in den Sechzigerjahren insofern eine Modifikation erfuhr, als es ähnlich wie vor dem Ersten Weltkrieg zu einer »Zerlegung« der Bedrohung und zur Ausarbeitung der unterschiedlichsten Operations-/Kriegsfälle kam. Soweit bisher bekannt, liefen aber die operativen Annahmen in Österreich und seinen ostmitteleuropäischen Nachbarn durchaus synchron ab. Die NATO wurde in dieser Phase militärischer Konzeptionen häufig als Rückhalt und nicht als potenzieller Gegner gesehen. Es zeigte sich allerdings bei vielen Gelegenheiten, dass die militärischen Planungen in einem quasi luftleeren Raum abliefen, wie im Beitrag des Herausgebers Sandkästen und Übungsräume nachzulesen ist. Die operativen Planungen erfolgten losgelöst von den politischen Rahmenbedingungen und gipfelten in der Ausarbeitung der sogenannten »Farbenfälle«, mit denen jeder mögliche Krieg gegen jeden möglichen Aggressor – auch die Bundesrepublik Deutschland – vorauszudenken gesucht wurde. Nur die Schweiz und Liechtenstein blieben ausgespart. Mit dem Übergang auf das Raumverteidigungskonzept in den Siebzigerjahren kam es in Österreich zu einer Ausweitung der Planungen unter Einbeziehung jener Fälle, in denen verstärkt auch mit einer Intervention der NATO gerechnet werden musste. Letztlich war es aber eine weitgehend auf Katastrophenplanungen abgestimmte Konzeption, die auf politische Faktoren ausgerichtet war. Dementsprechend waren die Übungsannahmen und war die Übungstätigkeit zunächst auf Rahmenübungen und wenige Großmanöver ausgelegt, während in den Siebzigerjahren die Übungen vornehmlich demonstrativen Charakter hatten und der Erprobung eines Konzepts dienten, für das es letztlich – genauso wenig wie vorher – entsprechende Voraussetzungen gab. Die Notwendigkeit, Konzepte und Möglichkeiten immer wieder anzupassen und vor allem auch auf aktualisierte Bedrohungsbilder hin auszurichten, führte schließ-

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lich zur Ausarbeitung eines umfassenden operativen Konzepts, das die Bezeichnung Operationsfall »A« erhielt. Der diesbezügliche Beitrag von Hannes Philipp geht zunächst auf die Rahmenbedingungen der späten Siebziger- und Achtzigerjahre des 20. Jahrhunderts ein, die durch den österreichischen Landesverteidigungsplan und das Raumverteidigungskonzept markiert wurden. Immer wieder wurden freilich diese Vorgaben von politischer Seite negiert, und damit das Gesamtkonzept infrage gestellt. Die Unklarheit über die Ziele und Möglichkeiten übertrugen sich von der politischen auf die militärische Ebene und führte zu nachhaltigen Konflikten. Nicht zuletzt das hatte zur Folge, dass sich die Bearbeitung des Operationsfalls »A« über einen Zeitraum von rund sieben Jahren hinzog. Letztlich ist es nie zu seiner Fertigstellung gekommen. Mit dem Operationsfall »A« und den parallel laufenden Planungen für den Fall einer »Gesamtbedrohung« endete Anfang der Neunzigerjahre die Zeit der großen operativen Planungen Österreichs unter dem Eindruck zweier existierender Blöcke. De facto hatte man sich aber schon vorher eingestehen müssen, dass die Annahmen für einen Kriegsfall in der Realität des Bundesheers keine Entsprechung mehr fanden. Eine der entscheidenden Fragen der Jahre zwischen 1955 und 1990 war durchgängig jene nach einem möglichen Einsatz von Atomwaffen. Die Voraussetzungen für deren Verwendung waren bei der NATO wie auch beim Warschauer Pakt in erschreckendem Maß gegeben. Zwar gab es laufend Strategiewechsel, mit denen die atomare Schwelle hinaufgesetzt wurde, doch musste der Einsatz von Atomwaffen zur Erzielung eines Durchbruchs auf einem europäischen Kriegsschauplatz oder zu dessen Verhinderung immer in Rechnung gestellt werden, wie der Beitrag von Friedrich Korkisch, Die atomare Komponente, deutlich macht. Für Österreich resultierte daraus, dass es Gefahr lief, wegen seiner geringen und zeitlich beschränkten Hinderungsmöglichkeiten sehr rasch zum Zielgebiet zu werden. Das Dilemma konnte freilich nicht größer sein, denn der Einsatz von Atomwaffen war denkbar, sofern ein rascher Durchstoß drohte, ebenso aber, falls Österreich durch einen nachhaltigen Widerstand die Erreichung eines großen strategischen Ziels verzögerte. Dass diesen Überlegungen die Absicht der Staaten des östlichen Bündnisses und ihrer Armeen zugrunde gelegt wurde, einen Angriff auf Westeuropa zu führen, war daher nur eine von zwei Seiten der Medaille. Dass die NATO wegen ihrer strukturellen Andersartigkeit und der Unmöglichkeit, einer Aggression sofort zu begegnen, sehr früh zum Einsatz von Atomwaffen gezwungen hätte sein können, war die andere Seite. Österreich wäre in jedem Fall Zielgebiet gewesen. Angesichts seiner Lage zwischen den Blöcken kam der österreichischen Außenpolitik erhebliche Bedeutung bei. Zunächst ging es darum, sich der Sogwirkung der westlichen wie der östlichen Führungsmacht zu entziehen. Dieser Vorgang findet sich in dem Beitrag von Peter Jankowitsch über Das Problem der Äquidistanz dargestellt. Mit dem Beitritt zu den Vereinten Nationen im Dezember 1955 setzten die

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Manfried Rauchensteiner

eigentlich nie endenden Bemühungen Österreichs ein, außenpolitischen Spielraum zu gewinnen und dabei eine eigene Neutralitätsvariante zu entwickeln. Vor diesem Hintergrund sind die außenpolitischen Aktivitäten Österreichs zu sehen. Nach dem UNO-Beitritt konzentrierten sich die Bemühungen der außenpolitisch Handelnden vornehmlich auf die Teilnahme Österreichs an den europäischen Integrationsbestrebungen. Dabei stieß man freilich immer wieder auf den Widerstand der Sowjetunion, die diesen Integrationsbestrebungen enge Grenzen setzte. Die Pflege guter Beziehungen mit der Hauptmacht des östlichen Bündnisses erlaubt es gewissermaßen als Kompensation für den verkürzten europäischen Weg, Wien zum Standort wichtiger internationaler Organisationen und zum Ort von historischen Begegnungen zwischen Ost und West werden zu lassen. Im Unterschied zu Finnland machte sich Österreich aber nicht zum Interpreten besonderer Anliegen der sowjetischen Außenpolitik, wie etwa der Abhaltung der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE), die infolgedessen in Helsinki zusammengetreten ist. Äquidistanz war aber letztlich nie das Ziel der österreichischen Außenpolitik. Im wirtschaftlichen Bereich herrschten andere Gesetzmäßigkeiten, die auf Intensivierung und nicht auf Distanzierung hinausliefen. Gerade Österreichs Osthandel vermittelte dabei insofern das Bild einer verkehrten Welt, als man nicht durch jene Länder Behinderungen erfuhr, die sich analog zum Warschauer Pakt im Rat für Gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW) zusammengeschlossen hatten, sondern durch die Führungsmacht des Westens, die USA, wie Andreas Resch in seinem Beitrag nachweist. Die Entwicklung des österreichischen Osthandels erforderte andere Verfahrensweisen als der Handel mit westlichen Staaten. Der Aufbau der Beziehungen war langfristig und konnte sich nur allmählich die noch aus der Habsburgermonarchie herrührenden Gegebenheiten zunutze machen. Auch zwei für die Zeit der alliierten Besetzung Österreichs wesentliche Momente, nämlich der Marshallplan einerseits und die Schaffung des sowjetischen Wirtschaftskomplexes in Ostösterreich, der USIA, hatten langfristigen Auswirkungen, wobei der Marshallplan eine doppelte Bedeutung erhielt. Er trug wie nichts anderes zum raschen Aufbau einer leistungsfähigen Industrie in Österreich, verbesserten Verkehrs- und Transporteinrichtungen sowie prosperierenden Wirtschaftsbeziehungen bei, wie er andererseits Österreich in die Pflicht nahm, als es in den Siebziger- und Achtzigerjahren um die Lieferung von Hochtechnologie an die RGW-Staaten ging. Sie war Österreich untersagt. Anders als im politischen und vor allem im militärischen Bereich stellte die Auflösung des Warschauer Pakts für die Wirtschaft und vor allem für den Osthandel keinen so tiefen Einschnitt dar. Erstaunlich mag aber sein, dass das Ende des Warschauer Pakts, der das Denken und Handeln so lange beeinflusst und zeitweilig bestimmt hatte, generell keine tiefen Spuren hinterließ. Martin Malek arbeitet in seinem Beitrag heraus, weshalb der Auflösungsprozess des Warschauer Pakts in Österreich bestenfalls nebenbei wahrgenommen wurde. Bis zu

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einem gewissen Grad schloss sich dabei freilich ein Kreis, denn auch der Vertragsabschluss in Warschau am 14. Mai 1955 war in der Euphorie Österreichs über den tags darauf erfolgenden Abschluss des Staatsvertrags ein Nicht-Ereignis gewesen. Abgestützt auf die Berichterstattung der österreichischen Diplomaten in den bis dahin dem Pakt zugehörenden Staaten, ebenso aber unter Einbeziehung der in Österreich selbst erfolgten Wahrnehmungen und nicht zuletzt der Berichterstattung der Militärattachés lassen sich zwar Reaktionen auf das Ende der militärischen Struktur des Ostens feststellen ; von einem Sicherheitsgewinn für Österreich war jedoch nur selten die Rede. Stattdessen wurde in Erwägung gezogen, ob nicht die Auflösung des Warschauer Pakts und vollends der Zerfall der UdSSR neue Instabilitäten schaffen und neue Bedrohungsszenarien entstehen lassen würden. Von einem sicherheitspolitischen »Vakuum« sowie der Gefahr einer »Renationalisierung« von Sicherheitspolitik war die Rede. Unter diesem Gesichtspunkt bekam die Aufnahme der meisten Staaten des östlichen Bündnisses in die NATO am Anfang des 21. Jahrhunderts zusätzliche Bedeutung. Der Wegfall des einen großen Bündnisses hatte für Österreich aber auch dann erhebliche Auswirkungen, wenn er nicht Gegenstand intensiver Berichterstattung und entsprechender Kommentare war. Doch dass Österreich sukzessive und dann recht plötzlich nur noch von einem Pakt, nämlich der NATO, umgeben war, hatte selbstverständlich Folgen. Dazu kam der Zerfall Jugoslawiens, der nicht minder dazu beitrug, dass sich das politisch-strategische Umfeld im Osten und Süden Österreichs dramatisch veränderte. Diesem Fragenkomplex widmet sich Horst Pleiner in seinem Beitrag über Österreich und die NATO am Ende des 20. Jahrhunderts. Der erste Effekt der Neuordnung Europas war freilich kein militärischer, sondern ein politischer, da Österreich 1995 der Beitritt zur Europäischen Union ermöglicht wurde. Parallel zu diesem erfolgreich abgewickelten Vorhaben, das auch eine sicherheitspolitische und militärstrategische Komponente beinhaltete, ergaben sich für Österreich jedoch auch vermehrte Bezüge zur NATO. Deutlichster Ausdruck dessen wurden die Mitgliedschaft Österreichs in der Partnership for Peace und die zunehmende Intensität der Beteiligung Österreichs an militärischen Übungen und Einsätzen unter Leitung der NATO. Der zeitweilig nicht nur in Aussicht genommene, sondern regelrecht forcierte Beitritt zur NATO unterblieb freilich. Österreich beharrte auf seiner immerwährenden Neutralität und unterließ weitere Annäherungsversuche. Man hatte sich mit der Lage zwischen den Blöcken abgefunden und fand sich, wie es schien, auch problemlos mit der Lage innerhalb des verbliebenen Blocks ab. Ob als Kern oder als Vakuum, war vorderhand nicht zu diskutieren. Die Auflösung des Warschauer Pakts beendete auch die Jahrzehnte, in denen es sehr häufig Diskrepanzen zwischen den politischen Gegebenheiten und der strikten Neutralitätswahrung einerseits sowie einer engagierten, mitunter aber ebenso beispielhaften wie überbordenden Berichterstattung andererseits gegeben hatte. Dabei

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Für das Vorhaben reichte es nicht aus, Wissenschaftler und Wissensträger zu versammeln, da sie ohne entsprechende Unterlagen bei Weitem nicht so fundiert hätten forschen und schreiben können, wie das der Fall war. Zunächst hat das Bundesministerium für Landesverteidigung in großem Umfang Akten und Ausarbeitungen sämtlicher Verschlussgrade zur Verfügung gestellt und über Bitte der Autoren Herabstufungen der Verschlussgrade vorgenommen. Dafür ist dem Generalstabschef, General Edmund Entacher, vor allem aber Generalleutnant Mag. Christian SégurCabanac zu danken. Darüber hinaus war mithilfe der Landesverteidigungsakademie die Heranziehung weiterer einstmals sensibler Materialien möglich. Ein nicht minder herzlicher Dank gilt Ministerialrat Dr. Gottfried Loibl vom Bundesministerium für europäische und internationale Angelegenheiten, der die Einsichtnahme in die Botschaftsberichte der relevanten Jahre ermöglichte. Letztlich hat jeder Autor Hilfe erfahren, die verpflichtet und für die es zu danken gilt. Ein kollektiver Dank ist Mag. Andrea Brait geschuldet, die das Projekt administrativ begleitete, die Bibliografie und das Register erstellte sowie die Vereinheitlichung des wissenschaftlichen Apparats vorgenommen hat. Ebenso zu danken ist Dr. Wolfgang Taus, der die mühevolle Aufgabe des Lektors übernommen hat. Schließlich gilt es noch, Dr. Eva Reinhold-Weisz und den Böhlau Verlag dankbar zu erwähnen, denn nur mit ihrer beständigen Unterstützung ist der entscheidende Schritt vom Manuskript zum Buch gelungen.

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Für das Vorhaben reichte es nicht aus, Wissenschaftler und Wissensträger zu versammeln, da sie ohne entsprechende Unterlagen bei Weitem nicht so fundiert hätten forschen und schreiben können, wie das der Fall war. Zunächst hat das Bundesministerium für Landesverteidigung in großem Umfang Akten und Ausarbeitungen sämtlicher Verschlussgrade zur Verfügung gestellt und über Bitte der Autoren Herabstufungen der Verschlussgrade vorgenommen. Dafür ist dem Generalstabschef, General Edmund Entacher, vor allem aber Generalleutnant Christian Ségur-Cabanac zu danken. Darüber hinaus war mithilfe der Landesverteidigungsakademie die Heranziehung weiterer einstmals sensibler Materialien möglich. Ein nicht minder herzlicher Dank gilt Ministerialrat Dr. Gottfried Loibl vom Bundesministerium für europäische und internationale Angelegenheiten, der die Einsichtnahme in die Botschaftsberichte der relevanten Jahre ermöglichte. Letztlich hat jeder Autor Hilfe erfahren, die verpflichtet und für die es zu danken gilt. Ein kollektiver Dank ist Mag. Andrea Brait geschuldet, die das Projekt administrativ begleitete, die Bibliografie und das Register erstellte sowie die Vereinheitlichung des wissenschaftlichen Apparats vorgenommen hat. Ebenso zu danken ist Dr. Wolfgang Taus, der die mühevolle Aufgabe des Lektors übernommen hat. Schließlich gilt es noch, Dr. Eva Reinhold-Weisz und den Böhlau Verlag dankbar zu erwähnen, denn nur mit ihrer beständigen Unterstützung ist der entscheidende Schritt vom Manuskript zum Buch gelungen.

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Als sich die Alliierten im Frühjahr 1945 zur militärischen Besetzung Österreichs anschickten, schien dies lediglich ein zeitlich begrenzter Zwischenstopp auf dem Weg zu seiner einvernehmlichen Wiederherstellung als eigenständiger Staat. Als erklärtes erstes Opfer Hitler’scher Aggressionen musste es im eigenen wie im gesamteuropäischen Sicherheitsinteresse liegen, wenn man nach dem Zweiten Weltkrieg im Donauraum eine stabilere Friedensordnung als mit den Pariser Vorortverträgen von 1919 schaffen wollte. Nach dem deutschen Überfall von 1941 hatte daher auch die sowjetische Führung den Gedanken aufgegriffen, vor allem einen Anschluss Österreichs an Deutschland dauerhaft zu unterbinden. Schon 1943 war dies als gemeinsames Kriegsziel in der Moskauer Deklaration vom 1. November 19431 festgeschrieben worden. Sicherheit für eine künftige Republik war dazu vorrangig politisch-wirtschaftlich definiert und gleichzeitig räumlich ausgeweitet worden, sah man nach den Verwerfungen der Dreißigerjahre doch nunmehr in der Gesamtheit der Donaustaaten und ihrer inneren Stabilität die »einzige Grundlage für einen dauernden Frieden«2 in der Region. Hinter dem Deklaratorischen dieser Absichtserklärung war man sich jedoch in London wie Moskau bewusst, wie weit die jeweiligen Interessen doch auseinander lagen. Für machtpolitische Realisten von der Statur eines Winston Churchill und Josef Stalin hatte das Zweckbündnis der AntiHitler-Koalition, jene »seltsame Allianz«3 der fortdauernden Gegensätze, nur eine begrenzte Halbwertzeit. Wenn daher im Foreign Office unter den durchgespielten Alternativen ein wiederauflebender Cordon sanitaire aus der Zwischenkriegszeit aufschien, dem neben Polen, der Tschechoslowakei und Ungarn auch Österreich als integraler Bestandteil

1 Im Wortlaut abgedruckt bei : Stourzh, Gerald : Um Einheit und Freiheit. Staatsvertrag, Neutralität und das Ende der Ost-West-Besetzung Österreichs 1945–1955, 4. völlig überarbeitete und wesentlich erweiterte Aufl. (Studien zu Politik und Verwaltung 62), Wien/Köln/Graz 1998, S. 607 f.; ihr Zustandekommen ist eingehend analysiert ebd., S. 11–28. 2 Zitiert ebd., S. 608. 3 So die Charakterisierung in den Memoiren des US-Militärattachés in Moskau Deane, John R.: Ein seltsames Bündnis. Amerikas Bemühungen während des Krieges mit Rußland zusammenzuarbeiten, Wien 1946.

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einer regionalen Konföderation angehören sollte4, dann hatten britische Diplomaten ihre Rechnung ohne den sowjetischen Wirt gemacht. In Moskau war die doppelte Stoßrichtung eines derartigen Konstrukts aus dem Versailler System noch zu präsent, als dass man darin einen realistischen Ansatz für eine funktionierende Nachkriegsordnung hätte erblicken können. Kaum hatte sich daher die militärische Lage vor Moskau stabilisiert, als Stalin dem britischen Außenminister Anthony Eden eine Geheimabsprache abringen wollte, die auf eine regional überwachte Sicherheitslösung hinauslief. Der Kontinent sollte in Einflusssphären aufgeteilt werden, deren westliche durch die Briten und deren östliche durch die Sowjetunion kontrolliert würde. Dazwischen war eine mitteleuropäische Pufferzone vorgesehen, deren kleinere Teilhaber auf Kosten des Deutschen Reiches verstärkt werden sollten.5 Da die Briten zurückhaltend blieben, näherte sich Stalin den Vorstellungen von US-Präsident Franklin Delano Roosevelt an. In dessen neuer globaler Sicherheitsgemeinschaft waren nämlich ganz im Sinne einer sowjetisch kontrollierten Sicherheitssphäre vier »Weltpolizisten« unter klarer Übertragung regionaler Vorrangstellungen vorgesehen.6 Bereits in Teheran 1943 sollte sich das auszahlen. Unterstützt von den USA, erhielt die Sowjetunion die Zusage gleichberechtigter und territorial abgesicherter Mitverantwortung für die Nachkriegszeit. Zur Wahrnehmung ihrer künftigen Sicherheitsaufgaben wurde festgelegt, »dass unsere drei Mächte befestigte Punkte erhalten, die unter ihrer Kontrolle stehen, und dass ihre Streitkräfte strategische Stützpunkte besetzen, die für die Aufrechterhaltung des Friedens erforderlich sind«.7 Die eigentlichen Gegenspieler gegen eine bis nach Mitteleuropa vorgeschobene, sowjetisch kontrollierte Vorfeldzone blieben zunächst die Briten. Stalins Botschafter in London warnte schon während des Krieges durchgängig davor, dass London unter dem Mantel augenblicklicher Partnerschaft seine traditionelle Strategie verfolge. Danach würde man das Potenzial seiner temporären Verbündeten zwar im 4 Memorandum »The Future of Austria«, 4. April 1943, ausgewertet bei Stourzh : Staatsvertrag, S. 12. 5 Edens Moskaureise vom 16. bis 20. Dezember 1941 ist dokumentiert in : Dokumente zur Deutschlandpolitik der Sowjetunion, Bd. 1, Berlin 1957, S. 592–615, und Foreign Relations of the United States (FRUS), 1941, I, S. 199 f. und 1942, III, 499 f.; zur sowjetischen Präferenz von Einflusssphären für die Nachkriegsordnung vgl. Resis, Albert : Spheres of Influence in Soviet Wartime Diplomacy, in : Journal of Modern History 53 (1981), S. 417–439. 6 Unterredungen Molotows mit Roosevelt in Washington, 29. Mai–1. Juni 1942, FRUS 1942, III, S. 568 f., S. 572–574 und S. 580. 7 Unterredung Molotows mit Eden und dem Berater des US-Präsidenten, Hopkins, 30. November 1943, abgedr. in : Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten der UdSSR (Hg.) : Teheran, Jalta, Potsdam. Konferenzdokumente der Sowjetunion, Bd. 1, Köln 1986, S. 120 ; zu Stalins Haltung in der Österreichfrage auf der Teheraner Konferenz vgl. auch Dockrill, Saki Ruth : Austria in Britain’s Foreign Policy from the Second World War to 1955, in : Suppan, Arnold/Stourzh, Gerald/Mueller, Wolfgang (Hg.) : Der österreichische Staatsvertrag 1955. Internationale Strategie, rechtliche Relevanz, nationale Identität (Archiv für österreichische Geschichte 140), Wien 2005, S. 249–264, hier S. 250.

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Kriege voll ausschöpfen, ihnen aber später angemessene territoriale Genugtuung auf dem europäischen Kontinent versagen.8 Ganz in diese Kerbe traf auch der bei Stalin nie auszuräumende Verdacht, seine Verbündeten eröffneten die zugesagte »zweite Front« in Europa bewusst spät, um das sowjetische Potenzial möglichst nachhaltig abnutzen zu lassen.9 Im Gegenzug sah andererseits Churchill seit der vernichtenden Niederlage der deutschen Heeresgruppe Mitte im Sommer 1944 die Rote Armee »wie eine Flut über Europa« hereinbrechen. Hier drohte die Sowjetunion wegen der militärischen Schwäche der übrigen Kontinentaleuropäer eine noch beherrschendere Position einzunehmen als das bereits geschlagene Deutsche Reich.10 Das Eindringen sowjetischer Armeen in den Balkanraum 1944 ließ zunehmend auch amerikanische Stimmen vor einer einseitigen sowjetischen Dominanz in Südosteuropa warnen. Noch war man allerdings nicht zu dem von Churchill geforderten »Wettlauf der Fronten« um die besten Positionen für die Nachkriegszeit bereit.11 Verfrüht waren zu diesem Zeitpunkt auch erste britische Überlegungen über ein sicherheitspolitisches Zusammenrücken in Westeuropa, für das man die Franzosen gewinnen wollte. In Moskau hatte man erste Hinweise darauf im November 1944 noch kommentarlos hingenommen.12 Seit Anfang 1945 verschwanden beunruhigte sowjetische Kommentare über die Planungen für einen antisowjetisch ausgerichteten »Westblock« nicht mehr aus der Moskauer Presse. Aus Signalen westlicher Härte wie dem Druckmittel eingeschränkter Wirtschaftshilfe oder der Weigerung der Westmächte, die als sowjetische Satellitenregime bewerteten Regierungen in Sofia und Bukarest anzuerkennen, entnahm man, dass die Angelsachsen von ihren im Krieg gemachten Zusagen abzurücken begannen, ein sowjetfreundliches osteuro-

8 Maiski, Ivan M.: Memoiren eines sowjetischen Botschafters, Berlin 1967, S. 636, S. 716 f. und S. 735. Dass solche Warnungen ihr Ziel erreichten, zeigte bereits ein frühes Gespräch Stalins mit US-Botschafter Harriman, 29. September 1941, in : Hariman, W. Averell/Abel, Elie : Special Envoy to Churchill and Stalin 1941–1946, New York 1975, S. 89. 9 Hinweise dazu bei Hansen, Reimer : Das Ende des Dritten Reiches (Kieler historische Studien 2), Stuttgart 1966, S. 194 f., und Belezki, Viktor N.: Die Politik der Sowjetunion in den deutschen Angelegenheiten in der Nachkriegszeit 1945–1976, Berlin 1977, S. 15. 10 Besonders plastisch im Gespräch mit seinem Arzt, 4. August 1944, Moran, Charles McMoran Wilson : Churchill. Der Kampf ums Überleben 1940–1965. Aus dem Tagebuch seines Leibarztes Lord Moran, München/Zürich 1967, S. 182. 11 Vgl. dazu Rothwell, Victor : Britain and the Cold War 1941–1947, London 1982, S. 141 f ; zum ersten strategischen Umdenken der Amerikaner : Gaddis, John Lewis : Strategies of Containment. A Critical Appraisal of Postwar American National Security Policy, New York/Oxford 1982, S. 14 f. 12 Belege dafür bei Thoß, Bruno : Die Sicherheitsproblematik im Kontext der sowjetischen West- und Deutschlandpolitik 1941–1952, in : Thoß, Bruno (Hg.) : »Volksarmee schaffen – ohne Geschrei !« Studien zu den Anfängen einer »verdeckten Aufrüstung« in der SBZ/DDR 1947–1952 (Beiträge zur Militärgeschichte 51), München 1994, S. 23–89, hier S. 50.

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päisches Vorfeld zu akzeptieren.13 In dieselbe Richtung wies die Idee von US-Präsident Harry S. Truman, über eine Internationalisierung der Binnenwasserstraßen auch die Donau für eine Liberalisierung des Handelsverkehrs zu öffnen. Solche ökonomische Open-Door-Politik, die unmittelbar in sein Sicherheitsvorfeld eindrang, war für Stalin »ebenso gefährlich […] wie eine ausländische militärische Intervention«.14 Alarmmeldungen über ein vermeintliches Anhalten der Entwaffnung deutscher Soldaten durch die Briten schienen sogar darauf hinzudeuten, dass London solche militärischen Potenziale auf deutschem, österreichischem und italienischem Boden gegen den bisherigen Verbündeten verfügbar halten wollte.15 In seinem vertraulichen Gespräch mit jugoslawischen Kommunisten ließ der sowjetische Diktator jedenfalls schon bei Kriegsende keinen Zweifel mehr daran, dass er die eroberten Positionen in Europa zu halten gedachte.16 Will man von daher Österreichs Stellenwert für eine künftige westliche Sicherheitsgemeinschaft angemessen verorten, dann muss man sich zunächst einmal seine geostrategische Rolle vergegenwärtigen. Die unbestrittenen Vorzüge des Falles Österreich als vermeintlich leichter lösbares Teilprojekt einer gesamteuropäischen Sicherheitsarchitektur lagen auf der Hand : die auch nach 1945 nie ernstlich infrage gestellte Absicht seiner Wiederherstellung17 ; der anders als in Deutschland zugelassene »Vorsprung an Staatlichkeit« als Chance selbstverantwortlicher Interessenwahrung18 ; schließlich eine wachsende Akzeptanz eigenständiger Staatlichkeit in den Eliten als Voraussetzung für die Überwindung des Status einer »bevormundeten Nation«.19 Gerade bei der Verfolgung seines nationalen Anliegens hatte man in Wien gegenüber der schwergewichtigeren Deutschen Frage »ein gerütteltes Maß an kontinuierlicher Nachrangigkeit zu beklagen«.20 Realistisch war zweifellos die Einsicht, dass man deshalb alles unternehmen musste, was die Zusammenarbeit seiner Besat13 Vgl. Gespräch Molotows mit dem britischen Außenminister Bevin, 22. September 1945, in : Documents on British Policy Overseas (DBPO), 1945, II, S. 296. 14 Gespräch Stalins mit dem Sohn Chiang Kai-sheks in Moskau, 30. Juni 1945, zit. bei Harriman/Abel : Special Envoy, S. 538. 15 Vgl. dazu insgesamt : Thoß : Sicherheitsproblematik, S. 51 ; zu Molotows Vorwurf, die Briten hielten in Kärnten unter einem weißrussischen Obristen deutsche Einheiten unter Waffen : Cronin, Audrey Kurth : Great Power Politics and the Struggle over Austria, 1945–1955, Ithaca/London 1986, S. 35. 16 Djilas, Milovan : Gespräche mit Stalin, Frankfurt am Main 1962, S. 43. 17 Am überzeugendsten herausgearbeitet von Stourzh : Einheit, S. 11–57. 18 Vgl. Rauchensteiner, Manfried : Der Sonderfall. Die Besatzungszeit in Österreich 1945 bis 1955, Graz/ Wien/Köln 1979, S. 127. 19 Vgl. Brix, Emil : Zur Frage der österreichischen Identität am Beginn der Zweiten Republik, in : Bischof, Günter/Leidenfrost, Josef (Hg.) : Die bevormundete Nation. Österreich und die Alliierten 1945–1949 (Innsbrucker Forschungen zur Zeitgeschichte 4), Innsbruck 1988, S. 93–104. 20 So Gehler, Michael : Österreich, die Bundesrepublik und die Deutsche Frage 1945/49–1955, in : Historische Mitteilungen der Ranke-Gesellschaft 8 (1995), S. 221–264, hier S. 223.

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zer förderte, und alles zu unterlassen hatte, was diese störte.21 Nur reichte eigener guter Wille allein nicht aus, war man doch zugleich Schachfigur in einem größeren regionalen Spiel, das sich in unmittelbarster Nähe schnell konflikthaft aufzuladen begann. In den deutschen Besatzungszonen verhärteten sich die Fronten über die Reparations- und Ruhrfrage22 ; in Norditalien besorgten Briten und Amerika ein Umkippen der inneren Lage zugunsten der Kommunisten23 ; in Kärnten strebten die Jugoslawen nach weiteren territorialen Arrondierungen.24 Spitzten sich angesichts dieser Begleitumstände die Ost-West-Gegensätze insgesamt zu, dann musste sich auch der Spielraum für eine dazwischen gelagerte Österreich-Lösung verengen. Schließlich berührten sich hier die militärischen Positionen der Kontrahenten sehr unmittelbar und schufen damit eine besondere Lage mit entsprechenden sicherheitspolitischen Folgen. Frühzeitig war man in Wien vor allem über die Verhärtungen in Deutschland besorgt, über jenen »Mangel an Koordination der Ansichten, der die internationalen Beziehungen stört«.25 Konnte damit doch auch eine Österreich-Lösung nur zu schnell in ihren Sog geraten. Dass der »Sonderfall« indes nicht mehr abgehoben von den größeren Sicherheitsproblemen der Region zu behandeln war, hatten bereits Ende 1945 die erfolglosen Bemühungen der amerikanischen Besatzungsmacht um einen schnellen Truppenrückzug aus Österreich überdeutlich gemacht. US-Außenminister James Francis Byrnes mochte die für den Westen günstigen Nationalratswahlen als Indiz für hinreichende demokratische Stabilisierung bewerten und deshalb einen vollständigen Abzug der Besatzungstruppen bis zum 1. Jänner 1947 für möglich halten. Vorausgesetzt war dabei, die Österreicher konnten bis dahin ihre innere Sicherheit durch angemessene Polizeikräfte selbst gewährleisten.26 Aus einem alliierten Truppenabzug 21 Artikel des österreichischen Außenministers Karl Gruber, 16. Oktober 1945, zitiert nach : Gehler : Österreich, S. 221. 22 Eingehend dokumentiert in : Steininger, Rolf (Bearb.) : Die Ruhrfrage 1945/46 und die Entstehung des Landes Nordrhein-Westfalen. Britische, französische und amerikanische Akten (Quellen zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien, 4. Reihe 4), Düsseldorf 1988. 23 Vgl. dazu NSC 1, 15. Oktober 1947, in der die US-Stabschefs davor warnten, dass die italienischen Sicherheitskräfte noch nicht einmal stark genug seien, »die Kontrolle der Kommunisten über die nördlichen Landesteile zu verhindern«, zit. bei : Condit, Kenneth W.: The Joint Chiefs of Staff and National Policy. 1947–1949, Wilmington/Delaware 1979, S. 66 ; vgl. auch Nuti, Leopoldo : U. S. Forces in Italy, 1945–1964, in : Duke, Simon W./Krieger, Wolfgang (Hg.) : U. S. Military Forces in Europe. The Early Years, 1945–1970, Boulder/San Francisco/Oxford 1993, S. 249–271, hier S. 254 f. 24 Vgl. dazu Knight, Robert G.: Die Kärntner Grenzfrage und der Kalte Krieg, in : Carinthia I/175 (1985), S. 323–340. 25 Rede Grubers vor dem Hauptausschuss des Nationalrats, 20. November 1947, abgedr. in : Gehler, Michael (Hg.) : Karl Gruber. Reden und Dokumente 1945–1953. Eine Auswahl, Wien/Köln/Weimar 1994, S. 206. 26 Memorandum des Pentagons an das State Department, 29. November 1945, FRUS 1946, I, S. 1130.

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durfte kein militärisches Vakuum in der Region entstehen. Der amerikanische wie der französische Hochkommissar machten die Fähigkeit Österreichs zur Selbstverteidigung zur Vorbedingung eines alliierten Truppenabzugs.27 Die Notwendigkeit, seiner regionalen Sicherheitsrolle gerecht zu werden als gewichtige Voraussetzung für die Unabhängigkeit, erkannte frühzeitig auch der österreichische Bundespräsident Karl Renner. Seine schon im Mai 1946 signalisierte Bereitschaft, eine »österreichische Streitmacht« aufzubauen, fand zunächst jedoch weder bei den Besatzern noch bei den eigenen Landsleuten Zuspruch. Als Alternative zu eigener Aufrüstung diskutierte man in Wien vielmehr über eine »der UNO bzw. dem Sicherheitsrat unterstehende Truppe« als Übergangslösung.28 Besonders kritisch sahen andererseits die Briten die Sicherheitslage in ihrer Besatzungszone, wo man noch 30 000 Soldaten im Einsatz hatte, um die Lage an der jugoslawisch-kärntnerischen Grenze kontrolliert halten zu können. Sie verlangten daher eine Aufstockung der österreichischen Gendarmerie für die Grenzüberwachung. Das Problem einer schnell spürbar werdenden Überforderung von Briten und Franzosen durch militärische Besatzungslasten muss man bei der weiteren westinternen Debatte um eine Aufrüstung Österreichs im Auge behalten. Eine für die Zukunft interessant werdende Variante zur Lösung des Sicherheitsproblems brachte dagegen der französische Hochkommissar Marie Emile Antoine Béthouart ins Spiel, wenn er dazu »un statut de neutralité octroyé« nach Schweizer Vorbild, garantiert von der UNO, vorschlug. Er stand damit jedoch zu diesem frühen Zeitpunkt noch in deutlichem Gegensatz zum Quai d’Orsay.29 Konsequent verweigerten sich jedoch die Russen einer in ihren Augen verfrühten Reduzierung der Besatzungstruppen. Vorgeschoben war das Argument zu großer Defizite bei der Entwaffnung der Wehrmacht, denn dazu hätten die Besatzungsmächte wahrlich selbst genügend Mittel an der Hand gehabt. Der eigentliche sowjetische Vorbehalt gegen den amerikanischen Vorstoß richtete sich vielmehr gegen die Verknüpfung der sowjetischen Truppenstationierung in Österreich mit deren Verbindungslinien durch Rumänien und Ungarn. Nicht grundlos verdächtigte man die Westmächte si27 Belege dafür bei Rauchensteiner, Manfried : Staatsvertrag und Neutralität aus militärhistorischer Perspektive, in : Suppan, Arnold/Stourzh, Gerald/Mueller, Wolfgang (Hg.) : Der österreichische Staatsvertrag 1955. Internationale Strategie, rechtliche Relevanz, nationale Identität (Archiv für österreichische Geschichte 140), Wien 2005, S. 57–86, hier S. 58, und Rauchensteiner, Manfried : Staatsvertrag und bewaffnete Macht. Politik um Österreichs Heer 1945–1955, in : Österreichische Militärische Zeitschrift 3/18 (1980), S. 185–197, hier S. 186. 28 Blasi, Walter : Die B-Gendarmerie. Keimzelle des Bundesheeres, 1952–1955, Wien 2002, S. 13. 29 Brief General Béthouarts an Außenminister Léon Blum, 14. Jänner 1947, zitiert nach : Sandner, Margit : Die französisch-österreichischen Beziehungen während der Besatzungszeit von 1947 bis 1955, Wien 1983, S. 80. Auf die in Paris nicht geteilte Überlegung verweist Angerer, Thomas : Frankreich und die Österreichfrage. Historische Grundlagen und Leitlinien 1945–1955, Wien 1996 (Dissertation), S. 282 f.

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cherheitspolitischer Hintergedanken. Denn in Washington und London wollte man in der Tat eine militärische Räumung Österreichs zum Ansatzpunkt nehmen, um bei den anstehenden Friedensverhandlungen mit Ungarn und Rumänien auch dort auf einen Abzug der sowjetischen Truppen zu drängen. Einmal mehr sah die sowjetische Seite damit im Krieg erhaltene Zusagen auf Sicherheitszugewinn im eigenen Vorfeld infrage gestellt und lehnte deshalb jede frühzeitige Räumung Österreichs ab.30 In den Friedensverträgen von 1947 setzte Moskau vielmehr eine Festschreibung seines Rechts zur Truppenstationierung auf dem Balkan durch, solange dies zur Versorgung seines Besatzungskontingents in Österreich erforderlich war. Nach dem Abschluss des Staatsvertrags von 1955 sollten dafür im Warschauer Pakt (WP) entsprechende Regelungen getroffen werden, die bis 1991 Bestand haben würden. Für eine Österreichlösung war damit ein erster Bremsklotz aus der regionalen Großwetterlage mit Langzeitwirkung eingeschoben. Auf beiden Seiten würde auch künftig bei allen Schwankungen in ihren Verhandlungsführungen über einen Staatsvertrag die Befriedigung eigener Sicherheitsinteressen Vorrang haben vor Fortschritten auf dem österreichischen Spielfeld. Schon 1946/47 verschob sich dabei allerdings die von den Westmächten mit ihrer Position in Österreich ursprünglich verbundene geostrategische Hauptzielrichtung in der Region. Von Österreich aus, das hatten die gar nicht erst aus den Startlöchern gekommenen Konföderationspläne der Briten ebenso bewiesen wie die gescheiterte amerikanische Initiative für einen kombinierten Truppenrückzug aus Österreich und dem Balkanraum, war vorerst keine sicherheitspolitisch verwertbare Tür nach Südosteuropa mehr zu öffnen. Churchills Alarmruf von einem »Eisernen Vorhang«, der sich von der Ostsee bis zur Adria niedergesenkt habe, teilte nämlich nicht nur Deutschland auf absehbare Zeit. An dieser Trennlinie lag auch Österreich, das wegen seiner Lage an den Alpenübergängen von nun an vorrangig in Nord-Süd-Ausrichtung von strategischem Interesse wurde. Für die Überlegungen, die dazu ab 1947/48 im Zuge der Schaffung eines westeuropäisch-transatlantischen Sicherheitssystems angeplant wurden, müssen von nun an drei wesentliche Phasen durchgeprüft werden. Da gilt es zunächst (1) den westinternen und innerösterreichisch aufgegriffenen Diskursen von der Gründung des Brüsseler Pakts bis zur militärischen Arrondierung der NATO (1954) nachzugehen. Sie umspannten den Alpenraum als Ganzes und nahmen dazu neben einer zeitweilig angestrebten Einbindung der Schweiz und Jugoslawiens auch Westösterreich für eine

30 Die US-Initiative und ihr Scheitern sind analysiert bei : Cronin : Great Power Politics, S. 33–36, und Mueller, Wolfgang : Gab es eine »verpasste Chance« ? Die sowjetische Haltung zum Staatsvertrag 1946– 1952, in : Suppan, Arnold/Stourzh, Gerald/Mueller, Wolfgang (Hg.) : Der österreichische Staatsvertrag 1955. Internationale Strategie, rechtliche Relevanz, nationale Identität (Archiv für österreichische Geschichte 140), Wien 2005, S. 89–120, hier S. 89–92.

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durchgängige Verteidigungsfront von Süddeutschland bis Norditalien in den Blick. Dem schloss sich (2) die Bewertung von Chancen und Gefahren aus einem österreichischen Staatsvertrag aus Sicht der Westmächte und der um Westdeutschland arrondierten NATO vom Herbst 1954 bis Mai 1955 an. Beim Pro und Kontra einer bewaffneten Neutralität Österreichs stand die Offenheit der Politiker für ein tragbares Sicherheitsrisiko gegen die Präferenz der Militärs für eine durchlaufende NATOFront. Nach Abschluss des Staatsvertrags und seiner Trennung der Verteidigungsbereiche Europa Mitte (AFCENT) und Europa Süd (AFSOUTH) schlug schließlich (3) die Nuklearisierung der NATO-Strategie voll auf die regionalen Sicherheitsbelange durch. Der schleppende Aufbau westdeutscher wie österreichischer Streitkräfte (1955–1967) war dafür zwar nicht ursächlich, bestätigte die westlichen Verteidigungsplaner aber von seiner Alternativlosigkeit. Weder in der Besatzungszeit noch danach war Österreich dabei freilich unmittelbarer Ansprechpartner der Militärbündnisse im Westen. Seine sicherheitspolitischen Interessen und militärischen Planungen liefen vielmehr vermittelt über die drei Westmächte und hier vorrangig über die USA. Zum Wendepunkt wurde das Jahr 1947 mit seinem zum Kalten Krieg verschärften Ost-West-Konflikt. Noch an der Jahreswende 1946/47 waren in die Friedensverträge mit Italien und den Balkanstaaten militärische Bestimmungen aufgenommen worden, die nur zur Selbstverteidigung befähigte Streitkräfte zugelassen hatten.31 Analoge militärische Begrenzungen hatten die Amerikaner auch für ein unabhängiges Österreich vorgelegt, die ebenfalls nur die innere Sicherheit und den Schutz gegen lokale Angriffe gewährleisten sollten. Wie nachrangig zu diesem Zeitpunkt noch alle vier Mächte das Sicherheitsproblem bewerteten, mag man daran ablesen, dass bei den Verhandlungen in Moskau im April 1947 die militärischen Aspekte ohne nennenswerte Reibungen vereinbart werden konnten.32 Besonderes Gewicht maß man den dazu erforderlichen militärischen Vorarbeiten auch in den folgenden Monaten noch nicht bei. Ganz im Gegenteil : Einvernehmlich hielt man den Beschluss des Alliierten Rates vom 10. Dezember 1945 aufrecht, der den Österreichern jegliche militärische Betätigung untersagte. Aus ersten westinternen Gedankenspielen war freilich bereits eine deutliche Verhärtung in den Bedrohungswahrnehmungen herauszulesen. Der US-Diplomat George F. Kennan sah in Stalin einen Vertreter jenes »ruhelosen russischen Nationalismus«, der sich unter ideologisch-revolutionärer Verbrämung letztlich »der westlichen Expansionspolitik der Zaren« verschrieben habe. Aus einer Fülle von Einzelerkenntnissen glaubte analog dazu sein britischer

31 Vgl. Hecht, Rudolf : Militärische Bestimmungen in den Friedensverträgen von 1947, in : Österreichische Militärische Zeitschrift 5/17 (1979), S. 377–384. 32 Vgl. Rauchensteiner : Staatsvertrag und bewaffnete Macht, S. 186 f., und Staudinger, Anton : Zur Geschichte der B-Gendarmerie, in : Österreichische Militärische Zeitschrift 5/10 (1972), S. 343–348, hier S. 343.

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Kollege Frank Roberts auf ganz konkrete Planungen schließen zu können, mit denen Moskau auch bereits den Aufbau einer »mächtigen ozeanfähigen Flotte« betreibe.33 Geostrategische Argumente begannen zunehmend an Gewicht für einen reaktivierten transatlantischen Sicherheitsverbund zu gewinnen. Erstmals wurde denn auch in einer Studie der US-Stabschefs im Februar 1946 die »Konsolidierung und Entwicklung der Macht Russlands als die größte Bedrohung der Vereinigten Staaten in der absehbaren Zukunft« bezeichnet.34 Der Schwerpunkt der Sicherheitsüberlegungen in West und Ost richtete sich dabei schon jetzt wie in der Zukunft an einer Kontrolle des deutschen Kernraums in Mitteleuropa aus. Noch konzentrierte sich westliches »Containment« einer Eindämmung weiterer sowjetischer Machtausdehnung freilich auf politisch-ökonomische Aspekte. Ihr geistiger Vater, der inzwischen zum Planungschef im State Department aufgestiegene Kennan, hatte dazu eine Balance aus Sicherheitsvorkehrungen und allgemeiner wirtschaftlicher Erholung in Westeuropa und Ostasien vor Augen. Er sah die Sowjetunion momentan nicht dafür disponiert, »einen neuen großen Krieg zu führen«, weil sie vorerst alle ihre Ressourcen für den eigenen ökonomischen Wiederaufbau benötigte. So blieben denn militärische Aspekte in der amerikanischen Europapolitik noch auf Monate hinaus zurückgenommen.35 Auch im Pentagon nahm man 1947/48 noch nicht an, dass die Sowjetunion gezielt auf einen neuen Krieg hinarbeitete. Allerdings waren die USStabschefs darüber besorgt, dass sich dies rasch ändern könne, wenn man dem Gegner Anlass zu Fehlperzeptionen mangelnder westlicher Abwehrbereitschaft gebe. Für so einen Fall hielt man im Pentagon die militärische Überlegenheit der sowjetischen Streitkräfte für so dramatisch, dass sie ohne substanzielle westliche Aufrüstung ganz Westeuropa bis an die Pyrenäen überrennen konnten. Die schwachen Besatzungskräfte in den Westzonen Deutschlands und Österreichs waren in frühen Kriegsplänen der USA als ernsthafte Potenziale noch nicht einmal genannt. Das Schicksal Österreichs und des Alpenraums als Vorfeldposition ergab sich indirekt daraus, dass auch die italienische Halbinsel nicht zu halten sein würde. Bestenfalls mochte zeitweilig die Insel Sizilien zur Absicherung der Mittelmeerrouten zu behaupten sein.36 33 Denkschrift Kennans »Russlands internationale Stellung am Ende des Krieges gegen Deutschland, Mai 1945, abgedr. in : Kennan, George F.: Memoiren eines Diplomaten, München 1971, S. 535–551, Zitat auf S. 537, sowie Roberts aus Moskau, 5. Juli 1945, DBPO 1945, I, S. 898–902. 34 JCS-Studie, 29. März 1946, FRUS 1946, I, S. 1165. 35 Memorandum des Policy Planning Staff zur internationalen Lage, 6. November 1947, FRUS 1947, I, S. 776. 36 Die nahezu deckungsgleichen Annahmen in den US-Plänen für einen möglichen Krieg in Europa BROILER (1947), FROLIC (Frühjahr 1948) und HALFMOON (Herbst 1948) sind eingehend analysiert bei : Ross, Steven T.: American War Plans 1945–1950, New York/London 1988, S. 53–71, S. 71–75 und S. 79– 98 ; vgl. auch die Lageeinschätzung der US-Stabschefs vom 19. Februar 1948, Condit : The Joint Chiefs of Staff and National Policy, S. 70.

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Da sich die USA indes auf ihr Monopol an Nuklearwaffen abstützen konnten, blieb ein großer Krieg noch eher unwahrscheinlich. Dagegen spekulierte die sowjetische Führung aus Sicht Washingtons auf eine allgemeine Wirtschaftskrise und deren Folgeerscheinungen von Systemumschwüngen in den Staaten West- und Mitteleuropas. In Rückbesinnung auf die Dreißigerjahre galt es mithin, »nicht den Kommunismus als solchen […], sondern die ökonomischen Verwerfungen zu bekämpfen, die die europäische Gesellschaft verwundbar machen für die Ausbreitung jeder Art totalitärer Bewegungen«.37 Und da die US-Stabschefs frühzeitig auch Österreich »als von größtem politischem und strategischem Interesse« für die amerikanische Stabilisierungspolitik in Europa einstuften38, wurde Wien von Anfang an in den Marshallplan einbezogen. Formal war dieses Hilfsprogramm auch für die Staaten Osteuropas offen. Nur blieb weder den Westeuropäern noch der sowjetischen Führung verborgen, dass mit einer wirtschaftlichen Integration Europas sicherheitspolitische Zielsetzungen im weiteren Sinne verbunden waren, die sich gegen die Sowjetunion richteten.39 Darauf verwiesen etwa die Exportkontrollen für sogenannte strategische Güter, denen sich alle Nutznießer von Marshallplan-Mitteln zu unterwerfen hatten. Bei der weiten Auslegung darunter fallender Erzeugnisse und den traditionellen Exportinteressen Österreichs im ost- und südosteuropäischen Raum musste davon naturgemäß die Wiener Politik guter Beziehungen zu allen vier Besatzungsmächten nachhaltig belastet werden.40 Eindeutig sicherheitspolitische Impulse hatte unterdessen im Frühjahr 1947 die Truman-Doktrin mit ihrer militärisch noch nicht näher bestimmten Hilfszusage an Staaten gesetzt, deren Unabhängigkeit durch »Unterwerfungsversuche von bewaffneten Minderheiten oder durch äußeren Druck« bedroht war.41 Neben Frankreich und Italien stufte man auch Österreich an hervorgehobener Stelle in die Reihe bedrohter Länder ein, die ohne hinreichende Stabilisierung wie Dominosteine zum kommunistischen Gegenlager hin umkippen mochten.42 Sicherheitspolitisch wollten sich die 37 Memorandum Kennans für Außenminister Dean Acheson, 23. Mai 1947, FRUS 1947, III, S. 225. 38 JCS an US-HICOM Keyes, 14. Mai 1947, zit. bei : Rathkolb, Oliver : Von der Besatzung zur Neutralität, in : Bischof, Günter/Leidenfrost, Josef (Hg.) : Die bevormundete Nation. Österreich und die Alliierten 1945–1949 (Innsbrucker Forschungen zur Zeitgeschichte 4), Innsbruck 1988, S. 371–405, hier S. 376. 39 Eingehend dazu : Krüger, Dieter : Sicherheit durch Integration ? Die wirtschaftliche und politische Zusammenarbeit Westeuropas 1947 bis 1957/58 (Entstehung und Probleme des Atlantischen Bündnisses bis 1956 6), München 2003, S. 37–63. 40 Zum Zusammenhang von Wirtschaftshilfen und Exportkontrollen : Mähr, Wilfried : Der Marshallplan in Österreich. Tanz nach einer ausländischen Pfeife ? in : Bischof, Günter/Leidenfrost, Josef (Hg.) : Die bevormundete Nation. Österreich und die Alliierten 1945–1949 (Innsbrucker Forschungen zur Zeitgeschichte 4), Innsbruck 1988, S. 245–272, hier S. 257–262. 41 Die Rede von US-Präsident Truman vor dem Kongress, 12. März 1947, ist abgedruckt in : Commager, Henry Steele (Hg.) : Documents of American History, Band 2, Englewood Cliffs 1973, S. 525–528. 42 So Bischof, Günter : Austria in the First Cold War 1945–55. The Leverage of the Weak, Basingstoke/London/New York 1999, S. 113.

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USA zwar immer noch nicht unmittelbar auf dem europäischen Kontinent engagieren, wie dies britische Alarmrufe intendierten. Truman-Doktrin und Marshallplan steuerten vielmehr ein politisch-ökonomisches Zusammenrücken der Westeuropäer und ein Aktivieren ihrer regionalen Selbsthilfekräfte an. Militärisch glaubten die USA dagegen zwischen 1947 und 1949 noch gestützt auf ihr Monopol an Kernwaffen ein »kalkuliertes Risiko« eingehen zu können, das ihre Verteidigungsausgaben zugunsten ihrer ökonomischen Stützungsmaßnahmen in Übersee niedrig zu halten erlaubte. Dazu reichte es Washington vorerst aus, rund um den kommunistischen Machtbereich eine Serie gut gewählter Stützpunkte (»strongpoints«) zu besetzen, von denen aus der Gegner mit überlegenen Luft- und Seestreitkräften kontrolliert werden konnte. Als daher Briten und Franzosen im März 1947 mit unverkennbar antisowjetischer Stoßrichtung in Dünkirchen einen Beistandspakt schlossen, blieb die erhoffte transatlantische Verklammerung zunächst aus.43 Die von London und Paris ab Jänner 1948 betriebene Erweiterung des bilateralen Bündnisses um die Benelux-Staaten zur »Western Union« traf sogar auf deutliche amerikanische Vorbehalte. Mochten die Briten auf die Reaktivierung von Stalins Zwei-Lager-Theorie beim Treffen der osteuropäischen KP-Chefs im Herbst 194744 verweisen und davor warnen, dass die wirtschaftlichen Hilfsmaßnahmen »an sich nicht ausreichen, um der russischen Bedrohung Einhalt zu gebieten«.45 In Washington überwogen die Skeptiker, die in einem militärischen Zusammenschluss Westeuropas mehr Schaden als Nutzen für dessen politisch-wirtschaftliche Stabilisierung erblickten. Die ökonomischen Ressourcen würden durch die Doppelbelastungen aus Wiederaufbau und Aufrüstung überfordert, die Begrenzung auf einige wenige Länder lasse zu viele andere außen vor, und das Ganze führe letztlich zu einer unerwünschten »Militarisierung« des Ost-West-Konflikts, hieß es. Hinter der Sorge, dass die angestrebte Westunion mehr trenne, als sie zu vereinigen vorgab, kamen neben anderen auch Italien und Österreich ins Bild. Aus Rom warnten westliche Diplomaten seit Herbst 1947 vor einem Umkippen zu den Kommunisten hin, wenn man das Land nicht an der westeuropäischen Integration teilhaben lasse. Schon vor Abschluss des Brüsseler Vertrages nahmen die Briten deshalb seine Erweiterung um die Italiener als »schwächstes Glied in der Kette« einer Absicherung Westeuropas in Aussicht.46 Trotz solcher Signale hielt man in Washington dagegen sowohl den militärischen Charakter als auch die begrenzte Teilnehmerzahl nach wie vor für unzureichend, 43 Vgl. Greenwood, Sean : Return to Dunkirk : The Origins of the Anglo-French Treaty of March 1947, in : Journal of Strategic Studies 6 (1983), S. 49–65. 44 Zum Geheimtreffen im Riesengebirge, Ende September 1947 : Friedrich, Thomas : Das Kominform und die SED, in : Beiträge zur Geschichte der Arbeiterbewegung 33 (1991), S. 322–335. 45 Foreign Office an brit. Botschaft Washington, 13. Jänner 1948, zit. bei Krüger : Sicherheit, S. 65. 46 Empfehlung von Außenminister Ernest Bevin im Kabinett, 5. März 1948, Public Record Office (PRO), CAB 128/12, CM 16 (48).

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müsse es doch um eine breite westeuropäische Einheitsfront gehen. Die US-Stabschefs wollten deshalb auch Österreich als eine »Schlüsselzone« nicht »unter exklusiven Einfluss der Sowjetunion« fallen sehen. Damit würde nicht nur die westliche Position am Eingang zum Donau- und Balkanraum geschwächt ; auch die Lage im angrenzenden Italien musste davon politisch wie militärisch nachteilig betroffen sein.47 Schon Ende 1947 erreichten Washington nämlich Hilferufe aus Rom, wo man auf eine Verstärkung der US-Truppen in Österreich drängte, da bei der militärischen Schwäche Italiens nur auf diese Weise ein denkbarer Angriff gegen Norditalien abzuwehren sei. Nun war zwar die strategische Bedeutung der Apenninenhalbinsel am Übergang vom westlichen zum östlichen Mittelmeer unstrittig. Nur war man sich im Brüsseler Pakt ebenso einig, dass Italien in seinem damaligen militärischen Zustand nicht zu verteidigen war.48 Eine militärische Vorfeldverstärkung im österreichischen Alpenraum, wie von Rom gewünscht, wäre dazu gewiss hilfreich gewesen. Eine dafür erforderliche Erhöhung der US-Truppen in Europa sah man in Washington jedoch vorerst weder als sinnvoll noch als innenpolitisch durchsetzbar an. Das Mindeste, so der US-Hochkommissar in Wien, Geoffrey Keyes, der sich darin mit Österreichs Außenminister Karl Gruber einig wusste, sei dann aber eine Aufrüstung Österreichs, um es zur Selbstverteidigung zu befähigen. Bei den laufenden Verhandlungen um einen Staatsvertrag sei diese Frage mithin »most urgent«.49 Aus Sicht der Gründungsmitglieder des Brüsseler Pakts war Anfang 1948 dagegen eine Ausweitung in Richtung Alpenraum noch verfrüht. Sie wollten durch den begrenzten Bündnisrahmen wie durch seine formal gegen Deutschland gerichtete Zielsetzung50 zunächst eher den sicherheitspolitischen Charakter einer Westunion betonen. Als denkbares Verhandlungsobjekt in den Ost-West-Beziehungen sollte sie mithin nicht durch eine allzu offenkundig antisowjetische Stoßrichtung belastet werden. Wie eine Bestätigung der militärischen Alarmrufe über mangelhafte Verteidigungsvorkehrungen an der Nahtstelle zwischen West und Ost musste da der kommunistische Umsturz in Prag Ende Februar 1948 wirken. Zwar kam er für die Diplomaten nicht überraschend, doch machte sich jetzt auch US-Außenminister George C. Marshall Sorgen über mögliche Erschütterungen in Westeuropa und hier speziell in Italien.51 Noch drastischer bewertete der Oberkommandierende 47 JCS an US-HICOM Keyes, 14. Mai 1947, zit. bei Rathkolb : Von der Besatzung zur Neutralität, S. 376 ; vgl. auch : Stourzh : Einheit, S. 134. 48 Vgl. Varsori, Antonio : Italy and Western Defence 1948–55 : The Elusive Ally, in : Heuser, Beatrice/ O’Neill, Robert (Hg.) : Securing Peace in Europe, 1945–62. Thought for the post-Cold War Era, Basingstoke 1992, S. 196–221, hier S. 198. 49 General Keyes aus Wien an JCS, 10. Februar 1948, FRUS 1948, II, S. 1356 f. 50 Wortlaut des Brüsseler Fünf-Mächte-Vertrages vom 17. März 1948, abgedruckt in : Europa-Archiv 3 (1948), S. 1263 f. 51 Telegramm Marshalls, 24. Februar 1948, FRUS, IV, S. 736.

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der US-Streitkräfte in Europa (USCINCEUR), General Lucius D. Clay, die Prager Ereignisse, wenn er selbst einen »mit dramatischer Plötzlichkeit« ausbrechenden Krieg nicht mehr ausschließen wollte.52 Selbst Präsident Truman ließ sich davon anstecken : »Wird Russland den ersten Schritt tun ? Wer feuert zuerst ? Was machen wir dann ?«53 In Westeuropa trug die Krise jedenfalls psychologisch dazu bei, den Brüsseler Vertrag am 17. März 1948 zum Abschluss zu bringen. Und entgegen der bisherigen amerikanischen Skepsis gegen das Projekt stellte Truman jetzt in Aussicht, er werde rasch »durch angemessene Mittel den freien Nationen diejenige Unterstützung zukommen lassen, die die Lage erfordere«.54 Wenige Wochen später beschrieb US-Verteidigungsminister James V. Forrestal die Lage als »ständigen, kritischen Spannungszustand«, der die Ost-West-Beziehungen dauerhaft belasten werde.55 In einem »Stadium höchster Nervosität« sahen angelsächsische Beobachter auch die Wiener Politik befangen. Deshalb müsse nun alles unternommen werden, um Vorkommnisse wie 1947 in Warschau und Budapest oder jetzt 1948 in Prag nicht auf »Österreich, Italien und sonst wo« übergreifen zu lassen. Schließlich sei absehbar, dass »nach Finnland Österreich (zusammen mit Italien) die nächste Stelle darstellt, worauf die Sowjets ihre Anstrengungen konzentrieren werden«.56 Für die US-Stabschefs war die Behauptung der westlichen Position in Österreich bedeutsam genug, dass seine Räumung zum gegebenen Zeitpunkt »militärisch unpassend« sein würde. Wenn überhaupt, dann solle man sie erst ins Auge fassen, nachdem angemessene Selbstverteidigungskräfte aufgestellt seien. Empfohlen wurde auch erneut eine Ausdehnung des Brüsseler Pakts auf Spanien, Westdeutschland und Österreich.57 Ähnlich alarmiert zeigte man sich in Paris, da man sich neben einem 52 Clay aus Berlin, 5. März 1948, zit. nach Krieger, Wolfgang : General Lucius D. Clay und die amerikanische Deutschlandpolitik 1945–1949 (Forschungen und Quellen zur Zeitgeschichte 10), Stuttgart 1987, S. 337. 53 Kommentar Trumans, 5. März 1948, zit. bei : Donovan, Robert J.: Conflict and Crisis. The Presidency of Harry S. Truman 1945–1948, New York 1977, S. 359. 54 Zur Unterzeichnung des Vertrags und der Reaktion Trumans : Cook, Don : Forging the Alliance. NATO 1945 to 1950, London 1989, S. 113 f. bzw. S. 128. 55 Zit. in : Greiner, Christian : Die alliierten militärstrategischen Planungen zur Verteidigung Westeuropas 1947–1950, in : Foerster, Roland G./Greiner, Christian/Rautenberg, Hans-Jürgen/Wiggershaus, Norbert (Hg.) : Von der Kapitulation bis zum Pleven-Plan (Anfänge Westdeutscher Sicherheitspolitik 1945–1956 1), München/Wien 1982, S. 119–323, hier S. 131. 56 Die Analysen von Hickerson aus Wien, 8. März, und Peterson aus Moskau, 2. März 1948, sind nachgewiesen bei : Bischof, Günter : »Prag liegt westlich von Wien«. Internationale Krisen im Jahre 1948 und ihr Einfluß auf Österreich, in : Bischof, Günter/Leidenfrost, Josef (Hg.) : Die bevormundete Nation. Österreich und die Alliierten 1945–1949 (Innsbrucker Forschungen zur Zeitgeschichte 4), Innsbruck 1988, S. 315–345. 57 Stellungnahme der JCS zu NSC 9/2, 19. April 1948, Condit : The Joint Chiefs of Staff and National Policy, S. 365.

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Überschwappen von totalitären Linkstendenzen auf das eigene Land auch um negative Auswirkungen auf Österreich sorgte. Bei führenden Politikern in Wien schätzte man – von Ausnahmen abgesehen – solche Ansteckungsgefahren allerdings als vergleichbar gering ein. Die Stimmung bis in die gemäßigte Linke hinein lasse kaum Anfälligkeiten dafür befürchten und im Übrigen habe man hier neben den sowjetischen ja auch noch westliche Besatzungstruppen im Lande58, hieß es. Skeptischer beurteilten dagegen die westlichen Hochkommissare die Lage, falls es in absehbarer Zeit doch noch zum Abschluss eines Staatsvertrags käme und bis dahin keine österreichische Armee als stabilisierendes Element aufgebaut sei. General Béthouart befürchtete gar ein »neues München«, würde das Land dann doch im Norden und Osten von Satelliten der Sowjetunion umklammert sein. Bei einem Verlust Österreichs sah er sogar einen Krieg voraus, da man dem im Westen anders als 1938 nicht tatenlos zusehen werde. Andererseits hielt er die noch unter Besatzungsauflagen stehende Alpenrepublik ökonomisch für zu schwach, um sich aus eigener Kraft zu verteidigen. In einem Staatsvertrag müsse daher zumindest eine kollektive Garantieklausel aller vier Unterzeichnermächte über die österreichische Unabhängigkeit eingebaut sein.59 Überlegungen über eine sicherheitspolitische Anbindung an den Westen zur eigenen Stabilisierung wie zur Vermeidung eines militärischen Vakuums in der Region beschäftigten auch führende Österreicher. Schon unmittelbar vor Ausbruch der Prager Krise ließ Außenminister Karl Gruber sein Interesse an einem möglichen Beitritt Österreichs zur geplanten Westunion durchblicken. Für einen zwischen Ost und West eingeklemmten »Pufferstaat« erschienen ihm Wiens eigene Mittel nämlich zu begrenzt. Deshalb suchte er sicherheitspolitische Anlehnung dort, wo dies für die westlich orientierte Zweite Republik naheliegend schien.60 Seine Überlegungen trafen insbesondere bei den Amerikanern in diesem Frühjahr 1948 auf lebhaftes Interesse. Nachdem anfängliche Vorbehalte ausgeräumt waren, schlossen sich dem schließlich alle drei westlichen Besatzungsmächte an. Dabei ging es jedoch nicht um einen Beitritt Österreichs zum Brüsseler Pakt, sondern lediglich um ein militärisches Instrument für die Selbstbehauptung eines künftigen unabhängigen Österreich. Darauf verwies allein schon dessen vorgesehene leichte Bewaffnung. Und da man eine Vier-Mächte-Übereinkunft darüber mit der sowjetischen Seite für aussichtslos hielt, ermutigte man die Österreicher, mit Planungen insgeheim schon einmal selbst vo-

58 Vgl. Rauchensteiner, Manfried : Die Zwei. Die Große Koalition in Österreich 1945–1966, Wien 1987, S. 116 f ; Bischof : »Prag liegt westlich von Wien«, S. 320 f.; Stourzh : Einheit, S. 139 f. 59 Vortrag Béthouarts »Où va l’Autriche ?« bei einer Veranstaltung des Comité France-Amérique in Paris, Anfang März 1948 ; Sandner : Französisch-österreichische Beziehungen, S. 207 (Anm. 307). 60 Zu den Gruber-Initiativen vom Februar 1948 : Bischof : »Prag liegt westlich von Wien«, S. 322, und Stourzh : Einheit, S. 125.

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ranzugehen. Verbunden damit war die Zusage, dies bei Ausbildung und Ausrüstung auf getarntem Wege und mit verdeckten Mitteln zu unterstützen. Wenn Kennan mittelfristig sogar eine Mitgliedschaft Österreichs im westeuropäischen Sicherheitsverbund andachte61, dann wurde das vom britischen Außenminister Bevin als seinem Initiator im Frühjahr 1948 rundweg abgelehnt. Vor einer kritischen Öffentlichkeit durfte der Westen nicht zu offensiv auf eine Militarisierung des Kalten Krieges zusteuern. Nüchtern beurteilte Bevin aber auch die militärischen Möglichkeiten Österreichs, das schwerlich die »Verpflichtungen auf Gegenseitigkeit« übernehmen konnte, die dann von ihm gefordert werden mussten. Selbst die Sicherheitsgarantie war unter den gegebenen militärischen Möglichkeiten der Westmächte mehr, als London für verantwortbar hielt.62 Noch nicht einmal für die vorgesehene Verteidigungslinie an Rhein und Ijssel konnte der Brüsseler Pakt 1948 ausreichende Streitkräfte bereitstellen, waren Briten und Franzosen doch weitab von Westeuropa in verlustreiche spätkoloniale Kämpfe verwickelt. Die Amerikaner konnte man dagegen bestenfalls zurückgenommen auf ihre Stützpunkte am Rande des Kontinents einrechnen.63 Woher sollte man da, so argumentierten die britischen Stabschefs ganz unverhohlen, die zusätzlichen militärischen Verbände für eine wirksame Verteidigung Österreichs nehmen ?64 Um dennoch eine Rhein-Verteidigung an seinen Flanken nicht völlig in der Luft hängen zu lassen, wäre ihre Verankerung in den Alpen durchaus wünschenswert gewesen. General Béthouart vollzog dazu in Tirol und Vorarlberg, anders als noch im Frühjahr, geradezu eine Kehrtwendung, wenn er im Dezember 1948 für eine Einbeziehung der österreichischen Alpen in die Verteidigungspläne des Brüsseler Pakts plädierte.65 Schließlich hatten ihn »ziemlich verlässliche Meldungen über sowjetische Truppenkonzentrationen in Ostdeutschland und Ungarn« erreicht, die neben einem Hauptstoß zum Atlantik auch eine Entlastungsoperation gegen Norditalien als möglich erscheinen ließen. Für Operationen auf österreichischem Boden war jedoch zu wenig an Streitkräften vorhanden. Die reduzierten westlichen Besatzungstruppen ließen nur geringe Durchhaltefähigkeit erwarten, und österreichisches Potenzial war vorerst nicht verfügbar. Deshalb fiel 61 Auf solche Überlegungen Kennans verweist Rauchensteiner, in : Der österreichische Staatsvertrag, S. 67 f. 62 Zu Bevins Reaktion auf Grubers Überlegungen : Knight, Robert Graham : British Policy towards Occupied Austria 1945–1950, London 1986 (Dissertation), S. 210. 63 Zur militärischen Lage des Brüsseler Pakts 1948/49 aus Sicht seines Oberbefehlshabers Bernard Montgomery : Hamilton, Nigel : Monty. The Field Marshal 1944–1976, London 1986, S. 723–776 ; zur Einschätzung der Westunion durch die US-Stabschefs : Wampler, Robert A.: Ambigous Legacy. The United States, Great Britain and the Foundation of NATO Strategy 1948–1957, Ann Arbor 1996, S. 2–12. 64 Zur Reaktion der britischen Stabschefs : Stourzh : Einheit, S. 132 (Anm. 38). 65 Vgl. seine Note über die Verteidigung des Westens, 21. Dezember 1948, Sandner : Französisch-österreichische Beziehungen, S. 208.

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der Blick des britischen Oberbefehlshabers im Brüsseler Pakt, Lord Montgomery, in den Alpen nicht vorrangig auf Österreich, sondern auf die Schweiz. Sie hatte in zwei Weltkriegen ihren Widerstandswillen bewiesen und verfügte über ansehnliche Streitkräfte einschließlich ihrer ausgebauten Alpenbefestigungen. In nüchterner Einschätzung des mangelhaften Verteidigungspotenzials im Brüsseler Pakt dachte man in Bern jedoch gar nicht daran, die eigene bewaffnete Neutralität zugunsten eines so wenig effektiven Allianzsystems aufzugeben.66 Aber auch im französischen Generalstab war wenig Neigung vorhanden, die eigenen Truppen in Westösterreich zu wirksamer Verteidigung aufzustocken. Ganz im Gegenteil : Da man die eigenen Grenzregionen mit Blick auf die unsicheren Verhältnisse in Italien 1947/48 im Falle eines kommunistischen Wahlsieges für bedroht ansah, zog man aus Österreich sogar noch zwei der einsatzfähigsten Alpenjägerbataillone dahin ab. Anders als sein Hochkommissar sah der Oberbefehlshaber der französischen Besatzungstruppen, General Paul Cherrière, im Übrigen nicht in einer militärischen Anbindung Österreichs an den Westen die Lösung, sondern im beschleunigten Abzug aller Besatzungstruppen. Bringe man mit den westlichen Truppen auch den sowjetischen »Wurm« aus der österreichischen »Frucht«, dann könne die Sowjetarmee »sogar zu den östlichen Grenzen Österreichs zurückgedrängt werden«.67 Hier deutete sich erstmals eine Gegenstrategie zur militärischen Anlehnung Österreichs an den Westen an, die stattdessen unter bewusster Inkaufnahme der damit verbundenen militärischen Risiken ein Auseinanderrücken an der Frontlinie des Kalten Krieges zumindest andiskutierte. Noch plädierten die französischen Militärs vor Ort in letzter Konsequenz dann doch im Gleichklang mit dem österreichischen Außenminister für den vermeintlich effizienteren Weg einer Hereinnahme oder wenigstens einer Anlehnung an den Brüsseler Pakt. Die britische Zurückweisung nahm die österreichische Bundesregierung denn auch nicht tatenlos hin. Eigene Bedrohungsgefühle wie die amerikanischen Vorbehalte gegen eine Räumung Österreichs, solange man nicht wenigstens die innere Sicherheit gewährleisten konnte, ließen einen außerordentlichen Ministerrat noch am 4. März eine »beschleunigte Bewaffnung der Polizei und Gendarmerie mit moderner Ausrüstung« fordern.68 Dieses Verlangen wurde über den Wehrexperten der SPÖ, Julius 66 Vgl. Thoß, Bruno : Geostrategie und Neutralität. Die deutsch-schweizerischen Sicherheitsbeziehungen im Spannungsfeld von Neutralitätswahrung und NATO-Verteidigung, in : Fleury, Antoine/Möller, Horst/Schwarz, Hans-Peter : Die Schweiz und Deutschland 1945–1961, München 2004, S. 181–198, hier S. 183–185 ; zur Haltung der Schweiz generell : Mantovani, Mauro : Schweizerische Sicherheitspolitik im Kalten Krieg (1947–1963). Zwischen angelsächsischem Containment und Neutralitäts-Doktrin, Zürich 1999, hier insbes. S. 95–100. 67 Cherrière an Quai d’Orsay, 3. März 1948, zit. bei Angerer : Frankreich, S. 292. 68 Festlegung des Ministerrats, 4. März : Stourzh : Einheit, S. 127 ; für Blasi : Die B-Gendarmerie, S. 11, war dies die »geistige Geburtsstunde« der künftigen militärähnlichen B-Gendarmerie.

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Deutsch und Bundeskanzler Leopold Figl an den US-Gesandten in Wien herangetragen. Da allen Beteiligten klar war, dass dafür keine Vier-Mächte-Übereinstimmung zu erzielen sein würde, wollten die beiden Regierungsparteien SPÖ und ÖVP dazu ein inoffizielles, paritätisch besetztes Planungskomitee einrichten.69 Zudem wurde bis Anfang Mai amerikanisch-britisches Einvernehmen hergestellt, dass von Washington Ausbildungs- und Ausrüstungshilfen für erste Kader eines künftigen Heeres und von London Hilfe für eine klein gehaltene Luftwaffe bereitgestellt werden sollten.70 Grubers Anliegen eines Beitritts zur Westunion wurde dagegen nicht weiterverfolgt. Man beschränkte sich auf die Forderung nach Selbstverteidigungskräften, musste ein Mehr doch das Kernziel österreichischer Unabhängigkeit bedrohen. Als die USA, Großbritannien und Kanada indes unter dem Eindruck der Prager Krise in Washington trilaterale Sicherheitsgespräche über eine transatlantische Ausweitung des Brüsseler Pakts aufnahmen, reichten ihre Überlegungen über eine indirekte Anlehnung Österreichs hinaus. Sollte es zu einem Atlantikpakt kommen, dann konnte die bisherige Stützpunktstrategie der USA mit ihrer zeitweiligen Aufgabe des westeuropäischen Kontinents nicht das letzte Wort sein. Schon das Drängen der Franzosen auf ein Vorschieben der Verteidigung der Brüsseler-Pakt-Kräfte an den Rhein hatte unmissverständlich kontinentales Interesse an einer wirksamen Kontinentalverteidigung zur Conditio sine qua non eines westlichen Sicherheitssystems erhoben. Von daher griff die Washingtoner Expertenrunde von Anfang an über den Kernraum eines künftigen Atlantikpakts auch auf dessen Vorfelder aus. Da gerieten Italien, Griechenland und die Türkei als Mittelmeeranrainer ebenso frühzeitig in den Blick wie das seit Sommer 1948 aus dem kommunistischen Lager ausgestoßene Jugoslawien, das den Zugang nach Norditalien abdeckte. Von Österreich aus ließ sich das nicht hinreichend bewerkstelligen, weil sich der Ostteil des Landes in sowjetischer Hand befand und die verfügbaren britischen Verbände in Kärnten nicht ausreichten. Bei westlichen Diplomaten vor Ort war daher schon 1948 eine weichere Linie gegenüber Belgrads Wünschen nach einer erneuten Volksabstimmung in Kärnten zu erkennen. So schien die Sorge des österreichischen Gesandten in Washington nicht ganz unbegründet : »Konzessionen an Jugoslawien auf Österreichs Kosten eröffnen Aussichten, jenes Russland ganz zu entfremden und es fest an die Weststaaten zu binden.«71 Unter strategischen Aspekten lagen aber vor allem Westdeutschland und Österreich an traditionellen Einbruchsstellen nach Mittel- und Westeuropa, weshalb für beide zu-

69 Zu den Vorsprachen von Deutsch und Figl : Gesandter Erhardt an State Department, 22. April. bzw. 11. Juni 1948, FRUS 1948, II, S, 1364 f. und S. 1369–1371 ; zu den internen Debatten in den österreichischen Parteien : Rauchensteiner : Die Zwei, S. 119–122. 70 US-Heeresminister Kenneth C. Royall an State Department, 7. Mai 1948, FRUS 1948, II, S. 1367–1369. 71 Kleinwächter aus Washington, 10. Februar 1949, zit. bei Stourzh : Einheit, S. 148 (Anm. 85).

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mindest »der Weg offen bleiben sollte für einen späteren Beitritt«.72 Das ging zurück auf ein Positionspapier des National Security Council der USA vom März 1948, in dem eine Aufnahme beider Länder in den Brüsseler Pakt und den Atlantikpakt nicht mehr ausgeschlossen wurde. Dabei konnte man sich je nach Entwicklung der Verhältnisse durchaus auch nur einen Beitritt der jeweiligen »Western Zones« zu gegebener Zeit vorstellen. Schließlich formulierte man sogar noch zurückhaltender, Westdeutschland wie Österreich seien nicht als Vollmitglieder, sondern allenfalls »unter gewissen vorgeschriebenen Bedingungen« zu einem späteren Zeitpunkt einzuladen, ohne die dafür erforderlichen Vorbedingungen zu benennen.73 Faktisch sollte Österreich jedenfalls im gesamten Zeitraum bis zum Abschluss des Staatsvertrags eine auf die Besatzungsmächte konzentrierte Sicherheitsfrage bleiben, die erst über die Westmächte indirekt zur Bündnisangelegenheit wurde. Dass Österreich mithin »gedanklich sicherlich zu den Gründungsmitgliedern der NATO« zu zählen sei, wird man eher skeptisch zu bewerten haben.74 Um Prag und Berlin 1948 hoben sich die Einschätzungen für Österreich und seine Hauptstadt nämlich deutlich von denen in Westdeutschland und Westberlin ab. Während das westdeutsche Potenzial seit 1947/48 zunehmend attraktiver für eine wirksame Verteidigung Westeuropas wurde, spielte eine langfristig nicht ausgeschlossene Beteiligung Österreichs in den Gründungsverhandlungen der NATO 1948/49 faktisch keine erkennbare Rolle. Anfängliche Nervosität bei den Wienern und den Westalliierten vor Ort, dass die Blockade der Zugangswege nach Westberlin auch auf Wien durchschlagen mochte, wichen schnell einer gelasseneren Einschätzung. Nadelstichen und personalen Zwischenfällen, darin waren sich der amerikanische und der sowjetische Hochkommissar in Wien selbst auf dem Höhepunkt der Spannungen einig, wollte man tunlichst deeskalierend begegnen. In amerikanischbritischer Kooperation traf man zwar Vorkehrungen für eine eventuelle Notversorgung Wiens im Falle seiner Abriegelung. Schließlich wollte man nicht »in der Falle sitzen, unfähig, sich selbst zu erhalten oder abzuziehen«.75 Im Vergleich dazu besaß jedoch eine Bevorratung Berlins jederzeit absolute Priorität, da eine Doppelversorgung beider Städte aus der Luft undurchführbar war. Bei dem dominierenden Interesse an einer militärischen Westintegration der Bundesrepublik wäre aber eine Aufgabe Berlins psychologisch nicht zu vertreten gewesen. Anstelle militärischer Öffnungspläne stellte man sich daher im Falle Wiens darauf ein, eine eventuelle Krise eher mit diplomatischen Mitteln zu lösen. 72 3. Treffen der Washington Exploratory Talks on Security, 24. März 1948, FRUS 1948, III, S. 66. 73 14. Treffen der Washington Exploratory Talks on Security, 7. September 1948, ebd., S. 234 f. 74 So Rauchensteiner, Manfried : Österreich und die NATO. Ein historischer Rückblick, in : Truppenpraxis 4/39 (2000), S. 272–279, hier S. 272. 75 Die entsprechende US-Studie vom Sommer 1948 ist zit. bei Schmidl, Erwin : »Rosinenbomber« über Wien ? Alliierte Pläne zur Luftversorgung Wiens im Falle einer sowjetischen Blockade 1948–1953, in : Österreichische Militärische Zeitschrift 4/36 (1998), S. 411–418, hier S. 414.

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Auch die generelle sicherheitspolitische Bedeutung Österreichs für westliche Verteidigungsoptionen darf bei allen militärischen Sonderinteressen nicht überbewertet werden. Solche Stimmen vor Ort wird man immer zu messen haben an den deutlich zurückhaltenderen Planungen in den Generalstäben der Westmächte wie an der Spitze der NATO. Und selbst diese Stabsplanspiele sind nicht zum Nennwert zu nehmen, sondern gegenzurechnen gegen die politischen Interessenlagen und Absichten in Washington, London und Paris wie später in der NATO. So wollte die britische Regierung schon im Sommer 1948 nach einem Abflauen der Krise von der österreichischen Regierung bei aller durchaus erwünschten »festen Haltung« nicht »zuviel des Guten« sehen. Da man in London weiterhin realistische Chancen zu einer Österreich-Lösung sah, blieb man an einem »arbeitsfähigen Viermächtesystem« interessiert. Dies sei der beste Garant dafür, die prekäre Lage der eigenen Truppen zu stabilisieren und in absehbarer Zukunft die »Einheit des Landes« zu erreichen. So bremste man ein allzu forsches Vorprellen des österreichischen Außenministers mit antisowjetischen Ausfällen, da mit Blick auf die Berlinblockade kein zweiter Schauplatz erhöhter Ost-West-Spannungen erwünscht war. Selbst die USStabschefs bezweifelten nämlich, »ob unser Volk bereit ist, einen Krieg vom Zaune zu brechen, um unsere Positionen in Berlin und Wien zu halten«.76 Lediglich der französische Hochkommissar wollte aus der Not seiner abgeschmolzenen Truppen eine Tugend erhöhter militärischer Mitwirkung der Österreicher machen. Noch vor dem allgemeinen Zugriff der Westmächte sah er in Tirol und Vorarlberg die Bereitschaft vorhanden, das bislang ungenutzte Potenzial österreichischer Wehrpflichtiger in einer Art »Aufgebot« erfassen zu lassen.77 Seine angelsächsischen Kollegen wiegelten indes erst einmal ab. Für die britischen Stabschefs war Österreich vorrangig ein politisches und kein militärisches Problem. Im Übrigen mangelte es den Westmächten hier schlicht an Truppen. Wie viel oder wie wenig man von den Österreichern selbst militärisch erwartete, machten schon im Herbst 1948 die reduzierten Vorplanungen für gerade einmal ein Bataillon à 500 Mann deutlich, die man in jeder westlichen Besatzungszone aufzustellen gedachte. Trotz deren militärischer Spezialausbildung lag das Hauptinteresse der Westmächte nicht im äußeren Einsatz, sondern beim Ausgleich für bereits durchgeführte bzw. noch geplante eigene Truppenreduzierungen. Dissonanzen zwischen den österreichischen Regierungsparteien und Vorbehalte Frankreichs selbst gegen diese sehr

76 Telefonkonferenz des Vorsitzenden der US-Stabschefs, Bradley, mit dem Oberbefehlshaber der US-Truppen in Europa, Clay, 10. April 1948, zit. nach : Bischof : »Prag liegt westlich von Wien«, S. 328 und S. 343 (Fn 47). 77 Artl, Gerhard : Das Aufgebot : (West-)Österreich als »geheimer Verbündeter« der NATO ?, in : Blasi, Walter/Schmidl, Erwin/Schneider, Felix (Hg.) : B-Gendarmerie, Waffenlager und Nachrichtendienste. Der militärische Weg zum Staatsvertrag, Wien 2005, S. 97–122.

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moderate Aufrüstung zeigten schon Ende 1948, wie nachrangig die Sicherheitsfrage bereits wieder gehandelt wurde. Und da selbst im US-Hochkommissariat in Wien alle Indizien gegen eine sowjetische Blockadeaktion à la Berlin sprachen, plädierte man auch hier für einen Test der Moskauer Absichten durch Wiederaufnahme der Verhandlungen über einen Staatsvertrag. Andererseits war noch den ganzen Sommer und Herbst 1948 über die Luft in Wien voll von kommunistischen Putschgerüchten. Deshalb blieb bei den Militärs die Sorge virulent, dass man Österreich nicht voreilig räumen dürfe. Seien die Besatzungstruppen erst einmal weg, dann werde es bei den innenpolitischen Widerständen in den USA gegen ein dauerhaftes militärisches Engagement in Übersee kaum mehr Chancen zu ihrer zeitgerechten Rückführung im Krisenfall geben.78 Umso unverzichtbarer blieb deshalb für die USA, die geheime Bewaffnung in den Westzonen zu forcieren – und dies immerhin zwei Jahre früher als in Westdeutschland !79 In der zweiten Jahreshälfte 1948 flauten aber die westlichen Bedrohungseinschätzungen so weit ab, dass sich der Druck dafür in Wien in Grenzen hielt. Dazu trugen nicht unwesentlich die Signale bei, dass Stalin es bei der Berlinblockade offensichtlich nicht auf eine militärische Eskalation ankommen lassen wollte. Für Kennan waren im Herbst 1948 unübersehbare Stabilisierungserfolge im Westen und – mit Blick auf Jugoslawien – sogar Aufweichungstendenzen in Osteuropa auszumachen. Deshalb stemmte er sich (allerdings bereits gegen eine wachsende Mehrheit in der Truman-Administration) gegen eine zu weitgehende »Militarisierung«, wie sie die Verhandlungen über einen Atlantikpakt ankündigten. In Washington wie in Westeuropa setzten sich jedoch trotz eines zeitweiligen Nachlassens der Ost-West-Spannungen die Befürworter eines transatlantischen Schulterschlusses in der Sicherheitspolitik durch, da man nur so die eklatanten Defizite aus einem militärischen Kräftevergleich aufzuwiegen hoffte. Mit ihrer »Einladung«80 an die USA zu aktiver Führung auf dem alten Kontinent wollten die Westeuropäer ihren amerikanischen Partner anders als nach dem Ersten Weltkrieg dauerhaft in ein Konzept gemeinsamer Sicherheit einbinden. Daraus aber ein zu ausschließliches Bild von der NATO als Militärallianz abzuleiten, greift zu kurz. Anders als frühere Interessenkonflikte wurde hier nämlich der Kalte Krieg als totale Systemauseinandersetzung wahrgenommen. Den westlichen Bedrohungsannahmen lag somit ein Sicherheitsbegriff zugrunde, in den alle Berei-

78 Marshall auf dem Dreiertreffen der westlichen Außenminister in London, 2. Oktober 1948, Bischof : »Prag liegt westlich von Wien«, S. 332 ; zu den ständigen Putschgerüchten : ebd., S. 334–336. 79 Vgl. Bischof : Austria, S. 116, der sich dazu auf die NSC 38, die jährlich fortgeschriebene Festlegung zur amerikanischen Österreichpolitik in ihrer Version vom 8. Dezember 1948, bezieht. 80 Den Begriff prägte Lundestad, Geir : »Empire« by Invitation. The United States and European Integration, 1945–1997, Oxford/New York 1998.

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che des politischen, ökonomischen und gesellschaftlichen Lebens einbezogen waren. Die amerikanische Eindämmungspolitik als Gegenstrategie gegen ein weiteres Ausbreiten des Kommunismus setzte deshalb auf einen Mix aus politischer, wirtschaftlicher und militärischer Stabilisierung ihrer westeuropäischen und ostasiatischen Gegenküsten. Kennzeichnend dafür war der NATO-Vertrag von 1949. In seinem Art. 2 wurde vorrangig eine transatlantisch verbundene und europäisch integrierte Wohlstandszone zur ökonomischen Stabilisierung angesteuert. Erst gemäß Art. 3 sollte der Raum durch kollektive Verteidigungsanstrengungen auch militärisch abgesichert werden.81 Nachdrücklich betonte man, dass dazu äußere und innere Bedrohung durch einen global agierenden Gegner zusammengehörten. In einem Bündnis offener Gesellschaften durfte man aber nicht um der äußeren Sicherheit willen die ökonomischen Ressourcen überfordern. Die Bedrohungsannahmen der militärischen Stäbe stellten daher in keinem Falle das letzte Wort im Bündnis dar. Militärische Absicherung war nur eines unter mehreren Sicherheitsanliegen in einem vorrangig sicherheitspolitisch verstandenen Bündnis, das überhaupt erst nach Ausbruch des Koreakrieges militärische Strukturen entwickeln sollte. Strategische Forderungen der Militärs unterlagen deshalb immer erheblich einschränkenden Gegenprüfungen auf politische Zweckmäßigkeit und ökonomische Umsetzbarkeit hin.82 Nirgends wird dies greifbarer als in jenem Hintergrundgespräch, bei dem Präsident Truman, sein Außenminister und sein Verteidigungsminister ihre europäischen Partner noch am Vorabend der NATO-Gründung auf ihr Zukunftsprogramm eines militärisch ausgeweiteten Containments einzuschwören suchten. Ob man das als eine »Lehrstunde in Machtpolitik«83 oder eher als ein Stück Realpolitik unter den Bedingungen des Kalten Krieges ansehen möchte, bleibt dahingestellt. Militärische Absicherung der westeuropäischen Integration ja, aber ohne das Kriegsrisiko einzugehen, das stellte Truman unmissverständlich klar, damit sich der Kreml dadurch nicht zu einem Präventivkrieg herausgefordert fühlen musste. Denn anders als im Falle der Achsenmächte in den Dreißiger- und Vierzigerjahren hatte man es nach durchgängiger amerikanischer Einschätzung bei der neuen Weltmacht Sowjetunion

81 Der Vertrag in seiner englischen Version ist abgedr. in : Lord Ismay : NATO. The First Five Years, Utrecht 1956, S. 17. 82 Zu der zentralen Bedeutung »ökonomischer Sicherheit im Bündnis« vgl. Thoß, Bruno : Kollektive Verteidigung und ökonomische Sicherheit. Die Verteidigungsplanung der NATO zwischen militärischen Erfordernissen und finanziellen Begrenzungen 1949–1967, in : Harder, Hans-Joachim : Von Truman bis Harmel. Die Bundesrepublik Deutschland im Spannungsfeld von NATO und europäischer Integration (Militärgeschichte seit 1945 11), München 2000, S. 19–37, hier insbes. S. 20 ff. 83 So die Herausgeber des Sitzungsprotokolls vom 3. April 1949 : Wiebes, Cees/Zeman, Bert : Eine Lehrstunde in Machtpolitik. Die Vereinigten Staaten und ihre Partner am Vorabend der NATO-Gründung, in : Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 40 (1992), S. 413–423, hier S. 413.

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mit einem berechenbaren Gegner zu tun.84 Im langen Systemkonflikt waren aber die überlegenen wirtschaftlichen Waffen des Westens mindestens so wirkungsvoll wie ein allzu riskantes Drehen an der Rüstungsschraube. Deshalb würde man auch nicht umhin kommen, die Deutschen mit ins Boot zu holen. Natürlich sei dies ein »kalkuliertes Risiko«, da man trotz aller Negativerfahrungen auf ihre Lernfähigkeit setzen müsse. Noch gefährlicher sei es jedoch, wenn man dem deutschen Nationalismus durch eine Politik der harten Hand Nahrung gab und ihn zurückstieß in eine Schaukelpolitik zwischen West und Ost à la Rapallo. Der Einwand Robert Schumans, dass man europäische Sicherheit doch auch über eine »immerwährende Neutralität Deutschlands« erreichen könne, wurde dagegen von Dean Acheson wie später von John Foster Dulles mit dem Argument zurückgewiesen, dass man eine Nation von 70 Millionen Menschen schlicht nicht dauerhaft neutral halten könne. Entscheidend für die Österreichfrage ist es bei alledem, dass bei den Perspektiven westeuropäischer Sicherheit ausschließlich ein west-östlicher Wettlauf um Deutschland im Blickpunkt stand. Die Verhältnisse beim südlichen Nachbarn wurden auch nicht mit einem Wort angeschnitten ! Trotz NATO-Gründung war auf absehbare Zeit noch nicht einmal eine effiziente Verteidigung am Rhein realisierbar. Eben deshalb war die US-Militärhilfe energisch unter Einbeziehung aller vorhandenen Kräfte dort zu bündeln. Gemeint war damit der mitteleuropäische Zentralraum einer mittelfristig angestrebten »forward defense« (Vorwärtsverteidigung), jedoch versehen mit der Einschränkung : »as soon as practible«.85 Um also den Stellenwert Österreichs in den westlichen Sicherheitsannahmen realistisch einordnen zu können, sind einige Grundfestlegungen anzumerken, die den regionalen Fall in die überregionalen NATO-Ziele einzubetten helfen. Geostrategisch war die Allianz auf einen Kompromiss zwischen den globalen Zielen und Verbindlichkeiten ihrer Führungsmächte und den regionalen Verteidigungsinteressen der Kontinentaleuropäer ausgerichtet. Für eine gleichmäßige Verteidigung entlang durchlaufender Fronten vom Nordkap bis in die Osttürkei fehlten ihr schlicht die militärischen Mittel. Eine einigermaßen dicht besetzte Verteidigungszone war bestenfalls an der mitteleuropäischen Hauptfront umsetzbar – und auch das erst nach Fortschritten bei der westdeutschen Aufrüstung. An den übrigen neuralgischen Punkten einer Bündnisverteidigung – am Übergang vom Nordmeer zum Atlantik, 84 Zitate aus dem Eingangsstatement Trumans : ebd., S. 416. Zu den Bedrohungsannahmen der USA, die in der gesamten Hochphase des Kalten Krieges durchgängig von einer sicherheitspolitisch berechenbaren Sowjetunion ausgingen, vgl. Duffield, John S.: The Soviet Military Threat to Western Europe : US Estimates in the 1950s and 1960s, in : The Journal of Strategic Studies 2/15 (1992), S. 208–227, und McGwire, Michael : Interpreting Soviet Military Behaviour, in : Schmidt, Gustav : A History of NATO – The First Fifty Years, Band 2, New York 2001, S. 179–195, hier S. 182 f. 85 MC 3 vom 19. Oktober 1949, Pedlow, Gregory W.: NATO Strategy Documents 1949–1969, Brussels 1997, S. 6.

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an den Ostseeausgängen, an den Dardanellen und in der Osttürkei zur mittelöstlichen Ölregion hin – behalf man sich je nach verfügbaren Kräften mit Schwerpunktsetzungen. Dazu zählte auch der Alpenraum als Übergangszone nach Norditalien und von da aus zu den Versorgungsrouten durch das Mittelmeer.86 Der Raum von der Donau bis zu den Alpen stellte dafür eine strategische Vorfeld-, aber keine ausgewiesene Verteidigungszone dar. Das herausragende Interesse der USA, über eine ausreichende Selbstverteidigung der Europäer mittelfristig das eigene Engagement wieder zurückfahren zu können, ist auch beim amerikanischen Drängen auf den Aufbau angemessener österreichischer Selbstverteidigungskräfte mit zu bedenken. Im Gründungsjahr der NATO hielten sich politische und militärische Überlegungen zum Fall Österreich die Waage. In Wien hatte man sich auf eine »geduldige Diplomatie in Wartestellung« einzustellen. Bei den Westmächten schwankte man noch Ende 1948, ob die militärische Sicherung des Landes (Marshall) oder ein Ausloten sowjetischer Verhandlungsbereitschaft (Bevin, Schuman) Vorrang genießen sollte. Wieder steckte man also in dem Kontinuum unterschiedlicher Interessenlagen fest zwischen den Befürwortern einer politischen Lösung, wie sie Engländer und Franzosen präferierten, und einer auf militärische Bedenken abgestützten Skepsis der Amerikaner, vorher das Sicherheitsproblem gelöst zu bekommen. An dieser Schnittlinie sollte sich die Österreich-Politik der Westmächte bis 1955 entlang bewegen. Allerdings würden sich letztlich auch in Washington die militärischen Bedenkenträger nie zur Gänze durchsetzen können. Selbst für sie war es jedoch weder erforderlich noch politisch zweckmäßig, gegenüber Wien einen Kurs direkter Bündnisintegration zu forcieren. Gegen eine vorrangig militärische Lösung wandten sich wie schon 1948 die Briten, da man bei den Österreichern weder die »Absicht« noch die »Möglichkeit« zu wirksamer Verteidigung nach den Maßstäben einer »forward defense« sah.87 Vorrangiges eigenes Interesse müsse daher ein Truppenabzug aus Österreich bleiben, wolle man nicht auch hier in einer ähnlichen Geisellage »wie unsere Truppen in Berlin« festgenagelt werden. Analog argumentierte man am Quai d’Orsay, wo man noch nicht einmal die Mitverantwortung für eine gemeinsame Sicherheitsgarantie für verantwortbar hielt, weil dies »wahrscheinlich unsere Mittel übersteigt«.88 Auch Frankreich stand einem möglichen NATO-Beitritt Österreichs ablehnend gegenüber.

86 Die in der beigefügten Karte ausgewiesenen neun Schwerpunkte der NATO-Verteidigung sind bereits im Strategiepapier MC 14/1, 9. Dezember 1952 festgelegt, abgedr. in : Pedlow : NATO Strategy Documents, S. 193–229. 87 Zumindest als Absichtserklärung verbindlich gemacht in der MC 3 vom 19. Oktober 1949, NATO Strategy Documents, S. 6. 88 Stellungnahme zu entsprechenden Überlegungen, 29. Juli 1949, zit. bei Angerer : Frankreich, S. 296.

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Dass es im Gegensatz dazu vom Frühjahr 1948 bis in das Jahr 1949 hinein immer wieder Signale aus der US-Hochkommission und von den US-Stabschefs dafür gab, eine Einbeziehung Westösterreichs in die westlichen Verteidigungsplanungen zumindest zu überprüfen, sollte von daher nicht überinterpretiert werden. Die USA gingen zwar auch im Frühjahr und Sommer 1949 mit ihrer materiellen Unterstützung einer geheimen österreichischen Aufrüstung voran. Auf französische Einwände hin bremste man aber bei einer Überlassung schwerer Waffen, um der Sowjetunion, vor der das schließlich nicht geheim zu halten war, kein probates Argument für eine Forcierung ihrer Aufrüstungsmaßnahmen in Ostdeutschland zu liefern. Besondere Anstrengungen für einen formellen NATO-Beitritt der Österreicher glaubte man in Washington nach der erfolgreichen Beendigung der Berliner Blockade schon deswegen nicht machen zu müssen, weil man inzwischen an mehreren Stellen Chancen für ein Zurückweichen der Sowjetunion aus ihren vorgeschobenen Positionen witterte. Dann werde auch Österreich »eines Tages den Westmächten wie ein reifer Apfel von selbst in den Schoß fallen«. Das sah man indes in London realistischer, wo man im Augenblick weder im Westen noch in Moskau besondere Eile für eine Österreichlösung erwartete, da letztlich »jeder mit der gegenwärtigen Lage zufrieden sei«. Auf der Allianzebene blieb es jedenfalls dabei, dass Österreich nicht zur Integration vorgesehen wurde. In seiner Vorfeldposition genügte seine fortdauernde indirekte Anbindung über die Westmächte, die zugleich führend in der NATO waren. Am Ballhausplatz erwartete man sich denn auch sicherheitspolitischen Zugewinn für den Westen insgesamt am ehesten von einer Wiederaufnahme der Österreichverhandlungen.89 Im Gegensatz dazu beharrten die US-Stabschefs weiter darauf, dass erst hinreichende österreichische Selbstverteidigungskräfte geschaffen werden müssten, da sonst »ein Abzug der Besatzungstruppen […] ein militärisches Vakuum schaffen würde«.90 Ähnlich kritisch sah man dies in Paris, wo man gleichfalls monierte, »dass die Vorbereitungen bei uns nicht so weit gediehen seien, dass eine rasche Aufstellung unserer Armee gesichert erscheine«.91 US-Hochkommissar Keyes waren dafür selbst zwei leichte Infanteriedivisionen und zwei Gebirgsbrigaden zu wenig. Mindestens das Doppelte einschließlich einer angemessenen Luftwaffe und gepanzerter Einheiten seien erforderlich, um Österreich Sicherheit zu bieten.92 Das ging zeitweilig bis zu der Absicht aller drei Westmächte zu einer gemeinsamen Démarche in Wien, auf einen nach Zeit und Mitteln realisierbaren Heeresplan zu drängen. Ein österreichischer Vorschlag vom September 1949 wurde zwar als unzureichend bewertet, von weiterem Druck sah man

89 Memorandum des österreichischen Außenministeriums an seine Missionschefs, Anfang Mai 1949, Gehler : Österreich, S. 227. 90 JCS Decision 1685/13, 8. Juni 1949, zit. bei Rathkolb : Von der Besatzung zur Neutralität, S. 384. 91 Vollgruber aus Paris, 29. Juli 1949, zit. bei Angerer : Frankreich, S. 304. 92 Keyes an JCS, 26. Juli 1949, Rauchensteiner : Staatsvertrag und Neutralität, S. 70 f.

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dennoch ab. Und da auch Franzosen und Briten einer politischen Lösung Vorrang einräumten, hatten sich die Westmächte inzwischen darauf verständigt, neben den Berlinauch die Österreich-Gespräche mit der Sowjetunion wiederaufzunehmen. Ob bei den in Detailfragen gut vorankommenden Verhandlungen im Sommer 1949 sogar eine Chance zum frühzeitigen Abschluss eines Staatsvertrags verpasst worden sei, kann hier außer Betracht bleiben.93 Zwar kam es den ganzen Sommer 1949 über zu erheblichen inneramerikanischen Differenzen zwischen politischer und militärischer Führung, weil die US-Stabschefs immer wieder gegen einen Truppenabzug argumentierten, solange eine österreichische Aufrüstung nicht eine angemessene Stärke erreicht habe. Man mag daher mit guten Gründen darüber spekulieren, ob ein Mehr an österreichischen militärischen Anstrengungen die laufenden Verhandlungen besser vorangebracht hätte. Festzuhalten für die künftige Entwicklung der Österreichfrage in den frühen 1950er-Jahren bleibt aber in jedem Falle, dass auch jetzt Präsident Truman zugunsten einer politischen Lösung und gegen das Pentagon votierte, allerdings auch er immer nur unter der Voraussetzung, dass dazu die Schaffung österreichischer Sicherheitskräfte vorankam.94 Politische Grundsatzentscheidung des Präsidenten und abweichendes Votum der Stabschefs fanden ihren Niederschlag im fortgeschriebenen Positionspapier für die Österreich-Politik der USA vom Dezember 1949. Ziel der amerikanischen Politik sollte weiterhin »ein möglichst früher Entwurf für einen Vertrag über Österreich« bleiben ; unzureichende österreichische Sicherheitskräfte, so die gegenläufige Warnung der Stabschefs, »würden ein militärisches Vakuum in Zentraleuropa erzeugen«.95 Die Begründungen dafür lagen für die Militärs auf der Hand. Im Herbst 1949 hatten sich die globalen amerikanischen Bedrohungsperzeptionen verschoben. In der Sowjetunion hatte man im August erfolgreich eine Atombombe gezündet, in Ostasien hatte im Oktober der Sieg der Kommunisten im chinesischen Bürgerkrieg die Lage dramatisch zu Lasten des Westens verändert. Präsident Truman hatte daraufhin eine Generalüberprüfung der weltweiten Lage angeordnet, die ihren Niederschlag im Strategiepapier NSC 68 fand.96 Ein monolithischer Block des Weltkommunismus wurde 93 Vgl. dazu Bischof, Günter : Between Responsibility and Rehabilitation. Austria in International Politics 1940–1950, 2 Bände, Cambridge 1989 (Dissertation), S. 727–797 ; Cronin, Audrey Kurth : Eine verpaßte Chance ? Die Großmächte und die Verhandlungen über den Staatsvertrag im Jahre 1949, in : Bischof, Günter/Leidenfrost, Josef (Hg.) : Die bevormundete Nation. Österreich und die Alliierten 1945–1949 (Innsbrucker Forschungen zur Zeitgeschichte 4), Innsbruck 1988, S. 347–370 ; Stourzh : Einheit, S. 149–155. 94 Besprechung des Präsidenten mit Außenminister Acheson und Verteidigungsminister Johnson, 26. Oktober 1949, FRUS 1949, III, S. 1186 f. 95 NSC 38/4 »Future Courses of U.S. Action with Respect to Austria«, 17. November 1949, ebd., S. 1190– 1197. 96 Zum Wandel der amerikanischen Bedrohungsperzeption im Sommer/Herbst 1949 : Gaddis : Strategies, S. 79–88 ; Rearden, Steven L.: The Formative Years, 1947–1950, Washington 1984, S. 335–360 ; Wamp-

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als globale Bedrohung der amerikanischen Sicherheit an ihren beiden Gegenküsten in Westeuropa und Ostasien angesehen. Ein immer risikobereiterer Gegner drohte überall dort zur Offensive überzugehen, wo ihm dafür Gelegenheiten geboten wurden. Der Zeitpunkt höchster Gefährdung wurde für das Jahr 1954 angenommen, wenn die Sowjetunion bei der Atomrüstung aufgeholt und mit ihrem weit überlegenen konventionellen Streitkräftepotenzial militärische Optionen auch unterhalb der nuklearen Schwelle behalten würde. Insbesondere entlang des vorerst noch militärisch schwach gesicherten Eisernen Vorhangs würden sich dann nämlich bei fortdauerndem Streitkräftemangel des Westens genau die Chancen auftun, die ein militärisches Aktivwerden auf lokaler Ebene erlaubten, weil sie keine atomare Gegenreaktion des Westens rechtfertigten. Dazu gehörte wie schon im Vorjahr auch wieder Österreich, weil man hier den Mangel an Streitkräften als besonderes Gefahrenmoment einschätzte.97 Da die Aufrüstung in Westeuropa trotz NATO-Gründung noch kaum vorangekommen war, sahen die amerikanischen Eventualpläne für einen europäischen Krieg 1949 wie schon 1948 nur weite Rückzüge der in Westdeutschland und Westösterreich besonders exponierten US-Truppen auf »Stützpunkte in Italien, Spanien oder Frankreich« vor.98 Das für verbindlich erklärte Prinzip der »forward defense« machte jedoch eine umfassendere Absicherung des Bündnisterritoriums erforderlich, als dies die ungenügenden militärischen Mittel erlaubten. Die Diskrepanzen zwischen angenommener Bedrohung und verfügbaren Streitkräften waren schon bei ersten amerikanisch-britisch-französischen Planungen für eine »forward defense« offen zutage getreten. Wenn man andererseits die militärische Selbsthilfe der Westeuropäer aktivieren wollte, dann mahnte ein politisch denkender Vorsitzender der US-Stabschefs wie Eisenhower jetzt für den 1950 wirksam werdenden Kriegsplan OFFTACKLE eine deutliche Steigerung des Streitkräftepotenzials in der NATO an.99 Für Österreich hatte dies zur Folge, dass man aus politischen Gründen zwar weiterhin keinen NATO-Beitritt vorsah. Im USMilitärhilfeprogramm vom Februar 1949 war Wien denn auch nur unter den Staaten ler : Ambigous Legacy, S. 1–51. Das Dokument vom 14. April 1950 ist abgedruckt in : FRUS 1950, Vol. 1, S. 234–306. 97 Zum ersten erfolgreichen Test einer sowjetischen Atombombe und seiner internationalen Wahrnehmung : Holloway, David : Stalin and the Bomb. The Soviet Union and Atomic Energy 1939–1956, New Haven 1994, S. 265–271 ; zu den Rückwirkungen auf Österreich : FRUS 1949, III, S. 1161 und S. 1164. 98 Zu den Plänen insgesamt : Ross : American War Plans, S. 25–101 ; zu den in HALFMOON vorgesehenen weiten Rückzügen der US-Besatzungstruppen: Condit : The Joint Chiefs of Staff and National Policy, S. 291 ; zu den Rückwirkungen auf Österreich : Carafano, James Jay : Waltzing into the Cold War. The Struggle for Occupied Austria (Texas A & M University military history series 81), College Station Texas 2002, S. 136–138. 99 Dazu hatte Eisenhower als neuer Chairman JCS den Planungen für OFFTACKLE politische Betrachtungen über die Unverzichtbarkeit vorangestellt, in Westeuropa zumindest einen »substantial bridgehead« verteidigen zu müssen und deshalb nicht weiter als bis zum Rhein zurückzugehen, Condit : The Joint Chiefs of Staff and National Policy, S. 295 f. Der gesamte Kriegsplan ist eingehend vorgestellt bei Ross : American War Plans, S. 103–119.

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genannt, die auf »begrenzte« Hilfe rechnen durften. Mit immerhin 112 Mill. Dollar war dafür aber eine Summe ausgeworfen, die einer österreichischen Aufrüstung doch erhebliches Gewicht beimaß. Anfang 1950 meldete der US-Hochkommissar jedoch einmal mehr, dass die Absprachen darüber »mehr auf dem Papier« stünden »als aktuell« seien. Man werde wohl größeren Druck auf Wien ausüben müssen.100 Da Briten wie Franzosen keinen Anlass zu besonderer Eile in der Aufrüstungsfrage sahen, verpufften sehr zur Enttäuschung der Amerikaner die Vorstöße ihres Hochkommissars erst einmal ohne größere Wirkung. Im Grundsatzpapier für die amerikanische Österreich-Politik blieb es bei dem Auseinanderklaffen von geostrategischer Bedeutung des Landes und fortdauernden Schwierigkeiten seiner dazu erforderlichen Aufrüstung. Andererseits wurden die Überlegungen über eine Einbeziehung des Alpenraums in die NATO-Verteidigung konkreter als im Brüsseler Pakt. Für das US-Oberkommando in Europa fertigte etwa der Vordenker einer westdeutschen Aufrüstung, Adolf Heusinger, dazu im Sommer 1949 eine eingehende Studie an.101 Wie in parallelen französischen Überlegungen102 spielte darin aus historischen Reminiszenzen der Wehrwille der Tiroler eine bevorzugte Rolle. Gebe man ihnen »die nötigen Waffen und Munition«, dann würden sie »namentlich bei der Sperrung kleinerer Pässe wertvolle Hilfe leisten und manches Bataillon freimachen«. Nicht also eine Verteidigung von Österreich an sich, sondern lediglich ein Halten Tirols »als ideale vorgestaffelte Flankenposition« bot danach operative Möglichkeiten in zweifacher Hinsicht : bei einem sowjetischen Vorstoß zum Rhein wie nach Oberitalien. In beiden Fällen könne man dem Angreifer aus einer Art Alpenreduit heraus in die tiefen Flanken fallen und damit die Verteidigung der NATO an Rhein und Po wirksam entlasten. Das alles mache jedoch nur Sinn, wenn britische und amerikanische Verbände dem österreichischen Selbstschutz die notwendigen »Korsettstangen« einfügten und wenigstens 25 »modern bewaffnete« italienische Divisionen das Ganze wirksam im Tagliamento-Abschnitt verstärkten.103 Ähnlich sah auch der Kommandeur der französischen Truppen in Österreich ein Halten der Tiroler Alpen als wünschenswert an. Er bezweifelte allerdings, ob man dafür auf nennenswertes österreichisches Potenzial zurückgreifen konnte. In Wien wolle man in einem Krieg nicht nur aus politischen Gründen neutral bleiben. Man sei sich auch nur zu bewusst, dass der Westen letztlich erst am Rhein und nicht bereits an der Donau ernsthaft verteidigen werde.104 100 Bericht Keyes’ aus Wien, Februar 1950, zit. bei Bischof : Austria, S. 118. 101 »Die Bedeutung des Alpengebietes im Fall eines kriegerischen Ost-West-Konfliktes«, vermutlich Sommer 1949, Depositum Heusinger, Militärgeschichtliches Forschungsamt Potsdam, eingehend vorgestellt bei Meyer, Georg/Heusinger, Adolf : Dienst eines deutschen Soldaten 1915 bis 1964, Hamburg/Berlin/ Bonn 2001, S. 371 f. 102 Vgl. Sandner : Die französisch-österreichischen Beziehungen, S. 262–265. 103 Alle Zitate bei Meyer/Heusinger : Dienst eines deutschen Soldaten, S. 371 f. 104 Der Bericht von General Descour, 10. Oktober 1949, ist ausgewertet bei Sandner : Die französisch-öster-

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Beide Überlegungen stellten mithin nicht auf eine Verteidigung Österreichs an sich, sondern auf seine Nutzung als geostrategisches Vorfeld für eine Absicherung des NATO-Mitglieds Italien ab. Bei den Stabschefs in Paris wie in London trafen aber selbst solche zurückgenommenen Pläne auf größte Zurückhaltung. In Paris sah man hinter einem verteidigungsfähigen Alpenreduit »fromme Wünsche«, wären dazu doch allein für Tirol und Vorarlberg mindestens drei Divisionen erforderlich gewesen. Dafür fehlten Frankreich jedoch bei seiner doppelten militärischen Verpflichtung in der NATO und in Indochina alle Voraussetzungen. Außerdem stufte man solche Planspiele politisch als »höchst riskant« ein. Auch die britischen Stabschefs blieben dabei, dass Österreich militärisch »nicht zu verteidigen« sei. Die Pläne für die westlichen Truppen in Österreich kreisten daher weiter um einen raschen Rückzug, da weder hier noch in Westdeutschland ein sowjetischer Angriff ernsthaft zu stoppen war. Zusammen mit italienischen Truppen konnte man allenfalls die Absetzbewegungen durch die Halbinsel Italien zu verzögern suchen. Innerhalb von drei Monaten sah man jedoch selbst hier bereits Sizilien gefallen.105 Abweichend davon hielt Feldmarschall Montgomery zumindest das zeitweilige Halten eines Brückenkopfes um Triest zusammen mit einem Reduit in Tirol für erfolgversprechend. Auch der Oberbefehlshaber der US-Truppen in Europa wurde ermächtigt, in seinen Operationsplänen die Option eines solchen italienisch-österreichischen Brückenkopfes zu prüfen. Vielleicht ließ sich daraus ja eine verteidigungsfähige Linie vom Rhein bis an den Piave aufbauen. Einbezogen darin war seit 1948/49 auch bereits ein aus dem Ostblock herausgelöstes Jugoslawien. Im Falle eines Angriffs gegen dessen Donaulinie konnten seine Verbände auf die Laibacher Pforte und ins Balkangebirge zurückgenommen und damit zum Verbindungsglied westlicher Verteidigungsplanungen von den Alpen bis nach Nordgriechenland werden. Der Schwerpunkt der geheimen westlichen Planungen lag aber nach wie vor auf einem »raschen Rückzug« aus dem österreichischen Raum. Verbunden war dies mit Vorkehrungen für eine Evakuierung der Bundesregierung aus Wien, um in Oberitalien eine Exilregierung bilden zu können.106 Mit Blick auf einen unsicheren Partner Jugoslawien hielten die Briten im Übrigen an einem schnellen Vertragsabschluss in Österreich fest, falle dann doch die sowjetische Begründung für ihre Truppenstatioreichischen Beziehungen, S. 264 f.; zu den Überlegungen über eine sogen. »Béthouart-Linie« 1949/50 vgl. auch Clausen, Hannes-Christian : Österreich und das strategische Konzept des Westens 1955–1970, in : Rauchensteiner, Manfried/Etschmann, Wolfgang (Hg.) : Schild ohne Schwert. Das österreichische Bundesheer 1955–1970 (Forschungen zur Militärgeschichte 2), Wien 1991, S. 9–28, hier S. 10 f. 105 Die Einschätzungen über eine Verteidigung Italiens zwischen Herbst 1948 und Herbst 1949 sind analysiert bei Heuser, Beatrice : Western Containment Policies in the Cold War. The Yugoslav Case, 1948– 1953, London 1989, S. 111–114 . 106 So im sogen. »Plan Renault« vom 29. September 1949, Sandner : Die französisch-österreichischen Beziehungen, S. 276–285.

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nierungen im Balkanraum weg. So blieb es denn bei der Parallelität von Eventualfallplanungen der NATO unter Einschluss des österreichischen Raumes und VierMächte-Verhandlungen um einen Staatsvertrag, der genau dies nicht mehr zulassen würde. Im Jänner 1950 argumentierte der bereits zum Außenseiter gewordene Kennan gegen ein militärisches Containment, sah er in Österreich doch vor allem »einen politischen Schlüsselstaat in Zentraleuropa«.107 Im Sommer 1950 schien all dies jedoch von der Wirklichkeit überholt. Jetzt wirkte der Kriegsausbruch in Korea wie eine Bestätigung dafür, dass man militärisch an der Nahtstelle zwischen West und Ost keinen Boden preisgeben durfte. In der westlichen Wahrnehmung kam der Krieg in Fernost einem Fanal für gestiegene östliche Risikobereitschaft gleich. Hatte nicht auch dort der Abzug von US-Truppen genau die Versuchung befördert, die einen Angriff Nordkoreas erfolgversprechend machte ? Und wies die geheime militärische Aufrüstung in Ostdeutschland108 nicht in eine ähnliche Richtung, dass man bei passender Gelegenheit auch in Mitteleuropa militärisch aktiv werden konnte ? Solche öffentlich diskutierten Parallelen sollten zwar in den professionellen Lagefeststellungen schnell einer nüchterneren Bestandsaufnahme weichen.109 Doch im Sommer 1950 überwogen erst einmal die Stimmen, die seit 1947 vor einer Räumung Österreichs warnten und davon bis zu einem Waffenstillstand in Korea nichts mehr wissen wollten. Die Leitmelodie für eine überfällige Aufrüstung Westeuropas gaben Mahnungen wie die von Feldmarschall Montgomery vor : »Das hässliche Faktum ist, dass die Verteidigung Westeuropas bis heute reine Fassade ist.«110 Bei den US-Stabschefs spielte man erneut mit dem Gedanken, neben Spanien, Deutschland und Jugoslawien auch Österreich in die NATO aufzunehmen.111 Neben den Westmächten hielt auch der österreichische Außenminister Gruber einen Krieg in Europa nicht mehr für ausgeschlossen. Von daher sah er Bundeswie Landesregierungen aufgerufen, zumindest in Westösterreich Vorkehrungen für den Ernstfall zu treffen.112 Nachrichtendienstliche Einschätzungen der Westmächte

107 FRUS 1950, I, S. 129. 108 Vgl. dazu insgesamt : Thoß, Bruno (Hg.) : »Volksarmee schaffen – ohne Geschrei !« Studien zu den Anfängen einer »verdeckten Aufrüstung« in der SBZ/DDR 1947–1952 (Beiträge zur Militärgeschichte 51), München 1994. 109 Vgl. Wiggershaus, Norbert : Nordatlantische Bedrohungsperzeptionen im »Kalten Krieg« 1948–1956, in : Maier, Klaus A./Wiggershaus, Norbert : Das Nordatlantische Bündnis 1949 bis 1956 (Beiträge zur Militärgeschichte 37), München 1993, S. 17–37, hier S. 30–37. 110 Lageeinschätzung vom 17. Juni 1950, zit. bei Carafano : Waltzing into the Cold War, S. 139. 111 Memorandum des Foreign Military Assistance Coordinating Committee an Secretary of State, 7. Februar 1950, zit. bei Kaplan, Lawrence S.: A Community of Interests Interests:: NATO and the Military Assistance Program 1948–1951, Washington 1980, S. 24 f. 112 Rauchensteiner : Die Zwei, S. 153.

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kamen indes schnell zu zurückhaltenderen Wertungen. Auf sowjetischer Seite nahm man sogar erste Truppenreduzierungen in Ostösterreich wahr.113 Militärisch war also nicht zu befürchten, dass in Deutschland oder gar in Österreich analoge Gefahren wie in Korea bestanden.114 Nach den ersten nordkoreanischen Erfolgen verschärfte sich allerdings die Tonlage erheblich. Jetzt warnten die Minister der US-Teilstreitkräfte davor, dass man auch in anderen Staaten, darunter Österreich, auf kommunistische Machtübernahmen über Staatsstreiche gefasst sein müsse. Allen voran suchte deshalb der US-Hochkommissar in Wien115 analog zu konkreter werdenden Überlegungen für einen westdeutschen Wehrbeitrag Vorarbeiten für eine österreichische Aufrüstung zu aktivieren. Schließlich standen den etwa 20 000 Mann westlicher Besatzungstruppen hier 44 000 russische Soldaten gegenüber.116 Zwar war Österreich auch jetzt nicht für eine Erweiterung der NATO vorgesehen, wie dies seit der New Yorker Außenministerkonferenz vom September 1950 für die Bundesrepublik galt. Doch wollten die Westmächte endlich das wehrfähige Potenzial der Österreicher genutzt sehen. Über ein vorbereitetes »Aufgebot« mochten sich im Krisenfall immerhin 200 000 Wehrfähige nach Norditalien evakuieren lassen, um sie hier bis zur vollen Einsatzfähigkeit auszubilden und auszurüsten. Damit hätte eine Exilregierung über einen eigenen Wehrbeitrag verfügt, der formal unter österreichischem Kommando, operativ aber vom NATO-Kommando AFSOUTH geführt worden wäre. Die militärischen Absichten und Vorgaben dazu waren schon Monate zuvor in den ersten Planungen für eine NATO-Verteidigung in Europa, im Grundsatzdokument M.C. 14 und seiner Umsetzung im Medium Defense Plan verbindlich gemacht worden. Als Hauptziele eines von der Sowjetunion ausgelösten europäischen Krieges waren darin die Atlantikküste, das Mittelmeer und der Mittlere Osten ausgemacht. Neben Mitgliedstaaten galten auch Westdeutschland und Österreich als in unterschiedlichem Maße »assoziiert oder zumindest mit den Westalliierten sympathisierend«. Beide Länder waren dem Bündnis geostrategisch vorgelagert, in ihrer Bedeutung für die NATOVerteidigung allerdings erheblich voneinander unterschieden. Den Hauptangriff erwartete man als Durchbruch zur Atlantikküste, da dies die NATO-Front in zwei Teile aufspalten, die Industrieregionen in Nordfrankreich und Westdeutschland unter sowjetische Verfügung bringen und eine Versorgung Westeuropas über die Atlantikhäfen unterbinden würde. Einem kombinierten Feldzug gegen Jugoslawien und Italien kam lediglich die Funktion einer Flankensicherung dieses Hauptstoßes zu. Bei entspre-

113 Aussage des Director CIA im National Security Council, 29. Juni 1950, FRUS 1950, I, S. 326. 114 Gemeinsames Memorandum des Heeres-, Luftwaffen- und Marineministers an Verteidigungsminister Johnson, 1. August 1950, ebd., S. 353 f. 115 Der sogen. Keyes-Plan ist dokumentiert in : FRUS 1950, IV, 476 ff. und 487–494 ; vgl. auch Stourzh : Einheit, S. 207 f. 116 Übersicht dazu für 1950 bei Rauchensteiner : Staatsvertrag und bewaffnete Macht, S. 188.

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chendem Erfolg mochte er als Basis für einen Stoß durch die Apenninenhalbinsel zur Unterbindung der westlichen Versorgungsrouten durch das Mittelmeer dienen. Dazu gab es für einen Angreifer zwei Wege : wenn Nordwestjugoslawien geöffnet und/oder »Österreich überrollt« worden war. Die Hauptbedrohung lag jedoch eindeutig nicht in den österreichischen, sondern in den Julischen Alpen. Für den Gesamtverlauf eines europäischen Krieges blieb aber selbst Italien eine Nebenfront, während der Durchbruch zum Atlantik von »überragender Wichtigkeit« für die NATO war und damit das »oberste Ziel« des Angreifers darstellte. Man tut also gut daran, Österreichs Rolle als »geheimer Verbündeter« des Westens117 auch in der Hochphase des Kalten Krieges realistisch einzustufen. Um das eigentlich zu schützende Oberitalien abzudecken, kam nämlich der Schweiz und Jugoslawien als den Eckpfeilern einer Alpenverteidigung aus Sicht der NATO deutlich höheres Gewicht zu. Ganz im Sinne der Heusinger-Denkschrift und der französischen Überlegungen aus dem Vorjahr wollte man zwar auch die Hohen Tauern so lange wie möglich halten. Der Schweizerischen Armee maß man dazu in ihrem Alpenreduit erhebliche Widerstandskraft bei, von der Jugoslawischen Volksarmee erwartete man aus ihren Erfahrungen im Partisanenkrieg immerhin eine begrenzte Abwehrfähigkeit in den Julischen Alpen. Nach einer äußerst mageren Ausbeute aus der Aufrüstung Italiens billigte man dagegen dem italienischen Heer eine eher mäßige militärische Schlagkraft zu.118 Ähnlich skeptisch fiel die Einschätzung Österreichs aus : seine »Verteidigungskapazitäten würden in jedem Fall sehr klein sein«.119 Das korrespondiert vollkommen mit den militärischen Absichten aus der Serie amerikanischer Verteidigungspläne in diesem Raum aus dem Jahre 1949. In den sogenannten Pilgrim-Plänen ABLE, BAKER, CHARLIE und DOG befasste sich lediglich Letzterer mit einer zeitweiligen Verteidigung Westösterreichs. Die übrigen drei stellten Varianten einer kontrollierten Ausweichbewegung in die italienischen Alpen, nach Norditalien oder an den Rhein dar.120 Eine wirksame Verteidigung Österreichs außerhalb der Alpen wurde zu keinem Zeitpunkt als durchführbare westliche Option für den Fall eines auch auf diesen Raum ausgreifenden Konflikts betrachtet. Natürlich würde man versuchen, einem Angreifer die Ressourcen Österreichs und vor allem seine Zugänge in den norditalienischen NATO-Raum zu verwehren. Vor117 Stourzh : Einheit, S. 192–220. 118 Beispielhaft dafür ist der Bericht des britischen Militärattachés aus Rom, 5. Februar 1951, zit. bei Varsori : Italy and Western Defence, S. 202 f ; Belege dafür, dass dies bis 1952 nicht anders wurde : ebd., S. 203–206. 119 Pedlow : NATO Strategy Documents, S. 156 f. 120 Vgl. Schmidl : »Rosinenbomber«, S. 412 und S. 417 (Anm. 4), sowie Bischof : Austria in the First Cold War, S. 122 ; mit Blick auf Österreich zu Recht als »kein wirklich ernstzunehmender Plan« bei Rathkolb, Oliver : Washington ruft Wien. US-Großmachtpolitik gegenüber Österreich 1953–1963, Wien/Köln/ Weimar 1997, S. 148, qualifiziert.

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rangig blieben dafür die 1950 forcierten Anstrengungen der USA, hinreichendes militärisches Potenzial für eine Selbstverteidigung Österreichs im Lande zu entwickeln. Fortbestehende britische wie französische Vorbehalte gegen eine allzu forcierte geheime Aufrüstung Österreichs konnten unter dem Eindruck des Korea-Schocks zumindest so weit überwunden werden,121 dass sie dem 1952 auch formell begonnenen Aufbau der sogenannten B-Gendarmerie nicht mehr im Wege standen. Sieht man sich dagegen die übrigen militärischen Vorkehrungen näher an, dann entsteht das Bild reiner Absicherung einer großräumigen Absetzbewegung. Seit Jänner 1949 hatte man etwa in der französischen Zone damit begonnen, kriegswichtige Betriebe für eine Räumung oder, falls dies nicht möglich war, auch zur Zerstörung vorzubereiten. Analog zu den umfangreichen Zerstörungen an zentralen Punkten des Verkehrssystems, wie sie etwa in der Vormarschrichtung zum Rhein für ganz Norddeutschland vorbereitet waren, wurde auch – um nur ein besonders plastisches Beispiel zu nennen – der Arlberg-Tunnel zur Sprengung vorgesehen.122 Und da man davon ausging, dass die Sowjetunion ihre Parteigänger in Westeuropa als »Fünfte Kolonnen« mit Spionage- und Sabotageaufträgen im Rücken der NATO-Streitkräfte betrauen würde,123 sah man Ähnliches auch in den NATO-Plänen gegen den östlichen Gegner vor.124 Wie umfassend derartige Aktionen durch die CIA in Zusammenarbeit mit dazu bereiten Einheimischen, vor allem aber unter stark antikommunistischen Vorzeichen mit Exilgruppierungen aus Osteuropa vorgeplant und auf geheime Waffendepots abgestützt wurden, ist der neueren Literatur zu entnehmen.125 Alle diese Einzelmaßnahmen, das ist für Österreich von ausschlaggebender Bedeutung, verweisen aber nicht auf eine durchgehende Verteidigungsplanung dieses Raumes. Noch deutlicher wird seine Vorfeldposition, wenn man die Verstärkung durch US-Truppen in Westeuropa hinzuzieht. Nach der inneramerikanischen De121 Zur Aufrüstung Österreichs 1950/51 jetzt eingehend : Bischof : Austria in the First Cold War, S. 119–121 ; zur Entwicklung der B-Gendarmerie : Staudinger : Zur Geschichte der B-Gendarmerie und Blasi : Die B-Gendarmerie. 122 Bischof : Austria, S. 122. 123 Solche »subversive actions« als Mittel sowjetischer Kriegführung sind bereits in der Direktive NSC 10/2 vom 18. Juni 1948 ausgewiesen, zit. bei Heuser, Beatrice : Subversive Operationen im Dienste der »Rollback«-Politik 1948–1953, in : Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 2/37 (1989), S. 279–297, hier S. 283 ; sie finden sich auch in der M.C. 14 der NATO vom 28. März 1950 wieder : Pedlow : NATO Strategy Documents, S. 92. 124 In der D.C. 13 vom 28. März 1950 hieß es dazu : »Some additional delay may be achieved by sabotage and subversive action provided suitable advance planning has been accomplished«, Pedlow : NATO Strategy Documents, S. 167. 125 Vgl. Stifter, Christian : Die Wiederaufrüstung Österreichs. Die geheime Remilitarisierung der westlichen Besatzungszonen 1945–1955 (Wiener Zeitgeschichte-Studien 1), Innsbruck/Wien 1997, S. 78–90, und Rathkolb : Washington, S. 144–151, sowie jetzt umfassend : Ganser, Daniele : NATO-Geheimarmeen in Europa. Inszenierter Terror und verdeckte Kriegsführung, Zürich 2008.

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batte über eine dauerhafte Stationierung von US-Truppen in Übersee126 war es 1951 möglich geworden, zusätzlich zu den Besatzungstruppen in Deutschland und Österreich vier weitere US-Divisionen nach Europa zu verlegen. Und obwohl der italienische NATO-Partner seit 1947 nicht müde wurde, wegen der nur schwach besetzten Alpenlinie eine Verstärkung der U. S. Forces in Austria (USFA) zu fordern, gingen die im April 1951 eintreffenden Verbände ausnahmslos nach Süddeutschland.127 Im Verbund der 7. (US) Army in Heidelberg sollten sie das Rückgrat der Central Army Group der NATO im Bereich von Südbayern bis Südhessen bilden. Dabei war vorerst aber auch hier lediglich an ein kämpfendes Ausweichen zum Rhein zu denken, da man bei der extremen Überlegenheit eines Angreifers die eigenen Verbände nicht vorzeitig in aussichtsloser Lage verbrauchen wollte.128 Im Übrigen sollten die USVerbände ursprünglich nur zeitweilig als vorgeschobener Schutzschild in Europa stationiert bleiben, bis die Westeuropäer hinreichende eigene Streitkräfte verfügbar hatten.129 In diesen Zusammenhang gehört auch das Drängen auf österreichische Sicherheitskräfte. Schließlich hatte man sich bei den kommunistisch gelenkten Streikbewegungen im Herbst 1950 sogar Hilferufen Wiens für den inneren Einsatzfall gegenübergesehen, da die eigenen Polizeikräfte als unzureichend erachtet wurden. Einen Einsatz von Soldaten hielten die westlichen Vertreter vor Ort freilich für unverhältnismäßig.130 Andererseits ließ sich die eben erfahrene Hilflosigkeit nutzen, um endlich bei der militärischen Ausbildung und Ausrüstung von Teilen der österreichischen Polizei voranzukommen.131 Wenn sich Wien freilich auf eine militärische Anlehnung 126 Vgl. dazu Poole, Walter : The Joint Chiefs of Staff and National Policy. 1950–1952 (The History of the Chiefs of Staff 4), Wilmington 1980, S. 221–224, und Gaddis : Strategies, S. 119 f. 127 Mako, William P.: U. S. Ground Forces and the Defense of Central Europe, Washington 1980, S. 11, und Thoß, Bruno: Bruno : The Presence of American Troops in Germany and German-American Relations, 1949–1956, in : Diefendorf, JeffreyM./Frohn, Axel/Rupieper, Hermann-Josef (Hg.), American Policy and the Reconstruction of West Germany, 1945–1955, Washington 1993, S. 411–432, hier S. 414. 128 Die Verteidigungsplanung der NATO in der »konventionellen Phase« der Jahre 1950–1952 ist eingehend beschrieben bei Thoß, Bruno (Hg.)/Greiner, Christian/Maier, Klaus A./Rebhan, Heinz : Die NATO als Militärallianz. Strategie, Organisation und nukleare Kontrolle im Bündnis 1949 bis 1959 (Entstehung und Probleme des Atlantischen Bündnisses bis 1956 4), München 2003, S. 65–101. 129 Aussagen Eisenhowers dazu als SACEUR bei Sisk, Thomas M.: Forging the Weapon : Eisenhower as NATO’s Supreme Allied Commander Europe, 1950–1952, in : Bischof, Günter/Ambrose, Stephen E.: Eisenhower : A Centenary assessment, Baton Rouge/London 1995, S. 64–83, hier S. 74. 130 Dowling und Keyes aus Wien, 1. bzw. 4. Oktober 1950, FRUS 1950, IV, S. 406–409 ; vgl. dazu generell : Meier-Walser, Reinhard : Der Streikputsch der KP Österreichs und seine internationalen Hintergründe. Die kommunistischen Streikaktionen vom September/Oktober 1950 im besetzten Österreich vor dem Hintergrund der sowjetischen Machtexpansion in Osteuropa nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges, München 1986, und Ludwig, Michael/Mulley, Klaus Dieter/Streibel, Robert (Hg.) : Der Oktoberstreik 1950 – Ein Wendepunkt der Zweiten Republik, Wien 1991, S. 207 131 Besprechung von Vertretern der Westmächte mit Bundeskanzler Figl und Innenminister Helmer,

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an den Westen einließ, dann wollte man analog zu den Westdeutschen nicht nur vorgeschobenes Schlachtfeld sein. Nur zu berechtigt waren nämlich Befürchtungen aus den Reihen der Gendarmerie, letztlich nur als Nachhut zur Sicherung der westlichen Ausweichbewegungen in die Alpen zu dienen.132 Dass den Österreichern darüber – außer fundierten Vermutungen – kaum Substanzielles über die militärischen Planungen der Besatzungsmächte und noch viel weniger über die NATO-Absichten bekannt war, resultiert aus eben jener gewollt »indirekten« Partnerschaft. Zu Recht ist die zeitweilig sehr weit gehende militärische Anlehnung daher als »geistig-ökonomische und partiell militärisch ausgerichtete Westorientierung« bewertet worden. Sie durfte nie so weit gehen, dass sie das Hauptziel einer »Rückgewinnung von Souveränität« unmöglich gemacht hätte. Daraus resultierte andererseits das militärische Dilemma, dass man als Nichtmitglied der westlichen Sicherheitsgemeinschaft eben auch nur »indirekt« in deren Verteidigung eingebaut war. Nun ist darauf verwiesen worden, dass die westalliierten Truppen in Österreich im Kriegsfall »letztlich dem Southern European Command of SHAPE unterstehen würden« ; man müsse nur peinlich darauf achten, dass dies »streng geheim« bliebe.133 Macht man sich dagegen bewusst, dass schon von der Funktion eines US-Präsidenten als Oberbefehlshaber jeder amerikanische Soldat im Einsatz nur unter nationalem Kommando verbleiben durfte, ist bei genauerem Hinsehen gerade dies kein Beleg für die enge Anbindung der österreichischen Sicherheit an die NATO-Strukturen. Der US-Präsident delegierte seine Kommandogewalt an den Oberbefehlshaber der US-Truppen in Europa (USCINCEUR). Seit dessen gleichzeitiger Übernahme des Oberbefehls über die NATO trug dieser SACEUR mithin zwei Hüte : als alliierter und nationaler Oberbefehlshaber134. Wenn Eisenhower daher als erster Inhaber beider Kommandos bei den US-Truppen in Österreich (USFA) und Triest (TRUST) im Frieden auf den ihm an sich zustehenden Oberbefehl verzichtete, dann zeigt dies einmal mehr sein politisches Gespür für die Besonderheiten vor Ort .135 Dass ihm da-

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29. November 1950, FRUS 1950, IV, S. 500 ff. Dass diese geheime Aufrüstung der sowjetischen Seite in den kommenden Jahren nicht verborgen blieb, machen ihre kontinuierlichen Einsprüche dagegen deutlich. Siehe : Stifter : Wiederaufrüstung, S. 147 f. und 165–167. Österreichische Stellungnahme zur Aufstellung militärisch verwendbarer Gendarmerieformationen bei einer Besprechung mit den Amerikanern, 17. Oktober 1951, Artl : Aufgebot, S. 101, und Stourzh : Einheit, S. 210 f. Vertrauliches internes Papier, 12. Juli 1951, zit. bei Gehler, Österreich, S. 230, Anm. 42 ; vgl. auch Cronin : Great Power Politics, S. 193 (Anm. 3). Eingehend dazu : Cole, Ronald H./Poole, Walter S./Schnabel, James E./Webb, Willard J.: The History of the United Command Plan, 1946–1993, Washington 1995. Besprechung zwischen dem SACEUR und dem US-Botschafter in Wien, 23. April 1951, FRUS 1951, IV/2, S. 1031–1035 ; Einschätzung Eisenhowers in dieser Frage : Rathkolb, Oliver : Washington ruft Wien. US-Großmachtpolitik gegenüber Österreich 1953–1963, Wien/Köln/Weimar 1997, S. 40, und Stourzh : Einheit, S. 197 f.

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gegen im Einsatzfall das ungeteilte Oberkommando automatisch wieder zugefallen wäre, war von der amerikanischen Verfassungslage wie den erforderlichen einheitlichen Befehlsverhältnissen her eine schiere militärische Notwendigkeit. Immerhin lief der gesamte Nachschub zwischen den NATO-Kommandobereichen Mitte und Süd über österreichisches Gebiet. Und da an eine ernsthafte Verteidigung des Landes nicht zu denken war, konnten sich die dort stationierten westlichen Truppenkontingente auch nur auf den AFSOUTH-Bereich zurückziehen, um Anschluss an die NATO-Verteidigung zu finden. Nach einer Beruhigung der Bedrohungslage rechnete schon im Herbst 1950 kaum noch jemand mit einem Übergreifen der ostasiatischen auf die westeuropäische Krise. Sollte es dennoch zu einer militärischen Auseinandersetzung auf österreichischem Boden kommen, war von der Bundesregierung zumindest auf dem Papier ein »Eventualakt« angedacht, der Wien und seine militärischen Verbände als Teil einer »gemeinsamen Kriegführung« handlungsfähig machen sollte136. Im Zuge einer definitiven Militarisierung des Kalten Krieges waren somit auch die österreichischen Verhältnisse davon voll involviert worden. Im Pentagon blieb man allerdings selbst für den inneren Einsatzfall skeptisch über das Stehvermögen der nur langsam aufwachsenden österreichischen Kräfte. Machte die Sowjetunion wirklich ernst mit Umsturzplänen wie in ihrem osteuropäischen Vorfeld 1947/48, dann sah man Wien schnell umkippen.137 Wie in den Jahren vorher erschien den US-Stabschefs daher auch 1952 jedes Drehen an der politischen Schraube eines Staatsvertrags als »ernstes Risiko für die Integrität Österreichs«, wäre dies doch verbunden gewesen mit einem Abzug der westlichen Besatzungstruppen.138 Der Fall Österreich geriet somit auf Jahre hinaus in den Windschatten der militärischen Blockbildung und einer absolut dominierenden Schließung der deutschen Lücke in der westlichen Verteidigung. Unter diesen verhärteten internationalen Umständen bewertete Wien die Verträge über eine Europäische Verteidigungsgemeinschaft unter Einbeziehung Westdeutschlands grundsätzlich positiv, da damit indirekt auch die eigene Sicherheitslage verstärkt werde. US-Präsident Truman folgte 1952 einer Empfehlung seiner Sicherheitsberater, aus den 75 Mill. Dollar Militärhilfe für Europa immerhin 10 Mill. für die österreichische Gendarmerie vorzusehen, da »Österreich als ein Staat von zentraler Wichtigkeit in der Verteidigung der nordatlantischen Zone«139 sei. Als freilich während der Verhandlungen zur Europäischen Verteidigungsgemeinschaft (EVG) in Paris der italienische Delegierte Anfang 1951 anfragte, ob man nicht auch Österreich

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Ausarbeitung in den österreichischen Akten, 31. März 1952, zit. bei Artl : Das Aufgebot, S. 105. Interne Stellungnahme, 14. November 1951, zit. bei Rathkolb : Washington, S. 182. Memorandum für den Secretary of Defense, 18. November 1952, zit. ebd., S. 177. Memorandum Harrimans an Truman, 18. Jänner, und Zustimmung des Präsidenten, 29. Jänner 1952, zit. nach Rathkolb : Von der Besatzung zur Neutralität, S. 389.

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in die laufenden Überlegungen einbeziehen solle, erhielt er von französischer Seite eine ausweichende Antwort. So etwas könne man für die Zukunft nicht grundsätzlich ausschließen, es sei aber keine Frage besonderer Dringlichkeit.140 Dagegen sprach aus französischer Sicht nicht zuletzt die mittlerweile erreichte, starke wirtschaftliche Position der Bundesrepublik in Österreich. Bei einer zusätzlichen Verzahnung der österreichischen Sicherheit mit der EVG ließ dies die vorhandenen Sorgen über ein dann auch wieder denkbares Anschlussverlangen Westösterreichs zusätzlich anwachsen. Als die EVG-Verträge zum Jahresende 1951 unterschriftsreif wurden, empfahl auch das State Department, den Fall Österreich nicht mehr zu diskutieren. Geklärt sein müsse wohl für den Einsatzfall, in welcher Beziehung die dortigen Besatzungstruppen zu den NATO-Kommandostrukturen stünden. Mit Blick auf die besondere politische Situation solle man es aber bei einer »indirekten Hilfe« der Österreicher für die westliche Verteidigung belassen.141 Wie relativ der militärische Nutzen einer Aufrüstung Westösterreichs für die westlichen Gesamtplanungen war, lässt sich schließlich auch daran ermessen, dass sie im umfassendsten Aufrüstungsprogramm der NATO, den Beschlüssen von Lissabon 1952 für eine NATO-Streitmacht von 100 Divisionen, nicht mit einem Satz erwähnt wurde.142 Aber auch in der Alpenregion hatten sich die westlichen Sicherheitsüberlegungen seit dem sowjetisch-jugoslawischen Konflikt immer eindeutiger in den italienisch-jugoslawischen Grenzraum verschoben. Schon im Mai 1951 hatten die britischen Stabschefs Montgomerys Ideen über einen zu verteidigenden Brückenkopf aufgegriffen. Nach einem positiven Votum des SACEUR begannen im Sommer und Herbst 1951 Pläne der NATO zu reifen, an der Isonzo-Linie eine gemeinsame Front aufzubauen, mit der sich Norditalien wenigstens zeitweilig verteidigen ließ. Damit wäre eine absichernde Nebenoperation verbunden gewesen, die den Zugang zu den österreichischen Alpenpässen über Villach blockieren und dadurch eine nördliche Umgehung der Isonzo-Front verhindern sollte. Überlegungen von 1951/52, dazu sogar eine NATO-Mitgliedschaft an Belgrad heranzutragen, blieben freilich rein spekulativ. Für eine so weitgehende militärische Anlehnung an den Westen war weder der jugoslawische Staatschef Josip Broz Tito zu gewinnen, noch konnte man dies vor einer Lösung des Triestproblems dem NATO-Partner Italien zumuten. Immerhin gewann in solcher Perspektive auch der militärische Ausbau von Teilen der österreichischen Gendarmerie an Gewicht. Westliche Komman-

140 Bruce aus Paris über die italienische Anfrage und die Antwort Alphands, 23. Februar 1951, FRUS 1951, III/1, S. 769. 141 State Department an US-Vertreter bei den Londoner Verhandlungen, 7. November 1951, ebd., S. 347 f. 142 Vgl. dazu : Hammerich, Helmut R.: Jeder für sich und Amerika gegen alle ? Die Lastenteilung der NATO am Beispiel des Temporary Council Committee 1949 bis 1954 (Entstehung und Probleme des Atlantischen Bündnisses bis 1956 5), München 2003, S. 293–301.

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deure vor Ort sahen eine »forward defense« in Kärnten für aussichtsreich an, wenn man die Österreicher mit panzerbrechenden Waffen ausrüstete. Das fand Interesse in der NATO. Bei den US-Stabschefs stellte man jedenfalls 1951/52 bereits Kräfteberechnungen an. Um sich auf einer Linie Arlberg–Kufstein–Salzburg–Tarvis zur Verteidigung einrichten zu können, würde man zusätzlich zu den österreichischen Kräften wenigstens eine US-Infanterie-Division, eine französische Gebirgs-Division und zwei britische Kampf-Brigaden benötigen. Für so weitgehende Pläne erhielt man indes weder von den britischen Stabschefs noch vom NATO-Hauptquartier Zuspruch. Nicht einmal ein US-Regiment war dafür aus Süddeutschland abzweigbar, selbst wenn im Juli 1951 eine amerikanisch-französische Absprache zur Verteidigung Tirols zustande kam, in der im Einsatz eine Verstärkung Kufsteins durch US-Truppen aus Südbayern vorgesehen war.143 Letztlich blieb es aber beim weiträumigen Rückzug nach Norditalien, der nur durch Verzögerungsoperationen abgesichert werden sollte. Selbst während dieser extremsten Verschärfung des Kalten Krieges seit dem Kriegsausbruch in Korea dürfen indes die fortdauernden politischen Aspekte der Österreichfrage nicht aus den Augen verloren werden. Wohl war trotz weitgehender Annäherung der Standpunkte im Sommer 1949 schon zum Ende des Jahres ein »Einfrieren der Staatsvertragsgespräche zwischen 1950 und dem Frühjahr 1953«144 zu konstatieren. Doch lag etwa für Frankreich selbst in diesen Jahren der Schwerpunkt seiner österreichischen Interessen in einer Beibehaltung der Vier-MächteVerantwortung. Eine zu enge militärische Anbindung Westösterreichs an die NATO war nämlich militärisch kaum effizient auszugestalten, da Frankreich und England schon bei einer Vorneverteidigung am Rhein an die Grenzen des Machbaren stießen. Politisch musste sich das Ganze dagegen als »höchst riskant« erweisen, drohte damit doch vor dem Hintergrund eines ökonomischen Erstarkens der Bundesrepublik sogar die Anschlussfrage wieder virulent zu werden. Zu Recht ist daher das Festhalten Washingtons an einer Position, die Österreich selbst nach Abschluss eines Staatsvertrags in die Verteidigungspläne des Westens eingefügt sehen wollte, als »maximalistisch« bewertet worden.145 Wohl suchten die USA die 1951/52 auf Sparflamme fortgesetzten Österreich-Gespräche zur Schuldzuweisung an die Sowjetunion zu nutzen. Das Mittel dafür sollte ein reduzierter »Kurzvertrag« anstelle des bereits

143 Sandner : Die französisch-österreichischen Beziehungen, S. 272, und Carafano : Waltzing, S. 143 f. 144 So die Qualifizierung bei Stourzh : Einheit, S. 183. 145 So die Einschätzung eines Berichts der US-Botschaft in Rom, 21. November 1951, FRUS 1951, IV, S. 1177 ff., durch Bischof, Günter: Günter : »Recapturing the Initiative« and »Negotiating from Strength«: Strength« : The Hidden Agenda of the »Short Reaty« Episode, in : Suppan, Arnold/Stourzh, Gerald/Mueller, Wolfgang (Hg.) : Der österreichische Staatsvertrag 1955. Internationale ternationale Strategie, rechtliche Relevanz, nationale Identität (Archiv für österreichische Geschichte 140), Wien 2005, S. 217–247, hier S. 241.

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erreichten Staatsvertragskonsenses von 1949 abgeben.146 Einmal mehr zeigte sich jedoch an dessen zurückhaltender Aufnahme bei Briten und Franzosen, dass man bei allem vorrangigen Interesse an einer dauerhaften Einbindung der USA in die Verteidigung Westeuropas hier eben nicht bereit war, aus Österreich einseitig einen »westlichen Militärstützpunkt« zu machen. Denn Moskau konnte ein derartiges Infragestellen seiner bereits erreichten Interessen gar nicht anders denn als völlig inakzeptabel bewerten. Um die westliche Einheitsfront nicht zu beschädigen, folgte man daher zwar dem Verlangen der USA, über die gemeinsame Vorlage des Kurzvertrages in Moskau die Ernsthaftigkeit sowjetischer Verhandlungsabsichten zu testen. Der zeitlich so nicht geplante parallele Überraschungscoup der Stalin-Noten vom März 1952 über die Neutralisierung eines wiedervereinigten Deutschlands147 machte daraus dann jedoch nur noch eine »Demonstrationsmöglichkeit für die Glaubwürdigkeit der sowjetischen Deutschlandpolitik«.148 Für die Österreichfrage ist es letztlich sekundär, wie ernsthaft Stalins Angebot tatsächlich gemeint war. Gleichgültig, ob damit in später Stunde die EVG-Verträge noch einmal ausgehebelt oder nur ihre Umsetzung erschwert werden sollte : bei den Westmächten wie in Bonn wurden Stalins Vorstöße jedenfalls ernst genug genommen, dass es einer vertanen Chance Moskaus gleichkam, wenn das sehr viel komplexere Deutschlandangebot nicht mit einer immer noch leichter zu bewerkstelligenden Österreichlösung gekoppelt wurde.149 Mehr als Hinweise darauf, dass Moskau an einer Neutralisierung Österreichs interessiert sein würde, wenn es wieder zu ernsthaften Verhandlungen kommen sollte, konnten österreichische Diplomaten indes nicht aus ihren Kontakten zu sowjetischen Gesprächspartnern herauslesen.150 Für die politische Absicherung der EVG-Verträge in den nationalen Parlamenten war es in jedem Fall von Vorteil, dass dieser Konnex von sowjetischer Seite nicht hergestellt wurde. 146 Gehler, Michael : Kurzvertrag für Österreich ? Die westliche Staatsvertrags-Diplomatie und die StalinNoten von 1952, in : Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 2/42 (1994), S. 243–278, und Bischof : »Recapturing the Initiative«, S. 217–247, sowie Steininger, Rolf : Austria, Germany, and the Cold War. From the Anschluss to the State Treaty 1938–1955, New York/Oxford 2008, S. 95–100. 147 Vgl. Steininger, Rolf : Eine Chance zur Wiedervereinigung ? Die Stalin-Note vom 10. März 1952. Darstellung und Dokumentation auf der Grundlage unveröffentlichter britischer und amerikanischer Akten (Archiv für Sozialgeschichte Beiheft 12), Bonn 1985. 148 So Gehler : Kurzvertrag, S. 277. 149 Mueller : Gab es eine »verpasste Chance« ?, S. 118 f. gibt als Grund dafür die sowjetische Einschätzung an, dass man in diesen Jahren immer die Sorge hatte, bei einem Abzug der eigenen Truppen aus Österreich das Land militärisch in die Hände der Amerikaner fallen zu sehen. 150 Bischof, Günter : Österreichische Neutralität, die deutsche Frage und europäische Sicherheit 1953–1955, in : Steininger, Rolf/Weber, Jürgen/Bischof, Günter/Albrich, Thomas/Eisterer, Klaus : Die doppelte Eindämmung. Europäische Sicherheit und deutsche Frage in den Fünfzigern (Tutzinger Schriften zur Politik 2), München 1993, S. 133–176, hier S. 147.

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Seit Frühjahr 1952 nahmen denn auch die Detailplanungen für ein künftiges Bundesheer weiter Fahrt auf. Mit der B-Gendarmerie als einer militärisch ausgebildeten, durch amerikanische Mittel ausgerüsteten halbmilitärischen Formation wurde eine »entscheidende Weichenstellung«151 dahin vollzogen, was die Westalliierten seit 1947 als unverzichtbar für die Entlassung Österreichs in die Unabhängigkeit forderten : eine zur Selbstverteidigung fähige Zweite Republik. Im Einsatz sollte Wien über diese »Eventualstreitmacht« verfügen können. Da die Besatzungsmächte aber weiterhin die militärische Gewalt auf österreichischem Boden innegehabt hätten, wären sie letztlich doch die Alleinverantwortlichen für alle militärischen Maßnahmen vor Ort geblieben.152 Seit Frühjahr 1952 mehrten sich indes die Anzeichen für eine ganz andere Richtung, in der sich seit 1950/51 eine Vernetzung der Österreichfrage mit Problemen der westlichen Bündnisstrategie andeutete. Jetzt zeigte sich Belgrad zunehmend an einer militärischen Zusammenarbeit mit den NATO-Staaten Griechenland und Türkei interessiert, um in einem europäischen Krieg westliche Unterstützung zu erhalten.153 Noch behinderte zwar die ungelöste Triestfrage eine Konkretisierung solcher Überlegungen auf NATO-Ebene. Über den stellvertretenden Oberbefehlshaber der US-Truppen in Europa, General Thomas T. Handy, wurden darüber aber im Herbst 1952 Gespräche mit der jugoslawischen Führung intensiviert. Von besonderem Interesse war deren erklärte Absicht, sich im Falle eines Angriffs kämpfend auf die Julischen Alpen zurückzuziehen. Damit bot sich am Zugang nach Norditalien eine seit Längerem gesuchte Koordination der Planungen zwischen AFSOUTH und dem jugoslawischen Generalstab an. Einer formellen NATO-Mitgliedschaft Belgrads bedurfte es dafür nicht, ausreichend war seine indirekte Anbindung über einen trilateralen Balkanpakt mit Griechenland und der Türkei.154 Trotz weiterer Blockaden wegen der Triestfrage konkretisierten sich solche Absprachen mit den Westmächten schon Ende 1952. Danach würde es für die Verteidigung an der Laibacher Pforte allseits vorteilhaft sein, wenn man auch aus Kärnten zumindest kämpfend ausweichen konnte, anstatt den gesamten österreichischen Raum kampflos zu räumen. Im neuen Strategiepapier der NATO, der M.C. 14/1 vom Dezember 1952, war deshalb nicht nur die Flankenstellung der Alpen stärker als bisher hervorgehoben. Auch das Nichtmitglied Jugoslawien hatte als voraussichtlicher Verbündeter »in a defensive war against the So151 So die Bewertung von Rauchensteiner : Die Zwei, S. 176 ; zu Aufbau und Aufgabenstellung generell : Blasi : Die B-Gendarmerie. 152 Vgl. Rauchensteiner : Staatsvertrag und bewaffnete Macht, S. 190. 153 Heinemann, Winfried : Vom Zusammenwachsen des Bündnisses. Die Funktionsweise der NATO in ausgewählten Krisenfällen 1951–1956 (Entstehung und Probleme des Atlantischen Bündnisses bis 1956 1), München 1998, S. 23 f., und Iatrides, John O.: Balkan Triangle. Birth and Decline of an Alliance across Ideological Borders, Den Haag 1968, S. 94 f. 154 Zur Handy-Mission in Belgrad Mitte November 1952 : Iatrides : Balkan Triangle, S. 98 f ; Heuser : Western Containment Policies, S. 167 ; Heinemann : Zusammenwachsen, S. 28 f.

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viet Bloc« Aufnahme gefunden.155 Die Verteidigung sollte sich im Nordwesten auf die Schweizer Alpen, im weiteren Verlauf auf die italienischen Alpen mit Schwerpunkt am Isonzo abstützen. Den Jugoslawen traute man darin einige Verzögerungswirkungen zu ; Österreich bedachte man eher mit der Rolle eines »Feindbeobachters«.156 Dazu konnte im Frühjahr 1953 ein Freundschaftsvertrag zwischen Jugoslawien, Griechenland und der Türkei zum Balkanpakt ausgeweitet werden, der sich militärisch an die NATO anlehnte. Im August 1953 ließen die Jugoslawen bei einem Treffen in Washington sogar Einblick in ihre militärischen Pläne nehmen. Damit konnten Absprachen über US-Militärhilfe für die Ausrüstung zusätzlicher Infanterie-Divisionen getroffen werden, die an der Laibacher Pforte stationiert werden sollten.157 Die bis an den Rand einer militärischen Auseinandersetzung führende Verschärfung des Triestkonflikts an der Jahreswende 1953/54 verhinderte allerdings konkretere vertragliche Abmachungen darüber zwischen Jugoslawien und dem NATO-Kommando Süd. Die versprochene Militärhilfe für Belgrad wurde bereits im Oktober 1953 wieder eingefroren. Und da Tito mittlerweile parallel zu seinen Kontakten nach Washington auch aufmerksam erste Entspannungssignale der neuen sowjetischen Führung registrierte, kam der Balkanpakt letztlich nicht über militärische Absichtserklärungen hinaus. An alledem war Österreich, abgesehen von bilateralen diplomatischen Verbesserungen, nur mittelbar beteiligt. Seit Frühjahr 1953 begannen sich unterdessen die Verhältnisse an mehreren Punkten gleichzeitig zu verändern. Das sollte auch die Österreichfrage wieder nachhaltiger politisieren und Wien damit Spielräume zur Eigeninitiative eröffnen. Da waren einmal die Parallelität einer neuen US-Administration unter Präsident Eisenhower und der Tod des sowjetischen Diktators Stalin, auf beiden Seiten gefolgt von Überlegungen über eine Neubestimmung unter beinahe wortgleicher Begrifflichkeit von einem »New Look« in Washington158 und einem »Neuen Kurs« in Moskau.159 In den USA hatte ausgerechnet der bisherige NATO-Oberbefehlshaber Eisenhower einen erfolgreichen Wahlkampf mit dem Versprechen geführt, den durch Hochrüstung überspannten Staatshaushalt zu sanieren. Nicht mehr auf eine Phase höchster Gefährdung hatte man sich jetzt einzustellen, sondern auf einen lang andauernden 155 M.C. 14/1 »A Report by the Standing Group on Strategic Guidance«, 9. Dezember 1952, Pedlow : NATO Strategy Documents, S. 193–229, hier S. 217. 156 Ebd., S. 220. 157 Summary Report on Tripartite-Yugoslav Military Conversations, 28. August 1953, FRUS 1952–1954, VIII, S. 244–247 ; vgl. auch Heuser : Western Containment Policies, S. 169, und Heinemann : Zusammenwachsen, S. 65. 158 Vgl. dazu Dockrill, Saki : Eisenhower’s New Look National Security Policy, 1953–61, Basingstoke/London 1996. 159 Belege dafür bei Zubok, Vladislav/Pleshakov, Constantine : Inside the Kremlin’s Cold War : From Stalin to Khrushchev, Cambridge 1996, S. 138–173.

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Kalten Krieg. Die in Lissabon 1952 eingegangene Selbstverpflichtung zu einer zahlenmäßig adäquaten NATO-Streitmacht einschließlich zwölf deutscher Divisionen hatte sich schon an der Jahreswende 1952/53 als innenpolitisch und ökonomisch nicht durchsetzbar erwiesen. Militärisch wirksam blieb allein die kriegverhindernde Fähigkeit der Amerikaner zur nuklearen Abschreckung. Die USA verfügten aufgrund ihrer Überlegenheit an Atomwaffen und Trägersystemen noch bis Anfang der Sechzigerjahre über eine faktische Erstschlagskapazität gegenüber der Sowjetunion. Notwendig war aber ein langer Atem (long haul) im umfassenden Systemkonflikt. Wirtschaftliche und gesellschaftliche Stabilität gewann in solcher Perspektive Vorrang vor einer nicht zu finanzierenden lückenlosen Verteidigungsplanung. Die Grundzüge der daraus 1953/54 entwickelten operativen Planungen, die ab 1955 schrittweise in der NATO als Strategie der massiven Vergeltung implementiert wurden, nuklearisierten das Bündnis als vermeintlich kostengünstigere Option. Kriegsverhinderung durch nukleare Abschreckung sollte weiterhin absolute Priorität genießen. Den durch taktische Atomwaffen verstärkten ›Schild‹-Verbänden war in einer wechselseitigen Atomschlacht nur noch eine hinhaltende Verteidigung des Bündnisgebiets zugewiesen. Erst in der zweiten Phase wollte man an die Rückeroberung zeitweilig aufgegebenen Bündnisgebiets gehen. Hat diese Nuklearisierung der NATO-Strategie mit ihrer Integration taktischer Atomwaffen in die Verbände auch auf die US-Truppen in Österreich durchgeschlagen ?160 Der dafür herangezogene Gewährsmann spricht freilich nur von einer Planung, die nie über ein »embryonales Stadium« hinausgekommen sei. Wie alle US-Verbände weltweit musste sich unter den Vorzeichen des »New Look« auch der Stab der USFA in seiner Planungsarbeit und seinem Stabstraining damit befassen. Da jedoch auf österreichischen Boden anders als bei der 7. US-Armee in Süddeutschland keinerlei taktische Atomwaffen zugeführt wurden,161 kann man nicht ernsthaft davon sprechen, dass Westösterreich in 160 So spricht Steininger, Rolf : Deutschland, Österreich und die Neutralität 1952–1955, in : Suppan, Arnold/ Stourzh, Gerald/Mueller, Wolfgang (Hg.) : Der österreichische Staatsvertrag 1955. Internationale Strategie, rechtliche Relevanz, nationale Identität (Archiv für österreichische Geschichte 140), Wien 2005, S. 475–501, hier S. 483 (Anm. 25) sogar davon, dass es »Pläne für einen offensiven und einen defensiven Einsatz« von Atomwaffen gegeben habe, in die auch die USFA einbezogen gewesen seien. 161 Carafano : Waltzing, S. 149, den Steininger als Beleg für seine Annahme heranzieht, ist darin ganz eindeutig. Die vom Department of Defense mittlerweile weitestgehend offen gelegte »History of the Custody and Deployment of Nuclear Weapons (U), July 1945 through September 1977. Prepared by Office of the Assistant to the Secretary of Defense (Atomic Energy), February 1978« zeigt im Kap. über die ersten Auslagerungen von US-Atomwaffen nach Übersee in den Jahren 1952–1955, dass davon neben dem United Kingdom auf dem Kontinent nur Westdeutschland betroffen war. Vgl. dazu auch Maier, Klaus A.: Die politische Kontrolle über die amerikanischen Nuklearwaffen, in : Thoß, Bruno (Hg.)/Greiner, Christian/Maier, Klaus A./Rebhan, Heinz : Die NATO als Militärallianz. Strategie, Organisation und nukleare Kontrolle im Bündnis 1949 bis 1959 (Entstehung und Probleme des Atlantischen Bündnisses bis 1956 4), München 2003, S. 251–420, hier S. 308–313.

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der Besatzungszeit unmittelbar in die atomare Einsatzplanung einbezogen worden wäre. Für die NATO-Partner sollte die vermeintlich kostengünstigere Strategie aus dem Dilemma nicht zu finanzierender Streitkräfte herausführen. Aber auch beim »indirekten Verbündeten« Österreich sollte der Druck für eine nach Zeit und Umfang nicht zu leistende Aufrüstung allmählich nachlassen. Dazu trug nicht unwesentlich bei, dass die Eisenhower-Administration entgegen ihrer »offensiven Wahlkampftöne« eines »Roll back« des sowjetischen Einflusses aus Osteuropa in ihrer faktischen Politik im Wesentlichen Status-quo-Sicherung betrieb.162 Erste Signale aus Moskau über eine mögliche »friedliche Koexistenz« zwischen den verfeindeten Systemen wurden in Washington zwar mit äußerster Skepsis aufgenommen. Der neue Außenminister John Foster Dulles sah dahinter vor allem die Gefahr, dass bei zu früh eingeleiteten Ost-West-Verhandlungen das vorrangige Sicherheitsziel in Europa beschädigt zu werden drohte.163 Was Österreich betraf, widersprach Dulles jedoch im Frühjahr 1953 den US-Stabschefs offen, wenn er einer politischen Lösung mit Blick auf den dadurch zu erreichenden Abzug der sowjetischen Truppen höhere Priorität einräumte als einer fortdauernden Besatzung.164 Bewegung kam in eine Politik absolut vorrangiger Blockarrondierung aber vor allem durch die Reaktionen Churchills auf die Veränderungen in Moskau. Anders als Washington wollte der britische Premierminister die Chancen einer denkbaren Entspannung durch einen Vierergipfel offensiv ausgelotet wissen, stieß damit freilich nicht nur in Washington, sondern auch im eigenen Kabinett auf unüberwindliche Widerstände. Generell schätzte man in den westlichen Außenministerien wie in Bonn die Gefahren als zu hoch ein, damit nur einer sowjetischen Verzögerungstaktik gegen die Ratifizierung der EVG-Verträge Vorschub zu leisten.165 Mehr als die Anfang 1954 nach monatelangem Tauziehen zustande gekommene Außenministerkonferenz in Berlin sollte er denn auch nicht erreichen. Damit war aber innerhalb der

162 Vgl. Beglinger, Martin : »Containment« im Wandel. Die amerikanische Außen- und Sicherheitspolitik im Übergang von Truman zu Eisenhower (Beiträge zur Kolonial- und Überseegeschichte 41), Wiesbaden 1988, S. 172. 163 Zit. bei Felken, Detlef : Dulles und Deutschland. Die amerikanische Deutschlandpolitik 1953–1959, Bonn/Berlin 1993, S. 168 ; vgl. auch Bischof : Österreichische Neutralität, S. 137. 164 Beleg dafür bei Rathkolb : Washington, S. 25. 165 Vgl. Carlton, David : Großbritannien und die Gipfeldiplomatie 1953–1955, in : Thoß, Bruno/Volkmann, Hans-Erich : Zwischen Kaltem Krieg und Entspannung. Sicherheits- und Deutschlandpolitik der Bundesrepublik im Mächtesystem der Jahre 1953–1956, Boppard 1988, S. 51–69, hier S. 53–58 ; vgl. auch Maier, Klaus A.: Die internationalen Auseinandersetzungen um die Westintegration der Bundesrepublik Deutschland und um ihre Bewaffnung im Rahmen der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft, in : Köllner, Lutz/Maier, Klaus A./Meier-Dörnberg, Wilhelm/Volkmann, Hans-Erich : Die EVG-Phase (Anfänge westdeutscher Sicherheitspolitik 1945–1956 2), München 1990, S. 1–234, hier S. 150–161.

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westlichen Allianz ein Impuls gegeben, der sich nicht mehr so wie bisher durch die Führungsmacht bereinigen ließ. Um weiteren sowjetischen Initiativen zuvorzukommen, brachte der deutsche Bundeskanzler Konrad Adenauer einen vorsichtigen Disengagement-Vorschlag als Variante für ein europäisches Sicherheitssystem ins Spiel, der auf der Basis der EVG-Verträge rüstungsverdünnte Zonen zwischen den Militärblöcken (»Heusinger-Plan«) vorsah.166 Unabhängig davon entwickelte der belgische Außenminister Paul van Zeeland analoge Gedanken zu einer entmilitarisierten Zone in Mitteleuropa (»Van Zeeland-Plan«).167 Auch bei ihm blieb die Zugehörigkeit der Bundesrepublik zur EVG unangetastet. Anders als im »Heusinger-Plan«, der beiderseits der Oder-Neiße-Linie einen entmilitarisierten Streifen von der Ostsee bis zur Adria (unter Einschluss wesentlicher Teile West- und Ostösterreichs) vorsah, konzentrierte sich der »Van Zeeland-Plan« auf das Territorium zwischen Elbe und Oder, das von Truppen und militärischen Einrichtungen »sterilisiert« werden sollte. Aus der Bundesrepublik war als Gegenzug zu einer sowjetischen Räumung Polens der Abzug aller Nicht-EVG-Truppen, also v. a. der Amerikaner, vorgesehen, während Kontingente der EVG-Partner weiter zwischen Rhein und Elbe stationiert bleiben konnten.168 Die Westmächte gingen allerdings realistisch davon aus, dass alle diese Überlegungen für Moskau bei einer westdeutschen Blockzugehörigkeit inakzeptabel waren.169 Von einem Disengagement in Mitteleuropa wäre auch Österreich tangiert gewesen, das im »Heusinger-Plan« sogar unmittelbar angesprochen und in der dazugehörigen Karte verzeichnet war. Im State Department entwickelte man daraus zudem Vorstellungen, die noch weit über die Ideen der Westeuropäer hinausreichten. Danach sollte die Militärmacht Sowjetunion hinter ihre Staatsgrenzen zurückgedrängt werden. Dies hätte aber eine kombinierte deutsche und österreichische Lösung erfordert, weil man dann eine Handhabe auch für die sowjetische Räumung des Balkanraums erhalten mochte.170 Im Gegensatz zu den Diplomaten blieben SACEUR und US-Stabschefs dagegen dabei, dass einer westeuropäischen Sicherheitslösung

166 Vgl. Maier : Die internationalen Auseinandersetzungen, S. 154 f.; eingehend dokumentiert bei Rupieper, Hermann-Josef : Wiedervereinigung und europäische Sicherheit : Deutsch-amerikanische Überlegungen für eine entmilitarisierte Zone in Europa 1953, in : Militärgeschichtliche Mitteilungen 39 (1986), S. 91– 130. 167 Zu Entmilitarisierungsplänen im September 1953 insgesamt : Felken : Dulles, S. 198–211. 168 Die Kernpunkte des Van Zeeland-Plans sind aufgelistet bei Felken : Dulles, S. 203 ; Vergleichskarte beider Pläne bei Rupieper : Wiedervereinigung, S. 124. 169 Inneramerikanische Prüfung der Pläne : Rupieper : Wiedervereinigung, S. 97–107 ; zu den Ost-LocarnoÜberlegungen : Felken : Dulles, S. 204, und Katzer, Nikolaus : »Eine Übung im Kalten Krieg«. Die Berliner Außenministerkonferenz von 1954 (Bibliothek Wissenschaft und Politik 53), Köln 1994, S. 101. 170 Memorandum R. L. Thurston, 23. September 1953, abgedr. bei Rupieper : Wiedervereinigung, S. 111– 115, hier insbes. S. 112.

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unter Einschluss der Bundesrepublik weiterhin absolute Priorität eingeräumt werden müsse.171 Auch Außenminister Dulles sah in den Reaktionen der Westeuropäer auf die sowjetische Friedensoffensive vor allem Gefahren eines »Wunschdenkens«, das auch die US-Interessen in Europa beschädigen konnte. Parallel zu den Veränderungen und Neuansätzen in Ost und West war auch in die österreichische Politik mit dem Kabinett von Julius Raab Bewegung gekommen. Schon im Juli 1953 hatte der neue Bundeskanzler ganz auf der Linie eines internationalen Suchens nach einer Détente die Notwendigkeit österreichischer Allianzfreiheit betont, war dafür aber vom US-Hochkommissariat äußerst kritisch kommentiert worden. Auch dort war man sich indes mit Außenminister Dulles schon im April einig, dass man bei vorausgesetztem politischem Willen der Österreicher einen Staatsvertrag auf der Basis eigener Blockfreiheit kaum verhindern konnte. Es ging letztlich nur um den Zeitpunkt und die Reichweite einer solchen politischen Wende. In so einem Fall konnte es dann aber nicht mehr um sicherheitspolitischen Maximalismus, sondern nur noch um ein Aushandeln möglichst günstiger Konditionen für den Westen gehen. Und das hieß ein zeitliches Strecken, bis der Weg in ein unabhängiges und neutrales Österreich die vorrangige Blockerweiterung um die Bundesrepublik nicht mehr belastete. Eine militärische Blockfreiheit Wiens würde man dann so zu konditionieren suchen, dass sie die politisch-ökonomische Westorientierung des Landes nicht blockierte und weitere US-Militärhilfe für den Streitkräfteausbau erlaubte.172 Mit einem geschickten Schachzug brachte die neue sowjetische Führung die Kugel allerdings zusätzlich ins Rollen, als sie im Sommer 1953 die Kosten für ihre Besatzungstruppen selbst übernahm. Die überraschende Mitteilung der Franzosen, die daraufhin ihre Besatzungstruppen auf den repräsentativen Umfang von einem Bataillon zu begrenzen beabsichtigten, löste nämlich schon Anfang September 1953 ein mittleres Beben in den militärischen Stäben der USA und der NATO aus. Und da von den Briten ähnliche Informationen eingingen, sah der Supreme Commander Europe (SACEUR) die US-Truppen in Österreich ohne Anlehnung an die bisherigen Nachbarverbände in exponierter Lage. Selbst ein geordneter Rückzug der USTruppen aus dem Land sei kaum noch durchführbar. Eine ähnliche Maßnahme der USA könne aber nicht ohne negative Auswirkungen auf den Zusammenhang von AFSOUTH und AFCENT bleiben. Sogar eine Situation wie in Korea nach dem Abzug der US-Truppen mit einem von außen inspirierten Bürgerkrieg oder gar einer

171 Telegramm des SACEUR Gruenther als USCINCEUR an das Department of the Army, 27. September, und unterstützende Stellungnahme des Chairman JCS, Admiral Radford, 30. September 1953, abgedr. ebd., S. 119–123. 172 Memorandum der US-Botschaft Wien, 26. August 1953, FRUS 1952–1954, VII/2, S. 1895 ; vgl. auch Rauchensteiner : Die Zwei, S. 210 f.

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Invasion aus den Satellitenstaaten wollte er nicht ausschließen. Die US-Stabschefs unterstützten ihn mit dem Dauerargument vom »militärischen Vakuum« im Donauraum, zusätzlich verstärkt durch die Sorge vor diesem als Negativbeispiel für kleinere NATO-Partner. Schließlich könne der britisch-französische Schritt eines einseitigen Herauslösens aus NATO-Verpflichtungen schnell Schule machen und in den Benelux-Staaten wie in Skandinavien die Anhänger einer Rückkehr in die Neutralität stärken.173 Trotz aller Anmahnungen aus Washington waren Briten und Franzosen jedoch nicht mehr von ihren Absichten abzubringen. Die westlichen Verbände stünden längst nicht mehr aus militärischen, sondern wesentlich aus politischen Gründen in Österreich. Ihre strategische Bedeutung in Kärnten sei gering, da sie hier leicht über Jugoslawien auszuflankieren seien.174 Da fruchtete auch eine weitere Intervention des SACEUR wenig, der das Pentagon noch am Jahresende davor warnte, dass diese einseitigen Truppenausdünnungen katastrophale Folgen haben würden. Einmal mehr ging es also nicht eigentlich um die österreichische Sicherheit, sondern um seine Rolle in der Vorfeldplanung für den eigentlichen Verteidigungsschwerpunkt in Norditalien und den Julischen Alpen. An der Jahreswende 1953/54 standen jedenfalls nur noch symbolische Kontingente beider Länder auf österreichischem Boden.175 Die Verstärkung der US-amerikanischen Besatzungstruppen in Österreich aus Teilen des US-Kontingents in Triest und die Aufstockung der B-Gendarmerie in Westösterreich von 5 000 auf 8 500 Mann176 konnte die hinterlassene Lücke nicht wirklich schließen. Die Österreichfrage hatte inzwischen freilich eine wesentlich politischere Färbung angenommen. Das lag zum einen daran, dass die Briten seit Herbst 1953 deutlich flexibler mit der Neutralitätsfrage umgingen als die Amerikaner. Aber auch im State Department lag man seit Langem näher an der von London eingenommenen Position, dass die deutsche und die österreichische Frage im Kern zu unterschiedlich wären, um sie dauerhaft verkoppelt zu lassen. Bei der Vorbereitung auf die Berliner Außenministerkonferenz prallten deshalb die Auffassungen von Diplomaten und Militärs hart aufeinander. Es konnte nicht mehr übersehen werden, dass inzwischen nicht nur für die Österreicher, sondern auch für Briten und Franzosen der Preis einer Allianzfreiheit nicht mehr zu hoch war, wenn man damit allseits akzeptable Ergebnisse erzielen konnte. Im britischen Kabinett sollte Außenminister Eden schon 173 Memorandum Admiral Radfords an Secretary of Defense, 11. September, und dessen Unterstützung gegenüber dem State Department, 16. September 1953, FRUS 1952–1954, VII/2, S, 1889 f ; vgl. auch Carafano : Waltzing, S. 150 f. 174 Carafano : Waltzing, S. 151 f. 175 Rauchensteiner : Staatsvertrag und bewaffnete Macht, S. 190, und Rauchensteiner : Die Zwei, S. 214. 176 Zu diesem Maßnahmenbündel : Bischof : Austria, S. 123 ; dokumentiert in : FRUS 1952–1954, VII/2, S. 1923–1926.

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wenige Wochen später eine Österreichlösung »so rasch wie möglich, auch wenn das Risiken mit sich bringt« fordern.177 Admiral Radford beharrte dagegen darauf, dass ein neutrales Österreich »uns unheimlich in Europa schwächen würde«, weil inzwischen die militärische Westeinbindung der Deutschen ebenfalls zum Diskussionsgegenstand geworden war.178 Das war sicher auch ein Grund dafür, dass sich eine Expertenrunde der Westmächte in Paris schon im Oktober 1953 darauf einigte, dass eine Wiedervereinigung Deutschlands dessen fortdauernde militärische Westintegration nicht ausschließen dürfe. Jede Neutralisierung Deutschlands verbunden mit einer deutschen Nationalarmee war mit Blick auf die labile Sicherheitslage in Mitteleuropa für den Westen unannehmbar, hätte sie den Deutschen doch einmal mehr die Möglichkeit einer Schaukelpolitik zwischen West und Ost zugespielt. Bezogen auf Österreich wurden deshalb im amerikanischen Grundlagenpapier NSC 164/1 vom Oktober 1953 die konkurrierenden Positionen von State Department und Pentagon nur noch in einem Formelkompromiss nebeneinander gestellt : volle politische und wirtschaftliche Unabhängigkeit einerseits, »maximale Beteiligung Österreichs an seiner eigenen Verteidigung und österreichische Kooperation mit dem Westen gegen eine etwaige Aggression durch den Sowjetblock« andererseits.179 US-Außenminister Dulles wollte zwar in Berlin alles tun, um eine Neutralisierung Österreichs zu verhindern. Sei dies jedoch aus politischen Gründen nicht mehr möglich, dann solle Wien nur auf einen Allianzbeitritt, nicht aber auf eine angemessene Aufrüstung verzichten.180 Von seinem Präsidenten erhielt er jedenfalls grünes Licht, dass es »durchaus vom militärischen Standpunkt aus zufriedenstellend« wäre, wenn Österreich sich zu bewaffneter Neutralität analog dem Schweizer Vorbild verpflichtete.181 Davon machte Dulles auf der Konferenz allerdings nur insoweit Gebrauch, als er sich erstmals öffentlich dazu bekannte : »Ein neutraler Status ist ehrenvoll, wenn er durch eine Nation freiwillig gewählt wird.« Kein Oktroy von außen also, volle Räumung von allen Besatzungstruppen und ein militärischer Status nach Schweizer Vorbild, dann würden die USA diesen Weg »voll respektieren«.182 Den Lackmustest musste die westliche Österreichpolitik in Berlin gar nicht bestehen, da der sowjetische Außenminister noch nicht zu einer Entkoppelung von deutscher und österreichischer Frage zu bewegen war. Die Schuld für das Scheitern der Konferenz und aller in sie gesetzten Hoffnungen Österreichs konnte Dulles mithin problemlos auf 177 Kabinettssitzung vom 13. November 1953, PRO, CAB 129/64, C(53)316. 178 166. NSC-Sitzung, 13. Oktober 1953, FRUS 1952–1954, VII/2, S. 1909–1913. 179 NSC 164/1 »U. S. Objectives and Politics with Respect to Austria«, 14. Oktober 1953, ebd., S. 1917 f.; zum Dissens Pentagon/State Department im Herbst 1953 vgl. auch Steininger : Austria, S. 103 f. 180 180. NSC-Sitzung, 14. Jänner 1954, FRUS 1952–1954, VII/1, S. 1935. 181 Interne Abstimmung zwischen Eisenhower und Dulles, 20. Jänner 1954 : Cronin : Great Power Politics, S. 134 ; Rathkolb : Washington, S. 42 ; Bischof : Austria, S. 139. 182 Einlassungen Dulles’, 13. Februar 1954, FRUS 1952–1954, VII/1, S. 1061–1065 und S. 1088 f.

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die Karte sowjetischer Verweigerungspolitik setzen. Und da schon im unmittelbaren Vorfeld des Außenministertreffens im NATO-Rat auch alle 1953 andiskutierten Disengagement-Pläne zu den Akten gelegt worden waren, mussten die angelsächsischen Außenminister in Berlin noch nicht einmal eine Anpassung der EVG an sowjetisches Sicherheitsinteresse ernsthaft durchspielen.183 Bis in den Herbst 1954 hinein blieb damit in der westlichen Allianz alles auf ihre Erweiterung um die Bundesrepublik abgestellt. Wie kompliziert indes die Sicherheitslage im Herbst 1954 im gesamten Südbereich der NATO eingestuft wurde, zeigte der Zwischenbericht von AFSOUTH zum Gesamtverteidigungsplan von SHAPE für Europa.184 Wie AFCENT betonte auch er für seine Region den Grundsatz einer Vorwärtsverteidigung »as far forward as possible«. Noch gravierender als an der Rheinlinie fielen aber bei ihm Ziele und militärische Mittel auseinander. Wollte man einen Angreifer vom Einbruch nach Norditalien abhalten, benötigte man eine wesentlich aggressivere Bodenstrategie in dieser Region. Dazu war aber das Verhältnis zwischen den ihm verfügbaren Bodenund Luftstreitkräften bei Weitem zu unausgeglichen, und die schon jetzt erkennbare Stagnation in den Beziehungen zum erhofften jugoslawischen Partner im Balkanpakt ließ wenig Besserung erwarten. Da das alles natürlich auch den Österreichern nicht gänzlich verborgen blieb, wollte sich Wien wenigstens für den Fall eines militärischen Konflikts vor Abschluss eines Staatsvertrags rückversichern. Dazu erwartete man westliche Unterstützung bei einer Aufstockung der eigenen militärischen Verbände von 28 000 auf 53 000 Mann.185 Zusätzlich sollten die Westmächte im Falle einer Aggression Österreich sofort einseitig souverän stellen. Damit würden die eigenen Sicherheitskräfte unter ein nationales Oberkommando kommen, das wiederum führungstechnisch unter den zuständigen alliierten Befehlshaber treten sollte.186 Aushilfe war nach Meinung von AFSOUTH jedoch schon im Herbst 1954 letztlich nicht von größeren Streitkräftezahlen zu erwarten. Hier benötige man aus Sicht des Regionalbefehlshabers insgesamt eine bessere »Balance zwischen Boden- und Luftstreitkräften«, und das hieß im Klartext : »zusätzliche Luftkräfte mit nuklearer Kapazität«.187 183 Zu den Gesprächen Edens und Dulles’ mit Molotow : Rupieper : Wiedervereinigung, S. 448–452. 184 Dazu und zum Folgenden : Honick, Morris/Carter, Edd M. (Hg.) : SHAPE History. The New Approach, July 1953–November 1956 (SHAPE Histories 3), Belgium o. J., S. 94 f. 185 Gesprächsvermerk zwischen Bundeskanzler Raab, Vizekanzler Schärf und Vertretern der westlichen Hochkommissionen, 11. Juni 1954, Rathkolb : Washington, S. 148. 186 Memorandum Grafs an Bundeskanzler Raab, 30. Juni 1954, Rauchensteiner, Manfried : Landesverteidigung und Außenpolitik. Feindliche Brüder ?, in : Rauchensteiner, Manfried/Etschmann, Wolfgang (Hg.) : Schild ohne Schwert. Das österreichische Bundesheer 1955–1970 (Forschungen zur Militärgeschichte 2), Graz/Wien/Köln 1991, S. 129–171, hier S. 131. 187 SHAPE Histories 3, S. 95.

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Doch für Wien waren das bereits Nachhutgefechte einer indirekten Partnerschaft zum Bündnis. Gefordert war hier vielmehr Geduld, bis das Scheitern des westdeutschen Bündnisbeitritts über die EVG durch die Pariser Verträge repariert war. Schon im Sommer 1954 hatte der französische Ministerpräsident Mendès-France gegenüber den Sowjets immerhin erkennen lassen, dass eine ausschließlich militärische Blockerweiterung nicht das letzte Wort im Ringen um eine europäische Sicherheitslösung sein konnte. Neben der Abrüstungsfrage war dabei auch eine Österreichlösung zur Sprache gekommen, wobei sich der sowjetische Außenminister allerdings weiterhin rezeptiv verhalten hatte. Das blieb selbst nach dem Scheitern der EVG noch auf Monate hinaus so. Sehr zur Erleichterung des US-Botschafters in Moskau spielte die sowjetische Führung während der Herbstkonferenzen in London und Paris auf Zeit, anstatt den für den Westen nicht unproblematischen österreichischen Fall als ernsthaftes Signal erfolgversprechender Ost-West-Verhandlungen auf die Tagesordnung zu setzen. So ließ man denn die Chance verstreichen, die schnellen Sicherheitsreparaturen des Westens noch einmal wirksam zu kontern. Im Notenkrieg um die Pariser Verträge hielt Moskau stattdessen an seiner unflexiblen Position vom Jahresbeginn in Berlin fest. Wohl wissend, wie allergisch die Westmächte reagierten, wenn die Österreichfrage zur Unzeit ihre Sicherheitspolitik mit Bonn störte, zeigte Bundeskanzler Raab bei seiner Washington-Reise im November 1954 diplomatisches Wohlverhalten. Er begrüßte die westliche Blockerweiterung als Ausgangspunkt für künftige Ost-WestGespräche, selbst wenn er sich damit harsche Kritik aus Moskau einhandelte.188 Schon Anfang des Monats hatte andererseits Mendès-France durchblicken lassen, dass er mit den Pariser Verträgen im Rücken bei einer Aktivierung der Ost-WestBeziehungen Fahrt aufzunehmen gedachte. Dazu wollte er parallel fahren : zunächst die Pariser Verträge zügig ratifizieren, um die westliche Einheit und Sicherheit zu stärken ; gleichzeitig aber die nächsten Jahre für ein Ausloten von Entspannungsmöglichkeiten nutzen, so dass sich der Umfang einer westdeutschen Aufrüstung eingrenzen ließ.189 Schon Ende November 1954 ergriff er vor der UNO die Initiative. 188 Thoß, Bruno : Modellfall Österreich ? Der österreichische Staatsvertrag und die deutsche Frage 1954/55, in : Thoß, Bruno/Volkmann, Hans-Erich (Hg.) : Zwischen Kaltem Krieg und Entspannung. Sicherheits- und Deutschlandpolitik der Bundesrepublik im Mächtesystem der Jahre 1953–1956, Boppard/ Rhein 1988, S. 93–136, hier S. 99 f.; zur strikten Reihenfolge – zuerst Ratifizierung der Pariser Verträge, dann Österreichverhandlungen – vgl. das Gespräch Dulles–Raab, zit. bei Cronin : Great Power Politics, S. 140. 189 Zu dieser Doppelstrategie vgl. Angerer, Thomas : Re-launching East-West Negotiations while Deciding West German Rearmament. France, the Paris Treaties, and the Austrian State Treaty 1954/55, in : Suppan, Arnold/Stourzh, Gerald/Mueller, Wolfgang (Hg.) : Der österreichische Staatsvertrag 1955. Internationale Strategie, rechtliche Relevanz, nationale Identität (Archiv für österreichische Geschichte 140), Wien 2005, S. 265–333, hier S. 274 f.

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Als Ansatzpunkt wählte er die am ehesten lösbare Österreichfrage. Abstützen konnte er sich auf einen in Österreich diskutierten »Stufenplan«, der die sowjetische Blockade über einen zeitlich gestaffelten Truppenabzug zu überwinden suchte. Natürlich hatte er damit auch seine schwierige parlamentarische Situation im Blick, denn in beiden Kammern formierten sich bereits die Gegner eines westdeutschen NATOBeitritts. Auch wollte er aus der misslichen Lage heraus, in der sich der Westen ständig durch Moskauer Entspannungssignale getrieben sah. Dahinter verbarg sich jedoch auch ein Stück Zukunft, dass man es bei der dann erreichten Stärkung des westlichen Bündnisses nicht als einem Wert an sich belassen sollte. Der Vorstoß war allerdings mit den angelsächsischen Partnern so schlecht abgestimmt, dass er einmal mehr an französischer Verlässlichkeit zweifeln ließ. Für zusätzliche Brisanz sorgte der zeitgleiche Besuch des österreichischen Bundeskanzlers in Washington. Raab hielt sich wohl bedeckt gegenüber der Initiative von Mendès-France, da sich ein zeitlich gestaffelter Abzug der Besatzungstruppen schnell vom Provisorium zur Dauerlösung verfestigen mochte.190 Dagegen nahm der Bundeskanzler trotz vehementen amerikanischen Abratens eine Einladung des Stellvertretenden Außenministers der Sowjetunion zum bilateralen Gespräch an. Alle Sorgen von Dulles und Eden, dass sich aus der Parallelität beider Vorgehensweisen ernsthaftes Störfeuer für den Ratifizierungsprozess der Pariser Verträge entwickeln mochte, erwiesen sich jedoch schnell als unbegründet. Das Treffen Raabs mit Vyšinskij kam wegen dessen plötzlichem Tod gar nicht zustande, und die französische Initiative wurde von sowjetischer Seite als ausschließlich taktisch-innenpolitisches Manöver hart abgeschmettert.191 Raab kehrte jedenfalls mit dem Eindruck aus den USA zurück, dass man hier gar nicht ernsthaft an eine Räumung westlicher Positionen dachte ; er suchte deshalb endlich nach Abkoppelung der Österreich- von der Deutschlandfrage. Bezeichnend ist aber auch, dass die NATO als Institution völlig außen vor gehalten wurde, obwohl die französische Initiative doch eine Sicherheitslösung anpeilte, die das Bündnis in toto tangiert hätte. Solange Österreich freilich Vier-Mächte-Angelegenheit blieb, sah keine der Westmächte Anlass, daraus eine Bündnisfrage zu machen. Das sollte sich erst im Zusammenhang mit den Staatsvertragsverhandlungen im Frühjahr 1955 kurzzeitig ändern. Ende 1954 waren dafür die Aussichten allerdings noch äußerst fraglich, denn die USA legten sich erst einmal darauf fest, »jegliche Tendenzen in Richtung Neutralismus zu entkräften«.192 190 So die rückblickende Sorge Raabs im Gespräch mit dem britischen Botschafter : Wallinger aus Wien, 31. Dezember 1954, PRP, F.O. 371/117 779. 191 Die Vorgänge in Washington und die sowjetische Reaktion darauf sind beschrieben bei Thoß : Modellfall, S. 100–103 ; vgl. auch Girault, René : La France dans les rapports Est-Ouest au temps de la présidence de Pierre Mendès France, in : Bédarida, Fran ois/Rioux, Jean-Pierre (Hg.) : Pierre Mendès France et le Mendésisme, Paris 1985, S. 251–260. 192 NSC 164 (Progress Report), 29. Dezember 1954, zit. in : Clausen : Österreich, S. 9–28, hier S. 12.

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In die festgefahrene Situation brachte völlig überraschend ausgerechnet Molotow Anfang Februar 1955 Bewegung mit dem Angebot, man könne über eine ÖsterreichLösung auch verhandeln, »ohne den Abschluss eines Friedensvertrags mit Deutschland abzuwarten«.193 Zwar sollte es noch einige Wochen dauern, bis man sich in den westlichen Hauptstädten und in Wien von der Ernsthaftigkeit der sowjetischen Offerte überzeugt hatte.194 Dann sollte alles aber für westlichen Geschmack außerordentlich rasant gehen. Federführend in allen Sicherheitsfragen blieben zwar auch jetzt die USA. Eine eigenständige Position nahm erneut Frankreich ein. Außerdem musste die Frage der regionalen Sicherheit unter Zuziehung der politischen und militärischen NATO-Führung erörtert werden. Diplomaten der Westmächte vor Ort wie Militärs und Politiker in der NATO, allen voran in Bonn, sahen sich dabei binnen kürzester Zeit unter derartigen Zugzwang gesetzt, dass daraus kaum mehr als ein notdürftig koordiniertes Reagieren wurde. Eben deshalb blieb andererseits über den österreichischen Staatsvertrag hinaus ein verbreitetes Unwohlbefinden über die letzten Motive Moskaus und die strategischen Folgen einer militärischen Räumung Österreichs. Im Februar 1955 hatte es zunächst noch so ausgesehen, als wolle Moskau nur eine andere Karte zur Behinderung der westinternen Blockerweiterung ausspielen. Die über die Nachrichtenagentur »TASS« verbreitete Deutschland-Erklärung vom Jänner 1955 hatte mit der »Paulskirchenbewegung« zwar für erhebliche innenpolitische Unruhe in der Bundesrepublik gesorgt, den Kurs der vorrangigen Westeinbindung aber nicht wirklich stoppen können.195 Also schien aus westlicher Sicht die beste Antwort auf die Moskauer Initiative ein zügiger Abschluss der Ratifizierungsprozesse über einen NATO-Beitritt der BRD in Frankreich zu sein. Erst aus einer Position der Stärke heraus wollte man ausloten, wie viel Bewegung sich daraus für mögliche Ost-West-Verhandlungen gewinnen ließ. Mit bezeichnenden französi-

193 Text der Österreich betreffenden Passage 8. Februar 1955, in : Europa-Archiv 10 (1965), S. 7483 ; eingehende Kommentierung in : Schilcher, Alfons (Hg.) : Österreich und die Großmächte. Dokumente zur österreichischen Außenpolitik 1945–1955 (Materialien zur Zeitgeschichte 2), Wien/Salzburg 1980, S. 236–238. 194 Detaillierte Analyse dazu bei Stourzh : Einheit, S. 335–366, sowie Steininger : Austria, S. 110–138 ; zur Aufnahme durch die Westmächte vgl. auch Thoß : Modellfall, S. 107–121. 195 Zur außenpolitischen Wahrnehmung der TASS-Erklärung vom 15. Jänner 1955 : Thoß, Bruno : Der Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zur WEU und NATO im Spannungsfeld von Blockbildung und Entspannung (1954–1956), in : Ehlert, Hans/Greiner, Christian/Meyer, Georg/Thoß, Bruno : Die NATO-Option (Anfänge westdeutscher Sicherheitspolitik 1945–1956 3), München 1993, S. 1–234, hier S. 107–113 ; zu Motiven und Ergebnissen der sogen. Paulskirchenbewegung : Ehlert, Hans : Innenpolitische Auseinandersetzungen um die Pariser Verträge und die Wehrverfassung 1954 bis 1956, in : Ehlert, Hans/Greiner, Christian/Meyer, Georg/Thoß, Bruno : Die NATO-Option (Anfänge westdeutscher Sicherheitspolitik 1945–1956 3), München 1993, S. 235–560, hier S. 404–415.

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schen Gegenstimmen196 waren sich daher die Regierungen in Washington, London und Paris einig, das Ganze wesentlich als »Propaganda« abzutun. Schnell wurde freilich klar, dass man es dabei schon wegen der Rückwirkungen auf die französische Innenpolitik nicht bewenden lassen konnte. Im März sah sich hier der neue Ministerpräsident Edgar Faure intensiv vom sowjetischen Botschafter umworben, eine NATO-Erweiterung nochmals abzubremsen. Wohl konnte der Regierungschef nicht umgestimmt, aber doch einige Turbulenz in sein Kabinett getragen werden.197 Noch hielt es der US-Vertreter im NATO-Rat daher für ausreichend, das sowjetische Angebot als inakzeptabel abzuwerten.198 Im State Department stufte man einen Truppenrückzug der Noch-Alliierten aus Österreich nämlich weiter als »katastrophal für unsere Position in Osteuropa mit negativen Auswirkungen auf Österreich und seine Nachbarn« ein.199 Da aber der französische Ministerpräsident weiter auf Spur blieb, hielt trotz mancher Stimmungsschwankungen in Paris und Bonn die westliche Einheitsfront. Begleitet war dies freilich bereits von einer parallel anlaufenden Vorbereitung auf eine Vier-Mächte-Konferenz danach. Wieder stellten sich dabei westintern die Briten als Erste auf eine realistischere Gangart ein. Für die Ernsthaftigkeit des sowjetischen Vorgehens sprach danach deren doppelter Vorteil, dass man über ein Herausdrängen der Westmächte aus Österreich die Nord-SüdVerbindung der NATO unterbrechen und gleichzeitig den vom Westen immer geforderten Nachweis substanzieller Verhandlungsbereitschaft erbringen konnte. Ein zusätzliches Indiz größerer Flexibilität Moskaus war schließlich aus seinen verbesserten Beziehungen zu Jugoslawien herauszulesen, die schnell alle Anstrengungen zu dessen engerer militärischer Anbindung an die NATO stagnieren ließen. Britische Diplomaten forderten daher eine gemeinsame positivere Antwort des Westens auf den erkennbaren Kurswechsel in Moskau.200 In Washington blieb man dagegen bis Ende März dabei, in der Molotow-Initiative kaum mehr als ein Lockmittel an die Adresse Bonns zu sehen.201 Sobald freilich auch die österreichische Regierung eine

196 Gespräch mit Staatssekretär Kirkpatrick, 15. Februar 1955, PRO, F. O. 371/117 785/RR 1071/12. 197 Gespräche von Botschafter Vinogradov mit Faure und dem gaullistischen Minister Palewski, März 1955 : Faure, Edgar : Mémoires II. »Si tel doit être mon destin ce soir …«, Paris 1984, S. 133 ff., und Angerer : Re-launching East-West Negotiations, S. 361. Zu den innenpolitischen Schwankungen in Paris vgl. auch Vollgruber aus Paris, Ende März 1955, Gehler : Österreich, S. 255. 198 Erklärung vor dem NATO-Rat, 16. März 1955, PRO, F. O. 371/117 785/RR 1071/41. 199 Leiter der Europa-Abteilung Merchant an US-Botschafter in Wien, 16. März 1955, zit. bei Rathkolb : Washington, S. 180. 200 Eingehende Analysen dazu in den Berichten Wallingers aus Wien, 22./23. März 1955, PRO, F. O. 371/117 786/RR 1071/83 und /55. Erste Hinweise in dieser Richtung auch in dem gut informierten Artikel Der Pferdefuß, in : Der Spiegel, 23. März 1955, S. 26–28. 201 Vgl. Rede von Dulles beim Bipartisan Congressional Luncheon Meeting, 30. März 1955, FRUS 1955– 1957, V, S. 73.

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zügigere Meinungsbildung der Westmächte anmahnte, drohten aus deren bilateralen Verhandlungen mit Moskau Vorfestlegungen, die eine Schwächung westlicher Interessen befürchten ließen.202 Die offene Bereitschaft Wiens, als Preis für seine Unabhängigkeit eine formelle Neutralitätserklärung zu akzeptieren, hatte nämlich geostrategische Auswirkungen für die westliche Allianz insgesamt. Die Westmächte glichen daher zunächst in einer Arbeitsgruppe ihrer Botschafter in Wien die eigene Position ab.203 Sicherheitspolitisch wollte man vor allem Einfluss auf die Form einer österreichischen Neutralität behalten, die offen bleiben sollte für die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Westeuropa, aber auch für eine militärische Anlehnung an den Westen. Gleichzeitig sah man äußerst wachsam darauf, dass die Erfolgsmeldungen aus Wien nicht noch in letzter Stunde negativ auf den Bündnisbeitritt Westdeutschlands ausstrahlten. In Wien war man sich vollkommen bewusst, dass der eigene Neutralitätskurs nicht als Präzedenzfall für Deutschland wirken durfte. Deshalb blieb die österreichische Regierung sehr zurückhaltend gegenüber Versuchen der SPD, deutschlandpolitischen Anschluss an die Österreichverhandlungen zu suchen. Aus unterschiedlichen Gründen waren sich vielmehr Adenauer und Raab darüber einig, dass jede nochmalige Gleichschaltung von Österreich- und Deutschlandfrage unter allen Umständen vermieden werden musste.204 Trotz solcher Vorsorge bewertete man westintern das sowjetische Entgegenkommen jedoch noch bis in den Mai hinein als bedrohlichen Versuch, eine deutsche Aufrüstung zu behindern.205 Andererseits wurden sich die Westmächte schon im April bewusst, dass ein von Wien gewollter Staatsvertrag unter Neutralitätsbedingungen nicht mehr aufzuhalten war. Absichern konnte man das eigene Sicherheitsinteresse nur noch in den Rahmenbedingungen einer derartigen Lösung. An erster Stelle ging es dabei um eine angemessene österreichische Aufrüstung, da, wie seit 1947 immer wieder betont, kein militärisches Vakuum in der Region entstehen durfte. Der Weg über eine

202 Vgl. dazu die verärgerte Reaktion von US-Botschafter Thompson auf eine Rundfunkansprache Raabs vom 20. März, Wallinger aus Wien, 23. März 1955, PRO, F. O. 371/117 786/RR 1071/56. 203 Rundtelegramm des Foreign Office sowie Berichte Wallingers aus Wien, 26. März 1955, PRO, F. O. 371/117 786/RR 1071/61, /63 und /66. 204 Thompson aus Wien über sein Gespräch mit Raab, 22. April 1955, FRUS 1955–1957, V, S. 54 ; vgl. auch Thoß : Modellfall, S. 130 f.; Gehler : Österreich, S. 256 f.; Bischof : Österreichische Neutralität, S. 160– 162. 205 Bericht des italienischen Vertreters aus dem NATO-Rat, 4. Mai 1955, Ara, Angelo : Der österreichische Staatsvertrag aus der Sicht der italienischen diplomatischen Quellen, in : Suppan, Arnold/Stourzh, Gerald/Mueller, Wolfgang (Hg.) : Der österreichische Staatsvertrag 1955. Internationale Strategie, rechtliche Relevanz, nationale Identität (Archiv für österreichische Geschichte 140), Wien 2005, S. 335–370, hier S. 344 ; vgl. auch ein rückblickendes Gespräch von US-Botschafter Thompson mit seinem italienischen Kollegen Corrias, 20. August 1955, ebd., S. 349.

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Sicherheitsgarantie der bisherigen vier Besatzungsmächte wurde nämlich von den Angelsachsen unmissverständlich für »unerwünscht« erklärt. In Washington konnte man sich allenfalls eine Teilnahme an einer Garantieerklärung der Vereinten Nationen vorstellen.206 Wenn Österreich also die Allianzfreiheit ansteuerte, dann musste man von ihm hinreichende eigene Verteidigungsvorkehrungen erwarten. Eine lediglich symbolische Wehrmacht, »die an den Grenzen im Ernstfall fünf Schuss abfeuern wird«,207 würde diesem Zweck aus westlicher Sicht nicht genügen. Unverrückbar hielt vor allem Dulles daran fest, dass eine angemessene Verteidigungsfähigkeit Österreichs unverzichtbar für eine Ratifizierung des Staatsvertrags im US-Kongress sei.208 Aber auch die US-Stabschefs machten ihre schließliche Zustimmung zu einer Räumung Österreichs davon abhängig, dass man dafür als Mindestabsicherung eine »bewaffnete Neutralität« erhielt. Da die österreichische Rüstungsplanung noch zu unzureichend war, wollte man den Abzug der Besatzungstruppen von 90 Tagen auf sechs Monate verlängert sehen, um dafür genügend Vorlauf zu haben.209 Immerhin gelang es dem US-Militärattaché in Wien noch vor Abschluss des Staatsvertrags, die Versorgungsführung in einem künftigen österreichischen Heer eng an westliche Vorgaben zu binden.210 Sobald sich im April 1955 eine definitive Österreichlösung abzeichnete, konnte aber auch die NATO nicht mehr in der bisherigen Halbdistanz zu einer ausschließlich ihren Führungsmächten vorbehaltenen Angelegenheit gehalten werden. Frühzeitig meldeten sich jetzt die unmittelbaren Anrainer Italien und die Bundesrepublik zu Wort. Italienische Beobachter hatten schon im März das Problem einer Unterbrechung der Nord-Süd-Verbindungen thematisiert.211 Die Sicherheitsexperten in Bonn trieb die Sorge um, die USA könnten nach einer Räumung Österreichs weitere Truppenrücknahmen auch aus Bayern und Italien vornehmen. Die Unterbrechung der Verbindung über die Alpen schätzte man hier dagegen weniger gravierend ein, denn »im Falle eines europäischen Krieges würden diese Verbote [einer Nutzung

206 Thompson aus Wien über ein Gespräch der westlichen Hochkommissare mit Figl und Kreisky, 16. April 1955, FRUS 1955–1957, V, S. 42 ; vgl. dazu Clausen : Österreich, S. 12 f., und Rauchensteiner : Staatsvertrag und Neutralität, S. 81 f. Vgl. dazu den Beitrag von Michael Gehler in diesem Band. 207 Protokoll der Besprechung Figls mit militärischen Experten, 2. April 1955, abgedr. bei Schilcher : Österreich und die Großmächte, S. 279–283 ; vgl. dazu auch Rauchensteiner : Staatsvertrag und bewaffnete Macht, S. 192 f. 208 Gespräch des US-Außenministers mit Bundeskanzler Raab und Vizekanzler Schärf, 13. Mai 1955, FRUS 1955–1957, V, S. 110. 209 245. Sitzung des NSC, 21. April, und Hintergrundpapier zur NSC 164, 25. April 1955, FRUS 1955– 1957, V, S. 52 f., bzw. Rauchensteiner : Staatsvertrag und Neutralität, S. 82. 210 Thompson aus Wien, 26. April 1955, National Archives (NA), Record Group (RG) 59, 763.00/4-2655. 211 Innerministerielle Notiz des italienischen Außenministeriums, 24. März 1955 : Ara : Der österreichische Staatsvertrag, S. 340.

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neutralen Territoriums] allerdings kaum von Bedeutung sein«.212 Um indes auf Nummer sicher zu gehen, schickte man General Speidel auf Erkundungstour nach Washington. Auch im Pentagon hielt man nicht die Unterbrechung der Alpenroute für das eigentliche Problem, sondern die militärische Schwäche eines in die Unabhängigkeit entlassenen Landes ohne hinreichende Streitkräfte. Ein potenzieller Angreifer durfte nicht zur Nutzung geostrategischer Gelegenheiten über österreichisches Territorium eingeladen werden. Werde die Alpenrepublik nämlich aus Böhmen und Ungarn in einem raschen Stoß überrannt, könne der Raum zwischen Donau und Alpen als »Operationsbasis gegen Süddeutschland, Italien und den Mittelmeerraum« dienen.213 Genau an diesen Gegebenheiten sollten sich jetzt und in der Zukunft die Geister bei Österreichs Anrainern wie in der NATO insgesamt scheiden. Würde Wien durch substanzielle Aufrüstung seine territoriale Integrität gewährleisten können, dann war dies für die gesamte Region von Nutzen. In Süddeutschland verkürzte sich die Front um die Inn-Salzach-Linie, die noch auf Jahre hinaus äußerst schwach besetzt war. Ähnliches galt für die österreichischen Alpenpässe als Einfallpforte in die Po-Ebene. Brauchte ein Angreifer dagegen kaum Rücksichten auf eine ungenügend abgesicherte Neutralität zu nehmen, dann riss dies genau diese Lücken in der NATO-Verteidigung weit auf.214 Bezeichnend für eine derartige Gegenläufigkeit in der Bewertung stellte sich bereits im Frühjahr 1955 die interne Debatte in Washington dar. US-Präsident Eisenhower sah früher als sein Außenminister aus seinem militärischen Pragmatismus heraus die Vorteile einer Räumung Österreichs, mussten doch auch die sowjetischen Verbände aus ihrer vorgeschobenen Position zurückgenommen werden. Für Dulles war Neutralität dagegen nur dann ein positiver Ansatz, wenn sich darüber das osteuropäische Vorfeld der Sowjetunion insgesamt auflockern ließ. Führte sie jedoch mit Blick auf Deutschland zu einer machtpolitischen Verschiebung in der Mitte Europas, dann lehnte er wie das Pentagon dies als unvereinbar mit amerikanischem wie westeuropäischem Sicherheitsinteresse strikt ab. Auch im Ministerrat der NATO kam es darüber unmittelbar vor dem Abschluss des Staats-

212 Aufzeichnung zur Österreich-Frage (Knoke), 18. April 1955, zit. bei Bischof : Österreichische Neutralität, S. 161 f. 213 Aufzeichnung Speidels über sein Gespräch mit General Schuyler, 20. April 1955, BA-MA, BW 9/2884, Bl. 44. 214 Vgl. Thoß, Bruno : NATO-Strategie und nationale Verteidigungsplanung. Planung und Aufbau der Bundeswehr unter den Bedingungen einer massiven atomaren Vergeltungsstrategie 1952–1960, München 2006, hier S. 278 ff.; ähnliche Analysen in den Beiträgen von Clausen : Österreich, und Freistetter, Franz : Das strategische Konzept des Ostens und Österreich 1955–1970, in : Rauchensteiner, Manfried/ Etschmann, Wolfgang (Hg.) : Schild ohne Schwert. Das österreichische Bundesheer 1955–1970 (Forschungen zur Militärgeschichte 2), Wien 1991, S. 29–60.

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vertrags erstmals zu einer genuinen Österreichdebatte.215 Bezeichnend war die Einlassung Belgiens, dessen Außenminister Paul-Henri Spaak die Österreichfrage sehr zum Ärger von Dulles zur »European question« erhob. Schließlich tangiere sie nicht nur die Westmächte, sondern die Interessen der NATO insgesamt. Räume man das Land daher militärisch, dann müsse man dem durch eine Vier-Mächte-Garantie im gesamteuropäischen Interesse sicherheitspolitisch Rechnung tragen. Außerdem verwies Spaak auf die Ansteckungsgefahren, die vom erfolgreichen österreichischen Exempel auf andere europäische Kleinstaaten ausstrahlen konnten. Dulles beeilte sich sofort, die für die Angelsachsen nicht akzeptable Garantiefrage in die österreichische sicherheitspolitische Eigenverantwortung zurückzuverweisen. Damit waren die beiden über den Mai 1955 hinauswirkenden Aspekte des Falles Österreich benannt, die, wenn auch mit abnehmender Tendenz, im nächsten Jahrzehnt für den Westen bestimmend bleiben sollten : (1) die aus 1953 herüberreichenden Debatten über ein europäisches Disengagement als Alternative oder zumindest Ergänzung der Blockpolitik und (2) die fortdauernde geostrategische Bedeutung an einer der Nahtstellen zwischen Ost und West. Schon im März 1955 hatte der britische Botschafter in Wien aus der Parallelität sowjetischer Entspannungssignale gegenüber Wien und Belgrad Ansätze zu einer neuen Gesamtstrategie herausgelesen, mit der Moskau die westliche Allianzerweiterung durch einen »Gürtel« neutraler Staaten zwischen den Blöcken entwerten wolle.216 Da man andererseits dem französischen Partner zugesagt hatte, nach Ratifizierung der Pariser Verträge aus einer Position westlicher Stärke heraus in Vier-Mächte-Verhandlungen über die europäische Sicherheit eintreten zu wollen, mussten schon im Frühjahr 1955 die Weichen für ein westliches Gegenangebot zu dieser sowjetischen Entspannungsoffensive gestellt werden. Der öffentliche Druck zu ernsthaften Ost-West-Verhandlungen stieg nämlich, sobald das Beispiel Österreich den immer geforderten Nachweis sowjetischer Konzessionsbereitschaft erbrachte. Dabei konnten sich die Westmächte immerhin voll auf Bundeskanzler Adenauer verlassen, der jede Übertragung des österreichischen Weges auf die Bundesrepublik strikt ablehnte. Eine Ausweitung des Sonderfalls als deutschen Einstieg in einen neutralen Staatengürtel erschien ihm nicht nur fatal für die westeuropäische Integration. Stelle man die westdeutsche Bündniszugehörigkeit nochmals infrage, berge dies für die westliche wie die westdeutsche Sicherheitspolitik geradezu »die denkbar größte, ja eine tödliche Gefahr in sich«.217

215 Die Sitzungen vom 9./10. Mai 1955 sind eingehend dokumentiert in : FRUS 1955–1957, IV, S. 7–23. 216 Wallinger aus Wien, 23. März 1955, PRO, F. O. 371/117 789/RR 1071/53. 217 Sitzung des CDU-Bundesvorstands, 3. Juni 1955, Buchstab, Günter (Bearb.) : Adenauer : »Wir haben wirklich etwas geschaffen.« Die Protokolle des CDU-Bundesvorstandes 1953–1957 (Forschungen und Quellen zur Zeitgeschichte 16), Düsseldorf 1990, S. 500 f.

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Aufmerksam registrierte man andererseits, wie die sowjetische Entspannungsoffensive über Österreich hinaus Fahrt aufnahm. Neben eine Einladung der Moskauer Führung an Belgrad traten im Mai und Juni 1955 die Räumung der Stützpunkte in Porkalla und Port Arthur sowie ein umfangreiches Angebot zur Reduzierung der sowjetischen Streitkräfte. Kurzzeitig schwankten die Ost-West-Beziehungen daher gerade nach dem österreichischen Erfolg zwischen einer Aufweichung oder einem definitiven Einfrieren der Konfliktlinien in Europa.218 Aus der Räumung Österreichs bot sich vor allem das Moment eines ersten sowjetischen Truppenrückzugs aus Mitteleuropa als Ansatzpunkt für eine umfassendere europäische Sicherheitslösung an. Um dabei nicht völlig in die Nachhand westlicher Disengagement-Ansätze zu kommen, ließ Adenauer deshalb schon Ende April 1955 erneut den Heusinger-Plan von 1953 in die Koordination der westlichen Ziele für eine Gipfelkonferenz einbringen.219 Die Bundesrepublik sollte in jedem Falle NATO-Mitglied werden, denn ein militärisch unabhängiges Deutschland zwischen den Blöcken war für die Westmächte unannehmbar. Da man andererseits schon im Vorfeld des für Juli 1955 geplanten Gipfeltreffens in Genf davon ausging, dass auch die Sowjetunion nicht mehr an eine Preisgabe der DDR dachte,220 konnte man sich auf der Konferenz selbst deutschlandpolitisch auf Rhetorik beschränken und Fragen der europäischen Sicherheit in den Vordergrund stellen. Wie bereits 1953 waren in den deutschen Vorschlag dafür anders als in den konkurrierenden Edenplan zwar erneut auch Teile Österreichs in eine rüstungsverdünnte Zone aufgenommen worden, ohne den österreichischen Betroffenen auch nur ansatzweise in solche Meinungsbildung einzubeziehen.221 Um 218 Vgl. dazu insgesamt : Thoß, Bruno : Festschreiben oder Auflockern der Blockkonfrontation 1954/55 ? Der NATO-Beitritt der Bundesrepublik Deutschland im Kontext von Sicherheit und Entspannung, in : Suppan, Arnold/Stourzh, Gerald/Mueller, Wolfgang (Hg.) : Der österreichische Staatsvertrag 1955. Internationale Strategie, rechtliche Relevanz, nationale Identität (Archiv für österreichische Geschichte 140), Wien 2005, S. 33–56, sowie den Sammelband Bischof, Günter/Dockrill, Saki (Hg.) : Cold War Respite. The Geneva Summit of 1955 (Eisenhower Center studies on war and peace), Baton Rouge 2000. 219 Britischer Hochkommissar aus Bonn, 21., sowie Gespräche Blankenhorns mit Vertretern des Foreign Office in London, 27. April 1955, PRO, F. O. 317/118 209/WG 1071 S. 465, S. 477 und S. 486 ; zum Auftritt Blankenhorns in der 3. Plenumssitzung der Arbeitsgruppe London für eine Vier-Mächte-Konferenz : ebd., WG 1071/480, und Bericht des französischen Botschafters Chauvel aus London, 28. April 1955, DDF, 1955, S. 525 f. 220 Interne Stellungnahme der Europa-Abteilung im State Department, 2. Mai, und Gespräch Dulles–Adenauer, 7. Mai 1955, NA, RG 59, 762.00/5-255 bzw. 611.62A/5-755. 221 Karten zu beiden Plänen in : Thoß : Der Beitritt, S. 150 ; zum Heusinger-Plan 1955 : Haftendorn, Helga : Adenauer und die europäische Sicherheit, in : Blumenfeld, Dieter (Hg.) : Konrad Adenauer und seine Zeit. Politik und Persönlichkeit des ersten Bundeskanzlers, Bd. II, Stuttgart 1976, S. 92–110, hier S. 100–102, und Rupieper, Hermann-Josef : Deutsche Frage und Europäische Sicherheit : Politisch-strategische Überlegungen 1953/1955, in : Thoß, Bruno/Volkmann, Hans-Erich : Zwischen Kaltem Krieg und Entspannung. Sicherheits- und Deutschlandpolitik der Bundesrepublik im Mächtesystem der Jahre 1953–1956, Boppard 1988, S. 199–204.

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keine psychologischen Fehlinterpretationen zu riskieren, lehnte Dulles sogar Wien als Konferenzort für diesen ersten Gipfel seit 1945 ab. Auch beim zeitweiligen Spiel mit einer entmilitarisierten Zwischenzone zwischen den Blöcken vermied er alles, was als Anlehnung an die Österreichlösung und als Möglichkeit für weitere Neutralitätsfälle missverstanden werden konnte. Die Räumung vorgeschobener sowjetischer Positionen überbewertete er vielmehr als nutzbare Schwächemomente der östlichen Supermacht, um sie noch weiter aus ihrem osteuropäischen Vorfeld zurückzudrängen.222 Zu Recht ist deshalb die Österreichlösung zwar als bedeutsam für das Zustandekommen des Genfer Gipfels, aber nicht vorrangig als Modell für eine Deutschlandlösung, sondern als Anstoß für eine blockübergreifende Sicherheitsdebatte bewertet worden. Dafür stellten sich in Genf jedoch alle Beteiligten auf Statusquo-Sicherung und nicht mehr auf deren nochmalige Verflüssigung ein. Wenn aber militärische Stabilität unter wechselseitiger Besitzstandswahrung angesteuert wurde, dann musste dafür aus westlicher Sicht nicht nur der Aufbau westdeutscher Streitkräfte vorangetrieben, auch Österreich sollte mit seiner »bewaffneten Neutralität«223 beim Wort genommen werden. Der unfertige Streitkräfteaufbau tat an den Grenzen zur Bundesrepublik, Schweiz und zu Italien eine erhebliche Lücke auf, die bislang durch die westlichen Besatzungsmächte geschlossen schien. Deutsche Bedenken wurden deswegen in Bern und Rom voll geteilt. Ein Universitätsprofessor und Milizoffizier sah in der »Neuen Zürcher Zeitung« Sargans bereits zur »Festung an der russischen Grenze« geworden. Die Briten bekamen zu hören, dass die Nordostgrenze der Schweiz gefährlich exponiert sei, weil »die Russen nunmehr so gut wie am Bodensee« stünden.224 Auch beim italienischen Nachbarn wuchsen die Besorgnisse über militärische Probleme für Norditalien. Man selbst sei nunmehr das am weitesten vorgeschobene Bollwerk der NATO in der Region, das aber gleichzeitig durch den neutralen Keil von der Schweiz bis nach Österreich von der Hauptverteidigungsfront in Mitteleuropa abgeschnitten sei.225 Italienische Beobachter glaubten immerhin aus der Wiener Politik und Presse Hinweise dafür herauslesen zu können,

222 Belege dafür in Thoß : Der Beitritt, S. 146 f., und bei Rupieper, Hermann-Josef : Der besetzte Verbündete. Die amerikanische Deutschlandpolitik 1949–1955 (Studien zur Sozialwissenschaft 95), Opladen 1991, S. 427 f. 223 So dezidiert nach der Rückkehr von Moskau bei der Unterrichtung der westlichen Hochkommissare durch Figl und Kreisky, 16. April, und nochmals ausdrücklich bestätigt im Gespräch von Dulles mit Raab und Schärf, 13. Mai 1955, FRUS 1955–1957, V, S. 42 bzw. S. 109. 224 Zitate bei Rauchensteiner, Manfried : Spätherbst 1956. Die Neutralität auf dem Prüfstand (Veröffentlichung des Heeresgeschichtlichen Museums in Wien), Wien 1981, S. 7, und Mantovani : Schweizerische Sicherheitspolitik, S. 174 ; vgl. schon auf dem Höhepunkt der Staatsvertragsverhandlungen einen ähnlich lautenden Bericht des italienischen Botschafters Staderini aus Bern, 26. April 1955, Ara : Der österreichische Staatsvertrag, S. 351. 225 Einschätzungen im italienischen Außenministerium und in der Presse, April/Mai 1955, Ara : Der österreichische Staatsvertrag, S. 359 f.

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dass man hier die Verteidigung des eigenen Landes auf realen Machtverhältnissen aufbauen und nicht nur auf eine Klausel im Staatsvertrag beschränken wollte.226 Entscheidend für die regionale Sicherheit sollten jedoch auch nach dem Mai 1955 nicht die NATO an sich, sondern die bisherigen angelsächsischen Besatzungsmächte bleiben. Das Bündnis nahm zwar die Lage in Österreich in seinen Einschätzungen auf, ohne dies aber so eng wie in den Diskussionen um eine Sicherung der Laibacher Pforte in die militärischen Planungen einzubauen. Die Erwartung, dass mit dem Truppenabzug aus Österreich auch die Stationierung sowjetischer Streitkräfte in Ungarn und Rumänien hinfällig werden könnte, teilte man bei den US-Stabschefs freilich nicht mehr. Hinweise aus dem Mitte Mai abgeschlossenen Warschauer Pakt ließen vielmehr erkennen, dass sich die Sowjetunion darin Umgehungsmöglichkeiten geschaffen hatte. Insgesamt schätzte man die militärische Lage jedoch durch die Räumung Österreichs als nicht wesentlich verändert ein. Wie bisher würden seine Alpenübergänge auch in Zukunft ein Zielobjekt für einen östlichen Offensivstoß in die Po-Ebene sein.227 Zu ähnlichen Einschätzungen kamen auch die britischen Stabschefs, hoben aber stärker auf die innere Sicherheit Österreichs als auf dessen äußere Verteidigungsfähigkeit ab. Eine mobile, kleine österreichische Streitmacht sollte zumindest Schutz gegen subversive Aktionen und Grenzverletzungen bieten können.228 Obwohl gelegentlich die doppelte Stoßrichtung eines möglichen Angriffs über österreichisches Gebiet gegen Norditalien und Süddeutschland angemerkt wurde, blieben auch in der Folgezeit die Alpenpässe der ausschlaggebende Gefahrenpunkt. Formal hatte sich der NATO-Raum wohl mit dem westdeutschen Bündnisbeitritt weiter nach Osten vorgeschoben. Einsatzfähige Bundeswehrverbände würde es jedoch in Süddeutschland noch auf Jahre hinaus kaum nennenswert geben. Die südlich der Donau verantwortliche 1. Französische Armee war zu effektiver Vorneverteidigung an Inn und Salzach faktisch nicht in der Lage, weil ihr dazu schlicht die Verbände fehlten. Ihre vier Divisionen mussten 1955 binnen eines Jahres 40 % ihres Personalbestandes nach Algerien abgeben. Im Herbst 1956 konnte man deshalb in Mitteleuropa gerade noch auf zwei kampfkräftige Divisionen mit weiter sinkender Einsatzstärke zählen.229 226 Corrias aus Wien, 3. Mai 1955, Ara : Der österreichische Staatsvertrag, S. 352 ; zu ersten österreichischen Pressekommentaren betr. Wehrfrage vgl. auch Blasi, Walter : General der Artillerie Ing. Dr. Emil Liebitzky. Österreichs »Heusinger«, Bonn 2002, S. 181. 227 Draft Report J.I.C. 558/340 »Military Consequences of the Austrian Treaty«, 8. Juli, und darauf aufbauende Einschätzung der JCS, 17. August 1955, NA RG 218 Geographical File, Box 54, CCS 092 Western Europe (3–12–48) (2) Sec. 22 u. Sec. 28. 228 Bericht des Joint Planning Staff J.P.(55) 87 Final, 1. August 1955, PRO, DEFE 4/79. 229 Tagebuch Militärischer Führungsrat im Bundesministerium für Verteidigung, Bonn, BA-MA, BW 17/36, S. 10. Bereits Mitte 1955 hatte SHAPE wegen der Reduzierung der französischen NATO-Verbände bereits ernsthafte Rückwirkungen auf eine Verteidigung am Oberrhein gesehen, Wampler : Ambigous Legacy, S. 687.

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Auch nach dem Krisenjahr 1956 sollte es bis zum Austritt Frankreichs aus der Militärorganisation nie zu der zugesagten Aufstockung seiner Verbände in Deutschland kommen, die mehr als eine Vorfeldsicherung Ostfrankreichs auf deutschem Boden erlaubt hätte. Im Falle eines Bruchs der österreichischen Neutralität standen der NATO für eine Verteidigung Bayerns somit erst in den Sechzigerjahren die vorne eingesetzten Verbände der Bundeswehr, die 4. Grenadierdivision und die 1. Gebirgsdivision mit der 10. Panzerdivision als Komponente für den gepanzerten Gegenschlag aus der Tiefe zur Verfügung. Eine weitere Schwächung bedeutete die Verdichtung der US-Divisionen an der neuralgischen Frankfurt-Fulda-Lücke (»Hodes-Plan«). Damit sollten die durch französische Truppenabzüge aus Hessen entstandenen Probleme an der Nahtstelle zwischen den beiden Heeresgruppen NORTHAG und CENTAG überwunden und gleichzeitig Raum für die aufzustellenden Bundeswehrdivisionen in Südbayern geschaffen werden.230 Da die Amerikaner nach Nordbayern verlegten, die Franzosen effektiv nur noch zwei Divisionen in Südwestdeutschland stationiert hatten und das II. deutsche Korps wesentlich langsamer aufwuchs als geplant, wäre eine Verteidigung südlich der Donau noch 1958 günstigstenfalls an der Iller, wahrscheinlich sogar erst auf den Schwarzwaldhöhen aufgenommen worden.231 An eine zusammenhängende NATO-Verteidigung im Alpenraum war mithin während der gesamten Aufbauphase der Bundeswehr gar nicht zu denken. Wie sollten dann aber gegen Norditalien und/oder Süddeutschland gerichtete Großoffensiven des Warschauer Pakts überhaupt abgefangen werden ? Beruhigend suchten die Angelsachsen auf Rom einzuwirken, wo man den österreichischen Staatsvertrag und die sowjetisch-jugoslawische Annäherung als zwei Teile einer geostrategischen Verschlechterung der eigenen Lage betrachtete. Aus Sicht des italienischen Generalstabs musste deshalb die gesamte Verteidigungsplanung für Norditalien revidiert werden. Die NATO-Führung relativierte dagegen seit 1954 das besorgte »militärische Vakuum« in seiner Bedeutung für einen modernen Krieg mit Atomwaffen. Im italienischen Heer stellte man seit Anfang 1955 auf eine doppelte Befähigung zum konventionellen wie atomaren Gefecht um. Beschleunigt durch die politischen Veränderungen in Österreich und Jugoslawien, erhielt der italienische Partner Mitte 1955 erste atomfähige Trägerwaffen, im Herbst des Jahres auch erste atomare Gefechtsköpfe in amerikanischer Verfügung. Im Verteidigungsplan von SHAPE für 1956 (EDP 1-56) war daher wie für Mitteleuropa in den Einsatzplan für den Südbereich bereits ein »AFSOUTH Regional Atomic Plan« integriert.232

230 Belege zum 1956/57 schrittweise umgesetzten Plan des US-Oberbefehlshabers der CENTAG, General Hodes, bei Thoß : NATO-Strategie, S. 561. 231 So nach dem EDP 2-58 der CENTAG vom Sommer 1958, Headquarters United States Army Europe, G3 Division, Heidelberg : Annual History United States Army Europe (U), 1 July 1958–30 June 1959, 1960. 232 SHAPE Histories 3, S. 108.

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Bereits im Mai 1955 ging deshalb der italienische Verteidigungsminister davon aus, dass in einem Konflikt wegen der militärischen Schwäche Österreichs »wir Wien verlieren würden, aber die Gebirgsprovinzen mittels Einsatz von Atombomben vor einem sowjetischen Angriff schützen könnten«.233 Im August 1955 kam es zu einem Notenaustausch zwischen Washington und Rom, der die Aufstellung und Dislozierung einer vollständig für den Atomeinsatz geeigneten sogenannten »pentomic division«234 im Raum Vicenca–Verona vorsah. Dazu sollten aus Österreich abgezogene US-Truppen nach Norditalien verlegt, mit den Trägersystemen CORPORAL und HONEST JOHN ausgestattet und dem SACEUR als Oberbefehlshaber der US-Truppen in Europa direkt unterstellt werden. Die Hauptaufgabe dieser Southern European Task Force (SETAF) in Stärke von etwa 5 000 Mann würde die atomar abgestützte Überwachung der Alpenübergänge aus Kärnten und Slowenien sein.235 Zusätzliche atomare Verstärkung für AFSOUTH insgesamt wie für die neuralgischen Alpenübergänge hatte die 6. (US-)Flotte mit ihren atomar ausgestatteten Flugzeugträgern aus ihren Stützpunkten in Süditalien zu übernehmen.236 Manöver des italienischen Heeres wie die Einsatzszenarien der SETAF und der 6. (US-)Flotte basierten denn auch bereits 1956 auf der klaren Grundprämisse, dass man einen über Österreich und/oder Jugoslawien vorstoßenden Gegner bereits in den Alpen abfangen und zerschlagen wollte. Dazu waren Atomwaffeneinsätze schon auf seine Konzentrationsräume vor und in den Alpen, also auf österreichischem wie jugoslawischem Gebiet, eingeplant.237 In Wien mahnte man dennoch dringend an, »dass Österreich tatsächlich eine Armee aufstelle und nicht nur etwas, was im Ernstfall nicht brauchbar sei«.238 Ende Mai 1955 hatte der Befehlshaber der abziehenden französischen Truppen noch ge233 Britischer Militärattaché aus Rom, 23. Mai 1955, PRO, F. O. 371/117 801/RR 1971/441 ; vgl. auch Stourzh : Einheit, S. 593 (Anm. 46). 234 Zur Umrüstung der U.S. Army auf verkleinerte atomkriegsfähige Divisionen allgemein : Bacevich, Andrew J.: The Pentomic Era : The US Army between Korea and Vietnam, Washington 1986. 235 Memorandum, Chairman JCS, 30. August 1955, über die Chronologie der Abläufe, NA RG 218 Geographical File, Box 54, CCS 092 Western Europe (3-12-48) (2) Sec. 30 ; zum Vorschlag der JCS für die SETAF, 25. Mai, und ihre Realisierung bis zum 25. Oktober 1955 : Condit : The Joint Chiefs of Staff and National Policy, S. 111 ; zu Gliederung und Ausrüstung : Buchholz, Frank : Strategische und militärpolitische Diskussionen in der Gründungsphase der Bundeswehr 1949–1960 (Europäische Hochschulschriften 3. Reihe 458), Frankfurt am Main/Bern/New York/Paris 1991, S. 88 ff. 236 Vortrag SACEUR vor den NATO-Verteidigungsministern, 11. Oktober 1955, NISCA, C-E (55) 43. 237 Zum Manöver MONTE BIANCO 1 des italienischen Heeres und den Planungen der in Italien stationierten US-Streitkräfte 1956 : Nuti : Italy, S. 226 f.; eine umfassende Studie zur Operationsplanung der NATO in der Region (1951–1960) bereitet derzeit Dieter Krüger vor, die 2010 zur Publikation vorgesehen ist. 238 Erinnerungsvermerk von Vizekanzler Schärf über Gespräche mit US-Diplomaten in Wien, 28. Juni 1955, zit. bei Rathkolb : Washington, S. 121.

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meldet, dass auch die Österreicher selbst um eine rasche Aufrüstung bemüht, ihre militärischen Spitzen im Übrigen zuverlässig und westorientiert seien. Schon im nächsten Bericht klang das allerdings nicht mehr so optimistisch, als erste Verzögerungen erkennbar wurden.239 Die US-Botschaft in Wien intervenierte denn auch sofort, als Diskussionen über einen nur viermonatigen Grundwehrdienst befürchten ließen, dass Österreich seine Verpflichtungen nicht ernst genug zu nehmen schien.240 Selbst der Berichterstatter des Nationalrats zum Wehrgesetz mahnte an, dass man nicht fremde Hilfe beanspruchen könne, wenn man vorher nicht seine militärischen Hausaufgaben gemacht habe.241 Bundeskanzler Raab verstand sich denn auch Anfang 1956 dazu, dass es »oberstes Endziel der Landesverteidigung« sein müsse, »einem Angreifer schon an den Staatsgrenzen mit eigenen Streitkräften wirkungsvoll entgegentreten zu können«.242 Entgegen dieser löblichen Absichtserklärung nahm sich für den britischen Botschafter das erste österreichische Verteidigungsbudget freilich schlechterdings »lächerlich« aus. Bei den Westmächten stand man deshalb einer Vier-Mächte-Garantie ausgesprochen skeptisch gegenüber, da man von Wien hinreichende militärische Eigenanstrengungen dafür erwartete. Wiederum war es der britische Botschafter, der das allgemeine Unbehagen auf den Punkt brachte : Die österreichische Regierung glaube offenbar, »Großbritannien sollte wohl eine militärisches Vakuum garantieren !«243 In Washington besorgte man seit Frühjahr 1955 aber auch mögliche Nachahmereffekte. In der britischen Presse kursierte gar der Vorwurf eines »Austro-Neutralismus«, bei dem Wien ökonomisches Kapital aus seiner nach beiden Seiten offenen Lage zu schlagen suche. Ein amerikanischer Beobachter kleidete das in das Bild von den Österreichern, die aus geostrategischen Gründen wohl weiterhin als »militärische Trittbrettfahrer« den Schutz des Westens genießen wollten. Jedenfalls sah man in Washington und London die Zeit gekommen, den Ansätzen zu einem neutralen 239 Berichte von Oberst Olle-Laprune, 27. Mai bzw. 12. Juni 1955, Sandner : Die französisch-österreichischen Beziehungen, S. 301 f. Dass man es in österreichischen Offizierskreisen »mit der Neutralität nicht so ernst nehme« und an engen Kontakten zur NATO wie zur Bundesrepublik interessiert war, meldete auch der deutsche Gesandte Mueller-Graaf bereits in seinen Berichten vom 28. April und 17. Mai 1955, Pape, Matthias : Ungleiche Brüder. Österreich und Deutschland 1945–1965, Köln/Weimar/Wien 2000, S. 355. 240 Stellvertretender US-Botschafter Penfield aus Wien, 28. Juni 1955, Rathkolb : Washington, S. 121. 241 Bericht Mayr im Landesverteidigungsausschuss des Österreichischen Nationalrats, 7. September 1955, zit. in : Rauchensteiner, Manfried (Red.) : Das Bundesheer der Zweiten Republik. Eine Dokumentation (Schriften des Heeresgeschichtlichen Museums in Wien 9), Wien 1980, S. 18 ; zu den internen Debatten über ein Wehrgesetz vgl. Blasi : Liebitzky, S. 183–185. 242 Erklärung Raabs vor dem Ministerrat, 11. Jänner 1956, Rauchensteiner : Das Bundesheer der Zweiten Republik, S. 22. 243 Zu den österreichischen Vorstößen im Frühjahr 1956 : Rauchensteiner : Die Zwei, S. 327–330 ; der Ausbruch Wallingers vom 27. April 1956 ist zit. ebd., S. 329.

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Gürtel zwischen den Blöcken eine Konsolidierung der westlichen Allianz folgen zu lassen. Österreich wurde dagegen in den Debatten des Nationalen Sicherheitsrats der USA nach 1955 nur noch »summarisch« abgehandelt. Wohl stufte man es im State Department auch in der Folgezeit als bevorzugten Nutznießer der US-Militärhilfe ein, durfte man trotz Staatsvertrag und Neutralitätserklärung doch auf eine militärische »De-facto-Westintegration« Österreichs bauen.244 Die abziehenden USTruppen ließen wesentliche Teile ihrer Bewaffnung für den Aufbau österreichischer Streitkräfte zurück. Das Bundesheer sollte befähigt werden, »direkte Unterstützung zur Verteidigung des NATO-Territoriums im Falle eines allgemeinen Krieges« zu leisten. Die österreichische Militärführung sei jedenfalls darauf eingestellt, in einer militärischen Krise »sich zurückfallen zu lassen und das Klagenfurter Becken wie Tirol zu verteidigen«.245 Ziel musste es deshalb aus Sicht des US-Militärattachés sein, die Verbände unter der Voraussetzung jährlich steigender US-Hilfe schrittweise auf 60 000 Mann zu bringen. Skeptischer blieben die Briten, die dem Land zwar schon im Herbst 1955 wachsende politische und wirtschaftliche Stabilität zubilligten. Dagegen vermisste man einen zur Selbstverteidigung nötigen »Sinn für Patriotismus«. Zunehmend zurückhaltender positionierte man sich auch im Pentagon. Im Gegensatz dazu billigte man einem hinreichend gerüsteten Österreich vonseiten des State Departments zumindest noch eine unterstützende Funktion bei der Verteidigung Süddeutschlands und Norditaliens zu. Am Ballhausplatz blieb das alles nicht unbeobachtet. Man registrierte die wachsende Ungeduld im Westen mit dem schleppenden Heeresaufbau und mahnte deshalb mehr Tempo an. Nur so könne man aus der zunehmenden Vertrauenskrise herauskommen, dass Österreich sich nicht an seine Verpflichtungen halte, sondern einen für die europäische Sicherheit problematischen »Schwebezustand« in Kauf nehme.246 Bewegung zugunsten einer weiteren sicherheitspolitischen Anlehnung Österreichs an das westliche Bündnis schienen bilaterale Avancen des italienischen Verteidigungsministers Paolo Emilio Taviani zu bringen, der dafür Ende 1955 die Federführung zu übernehmen suchte. Bei einer getarnten Reise nach Österreich war er sich mit Sicherheitspolitikern der ÖVP einig, dass man wegen der Labilität der Lage in der Region enger zusammenrücken müsse. Deshalb unterstützte 244 So die Bewertung der US-Interessen 1955/56 ebd., S. 34 ; Belege für den Umfang der US-Hilfe bei König, Ernest : Bemerkungen zum Stand der Finanzen und der Rüstungswirtschaft in den Jahren 1955– 1970, in : Rauchensteiner, Manfried/Etschmann, Wolfgang (Hg.) : Schild ohne Schwert. Das österreichische Bundesheer 1955–1970 (Forschungen zur Militärgeschichte 2), Wien 1991, S. 173–192, sowie bei Carafano : Waltzing into the Cold War, S. 173–192. 245 US-Militärattaché Oden aus Wien, 1. März 1956, NA, RG 59, 763.5-MSP/8-2456, Box 3583 ; auszugsweise abgedr. auch bei Rathkolb : Washington, S. 124 f. 246 Auswertung der im österreichischen Außenministerium eingegangenen Meldungen, 23. Mai 1956, ebd., S. 331 f.

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er die österreichischen Wünsche nach weiterer US-Militärhilfe. Fraglich bleibt freilich, wie gewichtig die sehr weit gehenden Aussagen von ÖVP-Politikern für eine getarnte Anlehnung an die Verteidigungsvorstellungen der NATO innerhalb der Großen Koalition tatsächlich waren. Denn anders als dies hier im Sinne seiner gemeinsamen Alpenverteidigung anklang, bestanden doch die SPÖ-Vertreter in der Bundesregierung schon aus psychologischen Gründen auf eigenen Verteidigungsplänen für Wien, Niederösterreich und das Burgenland.247 Angenehm war man von den italienisch-österreichischen Überlegungen aber zumindest im State Department überrascht. Seitens der US-Botschaft in Wien goss man allerdings sofort Wasser in diesen Wein, wenn man auf das rein Informelle von Tavianis Gesprächen verwies.248 Anlässlich einer Romreise äußerte sich der Verantwortliche für den Heeresaufbau, General Emil Liebitzky, sogar noch unumwundener. Österreich stehe zwar nach seiner eben errungenen Unabhängigkeit noch unter »strenger Beobachtung der früheren Besatzungsmächte« und müsse deshalb »einen Anschein von Neutralität« aufrechterhalten. Eine militärische Bedrohung erwarte man aber »ausschließlich« aus dem Osten. In so einem Falle werde sich das Bundesheer »nach einer Hinhaltetaktik an der Grenze zurückfallen lassen und die Verteidigung der alpinen Gebiete aufnehmen«.249 Die dahintersteckende Absicht, über Italien einen getarnten Anschluss an die NATO herzustellen, führte so jedoch nicht zum Erfolg. Dazu dürfte die Skepsis des US-Oberbefehlshabers von AFSOUTH, Admiral Fechteler, gegen das politische »Leichtgewicht« Taviani und dessen Durchsetzungsfähigkeit in der italienischen Politik250 ebenso beigetragen haben wie das Faktum, dass darüber kein Einvernehmen in der Wiener Koalition herrschte. So befürworteten die US-Diplomaten wohl eine Fortsetzung der Militärhilfe, gaben sich aber wie die Militärs keinen Illusionen darüber hin, dass »die militärischen Kräfte Österreichs einer Invasionsarmee nicht gewachsen seien«.251 Die Stabschefs in Washington und London blieben dabei : »Das strategische Ziel der militärischen Kräfte Österreichs ist primär die Bewahrung der internen Sicherheit und erst nachrangig haben sie eine begrenzt Hinhaltefunktion bei einer Invasion des Sowjetblocks.«252 247 Thompson aus Wien über sein Gespräch mit Taviani, 4. November 1955, NA, RG 59, 763.5/11-455 ; zur internen österreichischen Einschätzung : Rathkolb : Washington, S. 122 f., und Blasi : Liebitzky, S. 198. 248 Thompson aus Wien, 20. und 29. Dezember 1955, ebd. 763.5/12-2055 bzw. 2955. 249 US-Militärattaché Maffitt aus Rom, 22. Februar 1956, NA, RG 59, 763.5/2-2256 ; auszugsweise zit. bei Rathkolb : Washington, S. 123 ; zur Romreise Liebitzkys im Dezember 1955 : Blasi : Liebitzky, S. 198 f. 250 State Department an US-Botschaft in Wien, 27. Jänner und 1. Februar 1956, NA, RG 59, 763.5/1-2756 bzw. 763.5/2-156. 251 US-Botschaft Wien (Penfield), 22. März 1956, ebd., 763.5/3-2256. 252 Memorandum Admiral Radfords an Secretary of Defense, 11. September 1956, NA, RG 59, 763.5/101056 (Anlage) ; erstmals zitiert bei Stourzh : Einheit, S. 548 (Anm. 189).

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In diese wachsende Skepsis hinein stellte die Ungarnkrise im Herbst 1956 Österreichs »Neutralität auf den Prüfstand«. Wien nutzte die Gelegenheit nicht ungeschickt zu einer »Demonstration« seines Willens zur Selbstbehauptung vor den Militärattachés im Grenzbereich. Obwohl sich Generaltruppeninspektor Erwin Fussenegger bewusst war, dass man einem ernsthaften Angriff nur so lange widerstehen konnte, »bis Hilfe von außen herankommt«, vermittelte man den Eindruck fester Entschlossenheit.253 Der Erfolg dieses Belegs eigenen Stehvermögens blieb nicht aus, regte doch der italienische Nachbar eine NATO-Garantieformel für die Unabhängigkeit Österreichs in der Krise an. In Washington sah man Wien immerhin nach den Ungarnereignissen wieder stärker an den Westen herangerückt ; auch seinem Streitkräfteaufwuchs billigte man Ende 1956 erkennbare Fortschritte zu. In der NATO-Strategie blieb es freilich bei dem strategischen Ziel : »die italienischen Alpen im Norden zu halten und die Grenzen nach Osten zu verteidigen«. Da man dafür aber keine effiziente konventionelle Antwort verfügbar hatte, hing alles davon ab, dass man sich auf die atomare Vergeltungskapazität abstützen konnte.254 Österreich fiel darin analog zu Jugoslawien bestenfalls die Funktion einer indirekten Vorfeldsicherung zu. Die atomaren Realitäten hatte mittlerweile auch Verteidigungsminister Ferdinand Graf aus Gesprächen mit seinem deutschen Kollegen Franz-Josef Strauß Anfang Jänner 1957 in Salzburg entnommen. Deshalb gedachte er das Bundesheer auf atomare Einsatzprinzipien und eine dafür erforderliche Umgliederung auszurichten. Er stieß damit jedoch nicht nur auf Widerstand innerhalb seines Ministeriums. Im Landesverteidigungsrat zeigte auch Bundeskanzler Raab die Grenzen eines österreichischen Verteidigungsbeitrags auf, werde das Bundesheer letztlich doch »nie einen Krieg führen«. Deshalb erschienen ihm auch alle »Vorbereitungen für den Kampf im Gebirge« unzweckmäßig. Viel gewonnen sei schon, wenn man »durch zahlreiche in Grenznähe vorgeschobene Garnisonen« das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung nennenswert erhöhen könne.255 Im Übrigen erschien dem Bundeskanzler Sicherheit für Österreich wesentlich als eine politische Frage. Sein öffentliches Gedankenspiel 253 Lageeinschätzung Fusseneggers, 8. November 1956, Freistetter, Franz : Das strategische Konzept des Ostens und Österreich 1955–1970, in : Rauchensteiner, Manfried/Etschmann, Wolfgang (Hg.) : Schild ohne Schwert. Das österreichische Bundesheer 1955–1970 (Forschungen zur Militärgeschichte 2), Graz/ Wien/Köln 1991, S. 29–60, hier S. 36 ; zur »demonstrierten Neutralität« im Grenzbereich : Rauchensteiner : Spätherbst 1956, S. 47–51 ; zum Merkblatt für das Verhalten des Bundesheeres bei Grenzüberschreitungen mit der darin enthaltenen Feuerfreigabe, 28. Oktober 1956 : Freistetter : Das strategische Konzept, S. 32. 254 MC 14/2 »Strategic Concept for the Defense of the North Atlantic Treaty Organization Area«, 23. Mai 1957, Pedlow : NATO Strategy Documents, S. 277–313, Zitate auf S. 304. 255 Gedächtnisniederschrift über die Sitzung des Landesverteidigungsrates, 25. Februar 1958, Rauchensteiner : Das Bundesheer der Zweiten Republik, S. 41.

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von Anfang 1957, dass auch eine Erweiterung der Blockfreien um Ungarn möglich sei, stieß allerdings ins Leere, da die sowjetische Führung wie die Westmächte in den Jahren zuvor die Österreichlösung nachdrücklich zum »Sonderfall« deklariert hatten. Auch in die 1957/58 vom polnischen Außenminister Adam Rapacki neu entfachte Debatte um ein militärisches Disengagement in Mitteleuropa sah sich Österreich nicht unmittelbar involviert, kreiste ein Auseinanderrücken der Blöcke doch um den deutsch-tschechoslowakisch-polnischen Übergangsraum.256 Außerdem betraf der Kerngedanke einer atomwaffenfreien Zone nicht ein Land, das keine Atomwaffen besitzen durfte.257 So sah man sich denn Ende 1958 einmal mehr auf seine geostrategische Lage zurückverwiesen. Ob Österreich in einem europäischen Krieg »Durchmarschland« der NATO oder »Aufmarschland« und »Operationsbasis gegen Norditalien und Bayern« für den Warschauer Pakt sein würde, hing von der Entwicklung der militärischen Großlage ab. Um eine Verletzung seiner Neutralität sorgten sich österreichische Experten am ehesten im Fall des Westens, der im Konfliktfall versuchen würde, die Verbindung zwischen den NATO-Bereichen Mitte und Süd wiederherzustellen.258 Dass dies nicht aus der Luft gegriffen war, geht aus NATO-Einsatzplänen ebenso hervor wie aus den Überflügen der Amerikaner über Tirol in der Libanonkrise. Für die CENTAG (EDP 2-58) war das II. Korps der Bundeswehr mit seiner 1. Gebirgsdivision beauftragt, ein über den Brenner vorstoßendes gepanzertes Aufklärungsregiment der Italiener in Traunstein und Mittenwald aufzunehmen.259 Wie eng aber auch das bilaterale Verhältnis zwischen österreichischem und italienischem Verteidigungsminister war, lässt sich daran ablesen, dass Taviani seinen Amtskollegen Graf in den regionalen Verteidigungsplan der NATO einwies. Da traf es sich gut für die NATO, wenn sich die österreichische militärische Führung selbst wesentlich als »Flankenschutz und Vorfeld des Westens« betrachtete. Anders als die Politiker schlossen die Militärs eine durchgehende Grenzverteidigung bei einer Staatsgrenze 256 Zu den verschiedenen Versionen des Rapacki-Plans : Görtemaker, Manfred : Die unheilige Allianz. Die Geschichte der Entspannungspolitik 1943–1979, München 1979, S. 43–46 ; Felken : Dulles und Deutschland, S. 453–461 ; Thoß : NATO-Strategie, S. 487–491. 257 Stellungnahme Raabs im österreichischen Parlament, 23. Jänner 1958, Rauchensteiner : Die Zwei, S. 379. 258 Militärstrategisches Konzept und Orgplan 58, 2. Dezember 1958, Heller, Otto : Die »Schild-SchwertTheorie« und die Neutralen. Eine strategisch/operative Betrachtung über die Zeit von der Aufstellung des zweiten Bundesheeres bis zum Beginn der Reform 1970, in : Rauchensteiner, Manfried/Etschmann, Wolfgang (Hg.) : Schild ohne Schwert. Das österreichische Bundesheer 1955–1970 (Forschungen zur Militärgeschichte 2), Wien 1991, S. 61–87, hier S. 71. 259 Aktennotiz Deutscher Verbindungsstab beim OB der US-Truppen in der Bundesrepublik, 7. März 1958, Bundesarchiv-Militärarchiv, BW 2/2546 sowie Headquarters United States Army Europe, G3 Division. Heidelberg : Annual History United States Army Europe (U), 1 July 1958–30 June 1959, 1960 (= History USAREUR 1958/59), S. 49.

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von 2500 km und Streitkräften mit geringer Einsatzbereitschaft faktisch aus. Was blieb, war demnach ein Rückzug der Kampfverbände in eine Art »Reduit«. Hier konnte man Anschluss an die inzwischen vereinigten NATO-Verbände in den Alpen gewinnen und zusammen mit ihnen einen Abwehrschwerpunkt bilden. Allzu viel erwartete der SACEUR indes von alledem nicht. Seine Einsatzplanung stützte sich daher in letzter Konsequenz für Süddeutschland wie Norditalien auf die taktischen Atomwaffen der 7. US-Armee und der SETAF ab ; deren Einsatz zur Abriegelung von Feindeinbrüchen in das neutrale Österreich behielt er sich persönlich vor.260 Wie wenig dabei die vertraglich festgelegte Unverletzlichkeit des österreichischen Raumes im Übrigen noch auf Jahre hinaus galt, sollten die Überflüge der US-Luftwaffe während der Libanonkrise im Sommer 1958 verdeutlichen. Schon im unmittelbaren Umfeld der Staatsvertragsverhandlungen hatten sich die Amerikaner im Gegenzug zu ihrer Militärhilfe »stille« Transitrechte für Army und Air Force sichern können. Mit Blick auf sowjetische Proteste gegen ein derartiges Unterlaufen der Neutralitätsbestimmungen kam es dann zwar nicht zu dem von den USA angestrebten formellen Notenwechsel darüber. Unter der Hand erteilte Wien aber nach kurzfristiger vorheriger Anmeldung im Regelfall die Genehmigung für ein Überfliegen seines Staatsgebietes. Beim Hin- und Rücktransport amerikanischer Verbände vom und in den Libanon auf dem Luftwege über Tirol nahm diese stillschweigende Praxis freilich Ausmaße an, dass man in Wien nicht mehr in der bisherigen Weise darüber hinwegsehen konnte.261 Innerhalb der Bundesregierung differierten die Auffassungen über die Neutralitätsverletzungen durch diese Überflüge. Von amerikanischer Seite ließ man indes als Kompromiss lediglich die Möglichkeit anklingen, weitere Überflüge in größerer Höhe und bei Nacht durchzuführen. Im jährlichen Bericht des Nationalen Sicherheitsrats in Washington zu Österreich registrierte man auch im Herbst 1958 noch eine für die USA überwiegend günstige Interpretation der Neutralität durch die Bundesregierung, »doch nicht in allen Fällen«.262 Seit der Überflugkrise setzten sich dagegen mehr und mehr die US-Stabschefs mit ihrer Kritik an österreichischen Rüstungsforderungen durch, die aus ihrer Sicht den reinen Selbstverteidigungsaspekt des österreichischen Heeres überstiegen. Das Bundesheer könne daher bestenfalls die innere Sicherheit des Landes gewährleisten. Ausweislich der eigenen Aufbauplanung erlaubte seine Munitionslage dem Bundesheer noch Anfang der 1960er-Jahre »nur eine Kampfdauer von wenigen Ta-

260 History USAREUR 1958/59, S. 50. 261 Umfassende Darstellung bei Blasi, Walter : Die Libanonkrise 1958 und die US-Überflüge, in : Schmidl, Erwin A. (Hg.) : Österreich im frühen Kalten Krieg 1945–1948. Spione, Partisanen, Kriegspläne, Wien/ Köln/Weimar 2000, S. 239–259 ; vgl. auch Rauchensteiner : Die Zwei, S. 382–385, und Rathkolb : Washington, S. 128–132. 262 NSC 5603 OCB-Report, 22. Oktober 1958, abgedruckt in : Clausen : Österreich, S. 15.

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Stellungnahme des Vorsitzenden der US-Stabschefs, General Nathan F. Twining, vom 13. August 1959 zu einer Bitte des Bundesministeriums für Landesverteidigung um weitere Militärhilfe zur Ergänzung des Bundesheeres um eine Reservistenorganisation. Library of Congress, Nachlass des Chairman Joint Chiefs of Staff, General Nathan F. Twining (Twining Papers) (JCSM 320-59).

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gen«.263 Das unterschied es freilich kaum von der Bundeswehr, der die NATO kurz vor der Kubakrise nur ein »Bedingt abwehrbereit« attestierte. Schon Ende 1960 begnügten sich jedenfalls selbst die USA mit einem österreichischen Streitkräfteprofil »adäquat für die innere Sicherheit«. Noch Mitte der 1960er-Jahre unterrichteten sich aber offenbar die Generalstabschefs der Schweiz und Österreichs in streng vertraulichen Kontakten mit dem deutschen Befehlsaber der Landstreitkräfte EuropaMitte über dessen Einsatzpläne in Süddeutschland und dem Alpenraum.264 Wien war jedenfalls spätestens in den 1960er-Jahren gut beraten, wenn es die Lösung seiner Sicherheitsprobleme vorrangig auf politischem Felde suchte. So wie die Streitkräftelage in Süddeutschland, Norditalien und im eigenen Lande aussah, konnte von einer realisierbaren Raumverteidigung in der Region gegen einen überlegenen Angreifer keine Rede sein. Darüber waren sich alle militärisch Verantwortlichen der NATO, ob bei AFCENT oder AFSOUTH, im Klaren, selbst wenn gerade die Militärs in ihrem Interesse an unterschiedlichen Optionen gern mehr an österreichischem Potenzial für ihre regionalen Planspiele vorrätig gehabt hätten. Doch davon unterschieden sich die Verhältnisse selbst an der angenommenen mitteleuropäischen Hauptfront in den Aufbaujahren der Bundeswehr nur graduell. Der dafür Mitte der 1950er-Jahre eingeschlagene Ausweg aus unzureichender konventioneller Abwehrkraft in ein Setzen auf vermeintlich billigere und effizientere atomare Feuerkraft mochte das strategische Dilemma im deutschen wie im österreichischen Raum auf dem Papier lösen. Mehr als berechtigte Zweifel regten sich indes auch in der NATO schon Ende der 1950er- und Anfang der 1960er-Jahre daran, ob man damit nicht mehr Selbstabschreckung im eigenen Lager als Abschreckung beim Gegner erzeugte. Nach Abschluss seines Staatsvertrags konnte Österreich aus wohl verstandenem Eigeninteresse in allen diesen Eventualplanungen nie mehr als ein »indirekter« Mitspieler sein, was den Westmächten letztlich durchaus bewusst war.

263 Aufbauplanung der militärischen Landesverteidigung 1962–1966 bzw. 1969, Mai 1961, Rauchensteiner : Das Bundesheer der Zweiten Republik, S. 33. 264 Interview des Verfassers mit General a.D. Johann Adolf Graf von Kielmansegg, 24. Juni 1997, Zeitzeugen-Schrifttum MGFA Potsdam.

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»to guarantee a country which was a military vacuum«. Die Westmächte und Österreichs territoriale Integrität 1955–1957

Ausgangsüberlegungen und die Vorgeschichte Rund zehn Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges und jahrelangen Verhandlungen über die staatliche Unabhängigkeit und politische Selbstständigkeit Österreichs war Anfang 1955 der mögliche Abschluss eines Staatsvertrags in greifbare Nähe gerückt. Der sowjetische Außenminister Wjatscheslaw M. Molotow betonte in einer Rede am 8. Februar vor dem Obersten Sowjet, dass es gelte, bei Abschluss eines Staatsvertrags neben Sicherstellung der Koalitions- und Bündnisfreiheit des Landes dafür Sorge zu tragen, dass die Gefahr eines neuerlichen Anschlusses an Deutschland ausgeschaltet werde. Nachdem die österreichische Regierung am 14. März 1955 erklärte, sie begrüße eine Garantie der Unabhängigkeit und Freiheit und sie habe wiederholt betont, keinen militärischen Bündnissen beitreten zu wollen, verhandelten österreichische und sowjetische Vertreter ab 11. April in Moskau über die Voraussetzungen eines Staatsvertragsabschlusses. Aus diesen Verhandlungen resultierte das Moskauer Memorandum vom 15. April 1955, welches nicht nur die Vorgehensweise in Bezug auf die österreichische Neutralitätserklärung darlegte, sondern auch direkt eine Garantie der territorialen Integrität ansprach : I. »[…] 4.) Die österreichische Bundesregierung wird eine Garantie der Unversehrtheit und Unverletzlichkeit des österreichischen Staatsgebietes durch die vier Großmächte begrüßen. 5.) Die österreichische Bundesregierung wird sich für die Abgabe einer solchen Garantieerklärung durch die vier Großmächte bei den Regierungen Frankreichs, Großbritanniens und der Vereinigten Staaten von Amerika einsetzen. […] II. […] 4.) Die Sowjetregierung ist bereit, an einer Garantie der Unversehrtheit und Unverletzlichkeit des österreichischen Staatsgebietes durch die vier Großmächte – nach dem Muster der Schweiz – teilzunehmen«1. 1 Siehe Dokument 4, in : Stourzh, Gerald : Um Einheit und Freiheit. Staatsvertrag, Neutralität und das

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Nach der seit 2. Mai in Wien abgehaltenen Botschafterkonferenz und der ihr am 14. Mai folgenden Konferenz der Außenminister wurde der Staatsvertrag am 15. Mai 1955 unterzeichnet. Damit fand das jahrelange Ringen um die Unabhängigkeit der Zweiten Republik ein viel bejubeltes Ende. Eine der vielen Voraussetzungen war die Erfüllung der sowjetischen Bedingung, dass sich Österreich nach Erhalt der Souveränität aus freien Stücken zur Neutralität bekennt und Garantien gegen einen neuerlichen Anschluss an Deutschland vorhanden sind. Die österreichische Neutralität war zwar »vom Tisch«, wie Gerald Stourzh schreibt,2 nicht aber die Frage ihres Inhalts und ihrer Handhabung. Zu ihrem Inhalt zählten zweifellos auch die Wahrung der Souveränität und die Sicherung der Territorialität. Wenig beachtet geblieben war der damit im Zusammenhang stehende Teil des Memorandums, der sich mit einer Garantie der territorialen Integrität Österreichs durch die vier Signatarstaaten befasste. Gerald Stourzh und Manfried Rauchensteiner haben diese Thematik aufgegriffen, behandelt und auf Aktenbasis verfolgt.3 In weiteren Einzelheiten sind dieser Fragenkomplex und seine Hintergründe bisher nur zum Teil dargestellt worden, sodass der Eindruck entstanden und geblieben ist, es handelte sich bei dieser Frage nur um ein eher belangloses Zwischenspiel. Gerald Stourzh stellte fest : »Bedenkt man die Vielzahl an diplomatischen Schriftstücken, die seit April 1955 zur Garantiefrage verfaßt worden waren, läßt sich wohl sagen : Berge haben gekreißt, und ein Mäuslein wurde geboren.«4 Gemeint war ein US-amerikanisches Konzept, wie es der National Security Council am 28. April 1955 gebilligt hatte, wonach eine Verletzung der territorialen Integrität Österreichs als Bedrohung für den Frieden zu erachten und eine solche Angelegenheit unverzüglich den Vereinten Nationen zur Kenntnis zu bringen sei, in der Absicht, geeignete Maßnahmen der UNO sicherzustellen, mit denen die Herausforderung angenommen werden konnte. Für Stourzh war dies im Kern eine »Nicht-Garantie«.5 Sollte dies tatsächlich das Ende einer wechselvollen Geschichte gewesen sein, so stellen sich nach wie vor eine Reihe fundamentaler Fragen der alliierten Sicherheitsund österreichischen Unabhängigkeitspolitik : Warum waren es die Österreicher, die dieses Anliegen von sich aus ins Spiel brachten und so auf die Klärung dieser Frage drängten ? Wollte Moskau mit der Frage einer Garantie für Österreich seine Neutralität attraktiver gestalten bzw. für andere Staaten akzeptabler machen ? Welche Rolle spielte dabei die bis Mitte 1955 noch offene Deutsche Frage ? Ließ vor dem

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Ende der Ost-West-Besetzung Österreichs 1945–1955, 4. völlig überarbeitete und wesentlich erweiterte Aufl. (Studien zu Politik und Verwaltung 62), Wien/Köln/Graz 1998, S. 667 f. Vgl. hierzu das einschlägige Kapitel bei Stourzh : Einheit, S. 567–578, hier S. 567. Ebd.; Rauchensteiner, Manfried : Die Zwei. Die Große Koalition in Österreich 1945–1966, Wien 1987, S. 322 und 325–330 ; kurz : Rauchensteiner, Manfried : Stalinplatz 4. Österreich unter alliierter Besatzung, Wien 2005, S. 261 f. Stourzh : Einheit, S. 572. Ebd.

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Hintergrund dieser dann gelösten Problematik das sowjet-russische Interesse an der Garantie Österreichs in der zweiten Jahreshälfte 1955 nach und konzentrierte sich mehr auf die Frage der Gestaltung und Umsetzung der österreichischen Neutralität (konkret mit Blick auf die Ungarn- und Libanonkrise) ? Warum versuchten die Westmächte das Thema Garantie ab Mitte 1955 – nach Lösung der deutschen Frage – zunehmend auf die lange Bank zu schieben ? War die Motivlage der Westmächte, sich zu wappnen, komplexer als die von Stourzh genannten zwei Gründe (Furcht vor einer einseitigen sowjetischen Garantieerklärung für Österreich und der österreichische Einsatz bei den Westmächten für die Abgabe einer solchen Garantie6) ? Welche Rolle spielten die sowjetischen Satellitenstaaten mit Blick auf die Beurteilung der Garantiefrage ? Fürchteten die Westmächte auch eine Mitwirkung an der Garantie und letztlich ein militärisches Eingreifen von Ungarn und Tschechen ? Warum ist es nie zu einer Vier-Mächte-Garantie für Österreich gekommen ? Am 26. Oktober 1955 verabschiedete der österreichische Nationalrat das Bundesverfassungsgesetz über die immerwährende Neutralität. Am 6. Dezember gaben die vier Signatarstaaten in gleichlautenden Noten ihre Anerkennung bekannt, und rund eine Woche später wurde die Republik Mitglied der Vereinten Nationen.7 Allerdings war zu dieser Zeit ein wesentlicher Punkt des Moskauer Memorandums, die eine Grundlage für den Abschluss des Staatsvertrags gebildet hatte, noch ungeklärt : die Garantie der territorialen Unversehrtheit Österreichs. Waren die inzwischen im Staatsvertrag festgelegte Erklärung der Signatarstaaten, die staatliche Unabhängigkeit und die territoriale Unversehrtheit zu achten, sowie auch die erfolgte Neutralitätserklärung im Rahmen eines Bundesverfassungsgesetzes schon Schutz genug für die junge Republik ? Bedurfte es nicht noch einer zusätzlichen Garantie der territorialen Integrität Österreichs (die mit einer Garantie der Neutralität nicht zu verwechseln war8) ? Diese Frage bzw. wie man sich einerseits generell und andererseits speziell bei einem sowjetischen oder österreichischen Vorbringen dieser Frage verhalten sollte, beschäftigte bis in das Frühjahr 1956 nicht nur die Beamten im Foreign Office (FO) in London

6 Ebd., S. 569. 7 Siehe die Chronologie in : Stourzh : Einheit, S. 788 f. 8 Dieser Aspekt ist in der Literatur nicht immer klar, wo oft auch von einer Garantie der Neutralität die Rede ist. Es ging bei dieser Garantie aus der Sicht der Westmächte aber, wenn dann, in erster Linie um die Unversehrtheit des österreichischen Territoriums und das Anschluss-Verbot, wobei im letzten Punkt auch Übereinstimmung mit der UdSSR bestand. Rauchensteiner (Die Zwei, S. 324 f.) weist aber zu Recht darauf hin, dass aus österreichischer Sicht zwischen der Garantie des unversehrten Territoriums und der Neutralität nicht streng unterschieden und verschiedentlich beides artikuliert wurde, so u. a. vonseiten der SPÖ bereits in ihrem Aktionsprogramm 1947, aber auch von Figl und Raab 1955. Unter Verweis auf den Schweizer Neutralitätsexperten Edgar Bonjour macht Rauchensteiner darauf aufmerksam, dass eine Territorialgarantie auch eine Neutralitätsgarantie einschließen konnte, ebd. S. 324.

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und die britische Botschaft in Wien9, sondern auch die amerikanische und französische Diplomatie jener Jahre 1955/56. Dem wird im Folgenden nachzugehen sein.

Die Entwicklung im Jahre 1955 Erste Überlegungen im Foreign Office Bereits am 25. März 1955, also einen Tag nachdem die paritätisch zusammengesetzte österreichische Regierungsdelegation, bestehend aus Bundeskanzler Julius Raab (ÖVP), Vizekanzler Adolf Schärf (SPÖ), Außenminister Leopold Figl (ÖVP) und dem Staatssekretär im Bundeskanzleramt/Auswärtige Angelegenheiten Bruno Kreisky (SPÖ), zu Verhandlungen nach Moskau eingeladen worden war, traf sich der britische Hochkommissar und Botschafter Geoffrey Wallinger in Wien mit seinem amerikanischen Kollegen Llewellyn Thompson und dem französischen diplomatischen Vertreter Roger Lalouette, um das Thema Territorialgarantie zu diskutieren. War Lalouette der Idee einer Vier-Mächte-Garantie offenbar nicht abgeneigt, so Thompson strikt dagegen. Obwohl Wallinger zugab, dass er sich der traditionellen und durchaus gerechtfertigten Bedenken seiner Regierung bezüglich Garantien bewusst sei, müsste man davon ausgehen, dass die Frage aktuell werde und man diesbezüglich eine klare Vorgehensweise festlege.10 Wallinger berichtete dem Österreichexperten des Foreign Office, Sir Geoffrey Harrison, über die Besprechung mit seinen westlichen Kollegen. Als sich das Gespräch in Richtung Vier-Mächte-Garantie für die territoriale Integrität Österreichs entwickelt hatte, war der britische Botschafter nicht grundsätzlich dagegen, denn mit Hinblick auf den deutschen Nachbarn war eine solche Garantie durch den Eintritt der Bundesrepublik in die NATO kein Problem mehr für die Westmächte. Doch Deutschland war nicht der einzige Nachbar der jungen Republik, was Wallinger zum Schluss kommen ließ, dass »a Four Power Guarantee of Austria’s frontiers, or perhaps of Austria’s ‹integrity’, against attacks from any quarter was not open to the same objections and deserved to be seriously considered«.11 9 Sehr zu danken habe ich wesentlichen Vorrecherchen von Mag. Günther Bitschnau, der mir zahlreiche Dokumente aus dem britischen Außenministerium und seinem Archiv bzw. Abschriften davon zur Verfügung gestellt hat. 10 Wallinger an Geoffrey Harrison, 25. März 1955, Confidential. Public Record Office (PRO; (PRO ; neu benannt in National Archives of the United Kingdom), FO 371/117788, RR 1071/112 ; siehe zu den frühen französischen Positionen in dieser Frage : Angerer, Thomas : Die französischen Garantieforderungen und die Ursprünge des Anschluß-Verbots im österreichischen Staatsvertrag, 1946–1947, in : Angerer, Thomas/Bader-Zaar, Birgitta/Grandner, Margarete (Hg.) : Geschichte und Recht. Festschrift für Gerald Stourzh zum 70. Geburtstag, Wien/Köln/Weimar 1999, S. 413–429. 11 Wallinger an Geoffrey Harrison, 25. März 1955, Confidential, PRO,, FO 371/117788, RR 1071/112.

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Thompson wandte sich im Gegensatz zu Lalouette entschieden gegen eine derartige Garantie, die er für nichts anderes hielt als eine Garantie des Westens für Österreich gegen einen Angriff des Ostens. Für Thompson lagen die Argumente auf dem Tisch : »a unilateral commitment ; the three Western Powers would be giving Austria something, and getting nothing in return«. Wallingers Vorschlag war folglich, im Staatsvertrags-Entwurf in Artikel 2 anstelle des Wortes »achten« »garantieren« zu verwenden und bei einem Bedrohungsszenario den UNO-Sicherheitsrat einzuschalten, was jedoch auf wenig Gegenliebe von Thompson und Lalouette stieß.12 Wallinger war sich »well aware of Her Majesty’s Government’s traditional and well justified caution about guarantees ; but I still think that the idea of a four power guarantee to Austria is bound to come up as a serious suggestion, and that therefore we should get our minds absolutely clear on the subject«. Für ihn war Österreich nach Abschluss des Staatsvertrags ohnehin gegenüber Deutschland und Italien durch die NATO-Zugehörigkeit der beiden Länder geschützt, während er in Bezug auf Jugoslawien den Balkan-Pakt als ausreichenden Schutz empfand. Aufschlussreich war hingegen seine Auffassung, dass ein Angriff durch Ungarn oder die ČSR wahrscheinlich einen »immediate request for action under Article 4 of the North Atlantic Treaty« mit sich bringen würde.13 Die bestehende Verpflichtung würde kollektiver Natur sein – egal ob durch Änderung des Artikels 2 des Staatsvertrags-Entwurfs oder durch ein gesondertes Abkommen – und so eine Konsultierung der beteiligten Staaten mit sich bringen, denn kein Garantiestaat wäre ermächtigt, allein vorzugehen. Als weiteren Sicherheitsriegel mochte Wallinger eine Verpflichtung zur Einschaltung des UNO-Sicherheitsrats einfügen.14 Zwei Tage nach diesem Schreiben machte man sich im Foreign Office bereits daran, eventuelle Garantieformen für den Fall der Fälle abzuklären. Nicht gerade erleichtert wurde die Lösung durch den Umstand, dass man »as much in the dark as everyone else about exactly what the Russians are after« war.15 Auch von Österreich konnte man sich diesbezüglich keine direkte Hilfe erwarten, denn wie der Rechtsberater des Foreign Office, Sir Gerald Gray Fitzmaurice, noch am 27. April schrieb, mussten sie zugeben, dass »their thinking on the subject has not gone very far«.16 12 Ebd. 13 Der Artikel 4 des Nordatlantikvertrages vom 4. April 1949 lautet : »Die Parteien werden einander konsultieren, wenn nach Auffassung einer von ihnen die Unversehrtheit des Gebietes, die politische Unabhängigkeit oder die Sicherheit einer der Parteien bedroht ist.« Zitiert nach : NATO Information Service (Hg.) : Das Atlantische Bündnis. Tatsachen und Dokumente, 7. Aufl., Brüssel 1990, S. 404–406, hier S. 404. 14 Wallinger an Geoffrey Harrison, 25. März 1955. Confidential, PRO, FO 371/117788, RR 1071/112. 15 Miss B. Salt, britische Botschaft Washington an das Foreign Office, 18. April 1955, Confidential, PRO, FO 371/117790, RR 1071/176. 16 Fitzmaurice am 27. April 1955, PRO, FO 371/117791, RR 1071/206.

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Geoffrey Allan Crossley vom Foreign-Office-internen Geheimdienst, dem Information Research Department (IRD)17, wollte wissen, welche zu erwartende Grenzkonflikte es in Österreich gebe, abgesehen von »its major aspect : that of Anschluss with Germany«. Die interessierenden acht Garantien reichten von der britisch-amerikanischen Garantie für Frankreich 1919 gegenüber Deutschland, dem Genfer Protokoll 1922 bis hin zu der wohl bekanntesten Garantie, welche Großbritannien in den Weltkrieg verwickelte, jener 1939 Polen gegenüber.18 Fitzmaurice schrieb am 29. März 1955 aufgrund der Anfrage von Crossley : Ein Vetorecht der Garantiestaaten könnte bewirken, dass die Sowjetunion Ungarn oder die ČSR gegen Österreich vorgehen lasse und die Westmächte mittels ihres Vetos blockiere. Auch direkte Garantien von Großbritannien oder den USA würden dann nicht greifen, da es ja eine kollektive Vereinbarung wäre. Artikel 51, gemeinsam mit Artikel 103 der UNO-Charta19, könnte hier – aber nur theoretisch – Abhilfe schaffen. Der sich bietende Ausweg : Österreich solle zusätzlich ermächtigt werden, von sich aus individuellen Beistand einzufordern, denn man könne davon ausgehen, dass es zuerst die USA und nicht die Sowjetunion darum bitten würden ; doch eben genau aus diesem Grund würden die Sowjets dem nicht zustimmen. Wenn die Sowjetunion selbst angreifen sollte, dann breche ohnehin jegliche Garantieerklärung zusammen, und die Westmächte seien nicht mehr gebunden. »But I think there is a serious difficulty in the event of the threat coming from some Russian satellite, because unless we are very careful, a Four Power Guarantee might merely enable Russia to hold the ring while her satellite got on with the job. There is an obvious dilemma here«, so Fitzmaurice.20 17 In Großbritannien gibt es mehrere Geheimdienste. Zwei von ihnen sind der Secret Intelligence Service (SIS oder MI 6 – Military Intelligence, Dept. 6) und das IRD des Foreign Office. Siehe hierzu : Crozier, Brian : Free Agent. The Unseen War 1941–1991. The Autobiography of an international Activist, London 1993, S. xvi. 18 Aufzeichnung Crossley, 27. März 1955, PRO, FO 371/117818, RR 1091/1. 19 Artikel 51 der UNO-Charta besagt : »Nichts in diesem Pakt soll das unabdingbare Recht individueller oder kollektiver Notwehr beeinträchtigen, wenn ein Angriff mit Waffengewalt gegen ein Mitglied der Vereinten Nationen erfolgt, bis der Sicherheitsrat die zur Aufrechterhaltung internationalen Friedens und internationaler Sicherheit nötigen Maßnahmen getroffen hat. Maßnahmen, welche von Mitgliedern in Ausübung dieses Notwehrrechtes ergriffen werden, sind sogleich dem Sicherheitsrat zu berichten und berühren auf keinerlei Weise die Zuständigkeit und Verantwortlichkeit des Sicherheitsrats, auf Grund dieses Paktes jederzeit Maßnahmen zu ergreifen, die er für nötig hält, um den internationalen Frieden und internationale Sicherheit aufrechtzuerhalten oder wiederherzustellen.« Artikel 103 : »Im Falle eines Konfliktes zwischen den Verpflichtungen der Mitglieder der Vereinten Nationen auf Grund des gegenwärtigen Paktes und ihrer Verpflichtungen auf Grund irgendeines anderen zwischenstaatlichen Abkommens haben ihre Verpflichtungen auf Grund des gegenwärtigen Paktes den Vorrang.« Zitiert nach : Keesings Archiv der Gegenwart vom 26. Juni 1945, S. 289 –295. 20 G. Fitzmaurice, 29. März 1955, PRO, FO 371/117789, RR 1071/152.

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Erschwert wurde die Meinungsbildung und Urteilsfindung durch den Umstand, dass man weder von den Sowjets noch von den Österreichern genau wusste, welche Vorstellungen sie von einer Garantie hatten. So stellte man derweil Überlegungen an, welche Garantien Großbritannien in den letzten Jahren gegeben hatte, wobei besonders jene britisch-französische Garantiezusage für Polen vom 31. März 1939 erwähnt wurde, die Londons Kriegserklärung an Hitler-Deutschland (nach dessen Überfall auf Polen am 1. September 1939) bewirkte und in weiterer Folge in den Zweiten Weltkrieg führen sollte.21 So wurden im Foreign Office bereits Ende März 1955 alle möglichen Varianten durchgespielt. Neben Erwägungen der Berufung auf die UNO-Charta sowie der Frage, ob Österreich um Beistand fragen oder von den Garantiestaaten befragt werden sollte, beschäftigte man sich auch mit etwaigen Folgen einer kollektiven Garantie der vier Mächte. Würde man hier nämlich ein Vetorecht festlegen, könnte Moskau dann die Westmächte hinhalten, während ein oder mehrere Satellitenstaaten militärisch gegen Österreich vorgehen würden.22 Trotz sehr verschiedener Ansatzpunkte wurde am 31. März ein erster Entwurf einer Garantieerklärung erstellt, dessen entscheidender, nämlich operativer Teil Folgendes beinhaltete : »[…] The four Governments, having an abiding interest in the effectiveness of the Austrian State Treaty, in which they have undertaken to respect the independence and territorial integrity of Austria, hereby declare that they will regard any threat to the integrity of Austria from whatever quarter as a threat to their own security ; and that they will consult together whenever, in the opinion of any of them, the territorial integrity, political independence or security of Austria is endangered. […].«23

Hauptziel dieses und der folgenden Entwürfe war es, eine unilaterale Intervention Moskaus zu verhindern, wobei man mit dem Problem konfrontiert war, dass damit auch eine Intervention der Westmächte ohne Zustimmung der Sowjetunion schwer machbar sein würde, und dies nicht nur, wenn ein Satellitenstaat Österreich angreifen sollte. Die Diskussionen im Zuge des Moskauer Memorandums Während das Moskauer Memorandum von der österreichischen und sowjetischen Regierung paraphiert wurde, erzielte man in London schon Einigung darüber, dass

21 Aufzeichnung Crossley, 27. März 1955, PRO, FO 371/117818, RR 1091/1. 22 Gerald Gray Fitzmaurice am 29. März 1955, PRO, FO 371/117789, RR 1071/152. 23 William Hilary Young am 31. März 1955, PRO, FO 371/117791, RR 1071/216.

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die Garantie nicht Bestandteil des Staatsvertrags werden sollte.24 Schwieriger zu handhaben war jedoch die Beantwortung der Frage, wann eine mögliche Garantie für Österreich in Kraft treten sollte, denn nach Abschluss des Staatsvertrags hätten die Westmächte keine Möglichkeit mehr, ein bilaterales Abkommen zwischen Wien und Moskau zu verhindern. Es erschien deshalb notwendig, dass sowohl Garantieals auch Neutralitätsformel im Voraus abgestimmt und gleichzeitig mit dem Staatsvertrag ihre Gültigkeit erlangen sollten.25 Elf Tage nach der – vorerst geheimen, den Westmächten jedoch bekannt gemachten – Verabschiedung des Moskauer Memorandums trafen sich die westlichen Botschafter in Wien abermals, wobei sie nach wie vor keine Instruktionen von höchster Stelle hatten, was man dem sowjetischen Botschafter im Falle einer Anfrage mitteilen sollte. Thompson wies jedoch auf ein prinzipielles Problem der USA hinsichtlich Garantien hin : Das State Department könne keine automatische Garantie abgeben, da der US-Kongress sein Recht, Krieg zu erklären, »mit Sicherheit« nicht aus der Hand geben würde. Bedingt durch diese Umstände erachtete es daraufhin Wallinger für angebracht, im Falle einer Nachfrage der Österreicher oder der Sowjets so lange um die Sache herumzureden, bis man diesbezügliche Instruktionen erhalten würde.26 Auch in London war man zwischenzeitlich ja noch zu keiner fixierten Vorgehensweise gelangt. Sicher war am 27. April 1955 nur, dass man einerseits die sowjetischen Interventionsmöglichkeiten weitestgehend limitieren, andererseits jedoch die eigene Stellung in Österreich aufrechterhalten wollte. Jedenfalls galt es, jegliche Verpflichtung so weit wie nur möglich zu beschränken.27 Das britische Kabinett befürwortet eine Teilnahme an der Garantie Bald darauf erhielt Wallinger eine erste Instruktion. Außenminister Harold Macmillan hatte dem Kabinett am 26. April 1955 ein geheimes Memorandum vorgelegt, welches sich mit den außenpolitischen Anforderungen hinsichtlich der sich abzeichnenden Österreichlösung befasste. Laut Macmillan habe das Land keine schlagkräftige Armee und benötige deshalb eine moralische Unterstützung, was beispielsweise durch eine internationale Garantie der territorialen Integrität bewerkstelligt werden könnte. Obwohl die Formulierung noch sehr gut überlegt werden müsste, um etwa eine Blockierung der Westmächte durch Moskau bei einem Angriff eines der Satel-

24 »Austria: Austria : Possible Forms of Guarantees«, 31. März 1956, PRO, FO 371/117791, RR 1071/216 ; Fitzmaurice am 20. April 1955, PRO, FO 371/117818, RR 1091/8. 25 »Austrian Guarantee Guarantee:: Summary of Legal Conclusions«, 25. April 1955, PRO, FO 371/117791, RR 1071/217. 26 Wallinger an Harrison, FO, 26. April 1955, secret and personal, PRO, FO 371/117792, RR 1071/226. 27 Selby an Wallinger, Wien am 27. April 1955, PRO, FO 371/117792, RR 1071/226.

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litenstaaten zu verhindern, wäre dies die einzige Möglichkeit, die Sowjetunion von einer unilateralen Garantie abzuhalten. Vorausgesetzt, dass die USA und Frankreich sich daran beteiligen würden, stimmte das Kabinett dem Vorschlag zu, gegebenenfalls an einer Garantie teilzunehmen.28 Das Foreign Office hatte inzwischen auch begonnen, sich Gedanken über eine mögliche Vier-Mächte-Garantie mit Bezug auf die UNO zu machen, welche es den einzelnen Garantiestaaten ermöglichen würde, auch unilateral zu intervenieren, ein solches Vorgehen jedoch zuvor entweder vom UNO-Sicherheitsrat oder der Generalversammlung der Vereinten Nationen zumindest behandelt werden müsste.29 Diese Überlegungen sollten den roten Faden während sämtlicher weiterer Garantiediskussionen der nächsten Jahre bilden, denn die Debatte zog sich bis in das Frühjahr 1957 hin. Die USA legen Entwürfe für eine Österreich-Garantie vor Zwischen Ende April und Anfang Mai 1955 legte auch Thompson in Wien erste Entwürfe im Namen der USA vor, welche durchwegs Bezug auf die UNO nahmen. Nach mehreren Konsultationen unter den westlichen Botschaftern und ihren Außenministerien gab es den sogenannten »Mai-Entwurf« der USA, dem Großbritannien so jedoch nicht zustimmen wollte, weil er einerseits eine zusätzliche unilaterale Garantie Moskaus nicht verhindern und andererseits Österreich ohne sowjetische Zustimmung keinen Schutz vor einem Satellitenstaatenangriff bieten sollte. Die Amerikaner hatten formuliert : »[…] 5. The Four Signatory Powers now therefore solemnly declare they will consider a threat to or violation of Austrian territorial integrity as a grave threat to peace and will bring the matter immediately to the attention of the United Nations with a view to securing appropriate decisions or recommendations by the United Nations to meet the situation. Pending such decision or recommendation by the United Nations, the Four Powers will consult together and with the Austrian Government to consider what interim action should be taken to meet such threat or violation. […]«30

Da sich im Laufe der Drei-Mächte-Gespräche jedoch zeigte, dass die USA nur einer Garantie im Rahmen der UNO zustimmen würden, wurden andere Entwürfe nicht 28 »Memorandum by the Secretary of the State for Foreign Affairs Affairs:: Austria«, Secret, 26. April 1955, PRO, CAB 129/75, C.P.(55) 12. 29 Fitzmaurice, 28. April 1955, PRO, FO 371/117806, RR 1071/555. 30 Wallinger an FO, 6. Mai 1955. Telegram No.199, top secret, PRO, FO 371/117795, RR 1071/317/G.

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mehr weiter bearbeitet und vorgelegt und alle Überlegungen auf die amerikanischen Vorlagen konzentriert.31 Die Phase zwischen Botschafterkonferenz und Staatsvertrag Auf der zwischen 2. und 12. Mai 1955 in Wien stattfindenden Botschafterkonferenz versuchte Thompson am vierten Tag dem sowjetischen Botschafter Iwan Iljitschow zu verstehen zu geben, dass die Vereinigten Staaten verfassungsrechtliche Probleme hinsichtlich einer Garantie hätten und US-Außenminister John Foster Dulles nicht in der Lage wäre, den Staatsvertrag zu unterzeichnen, wenn die Sowjetunion die Lösung der Garantiefrage als Voraussetzung betrachten würde. Da diese Bedingung von Moskau jedoch nicht gestellt wurde, ging man in Washington davon aus, dass es sich nicht um eine Conditio sine qua non handelte. Thompson versuchte Iljitschow eine diesbezügliche Bestätigung abzuringen, doch scheiterte dies ebenso wie die gemeinsamen Anstrengungen von Wallinger und Lalouette, von ihrem sowjetischen Kollegen mehr Informationen über österreichische und sowjetische Vorstellungen bezüglich einer Garantie zu erhalten.32 So schrieb Jack Ward am 13. Mai, nachdem er erneut die Änderungsvorschläge durchgearbeitet hatte und die offenen Probleme nach wie vor ungelöst sah : »I suspect that we are going to have a wrangle with the Russians over this formula of Guarantee. We can only wait and see.«33 Nach wie vor fehlten also auf westlicher Seite aussagekräftige Informationen über die Vorstellungen Moskaus. Iljitschow konnte keine eindeutige Aussage entwunden werden. Man empfing lediglich den Eindruck, dass die Sowjetunion eine Unterzeichnung des Staatsvertrags nicht von der Existenz einer Garantie abhängig machte. Um aber der UdSSR dennoch die Möglichkeit zu nehmen, nach Abschluss des Staatsvertrags bezüglich der Garantie eigene Wege zu gehen, erachtete man es als wesentlich, dass sowohl Garantie- als auch Neutralitätsfrage vor Inkrafttreten des Staatsvertrags zufriedenstellend geregelt sein müssten.34 Dies ging so weit, dass man im Foreign Office die Unterzeichnung des Staatsvertrags beim Fehlen einer entsprechenden Lösung zu verschieben gedachte ! Außenminister Macmillan bejahte diesen Vorschlag grundsätzlich, betonte jedoch, dass dieses Argument mit äußerster Diskretion zu verwenden sei.35

31 32 33 34 35

Crossley, 2. Juni 1955, PRO, FO 371/117803, RR 1071/474. Ebd. Aufzeichnung J. E. Ward, 13. Mai 1955, PRO, FO 371/117800, RR 1071/405/G. Selby, »Austria »Austria:: The Question of a Guarantee«, 6. Mai 1955, PRO, FO 371/117801, RR 1071/422. Jack Ward, FO, an Harold Macmillan, 7. Mai 1955 ; Sir G. Jebb, Paris, für Harold Macmillan, 9. Mai 1955, PRO, FO 371/117796, RR 1071/321.

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Beim NATO-Ministertreffen im Mai 1955 wird die Frage einer Garantie für Österreich kritisch beurteilt. Ergebnis: Durch eine NATO-Staaten-Garantie bestehe natürlich auch die Gefahr, dass auch andere NATO-Länder in einen Konflikt hineingezogen werden könnten. Vormals Public Record Office (PRO), jetzt: United Kingdom National Archives (UKNA), Foreign Office (FO) 371/117797. In den Fußnoten wurde noch die alte Zitation verwendet.

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Macmillan nahm am 9. Mai in Paris an einem NATO-Außenministertreffen teil und hatte auch mit Delegierten anderer NATO-Staaten die Österreichfrage besprochen. Die Zurückhaltung war enorm. Der belgische Außenminister PaulHenri Spaak führte aus, es sei einmalig, dass Staaten die Grenzen eines anderen garantieren würden, mit dem sie keine gemeinsame Grenze hätten. Man müsse in diesem Fall die unmittelbaren Nachbarstaaten kontaktieren. Spaak irrte sich zwar (siehe Polen 1939), doch er fand durchaus Zustimmung. Mit Unterstützung des türkischen Vertreters führte er weiter aus, dass es überhaupt nicht im Interesse der NATO liege, gefährliche neutralistische Strömungen in anderen Ländern durch die Vergabe von Garantien zu schaffen. Macmillan und US-Außenminister Dulles bemühten sich zu versichern, »that it was a guarantee not of neutrality but of integrity, and that neither of our governments had any intention of entering blindly into new far-reaching commitments«. Dulles fügte hinzu, dass »no decisions would be taken at Vienna which would commit governments«.36 Die Behandlung der Österreichfrage war aber offenbar geeignet, Divergenzen im atlantischen Bündnis zu provozieren. Im Falle der Gewährung einer Garantie wurde eine Schwächung der NATO befürchtet. Drei Tage vor Unterzeichnung des Staatsvertrags resümierte man nochmals den Stand der Dinge. Demnach waren die USA aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht in der Lage, eine Vorausgarantie zu geben, sodass man in London erneut erwog, die Unterzeichnung des Staatsvertrags von einer sowjetischen Zustimmung zu einer ausschließlichen Vier-Mächte-Garantie abhängig zu machen, obwohl man bezweifelte, dass dieses Hinhalten aus politischen Gründen über längere Zeit machbar sein würde. Es schien der britischen Regierung allerdings zum damaligen Zeitpunkt nicht angebracht, eine derartige Verpflichtung einzugehen. Damit stand man aber noch immer vor dem ungelösten Problem, der Sowjetunion unter keinen Umständen eine unilaterale Garantie zu ermöglichen.37 In einem streng geheimen Schreiben, welches als Ausgangsbasis der Westmächte für das Außenministertreffen in Wien am 14. Mai 1955 vorbereitet worden war, fasste man schließlich den Stand der Dinge hinsichtlich Garantie nochmals zusammen : »[…] The United States is unable for constitutional reasons to join in a guarantee in terms as simple as this. The right to declare war is the prerogative of Congress and the United States Government cannot commit Congress in advance. […]

36 Sir Christopher Steel, UK Permanent Delegation Paris, an FO, 9. Mai 1955, secret, PRO, FO 371/117797, RR 1071/348. 37 »Brief No. 4 : Guarantees, Top secret«, PRO, FO 371/117801, RR 1071/422 ; Crossley, 2. Juni 1955, PRO, FO 371/117803RR 1071/474.

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The Foreign Office recommends that guarantee arrangements should be worked out between signature and ratification of the treaty. They would not like to see an unilateral Soviet guarantee. They think that ratification can if necessary be used as a weapon to bring the Soviet into a Four Power guarantee. Whether ratification could in fact be held up for a long period is perhaps doubtful for political reasons. […] Although it will be useful to ascertain the intentions of Austria and particularly of the Soviet Union in relation to guarantees it would not be constitutionally appropriate for the United Kingdom to accept a commitment at the present moment. […]«38

Offenbar gab es Übereinstimmung darüber, dass es aus politischen Gründen nicht angebracht sei, eine Unterzeichnung des Staatsvertrags von der Regelung der Garantiefrage direkt abhängig zu machen. Die Entwicklung der letzten Wochen hatte in diesem Schreiben ihren Niederschlag gefunden : Die USA konnten die in etwa vorgesehene Garantie für die territoriale Unversehrtheit der Zweiten Republik aus Verfassungsgründen gar nicht geben, und in London hielt man es zum damaligen Zeitpunkt für absolut ungeeignet, eine dahin gehende Verpflichtung einzugehen. Man wollte aber unter allen Umständen verhindern, dass der Sowjetunion die Möglichkeit eröffnet werde, Österreich in eine unilaterale Garantie hineinzuzwingen. Die Aufregung rund um die Garantie in Bezug auf den Staatsvertrag war jedoch zumindest unzeitgemäß. Die Frage wurde während des Außenministertreffens am 14. Mai 1955 nicht direkt angesprochen, ja noch mehr, bis Anfang Juni »nor has any action been taken on it by any of the four Powers or by Austria since then«, notierte man im britischen Außenministerium.39 Dass sich durch den noch ungeklärten Neutralitätsstatus auch die Nachbarstaaten Österreichs Gedanken über die militärstrategischen Konsequenzen machten, zeigt eine Unterredung des britischen Botschafters in Rom, A. D. M. Ross, am 23. Mai 1955 mit dem damaligen italienischen Verteidigungsminister Paolo Emilio Taviani. Dieser sah im Kriegsfall und dessen Auswirkungen für die Neutralität folgende mögliche Szenarios : »In war, if her neutrality were respected this would be to our advantage. If it were violated, we should of course lose Vienna but we could save the mountain provinces by blocking the valleys with atomic bombs.« Der britische Botschafter war ob dieser strategischen Vorstellungen verwundert : »I could not well follow him into the realms of strategy.« In London wurde der Bericht zwar ausführlich diskutiert, doch drehten sich die Debatten mehr um einen weiteren Punkt des Gesprächs, nämlich die Stationierung von US-Truppen in Österreich und Norditalien. Kein

38 »Brief No. 4 : Guarantees«, Top secret, PRO, FO 371/117801, RR 1071/422. 39 Aufzeichnung Crossley, 2. Juni 1955, PRO, FO 371/117803, RR 1071/474.

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Wort fiel hinsichtlich eines Atombombeneinsatzes in Österreichs westlichen Tälern im Falle einer kriegerischen Auseinandersetzung mit dem Osten.40 Territorialgarantie und Neutralitätserklärung Die Überlegungen in Bezug auf Garantie und Staatsvertrag schienen zeitweise nicht zwingend, doch das Thema kam zwei Wochen nach Unterzeichnung des Staatsvertrags wieder auf. Macmillan, der die Auffassung vertrat, dass es ohne Lösung der Neutralitäts- und Garantiefrage keine britische Ratifikation des Staatsvertrags geben werde, erhielt auf seine Frage, was denn nun mit Österreich sei, keine zufriedenstellende Antwort aus dem britischen Außenamt. Weder Österreich noch Moskau – von welchem gemäß damaliger Auffassung im Foreign Office die Initiative für die Garantie ausgegangen war – hatten in der Zwischenzeit irgendwelche Gespräche begonnen. Laut Österreichs Botschafter in London, Johannes Schwarzenberg, hing dies damit zusammen, dass man zuerst die Ratifizierung durch das österreichische Parlament und den Abzug der Besatzungstruppen abwarten wollte. In diesem Zusammenhang wurde Anfang Juni 1955 erwogen, die Garantiefrage unabhängig von der Ratifizierung des Staatsvertrags und der Anerkennung der Neutralität zu behandeln.41 Angesichts der zu erwartenden österreichischen Neutralitätserklärung und deren Anerkennung begann die britische Diplomatie Überlegungen anzustellen, inwieweit die Garantiefrage damit in Zusammenhang stehen würde. Wallinger war gemeinsam mit seinen westlichen Kollegen Mitte Juni zur Auffassung gelangt, dass man nicht davon ausgehen müsse, dass Moskau die Garantiefrage im Zuge der Anerkennung der Neutralität ansprechen werde.42 Zwischenzeitlich erklärte Außenminister Leopold Figl am 22. Juli 1955 den westlichen Botschaftern in Wien, dass Österreich keineswegs eine einseitige Garantie der Sowjetunion hinnehmen werde.43 Im August 1955 war man im Foreign Office zum Entschluss gelangt, dass die Anerkennung der Neutralität und die Vergabe einer Garantie getrennt gehandhabt werden müssten. Da man aber die Gefahr einer sowjetischen unilateralen Garantie nach wie vor nicht für gebannt ansah und sich nicht sicher war, ob die österreichische Regierung bei entsprechendem Druck Moskaus in der Lage wäre, diesem auch zu widerstehen und eine unilaterale Garantie abzulehnen, kam die Idee auf, eine An40 A. D. M. Ross, Britische Botschaft Rom, an Jack Ward, FO, 23. Mai 1955, top secret and personal ; Jack Ward, FO, an A. D. M. Ross, Rom, 18. Juni 1955, secret and personal, PRO, FO 371/117801, RR 1071/441. 41 Macmillan an Harrison, 31. Mai 1955 ; Harrison an Harold Caccia, 3. Juni 1955, PRO, FO 371/117803, RR 1071/483. 42 Wallinger an FO, 15. Juni 1955, Tgr. No. 293, secret, PRO, FO 371/117804, RR 1071/510. 43 Stourzh : Einheit, S. 569.

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erkennung der Neutralität durch die Westmächte gegebenenfalls von einer Zusage Österreichs abhängig zu machen, einen derartigen Vorschlag der Sowjets zurückzuweisen.44 Ähnliches war auch in Zusammenhang mit der Unterzeichnung des Staatsvertrags geäußert worden. Sollte man also an die Österreicher vor Anerkennung der Neutralität herantreten und eine Zusicherung einholen, dass das Land eine sowjetische unilaterale Garantie ablehnen würde ? Unter den Westmächten herrschte darüber Mitte September Uneinigkeit. Gegen einen derartigen Vorstoß waren der US-Vertreter Thompson und der neue französische Botschafter François Seydoux, weil sie damit eine verfrühte Diskussion über die Garantie befürchteten, zumal Österreich ohnehin keine unilaterale Garantie haben wollte – was auch für Moskau zu gelten schien –, und schließlich weil es offenbar die Österreicher selbst waren, welche in Moskau die Garantie vorgeschlagen hätten. Wallinger hingegen befürwortete dies, weil man eine unilaterale Garantie nicht ausschließen und eine Akzeptanz des westlichen Garantieentwurfes durch Moskau nicht unbedingt erwarten könne. Zudem hätten es die Österreicher dann öffentlich leichter, weil sie ihre Position von vornherein klargelegt hätten. Das Foreign Office machte lediglich darauf aufmerksam, in möglichen Gesprächen mit den Österreichern mit Nachdruck auf die Gefahren einer unilateralen Garantie hinzuweisen, sie jedoch nicht offen um eine Zusicherung zu bitten. Diesbezüglich könne man derzeit »let sleeping dogs lie«.45 In der Zwischenzeit hatte Schwarzenberg sowohl das Foreign Office als auch Macmillan direkt kontaktiert, um mitzuteilen, dass Österreich trotz gegenteiliger Gerüchte bezüglich der Garantie noch fragen werde und man Bedenken hinsichtlich einer sowjetischen Initiative habe. Grund genug für Macmillan und das Foreign Office, die Sache einer eingehenden Prüfung zu unterziehen.46 Großbritannien ändert seine Haltung Weitere eingehende Überlegungen führten in eine neue Richtung. Hatte das britische Kabinett jenem Memorandum Macmillans vom 26. April 1955 noch dahingehend zugestimmt, dass man eine Anerkennung der Neutralität Österreichs mit einer wirkungsvollen internationalen Garantie der territorialen Integrität verknüpfen sollte, so wollte man die beiden Themenkomplexe nun völlig unabhängig vonei-

44 Memorandum »Recognition of Austria’s Neutrality and of the giving of a Territorial Guarantee«, Malcolm, Wien, an Young, FO, 11. August 1955. »Comments on the enclosure to Mr. Malcolms letter /…/.« Young, FO, an Malcolm, Wien, 27. August 1955, PRO, FO 371/117810, RR 1071/638. 45 Wallinger, Wien, an Young, FO, 19. September 1955 ; Young, FO, an Wallinger, Wien, 26. September 1955, PRO, FO 371/117811, RR 1071/658. 46 Macmillan an Harrison, 23. September 1955, PRO, FO 371/117811, RR 1071/657.

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nander behandeln. Auch Macmillan, der in jenem Memorandum dem Kabinett noch empfohlen hatte, prinzipiell für eine Teilnahme an einer Garantie zu sein, änderte mit 4. Oktober 1955 die Stoßrichtung der britischen Politik in der Garantiefrage. Empfahl er Ende April 1955 noch, »[to] be prepared in principle […] to participate in a Four-Power guarantee of Austrian territorial integrity and inviolability«47, so las sich dies Anfang Oktober 1955 grundsätzlich anders und ließ an Deutlichkeit hinsichtlich der britischen Position wenig zu wünschen übrig : »This is the problem. In fact the Western Powers cannot agree to a guarantee in the ordinary sense of the word. Certainly they could not agree to a guarantee severally and even any guarantee jointly has many difficulties. The United States Governments would not get it through the Senate and I am not sure that after our experiences with Poland and Belgium the word ›guarantee‹ would be very popular in the British Parliament.«48

Was Macmillan dennoch Überlegungen hinsichtlich einer Garantie anstellen ließ, war die Angst der Westmächte, dass die Sowjetunion möglicherweise Österreich eine unilaterale Garantie anbieten und somit in der Lage sein werde, wegen eines vorgeschobenen Grundes wieder umgehend in Österreich einzumarschieren. »So the problem remains«, der Außenminister weiter, »is there any innocuous form of Four-Power joint guarantee which we can think up and which the three Western Powers can be persuaded to agree to, thus circumventing any Russian plot ?« Viel Hoffnung hatte Macmillan selbst nicht, wie in seiner Bemerkung »What the answer is I do not know« zum Ausdruck kam.49 Macmillans Bemerkung über eine »harmlose Garantie« sollte sich als roter Faden durch die folgenden Diskussionen ziehen. Was waren also die Gründe für den britischen Wandel ? Das Problem sei, so Macmillan, dass die Westmächte einer Garantie im ursprünglichen Sinne nicht zustimmen könnten, sei sie nun als Einzel- oder Kollektivgarantie formuliert. Um jedoch der Sowjetunion die Möglichkeit einer unilateralen Garantie zu nehmen, müsste man eine harmlose Garantieformel – eine Formulierung, an die man sich halten würde – finden, welcher die drei Westmächte zustimmen könnten. Diese Formel glaubte man Mitte Oktober vorerst in jenem Entwurf gefunden zu haben, welcher eine Garantie nur im Rahmen der UNO wirksam werden ließ. Es galt nun, im Oktober 1955 Übereinstimmung zwischen den drei Westmächten zu finden, da man als Folge der bevorstehenden Verabschiedung des Neutralitätsgesetzes durch den

47 »Memorandum Memorandum by the Secretary of the State for Foreign Affairs Affairs:: Austria«, Secret, 26. April 1955, PRO, CAB 129/75, C.P.(55) 12. 48 Macmillan am 4. Oktober 1955 über »The Austrian Guarantee«, PRO, FO 371/117813, RR 1071/707/ G. 49 Macmillan »The Austrian Guarantee«, 4. Oktober 1955, PRO, FO 371/117813, RR 1071/707/G.

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österreichischen Nationalrat spätestens im November eine österreichische Anfrage gemäß dem Moskauer Memorandum erwartete.50 US- wie britische Diplomaten gingen davon aus, dass es Österreicher waren, die die Garantie haben wollten, weshalb die Sowjetunion möglicherweise gar nicht so darauf erpicht sei. Diese Vermutung hatte Wallinger bereits am 19. September 1955 nach London gekabelt.51 Vor dem Hintergrund der Gespräche mit Schwarzenberg schlug das Foreign Office vor, dass man schon jetzt auf die österreichische Regierung dahingehend meinungsbildend einwirken sollte, wonach ausschließlich eine Vier-Mächte-Garantie infrage komme. Nach anfänglichem Zögern der USA kam man überein, dass zuerst eine gemeinsame westliche Linie hinsichtlich der Garantie gefunden und dann festlegt werden sollte, wie und inwieweit die weitere Vorgehensweise mit der österreichischen Regierung selbst abgesprochen werde.52 Die US-amerikanischen Bedenken resultierten aus dem sich erhärtenden Verdacht, dass es die Österreicher selbst waren, welche in Moskau 1955 nach einer Garantie der territorialen Integrität gefragt hatten. Das Foreign Office bestätigte dies nunmehr auch : Die österreichische Regierungsdelegation habe auf die sowjetische Nachfrage nach einer Sicherheit gegen die Gefahr eines neuerlichen Anschlusses an Deutschland diese Idee selbst vorgebracht. Dies erschien in London nicht mehr von Relevanz. Österreich müsste zwar einmal eine Anfrage stellen, doch wenn sich die Westmächte in dieser Frage die Themenführerschaft (»our guidance«) nehmen ließen, dann könnten die Österreicher das nächste Mal Moskau und die Westmächte gleichzeitig kontaktieren.53 War man bereits übereingekommen, Garantiefrage und Neutralitätserklärung strikt zu trennen, so wollte man dies noch zusätzlich dadurch verdeutlichen, dass soviel Zeit wie nur möglich zwischen Anerkennung der Neutralität und etwaigen Verhandlungen über die Garantie verstreichen sollte. Deshalb wurde auch der Vorschlag Wallingers abgelehnt, auf der bevorstehenden Außenministerkonferenz in Genf Ende Oktober 1955 zu versuchen, Molotow ein öffentliches Bekenntnis zu einer Vier-Mächte-Garantie abzuringen. Dies würde dem sowjetischen Außenminister nur Gelegenheit geben, die Garantiefrage öffentlich anzusprechen.54 50 Ebd.; Young, FO, an Wallinger, Wien, 21. Oktober 1955, PRO, FO 371/117813, RR 1071/707 ; G, FO an Wien, 4. Oktober 1955, PRO, FO 371/117812, RR 1071/671. 51 Wallinger, Wien, an Young, FO, 19. September 1955, PRO, FO 371/117811, RR 1071/658. 52 FO an Wien, 4. Oktober 1955, PRO, FO 371/117812, RR 1071/671 ; Roger Mellor Makins, Washington, an FO, 5. Oktober 1955 ; FO an Washington, 13. Oktober 1955, PRO, FO 371/117812, RR 1071/677 ; Makins, Washington, an FO, 14. Oktober 1955, PRO, FO 371/117812, RR 1071/692. 53 Aufzeichnung Crossley, 7. Oktober 1955 ; FO an Washington, 13. Oktober 1955, PRO, FO 371/117812, RR 1071/677. 54 Wallinger an Harrison, FO, 19. Oktober 1955, PRO, FO 371/117813, RR 1071/711 ; Harrison an Wallinger, 21. Oktober 1955, PRO, FO 371/117813, RR 1071/703.

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Der tiefere Grund für die nunmehrige strikte Trennung von Garantie- und Neutralitätsfrage lag in amerikanischen und britischen Bedenken, dass die Sowjetunion beide Themenkomplexe als eng verbunden sehen und ein nach ihrer Einschätzung nichtneutrales Verhalten Österreichs als Grund für eine mögliche Intervention auf Basis der Garantie konstruieren könnte.55 Nach Verabschiedung des Neutralitätsgesetzes Am 26. Oktober 1955 verabschiedete der österreichische Nationalrat das Bundesverfassungsgesetz über die immerwährende Neutralität, welches am 6. Dezember von den vier Signatarstaaten des Staatsvertrags anerkannt wurde.56 Nachdem Wallinger gemeinsam mit seinen westlichen Botschafterkollegen am 2. November an einer Besprechung mit Außenminister Figl und Bundeskanzler Raab teilgenommen hatte, ging man im Foreign Office davon aus, dass ein für 9. November angesetztes Treffen – welches dann allerdings nicht stattfinden sollte – Klarheit über die Zukunft der Garantiefrage bringen würde.57 Zur Vorbereitung trafen sich die drei westlichen Botschafter sechs Tage vorher, wobei Wallinger bei seinem französischen und amerikanischen Kollegen eine Tendenz ausmachte, die nur darauf ausgerichtet zu sein schien auszuloten, inwieweit Wien einer unilateralen Garantie entgegentreten würde. Man empfand es als irritierend, dass es der österreichischen Regierung offenbar gar nicht schnell genug gehen konnte,wegen einer Garantie anzufragen, was zur Schlussfolgerung führte, »that our first objective […] must be to induce them to delay their request«.58 Die Diskussion in westlichen diplomatischen Kreisen entwickelte sich immer mehr in eine der Garantiefrage gegenüber negativ gesonnenen Tendenz. So stieß auch die Auffassung Wallingers im Foreign Office nicht auf ungeteilte Zustimmung, als dieser Anfang November die Hoffnung zum Ausdruck brachte, dass man schlussendlich doch noch eine Vier-Mächte-Garantie finden könnte : »[…] Do we really want a Four Power Guarantee at all ? […] Is our ›hope‹ in this regard in fact so unreserved ?« Man sah in London überhaupt keinen Vorteil darin, die Garantiefrage zu besprechen – weder mit den Sowjets noch mit den Österreichern sollte es geschehen, diese würden dadurch ohnehin nur angespornt werden ! Schließlich könne 55 »Recognition Recognition of Austria’s Neutrality and of the giving of a Territorial Guarantee«, Malcolm, Wien, an Young, FO, 11. August 1955 ; Young, FO, an Malcolm, Wien, 27. August 1955, PRO, FO 371/117810, RR 1071/638 ; Makins, Washington, an FO, 5. Oktober 1955, FO an Washington, 13. Oktober 1955, PRO, FO 371/117812, RR 1071/677. 56 Chronologie, in : Stourzh : Einheit, S. 790. 57 Wallinger an Harold Macmillan, 4. November 1955, confidential ; Luard in einer Anmerkung zu Wallingers Schreiben, 14. November 1955, PRO, FO 371/117780, RR 1022/1. 58 Wallinger an Young, FO, 4. November 1955, secret, PRO, FO 371/117813, RR 1071/725.

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man Moskau nicht von einer unilateralen Garantie abhalten, denn Großbritannien habe Polen 1939 auch ungefragt eine Garantie gegeben, die es dann nicht wirksam einlösen konnte. Dies sollte die Westmächte jedoch nicht davon abhalten, einen gemeinsamen Entwurf für den Eventualfall – und davon ging man aus – parat zu haben, falls die Österreicher diesbezüglich vorstellig werden würden, wenngleich man insgeheim hoffte, deren Eifer durch eine Hinhalte- und Verzögerungstaktik dämpfen zu können.59 Sowjetische Intentionen gewinnen mehr an Gewicht Wurde man britischerseits im Herbst 1955 hinsichtlich der Gewährung einer Territorialgarantie für Österreich immer reservierter, so wurde ein weiteres Vorgehen dadurch erschwert, dass man nach wie vor zu keiner sicheren Einschätzung der sowjetischen Absichten gelangt war. Wallinger, der es als »gefährliche Strategie« erachtete, sich ausschließlich auf diesbezügliche Spekulationen zu verlassen, meinte Anfang Dezember 1955, dass er wachsende Bedenken bezüglich des sowjetischen Wunsches habe, derzeit über die Garantiefrage zu sprechen und diese zu verhandeln. Da jenes Treffen vom 9. Dezember nicht stattgefunden hatte, glaubte er ein Nachlassen des österreichischen Interesses feststellen zu können, was sich gut in die britische Verzögerungstaktik einfügte.60 Das Foreign Office teilte Wallingers Einschätzung über die Haltung der Sowjets. Man hielt es nach wie vor für das Beste, »[…] to go slow on this question«.61 Tatsächlich versuchte London nun vermehrt, die sowjetischen Absichten zu ergründen und die westliche Position dementsprechend auszurichten. Zum einen sei, so Wallinger am 9. Dezember, die Garantie auf österreichisches Bestreben hin in das Moskauer Memorandum aufgenommen worden, zum anderen sprach dieses dezidiert von einer Vier-Mächte-Garantie. Darüber hinaus hätten die Sowjets – die sich der rechtlichen Probleme der Westmächte vermutlich bewusst seien – zu keinem Zeitpunkt einen besonderen Enthusiasmus gezeigt, im Gegenteil, sie verfolgten »a policy of wait and see«. Weiters dürfte, so schien es in London, Moskau selbst Bedenken wegen einer Garantie haben, denn entschließe man sich eines Tages doch, in Österreich zwecks »satellisation« einzumarschieren, so sei eine Garantie hinderlich, gleich wie es NATO-Truppen die Möglichkeit gäbe, gegebenenfalls am Brenner Stellung zu beziehen (und eventuell in Tirol einzurücken). Schließlich habe die Sowjetunion auf der Genfer Außenministerkonferenz 1955 akzeptiert, dass es kein 59 Aufzeichnung Selby, 24. November 1955, PRO, FO 371/117813, RR 1071/725. 60 Wallinger an Young, FO, 2. Dezember 1955, secret, PRO, FO 371/117815, RR 1071/780. 61 Aufzeichnung Harrison, 9. Dezember 1955, PRO, FO 371/117815, RR 1071/780 ; Young, FO, an Wallinger, 9. Dezember 1955, secret, PRO, FO 371/117815, RR 1071/780.

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wiedervereinigtes und neutrales Deutschland geben werde, weshalb das unmittelbare Interesse an Österreich als Präzedenzfall an Bedeutung verloren hätte.62 Sowjetische Überlegungen hinsichtlich einer Neutralisierung eines geeinten Deutschlands wurden allerdings in London auch weiterhin als möglich angesehen. So meinte der Foreign-Office-Beamte Hibbert noch Mitte Dezember 1955, dass man sowjetischerseits die Idee einer Garantie vor allem für Propagandazwecke instrumentalisiert hätte, denn im April sei die Bundesrepublik Deutschland weder unabhängig noch NATO-Mitglied gewesen. Die vorgeschlagene Neutralität mit einer »high-sounding« Vier-Mächte-Garantie schmackhaft zu machen, habe daher sowjetischerseits auf der Hand gelegen. Nun schien die Österreichfrage zwar politisch gelöst, aber auf propagandistischer Ebene noch ein Feld für Moskau. So hieß es in einer nicht unwesentlichen Anmerkung im Zuge der diesbezüglichen Debatten, dass »[…] the Austrian solution is now a thing of the past so far as Germany is concerned«. Obwohl man diese Auffassung im Foreign Office nicht durchwegs zu teilen schien, so könne die Österreichfrage dennoch dazu verwendet werden, von Zeit zu Zeit neutralistische Strömungen in Deutschland zu fördern.63 Marschroute für Österreich »to kill the whole project« und für Großbritannien »masterly inactivity« Mitte Dezember sollte die Garantiedebatte eine neue Facette erhalten. Wallinger teilte dem Foreign Office mit, dass nunmehr kein Zweifel mehr bestehe, dass die USA von jenem Mai-Entwurf Abstand genommen hätten und nicht bereit waren, Österreich eine »wasserfeste« Garantie zu geben. Entgegen den Vorstellungen des Foreign Office, Wien aus der Debatte vorerst herauszuhalten, schlug Wallinger nun das Gegenteil dessen vor, in der Absicht auszuloten, inwieweit es möglich sei, die Österreicher zu überreden, sich selbst aus ihrer gemäß dem Moskauer Memorandum erwachsenden Verpflichtung herauszuwinden. Da man davon ausgehen müsse, dass es mit Washington kein entsprechendes Übereinkommen geben werde, sei dies ein weiteres Argument für »our trying to persuade the Austrians to kill the whole project«, was auch US-Botschafter Thompson unterstützt habe.64 Im Foreign Office wollte man diese Idee zunächst nur für den Fall gutheißen, falls es unmöglich sein sollte, zu einer »harmlosen« Garantieformel zu gelangen. Doch vorerst sollte ein abgestimmter Drei-Mächte-Entwurf, der gegebenenfalls auch von der Sowjetunion unterzeichnet werden könnte, Priorität haben, denn so könnte man 62 Wallinger an Young, FO, 9. Dezember 1955, secret, PRO, FO 371/117816, RR 1071/796. 63 Aufzeichnung Hibbert, 17. Dezember 1955 ; Wright, 20. Dezember 1955, PRO, FO 371/117816, RR 1071/796 ; Young an Wallinger, 30. Dezember 1955, secret, PRO, FO 371/117816, RR 1071/808. 64 Wallinger an Young, FO, 16. Dezember 1955, secret, PRO, FO 371/117816, RR 1071/800.

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einerseits die Sowjets unter Umständen von einer unilateralen Garantie abhalten und andererseits die Österreicher vor der sowjetischen Anschuldigung bewahren, seinen vertraglichen Verpflichtungen nicht nachgekommen zu sein. Käme auch dann keine Vier-Mächte-Garantie zustande, könnte man Moskau wenigstens die Verantwortung für das Scheitern zuschieben.65 Nachdem Wallinger Mitte Dezember erneut die Idee aufgebracht hatte, Österreich zuerst dazu zu bringen, irgendwie der Garantieverpflichtung zu entgehen, war man im Foreign Office der Auffassung, dass es zielführender sei, eine Politik der »masterly inactivity« zu verfolgen. »Personally«, so Harrison am 30. Dezember, »I favour masterly inactivity, as opposed to Sir G. Wallinger, who seems to prefer restless activity«. Man sollte warten, bis die Österreicher selbst die Thematik informell mit den Westmächten anschneiden würden und sie dann mit dem Hinweis nach Moskau schicken, dass durch den UNO-Beitritt Österreichs eine neue Situation entstanden sei, welche eine Garantie eigentlich erübrige. Dies könnten die Sowjets akzeptieren und das Land aus der Verpflichtung entlassen, ohne jedoch jemals den Eindruck zu gewinnen, dass die Westmächte selbst jene Garantie gar nicht haben wollten.66

Die Entwicklung im Jahre 1956 Verstärkung des Widerstands gegen eine Territorialgarantie im NATO-Kontext Die in vielen Windungen und Wendungen schier unendlich verlaufende Debatte in diplomatischen Kreisen über die Gewährung einer Territorialgarantie für Österreich zog sich über die Jahreswende 1955/56 hin. Auch wenn man die Klärung und Beantwortung dieser Frage solange wie nur möglich hinauszögere, so das Foreign Office am 3. Jänner 1956, irgendwann werde Österreich es doch entweder selbst versuchen, der Verpflichtung zu entkommen oder mit der Anfrage an die Westmächte heranzutreten. Sollte Letzteres erfolgen, dann dürfte es kein Problem sein, der Sowjetunion einen harmlosen Drei-Mächte-Entwurf vorzulegen. Die verbleibende Schwierigkeit war dabei lediglich die mögliche sowjetische Ablehnung eines solchen Entwurfes.67 Etwa gleichzeitig machte ein geheimes Memorandum darauf aufmerksam, dass die Westmächte durch ihre Zugehörigkeit zur NATO in der Vergabe einer Garantie bzw. einer Antwort auf eine unilaterale Garantie Moskaus eingeschränkt seien. Die

65 Kommentar Crossley zu einem Schreiben Wallingers, 21. Dezember 1955, PRO, FO 371/117816, RR 1071/800. 66 Harrison an Wallinger, 30. Dezember 1955, secret, PRO, FO 371/117816, RR 1071/808. 67 Aufzeichnung Crossley, 3. Jänner 1956, secret ; Young an Wallinger, 6. Jänner 1956, secret, PRO, FO 371/124094, RR 1071/2.

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Artikel 4, 6 und 8 des atlantischen Verteidigungsbündnisses vom 4. April 194968 legten fest, wie sich die Mitgliedstaaten im Falle eines Konfliktes zu verhalten haben würden. Österreich grenzte sowohl an zwei NATO-Staaten als auch an zwei Staaten des Warschauer Pakts (14. Mai 1955), was eine Konsultation der NATO-Mitglieder im Falle eines militärischen Konflikts der österreichischen Republik mit Ungarn oder der ČSR nahezu unausweichlich machte. So könnte die genaue Befolgung des Vertragswerkes »in fact land NATO in war«. Es war also davon auszugehen, dass die drei Westmächte bei entsprechendem Widerstand innerhalb der NATO gegen eine Garantie bzw. im Falle einer unilateralen Garantieerklärung der Sowjetunion keinen Handlungsspielraum hatten. Die Empfehlung lautete daher : Österreich müsse eine unilaterale Garantie auf alle Fälle ablehnen.69 Strikte Ablehnung führe zur Stärkung eines österreichischen Neutralismus : Westliches Grundsatzübereinkommen in Wien In Wien hatten Gespräche unter den drei westlichen Botschaftern am 5. Jänner 1956 zu einem gemeinsamen Memorandum geführt, in welchem man sich endlich über die Vorgehensweise einig wurde. Die Westmächte sollten in der Gewährung einer Territorialgarantie für Österreich keinesfalls die Initiative ergreifen, wobei man auch davon ausging, dass die österreichische Regierung selbst nicht mehr nennenswert an einer Garantie interessiert sei. Da sich das Land jedoch verpflichtet fühlen könnte, dem Moskauer Memorandum irgendwann zu entsprechen, sei es für die Westmächte nicht ratsam, eine absolut negative Haltung einzunehmen, da dies nur einen österreichischen »Neutralismus« stärken würde. Da aber auch eine Vier-Mächte-Garantie eine Reihe von Nachteilen hätte – so war hier sogar die Rede von einer Stärkung des Neutralismus in Europa, einer Schmälerung von Österreichs Verteidigungsanstrengungen und einem möglicherweise entstehenden Eindruck eines westalliierten Wunsches nach neutralen Staaten etc. –, sollte man die Österreicher im Falle einer Anfrage dazu bringen, die ganze Sache fallenzulassen bzw. sich gegebenenfalls von Moskau eine diesbezügliche Bestätigung geben zu lassen, wobei die Anerkennung der österreichischen Neutralitität und dessen UNO-Beitritt als Argumente angeführt werden sollten. Darüberhinaus müssten Wien die Grenzen der westlichen Möglich68 Der Artikel 4 des NATO-Vertrages besagt : »Die Parteien werden einander konsultieren, wenn nach Auffassung einer von ihnen die Unversehrtheit des Gebietes, die politische Unabhängigkeit oder die Sicherheit einer der Parteien bedroht ist.« Artikel 6 beschreibt genau das Gebiet, in welchem ein Angriff auf einen Mitgliedstaat die NATO zum Einschreiten verpflichtet, und Artikel 8 schließlich, dass die Mitgliedstaaten keinem Vertrag beitreten oder bereits beigetreten sind, der sich im Widerspruch zum NATO-Vertrag befindet. 69 Secret Memorandum »Western and/or Austrian Action in the Event of a Russian Unilateral Guarantee«, January 1956, PRO, FO 371/124094, RR 1071/6.

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keiten klar vor Augen geführt werden. Da man jedoch eine »harmlose Garantie« als letztes Mittel nicht ausschloss, wurde ein abgeänderter Drei-Mächte-Entwurf beigelegt.70 Nachdem man im Foreign Office in der zweiten Jännerhälfte eine eingehende Diskussion geführt hatte, wurde Wallinger am 3. Februar 1956 über die Zustimmung Londons verständigt. Man äußerte sich befriedigt über die westalliierte Übereinkunft, im Falle einer Anfrage die österreichische Regierung dazu zu bringen, die Garantie Moskau gegenüber einfach nicht mehr zu erwähnen, sprich die Sache fallenzulassen. Sollte dies Wien zu wenig sein, dann müsste genau geklärt werden, was man Moskau auf dem Umweg über Österreich über die westliche Position mitzuteilen gedenke. Einerseits sollten hier die geänderten internationalen Verhältnisse als ausreichender Grund für ein Fallenlassen der Garantieregelung erwähnt werden, andererseits müsste jedoch tunlichst der Eindruck vermieden werden, dass die Westmächte die Garantie überhaupt nicht gewähren wollten.71 Klare Signale in Richtung Österreich Anfang Februar 1956 berichtete Wallinger von dem Gerücht, dass Bundeskanzler Raab mit dem Gedanken spiele, Moskau einen weiteren Besuch abzustatten. Falls dies für die Kanzlerpartei ÖVP positive Auswirkungen bei den bevorstehenden Nationalratswahlen in Österreich haben sollte, die für den 13. Mai angesetzt waren, müsste Raab entsprechende Verhandlungsergebnisse vorweisen können, und seien es nur die, Moskau gezeigt zu haben, dass Österreich bezüglich der Garantie sein Bestes versucht hätte. Wallinger erwartete mit Blick auf die Wahlen, dass die Westmächte bis dahin in keine ernsthafte Diskussion über eine Garantie eintreten würden oder sich darin verwickeln ließen, denn Außenminister Figl hatte dem französischen Botschafter mitgeteilt, dass man zwar an Vorgesprächen mit den Westmächten hinsichtlich eines sowjetischen Vorstoßes interessiert sei, mit dem offiziellen Antrag jedoch bis nach den amerikanischen Präsidentenwahlen im Spätherbst 1956 warten wollte. Diese Zusicherung beruhigte Wallinger aber nicht.72

70 »The Four Signatory Powers now solemnly declare that if there is a violation of Austrian territorial integrity or if such violation appears imminent, they will, for their part, bring the matter immediately to the attention of the United Nations and use their best endeavours to secure appropriate decisions or recommendations by the United Nations to meet the situation«, zitiert nach : Secret Memorandum : »Austrian Territorial Guarantee. Recommendations agreed by United States, French and British Ambassadors at Vienna, 5 January, 1956«, PRO, FO 371/124094, RR 1071/3. Der entsprechende US-Entwurf findet sich im Tgr. No. 136 von Wallinger an FO, 30. April 1955, top secret. 71 Young an Malcolm, Wien, 3. Februar 1956, secret, PRO, FO 371/124094, RR 1071/3. 72 Wallinger an Young, FO, 2. Februar 1956, secret, PRO, FO 371/124095, RR 1071/23.

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Eine noch »meisterhaftere Politik der Inaktivität« sollte an den Tag gelegt werden, doch diese könnte auch dazu führen, dass Raab die Geduld verlieren und eine offizielle Anfrage an London richten würde. Dieses Szenario vor Augen empfahl Wallinger, den Österreichern notwendigenfalls klar zu verstehen zu geben, dass man nicht bereit sei, einem Land in diesem Zustand (keine richtige Armee sei vorhanden, teilweise gebe es durchaus freundliche Beziehungen zu kommunistischen Regierungen) eine Garantie zu geben. Man müsse den Österreichern mit allem Nachdruck zu verstehen geben, dass diese Sache hinausgezögert werden müsse.73 Im britischen Foreign Office erschien die vorgeschlagene Linie freilich geeignet, mit den Österreichern Schwierigkeiten zu bekommen.74 Am 8. Februar 1956 wies Botschafter Schwarzenberg in einem Gespräch im Foreign Office darauf hin, dass es erneut Anzeichen eines sowjetischen Interesses an der Garantie gebe. Schwarzenbergs Gesprächspartner Anthony Nutting gab zu verstehen, dass Ängste bezüglich einer unilateralen Garantie ob des Moskauer Memorandums nicht gerechtfertigt seien und im britischen Außenministerium – wo man davon ausging, dass Wien die Westmächte im Falle einer sowjetischen Initiative ohnehin vorab konsultieren würde – sich die Frage stelle, ob nach Neutralität und UNO-Beitritt die Garantie überhaupt noch relevant sei. Bestärkt durch dieses Gespräch wies das Foreign Office Wallinger an, mit seinen westlichen Kollegen die weitere Vorgehensweise abzusprechen, um die Österreicher zu einem Fallenlassen der Garantieanfrage zu bewegen oder in Moskau diesbezüglichen Aufschub oder gar eine Entlassung von dieser Verpflichtung zu erreichen.75 Ringen um die Formulierung der Entwürfe Obwohl man es im Westen als primäres Ziel erachtete, die Garantiefrage gar nicht mehr erst aufkommen zu lassen, wollte man sich für den Eventualfall darauf vorbereiten, gegebenenfalls einen westlichen Entwurf vorlegen zu können. Nachdem das Foreign Office am 7. Februar 1956 erneut einen Entwurf vorgelegt hatte, präsentierte das State Department zehn Tage später ein Gegenpapier.76 Hatte man im Foreign Office Wallinger am 9. Februar nach der Unterredung mit Schwarzenberg angewiesen, gemäß dem Drei-Mächte-Arbeitspapier vom 5. Jänner 73 74 75 76

Ebd. Young, FO an Wallinger, Wien, 10. Februar 1955, secret, PRO,, FO 371/124095, RR 1071/23. FO an Wien, 9. Februar 1956, Tgr. No. 22, secret, PRO, FO 371/124095, RR 1071/26. State Department Draft. Secret. Im operativen Teil hieß es nunmehr: nunmehr : »The Four Signatory Powers now solemnly declare that if there is a violation of Austrian territorial integrity, or if such violation appears imminent, they will consider such a development as a threat to the peace and bring the matter immediately to the attention of the United Nations and use their best endeavours to secure appropriate action by the United Nations to meet the situation«, PRO, FO 371/124095, RR 1071/30.

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die Österreicher dazu zu bringen, einen Aufschub oder Ausstieg aus der Verpflichtung zu erreichen, so war Wallinger am 22. Februar nach zwei Unterredungen mit Seydoux und Thompson zu dem gemeinsamen Entschluss gelangt, dass man aufgrund der Nachfrage aller drei österreichischen Botschafter in London, Paris und Washington hinsichtlich der Garantie nun doch Außenminister Figl selbst kontaktieren müsse, um ihm nicht nur zu verstehen zu geben, dass seine Regierung das Thema besser nicht weiterverfolgen sollte, sondern dass Fünfergespräche über »this tricky issue« in höchstem Maße unerwünscht wären. Aus Gesprächen mit dem österreichischen Botschafter in Washington, Karl Gruber, war hervorgegangen, dass man in Wien noch immer auf »a cast iron guarantee« hoffte und es als wichtig erachte, der Regierung von Anfang an zu verstehen zu geben, welche Schwierigkeiten für die Westmächte dadurch entstünden. Es sei essenziell, so Wallinger, hier mit den Österreichern Übereinstimmung zu finden, »by eliminating from their minds the sort of guarantee which we cannot (repeat not) give«.77 Zur Unterstützung dieser Vorgehensweise sollten als Argumente unter anderem vorgebracht werden, dass »Western interest in the maintenance of Austrian independence is axiomatic (c.f. Korea)« und durch den UNO-Beitritt und die geänderten internationalen Umstände eine gesonderte Garantie nicht mehr notwendig wäre. Man sei, so Wallinger, zu der gemeinsamen Auffassung gelangt, dass, wenn man den Österreichern eindeutig zu verstehen gebe, eine zusätzliche – wenn auch nur limitierte – Garantie nichts zu ihrer Sicherheit beitrage, dann könne man sie soweit bringen, Moskau gegenüber diese Argumente zu vertreten. Dass vorab Informationen zu den Sowjets durchsickern könnten, müsse in Kauf genommen werden.78 »Any comparison with Korea would be misleading and should be avoided«, lautete aus London am 28. Februar eine Anweisung, denn man wolle keinen Zusammenhang zwischen der Situation Österreichs und jener auf der koreanischen Halbinsel herstellen, wo im Juni 1950 der Kalte Krieg heiß geworden war.79 Ansonsten konnten die Botschafter in Wien wie vorgesehen fortfahren. Zusätzlich zu der bereits von Wallinger vorgeschlagenen Argumentation, dass eine weitere Garantie zum österreichischen UNO-Beitritt ohnehin nur wieder im Rahmen dieser Organisation gegeben werden könnte, sollte man laut Foreign Office auch an die möglichen Auswirkungen erinnern, welche eine derartige Garantie auf die NATOPartnerstaaten der drei Westmächte hätte. Harrison verwies bei dieser Gelegenheit auf die Äußerung des belgischen Außenministers Paul-Henri Spaak beim Treffen des Nordatlantikrates im Mai des Vorjahres : Spaak hatte sich – nicht als Einziger – gegen eine Garantie ausgesprochen, denn die Westmächte würden sich hier einer 77 Wallinger am 22. Februar 1956 an FO, Tgr. No. 19, secret, PRO, FO 371/124095, RR 1071/32. 78 Ebd. 79 FO am 28. Februar 1956 an Wien, Tgr. No. 34, secret, PRO, FO 371/124095, RR 1071/41.

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Verpflichtung hingeben, »which they might only be able to implement by total war«.80 Im Zuge der fortgeführten Diskussion stieß man sich in der britischen Botschaft in Wien unter anderem an der Entwurfsformulierung »a grave threat to the peace«. Sehr theoretische Fragen wurden aufgeworfen. Konnte man beim versehentlichen Grenzübertritt einer italienischen Ski-Patrouille oder eines Schweizer Grenzers wirklich von einer »schweren Bedrohung des Friedens« sprechen ? Es galt, hier zwischen einer Grenzverletzung und einer massiven Verletzung der territorialen Integrität zu unterscheiden. Nachdem man in London den amerikanischen Entwurf gemäß den eigenen Vorstellungen verändert hatte, sandte man diesen am 2. März erneut als Diskussionsgrundlage nach Wien.81 Erste informelle Gespräche mit den Österreichern Nachdem gemeinsam mit Schwarzenberg auch die österreichischen Botschafter in Washington, Karl Gruber, und in Paris, Alois Vollgruber, am 8. Februar die jeweiligen Außenministerien bezüglich der Garantie kontaktiert hatten, entschieden sich die drei westlichen Botschafter in Wien, in naher Zukunft den österreichischen Außenminister Figl zu ersten informellen Gesprächen zu treffen. Das Ziel bestand laut Wallinger darin, Wien, welches offenbar noch immer auf eine gusseiserne Garantie hoffte, davon zu überzeugen, dass ein Insistieren auf der Garantie nichts bringe und es höchst unerwünscht sei, in dieser Frage in Fünfer-Verhandlungen einzutreten. Man musste offenbar der österreichischen Regierung früh genug zu verstehen geben, dass es die Garantie in der gewünschten Form keinesfalls geben werde. Dass dabei auch Informationen an die Sowjets durchdringen könnten, musste in Kauf genommen werden, konnte jedoch mit dem Argument entkräftet werden, dass es sich hier lediglich um eine Ministerialentscheidung und keinen Entschluss auf Kabinettsebene handelte.82 Dieser Vorgehensweise schloss man sich auch im Foreign Office an : Österreich sollte Moskau informell kontaktieren und um Entlassung aus der Verpflichtung bitten, weil durch Neutralität und UNO-Beitritt eine neue Situation entstanden sei. 80 Harrison am 25. Februar 1956, secret. FO am 28. Februar 1956 an Wien, Tgr. No. 34, secret, PRO, FO 371/124095, RR 1071/41. 81 Young an Wallinger, Wien, 2. März 1956, secret. Der nunmehr abgeänderte operative Teil sollte folgendermaßen lauten : »The Four Signatory Powers now solemnly declare that, if there is a violation of Austrian territorial integrity if such violation appears imminent, they will for their part consider such a development as a threat to the peace and bring the matter immediately to the attention of the United Nations with a view to securing appropriate action by the United Nations to meet the situation«, PRO, FO 371/124095, RR 1071/30. 82 Wallinger an FO, 22. Februar 1956, Tgr. No. 19, secret, PRO, FO 371/124095, RR 1071/32.

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Gleichzeitig sollten die Westmächte für alle Fälle eine »harmlose Garantie« bei der Hand haben, und so gab man schließlich am 28. Februar 1956 für den Beginn informeller Gespräche grünes Licht.83 Doch schon am 23. Februar war aus Wien die Nachricht eingetroffen, dass Figl die westlichen Botschafter zu sich geladen hatte, um ihnen eine offizielle Anfrage der österreichischen Regierung bezüglich der Garantie anzukündigen. Nach einem Gespräch mit Außenminister Figl und Staatssekretär Kreisky war es jedoch gelungen, die Österreicher von ihrem Vorhaben abzubringen und von der Notwendigkeit zu überzeugen, dass die Angelegenheit besser auf informeller Basis gehandhabt werden könnte. Die Unterredung hatte bei Wallinger dahingehend Zuversicht aufkommen lassen, dass sich Österreich sehr wohl der Probleme der Westmächte bewusst war und man vermuten konnte, dass es die Garantie in der gewünschten Form nicht geben bzw. diese die Bezeichnung »Garantie« nicht verdienen würde. Nun galt es, die österreichische Regierung von der Richtigkeit dieser Auffassung zu überzeugen. Mit diesbezüglichen Gesprächen sollte Anfang März begonnen werden.84 Das Foreign Office instruierte Wallinger am 8. März mittels einer fünffachen Argumentation, den Österreichern klarzumachen, dass ihnen eine Garantie nichts bringen würde : Erstens könnte eine Garantie, der die Westmächte zustimmen würden, nichts zu Österreichs Sicherheit beitragen, zweitens sie sogar der Sowjetunion die Möglichkeit eröffnen, etwa mittels Verzögerung ein Reagieren der UNO zu verhindern, drittens eine in Hinkunft gefährliche Illusion über die Sicherheit des Landes entstehen und viertens die Konsequenz nicht abgeschätzt werden, welche ein Scheitern der Verhandlungen zwischen Moskau und den Westmächten mit sich bringen würde. Darüber hinaus könnten fünftens sowohl die westlichen Garantiestaaten ohne Zustimmung der NATO-Nachbarländer Deutschland und Italien keine Transitrechte beanspruchen, als auch eine Verwendung der dortigen NATOTruppen eine Zustimmung von SACEUR bzw. vom Nordatlantikrat notwendig machen würde.85 Entwürfe für alle Fälle und ein französischer Gegenvorschlag Aus Wien langten in den Außenministerien der drei westlichen Signatarstaaten Ende März 1956 erneut drei Memoranden ein, welche von den westlichen Botschaftern erarbeitet worden waren. Sie setzten sich mit der österreichischen Ablehnung einer

83 Aufzeichnung Harrison, 25. Februar 1956 ; FO an Wien, 28. Februar 1956, PRO, FO 371/124095, RR 1071/41. 84 Wallinger an FO, 23. Februar 1956, PRO, FO 371/124095, RR 1071/34 ; Wallinger an FO, 24. Februar 1956, PRO, FO 371/124095, RR 1071/38. 85 Young an Wallinger, Wien, 8. März 1956, secret, PRO,, FO 371/124095, RR 1071/37.

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sowjetischen unilateralen Garantie, einer auf dieses Angebot folgenden Erklärung der Westmächte und schließlich deren Ablehnung einer Teilnahme an Verhandlungen über eine Vier-Mächte-Garantie sowie einer Kommentierung der Verpflichtungen aus dem Moskauer Memorandum auseinander.86 Auffassungsunterschiede gab es zwischen Großbritannien und den USA einerseits und Frankreich andererseits über die Frage, ob man eine österreichische Anfrage einfach ablehnen sollte, wie es ein vierter Entwurf vorgeschlagen hatte. Am Quai d’Orsay wollte man sich, so Wallinger, offenbar eine Erinnerung an 1938 bzw. an diesbezügliche Vorwürfe ersparen, als man passiv gewesen war und Frankreich praktisch nichts gegen den Anschluss Österreichs an NS-Deutschland unternommen hatte. So versuchte die französische Botschaft wie schon Ende Februar 1956 auf Weisung aus Paris erneut Briten und Amerikaner nicht nur zu Überlegungen einer Garantie der territorialen Integrität, sondern auch der »politischen« Unabhängigkeit zu bewegen, scheiterte damit jedoch vollends. Seydoux wurde mitgeteilt, dass dies ein »non-starter« sei, weil eine derartige Anfrage von Österreich gar nicht erwartet werde, »politische Unabhängigkeit« auch nicht definierbar sei und die UNOStatuten keine entsprechenden Maßnahmen für den Erhalt oder die Wiederherstellung der »Unabhängigkeit« eines Landes kennen würden.87 Das französische Argument »1938« wollte man in London auch nicht gelten lassen, weil man wiederholt zu erkennen gegeben hatte, dass man aufgrund des Staatsvertrags und der UNO-Charta eine vergleichbare Entwicklung nicht mehr unwidersprochen hinnehmen würde. Es stellte sich nur die Frage, ob man in eine zusätzliche und »überflüssige« Verpflichtung eintreten wolle, mit welcher man den Sowjets spezielle Rechte in Österreich zusichern würde, zumal die sowjetische Interpretation von »politischer Unabhängigkeit« sich von der westlichen maßgeblich unterscheiden würde. Sollte sich das Land beispielsweise verstärkt zum Westen hinorientieren, hätte Moskau das Mittel zur Intervention schon zur Hand.88 Doch eine gänzliche Ablehnung der österreichischen Anfrage zog man auch im Foreign Office gemäß der Übereinstimmung vom 5. Jänner 1956 nicht in Erwägung. Die Österreicher sollten der Sowjetunion stets zu verstehen geben, dass die Westmächte die Idee einer Garantie nicht gänzlich ausschlossen und bei sowjetischem Insistieren bereit wären, an diesbezüglichen Verhandlungen teilzunehmen, wobei jede Garantie, an welcher man sich beteiligen würde, ausschließlich im Rahmen der UNO gewährt werden könnte. Dies machte es auch notwendig, dass die Westmächte über einen »harmlosen« Ent-

86 Wallinger an Young, FO, 29. März 1956. In der Anlage seines Schreibens befanden sich vier Memoranden, davon ein erklärendes, hinsichtlich obgenannter Fragen. Die drei betreffenden Memoranden wurden in weiterer Folge als D-2, D-3 und D-4 bezeichnet, PRO, FO 371/124096, RR 1071/65. 87 Wallinger an Young, FO, 29. März 1956, secret, PRO, FO 371/124096, RR 1071/65. 88 Aufzeichnung Luard, 6. April 1956, PRO, FO 371/124096, RR 1071/65.

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wurf verfügten, auf welchen man dann zurückgreifen konnte, wenn ein Fallenlassen der Garantie fehlgeschlagen war.89 Drei-Mächte-Entwurf auf Botschafterebene in Wien Ende März 1956 hatten die Botschafter der westlichen Signatarstaaten einen vorläufigen Durchbruch erzielt, wenn man an jenen US-Entwurf vom 17. Februar 1956 erinnert, welcher mit den britischen Abänderungsvorschlägen am 2. März zur erneuten Begutachtung nach Wien gesandt worden war. Wallinger konnte nunmehr am 29. März mitteilen, dass sowohl Seydoux als auch Thompson dem Entwurf zugestimmt und ihn an ihre Außenministerien übermittelt hätten.90 Trotzdem war man weit von einer definitiven Lösung entfernt, denn man wusste zum einen nicht, auf welcher politischen Ebene dieser Entwurf in Washington und Paris nun begutachtet wurde, und zum anderen war die britische Zustimmung ebenfalls nur auf Abteilungsebene im Foreign Office beschränkt gewesen. Nur der Beginn informeller Gespräche mit den Österreichern Ende Februar wurde vom neuen britischen Außenminister Selwyn Lloyd bestätigt. Sollte jedoch mit den USA und Frankreich in nächster Zeit eine Einigung über diesen Entwurf erzielt werden, dann gelte es, ihn auch in London auf höherer Ebene, also im Kabinett, zu beratschlagen. Dieser Hinweis und die Anmerkung, dass die Garantiefrage wieder an das Kabinett zurückgeleitet werden sollte, machen deutlich, dass seit dem Memorandum vom April 1955 lediglich das Foreign Office mit dem Problem beschäftigt gewesen war.91 Die Ungewissheit in der Garantiefrage beschäftigte auch die österreichische Presse. Am 21. März berichtete der Beamte des Foreign Office, Crossley, über ein Gespräch während eines Abendessens anlässlich des Besuchs österreichischer Journalisten in London. Er hatte dies mit Hugo Portisch und dem Chefredakteur der Tageszeitung »Die Presse«, Otto Schulmeister, geführt. Schulmeister sprach genau das an, was die Westmächte nie in Erwägung gezogen hatten : Er wollte wissen, was denn nun mit der Garantie der österreichischen Neutralität sei, und wurde von Crossley entsprechend informiert, dass es darum nie gegangen sei. Was die Garantie der territorialen Integrität betreffe, so sei diese »a difficult question«, die man in Wien besprechen müsste. Schulmeister, dem von Crossley versichert wurde, dass London »was deeply interested in Austrian territorial integrity and would consider any violation of it as a matter of grave concern«, konnte sich des Eindrucks nicht erwehren,

89 Young, FO, an Wallinger, 13. April 1956, PRO, FO 371/124096, RR 1071/65. 90 Wallinger an FO, 29. März 1956, PRO, FO 371/124096, RR 1071/64, vgl. den westlichen Entwurf von Ende Februar 1956 im vollen Wortlaut, abgedruckt bei Rauchensteiner : Die Zwei, S. 326 . 91 Aufzeichnung Luard, 6. April 1956, PRO, FO 371/124096, RR 1071/64. Harrison, 10. April 1956, PRO, FO 371/124096, RR 1071/64.

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dass »the question of a guarantee had been put off to the Greek Calends«92, womit er nicht weit entfernt von dem lag, was die Westmächte beabsichtigten. Der Jahrestag des Moskauer Memorandums : Vorstoß der Sowjets Seit dem Moskauer Memorandum vom 15. April 1955 war nunmehr ein Jahr vergangen. Österreich hatte den Staatsvertrag erhalten, sich zur immerwährenden Neutralität verpflichtet und war auch Mitglied der UNO. Nach wie vor ungelöst jedoch war die Frage der Garantie für die territoriale Integrität, von welcher das Moskauer Memorandum dezidiert sprach. Was die Intentionen der UdSSR in der Garantiefrage anging, so gab es bisher nur vereinzelte und schwer deutbare Anzeichen. Clemens Weichs von der österreichischen Botschaft in London berichtete von einem Gespräch mit einem sowjetischen Botschaftsmitglied vom 26. Jänner 1956, in dem man sich nach dem Stand der Dinge erkundigt hatte. Im Foreign Office wurden auch diesbezügliche Anfragen diplomatischer Vertreter westlicher Staaten registriert. Hingegen hatte Figl in der Unterredung mit den westlichen Botschaftern am 23. Februar erklärt, dass bisher von sowjetischer Seite keine Anfrage erfolgt wäre. Gleiches konnte Weichs von einer Filmvorführung am 1. März berichten, als der sowjetische Botschafter Zhivotovski zwar »wie ein Blutegel« an ihm gehangen, jedoch kein Wort über die Garantie verloren habe. Am 16. April 1956 berichtete die britische Botschaft in Moskau, dass in den sowjetischen Zeitungen »Prawda« und »Isvestija« der Jahrestag der Verhandlungen mit der österreichischen Regierungsdelegation gefeiert und eine Entscheidung hinsichtlich der Garantie der territorialen Integrität erwähnt wurde. Diese sei von der Sowjetunion während der Wiener Gespräche angesprochen worden und längst überfällig.93 In dem Bericht hieß es wörtlich, dass »[…] a decision is long overdue on the proposal put forward by the Soviet Union in the Vienna discussions for a four-Power guarantee of Austrian territorial integrity«.94 In London sah man sich in der Annahme bestätigt, dass die Sowjetunion unter Umständen die Garantiefrage aufwerfen würde. Auffällig war, dass in den Zeitungsartikeln kein Bezug zum Moskauer Memorandum, sondern nur zu den Gesprächen der Außenminister in Wien am Tag vor der Staatsvertragsunterzeichnung hergestellt wurde. Dies sollte offenbar suggerieren, dass die Initiative nunmehr bei den Westmächten liegen würde. »We should have no difficulty in disposing this argument«, war man sich im Foreign Office sicher, und zudem sei es interessant, dass die Sowjets in ihrer Zusammenfassung der Wiener Gespräche im Mai 1955 kein Wort über die 92 Aufzeichnung Crossley, 21. März 1956, PRO, FO 371/124096, RR 1071/57. 93 Parrot, Moskau an FO, 16. April 1956, Tgr. No. 460, PRO, FO 371/124097, RR 1071/77. 94 Ebd.

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Garantie verloren hätten.95 Doch auch die Frage, wie man sich ob einer sowjetischen unilateralen Garantie bzw. einer Anfrage der österreichischen Regierung verhalten sollte, wurde in Wien weiter unter den Botschaftern diskutiert. Die Gespräche drehten sich um diverse Entwürfe. Thompson erhielt Unterstützung von Wallinger : »[…] I myself increasingly share American alarm at the risks implicit in a negotiation with the Russians on this issue ; and it follows there from that I think it would be unwise for us to exclude all possibility of a position being achieved in prior and confidential negotiation with the Austrians, as a result of which we could, in fact, flatly refuse to negotiate with the Russians.«96

Was unter diesen Umständen absolut vonnöten wäre, sei eine »high-level political decision«, ob man sich prinzipiell für oder gegen diesbezügliche Verhandlungen mit den Sowjets entscheide, eine Frage, die dann unabhängig von Österreich vor dem Hintergrund der deutschen Frage und der Situation im Nahen Osten erörtert werden müsste, eine Bemerkung, die unter Umständen auch auf die Probleme der USA hinsichtlich einer Sicherheitsgarantie gegenüber Israel zurückzuführen war. Wallinger hoffte weiter, dass in der Zwischenzeit keine bindende Entscheidung getroffen worden war, letztendlich doch mit Moskau in nicht zu verhindernde Verhandlungen zu treten. Er rechnete insgeheim aber offenbar damit, dass seine Befürchtung sich bald bewahrheiten könnte, wonach die Sowjets das Thema in Zusammenhang mit der Ankunft eines neuen Botschafters selbst aufs Tapet bringen würden : »I have had a horrid feeling in my bones that Smirnov might have instructions to move on the guarantee issue.«97 Der Hinweis auf die »Prawda«- und »Isvestija«-Artikel verstärkte in London den Verdacht, dass die Sowjets nunmehr die Sache aufbringen würden. Mittlerweile wurde in Wien unter den Botschaftern erneut die Frage diskutiert, wie sich die Westmächte im Falle einer sowjetischen oder österreichischen offiziellen Einladung zu Gesprächen über die Garantie verhalten sollten. Hatte das Foreign Office in seinem Schreiben vom 13. April festgelegt, dass man eine Anfrage der Österreicher nicht direkt ablehnen würde, so kristallisierte sich mittlerweile eine neue Auffassung heraus. Laut Informationen Wallingers war US-Botschafter Thompson geneigt, jenen Entwurf einer Ablehnung entsprechender Gespräche als endgültige Version zu betrachten, und Wallinger – hin- und hergerissen – begann mehr und mehr die amerikanischen Bedenken hinsichtlich diesbezüglicher Verhandlungen mit der Sowjetunion zu teilen. Es wäre nicht klug, von vornherein eine Position zu verwerfen, die es später ermöglichen würde, eine Verhandlung mit Moskau schlichtweg abzulehnen, noch 95 Aufzeichnung Crossley, 17. April 1956, PRO, FO 371/124097, RR 1071/77. 96 Wallinger am 19. April 1956 an Young, FO, secret, PRO, FO 371/124097, RR 1071/82. 97 Ebd.

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dazu ohne dies mit den Österreichern abgesprochen zu haben. Hierzu war aber eine »high-level political decision« notwendig, die sich nicht auf Österreich beschränken würde, sondern derartige Verhandlungen mit der Sowjetunion auch vor dem Hintergrund der Frage Deutschlands und des Nahen Ostens reflektieren müsste.98 In London hielt man davon wenig. Die eingeschlagene Richtung, Österreich zum Fallenlassen zu bewegen und notwendigenfalls eine »harmlose« Garantie anzubieten, sollte beibehalten werden, denn durch eine Ablehnung würde man die Gefahr einer unilateralen Garantie Moskaus nur erhöhen, so Crossley am 27. April 1956.99 Sowjetisches Stillehalten und der Besuch Chruschtschows und Bulganins in London Obwohl das offensichtliche Stillhalten der Sowjets hinsichtlich einer Garantie Anlass zu allen möglichen Spekulationen gab, war dies allemal besser, als wenn man sich plötzlich mit Moskau in einer öffentlichen Diskussion oder gar auf einer VierMächte-Konferenz zu diesem Thema wiederfand, um über eine Garantie, die man gar nicht wollte, zu verhandeln. So befolgte man selbst ebenso dieses Schweigen sowohl der Öffentlichkeit als auch der Sowjetunion gegenüber strikt, wie es sich bei einem außenpolitischen Ereignis entsprechender Bedeutung im Frühjahr 1956 erneut zeigen sollte. Vom 18. bis zum 27. April 1956 waren der sowjetische Staats- und Parteichef Nikita S. Chruschtschow und Ministerpräsident Nikolai Bulganin zu Besuch in London. Eine Liste der Themen, welche die Briten mit der sowjetischen Führung ansprechen bzw. nicht berühren wollten, wurde bereits Wochen zuvor sorgfältig vorbereitet. Am 14. März legte man im Foreign Office eine »Agenda for Soviet leader’s visit« vor, welche zwei Tage zuvor Zustimmung erhalten hatte. Dabei unterschied man zwischen »Items to be raised by U.K.« und »Items which may be raised by the Soviet leaders (but which we should not raise ourselves)«. Fand sich bei Ersterem kein Hinweis auf Österreich, so stand bei Letzterem unter dem Punkt »European situation« zu lesen : »Proposed guarantee of Austrian territorial integrity«.100 Auch als man am 2. April den britischen Botschafter in Moskau, Sir William Hayter, über die Agenda informierte, hatte sich am Umstand, dass man das Thema Garantie keinesfalls selbst anschneiden wollte, jedoch davon ausgehen musste, dass es die Sowjets von sich aus ins Gespräch bringen würden, nichts geändert.101

98 Wallinger an Young, FO, 19. April 1956, secret, PRO, FO 371/124097, RR 1071/82. 99 Aufzeichnung Crossley, 27. April 1956, PRO, FO 371/124097, RR 1071/82. 100 Items for Formal Agenda, Annex A: A : Visit of Soviet leaders. Items to be raised by UK; UK ; Annex B: B : Items which may be raised by Soviet leaders. (But which we should not raise ourselves), 14. März 1956, confidential, PRO, FO 371/122817, NS 1052/202. 101 Hohler, FO, an Hayter, Moskau, 2. April 1956, secret, PRO,, FO 371/122819, NS 1052/275.

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Noch rechtzeitig vor dem Besuch der sowjetischen Führung in Großbritannien suchte Botschafter Schwarzenberg um einen Gesprächstermin mit Außenminister Selwyn Lloyd an. Während der Besprechung, die am 12. April stattfand, sollte der österreichische Botschafter nicht viel Neues über die Garantiefrage zu hören bekommen. Man habe Wien bereits zugesichert, dass man für informelle Gespräche zur Verfügung stehe, aber vor den Nationalratswahlen im Mai des Jahres werde ohnehin nicht viel geschehen. Sollten die Sowjets das Thema während ihres Besuches ansprechen, so verbleibe man »noncommittal« und verweise auf die geänderten internationalen Rahmenbedingungen, aber »it is not our intention to raise the subject with the Russians ourselves«.102 Wie sich später herausstellen sollte, wurde die Frage einer Garantie der territorialen Integrität für Österreich nicht zum Gegenstand der Unterredungen. Treffen der drei westlichen Vertreter mit Figl und Kreisky am 26. April 1956 Entgegen Wallingers Erwartung, dass man bis zu den Nationalratswahlen österreichischerseits nichts mehr von der Garantie hören würde, wurden er, Seydoux und der amerikanische Charge d’Affaires, Penfield, für den 26. April von Außenminister Figl ins Bundeskanzleramt geladen.103 Hatte Wallinger in einem Schreiben vom 19. April noch zuversichtlich gemeint, dass »[…] I now feel quite certain that we shall hear nothing more from the Austrians until after the elections«,104 so erwies sich diese Einschätzung als verfrüht. Er musste einräumen : »I fear that the last paragraph of my letter […] was over-optimistic.« Offenbar, so die Wiener Botschaft, hat es auch der österreichische Außenminister angesichts des »Prawda«-Artikels mit der Angst zu tun bekommen.105 Beim Gespräch waren neben Figl und Kreisky die Gesandten Schöner und Haymerle als Vertreter Österreichs, Penfield, Seydoux, Fouchet und Wallinger als Vertreter der Westmächte anwesend.106 Figl, der einleitend nachdrücklich auf den informellen Charakter der Unterredung hinwies, erklärte, dass er die Zeit für gekommen halte, sich mit den westlichen Botschaftern hinsichtlich der Garantie abzusprechen, da nunmehr eine neue Situation entstanden sei. Er wollte für den Fall gerüstet sein, 102 »Brief for the Secretary of State’s meeting with the Austrian Ambassador«, 10. April 1956, PRO, FO 371/124097, RR 1071/72. 103 Wallinger an Young, FO, 19. April 1956, PRO, FO 371/124097, RR 1071/82 ; Wallinger an Young, FO, 25. April. 1956, PRO, FO 371/124097, RR 1071/83 ; siehe zu dieser Unterredung auch bereits Rauchensteiner : Die Zwei, S. 328 f. 104 Ebd. 105 Wallinger an Young, FO, 25. April 1956, PRO, FO 371/124097, RR 1071/83 [ ?] 106 Zum Verlauf der Unterredung Unterredung:: »Record of Meeting with Minister of Foreign Affairs«, 26. April 1956. Secret, PRO, FO 371/124097, RR 1071/88.

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dass der neue sowjetische Botschafter die Garantiefrage ansprechen würde. Offenbar hatte Figl erfahren, dass die Westmächte eine Garantie im Rahmen der UNO erwägen würden. Darüber wollte er mehr Informationen erhalten, ohne seine Quelle preiszugeben. Wallinger, der ihm zu verstehen gab, dass man den Sowjets gegenüber Stillschweigen über die Gespräche mit den Westmächten bewahren sollte, teilte mit, dass Großbritannien nicht allzu glücklich mit einer Garantie wäre, was jedoch im Gegenteil nicht heißen solle, dass man kein Interesse an der Integrität Österreichs habe. Nachdem Seydoux gemeinsam mit seinem britischen Kollegen erklärt hatte, dass er ohne klare Anweisung hinsichtlich der Garantie aus Paris sei, meinte Figl, dass weder der neue sowjetische Botschafter in Wien ihn darauf angesprochen habe, noch der österreichische Botschafter in Moskau, Bischoff, seit Dezember vorangegangenen Jahres ein diesbezügliches Gespräch geführt hätte. Vermutlich würden die Sowjets damit bis nach den Wahlen warten. Es sei nicht Aufgabe Österreichs, irgendwelche Vorschläge zu machen, sondern notwendig zu wissen, wie weit die Westmächte bei einer Garantie gehen würden. Kreisky, der die Hauptgefahr nicht von Deutschland, sondern vom Ostblock ausgehen sah, versuchte vergeblich, mittels Hinweisen auf die Gefahr einer unilateralen Garantie den Botschaftern eine Zusage für eine Vier-Mächte-Garantie zu entlocken. Er bejahte nachdrücklich die Frage von Seydoux, ob Österreich auch ohne Verpflichtung aus dem Memorandum um eine Garantie bemüht wäre, denn im Falle einer Aggression des Ostblocks würde diese westliche Garantie Österreich in die NATO bringen. Wallinger bemühte sich darauf hinzuweisen, dass es primär die Absicht der Sowjetunion sei, die westlichen Verteidigungsbemühungen durch Neutralisierung diverser Staaten zu unterlaufen, was Figl und Kreisky zur Entgegnung veranlasste, dass man diesen Eindruck teile und das Gefühl habe, Moskau wolle sich außerhalb des Ostblockes ein »Mitbestimmungsrecht« sichern. Deswegen sei eine Garantie im UNO-Rahmen wichtig. Schließlich hätten die USA mit der Truman-Doktrin ja auch eine militärische Intervention in Aussicht gestellt, sollte ein ihnen freundlich gesonnenes Land bedroht sein. Diesen Vergleich wollte Penfield allerdings nicht zulassen, denn schließlich sei es ein wesentlicher Unterschied, ob man einem neutralen Staat eine Garantie gebe oder es sich offen halte, einem Land, welches sich bereits selbst verteidigte, zu Hilfe zu kommen. Wallinger und Penfield wiesen die Österreicher auf die Möglichkeit einer »uniting for peace procedure« im Rahmen der UNO hin, die eine Einberufung der Generalversammlung gestattete, um eine Bedrohung des internationalen Friedens festzustellen, doch Kreisky zweifelte die Wirksamkeit eines solchen Mittels an. Er fragte sich, ob es nicht angebracht wäre, dieses Mittel so zu stärken, dass man aus Österreich einen speziellen Fall machen sollte. Wallinger gab daraufhin seiner Verwunderung ob dieses österreichischen Anspruchs nach einem Sonderstatus offen Ausdruck, was Kreisky nach kurzer Bedenkzeit dazu veranlasste zuzugeben, dass er sich hinsichtlich des Prozederes im Falle einer Garantie noch nicht ausreichend Gedanken ge-

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macht habe. Dennoch müsste sich eine Möglichkeit finden lassen, die Österreichs Wunsch nach einer Garantie gegen den Osten Rechnung tragen und gleichzeitig für die Westmächte politisch und verfassungsrechtlich annehmbar sein würde. Das Gespräch endete in der Absicht, zu diesem Thema weitere Gespräche zu führen.107 Wallinger schätzte die österreichische Einstellung hinsichtlich der Garantie nach diesem Gespräch folgendermaßen ein : Eine automatische Garantie würde eindeutig befürwortet, da man sich vom Ostblock bedroht fühlte. Nachdem aber in Wien erkannt worden war, dass diese nicht durchsetzbar sei, mache man sich über eine Garantie im Rahmen der UNO Gedanken, welche den gleichen Effekt hätte, nämlich darauf hinauslief, die NATO auf der Seite Österreichs aktiv werden zu lassen, zumal eine unilaterale Garantie seitens der Sowjetunion als unannehmbar angesehen wurde. Zweck des Gesprächs sei es gewesen, sich einerseits auf einen möglichen Vorstoß des sowjetischen Botschafters vorzubereiten und andererseits eben diese Möglichkeit und den Hinweis auf die Gefahr einer unilateralen Garantie dazu zu verwenden, um die Haltung der Westmächte hinsichtlich einer Garantie im Rahmen der UNO auszuloten. »Little do they realise how feeble it is«, so Wallingers Kommentar zu diesen Anstrengungen.108 Obwohl er auch berichten konnte, dass während eines einstündigen Telefonats mit dem sowjetischen Botschafter Andrej Smirnow dieser kein einziges Wort über die Garantie verloren hatte, bedeutete dies möglicherweise nur, dass er damit auf die Zeit nach der Bildung einer neuen Regierung als Folge der Nationalratswahlen am 13. Mai zuwarten möchte.109 Gleichzeitig warnte Wallinger, der gemeinsam mit seinen Kollegen das Gefühl hatte, dass Figl beim ersten offiziellen Treffen mit Smirnov über die informellen Kontakte mit den Westmächten berichten würde, das Foreign Office, dass das State Department bereits einen neuen Vorschlag gemacht habe : Österreichs Nachbarstaaten, speziell also Westdeutschland, Italien, Ungarn und vielleicht auch die Schweiz, sollten erklären, dass sie sich in besonderer Weise dem Artikel 2 des Staatsvertrags verpflichtet fühlten, was zur Folge hätte, dass sowohl Österreichs Sicherheitserfordernisse erfüllt wären als auch die Westmächte um eine Vier-Mächte-Garantie herumkämen.110 Bezug nehmend auf Fragen Figls hinsichtlich einer Garantie im Rahmen der UNO, wiederholte Wallinger, dass die Garantie für alle Regierungen eine »extrem delikate Angelegenheit« sei. Obwohl Großbritannien ein starkes Interesse an der

107 Zum Verlauf der Unterredung: Unterredung : »Record of Meeting with Minister of Foreign Affairs, 26 April, 1956. Secret«, PRO, FO 371/124097, RR 1071/88 ; siehe auch Stourzh : Einheit, S. 573. 108 Wallinger an Young, FO, 27. April 1956, secret, PRO, FO 371/124097, RR 1071/88. 109 Ebd. 110 Wallinger an Young, FO, 27. April 1956, secret, PRO, FO 371/124097, RR 1071/88. Der Artikel 2 des Staatsvertrags hat die Wahrung der Unabhängigkeit Österreichs zum Gegenstand.

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Integrität Österreichs habe, sei man derzeit überhaupt nicht an Verhandlungen mit der Sowjetunion interessiert. Kreisky betonte, dass seine Regierung auch ohne Moskauer Memorandum eine Garantie haben wolle, welche Österreich im Kriegsfall auf die Seite der NATO bringen würde. Auf Ablehnung stieß sein Vorschlag, im Rahmen der UNO aus Österreich einen speziellen Fall bezüglich einer Garantie zu machen, denn man werde die UNO-Charta deswegen nicht ändern.111 Nachdem Haymerle und Schöner in einer Unterredung tags darauf durchblicken ließen, dass man die Idee Kreiskys, aus Österreich »einen speziellen Fall« zu machen (was keinesfalls als offizielle Auffassung der Regierung zu betrachen sei, wie betont wurde), zwar als interessant, aber doch unrealistisch erachte, wurde Wallinger sehr deutlich : Österreich erwarte von den Westmächten, ein militärisches Vakuum zu garantieren. »[…] we were in any case being asked to guarantee a country which was a military vacuum. Any ideas about the Truman Doctrine or indeed the ›uniting-for-peace‹ procedure seemed to me to pre-suppose some readiness on Austria’s side to provide more than a feeble token resistance to an aggressor : but Austria’s military planning as of today was plain childish.«112

Figl, der von dieser Äußerung Kenntnis bekam, beschwerte sich daraufhin bei Wallinger und fragte, warum dieser jene Aussage nicht während der Besprechung gemacht habe. Es habe ihm auf der Zunge gelegen, so Wallinger, doch vor dem Hintergrund der bevorstehenden Nationalratswahlen habe er dieses Thema nicht zur Sprache bringen wollen. Dies sei doch etwas zu diplomatisch, so der österreichische Außenminister, während Kreisky »in any case too talkative« gewesen sei.113 Im Foreign Office maß man den Vorschlägen Kreiskys nicht sehr viel Gewicht bei. Als eigentlichen Grund für diese informelle Besprechung erachtete man vielmehr den Versuch Österreichs, die westliche Position hinsichtlich einer UNO-Garantie zu ergründen : »The three Western representatives, […] though not with any apparent success, attempted to dampen Austrian enthusiasm for a guarantee.« Obwohl der Versuch fehlschlug, den »Garantie-Enthusiasmus« der österreichischen Regierung zu dämpfen, wollte man nichtsdestotrotz am eingeschlagenen Kurs festhalten.114

111 Zum Verlauf der Unterredung siehe »Record of Meeting with Minister of Foreign Affairs, 26 April 1956. Secret«, PRO, FO 371/124097, RR 1071/88. 112 Wallinger an Young, FO, 27. April 1956. Secret and personal, PRO, FO 371/124097, RR 1071/89. 113 Ebd. 114 Aufzeichnung Crossley, 1. Mai 1956, PRO, FO 371/124097, RR 1071/89.

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Welche Bedeutung hatte die Verteidigungsfähigkeit Österreichs ? Wallingers Bemerkung über das militärische Vakuum stand allerdings im Widerspruch zur Aussage Crossley’s gegenüber Weichs am 5. März in London, wonach die Westmächte die Garantiefrage bisher nicht vor dem Hintergrund der österreichischen Verteidigungsanstrengungen betrachtet hätten. Es war jedoch nicht das erste Mal, dass Österreichs Unmöglichkeit bzw. Unfähigkeit, sich militärisch zu verteidigen, in Zusammenhang mit der Territorialgarantie angesprochen wurde. Im Zuge der Moskauer Vorverhandlungen im April 1955 hatte das österreichische Delegationsmitglied und der geheime Informant der Briten, der Völkerrechtler Stephan Verosta,115 über den Verlauf der Gespräche während der Unterredungen mit der sowjetischen Führung berichtet, dass sich die Sowjetunion unter Umständen überzeugen lassen würde, dass es keinen Sinn ergebe, einem Land eine Garantie zu geben, welches bereits von einem Bataillon überrannt werden könnte, solange man nicht die entsprechenden Artikel im Staatsvertrag demgemäß verändert. Verostas »point about the military clauses is sound« –116, war Wallinger überzeugt gewesen. Gleichlautend waren dessen Überlegungen vom Februar 1956, als das Gerücht von einem zweiten Besuch Raabs in Moskau aufgetaucht war. Der Brite gedachte, mögliche Garantieanfragen mit dem Argument abzulehnen, dass Österreich bisher keine ernstzunehmende Armee besäße und sich deshalb keinerlei Respekt verschaffen könne. Es wäre jedoch unzulässig, aus diesen Aussagen ein gewichtiges Moment zu konstruieren, welches die britische Haltung beeinflusste, zumal andere Argumente wesentlich stärker zu wiegen schienen. Dennoch ist festzustellen, dass militärische Stärke und Garantie nicht nur einmal gemeinsam erwähnt wurden. Ein letzter Drei-Phasen-Plan wird festgelegt Für Großbritanniens weiteres Vorgehen waren Anfang Mai 1956 zumindest drei Fragen von Relevanz : Inwieweit stehen die USA noch zu der Vereinbarung vom 5. Jänner des Jahres ; ist Österreichs Angst vor einer unilateralen Garantie Moskaus echt oder wird hier ein falsches Spiel gespielt, um die Westmächte zu einem Abkommen zu bringen ; und kann man Schöner, der die Machbarkeit einer Vier-Mächte-Garantie bezweifelte, dazu bringen, demgemäß auf Figl und Kreisky einzuwirken ?117

115 Wallinger an Young, FO, 18. April 1955, secret : »[…] by the way, Verosta’s name should not be mentioned as our source for he is under strict instructions to say nothing to anyone«, PRO, FO 371/117790, RR 1071/167. 116 Wallinger an Young, FO, 18. April 1955, secret, PRO, FO 371/117790, RR 1071/167. 117 Aufzeichnung Crossley, 1. Mai 1956, PRO, FO 371/124097, RR 1071/95.

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Es war vor allem die sich offenbar verfestigende Überzeugung der USA, dass man bei einer Garantieanfrage aus Moskau oder aus Wien diese schlicht ablehnen sollte, die im Foreign Office für Verwunderung sorgte. Die USA hatten dem Übereinkommen am 5. Jänner auch zugestimmt, und solange dieses Problem nicht geklärt war, befand man sich in einer Sackgasse.118 Dennoch gelangte man schließlich zu folgendem Drei-Phasen-Plan : In einer ersten Phase sollten die Österreicher gemäß der Vereinbarung vom 5. Jänner versuchen, in Gesprächen mit den Sowjets eine Entlassung aus ihrer Verpflichtung zu erreichen, wobei sie nötigenfalls auch informelle Gespräche mit den Westmächten zugeben könnten, aus welchen sie eine gleichartige Auffassung abgeleitet hätten. Keinesfalls jedoch sollten sie eine Einschätzung über die westliche Verhandlungsbereitschaft abgeben. Sollte dies den Sowjets zu wenig sein, dann gäbe man den Österreichern in einer zweiten Phase ein formales Statement mit, worin Neutralität und UNO-Beitritt als ausreichend beschrieben würden. Auch hier sollte tunlichst der Eindruck vermieden werden, dass die Westmächte eine Diskussion über die Garantie grundsätzlich ablehnen würden. Sollte Moskau nicht zufrieden sein oder gar auf einer Fünfer-Konferenz bestehen, dann benötige man eine Entscheidung auf Ministerebene. Londons Hauptanliegen war es nach wie vor, »to get the idea of a guarantee killed«, aber man wollte nicht den Sowjets, deren Interessen nicht klar genug schienen, durch Ablehnung einer Garantie eine Hintertür öffnen, durch welche sie sich künftig direkt in österreichische Angelegenheiten einmischen könnten. Sollte Moskau also die Sache weiterverfolgen wollen, dann müsste eine Grundsatzentscheidung auf Ministerebene fallen, was erneut zeigte, auf welcher politischen Ebene die Garantiefrage bisher diskutiert wurde.119 Von den Nationalratswahlen zum Ungarnaufstand Hatte man im Foreign Office noch damit gerechnet, nach den Nationalratswahlen am 13. Mai erneut von den Österreichern kontaktiert zu werden, so herrschte danach jedoch Funkstille, was auch der politische Jahresbericht für 1956 der britischen Botschaft in Wien bestätigte.120 Wenige Tage nach der Wahl berichtete Wallinger von einem ersten Gespräch der westlichen Botschafter mit dem neuen sowjetischen Kollegen Smirnov, der zwar über die Vorteile der Neutralität gesprochen, jedoch das »unheimliche Wort Garantie« nicht in den Mund genommen habe, wobei »diese Rute noch immer im Fenster steht«.121 Wenn diese auch als

118 Aufzeichnung Harrison, 4. Mai 1956, PRO, FO 371/124097, RR 1071/95. 119 Harrison, FO, an Wallinger, Wien, 8. Mai 1956, secret, PRO, FO 371/124097, RR 1071/96. 120 Wallinger an Young, FO, 17. Mai 1956, PRO, FO 371/124083, RR 1016/18 ; Heppel, Wien, an Selwyn Lloyd, FO, 24. Jänner 1957, PRO, FO 371/130273, RR 1011/1. 121 Wallinger an Young, FO, 17. Mai 1956, Confidential, PRO, FO 371/124083, RR 1016/18.

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solche nicht Anwendung finden sollte, so stellte sich die Frage rund ein halbes Jahr später aufs Neue. Nach der zweiten Etappe des Ungarnaufstands und dem massiven Eingreifen sowjetischer Truppen in Budapest Anfang November 1956 hatte der sowjetische UNODelegierte Österreich vorgeworfen, dass es von den USA gesponserten ungarischen Aufständischen gestatte, von seinem Staatsgebiet aus zu agieren. Diese schwere Anschuldigung veranlasste das State Department am 6. November 1956 zu einer Erklärung, deren Wortwahl sehr stark an jene erinnerte, wie sie in den Entwürfen für die Garantie seit Ende April 1955 vorhanden war : »[…] The United States has respected, and will continue to respect and observe, the neutral character of Austria and considers that the violation of the territorial integrity or internal sovereignty of Austria would, of course, be a grave threat to the peace. […].«122

Im Foreign Office lag auch ein Entwurf für den Fall vor, dass man zu den Vorwürfen entweder im Parlament oder im Zuge eines öffentlichen Statements des News Department hätte Stellung beziehen müssen : »Her Majesty’s Government are bound by the Austrian State Treaty to respect the independence and territorial integrity of Austria. They have also recognised Austria‹s perpetual neutrality. Austria is now a member of the United Nations and, therefore, the principles and purposes of the Charter apply to her. The ties between the United Kingdom and Austria are, in addition, many and close. For all these reasons, Her Majesty’s Government could only regard any violation of Austria’s frontiers as a matter of the utmost gravity.«123

Diese Stellungnahme wurde jedoch nie veröffentlicht, im Unterschied zu jener des State Departments. Es zeigt sich allerdings in diesem Fall, dass sich diese Version nicht derart offensichtlich an die vorhandenen Garantieentwürfe anlehnte. Im Zuge der sowjetischen Militärintervention in Ungarn waren Befürchtungen aufgekommen, dass Moskau sich auch zu einem militärischen Vorgehen gegen Österreich entschließen könnte. Deshalb verkündete das State Department, wie gesagt, dass die USA jeden Versuch, die territoriale Integrität und die innere Souveränität des neutralen Österreichs zu verletzen, als »schwere Bedrohung des Friedens« betrachten würden, was kurz darauf auch die amtliche »Wiener Zeitung« aufgriff und vermel122 Britische Botschaft Washington an FO, 6. November 1956, priority, PRO, FO 371/124087, RR 10321/10. 123 »Draft Statement November 1956. Confidential«, PRO, FO 371/124087, RR 10321/10.

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dete.124 Hält man sich den Wortlaut der Garantieentwürfe seit dem Frühjahr 1955 vor Augen, so sticht die amerikanische Formulierung der »schweren Bedrohung des Friedens« ins Auge, welche gleichlautend in den Vorlagen zu finden war. Im politischen Jahresbericht für 1956 der britischen Botschaft in Wien gab es hinsichtlich der Garantiefrage lediglich einen Bezug zu dem erwähnten »Prawda«Artikel vom April : »[…] the only visible sign of an unhealthy Russian interest in Austrian affairs before the Hungarian rising was when Pravda, in April, again ventilated the noxious idea of a FourPower guarantee of Austrian territorial integrity. This proposition was not pressed, to the general relief […].«125

Nach der Ungarnkrise kam das Thema Garantie ein letztes Mal anlässlich des Besuches des stellvertretenden sowjetischen Ministerpräsidenten Anastas Mikojan Ende April 1957 in Wien auf. Mikojan erklärte nebenbei im Zuge einer Pressekonferenz, dass »Österreich auch im Kriegsfall friedlich weiterarbeiten könne. Und er unterstrich, dass dies eine sowjetische Garantie bedeute«.126

Conclusio Damit rundet sich das Bild ab : Im Westen wusste man zunächst nicht, von wem bei den Moskauer Vereinbarungen vom April 1955 die Regelung einer Garantie ausgegangen war. Beide Seiten trafen sich in diesem Punkt. Die Österreicher hatten sie im Verhandlungsgepäck und die Sowjets wollten sie. Es ging um die Befriedigung sowjetischer Sicherheitsbedürfnisse und letztlich um den Schutz der eigenen österreichischen Staatlichkeit. Die interne westliche Diskussion um die Garantie wurde auch im Kontext einer möglichen Vorbildwirkung auf Deutschland gesehen, so lautete noch der Tenor einer Diskussion im Dezember 1955 in London. Die NATO-Zugehörigkeit der potenziellen drei westlichen Garantiestaaten wurde in einem Memorandum im Jänner 1956 nicht als Vorteil für den Ernstfall der Einlösung der Garantie für Österreich betrachtet. Vorschläge Frankreichs zwischen Ende Februar und Ende März 1956 hinsichtlich einer echten Garantie der Unabhängigkeit Österreichs zeigten die nach wie vor offene und ungeklärte Situation. Immer wieder machten Entwürfe für eine mögliche 124 Österreichs Souveränität darf nicht verletzt werden, in : Wiener Zeitung, 7. November 1956, S. 2. 125 Heppel, Wien, an Selwyn Lloyd, FO, 24. Jänner 1957, confidential, PRO, FO 371/130273, RR 1011/1. 126 Rauchensteiner : Die Zwei, S. 357 f.

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Stellungnahme der Österreicher zu einer unilateralen Garantie und mögliche westliche Unterstützungserklärungen einer österreichischen Ablehnung bei gleichzeitiger Ablehnung einer österreichischen wie auch sowjetischen Garantieanfrage die Runde. Sie zeigten gegen Ende März 1956 eine sich im Westen verfestigende Position. Widersprüchlich war Kreiskys Haltung hinsichtlich einer Vier-Mächte-Garantie, die in seinen Memoiren, in denen er seine seinerzeitig entschiedene Ablehnung beschreibt, deutlich von den aktenkundigen Unterredungen beispielsweise noch im April 1956 abweicht, aus denen hervorgeht, dass er eine wirksame Garantie (u. a. als Schutz vor Deutschland) wünschte. Aus einem Besprechungsprotokoll vom 26. April 1956 geht der damalige Standpunkt Kreiskys hervor, der eine automatische Vier-Mächte-Garantie sofort akzeptiert hätte, während in seinen 30 Jahre später veröffentlichten Erinnerungen »Zwischen den Zeiten« die Bewertung der Garantiefrage deutlich anders ausfällt : »Die Diskussion über die Art der Neutralität begann damit, daß Molotow [in Moskau im April 1955, M. G.] fragte, wie wir uns eine Garantie gegen einen möglichen Anschluß an Deutschland vorstellten. Einer gemeinsamen Garantieerklärung der vier Mächte war ich schon in Wien entschieden entgegengetreten, weil ich fürchtete, daß dann überall, nur nicht am Ballhausplatz, entschieden werde, wann Österreichs Unabhängigkeit gefährdet sei.«127

Der schwache Stand der österreichischen Armee war ein weiterer Faktor im Kalkül der Briten und ein gewichtiger Grund für ihre Ablehnung einer Garantie. Die Wahlen vom 13. Mai brachten der ÖVP mit 84 Mandaten beinahe die absolute Mehrheit an Stimmen im Nationalrat. Raab sollte weiterhin Bundeskanzler, Figl Außenminister und Kreisky Staatssekretär im Außenministerium bleiben. Wallinger konnte in einer ersten Einschätzung bezüglich der Folgen dieser Wahl für die Garantiefrage noch keine besonderen Entwicklungen berichten, außer dass er – was sich als unrichtig herausstellen sollte – davon ausging, dass weder Figl noch Kreisky auf ihren derzeitigen Posten verbleiben würden und dies unter Umständen einen neuen Beginn der informellen Gespräche bewirken würde. In der Zwischenzeit hatte er gemeinsam mit Seydoux und Thompson und dem neuen sowjetischen Botschafter Smirnov eine erste Unterredung, in der dieser über die Vorteile der österreichischen Neutralität gesprochen hatte, »but has not yet breathed the sinister word ›guarantee‹. The rod is still, however – so far as we know – in pickle«.128 Hatte man im Foreign Office damit gerechnet, nach den Nationalratswahlen erneut 127 Kreisky, Bruno : Zwischen den Zeiten. Erinnerungen aus fünf Jahrzehnten, Berlin 1986, S. 469 f.; siehe auch : Rauchensteiner : Die Zwei, S. 514 ; Stourzh : Einheit, S. 570 und S. 571 (Anm. 277). 128 Wallinger an Young, FO, 17. Mai 1956, confidential, PRO, FO 371/124083, RR 1016/18.

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von den Österreichern kontaktiert zu werden, so herrschte diesbezüglich Funkstille. Wengleich Smirnov nicht das »unheimliche Wort Garantie« in den Mund genommen hatte, stand, wie erwähnt, »diese Rute noch immer im Fenster«. Auch wenn sie als solche nicht eingesetzt wurde, tauchte die Garantiefrage rund ein halbes Jahr später wieder auf. Im Zuge der zweiten sowjetischen Intervention in Ungarn im November 1956 waren Befürchtungen aufgekommen, dass Moskau sich auch zu einem militärischen Vorgehen gegen Österreich entschließen könnte. Deshalb verkündete das State Department am 6. November 1956, dass die USA jeden Versuch, die territoriale Integrität und die innere Souveränität des neutralen Österreich zu verletzen, als »schwere Bedrohung des Friedens« betrachten würden, eine Formulierung, die in den Garantieentwürfen vom Frühjahr 1955 gleichlautend zu finden ist. Nach der Ungarnkrise kam das Thema Garantie ein weiteres Mal anlässlich des Besuches des stellvertretenden sowjetischen Ministerpräsidenten Anastas Mikojan Ende April 1957 auf. Die Libanonkrise (1958) und der Chruschtschow-Besuch in Österreich (1960) hatten mit der Frage einer Territorialgarantie nicht mehr viel zu tun, sondern weit mehr mit der Deutung und Handhabung der Neutralität respektive der Neutralitätspolitik durch Österreich selbst. In einer sowjetischen Note vom 21. Juli 1958 waren missverständliche Formulierungen enthalten. Darin ist vom Staatsvertrag die Rede, der die Signatare verpflichtet hätte, die territoriale Integrität Österreichs zu wahren und folglich die österreichische Neutralität durch den Staatsvertrag garantiert worden sei. Die Wortwahl zeigte, dass man sich vom Verständnis der im April und Mai 1955 getroffenen Vereinbarungen schon weit entfernt hatte bzw. sie nicht mehr korrekt wiederzugeben, geschweige denn richtig zu deuten in der Lage war. Nicht weniger irritierend musste die Behauptung Chruschtschows bei seinem Österreich-Besuch 1960 empfunden werden, wonach die Sowjetunion notfalls geeignete Schritte unternehmen werde, um die österreichische Neutralität zu schützen ! Die Entstehung und Zubilligung der »immerwährenden Neutralität« und die Frage der Notwendigkeit der territorialen Integrität bzw. der Frage der Gewährung einer Territorialgarantie für Österreich hingen 1955/56 weit enger zusammen als bisher angenommen. Sie sind zunächst nicht voneinander zu trennen gewesen und stützten sich wechselseitig. Die Motive im Westen waren einem starken Wandel unterworfen und von teilweise nicht unerheblichen Unterschieden gekennzeichnet. Sie zeugten von Orientierungslosigkeit, Unsicherheit und Unentschiedenheit gegenüber der sowjetischen Österreichpolitik und der sich emanzipierenden österreichischen Außenpolitik. Der Kommunikationsfluss zwischen Österreichern und Westmächten ließ in der Garantiefrage teilweise zu wünschen übrig. So eng waren demnach die Absprachen und Abstimmungen nicht. Die Motive unter den Westmächten waren nicht einheit-

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lich und sind zu differenzieren. Alle Seiten ließen bis zu einem gewissen Grad die andere Seite im Unklaren, wenn sie nicht ein Verwirrspiel treiben wollten. Erst im Herbst 1955 setzte eine Koordination unter den Westmächten ein, die es nicht eilig hatten, weil präjudizierende Folgen für Deutschland vermieden werden sollten. Bald wurde der Wunsch einer Entflechtung von Neutralitäts- und Garantiefrage deutlich. Das Denken und Handeln der Westmächte war von Ambivalenzen und Doppelbödigkeiten nicht frei. Es ist Stourzh beizupflichten, dass die diversen westalliierten Entwürfe letztlich auf eine »Nicht-Garantie« für Österreich hinausliefen. Das Jahr 1938 mit Österreichs »Anschluss« mag schwer gewogen haben, noch schwerer wog das Jahr 1939 mit der Erkenntnis, dass man Polens Unversehrtheit praktisch nicht garantieren konnte. Das galt auch für das nachstaatsvertragliche Österreich, obwohl man im Unterschied zu 1938 mit der NATO in Westdeutschland und Italien präsent war ! Die bescheidenen österreichischen Verteidigungsbemühungen deuteten klar darauf hin, dass mit einem effektiven österreichischen Widerstand nicht zu rechnen war und der Westen gezwungen gewesen wäre, militärisch einzugreifen, was 1938 bekanntlich nicht geschah. Das Misstrauen gegenüber der UdSSR und die Angst, ihr (unwillkommene) Vorwände für Einmengungen in Österreichs Innenpolitik zu geben, spielten ebenfalls eine große Rolle. Dass für Deutschland kein Präzedenzfall geschaffen werden sollte, kam als weiteres Argument hinzu. Paul-Henri Spaak befürchtete durch Gewährung einer VierMächte-Territorialgarantie für Österreich ansteckende Wirkungen hinsichtlich neutralistischer Strömungen in anderen Ländern. Daneben gab es immer noch so etwas wie einen interalliierten Konsens in der Österreichfrage bezüglich des Verbots eines Anschlusses an Deutschland, ein Konsens, der aus dem Zweiten Weltkrieg bis weit in die 1950er-Jahre – und zum Teil auch später noch – nachwirkte. Ferner war eine seit der Zwischenkriegszeit fortbestehende Kontinuität der westlichen Verweigerung einer definitiven und wirksamen Garantiezusage für Österreichs Territorium gegeben. Immerhin war eine Steigerung des Engagements festzustellen. Waren Großbritannien und Frankreich 1935 auf der Konferenz von Stresa nur bereit gewesen, sich im Falle der Verletzung der österreichischen Integrität zu konsultieren, so sollten nun in den Überlegungen 1955/56 die Vereinten Nationen mit einer solchen Eventualität befasst bzw. in ihrem Rahmen die Frage erörtert werden. So gesehen war es zwar eine »Nicht-Garantie« (Stourzh), aber doch mehr als 1935, nämlich ein Mehr an Internationalisierung sowie eine Verwendungszusage für Österreich, im UNO-Rahmen aktiv zu werden. Warum die Sowjetunion in der zweiten Hälfte 1955 nicht mehr auf die Lösung der Garantiefrage für Österreich insistierte, mag seinen Grund in einer veränderten sicherheitspolitischen Konstellation 1954/55 gehabt haben : Mit dem Scheitern der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft (EVG ; 30. August 1954) wurde der

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Brüsseler Vertrag von 1948 (Westunion) wieder ins Leben gerufen. Im Rahmen der Londoner Konferenz von London (28. September bis 3. Oktober 1954) erfolgte auf Druck der USA und nach Vermittlung Großbritanniens der Beschluss über die Aufnahme der Bundesrepublik Deutschland in die NATO – genau dieser Schritt war noch im Jahr 1950 seitens der französischen Regierung verhindert worden. Im Austausch dagegen erhielt Frankreich seitens der britischen Regierung Garantien, im Bereich der Verteidigung Kontinentaleuropas permanent zusammenzuarbeiten. Die Schlussakte der Londoner Konferenz enthielt auch eine Entscheidung der Regierungen Frankreichs, Großbritanniens und der USA, »de faire cesser, dès que possible, le régime d’occupation dans la République fédérale«.129 Als Grundlage dazu diente der Bonner Vertrag vom 26. Mai 1952, auch »Generalvertrag« genannt. Andererseits wurde am 20. Oktober 1954 der modifizierte Brüsseler Vertrag in Paris unterzeichnet und – somit unter Einbeziehung von Deutschland (West) und Italien – die Westeuropäische Union (WEU) gegründet. Im ursprünglichen Brüsseler Vertrag von 1948 verpflichteten sich Belgien, Frankreich, Großbritannien, Luxemburg und die Niederlande, sich im Fall eines militärischen Angriffes (ausgehend von Deutschland) gegenseitig zu verteidigen. Mit den Beschlüssen der Londoner Konferenz und der Modifizierung des Brüsseler Vertrags von 1948 kam auch die Gründung einer Rüstungskontrollagentur zustande. Deutschland (West) musste dadurch als »région stratégiquement exposée« Rüstungsbeschränkungen akzeptieren, so unter anderem das Verbot der Herstellung und des Besitzes nuklearer, biologischer und chemischer Waffen und strategischer Bomber. Die britische Regierung garantierte wiederum, ihre Truppen aus Europa nicht »gegen den Wunsch der Mehrheit der Mächte des Paktes von Brüssel« abzuziehen. Diese Regelungen dürften auch Sicherheit vor einem neuerlichen Anschluss Österreichs an Deutschland geboten haben. Die Entscheidung über Österreichs internationalen Status wie auch für die alliierte Österreichpolitik fiel oberflächlich und vordergründig betrachtet am 15. Mai 1955, in Wirklichkeit aber erst im Laufe des Jahres 1956. In der österreichischen Wahrnehmung war 1955 das »annus mirabilis«, in der westlichen wohl eher das folgende Jahr. Die UdSSR akzeptierte Österreichs neuen Status 1956/57. Seine Rolle im europäischen Staatensystem ist nur vor dem Hintergrund eines umfassenden Sicherheitskonzepts zu verstehen, das nicht nur von den Militärblöcken NATO, WEU und Warschauer Pakt auszugehen, sondern auch die OEEC, die Vereinten Nationen und den Europarat einzubeziehen hatte. Diese internationalen Organisationen ermöglichten zweifelsohne eine indirekte Garantie für die Sicherheit der kleineren und mittleren Staaten Europas. Österreich gehört den beiden letztgenannten Organisationen seit 1955 bzw. 1956 an. Das immer wieder zitierte Schweizer Vorbild geriet demgegenüber ins Hintertreffen. 129 Duroselle, Jean-Baptiste Jean-Baptiste:: Histoire diplomatique de 1919 à nos jours, Paris 1993, S. 569.

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Wolfgang Mueller*

Der Warschauer Pakt und Österreich 1955–1991

Selbst unter jenen, welchen der östliche Militärblock unter sowjetischer Führung noch »ein Begriff« ist, dürfte heute der Eindruck seines überwiegend friedlichen Zerfalls 1991 und seiner nachträglich offenbar gewordenen inhärenten Schwächen das Bild bestimmen. Dennoch sollte man rückblickend den Warschauer Pakt (WP)1 und sein Bedrohungspotenzial für den Westen nicht unterschätzen. Dabei ist die massive quantitative konventionelle Überlegenheit auf dem europäischen Kriegsschauplatz gegenüber dem westlichen Bündnis (NATO) ebenso zu berücksichtigen wie die bis heute bekannt gewordenen Planungen und Übungen für den konventionellen und nuklearen Präventiv-/Offensivkrieg gegen den Westen sowie die Kultivierung feindlicher Stereotype. Auch für Österreich war der Warschauer Pakt in höchstem Maße relevant, zumal ein beträchtlicher Teil seiner Divisionen an der nördlichen und östlichen Grenze des Landes stand. Heute zugängliche Dokumente lassen vermuten, dass er im Kriegsfall das Gebiet nicht unbedingt umgangen hätte. Österreich war somit über drei Jahrzehnte von einem Einmarsch bzw. Durchzug von Warschauer-Pakt-Truppen bedroht. Auch Nuklearschläge gegen zivile Ballungszentren wie Wien waren in Planungen enthalten. Diese von österreichischen Militärexperten durchaus erkannte, von der politischen Führung und der Öffentlichkeit aber beharrlich verdrängte Bedrohung gilt es in Erinnerung zu rufen, wenn die Berührungspunkte des Warschauer Pakts und Österreichs untersucht werden sollen.

∗ Der Verfasser dankt dem Verteidigungsattaché bei der österreichischen Botschaft in Moskau, Oberstleutnant Mag. Erich Simbürger, für die freundliche Unterstützung bei der Herstellung des Kontaktes zum Verteidigungsministerium der Russischen Föderation und Dr. Friedrich Korkisch sowie Dr. Martin Malek für wertvolle Hinweise. Besonderer Dank gebührt ferner Oberst Doz. Dr. Michail G. Lëšin vom Militärhistorischen Institut des Verteidigungsministeriums der Russischen Föderation für die Erfassung und Auswertung russischer Aufsatz- und Zeitschriftenliteratur zum Thema, die in diesen Beitrag eingeflossen ist. Ferner bin ich Prof. David Holloway für die Überlassung eines Manuskriptes zu großem Dank verpflichtet. 1 Die Begriffe »Warschauer Pakt« und »Warschauer Vertragsorganisation« werden synonym verwendet. Es fällt jedoch auf, dass im allgemeinen Sprachgebrauch der Terminus »Pakt« oft pejorativ auf die »gegnerische« Allianz angewendet wurde und auch heute wird. So sprach man im Westen vom Warschauer Pakt und Nordatlantischen Bündnis, in der UdSSR und Russland hingegen vom Warschauer Vertrag und Nordatlantikpakt.

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Weiters fällt aus österreichischer Sicht der unmittelbare zeitliche Zusammenhang zwischen den beiden Grundlagendokumenten, dem Warschauer Pakt vom 14. Mai und dem Wiener Staatsvertrag vom 15. Mai 1955, auf. Als man damals in ganz Österreich die Gewinnung der vollen Freiheit und Souveränität feierte, dachten wohl die wenigsten daran, dass am Vortag in der polnischen Hauptstadt ein neuer Militärblock ins Leben gerufen worden war, der den Raum von Wladiwostok bis Pressburg (Bratislava) umspannte und auch zwei der Nachbarstaaten Österreichs einschloss. Die heutige wissenschaftliche Einschätzung des Warschauer Pakts beruht vor allem auf der Erschließung der Akten in den nichtsowjetischen ehemaligen Mitgliedstaaten. Erste Dokumente waren bereits während des Kalten Krieges in den Westen geschmuggelt und dort veröffentlicht worden. Dennoch blieb das Bündnis bis Ende der 1970er-Jahre ein »Stiefkind« akademischer Forschungen, und noch im letzten Jahrzehnt seiner Existenz herrschte Uneinigkeit im Westen, ob es sich bei dem Bündnis eher um einen Aktivposten oder eine Belastung für die Sowjetunion handelte.2 Nach den osteuropäischen Revolutionen von 1989/90, dem Ende der DDR und dem Zerfall des Sowjetblockes samt Warschauer Pakt erhielt die Forschung partiellen Zugang zu internen Dokumenten ehemaliger Warschauer-Pakt-Staaten. Eine breitere Aufarbeitung der Geschichte des Warschauer Pakts im Rahmen des internationalen »Parallel History Project on NATO and the Warsaw Pact« (PHP) begann. Sie ist allerdings weiterhin mit zwei Einschränkungen konfrontiert : Erstens mussten mit dem Ausscheiden der DDR 1990 und später der Auflösung des Warschauer Pakts 1991 die geheimen Unterlagen der Operationsplanung in den nichtsowjetischen ehemaligen WP-Staaten vernichtet oder an Moskau zurück überstellt werden. Schlüsselakten wären somit im Archiv des Generalstabs der Russischen Föderation zu finden, das allerdings gemäß dem Beschluss der Außenminister der WP-Staaten vom Februar 19913 eine diesbezügliche Aktensperre verhängt hat. Das PHP und die Forschung insgesamt müssen sich somit primär auf die verbliebenen Überlieferungen der nichtsowjetischen ehemaligen WP-Staaten stützen. Dies ist umso bedauerlicher, als zweitens die Kriegsplanung für die Armeen des Warschauer Pakts vorwiegend in sowjetischen Händen lag und Planungen des sowjetischen Generalstabs für das Bündnis gemeinhin nicht mit den osteuropäischen Vasallen geteilt wurden.4 Im 2 Für einen Forschungsüberblick : Umbach, Frank : Das rote Bündnis. Entwicklung und Zerfall des Warschauer Pakts 1955 bis 1991 (Militärgeschichte der DDR 10), Berlin 2005, S. 3–5. 3 Abkommen über die Beendigung der Gültigkeit militärischer Vereinbarungen im Rahmen des Warschauer Vertrages, 25. Februar 1991, in : Gribkov, Anatolij I.: Sud’ba Varšavskogo dogovora : Vospominanija, dokumenty, fakty, Moskva 1998, S. 198–200. Vgl. dazu : Locher, Anna (Hg.) : Records of the Committee of the Ministers of Foreign Affairs, Washington/Zürich 2002, S. 28. 4 Mastny, Vojtech : NATO, the Warsaw Pact and the European Nonaligned, 1949–75 : Threat Assessments, Doctrines and War Plans, 2003, vgl. http ://www.php.isn.ethz.ch/conferences/reports/documents/2004_ spitzbergen_report.pdf (online am 4. Oktober 2009). Das Programm der 2003 in Spitzbergen abgehalte-

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Kriegsfall wären alle, auch die nichtsowjetischen, WP-Truppen dem sowjetischen Oberkommando unterstellt worden. Was die nichtsowjetischen WP-Stäbe meist zu Übungszwecken für den Kriegsfall planten, muss somit nicht zwangsläufig den von Moskau angefertigten und weiterhin verwahrten tatsächlichen Operationsplänen entsprechen. Wieweit sich die nationalen Kriegsfall- und Einsatzplanungen von den tatsächlich gültigen unterschieden, die im sowjetischen Generalstab ausgearbeitet wurden, ist bis heute aufgrund der in Russland herrschenden Aktensperre nicht überprüfbar. Aus ostmitteleuropäischen Archiven bekannt gewordene Kriegsplanungen sind vermutlich nicht mit den tatsächlichen sowjetischen Generalstabsplänen identisch, geben jedoch laut Expertenmeinung »die Grundzüge des operativen Dispositivs für den Ernstfall« wieder5 und lassen damit eine Einschätzung der strategischen Überlegungen im Warschauer Pakt zu. Der vom PHP unternommene Versuch, zentrale Planungen des Warschauer Pakts aus nichtsowjetischen Akten zu rekonstruieren, ist somit – wie von den Projektleitern offen bekannt wird – nicht vollkommen befriedigend. Seine Aktengrundlage ist jedoch breit genug, um dennoch wissenschaftlich abgesicherte Schlüsse ziehen zu können. Zahlreiche sowjetische Akten sowie Protokolle gemeinsamer Besprechungen mit sowjetischen Offizieren lagern in Kopie in nichtrussischen Archiven, und sie sind es, die gemeinsam mit den internen Dokumenten dieser Staaten im Rahmen des PHP vorwiegend erschlossen werden.6 Im Jahr 2000 gelang es, einen Auszug aus einem vermutlich authentischen sowjetischen Kriegsplan in einem tschechischen Archiv zu lokalisieren und zu publizieren.7 Inzwischen wurden weitere, von der tschechoslowakischen Regierung gezeichnete Kriegspläne aus den 1980er-Jahren gefunden.8 Derartige Funde ergänzen die seit den 1970er-Jahren durch Überläufer und vermehrt seit 1990 aus ostmitteleuropäischen Archiven9 bekannt gewordenen

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nen Konferenz siehe : http ://php.isn.ethz.ch/conferences/previous/2003_spitzbergen.cfm ?nav1=2&nav2=1 (online am 8. November 2009). Bautzmann, Georg : Zu den Kriegsplanungen des Warschauer Pakts in den achtziger Jahren, in : Österreichisches Jahrbuch für internationale Sicherheitspolitik 1 (1997), S. 279–299, hier S. 283. Mastny, Vojtech/Byrne, Malcolm (Hg.) : A Cardboard Castle ? An Inside History of the Warsaw Pact, 1955–1991 (National Security Archive Cold War readers), New York/Budapest 2005, S. 1. Für weitere Publikationshinweise, wissenschaftliche Analysen und umfangreiche veröffentlichte Aktenbestände siehe : http ://www.php.isn.ethz.ch. Mastny, Vojtech/Luňák, Petr/Locher, Anna/Nuenlist, Christian (Hg.) : Taking Lyon on the Ninth Day ? The 1964 Warsaw Pact Plan for Nuclear War in Europe and Related Documents, 2000, vgl. http ://www. php.isn.ethz.ch/collections/colltopic.cfm ?lng=en&id=16239&navinfo=15365 (online am 5. Oktober 2009). Zur Authentizität : Mastny, Vojtech : Planning for the Unplannable, vgl. http ://www.php.isn.ethz. ch/collections/coll_warplan/introduction_mastny.cfm (online am 31. Oktober 2009). Luňák, Petr : Planovani nemyslitelneho : Československé válečné plány 1950–1990, Praha 2007. Als eine der ersten aktengestützten Veröffentlichungen nach 1990 siehe den offiziellen Bericht des Verteidigungsministeriums des wiedervereinigten Deutschlands über Planungsdokumente der ehemaligen Na-

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Kriegspläne, die als routinemäßige Planungsstudien oder auch besonders in Auftrag gegebene Entwürfe in den General- und Hauptstäben der nichtsowjetischen WPStaaten angefertigt wurden. Wieweit diese Dokumente tatsächliche konkrete Einsatzpläne widerspiegeln oder nur theoretische Fingerübungen darstellen, ist derzeit nicht zu beurteilen. In Bezug auf die in Moskau nach wie vor unter Verschluss gelagerten tatsächlichen, d. h. »scharfen«, Operationspläne des sowjetischen Generalstabs für den Warschauer Pakt konnte, wie eine Tagung des Deutschen Historischen Instituts in Moskau gemeinsam mit dem Institut für Militärgeschichte des Verteidigungsministeriums der Russischen Föderation im Frühling 2008 konstatierte,10 allerdings bislang noch kein Erfolg erzielt werden. Auch ein 2007 im Wege des Militärattachés der Republik Österreich in Moskau eingebrachtes und 2008 wiederholtes Ansuchen an das Verteidigungsministerium der Russischen Föderation mit der Bitte um Akteneinsicht zu Österreich betreffenden Dokumenten blieb unbeantwortet.11 Die derzeit zugängliche Überlieferung ist somit weiterhin asymmetrisch : Während im Westen Akten selbst der hohen Planungs- und Führungsebenen, allerdings erst nach Ablauf der 30-jährigen Sperrfrist (d. h. derzeit bis in die 1970er-Jahre), zugänglich sind, verfügen wir im Osten über Akten bis 1991, allerdings ohne Zugang zur hohen, d. h. sowjetischen, Ebene.12 Auch die nachfolgenden Ausführungen werden sich somit in Bezug auf Planungen des östlichen Bündnisses primär auf die seit seiner Auflösung veröffentlichten Akten und wissenschaftlichen Arbeiten stützen.13 Ergänzt werden sie durch Dokumente aus dem Archiv für Außenpolitik der Russischen Föderation in Moskau, das Akten aus der Sowjetzeit verwahrt, aus dem Österreichischen Staatsarchiv und dem BrunoKreisky-Archiv in Wien. Ferner werden zeitgenössische sowjetische Fachpublikationen u. a. aus der bis 1990 nur für den Dienstgebrauch durch Führungskader be-

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tionalen Volksarmee der DDR, publiziert in : Kramer, Mark (Hg.) : The Official (West-)German Report : Warsaw Pact Military Planning in Central Europe, in : Cold War International History Project Bulletin 2/1 (1992), S. 13–19. Seiller, Florian : Kriegspläne im Kalten Krieg, Tagungsbericht, vgl. http ://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de /tagungsberichte/id=2143&count=2&recno=1&sort=datum&order=down&search=Kriegspl %C3 %A4ne (online am 4. Oktober 2009). Der Verfasser ist dem Verteidigungsattaché bei der österreichischen Botschaft in Moskau, ObstLt Mag. Erich Simbürger, für seine kontinuierliche tatkräftige Unterstützung zu großem Dank verpflichtet. Mastny, Vojtech : Imagining war in Europe : Soviet strategic planning, in : Mastny, Vojtech/Holtsmark, Sven G./Wenger, Andreas (Hg.) : War Plans and Alliances in the Cold War. Threat Perceptions in the East and West, London/New York 2006, S. 15–45, hier S. 15. Für einen kompakten Überblick neueren Datums vgl. Schmidl, Erwin : The Warsaw Pact and Austria, in : Suppan, Arnold/Mueller, Wolfgang (Hg.) : »Peaceful Coexistence« or »Iron Curtain« ? Austria, Neutrality, and Eastern Europe in the Cold War and Détente, 1955–1989 (Europa Orientalis 7), Wien/Münster 2009, S. 202–217.

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stimmten,14 d. h. faktisch geheimen Zeitschrift des Generalstabs »Woennaja mysl« ausgewertet. Die Darstellung konzentriert sich auf sicherheitspolitische Aspekte. Für eine Behandlung der zahlreichen diplomatischen Initiativen des Warschauer Pakts zur Abrüstung, Rüstungskontrolle und gesamteuropäischen Sicherheit sei auf die diesbezügliche Literatur verwiesen.15 Behandelt werden 1. die Hintergründe von und Beziehungen zwischen der Schaffung des Warschauer Pakts und der Unterzeichnung des österreichischen Staatsvertrags am 14. bzw. 15. Mai 1955 ; 2. die Entwicklung des WP, seine Kriegspläne vor dem Hintergrund der sich wandelnden sowjetischen Militärstrategie16 und 3. die sowjetische Interpretation der österreichischen Neutralität und ihre Berücksichtigung in WP-Planungen. Die Darstellung folgt der chronologischen Entwicklung, gegliedert anhand der wesentlichsten Zäsuren der östlichen Militärstrategie. Für eine Analyse der zeitgenössischen österreichischen Einschätzung der Bedrohung durch Warschauer-Pakt-Truppen sowie für eine Darstellung der Entwicklung der österreichischen Verteidigungsdoktrin und Strategie sei auf die diesbezüglichen Kapitel in diesem Band sowie weitere Publikationen verwiesen.17 14 Umbach : Das rote Bündnis, S. 44. Ich danke Oberst Doz. Dr. Michail G. Lëšin vom Militärhistorischen Institut des Verteidigungsministeriums der Russischen Föderation für die Erfassung und Auswertung russischer Aufsatz- und Zeitschriftenliteratur zum Thema. 15 Holden, Gerard : The Warsaw Pact. Soviet Security and Bloc Politics, Oxford 1989, S. 28–35 ; Fodor, Neil : The Warsaw Treaty Organization : a political and organizational analysis, London 1990, S. 79–112 ; Oudenaren, John van : Détente in Europe. The Soviet Union and the West, Durham/London 1991. Die politischen Deklarationen der WP-Mitgliedstaaten sind publiziert u.a., in : Ministerstvo inostrannych del SSSR (Hg.) : Organizacija Varšavskogo dogovora 1945–1975 : Dokumenty i materialy. Moskva 1975 ; in deutscher Übersetzung u.a. in : Meissner, Boris (Hg.) : Der Warschauer Pakt : Dokumentensammlung (Dokumente zum Ostrecht 1), Köln 1962 ; Schenk, Fritz (Hg.) : Kommunistische Grundsatzerklärungen 1957–1971, Köln 1972. Protokolle der Sitzungen des Politischen Beratenden Ausschusses (d.h. der Parteichefs) und des Außenministerkomitees der WP-Staaten wurden vom PHP publiziert. Vgl. http :// www.php.isn.ethz.ch/collections/colltopic.cfm ?lng=en&id=14465&nav1=1&nav2=1&nav3=2 (online am 31. Oktober 2009) und http ://www.php.isn.ethz.ch/collections/colltopic.cfm ?lng=en&id=15699 (online am 31. Oktober 2009). 16 In Bezug auf die Terminologie von »Militärdoktrin« und »Militärstrategie« besteht ein Unterschied zwischen dem westlichen und dem östlichen Gebrauch. Im sowjetischen Verständnis formuliert die Militärdoktrin aktuelle politische Grundsätze (über Kriegsgegner, -charakter, politische Kriegsziele, -vorbereitung und Streitkräfte) und militärisch-technische Grundlagen (Ausrüstung, Bewaffnung) ; die Militärstrategie, die als Bestandteil der Kriegskunst gilt, entwickelt davon ausgehend eine militärische Gesamtkonzeption, die wiederum als Grundlage für die operative Planung dient. Zum sowjetischen Gebrauch : Sokolowski [Sokolovskij], Vasilij D. (Hg.) : Militär-Strategie, deutsche Übers. aus dem Russ. der 2. verb. und. erg. Aufl., Frauenfeld 1965, S. 84–86 ; Sadykiewicz, Michael : Die sowjetische Militärdoktrin und Strategie, Koblenz 1985, S. 13–19. Letzterer Autor analysiert die dritte Auflage Sokolowskijs aus 1968/69 sowie Arbeiten von Marschall Grečko und die in den 1970er-Jahren erschienene Sovetskaja Voennaja Enciklopedija. 17 Neben den einschlägigen Kapiteln in diesem Band siehe vor allem : Rauchensteiner, Manfried (Red.) : Das

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Die Gründung des Warschauer Pakts und der österreichische Staatsvertrag 1955 Die offizielle sowjetische (und heute noch in Russland weit verbreitete18) Version lautet, dass der Warschauer Pakt in Reaktion auf die Gründung der Nordatlantikallianz 1949 bzw. auf den NATO-Beitritt der Bundesrepublik Deutschland 1955 gegründet wurde.19 Angesichts des sechsjährigen Zeitraumes zwischen der Gründung der beiden Militärbündnisse sind jedoch Zweifel in Bezug auf die erste Erklärung angebracht. Und auch bezüglich der zweiten Variante scheint mittlerweile klar, dass der Beitritt der BRD zum Atlantischen Bündnis zwar den Anlass, nicht aber den alleinigen Grund für die Unterzeichnung des Warschauer Pakts bot. Welche Ziele verfolgte also die Gründung des östlichen Militärbündnisses, das ausgerechnet während der internationalen »Tauwetterphase« und ohne jegliche militärische Kapazität aus der Taufe gehoben wurde ?20 Wie passte der neue Pakt zu dem 1954 vorgebrachten sowjetischen Vorschlag zur Auflösung der NATO und zur Schaffung eines »gesamteuropäischen Sicherheitssystems« ? Welche Funktion sollte das am 14. Mai 1955 besiegelte Bündnis aus Sicht des Kreml einerseits und seiner Vasallen andererseits für Osteuropa übernehmen ? Bestand eine inhaltliche Verbindung zum einen Tag später unterzeichneten Staatsvertrag und, wenn ja, welche ? Im ersten Nachkriegsjahrzehnt hatte die Sowjetunion zielstrebig die durch die Rote Armee von der NS-deutschen Besetzung befreiten osteuropäischen Staaten unter kommunistische Herrschaft und sowjetische Kontrolle gebracht. Ein wichtiger Machtfaktor dabei waren die sowjetischen Truppen, die gemäß den Waffenstillstands- und später Friedensverträgen mit Ungarn und Rumänien in diesen Ländern zur Aufrechterhaltung der Kommunikationslinien mit der sowjetischen Besatzungszone in Österreich stationiert waren. Weitere sowjetische Einheiten standen in Polen, offiziell ebenfalls zur Sicherung der Nachschubwege, hier allerdings zur sowjetischen Besatzungszone in Deutschland. Aus der Tschechoslowakei und Bulgarien war die Rote Armee 1945 bzw. 1947 abgezogen worden. Die interne Führung dieser schrittweise zu Satelliten degradierten osteuropäischen Staaten oblag den reBundesheer der Zweiten Republik. Eine Dokumentation (Schriften des Heeresgeschichtlichen Museums in Wien 9), Wien 1980 ; Rauchensteiner, Manfried/Etschmann, Wolfgang (Hg.) : Schild ohne Schwert. Das österreichische Bundesheer 1955–1970 (Forschungen zur Militärgeschichte 2), Wien 1991 ; Rauchensteiner, Manfried (Hg.) : Tausend Nadelstiche. Das österreichische Bundesheer in der Reformzeit 1970–1978 (Forschungen zur Militärgeschichte 3), Graz/Wien 1994. 18 Umbach : Das rote Bündnis, S. 115 f. 19 Holden : The Warsaw Pact, S. 6 f. Vgl. die rechtswissenschaftliche Darstellung in : Bachov, Anatolij S.: Organizacija Varšavskogo dogovora : (pravovye aspekty), Moskva 1971. 20 Mastny, Vojtech : The Soviet Union and the Origins of the Warsaw Pact in 1955, Zürich 2003, vgl. http :// www.php.isn.ethz.ch/collections/coll_pcc/into_VM.cfm (online am 4. Oktober 2009).

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gierenden kommunistischen »Bruderparteien« sowie den sowjetischen Botschaftern, die militärische Koordination sowjetischen Militärberatern, wie sie ab den späten 1940er-Jahren installiert wurden. Das wohl krasseste Beispiel sowjetischer Kontrollpolitik in diesem Bereich war die Ernennung des Sowjetmarschalls polnischer Herkunft Konstantin Rokossowski zum Verteidigungsminister Polens. Die Armeen der »Volksdemokratien« wurden bereits zu jener Zeit in Bezug auf Ausbildung, Ausrüstung, Gliederung und Rangordnung nach dem sowjetischen Vorbild (um)strukturiert.21 Einen Quantensprung stellte die von Stalin – wohl aufgrund seiner infolge des westlichen Widerstands im Koreakrieg im Jänner 1951 steigenden Kriegsangst – erteilte Weisung an die osteuropäischen Vasallen, binnen zweier Jahre aufzurüsten und »moderne schlagkräftige Armeen zu schaffen«, dar.22 Dabei schlugen der Sowjetdiktator und sein Verteidigungsminister Marschall Alexandr Wassilewski eine Mobilisierungsstärke von insgesamt drei Millionen Mann aus den nichtsowjetischen Staaten, den Aufbau einer düsengetriebenen Luftwaffe im Umfang von je einer Division und die Einrichtung eines periodisch zusammentretenden Koordinierungskomitees vor. Die vom sowjetischen Generalstab für 1951 zur Übergabe an die Satelliten bewilligte Rüstung umfasste unter anderem 760 82mm-Granatwerfer, 228 122mm-Haubitzen, über 600 Fliegerabwehrkanonen, 250 Panzer und über 4 000 Jagd-, Bomber- und Kampfflugzeuge. Die dabei gewährten langfristigen Kredite zur Anschaffung von Kriegstechnik betrugen 4,7 Milliarden Rubel.23 Überspitzt formuliert bildete der spätere Warschauer Pakt somit nur die multilaterale »Normierung einer faktisch längst bestehenden militärischen Zusammenarbeit«.24 Im Großen und Ganzen aber konzentrierte sich die sowjetische Führung in den Jahren vor 1955 (und darüber hinaus bis etwa 1960) sicherheitspolitisch weniger auf die eigene Allianzbildung als vielmehr auf Initiativen zur Verhinderung westlicher Zusammenschlüsse wie NATO, Westeuropäische Union (WEU) und Europäische Verteidigungsgemeinschaft (EVG) sowie des Beitrittes der BRD zur NATO, der nach dem Scheitern der EVG 1954 vereinbart wurde und bis Mai 1955 zur Ratifikation stand.25 Aus dieser Motivation erwuchs auch die am 10. Februar 1954 in der 21 Hacker, Jens : Der Ostblock : Entstehung, Entwicklung, Struktur 1939–1980, Baden-Baden 1983, S. 460– 462. 22 Wettig, Gerhard : Stalins Aufrüstungsbeschluss : Die Moskauer Beratungen mit den Parteichefs und Verteidigungsministern der »Volksdemokratien« vom 9. bis 12. Jänner 1951, in : Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 4/53 (2005), S. 635–650, hier S. 642. 23 Bystrova, I. V.: Sovetskij voenno-promyšlennyi kompleks : problemy stanovlenija i razvitija 1930–1980e gody. Moskva 2006, S. 319. 24 Rhode, Gotthold : Politische und soziale Probleme einer Integration in den Ostblockländern Mitteleuropas, in : Boettcher, Erich (Hg.) : Ostblock, EWG und Entwicklungsländer, Stuttgart 1963, S. 22–50, hier S. 32. 25 Egorova, N. I.: Voenno-političeskaja integracija stran zapada i reakcija SSSR 1947–1953, in : Čubar’jan, A.

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Berliner Außenministertagung vom sowjetischen Delegationschef Wjatscheslaw M. Molotow vorgebrachte,26 im März durch den Beitrittswunsch Moskaus zur NATO ergänzte und im Herbst des Jahres, unmittelbar nach dem Pariser NATO-Beschluss über eine Aufnahme Westdeutschlands in die Allianz, wiederholte sowjetische Einladung zu einer gesamteuropäischen Sicherheitskonferenz. Da der Westen dieses Projekt, das den USA lediglich Beobachterstatus zubilligte, als Versuch zur Unterminierung der atlantischen Sicherheitsgemeinschaft empfand, wurde die Veranstaltung von den NATO-Staaten ignoriert und nur von Sowjetsatelliten beschickt, die sich am 29. November in Moskau versammelten. Die Doppelstrategie, den NATO-Beitritt der BRD zu verhindern und widrigenfalls einen Anreiz für die westliche Zustimmung zu einer gesamteuropäischen Sicherheitsregelung samt Auflösung des Atlantischen Bündnisses zu schaffen, stand denn auch als erste Motivation an der Wiege des Warschauer Pakts. Am 21. März 1955, rechtzeitig vor der Abstimmung im französischen Senat über den Beitritt Westdeutschlands zum Atlantikpakt, verlautbarte die sowjetische Nachrichtenagentur TASS die sowjetische Absicht, ein östliches Gegenstück ins Leben zu rufen, falls der Westen nicht auf die NATO-Integration der BRD verzichte.27 Der Warschauer Pakt war dabei selbst gedrucktes Spielgeld, das man gegen die Liquidierung der NATO einzutauschen beabsichtigte. Da der Ostblock fest auf bilateralen Bündnissen und machtpolitischen Gegebenheiten aufgebaut war, hätte ein Verzicht auf den Warschauer Pakt keine substanzielle Einbuße an Konsistenz bedeutet. Der Kreml trachtete, Osteuropa jedenfalls besetzt zu halten, weshalb der polnische Vorschlag, in der Präambel des neuen Bündnisses den Abzug amerikanischer Truppen aus Westeuropa zu fordern, abgelehnt wurde. Dass man den NATO-Beitritt der Bundesrepublik als Anlass und Vorwand für die Gründung des östlichen Militärbündnisses wählte, entsprach sowohl der in der sowjetischen Führung tief verwurzelten Einschätzung, dass unter allen westeuropäischen Staaten lediglich Deutschland ein ernstzunehmender Gegner sei,28 als auch der seit Kriegsende vom Kreml bewusst zur Integration des Ostblockes geschürten osteuropäischen Angst vor der als »revisionistisch« und »aggressiv« porträtierten BRD.29

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O. (Hg.)/Egorova, N. I.: Cholodnaja vojna 1945–1963. Istoričeskaja retrospektiva, Moskva 2003, S. 187– 222. Vgl. Mueller, Wolfgang : The Soviet Union and Early European Integration 1947–1957 : From the Brussels Treaty to the ECSC and the EEC, in : Journal of European Integration History 2010 (im Erscheinen). Proposal of the Soviet Union, 10. Februar 1954, in : Foreign Relations of the United States 1952–1954, VII, 1. Washington 1986, S. 1189–1192. Mastny : The Soviet Union, S. 2–7. Stalin an Kim Il Sung, 7. Oktober 1950, in : Cold War International History Bulletin 5/6, 1995/96, S. 116 f. Rhode : Politische und soziale Probleme, S. 35.

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Als die von Chruschtschow einberufene »gesamteuropäische«, aber nur von den östlichen Staaten besuchte Moskauer Tagung vom November 1954 anscheinend auf Anregung des tschechoslowakischen Ministerpräsidenten Viliam Široký die seit der Berliner Konferenz im Raum stehende Frage einer östlichen Verteidigungsallianz zu diskutieren begann, tat sie dies aber nicht nur unter dem Eindruck der bevorstehenden Bildung einer in die NATO zu integrierenden westdeutschen, sondern auch einer immer weniger ignorierbaren ostdeutschen Armee, die als sogenannte Kasernierte Volkspolizei unter sowjetischer Obhut im Geheimen seit 1948 rasch herangewachsen war30 und der nun mit Blick auf die Einbindung der BRD in den Atlantikpakt die Bündnisfähigkeit nicht mehr allzu lange verweigert werden konnte. Die folgenden Diskussionen wogten bis Ende Februar 1955 zwischen den Optionen eines trilateralen tschechoslowakisch-polnisch-ostdeutschen Verteidigungsbündnisses gegen Westdeutschland und einer von der polnischen Führung aufgrund ihres Misstrauens gegenüber Ostberlin präferierten multilateralen Lösung unter Einbeziehung Moskaus hin und her. Dass das osteuropäische Bündnis nicht zuletzt der Kontrolle der neu geschaffenen ostdeutschen Nationalen Volksarmee (NVA) dienen sollte, war aus dem Umstand ersichtlich, dass diese als einzige nationale Armee nach Aufnahme der DDR in den Warschauer Pakt 1956 völlig in die Allianz integriert wurde.31 Diese Integration und damit Kontrolle ostdeutscher Streitkräfte sowie die Beschwichtigung tschechoslowakisch-polnischer Ängste können somit als zweite Motivation für die Gründung des Warschauer Pakts extrapoliert werden.32 Die Schaffung eines multilateralen völkerrechtlichen Rahmens für die Koordination osteuropäischer Armeen unter Moskauer Kommando sowie für die Stationierung sowjetischer Truppen in Osteuropa nach dem Abzug aus Österreich bildete schließlich ein drittes mögliches Motiv für die Unterzeichnung des Pakts.33 Die ungarische Parteiführung hatte intern Besorgnis geäußert, dass die sowjetische Armee nach Abschluss des Staatsvertrags auch aus Ungarn und Rumänien abziehen würde, wie in den Friedensverträgen von 1947 vorgesehen. Man beschloss, den Kreml um

30 Thoß, Bruno (Hg.) : »Volksarmee schaffen – ohne Geschrei !« Studien zu den Anfängen einer »verdeckten Aufrüstung« in der SBZ/DDR 1949–1952 (Beiträge zur Militärgeschichte 51), München 1994 ; Wettig, Gerhard : Neue Erkenntnisse aus sowjetischen Geheimdokumenten über den militärischen Aufbau in der SBZ/DDR 1948–1952, in : Militärgeschichtliche Mitteilungen 2/53 (1994), S. 399–419. 31 Mastny : The Soviet Union, S. 13. Auf den Umstand, dass die DDR ihre Souveränität schrittweise parallel zu ihrer fortschreitenden Integration in das sowjetische Blocksystem gewann, weisen hin : Uschakow, Alexander/Frenzke, Dietrich : Der Warschauer Pakt und seine bilateralen Bündnisverträge. Analyse und Texte (Quellen zur Rechtsvergleichung, Verträge sozialistischer Staaten 5), Berlin 1987, S. 65 und S. 72. 32 Ein Relikt der tschechoslowakisch-polnisch-ostdeutschen Initiative dürfte der erst 1985 beseitigte Umstand sein, dass der Warschauer Pakt bei seiner Unterzeichnung lediglich in russischer, tschechischer, polnischer und deutscher Sprache ausgefertigt wurde. Uschakow/Frenzke : Der Warschauer Pakt, S.13 f. 33 Meissner : Der Warschauer Pakt, S. 12 f.

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Weiterstationierung eines Armeekorps’ in Ungarn zu bitten, was sich allerdings als verfrüht herausstellte, da Moskau ohnedies keinerlei Absicht gehegt hatte, aus Ungarn abzuziehen.34 Der Verbleib sowjetischer Truppen in Osteuropa erforderte allerdings nicht zwingend die Form eines formal multilateralen Bündnisses wie des Warschauer Pakts, da ab 1956 gesonderte bilaterale Truppenstationierungsabkommen zwischen der UdSSR und ihren osteuropäischen Vasallen geschlossen wurden.35 Die Existenz sowjetischer Truppen in Osteuropa wurde im Warschauer Pakt nicht einmal erwähnt ; erst die sowjetische Deklaration vom 30. Oktober 1956 bemühte den Pakt unzutreffenderweise als Grundlage für die Präsenz sowjetischer Einheiten in Polen, Rumänien und Ungarn.36 Auch die interne Kontroll- und Beherrschungsfunktion des Bündnisses, die spätestens 1968 nur allzu offensichtlich wurde, machte nicht unbedingt die Unterzeichnung des Warschauer Pakts nötig und war in ihm, der ja ausdrücklich allen Staaten, ungeachtet ihrer politischen, sozialen und Wirtschaftsordnung offen stand, gar nicht festgehalten.37 Der sogenannte »sozialistische Internationalismus«, die Unterordnung nationaler Interessen unter jene der kommunistischen Weltbewegung und somit jene Moskaus, bildete vielmehr bereits seit Lenin generell die theoretische Grundlage für den Umgang zwischen dem Kreml und nichtsowjetischen kommunistischen Parteien sowie ab 1945 Staaten.38 Auch das Ziel einer »Verteidigung der Errungenschaften des Sozialismus«, d. h. die im Westen sogenannte BreshnewDoktrin,39 wurde lange vor ihrem Namensgeber von Stalin theoretisch formuliert, 34 Békés, Csaba : Hungary and the Warsaw Pact, 1954–1989 : Documents on the Impact of a Small State within the Eastern Bloc, Zürich 2003, vgl. http ://www.php.isn.ethz.ch/collections/coll_hun/intro.cfm ?navinfo=15711 (online am 4. Oktober). Zur Lage in Rumänien, wo Parteiführung und sowjetische Vertreter von einer stillschweigenden Fortsetzung der Truppenstationierung ausgingen : Deletant, Dennis/Ionescu, Mihail : Romania and the Warsaw Pact (Cold War International History Project Working Paper 43), Washington 2004, S. 61. 35 Uschakow/Frenzke : Der Warschauer Pakt, S. 71–77. Die Truppenstationierungsverträge mit Polen 1956, der DDR 1957, Ungarn 1957 und der ČSSR 1968 ebd., S. 94–130. 36 Deklaration der Regierung der UdSSR über die Entwicklungsprinzipien und die weitere Festigung der Freundschaft und Kooperation zwischen der Sowjetunion und den anderen sozialistischen Staaten, 30. Oktober 1956. Englische Übersetzung in : The Department of State Bulletin XXXV/907, 12. November 1956, S. 745–747. 37 Holden : The Warsaw Pact, S. 17–19. Der russische Vertragstext ist publiziert in : Ministerstvo inostrannych del SSSR : Organizacija Varšavskogo dogovora, S. 5–10 ; der deutsche Vertragstext in : Meissner : Der Warschauer Pakt, S. 97–101. 38 Light, Margot : The Soviet Theory of International Relations, New York 1988, S. 169–204 ; Jones, Robert A.: The Soviet Concept of »Limited Sovereignty« from Lenin to Gorbachev. The Brezhnev Doctrine, London/Basingstoke 1990. 39 Ouimet, Matthew J.: The Rise and Fall of the Brezhnev Doctrine in Soviet Foreign Policy (The new Cold War history), Chapel Hill 2003. Vgl. die sowjetische Darstellung in : Bachov : Organizacija Varšavskogo dogovora.

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schließlich in bilateralen Verträgen festgehalten40 und erst nachträglich von sowjetischen Vertretern in den Warschauer Pakt hineininterpretiert.41 Die semantisch als »sozialistische Bruderhilfe« kaschierte ständige Bereitschaft zur militärischen Drohung bzw. Intervention gegenüber Bündnispartnern wurde dennoch zu einer der wichtigsten inneren Funktionen der Organisation. In Anlehnung an den bekannten Merksatz, wonach die NATO gegründet worden sei, »to keep the Americans in, the Russians out, and the [West] Germans down«, könnte man somit resümieren, der Zweck des Warschauer Pakts sei gewesen, die Russen herinnen, die Amerikaner draußen, die [Ost-]Deutschen unten und die Osteuropäer unter Kontrolle zu halten und gleichzeitig (in den Anfangsjahren sogar vorrangig) als Lockmittel für eine Auflösung der NATO zu dienen. Diese Ziele besaßen im Lauf der Lebenszeit des Warschauer Pakts unterschiedliche Gewichtung. Während in der Anfangsphase zweifellos die Liquidierung der Blöcke im Vordergrund stand, gewann Anfang der 1960er-Jahre die externe Ausrichtung gegen die NATO an Bedeutung ; mit Blick auf 1968 ist jedoch davon auszugehen, dass die Kontrollfunktion nach innen immanent blieb. Primär dürfte die Gründung des Bündnisses jedoch durch die Absicht motiviert gewesen sein, dem Westen einen Anreiz zu Verhandlungen über die Schaffung eines gesamteuropäischen Sicherheitssystems bei Auflösung beider Militärblöcke zu bieten. Erst in zweiter Reihe standen die Beruhigung kommunistischer Regime der Tschechoslowakei und Polens und die Kontrolle der osteuropäischen Verbündeten DDR und Ungarn. Für diese Prioritätenfolge spricht nicht nur, dass der Warschauer Pakt seine Liquidierung für den Fall einer Auflösung der NATO und der Schaffung eines gesamteuropäischen Sicherheitssystems vorsah, sondern auch, dass der Warschauer Pakt lange eine »leere Hülle« blieb und erst infolge der Berlinkrise zu einem Militärbündnis mit tatsächlich arbeitenden Institutionen ausgebaut wurde. Aufgrund des bilateralen Bündnissystems der Sowjetunion mit den Vasallenstaaten war der multilaterale Warschauer Pakt in der Tat entbehrlich und konnte somit als Tauschobjekt zur Auflösung der NATO angeboten werden, ohne die Sicherheit der Sowjetunion oder ihre Herrschaft in Osteuropa ernsthaft zu gefährden.42 Auch sow40 Zu den bilateralen Beistandsverträgen ausführlich : Frenzke, Dietrich : Die bilateralen Beistandspakte zwischen den Staaten des Warschauer Vertrages, in : Uschakow, Alexander/Frenzke, Dietrich : Der Warschauer Pakt und seine bilateralen Bündnisverträge. Analyse und Texte (Quellen zur Rechtsvergleichung, Verträge sozialistischer Staaten 5), Berlin 1987, S. 131–265 ; zu den sogenannten »Errungenschaftsklauseln« ebd., S. 180–212. Angesichts der regelmäßigen Aktualisierung der – inhaltlich sehr unterschiedlichen – bilateralen Beistandsverträge wird angenommen, dass vor allem sie es waren, welche die rechtliche Grundlage für die sowjetische Kontrolle Osteuropas schaffen sollten. Ein Überblick über die drei »Generationen« von Beistandsverträgen in : Umbach : Das rote Bündnis, S. 126. 41 Holden : The Warsaw Pact, S. 18. 42 Mastny/Byrne : A Cardboard Castle, S. 4 und S. 7–13. Dies meint auch die von Mastny als Titel seiner Do-

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jetische Kommentatoren bestätigten implizit, dass eine Auflösung des Warschauer Pakts kein Ende des »sozialistischen Systems« in Osteuropa bedeuten würde. Warum gerade das »Wegverhandeln« des Nordatlantikpakts mittels einer Aufgabe des WP für die sowjetische Führung so erstrebenswert schien, ist am besten aus der globalen politisch-strategischen Lage nach dem Tod Stalins zu erklären, die sich in Europa in einem Kalten Stellungskrieg festgefahren hatte, der nicht nur die Ausbreitung sowjetischen Einflusses erschwerte, sondern auch eine atomare Kriegsgefahr an Moskaus Westfront in sich barg. Wollte man, wie die neuen Sowjetführer Georgi Malenkow und nach ihm Nikita Chruschtschow, aus diesem Dilemma ausbrechen, eine Konfrontation in Europa verhindern und gleichzeitig politisch wieder in die Offensive gehen, musste man die Strategie ändern. Nicht mehr die Forcierung der eigenen Blockbildung stand nun im Zentrum, sondern die Entspannung, um damit die Kriegsgefahr zu reduzieren und eine Lockerung der Konsistenz der westlichen Allianz zu erreichen. Nur wenige Tage nach Stalins Tod verlautbarte der Kreml, dass ein Krieg zwischen Ost und West nicht unausweichlich sei und dass die Sowjetunion dem Prinzip »Friedliche Koexistenz zwischen Staaten unterschiedlicher Systeme« folgen wolle, worunter keine Aufgabe der Gegensätze zwischen Kommunismus und Kapitalismus verstanden wurde, sondern lediglich deren Verlagerung in den nichtmilitärischen Bereich.43 Dazu gehörte es, durch die Propagierung von Neutralität unter westlichen Staaten und ehemaligen Kolonien eine weitere Expansion des Westblockes einzudämmen, die westlichen Verbündeten aus der NATO zu lösen und zum Übertritt zur Neutralität zu ermuntern und gleichzeitig neue Mitglieder für die laut sowjetischer Doktrin von der Sowjetunion und den »Volksdemokratien« gebildete »Friedenszone« zu rekrutieren.44 kumentation gewählte Einschätzung eines US-amerikanischen Offiziers aus den 1950er-Jahren, es handle sich beim WP um eine »Pappkartonburg«, die man leicht zerlegen könne, unter der aber dann eine solide Festung (d.h. die bilateralen Bündnisverträge) zutage kommen würden. Fodor : The Warsaw Treaty Organization, S. 7 und S. 40, zitiert osteuropäische Stimmen, wonach der WP bei seiner Gründung eine »Fiktion« gewesen sei. 43 Mueller, Wolfgang : Peaceful Coexistence, Neutrality, and Bilateral Relations Across the Iron Curtain, in : Suppan, Arnold/Mueller, Wolfgang (Hg.) : »Peaceful Coexistence« or »Iron Curtain« ? Austria, Neutrality, and Eastern Europe in the Cold War and Détente, 1955–1989 (Europa Orientalis 7), Wien/Münster 2009, S. 7–34, hier S. 11 f. Aus sowjetischer Perspektive : Bovin, A. E.: Peaceful Coexistence, in : Great Soviet Encyclopedia, Band 16, 3. Aufl., New York 1977, S. 625–627 ; Tunkin, Grigorij I.: Theory of International Law, Cambridge 1974, S. 37–39. 44 Vgl. den Aufsatz von Hans Rudolf Fuhrer in diesem Band sowie Fiedler, Hans : Der sowjetische Neutralitätsbegriff in Theorie und Praxis : Ein Beitrag zum Problem des Disengagement, Köln 1959 ; Ginther, Konrad : Neutralität und Neutralitätspolitik. Die österreichische Neutralität zwischen Schweizer Muster und sowjetischer Koexistenzdoktrin, Wien/New York 1975 ; Zubok, Vladislav : The Soviet Attitude towards European Neutrals during the Cold War, in : Gehler, Michael/Steininger, Rolf (Hg.) : Die Neutralen und die europäische Integration 1945–1995 (Historische Forschungen, Veröffentlichungen 3), Wien/ Köln/Weimar 2000, S. 29–43.

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Es war im Kontext dieser neuen sowjetischen Politik, basierend auf »Friedlicher Koexistenz«, Entspannung und der Verbreitung von Neutralität im Westen und der Dritten Welt, dass die sowjetische Führung unter Chruschtschow ab Jänner 1955 immer eindeutigere Signale auszusenden begann, wonach der Abschluss des österreichischen Staatsvertrags nunmehr möglich sei.45 Für die Erprobung der Entspannung am Beispiel Österreichs sprachen zahlreiche Gründe : So galt der unerledigte Staatsvertrag international als Paradebeispiel sowjetischer Blockadepolitik, zu dessen Lösung US-Präsident Eisenhower unmittelbar nach Stalins Tod aufgerufen hatte.46 Wollte der Kreml nun glaubhaft für Entspannung auftreten, musste er nachgeben. Der Staatsvertrag war somit – gemeinsam mit der fast gleichzeitigen Aufgabe der sowjetischen Marinebasen von Porkkala in Finnland und Port Arthur am Chinesischen Meer – ein notwendiger taktischer Rückzug aus politisch unvertretbar und finanziell unrentabel gewordenen, strategisch verzichtbaren Stellungen, um sodann mit gestärkter moralischer Autorität wieder in die politische Offensive zu gehen. War die Klärung der ganzen Angelegenheit 1954 noch an der Intransigenz Außenminister Molotows gescheitert, der Österreich nicht aufgeben wollte, solange die »Deutsche Frage« nicht für Moskau befriedigend bereinigt sei, so brachte dieselbe Frage nun umgekehrt Moskau unter Druck : Sobald die Bundesrepublik Deutschland der NATO beitrat, wozu sie sich im Winter 1954/55 anschickte, war mit einer weiteren schleichenden Integration Westösterreichs in die NATO-Planungen, wie sie seit Anfang der 1950er-Jahre stattgefunden hatte,47 womöglich sogar mit einer steigenden Anschlussbewegung an die Allianz zu rechnen. Sowjetische Berichte und die Intensität der 1952 und 1954 überaus heftigen sowjetischen »Antianschlusspropaganda« weisen darauf hin,48 wie groß diese Gefahr seitens der UdSSR eingeschätzt 45 Stourzh, Gerald : Um Einheit und Freiheit. Staatsvertrag, Neutralität und das Ende der Ost-West-Besetzung Österreichs 1945–1955, 5. durchges. Aufl. (Studien zu Politik und Verwaltung 62), Wien/Köln/ Graz 2005. Vgl. Stourzh, Gerald : Der österreichische Staatsvertrag in den weltpolitischen Entscheidungsprozessen des Jahres 1955, in : Suppan, Arnold/Stourzh, Gerald/Mueller, Wolfgang (Hg.) : Der österreichische Staatsvertrag 1955. Internationale Strategie, rechtliche Relevanz, nationale Identität (Archiv für österreichische Geschichte 140), Wien 2005, S. 965–995. 46 Zubok, Vladislav/Pleshakov, Constantine : Inside the Kremlin’s Cold War : From Stalin to Khrushchev, Cambridge 1996, S. 157. Die Autoren sprechen irrtümlich von einem »treaty on Austrian neutrality«, den Eisenhower gefordert habe. Gemeint ist vielmehr der Staatsvertrag. 47 Blasi, Walter : Die B-Gendarmerie, in : Blasi, Walter/Schmidl, Erwin/Schneider, Felix (Hg.) : B-Gendarmerie, Waffenlager und Nachrichtendienste. Der militärische Weg zum Staatsvertrag, Wien/Köln/Weimar 2005, S. 27–74, hier S. 74 ; Rauchensteiner, Manfried : Staatsvertrag und Neutralität aus militärhistorischer Perspektive, in : Suppan, Arnold/Stourzh, Gerald/Mueller, Wolfgang (Hg.) : Der österreichische Staatsvertrag 1955. Internationale Strategie, rechtliche Relevanz, nationale Identität (Archiv für österreichische Geschichte 140), Wien 2005, S. 57–86. 48 Volgin, V.: Podgotovka imperialistami SŠA voennogo placdarma v Zapadnoj Avstrii, in : Voennaja mysl’ Nr. 11 (1952), S. 59–69. Die Angaben entstammten Quellen aus dem KPÖ-nahen Österreichischen Frie-

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worden sein dürfte. In dieser Zwangslage bot die Sowjetunion der Alpenrepublik das Paket »Staatsvertrag um den Preis der Neutralisierung« an, um einerseits einen NATO-Beitritt unmöglich zu machen und andererseits ein letztes Propagandasignal an die BRD zu senden, dass Moskau bereit sein könnte, gegen den Preis der Neutralität die staatliche Einheit Deutschlands zu gewähren. Darüber hinaus versprach ein Abschluss des Staatsvertrags nicht nur die aufgrund der anhaltenden sowjetischen Besetzung Ostösterreichs vorhandene politische und die aufgrund der abgewirtschafteten sowjetischen Betriebe ebenda auch drohende wirtschaftliche Belastung zu liquidieren.49 Die von Österreich im Moskauer Memorandum im April 1955 als Preis für den Staatsvertrag zugesagte und im Oktober feierlich deklarierte immerwährende, d. h. auch in Friedenszeiten gültige, Neutralität gab der Sowjetunion sogar noch ein Werkzeug, mit dem sie in Zukunft auf die Politik der Wiener Regierung Einfluss nehmen, und ein Modell, zu dessen Nachahmung sie zahlreiche westliche Staaten auffordern konnte.50 Zu guter Letzt stellte die Neutralität der Alpenrepublik durch die Verlängerung des neutralen Sperrriegels von Genf bis Pressburg (Bratislava) auch einen nicht unbedeutenden strategischen Nachteil für die NATO in Aussicht. Sowohl der österreichische Staatsvertrag als auch der Warschauer Pakt trugen somit durchaus ambivalenten Charakter, stellten aber aus sowjetischer Sicht weniger Rückzug und defensive Blockbildung als vielmehr aktive Aufforderung zur Liquidierung der NATO und Vorbereitungen zur politischen Offensive dar.51

densrat. Siehe auch dessen Publikation : Bauer, Josef (Hg.) : Die Aufrüstung Österreichs : Dokumente und Tatsachen, Wien 1952 ; Verbalnote des sowjetischen Hochkommissars in Österreich, 17. Mai 1954, in : Csáky, Eva Marie (Bearb.) : Der Weg zu Freiheit und Neutralität. Dokumentation zur österreichischen Außenpolitik 1945–1955 (Schriftenreihe der Österreichischen Gesellschaft für Außenpolitik und internationale Beziehungen 10), Wien 1980, S. 345–347 ; Kurzprotokoll des Plenums der KPÖ-Landesleitung, 26. Jänner 1955, in : Mueller, Wolfgang/Suppan, Arnold/Naimark, Norman M./Bordjugov, Gennadij (Hg.) : Sowjetische Politik in Österreich 1945–1955. Dokumente aus russischen Archiven (Fontes rerum Austriacarum, 2. Abteilung : Diplomataria et acta 93), Wien 2005, S. 971–973 ; sowie die entsprechenden Jahrgänge der von der Sowjetbesatzung in Österreich herausgegebenen »Österreichischen Zeitung«. 49 Chruščëv, Nikita S.: Vremja, ljudi, vlast’ : Vozpominanija 2, Moskva 1999, S. 211–220 ; zur Wirtschaftsfrage : Prozumenščikov, Michail : Nach Stalins Tod. Sowjetische Österreichpolitik 1953–1955, in : Karner, Stefan/Stelzl-Marx, Barbara (Hg.) : Die Rote Armee in Österreich. Sowjetische Besatzung 1945–1955. Beiträge, Graz/Wien/München 2005, S. 729–753. 50 Vgl. dazu ausführlich : Mueller, Wolfgang : A Good Example of Peaceful Coexistence ? The Soviet Union, Neutrality, and Austria, 1955–1991 (im Erscheinen). 51 Mastny, Vojtech : The Launching of the Warsaw Pact and Soviet Grand Strategy, in : Suppan, Arnold/ Stourzh, Gerald/Mueller, Wolfgang (Hg.) : Der österreichische Staatsvertrag 1955. Internationale Strategie, rechtliche Relevanz, nationale Identität (Archiv für österreichische Geschichte 140), Wien 2005, S. 145–162.

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Eine Allianz auf Abruf und die Neutralisierung Österreichs 1955–1960 Die Gründung des Warschauer Pakts Der Warschauer Pakt vom 14. Mai 1955 war nach dem Vorbild des Washingtoner NATO-Vertrages vom 4. April 1949 abgefasst.52 Im Bereich externer Zielvorgaben umfasste er die Erklärung, sich für friedliche Konfliktlösung (§1), ein internationales Verbot von Massenvernichtungswaffen (§2) und die Schaffung eines gesamteuropäischen kollektiven Sicherheitssystems (§11) einsetzen zu wollen, dessen Etablierung die Auflösung des WP nach sich ziehen werde. In Bezug auf die interne Struktur und Funktion des Bündnisses stipulierte der Warschauer Pakt die Schaffung eines Politischen Beratenden Ausschusses (PBA) als oberstes politisches Beschlussorgan und eines Vereinten Oberkommandos (VOK) jeweils aus Vertretern aller Mitgliedstaaten (§§5–6), ferner deren Nichtteilnahme an gegenteiligen Bündnissen (§7), Konsultationen und Maßnahmen im Fall eines bewaffneten Angriffes gegen Mitgliedstaaten (§§3–4), sowie die wirtschaftliche und kulturelle Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung des Prinzips der Nichteinmischung (§8). Insbesondere letzterer Punkt muss angesichts der sowjetischen Militärintervention in Ungarn 1956 und des Einmarsches von Truppen anderer WP-Staaten in der Tschechoslowakei 1968 als reines Lippenbekenntnis klassifiziert werden. Unterzeichner des Vertrages waren bekanntermaßen Albanien, Bulgarien, die DDR, Polen, Rumänien, die Tschechoslowakei, Ungarn und die UdSSR. Die Möglichkeit eines Beitrittes anderer Staaten ungeachtet ihrer sozialen und politischen Systeme, d. h. somit auch kapitalistischer Staaten, war ausdrücklich vorgesehen (§9), ein Austritt hingegen nicht. Auch wenn der Kremlbeschluss zur endgültigen Niederschlagung der ungarischen Revolution 1956 bereits vor Ungarns offizieller Ankündigung des Austritts aus dem Warschauer Pakt gefallen war, so führte er doch 17 Monate nach Vertragsabschluss drastisch vor Augen, dass die WP-Staaten nicht selbst über ihren Verbleib in oder Rückzug aus der Organisation zu entscheiden hatten.53 Dies war umso widersprüchlicher, als der Kreml einen Tag zuvor, am 30. Oktober 1956, das Prinzip der Nichteinmischung bekräftigt und seine Bereitschaft 52 Der deutsche Vertragstext in : Meissner : Der Warschauer Pakt, S. 97–101. 53 Zum Ungarnaufstand aus österreichischer Sicht : Gémes, Andreas : Austria and the 1956 Hungarian Revolution. Between Solidarity and Neutrality (Creating links and innovative overviews for a New History Research Agenda for the citizens of a growing Europe 3, Doctoral dissertations 3), Pisa 2008 ; vgl. Eger, Reiner : Krisen an Österreichs Grenzen : das Verhalten Österreichs während des Ungarnaufstandes 1956 und der tschechoslowakischen Krise 1968. Ein Vergleich, Wien/München 1981 ; Rauchensteiner, Manfried : Spätherbst 1956. Die Neutralität auf dem Prüfstand (Veröffentlichung des Heeresgeschichtlichen Museums in Wien), Wien 1981 ; Schmidl, Erwin A. (Hg.) : Die Ungarnkrise und Österreich, Wien 2003 ; Murber, Ibolya/Fónagy, Zoltán (Hg.) : Die Ungarische Revolution und Österreich 1956, Wien 2006.

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angedeutet hatte, mit der ungarischen Regierung über einen generellen sowjetischen Truppenabzug aus Ungarn zu verhandeln.54 Hingegen wurde 1968 der infolge der Intervention von WP-Staaten in der Tschechoslowakei einseitig erklärte Austritt Albaniens stillschweigend akzeptiert. 1990 schied die DDR infolge der deutschen Wiedervereinigung aus dem WP aus. Der Warschauer Pakt enthielt keine eindeutige automatische Beistandsverpflichtung, war jedoch – anders als die von der Sowjetunion mit den nichtsowjetischen WPStaaten und von diesen untereinander abgeschlossenen bilateralen Freundschaftsund Beistandsverträgen55 – in seinem Wirkungsradius auf Europa beschränkt.56 Auch die Beistandsklausel war lockerer gefasst als in den – besonders in diesem Punkt äußerst unterschiedlich gestalteten – bilateralen Verträgen. So konnte einzig Rumänien in seinen bilateralen Verträgen jegliche Verpflichtung zur gemeinsamen Verteidigung der »sozialistischen Errungenschaften« seiner Bündnispartner vermeiden. Im Allgemeinen sahen die bilateralen Verträge jedoch den »unverzüglichen« Beistand mithilfe »aller« Mittel vor, wohingegen der Warschauer Pakt in Artikel 4 die Anwendung »aller Mittel, die ihnen [= den Mitgliedstaaten] erforderlich erscheinen«, festgeschrieben hatte. Der Zusammenhalt des Ostblockes wäre somit, wie bereits angedeutet, auch ohne den Warschauer Pakt allein durch das in drei Generationen ausgebaute Netzwerk immer umfassenderer bilateraler Beistandsverträge57 gewährleistet gewesen, welche durch eigene Abkommen über die Stationierung sowjetischer Truppen in Polen (1956), der DDR (1957), Ungarn (1957) und der ČSSR (1968) ergänzt wurden.58 Im ersten Jahrfünft seines Bestandes konnte keinerlei institutionelle Entwicklung erzielt werden, und der Warschauer Pakt blieb eine Fassade. Zwar beschloss der Politische Beratende Ausschuss, der in späteren Jahren nicht nur von den Partei- und Regierungschefs, sondern auch Außen- und Verteidigungsministern und dem Oberkommandierenden der WP-Truppen beschickt wurde,59 in seiner ersten Konferenz 1956 die Schaffung einer Ständigen Kommission.60 Die weiteren Sitzungen blieben

54 Deklaration der Regierung der UdSSR über die Entwicklungsprinzipien und die weitere Festigung der Freundschaft und Kooperation zwischen der Sowjetunion und den anderen sozialistischen Staaten, 30. Oktober 1956. Englische Übersetzung in : The Department of State Bulletin XXXV/907, 12. November 1956, S. 745–747. 55 Holden : The Warsaw Pact, S.55. 56 Umbach : Das rote Bündnis, S. 121–123 ; Uschakow/Frenzke : Der Warschauer Pakt, S. 137. 57 Fodor : The Warsaw Treaty Organization, S. 188–191. 58 Uschakow/Frenzke : Der Warschauer Pakt, S. 94–130. 59 Gribkow, Anatoli : Der Warschauer Pakt. Geschichte und Hintergründe des östlichen Militärbündnisses, Berlin 1995, S. 37 f. 60 [Korkisch, Friedrich] : Die Luftstreitkräfte des Warschauer Pakts 1 : Die politische und militärische Führungsstruktur, Wien 1982, S. 30 ; Umbach : Das rote Bündnis, S. 133 f.

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jedoch selten und unregelmäßig. Ein 1956 vorgelegter Plan zur Schaffung einer multinationalen WP-Armee mit 30 sowjetischen und 48 nichtsowjetischen Land- und insgesamt 61 Luftdivisionen wurde nie realisiert ; offensichtlich hatte der ungarische Volksaufstand zu große sowjetische Zweifel an der Loyalität der Verbündeten geweckt. Bis 1961 sind auch keine gemeinsamen Manöver bekannt. Gleichzeitig wurden von 1955 bis inklusive 1958 einseitige sowjetische Truppenkürzungen im Umfang von über 2,2 Millionen Mann angekündigt und weitgehend durchgeführt, 1958 der Abzug aus dem (noch) loyalen Rumänien abgeschlossen, und 1959 soll Chruschtschow der nach der Niederschlagung des Ungarnaufstandes installierten Budapester Führung ebenfalls den Abzug angeboten haben.61 Ein weiterer, vom Kremlchef verkündeter Truppenabbau wurde 1960 im Zuge des sich rapide verschlechternden internationalen Klimas ausgesetzt. Parallel dazu erfolgte die nukleare Aufrüstung der Sowjetunion, die mit der Zündung der ersten sowjetischen zweistufigen Trägerrakete 1957 vorangetrieben wurde. Durch diese – wenn auch quantitativ noch nicht mit dem Westen vergleichbare – Entwicklung gestärkt, machte Chruschtschow systematische nukleare Drohungen in steigendem Maße zu einem außenpolitischen Mittel, das er während der Suezkrise im November 1956 gegenüber Großbritannien, Frankreich und Israel und im Februar 1958 zur Verhinderung neuer Raketenbasen in Großbritannien anwandte. Weitere sowjetische Warnungen und Protestnoten mitsamt oder auch ohne atomare Drohgebärden folgten an Italien 1958 ; die BRD, Griechenland, die Türkei und die USA 1959/60 sowie die Niederlande, nochmals die Türkei und nochmals Italien 1961.62 Chruschtschow erklärte vor seinem Wiener Treffen mit dem US-Präsidenten J. F. Kennedy während der sich seit geraumer Zeit hinziehenden Berlinkrise, dass fünf Prozent Wahrscheinlichkeit für einen Kriegsausbruch bestünden, wobei er allerdings darauf vertraue, dass die Westmächte um Berlins willen keinen Atomkrieg beginnen würden.63 Die Kubakrise 1962 stellte der Höhepunkt von Chruschtschows riskanter Nuklearpolitik dar.

61 Als Ausgangspunkt gab die sowjetische Führung 1955 die Gesamtstärke der Armee von über 5,7 Millionen Mann an, was allerdings nicht mit sowjetischen Archivakten übereinstimmt, laut welchen die Gesamtstärke 1955 nur mehr 4,8 Millionen Mann betrug. Die Abrüstungsankündigungen Chruschtschows betrugen 640.000 Mann (1955, etwa zur Hälfte erfüllt), 1,2 Millionen (1956), 300.000 (1958), 1,2 Millionen (1960, nicht durchgeführt). Evangelista, Matthew : »Why Keep Such an Army ?« Khrushchev’s Troop Reductions (Cold War International History Project Working Paper 19), Washington 1997, S. 4 f. Zu Ungarn 1959 : ebd., S. 16. 62 Dahm, Helmut : Abschreckung oder Volkskrieg. Strategische Machtplanung der Sowjetunion und Chinas im internationalen Kräfteverhältnis, Olten/Freiburg 1968, S. 70 f. 63 Vyskazyvanija N.S. Chruščëva v chode zasedanija Prezidiuma CK KPSS po voprosu ob obmene mnenijami k vstreče tov. Chruščëva N.S. s Kennedi v Vene, 26. Mai 1961, in : Fursenko, A. A. (Hg.) : Prezidium CK KPSS 1954–1964, tom 1, Moskva 2003, S. 500–507, hier S. 503.

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Auch in Bezug auf die strategische Planung begann sich ein Wandel abzuzeichnen. Die bislang bekannt gewordenen Kriegspläne der »volksdemokratischen Staaten« aus der Stalinzeit waren noch eindeutig defensiv, so etwa ein polnischer Entwurf 64 aus 1951 und zwei tschechoslowakische Dokumente.65 In diesen östlichen Konzepten ging man von einer massiven westlichen Luftüberlegenheit von bis zu 11 :1 aus. Als Kriegsfall wurde ein US-Angriff auf die sowjetischen Besatzungszonen in Deutschland und Österreich nach Aufstellung der damals geplanten Europaarmee unter Einbeziehung westdeutscher Truppen, d. h. nicht vor 1953, angenommen. Die Mobilisierungsstärke westlicher Einheiten schätzte man auf 33 (am Tag des Angriffes) bis 56 Divisionen (binnen neun Tagen nach Angriff). Der östliche (tschechoslowakische) Gegenangriff sollte bis zur Naab und Donau vordringen und bei Regensburg und Straubing Brückenköpfe bilden. In den Plänen von 1953 wurden bereits atomare Präventivschläge gegen die NATO vorgesehen. Die Lage und Neutralität Österreichs Für östliche Strategen stellte die ambivalente Lage Österreichs eine besondere Herausforderung dar. So bildete die Alpenrepublik bekanntermaßen einen Sperrriegel zwischen den NATO-Staaten Westdeutschland und Italien.* Die Sowjetunion hatte nicht zuletzt aus diesem Grund 1955 dem Staatsvertrag zugestimmt und war daher an der Erhaltung der österreichischen Neutralität interessiert. Dieses militärstrategische Interesse bestand allerdings nur, solange Österreich seine für den Osten vorteilhafte Funktion als Barrikade gegen die Nord-Süd-Kommunikation des Nordatlantischen Bündnisses zu erfüllen imstande und bereit war. Sollte es dies aus irgendwelchen Gründen nicht (mehr) tun, fiel das militärstrategische Interesse an der Beachtung der österreichischen Neutralität weg, barg sie doch, wiederum aus sowjetischer Sicht, auch einen nicht unbedeutenden Nachteil : den Verzicht auf das Donautal als geeigneten Ost-West-Korridor für einen sowjetischen Vorstoß von Ungarn bzw. Südböhmen nach Süddeutschland.66 Ob man Österreichs Neutralität und Unverletzlichkeit beachten wollte oder nicht, hing vermutlich nicht nur von 64 Polish War Plan of 1951, vgl. http ://www.php.isn.ethz.ch/collections/colltopic.cfm ?lng=en&id=16277 &navinfo=15365 (online am 4. Oktober 2009). 65 Luňák, Petr : War plans from Stalin to Brezhnev : The Czechoslovak pivot, in : Mastny, Vojtech/Holtsmark, Sven G./Wenger, Andreas (Hg.) : War Plans and Alliances in the Cold War. Threat Perceptions in the East and West, London/New York 2006, S. 72–94, hier S. 74–76. * Vgl. dazu den Beitrag von Bruno Thoß in diesem Band mit dem Titel : »Österreich in der Entstehungsund Konsolidierungsphase des westlichen Bündnissystems (1947–1967)«. 66 Freistetter, Franz : Das strategische Konzept des Ostens und Österreich 1955–1970, in : Rauchensteiner, Manfried/Etschmann, Wolfgang (Hg.) : Schild ohne Schwert. Das österreichische Bundesheer 1955–1970 (Forschungen zur Militärgeschichte 2), Wien 1991, S. 29–60, hier S. 40–41.

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prinzipiellen Entscheidungen, sondern auch von Nützlichkeitserwägungen über den daraus zu ziehenden strategischen Vorteil ab.67 Es ist somit nicht vollends klar, wie sich der Warschauer Pakt im Kriegsfall gegenüber Österreich verhalten hätte. Aufgrund seines Wesens als neutrale, aber eben doch westorientierte Demokratie, bestand östliches Misstrauen, dass die Wiener Regierung die NATO begünstigen werde.68 Neben der eben dargelegten grundsätzlichen Interessenlage weisen einige spärliche Indizien jedoch darauf hin, dass der WP in jener Phase die österreichische Neutralität respektiert hätte, solange der Westen und Wien dies auch taten – wenn auch nicht darüber hinaus. Als der sowjetische Verteidigungsminister Marschall Malinowski anlässlich seines Besuches bei Manövern des österreichischen Bundesheeres im Sommer 1959 erklärte, die Sowjetunion würde »Österreichs Neutralität niemals als erste verletzen«,69 war dies eine ebenso aussagekräftige Bestätigung wie auch Relativierung des sowjetischen Bekenntnisses, die Unverletzlichkeit des neutralen Territoriums zu achten. Und auch in den bisher bekannten tschechoslowakischen Kriegsplanungen wurde, zumindest bis 1960, einer (Gegen-)Offensive entlang der Linie Prag – Nürnberg – Saarbrücken gegenüber jener entlang der Richtung Brünn – Wien – München Vorzug gegeben.70 Bruno Kreisky erinnerte sich hingegen, dass abgehörte Funksprüche einiger Ostblockregimes, darunter die DDR und ČSR, im Zuge der Ungarnkrise 1956 eine Wiederbesetzung Ostösterreichs durch sowjetische Truppen gefordert hätten.71 Das Misstrauen des Ostblockes gegenüber der noch jungen Neutralität Österreichs äußerte sich indes in zwei Stoßrichtungen der sowjetischen Politik : Die erste davon zielte darauf ab, Österreich »so neutral wie möglich« zu machen. Die entrüsteten sowjetischen Proteste gegen den österrichischen Beitritt zum Europarat 195672 und während der Libanonkrise 1958 gegen US-Truppentransporte durch und Überflüge über Tirol73 67 Agrell, Wilhelm : Silent allies and hostile neutrals : Nonalligned states in the Cold War, in : Mastny, Vojtech/Holtsmark, Sven G./Wenger, Andreas (Hg.). War Plans and Alliances in the Cold War : Threat Perceptions in the East and West, London/New York 2006, S. 141–162, hier S. 145. 68 Széles, Robert : Die strategischen Überlegungen des Warschauer Pakts für Mitteleuropa in den 70erJahren und die Rolle der Neutralen, in : Rauchensteiner, Manfried/Rausch, Josef/Etschmann, Wolfgang (Hg.) : Tausend Nadelstiche. Das österreichische Bundesheer in der Reformzeit 1970–1978 (Forschungen zur Militärgeschichte 3), Graz/Wien 1994, S. 25–46, hier S. 29 f. 69 Stuttgarter Nachrichten, 23. Juni 1959 (Hervorhebung WM). 70 Luňák, Petr : The Warsaw Pact War Plan of 1964, Zürich 2000, vgl. http ://www.php.isn.ethz.ch/collections/coll_warplan/intro_lunak.cfm ?navinfo=15365 (online am 4. Oktober 2009). 71 Kreisky, Bruno : Im Strom der Politik, Wien 1988, S. 230. 72 Izvestija, 22. Februar 1956, S. 8. Vgl. Angebliche Verletzung der österreichischen Souveränität durch Amerika, 21. März 1956, S. 8, Österreichisches Staatsarchiv, Archiv der Republik, Wien (ÖStA, AdR), BMaA, GZ. 512.757-pol/56, Z. 512.786-pol/56. 73 Blasi, Walter : Die Libanonkrise 1958 und die US-Überflüge, in : Schmidl, Erwin A. (Hg.) : Österreich im frühen Kalten Krieg 1945–1948. Spione, Partisanen, Kriegspläne, Wien/Köln/Weimar 2000, S. 239–259.

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sollten dabei nicht nur das österreichische Bewusstsein über die Unvereinbarkeit der etwas »schlampigen« Haltung mit den Status der Neutralität wecken (was nicht heißt, dass Bewilligungen für Truppentransfers in Ausnahmefällen nicht als Akt der Solidarität in Übereinstimmung mit der Charta der Vereinten Nationen zu gewähren sind). Die sowjetischen Mahnungen konnten und sollten auch dazu dienen, Österreich von seiner bisherigen Schutzmacht USA so weit wie möglich zu entfernen. Die 1958 aufgetretene Verstimmung zwischen Wien und Washington74 dürfte somit ein für den Kreml durchaus willkommenes Nebenprodukt der Debatte um die US-Überflüge gewesen sein.75 Zweitens – und in gewissem Widerspruch zu den sowjetischen Klagen über den mangelnden österreichischen Widerstand gegen fremde Überflüge – zeigte sich anhand der sowjetischen Politik der Grundsatz des marxistisch-leninistischen Neutralitätsverständnisses, wonach dieser Status möglichst unbewaffnet zu sein habe.* Österreich sollte somit, entgegen seinem Neutralitätsgesetz, das ja von »bewaffneter Neutralität« spricht, auch »so unbewaffnet wie möglich« bleiben. Während diese Moskauer Haltung in späteren Jahren ihren Niederschlag in zähem Widerstand gegen den Erwerb bestimmter Waffen durch Österreich finden sollte,76 brachte Chruschtschow sie vornehmlich durch nach der Libanonkrise 1958 wiederholte Angebote zum Ausdruck, die Sowjetunion wäre gerne bereit, die Verteidigung von Österreichs Luftraum zu übernehmen. Seine berühmte Ankündigung während seines Österreichbesuches 1960, wonach die Sowjetunion »nicht untätig bleiben wird, wenn jemand Österreichs Neutralität verletzt«,77 ohne zu präzisieren, worin die sowjetische Reaktion bestehen würde, lässt sich allerdings in Zusammenhang mit Malinowskis Andeutung vom Vorjahr auch in dem Sinne verstehen, dass sich Moskau nach einer tief greifenden Verletzung des Neutralitätsstatus nicht mehr an dessen Beachtung gebunden fühlen werde. Gleichzeitig zeigte sich auf österreichischer Seite in den Jahren 1955 bis 1960 eine klare Verschiebung des Neutralitätsverständnisses in Richtung des sowjetischen.78 Während man im Wiener Kanzleramt Neutralität bis 1956 primär als Mittel, die

74 Rathkolb, Oliver : Washington ruft Wien. US-Großmachtpolitik gegenüber Österreich 1953–1963, Wien/ Köln/Weimar 1997, S. 132. 75 Mueller, Wolfgang : The Soviet Union and Austria, 1955–1991, in : Suppan, Arnold/Mueller, Wolfgang (Hg.) : »Peaceful Coexistence« or »Iron Curtain« ? Austria, Neutrality, and Eastern Europe in the Cold War and Détente, 1955–1989 (Europa Orientalis 7), Wien/Münster 2009, S. 256–289, hier S. 287. * Siehe dazu den Beitrag von Hans Rudolf Fuhrer in diesem Band mit dem Titel : »Neutral zwischen den Blöcken : Österreich und die Schweiz«. 76 Dazu siehe unten Seiten 170 und 184. 77 Chronik zur österreichischen Außenpolitik 1. Juli–30. September 1960, in : Österreichische Zeitschrift für Außenpolitik 1/1 (1960/61), S. 74–82, hier S. 75. 78 Gehler, Michael : From Non-Alignment to Neutrality : Austria’s Transformation during the First EastWest Détente, 1953–1958, in : Journal of Cold War Studies 4/7 (2005), S. 104–136.

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»Russen« aus dem Land zu bekommen und im Kalten Krieg seinen Frieden zu bewahren, verstanden hatte, sie darüber hinaus aber als recht theoretische und rein formale Verpflichtung, keinem Militärbündnis beizutreten, sah, setzte sich in den späten 1950er-Jahren eine umfassendere Interpretation durch. Diese neue Neutralitätslinie, welche die Verletzbarkeit des internationalen Status aus östlicher und westlicher Richtung in Rechnung stellte, war stärker um Abgrenzung gegenüber den USA, um Äquidistanz zwischen den Blöcken und um Vermeidung öffentlicher Kritik gegenüber der Sowjetunion bemüht. Dieser Kurswechsel war nicht zuletzt unter dem Eindruck der heftigen Propagandakampagne während und nach der Ungarnkrise, als die Warschauer-Pakt-Staaten Österreich der Missachtung seiner Neutralität bezichtigten,79 eingeleitet worden. Weiters hatten die unermüdlichen sowjetischen Erinnerungen daran, was ein neutrales Land nach östlichem Verständnis tun dürfe und was nicht, die erwähnten Moskauer Proteste gegen Truppentransporte durch und über Tirol und nicht zuletzt die Ankündigungen Chruschtschows Anteil an der Einleitung dieses Umdenkens. Die Wiener Regierung fühlte sich veranlasst, selbst offiziell gegen die US-Überflüge (die sie inoffiziell bereits gebilligt hatte) zu protestieren, ihre bisherige Absicht zur Teilnahme an der westeuropäischen Integration (konkret der Kohle- und Stahlgemeinschaft, EGKS) aufzugeben und verstärkt auf sowjetische Wünsche (etwa nach österreichischem Beitritt zur Belgrader Donaukonvention) einzugehen. Auch der für eine liberale Demokratie völlig inakzeptable Vorschlag Staatssekretär Franz Grubhofers, die österreichischen Staatsbürgerinnen und -bürger gesetzlich zu verpflichten, keine Aussagen zu treffen, welche die Einhaltung des Neutralitätsstatus erschweren könnten,80 ist in gleicher Weise als (wenn auch völlig verfehlte) Reaktion auf das propagandistische Sperrfeuer der WP-Staaten gegen Österreich während der Ungarnkrise zu verstehen.* Als Bundeskanzler Julius Raab die Bevölkerung im Vorfeld des Chruschtschow-Besuches 1960 dazu aufrief, nicht zu vergessen, dass die Sowjetunion eine »befreundete Großmacht« sei, war die »Neutralisierung« der Alpenrepublik somit bereits wesentlich weiter vorangeschritten, als er selbst oder irgendein Politiker außerhalb der KPÖ dies jemals vermutet, geschweige denn gewünscht hatte. Ob dies die Sicherheit des Landes fördern würde, war abzuwarten. Das österreichische Bundesheer blieb hingegen in den 1950er-Jahren im Aufbau begriffen, und für keine seiner 79 Siehe etwa die Unterredung zwischen dem österreichischen Botschafter in Moskau, Norbert Bischoff, und dem stv. sowjetischen Außenminister Valerian Zorin, der die Proteste Bischoffs gegen die östlichen Anschuldigungen mit der Aussage vom Tisch wischte, Österreich solle aufhören, Anlass für derartige Anschuldigungen zu liefern. Iz dnevnika V.A. Zorina : Priem posla Avstrii, 3. November 1956, in : Rossijskij gosudarstvennyi archiv novejšej istorii, Moskva (RGANI), 89/45/21, S. 1. 80 Ermacora, Felix : 20 Jahre österreichische Neutralität, Frankfurt am Main 1975, S. 96 f. * Vertiefend zu den militärstrategischen und politischen Planungen Österreichs der Beitrag von Manfried Rauchensteiner in diesem Band mit dem Titel »Sandkästen und Übungsräume«.

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Operationsweisungen war eine Zustimmung der politisch Verantwortlichen zu erhalten.81

Die Nuklearisierung des sowjetischen Militärs, die Inbetriebnahme des Warschauer Pakts und Österreich 1960 bis 1968 Nuklearisierung der sowjetischen Streitkräfte und Militärstrategie Am Wechsel zu den 1960er-Jahren, etwa zeitgleich (und, wie mehrere Wissenschaftler argumentieren,82 in Zusammenhang) mit der von Chruschtschow vom Zaun gebrochenen zweiten Berlinkrise, zeichneten sich in der östlichen Bewaffnung, Militärstrategie und Allianzpolitik grundlegende Umbrüche ab. Bereits die spektakulären konventionellen Abrüstungsangebote Chruschtschows der Jahre 1955 bis 1960 waren vor dem Hintergrund des Überganges zu einer verstärkt auf Atomwaffen begründeten Militärstrategie erfolgt83 und verliefen damit parallel, wenn auch zeitverzögert, zu wesentlichen Elementen der nuklearen Abschreckungsdoktrin von Eisenhowers »New Look«.84 Chruschtschow war auch – entgegen der heute überwiegenden Einschätzung, wonach der US-Druck ausschlaggebend gewesen sei, die Suezkrise 1956 zu beenden – davon überzeugt, dass seine nukleare Drohpolitik England und Frankreich zum Rückzug bewogen habe, und er war in der Berlin- und in der Kubakrise bereit, ähnlich vorzugehen.85 Da die Sowjetunion allerdings noch über kein nen-

81 Rauchensteiner, Manfried : Zwei Millionen auf der Suche nach dem eigenen Ich. 50 Jahre Österreichisches Bundesheer, in : Starlinger, Johann (Hg.) : Armee, Zeitgeist und Gesellschaft 1955–2005. Tagungsbericht. Internationale Tagung an der Universität Graz, 16. und 17. Juni 2005, Wien 2005, S. 7–16, hier S. 8 f. 82 Uhl, Matthias : Storming on to Paris. The 1961 Buria exercise and the planned solution of the Berlin crisis, in : Mastny, Vojtech/Holtsmark, Sven G./Wenger, Andreas (Hg.) : War Plans and Alliances in the Cold War. Threat Perceptions in the East and West, London/New York 2006, S. 46–71, hier S. 48 und S. 51. Siehe neuerdings ausführlich : Uhl, Matthias : Krieg um Berlin ? Die sowjetische Militär- und Sicherheitspolitik in der zweiten Berlin-Krise 1958 bis 1962 (Quellen und Darstellungen zur Zeitgeschichte 73), München 2008 ; Mastny/Byrne (A Cardboard Castle, S. 13–20, bes. S. 18) unterstreichen die zentrale Bedeutung der Berlinkrise für die Belebung der WPO, wohingegen Umbach (Das rote Bündnis, S. 143) den Übergang zur NATO-Doktrin der »Flexiblen Antwort« stärker hervorhebt. 83 Rühle, Hans : Sowjetische Militärstrategie, in : Douglass, Joseph D.: Sowjetische Militärstrategie in Europa, München 1983, S. 13–28, hier S. 19. Zur Entwicklung des sowjetischen Atomprojekts 1938–1954 siehe : Rjabev, L. D.: Atomnyi proekt SSSR. Dokumenty i materialy, Moskva 1998. 84 Holloway, David : Nuclear Weapons and the Escalation of the Cold War, in : Leffler, Melvin/Westad, Odd Arne (Hg.) : Cambridge History of the Cold War, Cambridge 2009 (im Erscheinen). Ich bin Prof. David Holloway für die Überlassung seines Manuskriptes zu großem Dank verpflichtet. 85 Khrushchev, Sergei : Nikita Khrushchev and the Creation of a Superpower. University Park 2000, S. 185 und S. 670.

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nenswertes Raketenarsenal verfügte, wurde der Aufbau eines solchen beschlossen, um dadurch den Westen abzuschrecken und zur Annahme sowjetischer Forderungen zur Abrüstung und Entspannung zu zwingen. 1957 war die Sowjetunion dazu übergegangen, taktische Atomraketen zu stationieren, 1959 war die Richtungsentscheidung zum Aufbau einer strategischen Raketenwaffe erfolgt, die allerdings weniger rasch wuchs als vom gerne bluffenden Chruschtschow (»Bei uns laufen die Raketen vom Band wie Würstel«) behauptet. So verfügte das Land Anfang der 1960er-Jahre zwar über circa 50 Tu–95 und 100 M–4 strategische Interkontinentalbomber mit etwa 3300 Atombomben, die R–7/SS–6 Interkontinentalraketen konnte man jedoch an wenigen Fingern abzählen.86 1962 besaß die Sowjetunion etwa 36 ballistische Interkontinentalraketen (ICBM) und ungefähr doppelt so viele seegestützte ballistische Atomraketen.87 Die Entscheidung für den Aufbau der strategischen Raketenwaffe wurde von einer »nuklearen Revolution« der sowjetischen Militärstrategie begleitet.88 Die These von der beiderseitigen Zerstörung durch einen Atomkrieg, wie sie 1953 Malenkow und 1955 Chruschtschow als Ausgangspunkt für Entspannungsangebote an den Westen gedient hatte, wurde ebenso beiseite gelegt,89 wie die eher zurückhaltende Einschätzungen des inzwischen abservierten Verteidigungsministers Georgi Shukow, dass ein Atomschlag einen umso schwereren Antwortschlag nach sich ziehen würde und dass letztlich im Krieg der Soldat und nicht die Waffe entscheidend sei.90 Chruschtschow präsentierte im Jänner 1960 vor dem Obersten Sowjet eine umfassende nukleare Kriegsstrategie,91 und Shukows Nachfolger, Rodion Malinowski, erklärte den »totalen Atomkrieg« als bis zur Vernichtung des Gegners für führ- und auch gewinnbar. Dies hatte tiefgreifende Auswirkungen auf die Militärstrategie, welche strategischen Atomwaffen nun eine kriegsentscheidende Rolle zusprach und den Atomkrieg in Clausewitz’scher Tradition als Fortsetzung und Mittel der Politik definierte.92 Nicht weniger gravierend war, dass man angesichts des unausgereiften Stadiums von Abfangraketen (und aufgrund eigener Erfahrungen im Zweiten Weltkrieg) einen

Umbach : Das rote Bündnis, S. 105 f. Holloway : Nuclear Weapons, S. 17. Douglass, Joseph D.: Sowjetische Militärstrategie in Europa, München 1983, S. 51–54. Holloway, David : Stalin and the Bomb. The Soviet Union and Atomic Energy 1939–1956, New Haven 1994, S. 335–345. 90 Cymburskij, Vadim L.: Voennaja doktrina SSSR i Rossii. Osmyslenija ponjatij »ugrozy« i »pobedy« vo vtoroj polovine xx veka, Moskva 1994, S. 36–38. 91 Uhl : Storming on to Paris, S. 49 f. 92 Sadykiewicz : Die sowjetische Militärdoktrin, S. 21 und S. 29. Laut Aussagen sowjetischer Militärs wurde die Machbarkeit eines nuklearen Krieges »als Fortsetzung der Politik« zwar fallweise intern angezweifelt, was aber keine offizielle Änderung der Doktrin nach sich zog. Kokoshin, Andrei A.: Soviet Strategic Thought, 1917–91, Washington/Cambridge 1998, S. 54. 86 87 88 89

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Überraschungsangriff als möglich und die massive Zerstörung gegnerischer Kommandozentralen und Raketenbasen als wirksamste Verteidigung betrachtete, was die Grenzen zwischen Offensive und strategischer Defensive verschwimmen und Präventiv- und Präemptivschlagserwägungen immer größere Bedeutung zukommen ließ. Marschall Shukow hatte bereits 1957 in einer Geheimrede von einer östlichen Überraschungsoffensive bis zum Ärmelkanal binnen 48 Stunden gesprochen,93 und Malinowski vertrat die Ansicht, ein westlicher Atomschlag könne durch einen Präventivschlag des Ostens verhindert werden.94 1959 fand die erste bislang bekannte Übung für einen solchen statt, und im Kontext der Berlinkrise war schließlich der generelle Übergang der sowjetischen Militärstrategie zu einer Präventivschlagsdoktrin festzumachen. Dies musste umso bedrohlicher erscheinen, als der politisch-ideologische Teil der sowjetischen Doktrin zwar die defensiven Absichten und das friedliebende Wesen des Sowjetstaates betonte, hingegen aber den kapitalistischen Gegner a priori als »imperialistisch« und »aggressiv«, von Grund auf »verfault« und dem Untergang geweiht diskreditierte und den endgültigen Sieg der eigenen Seite als historisches Grundgesetz beschwor. Während die sowjetische Propaganda die Armeen kapitalistischer Staaten als »Söldner« militaristischer, ja faschistischer Kreise diffamierte, die ausschließlich dem Aggressionskrieg verpflichtet seien, huldigte sie den eigenen Streitkräften als Hütern des Friedens und der gerechten Verteidigung. Die Erhaltung des Friedens und die fallweise internationale Entspannung wurden in sowjetischer Sichtweise immer und ausschließlich als Resultat des gesetzmäßigen »Erstarkens« des »sozialistischen Lagers«, niemals aber als Ergebnis von Ost-West-Kompromissen oder beiderseitigem Einlenken interpretiert.95 Als Kriegsziel sah die sowjetische Militärstrategie auch nicht die Wiederherstellung des Status quo ante bellum vor, sondern die Zerschlagung der Streitkräfte des Gegners auf dessen Territorium – eine Forderung, die »der defensiven Militärstrategie der NATO seit den späten 1950er-Jahren fremd« war.96 Während sich die NATO von der Vorstellung, ein – ausschließlich zur Verteidigung gegen einen nuklearen oder massiven konventionellen Angriff – geführter Atomkrieg könne die Niederwerfung der Sowjetunion und somit etwas anderes als die Beendigung des Angriffes und Wiederherstellung des Status quo ante zum Ziel haben, schrittweise verabschiedete, hielt die sowjetische Kriegsplanung weiterhin beharrlich an ihrer Zielsetzung fest, dass der Krieg so rasch wie möglich auf gegnerisches Territorium transferiert 93 Luňák : War plans from Stalin to Brezhnev, S. 78. 94 Mastny : Imagining war, S.21–23. 95 Light : The Soviet Theory, S. 268–272 ; Cymburskij : Voennaja doktrina, S. 19 ; Umbach : Das rote Bündnis, S. 167. 96 Umbach : Das rote Bündnis, S. 380.

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und bis zur Vernichtung des Gegners geführt werden müsse.97 Auch ein taktischer Atomschlag sollte mit der sofortigen strategischen nuklearen Eskalation beantwortet werden.98 Der Einfachheit halber wollte man diese Gelegenheit auch gleich dazu nützen, auf gegnerischem Gebiet einen Regimewechsel durchzuführen.99 Ein Sieg war laut dieser Sicht nur durch eine offensive Operation zu erreichen, Defensivoperationen galten lediglich als Vorbereitung der Gegenoffensive.100 Die genannten Grundzüge, die Führbarkeit nuklearer Kriege, die Präventivschlagsbereitschaft und das Kriegsziel der Vernichtung des Gegners, fanden sich mit großer Schärfe in den Schriften Marschall Malinowskis101 und der 1960 bis 1968 in mehreren Auflagen von Marschall Wassili Sokolowski herausgegebenen »Militärstrategie« wieder, die konstatierte : »Hinsichtlich der eingesetzten Kampfmittel wird der dritte Weltkrieg vor allem ein Raketen- und Kernwaffenkrieg sein. Der Masseneinsatz von nuklearen und besonders von thermonuklearen Waffen wird ihm das Gepräge eines einzigen Vernichtungs- und Ausrottungskampfes verleihen. Ganze Staaten werden ausgelöscht werden.«102 Zum Präventivschlag hieß es : »Ein gleichzeitiger Raketenkernwaffenschlag auf die lebenswichtigen Zentren und gegen die Kampfmittel ist der schnellste und zuverlässigste Weg, um in einem modernen Krieg den Sieg zu erringen.«103 Das Kriegsziel lautete : »Dieser Krieg wird gesetzmäßig mit dem Sieg des fortschrittlichen kommunistischen Gesellschafts- und Wirtschaftssystems über das reaktionäre System enden, das historisch dem Untergang geweiht ist.«104 Dass diese Darstellungsweise keinesfalls nur der propagandistischen Abschreckung dienen sollte, sondern auch der internen Sichtweise führender Militärs entsprach, beweist

97 Heuser, Beatrice : Victory in a Nuclear War ? A Comparison of NATO and WTO War Aims and Strategies, in : Contemporary European History 3/7 (1998), S. 311–327. 98 Malinovskij, R. Ja.: Bditel’no stojat’ na straže mira, Moskva 1962, S. 26, zitiert nach : Cymburskij : Voennaja doktrina, S. 42. 99 Luňák : The Warsaw Pact War Plan. 100 Holden : The Warsaw Pact, S. 75. Zur sich wandelnden Definition des »Sieges« in der sowjetischen Militärdoktrin siehe ausführlich : Cymburskij : Voennaja doktrina, S. 10–18 und S. 37 f. 101 Malinovskij, Bditel’no stojat’ na straže mira, zitiert nach : Cymburskij : Voennaja doktrina. 102 Sokolowski : Militär-Strategie, 2. Aufl., S. 295 f. Kokoshin gibt an, das Buch sei mit Blick auf seine Außenwirkung im Westen in Auftrag gegeben worden. Chruschtschow soll das Autorenkollegium via Verteidigungsminister Malinovskij instruiert haben, den Westen »zu Tode zu erschrecken«. Kokoshin : Soviet Strategic Thought, S. 50. 103 Sokolowski, Vasilij D. (Hg.) : Militär-Strategie, 3. verb. u. erg. Aufl., Köln 1969, S. 373. Die Abweichungen zwischen den Auflagen sind im Vorwort ausgewiesen und kommentiert. In der zweiten und dritten Auflage wurden die Thesen der unvermeidlichen Nuklearisierung und Eskalation zum Weltkrieg abgeschwächt und (möglicherweise aufgrund der eben überstandenen Kubakrise) Szenarien der lokalen Eingrenzung begrenzter Konflikte für möglich gehalten. Vgl. Sadykiewicz : Die sowjetische Militärdoktrin, S. 10 f. und S. 145 ; Umbach : Das rote Bündnis, S. 98. 104 Sokolowski : Militär-Strategie, 2. u. 3. Aufl., S. 294.

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das berühmte Memorandum des Leiters der sowjetischen Militäraufklärung, Generaloberst Pjotr Iwaschutin, aus 1964, wonach dank der nuklearen Waffentechnologie die »komplette Vernichtung der imperialistischen Koalition in kurzer Zeit eine realistische Aufgabe« sei – nicht zuletzt, da die »imperialistische« Seite verwundbarer durch Schläge gegen zivile Ziele sei als die durchmilitarisierten sozialistischen Staaten.105 Die Inbetriebnahme des Warschauer Pakts und die Kriegspläne der 1960er-Jahre Parallel zum Aufbau der sowjetischen Raketentruppen und zur Umstellung auf eine offensive bzw. Präventivschlagsstrategie stieg auch das sowjetische Interesse für Bündniskriegführung im Rahmen des WP. Sokolowski bezeichnete den zukünftigen Krieg als »Koalitionskrieg« : »Offensichtlich sind zur erfolgreichen Abwehr eines Angriffes und zur völligen Vereitelung der aggressiven Pläne der Imperialisten folgende Voraussetzungen erforderlich : die Zusammenfassung der politischen, wirtschaftlichen und militärischen Anstrengungen aller Länder des sozialistischen Lagers, die gegenseitige Unterstützung, die Mobilisierung aller ihrer wirtschaftlichen, Menschen- und militärischen Reserven, die Festlegung einer einheitlichen militärpolitischen und strategischen Linie für den gesamten Krieg und seine einzelnen Phasen sowie eine völlig einheitliche Führung der vereinigten Streitkräfte.«106 Mehrere Faktoren sprachen für eine Aufwertung, ja eigentlich Inbetriebnahme des Warschauer Pakts durch die Sowjetunion : Die Berlinkrise erhöhte die Kriegsgefahr in Westeuropa beträchtlich, weiters war trotz aller nuklearen Abschreckung klar, dass ein Krieg nicht ausschließlich mit Raketen gewonnen werden konnte.107 Dabei konnten die osteuropäischen Verbündeten die sowjetischen Truppenkürzungen im konventionellen Bereich wettmachen.108 Ab 1960 wurden folglich die WP-Strukturen zunehmend mit Leben erfüllt. Der Politische Beratende Ausschuss tagte von nun an mindestens einmal jährlich, PBAErklärungen wurden von den Parteichefs gezeichnet,109 und ab September 1961 fanden regelmäßige Treffen der Verteidigungsminister statt.110 Die Inbetriebnahme 105 Studie, Leiter der Hauptverwaltung Aufklärung (GRU) Generaloberst Pëtr I. Ivašutin an den Chef der Generalstabsakademie Zacharov, 28. August 1964, in : http ://php.isn.ethz.ch/collections/colltopic.cfm ?q=hva&lng=en&id=16248&navinfo=15365 (online am 31. Oktober 2009). 106 Sokolowski : Militär-Strategie, 3. Aufl., S. 474 f. 107 Rühle : Sowjetische Militärstrategie, S. 20 ; Douglass : Sowjetische Militärstrategie in Europa, S. 193. 108 Umbach : Das rote Bündnis, S. 109 f. 109 Holden : The Warsaw Pact, S. 15. 110 Fodor : The Warsaw Treaty Organization, S. 34. Die Protokolle der Konferenzen der Verteidigungsminister ab 1969 sind publiziert : http ://www.php.isn.ethz.ch/collections/colltopic.cfm ?lng=en&id=14565 (online am 31. Oktober 2009).

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ließ bald die alles erdrückende Stellung der Sowjetunion im WP deutlich zutage treten. Moskau stellte nicht nur den größten Budgetanteil, das größte Kontingent des Personals, sondern besetzte auch alle Schlüsselpositionen und gab die wichtigsten Grundlagenbeschlüsse vor.111 Zwar ernannte der PBA der osteuropäischen Parteichefs den Oberkommandierenden der WP-Truppen, doch handelte es sich stets um den stellvertretenden Verteidigungsminister der Sowjetunion. Das Vereinigte Oberkommando (VOK), das sich aus den Verteidigungsministern der nichtsowjetischen WP-Staaten und dem Oberkommandierenden zusammensetzte und als oberstes militärisches Koordinierungsorgan im Frieden für Beschlussfassung über Manöver, operative Planungen, waffentechnische Ausrüstung und Kontrolle zuständig war,112 unterstand de facto dem Moskauer Verteidigungsministerium und formulierte die operativen Planungen des sowjetischen Generalstabs für den WP aus.113 Als später ein permanenter Stab des VOK geschaffen wurde, war er dem sowjetischen Generalstab nachgeschaltet. Zu dessen Planungen hatten die nichtsowjetischen WP-Staaten aber nur sehr beschränkten Zugang. Hingegen waren die osteuropäischen Hilfstruppen, die systematisch über die Stärke und Doktrin der NATO desinformiert wurden, wesentlich stärker (die ostdeutsche NVA gänzlich) im WP integriert als die sowjetische Armee, die ihre Unabhängigkeit weitgehend bewahrte und nur symbolische Truppenkontingente dem WP zuordnete.114 Die Intensivierung der Zusammenarbeit erfasste auch gemeinsame Übungen und Manöver, und im September/Oktober 1961 wurde die erste vereinigte Gefechtsstandsübung mit Elementen eines Feldmanövers mit 15 Armee- und 60 Divisionsstäben, die operativ-strategische Kommandostabsübung des Vereinten Oberkommandos des WP »Buria«,115 durchgeführt. 1962 folgten fünf weitere multilaterale Manöver, deren lokaler Schwerpunkt im »Nördlichen Dreieck« DDR – Polen – Tschechoslowakei lag.116 Im selben Jahr wurde ein einheitliches Luftverteidigungssystem unter dem Oberkommandierenden der sowjetischen Luftverteidigung beschlossen und später implementiert. Auch eine Ausrüstung der nichtsowjetischen WP-Staaten mit Raketen und die Stationierung von Nuklearwaffen waren nicht mehr tabu. War 1960 ein Ansuchen der tschechoslowakischen Führung auf Boden-Boden-Raketen 111 Gribkow : Der Warschauer Pakt, S. 56 f. 112 Umbach : Das rote Bündnis, S. 135–137 ; Wiener, Friedrich : Die Armeen der Warschauer-Pakt-Staaten. Organisation, Taktik, Waffen und Gerät (Truppendienst-Taschenbuch 2), 5., überarb. und erg. Aufl., Wien 1971, S. 22. 113 Umbach : Das rote Bündnis, S. 42. 114 Gribkow : Der Warschauer Pakt, S. 99. 115 Uhl : Storming on to Paris, S. 46–71. 116 Umbach : Das rote Bündnis, S. 144–145. Zum »Nördlichen Dreieck« : Ihme-Tuchel, Beate : Das »nördliche Dreieck«. Die Beziehungen zwischen der DDR, der Tschechoslowakei und Polen in den Jahren 1954 bis 1962, Köln 1994.

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abgelehnt worden, wurde der Beschluss sechs Monate später revidiert,117 und der PBA beschloss, bis 1964 alle osteuropäischen Verbündeten mit derartigen Waffen auszustatten.118 Bereits 1959 wurden kurzfristig auf Paris und London ausgerichtete sowjetische atomare Mittelstreckenraketen in der DDR stationiert.119 Die Kontrolle über sie und weitere ab 1965 in Ungarn, Polen und der ČSSR stationierte taktische Atomwaffen blieb allerdings – im Unterschied zur »Dual-key-Regelung« der NATO – ausschließlich in sowjetischen Händen.120 Militärstrategisch wurde die Inbetriebnahme des WP durch die Umstellung der konventionellen Truppen der nichtsowjetischen WP-Staaten von einer defensiven auf eine offensiv-präventive Ausrichtung begleitet, wie sie am 11. Juli 1961 in einer Order Malinowskis und Marschall Andrei Gretschkos, der Iwan Konew als Oberkommandierender der WP-Truppen abgelöst hatte, der tschechoslowakischen Armee zugewiesen wurde.121 In konkrete Kriegs- und Übungspläne der WarschauerPakt-Staaten gegossen, bewirkte diese Umstellung, dass man massive nukleare Präventiv- oder Präemptivschläge zur Vorbereitung einer konventionellen Offensive samt Besetzung des gegnerischen Territoriums mit Regimewechsel einplante. Eine der frühesten bekannten Planungen aus dieser geradezu »phantastischen«, von Eingeweihten rückblickend auch ironisch als »nuklearer Romantizismus«122 charakterisierten Periode war die bereits erwähnte Kommandostabsübung »Buria«. Den realen Hintergrund bildete die Berlinkrise, die sich sodann laut Szenario fiktiv durch einen westlichen Angriff binnen eines Tages zu einem Atomkrieg ausweitete.123 Dabei gelang dem WP ein nuklearer Präventivschlag, Hunderte thermonukleare Gefechtsköpfe detonierten allein auf westdeutschem Territorium, westliche Verteidigungsoperationen waren nicht mehr möglich, und am zehnten Tag besetzten Warschauer-Pakt-Truppen Paris, kurz darauf wurden der Ärmelkanal und die Pyrenäen erreicht. Selbstverständlich bleibt angesichts derartiger Übungen zu hinterfragen, ob »irgendeine sowjetische Führung zu irgendeinem Zeitpunkt nach Kriegsende

117 Mastny/Byrne : A Cardboard Castle, S. 15. 118 Luňák : War plans from Stalin to Brezhnev, S. 80. 119 Uhl, Matthias/Ivkin, Vladimir : »Operation Atom« : The Soviet Union’s Stationing of Nuclear Missiles in the German Democratic Republic, 1959, in : Cold War International History Project Bulletin 12–13 (2001), S. 299–307. 120 Uhl : Storming on to Paris, S. 60 f.; Mastny/Byrne : A Cardboard Castle, S. 31. 121 Mastny : Imagining war, S. 23. 122 So der sowjetische General Valentin V. Larionov, zitiert in : Odom, William E.: The Collapse of the Soviet Military, New Haven 1998, S. 70. 123 Uhl : Storming on to Paris, S. 46–71. Vgl. Geheime Verschlusssache, Referat DDR-Verteidigungsminister Heinz Hoffmann über die Auswertung der operativ-strategischen Kommandostabsübung des Vereinten Oberkommandos vom 28. September bis 10. Oktober 1961, vgl. http ://php.isn.ethz.ch/collections/ colltopic.cfm ?id=20912&lng=en (online am 31. Oktober 2009).

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ernsthaft einen Vormarsch zum Ärmelkanal in Erwägung zog«.124 Der Vergleich mit realen polnischen Operationsplänen zeigt jedoch, dass »Buria« keinen abstrakten Fall darstellte125 und dass der Warschauer Pakt, wenn auch vielleicht keine aggressiven Absichten, so doch Pläne besaß, im Konfliktfall die strategische Offensive zu übernehmen und dabei massiv Kernwaffen einzusetzen.126 Ähnlich sah das Szenario eines sowjetischen Kriegsplanes für die tschechoslowakische Front vom Oktober 1964127 und eines ungarischen Kriegsplanes vom Mai 1965 aus.128 Ersterer ging von einem NATO-Überraschungsangriff aus, allerdings mit derart unterlegenen Kräften, dass kein zurechnungsfähiger Offizier auch nur im Traum jemals daran gedacht hätte. Der vom Nordatlantischen Bündnis angeblich im Schilde geführte nukleare Überraschungsangriff gelangte nicht zur Ausführung, dafür »reagierte« der WP mit einem massiven nuklearen »Präventivschlag« und konventionellen Vormarsch. Der Historiker Vojtech Mastny schildert das Szenario wie folgt : »With hundreds of nuclear bombs blasting away, the Poles would roll through West Germany alongside their Soviet allies at breakneck speed, smashing the Dutch and Belgian armies and not stopping until they have reached the English Channel. On their way, they would receive the surrender, to cite one example, of the city of Hannover where they would install a ‹progressive’ administration including pliable Social Democrats. The Czechoslovak army would have by then reached Lyon in a nine-day sweep, having dropped along the way leaflets urging NATO soldiers to lay down their arms and posted orders to the local populace to welcome its ›liberation‹.«129 Der Vernichtung gegnerischer Einheiten folgte stets die Besetzung (oder

124 Blasi, Walter : Historischer Rückblick auf den Warschauer Pakt, in : Reiter, Erich/König, Ernest (Hg.) : Österreichs Neutralität und die Operationsplanungen des Warschauer Pakts (Informationen zur Sicherheitspolitik 20), Wien 1999, S. 7–9, hier S. 8. 125 Uhl : Storming on to Paris, S. 63. 126 Hoffenaar, Jan : Discussing the Plans of the Warsaw Pact and NATO, vgl. http ://php.isn.ethz.ch/conferences/reports/documents/2007_Muenster_report.pdf (online am 5. Oktober 2009). 127 Warsaw Pact War Game for the Czechoslovak Front, 14. Oktober 1964, in : Mastny/Byrne : A Cardboard Castle, S. 160–169. Vgl. auch Mastny/Luňák/Locher/Nuenlist : Taking Lyon on the Ninth Day ? Für die Authentizität haben sich bislang tschechoslowakische und US-amerikanische Experten, aber auch ehemalige Offiziere des Warschauer Pakts ausgesprochen : Luňák, Petr : Planning for Nuclear War : The Czechoslovak War Plan of 1964, in : Cold War International History Project Bulletin 12–13 (2001), S. 289–298, hier S. 289 ; Mastny : Planning for the Unplannable. Angezweifelt wurde die Authentizität vom ehemaligen Generalmajor der NVA, Deim, und russischen Offizieren. 128 Hungarian Command-Staff War Game, Mai 1965, in : Mastny/Byrne : A Cardboard Castle, S. 189–191. Vgl. Mastny, Vojtech/Nuenlist, Christian/Locher, Anna (Hg.) : European Cities Targeted for Nuclear Destruction. Hungarian Documents on the Soviet Bloc War Plans, 1956–1971, Zürich 2001, vgl. http :// www.php.isn.ethz.ch/collections/colltopic.cfm ?lng=en&id=16606&nav1=1&nav2=2&nav3=2 (online am 5. Oktober 2009). 129 Mastny : Imagining war, S. 25.

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»Befreiung« ?) von deren Gebieten,130 eine Grundthese, die das Vorbild des Vormarsches der Roten Armee in Osteuropa, Deutschland und Österreich 1944 bis 1945 nicht verleugnen kann und die Frage nach weitergehenden politischen Zielsetzungen aufwirft. Am südlichen Flügel wurden Wien, München, Verona nuklear bombardiert, der NATO-Einmarsch in Österreich durch das Eindringen ungarischer Truppen gekontert. Fremde Truppen wurden zu Tausenden durch Atombomben vernichtet oder verstrahlt, eigene hingegen nicht beeinträchtigt, ja durch das vorangegangene nukleare Bombardement anscheinend sogar wundersam »erfrischt«.131 Als Zielsetzungen wurden 1. die Übernahme der strategischen Initiative, 2. die Vernichtung von westlichen Truppen auf deren Territorium, 3. das Ausschalten der einzelnen NATO-Staaten aus dem Krieg und 4. das Erreichen der Atlantikküste in Frankreich angenommen, in Planungen der Nationalen Volksarmee der auch andernfalls übereifrigen DDR sogar die Besetzung der Iberischen Halbinsel, und alles innerhalb von zwölf Tagen.132 Es fällt auf, dass alle fiktiven Konflikte stets von der NATO vom Zaun gebrochen wurden, was der offiziellen Propaganda vom »aggressiven« Nordatlantikpakt entsprach. Dass NATO-Übungen defensiv ausgerichtet waren, wurde ignoriert.133 Die Tatsache, dass in den östlichen Kommandoübungen bzw. Kriegsplanungen die angeblichen westlichen Angriffe stets grenznahe gestoppt werden konnten, lässt aber Zweifel aufkommen, ob es sich bei den östlichen Operationen wirklich um Präventivschläge und Gegenoffensiven oder vielleicht doch eher um Präemptiv-, wenn nicht gar kaum verhüllte Angriffskriege handelte.134 So heißt es etwa in der ostdeutschen Auswertung von »Buria« wörtlich : »Den Krieg entfesselten die ›Westlichen‹ am 6. Oktober, 12.08 Uhr, mit Schlägen ballistischer Raketen und der Luftwaffe. Die ›Östlichen‹ stellten mit allen Arten der Aufklärung den Anflug großer Gruppen der strategischen und taktischen Luftwaffe von den Flugplätzen in Europa und den USA fest und führten als Antwort um 12.05 Uhr den ersten massierten Raketen-Kernschlag.«135 Im ungarischen Kriegsplan von 1965 fanden die westlichen Angriffs- und die östlichen »Präventivschläge« akkurat zur selben Minute statt, womit Umbach : Das rote Bündnis, S. 177. So der polnische General Tadeusz Pióro. Zitiert in : Mastny/Byrne : A Cardboard Castle, S. 21. Rühl : Österreichs Sicherheitslage, S. 19. Mastny : Imagining war, S. 23. Rühle, Hans/Rühle, Michael : Warschaupakt plante nuklearen Überfall auf Westeuropa, in : Neue Zürcher Zeitung, 13. September 2008. Ich danke Dr. Martin Malek für den freundlichen Hinweis auf diese Veröffentlichung. 135 Geheime Verschlusssache, Referat DDR-Verteidigungsminister Heinz Hoffmann über die Auswertung der operativ-strategischen Kommandostabsübung des Vereinten Oberkommandos vom 28. September bis 10. Oktober 1961, http ://se2.isn.ch/serviceengine/FileContent ?serviceID=PHP&fileid=D107AA56– 465D-B89E–4116–58A2CC987914&lng=de (online am 8. November 2009).

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Kriegsspiel der Operations-Abteilung des Generalstabs der Ungarischen Volksarmee, 21. – 26. Juni 1965. Einsatz der Ungarischen Volksarmee über österreichisches Gebiet nach Westen unter Verwendung von Atomwaffen. U.a. sollte Wien [Bécs] mit zwei 500 Kilo-Tonnen-Bomben zerstört werden (nächste Seite). Hadtörténelmi Levéltár, Budapest 1969/T-185.

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die westlichen Attacken neutralisiert wurden. Ferner gingen Kriegspläne davon aus, dass die NATO trotz geschätzter personeller und feuertechnischer quantitativer Unterlegenheit von 2 :3 den Angriff begann. Dies war nicht nur unlogisch, sondern widersprach auch der offiziellen kommunistischen Propaganda, welche lautstark gegen die angeblich zahlenmäßig übermächtige »Kriegsmaschinerie« der »aggressiven« NATO hetzte. Selbstverständlich ist die »Erfolgschance« derartiger Pläne kritisch zu beurteilen. So hätte beispielsweise die tschechoslowakische Armee nach der rückblickenden Einschätzung von Experten, anstatt nach drei Tagen am Rhein zu stehen, nur mit Mühe ihren eigenen Aktionsradius an einigen beschränkten Punkten aufrechterhalten können.136 Welche Schwierigkeiten der geradezu haltlose Nukleareinsatz für den eigenen Vormarsch bereitet hätte, ist ebenso wenig abzuschätzen wie die katastrophalen Folgen für die eigenen und gegnerischen Soldaten und die Zivilbevölkerung. Die Behandlung Österreichs Jene derzeit bekannten Übungen und Pläne, welche Österreich überhaupt erwähnen, zeigen meist die ambivalente Haltung, nämlich die territoriale Unverletzlichkeit Österreichs nur so lange zu respektieren, wie dieses (bzw. die NATO) seine Neutralität beachte. In tschechoslowakischen Überlegungen aus den frühen 1960er-Jahren wurde entweder der eigenen Armee die Flankensicherung für den Fall einer Verletzung der österreichischen Neutralität übertragen (wie in der Übung »Vitr« 1962),137 eine derartige Verletzung als »vorteilhaft« für die NATO vorausgesetzt,138 was einen Einmarsch von WP-Truppen nach sich ziehen würde, oder überhaupt die »Sicherung der österreichischen Neutralität durch den raschen Vormarsch verbündeter [WP-] Truppen aus Ungarn« [ !] eingeplant.139 Der bereits erwähnte tschechoslowakische Kriegsplan aus dem Oktober 1964 behandelte Österreich nicht,140 hingegen sah ein Feldhandbuch für den Kriegsfall den nicht provozierten Durchzug tschechoslowakischer Einheiten durch nicht näher bezeichnetes »benachbartes Territorium« vor, um den verstrahlten Minenfeldern in Westdeutschland auszuweichen.141 1966 rief ein WP-Manöver an der Moldau, das den Vorstoß gepanzerter Großverbände durch ein bewaldetes Mittelgebirge zum gewaltsam erzwungenen Übergang über einen großen Strom übte, Kriegsangst in Österreich hervor, wo man die Übung nicht zuletzt aufLuňák : War plans from Stalin to Brezhnev, S. 87. Luňák : The Warsaw Pact War Plan. Vgl. Schmidl : The Warsaw Pact, S. 206. Czechoslovakia’s Strategic Position, April 1961, in : Mastny/Byrne : A Cardboard Castle, S. 118 f. Luňák : War plans from Stalin to Brezhnev, S. 80. Warsaw Pact War Game for the Czechoslovak Front, 14. Oktober 1964, in : Mastny/Byrne : A Cardboard Castle, S. 160–169, hier S. 162. 141 Mastny/Byrne : A Cardboard Castle, S. 23.

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grund ungarischer Indiskretionen als eine Generalprobe für den Vorstoß durch das Mühlviertel über die Donau nach Oberbayern interpretierte.142 Die Annahmen der ungarischen Planungen waren kaum erfreulicher und unterstrichen die viel zitierte »Brückenfunktion« Österreichs in einer für das Land recht ungünstigen Weise : So ging ein Stabstraining aus 1963 von einem US-Angriff durch Österreich auf Ungarn aus, nach der Gegenoffensive des WP wurden heftige Kämpfe im Raum Linz–Passau prognostiziert.143 Und das Szenario eines bereits kurz angesprochenen ungarischen Kriegsplanes aus 1965 lautete, dass die NATO Budapest und andere Städte mit Atombomben angreife, was selbstverständlich auf die Minute genau gleichzeitig von östlichen Nuklearschlägen »beantwortet« wurde. Da die fiktiven westlichen Angriffe die österreichische Neutralität verletzt hatten, wurde neben München und Verona auch gleich Wien nuklear eingeäschert.144 Es folgte ein sowjetischer und ungarischer Vormarsch durch Österreich. Deutsche, österreichische und italienische Truppen auf österreichischem Boden wurden vernichtet und das Land binnen sechs Tagen aus dem Krieg ausgeschaltet. Es ist neuerlich darauf hinzuweisen, dass es sich bei den genannten Beispielen um theoretische Planungen und fiktive Übungsanordnungen handelt, die jedoch sämtlich davon ausgingen, dass der Warschauer Pakt im Falle einer Verletzung der Neutralität Österreichs diese auch selbst nicht mehr beachten werde. Als umso gravierender muss daher beurteilt werden, dass die Sowjetunion im Zuge der von ihr geleiteten Invasion in der Tschechoslowakei 1968 nicht genug Achtung vor der Neutralität des österreichischen Luftraumes aufbrachte, ja diesen systematisch durch Aufklärungsflüge verletzte.145 Zwar protestierte das österreichische Außenministerium wiederholt gegenüber der Sowjetunion, doch hielten die Flüge mehrere Tage an. Sowjetbotschafter Boris Podzerob drückte zwar gegenüber Außenminister Kurt Waldheim sein Bedauern über die angeblichen technischen Versehen aus, die für die Luftraumverletzungen verantwortlich seien,146 verband dies aber zugleich mit der Drohung, dass die UdSSR jede größere Bewegung des österreichischen Bundesheeres als unfreundlichen Akt, wenn nicht als Neutralitätsverletzung betrachten 142 Christ und Welt, 30. September 1966. 143 Okváth, Imre : Hungary in the Warsaw Pact. The Initial Phase of Integration, 1957–1971, Zürich 2001, vgl. http ://www.php.isn.ethz.ch/collections/coll_wargame/introduction_okvath.cfm ?navinfo=16606 (online am 31. Oktober 2009). 144 Hungarian Command-Staff War Game, Mai 1965, in : Mastny/Byrne : A Cardboard Castle, S. 189–191. Siehe dazu die aufschlussreichen Kommentare in : Schmidl, Erwin A.: Comment on the 1965 Warsaw Pact War Game Exercise, Zürich 2001, vgl. http ://php.isn.ethz.ch/collections/coll_wargame/introduction_schmidl.cfm ?navinfo=16606 (online am 31. Oktober 2009). 145 Eger : Krisen an Österreichs Grenzen, S. 92. 146 Chronik zur österreichischen Außenpolitik 1. Juli–31. August 1968, in : Österreichische Zeitschrift für Außenpolitik 8 (1968), S. 233–249, hier S. 244.

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würde !147 Gleichzeitig begann, wie 1956, eine östliche Propagandakampagne Österreich völlig haltlos einer solchen Neutralitätsverletzung zu bezichtigen,148 was wiederum Bundeskanzler Klaus laut eigenen Angaben veranlasste, österreichische Medien zur »Mäßigung« ihrer Berichterstattung aufzurufen – ein neuer Schritt in Österreichs »Neutralisierung«, den man 1956 entrüstet von sich gewiesen hätte.* Aus der faktischen Wehrlosigkeit gegenüber sowjetischen Luftraumverletzungen 1968 wurde von Österreich keine Konsequenz im Sinne einer Aufrüstung der Luftwaffe gezogen. Wie schwach die österreichische Luftraumüberwachung war, konnte jener sowjetische Pilot bezeugen, der ein halbes Jahr vor der Krise, am 30. November 1967, angeblich aufgrund eines Versehens am Flughafen Wien-Schwechat »notgelandet« war.149 Nach der östlichen Militärintervention in der Tschechoslowakei folgten zahllose österreichische Forderungen nach und Bekenntnisse zur Verbesserung der Landesverteidigung. Sieben Jahre später stellte der Völkerrechtsexperte Felix Ermacora jedoch fest, dass alle »Appelle […] ungehört [verhallt seien]. Es ist nichts, aber auch gar nichts geschehen, was als institutionalisiertes Ergebnis aus den Lehren der ČSSR-Krise angesehen werden könnte«.150 Dabei war 1965 das Konzept der »Umfassenden Landesverteidigung« beschlossen worden,151 und die Weisung für die operative Planung Nr. 1 aus 1967 hatte die Kriegsfälle Tschechoslowakei, Ungarn und Jugoslawien getrennt und in Kombination behandelt.152 Im Juli 1968 war eine Weisung für vorbereitende Maßnahmen zum Einsatz des Bundesheeres zur Sicherung der Grenzen gegenüber der Tschechoslowakei ergangen, und während der Krise hatte das Heer seine Aufgabe in dem engen, ihm von der Bundesregierung gesteckten Rahmen erfüllt.153 Der Erfahrungsbericht des Bundesheeres wurde jedoch vom Verteidigungsministerium abgelehnt, und Österreich musste weiterhin auf den Schutz seines Luftraumes warten.

147 Zitiert in : Lobova, Ludmilla : Die Außenpolitik und Neutralität Österreichs aus Sicht der UdSSR 1955– 1972, in : Suppan, Arnold/Stourzh, Gerald/Mueller, Wolfgang (Hg.) : Der österreichische Staatsvertrag 1955. Internationale Strategie, rechtliche Relevanz, nationale Identität (Archiv für österreichische Geschichte 140), Wien 2005, S. 891–922, hier S. 904. 148 Österreichische Botschaft Moskau an BMaA, 4. September 1968, in : ÖStA, AdR, BMaA, II-pol, GZ. 111298–6/68, Z. 127871–6pol/68. * Vgl. dazu insbesondere den Beitrag von Bruno Thoß in diesem Band mit dem Titel : »Österreich in der Entstehungs- und Konsolidierungsphase des westlichen Bündnissystems (1947–1967)«. 149 Freistetter : Das strategische Konzept des Ostens, S. 56. 150 Ermacora : 20 Jahre österreichische Neutralität, S. 152. 151 Rauchensteiner, Manfried (Red.) : Das Bundesheer der Zweiten Republik. Eine Dokumentation (Schriften des Heeresgeschichtlichen Museums in Wien 9), Wien 1980, S. 60, S. 63 f. und S. 76–79. 152 Rauchensteiner : Zwei Millionen, S. 10. 153 Freistetter : Das strategische Konzept des Ostens, S. 53. Siehe dazu auch den Beitrag von Manfried Rauchensteiner in diesem Band mit dem Titel : »Sandkästen und Übungsräume«, u.a. S. 294.

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Angesichts des österreichischen Versäumnisses, eine ernsthafte Luftraumverteidigung aufzubauen, ist auch die Vermutung nicht von der Hand zu weisen, dass die Bundesregierungen vielleicht nicht allzu unglücklich waren154 über das beharrlich sowjetische »Njet« zu Wiener Ansuchen, Boden-Luft-Raketen beschaffen zu dürfen. Artikel 13 des Staatsvertrags untersagte ja – ebenso wie etwa die Friedensverträge für Finnland, Rumänien und Ungarn – den Ankauf derartiger Defensivwaffen. Während die sowjetischen Verbündeten aber längst das Verbot umgangen und sowjetische Raketen gekauft hatten,155 ging Österreich, das mit US-amerikanischer Zustimmung mehrere Anfragen an die sowjetische Regierung stellte, leer aus. Dabei hatte sich die sowjetische Haltung Mitte der 1960er-Jahre bedeutend aufgeweicht, und ein Ankauf von Raketen durch Österreich wurde vom Kreml nicht mehr kategorisch ausgeschlossen. Laut einem Bericht der österreichischen Botschaft in Moskau sahen zwar »die Sowjets die österreichischen Anstrengungen für eine zeitgemäße Ausrüstung des Bundesheeres nicht gerne, die österreichischen Argumente, dass Österreich als einziges Land militärisch diskriminiert ist und dadurch der Wert der Neutralität an sich herabgesetzt wird, stießen aber offensichtlich hier nicht auf taube Ohren«.156 1965 regte Verteidigungsminister Malinowski im Gespräch mit seinem österreichischen Amtskollegen Prader als Lösung den Kauf von MiG-Kampfflugzeugen samt Luft-Luft-Raketen an157 und meinte sogar, dass die Interpretation von Artikel 13 eine politische Frage sei. Nachdem Prader im folgenden Jahr von Moskau grundsätzlich grünes Licht für die Bestellung sowjetischer Panzerabwehrlenkwaffen bekommen hatte,158 es aber in der Folge zu keinem Ankauf gekommen war, blieb auch die Frage der Boden-Luft-Raketen unerledigt. Und als Außenminister Kurt Waldheim 1968 in Moskau neuerlich sondierte, ging sein Gegenüber Andrei Gromyko auf die Frage gar nicht ein.159

154 Neuhold, Hanspeter : The Permanent Neutrality of Austria, in : Birnbaum, Karl E./Neuhold, Hanspeter (Hg.) : Neutrality and Non-Alignment in Europe (Laxenburg Papers 4), Wien 1981, S. 44–67, hier S. 67. 155 Harrod, Andrew E.: Felix Austria ? Cold War Security Policy between NATO, Neutrality, and the Warsaw Pact, 1945–1989, Medford 2007 (Dissertation), S. 283. 156 Österreichische Botschaft Moskau an BMaA, 22. September 1966, in : ÖStA, AdR, BMaA, II-pol, Pol. Berichte Moskau, S. 915–917. 157 Unterredung Prader–Malinovskij, 30. September 1965, in : Stiftung Bruno-Kreisky-Archiv, Wien (SBKA), Länderboxen, UdSSR, Box 2. 158 Ministerratsvortrag Prader über den Besuch in der UdSSR, 23. September 1966, in : ÖStA, AdR, BMaA, II-pol, GZ. 45707–6/66, Z. 49028–6pol/66. 159 O vizite v Sovetskij Sojuz Ministra inostrannych del Avstrii, 10. April 1968, in : Archiv vnešnej politiki Rossijskoj Federacii, Moskva (AVPRF), 66/47/101/11, S. 11–16.

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Die »Konventionalisierung« der sowjetischen Militärstrategie, der Warschauer Pakt und Österreich 1969 bis 1984 Politische, technische und strategische Grundlagen Die nach der Invasion von fünf Warschauer-Pakt-Staaten in der ČSSR 1968 eingeleitete Ost-West-Entspannung in Europa und die Verkündung des nuklearstrategischen Gleichgewichts mit den USA 1969 beendeten vorerst die verschärfte Rüstungsaufholjagd der Sowjetunion. Allerdings meldeten sich – nicht zuletzt aufgrund der heftigen Zusammenstöße an der sowjetisch-chinesischen Grenze im selben Jahr – nunmehr sowjetische Stimmen, die den Gleichstand mit dem Gesamtpotenzial aller möglichen Gegner forderten, d. h. mit den USA, der NATO und der Volksrepublik China gleichzeitig.160 Im Westen sorgte dagegen der fortbestehende Widerspruch zwischen dem realpolitischen Gleichgewichtsdenken und der marxistischleninistischen Doktrin, die ja eine unaufhörliche und unabänderliche Verschiebung des internationalen Kräfteverhältnisses zugunsten des Kommunismus predigte, für Misstrauen. Das sowjetische Militär wiederum interpretierte die Entspannung – durchaus parallel zu den Sorgen westlicher Politiker und Militärs – als Gefahr für die Verteidigungsbereitschaft des eigenen Bündnisses.161 Abschreckung funktionierte aus sowjetischer Sicht nur durch Überlegenheit ; herrschte nukleare Parität, musste laut sowjetischer Doktrin die massive konventionelle Überlegenheit bewahrt werden, um, wie Breshnew 1977 in Tula erklärte, auf die nukleare verzichten zu können.162 Der Generalsekretär selbst, der in seiner Laufbahn geraume Zeit als ZK-Sekretär für das Militär und den militärindustriellen Komplex verantwortlich gewesen war, blieb diesem auch weiterhin gewogen. Diese Grundhaltung wurde durch die Aufrüstung der sowjetischen konventionellen Streitkräfte ab Ende der 1960er-Jahre widergespiegelt, wodurch binnen einer Dekade die Kampfkraft der taktischen Luftwaffe um 25, der Panzerwaffe um 40 und der Artillerie um 60 Prozent erhöht werden sollte.163 In der Tat baute der WP, auf dessen Konto immerhin 80 Prozent der Aufrüstung in Mitteleuropa gingen, unter Breshnew seine massive zahlenmäßige Überlegenheit im konventionellen Sektor aus, worin er die NATO etwa im Bereich Panzerabwehrlenkwaffen und Artilleriegeschütze um jeweils 100 Prozent übertraf.164 Namentlich ab 1975 rüstete die Sowjetunion stärker auf als je zuvor seit Kriegsende.165

160 161 162 163 164 165

Umbach : Das rote Bündnis, S. 162. Mastny : Imagining war, S. 31. Holden : The Warsaw Pact, S. 34. Umbach : Das rote Bündnis, S. 150 ; Douglass : Sowjetische Militärstrategie in Europa, S. 192. Umbach : Das rote Bündnis, S. 247. Arbatov, Georgi : The System : An Insider’s Life in Soviet Politics, New York 1992, S. 203.

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Gleichzeitig brachte die steigende Gefahr lokaler Konflikte in Asien und Afrika in der sowjetischen Doktrin und Militärstrategie die Einschätzung zum Durchbruch, wonach ein »begrenzter Konflikt« möglich sei.166 Es ist noch unklar, inwieweit der Übergang von der NATO-Doktrin der »Massiven Vergeltung« zur »Beschränkten Antwort«, der seit Anfang der 1960er-Jahre diskutiert und gegen deren Ende implementiert wurde, den sowjetischen Kurswechsel beeinflusst hat. Begleitet wurde diese Entwicklung durch den sich seit Mitte der 1970er-Jahre in der internen Diskussion und auch offiziösen Fachliteratur abzeichnenden,167 aber erst 1982 offiziell verkündeten168 sowjetischen Verzicht auf einen nuklearen Erstschlag. Zwar fanden sich in einschlägigen Veröffentlichungen weiterhin Erstschlagsszenarien.169 Dafür gewannen recht theoretische Konzepte des sogenannten atomaren Begegnungsschlages an Bedeutung, wie er etwa in der WP-Übung »Jug 1978«170 deutlich wurde und dessen Vorläufer in den akkurat zeitgleichen sowjetischen Präventivschlagszenario der 1960er-Jahre zu finden waren. Der Erstschlagsverzicht, der Ausbau der konventionellen Überlegenheit und die Einräumung der Möglichkeit lokaler und »begrenzter« Konflikte bedeuteten auch eine stärkere Betonung konventioneller Kriegsszenarien durch sowjetische Militärstrategen. Die nuklear ausgerichtete »Militärstrategie« Sokolowskis wurde nach 1968 nicht wieder aufgelegt und durch die »Sowjetische Militärenzyklopädie« ersetzt, die eine inhaltliche Revision mit sich brachte, die Thesen Sokolowskis über die automatische Eskalation eines globalen Nuklearkrieges verwarf und nunmehr postulierte, dass ein Weltkrieg auch konventionell geführt werden könne.171 Verteidigungsminister Andrei Gretschko, der 1967 Malinowski nachgefolgt war, relativierte den Primat der strategischen Raketentruppen. Ferner wurden in scharfer Abkehr von der bisherigen Malinowski-Doktrin wieder der Soldat und nicht die Waffe als kriegsentscheidend definiert und die Kriegstaktik und Kampfmoral als wichtige Faktoren rehabilitiert.172 Der entscheidende Vorteil der Warschauer-Pakt-Staaten 166 Cymburskij : Voennaja doktrina, S. 7 und S. 61 f. 167 Das Zentralkomitee hatte 1974 einen nuklearen Erstschlagsverzicht angeordnet. Garthoff, Raymond L.: US Considerations of Soviet Military Thinking : Introduction, in : Wardak, Gulam Dastagir/Turbiville, Graham Hall (Hg.) : The Voroshilov Lectures. Materials from the Soviet General Staff Academy 1 : Issues of Soviet Military Strategy, Washington 1989, S. 5–21, hier S. 13. Zum limitierten Nukleareinsatz vgl. ebd., S. 72–75. Der Weltöffentlichkeit bekannt wurde der Erstschlagsverzicht durch : Ogarkov, N. V.: Strategija voennaja, in : Sovetskaja voennaja ėnciklopedija 7, Moskva 1979, S. 555–565, hier S. 564. 168 Holden : The Warsaw Pact, S. 90. 169 Kokoshin : Soviet Strategic Thought, S. 181. 170 Bluth, Christoph : Offensive Defence in the Warsaw Pact. Reinterpreting Military Doctrine, in : Journal of Strategic Studies 4/18 (1995), S. 55–77, hier S. 61. 171 Ogarkov : Strategija voennaja, S. 564. 172 Grečko, A. A.: Vooružënnye sily Sovetskogo gosudarstva, Moskva 1974, S. 103 und S. 182–194. Vgl. Sadykiewicz : Die sowjetische Militärdoktrin, S. 21 f.; Cymburskij : Voennaja doktrina, S. 51–58.

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in einem Krieg sei, so Generalstabschef Nikolai Ogarkow, dass sie für eine gerechte Sache kämpfen würden. Die Schwerpunktverschiebung zu einer wieder deutlich konventionelleren Strategie wurde durch neue Waffensysteme gefördert, die sich in ihrer Wirkung kaum von taktischen Atomwaffen unterschieden, allerdings nicht deren militärisch irrelevante bis unerwünschte Nebenwirkungen wie die Verstrahlung Zigtausender Zivilisten und weiter Landstriche nach sich zogen. Eine wichtige Rolle spielten hier die Steigerung der Reichweite konventioneller Artillerie und die im Nahostkonflikt offenkundig gewordene Überlegenheit jener Armee, die über besser ausgebildete Soldaten, moderne Kommunikationsmittel und Panzerabwehrwaffen verfügt. Vor allem der JomKippur-Krieg 1973 war für sowjetische Militärstrategen Ansporn zur Modernisierung der Armee und zur Abkehr von der veralteten Panzerstrategie. Ogarkow zeigte sich von den israelischen Panzerabwehrraketen und Lenkwaffen tief beeindruckt und gab in den folgenden Jahren die Entwicklung von Szenarien einer ausschließlich konventionellen Kriegführung auf dem europäischen Kriegsschauplatz in Auftrag.173 Dabei unterstrich er jedoch, dass nukleare Kriegführung weiterhin geplant und vorbereitet werden müsse.174 Laut Ogarkow war ein Sieg in einem Atomkrieg weiterhin möglich,175 womit er sich in Gegensatz zu Gretschkos Nachfolger, Verteidigungsminister Dmitri Ustinow, brachte, der auf dem von Breshnew 1977 in Tula dargelegten Kurs blieb, wonach ein Nuklearkrieg nicht gewinnbar sei.176 Genau genommen widersprach die politische Linie dem in der »Sowjetischen Militärenzyklopädie« festgeschriebenen Postulat, dass jeder Krieg, in den die UdSSR verwickelt werde, automatisch mit deren Sieg enden müsse.177 Im Militär wurde dennoch weiterhin die nukleare Zweitschlagsund Siegesfähigkeit der Sowjetunion eingefordert.178 Daran, dass die Sowjetunion einen konventionellen Krieg jeglichen Umfanges ohne nukleare Eskalation führen und gewinnen könne, ließen die »Militärstrategischen Grundsätze« aus 1982 keinen Zweifel,179 und das WP-Großmanöver »Sapad« 1981 verzichtete erstmals seit 1960 auf jeglichen Nukleareinsatz, auch auf den bis dahin meist eingeplanten nuklearen Breschenschlag. Angesichts der massiven zahlenmäßigen (mehr als doppelten) konventionellen Überlegenheit des Warschauer Pakts gegenüber der NATO, des Überraschungsmoments auf östlicher Seite und der dynamisch vorzutragenden Offensive schien ein 173 174 175 176 177 178 179

Kokoshin : Soviet Strategic Thought, S. 129 ; Umbach : Das rote Bündnis, S. 238. Bluth : Offensive Defence in the Warsaw Pact, S. 62. Holden : The Warsaw Pact, S. 90 f. Umbach : Das rote Bündnis, S. 226 f.; Cymburskij : Voennaja doktrina, S. 68. Sadykiewicz : Die sowjetische Militärdoktrin, S. 143. Kokoshin : Soviet Strategic Thought, S. 132. Umbach : Das rote Bündnis, S. 237–242 ; Odom : The Collapse of the Soviet Military, S. 75.

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nuklearer Breschenschlag auch gar nicht mehr nötig, um Westeuropa binnen weniger Tage niederzukämpfen, bevor die USA ausreichend konventionelle Streitkräfte auf den Kriegsschauplatz hätten bringen können.180 Die ostdeutsche NVA lehrte seit 1977/78 die »Vorbereitung und Durchführung offensiver Operationen mit und ohne nukleare Waffen«.181 Östliche Planungen zeigten die verstärkte Bedeutung eines konventionellen »Blitzkrieges«, d. h. eines Überraschungspräventivschlages zur Ausschaltung westlicher nuklearer Waffensysteme, was nicht nur angesichts der vorgesehenen Besetzung Westeuropas durch WP-Truppen konsequent erschien.182 Das gegen Ende der 1970er-Jahre unter Ogarkow eingeführte Konzept der »operativen Manövergruppen«, schlanker, stark gepanzerter Stoßpfeile aus hochmobilen Bataillonen, die rasch in das Hinterland des Feindes vorstoßen und Kernwaffenbasen, Flugfelder sowie Kommandozentren zerstören sollten, war eine der zentralen Neuerungen.183 Unabhängig von der Frage der Erreichbarkeit der gesteckten operativen Ziele bleibt allerdings auch die Grundausrichtung fragwürdig, mit konventionellen Vorstößen nukleare Angriffe verhindern zu wollen. Selbstverständlich bedeutete die teilweise Konventionalisierung der östlichen Militärstrategie, wie bereits angedeutet, keinen Verzicht auf den Einsatz von Atomwaffen. Ostdeutsche Kriegspläne sahen die nukleare Bombardierung der BRD vor, davon bereits am zweiten Tag nach Ausbruch der Kampfhandlungen 40 Bomben allein auf Hamburg,184 »Sojus 81« übte eine Angriffsoperation mit Nukleareinsatz, und das NVA-Stabstraining 89 sah die Vernichtung Schleswig-Holsteins durch 76 Atomwaffen vor.185 Die in krassem Gegensatz zur auf Abschreckung, das Stoppen eines Angriffes und die Wiederherstellung des Status quo ante abzielenden NATO-Doktrin stehende sowjetische Definition des Sieges als Vernichtung des Gegners samt Besetzung von dessen Territorium blieb ebenso aufrecht wie die überwiegend offensive Aus180 Umbach : Das rote Bündnis, S. 282–286. 181 Kramer : The Official (West) German Report, S. 14. 182 Rühle : Sowjetische Militärstrategie, S. 22 und S. 185. Vgl. Douglass : Sowjetische Militärstrategie in Europa, S. 39. 183 Deim, Hans Werner : Militärische Konzeptionen der UdSSR und des Warschauer Vertrages im Wandel, in : Mars. Jahrbuch für Wehrpolitik und Militärwesen 2 (1996), S. 148–177, hier S. 167. Deims Angabe, wonach in den WP-Armeen »Präventivschläge nicht geplant […] und nicht geübt wurden«, muss heute als obsolet gelten. Vgl. Odom : The Collapse of the Soviet Military, S. 78 ; Bluth : Offensive Defence in the Warsaw Pact, S. 63. Zur vorangegangenen sowjetischen Debatte um ein »dreidimensionales« Schlachtenkonzept, das infolge technischer Neuerungen bei Verminung und radioaktiver Verstrahlung traditionelle Muster von Angriffsoperationen wie Truppenkonzentration, taktischer und strategischer Durchbruch feindlicher Linien, Vernichtung des Feindes zu revidieren suchte, siehe : Kokoshin : Soviet Strategic Thought, S. 178 f. 184 Odom : The Collapse of the Soviet Military, S. 70. 185 Kramer : The Official (West) German Report, S. 16.

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richtung der Operationspläne186 und der Ausbildung.187 So inkludierte die Übung »Sojus 83« die kriegerische Besetzung Dänemarks, der BRD, der Niederlande, Belgiens und Frankreichs am 35. bis 40. Kriegstag.188 Ebenso unverändert stand die These, dass nur eine »entschiedene Offensive den Sieg über den Feind gewährleisten kann«.189 Zwar erwähnte die »Sowjetische Militärenzyklopädie« – im Unterschied zu den 1960er-Jahren – erstmals auch die strategische Defensive, die ja bei Sokolowski nicht vorgekommen war, als Hauptkategorie von Kampfhandlungen.190 Dagegen postulierte Marschall Ogarkow 1979, dass die Verteidigung lediglich der Vorbereitung einer Gegenoffensive mit dem Ziel der »totalen Vernichtung des Gegners« diene,191 was vom Oberkommandierenden der Vereinigten Truppen des WP, Wiktor Kulikow, im Zuge von »Sojus 83« bestätigt wurde.192 Insgesamt überwog weiterhin die Beschäftigung mit der Offensive, der ungefähr dreimal mehr Artikel im Generalstabsorgan »Woennaja mysl« gewidmet waren als der Defensive.193 Krise und Reform des Warschauer Pakts Die Konventionalisierung der Kriegsplanungen, aber auch die Eskalation zwischen der Sowjetunion und der Volksrepublik China werteten die Bedeutung des WP für Moskau auf. Außerdem hatten die 1960er-Jahre bereits beträchtlichen Reformbedarf der Organisation vor Augen geführt. Bezüglich der Marschrichtung etwaiger Änderungen bestanden allerdings Auffassungsunterschiede zwischen dem Kreml und seinen osteuropäischen Vasallen : Moskau wollte einerseits verstärkte konventionelle Beiträge der nichtsowjetischen WP-Staaten, andererseits eine Ausweitung der Bündniseinsätze auf außereuropäische Kriegsschauplätze, wie man sie seit 1965 in den bilateralen Bündnisverträgen, nicht aber im Warschauer Pakt festgeschrieben hatte. Beides widersprach den Interessen der kleinen osteuropäischen Staaten, die 186 Zu den tschechoslowakischen Operationsplänen 1974 und 1977 : Luňák : War plans from Stalin to Brezhnev, S. 90. 187 Generaloberst Lörincz, um 1980 Stabschef, dann Kommandant einer ungarischen Panzerdivision, erinnerte sich 1997 im Rahmen einer Konferenz in Wien, dass seine Division »höchst selten die Verteidigung geübt« habe, sondern auf offensives Vorgehen eingestellt gewesen sei. Balló, István : Die Ungarische Volksarmee im Warschauer Pakt. Möglichkeiten und geplante Aufgaben Richtung Österreich vor 1989, in : Österreichische Militärische Zeitschrift 2/36 (1998), S. 161–166, hier S. 166 (Anm. 5) 188 Kramer : The Official (West) German Report, S. 14. 189 Zitiert nach : Cymburskij : Voennaja doktrina, S. 50. 190 Sadykiewicz : Die sowjetische Militärdoktrin, S. 68. 191 Heuser, Beatrice : Victory in a Nuclear War ? A Comparison of NATO and WTO War Aims and Strategies, in : Contemporary European History 3/7 (1998), S. 311–327, hier S. 319–321. 192 Kramer : The Official (West) German Report, S. 15. 193 Kokoshin : Soviet Strategic Thought, S. 179 f.; Cymburskij : Voennaja doktrina, S. 68–70.

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zwar einen Ausbau des Nuklearschirms wünschten, eine Streichung der Europaklausel im Warschauer Pakt aber ablehnten.194 Diese Richtungsstreitigkeiten vergrößerten den Berg interner Altlasten, der sich im Laufe der 1960er-Jahre im Warschauer Pakt aufgetürmt hatte. Albanien, das 1961 aus realpolitischen und ideologischen Gründen mit chinesischer Rückendeckung seine diplomatischen Beziehungen zur Sowjetunion eingefroren und 1964 seine Mitarbeit im WP eingestellt hatte, trat infolge der Intervention in der ČSSR 1968 aus dem Bündnis aus. Das zweite blockinterne Sorgenkind, Rumänien, duldete schon seit 1963 keine WP-Übungen auf seinem Territorium, sicherte den USA 1962/63 geheim Neutralität im Kriegsfall zu und blockierte in den 1970er-Jahren, nunmehr ebenfalls mit Unterstützung Pekings, aus Furcht um seine Unabhängigkeit jede weitere Integration. In den Sitzungen des Außenministerrates des WP 1978 und 1979 lehnte Bukarest alle dahingehenden sowjetischen Initiativen ab und schlug stattdessen ein Einfrieren der Militärausgaben, der Truppenanzahl und des Rüstungsniveaus sowie die Schaffung einer gesamteuropäischen Sicherheitsorganisation vor.195 Moskau tolerierte derartige Eskapaden, da Rumänien militärstrategisch für die Kriegsfallplanungen gegenüber dem Westen und der Volksrepublik China nur geringe Bedeutung besaß und sein Nachbarland Bulgarien nach der Niederschlagung des Putschversuches von 1965 als stabil betrachtet werden konnte. Auch Polen und die ČSSR hatten in den 1960er-Jahren Unzufriedenheit über die bündnisinterne Lasten- und Ämterverteilung geäußert.196 Die Allianz hatte für sie den Nachteil, dass sie zu Kampfgebieten und ihre Truppen zu Kanonenfutter in einem Konflikt werden sollten, der in erster Linie zwischen den Supermächten aufbrechen würde, wobei das sowjetische Territorium laut der »Sanktuariumsdoktrin« der sowjetischen Militärplaner unversehrt bleiben würde. Hingegen besaßen die kleinen nichtsowjetischen WP-Staaten kaum Mitspracherecht in Allianzfragen, und das bündnisinterne Rotationsprinzip beschränkte sich auf die Tagungsorte der gemeinsamen Gremien. Obwohl Rumänien in der Moskauer Konferenz der Generalstabschefs im Februar 1966, die eigentlich eine vereinheitlichte Kommandostruktur schaffen sollte,197 eine Rotation in der Besetzung der Stäbe forderte, wurde 1967 gegen Widerstand der 194 Umbach : Das rote Bündnis, S. 174 f. und S. 199. 195 Locher : Records of the Committee of the Ministers of Foreign Affairs. Die Protokolle in : http ://www. php.isn.ethz.ch/collections/colltopic.cfm ?lng=en&id=16510&navinfo=15699 (online am 5. Oktober 2009) sowie http ://www.php.isn.ethz.ch/collections/colltopic.cfm ?lng=en&id=16511&navinfo=15699 (online am 5. Oktober 2009). 196 Mastny/Byrne : A Cardboard Castle, S. 28–34 ; Umbach : Das rote Bündnis, S. 181–183. 197 Eine englische Übersetzung des rumänischen Berichtes über die Sitzung der Generalstabschefs der WPStaaten, Moskau, 4.–9. Februar 1966, in : http ://www.wilsoncenter.org/index.cfm ?topic_id=1409&fuseaction=va2.document&identifier=5034B9E8–96B6–175C–9BD114E35DA7A73E&sort=Collection&item=The %20Warsaw %20Pact (online am 12. Oktober 2009).

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Osteuropäer, die im Sinne eines rotierenden Vorsitzes einen nichtsowjetischen Oberkommandierenden im Warschauer Pakt gefordert hatten,198 mit Iwan Jakubowski nach Konew und Gretschko neuerlich ein Sowjetmarschall für dieses Amt ernannt. Der Einmarsch in der ČSSR 1968 stellte die Allianz schließlich vor eine neue, ungleich schwerere Zerreißprobe. Noch gravierender waren jedoch nach 1968 die Diskreditierung des Kommunismus und die Desillusionierung der Gesellschaft ; die Demonstration auf dem Roten Platz am 25. August 1968 gegen den Einmarsch in der Tschechoslowakei bildete einen Ausgangspunkt für die Dissidentenbewegung im Ostblock, welche – durch die Helsinkischlussakte 1975 gestärkt – immer selbstbewusster die Menschen- und Bürgerrechte einfordern und damit letztlich einen Nagel in den Sarg der kommunistischen Diktatur schlagen sollte. 1969 sollte die »Budapester Reform« den WP stabilisieren : Die tschechoslowakischen Truppen wurde in die sowjetische Front eingegliedert199 und ein neues Statut über die Kommandostruktur in Friedenszeiten beschlossen.200 Moskau kam dafür den Forderungen Polens und der DDR aus 1965 entgegen. Der Kompromiss lautete, dass der Einsatzrahmen des Bündnisses weiterhin auf Europa beschränkt blieb, wie von den kleinen Staaten gewünscht, diese zusätzlich öfter konsultiert werden sollten, wohingegen die sowjetische Machtposition unangetastet blieb : Die Ämter des Oberkommandierenden, des Stabschefs, des Oberkommandierenden der Luftverteidigung und die Leitung des Vereinigten Sekretariates sollten weiterhin fest in sowjetischen Händen sein. Durch die Besetzung der beiden internen Führungspositionen des Oberkommandierenden und des Stabschefs durch die jeweiligen Ersten Stellvertreter des sowjetischen Verteidigungsministers und Generalstabschefs waren nicht nur die faktische Unterwerfung des WP unter den sowjetischen Willen sichergestellt, sondern auch zahlreiche interne Kompetenzkonflikte zwischen den beiden sowjetischen Vertretern vorgegeben. Die Schaffung eines permanenten Stabes schloss den Umbau des WP vom »Kartenhaus« zum Militärbündnis ab. Da er aber fast ausschließlich sowjetisch besetzt wurde, änderte er die interne Machtverteilung nicht. Ferner wurden ein Komitee der Verteidigungsminister geschaffen, das Vereinte Oberkommando als ständige Institution rekonstituiert und die Bildung eines Militärrates als Beratungsorgan für den Oberbefehlshaber der Vereinigten Streitkräfte und Verbindungsglied zwischen dem Komitee der Verteidigungsminister und dem sowjetischen Verteidigungsministerium sowie eines Militärtechnischen Komitees und eines Militärisch-Wissenschaftlich-Technischen Beirates beschlossen. 1976 wurde schließlich noch das Komitee 198 Umbach : Das rote Bündnis, S. 184. 199 Luňák : War plans from Stalin to Brezhnev, S. 89. 200 Gribkow : Der Warschauer Pakt, S. 55–61 ; Fodor : The Warsaw Treaty Organization, S. 59–61 ; Umbach : Das rote Bündnis, S. 200–208. Text des Statutes in : Mastny/Byrne : A Cardboard Castle, S. 323–329.

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der Außenminister geschaffen,201 um den Zeitraum zwischen den nicht immer wie vorgesehen zweimal jährlich stattfindenden Sitzungen des Politischen Beratenden Ausschusses zu überbrücken, ferner das Vereinigte Sekretariat des PBA. Auch anhand der Großmanöver mit über 70.000 Mann, deren allein in den ersten drei Jahren nach der Niederschlagung des Prager Frühlings 21 abgehalten wurden (d. h. mehr als in den 14 Jahren zuvor)202 und die das Interesse für zeitlich und räumlich ausgedehnte konventionelle strategische Operationen mit drei bis vier Fronten, d. h. zehn bis zwölf Armeen, und einer Weite von tausend bis zweitausend Kilometern demonstrierten, zeigte sich die Intensivierung der Bündniskooperation. Trotz dieser Institutionalisierungsschritte lässt die lange Nachbesetzungszeit beim Übergang von Jakubowski zu Kulikow als Oberkommandierender der WP-Truppen 1976 auf interne Unstimmigkeiten schließen.203 In der Folge stießen auch weitere Integrationsmaßnahmen auf den Widerstand der kleinen osteuropäischen Alliierten,204 die sich im Zuge der Debatte um eine sowjetische Nach-Nachrüstung unter Andropow (nach der Stationierung sowjetischer SS-20 Mittelstreckenraketen 1977 und dem darauf folgenden NATO-Doppelbeschluss 1979) die Frage stellen mussten, was sie in einem derartigen Nachrüstungswettlauf der Supermächte zu gewinnen und wie viel sie in Wahrheit zu verlieren hatten.205 Dennoch wurde 1980 ein neues Geheimstatut über die Kommandostruktur in Kriegszeiten beschlossen, das bei freierem Einsatz der Kontingente die nationalen Oberkommanden der nichtsowjetischen WP-Staaten de facto dem sowjetischen Generalstab und den sowjetischen Kampfgebietkommanden unterstellte.206 Allerdings waren auch in Friedenszeiten alle nichtsowjetischen WP-Truppen in die kriegsmäßige sowjetische Kommandostruktur eingebunden, die parallel zu der offiziellen Befehlslinie im WP die Unterstellung der osteuropäischen »Hilfstruppen« unter sowjetische Kontrolle gewährleisten sollte.207 Nach einer Eskalation der internen Spannungen weigerte sich Rumänien zu unterzeichnen. Die steigende Komplexität militärischer und rüstungstechnischer Fragen führte zu wachsendem Einfluss des Militärs und der Rüstungsindustrie auf politische Entscheidungen. Die überalterte, zunehmend immobile zivile Führung war nicht in der Lage bzw. willens, rüstungstechnische Konsequenzen abzuschätzen und militärpolitische Entscheidungen zu treffen.208 Es war ein bezeichnendes Missgeschick, dass 201 202 203 204 205 206 207 208

Locher : Records of the Committee of the Ministers of Foreign Affairs, S. 3 f. Umbach : Das rote Bündnis, S. 178. Ebd., S. 214. Mastny : Imagining war, S. 35 f. Umbach : Das rote Bündnis, S. 308 f. Mastny/Byrne : A Cardboard Castle, S. 49 ; Text : ebd., S. 427–434. Umbach : Das rote Bündnis, S. 256. Nichols, Thomas M.: The Sacred Cause. Civil-Military Conflict over Soviet National Security 1917– 1992, Ithaca 1992, S. 91–124 ; Arbatov : The System, S. 201.

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Breshnew namentlich zum Oberbefehlshaber der Vereinigten Streitkräfte des WP ernannt und auch nach seinem Tod 1982 nicht ersetzt wurde, sondern versehentlich bis zur Auflösung des WP 1991 in diesem Amt verblieb,209 was einer unfreiwilligen Anwendung des Dollfußliedes »Ein Toter führt uns an« gleichkam. Im Zuge der »Ogarkow-Reform« Ende der 1970er-Jahre wurden eigene Oberkommandos für die jeweiligen Kriegsschauplätze (West, Süd, Fernost) und strategischen Operationsgebiete (Teatr Wojennych Deijstwij, TVD = Kampfhandlungsgebiete) eingeführt.210 Der Kriegsschauplatz West, der Europa und die Türkei umfasste, war in drei Operationsgebiete unterteilt : Nord, Mitte, Süd. Alle Kriegsschauplätze wären bei Kriegsausbruch sowjetischem Oberkommando unterstellt worden,211 so etwa das südliche Operationsgebiet (mit dem Oberkommando in Belzy,212 Militärbezirk Kiew) dem Kommando der sowjetischen Heeresgruppe Süd in Budapest. Laut der jüngsten hier zitierten Studie von Umbach aus 2005, die sich allerdings in dieser Frage auf etwas ältere Angaben von Sadykiewicz aus den 1980er-Jahren stützt, waren am Kriegsschauplatz West (Europa und Türkei) 184 (sowjetische und nichtsowjetische) Divisionen vorgesehen, davon in Europa selbst 155 (98 sowjetische und 57 nichtsowjetische).213 Die Zahl der für das Operationsgebiet Europa-Mitte vorgesehenen Divisionen beziffern Sadykiewicz/Umbach wie folgt :

Sowjetische Divisionen in den westlichen Militärbezirken der UdSSR

Baltischer Militärbezirk : Weißrussischer Militärbezirk : Karpatischer Militärbezirk :

Sowjetische Divisionen in nichtsowjetischen WP-Staaten nichtsowjetische WP-Divisionen

11 15 12

38

Sowjetische Heeresgruppe in Deutschland : Nördliche Heeresgruppe (Polen) : Zentrale Heeresgruppe (ČSSR) : Südliche Heeresgruppe (Ungarn) :

19 2–3 5–6 214 (4)1

26–30

Polen : ČSSR : DDR : Ungarn :

13–15 7–10 6 (6)

26–37

214

Gribkow : Der Warschauer Pakt, S. 50–53. Umbach : Das rote Bündnis, S. 253. Széles : Die strategischen Überlegungen, S. 27 f. Umbach : Das rote Bündnis, S. 258. Sadykiewicz, Michael : Organizing Coalition Warfare. The Role of East European Warsaw Pact Forces in Soviet Military Planning, Santa Monica 1988, S. 17 ; Sadykiewicz, Michael : Soviet-Warsaw Pact Western Theater of Military Operations. Organization and Mission, Santa Monica 1987, S. 31–32 und S. 50. Zitiert nach : Umbach : Das rote Bündnis, S. 263 f. Vgl. auch die detaillierte Übersicht in : Magenheimer, Heinz : Doktrin und Einsatzkonzept des Warschauer Pakts in Europa-Mitte, Wien 1989, S. 37–49. 214 Ursprünglich gemeinsam mit der Ungarischen Volksarmee dem Operationsgebiet Südwest zugeteilt.

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Insgesamt seien somit für das Operationsgebiet West-Mitte bis zu 105 Divisionen mit etwa 2,1 Millionen Mann, 25 000 Panzern, 33 000 Schützenpanzern, 20 000 Geschützen und 4 700 Kraftfahrzeugen zur Verfügung gestanden. Planungen für Österreich und Einschätzungen seiner Verteidigungsfähigkeit Österreich fiel, falls es von Kampfhandlungen erfasst worden wäre, gemeinsam mit der Bundesrepublik Deutschland, Dänemark, den Beneluxstaaten, Frankreich und Italien in das Operationsgebiet West-Mitte.215 Hinsichtlich der Einbeziehung Österreichs in militärische Operationen bestehen unterschiedliche Einschätzungen. Die Militärhistoriker Bautzmann, Reiter und Rühl argumentierten, dass Österreichs Neutralität seine Unversehrtheit nicht gesichert und auf sowjetischer Seite primär militärstrategische, nicht völkerrechtliche Erwägungen über einen Einmarsch auf österreichischem Territorium entschieden hätten.216 So habe die Sowjetunion angenommen, dass die NATO die österreichische Neutralität nicht dauerhaft respektieren werde. Die NATO nahm wiederum gleiches vom Warschauer Pakt an.217 Bautzmann erscheint aufgrund der bisher bekannten Planungen die »Annahme berechtigt, dass die UdSSR in einem Krieg […] militärischen Erwägungen Vorrang vor der österreichischen Neutralität gegeben hätte [und] die neutralen Staaten auf dem europäischen Kriegsschauplatz umso stärker bedroht waren, je mehr strategische Vorteile ihre operative Einbeziehung gebracht und je schwächer man ihre Verteidigung und das damit verbundene Risiko eingeschätzt hätte«.218 Es wäre somit zwischen dem Vorteil, den die Beibehaltung der österreichischen Neutralität und damit des NordSüd-Sperrriegels gegenüber der NATO gehabt, und jenem, welcher die Verletzung der Neutralität und damit die Öffnung eines Ost-West-Korridors für den WP verheißen hätte, sowie den Kosten einer Neutralitätsverletzung abgewogen worden. Während etwa die Schweiz, geografisch durch ihre geringe Größe, Unwegsamkeit, ihre abgeschirmte und im Zuge einer Ost-West-Operation relativ irrelevante und politisch durch einen Gürtel befreundeter Staaten219 umgebene Lage sowie ihre 215 Bautzmann, Georg : Zu den Kriegsplanungen des Warschauer Pakts in den achtziger Jahren, in : Österreichisches Jahrbuch für internationale Sicherheitspolitik 1 (1997), S. 279–299, hier S. 283. 216 Rühl : Österreichs Sicherheitslage, S. 22. 217 Reiter, Erich/Bautzmann, Georg : Kriegsführungspläne des Warschauer Pakts in der so genannten Zeit des Kalten Krieges, in : Reiter, Erich/König, Ernest (Hg.) : Österreichs Neutralität und die Operationsplanungen des Warschauer Pakts (Informationen zur Sicherheitspolitik 20), Wien 1999, S. 11–14. 218 Bautzmann : Zu den Kriegsplanungen, S. 297. 219 Heller, Otto : Die »Schild-Schwert-Theorie« und die Neutralen. Eine strategisch/operative Betrachtung über die Zeit von der Aufstellung des zweiten Bundesheeres bis zum Beginn der Reform 1970, in : Rauchensteiner, Manfried/Etschmann, Wolfgang (Hg.) : Schild ohne Schwert. Das österreichische Bundesheer 1955–1970 (Forschungen zur Militärgeschichte 2), Wien 1991, S. 61–87, hier S. 65.

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schlagkräftige Armee geschützt, leichter zu umgehen als zu besetzen war und tatsächlich nur untergeordneter Gegenstand ernsthafter Operationsplanungen gewesen zu sein scheint,220 war »Österreich mit seinen nach Osten und zum Teil nach Norden offenen Grenzen, seiner Lage auf dem militärstrategisch wichtigsten TVD und seiner Riegelwirkung zwischen Mittel- und Südeuropa sicherlich erheblich bedroht«.221 Es bestehe daher »kein Zweifel darüber, dass im Kriegsfalle das neutrale Territorium nicht beachtet worden wäre. Offen ist lediglich, zu welchem Zeitpunkt das neutrale Territorium in Kriegshandlungen einbezogen worden wäre.«222 Die ungarischen Experten Balló und Széles meinen ferner, dass die Militärplaner des WP davon ausgingen, dass die NATO nicht nur Tirol für die Nord-Süd-Kommunikation, sondern auch das Donautal und die Südsteiermark für einen Angriff auf Südosteuropa nutzen und daher deutsche (II. Korps) bzw. italienische (III., IV. und V. Korps) Truppen dort eindringen würden.223 Um diesen Angreifern zuvorzukommen, sollten WP-Einheiten aktiv werden – eine Darstellung, die zwar dokumentarisch nicht belegt ist, aber zu den bisher besprochenen konventionellen Präventivschlagsplänen des WP passt. Es dürfte somit auf östlicher Seite eine gewisse Diskrepanz zwischen den offiziellen politischen Lobhymnen über die Neutralität und den internen militärischen Planungen für den Kriegsfall bestanden haben. Dies entsprach auch der zeitgenössischen Einschätzung von Verteidigungsminister Otto Rösch, der 1979 nach seinem Besuch in der UdSSR dem Ministerrat berichtete : »Die Bedeutung des neutralen Österreichs für die Entspannung und den Frieden in Mitteleuropa wurde vom sowjetischen Verteidigungsminister mehrmals anerkannt. Auf der Ebene der Militärbefehlshaber und darunter scheint man jedoch dem Status der immerwährenden Neutralität relativ verständnislos gegenüberzustehen.«224 In einem Vortrag in Zürich 1999 betonte Marschall Kulikow hingegen, »nur im Falle, wenn Armeen der NATO auf das neutrale Territorium Österreichs oder der Schweiz übergetreten wären, nur in diesem Fall, wäre in Erwägung gezogen worden, dass auch Streitkräfte des Warschauer Pakts auf Schweizer Territorium ausschließlich gegen die NATO-Staaten vorgegangen wären«.225 Auch der Chef des Hauptstabes der NVA, Generaloberst Fritz Streletz, erläuterte in einem Gespräch 1998 220 Veleff, Peter : Angriffsziel Schweiz ? Das operativ-strategische Denken im Warschauer Vertrag mit Auswirkungen auf die neutralen Staaten Schweiz und Österreich, Zürich 2007, S. 130–184. Vgl. dazu besonders auch den Beitrag von Hans Rudolf Fuhrer in diesem Band mit dem Titel : »Neutral zwischen den Blöcken : Österreich und die Schweiz«. 221 Bautzmann : Zu den Kriegsplanungen, S. 297. 222 Reiter/Bautzmann : Kriegsführungspläne des Warschauer Pakts, S. 14. 223 Balló : Die Ungarische Volksarmee, S. 31 f.; Széles : Die strategischen Überlegungen, S. 37. 224 Mündlicher Bericht Rösch an den Ministerrat, BMLV Zl. 10061/54–1.1/80, 2. Jänner 1980, in : SBKA, Länderboxen, UdSSR, Box 5. 225 Zitiert in : Veleff : Angriffsziel Schweiz, S. 164. Das folgende Zitat ebd., S. 169.

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diese beiden grundsätzlichen Varianten : 1. »Sollte die NATO Österreich irgendwie benützen, sei es als Durchmarschland oder aber als Aufmarschland, dann wäre die Neutralität für uns nicht mehr bindend gewesen. 2. Solange Österreich neutral blieb und auch von der NATO in keiner Weise in Anspruch genommen wurde, wäre auch die Neutralität Österreichs vom Warschauer Pakt respektiert worden. Die Ungarische Armee und auch die Tschechoslowakische Volksarmee hatten dementsprechend bezüglich Österreichs immer zwei Varianten zu planen, entsprechend den beiden genannten Möglichkeiten.« Dies wurde auch vom ungarischen stellvertretenden Generalstabschef General Lászlo Dámo so dargestellt.226 Streletz bekannte aber, dass für Österreich im Gegensatz zur Schweiz, Operationspläne ausgearbeitet worden seien, welche die verteidigungsstrategisch ungünstige Transitlage Österreichs und seine schwache Selbstverteidigung berücksichtigt hätten.227 Das bestätigte sein Stellvertreter und Chef Operativ, Generalmajor Hans Deim. Für den Fall, dass Österreich Kampfgebiet geworden wäre, bestanden aus östlicher Sicht folgende Varianten :228 1. ein taktisch konzipierter Stoß oder eine taktische Luftlandung aus Böhmen über Linz in Richtung Inn und Salzach, um das II. deutsche Korps zu zwingen, seine Aufmerksamkeit auf Südbayern zu verlagern ; 2. eine operativ-strategisch ausgerichtete Angriffsoperation aus Ungarn entlang der Donau ; 3. ein Vorziehen der Karpatenfront über österreichisches Territorium ; oder 4. das Überfliegen des österreichischen Luftraumes. Generell wäre Österreich nicht die Hauptstoßrichtung eines Angriffes (diese verlief von Warschau nach Brüssel), aber im südlichen Teil der mittleren und im nördlichen Teil der südlichen Stoßrichtung von Bedeutung gewesen. Zu Österreichs Verteidigungsfähigkeit besagte ein Bericht der DDR-Aufklärung aus 1969, dass im österreichischen Militär Klarheit darüber herrsche, dass nur das Hochgebirge leicht zu verteidigen und die Luftabwehr durch das Verbot von Raketen eingeschränkt seien. Der Bericht verwies weiters auf das neue österreichische Raumverteidigungskonzept, zu dessen Implementierung allerdings die Mobilisierung von 300.000 Mann Reserve nötig sei.229 Die von General Emil Spannocchi entwickelte Raumverteidigung230 dürfte somit in ihren Entstehungsjahren vom Ausland, vor allem von Ungarn, das als Nachbar226 R : Aus den Planungen des Warschauer Pakts, in : Österreichische Militärische Zeitschrift 2/29 (1991), S. 174 f. 227 Veleff : Angriffsziel Schweiz, S. 173 und S. 234 f. 228 Bautzmann : Zu den Kriegsplanungen, S. 295–297. 229 Ministerium für nationale Verteidigung, Sonderbericht 26/69, Die Ansichten im österreichischen Bundesministerium für Landesverteidigung zu Verteidigungsfragen Österreichs, 18. Juli 1969, in : Reiter, Erich/König, Ernest (Hg.) : Österreichs Neutralität und die Operationsplanungen des Warschauer Pakts (Informationen zur Sicherheitspolitik 20), Wien 1999, S. 105–110. 230 Vgl. Studie BMLV über das Konzept der Gesamtraumverteidigung, 26. Jänner 1971, in : Rauchensteiner : Das Bundesheer der Zweiten Republik, S. 118–122.

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staat in der militärischen Aufklärung gegen Österreich zusammen mit der ČSSR, der DDR (aufgrund der gemeinsamen Sprache) und der UdSSR vermutlich am aktivsten war,231 durchaus »gefürchtet« gewesen sein. So besagten ungarische Manöveranalysen, dass für eine von einer österreichischen Jägerbrigade verteidigte befestigte Raumsicherungszone circa 50 bis 70 Geschütze und Granatwerfer sowie 10 bis 15 Panzer pro Kilometer nötig seien. Bei einem derartigen Kräfteeinsatz würde das Tempo des Vormarsches 2,5 bis 3 Kilometer pro Stunde betragen. Für einen Vormarsch in den Schlüsselzonen sahen sich die Ungarn damals nicht gerüstet.232 Die mangelnde Luftabwehr des Bundesheeres werde, so die ungarische Einschätzung weiter, durch gebirgiges Gelände und Sperren aufgewogen, was Österreich zu defensiven Aufgaben befähige. Die Ungarische Volksarmee sei jedoch in der Lage, bis zur Linie Wien–Graz wie kalkuliert vorzudringen. Erst danach sei das geplante Vormarschtempo nicht mehr einzuhalten, und die Verbände würden im Raum Graz hängen bleiben. 233 In den 1970er- und 1980er-Jahren dürfte, zumindest aus ost- und westdeutscher Perspektive, die österreichische Verteidigungsfähigkeit einiges an Respekt verloren haben. So gelangte die DDR-Aufklärung 1974 in den Besitz einer Bundeswehrstudie, welche die »nachlassende Verteidigungsfähigkeit« Österreichs kritisierte, das »zurzeit nicht als militärisch ausreichend gesicherter neutraler Staat gelten [könne]. Es stelle nahezu ein ›macht- und wehrpolitisches‹ und damit ›gefährliches militärisches Vakuum‹ dar«.234 Wurden derartige Bedenken von westlichen Politikern und Militärs öffentlich geäußert, wie 1983 vom ehemaligen niederländischen Außenminister und nunmehrigen NATO-Generalsekretär Joseph Luns, kam aus östlicher Richtung meist ein scharfer Protest gegen eine derartige »unverhüllte Einmischung« in österreichische Angelegenheiten.235 Im selben Jahr aber konstatierte die NVA selbst nach der Reise einer Militärdelegation nach Österreich, im dortigen Offizierskorps sei die Meinung weit verbreitet, dass das Bundesheer ausrüstungstechnisch nicht in der Lage sei, Panzer, gepanzerte Fahrzeuge oder Flugzeuge zu bekämpfen. Im österreichischen Bundesheer, das sowjetische und sonstige WP-Planungen nach Möglichkeit zu antizipieren strebte und auf eine »Strategie des hohen Eintrittprei231 Schmidl : The Warsaw Pact, S. 205 ; Fuhrer, Hans Rudolf : Die Schweiz und Österreich im Fadenkreuz des militärischen Nachrichtendienstes der DDR ?, in : Reiter, Erich/König, Ernest (Hg.) : Österreichs Neutralität und die Operationsplanungen des Warschauer Pakts (Informationen zur Sicherheitspolitik 20), Wien 1999, S. 53–78, S. 76. 232 Széles : Die strategischen Überlegungen, S. 40. 233 Aus den Planungen des Warschauer Pakts, S. 174 f. 234 Fuhrer : Die Schweiz und Österreich im Fadenkreuz, S. 68. Zum Folgenden : ebd., S. 73. 235 Izvestija, 2. April 1983. Zitiert nach : Lobova, Ludmilla : Russland und die Neutralität Österreichs. Aktuelle Einschätzungen vor dem Hintergrund des Verhältnisses zur NATO, in : Jahrbuch für internationale Sicherheitspolitik 2000, S. 371–389, hier S. 373.

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ses« setzte,236 wurde die Bedrohung als beträchtlich eingeschätzt. Die Übung »Limes« 1974 ließ befürchten, dass die Truppen des Warschauer Pakts am ersten Tag ihre Operationsziele in Österreich erreichen und die österreichischen Verluste 65 Prozent betragen würden.237 Eine interne Studie ergab 1988 die Schätzung von bis zu 360 Jagdbombereinsätzen, 100 Transportflügen zur Anlandung eines Luftlandeverbandes, 100 Einsätzen von Transport- und 50 von Kampfhubschraubern sowie 50 Aufklärungsflügen des Warschauer Pakts gegenüber Österreich am ersten Kampftag.238 Die österreichische Raketenfrage blieb, sei es aufgrund unüberwindlichen sowjetischen Widerstandes oder mangelnder österreichischer Beharrlichkeit, ungelöst. Ministerpräsident Nikolai Kossygin ließ Bundeskanzler Kreisky jedenfalls 1974 mit seinem Wunsch nach Raketen abblitzen.239 Interne sowjetische Akten deuten an, dass Mitte der 1970er-Jahre hier offenbar weniger Spielraum bestand, als noch zehn Jahre zuvor von Verteidigungsminister Malinowski angedeutet (was dem in den 1970er-Jahren generell sinkenden sowjetischen Interesse an einer Aufwertung der Neutralität240 entsprach). So unterstrich eine Zusammenfassung des Moskauer Außenministeriums (Ministerstwo inostrannych del, MID) für den Dienstgebrauch, dass die diesbezügliche Haltung der österreichischen Regierung »anhaltende Aufmerksamkeit« erfordere und die zuletzt auf Initiative von Verteidigungsminister Karl Lütgendorf und auf Druck der ÖVP-Opposition wieder erhobene Forderung nach Boden-Luft-Raketen seitens des MID abgelehnt werde.241 Als Lütgendorfs Nachfolger Otto Rösch im Zuge eines Besuches in der Sowjetunion seinen Amtskollegen auf das Fehlen von Raketen im Bundesheer hinwies, antwortete Ustinow : »Sie brauchen auch keine.«242 Die Schlussfolgerung daraus, die sonstigen Bereiche des Bundesheeres aufzurüsten, um damit Vorsorge zur etwaigen Erfüllung der im Neutralitätsgesetz stipulierten Pflicht zur Selbstverteidigung zu treffen, wurde allerdings von Österreich nicht gezogen. Die bereits unter Außenminister Kurt Waldheim eingeleitete243 und unter Kreisky als Bundeskanzler verstärkte Umdefinierung der österreichischen Neutrali236 237 238 239 240 241 242 243

Freistetter : Das strategische Konzept des Ostens, S. 57. Rauchensteiner : Zwei Millionen, S. 12. Freundliche Mitteilung von Dr. Friedrich Korkisch an den Verfasser, 2008. Aussprache im kleinsten Kreis zwischen dem Herrn Bundeskanzler und Herrn Ministerpräsidenten Kossygin, 31. Mai 1974, in : SBKA, Nachlass Thalberg, Depositum 1, Box 2, Mappe 3. Mueller : A Good Example of Peaceful Coexistence. Bericht, Außenministerium der UdSSR, III. Europaabteilung, Österreichreferat, 28. April 1975, in : AVPRF, 66/54/115/13, S. 34–35. Protokoll der Besprechung des Herrn Bundesministers Rösch mit Herrn Verteidigungsminister Ustinov, 17. Dezember 1979, in : SBKA, Länderboxen, UdSSR, Box 5. Luif, Paul : Austria’s Permanent Neutrality. Its Origins, Development, and Demise, in : Bischof, Günter/Pelinka, Anton/Wodak, Ruth (Hg.) : Neutrality in Austria (Contemporary Austrian Studies 9), New Brunswick/London 2001, S. 129–159, hier S. 137 f.; Meier-Walser, Reinhard C.: Die Außenpolitik der monocoloren Regierung Klaus in Österreich 1966–1970, München 1988, S. 180–183.

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tätspolitik in Richtung einer obligaten aktiven Friedenspolitik, welche die Landesverteidigung zunehmend unter den Tisch fallen ließ, entsprach nicht nur der sowjetischen Koexistenzdoktrin, sondern bedeutete auch eine weitere Herabsetzung der Bedeutung des im Neutralitätsgesetz festgeschriebenen bewaffneten Charakters der Neutralität, dessen Erwähnung unter Kreisky vollends aus den Regierungserklärungen gestrichen wurde.244 Kreisky behauptete zwar wiederholt, eine gute Außenpolitik sei die beste Verteidigung,245 das österreichische Bundesheer aber war und blieb in den 1970er-Jahren mit circa einem Prozent des Bruttoinlandsproduktes (dem niedrigsten Wert aller OECD-Staaten) chronisch unterdotiert und mit einer Mobilisierungsstärke von knapp zwei Prozent der Bevölkerung (gegenüber Schweden und der Schweiz mit circa 10 Prozent) personell rudimentär.246 Die bis 1977 geltende neunmonatige Dienstzeit ohne Wiederholungsübung bildete einen untauglichen Kompromiss.247 Pro Kopf gab Österreich weniger als 20 Dollar für seine Verteidigung aus und lag damit deutlich hinter der Schweiz mit 68 Dollar und Schweden mit 128.248 Niemals wurde auch nur eine in Ansätzen ernst zu nehmende Verteidigung des Luftraumes gegen Übergriffe geschaffen. Dass der Widerspruch zwischen dem im Neutralitätsgesetz verlautbarten Willen, die »Neutralität mit allen zu Gebote stehenden Mitteln zu verteidigen«, und der Realität nicht zu stärkeren Dissonanzen im politischen Diskurs führte, mag nicht zuletzt auf die beharrlich wiederholte These, Staatsvertrag und immerwährende Neutralität seien bereits »die Gewähr für die Sicherheit Österreichs«,249 es bedürfe somit keiner Verteidigung, zurückzuführen sein. Die »im öffentlichen Bewusstsein dominante Stimmung, dass Österreich trotz seiner extrem schlechten Rüstung und seiner fehlenden Bereitschaft, das Verteidigungsbudget auch nur ins europäische Mittelfeld zu heben, trotzdem gesichert war«, hing laut des Historikers Dieter Binder, »zweifellos mit dem Gefühl zusammen, im Falle eines Angriffes aus dem Bereich des Warschauer Pakts durch die USA geschützt zu werden«.250

244 Ginther, Konrad : Neutralität und Neutralitätspolitik. Die österreichische Neutralität zwischen Schweizer Muster und sowjetischer Koexistenzdoktrin, Wien/New York 1975, S. 120–130. 245 Ermacora : 20 Jahre österreichische Neutralität, S. 167 f. 246 Heller : Die »Schild-Schwert-These«, S. 78. 247 Duić, Mario : Das Erbe von Kriegs- und Nachkriegszeit, in : Rauchensteiner, Manfried/Etschmann, Wolfgang (Hg.) : Schild ohne Schwert. Das österreichische Bundesheer 1955–1970 (Forschungen zur Militärgeschichte 2), Wien 1991, S. 89–128, hier S. 97 f. 248 Harrod : Felix Austria, S. 290–298. 249 Regierungserklärung Kreisky, 20. April 1970. Zitiert nach : Ginther : Neutralität und Neutralitätspolitik, S. 113. 250 Binder, Dieter A.: Trittbrettfahrer des Kalten Krieges, in : Starlinger, Johann (Hg.) : Armee, Zeitgeist und Gesellschaft 1955–2005, Wien [2006], S. 57–65, hier S. 63.

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Gorbatschow, die osteuropäischen Revolutionen und das Ende des Warschauer Pakts Nach Ablauf seiner ersten 30 Jahre, 1985, wurde der Warschauer Pakt um 20 Jahre verlängert, obwohl Rumänien, Ungarn und sogar die DDR für eine Verlängerung um lediglich fünf Jahre plädiert hatten und erst durch die sowjetische Drohung, die Rohstofflieferungen zu drosseln (noch im 21. Jahrhundert ein beliebtes russisches Druckmittel), zum Einlenken gezwungen wurden.251 Der Vertragstext blieb unverändert, was damals die meisten westlichen Beobachter überraschte, da sich der Kreml die Gelegenheit entgehen ließ, die Breshnew-Doktrin im Warschauer Pakt festzuschreiben und seine Beistandsregelung auf Asien auszudehnen. Beide Fragen waren aber in bilateralen Verträgen geregelt.252 Entgegen einem im Westen heute weit verbreiteten Missverständnis war der neue Generalsekretär der KPdSU, Michail Gorbatschow, auch nicht angetreten, die Sowjetunion und den Warschauer Pakt zu liquidieren, sondern vielmehr durch Reformen zu stärken. Es dürfte ihm zwar klar gewesen sein, dass die sowjetische Herrschaft über das »äußere Imperium« in Osteuropa in der bestehenden Form für Moskau nicht mehr leistbar und auch nicht erstrebenswert war, weshalb er unmittelbar nach seinem Amtsantritt die Vasallen über das informelle Ende der BreshnewDoktrin informiert haben soll.253 Allerdings war das weder als Todesurteil über den Ostblock gemeint noch so verstanden worden. Vielmehr war Gorbatschow überzeugt, dass mithilfe von Reformen sowohl eine reformkommunistische Herrschaft in den osteuropäischen Staaten als auch deren enges Bündnis mit der Sowjetunion nachhaltig gesichert werden könnten. Sein »Gemeinsames Haus Europa«, das NATO und WP umfassen und schließlich ersetzen sollte, schloss durchaus an ähnliche Vorschläge der 1950er-Jahre an.254 Um den Zustand der permanenten Kriegswirtschaft zu beenden und der Sowjetunion die dringend benötigte internationale »Atempause« zu verschaffen, präsentierte er am 27. Parteitag der KPdSU 1986 das Konzept des außenpolitischen »Neuen Denkens«, wonach Sicherheit nur auf Gegenseitigkeit und Vertrauen aufgebaut werden können und neben Atomraketen auch Feindbilder abgerüstet werden sollten. Die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl demonstrierte die Folgen nuklearer Verstrahlung, Geheimniskrämerei und mangelnder interner Offenheit und Kontrolle und förderte sowohl die Entwicklung 251 Umbach : Das rote Bündnis, S. 394 f. 252 Uschakow/Frenzke : Der Warschauer Pakt, S. 14–17. 253 Cherniaev, Anatolii : Gorbachev and the Reunification of Germany. Personal Recollections, in : Gorodetsky, Gabriel (Hg.) : Soviet Foreign Policy 1917–1991. A Retrospective, London 1994, S. 158–169, hier S. 158. 254 Rey, Marie-Pierre : »Europe is our Common Home«. A Study of Gorbachev’s Diplomatic Concept, in : Cold War History 2/4 (2004), S. 33–65.

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der »Glasnost« (Offenheit, Lockerung der Zensur) als auch das Umdenken über Fragen des Atomkrieges.255 Letzterer Prozess hatte bereits Anfang der 1980er-Jahre eingesetzt. Generalstabschef Ogarkow, der sich neuen INF-Abrüstungsverhandlungen über nukleare Mittelstreckenraketen widersetzt hatte,256 war 1984 abberufen worden, und sein Nachfolger, Marschall Sergei Achromejew, sowie die Verfasser des »Militärenzyklopädischen Handbuches« hatten die Möglichkeit eines begrenzten Nuklearkrieges ausgeschlossen.257 In seiner Biografie des sowjetischen Heerführers Michail Frunse kritisierte der neue stellvertretende Generalstabschef Machmut Garejew die Thesen Sokolowskis, die seit den 1970er-Jahren als obsolet galten, und warnte sowohl vor den katastrophalen Folgen eines Atomkrieges als auch vor der konventionellen Modernisierung der NATO durch die neuen Hochpräzisionswaffen.258 Daher plädierte Garejew für einen Teilaufmarsch der Vereinigten Streitkräfte des WP in Friedenszeiten, wodurch ein Losschlagen »aus dem Stand« möglich wäre.259 Aber nicht nur die Grenzen zwischen Friedens-, Mobilmachungs- und Kriegszustand begannen zu verschwimmen. Gleichzeitig gewann auch die Defensive wieder an Bedeutung : Ihr Scheitern 1941 wurde diskutiert,260 und im WP übte man 1984 in der Übung »Schild« in der ČSSR erstmals auch umfassende Defensivoperationen des Bündnisses.261 Der 27. Parteitag der KPdSU 1986 brachte eine grundlegende Änderung der sowjetischen Militärdoktrin. Gorbatschow kritisierte das Rüstungsniveau als zu hoch und zu gefährlich für alle Seiten und forderte, nicht mehr nach Überlegenheit zu streben.262 Clausewitz, seit Lenin fixer Bestandteil sowjetischen strategischen Denkens, wurde verworfen.263 Hingegen griff man auf den Gedanken der 1950er-Jahre zurück, dass ein Nuklearkrieg keine rationale »Fortsetzung der Politik« sei und keine Sieger kenne. Aufgrund der Stärke des »sozialistischen Lagers« sei es möglich, schon vor dem weltweiten Übergang zum Sozialismus Kriege in Zukunft zu verhindern.264

255 Das DDR-Protokoll militärischer Konsultationen in Moskau am 4. Juli 1986 belegt Bestürzung über das Ausmaß der Kontamination und die Suche nach Gegenmaßnahmen. Bluth : Offensive Defence in the Warsaw Pact, S. 66. 256 Umbach : Das rote Bündnis, S. 327. 257 Kokoshin : Soviet Strategic Thought, S. 134–138. Vgl. Voennyj ėnciklopedičeskij slovar’, Moskva 1983, S. 842. 258 Gareev, Machmut A.: M. V. Frunze – voennyj teoretik : Vzgljady Frunze i sovremennaja voennaja teoria, Moskva 1985. Vgl. http ://il2.is74.ru/airwar/militera-mirror/bio/frunze/index.html. 259 Umbach : Das rote Bündnis, S. 350. 260 Kokoshin : Soviet Strategic Thought, S. 185–187. 261 Kramer : The Official (West) German Report, S. 15. 262 Magenheimer : Doktrin und Einsatzkonzept, S. 6–11. 263 Kokoshin : Soviet Strategic Thought, S. 58–60 ; Umbach : Das rote Bündnis, S. 364 f. 264 Ogarkov, N. V.: Istorija učit bditel’nosti, Moskva 1985, S. 85–88.

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Auch ein konventioneller Krieg in Europa wurde seitens der Reformer als »irrational« erklärt. Dem hielten Spitzenmilitärs entgegen, dass sozialistische Staaten ohnehin angeblich Krieg nur führen würden, wenn unbedingt nötig, und deckten damit das klassische Dilemma zwischen Kriegsvermeidung als politischem Ziel und Vorbereitung auf den Kriegsfall als Aufgabe der Streitkräfte auf. Generell reagierten führende Militärs nach der ersten innersowjetischen Konfrontationsphase 1986/87 elastisch, übernahmen Forderungen der Reformer, erklärten sie aber in einem Atemzug als bereits erfüllt bzw. interpretierten sie um.265 Die Militärelite hing auch nach Ende 1988 weiter dem Dogma an, der Sieg bzw. die »völlige Vernichtung der feindlichen Gruppierungen« könne nur in (gegen-)offensiver Operation errungen werden. Dass die Zurückschlagung feindlicher Verbände nicht mit deren »völliger Vernichtung« einhergehen müsse, blieb eine Minderheitsmeinung. Im Entwurf einer neuen Militärdoktrin vom November 1990 wurden präemptive Schläge zu Beginn des Konfliktes ausgeschlossen, nicht aber Gegenoffensiven in dessen weiterem Verlauf. Allerdings dürfte die Frage auch bis zum Ende der Sowjetunion (und darüber hinaus) nicht geklärt worden sein. Im November 1991 konstatierte der nunmehrige Generalstabschef Wladimir Lobow : »Es ist nötig anzuerkennen, dass es bei uns bis jetzt keine Übereinstimmung zwischen den offiziell verkündeten defensiven Zielen und der offensiven Ausrichtung der operativ-strategischen Richtlinien im Bereich der Kriegskunst, des Aufbaues und der Gefechtsausbildung der Truppen und Flottenkräfte gibt.«266 Inzwischen war der Warschauer Pakt längst Geschichte. In den ersten Gorbatschow-Jahren hatten sich die Staatschefs der nichtsowjetischen WP-Staaten von der Reform größeren nationalen Spielraum und Entspannung mit dem Westen erhofft, um bessere Wirtschaftsbeziehungen nach außen und damit mehr Konsum im Inneren sicherstellen zu können, der wiederum der Legitimierung der kommunistischen Herrschaft dienen sollte. Gorbatschow selbst wollte die sowjetische Einmischung und damit auch die sowjetischen Verpflichtungen in Osteuropa reduzieren, gleichzeitig aber die Vasallen zur freiwilligen Vertiefung der osteuropäischen Integration und zur Nachahmung der Perestrojka bewegen und überdies eine Destabilisierung des Systems vermeiden, was unter den gegebenen Bedingungen einer Quadratur des Kreises gleichkam. Im WP standen einander eine anfängliche Intensivierung der Konsultationen samt sowjetischen Integrationsbemühungen einerseits und Desintegrationserscheinungen andererseits, wie die Propagierung einer nationalen Verteidigungsdoktrin Ungarns, gegenüber.267 Selbst seitens der DDR mehrten sich Anzeichen eines kritischeren Hinterfragens der Unterordnung unter sowjetische 265 Umbach : Das rote Bündnis, S. 383. 266 Zitiert nach : Umbach : Das rote Bündnis, S. 466 f. 267 Umbach : Das rote Bündnis, S. 417 und S. 424–426.

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Verteidigungsinteressen. In der Sitzung des Politischen Beratenden Ausschusses im Mai 1987 in Berlin wurde die Militärdoktrin des WP an die neue sowjetische Militärdoktrin angepasst und auch im Warschauer Pakt der Primat der Kriegsvermeidung, die »ausreichende« und »nicht-offensive Verteidigung« festgeschrieben.268 Zuvor hatte Rumänien, das überhaupt keine einheitliche Militärdoktrin des WP wollte, Widerstand geleistet.269 Oberkommandierender Kulikow erklärte am 27. Juni 1988 gegenüber DDR-Regierungschef Erich Honecker : »Gegenwärtig vollzieht sich in den Vereinten Streitkräften ein Prozess des Umdenkens von einer einseitigen Orientierung auf Angriffshandlungen auf die Organisation und Führung einer standhaften und aktiven Verteidigung zu Beginn eines Krieges.«270 Damit bestätigte er indirekt die bisherige offensive Aufstellung seiner Truppen. 1989 fanden die »Vltava«-Manöver in der ČSSR als erste WP-Übung mit der neuen defensiven Doktrin statt.271 Kurz nachdem Gorbatschow im Juli 1988 vor den versammelten WP-Verteidigungsministern die »neue Dynamik« des Bündnisses und die Eigenverantwortung seiner Mitgliedstaaten gelobt hatte, schwor er in seiner Rede vor den Vereinten Nationen am 7. Dezember feierlich der Breshnew-Doktrin ab. Obwohl sich abzeichnete, dass sich Osteuropa aufgrund wirtschaftlicher Schwierigkeiten und explodierender Verschuldung zunehmend nach Westen orientierte, sah Gorbatschow seine Politik nicht als Konzession aus einer Position der Schwäche, sondern noch als Fortschritt aus einer Position der Stärke. Die Sitzung des PBA im Juli 1989, die letzte, in der nur kommunistische Politiker anwesend waren, zeigte die innere Zersplitterung des Pakts : Gorbatschow saß drei Hardlinern (ČSSR, DDR, Bulgarien), zwei Vertretern von Umbruchregimes (Polen und Ungarn) und einem völlig Unberechenbaren (Rumänien) gegenüber. In seiner Strassburger Rede im Juli 1989 betonte Gorbatschow nochmals das Prinzip der Nichteinmischung in innere Angelegenheiten souveräner, auch verbündeter Staaten. Dabei dürfte er jedoch von einem geordneten Übergang in Osteuropa unter KP-Kontrolle und einem Weiterbestand des WP, solange sich nicht die NATO auch auflöste, ausgegangen sein.272 Nach der Revolution von 1989, im Zuge der deutschen 268 Protokolle, Unterlagen und Berichte zur XXI. Sitzung des PBA des Warschauer Pakts, 27.–29. Mai 1987, vgl. http ://www.php.isn.ethz.ch/collections/colltopic.cfm ?lng=en&id=17112&navinfo=14465 (online am 5. Oktober 2009) ; Beschluss über die neue Militärdoktrin des Warschauer Pakts, 29. Mai 1987, vgl. http ://www.php.isn.ethz.ch/collections/colltopic.cfm ?lng=en&id=19204&navinfo=14465 (online am 5. Oktober 2009).Vgl. Mastny/Byrne : A Cardboard Castle, S. 61 ; Cymburskij : Voennaja doktrina, S. 74 und S. 79–83 ; Kokoshin : Soviet Strategic Thought, S. 187. 269 Verteidigungsminister der DDR Armeegeneral Kessler an Honecker, 27. Mai 1987, vgl. http ://www.php. isn.ethz.ch/collections/colltopic.cfm ?lng=en&id=17112&navinfo=14465 (online am 5. Oktober 2009). 270 Zitiert nach : Veleff : Angriffsziel Schweiz, S. 76. 271 Mastny/Byrne : A Cardboard Castle, S. 63 f. 272 Umbach : Das rote Bündnis, S. 470 und S. 486. Eine Ausnahme bildete Marschall Achromeev, der sich

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Wiedervereinigung und der Verhandlungen über den sowjetischen Abzug aus der DDR, verstärkte sich in Ungarn, der ČSFR und Polen die Debatte über einen sowjetischen Abzug, der im Frühjahr 1990 vereinbart wurde. Westliche Politiker wollten nun den Warschauer Pakt, der gemeinsam mit der NATO erklärte, einander nicht mehr feindlich gegenüberzustehen, zur Stabilisierung erhalten. Vor allem Ungarn war hingegen – nicht zuletzt aufgrund seiner Erfahrung von 1956 und seiner relativ geringen Betroffenheit durch die deutsche Wiedervereinigung – einem Austritt aus dem WP und dem Übergang zu Neutralität am nächsten und schlug in der PBATagung im Sommer 1990 eine Auflösung des Bündnisses vor. Widrigenfalls werde es dieses verlassen. Der »Rechtsrutsch« der sowjetischen Führung im Winter 1990 und die blutige sowjetische Militärintervention in den nach Unabhängigkeit strebenden baltischen Staaten im Jänner 1991 versetzten dem Warschauer Pakt den Todesstoß. Polen, die Tschechoslowakei und Ungarn, die im Februar in Visegrád enge Zusammenarbeit geschworen hatten, forderten gemeinsam die Auflösung des WP. Im selben Monat wurde die Liquidierung der militärischen Komponente bis 31. März beschlossen, am 1. Juli der Rest. Der ungarische Außenminister Géza Jeszensky hatte am 21. Februar erklärt : »Die Länder des Paktes, der einst wegen einer angeblichen Gefahr aus dem Westen gegründet worden war, sind aus dieser Richtung niemals bedroht worden.«273 Dennoch hinterließ die jahrzehntelange antiwestliche Hasspropaganda vor allem in Russland Spuren, die durch massenmediale Propaganda auch im 21. Jahrhundert weiterhin tradiert wurden. Der »aggressive Block NATO«, dem man später die Aufnahme der nunmehr souveränen Demokratien Ostmitteleuropas vorwarf,274 wurde neuerlich zum Feindbild hochstilisiert ; die Partnerschaft zwischen NATO und Russland hingegen weitgehend totgeschwiegen. Eine tief greifende, breitenwirksame und selbstkritische Beurteilung des Warschauer Pakts hat in Russland noch nicht stattgefunden. Anders als seine Gründung hatte die Auflösung des Warschauer Pakts keinen Bezug zu Österreich, brachte aber auch für die Alpenrepublik bedeutende Auswirkungen. Zwar hatte sie bereits vor den Revolutionen 1989 ihr Beitrittsansuchen an die Europäische Gemeinschaft überreicht. Der schließlich ungehinderte EU-Beitritt und vor allem die in den 1990er-Jahren bemerkbare Intensivierung der Debatte

bereits im Juli 1989 das Ausscheiden von nichtsowjetischen WP-Staaten aus dem Bündnis vorstellen konnte. 273 Zitiert nach : Umbach : Das rote Bündnis, S. 554. 274 Der Vorwurf, die NATO habe durch die Aufnahme der Staaten Ostmitteleuropas eine frühere Zusage verletzt, entbehrt jeglicher Grundlage. Kramer, Mark : The Myth of a No-NATO-Enlargement-Pledge to Russia, in : The Washington Quarterly 32/2 (2009), 39–61.

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über eine mögliche Aufgabe der vielen als obsolet, europapolitisch unsolidarisch und verteidigungspolitisch unwirksam erscheinenden Neutralität wären allerdings ohne den grundlegenden Wandel im Osten kaum denkbar gewesen. Eine tief greifende, breitenwirksame und aufrichtige Auseinandersetzung mit den Anforderungen einer zukunftsträchtigen verantwortungsvollen Sicherheitspolitik ist noch nicht erfolgt.

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Hans Rudolf Fuhrer*

Neutral zwischen den Blöcken : Österreich und die Schweiz Die Ausgangslage Der im »Moskauer Memorandum« vom 5. April 1955 gefundene Kompromiss, wonach Österreich neutral wie die Schweiz werden sollte, hat den Weg zu Österreichs Staatsvertrag freigemacht. Gerald Stourzh nennt ein lange geheim gehaltenes Gespräch zwischen dem sowjetischen Außenminister Wjatscheslaw M. Molotow und dem amerikanischen Staatssekretär John Foster Dulles vom 13. Februar 1954 in Berlin als Zäsur und Wendepunkt in der Vorgeschichte des Staatsvertrags. Dulles soll seinem Amtskollegen die Zustimmung der USA zu einem Österreich, das mit frei gewählter Neutralität »eine Schweiz zu sein wünscht«, signalisiert haben.1 Nach Hinterlegung der Ratifikationsurkunden des Staatsvertrags durch die Signatarmächte in Moskau und nachdem der letzte alliierte Soldat das Land verlassen haben sollte, verabschiedete das österreichische Parlament das Bundesverfassungsgesetz vom 26. Oktober 1955 über die immerwährende Neutralität Österreichs. Dieser Tag ist zum Nationalfeiertag erklärt worden, was die Bedeutung auch für kommende Generationen unterstreichen sollte. Die österreichische Bundesregierung war nun beauftragt, eine Außen- und Sicherheitspolitik nach dem Vorbild der Schweiz zu führen. Das war nicht unproblematisch. Zu vieles war anders als in der Schweiz und alles war neu. Wohl hatten sich bereits 1947 78 % der befragten Österreicherinnen und Österreicher für eine strikte Neutralität nach dem Muster der Schweiz ausgesprochen2, doch wussten wirklich alle, was dies bedeutete ? Der Chefredakteur der »Neuen Zürcher Zeitung«, Hugo Bütler, wusste von Hans Thalberg3, dem österreichischen Botschafter in Bern, zu *

Ich danke Magister Helmut Hüttl für die Bereitstellung relevanter österreichischer Dokumente und für eine gezielte Presserecherche. Eine ebenso wertvolle Hilfestellung verdanke ich Hofrat Dr. Erwin Schmidl. Die Materialien haben dazu gedient, den angestrebten Vergleich zu erstellen, auch wenn ein bedauerliches Ungleichgewicht nicht ganz beseitigt werden konnte. 1 Stourzh, Gerald : Um Einheit und Freiheit. Staatsvertrag, Neutralität und das Ende der Ost-West-Besetzung Österreichs 1945–1955, 4, völlig überarbeitete und wesentlich erweiterte Aufl. (Studien zu Politik und Verwaltung 62), Wien/Köln/Graz 1998, S. 602. 2 Blasi, Walter : Die Entwicklung der österreichischen Neutralität in den Jahren 1945 bis 1955 unter Berücksichtigung der Haltung der SPÖ und ÖVP (Interne Information zur Sicherheitspolitik 12), Wien 2001, S. 4. 3 Dr. Hans Thalberg war Botschafter in Bern zwischen Februar 1975 und Dezember 1981. Er ist 1916 in

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berichten, dass dieser gesagt habe : »Das Erstaunlichste ist, dass die Bewohner dieser beiden Nachbarländer überzeugt davon sind, dass sie sich bestens kennen und in Wirklichkeit weniger voneinander wissen als Länder, die durch einen Ozean voneinander getrennt sind. Die Vorurteile diesseits und jenseits des Arlbergs sitzen sehr tief.« Thalberg wird auch das Bild von den »beiden gleichen, aber einander doch so unähnlichen Alpenbrüdern, die mit dem Rücken gegeneinander sitzen«, zugeschrieben. Wenn er dies viele Jahre nach dem Staatsvertrag noch so feststellte, wie muss es dann um das Wissen über die Neutralität im Allgemeinen und über die schweizerische Neutralität im Speziellen nach dem Zweiten Weltkrieg bestellt gewesen sein ? Da wir dies nicht mehr konkret nachfragen können, wollen wir für eine vergleichende Beurteilung der mehr als fünfzigjährigen österreichischen Neutralität »zwischen den Blöcken« zunächst einmal den beiden Fragen nachgehen : Was ist Neutralität im Allgemeinen und was ist schweizerische Neutralität im Speziellen ? Des Weiteren wäre nach der Haltung der Regierung in Moskau zur Neutralität im 20. Jahrhundert zu fragen. Ein dritter Schritt dient der Analyse der Berichte des schweizerischen Gesandten in Wien über die Rolle der Blocksysteme in West und Ost, und schließlich wären noch einige Fragen zur Gleichheit und Ungleichheit der österreichischen und schweizerischen Neutralität zu stellen.

Eine Neutralität »nach dem Vorbild der Schweiz« Skizze Die zentrale Lage in Europa im Allgemeinen sowie die Zugehörigkeit zur europäischen Zwischenzone West im Speziellen bestimmen seit 1291 die militärgeografische Situation der Eidgenossenschaft.4 Die beiden Machtzentren – im Westen irgendeine Form von Frankreich (Haus Valois, später Bourbon) und im Osten irgendeine Form des Römisch-Deutschen Reiches (Haus Habsburg) – ließen ein machtpolitisches Spannungsgeflecht in Westeuropa entstehen. Das spiegelbildliche System prägte auch die Zwischenzone Ost, in der das heutige Österreich liegt. Hier befand sich auch das deutsche Machtzentrum im Nordwesten und irgendeine Form von Russland (Haus Romanow) bzw. die Sowjetunion im Osten. Geografisch gehören zudem Österreich und die Schweiz zum Alpenriegel zwischen Nord- und Südeuropa, aber sie sitzen, wie Thalberg es richtig sieht, Rücken

Wien geboren. Vgl. dazu : Aerni, Agathon/Agstner, Rudolf : Von der k.k. Gesandtschaft zur österreichischen Botschaft. Festschrift 150 Jahre Österreichische Botschaft Bern. Österreich(-Ungarn) und seine diplomatischen und konsularischen Vertretungsbehörden in der Schweiz und Liechtenstein, Wien 2001. 4 Vgl. Reinhardt, Volker : Geschichte der Schweiz, München 2006 ; Wiget, Josef (Hg.) : Die Entstehung der Schweiz. Vom Bundesbrief 1291 zur nationalen Geschichtskultur des 20. Jahrhunderts, Schwyz 1999.

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an Rücken. Die Eidgenossenschaft ist nach Norden, Westen und Süden gewandt und Österreich eher nach Osten. Verbindend ist nur der Kultur- und Wirtschaftsraum Vorarlberg. Diese geopolitischen Gegebenheiten bestimmten das Entstehen und die Ausformung der schweizerischen Neutralität seit 1515. Die Eidgenossenschaft versuchte, sich nach der Niederlage von Marignano 1515 zunehmend aus den europäischen Machtkämpfen herauszuhalten und nur Söldner zur Verfügung zu stellen.5 Sie blickt also auf eine rund fünfhundertjährige Neutralitätsgeschichte zurück. Als außenpolitische Maxime steht die Neutralität in der schweizerischen Bevölkerung wie eh und je hoch im Kurs. Die Militärakademie und die Forschungsstelle für Sicherheitspolitik an der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Zürich untersuchen seit 1993 diese Problematik mit einer jährlichen repräsentativen Befragung.6 Im Trend der letzten Jahre sind es unverändert rund neun von zehn Schweizerinnen und Schweizern – 2008 und 2009 waren es 93 %, so viele wie nie zuvor seit Beginn der Messreihe −, die an der »ständigen« Neutralität festhalten wollen. Die Befürwortung der »differentiellen Neutralität«, ermittelt durch die Stellungnahme zur Aussage »Die Schweiz sollte bei politischen Konflikten im Ausland klar Stellung für die eine oder andere Seite beziehen, bei militärischen Konflikten aber neutral bleiben«, bleibt relativ konstant bei 60 %. Weniger als 10 % wollen ganz auf die Neutralität verzichten. Bei diesen Prozentzahlen stellt sich die Frage, ob wohl alle unter »Neutralität« das Gleiche verstehen. Drei Aspekte scheinen dabei besonders wichtig zu sein. 1. Der strategische Aspekt : Staaten, welche die Neutralität anstreben, müssen strategische Güter besitzen, die im Interesse der umliegenden Hegemonialmächte liegen. Deren Nutzung soll im Kriegsfall weiterhin allen oder niemandem zur Verfügung stehen. 2. Der instrumentelle Aspekt : Teile der schweizerischen Bevölkerung interpretieren die Staatsmaxime Neutralität hauptsächlich final, d. h. sie stellt einen Wert an sich dar, eine Art »swiss way of life«, und ist nicht nur eines der Mittel der Außenpolitik, auf das man verzichten kann, wenn es nicht mehr opportun erscheint. 3. Der rechtliche Aspekt : Neutralität im Völkerrecht ist die Politik der Nichtbeteiligung an einem Krieg. Es ist zunächst zwischen gewöhnlicher und ständiger Neutralität zu unterscheiden. Als gewöhnliche Neutralität bezeichnet man das Rechtsver-

5 Vgl. Fuhrer, Hans Rudolf/Eyer, Robert-Peter : Schweizer in Fremden Diensten. Verherrlicht und verurteilt, 2. Aufl., Zürich 2006. 6 Vgl. Szvircsev Tresch, Tibor/Wenger, Andreas Würmli, Silvia/Pletscher, Mark/Wenger, Urs : Sicherheit 2009. Außen-, sicherheits- und verteidigungspolitische Meinungsbildung im Trend, Zürich 2009, S. 121−134.

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hältnis, das im Kriegsfall zwischen dem neutralen Staat und den Krieg führenden Mächten besteht. Oberster Grundsatz dieses Rechtsverhältnisses ist das Interventionsverbot, welches keine staatliche Maßnahme zugunsten oder zu Lasten einer Krieg führenden Partei zulässt. Die ständige oder immerwährende Neutralität (zwischen ständiger, immerwährender oder ewiger Neutralität besteht kein rechtlicher Unterschied) ist ein völkerrechtliches Statut, welches auf ein besonderes Land zugeschnitten ist. Sinn der ständigen Neutralität ist die Erhaltung der Unabhängigkeit für den Neutralen und die Berechenbarkeit für die Krieg führenden Mächte, die sie anerkannt haben. Letzteren bietet sie insbesondere Gewähr, dass der ständig neutrale Staat dem Einfluss der gegnerischen Partei entzogen bleibt. Sie finden darin die Gegenleistung des Neutralen. Umgekehrt ist die Unabhängigkeit aber auch Voraussetzung zur Neutralität ; ohne staatliche Souveränität ist keine Neutralität denkbar. Zusammenfassend und wertend kann gesagt werden, dass aufgrund dieser drei Aspekte zu erwarten ist, dass die Schweiz 1955 für Österreich höchstens als »Referenzland« (François Pictet) betrachtet werden konnte. Die strategische Lage Österreichs unmittelbar am »Eisernen Vorhang«, die innere politische und gesellschaftliche Konstellation und insbesondere die Geschichte waren völlig verschieden von der Schweiz. Nur der völkerrechtliche Ausgangspunkt war mit der je selbst gewählten dauernden Neutralität derselbe.

Die marxistisch-leninistischen Auffassungen von Neutralität Da zu Beginn der Diskussion über eine allfällige österreichische Neutralität in den Medien und im Parlament immer wieder von einem kommunistischen Verständnis der Neutralität im Sinne der indirekten Kriegführung gesprochen wurde, das sich von der völkerrechtlichen Definition grundsätzlich unterscheide, sollte wohl auch diesem Aspekt Aufmerksamkeit geschenkt werden. Die Väter des Marxismus-Leninismus hatten für das Konzept der Neutralität in ihrer Ideologie keinen Platz.7 Ihrer Auffassung nach konnte im unausweichlichen Kampf zwischen unterschiedlichen sozialen Klassen keine neutrale Position eingenommen werden ; alle Menschen mussten entweder die eine oder die andere Seite

7 Die folgenden Ausführungen beruhen auf Fuhrer, Hans Rudolf/Wild, Matthias : Alle roten Pfeile kamen aus Osten – zu Recht ? Das Bild und die Bedrohung der Schweiz 1945–1966 im Lichte östlicher Archive (Der schweizerische Generalstab XI), Baden 2010 (im Erscheinen). Vgl. dazu auch Neval, Daniel A.: »Mit Atombomben bis nach Moskau.« Gegenseitige Wahrnehmung der Schweiz und des Ostblocks im Kalten Krieg 1945–1968, Zürich 2003, S. 178−184.

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unterstützen. Wenn jemand im Klassenkampf zwischen »Proletariat« und »Bourgeoisie« nicht auf der Seite des »Proletariats« stand, dann half er automatisch dem Klassenfeind. Lenin forderte deshalb die »Aufklärung der Massen über die Tatsache […], dass die so genannte ›Neutralität‹ bürgerlicher Betrug oder Heuchelei ist, dass sie faktisch passive Unterwerfung unter die Bourgeoisie und passive Unterstützung ihrer besonders schändlichen Unternehmungen, wie z. B. des imperialistischen Krieges, bedeutet«.8 Entsprechend forderte Lenin die Arbeiter auf, zwar zu den von der Bourgeoisie angebotenen Waffen zu greifen, die »Verteidigung des Vaterlandes« aber in einen »gerechten« Krieg im Interesse das Proletariats überzuführen.9 Nachdem Lenin und die Bolschewiki in Russland die Macht übernommen hatten, sahen sie sich durch zwei Umstände und eine Erkenntnis zu einer Abkehr von ihrer bisherigen strikten Ablehnung der Neutralität veranlasst.10 Die beiden Umstände waren zum einen die Tatsache, dass das militärische und wirtschaftliche Potenzial des jungen Sowjetstaats bedeutend geringer war als jenes der kapitalistischen Staaten, und zum anderen die sich aus der marxistisch-leninistischen Ideologie ergebende These, dass die kapitalistischen Staaten sich früher oder später zusammenschließen würden in der Absicht, den einzigen kommunistischen Staat der Welt zu zerstören. In dieser Situation erkannte Lenin, dass das Konzept der Neutralität für den Sowjetstaat vorübergehend von Vorteil sein konnte – nämlich dann, wenn es gelang, kapitalistische Staaten zu »neutralisieren« und so von der Teilnahme an einer antisowjetischen Angriffskoalition abzuhalten. Die Bemühungen der Sowjetunion, die Wirkung von Neutralität zu ihren Gunsten auszunützen, wurden während der Herrschaft Stalins fortgesetzt.11 Die Tatsache, dass Stalin den Abschluss von Neutralitätsabkommen mit anderen Staaten anstrebte, bedeutete aber nicht, dass er die Neutralität als politische Institution nun generell positiv beurteilte. Im Gegenteil : Das Neutralitätsrecht wurde in der Sowjetunion weiterhin als eine kapitalistische Entwicklung betrachtet und entsprechend kritisch bewertet. Angesichts solch deutlich geäußerter Kritik an der »kapitalistischen Neutralität« mussten die Sowjets ihr eigenes Interesse an der Neutralität natürlich klar von der Neutralitätspolitik kapitalistischer Länder abgrenzen. So behaupteten sie, die Neutralität habe in der Politik der UdSSR eine ganz andere Bedeutung erhalten : »Das prinzipiell neue Wesen unserer Verträge findet seinen Ausdruck in erster Linie darin, dass sie der Aufgabe des Kampfes gegen die Aggression untergeordnet sind.

8 Lenin, Vladimir I.: Die Aufgaben der linken Zimmerwalder in der Schweizer Sozialdemokratischen Partei, November 1916, in : Lenin-Werke, Bd. 23, S. 135−147, hier S. 142. [Kursiv im Original.] 9 Ebd., S. 144. 10 Vgl. Vigor, Peter H.: The Soviet View of War, Peace and Neutrality, London/Boston 1975, S. 178–180 und 183–185. 11 Vgl. Neval Neval:: Atombomben bis nach Moskau, S. 179 ; Vigor : The Soviet View, S. 185–188.

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Die Verpflichtung der Neutralität tritt in unseren Verträgen als der Verpflichtung zum Nichtangriff untergeordnet hervor, als diese Verpflichtung ergänzend und sie entwickelnd.«12 Der Zweite Weltkrieg setzte den sowjetischen »Experimenten« mit der Neutralität ein Ende. Die Sowjets beschäftigten sich während des Krieges nur noch insofern mit Neutralität, als sie das Verhalten von neutralen Staaten wie beispielsweise der Schweiz und Schwedens genau beobachteten und meist als nicht »absolut neutral« kritisierten. Nach dem Ende des Krieges erblickte die sowjetische Führung angesichts der Formierung und Verfestigung eines westlich-kapitalistischen und eines östlich-kommunistischen Blockes in der Neutralität plötzlich wieder ein Mittel, das der Sowjetunion unter Umständen nützlich sein konnte. Falls nämlich ein Land, welches bis dahin dem kapitalistischen Lager angehört hatte oder zwischen den beiden Blöcken umstritten gewesen war, neutral wurde, so konnten dadurch − wenn auch nicht direkt − der sowjetische Einfluss verstärkt und eine Schwächung des feindlichen Lagers erreicht werden. Genau dieses letztere Ziel verfolgte Stalin mit seinem im März 1952 vorgebrachten Vorschlag zur »Neutralisierung« Deutschlands. Der Vorschlag bildete den Versuch, die zu jenem Zeitpunkt im Westen stattfindenden Verhandlungen um die Wiederbewaffnung Westdeutschlands im Rahmen einer Europäischen Verteidigungsgemeinschaft (EVG) zu torpedieren und generell die Eingliederung der Bundesrepublik in die militärischen Strukturen des Westens zu verhindern.13 Der sowjetische Plan scheiterte. Unter Chruschtschow nahm das Interesse der Sowjetunion am Konzept der Neutralität zu.14 Es wurden nun vor allem die positiven Aspekte der Neutralität hervorgehoben. »Die historische Erfahrung«, so Chruschtschow, »lehrt uns, dass einige Staaten, welche während des Krieges eine neutrale Politik führten oder sich nicht an den militärischen Blöcken beteiligten, dadurch geholfen haben, den Völkern ihrer Länder Sicherheit zu gewähren, und insgesamt eine positive Rolle in der Welt gespielt haben. Eine solche Politik entspricht den nationalen Interessen jener Staaten, erhöht die Sicherheit und zwingt sie nicht zu einer überflüssigen und vergeblichen Verschwendung von Produktivkräften für militärische Ausgaben. Bereits viele Jahrzehnte genießen zum Beispiel die Schweiz und Schweden alle Vorzüge der Neutralität. Eine wichtige Rolle im Kampf für den Frieden und die Sicherheit spielen auch 12 Bol’šaja Sovetskaja Encyklopedija (Große Sowjetische Enzyklopädie, BSE, 3. Auflage), Moskva 1970–78, hier : 1. Ausgabe, Bd. 41, Sp. 488. 13 Zum sowjetischen Versuch der »Neutralisierung« Deutschlands siehe u.a. Steininger, Rolf : Der Kalte Krieg, Frankfurt am Main 2003, S. 25. 14 Vgl. Neval: Neval : Atombomben bis nach Moskau, S. 180–182 ; Nogee, Joseph L./Donaldson, Robert H.: Soviet Foreign Policy since World War II, New York 1981, S. 95 f., S. 100 f., S. 132–137, S. 142–145 und S. 162 ; Vigor : Soviet View, S. 180–183 und S. 187–193.

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solche Staaten wie Indien, Burma, die Vereinigte Arabische Republik, Kambodscha und andere Länder, welche die Teilnahme an einem militärischen Block ablehnen. Ihr Standpunkt trifft auf Verständnis und Sympathie.«15 Chruschtschow sah in der Neutralität ein Mittel, um trotz der nun gültigen Doktrin der »friedlichen Koexistenz« das westliche Lager zu schwächen. Dementsprechend befürwortete und förderte er intensiv die »Neutralisierung« westlich beeinflusster Staaten, keineswegs jedoch – wie 1956 in Ungarn deutlich wurde – Bestrebungen in Richtung Neutralität von Staaten innerhalb des sowjetischen Einflussbereichs. Während der ersten Phase der Herrschaft Chruschtschows, bis Ende der 1950erJahre, richtete sich das sowjetische Interesse hauptsächlich auf die Konzeption der »immerwährenden Neutralität« : Die Sowjets beobachteten folglich mit Argusaugen das Verhalten der Schweiz. Sobald sie eine neutralitätspolitische Verfehlung zu erkennen glaubten, kritisierten sie diese umgehend und scharf. Besonders heftig fiel die sowjetische Kritik ab 1958 aus, als die Schweiz die Anschaffung von Nuklearwaffen in Erwägung zog. Aus Sicht der Sowjets war ein solcher Schritt mit dem Status der »immerwährenden Neutralität« ganz und gar unvereinbar, da sich der Neutrale dafür unweigerlich in eine zu große Abhängigkeit von einer der großen Nuklearmächte hätten bringen müssen.16 Andererseits versuchte die sowjetische Führung weiterhin, Staaten, welche ganz oder teilweise unter westlichem Einfluss standen, zu »neutralisieren«. Zu Beginn der 1960er-Jahre verlagerte sich das Interesse der Sowjets vom traditionellen Konzept der »immerwährenden Neutralität« mehr und mehr auf die neue Bewegung der sogenannten »Blockfreien«. Mit diesem Begriff wurden jene Länder bezeichnet, die keinem Militärblock angehörten, sich im Ost-West-Konflikt neutral verhielten und auch in wirtschaftlicher Hinsicht einen »dritten Weg« einschlagen wollten (Neutrale+Nicht-paktgebundene Staaten). Da es sich dabei fast ausschließlich um ehemalige Kolonien von »kapitalistischen« Mächten handelte, glaubten die sowjetischen Strategen, die Stärkung und Vergrößerung der Blockfreienbewegung würde unweigerlich zur Schwächung des westlichen Lagers führen. Dies erstens dadurch, dass die Territorien der blockfreien Staaten den Westmächten nicht mehr länger für Militärbasen zur Verfügung standen, zweitens dadurch, dass die Blockfreien eine »antiwestliche« Politik – wie die Verurteilung von Kolonialismus und Rassendiskriminierung sowie die Forderung nach Abrüstung – betrieben, und drittens dadurch, dass die Blockfreien auf Kosten des Westens immer stärkeren Einfluss

15 Antwort Chruschtschows auf die Frage des Korrespondenten der italienischen Zeitschrift »Tempo«, G. Palozzi, in : »Pravda«, 2. April 1958 bzw. »Rude Pravo«, 3. April 1958, zit. nach nach:: Ganjuškin, Boris V.: Soudobá neutralita. Politika neutrality a trvalá neutralita v podmínkáír, Prag 1961 (tschechische Übersetzung aus dem Russischen von 1958), S. 5. 16 Vgl. Vyšinskij, A. Ja. (Hg.) (Hg.):: Diplomatičeskij Slovar’, 1. Ausgabe, Band 2, Moskau 1950, S. 396.

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in der UNO gewannen. Angesichts dieser für das sozialistische Lager vorteilhaften Entwicklungen beurteilte man in Moskau das Konzept der Blockfreiheit, welches oft auch »positive Neutralität« oder »Neutralismus« genannt wurde, sehr wohlwollend : »Staaten, welche eine Politik der Bündnisfreiheit verkünden oder den Status der Neutralität annehmen, lehnen es ab, in einen organisierten imperialistischen Militärblock einzutreten, ihr Territorium ausländischen Militärbasen zur Verfügung zu stellen ; sie führen eine friedliebende Außenpolitik. Dadurch erweitern diese Staaten, welche auf dem Weg der Neutralität gehen, die Zone des Friedens, welche Staaten umfasst, in denen mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung lebt«.17 Damit verbunden war nicht zuletzt die – auf der marxistisch-leninistischen Ideologie beruhende – Hoffnung beziehungsweise Überzeugung, dass die Blockfreiheit für die vom »Joch der Imperialisten« befreiten früheren Kolonien nur ein Zwischenstadium vor dem historisch unvermeidlichen Übergang zum Sozialismus darstellte. Nach dem Sturz Chruschtschows änderte sich an der sowjetischen Einstellung zur Neutralität und zur Blockfreiheit vorerst nichts. Das Konzept der friedlichen Koexistenz wurde weiterhin befürwortet.18 Ab Ende der 1960er-Jahre jedoch verlor die sowjetische Führung langsam das Interesse an der Instrumentalisierung der »immerwährenden Neutralität« und – vor allem – an der Blockfreiheit zur Erreichung eigener außenpolitischer Ziele. Die Blockfreienbewegung hatte nicht jene einschneidenden Veränderungen zugunsten des Ostblocks auf der internationalen Ebene bewirkt, welche man erwartet hatte. Das sich abschwächende Interesse an der Neutralität hatte zur Folge, dass diesem Konzept auch in den sowjetischen Handbüchern immer weniger Platz eingeräumt wurde, ja dass es teilweise gar nicht mehr erwähnt wurde – ein an sich logischer Vorgang, wenn man sich in Erinnerung ruft, dass Neutralität etwas dem Marxismus-Leninismus eigentlich Fremdes war. Als Abschluss der marxistisch-leninistischen Entfaltung des Neutralitätsbegriffes kann die Definition der Neutralität im Militärischen Enzyklopädischen Wörterbuch von 1983 bezeichnet werden. Sie lautet hier : »Neutralität (dt. Neutralität, von lat. neuter – weder das eine noch das andere), im internationalen Recht die Nichtteilnahme an einem Krieg und in Friedenszeiten der Verzicht auf Mitgliedschaft in militärischen Blöcken. Das Territorium eines neutralen Staates ist unantastbar, inklusive der territorialen Gewässer ; es ist nicht rechtmäßig, die kämpfenden Seiten mit militärischem Material zu versorgen. Neutralität pflegt zu sein : dauernde, traditionelle, 17 Ganjuškin, Boris V.: Neutralitet i neprisojedinenie, Moskva 1965 (Überarbeitung der Fassung von 1958), S. 2. 18 »Der moderne Neutralitätsbegriff richtet sich begrifflich gegen Kriegsvorbereitung und Krieg. Er verneint jede Politik der ›Stärke‹ und des ›kalten Krieges‹ in den zwischenstaatlichen Beziehungen und ist ein wichtiges Instrument zur Sicherung der friedlichen Koexistenz von Staaten mit verschiedenen Staats- und Gesellschaftsordnungen.« Čchikvadze, Viktor Michajlovič : Osnovnye instituty i otracli sovremennogo meždunarodnogo prava, Bd. 5, Moskau 1967, S. 438 und S. 447.

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positive, militärische und bewaffnete. Das Recht und die Pflichten des neutralen Staates wurden 1907 in der Haager Konvention formuliert (für Territorialkriege), in der Londoner Deklaration über das Meereskriegsrecht von 1909 und durch die Resolutionen des 7. Kongresses der Internationalen Vereinigung der demokratischen Juristen (1960). Die imperialistischen Staaten tragen den Prinzipien oft nicht Rechnung.«19 Die Annäherung an die westliche Auffassung ist trotz der ideologischen Spitze am Schluss unübersehbar.

Der Preis für die Freiheit : Neutralität zwischen den Blöcken Der Schweizer Gesandte in Österreich, Anton Feldscher, thematisierte ab Anfang März 1952 verstärkt die Problematik »Österreichs zwischen den Blöcken« und ging in der Folge in mehreren Berichten ausführlich auf die unterschiedlichen Standpunkte und die mitunter aggressive Polemik ein.20 Er resümierte : Der Abschluss eines Staatsvertrags war am 21. Jänner 1952 im Rahmen der Sonderbeauftragtenkonferenz in London ein weiteres Mal gescheitert. Die Verhandlungen konnten die Unversöhnlichkeit der stereotyp vorgebrachten Positionen beider Machtblöcke nicht aufweichen. Der österreichische Außenminister Karl Gruber nahm anlässlich einer USA-Reise kein Blatt vor den Mund.21 Gruber stellte fest, die österreichische Regierung sei nach sechs Jahren fruchtlosen Diskutierens zur Einsicht gelangt, dass der Westen und Österreich härter auftreten müssten. Gefordert seien nun »andere 19 Nejtralitet, in : Voennyi enciklopedičeskij slovar’ (Militärisches Enzyklopädisches Wörterbuch, VES), Moskva 1983, S. 484. 20 Nach dem Anschluss und bis 1945 war in Wien ein Generalkonsulat, das am Ende des Krieges in eine provisorische Vertretung umgewandelt wurde. Am 1. August 1946 wurde die Vertretung in eine Gesandtschaft umgewandelt (Schweizer Botschaften gab es zu jener Zeit noch nirgendwo). Peter Anton Feldscher wurde als Gesandter (oder Minister) ernannt und blieb bis September 1954 im Amt. Sein Nachfolger (bis 1958) war Reinhard Hohl. Die Gesandtschaft wurde 1957 in eine Botschaft umgewandelt, und Hohl erhielt den Botschaftertitel. Von Anfang 1945 bis zur Ernennung des Gesandten Feldscher haben sukzessiv Charles (Karl) von Jenner und August Ochsenbein die Vertretung geleitet. Seine Berichte in : Bundesarchiv Bern (BAR), Zur Neutralität Österreichs 1955−1989, Findmittel E 2300, Akzession 100/716, Politische Berichte und Briefe, Militär- und Konsularberichte : Nr. 1269−71, Bd. 525, 1952−1956, Nr. 1272−1275, Bd. 526, 1957−1960, Nr. 1276−1278, Bd. 527, 1961−1965. Findmittel 2300-01, Akzession 1973/156, A 21.31 Wien, Bd. 10, 1966, Bd. 20, 1967, Bd. 31, 1968. Militärberichte A 21.41 Bd. 11 1966, Bd. 32 1968 ; Akzession 1977/28, A.21.31 Wien, Bd. 8, 1969, Bd. 18, 1970 ; Akzession 1977/29, A 21.31 Bd. 19 1972 ; Akzession 1977/30, A 21.31 Bd. 27 1975 ; Akzession 1988/91, A 21.31 Bd. 8 1976, A 21.31 Bd. 17 1977, A 21.31 Bd. 26 1976, Nr. 1269−71, Bd. 525, 1952−1956. 21 Artikel John MacCormac’s in der New York Times vom 1. Februar 1952, E 2300 Berichterstattung Wien 1952−1953, Nr. 58. Vgl. insbesondere : Gruber, Karl : Reden und Dokumente, bearb. und hg. von Michael Gehler, Wien/Köln/Graz 1994.

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und radikalere Maßnahmen« zur »Erreichung der Freiheit«. Diese Position, die einseitig auf die Vorreiterrolle des Westens setzte, rief die Gegenpartei auf den Plan. Die kommunistische »Österreichische Volksstimme« kritisierte am 6. Februar 1952 einen Artikel über die Rede Grubers in der »New York Times« scharf und behauptete ihrerseits, das außenpolitische Ziel Grubers sei die Zerreißung Österreichs. Ihm schwebe eine Art »Vollendung der Alpenfestung in Westösterreich und die Aufstellung von zehn österreichischen Divisionen mit amerikanischen Waffen und unter amerikanischem Kommando« vor. Das sei die »Freiheit Österreichs« nach amerikanischer Lesart. Die Haltung der österreichischen Regierung sei »niedrigster Hochverrat an Österreich im Dienste der amerikanischen Kriegspläne«. Der Redakteur der kommunistischen »Volksstimme« warnte : »Österreich ist in äußerster Gefahr. Die amerikanischen Kriegsbrandstifter sind entschlossen, unser Land entzweizureißen, ungeachtet der unabsehbaren Folgen eines solchen Anschlages.« Der Plan werde aber am Widerstand des Volkes scheitern. Auch die sehr linkslastige »Die Union« berichtete am 7. Februar von einer »gefährlichen Rede des Außenministers«. Er sei der Machtdrohung des Westens verfallen, propagiere die Beibehaltung eines einseitigen Kurses, stimme eine Hommage an die Amerikaner an und provoziere damit den Osten. Die polaren Positionen waren klar bezogen und die Themen offen angesprochen. Auch der Versuch eines »Kurzvertrages«, der von den drei Westmächten der Sowjetunion am 13. März 1952 zur Stellungnahme übermittelt worden war (Lissaboner Verhandlungen), erwies sich als aussichtslos. Der Vertrag sah die Räumung Österreichs binnen 90 Tagen und den Verzicht auf alle Forderungen vor. Die deutschen Vermögenswerte (Deutsches Eigentum und Kriegsbeute) sollten in das Eigentum Österreichs übergehen.22 Vor allem das Beharren der UdSSR – beherrscht von der Furcht vor einem wiedererstarkten Deutschland – auf der parallelen Verhandlung der deutschen Wiedervereinigung einerseits und das auf Verlangen Frankreichs und Großbritanniens beibehaltene Verbot eines Anschlusses Österreichs an die BRD andererseits erwiesen sich als unüberwindliche Hindernisse. Objektiv betrachtet hätte die Sowjetunion bisher erreichte strategische Vorteile wieder preisgegeben. Auch die österreichische Regierung war mit dem Entwurf unzufrieden. Sie betrachtete vor allem die 22 Vgl. u.a. Bischof, Günter/Pelinka, Anton/Wodak, Ruth (Hg.) : Neutrality in Austria (Contemporary Austrian studies 9), New Brunswick 2001 ; Stourzh, Gerald : Zur Entstehungsgeschichte des Staatsvertrags und der Neutralität Österreichs 1945–1955, in : Österreichische Zeitschrift für Außenpolitik 6/5 (1965), S. 301–336, hier S. 305–315, sowie Rauchensteiner, Manfried : Der Sonderfall. Die Besatzungszeit in Österreich 1945 bis 1955, Graz/Wien/Köln 1979, S. 312 ; Vetschera, Heinz : Der österreichische Staatsvertrag, in : Österreichische Militärische Zeitschrift 3/18 (1980), S. 204–213 ; Csáky, Eva Marie (Bearb.) : Der Weg zu Freiheit und Neutralität. Dokumentation zur österreichischen Außenpolitik 1945–1955 (Schriftenreihe der Österreichischen Gesellschaft für Außenpolitik und internationale Beziehungen 10), Wien 1980, S. 227.

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Beschränkung der Souveränität durch die »Anschlussklausel« als »Schönheitsfehler des Vertrags« und wollte »für die Gestaltung des Verhältnisses zum Deutschen Reich in wirtschaftlichen oder auch politischen Dingen freie Hand behalten«. Gruber nahm am 2. März im Rundfunk Stellung zur Kontroverse und zu den an ihn gerichteten Vorwürfen, was »Neues Österreich« am nächsten Tag ausführlich kommentierte.23 Er zeigte sich erstaunt, dass »von gewisser Seite« die Behauptung aufgestellt worden sei, der »Staatsvertrag wäre ohne weiteres zu haben, wenn sich Österreich für neutral erklären würde«. Es genüge die feierliche Verpflichtung, dem westlichen Verteidigungsbündnis nicht beizutreten. Gruber wertete diese Ansicht nach 30 Jahren Erfahrung im Umgang mit Diktaturen als falsch. Es könne niemand, der ernst genommen werden möchte, so naiv sein zu glauben, dass es dem Osten »nur an weiteren, besser verklausulierten Erklärungen gelegen sei« oder dass ein Nachgeben mit dem sowjetischen Truppenabzug belohnt werde. »Politik muss stets damit beginnen, dass man sich darüber klar wird, mit wem man es zu tun hat und welche Motive dem Handeln der Gegenseite zugrunde liegen.« Die Politik der Kominformzentren sei klar, »den Kommunismus überall dort zu etablieren, wo dies ohne Widerstand oder zu große allgemeine Risiken möglich ist«. Ein Staat dürfe nicht mit seiner Souveränität Schacher treiben, keine vagen politischen Verpflichtungen mit einem »offenkundigen Gegner der eigenen Staatsphilosophie« eingehen. Ebenso sei man nicht den Westmächten hörig, auch wenn man die Marshallhilfe angenommen habe. Anders zu gewichten wäre eine En-bloc-Aufnahme in die Vereinten Nationen. Diese erfüllten das internationale Prinzip der Universalität und seien keine »Vereinigung von Staaten bestimmter politischer Systeme«. Noch absurder sei die Vorstellung eines vollkommen demilitarisierten Österreichs. »Käme es zu militärischen Zusammenstößen, so wäre ein völlig abgerüstetes Österreich für jede Armee mit offensiven Absichten ein großes Atout. Ein österreichisches Bundesheer hingegen, das sich darauf beschränke, österreichischen Boden gegen jegliche Invasion zu schützen, wäre selbst bei mittelmäßiger Bewaffnung, gestützt auf die Ortskenntnis der Einwohner und auf die Heimatliebe der Österreicher, in der Lage, das Land lange freizuhalten.« Die Glaubwürdigkeit der Souveränität sei nur mit »kompromissloser Verteidigung der Freiheit« und mit dem »Widerstand gegen den Totalitarismus« zu erreichen. Österreich brauche einen klaren Kurs der Regierung, Tapferkeit der Bevölkerung, kein »östliches Berchtesgaden«. Anbiederung bringe nichts, sie könnte nur alles kosten. »Der Eiserne Vorhang würde nur am Vorabend eines Weltkrieges an der Enns herunterprasseln.« Österreich müsse als Ganzes erhalten bleiben. Eine Räumung der Besatzungszonen sei erst denkbar, wenn beide Seiten sicher sein könnten, dass keine einseitige Hegemonie zurückbliebe. 23 Vgl. Neues Österreich, 3. März 1952, Nr. 2063, zitiert nach : Politische Berichte des schweizerischen Gesandten in Wien 1952. BAR E 2300, Akz. 100/716, Bd. 525.

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Gruber fand eine griffige Formel der zukünftigen »Balancepolitik« – das Wort Neutralität vermied er : »Eine Politik des Gleichgewichtes besteht nämlich nicht in angemessenen Verbeugungen nach jeder beliebigen Richtung, sondern in einer solchen Berücksichtigung der jeweiligen Interessen, dass der Wille zur Erhaltung unserer Einheit auch bei den Besatzungsmächten dominierend ist.« Der schweizerische Gesandte meinte in einem als vertraulich klassifizierten Kommentar zu dieser Argumentation eher kritisch : Der Ton der Rede entspreche wohl der Mehrheit der öffentlichen Meinung, aber führe Österreich schließlich an die Seite Amerikas, was Moskau zweifellos störrisch mache. »Es lässt sich vielleicht einwenden, dass Russland von vornherein das von ihm besetzte österreichische Gebiet aus strategischen Gründen nicht ohne reale Kompensation preiszugeben beabsichtigt hat.« Darum sei die vage Andeutung, dass es unnütz sei, russische Forderungen zu diskutieren, verständlich, aber führe in eine Sackgasse. Das Berchtesgaden-Symbol sei ein starkes Argument und vermöge Emotionen zu wecken. Feldscher fuhr fort : »Es ist nun aber nicht minder richtig, dass ein Österreich, das sich nach Abzug der russischen Truppen militärisch den Weststaaten anschlösse, für den Osten ein unangenehmes Einfallstor darstellen würde und dass aus diesem Grunde auf russischer Seite kein Interesse daran besteht, den Status quo zu ändern. Ob es der Geschicklichkeit und Klugheit österreichischer Diplomatie gelungen wäre, sich außerhalb des Ost-West-Konfliktes zu halten und die Unabhängigkeit des Landes wiederherzustellen, ist allerdings eine Frage, die sich schwer beantworten lässt, denn das amerikanische Interesse an einem neutralen Österreich wäre natürlich wesentlich geringer, und entsprechend geringer wäre wohl auch die materielle Unterstützung ausgefallen, die die Vereinigten Staaten dem österreichischen Staatswesen haben zugute kommen lassen.« Gruber habe nun in gefährlicher Weise auf die US-Karte gesetzt und seine Strategie mit restloser Klarheit enthüllt. Von gut unterrichteter Quelle24 habe er erfahren, dass Stalin kein Interesse habe, die Angelegenheit (Staatsvertrag und Räumung des besetzten Territoriums) vor die UNO zu bringen. Dort würde die amerikanische Beeinflussung schwer zu kontern sein. Er würde auch der österreichischen Seite abraten, einen Schritt zur UNO zu wagen.25 24 C. Gorgé : Communication politique no 7 Autriche et U.R.S.S. 23. Februar 1952. BAR E 2300, Akz. 100/716, Politische Berichte und Briefe, Militär- und Konsularberichte : Nr. 1269−71, Bd. 525, 1952−1956. Alle weiteren Quellen werden nur noch mit »BAR E 2300, Akz. 100/716, Bd. 525« bezeichnet. 25 Dazu auch ein Politischer Bericht Wien, 20. November 1952, betr. »Österreichfilm«. Der Schweizer Gesandte ist der Meinung, dass bei einem Scheitern des Versuchs, via Generalversammlung der UNO zu einem Staatsvertrag zu kommen, die diplomatischen Mittel Österreichs einstweilen ausgeschöpft seien. Man habe deshalb eine Propagandaaktion mit dem Film »1. April 2000« gestartet, welcher einerseits Werbung für die Schönheit Österreichs zu machen habe und andererseits das zugefügte Unrecht sowie die tiefe Enttäuschung über die »Vorenthaltung der souveränen Freiheit« und die ungerechte Behandlung

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Auch die übrige Argumentation seiner »Quelle« ist interessant und informativ : In dieser gespannten Zeit sei das Halten eines strategischen Brückenkopfs von großer Wichtigkeit, zumal auch wirtschaftliche Interessen auf dem Spiel stünden. Die »Prawda« bezeichne eine Teilung Österreichs als ein »kriminelles Projekt«, das nur dazu diene, den USA eine vorgeschobene Bereitstellung für einen Angriff gegen das Lager des Friedens, der Demokratie und des Sozialismus zu verschaffen. Feldscher selber war ebenso überzeugt, dass vor allem Sicherheitsbedürfnisse die Haltung der KPdSU bestimmten. »Solange Jugoslawien zu den Satelliten Moskaus zählte, war die sich gegen Ungarn vorstreckende österreichische Zunge auf den Flankenstellungen von der Tschechoslowakei und Jugoslawien eingefasst, so dass Österreich als militärische Basis von vornherein lahm gelegt erschien.« Sollte Österreich frei werden, so würde eine neue Lage entstehen. Die ideologische Ausrichtung nach Westen würde die ČSR gefährden, da diese nun vorspringen würde und der militärischen Sicherung bedürfte. Deshalb sei das Interesse des Kremls an einer Regelung der Österreichfrage in den ersten Nachkriegsjahren groß gewesen ; seit dem Ausscheiden Jugoslawiens sei das Interesse für einen Staatsvertrag jedoch in Moskau stark gesunken. Er sei höchstens gegen klare Sicherheitsgarantien zu haben. Das Wort »Freiheit« auf den Lippen Grubers sei aus sowjetischer Sicht reine Heuchelei. Gruber sei in den Augen Moskaus eine »verachtenswerte amerikahörige Kreatur«. Er wolle einen Vertrag nach dem Muster Japans oder West-Deutschlands und ein österreichisches Bundesheer unter Hitlers Generälen aufbauen. Die Gefahr der Wiederauferstehung des »Reichs» sei größer als je zuvor. »Es dürfte somit nach wie vor von der Sowjetunion und ihren oft überraschenden politischen Schachzügen abhängen, ob aus der verfahrenen politischen Situation ein Ausweg gefunden werden kann.« Der russische Kommunismus sei durch und durch intolerant. Wer nicht nach seiner Pfeife tanze, müsse unvorstellbare Schikanen erleiden oder ende am Galgen. Die Rede Grubers beurteilte er zusammenfassend als äußerst problematisch. Sie habe auch in der ÖVP nicht ungeteilte Zustimmung gefunden. Verschiedene Zeichen deuteten darauf hin, dass gewisse Kreise diese eigenwillige Persönlichkeit ausbooten möchten, aber noch kein geeigneter Nachfolger zur Verfügung stünde. Die Bahn für neue Verhandlungen sei wohl frei, jedoch »ohne dass daraus für Österreich bessere Aussichten für den raschen Abschluss seines ›Staatsvertrags‹ resultieren würden«. Dem österreichischen Raum komme »nur akzessorische Bedeutung«, zu und darstellten sollte. Der Film wurde in Anwesenheit Bundespräsident Körners und Bundeskanzler Figls im Apollo-Kino gezeigt. Feldscher qualifiziert den Film als »stilistische Entgleisung«, Geschmacksverirrung und unglücklicher, Versuch, auf ironisierende Art eine ernste politische Botschaft zu senden. Er wundert sich über die gute Aufnahme in der Presse.

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seine friedensmäßige Ordnung werde in erster Linie von den Entscheidungen, »die über das künftige Schicksal Deutschlands getroffen werden«, abhängen. In seinem vierten Politischen Bericht vom 9. April 1952 berichtete Feldscher von einer Sondersitzung des österreichischen Nationalrats am 2. April zum siebenten Jahrestag der Befreiung und Besetzung sowie zur Diskussion des »Kurzvertrages«. Die Galerien seien gefüllt, der Saal für Filmaufnahmen voll ausgeleuchtet gewesen.26 Die Sitzung war gekennzeichnet durch eine leidenschaftliche Debatte, gipfelnd in einem Protest von Volkspartei, Sozialisten und Unabhängigen gegen die Fortdauer der völkerrechtswidrigen Besetzung durch fremde Armeen, die Aufrechterhaltung der Militärgerichtsbarkeit in allen Zonen, die Ausbeutung der wirtschaftlichen Hilfsquellen und die fortgesetzte Einmischung in die inneren Angelegenheiten. Beachtenswert fand Feldscher verschiedene Reden. An die erste Stelle stellte er Bundeskanzler Leopold Figl, der in seinem Rückblick daran erinnert habe, dass schon 1945 das Ziel klar gewesen sei : die Erreichung der vollen Souveränität und Freiheit. Die von den Siegermächten gestellten Bedingungen seien seither alle erfüllt. Dennoch müsse Österreich jetzt noch nach sieben Jahren die demütigende Rolle eines besetzten Landes erdulden. Viele Bündnisstaaten Adolfs Hitlers hätten inzwischen einen Friedensvertrag. Man zähle nun bereits 258 Staatsvertragsverhandlungen ohne Erfolg. Es sei bei den Verhandlungspartnern kein guter Wille vorhanden. Man streite meist nur um Details ; es gehe nicht um Sachfragen, sondern um reine Machtpolitik. Die neue Initiative der Westmächte sei durch die Kommunisten als »Skelettvertrag« diffamiert und zurückgewiesen worden. Österreich könne nur gegen das Unrecht und die Nichterfüllung der Moskauer Deklaration von 1943 protestieren. Das österreichische Volk wolle in »Ruhe in seinem freien und ungeteilten Vaterland leben und arbeiten können«. Für ihn sei klar, »ungeteilt«, alles andere sei nicht annehmbar. Die Gestalt vom Jänner 1938 müsse wieder hergestellt werden. Das Märchen von der »Remilitarisierung Österreichs« sei lächerlich angesichts der vorhandenen Polizei- und Gendarmerie-Einheiten. Abschließend rief er in den Saal : »Macht dem schmachvollen Zustand ein Ende ; befreit dieses kleine, arbeitsame und lebensmutige österreichische Volk von seiner Knechtung und gebt ihm seine Freiheit !« Langanhaltender, sich immer wieder erneuernder Beifall bei ÖVP, SPÖ und der Wahlpartei der Unabhängigen (WdU) dankte ihm für diese Worte. Kritisch äußerte sich Feldscher zur Rede von Außenminister Gruber, die kaum neue Aspekte enthalten habe. Gruber verurteilte das Platzen der Staatsvertragsrunde im 26 Minister Feldscher zitiert in der Folge Auszüge aus der Wiener Zeitung vom 3. April 1952 : Historische Sitzung, »Befreit Österreich von seiner Knechtschaft !« Vgl. Originalzitate in : 86. Sitzung des Nationalrates der Republik Österreich vom 2. April 1952, in : Stenographische Protokolle des Nationalrates der VI. Gesetzgebungsperiode.

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Jänner.27 Die Vorwürfe der UdSSR : keine ausreichende Entnazifizierung in allen vier Besatzungszonen, keine Lösung in der Triestfrage28, Gefahr einer Remilitarisierung, Ausbau einer »Alpenfestung« (strategische Straßen, Panzerrollbahn Wels–Braunau), Übertragung aller Vermögenswerte des deutschen Eigentums in das Eigentum Österreichs u. a. m., wies er als völlig unhaltbar zurück. Erstaunlicherweise findet in Feldschers Bericht der wichtige Teil, in dem Gruber auf die divergierenden Auffassungen über die Neutralität einging, keine Erwähnung. Er behauptete, eine unterschiedliche Interpretation in der östlichen und in der westlichen Völkerrechtslehre verhindere einen Konsens.29 Gruber stellte fest, dass die Sowjetunion eine österreichische Neutralität nur befürworte, weil sie dadurch vor die abhängigen Staaten Mitteleuropas eine zusätzliche Sicherheitszone neutraler Staaten schaffen wolle. Neutralität habe eine Funktion als Puffer zwischen zwei Welten. Eine Neutralisierung der Tschechoslowakei wäre genau so nützlich wie ein neutrales Österreich. Man stehe ausschließlich auf dem völkerrechtlichen Standpunkt. Implizit meinte er die Verpflichtung zur Landesverteidigung und zum Gewaltverzicht und sagte deshalb : »Unser Volk ist bereit, seinen Heimatboden nötigenfalls zu verteidigen, aber nicht, sich an kriegerischen Unternehmen anderer zu beteiligen.« In diesem Zusammenhang streifte er den Vergleich mit der Schweiz. Es werde gerne verschwiegen, dass die Eidgenossenschaft wegen ihrer Neutralität für ihr Heer gewaltige Mittel bereitstelle und die Wehrbereitschaft ständig fördere. Die Gegner eines eigenen Heeres hätten nicht ein neutrales, sondern ein wehrloses Österreich vor Augen.30 Gruber skizzierte also klar die Konsequenzen, die ein schweizerischer Weg bedeuten würde. Diese Ausführungen führten zu einer stürmischen Auseinandersetzung mit dem Linksblock. Der kommunistische Abgeordnete Ernst Fischer griff Grubers Neutralitätsverständnis an ; er sei in seinem Denken und Handeln gar nicht neutral, sondern einseitig gegen die UdSSR ; er nehme Partei im Kalten Krieg. Zudem spiele er ein doppeltes Spiel. Er habe bei anderer Gelegenheit erklärt, Neutralität komme nicht infrage, »denn eine Neutralität wäre ein trojanisches Pferd, um die Volksdemokratie 27 Österreich hatte im Herbst 1951 in der 3110. Note an die USA als turnusgemäßer Vorsitzender die Initiative ergriffen. Die Sitzung wurde auf den 21. Jänner nach London anberaumt. 28 Die sowjetische Propaganda lautete : Triest sei in eine anglo-amerikanische Militärbasis umgewandelt worden ; Schaffung eines Freistaates Triest, weil sich Italien und Jugoslawien nicht einigen könnten. 29 Vgl. Vetschera, Heinz : Entstehung der österreichischen Neutralität, in : Österreichische Militärische Zeitschrift 5/18 (1980), S. 359 ; Hafner, Gerhard : Die permanente Neutralität in der sowjetischen Völkerrechtslehre – Eine Analyse, in : Österreichische Zeitschrift für öffentliches Recht 19 (1969), S. 215–258 ; Ginther, Konrad : Neutralität und Neutralitätspolitik. Die österreichische Neutralität zwischen Schweizer Muster und sowjetischer Koexistenzdoktrin (Forschungen aus Staat und Recht 31), Wien/New York 1975. 30 Vgl. 86. Sitzung des Nationalrates der Republik Österreich vom 2. April 1952, in : Stenographische Protokolle des Nationalrates der VI. Gesetzgebungsperiode, insbesondere S. 7.

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in Österreich einzuschmuggeln«. Man sei anscheinend eher bereit, Coca-Cola und Gangsterfilme als so genannte abendländische Kultur verteidigen zu wollen.31 Gruber entgegnete darauf scharf, Fischer wolle die Österreicher »zum Pfeifendeckel der kommunistischen Ideologie« degradieren, und der Linksblock wurde als »ganz gemeine Stiefellecker« diffamiert. Damit blieben auch hier die Positionen unverändert. Die Neutralität stand als Begriff im Raum, jedoch verstanden nicht alle darunter dasselbe. Es gab eine rechte und eine linke Interpretation. Insbesondere der schwache, aber ideologisch-argumentativ starke Linksblock fasste in seinem Presseorgan »Österreichische Volksstimme« vom 3. April die Situation so zusammen : Der Staatsvertrag ist in weite Ferne gerückt. Die Regierung hat einen weiteren Misserfolg eingefahren. Der »Skelettvertrag« ist ein infamer »Betrug«. »Kalter Krieg bedeutet den Bruch aller internationalen Vereinbarungen durch Amerika«, den Versuch, der ganzen Welt den eigenen Willen aufzuzwingen. Für dieses Ziel sei man bereit, Verträge (Potsdam, Triest, Japan) zu brechen, rüste fieberhaft auf »auf Kosten der Lebenshaltung der arbeitenden Menschen« und tue alles zur Wiederbelebung des japanischen und deutschen Imperialismus. »Amerika braucht für seinen Aggressionsplan den deutschen Imperialismus als seinen wichtigsten Gehilfen in Europa.« Die USA verfolgten eine Politik der Zerreißung Deutschlands. Westdeutschland soll in die NATO eingebaut werden »und den entscheidenden Teil für ihre Europaarmee für den Krieg gegen die Sowjetunion« bilden. Das strategische Ziel sei die Integration Europas bis zum Ural, »die Wiederholung der von der Geschichte auf den Misthaufen geworfenen ›Neuordnung Europas‹ durch Hitler«. Anders die UdSSR, sie habe als Ziel »die Schaffung eines einheitlichen, demokratischen und souveränen Deutschlands, die Bildung einer deutschen Nationalarmee zur Verteidigung der deutschen Grenzen und die vertragliche Bindung des neuen Deutschlands, dass es in keiner Koalition oder Militärkombination gegen einen der gegen Hitler-Deutschland kriegführenden Staaten des Zweiten Weltkriegs teilnimmt«. Die Westmächte hätten diese Friedensoffensive brüsk abgelehnt. Die UdSSR brauche ein Minimum an Sicherheit, dass ein Österreich-Vertrag auch eingehalten werde. Der Fall Triest zeige, dass man dem Westen nicht trauen dürfe. Besondere Beachtung des Gesandten fand der Vertreter der Demokratischen Union, der österreichische Delegierte bei der Wirtschaftskonferenz in Moskau, Universitätsprofessor Josef Dobretsberger.32 Der habe, so Feldscher, seit längerer Zeit die Position vertreten, Österreich solle eine Neutralität nach schweizerischem 31 Csáky : Weg, S. 250. 32 Josef Dobretsberger, geb. 28. Februar 1903 in Linz ; gest. 13. Mai 1970 in Graz. Jurist, Nationalökonom, Universitätsprofessor, Obmann der »Demokratischen Union«, die sich 1953 mit der KPÖ und den Linkssozialisten zur »Volksopposition« vereinigte. Spitzname der politischen Gegner : »Sowjetsberger«.

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Vorbild wählen. Volksvertretung und Regierung müssten in »feierlicher Form« erklären, dass Österreich sich »mit dem Tage des Abschlusses eines Staatsvertrags, des Abzuges aller Besetzungstruppen und der Wiederherstellung der österreichischen Souveränität verpflichten werde«, eine Neutralitätspolitik im Sinne des Völkerrechts und nach dem Muster der Schweiz, d.h. eine bündnis- und paktfreie Außenpolitik zu führen, »die es ein für allemal unmöglich mache, dass das endgültig befreite Österreich zu einem strategischen oder politischen Instrument des einen oder andern Weltmachtblocks werde«. Der Gesandte blieb in gewisser Distanz zu Dobretsberger, indem er kritisch bemerkte : »Für die Richtigkeit dieser Ansicht scheint manches zu sprechen, doch wird übersehen, dass die schweizerische Neutralitätspolitik etwas im Laufe der Jahrhunderte beinahe organisch Gewordenes und im Bewusstsein unseres ganzen Volkes fest Verankertes ist. Es ist nun aber kein Geheimnis, dass weder bei der österreichischen Regierung noch im österreichischen Volk ähnliche Voraussetzungen für die Verfolgung einer Neutralitätspolitik und im Besonderen nicht der Wille und die feste Entschlusskraft zur Verteidigung eines neutralen Österreichs mit den Waffen vorhanden sein dürften. Weil nun diese unabweisbare Vorbedingung fehlt, wird es auch schwer fallen, den Großmächten den Zweifel daran zu nehmen, dass Österreich imstande sein wird, nach Abzug der Besatzungstruppen eine völlig unabhängige Politik zu führen und sich nicht in die strategischen Kalküls einbeziehen lasse.« Er hielt die Meinung von Dobretsberger trotzdem für einen »interessanten Ansatz«. Diese Parlamentssitzung zeigte, dass eine völkerrechtlich abgestützte Neutralität bereits im Frühjahr 1952 diskutiert wurde. Für eine sofortige konkrete Realisierung fehlte aber das passende internationale Umfeld. Eine Unterstützung dieses neutralen Weges durch die Sowjetunion wurde im antikommunistischen Reflex des Kalten Krieges als gefährliche Subversion gesehen. Feldscher schenkte Mitte Mai Dobretsberger noch einmal Aufmerksamkeit.33 In der »Union« vertrat dieser ein weiteres Mal die Meinung, Österreich müsse sein Schicksal endlich in die eigene Hand nehmen und sich dabei an der Schweiz ausrichten. Dobretsberger stellte einen Satz des Schweizer Nationalrats und Redakteurs der »Neuen Zürcher Zeitung«, Robert Bretscher, an den Anfang seiner Überlegungen. Bretscher hatte gemeint : »Mit dem Infragestellen unserer Neutralität würden wir bei den gegenwärtigen Verhältnissen in Europa für die Sicherung unserer Freiheit und Unabhängigkeit außenpolitisch und militärisch nichts gewinnen, wohl aber unsere heute völkerrechtlich unanfechtbare Position auf das schwerste gefährden und zugleich das unwägbare moralische Potential unserer Landesverteidigung verhängnisvoll schwächen.« 33 Vgl. Dobretsberger, Josef, in : Die Union, 15. Mai 1952, zitiert nach : Politische Berichte des schweizerischen Gesandten in Wien 1952, BAR E 2300, Akz. 100/716, Bd. 525.

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Dobretsberger zitierte drei Punkte aus der Argumentation von Bretscher : 1. Geistig gehört unser Land zu der Welt des demokratischen Westens, welcher die Grundsätze der Menschlichkeit und der Freiheit vertritt. Eine »Gesinnungsneutralität« seiner Bürger, die diesen Sachverhalt leugnen wollte, ist nicht denkbar. 2. Als Staat ist die Schweiz unverbrüchlich auf die zum Bestandteil des Völkerrechts gewordene »immerwährende Neutralität« verpflichtet, die sie während zweier Weltkriege, gestützt auf ihre Armee, mit Erfolg gewahrt hat. 3. Geografisch liegt unser neutraler Kleinstaat in der hochexplosiven Randzone jener westlichen Welt, die erst vor Kurzem begonnen hat, ihre Kräfte zur Abwehr der allen freien Völkern seitens des kommunistischen Totalitarismus drohenden Gefahren zusammenzuraffen. Dobretsberger knüpfte daran die rhetorische Frage : »Kann man klarer den Begriff der Neutralität formulieren, als dies der hochliberale Schweizer Nationalrat tat ? Kann man deutlicher betonen, dass ein Kleinstaat, gerade weil er in einer hochexplosiven Randzone liegt, gar nichts Besseres tun kann, als eine solche bewaffnete Neutralität zu leben ?« Auch Bretschers Credo scheint Dobretsberger gefallen zu haben : »Wir halten an dem Glauben fest, dass das geschichtliche Schicksal eines Volkes immer zu einem guten Teil in seiner eigenen Hand liegt.« Diesen Satz empfiehlt er seiner Regierung zur Beherzigung. Besonders Bundeskanzler Figl sollte ihn täglich vor Augen halten, wenn er auf seinen Reisen in die Weststaaten versucht sei zu hoffen, »dass man mit Bitten und Betteln erreichen könnte, Österreich endlich seine wirkliche Freiheit zurückzugeben«. Auf diesem Weg gehe es nicht ; im besten Fall, wenn es den vier Großmächten ins Konzept passe. Die Befürchtung beider Seiten, dass Österreich nach dem Abzug der Besatzungstruppen »eine Marionette der einen oder anderen Mächtegruppe« werde, sei offensichtlich. Als Lösung sieht er die Proklamation der gleichen Neutralität, wie sie die Schweiz besitzt, die Strategie einer bewaffneten Neutralität ab Unterzeichnung eines Staatsvertrags. Erst mit einem solchen Beschluss in der Tasche hätten Besuche in den vier Hauptstädten einen Sinn. Diese Argumentation Dobretsbergers zeigt, dass er lange vor dem »Moskauer Memorandum« im Frühling 1955 den schweizerischen Weg als den erfolgversprechendsten gesehen hat. Seine Argumentationsschritte sind logisch und zukunftweisend. Er hat die Neutralität »nach dem Schweizer Muster« zweifellos verstanden, in Bretscher einen hervorragenden Experten konsultiert und für Österreich auch die richtigen Schlüsse gezogen. Ihm müsste deshalb einer der ersten Plätze auf der historischen Ehrentribüne des Staatsvertrags eingeräumt werden. Der fünfte Bericht Feldschers vom 3. Juli 1952 thematisierte die Reise von Bun-

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deskanzler Leopold Figl und Vizekanzler Adolf Schärf in die westlichen Hauptstädte und den Gegenbesuch Dean Achesons in Wien. Damit verstärkte sich das Bild der Zugehörigkeit Österreichs zum Westen. Auslöser der Westkontakte war das Ablaufen der Marshallplanhilfe am 30. Juni. Washington war der Meinung, Österreich solle jetzt auf eigenen Füßen stehen, auch wenn voraussehbar sei, dass die Steuern erhöht und die Verwaltungskosten gesenkt werden müssten. Ebenfalls nahm man an, dass der Kampf der SPÖ für einen ihr genehmen Wirtschaftskurs zu inneren Schwierigkeiten führen musste. Interessant sei, so Feldscher, die Reaktion Moskaus auf die freundliche Aufnahme Figls in den USA. Die UdSSR gestattete österreichischen Kriegsgefangenen die Heimreise und eine Erleichterung der Strafverbüßung durch eine Verlegung aus sowjetischen in österreichische Gefängnisse sowie die Freigabe der Donau-Schifffahrt zwischen Linz und Wien. Der Botschafter wertete dies als »sichtbares Zeichen, dass der Kreml es an der Zeit und am Platze gefunden hat, gegenüber Österreich und seinem Bundeskanzler ein gewisses Wohlwollen zu bekunden«. Weitere Anzeichen der Entkrampfung der Beziehungen sah Feldscher im Ausbleiben von Demonstrationen beim Acheson-Besuch sowie der Teilnahme des sowjetischen Hochkommissars beim großen Empfang in der US-Botschaft. Den Vertretern der Satellitenstaaten war aber die Teilnahme vom großen sozialistischen Bruder verboten worden. Immer noch war der schweizerische Gesandte überzeugt : »Die Würfel über das Schicksal Österreichs werden sowohl außen- wie innenpolitisch nicht im eigenen Lande, sondern an den Tischen fallen, bei denen über die Bereinigung des WestOst-Konflikts im gesamteuropäischen Raum verhandelt wird.« Der 6. Bericht des Schweizer Gesandten vom 9. Oktober 1952 enthielt für unsere Fragestellung nichts Zentrales. Feldscher lobte jedoch die Verdienste Figls um die Einheit Österreichs und dessen »kluge und wirklichkeitsnahe Führung«. Innenpolitisch sei er der Garant für die Koalition, auch wenn er außenpolitisch noch alte Lasten zu tragen habe.34 Weniger gut schnitt der damals 43-jährige Außenminister Gruber wegen seines heftigen Temperaments ab. Der forsche Ton gegenüber der UdSSR sei wohl in den USA gerne gesehen, bringe auch im eigenen Land eine gewisse Popularität außer bei den Kommunisten und bei der Dobretsberger-Partei, sei aber der Glaubwürdigkeit der Neutralität nicht dienlich. Auch das Verhältnis zum Bundespräsidenten sei eher gespannt, auf jeden Fall »nicht rosig«. Was sich bereits abgezeichnet hatte, eskalierte am 22. Oktober35 mit der Gesamtdemission der Regierung. Man hatte sich über das Budget 1953 zerstritten.36 Die 34 So sei ein offizieller Besuch in Brüssel, in Luxemburg und in Holland noch nicht möglich, die Erinnerungen an Seyss-Inquart seien noch zu lebendig. 35 Vgl. Bericht Nr. 7 vom 23. Oktober 1952, BAR E 2300, Akz. 100/716, Bd. 525. 36 Die Sozialisten warfen dem ÖVP-Finanzminister die Absicht für Rentenkürzungen vor, kämpften für

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Regierungskrise ließ sich noch einmal beilegen, und ein Übergangsbudget wurde bewilligt.37 Feldscher sah aber weiterhin eine große Gefahr für die Koalition. »Als unerfreuliches Symptom der gegenwärtigen politischen Spannung ist der Streik der Wiener Speditionsarbeiter anzusehen, da vonseiten der Streikenden bereits ausgesprochene Terrorakte vorgekommen sind. Man hat den Eindruck, dass mit dem Aufhören einer unmittelbaren Kriegsgefahr auch die vernunftmäßigen Hemmungen zu schwinden beginnen, die einem Austoben der politischen Leidenschaften noch im Wege stehen.« Was diplomatisch sorgfältig vorbereitet worden war, hatte am 19. Dezember endlich Erfolg.38 Die UNO-Generalversammlung verurteilte – die kommunistischen Staaten nahmen an der Sitzung demonstrativ nicht teil – in einer Resolution die Fortdauer der Besetzung Österreichs und erteilte der Sowjetunion eine Rüge. Die Stellungnahme sei in Wien, meinte Feldscher, »mit einem gewissen Gefühl der Befriedigung« zur Kenntnis genommen worden, habe aber keine großen Hoffnungen geweckt. Die UdSSR habe versucht, mit den alten Argumenten (Deutschlandfrage, Haltung der Westmächte in der Triestfrage, Militarisierung des österreichischen Westens durch Amerika) und einem neuen Argument (Kritik an der »undemokratischen Haltung von Regierung und Parlament«, welche sich zunehmend von der demokratischen Welt des Ostens entferne und von Westdeutschland nicht unabhängig sei) die Fortdauer der Besetzung zu begründen. Auch wenn Feldscher diese Begründungen nicht nachvollziehen konnte, bedauerte er doch, dass Gruber mit seinen unbeherrschten Ausfällen, beispielsweise : die Sowjetarmee sei »eine fremde bewaffnete Soldateska«, Moskau immer wieder Argumente liefern würde, die Verhandlungen zu verzögern. Der Osten Österreichs sei ein zu gewichtiges Pfand, »als dass sie es ohne für sie zwingende Umstände aus der Hand geben würde«. Die Zerreißung des Landes sei aber wahrscheinlich nicht das Ziel, zumal die wirtschaftliche Erstarkung Österreichs den ideologischen Einfluss der Sowjets erneut stark geschwächt habe. Die Aufforderung der »New York Times«, Österreich solle seine Unabhängigkeit selbst proklamieren, konnte er jedoch nicht als realistisch und sinnvoll werten.

Vollbeschäftigung, ausreichende Löhne und für einen Mindest-Erhalt der Renten sowie für einen sozialen Wohnungsbau, da »ansonsten mit einer Radikalisierung der Arbeiter und der Gefahr kommunistischer Einflussnahme zu rechnen sei«, Die ÖVP bestreitet die Vorwürfe, eine Rentenkürzung sei nicht vorgesehen, aber man wolle keine Paläste für ein Beamtenheer und kämpfe für die Erhaltung des Schilling (»Schillingwahl«). 37 Vgl. Bericht Nr. 8 vom 12. November 1952, BAR E 2300, Akz. 100/716, Bd. 525. 38 Vgl. Bericht Nr. 9 vom 20. Dezember 1952, BAR E 2300, Akz. 100/716, Bd. 525.

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Die Berichte des Schweizer Gesandten 1953 Die ersten beiden Monate des neuen Jahres waren von den Nationalratswahlen gekennzeichnet, die ein Patt zwischen den beiden großen Parteien mit einem relativen Erfolg der SPÖ ergaben.39 Feldscher hatte für das Bundeskanzleramt auf Figl gesetzt, der in seinen Augen große Verdienste hatte und Anerkennung in Ost und West besaß. Die Ernennung von Julius Raab hat ihn eher überrascht.40 Aber bereits die erste Regierungserklärung des neuen Bundeskanzlers am 15. April bezeichnete er als »klug und ausgewogen«. Raab wandte sich mit einem eindringlichen Appell an die Besatzungsmächte : »Die Bundesregierung wird es als ihre vornehmste Pflicht erachten, unablässig die maßgebenden Regierungen und darüber hinaus die öffentliche Meinung der Welt zu veranlassen, ihre Kräfte auf den Abschluss des österreichischen Staatsvertrags zu konzentrieren. Nicht die Form dieses Vertragsinstrumentes ist so entscheidend wie die Tatsache, dass dem Lande seine politische Unabhängigkeit und seine wirtschaftliche Leistungsfähigkeit gesichert wird.«41 Raab signalisierte kein Interesse am »Skelett- oder Kurzvertrag«. Der bereits durchdiskutierte Entwurf sei besser, da die Nachteile durch Vorteile aufgewogen würden. Trotzdem meinte Feldscher, der Versuch, mit der UdSSR die Verhandlungen über einen Staatsvertrag wiederaufzunehmen, könne als gescheitert betrachtet werden. Weiterhin seien strategische Gründe für die Ablehnung vorherrschend. »Diesen Trumpf dürften die Russen erst aus der Hand geben, wenn der Westen ihnen dafür äquivalente Gegenleistungen bietet.« Damit sei die Haltung der USA herausgefordert. Die Entscheidung liege bei Eisenhower, der vielleicht einlenken werde, wenn die UdSSR auf den Einbezug der Triester- und anderer Fragen verzichte. Deshalb wertete er auch die Versuche für einen neuen »Wiener Kongress« positiv, die vier Außenminister der Besatzungsmächte, eventuell auch die Staatschefs, an einen Tisch zu bringen. Leider sei unübersehbar, dass bei den Westmächten eine große Skepsis gegenüber russischen Friedensgesten vorherrsche. Es fehle das gegenseitige Vertrauen. Allgemein werde der österreichische Staatsvertrag als Prüfstein einer Verständigung Ost–West und sowjetische Konzessionen als Beweis des guten Willens verstanden. Weniger positiv sah es sein Kollege in Moskau, Jean de Stoutz42. Die Sowjets, so meinte er, wollten die Österreichfrage nicht ohne eine befriedigende Lösung für die DDR behandeln. Das strategische Ziel der sowjetischen Regierung sei klar : Ganz

39 ÖVP 74 Sitze (–3) 1 781 969 (1 846 581) Stimmen, SPÖ 73 (+6) 1‹818 811 (1 623 524), WdU 14 (–2) 473 022 (489 273), KPÖ/VO (Volksopposition) 4 (–1) 228 228 (225 125) = 165 Sitze. 40 Vgl. Bericht Nr. 6 vom 9. April 1953, BAR E 2300, Akz. 100/716, Bd. 525. 41 Vgl. Bericht Nr. 7 vom 23. April 1953, BAR E 2300, Akz. 100/716, Bd. 525. 42 Jean de Stoutz war Legationsrat in Moskau.

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Österreich müsse neutral werden. Deshalb werde ein gezielter Propagandakrieg gegen jede US-Einmischung angedroht.43 Der Tod Stalins in der zweiten Märzwoche brachte nicht nur eine große Kundgebung auf dem Wiener Stalinplatz (Schwarzenbergplatz), eine Trauerfeier der österreichisch-sowjetischen Gesellschaft im Großen Musikvereinssaal (mit Teilnahme des Bundespräsidenten) und Trauerflaggen an öffentlichen Gebäuden, sondern auch eine weltpolitische Wende.44 Der »Anschlusstag« am 13. März, wie 15 Jahre zuvor ein Freitag, gab Anlass, einmal mehr die Besetzung und den fehlenden Friedensvertrag anzumahnen. Feldscher stellte in dem Zusammenhang fest, dass – ähnlich wie in der Zwischenkriegszeit – noch kein einheitliches Nationalgefühl bestehe, wie es früher im Herrscherhaus und in der Armee verkörpert gewesen sei. Die einen hätten kein Vertrauen in die Lebensfähigkeit des Staates und suchten den Anschluss ; andere sähen Wien trotz der momentan geringen Wahrscheinlichkeit wieder als Metropole eines großen Donauraumes ; und wieder andere seien durch die Marshallplanhilfe verwöhnt worden, dass sie nun Schutz und Schirm bei gewerblichen und gewerkschaftlichen Großorganisationen, staatlichen und halbstaatlichen Einrichtungen suchten und egoistische, beruflich-materielle Interessen über den Staatsgedanken stellten. Der Wille zum Kleinstaat sei selbst unter der Vorgabe einer europäischen Gemeinschaft »kaum vorhanden«. Feldscher zog einen heiklen Schluss : »So spricht denn vieles, wenn nicht alles dafür, dass trotz mannigfacher misslicher Erfahrungen, die mit dem deutschen Stammesbruder gemacht wurden, das Gefühl der Solidarität aus gemeinsam erlittenen Katastrophen, in Verbindung mit einem wohl nicht unbegründeten Misstrauen in das Werden einer europäischen Gemeinschaft, den Ausschlag geben und der Weg des österreichischen Volkes, wenn es einmal über seine Geschicke wird entscheiden können, wieder in die deutsche Straße einmünden wird.« Aus der Luft gegriffen war diese Bemerkung nicht. Die Beziehungen zur Bundesrepublik machten erfreuliche Fortschritte.45 Da Konrad Adenauer als »geschwore-

43 de Stoutz an EDA : Communication politique no 32 »URSS et l’Autriche«, 26. Juni 1953, BAR E 2300, Akz. 100/716, Bd. 525. 44 Vgl. Bericht Nr. 3 vom 12. März 1953 und Bericht Nr. 4 vom 18. März 1953, BAR E 2300, Akz. 100/716, Bd. 525. 45 Am 19./20. Mai waren Außenminister Karl Gruber und Staatssekretär Bruno Kreisky Gäste der deutschen Bundesregierung unter Bundeskanzler Konrad Adenauer. Es ging u.a. um die Rückgabe beschlagnahmter deutscher Vermögen (ohne inzwischen verstaatlichte Industrien). Um die Wichtigkeit vor der Öffentlichkeit herunterzuspielen, verzichtete man auf große Empfänge. In Wien residierte keine deutsche Vertretung, und erst seit 1950 existierte in Bonn eine »Österreichische Verbindungsstelle«. Als erste diplomatische Vertreter waren Schöner und dann Vollgruber für den Aufbau einer engen Verflechtung von Wirtschaft, Kultur und Verkehr verantwortlich. Als Gegenzug wurde der Aufbau einer deutschen Handelsvertretung in Wien beschlossen. Vgl. Bericht vom 25. Mai 1953 und Bericht vom 1. Juni 1953 : »Deutsche Stellen sind enttäuscht über die allzu große Zurückhaltung der Österreicher«, BAR E 2300, Akz. 100/716, Bd. 525.

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ner Feind der Anschlusspolitik« galt, beurteilte Feldscher das Ganze als hoffnungsvoll. Mit großer Spannung erwartete man in Wien die ersten Signale der neuen Regierung in Moskau, welche praktisch zeitgleich mit der österreichischen die Macht übernommen hatte. Den Rückzug der sowjetischen Sonderbeauftragten von den Staatsvertragsverhandlungen konnte Feldscher noch nicht ganz einordnen, wohl aber die Bereitschaft, Streitfragen (Österreich, Deutschland, Triest) auf höchster Ebene zu besprechen, wie seinerzeit in Jalta oder Potsdam.46 Auch die Zulassung diplomatischer Beziehungen zwischen Österreich und Japan wertete er als positiv. Der Juni brachte neue Entspannungssignale aus dem Osten (Regelung zum Donaukraftwerk Ybbs-Persenbeug, Freigabe von Wohnungen und Schulen, Aufgabe der Polizeikontrolle an der Demarkationslinie, die Ernennung eines Botschafters statt eines Generals zum sowjetischen Hochkommissar).47 Der neue Bundeskanzler zeigte für diese Schritte Dankbarkeit, betonte aber gleichzeitig, dass noch viele Wünsche nicht erfüllt seien, zum Beispiel die Abschaffung der Militärgerichtsbarkeit und der Zensur, die Rückgabe der Radiosender, die Schließung der sogenannten USIA-Läden, das Wegfallen der Besatzungskosten, der Abzug der Besatzungstruppen und vor allem die Unterzeichnung des Staatsvertrags. Feldscher fragte sich, ob in Moskau nun eine neue Taktik beschlossen worden sei : Freundliche Stimmung für erfolgreiche Verhandlungen zwecks Gewinnung der Westmächte für ein Szenario der Neutralisierung Österreichs. Anfang Juli wagte sich Gruber erneut aufs diplomatische Glatteis.48 Angeblich ohne jemanden näher zu informieren, nahm er − wie schon wenige Monate zuvor zu Brasilien − Kontakt zum indischen Ministerpräsidenten Pandit Nehru auf. Indien solle in Moskau sondieren, unter welchen Bedingungen die UdSSR eine Lösung der Österreichfrage sehe und ob eine »vom Parlament allenfalls zu erklärende Neutralität Österreichs den Abschluss des Staatsvertrags fördern könnte«.49 Die Abklärungen ergaben, dass die gewährten Erleichterungen wohl Entspannungsschritte seien, aber nicht als Konzessionsbereitschaft für den Staatsvertrag verstanden werden dürften. Auf jeden Fall müsste sich Österreich vom Kurzvertrag distanzieren, dann bestünden echte Chancen für die Erledigung offener Fragen. Man habe weniger Angst vor dem westlichen Einfluss als vor dem Anschluss. 46 47 48 49

Vgl. Bericht Nr. 8 vom 29. Mai 1953, BAR E 2300, Akz. 100/716, Bd. 525. Vgl. Bericht Nr. 9 vom 19. Juni 1953, BAR E 2300, Akz. 100/716, Bd. 525. Vgl. Bericht Nr. 10 vom 10. Juli 1953, BAR E 2300, Akz. 100/716, Bd. 525. Die Gespräche mit Indien hat Feldscher anscheinend nicht im Detail gekannt, sonst wäre es für ihn nicht eine Sensation gewesen, aus SPÖ-Kreisen zu erfahren, Gruber habe der Sowjetunion hinter dem Rücken der Regierung die Neutralität angeboten. Bericht Nr. 11 vom 30. Juli 1953, BAR E 2300, Akz. 100/716, Bd. 525 ; vgl. dazu : Rauchensteiner : Sonderfall, S. 322 ; Verdross, Alfred : Die immerwährende Neutralität Österreichs, Wien 1977, S. 26.

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Nun setzte Gruber ganz auf die Neutralitätskarte. An einer Sitzung des Parteiclubs der ÖVP am 7. Juli erklärte er : »Es war von Anbeginn an unsere erklärte Politik, dass Österreich sich nicht einem militärischen Block anschließen soll ; dies wurde in zahlreichen Äußerungen von Bundeskanzler Figl und Bundeskanzler Raab betont. In einer solchen Politik liegt die Garantie auch für den Osten, dass Österreich nicht eine Angriffsbasis werden könnte. Es muss aber bei der Formulierung dieser Politik immer darauf Rücksicht genommen werden, dass der Staatsvertrag von vier Partnern abgeschlossen wird und dass die zukünftige Stellung Österreichs eine unabhängige bleiben muss, nicht aber eine der Unterordnung unter fremde politische Ziele.« Feldscher meinte dazu lakonisch, Gruber habe auch schon anders gesprochen. Raab war für Moskau ein zunehmend vertrauenswürdiger Partner. Dessen Offenheit und verbale Zurückhaltung zahlten sich aus. Damit widerlegte er die gängige antikommunistische These, dass »russophiles Verhalten« nur die sowjetischen Begehrlichkeiten − im Sinne : Gibst du ihnen den kleinen Finger, so nehmen sie die ganze Hand − steigere und den Kommunismus im eigenen Land fördere. Die Besatzungskosten wurden durch Moskau einseitig gestrichen, was nicht die USA, die seit Jahren darauf verzichtet hatten, wohl aber Frankreich und Großbritannien in Zugzwang brachte. Für die frei werdenden Staatsmittel gab es genügend Projekte und Begehrlichkeiten (Kraftwerke, Autobahnen etc.). Mitte August wurde die Zensur aufgehoben und auf der 200. Sitzung des Alliierten Rates sanktioniert, da sie ursprünglich von diesem erlassen worden war.50 Immer noch ungelöst blieb das Dilemma, ob man den Kurzvertrag zugunsten des alten Staatsvertragsentwurfs ablehnen oder beide Entwürfe ablehnen und damit weitere unendliche Verhandlungen riskieren wolle. In vertraulichen österreichisch-russischen Gesprächen51 wurde die Neutralität ohne wirtschaftliche Hindernisse (Europäische Zahlungsunion, Montan-Union etc.) diskutiert. Gerüchteweise erfuhr der schweizerische Gesandte, dass die Absetzung Grubers beschlossene Sache sei und Raab auch das Außenministerium übernehme. Damit werde auch Bruno Kreisky als Staatssekretär im Außenamt überflüssig. 50 Vgl. Bericht Nr. 12 vom 14. August 1953, BAR E 2300, Akz. 100/716, Bd. 525. 51 Im Zuge des Notenwechsels zwischen dem österreichischen und dem sowjetischen Außenministerium über die Folgen der Erleichterungen in der Besetzungspraxis und über die allfällige Rücknahme des »Kurzvertrages« wies die sowjetische Seite in der Note vom 29. Juli 1953 darauf hin, dass der Kurzvertrag in mehreren Punkten von den ursprünglichen Vertragsentwürfen abweiche und deshalb für die Sowjetunion unannehmbar sei. Einer dieser Punkte war auch, dass der Kurzvertrag nicht vorsehe, dass Österreich eigene Streitkräfte unterhalte, die für die Verteidigung des Landes erforderlich sind, obwohl dies in einem bereits vereinbarten Artikel des Entwurfs des österreichischen Staatsvertrags vorgesehen sei. Diese Selbstverteidigungsfähigkeit Österreichs stellte damit für die UdSSR offensichtlich eine wesentliche Komponente für die zukünftige Unabhängigkeit dar. Vgl. Vetschera : Entstehung, S. 360 ; Csáky : Weg, S. 293.

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Die österreichische Entscheidung vom 19. August, unter bestimmten Voraussetzungen nicht auf dem Kurzvertrag zu beharren, löste das Dilemma erst teilweise.52 Die kommunistische Presse trat nach wie vor für die Neutralität ein und betrachtete diese als gewichtigstes Verhandlungsobjekt, »mit dessen geschickter Benutzung es der bewährten Kunst des Bundeskanzlers Raab wohl gelingen könnte, zu einem tragbaren Kompromiss für Österreich zu gelangen«, berichtete Feldscher.53 Diese klare Stellungnahme wurde von den anderen Parteien allerdings als »Stimme des Herrn« belächelt. Die zentrale Frage, inwieweit eine Beschränkung der außenpolitischen Handlungsfreiheit Österreichs im Interesse der Befriedung des mitteleuropäischen Raumes und Österreichs gerechtfertigt sei, wurde weiterhin kontrovers diskutiert. Die »Österreichische Zeitung« hegte Zweifel, dass die USA ihre Truppen abziehen bzw. einen Staatsvertrag unterzeichnen würden, der den Rückzug verlange, und führte als Beweis den Wohnungsbau in Salzburg für US-Soldaten an. Der Generalsekretär im Außenministerium, Karl Wildmann, zeigte sich geneigt, einen Verzicht auf militärische Allianzen zu akzeptieren, »wenn Österreich das Recht nicht genommen würde, nach schweizerischem Muster sich an internationalen wirtschaftlichen Vereinbarungen zu beteiligen«. Nur wenige trauten den Russen zu, dass sie mit einem plötzlichen Abzug ihrer Verbände die USA in Zugzwang zu bringen versuchten. Feldscher war überzeugt, dass die neue Führung im Kreml »noch weitere Überraschungen auf Lager« habe. Einen solch einseitigen Schritt traute er ihnen aber nicht zu. 54 Auch wenn Österreich nicht einmal Kandidat in der UNO war, so wurde dennoch der Tag der Vereinten Nationen feierlich begangen (24. Oktober), und Raab unterstrich in seiner Rede die Bedeutung Österreichs »als ein Element des Friedens und der Ordnung im Kreise der Nationen«.55 Ziel der Außenpolitik am Ballhausplatz sei die Aufnahme in die UNO so rasch wie möglich. Er begründete diese Strategie mit zwei Forderungen : 1. Österreich verlangt volle Gleichberechtigung mit anderen Staaten. 2. Österreich sucht auf diplomatischem Weg militärischen Schutz im Rahmen der Möglichkeiten der UNO ; nicht die Neutralität ist das Wichtigste, sondern dieser Schutz. Dieser erfordert aber auch die Aufstellung einer künftigen eigenen Wehrmacht. Auch wenn für 1954 noch kein Budgetposten geplant ist und erst die BGendarmerie besteht, so müssen rund 53.000 Mann angestrebt werden.

52 Der Schweizer Chargé d’affaires Jean de Stoutz in Moskau meldete, Chruschtschow habe die österreichische Regierung gebeten, den »traité de paix abrégé« mit den Westmächten nicht zu diskutieren ; der Staatsvertrag solle ganzheitlich diskutiert werden. 53 Vgl. Bericht Nr. 13 vom 21. August 1953, BAR E 2300, Akz. 100/716, Bd. 525. 54 Vgl. Bericht Nr. 14 vom 28. August 1953, BAR E 2300, Akz. 100/716, Bd. 525. 55 Vgl. Bericht Nr. 15 vom 28. Oktober 1953, BAR E 2300, Akz. 100/716, Bd. 525.

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Auf diesem Weg könnte man Souveränitätsbeschränkungen und Diskriminierungen beseitigen ; deshalb sei die diplomatische Lösung klar : Zuerst Räumung, dann Staatsvertrag, welcher in der Zwischenzeit von diskriminierenden Elementen gesäubert worden ist. Auch der Jahrestag der Moskauer Erklärung vom 1. November 1943 zur Wiederherstellung eines freien und unabhängigen Österreichs wurde von der Regierung, Parlament und Medien benützt, um ein weiteres Mal die Weltöffentlichkeit aufzurütteln, das Weltgewissen anzusprechen und eindringlich das Unrecht der Fortdauer des Besetzungszustandes kundzutun, das einzige Mittel des Machtlosen, berichtete Feldscher Anfang November.56 Dieser Protest wurde auf drei Ebenen deutlich gemacht : 1. Am 30. Oktober erfolgte während eines Rundfunkappells des Präsidenten des Gewerkschaftsbundes an die alliierten Staatsmänner eine fünfminütige Arbeitsniederlegung. 2. Das Parlament traf sich zu einer Sondersitzung mit einer groß angelegten Regierungserklärung des Bundeskanzlers. Der Linksblock nützte die Gelegenheit, die Schuld an der Lage der falschen österreichischen Außenpolitik anzulasten.57 56 Vgl. Bericht Nr. 16 vom 3. November 1953, BAR E 2300, Akz. 100/716, Bd. 525. Vgl. dazu : Csáky : Weg, S. 315. 57 Außenminister Gruber war an der OECE-Sitzung in Paris und konnte sich dadurch am 1. November nicht zu Wort melden. Er nahm deshalb bereits am 15. Oktober in der Wiener Zeitung Stellung und zog u.a. eine persönliche Zwischenbilanz zur Neutralitätsfrage. Er bedauerte, dass mit der Neutralität immer wieder »Schindluder getrieben« werde. Neutralität im völkerrechtlichen Sinne könne nur im Zusammenhang mit kriegerischen Konflikten verstanden werden. Dazu brauche es in Friedenszeiten eine Nichtteilnahme an militärischen Allianzen. »Damit hat es sein Bewenden ! Österreichs Verfassung bleibt demokratisch, seine Anschauungen frei und seine internationalen Bewegungsmöglichkeiten sonst unangetastet.« Er berief sich also auf den völkerrechtlichen Kerngehalt der Neutralität. Der kommunistische Nationalratsabgeordnete Ernst Fischer verlangte : Österreich muss sich von der einseitigen Bindung an den Westen lösen und eine Politik der strikten Neutralität befolgen. Rhetorisch fragte er : »Was heißt denn eigentlich Neutralität ? Neutralität heißt : Verzicht auf jegliche Bindung, durch die unsere nationale Entscheidungsfreiheit aufgehoben und eingeschränkt wird ; Absage an jene, die unser Land, unter welchem Vorwand auch immer, in ein militärisches und politisches Bündnissystem gegen irgendein Mitglied der UNO einbeziehen wollen. Wir wollen als freier, unabhängiger Staat der UNO angehören, aber wir sollten uns hüten, an irgendeinem Paktsystem, heiße es Atlantikpakt, heiße es Europäische Verteidigungsgemeinschaft, teilzunehmen. Jedes solche Paktsystem steht im Widerspruch zur Neutralität, aber auch zur Charta der Vereinten Nationen. Neutralität bedeutet ferner, dass wir uns handelspolitisch nicht durch fremde Interessen binden lassen, dass wir unsern Außenhandel nicht abhängig machen von den strategischen Forderungen fremder Staaten, sondern dass wir auf der Grundlage der Gleichberechtigung mit allen Staaten Handel treiben. Die künstliche Drosselung des Osthandels widerspricht nicht nur den Grundsätzen der Neutralität, sondern auch den Erfordernissen der österreichischen Wirtschaft.« Feldscher quittierte : »Interessant und sollte gewürdigt werden.«

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3. Am 31. Oktober, es war der Vorabend vor Allerheiligen/Allerseelen, sprach Bundespräsident Theodor Körner in einer Rundfunkrede zu seinem Volk und zur Welt. Körner schob die Verantwortung am unerfreulichen Zustand seines Landes allen Großmächten zu, die bereits 1938 tatenlos zugeschaut hätten. »Mit einem freien Österreich kann die Welt sich selbst auch den Frieden schenken.« Was sich längst abgezeichnet hatte, geschah dann zu Jahresende. Mit seinem bei Ullstein erschienenen Buch »Zwischen Befreiung und Freiheit« löste Außenminister Gruber eine innenpolitische Kontroverse aus, die schließlich zum Ausscheiden aus der Regierung und zu seiner Ersetzung durch den früheren Bundeskanzler Figl führte. Gruber wurde als »Trost« und gegen etlichen Widerstand als Botschafter nach Washington geschickt. Was man nicht wissen konnte : Mit dieser personellen Veränderung wurden seitens der österreichischen Regierung die Weichen Richtung Neutralität gestellt. Die Wahl Figls zum Außenminister hatte die vertrauensbildenden Grundlagen verstärkt, und auch die Sowjetunion zeigt für diesen Weg offen ihre Sympathien. Österreich hatte an innerer Stabilität gewonnen und erfüllte nun in den Augen der Großmächte alle Bedingungen, ein gleichberechtigter Verhandlungspartner zu sein.

Die Berichte des Schweizer Gesandten 1954 Das neue Jahr war bereits im Jänner durch eine Pressekampagne der UdSSR gekennzeichnet, welche die geplante Berliner Konferenz medial vorbereitete.58 »Prawda« und »Iswestija« behaupteten, der Anschlussgedanke sei in Österreich noch lange nicht erloschen und ein militaristischer Geist werde bei verschiedenen Wehrmachtstreffen gepflegt. Aus diesem Grunde komme für Österreich nur eine absolute neutrale Außenpolitik infrage, welche sich jeglicher politischer und militärischer Bindung an andere Staaten enthalte. Raab wies das als Unterstellung und als falsch zurück. Der wieder als sowjetischer Außenminister eingesetzte Wjatscheslaw M. Molotow sandte dann versöhnlichere Signale und nannte den Frieden in Europa und die Erfüllung der nationalen Rechte Österreichs als strategische Ziele der UdSSR. Man sei überzeugt, dass in Übereinstimmung mit den bestehenden Vier-MächteVereinbarungen »auf dem schnellsten Weg ein freies und unabhängiges Österreich wiederhergestellt und die österreichische Frage gelöst« werden müsse. Österreich dürfe aber kein Werkzeug in den Händen der aggressiven Kräfte und des deutschen Militarismus werden.

58 Vgl. Bericht Nr. 1 vom 3. Februar 1954, BAR E 2300, Akz. 100/716, Bd. 525.

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Schon bald drohte die vom 25. Jänner bis zum 18. Februar anberaumte Berliner Konferenz zu platzen.59 Die Meinungen der Machtblöcke stießen wieder frontal aufeinander. Molotow stellte den Antrag für einen Zusatzartikel zum Staatsvertrag, Österreich dürfe »in keinerlei Koalitionen oder Militärbündnisse eintreten, die gegen irgendeine Macht gerichtet sind, welche mit ihren Streitkräften am Krieg gegen Deutschland und an der Befreiung Österreichs teilgenommen hat«, keine fremden Militärstützpunkte auf seinem Territorium dulden und keine ausländischen Militärberater oder -spezialisten in seinen Streitkräften zulassen. John F. Dulles wies am 13. Februar jede vertragliche Verpflichtung Österreichs zur »strikten« Neutralität zurück. Es gebe einen großen Unterschied zwischen einer staatsvertraglich auferlegten Neutralisierung und einer freiwillig beobachteten Neutralität, wie sie die Schweiz befolge. Ein neutraler Status sei ein ehrenhafter Status, aber nur, wenn er selbst gewählt sei. Nach der Meinung der USA könne Österreich frei wählen, ob es ein neutraler Staat werden wolle wie die Schweiz. Die Vereinigten Staaten würden diese Wahl voll respektieren, so wie sie es für die Schweiz seit jeher täten. Damit wäre eigentlich der Weg für eine Lösung frei gewesen, aber Dulles wies gleich selber auf den Pferdefuß hin : Es gehe vorerst gar nicht um die Neutralitätsfrage, auch nicht um Triest, sondern allein darum, ob alliierte Besatzungstruppen in Österreich stationiert werden sollen bis zum Abschluss eines Friedensvertrages mit Deutschland oder nicht. In diesem Punkt fand man keinen Konsens. Es ist zu vermuten, dass Dulles mit einer Neutralisierung Österreichs ein Präjudiz für eine analoge Regelung in Deutschland befürchtete. Figl versuchte noch am gleichen Tag, die von den USA gebaute Brücke zu begehen, indem er versicherte, Österreich werde die völkerrechtliche Neutralität eigenständig wählen ; es brauche keinen Zusatz zum Staatsvertrag. Aus diplomatischen Kreisen erfuhr der Schweizer Botschafter in Wien, Molotow habe Figl in einem vertraulichen Gespräch die Neutralität angeboten (als protokollarische Anlage zum Staatsvertrag). Dieses Angebot sei ausgeschlagen worden, weil nicht nur der Beitritt zu militärischen, sondern auch zu allen anderen Vertragsorganisationen (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung »OEEC«, Europäische Zahlungsunion, Agrarunion, Verkehrsunion, Energieunion etc.) verboten gewesen wäre. Trotzdem zog Molotow seinen Antrag auf einen Zusatzartikel zurück. Es war aber letztlich die Deutschlandfrage, welche die Positionen verhärtete, denn die UdSSR beharrte darauf, Truppen auch nach dem Staatsvertrag so lange in Österreich stehen zu lassen, bis ein Friedensvertrag mit Deutschland geschlossen sei. Dabei definierte Molotow nicht, welches »Deutschland« er meinte. Das 1945 unter59 Vgl. Bericht Nr. 2 vom 17. Februar 1954, BAR E 2300, Akz. 100/716, Bd. 525.

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gegangene konnte er nicht meinen, und welchen der beiden seit 1949 bestehenden deutschen Staaten er damit verband, ließ er offen. Molotows Befürchtungen hatten einen realen Hintergrund : Am 24. Februar billigte die britische Regierung die Wiederbewaffnung Deutschlands. Wir müssen an dieser Stelle nun kurz die Chronologie verlassen : Auf der Londoner Neun-Mächte-Konferenz Ende September 1954 sprachen sich die Mitglieder des Brüsseler Paktes für eine Mitgliedschaft der BRD und Italiens in der NATO aus. Beide Staaten hatten sich bereits im Frühjahr zum Beitritt bereit erklärt. Die BRD verpflichtete sich zudem, die Wiedervereinigung Deutschlands niemals mit gewaltsamen Mitteln herbeizuführen und auf die Herstellung von ABC-Waffen zu verzichten. Zum Abschluss der Konferenz am 3. Oktober gaben Frankreich, Großbritannien und die USA eine gemeinsame Erklärung über ihre Deutschlandpolitik ab (Londoner Drei-Mächte-Erklärung) : Die Regierung der BRD sei als die einzig rechtmäßige deutsche Regierung zu betrachten. Kehren wir zu Österreich zurück. Die Folgen der gescheiterten Verhandlungen im Februar waren aber nicht nur negativ. Österreich hatte erstmals als gleichberechtigter Partner an den Verhandlungen teilgenommen und war von den Vertretern der UdSSR betont höflich behandelt worden. Molotow hatte sich in der Diskussion oft direkt an Figl gewendet. Die österreichische Taktik der weitestgehenden Nachgiebigkeit hatte Molotows vorgegebene Position, das Pfand Österreich nicht aus der Hand zu geben, bevor eine Lösung der deutschen Frage gefunden sei, geschwächt, meinte Feldscher.60 Im Lager der westlichen Alliierten war man nicht unglücklich. Kein Resultat hieß vorderhand : Die Besetzung blieb aufrecht, und die Priorität lag einmal mehr in der Lösung der Deutschlandfrage. Die Neutralisierung eines vereinigten Deutschlands oder gar nur der BRD war nicht im Interesse der USA und der NATO. Eine militärische Wehrlosigkeit Österreichs als mögliche Folge eines sofortigen Abzugs des Westens wäre auch für die sicherheitspolitische Lage der Schweiz nicht gleichgültig gewesen, fand Feldscher. Am 24. Februar berichtete Figl im Nationalrat über die Berliner Verhandlungen.61 Er bezeichnete den Art. 33 (Abzug der alliierten Streitkräfte binnen 90 Tagen nach Inkrafttreten des Staatsvertrags) als Hauptgrund für das abermalige Scheitern. Die österreichische Bereitschaft, die Frist der Beendigung der Besetzung bis zum 30. Juni 1955 zu verlängern, habe beide Seiten nicht beruhigt. Dazu kämen die strategischen Vorteile, welche die neutrale »österreichische Furche« für die Sowjetunion bedeute, welche die Westmächte nicht akzeptieren wollten.

60 Vgl. Bericht Nr. 3 vom 24. Februar 1954, BAR E 2300, Akz. 100/716, Bd. 525. 61 Vgl. Bericht Nr. 4 vom 3. März 1954, BAR E 2300, Akz. 100/716, Bd. 525.

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Der schweizerische Gesandte analysierte die angesprochenen strategischen Gründe aus seiner Sicht : 1. Die Anwesenheit russischer Einheiten in der Sowjetzone verhindert den Aufbau des atlantischen Verteidigungssystems im Alpenraum. 2. Die Besetzungstruppen halten den Druck auf Jugoslawien aufrecht. Zudem besteht die Chance, den im sowjetischen Sinn »Abtrünnigen« aus der westlichen Umklammerung herauszulösen oder zumindest zu neutralisieren. 3. Die innenpolitische Wirkung der Besetzung bewahrt die österreichischen Kommunisten vor dem Zusammenbruch. Ein solcher würde einen negativen Einfluss auf die benachbarten Volksdemokratien haben. Bereits der wirtschaftliche Aufschwung Österreichs bietet Gelegenheit für unerwünschte Vergleiche und löst beträchtlichen inneren Druck auf die sozialistischen Regimes in Budapest und Prag aus. Die scheinbare Ausweglosigkeit der Situation löste allerdings – so Feldscher – in der österreichischen Öffentlichkeit Enttäuschung aus und hatte eine gewisse politische Lähmung zur Folge. Die Meinung, man solle sich an den Westen anschließen (Europarat, Europäische Verteidigungsgemeinschaft), wurde wieder zur verlockenden Option. Gegen Ende Mai ergab sich die paradoxe Situation, dass Feldscher konstatierte, der äußere Druck der Besetzung halte die Koalition zusammen und schaffe »ein unerbittliches Muss des Zusammenhaltens«. Er sei überzeugt, dass ohne diesen außenpolitischen Druck »der alte Geist der offenen Zwietracht« wieder ausbrechen und die wirtschaftliche Blüte gefährden würde, die der Marshallplan nicht unwesentlich ermöglicht habe.62 Die österreichische Regierung versuchte ununterbrochen, mäßigend auf die Medien und die Öffentlichkeit einzuwirken. Figl rügte beispielsweise mehrmals und in Verwendung eines Zitats von Julius Raab die Presse, sie solle es endlich unterlassen, »den russischen Bär am Schwanzstummel zu zwicken«. Konkreter Anlass war ein Konflikt mit Iwan Iljitschow, dem sowjetischen Hochkommissar. Dieser hatte der Presse Feindseligkeit den russischen Soldaten gegenüber vorgeworfen. Feldscher wunderte sich über diesen Zwist nicht : »Wer die ständigen Ausfälle österreichischer Politiker, Publizisten, Karikaturisten und Kabarettkünstler gegenüber der sowjetrussischen Besetzungsmacht verfolgte, musste sich im Grunde genommen darüber wundern, dass der russische Bär nicht eher seinem Groll Luft gemacht hat.« Neben dem Gefühlsmoment brachte Iljitschow auch Sachargumente vor : Kameradschaftstreffen von ehemaligen Angehörigen der Deutschen Wehrmacht in Österreich, österreichisches Sängerbundfest in Kärnten mit Tausenden Westdeutschen ; Manifestationen für einen Anschluss, Aufhebung der Visumpflicht für Westdeutsche. Es sei 62 Vgl. Bericht Nr. 6 vom 26. Mai 1954, BAR E 2300, Akz. 100/716, Bd. 525.

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deshalb nach wie vor nötig, dass die sowjetischen Organe die Pflicht in ihrer Zone »zwecks Beurteilung der politischen Zuverlässigkeit« weiter ausübten.63 Die Differenzen waren aber nicht unüberbrückbar. In den Sommermonaten begann sich die Lage wieder zu entspannen. Zudem waren die Großmächte weltpolitisch beschäftigt (Abschluss der Genfer Ostasien-Konferenz).64 Die Landtagswahlen im Herbst brachten keine Veränderungen, und Moskau behielt die Österreichfrage als Eisen im Feuer, war aber in Triest zu Konzessionen bereit.65 Die Anschlussfrage warf kurzfristig immer wieder Wellen.66 Noch im Dezember erneuerte Molotow seine Forderung, dass die deutsche und die österreichische Frage nur gemeinsam gelöst werden könne. Trotzdem kam beim Schweizer Gesandten Hoffnung auf, dass der tote Punkt bald überwunden werden könne und der Staatsvertrag doch noch abzuschließen sei. Feldscher sah als Hauptgrund für diesen Hoffnungsschimmer die internationale Entwicklung : Molotow hatte am 6. Oktober als Antwort auf die »Drei-Mächte-Erklärung« gedroht, dass eine westdeutsche Wiederbewaffnung eine Vereinigung Deutschlands auf alle Zeiten verunmögliche. Dennoch wurde am Abschlusstag der Pariser Konferenz (19.−23. Oktober 1954) mit den Pariser Verträgen die Westeuropäische Union (WEU) gegründet, welche den Brüsseler Pakt ablöste. Die BRD und Italien wurden Mitglied und traten zugleich auch der NATO bei. Das Besetzungsstatut sollte am 5. Mai 1955 auslaufen. Feldscher hatte nun in Erfahrung gebracht, dass die UdSSR Vorbereitungen treffe, mit den Satelliten als Gegenmaßnahme zu den Pariser Verträgen einen Ostpakt abzuschließen. Mit diesem sollte u. a. die Möglichkeit geschaffen werden, das Verbleiben sowjetrussischer Truppen in Ungarn und Rumänien zu rechtfertigen. Dadurch würde ein Rückzug aus Österreich für die Sowjetarmee möglich. Der in den Pariser Abkommen vorgesehene Eintritt der Bundesrepublik Deutschland in die NATO mache eine Neutralisierung Deutschlands gegenstandslos. Damit sei die Verzögerungstaktik in der Österreichfrage nicht mehr sinnvoll.

63 Vgl. Bericht Nr. 7 vom 2. Juni 1954, BAR E 2300, Akz. 100/716, Bd. 525. Der Botschafter wirft den Sowjets vor, vieles selber verschuldet zu haben, z.B. Flugblätter in kyrillischer Schrift führten zur kulturellen Isolation. 64 Vgl. Bericht Nr. 8 und Bericht Nr. 9 vom 18. August 1954, BAR E 2300, Akz. 100/716, Bd. 525. 65 Vgl. Bericht Nr. 10. vom 20. Oktober 1954, BAR E 2300, Akz. 100/716, Bd. 525. 66 Vgl. Bericht Nr. 11 vom 17. November 1954, BAR E 2300, Akz. 100/716, Bd. 525. Die Anschlussfrage war 1945−50 unter dem Eindruck der vernichtenden Niederlage kein Thema und wurde auch als Passus im Staatsvertragsentwurf widerspruchslos hingenommen. 1950−54 hielt sich die Mehrheit zurück, und insbesondere der österreichische Bundeskanzler Raab und der damalige österreichische Außenminister Figl verkündeten immer wieder, »niemand denkt an Anschluss« bzw. dass es »irgendetwas wie eine Anschlussbewegung in Österreich nicht gebe«. Trotzdem kam sie bei einem Treffen von Raab mit US-Präsident Eisenhower und seinem Außenminister Dulles sowie mit dem französischen Ministerpräsidenten und damaligen Außenminister Mendès-France in Washington wieder zur Sprache.

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Diese Erkenntnis Feldschers in dieser frühen Zeit über die Rolle des dann »Warschauer Pakt« genannten Bündnisses für den österreichischen Staatsvertrag ist beachtenswert, zumal die meisten seiner österreichischen Gesprächspartner im antikommunistischen Denken verstrickt blieben. Das Jahr 1954 hatte seinen Höhepunkt zweifellos in der gescheiterten Berliner Konferenz. Die Lösungsmöglichkeit des Gordischen Knotens lag aber jetzt auf dem Tisch. Die Deutsche Frage musste entschieden sein, um den Weg zum österreichischen Staatsvertrag frei zu machen. Anders als es Figl vermutet hatte, waren es die Westmächte, die einmal mehr die Sowjets zum Reagieren zwangen und nicht umgekehrt. Die Integrierung der BRD in die NATO hatte alle Wiedervereinigungs- oder Neutralisierungspläne der KPdSU zu Makulatur verkommen lassen. Die Schaffung des Warschauer Pakts, dessen Text im Dezember bei den präsumtiven Bündnispartnern zur Kenntnis gebracht wurde, war die strategische Antwort des Ostens auf die westliche Aktion. Eine Freigabe Österreichs war ausreichend kompensiert durch das vertragliche Stationierungsrecht von Truppen in den Bündnisstaaten und konnte als Zeichen der Entspannung und Friedensbereitschaft propagandistisch ausgewertet werden. Die gemeinsame Inszenierung von Staatsvertrag und Warschauer Pakt war dann nur noch die Konsequenz dieser Strategie. Dieser Zusammenhang wird gelegentlich zu gering gewertet. Doch bis zum Mai 1955 blieb noch einiges zu tun.

Die Berichte des Schweizer Gesandten 1955 Die Sowjetunion reagierte entgegen der ideologischen Rhetorik auf die Pariser Verträge weiterhin mit Signalen der Entspannung. Am 5. Jänner bot sie der BRD eine Normalisierung der Beziehungen an, sollte sie auf die Wiederaufrüstung verzichten. Trotz der abschlägigen Antwort beendete die UdSSR zehn Tage später offiziell den Kriegszustand mit Deutschland. In einer Rede vor dem Obersten Sowjet am 8. Februar machte Molotow auch einen bedeutenden Schritt in der Österreichfrage. Er erklärte, dass die sowjetische Regierung eine weitere Verzögerung des Abschlusses des österreichischen Staatsvertrags für ungerechtfertigt halte. Der Rückzug der alliierten Besetzungstruppen vor dem deutschen Friedensvertrag scheine möglich, wenn Österreich die notwendigen Garantien liefere. Zum einen müsse zweifelsfrei der Anschluss an Deutschland ausgeschlossen und zum andern die völkerrechtliche Neutralität erklärt werden.67 Diese Aussagen führten schließlich zu einer Einladung einer österreichischen Regierungsdelegation zur bilateralen Vorbereitung einer Vier-Mächte-Konferenz noch vor der Ratifizierung der Pariser Abkommen.

67 Vgl. Csáky : Weg, S. 351 f., oder Stourzh : Einheit, S. 336.

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Die österreichische Regierung beeilte sich, Bereitschaft zu signalisieren. An einem Nachtessen mit europäischen Diplomaten am 17. März, an dem auch der sowjetische Hochkommissar, Sergej M. Kudrjawzew, teilnahm, thematisierte der damalige Staatssekretär für Auswärtige Angelegenheiten, Bruno Kreisky, die immerwährende Neutralität der Schweiz als Vorbild für die Lösung der Österreichfrage.68 Eine Woche später reagierte die sowjetische Regierung mit dem überraschenden Vorschlag, man sei bereit, gegen verbindliche Erklärungen der österreichischen Regierung auf eine vertragliche Festlegung der Verpflichtung zur Bündnisfreiheit zu verzichten. Ganz andere Töne schlug man auf der strategischen Stufe an. Am 21. März drohte die Sowjetregierung für den Fall einer Wiederaufrüstung Deutschlands mit der Bildung eines mittel- und osteuropäischen Militärblocks. Diese Drohung verfehlte weitgehend ihre Wirkung, da die Ostblockstaaten aufgrund bilateraler Abkommen mit der UdSSR bereits militärisch verbunden waren und die Pläne zu diesem Bündnis nachrichtendienstlich auch im Wesen bekannt waren. Auch Österreich ließ sich nicht beeindrucken. Am 29. März beschloss die Bundesregierung, die Einladung nach Moskau zu Gesprächen anzunehmen, und bestimmte die Delegation : Bundeskanzler Julius Raab, Vizekanzler Adolf Schärf, Außenminister Leopold Figl und Staatssekretär Bruno Kreisky mit Entourage. Trotz gewisser Bedenken im westlichen Lager trat man am 11. April die Reise an. Es waren verschiedene Sachprobleme zu regeln (u. a. Ablösezahlungen für deutsches Eigentum, Abzugstermin der alliierten Truppen, Rückkehr aller Kriegsgefangenen). Der wichtigste Diskussionspunkt war die Frage der garantierten Bündnislosigkeit, welche in der Formel gefunden wurde : dauernde bewaffnete Neutralität nach dem Muster der Schweiz. Diese Lösung ging als »Moskauer Memorandum« vom 15. April 1955 in die Geschichte ein. Die österreichische Delegation verpflichtete sich, unmittelbar nach Ratifizierung des österreichischen Staatsvertrags dem Parlament ein Neutralitätsgesetz vorzulegen und sich um eine internationale Anerkennung zu bemühen. Nach dieser bilateralen Regelung schlug die UdSSR ihren westlichen Alliierten eine Außenministerkonferenz in Wien vor. Die Westmächte stimmten nur unter der Voraussetzung einer vorbereitenden Botschafterkonferenz mit Beiziehung einer österreichischen Delegation zu, die am 2. Mai beginnen sollte. Davon konnte Feldscher nicht mehr berichten, denn am 26. April übernahm der neue diplomatische Vertreter der Schweiz, Minister Reinhard Hohl, die Gesandtschaft in Wien. In seinem ersten Bericht freute er sich über die freundliche Aufnahme und nannte Außenminister Figl einen »stets aufrichtigen Freund« der Schweiz. Er habe ihm im Gespräch gesagt, er sei mit großen Hoffnungen nach Moskau gereist ; das Entgegenkommen habe aber alle seine Erwartungen übertroffen. 68 Vgl. Allard, Sven : Diplomat in Wien : Erlebnisse, Begegnungen und Gedanken um den österreichischen Staatsvertrag, Köln 1965, S. 173 f.

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Noch ausstehend sei die Behandlung der Wiederaufrüstung. Österreich wolle freie Hand. Eine Beschränkung des Bundesheers auf 53 000 Mann sei »nicht vereinbar mit der nunmehr ja von allen Seiten bejahten Souveränität Österreichs«.69 Bei der Übergabe seines Beglaubigungsschreibens, berichtete Hohl, habe ihm Bundespräsident Körner verraten, er lese Tag und Nacht die Akten des Wiener Kongresses und studiere insbesondere dabei das Verhalten der Schweiz. Hohls erste Analyse kam rasch zu Kernfragen : Grundsätzlich sei die Bereitschaft der Sowjetunion zum Staatsvertrag mit anschließender Neutralitätserklärung nicht ein Zeichen neu entdeckter Sympathie für Österreich, sondern Teil eines großen strategischen Plans. Die politische Führung im Kreml wolle sich und ihre sozialistischen Verbündeten mit Jugoslawien, Österreich, Schweiz, Schweden und Finnland mit einem neutralen Gürtel umgeben, d. h. mit Staaten, »die keine kriegerischen Absichten hegen«. Ein wichtiger Grund zum Einlenken liege im Osten. Das Verhältnis Russland−China sei zurzeit nicht besonders herzlich. China lasse sich nicht mehr als Satellitenstaat behandeln und habe in der Bandung-Konferenz gezeigt, dass es eigenständig entscheiden wolle und könne. Der radikale Umschwung der sowjetischen Politik sei ein Zeichen dafür, dass man freie Hand gegenüber dem Osten gewinnen wolle. Diese Beurteilung ist aus heutiger Sicht nicht zwingend richtig, doch fehlt der Aktenzugang, um sie quellengestützt zu werten. Zwei Tage nach der Souveränitätserklärung der BRD löste die Sowjetunion am 7. Mai ihre Freundschaftsabkommen mit Großbritannien und Frankreich auf. Am 9. Mai wurde die BRD offiziell Mitglied der NATO. Am 14. Mai begann die Außenministerkonferenz, die eigentlich nur noch die ausgehandelten Kompromisse zu sanktionieren hatte. Am gleichen Tag wurde der Warschauer Pakt feierlich unterzeichnet. Wie Feldscher bereits im Dezember gemeldet hatte, entzog sich damit die Sowjetunion der Verpflichtung, gemäß den Friedensverträgen von 1947 ihre Truppen aus Ungarn und Rumänien abzuziehen, sobald Österreich ein souveräner Staat sein würde. Dann kam der 15. Mai, der »Tag der Freiheit«. Der Gesandte meldete zwei Tage später, es sei kaum ein Freudentag und die Stimmung eher gedämpft gewesen. Die Befreiung sei keineswegs mit übermäßigem Jubel gefeiert worden, trotz »eines der markantesten Daten der österreichischen Geschichte«.70 Hauptgründe dafür seien in der schwierigen Wirtschaftslage und in einer »gewissen Skepsis« über die künftige innenpolitische Entwicklung zu suchen. Dennoch sei es ein bedeutender Tag, das Ende der 17-jährigen Unfreiheit. In der Ersten Republik hätten die Österreicher »infolge mangelnden Selbstvertrauens und weit verbreiteten Liebäugelns mit einem Anschluss an das Reich den Glauben an den Sinn und die Lebensfähigkeit des Staates 69 Vgl. Bericht Nr. 1 vom 4. Mai 1955, BAR E 2300, Akz. 100/716, Bd. 525. 70 Vgl. Bericht Nr. 2 vom 17. Mai 1955, BAR E 2300, Akz. 100/716, Bd. 525.

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immer mehr verloren«. Die Zweite Republik dürfe nun »einen wesentlichen Wandel in der inneren und äußeren Haltung des Staatsvolkes für sich verbuchen«. Die Menschen hätten ein bewundernswürdiges, immer stärker werdendes Selbstvertrauen gezeigt »und einen durch nichts ins Wanken zu bringenden Glauben an die endliche Wiederherstellung der Freiheit bewiesen«. Den nicht zuletzt für die Schweiz relevanten Satz sprach im Rahmen der feierlichen Unterzeichnung des Staatsvertrags der sowjetische Außenminister Molotow : »Die Regierungen der Sowjetunion, die Vereinigten Staaten von Amerika, Großbritanniens und Frankreichs erklären hiermit, dass die Sowjetunion, die Vereinigten Staaten von Amerika, Großbritannien und Frankreich den Status einer dauernden Neutralität Österreichs in der Art, wie sie die Schweiz in ihren Beziehungen mit anderen Ländern beobachtet, berücksichtigen und einhalten werden.« Damit ist unser Kreis geschlossen. Das »annus mirabilis« Österreichs hat wie das »Wunder an der Marne« im September 1914 reale und irreale Gründe. Als Hauptgrund für die Ermöglichung dieses Wunders ist die neue sowjetische Strategie der »friedlichen Koexistenz« zu nennen. Sie war ein globales Konzept mit einem existenziellen Bedürfnis nach Sicherheit. Zum Zweiten war der Versuch, ganz Deutschland zu neutralisieren, gescheitert. Die sowjetische Führung unter Chruschtschow hat auf die von ihr als Provokation hingestellte Aufnahme der Bundesrepublik und Italiens in die NATO mit der Gründung des Warschauer Pakts reagiert. Es könnte sein – leider fehlen uns die Quellen –, dass die Verteidigungsabsicht dieses Bündnisses mit einem sichtbaren Zeichen der Öffnung und Großzügigkeit gekoppelt werden sollte : mit der Entlassung des jahrelang als Faustpfand behandelten Österreich in eine völkerrechtlich abgesicherte politische Freiheit. Mit der unscharfen Formel »Neutralität nach dem Muster der Schweiz« war anscheinend ein gemeinsamer Nenner gefunden worden, der half, die zehn Jahre blockierten Bemühungen zur Wiederherstellung der Unabhängigkeit Österreichs zu einem erfolgreichen Abschluss zu bringen. Die Abkehr vom Vorbild Schweiz Die aufgrund der Berichte des schweizerischen Gesandten in Wien nachgezeichnete Geschichte des Staatsvertrags in den Jahren 1952−1955 erlaubt es, in Umkehrung der üblichen Sichtweisen, drei Thesen zur österreichischen Neutralität aus Schweizer Sicht zu formulieren. Zuerst das Gemeinsame und dann das Trennende. 1955 haben bei der Lösung der Österreichfrage vorwiegend strategische Interessen der Großmächte eine Rolle gespielt. Das strategische Gut Nr. 1 Österreichs war zweifellos die geopolitische Lage am »Eisernen Vorhang«.71 War das Gebiet neutral, so 71 Vgl. Magenheimer, Heinz : Zur geopolitischen Lage Österreichs (Schriftenreihe der Landesverteidigungs-

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war es völkerrechtlich gesichert, erfüllte eine ähnliche strategische Funktion wie in früherer Zeit die Gründung eines Klosters in einer umstrittenen Zwischenzone. Eine besondere Bedeutung kommt – drittens – dem Sicherheitsgeflecht des Warschauer Pakts zu. Die gekonnte Inszenierung der beiden Vertragsabschlüsse Mitte Mai war kein Zufall. Die österreichische Neutralität war eine strategische Entscheidung der Sowjetunion, nachdem die BRD sich mit westalliierter Unterstützung der NATO angeschlossen und sich eine Neutralisierung Deutschlands als ungangbarer Weg erwiesen hatte. Das strategische Gut Nr. 2, die Alpentransversalen, war zweifellos wichtig auch im Zeitalter der Luftstraßen. In der österreichischen Interpretation liest sich das häufig wie folgt : »Vor allem für die Sowjetunion war es wichtig, dass durch den neutralen Alpenkeil Schweiz−Österreich die Nordflanke der NATO von deren Südflanke abgeschnitten wurde.«72 Dem ist mehreres entgegenzuhalten : 1. Die Sowjetunion konnte mit einem neutralen Österreich verhindern, dass ohne Bruch des Völkerrechts westliche Angriffsvorbereitungen im Süden der Tschechoslowakei vorgenommen werden konnten. Dem Westen wiederum war das Vermeiden einer definitiven Teilung des Landes und insbesondere der Hauptstadt anscheinend der Verlust der Besetzungszonen wert. Die wichtige Operationsachse Donautal blieb aber für die NATO eine Achillesferse. 2. Die Schaffung eines neutralen Alpenriegels, der NATO Mitte und NATO Süd voneinander trennte, wird u. E. überbewertet. Richtiger dürfte wohl sein, was einer der ausgewiesensten Experten des Kalten Krieges und der antagonistischen Bündnisse, Vojtech Mastny, meint, dass nämlich die Unterbrechung der von Deutschland via Österreich nach Italien führenden Verbindungswege der NATO für Moskau »lediglich ein Nebenprodukt« seines mit der »Neutralisierung« Österreichs hauptsächlich angestrebten Ziels gewesen sei. Dieses »vorrangige Ziel« habe darin bestanden, »weitere Positionsverluste in Zentraleuropa zu vermeiden ; schließlich drohte die Ausweitung des sich entwickelnden westlichen Verteidigungssystems über Deutschland hinaus in den vom Westen besetzten größeren Teil Österreichs«.73 Mit anderen Worten : Den Sowjets sei es darum gegangen, akademie 7/2002), Wien 2002 ; Reiter, Erich (Hg.) : Die sicherheitspolitische Lage in Mitteleuropa (Studien und Berichte zur Sicherheitspolitik 1/2006), Wien 2006. 72 Hauser, Gunther : Österreich – dauernd neutral ? (Studien zur politischen Wirklichkeit 14), Wien 2002 ; Hauser, Gunther : Österreichs Sicherheitspolitik zwischen Neutralität und Solidarität, in : Truppendienst Teil I 2/44 (2005), S. 115−121, und Teil II 2/44 (2005), S. 210−216, hier : 2/2005, S. 115. 73 Mastny, Vojtech : Die NATO im sowjetischen Denken und Handeln 1949−1956, in : Militärgeschichtliches Forschungsamt (Hg.) : Entstehung und Probleme des Atlantischen Bündnisses, München 2003, S. 440.

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»Österreichs ›Anschluss‹ – das Codewort für Österreichs Integration in ein sich weiterentwickelndes westliches Bündnis bzw. an Westdeutschland – zu verhindern. Diese Auffassung stimmt mit unseren Forschungen in den osteuropäischen Archiven überein. Das dritte strategische Gut, die autonome und einem Kleinstaat zumutbare Landesverteidigung als stabilisierender Faktor in einer Zwischenzone und als Bedingung einer glaubwürdigen Neutralität, spielte für beide Großmächte eine wichtige Rolle. Wir werden diesen Aspekt noch vertiefen. Die Stabilität des Staates als viertes strategisches Gut und als unabdingbare Grundlage für Freiheit und Unabhängigkeit eines Volkes lässt sich ebenfalls leicht nachweisen. Wien konnte dank der inneren Sicherheit wie Genf zu einer weit im Osten liegenden diplomatischen Plattform für die Vereinten Nationen und andere internationale Gremien ausgebaut werden. 1956 tagte in Wien die Internationale Atomkonferenz, und im folgenden Jahr wurde Wien zum Sitz der neuen Atombehörde (International Atomic Energy Agency ›IAEA‹). Es folgten zahlreiche internationale Konferenzen, u. a. über Weltraumfragen, und 1965 wurde Wien Sitz der neuen UNOrganisation für industrielle Entwicklung (United Nations Industrial Development Organisation ›UNIDO‹). Den Höhepunkt dieser Entwicklung stellte die Errichtung des Internationalen Zentrums dar, meist kurz »UNO-City« genannt. Damit wurde Wien 1979 die dritte »Hauptstadt« der Vereinten Nationen nach New York und Genf. Diese internationale diplomatische Plattform in einem neutralen Land lag zweifellos im Interesse beider globaler Kontrahenten. Nicht problemlos ist der Schluss, den man Bruno Kreisky zuschreibt, dieses UNO-Zentrum ersetze ihm gut und gern zwei Panzerdivisionen, die dann auch folgerichtig das österreichische Bundesheer nie hatte. Anscheinend war Kreisky die Gastgeberrolle wichtiger als eine starke militärische Landesverteidigung »nach dem Schweizer Vorbild«. Das fünfte strategische Gut, die wirtschaftliche Potenz, war ein politischer Spielball. Eine Seite, die davon profitierte, war zufrieden, und diejenige, die sich benachteiligt fühlte, konnte eine Verletzung der Neutralitätspflichten reklamieren. Grundsätzlich ist die wirtschaftliche Gesundheit die Voraussetzung für gesellschaftliche Stabilität und damit für die Ruhe im Inneren. Zusammenfassend stellen wir für die Wichtigkeit aller strategischen Güter eine große Übereinstimmung zur Schweiz fest. Die Unterschiede liegen in der historischen, politischen, kulturellen und geografischen Andersartigkeit. Die österreichische Außenpolitik war in der Folge ein Balanceakt zwischen den beiden Machtblöcken. Vieles deutet darauf hin, ohne dies hier zu vertiefen, dass der unbestreitbare Erfolg dieser Neutralitätsstrategie wie in der Schweiz ein Wert an sich wurde.

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Der UNO-Beitritt Staatssekretär Bruno Kreisky hat in der Diskussion nach dem Staatsvertrag betont, dass Österreich den Inhalt seiner Neutralität selbst zu bestimmen habe. Österreichs Neutralität werde von der Schwedens oder der Schweiz so verschieden oder ihnen so ähnlich sein, wie das Profil dieser Staaten Österreich ähnlich sei oder aber abweiche. Wie die Schweiz habe Österreich die immerwährende Neutralität gewählt, während Schweden es als Sache der Außenpolitik ansehe, bündnisfrei zu sein, und bloß eine gelegentliche Neutralität verfolge. Österreich werde aber den Weg in die Vereinten Nationen gehen, im Gegensatz zur Schweiz.74 Äußerlich funktionierte die bilaterale Zusammenarbeit der beiden immerwährend Neutralen bestens. Die gegenseitigen Konsultationen schufen dazu die Basis. Doch bereits im Spätherbst 1955 begannen sich die Wege zu trennen. Österreich suchte – Kreisky hatte es vorgezeichnet – die Sicherheit in der UNO. Die schweizerischen Überlegungen waren völlig anders und sollen hier resümiert werden, um den grundsätzlich anderen Weg zu verstehen. Die erste Phase 1946−1953 : Isolation 1945 stellte sich die Frage : Soll die Schweiz der UNO beitreten und ein Beitrittsgesuch stellen ?75 Sie befand sich in einer schwierigen Lage. Da man nicht im Verteiler der Einladungen figurierte, hatte man das Gefühl, man brauche einen Paten und betrachtete dazu Frankreich als am geeignetsten. Dieses machte sich aber gegen jede 74 In einem schweizerischen Gutachten wird erwähnt, Österreich habe bereits am 2. Juli 1947 seine Kandidatur angemeldet und diese am 23. August 1954 wiederholt. Micheli, Position de la Suisse à l’égard de l’organisation des Nations Unies, 30. Jänner 1956, BAR E 2800 1967/60. Am 22. August 1955 meldete Botschafter August E. Lindt, Schweizer Beobachter bei der UNO, »L’Observateur autrichien a reçu instructions déclarer dans conversations avec délégations que l’Autriche, en demandant l’admission aux Nations Unies, ne pose aucune condition et ne désire notamment pas de statut spécial«. Der Sicherheitsrat sei der Meinung, dass eine Übereinstimmung der österreichischen Neutralität mit der UNO-Charta bestehe. »La neutralité autrichienne ayant été reconnue par tous les Etats, on doit admettre qu’ils reconnaîtront aussi à l’Autriche le droit d’abstention lors d’une action en exécution d’une décision de l’ONU. La Suède, par exemple, s’est bornée, lors de la guerre de Corée, à fournir des ambulances et une aide sanitaire. L’Autriche, comme la Suède, en qualité de membres neutres de l’ONU, seront au service de la paix.« Diese Regelung sei nur wegen der »österreichischen Unklarheit« ermöglicht worden. 75 Vgl. dazu dazu:: Akten BAR E 2800 1967/60, Accession de la Suisse aux Nations Unies. U.a. Micheli, Position de la Suisse à l’égard de l’organisation des Nations Unies, 30. Jänner 1956. Eine Umfrage des Instituts suisse de l’opinion publique (ISOP) hatte im Frühling 1946 auf die Frage La Suisse doit-elle maintenir sa neutralité même si cette décision l’empêche de collaborer à l’Organisation des Nations Unies ? 55 % ja ; 11 % nein ergeben. Eine andere Umfrage (Analyse économique et sociale S.A) von 1947 ergab auf die Frage Soll die Schweiz der UNO beitreten unter Vorbehalt der Neutralität ? 57 % ja, 21 % nein.

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Form der Neutralität stark. In einem Bündnis der Sieger hatte ein Neutraler keinen Platz. Der Schweizer Bundesrat Max Petitpierre traf sich am 9. Oktober 1946 mit Paul Henri Spaak, dem damaligen Präsidenten der UNO-Generalversammlung, in Paris und erklärte ihm den schweizerischen Verzicht. Spaak verstand die schweizerische Position nicht zuletzt wegen der Verschonung in zwei Weltkriegen. Er wünschte keine unnötige Diskussion über die Neutralitätsfrage und riet, kein Beitrittsgesuch zu stellen. In allen technischen Bereichen sollte man aber im Rahmen der Möglichkeiten mitmachen. »Stillhalten«, war sein Rat. Die Türen für die Schweiz seien nicht für immer zu, aber der Neutralitätsvorbehalt würde zurzeit unerwünschte Präjudizien schaffen.76 Ein UNO-Befürworter im Berner Außenministerium, Carlo Schmid, meinte demgegenüber, die Schweiz möge doch das Erstgeburtsrecht der Neutralität gegen das Linsengericht der UNO-Mitgliedschaft tauschen. Man war sich aber schließlich einig, dass keine Eile notwendig sei. Das blieb bis 1953, obwohl insbesondere die Skandinavier immer wieder drängten, Europa sei ohne die Schweiz ungenügend vertreten, ein Abseitsstehen bedauerlich. Man solle auf die Neutralitätsklausel verzichten und nur bei der Aufnahme eine kleine Erklärung abgeben, die dann im Protokoll festgehalten werde.77 Petitpierre gab an seinen Delegierten bei der UNO, August E. Lindt, am 30. September 1953 die Weisung, er solle weiterhin zurückhaltend sein. Die schweizerische Bevölkerung sehe nicht ein, dass der Beitritt in ihrem Interesse sei. Die zweite Phase : 1954−1989 – Souveränität, Solidarität, Disponibilität 1954 eröffnete sich für die schweizerische Diplomatie eine Chance, aus der politischen Isolation auszubrechen. Petitpierre schlug eine offensive Strategie vor. Die Schweiz wähle sich ihre Aufgaben selber. Er schlug drei strategische Leitlinien vor : Souveränität, Solidarität und Disponibilität. Der Bundesrat war nach längerer Diskussion bereit, sich als »neutraler« Vertreter des westlichen Bündnisses zusammen mit Schweden in die Waffenstillstandskommission für Korea berufen zu lassen.78 Damit stellte sich ein weiteres Mal die Frage des UNO-Beitritts. Gottlieb Duttweiler, der Gründer der Einkaufskette »Migros«, versuchte in einem Postulat einen ähnlichen 76 Am 13. Juni 1954 sagte auch der damalige UNO-Generalsekretär Dag Hammarskjöld in Bern, die Schweiz habe alles Interesse, draußen zu bleiben ; es bestehe kein Grund zum Beitritt, nicht einmal mit Sonderstatut. In einem Interview betonte er: er : »La Suisse représente une ligne. La Suède représente une variante de cette ligne. La position de la Suède a permis que ce pays fasse partie pleinement des Nations Unies. Le cas de la Suisse ne le permet pas.« 77 Lindt an Petitpierre, Vertraulich, 11. September 1953, BAR E 2800 1967/60. 78 Vgl. Hürsch, Erhard/Kaufmann, Adolf/Niederberger, Peter/Real Fritz/Urner, Klaus : Dreißig Jahre Schweizerische Korea-Mission 1953–1983, 2. Aufl., Zürich 1983.

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Sonderstatus zu erwirken, wie er 1920 im Londoner Protokoll für den Völkerbund festgehalten worden war.79 Er blieb ohne Erfolg. Jede Diskussion über die Neutralität schwäche die eigene Position, war die Meinung des Außenministers. Die Österreichfrage stand dann 1955 im Mittelpunkt des Interesses. Das »Moskauer Memorandum«, das die immerwährende Neutralität, »wie sie von der Schweiz gehandhabt wird«, festlegte, war aufmerksam zur Kenntnis genommen worden. Dieser Prozess wurde als klare Aufwertung der Neutralität und als Präzedenzfall wahrgenommen.80 Der Staatsvertrag und die anschließenden Diskussionen verursachten einen Handlungsdruck. Petitpierre anerkannte am 14. Oktober 1955 in einem Rundschreiben an alle Auslandsvertretungen die zunehmende Globalisierung der UNO. Der Bundesrat sei der Meinung, dass die Wandlung aus dem früheren Bündnis der Siegermächte in eine weltumspannende Organisation, in der auch die Verlierer des Krieges Platz fänden, Fortschritte gemacht habe. Daraus entstünden zunehmend Schwierigkeiten für die schweizerische Haltung, aber die Entscheidung über ein Beitrittsgesuch liege allein beim Volk und bei den Kantonen. Hier sei aber keine Zustimmung zu erwarten. Ein UNO-Beitritt ohne Neutralitätsvorbehalt sei innenpolitisch zurzeit chancenlos.81 An dieser Stelle muss darauf hingewiesen werden – und dieser Hinweis kann nicht wichtig genug genommen werden –, dass die direkte Demokratie der Schweiz den Volksrechten eine einzigartige Position gibt. Ein UNO-Beitritt oder jedes Bündnis von dieser Tragweite waren und sind ausschließlich Sache eines Volksentscheides und nicht des Bundesrates oder des Parlamentes. Ende November 1955 nahm Lindt an einem Nachtessen in der finnischen Botschaft teil. Die Finnen forderten vehement den UNO-Beitritt der Schweiz. Die europäischen Neutralen würden dann einen größeren Einfluss haben. Auf den Einwand, die Charta verbiete einen Sonderstatus der Schweiz, welcher ausdrücklich von allen Sanktionen dispensieren würde, antwortete der Gastgeber : »Wenn aber der Beitritt des neutralen Österreich ohne Sonderregelung möglich ist, sollte sich auch für die Schweiz, deren Neutralität doch so viel besser verankert und anerkannt ist, die Möglichkeit einer Mitgliedschaft in Erwägung ziehen lassen. Eine unilaterale Erklärung vor dem Beitritt, welche die ständige Neutralität bekräftige, könnte die notwendige Klärung schaffen. Es wäre überaus bedauerlich, wenn schließlich die Schweiz als einziger wesentlicher westeuropäischer Staat der Weltorganisation nicht

79 Petitpierre über Postulat Duttweiler, 15. September 1954, BAR E 2800 1967/60. 80 Vgl. Pfeifer, Helfried : Der österreichische Staatsvertrag, in : Archiv für Völkerrecht, Band V 1955/56, S. 296–307 ; Pfeifer, Helfried : Werden und Wesen der Republik Osterreich. Tatsachen und Dokumente, Wien 1966. 81 Petitpierre über Postulat Duttweiler, 15. September 1954, BAR E 2800 1967/60.

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angehören würde.«82 Den Einwand, Kleinstaaten könnten nichts bewirken, denn bei wichtigen politischen Fragen entschieden die Großmächte doch allein und die Kleinen seien dazu verurteilt, »eine recht unwesentliche Begleitmusik zu spielen«, ließ der Gastgeber nicht gelten. Sein schwedischer Kollege Rickard Sandler versuchte zu vermitteln, indem er sagte : »Wichtiger als diese Mitarbeit aber ist für Europa der Umstand, dass die schweizerische Neutralität nicht die geringste Schwächung erfährt. Wäre der Beitritt der Schweiz nur um diesen Preis zu erzielen, würde ich es im Interesse Europas vorziehen, dass die Schweiz außerhalb der Vereinigten Nationen bleiben würde.« Mit großem Interesse wurde das Statement des sowjetischen Außenministers vom 3. Dezember 1955 vor einer österreichischen Parlamentarierdelegation in Moskau aufgenommen. Molotow soll gesagt haben : »Wir glauben, dass es für alle Völker wichtig ist, wenn jetzt an der Seite der Schweiz noch ein anderer neutraler Staat in Europa besteht. Wir sind gegen die Bildung von militärischen Gruppierungen in der ganzen Welt und insbesondere in Westeuropa, denn eben gerade in Europa haben sich als Folge von verschiedenen Militärgruppierungen der erste und der zweite Weltkrieg ereignet.«83 Als am 14. Dezember 1955 Österreich und weitere 15 Nationen84 in einem großen Paket ohne Diskussion über die Vereinbarkeit der Neutralität mit der Charta in die UNO aufgenommen wurden, verschärfte sich die Situation erneut. Eine Auswirkung auf die eigene Position sah man vorerst nicht, da die UNO die Neutralität Österreichs nicht explizit anerkannt hatte. Eine sorgfältige Beurteilung der Situation wurde durch Lindt am 3. Februar 1956 vorgenommen.85 Darin stellte er fest, Öster82 Lindt an Petitpierre, Vertraulich, 30. November 1955, BAR E 2800 1967/60. 83 Neue Zürcher Zeitung, 5. Dezember 1955, zitiert nach : Politische Berichte des schweizerischen Gesandten in Wien 1955, BAR E 2300, Akz. 100/716, Bd. 525. 84 Lindt an Petitpierre, Vertraulich, 26. September 1955, BAR E 2800 1967/60. Lindt meldet, der Druck auf die USA wegen der Neueintritte sei groß. Sie hätten die ablehnende Haltung gegen Neuaufnahmen weitgehend aufgeben. Besonders aktiv seien die Bandung-Staaten unter der Führung Indiens (Shawansankara Menon). Die Argumentation der Blockfreien sei : UNO = Universalität ; es müssten alle Staaten Aufnahme finden, deren Souveränität unbeschränkt sei. Probleme gäben die Aufnahme Japans und Italiens. Italien fürchte, dass die Asiaten vor ihnen aufgenommen würden, und fordert die USA zur Unterstützung auf. Auch die Regierung in Tokio brauche einen Prestigegewinn. Die UdSSR werde sich wahrscheinlich nicht mit dem Veto gegen eine Aufnahme Japans stellen ; Molotow habe in seiner Rede vom 23. September seine bisherige Position (kleiner »package deal« = Aufnahme derer, mit denen die Großmächte Friedens- oder Staatsverträge abgeschlossen haben) aufgegeben und sei zu einer Aufnahme bereit, bevor ein Friedensvertrag abgeschlossen sei (großer »package deal« = Aufnahme aller Kandidaten). Auch Großbritannien und Frankreich verließen ihre ablehnende Haltung, weil sie eine Stärkung der Antikolonialpartei und den Verlust der Möglichkeit einer ⅔-Mehrheit der Siegerstaaten des Zweiten Weltkrieges befürchteten. Übereinstimmung herrsche in der Meinung, dass geteilte Länder nicht aufgenommen würden. 85 Minister August Lindt (Beobachter UNO) an Petitpierre, Vertraulich, 3. Februar 1956, Schweiz und Ver-

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reich halte die bedingungslose Mitgliedschaft mit der Neutralität vereinbar. Lindt konnte dieser »einseitigen« österreichischen Auslegung wenig abgewinnen. Art. 1 und 2 (5) der Charta bestimmten eine allgemeine Sanktionspflicht ; alle Mitgliedstaaten seien automatisch beteiligt (wirtschaftlich und politisch). Ohne Chartaänderung oder Beschluss des Sicherheitsrats könne man von nicht-militärischen Sanktionen nicht befreit werden.86 Die Neutralität spiele nur bei militärischen UNO-Einsätzen eine Rolle. Die Meinungsverschiedenheiten im österreichischen Kabinett hätten gezeigt, dass nicht alle diesem Ränkespiel folgen wollten. »Die Opposition verstummte jedoch angesichts der Schutzlosigkeit Österreichs, das noch jahrelang keine wirksame Landesverteidigung besitzen und auf die Protektion der Vereinigten Nationen angewiesen sein wird, so symbolisch diese auch sein mag.« Er zog den Schluss, die Schweiz dürfe dieser gewagten juristischen Deutung auf keinen Fall folgen, denn auch im besten Falle würde dies die Preisgabe der integralen Neutralität (Pflicht zur Beteiligung an nichtmilitärischen Sanktionen) bedeuten und nur noch eine differenzielle wie im Völkerbund sein. Der Beitritt bewirkte die Abwertung der schweizerischen Neutralität »auf das Niveau der österreichischen Neutralität«. Zahlreiche Delegationen sähen in dem Vorgehen Österreichs einen Fingerzeig dafür, wie stark sich das Maß der österreichischen von der schweizerischen Neutralität unterscheide. Nur ein Beitritt mit Sonderstatut, das die Schweiz von der Sanktionspflicht in allen Fällen entbinde, wäre mit der integralen Neutralität kompatibel. Aber auch jetzt wäre der Erfolg einer solchen Lösung zweifelhaft. einigte Nationen I–IV, BAR E 2800 1967/60. Lindt sieht im Umfeld des Ost-West-Gegensatzes vier mögliche Verhaltensweisen : a) neutralisierte Gruppe unterstützen (Indien, Jugoslawien, Schweden), Versuch des Ausgleichs der Gegensätze ; Nachteile : Verwischung Neutralität/Neutralismus/Neutralisierung ; in Problemen, die die Schweiz nicht direkt betreffen (z.B. Kolonialfragen), ist nur vorsichtige Zurückhaltung möglich ; diese Option setzt eine aktive Außenpolitik voraus, welche die Schweiz nicht gewohnt ist. b) Bildung einer eigenen Gruppe, Nachteil : »Dass die Schweiz in der U.N., ohne jeden Anschluss an bestehende Gruppierungen, in diesen Fragen selbständig eine politische Aufgabe erfüllen könnte, scheint mir unwahrscheinlich.« c) Stimmenthaltung in heiklen Abstimmungen, Nachteil : ist nicht möglich, wenn die Stimmenthaltung gegen die Interessen der USA wäre. d) Einem Block beitreten. Es sei einfacher, nur in den wirtschaftlichen, gesellschaftlichen, international-rechtlichen und technischen Organisationen mitzuarbeiten, auch wenn auch hier der Ost-West- und der kolonial-antikoloniale Gegensatz eine erschwerende Rolle spielen würde. »Allgemein scheint mir aber die Feststellung richtig, dass die Schweiz als Mitglied der Vereinigten Nationen im Zeitalter der Großmachthegemonie – die sich im Laufe der Entwicklung der Atomenergie noch verstärken kann – und des Großmachtwettbewerbes – der sich von neuen zum eigentlichen Konflikt steigern mag – keine wirklich ersprießliche Rolle spielen könnte. Wenn es schwierig ist, als Folge unseres Beitrittes die Möglichkeit einer Steigerung des internationalen Ansehens der Schweiz vorauszusehen, lässt sich ohne große Einbildungskraft eine Schwächung dieses Ansehens erwarten.« 86 Diese Bemerkung betrifft Art. 41 (vollständiger oder teilweiser Abbruch der wirtschaftlichen Beziehungen, der Transport- und PTT-Verbindungen, der diplomatischen Beziehungen etc.) und Art. 43 die Ausführungsbestimmung für das Sanktionsrecht.

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Es sei keine Chartaänderung denkbar wegen eines solchen Falles. »Die Achtung der schweizerischen Neutralität kann mehr von ihrem tatsächlichen, undiskutierten Ansehen als von einer formellen Anerkennung abhängen.« Zudem sei dieser Weg nach dem Beitritt Österreichs ungangbar geworden, weil er jetzt als Affront gegen Österreich verstanden würde. Die Großmächte seien für solche Sonderwünsche nicht zu haben ; die USA hätten versprochen, dass Österreich keine Nachteile erwüchsen, und die UdSSR habe großes strategisches Interesse an der österreichischen Neutralität. Botschafter Lindt relativierte abschließend den durch den Beitritt Österreichs entstandenen Optimismus mit der Feststellung : »Je höher die Spannung ist, die emotionell zur Einteilung der Staaten in schwarze und weiße, Feinde und Freunde führt, umso weniger geneigt sind die Großmächte, die Berechtigung der Neutralität anzuerkennen. Es würde mir deshalb gefährlich scheinen, der wohl doch nur zeitbedingten neutralitätsfreundlichen Stimmung allzu große Bedeutung beizumessen. Denn Sanktionen werden immer dann akut, wenn die internationale Lage sich verschärft hat.«87 Der »Sonderfall Schweiz« wurde jedoch in diesem Umfeld der Entspannung immer offensichtlicher. Lindt wurde an einem Empfang bei John F. Dulles auf die Situation so angesprochen : »Bald werden nur noch die Äußere Mongolei und die Schweiz außerhalb der Vereinten Nationen stehen. Wird dieser Umstand die Haltung der Eidgenossenschaft beeinflussen ?« Andere Signale erhielt Lindt vom UNO-Generalsekretär Dag Hammarskjöld : Die Beziehungen Schweiz−UNO seien »ideal« ; er wünsche keine Änderung. Es kam wiederum zu keinem Beitrittsgesuch.88 Die Doppelkrise von 1956 verdrängte die UNO-Frage für einige Jahre von der Traktandenliste. Im Juni 1960 wurde der Bundesrat durch eine parlamentarische Anfrage erneut herausgefordert89 : »Angesichts der Bewaffnung, über welche einige Großmächte 87 Bericht Lindt : Die Schweiz und die Vereinigten Nationen, III, 10. Februar 1956, BAR E 2800 1967/60. 88 Petitpierre signalisierte am 14. Oktober 1955 an seine Diplomaten, der Bundesrat anerkenne die zunehmende Globalisierung der UNO, die Wandlung aus dem früheren Bündnis der Siegermächte in eine weltumspannende Organisation und die daraus verstärkten Schwierigkeiten für die schweizerische Haltung, aber die Entscheidung liege allein beim Volk und bei den Kantonen. Hier sei aber nichts zu erwarten. Ein UNO-Beitritt ohne Neutralitätsvorbehalt sei innenpolitisch chancenlos. (»… que la Suisse aurait aussi à examiner si, sur le plan international, elle ne peut pas être utile en restant en dehors des Nations Unies qu’en faisant partie de celles-ci. Ce pourrait être le cas notamment dans des affaires où les Nations Unies comme telles sont intéressées et contituent une partie à un litige ou à un conflit. Dans les affaires asiatiques, en particulier dans celle de Corée, il y a eu peut-être un avantage à ce que les Nations Unies et la China puissent discuter sur le territoire d’un pays absolument neutre et indépendant de l’une et l’autre des parties«.) Zudem erleichtere das IKRK die Vermittlungstätigkeit der Schweiz. Minister August Lindt (Beobachter UNO) an Petitpierre, Vertraulich, 3. Feburar 1956 : Schweiz und Vereinigte Nationen II, BAR E 2800 1967/60. 89 Schriftliche Anfrage Georges Borel, 15. Juni 1960, BAR E 2800 1967/60.

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zur Zeit ausschließlich verfügen, erscheint es je länger je mehr fraglich, ob sich die Schweiz trotz der beachtlichen Anstrengungen der letzten Jahre auf dem Gebiet des Militärwesens im Falle eines künftigen Krieges mit Erfolg verteidigen könnte. Ist der Bundesrat bei dieser Sachlage nicht der Auffassung, dass auf anderen Wegen eine Festigung unserer Unabhängigkeit erstrebt werden sollte, wobei insbesondere die Frage eines Beitritts der Schweiz zur UNO unter dem Vorbehalt der Anerkennung unserer militärischen Neutralität zu prüfen wäre.« Die Antwort des Bundesrates war offen und klar. Die Landesregierung sei nicht der Meinung, dass ein UNO-Beitritt die nationale Unabhängigkeit stärken würde ; im Gegenteil, eine Diskussion über die schweizerische Neutralität könne die internationale Stellung unter Umständen − je nach der Wendung, die diese Diskussion nähme − eher schwächen. Ein Beitritt dränge sich zurzeit nicht auf. Die Schweiz habe beste Beziehungen zum Generalsekretariat und zum Sitz in Genf und tue alles, um als neutraler Staat Hilfe zu leisten und nützlich zu sein. Man sei in den meisten technischen Sektoren dabei (UNICEF, FAO etc.) und in Flüchtlingsfragen sogar führend (ein Schweizer war während einer Amtsperiode Leiter des Hochkommissariats). »Der Bundesrat lässt kein Mittel außer Acht, um die Unabhängigkeit unseres Landes zu gewährleisten. Er ist der Überzeugung, dass die Landesverteidigung als eines dieser Mittel ihren vollen Wert behält und dass das Schweizervolk seine Anstrengungen fortsetzen muss, damit unsere Armee fortwährend in der Lage ist, die Aufgaben, die ihr die Umstände aufzwingen könnten, zu erfüllen.« Wie immer in diesen Jahren wurde Botschafter Rudolf Bindschedler mit einer Expertise beauftragt.90 Nach einer rechtlichen Belehrung meinte er wertend : Für einen Beitritt spreche die gesteigerte Universalität der UNO. Nur noch Japan, geteilte Staaten und Kleinstaaten müssten abseits bleiben. Hier habe die Schweiz eine Solidaritätspflicht. »Die Aufrechterhaltung von Frieden und Sicherheit, wo es auch immer sei, berührt infolge der Rückwirkungen jedes auch lokalen Konfliktes und im Interesse der Vermeidung eines Weltkrieges jeden Staat. Die Schweiz ist mit der Welt nicht nur wirtschaftlich enger verflochten als manch anderer Staat. Sie hat ein Interesse daran, in allen Fragen, die sie berühren könnten, mitzusprechen und ihren − mäßigenden − Einfluss geltend zu machen.« Die UNO könne auch um Hilfe und Schutz angegangen werden. Ein alleiniges Abseitsstehen werde nicht verstanden. Die Argumente dagegen fasste er so zusammen : Kollektive Sicherheit und Neutralität lassen sich nicht vereinbaren. Ein Abseitsstehen ist ein Zeichen der Stärke und unterstreicht den »Sonderfall«. Die Wahrung der Interessen bleibt auch außerhalb der UNO möglich. Zudem verlangt die Aufrechterhaltung der Unabhängigkeit keinen Beitritt, und Hilfe kann auch sonst angerufen werden. Fremde Hilfe ist sowieso problematisch und der höchstmöglichen Autonomie nie vorzuziehen. Wenn kein 90 Gutachten Prof. Rudolf Bindschedler, 11. Juli 1960, 60 Seiten, BAR E 2800 1967/60.

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Vertrauen in die eigene Verteidigungsfähigkeit besteht, dann soll man die Neutralität aufgeben und einen Anschluss an ein militärisches Bündnis suchen. Er führte weiter aus, wegen der Zweiteilung der Welt seien die mit dem Neutralitätsstatus in besonders hohem Maße nicht zu vereinbarenden Sanktionsrechtsätze der Charta der Vereinigten Nationen (7. Kapitel) zurzeit sowieso obsolet. Der schwedische Außenminister habe am 20. November 1954 vor Studenten in Oslo zu Recht gesagt, wenn kollektive Sicherheit unter dem Völkerbund eine bloße Fiktion gewesen sei, dann sei sie unter der UNO eine Utopie. Diese Beurteilung gelte immer noch. Nur das Recht zur kollektiven und individuellen Selbstverteidigung (Art. 51) sei noch intakt. Die Weltpolitik sei wieder von Militärbündnissen beherrscht und das Lavieren zwischen diesen außerordentlich schwierig. »Das Auftreten Finnlands, das so behutsam jeder Möglichkeit, Anstoß zu erregen, aus dem Wege geht, bedeutet manchmal für alle ein peinliches Schauspiel.« Er sehe deshalb keine zwingende Notwendigkeit, ein Beitrittsgesuch zu stellen.91 Selbstverständlich gab es in den folgenden rund 30 Jahren noch unzählige Diskussionen – die Darstellungen füllen die Regale der Bibliotheken92 –, dennoch blieben die Argumente Bindschedlers für und gegen einen UNO-Beitritt weitgehend dieselben. Kurt Spillmann meint, den UNO-Aspekt erweiternd : »Als sicherheitspolitische Grundzüge der siebziger und achtziger Jahre können zwei Entwicklungslinien erkannt werden : Während einerseits die defensive Komponente der Doppelstrategie von 1973 mit der Armee als ihrem wichtigsten Mittel einen deutlichen Ausbau erfuhr, wurde andererseits die ausgreifende Komponente mit einer aktiven Außenpolitik nur sehr zögerlich gefördert.«93 Die Eidgenossenschaft verfolgte eine defensive Strategie weitgehend ohne aktive Außenpolitik. Noch im März 1986 wurde der Antrag auf einen UNO-Beitritt vom Stimmvolk mit einer Drei-Viertel-Mehrheit abgelehnt. Das Neutralitätsargument war eines der stärksten. Das Resümee aus allen diesen Vorgängen kann folglich nur lauten, dass Österreich eigentlich sofort den schweizerischen Weg verließ und versuchte, die neu erworbene Souveränität durch einen raschen UNO-Beitritt abzusichern. Österreich 91 Rudolf Bindschedler, Notiz an den Departementchef, 27. Jänner 56, betr. Beitritt der Schweiz zu den Vereinigten Nationen, zum Europarat und zur Montanunion, BAR E 2800 1967/60. Die Ergebnisse der Analyse lassen sich so zusammenfassen : 1. Beitritt zur UNO ohne Aufgabe der Neutralität möglich ; es bestehen rechtliche Unsicherheiten und politische Risiken ; Fernbleiben ist zur Zeit vorzuziehen ; 2. Beitritt Europarat möglich, größere Nachteile als Vorteile ; 3. Montanunion kommt nicht in Frage ; 4. Zu den sechs Messinastaaten eine positive Haltung einnehmen, Zusammenarbeit mit lockeren Organisationen intensivieren (OECE). 92 Vgl. u.v.a. Spillmann, Kurt/Wenger, Andreas/Breitenmoser, Christoph/Gerber, Marcel : Schweizer Sicherheitspolitik seit 1945. Zwischen Autonomie und Kooperation, Zürich 2001. 93 Ebd., S. 117.

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wurde Mitglied des Europarats und so bald als möglich Mitglied des internationalen Währungsfonds und der Weltbank. Die Schweiz ließ sich viel mehr Zeit, mit dem UNO-Beitritt bis weit über das Ende des Kalten Krieges hinaus. Von vielen Staaten wurde das Abseitsstehen, der schweizerische »Sonderfall«, nicht verstanden. Man tröstete sich in der politischen Elite in Bern jeweils mit Dag Hammarskjölds Feststellung der Fünfzigerjahre : Der Einfluss eines Landes in New York, Genf und Wien hänge nicht notwendigerweise von dessen Mitgliedschaft ab. Wichtiges werde erst besprochen, wenn die Phase der Selbstdarstellung vorbei sei. Und immer wieder hörte man gerne auf diejenigen, welche die Klugheit der Eidgenossen rühmten, »einem so unfruchtbaren und bloß teuren Organ fern zu bleiben«. So blieb es schließlich bis 2002, als das Schweizervolk in einer Abstimmung einen Beitritt befürwortete. Mit dem EU-Beitritt am 1. Jänner 1995 ist Österreich den offeneren Weg konsequent fortgeschritten. Zusammen mit Finnland und Schweden trägt es die Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP) der EU mit. Daraus erwachsen ihm Rechte und Pflichten, welche für die Schweiz keine Gültigkeit haben.

Die militärische Komponente Mit der Wiedergewinnung der Souveränität stellte sich für Österreich neben dem UNO-Beitritt die Aufgabe, ein Bundesheer zu schaffen. Es galt, das von den Westmächten und von der Schweiz befürchtete »militärische Vakuum« zu füllen und die innere Sicherheit zu gewährleisten. Die erste Phase war außerordentlich schwierig und das politische Patt der beiden großen Parteien der Sache kaum förderlich. Die »Schleusenwärterfunktion« der Parteien dieser Periode ist für das schweizerische Parteienverständnis kaum verständlich. Persönlich wurde ich in den Achtzigerjahren Zeuge dieser Besonderheit. Ich war zusammen mit Korpskommandant Rolf Binder zu einem Kongress in Linz eingeladen. Während des Referates unseres Drei-SterneGenerals wurde ich von meinem Nachbar gefragt : Ist’s ein Roter oder ein Schwarzer ? Eine solche Frage wäre in der Schweiz nie im Ernst gestellt worden, auch wenn nicht immer nur die militärische Qualifikation bei Beförderungen eine Rolle gespielt hat. Es ist wohl nicht falsch zu vermuten, dass weder die politischen noch die militärischen Verantwortungsträger in Österreich eine konkrete Vorstellung von der strategischen Konzeption eines neutralen Kleinstaates, geschweige denn von einer Landesverteidigung »nach dem Muster der Schweiz« hatten. Bei den verantwortlichen Militärs war das militärische Potenzial der Eidgenossenschaft das Vorbild, bei den verantwortlichen Politikern eher weniger. Die Schöpfer des Bundesheeres konnten sich auf die rund 7 000 Mann der während der Besatzungszeit geschaffenen B-Gendarmerie und beträchtliche Waffenge-

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schenke der Alliierten stützen, doch noch war man weit von den rund 800 000 ausgebildeten Milizsoldaten der Schweiz entfernt, von denen die allermeisten zu Hause ihrer Arbeit nachgingen. Der Auftrag an Österreichs Bundesheer in Bundesverfassung und Wehrgesetz war ein dreifacher : Schutz der Grenzen (begrenzter Schutzauftrag), Unterstützung der verfassungsmäßigen Gewalt bei inneren Unruhen und Hilfe bei Katastrophen (Subsidiarität). Alle drei Aufträge wurden wohl ernst genommen, aber zwischen dem politischen Auftrag, den Mitteln und den Anforderungen an eine glaubwürdige militärische Verteidigung des Landes klaffte eine schmerzliche Lücke. Diese Lücke sahen auch die Bevölkerung und das Parlament, doch statt die Mängel mit aller Kraft zu beheben, blieb es meist bei Ansätzen. Der sagenhafte »symbolische Schuss« als Erfüllung der Neutralitätspflichten – die Luxemburger gingen zwar am 10. Mai 1940 noch weiter, indem sie ihren Polizisten nur ein Protestschreiben für die deutschen Panzerspitzen aushändigten − war der materiellen und persönlichen Opferbereitschaft bestimmt nicht förderlich. Eine Aussage des österreichischen Bundeskanzlers Raab, wie sie im Protokoll der Sitzung des Landesverteidigungsrates vom 25. Februar 1958 nachzulesen ist, »dass das Bundesheer nie einen Krieg führen werde«, »man werde das Bundesheer nicht zur Verteidigung« einsetzen, war für die Schweiz im Kalten Krieg undenkbar.94 Ebenso undenkbar ist der Satz des österreichischen Handelsministers Fritz Bock, der sich vor allem Sorgen machte, »dass durch die in Aussicht stehende Erhöhung der Panzerzahlen der Straßenzustand stark in Mitleidenschaft gezogen werden könnte«. Ohne überheblich sein zu wollen, muss man feststellen, dass kein Ausbauschritt des Bundesheeres in der Folge den schweizerischen Stand erreichte, wo einerseits die höchstmögliche Autonomie – eine Rückfallposition UNO oder NATO waren ein Unthema – ein flächendeckendes Raumverteidigungskonzept (»Abwehr«), eine relativ starke Flug- und Fliegerabwehrwaffe und andererseits eine bestmögliche Antwort auf die Gefahr eines »Totalen Krieges« für die gesamte Bevölkerung angestrebt wurden. Auch wenn »Umfassende Landesverteidigung« und »Gesamtverteidigung«, »Abwehr« und »Raumverteidigung« viele identische Elemente enthalten, sind doch bedeutsame Unterschiede festzustellen. Ein weiterer Unterschied auf militärischem Gebiet sind auch die seit 1960 in Österreich konsequent und mit großem Engagement unterstützten UNO-Aktivitäten zur Vermeidung von Kriegen und zur Stabilisierung von Krisengebieten. Die Schweiz hat sich diesen globalen Anforderungen nur sehr zögernd angeschlossen und muss sich deshalb immer wieder den Vorwurf der mangelnden Solidarität gefallen lassen. 94 Gedächtnisprotokoll über die Sitzung des LV-Rates am 25. Februar 1958, in : Heeresgeschichtliches Museum (Hg.) : Das Bundesheer der Zweiten Republik. Eine Dokumentation (Schriften des Heeresgeschichtlichen Museums in Wien 9), Wien 1980, S. 41 f.

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Letztlich stellt sich die Frage, ob sich die Investitionen und die Millionen von geleisteten Stunden im Dienste der Landesverteidigung für beide Länder gelohnt haben. Hat sich die Abhaltestrategie95 – dem potenziellen Feind einen möglichst hohen Eintritts- und Aufenthaltspreis in Aussicht zu stellen – als erfolgreiche Strategie erwiesen ? Unsere neuesten Forschungen96 haben ergeben, dass sich die Frage, ob und wie Österreich und die Schweiz in die militärischen Planungen des Ostblocks einbezogen waren, angesichts der dürftigen Quellenbasis vorerst nur vage beurteilen lässt. Die wenigen der Forschung bekannten und neu entdeckten strategisch-operativen Planungen des Warschauer Pakts sowie auch indirekte Quellen (militärische Spionage, diverse Aussagen von Zeitzeugen) lassen folgern : 1. Es gibt keinen Hinweis darauf, dass die Schweiz in den operativen Grundplanungen das Ziel eines östlichen Angriffs oder gar einer isolierten Besetzungsaktion im Sinne eines strategischen Überfalls gewesen wäre. Es spricht alles dafür, dass ein östlicher Angriff die Schweiz mindestens in der ersten Phase nicht direkt betroffen hätte. Anders im Fall Österreichs, das zumindest zeitweilig in den operativen Planungen von Warschauer-Pakt-Staaten eine Rolle spielte. 2. Voraussetzungen für ein Aussparen im Zuge von kriegerischen Handlungen musste jedenfalls die konsequente Beachtung der Neutralität sein. Weder bei den Mitgliedstaaten des Warschauer Pakts noch bei jenen der NATO durften Zweifel aufkommen, der jeweils andere würde die Neutralität nicht respektieren. Vor allem die östlichen Nachrichtendienste hatten während des ganzen Kalten Krieges in Österreich und in der Schweiz genau diese Schlüsselfrage zu beurteilen. 3. Selbstverständlich wäre die indirekte Betroffenheit in einem nuklear geführten Krieg der Blöcke selbst bei einer Verschonung des neutralen Territoriums total gewesen. Eine Respektierung des Luftraumes durch die Luftstreitkräfte der blockgebundenen Staaten war im Kriegsfall ebenso kaum zu erwarten. 4. Beide Neutralen haben zweifellos von der »Schild und Schwert«-Doktrin, von der Androhung der totalen Zerstörung sowie von der »Flexible Response«-Doktrin der NATO profitiert. 95 Vgl. Spannocchi, Emil : Das Bundesheer Gestern – Heute – Morgen, in : Österreichische Militärische Zeitschrift 3/13 (1975), S. 173−177 ; Müller, Harald : Die Entwicklung der Konzeption der Raumverteidigung von den Anfängen des Bundesheeres bis zur Verfügung der militärischen Komponente, Wien 1988 ; Steiger, Andreas : Vom Schutz der Grenzen zur Raumverteidigung, Wien 2000 ; Ernst, Alfred : Die Konzeption der schweizerischen Landesverteidigung 1815 bis 1966, Frauenfeld/Stuttgart 1971 ; Senn, Hans : Generalstabschef Hans Senn – Auf Wache im Kalten Krieg. Rückblick auf mein Leben (Heft der Schriftenreihe der Schweizerischen Gesellschaft für Militärhistorische Studienreisen 28), Zürich 2007. 96 Fuhrer, Hans Rudolf/Wild, Matthias : Alle roten Pfeile kamen aus Osten – zu Recht ? Das Bild und die Bedrohung der Schweiz 1945–1966 im Lichte östlicher Archive (Der schweizerische Generalstab XI), Baden 2010 (im Erscheinen). Die Belege daraus werden nicht einzeln ausgewiesen.

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Als Gründe für die Ausklammerung der Schweiz aus der militärischen Planung des Warschauer Pakts kommen mehrere infrage : – Zum einen militärgeografische : Die Schweiz als Durchmarschraum war zur Eroberung der westeuropäischen NATO-Staaten nicht von Bedeutung. Die wichtigsten strategischen Hauptlinien verliefen nördlich der Schweiz, und die Achsen durch das Mittelland und den Jura wären wahrscheinlich zeitraubend und kanalisierend gewesen. Die Alpen schnitten der NATO wichtige Verbindungslinien nach Italien entzwei. Die willentliche Aufgabe dieses militärgeografischen Vorteiles musste gut begründet sein. – Zum Zweiten operative : Die Schweiz bot mit ihrer bewaffneten Neutralität dem Warschauer Pakt bei einer Westoffensive namhafte Vorteile : eine Einschränkung der Frontbreite, eine neutrale Nachrichtenplattform sowie ein ungewollt aktiver linker »Flankenschutz«. Die militärischen Vorbereitungen der Schweiz deuteten darauf hin, dass ein Durchmarsch langwierig und verlustreich werden würde. Mit einer kampflosen Preisgabe des Territoriums an die NATO war nicht zu rechnen. Eine präventive oder präemptive Besetzung, um dem Gegner zuvorzukommen – die wichtigste Gefährdung eines Neutralen –, war aus diesen Gründen nicht nötig. – Zum Dritten politische : Auch wenn zweifellos eine kulturelle, wirtschaftliche und ideologische Zugehörigkeit zum Westen bestand, so gab es keine widerspruchsfreien Vermutungen, dass die Eidgenossenschaft ohne Zwang die Neutralität aufgeben würde. Bis Ende der Fünfzigerjahre dürfte man im Ostblock uneingeschränkt davon ausgegangen sein, dass die Schweiz im Kriegsfall neutral geblieben wäre. Erst dann häuften sich die Zweifel. Verschiedene Diplomaten – besonders die linientreuen – waren überzeugt, dass sich die Schweiz bei Ausbruch eines Kriegs der NATO anschließen würde – und zwar bereits vor einem Angriff auf ihr Territorium. Anscheinend übertrug sich dieses ideologisch gefärbte Misstrauen nicht auf die militärischen Planungsgremien. – Zum Vierten militärische : Das militärische Potenzial der Eidgenossenschaft auf der Seite der NATO hätte in diesem Raum die gegnerischen konventionellen Kräfte namhaft verstärkt. Eine Neutralitätsverletzung durch Truppen des Warschauer Pakts hätte mit größter Wahrscheinlichkeit den Kriegseintritt der Schweiz bewirkt. – Zum Fünften ideologische : Es gab keine Anzeichen, dass sich die schweizerische Bevölkerung freiwillig dem kommunistischen Lager anschließen würde. Die Kombination eines kommunistischen Volksaufstandes und einer herbeigerufenen Invasion war unwahrscheinlich. Spekulativ ist jedoch anzunehmen, dass sich die östliche positive Beurteilung der Respektierung der Neutralität schlagartig geändert hätte, wenn sich durch eine Er-

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oberung der Schweiz eine Verbesserung der Kriegslage ergeben oder eine der beiden Prämissen nicht eingehalten worden wäre. Auch wenn dieser Aspekt von uns nicht gleichwertig untersucht worden ist, so sieht es für Österreich mit großer Wahrscheinlichkeit anders aus. In einer Informationsmitteilung des Ministeriums für Nationale Verteidigung, Verwaltung Aufklärung der DDR vom 11. April 1974 – man referierte und wertete darin eine Untersuchung der Deutschen Bundeswehr zu den Fragen der Militärpolitik der Schweiz und Österreichs –, kommt die Schweiz relativ gut weg ; sie habe eine fünfmal so große Kriegsstärke wie das Bundesheer ; die Dissuasionspolitik (durch das Vorhandensein und die Bereitschaft der Armee, »einen Angriff auf das Land als nicht lohnend erscheinen zu lassen« und der sichtbare Willen, sich »mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln zu verteidigen«) sei glaubwürdig. Auf sich allein gestellt, »könne sie jedoch einer ›Großmacht‹ nur für begrenzte Zeit Widerstand leisten«. Weniger gut schneidet Österreich ab. Der Bericht stellte eine »nachlassende Verteidigungsfähigkeit« fest, welche sich vor allem auch an der Südflanke der BRD bemerkbar machte. Die Fähigkeit und der Wille, seine Neutralität und sein Territorium glaubwürdig zu verteidigen, werden Österreich abgesprochen. Als »mildernde Umstände« werden die Rüstungsbeschränkungen im Staatsvertrag von 1955 akzeptiert. Den Hauptgrund der mangelhaften Landesverteidigung ortete der Bericht in der »ungenügenden Wehrbereitschaft der Bevölkerung«. Regierung und Parteien seien sich der Verpflichtungen, die sie aufgrund ihrer Neutralitätserklärung abgegeben hätten, nicht bewusst und nicht gewillt, für einen entsprechenden Kampfwert des österreichischen Bundesheeres zu sorgen. Die Geschichte des Bundesheeres und der Sicherheitspolitik sei ein »Prozess der Auszehrung der Verteidigungsfähigkeit Österreichs«. Das Fazit lautete : »Österreich kann zur Zeit nicht als militärisch ausreichend gesicherter neutraler Staat in Mitteleuropa gelten.« Das Territorium sei ein »macht- und wehrpolitisches und damit gefährliches militärisches Vakuum«. Die NATO bzw. die Bundeswehr könnten sich bei Kampfhandlungen im Zentraleuropäischen Strategischen Raum zu »Sicherungsmaßnahmen« auf österreichischem Territorium gezwungen sehen. Dieser exemplarisch referierte Bericht entspricht den schon zehn Jahre zuvor angestellten ungarischen Beurteilungen. Alle von uns ausgewerteten relevanten operativen Planspiele der Ungarischen Volksarmee bis 1966 rechneten mit einer Verletzung des österreichischen Territoriums gleich zu Beginn der Kampfhandlungen durch die NATO und mit einer höchst zweifelhaften Bereitschaft der Regierung, das Territorium mit eigenen Kräften verteidigen zu lassen. Die Nachrichtendienste und Planungsgremien des Warschauer Pakts kamen also zu fundamental anderen Einsichten als im Fall der Schweiz. Die Planungsstäbe sahen deshalb auch keine Veranlassung, das neutrale Territorium Österreichs zu respektieren. Sowohl die Alpentransversalen nach Oberitalien als auch die Donauachse

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wurden hemmungslos in die Planungen mit einbezogen. Eine gewisse Ausnahme bilden die tschechoslowakischen operativen Kriegsvorbereitungen, welche zwar mit Verstärkungen durch sowjetische Verbände aus Ungarn für den Stoß nach Lyon rechneten, deren Transport aber ohne Benützung österreichischer Marschstraßen vorsahen. Bei dieser für Österreich schlechteren Wertung gilt es zu berücksichtigen – und damit schließen wir den Bogen wieder zu den geopolitischen Gegebenheiten –, dass Österreich durch seine Frontstellung, seine operative Rand- und Flankenlage zwischen den beiden Bündnissystemen eine schlechtere Ausgangslage hatte als die Schweiz in der operativen Tiefe der NATO. Eine Sicherheit in der UNO, wie sie Bruno Kreisky erhoffte, oder gar die Vorstellung der Neutralität als eigenständiger Garant der Sicherheit, wie es sich die breite Öffentlichkeit erträumt hatte, wurden bei diesen rein militärischen Überlegungen der östlichen Planer nicht berücksichtigt. Es ist aus ideologischen Gründen verständlich, dass sich die immer wieder vertretene Auffassung, man gehöre ja wirtschaftlich und ideologisch zum Westen und der »Westen«, d. h. die NATO, werde dann schon helfen, als eher kontraproduktiv erwies. Vergegenwärtigen wir uns abschließend die Meinung eines ausgewiesenen schweizerischen Zeitzeugen. Er weist in offener Art auf Mängel der österreichischen Landesverteidigung hin, verliert dabei aber nicht das Augenmaß. Alfred Ernst, Kommandant des Feldarmeekorps 2, berichtete über eine Kommandierung an die Wiener Landesverteidigungsakademie vom 18. bis 20. Juni 1968.97 Selbstverständlich ist dies nur eine Momentaufnahme, aber wir meinen, dass Ernst Wesentliches und Konstantes beobachtet hat. Er stellte vor allem große psychologische Schwierigkeiten fest, das Misstrauen gegenüber der Armee abzubauen, und attestierte der Landesverteidungsakademie eine sehr positive Rolle. Ernst hielt fest : »Es ist sicher eine gewaltige Aufgabe, nach zwei verlorenen Kriegen, nach dem Verzicht auf den bewaffneten Widerstand im März 1938 und nach der schwierigen geistigen Umstellung von einer Großmachtpolitik auf die Politik eines neutralen Kleinstaates das Vertrauen zu schaffen, dessen die Landesverteidigung bedarf, wenn sie ihre Aufgabe soll erfüllen können. Dazu kommen der scharfe innenpolitische Gegensatz zwischen den beiden führenden Parteien und die Tatsache, dass die Neutralitätspolitik keiner fest im Volke verankerten Tradition entspricht. Es ist im Grunde genommen erstaunlich, wie viel trotz dieser Erschwerungen erreicht werden konnte.« Im Besonderen stellte Ernst ein Missverhältnis zwischen der zu lösenden Aufgabe und den verfügbaren finanziellen und personellen Mitteln fest. 97 Bericht Ernst über Kommandierung zur LAVAK 18.−20.6.1968, BAR E 5001 Generalsekretariat 9500.52 1984/122, Bd. 60.

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Er beurteilte es als unlösbare Aufgabe, die Verteidigung des völlig offenen Panzergeländes östlich der Stadt Wien ins Auge zu fassen. Eine Übung im Rahmen eines Generalstabskurses unter Zugrundelegung eines linearen Stellungssystems und mit beweglichem Einsatz einer mechanisierten Brigade hatte ihn nicht überzeugt. »In einem solchen Gelände ist mit den vorhandenen Mitteln eine wirksame Abwehr meines Erachtens gänzlich ausgeschlossen.« Ebenso kritisch wertete er die beobachtete Tendenz im österreichischen Bundesheer, aus politisch-psychologischen Gründen »die Bedrohung nicht in ihrer vollen Tragweite anzuerkennen, also aus der Not eine Tugend zu machen und ein Kriegsbild zu wählen, das der Realität wohl kaum in allen Teilen entspricht«. Die Planung basiere auf einem konventionellen Krieg ; ein beschränkter Atomeinsatz werde theoretisch nicht geleugnet, »aber als wenig wahrscheinlich betrachtet und weitgehend außeracht gelassen. Natürlich weiß der sehr erfahrene und kluge General Spannocchi genau, dass damit bis zu einem gewissen Grade eine Selbsttäuschung in Kauf genommen wird. Aber er hält es aus politisch-psychologischen Erwägungen für richtiger, die eigene Zielsetzung zunächst einmal zu begrenzen, um den vorhandenen (effektiv eben ungenügenden) Mitteln Rechnung zu tragen. Ich glaube, wir müssen diese Tatsache stets beachten, wenn wir mit Österreichern über strategische Fragen sprechen. Was sie sagen, entspricht bis zu einem gewissen Grade psychologischen Zweckmäßigkeitsüberlegungen und nicht durchwegs der objektiven Erkenntnis.« Trotzdem brachte Ernst eine wichtige Lehre aus Wien heim : Wir sollten vermehrt wie die Österreicher bescheiden beginnen, pragmatisch denken und »uns hüten, von allem Anfang an zu viel unternehmen zu wollen«. Beim Vergleich der Schweiz und Österreichs hinsichtlich ihrer Lage zwischen den Blöcken drängen sich zwölf Schlussthesen auf : 1. Neutralität ist eine umfassende Friedensstrategie. 2. Neutralität beinhaltet den Wunsch, sich nach Möglichkeit aus gewaltsamen Konflikten anderer Staaten herauszuhalten. 3. Neutralität ist nur in strategischen Zwischenzonen sinnvoll und wirkt stabilisierend. 4. Die Neutralität ist nur für souveräne meist kleine Länder, die sich als territorial saturiert betrachten, eine außenpolitische Option. 5. Sowohl die österreichische als auch die schweizerische Neutralität lagen sowohl in eigenem Interesse als auch im Interesse der Großmächte. Sie wurden bis zu einem gewissen Grad selbst gewählt und von den Großmächten als beste Lösung befürwortet. 6. Während die Neutralität der Eidgenossenschaft im Spannungsfeld des Dreißigjährigen Krieges in ersten Ansätzen konkrete Gestalt annahm und auf eine rund fünf-

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hundertjährige Geschichte zurückblickt, ist diejenige Österreichs im Umfeld des Kalten Krieges entstanden und zehnmal jünger. Beide Perioden sind durch eine europäische Konfliktlage polarisierender Blöcke gekennzeichnet. Grundsätzlich ist die Neutralität ein außenpolitisches Mittel. Sie hat aber die Tendenz, zum Selbstzweck oder gar zum Mythos zu werden. Die Glaubwürdigkeit und Wirksamkeit der ständigen Neutralität waren im Kalten Krieg vor allem von der inneren Stabilität, von einer geschickten Neutralitätspolitik und der militärischen Stärke abhängig. Die Neutralitätspolitik ist der Inbegriff all jener Maßnahmen, die ein Neutraler im Krieg und ein dauernd Neutraler bereits im Frieden außerhalb seiner neutralitätsrechtlichen Verpflichtungen nach eigenem, freiem Ermessen trifft, um die Wirksamkeit und Glaubwürdigkeit seiner Neutralität zu sichern.98 Wer anders sein will als die große Masse, die Sicherheit in einem Bündnis sucht, braucht gute Argumente dafür. Die Neutralität wird nur dann respektiert, wenn die Respektierung im Interesse des Kriegführenden ist. Dabei spielt in jedem Fall eine Aufwands- und Ertragsrechnung eine entscheidende Rolle. Die Neutralitätsverletzung Österreichs durch amerikanische Flugzeuge während der Libanonkrise im Frühsommer 1958 ist nur ein Beispiel unter vielen. Neutralität ist ein »Prügelknabe« derer, die einen »gerechten« Krieg führen.

Letzteres gilt es noch näher auszuführen.

Prügelknabe Bereits im Ersten Weltkrieg wurde die schweizerische Neutralität von den USA als unmoralisch verurteilt. Der Genfer Professor William E. Rappard berichtet beispielsweise gegen Ende des Großen Krieges von einem Gespräch im Sommer 1917 mit dem ehemaligen US-Staatssekretär Elihu Root. Rappard war in Washington, um sich um die Fortsetzung der amerikanischen Rohmaterial- und Lebensmittellieferungen an die Schweiz zu bemühen. Root sagte ihm während einer Unterredung unumwunden : »Mein Herr, ich habe zwei Söhne und einen Schwiegersohn an der Front. Wie alle meine Freunde bringe ich für diesen Krieg, an welchem wir früher hätten teilnehmen sollen, alle möglichen Opfer. Die Neutralen Europas flößen mir weder Sympathie noch 98 Vgl. Riklin, Alois : Die Neutralität der Schweiz (Beiträge und Berichte des Instituts für Politikwissenschaft der Hochschule St. Gallen 166/1991), St. Gallen 1991, S. 1.

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Vertrauen ein. Die wirtschaftliche Unterstützung, die sie unseren Feinden leihen, macht unsere Aufgabe schwieriger. Sie müssen verstehen, dass ich mich unwiderruflich gegen jede Konzession wende, deren indirekte Wirkung wäre, dass diese Unterstützung noch erleichtert würde. Die Affären Ritter und Hoffmann sind nicht dazu angetan, meine Prinzipien zugunsten der Schweiz zu ändern, deren Haltung in diesem Krieg mich überrascht und enttäuscht hat ; ich sage ihnen dies in aller Offenheit.«99

Kritik an der Glaubwürdigkeit der Neutralität kam oft aus den eigenen Reihen. Nehmen wir exemplarisch ein Urteil aus jüngerer Zeit. Der Schriftsteller Max Frisch schreibt in seinen »Stichworten« : »Die Schweiz als Staat ist neutral. Das wissen wir, aber es ist nötig, dass man es immer wieder sagt, weil es nicht stimmt. Dass die Schweiz sich jeder offiziellen Parteinahme in den internationalen Auseinandersetzungen enthält, ändert nichts daran, dass sie in die US-Herrschaft integriert ist. Ihre Neutralität heute ist das korrekte Schweigen eines Vasallen. Wie sollte die Schweiz als Enklave in der US-Herrschaft sich anders verhalten als ›neutral‹ ?«100 Dieser Stimme kann eine weitere hinzugefügt werden : Der Report der US Regierung vom 7. Mai 1997, der sogenannte »Eizenstat-Report«, in welchem die Schweiz angeklagt wird, den deutschen Nationalsozialisten im Zweiten Weltkrieg unter anderem geholfen zu haben, Gold zu waschen, ist eine der jüngsten Kontroversen in der rund 500-jährigen Geschichte der schweizerischen Neutralität. In der Einleitung zum Bericht des State-Department-Historikers William Slany postuliert der Undersecretary of Commerce, Stuart Eizenstat, die »Swiss neutrality« sei moralisch unverantwortbar gewesen und habe angeblich dazu beigetragen, den Krieg zu verlängern.101 Westliche Beispiele für substanzielle Kritik von der Tragweite der obigen beiden Beispiele im Kalten Krieg sind jedoch keinesfalls zahlreich. Rudolf Bindschedler hat die Problematik in einem Gutachten zuhanden von Bundesrat Petitpierre am 27. Jänner 1956 auf den Punkt gebracht, indem er schreibt : »Wir gehören zu Europa und zur westlichen Zivilisation und werden auf die Dauer deren Schicksal teilen. Alles, was sie stärkt, kommt deshalb auch unserem Lande zugute. Die Erhöhung der Sicherheit Europas gegenüber einem Angriff aus dem Osten, wie auch die Unab99 Rappard, William E.: La mission suisse aux Etats-Unis août-novembre 1917, Genève 1918, S. 43 f., zit. nach : Kunz, Hans B.: Weltrevolution und Völkerbund. Die schweizerische Außenpolitik unter dem Eindruck der bolschewistischen Bedrohung, 1918−1923, Bern 1981, S. 52. 100 Frisch, Max : Stich-Worte, Frankfurt am Main 1997, S. 243. 101 In der New York Times vom 23. Mai 1997 konnte man lesen : »The cynical form of neutrality is to stay out of war but do business with all sides to enrich yourself. That was the Swiss in World War II …We would always like to believe that in a polarized world there is one safe haven-above the fray, neutral and fair, reliable as a cuckoo clock. We thought that was Switzerland. But Swiss neutrality was a fraud, pure and simple. Swiss neutrality has no past. Only this generation can determinate if it has a future.« Friedman, Thomas L.: Swiss Neutrality Was a Fraud, zitiert in : International Herald Tribune, 23. Mai 1997.

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hängigkeit europäischer Länder gegenüber den USA sind für uns in jeder Beziehung erstrebenswert.« Die Kritik des Ostens fiel anlassbedingt nicht minder deftig aus als jene des Westens. Im Vergleich mit Österreich wurde die Schweiz immer härter kritisiert. Der ungarische Geschäftsträger in Bern, Pál Korbacsics, beschrieb die Lage in der Schweiz Anfang der Fünfzigerjahre wie folgt : »Die Schweiz trat 1951 wie in den Jahren zuvor politisch und wirtschaftlich als Mitglied des von den USA geführten imperialistischen Lagers auf. Diese imperialistische Linie zeigte sich sowohl in der amtlichen schweizerischen Politik und Wirtschaftsorientierung als auch in der sog. freien schweizerischen Presse und im kulturellen Leben des Landes. Die amtliche Neutralität der Schweiz ist nur ein Tarnname, unter welchem sie die allerreaktionärste Politik ausführt. Die schweizerische Bourgeoisie sieht wohl die Gefahren der Aggressionspolitik der USA auf die Souveränität der Schweiz, aber ihr grenzenloser Hass gegen die Sowjetunion und die fortschrittlichen Volksdemokratien macht sie völlig blind. Die Schweiz, obwohl sie nicht offen NATO-Mitglied ist und offen keine Anweisungen von den USA erhält wie die Mitglieder des Paktes, ist immer bestrebt, als ob sie Paktmitglied wäre, ihre Armee auf das Maximale zu entwickeln und aktuell ihre Luftverteidigung auszubauen. Es gibt keine parlamentarische Sitzungsperiode, ohne dass über die Bewaffnung und Aufrüstung debattiert würde.«102 Der Gesandte der ČSR in Bern kam in den frühen Fünfzigerjahren zu ähnlichen Folgerungen : »Die Militärpolitik der Schweizer Obersten führt die Konföderation weit mehr als die außenpolitische Konzeption des Bundespräsidenten Petitpierre von ihrem Weg der Neutralität direkt ins Kriegslager des amerikanischen Imperialismus. Ziel dieser Kriegshysterie ist die antisowjetische Aggression. Das Großkapital der Schweizer Bourgeoisie treibt das Schweizer Volk in diese abenteuerliche militärische Allianz, welche im krassen Gegensatz zur verkündeten Neutralitätspolitik steht, um so schneller, je mehr sich die stets deutlicheren Anzeichen einer Wirtschaftskrise der kapitalistischen Welt zeigen.« Am 28. November 1958 fasste der tschechische Gesandte in Bern seine sicherheitspolitischen Beobachtungen, insbesondere zur damals heftig diskutierten atomaren Rüstung der Schweiz, wie folgt zusammen : »Die Schweiz erfüllt treu ihre Aufgabe im Rahmen der imperialistischen Politik, die internationale Spannung zu erhalten und zu erhöhen ; sie reiht sich in eine Front ein mit jenen, mit deren Interessen sie als Sprecherin der monopolistischen Kreise eng verbunden ist, und sie bildet so für die anderen kleinen Staaten ein ›Vorbild‹.«103 Die Beispiele ließen sich fast beliebig vermehren. 102 Ungarisches Staatsarchiv Budapest, Schachtel XIX-J–1 Vertrauliche Schriften des Außenministeriums über die Schweiz, Akte 5c. Archiv des tschechischen Aussenministeriums (A.MZV), Akten der Gesandtschaft und des Verteidigungsattachés in Bern (VČR), Bern 10. Mai 1950. 103 Ebd.

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Österreich erfuhr seitens der ostmitteleuropäischen Staaten eine andere und wohl auch diffenrenzierte Beurteilung. Allerdings konnte es fast nicht ausbleiben, dass das österreichische Verhalten während der ungarischen Revolution 1956 ebenso wie nach der Invasion von Warschauer-Pakt-Truppen in der ČSSR 1968 von den östlichen Medien, aber auch von diplomatischer und politischer Seite scharf kritisiert und als mit der immerwährenden Neutralität nicht vereinbar hingestellt wurde. Am 27. August 1957 lobte die »Prawda« die österreichische Neutralität. Trotz großer Bedenken, ein Kleinstaat habe allein keine Chance und müsse bald bei den Nachbarn um Schutz und Hilfe bitten, sei ein Weg beschritten worden, »der die Aussichten eines Lebens in Frieden für das Land eröffnete«. Die Idee der Neutralität habe feste Wurzeln geschlagen, das Leben und die Wirtschaft hätten sich erfolgreich entwickeln können. Dem Land stünden alle Möglichkeiten offen, »einen großen positiven Einfluss in der internationalen Entwicklung auszuüben, falls es an der Politik des Friedens und der Neutralität festhält«.104 Am 10. Jänner 1958 überreichte der Botschafter der UdSSR in Wien, S. G. Lapin, dem österreichischen Bundeskanzler Julius Raab ein persönliches Schreiben des sowjetischen Ministerpräsidenten Bulganin, in dem eine Passage die zukünftige Aufgabe Österreichs zwischen den Blöcken so beschreibt : »Unserer Meinung nach, Herr Bundeskanzler, könnte das neutrale Österreich, das im Herzen Europas zwischen den beiden Mächtegruppierungen gelegen ist und schon allein auf Grund dieses Umstandes an der Erhaltung des Friedens interessiert sein muss, einen wesentlichen Beitrag zur Abschwächung der internationalen Spannung und zur Wiederherstellung des Vertrauens in den Beziehungen zwischen den Staaten leisten.«105 Anlass zu östlicher Kritik boten die österreichischen Bemühungen um Aufnahme in die westliche (Wirtschafts)gemeinschaft. Österreich versuchte immer wieder zu einer Vereinbarung mit der EWG zu kommen. Aufgrund »ernster Bedenken« der Sowjetunion und dem Vorwurf, die EWG als potenziell politisches Bündnis vertrage sich nicht mit den Bestimmungen des Staatsvertrags und mit der Neutralitätsverpflichtung, stellte der damalige Außenminister Bruno Kreisky am 28. Juli 1962 fest : »Österreich strebt, soweit dies sein politischer Status zulässt, eine echte Mitwirkung an der wirtschaftlichen Integration Europas an.«106 Unbeschadet der wiederholten Klarstellungen österreichischerseits kam aus Moskau ein unmissverständliches »Nein«, das letztlich bis Anfang der Neunzigerjahre in Geltung blieb.

104 »Prawda« : Österreichs Neutralität verwurzelt, in : Wiener Zeitung, 28. August 1957, S. 1. 105 Bulganin an Bundeskanzler Ing. Raab. Der Botschafter der UdSSR Lapin überreichte gestern dem österreichischen Regierungschef ein persönliches Schreiben des sowjetischen Ministerpräsidenten, Wiener Zeitung, 11. Jänner 1958, S. 1. 106 Stuhlpfarrer, Karl : Österreich – dauernd neutral. Die österreichische Außenpolitik seit 1945 (Österreich Dokumentationen), Wien 1983, S. 23.

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Die militärpolitischen Grundfesten der Schweiz stehen immer wieder dann zur Diskussion, wenn keine direkte Gefahr von außen besteht. © Chappatte in »Die Weltwoche« (Zürich) – www.globecartoon.com

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Der Westen, der sich dabei wohl vornehmlich auf die militärische Schwäche Österreichs bezog, signalisierte mit unterschiedlicher Intensität Unzufriedenheit mit dem zweiten immerwährend neutralen Staat in Europa und machte dem Land zum Vorwurf, dass es »Trittbrettfahrer« und sicherheitspolitischer Profiteur sei. Damit kam es letztlich zu einer Art Gleichsetzung der Schweiz und Österreichs, als ihnen aus den unterschiedlichsten Gründen vorgeworfen wurde, ein »Geschäft mit der Neutralität« zu machen. Divisionär Gustav Däniker, der Stabschef Operative Schulung, meldete 1982 als Ergebnis der Analyse einer von ihm einberufenen Expertengruppe an den Generalstabschef107 : »Der Osten rechnet die Schweiz zum Westen und stuft sie in der Nähe der NATO ein. Ihre Neutralität hat nur einen geringen Stellenwert und unterscheidet sich deutlich von derjenigen Finnlands, Österreichs oder Schwedens.« Erstaunlicherweise dachten die militärischen Planer in diesem Punkt völlig anders als die ideologisch linientreuen Diplomaten. Das Verständnis für das Prinzip der Neutralität war für alle, die einen »gerechten« Krieg zu führen meinten – und welche Großmacht oder militante religiöse Gruppierung gibt schon zu, es nicht zu tun –, immer ein unmoralisches Prinzip. Der Neutrale ist der Prügelknabe der Ideologen. In ihren Augen ist sie immer verwerflich. »Faktor der Unzuverlässigkeit«, »unmoralischer Profiteur« und »Rosinenpicker« sind noch die nettesten Formen der Prügel. Sicherheitspolitischer »Trittbrettfahrer« ist der häufigste Vorwurf, doch ist er eigentlich nur für die zutreffend, die sich kein eigenes Auto leisten. Innenpolitisch wurden vor allem von denen Prügel erteilt, welche die Anliegen einer Partei gerne unterstützt hätten, oder von denen, die eine noch konsequentere Neutralitätspolitik wünschten.

Schlusswort im Sinne eines Ausblicks Mit der sogenannten »Wende«, mit dem Fall des Eisernen Vorhangs und dem Zusammenbrechen des östlichen Verteidigungsbündnisses ab 1989, hat sich für Österreich und die Schweiz die strategische Lage drastisch verändert. »Neutral zwischen den Blöcken« hat an Bedeutung verloren. Österreich ist vom Rande der westlichen Welt in das mitteleuropäische Zentrum des EU-Raumes vorgerückt. Die Schweiz tut sich schwer, die traditionellen Pfade zu verlassen. Für beide neutralen Staaten gilt die meist provokativ formulierte neue strategische Lage : Wir sind nur noch von Freunden umzingelt, was die klassische Neutralitätspolitik zwischen den Machtblöcken in gewisse Nöte bringt und andere Legitimationen notwendig macht. 107 Däniker, Gustav : Zusammenfassender Bericht an den GstC, 3. Dezember 1982, Archiv für Zeitgeschichte an der ETH Zürich (AfZ), Nachlass Gustav Däniker jun.

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Während man zur Jahrtausendwende von einer schweizerischen Drittelgesellschaft (Autonomisten, harte und weiche Öffnungswillige) sprechen konnte, scheint sich in Zukunft das Verhältnis 1 : 1 : 2 abzuzeichnen.108 Für Österreich wagen wir das Verhältnis nicht zu definieren, doch ist mit dem EU-Beitritt eine starke mittlere Gruppe zu vermuten. Beide Länder stehen vor gewaltigen sicherheitspolitischen Herausforderungen. Ein autarkes territoriales Verteidigungsmodell ist angesichts der modernen Gefahren kaum mehr plausibel. Es sind vornehmlich Bedrohungen, Risiken und Gefahren, die sich aus den instabilen und teilweise explosiven Peripherie- und Nachbarregionen Europas ergeben. Die Beruhigung und Stabilisierung dieser Region ist ein Kernproblem Europas.109 Die Leiterin des schweizerischen Departements für auswärtige Angelegenheiten, Bundesrätin Micheline Calmy-Rey, hat sich 2007 vorgenommen, eine »aktive Außenpolitik« zu führen, welche danach strebt, den neutralitätspolitischen Freiraum vor allem in der UNO und in Europa voll zu nützen. Die Solidarität steht für sie im Vordergrund. Die Schweiz soll somit die Neutralität so handhaben, wie es Österreich seit 1955 tut, meinte sie.110 Die Rollen haben sich anscheinend vertauscht. 108 Die Studie »Sicherheit 2008« unterscheidet für die Schweiz drei Entwicklungstendenzen : »Harte Öffnungswillige« befürworten einen EU-Beitritt, unterstützen auch mehrheitlich mindestens eine NATOAnnäherung, wenn nicht einen Beitritt. Sie betrachten die Schweizer Neutralität als sicherheitspolitisches Auslaufmodell. Sie verlangen zudem ein verstärktes Engagement in der UNO. Diese Gruppe ist in den letzten Jahren von einem runden Drittel auf einen Viertel der Gesamtbevölkerung geschrumpft. Die »Autonomisten« sind ihre Antithese. Sie lehnen nicht nur den EU- und den NATO-Beitritt ab, sondern auch jede über das Notwendigste hinaus gehende Kooperation. Dem bilateralen Weg mit der EU seit 2004 wird grundsätzlich zugestimmt, aber bereits die Erweiterung der Personenfreizügigkeit auf Rumänien und Bulgarien weckt Widerstand. Neutralität ist für die »Autonomisten« Selbstverständnis und Schutz. Diese Gruppe hatte in den frühen Neunzigerjahren (Diskussion um den EWR-Beitritt) ihren Höhepunkt (48 %), musste dann 1999 einen Taucher auf 26 % hinnehmen, um seither wieder bei einem Drittel zu stagnieren. Die »Weichen Öffnungswilligen« stehen der außenpolitischen Kooperation grundsätzlich positiv gegenüber, möchten sie aber auf die UNO konzentrieren. Einen NATO- oder einen EU-Beitritt lehnen sie wie die »Autonomisten« ab. Sie wünschen sich eine außenpolitisch offene Schere, eine maximale internationale Kooperation der Schweiz besonders in wirtschaftlichen Fragen bei minimaler Souveränitätseinbuße. In den letzten 13 Jahren hat diese Gruppe stetig zugenommen (24 % 1993, 44 % 2008). Vgl. Haltiner, Karl W./Wenger, Andreas/Würmli, Silvia/Wenger Urs/Lipowicz, Anna : Sicherheit 2008. Außen-, sicherheits- und verteidigungspolitische Meinungsbildung im Trend, Zürich 2008, S. 87. Die Ergebnisse von 2009 zeigen ähnliche Werte : »Harte Öffnungswillige« : 26 %, »Autonomisten« : 32 %, »Weiche Öffnungswillige« : 42 %.Vgl. Szvircsev/Wenger : Sicherheit 2009, S. 119. 109 Lezzi, Bruno : Gespräch mit Botschafter Raimund Kunz, in : Neue Zürcher Zeitung, 4. Februar 2009, S. 17. 110 Vgl. Calmy-Rey, Micheline : Vorwort, in : Kreis, Georg (Hg.) : Die Schweizer Neutralität. Beibehalten, umgestalten oder doch abschaffen ? Zürich 2007, S. 7–18, insbesondere »Ein Plädoyer für die aktive Neutralität«, S. 8−11.

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Manfried Rauchensteiner

Sandkästen und Übungsräume Operative Annahmen und Manöver des Bundesheers 1955–1979

X-1 : während der Besatzungszeit Eigentlich hat Österreich seit 1945 nie aufgehört, in den strategischen Beurteilungen wie in den operativen Einschätzungen eine Rolle zu spielen. Schon die Teilung des Landes in Besatzungszonen erfolgte nach strategischen Gesichtspunkten und diente im Falle der drei westlichen Besatzungsmächte der Verbindung mit den Basen außerhalb Österreichs und im Fall der Sowjetunion der Abschirmung und Blockbildung. Aus dem Blickwinkel der Besatzungsmächte bewährte sich die Zonenteilung. Schon 1946 und vollends 1947 wurden aber die aus anderen Konflikten, vielleicht aus der Teilung und Kontrolle Deutschlands und Österreichs hervorgerufenen Gegensätze deutlicher und die Konfrontationen zahlreicher. Die Folge war, dass Territorium und Menschen kalkuliert wurden, nicht zuletzt für den Fall eines großen Kriegs.1 Der Westen – die NATO –, vornehmlich aber die USA sahen ab 1953 mit einer gewissen Sorge auf die sicherheitspolitischen Alleingänge Österreichs, vor allem aber auf die von Bundeskanzler Julius Raab eingeleitete Öffnung Richtung Sowjetunion. Raab versuchte einen Spagat zwischen den sowjetischen Forderungen, Wünschen und Ängsten einerseits und den westlichen Forderungen und Wünschen anderseits. Beiden Machtgruppierungen sollte »Sicherheit« angeboten werden. Die Forderun1 Ohne eine auch nur annähernd vollständige Bibliografie zu militärischen Fragen der alliierten Besetzung Österreichs geben zu wollen, sei auf folgende Publikationen verwiesen : Bischof, Günter : Österreich – ein »geheimer Verbündeter« des Westens ?, in : Gehler, Michael/Steininger Rolf : Österreich und die europäische Integration 1945–1953. Aspekte einer wechselvollen Entwicklung, Wien/Köln/Weimar 1993, S. 425–450 ; Bischof, Günter : »Austria looks to the West«. Kommunistische Putschgefahr, geheime Wiederbewaffnung und Westorientierung am Anfang der fünfziger Jahre, in : Albrich, Thomas/Bischof, Günter/Eisterer, Klaus/Gehler, Michael/Steininger, Rolf (Hg.) : Österreich in den Fünfzigern (Innsbrucker Forschungen zur Zeitgeschichte 11), Innsbruck/Wien 1995, S. 183–209 ; Blasi, Walter : General der Artillerie Ing. Dr. Emil Liebitzky. Österreichs »Heusinger«, Bonn 2002 ; Hufschmied, Richard : Wien im Kalkül der Alliierten (1948–1955). Maßnahmen gegen eine sowjetische Blockade, Wien/Graz 2002 ; Rauchensteiner, Manfried : Stalinplatz 4. Österreich unter alliierter Besatzung, Wien 2005 ; Roithner, Hans Michael : Österreichische Wehrpolitik zwischen 1945 und 1955, Wien 1974 (Lehramtshausarbeit) ; Schmidl, Erwin A.: Rosinenbomber über Wien ? Alliierte Pläne zur Luftversorgung Wiens im Falle einer sowjetischen Blockade 1946–1953, in : Schmidl, Erwin A. (Hg.) : Österreich im frühen Kalten Krieg 1945– 1948. Spione, Partisanen, Kriegspläne, Wien/Köln/Weimar 2000, S. 171–192.

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gen des Westens waren dabei sehr viel früher konkret als jene der Sowjets. Denn vornehmlich die USA machten ab 1949, vollends aber ab 1952 deutlich, dass sie erst dann zum Abzug ihrer und der westlichen Truppen bereit wären, wenn Österreich in der Lage sein würde, sich selbst zu verteidigen.* Dieser Forderung wurde durch den Aufbau von Alarmformationen der Gendarmerie und ab 1952 durch die B-Gendarmerie entsprochen. Die Bataillone der B-Gendarmerie, deren Kader aus kriegsgedienten Offizieren und Unteroffizieren gebildet wurden, absolvierten nicht nur eine intensivere militärische Einzelausbildung, sondern auch ein Übungsprogramm, das die Feldverwendungsfähigkeit der Einheiten und kleinen Verbände sicherstellen sollte. Über die Rolle der B-Gendarmerie in einem europäischen Konflikt wurden aber bestenfalls Spekulationen angestellt. Es galt als mehr oder weniger verbindlich, dass sich die Schulen/Bataillone der B-Gendarmerie im Fall eines Ost-West-Konflikts zurückziehen und entlang einer Linie von Salzburg über Villach wohl im Verband westlicher Truppen einen Widerstand versuchen würden. Der Abschluss des österreichischen Staatsvertrags 1955 unter Zugrundelegung der Neutralität des Landes ließ dann die erste Phase der sicherheitspolitischen Planungen auslaufen. Der damals bereits feststehende NATO-Beitritt der Bundesrepublik Deutschland veranlasste die Sowjets, ihr eigenes Bündnis zu schmieden. Dazu gehörte die Preisgabe des Niemandslands Österreich. Notfallsplanung 1956 1955 verschoben sich die sicherheitspolitischen Gegebenheiten grundlegend. In Österreich wurde man sich der geänderten Verhältnisse zwar zunächst nur insofern bewusst, als der Abzug der sowjetischen Besatzungstruppen weit mehr als der Abzug irgendeines anderen Besatzungskontingents bejubelt wurde und Österreich die Wehrhoheit wiedererlangte, die es während der Besatzungszeit ja nicht besessen hatte. Es wurde auch mit Aufmerksamkeit verfolgt, dass Ungarn mit der Umwandlung des Eisernen Vorhangs begann, dass Minen geräumt wurden und auch erstmals so etwas wie ein normaler politischer Verkehr mit den Satellitenstaaten der Sowjetunion zustande kam. Prag, Budapest, Warschau usw. traten auch bald dem österreichischen Staatsvertrag bei und anerkannten ebenso wie die Sowjetunion die österreichische Neutralität. Doch die militärische und propagandistische Komponente dieses Vorgangs hielt mit der politischen nicht Schritt. Denn auch die geänderte sicherheitspolitische Situation konnte nicht verhindern, dass Österreich immer wieder attackiert wurde, ja vielleicht musste das auch so sein, damit nicht das Gefühl überhandnahm, man müsste nur so neutral werden wie Österreich, um die Loslösung *

Vgl. dazu den Beitrag von Bruno Thoß in diesem Band mit dem Titel : »Österreich in der Entstehungund Konsolidierungsphase des westlichen Bündnissystems«.

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von Moskau zu erreichen. Daher gab es auch keine Herzlichkeit in den bilateralen Beziehungen. Nicht zuletzt diese sehr wohl gepflegte Optik und die sprachliche Unkultur ließen in Österreich ein neues – eigentlich aber altes – Feindbild entstehen, und es hieß sehr einfach : Der Feind steht im Osten. Daher mühte man sich in der ersten Aufbauphase des Bundesheers, als die B-Gendarmerie in Provisorische Grenzschutzabteilungen überführt wurde, auch gar nicht groß, ein neues operatives Konzept zu entwerfen, sondern ließ die alten und bestenfalls andeutungsweise bekannt gewordenen Planungen der westlichen Besatzungsmächte weiterlaufen. Genau das aber führte zum ersten Konflikt über große konzeptive Fragen der Landesverteidigung. Als sich im September 1955 das sogenannte Salzburger Komitee um Oberstleutnant Zdenko Paumgartten Gedanken über den einzig möglich scheinenden Aggressionsfall machte, nämlich einen Angriff aus dem Osten, wurde eine erfolgreiche Verteidigung erst westlich einer Linie von Zell am See südwärts für möglich gehalten. Der sozialistische Spitzenmann im Amt für Landesverteidigung, Karl Stephani, verständigte unverzüglich Vizekanzler Adolf Schärf und stellte die Sache so dar, dass dies natürlich die Preisgabe ganz Ostösterreichs einschließlich Wiens zur Folge haben würde. Und das dürfte es nicht geben. So rasch wie möglich sollte ein strategisches Konzept ausgearbeitet werden, das dem Heer den Schutz der Grenzen der Republik (und ab den Grenzen) auftrug.2 Der Leiter des Amts für Landesverteidigung, Emil Liebitzky,3 blieb dieses Konzept schuldig. Daher zeigte sich Stephani auch ganz zufrieden, als er zu Weihnachten 1955 erfuhr, im Jänner würde ein neuer Mann für die konzeptiven Fragen zuständig werden, nämlich der erst in den öffentlichen Dienst aufzunehmende Oberstleutnant Erwin Fussenegger. Als sich der im Jänner dann als »Chef des Generalstabs« vorstellte, also einen Titel gebrauchte, den es nicht gab, war allerdings neuerlich Irritation angesagt.4 Im Juli 1956 wurde ein österreichisches Verteidigungsministerium geschaffen, das aus den vorhandenen, aber weit verstreuten Elementen eine Zentralbehörde zu bilden begann und mit der Grenzschutzabteilung auch eine Art militärische Spitze erhielt. Leiter der Grenzschutzabteilung (also nicht Generalstabschef) wurde der zum Oberst beförderte Erwin Fussenegger.5 Auch er konnte sich zunächst auf nichts 2 Verein für die Geschichte der Arbeiterbewegung, Wien (VGA), Nachlass Adolf Schärf, Box 34, 4/255, Kurze Darstellung der ersten Entwicklung des Bundesheeres nach Abschluss des Staatsvertrags bis zum 15. März 1956, S. 8. 3 Vgl. Blasi : General der Artillerie. 4 VGA, NL Schärf, Box 37, Schreiben Stephanis an Schärf, 2. 1. 1956. Zur Bestellung Fusseneggers : Sinn, Norbert : Volksaufstand in Ungarn 1956. Der erste Einsatz des jungen Österreichischen Bundesheeres, in : Etschmann, Wolfgang/Speckner, Hubert : Zum Schutz der Republik Österreich … 50 Jahre Bundesheer, 50 Jahre Sicherheit : gestern – heute – morgen … (Schriften zur Geschichte des Österreichischen Bundesheeres, Sonderband 50 Jahre Bundesheer), Wien 2005, S. 235–267, hier S. 237. 5 Eine biografische, allerdings recht unkritische Würdigung : Bader, Stefan : General der Infanterie Er-

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anderes abstützen als auf jene Arbeiten, die schon im Rahmen der B-Gendarmerie entstanden waren. Folglich hieß es umdenken – auch wenn es schwerfiel. Denn was wirklich sein würde, hatte wohl niemand vorauszudenken vermocht. Der bald mit dem Titel eines Generaltruppeninspektors ausgestattete Erwin Fussenegger zögerte nicht, ein entsprechendes Verteidigungskonzept in Kraft zu setzen. Daher erging schon im Sommer 1956 eine »Allgemeine Weisung für die Kampfführung des Bundesheeres«, die nur zwei Fälle kannte und sehr knapp gehalten war : 1. Fall : Gemeinsamer Angriff aus Ungarn und der Tschechoslowakei, wobei das Verhalten Jugoslawiens ungeklärt ist. Für diesen Fall wurden die drei Gruppen des Bundesheeres, die zwar in ihrer Befehlsstruktur Korpskommanden gleichen sollten, damals aber tatsächlich bestenfalls Brigadegrößen hatten, folgendermaßen einzusetzen gedacht : Gruppe I (Wien, Niederösterreich) verzögert ostwärts Wien und geht anschließend hinhaltend kämpfend nach Westen zurück. Der Raum nördlich der Donau ist nur zu beobachten. Donaubrücken werden bei Feindannäherung gesprengt. Gruppe II (Steiermark, Kärnten) geht – abschnittsweise Widerstand leistend – mit Masse über Graz, Klagenfurt, Villach zurück. Gruppe III (Oberösterreich, Salzburg, Tirol, Vorarlberg) versammelt sich im Raum Linz–Enns–Steyr und hält sich bereit, Feindkräften ein Übersetzen der Donau zu verwehren. 2. Fall : Ein isolierter Angriff Ungarns. Für die Gruppen I und II war ein ähnliches Kampfverfahren wie bei einem gemeinsamen Angriff aus Osten und Norden zu wählen. Die Gruppe III sollte nur Sicherungskräfte im Norden und an der Donau belassen und den Kampf der Gruppe I unterstützen. Das Verteidigungsministerium sollte nach St. Johann i. Pongau verlegt werden.6 In diesem Verteidigungsexposé vom Juli 1956 wurden keine großen operativen Erwägungen angestellt, und es war wohl auch nur deshalb verfasst worden, damit es überhaupt so etwas wie eine Planung gab. Doch offenbar war auch niemandem in den Sinn gekommen, dass es einen anderen Feind geben konnte. Es wurde auch keine Erwähnung getan, mit welchen Truppen man rechnete. Zwischen Sommer und Herbst 1956 war aber zumindest ein vages Verteidigungskonzept erstellt wor-

win Fussenegger 1908 bis 1986. Der erste Generaltruppeninspektor des österreichischen Bundesheeres (Schriften zur Geschichte des Österreichischen Bundesheeres 1), Wien 2003. 6 Bundesministerium für Landesverteidigung (BMLV) Zl. 401-strgeh/III/Gz 56, 25. Juli 1956. Vgl. dazu : Rauchensteiner, Manfried : Die Performance war perfekt, in : Schmidl, Erwin A. (Hg.) : Die Ungarnkrise und Österreich, Wien/Köln/Weimar 2003, S. 235–252, hier S. 240 f.

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den, und es wurde durchaus nicht nur das fortgeschrieben, was in der Besatzungszeit einmal gegolten hatte. Es war aber auch kaum etwas fortzuschreiben gewesen, was in der Zwischenkriegszeit gedacht worden war, denn damals war ja vor allem das nationalsozialistische Deutschland als Feind gesehen worden. Also kamen vornehmlich jene Planungen ins Spiel, die während der alliierten Besetzung Österreichs eine Rolle gespielt hatten, und zudem die Erinnerungen an den Krieg in Österreich 1945. Weder die Neutralität noch das Scheitern der Sondierungen der von General Liebitzky mit dem italienischen Verteidigungsminister Taviani geführten Gespräche über ein Zusammengehen Österreichs mit Italien* änderten etwas daran, dass Österreichs Politik prowestlich war und dass die Wirtschaft – nicht zuletzt wegen der Abkapselung des Ostens – klar auf den Westen ausgerichtet war. Auch das österreichische Bundesheer, dem nicht zuletzt amerikanische Lieferungen eine erste materielle Grundlage gaben, war eine den westlichen Armeen nicht ganz unähnliche Truppe. Nichtsdestoweniger musste und wollte man sich auf die neue Situation einstellen. Die Erfahrungen des Ungarneinsatzes : Schild und Schwert Als am 23. Oktober 1956 in Budapest die Revolution ausbrach, war man in Österreich natürlich elektrisiert und in militärischen Kreisen alarmiert. Was an Grenzsicherungsmaßnahmen in Gang gesetzt wurde, hatte zunächst freilich nur demonstrativen Charakter, allerdings wurde auch eine Maßnahme wirksam, die den Übergang zur Neutralitätssicherung und zu einem Verteidigungsfall wie nichts anderes ermöglichen sollte : Die Grenzregion wurde weiträumig zur Sperrzone erklärt. Das ermöglichte die Kontrolle des Personen- und bis zu einem gewissen Grad auch die des Warenverkehrs. Dann, am 4. November, passierte zweierlei : Die Regierung von Ministerpräsident Imre Nagy erklärte die immerwährende Neutralität Ungarns und formulierte eine entsprechende Erklärung, die von den ungarischen Botschaftern im Ausland und der UNO-Generalversammlung notifiziert werden sollte. Ungarn wollte neutral werden wie Österreich. Gleichzeitig war allerdings auch schon die sowjetische Intervention angelaufen. Und in Österreich wurde befürchtet, dass sich die Sowjets nicht darauf beschränken würden, Ungarn wieder zu besetzen, sondern auch gleich nach Österreich weitermarschieren könnten. Am 5. November, als Bundeskanzler Julius Raab und Verteidigungsminister Ferdinand Graf diesbezügliche Informationen zugespielt wurden, war sicherlich nicht die Zeit, die Richtigkeit derartiger Meldung zu überprüfen. Der Generaltruppeninspektor, der als Nächster informiert wurde, forderte jedoch eine klare Entscheidung und einen konkreten Verteidigungsauftrag. Doch die politische Führung zögerte und verweigerte diese *

Vgl. dazu den Beitrag von Bruno Thoß in diesem Band mit dem Titel : »Österreich in der Entstehungund Konsolidierungsphase des westlichen Bündnissystems«, S. 61 f.

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Entscheidung regelrecht. Daraufhin setzte der Generaltruppeninspektor von sich aus und ohne entsprechende Information die »Allgemeine Weisung für die Kampfführung« um und befahl die Einnahme von Verteidigungsstellungen im Rahmen einer Nachtübung. In dem darauf Bezug nehmenden Befehl des Gruppenkommandos I hieß es : »In der Nacht zum 6. 11. sind die zum Grenzschutz eingesetzten Infanterieeinheiten der Gruppe I zurückzunehmen : Im Abschnitt der 1. Brigade in die Linie Sauerbrunn–Groß Höflein, im Abschnitt der 2. Brigade in die Linie Bruck/L.– Petronell. Vorwärts dieser Linie verbleiben nur die bisher dort eingesetzten Panzeraufklärungskräfte sowie vereinzelte mot. Spähtrupps.«7 In der Nacht bezogen praktisch alle eingesetzten Verbände des Bundesheers Verteidigungsstellungen oder waren auf Nachtmärschen. Die Kasernen wurden geräumt. Gerüchte schwirrten umher. 18 Jahre später gab der in den Westen geflohene tschechoslowakische General Jan Šejna an, der sowjetische Verteidigungsminister Marschall Shukow habe von Ministerpräsident Chruschtschow die Wiederbesetzung Österreichs verlangt – was abgelehnt wurde.8 Da Shukow 1955 ein erklärter Gegner des Abschlusses des Staatsvertrags und des damit verbundenen Abzugs der sowjetischen Besatzungstruppen gewesen war, musste das Gerücht durchaus nicht aus der Luft gegriffen sein. Mittlerweile wissen wir, dass nichts passierte und dass sich die sowjetischen Truppen bei ihrer Intervention auf Ungarn beschränkten.9 Doch dass Sorge und Angst umgegangen waren, kam in einem Memorandum des Generaltruppeninspektors am 8. November ungeschminkt zum Ausdruck : »…Die bisherigen Grenzschutzmaßnahmen waren in erster Linie dazu bestimmt, auf die österreichische Bevölkerung beruhigend zu wirken und nach außen zu zeigen, dass Österreich willens ist, seine Neutralität zu schützen. Diese Maßnahmen waren improvisiert und auf optische Wirkung abgestellt ; militärischer Wert ist sehr beschränkt…«10 7 Rauchensteiner, Manfried (Red.) : Das Bundesheer der Zweiten Republik. Eine Dokumentation (Schriften des Heeresgeschichtlichen Museums in Wien 9), Wien 1980, S. 35 (Dok. 20). 8 Stanzl, Werner : Moskaus Aufmarschpläne gegen Österreich, in : Profil, 14. Februar 1974, S. 39–43 ; Stanzl, Werner : Moskaus Aufmarschpläne gegen Österreich, in : Profil, 21. Februar 1974, S. 28–37 ; Stanzl, Werner : Moskaus Aufmarschpläne gegen Österreich : Keine Rückkehr zur Freiheit, in : Profil, 28. Februar 1974, S. 30–33 ; Stanzl, Werner : Wie es zur »Polarka«-Sendung gekommen ist : Kreiskys Aufmarschpläne, in : Profil, 7. März 1974, S. 35–37 ; hier 28. Februar 1974, S. 32. Der Hinweis wurde im Zusammenhang mit späteren sowjetischen Planungen zum Fall »Polarka« gegeben. Šejna wiederholte seine Darstellung in seinem 1982 erschienenen Buch We Will Bury You (London), S. 119. 9 Auch ein Anfang 1957 lanciertes Gerücht, das vor allem von der Zeitung »Bildtelegraf« aufgegriffen wurde, erwies sich als Schimäre. Der »Bildtelegraf« meldete, dass ein abgesprungener sowjetischer Leutnant namens Mihojlovic berichtet hätte, die sowjetischen Truppen hätten den Befehl gehabt, nach Wien zu marschieren. Bei der Überprüfung der Aussage durch das österreichische Innenministerium stellt sich schnell heraus, dass der Mann Lehmann hieß, aus Ostdeutschland stammte und sich wichtig machen wollte. 10 BMLV Zl. 403-strgeh/56. Der größte Teil des Akts in : Rauchensteiner : Das Bundesheer, S. 36 f. Die hier zitierte Passage ergänzend.

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Auch die österreichische Bundesregierung war vom Ausbruch der Gewalt in Ungarn und vom Einmarsch der Sowjets nicht unbeeindruckt geblieben, scheute sich aber dennoch nicht, sehr klare Worte zu finden, die das Missfallen der Sowjets erregten. Dass dann am Höhepunkt der Krise in Washington wegen einer allfälligen Garantie der österreichischen territorialen Integrität nachgefragt wurde, zeigte freilich das Dilemma. Für den österreichischen Generaltruppeninspektor war das Vorgehen der Russen ein Grund mehr, den »Ostkrieg« immer neu zu überdenken und auf die eigenen Schwächen hinzuweisen. Aus seinem Memorandum vom 8. November ließ sich vieles ableiten. Wesentliche Forderungen dieses Memorandums wurden freilich nie erfüllt, wenngleich es zumindest zwei Jahre hindurch eine Art Nachbeben zu den Ereignissen vom Spätherbst 1956 gab. Der österreichische Landesverteidigungsrat beschäftigte sich wiederholt mit grundsätzlichen Fragen und verstand sich 1958 auch zu Festlegungen, die politisch gerade noch konsensfähig waren : Dass man die Garnisonen im Osten Österreichs vermehren und die gepanzerten Verbände in dieser Region konzentrieren sollte ; dass es galt, der Bevölkerung ein Gefühl der Sicherheit zu geben ; dass Landesverteidigung nicht nur eine Boden-, sondern auch eine Luftkomponente hatte usw. Doch den vom Verteidigungsministerium unterbreiteten weitergehenden Forderungen wurde keine Zustimmung erteilt. Hier war beispielsweise die Forderung nach Verlängerung des ordentlichen Präsenzdienstes auf zwölf Monate und die Eliminierung der einschränkenden Bestimmungen des Staatsvertrags erhoben worden. Nichts davon wurde von der Großen Koalition realisiert. Die für die operative Planung wichtigste Passage hätte zwar Zustimmung finden können, doch eine politische Behandlung der Frage schloss sich aus anderen Gründen aus. Im Kapitel »Richtlinien für die Landesverteidigung« hieß es : Eine Hilfeleistung von westlicher Seite könne im Fall eines großen Krieges »nicht sofort« wirksam werden. »Unsere Landesverteidigung muss daher so errichtet werden, dass zumindest einige [!!] Wochen hindurch auch ohne wesentliche fremde Hilfe Widerstand geleistet werden kann. Wichtig sind ferner Vorbereitungen für die planmäßige oder unvorhergesehene Räumung bestimmter Gebiete von der Zivilbevölkerung und von Einrichtungen aller Art. Bei der Größe der Bevölkerungskonzentration im Raum Wien, bei der exponierten Lage dieses Raumes ergibt sich die Frage, ob nicht versucht werden soll, den Raum Wien bereits jetzt zu einem international anerkannten Schutzgebiet zu erklären …«11 Der Punkt wurde nicht weiter ausgeführt, und die politischen Repräsentanten Österreichs hüteten sich nachzustoßen. Drei Jahre später wurden die Arbeiten am Landesverteidigungsplan auf Betreiben des damaligen Staatssekretärs Otto Rösch abgebrochen.12 11 BMLV Zl. 405-strgeh-GTI/58. Die Gedächtnisniederschrift mit den einzelnen Wortmeldungen der Sitzung des Landesverteidigungsrates in : Rauchensteiner : Das Bundesheer der Zweiten Republik, S. 41 f. 12 Freundliche Mitteilung von General i. R. Horst Pleiner an den Verfasser. General Pleiner ist durchgängig für seine Hinweise und kritischen Anmerkungen zu diesem Teil des Bandes sehr herzlich zu danken.

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Wohl aber begann man ab dem Herbst 1956 den Warschauer Pakt als Realität zu begreifen. Der Vertragstext wurde in Zeitungen abgedruckt und rezipiert. Was aber noch viel wichtiger war : Man begann endlich damit, die Dimensionen des Pakts und seine Auswirkungen auf bilaterale und multilaterale Verhältnisse auszuloten. Und damit stellte sich eine Art Normalität des Kalten Kriegs ein. Man wurde in Österreich gewahr, dass man nicht nur Ungarn und Tschechen, sondern auch die Sowjets in Form von vier in Ungarn stationierten Divisionen zu Nachbarn hatte. Das schränkte zwar den Handlungsspielraum der sowjetischen Satelliten ein, vermehrte jedoch das rasch verfügbare Potenzial. Folglich musste bei jeglichem strategischem Kalkül eine zusätzliche Dimension berücksichtigt werden. Die entscheidenden Fragen waren politischer Natur. Dort musste man nolens volens abzuleiten suchen, welche Rolle Österreich im Spiel der Mächte und vor allem in dem der Pakte zugedacht war. Die sowjetische Besetzungsaktion in Ungarn im November 1956 schien in jeder Weise die Annahme zu rechtfertigen, dass der Feind im Osten anzunehmen war. Dementsprechend wurde dann im Dezember 1957 einer Planübung der drei Gruppenbefehlshaber des Bundesheers und hohen Kommandanten die Annahme zugrunde gelegt : »Orange« greift mit drei Stoßrichtungen an, nämlich aus dem Raum Szombathely Richtung Graz und Pack ; aus dem Raum Kapuvár gegen Wiener Neustadt und St. Pölten sowie aus dem Raum Csorna gegen Wien. Das Bundesheer leistet ostwärts der Linie Pack–Leoben–Enns Widerstand, wobei die Gruppe I das Vordringen des Feindes in der Linie Rosalia–Hornstein–Neusiedler See–Petronell so lange wie möglich verzögert und die Gruppe II die Graz-Schutzstellung hält.13 Die Annahme entsprach in etwa der Wiener Angriffsoperation der sowjetischen 3. Ukrainischen Front 1945. Für alles Weitere kam der Verlegung der Panzerkräfte in niederösterreichische Garnisonen besondere Bedeutung zu. Schließlich plädierte der Kommandant der 9. Panzerbrigade, Oberst dG Emil Spannocchi, nachdrücklich für die Verlegung des gepanzerten Schwergewichts. Er verfasste 1961 eine Denkschrift über »Probleme der österreichischen Panzertruppe«, die gewissermaßen die Grundlage für alles Weitere sein sollte.14 In dieser Denkschrift kam auch etwas zum Tragen, das mittlerweile Kern der militärischen Doktrin geworden war, die »Schild-und-Schwert-Theorie«.15 Spannocchi ging da13 Militärgeschichtliche Forschungsabteilung des Heeresgeschichtlichen Museums, Wien (HGM/MGFA), Nachlass (NL) Pleiner, Ordner 2, 413 strgeh-Gz/III/57, Planübung 2.–4. 12. 1957. 14 Österreichisches Staatsarchiv, Kriegsarchiv (KA), Nachlass (NL) Mario Duić B/1516, Nr. 1. Duić datiert die Denkschrift mit 1957, doch da Spannocchi mit OberstdG unterschrieb, ist als Entstehungsdatum ein Zeitpunkt nach dem 1. Juli 1961 anzunehmen. 15 Die Ableitung aus der sicherheitspolitischen Diskussion in den USA brachte nicht nur eine Anpassung, sondern auch eine Umkehr : 1957 ordneten die USA dem »Schild« die konventionellen Streitkräfte zu, die im Fall einer begrenzten Aggression zum Einsatz kommen sollten ; bei einer großen Auseinandersetzung

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von aus, dass die gegnerischen Machtblöcke als »einheitlich handelnde Gebilde eingeschätzt werden müssen«. Aufgabe der eigenen Landesverteidigung wäre es, einen Angriff auf Österreich als unwirtschaftlich erscheinen zu lassen und bei einem tatsächlichen Angriff das Land als politisch handelndes Subjekt zu erhalten. Daraus folgerte er, dass es gelte, die bestausgerüsteten Verbände in Grenznähe zu stationieren und dahinter »ein schlagkräftiges Heer« aufzustellen, »von dem die eigentliche abschreckende Wirkung auf den potentiellen Gegner ausgeht«. Da die Erhaltung des gesamten Staatsgebiets unmöglich sei, müsse flexibel reagiert werden. Für die in Grenznähe kämpfende Truppe gelte es daher, so lange genügend Widerstand zu leisten, bis klar ist, ob es sich um einen Stellvertreterkrieg handelt oder um eine Gesamtaktion eines der beiden Machtblöcke. – In ersterem Fall können die gesamten Kräfte herangeführt werden, im zweiten Fall müsse vorne so lange gekämpft werden, bis »das Gros des Bundesheeres an vorbestimmter Stelle abwehrbereit ist«. Doch diese Anforderung erfüllte nicht die klassische Panzerwaffe »Guderianscher Art«. Es geht nicht um angriffsweisen Einsatz, sondern darum, den Kampf weit vorne und so frühzeitig wie möglich aufzunehmen und damit den Schild zu bilden, hinter dem sich die Masse des Bundesheers gefechtsbereit machen könne. Spannocchi taxierte auch das Gelände und folgerte, dass im Westen keine gepanzerten Truppen gebraucht würden, wohl aber im Osten und über die an der Grenze einzusetzenden Kräfte hinausgehend, um die zwei Achsen Wien–Salzburg und Graz–Pack–Tarvis zu schützen. Dass Österreich bei einem gedachten Angriff aus dem Osten nicht allein bleiben würde, setzte er aber offenbar ebenso voraus, denn »auch der Gegner muss mit dem Einsatz moderner Vernichtungswaffen rechnen«, notierte er in der Denkschrift und bezog sich schließlich auf NATO-Manöver 1954, die als zeitlichen Anhalt für einen atomaren Vernichtungsschlag zwei bis drei Stunden erbracht hätten. Ganz überzeugen konnte der Kommandant der Panzertruppenschule damit nicht.16

Das Unbehagen wächst Mittlerweile war aber bei einigen hohen Offizieren der Unmut darüber, dass vonseiten der Politik immer nur zu kalmieren gesucht wurde und kein wirkliches Problemverständnis existierte, immer mehr gewachsen. Offenbar hatten die mahnenden sollten die nuklearen »Schwertkräfte« zum Einsatz kommen. Vgl. dazu : Gehler, Michael : Bündnispolitik und Kalter Krieg, 1949/55–1991, in : Kernic, Franz/Hauser, Gunther (Hg.) : Handbuch zur europäischen Sicherheit, Frankfurt am Main/Wien, S. 57–69, hier S. 64. 16 Handschriftliche Bemerkungen von Mario Duić auf der Denkschrift Spannocchis, a.a.O.

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Worte des Generaltruppeninspektors vom November 1956, wonach die Maßnahmen zur militärischen Landesverteidigung nur eines zum Ziel hätten, nämlich die Bevölkerung zu beruhigen, ohne dass ihnen aber echte Bedeutung zugekommen wäre, nichts gefruchtet. Anlässlich des Ministerwechsels 1961 ging daher dem neuen Verteidigungsminister, Karl Schleinzer, ein anonymer Brief zu, in dem der Verfasser, Oberst dG Mario Duić, seinen ganzen Frust hineinzupacken bemüht war.17 »Die Offiziere … sind heute überzeugt, dass das Bundesheer ein Scheinbau ist. Dass es im Ernstfall die zu Unrecht in der Öffentlichkeit genährten Erwartungen aus verschiedenen Gründen nicht erfüllen kann.« Materiell nicht und quantitativ nicht, »weil wir jedenfalls nicht rechtzeitig mobilisieren können«, führungsmäßig nicht, weil »die Aufträge an die Kommanden (offenbar unter Zwang militärpolitischer Wunschträume) die verfügbaren Kräfte erheblich überfordern … und weil die militärische Führung, gehemmt vielleicht durch die traditionelle Loyalität, mangelnde Courage oder aus anderen Gründen, diesen Wunschträumen nicht wirksam entgegengetreten ist. Diese schillernde Seifenblase Bundesheer hat zum erheblichen Teil Ihr Vorgänger [Ferdinand Graf, Anm.] zu verantworten … Da Ihr Vorgänger allen Einsatzfragen aus dem Weg ging, wohl weil sie den Prüfstein für den Ernst aller Bemühungen darstellen, konnte hier kaum weitergekommen werden. Auch seine oft schwer verständliche Neutralitätspolitik im Bundesheer mag hierbei mitgespielt haben«. Eine unmittelbare Reaktion auf diesen anonymen Brief war selbstverständlich nicht zu erwarten gewesen. Schleinzer wurde aber auch anderweitig auf Probleme und Mängel hingewiesen.18 Und er hatte durchaus vor, die Dinge anzugehen. Die Skepsis freilich, dass der eingeschlagene Weg der richtige sei, und die Frage, ob nicht ein kompletter Neustart versucht werden sollte, begleiteten ihn durch die drei Jahre seiner Ministerschaft. Das geschah abermals auf eine Art, die ein weites Auseinanderklaffen zwischen politischer und militärischer Verantwortung erkennen lassen. Das auffallendste Beispiel dafür war eine schon im November 1958 von der Grenzschutzabteilung fertiggestellte, nun aber erst regelrecht evaluierte Studie mit dem Titel : »Planung der militärischen Landesverteidigung«.19 Nach eingehender Erörterung der strategischen Situation Österreichs wurden die möglichen Konfliktfälle konkret angesprochen : a) Ungarn. »Wahrscheinlichster Fall«, da Ungarn der einzige Nachbar sei, der nicht an die NATO grenzt, daher am risikolosesten einen Konflikt mit Österreich be17 KA NL Duić, Nr. 8, 8. April 1961. 18 Rauchensteiner, Manfried : Landesverteidigung und Außenpolitik. Feindliche Brüder ?, in : Rauchensteiner, Manfried/Etschmann, Wolfgang (Hg.) : Schild ohne Schwert. Das österreichische Bundesheer 1955– 1970 (Forschungen zur Militärgeschichte 2), Graz/Wien/Köln 1991, S. 129–172. 19 BMLV Zl. 434-strgeh/Gz/III/58, Nov. 1958.

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ginnen könne. Operatives Ziel dürfte »die frontnahe Vernichtung großer Teile des Bundesheers, die Inbesitznahme von Teilen Niederösterreichs und der Steiermark, die Inbesitznahme Wiens als Sitz einer Gegenregierung und die Rückgliederung des Burgenlandes« sein. b) Tschechoslowakei : »Eine Aggression durch die ČSR allein wird für wenig wahrscheinlich, aber immerhin für möglich gehalten …« d) Ungarn und Tschechoslowakei gemeinsam : »Sehr gefährliche Konfliktmöglichkeit, die im Zusammenhang mit größeren Ereignissen als Präventivmaßnahme denkbar ist, um den Donauraum von dritter Seite als Operationsbasis in die Hand zu bekommen und dabei die Masse des Bundesheeres auszuschalten …« Mit dieser Studie wurde zwar zum einen eine Art »Worst Case«-Szenario entworfen, auf der anderen Seite war es aber eine Planung, die trotz der Erfahrungen des Jahres 1956 an den Realitäten irgendwie vorbeizulaufen schien. 1956 war wohl zu beobachten gewesen, dass es am Höhepunkt der ungarischen Krise in der Tschechoslowakei eine Teilmobilmachung gegeben hatte. Doch wenn etwas befürchtet wurde, dann war es der Übertritt sowjetischer Truppen nach Österreich. Seit dem November 1956 war es ja nur zu offensichtlich, dass Ungarn von sich aus militärisch nicht handlungsfähig war, es also für alle drei Annahmen insofern keine Grundlage geben konnte, als immer auch zu fragen war, welchen Stellenwert man den Truppen der Sowjetunion einzuräumen bereit war. Denn dass Moskau einen Stellvertreterkrieg führen ließ, war wohl zum wenigsten anzunehmen, obwohl diese Möglichkeit jahrzehntelang in den Köpfen der österreichischen Planer herumspukte. Diese Möglichkeit wurde aber nicht nur von den Militärs ins Auge gefasst, sondern war auch im Außenministerium weit verbreitet. Schon beim ersten intensiven Gedankenaustausch von Verteidigungsminister Graf und Außenminister Bruno Kreisky am 29. April 1960 tauchte diese Möglichkeit auf, als Kreisky bei einer Tour d’Horizon meinte : »Eine besondere Gefahr für Österreich drohe aus den superbolschewistischen Ländern DDR, ČSSR und Ungarn (siehe 1956) … Politische Auseinandersetzungen würden im Weg des Stellvertreterkrieges ausgetragen werden. Dies sei eine echte Gefahr für Österreich, jedoch derzeit nicht aktuell.«20 Minister Graf teilte diese Ansicht. Bei Gelegenheit dieses Treffens referierte Obst dG Anton Leeb die operativen Überlegungen und behandelte dabei ČSSR, Ungarn und Jugoslawien. »Die natürliche Verteidigungslinie wäre die Donau, die Brigaden seien im Donauraum aufzustellen, der Grenzschutz müsse milizähnlich formiert sein. Im südöstlichen Raum sei eine unmittelbare Grenzverteidigung zweckmäßig.« Und auf eine Nachfrage des Generalsekretärs im Außenministerium, Martin Fuchs : »Die ČSSRArmee würde nach drei Tagen versuchen, die Donau zu überqueren.« 20 Kurzprotokoll über das erste Ministergespräch am 29. 4. 1960 (Verf.)

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Schon wenige Monate später hieß es aus dem Mund von Minister Graf : »Wichtig für Österreich wäre der Stand der westlichen Verteidigung, insbesondere der NATO. Eine Neutralitätsverletzung sei von beiden Seiten möglich«, um dann gleich hinzuzufügen, es bestünden durchaus Möglichkeiten, »Einbrüche der ČSSR, Ungarns und Jugoslawiens abzuwehren«.21 Kreisky, der wohl gehört hatte, dass das Bundesheer daran dachte, sich bei Angriffen aus dem Norden und Osten rasch zurückzuziehen, und ja auch gesagt bekommen hatte, dass man sich nur im Fall eines Angriffs aus Jugoslawien an der Grenze verteidigen würde, wollte das genauer wissen, fragte nach und ließ dann im Protokoll festhalten, »Aufgabe der Strategie sei effektvolle Verteidigung der Grenzabschnitte ČSSR und Ungarn«. Als Ziel der Außenpolitik bezeichnete er es, einen »Angriff aus dem Westen zu verhindern«. Wie das gehen sollte, wurde nicht weiter ausgeführt. Der Außenminister mochte aber vielleicht überhaupt eine Überraschung erlebt haben, als er relativ ausführlich über die operative Situation im Fall eines Angriffs von NATO-Staaten gegen Westösterreich informiert wurde. Oberst dG Albert Bach hatte die Aufgabe, bei dem Ministertreffen über die Möglichkeiten bei einem Angriff auf Westösterreich zu referieren, und er entwarf vor allem ein Bild der italienischen Armee, was wegen der damals gerade virulenten Südtirolfrage wohl nicht ganz unbeabsichtigt war. – Kreisky und die höchsten Beamten des Außenministeriums gingen jedoch darauf nicht ein. In der Folge flachten die Gespräche etwas ab und gingen schließlich 1964 zu Ende. Doch es waren sicher sehr wichtige Begegnungen gewesen und hatten letztlich einen Gleichklang der Auffassungen erbracht. Auch für Kreisky war die Bedrohung aus dem Osten die konkreteste und eminenteste. Der galt es zu begegnen. Der Außenminister sah allerdings zum wenigsten die Notwendigkeit eines raschen Rückzugs ein. Die Sowjetunion begann 1961 damit, die Armeen der Warschauer-Pakt-Staaten stärker in ihre Überlegungen einzubeziehen. Vor allem sollten sie bei der Planung der großen Operationsfälle verstärkt eine Rolle spielen. Das hing vielleicht mit der vom Staatsratsvorsitzenden Walter Ulbricht forcierten Abschottung der Deutschen Demokratischen Republik und der Rolle der Nationalen Volksarmee der DDR zusammen. Doch es konnte weiterhin keinen Zweifel daran geben, dass die Sowjetunion in jedem denkbaren Fall das entscheidende Wort zu sprechen hatte. Den nationalen Armeen der Verbündeten wurden von der Sowjetunion nur im taktischen Bereich einige Besonderheiten zugestanden, und im Übrigen durften sie ihre nationalen Militärtraditionen pflegen.22 Die Sechzigerjahre brachten auch eine Vereinheitlichung der Ausbildung, Rüstungsproduktion, Luftraumverteidigung und wohl auch der operativen Planungen der Mitgliedstaaten des Warschauer Pakts. Dabei 21 Kurzprotokoll des 2. Ministergesprächs am 29. 6. 1960 (Verf.) 22 Sokolowski, W(asilij) D. (Hg.) : Militär-Strategie, 3. verb. u. erg. Aufl., Köln 1969, S. 81.

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konnte das 1962 erstmals unter der Federführung von Marschall Sokolowski veröffentlichte Buch »Militärstrategie« als Lehrbuch für die Generalstabsausbildung der Pakt-Armeen gelten. – Die »Militärstrategie« Sokolowskis wurde natürlich auch von anderen als den Verbündeten der Sowjetunion gelesen. Der Vorgang, wie das in Österreich geschah, unterschied sich aber wohl in auffälliger Weise von der Rezeption in anderen Staaten, denn die schnell angefertigte deutsche Übersetzung der russischen Ausgabe von 1962 wurde den »Streng geheim«-Beständen der Sektion III des Bundesministeriums für Landesverteidigung einverleibt. In Österreich versuchte man überhaupt auf seine Weise, den Realitäten zu begegnen, blieb aber letztlich auf dem Stand der ersten Planungen von 1955 bzw. 1958 stehen. Generaltruppeninspektor Fussenegger hatte sich wohl bemüht, das Grundsatzpapier vom November 1958, »Planung der militärischen Landesverteidigung« politisch absegnen zu lassen, doch es war weder die Unterschrift von Minister Graf noch die des Staatssekretärs Karl Stephani zu bekommen gewesen, wohl nicht zuletzt deshalb, weil sie sich über die politische Brisanz im Klaren waren und lieber so taten, als ob sie von dem Papier keine Kenntnis hätten. Zweifellos hätten sie auch Schwierigkeiten gehabt, den Bundeskanzler und ihre Regierungskollegen davon zu überzeugen, dass sie die politischen Konsequenzen mittragen mussten. Die militärische Führung dachte anders. Und wie schon einmal – 1956 – verselbstständigte sich der Generaltruppeninspektor und setzte die Planungen auch ohne Zustimmung des Ministers in Kraft. – Solcherart demonstrierte er abermals, wenngleich in sehr wohl anfechtbarer Weise, die Lektion von 1938 gelernt zu haben. Fussenegger suchte auch beharrlich das Einvernehmen mit den Gruppenbefehlshabern, die mit dem, was ihnen der Generaltruppeninspektor zugeleitet hatte, grundsätzlich durchaus einverstanden waren, sich aber im Rahmen eines Gesamtauftrags zur Verteidigung ihre Entscheidungsfreiheit wahren wollten. Fussenegger respektierte die in führungstechnischen und taktischen Fragen abweichenden Meinungen und forderte nur in einem persönlich gehaltenen Schreiben dazu auf, Einwände zu konkretisieren. Er wollte aber in keinem Fall in die Befehlsgewalt der Gruppenbefehlshaber eingreifen. Denn er brauchte sie, sollte es ja einmal notwendig sein, zumindest einen Teil der Politik auszuschalten. Mit dem, was 1956 ad hoc zu Papier gebracht und nach 1958 eigentlich an der Politik vorbei gesteuert worden war, hatte sich die militärische Führung Österreichs insofern Vorgaben geliefert, als es eine Art stilles Einverständnis gab, wonach die Politik das eine, militärische Notwendigkeiten das andere wären. Der Heeresaufbau ging langsam – viel zu langsam – vor sich. Dass man damit weder den innerhalb des Heeres geäußerten noch den westlichen Erwartungen entsprach, war eine Tatsache. Ob das mit den östlichen Vorstellungen korrespondierte, konnte bestenfalls gemutmaßt werden. Letztlich dürften sich aber die westlichen und die östlichen Einschätzungen sehr ähnlich gewesen sein. Der Nationale Sicherheits-

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rat der USA hielt im Dezember 1960 die Situation des österreichischen Bundesheers mit dürren Worten fest : »Das Heer (rund 55 000 Mann) und die Sicherheitskräfte (rund 27 500 Personen) sind nur in der Lage, die innere Sicherheit aufrechtzuerhalten und kleinere Grenzzwischenfälle zu bewältigen. Jegliche nennenswerte Vergrößerung der Armee ist wegen der Weigerung der Sozialisten, größere Summen für Verteidigungsaufgaben auszugeben, auszuschließen.«23 Der Sekretär des amerikanischen Sicherheitsrats hätte freilich korrekter formulieren müssen : Auch die Österreichische Volkspartei zeigte keinerlei Bereitschaft, das Heeresbudget nennenswert anzuheben. Die österreichische Variante der Schild-Schwert-Theorie mochte ja ein brauchbares Konstrukt sein, doch die Annahme, dass zumindest der Faktor »Schild« Jahr für Jahr an Stärke gewinnen würde, erwies sich als Trugschluss. Und ob das »Prinzip Hoffnung« alles überdecken konnte, war schon mehr als fraglich geworden. Die Operationsabteilung arbeitete zwar ein Konzept für die »Territoriale Verteidigung« aus, und auch der Einsatz des Grenzschutzes wurde in Übungen zusammen mit Zollwache und Gendarmerie erprobt,24 doch was dann 1963 als Teil der Studie »Die militärische Verteidigung Österreichs« entstand, gewann immer mehr den Charakter einer Abrechnung. Nach mehr als sieben Jahren Heeresaufbau hieß es recht dürr : Sieben Einsatzbrigaden und drei Reservebrigaden sowie – nach Mobilmachung – Heerestruppen und Luftstreitkräfte »sind kein wirklich ernstzunehmender Abschreckungsfaktor«.25 Für örtlich gebundene Kampfaufgaben müsste es territoriale Kräfte geben. Territoriale Kräfte sind der »Schild« als Ergänzung zu den mobilen Kräften, die das »Schwert« darstellten. Die Sicherung der Mobilmachung durch Grenzschutztruppen »ist bei jetziger Mobilmachungsdauer nie ausreichend zu erfüllen«. Hier müsse die Territoriale Verteidigung einspringen. Zusammen mit den Grenzschutzeinheiten würde von 300 Reserveeinheiten auszugehen sein. – Als das niedergeschrieben wurde, schien das nicht infrage zu stehen, und zunächst blieb die Ausarbeitung unbeanstandet. Doch da deren Verfasser, Oberst dG Duić, bei seiner Darstellung der Schwierigkeiten über Aufbau und Ausbildung der Territorialen Verteidigung kein Hehl daraus machte, dass er mit erheblichen Problemen rechnete, musste er dieses Kapitel neu fassen. Unbestreitbar war, dass Österreich mit seinem militärisch zu nützenden Humanpotenzial ausgesprochen verschwenderisch umging. Bis 1963 hatte das Bundesheer 223 000 Soldaten ausgebildet. Davon waren 34,5 %,

23 National Archives, Washington, RG 273, Policy Paper Files, NSC 6020, Memorandum 9. Dec. 1960. 24 HGM/MGFA NL Pleiner, Ordner 2, Gz-Planspiel »Südost«, 5.4.1963. Die Annahme dieses von der Gruppe II entworfenen Planspiels ging vom Einsatz von drei Brigaden aus, die sich jedoch nach schweren Verlusten zurückziehen mussten. Ein Zusammenwirken von »rotem Oststaat und gelbem Südstaat« wurde angenommen. 25 KA NL Duić, Nr.3, Konzept der Territorialen Verteidigung, Zl. 2577-geh/Op/63.

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nämlich rund 74 000, zumindest theoretisch mobilisierbar ; 146 000 konnten schon deshalb nicht mobilisiert werden, da es für sie nichts gab. Die Operationsabteilung rechnete die Zahlen hoch und kam zu dem Schluss, dass bis 1968 bereits 423 000 Soldaten ausgebildet sein würden, von denen nur mehr 22 % mobilisierbar, 316 000 jedoch nicht mobilisierbar wären. Und bis 1973 würden 620 000 Soldaten eingezogen und ausgebildet werden, jedoch nur 137 000 mobilisierbar sein, während es dann für 483 000 Mann keine Verwendung mehr geben würde. Die Territoriale Verteidigung konnte zwar eine Erhöhung der Mobilmachungsstärke bei geringstem Aufwand ermöglichen, doch auch wenn man die 300 Einheiten tatsächlich aufstellte, fielen immer noch ein paar Hunderttausend »Gediente« durch den Rost. Und womit sollten die Mobilgemachten kämpfen ? Das entscheidende Wort war überhaupt »Mobilmachung«. Konnte man seriöserweise davon ausgehen, dass die gerade amtierende Bundesregierung einen Entschluss zur Mobilmachung fasste ? Wieder schien es zwei Wahrheiten zu geben. Die militärische Führung ging in ihren Kalküls immer wieder von der Gesamtheit der ausgebildeten und einsetzbaren Soldaten aus ; die politische Führung hingegen gefiel sich darin, das Bundesheer – in Anlehnung an preußische Denkweisen des 19. Jahrhunderts – als Erziehungsschule der Nation anzusehen, verstand die allgemeine Wehrpflicht als Garanten dafür, dass sich kein Berufssoldatentum herausbildete und vor allem auch die billigste Lösung praktiziert wurde. 1962 war man erstmals an einem Wendepunkt angelangt : Das Rahmenheer, das sich nie hatte füllen lassen, sollte verkleinert werden. Die daraufhin eingeleitete erste Heeresreform zielte vornehmlich auf das Organisatorische. Damit sollte eine Steigerung der Effizienz erreicht werden. Keine Rolle spielte dabei, dass der Neuorganisation vielleicht ein konkreteres Bedrohungsbild zugrunde gelegt worden wäre. Und die Straffung der Organisation war keinesfalls mit einer nachhaltigen Erhöhung des Kampfwerts gleichzusetzen. Um das Ganze abzurunden, hieß es dann ein Jahr später in einer vertraulichen Beilage zum Bericht an die Bundesregierung über den Zustand des Bundesheers unter anderem26 : Die Defizite bei der Bewaffnung hätten ein bereits besorgniserregendes Ausmaß erreicht. Abgesehen von Panzern mangle es an schwerer Bewaffnung. Die Defizite bei der Panzerabwehr könnten nur durch Lenkraketen behoben werden. Die Luftabwehr sei »völlig unzureichend«, Nachtsichtgeräte fehlten fast vollständig, die Feuerkraft der Artillerie sei insgesamt zu gering. Und was den passiven Schutz anlangte, hieß es : Das Bundesheer kann sich gegen unbeabsichtigte atomare Einwirkungen (Neutralitätsfall) beschränkt, »gegen B, C-Kampfmittel überhaupt nicht schützen«. Gerade auf diesem Sektor wurde daher weiterhin mit Annahmen gearbeitet. Und bei Übungen wurden die nicht verfügbaren Faktoren einfach ausgespart. 26 KA NL Duić, Nr. 6.

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Übungsbeginn Es waren wohl auch bei der B-Gendarmerie kleinere Übungen abgehalten und Planspiele durchgeführt worden, die vor allem im Rahmen der Offiziersausbildung stattfanden, doch das Jahr 1955 schuf klarerweise andere Realitäten. Vor allem ging es auch darum, nicht nur – so wie in der Abteilung K(urse) der B-Gendarmerie – taktische Aufgaben zu lösen, sondern auch operative Lagen durchzuspielen. Damit begann freilich etwas, das wie nichts anderes dazu beitrug, die Kategorie »Ostkrieg« im Bewusstsein zu verankern. Das war auch insofern nicht schwierig, da so gut wie alle Offiziere, die 1957 an der Militärakademie in Enns den 1. Kurs »für den höheren militärischen Dienst« (fdhmD) absolvierten, ihren Aufstieg in der Deutschen Wehrmacht genommen und die Rote Armee als Gegner kennengelernt hatten.27 Daher war auch die – noch als Taktikaufgabe bezeichnete – erste Lage »Donau« ganz von den Erfahrungen des Kriegs in Österreich 1945 geprägt28 : »Rot greift seit 15. 5. [1957] südlich der Donau an«, hieß es daher. Bezogen auf das Übungsdatum hätte das bedeutet, dass sich das Bundesheer bereits zwei Wochen erfolgreich verteidigte. (So wie das auch Generaltruppeninspektor Fussenegger 1958 in die »Richtlinien für die Landesverteidigung« hineinschrieb). Der »Nordstaat« hat teilmobilisiert, direkte Angriffsabsichten sind noch nicht erkennbar. Es gab zwar Raketenbeschuss, doch in Wien waren der Spiellage gemäß noch alle Donaubrücken unbeschädigt. »Die zivile Fluchtbewegung hauptsächlich von Wien nach Westen ist abgeflaut und nun unter Kontrolle.« An den Wiener Straßenbrücken seien je eine mittlere Fliegerabwehr-Batterie in Stellung gebracht worden. Die Verkehrsregelung im Stadtgebiet hätten der Stadtkommandant und die Polizei übernommen. Entsprechend dieser Ausgangslage konnten die Teilnehmer des Kurses ihre Aufgabe bearbeiten. Unzählige Planspiele sollten diesem ersten folgen. Als erste regelrechte Übung eines Verbandes gilt jedoch die Abschlussübung der Theresianischen Militärakademie 1957.29 Eigentlich war mit dieser Übung nur der Ausbildungsstand zu überprüfen, ohne dass der Übungsannahme auch schon ein regelrechtes Szenario zugrunde gelegen wäre. Doch das spielte schon deshalb keine Rolle, da ohnedies nur im Kompanie- bzw. Bataillonsrahmen geübt wurde. Ungeachtet dessen begann damit jene Kette von Übungen, Planspielen und Stabsbesprechungen, bei denen die Vorgaben der B-Gendarmerie insofern tradiert wurden, als 27 Vgl. dazu : Trauttenberg, Hubertus : Die Rezeption des militärischen Widerstandes im Bundesheer der Zweiten Republik, in : Rauchensteiner, Manfried (Hg.) : Tyrannenmord. Der 20. Juli 1944 und Österreich. Begleitband zur Sonderausstellung im Heeresgeschichtlichen Museum 2004, Wien 2004, S. 72–93. 28 KA NL Duić, Nr.25. 29 Landesverteidigungsakademie, Wien (LaVAk), Ségur-Cabanac, René : Die Übungsannahmen für Übungen von großen Verbänden des Bundesheeres ab 1955 mit besonderer Berücksichtigung der konkreten Übungszwecke und Übungsräume, Militärwissenschaftliche Hausarbeit am 11. Generalstabskurs, Wien 1988, S. 18–20.

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man auf rechtzeitige Lieferungen der USA oder gar das Eingreifen von NATOTruppen zählte. Da es noch an allen Ecken und Enden an Ausrüstung fehlte, wurde daher improvisiert bzw. nach dem Grundsatz verfahren, das Fehlende würde notfalls schon zugeschoben werden. Für die Bundesheerführung zeichnete sich aber zunehmend ein Problem ab, das als endgültiger Abschied von der Besatzungszeit zu werten war : Die politische Führung zeigte nur mäßige Bereitschaft, den Heeresaufbau zu forcieren, und tat eigentlich alles, um die zunächst nur vermutete Absicht, Österreich notfalls nicht effektiv, sondern lediglich symbolisch verteidigen zu wollen, zu erhärten. Dabei hätte man es eigentlich schon besser wissen müssen, denn die Weigerung der westlichen Besatzungsmächte, Österreichs Unabhängigkeit und territoriale Integrität garantieren zu wollen, war wohl nicht anders zu verstehen, als dass sich Österreich selbst um seine Verteidigung zu kümmern hatte. Die militärische Führung wiederum hätte sich vielleicht gerne an das westliche Bündnis angelehnt, doch dem hatte die Neutralität einen Riegel vorgeschoben. Also wäre die Konsequenz die gewesen, dass alles getan wurde, um die Verteidigungsfähigkeit sicherzustellen. Genau das war aber nicht der Fall. Und schließlich entzog Bundeskanzler Raab, der zwar eine konsequente Interpretation der Neutralität forderte, dem Heer aber gleichzeitig die Mittel für einen raschen Heeresaufbau vorenthielt, weitergehenden Planungen insofern jegliche Grundlage, als er in der Sitzung des Landesverteidigungsrats am 25. Februar 1958 sehr klar formulierte, das Bundesheer würde nie einen Krieg führen, sei also auch nicht dazu da, um sich auf einen regelrechten Verteidigungsfall vorzubereiten. Da man von diesem Diktum aber wohl zum wenigsten Kenntnis hatte und sich die Heeresspitze vorderhand auch nicht beirren ließ, wurde von einer heilen militärischen Welt ausgegangen. 1958 führte die westösterreichische Gruppe III (Oberösterreich, Salzburg, Tirol, Vorarlberg) eine Übung in den alpinen Regionen durch (Übung »Birnhorn«). Es ging um die bewegliche Kampfführung von Infanterieverbänden im hinhaltenden Kampf und um die Besonderheiten des Gebirgskriegs.30 Die nächste größere Übung, der mehr Bedeutung zukam als der Überprüfung des Ausbildungsstands, war die Abschlussübung der Theresianischen Militärakademie 1963, die als erste Kleinkriegsübung des Bundesheers gilt. Sie fand im Waldviertel und Voralpengebiet statt.31 Ebenso galt die Abschlussübung der Militärakademie 1964 der Erprobung taktischer Verfahren im Kleinkrieg. Nur wurden diesmal der Raum entlang der Westautobahn von Wien bis St. Pölten sowie das Pielachtal als Übungsraum gewählt. Auswirkungen auf die konzeptive Planung hatten diese Übungen so gut wie keine, und ein Zusammenhang mit konkreten Operationsfällen bestand nicht. Das Glei30 Ebd., S. 28–35. 31 Ebd., S. 36–45.

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che galt für die erste Großübung des Bundesheers 1965, zu welcher der sowjetische Verteidigungsminister, Marschall Malinowski, eingeladen worden war. Den großen Landschaften, den Pforten und dem Donautal wurde bei der Übung bewusst ausgewichen und mit dem Raum Rax, Schneeberg, westlicher Wienerwald eine Gegend gewählt, in der einigermaßen glaubhaft die »Raumgunst«, wie das schon in der Zwischenkriegszeit geheißen hatte, ausgenützt werden konnte. Der Einsatz von mechanisierten Verbänden, Luftlandekräften und den immer wieder ins Spiel gebrachten atomaren Kampfmitteln ergab in diesem Gelände wenig Sinn, folglich konnten die Verteidiger so tun, als ob die Angreifer denkbar begrenzte Möglichkeiten hätten. Erstmals in der Geschichte des Bundesheers der 2. Republik nahmen zwei Heereskörper mit allen Verbänden an einer Übung teil und sollten auch das Funktionieren – oder Nichtfunktionieren – der Kommandostrukturen zeigen. Dass am Ende der Übung noch ein Begegnungsgefecht gepanzerter Verbände auf dem Übungsplatz Großmittel stattfand, bei dem auch die neu eingeführten Saurer-Schützenpanzer und der aus den USA gelieferte M-60A1-Panzer vorgeführt wurden, diente vor allem der PR und war wohl auch als Demonstration für den sowjetischen Ehrengast gemeint. – Im Großen und Ganzen konnte man mit dem Übungsverlauf zufrieden sein, auch wenn sich deutliche Schwächen und vor allem das Fehlen von Panzer- und Luftabwehrwaffen gezeigt hatten. Doch zweifellos hatte man gelernt. Eine vergleichbare Großübung sollte es erst 14 Jahre später wieder geben. Weit weniger spektakulär verliefen andere Übungen, die freilich mit dem Bedrohungsbild viel unmittelbarer korrespondierten als ein »Schau«-Manöver. Dementsprechend wurden auch die Übungsannahmen so gewählt, dass ein Zusammenhang mit den in Ausarbeitung befindlichen Operationsfällen bestand. Dazu zählte beispielsweise die Fernmelde-Stabsrahmenübung vom 21./22. September 1960 : Hier hieß es in der Übungsannahme kurzgefasst : »In der vergangenen Woche hat Ungarn plötzlich eine offenbar gelenkte Pressekampagne gegen Österreich eröffnet und an der burgenländischen Grenze mehrere Zwischenfälle heraufbeschworen. Sowohl in der tschechischen als auch in der jugoslawischen Presse ist eine offene Begünstigung Ungarns festzustellen. Diese Ereignisse lassen darauf schließen, dass der Ostblock eine aggressive Aktion Ungarns gegen Österreich plant, wahrscheinlich um dadurch von Maßnahmen an anderer Stelle abzulenken.« Subversive Tätigkeiten sind nicht auszuschließen. Das Bundesheer hat mobilgemacht, wird der Aggression entgegentreten und in der Brucker und Neustädter Pforte verteidigen. Riegelstellungen werden an Erlauf und Enns vorbereitet. »Österreich wird mit militärischer Hilfe von auswärts nicht, wohl aber mit materieller Unterstützung rechnen können.«32 Zumindest in Ansätzen regierte also weiterhin das Prinzip Hoffnung.

32 BMLV Zl. 439-strgeh-Op//III/1960.

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Die Kategorie Ostkrieg Für die militärischen Konzeptionen Österreichs blieb der Warschauer Pakt das Maß aller Dinge. Dazu trug auch etwas bei, das zwar keine direkte Bedrohung darstellte, aber die Grundannahme mehr oder weniger durchgängig beeinflusste : Der Bau der Berliner Mauer und die damit einhergehende Kriegspsychose schienen die latente Annahme einer Bedrohung aus dem Osten zu unterstreichen. Noch im Oktober 1961 gab das Generaltruppeninspektorat die Übungslage »Paukenschlag III« aus, die auf der Annahme beruhte : »Der seit August 1961 anhaltende Spannungszustand in Mitteleuropa hat sich verschärft. Die DDR hat am x-8. Tag mobil gemacht … Der Antrag auf Mobilisierung des österreichischen Bundesheeres wurde auf Grund einer Erklärung des sowjetischen Botschafters abgelehnt. Dagegen wurde am x-1. Tag, 1500 Uhr, für alle verwendungsbereiten Teile des Bundesheeres volle und strenge Bereitschaft und einstündige Marschbereitschaft verfügt …«33 Bei allen mit einer Kriegsgefahr in Europa zusammenhängenden Überlegungen wurde auch nach wie vor die Möglichkeit eines Stellvertreterkriegs in Rechnung gestellt. Nicht der Warschauer Pakt würde folglich als Gegner zu kalkulieren sein, sondern einzelne Staaten. Dabei konzentrierten sich die Überlegungen zunehmend auf Ungarn und weniger auf die ČSSR. Folglich begann man damit, die ersten Überlegungen zur Landesverteidigung zu revidieren, zu konkretisieren und vor allem auch die heiklen Punkte verstärkt anzusprechen. In Ansehung der Schwierigkeiten, in dem ebenen und für die Verteidigung schlecht geeigneten Gebiet Ostösterreichs einen Rückhalt für die Verteidigung zu finden, wurde schließlich mit dem Bau einer Befestigungsanlage im Raum der Brucker Pforte begonnen. Das zugrunde liegende Konzept war schon 1958 von Major d. R. Max Stiotta verfasst worden. Die Umsetzung begann ein Jahr später und hatte die erste nennenswerte Sperranlage zur Folge, die nach dem Krieg gebaut wurde. Die Meinungen über den Nutzen einer linearen Befestigung gingen jedoch auseinander, wobei immer wieder ins Treffen zu führen war, dass angenommene Truppen des Warschauer Pakts jederzeit die Möglichkeit hätten, Truppen aus der Luft und in der Tiefe des Raums abzusetzen, womit die Befestigungen in der Brucker Pforte rasch auszuschalten wären. Letztlich aber ging es darum, dass ein Teil der Anlage auf dem dortigen Truppenübungsplatz errichtet werden konnte und der 4. Punkt des Antrags von Max Stiotta zu gelten hatte, wonach »die auf dem Truppenübungsplatz ausgebauten Teile für Übungen zu benützen« wären, »um an den Objekten Erfahrungen für den Ausbau, den Angriff und die Verteidigung zu gewinnen«.34 Der Begründung für die Sinnhaftigkeit des Bauens auf dem Areal des Truppenübungsplatzes entbehrte 33 BMLV Zl. 153-strgeh-GTI/1961, 20. 10. 1961. 34 Rauchensteiner : Das Bundesheer der Zweiten Republik, S. 42 f. (Dok. 27).

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aber auch nicht einer Passage, die ganz in die Kategorie »Ostkrieg« passte : »Solange auf dem TÜPl [Truppenübungsplatz] gebaut wird, sind wir nicht verpflichtet, gleichzeitig an anderer Stelle bauen zu müssen, um als Neutrale das Gesicht zu wahren.«35 Der Kampf aus und in Festen Anlagen wurde ab 1961 als Teil der Abhaltestrategie verstanden, doch zwangsweise erhielten damit die operativen Überlegungen etwas Statisches. Es war wie die Rückkehr zur Reichsschutzstellung 1944/45. Wie man spätestens seit 1992 weiß, galten innerhalb des östlichen Bündnisses während der Sechzigerjahre die strategischen Vorgaben des sowjetischen Verteidigungsministers Marschall Malinowski. Und eine dieser Vorgaben war, dass auch Luftraumverletzungen über Österreich als Anlassfall für einen Neutralitätsbruch und als Kriegsgrund gelten konnten. Zwar meinte Malinowski zuletzt 1965, dass die Sowjetunion die österreichische Neutralität immer achten werde. Die Sowjetunion habe auch gar keinen Grund, die österreichische Neutralität und Unabhängigkeit anzutasten, da sie im Ernstfall die Möglichkeit hätte, im Norden und Süden vorbeizustoßen. Das Problem wäre viel größer für die NATO-Staaten, da Österreich und die Schweiz die Nord-Süd-Verbindung unterbrächen.36 Doch obwohl das so gesagt wurde, beschlichen die österreichischen Militärs immer wieder Zweifel. Und wenn man Robert Széles, der in den Achtzigerjahren der ungarische Vertreter im Oberkommando des Warschauer Pakts und Stellvertretende Generalstabschef des Pakts war, Glauben schenkt, dann hatten die österreichischen Militärs recht daran getan, die Äußerungen des sowjetischen Marschalls zu relativieren und davon auszugehen, dass sich notfalls jeglicher Zwischenfall konstruieren ließ. Letztlich begann sich aber alles im Kreis zu bewegen. Österreich wollte sich nicht mit der NATO in einen Topf werfen lassen und vermied zeitweise ganz bewusst engere Kontakte, um nicht verdächtigt zu werden. Auf der anderen Seite war die NATO immer jener gedankliche Verbündete, der wie auf Knopfdruck zu Hilfe eilen sollte, wenn es nottat. Und für die Staaten des östlichen Militärbündnisses galt Österreich in den Sechzigerjahren mehr oder weniger durchgängig als zumindest stiller Verbündeter des Westens.

35 BMLV 402-strgeh-Gz/III/58, A.V. vom 31. 1. 1958. 36 Österreichisches Staatsarchiv, Archiv der Republik (AdR) Karton 856, II Pol. 1963, Österreich 5, Zl. 34.590–4(Pol)63, Berichte über den offiziellen Besuch von Bundesminister Schleinzer und Staatssekretär Rösch in der UdSSR, 9.–17. 9. 1963, Bericht vom 18. 9.

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»Die Auswirkungen militärischer Konflikte in Europa auf Österreich« Minister Schleinzer, der zweifellos Dynamik in die Planungen des Bundesheers gebracht hatte, wollte sich nicht damit begnügen, eine erste Heeresreform durchzuführen und den organisatorischen Rahmen des Heeres zumindest einigermaßen an die Realitäten anzupassen. Er ergriff auch die Initiative, um einen Ministerratsbeschluss mit Aufträgen an die militärische Landesverteidigung zustande zu bringen. Der Beschluss wurde allerdings erst ein Jahr nach dem Ausscheiden Schleinzers aus dem Verteidigungsressort verabschiedet und datierte vom 11. Mai 1965. Um den dritten Minister innerhalb weniger Jahre, Georg Prader, zu informieren und seine Intentionen zu erfragen, kamen am 18. Juni der Generaltruppeninspektor, der Leiter der Sektion III, General Otto Seitz, und der Leiter der Operationsabteilung, Oberst dG Duić, zum Minister. Zehn Tage später sollte ein weiterer Termin stattfinden, doch Prader ließ über seine Adjutantur mitteilen, der Herr Bundesminister wünsche »vorerst keine weitere Besprechung«. Nichtsdestoweniger arbeitete die Operationsabteilung eine »Weisung für operative Planungen Nr. 1« aus, bzw. wurde an einem Dienststück weitergearbeitet, das schon unter Minister Schleinzer zu Papier gebracht worden war.37 Der zweite Entwurf der Weisung berücksichtigte schon so gut wie alle möglichen Bedrohungsfälle. Als wahrscheinlichster Fall wurde der Operationsfall »Nord« angenommen, der dann eintreten würde, wenn es im Zuge eines Ost-West-Konflikts zum Einsatz von Truppen des Warschauer Pakts bzw. tschechischer und ungarischer Divisionen nördlich der Donau käme. Da sich der Minister aber weiterhin nicht dafür zu interessieren schien, verging wiederum ein Jahr. Im April 1965 ging der Entwurf dem Generaltruppeninspektor zu, der bis dahin – offiziell – noch nicht eingebunden worden war, da ihm groteskerweise die Kompetenz zu operativen Planungen entzogen und dem Leiter der Sektion III, General Otto Seitz, übertragen worden war. Fussenegger hatte aber durchaus abweichende Vorstellungen, was das Bedrohungsbild und die Kräfteverteilung betraf. Er verlangte eine nochmalige Überarbeitung. Sie lag im Juni 1965 vor und berücksichtigte bereits die vom Ministerrat am 5. Mai genehmigten Ziele der Umfassenden Landesverteidigung mit dem darin enthaltenen abgestuften Bedrohungsbild, nämlich Krisen-, Neutralitäts- und Verteidigungsfall.38 Nun stimmte auch der Generaltruppeninspektor der »Weisung« zu. Somit schien alles geregelt, um die Detailarbeit zu beginnen. Zur Bearbeitung standen heran : Krisenfall, Neutralitätsfall Nord, Neutralitätsfall Nord–Süd, Verteidigungsfall Warschauer Pakt sowie die Verteidigungsfälle NATO, ČSSR, Ungarn und Jugoslawien. 37 BMLV Zl. 270-strgeh/Op/64. Der erste Entwurf stammte aus dem März 1963. 38 Rauchensteiner : Das Bundesheer der Zweiten Republik, S. 76 (Dok. 44).

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Der Erlassentwurf zur Einleitung von Planungsarbeiten ging Minister Prader zu. Der schickte den Akt dem (sozialistischen) Staatssekretär, Otto Rösch. Am 18. Oktober 1965 ließ Rösch den Minister seine wohl durch Oberst dG Johann Freihsler entworfene Antwort wissen.39 Darin hieß es u. a.: »Bei der Behandlung der Neutralitätsfälle wird meines Erachtens der eminenten Bedrohung durch die NATO (Landverbindung zwischen Deutschland und Italien) zu wenig Bedeutung beigemessen.« Rösch wollte aber auch den Verteidigungsfall nicht in den Vordergrund gerückt sehen, sondern zunächst den Krisen- und den Neutralitätsfall behandelt wissen. Aber eigentlich war er nicht – so wie es dann interpretiert wurde – grundsätzlich gegen die Aufnahme des Verteidigungsfalls in die Weisung. Er wollte nur eines unmissverständlich festgehalten wissen : dass nämlich bei der Planung der Fälle nicht von einer Zurücknahme der Truppen und der Verteidigung im Landesinneren auszugehen sei. Vielmehr – so Rösch – hieße es in der Verfassung explizit, dass das Bundesheer in jedem Fall »zumindest an der Grenze« mit der Verteidigung beginnen müsse. – Das war zwar nicht der genaue Wortlaut des Bundesverfassungsgesetzes40, und was »zumindest« hieß, wäre jedenfalls wert gewesen, hinterfragt zu werden. Doch was Rösch wollte, war klar und war auch schon von Karl Stephani 1955 und Außenminister Kreisky 1960 angemahnt worden : Das Bundesheer sollte seine Planungen auf den Schutz der grenznahen Regionen abstimmen. Was auch immer daraus zu folgern war – dass es abermals nur um die symbolische Verteidigung ging ; dass ein regelrechter Kriegsfall nicht vorgesehen wurde oder dass primär in die politische Option investiert werden sollte… konnte bestenfalls gemutmaßt werden. Eines aber war klar : Die »Weisung für operative Planungen Nr. 1« war in der vorliegenden Fassung innerhalb der Großen Koalition nicht mehrheitsfähig. Der Minister verweigerte daher seine Zustimmung und bewilligte lediglich eine verkürzte Planung. Folglich wurde die Weisung Nr. 1 auf den Krisen- und Neutralitätsfall beschränkt und damit auch alles, was Fussenegger an der Politik »vorbeizuschwindeln« versucht hatte, obsolet, denn nun, da alles verschriftlicht war, konnte man nicht mehr so tun, als ob. Jetzt gab es einen klaren politischen Auftrag, auch wenn er den militärischen Verantwortlichen nicht sinnvoll erschien. Abermals wollte der Leiter der Operationsabteilung den Minister direkt informieren, weil er, wie er notierte, den Eindruck gewonnen hatte, dass dem Minister weder durch den Generaltruppeninspektor noch durch den Leiter der Sektion III »eine zusammenhängende Information« gegeben würde. Der Termin kam zwar zustande, doch am 20. Dezember sagte Prader zu Oberst Duić, dass er bisher zu wenig Zeit gehabt hätte, sich mit Einsatzfragen

39 HMGM/MGFA NL Pleiner, Ordner 2. 40 Art 79, Abs.1 »Dem Bundesheer liegt der Schutz der Grenzen der Republik ob«.

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zu beschäftigen.41 Die Weisung Nr. 1 musste auf die Approbation warten. Und Duić bekam eine andere Verwendung. Die Grundannahme der »Weisung für operative Planungen Nr. 1« war, dass das österreichische Bundesheer allen seinen Nachbarn stärkemäßig unterlegen sei. Doch die Verteidigungsfähigkeit und -notwendigkeit sei in jedem Fall gegeben. Es sei auch davon auszugehen, dass jeder europäische Krieg von langer Dauer sein würde. Bei einem lokalen Konflikt würde das Heer den Abwehrkampf zunächst allein zu führen haben ; wenn Hilfe von außen zu bekommen wäre, würde sie zunächst nur materieller Art sein – und spät kommen. Die daraus abzuleitende Konsequenz sei die, dass das Heer einen hinhaltenden Kampf führen müsse. Was nach und nach in der Operationsabteilung entstand, sollte aber auch an der Realität des Dienstbetriebs im österreichischen Außen- und im Verteidigungsministerium gemessen werden. Dort war man nicht nur in einem permanenten Lernprozess begriffen, was in einem immerwährend neutralen Staat alles möglich und was nicht möglich war, sondern begann auch so etwas wie eine Äquidistanz zu den Blöcken zu entwickeln. Wieder aber gilt es festzustellen, dass dies keinesfalls zur Folge hatte, dass die Beziehungen zu Washington und Moskau nicht nur korrekt, sondern herzlich gestaltet worden wären. Und wenn es etwas gab, das diese österreichischen Bemühungen zu unterlaufen drohte, dann war es eine gewisse Abkühlung im Verhältnis zu den USA. Da sich Österreich allem Anschein nach auf einen Sonderweg begeben hatte und den von den Amerikanern gewünschten forcierten Aufbau des Bundesheers nicht realisierte, erlahmte die amerikanische Bereitschaft, Österreich zumindest materiell stärker an das westliche Bündnis anzugleichen.42 Dabei hatte man freilich in Österreich nach wie vor Schwierigkeiten, im westlichen Bündnis und vor allem in den USA notfalls auch einen Gegner zu sehen. Eine 1965 verfasste und wohl nicht offiziell angeforderte Studie des immer wieder als Berater in militärischen Fragen konsultierten Generalobersten der Deutschen Wehrmacht Dr. Lothar Rendulic konnte da auch keine andere Sicht bewirken.43 Ganz im Gegenteil ! Unter der Überschrift »Die Verletzung der Neutralität durch den Westen« finden sich einige doch eher hilflose Bemerkungen : Die Verletzung der Neutralität wäre nur in einem allgemeinen nuklearen Krieg oder auch in einem Krieg denkbar, der zunächst mit konventionellen Mitteln und erst zuletzt atomar geführt würde. Im nuklearen Krieg sei eine Verletzung vor allem durch das Überfliegen des österreichischen Territoriums zu gewärtigen. »In einem konventionellen Krieg 41 KA NL Duić, Nr. 9 A. 42 Clausen, Hannes-Christian : Österreich und das strategische Konzept des Westens 1955–1970, in : Rauchensteiner, Manfried/Etschmann, Wolfgang (Hg.) : Schild ohne Schwert. Das österreichische Bundesheer 1955–1970 (Forschungen zur Militärgeschichte 2), Graz/Wien/Köln 1991, S. 9–28, hier bes. S. 20–28. 43 KA NL Duić, Nr. 26.

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kann die Benützung österreichischen Gebietes nur für Operationen des Ostens in Betracht kommen. Denn es ist nicht anzunehmen, ja ausgeschlossen, dass der Westen bei seiner erzwungenen strategischen Defensive strategische Kräfte freimachen könne für eine Offensive durch Österreich gegen ein operatives Ziel im Gebiet des Ostens. Dagegen könnten kleine Teile Österreichs für die Verteidigung des Westens gegen eine russische Offensive durch Österreich in Richtung Süddeutschland Bedeutung gewinnen.« Bei einem Stoß des Ostens durch Innerösterreich Richtung Italien hätte der Osten davon auszugehen, dass alle nach Kärnten führenden Straßen verteidigt werden. Der Westen kann aber kein Interesse daran haben, die Neutralität als Erster zu verletzen. Anders sei es im Fall der Brennerstrecke bestellt. Allerdings sei zu bezweifeln, dass sich der Westen mit dem politischen Odium des Neutralitätsbruchs belasten will. Das mochte nun seine Richtigkeit haben, doch es berücksichtigte wohl zum wenigsten, dass Österreich vonseiten der NATO schon längst nicht mehr mit freundlichen Augen, sondern mit wachsendem Misstrauen gesehen wurde. Hilfe durch NATO-Kräfte für ein angegriffenes Österreich, so konstatierte die Gruppe Nachrichtenwesen des Bundesheers, sei zum einen nicht möglich, und wenn, dann würde vielleicht Italien einige Luftwaffeneinsätze fliegen. Viel mehr zu berücksichtigen sei aber, dass die NATO für den Kriegsfall nicht ausschließe, dass Österreich angesichts der Klammer kommunistischer Staaten im Osten gezwungen sein würde, mit dem Warschauer Pakt mitzugehen.44 Gesetzt aber den Fall, der Westen greife tatsächlich an. Gegen Überflüge, meinte Rendulic, könnte man nur mit Gesten antworten. Beim Eindringen von Landtruppen des westlichen Bündnisses müsse die Staatsführung entscheiden, »ob ein wenigstens symbolischer Widerstand geleistet werden soll«. Die Notwendigkeit, im Fall der Fälle Truppen auch gegen den Westen einzusetzen, wäre freilich in höchstem Maß misslich, da in Zeiten höchster Spannung das Bundesheer wohl bereits für Aufgaben eingesetzt sein würde, die gegen Osten zeigten. Gegen Truppen des Westens könnten daher nur »ganz kleine Teile des Heeres freigemacht werden«. Was da zu Papier gebracht wurde, konnte bestenfalls als eine Art strategisches Kalkül gelten. Mehr war es nicht. Der Ministerratsbeschluss vom Mai 1965 hatte aber zweifellos Wirkung gezeigt, denn schon die Absicht, die Planung auf neue Grundlagen zu stellen, hatte zur Folge, dass eine Reihe wichtiger Arbeiten in Angriff genommen wurde. Dazu zählten die Studien »Auswirkung militärischer Konflikte in Europa auf Österreich«45, »Mögliche Stoßrichtungen eines Aggressors in verschiedenen Fällen«46, »Rechtliche Aspekte einer Erklärung Wiens zur ›offenen 44 HMGM/MGFA NL Pleiner, Ordner 2, Information Gruppe Nachrichtenwesen, September 1965. 45 BMLV Zl. 103-strgeh/Op/65. 46 BMLV Zl. 2577-geh/Op/63.

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Stadt‹«47, Neutralitätsfall »Nord«, und »Vorarbeiten für den Fall eines fremden Hilfsangebots«.48 In der Studie über die »Auswirkungen militärischer Konflikte in Europa auf Österreich« wurde so gut wie jeder denkbare Fall untersucht : Welche Arten von Kriegen kann es in Europa geben ? Wie ist die Angriffsfähigkeit der für Österreich relevanten Armeen zu beurteilen ? Wird ein Ost-West-Konflikt in Europa nördlich und südlich der Alpen oder nur nördlich der Alpen ausgetragen werden ? Welches Interesse hat die NATO oder einer ihrer Mitgliedstaaten in einem Ost-West-Konflikt an der Brenner-Linie ? Was sind die Auswirkungen von Stellvertreterkriegen zwischen Österreichs Nachbarn auf Österreich ? Wie sind Stellvertreterkriege gegen Österreich zu beurteilen ? u. a. m. 1965 wurde also nochmals und teilweise erstmalig der Versuch gemacht, die militärische Gesamtsituation gründlich zu bewerten, und auch wenn dabei erstmals ein NATO-Kriegsfall ausführlicher erörtert wurde, blieb das Hauptaugenmerk auf den Osten gerichtet. Die erste in deutscher Übersetzung vorliegende Ausgabe der sowjetischen Militärstrategie von Marschall Sokolowski war mittlerweile sehr wohl rezipiert worden, folglich ließ sich – wie man meinte – wesentlich konkreter darüber urteilen, mit welchen Zielen und unter Anwendung welcher Mittel die Sowjets bzw. der Warschauer Pakt eine Operation durch Österreich planen könnten. In der ersten Auflage des »Sokolowski« war der begrenzte, lokale Krieg nur kurz behandelt und als mehr oder weniger unmöglich hingestellt worden. Das musste den Eindruck erwecken, dass die Sowjets bei einer Ost-West-Auseinandersetzung sofort auf einen Atomkrieg hinsteuerten. Das war wohl auch einer der Gründe, weshalb dann auch in Österreich stärker der Aspekt des Stellvertreterkriegs ins Spiel kam. Bei den späteren Auflagen wurde der begrenzte Krieg stärker berücksichtigt und dem Westen dann unterschoben, dass er den imperialistischen Krieg von kleinen Ländern ausgehen lassen würde und es dann an der Sowjetunion gelegen sei, mit der nuklearen Abschreckung zu drohen. Das war nun die Umkehr der Annahmen und spielte mit der Möglichkeit, der Westen könnte einen Stellvertreterkrieg wollen. Nur : Wer sollte den führen ? Die Denkmöglichkeit eines Angriffs aus dem Westen in Form eines Stellvertreterkriegs führte zu heftigen Diskussionen unter den hohen Befehlshabern des Bundesheers und verstärkte ohnedies vorhandene Animositäten. Vor allem innerhalb des Befehlsbereichs III (Salzburg und Oberösterreich) wurde die Sache als derart unrealistisch angesehen, dass sowohl der Gruppenbefehlshaber, General Zdenko 47 BMLV Zl. 348.315/Op/64 48 KA NL Duić, Nr. 9, Denkschrift für den Herrn Bundesminister über die zentrale Bedeutung der Einsatzfragen, 7. 1. 1966. Die Denkschrift wurde von Duić anlässlich seines Wechsels von der Operationsabteilung in das Gruppenkommando III nach Salzburg verfasst.

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Paumgartten, wie auch einzelne Kommandanten ihren Unwillen, sich mit konkreten Fragen, etwa der Donauverteidigung im Stadtbereich von Linz und in der Industriezone zu beschäftigen, unmissverständlich bekundeten. Ganz offenbar galt hier der Grundsatz, dass »nicht sein kann, was nicht sein darf«.49 In Österreich stand weiterhin die Möglichkeit eines Ostkriegs im Vordergrund. In der Studie »Die Auswirkung militärischer Konflikte in Europa auf Österreich«50 hieß es unter anderem : Die Angriffsfähigkeit der Warschauer-Pakt-Staaten unter Führung der Sowjetunion ist in unterschiedlicher Weise gegeben : Die Nationale Volksarmee der DDR dürfte zu einem selbständigen Angriff gegen die BRD genügend gefestigt sein. »Die Armee der ČSSR ist für Angriffsoperationen gegliedert und ausgerüstet, bei der ungarischen Armee ist dies nur begrenzt festzustellen«… »Für Österreich ist demnach die Beobachtung der tschechischen Streitkräfte sowie die Zuführung (weiterer) sowjetischer Streitkräfte in die ČSSR und nach Ungarn besonders wichtig… Ein Ost-West-Konflikt, der in Österreichs Nähe militärisch nur nördlich der Alpen… ausgetragen wird, ist daher wahrscheinlicher als ein Konflikt, der auch den Raum südlich der Alpen (Italien) in die militärischen Operationen einbezieht.« Im Fall eines Angriffs aus dem Osten wird das Schwergewicht voraussichtlich weit im Norden Europas liegen ; in Süddeutschland würde es nur Nebenoperationen geben. Die NATO dürfte eine Vorwärtsverteidigung am Eisernen Vorhang versuchen, die freilich vor der Freigabe von A-Waffen wenig Erfolgsaussichten hat. »Wird die Vorwärtsverteidigung der NATO in Bayern versucht, ist eine Ausweitung der östlichen Angriffsoperationen auf österreichisches Gebiet zu befürchten.« Und bezogen auf den Fall »Süd« : »Eine Operation aus Ungarn nur über österreichisches Gebiet ohne Einbeziehung Jugoslawiens hat keinen ausreichenden Operationsraum. Selbst wenn sie den Raum Villach schnell erreicht, ist damit noch nichts gewonnen. Dieser Fall ist daher praktisch auszuschließen.« Diese Annahme wurde von einem Frequentanten des 4. Generalstabskurses, Major Eduard Fally, nicht geteilt. Er legte seiner Militärwissenschaftlichen Hausarbeit 1966 sehr wohl die Absicht des Sowjetischen Oberkommandos (Stawka) zugrunde, die jugoslawische Blockfreiheit als gegeben anzunehmen und eine Operation Richtung Italien ausschließlich über österreichisches Gebiet zu führen. Voraussetzung einer Operation aus Ungarn gegen Italien sollte eine erhebliche Verstärkung der sowjetischen Kräfte in Ungarn sein. Sie konnte geringer ausfallen, wenn Jugoslawien aufseiten des Warschauer Pakts mitmachte.

49 Für Erläuterungen zur Frage eines Stellvertreterkriegs ist abermals General i. R. Pleiner herzlich zu danken. 50 BMLV Zl. 103-strgeh/Op/65.

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Für den Fall »Süd« waren also gleich mehrere Annahmen ausschlaggebend : Er hatte gegenüber dem Donautal Zweitrangigkeit und würde ohne Einbeziehung Jugoslawiens nicht denkbar sein. Jugoslawien war also wieder und in geänderter Form in die Überlegungen einbezogen worden. Doch offenbar hatte sich mittlerweile die Einschätzung der Paktfreiheit des südlichen Nachbarn Österreichs doch so weit gewandelt, dass weniger mit einem direkten Eingreifen als mit einer Art »wohlwollender« Neutralität des Balkanlandes gegenüber dem Warschauer Pakt bzw. der Sowjetunion gerechnet wurde. Daher lag das Hauptaugenmerk auf einer isolierten Operation durch Österreich entlang der Linie Szombathely–Villach. Für das Durchstoßen an die italienische Grenze bei strikter Wahrung der jugoslawischen Blockfreiheit wurde optimistisch ein Zeitbedarf von fünf Tagen angenommen, wobei die Operation von sowjetischen Truppen durchgeführt würde. Die Honvéd sei noch zu wenig zuverlässig und gefestigt, sodass die ungarischen Verbände nur nachgeführt bzw. zu Besatzungsaufgaben herangezogen werden könnten – lautete die Annahme.51 Sollte es aber eine Art Stellvertreterkrieg geben und ein scheinbar isolierter Angriff Ungarns erfolgen, dann würden sich die Kampfhandlungen noch mehr verzögern lassen. Wie üblich in dieser Zeit, wurde den operativen Annahmen auch der Einsatz von Atomwaffen zugrunde gelegt. Für den eigentlichen Vormarschbereich Szombathely–Villach wurde keine Notwendigkeit gesehen, A-Waffen einzusetzen, doch zur Absicherung nach Norden und um die Italiener an einer Vorwärtsverteidigung zu hindern, wurden A-Waffen sehr wohl angenommen. Das war insofern realistisch, als zur selben Zeit auch in Ungarn eine derartige Lage ausgearbeitet und der Einsatz von Atomwaffen wie selbstverständlich eingeplant wurde. Aber welchen Sinn sollte es haben, dass Ungarn Österreich angriff ? Dergleichen, so die Studie über die »Auswirkungen militärischer Konflikte in Europa auf Österreich«, hätte wohl nur den Zweck, dem Westen seine Ohnmacht zu demonstrieren (eine eher schwache Begründung). Das Fehlen einer Bündnisverpflichtung Österreichs würde das Risiko für Ungarn allerdings minimieren. Der Besitz Wiens würde propagandistisch-psychologisch einiges bringen. Großer Raumgewinn auf breiter Front würde aber nicht angestrebt werden. Ähnlich würde ein Angriff der Tschechoslowakei auf Österreich oder ein kombinierter Angriff von Ungarn und Tschechen zu bewerten sein.52 Wie erwähnt, fiel die Ausarbeitung »Über die Auswirkung militärischer Konflikte in Europa auf Österreich« exakt mit der Ausarbeitung von Operationsfällen in der Tschechoslowakei und in Ungarn zusammen, die freilich von ganz anderen 51 LaVAk, Fally, Eduard : Die Operationslinie Steinamanger–Villach. Eine Operationsstudie vom Osten her, Militärwissenschaftliche Hausarbeit am 4. Generalstabskurs, Wien 1966, Zl. 11-geh/66. 52 BMLV Zl. 103-strgeh/65.

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Annahmen ausgingen, als man dies in Wien zur Voraussetzung der eigenen Planungen machte. Die ungarische Planung für die Operation »Süd« lag 1965 vor, nannte klar Ansatz, Kräfte und Ziele und setzte die ungarische 5. Armee – entgegen den Annahmen der Bundesheerführung – sehr wohl in der Front ein. Aus dem Raum Székesfehervár sollte es über Bruck a. d. Mur und Klagenfurt–Villach in den Raum Triest gehen. Die ungarische 5. Armee hätte allerdings auch bei einer Operation im Donautal eine Rolle zu spielen gehabt.53 Der einzige bisher bekannt gewordene tschechoslowakische Operationsfall geht freilich von ganz anderen Annahmen aus.54 Er war schon 1964 und unter Zugrundelegung eines großen europäischen Kriegs ausgearbeitet worden und supponierte, dass die Truppen des Warschauer Pakts, an deren siegreichem Vordringen nicht gezweifelt wurde, sowohl im Norden wie im Süden an Österreich (und der Schweiz) vorbeistoßen würden. Nun legen die sehr unterschiedlichen ungarischen und tschechoslowakischen Planungen den Schluss nahe, dass es sich lediglich um Planspiele handelte, den Annahmen aber weder ein Auftrag des Oberkommandos des Warschauer Pakts zugrunde lag noch Moskau die Planung eines europäischen bzw. Weltkriegs in die Verantwortung Budapests oder Prags legen wollte. Daher konnte der eine seine Annahmen problemlos darauf gründen, dass über Österreich hinweg in Richtung Adriaraum operiert würde, während der andere die Neutralität strikt beachten und im Norden und Süden an Österreich vorbeistoßen wollte. 55 In Österreich konnte man bestenfalls hoffen, dass die Neutralität, deren Neubewertung durch die sowjetische Völkerrechtslehre in diese Jahre fiel, respektiert würde. Doch diesbezügliche Gewissheit gab es keine.

53 Széles, Robert : Die strategischen Überlegungen des Warschauer Pakts für Mitteleuropa in den 70er Jahren und die Rolle der Neutralen, in : Rauchensteiner, Manfried/Rausch, Josef/Etschmann, Wolfgang (Hg.) : Tausend Nadelstiche. Das österreichische Bundesheer in der Reformzeit 1970–1978 (Forschungen zur Militärgeschichte 3), Graz/Wien/Köln 1994, S. 25–46 ; Reiter, Erich/Blasi, Walter : Österreichs Neutralität und die Operationsplanungen des Warschauer Pakts (Informationen zur Sicherheitspolitik 20), Wien 1999. 54 Schmidl, Erwin (Hg.) : Im Tschechenpanzer nach Lyon. Der tschechoslowakische Kriegsplan 1964 und seine Relevanz für Österreich (Interne Informationen zur Sicherheitspolitik 8/200), BMLV/MWB, Wien 2000. 55 Horst Pleiner hebt in einer Zuschrift an den Verfasser (7. Mai 2009) hervor, dass es ausschließlich der sowjetische Generalstab war, der paktrelevante Planungen durchführte. Für die Generalstäbe der Mitgliedstaaten hätten Operationsstudien wie jene, die aus der Tschechoslowakei und aus Ungarn bekannt geworden wären, lediglich Lehrcharakter besessen. Außerdem sei die Verfügungsgewalt über A-Waffen ausschließlich bei der Sowjetunion gelegen.

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Die Farbenfälle Der Kriegsfall Ost wurde immer wieder neu durchdacht, so 1966, als die voraussichtliche Operationsführung beim Übergang von einem »Neutralitätsfall Nord« zu einem Verteidigungsfall sowie zu einem »Neutralitätsfall Nord–Süd« ausgearbeitet wurde.56 Schließlich wurde die schon ein Jahr zuvor erstellte »Weisung für operative Planungen Nr. 1« ausgegeben, wonach jeder denkbare Kriegsfall behandelt werden sollte. Der Wegfall der Großen Koalition und die Alleinregierung der ÖVP ab April 1966 hatte die Rücksichtnahmen auf den Koalitionspartner insofern schwinden lassen, als jetzt nicht nur der Krisen- und Neutralitätsfall, sondern auch der Kriegsfall ausgearbeitet wurde. Bei der Bezeichnung der Operationsfälle war allerdings nicht groß nachgedacht worden, denn da man sie mit Farben zu unterscheiden begann, kam es zu einer wohl zum wenigsten gewollten Analogie zu den Planungen der Deutschen Wehrmacht, die auch ihre Fälle »Weiß« (Polen), »Rot« (Frankreich) etc. gehabt hatte. Zunächst wurde am 31. Mai 1966 der Neutralitätsfall Nord (»Rosa«) fertiggestellt.57 Es folgte der Neutralitätsfall Nord–Süd (»Rot«) am 12. Juli.1966.58 Und schließlich ging es Schlag auf Schlag : Operationsfall Jugoslawien (»Gelb«)59 ; Operationsfall Ungarn–ČSSR (»Grün«)60 ; Operationsfall ČSSR (»Violett«)61 ; Operationsfall Ungarn (»Blau«)62 ; Operationsfall Italien (»Braun«)63 ; Operationsfall NATO (»Weiß«)64 ; Operationsfall BRD (»Orange«)65. Der Fall »Grün«, um einen herauszugreifen, behandelte einen möglichen Angriff aus Ungarn und der ČSSR. In ersterem Fall, so die Operationsstudie, würde es vielleicht um die Schaffung einer verbesserten Ausgangsbasis gehen, um nach Inbesitznahme von Ost- und von Teilen Zentralösterreichs durch die Ungarische Volksarmee (UVA) und die Tschechoslowakische Volksarmee (ČVA) den sowjetischen Stoßverbänden der Südgruppe der Truppen (SGT) Operationen gegen den Oberrhein und möglicherweise Italien zu erleichtern. – Für den umgekehrten Fall, dass sich der Warschauer Pakt in einer strategischen Defensive befände, würde ein 56 57 58 59 60 61 62 63 64 65

HGM/MGFA NL Pleiner, Ordner 2, BMLV Zl. 56-strgeh/Fü/66. HGM/MGFA NL Pleiner, Ordner 3, BMLV Zl. 53- strgeh/Fü/66. HGM/MGFA NL Pleiner, Ordner 3, BMLV Zl. 56- strgeh/Fü/66. HGM/MGFA NL Pleiner, Ordner 3, BMLV Zl. 59-strgeh/Fü/66, 12. 10. 1966. HGM/MGFA NL Pleiner, Ordner 3, BMLV Zl. 44-strgeh/Fü/67, 23. 2. 1967. HGM/MGFA NL Pleiner, Ordner 3, BMLV Zl. 46-strgeh/Fü/67, 19. 4. 1967. HGM/MGFA NL Pleiner, Ordner 3, BMLV 62-strgeh/Fü/66, 20.12.1966. HGM/MGFA NL Pleiner, Ordner 3, BMLV Zl. 50-strgeh/Fü/67, 12. 6. 1967. HGM/MGFA NL Pleiner, Ordner 3, BMLV Zl. 58-strgeh/Fü/67, 12. 9. 1967. HGM/MGFA NL Pleiner, Ordner 3, BMLV Zl. 65-strgeh/Fü/67, 9. 11. 1967.

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Angriff auf Österreich wohl nur räumlich begrenzt sein und das Ziel haben, bessere Abwehrmöglichkeiten gegenüber der NATO zu schaffen. Dazu sollte v. a. die Inbesitznahme des Wiener Beckens dienen. Falls es aber zu einem isolierten Krieg kommen sollte, bei dem Ungarn mit oder ohne Tschechoslowakei Österreich angreife, wäre die Situation wahrscheinlich am schlimmsten, da ein isolierter Angriff Ungarns womöglich keine Reaktion der NATO auslösen würde, ebenso wenig wie eine um einige Tage später erfolgende Aggression der ČSSR. Das wäre nun der klassische Fall eines Stellvertreterkriegs gewesen, bei dem Österreich gewissermaßen nackt und bloß den Kampf gegen weit überlegene Streitkräfte aufzunehmen gehabt hätte. Jetzt war man also so weit, dass die seit 1956 geschaffenen Szenarien miteinander verknüpft und zum größten aller für Österreich denkbaren Kriegsfälle verschmolzen wurden. – Was aber sollte das Bundesheer machen ? Zunächst wären die Bewegungslinien in den Grenzbereichen zu sichern, die Grenzen zu beobachten und Abwehrwillen zu demonstrieren. Im Fall eines planmäßigen Angriffs, der zeitlich gestaffelt angenommen wurde, sollte dann ein Verzögerungskampf zwischen Raabtal und Mühlviertel geführt werden. In weiterer Folge würde dann die Masse der Verbände in die stark bewegungshemmenden Räume zurückzunehmen und zur Verteidigung überzugehen sein. Damit waren die Möglichkeiten aber eigentlich schon ausgespielt. Was aber, wenn auch Jugoslawien eingreifen sollte ? Jugoslawien wurde trotz seiner Blockfreiheit und einer zweifellos erkennbaren Öffnung nach dem Westen als kommunistisches Land gesehen, das sich letztlich dem Warschauer Pakt anschließen würde, und zwar viel mehr aus einer Art Überlebensstrategie heraus und möglicherweise auch wegen der alten, allerdings nur serbisch-montenegrinischen Bindungen an Russland denn aus einem aktuellen Anlass oder gar einer bestenfalls zu konstruierenden Feindschaft gegenüber Österreich. Wie auch immer : Jugoslawien würde – so der Fall »Grün« – wohl nur mit einigen Verbänden in Österreich eingreifen, dem Warschauer Pakt aber einen größeren Operationsraum sichern. Der Preis dafür könnte dann die Forderung nach den schon zweimal beanspruchten Gebieten vornehmlich Südkärntens sein. Und Österreich ? Es könnte, da ja schon fast alle Kräfte eingesetzt waren, gegenüber Jugoslawien nur mehr einige Grenzschutzkräfte aufbieten, ob Bataillone oder nur Kompanien blieb dahingestellt. Der Fall »Grün« bezeichnete präzise die Räume, in denen verzögert, und jene, in denen dann mit der nachhaltigen Verteidigung begonnen werden sollte. Es wurde immer wieder betont, dass es darum ginge, eine Aufsplitterung der Kräfte zu verhindern, den Zusammenhang zwischen der Gruppe I im Osten und der Gruppe III im Norden zu wahren sowie die Gruppe II in die Steiermark zu werfen. Das Problem einer Verteidigung Wiens wurde nicht angesprochen, doch da sich alles um das Leithagebirge und um den Wiener Wald drehte und auch nichts mehr geeignet gewesen

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wäre, eine Aufsplitterung der Kräfte nach sich zu ziehen, als die Verteidigung Wiens, wurde wohl von der kampflosen Räumung der Stadt ausgegangen. Demgegenüber, so wurde angenommen, würde es das Ziel der UVA sein, das Wiener Becken einschließlich Wiens in Besitz zu nehmen und Teile der Steiermark zu besetzen. Das würde für die UVA gerade noch im Bereich des Möglichen liegen. Dann würde sie sich verbraucht haben. Für die Tschechen wäre das Ziel die rasche Inbesitznahme des Raums nördlich der Donau, die Inbesitznahme der Donauübergänge und die Zerschlagung der dort eingesetzten Kräfte des Bundesheers sowie der Aufbau einer Verteidigungsfront gegenüber der Bundesrepublik Deutschland. Die Ungarn wurden mit vier bis sechs Divisionen gerechnet, wobei vier Divisionen zur Einnahme des Wiener Beckens einschließlich Wiens dienen konnten ; die Armee der Tschechoslowakei hingegen sah man erheblich stärker, nämlich in der Stärke von acht bis zehn Divisionen. Sollte sie in zwei Kolonnen angreifen, würden die Kräfte der ČVA im westlichen Abschnitt, also vom Mühlviertel bis Linz und an die Donau, innerhalb von acht bis zwölf Stunden durchstoßen können, während für die Besetzung des weitgehend vom Bundesheer geräumten Wald- und Weinviertels gar nur drei bis vier Stunden erforderlich wären. Sollten die Ziele rasch erreicht werden, sei mit keinem Einsatz von Atomwaffen zu rechnen. Sollten die Angriffsziele nicht zeitgerecht erreicht werden, könnte es zum Einsatz atomarer Kampfmittel kommen. Und dann kam noch Jugoslawien. Die Schlussfolgerung des Falls »Grün« : »Diesen ›Katastrophenlagen‹ aktiv zu begegnen ist für das Bundesheer mit den zur Verfügung stehenden Mitteln unmöglich. Die militärische Führung kann in diesem Fall nur trachten, Westösterreich westlich der Linie Salzburg–Villach zu halten, um eine Hilfeleistung von Nachbarstaaten zur Weiterführung des Kampfes zu ermöglichen.« Zu den wohl eher der Vollständigkeit halber ausgearbeiteten Fällen gehörte der Fall »Orange«, also ein Angriff der Bundesrepublik Deutschland auf Österreich.66 Bei seiner Ausarbeitung kamen wohl Momente wie die Sicherung der Nord-SüdPassage in einem großen Konflikt und vielleicht auch die vor dem Westen nicht haltmachenden Überlegungen zu Stellvertreterkriegen ins Spiel. Ohne sich mit einem Szenario groß abzumühen, ging der Fall von einer Aggression aus, der das Bundesheer an der Nord- und Nordwestgrenze Österreichs sowie an den wichtigsten Bewegungslinien begegnen sollte. Gleichzeitig würde es notwendig sein, die Grenzen zu allen anderen Nachbarstaaten Österreichs zu überwachen, um den Willen »zur Abwehr eines Angriffs zu beweisen«. Im Fall eines planmäßigen Angriffs an bestimmten Hauptbewegungslinien sollte unmittelbar an der Grenze zeitlich begrenzt verteidigt und dann zum Verzögerungskampf übergegangen werden. »Im Fall von Maßnahmen Italiens gegen Österreich, in der Absicht, den Angriff der BRD zu unterstützen 66 HGM/MGFA GTI Akten, Farbenordner BRD »Orange«.

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Deckblatt und Seite 2 des (neunten) Operationsfalls: Bundesrepublik Deutschland, Fall „Orange“. Bundesministerium für Landesverteidigung, Zl. 65-strgeh/Fü/67.

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und möglicherweise eigene Zielsetzungen im Rahmen dieser Operation (Osttirol ?) zu verwirklichen«, würde der Fall BRD zu einem Fall NATO werden. Sollte ein derartiger Angriff aber tatsächlich erfolgen, würde der Warschauer Pakt wohl sofort intervenieren. Das könnte zu einem neuen Weltkrieg führen. »Deshalb darf, zumindest im augenblicklichen Zeitpunkt, die Wahrscheinlichkeit einer derartigen Entwicklung gering eingeschätzt werden.« Nach der Ausarbeitung des neunten und letzten Falls schien für alles vorgesorgt zu sein. Doch es bestand nur wenig Grund zur Zufriedenheit.

Ruhe vor dem Sturm Die geringen Aufwendungen, die Österreich für sein Militär tätigte, wurden zum Maß aller Dinge. Und nachträgliche Feststellungen, wonach in Österreich bis 1970 »ein traditionelles Selbstverständnis von einer starken Verteidigungspolitik« vorhanden gewesen sei, gingen wohl ins Leere. Ganz im Gegenteil : Schon Mitte der Sechzigerjahre wurde konstatiert, dass ohne grundlegende Reform des Heeres und eine markante Aufstockung der für die Landesverteidigung aufzuwendenden Mittel zu bezweifeln sei, ob man Österreich noch als Staat in herkömmlichem Sinn bezeichnen könne. Wenig ermutigend waren auch Feststellungen, die schon 1962 getroffen wurden, wonach man in Österreich die Schaffung eines verpflichtenden Arbeitsdienstes als sinnvoller ansah als Investitionen für das Heer.67 Doch der Schwung der ersten Jahre hielt noch ein wenig an, allerdings schlichen sich immer mehr Sorgen und Annahmen in die konkreten Planungen. Aus dem potenziellen NATO-Beitrittskandidaten der ersten Stunde war schon längst eine Grauzone geworden. Analysten und NATO-Sprecher ließen das immer wieder anklingen. Die Schweiz und Österreich gehörten – so wie das der amerikanische Außenminister Dean Rusk im November 1968 darlegte – zu einer Grauzone, die auch Rumänien, Jugoslawien und Albanien einschließe.68 Moskau wurde zwar signalisiert, dass die NATO an diesen Staaten ein 67 Die Feststellung vom »traditionellen Selbstverständnis« bei Shkura, Anselm : Österreichische Sicherheitspolitik, in : Dachs, Herbert/Gerlich, Peter/Gottweis, Herbert/Horner, Franz/Kramer, Helmut/Lauber, Volkmar/Müller, Wolfgang C./Tálos, Emmerich (Hg.) : Handbuch des politischen Systems Österreichs. Die Zweite Republik, 3. erweiterte und völlig neu bearbeitete Auflage, Wien 1997, S. 740–758, hier S. 743. Abweichend : Rauchensteiner, Manfried : Zwei Millionen auf der Suche nach dem eigenen Ich, in : Schausberger, Franz (Hg.) : Geschichte und Identität. Festschrift für Robert Kriechbaumer, Wien/ Köln/Weimar 2008, S. 343–364, hier S. 349 f. Zur Stellung Österreichs im Wechselspiel der Mächte auch : Harrod, Andrew E.: Felix Austria ? Cold War Security Policy between NATO, Neutrality, and the Warsaw Pact, 1945–1989, Medford 2007 (Dissertation). 68 Österreichisches Staatsarchiv, AdR, BMaA II Pol 1969 Int. 2B/1, GZ 150.021–4/69, Bericht VAGB Buttlar-Elberberg, London 27.10.1969.

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erklärtes Sicherheitsinteresse hätte, doch wie weit das gehen sollte, war völlig unklar. Letztlich galt : Österreich war auf sich allein gestellt. Seit 1965 wurden die denkbaren Operationsfälle bereits im Rahmen der österreichischen Generalstabsausbildung behandelt.69 Zum Kriegsfall NATO hieß es : Die NATO ist grundsätzlich nicht angriffsfähig. Doch bei einem großen Ost-West-Konflikt ergäben sich alle möglichen Szenarien. Die Verkehrslage und die materialmäßige Abhängigkeit Österreichs von westlichen Staaten könnte sehr wohl das Interesse des Warschauer Pakts wecken. Zumindest sei ein Vorschieben der östlichen Luftverteidigung denkbar, aber auch eine weitgehende Inbesitznahme des Landes, unter welchem Vorwand immer. Für den Fall eines Ost-West-Konflikts wurde dem Raum nördlich der Alpen, also dem Donautal, eine bei Weitem höhere Wichtigkeit beigemessen als dem Raum südlich. Die NATO, so hieß es in dieser Phase der österreichischen Planungen weiter, dürfte eine Vorwärtsverteidigung versuchen. Würde das im Bayrischen Wald und im Böhmerwald geschehen, sei eine Ausweitung der Kampfhandlungen auf Österreich zu befürchten. Die NATO hätte nicht die Kräfte, um einer Umgehungsoperation östlicher Truppen über österreichisches Gebiet angriffsweise zuvorzukommen. Nach Aggressionsbeginn könnte das westliche Bündnis Österreich jedoch Unterstützung anbieten und bei Annahme dieser Hilfe um so schneller und effektiver Hilfe leisten, je stärker es an der Vorwärtsverteidigung festhält, was allerdings ohne Freigabe von Atomwaffen fraglich sei. Solang konventionell gekämpft wird, sei daher vom Westen kaum Hilfe zu erwarten, wenigstens nicht ostwärts der Linie Villach–Salzburg. Sollte aber von der NATO auf die sogenannte Vorwärtsverteidigung verzichtet werden, bestünde für den Ostblock kaum Anlass, das österreichische Gebiet zu berühren – meinten die österreichischen Planer. Dabei wurde Vorwärtsverteidigung also durchaus als etwas verstanden, was sie ja auch sein sollte, nämlich eine auch angriffsweise Bereinigung eines Vorstoßes über das eigene Territorium hinaus. Dass dies mit deutschen militärischen Grundmustern in Konflikt kam, blieb dabei unberücksichtigt, denn in der Bundesrepublik wurde ja Vorwärtsverteidigung als »Vorneverteidigung« zu deuten gesucht, was ein Ausgreifen über das eigene Territorium zumindest theoretisch ausgeschlossen hätte. Die NATO hatte zu diesem Zeitpunkt in ihrem Mittelabschnitt nur eine Luftlandebrigade des deutschen II. Korps stehen. Air interdiction war somit die einzige Option, die vor dem Überschreiten der atomaren Schwelle zur Verfügung stand.70 Und genau dagegen hatte sich seinerzeit die sowjetische Drohung gerich-

69 Zu dem schließlich rekonstruierten Kriegsbild des Ostens vgl. Freistetter, Franz : Das strategische Konzept des Ostens und Österreich 1955–1970, in : Rauchensteiner, Manfried/Etschmann, Wolfgang (Hg.) : Schild ohne Schwert. Das österreichische Bundesheer 1955–1970 (Forschungen zur Militärgeschichte 2), Graz/Wien/Köln 1991, S. 29–60. 70 Kießling, Günther : Die Bewertung Mitteleuropas und vor allem Österreichs durch die NATO, in : Rau-

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tet, die österreichische Neutralität als beendet anzusehen, wenn es zu Überflügen käme. Eine solche Drohung konnte natürlich jederzeit erneuert und instrumentalisiert werden. Kurzum : Während sich Österreich jede Menge Gedanken darüber machte, wie eventuell einem Landkrieg vorzubeugen war und welche Maßnahmen zu treffen wären, spielte sich eigentlich alles in der Luft ab. Die Rahmenbedingungen änderten sich in den Folgejahren aber dahingehend, dass der sowjetischen Doktrin ein zusätzliches Moment zugrunde gelegt wurde, wonach auch auf dem Boden Österreichs etwas passieren musste, das als Aufmarsch zu werten gewesen wäre. Doch auch dergleichen ließ sich sehr wohl konstruieren. Es ist aber sicherlich hervorzuheben, dass bei den sowjetischen Großmanövern und Stabsbesprechungen des Warschauer Pakts unter den Marschällen Jakubovski, Kulikov und Ustinow in den 1970er- und 1980er-Jahren immer von einer Aggression des Westens ausgegangen wurde und der erste Schritt beim Westen lag.71 Eine sehr wohl auch in Österreich häufig geäußerte Vermutung, der Osten würde vorbehaltlos aggressiv einzustufen sein, war daher nicht richtig, ja objektiv falsch – zumindest unserem heutigen Kenntnisstand nach. Doch die auch für die Staaten des östlichen Bündnisses kaum zu beantwortende Frage war, ob und wann Österreich ein Hilfeersuchen an die NATO richten würde und sich womöglich noch vor Ausbruch eines großen Konflikts gänzlich der NATO anzuschließen suchte. Weiters war zu fragen und nicht zu beantworten, ob die NATO unter der Annahme eines österreichischen Hilfeersuchens auch in der Lage und willens gewesen wäre, Österreich militärisch zu helfen. Denn das westliche Bündnis hatte zweifellos keine unmittelbare Veranlassung, einem Land, das sich so standhaft weigerte, engere Kontakte herzustellen, zur Hilfe zu eilen. Wir wissen mittlerweile, dass die NATO keine lange Verteidigung ohne den Einsatz atomarer Mittel planen konnte und sehr schnell mit deren Einsatz konfrontiert worden wäre.72 Die nachträglich (und bis in die Gegenwart) gezeigte Entrüstung über atomare Planungen des Warschauer Pakts in den Sechzigerjahren kann da nichts beschönigen.73 Durch die Geschichte der NATO zieht sich daher wie ein roter Faden die Forderung der Militärs an die Politiker, die konventionellen Streitkräfte zu stärken. Doch die erforderlichen Mittel wurden nie bereitgestellt. So gesehen bekam Österreich in den Planungen des westlichen Bündnisses seinen eigenen Stellenwert, chensteiner, Manfried/Rausch, Josef/Etschmann, Wolfgang (Hg.) : Tausend Nadelstiche. Das österreichische Bundesheer in der Reformzeit 1970–1978 (Forschungen zur Militärgeschichte 3), Graz/Wien/Köln 1994, S. 9–24, hier S. 18. 71 Széles : Die strategischen Überlegungen, S. 30 f. 72 Kießling : Die Bewertung, S. 10. 73 Rühle, Hans/Rühle, Michael : Warschaupakt plante den nuklearen Überfall auf Westeuropa. Pläne eines präemptiven Kriegs im Spiegel freigegebener Ostblock-Dokumente, in : Neue Zürcher Zeitung, 13. September 2008, S. 9.

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denn es wurde als Indiz genommen. In den entsprechenden Verteidigungskonzepten hieß es daher auch, dass der Einsatz atomarer Mittel erst dann erfolgen würde, wenn der Zusammenhang der Verteidigung verloren ginge.74 Und das konnte nur zu leicht geschehen, wenn es zum Vordringen sowjetischer Großverbände über Österreich kam.

Manöver und Übungen als Mittel zur Wahrheitsfindung, Täuschung und Selbsttäuschung Im November 1966 begann die Erprobung der »Farbenfälle«. Vom 22. bis 25. November lief die Fernmeldstabsrahmenübung »Rosenstock« ab, deren operative Annahme auf dem Fall »Violett« beruhte75 : Zwei bis drei Divisionen des Warschauer Pakts in der Front, vornehmlich wohl Truppen der ČSSR, eine zweite Staffel dahinter, griffen nach Westen an, drangen jedoch nicht durch. Also sollte eine Umgehung über den österreichischen Raum versucht werden. Das entsprach der Angriffsvariante Nord mit der Ergänzung, dass Kräfte der Ungarischen Volksarmee wohl aufmarschierten, aber noch nicht eingriffen. Jugoslawien – so die Annahme – bekräftigte seine Blockfreiheit. Es ging also um einen reinen Verteidigungsfall und nicht um neutrales Verhalten bei Krieg in der Nachbarschaft. Österreich, so die Übungsannahme, hatte bis auf zwei Reservebrigaden seine Mobilmachung (Gesamtrahmen 68 000 Mann) abgeschlossen. Die österreichische Armee »verteidigte« in Oberösterreich, wohin die Truppen der ostösterreichischen Gruppe I und die zugeführte steirisch-kärntnerische Gruppe II hinhaltend kämpfend zurückgehen sollten. Es ging um Zeitgewinn und das Offenhalten der Verbindungen nach Westösterreich. Dass ein rasches Umgruppieren der zunächst ja noch in Wien und Niederösterreich mobilgemachten Verbände schwierig sein würde, wurde bei der Auswertung der Übung wohl angemerkt, hatte aber keinen Einfluss auf die gespielte Lage. Man hatte wohl auch davon auszugehen, dass Wien nicht verteidigt würde – doch auch das war kein Thema. Während der drei Tage dauernden und immer an reale Lagen angepassten Übung gelang es, den Zusammenhang der Front zu wahren und den eingedrungenen Kräften den Vormarsch Richtung Salzburg–München zu verwehren. Abgesehen von den taktischen Momenten und Erkenntnissen über die Waffen- und Geräteausstattung war wohl die Quintessenz die, dass Wien – uneingestandenermaßen – und Niederösterreich, aber auch Linz aufgegeben werden mussten, um die angenommenen zwei bis drei Divisionen im westlichen Oberösterreich aufzuhalten und auch das Überschreiten der Donau zu verhindern. Dass man ohne Luftschirm geblieben 74 Kießling : Die Bewertung, S. 23. 75 Ségur-Cabanac : Die Übungsannahmen, S. 68–80.

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war und dass es eine dramatische Verstärkung der Fliegerabwehr geben musste, um bestehen zu können, wurde wohl festgehalten, doch es zählte sicherlich nicht zu den Neuigkeiten. Nach der Übung gab es harsche Kritik. Die eingesetzten Grenzschutzverbände waren weder mobil genug gewesen noch hatten sie die notwendige Ausrüstung, um mit den aktiven Einsatzverbänden gemeinsam eingesetzt zu werden. Und kräftemäßig hatte auch nichts zusammengepasst.76 Der Chef des Stabes der Übungsleitung, Oberst dG Duić, schrieb vertraulich an den Leiter der Generalstabsabteilung, Oberst dG Heinz Scharff : Die Übungsannahme war überdurchschnittlich günstig. Der Angriff wurde auf das Wein- und Waldviertel beschränkt, Schlechtwetter verhinderte den Einsatz feindlicher Fliegerkräfte und Luftlandungen. Es wurde die rechtzeitige Mobilmachung des Bundesheers angenommen. Dennoch wäre die Stärke des mobilgemachten Heeres in einem Missverhältnis zu den Angreifern gewesen. Und was Linz und Wien anlangte : »Ohne klare Regelungen betreffend Linz und Wien ist eine Donauverteidigung nicht zu führen.«77 Die Räumung Ostösterreichs und die immer wieder diskutierte Preisgabe Wiens reduzierten tatsächlich Österreichs Verteidigungsanstrengungen auf die Behauptung von Enklaven und die Demonstration seiner Rest-Souveränität. Doch konnte man Wien tatsächlich aufgeben ?

Wien offene Stadt Bei allen Überlegungen, wie im Fall eines Angriffs aus dem Osten zu verfahren sein, kam natürlich Wien eine besondere Rolle zu. Da die österreichische Hauptstadt wenig mehr als 40 km von der ungarischen bzw. 80 km von der tschechoslowakischen Grenze entfernt liegt, dem Sitz der Bundesregierung naturgemäß besonderer Schutz anzugedeihen hatte und die wichtigsten staatlichen Einrichtungen in Wien konzentriert sind, musste man sich mit Wien beschäftigen. Die historischen Vorgaben halfen dabei zum wenigsten weiter, egal, worauf sich jemand beziehen wollte. 1945 war Wien verteidigt worden, und es hatte eine achttägige Schlacht um die Stadt gegeben.78 Die Angreifer waren zwei komplette sowjetische Armeen sowie Teile von zwei weiteren gewesen ; die Verteidiger erreichten die Stärke von rund zwei deutschen Armeekorps oder in absoluten Zahlen ausgedrückt : Die Sowjets setzten für die Schlacht um Wien mehr als 100 000 Soldaten, an die 250 Panzer und Sturmgeschütze, Hunderte Geschütze und zusätzlich Jagdgeschwader und Einheiten der Donauflottille 76 Ebenda, S. 76–78. 77 KA NL Duić, Nr. 42, Schreiben vom 29. 11. 1966. 78 Vgl. dazu : Rauchensteiner, Manfried : Der Krieg in Österreich ’45, 3. Aufl., Wien 1985, S. 153–192.

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ein, während die deutschen Verbände des II.SS-Panzerkorps samt den territorialen Einheiten an die 40 000 Mann zählten. Am Ende waren auf beiden Seiten Tausende gefallen. Teile von Wien erlitten schwere Zerstörungen, nachdem schon die vorangegangenen strategischen Bombardements die Stadt »sturmreif« geschossen hatten, wie es die Amerikaner ausdrückten. Während der Besatzungszeit hatten sich die westlichen Alliierten mit zwei Möglichkeiten beschäftigt, nämlich einer Blockade Wiens durch die Sowjets, wobei die österreichische Bundesregierung in der Stadt verblieb, bzw. der zweiten Möglichkeit, nämlich einer Evakuierung der Regierung sowie der wichtigsten Personen aus Politik und Wirtschaft.79 Eine Blockade Wiens blieb Schimäre. Für die 1956 einsetzende militärische Planung im Fall eines »Ostkriegs« war Wien jedoch ein fast nicht zu bewältigendes Problem. Das erste Verteidigungskonzept hatte zu Wien noch keine Aussagen gemacht und nur vermerkt, dass das Bundesministerium für Landesverteidigung nach St. Johann i. Pongau ausweichen sollte, doch schon Anfang 1957 wurde weiter gedacht. Bei einer Sitzung im Verteidigungsministerium im Februar 1957, die der Ausarbeitung eines »Konzepts für die Landesverteidigung« dienen sollte, meldete sich Oberstleutnant dhmD Albert Bach mit der Frage zu Wort, »ob man nicht Wien als offene Stadt erklären soll«.80 Die Frage wurde nicht beantwortet.81 Doch sie war natürlich nicht dauerhaft zu verdrängen. Schließlich wurde der Komplex Wien zu einer jener Fragen, die im Rahmen einer umfangreichen Ausarbeitung behandelt wurde, die wohl ebenfalls den ehemaligen Generaloberst Dr. Lothar Rendulic zum Autor hatte. Er beschäftigte sich zunächst ausführlich mit der Lage Wiens und zog dabei einen Angriff aus dem Osten wie einen solchen aus dem Westen in Erwägung. Doch auch bei Letzterem meinte er vorhersagen zu können, dass es das Bestreben des Ostens sein würde, nach Österreich vorzudringen, um Wien in die Hand zu bekommen. Schon bei nennenswerter Kriegsgefahr würde jedoch Panik ausbrechen, und wenn nicht von der Regierung vorher entsprechende Gegenmaßnahmen getroffen würden, könnte es zu einer »regellosen Flucht starker Bevölkerungsteile, hysterischen Kämpfen u. dgl.« kommen. »Der Eintritt derartiger Verhältnisse in der Bundeshauptstadt muss weniger eine politische als vielmehr eine ganz eminente militärische Tragweite haben, vor allem 79 Die französischen Planungen des Plans »Renault« bei Sandner, Margit : Die französisch-österreichischen Beziehungen während der Besatzungszeit von 1947 bis 1955, 2. Aufl., Wien 1985, S. 276–285. Vor allem auf britischen Akten aufbauend : Hufschmied : Wien im Kalkül, bes. S. 41 f. Ferner : Schmidl : Rosinenbomber, S. 171–192. Auf die relativierenden Bemerkungen in Rauchensteiner : Stalinplatz 4, S. 306 (Anm. 67), sei verwiesen. 80 Rauchensteiner : Das Bundesheer der Zweiten Republik, S. 39 f. (Dok. 24). 81 Der Staatssekretär im Verteidigungsministerium, Karl Stephani, verwies darauf, dass der Landesverteidigungsrat für eine derartige Frage zuständig sei. Dort dürfte es aber zu keiner Behandlung gekommen sein.

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deshalb, da die unbehinderte Benützbarkeit der Straßen für die rasche Annahme der Gruppierung der hinhaltenden Verteidigung und für die Bewegung in die Alpenstellung von größter Wichtigkeit ist.« Um ein Chaos zu verhindern, wurde vorgeschlagen, die Menschen langfristig psychologisch vorzubereiten, und das möglichst unauffällig. Und im Übrigen wären sämtliche Maßnahmen zur Regelung der Verkehrsbewegungen und natürlich auch die Evakuierung des Bundespräsidenten, die Verlegung der Bundesregierung und der Ministerien und – ein besonderes Problem – der sichere Transport der Gold- und Devisenvorräte der Nationalbank vorzusehen. Das alles aber möglichst so, dass darüber nicht gesprochen würde und ja nicht der Eindruck entstehe, es sei tatsächlich schon Gefahr im Verzug.82 Die Frage der Räumung, teilweisen Räumung oder überhaupt nicht vorzusehenden Räumung Wiens entwickelte sich aber immer mehr zur Quadratur des Kreises. Im November 1958 wurde das Problem dann ganz konkret angesprochen. In der »Planung zur militärischen Landesverteidigung« hieß es : Wien ist nicht zu verteidigen. »Das Bundsheer wird jedoch unter bestimmten Voraussetzungen in der Lage sein, einen Zeitgewinn für die Evakuierung der Bundesregierung und wichtiger, im Staatsinteresse liegender Einrichtungen zu erkämpfen. Diese Voraussetzungen sind Anlagen der Landesbefestigung in den beiden Pforten (Brucker und Ödenburger Pforte), auf die gestützt Deckungstruppen auch einem überlegenen Panzerfeind einige Zeit den Stoß auf Wien verwehren können…Wien ist aber ein politisches Problem. Die Verluste an Menschen und Sachschäden, die durch die Wirkung konventioneller Kampfmittel – von A-Waffen ganz zu schweigen – verursacht würden, stünden in keinem Verhältnis zu dem geringen Zeitgewinn, den ein Verzögerungskampf bringen könnte…«83 Daraus resultierte die Empfehlung, die politische Führung solle keinen Auftrag zur Verteidigung Wiens in unmittelbarer Nähe der Großstadt geben. Wien wäre zur offenen Stadt zu erklären, »das würde auch eine Massenflucht verhindern. Die militärische Führung ist sehr daran interessiert, dass die Bevölkerung in Wien bleibt«. Da die gesamte Ausarbeitung keine ministerielle Genehmigung erhielt, blieb natürlich auch die Frage Wien ungelöst bzw. wurde sie auf dieselbe Weise behandelt wie die »Planung der militärischen Landesverteidigung« in ihrer Gesamtheit. Seitens der Politik steckte man den Kopf in den Sand ; und die Militärs taten so, als ob ausschließlich von militärischen Notwendigkeiten auszugehen wäre. Die militärische Führung setzte voraus, dass Wien nicht verteidigt werden konnte und sollte. Man verständigte sich freilich dahingehend, die Frage »Wien offene Stadt« nicht explizit anzusprechen, da es jedenfalls besser sei, einen Gegner im Ungewissen zu lassen, ob 82 Das Manuskript mit der Sigle »R«, ohne Zahl, im Besitz des Verfassers. Der Abschnitt ist bezeichnet mit »Wien bei überraschendem Kriegsausbruch«. 83 BMLV Zl. 434-Gz/III/58, S. 23.

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Wien verteidigt würde. Andernfalls konnte sich jeder auf eine Besetzung ohne Widerstand einrichten und auch das tun, was zumindest in den Planspielen auftauchte : eine Gegenregierung in Wien vorsehen. Auch in der Folge kam man nicht umhin, sich mit Wien zu beschäftigen. Bei der Darstellung der völkerrechtlichen Situation kam die Sache aber verhältnismäßig stark ins Gleiten. Das Verbot von Angriffen auf ein befriedetes Objekt konnte sich lediglich auf Artikel 25 der Haager Landkriegsordnung von 1899 stützen, der es untersagt, »unverteidigte Städte, Dörfer, Wohnstätten oder Gebäude, mit welchen Mitteln auch immer anzugreifen oder zu beschießen. ›Nicht verteidigt‹ bedeutet, dass diese Plätze weder Widerstand leisten noch von Truppen des Gegners besetzt sind«. Ein Aggressor ist jedoch nicht verpflichtet, eine Erklärung zur ›offenen Stadt‹ zu akzeptieren. Um sicherzugehen, bedürfte es eines eigenen kriegsvölkerrechtlichen Vertrags zwischen den Kommandanten der angreifenden und der verteidigenden Armeen. Eine einseitige Erklärung zur ›offenen Stadt‹ setzt den Angreifer ebenso wenig ins Recht wie ins Unrecht. Die Schlussfolgerungen aus dieser Darlegung der völkerrechtlichen Normen konnten allerdings auch nicht befriedigen und vielleicht auch nicht ernst genommen werden. Denn in einer diesbezüglichen Studie hieß es apodiktisch : »Ist irgendwo die Verlegung der Hauptstadt eine strategische Notwendigkeit, so hier. Dass Wien vorwärts der Stadt kaum verteidigt werden kann und wenn, so nur um den Preis seiner Zerstörung«, ist eine Tatsache. Dass es als offene Stadt besser dran wäre und als international anerkannte Kongressstadt auch mehr Aussicht hätte, als solche behandelt zu werden, ist lediglich ein Aspekt. Ein anderer Aspekt aber ist der Umstand, dass Wien »als Hauptstadt Österreichs dessen Neutralität im Rahmen einer Krisenlage in Frage stellt«. Ein Staat, der auf seine grenznahe Hauptstadt Rücksicht nehmen muss, kann daher in einer Krise keine unbefangene Politik betreiben. Notgedrungen neigt er zu Nachgiebigkeit. »Wer seine Neutralität ernst nimmt, soll seinen Regierungssitz so wählen, dass dessen Lage im Krisenfall keinem seiner Nachbarn von vornherein einen strategischen Vorteil bietet … Er soll sie vielmehr so legen, dass keine Grenzverletzung seine Handlungsfähigkeit beeinträchtigt.«84

Die Quintessenz war dann auch recht simpel : »Ist nur die verteidigte Neutralität glaubwürdig, so auch nur die eines Landes mit rundum geschützter Hauptstadt. Ein Staat mit einseitig gefährdeter Hauptstadt ist kaum mehr neutral zu nennen. Er mag erklären, was er will, potentiell befindet er sich schon halb in Händen jener Nachbarn, die diese Hauptstadt samt der dort amtierenden Regierung über Nacht zum 84 HGM/MGFA NL Pleiner, Ordner 29, Operation »Prišok«.

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Pfand nehmen können … Seiner geographischen Lage nach entspräche Bregenz als Bundeshauptstadt einer betonten Westorientierung der Republik Österreich ; Wien – wäre es wirklich die frei gewählte (Hauptstadt) und nicht eine unüberprüft von der Monarchie übernommene – einer ebenso ausgeprägten Ostorientierung.« Argumentiert wurde mit dem neutralen Vorzeigeland Schweiz, dessen Bundesstadt Bern nicht exponiert sei. Argumentiert wurde auch mit der Türkei. Die Türkei, die ihre Hauptstadt von Istanbul nach Ankara verlegte, da die Stadt am Bosporus zwar noch bis an den Beginn des 20. Jahrhunderts eine – wenngleich immer wieder gefährdete – Mittellage aufwies. Doch die moderne Türkei würde völlig recht getan haben, ihre Hauptstadt dem Zugriff potentieller Feinde zu entziehen. Die Anregung blieb ohne Konsequenzen. Das hatte jedoch nicht zu bedeuten, dass damit das Problem kleiner geworden wäre. Und die dann sehr viel später bekannt gewordenen Planungen des sowjetischen Generalstabs und ungarischer Stäbe bestätigten nur die Szenarien, die auch den operativen Planungen des Bundesheers zugrunde lagen. In den Sechzigerjahren orientierte sich der Warschauer Pakt an den Ansichten des sowjetischen Verteidigungsministers Malinowski, dass die Eroberung Wiens mit einem Atomschlag beginnen sollte. Etwas später lag den Planungen die Forderung zugrunde, Wien mit drei bis vier Divisionen einzuschließen, und zwar der Art, dass eine sowjetische Division aus der Brucker Pforte, eine ungarische Division über Eisenstadt und eine oder zwei weitere sowjetische Divisionen aus dem Raum nördlich der Donau vorstoßen sollten, um Wien zu isolieren.85 Die Konsequenzen wären sowohl militärisch als auch politisch auf eine vollständige Lähmung Österreichs hinausgelaufen. 1968 zeigte sich aber tatsächlich, dass die Frage Wien nicht nur eine spekulative, sondern auch eine zutiefst politische Dimension hatte. Denn als sich im Verlauf der Invasion des Warschauer Pakts in der Tschechoslowakei eine Situation ergab, in der jegliche Annahme berechtigt schien, entschied Bundeskanzler Josef Klaus, dass einige Mitglieder der Bundesregierung, vor allem auch der Vizekanzler, außerhalb Wiens verbleiben sollten, um notfalls und ohne regelrechte Evakuierung der Bundesregierung aus Wien die staatliche Handlungsfähigkeit sicherzustellen. Und der Bundespräsident war ohnedies zumindest anfänglich noch in seiner Sommerresidenz in Mürzsteg.

1968 als Zäsur Im Sommer 1968 begann nicht nur in Österreich die Sorge zu wachsen, dass sich Ereignisse, wie man sie von Ungarn 1956 kannte, in der Tschechoslowakei wiederholen 85 Széles : Die strategischen Überlegungen, S. 34.

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könnten. Das führte schließlich dazu, dass der Generaltruppeninspektor des Bundesheeres, General Erwin Fussenegger, einen Befehl vorbereiten ließ, der den Einsatz des Heeres zur Sicherung der Grenze gegenüber der Tschechoslowakei zum Inhalt hatte. Der unter dem Stichwort »Urgestein« auszulösende Sicherungseinsatz sollte dazu dienen, die »Nordgrenze mit Schwergewicht an den Grenzübergangsstellen zu sichern«, die Grenzübergänge zu besetzen und das Zwischengelände durch Patrouillentätigkeit zu überwachen. Sollten Schwierigkeiten bei der Sicherung auftreten, war beabsichtigt, »durch ein Hinzufügen weiterer Verbände eine Verdichtung der Grenzüberwachung vorzunehmen«.86 Als es dann tatsächlich zur Intervention von Truppen des Warschauer Pakts kam, war der Befehl nutzlos, denn die österreichische Bundesregierung verlangte einen ganz anderen Sicherungseinsatz als den gedachten. Allerdings war eine solche Variante der Fälle »Nord« bzw. »Grün« auch wirklich nicht vorbereitet worden. Denn die waren auf einen Kriegsfall oder auch auf einen Neutralitätsfall ausgerichtet gewesen und ließen sich nicht zur Anwendung bringen. Bestenfalls eine erste Phase, nämlich die Grenzbeobachtung, konnte entsprechend der erst ein Jahr alten Planungen eingeleitet werden. Doch die Politik machte auch das unmöglich, als gefordert wurde, das Bundesheer müsse sich 30 km von der tschechoslowakischen Grenze fernhalten. Von einem Übergang zur Verteidigung oder auch nur zu einem Neutralitätsfall konnte keine Rede sein. Da folglich nicht die militärischen, sondern die außenpolitischen Erwägungen zum Tragen kamen, passte schließlich überhaupt nichts mehr zusammen und musste ad hoc eine Anpassung an die neue Situation und die geänderten Anforderungen erfolgen.87 Innerhalb von Stunden und Tagen durchlebte das Bundesheer seine Geschichte. Am 21. August 1968 klangen der Spätherbst 1956 und Österreichs Reaktion auf die Ungarische Revolution an. Es ging um die Frage, ob die anerkannte Neutralität als alleiniger Garant für Sicherheit ausreichte und ob nicht zumindest der Westen zu konkreteren Zusagen zu bewegen war. Die Frage der Neutralitätsgarantie, die von den Sowjets 1955 gewünscht und vom Westen abgelehnt worden war, kam zumindest andeutungsweise aufs Tapet.88 Und wie sich die NATO im Fall der Fälle verhalten würde, hätte man auch zu gerne gewusst. 86 Faksimile der Weisung BMLV Zl. 331-strgeh-Stb/68, 24. 7. 1968, in : Pleiner, Horst/Speckner, Hubert : Zur Verstärkung der nördlichen Garnisonen … Der »Einsatz« des Österreichischen Bundesheeres während der Tschechenkrise im Jahr 1968 (Schriften zur Geschichte des Bundesheeres 15), Wien 2008, S. 469 f. 87 Für eine eingehende Beschäftigung mit den Vorgängen rund um die Tschechoslowakei im Jahr 1968 sei auf die umfangreiche Quellenedition und den Sammelband Karner, Stefan (Hg.) : Prager Frühling. Das internationale Krisenjahr 1968, Köln/Weimar/Wien 2008, verwiesen (Bd. 1 : Beiträge ; Bd. 2 : Dokumente). Ergänzend dazu : Pleiner/Speckner : Zur Verstärkung der nördlichen Garnisonen, sowie die in den erwähnten Publikationen genannten Quellen und die Sekundärliteratur. 88 Vgl. dazu den Beitrag von Michael Gehler in diesem Band mit dem Titel: »to guarantee a country which was a

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Im Grunde genommen rächte sich aber jetzt, was seit 1956 und 1958 versucht worden war, nämlich die militärische Planung als eine Art Katastrophenplanung erscheinen zu lassen, für deren heikle Punkte keine politische Zustimmung zu bekommen war, also würde sie notfalls auch an der Politik vorbei in Kraft gesetzt werden müssen. Natürlich war dabei in Rechnung zu stellen, dass die Militärs enttäuscht waren, weil trotz aller verbalen Beteuerungen die effektive Unterstützung durch die Politik und vor allem die Zuwendung der benötigten Mittel ausgeblieben waren und einem sehr wohl prosperierenden, ja reichen Land militärisch die Armut aus den Augen zu leuchten schien. Damit nicht genug, sah sich das Bundesheer massiver Kritik ausgesetzt, wenn es auf schwere Mängel hinwies und deren Behebung forderte. Im Gegenzug wurde dann seitens der politischen Vertreter und interessanterweise auch seitens des Verteidigungsministers, Georg Prader, damit argumentiert, dass alles, was von Österreichs Heer jemals zu fordern gewesen war, der Einsatz an der ungarischen Grenze 1956, der Assistenzeinsatz an der italienischen Grenze 1967 und vollends der Einsatz im Verlauf der Krise in der Tschechoslowakei, letztlich perfekt bewältigt worden wäre ; es wäre nie mehr verlangt worden und zu fordern gewesen. Und Krieg gegen den Warschauer Pakt hätte es keinen gegeben. Was aber, wenn es anders gekommen wäre ? Nachträglich meinten die SPÖ und deren damals noch recht neuer Vorsitzender, Bruno Kreisky, dem Bundesheer auch noch vorwerfen zu müssen, dass es ein einziges Konzept verfolge, nämlich die Räumung Ostösterreichs und Rückzug nach dem Westen, um dort Anlehnung an die NATO zu finden.89 Das stand 1968 aber wohl zum wenigsten zur Diskussion. Allerdings gab es noch einen Zwischenfall, der zunächst nicht eingeordnet werden konnte : Ein tschechischer Geheimdienstoffizier, Ladislav Bittmann, wechselte in die Bundesrepublik Deutschland. In den ersten Verhören gab er an, darüber Bescheid zu wissen, dass die Sowjets für die Tage zwischen 5. und 7. September 1968 eine Invasion Österreichs planten. Die daraufhin vorgenommene Alarmierung des Bundesheers erbrachte zwar höchste Bereitschaft, war aber insofern unsinnig, als seitens der Interventionstruppen in der ČSSR nichts geplant war. Die Aktion ließ sich nachträglich denn auch nur als ein geradezu klassischer Fall von Desinformation beschreiben. Es war nicht das erste Mal und es sollte nicht das letzte Mal sein, dass die Desinformation vom Westen ausging.

military vacuum«, sowie Rauchensteiner, Manfried : Die Zwei. Die Große Koalition in Österreich 1945– 1966, Wien 1987, v.a. S. 323–330. Zur Reaktion der NATO auf eine mögliche Gefährdung Österreichs 1968 der Beitrag von Thomas Fischer, Österreich und die ČSSR-Krise 1968 : Von der Krise zur Krisenprävention, Vortrag im Rahmen des 7. Österreichischen Zeitgeschichtetages, Innsbruck 2008. 89 Rathkolb, Oliver : Bruno Kreisky und die Heeresreformdiskussion 1970/1971, in : Rauchensteiner, Manfried/Rausch, Josef/Etschmann, Wolfgang (Hg.) : Tausend Nadelstiche. Das österreichische Bundesheer in der Reformzeit 1970–1978 (Forschungen zur Militärgeschichte 3), Graz/Wien/Köln 1994, S. 47–72, hier S. 70 (Anm. 24).

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Der August 1968 veränderte die strategischen Gegebenheiten in Europa. War bis dahin die Tschechoslowakei kein Stationierungsland für sowjetische Verbände gewesen, so verblieben nach der Intervention der Warschauer-Pakt-Truppen sechs sowjetische Divisionen, also etwa zwei Armeekorps, in der Tschechoslowakei. Für Österreich war damit eigentlich eine immer wieder den Planungen zugrunde gelegte Annahme vollends obsolet geworden : Stellvertreterkrieg würde es keinen geben. Auch anderes konnte so oder so gesehen werden. Angesichts der nunmehrigen Stärke der Pakttruppen nördlich von Österreich, die sich aus den tschechoslowakischen und den sowjetischen Kräften errechnete, war die Annahme, die Tschechoslowakische Armee würde für einen Angriff auf den Westen den Umweg über Österreich wählen, weniger wahrscheinlich geworden ; ein Angriff aus dem Norden zur Niederwerfung Österreichs konnte hingegen mit ganz anderer Wucht geführt werden als vor dem August 1968. Zählte man alles zusammen, so standen im Norden und Osten Österreichs zehn sowjetische Divisionen und an Pakttruppen solche der Tschechoslowakei sowie das Gros der ungarischen Honvéd. Die erste Reaktion auf die neue Situation bestand darin, dass im Oktober 1968 eine Variante zum Operationsfall »Grün« ausgearbeitet wurde, die auf der Annahme beruhte, Österreich würde das Ziel eines Überraschungsangriffs sein, wohl eine gewisse Vorwarnzeit haben, aber keine Mobilmachung durchführen können. – 1968 war auch diesbezüglich eine Lehre gewesen. Folglich sollte der Einsatz aller verfügbaren Kräfte in ihren Friedensdislokationen erfolgen.90 Vier Monate später wurde eine regelrechte »Variante WP« zum Operationsfall »Ungarn –ČSSR« ausgegeben.91 Darin hieß es einleitend : »Die Präsenz sowjetischer Streitkräfte in der ČSSR hat die strategische Lage Europas zumindest für die nächste Zeit verändert. Die Massierung von Divisionen der 1. Staffel in der ČSSR und der DDR erzeugt eine permanente Spannung. In der Fähigkeit dieser Divisionen, jederzeit ›aus dem Stand‹ zu Offensivaktionen antreten zu können, liegt für Anrainerstaaten die Gefahr, das Ziel eines Überraschungsangriffs zu werden. Auf die österreichische Verteidigungssituation übertragen, wird es unter diesem Gesichtspunkt klar, dass ein Aufmarsch nach den bisherigen Planungen nicht stattfinden kann.« Drei Szenarien wurden entworfen : 1. Eine ultimative Durchmarschforderung mit Stoßrichtung Jugoslawien (»nicht völlig auszuschließen«). 2. Eine ultimative Durchmarschforderung gegen Italien (»fast auszuschließen«). 3. Eine ultimative Durchmarschforderung gegen den Süden der Bundesrepublik Deutschland. Das würde zur Voraussetzung haben, dass ein Angriff gegen den Norden der Bundesrepublik erfolgte, der unterstützt werden sollte. Im Fall der Ablehnung eines der Ultimaten könnte entweder ein Versuch zur Besetzung Österreichs bis zur Linie Enns–Villach einschließlich des Mühlviertels folgen 90 HGM/MGFA NL Pleiner, Ordner 4, BMLV Zl. 120-strgeh/Fü/68, 18. 10. 1968. 91 HGM/MGFA NL Pleiner, Ordner 5, BMLV Zl. 153-strgeh/Fü/69, ausgegeben am 28. 2. 1969.

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oder ein Versuch zur Besetzung Österreichs bis zur Line Plöckenstein (Dreiländereck Deutschland, Österreich, Tschechien)–Salzburg–Villach. Als mögliche Reaktion der NATO wurde eine gleichzeitig mit der Invasion von Warschauer-Pakt-Truppen erfolgende präventive oder gleichzeitige Besetzung des Voralpengebiets bis zur Linie Traun–Enns–Donau (»unwahrscheinlich«) angenommen ; oder die sofortige Besetzung Österreichs westlich der Linie Salzburg–Villach (»hohe Wahrscheinlichkeit«), wobei »nicht nur der Zugang zum italienischen Kräftepotential ausschlaggebend ist, sondern auch der Vorteil, den der Besitz der Alpenbarriere (Alpenfestung) für die weitere Verteidigung des Abschnitts NATO-Mitte bietet«. Das Bundesheer sollte jedenfalls den Grenzraum sichern und sich im Aggressionsfall hinhaltend auf den Zentralraum zurückkämpfen, um dann dort zur Verteidigung mit dem Schwergewicht an den Bewegungslinien überzugehen. Die »Variante WP« sollte durch das Stichwort »Dunkel-Grün« ausgelöst werden. Das Gruppenkommando II arbeitete daraufhin auch gleich eine Zusatzvariante des Operationsfalls NATO (»Weiß«) aus. Dabei wurde vom Ansatz jeweils eines Armeekorps aus dem Norden (BRD) und aus dem Süden (Italien) sowie zusätzlich von erheblichen Teilen der 5. Luftflotte der NATO ausgegangen. Gewissermaßen um noch den letzten Soldaten zweimal zu verplanen, hieß es weiter : »Eine Aggression jugoslawischer Streitkräfte zur Ausschaltung einer Bedrohung seitens italienischer Kräfte ist nicht auszuschließen. (Falls das Vorgehen der NATO gegen Westösterreich eine Aggression starker Kräfte des Warschauer Pakts gegen Ostösterreich zur Folge hat, würde diese einen anderen OpFall auslösen.)«92 Nachdem der Fall »Grün« als Fall »Dunkel-Grün« überarbeitet worden war, hieß es, auch alle anderen »Farbenfälle« neu durchzudenken, und zwar mit folgender Dringlichkeit : Ungarn–ČSSR ; Neutralitätsfall Nord ; NATO ; Italien ; BRD ; ČSSR ; Ungarn ; Neutralitätsfall Nord–Süd und zuletzt Jugoslawien. Wieder galt es zunächst, die Anforderungen der neuen Situation in einer Übung zu simulieren. Sie bekam sinnigerweise den Namen »Bärentatze« und ließ Assoziationen zum russischen »Bären« aufkommen. »Bärentatze« sollte die einzige Großübung des Bundesheers der Zweiten Republik werden, die auf einen – wenn nicht : den ! – Operationsfall Bezug nahm und mit Volltruppe ablief.93 Übungsraum war das westliche Niederösterreich südlich der Donau zwischen Traisen und Enns. Nicht zuletzt sollte die Übung auch dazu dienen, das Zusammenwirken von Feldheer und Reserveheer sowie den Kräften der Territorialen Verteidigung und auch das Zusammenwirken mit zivilen Dienststellen im Rahmen der 92 HGM/MGFA NL Pleiner, Ordner 5, GrpKdo II 318-strgeh/69, OP Fall NATO »Weiß« Zusatzvariante, 23. 10. 1969. 93 Ségur-Cabanac : Die Übungsannahmen, S. 81–97. Eine relativ kritische Besprechung : Freistetter, Franz : »Bärentatze« – Gefechtsübung der Gruppe I, in : Österreichische Militärische Zeitschrift 1/9 (1970), S. 8–17.

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Umfassenden Landesverteidigung zu erproben. Außerdem wurde ein »Armeekommando« gebildet, so wie es für den Einsatzfall vorgesehen war. Das war nun eine ganze Menge. Im Gegensatz zu »Rosenstock« war diesmal das Aussparen der atomaren Komponente aber nicht nur eine Vorgabe, mit der man sich über den Einsatz von Massenvernichtungswaffen hinwegschwindeln wollte ; es entsprach auch insofern der Realität, als gerade damals die Sowjetunion an eine Neubewertung von konventioneller und atomarer Bewaffnung gegangen war. Beim Manöver »Dnepr«, 1967, hatten die Russen bewusst auf den Schlachtfeldern des Zweiten Weltkriegs und erstmals seit 20 Jahren ohne Annahme eines Kernwaffenschlags und unter Ausklammerung des atomaren Faktors geübt.94 Am 11. November 1969 griff die Partei »Orange«, dem »Drehbuch« von »Bärentatze« folgend, mit drei Divisionen an (eine Division wurde durch die 9. Panzergrenadierbrigade dargestellt ; zwei weitere Divisionen wurden angenommen). Partei »Blau« verteidigte und tat dies mit der verstärkten 1. Jägerbrigade und der 3. Panzergrenadierbrigade. Eine weitere Jägerbrigade wurde angenommen ; Verstärkungen wurden zugeführt. Am 13. November Nachmittag endete die Übung. Die Übungsleitung verfügte, dass es weder Sieger noch Besiegte gegeben hatte. Die Erkenntnisse aber sprachen eine ganz andere Sprache : Da es einen relativ freien Übungsverlauf gegeben hatte, war die Partei »Blau« von der Übungsleitung durch eine Einlage, die das Heranführen neuer Kräfte simulieren sollte, buchstäblich gerettet worden. Im Abschlussbericht über das Manöver hieß es daher unmissverständlich : Jägerbataillone österreichischen Zuschnitts seien nicht in der Lage, über längere Zeit und mehrere hintereinander liegende Widerstandslinien hinweg einen erfolgreichen Kampf zu führen. Und was die gepanzerten Verbände anlangte, wurde darauf verwiesen, dass der Einsatz großer Panzerverbände wahrscheinlich nicht anzunehmen sein würde, da solcherart auch die atomare Schwelle angehoben werden könnte. (Da war sie wieder, die atomare Schwelle !) Daher leide Österreich sicherlich nicht an einer »Überpanzerung« – ganz im Gegenteil.95 Bei den Landwehrverbänden wurden schwere Mängel festgestellt. Ihre Verwendung zusammen mit den Einsatzbrigaden sollte zugunsten einer ausschließlichen Verwendung der Landwehr in der Defensive und bei der territorialen Verteidigung überdacht werden. Und da unterm Strich wohl stand, dass es so nicht ging, leiteten sich daraus zwei »Schulen« ab : Die eine, die das Heil im Kleinkrieg suchen wollte, nicht zuletzt, um die als sicher anzunehmende Luftherrschaft eines Feindes zu unterlaufen ; und die andere, die das Heil in einer massiven Vermehrung der gepanzerten Kräfte sah. Noch unter dem Eindruck der Krise 1968 sowie der Übung »Bärentatze« wurde 94 Gerber, Johannes : Einleitung, in : Sokolovski, Vasilij D. (Hg.) : Militär-Strategie, 3. verb. u. erg. Aufl., Köln 1969, S. 24. 95 Ségur-Cabanac : Die Übungsannahmen, S. 92.

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Anfang 1970 dahingehend Resümee gezogen, dass es im Generaltruppeninspektorat hieß, »dass ein Einsatz des Bundesheeres vor Mobilmachung lediglich in Form eines Sicherungseinsatzes erfolgen kann«. Davon ausgehend müssten all neun Operationsfälle umgearbeitet werden (eigentlich waren es mittlerweile zehn geworden). Die ursprüngliche Konzeption des Einsatzes nach Mobilmachung sollte zwar beibehalten werden, doch nun sollte der Einsatz vor Mobilmachung als »Sicherungseinsatz« in zwei Stufen neu bearbeitet werden. Stufe 1 : Krise ohne Bedrohung Österreichs. Vergleichsfälle : 1956 und 1968. Da sollte mit einer Grenzbeobachtung das Auslangen gefunden werden. Für den Fall, dass aufgrund einer »krisenhaften Entwicklung« in einem Nachbarstaat eine Bedrohung Österreichs nicht ausgeschlossen werden könnte, käme dann Stufe 2, in der die Einsatzverbände und die Landwehr jener Bundesländer einzusetzen wären, die dem Krisenherd unmittelbar benachbart seien. Sollte die Situation weiter eskalieren, wäre die Mobilmachung die Folge. In dieser Weisung war wohl berücksichtigt worden, dass man eine zusätzliche Eskalationsstufe brauchte, um der Politik gefällig zu sein. In der Anpassung an die politischen Notwendigkeiten, die so deutlich von der Scheu vor einer Mobil- oder auch nur einer Teilmobilmachung geprägt war, steckte ein Gutteil Frustration, doch man musste wieder einmal die normative Kraft des Faktischen zur Kenntnis nehmen. Als Erstes sollte der Fall »Nord« bearbeitet werden.96 Doch es war wohl auch – und besonders – den hohen Militärs klar, dass man nach 15 Jahren Bundesheer am Ende war, zumindest was den Verteidigungsfall anlangte. Blieben somit die symbolische Verteidigung oder die Reduktion der Bedrohungsfälle auf den Krisen- und den Neutralitätsfall. Es sei denn, es wurde ein kompletter Neuansatz versucht. Das geschah tatsächlich auch in den Siebzigerjahren und begann mit der von Bruno Kreisky erzwungenen zweiten Heeresreform 1971.97 Neuansatz – unfreiwillig Anfangs hatte es freilich so ausgesehen, als ob Kreisky einen Alleingang versuchen und seinen außenpolitisch-sicherheitspolitischen Überlegungen keine militärisch-si96 HGM/MGFA NL Pleiner, Ordner 5, BMLV Zl. 121-strgeh/Fü/70, 15. 1. 1970. 97 Verlauf und Analyse bei Böhner, Gerhard : Die Wehrprogrammatik der SPÖ, Wien 1982. Ferner : Rauchensteiner, Manfried/Rausch, Josef/Etschmann, Wolfgang (Hg.) : Tausend Nadelstiche. Das österreichische Bundesheer in der Reformzeit 1970–1978 (Forschungen zur Militärgeschichte 3), Graz/Wien/Köln 1994. Vornehmlich organisatorische Fragen behandelnd auch Steiger, Andreas : Das Raumverteidigungskonzept. Planungen und Durchführung in den Jahren 1968 bis 1978, in : Etschmann, Wolfgang/Speckner, H.: Zum Schutz der Republik Österreich … 50 Jahre Bundesheer, 50 Jahre Sicherheit : gestern – heute – morgen … (Schriften zur Geschichte des Österreichischen Bundesheeres, Sonderband 50 Jahre Bundesheer), Wien 2005, S. 555–582.

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cherheitspolitischen zur Seite stellen würde. Ein Großteil des Offizierskorps signalisierte Ablehnung. 1700 Offiziere schrieben dem Kanzler eine Art »Absagebrief«. Die Offiziere – und nicht nur die aktiven – sahen in der an den Beginn der Reform gestellten Verkürzung der Wehrdienstzeit auf sechs Monate und im Überbordwerfen lieb gewordener Rahmenbedingungen und Denkschemata den Ruin des Heeres. Um die Kritiker zum Verstummen zu bringen und die Sinnhaftigkeit des eingeschlagenen Wegs zu unterstreichen, wurde zunächst »moral rearmament« betrieben : Österreich wäre nicht so wehrlos, wie behauptet wurde, und statt nachzulassen, sollten die Anstrengungen verdoppelt werden. Dem Argument, Österreichs kleines Bundesheer könnte auch im Fall eines konventionellen Angriffs gegen die Masse der Militärblöcke nichts ausrichten, sollte mit dem Argument begegnet werden, dass das alles unbewiesen sei. Es sei doch wohl nicht davon auszugehen, dass eine oder womöglich zwei Seiten des zweigeteilten Europa die Masse ihrer Streitkräfte für ein strategisch verhältnismäßig unwichtiges Land freimachen könnten. Und wenn behauptet würde, für die Führung eines Kleinkriegs fehlten in Österreich die Voraussetzungen, dann sei auch das unbewiesen.98 Doch mit dergleichen Stehsätzen und Standardformulierungen ließ sich auf Dauer nicht auskommen. Und den Militärs erschloss sich erst mit einiger Verzögerung eine Binsenweisheit, die nicht zuletzt als Schlüssel zum politischen Erfolg gelten kann : Man erwartet nicht den Beweis, was alles nicht möglich ist, sondern will wissen, was möglich ist und wie es geht. Gerade angesichts des eigenen militärischen Unvermögens galt es an der Schwelle zu den Siebzigerjahren, auch in Sachen Landesverteidigung das Prinzip Hoffnung zu nähren. Tatsächlich ging die schon am 15. Mai 1970 einsetzende Diskussion in der (ersten) Bundesheerreformkommission über den Dienstzeitkomplex weit hinaus, und insofern kann man der ablehnenden Reaktion der militärischen Fachleute auf den sogenannten Rösch-Plan zur Verkürzung der Dienstzeit eine positive Wirkung nicht absprechen. Die Heeresreform sollte nicht nur eine Wehrdienstzeitverkürzung bringen, sondern eine solche an Haupt und Gliedern werden und nicht zuletzt auch die operative Reaktion auf ein aktualisiertes Bedrohungsbild dramatisch verändern. Die Begleitumstände waren freilich irritierend. Kreisky unterbrach die bis dahin mit unterschiedlicher Intensität gepflegten Kontakte zur westdeutschen Bundeswehr und zur Schweiz. Im einen Fall war es die Mitgliedschaft der BRD in der NATO, die ihn störte, und im anderen Fall das Abseitsstehen der Schweiz in Fragen der internationalen Sicherheit und dem, was Kreisky dann als aktive Außenpolitik führen wollte. Damit sollte wohl auch signalisiert werden, dass sich Österreich daranmachte, einen Weg zu gehen, der militärisch auf Äquidistanz hinauslief. Schon wenige Wochen nach Beginn der Heeresreform wurden die operativen Planungen gemäß den Farbenfällen eingestellt. Am 25. Juni 1970 hieß es in einer 98 KA NL Duić, Nr. 47, Argumente für eine wehrpolitische Diskussion. Hektographierter Behelf, 1970.

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»streng-geheim«-Weisung : »Die derzeit in Angriff genommene Bundesheerreform kann zu unvorhersehbaren Ergebnissen führen«, die eine Weiterführung der bisherigen operativen Planungen wenig sinnvoll erscheinen lässt. »Daher wird die Neubearbeitung mit dem Neutralitätsfall Nord–Süd, Sicherungseinsatz, eingestellt.«99 Einige Monate später und angesichts des Fehlens eines bereits verbindlichen neuen operativen Konzepts wurden die »Farbenfälle« allerdings noch einmal hervorgeholt und daraufhin angesehen, ob es nicht sinnvoll wäre, jene Fälle, die im weitesten zusammen gehörten, in einem einzigen Fall zusammenzufassen. Dafür boten sich vor allem die auf den Warschauer Pakt bezogenen Operationsfälle an, die schließlich gestrafft und zum Kriegsfall »Ost« verarbeitet wurden.100 Doch wie sollte es weitergehen ? Im Grund genommen hatte man schon alles durchgespielt. Es gab die Eskalationsstufen, und für den letzten, den Verteidigungsfall, die Variante I : grenznahe Verteidigung ; Variante II : Verzögerungskampf ; Variante III : Kampf um den Zentralraum. Es gab die Geländeverstärkung in Form von Sperranlagen und den auch schon so benannten »Festen Anlagen«. Außer dem (mobil zu machenden) Einsatzheer gab es für die Territoriale Verteidigung die Landwehr. Das Konzept sah 1970 immer noch 280 Einheiten an Grenz- und Sicherungstruppen vor. Dazu kamen dann die Sperrtruppen für die Besetzung der Festen Anlagen und irgendwann einmal auch 40 Wachkompanien. Vom Kampfwert hieß es freilich »sehr gering«.101 Die gedankliche Preisgabe der Gebiete Ostösterreichs und des Raums nördlich der Donau war trotz des Auftrags, den Schutz der Grenzen wahrzunehmen, bis Anfang der 1970er-Jahre immer schneller vor sich gegangen. Der Verteidigungsfall war immer mehr zur Katastrophenplanung geworden. Ein jeglicher Neuansatz konnte freilich weder die geografische Lage Österreichs ignorieren noch das Vorhandensein zweier Militärblöcke. Auch Geld und Menschen ließen sich nicht aus dem Boden stampfen. Nicht zu vergessen : Jeglicher Neuansatz musste nach wie vor unter Rücksichtnahme auf die einschränkenden Bestimmungen des österreichischen Staatsvertrags von 1955 vor sich gehen. Zwar hatte es schon nach dem Einsatz an der ungarischen Grenze 1956 geheißen : Österreich braucht Panzerabwehrlenkwaffen und Fliegerabwehrraketen. Doch es war bei der Forderung geblieben. Und auch die klare Aussage Außenminister Kreiskys im April 1960, »dass die zur Neutralitätsverteidigung erforderlichen Waffen uns nicht verwehrt werden dürfen und das Bundesministerium für auswärtige Angelegenheiten die volle Verantwortung übernehme«,102

99 HGM/MGFA NL Pleiner, Ordner 5, BMLV 129-strgeh/Fü/70. 100 HGM/MGFA NL Pleiner, Ordner 5, BMLV Zl. 84-strgeh/Fü/71, 28. 4. 1971. Die Bearbeitung war bis zum 14. Juni 1971 abzuschließen. 101 BMLV Zl. 5115-geh/Fü/70, 5. 2. 1970. 102 Kurzprotokoll über das erste Ministergespräch am 29. 4. 1960, o. Zl. (Verf.)

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waren Worthülsen geblieben. Jetzt war Kreisky Regierungschef, hatte nicht zuletzt der Ankündigung einer Wehrdienstzeitverkürzung seinen Wahlsieg im April 1970 zu verdanken gehabt und war auch gewillt, die Heeresreform durchzuziehen. Doch dann sah er sehr wohl die Dringlichkeit einer viel weitergehenden Reform ein und verlangte von der Bundesheerreformkommission die Schaffung neuer organisatorischer und operativer Rahmenbedingungen. Die Bundesheerreformkommission hatte mit dem Arbeitsausschuss 5 auch eine Plattform für die Diskussion des operativen Konzepts bekommen. Und natürlich sah man sich sehr weit gehenden Forderungen gegenüber : Um die Aufgaben im Bedrohungsfall erfüllen zu können, wurden 15 Brigaden gefordert. Ein Teil der Aufgaben sei durchaus auch mit Landwehrtruppen leistbar, doch diese müssten im ersten Ausbauschritt auf 150 000 Mann und im zweiten auf 300 000 Mann anwachsen. Die Bewaffnung müsse erheblich modernisiert werden, die Fliegertruppe 30 bis 40 moderne Flugzeuge mit Bordraketen erhalten und die Fliegerabwehr mit Lenkraketen ausgerüstet werden … Alles war begründbar, und da es vornehmlich vom Leiter der Operationsabteilung, Brigadier Otto Heller, kam, sicherlich auch wohlüberlegt. Doch in dem ausformulierten Schlussbericht der Kommission, der im Oktober 1970 vorlag, war davon nicht viel zu lesen.103 Hier hieß es unter Zugrundelegung von 15 Brigadekampfgruppen unverbindlich, wenngleich apodiktisch : »Die operative Konzeption der österreichischen Landesverteidigung ist auf den Verteidigungsfall (Abwehr einer Aggression) auszurichten.« Abseits dessen hatte man sich bereits auf ein neues Konzept festgelegt, das in Anlehnung an die Schweiz zunächst Gesamtraumverteidigung und dann nur mehr Raumverteidigung heißen sollte. Es war nicht als vollständiger Bruch mit dem Bisherigen zu werten, da Bewährtes fortgesetzt werden sollte. Doch der Räumung von schwer zu verteidigenden Zonen wurde der Kampf angesagt. Argumentativ musste man dabei nicht allzu weit ausholen. Der in Grenznähe lebenden Bevölkerung – und das war, je nachdem wie weit der Begriff Grenznähe gefasst wurde, bis zu einem Viertel der in Österreich lebenden Menschen – konnte die rasche Preisgabe ihres Lebensraums zu keinem Zeitpunkt als Ultima Ratio vermittelt werden. Die Ablehnungsfront der Offiziere begann bald wegzubröckeln, zum einen, weil sie sich mit den politischen Vorgaben abfanden, und dann dadurch, dass der Kommandant der Landesverteidigungsakademie, Generalmajor Emil Spannocchi, sehr wohl glaubhaft vermitteln konnte, dass er selbst umzudenken begonnen hatte und nichts von einer Fortsetzung des bisherigen Wegs hielt. Er war freilich noch zehn 103 KA NL Duic Nr. 48, Fernschreiben Obst dG Duić an Brigadier Otto Heller, 17. 6. 1970 ; Heller, Otto: Gedanken über die operativen Zielsetzungen der österreichischen Landesverteidigung, 26. Mai 1970, in: (Schluss)bericht der Bundesheerreformkommission, Anlage 2, Operative Führung, Wien 1970 (gedrucktes Manuskript).

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Jahre zuvor ein vehementer Befürworter der Verlegung der gepanzerten Kräfte in den Osten Österreichs gewesen, um dort notfalls grenznah den Kampf aufnehmen zu können, ihn beweglich und unter Abstützung auf zwei, dann drei Panzer- bzw. Panzergrenadierbrigaden zu führen. Dann aber akzeptierte er die auch von anderen angestellten Überlegungen sowie die vornehmlich auf Ergebnissen von Generalstabshausarbeiten beruhenden Schlussfolgerungen und die mehr oder weniger deutliche Absage an einen hinhaltenden Kampf und verschrieb sich zur Gänze einem neuen Konzept. Er beschäftigte sich – ohne schon die von Herfried Münkler gebrauchte Begrifflichkeit verwenden zu können – mit dem »Asymmetrischen« Krieg,104 wobei auf den österreichischen Fall bezogen alle Formen der Asymmetrie zur Anwendung zu bringen waren : Österreichs Landesverteidigung verkörperte ein krasses Missverhältnis an einzusetzenden Kräften, vor allem aber an Waffen, und während man sich in Wien noch um die Interpretation der staatsvertraglichen Bestimmung hinsichtlich der Verbote von »Spezialwaffen« bemühte, waren in den Arsenalen der anderen bereits Technologien der übernächsten Generation gelagert. Spannocchi sah in einem Verteidigungsfall keine Möglichkeit zur geordneten Zurücknahme kämpfender Truppen und zu großen Bewegungen angesichts einer massiven Überlegenheit an mechanisierten Kräften und einer von vornherein anzunehmenden absoluten Luftüberlegenheit eines jeden Gegners. Also wollte er dem hinhaltenden Kampf keinen Platz mehr einräumen, vor allem die Landwehr dazu verwenden, in vorher bestimmten Räumen und unter Abstützung auf eine Vielzahl von Festen Anlagen einen Aggressor zu einem langsamen Vorgehen zu zwingen, ihm, wo es ging, Abbruch zu tun und ihn schließlich zum Angriff auf stark verteidigte Schlüsselzonen zu nötigen. Es ging also nicht um die operative Verselbstständigung des Jagdkampfs oder, wie dann häufig verkürzt gemeint wurde, um Partisanenkrieg, sondern sehr wohl um den Einsatz regulärer Kräfte. Jenseits jeglicher Operation sollte es aber das Ziel aller politischen und militärischen Anstrengungen, also der Gesamtstrategie, sein, einen Konflikt so auszudehnen, dass dem angegriffenen Staat irgendeine Form von internationalem Schutz oder zumindest Hilfe zuteil werden konnte. – Soweit die Theorie. Doch dafür brauchte es Soldaten, Kräfte, die vornehmlich infanteristisch und im Kleinkrieg einsetzbar waren, und zwar dreimal so viel Soldaten, wie bis dahin in der militärischen Organisation Platz gefunden hatten. Siebenmal so viel wäre wohl noch besser gewesen. Was Spannocchi nicht sehen konnte und schließlich nicht wahrhaben wollte, war aber, dass es nach 15 Jahren noch nicht einmal doppelt so viele sein würden. Zunächst aber schien das Konzept aufzugehen. Wesentliche Vorgaben lieferte dabei nicht nur die Politik, sondern vor allem auch das ansatzweise schon bis dahin Ge104 Münkler, Herfried : Der Wandel des Krieges. Von der Symmetrie zur Asymmetrie, Weilerswist 2006.

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dachte, das nur jetzt anders und vor allem mit anderer Konsequenz zusammengefasst wurde. Im Oktober 1970 legte die Gruppe Operation den Entwurf eines Konzepts der Gesamtraumverteidigung vor. Es skizzierte die Anlassfälle der Landesverteidigung recht einfach : Die Einbeziehung Österreichs in einen militärischen Konflikt ist entweder im Rahmen eines gesamteuropäischen Konflikts oder – mit geringerer Wahrscheinlichkeit – im Rahmen eines lokal begrenzten Kriegs (auch Stellvertreterkriegs) denkbar. Die operative Konzeption der österreichischen Landesverteidigung ist auf den Verteidigungsfall ausgerichtet. Das Ziel : »Möglichst großer Abhalteeffekt oder im Fall der Aggression das Festhalten der für die Bewahrung der Souveränität wesentlichen Teile des Staatsgebiets. Dem eigenen Staatsvolk müssen die Erfolgsaussichten innerhalb eines konventionellen (nicht atomaren) Kriegs glaubhaft vor Augen geführt werden. Die technische Überlegenheit eines Eindringlings ist kein Grund für eine sicherheitspolitische Resignation«. Dann hieß es weiter : Das bisherige operative Einsatzkonzept ist auf die neue Struktur des Bundesheers nicht übertragbar. Das neue Konzept der Gesamtraumverteidigung verwertet bestehendes Ideengut, zieht aber auch die notwendigen Konsequenzen, die sich aus den Landwehraufstellungen ergeben. Träger der Gesamtraumverteidigung sind die Landwehr und die Bereitschaftsverbände. Zweck der Gesamtraumverteidigung ist es, »einem Eindringling so viel Zeit und Kräfte abzufordern, dass dieser sein operatives Ziel von vornherein in Frage gestellt sieht«. Das war nun nichts umwerfend Neues. Dennoch : Der Entwurf ging in Begutachtung und wurde ein Jahr später im Wesentlichen approbiert, allerdings erst 1974 als »Die Konzeption der Gesamtraumverteidigung« ausgegeben. Das Konzept wäre möglicherweise eine leere Hülle geblieben, hätte es nicht in Emil Spannocchi einen sehr glaubhaften Interpreten gefunden. Er wurde Kommandant des Aufstellungsstabs Bereitschaftstruppe und trat seine neue Aufgabe in einem Augenblick an, als das Heer seine kritischsten Phasen durchlebte. Das Reserveheer der von 1956 bis 1970 Ausgebildeten wurde mehr oder weniger abgeschrieben. Ein neues Reserveheer musste erst aufgebaut werden. Die Sorge, dass das militärische (Fast-)Vakuum in Österreich ein hohes Risiko barg, ging um.105 In dieser Situation war es wohl klar, dass operative Planungen sekundär waren. Es kam darauf an, überhaupt wieder Heereskräfte zu haben, mit denen disponiert werden konnte. Das Ziel war vorgegeben. Am 1. Juli 1973 wurde Spannocchi General und erster Armeekommandant. Was er in vielerlei Vorträgen und Veröffentlichungen und schließlich in einem Buch unter dem Titel »Verteidigung ohne Selbstzerstörung« publizierte, las sich einfach. 105 Beispiel für viele in diesem Sinn argumentierende Politiker, militärische Fachleute und Kommentatoren ist das von Felix Ermacora herausgegebene Weißbuch zur Lage der Landesverteidigung Österreichs, Wien 1973.

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Spannocchi sagte sich, dass es sinnlos wäre, mit einer auf die Möglichkeiten eines Kleinstaates reduzierten Wehrmacht die Bewältigung eines regelrechten Kriegsfalls in Erwägung zu ziehen. Und wenn ein Staat wie Österreich nicht einem der Bündnisse beitreten wollte, dann müsse er sich eine andere Konzeption zurechtlegen. Ein Kernsatz in Spannocchis Buch lautete daher : »Im Entschluss kleiner und mittlerer Staaten zum Bündnisbeitritt (wenn er überhaupt freiwillig erfolgt), steckt schon ein Großteil Resignation.«106 Die immerwährende Neutralität wurde von Spannocchi als Antithese zu einem Bündnis gesehen. Man müsste im Verteidigungsfall seine Truppen so im Raum verteilen, dass ein Gegner gezwungen wird, seine Operation so ablaufen zu lassen, dass sich Gefechte nie zur Schlacht zusammenfügen und dass die Eroberung des Raumes ohne echten militärischen Sieg abläuft. Die Sättigung des Raumes durch den Feind müsse daher mit Infanterie und nicht mit Technik erfolgen. Der technisch und militärisch haushoch überlegene Feind würde solcherart gezwungen, immer mehr Truppen zum Einsatz zu bringen und mit Kanonen auf Spatzen zu schießen. Er kann dann wohl zerstören, aber nicht erobern. Vietnam schien Spannocchi recht zu geben. Dieses Konzept führte in seiner Umsetzung zur Bewertung des Raumes in einer Weise, die völlig gleichmäßig im Osten wie im Westen Österreichs Raumsicherungsund Schlüsselzonen festlegte und eine letztlich auch undifferenzierte Beurteilung der österreichischen Bereitschaft zur Hinderung militärischer Durchmärsche zuließ, da nunmehr der Vorwurf des Warschauer Pakts (oder einzelner Paktstaaten), Österreich würde die Bedrohung nur aus dem Osten annehmen, nachvollziehbar widerlegt wurde. – Damit erhielten auch die Sperrmaßnahmen einen anderen Charakter und gab es auch in jenen Bereichen des Landes, die eventuell in einem Kriegsfall NATO eine Rolle spielen konnten, jene vorbereiteten Sperren und Festen Anlagen, die zur Behinderung eines Vormarsches oder – um mit Spannocchi zu sprechen – zur Sättigung mit Menschen statt mit Technik zwingen sollten. Spannocchi setzte schließlich als Armeekommandant das von ihm und einer Gruppe junger Generalstabsoffiziere Gedachte auch in die Tat um. Er entwickelte konsequent das Raumverteidigungskonzept und baute darauf eine Heeresreform auf, die 1978 in ihren wesentlichen Teilen zum Abschluss gebracht wurde. Manches blieb aber weiterhin im Bereich des Undenkbaren. Was, wenn es im Falle eines Kriegs tatsächlich dazu kommen sollte, dass Warschauer-Pakt-Truppen Österreich aussparten, die NATO aber nicht auf die kurze Verbindungslinie zwischen Italien und Deutschland verzichten konnte oder wollte ? Musste man dann der NATO den Krieg erklären und Hilfe des Warschauer Pakts in Anspruch nehmen ? Ging die Hinderungspflicht bei einem Angriff aus dem Osten so weit, den Großteil der schlagkräftigsten 106 Spannocchi, Emil : Verteidigung ohne Selbstzerstörung, in : Spannocchi, Emil/Brossolet, Guy : Verteidigung ohne Schlacht, München/Wien 1976, S. 17–91, hier S. 41.

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Truppen zu opfern und gleichzeitig nicht den Westen um Hilfe zu bitten, weil dann vielleicht sehr rasch die atomare Schwelle überschritten worden wäre ? Oder sollte man das Donautal gewissermaßen zum Verkehr freigeben und nur Richtungspfeile, einmal »München« und einmal »Budapest«, aufstellen und erst recht dazu einladen, Österreich zum Kriegsgebiet zu machen ? Dass dergleichen aber nicht nur als eine Art Witz gedacht wurde, hatte sich schon 1961 gezeigt. Damals hatte die »Neue Zürcher Zeitung« über die Äußerungen eines österreichischen Politikers berichtet, wonach man sehr wohl daran denken könnte, im Kriegsfall dem Warschauer Pakt und der NATO die Benützung des österreichischen Territoriums und des Luftraums zuzusichern, allerdings unter österreichischer Kontrolle. Was eher nach Fasching klang, führte zu eingehenden Beratungen im österreichischen Ministerrat und schließlich zu einem formellen Dementi.107 Dergleichen Schimären tauchten aber sehr wohl auch später und in anderen Zusammenhängen auf.

Polarka Außer zu Planungen für den Fall eines großen Kriegs zwang die österreichische Situation aber auch zur Beschäftigung mit anderem, vor allem mit den mit Sorge beobachteten Veränderungen in Jugoslawien. Dieses spielte in den operativen Überlegungen des Bundesheers überhaupt eine viel wichtigere Rolle, als es bei der bloßen Fixierung auf die beiden großen Militärblöcke den Anschein hatte. Die längste Zeit wurde es wohl mit der Vorgabe in die Planungen der Operationsabteilung des Bundesheers einbezogen, dass sich Jugoslawien – aus welchen Gründen immer – dem Warschauer Pakt anschließen könnte, ein Szenario, das dem Fall »Grün« zugrunde lag. Dann aber, und recht unvermittelt, schien Jugoslawien selbst gefährdet zu sein, und es wurde schon im Zusammenhang mit der Intervention von Warschauer-PaktTruppen in der Tschechoslowakei gemutmaßt, Pakttruppen könnten auch in Jugoslawien einfallen. Das wurde mit kaum begründbarer Sorge als stärkstes Indiz für einen europaweiten Krieg gesehen. Offenbar war es aber nicht in der Absicht der sowjetischen Führung gelegen gewesen, die Krise, die durch die Besetzung der Tschechoslowakei entstanden war, noch auszuweiten. Doch schon wenige Jahre später wurde ein neues Krisenszenario bemüht, um die Folgen einer Destabilisierung Jugoslawiens zu beschreiben. Auslösend dafür waren die 1971 von kroatischen Nationalisten ausgehenden Unruhen, derer man auch mit Massenverhaftungen nicht Herr wurde, sowie der zeitweilig schlechte Gesundheitszustand des jugoslawischen Staatspräsidenten, Josip (Broz) 107 Österreichisches Staatsarchiv AdR BMaA II Pol 1961, Österreich 5, GZ 34.578–4/61 ; Die Presse (Walter Urbanek), 12. 9. 1961.

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Tito. Die Frage war, ob die Sowjetunion die Situation nützen würde, um auch Jugoslawien und eventuell Albanien in den Ostblock einzubinden. Im Verteidigungsministerium in Wien reagierte man rasch. Schon am 11. Juni 1971 wurde die Vorbereitung eines Sicherungseinsatzes Stufe 1 als Lage »Dotterblume« angeordnet.108 Darauf beruhte dann eine Operationsanweisung, die sich mit einem Umfassungsangriff von Warschauer-Pakt-Kräften über Südostösterreich im Fall einer sowjetischen Intervention in Jugoslawien beschäftigte. Das korrespondierte mit einer an der Landesverteidigungsakademie gerade damals gespielten Lage »Südoststurm«. Dabei wurde davon ausgegangen, dass ein kleinräumiger Umfassungsangriff durch die Südsteiermark keinen operativen Gewinn bringen würde und daher ein Stoß in das Klagenfurter Becken und durch die Bleiburger Senke bzw. die Gewinnung der Karawanken Übergänge zum Zweck der Abriegelung gegenüber Italien sehr viel eher angenommen werden müssten. Man rechnete mit zwei Armeen, einer für das Freikämpfen der Bewegungslinien und einer zweiten zur Abriegelung gegenüber Italien. Schon Anfang Juli legte die Gruppe Operation einen Weisungsentwurf »Einsatzvorbereitung Jugoslawien« vor.109 Verteidigungsminister Karl Lütgendorf wollte zudem, dass ein möglicher Sicherungseinsatz zwei Wochen später im Rahmen einer Generalstabsreise durchgespielt wurde. Im Detail besprochen werden sollten ein Sicherungseinsatz (ohne Mobilmachung) sowie separat davon derselbe Fall nach Mobilmachung. Im Verlauf dieser Reise kam es zu massiven Auffassungsunterschieden, und das nicht zuletzt deshalb, da als Fall »Indigo« auch eine mögliche NATO-Operation über die Linie Villach–Salzburg Richtung Osten eingespielt wurde. Und das sollte – gedanklich – im Rahmen eines Sicherungseinsatzes und womöglich ohne Mobilmachung bewältigt werden ? Das ging nicht. Die Teilnehmer der Generalstabsreise sagten ein klares »nein« ! Es kam zu erheblichen Spannungen. Umfangreiche Sofort- und Langfristmaßnahmen wurden verlangt. Schließlich arbeitete die Gruppe Operation einen Erfahrungsbericht aus, der u. a. dem Minister und auch Bundespräsident Franz Jonas übermittelt wurde.110 Doch offenbar war kein Handlungsbedarf gegeben bzw. hoffte man, dass nach abgeschlossener Heeresreform ohnedies alles anders werden würde. Und im Übrigen beruhigte wieder einmal eine Analyse der Gruppe Nachrichtenwesen. Sie ging der Frage nach, was eine Invasion für Folgen haben könnte und wie wahrscheinlich sie sei.111 Bei den Folgen sah es einigermaßen dramatisch aus : Der Warschauer Pakt würde nach einer Besetzung Jugoslawiens auch die Situation in Rumänien und Albanien in seinem Sinn klären und seine Positionen erheb108 109 110 111

HGM/MGFA NL Pleiner, Ordner 6, BMLV Zl. 5166-geh/Fü/71. HGM/MGFA NL Pleiner, Ordner 6, o.Zl. HGM/MGFA NL Pleiner, Ordner 6, Zl. 5200-geh/Fü/71, 31. 7. 1971 HGM/MGFA NL Pleiner, Ordner 6, Dienstzettel GrpNaW 1865/71, 26. 8. 1971.

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lich stärken können. Griechenland wäre isoliert, die sowjetische Mittelmeereskader hätte neue Häfen. Zudem hätte der Pakt die Möglichkeit zur Einrichtung von Luftund Raketenbasen im östlichen Mittelmeerraum. Bei einer Offensive über Celje und Ljubljana bis in den Raum Triest kämen die Warschauer-Pakt-Truppen in die Nähe der österreichischen Grenze, doch »die Inanspruchnahme österreichischer Gebiete zur Durchführung dieser Angriffsphase scheint nicht zwingend erforderlich«. Ein weiteres Ausholen aber würde für den Pakt nur unwesentliche operative Vorteile bringen, die jedoch in keinem Verhältnis zu den politischen Konsequenzen stünden. Sollte man tatsächlich auf Österreich zielen, würde das aber nicht aus Südungarn, sondern aus der Gegend Jindřichův Hradec, Brno, Bratislava erfolgen und damit den Osten Österreichs durchschneiden. »Eine derartige großräumige Operation würde zwar den von jugoslawischer Seite geäußerten Befürchtungen ›Der kürzeste Weg von Brünn nach Triest führt über Wien‹, entsprechen, doch stünde der Kräfteaufwand in keinem Verhältnis zum Zweck.« Denn dann käme die NATO voll ins Spiel. Auch bei keiner Verletzung österreichischen Hoheitsgebiets wären natürlich die Folgen erheblich : Österreich würde von einem weiteren dem Warschauer Pakt zugehörigen Staat umfasst sein. Es bestünde die Gefahr von nationalistischen Unruhen, die auf Österreich überschlagen könnten. Während der grenznahen Operation könnte es zu Grenzverletzungen durch beide Parteien, Verletzung des österreichischen Luftraums und zum Übertritt großer Flüchtlingsmassen aus Kroatien und Slowenien kommen. Schließlich erforderten 100 000 Gastarbeiter, die womöglich aus der Bundesrepublik Deutschland und Österreich nach dem Süden wollten, oder aber auch in Österreich aufgehalten würden, zusätzliche Maßnahmen auf dem Verkehrs-, Transport- und Versorgungssektor sowie die Betreuung von Zigtausenden. Wieder war es nur ein »Fall« bzw. die Annahme eines »Falls«. Doch ganz ausschließen ließ sich natürlich nichts. Daher nahm Jugoslawien weiterhin die meisten Planungskapazitäten in Anspruch. Das Gruppenkommando II in Graz untersuchte im Rahmen der Planbesprechung »Enzian«, wie weit im Befehlsbereich der Gruppe II (Steiermark, Kärnten, Osttirol) eine Krisenbewältigung im Weg von Assistenzleistungen für Gendarmerie und Zollwache möglich sei. – Am 25. Oktober 1972 gab Verteidigungsminister Lütgendorf den Auftrag, eine Studie über die Sicherungsmaßnahmen im Kärntner und steirischen Grenzraum zu Slowenien anzufertigen.112 Kurz darauf lag sie vor.113 Die Annahme war eine krisenhafte Verschärfung der Situation im österreichisch-slowenischen Grenzraum. Den Hintergrund bildete wohl der beginnende Ortstafelstreit in Kärnten. Daher wurde das auch nicht als Neutralitätsoder gar Kriegsfall, sondern als ein isoliertes Bedrohungsszenario entworfen. Doch 112 HGM/MGFA NL Pleiner, Ordner 6, Zl. BMLV 75-strgeh/72. 113 HGM/MGFA NL Pleiner, Ordner 10, Zl. BMLV 76-strgeh/72, November 1972.

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es war klar, dass auch eine derartige Planung unter Zugrundelegung einer relativ eingeschränkten Bedrohung mit einiger Nervosität erfolgte. Nicht aber, weil die Gefahr real gewesen wäre, sondern weil das Bundesheer damals kaum mehr über einsetzbare Truppen verfügte. Noch dazu war weiterhin davon auszugehen, dass nicht mobilgemacht werden sollte. Und ohne Mobilmachung ging (fast) nichts mehr. Das hielt schließlich auch der Armeekommandant, General Spannocchi, fest und beantragte die Aufhebung der Phase »vor Mobilmachung« in allen ( !) Operationsfällen sowie bei der Donausicherung. Denn mit den möglichen Kampfstärken »vor Mobilmachung« seien die Operationsfälle nicht durchführbar. An feldverwendungsfähigem Personal erreichte die Armee zum damaligen Zeitpunkt 36 % des vorgesehenen Standes, nämlich 14 500 Mann. Nach Mobilmachung wären es wenigstens 110 200 gewesen.114 Um sicherzugehen, dass seine Sorgen und Argumente auch verstanden würden, informierte Spannocchi wiederum nicht nur den Minister, sondern auch den Bundeskanzler und den Bundespräsidenten. Sie dürften ihn aber nur angehört haben. Und der Minister ließ einem Amtsvermerk, in dem er über das Mobilmachungsproblem informiert wurde, nur einen Stehsatz anfügen : »Vorerst nichts zu veranlassen.« Der Information folgte 1974 die Desinformation. Der im Februar 1968 aus der Tschechoslowakei geflohene Erste Parteisekretär im tschechoslowakischen Verteidigungsministerium, General Jan Šejna, sorgte für erhebliches Aufsehen, als er behauptete, die Sowjets hätten schon einen konkreten Operationsfall »Polarka« ausgearbeitet gehabt, um Jugoslawien in die sozialistische Staatengemeinschaft »zu zwingen«. Das für Österreich Alarmierende an dieser Darstellung war, dass Šejna behauptete, die Operation hätte auch über österreichisches Gebiet führen sollen. Was er zum Besten gab, war freilich zunächst einmal der Planungsstand von 1962. Damals sei eine Operationsstudie »Dunaj« ausgearbeitet worden, die zur völligen Besetzung Österreichs – aber auch der Schweiz115 – im Rahmen eines großen OstWest-Konflikts führen sollte. Die zweite Geschichte des Jan Šejna handelte von einem Hilfeersuchen österreichischer Kommunisten, die eine Intervention sowjetischer Truppen erbitten sollten. 114 HGM/MGFA NL Pleiner, Ordner 6, AK Zl. 1.113-strgeh/Fü/73, 2. 8. 1973. 115 Die Angaben von Jan Šejna waren folglich auch in der Schweiz Anlass, sich mit den operativen Planungen des Warschauer Pakts zu beschäftigen. Von den mittlerweile schon zahlreichen Arbeiten seien genannt : Fuhrer, Hans Rudolf : Ein Jahrhundert der Bedrohung, in : »bedroht – bereit«. Die Baselbieter Infanterie-Regimenter 21 (1952–2003) und 47 (1952–1994), Liestal 2003, S. 49–64. Fuhrer, Hans Rudolf/Wild, Matthias : Alle roten Pfeile kamen aus Osten – zu Recht ? Das Bild und die Bedrohung der Schweiz 1945–1966 im Lichte östlicher Archive (Der schweizerische Generalstab XI), Baden 2010 (im Erscheinen). Mittlerweile ist man in der Schweiz durchwegs der Ansicht, dass die Angaben von Šejna, sofern sie die Schweiz betrafen, als unseriös einzustufen wären. Vgl. dazu : Veleff, Peter : Angriffsziel Schweiz ? Das operativ-strategische Denken im Warschauer Vertrag mit Auswirkungen auf die neutralen Staaten Schweiz und Österreich, Zürich 2007, v.a. S. 175–184.

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Das konnte als Rahmenhandlung eines Planspiels abgetan werden, hätte eventuell noch während der Besatzungszeit eine gewisse Bedeutung gehabt, war jedoch mittlerweile als unsinnig abzutun. Doch der dritte Fall, den Šejna schilderte, die Operationsplanungen des Warschauer Pakts für eine Intervention in Jugoslawien über Österreich hinweg, wurde dank der medialen Aufmerksamkeit zum Fall schlechthin. Denn während die diesbezüglichen Planungen des Bundesheers unter dem Verschlussvermerk »streng-geheim« liefen, schien nun alles seine Bestätigung zu finden, und die Medien hatten ihre Sensation. »Polarka« wurde als Bestätigung für alles genommen, was immer schon vermutet worden war.116 Anlass für eine Operation von Warschauer-Pakt-Truppen durch Österreich sollten Wirren in Jugoslawien nach dem Tod Titos oder Nationalitätenkonflikte sein, die als Vorwand für eine Intervention genommen werden konnten. Tschechische und ungarische Truppen sollten den Planungen von »Polarka« zufolge Ost- und Teile Südösterreichs besetzen. Anschließend würden dann sowjetische Truppen der Transkarpatischen Front nachziehen und das südliche Österreich bis in den Raum Villach besetzen. Der Flugplatz Graz-Thalerhof war als Drehkreuz und Kommandozentrale gedacht. Der Ansatz aus der Tschechoslowakei sollte mit 30 000 Mann, jener aus Ungarn mit 20 000 bis 25 000 Mann erfolgen ; hintennach wäre dann die große »Keule« gekommen, nämlich die Transkarpatische Front mit 400 000 Mann und allem, was der Warschauer Pakt zur Kriegführung so parat hatte. »Polarka« sei schon in der Mitte der Sechzigerjahre in Übungen erprobt worden, erläuterte Šejna. Tschechoslowakische Offiziere hätten bei der Anreise zu Fußballspielen in Wien die Routen ihrer Verbände erkundet, und schließlich hätte das Manöver »Vltava« (Moldau) 1965 »Polarka« zur Grundlage gehabt. Nun war das an sich nichts Neues, denn es war schon längst überlegt worden und bildete für zumindest vier Operationsfälle des Bundesheers den gedanklichen Hintergrund. Die Interpretation dessen, was da von Šejna nicht nur erzählt und zu belegen gesucht wurde, sondern regelrecht in Szene gesetzt worden war, sollte sich aber nicht darauf beschränken, sich nur mit dem Inhalt des »Falls« zu beschäftigen. Fast interessanter waren doch der Zeitpunkt, zu dem »Polarka« medial aufbereitet wurde, und die Art, wie das geschah. Zunächst einmal ließ sich der Warschauer Pakt an den Pranger stellen. Der NATO konnte das nur recht sein, denn es schien das zu bestätigen, was sich auch aus einer Vielzahl anderer Beobachtungen ableiten ließ. Da in dem ersten Interview, das Šejna »Paris Match« geben durfte, zwar der Fall »Du-

116 Stanzl : Moskaus Aufmarschpläne gegen Österreich. Der »profil« Redakteur Werner Stanzl bemühte sich längere Zeit um ein Interview mit J. Šejna, nachdem der für die Zeitschrift »Paris Match« ein erstes Interview gegeben hatte. Im Dezember 1973 wurde Stanzl von den amerikanischen Stellen, die Šejna in Gewahrsam hatten, in Washington ein Interview ermöglicht. – Eine knapper gehaltene Darstellung gab Šejna 1982 in seinem Buch, We Will Bury You, hier S. 120 f.

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naj« vorkam, jedoch Österreich nicht erwähnt wurde, lag es wohl im Interesse der amerikanischen Stellen, die das Interview mit dem mittlerweile in den USA lebenden Tschechen ermöglichten, dass die gegen Österreich gerichteten Planungen im Fall »Dunaj«, vor allem aber »Polarka« eigens aufbereitet wurden. »Polarka« betraf ja streng genommen nicht das westliche Bündnis, sondern das blockfreie Jugoslawien und das immerwährend neutrale Österreich. Letzterem wurde seine Verwundbarkeit gerade in einem Augenblick vor Augen geführt, als es in besonderer Weise militärische Schwäche demonstrierte und sich obendrein mit seinen Reformmaßnahmen viel Zeit ließ. Das war dem westlichen Bündnis mehr als ein Dorn im Auge. Regelrechte Kritik zu üben, war wohl nicht empfehlenswert. Sorge war freilich schon vielfach geäußert worden. Wie aber, wenn man jemanden zu Wort kommen ließ, der es eigentlich wissen musste, nämlich den tschechoslowakischen General Šejna, der sich in den Westen abgesetzt hatte ? Was, wenn er die Möglichkeit bekam, nicht nur die westlichen Geheimdienste zu bedienen, sondern auch ein Interview für das auflagenstärkste österreichische Magazin geben konnte ? Während der ungarischen Revolution 1956 hatte es westliche Desinformation gegeben ; 1968, nach dem Absprung des tschechoslowakischen Geheimdienstmannes Ladislav Bittmann, war desinformiert worden ; und »Polarka« passte durchaus in das Muster. Verteidigungsminister Lütgendorf konterte auf die Ausführungen Šejnas zwar rasch mit der Feststellung, dass die Angaben durchaus ernst genommen werden müssten. Im Übrigen aber verwies er auf seine Erfahrungen und Kenntnisse als General, wonach er den Truppen des Warschauer Pakts Möglichkeiten zeigen könnte, Österreich auch in einem Kriegsfall »Ju« zu umgehen.117 Die Story Jan Šejnas bekam aber zusätzlich skurrile Züge, als der Sekretär von Bundeskanzler Kreisky, Thomas Novotny, von einem rangniederen Angehörigen der US-Botschaft in Wien die Versicherung erhielt, niemand in den USA hätte Šejna zu seinen Äußerungen veranlasst, und im Übrigen wisse er ganz genau, dass alles, was Šejna bei seinen Einvernahmen 1968 über Österreich gesagt habe, unverzüglich an Österreich weitergeleitet worden sei.118 Nachforschungen im österreichischen Verteidigungsministerium und im Innenministerium ergaben freilich, dass von »Polarka« keine Rede gewesen war. Šejna, so meinte dann Minister Lütgendorf in einem Schreiben an den Kanzlersekretär, sei ein »politischer Karrierist mit militärischem Niveau eines Unteroffiziers, … der um entsprechende Belohnung das sagt, was der Auftraggeber zu hören wünscht«. Mehr noch : Es sei eine bloße »Erfindung«.119

117 Stanzl : Moskaus Aufmarschpläne gegen Österreich, in : Profil, 28. Februar 1974, S. 32. 118 Stiftung Bruno Kreisky Archiv, Wien, VI.4, Boxen 9 und 15. 119 Stiftung Bruno Kreisky Archiv, Wien, VI.4, Box 9, Schreiben vom 24. 4. 1974.

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Nichtsdestoweniger wurde eine Stabsrahmenübung angesetzt, die auf der Annahme beruhte, »Polarka« würde tatsächlich konkrete Planung sein. Doch eigentlich waren zu diesem Zeitpunkt kaum mehr papiermäßige und gedankliche Vorbereitungen nötig, denn zum »Fall Jugoslawien« war schon 1971 und 1972 alles Wesentliche gesagt und in den Panzerschränken archiviert worden. Variationsmöglichkeiten und noch bedrückendere Szenarien ließen sich freilich immer noch entwerfen, so im Rahmen einer Streng-geheim-Studie »Antipol«, die einen Angriff aus Norden und Osten sowie die schlagartige Ausschaltung der Heereskräfte in Ostösterreich annahm und die Möglichkeiten darzustellen suchte, die der Gruppe II verblieben, um den Einbruchs- und Durchmarschraum nach dem Westen hin abzuriegeln. Eine amerikanische Intervention wurde nicht als gegeben angenommen. Phase 1 sah den sofortigen Einsatz aus Sicherungsräumen vor. In Phase 2 sollte »nach Möglichkeit verteidigt« werden.120 »Polarka« war ein Bluff. Was dahinter stand, war die Sorge. Und sie nahm noch immer nicht ab. Aus gutem Grund ! Die Heeresreform war noch keineswegs abgeschlossen (obwohl sie schon über vier Jahre dauerte), und von einer jederzeit einsetzbaren Bereitschaftstruppe war wohl auch nur die Rede, doch es bedurfte noch einer ganzen Reihe von Zusatzmaßnahmen, um die Verbände aufzufüllen. In Österreich begriff man sich durchaus als Teil der gesamteuropäischen Sicherheitsstruktur. Es fand auch durchaus Zustimmung, wenn gefolgert wurde, dass man nur so viel Sicherheit konsumieren könnte, wie man zu »produzieren« bereit war.121 Der Fall »Ju« wurde aber als so aktuell und bedrohlich angesehen, dass 1975 mit einer Sofortmaßnahme reagiert werden sollte. Ende Jänner 1975 artikulierten sowohl Verteidigungsminister Lütgendorf als auch Armeekommandant General Spannocchi bei einer Sitzung der Landesverteidigungskommission ihre Sorge und bezeichneten es als reale Möglichkeit, dass es in Jugoslawien zu einer »Eskalation« kommen könnte.122 Als Sofortmaßnahme wurde die Zusammenfassung der drei Panzergrenadierbrigaden zu einer Division beschlossen. Drei Wochen später herrschte Klarheit über den organisatorischen Umbau und die Kommandoführung. Zeitgleich wurde an der Landesverteidigungsakademie ein Planspiel »Gesamtraumverteidigung, Kampfführung raumgebundener Kräfte, dargestellt am Beispiel ›Territorialkommando Koralpe‹«, ausgearbeitet. Als Annahme wurde von drei Möglichkeiten ausgegangen : einer Aggression aus dem Osten gegen den nordjugoslawischen Raum ; einer Aggression aus Osten zur Inbesitznahme des Raums Klagenfurt und Villach und einer Aggression

120 HGM/MGFA NL Pleiner, Ordner 7 (o.D.). 121 Kuntner, Wilhelm : Die strategische Situation, in : Böhm, Günther (Red.) : Handbuch der geistigen Landesverteidigung, Wien o.J. (1974), S. 41–50, hier S. 50. 122 KA NL Duić, Nr. 33, Besprechung über Führungsstruktur. Übergangslösung HG 72, Sitzung am 24.1.1975.

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aus dem nordjugoslawischen Raum. Alle drei Möglichkeiten konnten als abstrakt gelten, doch zumindest war rasch entschieden und konsequent gehandelt worden. »Polarka« saß Ministern und Generälen noch in den Knochen.

Limes Die 1970 begonnene Reform des Bundesheeres ließ auch Jahre später erst Strukturen und Absichten erkennen. Und manches ging beileibe nicht so schnell, wie es sich die »Reformer« vorgestellt und gewünscht hätte. Mittlerweile hatten auch die ambitioniertesten Planer die Realität insofern eingeholt, als nur zu deutlich geworden war, dass es keinesfalls eine wundersame Geldvermehrung gegeben hatte und nach wie vor sehr ambitioniert mit Annahmen und Wünschen geplant werden musste. Theoretisch gab es noch immer die »Farbenfälle«, auch wenn sich mittlerweile das militärische Umfeld dramatisch veränderte. 1973 musste nochmals eine Art Überbrückung versucht werden. Wie schon vorher wurde dieser Zwischenstufe die Idee der Zusammenfassung von Operationsfällen zugrunde gelegt. Es sollte nur mehr die Fallgruppen WP, Jugoslawien und NATO geben.123 Ende August 1975 erhielt das Armeekommando den Auftrag, den Fall »Warschauer Pakt« neu zu planen.124 Schon zwei Monate später legte das Armeekommando seine Neubearbeitung vor, die vom Generaltruppeninspektor, General Anton Leeb, wohl nicht ganz unerwartet, als »ungeeignet« befunden wurde, um die fünf (alten) Operationsfälle eines vom Osten ausgehenden Konflikts zu ersetzen. Minister Lütgendorf musste eingreifen und ordnete im Mai 1976 die Neubearbeitung an. Hauptkritikpunkte waren, dass die zeitlich begrenzte Verteidigung entlang einer Linie von der Donau bis zum steirischen Randgebirge zu wenig berücksichtigt worden war, dass das Problem Wien nicht ausreichend behandelt worden und dass zu wenig darauf geachtet worden war, den Krisen- und den Neutralitätsfall im Verteidigungsfall zu

123 HGM/MGFA GTI Akten, Beneordner grau, Streng geheim 1972–1976, BMLV Zl. 95-strgeh-SIII/73, 16. 3. 1973. In diesem Sinn erfolgte auch die Information des Landesverteidigungsrats, für dessen 43. Sitzung am 22. November 1974 ein Sonderbericht zusammengestellt wurde. Darin hieß es u.a., dass alles darauf hindeute, dass es im Fall eines Ost-West-Konflikts darauf ankäme, ob die politische Beurteilung durch die Warschauer-Pakt-Staaten die Verletzung der österreichischen Neutralität notwendig erscheinen ließe. In diesem Fall wären mit Operationen aus dem Raum Olomouc–Tullnerfeld–Donau in Richtung BRD, Eisenstädter Pforte–St. Pölten sowie aus Südwestungarn–Steiermark–Richtung Jugoslawien zu rechnen. Bei der politischen Beurteilung würde es eine große Rolle spielen, als wie effizient die österreichischen Verteidigungsvorbereitungen angesehen würden (Stiftung Bruno Kreisky Archiv, VI.4, Box 9, 43. Sitzung des Landesverteidigungsrats, Sonderbericht). 124 HGM/MGFA GTI Akten, Beneordner grau, Streng geheim 1972–1976, BMLV Zl. 121-strgeh-SIII/75, 28. 8. 1975.

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subsumieren. Außerdem sollte der Entwicklung in Italien mehr Aufmerksamkeit gewidmet werden. Das stand zwar mit der Neubearbeitung der Fallgruppe Warschauer Pakt nur mittelbar im Zusammenhang, doch aufgrund von noch nicht absehbaren Entwicklungen in Italien »muss in Hinkunft auch diesem Grenzabschnitt mehr Aufmerksamkeit und erhöhte Beachtung zugewendet werden«, ließ der Minister verlauten.125 Der Armeekommandant und der Generaltruppeninspektor waren aufgefordert, gemeinsame Lösungen auszuarbeiten. Und sie fanden wohl auch mehr schlecht als recht zueinander. Allerdings hatte das Armeekommando wenige Monate später die Bearbeitung des Operationsfalls NATO einzustellen.126 Parallel zur Neukonzeption, Um- und Neuorganisation sowie den Neuaufstellungen liefen 1974 die ersten größeren Übungen an, mit denen das Zusammenwirken von Bereitschaftstruppe sowie raumgebundener und mobiler Landwehr erprobt werden sollte. Für die Verbandsübung im Herbst 1974 wurden zwei getrennte Abschnitte definiert, ein Übungsbereich »Mitte« und ein Übungsbereich »West«. Es ging um die Abwehr mechanisierter Aggressionskräfte in Verzögerungs- und Widerstandsbereichen und den Übergang zur Verteidigung. Operative Aussagen waren nicht zu erwarten.127 Der Übung lag ein »Drehbuch« zugrunde, und sie diente eigentlich nur der Erprobung von Ausbildungsverfahren. Weitere Erprobungsübungen sollten folgen. Nachdem die »Farbenfälle« einmal archiviert worden waren und anderes nur der Überbrückung diente, ging man aber auch daran, ein neues großes Szenario zu entwerfen. Es entstand in der Gruppe Einsatzvorsorge, war Teil der sogenannten Landwehrstudie128 und erhielt den Decknamen »Limes«.129 Die sicherheitspolitischen Rahmenbedingungen hatten sich zwar nicht verändert, und »Limes« sollte letztlich auch nur den Operationsfall »Ost« ersetzen, also die verbindliche Einsatzplanung für einen Angriff von Warschauer-Pakt-Staaten werden. Was dabei weitestgehend neu zu planen war, war der Einsatz der österreichischen Verbände, wobei eine Verlagerung der Verteidigungsanstrengungen auf die Landwehr Kernstück der Überlegungen wurde. Dabei wurde von eigenen Kräften in der Stärke von 245 000 Mann ausgegangen. Die Rahmenhandlung, die »Limes« zugrunde gelegt wurde, begann mit einer weitläufigen Beschreibung einer weltpolitischen Situation, die sich aus den Vorgän125 General Leeb ließ über die Besprechung ein eigenes Protokoll anfertigen (BMLV Zl. 236-strgehGTI/76). 126 HGM/MGFA GTI Akten, Streng geheim 1972–1976, BMLV Zl. 114-strgeh-SIII/76, 18. 3. 1976. 127 Ségur-Cabanac: Die Übungsannahmen, S. 101–114, und Pleiner, Horst : Großübungen des österreichischen Bundesheers, in : Österreichische Militärische Zeitschrift 2/24 (1986), S. 120–129, hier S. 121. 128 Fertiggestellt am 18. Juli 1973. 129 HGM/MGFA NL Pleiner, Ordner 7 sowie Ordner 29, 30 und 31.

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gen im Nahen Osten und in Jugoslawien ableitete. Im Nahen Osten, so die Hypothese, würde die Eskalation im Verhältnis Israels und der arabischen Staaten eine gefährliche Zuspitzung erfahren haben. In Jugoslawien habe ein Wechsel in der Staatsführung stattgefunden, und das Land sei einem starken Druck Moskaus und der Staaten des Warschauer Pakts ausgesetzt. Um seine innere Situation zu stabilisieren, bat Jugoslawien die USA um Wirtschaftshilfe. Die Staaten des Warschauer Pakts erhöhten den Druck und warnten den Westen vor einer Einmischung : Das sei ein internes Problem des kommunistischen Blocks, hieß es. Gleichzeitig nahm die Propaganda gegen Albanien zu. Auch die Haltung gegenüber Österreich änderte sich. Österreich wäre mehrfacher Neutralitätsbruch vorgeworfen worden. Die Spannungen zwischen den beiden deutschen Staaten nahmen zu. Die NATO versuchte es mit Gegendrohungen. Dann griffen arabische Truppen Israel an. Die USA entschlossen sich, Israel zu Hilfe zu kommen. Die Sowjetunion verlangte ein sofortiges Ende des US-Engagements im Nahen Osten, andernfalls Gegenmaßnahmen in Europa ergriffen würden. Starke sowjetische Truppenbewegungen seien zu beobachten. Die NATO begann mit der Teilmobilmachung. Auch in Österreich liefen Vorbereitungen für eine Mobilmachung an. Österreich beurteilte die Lage allerdings so, dass kein allgemeiner Angriff auf die NATO erfolgen würde, sondern sich der Warschauer Pakt mit der Besetzung Ostösterreichs ein Faustpfand zu schaffen und zudem die Nordflanke einer gegen den Balkan gerichteten Operation abzuschirmen bestrebt sein würde. Jedenfalls würden bei Gelingen der Offensive in Österreich die Warschauer-Pakt-Truppen auch in der Lage sein, die Flanke der CENTAG (Central Army Group) der NATO im bayrischen Raum sowie Oberitalien zu bedrohen. Der Ministerrat in Wien schlug dem Bundespräsidenten die Mobilmachung aller Angehörigen des Reserveheeres vor, um kurzfristig gemäß der operativen Planung »Limes« aufmarschieren zu können. Der sowjetische Botschafter übergab tatsächlich eine Note, wonach sich die Sowjetunion gezwungen sehe, im Interesse der Abwehr einer imperialistischen Aggression die Sicherung der ehemaligen sowjetischen Besatzungszone vor dem Zugriff von Diversanten und Intervenienten zu übernehmen. Denn Österreich wäre nicht in der Lage, seine Souveränität und Neutralität zu gewährleisten. Österreich verlegte daraufhin seine Truppen in die gefährdeten Räume. Das Verteidigungsdispositiv sah die Aufnahme des Abwehrkampfs mit Kräften der Bereitschaftstruppe und der Landwehr an der Staatsgrenze vor. Es wurde von einer »erdrückenden Feindüberlegenheit zur Erde und vor allem in der Luft« ausgegangen. Die Pakttruppen würden bestrebt sein, nicht nur Niederösterreich, das Burgenland, Wien und das Mühlviertel, also ihre ehemalige Besatzungszone, zu erobern, sondern trachten, so weit wie möglich vorzustoßen. Phase I : Inbesitznahme der Wienerwaldeingänge und des steirischen Randgebirges einschließlich Wien und Graz. Inbesitznahme des Donautals.

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Phase II : Gewinnung des obersteirischen Industriegebiets sowie der Übergänge nach Kärnten und Vorstoß in den Raum Villach. Im Norden Gewinnung der Linie Inn–Salzach sowie der Alpeneingänge. Phase III : Besetzung des Zentralraums ostwärts der Linie Salzburg–Villach. Das Bundesheer führt einen Verzögerungskampf bis zum Äußeren Ring. Die Verzögerungskräfte werden im Äußeren Ring von den dort eingesetzten Landwehrverbänden aufgenommen. Im Äußeren Ring wird zeitlich begrenzt verteidigt. Falls erforderlich, wird das Gefecht abgebrochen und im hinhaltenden Kampf auf den Inneren Ring zurückgegangen. Letzte Phase : Mobile Landwehr und raumgebundene Landwehr vernichten zusammen mit den Bereitschaftstruppen den eingebrochenen Feind. Das las sich nun recht schön und hatte vor allem auch ein Ende, das in die Gruppe »Erbauungsliteratur« passte. Planen ließ es sich gewiss nicht, zumindest nicht die letzte Phase. Anderes hingegen schon. Und das gab schließlich Anlass, zunächst eine Planbesprechung an der Landsverteidigungsakademie und schließlich die größte Planübung des Bundesheers in seiner Geschichte durchzuführen. Vom 10. bis 12. Juni 1974 fand in der Salzburger Schwarzenberg-Kaserne ein Kriegsspiel mit rund 90 Offizieren statt. General Spannocchi war als Armeekommandant Leiter der verteidigenden Partei »Blau«, die mit zwei Korps- und drei Divisionskommanden sowie den zugehörenden Truppen angenommen wurde. Die Partei »Rot« leitete General Dr. Raimund Truxa. Nun sollte es um einen möglichst wirklichkeitsnahen Ablauf gehen. Alles Mögliche wurde eingespielt, um die Überlegenheit des Angreifers und sein Vorgehen bei der Besetzung von Teilen Österreichs als Vorstufe der Operation »Buran« (Schneesturm ; NATO) nuancenreich deutlich zu machen : Luftlandungen, die Übernahme der Sender im Rahmen des Unternehmens »Freiheit«, die Einnahme Wiens im Rahmen der Operation »Prišok« und der Aufbau einer neuen Verwaltung etc. Auf der anderen Seite wurden auch den Verteidigern alle Möglichkeiten eingeräumt. Die Bundesregierung konnte ihren Sitz rechtzeitig nach Gastein verlegen. Dort wurde auch der Führungsstab angenommen, dessen Arbeitsfähigkeit zum Zeitpunkt der Aggression gewährleistet war. Die Verbände waren gemäß den Planungen für »Limes« in die Einsatzräume verlegt worden. Überflutungsmaßnahmen an der Donau konnten jederzeit ausgelöst werden. Der Zivilverkehr war zum Stillstand gekommen. »Gemäß Beschluss der Bundesregierung ist Wien im Falle einer Aggression nicht zu verteidigen und von allen Einrichtungen des Bundesheeres zu räumen. Dieser Beschluss wurde nicht veröffentlicht…« Als Fortsetzung der Ausgangslage wurde dann noch die Situation in Jugoslawien detaillierter dargestellt. Nach drei Tagen endete die Planübung.

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Der Abschlussbericht wurde Ende August 1974 vorgelegt.130 Die Kernaussage war : Der Operationsfall ist mit der in der H[eeres]G[liederung] 72 aufgezeigten Führungsstruktur darstellbar. Doch die Kampfführung im Sinne einer Gesamtraumverteidigung ist so wie bei der »Limes« zugrunde liegenden Annahme »nicht möglich«. Das Konzept der Gesamtraumverteidigung sollte daher im Sinne des Beschlusses der Landesverteidigungskommission vom 2. Mai 1974 überarbeitet werden. Wieder war es vor allem Wien, das als großes Fragezeichen gesehen wurde. Der schon anfangs der Planübung gefasste Entschluss, die Stadt nicht zu verteidigen, hatte das Armeekommando veranlasst, die effektivsten Kräfte der Bereitschaftstruppe rasch aus dem Weinviertel abzuziehen und durch kampfschwache zu ersetzen. Dadurch wäre der Feind schon nach drei Stunden in Tulln gestanden. Abgesehen davon hätte ein nicht verteidigtes Wien noch weitere Konsequenzen : Ein Kampf in der Brucker und in der Eisenstädter Pforte wäre sinnlos, »weil beide Pforten entweder von Wien her geöffnet hätten werden oder überhaupt ausgespart werden können«. Außerdem müsste Wien raschest von allen militärischen Dienststellen geräumt werden. Doch die Frage, was mit Wien sein sollte, konnte natürlich nicht nur einer militärischen Beurteilung unterliegen. Da war die Politik gefragt. Also wurde die Sache recht salomonisch behandelt : Im Zusammenhang mit der Räumung Wiens wäre auch die Evakuierung des Bundespräsidenten, des Nationalrats sowie aller anderen Institutionen zur Erhaltung der staatlichen Souveränität zu klären. Das sollte daher die im Bundeskanzleramt angesiedelte Abteilung zur Koordination der Umfassenden Landesverteidigung tun. – Sie hat das nie gemacht.131 »Limes« wurde in allen möglichen Details zu denken gesucht und erfuhr in einer Vielzahl von Planspielen und Stabsbesprechungen seine letzte Ausformung. Das brauchte Zeit. Doch abgesehen davon, dass Jugoslawien immer wieder besondere Aufmerksamkeit verlangte, ging alles ruhig und regelrecht systematisch vor sich. Und die Welt sah zu. Dass in und außerhalb Österreichs über die Bundesheerreform geschrieben und eigentlich erstmalig in der Zweiten Republik ein Verteidigungsdispositiv erregt diskutiert wurde, durfte nicht wundern. Allmählich wandelte sich der Tenor der Berichterstattung und wurde positiver.132 Die Medien der Mitgliedstaaten des Warschauer Pakts hatten an sich wenig Grund gehabt, sich über die militärischen Probleme Österreichs kritisch zu äußern. Seit 1971 gab es sogar eine auffallende Ver-

130 HGM/MGFA NL Pleiner, Ordner 31. 131 Freundliche Mitteilung von Sektionschef i.R. Dr. Richard Bayer an den Verfasser am 16. Februar 2009. Vgl. dazu auch Bayer, Richard : Die Geschichte der Umfassenden Landesverteidigung. Vom Staatsvertrag bis zur Wende (Schriftenreihe der Landesverteidigungsakademie, Sonderpublikation 2/2008/S), Wien 2008. 132 So z.B. Meyer-Detring, Wilhelm : Österreichs Verteidigung auf neuen Wegen, in : Europäische Wehrkunde 4/25 (1976), S. 180–187.

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besserung des – ohnedies guten – Verhältnisses zur Sowjetunion.133 Doch bestimmte Stereotypen waren offenbar unvermeidlich.134 Anders der »Westen«. Dort sah man zwar angesichts der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, die im Juli 1973 in Helsinki begonnen hatte, eine Tauwetterphase anbrechen, doch noch gab es keine Truppenreduktion in Europa und die nach wie vor bestehende Überlegenheit der Sowjetunion und des Warschauer Pakts auf dem Sektor der konventionellen Rüstung. Kein Grund also zu glauben, es hätte sich etwas Grundlegendes geändert. Und der Hinderungswert des österreichischen Bundesheers wurde als verschwindend gering angesehen. Auch da gehörte es freilich zu den Seltenheiten, dass ungeniert Kritik geäußert wurde. Das tat man zwar in der Schweiz und auch in allen möglichen westlichen Medien, doch die Politiker und Diplomaten hielten sich in der Regel zurück. Wenn, dann vertrauten die westlichen Militärattachés und Botschafter ihr Urteil den Verschlussakten an, wie z. B. der britische Botschafter in Wien, Sir Denis Laskey, seinem Jahresbericht 1973 oder sein Nachfolger, Hugh Trevors Morgan, 1975. Da hieß es dann, dass das Bundesheer drauf und dran sei, jegliche Glaubwürdigkeit zu verlieren.135 Am 5. April 1974 besuchte der damalige französische Verteidigungsminister Robert Galley die Landsverteidigungsakademie. Was dann kam, veranlasste den Akademiekommandanten, Generalmajor Duić, zu einem Schreiben an Minister Lütgendorf.136 Galley zog Duić zu einer Österreichkarte und begann etwas verklausuliert das anzusprechen, was man ihm offenbar in Paris mitgegeben hatte : Er habe, so Galley, wiederholt aus NATO-Kreisen gehört, »dass die Flanke der NATO in Bayern nach Osten gegenüber dem Warschauer Pakt durch das neutrale Österreich nicht abgesichert werde«. Ihn würde daher interessieren, ob der Warschauer Pakt bei einem Angriff gegen die NATO österreichisches Gebiet benützen würde und, wenn ja, wo und wie dies erfolgen könnte. Nach einem Hinweis auf die Ost-West-Richtung der Alpentäler, lautete eine spätere Frage, »wie weit das Bundesheer vor einem Angriff des Warschauer Pakts nach Westen ›flüchten‹ würde, z. B. bis Innsbruck oder darüber hinaus«. Duić verwahrte sich gegen das Wort »flüchten« und erging sich wohl in allgemeinen Formulierungen. Doch in seinem Schreiben an den Minister setzte er recht unvermittelt zu einer prinzipiellen Kritik an »Limes« an : Hatte nicht »Limes« ein 133 National Archives (NA) London FCO 33/1283, Protokoll eines Gesprächs der Außenminister Kirchschläger und Douglas-Home am 17. 12. 1971. Im Verlauf dieses Gesprächs wies der österreichische Außenminister auf die verbesserten Beziehungen hin, konnte dafür aber keinen Grund nennen. 134 Die österreichische kommunistische Zeitung »Volksstimme« ließ sich dabei immer wieder zitieren, so z.B. in der Sowjetskaja Rossija, 3. März 1977 : (A. Mosgowoj) Chod konjom gospodina Ljutgendorfa (Der Rösselsprung des Herrn Lütgendorf), wo aus einer Erprobungsübung »Wintermanöver der Armee« wurden, die mit einem gleichzeitig laufenden NATO-Manöver in Verbindung gebracht wurden. 135 Z.B. NA London FCO 33/2827, 2828 Annual Review for 1975 ; Austria Mid –1976. 136 KA NL Duić, Nr. 18.

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Reduitdenken zur Folge ? Planungsgrundlagen der Führungsabteilung und »Limes« würden eines gemeinsam haben : Sie geben »die Operationslinien durch Österreich nach zeitlich begrenztem Widerstand rasch frei«. Der Grundsatz sei wohl der Erhalt möglichst vieler Kräfte zur Verteidigung des Basisraums sowie die spätere Bekämpfung der rückwärtigen Teile eines Aggressors. Doch die derzeitige Betonung von »Limes« und die Werbung mit der Gesamtraumverteidigung bewirkten ein Reduitdenken, gegen das auch Bundeskanzler Kreisky Stellung genommen hatte, »wenn er sich z.B. seinerzeit gegen die Generale wandte, die sich erst bei Mittersill verteidigen wollen«. Duić war mit seiner Kritik an »Limes« nicht allein. Etwas überraschend mochte es sein, dass er sich mit seinem Vorgänger als Kommandant der Landesverteidigungsakademie und nunmehrigem Armeekommandanten, Emil Spannocchi, eines Sinns sah. Eine dann im Rahmen einer Militärwissenschaftlichen Hausarbeit an der Landesverteidigung durchdachte Operation aus dem Norden schien die Zweifel an der Richtigkeit des Ansatzes zu bestätigen.137 Eingangs stand die wohl nicht aus der Luft gegriffene Annahme, dass bei einem Angriff aus der Tschechoslowakei zur Gewinnung des Donautals mit 18 motorisierten Schützenbataillonen, 12 Panzerbataillonen, 19 Artillerieabteilungen mit 1 686 Rohren, Teilen eines Hubschrauberregiments und allem anderen, was aus den Truppengliederungen des Warschauer Pakts hervorging, sowie mit einer absoluten Luftherrschaft zu rechnen sei. Die eigenen Kräfte wurden entsprechend den Vorgaben von »Limes« mit 3 Jägerbrigaden, 1 Panzergrenadierbrigade, 1 Landwehrregiment und Gruppentruppen angenommen. Quintessenz der Aussagen war, dass bei einem hinhaltenden Kampf eine Verzögerung des feindlichen Vormarsches zwar möglich sei, die Warschauer-Pakt-Truppen aber dennoch am ersten Tag ihre Operationsziele in Oberösterreich erreichen würden, wobei die Verluste der eingesetzten eigenen Kräfte bis zu 60 % betragen konnten. Die Erhaltung der eigenen Kampfkraft sei daher nicht möglich. Dazu notierte Spannocchi, der die Arbeit vergeben hatte und betreute : »Genau das ist die entscheidende Niederlage.« Als zweite Möglichkeit wurde die Verteidigung von Schlüsselzonen und -räumen durchgespielt. Es wurde dann weiter ausgeführt, dass bei voller Nutzung des Hinderniswerts des Raumes in der ersten Phase ein Zeitgewinn von 7–8 Stunden erzielt werden könne, dies jedoch immer noch bei 60 % Verlusten der im direkten Angriffsbereich eingesetzten Kräfte. Bei Fortdauer der Verteidigung und angesichts des zu vermutenden Nachziehens weiterer Kräfte des Aggressors wäre der Feind

137 LaVAk Moser, Hans : Modellvergleich mit dem Kräfteumfang der HG 72 zur Erzielung eines optimalen Zeitgewinns zwischen hinhaltendem Kampf von der Grenze zur Basis, Verteidigung von Schlüsselzonen und Räumen und Kampf in der Tiefe des Angreifers unter Berücksichtigung der Verlustraten im Verhältnis zum Zeitgewinn, Militärwissenschaftliche Hausarbeit am 8. Generalstabskurs, Wien 1978, Zl. 20geh/78.

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aber zu einer noch 24 bis 48 Stunden längeren Kampfführung zu zwingen. Dazu Spannocchi : »Das wäre entschieden zu wenig.« Dennoch : Der direkte Vergleich von hinhaltendem Kampf und Raumverteidigung schien auf der Hand zu liegen. Nur : Die für das Mühlviertel und die Verteidigung des Äußeren Rings an der Donau vorgesehenen Kräfte reichten ganz offensichtlich nicht aus. Wollte man einen größeren Zeitgewinn erzielen, brauchte man mehr Soldaten. In den Planungen für ein »Konzept der Gesamtraumverteidigung« wurde »Limes« trotz aller Detailkritik zum Maß aller Dinge und den Überlegungen mit der Begründung zugrunde gelegt, dass der Feindansatz wie bei »Limes« »der unangenehmste Bedrohungsfall« sei138 – was verbal auf einen kaum zu überbietenden Euphemismus hinauslief. Zwar galt noch immer, was schon 1970 in die wehrpolitischen Diskussionsbeiträge eingeflossen war, dass ja nicht mit dem Angriff sämtlicher Großverbände eines Bündnisses zu rechnen sei. Doch was übrig blieb, sollte immer noch reichen. Für die Planungen im Großen wurde der Angriff der »Karpatenfront« mit zusammen drei Armeen angenommen. Die Planübung »Limes« fand immer wieder Fortsetzungen und erfuhr Abänderungen. Allerdings machten sich auch Zweifel breit, ob die Festlegungen nicht zu doktrinär wären, wie überhaupt das Konzept der Raumverteidigung nach wie vor zu spalten wusste. Kurios war freilich, dass es immer wieder hieß, Spannocchi sei gar nicht der Erfinder der nach ihm benannten »Doktrin«. Doch alle jene, die sich als die eigentlichen Väter der Raumverteidigung sahen, überließen es nur zu gerne Spannocchi, sich den Kritikern zu stellen. Da gab es dann keine Pluralität. Das Raumverteidigungskonzept hatte aber auch einen unbestreitbaren Vorteil, der nicht zuletzt in die politische Dimension verwies : Es entsprach den innenpolitischen Vorgaben, vor allem jenen der Regierungspartei. Und es zielte in Richtung Äquidistanz, sodass es – zumindest nach außen – nicht mehr die immer wieder kritisierte einseitige Ausrichtung auf den Osten gab. Damit wurde den Warschauer-Pakt-Staaten auch etwas der Wind aus den Segeln genommen, da sie ja immer damit argumentiert hatten, Österreich würde nur den Ostkrieg planen, ein stiller Partner der NATO sein und notfalls auch eine Aggression des westlichen Bündnisses über Österreich hinweg ermöglichen. Das Scheitern der Spannocchi-Doktrin war jedoch vorprogrammiert : Sollte es nicht zu der vorausgesetzten (und zugesagten) Vermehrung der Landwehrverbände kommen, wurde der Raumverteidigung die Grundlage entzogen. Damit stellte sich neuerlich und in besonderer Schärfe die Frage nach der Verteidigungsfähigkeit und vor allem auch nach der Sinnhaftigkeit und Dauer eines österreichischen Widerstands. Und man kehrte wieder dorthin zurück, wo man auch vor Spannocchi gestanden war. Und wie selbstverständlich zeichnete sich für die operative Planung des 138 KA NL Duić, Nr. 31, Gedächtnisprotokolle und Unterlagen zur Gesamtraumverteidigung, Besprechungsprotokoll 27. 9. 1974.

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österreichischen Bundesheers abermals ein nicht einmal gedanklich zu bewältigendes Dilemma ab. Die Alternativen waren nach wie vor die Opferung des Bundesheers in den gedachten Vormarschräumen eines Feindes in Erfüllung der Hinderungspflicht eines Neutralen (und das im Bewusstsein, dass es aller Wahrscheinlichkeit nach nicht einmal eine Anschlussversorgung geben würde) ; oder aber der Rückzug des Bundesheers in eine Kernzone mit dem Ziel, möglichst große Teile des Heeres und des Territoriums zu erhalten. In diesem Fall wäre freilich genau jene Lücke aufgemacht worden, die den Zusammenhang des Kriegsschauplatzes hätte schwinden lassen.139 Die Antwort wäre mit hoher Wahrscheinlichkeit atomar gewesen. In Österreich wollte man das freilich zum wenigsten wahrhaben und demonstrierte ein ums andere Mal, dass das gar nicht mehr so neue Konzept voll den Aufgaben und Aufträgen an das Bundesheer entsprach. Jahrelang wurde Überzeugungsarbeit zu leisten versucht und das Konzept der Raumverteidigung im Bewusstsein der Bevölkerung als leistbar verankert. Durchaus erfolgreich, wie man meinen konnte. Dass man damit freilich nicht immer und nicht jeden überzeugen konnte, zeigt ein Blick in die Tagebücher des in den 1970er-Jahren für die wirtschaftliche Landesverteidigung zuständigen Handelsministers Josef Staribacher. Er notierte zum 16. und 17. April 1977 nach einem Besuch in der Panzerproduktion der Steyr-Werke : »Mehr denn je bin ich davon überzeugt, dass wir auch in unserer Panzer-Strategie meine Konzeption der Landesverteidigung Österreichs durchsetzen sollten. Wenn tatsächlich der Angriff der Gegner, sei es NATO oder Warschauer Pakt. käme, sofort zu kapitulieren. Jede andere Strategie halte ich für sinnlos.« Für diese Strategie genügt aber »wirklich vollkommen der [Jagdpanzer. Anm.] ›Kürassier‹. Ich hoffe, dass sich Spannocchi … mit der Allraumverteidigung, ohne große Schlachten zu liefern … durchsetzt.«140 Die Raumverteidigung nahm nicht nur Gestalt an – sie wurde auch geübt. Der Verbandsübung im Herbst 1974 folgten die Raumsicherungsübung 1976, die Herbstübung des II. Korps »Attergau« 1977, die mit einer möglichen Westbedrohung in Verbindung gebracht werden konnte, die Übung »Enzian« im Jahr 1978, mit der Erfahrungen bei der Grenzraumsicherung in schwierigem Gelände (Osttirol) gesammelt werden sollten, und schließlich vom 16. bis 22. November 1979 die Raumverteidigungsübung (RVÜ) 79. Nach mehr als achtjähriger Reform, Um- und Neustrukturierung des Bundesheers, nach »Limes« und nicht zuletzt heftigsten Tur-

139 Freundliche Mitteilung von General i.R. Hannes Philipp an den Verfasser, 26. Mai 1999. General Philipp soll an dieser Stelle für seine Unterstützung sehr herzlich gedankt werden. Ebenso haben General i.R. Heinz Scharff und Generalmajor i.R. Dr. Mario Duić (†) durch die Darlegung persönlicher Erinnerungen in besonderer Weise zur Abrundung des Bildes beigetragen. 140 Stiftung Bruno Kreisky Archiv, Tagebuch Staribacher 1977, S. 423.

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bulenzen innerhalb des Bundesministeriums für Landesverteidigung ging es um eine Demonstration des österreichischen Verteidigungswillens und der Verteidigungsfähigkeit. Der Übungsraum im Erlauftal entsprach in etwa jenem, der auch zehn Jahre davor für die Übung »Bärentatze« ausgesucht worden war. Jetzt fiel er in die Schlüsselzone Donau/Erlauf (SZ 35) und die vorgelagerte Raumsicherungszone Alpenvorland Ost (RSZ 36) und konnte natürlich auch mit dem Operationsfall Warschauer Pakt/NATO in Verbindung gebracht werden. Schlechtwetter musste nicht angenommen werden, um für den Angreifer sowohl in der Luft als auch bei den mechanisierten Verbänden Schwierigkeiten zu simulieren – es regnete unentwegt. Nebel tat ein Übriges. Die Übung wurde sehr bewusst öffentlichkeitswirksam durchgeführt. Das Interesse nicht zuletzt der ausländischen Beobachter war dementsprechend, denn – sofern man nicht ohnedies schon aufgrund der regen nachrichtendienstlichen Tätigkeiten viel über Österreichs Verteidigungskonzeption und -möglichkeiten wusste – nun war Gelegenheit gegeben, sich ein Bild davon zu machen, ob Österreich seine Hinderungspflicht erfüllen und Truppen in größerem Umfang einsetzen konnte. Der im Großen und Ganzen gelungenen Übung kam zumindest nach außen hin jener Stellenwert zu, den man sich erwartet hatte. Die interne Bewertung war weit weniger gleichmäßig. Der Jagdkampf hatte oft nur den Charakter von Störaktionen. Der Gegenangriff von mechanisierten Kräften bedurfte echter (schwerer) Kampfpanzer. Die Führungsfähigkeit im Sinn der Auftragstaktik war ab der Ebene Bataillon nicht mehr gegeben ; hier hatten wohl auch die »Drehbuchübungen« selbstständiges verantwortliches Führen schwinden lassen. Drillmäßiges Verhalten in bestimmten Gefechtssituationen mangelte fast durchgängig, was wohl eine Folge zu kurzer Ausbildung war. Die Rohrflak war in ihrem Wirkungsradius so begrenzt, dass sie keinen wirksamen Luftschutz mehr darstellte. Die Forderung nach Lenkwaffen schien dringender denn je. Der Artillerie mangelte es an Feuerzusammenfassung und Leitsystemen und vielem mehr.141 Dennoch : General Spannocchi und die mittlerweile in führungs- und ausbildungsmäßigen Fragen dominanten Vertreter der Raumverteidigung sahen sich bestätigt. Wer denn sollte auch Zweifel haben, dass der Weg, den man fast zehn Jahre beschritten hatte, richtig war ? Also sollte der Weg weiter gegangen werden. Manches ließ sich sicherlich verbessern – und Übungen haben nicht zuletzt auch den Sinn, Mängel aufzudecken. Wunder konnten sie keine bewirken. Und die Rahmenbedingungen diktierte nach wie vor die Politik. Bezogen auf eine schon durchaus mögliche Periodisierung der österreichischen Verteidigungspolitik hätte man freilich einen Vergleich mit dem Jahr 1965 anstellen können. In beiden Fällen, 1965 und 1979, hatte es gegolten, Bilanz zu ziehen und zu demonstrieren. Einmal war es das Großmanöver vor dem sowjetischen Ver141 Ségur-Cabanac : Die Übungsannahmen, S. 139–153.

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teidigungsminister gewesen, das den Abschluss von neun Jahren Heeresaufbau und operativer Planungen augenfällig machen sollte ; das andere Mal, 1979, war es die Raumverteidigungsübung, mit der es galt, wieder neun Jahre Heeresaufbau und ein neues Verteidigungskonzept vorzustellen. Natürlich glichen sich die Soldaten schon äußerlich nicht und ließen sich auch zum wenigsten direkte Vergleiche anstellen. Doch dass man sich nicht einfach in dem Bewusstsein zurücklehnen konnte, dass alles vorgesorgt und bestens wäre, war in beiden Fällen nur zu augenfällig geworden.

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Der Operationsfall »A« Gesamtbedrohung im Zeichen der Raumverteidigung, 1973–1991

Die exponierte Lage des neutralen Kleinstaats Österreich zwischen Ost und West bestimmte dessen Gesamtstrategie. Hochgerüstete Militärpakte, die NATO im Westen und der Warschauer Pakt im Osten, standen sich jahrzehntelang gegenüber. Eine kriegerische Auseinandersetzung dieser Militärpakte musste Auswirkungen auf das an der Schnittstelle gelegene Österreich haben. Ende der Siebzigerjahre erlitt die von den europäischen Staaten so sehr erhoffte Entspannungspolitik schwere Rückschläge. Die Abrüstungsverhandlungen blieben stecken, und man war bemüht, zumindest das Anwachsen der Rüstungspotenziale einzudämmen (SALT 1 und der nicht ratifizierte SALT 2-Vertrag). Die Realisierung der Forderungen der Schlussakte von Helsinki, 1975, blieb weiter aufgeschoben. Der KSZE-Prozess machte nur zögernde Fortschritte. Die Menschenrechtsfrage kam nicht voran, da sich der Ostblock jegliche Einmischung in innere Angelegenheiten verbat. Die Sowjetunion fürchtete eine Aufweichung ihrer Macht und ihres Einflusses. Die Krisen im Nahen Osten fanden keine Lösung. Sowjetische Truppen marschierten 1979 in Afghanistan ein. Eine mögliche Intervention in Polen durch Kräfte des Warschauer Pakts wurde 1981 erwogen. Zufolge der hohen Rüstungsausgaben und der Unterstützung von Verbündeten war die wirtschaftliche Lage innerhalb des Warschauer Pakts sehr angespannt. Aber auch im Westen gab es Krisen : Die Gestaltung der Ostpolitik und die Weiterentwicklung der NATO führten zu Kontroversen zwischen den USA und den westeuropäischen Verbündeten. Die Ölkrise der Siebzigerjahre, geringes Wirtschaftswachstum und hohe Arbeitslosenzahlen zeigten Wirkung. Obwohl die Politik der nuklearen Abschreckung und die Möglichkeit der gegenseitigen Vernichtung ein »Patt« zwischen den Kontrahenten schufen, kam es trotzdem zu einer ständigen, vor allem konventionellen Aufrüstung der Streitkräfte für einen möglichen Krieg in Europa. Die Spannungen vertieften sich. Die Warschauer-Pakt-Streitkräfte erfuhren Ende der Siebzigerjahre nicht nur eine Weiterentwicklung ihrer Doktrin, Strategie und operativen Führungslehre. Es wurden auch ausrüstungs- und organisationsmäßige Voraussetzungen geschaffen, um im Bereich der konventionellen Rüstung und der Verbesserung der Kurz- und Mittelstreckenwaffen eine Erhöhung der Angriffsfähigkeit auch mit konventionellen Mitteln zu erreichen. Die Stationierung von mobilen Mittelstreckenraketen (SS-20)

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Quelle : Vortragsunterlage Hannes Philipp

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Der Operationsfall »A«

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aufseiten des Warschauer Pakts löste bei der NATO den Doppel- bzw. Nachrüstungsbeschluss des Jahres 1979 aus. Trotz heftiger innenpolitischer Debatten und Demonstrationen der europäischen Friedensbewegung kam es ab 1982 zur Stationierung von Mittelstreckenraketen des Typs Pershing 2 sowie bodengesteuerter und konturflugfähiger Cruise Missiles.

Die Bündnisse Die zur Zeit des Operationsfalls (Op-Fall) »A« gültige Militärstrategie der NATO war die vom Grundsatz der Vorneverteidigung geprägte »flexible Response«. Deren Sinn war es, neben der Fähigkeit zum massiven Gegenschlag auch Optionen zu haben, um einen konventionellen Krieg führen zu können. Die Glaubwürdigkeit der Abschreckung sollte durch einen geplanten, abgestuften Widerstand gekennzeichnet sein. Diese Konzeption setzte die Fähigkeit voraus, auf jeder Eskalationsstufe – konventionell oder nuklear – erfolgreich Krieg führen zu können. Um diese Strategie auch glaubwürdig zu gestalten, wurde der Ausbau der konventionellen Rüstung von allen Mitgliedstaaten betrieben und gefördert. Die »Vorneverteidigung« erfuhr mit der operativen Möglichkeit des »Strike Deep« in Form von Angriffen gegen das Hinterland des Aggressors sowie auf nachrückende Kräfte und Reserven und schließlich auch durch die sogenannten Follow-on-Forces-Attack (FOFA) eine erhebliche Verbesserung. Über die Erfüllbarkeit und Sinnhaftigkeit der Vorneverteidigung wurde bis zum Ende des Kalten Krieges heftig debattiert. Immer wieder auch wurden Überlegungen zur Vorwärtsverteidigung oder »raumdeckenden Verteidigung« angestellt. Die Vorneverteidigung blieb bestehen. Der für Österreich relevante NATO-Kommandobereich Mitte (AFCENT) vereinigte die der NATO unterstellten und in der Bundesrepublik Deutschland stationierten Verbände Belgiens, Kanadas, Luxemburgs, der Niederlande, Großbritanniens und der USA. Ihre Hauptaufgabe war die Abschreckung einer Aggression gegen den Kommandobereich Europa-Mitte ; sollte die Abschreckung versagen, die erfolgreiche Verteidigung soweit wie möglich im Osten des eigenen Territoriums.

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Die Kräfte des NATO-Kommandobereichs Mitte (AFCENT) : Kräfte

USA

Großbritannien

Frankreich

Deutschland

Divs

44/3

3

2

12

Belgien

Niederlande

Kanada

Gesamt

2

2

1/3

255/3

1975

Bdes

16

6

6

36

4

6

1

75

MP

218

64

58

495

87

112

5

1,039

Divs

45/3

4

3

12

2

2

1/3

276/3

Bdes

17

8

6

36

4

6

1

78

MP

244

66

47

495

88

115

5

1,060

Divs

45/3

3

3

12

2

2

1/3

266/3

1980

1985

Bdes

17

8

6

36

4

6

1

78

MP1

246

66

48

478

92

106

5

1,041

Quelle : Vortragsunterlage Hannes Philipp1

An das österreichische Staatsgebiet grenzte die »Central Army Group« (CENTAG). Sie verfügte über das II. (GE) und III. (GE) Korps der Bundeswehr, das V. (US) und VII. (US) Korps der 7. (US) Armee, die 4. (CA) Brigadekampftruppe, sowie die Luftstreitkräfte der 4. Allied Tactical Air Force (ATAF). Die Schwäche dieser Disposition und der Vorneverteidigung lag in der eingeschränkten operativen Führungsmöglichkeit, in der geringen Tiefenstaffelung und in der offenen Flanke im Süden gegen Österreich. Dies hätte schnell zu Krisen führen und eine frühzeitige nukleare Eskalation auslösen können. Die Erfordernis des Heranführens von Verstärkungen, der REFORGER-Kräfte (Return of Forces to Germany), deren Ausrüstung und Versorgungsgüter in Deutschland gelagert waren, aus den USA über den Luft- und Seeweg hätte acht bis zehn Tage dauern sollen. Der Einsatz der französischen Kräfte im süddeutschen Grenzraum zur Abdeckung der Südflanke der »Central Army Group« war fraglich und hing von der jeweiligen Lageentwicklung ab. Südlich von Österreich, in Italien, waren im NATO-Führungsbereich Süd eine amerikanische Kampfgruppe (SETAF), das IV. (italienische) Alpini-Korps und das V. (italienische) Korps an der Grenze zu Österreich und Jugoslawien sowie das III. (ita1 Man Power (MP) : Summe militärischer Mannstärke x 1000 (Tabelle). Diese Zahl schließt nicht Reserven oder territoriale Kräfte ein.

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lienische) Korps im Raum Mailand–Turin vorhanden. Die Luftunterstützung dieser Kräfte erfolgte durch die 5. »Allied Tactical Air Force«. Das Donautal führt aus Norden und Osten in die Flanke der »Central Army Group«. Die Verbindungslinien von Kommandobereich Mitte zum Kommandobereich Süd führten über Tirol. Beiden operativen Bewegungslinien kam im Fall einer Auseinandersetzung NATO – Warschauer Pakt große Bedeutung zu. Die für das östliche Militärbündnis geltenden militärstrategischen Grundsätze wurden lange Zeit von den in der »Militärstrategie« des sowjetischen Marschalls Sokolowski getroffenen Aussagen geprägt. Der Krieg sollte nach den Grundsätzen der Militärdoktrin mit dem strategischen Überfall beginnen. Sein Ziel war die Überraschung mittels »Maskirowka« (Tarnung und Täuschung). Die folgenden Operationen hatten die Vernichtung der Feindkräfte auf den Kriegsschauplätzen zum Ziel. Überraschung, Ergreifen der Initiative und Beweglichkeit mit Stoß in die Tiefe bezeichneten dieses operative Verfahren. Vordringlich sollte es sein, den Kampfwillen des Feindes zu brechen und ihm die Möglichkeit und den Willen zur Fortführung des Kampfes zu nehmen. Die sowjetische Führung sah bei einem solchen Großangriff in Europa die Möglichkeit, innerhalb von Wochen an der Atlantikküste zu stehen (manche Quellen sprechen von neun Tagen). Die eingesetzten Kräfte verfügten über eine ständige hohe Alarmbereitschaft und über mindestens 80 % ihrer Kriegsstärke. Allmählich begann man aber auch die Möglichkeit einer möglichst langen Phase der konventionellen Kampfführung in Betracht zu ziehen. Dies führte zur Betonung der Bedeutung von überraschend geführten Operationen mit konventionellen Kampfmitteln unter Beachtung der Möglichkeit des jederzeitigen Einsatzes von Kernwaffen sowie einer dementsprechenden Ausrüstung der Artillerie. Die Streitkräfte des Warschauer Pakts bestanden aus : Landstreitkräften, Luftstreitkräften, Kräften der Luftverteidigung und Seestreitkräften. Die Waffengattungen der Landstreitkräfte bestanden aus Motorisierten Schützen, Raketen-Truppen, Panzer-Truppen, Artillerie-Truppen, Luftlande-Truppen und Fliegerabwehr-Truppen. Die Luftstreitkräfte verfügten über Strategische Fliegerverbände (Fernfliegerkräfte), Taktische Fliegerverbände (Frontfliegerkräfte) und Transportfliegerkräfte. Die Luftverteidigungskräfte bestanden aus : Jagdfliegerkräften, Luftabwehrraketen-Truppen und Funktechnischen-Truppen. Spezialtruppen waren : Pionier-Truppen, Fernmelde-Truppen, ABC-AbwehrTruppen und Truppen besonderer Bestimmung (»Spetsnaz« ab Anfang der 1980erJahre). Für ihre Planungen teilte die Sowjetunion Europa in hierarchisch geordnete Gebiete ein :

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Kriegsschauplätze (TV) Schauplätze von Kriegshandlungen (TVD)

Quelle : Truppendienst-Taschenbuch, Fremde Heere – Die Streitkräfte der Warschauer-Pakt-Staaten, 8. Aufl., Wien 1990, S.55. Skizze vom Autor modifiziert.

Für den Warschauer Pakt war der TVD West (Europa) das vorrangige Einsatzgebiet. Aufgabe der TVDs war neben der Führung der Fronten die Erstellung eines umfassenden Feuerunterstützungsplanes für konventionelle und atomare Waffensysteme. Als operative Ebene traten die Fronten bzw. deren Armeen auf.

Die Gruppen der Sowjetischen Truppen im westlichen Vorfeld Das Vorfeld der Sowjetunion gegenüber Europa Mitte umfasst die Staaten DDR, Polen und ČSSR. Hier waren die schlagkräftigsten sowjetischen Verbände der Zentralen

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Gruppe der Truppen (ZGT), der Gruppe der sowjetischen Truppen in (Ost-)Deutschland (GTD) und der nördlichen Gruppe der Truppen (NGT) disloziert. Ungarn wurde zwar zu den Staaten gegenüber Süd- und Südosteuropa gezählt, es gab aber Hinweise, wonach die in Ungarn stationierten Sowjetischen Truppen der Südgruppe (SGT) mit Kräften der Ungarischen Volksarmee (UVA) für den Einsatz auf dem TVD West (Stoß durch das Donautal in die Flanke Europa Mitte) vorgesehen waren. Die Kräfte der drei westlichen Militärbezirke – Baltikum, Weißrussland und Karpaten – stellten neben den vier »Gruppen der Truppen« die Verstärkungen im Falle eines Krieges mit der NATO dar. Diese Kräfte wurden in der westlichen Fachsprache »zweite strategische Staffel« genannt.

Strategisch-operative Einsatzplanung des Warschauer Pakts Grundsätzlich ließen sich drei Optionen ableiten, die sich aus der Vorgabe einer strategischen Überraschung und aus der Bewertung des Kräfteverhältnisses ergaben : Option 1 : Angriff nach sehr kurzer Vorbereitungszeit mit den Kräften der 1. strategischen Staffel. Diese strategisch-operative Option baute auf der Überlegung auf, zugunsten der Überraschung auf eine starke, kräftemäßige Überlegenheit zu verzichten. Dies hieße, nur die in der DDR und in der ČSSR (wahrscheinlich auch in Ungarn und Polen) dislozierten Kräfte der sowjetischen Gruppen der Truppen und die Kräfte der Nationalen Volksarmee (NVA) und der Tschechoslowakischen Volksarmee (ČVA) zu verwenden. Als Kräfte sollten zum Angriff in der 1. strategischen Staffel zwischen 38 und 44 Divisionen (ohne oder mit den Kräften der NGT und SGT) bereitstehen. Als erforderliche Vorbereitungszeit (Herstellung der Angriffsfähigkeit) wurden als Untergrenze zwei Tage, maximal vier Tage angenommen. Ein solcher Angriff sollte die NATO in einem Zustand treffen, in dem sie nur eine geringe Abwehrbereitschaft herstellen konnte. Option 2 : Angriff nach kurzer Vorbereitungszeit mit der Masse der 1. strategischen Staffel. In diesem Fall wären neben den Großverbänden der Kat. I des Warschauer Pakts, verstärkt durch zwei Luftlandedivisionen, auch jene der Kat. II in einem Gesamtumfang von mehr als 50 Divisionen zum Einsatz gekommen. Obergrenze der Vorbereitungszeit zur Angriffsfähigkeit : Sechs Tage. Dies bedeutete aber nicht, dass für die Masse der angreifenden Kräfte dieses Zeitmaß galt. Wie in der Option 1 sollte die Masse der 1. strategischen Staffel (39 bis

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42 Divisionen) zwischen zwei und vier Tagen, der »Rest« auf 50 Divisionen als Verstärkungspotenzial in bis zu sechs Tagen zur Verfügung stehen und dann zeitlich gestaffelt nachgeführt werden. Für die NATO stellte sich auch in diesem Fall die Frage, ob es gelingen würde, innerhalb von drei Tagen die notwendigen Kräfte zu mobilisieren, heranzuführen und abwehrbereit zu machen. Es wurde auch erwogen, dass Teile der 2. strategischen Staffel »still« frühzeitig mobil gemacht und unter Tarnmaßnamen nach Mitteleuropa in den grenznahen Bereich vorgezogen werden konnten. Das Kräfteverhältnis, nur in den Großverbänden, wäre gewesen : 23 und eine halbe Division der NATO gegenüber 50 Divisionen des Warschauer Pakts. Diese Option, eine Kombination von Überraschung und relativ ausreichender Stärke, sah alle Vorteile aufseiten des Warschauer Pakts. Option 3 : Ausschöpfung der Möglichkeit, unter Verlust des Überraschungsmomentes nicht nur mit einer vollen 1. strategischen Staffel, sondern auch mit der Masse der 2. strategischen Staffel, somit auch mit der strategischen Reserve anzugreifen. Der Kräfteumfang belief sich in diesem Fall auf bis zu 150 Divisionen, die betreffende »Zeitleiste« erweiterte sich zur Herstellung der Abmarschbereitschaft auf bis zu 14 Tage. Der NATO würde in diesem Fall nicht nur die Herstellung der ausreichenden Abwehrbereitschaft, sondern auch die Zuführung und der Einsatz von 5 1/3 REFORGER-Divisionen möglich gewesen sein. Der Angreifer hätte auf die strategische Überraschung verzichtet. Ob die Möglichkeit eines konventionellen »Unterlaufens« der nuklearen Reaktion der NATO gelungen wäre, muss aber zumindest als fraglich gelten. Die »Ogarkow’sche Revolution« 1985 wurde Marschall Ogarkow zum Befehlshaber des Oberkommandos der Warschauer-Pakt-Truppen für den TV West bestellt. Für Ogarkow war das vorherrschende und angestrebte Prinzip das »Gefecht in der Tiefe«. Diese Überlegung war nicht neu und ging auf theoretische Grundlagen der Roten Armee des Jahres 1933, auf praktische Erfahrungen aus dem »Großen Vaterländischen Krieg«, vor allem aber auf den Feldzug in der Mandschurei 1945 zurück. Ogarkow leitete daraus ab : • Überraschung – Maskirowka (Tarnung, Täuschung) ; • hohe Dichte von Kampfeinsätzen – Konzentration auf den Hauptstoß ; • Verbund aller Waffengattungen ;

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• Vorgehen in die gesamte Tiefe des gegnerischen Dislozierungsraumes. Ziele der strategischen Überraschung sollten sein : • Der NATO keine Zeit zur vollständigen Mobilmachung und Heranführung der Kräfte zur Herstellung einer organisierten Verteidigung geben ; • strategische Ziele und wirtschaftlich (politische) Schlüsselziele einzunehmen, ehe die NATO über den Atomwaffeneinsatz entscheiden konnte ; • Erschwerung der nuklearen Planung, Schaffen eines schwierigen Zieles, wenn der Angreifer mit verteidigenden oder zurückweichenden Kräften der Verteidigung vermischt war. Dafür wurde auch eine Spezialtruppe geschaffen, die »Spetsnaz«. Ihre Stärke betrug zwischen 27 000 und 30 000 Mann. Ihre Aufgaben waren : • Ausschalten von politischen und militärischen Führungskräften unmittelbar vor dem Ausbruch der Kampfhandlungen (Mobilmachung, Versorgungsaufmarsch, Aufmarsch) ; Auffinden und »Markieren« von feindlichen Kernwaffeneinrichtungen ; • Ausschaltung von Gefechtsständen ; • Zerstörung wichtiger Ziele (Kraftwerke, Pipelines, Umspannungswerke, Brücken, Tunnels, Staudämme etc.). Weitere Maßnahmen Ogarkows zielten auf Verstärkungsmaßnahmen innerhalb der großen Verbände des Warschauer Pakts, nämlich die Vermehrung der Kampfpanzer innerhalb der Panzerdivisionen von 319 auf 331, der Schützenpanzer von 94 auf 187 und der Geschütze von 78 auf 144. Ähnlich sah es bei den motorisierten Schützendivisionen aus, deren Kampfkraft um rund ein Viertel gesteigert werden sollte. Zusätzlich wurden die Infanteriekräfte verdoppelt und die Übersetzmittel der Pioniere um 30 % verstärkt. Diese Vermehrung der Rüstung wurde in der sowjetischen Militärdiktion als die Rüstung der »Hinlänglichkeit« bezeichnet. Der Ablauf einer »strategischen Offensive« war wie folgt gedacht : Überfallsartige, einleitende Luftoffensive, gekoppelt mit Einsätzen von konventionell bestückten Boden-Boden-Flugkörpern (500 km Tiefe).Vorgestaffelter Einsatz von Luftlandetruppen und Kommandokräften (»Spetsnaz«). Ein Kernstück der Planung betrafen die nachhaltige Störung der NATO-Radareinrichtungen, das Freikämpfen von Luftschneisen, den Kampf um die Luftüberlegenheit, deren Erringung und Aufrechterhaltung das erste Ziel darstellte ; das Bekämpfen und Zerstören von Kommandostellen, Kernwaffenstellungen, Flug-

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plätzen, Kernwaffendepots etc. und die Durchführung von Luftlandeunternehmungen. Der Fall Österreich 1978 begann sich Österreich auf eine geänderte Bedrohungslage einzustellen. Dabei spielte die massive Verstärkung der sowjetischen und Warschauer-Pakt-Streitkräfte ebenso eine Rolle wie das sich verändernde Kriegsbild der NATO. Um sich aber mit den für Österreich denkbaren Kriegsfällen und vor allem mit dem größten angenommenen Fall beschäftigen zu können, gilt es zunächst, die Rahmenbedingungen zu resümieren. Die gesetzlichen Vorgaben waren Art. 9a des Bundesverfassungsgesetzes vom 10. Juni 1975, BGBl. Nr. 368 : Verankerung der Umfassenden Landesverteidigung in der Bundesverfassung ; Art. 79 Abs. 1–3 in der Fassung des vorgenannten Gesetzes ; Entschließung des Nationalrates vom 10. Juni 1975 zur Umfassenden Landesverteidigung (Verteidigungsdoktrin) und der betreffende Ministerratsbeschluss vom 28. Oktober 1975, womit die Verteidigungsdoktrin als Regierungs- und Verwaltungsmaxime übernommen wurde ; allgemeiner Teil des Landesverteidigungsplanes (militärischer Teil/Landesverteidigungsplan). Gemäß Verteidigungsdoktrin, Punkt 2, obliegt dem Bundesheer die militärische Landesverteidigung. »Das Bundesheer hat den Auftrag, im Falle einer internationalen Spannung oder eines Konfliktes mit der Gefahr einer Ausweitung auf Österreich, jedem Versuch einer solchen Ausweitung zu begegnen (Krisenfall). Im Falle einer militärischen Auseinandersetzung in der Nachbarschaft alle notwendigen militärischen Vorkehrungen zu treffen (Neutralitätsfall). Und im Falle eines militärischen Angriffs auf Österreich den Abwehrkampf an der Grenze aufzunehmen, durch Mobilmachung die volle militärische Verteidigungsfähigkeit in kürzestmöglicher Zeit zu erzielen und allenfalls verloren gegangene Gebiete zurückzugewinnen (Verteidigungsfall). Unabhängig davon hat das Bundesheer die anderen Bereiche der Umfassenden Landesverteidigung zu unterstützen.« Die militärische Landesverteidigung ist ein Teil der Umfassenden Landesverteidigung. Deren Ziel ist : die Unabhängigkeit Österreichs nach außen und die Unverletzlichkeit und Einheit des Bundesgebietes zu bewahren und die immerwährende Neutralität aufrechtzuerhalten. Die verfassungsmäßigen Einrichtungen und ihre Handlungsfreiheit sowie die demokratischen Freiheiten der Einwohner vor gewaltsamen Angriffen von außen zu schützen und zu verteidigen. Die in der Verteidigungsdoktrin festgelegten Aufträge verlangen, dass schon im Frieden die Fähigkeit und der Willen vorhanden sind, »einen Abwehrkampf auch gegen einen überlegenen Aggressor aufzunehmen und über einen längeren Zeitraum zu führen, um dadurch eine Abhaltewirkung zu erzielen, weil der Aggressor mit ho-

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hem Personal- und Materialaufwand, mit größeren Ausfällen und entsprechend großem Zeitaufwand rechnen muss«. Weitere Aufträge an das Bundesheer besagten, dass es bei militärischen Operationen gegen Österreich durch übermächtige Kräftegruppierungen insbesondere darauf ankomme, »dass selbst nach Verlust von nachhaltig zu verteidigenden Räumen, die für einen Aggressor von operativer Bedeutung sind, die Behauptung eines möglichst großen Territoriums längerfristig sichergestellt ist, um die Republik als handlungsfähiges Völkerrechtssubjekt zu erhalten«. Schließlich sollte der Abwehrkampf so geführt werden, »dass die Gefährdung der Zivilbevölkerung durch Kampfhandlungen auf ein Mindestmaß reduziert bleibt«. Der militärische Teil des Landesverteidigungsplanes sollte in zwei Etappen realisiert werden, wobei die erste Stufe – Zwischenstufe – im Jahre 1986 mit 186 000 Mann erreicht werden sollte. Mit der Zwischenstufe sollte das Bundesheer schon im Frieden eine wirksame Abhaltewirkung erzielen. Zudem sollte bei einem drohenden Angriff die Abwehrbereitschaft in den wichtigsten Zonen durch rasch verfügbare raumgebundene Landwehrkräfte hergestellt und ab Eintritt des Verteidigungsfalles der Kampf ab der Grenze aufgenommen werden. Dabei sollte es gelingen, einen Aggressor am raschen Gewinn seiner Operationsziele zu hindern und mindestens einen abwehrgünstigen, zusammenhängenden Teil des Staatsgebietes in eigener Hand zu halten. Schließlich sollte noch ein wirksamer Kampf in Flanke und Rücken begonnen werden. Ergänzend dazu war es Aufgabe der Fliegertruppe, die Erdkampfkräfte durch Aufklärung, wirksames Feuer sowie die Sicherstellung des Lufttransportes wirkungsvoll zu unterstützen. Die Erfüllung dieser Forderungen setzte vieles voraus, und es war nicht immer gesagt, dass alle Verantwortlichen das Gleiche meinten, auch wenn sie das Gleiche sagten. Auch dazu ein kleiner Exkurs.

Die Operation/operatives Führen Der Begriff Operation wird vielseitig und in den unterschiedlichsten Anwendungsbereichen verwendet. Man findet den Begriff in der Wirtschaft, in der Medizin und anderen Bereichen, wenn es sich um bestimmte Abläufe von Planung, Durchführung und Kontrolle unter Zusammenfassung mehrerer Komponenten zur Erreichung eines bestimmten Zieles handelt. Der militärische Bereich hat sich seit den Napoleonischen Kriegen mit dem Zusammenhang von Politik, Krieg und Führungskunst auseinandergesetzt, dabei wurden die Begriffe Strategie, Operation und Taktik analysiert und in einen Zusammenhang gebracht. Operation war in der Folge das Nützen von Kraft, Zeit und Raum zur Zielerreichung. Das galt nicht immer. Daraus resultiert die Forderung : »Wir müssen doch zuerst sicherstellen,

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dass jeder vom gleichen spricht, um dann in der Praxis auch das gleiche Verständnis aufzubringen.«2 Dieser Grundsatz jeder Lehre trifft besonders auf die Persönlichkeiten der höchsten und hohen Ebene des Militärs zu. Dabei ist zu bedenken, dass die Offiziere des Bundesheeres verschiedensten Denkschulen angehörten. Zum Teil waren sie noch vom Bundesheer der Ersten Republik und des Ständestaats, in der Mehrzahl von der Deutschen Wehrmacht und in der Folge vom Bundesheer der Zweiten Republik geprägt. Von »die Operation umfasst die Vorbereitung, Einleitung und Ausnützung von Schlachten« über »die Operation ist die Summe aller Anstrengungen, die Streitkräfte setzen können« bis hin zu »die Operation ist daher alles, was zwischen Auftragserfüllung durch die strategische Führung und der Erreichung des politischen Zieles liegt, soweit es auf die militärische Ebene bezogen ist«, reichten die Definitionen. Von der Lehre her waren Operation und operative Führung als Bindeglied (»Scharnier«) zwischen der politischen und militärstrategischen Zielsetzung einerseits und der taktischen Umsetzung andererseits festgelegt, so wie sie von den Vorvätern des operativen Denkens, Clausewitz, Jomini und Erzherzog Carl angedacht und von großen Heerführern in Preußen, Österreich, den USA und Russland über einige Jahrhunderte erfolgreich angewandt wurden. Ende der Siebziger- und Anfang der Achtzigerjahre kam es im Zuge der Anwendung der Raumverteidigung zu folgender Definition : »Operation ist die Durchsetzung einer militärstrategischen Zielsetzung durch Festlegung der Kampfverfahren, Planung der Gruppierung der Kräfte und Einnahme eines entsprechenden Dispositivs von Streitkräften sowie deren Führung im Einsatz.« Doch der Definitionen und Verwirrungen war in Österreich kein Ende. Mitte der Achtzigerjahre hieß es : »Die operative Führung setzt politische Absichten und militärstrategische Vorgaben in Befehle an die taktische Führung um. Sie definiert operative Ziele, fasst diese in operative Konzepte, Operationspläne sowie Operationsbefehle und koordiniert die Gesamtheit der dazu erforderlichen taktischen und logistischen Maßnahmen.« Und weiter : »Die operative Führung plant, führt und unterhält Operationen zur Erreichung strategischer Ziele im festgelegten Operationsgebiet. Die operative Führungsebene plant und führt die Operationen. Diese orientieren sich an dem angestrebten Endzustand (Ziel der Politik) und den daraus abzuleitenden mittel- und kurzfristigen militärstrategischen Zielsetzungen.« Unterhalb der Politik galt : Operative Führung »ist die militärische Führungsebene, die politische Absichten und militärstrategische Vorgaben in Weisungen oder Aufträgen an die unterstellte Führung umsetzt. Sie definiert operative Ziele, ent2 Der operative Generalstabsdienst (Lehrbehelf ; nur für den Dienstgebrauch), Band 1, Landesverteidigungsakademie, Wien 1972.

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wickelt Vorstellungen vom Handeln, fasst diese in Konzepte und Pläne und koordiniert die Gesamtheit der dazu erforderlichen Maßnahmen auf dem Schauplatz militärischer Handlungen. Sie ist nicht an eine bestimmte Führungsebene und nicht an einen bestimmten Kräfteumfang gebunden. Sie wirkt grundsätzlich Teilstreitkräftegemeinsam und in der Regel im Zusammenwirken mit Streitkräften anderer Staaten im gesamten Aufgabenspektrum des Heeres. Das zentrale Merkmal der operativen Führung ist die Umsetzung politischer Absichten und militärstrategischer Vorgaben, also ihre Funktion als Bindeglied zwischen militärstrategischer und taktischer Ebene.« Das in den Siebzigerjahren in Österreich entworfene Kriegsbild kam jedoch auch mit diesen Definitionen nicht aus und schuf mit Rückgriff auf eine sehr wohl ältere Begrifflichkeit den Begriff der »Freien Operation«. Da die geltende »SpannocchiDoktrin« davon ausging, dass es im Kriegsfall für den Verteidiger keine größeren Bewegungen und somit Nutzung des Raumes geben würde, wie sie für die »Freie Operation« Grundbedingung waren, entfiel aber ein wesentliches Element jeglicher Operation. In die seit Ende der 1990er-Jahre gültige Führungsvorschrift des Bundesheeres wurde schließlich folgende Definition aufgenommen : »Die operative Führung setzt politische Absichten auf der Grundlage einer militärstrategischen Weisung in Operationsbefehle an die unterstellte taktische Führung um. Hierzu definiert sie die operative Absicht, entwickelt eine operative Idee und ein operatives Konzept, um mit einer zielgerichteten Kombination taktischer Handlungen letztlich einen politisch nutzbaren Zustand (militärstrategisches Ziel) zu erreichen.« Militärische Kräfte Aus dem Zwang der 1970er-Jahre entstand das österreichische Konzept der Raumverteidigung. Dieses Konzept sah einen raumdeckenden Einsatz vor. Daher war es erforderlich, die Dimensionierung der Streitkräfte diesem Vorhaben anzupassen. Das sollte durch ein milizartig strukturiertes und auf Mobilmachung angewiesenes Heer erfüllt werden. Die Heeresgliederung wurde auf diese Vorhaben hin in mehreren Schritten bis 1978 erstellt. Durch die Umsetzung des Landwehrkonzeptes 1978 war organisatorisch der Grundstein für den Übergang zum Milizheer gegeben. Das Bundesheer sollte aus der Bereitschaftstruppe (BT), der Mobilen Landwehr (mblLW) und der Raumgebundenen Landwehr (rgbLW) bestehen. Diese Kräfte wurden durch Fliegerkräfte, Versorgungstruppen und territoriale Organisationen ergänzt.

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Die Bereitschaftstruppe bestand fast zur Gänze aus den Kräften der 1. Panzergrenadierdivision (PzGrenDiv). Zur Panzergrenadierdivision gehörten : Divisionstruppen sowie die 3., 4. und 9. Panzergrenadierbrigade. Der Kaderanteil war (angemessen) hoch und wies einen hohen Grad an Einsatzbereitschaft auf. Die volle Einsatzbereitschaft wurde erst nach kurzer Mobilmachung zur Komplettierung des Kaders und der Mannschaft erreicht. (Im Landesverteidigungsplan wurde die vollständige Auffüllung schon im Frieden vorgesehen und als Aufgabe der Bundesregierung definiert ; dieses Vorhaben scheiterte aber an der Nichtfreigabe von Dienstposten von Zeitsoldaten.) Die Aufgabe im Verteidigungsfall (wie im Operationsfall »A«) wäre die Führung von gepanzerten Gegenangriffen bei der Verteidigung von Schlüsselzonen bzw. das Bilden von Reserven auf operativer Ebene gewesen. Vom Bedarf des Zonenkonzeptes her wären zwei Panzergrenadierdivisionen erforderlich gewesen. Die Jägerbataillone (JgB) 24, 25 und 26 gehörten zur Bereitschaftstruppe und waren für besondere Aufgaben wie Gebirgskampf, Luftlandeeinsatz und Hochgebirgskampf ausgebildet und gegliedert. Die Landwehr In der Friedensorganisation der Landwehrstammregimenter (LWSR) erfolgte die Ausbildung (Nährrate), Materialerhaltung und Vorbereitung der Mobilmachung der Mobtruppenkörper. Im Mobilmachungsfall wurden die Landwehrstammregimenter aufgelöst, und aus ihnen entstanden für jedes Bundesland eine Brigade der mobilen Landwehr sowie die Regimenter der raumgebundenen Landwehr. Der Umfang der mobilen Landwehr betrug acht vollmotorisierte Jägerbrigaden, die aus einem Stabsbataillon, drei Jägerbataillonen und einem Brigadeartilleriebataillon bestanden. Bei drei Jägerbrigaden war zusätzlich noch ein Sperrbataillon (SpB) vorgesehen. Die Raumgebundene Landwehr stellte die Hauptelemente zur Bewältigung des Verteidigungsfalles dar. Sie rekrutierte sich aus der Einsatzgegend, wurde auf ihren Einsatz hin ausgebildet und übte diesen im Verlauf von Waffenübungen. Durch die einsatznahe Dislozierung und Einlagerung des Gerätes sollte die raumgebundene Landwehr rasch mobilisiert und in kurzem Aufmarsch in ihren Grundauftragsräumen eingesetzt werden können. Die raumgebundene Landwehr war der harte Kern der Landesverteidigung. Sie war »maßgeschneidert« organisiert und ausgebildet und bestand aus einer unterschiedlichen Anzahl (nach Maßgabe des Einsatzraumes) von Landwehrbataillonen (LWB), leichten Landwehrbataillonen (lLWB), Sperrbataillonen (SpB) und

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Jagdkampfbataillonen (JaKB) sowie aus regimentsunmittelbaren Stabs-, Pionier- und Panzerjägerkompanien. Diese Verbände hatten nur einen geringen aktiven Kaderanteil. Der Kraftfahrzeuganteil war gering, eine Verlegung über größere Entfernung war mit eigenen Mitteln nicht machbar. Die raumgebundene Landwehr sollte in Schlüsselzonen und in Verbindung mit Sperr- und Jagdkampfkräften in Raumsicherungszonen eingesetzt werden. Sie sollten aus ihren »angestammten« Zonen nicht verlegt werden. 1979 bestand das Mobile Heer der Landwehr aus 33 Landwehrbataillonen, 21 leichten Landwehrbataillonen und sechs Sperrbataillonen. Eine große Anzahl war noch nicht voll aufgestellt und hatte materielle Fehlstellen, vor allem im Bereich der schweren Waffen und bei der Funkausstattung. Im Landesverteidigungsplan war für das Jahr 1986 die Stärke von 186 000 Mann (zuzüglich 5 % Wachkompanien, 15 % Ersatzorganisation, 10 % Personalersatz) vorgesehen. Verteidigungsbudget Das erforderliche Budget blieb zwar zwischen 1980 und 1986 konstant zwischen 1,17 % und 1,31 % des Bruttoinlandsproduktes, konnte aber die erforderliche Rüstung für die sich ständig vermehrende Organisation nicht sicherstellen. Als große Schwäche erwies sich der hohe Anteil an Personal- und Betriebskosten. Dies wirkte sich auf den Investitionsanteil bremsend aus, der dadurch geringer wurde, weil er nicht mit dem Ausbau mit wuchs. So entstand eine unausgewogene Streitkräftestruktur. Die neue Gliederung der raumgebundenen Landwehr 1978 war nur der erste Schritt zur Verwirklichung des Raumverteidigungskonzeptes. Die vorgegebene »Sättigung des Raumes« war in weite Ferne gerückt und hätte erst nach Erreichung der »endgültigen« Ausbaustufe bewerkstelligt werden können. Dies war in der Auftragserteilung zu berücksichtigen, und man musste sich mit pragmatischen Übergangslösungen begnügen. Zuständigkeiten/Handelnde Personen 1978 wurde die Zentralstelle des Bundesministeriums für Landesverteidigung neu gegliedert. Das 1972 geschaffene Armeekommando wurde in die Sektion III (S III) eingegliedert. Die Planung der Operationsfälle erfolgte auf Grund von politischen Richtlinien im Zusammenwirken von Generaltruppeninspektorat (GTI), Sektion III/Armeekommando und Sektion IV. Die Kompetenzen waren nicht klar geregelt (konkret und grundsätzlich) und entsprachen in ihrer Doppelgleisigkeit mehr den Grundsätzen der Verwaltung als denen der militärischen Führungserfordernisse.

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Verantwortliche Personen auf politischer Ebene : Bundeskanzler : 1970–1983 Dr. Bruno Kreisky (in alleiniger Regierungsverantwortung) 1983–1986 Dr. Fred Sinowatz (in einer Koalitionsregierung) 1986–1997 Dr. Franz Vranitzky (in einer Koalitionsregierung) Bundesminister für Landesverteidigung : 1973–1977 Brigadier Karl Lütgendorf 1977–1983 Otto Rösch 1983–1986 Dr. Friedhelm Frischenschlager 1986–1987 Dr. Helmut Krünes 1987–1990 HR. Dr. Robert Lichal 1990–2000 Dr. Werner Fasslabend Verantwortliche Personen auf militärischer Ebene : Generaltruppeninspektoren : 1978–1980 General Hubert Wingelbauer 1981–1986 General Heinz Scharff 1986–1990 General Othmar Tauschitz 1990–1999 General Karl Majcen Generaltruppeninspektorat Generalstabsgruppe A : Koordinierung der militärischen Gesamtplanung, strategische Lagebeurteilung, Angelegenheit des militärischen Landesverteidigungsplanes, Gesamtinfrastruktur, Rüstungsplanung und Heeresorganisation. Generalstabsgruppe B : Grundsätzliche Operationsangelegenheiten, Operationslage Beurteilung und Planung, Richtlinien für die Durchführung von Einsätzen, grundsätzliche Angelegenheiten der logistischen Struktur des Bundesheers. 1989 wurde die Generalstabsgruppe B umstrukturiert : An die Stelle der Operationsabteilung kam die Führungsabteilung. Der Bereich »Operation« wurde an das Armeekommando abgetreten. Aufgaben : Angelegenheiten der Militärstrategie, militärstrategische Lagebeurteilung, Ableitung des Kriegsbildes, des Bedrohungsbildes, Festlegung von Operationsfällen und Angelegenheiten des grundsätzlichen militärstrategischen Weisung. Das Heeres-Nachrichtenamt war für die Lagebeurteilung der Bedrohungsbilder zuständig und lieferte diese an das Generaltruppeninspektorat. Federführend für die Operationsfall-Bearbeitung in der Generalstabsgruppe B : Karl Liko ; Erich Eder ; Horst Pleiner (Dienstgrade zwischen Oberstleutnant des Generalstabs und Divisionär).

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Armeekommando/Sektion III Das Armeekommando war für die Führung und Versorgung der Armee im Frieden und im Einsatz sowie für die Herstellung und Erhaltung der Einsatzbereitschaft verantwortlich. Die Planung der Operationsfälle erfolgte aufgrund von grundlegenden Operationsweisungen, die vom Bundesminister erlassen wurden und im Rahmen der Stabsarbeit zusammen mit dem Generaltruppeninspektorat und der Sektion IV umzusetzen waren. Die Gruppe Führungsstab und die Gruppe Versorgungsstab des Armeekommandos waren für konkrete Angelegenheiten der Führung im Frieden und im Einsatz, die Vorbereitung der Mobilmachung sowie für konkrete Angelegenheiten der Versorgung im Armeebereich, die Mitwirkung an Angelegenheiten der Logistik im Zusammenhang mit dem konkreten Einsatzvorbereitungen – unter dem Chef des Stabes/Armeekommando – verantwortlich. Armeekommandanten (AKdt) und Leiter der Sektion III (S III) : 1973–1981 General Emil Spannocchi (ab 1978 auch Leiter der Sektion III) 1981–1985 General Ernest Bernadiner 1985–1991 General Hannes Philipp (ab 1991 nach Auflösung des Armeekommandos nur mehr Leiter der Sektion III). Chefs des Stabes/Armeekommando : Carl Wohlgemut ; Ernest Bernadiner ; Viktor Fortunat ; Josef Pollhammer ; Führungsstab (G 3) : Friedrich Wieser ; Johann Mittendorfer ; Kurt Pirker ; Günther Hochauer ; Christian Ségur-Cabanac ; (Dienstgrade zwischen Oberst des Generalstabs und Divisionär) ; Versorgungsstab (G 4) : Josef Pollhammer ; Franz Enzenhofer (Dienstgrade zwischen Oberst des Generalstabs und Divisionär). Korpskommandanten : Korps I : General Hellmut Berger ; General Alexius Battyan ; General Edmund Fally. Korps II : General Carl Wohlgemut ; General Dr. Johann Tretter ; General Johann Mittendorfer. Leiter der Sektion IV: Bis 1984 General Dr. Raimund Truxa ; 1984–1985 General Othmar Tauschitz ; ab 1986 General Dr. Peter Corrieri. Die erste Planungsphase Die neue Konzeption der Gesamtraumverteidigung, die neu geschaffenen Strukturen der Heeresgliederung 72 und die Arbeiten am Landesverteidigungsplan schufen

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neue Voraussetzungen, die ab 1975 zur Erarbeitung neuer und den Gegebenheiten entsprechenden Operationsfällen führten. Bis zur Fertigstellung und Genehmigung des neuen Operationsfalles »A« hatte der Operationsfall »Warschauer Pakt« in Gültigkeit zu bleiben. Ab 1973 wurden die seit 1966 vorliegenden Operationsfälle durch das Armeekommando in Gruppen zusammengefasst. Es waren dies die Operationsfälle »Warschauer Pakt«, »NATO« und »Jugoslawien«. Die konzeptive Grundidee des Operationsfalles »Warschauer Pakt« war es, den Kampf an der Grenze aufzunehmen und in Richtung Zentralraum im hinhaltenden Kampf zurückzugehen und dort zu verteidigen. Die Bearbeitung des neuen Operationsfalles »A« sollte in drei Stufen erfolgen. Stufe 1 : Schaffung der Grundlagen auf militärstrategischer Ebene ; vorbereitende Arbeiten im operativen und taktischen Bereich durch das Armeekommando, Erarbeiten der Zonengliederung und eines Maßnahmenkataloges ; Erlassen der Operationsweisung Nr. 1 ; Erarbeitung des Abwehrdispositivs durch die Sektion III/Armeekommando im Zusammenwirken mit der Sektion IV ; Vorlage an den Bundesminister. Stufe 2 : Nach Genehmigung durch den Bundesminister und den erforderlichen Abgleichungen Detailbearbeitung durch die Kommandoebenen der Armee, vor allem Erarbeitung der Aufmarschpläne, Versorgungsweisungen, des Fernmelde-(FM-)Einsatzes etc. Stufe 3 : Die dritte Phase sah die ständige Aktualisierung des Operationsfalles im Hinblick auf eine Änderung des Bedrohungsbilds, der verfügbaren Kräfte und vorhandenen Mittel vor. Dieses Verfahren schöpfte alle Möglichkeiten einer friedensmäßigen Stabsarbeit voll aus. Als Nachteil erwies sich die Abgrenzung der bearbeitenden Ebenen. So war anfänglich eine klare Abgrenzung zwischen der militärstrategischen Ebene, der operativen Führungsebene und der taktischen Ebene zu erkennen. Ab der ersten Weisung von Bundesminister Rösch an die Armee, den neuen Operationsfall auszuarbeiten, war aber die »Scharnierstellung« zwischen Militärstrategie und Taktik durch die Operation nicht mehr klar erkennbar. Mit Fortschreiten der Bearbeitung wurde die operative Planung auf drei Ebenen, und zwar im Bereich des Generaltruppeninspektorats, der Sektion III/Armeekommando und den Korpskommanden betrieben und laufend in andere Befehlsebenen hinein befohlen. Mit Ausnahme der ersten Weisung kam die politische Ebene in Person des Ministers nicht mehr zum Tragen.

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Die erste Phase dauerte von 1978 bis 1982. Sie beinhaltete Vorarbeiten im Generaltruppeninspektorat und Armeebereich und endete mit der Genehmigung des grundsätzlichen Abwehrdispositivs der Sektion III/AK. Im Detail stellte sich der Ablauf der Planungsarbeit wie folgt dar : Ab Herbst 1978 erfolgten im Bereich des Generaltruppeninspektorats Vorarbeiten für einen Operationsfall »Gesamtbedrohung« in Form der Überprüfung der erforderlichen Grundlagen. Das Heeres-Nachrichtenamt wurde beauftragt, eine Studie über die Feindlage im Falle einer Gesamtbedrohung zu erstellen. Diese wurde im September 1978 vorgelegt. Im Dezember 1978 folgte die Ausgabe und Anordnung der Vorschrift »Die Raumverteidigung. Ziele und Grundsätze der militärischen Komponente«. Im Vorwort zu dieser Vorschrift wurde u. a. darauf hingewiesen, dass die volle Anwendbarkeit der Raumverteidigung in allen Kampfverfahren vor allem von den verfügbaren finanziellen Mitteln, aber auch von gesetzlichen Maßnahmen – wie etwa hinsichtlich der beorderbaren Reservisten, Militärleistungsgesetze sowie Nutzungsund Duldungsrechte – abhängig sein würde. Im Armeekommando wurde 1978 bei einer vom Armeekommandanten General Spannocchi geführten Generalstabsreise eine österreichweite Erkundung zur Festlegung der Zonen und der Bestimmung des Zentralraumes durchgeführt. Dabei erfolgte die Erarbeitung der Aufgabenzuordnung gemäß dem Einsatzkonzept unter Heranziehung der jeweiligen territorialen Kommanden. Die zusammenfassende Bearbeitung der Erkundungsergebnisse der Generalstabsreise 1978 wurde vom Armeekommando am 14. Juni 1978 herausgegeben3 und war die Grundlage für operative Planungen, die raumgebundene Landwehr, die Schlüsselzonen und selbstständigen Schlüsselräume (sSR). Dazu wurden auch die Zielvorstellungen der Grundaufträge festgestellt. Die Prämisse war, unter der militärstrategischen Zielsetzung der Abhaltung für den Fall eines militärischen Angriffes, die Verteidigung vor allem in den entscheidenden Räumen zu gewährleisten. Der Landesverteidigungsplan sah hiezu die Raumverteidigung vor. Den Zoneneinteilungen wurden ein Feindansatz entsprechend den bisherigen Operationsfällen »Warschauer Pakt« und »NATO« sowie die aktuellen Ausarbeitungen des Heeres-Nachrichtenamts zugrunde gelegt. Bei der Anordnung der Zonen wurde darauf Bedacht genommen, dass diese auch im Falle eines lokal begrenzten Konflikts in die dann erforderliche Verteidigung eingeordnet werden konnten. Während sich die Abgrenzungen der Raumsicherungszonen im Allgemeinen an politische Grenzen hielten (im Hinblick auf die koordinierte Führungsstruktur auf Bezirksebene), orientierten sich die Abgrenzungen der Raumsicherungszonen ausschließlich an den tak3 Bundesministerium für Landesverteidigung (BMLV) Armeekommando (AK), Zl. 278-geh/3.3.78, 14. 6. 1978.

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tischen Erfordernissen. Der taktische Verantwortungsbereich einer Schlüsselzone ergab sich aus dem für den Abwehrkampf einer Schlüsselzone erforderlichen Raum, der auf der Grundlage einer konkreten taktischen Absicht zu ermitteln war. Festlegung der Zonen4 Der Zentralraum (ZR) Der Zentralraum als der allen Basisräumen gemeinsame Raum war in allen Operationsfällen von wesentlicher Bedeutung. Er bildete einen eigenen Führungsbereich mit zahlreichen wesentlichen Aufgaben der Raumordnung und der taktischen Führung. Der Zentralraum wurde in sechs Teilzonen (TlZ) unterteilt : Ennstal, Pinzgau, Murtal–Lungau, Möll–Liesertal, Salzburg–Flachgau und Osttirol mit Anteilen an angrenzende RSZ. Der Zentralraum sollte gegen Angriffe aus jeder Richtung mit Schwergewicht an den Eingängen und Bewegungslinien verteidigt werden. Er bildete im Falle der Zerschlagung der vorgelagerten Schlüsselzonen und im Zusammenwirken mit den in den angrenzenden Raumsicherungszonen verbleibenden Kräften den abwehrgünstigen Teil des möglichst zusammenhängenden, verbliebenen Staatsgebietes und folglich den Ausgangspunkt zur Rückgewinnung verlorengegangener Gebiete. Der Zentralraum sollte außerdem die Versorgungsbasis aller Zonen sein. Die Schlüsselzonen (SZ) Die Schlüsselzonen außerhalb des Zentralraums waren : Hausruck, Donau/Erlauf, Wienerwald, Gleinalpe, Bleiburg/Lavamünd, Landeck, Donau/Linz, Donau/Tulln, Semmering, Koralpe und Innsbruck/Wipptal. Die Schlüsselzonen waren zu behaupten. Schlüsselräume in Schlüsselzonen hatten immer einen Verteidigungsauftrag zu erfüllen. Dadurch sollte die Voraussetzung für den Kampf in den vor oder zwischen Schlüsselzonen liegenden Raumsicherungszonen geschaffen werden. Die für den Operationsfall »A« wesentlichen Schlüsselzonen wurden wie folgt definiert : Schlüsselzone Donau/Linz : Verhinderung des Donauüberganges von zwei unmittelbar angesetzten Divisionen bei Feindstoß aus dem Mühlviertel zumindest über zwei Tage. In der Folge größtmögliche Feindbehinderung in der Schlüsselzone für ein Minimum von fünf Tagen. Abwehr von Feindangriffen durch das niederösterreichische Alpenvorland an der Enns. Verhinderung einer raschen Inbesitznahme der Ennslinie aus Richtung Westen. Schutz des Ballungsraumes Linz vor Feindzugriff aus Richtung Norden oder Westen. 4 BMLV Armeekommando (AK) Zl. 111-strgeh/3.3/80AK/S III, 4. 1. 1980.

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Schlüsselzone Donau/Erlauf : Verhinderung eines Durchbruches von zwei unmittelbar angesetzten Divisionen aus Richtung Osten durch das niederösterreichische Alpenvorland sowie aus Richtung Nord zur Inbesitznahme der Enns zumindest über drei Tage. In der Folge größtmögliche Feindbehinderung in der Schlüsselzone über ein Minimum von fünf Tagen. Sperrung des Raumes Strengberge, Urlbachtal gegen Feindangriffe über den Raum Mauthausen bzw. allgemein aus Richtung Westen. Sperrzone Donau/Tulln (vorher SZ Donau/Tulln) : Verhinderung der Donauübergänge von zwei unmittelbar angesetzten Divisionen bei Feindstoß durch das Weinviertel zumindest über zwei Tage. In der Folge größtmögliche Feindbehinderung in der Schlüsselzone auf ein Minimum von fünf Tagen. Abwehr von Feindangriffen aus dem Wienerwald zur Öffnung der Schlüsselzone. Selbstständige Schlüsselräume (sSR) waren : Scharnitz, Kufstein, Sillian, Plöckenpass, Nassfeld, Arnoldstein/Wurzen, Loibl und Seebergsattel mit ausgebauten Festen Anlagen (FAn). Diese sollten zunächst verteidigt und in der Folge die ungehinderte Nutzung ihres Raumes verwehrt werden. Ihr Auftrag war die Abwehr von Feindangriffen in Regiments- bis Brigadestärke zur Öffnung der Über- und Eingänge zumindest durch drei Tage. Selbstständiger Schlüsselraum Kufstein : Abwehr von Feindangriffen bis Brigadestärke zur Öffnung des Inntales zumindest über zwei Tage. In der Folge Verwehrung der ungehinderten Raumnutzung. Die Raumsicherungszonen (RSZ) Das nach Abzug des Zentralraumes und der Schlüsselzonen verbleibende Staatsgebiet wurde wie folgt in 17 Raumsicherungszonen unterteilt : Innviertel, Alpenvorland (West), Waldviertel, Wien, Wiener Becken (Süd), Südsteiermark, Oberkärnten, Unterinntal, Vorarlberg, Mühlviertel, Alpenvorland (Ost), Weinviertel, Wiener Becken (Nord), Oststeiermark, Mittelkärnten, Flachgau und Oberinntal. Die Aufgabe der RSZ waren die Überwachung des unmittelbaren Verlaufes der Staatsgrenzen, Aufnahme des Kampfes ab dieser mit Schwergewicht an den Grenzübergängen und Kampf im gesamten Zwischengelände. Verzögern und Abnützen vorstoßender Feindkräfte zumindest an den in die Tiefe des Raumes führenden Bewegungslinien. Nichtaufgabe durchstoßener Räume und Verwehrung einer uneingeschränkten Feindnutzung, insbesondere der Bewegungslinien. Die Festlegung einer konkreten eigenen Absicht im Hinblick auf eine zeitliche Erfüllung einer Verzögerungsaufgabe sowie des Umfanges der beabsichtigten

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Dezimierung der Feindkräfte war in Abhängigkeit von der eigenen Absicht in den Schlüsselzonen und unter Zugrundelegung der gesamten eigenen operativen Absicht für die Ausbaustufe (300 000 Mann) noch vorzunehmen.

Quelle : Vortragsunterlage Hannes Philipp

Weiters wurden für den Ausbau der Zonen Prioritäten festgelegt, die vor allem die Schlüsselzonen im Donautal betrafen. Die Kommanden (Korps- und Militärkommanden) wurden angewiesen, Planungsunterlagen für den weiteren Ausbau der Landesbefestigung und für die Grundaufträge an die raumgebundene Landwehr zu erarbeiten. Die zuständigen Kommanden wurden informiert, dass die Landeshauptleute der einzelnen Bundesländer dem Armeekommando je fünf Millionen Schilling für den Ausbau von Festen Anlagen und Sperrmaßnahmen zugesagt hatten. Nach Abhaltung der Raumverteidigungsübung 1979 hielt der Armeekommandant, General Spannocchi, in einem Memorandum an Minister Rösch fest : »Die neue Armee ist noch längst nicht fertig. Sie hat in die neue Richtung beweisbare Fortschritte gemacht. Die Einsatzdoktrin dürfte eine erreichbare Zielvorstellung sein. Die Armee ist in Erfüllung der Raumverteidigung noch nicht operationell.« Diesen Feststellungen ließ er einen Katalog erforderlicher Maßnahmen folgen. Diese betrafen : Struktur der Armee, Ausrichtung der Ausbildung, Logistik, Ausrüstung und Verbesserung der Einsatzbereitschaft. Zusätzlich wurde ein Ge-

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samtbedarf zur Erreichung der Zielvorstellung (Zwischenstufe) übermittelt. Der im Detail erstellte und bis zu den kleinen Verbänden erhobene Gesamtbedarf zeigte bei der raumgebundenen Landwehr ein Fehl besonders im Bereich der Führungsteileinheiten, Pionierkompanien, Sperrbataillone und leichten Landwehrbataillone, vor allem aber bei den Artilleriekräften auf. Weiters forderte der Armeekommandant bis spätestens Mitte 1980 die Ausarbeitung und den Erlass einer grundsätzlichen Weisung, mit der die endgültige Zoneneinteilung und die erforderliche Kräftezuordnung festgelegt werden sollten. Nach einer weiteren Generalstabsreise im Herbst 1979 wurde vom Armeekommando eine Modifizierung der Zonenabgrenzung vorgenommen.5 Einschlägige Merkblätter sowie der Plan der Durchführung für den Kampf in Schlüsselzonen und Raumsicherungszonen wurden ausgearbeitet. Darüber hinaus wurde der erforderliche Kräftebedarf (raumgebundene Landwehr und mechanisierte Kräfte) erarbeitet. Die Anzahl der Kräfte ging weit über die Vorgaben des Landesverteidigungsplans hinaus.6 Nunmehr wurden zehn Schlüsselzonen, 19 Raumsicherungszonen, davon sechs mit Anteilen am Zentralraum, eine Sperrzone und vier Teilzonen im Zentralraum festgelegt. Auch die Begriffe Zentralraum und Basisraum wurden verbindlich definiert : »Der Zentralraum als der allen Basisräumen gemeinsame Raum ist in allen Operationsfällen von wesentlicher Bedeutung. Er bildet einen eigenen Führungsbereich mit zahlreichen territorialen Aufgaben, insbesondere der Ordnung des Raumes und der taktischen Führung im Zentralraum. Einem Angreifer muss die Öffnung der Zugänge auf Dauer verwehrt werden, wobei unter ›auf Dauer‹ eine autarke Kampfführung über einen Gesamtzeitraum von 30 Tagen bedeutet.« »Der Basisraum ist jener Teil des Staatsgebietes, der außerhalb der zu erwartenden feindlichen Hauptstoßrichtungen liegt und je nach Bedrohungsrichtungen festgelegt wird. Er ist zu verteidigen.«

Der Zentralraum galt als konstant, der Basisraum variiert je nach konkreten Einsatzvorbereitungen (Operationsfällen). Der Zentralraum wurde aus vier Teilzonen (TlZ) und aus den Anteilen von sechs Raumsicherungszonen gebildet : Teilzonen : 55 Ennstal, 56 Oberes Murtal, 82 Pongau und 83 Pinzgau.

5 BMLV AK, Zl. 91-strgeh/79, 21. 6. 1979. 6 BMLV AK, Zl. 111-strgeh/3.3/80 (Zoneneinteilung, Zentralraum, Einsatzkonzept), 4. 1. 1980.

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Anteile an Raumsicherungszonen hatten : 36 Alpenvorland (Ost), 44 Alpenvorland (West), 64 Osttirol, 72 Oberkärnten und 81 Salzburg/Flachgau. Weiters wurden Schlüsselzonen und Sperrzonen festgelegt. Ihre Funktionen wurden wie folgt beschrieben : »Sperrzone ist eine an ein starkes Hindernis angelehnte Zone, in der tiefgestaffelte ständige Befestigungen an Bewegungslinien vorbereitet werden und über einen befohlenen Zeitraum zu behaupten sind.«

Als Schlüsselzonen und Sperrzonen wurden festgelegt : 14 Semmering, 33 Donau/ Tulln, 34 Wienerwald, 35 Donau/Erlauf, 41 Donau/Linz, 42 Mühlviertel, 53 Koralpe, 54 Gleinalpe, 62 Tirol/Mitte, 71 Bleiburg/Lavamünd und 73 Villach. Die Grundaufträge für die Raumsicherungszonen ergaben sich aus der gesamtheitlichen operativen Zielsetzung bei Anwendung der Kampfverfahren »Kampf in Schlüsselzonen« und »Kampf in Raumsicherungszonen«. Im Falle eines zeitlich begrenzten Abwehrkampfes waren die Kräfte in den Raumsicherungszonen zweckmäßig einzugliedern. Als Raumsicherungszonen wurden festgelegt : Wiener Becken (Nord), 12 Wiener Becken (Süd), 21 Wien/Marchfeld, 31 Waldviertel, 32 Waldviertel, 36 Alpenvorland (Ost), 43 Innviertel, 44 Alpenvorland (West), 51 Oststeiermark, 52 Südsteiermark, 61 Unterinntal, 63 Oberinntal, 64 Osttirol, 65 Zillertal, 72 Mittelkärnten, 74 Oberkärnten, 81 Salzburg/Flachgau und 91 Vorarlberg. Um auf Dauer eine Kampfführung in den Raumsicherungszonen realisieren zu können, war eine Vorbereitungszeit von 30 Tagen vorzusehen. Taktische Führungsbereiche der Militärkommanden : Militärkommando Burgenland : Raumsicherungszonen 11 und 12, Schlüsselzone 14. Militärkommando Wien : Raumsicherungszone 21. Militärkommando Niederösterreich : Sperrzone 33, Schlüsselzonen 34 und 35, Raumsicherungszonen 31, 32 und 36. Militärkommando Oberösterreich : Schlüsselzonen 41 und 45, Raumsicherungszonen 42, 43 und 44. Militärkommando Steiermark : Raumsicherungszonen 51 und 52, Schlüsselzonen 53 und 54. Militärkommando Tirol : Raumsicherungszonen 61, 63 und 65, Schlüsselzone 62. Militärkommando Kärnten : Schlüsselzonen 71 und 73, Raumsicherungszonen 72 und 74, Tle RS 64. Militärkommando Salzburg : Raumsicherungszone 81. Militärkommando Vorarlberg : Raumsicherungszone 91.

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Abgrenzungen der Zonen und des Zentralraums Die bis dahin grob vorgesehene Abgrenzung der Zonen und des Zentralraums war nach taktischen und versorgungsmäßigen Erfordernissen detailliert festzulegen. Dabei stand ein räumlicher Spielraum bis zu zehn Kilometer zur Verfügung ; politische Grenzen waren soweit als möglich zu berücksichtigen. Das Fleiche galt für die Abgrenzung des Zentralraums unter gegenseitiger Absprache der Korps- und Militärkommanden. Für den Ausbau der Zonen wurden folgende Prioritäten befohlen : Schlüsselzone 34 Wienerwald, Schlüsselzone 35 Donau/Erlauf, Schlüsselzone 41 Donau/Linz, Schlüsselzone 21 Wien/Marchfeld und Sperrzone 33 Donau/Tulln.

Bedrohungsanalyse Für die grundlegende Operationsweisung wurden selbstverständlich die Bedrohungsanalysen des Heeres-Nachrichtenamts herangezogen.7 Einleitend wurde für den Fall eines Angriffes auf Österreich durch einen der Pakte die zentrale Bedeutung des Raumes Linz–Steyr–Wels für einen Aggressor, der über österreichisches Staatsgebiet einen Angriff auf seinen Kontrahenten (außerhalb Österreichs) zu führen beabsichtigt, dargestellt. Die Inbesitznahme dieses Raumes wurde als Voraussetzung für eine Bedrohung des Abwehrdispositivs der NATO in Süddeutschland durch eine Warschauer-Pakt-Umfassung gesehen. Andererseits hätte es in der Absicht der NATO gelegen sein können, über diesen Raum, der Donau folgend und dann nach Norden durch die Mährische Pforte, in die Tiefe des Warschauer-Pakt-Dispositivs vorzustoßen. Durch die politischen Grundsätze der NATO – als Verteidigungspakt – vor allem aber durch das Fehlen von zu Offensiven erforderlichen Kräften wurde diese Option nicht als wahrscheinlich bewertet und eigentlich nicht in Betracht gezogen. Bei einer Auseinandersetzung von Warschauer Pakt und NATO war hingegen nicht nur die Möglichkeit, sondern auch die Wahrscheinlichkeit eines Angriffes von Warschauer-Pakt-Kräften über Österreich in die Flanke von NATO-Kräften im süddeutschen Raum gegeben. Die Behauptung des entscheidenden operativen Raums Linz–Steyr–Wels hatte bei den militärischen Maßnahmen Österreichs im Vordergrund zu stehen, und diese Bemühungen waren den Bündnissen glaubhaft nachzuweisen. Zur Bewältigung dieser Aufgabe wurde ein »Operationsfall Gesamtbedrohung« ausgearbeitet. Dabei wurde eine Operation von NATO-Kräften zur Öffnung der Verbindung von Oberitalien nach Deutschland als Einzelmaßnahme mitgedacht. 7 BMLV HNA, Zl. 2-strgeh/Ausw/79 und 3-strgeh/Ausw/79, 27. 12. 1979.

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Stellvertreterkriege und Einzeloperationen der Nachbarn wurden weitgehend ausgeschlossen. Eine Durchmarschoperation von Warschauer-Pakt-Kräften in Richtung Jugoslawien war zu Beginn der 1980er-Jahre denkbar.

Die konkreten Annahmen Grundsätzlich wurde bei der Beurteilung von folgenden Absichten des Warschauer Pakts ausgegangen :8 Rascher Stoß durch das Donautal und Alpenvorland unter operativer Absicherung gegen den Alpenraum sowie vorgestaffelter Stoß durch das Mühlviertel über die Donau nach Süddeutschland. In Verbindung mit dieser Hauptbedrohung Versuch zur Öffnung der Nord-Süd-Verbindung über Tirol durch NATO-Kräfte. Zentrale Bedeutung kam daher im Operationsfall »A« der voraussichtlichen Angriffsführung des Warschauer Pakts über den Nordteil Österreichs, das Donautal, zu. Die Kräfte der NATO und des Warschauer Pakts standen sich im Kriegsfall an dem an Österreich im Norden anschließenden Raum gegenüber. Ein Teil dieses Frontabschnittes lag in einem schwierigen Gelände, dem Bayrischen Wald. Ein Frontalangriff der Südwestfront des Warschauer Pakts gegen das II. (GE) Korps konnte zu Zeitverlust führen und eine rasche Inbesitznahme des ersten Angriffsziels am Rhein in Frage stellen. Dem konnte durch einen Zangenangriff zur Unterstützung durch die Südwestfront – mit der südlichen Zange über Österreich – abgeholfen werden.9 Mithilfe der Bildung einer Donaufront durch Kräfte der Zentralgruppe der sowjetischen Streitkräfte, der Karpatenfront sowie der Südgruppe der Truppen und Kräften der Tschechoslowakischen Volksarmee und Ungarischen Volksarmee war eine Option für einen Angriff über Österreich in die tiefe Flanke der »Central Army Group« südlich von München in Richtung Bodensee–Rhein gegeben. Dazu galt folgende Annahme : Nach sieben Tagen würden folgende Warschauer-Pakt-Divisionen (Kat. A) zur Verfügung stehen : Bis zu zwei Divisionen der 4. Armee der Tschechoslowakischen Volksarmee, drei Divisionen der Zentralgruppe der sowjetischen Streitkräfte, vier Divisionen der Südgruppe der Truppen und drei Divisionen der Ungarischen Volksarmee. Ab dem dritten Tag nach Angriffsbeginn würden weitere Kräfte zum Einsatz über Österreich zur Verfügung stehen : zwei bis drei Divisionen der Tschechoslowakische Volksarmee des Militärbezirks Ost, Teile der Karpatenfront (38. Armee aus dem MB-Karpaten) und drei Divisionen der Ungarischen Volksarmee. 8 BMLV GTI, Zl. 237-strgeh/GTI/80, Seite 2, 14. 4. 1980. 9 BMLV HNA, Zl. 3-strgeh/Ausw/79. Skizze, 27. 12. 1979.

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Für den Stoß im Donautal erarbeitete das Heeres-Nachrichtenamt drei Varianten : Variante 1 : Angriff einer verstärkten Armee der Zentralgruppe der sowjetischen Streitkräfte (Armee »Olomouc«, bestehend aus zwei motorisierten Schützendivisionen und einer Panzerdivision) als erste operative Staffel, mit zwei Divisionen voraus, aus dem Raum Brno–Znojmo–Břeclav zunächst über die Donau in das Tullner Becken, dann donauaufwärts in den Raum Linz–Steyr–Wels, um den weiteren Angriff (über den Inn) in die Flanke des II. (GE) Korps zu ermöglichen. Ein Begleitstoß von ein bis maximal zwei Divisionen der Südwestfront (Tschechoslowakische Volksarmee) über das Mühlviertel mit Angriffsziel südlich Linz. Als zweite operative Staffel war zumindest eine Armee (drei bis vier Divisionen) aus dem Militärbezirk Karpaten zu erwarten. Variante 2 : Angriff der verstärkten Armee »Olomouc« wie in Variante 1, jedoch begleitet durch einen Angriff der 5. Armee der Ungarischen Volksarmee (zwei motorisierte Schützendivisionen, eine Panzerdivision) aus dem Raum Sopron über den Wienerwald Richtung Traisenlinie zur Bindung von österreichischen Kräften im Raum Wienerwald–Tullner Becken und um das Überwinden der Donau im Raum Tulln zu beschleunigen. Weiterer Angriffsverlauf wie in Variante 1. Variante 3 : Angriff einer verstärkten Armee (zwei motorisierte Schützendivisionen und zwei Panzerdivisionen) aus Nordwestungarn durch den Wienerwald und das Alpenvorland donauaufwärts, um als zweite Staffel die 38. Armee aus dem Militärbezirk Karpaten zum Angriff auf Süddeutschland nachzuführen. Die erforderliche Luftunterstützung in den Varianten 1 bis 3 wäre durch die 57. Frontluftarmee (Lwów), die 36. Frontluftarmee (Budapest) sowie Fliegerkräfte der Zentralgruppe der sowjetischen Streitkräfte zu erwarten gewesen. Weiters zu erwarten war der Ansatz von maximal zwei Divisionen der Ungarischen Volksarmee im Raum Steiermark auf die Übergänge des steirischen Randgebirges. Eine weitere Division zur Absicherung des Angriffes durch das Donautal gegen den Zentralraum war denkbar. Bei der Beurteilung einer Umfassungsoperation des Warschauer Pakts über Österreich kam dem Zeitkalkül in der Berechnung der operativen Größen – Kraft, Zeit und Raum – die größte Bedeutung zu. Die nach der Studie des Heeres-Nachrichtenamts angenommenen sechs bis sieben Tage an Vorbereitungszeit für die WarschauerPakt-Truppen erlaubten der NATO ab dem konkreten Erkennen der Aggressionsabsicht zwei Tage nutzbarer Vorwarnzeit. In dieser Zeit sollten der Aufmarsch und die Herstellung der ersten Abwehrbereitschaft sicherzustellen sein.

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Das Abwehrdispositiv des II. (GE) Korps mit zwei bis drei Divisionen, einer Gebirgsdivision und einer Luftlande-Kampftruppe (ev.) war mit Masse zur Verteidigung nach vorne (Donauverlauf) zur frontalen Abwehr von Teilen der Warschauer-Pakt-Südwestfront ausgerichtet. Für die Tiefenbildung und Abdeckung der Flanke gegen Österreich stand nur die 10. Panzerdivision (GE) zur Verfügung. Mit diesen an der Flanke eingesetzten Kräften konnte nur ein kleiner Umfassungsangriff über das Mühlviertel abgewehrt werden. Einem großen Stoß Richtung München konnte nichts entgegengesetzt werden. Der Angriff armeestarker Warschauer-Pakt-Kräfte über Österreich in den Großraum München ließ folglich einen Durchstoß Richtung Rhein erwarten. Dieser »großen« Flankenbedrohung konnte nur durch Zuführen weiterer NATOKräfte begegnet werden. Infrage kamen dazu, das II. (FR) Korps, das für Mobilmachung und Heranführung in den süddeutschen Raum sechs bis sieben Tage benötigte. Zeitlich noch ungünstiger war das Heranführen von zwei amerikanischen »REFORGER«-Divisionen zu beurteilen, für das trotz vollständiger Auslagerung des Einsatzgerätes in Deutschland zur Herstellung der Verfügbarkeit mit zehn Tagen gerechnet werden musste. Erst sechs bis sieben Tage nach der Auslösung des politisch-militärischen Führungsvorganges in Frankreich würde die NATO in Bayern mit den II. (FR) Korps über ein Verteidigungspotential verfügt haben, mit dem auch ein »großer Stoß« über Österreich abgeriegelt werden konnte. Jedes Eintreffen von operationsfähigen Warschauer-Pakt-Kräften vor sechs Tagen ab Angriffsbeginn im Münchner Großraum hätte die NATO zu nuklearen Abriegelungsmaßnahmen im Raum Oberösterreich und Inn veranlassen können. Das vorrangige sicherheitspolitische Ziel Österreichs musste es folglich sein, ein Übergreifen von Kampfhandlungen auf österreichisches Staatsgebiet überhaupt zu verhindern. Alle Anstrengungen waren darauf auszurichten, den angreifenden Warschauer-Pakt-Kräften in der Operationslinie im Donautal einen solchen Widerstand entgegenzusetzen, dass das zeitliche Erfordernis, in weniger als sechs Tagen ab Angriffsbeginn im Großraum München operativ wirksam werden zu können, infrage gestellt war. Diese Zielsetzung lag auch der operativen Weisung Nr. 1 zugrunde. Konnte das nicht erreicht werden, dann war als militärische Option der NATO die nukleare Abriegelung des Warschauer-Pakt-Stoßes zu erwarten. Die Bewältigung der Aufgabe setzte österreichischerseits die Fähigkeit einer raschen Mobilmachung des Bundesheeres sowie eine Schwergewichtsbildung voraus, die über die Kräfte der Zwischenstufe (1986) weit hinausging. Die zur nachhaltigen Abnützung und Verzögerung des Feindes entscheidenden Räume lagen – wie man wusste – im Wienerwald, im Raum Tulln–Amstetten, im Großraum Linz, im Mühl- und im Innviertel. Weitere Bedrohungsmöglichkeiten wie ein Angriff von Warschauer-Pakt-Kräften (Donaufront) in Richtung Oberitalien, bzw. eine Operation über den österrei-

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chischen Zentralraum mit Schwergewicht in den Längstalfurchen des Ennstals und Salzachtals wurden zwar beurteilt, aber nicht als aktuell in Betracht gezogen. Anderes stand im Vordergrund. Ab Beginn von Warschauer-Pakt-Operationen in die Flanke der »Central Army Group« der NATO war Westösterreich bedroht. Eine Benützung der Nord-SüdVerbindung über Österreich hinweg war vor allem von den NATO-Luftstreitkräften zu erwarten. Eine Öffnung der Verbindung auf dem Boden für die Zuführung von Kampftruppen aus dem Raum Oberitalien nach Deutschland lag im Bereich der Wahrscheinlichkeit. Für diesen Fall standen zur Öffnung der Operationslinie Brenner–Kuftstein fünf italienische Alpini-Brigaden und möglicherweise eine französische Gebirgsdivision zur Verfügung. Zur Luftunterstützung einer solchen Operation kamen die Kräfte der 4. oder 5. »Allied Tactical Air Force« infrage. Ein andersartiger Bedrohungsfall konnte auch dadurch entstehen, dass Kräfte der »Central Army Group« frontal und in der nördlichen Flanke von Warschauer-Pakt-Kräften umfasst und entweder eingeschlossen oder nach Österreich abgedrängt wurden. Für diese NATO-Kräfte ergab sich dann die Notwendigkeit, entweder über Österreich nach Oberitalien auszuweichen oder Verstärkungen aus Oberitalien über Österreich zuzuführen. Diesen Erwägungen Rechnung tragend, sah sich Österreich gezwungen, auch eine Verteidigung im Raum Inntal–Brenner vorzubereiten. Aufbauend auf den Ausarbeitungen des Generaltruppeninspektorats und des Armeekommandos sowie anhand der Bedrohungsanalyse wurde durch Minister Rösch am 14. April 1980 die »Grundlegende Operations-Weisung Nr. 1« als zentrales Dokument für die Ausarbeitung von Operationsfällen und operativen Planungen der 1980er-Jahre verfügt. Manches daran barg Probleme. Diese Operations-Weisung Nr. 1 teilte sich in drei Abschnitte : Im Abschnitt 1 waren die Regelungen für den Einsatzbefehl gegeben. Im Abschnitt 2 waren die grundsätzlichen Anordnungen für den Einsatz enthalten. Im Abschnitt 3 wurden die Richtlinien für das Übergangs- und Genehmigungsverfahren erlassen. Im Beilagenteil wurden unter anderem die Aufgabenstellungen in vier Operationsfällen konkret dargestellt. Operationsfall »A«

Bewältigung der Gesamtbedrohung

Operationsfall »A/D« (Durchmarsch-Variante)

Variante der Bewältigung der Gesamtbedrohung mit besonderer Berücksichtigung eines Durchmarsches im Ostteil Österreichs

Operationsfall »B«

Abwehrkampf gegen eine Aggression durch Jugoslawien, die sich nur gegen Österreich richtet

Operationsfall »C«

Abwehrkampf gegen eine Aggression der NATO zur Öffnung der Nord-Süd-Verbindung zwischen Deutschland und Oberitalien

Quelle : Operations-Weisung Nr. 1

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Die Ziffer 3 der Weisung beinhaltete auch Richtlinien für das Verhalten der Truppe im Neutralitätsfall. An eine Ausarbeitung von Operationsfällen für Neutralitätsfälle wurde nicht gedacht, weil Krisen in Nachbarstaaten, die zur Neutralitätsverletzung führen konnten, vielgestaltig sein konnten und nach einer Beurteilung der Lage zu entsprechend abgestuften Maßnahmen führen mussten. Die Luftraumüberwachung sollte in den Verantwortungsbereich des Armeekommandos fallen. Die Befehle zur Umsetzung der »Grundlegenden Operationsweisung Nr. 1« ergaben sich wie von selbst. Zunächst sollte alles darangesetzt werden, die Kräfte des Bundesheeres im Raum Linz–Wels–Steyr so abwehrbereit zu machen, dass beiden großen Bündnissystemen glaubhaft gemacht werden konnte, dass Österreich seiner Hinderungspflicht nachkommen und einen maximalen Abhalteeffekt erzielen wollte. Sollte dies nicht in vollem Umfang erreicht und Österreich in militärische Operationen einbezogen werden, war durch den Kampf in Schlüsselzonen der Ablauf der Feindoperationen möglichst lange zu verzögern. Durch die nachhaltige Verteidigung des Zentralraumes war zudem die Voraussetzung zur Aufrechterhaltung der Souveränität zu schaffen. Das Armeekommando hatte Sorge zu tragen, dass die Behauptung des Raumes Linz–Wels–Steyr in den entscheidenden Schlüsselzonen 35, 41 und 45 vorbereitet und unter Inkaufnahme von Lücken und Schwächen in Nebenbedrohungsräumen mit ausreichend starken Kräften befüllt werden konnte. Die Schlüsselzonen waren auch nach Durchbruch von Feindverbänden zumindest in Teilen zu behaupten. Der Öffnung der Nord-Süd-Verbindungslinien im Raum Tirol sollte mit örtlich verfügbaren Kräften in den Schlüsselzonen an den Grenzübergängen sowie in TirolMitte entgegengewirkt werden. Der Zentralraum war vor allem an den aus dem Wiener Becken und dem Alpenvorland führenden Eingängen zur nachhaltigen Verteidigung vorzubereiten. Der Schutz der Bundeshauptstadt Wien gegen eine überraschende vorgestaffelte Inbesitznahme sollte durch frühzeitige und reibungslose Besetzung der Sperrstellungen ostwärts Wiens gewährleistet werden. Im Operationsfall »A« waren als Basisraum der festgelegte Zentralraum sowie das Bundesland Kärnten und der zwischen Zentralraum und Randgebirge verbleibende Teil der Steiermark anzusehen.

Das Problem Nach der gültigen Führungslehre steht die Operation bzw. die operative Führung als Scharnier zwischen Militärstrategie und Taktik. Die Operations-Weisung war jedoch schon von der Benennung her irreführend. Sie sollte ja eine militärstrate-

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gische Weisung sein, aus der sich die Operation ableitete. Diese Ableitung war als »Übersetzung« der militärstrategischen Weisung in operative Aufträge gedacht, die an die Truppe ergehen sollten. Eine militärstrategische Weisung sollte im Inhalt den Übergang zur Sicherheitspolitik beinhalten. Dabei wären die politischen Ziele anzusprechen gewesen (die eigenen und die des Aggressors), um daraus die militärstrategischen Ziele und Absichten abzuleiten. Es wäre auch auf die eigene Doktrin und die des Aggressors einzugehen gewesen. Die Aufzählung von Feindkräften und deren operativer Absicht sowie die Eintragung derselben auf Kartenskizzen griffen ohne Erfassung des eigentlichen »Kriegszieles« und der vorherrschenden Doktrin zu kurz. Die eigene politische Absicht – einen potenziellen Aggressor abzuhalten – wurde in der Weisung als »Auftrag an die militärische Ebene« heruntergespielt. Die militärische Ausführung der Abhaltung konnte denn auch nicht nur im »Befüllen« und »Aktivieren« von wichtigen Räumen durch militärische Kräfte liegen. Der Feindansatz, wie er als Beilage zur operativen Weisung Nr. 1 als »Großer Stoß. Variante 2« vorkam, konnte nicht nachvollzogen werden, da es unwahrscheinlich war, dass gepanzerte und mechanisierte Kräfte aus der Slowakei über die March und deren ungangbare Augebiete angriffen. Letztlich gab die Weisung auch schon die Details der Kampfführung vor. Auch die Zeit für die Dauer der Kampfführung in den Zonen und im Zentralraum war vorgegeben. Dabei wurde aber die Versorgungslage nicht berücksichtigt. Es fehlten eine militärstrategische Bewertung der Versorgungslage sowie Besondere Anweisungen für die Versorgung (BAV). Die Vorgaben lauteten somit : a) Aufnahme des Abwehrkampfs an der Grenze ; Behauptung der für die Erreichung der operativen Ziele des Feindes wichtigen Räume ; Fortsetzung des Kampfes in umgangenen oder eingeschlossenen Räumen bis zu 30 Tagen. b) Behauptung möglichst großer Teile des Bundesgebietes, um Österreich als handlungsfähiges Völkerrechtsobjekt zu erhalten. c) Wiederinbesitznahme verlorengegangener Räume. d) Nachhaltige Verteidigung des Zentralraums und seiner Zugänge. Eine klare Gewichtung gab die Weisung nicht vor. Ab dem dritten Tag war mit einem progressiven Versorgungsengpass zu rechnen. Bei der Armee ergaben sich erste Verzögerungen bei der Umsetzung der operativen Weisung Nr. 1 aus dem Umstand, dass das Armeekommando und die unterstellten Kommanden (Korpskommanden, Kommando Fliegerdivision, Kommando Panzergrenadierdivision und Militärkommanden) zunächst noch mit der Ausarbeitung eines Operationsfalles »S« (Einsatz gegen Jugoslawien) ausgelastet waren. Die Bearbeitung dieses Falles hatte deshalb so große Priorität, weil der kritische

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Gesundheitszustand des jugoslawischen Präsidenten Josip Broz Tito Anlass zur Sorge gab. Am 25. Juli 1980 erging der Armeebefehl Nr. 1 für die Durchführung des Operationsfalls »A« mit ergänzenden Aufträgen und Hinweisen an die Kommanden der Korps und der Division. Unmittelbar danach stellte das Armeekommando eine Reihe von Anfragen an den Generaltruppeninspektor und ersuchte um Terminaufschub für die Fertigstellung des Operationsfalles »A« bis 1. Dezember 1981. Die Rückfragen bezogen sich auf den noch offenen rechtlichen Bereich, die Mobilmachung und Richtlinien für die Versorgung (BAV/Heer). Überraschenderweise wurde die endgültige Fertigstellung der Operationsfall-Bearbeitung aber ohnedies erst in drei bis vier Jahren erwartet. Ungeachtet dessen lief die Bearbeitung sofort an. Dabei zeigte sich die bittere Wahrheit. Wesentliche Merkmale des Kräfteeinsatzes waren zunächst die Aufteilung des Bundesgebietes in drei Operationsräume : Operationsraum Nord (Korpskommando II), Operationsraum Süd (Korpskommando I) und Operationsraum West (Militärkommando Tirol). Für die Besetzung der Schlüsselzonen 35 und 41 war die Masse der Panzergrenadierdivision und der mobilen Landwehr (insgesamt sechs Jägerbrigaden) vorgesehen. Diese zwei Schlüsselzonen konnten mit 32 000 Mann in der Schlüsselzone 35 und 35 000 Mann in der Schlüsselzone 41 als dem Zonenauftrag entsprechend »befüllt« angesehen werden. Die Schlüsselzone 34 und die Sperrzone 33 konnten nur teilbesetzt (»teilaktiviert«) werden. Die raumgebundenen Landwehr-Kräfte im Wienerwald, mit der 2. Jägerbrigade verstärkt, konnten nur zur Verteidigung an den Bewegungslinien eingesetzt werden. Den Sperrzonen an der Donau mangelte es an Landwehr-(Sperr)- und mechanisierten Kräften. Die wichtige Schlüsselzone 45 im Innviertel, als die im Konzept geforderte »2. Schlüsselzone« hinter der Schlüsselzone 35 bzw. 41, konnte aus Kräftemangel nicht besetzt werden. (In dieser Zone hätte ein Feinddurchbruch über drei Tage verhindert und ein nachrückender Feind über weitere fünf Tage behindert werden sollen.) Eine Verteidigung der Flussübergänge und die erforderliche Sicherung der Kraftwerke waren mit den vorhandenen raumgebundenen Landwehr-Kräften nicht durchführbar, und die Zuführung weiterer Landwehr-Kräfte aus anderen Landesteilen wäre erforderlich gewesen. Gemäß der Konzeption der Raumverteidigung kam den Raumsicherungszonen besondere Bedeutung zu. In den Operationslinien des Aggressors, den Schlüsselzonen vorgelagert, sollten die in den Raumsicherungszonen eingesetzten raumgebunden Landwehr-Kräfte gegen die sich zum Angriff auf die Schlüsselzonen bereitstellenden Feindkräfte (Stauraum) in der Tiefe wirksam werden und so Angriffskräfte binden. Die Problematik lag einerseits geländemäßig in überdehnten, offenen Raumsicherungszonen nördlich der Donau, im Weinviertel, wo der Jagdkampf gegen gepan-

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zerte Feindkräfte nur mit Panzerabwehr-Lenkwaffen erfolgversprechend gewesen wäre. Andererseits kam das Problem der geringen raumgebundenen Landwehrkräfte in diesen ausgedehnten Räumen zum Tragen. In den Raumsicherungszonen war ein Abgehen vom Raumverteidigungskonzept unausweichlich. So standen im Marchfeld (Raumsicherungszone 21) nur ein leichtes Landwehrbataillon, im Weinviertel (Raumsicherungszone 32) zwei leichte Landwehrbataillone mit insgesamt nur fünf Jagdkampfkompanien, und im Waldviertel (Raumsicherungszone 31) war nur ein leichtes Landwehrbataillon mit vier Jagdkampfkompanien vorhanden. Auch die Sperr-Kräfte waren unterbesetzt und zum Teil gar nicht aufgestellt. Da zur »Befüllung« der großen Zonen – Schlüsselzonen 35 und 41 – nicht genügend raumgebundene Landwehr-Kräfte vorhanden waren, forcierte man im Generaltruppeninspektorat den Aufbau von mobilen Landwehr-Kräften, die aus anderen Bundesländern stammten und zugeführt werden mussten. Die auf den Raum bezogene Ausbildung kam dadurch ins Hintertreffen. Und der Grundgedanke der Raumverteidigung, der »massive« Einsatz von raumgebundenen Landwehr-Kräften, wurde infrage gestellt. Ein weiteres Problem waren die Reserven. Reserven sind das wichtigste, oft letzte Mittel der Führung. Ohne Reserven ist echte Führung unmöglich. Der Mangel an Kräften reichte aber nicht aus, um Reserven zu bilden. Das Armeekommando verfügte über keine Reserven. Das Gleiche galt für das Korps I. Das Korps II verfügte über zwei Reserven, die 3. Panzergrenadierbrigade (Panzerartilleriebataillon) und das Jägerbataillon 25. Die eigentliche, als Reserve vorgesehene Panzergrenadierdivision war mit ihren Brigaden in den Schlüsselzonen 35 und 41 eingesetzt. Aufgrund des Einsatzes in den zwei Schlüsselzonen im Donautal verblieben für die nachhaltige Verteidigung der Zugänge in den Basisraum nur mehr geringe Kräfte. Die Bearbeitung des Operationsfalls »A« lief also auf die Quadratur des Kreises hinaus. Im März 1982 wurde eine Koordinierungsbesprechung zwischen Generaltruppeninspektorat und Armeekommando/Sektion III abgehalten. Hauptthemen dabei waren : Korpsgrenzen, Unterstellungsverhältnisse und Einsatz in der Schlüsselzone 41. Für die Schlüsselzone 41 wurde eine weitere Verstärkung als notwendig erachtet. Für den weiteren Heeresausbau sollte die Aufstellung der 4. und der 8. Jägerbrigade sowie der raumgebundenen Landwehr des Landwehrstammregiments 41 vorgesehen werden. Als Übergangslösung sollten Kräfte aus dem Verteidigungsbereich West (6. Jägerbrigade und Jagdpanzerbataillon 4) herangezogen werden.

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Das Armeekommando sollte auch die Führung der Teilzonen des Zentralraums übernehmen. Ursprünglich sollte zwar ein Kommando zbV für den Zentralraum durch die Landesverteidigungsakademie gestellt werden. Diese Planung wurde aber nicht mehr weiter verfolgt. Nach einem weiteren Vortrag beim Bundesminister entschied der Generaltruppeninspektor, dass die Zuführung der 6. Jägerbrigade und des Jagdpanzerbataillons 4 in die Schlüsselzone 41 bis zur Aufstellung der erforderlichen raumgebundenen Landwehr-Kräfte genehmigt werde. Das Stadtgebiet Linz/Urfahr wurde ausgespart. Zur Sicherung der Bundeshauptstadt Wien, nördlich der Donau, wurden nur mehr das Heeres-Aufklärungsbataillon und leichte Landwehr-Kräfte des Landwehrstammregiments 21 vorgesehen. Die Sperrstellungen in der Raumsicherungszone 21 konnten aus Budgetgründen zunächst nicht ausgebaut werden. Dies galt auch für die Sperrstellungen südlich der Donau in den Raumsicherungszonen 11 und 12. Am 2. April 1982 wurde das Armeekommando über die neuen Planungsvorgaben in Kenntnis gesetzt und begann ein geändertes Abwehrdispositiv auszuarbeiten. Am 20. April 1982 lag es vor.10 Dieses wurde als Grundlage für weitere Operationsfall-Bearbeitungen im Bereich der Armee genehmigt. Am 7. Juni 1982 wurde durch den Generaltruppeninspektor die »Operative Weisung Nr. 2« erlassen. Mit dieser operativen Weisung wurden die Änderungen, die sich durch die jüngsten Planungsarbeiten ergeben hatten, konkretisiert. Die Kernaussagen dieser Weisung waren : Das Armeekommando führt im Basisraum. Zudem sollten vom Armeekommando die Armeetruppen, die Fliegerdivision sowie die Korpskommanden und das Militärkommando Tirol direkt geführt werden. Es wurden drei Operationsräume festgelegt. Diesen Operationsräumen waren folgende Befehlsbereiche und Kommanden zugeordnet : Operationsraum Ost/Korpskommando I : Befehlsbereich 1 (Burgenland – Raumsicherungszonen 11 und 12, Schlüsselzone 14) ; Befehlsbereich 2 (Wien – Raumsicherungszone 21, Schlüsselzone 22, Stadtgebiet Wien) ; Befehlsbereich 3 (Niederösterreich – ohne Schlüsselzone 35 und die den Befehlsbereichen 1 und 2 zugeordneten Zonen) ; Befehlsbereich 5 (Steiermark – ohne Schlüsselzone 14). Operationsraum Mitte/Korpskommando II : Schlüsselzone 35 (Kommando Panzergrenadierdivision) ; Schlüsselzone 41 (Kommando 4. Panzergrenadierbrigade), bisherige Schlüsselzone 41 und Raumsicherungszone 42 ; Befehlsbereich 4 (Oberösterreich – ohne Schlüsselzone 41, einschließlich Zentralraum-Anteil, jedoch ohne Attergau) ; Befehlsbereich 8 (Salzburg – einschließlich Attergau als Teil der Raumsicherungszone 81) ; Befehlsbereich 7 (Kärnten – einschließlich Raumsicherungszone 64). Diese Anordnung der Führungsbereiche wurde von den Korpskommandanten 10 BMLV AK, Zl.86-strgeh/3.3/82, 20. 4. 1982.

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einhellig kritisiert, weil es dadurch zu einem »Weiterreichen« eines längs des Donautals angreifenden Feindes gekommen wäre. Ein operativ zusammengehöriger Geländeabschnitt sollte entzwei geschnitten werden. Kommando West/Militärkommando Tirol : Befehlsbereich 6 (Tirol – ohne Raumsicherungszone 64) ; Befehlsbereich 9 (Vorarlberg).

Quelle : Operative Weisung Nr. 2 durch den GTI am 7. Juni 1982.

Die 6. Jägerbrigade und das Jagdpanzerbataillon 4 waren in die Schlüsselzone 41 als Variante einzubinden. Im Marchfeld waren die Sperrstellungen nicht weiter auszubauen. Die Bundeshauptstadt Wien war aus den militärischen Abwehrvorbereitungen auszusparen. Der Zeitbedarf für Mobilmachung und Aufmarsch war sowohl durch das Armeekommando als auch die Sektion IV zu erarbeiten und dem Generaltruppeninspektor bis Ende 1982 vorzulegen. Weiters wurden die Bearbeitung des Operationsfalls »A«/Durchmarsch eingestellt und der Operationsfall »Warschauer Pakt« außer Kraft gesetzt. Die Operationsfälle »D« und »C« waren erst nach Bearbeitung des Operationsfalles »A« auf Korpskommando- und Militärkommandoebene zur Genehmigung vorzulegen. Der »operativen Weisung Nr. 2« war auch ein Prioritätenkatalog beigeschlossen : vorrangiger Ausbau des Abwehrsystems Donau ; Aufbau von leichten Landwehrbataillonen nur dort, wo auch Grenzüberwachung durchzuführen ist. Dadurch frei

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werdende Aufstellungskapazitäten sollten zur »Befüllung« der Schlüsselzonen 35 und 41 vorgesehen werden ; Ausbau von Festen Anlagen und Aufstellung von Sperrtruppen nur in den oben angeführten Schlüsselzonen. Zur Schwergewichtsbildung in den Schlüsselzonen 35 und 41 mussten neben der Masse der BT und der Jägerbrigaden der mobilen Landwehr auch raumgebundene Landwehr-Kräfte aus anderen Bundesländern zum Einsatz gebracht werden (Landwehrbataillon 533 in der Schlüsselzone 33, Landwehrbataillon 721 in der Schlüsselzone 35, Landwehrbataillone 711, 712, 731 in der Schlüsselzone 41). Zur Verteidigung des Basisraumes verblieben somit nur geringe Kräfte. Mit den vorhandenen Jagdkampfkräften konnten nur Teile der Raumsicherungszonen abgedeckt werden. Die Zusammenarbeit zwischen Jagdkampfkräften in Raumsicherungszonen und verteidigenden Kräften in Schlüsselzonen – wie es die Raumverteidigung vorsah – war somit nicht gegeben. Auch der Ausschöpfung der »Raumkenntnis« wurde keine Bedeutung beigemessen. Nach Erlassung der »operativen Weisung Nr. 2« und aufgrund der Planungsunterlagen des Armeekommandos sowie des »Raumverteidigungs-Einsatzkonzeptes 83« wurde am 9. Mai 1983 die Bearbeitung des Operationsfalles »A« wiederaufgenommen.11 Doch die Bearbeitung der grundsätzlichen Planung, die Erlassung der Detailbefehle zur »operativen Weisung Nr. 1« sowie die diversen Anpassungen durch die operative Weisung Nr. 2 und die Umsetzung derselben im Armeebefehl Nr. 1 zum Operationsfall »A« kam mit einer Verspätung von mehr als einem Jahr zum Abschluss. Mittlerweile waren alle konzeptiven Ausarbeitungen bis ins Detail vorgenommen worden, doch die geringen Mittel und Kräfte setzten auf der anderen Seite der Durchführung enge Grenzen. Folglich ergaben sich grundlegende Änderungen gegenüber den Vorgaben der Raumverteidigungsplanung aus den Generalstabsreisen der Jahre 1978 und 1982. Ergebnis der Generalstabsreise 1978 :

11 BMLV AK, Zl. 106 -strgeh/3.3/83 operative Planungen – Operationsfall »A« Wiederaufnahme der Operationsfall-Ausarbeitungen vom 9. Mai 1983.

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Quelle : BMLV AK, Zl. 278 – Geh/3.3/78 vom 14 .6. 1978

Zoneneinteilung, wie sie in der grundlegenden Operationsweisung Nr. 1 vorgesehen war :

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Die Abgrenzungen der Zonen und Räume folgen in der Masse verwaltungspolitischen Grenzen und nicht militärischen Überlegungen. Der Kräfteeinsatz entspricht bei Weitem nicht mehr den ermittelten Zielvorstellungen (Ergebnis der »wertfreien« Zonenerkundung 1978). Darin ist auch das Unverständnis der Truppe für die Anordnungen der Operationsweisung Nr. 1 und des Armeebefehls Nr. 1 zu suchen. In den Hauptoperationslinien des Aggressors lagen bis zu vier Schlüsselzonen, die jeweils von davor und dahinter liegenden Raumsicherungszonen ergänzt wurden. Es sollte einfache Führungslinien und Grenzen geben. Als Kräftebedarf für eine gleichmäßige Abdeckung aller Zonen wurde ermittelt : raumgebundene Landwehr rund 340 000 Mann ; mobile Landwehr rund 70 000 Mann ; mechanisierte Kräfte rund 30 000 Mann – zusammen rund 440 000 Mann.

Die Durchführungsphase Das Abwehrdispositiv war genehmigt, nun galt es, zügig und unter Einbindung der Sektion IV (Heeresversorgung) die Detailplanungen zu erledigen. Anstelle einer raschen Abwicklung brachen aber immer wieder Auffassungsunterschiede zwischen dem Generaltruppeninspektorat, dem Armeekommando mit den höchsten unterstehenden Kommandanten sowie der Sektion IV auf. Die Problematik war vielschichtig und der Planungs- und Durchführungsablauf so unübersichtlich, dass es angezeigt ist, eine geraffte Chronologie zu geben. Am 4. Februar 1983 erfolgte die Vorlage des durch das Armeekommando fertiggestellten Raumverteidigungs-Einsatzkonzeptes. Darin wurden die endgültige Zoneneinteilung, Schlüsselzonen, Raumsicherungszonen und die Teilzonen des Zentralraumes sowie die jeweiligen Aufgabenzuordnungen festgelegt. Kernpunkt war der ermittelte Kräftebedarf, der auf die tatsächlich vorhandenen Realisierungsmöglichkeiten keinesfalls »wertfrei« einging. Der Bedarf an Kräften für die Verteidigung des Basisraumes wurde nicht erfasst. Im Bezug auf den weiteren Heeresausbau wurde festgelegt, dass der Auftrag mit den Kräften der Ausbaustufe, den raumgebundenen Landwehrkräften also, nicht verwirklicht werden konnte und die Bildung von verlegbaren Landwehrbrigaden angedacht werden müsse. Im gleichen Monat wurde das Raumverteidigungs-Einsatzkonzept der Korpskommanden, des Kommandos der Panzergrenadierdivision und der Militärkommanden als Vorgabe für die konkrete Operationsfall-Bearbeitung übermittelt. Darin war u.a. die nachhaltige Verteidigung des Zentral- bzw. Basisraumes enthalten.12

12 BMLV AK, Zl. 102-strgeh/3.3/83, 28. 2. 1983.

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Weiters wurde festgestellt, dass die Masse der Schlüsselzonen nur durch Zuführung verlegbarer Landwehr-Kräfte (einschließlich Landwehrbataillon und Panzerjägerkompanie/Landwehrregiment) aktiviert bzw. teilaktiviert werden könnte. Dies galt auch für die Raumsicherungszonen, in denen in den Schlüsselräumen bzw. Sperrstellungen verteidigt werden sollte. Raumsicherungszonen, in denen vorwiegend Jagdkampf geführt werden sollte, waren grundsätzlich keine zusätzlichen Kräfte zuzuführen. Am 22. April 198313 wurde vom Armeekommando die grundlegende Weisung für die weitere, auf dem Raumverteidigungskonzept aufbauende Operationsfall-Bearbeitung erlassen. In dieser Weisung waren das Verfügungsrecht, die Bedrohungsanalyse, der Einsatzbefehl, der Waffengebrauch sowie die operativen und logistischen Vorbereitungen enthalten. Am 28. April 1983 wurden die Richtlinien für die Ausarbeitung der Operationsfälle verfügt.14 Schließlich wurde am 29. Mai mit dem nunmehr genehmigten Armeebefehl die Planungsphase abgeschlossen und die Durchführungsphase eingeleitet.15 Die »Richtlinien für die Ausarbeitung von Operationsfällen« waren umfangreich, wiesen einen hohen Detaillierungsgrad auf und umfassten den militärischen Bereich bis auf die taktische Ebene des kleinen Verbands sowie die Erfordernisse der Bereitstellung von Liegenschaften, Eisenbahntransportkapazitäten, Baumaschinen, Bauvorhaben (FAn), sowie die Erfassung zeitlicher Abläufe hinsichtlich Alarmierung, Mobilmachung, Aufmarsch und die Herstellung der Abwehrbereitschaft. Für die gesamtheitliche taktische Planung war die Fertigstellung bis 30. Mai 1984 gefordert worden. Der wesentliche Grund für die dann eintretenden Verzögerungen bei der Ausarbeitung und das Hinausschieben der Vorlagen lag in einer heftigen Meinungsverschiedenheit über den Operationsfall »A«, wobei sich das Generaltruppeninspektorat, das Armeekommando mit den höchsten Kommandanten der Truppe sowie die Sektion IV nicht auf eine gemeinsame Auffassung einigen konnten. Dies drückte sich in zahlreichen Memoranden, Denkschriften, Studien und Einwänden aus. Dazu gehörten : ein Memorandum des Kommandanten des Korps I, General Alexius Battyan, für den Generaltruppeninspektor mit einer massiven Kritik an der bisher erfolgten Operationsfall-Bearbeitung. Ferner ein Brief des Kommandanten des Korps I, General Battyan, an den Armeekommandanten vom 2. März 1984 mit dem Ersuchen um persönliche Vorsprache zu grundsätzlichen Fragen des Operationsfalles. (Wesentliche Punkte waren, dass die Aufträge nicht zufriedenstellend lösbar wären, die Feindbeurteilung fehlerhaft sei und die Problematik von Führungsstruktur und Führungsgrenzen aufgezeigt wurde. Ferner Mangel an Panzer- und Fliegerabwehr, 13 BMLV AK, Zl. 104-strgeh/3.3/83, 9. 5. 1983. 14 BMLV AK, Zl. 2649-geh/3.3/83, 28. 4. 1983. 15 BMLV AK, Zl. 106-strgeh/3.3/83, 29. 5. 1983.

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die Problematik der unzureichenden Sanitätsversorgung, und die Art, wie mit einer »Übungseinlage« Wien zur offenen Stadt erklärt wurde). Es folgte eine Denkschrift des Chefs des Stabes des Armeekommandos, Divisionär Fortunat, an Bundesminister Frischenschlager, vom 27. Dezember 1984. (Wesentliche Feststellungen daraus : Aufzeigen der Infragestellung des Milizsystems und des Konzeptes der Raumverteidigung. Betonung der Wichtigkeit des Milizsystems und der Raumverteidigung, Hinweis auf die hohe Akzeptanz bei Bevölkerung und Militär. Einwände gegen das Verwässern der Raumverteidigung. Aufträge in der Operations-Weisung Nr. 1, die mit den vorhandenen Kräften nicht erfüllt werden könnten. Hinweis auf die Bedeutung des Erhalts eines großen Teiles des Staatsgebietes. – Der Bundesminister antwortete darauf eher nichtssagend. Auf den Kern der Denkschrift wurde nicht eingegangen.) Als »Einstand« für den neuen Armeekommandanten, General Hannes Philipp, wurden im Jänner 1985 sowohl vom Kommandanten des Korps I als auch vom Kommandanten des Korps II umfangreiche Studien vorgelegt, in denen als Kernaussage auf die Nichterfüllbarkeit der unter den gegebenen Umständen ergangenen Aufträge und auf den geringen bis nicht mehr existenten Handlungsspielraum eingegangen wurde. Kritik wurde auch an der Tatsache geübt, dass es keine militärstrategische Weisung gab, die dafür zuständige oberste Führungsebene aber bis in die taktischen Bereiche hinein befahl. Im Jänner 1985 erfolgte eine Weisung von Minister Frischenschlager an den Armeekommandanten. Es ging um die Beseitigung der Doppelgleisigkeit zwischen Generaltruppeninspektorat und Sektion III/Armeekommando, vor allen in »grundsätzlichen« und »konkreten« Bereichen von Operation, Organisation, Mobilmachung und Ausbildung. In direkten Gesprächen des Generaltruppeninspektors mit dem Armeekommandanten kam es zu einer klaren Trennung zwischen den militärstrategischen Belangen, die in die Zuständigkeit des Generaltruppeninspektorats fielen, und jenen der Sektion III/Armeekommando, die vor allem die Aufgaben der operativen Führung umfassten. Der betreffende Akt wurde einvernehmlich von den Generälen Scharff und Philipp abgezeichnet und vom Minister angeordnet. Diese Anordnung kam aber nie zur Ausführung. Abteilungsleiter und Gruppenleiter des Generaltruppeninspektorats erhoben mit Hinweis auf ihre Zeichnungsberechtigung »für den Bundesminister« Einspruch. Auf Vorschlag des Chefs des Kabinetts des Ministers wurde der Vorgang dem Rechnungshof zur Prüfung übergeben, wo er über die Amtszeit von vier Bundesministern ( !) hinweg ohne Ergebnis verblieb. Nachdem der neue Armeekommandant von den Kommandanten der Korps und vom Chef des Stabes des Armeekommandos schriftlich und mündlich über ihre großen Vorbehalte über die Richtigkeit der Operationsfall-Bearbeitung sowie über die Unmöglichkeit der Erfüllung der an sie ergangenen Aufträge informiert worden war, referierte er darüber Minister Frischenschlager.

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Der Operationsfall »A«

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Kernpunkte waren die in der operativen Weisung Nr. 1 vorgegebene »Aufgabenstellung im Operationsfall ›A‹ – Gesamtbedrohung« sowie die vorgegebenen möglichen Angriffsvarianten. Diese waren zwischen 1980 und 1983 vom Armeekommando zwar stets beeinsprucht worden, waren aber dennoch als Grundlage für die Durchführungsbefehle genommen worden. Vor allem die angenommene feindliche Angriffsführung stieß von Anfang an auf Skepsis bei den höchsten Kommandanten der Armee. Dabei wurden die vorrangige Bedeutung des Mühlviertels und die nachrangige bis zu negierende Bedrohung des Raumes südlich des Semmerings angezweifelt. Auch die Vorgabe des Begriffs des strategischen »Abhaltens als Auftrag bis auf die taktische Ebene« (anstelle von halten, verhindern, verzögern, verwehren, verteidigen) wurde hinterfragt. Der Generaltruppeninspektor beließ es jedoch dabei. Die Grundsatzfragen, besonders die Vorgaben zum Abwehrdispositiv, waren Gegenstand einer weiteren Besprechung am 10. Juni 1985 an der Theresianischen Militärakademie in Wiener Neustadt. In einem Memorandum des Armeekommandanten an den Generaltruppeninspektor wurde vorgeschlagen, die für die Verteidigung des Basisraums fehlenden Kräfte aus den Schlüsselzonen 35 und 41 zu nehmen. Der Generaltruppeninspektor lehnte jedoch auch diese Änderung des Dispositivs ab. Schließlich sollte am 6. August 1985 ein Einvernehmen im Beisein des Ministers hergestellt werden. Bei dieser Besprechung wurde vom Heeres-Nachrichtenamt eine »aktualisierte« Feindbedrohung vorgetragen und dabei erklärt, dass die Vorgaben der bis dahin gültigen Feindlagebeurteilung in den operativen Weisungen 1 und 2 nicht mehr den aktuellen Kenntnissen entsprächen. Diese aktualisierte Feindbedrohung stellte ein geändertes Feindverhalten dar.16 Es galt also, den Operationsfall neu zu bearbeiten. Am 10. Oktober 1986 kam es zu einem weiteren Arbeitsgespräch an der Theresianischen Militärakademie zwischen dem Generaltruppeninspektor und dem Armeekommandanten in der Anwesenheit des neuen Verteidigungsministers, Helmut Krünes, bei dem der Armeekommandant einen umfassenden Lagebericht gab. Das dabei gezeichnete strategische Szenario benannte folgende Eckpunkte : Im Rahmen einer militärischen Auseinandersetzung zwischen NATO und Warschauer Pakt, deren politisches Ziel für die Sowjetunion ein Westeuropa ohne die USA ist, kommt es zu einer Gesamtbedrohung Österreichs. Das Schwergewicht dieses Konflikts ist in Mittel- und Westeuropa zu erwarten. Bestimmend ist hierfür die strategische Richtung West mit Zielen an der Kanalküste und den Atlantikhäfen in Frankreich. Diese Operation wird mit den besten sowjetischen Stoßverbänden aus dem Raum DDR und ČSSR geführt. In einer Analyse des mitteleuropäischen Raumes wurde auf die Bedeutung des Donautals als Operationslinie hingewiesen und die Länge der Grenze Österreichs zum Warschauer Pakt angesprochen. Diese stellte sich als genauso lang wie der Ab16 BMLV HNA, Zl. 003-strgeh/Ausw/85, 12. 9. 1985.

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Quelle : Vortragsunterlage Hannes Philipp

schnitt dar, den CENTAG gegenüber dem Warschauer Pakt zu verteidigen hatte, würde jedoch ungleich schwächer verteidigt werden.

Die Situation Österreichs Zur Abdeckung von Flanke und Rücken eines raschen Stoßes diente ein Ansatz von Kräften in der strategischen Richtung Südwest. Diese Operation würde aus der ČSSR und wahrscheinlich Ungarn über den Süden der BRD in Richtung Rheinübergänge geführt werden. Dabei ist die Einbeziehung österreichischen Territoriums mittels eines Stoßes durch das Donautal sehr wahrscheinlich, weil dadurch die Vernichtung (Einschließung) des im süddeutschen Raum führenden II. (GE) Korps mit einem tiefen Flankenstoß (südliche Zange) herbeigeführt werden kann. Die Heranführung des II. (FR) Korps aus der Tiefe in den Großraum München bei geringer oder fehlender Gegenwehr im österreichischen Donautal könnte zeitlich unterlaufen werden und das Vorrücken der französischen Kräfte vom Rhein daher unterbleiben.

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Das operative Ziel eines Vorstoßes des Warschauer Pakts liege nicht in Österreich, sondern im süddeutschen Raum, wahrscheinlich am Rhein. Ein zeitlich vorgestaffelter Angriff über Österreich würde neben der Überraschung im Wettlauf um die Zeit (Mobilmachung der NATO-Kräfte) schon in der Anfangsphase (vor dem eigentlichen Kriegsbeginn) entscheidende Erfolge erbringen.

Quelle : Vortragsunterlage Hannes Philipp

Die nachrangige Nebenbedrohung durch einen Stoß aus dem westungarischen Raum in die strategische Richtung Südwest nach Oberitalien und die mögliche Öffnung der Nord-Süd-Verbindung über Tirol durch die NATO wurden vom Armeekommandanten ebenfalls dargestellt. »Ein Begleitstoß zur Absicherung des Angriffes durch das Donautal und eine zumindest vorübergehende, teilweise Besetzung des Semmerings, des südlichen Burgenlandes und der Oststeiermark wird als denkbar erachtet.«

Raum/Zeit/Kräfte-Kalkül Für die Operation im Donautal wurden wieder drei Phasen angenommen :

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Hannes Philipp

Phase 1 : Annäherung an das erste wesentliche Hindernis, die Donau, mit den Schlüsselzonen 33 und 41 sowie den Wienerwald mit den Schlüsselzonen 21 und 34, wofür ein halber bis maximal ein Tag benötigt würde. Phase 2 : Durchstoßen der im Schwergewicht liegenden Schlüsselzonen 35 und 42 innerhalb von vier Tagen. Inbesitznahme der Inn-Übergänge und Absicherung des Operationsraumes gegen Süden. Phase 3 : Unmittelbar hinter der durch das Weinviertel und das Donautal angreifenden 1. strategischen Staffel würde die 2. strategische Staffel (eine aus dem MB Karpaten herangeführte Armee mit drei bis vier Divisionen) verzugslos nachgeführt werden, um ein bis zwei Tage nach dem Durchstoßen des Donautals im süddeutschen Raum operativ wirksam zu werden.

Quelle : Vortragsunterlage Hannes Philipp

Nebenbedrohung Da der Alpenhauptkamm nach Warschauer-Pakt-Nomenklatur den Schauplatz von Kriegshandlungen Mittel-/Westeuropa vom Schauplatz von Kriegshandlungen Südeuropa trennt, wäre Letzterem auch ein Stoß aus dem südwestungarischen Raum in die strategische Richtung Oberitalien zuzuordnen. Ein solcher Stoß könnte sowohl

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Der Operationsfall »A«

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über Jugoslawien als auch über Südostösterreich (Steiermark und Kärnten) geführt werden. Unabhängig von der militärstrategischen Haltung Jugoslawiens im Falle eines Warschauer-Pakt-NATO-Konfliktes erschien ein solcher Ansatz allein aufgrund der nachhaltigen NATO-Verteidigungsmöglichkeiten im italienisch-jugoslawischen Grenzraum allerdings wenig wahrscheinlich. Ein operativ wirksames Vorgehen des Warschauer Pakts über Südostösterreich wurde daher zunächst ausgeschlossen. Ein Begleitstoß zur Absicherung des Stoßes durch das Donautal und die zumindest vorübergehende, teilweise Besetzung der Steiermark und des Burgenlands wurden hingegen als denkbar angenommen. Nicht ausgeschlossen werden sollte auch, dass Jugoslawien die Chance wahrnahm, alte Gebietsforderungen wiederaufleben zu lassen, und ihnen mit militärischen Mitteln Nachdruck verlieh. Die Herstellung einer Verbindung zwischen NATO-Mitte und NATO-Süd über Nordtirol, präventiv oder einem Warschauer-Pakt-Angriff zeitlich nachgestaffelt, wurde auch in diesem Szenario erwähnt.

Optionen des Warschauer Pakts zur Wegnahme des Restes von Österreich Phase 1 : Wie bereits erwähnt, bedurfte es für die ungehinderte und verzugslose Nachführung der 2. strategischen Staffel der Sicherung des Operationsraumes und der Flanke. Die operative Flankensicherung – so die Annahme – würde vermutlich mit ein bis zwei nachgeführten Divisionen der 1. strategischen Staffel erfolgen, die nach Inbesitznahme der Angriffsziele zumindest vorübergehend zur Verteidigung übergehen konnten, um eine Flankenbedrohung aus dem Zentralraum bzw. Basisraum heraus zu verhindern. Vom Zeitablauf betrachtet waren für den Aufbau der Flankendeckung ein bis zwei Tage nach dem Angriff der 1. operativen Staffel (Angriffsspitze) anzunehmen. Phase 2 : Im Zuge der weiteren Eskalation der Pakt-Auseinandersetzungen war dann eine Operation aus dem südwestungarischen Raum über Südostösterreich (Grazer Bucht, Klagenfurter Becken) Richtung Oberitalien denkbar, wenngleich das als nicht aktuell gesehen wurde. Phase 3 : Während bei einer ausschließlichen Operation im Donautal die Inbesitznahme des inneralpinen Raumes (Zentralraum) nicht unbedingt erforderlich erschien, war bei einer Einbeziehung des Südostens von Österreich die Besetzung des gesamten Gebiets bis zur Linie Salzburg–Villach nicht auszuschließen. Es erschien sogar unwahrscheinlich, dass der Zentralraum, wie ein vorragender Balkon, unangetastet bleiben konnte.

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Quelle : Vortragsunterlage Hannes Philipp

Zeitlicher Ablauf im Gesamtszenario Man rechnete allgemein damit, dass die ersten Anzeichen für einen Angriff des Warschauer Pakts gegen die NATO sechs bis sieben Tage vor dem Angriff erkennbar sein würden. Dieser Zeitraum musste der NATO genügen, um ihr Verteidigungsdispositiv in der Bundesrepublik Deutschland zu beziehen. Der springende Punkt für Österreich war das II. (FR) Korps, das aus der Tiefe in den süddeutschen Raum herangeführt werden musste und dazu zwei bis drei Tage länger als die zur Vorneverteidigung eingesetzten Verbände benötigte. Der eigentliche Wert für die Nutzung österreichischen Territoriums durch den Warschauer Pakt konnte also neben dem Stoß in die weiche Flanke des II. (GE) Korps das zeitliche Unterlaufen des II. (FR) Korps sein, um damit den Weg zum Rhein frei zu haben. Um dies zu erreichen, hätte der Warschauer Pakt einen vorgestaffelten Angriff (ein bis zwei Tage) über Österreich führen können. Das hieß : Österreich musste beim ersten Anzeichen einer Warschauer-Pakt-Aggression mobilmachen. Dies bedeutete auch, dass die Mobilmachung noch während der politischen Vorwarnzeit ausgelöst

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Diese Zeitleisten beruhen auf der Annahme, dass die NATO (und Österreich) erste Anzeichen einer Aggression des Warschauer Pakts 6 bis 7 Tage vor dem Angriff erkennt. Realistisch sind 4 Tage, wobei der Angriffsbeginn 28 Stunden vorher erkennbar sein wird. Quelle : Vortragsunterlage Hannes Philipp (Schreibfehler : Maskirowka).

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werden musste. Der erforderliche Zeitraum für Mobilmachung, Aufmarsch und das Herstellen einer ersten Abwehrbereitschaft betrug sechs Tage und konnte nicht wesentlich unterboten werden. Dem Operationsfall »A« wurde die Annahme einer rechtzeitigen Mobilmachung zugrunde gelegt. Angesichts des markanten Beispiels von 1968 wurden jedoch Zweifel an der Bereitschaft zur Herbeiführung eines solchen politischen Entschlusses geäußert. War die Bereitschaft zu einer früheren Mobilmachung nicht gegeben, lief Österreich Gefahr, einem Atomwaffeneinsatz der NATO auf eingedrungene WarschauerPakt-Kräfte ausgesetzt zu sein. In der grundsätzlichen »operativen Weisung Nr. 1« wurde keine Beurteilung bzw. Auswertung der politisch-strategischen Ziele eines Aggressors vorgegeben. Die Analyse wurde eigentlich nur auf die Größen Raum und Kraft, nicht aber auf den Faktor Zeit bezogen. Die Annahme von zeitlichen Gegebenheiten, wie politische und militärische Vorwarnzeit und Antrittszeit in Bezug auf den Aggressor, sowie die Zeitannahme für die eigene Mobilmachung, Aufmarsch und Herstellung der Abmarschbereitschaft entsprachen mehr einem Wunschdenken als einer analytischen Ableitung. Die »Ausgangslage« des zeitlichen Geschehens in der »operativen Weisung Nr. 1« ließ den Schluss zu, dass die eigenen Kräfte mobilgemacht seien und der Versorgungsaufmarsch abgeschlossen wäre. Dem Armeekommando schien es daher erforderlich, den Faktor Zeit einer Analyse zu unterziehen. Hier hieß es : »Gelingt es dem Warschauer Pakt, durch Maßnahmen der Maskirowka (Überraschung, Tarnung und Täuschung) die Vorwarnzeiten kurz zu halten, wobei die Annahme von sechs Tagen in der operativen Weisung sehr optimistisch gehalten ist, dann kommen die Kräfte der NATO bei der Herstellung der Abwehrbereitschaft in zeitliche Bedrängnis.« Wenn man die Zeitleiste Warschauer Pakt–NATO den Zeiterfordernissen für die Mobilmachung, den Aufmarsch und das Herstellen der Abwehrbereitschaft des österreichischen Bundesheers gegenüberstellt, dann stellt sich die Situation als nur schwer bewältigbar dar. Dasselbe gilt für den Versorgungsaufmarsch. Die Problematik des Faktors Zeit war daher klar zu erkennen.

Der Versorgungsaufmarsch Im Zeitaufwand für den Versorgungsaufmarsch und den daran anschließenden Zuschub der Munition an die Truppe lag ein weiteres zeitliches Problem, das die Auftragserfüllung infrage stellte. De facto müssen die Maßnahmen für den Versorgungsaufmarsch, für den 16 Tage erforderlich waren, vor der Mobilmachung der Truppe erfolgen. Um dem zu begegnen, war eine Verkürzung des Zeitbedarfes auf zwölf

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Der Operationsfall »A«

Tage vorgesehen, wobei ein sechs Tage währender Versorgungsauftrag inkludiert war. Als Zielvorstellung wurde eine zeitliche Anpassung des Versorgungsaufmarsches mit der zeitlichen Mobilmachung der Truppe angestrebt. Nur bei einer Auslagerung der Munitionserstausstattung zu den Bedarfsträgern konnte die Zielvorstellung eines Zeitbedarfes von sechs Tagen für den Versorgungsaufmarsch erreicht werden. Ein besonderes Problem stellte dabei die Munitionsausstattung dar. Die Munitionsreichweite setzte sich aus der Munitionserstausstattung (drei Tage Kampftagsverbrauch) und der Anschlussversorgung, die für zwölf Kampftage geplant war, zusammen. Es war eine traurige Wahrheit, dass bei vielen wesentlichen Munitionssorten nicht einmal die Erstausstattung für drei Kampftage abgedeckt war. Für eine Beschaffung von Munition im angrenzenden Ausland wurden keine Vorkehrungen getroffen. Die Bevorratungsziele (gemäß Einsatzkonzept) lauteten hingegen unverändert : Munition Bevorratungsziel

12 KTV

Zwischenziel

7 KTV

KTV = Kampftagsverbrauch

Die Führungsstruktur war mit Minister, Leitungsstab, dem Armeekommando und den für die drei Führungsbereiche zuständigen Kommanden jedenfalls gegeben.

Quelle : Vortragsunterlage Hannes Philipp

Mithilfe dieser Führungselemente sollte der Einsatz der eigenen Kräfte gesteuert werden.

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Einsatz der eigenen Kräfte

Quelle : Vortragsunterlage Hannes Philipp

Organisationsstruktur der Zwischenstufe Auch Kräfte und Mittel ließen sich in einem Organigramm darstellen. 1 Armeekommando 2 Korpskommanden 2 Divisionskommanden 8 Militärkommanden

Armee- und Korpstruppen

Brig

Rgt

StbB

klVerb.

StbKp

Einh

FAmb

-

5

1

16

26

71

-

PzGrenDiv

3

-

3

14

18

70

3

mbl LW (JgBrig)

8

-

8

35

43

153

8

rgb LW (LWR)

-

24

-

42

66

320

-

FlDiv

-

4

1

15

5

37

-

Terr Org

-

28

8

1

10

182

-

HVers

-

-

-

3

3

36

-

Quelle : Vortragsunterlage Hannes Philipp

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Was in dem Organigramm nicht zum Ausdruck kam, war das bezifferbare Fehl, das 20 800 Mann betrug, die hauptsächlich bei der raumgebundenen Landwehr sowie bei den Führungs-, Unterstützungs- und Versorgungselementen abgingen. Nicht zuletzt bei der Sanität gab es ein eklatantes Fehl. Auch das materielle Fehl war bezifferbar. Es lag zwischen 10 und 70 %, wobei die Mannesausrüstung zu 95 % vorhanden war, die Munitionsausstattung (drei Kampftage) unterschiedlich, doch bis zu 80 % vorhanden war. Beim schweren Gerät betrug das Fehl 50 bis 60 %, während bei der Sanitätserstausstattung 70 % fehlten. Der Armeekommandant wies am Ende seines Lagevortrags auf das Problem der Nichterfüllbarkeit des vom Armeekommando so verstandenen Doppelauftrags hin und forderte eine neue militärstrategische Weisung, die explizit auf die Bedrohungsmöglichkeiten und die eigenen Kräfte und Mittel abgestimmt sein sollte. Zudem wären die politischen Entscheidungsträger zu informieren, um ein breiteres Bewusstsein dafür zu schaffen, dass das Bundesheer die Kluft zwischen Auftrag und Mitteln nicht mehr schließen konnte. Das Ergebnis der Besprechung am 10. Oktober 1986 war eine Ministeranordnung, wonach zwischen Generaltruppeninspektorat und Sektion III/Armeekommando eine militärische Lagebeurteilung einvernehmlich und gemeinsam vorzunehmen sei, und bei der Neuformulierung der militärstrategischen Weisung, vor allem auch im Hinblick auf die Formulierung des Auftrages an die Armee die Sektion III/Armeekommando einzubinden sei. Auch dieser Vorstoß mündete aber letztlich im Nichts. In einem Schreiben vom 16. März 1987 ging das Armeekommando auf die Differenzen mit dem Generaltruppeninspektorat ein und stellte fest, dass sich die Sektion III/Armeekommando außerstande sehe, vor Übermittlung und Einigung auf eine gemeinsame aktualisierte Feindlagebeurteilung weiter an der Heeresplanung über die Moborganisation mitzuarbeiten, da die seriösen, gesicherten Grundlagen für einen eigenen Kräftebedarf und einen allfälligen Einsatz nicht verfügbar seien.17 Dasselbe galt für den Mobilmachungsbereich, wo man ohne die Beurteilung realistischer Zeitabläufe für den Fall einer Aggression zu keinen zielführenden Zeitvorgaben für die eigene Mobilmachung kommen könnte. Am 26. Jänner 1987 übermittelte der Armeekommandant dem dritten Bundesminister innerhalb von zwei Jahren, Dr. Robert Lichal, einen Zustandsbericht zur Lage der Armee. In diesem Bericht wurde auch um eine Anhörung der höchsten Kommandanten der Armee durch den Minister gebeten. Die Querelen gingen weiter. Eine Lösung war nicht in Sicht.

17 BMLV AK, Zl. 3570-geh/3.3/87, 16. 3. 1987.

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Resümee der Durchführungsphase Je länger von der »Armee« an der konkreten Umsetzung der grundsätzlichen Weisungen 1 und 2 gearbeitet wurde, desto mehr kam es zu tief greifenden Unterschieden in den grundsätzlichen Auffassungen hinsichtlich der Durchführung. Die Armee vermisste klare Vorgaben. Zwei in der Diktion ähnlich formulierte Aufträge hinsichtlich Abhaltung im Donauraum und Verteidigung im Basisraum wurden verschieden ausgelegt und keine klare Entscheidung getroffen, was die Prioritäten anlangte. Durch die bindende Vorgabe von Konzepten, gültig bis auf die taktische Ebene, war der Handlungsspielraum für Entschlussfassung und Durchführung auf allen Ebenen sehr eng. Die Bedrohungsanalyse auf militärstrategischer Ebene entsprach nach Ansicht der Armee nicht den Gegebenheiten und war weit optimistischer, als sie sich in der Realität darstellte. Dies drückt sich vor allen in den angenommenen Zeitleisten aus, die mehr einem Wunschdenken als der Realität entsprachen. Die politischen Zwänge beim Einsatz der eigenen Kräfte, wie sie sich bei Mobilmachung, Aufmarsch, Herstellen der Abwehrbereitschaft und Durchführung des Versorgungsaufmarsches ergaben, wurden nach Auffassung der »Armee« nicht ausreichend zur Kenntnis genommen. Die Wahrscheinlichkeit, dass die eigene Mobilmachung, vor allem aber der Versorgungsaufmarsch und die Herstellung der Abwehrbereitschaft durch die Möglichkeiten eines Aggressors (Warschauer Pakt), die Grenze schon nach zwei, längstens jedoch vier Tagen angriffsweise zu überschreiten, ins Hintertreffen gerieten, war groß. Auch das Ausmaß der vorhandenen Kräfte und der logistischen Mittel stand nicht im Einklang zum Auftrag und stellte die Durchführung infrage. Dies war nicht nur die Ansicht des Armeekommandanten und seines Stabes, sondern auch die der höchsten Kommandanten der Armee. Auf diesen Gegebenheiten aufbauend forderte die Sektion III/Armeekommando eine »neue« strategische Weisung. Dies hätte zumindest der gültigen Führungslehre entsprochen. Die Koordinierung der Heereslogistik sowie die Beurteilung der Versorgbarkeit der Operation waren wiederum Aufgabe der militärstrategischen Ebene. Mit der Versorgbarkeit steht und fällt jegliche operative Planung. Den Forderungen der hohen Kommandanten standen zunächst die jeweiligen Bundesminister sowie das Generaltruppeninspektorat ablehnend gegenüber. Vollends ab 1985 wurde aber von allen Beteiligten erkannt, dass eine Weiterbearbeitung des Operationsfalles »A« auf den bestehenden Grundlagen nicht zielführend war. Aber auch die bis dahin »sakrosankten« Vorgaben aus dem Raumverteidigungsplan und die daraus abgeleiteten Vorgaben zum Heeresausbau in Richtung Ausbaustufe waren den Gegebenheiten und vor allem der Budgetentwicklung anzupassen.

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Das Problem lag auch darin, dass sowohl in der »grundlegenden Operations-Weisung Nr. 1«, als auch in der Vorschrift »Die Raumverteidigung – Ziele und Grundsätze der militärischen Komponente« sowie im Einsatzkonzept immer und mit fast gleichem Wortlaut ein Auftrag zur Hinderungspflicht eines Neutralen durch Behauptung der Räume, die für die Erreichung der operativen Ziele des Angreifers von entscheidender Bedeutung sind, und die Notwendigkeit der Behauptung (Verteidigung) eines möglichst großen Teiles des Bundesgebietes zur Erhaltung der Republik als handlungsfähiges Völkerrechtssubjekt genannt wurden. Im Landesverteidigungsplan und in der Verteidigungsdoktrin findet man inhaltlich den gleichen Wortlaut. Die Armee hat daher auch aus den »grundlegenden Operations-Weisungen Nr. 1 und 2« in Inhalt und Diktion gleichwertige Aufträge entnommen. Im Generaltruppeninspektorat las man aus den gleichen Unterlagen einen »Hauptauftrag« (Schwergewicht im Donautal) sowie einen zweitrangigen, daher auch nur mit schwachen Kräften auszustattenden »Nebenauftrag« heraus. Eine Klarstellung von politischer Seite zur Operations-Weisung durch Nennung eines Haupt- und eines Nebenauftrages wurde abgelehnt. Jeglicher Versuch, eine Klärung auf Ministerebene zu erreichen, wurde von drei Bundesministern, einem Bundeskanzler und einem Bundespräsidenten abgeblockt. Die politische Entscheidung hatte zu sein : entweder Hinderungspflicht oder Verteidigung des österreichischen Staatsgebietes. Für beide Aufträge reichen Kräfte und Mittel nicht aus. Doch es gab keine Entscheidung, sondern nur Interessensbekundungen. Der Versuch, die Verteidigung des Basisraumes als Primärziel zu begreifen, wurde polemisch als Abkehr von der Raumverteidigung und Rückkehr zum »Reduit-Denken« dargestellt. Auch mit Räumung von großen zivilen Bevölkerungszentren durch eine bloße Verteidigung des Basisraumes wurde argumentiert. Dass bei dem bestehenden Dispositiv mit schwergewichtsmäßigem Einsatz im Donautal die dort befindlichen Bevölkerungszentren ebenfalls aufgegeben worden wären, wurde nie zur Kenntnis genommen. 1987 sollte sich das fast schlagartig ändern. Während einer Grundsatzbesprechung zum Operationsfall »A« und über die weitere Vorgangsweise wurde durch den Generaltruppeninspektor erklärt, dass es in der Operationsfall-Bearbeitung eine »starke Gängelung« der Armee und Truppe gab. Das aktuelle Bedrohungsbild wurde akzeptiert und das Problem der Zeitzwänge hinsichtlich Mobilmachung und Versorgungsaufmarsch zur Kenntnis genommen. Dass die Sektion IV weder zur Beurteilung der Versorgungslage noch zur Ausarbeitung einer BAV/Heer herangezogen worden war, wurde ebenso festgestellt. Daher wurde eine neue militärstrategische Weisung in Aussicht gestellt, bei der Sektion III/Armeekommando und Sektion IV stärker eingebunden werden sollten. Am 27. September 1989 wurde zwischen dem Generaltruppeninspektor und dem Armeekommandanten einvernehmlich festgelegt, dass im Falle von Meinungsunter-

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schieden der Armeekommandant zum Vortrag des Generaltruppeninspektors beim Minister beigezogen werden und eine Zurückweisung von Vorlagen ohne Aussprache ausgeschlossen sein sollte. Lange hatte es gebraucht, doch bei der Erarbeitung der »militärstrategischen Weisung Nr. 1« zum Operationsfall »G«(esamtbedrohung) im Jahr 1989 gab es fast ungewohnten Einklang. An Grundprobleme ließ sich freilich nicht rühren. Der Finanzierungsbedarf des Bevorratungszieles (ohne Rüstungsneubeschaffung und Modernisierung) betrug 1981 13,5 Milliarden Schilling ; der Bedarf für die Erreichung des Zwischenziels 1986 ca. sechs Milliarden. Die Mittel fanden sich in keinem Budget. Dieses wurde ab Mitte der 1980er-Jahre real sogar immer geringer, und somit vergrößerte sich die Schere zwischen Auftrag und Mitteln immer mehr. Das konnte ein aufmerksamer Beobachter und Auswerter des österreichischen Verteidigungsbudgets klar erkennen und daraus seine Schlüsse ziehen. Bei allen operativen Planungen stieß man daher sehr rasch dann an die Grenzen, wenn man sich mit der materiellen Seite zu beschäftigen begann. Die Heeresversorgung sollte ja auf die geringsten Zeichen einer Aggression mindestens zwei Tage vor der Mobilmachung der Truppe mit der Mobilmachung ihrer Komponenten beginnen. Mit dem Aufmarsch der Armee musste auch der Versorgungsaufmarsch abgeschlossen sein. Die Realität war eine andere. Der Zeitbedarf für die Auslagerung der Munition von den Zielräumen der Österreichischen Bundesbahn (die Munitionsauslagerung erfolgt mittels Bahn) an die Versorgungspunkte der Schlüsselzonen betrug : für die Schlüsselzone 35 acht Tage und für die Schlüsselzone 41 elf Tage. Das war jedoch nur für die Erstausstattung berechnet. Anschließend sollte 30 Tage verteidigt werden, ohne einen gesicherten Nachschub zu haben. Die Diskrepanz war deutlich. Es gab aber noch andere Defizite, z. B. im Bereich der

Geistigen Landesverteidigung und psychologischen Kampfführung Dieser für die Umfassende Landesverteidigung und das Raumverteidigungskonzept so wichtige Bereich wurde in der Realisierung äußerst stiefmütterlich behandelt. Man glaubte, mit Patenschaften, öffentlichen Angelobungen, Seminaren und »Sonntagsreden« bei verschiedenen Anlässen zur Bedeutung der militärischen Landesverteidigung beizutragen, und beließ es weitgehend dabei. Wenn es um die Bewältigung von Problemen im Bereich der militärischen Landesverteidigung wie kostspielige Beschaffungen, Lärmbelästigung, Übungserfordernisse, öffentliche Polemik in Medien und Parteien ging, dann wurde zum wenigsten eine Gegensteuerung versucht. Nur wenige kamen mit vollem Herzen der Aufgabe nach, die Zielsetzung und Aufgaben-

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stellung der Sicherheitspolitik Österreichs und die daraus entstehenden Aufgaben der Bevölkerung klarzumachen. Der Bereitschaft der Staatsbürger, zur Sicherung ihrer Lebensgrundlagen beizutragen und möglichen Bedrohungen entgegenzuwirken, wurde im Alltag wenig Unterstützung zuteil. Beschränkungen auf sich zu nehmen, Belastungen zu ertragen, Verzicht zu leisten und Opfer zu bringen stellte sich nur floskelhaft dar und wurde in der Bedeutung nicht erkannt. »Wir sind ja neutral, und wenn es zum Schlimmsten kommt, werden uns die Amerikaner und die NATO schon helfen« – war die Volksmeinung, und es wurde von politischer Seite auch wenig unternommen, diese Einstellung zu ändern. Auch dem klaren Verständnis der österreichischen Neutralität und der daraus erwachsenden Verpflichtungen wurde in der Öffentlichkeit wenig Bedeutung beigemessen. Ja, sehr oft wurde Neutralität durch Formulierungen wie »es darf keiner gegen uns Krieg führen« ersetzt. Der geringe Schutz der Zivilbevölkerung, der rasche Verlust der großen Städte Wien, Graz und Linz (Salzburg und Innsbruck im weiteren Verlauf) stellten zusätzliche Ansatzpunkte für eine Erpressbarkeit der Bundesregierung dar. Bei Wirksamwerden des Jagdkampfes in schon besetzten Räumen war mit Repressalien des Aggressors gegen die dort lebende Zivilbevölkerung zu rechnen. Eine Unterstützung der Jagdkampfverbände durch die Bevölkerung war unter diesen Umständen mehr als fraglich. Die Kompetenz für die Geistige Landesverteidigung lag beim Bundesministerium für Unterricht. Vielleicht gab es deshalb innerhalb des Verteidigungsministeriums wenige Anstrengungen, die Planung und Konkretisierung der geistig-psychologischen Komponente des Raumverteidigungskonzeptes voranzutreiben. Die Ausarbeitung einer Konzeption für die psychologische Kampfführung unterblieb. In den grundsätzlichen Weisungen auf militärstrategischer Ebene gab es keine »besonderen Anordnungen zur psychologischen Kampfführung«. Es fehlten auch entsprechende Maßnahmenkataloge und besondere Anweisungen oder Befehlsbeiträge für die Truppe. Am 22. Jänner 1982 forderte der für diesen Bereich zuständige G 5 des Armeekommandos vom Generaltruppeninspektorat, dem Presse- und Informationsdienst des Verteidigungsministeriums, der Wehrpolitischen Abteilung und dem Heerespsychologischen Dienst, vergeblich die für die Bearbeitung des Operationsfalles »A« erforderlichen Weisungen. Das totale Auslassen und die Nichtwahrnehmung der Aufgabenbereiche der Umfassenden Landesverteidigung wirkten sich daher zusätzlich negativ auf das Soll der Abhaltung aus. Einbeziehen der politischen Ebene Eine Einbeziehung der politischen Ebene wurde lange Zeit als der militärischen Sache abträglich und schädigend und als Verlagerung der Diskussion in den politischen

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Bereich dargestellt. Dem Armeekommando wurde vorgeworfen, die Problematik der Operationsfall-Bearbeitung in die Öffentlichkeit und auf die politische Ebene zu übertragen. So einfach ließ sich das aber nicht darstellen. 1985 lud Bundeskanzler Fred Sinowatz den Armeekommandanten zu einem Gespräch im Zusammenhang mit der Beschaffung von Abfangjägern und deren Einsatz ein. Dabei ging es auch um den vom Landeshauptmann der Steiermark, Josef Krainer, behaupteten gesundheitsschädigenden Lärm durch die Abfangjäger in Ausbildung und Betrieb. Bei diesem Gespräch schnitt der Armeekommandant auch die Problematik des Doppelauftrages an die Armee an und bat um eine Entscheidung. Sie blieb aus. Nach der Bildung einer neuen Bundesregierung unter Bundeskanzler Franz Vranitzky kam es unter Mithilfe des SPÖ-Wehrsprechers Alois Roppert zu einem Vortrag des Armeekommandanten beim Bundeskanzler unter Anwesenheit des Generaltruppeninspektors, General Othmar Tauschitz. Dabei wurde vom Armeekommandanten der mögliche Ablauf des Operationsfalles »A« in den jeweiligen Phasen einer Aggression dargestellt. Es wurde darauf hingewiesen, dass die Armee zwei Aufträge zu erfüllen hätte, wozu die erforderlichen Kräfte fehlten. Es ging dabei ein weiteres Mal um das Ersuchen, eine klare Entscheidung hinsichtlich der Prioritätensetzung zu fällen, also : Verzögerung eines Durchstoßes in der Erfüllung der Neutralitätspflicht oder Verteidigung Restösterreichs zur Erhaltung des völkerrechtlichen Status. Die Darstellung war gleichlautend mit der Information an die Minister Frischenschlager und Krünes in den Jahren davor. Unmittelbar danach erstattete der Armeekommandant dem Oberbefehlshaber des Bundesheeres, Bundespräsident Kurt Waldheim, ebenfalls einen Vortrag über den Operationsfall »A« und die Problematik der Auftragserteilung. Politische Reaktionen erfolgten keine. Wohl aber wurde geargwöhnt, der Armeekommandant trage militärische Probleme in die Öffentlichkeit. Ohne eigenes Zutun trat die operative Planung für einen Kriegsfall »A« schließlich in ihre letzte Phase.

Der Operationsfall »A« wird Geschichte Der Kalte Krieg ging zu Ende. Die Sowjetunion stand vor dem wirtschaftlichen Zusammenbruch. Mit der Machtübernahme durch Michail Gorbatschow, 1985, begann ein neuer politischer Kurs. Dieser wies auf eine Reduzierung der Streitkräfte und deren Rüstung sowie auf einen neuen Weg der Entspannung und Annäherung hin. Jedoch blieb der Ausgang des eingeschlagenen Kurses schwer voraussagbar. Die Gefahr einer Umkehr auf den harten Kurs war noch immer gegeben. Für das militärische Umfeld des Westens bestanden bis 1989 starke Zweifel an dieser neuen Politik. Es standen noch immer ausreichende und beachtliche Kräfte

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für einen Feldzug gegen Westeuropa und für das kriegerische Herbeiführen eines politischen Umsturzes in Europa zur Verfügung. Doch ab 1990 zeichnete sich das Ende der Offensivfähigkeit des Warschauer Pakts ab. Militärisches Potenzial NATO und SU/Vorfeld, Stand Juli 1990

Quelle : Vortragsunterlage Horst Pleiner, Landesverteidigungsakademie

In Österreich reagierte man auf die Veränderungen der Ost-West-Beziehungen, noch ehe deren Ausgang feststand. Die Bundesregierung beschloss massive Budgeteinsparungen zur Budgetkonsolidierung. Dies brachte bei gleichbleibenden Aufträgen und Beibehalten der strategischen Absicht der Abhaltung massive Kürzungen des Verteidigungsbudgets. Materielle Forderungen – vor allem im Bereich der Versorgungsgüter (Munition) – waren noch weniger erfüllbar. Der weitere Heeresabbau, wie er im Landesverteidigungsplan unverändert vorgegeben war, musste neu überdacht werden.

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Hannes Philipp 1985

1986

1987

1988

1989

1990

17 147

18 495

17 303

17 049

18 550

18 090

Prozentanteil am Bruttoinlandsprodukt

1,27

1,30

1,17

1,09

1,11

1,00

Investitionen nominell

3 900

4 570

3 956

3 189

4 015

3 308

Investitionen real

3 900

4 456

3 745

2 889

3 437

2 691

Quelle : Vortragsunterlage Hannes Philipp

Die geringer werdenden Geburtsraten der Sechzigerjahre (Pillenknick) wiesen einen Verlauf auf, der die stärkemäßige Erreichung der Ausbaustufe fragwürdig erscheinen ließ. Zunehmende Untauglichkeit (15 bis 20 %), die Zunahme der Systemerhalterrate (zur Einsparung von Zivilbediensteten) auf über 10 000 Personen pro Jahr bedeutete weitere Einschnitte. Die Erleichterungen zum Abdienen des Wehrersatzdienstes brachten ein sprunghaftes Ansteigen der Zivildiener. Dies alles führte zu einem dringenden Änderungsbedarf bei der Heeresstruktur. Bis 1986 wurden aus finanziellen Gründen beim Heeresausbau vorrangig die Organisationselemente mit geringen Aufstellungskosten bedacht. So kamen bei diesem Aufbau Jagdkampfkompanien und Sperrkompanien zum Zug und trugen zahlenmäßig zum Heeresausbau erheblich bei ; die teuren Organisationselemente der Führung, Fernmeldewesen, Feuerunterstützung und Versorgung kamen zu kurz. So wurde zwar die Stärke der Zwischenstufe termingerecht 1986 erreicht, die Funktionalität und somit die Fähigkeit zur Auftragserfüllung war aber bei Weitem nicht erreicht worden. Auch in der Personalstruktur gab es Fehlbestände, nämlich 1 200 Offiziere, 21 000 Unteroffiziere und 9 000 Chargen. Dabei gab es in der Gesamtstruktur militärisches Personal, das in der Verwaltung und im ministeriellen Bereich Dienst versah und nicht mobbeordert war. Das Fehlen von Unteroffizieren und Chargen war auf die sparsame Aufnahme von Zeitsoldaten zurückzuführen. Dies wirkte sich auch bei der Bereitschaftstruppe so aus, dass zur Komplettierung der MobStärke erst Personal aus dem Reservestand zugeführt werden musste. Durch Fehlbestände im Ausrüstungsbereich kam es zur Aufstellung von MobEinheiten, die keine Ausrüstung hatten und mit Fremdgerät ausgebildet wurden. Die gehegten Hoffnungen, die Engpässe durch Budgeterhöhung abdecken zu können, waren ab 1987 weitgehend aufzugeben. Somit konnte das Bundesheer vor allem aus Geldmangel den Vorgaben der Effizienzerfordernisse der im Landesverteidigungsplan festgelegten Zwischenstufe (1986) nicht entsprechen. Aber auch eine verspätete Fortsetzung des Heeresaufbaus konnte aus budgetären Gründen nicht erfolgen, und so entschloss man sich zu einer neuen Heeresgliederung.

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Der Heeresausbau wurde »eingefroren«, und nicht vollständig aufgestellte Verbände wurden zusammengelegt. Dadurch war die Effizienz der Zwischenstufe bedingt zu erreichen. Als Nächstes kam es zu massiven Einschnitten bei der raumgebundenen Landwehr, die für Nebenbedrohungsräume vorgesehen war. Dasselbe traf auch auf die Sperrtruppen zu, bei denen die Außenverteidigung der Festen Anlagen eingespart wurde. Weitere Maßnahmen sollten folgen. Im Großen und Ganzen kam es zu einem generellen Abgehen von den Ergebnissen der »wertfreien Zonenerkundung« und deren Zielvorstellungen für den Heeresausbau. Die Heeresgliederung 1987 wurde am 14. Juni 1988 verfügt und trat am 1. Jänner 1990 in Kraft. Es war klar vorauszusehen, dass sich die Heeresgliederung 1987 nicht mehr mit dem Operationsfall »A« zur Deckung bringen ließ. Der Armeekommandant legte bei der Beschlussfassung der Heeresgliederung im Landesverteidigungsrat eine vom Armeekommando erstellte Kostenrechnung der zusätzlich erforderlichen Geldmittel vor. Dies wurde zur Kenntnis genommen und in das Protokoll aufgenommen, aber im folgenden Budget war auch keine Berücksichtigung für die Kosten der neuen Heeresgliederung zu erkennen. Und obwohl der personelle Rahmen verkleinert und die Geldmittel geschmälert wurden, blieben die Aufträge und das politische Ziel der Abhaltung aufrecht. Der Operationsfall »G« Wie von Minister Krünes angeordnet, begann im Oktober 1987 auch die Ausarbeitung einer militärstrategischen Weisung (die erste dieser Art im Bundesheer), mit der eine Gesamtbedrohung Österreichs vorausgedacht werden sollte. Die 1980 in der »Grundlegenden Operations-Weisung Nr. 1« angesprochenen Operationsfälle »B« und »C« sollten überprüft werden. Auf die Vorgaben der neu erarbeiteten Heeresgliederung 1987 und die Gegebenheiten der logistischen Möglichkeiten sollte bereits Rücksicht genommen werden. Als vorrangig wurde festgelegt, dass jegliche Planung eines Bedrohungsfalls auf die Zeitzwänge des Warschauer Pakts, der NATO und der eigenen Kräfte (Mobilmachung, Aufmarsch, Versorgungsaufmarsch) abzustimmen sei. Für den Fall einer verspäteten eigenen Mobilmachung wurde eine allgemein gehaltene militärstrategische Absicht formuliert. Der Versorgungsaufmarsch des Bundesheeres war zeitlich zu beschleunigen, der Mindestbedarf an Versorgungsgütern war festzulegen und hatte als Grundlage für die Beschaffung zu gelten. Die Aufgabe und die Arbeit der Übernahme- und Aufnahmeorganisation der Sektion IV waren zu korrigieren und auf den Bedarf auch örtlich auszurichten. Die sich aus dieser Stabsarbeit ergebenden Zielvorstellungen, Vorgaben und Richtlinien sollten an den Bundesminister herangetragen und politisch abgesichert

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werden. Das Armeekommando monierte zudem die Neuregelung des qualitativen und quantitativen Personaleinsatzes und klare Vorgaben im geistig-psychologischen Bereich. Die Bedrohungsanalyse kam zu weitgehend gleichen Ergebnissen, wie sie schon aus dem Operationsfall »A« bekannt waren. Dabei wurde den Warschauer-PaktKräften nach wie vor die Fähigkeit zur strategischen Offensive gegen die NATOKräfte mit konventionellen und/oder nuklearen Mitteln eingeräumt, wobei österreichisches Territorium in die Operation der Südwest- und Donaufront des Warschauer Pakts vor allem im Donautal einbezogen werden konnte. Die strategische Absicht des Warschauer Pakts wurde dahingehend definiert, dass er in der Anfangsphase der Auseinandersetzung unter Anwendung von Tarnung und Täuschung überraschende und kriegsentscheidende Operationen noch vor der Herstellung der vollen Abwehrbereitschaft der NATO zu führen beabsichtigte. Hierzu wäre das Erreichen eines Zeitvorsprunges gegenüber dem Aufmarsch der NATO entscheidend. Der Ansatz der Kräfte wäre nach wie vor auf den Durchstoß des österreichischen Donautals und den Gewinn von Brückenköpfen über den Inn ausgerichtet, um in weiterer Folge die südliche Zange zur Einschließung und Vernichtung der NATO-Verbände im süddeutschen Raum zu bilden. Als zusätzliches Moment wurde die Bildung von vorgeschobenen Versorgungsbasen in der Slowakei berücksichtigt. In Ungarn waren solche Versorgungsmaßnahmen nicht zu erkennen. Dies ließ auf einen räumlich begrenzten Angriff ungarischer Kräfte zur Inbesitznahme des Wiener Beckens und der Grazer Bucht schließen. Eine weitere Aufgabe für die Ungarische Volksarmee sollte die Absicherung der südlichen Flanke der Donaufront sein. Mit vorgestaffelten Einsätzen von Spezialkräften sowie mit dem Einsatz von nuklearen Waffen war von Angriffsbeginn an zu rechnen. Dem Ansatz über das Mühlviertel wurde jetzt geringere Bedeutung beigemessen. Die NATO, so die Schlussfolgerung, wäre anfänglich auf den vollen Einsatz der Luftwaffe und Raketenartillerie zur Abriegelung in der Tiefe der operativen und strategischen Staffel des Angreifers angewiesen. Einer rechtzeitigen Zuführung des II. (FR) Korps kam große Bedeutung zu. Sollte der Warschauer Pakt den Wettlauf in den süddeutschen Raum gewinnen, war der Einsatz von Atomwaffen auch gegen die Angriffskräfte des Warschauer Pakts im Donauraum nicht auszuschließen (siehe NATO-Manöver »Kecker Spatz«). Eine der Aggression vorangehende Flankensicherung durch drei bis vier NATO-Brigaden im oberösterreichischen Raum musste in Betracht gezogen werden. Im Großen und Ganzen blieb das Bedrohungsszenario somit gleich, wenn man auch von einem geringeren Kräfteeinsatz des Warschauer Pakts ausging und der Schlüsselzone 41 weniger Bedeutung einräumte. Neu war die Möglichkeit des Aktivwerdens von NATO-Kräften im oberösterreichischen Raum (Innviertel).

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Vor allem durch die Bearbeitung des Operationsfalles »Sicherungseinsatz Jugoslawien«, der vom Armeekommando initiiert und vorgenommen wurde und der nicht ganz unerwartet Priorität erlangte, kam die Planung des Operationsfalles »G« zu keinem raschen Abschluss. Doch am 1. Dezember 1989 erging eine neue militärstrategische Weisung zur Erarbeitung der Operationsbefehle für den Operationsfall »G«. Damit war der Operationsfall »A« außer Kraft. Die Auflösung des Warschauer Pakts ließ aber auch den Operationsfall »G« 1991 obsolet werden.

Die Schlussfolgerung Wie wäre der Krieg zwischen NATO und Warschauer Pakt verlaufen ? Wie waren die Planungen des Angreifers und des Verteidigers ? Diese Fragen sind auch im Rückblick von mehr als 20 Jahren nicht exakt zu beantworten. Bei allem, das seither bekannt geworden ist, stellte sich heraus, dass die österreichischen Annahmen weitgehend richtig waren. Die Frage des Atomwaffeneinsatzes blieb freilich unbeantwortet. Das »Umschalten« auf eine nukleare Kriegsführung konnte ansatzlos erfolgen. Die Annahme, dass je nach »Erfolgslage« oder »Zwangslage« die eine oder andere Konfliktpartei Atomwaffen einsetzen konnte, blieb als Wahrscheinlichkeit bestehen. In Österreich schien man sich meist zeitgerecht auf die erkannten Bedrohungsfälle einzustellen. Es entstanden Gesetze, Konzepte und Pläne und nahmen in Gestalt der Umfassenden Landesverteidigung, der Raumverteidigung und einer neuen Heeresorganisation (Landwehr) vielversprechende Formen an. Eine aktive Außenpolitik, innere Stabilität und die Verteidigungspolitik waren die Säulen, auf denen die österreichische Sicherheitspolitik ruhte. Sieht man sich die gesetzlichen, konzeptionellen und konkreten, planungsmäßigen Vorgaben an, kommt man zum Schluss, dass bei Verwirklichung dieser Vorgaben eine glaubwürdige, effektive und machbare Umfassende Landesverteidigung das zu erwartende Ergebnis sein musste. Dies drückte sich auch in einer zunehmenden Akzeptanz im politischen, militärischen und zivilen Bereich aus und wurde von den Medien mitgetragen. Die Ernüchterung kam, als es an die Durchführung der geplanten und angekündigten Maßnahmen ging. Die Mängel und Fehler waren aber nicht nur aufseiten der politisch Verantwortlichen zu suchen – sie lagen auch beim Militär. Es wurde zu spät und mit zu geringem Nachdruck auf die immer augenfälliger werdenden Diskrepanzen und Unzulänglichkeiten hingewiesen. Von der Kritik ist keiner auszunehmen ! Um bei den Planungsverfahren voranzukommen und nicht immer wieder auf Ablehnung zu stoßen, wurden scheinbar gegen besseres Wissen Befehle erlassen, die von der Truppe nicht befolgt werden konnten. Der mitunter heftige Streit zwischen den höchsten Ge-

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nerälen und deren Generalstabsoffizieren entsprach weder deren Ausbildung noch Verhaltenskodex und hätte leicht früher beendet werden können. Nicht zuletzt war wohl der persönliche Ehrgeiz der handelnden Personen ausschlaggebend, dass es den Anschein haben konnte, die Politik hätte nach dem Grundsatz »divide et impera« verfahren können. In einer amerikanischen Studie »The Austrian Army – Is it worth the effort ?«18 wurden 1989 drei Fragen zur österreichischen Sicherheitspolitik gestellt. Die gegebenen Antworten liefen darauf hinaus, dass die Glaubwürdigkeit der österreichischen Anstrengungen angezweifelt wurde. Gründe dafür wären die niedrigen Verteidigungsausgaben sowie der geringe Verteidigungswille von Politik und Bevölkerung. Der Erfolg der angestrebten Abhaltung im Falle einer großen Auseinandersetzung wurde infrage gestellt. Das Bundesheer sei lediglich ein interner Stabilisierungsfaktor und zur Erfüllung kleiner Aufgaben wie Katastropheneinsätze, Peacekeeping, Bewältigung von Neutralitätsfällen und Sicherungseinsätzen bei Schwierigkeiten mit den Nachbarn geeignet, lautete die Schlussfolgerung. Das Bundesheer sollte auch laut den Kriterien der Umfassenden Landesverteidigung eine »Schule der Nation« sein. Da dies aber von den öffentlichen Schulen nicht so gesehen würde, sei das Ergebnis dementsprechend. Die Frage, ob das Bundesheer die Anstrengungen wert sei, wurde damit auf wenig ermunternde Weise beantwortet. Fragt sich nur, ob die Autoren damit ganz falsch lagen.

18 Research paper for professor Heisler GVPT 879, spring 1989, prepared by J. E. Naftzinger, May 1989 (im Besitz des Autors).

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Die atomare Komponente Überlegungen für einen Atomwaffen-Einsatz in Österreich

Das Gesamtbild Eine Darstellung der Bedrohung Österreichs durch Nuklearwaffen nach 1945 und besonders im Zeitraum zwischen 1955 und 1990 erfordert eine umfassende Darstellung der Gesamtbedrohung des Landes. Diese kann wiederum nicht ohne Beurteilung der Bedrohung Europas bzw. der NATO durch die Sowjetunion und den Warschauer Pakt1 gesehen werden. Österreich wurde seitens Moskaus – trotz der Neutralitätserklärung – schon kurze Zeit nach der Unterzeichnung des Staatsvertrags als Teil des westlichen Lagers und nach 1956 als Sympathisant der NATO, daher als »Feindstaat« eingestuft. Für das Bundesheer wiederum kam im Wissen um diese Einschätzungen der Feind immer aus dem Osten ; danach richtete sich die gesamte militärische Planung aus. Zentral in allen Überlegungen war die Rolle des Donautals und Alpenvorlands als natürliche Bewegungslinie für einen möglichen Angriff quer durch Österreich in Richtung Süddeutschland, was durch den Autobahnbau in Österreich noch begünstigt wurde. Auch der kürzeste Weg von Ungarn nach Oberitalien führte über den Südosten Österreichs. Für die NATO war der »neutrale Riegel« Schweiz, Österreich, Jugoslawien nachteilig, und für die NATO war Österreich der schwächste Teil dieses Riegels, während Moskau durch ständige Kritik an Österreichs Rüstungsvorhaben wiederum versuchte, besonders diesen Teil so schwach wie möglich zu halten. Dem kam die österreichische Politik durch ein viel zu geringes Verteidigungsbudget entgegen. Österreich selbst betonte immer seine Zugehörigkeit zur westlichen Staatengemeinschaft. Die Distanz zur Sowjetunion und zum Kommunismus ergab sich aus

1 Hier wird der Begriff »Warschauer Pakt« als Oberbegriff für das Verteidigungsbündnis des sowjetischen Lagers in Europa verwendet. Sein Kommando und diverse Komitees befanden sich in Moskau, es gab einen vorgeschobenen Stab in Lemberg und einen »vorgeschobenen Sitz« in Berlin-Straußberg. Das Paktkommando hatte eine politisch-administrative-ausrüstungstechnisch-logistische Koordinierungsfunktion, aber im Krieg keine operative Führungsaufgabe ; diese Aufgabe lag allein in der Kompetenz des sowjetischen Generalstabs und in dessen TVD- und Front-Kommanden. Siehe hiezu weiter unten.

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den Erfahrungen mit den Truppen der Roten Armee 1945 und den Entwicklungen danach. Andererseits waren der Marshallplan, das positive Verhalten der amerikanischen Truppen in Österreich, der Koreakrieg, die Vorgänge im Ostblock (DDR 1953, Ungarn 1956, ČSSR 1968 und die Drohungen gegen Polen 1980/81) Vorgänge, die die Einstellung der österreichischen Bevölkerung bestimmten. Für Österreichs Politik und Landesverteidigung hätten sich daraus zahlreiche Ableitungen ergeben müssen, die aber vielfach fehlten, was einerseits eine Folge der Fehlbeurteilung der Neutralität war wie auch der Einsicht, dass man Österreich gegenüber einem entschlossenen Ost-Aggressor nicht erfolgreich verteidigen konnte. Von dieser Ausgangslage her lassen sich alle weiteren Entwicklungen logisch ableiten.

Atomwaffenziele und A-Waffen-Einsatz in Österreich : Keine Dokumente Es gilt zunächst festzuhalten, dass auch für diese Untersuchung keine konkreten Unterlagen über A-Waffeneinsätze gegen Ziele in Österreich eingesehen oder gefunden werden konnten, weder solche aus sowjetischen Quellen noch aus den Planungen der amerikanischen Streitkräfte. Es ist davon auszugehen, dass es solche Pläne (für taktische A-Waffen) auch gar nicht gegeben hat, sondern die verantwortlichen Militärs erst aufgrund von Lageentwicklungen solche Waffen eingesetzt hätten. Dies lag in ihrem Ermessen, sobald ein solcher A-Waffen-Einsatz von der Politik freigegeben worden wäre. Anders lagen die Verhältnisse bei den strategischen Waffen. Aus der Kubakrise und den Vollmachten von Präsident John F. Kennedy an das Strategic Air Command (SAC) und den Commander in Chief European Command (CINCEUCOM) bzw. den Supreme Allied Commander Europe (SACEUR) kann abgeleitet werden, dass solche Befugnisse bereits sehr früh erteilt werden konnten. Bei den amerikanischen Streitkräften konnten auch die Befehlshaber der Korps AWaffen2 einsetzen, bei den sowjetischen Streitkräften die Front-Befehlshaber. Andere 2 Siehe Dokument : Gerard Smith, Robert R. Bowie : Memorandum for the Secretary : Policy Regarding the Use of Atomic Weapons, May 15, 1957. Top Secret. Es stellte sich die Frage, ob ein militärischer Befehlshaber vor dem Einsatz solcher Waffen den Präsidenten konsultieren sollte, und ob man den Kontakt zu den nationalen Behörden eines Staates suchen soll,auf dessen Territorium man solche Waffen einsetzt. Was die in dieser Arbeit angeführten amerikanischen Dokumente betrifft, konnte der Autor über die ihm frei zugänglichen Datenbänke des Department of Defense, der National Defense University, Washington, D.C., und das National Archive, Washington, D.C., Hunderte Dokumente in Kopie erhalten, dazu Unterlagen des National Security Council, Planungspapiere der U.S. Air Force, der Army und Navy, die Nachlässe von Admiral Arleight A. Burke und von General Maxwell D. Taylor sowie einen Teil des Schriftverkehrs des Department of State und der CIA, so diese gem. 5 U.S.C. §552 (Freedom of Information Act, mehrfach abgeändert) und EO 12958 freigegeben wurden. Es gibt hiezu keine weiteren Angaben

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»Unterlagen« oder »Belege« über solche Einsätze sind daher entweder Konstruktionen aufgrund von Vermutungen oder aber Ableitungen von Übungsannahmen. Es erscheint jedoch wichtig anzumerken, dass die sowjetische Option, Atomwaffen einzusetzen, sich gegen Ziele in Österreich und seine Streitkräfte richtete, während sich ein möglicher Einsatz amerikanischer Atomwaffen ausschließlich gegen sowjetische und Pakt-Streitkräfte auf österreichischem Boden nach weitgehender Ausschaltung des Bundesheeres gerichtet hätte. Es gab eine Aussage des State Departments aus der Zeit vor dem Staatsvertrag : Im Falle eines sowjetischen Angriffs gegen Wien wurde gem. NSC 73/4, Aug. 25, 1950 ausgeführt : »… the situation would be essentially as discussed above in para.2 under be rl i n . – Whether we would use atomic weapons against the U.S.S.R. in this instance would depend on whether we thought general war was forced upon us … we would use atomic weapons against the Soviet Union…but, it is possible that the conflict would be kept localized, and we would refrain from using nuclear weapons.«3

Welcher atomare Krieg ? Option : Totaler Krieg Jahrzehnte hindurch hatte es den Anschein, als würden Atomwaffen alle politischen und strategischen/operativen Überlegungen, Doktrinen und Kriegsplanungen bestimmen. Da niemand wirklich voraussehen konnte, wie ein Atomkrieg ablaufen würde, kam es vor allem in den USA zu einer Vielzahl von Überlegungen, die dann die Grundlagen für Politik und Strategie bildeten, aber auch für die der NATO Gültigkeit besaßen.4 Man kann sagen, dass ein erheblicher Teil der Entscheidungsträger bezüglich des Archives, Registraturen etc. Aufschlussreich sind außerdem (Auto-)Biografien, so über alle Präsidenten seit 1945 (und deren Sicht betreffend Atomwaffen und Atomkrieg), über die Außen- und Verteidigungsminister, sowie maßgeblicher Militärs, die sich im Besitz des Autors befinden. Ergänzt werden diese Unterlagen durch Hunderte Bücher und Artikel über Nuklearstrategien, Atomwaffen, strategische Plattformen, wie auch über die Planungen in der NATO. Hiezu kommen Bücher und Aufsätze über britische und französische Sichtweisen zum Atomkrieg und besonders zahlreiche von deutschen Politikern und Militärs, stand ja besonders die Bundesrepublik Deutschland im Zentrum der Überlegungen solcher Einsätze. Auch wenn in diesen Unterlagen Österreich kaum vorkommt, zeigen sie sehr deutlich das Stimmungsbild unter den damaligen Entscheidungsträgern auf. 3 Department of State, Policy Planning Staff, Circumstances Under Which The United States Would Be At War With The Soviet Union : Use Of Atomic Weapons, April 12, 1951, Top Secret. National Archive Doc. 01203. 4 Zahllose Dokumente ; als weiterführende Kommentare dieser Jahre siehe u.a.: Aron, Raymond : The Great Debate. Theories of Nuclear Strategy, Garden City 1965 ; Brodie, Bernard : Strategy in the Missile Age,

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meinte, »wenn schon Atomkrieg, dann ein totaler, den wir vielleicht gewinnen«. Dies erklärt auch, warum die Präsidenten Dwight D. Eisenhower und John F. Kennedy First Strike-Pläne zur Auslöschung (präventiv und preemptiv) der Sowjetunion ausarbeiten ließen.5 Der Westen musste schon deswegen mit dem gezielten Einsatz von A-Waffen (aber auch B- und C-Waffen) seitens der Sowjetunion rechnen, da nach der kommunistischen Völkerrechtslehre die UdSSR bzw. das kommunistische Lager nur »gerechte Kriege« führen würde. In solchen »gerechten Kriegen« war jedes Mittel gerechtfertigt, um den Sieg zu erringen, und jeder, der sich nicht unterwarf, war daher »Feind« (was neutrale Staaten einschloss). Auch in lokal sich entwickelnden Kriegen war es nicht auszuschließen, dass über eine drohende Eskalation der Einsatz von (taktischen) A-Waffen erfolgen würde. Damit kam es aber bei den Mächten zu einer Trennung des Krieges mit A-Waffen in einen strategischen »totalen« bzw. »uneingeschränkten« (mit First Strike- und Second Strike-Angriffen) und einen strategisch und operativ-taktisch »eingeschränkten«. Die Zielfestlegung für Nuklearwaffen wurde ein eigener Bereich strategischer Papiere und Planungen ; die Zahl der Atomwaffen bestimmte zuerst die Zahl der Ziele ; dann die Zahl der Ziele weitgehend die Zahl der Atomwaffen.6 In einem totalen Krieg wollte man seitens der USA bei einem sowjetischen Erstschlag die Vergeltung (Retaliatorial Strike) mit allen Waffen – minus einer kleinen politisch-strategischen Reserve – durchführen. Mit den Obergrenzen bei den strategischen Waffen (SALT, START) kam es zu einem Ausweichen auf taktische A-Waffen bzw. zur Selektion der Ziele gemäß den vorhandenen Plattformen (ICBM, SLBM, Bomber) und den Waffen auf taktischer Ebene. Option : Begrenzter Krieg So wie man in Washington und in Moskau hoffte, dass ein »großer« strategischer A-Waffen-Krieg zwischen den USA und der Sowjetunion zu vermeiden wäre, so war man vor allem aufgrund der raschen Vermehrung der taktischen A-Waffen in Europa immer mehr überzeugt, dass ein Krieg begrenzbar wäre, ja sogar begrenzt Princeton 1959 ; Hahn, Walter F./Neff, John C.: American Strategy for the Nuclear Age (Anchor Books A224), Garden City 1960 ; Kahn, Herman: Herman : On Thermonuclear War, 2. Aufl., Princeton 1969 ; Kissinger, Henry A.: Nuclear Weapons and Foreign Policy, 3. Aufl., New York 1957 ; Liddell Hart, B. H.: Deterrent or defense. A fresh look at the West’s military position, London 1960 ; Luttwak, Edward N.: Strategy. The Logic of War and Peace, Cambridge 1987 ; Schelling, Thomas : Arms and Influence, New Haven 1966. 5 Kaplan, Fred: Fred : JFK’s First Strike Plan, in: in : The Atlantic Monthly, October 2001, Vol. 288, No. 3, S. 81–86, vgl. http ://www.theatlantic.com/issues/2001/10/kaplan.htm (online am 31. Oktober 2009). 6 Diese Ziellisten wurden beim Strategic Air Command erstellt, ab Ende 1960 in Form des Single Integrated Operational Plan (SIOP).

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werden müsse, sich zudem vornehmlich auf dem Boden der beiden deutschen Staaten abspielen würde – möglicherweise auch unter Einbeziehung des österreichischen Territoriums.7 Andere meinten wiederum, ein Atomkrieg würde sich nur auf europäischem Boden abspielen, die USA und die Sowjetunion hingegen verschonen (»Abkoppelungs-These«, Nuclear Decoupling). Ein Krieg mit taktischen A-Waffen allein konnte der Kategorie »limited war« zugeordnet werden, ebenso der punktuelle Einsatz solcher Waffen auf dem »nuklearen« Schlachtfeld. Damit kam es jedoch zu einem Richtungsstreit darüber, ob bei einem nuklearen Patt beide Seiten noch immer bzw. unter allen Lageentwicklungen bereit sein würden, A-Waffen einzusetzen, oder ob eine Eskalation in Richtung AWaffen-Einsatz verhindert werden konnte. Für den Westen und besonders für die NATO, waren jedoch taktische Atomwaffen ein immer wichtigerer Teil der Abschreckung.8 Optionen : Nuklearisierung oder verstärkte Konventionalisierung des Krieges So meinte der sowjetische Staats- und Parteichef Leonid Breshnew bei der Konferenz in Tula 1977, dass man »einen Atomkrieg nicht gewinnen kann«.9 Am Beginn der 1980er-Jahre kam es nichtsdestoweniger und nicht zuletzt aufgrund der Nuklearisierung der sowjetischen Kriegsdoktrin auch zu einer Vermehrung der taktischen A-Waffen in Europa seitens der U.S.-Streitkräfte, aber auch zu einer betont statischen Verteidigungskonzeption (Active Defense), die – ähnlich wie jene für Südkorea und Japan – auch eine nukleare Komponente besaß.10 Der technologische Fortschritt ermöglichte im Laufe der Jahre eine umfassende Verbesserung der konventionellen Kapazitäten der USA und später auch der europäischen NATO-Staaten, so durch neue verbesserte Führungsverfahren, neue Mu7 So wurde von einigen deutschen Autoren, wie dem Historiker Harald Rüddenklau, befürchtet, ein Atomkrieg würde sich, trotz des NATO-Nachrüstungsbeschlusses, auf den Boden der beiden deutschen Staaten beschränken lassen, dazu gäbe es vermutlich ein (allerdings unbeweisbares) stillschweigendes Einverständnis der Siegermächte von 1945. Ähnliche Befürchtungen wie »Je kürzer die Waffen, desto toter die Deutschen« hatten man ab 1987 auch in der DDR, in Ungarn und Polen. Siehe : Umbach, Frank : Das rote Bündnis. Entwicklung und Zerfall des Warschauer Pakts 1955 bis 1991 (Militärgeschichte der DDR 10), Berlin 2005, S. 361. 8 Galvin, John R.: Die Modernisierung der taktischen Atomwaffen. Es geht um die Glaubwürdigkeit der Abschreckung, in : Frankfurter Allgemeine Zeitung, 22. März 1989, S. 7. 9 Umbach : Das rote Bündnis, S. 236. 10 Unzählige Beiträge wie : Kugler, Richard L.: Commitment to Purpose. How Alliance Partnership Won the Cold War, Santa Monica 1993, S. 445 f. Siehe betreffend Europa : Cotter, Donald R./Hansen, James H./McConnell, Kirk : Das nukleare Kräfteverhältnis in Europa. Stand, Entwicklungen, Folgerungen, Bonn 1983 ; Epstein, Joshua M.: Dynamic Analysis and the Conventional Balance in Europe, in : International Security, Spring 1988, S. 154–165.

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nitionsarten, GPS, höhere Mobilität, mehr Feuerkraft, wirksamere taktische Luftunterstützung, Lasersteuerung, die Vernetzung von Aufklärung und Zielerfassung, was eine Echtzeitbekämpfung feindlicher Kräfte über zunehmende Distanzen ermöglichte und zur Air Land Battle Doctrine (FM 100-5 Operations, 1982, 1986) führte, aber auch operative Gegenschläge gegen die Zweite Strategische Staffel erlaubte, was den Aufmarsch sowjetischer Truppen empfindlich stören konnte. Gleichzeitig hätte die NATO von einer Abnützungsschlacht (Attrition) zu einer Vernichtungsschlacht (Annihilation) übergehen können.11 Damit wurde der Atomkrieg in Europa scheinbar überflüssig. Es hatte den Anschein, als würde Anfang der 1980er-Jahre – sowjetischen Vorstellungen folgend – auch der Warschauer Pakt eine verstärkte Konventionalisierung des Krieges anstreben, was zwar einer indirekten Aufgabe offensiver Ambitionen gleichkam, das Atommonopol der UdSSR aber im Pakt selber weiter verstärkte.12 Anzeichen waren einige Äußerungen des KPdSU-Generalsekretärs Leonid Breshnew (und er folgte damit Kommentaren von Georgi Malenkow im Jahr 1954) : So wie die USA erkennbar nicht mehr bereit waren, im Falle eines sowjetischen Angriffes »gegen eine NATO-Brigade« (so der damalige SACEUR General Lauris Norstad die Nuklearschwellen für die NATO definierend) umgehend A-Waffen gegen Ziele in der Sowjetunion einzusetzen, kam es auch zu einer Abkehr der Sowjetunion von der Idee, bei einem geringfügigen NATO-Atomwaffeneinsatz gegen einen PaktStaat automatisch A-Waffen gegen die USA einzusetzen und dabei im Gegenzug den Untergang sowjetischer Städte zu riskieren. Schon 1967 hatte Breshnew bei der Tagung der Kommunistischen Parteien erklärt, die Sowjetunion sehe »bei einem Krieg in Europa einen Atomkrieg als nicht mehr unausweichlich an«.13 Damit debattierte man in den Pakt-Staaten ab 1968 ähnlich wie in Frankreich nach 1963, nur dass 11 Tarantino, Frederick A.: A Substitute for NATO’s Nuclear Option Option?? Military Review, März 1988, S. 24– 35. 12 Umbach Umbach:: Das rote Bündnis, S. 164–180 und S. 238–250 ; Atkeson, Edward B.: Soviet Power Emphasis Is Viewed as Desire to Avoid Nuclear Heat-Up, in : Army, Aug. 1985, S. 20–23 ; Hines, John G./Petersen, Phillip A.: Die strategische Offensive des Warschauer Pakts. Die OMG in gesamtstrategischen Zusammenhang, in : Internationale Wehrrevue 10/16 (1983), S. 1391–1395 ; Hines, John G./Petersen, Phillip A./Trulock, Notra : Soviet Thinking on Nuclear Weapons and the War in the NATO Context, Studie, Washington 1985 ; Shlapentokh, Vladimir E.: Moscow’s War Propaganda and Soviet Public Opinion, in : Problems of Communism, Sept–Oct 1984, Vol. XXXIII, S. 88–94. Vielfach wurde auch angenommen, dass die Schaffung der Operativen Manöver-Gruppen diese Änderung ermöglichen sollte. Gegenüber dem Westen und den Paktstaaten blieb man jedoch nach wie vor bei der »Unausweichlichkeit des Krieges« und beim A-Waffen-Einsatz. 13 Im März 1954 hatte sich Georgi Malenkow gegen eine Überbewertung von A-Waffen ausgesprochen, eine Position, die nach Malenkows Sturz, von MdSU Malinowski scharf kritisiert wurde. Zu Breshnew siehe : Rede an die Teilnehmer der Konferenz der Europäischen Kommunistischen und Arbeiterparteien. 24. April 1967. Zitiert in : Hines/Petersen/Trulock : Soviet Thinking, S. 9.

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Frankreich eigene Atomwaffen hatte und auf seiner nationalen Massive Retaliation bestehen wollte. Daher gab es auch in Moskau keine klare Linie : Die Befürworter des massiven Einsatzes solcher Waffen standen jenen gegenüber, die solche Waffen nur als allerletzte Option einsetzen wollten, und letztlich denjenigen, die vor einem solchen Einsatz eher zurückschreckten. Die Planungen Anfang der 1980er-Jahre gingen daher einmal in Richtung Vermeidung eines A-Waffen-Einsatzes,14 wie auch in Richtung eines Einsatzes von kleinen taktischen Atomwaffen als allerletztem Mittel. Es blieb daher als Option ein betont konventioneller Krieg mit punktuellem Einsatz von A-Waffen (»Begrenzte Reaktion« bzw. Limited Response). Darüber hinaus gab es ab 1986 eine Debatte über eine konventionelle, defensive »vernünftige Hinlänglichkeit«, nicht zuletzt schon unter dem Druck der wirtschaftlichen Probleme im kommunistischen Lager. Option : Kein A-Waffen-Ersteinsatz (No First Use) Anfang der 1980er-Jahre wurde – analog zu ähnlichen Aussagen aus dem kommunistischen Lager – von einigen Experten und westlichen Politikern vorgeschlagen, die NATO möge gegenüber der Sowjetunion eine einseitige Erklärung abgeben, dass man auf einen »Ersteinsatz« von Atomwaffen verzichten würde.15 Dies kam nicht zuletzt der Forderung zahlreicher Politiker der deutschen Sozialdemokratie entgegen, die einen A-Waffen-Einsatz auf deutschem Boden nur als allerletztes Mittel sehen wollten. Andere meinten, eine solche Zusage wäre für Moskau ein Freibrief gewesen, konventionell anzugreifen. In der Bundesrepublik Deutschland gab es daher Stimmen, die vor einer Abkoppelung Europas bzw. der NATO von der sich auf Atomwaffen abstützenden amerikanischen Sicherheitspolitik warnten. Gleichermaßen abgelehnt wurde der »Verzicht auf einen Ersteinsatz« auch vom damaligen Chairman of the Joint Chiefs of Staff, General David C. Jones, denn ein solcher Verzicht bedeute ja keinen Verzicht auf den Einsatz solcher Waffen seitens der Sowjetunion, außerdem müsse man immer mit einer Eskalation rechnen. Kritik kam auch von Leon Sloss.16 14 Adomeit, Hannes/Donnelly Christopher N./Stratman Karl-Peter/Cotter, Donald R : Strengthening Conventional Deterrence in Europe. Proposals for the 1980s, New York 1983. Siehe auch : Kaber, Phillip A.: Plädoyer für die Vorneverteidigung. Deutsches Strategie-Forum (Pro Pace 5), Helford/Bonn 1984 ; Rogers, Bernard W.: NATO’s Strategy : An Undervalued Currency, Berlin 1985 (unveröffentlichtes Manuskript). 15 Zahreiche Quellen ; siehe etwa : Trachtenberg, Marc : The Question of No-First-Use, in : Orbis, Winter 1986, S. 753–769. 16 Sloss, Leon : Power and Policy : Doctrine, the Alliance and Arms Control, Berlin 1985 (unveröffentlichtes Manuskript).

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Dazu kam der Streit über die sogenannten »Euro-strategischen Waffen« : Immerhin hatte die Sowjetunion damals Hunderte Mittelstreckenraketen gegen Westeuropa gerichtet, darunter 300 SS-20 (später dann fast 600), und jede der SS–20 konnte drei Sprengköpfe tragen. Hiezu kamen taktische Atomwaffen auf Flugzeugen, Überwasserschiffen und U-Booten, die gegen Landziele gerichtet waren. Demgegenüber standen seitens der US-Streitkräfte nach dem Nachrüstungsbeschluss 108 Pershing II und 464 Cruise Missiles (alles Boden-Boden-Waffen), dazu nuklear bewaffnete Kurzstreckenraketen des Typs Lance, alle bewaffnet mit einem atomaren Gefechtskopf, plus taktische Atomwaffen für Flugzeuge, aber auch »strategisch«-bewaffnete SLBM-U-Boote im Atlantik.17 Beide Seiten hatten außerdem nukleare Munition für die Artillerie sowie Atomminen. Einseitige westliche Abrüstungsbefürworter meinten naiverweise, wenn man alle Atomwaffen aus Europa abziehen würde, wäre dies für die Sowjetunion ein Signal, ebenfalls abzurüsten oder keine Atomwaffen einzusetzen. Man kann aber davon ausgehen, dass es auch in der Sowjetunion »strategische Dissidenten« gab, die ähnliche Ideen auch auf der Ebene der Partei und im Generalstab diskutierten. Dennoch kann man davon ausgehen, dass mit dem INF-Vertrag und dem allgemeinen Widerstand gegen einen A-Waffen-Einsatz auch bei den Pakt-Staaten ein Atomkrieg in Europa nicht mehr wahrscheinlich schien. Es gab keinen Plan für die vorzeitige Beendigung eines Atomkrieges Herman Kahn18 untersuchte bei RAND19 auch die Frage, wie man einen Nuklearkrieg politisch und militärisch kontrollieren könne, und welche Probleme sich bei einer vorzeitigen Beendigung ergeben würden. Da es darauf keine gültige politische Antwort gab, verlangte er einen Aktionskalender für einen derartigen Prozess, wie auch einen Ausbau des Zivilschutzes und von Evakuierungsmaßnahmen für Städte. Das NSC untersuchte erstmals 1963 die Frage der Kriegsbeendigung und verfasste ein Scenario Book About the Termination of Nuclear War.20 Dabei wurden diverse Eska17 Mechtersheimer, Alfred : Rüstung und Frieden – Argumente für eine neue Sicherheitspolitik, München 1984 ; Mechtersheimer, Alfred/Barth, Peter (Hg.) : Militärmacht Sowjetunion. Politik, Waffen, Strategien, Darmstadt 1985. 18 Kahn, Herman : On Escalation. Metaphors and Scenarios, Baltimore 1968. Siehe auch : Uri, William/ Smoke, Richard : Beyond the Hotline : Controlling a Nuclear Crisis. A Report to the United States Arms Control and Disarmament Agency (Nuclear Negotiation Project), Cambridge 1984. 19 RAND ist ein 1945/46 gegründeter, und ursprünglich von der U.S. Army Air Forces finanzierter Think Tank in Santa Monica, CA, mit rund 1 200 Mitarbeitern und Außenstellen im Raum Washington, D.C., der vor allem für das Defense Department Forschungsarbeiten durchführt. 20 The Management and Termination of War With the Soviet Union. Net Evaluation Subcommittee of the NSC. Top Secret – Limited Distribution, 15. November 1963, der Autor besitzt die Kopie der Aus-

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lationsstufen und ihre mögliche Unterbrechung analysiert : Überraschungsangriff der Sowjetunion, U.S. Preemptive-Angriff ; U.S. Counterforce Strikes und diverse Optionen des amerikanischen Präsidenten. Es zeigte sich, dass es wenige Möglichkeiten gab, einen einmal im Gang befindlichen Atomkrieg abzubrechen, was zur Folge hatte, dass seitens des NSC mehrere Lösungsvorschläge ausgearbeitet wurden.21 Die Sowjetunion hatte 1988 im Zuge der neuen stärker defensiven (»defensivoffensiv«) Militärdoktrin vorgeschlagen, den Krieg 20 bis 30 Tage konventionell zu führen und mit dem Westen zu verhandeln, um einen A-Waffen-Einsatz zu verhindern.22 Es gab keinen ausreichenden Zivilschutz In den Fünfzigerjahren wurden in den USA die Auswirkungen eines Atomkrieges unterschätzt ; man erkannte zwar die unzureichenden Zivilschutzvorkehrungen, die alle aus dem Zweiten Weltkrieg stammten und schon damals eher Behelfsmaßnahmen waren, doch jedes neue Schutzraumbau-Programm hätte Unsummen gekostet. 1951 meinte eine RAND-Studie, hätte Japan ein besseres Zivilschutzprogramm besessen, wären die Opferzahlen durch die Luftangriffe wesentlich geringer gewesen.23 Man hatte die Wirkungen von Atomwaffen immer nur technisch und physikalisch, aber nicht gesellschaftspolitisch untersucht.24 Erst in den Sechzigerjahren kam es im Rahmen des National Security Council Net Evaluation Sub-Committee (NESC) zu umfangreichen Untersuchungen. Die Ergebnisse waren derart ernüchternd, dass man diese Daten bis in die späten 1980er-Jahre geheim hielt.25 Publizierte Daten gab

21 22 23

24

25

fertigung Nr. 11. Siehe auch auch:: Memorandum for General Taylor Taylor:: Management and Termination of War, 7. November 1963. Top Secret, etc. Ball, Desmond : Can Nuclear War Be Controlled ? (Adelphi Adelphi Paper 169), London 1981 ; Ury/Smoke : Beyond the Hotline. Umbach Umbach:: Das rote Bündnis. S. 384–385 ; Rühl, Lothar : Offensive Defense in the Warsaw Pact, in : Survival 5/1991, S. 442–450. Schreiben an Paul Nitze, Office Memorandum, 24. Oktober 1951 : Air War and Emotionale Stress, Verfasser Irving L. Janis, RAND, Top Secret. Japans Verluste durch Luftangriffe betrugen bis August 1945 etwa 800 000 Tote. Siehe hiezu ganz typisch : Glasstone, Samuel : The Effects of Nuclear Weapons, Washington 1964 ; ähnlich : The Effects of Nuclear War. Office of Technology Assessment. Congress of the United States, Washington 1980. Huntington, Samuel P.: Civil Defense for the 1980s. Testimony. Defense Civil Preparedness Agency. Statement, Hearing on Civil Defense, Senate Subcommittee on Banking, Housing and Urban Affairs, 8. Jänner 1979, Washington 1979 ; Tirana, Bardyl R.: Director, Defense Civil Preparedness Agency. Statement, Hearing on Civil Defense, Senate Subcommittee on Banking, Housing and Urban Affairs, 8. Jänner 1979 ; Warnke, Paul C.: The Role of Civil Defense in the U.S./Soviet Strategic Balance. Statement, Hearing on Civil Defense, Senate Subcommittee on Banking, Housing and Urban Affairs, 8. Jänner 1979.

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es dann im Zusammenhang mit SDI, weil man sich dadurch in der Öffentlichkeit eine hohe Unterstützung für die Raketenabwehr erwartete, würde doch ein SDIABM-Programm diese Verluste drastisch reduzieren. Man nahm an, ein A-Waffen-Krieg würde auf beiden Seiten je 30 bis 40 Mio. Tote zur Folge haben. (Ähnliche Verluste hatte die UdSSR aber auch im Zweiten Weltkrieg ertragen.) Somit hatte auch die Sowjetunion, trotz aller Propaganda und des Millionen Mitglieder zählenden staatlichen Zivilschutzes, für einen Atomkrieg (außer für den Raum Moskau) keine effizienten Vorkehrungen, was sich auch bei der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl im April 1986 zeigte. Dieser Unfall und die für alle erkennbare Hilflosigkeit des Staates waren für die sowjetische Führung eine schlimme Überraschung und zwangen zu einem radikalen Umdenken hinsichtlich der Führbarkeit eines Atomkrieges, obgleich es einen ähnlichen, wenngleich in der Wirkung geringeren Unfall in Kischtym (Ural, Explosion von falsch gelagertem angereichertem Uran) bereits im März 1958 gegeben hatte, der dennoch Hunderte Tote forderte. In Europa gab es zwar auf beiden Seiten zahlreiche »atombombenfeste« Führungseinrichtungen ; keine Schutzvorkehrungen gab es hingegen für die Zivilbevölkerung, die man bestenfalls evakuieren konnte, allerdings ohne klar sagen zu können »wohin«.

Die Strategie der Sowjetunion gegen den Westen: Der Kriegsschauplatz Europa Die sowjetische Sicht des Krieges in Europa Die Politik der Sowjetunion wurde von den Entscheidungsebenen (Politbüro, Zentralkomitee der KPdSU, Ministerrat) bestimmt und baute auf den Grundlagen der marxistisch-leninistischen Ideologie auf, folgte de facto aber geopolitischen, politischen und ökonomischen sowie anderen pragmatischen staatspolitischen Zielen. Die Führung der sowjetischen Streitkräfte (Generalstab) folgte zwar ebenfalls der marxistisch-leninistischen Ideologie, unter der man aber eine Symbiose von geopolitischen Überlegungen, den Lehren von Clausewitz, Lenin und Engels, der strategischen Logik und den ständig zitierten Erfahrungen des Großen Vaterländischen Krieges 1941–1945 herzustellen versuchte. In der militärischen Praxis erfolgte die Kriegsplanung nach den Vorgaben strategischer Ziele, der Operationsplanung, Nutzung von Bewegungslinien, Bedrohungen und den Einschätzungen der USA und der NATO, logistischen Kapazitäten und errechneten Verlusten und Zeitvorgaben, ergänzt durch das sich wandelnde Kriegsbild, später erweitert durch die Möglichkeiten der Militär-Technischen Revolution, die man allerdings (im Gegensatz zum Westen) nie gänzlich umsetzen konnte. Atomwaffen waren demnach nur ein effizientes Instrument zur siegreichen Verwirklichung von Kriegszielen.

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Der Warschauer Pakt besaß keine eigene »Strategie«, sondern die Regierungen bzw. die nationalen Streitkräfte des Pakts bekamen politische und militärische Vorgaben, die in Moskau vom Generalstab festgelegt wurden. Es gab keine politischen Gremien, in denen die Pakt-Staaten strategische oder operative Fragen diskutieren konnten ; solche Debatten gab es erst ab 1987/88. Daher erfuhren die PaktStaaten die Vorgaben nur so weit, als sie von solchen unmittelbar betroffen waren. Die Sowjetunion informierte ihre Verbündeten kaum über die eigenen konkreten Kriegsplanungen, und die Pakt-Staaten erhielten nur so viel an Informationen, als notwendig war, um deren Rolle im Krieg sicherzustellen. Alles unterlag der Geheimhaltung. Ideologisch bedingt und politisch vorgegeben, gab es kaum Zweifel an der »Weisheit« der sowjetischen Führung und ihren Entscheidungen. 26 In den anderen Staaten des Pakts gab es daher keinerlei »strategische« Überlegungen. Moskau bestimmte auch die operative und letztlich auch die taktische Ebene und darin perfekt eingepasst den Einsatz von Atomwaffen gegen den Klassenfeind. Was die militärischen Fachpublikationen betraf, waren jene sowjetischer Herkunft betont politisch oder blieben Abhandlungen über Operative Kunst, stets belegt durch Aussagen über den Großen Vaterländischen Krieg.27 Auch Aufsätze von Offizieren der Pakt-Staaten in den eher dürftigen Fachjournalen beriefen sich auf die Überlegenheit des Marxismus-Leninismus und die angebliche Vorbildwirkung der Sowjetunion, waren sterile Abhandlungen, die auf taktischer Ebene selten über die Regimentsebene hinausgingen und sowjetische Quellen ähnlichen Inhalts zitierten.28 Atomwaffen dienten der geltenden Lehre nach stets der Verteidigung gegen den »monopolkapitalistischen Kriegshetzer USA«, die »revanchistische NATO« und die »reaktionären Kräfte in Westdeutschland«. Es gab nie einen Hinweis über Operationen, Kriegsplanungen oder alternative Auffassungen zu bestimmten Themen. Auch innerhalb der sowjetischen Streitkräfte galt eine weitgehende Abschottung der Planungen und Informationen, die nur im Generalstab der UdSSR er- und bearbeitet wurden. Hierbei ist bemerkenswert, dass die Stärke der NATO in den Feindlagebeurteilungen immer doppelt so hoch angenommen wurde, als tatsächlich Kräfte 26 1978 wurde Breshnew, obwohl Zivilist, auch zum Marschall der Sowjetunion ernannt und war nominell auch Führer des Warschauer Pakts, was bei den Militärs Verärgerung auslöste, jedoch keine Auswirkungen auf die Führungsorganisation des Pakts selber hatte. Umbach : Das rote Bündnis, S. 214 f. 27 Die Sowjetunion hatte das Führungssystem und ihre Führungshierarchie in die Ebenen Politik, Doktrinen, Strategie, Operation/Operative Kunst und Taktik unterteilt. 28 Dennoch hatte man im Westen ein sehr klares Bild über die Kriegsplanungen und operativen Möglichkeiten der Sowjetunion bzw. des Warschauer Pakts, die sich auch aus der Dislokation der Truppen, den Übungen, der materiellen Ausrüstung der Streitkräfte, der Ausbildung, der erkannten logistischen Vorbereitungen, der Topografie bzw. der logischen Bewegungslinien von Ost nach West ergaben. Auch das Bundesheer hatte sehr klare Vorstellungen über die Angriffsoptionen eines Ostaggressors und hatte daher die Operationsfallplanung auf diese abgestimmt.

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vorhanden waren. So nahm man an, dass allein die Bundeswehr mit 24 Divisionen und 5 Korps den Warschauer Pakt angreifen würde, obwohl es auch im Kriegsfall nur 12 Divisionen und 3 Korps gegeben hätte. Ebenso wurde erklärt, die NATO würde den Warschauer Pakt angreifen und bis Minsk vorstoßen.29 Solche Vorstellungen waren zwar gänzlich unrealistisch, dienten jedoch als Rechtfertigung Moskaus für die Stationierung starker sowjetischer Kräfte in der DDR, in Polen und der ČSSR. Der Marschall der Sowjetunion (MdSU) Sokolowski führte Anfang der Sechzigerjahre aus, die Strategie sei die Summe von Gesetzmäßigkeiten und Theorien des Krieges, der Erforschung des Charakters zukünftiger Kriege, der Grundlagen der Führung des Krieges und der Streitkräfte sowie der Erfahrungen aus früheren Kriegen.30 Der lange Zeit herausragende und auch tonangebende MdSU Nikolai Ogarkow31 wiederum berief sich in den 1980er-Jahren zwar auf Friedrich Engels, meinte aber, ganz im Sinne westlicher Erkenntnisse, nicht das Genie von Feldherren entscheide den Krieg, sondern deren und der Soldaten Fähigkeit, ihre Kampfweise den neuen Waffen anzupassen, denn die Kriegskunst dürfe nicht hinter den Möglichkeiten der Mittel hinterherhinken.32 Daher könne die Sowjetunion auch mit konventionellen Waffen allein einen Krieg gegen den Westen gewinnen, was damals als »Ogarkow Doktrin« bezeichnet wurde. Meinungsverschiedenheiten und Strategiedebatten Innerhalb der sowjetischen Führung, in der Partei, zwischen Partei und Generalstab, der sich nie ganz der KPdSU unterordnete und weitgehend die Verteidigungsund Rüstungspolitik bestimmte, aber auch im militärischen Führungsapparat selbst waren Spannungen und Anfeindungen, Lagerdenken und sich konkurrierende Seilschaften allgegenwärtig. 29 Tusa, Francis: Francis : Soviets Feared Battle for Berlin Might Have Pushed Allies Toward Minsk, in: in : Armed Forces Journal, Februar 1992, S. 21. 30 Sokolowski [Sokolovskij], Vasilij D. (Hg.) : Militär-Strategie, deutsche Übers. aus dem Russ. der 2. verb. und. erg. Aufl., Frauenfeld 1965. An zahlreichen Stellen. Das Buch musste allerdings nach seinem Erscheinen für die zwei weiteren Auflagen zweimal umgeschrieben werden. Siehe auch die sehr informativen Beiträge in : Pipes, Richard : Soviet Strategy in Europe, London 1976. 31 Ogarkow hatte ein abgeschlossenes Technik-Universitätsstudium, war Mitglied der Akademie der Wissenschaften der UdSSR, war 1. Stv. Verteidigungsminister, Mitglied des ZK der KPdSU (ein politischer Sonderfall !), war an den SALT-Verhandlungen beteiligt, war Vorsitzender des Verteidigungsrates der UdSSR, Mitglied der Militär-Industriekommission etc. 32 Ogarkow, Nikolai : Die sowjetischen Streitkräfte – Aufgaben und Doktrin, in : Österreichische Militärische Zeitschrift 1/20 (1982), S. 12–17. Ogarkow kritisierte rückblickend die Organisationsänderungen der Streitkräfte 1939/41 und andere Fehler und Versäumnisse. Siehe auch : Smith, D.L./Meier, A.L.: Ogarkows Revolution. Die sowjetische Militärdoktrin für die 90er Jahre, in : Internationale Wehrrevue 7/1987, S. 896–873.

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Mitte der 1950er-Jahre erklärten sowjetische Generale, so auch Hauptmarschall der PzTrp Pawel A. Rostmistrow, die Strategie der UdSSR werde sich aufgrund der Bedrohung durch den Westen zunehmend preemptiv ausrichten, und Chruschtschow forderte 1962 Vorbereitungen für einen Erstschlag mit Atomwaffen gegen den Westen und entsandte A-Waffen nach Kuba. Die damals eingeleitete, umfangreiche Bomberrüstung war dafür ein Indikator, denn man hoffte, einen Großteil der westlichen Flugplätze durch atomare Angriffe preemptiv auszuschalten. Allerdings gab es keine umfassende Literatur, die sich, wie im Westen, mit strategischen oder operativen Fragen im Detail befasste. Alle offiziellen Werke waren strikt an der von der KPdSU vorgegebenen Terminologie orientiert, das heißt, an der Unbesiegbarkeit der Sowjetunion und des Kommunismus. Viele zweifelten dennoch ! Bereits 1954 wurden Beiträge über die Gefahren eines Atomkrieges von der Partei verboten, was aber nur belegt, dass es solche Einschätzungen gab. Es gab in der Sowjetunion auch Diskussionen über einen langen und einen kurzen Krieg (»Blitzkrieg«), wobei ein nuklearer kurzer Krieg mit eher geringen Zerstörungen und einem vollständigen Sieg bevorzugt wurde.33 Die forcierte Nuklearrüstung und Budgetumschichtung Anfang der Sechzigerjahre durch Chruschtschow führte zu einem Richtungsstreit, als sich die Marschälle Sacharow, Warenzow, Timoschenko, Rokossowski, Konew, Woroschilow, Sokolowski und Perwuchin gegen eine Überbewertung von Atomwaffen und somit gegen Chruschtschow wandten, während jüngere Generale, wie Gretschko, Tschuikow, Jepischew und der für die Raketenrüstung zuständige MdSU Moskalenko für die neue Linie eintraten. Dies führte unter den Nachfolgern von Chruschtschow zu einem öfteren Wechsel in der Bewertung von A-Waffen aus der Sicht der Partei, der die Streitkräfte nicht immer rasch genug folgen konnten, was personelle Umbesetzungen zur Folge hatte. Außerdem gab es immer wieder auch organisatorische Änderungen bei den Streitkräften.34 Diese Diskussionen wurden dann trotz der gegenteiligen Erfahrungen im Zuge des Krieges in Afghanistan in den 1980er-Jahren weitergeführt und kamen zu der Erkenntnis, dass die unausweichlichen Vorwarnsignale einen überfallsartigen Angriff auf den Westen ebenso ausschlossen wie einen Atomkrieg mit »geringen Zerstörungen«. Nach 1980 kam es erneut zu starken Auseinandersetzungen zwischen der Partei und den militärischen Spitzen ; besonders MdSU Ogarkow drängte den Einfluss der Partei in den Streitkräften zurück, was diesem den Vorwurf des »Bonapartismus« eintrug. Im Zuge der Planungen für den Einmarsch in Polen (1980 : er unterblieb 33 Eine umfassende Erörterung dieser Fragen findet sich etwa bei Vigor, Peter H.: Soviet Blitzkrieg Theory. The Macmillan Press, London 1983. 34 Nor-Mesek, Nikolaij/Rieper, Wolfgang Wolfgang:: Supreme Command of the Soviet Armed Forces (Schriftenreihe Soldat und Technik), Frankfurt am Main 1986.

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dann) musste die Partei sogar zahlreiche Spitzenfunktionen in den Streitkräften umbesetzen. Spannungen zwischen Seilschaften in den Streitkräften gab es nach den eingeleiteten Reformen von Andropow im Zuge einer »defensiveren« Ausrichtung der Streitkräfte und verstärkt im Zuge der neuen, 1987 in Berlin vorgestellten und 1988 verfügten Militärdoktrin Gorbatschows.35 Der Oberbefehlshaber des Warschauer Pakts, MdSU Kulikow, wandte sich 1982 sogar gegen die Aufstellung eines eigenen Kommandos TVD West, da er die völlige Entmachtung seines Kommandos erkannte, und verlangte die Zusammenlegung beider Kommanden, was Ogarkow ablehnte. Kriegsplanungen In der Sowjetunion hatte sich Anfang der Sechzigerjahre die Meinung durchgesetzt, dass ein Krieg gegen die USA unausweichlich wäre. Diese Linie wurde durch den Ausgang der Kubakrise 1962 noch verstärkt, was zunächst zur Betonung der nuklearen Rüstung führte. Man war seitens der politischen und militärischen Führung des Staates davon ausgegangen, dass ein Krieg gegen den Westen etwa nach 1980 ausbrechen werde bzw. wäre dies der beste oder letzte Moment, um einen solchen Krieg gewinnen zu können. Daher wurden ab 1962 alle Rüstungsanstrengungen auf diesen Zeitpunkt hin konzentriert, was auch zu einem Abbruch neuer Raumfahrtprojekte führte. Die KPdSU gab der Rüstungsindustrie höchste Priorität, was sich rasch in einer sich rapide verschlechternden Versorgung der Bevölkerung mit Konsumgütern bemerkbar machte.36 Zwischen 1968 und 1985 kam es de facto zu einer Verdoppelung der konventionellen und atomaren Rüstungsproduktion, was letztlich zum Kollaps des gesamten Sowjetblocks führte.37 Daneben gab es eine weitere Entwicklung : Präsident Ronald Reagan konnte die Rüstungsausgaben der USA 1983 relativ problemlos erhöhen, und so wurde binnen 48 Monaten die Aufbauarbeit sowjetischer Kriegsplanungen von 20 Jahren indirekt zunichte gemacht. Hiezu traten der verlustreiche Krieg in Afghanistan und eine ökonomisch und auch ideologisch bedingte gesellschaftliche Krise, die alle Staaten 35 Ausführlich bei : Umbach : Das rote Bündnis, an zahlreichen Stellen. 36 Dies hatte, wie man heute weiß, bereits unter Chruschtschow Hunger-Revolten im europäischen Teil der Sowjetunion zur Folge, die, nach einem Aufflammen von Unruhen in der Ukraine, brutal niedergeschlagen wurden. 37 Es war paradox, dass gerade in dem Moment, als das sowjetische Militär und der Warschauer Pakt ihre militärisch optimale Ausgangslage und Stärke zu Land, in der Luft und auf See für einen Krieg gegen die USA und die NATO bzw. in Europa scheinbar erreicht hatten, deren innere Gefüge zerbrachen. Ab 1975 kam eine sich jährlich verschärfende politische und ökonomische Krise, die den gesamten kommunistischen Block erfasste. Man könnte daher zur Feststellung kommen, dass die Sowjetunion die Kubakrise dreimal verlor : 1962 strategisch und langfristig noch einmal ökonomisch und letztlich auch politisch.

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des kommunistischen Lagers erfasst hatte, sowie separatistische Tendenzen in einer Reihe von Sowjetrepubliken wie auch Konflikte zwischen diesen. Aufstände in Alma Ata, in Tschetschenien, Armenien, Unruhen in Georgien und im Baltikum etc. begannen fast gleichzeitig 1988/89, dann kamen der Austritt Ungarns aus dem Warschauer Pakt und das Ende der DDR. 1988 gab im Zuge der KSZE-Verhandlungen der Chef des Generalstabs der UdSSR, MdSU Dimitri Jasow, zu, dass zwischen der NATO und der Sowjetunion eine etwa ausgewogene Stärke vorlag, denn die numerische Überlegenheit des Warschauer Pakts werde durch die höhere Qualität westlicher Streitkräfte und Waffen ausgeglichen. Die Dislokation der Streitkräfte des Warschauer Pakts erfordere, so Jasow, nach der Mobilmachung eine Neuorganisation des Aufmarsches ; Pläne, die durch die Abspaltung der Pakt-Staaten wieder umgehend hinfällig wurden.38 Auch wenn es bis heute keinen detaillierten Einblick in die sowjetischen Dokumente betreffend eines Krieges gegen den Westen gibt, gibt es doch zahlreiche Bücher und Aufsätze sowjetischer Autoren (zumeist vor 1995 verfasst), wie auch solche von Entscheidungsträgern einiger Pakt-Staaten, vornehmlich der DDR und Ungarns. Deren Kenntnisstand galt zwar nur für jeweils ihre Bereiche, aber die übergeordnete Absicht ist im Detail erkennbar und logisch. Man kann daher davon ausgehen, dass diese Pläne den vorgegebenen Grundannahmen betreffend strategische und operative Ziele, Zeit, Raum, Gelände, Stoßrichtungen und A-WaffenEinsatz folgten. Bei den ab den Sechzigerjahren beginnenden Großübungen des Warschauer Pakts wurde stets ein Angriff von Ost nach West geübt, dazu Flussübergänge und im Luftraum die Errichtung von Korridoren.39 Immer wurden die taktische Luftunterstützung und auch Atomwaffeneinsätze hervorgehoben.40 Es gab aber, wie sich bei Übungen immer wieder zeigte und wie nach Manövern auch kritisch angemerkt wurde, im Ablauf des massierten Einsatzes von Mech-Kräften, Artillerie, Pionieren und Luftstreitkräften auf allen Ebenen führungsseitig Koordinationsschwächen, welche die NATO mit Luftangriffen hätte ausnützen können. 38 Trotz des Zerfalls des Warschauer Pakts, wie auch der Abspaltung der Sowjetrepubliken, der Auflösungserscheinungen bei Armee, Flotte und beim KGB, dem operationellen Stillstand bei den Luftstreitkräften und besonders der Abbau der Bomberwaffe, plante der Generalstab der Russischen Föderation bis Sommer 1992 noch immer Offensivpläne gegen die NATO, dabei eigene und Pakst-Steitkräfte einplanend, die sich längst aufgelöst hatten. 39 Siehe Siehe:: Berman, Robert P./Baker, John C.: Soviet Strategic Forces. Requirements and Responses,, Washington 1982 ; Berman, Robert P.: Soviet Air Power in Transition,, Washington 1978. 40 Die taktische Luftunterstützung blieb jedoch immer ein Schwachpunkt der sowjetischen Luftstreitkräfte, da es an ausreichender Luft-Boden-Munition, taktischer Reichweite und Nutzlasten der ersten beiden Generationen von Jagdbombern fehlte, doch wurde dies durch den Masseneinsatz gegen Bodenziele ausgeglichen.

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Aufgrund errechneter Verluste (siehe unten) wurden zur Vermeidung drohender Niederlagen massive A-Waffeneinsätze eingeplant : Beim Manöver Waffenbrüderschaft 80 kam es zum gedanklichen Einsatz von 840 A-Waffen auf dem Boden der europäischen NATO-Staaten. Pro Front sollten 20 SCUD und 55 FROG mit atomaren Gefechtsköpfen zum Einsatz kommen. Solcherart hoffte man, die eigenen Verluste zu reduzieren. Allein gegen Jütland war geplant, binnen 48 Stunden 47 A-Waffen einzusetzen.41 Bei der Übung Sapad 1977 wurden beispielsweise allein von der 2. Front gegen NATOStreitkräfte in den ersten Kriegstagen gedanklich 300 A-Waffen eingesetzt, somit bereits am Beginn des Krieges und nicht, wie man im Westen erwartet hätte, erst im Zuge der weiteren Kampfhandlungen. Umgekehrt nahm die sowjetische Übungsleitung bei Kriegsspielen an, dass die NATO rund 680 A-Waffen gegen die Truppen und das Hinterland samt dem europäischen Teil der Sowjetunion einsetzen würde.42 Die sowjetischen Raketen waren allerdings relativ ungenau und daher als Counterforce-Waffen mit Ausnahme von Angriffen auf Hafenanlagen und Flugplätze wenig geeignet. Der rasche atomare Angriff sollte zahlreiche Nebeneffekte haben, nämlich den Ausfall der feindlichen politischen sowie eines Teiles der militärischen Führung und aller Telekommunikationseinrichtungen ; auch die Mobilmachungsabläufe würden im Westen sofort zum Erliegen kommen.43

Der Kriegsschauplatz Europa : Unschärfen der Operationsräume Die TV- und TVD-Kommandostruktur des Warschauer Pakts • Der gedachte (geostrategische) Gesamt-Kriegsschauplatz Europa (Teatr Wojny, TV Europa)44 bildete ab 1984 drei Strategische Kriegsschauplätze (Teatr Wojenniych Deijstwij, TVD), nämlich Nordwest (wahrgenommen durch Kdo MB Lenin-

41 V.u.: Wie der Warschauer Pakt angegriffen hätte, in : Neue Zürcher Zeitung, 17. August 1991, S. 5. 42 Als man 1990/91 eine politisch und technisch recht mühsame Bestandsaufnahme der taktischen A-Waffen der Sowjetunion einleitete, stellte man fest, dass sich von den rund 12 300 derartigen Waffen etwa 9 000 außerhalb des Territoriums der neuen Russischen Föderation befanden. Es mussten umfassende politische Verhandlungen mit den Nachfolgestaaten der UdSSR eingeleitet werden, um dann, nicht zuletzt mit umfassender finanzieller Unterstützung der USA, die nuklearen Gefechtsköpfe und Bomben bis Ende April 1992 auf russischen Boden zurückzuführen. Dieser Vorgang wurde damals vom Verfasser in den Konferenzen der KSZE mitverfolgt. 43 Man rechnete im Westen ohnedies nicht damit (ausgenommen die USA), im Falle eines Angriffes noch Mobilmachungen durchführen zu können. Es gab daher bei der NATO kaum mobilzumachende Großverbände. 44 Es gab nach Muster 1942 das aufgestellte TV/TVD Fernost (für Ostasien, Pazifik) und den TV Süd (für Zentralasien, Südasien).

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grad, für Skandinavien, Nordatlantik), Zentral-West (Kommando in Liegnitz, für Westeuropa bis zur Iberischen Halbinsel und dem Ostatlantik) und Südwest (Kommando in Belcy, MB Kiew, für den Balkan und den ostwärtigen Mittelmeerraum).45 • Der TVD Zentral-West (Liegnitz) besaß drei Strategische Richtungen (auch »strategische Kampfzonen« genannt), nämlich Nordwest (auch »Küstenrichtung« genannt, Kommando in Leningrad, für Skandinavien und die Ostseeausgänge), West (»zentrale Westrichtung«, Kommando in Zossen-Wünsdorf, für Westeuropa) und Südwest (Kommando in Budapest, für Österreich, Norditalien und den Balkan). • Jede Strategische Richtung umfasste wiederum mehrere Operative Angriffs-Richtungen (»operative Kampfzonen«), in der Regel eine Front (eine Armeegruppe) plus eine Taktische Luftarmee. • Jede Operative Angriffs-Richtung besaß mehrere Taktische Richtungen (»taktische Kampfzonen«). Diese Unterteilung wie auch die Strukturierung in Staffeln ergab sich aus der extrem starken Zentralisierung und aus dem Zwang der Führungsfähigkeit, wenngleich führungsseitig die Räume immer als zu groß empfunden wurden. Das Problem Mitteleuropa Strategisch-operativ wurde durch den TVD Zentral-West ein »Super Cannae« angestrebt, in dem alle Kräfte der NATO ostwärts des Rheins eingekesselt werden 45 1946 wurden alle sowjetischen Truppen außerhalb der UdSSR dem Kommando in Wünsdorf (unter MdSU Konew) unterstellt, aus dem das Kommando der Gruppe der Sowjetischen Truppen in Deutschland (GSTD) hervorging. Mit der Schaffung des Warschauer Pakts 1955 wurden die neu geschaffenen Sowjetischen Gruppen der Truppen (NGT, SGT, ab 1968 ZGT) weiterhin dem Verteidigungsministerium und nicht dem Oberkommando Warschauer Pakt unterstellt. 1958 wurden drei strategische Richtungen in Europa festgelegt und später den TVDs Westen, Südwesten und Süd zugeteilt, während der TVD Nordwesten dem Kommando des MilBez Leningrad zugeordnet wurde ; außerdem gab es immer wieder Restrukturierungen. Erste Probleme ergaben sich durch das Ausscheren von Rumänien 1963 und von Albanien 1968. Ein TVD-Kommando »Zentral« war in Minsk vorübergehend für die Kriegführung gegen den Führungsbereich NATO-Mitte eingerichtet worden, und obwohl nur von einem GenObst geführt, war es faktisch dem Warschauer Pakt (geführt von einem Marschall der Sowjetunion) übergeordnet. Ein eigenes TV-»Oberkommando Europa« wurde nie aufgestellt, es war aber durch die Führung des TVD Zentral-West unter MdSU Ogarkow in Personalunion vorhanden. Doch es gab Unklarheiten über dessen tatsächliche Aufgaben und Vollmachten. Nach übereinstimmenden Angaben umfasste dieser TV/TVDBefehlsbereich vorübergehend auch die westlichen Militärbezirke (mit den Kräften der 2. Strategischen Staffel) der UdSSR. Als Ogarkow 1988 krankheitshalber in Pension ging, wurde Armeegeneral Stanislaw I. Postnikow Kommandant, ehe der Stab 1992 ( !), de facto ohne einsatzfähige Truppen, aufgelöst wurde. Siehe zu dieser Entwicklung vor allem : Umbach : Das rote Bündnis.

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sollten. Dies hätte auch das Abschneiden der restlichen NATO-Kräfte im Süden der Bundesrepublik Deutschland zur Folge gehabt, die dann durch einen weiteren Stoß bis Kassel bzw. bis zum Rhein zurückgedrängt werden sollten. Den Planungen zufolge sollte der Stoß durch die norddeutsche Ebene die für das Heranbringen von Verstärkungen besonders wichtigen Atlantikhäfen in den Niederlanden und in Belgien rasch in die Hand der sowjetischen bzw. Warschauer-PaktKräfte bringen und so die Verstärkung und Versorgung der amerikanischen und britischen Truppen entscheidend behindern. Man rechnete jedoch mit einem massiven Widerstand der NATO-Kräfte und stellte natürlich in Rechnung, dass zahlreiche Flüsse zu übersetzen waren. Es galt, sich durch ein Gelände mit starker Verbauung bzw. Urbanisierung durchzukämpfen. Damit wurde dem »weichen Süden« besonderes Augenmerk zuteil : Da ein Angriff durch den Böhmerwald in Richtung Bayern (Angriffsrichtung 5) mangels guter Straßen Probleme aufgeworfen hätte, blieb der Stoß durch das Donautal bzw. von zwei Angriffskeilen nördlich und südlich der Donau in Richtung Inn und Süddeutschland eine bevorzugte Option der sowjetischen Planungen. Solcherart hätte die Eroberung Bayerns bis zur französischen Grenze vom Süden her durch das als vom Kampfwert eher schwach eingestufte Österreich erfolgen können. Die Option eines Vorstoßes vom Süden der Tschechoslowakei in Richtung Mauthausen–Linz–Wels schien besonders günstig, um so das gesamte Abwehrdispositiv südlich der Donau zu umgehen. Andererseits konnte man zur Beschleunigung des Angriffes sowohl zur Überwindung des Widerstandes ostwärts von Wien und außerdem westlich von Wien, im Alpenvorland und auch beim Heraustreten in die Welser Heide A-Waffen einsetzen. Die sowjetischen Planungen für einen möglichen Krieg gegen West-/Mitteleuropa (NATO Central Region) folgten daher den Bewegungslinien von Ost nach West bzw. dem Gelände : Für die Strategische Richtung West (alle Pakt-Truppen mit Ausnahme jener Ungarns) • gab es die Nordfront mit der Operativen Angriffsrichtung – 1 (Hamburg, Dänemark, Nordseeausgänge) mit Kräften der GSTD, NGT und Streitkräften Polens und der angrenzenden sowjetischen Militärbezirke ; • die Zentralfront mit den Operativen Angriffsrichtungen – 2 (Norddeutschland, Niederlande) – 3 (Fulda-Senke in Richtung Südwesten und dann ein Eindrehen nach Norden und Nordwesten, Ruhrgebiet, Belgien), – 4 (Stoß durch den »Hof-Korridor« nach Südwesten und dann wahlweise ebenfalls nach Südwesten oder Westen/Nordwesten, Frankfurt, Nordfrankreich), – 5 (Bayern, Stuttgart, Mittelfrankreich) und – 6 (Österreich/Bayern/Nordschweiz/Frankreich ; Führungsbereich der ZGT).

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Für die Strategische Richtung Südwest (Südwestfront) Mit dem Kommando in Budapest, mit der SGT und Verstärkungen sowie den Streitkräften Ungarns) gab es die für Österreich relevante46 – Operative Angriffsrichtung Donau mit drei Taktischen Richtungen und die – Operative Angriffsrichtung Norditalien mit zwei Taktischen Richtungen. Der Angriff gegen Italien Bedingt durch Adria und Alpen, musste ein Landangriff gegen Italien ebenfalls von Ungarn aus erfolgen, war daher eine Aufgabe des Kommandos Südwestfront. Es wurde immer vermutet, dass das Kommando der ZGT mit jenem für die Südwestfront identisch war.47 Die SGT bildete außerdem bei Übungen fallweise auch ein Kommando Donau, und es wurde daher vermutet, dass die SGT diesen wichtigen Raum einzunehmen hatte, der gemäß den Taktischen Angriffsrichtungen nicht den ungarischen Truppen zugeordnet worden war. Die Angriffsrichtungen Donau und Norditalien waren somit von Ungarn her zu planen. Außerdem gab es im TVD Südwest im Rahmen der Strategischen Richtung Südwest auch eine – Operative Richtung Balkan, die gegen Jugoslawien und Griechenland gerichtet war. Diese sollte von der Karpatenfront (8 Divisionen der 2. Strategischen Staffel und 57. Frontluftarmee) bzw. aus der Ukraine bewältigt werden, verstärkt durch die Truppen Rumäniens und Bulgariens. 46 Széles, Robert : Die strategischen Überlegungen des Warschauer Pakts für Mitteleuropa in den 70er Jahren und die Rolle der Neutralen, in : Rauchensteiner, Manfried/Etschmann, Wolfgang/Rausch, Josef (Hg.) : Tausend Nadelstiche. Das österreichische Bundesheer in der Reformzeit 1970–1978 (Forschungen zur Militärgeschichte 3), Graz/Wien 1994, S. 25–46, hier vor allem S. 26 f. und 34 f.; Rühl, Lothar, in : Reiter, Erich/Blasi, Walter (Hg.) : Österreichs Neutralität und die Operationsplanungen des Warschauer Pakts (Informationen zur Sicherheitspolitik 20), Wien 1999, S. 17–22 ; Balló, Istvan : Die Ungarische Volksarmee im Warschauer Pakt, in : Reiter, Erich/Blasi, Walter (Hg.) : Österreichs Neutralität und die Operationsplanungen des Warschauer Pakts (Informationen zur Sicherheitspolitik 20), Wien 1999, S. 23–33 ; Széles, Robert : Die strategischen Überlegungen des Warschauer Pakts für Mitteleuropa in den 70er Jahren und die Rolle der Neutralen, in : Reiter, Erich/Blasi, Walter (Hg.) : Österreichs Neutralität und die Operationsplanungen des Warschauer Pakts (Informationen zur Sicherheitspolitik 20), Wien 1999, S. 35–52 ; Whetten, Lawrence L.: The Future of Soviet Military Power, New York 1976, S. 123, etc. Diese Angaben decken sich auch mit den Erkenntnissen des österreichischen Nachrichtendienstes und den Überlegungen der österreichischen Planungsstäbe. 47 Umbach : Das rote Bündnis, an zahlreichen Stellen ; der Autor behandelt auch die zahlreichen Reformen und Reorganisationenen. Siehe auch : Rühl : Österreichs Sicherheitslage, und Balló : Die Ungarische Volksarmee.

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– Der Militärbezirk Karpaten bildete mit seinen 8 Divisionen auch die 2. Strategische Staffel für die der ZGT und SGT. Führungsprobleme Schwierigkeiten und Reibungen dürfte es auf allen Ebenen gegeben haben. So gab es bei den Operativen Richtungen und den Grenzen zwischen der Zentralfront und der Südwestfront keine Klarheit über die sich nach Westen fortsetzenden Frontgrenzen, was sich auch bei Kriegsspielen unter Leitung des sowjetischen Generalstabs zeigte. Bei der ZGT und SGT gab es insofern Unklarheiten, da der ZGT auch der Raum nördlich der Donau für den Stoß nach und durch Südbayern zugewiesen wurde, der SGT der österreichische Raum südlich der Donau. Nach den nun in vielen Arbeiten zitierten Angaben von Istvan Balló war jedoch den ungarischen Truppen auch das »Becken des Donautals« zugewiesen, was sich aber mit dem am weitesten nach Norden reichenden Raum der angegebenen 1. Taktischen Richtung Moson nicht in Übereinstimmung bringen lässt.48 Die SGT hatte daher eine geografisch und vom Gelände her äußerst atypische und uneinheitliche Frontbreite (vom Schwarzwald bis Mailand und Bologna). Erkennbar hatte das Kommando des Warschauer Pakts keine Funktion. Sowjetische Atomwaffen in Europa Bis 1956 befanden sich nur auf dem Boden der UdSSR Atomwaffen ; in diesem Jahr kam es erstmals zur Verlegung solcher Waffen außerhalb der UdSSR, zunächst zur 16. Frontluftarmee in der DDR, später auch taktischer Atomwaffen zu den Armeetruppen.49 1957 kamen solche Waffen nach Ungarn (Ende 1956 hatte János Kadar einen diesbezüglichen geheimen Stationierungsvertrag abgeschlossen) und 1969 auch in die ČSSR und nach Polen. Die Bewachung der Atomwaffen erfolgte durch das 9. Direktorat des KGB, das auch für die Bewachung aller sensiblen sowjetischen Einrichtungen in der Sowjetunion und den Satellitenstaaten zuständig war. Jede Front verfügte über mehrere Hundert Atomwaffen, die sich aus solchen für taktische Kampfflugzeuge, taktische Raketen und für die Artillerie zusammensetzten. Außerdem gab es Atomminen. 1990 erklärte der Chef des Generalstabs, MdSU Michail Moissejew, man habe 1989 alle sowjetischen Atomwaffen aus der DDR, aus Polen, der ČSSR und aus Ungarn abgezogen.50 1991 erklärte der vormalige ungari48 Balló : Die Ungarische Volksarmee. 49 Hinweise dazu finden sich in Artikeln im Neuen Deutschland, in denen die Rolle »der sowjetischen Atomwaffen bei der Verteidigung der DDR« behandelt wurde. 50 Diese Waffen umfassten 166 Bomben der sowjetischen taktischen Luftstreitkräfte, 284 Gefechtsköpfe für taktische Raketen und 50 Artilleriegranaten. Siehe : Umdach : Das rote Bündnis, S. 519.

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sche Ministerpräsident Károly Grosz, er hätte schon 1987 von Gorbatschow den Abzug der Atomwaffen aus Ungarn gefordert, was dieser umgehend zusagte. In Ungarn befanden sich in Komárom (an der Grenze zur Slowakei) ab Mitte der Sechzigerjahre eine SCUD (SS-1C) Brigade mit 9 Raketen, drei Raketenartillerie-Regimenter mit 18 FROG 7B Raketen und das Nuklearwaffendepot in Csaszar (ebenfalls an der Grenze der Slowakei liegend) mit rund 30 A-Waffen, dazu C-Waffen-Gefechtsköpfe.51 In der ČSSR (auf dem Boden der heutigen Slowakei) wurden nach 1970 für Atomwaffen drei Depots eingerichtet. 1990/91 gab es dann das Problem, den Abzug der strategischen und taktischen A-Waffen aus Estland, Lettland, Litauen, Belarus, Ukraine und Kasachstan politisch und technisch abzuwickeln. Ein Vorgang, den die USA finanzierten.

Nukleare Zielplanung Die Sowjetunion hat über ihre Zielplanungen nie Angaben gemacht. Es wurden jedoch durch verschiedene Aussagen nach 1990 detailliertere Informationen bekannt. Die Ziele wurden nach folgenden Kriterien eingeteilt : • • • • • •

Politisch-Strategische Ziele (Städte) Führungseinrichtungen der NATO) Feindliche Atomwaffen Feindliche konventionelle Streitkräfte Rückwärtige Logistik und Verkehrseinrichtungen.

Jede dieser Gruppen wurde in mehrere Untergruppen eingeteilt. Die Bekämpfung dieser Ziele erfolgte, je nach Entfernung, durch ICBM, SLBM, MRBM, taktische Raketen, Bomber mit Stand-off-Systemen, Jagdbomber und Artilleriewaffen.

Die sowjetischen Optionen für einen Krieg und den Einsatz von A-Waffen in Europa Die Sowjetunion legte ihre Planungen für einen Krieg gegen Westeuropa bzw. die NATO in einer Unzahl von Ausarbeitungen bis auf Ebene der Divisionen fest, ein51 Die meisten ungarischen Politiker und Militärs glaubten bis 1989, da sie den Geheimvertrag nicht kannten, es hätte auf dem Boden Ungarns keine Atomwaffen gegeben, diese Waffen hätten sich vielmehr in der Ukraine befunden, und auch die Raketenbrigaden der SGT hätten nie Atomgefechtsköpfe besessen.

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schließlich der politische Ziele und ergänzt durch Pläne der Pakt-Staaten.52 Dabei wurde bei den Überlegungen zu A-Waffen-Einsätzen sehr genau zwischen strategischen, eurostrategisch-operativen und taktischen Waffen unterschieden und für jede Ebene Einsatzdoktrinen entwickelt, deren Inhalte allerdings nie publiziert wurden. Strategische Überlegungen Das strategische Denken war in der Sowjetunion in den Jahren nach 1945 zunächst defensiv. Ein erfolgreicher Angriff wie jener der Deutschen Wehrmacht mit den katastrophalen Folgen für die Rote Armee und die Bevölkerung sollte sich nie mehr wiederholen. Maßgebliche Proponenten dieser Denkrichtung waren Marschälle wie Konew, Shukow und Batisky. Mit der Einführung von Atomwaffen ergab sich die Möglichkeit einer »strategischen« Gleichstellung mit den USA, aber auch eines Sieges über den Klassenfeind in einem als unausweichlich dargestellten Krieg für die sozialistische »Weltrevolution«. Dies drückte sich besonders in der Raketenrüstung und der intensiven Förderung der Seestreitkräfte aus. Die enorm teuren (vermutlich auch Fehl-)Investitionen in die Flotte (nach Meinung der US-Navy »one-mission ships«) können nur mit den befürchteten strategischen Folgen einer amerikanischen Überlegenheit zur See erklärt werden. Wie schon oben ausgeführt, kam es dann zu einer betont nuklearen und offensiven Orientierung im strategischen Denken. Moskau versuchte einen globalen Atomkrieg ebenso zu verhindern wie einen Atomkrieg, der die Sowjetunion zerstören würde, hatte aber kaum Einwände, um mittels Atomwaffen in Europa einen Sieg über den Westen zu erringen. Später rückte ein konventioneller Krieg in den Vordergrund, den man meinte durch quantitative Überlegenheit zu gewinnen. Damit stand man vor dem gleichen Dilemma wie die USA bzw. die NATO. Diese wollte mittels Atomwaffen einen nuklearen Sieg der Sowjetunion ebenso verhindern wie eine konventionelle Niederlage, Letzteres auch durch eine qualitative Überlegenheit. Es gab somit in Europa einen strategisch-operativen Wettlauf in Richtung (a) konventioneller Kriegführung und Sieg durch eine drückende konventionelle Überlegenheit), (b) punktuellem A-Waffen-Einsatz, (c) einem graduellen Einsatz von A-Waffen (Eskalation), um Vorteile oder Siege auszuweiten oder Niederlegen zu verhindern, sowie (d) einem sofortigen massiven A-Waffen-Einsatz, um ein Fait accompli zu schaffen, aber auch mit dem Risiko umfassender westlicher Vergeltungsschläge und dem Verlust der errungenen Vorteile und weitgehender Vernichtung. 52 Die besten Übersichten hiezu liefern : Mechtersheimer/Barth : Militärmacht Sowjetunion ; Umbach : Das rote Bündnis ; Wiener, Friedrich : Die Streitkräfte der Warschauer-Pakt-Staaten (Truppendienst-Taschenbuch 2A : Fremde Heere), 2 Bände, 8. völlig neu bearb. Aufl., Wien 1990 ; und für die Jahre davor die 5. überarb. u. erg. Aufl. 1971.

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Operative Überlegungen Die Operationen wurden so weit wie möglich vorgeplant und wiesen den eingeteilten Truppen klare Aufgaben und Ziele zu. War die Strategie in erster Linie ein sehr politisch-ideologisch-theoretischer Bereich, war die Operation nach Raum, Kräften, Zeit und Logistik festzulegen. Grundlage war die operative Kunst, die in der Sowjetunion umfassend analysiert und auch mathematisiert wurde. Die operative Planung erfolgte auf der Ebene der Strategischen Richtungen mit den Fronten und mit den für die Operativen Angriffsrichtungen verantwortlichen Planungsstäben. War die Zweite Strategische Staffel primär eine Waffe der Strategie, war sie im Moment ihres Einsatzes ein Mittel der operativen Führung. Taktische Überlegungen Bei den großen Übungen des Warschauer Pakts wurde eine Vormarsch-Geschwindigkeit von 30 bis 50 km pro Tag auch gegen stärkeren Widerstand eingeplant. Man nahm immer an, die NATO würde A-Waffen einsetzen, wenn größere Truppenverbände der NATO vernichtet sein würden oder um einer solchen Vernichtung zu entgehen, was in Zentraleuropa etwa ab dem zehnten Kriegstag zu erwarten war. Dem wollte der Warschauer Pakt durch einen umfassenden Erstschlag gegen die Kräfte im Bereich NATO-Mitte zuvorkommen, bei dem rund 300 taktische AWaffen zum Einsatz kommen sollten. Man war – so ehemalige Generale des Warschauer Pakts – bestrebt, ja geradezu gezwungen, den Zeitplan für das Erreichen des operativen Zieles einzuhalten, um die Fronten weitgehend »linear« in Richtung Westen vorzuschieben. Als »Stoß-Geschwindigkeit« hatte man 4 km/h vorgesehen, was technische und logistische Pausen mit einschloss. Dennoch gab es bei den Manövern immer unerwartete Probleme und führungsseitig schwere Fehler, die auch kritisiert wurden. Um daher die sehr starken Widerstandsriegel der Active Defense zu durchbrechen, war der Einsatz taktischer A-Waffen so gut wie zwingend vorgesehen. (Die Active Defense im Rahmen der 7th US-Army war ihrerseits umfassend auf taktische Atomwaffen und starke Artillerie- und Lufteinsätze hin orientiert, was mittels 20 Artilleriebataillonen und 1 000 taktischen Lufteinsätzen pro Tag erreicht werden sollte.)53

53 Daher war – als rein hypothetische Schlussfolgerung – anzunehmen, dass auch der Widerstand in den österreichischen Schlüsselzonen (eine Art Kleinausgabe der Active Defense, ohne ausreichende Artillerie, ohne Luftkomponente), mit ein oder zwei A-Waffen von 5 bis 10 Kilotonnen Detonationswert, sofort gebrochen worden wäre, um »plangemäß« binnen 100–200 Stunden den Raum Linz–Wels–Regau zu erreichen, so hätte sich auch der Stoß nach Norditalien über das Grazer Becken und das Klagenfurter Becken abgespielt.

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Hohe Verluste wurden einkalkuliert. Man kalkulierte allerdings immer höhere Verluste beim Feind und unter der gegnerischen Zivilbevölkerung ein als bei den eigenen Kräften. Letztlich musste der Ostblock aber auch mit schweren Verlusten bei den eigenen Truppen rechnen. Der Einsatz von A-Waffen konnte, so die Meinung, eine Kapitulation des Westens aus politisch-humanitären Gründen beschleunigen. Humanitäre Überlegungen gab es bei der sowjetischen Führung zum wenigsten : Ziele der strategischen Waffen waren die Bevölkerungszentren, und die SS-20 waren auf europäische Städte gerichtet, was man ja auch immer betonte. Aufgrund der intensiven Verbauung in Westeuropa (was den Vormarsch bremste) wären auch alle anderen Ziele ganz automatisch immer Städte gewesen. Im Jahre 1978 betonten bei einer Konferenz in Sofia die Chefs der Generalstäbe des Warschauer Pakts, trotz der Erkenntnis schwerer eigener Verluste, besonders bei der Ersten Strategischen Staffel, die große Bedeutung von Atomwaffen für einen Krieg gegen die NATO, was die eigenen massierten Nuklearschläge rechtfertigen sollte, aber auch eine völlige Unterordnung unter die Atomkriegs-Vorgaben der sowjetischen Kriegsplanungen signalisierte. So würden die vorgesehenen fünf oder sechs Fronten in den ersten Wochen eines Krieges folgende Verluste erleiden : 70 % der (operativ-taktischen) Raketentruppen, 60 % der mechanisierten Teile bzw. rund ein Drittel der Kräfte aller eingesetzten Divisionen, dazu wären 70 % aller taktischen Luftstreitkräfte vernichtet worden ; dies ergab Personalverluste im Umfang von 30 % bis 40 %, ergänzt durch unmittelbare oder spätere Ausfälle durch Radioaktivität. Mit neu zugeführten Kräften sollte dennoch ganz Westeuropa bis zum Ärmelkanal bzw. bis zur Biskaya innerhalb von 35 bis 90 Tagen erobert werden.54 Ziel war es, die europäischen Staaten aus der NATO herauszubrechen und die USA aus Europa zu »vertreiben«.

Die Beurteilung Österreichs durch den Warschauer Pakt Österreich als Feindstaat Das neutrale Österreich galt, wie bereits eingangs erwähnt, aus sowjetischer Sicht als »Feindstaat« und zumindest als stark NATO-orientiert.55 Dennoch gab es im Warschauer Pakt Debatten darüber, ob ein Aussparen Österreichs seitens der Trup-

54 Feldmeyer, Karl : Die Angriffspläne des Warschauer Pakts gegen Deutschland und die NATO, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 1. Februar 1992, S. 5. (Feldmeyer zitiert in seinem Beitrag Originaltexte der NVA und die Aufzeichnungen von DDR-Verteidigungsminister General Heinz Hoffmann nach der Übung Sojus 83.) 55 Siehe u.a.: Széles : Die strategischen Überlegungen.

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pen des Warschauer Pakts die NATO (wegen der weiteren Aufrechterhaltung des »neutralen Riegels«) nicht stärker behindern würde, als eine anlaufende Okkupation durch den Warschauer Pakt, was Österreich zur Kriegspartei gemacht hätte, samt einer umgehenden »freundlichen« Besetzung Westösterreichs durch die NATO. Die Annahme, dass die Sowjetunion den Westen betreffend einer Aggression gegen Österreich (und damit auch die österreichische Regierung) vor und unmittelbar bei einem Kriegsbeginn in Europa im Unklaren lassen wollte, wird von einigen Autoren angeführt.56 Nach übereinstimmenden Meinungen militärischer Experten aus Ost und West war Österreich kein unmittelbares Kriegsziel, sondern nur Aufmarschraum (was aber für Österreich hinsichtlich der Folgen umfangreicher Kriegshandlungen auf seinem Gebiet kaum einen Unterschied gemacht hätte). Der politische Wille Österreichs, sich militärisch zu verteidigen, konnte zwar nicht wirklich eingeschätzt werden ; der militärische Widerstand Österreichs wurde jedenfalls vor der Einnahme der Raumverteidigung als eher gering kalkuliert, dann in den 1980er-Jahren, zumindest außerhalb des Basisraumes, als mit einigem Aufwand überwindbar. Für den Marsch von Wien nach Salzburg waren in den Planungen des Warschauer Pakts 100 bis 200 Stunden bzw. bis zu 10 Tage veranschlagt worden. Dies bedingte den Einsatz der zweiten Armeestaffel etwa 5 bis 10 Tage nach Beginn der ersten Kriegshandlungen, ebenso wie eine funktionierende Logistik. Der Zentralraum Die Einnahme des österreichischen »Zentralraumes« (auch »Basisraum« genannt), ähnlich dem Schweizer »Reduit« oder der »Alpenfestungsidee« im Deutschen Reich, hatte im Warschauer Pakt keine Priorität, da dieser ohnedies ökonomisch nicht überleben konnte und seitens des Aggressors auch viele Truppen gebunden hätte. Mit Hunderttausenden Flüchtlingen ohne autonome Energieversorgung und ohne ausreichende landwirtschaftliche Ressourcen und nur improvisierten Unterbringungsmöglichkeiten musste dieser Raum von außen versorgt werden. Offen war dabei wie, von wo und durch wen. Angesichts der strategischen Beurteilungen über den Verlauf eines Krieges in Europa war eine solche Versorgung kaum denkbar. Angriffspotenziale gegen Österreich An Kräften und A-Waffen-Systemen standen für einen Angriff gegen Österreich zur Verfügung : 56 Bautzmann, Georg : Zu den Kriegsplanungen des Warschauer Pakts in den achtziger Jahren, in : Österreichisches Jahrbuch für internationale Sicherheitspolitik 1 (1997), S. 279–299, hier v.a. S. 294.

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• Die ZGT (5 Divisionen und weitere aus der UdSSR zugeführte Kräfte) und die mobilgemachten Truppen der ČSSR. Ferner die 57. Front-Luftarmee, ab 1985 mit einer sowjetischen SS–21 Brigade mit 9 Abschussrampen sowie einem ČSSR-Raketenartillerie-Regiment mit 4 FROG 7B Werfern im Rahmen der Angriffsrichtungen 5 und 6 im Raum Süddeutschland bzw. nördlich der Donau. Mit dem Einsatz mindestes einer, wahrscheinlich zweier Divisionen plus massiver Luftunterstützung war daher gegen österreichisches Gebiet nördlich der Donau zu rechnen. • Die SGT (mit 4 Divisionen und weiteren aus der UdSSR nachgeführten Kräften) sowie den mobilgemachten ungarischen Truppen. Ferner die 36. Front-Luftarmee, ab 1985 mit einer SS–21 Brigade mit 9 Abschussrampen und 18 Raketen, 3 ungarischen Raketenartillerie-Regimentern mit 18 FROG 7B Raketenwerfern und rund 60 Raketen mit den Angriffsrichtungen Donautal und Norditalien. Konkret konnten auf ungarischem Boden etwa 200 000 Mann, 2500 Kampfpanzer und 3000 gepanzerte Fahrzeuge gegen Österreich und Italien bereitgestellt werden. • Dies inkludierte auch massive Lufteinsätze gegen Österreich, aber auch über Österreich gegen die NATO. Mit den Hubschraubereinsätzen bedeutete dies den Anflug, Durchflug bzw. Einsatz von bis zu 1000 Flugzeugen pro Tag, davon 70 % nördlich der Alpen, also für den Stoß nach Westen in Richtung Alpenvorland bzw. Welser Heide–München–Regensburg.57 Der Aufbau eines Luftkorridors von Ungarn bis in den süddeutschen Raum konnte sehr rasch erfolgen, ein weiterer konnte von Ungarn aus in Richtung Italien errichtet werden. Daher konnte der Einsatz von Atomwaffen gegen Ziele in den Bereichen NATO/AFCENT (Bundesrepublik Deutschland) und NATO/AFSOUTH (Italien) über Österreich erfolgen. Die NATO musste folglich ihre Luftverteidigung bereits über Österreich wahrnehmen. Der Abschuss von Flugzeugen des Warschauer Pakts mit Atomwaffen über österreichischem Gebiet musste daher einkalkuliert werden. • Die vom geflüchteten tschechischen Generalmajor Jan Šejna 1968 in den Westen mitgebrachten Polarka-Pläne (veröffentlicht 1974) gingen von einer »erzwungenen« oder freiwilligen Kooperation Belgrads bei einer Luftoperation über Österreich aus.58 Auch Pläne für einen Angriff mehrerer Divisionen von Ungarn und Rumänien in Richtung Jugoslawien, vermutlich auch unter Nutzung von österreichischem Territorium, waren – Šejna zufolge – geplant. Österreich konnte nach den Vorgängen von 1968 solche Pläne jedenfalls nicht ignorieren. 57 Siehe z.B.: Die Luftbedrohung. Allgemeines Bedrohungsbild ; Einsatzkonzept der Luftstreitkräfte, Punkt 1102, April 1988. Vertraulich. Entwurf einer Doktrin, erstellt durch die Luftabteilung/GStbGrpB/BMLV, die jedoch aufgrund der sich ständig wechselnden Vorgaben und politischen Entwicklungen nicht mehr fertiggestellt wurde. Das Bedrohungsbild verfasste der Autor dieses Beitrages. 58 Diese Pläne wurden am 25. und 26. März 1974 im ORF, samt einem Interview mit Verteidigungsminister Lütgendorf, ausführlich behandelt. Diese Berichterstattung hatte umgehend scharfe Reaktionen Moskaus an die Adresse Österreichs zur Folge.

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A-Waffen-Einsatz in Österreich A-Waffen wären mit großer Wahrscheinlichkeit (a) zur Öffnung des Wienerwaldes und (b) zur raschen Überwindung der Sperren um Heiligenkreuz eingesetzt worden, ferner (c) zwei bis drei Waffen zur Beseitigung des Widerstandes im Raum Melk– Ybbs–Erlauf, (d) eine A-Waffe zur raschen Räumung des Haselgrabens bzw. der Zugänge zur Donau, (e) eine A-Waffe westlich der Welser Heide und eine weitere möglicherweise im Raum Regau. Es ist nicht bekannt, welche A-Waffen mit welchen Trägersystemen zum Einsatz gebracht werden sollten, doch waren Flugzeuge (SU-7, Su-17/20, MiG-23/27 oder Yak-25, vermutlich auch Su-24) und Boden-Boden-Raketen (Scarab[ ?], Scud, Frog) am wahrscheinlichsten. Eine Abwehr dieser Flugzeuge oder Raketenwaffen war für das österreichische Bundesheer so gut wie undurchführbar. Probleme für einen Aggressor Die angreifenden Streitkräfte der Pakt-Staaten mussten allerdings mit einer Reihe von Problemen rechnen : • Die NATO konnte durch den Einsatz taktischer A-Waffen (a) den Warschauer Pakt am Erreichen bestimmter Linien nachhaltig behindern, (b) die Errichtung der erforderlichen Donauübergänge unmöglich machen oder aber (c) ein Vordringen westlich von Regau und in Richtung Salzach–Inn verhindern. • Die strategisch-operative Neutralisierung Österreichs wäre für den Warschauer Pakt die beste Voraussetzung für den weiteren Angriff gegen Westeuropa und Südwesteuropa gewesen. Der Einsatz von A-Waffen konnte dieses Vorgehen beschleunigen, hätte aber eine umgehende Reaktion der NATO ausgelöst, allenfalls auch gegen Städte in Osteuropa. Es wäre zur raschen Überwindung dabei auch seitens der NATO kaum Rücksicht auf die Zivilbevölkerung genommen worden. • Der Besitz von Salzburg hätte einen Stoß in Richtung Bischofshofen und Zentralraum bzw. nach Italien ermöglicht. Dies hätte aber immer mehr Pakt-Kräfte gebunden, was erhebliche Verstärkungen und Zeit erfordert hätte, die einen Widerstand des Bundesheeres versteift und vielleicht sogar einen Partisanenkrieg im Sinne der Raumverteidigung ausgelöst hätte. • Als weiteres Problem wurden die mangelnde Eignung der ungarischen Truppen für den Gebirgskrieg und die zahlreichen Sperren erkannt. Die nachhaltige Sicherung und Sperrung der Straßen konnte allerdings durch luftbewegliche Kommandotrupps überwunden werden. Dennoch : Eine sich vor allem auf gepanzerte Kräfte abstützende »Flachland«-Armee in einen Mittelgebirgseinsatz zu schicken, war entweder eine »begrenzte Entlastungsoperation« oder ein Planungsfehler, es

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sei denn, man hätte damit Kräfte des Bundesheeres lediglich so weit wie möglich im Osten binden wollen. • Das Bundesheer hätte, wider Erwarten, einen Aggressor aufgehalten, diesem schwere Verluste zugefügt, nicht kapituliert und gemeinsam mit der NATO weitergekämpft. Kapitulation Österreichs oder Widerstand ? Österreich galt daher sowohl als ideales Aufmarschgebiet wie auch als militärstrategisch vernachlässigbar, denn man erwartete durch eine eingesetzte kommunistische Regierung in Wien eine umgehende Befolgung der politischen Vorgaben Moskaus, um Opfer und Zerstörungen zu vermeiden. Es gab aber auch gegenteilige Stimmen (siehe etwa Aussagen ungarischer Militärs), die meinten, das österreichische Bundesheer dürfe man nicht unterschätzen, es habe eine sehr gute Führung sowie beträchtliche Kampfkraft und werde gegen einen Ostaggressor auch mit vollem Einsatz kämpfen, egal welche propagandistischen Mittel man anwenden werde. Man musste davon ausgehen, dass Österreich auch bei einem siegreichen Vorstoß des Warschauer Pakts in Richtung Rhein oder Atlantik nicht wie 1938 kampflos seine Unabhängigkeit aufgeben, sondern Widerstand leisten werde, wenn auch nur für wenige Wochen. Ebenso musste man damit rechnen, dass das Bundesheer eine Aufforderung der österreichischen Politiker (oder einer eingesetzten KPÖ-Regierung), keinen Widerstand zu leisten oder nach wenigen Tagen zu kapitulieren, schon wegen der diversen ideologischen West- und NATO-Bindungen nicht befolgen würde.59 Es war logisch, dass die Sowjetunion das Bundesheer genau beobachtete und keine Gelegenheit ausließ, Österreichs Verteidigungsmaßnahmen immer wieder zu kritisieren, oft über sowjetische Zeitungen, über die TASS oder über die (in Österreich kaum politisch in Erscheinung tretende) KPÖ, die man dann wieder als Quelle und »Beweis« für angebliche Neutralitätsbrüche oder eine »neutralitätsgefährdende« und »überflüssige, NATO-konforme Aufrüstung« verwendete. Es gab ab 1956 umfangreiche Aufklärungsfahrten von Militärs der Pakt-Staaten in Österreich, um Straßen, Brücken und allfällige Sperren zu erkunden, ebenso immer wieder Luftaufklärungseinsätze über Österreich. Auch mit einer raschen Inbesitznahme der Flughäfen Wien-Schwechat, Linz-Hörsching, Wels und Graz musste gerechnet werden. Ebenso war anzunehmen, dass man notfalls auch »Beweise« für »terroristische und revanchistische Aktionen gegen die sozialistischen Staaten« 59 Solche Überlegungen waren nur logisch, betrachtet man die Vorwürfe an das Bundesheer wegen 1938, wie auch die innere Einstellung der militärischen Führung, der Truppe, wie auch der Bevölkerung und der sehr geringen Wahrscheinlickeit, dass man sich einer solchen »Sowjet-Regierung« bedingunslos unterwerfen würde.

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konstruieren würde. Wien wiederum konnte man leicht von der Zufuhr von Lebensmitteln, Energie und Verkehr abriegeln, ein Umstand, dem man österreichischerseits durch die Aufforderung nach »Bevorratungen« der Bevölkerung im Rahmen der Umfassenden Landesverteidigung nur ansatzweise entgegentreten konnte. Da es in Österreich kaum einen Zivilschutz gab und kaum umfassende ABCVorsorgen in den Krankenhäusern (schon wenige Fälle würden die einschlägigen Abteilungen voll ausgelastet haben) und auch keine Evakuierungsvorbereitungen getroffen wurden, wäre jede Androhung eines A-Waffen-Einsatzes zwingend mit einer Kapitulation Österreichs verbunden gewesen.60 Allein eine solche Androhung seitens der Sowjetunion hätte eine Kapitulation vermutlich erheblich beschleunigt. Ohne Evakuierungsmöglichkeiten hätte auch ein konventioneller Angriff oder der Einsatz einiger weniger A-Waffen den Tod von rund 50 000 bis 100 000 Menschen und die Vernichtung wesentlicher Teile des Bundesheeres binnen weniger Tage zur Folge gehabt. Nach 1990 ergab sich aus den Archivunterlagen und aus Aussagen von Militärs des Warschauer Pakts, dass die »Österreich-Option« bis 1989 aufrecht war. Sir John Hacketts Darstellungen wurden nach 1991 bestätigt In diesem Zusammenhang ist sicher das Buch The Third World War – August 1985, von General Sir John Hackett aufschlussreich, der den möglichen Ablauf eines Krieges in Europa beschrieb, und den sowjetischen Überlegungen, wie auch den NATOPlanungen wahrscheinlich weitgehend entsprach. In dem von Hackett geschilderten Ablauf eines Angriffes des Warschauer Pakts in Europa kommt es zu einem Angriff gegen den Westen auch über Österreich, und zwar entlang des Donautals sowie vom Norden über das Weinviertel gegen Salzburg und Bayern, wie auch zu einem Stoß gegen Italien über Südostösterreich.61 Hacketts Darstellungen decken sich fast zur Gänze mit den Aussagen von Offizieren des Warschauer Pakts nach 1990. Er behandelte auch die damals politisch eher sensible Frage der 1. Französischen Armee und ihres Vorgehens in Bayern und meinte, Frankreich hätte auf der Seite der NATO in die Kämpfe eingegriffen. Das II. Korps (GE) wäre dann unter das Kommando der 1. Französischen Armee gekommen, und das neue Kommando SOUTHAG (südlich von CENTAG) hätte dann in Bayern und Tirol mit den Res60 Auch die Meinung, ein paar hundert Mann der ausgezeichnet ausgebildeten ABC-Abwehrtruppe hätten die Folgen eines atomaren Einsatzes auf dem Boden Österreichs umfassend vermindern können, muss man als Fantasie bezeichnen. Auch hier widersprachen sich Intentionen, Hoffnung und Realität. 61 Das Buch von Hackett wurde 1977 auch Präsident Carter in Form eines Briefings zur Kenntnis gebracht. An dessen Entstehung waren auch General Davison (CINCUSAREUR) und General de Puy (CG TRADOC) beteiligt, konnte daher als weitgehend »authentisch« betrachtet werden. Hacketts Darstellungen decken sich auch mit einem Kriegsablauf, wie ihn damals U.S.-Dienststellen entwarfen.

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ten des österreichischen Bundesheeres den Angreifer aufgehalten. Hackett beschrieb einen weitgehend konventionell geführten Krieg und sah am Ende desselben bereits 1977 den Zerfall der Sowjetunion und des Warschauer Pakts.

Die Kriegsplanungen der USA und der NATO Einschätzung der Rolle von Atomwaffen Im Gegensatz zum Warschauer Pakt wurde im Westen der Einsatz von Atomwaffen ab den 1950er- Jahren umfassend erörtert, sei es auf politischer, militärischer oder technischer Ebene. Dies führte auch zu Debatten über die zu erwartenden sehr hohen Verluste unter der Zivilbevölkerung.62 Die USA sahen bereits bei Kriegsende 1945 die Sowjetunion als zukünftigen Problemfall. Schon 1944 hatten die Joint Chiefs of Staff Präsident Roosevelt auf die Möglichkeiten zukünftiger Auseinandersetzungen mit der Sowjetunion hingewiesen.63 Die erste Maßnahme dazu war in diesem Zusammenhang die Festlegung amerikanischer Militärbasen in Europa, Nordafrika und Asien und im Sinne einer geopolitischen Betrachtung die Kontrolle der Gegenküsten, wie sie auch von Geopolitikern wie Alfred Thayer Mahan, Isaiah Bowman, Robert Strausz-Hupe oder Nicholas Spykman und zahlreichen Militärs gefordert worden war. Die USA hatten der Sowjetunion erstmals im Zuge der Irankrise 1946 mit A-Waffen gedroht. Man war überzeugt, nur durch Atomwaffen sowjetische Angriffe gegen Westeuropa kompensieren zu können. Das State Department meinte zwar bis Ende 62 Die amerikanische bzw. westliche Literatur zu Atomwaffen und über Nuklearkrieg kann man folgendermaßen unterteilen : Offizielle Dokumente, Think-Tank-Berichte, Bücher, Studien, Gesprächsprotokolle. Eine weitere Unterteilung wäre : Geschäftsstücke der US-Administration und der Militärs zum Thema A-Waffen-Einsatz und A-Waffen-Einsatz in Europa ; Dokumente zur Kubakrise ; Congressional Hearings ; Kriegspläne der USA ; A-Waffen-Zielplanungen ; Interviews betreffend der Führung eines Atomkrieges ; über die Wirkung von A-Waffen ; Probleme der Beendigung und Kontrolle eines Atomkrieges ; zur Strategie und Nuklearstrategie ; Unterlagen der NATO ; Kriegsplanungen der NATO ; Unterlagen zu politischen und strategischen Überlegungen ; Bedrohungen ; Plattformen ; Charakteristiken von (taktischen) Nuklearwaffen und von Plattformen ; Literatur über den Nachrüstungsbeschluss ; A-Waffen-Einsatzdoktrinen, Stationierungsabkommen für A-Waffen ; die Sicherheit und Sicherung von Atomwaffen ; Proliferation von WMD ; Atomtests ; Frühwarnung ; Nuclear Stockpiles ; Massive Retaliation und Flexible Response ; NATO-Doktrinen ; zur politischen und militärischen Situation der NATO bzw. des Westens ; A-Waffen und öffentliche Meinung ; zum Nachrüstungsbeschluss ; zu SALT, START und INF-Vertrag, zur Bedrohung des Westens durch die Sowjetunion ; Rüstungskontrolle ; zum Atomwaffeneinsatz auf dem Boden der Bundesrepublik Deutschland und zum Abzug amerikanischer Atomwaffen aus Europa. 63 Siehe Siehe:: Sherry, Michael S.: Preparing for the Next War. America’s Plans for Postwar Defense 1941–1945 (Yale historical publications : Series 3, Miscellany 114), New Haven 1977.

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1948, man könne sich mit Moskau vielleicht arrangieren, doch im NSC-Dokument 20/4 wurde die Sowjetunion erstmals als Feind angesprochen und militärische Maßnahmen erörtert.64 1946 hatte George Kennan in seinem Long Telegram aus Moskau auf das zunehmend antagonistische Verhalten Moskaus hingewiesen und vorgeschlagen, die Sowjetunion durch ein strategisches Containment an einer weiteren Expansion zu hindern.65 Andere wiederum forderten eine aktive Zurückdrängung des sowjetischen Einflusses, etwa durch eine Roll Back-Politik, die erstmals Präsident Truman (Griechenland, Türkei, Iran) und dann Eisenhower und Kennedy anstrebten (Kuba, Laos, Vietnam), und schließlich Ronald Reagan weiterführte (Chile, Angola, Afghanistan). Am Morgen des 29. August 1949 testete die Sowjetunion die erste Atombombe (»Molniya Pervaya«) in Semipalatinsk. Die Waffe hatte einen Detonationswert von rund 20 KT. Von da an war die gegenseitige atomare Bedrohung in ganz Europa allgegenwärtig. Man erwartete in London, Paris und Bonn, dass die USA in Korea Atomwaffen einsetzen würden, sollte der Pusan-Brückenkopf fallen, eine Entwicklung, die sich im Juli/August 1950 abzuzeichnen drohte. General of the Army Douglas MacArthur erwog 1951, A-Waffen gegen China einzusetzen. Dies führte zu einer drastischen Verschärfung der politischen Lage in Europa, denn nun wurde ein solcher Einsatz auch bei Anlässen unterhalb eines »great war« immer wahrscheinlicher. Im Zuge der Belagerung von Dien Bien Phu 1954 kam es erneut zu Überlegungen eines A-Waffen-Einsatzes gegen den Viet Minh. Hiezu kam die Entwicklung der Wasserstoffbombe, die um 1954 in den USA und 1957 in der Sowjetunion abgeschlossen war, ebenso wie Tests mit immer kleineren Ladungen.66 1953 meinte Präsident Eisenhower : »… We have to consider the atomic bomb as simply another weapon in our arsenal.«67 Eine ähnliche Aussage kam von General of the Army Omar Bradley im Dezember 1953. Am 3. Februar 1954 schrieb Admiral Radford an General LeMay, Befehlshaber des SAC :

64 U.S. Objectives with Respect to the USSR to Counter Soviet Threats to U.S. Security. NSC 20/4, Nov. 23, 1948. 65 Jensen, Kenneth M. (Hg.) (Hg.):: Origins of the Cold War. The Novikov, Kennan, and Robert’s »Long Telegrams« of 1946, Washington 1991. Kennans Text wurde unter Mr. »X« : The Sources of Soviet Conduct, in : Foreign Affairs, Juli 1947, S. 566–582, abgedruckt. Dieser Text findet sich in seiner ursprünglichen Form in : Foreign Relations Vol. VI ((1946), Eastern Europe, The Soviet Union, S. 696–709, U.S. Government Printing Office, Washington, D.C. 66 Die USA führten von 1945 bis 1992 1 030 Atomwaffentests durch, die Sowjetunion bis 1990 715. 67 Johnson, David Enderton Enderton:: Modern U.S. Civil-Military Relations. Wielding the terrible swift sword, Washington 1997, S. 19. Allerdings gehen die Meinungen bei Historikern und Biografen bezüglich der Motive Eisenhowers betreffend des Einsatzes von Atomwaffen auseinander. Bemerkungen, die öffentlich und rein »politisch« an die Adresse Moskaus gerichtet waren, waren nicht immer identisch mit seinen tatsächlichen Ansichten.

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»Today, atomic weapons have virtually achieved conventional status within our Armed Forces. It is possible to procure an explosive power in nuclear weapons, for less than one-tenth of the cost of procurement of all conventional bombs and shells expended by allied forces in World War II.«68

Allerdings kann aus den Unterlagen des NSC und anderen Planungspapieren eine Dichotomie herausgelesen werden : einerseits die laufende Implementierung von immer mehr Atomwaffen, da man gewillt war, die Sowjetunion effektiv abzuschrecken, indem man laufend die Bereitschaft dokumentierte, auch taktische A-Waffen einzusetzen, andererseits die in privaten Gesprächen von Eisenhower geäußerte Meinung, solche Waffen sicherlich nicht einzusetzen. Dennoch unterzeichnete Eisenhower das Dokument NSC 5819/1 (1957), in dem er im Kriegsfall einen massiven H-BombenEinsatz gegen die Sowjetunion anordnete, samt dem Einsatz solcher Waffen gegen Nordkorea, Nord-Vietnam, China, in Jugoslawien und auf dem Boden Deutschlands. Auch im Dokument NSC 5904/1 (U.S. Policy in the Event of War) wurde ein »preemptive response« gegen die Sowjetunion angeordnet : »… to launch an all-out nuclear war without consulting Congress.«69 Nuklearwaffen waren ab März 1956 für die Luftverteidigung Nordamerikas bzw. zur Abwehr sowjetischer Bombenangriffe gegen Nordamerika vorhanden (Boden-Luft- und Luft-Luft-Lenkwaffen).

Grundsätzliche Überlegungen zum Einsatz von Atomwaffen Abschreckung und taktische Atomwaffen Think-Tank-Studien (RAND, Brookings, MIT, ANSER, MITRE etc.) und zahlreiche Autoren in den USA befassten sich in den Fachjournalen mit Strategie, Krieg und Atomkrieg und beeinflussten das strategische Denken. Der atomare Krieg sollte »siegreich« führbar sein, sollte »idealerweise« auf dem Schlachtfeld (also »taktisch«) ausgetragen werden, was auch eine Forderung zahlreicher Politiker, Militärs und auch einiger Wissenschaftler war. General of the Army Omar N. Bradley, damals Chairman of the Joint Chiefs of Staff, meinte 1949, dass mit taktischen A-Waffen die zukünftige »defensive army« eine bessere Chance hätte, einem sowjetischen Angriff in Europa oder Asien zu widerstehen, und die Army würde auch für das nukleare Schlachtfeld strukturiert sein (siehe die Pentomic Division). Die Experten teilten sich in die 68 Brief von Admiral Arthur Radford, Chairman Joint Chiefs of Staff, an General Curis E. LeMay, Washington, D.C., Top Secret. 69 Chernus, Ira Ira:: The Real Eisenhower Eisenhower:: Planning to Win Nuclear War, 2008, http ://www.commondreams. org/archive/2008/03/18/7742 (online am 1. Oktober 2009).

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• Control School, die eine Begrenzung der Atomwaffen oder deren international kontrollierte Abschaffung befürwortete ; • Containment School, die vor allem taktische Atomwaffen forderte, um die Sowjetunion und China unterhalb der Einsatzschwelle strategischer A-Waffen in Schach zu halten ;70 • Assured Destruction School, die drohte, im Falle eines Angriffes des konventionell überlegenen sowjetischen Lagers mit massiven Atomangriffen gegen die Sowjetunion, vor allem gegen sowjetische Städte (Countervalue Targets) zurückzuschlagen, bei gleichzeitiger Ausschaltung sowjetischer Nuklearwaffenpotenziale (Counterforce Targets), was Moskau vor einem solchen Angriff gegen den Westen »abschrecken« sollte, und in die • Deterrence School, die mittels einer massiven Atomrüstung und H-Bomben eine umfassende Vergeltung (Massive Retaliation) üben wollte, falls es die UdSSR wagen sollte, den Westen anzugreifen. Dies war mit der Idee gekoppelt, die Unangreifbarkeit Amerikas gegebenenfalls durch einen Rückzug auf eine (bereits in den Dreißigerjahren konzipierte) isolationistische Fortress America zu unterstreichen.71 Dieser »Festungs«-Idee standen die die Ozeane beherrschende Battleship America-Konzeption und die global agierende Mobility and Concealement-Schule gegenüber.72 In der Nukleardebatte und in den Doktrinen finden sich mehrere Deterrence Schools, so die Minimum Deterrence, Gradual Deterrence, Finite Deterrence und Proportional Deterrence.73 Da die US-Air Force die der Massive Retaliation gleichzusetzende Finite Deterrence School favorisierte, die Army eher taktische A-Waffen wollte und der Containment School anhing, gab es Auseinandersetzungen, da dies Auswirkungen auf das Budget hatte (Geld für H-Bomben und das Strategic Air Command oder für taktische Luftstreitkräfte und taktische A-Waffen), wobei die Navy zuerst taktische A-Waffen for70 Zum Containment siehe u.a.: Gaddis, John Lewis: Lewis : Strategic Containment. A Critical Appraisal of Postwar American National Security Policy, New York 1982 ; Gati, Charles (Hg.) : Caging the Bear. Containment and the Cold War, Indianapolis/New York 1974 ; Etzold, Thomas H./Gaddis, John Lewis (Hg.) : Containment. Documents on American Policy and Strategy 1945–1950, New York 1978. 71 Der Begriff fand sich allerdings bereits in der Literatur zur Legitimierung der Luftangriffe gegen das Deutsche Reich und Japan nach 1945 als Deterrence by Punishment, womit man die Rechtmäßigkeit von Vergeltungsangriffen gegen einen Aggressor nachträglich moralisch und rechtlich begründete. Im Zusammenhang mit Atomwaffen findet sich der Begriff Deterrence z. B. in diversen NATO-Planungspapieren, aber erst später in politischen Aussagen, wie von Außenminister John F. Dulles, so etwa bei der Konferenz am 7. April 1958, wiedergegeben im Dokument Memorandum of Conversation, 20 June 1969, Gerard Smith for William P. Rogers. Top Secret. Hiezu gibt es zahlreiche Dokumente, kommentiert von William Burr, National Archive, 1. Mai 2009. 72 Memorandum General Thomas D. White, Chief of Staff USAF, 30. Mai 1959. 73 Siehe : Ball, Desmond : Targeting for Strategic Deterrence (Adelphi Adelphi Paper 185), London 1983.

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derte und später ihre mit SLBM bewaffneten Atom-U-Boote als ideale Finite Deterrence-Systeme anpries. Diese Gedanken entwickelten sich außerhalb der reinen Kriegsplanungen, hatten jedoch starken Einfluss auf die Politik. Die Deterrence-Überlegungen flossen 1950 in die NSC-68 ein und beschleunigten die Entwicklung der Wasserstoffbombe, förderten aber auch die taktische »Nuklearisierung« der Streitkräfte. Taktische A-Waffen plus starke konventionelle Streitkräfte forderten die Army Chiefs of Staff Matthew Ridgeway und Maxwell D. Taylor. Dies führte zur Ausstattung mit A-Waffen bis zur Ebene der Artillerie74 und zu Atomminen, Bomber-Stand-off-Waffen, ballistischen Mittelstreckenraketen und zu den bereits erwähnten atomar getriebenen (und dann 41 fertiggestellten) U-Booten mit SLBM-Waffen. Ab den Sechzigerjahren waren auch die ersten Interkontinentalraketen verfügbar. Aber auch konventionell kam es zu einem Modernisierungsschub, der erst durch den Vietnam-Krieg unterbrochen wurde. Nach Hiroshima und Nagasaki waren zunächst alle Atomwaffen »strategische Waffen«. Mit der Wirkungssteigerung in hohe KT-Bereiche (oberhalb 100 KT) und durch die H-Bomben (von 300 KT bis zu 30 MT und mehr) sowie der Nutzung geringer Ladungen durch Armee und Seestreitkräfte wurden diese in strategische und taktische getrennt, wobei für Europa noch als Besonderheit die bereits erwähnten »euro-strategischen« Waffen hinzutraten. Daher ergaben sich folgende weitere Überlegungen : • Strategische Waffen waren ideal im Sinn eines »Super Douhetismus«, um vor allem die sowjetischen Städte einzuäschern, was auch die wirksamste Abschreckung (Deterrence) darstellen sollte. Strategische Waffen waren daher alle solche, die die UdSSR erreichen konnten, also strategische Bomber, ICBM und SLBM. • Unterhalb dieser Ebene würden taktische A-Waffen eingesetzt werden ; diese eigneten sich aber auch gegen alle anderen Ziele. • In Europa war jeder Einsatz einer A-Waffe »strategisch«, da dieser immer mit hohen zivilen Opfern und Zerstörungen verbunden gewesen wäre. • Damit kam es zu einer »strategischen Dichotomie« : Wenn man mit taktischen A-Waffen bereits kriegsentscheidend agieren konnte, somit ein Krieg um Europa nicht mehr verloren gehen würde, käme es, da strategisch nicht notwendig, zu keinem Einsatz von Waffen auf die Territorien der USA und der Sowjetunion. Dies führte dann zu Waffen speziell für den europäischen Raum bzw. Kriegsschauplatz. 74 Das 280-mm-Geschütz für Atomgranaten wog mit seinen Schleppern und Aggregaten fast 85 Tonnen. Drei Geschütze kamen nach Europa, konnten aber nur auf ganz bestimmten Straßen bewegt werden und erwiesen sich damit als taktisch unhandlich. Ihr Ersatz durch Raketen war daher unabdingbar. Später wurden 0,5-KT-Nuklearladungen für die 203-mm- und 155-mm-Kaliber entwickelt.

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Nuklearstrategische Konzepte der USA Massive Retaliation Die Massive Retaliation entsprang der Idee, jede Form kommunistischer Aggression mit A-Waffen zu beantworten und dadurch Abschreckung zu erzielen. Der Begriff findet sich erstmals in Planungspapieren des National Security Council aus dem Jahr 1954. Die USA konfrontierten die Sowjetunion im Bereich der Luft- und Raketenrüstung mit den knapp formulierten Alternativen, entweder den Frieden zu wahren oder eine massive atomare Vernichtung zu riskieren. Für den Westen galt es vor allem, die eigenen strategischen Angriffs- und Gegenschlagsmittel so weit zu schützen, dass sie diese Aufgabe erfüllen konnten. Egal wie viele Atombomben die Sowjetunion auch besaß, sie hätte die Nuklearwaffen der USA auch mit einem Erstschlag nie völlig ausschalten und somit der eigenen Vernichtung nicht entgehen können. Hiezu gehörte auch der Schutz der Pershing II und der GLCM im Zuge der NATO-Nachrüstung, etwa durch hohe Mobilität der Systeme. Die USA behielten sich allerdings das Recht auf einen First Strike vor, etwa um einem sowjetischen Angriff zuvorzukommen.75 Der Schlüssel zum »nuklearen Erfolg« lag für die USA daher darin, immer so viele Atomwaffen und Trägersysteme zu besitzen, dass deren völlige Zerstörung jenseits der maximalen Angriffspotenziale der Sowjetunion lag. Die Nuklearrüstung umfasste daher einen umfangreichen Bereich jenseits der Atomwaffen selbst.76 Zunächst wollte man nur die Sowjetunion atomar angreifen, nicht die unfreiwilligen Verbündeten Moskaus. Dieser Grundsatz wurde später aufgegeben.77 Den euro75 Ausführlich etwa in : Collins, John M.: Grand Strategy, Annapolis 1973, S. 81–117 ; Freedman, Lawrence : The Evolution of Nuclear Strategy, 3. Aufl., New York 2003, S. 72–84 und S. 169– 254 ; Kugler : Commitment to Purpose,, an zahlreichen Stellen ; Seiler, George : Strategic Nuclear Force Requirements and Issues, Maxwell Air Force Base/ Montgomery 1983 ; Sloss, Leon : The Roles of Strategic and Theater Nuclear Forces in NATO Strategy, Berlin 1985 (unveröffentlichtes Manuskript) ; Brands, H. W.: Testing Massive Retaliation, in : International Security, Spring 1988, S. 124–151 ; Ikle, Fred Charles : Nukleare Strategie : Ist ein gutes Ende möglich ? Teil I : Frankfurter Allgemeine Zeitung, 30. Mai 1985, S. 10 f., Teil II : Frankfurter Allgemeine Zeitung, 31. Mai 1985, S. 10 ; Korkisch, Friedrich : Die Nuklearstrategie der USA, Teil I in : Österreichische Militärische Zeitschrift 3/21 (1983), S. 217–223, Teil II in : Österreichische Militärische Zeitschrift 4/21 (1983), S. 312–323. 76 Zahlreiche Quellen : Zu den Atomwaffen der USA siehe vor allem : Cochran, Thomas B./Arkin, William M./Hoenig, Milton M.: Nuclear Weapons. Databook. National Resources Defense Council, 2 Bände, Washington/New York, 1983 ; Korkisch, Friedrich : Die Nuklearrüstung der USA seit 1945, Teil I in : Österreichische Militärische Zeitschrift 6/20 (1982), S. 498–504, Teil II in : Österreichische Militärische Zeitschrift 1/21 (1983), S. 27–33. 77 Als McNamara im Februar 1961 das SAC in Omaha besuchte, meinte General Thomas Power, als er die

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päischen NATO-Mitgliedern kam diese Abstützung auf Atomwaffen sehr gelegen, befreite es sie doch von der Notwendigkeit, Geld in den Aufbau starker konventioneller Streitkräfte zu investieren. Assured Destruction Die Assured Destruction entsprang der Idee von US-Verteidigungsminister Robert McNamara, durch verbunkerte Silos und stärkere Streuung der Bomber den Zweitschlag (Gegenschlag) der USA auch unter den Bedingungen ökonomisch sinnvoller Obergrenzen von ICBM, SLBM und Bombern sicherzustellen.78 Die ICBM der Typen Titan und Minuteman wurden in 1 054 Silos stationiert. Nuklear getriebene U-Boote wurden mit je 16 SLBM des Typs Polaris bewaffnet. Für die Bomber hatte man bei RAND eine Alarmverteilung der B-47 und B-52 auf rund 100 Flugplätze vorgeschlagen, die General LeMay übernahm. Das SAC hatte im Kalten Krieg im Falle von erhöhten Spannungen seine strategischen Verbände immer wieder mit Warnstufen oberhalb DEFCON 2 alarmiert. 79 Mit der Ankündigung einer gesicherten Gegenschlagsfähigkeit sollte den Verbündeten auch die amerikanische Entschlossenheit demonstrieren werden. Aber letztlich waren Assured Destruction, First Strike Option, Preemptive Strike, Preventive Strike, Counter Force Attack, Countervailing Strategy etc. nur Variationen der Massive Retaliation. Das politische Ergebnis war angesichts der jeweils rund 23 000 AWaffen umfassenden Arsenale der USA und der Sowjetunion eine »Mutual Assured Destruction«.80 Präsident Kennedy suchte daher weitere Optionen und meinte, die amerikanische Sicherheitspolitik müsse wirksam, flexibel und vor allem glaubwürdig sein. Wenn man ständig die Schrecken des Atomkrieges mit Wasserstoffbomben hervorhebe, komme man in Verdacht, solche Waffen nie einzusetzen. Die Forderung nach »atomarer« Flexibilität führte dann zur Flexible Response, deren Urheber-

Angriffspläne im Detail erläuterte : »I hope you have no friends in Albania, because we are just going to wipe it out.« Auf die Frage, warum auch Albanien, das ja keine A-Waffen habe, meinte Power, weil es ein sowjetischer Satellit sei. Siehe : Stevenson, Charles A.: SECDEF – The Nearly Impossible Job of Secretary of Defense, Washington 2006, S. 36 f. 78 Siehe Hearing Resume, Robert McNamara, 28. July, 1961, an General LeMay. Secret. So hatte General LeMay 10 000 Minuteman-Raketen gefordert, was Präsident Kennedy in der Meinung bestärkte, die Generale der Air Force und vor allem LeMay wären irrational und zu drastischen Kommentaren veranlasste, denen sich McNamara anschloss. Das Verhältnis zur Air Force blieb unter Kennedy und Johnson distanziert, aber die Air Force hatte im Kongress immer einen starken Verbündeten. 79 Es gab von DEFCON 5 (Krieg) bis DEFCON 1 (politische Spannungen) mehrere Abstufungen für die Herstellung der Einsatzbereitschaft des Strategic Air Command. Bei der Kubakrise 1962 wurde DEFCON 3 verfügt. Die U.S. Navy hatte ein ähnliches Alarmierungssystem implementiert. 80 Dieser Umstand wurde dann von einigen Autoren als MAD abgekürzt.

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schaft bei einer Reihe von Offizieren der Army und Navy lag, die erkannten, dass die Massive Retaliation nur eine allerletzte Option gegenüber der Sowjetunion oder China wäre.81 Flexible Response Schon US-Außenminister Dean Rusk warnte im Dezember 1960 den kommenden National Security Adviser Walt W. Rostow, dass die Massive Retaliation durch eine flexiblere Doktrin zu ersetzen wäre, und Rostow erarbeitete ein Modell für eine »Flexible Response«.82 Gleichzeitig befürwortete er eine sich primär auf Atomwaffen abstützende Sicherheitspolitik.83 Zu denken gaben auch die erfolgreich geführten Guerilla- und Befreiungskriege, fast immer mit sowjetischer Unterstützung, die sich gegen die europäischen Kolonialmächte richteten, aber keine direkte Konfrontation mit den USA darstellten. Die Analyse der Lage in Europa bestärkte 1961 auch Präsident Kennedy, dass die nuklearen Optionen unbefriedigend wären, vor allem wären die Second Strike-Optionen nicht ausreichend. Die im Zuge der Kubakrise84 erkannte Fesselung der Politik auf die Optionen Massive Retaliation oder die Anordnung von A-Waffeneinsätzen außerhalb der beschlossenen Planungen bzw. der Verzicht auf einen lokal begrenzten Einsatz (etwa beschränkt auf sowjetische Basen in Kuba) führte zur Untersuchung in Richtung mehrerer Optionen hinsichtlich begrenztem oder gestaffeltem Einsatz, Umfang der mit den Waffen zu erreichenden Zerstörungen sowie Art und Zahl der Ziele.85 Außerdem sollte auch auf der »eurostrategischen Ebene« eine Ausschaltung sowjetischer konventioneller und nuklearer Kräfte möglich werden, ohne dass dies sofort in einen »großen« Atomkrieg ausarten würde. Dies führte in Europa allerdings zu heftigen Kontroversen um die amerikanischen Atomkriegsplanungen und hatte periodisch verkündete Garantieerklärungen zur Folge : NATO-Europa befände sich »unter Garantie« unter dem »amerikanischen Nuklearschirm«. (Ob sich dieser

81 So wie sich die Air Force gegen ein Raketenabwehrsystem aussprach, da dieses nur eine »Vergeudung von Rüstungsbudgets« darstellen würde, wandte sie sich vehement gegen die Flexible Response, der sich dann auch zahlreiche einflussreiche Mitglieder des Kongresses anschlossen. 82 Milne, David : America’s Rasputin. Walt Rostow and the Vietnam War, New York 2008, S. 71. 83 Ebd., an zahlreichen Stellen. 84 Die Sowjetunion hatte ihrerseits am 11. September 1962 ihre nuklearen Systeme in höchste Alarmbereitschaft versetzt und diesen Alarm bis 22. September aufrechterhalten, dann am 15. Oktober diesen erneut ausgelöst, was die amerikanische Fernmeldeaufklärung umgehend feststellte. 85 Collins Collins:: Grand Strategy, S. 110–128 ; Freedman : The Evolution, S. 213–240 ; Kugler : Commitment to Purpose, an zahlreichen Stellen. Diese Planungen erfolgten mit Masse durch das Team, das McNamara vom MIT, von RAND etc. ins Weiße Haus gebracht hatte. Siehe auch auch:: Fisher, Ernest F.: A Strategy of Flexible Response, in : Military Review 5 (1967), S. 41–55.

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Schirm auf Schweden, Schweiz und Jugoslawien ausdehnte, blieb Gegenstand geheimer Gespräche dieser Länder mit der US-Administration.) Es sollte aber noch bis zu US-Verteidigungsminister James Schlesinger 1974 dauern, ehe diese Flexibilität durch ausreichend geeignete Waffensysteme erreicht werden konnte. Das Ziel war : »A strategy predicated on capabilities to act effectively across the entire spectrum of war at times, places, and in the manner of the user’s choosing.«86 Flexible Response und NATO Die unter Präsident Kennedy vorgeschlagene Flexible Response wurde erst nach langem und starkem Widerstand (besonders bei der NATO-Frühjahrstagung 1962) von der NATO 1967 angenommen und wurde dann die Grundlage für die NATO-Richtlinie MC 14/3. Damit wurden die europäischen Staaten erneut verhalten, mehr Geld in die konventionelle Rüstung zu investieren ; diese Veränderungen hatten erhebliche Auswirkungen für die Bundesrepublik Deutschland.87 Prevailing und Countervailing Strategy Dieser umfassend diskutierte Strategieansatz wurde unter Präsident Carter (Presidential Directive 18) finalisiert und sollte gegenüber der Sowjetunion durch die Wahl militärstrategischer Ziele eine ausreichende und wirksame Abschreckung erzielen : Die USA wollten in Falle eines Atomkrieges zuerst die sowjetische Führung ausschalten und Waffen einsetzen, die alle durchgeführten und noch geplanten Verbunkerungen überwinden konnten.88 Diese Entwicklungen wurden von Verteidigungsminister Brown vorangetrieben, der selbst aus dem Bereich der Atomwaffenentwicklung kam. Brown konnte um 1980 die Vergeltungskapazität (Presidential Directive 59) durch 86 Mehrere Definitionen der Flexible Response finden sich in den offiziellen Dokumenten der USA. Diese wurde 1983 an der National Defense University, Fort Lesley McNair, Washington, D.C., verwendet. 87 Afheldt, Horst : Verteidigung und Frieden. Politik mit militärischen Mitteln, München 1979, S. 164–208 ; Collins : Grand Strategy, S. 129–140 ; Freedman : The Evolution, S. 269–338 ; Kugler : Commitment to Purpose, an zahlreichen Stellen ; Johannsen, Margret : Amerikanische Nuklearwaffen in Europa. Funktionen und die Bedeutung im Spiegel der Kongressdebatten über den INF-Vertrag (Demokratie, Sicherheit, Frieden 86), Baden-Baden 1994 ; Pierre, Andrew J./Hyland William G. (Hg.) : Nuclear Weapons in Europe (Europe, America 1), New York 1984. Siehe auch : Tuschhoff, Christian : Deutschland, Kernwaffen und die NATO 1949–1967. Zum Zusammenhalt und friedlichen Wandel in Bündnissen (Nuclear History Program 7, Internationale Politik und Sicherheit 30/7), Baden-Baden 2002. Damit waren die wahrscheinlichen Austragungsorte nuklearer Auseinandersetzungen erkennbar : die Bundesrepublik Deutschland, die DDR, Dänemark, die Niederlande, Belgien und die Türkei sowie die osteuropäischen Staaten, vermutlich auch Österreich. 88 Gray, Colin S.: Nuclear Strategy and Strategic Planning (Philadelphia Policy Papers), Philadelphia 1984 ; Freedman : The Evolution, S. 355–406.

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weitere Maßnahmen, vor allem durch die höhere Präzision der ICMB und SLBM, verbessern.89

Die Delegation des Waffeneinsatzes Der Einsatz solcher Waffen wurde vom Präsidenten an militärische Stellen delegiert, wie an den CINCSAC, den CINCEUCOM/SACEUR, bei Bedarf von diesem auf den Kommandanten der amerikanischen Armeen (in Europa die 7th Army), und wurde von diesen auf die Korpskommandanten übertragen. Die U.S. Air Force übertrug die Ermächtigung zum Einsatz von taktischen A-Waffen für den europäischen Kriegsschauplatz auf den Kommandanten der U.S. Air Forces Europe und dieser auf die Air Forces in Großbritannien, Bundesrepublik Deutschland, Spanien, Italien und der Türkei ; die U.S. Navy übertrug die Ermächtigung an den Commander in Chief (CINC) Naval Forces Europe bzw. an den Commander 6th Fleet. Die Kommandanten der SLBM-U-Boote erhielten ihre Angriffsbefehle vor dem Auslaufen. Bezüglich eines A-Waffen-Einsatzes seitens des Westens gab es auch mehrere politische Überlegungen : • Ein Einsatz zu einem zu frühen Zeitpunkt konnte vielleicht am politischen Widerstand von NATO-Staaten scheitern, die eine Vergeltung durch sowjetische Massenvernichtungswaffen auf ihrem Boden befürchteten. • Erkennbare Folgen wie extrem hohe Verluste und die Unfähigkeit, die katastrophalen Auswirkungen von A-Waffen-Einsätzen zu mildern, könnten den Widerstand in der Bevölkerung (»Lieber rot als tot«) gegen den Einsatz solcher Waffen verstärken. (Moskau versuchte daher über die »Friedensbewegungen« und Befürworter einer umfassenden Abrüstungspolitik die Gefahr, die von amerikanischen A-Waffen ausging, besonders hervorzuheben.) • Ein zu später Einsatz würde am Kriegsausgang nichts mehr ändern, vor allem dann nicht, wenn Moskau sehr rasch politische Systeme in seinem Sinn etabliert hätte.

Stationierungsabkommen für Atomwaffen mit den NATO-Staaten Die USA vereinbarten mit ihren Verbündeten folgende, Nuklearwaffen betreffende, bilaterale Abkommen : Stockpile Atomic Agreements (betreffend der Stationierung von Atomwaffen), Atomic Cooperation Agreements (über den Austausch von technischen 89 Stevenson : SECDEF, S. 131.

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und anderen Informationen über Atomwaffen) ; Service Level Agreements (betreffend die Zusammenarbeit der amerikanischen Streitkräfte und der Streitkräfte der NATO über operationell-technische und organisatorische Abläufe bis zum Einsatz von Atomwaffen) und Third Party Stockpile Agreements (betreffend die Lagerung von Atomwaffen für andere NATO-Mitgliedstaaten, die über keine geeigneten Depots und Sicherheiten verfügten). 68 solcher Verträge wurden zwischen 1952 und 1968 abgeschlossen.90

Die Kriegspläne der USA Globale Kriegspläne Die strategischen Kriegsplanungen erfolgten zunächst durch die Planungsstäbe im Pentagon, wobei alle Teilstreitkräfte (Air Force, Navy, Army) zuerst autonom planten. Die Abstimmungen erfolgten dann durch eigene Arbeitsstäbe. Jedes regional verantwortliche amerikanische Unified Command – damals Continental Command, PACOM, LANTCOM, EUCOM, später auch SOUTHCOM, CENTCOM – plante für seine »area of responsibility« die erforderlichen operativen Details, die wiederum den Joint Staffs vorzulegen waren. Die taktischen Detailpläne (unterhalb der Korps- bzw. Divisionsebene) waren dann Sache der nächsten Ebenen der Teilstreitkräfte und der nationalen Stäbe. Alle amerikanischen Kriegspläne nach 1945 gingen davon aus, dass ein Krieg konventionell beginnen und sich dann in einen gemischt konventionell-atomaren Krieg ausweiten würde, der je nach Zahl der verfügbaren und eingesetzten Waffen zu einem totalen atomaren Krieg ausarten könnte. Man wollte auch bei einem umfassenden konventionellen sowjetischen Angriff atomar zurückschlagen. Am Ende eines solchen Krieges sollten dann konventionell-nuklear kämpfende eigene Kräfte das eigene Gebiet zurückerobern und das Feindgebiet besetzen.91

90 Von diesen Verträgen sind derzeit noch immer die Verträge mit Großbritannien, Belgien, Kanada, Deutschland, Griechenland, Italien, den Niederlanden und mit der Türkei in Kraft bzw. wurden diese verlängert. Siehe auch die jüngste Verlängerung des NATO Nuclear Poster Review. Die Verträge beinhalten den Bau und die Sicherheit der Waffen, den äußeren Schutz, C3, die Überprüfung der Waffen, die Stationierung der Munitions Support-Einheiten, Squadrons, Security Codes und Links, den Informationsschutz sowie Ergänzungen zu den US-NATO- bzw. bilateralen SOFA-Abkommen. Siehe : Kristensen, Hans M.: U.S. Nuclear Weapons in Europe. A review of post-cold war policy, force levels, and war planning, Washington 2005, S. 12 f. 91 Bei diesen Plänen wurde zwischen Emergency Plans und Longterm Plans unterschieden. Die längerfristigen Pläne wurden auch von Rüstungsplänen begleitet. Folgende Pläne wurden verfügt : TOTALLY (1945) ; Joint Basic Outline War Plan PINCHER (1946) ; BROILER (1947/48, JCS 1725/1) ; FROLIC (vom 17. März 1948) ; CHARIOTEER (vom 3. Dezember 1947, JSPG) ; BUSHWACKER (1948) ; CRANKSHAFT

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Regionale Kriegspläne Umfangreiche regionale Kriegspläne (Contingency Plans) wurden von den Unified Commands für Europa, den Mittleren Osten, Ostasien, Lateinamerika und für den Luft- und Seekrieg verfasst und periodisch aktualisiert. In Europa wurden diese Pläne zwischen EUCOM und den diversen NATO-Kommanden und den nationalen Verteidigungsstäben ausgearbeitet und periodisch (12–24 Monate) einem »updating« unterzogen.92

NATO und atomare Komponente Politische Ziele Mit der Unterschrift unter dem NATO-Gründungsvertrag formte sich nach 1949 in Paris eine Organisation, in der man die politisch-anordnende und militärischberatende Ebene von der militärisch-durchführenden Ebene streng trennte. Es gab daher den politischen Führungsstab (NATO Council), einen militärischen Planungsstab (der später als Military Council und International Military Staff strukturiert wurde), der nach den Vorgaben der politischen Ebene im Grundsätzlichen plante.93 Die Durchführungsebene wurde dem SACEUR übertragen, der dem Supreme Headquarters Allied Powers Europe (SHAPE) vorstand, ein Kommando, das man (1948) ; HALFMOON (1948, JCS 1844/13) ; FLEETWOOD (1948) ; COGWHEEL (1948) ; ABC–101 (1948) ; GRABBER (1948/49) ; TROJAN (1949) ; DOUBLESTAR (1949) ; STRAIGHTEDGE (1949) ; GUNPOWDER (1949) ; 70 CITIES PLAN (SAC, 1950, später ausgedehnt auf 102, dann auf 300 sowjetische Städte) ; OFFTACKLE (JSPC 877/59, 1949/NSC 20/4 [JCS 1903/3]) ; SHAKEDOWN (1950) ; DROPSHOT (1950–1961) ; CROSSPIECE (1951) ; MAJESTIC (1950) ; DUALISM (1950) ; REAPER (1950) ; GROUNDWORK (1951) ; HEADSTONE (1950/53) ; CROSSFIRE (1952) ; CARTWHEEL (1952). Siehe hiezu mehrere Quellen der Joint Chiefs of Staff für die Jahre bis 1950 : Ross, Steven T.: American War Plans 1945–1950, New York/London 1988 ; für die Jahre danach die Planungspapiere der Joint Chiefs of Staff/EUCOM/NATO. 92 Diese sogenannten »Sub-War Plans« betrafen Nordamerika (BROADVIEW, 1946), die Türkei (GRIDDLE, 1946/47), den Mittleren Osten (CALDRON, 1946), Italien (COCKSPUR, 1946/47), Europa (PINCER, 1949), Spanien und Portugal (DRUMBEAT, 1947), den Pazifik und Ostasien (MOONRISE, 1947), Alaska und Kanada (DEERLAND, 1947), Südosteuropa (OPERATION SOUTH, 1949), die allerdings oft »globale« Planungsgrößen erreichten. Diese Pläne wurden später mit vierstelligen Kennzahlen versehen, erhielten dann aber dennoch immer wieder Namen. 93 Zur Frühzeit der NATO siehe vor allem : Kaplan, Lawrence S.: A Community of Interests Interests:: NATO and the Military Assistance Program 1948–1951, Washington 1980 ; Pedlow, Gregory W. (Hg) : NATO Strategy Documents 1949–1969. Historical Office Supreme Headquarters Allied Powers Europe, NATO International Staff Central Archives, Brussels 1999 ; allerdings wurden viele Pläne vom Military Council vorbereitet und dann den politischen Ebenen zur Beschlussfassung vorgelegt, die dann als politische Vorgaben von den Militärs umgesetzt wurden. Für die Zeit bis 1990 siehe : Kugler : Commitment to Purpose.

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1949 General of the Army Dwight D. Eisenhower übertrug und das die eigentliche Kriegsplanung und Streitkräfteführung im Kriegsfall (samt dem Atomwaffeneinsatz) übernahm. Unterhalb dieser Ebene errichtete man eine größere Zahl regional führender gemeinsamer (»Joint«) Führungsstäbe, die wiederum die Land-, Luft- und Seestreitkräfte in ihrem Befehlsbereich führten und über eigene Führungszentralen verfügten, wobei die Streitkräfte auf taktischer Ebene immer national geführt wurden bzw. auch national zu versorgen waren. Für den Fall, dass es zu keiner politischen Lösung bei einem Kriegsausbruch (Short War) kommen sollte, musste der Westen die politische und wirtschaftliche Mobilisierung für einen längeren Krieg auf sich nehmen (Long War). Interessanterweise wurde in Kriegsspielen davon ausgegangen, dass sich China aus jedem europäischen Konflikt heraushalten würde. Die Sowjetunion wiederum musste ab Mitte der 1950er-Jahre seitens der NATO fürchten, dass ein rascher Erfolg bei einem konventionellen Angriff gegen die NATO (oder nur gegen Streitkräfte auf dem Boden der Bundesrepublik Deutschland) vom Westen umgehend mit A-Waffen beantwortet werden würde, und andererseits, dass der Warschauer Pakt bei den ersten militärischen Misserfolgen politisch zerfallen könnte. Auch waren die strategischen Ressourcen begrenzt und das Vorhaben, ganz Europa zu erobern, keineswegs führungsseitig und materiell abgesichert. Hiezu kamen die zunehmende technologische Unterlegenheit der Pakt-Streitkräfte, auch Führungs- und Ausbildungsmängel. Bei einem Misserfolg hätte der Westen den Frieden diktieren können. Moskau konnte andererseits den Vorstellungen des Westens auf eine Beschränkung des Kriegsschauplatzes auf das westliche Eurasien entgegenkommen und dennoch seine geopolitischen Ziele erreichen, zudem drohte der UdSSR im Hintergrund eine zukünftige Auseinandersetzung mit der Volksrepublik China. Die NATO Nuclear Planning Group 1954 kamen die ersten amerikanischen A-Waffen nach Europa (Großbritannien ; Bomber, dann auch Raketen), im Frühjahr 1957 in die Bundesrepublik Deutschland (später auch Marschflugkörper Matador und Mace), in den darauf folgenden Jahren auch in andere Staaten wie nach Italien (Raketen), Türkei (Raketen), die Niederlande, Belgien, Griechenland, Spanien (B-52-Bomber) und Marokko (Landerechte für B-52-Bomber und Tanker), aber es dauert bis in die späten Sechzigerjahre, ehe die USA bereit waren, ihre Verbündeten über den Waffeneinsatz im Voraus und konkreter zu informieren. 1966 wurde in der NATO die Nuclear Planning Group (NPG) geschaffen. Um 1980 befanden sich im europäischen NATO-Bereich rund 7 000 Atomwaffen, deren Zahl sich bis 1980 auf 5 800 verringerte.94 94 Darunter 1 300 Granaten für die Artillerie, 850 Gefechtsköpfe für die 700 taktischen Raketen des Typs

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Die NPG hatte auf den strategischen A-Waffen-Einsatz (Strategic Targeting) der USA keinen Einfluss. Auch bei den eurostrategischen und taktischen Waffen gab es nur Empfehlungen, sie hatte aber Richtlinienkompetenz bei den taktischen A-Waffen, etwa im Rahmen der Verteidigungsplanungen der Landstreitkräfte (Gefechtsfeldabriegelung), bei den taktischen Luftverbänden, der Luftverteidigung und für den Einsatz solcher Waffen auf Ziele in den Staaten des Ostblocks.

Kriegsplanungen der NATO Strategische Planungen Die NATO verfasste in den ersten Jahren keine eigenen Kriegspläne, sondern nur Grundsatzpapiere, die zunächst den Rang von »Strategic Guidance Documents« hatten.95 Die strategischen Optionen der NATO waren zunächst die Pläne der USA für die Verteidigung des Westens. Später wurden diese Pläne in die Kriegspläne der USA eingepasst, schließlich detaillierte »Contingency Plans« gemäß den regionalen strategischen, geografischen und topografischen Gegebenheiten und den erwarteten Operationen des Warschauer Pakts gemeinsam mit EUCOM verfasst, was sich allein schon durch die Doppelfunktion CINCEUCOM/SACEUR ergab. Darunter kamen auf nationaler Ebene operativ-taktische und logistische Planungen, wobei sich der Planungsschwerpunkt auf die Bundesrepublik Deutschland, Dänemark, den Nordatlantik bzw. auf Norwegen konzentrierte, im Bereich Süd auf das Mittelmeer, Norditalien, Griechenland und die Türkei. In den Sechzigerjahren wurde die Bearbeitung der NATO-Kriegspläne ein weitgehend autonomer Planungsbereich, wobei sich EUCOM an die Vorgaben der Planungsrichtlinien des Pentagons hielt, währen die NATO-Planungen durch multinationale Komitees in Mons und die regionalen Stäben erfolgten. Zwecks Standardisierung von Planungen, Logistik und Technik begann man Normen für die Land-, Luft- und Seestreitkräfte, später auch für Combined- und Joint-Operations zu fassen.96 Die Entscheidung, die NATO konventionell zu stärken (Lissabon Force Goals : 1952 : 60 bzw. 90 Divisionen, 4 000 bis 5 000 Einsatzflugzeuge),97 sollte durch die Lance (88 Werfer). Es gibt sehr genaue Aufstellungen über die Standorte der Atomwaffenlager in Europa und über die Waffentypen. Siehe u.a.: Kristensen : U.S. Nuclear Weapons, S. 25–29. Hiezu kamen natürlich die rund 17 000 Atomwaffen die außerhalb Europas stationiert bzw. gelagert waren. 95 Siehe Siehe:: NATO Strategic Documents 1949–1969. 96 NATO Standardization Agreements (STANAG). 97 Dem ging das NATO-Dokument DC 28 (Mid Term Defense Plan) voraus. Es sah vor, dass in Mitteleuropa 32 Divisionen stehen sollten, die binnen 90 Tagen auf 95 anzuheben waren, dazu kamen 915 NATO Kriegsschiffe und 9 000 Kampfflugzeuge. Diese Vorstellungen waren aber unrealistisch. Im No-

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Wiederbewaffnung der Bundesrepublik Deutschland (12 Divisionen, 600 Einsatzflugzeuge) und eine vollwertige Mitgliedschaft derselben in der NATO bis spätestens 1955 (trotz des anfänglichen Widerstandes Frankreichs) realisiert werden.98 Allerdings wurden die in Lissabon vereinbarten Zahlen nur von der Bundesrepublik Deutschland erfüllt, somit nie erreicht. Alle Europa betreffenden westlichen Kriegsplanungen gingen davon aus, dass die Sowjetunion die Absicht habe, mit einem breiten Stoß durch die norddeutsche Ebene rasch die Atlantikhäfen zu erreichen, andererseits – wie schon oben erwähnt – versuchen würde, mit einem zweiten Stoß südlich davon (über Fulda, Hof und aus dem Böhmerwald) in Richtung Main die NATO-Truppen noch vor dem rechten Rheinufer zu schlagen bzw. durch eine Drehung dieser Kräfte nach Norden einzukesseln. Die amerikanischen Pläne gingen immer davon aus, dass es äußerst schwierig sein würde, ostwärts des Rheins ausreichend Gelände in ausreichender Tiefe zu halten, um erfolgreiche Gegenangriffe führen zu können. Viel hing daher von Frankreich ab und vom Überleben Großbritanniens als »Flugzeugträger« für die USA. Außerdem musste man Norwegen und Island halten. In amerikanischen Planungsstäben wurden betreffend eines Krieges in Europa daher immer mehrere Szenarien untersucht : • Sofortiger Einsatz von A-Waffen, • selektiver taktischer A-Waffen-Einsatz, • D-Day : Erster A-Waffen-Einsatz aufgrund der Lageentwicklung spätestens bei D+30 (ungünstiger Kampfverlauf), oder bei D+45 (günstiger Kampfverlauf) und bei sehr günstigem Kampfverlauf bei D+65 (beschleunigte und forcierte Vernichtung der Warschauer-Pakt-Truppen zur Vermeidung von inakzeptablen politischen Forderungen Moskaus im Falle eines Waffenstillstandes). • Die NATO plante umgehend auch Angriffe italienischer Kräfte über Tirol in Richtung Süddeutschland und Salzburg, an denen sich österreichische Kräfte, dabei aus dem Zentralraum heraustretend, beteiligen würden. Diese Kräfte würden bei D+10 Tirol besetzen und bei D+20 München erreichen und D+30 einen großen Teil von Bayern (mit Einnahme der Linie Ingolstadt–Regensburg–Salzburg) zu halten versuchen. AFSOUTH würde diese Kräfte umfassend mit Luftangriffen unterstützen (womit ein Teil von Europa-Mitte nunmehr AFSOUTH/AIRSOUTH Operationsgebiet geworden wäre).99 vember 1951 tagte daher eine Arbeitsgruppe unter amerikanischem Vorsitz, die den Plan MC 26/1 entwarf, der als SHAPE-Plan vorgelegt wurde. Siehe hiezu : Hammerich, Helmut R.: Jeder für sich und Amerika gegen alle ? Die Lastenteilung der NATO am Beispiel des Temporary Council Committee 1949 bis 1954 (Entstehung und Probleme des Atlantischen Bündnisses bis 1956 5), München 2003, S. 45–133. 98 Ausführlich in : Hammerich : Jeder für sich. Siehe auch auch:: Kugler Kugler:: Commitment to Purpose, S. 61–79. 99 Siehe hiezu auch die bereits erwähnten sehr detaillierten Darstellungen bei Hackett, John : The Third World War – August 1985, London/New York 1979/80.

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• Man nahm in einigen Szenarien auch an, dass die österreichischen Kräfte bereits bei D+4 unter NATO-Kommando treten würden. (Die Wiederherstellung Österreichs wäre mit Sicherheit ein politisches Ziel des Westens gewesen.) • Ein Durchbruch des Warschauer Pakts in Richtung Süddeutschland wie auch in Richtung Oberitalien oder Angriffe gegen Griechenland wurden bei ComputerPlanspielen des Air War College in Maxwell AFB stets mit A-Waffen bereinigt.100 • D+52 sah den optimistischeren Plänen zufolge den Übergang der Initiative auf die NATO vor und auch ein erstes politisches Auseinanderklaffen der politischen Ziele in der Warschauer-Pakt-Führung. • In den Kriegs- und Planspielen sollten Warschauer-Pakt-Kräfte von der erreichten Linie Ärmelkanal–Rotterdam–Rhein–Alpen wieder nach Osten abgedrängt und dann eine nach Osten geschobene Front entlang der Linie Rostock–Wien geschaffen werden. Es bestand besonders in dieser Phase die Gefahr, dass sich Moskau zur Stabilisierung der Lage oder zur Gewinnung einer gewünschten geopolitischen Linie entschließen könnte, auf deutschem Boden umfassend Atomwaffen einzusetzen. Aus der Sicht des NATO-Befehlsbereichs »Mitte« (Landstreitkräfte ARCENT, Luftstreitkräfte AFCENT) wurde dem »weichen Süden« bzw. Österreich stets besonderes Augenmerk zuteil : Alle Kriegspläne betreffend die Verteidigung Europas sahen bei einem sowjetischen Angriff gegen den Westen bzw. die NATO bis 1955 Österreich als möglichen Kriegsschauplatz vor. Da ein umfassender Angriff durch den Böhmerwald mangels guter Straßen zu zeitraubend und auch wenig erfolgreich gewesen wäre, blieb der Stoß durch das Donautal bzw. von zwei Angriffskeilen nördlich und südlich der Donau in Richtung Salzach, Inn und Süddeutschland eine bevorzugte und auch logische Option der sowjetischen Planer. Diese Flanke konnte damals seitens der NATO/USA, mangels ausreichend vorhandener Kräfte, kaum erfolgreich gesichert werden. Teile der in den USA ausgearbeiteten strategischen Studien und Operationspläne gingen davon aus, dass es durch die Stationierung von amerikanischen Kampftruppen im Rahmen der 7th Army und von mindestens zwei Korps (V Corps, VII Corps, plus zwei weiterer Korps) und 6 bis 10 Divisionen wie auch durch den Einsatz von taktischen Atomwaffen und die Zufuhr von rund 600 zusätzlichen Einsatzflugzeugen gelingen könnte, die Verteidigungschancen erheblich zu verbessern. Konnte ostwärts des Rheins 90 Tage gehalten werden, konnten aus den USA die geplanten Verstärkungen (siehe die »Reforger«-Übungen) herangebracht werden. Um diesen Transport zu beschleunigen, wurde die Lufttransportkapazität umfassend ausgeweitet und das schwere 100 An diesen »real« gespielten War Games durften ausländische Kursteilnehmer nicht teilnehmen, diverse Erkenntnisse liegen dem Autor aber vor.

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Gerät in Deutschland, Belgien, den Niederlanden und in Italien für 18 zusätzliche Brigaden (POMCUS-Depots)101 eingelagert. Sollte der europäische Norden verloren gehen, war die Verteidigung entlang der Alpen bzw. in Frankreich aufzubauen. Sollte der Norden Italiens verloren gehen und waren die Ausladehäfen im Mittelmeer gefährdet, mussten die USA ihre Gegenschläge von Spanien und Nordafrika auslösen. Atomwaffen und Europa Die NATO-internen Planungen betrafen nur ansatzweise den konkreten Einsatz von Atomwaffen, deren Verwendung ohnedies allein durch die USA und, wenngleich erheblich eingeschränkt, auch durch die betroffenen Regierungen zu entscheiden war. Da Frankreich 1967 aus der militärischen Struktur der NATO ausgetreten war, hatte die NATO ab diesem Zeitpunkt kein sicheres Hinterland mehr. Damit wurden AWaffen noch wichtiger. Frankreich plante, zum Ärger deutscher Stellen, den Atomwaffeneinsatz prinzipiell ostwärts seiner eigenen Grenzen und bestand auf einem national-autonomen Einsatz seiner Waffen »Hades« und »Pluton«, den Mittelstreckenraketen, SLBMs und der 50-KT-Bomben, die mit der Mirage IV zum Einsatz kommen sollten. Großbritannien hingegen plante in enger Anlehnung an amerikanische Stellen und den SIOP-Plänen (Single Integrated Operational Plan). Bei Kriegsspielen setzten amerikanische Spielleiter im Rang von Oberstleutnanten und Majoren Mitte der 1960er-Jahre zwischen der Fulda-Senke und Elbe, Weser und Rhein sowie in der DDR innerhalb weniger Stunden Dutzende A-Waffen ein, und zwar ohne Rücksichtnahme auf den deutschen Verbündeten. Dies warf die Frage umfassender Evakuierungen vor allem in einem rund 30 Kilometer breiten Streifen links und rechts der Trennlinie zwischen NATO und den Warschauer-Pakt-Staaten DDR und ČSSR auf, was etwa 15 Millionen Personen in der Bundesrepublik Deutschland betroffen hätte, aber zu keinerlei Fragen oder Konsequenzen betreffend solcher Auswirkungen auf Österreich führte. Für die europäischen Planer ging es daher auch um weitgehende »Schadensbegrenzung«, für die amerikanischen Planer hingegen um eine Vernichtung der angreifenden Kräfte, was nie ganz in Übereinstimmung zu bringen war.

Militärische Planungen der NATO und Österreichs Die Bedrohung durch einen Vorstoß durch Österreich (Landkrieg) Bis 1954 hatten die USA in Europa nur wenige Kampftruppen stationiert. In Österreich etwa befanden sich kaum Kampftruppen, wenngleich die Kasernen in Salzburg, 101 Prepositioning of Materiel Configured to Unit Sets.

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Wels und Hörsching theoretisch bis zu 50 000 Mann aufnehmen konnten. Verteidigungsstellungen von Bischofshofen in Richtung Süden wurden zwar untersucht und einige auch errichtet, machten aber nur Sinn, wenn es gelang, Bayern und Oberitalien zu halten. Die strategische Großlage in Europa betraf daher 1955 die NATO und Österreich unmittelbar : Österreich durfte aus Sicht der USA nach dem Abschluss eines Staatsvertrags kein militärisches »Vakuum« werden, in das die Sowjetunion nach Gutdünken hineinstoßen und die NATO-Flanken an ihren empfindlichsten Stellen treffen konnte. Die USA unterzeichneten den Staatsvertrag daher nicht zuletzt unter der Bedingung, dass Österreich ausreichende Streitkräfte aufstellen würde. Aus den amerikanischen Depots in Livorno und Verona sowie aus Frankreich und den USA wurde bis 1960 die materielle Grundausstattung von einem Korps mit drei Divisionen an Österreich übergeben.102 Damit konnte das Bundesheer zu Minimalkosten aufgestellt werden. (Militärische Lieferungen anderer Staaten waren irrelevant.) Die nach dem Abzug der Besatzungsmächte entstandenen »Leerstellen« aufzufüllen war eine Forderung gegenüber der österreichischen Politik, die von den USA wie auch von der Bundesheerführung eingemahnt wurde und realisiert werden sollte. Im Falle eines Ost-West-Konfliktes musste nun, wie zuvor die NATO, auch das neutrale Österreich und somit in weiterer Folge wiederum die NATO mit • dem gleichzeitigen Angriff von drei bis vier Divisionen über Österreich entlang des Donautals gegen den Südabschnitt von NATO-Mitte und mit • etwa drei bis vier Divisionen in Richtung Italien über die Südsteiermark rechnen. • Auf diesen Ansatz konnten gleich starke weitere Kräfte binnen 10 bis 14 Tagen folgen. Mit der Stationierung von fünf sowjetischen Divisionen in der ČSSR 1969/70 verschlechterte sich außerdem für die NATO wie auch für Österreich das Lagebild. Nun wurde die Option eines kurzen Umwegs vom Süden der Tschechoslowakei über das Weinviertel in Richtung Mauthausen–Linz–Wels zur Bedrohung, gefördert auch durch den Bau entsprechender Straßen in der ČSSR, womit gegebenenfalls die gesamte Abwehr südlich der Donau gegenstandslos geworden wäre. Die USA – so lässt sich mutmaßen – wären nun gezwungen gewesen, im Falle einer Gefahr für den süddeutschen Raum auch auf österreichischem Boden A-Waffen einzusetzen. 102 Luchak, John Michael : Amerikanisch-Österreichische Beziehungen von 1955 bis 1985. Neutralität und der Ost-West-Konflikt, 2 Bände, Wien 1987 (Dissertation). Luchak befasste sich in seiner Dissertation ausführlich mit den bilateralen und sicherheitspolitischen Überlegungen und mit den amerikanischen Lieferungen nach 1955.

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Der bereits angeführte Stoß von Ungarn über Graz und Klagenfurt in Richtung Oberitalien warf die Frage auf, ob Belgrad – zu welchem Zeitpunkt immer – der Sowjetunion eventuell im Gegenzug für Gebietsabtretungen in Kärnten und der südlichen Steiermark ein Vorgehen über Slowenien in Aussicht gestellt habe. (Gegenüber den USA wurde ein solches Versprechen stets verneint. In Richtung Moskau könnten aber durchaus andere Signale gegeben worden sein.) Die Bedrohung durch Luftoperationen Ein besonderes Problem war der österreichische Luftraum. Jeder sowjetischen Division der ersten Staffel wären pro Tag rund 90 bis 120 Jagdbombereinsätze und etwa 30 bis 60 Jagdeinsätze zur Verfügung gestanden, dazu ab den 1970er-Jahren auch rund 30 bis 50 Kampfhubschraubereinsätze mit je 1 Stunde Verweilzeit im Einsatzraum. Dem standen seitens Österreichs so gut wie keine Abwehrkräfte zur Verfügung.103 In Wien gab man sich der irrigen Hoffnung hin, dass der relativ kleine österreichische Luftraum von der NATO schon in deren eigenem Interesse mitverteidigt werden würde. Doch in Paris bzw. Brüssel und Bonn signalisierte man immer wieder an die »Adresse« Wiens, dass die NATO selbst unter einem Mangel an Jägern und Kampfflugzeugen litt und dass der Lenkwaffenriegel von Norden nach Süden durch die Bundesrepublik Deutschland südlich von München endete, sodass sich die NATO durch die österreichischen Vernachlässigungen im Luftraum (Jäger, FlA-Waffen) in der Flanke extrem gefährdet sah. Österreich bot – aus NATO-Sicht – dem Warschauer Pakt einen idealen Luftangriffskorridor von Böhmen über die Welser Heide bzw. durch das Donautal und das Alpenvorland nach Westen. Die logische Antwort auf diese Situation wäre neben der in Washington immer wieder geäußerten Hoffnung, dass Österreich in einigen Jahren die Neutralität aufgeben und der NATO beitreten würde,104 die umgehende Aufstellung starker österreichischer Luftstreitkräfte gewesen, die aber nicht kam. Es war somit klar, dass jede Bedrohung Österreichs gleichzeitig auch eine Bedrohung der NATO darstellte.

103 Siehe z.B.: Die Luftbedrohung. Allgemeines Bedrohungsbild ; Einsatzkonzept der Luftstreitkräfte, Punkt 1102, April 1988. Vertraulich (siehe oben). 104 NSC 6020, 2nd December 1960. Bericht : State Department : Intelligence Note on Austrian Neutrality, Director of Intelligence and Research, 19th January 1959 (State Department). Siehe auch Luchak : Amerikanisch-Österreichische Beziehungen, an zahlreichen Stellen.

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Die Beurteilung des österreichischen Verteidigungspotenzials Die NATO hatte nicht genug konventionelle Kräfte, um in Süddeutschland gegen Österreich »operativ« aufzumarschieren105 und verließ sich auf die Entschlussfähigkeit der österreichischen Regierung, das Land zu verteidigen, sowie auf den (hoch eingeschätzten) Kampfwillen des Bundesheeres, einem solchen Angriff massiv und über rund 10 Tage erfolgreich Widerstand entgegenzusetzen, befürchtete aber – zumindest beim politischen Willen – genau das Gegenteil. Damit befand sich Österreich sehr wohl in den übergreifenden amerikanischen Überlegungen, einen umfassenden Durchstoß durch Österreich irgendwo nuklear zum Halten bringen zu müssen. So wie die Sowjetunion hoffte, österreichischen Widerstand durch Drohungen oder mittels A-Waffen rasch auszuschalten, mussten die USA ebenso rasch einen Durchbruch der Truppen des Warschauer Pakts durch Österreich in Richtung Schwarzwald und Rhein verhindern, somit spätestens mit Erreichen von Pakt-Kräften in der Welser Heide die Abriegelung des westösterreichischen Raumes durch A-Waffen erwägen.106 Grundsätzlich vermied man NATO-seitig offene Kritik an Österreichs unzulänglichen Verteidigungsmaßnahmen, begrüßte zwar die Raumverteidigung, ohne aber an deren Erfolg wirklich zu glauben, und beklagte den offenen Luftraum.

105 Zahlreiche Quellen, etwa in den zahlreichen Dokumenten des Military Council (MC) der NATO. Siehe auch : Kießling, Günther : Die Bewertung Mitteleuropas und vor allem Österreichs durch die NATO, in : Rauchensteiner, Manfried/Rausch, Josef/Etschmann, Wolfgang (Hg.) : Tausend Nadelstiche. Das österreichische Bundesheer in der Reformzeit 1970–1978 (Forschungen zur Militärgeschichte 3), Graz/ Wien 1994, S. 9–24 ; Clausen, Hannes-Christian : Österreich und das strategische Konzept des Westens 1955–1970, in : Rauchensteiner, Manfried/Etschmann, Wolfgang (Hg.) : Schild ohne Schwert. Das österreichische Bundesheer 1955–1970 (Forschungen zur Militärgeschichte 2), Wien 1991, 9–28. 106 Als der Verfasser 1987 in Mons weilte, wurde er vom damaligen Deputy Chief of Staff/SACEUR, LtGen Moek (BRD), in einem privaten Gespräch darauf hingewiesen, dass sich im süddeutschen Raum kaum Truppen befänden, man verlasse sich daher auf die Durchhaltefähigkeit des österreichischen Militärs, um zumindest zehn Tage Zeit zu gewinnen. Stößt der Feind durch, muss die NATO A-Waffen einsetzen. Die größte Bedrohung sei aber nicht der durch die optimierte Abwehr des Bundesheeres verzögerte Ost-West-Durchmarsch im Donautal, sondern der rasche Stoß aus der Tschechoslowakei in Richtung Linz–Wels. Ich hatte die Inhalte dieses Gesprächs offiziell a.d.D. gemeldet und auch dem mir befreundeten General Wilhelm Kuntner, der meinte, dieses Problem sei bekannt, er fügte aber in seinem typischen Sarkasmus hinzu, es sei zu hoffen, dass ein Krieg beendet sei, bevor die Sowjets in Salzburg stünden. Es ergab sich auch eine Information von Verteidigungsminister Lichal in Alpbach Ende August 1987, dem dieses Problem ebenfalls wohl bewusst war.

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Die Sicht Österreichs Das Verdrängen der Gefahr oder »Wie verteidigen ?« Die militärische Grundannahme in Österreich ging von 1955 bis 1990/91 davon aus, dass Moskau das Land – trotz der Neutralitätserklärung – dem westlichen Lager und daher den potenziellen Feindstaaten zurechnete.107 Diese Bedrohung wurde hinsichtlich der Optionen Moskaus folgendermaßen beurteilt : Politische und militärische Erpressungen ; Durchmarschforderungen ; Stationierung von sowjetischen Truppen ; mögliche Wiederbesetzung der 1955 geräumten Teile Österreichs ; Einsetzen einer prosowjetischen Regierung ; Ziel eines militärischen Angriffes im Rahmen eines europäischen Krieges ; teilweise oder gänzliche Eroberung bzw. Besetzung. Im Gegensatz zu zahlreichen Politikern, die tatsächlich glaubten oder hofften, die Neutralitätserklärung allein schütze Österreich ausreichend, und daher meinten, man könne schon wegen dieser Neutralität das Verteidigungsbudget gering halten, dabei vorsätzlich die negativen Erfahrungen von Belgien, Dänemark, Norwegen und der baltischen Staaten ignorierend, war man sich im Bundesheer über die reale Bedrohung des Landes trotz Neutralität oder gerade wegen dieser (!) sehr wohl bewusst. Nur : Die Feststellung des »Bedrohtseins« war eines ; die politische Reaktion darauf ein anderes. Dabei spielte nicht zuletzt der Einsatz atomarer Kampfmittel eine Rolle. Politiker sprachen solche Tabu-Themen aber nur selten und ungern an – auch das Militär tat sich schwer. Einige Aspekte der nuklearen Kriegführung wurden – allerdings oberflächlich – zuallererst in der Zeitung Der Soldat behandelt, später im Zuge von Beiträgen über Strategie, NATO und Warschauer Pakt in der Österreichischen Militärischen Zeitschrift, während man die Soldaten pro Einrückungstermin wenige Stunden über »richtiges Verhalten beim Einsatz von ABC-Waffen« instruierte. In Österreich, wo seit jeher politisch »Unaussprechliches« in der Sicherheitsdebatte unerwähnt blieb, gab es auch kaum öffentliche Diskussionen über einen Angriff gegen Österreich, kaum Vorstellungen über sowjetische Atomwaffeneinsätze gegen Ziele in Österreich, keine über einen wirksamen Zivilschutz oder Evakuierungen. Ebenso wenig wurde über die Strategie der NATO, deren österreichbezogenes Kriegsbild und allenfalls deren Reaktionen auf einen sowjetischen Angriff gesprochen (sie war den Politikern nicht nur völlig unbekannt, man hatte auch manchmal den Eindruck, sie wollten dies gar nicht wissen). 107 Ginther, Konrad : Neutralität und Neutralitätspolitik. Die österreichische Neutralität zwischen Schweizer Muster und sowjetischer Koexistenzdoktrin (Forschungen aus Staat und Recht 31), Wien/New York 1975 ; Ginther, Konrad : Wandel der österreichischen Neutralitätsauffassung ? Neutralität zwischen Schweizer Muster und sowjetischer Neutralitätsdoktrin, in : Wilburg, Walter : Walter Wilburg zum 70. Geburtstag. Festschrift (Grazer rechts- und staatswissenschaftliche Studien 31), Graz 1975, S. 109–119. Ebenso : Hafner, Gerhard : Die permanente Neutralität in der sowjetischen Völkerrechtslehre – Eine Analyse, in : Österreichische Zeitschrift für öffentliches Recht 19 (1969), S. 215–258, hier S. 243–245.

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Solche Themen wurden auf höchster militärischer Ebene aber sehr wohl behandelt. Betroffene, wie die Kommanden von Brigaden und anderen Verbänden, die Landesregierungen und Bürgermeister im Donautal und im Alpenvorland hatten denn auch wenig Illusionen, verstanden allerdings nicht, warum es zwar eine Umfassende Landesverteidigung (ULV), aber keinerlei Vorsorgen für einen umfassenden Zivilschutz gab. Die in den bedrohten Räumen zum Einsatz kommenden Kräfte des Bundesheeres sahen sich einerseits als Adressaten einer internen und betont positiven wehrpolitischen Agitation (Heimatliebe, Vaterland, Demokratie, Werte, Christentum, Schutz der Grenzen etc.), aber auch als Ziel einer andauernden Bundesheer-feindlichen Polemik und offen ausgesprochener Ablehnung der militärischen Landesverteidigung. Das konnte zu einem regelrechten Verwirrspiel ausarten. Man war Opfer budget- und realpolitischer Vernachlässigung und scheinbarer Geringschätzung seitens der beiden Regierungsparteien, bei gleichzeitigem Appell an die anonyme Masse der eher weghörenden Österreicher, die Landesverteidigung doch bitte ernst zu nehmen. Dass es seitens der Politik keinerlei ernst zu nehmende Absichtserklärungen und Vorkehrungen für eine sinnvolle Luftverteidigung oder Luftunterstützung gab, passte in das Bild. Man übersah keineswegs, dass die fehlenden eigenen Luftstreitkräfte einen Aggressor extrem begünstigen mussten, und dass auch alles, was man mit der später entwickelten Raumverteidigung vielleicht gewinnen hätte können, durch die freie Entfaltung feindlicher Luftkriegsmittel wieder zunichtegemacht worden wäre. Allerdings meinte Generalmajor Mario Duić, Österreich sollte, wenn es keine potenziell leistungsfähigen Luftstreitkräfte und Fliegerabwehrkräfte beschaffen könne, eben auf solche besser verzichten, denn der Aufwand für minimalistische Lösungen (wie in Österreich gegeben) stünde in einem krassen Gegensatz zum Nutzen.108 Zahlreiche Anläufe von hohen österreichischen Offizieren, der Politik diese prekäre Situation klarzumachen, gab es zwar, aber sie blieben auf der politischen Ebene ohne Auswirkungen und verstummten um 1986 gänzlich. Berechtigte Kritik (etwa an der Raumverteidigung) wurde von der militärischen Führung als Defätismus, solche an der Budgetpolitik von der politischen Führung als Angriff auf den Primat der Politik aufgefasst. Die Führung des Bundesheeres wusste, dass eine Verteidigung ab der Grenze, wie es das Wehrgesetz verlangte, militärisch unsinnig war, dass man vielmehr einen erfolgreichen hinhaltenden Kampf in den diversen Zonen führen würde. Diverse Politiker meinten hingegen, das Bundesheer würde, da es nicht kriegstauglich sei, ohnedies nie oder kaum eingesetzt werden. Die Raumverteidigung wiederum relati108 Duić, Mario : Unbewältigte Landesverteidigung. System und Verantwortung, Mängel und Chancen, Wien/Graz/Köln 1977, S. 181–186.

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vierte die »Verteidigung ab der Grenze«, die aber auch im Landesverteidigungsplan von 1985 – gegen besseres Wissen – festgeschrieben wurde. Auch der Aspekt des Nuklearkriegs holte die Politik gelegentlich ein. So fand sich im Vortrag von Verteidigungsminister Georg Prader an den Ministerrat über die Umfassende Landesverteidigung 1965 folgende Passage :109 »c) Ein militärischer Angriff wird voraussichtlich zum Ziele haben, das Bundesgebiet oder Teile davon vorübergehend oder dauernd zu besetzen … um womöglich überraschend eine günstige Ausgangslage für Operationen gegen Dritte zu gewinnen. Die für solche Operationen des Angreifers vor allem in Betracht kommenden Räume Österreichs sind der Donauraum, das Klagenfurter Becken und der Raum Tirol … mit kombinierten Luft- und Erdoperationen weit überlegener Kräfte, psychologischem Druck, Drohung mit A-Waffen-Einsatz und subversiven Aktionen …«

In der Folge sollten aber Schlagworte wie »Sozialer Widerstand« und »gewaltfreier Widerstand« gleichberechtigt neben der militärischen Landesverteidigung stehen. Das waren gedachte »allerletzte« Chancen, de facto aber Gegenpole, wobei sich (wie in der Bundesrepublik Deutschland) auch Teile der beiden großen Glaubensgemeinschaften als Verfechter pazifistischer Ideen hervortaten, sich gegen die Bundeswehr und NATO instrumentalisieren ließen und Alternativen vorschlugen, die kaum funktionieren konnten ; das sprang dann auf Österreich über. Trotzdem : Der Partisanenkrieg stand nach Vietnam im Westen plötzlich als weitere Kriegsform im Raum, war neben der militärischen Verteidigung als deren Ergänzung vorgesehen, wie er auch in der NATO und in den damals neutralen Staaten wie Finnland, Schweden und der Schweiz gedacht wurde. Man sah in diesen Verteidigungsformen auch die Möglichkeit eines Unterlaufens eines Atomwaffeneinsatzes, da man dem Gegner keine Ziele bieten würde, was aber nur bedeutete, dass der Warschauer Pakt beim Angriff dann gegen Österreich keine solchen Waffen mehr einsetzen musste. Man orientierte sich einerseits an den Schriften von Afheldt, von Dach, Däniker, Falls, Galtung, Giap, Hahlweg, Senghaas, Mao Tse-tung oder Unterseher, wie auch an den Befürwortern primitiver Volksheere, wie sie Otto Miksche vorschlug, und meinte, ein Aggressor würde die solchen Widerstand leistende Zivilbevölkerung sehr wohl schonen. Dass der Einmarsch der Truppen des Warschauer Pakts in die ČSSR 1968 zeigte, wie wenig gewaltfreier Widerstand bewirkte, blieb jedoch unbeachtet. In Österreich sah der Kommandant der Landesverteidigungsakademie und nachmalige Armeekommandant General Emil Spannocchi in einem zunächst konventionellen Abwehrkampf und ergänzendem Kleinkrieg die Chance einer erfolgreichen 109 BMLV Zl.5.679-Präs/65, 5. Mai 1965.

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Verteidigung, die für viele Jahre zur österreichischen Doktrin wurde. Ähnlich dachten die Generale Otto Heller110 oder Erwin Jetzl, die einen Kleinkrieg und eine »Gesamtraumverteidigung« befürworteten, oder auch August Ségur-Cabanac, der ein Truppendienst-Taschenbuch dem Kleinkrieg widmete.111 Auch Mario Duić meinte, dass dies angesichts der materiellen Schwäche des Bundesheeres zwangsläufig eine Alternative sei.112 Die Idee der »Gesamtverteidigung« und die des Partisanenkrieges schoben sich daher bei Spannocchi zunehmend in den Mittelpunkt des Interesses und drohten die klassische Verteidigung zu verdrängen. Damit stand auch die nie geklärte Frage im Raum, wer denn einen solchen Partisanenkrieg zu führen hätte ? Die Regierung hätte einen solchen Auftrag kaum gegeben und die Organisation des Bundesheeres berücksichtige auch unter Zugrundelegung der Heeres-Gliederung 72 und auch später keine dieser Formen eines asymmetrischen Widerstandes. Und die mäßig ausgebildete Landwehr war alles, nur keine Partisanentruppe. Das führte denn auch zu einer internen Diskussion zwischen Emil Spannocchi auf der einen und vielen hohen Militärs auf der anderen Seite, die diese Form der Verteidigung als Illusion betrachteten. Spannocchi hatte in scharfsinnigen Analysen in seinem kleinen Buch Verteidigung ohne Selbstzerstörung in den ersten drei Kapiteln auch den Atomkrieg behandelt, diesen freilich gleichzeitig für Österreich weitgehend ausgeschlossen, denn Moskau hätte immer – so Spannocchi – den Vorteil einer überlegenen konventionellen Rüstung genützt. Voraussetzung für eine erfolgreiche Landesverteidigung wären vielmehr ein primär auf die Ideen von Mao, Ché Guevara, Castro oder dem Vietcong abgestütztes Verteidigungssystem und ein zumutbarer militärischer Aufwand Österreichs, und der sei (das Buch erschien 1976) eben nicht ausreichend und daher das Bundesheer auch nicht glaubwürdig.113 Allerdings befürwortete Spannocchi daneben auch konventionelle Streitkräfte und die Aufstellung der Bereitschaftstruppe, war also in seiner Argumentation widersprüchlich und budgetpolitisch jenseits der Realität. Spannocchis Buch wurde verfasst, bevor man im Zuge der Raumverteidigung Schlüsselzonen einrichtete. Alles hing davon ab, was ein möglicher Aggressor mit Österreich beabsichtigte. Die Raumverteidigung brachte nämlich paradoxerweise die 110 Heller, Otto : Die »Schild-Schwert-Theorie« und die Neutralen. Eine strategisch/operative Betrachtung über die Zeit von der Aufstellung des zweiten Bundesheeres bis zum Beginn der Reform 1970, in : Rauchensteiner, Manfried/Etschmann, Wolfgang (Hg.) : Schild ohne Schwert. Das österreichische Bundesheer 1955–1970 (Forschungen zur Militärgeschichte 2), Wien 1991, S. 61–87. 111 Ségur-Cabanac, August : Kleinkrieg. Kampf ohne Fronten (Truppendienst-Taschenbuch 12), Wien 1970. 112 Duić : Unbewältigte Landesverteidigung, S. 176–186 und S. 190–193. 113 Spannocchi, Emil : Verteidigung ohne Selbstzerstörung, in : Spannocchi, Emil/Brossolet, Guy : Verteidigung ohne Schlacht, München/Wien 1976, S. 17–91, hier S. 25–33.

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Atomwaffen verstärkt ins Spiel, allerdings anders, als von ihren Befürwortern gedacht : Sollte die Raumverteidigung bzw. die Verteidigung der Schlüsselzonen erfolgreich sein, würde ein Aggressor gegen diese Zonen wohl A-Waffen einsetzen. Wäre sie – im Fall einer Aggression aus dem Osten – nicht zur Gänze erfolgreich, würde die NATO gegen die vorstoßenden Kräfte des Warschauer Pakts in Westösterreich A-Waffen einsetzen. Damit hätte die Raumverteidigung den Einsatz von A-Waffen gegen Österreich nicht verhindern können, im Gegenteil : Je erfolgreicher sie gewesen wäre, desto rascher wären A-Waffen eingesetzt worden. Und die von Österreich immer wieder genannte UNO war das am wenigsten geeignete Instrument, um Österreich beizustehen. Das Völkerrecht verbietet auch keinesfalls den Einsatz von Atomwaffen und regelt auch nicht den Luftkrieg. Diesbezügliche Erwartungen österreichischer Politiker waren daher eher der Beweis für ein idealistisches Welt- und Kriegsbild, das sich nicht an den Realitäten, sondern an Unwissen und Naivität orientierte. Spannocchi besaß lange Zeit als eloquenter und auch überzeugend auftretender Offizier einen Quasiprimat der Kommunikation zur Politik, und diese verwehrte es immer stärker anderen Militärs, abweichende Meinungen öffentlich zu artikulieren, falls die Gegner Spannocchis überhaupt in der Lage gewesen wären, dessen widersprüchliche Ideen überzeugend infrage zu stellen. Allerdings wurde die Idee, dass ein Partisanenkrieg hinter dem Rücken des Feindes und nach erfolgreicher Aggression Erfolg versprechend wäre, doch nur von wenigen höheren Offizieren so gesehen. Mario Duić wie – später – General Hannes Philipp meinten, Spannocchi sei es damals gelungen, seine Idee einer österreichischen Variante des Partisanenkrieges gegen den Willen von 90 % der Generalität und der älteren Generalstabsoffiziere bei den militärisch sachunkundigen Politikern populär zu machen. Spannocchis Vorstellungen schienen für die Politik logisch, Erfolg versprechend und auch vermeintlich billig, sie waren deswegen aber noch lange nicht durchführbar oder a priori erfolgreich. Mit Spannocchis Ideen, der in der Mischung von regulären Streitkräften, »revolutionärem Volkskrieg« und Kleinkrieg, eine ideale und faszinierende Möglichkeit einer »alternativen« Verteidigung sah, befasste sich eingehend Günter Hochauer, der mit seiner Militärwissenschaftlichen Arbeit »Die Taktik des Kleinstaates« (1972) wesentliche Voraussetzungen für die Umsetzung des von Spannocchi vorgeschlagenen Konzepts der Raumverteidigung schuf, allerdings in einer anderen Variante.114 Hochauer war Realist und überzeugt, dass die österreichische Politik dem Militär nie die nötigen Mittel für die Verteidigung des Landes zur Verfügung stellen würde. Jede Alternative musste daher genutzt werden. Die Zerlegung des österreichischen Territoriums in bestimmte, aus der Geografie und dem Gelände ableitbaren Zonen 114 Günter Hochauer war sicher einer der herausragendsten Generalstabsoffiziere des Bundesheeres und zuletzt Leiter der die Operationen bearbeitenden Generalstabsgruppe B im BMLV.

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(später Schlüsselzonen, Schlüsselräume und Raumsicherungszonen genannt), war eng mit den Überlegungen verbunden, bestimmte Teile Österreichs für die Verteidigung optimal zu nützen und dabei eigene großräumige Bewegungen (aufgrund der feindlichen Luftherrschaft) weitgehend zu vermeiden. Dieses Konzept war allerdings komplex und erforderte umfassende Maßnahmen von der Staatsführung bis zur Gemeindeebene und stellte neue Anforderungen an die Umfassende Landesverteidigung und Heeresorganisation. Hochauer zog aus den vorliegenden Gegebenheiten zwar die erforderlichen Schlüsse, ohne allerdings das grundsätzliche Problem der österreichischen Verteidigung (geopolitische und geografische Lage, Budget, politische Distanz der Parteien zur Landesverteidigung etc.) ändern zu können. General Erich Eder meinte hiezu ergänzend, eine sinnvolle Verteidigung Österreichs ohne Luftstreitkräfte und ohne Fliegerabwehr und Lenkwaffen wäre nur mit der Raumverteidigung möglich gewesen ; General Philipp meinte wiederum, sie hätte wahrscheinlich nie funktioniert. Auch für Hochauer ergab sich das Problem, dass ein Aggressor versuchen könnte, wichtige Zonen rascher in Besitz zu nehmen, als man diese abwehrbereit machen konnte. Der Erfolg der Raumverteidigung fiel mit einer zeitgerecht eingeleiteten Mobilmachung, und eine solche hätte eine österreichische Regierung wohl kaum angeordnet. Gegner der Raumverteidigung waren vor allem die Generale Albert Bach, Otto Seitz, Gottfried Koiner und andere, die sich aus kameradschaftlichen Gründen weigerten, ihre Ansichten öffentlich auszusprechen, wie etwa Ignaz Reichel. Kritisch war später auch der Kommandant der Landesverteidigungsakademie, General Wilhelm Kuntner, der trotz einer langjährigen Befürwortung der Raumverteidigung meinte, die Politiker seien dem Bundesheer gegenüber geradezu feindselig eingestellt gewesen. Auch Walter Mayer, der sich nach Hochauer besonders intensiv mit der Raumverteidigung befasste,115 war später kritisch eingestellt. Diese Kritik war aber nicht so sehr eine Ablehnung der Raumverteidigung per se, sondern galt ihrer Umsetzung bei gleichbleibenden Budgets und dem Verdacht, der Bunker- und Kasernenbau diene vor allem der Finanzierung der Bauwirtschaft. Die Politik aber stimmte der Raumverteidigung Ende 1978 zu, vermutlich ohne die damit verbundenen politischen, ideologischen und gesellschaftspolitischen Anforderungen und Konsequenzen vollinhaltlich zu verstehen, und konzipierte den Landesverteidigungsplan nach diesen ungeklärten Zielsetzungen. Die Umsetzung blieb auf halbem Weg stecken, dazu kamen die nicht beantworteten politischen Tabu-Themen, wie etwa der Schutz der Zivilbevölkerung, zivile Opfer, Evakuierungen, Luftschutz, Versorgung, Gehorsam gegenüber wem ?, Repressalien des Aggressors etc. 115 Mayer, Walter : Das neue Konzept, in: Rauchensteiner, Manfried/Rausch, Josef/Etschmann, Wolfgang (Hg.) : Tausend Nadelstiche. Das österreichische Bundesheer in der Reformzeit 1970–1978 (Forschungen zur Militärgeschichte 3), Graz/Wien/Köln 1994, S. 105–123.

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Divisionär Franz Freistetter, einer der bedeutendsten geopolitischen und strategischen Denker in Österreich, der sich eingehend mit den strategischen und operativen Möglichkeiten des Warschauer Pakts und des Bundesheeres auseinandergesetzt hatte, relativierte die Euphorie um die Raumverteidigung, weil er erkannte, dass es immer eine unüberbrückbare Diskrepanz zwischen Planung und Realität gäbe. Und eine einzige taktische Atombombe südlich von Schwechat hätte, so Freistetter, den Einsatz der mobilen gepanzerten Kräfte des Bundesheers beendet. Österreich wäre wohl nie Verbündeter im »Kampf gegen den Revanchismus und Kapitalismus« gewesen, sondern klarer »Feind«. Und für Feinde gab es keine Gnade. Außerdem war ein Krieg in oder über Österreich weitgehend risikovermindert : Der Westen würde wegen der Detonation einiger taktischer A-Waffen auf dem Boden Österreichs keine Vergeltung gegen einen Staat des Warschauer Pakts üben. Damit konnte man einen solchen Waffeneinsatz vielleicht sogar auf Österreich begrenzen. Alles hing vom politischen Ziel der Sowjetunion ab : totaler Krieg, begrenzter Krieg, räumlich begrenzter Krieg oder etwa Krieg, um den Besitzanspruch über Osteuropa für weitere 50 Jahre sicherzustellen.116

Die atomare Bedrohung Österreichs wurde erkannt Im Gegensatz zu den doch sehr klaren Aussagen, die zu unterschiedlichen Zeiten von Berufsmilitärs getroffen wurden, kam in den politischen Berichten und Strategiepapieren das Thema »atomare Bedrohung« bestenfalls in verklausulierten Formulierungen vor. In dem 1961 verfassten »Bericht über die Landesverteidigung Österreichs« finden sich folgende Passagen : »2. Der Fall eines atomaren Vernichtungskrieges (unbeschränkter A-Waffen-Einsatz). Der Entwicklungsstand der modernen Vernichtungswaffen (Atomwaffen auf der Basis der Kernverschmelzung eingesetzt auch mit Hilfe von Raketen) ist so weit fortgeschritten, dass ein Angriff mit diesen Waffen zur weitgehenden Vernichtung des angegriffenen Landes führen würde.

116 Zahlreiche private Gespräche mit dem Verfasser. Siehe auch : Freistetter, Franz : Das strategische Konzept des Ostens und Österreich 1955–1970, in : Rauchensteiner, Manfried/Etschmann, Wolfgang (Hg.) : Schild ohne Schwert. Das österreichische Bundesheer 1955–1970 (Forschungen zur Militärgeschichte 2), Wien 1991, S. 29–60. Dazu zahlreiche Beiträge in der Österreichischen Militärischen Zeitschrift, die Freistetter als Chefredakteur auch inhaltlich über viele Jahre bestimmte (Politik, Strategie, Militärstrategie, NATO, Sowjetunion) und zur bedeudendsten deutschsprachigen Fachpublikation machte.

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Da jedoch der Rüstungsstand zwischen Ost und West auf atomarem Gebiete ungefähr die gleiche Höhe erreicht hat, ist ein ›atomares Gleichgewicht‹ eingetreten, welches den Einsatz der großen Vernichtungswaffen eher unwahrscheinlich macht.« … 3. Der Fall eines unter Einsatz kleinerer Atomwaffen geführten Krieges (beschränkter A-Waffen-Einsatz) ist an sich im Hinblick auf die gegenwärtigen Kriegsdoktrinen der Großmächte denkbar. Da jedoch beim Einsatz taktischer A-Waffen durch den vermutlich zwangsläufig eintretenden Wettlauf der immer größeren Kaliber sich bald die Ausweitung zum uneingeschränkten A-Krieg ergeben könnte, ist anzunehmen, dass auch taktische A-Waffen eher nicht verwendet werden. Die rasch fortschreitende technische Entwicklung zu immer kleineren A-Waffen könnte jedoch dazu führen, dass kleinste A-Waffen gewissermaßen in die Reihe der konventionellen Waffen aller modernen Armeen einrücken und dann mit hoher Wahrscheinlichkeit eingesetzt werden. Es erscheint notwendig, dass auch Österreich diese Entwicklung aufmerksam verfolgt, um rechtzeitig entsprechende Maßnahmen zu ergreifen.«

Im weiteren Text wird dann ausgeführt, dass beim Einsatz atomarer Waffen der Landesverteidigung enge Grenzen gesetzt wären, dass daher einer wirksamen Landesverteidigung größte Bedeutung zukommt, um ein Übergreifen von Kampfhandlungen auf österreichisches Gebiet zu verhindern. Sollte eine nachhaltige Verteidigung unterbleiben, käme dies »einer bereits im Frieden erfolgten bedingungslosen Kapitulation vor jedem Aggressor« gleich.117 Hochauer führte zu den in einigen BMLV-Geschäftsstücken angemerkten Möglichkeiten eines Atomkrieges an, dass mit Atomwaffen gegen Österreich sehr wohl gerechnet werden müsse : »Auf die Frage nach der Wahrscheinlichkeit eines feindlichen Atomwaffeneinsatzes gibt es keine absolute Antwort. Wenn man ihn aber in Rechnung stellt, dann in erster Linie in jenen Räumen, die der Aggressor zufolge seiner weitgestreckten Operationsziele rasch durchstoßen muss … Die Wahrscheinlichkeit des Atomwaffeneinsatzes steigt mit der Abwehrkraft und der taktischen Bedeutung des zu nehmenden Geländeteils.«118

Mario Duić schloss einen A-Waffen-Einsatz gegen Österreich ebenfalls nicht aus.119 Und auch Paul-Michael Kritsch beurteilte in seiner Militärwissenschaftlichen Arbeit

117 Bericht über die Landesverteidigung Österreichs, BMLV Zl. 607-strgeh/S II/61, 13. Ausfertigung, Streng Geheim. 118 Hochauer, Günter : Die Taktik des Kleinstaates. Als glaubhafte Fortsetzung seiner Strategie, Militärwissenschaftliche Hausarbeit am 6. Generalstabskurs, Wien 1972, S. 171 und Fn 3. 119 Duić : Unbewältigte Landesverteidigung, S. 36.

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einen A-Waffen-Einsatz als durchaus möglich und widmete der Frage der Auswirkungen von solchen Detonationen auf die elektronische Luftraumüberwachung ein eigenes Kapitel.120 Im Landesverteidigungsplan von 1985 findet sich ein Hinweis zu Atomwaffen auf Seite 33 und einer in Bezug zu Österreich auf Seite 59 : »Das bestehende nukleare Patt lässt den Einsatz von strategischen Kernwaffen als äußerstes Mittel der Kriegführung vorerst als wenig wahrscheinlich annehmen. Im Hinblick auf die denkbare Absicht eines Aggressors, einen raschen Durchstoß durch Österreich zu erzielen, ist der großräumige Einsatz von Kernwaffen nicht zu erwarten. Daraus ist abzuleiten, dass sich Österreich auf eine konventionelle Kriegführung einstellen kann. Nicht außer Acht zu lassen ist allerdings die Möglichkeit des Einsatzes von Kleinstatomsprengköpfen zur Bekämpfung wichtiger Einzelziele sowie der Einsatz von chemischen Kampfmitteln.«

Das hätte selbstverständlich zur Folge haben müssen, dass man die Konsequenzen aus einer nie völlig auszuschließenden atomaren Bedrohung zog, und sei es nur, dass an einen Atomwaffeneinsatz in Österreichs Nachbarschaft gedacht wurde. Im Rahmen der Umfassenden Landesverteidigung wurden wohl zahlreiche mutige und richtige Schritte gesetzt, sie blieben aber dort stecken, wo politische und budgetpolitische Konsequenzen verlangt wurden, wie etwa der Schutzraumbau oder eine umfassende ABC-Abwehr. Die Perzeption des potenziellen Feindes erfuhr aber aufgrund fehlender Einsicht und bewusster Problemverdrängung »von oben«, unter dem Motto »So schlimm wird es schon nicht werden« oder »Daran wollen wir besser gar nicht denken«, eine typisch österreichische Relativierung.

120 Kritsch, Paul-Michael : Die Bedeutung des Luftraumüberwachungssystems im Rahmen der Umfassenden Landesverteidigung, Militärwissenschaftliche Hausarbeit am 9. Generalstabskurs, Wien 1981, Geheim, S. 14–17.

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Die Beurteilung der Gesamtlage durch General i.R. Othmar Tauschitz1 Fragen der nuklearen Bedrohung Österreich stellten sich natürlich bereits von Anbeginn des Bundesheeres. Das Thema wurde im Rahmen des 4. Generalstabskurses 1963 behandelt, denn der damalige GTI, General Fussenegger, hatte die Befassung mit diesem Thema (Einsatzbedrohung durch ABCR-Waffen) als Lehrziel angeordnet.2 Das Thema atomare Bedrohung wurde heeresintern aber kaum mit Politikern besprochen, die sich ja generell wehrten, mit der militärischen Führung Fragen der militärischen Landesverteidigung umfassend zu erörtern. Für uns als Militärs war diese Frage natürlich immer vorhanden. Wir hatten mit dem Bau der Einsatzzentrale Kolomannsberg das erste Objekt geschaffen, das eine Führung der Luftstreitkräfte bzw. auch des Bundesheeres aus einem weitgehend geschützten unterirdischen und auch technisch autonomen Bauwerk ermöglichen sollte. Die später gebaute Einsatzzentrale in St. Johann, die »EZ-B« (Einsatzzentrale Berg) war praktisch A-Waffen-fest und auch gegen konventionelle Waffen unempfindlich. Was die strategische Ebene betrifft war für uns nie klar, ob die Politik das Bundesheer eingesetzt hätte. Beide politischen Parteien waren nicht davon überzeugt, dass man Österreich verteidigen soll oder überhaupt kann. Gespräche mit den damaligen Politikern waren von Desinteresse und Fatalismus gekennzeichnet. Das betraf die Bundespräsidenten, die Bundeskanzler und Wehrsprecher gleichermaßen. Wenn daher schon solche essenzielle Fragen nicht geklärt werden konnten, wie soll man dann als Soldat mit Überzeugung seine Aufgabe wahrnehmen? Wie kann man die Untergebenen vom Sinn der Landesverteidigung und von der täglichen Arbeit für diese überzeugen? Die Politik stand vor der Frage, bei einem Krieg erhebliche Zerstörungen und Opfer in Kauf zu nehmen oder zu kapitulieren. Sie fürchtete Ersteres genauso wie Letzteres und war daher geneigt nur ein kleines Heer für einen begrenzten Widerstand zu finanzieren. Ob sie damit sich und Österreich vor der Geschichte gerettet hätte, muss man aber bezweifeln. Wir wiederum versuchten, mit Mitteln der Organisation das Maximum aus den Budgets für die Ausbildung herauszuholen. Was die operative Planung betrifft, gab es erhebliche Meinungsunterschiede. Die begannen schon unter Verteidigungsminister Prader und betrafen Fragen der Operation bzw. der Operationsfälle. General Spannocchi hat dann die Verteidigungsdebatte mit seiner Idee einer flächendeckenden Verteidigung im Sinne von Giap gänzlich verändert, was dann als »Spannocchi-Doktrin« und später als Raumverteidigung bezeichnet wurde. Damit hat er sich auch bei Politikern wie Kreisky Gehör verschafft. In der Öffentlichkeit wurde die Raumverteidigung als Idealfall verkauft, ohne aber zu sagen, was ein solcher Kampf auch für die Zivilbevölkerung bedeutet hätte. Diese Ideen wurden von Offizieren des 6. Generalstabskurses, wie Günter Hochauer, und dann in den nächsten Jahren im BMLV und Armeekommando vom dorti-

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gen Stab im Detail weiter entwickelt, wie auch von Karl Schöller, Günter Hochauer, Kurt Pirker, Roland Vogel und anderen. 1978 wurde die Rumverteidigung von der Politik angeordnet. Damit wurden Organisationsänderungen erforderlich, eine andere Dislozierung der Streitkräfte, den Bau hunderter Fester Anlagen, eine andere Mobilmachung und auch Ausbildung. Die Raumverteidigung war keineswegs billig, bedurfte aber zu ihrer vollen Wirkung einer vorgestaffelten Mobilmachung, um die nun besonders zu befüllenden und zu verteidigenden Schlüsselzonen für den Einsatz vorzubereiten und abwehrbereit zu machen. Ob es zu dieser unverzichtbaren Vorstaffelung kommen würde, war unsicher und hing ja auch vom Aggressor und der politischen bzw. strategischen Entwicklung ab. Die Luftstreitkräfte suchten ihr Überleben im sogenannten »laufenden Ortswechsel«, was eine infrastrukturelle Ausrichtung und Vorbereitungen erforderte, die der geringe Kampfwert der Fliegerkräfte kaum mehr rechtfertigte. Dann kam es zur Diskussion »Schwert und Schild«, und es war letztlich nie klar, welche Truppen im Aggressionsfall »Schwert« und welche »Schild« waren, denn auch die Bereitschaftstruppe wurde ja nie fertig, und ihre Einsatzbereitschaft und allfälliger Aufmarsch bedurften wieder des Schutzes raumgebundener Kräfte, die man erst mobilisieren musste. Ohne Zeitgewinn durch die Bereitschaftstruppe gab es aber keine Mobilmachung. Es gab auch Berechnungen, wie lange man brauchen würde, um die Schlüsselzonen voll abwehrbereit zu machen; die lagen jenseits des Angriffstempos eines Ostangreifers. Die Ideen Spannocchis stießen bei vielen hohen Militärs auf Widerstand. Verteidigungsminister Karl Lütgendorf, ebenfalls Offizier, war nicht nur von der Haltung der Regierung enttäuscht, sondern auch von den Alleingängen Spannocchis und war von der »Gesamtraumverteidigung« bzw. späteren Raumverteidigung keineswegs überzeugt, auch viele andere Generale im BMLV nicht. Das alles brachte außerdem Spannungen zwischen dem auch der Politik gegenüber Rechenschaft ablegenden Generaltruppeninspektor und den abweichenden Überlegungen im damaligen Armeekommando. Dazu kam der Streit zwischen den Generalen Koiner und dann Jetzl auf der einen und Spannocchi auf der anderen Seite. Daneben gab es heftige Diskussionen über den Begriff Operation, der auch mich einbezog, und dann gab es auch die ständige Frage nach dem Wert unserer Luftstreitkräfte. Da der für die militärische Umsetzung verantwortliche GTI und die zuständige Sektion im BMLV andere Planungen anstellten als das Armeekommando, kam es auch zu erheblichen persönlichen Spannungen. Eine sehr statische Raumverteidigung beendet ja auch die Beweglichkeit des Verteidigers im Zuge der Op-Fall-Planungen, da ja die Truppe mit Masse den Raum füllt und nicht mehr entlang bestimmter Linien kämpfen sollte. Dies mündete auch in der Frage, was denn nun alles Operation sei. Erkennbar bewegte sich das Bundesheer in Richtung einer intellektuellen Erstarrung, da man seitens der Politik und auch einiger Generale im BMLV nicht mehr bereit war, andere Meinungen zuzulassen. Und innerhalb der Führung gab es Zweifel an der

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Durchführbarkeit der Op-Fälle ohne Bekenntnis der Politik zu einer Mobilmachung. Damit kam es zu Fragen über die Weiterentwicklung der Luftstreitkräfte, aber auch der Panzerwaffe. Spannocchi war ja der Meinung, man benötige diese beiden gar nicht mehr, was er nach der Übung Attergau sogar in seiner Beurteilung der Übung behauptete. Die Politik erkannte umgehend die Vorteile der Raumverteidigung als billigere Lösung gegenüber einem »Hi-Tech«-Heer. Spannocchi konnte vor allem zwei Fragen nicht beantworten, nämlich welche Opfer er der Zivilbevölkerung abverlangt hätte, die ja einen solchen Widerstand mit enormen Verlusten erkauft hätte, samt Deportationen und Massenerschießungen, und zweitens, was passieren würde, hätte die Sowjetunion bei einem solchen Widerstand Atomwaffen gegen uns eingesetzt. Daneben kam es zu einem politischen Dualismus zwischen dem weisungsbefugten BMLV und dem die Weisungen durchführenden Armeekommando, wobei Letzteres sich vom BMLV immer weiter abkoppelte und ein Eigenleben entwickelte. Dann kam es zu einem Streit über die Mittelzuweisungen für die Bereitschaftstruppe und die Landwehr. Die BT wurde ja nie fertig. Als man das AK dann 1978 in das BMLV eingliederte, ging die unsinnige Doppelgleisigkeit mit Aufgabenzuordnungen »allgemein« und »konkret« weiter. Letzteres war der Sektion III/AK zugeordnet. Man hätte das AK auflösen sollen, statt es als Sektion in das BMLV einzugliedern. Es gab auch nach Spannocchi immer die Forderung, dieses Kommando endlich aufzulösen. Dass man es 1991 während des Einsatzes an der jugoslawischen Grenze auflöste, war eine Folge der von Minister Fasslabend eingeleiteten Reform. Die Auflösung kam optisch sicher zu einem ungünstigen Zeitpunkt, hat aber dem Einsatz an der Grenze nicht geschadet. Damit sind wir bei der Kernfrage der Verteidigung Österreichs im Falle eines Angriffes aus dem Osten: Die politische Idee, Wien, Graz und Linz militärisch nicht zu verteidigen, erleichterte vielleicht die militärischen Planungen, belastete aber den Sinn der Landesverteidigung, denn in diesen Räumen lebt fast die Hälfte unserer Bevölkerung, dort sind alle infrastrukturellen und Versorgungszentren und auch die Masse jenes Potenzials, das wir für die militärische Landesverteidigung benötigt hätten. Der Osten und Nordosten Österreich waren sicherlich schwer zu verteidigen, was auch beigezogene ausländische Experten bestätigten. Nur: Wie würde sich eine kampflose Preisgabe eines Großteils der Bevölkerung auf die Moral der Truppe ausgewirkt haben? Ein Angreifer musste den Hauptstoß entlang der Donau führen, weil zwar jeder Angriff aus dem Norden den Angreifer auch bis zur Donau gebracht hätte, aber die Überschreitung der Donau war immer ein Problem, denn sie ist nicht nur breit, sondern fließt sehr schnell und die Uferböschungen sind steil. Die besten Übergänge ergeben sich im Tullnerfeld, etwa bei Zwentendorf, eine weitere im Raum Melk und eine weitere nordwestlich von Linz. Außerdem hatten wir ganz genau ausgerechnet, wie man durch ein geplantes Fluten im Moment des massierten Überganges

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von Pakttruppen diese erheblich behindert hätten: Man kann sagen, dass wir eine gerade überschreitende Division so stark getroffen hätten, dass sie vermutlich nicht mehr einsatzfähig gewesen wäre, und eine nachfolgende Division hätte den Übergang gar nicht mehr gewagt – vorausgesetzt wir hätten alle Donaubrücken sprengen können. Die oft vorgebrachte Idee der politischen Führung, diese nicht zu sprengen, kann man aus militärischer Sicht – oder der eines Verteidigers – nur als Dummheit bezeichnen. Damit war der »Sichelschnitt von Budweis in Richtung Donau« eine für den Angreifer eher weniger attraktive Lösung, auch vom Gelände her, aber man musste diese Option dennoch einplanen. Damit war die Frage der Verteidigung der Räume nördlich der Donau auf dem Tisch, und es ergaben sich auch hier für das Bundesheer eher wenig attraktive Lösungen. Zum Alpenvorland: Hier entbrannte natürlich die Frage nach der günstigsten Lage der Schlüsselzone, was sich ja aus dem Gelände ergab, dann die Frage einer Evakuierung der Zivilbevölkerung oder deren Nichtevakuierung. Spannocchi sprach sich für die Nichtevakuierung aus, da es ja keine Vorkehrungen gab, eine große Anzahl von Menschen zu verbringen und auch zu versorgen. Hier gab es einige unterschiedliche Meinungen, die dann auch in diversen Beiträgen in der ÖMZ ausgetragen wurden. Von amerikanischer Seite wurde uns immer wieder erklärt, man erwarte ein Halten des Bundesheeres von einer Woche, etwa an der Enns-Line. Damit hätten die USA Zeit gehabt, um die »Reforger« Transporte anlaufen zu lassen, um auch im süddeutschen Raum Kräfte zu massieren. Es hätte dann auch umfassende materielle Unterstützung für uns gegeben. Damit befanden wir uns aber in einer extrem unangenehmen Lage: Würden wir den Durchmarsch des Warschauer Pakts tatsächlich verzögern– und die Chancen, dies zu bewerkstelligen waren, gar nicht so schlecht – drohte uns der A-Waffen-Einsatz durch die Sowjetunion, und dass solche Einsätze vorgesehen waren wurde uns nach 1990 auch bestätigt. Sollten wir aber nicht erfolgreich verteidigen, mussten wir damit rechnen, dass spätestens mit der Einnahme der Räume westlich von Linz, die NATO Atomwaffen gegen die vorrückenden Truppen des Warschauer Pakts einsetzen würde.

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Beurteilung der Gesamtlage durch General i.R. Erich Eder3 Natürlich ist der Einsatz von Atomwaffen gegen Österreich in der militärischen Führung und im politischen Bereich behandelt worden. In der Dienstfassung des Landesverteidigungsplanes von 1979, die inhaltlich von der später publizierten Fassung aus verständlichen Gründen abwich, wurde etwa der Einsatz von »Kleinst-Atomwaffen« – gemeint waren taktische A-Waffen von vielleicht 0,5 bis 5 KT – angesprochen. Der Einsatz solcher Waffen wurde sehr wohl für möglich erachtet. Auch die Schweiz sah ja einen solchen Einsatz durch einen Ostaggressor vor. Man hatte dort für 86% der Bevölkerung Schutzräume vorgesehen, es gab Vorratslager und auch entsprechende Vorbereitungen für den Fernmeldebereich. Bei uns gab es da wenig. Man darf auch nicht übersehen, dass ja die Schweiz wie auch Schweden den Bau von Atomwaffen nach 1945 ebenfalls angedacht hatten, das Know-how war vorhanden, was fehlte, war vermutlich die Energie für die Herstellung der waffenfähigen Urans und Plutoniums. Die Schweiz füllte daher ihr besonders gefährdetes Mittelland massiv mit Panzerkräften, es gab fast 1 000 Panzer, um Verluste durch A-Waffen kompensieren zu können, und in den alpinen Regionen baute man Sperren. Zur Raumverteidigung muss man sagen, dass sie einfach notwendig war, da wir ja ohne effektive Luftstreitkräfte und raketengestützte Fliegerabwehr keine ausreichende operative Freiheit besessen haben. Auch gab es bei uns immer die Überzeugung, dass wir bei einer sehr erfolgreichen Verteidigung in den Schlüsselzonen einen sowjetischen A-Waffen-Einsatz provozierten und, wenn wir nicht erfolgreich verteidigten, westlich von Linz einen der NATO auslösen würden. Auf Ebene der USStreitkräfte war der Einsatz von taktischen A-Waffen im Kriegsfall bis zur Korpsebene delegiert; das Korps gehört bei der US Army noch zum Bereich der taktischen Ebene. Dort war auch die unterste Ebene für den Einsatz taktischer Nuklearwaffen, erst mit der Armee beginnt die Operationsebene. Man muss auch unterscheiden zwischen dem Targeting, vor allem für strategische Waffen, also Ziele, die schon vorher als A-Waffen-Ziele festgelegt werden, und dem rein taktischen Einsatz, der von der Lageentwicklung gesteuert wird. Bei den Übungen der NATO und beim War Gaming der US-Streitkräfte – ich habe das selber am US Army War College erlebt – hatte man bezüglich des Einsatzes taktischer A-Waffen wenig Hemmungen, und beim Warschauer Pakt war es sicherlich ebenso. Was unseren Widerstand auch unter Androhung von A-Waffen betrifft, muss man von den handelnden Personen ausgehen, etwa den jeweils amtierenden Verteidigungsministern, und ich kannte fast alle und habe unter 13 gedient. Dabei lässt sich die Frage im Nachhinein nicht gültig beurteilen. Ich meine aber sagen zu können, dass eine Reihe von Ministern keinen Widerstand angeordnet hätte, andere vermutlich schon. Was unsere militärische Führung betraf, so etwa die Generale Leeb oder Tretter, war man gegenüber den Erfolgsaussichten einer Raumverteidigung eher skeptisch.

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Auch Spannocchi war unsicher, denn es war schon ein kaum kalkulierbares Risiko, ob denn das alles funktionieren würde. Es waren weniger die Ausarbeitungen von Hochauer als die Frage, wieweit man das in der Realität umsetzen könne. Operativ möchte ich anmerken, dass es betreffend eines Durchstoßens des Warschauer Pakts durch das Donautal mehrere Sichtweisen gab. Eine, der ich am ehesten zugestimmt habe, war die, dass die Führung der Sowjetunion den Befehl zum Angriff gegen Österreich erst dann gegeben hätte, wenn in den ersten Kriegstagen nach dem Stoß durch die Fulda-Senke die erhoffte Einkreisung der NATO-Kräfte im Bereich CENTAG misslungen wäre. Ein Angriff über Österreich entlang der Donaulinie wäre dann eine logische strategische Alternative gewesen. Was die Operationsfall-Bearbeitung vor 1980 betrifft, wurde die für die Logistik zuständige Sektion IV leider erst im Nachhinein eingebunden. Als man General Truxa damit konfrontierte, sagte er, das sei versorgungstechnisch nicht machbar, weil es dafür keine strukturellen Voraussetzungen gäbe. Dann gab es das Problem, dass weder die Heeresgliederung 72 noch die Heeresgliederung 87 die vorhandenen Mängel beseitigen konnte. Zwischen Planung und Realität gab es Lücken im organisatorischen, personellen und materiellen Bereich, hiezu kamen immer wieder Fehlinterpretationen seitens der Politik. Die Frage des Schutzes der Zivilbevölkerung stand immer im Raum: Wir hatten erreicht, dass Österreich betreffend des II. Zusatzprotokolls zu den Genfer Abkommen einige Vorbehalte anbringen konnte, schon im Hinblick auf die Raumverteidigung. Dann gab es das Problem der Evakuierungen: Es gab fast nur die Möglichkeit einer horizontalen Evakuierung, also aus der Kampfzone hinaus, nur wohin? Die Leute hätten sich wahrscheinlich von selber in den Basisraum oder nach Westen abgesetzt. Für eine vertikale Evakuierung, sprich in Schutzräume, hatte man nicht vorgesorgt. Ich glaube, die Politiker waren sich der Problematik bewusst und hätten allein bei der Androhung eines A-Waffen-Einsatzes kapituliert, vielleicht spätestens nach den immer wieder zitierten »Alibi-Toten«.

Anmerkungen 1 2

3

General i.R. Othmar Tauschitz war von Jänner bis Dezember 1985 Leiter der Sektion IV im BMLV und von 1986 bis 1990 Generaltruppeninspektor. Das Gespräch fand am 4. Juni 2008 in der Landesverteidigungsakademie statt. BMLV Zl.: 336.322-GTI/1963, Durchführungsbefehl für den 4. Generalstabskurs, 8. Okt. 1963. Siehe hiezu: Bosezky, Sascha L.: … des Generalstabsdienstes. Die operative Ausbildung im Österreichischen Bundesheer von 1956 bis in die Gegenwart (Schriften zur Geschichte des Österreichischen Bundesheeres 7), Wien 2006, S. 45. General i.R. Erich Eder war von 1986 bis 1990 Leiter der Generalstabsgruppe B im BMLV und anschließend bis 1996 Kommandant der Landesverteidigungsakademie. Das Gespräch fand am 2. April 2009 in der Landesverteidigungsakademie statt.

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Das Problem der Äquidistanz Die Suche der Zweiten Republik nach außenpolitischen Leitlinien

Ein Längsschnitt Die zweite österreichische Republik sah sich neben allen anderen Aufgaben, die mit dem Aufbau des neuen Staates verbunden waren, auch vor die besondere Herausforderung gestellt, der wiedererstandenen Republik eine der völlig veränderten Lage in Europa und der Welt adäquate, neue Außenpolitik zu geben. Die Schwierigkeit dieser Aufgabe wurde deutlich, wenn man sich vor Augen hielt, dass – im Gegensatz zum historischen Werdegang vieler anderer europäischer Staaten vergleichbarer Größenordnung – die Geschichte Österreichs in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts keinerlei Ansatzpunkte oder auch nur Erfahrungswerte für die Entwicklung einer neuen Außenpolitik bieten konnte. Tatsächlich hatte ja Österreich in diesem Zeitraum stärkere Wandlungen erlebt als jedes andere Land in Europa, hatte es sich doch in weniger als einem halben Jahrhundert von einer europäischen Großmacht zum Kleinstaat gewandelt, mit dessen Anschluss an Deutschland das Ende seiner Geschichte gekommen schien. Eine neue Außenpolitik konnte daher weder an die immer wieder gescheiterten Versuche der Donaumonarchie, ihre Rolle und Stellung als europäische Großmacht zu erhalten, noch an das verzweifelte Bemühen der ersten österreichischen Republik anknüpfen, ihre Unabhängigkeit gegen die aufstrebenden expansionistischen Mächte der Zwischenkriegszeit, allen voran Deutschland, zu bewahren. Begünstigt wurde die dann schon bald nach den Tagen der Befreiung beginnende Suche nach einer neuen außenpolitischen Ausrichtung des Landes allerdings durch ein durch die Katastrophen des 20. Jahrhunderts erwachsenes neues Selbstbewusstsein eines Landes, das lange nach seiner eigentlichen Identität gesucht hatte : Erst 1945 entstand der starke nationale Konsens über die Eigenständigkeit und Unabhängigkeit Österreichs, auf dessen Basis eine neue Außenpolitik aufbauen konnte. Hatte sich Österreich damit fast über Nacht von den Hypotheken einer Vergangenheit befreit, die es immer nur im Schatten Deutschlands sehen wollte – eine Sicht, die letztlich auch zum Untergang des Vielvölkerstaates Österreich-Ungarn beitragen sollte –, so wurde seine Außenpolitik doch schon rasch vor neue Heraus-

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forderungen und Entscheidungen gestellt. Das rasch um sich greifende Zerwürfnis der Siegermächte von 1945 und die damit verbundene Teilung Europas in rivalisierende politische und ideologische Lager, die auch mit der Schaffung gegensätzlicher Militärblöcke verbunden war, stellte vor allem die Außenpolitik Österreichs, das seit 1945 von den Truppen beider Lager besetzt war, vor eine erste und schwierige Bewährungsprobe. Darauf ausgerichtet, durch das Ende der Besetzung die volle Unabhängigkeit und Souveränität des Landes zu erlangen, musste die Außenpolitik Mittel und Wege entwickeln, um die Mächte, für die Österreich lange nicht mehr als eines ihrer zahlreichen, globalen Konfliktfelder war, nicht nur immer wieder an den Verhandlungstisch zu bewegen, sondern ihnen auch Lösungsansätze anzubieten, die mit ihren Interessen zu vereinbaren waren. Im Mittelpunkt solcher Lösungsmodelle musste natürlich die Frage stehen, wo ein einmal wieder souveränes und unabhängiges Österreich stehen würde. Dass dieses Land fest im Wertesystem der westlichen Welt verankert sein würde, hatten schon die ersten freien Wahlen im November 1945 und alle späteren Volksentscheide deutlich gezeigt. Zu beantworten blieb freilich noch die Frage, welche Rolle Österreich in der weltpolitischen Auseinandersetzung zwischen Ost und West einnehmen würde. Durch die Annahme eines Status der immerwährenden Neutralität nach dem Muster der Schweiz hat es schließlich 1955 das Instrument geschaffen, das diese Frage eindeutig beantworten und das Land auf Dauer dem direkten Einfluss der Militärblöcke entziehen konnte. Mit dem fast gleichzeitigen Beitritt zur UNO begann aber auch die Entwicklung einer eigenen österreichischen Neutralitätsvariante, die von allem Anfang an auf die Schaffung größerer politischer Freiräume abzielen sollte, als sie aus dem Muster der Schweiz abzuleiten gewesen wären. Die neue Periode österreichischer Außenpolitik, die 1955 mit dem Abschluss des Staatsvertrags als neues Dokument österreichischer Unabhängigkeit und Souveränität und dem darauf folgenden Eintritt in den Status immerwährender Neutralität begann, wurde also von dem Bemühen gekennzeichnet, diesen besonderen Gewinn an Unabhängigkeit und Souveränität weiter auszubauen, ohne dabei die Grenzen zu verletzen, die ein noch mehrere Jahrzehnte anhaltender Ost-West-Konflikt der außenpolitischen Aktion Österreichs setzte. Solche Grenzen sollten vor allem im Bereich der europäischen Integration sichtbar werden, an der sich Österreich seit seinem Beitritt zur Organisation für europäische wirtschaftliche Zusammenarbeit (OEEC), der Vorläuferin der heutigen Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), beteiligen wollte und die auch noch durch eine Mitgliedschaft in der Europäischen Freihandelsassoziation (EFTA) fortgesetzt wurde. Allerdings musste Österreich an-

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gesichts der starken, auch militärischen Verankerung ihrer sechs Gründungsmitglieder im westlichen Bündnis an den Toren der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) haltmachen. Andererseits machte Österreich durch seinen Beitritt zum Europarat schon 1956 deutlich, wie stark es sich mit den anderen westlichen Demokratien Europas in ihrem Bemühen verbunden fühlte, stärkere, auf einem gemeinsamen Wertesystem aufgebaute und nicht nur ideelle Verbindungen zu schaffen und dabei europäische Regime, wie jenes auf dem Gebiet der Menschenrechte und Grundfreiheiten, zu begründen. Zu einem der wichtigsten Ausdrucksmittel einer neuen österreichischen Außenpolitik wurden, was Probleme von globalem Ausmaß betraf, die Vereinten Nationen. Österreich nahm vor allem in diesem Rahmen zu allen wichtigen Fragen der Weltpolitik Stellung und konnte damit rasch die Periode der weltpolitischen Isolation hinter sich lassen, die ihm die Jahre eingeschränkter Souveränität durch fremde Besetzung auferlegt hatten. Aktive Mitarbeit in den Vereinten Nationen erlaubte Österreich auch, mit der wachsenden Gruppe außereuropäischer Nationen, die aus dem Prozess der Entkolonialisierung hervorgegangen waren und sich nach und nach eigene Institutionen wie die Gruppe der 77 oder die Bewegung blockfreier Staaten schafften, in engere Beziehungen zu treten. Nicht zuletzt seine Haltung in den Vereinten Nationen, aber auch seine zunehmende, in beiden weltpolitischen Lagern anerkannte Rolle als verlässlicher Stabilitätsfaktor in Zentraleuropa erlaubten es Österreich, Wien – beginnend mit der Errichtung der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEO) – allmählich zum Standort wichtiger internationaler Organisationen zu machen und zu einem Ort von historischen Begegnungen zwischen Ost und West. Gerade auch in dieser Hinsicht erwies es sich als nützlich und zielführend, dass es Österreich gelang, ohne seine ideellen, aber auch politischen Verbindungen zum Westen und dessen Institutionen zu vernachlässigen, eine neue Basis des Vertrauens zur Führungsmacht des Ostens, der UdSSR und ihren Repräsentanten, aufzubauen. Dennoch machte sich Österreich in diesen Jahren – etwa im Unterschied zu Finnland – nicht zum Interpreten besonderer Anliegen der sowjetischen Außenpolitik, wie der Schaffung neuer sicherheitspolitischer Strukturen in Form der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE), die ja auch erstmals in Helsinki zusammentrat. Eine besondere Aufgabe wurde der österreichischen Außenpolitik schließlich durch die keineswegs freiwillige Einbindung seiner östlichen Nachbarstaaten in das sowjetische Herrschaftssystem samt seinen militärischen und politischen Institutionen gestellt, durch die viele historische Verbindungen, vor allem mit dem Donauraum, zerschnitten wurden. Hier versuchte eine nicht gegenüber allen Staaten

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dieses Raumes erfolgreiche Politik der Normalisierung Brücken zu schlagen und ein vom jeweiligen weltpolitischen Klima möglichst unbeeinflusstes neues Verhältnis des Vertrauens und der Zusammenarbeit zu schaffen. Misstrauen, das der Westen anfänglich dieser später auch von ihm verfolgten Politik entgegenbrachte, wurde durch die Erkenntnis zerstreut, dass diese Form der Annäherung keineswegs mit der Aufgabe grundsätzlicher ideologischer oder politischer Positionen durch Österreich verbunden sein würde. In neue Bereiche der Ausübung seiner Unabhängigkeit und Souveränität sollte Österreich aber auch durch den Erwerb eines nichtständigen Sitzes im UNO-Sicherheitsrat treten, der ihm erstmals auch ein neues Maß an Mitbestimmung in wichtigen weltpolitischen Fragen der Zeit, vom Nahostkonflikt bis zum Kampf gegen die Apartheid in Südafrika, übertrug. Durch die Art der Ausübung dieser neuen Funktion konnte Österreich auch in einer global sichtbaren Weise zeigen, welche Richtung seine Außenpolitik genommen hatte und welchen Bewegungsgesetzen sie folgte, d. h. vor allem, ob sie Beziehungspunkten, besonders im Ost-West-Schema und seinen Konflikten, verpflichtet blieb, oder ob nun neue, davon unabhängige Entscheidungskriterien bestimmend geworden wären. In allen diesen, aber auch in anderen Bezugsfeldern, die im Verlauf dieser Betrachtung der fortschreitenden Entwicklung der österreichischen Außenpolitik in der Zeit der Hochblüte der beiden großen Militärblöcke des Kalten Krieges zu berücksichtigen waren, hatte man sich somit immer wieder die Frage zu stellen, die mit dem Titel dieses Beitrages gegeben ist, nämlich inwieweit Österreich in diesen Jahren nach einer Position der Äquidistanz gesucht hat oder in eine solche ganz einfach durch die Dynamik und die Bewegungsgesetze des Kalten Krieges hineingestellt wurde. Die nachfolgenden Kapitel, die auch den notwendigen historischen Rückblick auf die Anfänge der Außenpolitik der Zweiten Republik enthalten werden, sollten einige der wichtigsten Elemente und Beurteilungskriterien für die Beantwortung einer Frage liefern die sich die Zeitgeschichte, aber auch viele politische Akteure immer wieder stellten, und auf die vielleicht erst die Historiker nächster Generationen eine vom Zeitgeschehen völlig losgelöste Antwort liefern werden können.

Standortbestimmung im Kalten Krieg : Österreich nimmt Kurs auf Staatsvertrag und Neutralität Zu den wichtigsten außenpolitischen Aufgaben der am 27. April 1945 vom früheren und neuen Staatskanzler Karl Renner gebildeten Provisorischen Staatsregierung gehörte ohne Zweifel auch die Herstellung geordneter Beziehungen zu den Siegermächten des Zweiten Weltkrieges, die mit ihren Truppen Österreich von der deutschen Besetzung befreit hatten und die sich ja in ihrer Moskauer Drei-Mächte-

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Erklärung vom 1. November 1943, der dann kurz darauf auch das Französische Komitee zur nationalen Befreiung in Algier beigetreten war, zur Wiederherstellung eines freien und unabhängigen Österreichs bekannt hatten. Erst auf dieser Basis ließ sich dann auch die künftige Stellung Österreichs in einer von Grund auf veränderten Völkergemeinschaft bestimmen. Der für solche Aufgaben verfügbare außenpolitische Apparat war vor allem am Anfang äußerst bescheiden und konnte sich auch in personeller und organisatorischer Hinsicht nur in geringem Maße auf die ebenfalls dürftigen außenpolitischen Instrumente der Ersten Republik oder des austrofaschistischen Ständestaates stützen. So musste Österreich im Zuge einer vom Völkerbund eingeleiteten Sanierungsaktion schon ab 1923 auf ein eigenes Außenministerium verzichten, dessen Agenden hinfort und bis weit in die Jahre der Zweiten Republik (nämlich bis 1959) vom Bundeskanzleramt wahrgenommen wurden. Obwohl schon seit 1920 Mitglied des Völkerbundes, wurde die Mitarbeit in dieser – allerdings von allem Anfang an durch das Fernbleiben der USA und der neuen Sowjetunion – weniger repräsentativen und gewichtigen Organisation nie zu einem echten Schwerpunkt österreichischer Außenpolitik, wie ihn sich Staatskanzler Renner anfänglich vorgestellt hatte. Hin und her gerissen zwischen gescheiterten Versuchen, entweder den Gedanken des Anschlusses an die Weimarer Republik zu verwirklichen oder sich auf verlässliche Beziehungen zu den Nachfolgestaaten der Monarchie zu stützen, geriet Österreichs Außenpolitik schließlich in das Fahrwasser des faschistischen Italien, das ein gleichfalls autoritär gewordenes Österreich fälschlich für seine Schutzmacht gegen Hitler hielt. Österreich, das zuerst im Völkerbund der italienischen Aggressionspolitik gegen Äthiopien die Mauer machte, sich aber kurz darauf als »zweiter deutscher Staat« deklarierte, verlor viele Sympathien im demokratischen Westen und wurde auch dadurch im März 1938 zu einem leichten Opfer der deutschen Anschlusspolitik. In der Folge machte sich bei allen Überlegungen über eine Rolle Österreichs in einem Nachkriegseuropa das Fehlen einer österreichischen Exilregierung bemerkbar, wie sie andere von Hitler besetzte oder überrannte Staaten gebildet hatten, die sich damit bereits frühzeitig mit diesen Fragen auseinandersetzen konnten. Gewiss gab es auch im österreichischen Exil die eine oder andere Vorstellung über die künftige Stellung Österreichs in der Völkergemeinschaft. Hier hielt allerdings ein Teil vor allem des sozialdemokratischen Exils an der Zukunft Österreichs innerhalb Deutschlands nach einer »gesamtdeutschen Revolution« fest und hätte darauf verzichtet, den Anschluss rückgängig zu machen. Andere Stimmen wieder, darunter auch die schon stark vom jungen Bruno Kreisky beeinflusste österreichische Emigration in Schweden, hielten an der Eigenstaatlichkeit Österreichs in einem befreiten Europa fest. So forderte das Stockholmer sozialdemokratische Exil in einer noch vor der Moskauer Erklärung angenommenen Resolution vom 28. Juli 1943 »(…)

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die Wiederherstellung einer selbständigen, unabhängigen, demokratischen Republik ›öste rreich‹ (…)«.1 Nach ihren Vorstellungen sollte dieses künftige Österreich dann eingebettet sein in »(…) eine wirtschaftliche Union vor allem mit der zukünftigen ČSR, eventuell auch mit anderen demokratisch regierten Nachbarn wie Ungarn, Jugoslawien außer Deutschland (…)«2 Eine ähnliche Diskussion gab es auch in der sozialdemokratischen Emigration in den USA. Während hier Friedrich Adler noch 1944 für den Verbleib bei Deutschland eintrat, sah Julius Deutsch die Zukunft Österreichs in einer festen Verbindung mit dem Völkerbund, dessen Sitz, wie er meinte, nach Wien verlegt werden sollte. Ähnliche Zweifel über die Möglichkeit einer Eigenstaatlichkeit Österreichs regten sich in anderen, konservativen, aber auch kommunistischen Teilen der Emigration nicht, die sich während kurzer Phasen auch in einem »Free Austrian Movement« zusammenschlossen. Es fehlte allerdings an klaren Aussagen über den künftigen weltpolitischen Kurs eines neuen, freien Österreichs. Die Provisorische Staatsregierung von 1945, ebenso aber auch die ersten ihr folgenden Kabinette konnten sich daher auf wenige Vorarbeiten und Überlegungen, die künftige Stellung Österreichs in der Welt betreffend, stützen. Ihre Erklärungen zu dieser Frage blieben daher im Wesentlichen allgemein und beschränkten sich auf den Wunsch nach Wiederherstellung gutnachbarschaftlicher Beziehungen zu den Ländern des Donauraums und der Schweiz und einer generellen Wiedereingliederung Österreichs in die Weltgemeinschaft, vor allem in ihrer neuen Form der Vereinten Nationen. Ein erster Schritt in diese Richtung war offenbar ein 1946 gescheiterter Versuch, die Mitgliedschaft Österreichs im Völkerbund wiederaufleben zu lassen, dem dann im Juli 1947 das formelle Ansuchen um Aufnahme in die Vereinten Nationen folgen sollte. Eine Standortbestimmung für Österreich wurde aber aus den verschiedensten Gründen immer dringlicher. Zum einen hatte der rasche Zerfall des Bündnisses der Siegermächte einen Kalten Krieg aufflackern lassen, der zunehmend auch Europa erfasste und mit dem langsamen Entstehen eines »Eisernen Vorhanges« (nach einem Wort Winston Churchills, eigentlich aber Josef Goebbels’) zur fortschreitenden Teilung des Kontinents führte. Zum anderen war schon bald nach 1945 und nach der Bildung der ersten demokratisch gewählten Regierung in Wien klar geworden, dass eine rasche Entlassung Österreichs aus dem Besatzungsregime der Alliierten unter diesen Umständen nicht zu erwarten war und zum Gegenstand zäher Vier-MächteVerhandlungen werden würde. Eine der wichtigsten Voraussetzungen für eine Eini1 Kreisky, Bruno : Österreichische Politik im Exil, in : Kreisky, Bruno : Zwischen den Zeiten. Der Memoiren erster Teil. Wien/München 2000, S. 387–403, hier S. 391. 2 Ebd.

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gung der vier Mächte war dabei Klarheit über den künftigen Weg Österreichs. Eine solche wurde vor allem von einer nach den ersten Wahlen in Österreich misstrauisch gewordenen Sowjetunion gefordert, die ein eindeutiges Einschwenken Österreichs in das westliche Lager unter Führung der USA fürchtete, die aber auch lange die Zwangsvorstellung eines neuerlichen Anschlusses Österreichs an Deutschland – vor allem an das wiedererstarkende Westdeutschland – nicht aufgeben wollte. So wurden schon bald nach 1945 erste Stimmen laut, die in einer Neutralität Österreichs den besten Weg sehen, das Vertrauen aller Mächte der Zeit, dabei aber auch die Freiheit und Unabhängigkeit des Landes, wiederzugewinnen. Als einer der Ersten stellte der nun zum ersten Bundespräsidenten der Zweiten Republik gewählte Karl Renner solche Überlegungen an, wenn er in einem längeren Artikel in der »Wiener Zeitung« vom 19. Jänner 1947 darauf hinwies, dass »die Republik Österreich für alle Zukunft eine ähnliche Rolle und Bestimmung beansprucht wie die Schweizer Eidgenossenschaft«.3 Solchen Gedanken folgte, wenngleich mit anderen Worten, ebenfalls in einem Artikel der »Wiener Zeitung« vom 22. Oktober desselben Jahres der erste Außenminister der Zweiten Republik, Karl Gruber, der in einer Aufzählung der Grundsätze, die die österreichische Außenpolitik beherrschen sollten, als Punkt 5 schrieb : »Österreich hält sich von allen politischen Bündnissen fern, gleichgültig, ob es sich um einen Westblock, um einen Alpenblock oder um einen Donaublock handelt.«4 Noch deutlicher wurde Julius Deutsch auf einer Rede vor dem 3. Parteitag der Sozialistischen Partei Österreichs im Oktober 1947, wenn er unter dem Beifall der Delegierten forderte, »… auf einer echten Neutralität zu beharren, nämlich auf einer Neutralität, die jede der beiden Machtgruppen davon überzeugt, dass wir uns von niemandem als Werkzeug gebrauchen lassen wollen«.5 In dem auf demselben Parteitag beschlossenen Aktionsprogramm wurde dann auch unter der Überschrift »Österreich frei und neutral« formuliert : »Internationale Garantie der Neutralität Österreichs zur Sicherung seiner bestehenden Grenzen, seiner Freiheit und Unabhängigkeit. Volle internationale Gleichberechtigung des österreichischen Staates. Aufnahme Österreichs in die UN, die Weltorganisation der Vereinten Nationen.«6 3 Renner, Karl : Die ideologische Ausrichtung der Politik Österreichs, in : Wiener Zeitung, 19. Jänner 1947, S. 1 f. 4 Gruber, Karl : Keine Vogel-Strauß-Politik in auswärtigen Fragen, in : Wiener Zeitung, 22. Oktober 1947, S. 1 f. 5 Rede von Dr. Julius Deutsch auf dem 3. Parteitag der Sozialistischen Partei Österreichs in Wien am 26. Oktober 1947, in : Protokoll des 3. Parteitages der Sozialistischen Partei Österreichs vom 23. bis 26. Oktober 1947, Wien 1947, S. 180–194. 6 Aktionsprogramm der Sozialistischen Partei Österreichs, beschlossen auf dem Parteitag der Sozialistischen Partei Österreichs, Wien, 23. bis 26. Oktober 1947, S. 277.

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Dass sich auch die Bundesregierung des Umstandes bewusst war, dass Österreich seine volle Souveränität und Unabhängigkeit nur als ein Land erringen konnte, das nach keiner Seite hin gebunden war, kam auch in den Regierungserklärungen dieser Jahre zum Ausdruck. So erklärte Bundeskanzler Leopold Figl in seiner Regierungserklärung vom 9. November 1949, mit der ein neues Kabinett vor den Nationalrat trat : »Er [der Österreicher] spekuliert heute nicht auf Blockbildung und Anlehnung an fremde Mächte, er will sein Heimatland als freien und selbständigen Staat sehen.«7 Auch der zweite Bundespräsident der Zweiten Republik, Theodor Körner, verwies bei verschiedenen Anlässen darauf, dass »ein freies und unabhängiges Österreich, allen Rivalitäten entrückt, nach keiner Richtung hin einseitig gebunden, einzig und allein der Sache des Friedens ergeben, ein Gewinn für Europa, für die Welt sein wird«.8 Dabei könnte die Schweiz »einem endgültig befreiten Österreich auch ein Vorbild der politischen Weisheit sein, überall gute Freunde zu haben, aber nach keiner Richtung hin sich einseitig zu binden«.9 Waren also in vielen Erklärungen dieser Jahre fast alle der wichtigsten Elemente der späteren Erklärung der immerwährenden Neutralität Österreichs enthalten und fehlten aus praktisch allen politischen Lagern Stimmen, die einen anderen Weg Österreichs, etwa einen Beitritt zum nordatlantischen Bündnis, vorzeichneten, so konnte sich doch noch immer kein wirklich umfassender Konsens über die künftige außenpolitische Orientierung Österreichs abzeichnen. So vertraten noch bis zum April 1955 die politischen Parteien und ihre außenpolitischen Sprecher immer wieder recht unterschiedliche und häufig wechselnde Auffassungen über die Art von Neutralität oder die neutrale Haltung, die Österreich einnehmen könnte. Offenbar herrschte auch nach wie vor wenig Klarheit darüber, mit welchen konkreten Auswirkungen auf die Außenpolitik eines wieder souveränen Österreich im Falle der Erklärung einer solchen Neutralität zu rechnen wäre, wobei – auch aus einer der seltenen außenpolitischen Debatten des Nationalrates am 2. April 1952 – klar zu erkennen war, dass darunter in keinem Fall eine ideologische Neutralität verstanden werden durfte. Ein weiterer Grund, warum der Durchbruch zu einem brauchbaren Neutralitätsbegriff von solchen Schwierigkeiten begleitet war, lag in dem Versuch, keine außenpolitischen Zielsetzungen zu artikulieren, die bei den für die Zukunft Österreichs

7 Regierungserklärung von Leopold Figl in der 2. Sitzung des Nationalrates der Republik Österreich vom 9. November 1949, in : Stenographische Protokolle des Nationalrates der VI. Gesetzgebungsperiode, S. 6–12, hier S. 12. 8 Kreisky, Bruno : Neutralität und Koexistenz. Aufsätze und Reden, München 1975, S. 29. 9 Ebd.

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damals maßgeblichen Großmächten auf Misstrauen oder Vorbehalte stoßen konnten, was natürlich vor allem für die drei Westmächte galt. Wenn demgegenüber die Sowjetunion offenbar eine ganz klare Präferenz für ein jedenfalls nicht an den Westen (und vor allem nicht an Deutschland) gebundenes Österreich an den Tag legte, gab es lange keine Klarheit darüber, ob sie darin den einzigen Preis für eine Entlassung Österreichs in die Freiheit sah. Es blieb daher lange Zeit bei mehr oder minder vagen und unpräzisen Formulierungen, aus denen das Bemühen erkennbar war, mit einem möglichst geringen Maß an Verpflichtungen ein Maximum an Zugeständnissen zu erreichen. Zu einem Kernpunkt dieser Formulierungen wurde der von Österreich immer deutlicher angebotene Verzicht, Militärbündnissen beizutreten und auf seinem Territorium keine militärischen Stützpunkte zu dulden. Dieses Angebot wurde vor allem in Richtung der Sowjetunion immer wieder vorgetragen. Weigerte sich die Sowjetunion lange, dieses Angebot als Grundlage künftiger österreichischer Unabhängigkeit anzunehmen, so war dies vor allem mit ihrer langen Taktik zu erklären, die österreichische Frage mit der deutschen zu verknüpfen : In ihrem Bemühen, die Integration des westlichen Deutschland in das westliche Militärbündnis zu verhindern, erschien ihr die Frage der Freigabe Österreichs lange als zusätzliches Mittel des Druckes auf die Westmächte. Erst nachdem diese Bemühung mit dem Eintritt der Bundesrepublik Deutschland in die NATO endgültig gescheitert war, erschien die österreichische Frage auch in Moskau in einem neuen Licht. Die Wende der sowjetischen Außenpolitik gegenüber Österreich und die Abkehr von einer jahrelangen Blockierung aller Bemühungen um den Abschluss eines Staatsvertrags mit Österreich fand in einem relativ kurzen Zeitraum, nämlich zwischen der Abhaltung der in dieser Hinsicht noch erfolglosen Berliner Außenministerkonferenz im Februar 1954 und der ersten, die neue sowjetische Haltung gegen Österreich widerspiegelnden Erklärung des damaligen sowjetischen Außenministers Molotow am 8. Februar 1955 statt. Sie stand ohne Zweifel auch im Zusammenhang mit dem Bemühen der damaligen sowjetischen Führung, in einer weltpolitisch spannungsreichen Periode ein Zeichen der Bereitschaft zu setzen, lange eingefrorene Konflikte, wie jenen um die Zukunft Österreichs, einer Lösung zuzuführen, ohne dabei grundlegende sowjetische Interessen völlig außer Acht zu lassen. Vor diesem, damals in seiner ganzen Bedeutung wahrscheinlich nicht ganz sichtbaren, Hintergrund konnte Österreich mit einer nach wie vor hauptsächlich am endgültigen Abschluss eines Staatsvertrags interessierten Regierung nochmals alle Elemente für eine Lösung einbringen, die sich auf der Grundlage einer in Österreich in langen Jahren geführten außenpolitischen Debatte bereits klar abgezeichnet hatten und damit zur Basis eines neuen politischen Konsenses werden konnten.

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Tatsächlich wich auch der schließlich gefundene Text des Moskauer Memorandums, wie ihn eine heute schon legendäre Regierungsdelegation aus vier der bedeutendsten politischen Akteure der Zweiten Republik mit ihren sowjetischen Partnern ausverhandelt hatte, in keinem Punkt von Vorstellungen und Zielvorgaben ab, die immer wieder in der neutralitätspolitischen Diskussion früherer Jahre artikuliert worden waren. Von besonderer Bedeutung war dabei der Hinweis auf das ja auch in der österreichischen Diskussion immer wieder postulierte Modell Schweiz, dessen Neutralitätsvariante einen eindeutig westlichen Bezug aufweist und nicht nur mit dem gesellschaftspolitischen System der Eidgenossenschaft zu tun hatte. Er hatte damit Parallelen zu anderen, vor allem europäischen Neutralitätsmodellen, die – auch für die Zukunft – Entwicklungen in andere Richtungen nicht ausschlossen, vermieden. Wenngleich der Hinweis auf die Schweiz im – schließlich in der Form eines Bundesverfassungsgesetzes angenommenen – Text der österreichischen Neutralitätserklärung fiel, kam ihm als Element der Interpretation dennoch große Bedeutung zu. Mit der formellen Annahme dieser Erklärung durch den Nationalrat und der darauf folgenden Notifizierung an alle damaligen Mitglieder der Vereinten Nationen, von denen viele diesen neuen Status Österreichs sogleich formell anerkannten, war freilich der Inhalt der künftigen Außenpolitik Österreichs noch keineswegs bestimmt. Einige bedeutsame Überlegungen dazu hatte schon im Mai 1955 in einem im »FORVM«, einer der damals wichtigsten Tribünen intellektueller Diskussion in Österreich, erschienenen Artikel Bruno Kreiskys, damals bereits Staatssekretär im Bundeskanzleramt/Auswärtige Angelegenheiten, angestellt, als er schrieb : »Den Inhalt unserer Neutralität werden wir selbst zu bestimmen haben. Österreichs Neutralität wird von der Neutralität der Schweiz oder Schwedens so verschieden sein oder ihr so ähnlich sein, wie das geographische oder geschichtliche Profil dieser beiden Staaten dem österreichischen ähnlich ist oder von ihm abweicht. Nach seiner imperialen Variante und nach der Kleinstaat-Variante der ersten Republik wird Österreich nun seine Neutralitätsvariante denken müssen.«10

Bruno Kreisky hat diesen Gedanken auch später immer wieder artikuliert, ihn aber auch in vielen seiner späteren Funktionen, vor allem auch als Außenminister und Bundeskanzler der Zweiten Republik, in die Praxis umgesetzt.

10 Kreisky, Bruno : Die österreichische Alternative, in : FORVM 17/2 (1955), S. 166–187.

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Österreich und die Signatarstaaten des Staatsvertrags: eine Sonderbeziehung In der österreichischen Außenpolitik nach 1945 entwickelte sich sehr rasch eine Sonderbeziehung besonderer Art zu den vier Besatzungsmächten, in deren Hand nicht nur der Schlüssel zum Abschluss eines Staatsvertrags lag, sondern die auch auf viele Bereiche der österreichischen Politik durch die im Alliierten Kontrollrat verankerten Rechte direkt oder indirekt Einfluss nehmen konnten. Wenngleich der durch den Kalten Krieg beschleunigte Prozess der Entfremdung und schließlich der Konfrontation zwischen den vier Mächten ein einheitliches Vorgehen gegen Österreich oft ausschloss, zeigte schon die Weiterexistenz auch nicht sehr effektiver alliierter Kontrollorgane Grenzen der österreichischen Souveränität auf. Es war daher naheliegend, dass auch noch lange nach dem Abschluss des Staatsvertrags den Beziehungen Österreichs zu den vier Signatarstaaten besonderes Augenmerk zugewendet und ihnen in der österreichischen Außenpolitik eine besondere Stellung eingeräumt wurde. Dieser besondere Stellenwert kam auch in den außenpolitischen Regierungserklärungen der Zeit immer wieder zum Ausdruck, selbst noch in der ersten Regierungserklärung von Bundeskanzler Fred Sinowatz am 31. Mai 1983, in der er auf die »besondere Pflege der Beziehungen (…) zu den Signatarstaaten des Staatsvertrags« verwies.11 Dass diesen Beziehungen besondere Sorgfalt zukam, lag sicher auch daran, dass sich unter den vier Signatarstaaten mit den USA und der UdSSR auch die beiden Hauptmächte der damaligen, sich antagonistisch verhaltenden Weltsysteme befanden. Dennoch wurde diese Sonderbeziehung vor allem aus der Stellung abgeleitet, die ihnen der Abschluss des Staatsvertrags mit Österreich verliehen hatte. Die Bedeutung dieser Stellung wurde in einer gerade auf sie gerichteten Besuchsdiplomatie sichtbar, mit der die Beziehungen zu den einzelnen Signatarstaaten gefestigt werden sollten. Lange gehörte es auch zum Vorstellungsritual neuer österreichischer Regierungschefs und Außenminister, sich zuerst in den Hauptstädten der vier Mächte anzumelden oder zumindest auf weniger protokollarischen Wegen, etwa in den Korridoren der Vereinten Nationen, Kontakt zu den außenpolitischen Spitzen von Signatarmächten zu suchen. Besonders hervorgehoben wurde die Stellung der Signatarmächte samt ihrer jeweiligen Rolle in der Weltpolitik auch durch aufwendige Feiern, die in Wien zu besonderen Jahrestagen des Abschlusses des Staatsvertrags zelebriert wurden, wobei 11 Regierungserklärung von Bundeskanzler Dr. Fred Sinowatz am 31. Mai 1983, in : Bundespressedienst Wien (Hg.) : Österreich Dokumentationen, 1983, S. 2–49, hier S. 41.

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besonders Veranstaltungen hervorstechen, die 1980 zum 25. Jahrestag dieses historischen Ereignisses organisiert wurden und an denen nochmals die Außenminister aller vier Signatarstaaten, neben anderen Vertretern des internationalen Systems, teilnahmen. Eine letzte derartige Feier dürfte jene zum 50. Jahrestag des Abschlusses des Staatsvertrags am 15. Mai 2005 veranstaltete gewesen sein, bei der die Signatarmächte allerdings nur mehr schwächer vertreten waren. In der Entwicklung dieser Sonderbeziehung spiegelte sich allerdings auch die mehr oder minder große Nähe Österreichs zu den einzelnen Signatarstaaten wider. So blieben die Beziehungen zur UdSSR, so großes Interesse ihnen auch von der jeweiligen Moskauer Führung beigemessen wurde, letztlich immer auf die offizielle, staatliche Ebene und den in regelmäßigen Abständen stattfindenden Begegnungen zwischen österreichischen und sowjetischen Politikern, meist im Rahmen von protokollarisch durchorganisierten Staatsbesuchen beschränkt. Demgegenüber entwickelten sich die Beziehungen Österreichs – und nicht nur seiner politischen Welt – zu den westlichen Signatarstaaten auf den verschiedensten Ebenen, auch wenn sich der Rhythmus offizieller Staatsbesuche angesichts der Fülle anderer Kontakte deutlich verringerte. So unterhielten die großen politischen Familien Österreichs zum Teil sehr enge Beziehungen zu den führenden politischen Parteien, vor allem Frankreichs und Großbritanniens, auf gewerkschaftlicher Ebene auch zu den großen amerikanischen Gewerkschaftsverbänden. Dazu kam eine Vielfalt kultureller und wirtschaftlicher Beziehungen, wie sie sich gegenüber dem Osten mit seinem völlig anderen Wirtschafts- und Gesellschaftssystem nicht entwickeln konnten. Besondere Aufmerksamkeit wurde auch der Festigung der Beziehungen zu den USA gewidmet, vor allem, um das Interesse nicht nur seiner politischen Welt, sondern auch seiner öffentlichen Meinung und Gesellschaft für Österreich nicht erlahmen zu lassen. Hier erwies sich, wie auch gegenüber Paris und London, die Kulturpolitik als ein sehr wichtiges Instrument. Vortragskampagnen wie jene, die Bruno Kreisky als Außenminister in den USA organisierte, stellten ebenfalls eine wichtige Methode dar, Aufmerksamkeit in der amerikanischen Öffentlichkeit zu erregen. Eine besondere Geste setzte Österreich 1976 aus Anlass des 200. Jahrestages der Gründung der Vereinigten Staaten, als aus Spenden, die von der Bundesregierung verdoppelt wurden, Mittel für die Errichtung von zwei Lehrstühlen für »Austrian Studies« an namhaften amerikanischen Universitäten zur Verfügung gestellt wurden. Mit diesen Spenden sollte ein Teil der Dankesschuld Österreichs für die Leistungen aus dem Marshallplan abgetragen werden. In diesen Jahren entwickelten sich auch oft besondere Verbindungen zwischen dem Ballhausplatz und dem Weißen Haus, etwa eine für Österreich sehr hilfreiche

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Beziehung zwischen Bundeskanzler Bruno Kreisky und US-Präsident Jimmy Carter, der später Wien als Ort der Begegnung mit dem sowjetischen Staats- und Parteichef Leonid Breshnew wählte. So korrekt und im Wesentlichen krisenfrei sich die Beziehungen Österreichs zur Sowjetunion in den Jahren nach dem Abschluss des Staatsvertrags entwickelten, so erreichten sie in keiner Phase die Intensität und Dynamik, wie sie gegenüber westlichen Signatarmächten bestand. Sie deuteten damit den Platz an, nach dem Österreich in der Staatengemeinschaft, vor allem in der Gemeinschaft der westlichen pluralistischen Demokratien, suchte. Eine letzte Phase in den Beziehungen Österreichs zu den Signatarstaaten des Staatsvertrags wurde 1990 erreicht, als Österreich den Zeitpunkt für gekommen hielt, vor allem rüstungstechnische, aber auch die Beziehungen Österreichs zu einem nun wiedervereinigten Deutschland regelnde Bestimmungen des Staatsvertrags für obsolet zu erklären. In einer Mitteilung an die vier Signatarstaaten verwies die Bundsregierung auf die nun eingetretenen grundlegenden Veränderungen in Europa. Diese manifestierten sich nach österreichischer Auffassung in der Anwendungspraxis der Artikel 12–16 sowie des Artikels 22 Ziff. 13 des Staatsvertrags sowie der am Ende des Vertrages über die abschließende Regelung in Bezug auf Deutschland ausgedrückten geänderten Rechtsüberzeugung der Signatarstaaten. Gemäß der österreichischen Erklärung waren diese Bestimmungen mit Ausnahme des in Artikel 13 enthaltenen Verbots von Massenvernichtungswaffen daher obsolet. Die Signatarstaaten stimmten dieser Erklärung zu oder erhoben dagegen keinen Einspruch, womit eine entsprechende Vertragsänderung vollzogen war.12 Mit dieser Episode fand jedenfalls das Kapitel von herausragenden Sonderbeziehungen zwischen Österreich und den vier Signatarstaaten seines Staatsvertrags ein eindeutiges Ende und floss in den normalen Gang von Beziehungen zwischen Österreich und die nun ihres besonderen Charakters endgültig entkleideten Partnern in der westlichen Welt bzw. im Nachfolgeraum der Sowjetunion ein.

Neutralitätspolitik in der Praxis: Österreich und seine Nachbarn Programmatische Erklärungen zu der einzuschlagenden Praxis einer ständigen Neutralität, vor allem zum Inhalt einer für Österreich neuen Neutralitätspolitik, wur12 Hummer, Waldemar : Der internationale Status und die völkerrechtliche Stellung Österreichs seit dem 1. Weltkrieg, in : Neuhold, Hanspeter/Hummer, Waldemar/Schreuer, Christoph (Hg.) : Österreichisches Handbuch des Völkerrechts, Band 1, 4. völlig überarbeitete Aufl., Wien 2004, S. 562–615, hier S. 584.

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den schon im Umfeld der Beschlussfassung des Bundesverfassungsgesetzes über die Neutralität Österreichs vom 26. Oktober 1955 und in den sie begleitenden parlamentarischen Debatten abgegeben. Sie waren nicht zuletzt in den »Erläuternden Bemerkungen« zu der entsprechenden Regierungsvorlage, die die Bundesregierung bereits am 19. Juli 1955 (598 der Blg.) dem Nationalrat vorlegte, zusammengefasst und wurden dann Gegenstand von Beratungen des Hauptausschusses, wobei sich ein breiter parlamentarischer Konsens abzeichnete. Nach einer Darlegung des Inhaltes einer dauernden bewaffneten Neutralität wurde darin vor allem betont, dass »ein dauernd neutraler Staat (…) in seinen sonstigen völkerrechtlichen Grundrechten vollkommen unbeschränkt« bliebe. Das gelte insbesondere für seine Zugehörigkeit zu »internationalen Staatenorganisationen«, ein Recht, das ja Österreich schon kurz nach Annahme seines Neutralitätsstatus durch seinen Beitritt zu den Vereinten Nationen – später auch durch seinen Beitritt zum Europarat – wahrnehmen sollte. Schon diese »Erläuternden Bemerkungen« betonten auch, dass »die Neutralität nicht zur ideologischen Neutralität verpflichtet«, d. h. dass »die Neutralität den Staat, nicht aber die einzelnen Staatsbürger bindet«. Die geistige und politische Freiheit des Einzelnen, insbesondere die Freiheit der Presse und der Meinungsäußerung, würde durch die dauernde Neutralität des Staates nicht berührt. Einen nicht unbedeutenden Beitrag zu diesen ersten programmatischen Überlegungen leistete auch die österreichische Rechtswissenschaft, allen voran der noch aus der Schule von Hans Kelsen hervorgegangene Nestor des österreichischen Völkerrechts, Alfred Verdross, ebenso wie andere angesehene Völkerrechtler dieser Jahre, v. a. Stephan Verosta und als Vertreter einer neuen, jüngeren Generation dieses durch den neuen Status Österreichs nun sehr gewichtigen Rechtszweiges, Karl Zemanek. Sie übten damit ständigen und nicht unbeträchtlichen Einfluss nicht nur auf die Theorie der österreichischen Neutralitätspraxis aus. Diese verdankte aber nicht weniger den für die Bundesregierung direkt tätigen Rechtsberatern, unter denen schon in diesen ersten Jahren Rudolf Kirchschläger, der langjährige Leiter der Völkerrechtsabteilung des zuerst noch im Bundeskanzleramt/Auswärtige Angelegenheiten aufgehobenen späteren Bundesministeriums für Auswärtige Angelegenheiten, herausragt. Seine unverkennbare Handschrift ist in vielen der damaligen, für viele Jahre richtungweisenden regierungsamtlichen Dokumenten zu Fragen der österreichischen Neutralität sichtbar. Eine der wichtigsten theoretischen Erkenntnisse dieser Schriften und Studien aus den Anfangszeiten österreichischer Neutralitätspraxis war das besonders auch von Felix Ermacora herausgearbeitete und hervorgehobene »Recht auf Selbstinterpretation der Neutralität«.13 13 Ermacora, Felix : 20 Jahre österreichische Neutralität, Frankfurt am Main 1975, S. 214.

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Nicht weniger bedeutend in diesem Zusammenhang war, dass besonders die österreichische Völkerrechtswissenschaft die Frage, ob – wie vor allem von der damaligen sowjetischen Völkerrechtstheorie behauptet und gefordert – die Führung einer spezifischen Neutralitätspolitik einer neutralitätsrechtlichen Pflicht entspräche, eindeutig verneinte.14 Es bildete sich daher schon in dieser Frühphase der Entwicklung der österreichischen Neutralität die klare Tendenz heraus, wie später von Kreisky immer wieder betont wurde, eine eigene, auch von der Schweiz unabhängige österreichische Neutralitätsvariante zu entwickeln und diese mit einem Maximum an eigenständigen Gestaltungsmöglichkeiten auszustatten. Wenngleich diese immer wieder auf die realpolitischen Gegebenheiten des Kalten Krieges abzustimmen war, ließ sich darin doch stets das Bemühen erkennen, die österreichische Außenpolitik in nicht zu beträchtlichem Abstand von den großen politischen Linien, wie sie der Westen in seiner Gesamtheit verfolgt, zu führen und damit eine ideologische Isolation eines an einer sensiblen Nahtstelle der damaligen politischen Welt liegenden Landes zu vermeiden. Dieser generellen Zielsetzung tat es keinen Abbruch, wenn sich die österreichische Außenpolitik auf Ziele, die sich die westliche Außenpolitik in verschiedenen Bereichen gesetzt hatte, mit zum Teil anderen Mitteln und Instrumenten zu bewegte, die auch oft zu Missverständnissen und Kritik führen sollten. Sie erzielte damit aber oft eine raschere und direktere Wirkung, als es anderen westlichen Staaten, die die gleiche Zielsetzung verfolgten, mit ihrer Politik möglich war. Einer ersten frühen Bewährungsprobe wurde eine so verstandene neue österreichische Neutralitätspolitik durch die europäische Krise ausgesetzt, die im Herbst 1956 durch die Niederschlagung einer Volkserhebung im benachbarten, dem Sowjetsystem unterworfenen, Ungarn entstehen sollte. Weit davon entfernt, in dieser Auseinandersetzung, die auch zu einer schweren humanitären Krise führte, ein neutrales Verhalten an den Tag zu legen, ließen nicht nur die öffentliche Meinung, sondern auch die Bundesregierung klar erkennen, auf welcher Seite ihre Sympathien lagen. So richtete schließlich auch auf dem Höhepunkt der Krise am 28. Oktober 1956 die Bundesregierung einen Appell an die Sowjetregierung, in der sie diese aufforderte, in Ungarn »die militärischen Handlungen nicht fortzusetzen und das Blutvergießen zu beenden«.15 In den Vereinten Nationen ergriff Österreich Initiativen für die humanitäre Hilfe an die ungarische Bevölkerung, währenddessen die Grenzen des Landes für einen unabsehbaren Strom ungarischer Flüchtlinge geöffnet wurden. 14 Ebd., S. 73. 15 Strasser, Wolfgang : Österreich und die Vereinten Nationen. Eine Bestandsaufnahme von 10 Jahren Mitgliedschaft (Schriftenreihe der Österreichischen Gesellschaft für Außenpolitik und internationale Beziehungen 1), Wien 1967, S. 88.

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Von dieser Position, mit der Österreich demonstrieren konnte, dass mit seiner ständigen Neutralität weder Gesinnungsneutralität noch Indifferenz gegenüber humanitären Problemen und Menschenrechtsverletzungen verbunden waren, ließ sich das Land auch nicht durch die bald einsetzenden Proteste aus östlicher Richtung abbringen, in denen immer wieder auch Neutralitätsverletzungen behauptet wurden. Auch in den folgenden Jahren stellte gerade die Bewältigung des Verhältnisses Österreichs zu seinen im sowjetischen Machtbereich befindlichen Nachbarstaaten immer wieder hohe Anforderungen an die Praxis österreichischer Neutralitätspolitik. Nicht nur aus wirtschaftlichen Erwägungen lag es stets in hohem Maße in österreichischem Interesse, geordnete und so weit als möglich auch freundschaftliche und kooperative Verhältnisse zu diesen Staaten herzustellen, mit denen Österreich auch lange historische und kulturelle Gemeinsamkeiten verbanden. Viele dieser Beziehungen waren durch die Errichtung kommunistischer Regime nach sowjetischem Muster unterbrochen worden, wobei auch mit praktisch allen Staaten durch ihre Politik der Enteignung und Verstaatlichung von Privatvermögen, von der auch österreichisches Eigentum nicht ausgenommen war, komplizierte vermögensrechtliche Probleme entstanden waren, die von Land zu Land langjährige und schwierige Verhandlungsprozesse erforderten. In dieser Frage musste die österreichische Außenpolitik Wege beschreiten, für die es in der europäischen Politik dieser Jahre, in der die Beziehungen zwischen europäischen Staaten sehr weitgehend dem Verhältnis zwischen den beiden Hauptmächten von Ost und West untergeordnet waren, nur wenige Ansatzpunkte gab. Die gänzlich verschiedene geografische Lage anderer neutraler Staaten, besonders auch der Schweiz, gegenüber Österreich gab auch hier keinerlei Aufschlüsse.16 Die Bundeskanzler und Außenminister Österreichs, insbesondere Julius Raab und Bruno Kreisky, mussten daher ein völlig neues, im Westen auch nicht immer sofort verstandenes Konzept entwickeln, um die Beziehungen Österreichs zu seinen damals kommunistischen Nachbarstaaten neu zu gestalten. Dieses Konzept hatte Mitte der 1960er-Jahre bereits eine mehr oder minder feste Form angenommen und beruhte einerseits auf der realistischen Einschätzung der Tatsache, dass es sich eindeutig um eine Politik mit kommunistischen Staaten handeln werde, »die auch in Zukunft unter einer kommunistischen Regierung stehen werden«.17 Gleichzeitig ging es aber auch von der Feststellung aus, »dass es Unterschiede gibt zwischen Ungarn und Tschechen, Südslawen und Ostslawen, Kroaten

16 Bielka, Erich : Österreich und seine volksdemokratischen Nachbarn, in : Bielka, Erich (Hg.) : Die Ära Kreisky. Schwerpunkte der österreichischen Außenpolitik, Wien 1983, S. 195–231, hier S. 202. 17 Kreisky, Bruno : Vortrag : Die österreichische Außenpolitik, Helsinki, 28. Mai 1965, in : Kreisky, Bruno : Reden, Bd. I, Wien 1981, S. 571–580, hier S. 579.

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und Polen«18, d. h., dass man sich davor hüten müsse, alle diese Länder, wie dies im Westen damals durchaus üblich war, »über einen Leisten zu schlagen«.19 Von besonderer Bedeutung in der Entwicklung und Anwendung dieses Konzepts war aber auch die vor allem Bruno Kreisky zuzuschreibende Forderung, die er in folgende Formulierung goss : »Unsere Politik muss eine der ›demokratischen présence‹ sein, d. h., wir müssen uns deutlich als demokratischer Staat präsentieren.«20 In der Verfolgung dieser Politik war Österreich durchaus erfolgreich, wenngleich sich manche seiner Nachbarn, vor allem die damalige Tschechoslowakei, sah man vom kurzen Intermezzo des Prager Frühlings ab, unter einer Moskau besonders ergebenen Führung diesen Schritten der Annäherung verschlossen. Besondere Fortschritte konnten dagegen im Verhältnis zu Ungarn und Polen, bis zu einem gewissen Ausmaß auch im Verhältnis zu Bulgarien und Rumänien, erzielt werden. In seinen Kontakten zu den Führungseliten dieser Länder legte vor allem Kreisky großen Wert darauf, als Vertreter eines den Werten der Demokratie ergebenen Landes aufzutreten und auch Themen zu behandeln, die damals den Westen beherrschten, wie die Frage nach den Grundlagen einer Koexistenz zwischen Ost und West. Völlig neu in der damaligen politischen Atmosphäre Europas war es auch, dass Kreisky darauf Wert legte, im Zuge seiner Reisen in die Hauptstädte des europäischen Ostens öffentliche Vorträge zu halten und damit einen weiteren Kreis als lediglich Vertreter von Parteien und Regierungen anzusprechen. War die österreichische Nachbarschaftspolitik gegenüber seinen kommunistisch bzw. von Moskau geführten Nachbarn in Ost-/Mitteleuropa anfangs ein neuer Weg der Wiederanknüpfung eingefrorener Beziehungen zu diesen Staaten, so schlugen im Laufe der Jahre auch andere europäische Demokratien eine Politik des »Wandels durch Annäherung« ein, wie sie Willy Brandt und seine Nachfolger gegenüber der damaligen DDR, aber auch Frankreich gegenüber einzelnen osteuropäischen Staaten wie Polen verfolgten. Diese Vorgehensweise fügte sich damit trotz aller eigenen Akzente in die verschiedenen Perioden der Entspannungspolitik gegenüber dem Osten und besonders der UdSSR ein, wie sie weite Teile des Westens, einschließlich der USA, verfolgten. Sie trug damit auch dazu bei, in diesem Teil Europas Zonen der Stabilität und der Friktionsfreiheit zu schaffen, auf deren Boden sich dann auch von der Sowjetunion nicht mehr vollständig zu steuernde Entwicklungsmodelle in einzelnen osteuropäischen Staaten herausbilden konnten. Anzeichen von Liberalisierung wurden daher auch von österreichischer Seite unterstützt, und ein Mittel dazu war die für die damalige Zeit völlig neue Aufhebung 18 Ebd. 19 Ebd. 20 Ebd.

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von Sichtvermerkspflichten gegenüber einzelnen osteuropäischen Staaten wie Ungarn, Polen und Bulgarien. Damit sollten menschliche Kontakte auch unter den erschwerten Bedingungen dieser Zeit erleichtert werden. Teil dieser Politik der guten Nachbarschaft waren auch immer neue Bemühungen auf dem Gebiet einer humanitären Außenpolitik, durch die Familiengründungen und Familienzusammenführungen oder auch die Befreiung politischer Häftlinge bewirkt werden sollten. Vom Prager Frühling zur Solidarno-Bewegung Vor besondere Herausforderungen sah sich die österreichische Nachbarschaftspolitik immer wieder dann gestellt, wenn sich in seinen Nachbarstaaten große Reformbewegungen entwickelten, die im Gegensatz zum ideologischen Führungsmonopol Moskaus standen, wie der Prager Frühling und die ab 1980 in Polen entstehende Solidarność-Bewegung. Sie forderten von Österreich besonders dann eine klare Stellungnahme, wenn von sowjetischer Seite gegen diese Reformbewegungen wie durch den Einmarsch von Truppen der Staaten des Warschauer Pakts in die ČSSR im August 1968, offen und unter klarer Verletzung der Souveränität eines zumindest formell unabhängigen Staates Gewalt angewendet wurde. Wenngleich sich die damalige Bundesregierung, offenbar unter dem Einfluss eines zur besonderen Vorsicht gegenüber der UdSSR neigenden Außenministers Kurt Waldheim, nicht zu ähnlichen Schritten entschließen konnte, wie sie Österreich während der Ungarnkrise gesetzt hatte, blieben die Grenzen des Landes für Flüchtlinge aus der CSSR offen, und vor allem die öffentliche Meinung zeigte klar eine ablehnende Haltung gegenüber dem sowjetischen Eingriff. Auch damals wieder von östlicher Seite erhobene Vorwürfe wegen behaupteter Neutralitätsverletzungen durch die Haltung österreichischer Medien gingen daher ins Leere. Eine Belastung der Beziehungen Österreichs zu einem anderen wichtigen Nachbarstaat, mit dem sich – im Unterschied zur ČSSR – im Verlauf der Jahre sehr intensive Beziehungen entwickelt hatten, nämlich Polen, entstand anfangs 1981 durch die Ausrufung des Ausnahmezustandes in diesem Land durch General Jaruzelski. Konnte durch diese Maßnahme, die auch in Österreich von der öffentlichen Meinung einhellig verurteilt wurde, da damit die beschränkten Freiheitsrechte, die sich die Solidarność-Bewegung erkämpft hatte, zunichtegemacht wurden, offenbar eine drohende militärische Intervention der UdSSR abgewendet werden, so fand damit doch eine Periode der Liberalisierung, wie sie auch im Sinne österreichischer Nachbarschaftspolitik lag, ein jähes Ende. Die mangelnde internationale Dimension der Ereignisse in Polen stellte Österreich allerdings nicht vor Fragen wie jene, die durch das viel direktere sowjetische Eingreifen in Ungarn und der ČSSR entstanden waren, sosehr das Entstehen einer

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kommunistischen Militärdiktatur die Entwicklung weiterer, engerer Beziehungen zwischen Österreich und Polen in diesen Jahren behinderte. Wie wenige andere Felder der Außenpolitik erlaubt jedenfalls die Nachbarschaftspolitik Österreichs in den Jahren des Kalten Krieges den Schluss, dass die Beobachtung von Grundregeln der ständigen Neutralität Österreich keineswegs daran gehindert hat, diese Politik aus der Warte und der Position eines Mitgliedes der demokratischen Staatengemeinschaft des Westens zu führen, die in keiner Phase der Annäherung an seine kommunistischen Nachbarn vernachlässigt wurde. Ganz im Gegenteil konnte das Interesse, das viele dieser Staaten an der Begründung engerer Beziehungen zu Österreich zeigten, auch als Signal für ihren Wunsch gesehen werden, engere Beziehungen zu einem dem Westen gegenüber offenen Land zu unterhalten und sich damit auch dem Westen anzunähern. Dass die österreichische Politik dabei allerdings auch von der Beständigkeit des sowjetischen Systems ausging, war keine auf Österreich beschränkte Eigenheit. Der Westen in seiner Gesamtheit rechnete nicht mit dem schließlich spektakulären Zusammenbruch dieses Systems, wie er mit dem Fall der Berliner Mauer begann. Österreich und die europäische Integration: Von der OEEC zum Brief nach Brüssel Für den Wiederaufbau Österreichs nach den katastrophalen Zerstörungen, die der Zweite Weltkrieg im ganzen Land hinterlassen hatte, war die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit anderen Volkswirtschaften in Europa und in der Welt eine unbedingte Voraussetzung. Angesichts der schwierigen Lage, in der sich nach 1945 alle europäischen Staaten befanden, kam diese Zusammenarbeit, nämlich ein stärkerer internationaler Güter- und Warenverkehr, aber nur langsam in Schwung. Weiters trug der Umstand, dass die Staaten Ost-/Mitteleuropas ihre wirtschaftlichen Beziehungen nach und nach in Richtung der sie beherrschenden Sowjetunion lenkten, dazu bei, dass sie ihr teilweise beträchtliches wirtschaftliches Potenzial vornehmlich für den Aufbau der östlichen Volkswirtschaften nutzten. Damit wurden besonders für Österreich spezielle neue Probleme geschaffen, da in den Jahren der Ersten Republik etwa 40 % des Außenhandels mit diesen Staaten abgewickelt worden waren und lediglich 15 % mit einem großen westlichen Nachbarn wie Deutschland. Tatsächlich war auch schon 1947 ihr Anteil an den österreichischen Exporten, die durch bilaterale Warenaustauschabkommen auf Kompensationsbasis in Gang gebracht werden mussten, auf etwa 20 % geschrumpft und verminderte sich in den folgenden Jahren immer weiter.∗ *

Vgl. dazu den Beitrag von Andreas Resch in diesem Band mit dem Titel: »Der österreichische Osthandel im Spannungsfeld der Blöcke«.

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Die Spaltung Europas durch den Eisernen Vorhang zwang daher Österreich eine radikale Neuorientierung seiner Außenwirtschaftsbeziehungen in Richtung jener Volkswirtschaften im Westen des Kontinents auf, die ein mit Österreich vergleichbares marktwirtschaftliches Wirtschaftssystem praktizierten. Neue Grundlagen für solche Beziehungen wurden durch den Marshallplan und seine auf wirtschaftliche Integration zielenden Begleitmaßnahmen, wie die Schaffung einer Europäischen Zahlungsunion im Rahmen der damaligen OEEC, geschaffen. Mit Annahme der Einladung der Vereinigten Staaten, die Hilfsmaßnahmen aus dem Marshallplan anzunehmen, traf Österreich gleichzeitig eine wichtige, auch politische Grundsatzentscheidung, nämlich einer vorläufig vor allem wirtschaftlichen Westorientierung, die freilich in völligem Einklang mit dem politischen und sozialen System Österreichs und dem in mehreren freien Wahlen ausgedrückten Willen seiner Bevölkerung stand. Die Bedeutung dieser Entscheidung für eine Teilnahme an diesen Frühformen der europäischen Integration, wie sie von der OEEC ausgingen, war auch den allerdings politisch weniger gewichtigen Kräften des Landes, die einer anderen Alternative im Gefolge der UdSSR zugeneigt waren, völlig klar : So verließ die KPÖ aus Protest gegen die Teilnahme am Marshallplan eine bis zu diesem Zeitpunkt bestehende Konzentrationsregierung aller drei im damaligen Nationalrat vertretenen Parteien und ging in die Opposition. Vor allem durch seine Mitarbeit in den Organen der sich rasch weiterentwickelnden OEEC, der heutigen OECD, war Österreich damit aktiv in einen vorerst auf breiterer Basis stattfindenden Prozess einer europäischen Integration eingebunden, die auf eine immer engere wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen allen europäischen Demokratien abzielte. Engere Formen der wirtschaftlichen Zusammenarbeit in Europa, die sich daneben und zuerst in Form der auf Ideen Jean Monnets beruhenden Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) entwickelten, hatten vorerst eine andere Motivation, nämlich die der Aussöhnung und Wiederannäherung zwischen Deutschland und Frankreich, und ließen daher den Einschluss anderer europäischer Staaten als sekundär erscheinen. Die Frage einer Teilnahme an der wirtschaftlichen Einigung Westeuropas wurde für Österreich erst nach dem Abschluss der Römer Verträge 1957 mit ihrem viel weiter gespannten Integrations- und Vertragswerk aufgeworfen. Dennoch schien auch angesichts dieser Entwicklungen der Weg für Formen eines das gesamte westliche Europa umschließenden Integrationswerks, als dessen Basis nach wie vor die OEEC geeignet schien, nicht verschlossen. Österreich gehörte daher zu den Anwälten einer solchen Alternative, wie sie 1958 in Form des Maudling-Planes Gestalt annehmen sollte. Österreich blieb allerdings auch nach dem Scheitern dieser Bemühungen um weitere Schritte zur wirtschaftlichen Integration Europas bemüht und schloss sich daher der anfänglich von Großbritannien geführ-

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ten Europäischen Freihandelsassoziation EFTA an, die allerdings – sicher nach den Vorstellungen Österreichs – kein Gegenentwurf zur EWG, sondern ein Mittel sein sollte, »durch die baldige Schaffung einer multilateralen Assoziation (…) zwischen den Mitgliedern der Organisation für europäische wirtschaftliche Zusammenarbeit, einschließlich der Mitglieder der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft«21 zu einer engeren wirtschaftlichen Zusammenarbeit zu führen, wie die Präambel der EFTAVerträge betonte. So wenig es auch in diesen Jahren an Stimmen fehlte, die einen direkten Beitritt zur EWG als den für Österreich geeignetsten Weg zur europäischen Integration forderten, so überwogen dennoch Erwägungen, die in den aus Neutralität und Staatsvertrag erwachsenden Verpflichtungen ein vorläufig noch unüberwindliches Hindernis für eine Teilnahme an diesem besonders dichten und anspruchsvollen Integrationswerk sahen.22 Wenn Österreich sich daher in diesen Jahren trotz vieler Versuche – bis zu einem Alleingang ohne den Rest der EFTA-Mitglieder – nicht stärker an die EWG annäherte, so waren dafür allerdings auch Widerstände aus dem Inneren der EWG maßgeblich, die sich weniger aus Bedenken gegenüber dem neutralen Status des Landes als aus außenpolitischen Gegensätzen nährten, wie sie damals zwischen Österreich und Italien angesichts des Problems Südtirol bestanden. Österreich setzte allerdings seine Bemühungen um eine Annäherung an die EWG fort, die dann letztlich 1972 nach dem Amtsantritt der zweiten Regierung Bruno Kreiskys durch einen ersten großen »Brückenschlag« zwischen EWG und EFTA, d. h. die nun erfolgte Bildung einer großen europäischen Freihandelszone – unter Ausschluss des von den Besonderheiten der Gemeinsamen Agrarpolitik der Gemeinschaft stark geprägten agrarischen Sektors –, einen ersten großen Schritt nach vorwärts machen konnte. Zahlreiche weitere Initiativen folgten, die teils in diesem multilateralen, EWG und EFTA einschließenden Rahmen, teils auch bilateral erfolgten, um Österreich die Teilnahme an immer weiteren Programmen und Projekten der EWG zu ermöglichen. Sowohl der fortlaufende Erweiterungsprozess der Gemeinschaft, die sich zuerst für Großbritannien und einige kleinere Länder wie Irland und Dänemark und – aus besonderen politischen Motiven heraus auch für Griechenland – später auch für die neuen Demokratien der Iberischen Halbinsel geöffnet hatte, aber auch eine fühlbare Entspannung zwischen Ost und West, die sich auch in einer weniger feindseligen 21 100. Übereinkommen zur Einrichtung der Europäischen Freihandelsassoziation, BGBl. Nr. 100/1960, 31. Stück, ausgegeben am 16. Mai 1960. 22 Kirchschläger, Rudolf : Integration und Neutralität, in : Bielka, Erich (Hg.) : Die Ära Kreisky. Schwerpunkte der österreichischen Außenpolitik, Wien 1983, S. 61–95, hier S. 61–66.

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Haltung der UdSSR gegenüber der EWG niederschlug, begünstigten diese Entwicklung. In Österreich konnten daher Überlegungen über eine völlige Neugestaltung des Verhältnisses zu der EG bis zu einem Beitritt angestellt werden, die schließlich 1989 zu einem formellen Beitrittsansuchen führten, der dann – nach dem Intermezzo des Europäischen Wirtschaftsraumes (EWR) – 1995 vollzogen wurde. Der integrationspolitische Kurs Österreichs war daher ohne Zweifel von der weltpolitischen Großwetterlage in Europa beeinflusst und versuchte, ohne Aufgabe bestimmter grundsätzlicher Ziele wie dem einer möglichst umfänglichen Teilnahme an möglichst vielen Formen europäischer Integration auf diese natürlich nicht nur atmosphärischen Bedingungen Rücksicht zu nehmen. Wenn daher ein Beitritt Österreichs zur EWG in ihren ersten Jahren nicht in Betracht gezogen werden konnte, so lag das vor allem auch an ihrer Rolle, die sie während verschiedener Höhepunkte des Kalten Krieges in der westlichen Allianz spielte, in der vor allem auch einem ihrer wichtigsten Mitglieder, nämlich Deutschland, eine militärische Schlüsselfunktion zukam. In einer weltpolitischen Situation, in der auch eine militärische Konfrontation zwischen den Blöcken nicht ausgeschlossen werden konnte, mussten daher Thesen führender österreichischer Völkerrechtler wie die von Alfred Verdross ernst genommen werden, wenn er 1959 erklärte, dass »Österreich keiner Wirtschaftsgemeinschaft beitreten dürfe, die uns gegen unseren Willen im Kriegsfalle Pflichten auferlegen könnte, die im Widerspruch mit unserer Neutralität stehen«.23 Neben der Neutralität wurden gerade auch in diesen Jahren einzelne, später für obsolet erklärte Bestimmungen des Staatsvertrags, durch die bestimmte, vor allem strategisch relevante Elemente des Warenverkehrs zwischen Österreich und Deutschland ausgeschlossen werden sollten, als Hindernis für einen Beitritt zur EWG angesehen, zu deren seit jeher geltenden Grundregeln ja der völlig freie Warenverkehr zwischen ihren Mitgliedstaaten gehörte. Die besondere Strenge, mit der Auswirkungen von Neutralität und Staatsvertrag auf das Verhältnis zur EWG damals ausgelegt werden konnten, war auch durch das Bemühen zu erklären, die unerschütterliche Vertragstreue Österreichs gegenüber seinen erst vor wenigen Jahren übernommenen wichtigsten internationalen Verpflichtungen, wie sie eben Staatsvertrag und Neutralität darstellten, unter Beweis zu stellen. Gerade auf der Basis dieser Vertragstreue konnten aber auch die in diesen Jahren sehr häufigen Vorstellungen der sowjetischen Regierung, die dem nach Westen gerichteten integrationspolitischen Kurs Österreichs lange mit großem Misstrauen gegenüberstand, abgewehrt werden. 23 Kirchschläger : Integration und Neutralität, S. 71.

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Dennoch ließ sich Österreich von seinem grundsätzlichen integrationspolitischen Kurs nicht abhalten und hat trotz einer Pflege seiner Handelsbeziehungen zu seinen östlichen Nachbarn – im Gegensatz zu Finnland – keinerlei Schritte in Richtung auf eine stärkere Verbindung zu den allerdings wesentlich weniger effektiven integrationspolitischen Instrumenten des Ostens, wie dem Rat für gegenseitige wirtschaftliche Zusammenarbeit, dem COMECON, unternommen.

Neutralitätspolitik in der Praxis: Österreich und die Vereinten Nationen Die Mitgliedschaft Österreichs bei den Vereinten Nationen, die es schon während der Besatzungszeit angestrebt hatte, die sich aber erst nach dem Abschluss des Staatsvertrags im Dezember 1955 im Rahmen einer Paketlösung, die auch viele frühere Achsenmächte wie Italien und andere einschloss, verwirklichen ließ, wurde schon früh zu einem der wichtigsten Ausdrucksmittel einer neuen österreichischen Außenpolitik unter den Bedingungen der soeben erklärten ständigen Neutralität. Mit dem Eintritt in eine Weltorganisation, die nach dem Willen ihrer Gründer auch Mittelpunkt eines Systems kollektiver Sicherheit sein sollte – so wenig sich ein solches vor allem in den Jahren des Kalten Krieges verwirklichen ließ –, entfernte sich Österreich allerdings schon in der ersten Phase seiner Neutralität bewusst von dem von ihm im Moskauer Memorandum gewählten Vorbild einer Neutralität nach Schweizer Muster. Die Schweiz war den Vereinten Nationen 1945 nicht zuletzt angesichts der weitgesteckten sicherheitspolitischen Ziele der Organisation, die sie mit ihrer Neutralität für unvereinbar hielt, ferngeblieben und hat eine Mitgliedschaft dann tatsächlich erst 2002 erworben. Österreich wollte mit seinem Beitritt zu den Vereinten Nationen hingegen seine Bereitschaft signalisieren, Verantwortung in weiten Bereichen der internationalen Zusammenarbeit, wie sie von den Vereinten Nationen gepflegt wurden, zu übernehmen und sich damit auch wieder sichtbar in eine internationale Gemeinschaft einzugliedern, aus der es angesichts seines langen Verlustes an Unabhängigkeit und Souveränität ausgeschlossen war. Für Österreich war dies also auch eine Art der Rückkehr in die Weltpolitik, die nun freilich nach ganz anderen Gesetzen ablief als in den Jahren, in denen Österreich noch eine Existenz als unabhängiger Staat besaß. Als Österreich daher 1955 seine Arbeit in den Vereinten Nationen aufnahm, fehlten ihm nicht nur zeitgemäße Erfahrungen in neuen Formen multilateraler Diplomatie, wie sie im Rahmen der Vereinten Nationen gepflegt wurden, sondern auch vieles an außenpolitischer Praxis überhaupt. Gewiss war Österreich schon ab 1920 Mitglied des Völkerbundes gewesen, allerdings in einer ganz anderen Rolle, als sie ihm später in den Vereinten Nationen

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zufiel. Möglichkeiten zur Gestaltung der europäischen Politik, wie sie die Mitgliedschaft im Völkerbund geboten hätte, konnte Österreich angesichts seiner schwierigen wirtschaftlichen Lage nicht nutzen, weil es auf die finanzielle Hilfe des Völkerbundes angewiesen war, der damit beträchtlichen Einfluss auf Österreich erlangte. Ab 1934 geriet der in Österreich errichtete autoritäre Ständestaat zunehmend unter den Einfluss des faschistischen Italien, das scheinbaren Schutz gegen Hitler bot, aber Österreichs außenpolitischen Aktionsradius weiter eingrenzte. Nur sehr beschränkt war es auch möglich, sich 1955 am Beispiel anderer europäischer Neutraler zu orientieren, von denen lediglich Schweden schon einige Jahre an UNO-Erfahrung besaß, während Finnland und Irland erst zusammen mit Österreich in die Vereinten Nationen aufgenommen wurden. Einen gewissen Einfluss übte aber ohne Zweifel der Umstand aus, dass Österreich schon seit seinem Beitritt einer der nach regionalen Kriterien zusammengesetzten Gruppen, nämlich der westeuropäischen, zugeordnet wurde. Dieser waren zwar keine direkten politischen Aufgaben, sondern lediglich die Funktion zugedacht, Kandidaturen für die verschiedenen UNO-Organe, beginnend mit dem Sicherheitsrat, zu koordinieren. Diese Mitgliedschaften waren denn auch nach einem bestimmten Schlüssel auf die einzelnen regionalen Gruppen verteilt, um ein entsprechendes Gleichgewicht zwischen den Regionen (equitable geographical representation) der Welt zu gewährleisten. Der Umstand, dass Österreich somit der »Western European and Other States« (WEOG) Gruppe angehörte, begründete von allem Anfang an ein Nahverhältnis zu den anderen westeuropäischen Mitgliedern der Vereinten Nationen, ebenso zu den USA, da diese unter »other states« gemeint waren. Österreich stimmte sich darüber hinaus aber auch in politischen Fragen mit den Mitgliedern der westlichen Gruppe ab, indem es an informellen Sitzungen der WEOG, der nach ihrem Initiator, einem italienischen UNO-Botschafter, so genannten »VINCI Gruppe« teilnahm, in denen gemeinsame Probleme besprochen werden konnten. Tatsächlich musste Österreich aber vor allem in der ständig mit politischen Fragen beschäftigten Generalversammlung, in der Meinungen und Auffassungen der großen weltpolitischen Lager oft heftig aufeinanderprallten und in der sich zunehmend auch der Einfluss einer erstarkenden Dritten Welt, deren Mitgliedschaft durch den Prozess der Dekolonisierung rasch anschwoll, bemerkbar machte, nach einer eigenen, unverwechselbaren Linie suchen, um seiner Außenpolitik vor diesem Forum deutliches Profil zu geben. Zu diesem Zweck gaben stets am Beginn der Generalversammlung österreichische Außenminister, oft aber auch Regierungschefs und manchmal sogar das Staatsoberhaupt, grundsätzliche Stellungnahmen zu den jeweiligen Hauptthemen der Weltpolitik, aber auch zu besonderen Anliegen der österreichischen Außenpolitik ab.

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Dazu kamen im Laufe jeder Generalversammlung zahlreiche weitere Erklärungen österreichischer Vertreter zu den einzelnen Punkten einer meist sehr umfangreichen Tagesordnung. Besondere Aufschlüsse über die Haltung Österreichs erlaubte und erlaubt auch die Art, wie Österreich in der Generalversammlung seine Stimme abgibt, wobei der überwiegende Teil dieser Abstimmungen öffentlich erfolgt, sodass sich daraus eine klare politische Linie ablesen lässt. Schließlich gingen und gehen immer wieder Resolutionsanträge für die Generalversammlung von Österreich aus bzw. demonstriert es seine Unterstützung für andere Anträge, indem es diese – gemeinsam mit anderen, gleichgesinnten Staaten – einbringt. Ein erster solcher Resolutionsantrag Österreichs lag schon der Dritten Sondertagung der Generalversammlung 1956 vor – dem ersten Jahr der Mitgliedschaft Österreichs in den Vereinten Nationen. Er hatte vor allem humanitären Charakter und rief die Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen dazu auf, der Bevölkerung Ungarns, die nach der Volkserhebung im Herbst 1956 schwer gelitten hatte, Hilfe zu leisten. Durch die Einbringung dieser Resolution, die schließlich von der Generalversammlung ohne Gegenstimme (bei Stimmenthaltung der Länder des Ostblocks) angenommen wurde, machte Österreich in den Vereinten Nationen erstmals seine durchaus dem Westen zugeneigte Haltung deutlich. Diese kam in der Ungarnfrage auch durch die Unterstützung verschiedener vom Westen, insbesondere den USA, ausgehenden Resolutionen zum Ausdruck, in denen u. a. ein Abzug der sowjetischen Truppen, Beendigung der Intervention und Anerkennung des Rechtes des ungarischen Volkes auf eine unabhängige nationale Regierung gefordert wurde (siehe Res.1004-ESII).24 Schon erste Untersuchungen des österreichischen Stimmverhaltens in den Vereinten Nationen deuteten jedenfalls darauf hin, dass Österreich bereits in den ersten Jahren seiner Mitgliedschaft bei aller durch die Neutralität gebotenen Zurückhaltung in gewissen Kernfragen des Ost-West-Verhältnisses eher die Nähe zu westlichen Staaten als zu jenen des Ostblocks suchte.25 Dabei ergaben sich vor allem starke Ähnlichkeiten seines Stimmverhaltens mit denen anderer westeuropäischer Neutraler wie Schweden, Finnland und Irland, denen sich gelegentlich auch der NATO angehörende nordische Staaten anschlossen. Es lag daher durchaus auf dieser Linie, wenn Österreich anfänglich in der Frage der Vertretung Chinas in den Vereinten Nationen durch Stimmenthaltung zu entsprechenden prozeduralen Resolutionen eine abwartende Haltung einnahm, allerdings in der Koreafrage immer wieder offen mit dem Westen stimmte. Dies stand 24 Strasser : Österreich und die Vereinten Nationen, S. 88. 25 Ebd., S. 86.

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auch im Einklang mit der Tatsache, dass Österreich zu diesem Zeitpunkt die Volksrepublik China noch keineswegs anerkannt hatte, mit Südkorea aber bereits diplomatische Beziehungen unterhielt. Eine dem Westen zuneigende Haltung nahm Österreich aber auch in einer Reihe anderer politischer Fragen ein, die der Generalversammlung vorgelegt wurden. So stimmte es 1959 und 1961 für eine Tibet-Resolution zur Sicherung der Menschenrechte des tibetanischen Volkes und stimmte in der XV. und XVI. Generalversammlung verschiedenen Resolutionen nicht zu, in denen eine Aggression der USA gegen Kuba verurteilt werden sollte.26 Diese Grundhaltung Österreichs wurde über die Jahre zu einer Konstante, wie etwa eine Untersuchung des Instituts für Völkerrecht und internationale Beziehungen der Universität Wien für die XXXII. Generalversammlung der Vereinten Nationen 1977 belegte. Dabei zeigte sich die größte Ähnlichkeit im Abstimmungsverhalten (der Koeffizient 1 000 sollte die größte Übereinstimmung ausdrücken) mit Staaten wie Irland (895), Dänemark (886), Australien (868), Island (860), den Niederlanden (842), Norwegen (833), Neuseeland (823), Italien (807), Luxemburg (796), Spanien (781), Portugal (779), Japan (775) und Schweden (772). Betrug der Ähnlichkeitskoeffizient mit den USA noch 513, so lag er bei der UdSSR und den anderen Ostblockstaaten bei lediglich 254. Die Ähnlichkeitswerte gegenüber der Masse außereuropäischer blockfreier Staaten lagen zwischen 739 und 505. Die unabhängige, allerdings dem Westen wesentlich nähere Haltung Österreichs kam auch dadurch zum Ausdruck, dass anders als bei manchen, ständigen Gruppen angehörenden Staaten Österreich mit keinem anderen UNO-Mitglied einen 900 übersteigenden Ähnlichkeitskoeffizienten aufwies. Und obwohl zu beiden Supermächten ein durchaus fühlbarer Abstand vorhanden war, war jener zur UdSSR wesentlich größer als der zu den USA.27 Eine besondere neue Herausforderung an die österreichische Politik im Rahmen der Vereinten Nationen ergab sich schließlich ab 1973 durch die damals erstmalige Wahl Österreichs in den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen. Diese Entscheidung der damaligen, von Bundeskanzler Bruno Kreisky geführten, Bundesregierung war keineswegs unkontroversiell und wurde von Bedenken begleitet, dass Österreich bei der Behandlung »umstrittener Fragen« in eine »heikle Situation« geraten könnte, wie es in einer 1973 von der Österreichischen Gesellschaft zur Förderung der Landesverteidigung veröffentlichten Broschüre hieß. Auch Schweigen bzw. grundsätzliche Stimmenthaltung könnten Österreich aus dieser Ver26 Ebd., S. 95 und S. 97. 27 Zemanek, Karl : Dauernd neutrale Staaten in den Vereinten Nationen, Gastvorlesung Universität Zürich 23. November 1978, Bern 1981, S. 37.

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legenheit nicht retten, und auch eine solche Taktik müsste Österreichs Verhältnis zu Konfliktparteien und deren Anhängern belasten. Allerdings zeigten schon die bisherigen Erfahrungen Österreichs in den Vereinten Nationen, insbesondere auch solche der Mitarbeit in verschiedenen Organen, dass solche Bedenken unbegründet waren und keinerlei Beschränkungen für eine umfassende Mitarbeit Österreichs in den Vereinten Nationen sichtbar geworden waren. Tatsächlich hat dann Österreich aktiv und ohne auf das Einbringen eigener Standpunkte zu verzichten während seiner Mitgliedschaft im Sicherheitsrat an fast 50 Abstimmungen teilgenommen und sich dabei nur zweimal der Stimme enthalten, wobei diese Resolutionsentwürfe dann in der Folge auch nicht angenommen wurden. In allen übrigen Fällen hatte Österreich Resolutionsentwürfe mit seiner Stimme unterstützt und damit aktiv am Zustandekommen der Sicherheitsratsresolutionen 325– 366, d. h. an der Erarbeitung von 42 Beschlüssen des Sicherheitsrats, mitgewirkt. Der Autor hatte die Grundsätze, von denen die Haltung Österreichs während seiner ersten, noch in die Jahre des Kalten Krieges fallenden Mitgliedschaft im Sicherheitsrat bestimmt war, in einem Vortrag vor der Schweizerischen Gesellschaft für Außenpolitik, der am 11. November 1980 in Bern gehalten wurde, wie folgt umschrieben : »Die Grundlage für die Mitarbeit Österreichs im Sicherheitsrat war also vor allem durch die unverrückbaren Grundsätze der österreichischen Neutralitätspolitik, deren konsequente Anwendung in eine aktive Friedenspolitik münden muss, gegeben. Hier war auch ein hohes Maß an Übereinstimmung zwischen den friedenssichernden und friedenserhaltenden Aufgaben des Sicherheitsrats einerseits und einer den Friedensaufgaben zugewandten Politik der immerwährenden Neutralität erkennbar. Die Haltung Österreichs im Sicherheitsrat konnte aber auch vom geistigen Standort des Landes und seiner Menschen, d. h. der Rolle Österreichs als Demokratie westeuropäischer Prägung, nicht unbeeinflusst bleiben. Im Sicherheitsrat war Österreich daher auch darum bemüht, seiner Stellung als europäisches Land gerecht zu werden. Im Sicherheitsrat hat Österreich daher auch regelmäßig die Zusammenarbeit mit den dieser Gruppe angehörigen Ratsmitgliedern gesucht und gefunden, wobei es aber auch für eine Zusammenarbeit in einem weitergehenden Rahmen – besonders mit der Gruppe der zehn nichtständigen Mitglieder des Sicherheitsrats – offengeblieben ist. Die Zahl und das Gewicht der Aufgaben, vor die sich der Sicherheitsrat als höchstes Organ der Friedenssicherung und Friedenserhaltung im System der Vereinten Nationen in den beiden Jahren der österreichischen Mitgliedschaft gestellt sah, war angesichts vielfältiger krisenhafter Entwicklungen in der Weltpolitik besonders groß. Mit der Ausnahme der kriegerischen Auseinandersetzungen in Indochina, die das System der Vereinten Nationen nur am Rande (vor allem durch die Teilnahme Generalsekretär Waldheims an der Pariser Friedenskonferenz im Februar 1973) be-

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rührten, waren alle anderen großen Krisensituationen dieser Periode Gegenstand von Friedensbemühungen der Vereinten Nationen, deren zentraler Punkt zumeist der Sicherheitsrat wurde. Obwohl Krisenmanagement und Konfliktregelung im Verhältnis zwischen den großen Mächten heute in der Regel außerhalb des Sicherheitsrats liegen, bleibt der Sicherheitsrat somit doch das wichtigste Organ für alle Formen des weltpolitischen Krisenmanagements und der Konfliktregelung, in der diese Mächte nicht direkt verstrickt erscheinen. Besonders nach den Erfahrungen der letzten Jahre wird heute wohl kaum noch behauptet werden können, dass solchen Konfliktsituationen nur sekundäres oder tertiäres Interesse zukommt. Ihre Relevanz für die Erhaltung des Weltfriedens hatte sich hinreichend erwiesen. Dies galt in besonderem Maße für die Krise im Nahen Osten, die den Sicherheitsrat – insbesondere nach dem neuen Höhepunkt des Vierten Nahostkrieges vom Oktober 1973 – über weite Teile des Jahres 1973 beschäftigte und für die Krise in Zypern, die für den Sicherheitsrat das bedeutendste Ereignis des Jahres 1974 werden sollte : Bei der Bewältigung der Krise im Nahen Osten standen Methoden und Wege der Friedenssicherung eindeutig im Vordergrund : Waren es bis zum Kriegsausbruch im Oktober 1973 Versuche, Bemühungen zur Erfüllung der Resolution 242 im Rahmen der Vereinten Nationen – sei es in Form einer Fortsetzung der Jarring-Mission, sei es durch einen direkten Einsatz des Generalsekretärs persönlich – voranzutreiben, so gingen nach der neuerlichen Herstellung eines Waffenstillstandes vor allem technische Aufgaben der Friedenssicherung insbesondere Aufbau und Lenkung einer neuen Friedenstruppe an den verschiedenen Fronten und später in den beiden Zonen der Truppenentflechtung an den Sicherheitsrat über. Das politische Krisenmanagement wurde dagegen ab diesem Zeitpunkt im Wesentlichen von den beiden Co-Vorsitzenden der Genfer Friedenskonferenz übernommen, wobei das Schwergewicht eindeutig bei den von den Vereinigten Staaten geführten Bemühungen lag. An all diesen Bemühungen des Sicherheitsrats um eine Friedensregelung im Nahen Osten hatte sich Österreich aktiv beteiligt. Schon im Juni und Juli 1973 hatte Österreich mit eigenen Überlegungen an einer eingehenden und grundsätzlichen Nahost-Debatte des Sicherheitsrats teilgenommen. Die Vorstellungen, die Österreich damals zur Debatte stellte, hatten eine schrittweise Lösung des Konfliktes durch eine Abfolge vertrauensbildender Maßnahmen zum Gegenstand. Diesen Bemühungen des Sicherheitsrats, mit friedlichen Mitteln einen Durchbruch in einer durch viele Jahre verhärteten Konfliktsituation zu erzielen, war kein Erfolg beschieden : Ein Resolutionsentwurf, dem 14 Mitglieder des Sicherheitsrats ihre Zustimmung gaben, scheiterte am Veto eines ständigen Mitgliedes. Durch den neuerlichen Ausbruch von Feindseligkeiten im Nahen Osten am 6. Oktober 1973

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wurde der Sicherheitsrat vor neue und noch schwierigere Aufgaben gestellt : Österreich, das zu den Nationen des Nahen Ostens gute und freundschaftliche Beziehungen unterhält, hatte seine Mitgliedschaft im Sicherheitsrat genutzt, um von den ersten Stunden des Krieges an für eine rasche Einstellung der Feindseligkeiten, einen Waffenstillstand ohne Bedingungen zu appellieren. Nach dem Beschluss über einen Waffenstillstand und die Einberufung einer Friedenskonferenz, an dem Österreich aktiv mitgewirkt hatte, war das weitere Bemühen unseres Landes darauf gerichtet, alle Mittel zur Aufrechterhaltung des Waffenstillstandes zu schaffen und die politische Atmosphäre zur Einleitung von Verhandlungen zu sichern. Österreich gehörte daher zu den ersten Nationen, die Truppenkontingente für eine neue Friedenstruppe der Vereinten Nationen (UNEF) im Nahen Osten zur Verfügung stellten. Dieser Friedensstreitmacht waren auch 600 Soldaten und Offiziere des österreichischen Bundesheers eingegliedert. Im Juni 1974 übernahm das österreichische UNEF-Bataillon (damals zusammen mit einem Kontingent Perus) die Aufgabe, eine Friedensbeobachtungstruppe der Vereinten Nationen (UNDOF) an der Golanfront zwischen Syrien und Israel aufzubauen. Ein Offizier des Bundesheeres ist seither mit der Leitung dieser wichtigen Friedenstruppe der Vereinten Nationen betraut. Bei der Lösung der Zypernkrise blieb den Vereinten Nationen neben den technischen Aufgaben der Friedenssicherung auch eine wesentliche politische Rolle erhalten, deren Wert sich besonders nach dem Scheitern eines ersten Versuches einer politischen Lösung auf der Grundlage der alten Verträge von London und Zürich erwies. Die Mitgliedschaft im Sicherheitsrat erlaubte es Österreich, auch in Zypern Friedensbemühungen der Vereinten Nationen in mehr als einer Form zu unterstützen : Österreich stellt nicht nur seit mehreren Jahren eine der stärksten und umfassendsten Kontingente der Friedenstruppe UNFICYP. Es hatte auch im Sicherheitsrat immer wieder seine Stimme erhoben, wenn es darum ging, die Unabhängigkeit, Souveränität und territoriale Integrität der kleinen Republik Zypern zu verteidigen. Eine Reihe der Resolutionen, die der Sicherheitsrat zu dieser Frage im Sommer 1974 beschloss, trägt deutlich die Handschrift Österreichs. Besonders energisch hatte Österreich im Zusammenhang mit den friedenserhaltenden Operationen der Vereinten Nationen auf Zypern auch die Stellung der Friedenstruppen der Vereinten Nationen verteidigt und Beschlüsse zu ihrem Schutz gegen Übergriffe einzelner Konfliktparteien durchgesetzt. Insbesondere die auf Südafrika bezogenen Beratungen des Sicherheitsrats im Herbst 1974 mit dem von weiten Teilen der Mitgliedschaft (darunter auch einem der westlichen nichtständigen Mitglieder des Sicherheitsrats) unterstützten Versuch der afrikanischen Ratsmitglieder, Südafrika aus den Vereinten Nationen auszuschließen, wurden kontrovers geführt. Diese Bemühungen scheiterten an dem dreifachen Veto

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Frankreichs, Großbritanniens und der USA. Auch Österreich – getreu seiner Auffassung von der Universalität der Vereinten Nationen – konnte diesen Antrag nicht unterstützen. Gleich am Anfang seiner Mitgliedschaft im Sicherheitsrat wurde Österreich durch seine Aufnahme in die vierköpfige Sambia-Mission des Rates eine besondere Rolle bei den Bemühungen des Sicherheitsrats zur Entschärfung einer gefährlichen Krisensituation zwischen Südrhodesien und Sambia übertragen. Die Behandlung einer Reihe anderer Streitfälle, darunter des Grenzkonfliktes zwischen Iran und Irak, sowie die Auseinandersetzung zwischen Panama und den USA über die Zukunft des Panamakanals – im Rahmen einer Ratstagung in Panama City, die auch der Prüfung allgemeiner Fragen der internationalen Sicherheit in Lateinamerika diente – rundeten das Bild der Tätigkeit des Sicherheitsrats in den beiden Berichtsjahren ab. Wie bereits erwähnt, war der Sicherheitsrat in den letzten Jahren sehr oft zum wichtigsten Organ der Friedenserhaltung in jenen Räumen geworden, die von der direkten offenen Intervention der Großmächte ausgenommen waren. Solche Konfliktsituationen wurden häufig auch mit dem Schlagwort »NordSüd-Konflikte« bezeichnet. Diese Konflikte nährten sich an den Verletzungen des Selbstbestimmungsrechts der Völker in einzelnen Kontinenten, an Überresten alter Kolonialsysteme, sie standen im Zusammenhang mit dem Bemühen kleiner Staaten um die Erhaltung und den Ausbau ihrer nationalen Souveränität. Der Sicherheitsrat war in vielen dieser Fälle zum Organ der Rechtsfindung für kleine Staaten, manchmal auch für ganze Staatengruppen, geworden, denen der Rückhalt großer Allianzsysteme fehlte. Österreich fand daher im Sicherheitsrat häufig die Aufgabe vor, die Rechte kleiner Staaten angesichts äußerer Bedrohung zu sichern. An allen diesen Arbeiten und Beratungen des Sicherheitsrats hatte Österreich aktiv teilgenommen. Es hatte seinen Beitrag sowohl in den sehr häufigen, der Vorbereitung von Arbeiten und Beschlüssen dienenden Konsultationen der Ratsmitglieder (eine für die Arbeitsmethoden des Sicherheitsrats besonders bezeichnende Verfahrensweise) als auch in mehr als 120 öffentlichen Sitzungen geleistet, in denen seine Vertreter den österreichischen Standpunkt zu allen dem Sicherheitsrat vorliegenden Fragen dargelegt hatten. Bedingt schon die begrenzte Zahl der Mitglieder des Rates eine intensive Mitarbeit aller ständigen und nichtständigen Mitglieder bei der Vorbereitung und Formulierung von Beschlüssen, so hatte Österreich auch für eine Reihe von Resolutionen die Initiative ergriffen und war Mitautor bzw. Miteinbringer. In allen Entscheidungen, die Österreich im Sicherheitsrat auferlegt waren, musste es versuchen, eine unabhängige Haltung einzunehmen, gleichzeitig aber auch in der Entscheidungsfindung den Grundsätzen der Charta der Vereinten Nationen Rechnung zu tragen. Die Mitgliedschaft im Sicherheitsrat hatte Österreich neben einem beachtlichen Gewinn an spezifischen, sonst nicht zugänglichen Formen außenpolitischer Erfahrung Einsichten vermittelt, die über das Verständnis von Rolle und Funk-

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tion des wichtigsten politischen Organs der Vereinten Nationen weit hinausgingen und sich auf den ganzen Bereich des Zusammenwirkens der wichtigsten Kräfte der Weltpolitik, vor allem der Großmächte, bezogen. Österreich hatte durch seine Mitgliedschaft und seine Mitarbeit im Sicherheitsrat aber auch seine eigene Eignung und Bereitschaft verdeutlicht, im Rahmen der organisierten modernen Staatengemeinschaft spezifische Aufgaben der Friedenssicherung und Friedenserhaltung, aber auch der Friedensstiftung zu übernehmen«.28

Österreich und die Bewegung der Blockfreien Den stärksten und eindeutigsten Ausdruck einer Politik der Äquidistanz zu den beiden Weltmächten USA und UdSSR verkörperte in den Jahren des Kalten Krieges ohne Zweifel die Bewegung Blockfreier Staaten, die aus einer ersten großen Konferenz afroasiatischer Staaten, die 1955 in Bandoeng (Indonesien) stattfand, hervorging. Ihre Grundhaltung, die von einer ersten Führungsgeneration der vor allem aus der Dekolonisation hervorgegangenen Staaten – allen voran Indien – formuliert wurde, war darauf gerichtet, sich keinem der beiden Blöcke in Ost und West anzuschließen, sondern in der Weltpolitik einen von beiden unabhängigen Weg zu suchen. Zugleich waren sie entschlossen, den Prozess der Dekolonisierung weiter voranzutreiben und die alten Kolonialmächte aus der Dritten Welt zu vertreiben, wobei sie auch den bewaffneten Kampf, wie ihn etwa Algerien gegen Frankreich führte, für gerechtfertigt hielten. Dies erzeugte natürlich zahlreiche Konfliktsituationen mit dem Westen, vor allem den europäischen Kolonialmächten, später auch mit den USA, sofern diese – wie etwa in Indochina – deren Interessensphären übernahmen. In eine der führenden Rollen dieser Bewegung rückte – neben Ägypten als Vormacht im arabischen Raum und Indien – nach und nach auch Jugoslawien ein, das sich nach seinem Ausbruch aus dem sowjetischen Einflussbereich zunehmend isoliert sah, dessen Wirtschafts- und Gesellschaftssystem es aber vom Westen, sosehr es zumindest wirtschaftlich auf seine Unterstützung rechnen konnte, sehr deutlich unterschied. Tatsächlich wurde die Bewegung der Blockfreien dann auch 1961 formell auf einer von Jugoslawien mit einberufenen Konferenz in Belgrad gegründet, die dem jugoslawischen Staatschef Josip Broz Tito für viele Jahre neben Führern der Dritten Welt wie dem indischen Premierminister Jawaharlal Nehru, dem ägyptischen Präsidenten Gamal Abdel Nasser oder seinem indonesischen Amtskollegen Achmed Sukarno einen bestimmenden Einfluss in der Bewegung einräumte. 28 Jankowitsch, Peter : Die Stellung eines dauernd neutralen Staates im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen am Beispiel Österreich, Vortrag Bern 11. November 1980, Bern 1981, S. 18–23.

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Als europäisches Land war Jugoslawien natürlich von allem Anfang daran interessiert, den anfänglich rein afroasiatischen Charakter der Bewegung, zu der dann nach und nach auch lateinamerikanische Staaten wie Kuba stießen, zu globalisieren und ihr damit ein breiteres Spektrum weltpolitischer Aktion zu vermitteln. Tatsächlich waren aber neben Malta und Zypern keine anderen europäischen Staaten bereit, sich der Bewegung anzuschließen. Jugoslawien richtete daher aus Anlass der 1964 in Kairo stattfindenden zweiten Gipfelkonferenz der Blockfreien an eine Reihe paktfreier, vor allem neutraler europäischer Staaten die Einladung, an diesem Zusammenschluss teilzunehmen und damit ein Naheverhältnis zu der Bewegung zu begründen. Diese Einladung lehnte Außenminister Kreisky damals noch mit der Begründung ab, dass Österreich sich einerseits »seine Handlungsfreiheit gegenüber jeder Art von Gruppenbildung – also auch gegenüber einer solchen von blockfreien Staaten – bewahren wollte und die Bundesregierung es sich zur Gewohnheit gemacht hätte, zu den großen internationalen Problemen im Allgemeinen nur im weltweiten Rahmen der Vereinten Nationen Stellung zu beziehen«.29 Im Übrigen verwies er auch auf den Umstand, dass viele dieser Staaten, die oft aus harten Auseinandersetzungen mit westlichen Kolonialmächten hervorgegangen waren, auch heute noch von diesen Erfahrungen geprägt und in ihrer Politik davon beeinflusst wären, was sie von Österreich grundsätzlich unterschied. Es erschien für Österreich jedenfalls ratsam, die weitere Entwicklung dieser Bewegung abzuwarten und ihren Einfluss auf die verschiedenen Gebiete der Weltpolitik, auch der Weltwirtschaft der Zeit, zu analysieren. Tatsächlich erschien auch nach der keineswegs harmonisch verlaufenen Konferenz von Kairo – in der eine starke Gruppe blockfreier Staaten einen schärferen Kurs der Konfrontation zur westlichen Industriewelt propagierte, dem sich Jugoslawien, Indien und andere gemäßigtere Kräfte der Bewegung widersetzten – die Zukunft dieser Gruppe keineswegs gesichert. So konnte erst im September 1970 – allerdings auf der Basis einer wesentlich breiteren Plattform, in der sich einige der von Jugoslawien vertretenen Ideen einer weltpolitisch ausgleichenden, nicht aber parteiischen Rolle der Blockfreien durchgesetzt hatten – eine weitere, dritte Gipfelkonferenz der Blockfreien in Lusaka (Sambia) zusammentreten. Nachdem von jugoslawischer Seite neuerdings eine Einladung an Österreich ergangen war, an dieser Konferenz teilzunehmen, entschloss sich die nun von Bruno Kreisky als Bundeskanzler geführte Bundesregierung, die Einladung anzunehmen und eine kleine Delegation nach Lusaka zu entsenden, die vom Autor in seiner damaligen Eigenschaft als Kabinettschef des Bundeskanzlers geleitet wurde. Diese Entscheidung war nicht unbeeinflusst von dem Umstand, dass die Blockfreien dank 29 Kreisky : Vortrag : Die österreichische Außenpolitik, S. 576.

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ihrer rasch wachsenden Mitgliedschaft inzwischen eine starke Stellung im Rahmen der Vereinten Nationen eingenommen hatten. Die Beziehungen zu dieser Gruppe zu stärken lag daher durchaus im Interesse Österreichs, dessen Außenpolitik aus verschiedenen Gründen immer stärker auf die Vereinten Nationen ausgerichtet wurde : So sollte Wien zu einem der europäischen Amtssitze der Vereinten Nationen ausgebaut werden, und Österreich prüfte erstmals die Möglichkeit, auch Mitglied des Sicherheitsrats zu werden. Darüber hinaus hatten sich die Vereinten Nationen auch zu einem privilegierten Ort der Pflege der Beziehungen Österreichs mit zahlreichen neuen Staaten der Dritten Welt entwickelt, die mit den Mitteln der klassischen Diplomatie nur schwer zu erreichen waren. Für die erstmalige Teilnahme Österreichs an einer der Gipfelkonferenzen der Blockfreien mussten aber zuerst noch einige formelle Hindernisse überwunden werden, da Österreich vorerst keinen Status in dieser Bewegung besaß und auch keinesfalls die Absicht hatte, ihr als Mitglied beizutreten. Aus diesem Grund und um mit einem solchen Schritt keine falschen politischen Erwartungen zu erwecken, kam auch der Erwerb eines Beobachterstatus, wie ihn Finnland bereits seit der Kairoer Konferenz besaß, nicht in Betracht. Für Österreich musste daher ein neuer, vorher nicht vorhandener Status geschaffen werden. Tatsächlich wurde nach einigen Beratungen mit der Leitung der Konferenz Österreich, da es ja eine Einladung erhalten hatte, als »Gast« zu der Konferenz zugelassen. Damit wurde auch für andere künftige Teilnehmer an blockfreien Konferenzen, die diesen weder als Mitglieder noch als Beobachter angehören wollten, ein neuer dritter Status geschaffen. Von dieser Möglichkeit machte Finnland schon in Lusaka Gebrauch, indem es sich auf diesen Status zurückstufen ließ, bei späteren Konferenzen zuerst europäische Neutrale wie Schweden und die Schweiz. Im weiteren Verlauf der Geschichte der Blockfreien haben dann zahlreiche andere, auch paktgebundene Staaten, später auch verschiedene internationale Organisationen aus dieser Innovation Nutzen gezogen. Obwohl Österreich nach der Gipfelkonferenz von Lusaka an allen weiteren Treffen dieser Art, oft auch an Außenministerkonferenzen der Blockfreien, teilnahm und damit seine Beziehungen zu dieser Gruppe festigen konnte, entstanden daraus für seine außenpolitische Ausrichtung keinerlei Bindungen an die Beschlüsse und Resolutionen dieser Bewegung. So entsprangen auch seine positive Haltung zur großen Welle der Dekolonisierung, die diese Jahre kennzeichneten, ebenso wie seine entschiedene Ablehnung der südafrikanischen Apartheidpolitik weniger einer Nähe zur Bewegung der Blockfreien als seiner grundsätzlichen Bejahung des Rechts auf Selbstbestimmung junger Nationen oder seiner Achtung für Menschenrechte und Grundfreiheiten. Auch im Nahostkonflikt, in dem die Blockfreien zumeist sehr einseitig die Haltung der arabischen Welt unterstützten, verfolgte Österreich eine ausgewogene Linie und unterstützte eine Politik des friedlichen Ausgleichs zwischen Israel und

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seinen arabischen Nachbarn. Anderen westlichen Staaten ging es allerdings voran, indem es frühzeitig auch das palästinensische Volk als einen der legitimen Partner Israels anerkannte. Seine Rolle als »Gast« der Bewegung der Blockfreien blieb für Österreich daher stets und in erster Linie als Ausdrucksmittel erhalten, um seine Beziehungen zu einer wichtigen Gruppe von Staaten der Dritten Welt zu pflegen und zu stärken und Einsichten über die Beweggründe ihrer Politik zu gewinnen. Hingegen war sie weit davon entfernt, zu einer Politik der Annäherung zwischen der von Österreich betriebenen Neutralitätspolitik und der von ganz anderen Motiven getriebenen Politik der Blockfreien zu führen, sosehr natürlich manchmal Neutrale und Blockfreie zu ähnlichen Schlüssen gelangen konnten. Wie unterschiedlich die Sichtweisen von Neutralen und Blockfreien in wichtigen Fragen der Weltpolitik sein konnten, lässt sich im Übrigen leicht auch aus ihrem sehr divergierenden Stimmverhalten in den Vereinten Nationen ablesen. So trennten etwa Österreich und die Blockfreien die Haltung gegenüber der Anwendung von Gewalt auch im Kampf von Nationen um ihre Unabhängigkeit. Österreich versagte sich auch regelmäßig der Forderung, diesen Kampf »mit allen Mitteln« (by all means) zu legitimieren. Seitens vieler blockfreier Nationen fand diese Haltung Österreichs stets Verständnis und Anerkennung und hinderte sie nicht daran, ihrerseits Anliegen Österreichs im Rahmen der Vereinten Nationen zu unterstützen. Tatsächlich gingen auch viele Wahlerfolge Österreichs, das immer wieder in wichtige UNO-Organe berufen wurde, aber auch Beschlüsse zur Ansiedlung von UNO-Organisationen in Wien auf die massive Unterstützung durch blockfreie Nationen zurück.

Österreich und die KSZE Die Gestaltung der Beziehungen zwischen Ost und West in Europa wurde anfänglich und noch während vieler Jahre vor allem vom Einwirken einiger ihrer Hauptakteure, nicht zuletzt den beiden Supermächten USA und UdSSR bestimmt, wobei – vor allem auf westlicher Seite – gelegentlich auch der Einfluss europäischer Mächte spürbar wurde. Als Steuerungsorgane dienten dafür die in unregelmäßigen Abständen zusammentretenden Konferenzen von Außenministern der vier wichtigsten Mächte, ebenso wie Gipfeltreffen zwischen den Führern der USA und der Sowjetunion. Diese den vielfältigen Peripetien des Kalten Krieges unterworfenen Treffen dienten allerdings zumeist weniger der Erörterung grundsätzlicher Fragen des Ost-WestVerhältnisses, sondern vor allem der Bewältigung immer wieder auftretender Krisen, sei es in Europa, sei es in anderen Teilen der Welt. Ebenso ließen sie viele Fragen, auch etwa die der territorialen Neuordnung, wie sie in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden waren, mehr oder minder unbeantwortet.

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Vor allem seitens der UdSSR, die von der europäischen Nachkriegsordnung begünstigt wurde, war allerdings schon bald ein starkes Interesse zu erkennen, in diesen Fragen größere Klarheit zu schaffen und damit dem in hohem Maße von ihr und ihrer Politik nach 1945 geschaffenen europäischen Status quo größere Legitimität zu verschaffen. Von ihrer Seite wurde daher schon zu einem frühen Zeitpunkt der Gedanke einer gesamteuropäischen Sicherheitskonferenz, die diesen Zielen dienen sollte, ins Spiel gebracht. Ihr Hauptzweck sollte es sein, die nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges in Europa entstandenen Grenzen anzuerkennen, die bisher mangels eines Friedensvertrages mit Deutschland noch nicht legitimiert waren. Damit verbunden sollte auch die Existenz eines zweiten, lange nur vom Osten anerkannten zweiten deutschen Staates, der von der UdSSR ins Leben gerufenen Deutschen Demokratischen Republik (DDR), gesichert werden. Der anfängliche Widerstand des Westens gegen eine solche Konferenz führte zu einer Reihe von Zugeständnissen des Ostens, der sich einerseits bereitfand, die USA und Kanada als Teilnehmer zu akzeptieren, andererseits auch humanitäre Fragen in ihrem Kontext zu behandeln. Eine weitere Bedingung des Westens zur Abhaltung einer solchen Konferenz, die Entschärfung der Lage um Berlin, konnte durch ein neues Vier-Mächte-Abkommen zur Erleichterung der Lage der umstrittenen Stadt erfüllt werden. Einen wesentlichen Beitrag zu dieser Entwicklung lieferte die neue, von Bundeskanzler Willy Brandt und seiner Regierung eingeleitete Ostpolitik der Bundesrepublik Deutschland, mit der auch eine Anerkennung der DDR als zweiter deutscher Staat verbunden war. Nach einer dann noch längeren Phase der Vorbereitung konnte damit 1975 in Helsinki die Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, die KSZE, zusammentreten und eine umfassende Schlussakte verabschieden, in der neben anderen Fragen auch den vom Westen geforderten Fragen bedeutender Platz eingeräumt wurde. Mit der KSZE, an der außer Albanien alle europäischen Staaten sowie die USA und Kanada teilnahmen, war damit erstmals in Europa ein großes multilaterales Forum geschaffen worden, in dem praktisch alle Bereiche der Beziehungen zwischen den kommunistischen Staaten Osteuropas und den pluralistischen Demokratien des Westens behandelt werden konnten.

Die Rolle Österreichs in den vorbereitenden Phasen der KSZE Wie auch andere neutrale Staaten war auch Österreich sehr bald mit den sowjetischen Ideen für die Abhaltung einer gesamteuropäischen Sicherheitskonferenz konfrontiert. Es nahm dazu eine grundsätzlich positive Haltung ein, gehörte aber auch

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zu jenen, die sich von allem Anfang sehr nachhaltig für die Aufnahme einer humanitären Dimension in diesen Bereich einsetzten. Bundeskanzler Kreisky verfolgte in diesem Zusammenhang zudem die Idee, im Rahmen einer gesamteuropäischen Sicherheitskonferenz auch die Frage des für die europäische Sicherheit so bedeutsamen Nahostkonflikts zu verfolgen. Diese Idee, die er im Jänner 1971 auch vor der Parlamentarischen Versammlung des Europarats äußerte, fand allerdings keinen Widerhall, und die KSZE blieb damit auf den europäischen Raum beschränkt.30 Österreich unterstützte allerdings weiter die Idee der Abhaltung einer alle Aspekte des Ost-West-Verhältnisses umfassenden Konferenz, worauf Bundeskanzler Kreisky auch in seiner Regierungserklärung vor dem Nationalrat am 5. November 1971 verwies, indem er erklärte : »Als neutraler Staat in der Mitte Europas steht Österreich allen Bemühungen, die auf Erhaltung und Festigung des Friedens gerichtet sind, sehr aufgeschlossen gegenüber. Die Bundesregierung wird, ebenso wie frühere Regierungen, deshalb für die Einberufung einer Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa eintreten. Nunmehr scheint der Zeitpunkt für eine konkrete Vorbereitung der Konferenz gekommen zu sein.«31 Eine aktive Rolle zur Einberufung dieser Konferenz übernahm Österreich jedoch nicht, und eine erste vorbereitende Konferenz fand daher über Einladung der finnischen Regierung vom 22. November 1972 bis zum 8. Juni 1973 in Helsinki/Dipoli statt, an der Vertreter aller europäischen Staaten mit Ausnahme Albaniens sowie die USA und Kanada mit dem Ziel teilnahmen, ein Mandat für eine solche Konferenz auszuarbeiten.32 Dies dürfte auch die Erklärung dafür sein, dass die Konferenz 1975 erstmals in Helsinki zusammentrat und in Wien erst viel später, nämlich 1986, das letzte der sogenannten »Folgetreffen« der KSZE stattfand. Allerdings zeigte sich Österreich auch nach Helsinki am Erfolg des damit eingeleiteten Prozesses einer konstruktiven Fortentwicklung der Ost-West-Beziehungen auf der Basis der später immer wieder ergänzten und verbesserten Schlussakte von Helsinki interessiert. Es wurde daher Teil einer Gruppe neutraler und blockfreier Staaten, der sogenannten »N+N-Gruppe«, die sich in schwierigen Phasen der verschiedenen Konferenzen, die auf das erste Treffen von Helsinki folgten, vor allem 30 Thalberg, Hans : Die Nahostpolitik, in : Bielka, Erich (Hg.) : Die Ära Kreisky. Schwerpunkte der österreichischen Außenpolitik, Wien 1983, S. 293–321, hier S. 294. 31 Österreichische Staatsdruckerei (Hg.)/Kreisky, Bruno : Regierungserklärung vom 5. November 1971, S. 3–82, hier S. 39. 32 Liedermann, Helmut : Österreichs Rolle beim Zustandekommen der KSZE, in : Rathkolb, Oliver/ Maschke Otto M./Lütgenau, Stefan August (Hg.) : Mit anderen Augen gesehen. Internationale Perzeptionen Österreichs 1955–1990 (Schriftenreihe des Forschungsinstitutes für Politisch-Historische Studien der Dr.-Wilfried-Haslauer-Bibliothek, Salzburg ; Geschichte der österreichischen Bundesländer seit 1945 Sonderbd. 2), Wien/Köln/Weimar 2002, S. 487–506, hier S. 492.

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der großen Folgekonferenzen wie jener von Belgrad und Madrid, später natürlich auch der letzten, die 1986 in Wien begann, um konstruktive Lösungen bemühten. Von dieser Gruppe, in der Österreich eine besonders aktive Rolle spielte, gingen daher oft auch die wichtigsten Vorschläge und Anregungen aus, auf deren Basis die Arbeiten der KSZE fortgeführt werden konnten. Dies war in Situationen wie jener besonders bedeutsam, in der Wendungen und Entwicklungen im Kalten Krieg wie etwa die Ausrufung des Kriegsrechtes in Polen Anfang 1982 den KSZE-Prozess in seiner Gänze infrage gestellt hatten. Österreich hat dabei insbesondere auf dem Gebiet der Menschenrechte und Grundfreiheiten Aktivitäten entwickelt und Vorschläge eingebracht, die in wesentlichen Gebieten auch zu Fortschritten gegenüber den Verpflichtungen führten, die schon in der Schlussakte von Helsinki enthalten waren. Tatsächlich wurden auch schon sämtliche Texte in der Schlussakte der Konferenz, die die Schaffung besserer Kontakte zwischen Menschen zum Ziel haben sollten, von der österreichischen Delegation eingebracht.33 Zurecht konnte daher etwa der Leiter der österreichischen Delegation auf dem Madrider Folgetreffen der KSZE in einem Bericht feststellen, dass »Österreich (…) durch seine Vorschläge, insbesondere auf dem Informationsbereich, durch seine Gesamthaltung und Erklärungen vor der Konferenz mit großer Klarheit seine Zugehörigkeit zum Kreis der westlichen pluralistischen Demokratien« zum Ausdruck gebracht habe.34 Diese Zugehörigkeit stellte Österreich aber etwa auch dadurch unter Beweis, dass es das Forum der KSZE nützte, um – im Gleichklang mit der Haltung anderer westlicher Staaten – Vorgänge innerhalb des Warschauer Pakts wie die Ausrufung des Kriegsrechtes in Polen oder später den Abschuss einer koreanischen Verkehrsmaschine durch die Sowjetunion zu kritisieren. Allerdings setzte sich Österreich gleichzeitig für eine Fortführung des gerade im Rahmen der KSZE sehr qualifizierten Ost-West-Dialogs ein und fand – vor allem auch im Lauf der verschiedenen Phasen des Madrider Folgetreffens – immer wieder Auswege und Kompromissangebote, um ein Scheitern zu verhindern. Der Umstand, dass Österreich von allem Anfang an eine aktive Rolle im Rahmen des KSZE-Prozesses übernommen hatte, war allerdings keineswegs von einem Bemühen motiviert, eine Position der Äquidistanz zwischen den Mächten einzunehmen, sondern vor allem von seinen Versuchen, in Europa eine Politik der Entspannung

33 Ebd., S. 499. 34 Ceska, Franz : Das KSZE-Folgetreffen von Madrid : Eine Bilanz aus österreichischer Sicht, in : Österreichische Gesellschaft für Außenpolitik und Internationale Beziehungen, Wien/Österreichisches Institut für Internationale Politik, Wien (Hg.) : Österreichisches Jahrbuch für internationale Politik 1984, Wien 1984, S. 1–25, hier S. 23.

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zu fördern und damit auch einen Beitrag zu seiner eigenen Sicherheit zu leisten. Gerade diese Aktivität erlaubte es ihm auch, eigene Anliegen wie die der Förderung menschlicher Kontakte zwischen Ost und West und eine Anerkennung von Menschenrechten und Grundfreiheiten voranzutreiben. Wenngleich es sich dazu seiner Mitgliedschaft in der N+N-Gruppe bediente, wobei es besonders zu Jugoslawien ein auch für seine bilateralen Beziehungen förderliches Naheverhältnis pflegte, waren seine inhaltlichen Positionen jeweils denen der westlichen Staaten – sah man von verschiedenen taktischen Unterschieden ab – zumeist wesentlich näher als denen des von der UdSSR geführten Ostens.

Die zivile Gesellschaft und die Frage der Äquidistanz Eine sich nach den Jahren der nationalsozialistischen Diktatur in Österreich wieder organisierende und strukturierende zivile Gesellschaft mit politischen Parteien, Organisationen der Sozialpartnerschaft aufseiten von Arbeitnehmern und Arbeitgebern und anderen Zusammenschlüssen zur Verfolgung bestimmter gesellschaftlicher und kultureller Ziele beteiligte sich in verschiedenen Formen an der Erörterung der Frage, welchen Platz ein wieder unabhängiges Österreich und seine Gesellschaft in der Welt nach 1945 einnehmen sollte. Diese Frage erhielt mit dem nach und nach aufflammenden Kalten Krieg zwischen den früheren Verbündeten in Ost und West, dessen auch ideologische Dimensionen bald sichtbar wurden, erhöhte Aktualität und forderte zu Stellungnahme und Positionierung auf. Für Österreich hatte diese Auseinandersetzung noch dadurch eine besondere Qualität, als sich Ost und West bis 1955 im Land als Kontrahenten direkt gegenüberstanden und mit ihrem Verhalten und ihrer Politik als Besatzungsmächte starken Einfluss auf die Entwicklung der öffentlichen Meinung auch über die von ihnen vertretenen Gesellschaftsmodelle ausübten. Wiewohl die UdSSR einen beträchtlichen Anteil an der Befreiung Österreichs hatte und sich mit ihrer tatkräftigen Unterstützung schon am 27. April 1945, also noch vor Kriegsende, eine erste provisorische Regierung unter Staatskanzler Karl Renner in Wien bilden konnte, gelang es ihr schon in diesen ersten Phasen der Wiedererstehung Österreichs nicht, allgemeine Zustimmung und Vertrauen zu gewinnen. Die Bevölkerung in den von der Roten Armee kontrollierten Gebieten stand vor allem unter dem Eindruck mannigfaltiger Übergriffe und Schikanen einer als fremd und feindlich empfundenen Armee, die sich in Österreich anfänglich nicht wesentlich anders verhielt als in den von ihr eroberten Teilen Deutschlands. Ein erster Beleg für das weit verbreitete Misstrauen, das der UdSSR entgegengebracht wurde, war der spektakuläre Misserfolg der mit großen Erwartungen zur ersten Nationalratswahl 1945 angetretenen Kommunistischen Partei Österreichs,

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die weithin als der politische Arm der ungeliebten sowjetischen Besatzungsmacht gesehen wurde. Auch in späteren Jahren blieb diese Haltung der öffentlichen Meinung trotz einer auch im Gefolge des Kalten Krieges verstärkten Propagandaoffensive des Ostens, die sich der verschiedensten Instrumente bedienen konnte, im Wesentlichen unverändert. Die Stimmung gegenüber der Sowjetunion verschlechterte sich dann noch weiter, als mit Einsetzen der Verhandlungen über einen Staatsvertrag gerade von dieser Seite Forderungen gegen Österreich, etwa im Zusammenhang mit deutschem Eigentum in Österreich, erhoben wurden, die eine rasche Einigung verhinderten. Ein viel höheres Maß an Zustimmung schlug dagegen auch den militärischen Vertretern westlicher Mächte, unter denen damals neben den USA auch Frankreich und Großbritannien noch eine erhebliche Rolle zukam, entgegen. Gründe dafür lagen anfangs neben einem wesentlich liberaleren Umgang mit ersten, wiedergebildeten zivilen Autoritäten auch in einer verbesserten Versorgungslage. Diese Stimmung wurde von den westlichen Mächten geschickt genutzt und wurde nach und nach auch von der in den westlichen Zonen entstehenden, relativ freien Medienlandschaft mitgetragen, die zum Teil, wie etwa der populäre, aus der amerikanischen Besatzungszone ausstrahlende Rundfunksender »Rot-Weiß-Rot«, auch auf das östliche Österreich einwirkten. Einen besonderen Einfluss übten in dieser Hinsicht schließlich auch die Ankündigung und dann das Anlaufen des Marshallplans aus, in dem trotz aller sowjetischer Kritik vor allem eine große, selbstlose Aktion der Solidarität des amerikanischen Volkes gegenüber dem wirtschaftlich darniederliegenden Europa, Österreich eingeschlossen, gesehen wurde. Vor diesem Hintergrund zeigte sich in der öffentlichen Meinung ein immer stärker den Westen bevorzugender Trend, der auch in den Stellungnahmen und Programmen der maßgeblichen politischen Parteien seinen Niederschlag fand. In diese Richtung deuteten auch starke Strömungen innerhalb der Sozialistischen Partei Österreichs, die zwar die Teilnahme Österreichs an einem der entstehenden Blöcke im Westen oder Osten ablehnten, dafür aber einen dritten, europäischen Weg zwischen diesen Extremen befürworteten. So sprach schon 1947 der spätere sozialistische Europapolitiker Peter Strasser von einer »Vereinigung sozialistischer fortschrittlicher Staaten in Europa« als einer viel versprechenden Alternative.35 Wenn ein überwiegender Teil der öffentlichen Meinung die Zukunft Österreichs vor allem als Teil einer westlichen Wertegemeinschaft sah, so ist diese Grundein35 Strasser, Peter : Diskussionsbeitrag, in : Protokoll des 3. Parteitages der Sozialistischen Partei Österreichs vom 23. bis 26. Oktober 1947, Wien 1947, S. 195–219, hier S. 198.

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stellung vor allem in den ersten Jahren nach 1945 auch auf den Einfluss der nach Österreich zurückkehrenden Emigration und ihrer führenden Repräsentanten zurückzuführen, die in ihrer großen Mehrheit in Großbritannien und den Vereinigten Staaten, in Schweden oder der Schweiz sowie in einigen vom Krieg wenig betroffenen außereuropäischen Ländern wie etwa Mexiko Zuflucht gefunden hatten. Für sie war der Aufenthalt in westlichen Demokratien, deren Funktionsweise sie aus der Nähe studieren konnten, ein prägendes Erlebnis. Später waren sie daher bemüht, Besonderheiten dieser politischen Kultur auch nach Österreich zu tragen. Nur eine wesentlich kleinere Zahl politisch Verantwortlicher hatte dagegen die Jahre des Exils in der Sowjetunion verbracht, wobei ein erheblicher Teil der sozialdemokratischen Emigration, die nach den Ereignissen des 12. Februar 1934 dort Zuflucht gesucht hatte, der Welle stalinistischer Säuberungen zum Opfer gefallen war. Die Rückkehr nach Österreich blieb daher vor allem einem kleinen Kreis hoher Funktionäre der Kommunistischen Partei Österreichs vorbehalten. Gerade in diese Zeit fielen auch immer stärkere neue Verbindungen zwischen politischen Parteien und Gewerkschaften mit eindeutig nach Westen ausgerichteten internationalen Zusammenschlüssen, wie sie etwa in der Europabewegung, im Internationalen Bund Freier Gewerkschaften, aber auch im kulturellen Bereich entstanden. Ein Teil dieser Ausrichtung der zivilen Gesellschaft war auf das Aufblühen der von ihr initiierten bilateralen Freundschaftsgesellschaften zwischen Österreich und vielen Staaten des demokratischen Westens, beginnend mit den USA, zurückzuführen. Diesen Gesellschaften kam in den Jahren einer noch geringeren außenpolitischen Reichweite Österreichs doppelte Bedeutung und Wirksamkeit zur Herstellung vielfältiger Verbindungen zu Ländern vor allem Westeuropas zu. Demgegenüber spielte etwa die von der UdSSR auch staatlich kräftig geförderte Österreichisch-Sowjetische Gesellschaft dieser Tage ein wesentlich bescheideneres, von der Öffentlichkeit weniger beachtetes und angenommenes Dasein. Diese prowestliche Grundeinstellung in weiten Teilen der Öffentlichkeit wurde auch durch die Debatte um Staatsvertrag und Neutralität nicht beeinflusst, da darin oft vor allem ein formeller völkerrechtlicher Status der Republik ohne Auswirkungen auf ihre innere, gesellschaftliche Verfassung als westlich-demokratisch organisiertes Staatswesen angesprochen wurde. Ganz im Gegenteil vertraten starke politische Kräfte auch wie die der SPÖ unter dem Eindruck des Kalten Krieges eine zunehmend reserviertere Haltung gegenüber einer möglicherweise auch ideologisch zu verstehenden Form der Neutralität, wie sie von der KPÖ und der kommunistisch dominierten Friedenspropaganda dieser Jahre vertreten wurde. So vermieden SPÖ-Funktionäre während einiger Jahre diesen Terminus überhaupt und verwendeten, wie etwa Vizekanzler Adolf Schärf noch im November 1953,

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lieber den Begriff der »militärischen Allianzfreiheit« für einen künftigen internationalen Status Österreichs.36 Solchen Bedenken und dem Wunsch nach einer klaren Trennung zwischen völkerrechtlichen Verpflichtungen der Republik und ihrer inneren, gesellschaftlichen Ausrichtung nach dem Westen kam dann offenbar auch die schließlich gefundene Lösung einer Neutralität nach dem Muster der Schweiz entgegen, wie sie im Moskauer Memorandum auch mit Zustimmung der beiden SPÖ-Vertreter in der österreichischen Delegation, Vizekanzler Schärf und Staatssekretär Kreisky, vereinbart wurde. Auch nach dem Abschluss des Staatsvertrags und der Annahme eines völkerrechtlich verankerten Status ständiger Neutralität durch die Republik blieben die Augen der zivilen Gesellschaft im Wesentlichen nach Westen gerichtet, ohne dass sich Ansätze für eine »neutralistische« Haltung feststellen ließen. Ganz im Gegenteil fehlte es nicht an klaren ideologischen Stellungnahmen zugunsten des Westens. So organisierte Staatssekretär Kreisky gemeinsam mit anderen führenden Vertretern der SPÖ, wie Peter Strasser und dem späteren Justizminister Christian Broda, dem Zeitungsherausgeber Fritz Molden und anderen, 1958/59 mit beträchtlicher finanzieller Hilfe aus amerikanischen Quellen ein Gegenfestival zum »VII. Weltjugendfestival für Frieden- und Freundschaft«, das der kommunistische Weltjugendverband nach Wien einberufen hatte.37 Ebenso fanden in Österreich Bewegungen wie jene, die vom legendären »Kongress für die Freiheit der Kultur« ausgingen, der von westlichen Intellektuellen in West-Berlin organisiert wurde, einen besonderen Widerhall. Als eine der Zeitschriften, die wie in der Bundesrepublik Deutschland »Der Monat« westliches Gedankengut verbreiten sollte, wurde in Wien u. a. von Friedrich Torberg als österreichische Version das »FORVM« gegründet. Ein nicht weniger deutlicher Beweis für diese Grundhaltung war die nach der Gründung der EWG in Österreich aufflammende Diskussion um die Möglichkeiten einer Teilnahme des Landes an verschiedenen Institutionen der europäischen Integration. Ein nicht unbeträchtlicher Teil der öffentlichen Meinung forderte darin im Gegensatz zur Politik der Bundesregierung einen sofortigen Beitritt zu dieser weitestgehenden unter den Integrationsgemeinschaften des Westens, um nicht, wie es der damalige Landeshauptmann der Steiermark, Josef Krainer, formulierte, »in der Neutralität zu verhungern«. Alle Impulse, die vom überwiegenden Teil

36 Rathkolb, Oliver : Die SPÖ und der außenpolitische Entscheidungsprozeß 1945–1955, in : Maderthaner, Wolfgang (Hg.) : Auf dem Weg zur Macht. Integration in den Staat, Sozialpartnerschaft und Regierungspartei (Sozialistische Bibliothek Abteilung 1, Die Geschichte der österreichischen Sozialdemokratie 4), Wien 1992, S. 51–72, hier S. 67. 37 Ebd., S. 69 f.

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der zivilen Gesellschaft ausgingen, enthielten daher eine klare Absage an den Gedanken eines neutralistischen, der Äquidistanz verpflichteten Österreichs und waren im Gegenteil dazu immer wieder von einem klaren Bekenntnis zum Westen und seinen Grundwerten geprägt. Diese Haltung stellte die auf eine gewissenhafte Einhaltung völkerrechtlicher Neutralitätspflichten gerichtete Politik der Bundesregierung keinesfalls infrage, sie stellte jedoch ein gesellschaftspolitisches Korrelat im Sinne des stets gehandhabten österreichischen Neutralitätsverständnisses dar, nachdem die Neutralität zwar den Staat, nicht aber den Staatsbürger verpflichtete. Ohne Zweifel hatte sie darüber hinaus aber auch immer wieder richtungweisend auf die Art und Weise gewirkt, in der Österreich seine Neutralitätspolitik zu gestalten hatte.

Zusammenfassung und Wertung Die Ausdrucksmittel, deren sich die österreichische Außenpolitik in den schwierigen Jahren des Kalten Krieges, dessen Auswirkungen gerade auch in Europa immer wieder spürbar waren, bediente, waren durchaus vielfältig und gewiss auch der jeweiligen weltpolitischen Lage angepasst. Sie waren darauf ausgerichtet, nicht nur bei den wesentlichsten und einflussreichsten Akteuren des damaligen, vom heutigen ja grundverschiedenen Weltsystem, sondern auch bei allen anderen Teilen einer gerade damals rasch wachsenden internationalen Gemeinschaft ein möglichst ansprechendes und vertrauenerweckendes Bild eines Landes in einer besonders sensiblen Zone Europas zu schaffen. Um ein solches Bild zu erzeugen, musste immer wieder an konkreten Beispielen und Handlungen gezeigt werden, in welcher Weise Österreich seine ihm durch Neutralität und Staatsvertrag teils nur grob vorgezeichnete Rolle erfüllen konnte. Immer wieder hatten sich daher die österreichischen Außenminister dieser Zeit mit dieser Frage befasst und dazu grundsätzliche Stellungnahmen abgegeben. Besonders ausführlich und eingehend hat sich mit dieser Problematik Bruno Kreisky auseinandergesetzt, der nicht nur zu einem der wichtigsten Architekten dieser neuen außenpolitischen Konstruktion für Österreich gehörte, sondern dem ab 1959 als Außenminister auch die wichtige Aufgabe zufiel, diese neue Rolle in der europäischen Realität zu verankern. Er war sich auch der Notwendigkeit bewusst, den neuen außenpolitischen Weg Österreichs der europäischen und internationalen Öffentlichkeit zu vermitteln. Viele seiner Vorträge hat er daher bewusst auch in den damaligen Staaten des kommunistischen Ostblocks gehalten, um auch in der Öffentlichkeit dieser Welt ein ihm adäquat scheinendes Bild Österreichs zu zeichnen. In seinen Aufsätzen und Reden, die auch in zahlreichen Publikationen zusammen-

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gefasst wurden, hat er nie einen Zweifel darüber gelassen, in welchem Teil der damaligen Welt Österreich zu finden war. So schrieb er in einem groß angelegten historischen Rückblick über den Weg Österreichs zu Staatsvertrag und Neutralität : »Die allianzfreien Staaten Europas, unter ihnen vor allem Österreich, Schweden und die Schweiz (…) bekennen sich zur Demokratie und zum politischen Pluralismus und sind trotz ihrer qualifizierten Unabhängigkeit, die ein Reflex ihrer Neutralität ist, ein Teil der sogenannten westlichen Welt. Sie unterscheiden sich dadurch in ihrer politischen und ideologischen Haltung grundlegend von anderen allianzfreien Staaten, insbesondere in Afrika und Asien.«38

Mit ebensolcher Klarheit sagte er etwa in einer Anfang 1971 vor der Beratenden Versammlung des Europarats gehaltenen Rede, »dass sich Österreich als zum demokratischen Europa gehörend betrachtet und nach Maßgabe seiner neutralitätspolitischen Verpflichtungen an den politischen und wirtschaftlichen Integrationsbestrebungen Europas teilzunehmen wünscht«.39 An dieser Standortbestimmung haben auch seine Nachfolger in diesem Amt nie einen Zweifel gelassen. So erklärte etwa schon wenige Monate nach seinem Amtsantritt als Außenminister Leopold Gratz Ende November 1984 in einem Vortrag vor der Österreichischen Gesellschaft für Außenpolitik und Internationale Beziehungen : »Ein Eintreten für den Frieden in der Welt drückt sich seitens Österreichs (…) auch darin aus, dass wir eindeutig Stellung beziehen. Dieses Beziehen einer eindeutigen Stellung ist deshalb so wichtig, weil ich an sich die Politik der Äquidistanz als Politik eines neutralen Staates für falsch halte (…). Äquidistanz heißt immer genau in der Mitte zwischen den Meinungen etwa zweier Paktsysteme sein. Und die Mitte ist ja nichts Fixes. Die Mitte verändert sich, je nachdem, wie sich die Positionen eines der beiden Extreme verändern. Und da ist es nach meiner Ansicht besser (…) selbst nach einer geraden Linie vorzugehen (…).40 Nicht nur aus solchen Äußerungen und Erklärungen, denen viele andere hinzugefügt werden könnten, ließ sich also klar erkennen, dass die Art, in der Österreich seine Politik der ständigen Neutralität handhabte und die Bestimmungen seines 38 Kreisky, Bruno : Neutralität und Koexistenz, München 1975, S. 48. 39 Kreisky, Bruno : Von der Konfrontation zur Kooperation, in : Kreisky, Bruno : Neutralität und Koexistenz. Aufsätze und Reden, München 1975, S. 151–161, hier S. 159. 40 Vortrag von Außenminister Leopold Gratz zum Thema »Internationale Gegebenheiten – müssen wir sie hinnehmen oder können wir sie gestalten ?« am 29. November 1984, in : Österreichische Gesellschaft für Außenpolitik und Internationale Beziehungen, Wien/Österreichisches Institut für Internationale Politik, Wien (Hg.) : Österreichisches Jahrbuch für internationale Politik 1984, Wien 1984, S. 264–273, hier S. 269.

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Staatsvertrags zu respektieren bereit war, keineswegs zu einer Politik ideologischer Äquidistanz zwischen den beiden Paktsystemen in Europa führen sollte. So hätte eine Politik der Äquidistanz Österreich nicht nur den Weg zu den verschiedenen, für ihn offenen Institutionen der politischen und wirtschaftlichen Integration des westlichen Europa wie Europarat oder EFTA versperrt, sondern ihm auch in vielen anderen Bereichen Freiräume, die es nutzen konnte – etwa in den Vereinten Nationen –, versperrt. Das wurde auch dadurch sichtbar, wenn man betrachtete, wie Österreich auf die großen Linien und Ziele, die beide Paktsysteme in der Weltpolitik dieser Jahre verfolgten, reagierte. So fand eine sowjetische Politik, die vor allem auf eine Wahrung ihres nach dem Zweiten Weltkrieg geschaffenen Besitzstandes und ihre Anerkennung durch den Westen gerichtet war, von österreichischer Seite keine aktive Unterstützung. Das ließ sich etwa an der österreichischen Deutschlandpolitik sowohl in Richtung auf West-Berlin als auch gegenüber der DDR dokumentieren : Mit der Bundesrepublik Deutschland nahm Österreich praktisch schon kurz nach ihrer Gründung 1949 erste politische Beziehungen auf, die nach dem Abschluss des Staatsvertrags in normale diplomatische Kanäle und einen regen Besuchsaustausch auf Regierungsebene mündeten. Ohne Bezug auf die Hallstein-Doktrin der Bundesrepublik, mit der sie in diesen Jahren ihren Alleinvertretungsanspruch für Deutschland verteidigte, kam es zur Anerkennung der DDR, allerdings erst 1971, nachdem diese ihre Beziehungen zur westlichen Welt und vor allem auch zur Bundesrepublik im Rahmen umfänglicher Vertragswerke normalisiert hatte. Auch zum lange umstrittenen Status von West-Berlin, das die UdSSR und ihre Verbündeten nicht als Teil der Bundesrepublik sehen wollten, nahm Österreich eine vom Osten verschiedene Haltung ein. Es unterhielt im westlichen Teil der Stadt eine als »Delegation« gekennzeichnete Vertretungsbehörde, die zwar bei den alliierten Kommandanten akkreditiert war, allerdings die gleichen Funktionen ausübte wie in der Bundesrepublik bestehende Generalkonsulate. Auch im Verhältnis zur Volksrepublik China verhielt sich Österreich ähnlich wie andere westliche Staaten. Es setzte zwar die diplomatischen Beziehungen mit der auf Taiwan beschränkten Republik China nicht fort, ohne – abweichend von der Schweiz – die neue kommunistische Regierung in Peking sofort anzuerkennen. Zur Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit dieser kam es erst 1971, nachdem die westliche Welt in ihrer großen Mehrheit den Alleinvertretungsanspruch der Volksrepublik China anerkannt hatte. Ganz anders verhielt sich Österreich gegenüber den großen Grundlinien der Politik, wie sie von der westlichen Welt, ihren Führungsmächten und den von ihnen geführten Organisationen vertreten wurde. Dies wurde – ganz abgesehen von dem an anderem Ort bereits dargestellten Kapitel der Integrationspolitik in Europa – auch in der Haltung deutlich, die Öster-

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reich in einer jener Organisationen einnahm, denen – wie vor allem in der OECD – in diesen Jahren eine Schlüsselrolle in der Koordination der Wirtschafts- und Finanzpolitik der westlichen Welt zukam. Diese Rolle hatte die OECD vor allem seit dem Zeitpunkt übernommen, als sie aus der rein europäisch angelegten OEEC mit dem Beitritt der USA, Japans, Australiens, Neuseelands und Kanadas zu einem der wichtigsten Orte der Zusammenarbeit westlicher industrieller Demokratien wurde. An allen ihren Initiativen, etwa der Koordination der Energiepolitik des Westens nach dem ersten Ölschock der frühen 1970er-Jahre durch die Schaffung einer neuen Internationalen Energie-Agentur als Gegengewicht zur OPEC, nahm Österreich aktiven Anteil. Die politische Bedeutung der Mitarbeit Österreichs in der OECD wurde auch dadurch unterstrichen, dass seine Vertretung in der Organisation vom Bundeskanzler selbst wahrgenommen wurde. Aus allen diesen Elementen der österreichischen Außenpolitik dieser Jahre wird sichtbar, dass ihre Summe sich kaum unter dem Begriff einer Äquidistanz zusammenfassen lässt. Gewiss war die Natur der Beziehungen, die Österreich zu den im sowjetischen Einflussbereich stehenden Staaten einschließlich der UdSSR selbst unterhielt, sehr verschieden von der Art, wie sie von den dem westlichen Militärbündnis angehörenden Ländern aufgefasst und betrieben wurde. Österreich enthielt sich vieler Maßnahmen, die von solchen Staaten etwa auf wirtschaftlichem Gebiet im Gefolge des Kalten Krieges ergriffen wurden, um den Osten zu schwächen und zu isolieren, und verfolgte demgegenüber eine Politik der Öffnung und der Normalisierung. Es zeigte sich stets dialogbereit und verweigerte nur selten das Gespräch mit politischen Vertretern kommunistischer Systeme. Engere Grenzen in solchen Beziehungen wurden dabei meist von den kommunistischen Staaten selbst gezogen, die von intensiveren Kontakten auch mit Österreich ein Einfließen westlicher Werte und Ideen in ihre geschlossenen Systeme fürchten mussten. Ging von Österreich also das Bestreben aus, normale Beziehungen nach allen Seiten der damaligen Welt zu führen, so war das eher eine Suche nach gleicher Nähe als nach gleicher Distanz, einer Nähe, die Österreich aber schließlich doch nur in der wesensverwandten Welt des Westens finden konnte.

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Der österreichische Osthandel im Spannungsfeld der Blöcke Der Rahmen Von den späten 1940er-Jahren bis zum Ende der 1980er-Jahre war die Weltpolitik von der Systemkonkurrenz zwischen der östlichen und westlichen Hemisphäre gekennzeichnet. Die neutralen europäischen Staaten waren gesellschaftspolitisch eindeutig westlich positioniert, wirtschaftliche Kontakte hielten sie jedoch auch mit dem Osten aufrecht. Zur Illustration des Stellenwertes der ökonomischen Ostbeziehungen sei in der folgenden Tabelle der Anteil der Ostexporte und -importe einiger ausgewählter Länder und Ländergruppen an ihrem Gesamtaußenhandel im Jahr 1987 angegeben : Anteil des Osthandels am Außenhandel ausgewählter Länder im Jahr 1987 Land Finnland

Anteil der Ostexporte an sämtlichen Exporten in %

Anteil der Ostimporte an sämtlichen Importen in %

16,9

16,9

Österreich

9,0

6,8

Schweden

2,1

4,1

Westeuropa

2,8

3,3

OECD

2,2

2,3

USA

0,9

0,5

Quelle : Stankovsky, Jan : Der Außenhandel Österreichs. Entwicklung und Struktur (Schriftenreihe der Exportakademie der Bundeswirtschaftskammer 1), Wien 1990, Tabelle 16.

Die Tabelle macht deutlich, in welch überdurchschnittlichem Ausmaß, verglichen mit den meisten westlichen Ökonomien, insbesondere die beiden neutralen Staaten Finnland und Österreich den Osthandel pflegten. Beide Länder fungierten somit als Brücke zwischen Ost und West, was ihnen jedoch – insbesondere in Phasen intensivierter Spannungen zwischen den Blöcken – durchaus ein gewisses Misstrauen seitens des Westens eintrug. ∗ Der Autor dankt Frau Mag. Andrea Brait für die Mitarbeit bei den Archivrecherchen im Österreichischen Staatsarchiv.

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Andreas Resch

Der Warenverkehr zwischen Österreich und den Staaten, die ab 1949 im Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW)1 organisiert waren, bildete bis zum Zusammenbruch des Ostblocks im Jahr 1989 stets einen Handel »mit besonderem Charakter«.2 Der besondere Charakter resultierte, wenngleich sich die Rahmenbedingungen im Laufe der vier Jahrzehnte graduell veränderten, aus folgenden Umständen : 1. Die beiden großen politischen Hemisphären organisierten sich ab dem beginnenden Kalten Krieg in zwei Blöcken mit antagonistischen Bündnissen und separaten wirtschaftlichen Integrationsformen. 2. In den beiden Blöcken bestanden unterschiedliche Wirtschaftssysteme. Während im Westen primär dezentrale Unternehmen im Rahmen der Marktwirtschaft gewinnorientiert arbeiteten, regulierte im staatssozialistischen Osten ein System zentral gelenkter Planwirtschaft die Ökonomie, die Produktionsmittel befanden sich überwiegend im staatlichen Eigentum. 3. Die unterschiedlichen Wirtschaftssysteme führten zu divergenten institutionellen Rahmenbedingungen für den Außenhandel : Im Osten bestand ein staatliches Monopol für den Außenhandel, der der Wirtschaftsplanung unterstellt war, während sich im Westen auch der zunehmend liberalisierte Außenhandel im Rahmen marktwirtschaftlicher Steuerung und Anreize abspielte. 4. Zusätzliche Komplexität resultierte daraus, dass sich die beiden Hemisphären nicht als monolithische Blöcke gegenüberstanden. Auf beiden Seiten kam es zu Binnendifferenzierungen, individuellen Interessen und national unterschiedlichen Strategien. In einzelnen Ostblockstaaten entwickelten sich über die Zeit divergente ökonomische Reformversuche heraus, die jeweils dem Westhandel einen unterschiedlichen Stellenwert zumaßen. Demgegenüber trachteten im Westen insbesondere die USA, in Phasen intensivierter Spannungen die Ostexporte zu kontrollieren, um die Ausfuhr von strategisch relevanten Waren zu unterbinden. Dabei kam es immer wieder zu Interessenkonflikten mit alliierten und dritten Staaten, die mehr auf eine Ausweitung der Handelsbeziehungen setzen wollten.

1 Als RGW-Staaten werden in diesem Beitrag die sechs Gründungsmitglieder UdSSR, Bulgarien, Polen, Rumänien, Tschechoslowakei und Ungarn sowie die 1950 beigetretene DDR subsumiert. Nicht berücksichtigt werden Jugoslawien, das 1964 lediglich als assoziiertes Mitglied beitrat, sowie Albanien, das seit Beginn der 1960er-Jahre den Ratstagungen fernblieb, und die erst 1962 beigetretene Mongolische Volksrepublik. Mit den beiden letztgenannten Staaten hat Österreich keine nennenswerten Handelskontakte aufgenommen. Im Text werden weiterhin folgende Abkürzungen verwendet : RGW = die sieben hier berücksichtigten RGW-Staaten, unter RGW6-Staaten werden die berücksichtigten RGW-Mitglieder mit Ausnahme der UdSSR zusammengefasst. Für die gesamte RGW7-Gruppe wird synonym auch der Terminus Ostblock gebraucht, der Handel mit den RGW-Staaten wird auch als Osthandel bezeichnet. 2 Vgl. dazu : Breuss, Fritz : Österreichs Außenwirtschaft 1945–1982, Wien 1983, S. 124–126.

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In diesem globalen Umfeld entwickelte sich auch der Osthandel der Republik Österreich, die bis 1955 unter dem Einfluss der Besatzungsmächte stand, danach als neutraler Staat mit gesellschaftspolitischer Westorientierung positioniert war. Die österreichische Wirtschaft war historisch eng mit Mittel- und Südosteuropa verflochten.3 In der Habsburgermonarchie hatte sich eine überregionale Arbeitsteilung herausgebildet, die auf industriellen Produktionszentren in den Alpenländern und in Böhmen sowie einem mehr agrarischen Schwerpunkt in den übrigen Regionen der Zollunion beruhte, wenngleich das Königreich Ungarn seit den 1880erJahre ebenfalls durchaus effektive Ansätze für die industrielle Entwicklung in Gang gesetzt hatte.4 Auch in der Zwischenkriegszeit blieben die komplementären Handelsstrukturen zwischen den Donaustaaten weitgehend aufrecht. Noch im Jahr 1929 entfielen 35 Prozent der österreichischen Exporte und 42 Prozent der Einfuhren auf Länder, die später dem RGW angehören sollten. In diesem Jahr bestanden die österreichischen Importe aus Polen, Rumänien und Ungarn wertmäßig zu mehr als 70 Prozent aus Rindern, Schweinen, Fleisch und Fleischwaren, Getreide, Geflügel und Geflügeleiern, Futtermitteln und mineralischen Brennstoffen (einschl. Erdöl). Bei den Ausfuhren in diese Staaten dominierten Warengattungen wie Garne, Baumwollwaren, Seidenwaren, Papier und Pappe, Eisenwaren, Metallwaren und Maschinen. Allein mit der ebenfalls hoch industrialisierten Tschechoslowakei hatte sich auch ein relevanter interindustrieller Handel herausgebildet. Die wichtigsten Einfuhrgüter aus dem nördlichen Nachbarstaat waren 1929 Textilien, mineralische Brennstoffe und Eisenwaren. Im Export waren ebenfalls Textilien sowie Eisen-, Metallwaren und Maschinen erfolgreich.5 Erst die Weltwirtschaftskrise der 1930er-Jahre, die nationalsozialistische Ära, die zum Zweiten Weltkrieg führte, und die darauf folgenden Jahre des »Kalten Krieges« brachten einen radikalen Niedergang der eingespielten Handelsbeziehungen. Will man für die Entwicklung des österreichischen Osthandels von den 1940erbis in die 1980er-Jahre zu einer schlüssigen Periodisierung gelangen, so wird deutlich, dass Beschreibung immer Auswahl und historische Darstellung immer Konstruktion sein muss.

3 Wiener Inst. für Internat. Wirtschaftsvergleiche (Hg.)/Levcik, Friedrich/Stankovsky, Jan Jan:: A Profile of Austria’s East-West Trade in the 1970s and 1980s, Study prepared for ECE/UN (Reprint-Serie, Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche beim Österreichischen Institut für Wirtschaftsforschung 82), Wien 1985, S. 4 f. 4 Komlos, John : Die Habsburgermonarchie als Zollunion. Die Wirtschaftsentwicklung Österreich-Ungarns im 19. Jahrhundert, Wien 1986, S. 77–136. 5 Vgl. Österreichisches Statistisches Zentralamt : Der Außenhandel Österreichs in der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen (Beiträge zur österreichischen Statistik 1), Wien 1946, S. 73–77.

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Sowohl für die Beziehungen der beiden großen Machtblöcke6 als auch für die österreichische Wirtschaftsgeschichte lassen sich vielerlei Periodisierungen argumentieren ; noch mehr daher für eine Darstellung, die beide Aspekte berücksichtigen will.7 Das Folgende ist primär am Außenhandel orientiert, daher bezieht sich die Gliederung der Ausführungen vor allem auf den jeweiligen ökonomischen Stellenwert des österreichischen Osthandels im Zeitablauf. Wertmäßige Anteile der sechs RGW-Kleinstaaten und der UdSSR an den österreichischen Importen und Exporten in Prozent 30

25

20

15

10

5

Exportanteil 6 RGW Kleinstaaten

Exportanteil UdSSR

Importanteil 6 RGW Kleinstaaten

Importanteil UdSSR

1989

1987

1985

1983

1981

1977

1979

1975

1971

1973

1969

1965

1967

1963

1959

1961

1957

1955

1953

1951

1949

1947

0

Quelle : berechnet mittels Daten aus Butschek, Felix : Statistische Reihen zur österreichischen Wirtschaftsgeschichte, Wien 1997, Tab. 15.3 und 15.4.

6 Aus der Fülle von Standardwerken zur Geschichte des Kalten Kriegs von 1946 bis 1989/91 seien beispielhaft genannt : Steininger, Rolf : Der Kalte Krieg, Frankfurt am Main 2003 ; Stöver, Bernd : Der Kalte Krieg 1947–1991. Geschichte eines radikalen Zeitalters, München 2007 ; Maier, Charles S. (Hg.) : The Cold War in Europe. Era of a Divided Continent, New York 1991 ; Walker, Martin : The Cold War. A History, New York 1994 ; Schöllgen, Gregor : Geschichte der Weltpolitik von Hitler bis Gorbatschow 1941–1991, München 1996. 7 Zur Historiografie über Österreich und den Kalten Krieg und einschlägige Periodisierungen siehe Bischof, Günter : Eine historiographische Einführung : Die Ära des Kalten Krieges und Österreich, in : Schmidl, Erwin A. (Hg.) : Österreich im frühen Kalten Krieg 1945–1948. Spione, Partisanen, Kriegspläne, Wien/Köln/Weimar 2000, S. 19–53.

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Dem Diagramm in Abb. 1 ist zu entnehmen, dass der Warenverkehr zwischen Österreich und der Sowjetunion während der Besatzungszeit großteils jenseits der offiziellen österreichischen statistischen Erfassung erfolgte ; ab 1955 nahm der ausgewiesene Stellenwert des Handels mit der Sowjetunion wieder zu und erreichte in der ersten Hälfte der 1960er-Jahre einen ersten Höhepunkt. Danach waren von Mitte der 1970er- bis zur Mitte der 1980er-Jahre tendenziell Anteilsgewinne der UdSSR am österreichischen Außenhandel zu konstatieren. Der Außenhandel mit den sechs kleinen RGW-Staaten war bis zur Mitte der 1950er-Jahre von radikalen Desintegrationstendenzen gekennzeichnet. Danach konnten die österreichischen Exporte in diese Staaten ihren Anteil an den gesamten Ausfuhren einigermaßen halten, allerdings mit starken Fluktuationen. Von 1955 bis 1967 gewannen die kleinen RGW-Staaten als Absatzmarkt für die österreichische Wirtschaft tendenziell an Bedeutung. Nach relativen Rückschlägen um 1970 folgte um die Mitte des Jahrzehnts ein Rekordwachstum, das danach in einen anhaltenden Niedergang umschlug. Der Anteil der Einfuhren aus den kleinen RGW-Staaten blieb stets unter jenem der Ausfuhren und wies geringere Fluktuationen auf. Die Abbildung zeigt deutlich, dass sich der Außenhandel mit der UdSSR und den kleinen RGW-Staaten nicht immer im Einklang entwickelte, dass aber doch folgende drei gemeinsame Entwicklungsphasen unterschieden werden können : 1. Fortschreitende wirtschaftliche Trennung des Westens und des Ostens bis 1954 2. Ende des raschen Niedergangs und phasenweise Ausweitung der Handelsbeziehungen bis Mitte der 1970er-Jahre 3. Turbulenzen und starker Rückgang der Exporte in die kleinen RGW-Staaten ab der zweiten Hälfte der 1970er-Jahre. Es gilt daher, zumindest in knapper Form für jede der drei genannten Phasen in den folgenden Ausführungen die weltpolitischen Hintergründe der Entwicklungen sowie die handelspolitische Aktivitäten zwischen Österreich und den RGW-Staaten (Handelsverträge, Exportförderung etc.) und die tatsächlich erzielten Handelsströme aufzuzeigen.

1946–1954 : Der erste Kalte Krieg und der österreichische Osthandel Die internationale Situation bis 1954 Weltpolitisch waren die späten 1940er und frühen 1950er-Jahre vom Aufkommen des Kalten Krieges zwischen der westlichen Hemisphäre mit den USA als Führungs-

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Andreas Resch

macht und der östlichen Hemisphäre unter der Vorherrschaft der Sowjetunion gekennzeichnet.8 US-amerikanischer Eindämmungspolitik, die ab 1947 in der Truman-Doktrin formuliert war, stand in Europa die Sowjetisierung der kleinen mittel- und südosteuropäischen Staaten unter sowjetischer Vorherrschaft gegenüber. Auf westlicher Seite entstand im Jahr 1949 die NATO als Militärbündnis. Die USA leisteten befreundeten Staaten im Rahmen des European Recovery Program (Marshallplan) umfangreiche Wiederaufbauhilfe und schworen damit die Empfängerländer auf eine westliche wirtschaftliche Integration ein. In einigen Staaten engagierten sich die USA auch mit substanzieller Militärhilfe. Als koordinierende Institutionen für den Marshallplan entstanden in Paris auf amerikanischer Seite die ECA und auf europäischer Seite die OEEC, aus der später die OECD hervorging. Die sechs westeuropäischen Staaten, die ab 1958 die EWG bildeten, gründeten 1952 die Montanunion. Im Einflussbereich der UdSSR führten Sowjetisierung und aufgezwungene Autarkiepolitik in der stalinistischen Ära zu einer katastrophalen Verschlechterung der Versorgungslage,9 Ostdeutschland litt überdies an den Reparationsleistungen. In Ungarn wurde 1949 die volksdemokratische Verfassung verkündet,10 in Polen konnte sich Władisław Gomułka mit seiner Konzeption eines »polnischen Weges« zum Sozialismus nicht durchsetzen. An der Spitze der vereinigten polnischen Arbeiterpartei wurde er 1948 durch Bolesław Bierut abgelöst.11 In der Tschechoslowakei verdrängten die Kommunisten unter der Führung von Klement Gottwald im Februar 1948 die anderen Parteien aus der Regierung – der stalinistische Terror erreichte mit den Schauprozessen gegen Rudolf Slansky und andere im Jahr 1952 seinen Höhepunkt.12 Ein gewisser Richtungswechsel schien nach dem Tod Stalins 1953 möglich zu werden ; der in diesem Jahr stattfindende Aufstand in der DDR wurde jedoch gewaltsam niedergeschlagen. Moskau untersagte den Satellitenstaaten 1948 die Teilnahme am Marshallplan. Als formelles Pendant entstand 1949 der

8 Vgl. zum Folgenden die in Fn 7 und 8 angeführte Literatur. 9 Vgl. Teichova, Alice : Eastern Europe in Transition. Economic Development during the Interwar and Post war Period, in : Teichova, Alice (Hg.) : Central Europe in the Twentieth Century. An economic history perspective, Aldershot 1997, S. 5–21, hier S. 15–19. 10 Zur Sowjetisierung in Ungarn siehe z.B. Berend, Ivan T./Ránky, György : The Hungarian Economy, London/Sydney 1985, S. 199–225. 11 Wünsch, Thomas : Polen, in : Roth, Harald (Hg.) : Studienhandbuch Östliches Europa, Band 1 : Geschichte Ostmittel- und Südosteuropas, Köln/Weimar/Wien 1999, S. 313–332, hier S. 322 f. 12 Puttkamer, Joachim von : Tschechoslowakei, Tschechische Republik, in : Roth, Harald (Hg.) : Studienhandbuch Östliches Europa, Band 1 : Geschichte Ostmittel- und Südosteuropas, Köln/Weimar/Wien 1999, S. 398–403, hier S. 400.

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Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW),13 der vorerst aber kaum relevante Aktivitäten entfaltete. Die USA trachteten ab 1947 in zunehmendem Ausmaß, die Lieferung von strategisch wichtigen Gütern aus dem Westen in den Osten zu kontrollieren bzw. zu unterbinden, um ihren militärtechnologischen Vorsprung gegenüber dem Ostblock zu wahren. Im Februar 1948 wurde ein Exportbeschränkungsgesetz verabschiedet, das die Überwachung der Ausfuhren »vom Standpunkt der nationalen Sicherheit« vorsah. Im selben Jahr kam es zu einer prinzipiellen Einigung zwischen den USA, Frankreich und Großbritannien über eine Zusammenarbeit bei der Kontrolle des Ost-West-Handels. Auch sämtliche Empfängerländer des Marshallplans mussten in dieser Hinsicht kooperieren. Ab Jahresbeginn 1950 koordinierten in Paris eine informelle Consultative Group und ein ebenfalls informelles Coordinating Committee for East-West-Trade14 (COCOM) Boykottmaßnahmen gegen die Volksdemokratien. Man legte sich auf umfangreiche Embargolisten fest, die periodisch aktualisiert wurden. Beiden Gremien gehörten die NATO-Staaten (außer Island), sowie Japan und ab den 1970erJahren Australien an.15 Die Embargolisten erreichten im Jahr 1953 den größten Umfang, damals waren etwa 50 Prozent der in der Zollnomenklatur genannten Waren klassifiziert.16 1951 stellten die USA mit dem Mutual Defence Assistance Act (Battle Act) auch die Verknüpfung von Wirtschafts- bzw. Militärhilfe mit der Kooperation bei den Embargomaßnahmen auf eine gesetzliche Grundlage. Innenpolitisch erreichte der aggressive Antikommunismus in den USA mit den Aktivitäten des von Senator Joseph McCarthy geleiteten Ausschusses zur Untersuchung »antiamerikanischer Umtriebe« einen Höhepunkt. Auf internationaler Ebene wurden auch die neutralen Staaten in die Boykottmaßnahmen involviert. Die Schweiz zum Beispiel versuchte den Amerikanern anfänglich mit informellen Maßnahmen entgegenzukommen. Man stellte Importeuren, die Waren aus den USA einführen wollten, ein Zertifikat aus, dass sie die Güter nicht oder nur mit Genehmigung der Behörden reexportieren würden. Den zuständigen Stellen in den USA erschienen diese Regelungen aber nicht als ausreichend. Um 13 Zwass, Adam : Der Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe 1949 bis 1987. Der dornige Weg von einer politischen zu einer wirtschaftlichen Integration, Wien/New York 1988, S. 12–16. 14 Manchmal auch als Coordinating Committee for Multilateral Export Controls bezeichnet. Vgl. etwa : Wie effizient wäre ein Technologieembargo gegenüber dem Ostblock ?, in : Neue Zürcher Zeitung, 26. Juli 1984, S. 11. 15 Adler-Karlsson, Gunnar : Der Fehlschlag. 20 Jahre Wirtschaftskrieg zwischen Ost und West, Wien/Frankfurt am Main/Zürich 1971, S. 99 f.; Noehrenberg, Eric H.: Multilateral Export Controls and International Regime Theory. The Effectiveness of COCOM, Sinzheim 1995, S. 64. 16 Adler-Karlsson : Der Fehlschlag, S. 50.

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nicht beim Bezug von wichtigen Rohstoffen und Hightechwaren aus dem Westen und dem Export in den Westen behindert zu werden, verpflichtete sich die Schweiz 1951 im Rahmen des sogenannten Linder-Hotz-Abkommens, die Umleitung von Embargoware aus COCOM-Ländern nicht zu genehmigen und ihre eigenen Exporte in den Osten auf das bis dahin normale Geschäft zu beschränken.17 Auch auf Finnland, Schweden und Taiwan wurde effektiver COCOM-Einfluss ausgeübt ; diese Länder kooperierten ebenfalls, um handelspolitische Schwierigkeiten mit den Westmächten, vor allem den USA, zu vermeiden.18 Die österreichischen Wirtschaftsbeziehungen mit den Oststaaten bis 1954 Österreich wurde im Jahr 1945 aus der NS-Herrschaft von den Alliierten befreit, die danach bis 1955 als Besatzungsmächte präsent blieben. Mit dem zweiten Kontrollabkommen der Alliierten (28. Juni 1946) folgte auf die »Periode der totalen Kontrolle« das bis zur Wiedererlangung der vollen Souveränität andauernde Stadium, in dem Österreich zwar noch ein »Mündel« der Besatzungsmächte blieb, aber auf Ebene der Landesregierungen und der Bundesregierung wesentlich erweiterte Spielräume erlangte.19 Die Leistung der heimischen Wirtschaft war nach der NS-Ära an einem historischen Tiefpunkt angelangt. Das reale Bruttoinlandsprodukt pro Kopf betrug 1946 nur noch 57 Prozent des ebenfalls schwachen Jahres 1937.20 Die Hektarerträge in der österreichischen Landwirtschaft fielen 1946 und 1947 weit unter bis dahin erzielte Werte, wodurch die Hungerjahre bis 1948 andauerten. Erst im September dieses Jahres konnten die Basisrationen für Normalverbraucher auf mehr als 2000 Kalorien pro Tag angehoben werden.21 Österreich war, um überleben zu können, auf kommerzielle Importe und internationale Hilfe angewiesen. Von 1945 bis 1955 erhielt das Land Auslandshilfe im Wert 17 Stankovsky, Jan : Österreich und das COCOM, in : Monatsberichte 3/1990, S. 149–155 ; Lohm, Christina/Fritzsche, Bruno : Swiss Economic Relations with the Soviet Union during the Cold War, in : Enderle-Burcel, Gertrude/Franaszek, Piotr/Stiefel, Dieter/Teichova, Alice (Hg.) : Gaps in the Iron Curtain. Economic relations between neutral and socialist countries in Cold War Europa, Kraków 2009, S. 26–42, hier S. 31–33. 18 Noehrenberg : Multilateral Export Controls, S. 112–121. 19 Bischof, Günter/Leidenfrost, Josef : Österreich nach dem April 1945. Die bevormundete Nation, in : Bischof, Günter/Leidenfrost, Josef (Hg.) : Die bevormundete Nation. Österreich und die Alliierten 1945– 1949 (Innsbrucker Forschungen zur Zeitgeschichte 4), Innsbruck 1988, S. 11– 43, hier S. 19–21 ; zum zweiten Kontrollabkommen : Rauchensteiner, Manfried : Der Sonderfall. Die Besatzungszeit in Österreich 1945 bis 1955, Graz/Wien/Köln 1979, S. 167–174. 20 Berechnet nach Butschek : Statistische Reihen, Tabelle 5.1. 21 Vgl. Seidel, Hans : Österreichs Wirtschaft und Wirtschaftspolitik nach dem Zweiten Weltkrieg, Wien 2005, S. 176–184.

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von fast 1,6 Mrd. US-Dollar. Nach ersten »Erbsenspenden« genannten Lieferungen vonseiten der UdSSR stammte die Hilfe überwiegend direkt oder indirekt (im Wege der United Nations Relief and Rehabilitation Administration [UNRRA]) aus den USA. Von 1947 bis 1952 importierte Österreich insgesamt Waren mit einem Wert von 3,37 Milliarden US-Dollar, denen lediglich Ausfuhren um 2,17 Milliarden US-Dollar gegenüberstanden. Die Lücke im Ausmaß von 1,2 Milliarden Dollar war nur durch die Hilfsprogramme zu überbrücken.22 Der größte Teil davon entfiel auf das von 1948 bis 1952 laufende European Recovery Program. Während die Auslandshilfe anfänglich dem nackten Überleben diente, wurden daraus bald umfangreiche Investitionen alimentiert, die eine wesentliche Grundlage für die raschen Wachstumserfolge der österreichischen Wirtschaft im Wiederaufbau darstellten. Das reale Wirtschaftswachstum lag 1947 bei 10,3 Prozent, in den folgenden Jahren dann bei 26,9 (1948), 18,9 (1949) und 12,4 Prozent (1950). 1952 hatte sich die österreichische Wirtschaft auf das Auslaufen des Marshallplans einzustellen – Budgetdisziplin und ein Ausgleich der Zahlungsbilanz mussten angestrebt werden. Eine vorübergehende Stockung des Wachstumsprozesses war die Folge. 1954 und 1955 konnten dann jedoch bereits wieder zweistellige Wachstumsraten des Bruttoinlandsproduktes (BIP) erzielt werden.23 Unter diesen nationalen und internationalen Rahmenbedingungen entwickelten sich auch die Handels- und handelsvertraglichen Beziehungen Österreichs mit Mittel- und Südosteuropa. Angesichts des dringenden Importbedarfs über die empfangenen Hilfsleistungen hinaus wurden bereits ab August 1945 einzelne Lieferungen zwischen Österreich und den zentraleuropäischen Nachbarstaaten auf Kompensationsbasis organisiert (Braunkohle und Lebensmittel aus Ungarn gegen österreichisches Holz und tschechoslowakische Kohle gegen österreichische Erze). Noch im Dezember 1945 konnte ein Kompensationsabkommen mit der Tschechoslowakei abgeschlossen werden.24 Ein ähnlicher Vertrag folgte im September 1946 mit Polen. Das Abkommen mit der Tschechoslowakei lief zwar zur Jahresmitte 1946 aus, der bilaterale Handel wurde jedoch – so wie mit anderen Staaten, mit denen keine Vertragsbeziehungen bestanden – auf der Grundlage privater Kompensation fortgesetzt. Im Kompensationshandel wurden Lieferungen und Gegenlieferungen direkt ausgetauscht, er funktionierte somit im Währungschaos nach dem Weltkrieg als naturaler Tauschhandel ohne Geldzahlungen.25 22 23 24 25

Vgl. ebd., S. 281–312. Butschek : Statistische Reihen, Tabelle 5.1. Breuss : Österreichs Außenwirtschaft, S. 129 f. Komlosy, Andrea : Österreichs Brückenfunktion und die Durchlässigkeit des »Eisernen Vorhangs«, in :

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Im Jahr 1948 erfolgte in den Abkommen mit Mittel- und Südosteuropa der Übergang zur zentralisierten bilateralen Verrechnung. Neue Verträge, die Preise und Mengen für Import- und Exportkontingente als Rahmen für den bilateralen Außenhandel und bilaterales Clearing für den Zahlungsverkehr vorsahen, schloss Österreich ab 1948 mit der Tschechoslowakei, Ungarn26, Polen, Rumänien und Bulgarien ab. Nun musste im Handel Österreichs mit den RGW6-Staaten nicht mehr jedem einzelnen Geschäft ein gleichwertiges Gegengeschäft gegenüberstehen, sondern die Vertragsländer führten Clearingkonten, in denen die Warenströme jeweils im eigenen Land abgerechnet wurden. Die Forderungen von Exporteuren wurden jeweils von den Importeuren aus dem eigenen Land beglichen, ohne dass Devisen benötigt wurden. Vorübergehende Ungleichgewichte konnten mit sogenannten Swingkrediten finanziert werden. Zum Beispiel waren im Vertrag mit Polen Swingkredite bis zu drei Millionen Dollar und mit Ungarn bis zu zwei Millionen Dollar vorgesehen.27 Die 1949 auf dem Gebiet der Sowjetisch Besetzten Zone (SBZ) gegründete DDR wurde vorerst nicht offiziell anerkannt. Folglich konnten auch keine formellen Handelsverträge in Kraft treten, und man behalf sich ab Dezember 1953 mit Abkommen zwischen der österreichischen Kammer für Handel und Gewerbe und der Kammer für Außenhandel der DDR.28 Weitere umfangreiche – von Österreich nicht kontrollierbare – Warenströme gelangten aus der sowjetischen Besatzungszone Österreichs in den Osten. Die UdSSR verfügte mit den Betrieben deutschen Eigentums in Österreich, die auf der Grundlage des Potsdamer Abkommens übernommen worden waren, über einen großen Wirtschaftskomplex. Mehr als 400 meist industriell-gewerbliche Unternehmen standen unter sowjetischer Verwaltung (USIA), daneben auch umfangreiche Erdölbetriebe Enderle-Burcel, Gertrude/Stiefel, Dieter/Teichova, Alice (Hg.) : »Zarte Bande«. Österreich und die europäischen planwirtschaftlichen Länder (Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs, Sonderband 9), Innsbruck/Wien 2006, S. 73–105, hier S. 80 und S. 94 f. 26 Mit Ungarn wurden die Kontingente 1948, der Clearingvertrag bereits 1947 abgeschlossen. NeubauerCzettl, Alexandra : Österreichs Beziehungen zu Ungarn, Polen, der Tschechoslowakei und Jugoslawien im Spiegel der Staatsurkunden, in : Enderle-Burcel, Gertrude/Stiefel, Dieter/Teichova, Alice (Hg.) : »Zarte Bande«. Österreich und die europäischen planwirtschaftlichen Länder (Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs, Sonderband 9), Innsbruck/Wien 2006, S. 267–281, hier S. 272. 27 Seitz, Wilhelm : Österreichs Außenhandel mit dem europäischen Osten. Gestern – heute – morgen, Wien 1960 (Dissertation), S. 108–113 ; Neubauer-Czettl : Österreichs Beziehungen, S. 267–281. 28 Eine sehr instruktive Darstellung auf der Grundlage von Dokumenten im Bundesarchiv Berlin gibt Boyer, Christoph : Die Wirtschaftsbeziehungen zwischen Österreich und der sowjetischen Besatzungszone in Deutschland (SBZ) bzw. der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) (1945–1989/90), in : EnderleBurcel, Gertrude/Stiefel, Dieter/Teichova, Alice (Hg.) : »Zarte Bande«. Österreich und die europäischen planwirtschaftlichen Länder (Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs, Sonderband 9), Innsbruck/ Wien 2006, S. 165–183. Vonseiten Westdeutschlands wurden die Beziehungen Österreichs mit der SBZ bzw. DDR permanent akribisch beobachtet.

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(SMV) und die Donaudampfschifffahrtsgesellschaft (DDSG).29 Diese Unternehmen wurden gleichsam exterritorial bewirtschaftet. Sie zahlten in Österreich keine Steuern und unterhielten Handelsbeziehungen mit den Regionen im Einflussbereich Moskaus, jenseits österreichischer Kontrolle. Die sowjetische Besatzungsmacht in Österreich schloss auch selbst Handelsverträge mit den ostmitteleuropäischen Staaten ab, die der »Einflussnahme und vielfach auch der Kenntnis der österreichischen Stellen entzogen waren«.30 So sorgten die Besatzungsmacht und ihr USIA-Komplex für ein »Leck« in der österreichischen Außenhandelssouveränität.31 Der Übergang zu Abkommen über Warenaustausch und Clearingverrechnung zwischen Österreich und den Oststaaten wurde just in jenem Jahr erzielt, in dem der Kalte Krieg mit der Berlinblockade einen ersten Höhepunkt erreichte und in dem die Marshallplanlieferungen nach Österreich einsetzten. In dieser Phase sicherten sich die westlichen Besatzungsmächte, insbesondere die USA, eine weit reichende Kontrolle über die Auswahl der Güter, die für den offiziell registrierten Ostexport angeboten wurden. Der bilaterale ERP-Vertrag mit den USA wurde am 2. Juli 1948 unterzeichnet.32 Der »Strategic Control Plan« aus dem Jahr 1948 sah vor, ERPLieferungen nicht an USIA-Betriebe gelangen zu lassen und die österreichischen Wirtschaftskontakte mit dem Osten zu überwachen, damit das Land nicht von den sowjetisierten Ökonomien abhängig werde.33 Ab Herbst 1948 wurde ein »EastWest-Trade-Control-Program« des US-High Commissioner, der US-Legation und der ECA-Mission gemeinsam mit Bundeskanzler Leopold Figl und Außenminister Karl Gruber auf höchster Ebene implementiert, das auch der Exportkontrolle für strategische Güter diente. Zwei US-Komitees, das »East-West-Trade-Committee« und das »Vienna Screening Committee«, übernahmen die Aufgabe, den legalen österreichischen Osthandel in Konsultation mit den österreichischen Stellen zu überwachen. Man versuchte auch, unerwünschte Warenströme im sowjetischen Einfluss29 Zu den sowjetisch verwalteten Betrieben siehe Klambauer, Otto : Die USIA-Betriebe, Wien 1978 (Dissertation) ; Seidel : Österreichs Wirtschaft, S. 401–412 ; Stiefel, Dieter : Coca-Cola kam nicht über die Enns. Die ökonomische Benachteiligung der sowjetischen Besatzungszone, in : Bischof, Günter/Stiefel, Dieter (Hg.) : »80 Dollar«. 50 Jahre ERP-Fonds und Marshall-Plan in Österreich 1948–1998, Wien/Frankfurt am Main 1999, S. 111–132, hier S. 114–122. 30 Seitz : Österreichs Außenhandel, S. 101. 31 Vgl. Seliger, Maren : KPÖ-Firmen und Osthandel 1945–1989. Rahmenbedingungen und einige Aspekte der Außenhandelspraxis, in : Enderle-Burcel, Gertrude/Stiefel, Dieter/Teichova, Alice (Hg.) : »Zarte Bande«. Österreich und die europäischen planwirtschaftlichen Länder (Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs, Sonderband 9), Innsbruck/Wien 2006, S. 107–129, hier S. 113. 32 Komlosy, Andrea : Der Marshall-Plan und der »Eiserne Vorhang« in Österreich, in : Bischof, Günter/ Stiefel, Dieter (Hg.) : »80 Dollar«. 50 Jahre ERP-Fonds und Marshall-Plan in Österreich 1948–1998, Wien/Frankfurt am Main 1999, S. 261–276, hier S. 265–276. 33 Stiefel : Coca-Cola, S. 122 f ; Mähr, Wilfried : Der Marshallplan in Österreich, Graz/Wien/Köln 1989, S. 96–106.

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bereich einzudämmen. In der Praxis bedeutete dies u. a., dass allein zwischen 1948 und 1951 mehr als 4 500 US-Exportlizenzen nach Österreich beantragt wurden und davon 380 dem Department of Commerce mit dem Hinweis, sie nicht zu erteilen, gemeldet wurden. Das Außenministerium kooperierte auch, indem es Informationen über den Osthandel und Handelsprobleme übermittelte.34 Für die USA bildete Österreich einen »Sonderfall«35, weil man an einem dauerhaften, ungeteilten Fortbestand des politischen Gebildes an strategisch wichtiger Stelle in Europa überaus interessiert war. So erhielten die Österreicher pro Kopf die höchste US-Wirtschaftshilfe (vergleichbare Werte erlangten sonst nur Norwegen und die Niederlande), und man war bei der Durchführung des Marshallplans und der Exportkontrollen zu einem durchaus pragmatischen Vorgehen bereit. Das bedeutete in der Praxis, dass sich die amerikanische Seite im Hinblick auf innerösterreichische Warenströme in die östliche Besatzungszone und sogar in die USIA-Betriebe immer wieder kompromissbereit zeigte, wenn dies für Versorgungslage und Wiederaufbau als unabdingbar erschien. Auch im Osthandel verstand es Österreich, die Spielräume, die es dank der Rolle als »Sonderfall« genoss, auszunützen und die Kontakte nie gänzlich abreißen zu lassen. Die Alpenrepublik wahrte somit sowohl im Inneren (zwischen West- und Ostzone) als auch im Außenhandel selbst in dieser Phase in einem gewissen Ausmaß ihre Brückenfunktionen über den »Eisernen Vorhang«.36 Nach dem Ende des Marshallplans wandte Österreich ab 1954 (ähnlich wie die Schweiz) im Zusammenhang mit dem strategischen Embargo das Import Certificate/Delivery Verification-System an : Um eine Exportlizenz der USA zu erlangen, 34 Rathkolb, Oliver : ›Austria – Sieve to the East‹. Austria’s Neutrality during the East-West Economic war, 1945/8–1989, in : Enderle-Burcel, Gertrude/Franaszek, Piotr/Stiefel, Dieter/Teichova, Alice (Hg.): (Hg.) : Gaps in the Iron Curtain. Economic relations between neutral and socialist countries in Cold War Europa, Kraków 2009, S. 11–25, hier S. 12–15 ; Rathkolb, Oliver : Von der Besatzung zur Neutralität, in : Bischof, Günter/Leidenfrost, Josef (Hg.) : Die bevormundete Nation. Österreich und die Alliierten 1945–1949 (Innsbrucker Forschungen zur Zeitgeschichte 4), Innsbruck 1988, S. 371–405, hier S. 379 f ; Bischof, Günter : Österreich – ein »geheimer Verbündeter« des Westens ?, in : Gehler, Michael/Steininger, Rolf : Österreich und die europäische Integration 1945–1953. Aspekte einer wechselvollen Entwicklung, Wien/ Köln/Weimar 1993, S. 425–450, hier S. 433 f. 35 Vgl. Seidel, Hans : Österreichs Wirtschaftspolitik und der Marshall-Plan, in : Bischof, Günter/Stiefel, Dieter (Hg.) : »80 Dollar«. 50 Jahre ERP-Fonds und Marshallplan in Österreich 1948–1998, Wien/Frankfurt am Main 1999, S. 63–102, hier S. 65 ; Rauchensteiner : Sonderfall, S. 196–220. 36 Vgl. Komlosy : Der Marshall-Plan, S. 261–296. So verzögerte zum Beispiel das US-Verteidigungsministerium im Jahr 1950 die von Präsident Truman bereits genehmigte Lieferung einer Breitbandwalzstraße für die VÖEST in Linz, weil man befürchtete, dass damit erzeugte strategische Waren in den Ostblock gelangen würden. Erst als das State Department im Jänner 1952 drohte, die Nichtausführung einer Order des Präsidenten im Sicherheitsrat zur Sprache zu bringen, verzichtete das Verteidigungsministerium auf sein Veto. Tweraser, Kurt : Der Marshall-Plan und die österreichische Eisen- und Stahlindustrie : Fallbeispiel VÖEST, in : Bischof, Günter/Stiefel, Dieter (Hg.) : »80 Dollar«. 50 Jahre ERP-Fonds und Marshall-Plan in Österreich 1948–1998, Wien/Frankfurt am Main 1999, S. 217–247, hier S. 239 f.

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musste der österreichische Importeur ein vom Handelsministerium ausgestelltes Importzertifikat37 vorlegen. Darin bestätigte die Behörde, dass sich das österreichische Unternehmen verpflichtete, die importierte Ware nicht oder nur nach Genehmigung der Behörde zu reexportieren. Die Delivery Verification sollte darüber hinaus sicherstellen, dass die Ware tatsächlich nach Österreich und nicht in ein Drittland eingeführt wurde. Bis 1985 stellte das Handelsministerium die Importzertifikate aus, ohne dass dafür eine eigene gesetzliche Grundlage geschaffen worden wäre. Die Internationale Einfuhrbescheinigung war nur eine formlose Bestätigung der privatrechtlichen Verpflichtung gegenüber dem Handelsminister. Von Verstößen gegen diese Verpflichtungserklärung war nur die betreffende ausländische Technologietransfer-Kontrollbehörde zu informieren, Sanktionsmöglichkeiten gegen Verstöße hatten die österreichischen Behörden somit nicht.38 Vor dem Hintergrund der österreichischen Westorientierung und Anpassung an amerikanische Exportkontrollwünsche sowie der Sowjetisierung der Kleinstaaten in Mittel- und Osteuropa entwickelte sich ab den späten 1940er-Jahren ein Nischenmarkt für Unternehmen, die weiterhin Handelsgeschäfte mit den östlichen Planwirtschaften vermittelten. Die Marktlücke füllten vor allem Handelsunternehmen, die im Umfeld der Kommunistischen Partei Österreichs (KPÖ) entstanden. Diese Firmen erlangten oft privilegierten Zugang zu den östlichen Märkten, halfen im Umgang mit der Bürokratie der Staatshandelsländer und waren – so wurde gemutmaßt – auch geneigt, Exporte jenseits der westlichen Embargomaßnahmen mitzutragen. So entwickelte sich ab ca. 1947 eine Gruppe von Firmen, die, auf einzelne Staaten oder Warengattungen spezialisiert, den Ost-West-Handel organisierte.39 Im Handelsregister waren überwiegend österreichische Privatpersonen als Eigentümer vermerkt – diese hatten zumeist aber Treuhandverträge hinterlegt, die der KPÖ die eigentlichen Eigentumsrechte sicherten. Als Gründer traten insbesondere Mitglieder der KPÖ auf, die die NS-Ära in der Westemigration überlebt hatten. Als zentrale Persönlichkeit tat sich in den ersten Jahren Stefan Kaufmann hervor. Er wirkte 1947

37 In Österreich als Unbedenklichkeitsbescheinigung (UB) bzw. Internationale Einfuhrbescheinigung bezeichnet. 38 Stankovsky : Österreich und das COCOM, S. 149. 39 Bis heute beruht der Kenntnisstand über die KPÖ-Firmengeflechte sehr wesentlich auf den journalistischen Arbeiten, die Peter Muzik (tw. zusammen mit Michael Schano) in den 1980er-Jahren im Trend veröffentlicht hat. Vgl. z.B. Muzik, Peter/Schano, Michael : Das Wirtschaftsimperium der KPÖ. Die linken Kapitalisten, in : Trend 3/1981, S. 66–90 ; Muzik, Peter : Osthandel. Die Strohmänner der KPÖ, in : Trend 5/1987, S. 302–310. Als neuere Studien siehe etwa Seliger : KPÖ-Firmen ; Enderle-Burcel, Gertrude : Austrian business interests in socialist neighbouring countries : cloaked companies – CPA-related firms’ Eastern trade, in : Enderle-Burcel, Gertrude/Franaszek, Piotr/Stiefel, Dieter/Teichova, Alice (Hg.) : Gaps in the Iron Curtain. Economic relations between neutral and socialist countries in Cold War Europa, Kraków 2009, S. 125–141, hier S. 128–131.

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an der Gründung der Polcarbon Österreichisch-polnische Kohlenhandelsgesellschaft KG mit, an der neben dem polnischen Staat auch österreichische, nicht der KPÖ verbundene Gesellschafter beteiligt waren. Im gleichen Jahr trat er in die von drei KPÖ-Mitgliedern gegründete Speditionsfirma Express ein, die sich auf OstWest-Transporte spezialisierte. Kaufmann soll auch die Länderbank zur Gründung einer Osthandelsabteilung angeregt haben. Da das Geldinstitut an der Abwicklung des Marshallplans beteiligt war, gab es diese Aktivitäten auf und sie wurden von der KPÖ-Firma Polcommerce Warenhandelsgesellschaft Eduard Gold & Co. weitergeführt. Ebenfalls auf Initiativen von Kaufmann gingen die Firma Wagner & Co.40, die sich auf den Handel mit der Sowjetischen Besatzungszone SBZ/DDR spezialisierte, und die 1949 errichtete Intrac Ges. für internationalen Warenaustausch und Großhandel Ges.m.b.H, die mit Ungarn und Südosteuropa Handel betrieb, zurück. 1951 entstand u. a. auch noch die KohlengroßhandelsgmbH »Am roten Turm«. Der erfolgreiche Osthändler Kaufmann wurde der KPÖ nunmehr jedoch zu mächtig, und man zog ihn aus den leitenden Kommerzfunktionen ab. Bis 1955 sollen etwa »zwei Dutzend«41 KPÖ-Osthandelsfirmen aufgekommen sein, die Geschäfte auf eigene Rechnung und/oder auf Provisionsbasis durchführten. An der Spitze des KPÖ-Wirtschaftsimperiums stand von 1949 bis 1975 Jenö Desser. Dieser entrierte im Jahr 1951 auch gemeinsam mit der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) die Gründung der Handelsfirma Novum.42 Unter den widersprüchlichen Rahmenbedingungen von Westorientierung, amerikanischen Boykottmaßnahmen und Sowjetisierung der Oststaaten einerseits sowie Etablierung von Handelsvertragsbeziehungen und Errichtung von spezialisierten Osthandelsfirmen andererseits hat sich der österreichische Handel mit den sechs kleinen RGW-Staaten bis 1955 wie folgt entwickelt :

40 Bei Wagner & Co. nahm Kurt Menasse, der zuvor bei der Länderbank gearbeitet hatte, als KPÖ-Treuhänder eine führende Funktion ein. Stolzlechner, Robert : Österreichs Wirtschaftsbeziehungen mit der DDR und die Bedeutung der KPÖ-Firmen, in : Enderle-Burcel, Gertrude/Stiefel, Dieter/Teichova, Alice (Hg.) : »Zarte Bande«. Österreich und die europäischen planwirtschaftlichen Länder (Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs, Sonderband 9), Innsbruck/Wien 2006, S. 153–163, hier S. 157 f. 41 Muzik/Schano : Das Wirtschaftsimperium der KPÖ, S. 70. 42 Stolzlechner : Österreichs Wirtschaftsbeziehungen zur DDR, S. 158.

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591,1

102,2

1950

993,9

68,1

1951

1 265,8

27,4

1952

1 361,9

1953 1954 1955

22,7

–348,8

–123,4

564,0

109,0

2 208,8

85,4

25,5

–225,1

–271,7

3 229,1

62,8

18,3

939,4

66,6

6 366,8

188,2

14,8

–3 137,7

–348,3

6 510,5

101,6

15,3

1 151,4

22,6

9 207,9

44,6

12,5

–2 697,4

–157,5

9 634,7

48,0

13,1

1 539,1

33,7

14 027,1

52,3

11,0

–4 392,4

–273,3

7,6

10 796,5

12,1

12,6

1 569,1

1,9

13 958,8

–0,5

11,2

–3 162,3

–207,2

1 381,7

1,5

13 187,0

22,1

10,5

1 436,9

–8,4

13 269,0

–4,9

10,8

–82,0

–55,2

1 456,4

5,4

15 851,0

20,2

9,2

1 511,9

5,2

16 987,0

28,0

8,9

–1 136,0

–55,5

1 658,9

13,9

18 169,0

14,6

9,1

2 060,6

36,3

23 068,0

35,8

8,9

–4 899,0

–401,7

Importe aus RGW6 in Mio. S 269,9

14,7

842,4

% RGW6 an öst. Exporten 17,4

135,5

Exporte nach RGW6 in Mio. S

Saldo mit RGW6 in Mio. $.

1949

Österr. Außenhandelssaldo in Mio.S

1 983,7

% RGW6 an öst. Importen

99,5

Wachstum geg. Vorjahr in %

292,3

Importe Österr. gesamt in Mio..S

146,5

1948

Wachstum geg. Vorjahr in %

Österr. Exporte gesamt in Mio. S

1947

Jahr

Wachstum geg. Vorjahr in %

Wachstum geg. Vorjahr in %

Der Außenhandel Österreichs mit den RGW6-Staaten 1947–1955

1 191,2

Quelle : eigene Berechnungen nach Butschek : Statistische Reihen, Tabelle 15.3 und 15.4.

Die weltpolitischen Konstellationen und die österreichische Wirtschaftsentwicklung haben im österreichischen Außenhandel mit Mittel- und Südosteuropa von 1947 bis 1955 deutlich ihre Spuren hinterlassen. Entfielen 1948 noch rund 15 Prozent der Exporte und ein Viertel der Importe auf den Handel mit den späteren RGW-Kleinstaaten, gingen diese Anteile mit dem Einsetzen der Marshallplanlieferungen und der Sowjetisierung Ostmitteleuropas deutlich zurück. Im Jahr 1955 lagen sie nur noch bei etwa 9 Prozent. Der Nominalwert der gesamten österreichischen Einfuhren erhöhte sich von 1947 bis 1955 um das 19,4-Fache, jener der Ausfuhren um das 21,6-Fache. Der Wert in Schilling der Einfuhren aus den RGW6-Ländern wuchs im gleichen Zeitraum nur um den Faktor 7,6 ; jener der Ausfuhren dorthin um das 11,3-Fache. Als das österreichische Wirtschaftswachstum nach dem Ende der Marshallplanhilfe 1952/53 vorübergehend stockte, nahmen die RGW6-Importe stärker ab als die Einfuhren insgesamt. Während die österreichischen Gesamtimporte im Jahr 1953 nominell 95 Prozent des Wertes von 1951 ausmachten, gingen die Importe aus den sechs kleinen RGW-Staaten auf 93 Prozent zurück. In der nächsten Konjunkturphase ab 1954 gewannen sowohl die Gesamtimporte als auch die RGW-Importe wieder an Wachstumsdynamik, womit auch die österreichischen Handelsbilanzdefizite wieder zunahmen.

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Der Handel mit der Sowjetunion ist aus den bereits erwähnten Gründen in der österreichischen Statistik bis 1955 kaum erfasst. Die Warenströme waren aber zweifellos nicht unerheblich. Es wurde zum Beispiel geschätzt, dass allein 1954 vom USIAKonzern Warenlieferungen im Wert von 2,7 Milliarden Schilling in die UdSSR und andere RGW-Staaten gingen (vor allem Fertigwaren und Erdöl). Das waren rund 7 Prozent aller von der österreichischen Statistik erfassten Exporte bzw. das 1,8-fache der offiziellen Ausfuhren in die RGW-Länder.43 Dass sich Österreich auch noch die 1950er-Jahre hindurch mit den Oststaaten eine negative Handelsbilanz »leistete«, zeigt, dass diese Volkswirtschaften damals für Österreich durchaus essenzielle Waren anzubieten hatten. Wie sich die Warenströme zusammensetzten, sei am Beispiel des Jahres 1951 dargestellt. Zusammensetzung des österreichischen Warenhandels mit den RGW6-Staaten im Jahr 1951 in 1.000 Schilling

782.7

50

900.000 800.000 700.000

401.6

39

497.2 25

Importe

Ernährung, Tiere Min. Brennstoffe, Energie Halb- u. Fertigwaren

96

26.0 10

146.9 106

93

100

17 14.2

7

0

66.4 9

75

7

46.6

28.5 1

12.5 31

100.000

83.4

70

200.000

108.0

64

183.9

62

300.000

9.70 0

400.000

396.4

500.000

24

600.000

Exporte

Getränke, Tabak Tier. u. pflanzl. Öle u. Fette Maschinen u. Verkehrsmittel

Rohstoffe Chemische Erzeugnisse Sonstige Fertigwaren

Quelle : berechnet mittels Daten aus Österreichisches Statistisches Zentralamt (Hg.) : Statistik des Außenhandels Österreichs 1951, Wien 1952, Tab. 3 und 4.

43 Levcik, Friedrich/Stankovsky, Jan Jan:: A profile of Austria’s East-West trade in the 1970s and 1980s. Study prepared for the Economic and Social Council, United Nations, Wien 1985, S. 5 ; Gross, Herbert : Wirtschaftliche Perspektiven des Donauraumes, in : Der Donauraum 1 (1956), S. 29–38, hier S. 32 f.

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Die Struktur der Einfuhren aus den sechs kleineren RGW-Staaten im Jahr 1951 lässt noch deutlich die große Abhängigkeit Österreichs von Nahrungsmittel- und Kohlenimporten aus Mittel- und Osteuropa erkennen. Auf die beiden Warenkategorien entfielen 1951 wertmäßig mehr als drei Viertel der Importe. Unter den RGW6Gesamteinfuhren im Wert von 1,54 Milliarden Schilling befanden sich mineralische Brennstoffe aus Polen um 461 Millionen Schilling und aus der Tschechoslowakei um 228 Millionen Schilling. Lebensmittel kaufte die Alpenrepublik in Ungarn um 282, in der Tschechoslowakei um 114 und in Polen um 57 Millionen Schilling. Von den Exporterlösen im Gesamtausmaß von 1,27 Milliarden Schilling erzielte man mehr als 70 Prozent mit Halb- und Fertigwaren sowie Maschinen und Verkehrsmitteln. Zum Beispiel gingen Maschinen um 140 und Metallwaren um 109 Millionen Schilling in die Tschechoslowakei, Maschinen und Verkehrsmittel im Gesamtwert von 157 und unedle Metalle um 71 Millionen Schilling nach Polen sowie Halb- und Fertigwaren um 60 Millionen Schilling nach Ungarn.44 Den größten Anteil an den Importen aus Mittel- und Osteuropa hatte bis 1949 die ČSR, ab 1950 dann Polen. Die Rangliste der Exportmärkte in der Region führte die ČSR bis 1952 an, ehe ab 1953 Polen auch die meisten Ausfuhren aufnahm.45

1955–1975 : Handelsbeziehungen unter den Rahmenbedingungen von »oszillierendem Antagonismus« zwischen den Blöcken und Détente Die internationale Lage von 1955 bis 1975 Nachdem im Jahr 1953 Stalin verstarb und im Koreakrieg ein Waffenstillstand abgeschlossen wurde, setzte in den Ost-West-Beziehungen eine etwa zehnjährige Periode widersprüchlicher Entwicklungen zwischen Entspannung und Konflikt ein, die um die Mitte der 1960er-Jahre in die Phase nachhaltigerer Entspannung überging.46 Angesichts der Tatsache, dass die UdSSR im Wettrüsten mit den USA in den 1950er- und frühen 1960er-Jahren mit der Wasserstoffbombe, Interkontinentalflugzeugen und -raketen einigermaßen gleichgezogen hatte, war die Situation der gegenseitig gesicherten völligen Vernichtung (Mutually Assured Destruction/MAD) gegeben, die in der Folge zu einem »Frieden durch Angst« führte. Nach der Kubakrise wurde der »heiße Draht« zwischen den Supermächten eingerichtet, nicht zuletzt, um bei eventuellen Fehlern der automatisierten Nuklearbewaffnung einen irrtüm44 Vgl. Statistik des Außenhandels Österreichs 1951, Tab. 3 und 4. 45 Vgl. Butschek : Statistische Reihen, Tab. 15.3 und 15.4. 46 Dazu und zum Folgenden vgl. die in Fn 7 und 8 angeführte Literatur.

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lich ausgelösten dritten Weltkrieg gegebenenfalls in letzter Sekunde noch aufhalten zu können. Das 1963 vereinbarte nukleare Testverbot kann als Übergang zur tatsächlichen Entspannungspolitik zwischen Ost und West angesehen werden, die bis in die späten 1970er-Jahre andauerte. Parallel zu den genannten Entspannungsentwicklungen setzte die Bundesrepublik Deutschland ab 1969 – oft wenig abgestimmt mit den westlichen Bündnispartnern – auf eine »neue Ostpolitik«, die insbesondere eine Haltungsänderung zur DDR brachte. Bis 1973 erfolgte der Abschluss der vier »Ostverträge«.47 Nach 1953 setzten auch innerhalb der sowjetischen Hemisphäre weit reichende Restrukturierungs- und Reformprozesse ein. 1955 entstand als Gegenstück zur westlichen NATO der Warschauer Pakt. Ab Mitte der 1950er-Jahre wurde auch der Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe allmählich mit mehr Leben erfüllt. Unter KPdSU-Generalsekretär Nikita S. Chruschtschow kam es zu ersten Ansätzen einer tatsächlichen arbeitsteiligen Zusammenarbeit der sozialistischen Staaten im Rahmen des RGW. Erst 1959, zehn Jahre nach der Gründung, wurden Satzungen des RGW verabschiedet, die Ziele, Funktionen, Prinzipien und Vollmachten der Organisation definierten. Am 17. Juni 1962 beschlossen die Mitgliedstaaten »Grundprinzipien der internationalen sozialistischen Arbeitsteilung«. Die neuen Ansätze sollten einer gewissen Koordinierung der Wirtschaftspläne und abgestimmten Arbeitsteilung innerhalb des RGW dienen. Insbesondere die DDR, Ungarn, Polen und die Tschechoslowakei setzten von da an verstärkt auf einen reformerischen Kurs, der auch eine Ausweitung des Westhandels vorsah.48 Einen schweren Rückschlag für alle Reformer bedeutete zweifellos die Niederwerfung des »Prager Frühlings« mit Waffengewalt im August 1968. Danach wurde im Jahr 1971 das wichtigste RGW-Dokument der Breshnew-Ära verabschiedet, das »Komplexprogramm für weitere Vertiefung und Vervollkommnung der sozialistischen ökonomischen Integration der Mitgliedsländer des RGW«. Insgesamt sollten diese Entwicklungen den einzelnen RGW-Staaten bis zu einem gewissen Grad »mehrere Wege zum Sozialismus« ermöglichen ; die zentrale staatliche Wirtschaftsplanung und das staatliche Außenhandelsmonopol blieben jedoch bestehen. Mit den Reformansätzen erlangte der Außenhandel mit dem Westen wieder größere Bedeutung. Man hoffte auf diese Weise Technologie zu erwerben, um die wirtschaftliche Produktivität zu steigern und die Versorgungslage zu verbessern.49 47 Gewaltverzichtsvertrag mit der UdSSR (1970), Grundlagenvertrag mit Polen (1972), Grundlagenvertrag mit der DDR (1972), Vertrag über die Beziehungen mit der Tschechoslowakei (1973). Vgl. etwa Stöver: Stöver : Der Kalte Krieg, S. 388–395. 48 Vgl. Landau, Zbigniew/Tomaszewski, Jerzy: Jerzy : The Polish economy in the twentieth century, London/Sydney 1985 ; Szlaifer, Henryk : Promise, Failure and Prospects of Economic Nationalism in Poland. The Communist Experiment in Retrospect, in : Teichova, Alice (Hg.) : Central Europe in the Twentieth Century. An economic history perspective, Aldershot 1997, S. 43–59, hier S. 51. 49 Vgl. Zwass : Der Rat für Gegenseitige Wirtschaftshilfe, S. 20–109.

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Aufseiten der USA nahmen mit dem Ende des Marshallplans die Möglichkeiten zur direkten Einflussnahme auf den Osthandel ihnen nahe stehender Staaten ab. Überdies zeigten das Gleichziehen der UdSSR in der Nuklearrüstung und andere technologische Erfolge (z.B. in der Raketen- und Satellitentechnik), dass die Embargomaßnahmen den technischen Fortschritt im Osten nicht unterbinden, allenfalls verzögern und verteuern konnten. Ab 1954 wurden die Embargolisten sukzessive zusammengestrichen, vor allem auf Initiative der westeuropäischen COCOM-Staaten sowie auch der Europäischen Wirtschaftskommission der Vereinten Nationen (ECE), die stets als Plattform für ein Minimum an Kontakten fungiert hatte.50 Österreich und seine Wirtschaftsbeziehungen mit den Oststaaten 1955–1975 Die 1960er-Jahre führten nach der Wiederaufbauära in den meisten hoch industrialisierten westlichen Volkswirtschaften zur Konsumgesellschaft. Diese Entwicklung war von stabilem hohem Wirtschaftswachstum, noch stärkerem Wachstum des Außenhandels und weitgehender Vollbeschäftigung gekennzeichnet. Einen ersten schweren Rückschlag brachten der Zusammenbruch des Weltwährungssystems von Bretton Woods und der erste Erdölschock in den frühen 1970er-Jahren. Parallel zur sukzessiven Liberalisierung der Wirtschaftsbeziehungen mit dem Westen entwickelte die neutrale Republik Österreich ab 1955 auch die handelsvertraglichen Beziehungen mit den Oststaaten weiter. Die Rücksichtnahme auf USamerikanische Exportkontrollwünsche blieb währenddessen weiterhin im Sinne der 1954 gefundenen informellen Regelung der Ausstellung von Unbedenklichkeitsbescheinigungen (UB) bzw. Internationalen Einfuhrbescheinigungen für österreichische Importeure und der stillschweigenden, informellen Berücksichtigung amerikanischer Embargowünsche bei der Gestaltung der österreichischen Kontingentlisten aufrecht.51 Grundlegende Voraussetzungen für den weiteren österreichischen Osthandel wurden 1955 mit den Ablösebestimmungen für das von der Sowjetunion in Österreich beanspruchte deutsche Eigentum, einem Handels- und Schifffahrtsvertrag sowie dazu gehörigen Warenaustausch- und Zahlungsabkommen mit der UdSSR geschaffen. Wegen der großen Bedeutung dieser Regelungen für die weitere Entwicklung sei auf ihr Zustandekommen ausführlicher eingegangen. Die Mitte April 1955 ausgehandelten Ablösebestimmungen für die USIA-Betriebe, Erdölbetriebe und DDSG (Moskauer Memorandum), die auch den baldigen Abschluss eines Handels- und Schifffahrtsabkommens vorsahen, wurden dem Staatsvertrag als 50 Jacobsen, Hanns-Dieter : Die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen West und Ost, Reinbek bei Hamburg 1975, S. 16–19 ; Adler-Karlsson : Der Fehlschlag. 51 Vgl. Stankovsky : Österreich und das COCOM, S. 149 f.

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Annex angefügt. Sie sahen Ablöselieferungen für die Übertragung der USIA-Betriebe in österreichisches Eigentum in einem Ausmaß von 150 Millionen Dollar, verteilt auf sechs Jahre, die Lieferung von 10 Millionen t Erdöl im Laufe von zehn Jahren als Ablöse für die sowjetisch verwaltete Erdölwirtschaft (SMV) (später auf 6 Mio. t ermäßigt) und die Zahlung von 2 Millionen Dollar für die DDSG vor.52 Die Einigung auf ein neutrales, ungeteiltes Österreich wurde zum Ärger der Westmächte und der deutschen Adenauer-Regierung von den Sowjets zweifellos auch betrieben, um als Störsignal gegen die Integration der Bundesrepublik Deutschland in die westlichen Bündnisse zu wirken. Den Zorn im nordwestlichen Nachbarstaat erregte auch die Tatsache, dass die Republik Österreich durch die Verstaatlichung ab 1946 und das Moskauer Memorandum günstig umfangreiches, ehemals deutsches Konzerneigentum erwerben konnte und nunmehr im Staatsvertrag Regelungen vorgesehen waren (Artikel 22), die eine Rückerstattung an frühere deutsche Eigentümer weitgehend untersagten.53 Die österreichische Diplomatie war danach bestrebt, angesichts der Verstimmungen wenigstens bei der praktischen Umsetzung des Moskauer Memorandums weitestgehend auf westliche Empfindlichkeiten Rücksicht zu nehmen, das heißt die westlichen Embargobestrebungen möglichst konsequent zu beachten. So sprach auf Weisung des Bundeskanzleramtes der österreichische Diplomat E. C. Tomicich am 5. Mai 1955 in Paris bei den USRO (US Regional Organizations) wegen möglicher Probleme im Zusammenhang mit den Ablöselieferungen an die UdSSR und Bestimmungen des US-Embargos vor. Womöglich hat man damit aber sogar unnötigerweise »schlafende Hunde« geweckt, denn es stellte sich laut Tomicichs Bericht »im Laufe der Besprechungen heraus, dass die USRO weder Kenntnis von den in der Presse bekannt gewordenen Einzelheiten der von der österreichischen Delegation in Moskau eingegangenen wirtschaftlichen Verpflichtungen hatte und dass sich die USRO bisher keinerlei Gedanken über die von mir aufgeworfenen Fragen gemacht 52 Rauchensteiner : Der Sonderfall, S. 330 ; Seidel : Österreichs Wirtschaft, S. 463. 53 Vgl. Gehler, Michael : Österreichs Außenpolitik der Zweiten Republik. Von der alliierten Besatzung bis zum Europa des 21. Jahrhunderts, Innsbruck/Wien/Bozen 2005, Bd. 1, S. 98–140 ; Steininger, Rolf : Der Staatsvertrag. Österreich im Schatten von deutscher Frage und Kaltem Krieg 1938–1955, Innsbruck/ Wien/Bozen 2005, S. 127–150 ; Nautz, Jürgen : Wirtschaft und Politik. Die Bundesrepublik Deutschland, Österreich und die Westintegration 1945–1961, in : Gehler, Michael/Steininger Rolf, Österreich und die europäische Integration 1945–1953. Aspekte einer wechselvollen Entwicklung, Wien/Köln/Weimar 1993, S. 149–177, hier S. 153–161. Aus österreichischer Perspektive wurden als Faktor, der ausschlaggebend für den erfolgreichen Abschluss des Staatsvertrags war, gerne mehr die beherzten eigenen diplomatischen Leistungen denn aktuelle sowjetische Interessenlagen in den Vordergrund gerückt. Vgl. Stourzh, Gerald : Um Einheit und Freiheit. Staatsvertrag, Neutralität und das Ende der Ost-West-Besetzung Österreichs 1945–1955, 4. völlig überarbeitete und wesentlich erweiterte Aufl. (Studien zu Politik und Verwaltung 62), Wien/Köln/Graz 1998. Zweifellos hat es beider Elemente bedurft, um den Staatsvertrag möglich zu machen.

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hat«. Weiters teilte er mit, dass nach österreichischer Auffassung Ablöselieferungen von Embargomaterial, sofern sie die bisher von USIA-Betrieben gelieferten Mengen nicht überstiegen, »keinen Grund für Beanstandungen seitens der US-Behörden in Österreich bilden dürften«. Seine Gesprächspartner erklärten sich »rein persönlich« mit den Ausführungen einverstanden und meinten, dass »der gesamte Fragenkomplex der Lieferungen von Embargomaterial im Rahmen von Ablöselieferungen von den österreichischen zuständigen Stellen mit der US-Botschaft in Wien initiativ behandelt werden sollte, soweit eventuell Art und Menge solcher Lieferungen mit der Zeit bekannt werden sollten«.54 Die Embargooolitik fand dann sowohl bei der Konkretisierung der Ablöselieferungen als auch bei den österreichischen Kontingentlisten im Zusammenhang mit dem neuen Handelsvertrag entsprechende Berücksichtigung. Die Nachverhandlungen über die konkreten Lieferlisten zur Erfüllung des Moskauer Memorandums zogen sich nach der Unterzeichnung des Staatsvertrags noch rund zwei Monate hin. Ab 1. Juli 1955 besprachen in Moskau eine österreichische und eine sowjetische Regierungsdelegation die letzten Details.55 Für das erste Jahr der USIA-Ablöselieferungen sah eine von den Sowjets vorgelegte Liste Erdöllieferungen im Ausmaß von 300 000 t und 2 000 t Walzkupfer vor sowie je 5 000 t Stahlblech und verzinkte Bleche, je 2 000 t Nitrolack, Kunstseidengarne und Walzwerkseinrichtungen, 1 000 t Panzerkabel, chemische Apparate, Kompressoren, Einrichtungen für die Papier- und Holzindustrie und Messapparate um zusammen 5,9 Millionen Dollar. Österreich trachtete in den Nachverhandlungen drei Ziele zu erreichen : Erstens eine Umschichtung von Erdöl und Waren, für die in Österreich nur knappe Produktionskapazitäten bestanden, auf Güter mit höherer österreichischer Wertschöpfung, wobei insbesondere Waren aus bisherigen USIA-Betrieben herangezogen werden sollten, um deren betriebliche Kontinuität zu gewährleisten. Zweitens keine Embargowaren zu liefern, jedenfalls nicht mehr, als zuvor aus den USIA-Betrieben in die UdSSR gegangen waren.56 54 Sämtliche in den folgenden Ausführungen zitierten Dokumente zu den Ablöselieferungen sowie zum Handels- und Schifffahrtsvertrag, Warenlieferungsabkommen und Zahlungsabkommen mit der UdSSR im Jahr 1955 stammen, sofern kein anderer Fundort angegeben ist, aus : Österreichisches Staatsarchiv (ÖSTA), Archiv der Republik (AdR), Handelsministerium 1955 IV, Karton Nr 3294, Geschäftszahl 409, Grundzahl 203.259/55 ; hier im Einzelnen : Zl. 209.916, E. C. Tomicich, Bericht, Gegenstand : Lieferung von Embargo-Waren im Rahmen der österreichischen Ablöselieferungen an die UdSSR, Paris, am 5. Mai 1955. 55 Zl. 214.096-IV/28, 55, Verhandlungen zwischen einer österreichischen und einer sowjetischen Regierungsdelegation in Moskau, Information für den Herrn Bundesminister von MOK Fälbl und Min.Rat R.H. Kloss. 56 Vgl. Zl. 210.580, Information für den Herrn Bundesminister, 23. Mai 1955.

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Drittens wollte man keinesfalls dem von Seiten der UdSSR vertretenen Ansinnen nachgeben, dass die sowjetischen Empfänger der Ware deren Produktionsprozess in Österreich kontrollieren durften.57 Insbesondere die Vereinigung Österreichischer Industrieller warnte in einer Intervention beim Handelsminister, dass dieser Wunsch offenbar vor allem der Ausspähung von Betriebsgeheimnissen dienen sollte.58 Die Verhandlungen wurden schließlich zu einem vollen Erfolg für die österreichischen Diplomaten ; das deutsche Eigentum konnte zu günstigen Konditionen übernommen werden. Am 9. Juli 1955 informierte man das österreichische Handelsministerium aus Moskau, dass die UdSSR zugestanden hatte, jede Lieferung gegebenenfalls in Dollar ablösen zu können. Das bedeutete, dass man die Überlassung von Embargoware vermeiden konnte. Überdies wurde die vorgesehene Menge an Walzkupfer von 2 000 auf 1 000 t reduziert, obwohl während der Besatzungszeit von USIA-Betrieben angeblich jährlich 2 500 t geliefert worden waren. Auch die Erdöllieferungen wurden im USIA-Abkommen zugunsten von Ersatzwaren von 300 000 auf 200 000 t zurückgenommen.59 Zufrieden hielt man im Handelsministerium in einer internen Information für den Handelsminister und den Ministerrat fest : »Es gelang die ›Dollarklausel‹ durchzusetzen, d. h. sich das Recht vorzubehalten, unter Umständen statt Waren zu liefern auch Dollar zu zahlen. Im Vergleich mit Finnland enthält die Warenliste einen hohen Anteil an Fertigwaren und keine der darin angeführten Positionen macht es nötig, dass österreichischerseits neue Industrien errichtet werden. Ebenso kann keine der Lieferungen als Last bezeichnet werden. Insbesondere sei hier festgehalten, dass eine Reihe von USIA-Betrieben weiterhin Liefermöglichkeiten gefunden hat und dass es sogar gelang, Schuhe und Kunstseidengewebe in die Liste aufzunehmen, was in keinem der normalen Handelsverträge mit den Oststaaten aufscheint. … Zusammenfassend wäre festzustellen, dass das Ergebnis der sehr schwierigen Verhandlungen als durchaus befriedigend bezeichnet werden kann. Das Erreichte stellt im Vergleich zu den übrigen Verträgen der Sowjetunion ein unerwartetes Maximum dar.«60 Der österreichische Gesandte Dr. 57 Bei den Nachverhandlungen zur Konkretisierung der Ablöselieferungen stellte sich heraus, dass in der deutschsprachigen Version des Moskauer Memorandums unter Punkt 4 nur die Rede davon war, dass den Sowjets bei der Übernahme der Waren die Möglichkeit eingeräumt würde, Prüfungen durchzuführen, während im russischen Text dagegen die Inspizierung während der Produktion und Prüfung vorgesehen war. Zl. 386.237-Wpol/55, Wirtschaftsverhandlungen in Moskau, An das Bundesministerium für Handel und Wiederaufbau z.H. v. Hr. Min.Rat Dipl.Ing. Kloss, Wien, am 21. Juni 1955. 58 Zl. 218.080/IV/28, 55, Intervention der Vereinigung Österreichischer Industrieller vom 16. Mai 1955. 59 Zl. 213.234/IV/28/55, Bundeskanzleramt Auswärtige Angelegenheiten an das Bundesministerium für Handel und Wiederaufbau, z.H. von Herrn Sektionschef Dr. Augenthaler, Wirtschaftsverhandlungen in Moskau, gezeichnet Kudernatsch, 7. Juli 1955. 60 Zl. 214.096/IV/28, 55, MOK Fälbl, Min.Rat Kloss, Information für den Herrn Bundesminister

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Platzer wurde daher ermächtigt, das USIA-Abkommen und das Erdölabkommen am 11. Juli 1955 in Moskau zu unterzeichnen.61 Parallel zu den Detailverhandlungen über die Ablöselieferungen wurde bereits, wie im Moskauer Memorandum vorgesehen, über einen Handels- und Schifffahrtsvertrag, ein Abkommen über Warenaustausch und ein Abkommen über den Zahlungsverkehr zwischen der Republik Österreich und der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken verhandelt. Bei der Formulierung des Handelsvertrages stellte anfänglich von österreichischer Seite die Gewährung der Meistbegünstigung ein Problem dar. »Unter besonderer Bedachtnahme auf die GATT62-Vereinbarungen hat es Österreich« bis dahin »vermieden, anderen Staaten die unbedingte Meistbegünstigung zu gewähren«. Multilaterale Abkommen waren in allen typischen Abkommen ausgenommen. Die UdSSR hatte jedoch gemäß Artikel 29 des Staatsvertrags ein Recht auf die unbedingte Meistbegünstigung. Die österreichische Diplomatie war sich einerseits bewusst, dass »russischerseits die unbedingte Meistbegünstigung aus prinzipiellen Gründen verlangt wird«63 und befürchtete somit eine »außerordentliche Verstimmung des russischen Verhandlungspartners«, falls man das GATT von der Meistbegünstigung ausnehmen wollte, andererseits sah man aber in der »Gewährung der bedingungslosen Meistbegünstigung ein gefährliches Präjudiz – insbesondere für die anderen Oststaaten«.64 Ab 23. August 1955 fanden dann in Wien Besprechungen mit einer sowjetischen Delegation auf Expertenebene statt, die am 20. September erfolgreich beendet werden konnten. »Es gelang zwar nicht, die GATT-Bestimmungen formell aus der Meistbegünstigung auszuschließen, es konnte jedoch in den Formulierungen der einzelnen Artikel des Vertrages eine Reihe von Einschränkungen der unbedingten Meistbegünstigung eingebaut werden. Insbesondere gelang es, die Anwendung der Meistbegünstigung bei der Aus- und Einfuhr auf Waren sowjetischen Ursprungs und auf ›Verzollung und Besteuerung‹ einzuschränken.«65 Zum allgemeinen Handelsvertrag gehörte auch ein Dokument, das der sowjetischen Handelsvertretung in Österreich eine Sonderstellung einräumte. Diese wurde zugleich als Geschäftsniederlassung, Handelsagentur und diplomatische Mission eingerichtet. Die Geschäftsräume genossen dadurch Exterritorialitätsrechte und die Chefs der Handelsvertretung weit reichende Immunität.66 61 Zl. 213.234/IV/28, 55, Wirtschaftsverhandlungen mit Moskau, gezeichnet Kudernatsch m. p., 7. Juli 1955. 62 Allgemeines Zoll- und Handelsabkommen (engl. General Agreement on Tariffs and Trade ; GATT) 63 210.580, Fälbl, Kloss, Information für den Herrn Bundesminister, 23. Mai 1955. 64 Zl. 210.580, Dr. Fälbl, Min.Rat Kloss, Information für den Herrn Bundesminister, 23. Mai 1955. 65 Zl. 216.928, MOK Dr. Fälbl, Min.Rat Kloss, Information für den Herrn Bundesminister, 16. September 1955. 66 Seitz : Österreichs Außenhandel, S. 104.

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Das gleichzeitig verhandelte Abkommen über den Warenaustausch zwischen der Republik Österreich und der UdSSR enthielt eine Liste A, in der die Waren aufgezählt waren, die aus der UdSSR nach Österreich geliefert werden konnten, und eine Liste B, in der Waren genannt wurden, deren Lieferung aus Österreich gemäß den Vertragsbestimmungen möglich war. Für die Erstellung dieser Liste hatte das Handelsministerium Vorschläge vonseiten der Industrie- und Gewerbesektion der Bundeskammer für die gewerbliche Wirtschaft eingeholt.67 Für den Export aus Österreich sah man während des ersten Geltungsjahres des Handelsvertrages zum Beispiel zwei Dieselzugschiffe (1300–1500 PS), zwölf Wasserturbinen, mehrere Generatoren, 45 Diesellokomotiven, diverse industrielle Einrichtungen, 1 500 t Stahlseile, 300 000 m dünnwandige Stahlrohre sowie Schiffsreparaturen um eine Million Dollar vor. Auf der Exportliste der UdSSR fanden sich u. a. je 50 000 t Weizen und Mais, 150 000 t mineralische Brennstoffe, 200 t Kolophonium, je 500 t Harnstoff und Paraffin, 5 000 t Schwefel, 20 t getrocknete Herrenpilze sowie auch div. maschinelle Einrichtungen um 2,5 Millionen Dollar und Kraftfahrzeuge um 1,25 Millionen Dollar.68 Im Zahlungsabkommen vereinbarte man, bei der Oesterreichischen Nationalbank und der Staatsbank der UdSSR jeweils ein in Verrechnungs-Dollar geführtes Konto einzurichten. Ein Passivsaldo bis zu fünf Millionen Verrechnungs-Dollar war vorgesehen. Sollte dieser Swingkredit länger als drei Monate überschritten werden, so war die Schuldnerbank verpflichtet, den Überschreitungsbetrag in harter Währung zu bezahlen.69 Die Abkommen über den Warenaustausch und Zahlungsverkehr wurden am 17. Oktober 1955 in Wien unterzeichnet. Der Vertrag über Handel und Schifffahrt wurde in beiden Staaten der parlamentarischen Behandlung unterzogen und trat nach Austausch der Ratifikationsurkunden in Kraft.70 Der Handelsvertrag und das Zahlungsabkommen waren auf fünf Jahre abgeschlossen, die kontingentierte Warenliste vorerst auf ein Jahr, später für drei und schließlich fünf Jahre. Die neuen Verträge mit der Sowjetunion leiteten generell das Ende der Ära einjähriger Handelsabkommen mit den RGW-Staaten ein und hatten somit Modellcharakter für die Neuformulierung der Handelsabkommen mit den anderen RGW-Staaten in den folgenden Jahren.71 67 Zl. 209.895/IV ; Zl. 210.664/IV. 68 In Faszikel Zl. 218.398, Liste A der Waren, die aus der UdSSR nach Österreich während eines zwölfmonatigen Zeitraumes geliefert werden ; Liste B der Waren, die aus Österreich nach der UdSSR während eines zwölfmonatigen Zeitraumes geliefert werden. 69 Zl. 203.259, 55 in Faszikel Zl. 218.398, Abkommen über den Zahlungsverkehr zwischen der Republik Österreich und der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken. 70 Bundeskanzleramt, Auswärtige Angelegenheiten, Zl. 417.199-Wipol/55, in AdR, Handelsministerium 1955 IV, Karton 3294, Geschäftszeichen 409, Grundzahl 203.259/55. 71 Seitz : Österreichs Außenhandel, S. 104.

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Im Jahr 1959 traten erste langfristige Handelsverträge zwischen den kleinen RGW-Staaten und Österreich in Kraft, vorerst auf drei Jahre befristete. Der österreichisch-tschechoslowakische Vertrag galt von 1. Jänner 1959 bis 31. Dezember 1961, der Vertrag mit Polen vom 1. August 1959 bis 31. Juli 1962 und jener mit Ungarn von 1. Oktober 1959 bis 30. September 1962. Die Abkommen waren nunmehr so konstruiert, dass man die Kontingentlisten in zwei Gruppen aufteilte : in Waren, deren Lieferung für die dreijährige Periode vereinbart wurde und solche, die weiterhin jährlich verhandelbar waren – allerdings mit automatischer Verlängerung, wenn keine Kündigung erfolgte. Für Ungarn stellte das neue Vertragswerk überhaupt das erste derartige Abkommen mit einem westlichen Staat dar.72 Anschließend an die dreijährigen Abkommen wurden die Verträge 1962/63 auf fünfjährige Laufzeit umgestellt.73 Bei der Erstellung der Warenlisten wurden unverändert die üblichen Prozeduren eingehalten. An das österreichische Handelsministerium ergingen Interventionen und Vorschläge vonseiten diverser Interessenvertretungsorganisationen, und den Verhandlungsteams gehörten Vertreter der Bundesministerien für Auswärtige Angelegenheiten, für Handel und Wiederaufbau, für Land- und Forstwirtschaft, für Inneres und für Finanzen sowie Repräsentanten der Bundeskammer der gewerblichen Wirtschaft, des Österreichischen Arbeiterkammertages und der Präsidentenkonferenz der Landwirtschaftskammern an.74 In den Verhandlungen war es üblich, spezifische Exportwünsche mit bestimmten Importzusagen zu junktimieren. Dadurch kam es in Österreich gelegentlich zu Interessenkonflikten zwischen Branchen, die auf Exporte hofften, und solchen, die den Inlandsmarkt schützen wollten. Zum Beispiel verknüpfte bei den Verhandlungen zwischen Österreich und Ungarn im Jahr 1962 die ungarische Seite den Import von Schnittholz (an dem insbesondere burgenländische Unternehmen interessiert waren) mit dem Export von Dachziegeln, gegen den sich die österreichische Ziegelindustrie sowie auch Arbeitnehmervertreter wandten.75 Unter die auf fünf Jahre vereinbarten Kontingente fielen im Vertrag, der am 1. Oktober 1962 in Kraft trat, schließlich u. a. Zucht- und Nutzvieh, Grubenholz, Nadelschnittholz, Sintermagnesit, Natron- und Sulfitzellulose, diverse Papiere und Pappen, Zellwolle, Garne, Edelstahl, Stahlerzeugnisse, Maschinen, Kugellager, verschiedene Chemikalien und Gummiwaren, auf der österreichischen Einfuhrseite Erzeugnisse der Viehwirtschaft, Obst und Gemüse, Ölsamen, Speiserohöl, kalzinierte 72 Neubauer-Czettl : Österreichs Beziehungen, S. 268–282. 73 Breuss : Österreichs Außenwirtschaft, S. 131. 74 ÖStA, AdR, BMfAA, Wpol/62, Karton 125 (Verträge 2 [n. Staaten] T-V), Zl. 251.125–8/62, Österr.-ungar. Wirtschaftsverhandlungen 1962 in Budapest, Entsendung einer Delegation, 10. September 1962. 75 ÖStA, AdR, BMfHuW, Grundzahl 200.862/1962–509, Zl. 225.972, Intervention des Bundesholzwirtschaftsrates vom 17. Oktober 1962 ; Zl. 230.075, Sekt.Rat Dr. Hillebrandt, Min.Rat Dr. Gregor, Information für den Herrn Bundesminister, 10. Dezember 1962.

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Tonerde, diverse Chemikalien und Maschinen. Weitere Warenkontingente wurden lediglich für ein Jahr vereinbart. Der Nadelschnittholzexport aus Österreich wurde mit der Ausnützung der ungarischen Lieferkontingente für Hüttenkoks, Braunkohlenbriketts, Mauerziegel, Dachziegel, Schleifholz und diverse Laubhölzer junktimiert.76 Ab dem Jahr 1967 vereinbarte man in den Abkommen als zusätzliches österreichisches Liberalisierungszugeständnis neben den fünf- und einjährigen Kontingentlisten auch Einfuhrlisten mit Warengattungen, für die Österreich auf jegliche mengenmäßige Einschränkungen verzichtete, deren Import somit de facto an jenen aus GATT-Staaten angeglichen wurde. Für die DDR kamen diese Reglements ab 1968 im Wege eines weiteren »Kammer-Abkommens« zur Anwendung.77 Überdies war die ČSSR bereits seit 1950 und Polen seit 1968 GATT-Mitglied. Ein »anderer, neuer Faktor, der zur Auflockerung der Handelsverträge mit den Oststaaten führte, waren die Mitte der Sechzigerjahre auf Wunsch der östlichen Handelspartner bilateral abgeschlossenen Kooperationsverträge. Diese als ›Abkommen über die wirtschaftliche, industrielle und technische Zusammenarbeit‹ bezeichneten Vereinbarungen sahen konkrete Maßnahmen vor, um auf den verschiedensten Gebieten (Forschung, Produktion, technische Hilfe) die Zusammenarbeit zwischen den Unternehmungen beider Länder zu fördern«. Als relevantestes daraus hervorgegangenes Projekt ist das Erdgas-Röhren-Geschäft zu nennen, das Österreich in Kooperation mit zwei deutschen Unternehmen am 1. Juni 1968 mit der UdSSR abschloss. Für diesen Deal stellte die Österreichische Kontrollbank einen Kreditrahmen im Ausmaß von 110 Millionen Dollar zur Verfügung. Seither partizipieren österreichische Unternehmen kontinuierlich am Erdgasexport der UdSSR.78 Für die österreichische Industrie ergaben sich auch bereits ab Anfang der 1960erJahre im Zuge der Modernisierung und Restrukturierung der Stahlerzeugung im Ostblock immer wieder Geschäftsmöglichkeiten. 1961 lieferte man Anlagen und Knowhow für Eisenhüttenstadt (DDR). Als Ostdeutschland in den frühen 1960er-Jahren im Rahmen der »Kammerabkommen« weniger Konsumgüter und mehr Investitionsgüter importieren wollte, stemmte sich die österreichische Wirtschaftskammer, die mehr die mittelständischen österreichischen Unternehmen als die großen verstaatlichten Anlagenbauer vertrat, gegen diese Veränderung, setzte sich aber letztlich nicht durch. »Nach langwierigen Verhandlungen, gegen den hartnäckigen Widerstand der österreichischen Leichtindustrie und eine intransigente Bundeskammer«

76 Ebd., Zl. 267.719–8/62, Vortrag an den Ministerrat. 77 Breuss : Österreichs Außenwirtschaft, S. 131 f ; Komlosy : Österreichs Brückenfunktion, S. 94 f. 78 Breuss : Österreichs Außenwirtschaft, S. 132 ; Stermann, Walter : Die Funktion des Außenhandels in sozialistischen und kapitalistischen Ländern am Beispiel des Ost-West-Handels (Forschungsberichte des Wiener Instituts für Internationale Wirtschaftsvergleiche 74), Wien 1982, S. 46.

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wurden 1964 in einem neuen Abkommen die Wünsche der DDR nach mehr Importen von Stahl, Stahlwaren und Maschinen und weniger Einfuhren von Schuhen und Textilien erfüllt. Parallel dazu entwickelten sich Verbindungen zwischen den Technischen Hochschulen bzw. Universitäten Leoben und Freiberg/Sachsen, zwischen Graz und Magdeburg sowie der Kammer der Technik bzw. der Technischen Universität Dresden und dem Österreichischen Produktivitätszentrum. 1966 folgte u.a. ein langfristiges Abkommen zwischen mehreren DDR-Außenhandelsunternehmen und einem österreichischen Konsortium unter Führung der VÖEST.79 Auch zwischen Österreich und der ČSSR kam es zu derartigen Abkommen. Zum Beispiel schlossen die VÖEST und das tschechoslowakische Unternehmen Technoimport Rahmenverträge über Kooperationen beim Bau von Industrieanlagen in Österreich, der ČSSR und in Drittländern ab.80 Zwischen sowjetischen Interessenten und der VÖEST waren seit Chruschtschows Besuch in Linz in den späten 1950er-Jahren Verhandlungen im Gange und die UdSSR kaufte 1964 ein Stahlwerk mit moderner LD-Technologie für den Standort Novo Lipetsk um 36 Millionen Dollar. Trotz gewisser Fortschritte bei der wirtschaftlichen Kooperation gingen die RGW-Staaten beim Erwerb der Anlagen und LD-Lizenzen nicht gemeinsam vor, was zweifellos ihre Verhandlungsposition schwächte.81 Zum abschließenden Liberalisierungsschub in den vertraglichen Beziehungen zwischen Österreich und den Oststaaten kam es schließlich in den frühen 1970erJahren. Aufseiten der RGW-Staaten setzte das Komplexprogramm aus dem Jahr 1971 noch einmal auf importbasierte Modernisierung. Man hoffte mit Technologieimporten aus dem Westen die eigene Exportkraft zu stärken und so die Kredite, die dafür in harter Währung aufgenommen wurden, im Nachhinein dank einer modernisierten Wirtschaft wieder abbauen zu können.82 Ein wesentliches Element der neuen vertraglichen Strukturen war, dass man in den Jahren 1971/73 die Clearingabkommen auslaufen ließ und der Handel auf Zahlungen in konvertiblen Währungen umgestellt wurde. Die östlichen Vertragspartner machten den Vorschlag zu diesem Regimewechsel, offenbar in der Absicht, 79 Boyer : Die Wirtschaftsbeziehungen, S. 173 und S. 176. 80 Gatscha, Otto : Der Osthandel der verstaatlichten Industrie Österreichs, in : Romé, Helmut (Hg.) : OstWest-Handel. 5. Internationale Konferenz, 3.–8. Mai 1965 in Graz (ESTÖ 2), Wien/Graz 1965, S. 33–37, hier S. 36. 81 Jajeśniak-Quast, Dagmara : Iron and steel permeating through the Iron Curtain. Poland, Czechoslovakia, the GDR and the neutral States, in : Enderle-Burcel, Gertrude/Franaszek, Piotr/Stiefel, Dieter/Teichova, Alice (Hg.) : Gaps in the Iron Curtain. Economic relations between neutral and socialist countries in Cold War Europa, Kraków 2009, S. 270–288, hier S. 280–282. 82 Lenz, Allen J.: Controlling international debt debt:: Implications for East-West trade, in in:: Fink, Gerhard (Hg.) (Hg.):: East-West Economic Relations. Now and in Future (Studien über Wirtschafts- und Systemvergleiche 12), Wien/New York 1985, S. 33–70, hier S. 33.

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auf diese Weise durch Westexporte direkt konvertible Devisen verdienen zu können. Auch Österreich war an einem Abgehen vom etablierten Clearingregime auf Dollar-Basis interessiert,83 da der US-Dollar während der Turbulenzen des Bretton Woods-Währungssystems rapide an Wert verlor, wodurch die Dollar-Erlöse, in Schilling umgerechnet, erheblich geschmälert wurden. Die Umstellung erfolgte mit der UdSSR ab 31. Dezember 1970, mit Bulgarien, der Tschechoslowakei, Ungarn und Polen per 31. Dezember 1973 und mit Rumänien per 30. Juni 1973.84 Die Westexporte brachten den östlichen Ökonomien nunmehr zwar direkt harte Devisen ein, dafür benötigten sie aber auch für die Importe Mittel in harter Währung, die durch Exportgeschäfte oder im Wege anderer Finanzierungen im Westen aufgebracht werden mussten. Zugleich mit der Umstellung auf Zahlungen in Hartwährungen im Handelsverkehr mit der UdSSR baute Österreich 1971 auch jegliche mengenmäßige Beschränkungen für Importe aus der Sowjetunion ab, die Einfuhren waren damit de facto tatsächlich jenen aus den GATT-Ländern gleichgestellt. Die anderen RGW-Staaten erhielten bis Mitte der 1970er-Jahre ebenfalls den voll liberalisierten Zugang zum österreichischen Markt. Allerdings führte Österreich zugleich ein neues »Vidierungsverfahren« ein, eine Maßnahme gegen Dumpinglieferungen, die faktisch doch wieder als eine Art von Importkontrolle wirkte.85 In den neuen Handelsverträgen sah man auch ausdrücklich vor, »die Durchführung von Transitgeschäften und ähnlichen Transaktionen zwecks Erleichterung und Ausweitung des beiderseitigen Waren- und Zahlungsverkehrs [zu] fördern und [zu] unterstützen«.86 83 Bereits in den 1960er-Jahren hatten die Oststaaten darauf gedrängt, Clearingspitzen in harten Währungen ausbezahlt zu erhalten, um in Phasen aktiver Clearingsalden harte Devisen zu erlangen. Vgl. z.B. ÖStA, AdR, BMfAA, Wpol/62, Karton 125 (Verträge 2 [n. Staaten] T-V), Zl. 252.180–8/62, Bericht des Handelsattachés aus Budapest, 19. September 1962. In der Krisenphase des Bretton-Woods-Systems zu Beginn der 1970er-Jahre hatte dann auch Österreich ein Interesse an der Umstellung auf direkte Zahlung in Hartwährungen. Siehe zum Beispiel zu den Verhandlungen zwischen Österreich und Ungarn folgende Archivbestände : ÖStA, AdR, BMfHGI, Sektion I, 1971, Geschäftszeichen 109/6, Zl. 600001 – 68500 Kt. 1006, darin zur Initiative vonseiten Ungarns zum Übergang zum Zahlungsverkehr in frei konvertierbarer Währung z.B. Zl. 1582-A/1971, Österreichisch-ungarische Wirtschaftsverhandlungen 1971 in Budapest, 21. Mai 1971 ; des Weiteren : ÖStA, AdR, BmfAA, 1971 III-W-Pol, Karton 66 (Verträge 2 N-Z), Österreichisch-ungarische Wirtschaftsverhandlungen 1971, Grundzahl 129364/71, darin z.B. die Textentwürfe für das Abkommen ; sowie ÖStA, AdR, Bundesministerium für Finanzen, Geschäftszahl 221.727–13/71, BMfHGuI v. 23. September 1971, Z. 72.089/I/6/71, Österreichisch-ungarische Wirtschaftsverhandlungen in Wien, interministerielle Vorbesprechung. 84 Breuss : Österreichs Außenwirtschaft, S. 133 ; Neubauer-Czettl : Österreichs Beziehungen, S. 270–274. 85 Stankovsky, Jan : Handels- und Kreditbeziehungen zwischen Ost und West, in : DFG Jahrbuch 1979/80, Baden-Baden 1980, S. 527–555, hier S. 529. 86 ÖSTA, AdR, Bundesministerium für Finanzen, Geschäftszahl 221.727–13/71, Beilage II, Langfristiges Abkommen über den Warenverkehr zwischen der österreichischen Bundesregierung und der Regierung der Volksrepublik Ungarn, Artikel 5.

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Mit den Zahlungsverpflichtungen in konvertiblen Währungen entstand ein Bedarf für entsprechende Finanzdienstleistungen. Für den österreichischen Osthandel spielte dabei ab den frühen 1970er-Jahren die heimische Exportförderung eine immer größere Rolle.87 Die rechtlichen Grundlagen für eine massive Ausweitung im Rahmen der Österreichischen Kontrollbank wurden in den späten 1960er-Jahren geschaffen. Die Leistungen umfassten Risikogarantien und Exportfinanzierungen. In den 1970er- und 1980er-Jahren dienten erhebliche Anteile der Exportförderung dem Ausbau der Handelsbeziehungen mit den Oststaaten. Damit wurde Österreich zu einem wesentlichen Finanzier der Westverschuldung des Ostblocks. Nach der Liberalisierung und Ausweitung der Handelskontakte in den frühen 1970er-Jahren stieg die Verschuldung des »Ostens« im »Westen« bis 1980 auf 71 Milliarden US-Dollar an, davon finanzierte Österreich allein ungefähr ein Zehntel.88 Das Ende des bilateralen Clearings, die Liberalisierung der Warenströme und die vielfältigeren Finanzierungsmöglichkeiten erweiterten in den 1970er-Jahren die Spielräume für mögliche Handelsaktivitäten, weil die engen Verknüpfungen zwischen den Import- und Exportströmen aufgelockert und variantenreichere Geschäftsbeziehungen möglich wurden. Da bei den östlichen Handelspartnern harte Devisen weiterhin stets knapp waren, blieben die Dienste von Handelshäusern, die Gegengeschäfte, Buy-back-Geschäfte und Kompensationsgeschäfte, im Transithandel zu vermitteln bzw. bei Kooperationsabkommen behilflich zu sein wussten, höchst gefragt.89 Unter diesen Rahmenbedingungen wurde das neutrale Österreich in den 1970er-Jahren zur Drehscheibe des Ost-West-Handels. Man konnte dabei einerseits auf bereits eingespielte Netzwerke und Institutionen, nicht zuletzt die KPÖ-Firmen setzen, andererseits kamen auch neue Marktteilnehmer hinzu. Internationale Firmen gründeten Niederlassungen in Wien, und auch die österreichischen Banken wandten sich wieder vermehrt dem Ost-West-Geschäft zu.

87 Stankovsky, Jan : Bedeutung, Mittelbedarf und Kosten der Exportförderung in Österreich, in : Monatsberichte 8/1983, S. 517–528 ; Stankovsky, Jan : Grundlagen der Exportförderung in Österreich, in : Monatsberichte 7/1983, S. 459–474. 88 Fink, Gerhard/Mauler, Kurt : Hard Currency Position of CMEA Countries and Yugoslavia, Wien 1988 ; Stankovsky, Jan : Zur Finanzierung des Osthandels, in : Monatsberichte 7/1982, S. 447–451, hier S. 448 ; Stankovsky, Jan : Der neue Osthandel, in : Monatsberichte 5/1991, S. 245–255, hier S. 255. 89 Von der umfangreichen Literatur zu diesem Thema sei z.B. angeführt : Gabrisch, Hubert/Stankovsky, Jan : Sonderformen im Ost-West-Handel. Teil I : Der Transithandel, Teil II : Das Gegengeschäft, Teil III : Höhere Formen der wirtschaftlichen Zusammenarbeit, Wien 1986 ; Stankovsky, Jan : Bedeutung, Probleme und Usancen der Gegengeschäfte, in : Monatsberichte 3/1986, S. 157–179 ; Dietz, Raimund/Varga, Werner : Strukturwandel im österreichischen Osthandel, Wien 1981, S. 22–25 ; Windtner, Leopold : Perspektiven des österreichischen Außenhandels im Geschäft mit den Ostblockstaaten, Wien 1976 (Dissertation), S. 202–227.

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Andreas Resch

In der »Phase der Osthandelseuphorie Anfang der 70er Jahre« soll sich die Zahl der KPÖ-Osthandelsfirmen auf ungefähr 100 erhöht haben,90 wobei immer wieder neue Firmen gegründet und alte liquidiert wurden. Nicht zuletzt fanden auch die personellen Turbulenzen in der kommunistischen Partei im Zusammenhang mit der Austrittswelle wegen der Niederwerfung des Prager Frühlings im Jahr 1968 in den Firmen- und Managementstrukturen ihren Niederschlag.91 Die KPÖ-Firmengruppe bestand aus Unternehmen, die auf den Warenhandel mit bestimmten Oststaaten und/oder bestimmten Warengruppen spezialisiert waren. Zum Beispiel konzentrierte sich die Polcarbon auf den Handel mit polnischer Kohle, die 1951 gegründete Firma »Am Roten Turm«, die 1957 in Briko Brikett- und KohlengroßhandelsGmbH Erwin Flemmer & Co KG umbenannt wurde, hatte zeitweilig das Monopol für den Braunkohlenimport aus der DDR und soll bis zu 40 Prozent des Wiener Kohlenhandels kontrolliert haben. Die 1953 gegründete »Am Roten Turm« Heizöl-Vertrieb Wilhelm Schwarz KG (ab 1956 Turmöl Mineralölprodukte-Großhandel Martin Maimann & Co KG) arbeitete bis 1955 mit der Sowjetischen Mineralölverwaltung zusammen und soll 1980 einen Jahresumsatz von 1,2 bis 1,5 Milliarden Schilling erzielt und den Großteil des privaten Heizölbedarfs in Österreich abgedeckt haben.92 Andere KPÖ-Unternehmen boten spezifische Dienstleistungen in diesem nach wie vor bürokratisch komplizierten Geschäftsfeld an. Zum Beispiel organisierte die Express Internationale Spedition GmbH seit 1948 Warentransporte, die Frachtenprüfung Spera & Co GmbH bot ab 1960 die Überprüfung von Frachtbriefen, Erledigung von Reklamationen und Beratung in Transportproblemen an,93 ehe sie 1969 mit der 1963 gegründeten Firma Interfracht verschmolzen wurde. Die KPÖ-Firmen mussten ihre Geschäfte in den 1970er-Jahren auf einem zwar liberalisierten, aber auch heftiger umstrittenen Markt abwickeln. Die Gewinne wurden durch Beteiligungswünsche der Oststaaten, die an den Handelsprofiten partizipieren wollten, sowie durch neu aufkommende Konkurrenz von Firmen, die nicht der KPÖ zuzurechnen waren, geschmälert. So beteiligten sich DDR-Unternehmen u. a. an der »Euromasch« Maschinen Handels-GmbH ; an der Polkarbon erlangten polnische Firmen die Beteiligungsmehrheit, und die ungarische Tannimpex hielt 50 Prozent der »Agro-Polcommerce«.94 Daneben entwickelten sich nicht zur KPÖ gehörige Osthandelsfirmen, und es siedelten sich in der Ära der Entspannung und intensivierter Handelskontakte auch

Seliger : KPÖ-Firmen, S. 116. Vgl. dazu Muzik/Schano : Das Wirtschaftsimperium der KPÖ, S. 77. Ebd., S. 84. Österreichisches Büro für den Ost-West-Handel unter der Redaktion von DDR/Helene Legradi/Dr. E. R. Fiala (Hg.) : Handbuch des österreichischen Osthandels, Wien 1967, S. 75. 94 Muzik/Schano : Das Wirtschaftsimperium der KPÖ, S. 78. 90 91 92 93

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Der österreichische Osthandel im Spannungsfeld der Blöcke

zahlreiche westliche, nicht zuletzt amerikanische Transiteure in Wien an. Überdies engagierten sich auch die Wiener Banken in Osteuropa wieder mit eigenen Handelshäusern. Das Spitzeninstitut des Raiffeisensektors, die Genossenschaftliche Zentralbank, besaß als 100-Prozent-Tochter die Firma F. J. Elsner & Co. GmbH, die sich unter der Leitung von Herbert Stepic zum Branchenleader entwickelte, und war auch (zusammen mit fünf westeuropäischen Genossenschaftsbanken) an der Unico Trading beteiligt. Die Creditanstalt bezeichnete ihre AWT Internationale Handelsund Finanzierungs AG als »das führende Bankhandelshaus« Österreichs. Auch die Länderbank, die in den 1950er-Jahren ihre Osthandelsabteilung eingestellt hatte, wurde mit einer einschlägigen Tochter (CGL HandelsgesmbH) wieder aktiv, ebenso die Girozentrale mit der Vienna Commerz.95 Als wichtige Kontaktadresse etablierte sich auch das Österreichische Büro für den Ost-West-Handel. Diese Institution war 1952 auf Initiative von Josef Dobretsberger entstanden, der nach dem Krieg Kontakt mit den Kreisen zurückgekehrter kommunistischer Emigranten aufgenommen hatte. Das Büro gab periodisch das Handbuch des österreichischen Osthandels heraus. Zur Stärkung Wiens als OstWest-Handelszentrum trugen auch die Leistungen von Forschungsinstitutionen wie dem Wiener Institut für internationale Wirtschaftsvergleiche, dem Österreichischen Ost- und Südosteuropa-Institut und dem Wirtschaftsforschungsinstitut bei. Und wertvolles Know-how hielt nicht zuletzt die Wirtschaftskammer für ihre Mitglieder bereit.96 Unter den dargestellten Rahmenbedingungen kam es von 1955 bis 1978 zu folgenden Entwicklungen des österreichischen Osthandels :

% RGW6

Saldo Österr. Insges. in Mio. ATS

Saldo Österr. RGW6 in Mio. ATS

15,9

8,3

–3 897,0

372,1

–4,9

8,7

–4 048,0

–1,8

29 760,0

6,6

8,7

–4 599,0

–114,7

18,6

36 813,0

23,7

8,3

–7 684,0

–90,7

–8,1

38 604,0

4,9

7,3

–7 342,0

636,0

Imp. aus RGW6 in Mio. ATS

11,3

2 228,8

15,2

11,0

2 434,2

9,2

29 339,0

–6,2

10,2

2 437,0

0,1

27 912,0

25 161,0

5,4

9,8

2 584,7

6,1

20,5

29 129,0

15,8

10,2

3 066,3

16,1

31 262,0

7,3

11,1

2 818,8

1956

2 498,7

22 076,0

1957

2 806,3

12,3

25 442,0

1958

2 435,2

–13,2

23 864,0

1959

2 470,0

1,4

1960

2 975,6

1961

3 454,8

Wachstum in %

269,9

Österr. Imp. Gesamt in Mio. ATS

–3 243,0

Wachstum in %

8,8

% RGW6

Wachstum in %

Österr. Exp. gesamt in Mio. ATS

Wachstum in %

Jahr

Exp. nach RGW6 in Mio. ATS

Der österreichische Außenhandel mit den RGW6-Staaten 1955–1978

25 319,0

95 Engel, Reinhard : Die Handelsjongleure, in Trend 3/86, S. 129–132. 96 Barisitz, Stefan : Austria – A Business Bridge between East and West, in : Österreichische Osthefte 32 (1990), S. 110–117, hier S. 114.

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528 Wachstum in %

Österr. Exp. gesamt in Mio. ATS

Wachstum in %

% RGW6

Imp. aus RGW6 in Mio. ATS

Wachstum in %

Österr. Imp. Gesamt in Mio. ATS

Wachstum in %

% RGW6

Saldo Österr. Insges. in Mio. ATS

1962

3 472,5

0,5

32 851,0

5,1

10,6

3 314,1

17,6

40 348,0

4,5

8,2

–7 497,0

158,4

1963

3 522,6

1,4

34 475,0

4,9

10,2

3 894,2

17,5

43 557,0

8,0

8,9

–9 082,0

–371,6

1964

4 076,1

15,7

37 601,0

9,1

10,8

3 793,7

–2,6

48 433,0

11,2

7,8

–10 832,0

282,4

1965

4 864,7

19,3

41 600,0

10,6

11,7

4 505,8

18,8

54 614,0

12,8

8,3

–13 014,0

358,9

1966

5 204,9

7,0

43 773,0

5,2

11,9

4 516,1

0,2

60 519,0

10,8

7,5

–16 746,0

688,8

1967

6 072,9

16,7

47 029,0

7,4

12,9

4 153,8

–8,0

60 046,0

-0,8

6,9

–13 017,0

1 919,1

1968

5 862,9

–3,5

51 707,0

9,9

11,3

4 800,0

15,6

64 896,0

8,1

7,4

–13 189,0

1 062,9

1969

6 688,5

14,1

62 723,0

21,3

10,7

5 349,4

11,4

73 460,0

13,2

7,3

–10 737,0

1 339,1

1970

7 445,2

11,3

74 272,0

18,4

10,0

6 565,4

22,7

92 266,0

25,6

7,1

–17 994,0

879,8

1971

7 918,9

6,4

78 991,0

6,4

10,0

6 825,3

4,0

104 476,0

13,2

6,5

–25 485,0

1 093,6

Jahr

Saldo Österr. RGW6 in Mio. ATS

Exp. nach RGW6 in Mio. ATS

Andreas Resch

1972

8 390,0

5,9

89 747,0

13,6

9,3

7 567,3

10,9

120 577,0

15,4

6,3

–30 830,0

822,7

1973

10 330,2

23,1

101 977,0

13,6

10,1

8 893,6

17,5

137 862,7

14,3

6,5

–35 885,7

1 436,6

1974

16 564,2

60,3

133 355,7

30,8

12,4

11 866,8

33,4

168 280,8

22,1

7,1

–34 925,1

4 697,4

1975

18 507,6

11,7

130 884,2

–1,9

14,1

11 077,4

–6,7

163 376,5

–2,9

6,8

–32 492,3

7 430,2

1976

18 758,6

1,4

152 114,0

16,2

12,3

12 037,8

8,7

206 081,0

26,1

5,8

–53 967,0

6 720,8

1977

18 791,8

0,2

161 781,5

6,4

11,6

12 222,4

1,5

234 841,1

14,0

5,2

–73 059,6

6 569,4

1978

18 809,7

0,1

176 111,7

8,9

10,7

11 458,3

–6,3

231 888,3

–1,3

4,9

–55 776,6

7 351,4

Quelle : eigene Berechnungen mittels Daten aus Butschek : Statistische Reihen, Tabellen 15.3 und 15.4.

Nachdem Österreich im Handel mit den sechs kleineren RGW-Staaten bis 1955 notorisch einen negativen Handelsbilanzsaldo zu verzeichnen gehabt hatte, wurde deren Marktposition im Laufe der 1950er- und 1960er-Jahre schwächer. Ähnlich wie die Entwicklungs- und Schwellenländer waren die mittel- und osteuropäischen Volkswirtschaften davon betroffen, dass sich die Terms of Trade für jene Güter, die sie hauptsächlich konkurrenzfähig anzubieten hatten (Agrarprodukte, Rohstoffe, fossile Brennstoffe), laufend verschlechterten. Einen Eindruck vom Nachgeben der Terms of Trade für die polnischen Exporte gibt eine Gegenüberstellung der Aufwendungen für österreichische Kohlenimporte aus Polen mit den Erlösen für Exporte von Maschinen und Verkehrsmitteln. Österreich führte 1951 aus Polen 1,05 Millionen Tonnen mineralische Brennstoffe um 461,5 Millionen Schilling ein, 1960 1,07 Millionen Tonnen um 495,0 Millionen Schilling und 1970 1,8 Millionen Tonnen um 825,5 Millionen Schilling. Somit verharrte der Preis pro Tonne Kohle in den zwei Jahrzehnten zwischen 439 und 461 Schilling. Die österreichischen Erlöse für die Exporte von Maschinen und Verkehrsmitteln nach Polen entwickelten sich hingegen deutlich anders : 1951 zahlte Polen für 5 584 Tonnen österreichische Maschinen 157 Millionen Schilling, 1960 waren für 4 203 Tonnen 198 Millionen fällig,

978-3-205-78469-2_Rauch_Block.in528 528

08.03.2010 15:49:19

Der österreichische Osthandel im Spannungsfeld der Blöcke

529

1970 kosteten 2.543 Tonnen 271 Millionen Schilling und 1974 schließlich 15.293 Tonnen 1.278 Millionen Schilling. Während der Kohlenpreis stagnierte erhöhten sich die österreichischen Erlöse pro Tonne nach Polen exportierter Maschinen und Fahrzeuge von 28 000 Schilling 1951 auf 106 000 Schilling 1970 und gingen dann aber im Zuge des Mengenwachstums 1974 auf 84 000 Schilling zurück. Polen musste somit 1951 rund 64 Tonnen Kohle exportieren, um eine Tonne österreichischer Maschinen zu erhalten, im Jahr 1970 waren dafür 235 Tonnen mineralische Brennstoffe erforderlich.97 Der wertmäßige Anteil der Exporte in die RGW6-Staaten an den gesamten österreichischen Ausfuhren lag in der Periode von 1956 bis 1972 zwischen 9,3 Prozent (1972) und 12,9 Prozent (1967), der Anteil der Warenströme aus dieser Staatengruppe an den österreichischen Einfuhren zwischen 6,3 Prozent (1972) und 8,9 Prozent (1963). Ab 1973 kamen die Veränderungen in den Handelsregimes und den wirtschaftlichen Rahmenbedingungen zur Geltung. Bis in das Jahr 1974 hinein herrschten sowohl im Ost- als auch im Westhandel noch expansive Tendenzen vor, die dann in einen Rückgang der Westexporte umschlugen. Die gesamten österreichischen Exporte wuchsen 1973 und 1974 noch um 30,8 Prozent, ehe sie dann 1975 nominell um 1,9 Prozent zurückgingen, was eine noch stärkere reale Schrumpfung bedeutete. Die Zuwächse der Exporte in die RGW6-Staaten (Nominalwert) erreichten 1974 mit 60 Prozent ihr Maximum, doch konnte der Absatz in die kleinen kommunistischen Länder auch 1975 noch gesteigert werden, während in diesem Jahr die Westexporte einen schweren Rückschlag erlebten. So erwies sich die Osthandelspolitik in der Zeit des ersten Erdölschocks deutlich als »Exportventil«, um die schwache Auftragslage im Westen etwas zu kompensieren.98 Damit erreichten die RGW6-Staaten 1975 mit 14,1 Prozent den höchsten Anteil an den österreichischen Exporten im hier betrachteten Zeitraum. In den Folgejahren erholte sich das Wachstum der Westexporte wieder, während der RGW6-Handel vorerst stagnierte ; somit ging der Anteil an sämtlichen Exporten wieder auf rund 11 Prozent zurück. Die Zunahme der öster97 Berechnet nach Statistik des Außenhandels Österreichs 1951, Tab. 3 und 4 ; Österreichisches Statistisches Zentralamt (Hg.) : Statistik des Außenhandels Österreichs 1960, Wien 1961, Teil B, Tab. 4 ; Österreichisches Statistisches Zentralamt (Hg.) : Statistik des Außenhandels Österreichs 1970, Wien 1971, Serie 2, Tab. 1 ; Österreichisches Statistisches Zentralamt (Hg.) : Der Außenhandel Österreichs 1974, Wien 1975, Serie 2, Tab. 1. 98 Vgl. Breuss : Österreichs Außenwirtschaft, S. 129 ; Fidrmuc, Jarko/Kaufmann, Sylvia/Resch, Andreas : Structural breaks in Austrian foreign trade with Eastern Europe during the early 1970s, in : Empirica 35 (2008), S. 465–479 ; Resch, Andreas : Strukturbrüche im österreichischen Außenhandel während der frühen 1970er Jahre, in : Pammer, Michael/Neiß, Herta/John, Michael (Hg.) : Erfahrung der Moderne. Festschrift für Roman Sandgruber zum 60. Geburtstag, Stuttgart 2007, S. 343–354, hier S. 347, und S. 351–353.

978-3-205-78469-2_Rauch_Block.in529 529

08.03.2010 15:49:19

530

Andreas Resch

reichischen Importe aus den RGW6-Ländern blieb 1973 bis 1975 deutlich hinter dem Exportwachstum zurück, sodass sich das Handelsbilanzdefizit dieser Staaten mit Österreich, angeheizt durch Ansätze importbasierter Modernisierung und österreichischer Exportförderung, massiv ausweitete. Im Vergleich zu 1972 erhöhte sich das Handelsbilanzdefizit der RGW6-Staaten in der zweiten Hälfte der 1970er-Jahre auf ungefähr das Achtfache. Die Entwicklung der Handelsbeziehungen Österreichs mit der Sowjetunion wies bis zu Beginn der 1970er-Jahre einen ähnlichen Verlauf auf wie jene mit den kleineren RGW-Staaten, allerdings fiel das Wachstum etwas gleichmäßiger aus. Bis in die frühen 1960er-Jahre wechselten einander in der bilateralen Handelsbilanz vergleichsweise geringfügige Saldoüberschüsse und -defizite im Rahmen des Clearingregimes ab, von 1962 bis 1970 erzielte dann Österreich durchgehend Überschüsse. Der österreichische Außenhandel mit der UdSSR 1955–1978

Jahr

Exporte in die UdSSR in Mio. ATS

1955

145,6

1956

362,6

1957 1958

Wachstum in %

% UdSSR

Importe aus der UdSSR in Mio. ATS

Wachstum in %

0,8

107,8

149,0

1,6

186,4

72,9

711,9

96,3

2,8

557,1

526,3

–26,1

2,2

569,0

1959

874,3

66,1

3,5

1960

1 020,6

16,7

1961

1 122,8

10,0

1962

1 402,4

24,9

1963

1 612,6

1964

1 501,4

1965

% UdSSR

Saldo Außenhandel mit UdSSR in Mio. ATS

0,5

37,8

0,7

176,2

198,9

1,9

154,8

2,1

2,0

–42,7

768,3

35,0

2,6

106,0

3,5

1 049,0

36,5

2,8

–28,4

3,6

1 191,8

13,6

3,1

–69,0

4,3

1 138,4

–4,5

2,8

264,0

15,0

4,7

1 348,0

18,4

3,1

264,6

–6,9

4,0

1 354,2

0,5

2,8

147,2

1 485,0

–1,1

3,6

1 371,0

1,2

2,5

114,0

1966

1 547,2

4,2

3,5

1 267,8

–7,5

2,1

279,4

1967

1 545,6

-0,1

3,3

1 271,7

0,3

2,1

273,9

1968

1 779,5

15,1

3,4

1 519,0

19,4

2,3

260,5

1969

1 784,7

0,3

2,8

1 720,1

13,2

2,3

64,6

1970

2 134,1

19,6

2,9

2 067,9

20,2

2,2

66,2

1971

1 738,2

–18,6

2,2

2 685,0

29,8

2,6

–946,8

1972

2 177,6

25,3

2,4

2 621,6

–2,4

2,2

–444,0

1973

1 776,6

–18,4

1,7

2 650,7

1,1

1,9

–874,1

1974

3 511,8

97,7

2,6

4 423,7

66,9

2,6

–911,9

1975

3 762,2

7,1

2,9

5 543,8

25,3

3,4

–1 781,6

1976

4 244,6

12,8

2,8

7 533,2

35,9

3,7

–3 288,6

1977

4 607,9

8,6

2,8

8 422,2

11,8

3,6

–3 814,3

1978

5 375,8

16,7

3,1

8 870,6

5,3

3,8

–3 494,8

Quelle : Daten nach Butschek : Statistische Reihen, Tabelle 5.13 und 5.14.

978-3-205-78469-2_Rauch_Block.in530 530

08.03.2010 15:49:20

531

Der österreichische Osthandel im Spannungsfeld der Blöcke

Von 1963 bis 1973 wuchs der Handelsverkehr tendenziell schwächer als der gesamte österreichische Außenhandel, sodass der Anteil der UdSSR-Exporte an den österreichischen Exporten von 4,7 auf 1,7 Prozent zurückging und auch der Anteil der Einfuhren aus der UdSSR an allen Importen von 3,1 auf 1,9 Prozent abnahm. Dermaßen niedrige Werte waren zuvor nur in den ersten drei Jahren der Wiederaufnahme regulärer Handelsbeziehungen nach 1955 zu verzeichnen gewesen. Im Jahr 1974 stiegen die Exporte aus Österreich um 67 Prozent, die Einfuhren aus der UdSSR wertmäßig in der Phase des Ölpreisschocks sogar um 98 Prozent an, und im Unterschied zum Handel mit den kleinen RGW-Staaten waren auch in den folgenden Jahren noch mehrmals zweistellige Zuwächse zu registrieren. Ein weiterer gravierender Gegensatz zu den kleinen RGW-Staaten war, dass die UdSSR von 1973 bis 1977 einen rasch wachsenden aktiven Handelsbilanzsaldo erzielen konnte. 1977 deckten die österreichischen Exporte nur noch rund 55 Prozent der Importe aus der Sowjetunion ab. Zusammensetzung des österreichischen Warenhandels mit den RGW6-Staaten im Jahr 1960 in 1 000 Schilling

1. 53 4. 88 1

1.800.000 1.600.000

7. 50

6

1.400.000

3 0. 01

77

0. 45

8

87

1.000.000

1. 08

1.200.000

800.000

8

1. 58 27

83 .1 75 72 7

0 1. 40

0

5 .5 2 11

38 .6 90

Einfuhren

Ernährung, Tiere Min. Brennstoffe, Energie Halb- u. Fertigwaren

9

30 0. 01

.2 43

1. 64

0

20 4

28 9. 69 2 14 8

.5 0 74

.6 9 48

200.000

2

.2 6

2

30 4

400.000

9

.0 75

600.000

Ausfuhren

Getränke, Tabak Tier. u. pflanzl. Öle u. Fette Masch. u. Verkehrsmittel

Rohstoffe Chem. Erzeugn. Sonst. Fertigw.

Quelle : berechnet mittels Daten aus Statistik des Außenhandels Österreichs 1960, Teil B, Tab. 4.

978-3-205-78469-2_Rauch_Block.in531 531

08.03.2010 15:49:20

532

Andreas Resch

4. 69

6

Zusammensetzung des österreichischen Warenhandels mit den RGW6-Staaten im Jahr 1974 in 1.000 Schilling

6. 53

7.000.000

6.000.000

3. 31

.2 16

1. 82 0. 73 2

5. 72

5 82 9. 71

4

5

6. 51

Einfuhren

10

.5 8

4

6 26 .6 5

0

Ernährung, Tiere Min. Brennstoffe, Energie Halb- u. Fertigwaren

59

67 6. 06

.9 37 53 9

.8 88

.0 85

39 4

56 9

18 2. 05

7

1.000.000

56 6

.8 21 95

5. 62

4

2. 15

1. 90 3. 18 0

2.000.000

5

3.000.000

3. 80 7

3. 54

8. 18

4

4.000.000

2. 47

2

5.000.000

Ausfuhren

Getränke, Tabak Tier. u. pflanzl. Öle u. Fette Masch. u. Verkehrsmittel

Rohstoffe Chem. Erzeugn. Sonst. Fertigw.

Quelle : berechnet mittels Daten aus Statistik des Außenhandels Österreichs 1974, Serie 2, Tab. 1.

Als beispielhafte Stichjahre zur Illustration der Warenstruktur im RGW6-Handel seien 1960 und 1974 herangezogen. Zu Beginn der 1960er-Jahre hatten sich wieder stabile handelsvertragliche Beziehungen zwischen dem souveränen Österreich und den Oststaaten eingespielt, 1974 war jenes Jahr, in dem die Zuwächse des österreichischen Osthandels ihr Maximum erreichten. In beiden Stichjahren ist die komplementäre Struktur der Handelsbeziehungen noch deutlich zu erkennen. Zwischen den einzelnen Warengruppen hat sich jedoch eine gewisse Verschiebung ergeben. Während 1960 Lebensmittellieferungen wertmäßig noch 28 Prozent und mineralische Brennstoffe 35 Prozent der österreichischen Einfuhren aus den RGW6-Staaten ausmachten, gingen die entsprechenden Anteile bis 1974 auf 18 und 31 Prozent zurück ; der Anteil der Halb- und Fertigwaren stieg hingegen von 9 auf 17 Prozent an. Hier zeigten sich gewisse Effekte der ökonomischen Modernisierungsbestrebungen im Osten. Bei den österreichischen RGW6-Exporten trat eine gewisse Verschiebung von den Halb- und Fertigwaren zu den chemischen Erzeugnissen auf. Der Anteil der erstgenannten Warengruppe nahm von 52 Prozent (1960) auf 39 Prozent (1974) ab, während die Chemieindustrie ihren wertmäßigen Beitrag zu den Verkäufen in den RGW6-Staaten von 10 auf 21 Pro-

978-3-205-78469-2_Rauch_Block.in532 532

08.03.2010 15:49:21

533

Der österreichische Osthandel im Spannungsfeld der Blöcke

zent erhöhen konnte. Zu den wertmäßig herausragenden Lieferungen aus einzelnen RGW6-Staaten gehörten 1974 Kohle, Koks und Briketts aus der Tschechoslowakei um 1,07 Milliarden Schilling und aus Polen um 860 Millionen Schilling, Rundholz aus der Tschechoslowakei um 405 Millionen Schilling und Ingots aus Ungarn um 387 Millionen Schilling. Österreich hingegen brachte zum Beispiel in Ungarn chemische Grundstoffe um 965 Millionen, Kunstharze um 486 Millionen und Papierprodukte um 616 Millionen Schilling unter. Polen kaufte Papier und Pappe um 375 Millionen Schilling. In mehreren Staaten gelang es umfangreiche Maschinenverkäufe zu platzieren, etwa in Polen Straßenfahrzeuge um 440 Millionen Schilling. Die DDR nahm u. a. Röhren und Fittings um 219 Millionen Schilling ab.99

.4 89

43 1. 74

46 9. 77

500.000

41 5

450.000

1

4

Zusammensetzung des österreichischen Warenhandels mit der UdSSR im Jahr 1960 in 1 000 Schilling

3

400.000

31

8. 28

350.000 300.000 250.000

2 83 .1 1

8

28

0 20 .4 7 12

6

Einfuhren

Ernährung, Tiere Min. Brennstoffe, Energie Halb- u. Fertigwaren

9. 01

14

1. 29 0

6. 40 8

9 .8 2 17

19 .0 3 9

0

1

50.000

.0 2

87 .0

100.000

82

10 7

150.000

.2 54

200.000

Ausfuhren

Getränke, Tabak Tier. u. pflanzl. Öle u. Fette Masch. u. Verkehrsmittel

Rohstoffe Chem. Erzeugn. Sonst. Fertigw.

Quelle : Daten nach Statistik des Außenhandels Österreichs 1960, Teil B, Tab. 4.

99 Vgl. Statistik des Außenhandels Österreichs 1974, Serie 2, Tab. 1.

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08.03.2010 15:49:21

534

Andreas Resch

9

Zusammensetzung des österreichischen Warenhandels mit der UdSSR im Jahr 1974 in 1 000 Schilling

2. 73

9. 91

3.000.000

2.500.000

5. 61 1. 9 41 4

.6 4

5

2.000.000

97

4. 82

5

1. 21

1.500.000

Ernährung, Tiere Min. Brennstoffe, Energie Halb- u. Fertigwaren

27 5 0

5

9 14

53

Einfuhren

2. 52 1

3 .5 7 17

1 13 2

.9 4 17

90

0

2. 01 8

52 .6

35

.7 70 22 9. 89 0 25 6. 14 8

500.000

.1 67

60 2

.9 60

1.000.000

Ausfuhren

Getränke, Tabak Tier. u. pflanzl. Öle u. Fette Masch. u. Verkehrsmittel

Rohstoffe Chem. Erzeugn. Sonst. Fertigw.

Quelle : Daten nach Statistik des Außenhandels Österreichs 1974, Serie 2, Tab. 1.

Die Rangfolge der RGW6-Staaten als Absatzmärkte für österreichische Exporte führte von 1953 bis 1959 Polen an, danach lagen zumeist Ungarn oder die Tschechoslowakei vorne, ehe 1975 wieder Polen die größten Käufe in Österreich tätigte. An den österreichischen Einfuhren hatte von 1950 bis 1966 Polen dank der umfangreichen Kohlenlieferungen den größten Anteil, danach von 1967 bis 1972 die Tschechoslowakei, ehe sich um die Mitte der 1970er-Jahre Ungarn, die Tschechoslowakei und Polen an der Spitze der Rangliste abwechselten. Die Tschechoslowakei, die traditionellerweise strukturell das modernste Warenangebot anzubieten hatte (eher interindustrieller denn komplementärer Handel), vermochte als einziger RGW6-Staat 1974 mit Österreich ein Handelsbilanzaktivum zu erzielen. Besonders krass ins Passivum waren in diesem Jahr Bulgarien, Polen und Ungarn geraten. Ihre Österreichexporte machten wertmäßig weniger als 65 Prozent ihrer Einfuhren aus.100 Der Außenhandel mit der UdSSR wurde stark von den Fluktuationen auf dem Weltmarkt für fossile Energieträger geprägt. So ist der tendenzielle Rückgang des 100 Vgl. Butschek : Statistische Reihen, Tab. 15.3 und 15.4.

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08.03.2010 15:49:21

Der österreichische Osthandel im Spannungsfeld der Blöcke

535

Anteils der Einfuhren der UdSSR an den österreichischen Importen von 1961 bis 1973 auf den relativen Preisverfall von Erdöl und Kohle zurückzuführen. Umso deutlicher fiel dann der wertmäßige Zuwachs ab 1974 aus. 1960 waren noch Kohle, Koks und Briketts das wichtigste Exportgut der Sowjets für Österreich (768 000 Tonnen um 367 Millionen Schilling), während sich Erdölerzeugnisse lediglich auf 49 Millionen Schilling beliefen und der Erdgasexport noch nicht begonnen hatte. Ab den späten 1960er-Jahren verschob sich der Schwerpunkt auf Öl und Gas, deren Preise in den 1970ern stark anstiegen. Hatte die Sowjetunion 1970 für 931 000 Tonnen Rohöl nur 485 Millionen Schilling und für 695.000 Tonnen Erdgas 348 Millionen Schilling erzielt, so nahm man 1974 für 841 000 Tonnen Erdöl 1,3 Milliarden Schilling und für 1,57 Millionen Tonnen Erdgas 713 Millionen Schilling ein. Der Schilling-Ölpreis war von 1970 bis 1974 um beinahe 200 Prozent gestiegen, der Gaspreis zog mit etwas Zeitverzögerung nach. Bei den Ausfuhren in die UdSSR gelang Österreich im Laufe der Zeit eine gewisse Verschiebung in Richtung höherwertiger Verarbeitungsprodukte. Die relativ einfachen Halb- und Fertigwaren hatten 1960 noch 46 Prozent der Exporte ausgemacht ; bis 1974 ging ihr Anteil auf 35 Prozent zurück. Dafür konnten auch in der UdSSR die Verkäufe chemischer Erzeugnisse überproportional gesteigert werden. Unter den Halb- und Fertigwaren behaupteten Bleche und Universaleisen die wichtigste Position, auf sie entfielen 1974 Lieferungen in einem Gesamtwert von 960 Millionen Schilling. Unter den Maschinen und Verkehrsmitteln kam regelmäßig den Wasserfahrzeugen ein hervorragender Stellenwert zu. 1974 nahmen die Sowjets zum Beispiel Schiffe im Wert von 352 Millionen Schilling ab.101

1976–1989: Der österreichische Osthandel bis zur großen »Wende« Neuer Kalter Krieg und Zusammenbruch des Ostblocks102 Um die Mitte der 1970er-Jahre hatten sowohl die Entspannungspolitik (Schlussakte von Helsinki 1975) als auch die Dynamik des Ost-West-Handels ihren Höhepunkt erreicht. Danach folgten aus wirtschaftlichen und weltpolitischen Gründen neue Handelshemmnisse und eine Stagnation der Handelsbeziehungen. So wurden dann zwar im Juni 1979 die SALT-II-Verträge in Wien unterzeichnet, zur Ratifizierung kam es aber nicht mehr. Neben grundsätzlichen Bedenken in der amerikanischen Legislative gab der Einmarsch in Afghanistan im Dezember 1979, der trotz ausdrücklicher amerikanischer Warnungen erfolgte, den Ausschlag. Die USA sahen sich 101 Vgl. Statistik des Außenhandels Österreichs 1960, Teil B, Tab. 4 ; Der Außenhandel Österreichs 1970, Serie 2, Tab. 1 ; Der Außenhandel Österreichs 1974, Serie 2, Tab. 1. 102 Vgl. Fn 7 und 8.

978-3-205-78469-2_Rauch_Block.in535 535

08.03.2010 15:49:22

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gegen Ende der 1970er-Jahre in einer Position zunehmender Schwäche. Sie verloren 1979 mit der Revolution von Ayatollah Khomeini im Iran einen wichtigen Bündnispartner. 1980/81 erlitt die Supermacht mit der Geiselnahme von mehr als 50 Diplomaten in Teheran und einem unglücklich gescheiterten Befreiungsversuch weitere Demütigungen. Damit war der Weg frei für den Wahlsieg von Ronald Reagan und einer Rückkehr zur »Politik der Stärke«. Für Beunruhigung im Westen sorgte auch die Modernisierung bzw. Stärkung der Mittelstreckenarsenale im Ostblock durch die Stationierung neuer SS-20-Raketen ab 1977, die insbesondere als Bedrohung für Westeuropa wahrgenommen wurden. 1979 kam es – nicht zuletzt auf Initiative der Bundesrepublik Deutschland und des Vereinigten Königreichs – zum sogenannten NATO-Doppelbeschluss : Stationierung von Pershing-II-Raketen und Cruise Missiles (Marschflugkörper) in Westeuropa bei einem gleichzeitigen Angebot der Begrenzung atomarer Mittelstreckenraketen. Nach gescheiterten Abrüstungsverhandlungen erfolgte 1983 die Aufstellung – trotz umfangreicher Proteste der damals sehr aktiven Friedensbewegung. Im selben Jahr kündigte US-Präsident Reagan die Strategische Verteidigungsinitiative (SDI) an. Das ambitionierte Projekt sah einen wirksamen Schutzschirm gegen einen atomaren Angriff vor, was bedeutete, dass für die USA anstelle der gegenseitig gesicherten Zerstörung ein gewinnbarer Atomkrieg denkbar wurde – eine Perspektive, die für die UdSSR eine Herausforderung darstellte, aber auch in Westeuropa für Bedenken sorgte. Die US-Strategie setzte wiederum mehr denn je auf die nachhaltige technologische Überlegenheit im Rüstungswettlauf. Es lag nahe, in diesem Zusammenhang auch die Embargopolitik wieder stärker zu forcieren. Die während des ersten Kalten Krieges etablierte Kontrolle über den Ostexport strategisch bedeutsamer Technologie im Rahmen des COCOM hatte in der Entspannungsphase an Stellenwert verloren. Die Aktivitäten der »Consultative Group« waren zu Beginn der 1960erJahre eingeschlafen, seither wurden keine kontroversiellen Entscheidungen über eine Weiterentwicklung mehr ausgetragen. Auf Initiative der Reagan-Administration setzten ab den frühen 1980er-Jahren wieder unregelmäßige Treffen auf Ebene der Unterstaatssekretäre ein, und auch im Rahmen von G-7-Treffen diskutierte man erneut die Exportkontrollen. Zu einem akuten Konflikt zwischen den alliierten Mächten führten Versuche der USA im Jahr 1982, den als Kooperationsgeschäft zwischen westlichen und östlichen Partnern konzipierten Bau der Urengoi-Pipeline zu unterbinden. Dieses große Erdgas-Röhrengeschäft bot westlichen Firmen während der Konjunkturflaute der frühen 1980er-Jahre erhebliche Geschäftsvolumina, und sollte die Versorgung Europas mit russischem Erdgas weiter ausbauen. Im Wege der Re-Exportkontrollmechanismen trachteten die USA, sowohl amerikanische als auch andere westliche Firmen an der Teilnahme zu hindern. Die westeuropäischen Staaten reagierten harsch auf den Eingriff in ihre Souveränität. Zum Beispiel hielt

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Frankreich amerikanische Firmen und Niederlassungen mit Klagsdrohungen dazu an, ihre Verträge im Zusammenhang mit dem Pipelinebau einzuhalten, und auch die britische Premierministerin Margaret Thatcher hielt daran fest, dass die britischen Unternehmen auf jeden Fall das Geschäft machen würden. So scheiterte der Verhinderungsversuch der USA, und selbst amerikanische Firmen blieben im Geschäft.103 Die Auseinandersetzung bildete aber darüber hinaus einen Anlass, das COCOMRegime wieder weiter zu entwickeln. Dabei vertraten die USA die Politik, sowohl den Umfang der COCOM-Listen auszuweiten als auch die Durchsetzung der Exportkontrollen zu verschärfen, während die Alliierten eher darauf drängten, verschärfte Kontrollen für kürzere, präzisere Listen zu etablieren.104 1984 wurde ein Kompromiss erzielt, bei dem zum Beispiel Heimcomputer von der Embargoliste gestrichen und die Hemmnisse für den Verkauf von Schaltelementen und Software vermindert wurden. Im Gegenzug trat eine Verschärfung der Exportrestriktionen im Bereich Telekommunikationstechnik in Kraft, und die Biotechnologie kam auf eine »watch list«, das heißt, man behielt sich vor, sie gegebenenfalls unter die Embargobestimmungen fallen zu lassen. Überdies einigten sich die COCOM-Mitglieder darauf, in Hinkunft ihre bilateralen Handelsabkommen mit Nicht-COCOM-Staaten so zu gestalten, dass die COCOM-Embargos nicht umgangen werden konnten. Trotzdem blieb weiterhin keine wirklich einheitliche Vorgangsweise gewährleistet. Zum Beispiel lockerten die USA den Boykott gegenüber China, um den Druck auf die Sowjetunion zu verstärken, und Frankreich bearbeitete weiterhin den Telekommunikationsmarkt im Ostblock.105 Trotz verbliebener Unstimmigkeiten zeigte das Embargo Wirkung. Der Technologietransfer wurde zwar nicht verhindert, aber effektiv verzögert und verteuert. Vom sowjetischen Block gingen mit Aktionen wie der Stationierung der SS-20Raketen und der Afghanistan-Invasion Signale in Richtung eines neuen Kalten Krieges aus, während sich zugleich im Inneren auf politischer und wirtschaftlicher Ebene immer schwerer kontrollierbare Destabilisierungsprozesse ausbreiteten. Die in der Schlussakte von Helsinki garantierten Menschenrechte und Grundfreiheiten gaben den Bürgerbewegungen starken Auftrieb. Dissidente Gruppierungen begannen sich zu formieren. Sie sahen sich nach wie vor massiver staatlicher Repression gegenüber, die jedoch nicht mehr mit der bedenkenlosen Brutalität der StalinÄra exekutiert wurde. In Polen reagierte die Staatsführung auf die Protestaktionen 103 Kaufman, Richard F.: U.S.-Soviet Trade Policy in the 1980s, in : Bartsch, Gary/Elliott-Gower, Steven (Hg.) : The Impact of Governments on East-West Economic Relations (East-West European economic interaction 12), Basingstoke/London 1991, S. 47–65, hier S. 51 f ; Noehrenberg : Multilateral Export Controls, S. 72 f. 104 Vgl. etwa Washington lässt im COCOM noch nicht locker, in : Frankfurter Allgemeine Zeitung, 7. Dezember 1989, S. 17. 105 Noehrenberg : Multilateral Export Controls, S. 71–75.

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der unabhängigen Gewerkschaft Solidariność im Jahr 1981 mit der Verhängung des Kriegsrechts, was insbesondere die Reagan-Administration zu einer weiteren Verschärfung der Gangart gegen den Sowjetblock veranlasste. Anhand der schwachen Produktivitätsentwicklung, geringer Exporterfolge, zunehmender Westverschuldung und schlechter Versorgungslage zeigte sich, dass die Strategie der importgeleiteten, arbeitsteiligen Modernisierung, die im Komplexprogramm des RGW von 1971 angedacht worden war, scheiterte. Auch ein im Dezember 1985 vom RGW beschlossenes multilaterales »Programm des wissenschaftlich-technischen Fortschritts«, das vorsah, bis zur Jahrhundertwende mit den industriell hoch entwickelten Marktwirtschaften des Westens im technischen Niveau gleichzuziehen, erwies sich als Misserfolg. Das Projekt setzte weiterhin auf die traditionellen Strukturen von Planwirtschaft auf nationaler Ebene und darauf fußenden multilateralen oder bilateralen Vereinbarungen für ausgewählte Projekte. Inhaltliche Schwerpunkte sollten in den Bereichen Elektronisierung und Automatisierung, Kernenergie, synthetische Materialien und Biotechnologie gesetzt werden. Auf der 44. Ratstagung (1988) mussten sich die RGW-Staaten eingestehen, dass sich die in das Programm gesetzten Hoffnungen bei Weitem nicht erfüllten.106 In der UdSSR wurde 1985 Michail Gorbatschow neuer Generalsekretär der KPdSU. Er versuchte mit dem Reformprogramm von Perestroika (wirtschaftliche Wende) und Glasnost (Transparenz) einen neuen Kurs einzuschlagen, der u. a. mehr Freiheit für wirtschaftliche Entwicklungen und weitere Spielräume für die einzelnen RGW-Staaten vorsah. Ab 1986 trat die UdSSR mit neuen, weit reichenden Abrüstungsinitiativen hervor, auf die die USA nun aus einer Position der Stärke reagieren konnten. Amerika hielt zum einen am SDI-Programm fest, es kam aber auch zu konkreten Abrüstungsschritten, etwa dem INF-Vertrag über nukleare Mittelstreckensysteme (1987) und dem START-I-Vertrag (Abrüstung nuklearer Trägerwaffensysteme) im Jahr 1991. Das Jahr 1989 brachte schließlich die »Wende« in den RGW6-Staaten : In Polen siegten die Bürgerkomitees bei den Parlamentswahlen, und die kommunistischen Staatsführungen verloren auch in den anderen ehemaligen Satellitenstaaten Moskaus 1989/90 das Herrschaftsmonopol. Im Zuge der Perestroika boten die Oststaaten dem Westen in der letzten Phase der Geschichte des RGW107 neue Geschäftsmöglichkeiten und mehr Spielräume für direkte Investitionen. Diese Betätigungsfelder erschienen für westliche Unternehmen sowohl wegen der aktuellen Gewinnmöglichkeiten als auch wegen der strategischen Positionierung für zukünftige Wirtschaftsbeziehungen als durchaus interessant. Somit kam es auch im Rahmen des COCOM wieder zu Initiativen in Richtung einer 106 Levcik, Friedrich : Der technologische Rückstand in den RGW-Ländern – fehlende Anreize, in : Quartalshefte der Girozentrale, 24. Jg., IV/88-I/89, S. 9–15. 107 Dieser wurde schließlich 1991 formell aufgelöst.

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Liberalisierung der Handelsmöglichkeiten. Man empfand, dass zahlreiche vom Embargo betroffene Waren durch den technischen Fortschritt ohnehin bereits »nonstrategic« geworden waren, und bei den Alliierten nahm die Frustration über die exterritoriale Exportkontrolle seitens der USA im Wege der Re-Exportbeschränkungen zu, sodass sich im COCOM eine »explosive« Situation entwickelte. US-Präsident Ronald Reagan setzte sich noch 1989 persönlich in sämtlichen COCOM-Staaten für eine verschärfte Durchsetzung der bestehenden Embargobestimmungen ein, erlebte aber eine einheitliche Zurückweisung des Ansinnens. Zugleich formierten sich auch in den USA die Interessen gegen allzu strikte Handelsbeschränkungen, sogar der bisherige Hardliner Richard Perle billigte zunehmende Exporte, wenngleich auf gut geprüfte Einzelfälle beschränkt, um die Reformentwicklungen ab 1989 zu stärken.108 Als konkrete Maßnahmen folgten Kürzungen der Embargolisten und eine Differenzierung der Behandlung einzelner ehemals kommunistischer Staaten. Der deutsche Wirtschaftsminister Jürgen Möllemann erklärte 1991, dass er die COCOMPerspektive als überholt empfinde und dass nunmehr besser Wirtschaftskontakte als »Investition in den Frieden« gesehen werden sollten.109 Der Fokus der COCOMAktivitäten verschob sich in den frühen 1990er-Jahren von kommunistischen auf »terroristische« Staaten, wobei man nun durchaus auch jene Staaten, gegen die das COCOM ursprünglich gerichtet war, für neue Embargomaßnahmen als Partner gewinnen wollte. Der COCOM-Ausschuss wurde 1994 offiziell aufgelöst, und im Dezember 1995 trat anstelle des alten Embargoregimes das Wassenaar-Abkommen in Kraft, dem auch ehemalige Ostblockstaaten und Russland angehören. Das Wiederaufleben des Kalten Krieges um 1980 hatte aber nicht nur neue Verschärfungen der Embargopolitik vonseiten der NATO-Staaten gebracht, sondern auch die neutralen Staaten wieder verstärkt in die Zwänge zur Exportkontrolle einbezogen. Zum Beispiel hatte die Schweiz während der Stockungen des westlichen Außenhandels in den 1970er-Jahren, ähnlich wie Österreich, die Ostmärkte bearbeitet und u. a. 1978 ein offizielles Abkommen mit der UdSSR über die wirtschaftliche, industrielle und wissenschaftliche Kooperation abgeschlossen. Der helvetische Osthandelsanteil war zwar niedriger als in Österreich, stieg aber doch auch deutlich an. So erhöhte sich allein der Anteil der UdSSR-Exporte an den Schweizer Ausfuhren von 0,65 Prozent im Jahr 1974 auf 1,66 Prozent 1978. Auch in den 1980er-Jahren waren Schweizer Maschinenbau- und Chemieprodukte im Osten durchaus gefragt. So war im Jahr 1987 dann der Schweizer Chemieriese Sandoz die erste westliche Firma, die in der UdSSR auf der Grundlage der liberalisierten Investitionsmöglichkeiten gemeinsam mit einer inländischen Firma eine Fabrik errichtete.110 108 Noehrenberg : Multilateral Export Controls, S. 77. 109 Ebd., S. 83. 110 Fritzsche/Lohm: Fritzsche/Lohm : Swiss Economic Relations, S. 18 f.

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Angesichts der neuerlichen Verschärfung des COCOM-Embargos ab den frühen 1980ern rückten bei den Beschaffungsaktionen Moskaus die Staaten außerhalb der NATO wieder mehr in den Blickpunkt des Interesses. Im Gegenzug intensivierten die USA den Druck auf die Neutralen, in der Embargopolitik zu kooperieren. Widrigenfalls drohte eine Benachteiligung bei der Ausstellung von Exportlizenzen für Hochtechnologie. Insbesondere die Umstellung von Sammellizenzen auf bürokratisch extrem aufwendige Einzelgenehmigungen hätte die Hightechsektoren in den betroffenen neutralen Staaten hart getroffen. Ein Anlassfall, der das Interesse u. a. auf die Schweiz lenkte, waren die Aktivitäten des amerikanischen »Technobanditen« Charles McVey. Dieser verkaufte jahrelang illegal Computer, wissenschaftliche Instrumente und Satellitentechnologie in die UdSSR, wobei er mit einem Schweizer Spediteur zusammenarbeitete. McVey wurde 1986 in Kanada verhaftet.111 Im Zuge der aufkommenden Diskussionen musste die Schweiz glaubhaft machen, wie in früheren Jahren zu kooperieren, und die Kontrollen im Bereich der Transitgeschäfte und Zollfreilager verschärfen. Erst im Zuge dieser Entwicklung wurde das 1951 informell vereinbarte Hotz-Linder-Agreement publik gemacht und öffentlich diskutiert.112 Die Schweiz verstand es jedoch, sich mit dem eigenen Exportkontrollsystem (»Blue-Swiss-System«) ähnlich wie Finnland113 rasch wieder das Vertrauen der USA zu sichern. Als aufgrund des US-Außenhandelsgesetzes 1988 im Juli 1989 eine »lizenzfreie« Zone für Hochtechnologie definiert wurde, in die ein Großteil der Embargoware gänzlich ohne Exportlizenz geliefert werden durfte, gehörten neben den COCOM-Staaten auch die beiden genannten neutralen Staaten zu diesem Kreis der als besonders vertrauenswürdig erachteten Länder. Österreich und Schweden wurde dieser unbehinderte Marktzugang hingegen bis Ende der 1990er-Jahre nicht eingeräumt.114 Der österreichische Osthandel 1975–1989 Österreich geriet in den 1980er-Jahren noch stärker als die Schweiz unter Zugzwang, das Osthandelsregime den westlichen Sicherheitsbedürfnissen anzupassen. Insbesondere im Jahr 1984 erhöhten die USA den Druck auf Wien, in der Embargopolitik 111 The Technobandits, in : Time, 23. November 1987, S. 34–40. 112 Schweizerisch-amerikanische Geheimabsprachen über die Beschränkung des Osthandels, in : Neue Zürcher Zeitung, 25. Mai 1988, S. 9 ; Schaller, André : Schweizer Neutralität im West-Ost-Handel. Das Hotz-Linder-Agreement vom 23. Juli 1951 (St. Galler Studien zur Politikwissenschaft 12), Bern/Stuttgart 1987. 113 Finnland konnte glaubhaft machen, dass im Rahmen des weiterhin bestehenden Clearing-Abkommens mit der UdSSR ausreichende Möglichkeiten gegeben waren, alle finnischen Sowjetexporte zu überwachen. Stankovsky : Österreich und das COCOM, S. 150. 114 Ebd., S. 153.

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stärker zu kooperieren. In mehreren Presseberichten wurde Österreich massiv vorgeworfen, ein Schlupfloch für illegalen Technologietransfer in den Ostblock darzustellen. Zum Beispiel bezeichnete das »Wall Street Journal« in einer Artikelreihe im Juli 1984 Österreich als Hauptumschlagplatz für den illegalen Technologietransfer in den Ostblock und konstatierte eine mangelnde Kooperationsbereitschaft mit den zuständigen amerikanischen Stellen. In Wien sorgte für Irritationen, dass die Beiträge eine hohe Abhängigkeit von Moskau angesichts der Energie- und Rohstoffeinfuhren aus dem RGW-Raum insinuierten, und man war verärgert über Versuche, nicht nur den Handel mit amerikanischen klassifizierten Waren extraterritorial zu kontrollieren, sondern auch genuin österreichische Hochtechnologie (z. B. Schmiedemaschinen der Firma GFM in Steyr und Sintermetalle der Plansee-Werke) einer Kontrolle zu unterwerfen.115 Auch im ebenfalls 1984 publizierten Buch von Melvern, Anning und Hebditch, »Techno Bandits – How the Soviets Are Stealing America’s Future«, war Österreich ein ganzes Kapitel gewidmet. Den amerikanischen Beobachtern waren insbesondere die KPÖ-Firmen und Wiener Handelsunternehmen mit östlicher Beteiligung suspekt. Österreichischerseits räumte man durchaus ein, dass im West-Ost-Handel über solche, zumeist kleinere Unternehmen zweifellos Deals abliefen, die nicht dem COCOM-Embargo folgten.116 Die österreichische Volkswirtschaft war aber von unbehinderten Hightechimporten aus dem Westen abhängig, und im Jahr 1984 befand man sich diesbezüglich in einer besonders sensiblen Situation, weil gerade im Bereich der krisengeschüttelten Verstaatlichten Industrie umfangreiche Modernisierungsprojekte im Gange waren. Vor allem ist in diesem Zusammenhang auf das VOEST-AMI-Projekt hinzuweisen : Die VOEST hat zu Beginn der 1980er-Jahre mit der American Microsystem Inc. die Gründung eines Joint Venture namens »Austria Mikrosysteme International GmbH« (AMI) vereinbart. Das Werk in Unterpremstätten (Steiermark) wurde für die Erzeugung von modernsten kunden- und anwendungsspezifischen Mikrochips ausgelegt. Das Interesse an einem reibungslosen Ablauf dieses Projektes hat zweifellos die Kooperationsbereitschaft Österreichs erhöht. Die USA banden die Ausstellung von Exportlizenzen für diese Technologie an strenge Auflagen. Der österreichische Osthandelsexperte Jan Stankovsky vermutet, dass vielleicht überhaupt erst das VOEST-AMI-Projekt das besondere Interesse der USA für die österreichischen 115 Kempe, Frederick : Losing Battle. Keeping Technology Out of Soviet Hands Appears Impossible, in : Wall Street Journal, 25. Juli 1984, S. 1 und S. 8 ; Frederick Kempe : Losing Battle. Austria Gives U.S. Little Aid in Plugging Its Technology Leaks, Wall Street Journal, 26. Juli 1984, S. 1 und S. 7. Als Kommentar dazu von neutraler Seite siehe : Verärgerung in Wien über »Wall Street Journal«, in : Neue Zürcher Zeitung, 29./30. Juli 1984, S. 9. 116 So erklärte der Rektor der Technischen Universität Wien, Paschke, er sei sich sicher, dass manche Handelsunternehmen die Embargobestimmungen in einigen Fällen umgingen. Die Presse, 2. März 1985, nach Stankovsky : Österreich und das COCOM, S. 150.

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Re-Exportregelungen geweckt habe.117 Regierung und Legislative mussten in den folgenden Jahren weitreichende Zugeständnisse an Washington machen. Im Jänner 1985 trat eine Novelle des österreichischen Außenhandelsgesetzes in Kraft, die die Ausfuhr von Computern (automatische Datenverarbeitungsmaschinen, Datenleser, Teile und Zubehör dazu) in Österreich der Bewilligungspflicht unterwarf. Überdies wurde in der Novelle erstmals eine gesetzliche Grundlage für die seit 1954 etablierte Praxis der Ausstellung von Internationalen Einfuhrbescheinigungen geschaffen. Diese hatten nunmehr die Form eines Bescheides und waren in der Regel mit der Auflage verbunden, die betreffenden Waren nur im Inland zu verwenden. Bei einem Verstoß gegen diese Bestimmungen konnte das Wirtschaftsministerium ab nun wirksame Strafsanktionen verhängen.118 Die neue Regelung blieb, so wie die früheren informellen Importzertifikate, »inputorientiert«, das heißt auf die Kontrolle eingeführter Embargoware ausgerichtet. Das hatte zur Folge, dass eine bürokratisch belastende Überbindung dieser Verpflichtungen auf weitere Nutzer der Waren in Österreich vorgeschrieben werden musste. Unbeschadet dessen bestanden weiterhin »Schlupflöcher« im Bereich des Transitverkehrs und der Zollfreizonen. Hier boten die Regelungen nach wie vor keine Handhabe für eine wirksame Überwachung. So setzten sich auch 1985 die Meldungen über illegale Technologietransfers durch Österreich fort.119 Erst im Jahr 1987 sah eine weitere Novellierung des Außenhandelsgesetzes eine Bewilligungsliste für Hochtechnologieexporte vor. De facto wurde damit das COCOM-Embargo seit Jahresbeginn 1988 die Grundlage dafür, welche Waren nur mit Exportbewilligung des Wirtschaftsministeriums ausgeführt werden durften. Die Anlage C des erneuerten Außenhandelsgesetzes entsprach exakt der damals aktuellen COCOM-Liste. Damit war seit 1988 nicht mehr das Importzertifikat (IC), sondern die Bewilligungspflicht zur Ausfuhr das Hauptinstrument zur Überwachung des Technologietransfers. Im Gegensatz zur Schweiz sah Österreich weiterhin – im Sinne der in den frühen 1970er-Jahren erreichten »Vollliberalisierung« – keine Kontingente für den Export von Hochtechnologie in die Oststaaten vor.120 Zugleich förderte Österreich weiterhin massiv den Außenhandel mit den RGWStaaten. Die ausstehenden Haftungen (in Garantiebeträgen) der österreichischen Kontrollbank erhöhten sich insgesamt von 42 Milliarden Schilling zum Jahresende 1975 auf 206,7 Milliarden 1980, der auf die Oststaaten (einschließlich Jugoslawien 117 Stankovsky : Österreich und das COCOM, S. 150 f. 118 Barisitz, Stephan : Stellenwert der Hochtechnologie im österreichischen Ostexport und im internationalen Vergleich (Forschungsberichte des Wiener Instituts für Internationale Wirtschaftsvergleiche beim Österreichischen Institut für Wirtschaftsforschung 154), Wien 1989, S. 14 f. 119 Vgl. z.B. Die Presse, 12. August 1985 ; Die Presse, 19. September 1985 ; Kurier, 31. Juli 1986 (zitiert nach Barisitz : Stellenwert der Hochtechnologie, S. 15). 120 Stankovsky : Österreich und das COCOM, S. 151 f.

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und Albanien) entfallende Teil stieg von 15,3 auf 68,6 Milliarden Schilling. Die Ausnützungsstände der Exportfinanzierung stiegen im gleichen Zeitraum von 15,5 auf 91,1 Milliarden Schilling, die davon dem Ostgeschäft zuzurechnenden Summen nahmen von 7,1 auf 36 Milliarden Schilling zu.121 Der Ausbau der Ostexportförderung kam ab 1982/83 praktisch zum Stillstand. Bis 31. Dezember 1989 erhöhte sich der Stand sämtlicher Exporthaftungen der Kontrollbank auf 338,1 Milliarden Schilling, die Haftungen für Osteuropa wuchsen bis in die frühen 1980er-Jahre auf rund 110 Milliarden Schilling und stagnierten dann auf diesem Niveau. Die Exportfinanzierungen (Ausnützungsstände) stiegen bis 1989 insgesamt auf 180,2 Milliarden Schilling an, der Stand der Osthandelsfinanzierung durch die Kontrollbank schwankte ab 1983 zwischen 70 und 81 Milliarden Schilling.122 Schwere Turbulenzen hatten die Schuldner und Finanzdienstleister zu Beginn der 1980er-Jahre zu bewältigen. Die importbasierte Wachstumsoffensive der RGWStaaten, der zweite Erdölschock und eine deutliche Steigerung der Zinsniveaus auf den Weltfinanzmärkten brachten um 1980 die kleineren RGW-Staaten in akute Zahlungsprobleme. Die Westverschuldung sämtlicher Oststaaten stieg allein von 1980 bis 1981 von rund 70 auf mehr als 80 Milliarden USD. Österreichische Institutionen finanzierten rund 10 Prozent dieser Schuldenlast, obwohl die österreichischen Ostexporte nur etwa 5 Prozent der gesamten OECD-Exporte nach Osteuropa ausmachten.123 Polen und Rumänien wurden 1981 zahlungsunfähig, auch Ungarn und die DDR gerieten in akute Liquiditätsprobleme. Spätestens in diesen Jahren erwies sich die Hoffnung der Forderungsinhaber, dass im Sinne der sogenannten »umbrella theory« nötigenfalls die Sowjetunion für die RGW-Schulden haften würde, als irrig.124 In den frühen 1980er-Jahren waren aber nicht nur einige Oststaaten, sondern weltweit zahlreiche Entwicklungs- und Schwellenländer in die Schuldenfalle geraten. Zur Bewältigung der Umschuldungen wurden in den 1980er-Jahren die sogenannten »Pariser Clubs« gebildet, jeweils ad hoc formierte Gruppen aus Vertretern des Gläubigerlandes und des Umschuldungslandes unter Beiziehung von Vertretern des französischen Schatzamtes, des IWF, der Weltbank, der Konferenz der Vereinten 121 Österreichische Kontrollbank Aktiengesellschaft, Exportgarantien und Exportfinanzierung in Österreich, Statistische Daten/Statistical Data 1971–1980, o. J. 122 Österreichische Kontrollbank Aktiengesellschaft, Exportgarantien und Exportfinanzierung in Österreich – Jahresbericht 1985 ; Österreichische Kontrollbank Aktiengesellschaft, Exportgarantien und Exportfinanzierung in Österreich – Jahresbericht 1989. 123 Fink/Mauler: Fink/Mauler : Hard Currency Position Position;; Stankovsky Stankovsky:: Der neue Osthandel, S. 255. 124 Gehart, Fritz: Fritz : The Role of the Austrian Government in East-West Economic Relations, in: in : Bertsch, Gary/Elliott-Gower, Steven (Hg.) : The Impact of Governments on East-West Economic Relations Relations (East-West European economic interaction 12), Basingstoke/London 1991, S. 259–278, hier S. 269.

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Nationen für Handel und Entwicklung (UNCTAD), der OECD und gegebenenfalls der jeweiligen regionalen Entwicklungsbank. Österreich war in diese Vorgänge vor allem im Zusammenhang mit den zu Beginn der 1980er-Jahre zahlungsunfähig gewordenen Oststaaten involviert. Die bilateralen Umschuldungen wurden in Österreich technisch durch Refinanzierung mittels Umschuldungskreditvertrages auf Basis der multilateralen Bestimmungen durchgeführt. Die ordnungsgemäße Erfüllung des Umschuldungskreditvertrages durch das Umschuldungsland wurde durch die Republik Österreich gemäß dem für diesen Anlass verabschiedeten Ausfuhrförderungsgesetz 1981 abgesichert. Bis 31. Dezember 1989 stieg der Stand der Umschuldungsgarantien auf 54,1 Milliarden Schilling, wovon 34,9 Milliarden Schilling auf die beiden insolvent gewordenen osteuropäischen Staaten entfielen.125 Die Bruttoverschuldung des Ostens im Westen stieg danach weiter auf 138,8 Milliarden USD zum Jahresende 1988 (Nettoverschuldung : 104,4 Milliarden USD), davon finanzierte Österreich rund 9 Prozent, was in Landeswährung etwa 165 Milliarden Schilling ausmachte. Ungefähr ein Drittel davon war staatlich garantiert, der Rest frei finanziert. Die Ostblockstaaten hatten somit rund 12 Prozent ihrer Bankschulden in Österreich aufgenommen.126 Trotz stockender Handelsvolumina, Embargoverschärfungen und Schuldenkrise spielte Wien weiterhin eine wichtige Rolle im Ost-West-Handel. Nach wie vor war die österreichische Bundeshauptstadt ein Begegnungsort für Wirtschaft, Diplomatie und Wissenschaft und ein attraktiver Standort für Handelsdienstleister. Zum Beispiel verzeichnete das Österreichische Evidenzbüro für Außenhandelsgeschäfte, das unter anderem Gegengeschäfte zwischen West und Ost vermittelte, gegen Ende der 1980er-Jahre ungefähr 130 Unternehmen als Kunden, die jährlich Beiträge für die Dienstleistungen des Instituts zahlten,127 und die Österreichische Transithändlervereinigung hatte ungefähr 70 Mitglieder. Man schätzte, dass im Jahr 1986 in Wien insgesamt rund 2 000 Unternehmen aktiv waren, die sich dem Handel mit den kommunistischen Ländern widmeten.128 Der Transithandel, er wird nicht in der Handelsbilanz, sondern seitens der Oesterreichischen Nationalbank in der Zahlungsbilanz verbucht, erfuhr während der frühen 1980er-Jahre im Gegensatz zum Warenhandel rasche Zuwächse. Der Gesamtwert der Transitverkäufe erhöhte sich von 17 Milliarden Schilling im Jahr 1976 auf 156 Milliarden Schilling 1984, der Wert der Transitverkäufe in den Ostblock stieg im gleichen Zeitraum von acht auf 25,9 Milliarden Schilling an. Dem nominel-

125 Österreichische Kontrollbank Aktiengesellschaft, Exportgarantien und Exportfinanzierung in Österreich – Jahresbericht 1989, A 14. 126 Barisitz: Barisitz : Austria – A Business Bridge, S. 112 f. 127 Ebd., S. 114. 128 Die Presse, 5. Februar 1986, zitiert nach : Seliger : KPÖ-Firmen, S. 122.

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len Wachstum der Osttransitverkäufe von 220 Prozent stand ein Wachstum der gesamten Transitverkäufe um mehr als 800 Prozent gegenüber. Der enorme Zuwachs jenseits des Ostgeschäfts bestand zu einem großen Teil in den umfangreichen Ölspekulationen der verstaatlichten Handelsfirmen Intertrading (VÖEST) und Merx (Chemie Linz),129 deren spektakuläres Scheitern im Jahr 1986 den Niedergang der Verstaatlichten Industrie zusätzlich massiv beschleunigte. Die österreichischen Banken nutzten die Möglichkeiten, im Zuge der beginnenden Wirtschaftsreformen im Osten ihre Präsenz in den betreffenden Ländern auszubauen. Zum Beispiel eröffnete die Länderbank einen Standort in Ostberlin, die Creditanstalt in Budapest, Ostberlin, Prag und Moskau. Über die letztgenannte Stelle wurde etwa ein Drittel der Exportkredite abgewickelt, die Österreich für den UdSSR-Handel bereitstellte. Auch die in der Sowjetunion nach 1985 entstehenden neuen Firmen, die Lizenzen für den Westhandel erlangten, arbeiteten mit der CAFiliale in Moskau zusammen.130 Für die Handelsunternehmen der Kommunistischen Partei Österreichs hatten bereits die Handelsliberalisierungen der frühen 1970er-Jahre neue Geschäftsmöglichkeiten, aber auch neue Konkurrenz gebracht. Ab den späten 1970ern reagierte man auf das wettbewerbsintensivere Umfeld mit weitreichenden Restrukturierungen. Allein im Jahr 1977 wurden zum Beispiel die Briko Brikett- und Kohlenimportgroßhandels-GmbH Erwin Flemmer & Co KG, die Continentcarbo Franz Kovac & Co Handels-GmbH, Alexander Vajda & Co KG, die Intercarbon Großhandel und Import von festen und flüssigen Brennstoffen GmbH, die Siltex Warenhandels-GmbH, die Eurotrans Import-Export-Transit GmbH, die Almeco Metallhandels GmbH, die Centrotrans Handels-GmbH, die Eintrau Handels- und Beteiligungs GmbH und die Indutrade-Contact-Vermittlungs- und Warenhandels-GmbH im Handelsregister gelöscht.131 Dafür konnten kommunistische Vermittler bei den wachsenden Handelsbeziehungen zwischen Österreich und der DDR erfolgreich mitschneiden. Nach der Umstrukturierung der KPÖ-Firmengruppe wurde Josefine Steindling zur wichtigsten für den DDR-Handel zuständigen Funktionärin.132 Ab 1978 übernahm sie u. a. die Geschäftsführung der Firma Novum (Berlin), um die nach der »Wende« ein erbitterter Eigentumsstreit zwischen KPÖ und deutscher Treuhand ausbrach, den die deutsche Seite für sich entschied. Die politischen und wirtschaftlichen Kontakte wurden auf vielerlei Ebenen intensiv gepflegt. Österreich entschloss sich bereits 1972, die DDR anzuerkennen, und 1973 kam es zur Unterzeichnung eines ersten offiziellen Vertrages über eine weitere 129 130 131 132

Gabrisch/Stankovsky : Sonderformen im Ost-West-Handel, Teil I : Der Transithandel, S. 15 f. Barisitz: Barisitz : Austria – A Business Bridge, S. 114 f. Muzik/Schano : Das Wirtschaftsimperium der KPÖ, S. 76. Ebd., S. 82 ; Muzik, Peter : Osthandel. Die Strohmänner der KPÖ, in : Trend 5/1987, S. 302–310.

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Andreas Resch

Ausdehnung des Handels. Als sich 1974 die Beziehungen zwischen DDR und BRD infolge der Spionageaffäre Guillaume kurz nach der Unterzeichnung des Grundlagenvertrages massiv verschlechterten, erhielt die österreichische Verstaatlichte Industrie einige spektakuläre Großaufträge aus Ostdeutschland. Am 7. Dezember 1974 wurde zusätzlich zum Handelsvertrag ein Abkommen über die wirtschaftliche, industrielle und technische Zusammenarbeit geschlossen. Insbesondere bekundeten die verstaatlichte österreichische Stahlindustrie sowie Chemie-, Maschinenbau- und Elektroindustrie besonderes Interesse an Kooperationen. Auch die Zusammenarbeit auf Drittmärkten fasste man ins Auge. Im Jahr 1978 bestanden fünf ostdeutschösterreichische Joint Ventures ; das größte Volumen hatte ein Abkommen mit der VOEST über Anlagenbauprojekte in Afrika. Die Verträge aus 1973/74 wurden von Österreich auch als Signale zur Verstärkung der damals aktuellen Entspannungsprozesse (KSZE) gesehen. Die Kontakte dienten aber nicht zuletzt der Sicherung von Exportmöglichkeiten in Zeiten des stagnierenden Westhandels. Als Bundeskanzler Bruno Kreisky im Jahr 1978 die DDR besuchte, wurde eine Reihe umfangreicher Joint Ventures abgeschlossen.133 Danach gestalteten sich die Jahre 1979 bis 1986 als »goldene Zeit« des österreichischen DDR-Außenhandels. Just als 1980/81 die Beziehungen zwischen den beiden deutschen Staaten wieder in eine Krise geraten waren, empfing Österreich den DDR-Staatsratsvorsitzenden Erich Honecker zu dessen erstem Staatsbesuch im Westen.134 Der X. Parteitag der SED (1981) beschloss ein umfangreiches Programm zur Modernisierung der Wirtschaft, das u. a. der Substituierung von Ölimporten und der Entwicklung im Bereich der Elektronik dienen sollte. Im Jahr 1983 stellten dann österreichische Unternehmen auf den dritten Technischen Tagen der DDR Bio- und Computertechnik aus. Dass der DDR-Handel trotzdem nur relativ geringfügig wuchs, lag zweifellos weniger am Widerstand der USA gegen Hightechexporte als an den weiterhin unvermindert bestehenden Handelshemmnissen im Rahmen der DDR-Planwirtschaft und österreichischer protektionistischer Praktiken. So wurden zum Beispiel Importe von günstigen DDRTextilwaren im Zuge des Vidierungsverfahrens wegen Verdachtes auf Dumping massiv behindert. Die Anträge auf Vidierung waren im Rahmen einer bürokratischen Prozedur der Bundeskammer vorzulegen, und trotz der Liberalisierungsfortschritte galten für zahlreiche Warenkategorien nach wie vor empfindliche Zölle.135 Während in den bis weit in die 1980er-Jahre konventionell planwirtschaftlich gelenkten Ökonomien (z. B. DDR, UdSSR, ČSSR) vor allem die verstaatlichte Industrie Großaufträge erlangen konnte, etablierten sich zur reformfreudigeren ungarischen Volkswirtschaft enge Beziehungen auf der Ebene der mittelständischen Wirtschaft. 133 Boyer : Die Wirtschaftsbeziehungen, S. 177–179. 134 Stolzlechner : Österreichs Wirtschaftsbeziehungen, S. 160–163. 135 Boyer : Die Wirtschaftsbeziehungen, S. 179 f.

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Der österreichische Osthandel im Spannungsfeld der Blöcke

Ungarn hatte in den Jahren 1977 und 1982 die seit 1970 bestehenden Möglichkeiten für Joint Ventures liberalisiert. Um die Mitte der 1980er-Jahre bestanden rund 80 »funktionsfähige« Kooperationsverträge und acht Joint Ventures zwischen österreichischen und ungarischen Firmen, wobei hauptsächlich kleinere und mittlere Unternehmen beteiligt waren (z. B. eine Bettfedernfabrik, Ziegelfabrik, ein Reisebüro etc.).136 Auch österreichische Bauunternehmen konnten zeitweilig, dank Kontrollbankfinanzierung, eine nicht unerhebliche Tätigkeit in Ungarn entfalten. Einen nicht zu vernachlässigenden Geschäftsfaktor bildeten im Laufe der 1980erJahre auch ungarische Einkaufstouristen in Österreich. Nachdem sie die weitgehend liberalisierte Reisefreiheit erlangt hatten, kauften sie in großen Mengen langlebige Konsumgüter wie Videorekorder und Personal Computer, Letztere galten ab Mitte der 1980er-Jahre auch nicht mehr als Embargoware im Sinne des COCOM. Die skizzierten Rahmenbedingungen fanden in den Jahren 1976 bis 1989 folgenden Niederschlag in der wertmäßigen Entwicklung der Handelsströme :

% RGW6

Saldo insges. in Mio. ATS

Saldo RGW6 in Mio. ATS

–53 967,0

6 720,8

6,4

11,6

12 222,4

1,5

234 841,1

14,0

5,2

–73 059,6

6 569,4

1978

18 809,7

0,1

176 111,7

8,9

10,7

11 458,3

–6,3

231 888,3

–1,3

4,9

–55 776,6

7 351,4

1979

19 800,5

5,3

206 252,6

17,1

9,6

13 432,3

17,2

269 861,8

16,4

5,0

–63 609,2

6 368,2

1980

21 082,4

6,5

226 168,8

9,7

9,3

17 408,2

29,6

315 845,7

17,0

5,5

–89 676,9

3 674,2

1981

21 015,1

-0,3

251 768,8

11,3

8,3

18 898,6

8,6

334 510,2

5,9

5,6

–82 741,4

2 116,5

1982

20 220,9

–3,8

266 860,3

6,0

7,6

20 062,7

6,2

332 550,6

–0,6

6,0

–65 690,3

158,2

1983

22 739,9

12,5

277 139,4

3,9

8,2

21 626,7

7,8

348 339,1

4,7

6,2

–71 199,7

1 113,2

1984

24 077,3

5,9

314 504,4

13,5

7,7

25 920,4

19,9

392 093,9

12,6

6,6

–77 589,5

–1 843,1

1985

25 589,5

6,3

353 962,4

12,5

7,2

26 619,7

2,7

430 969,3

9,9

6,2

–77 006,9

–1 030,2

1986

22 445,9

–12,3

342 478,7

–3,2

6,6

21 445,9

–19,4

407 954,1

–5,3

5,3

–65 475,4

1 000,0

1987

22 344,2

–0,5

342 433,4

0,0

6,5

19 383,9

–9,6

411 858,8

1,0

4,7

–69 425,4

2 960,3

1988

23 883,7

6,9

383 212,6

11,9

6,2

19 940,9

2,9

451 441,8

9,6

4,4

–68 229,2

3 942,8

1989

27 205,2

13,9

429 309,5

12,0

6,3

22 590,8

13,3

514 686,4

14,0

4,4

–85 376,9

4 614,4

Wachstum

5,8

161 781,5

152 114,0

Imp. Österr. gesamt in Mio. ATS

Imp. aus RGW6 in Mio. ATS 12 037,8

0,2

Wachstum

% RGW6 12,3

18 791,8

Wachstum

18 758,6

1977

Österr. Exp. gesamt in Mio. ATS

1976

Wachstum

Jahr

Exp. nach RGW6 in Mio. ATS

Außenhandel Österreich–RGW6 1976–1989

206 081,0

Quelle : eigene Berechnungen mittels Daten aus Butschek : Statistische Reihen, Tabellen 15.3 und 15.4.

136 Gabrisch/Stankovsky : Sonderformen im Ost-West-Handel, Teil III : Höhere Formen der wirtschaftlichen Zusammenarbeit, S. 57–65 ; Vidovic, Hermine : Großaufträge des Ostens an die österreichische Industrie 1975–1986 (Forschungsberichte des Wiener Instituts für Internationale Wirtschaftsvergleiche 139), Wien 1988, S. 44 f ; Komlosy : Österreichs Brückenfunktion, S. 97–101.

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Andreas Resch

Der Nominalwert der österreichischen Exporte in die RGW6-Staaten wies bis 1985 trotz Schuldenproblematik noch eine leicht steigende Tendenz auf, ehe 1986 ein schwerer Rückschlag erfolgte. Zugleich vermochten die Oststaaten den nominellen Wert der Österreichexporte von 1976 bis 1985 ungefähr zu verdoppeln, sodass Österreich 1984 und 1985 sogar einen negativen Handelssaldo erzielte. Die Schuldenkrise zwang sie, trotz Versorgungskrisen im Inland, möglichst große Warenmengen im Westen abzusetzen. Am härtesten war diese Wirtschaftsstrategie in Rumänien ausgeprägt, wo man unter Nicolae Ceauşescu auf dem Rücken der Bevölkerung eine Politik der unbedingten Tilgung der Westschulden verfolgte. Wie bereits erwähnt, erwiesen sich aber auch die Reformmaßnahmen der 1980erJahre als Misserfolg, und die Ostblockstaaten mussten sich wieder mehr auf den Inter-RGW-Handel anstelle des Westhandels zurückziehen. Somit nahm der Anteil der Wirtschaftsbeziehungen innerhalb des RGW am sowjetischen Außenhandel wieder deutlich zu.137 In den Handelsbeziehungen der RGW6-Staaten mit Österreich war hingegen 1986 ein schwerer Rückschlag zu verzeichnen. In diesem Jahr nahm der nominelle Wert der österreichischen Ausfuhren nach den RGW6-Ländern um 12,3 Prozent ab, wodurch ihr Anteil an den gesamten österreichischen Exporten von 7,2 auf 6,6 Prozent zurückging. Die österreichischen RGW6-Importe stürzten 1986 gar um 19,4 Prozent ab – Österreich bezog nur noch 5,3 Prozent seiner Einfuhren aus den betreffenden Ländern, während es 1984 noch 6,6 Prozent gewesen waren. Erst in den letzten beiden Jahren des hier betrachteten Zeitraumes, 1988 und 1989, verzeichnete der Österreich-RGW6-Handel wieder Zuwächse ; aus der Perspektive der Oststaaten jedoch zum Preis eines wiederum geradezu explodierenden Handelsbilanzdefizits. Diese Einkaufswelle kann nur als letzter verzweifelter Versuch der krisengeschüttelten Regimes gesehen werden, ihre Bevölkerungen durch die Zufuhr von Konsumartikeln ruhig zu halten, ehe es 1989 zum Zusammenbruch des Systems kam. Die Rangliste der wichtigsten Absatzmärkte unter den RGW6-Staaten führte 1979 und 1980 Polen an, ehe die Importe infolge der Zahlungskrise massiv gedrosselt wurden. Danach kam bis 1989 beinahe alljährlich die reformfreudige ungarische Volkswirtschaft auf die größten Österreichimporte – mit Ausnahme des Jahres 1983, in dem die DDR noch mehr Waren »made in Austria« einführte. Auf dem österreichischen Markt hingegen konnte von 1978 bis 1983 die tschechoslowakische Volkswirtschaft die größten Verkaufserfolge erzielen, ehe auch bei den Einfuhren Ungarn die Nummer eins unter den RGW6-Staaten wurde. Die Tschechoslowakei erzielte im Jahrzehnt bis 1989 als einziger RGW6-Staat alljähr137 Hansen, Carol Rae Rae:: U.S. East-West Trade Policy, in in:: Bartsch, Gary/Elliott-Gower, Steven (Hg.): (Hg.) : The Impact of Governments on East-West Economic Relations (East-West European economic interaction 12), Basingstoke/London 1991, S. 65–94, hier S. 66 f.

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Der österreichische Osthandel im Spannungsfeld der Blöcke

lich einen aktiven Bilanzsaldo im Handel mit Österreich, Polen musste angesichts der Zahlungsprobleme von 1983 bis 1988 weniger importieren als exportieren, ehe es 1989 wieder in ein Handelsbilanzdefizit verfiel, die rumänische Wirtschaftspolitik führte ab 1983 zu einem Aktivsaldo gegenüber Österreich, während Bulgarien alljährlich drei bis fünf Mal so viele Waren in Österreich kaufte als es hier absetzen konnte.138 Außenhandel Österreich-UdSSR 1976–1989

Jahr

Exporte in die UdSSR in Mio. ATS

Wachstum

% UdSSR

Importe aus d. UdSSR in Mio. ATS

Wachstum

% UdSSR

Saldo Außenhandel mit UdSSR in Mio. ATS

1976

4 244,6

2,8

7 533,2

3,7

–3 288,6

1977

4 607,9

8,6

2,8

8 422,2

11,8

3,6

–3 814,3

1978

5 375,8

16,7

3,1

8 870,6

5,3

3,8

–3 494,8

1979

6 822,4

26,9

3,3

10 269,3

15,8

3,8

–3 446,9

1980

6 177,3

–9,5

2,7

13 262,4

29,1

4,2

–7 085,1

1981

7 719,0

25,0

3,1

20 854,9

57,2

6,2

–13 135,9

1982

9 409,7

21,9

3,5

16 866,7

–19,1

5,1

–7 457,0

1983

10 782,3

14,6

3,9

14 856,0

–11,9

4,3

–4 073,7

1984

14 072,9

30,5

4,5

19 625,3

32,1

5,0

–5 552,4

1985

13 409,9

–4,7

3,8

19 150,9

–2,4

4,4

–5 741,0

1986

10 483,1

–21,8

3,1

12 497,0

–34,7

3,1

–2 013,9

1987

8 503,1

–18,9

2,5

8 501,3

–32,0

2,1

1,8

1988

11 022,2

29,6

2,9

8 633,1

1,6

1,9

2 389,1

1989

11 473,4

4,1

2,7

8 522,3

–1,3

1,7

2 951,1

Quelle : Daten nach Butschek : Statistische Reihen, Tabellen 15.3 und 15.4.

Die Außenhandelsbeziehungen mit der Sowjetunion waren auch in den 1980er-Jahren stark von der Entwicklung der Energiepreise geprägt. Die Revolution im Iran (1979) hatte den zweiten Erdölpreisschock zur Folge. Als Konsequenz vervierfachte sich das österreichische Passivum im UdSSR-Handel von 3,4 Milliarden im Jahr 1979 auf 13,1 Milliarden Schilling 1981. Bald begannen die Öl- und Gaspreise jedoch wieder nachzugeben, sodass Michail Gorbatschow just zu einer Zeit neuer Ge-

138 Die unterschiedlichen Handels- und Wirtschaftspolitiken brachten es mit sich, dass sich die Westschulden der Tschechoslowakei 1989 nur auf 6,9 Milliarden US-Dollar beliefen, während Ungarn 20,6, die DDR 21,2 und Polen 41 Milliarden Dollar an Schulden hatten. Rumänien baute im Laufe der 1980erJahre einen Schuldenstand von ursprünglich 10 Milliarden Dollar ab. Komlosy : Österreichs Brückenfunktion, S. 79.

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550

Andreas Resch

neralsekretär der KPdSU wurde (1985), als sich die internationale wirtschaftliche Position der Sowjetunion nicht zuletzt durch die Veränderung der Preisgefüge auf den Weltmärkten massiv verschlechterte. An der österreichisch-sowjetischen Handelsbilanz lässt sich dies deutlich ablesen : Vom Rekordaktivum der Sowjetunion drehte sie sich zu einem Aktivum aufseiten Österreichs ab 1987, das 1988 und 1989 deutlich über 2 Milliarden Schilling ausmachte. Die wechselhaften weltpolitischen und weltwirtschaftlichen Rahmenbedingungen hatten starke Fluktuationen der Handelsströme zur Folge. Zum Beispiel stieg der Wert der österreichischen Importe aus der UdSSR 1981 infolge der Ölpreissteigerungen um 57 Prozent an, um gleich im Folgejahr wieder um 19 Prozent zurückzugehen. In den Jahren 1986 und 1987 nahmen die Importwerte sogar um mehr als 30 Prozent ab. Die Ausfuhren in Richtung Sowjetunion nahmen während der Erdölhausse um hohe zweistellige Prozentanteile zu, ehe die Jahre 1985 bis 1987 schwere Rückschläge brachten. Zusammensetzung des österreichischen Warenhandels mit den RGW6-Staaten im Jahr 1988 in 1.000 Schilling

8. 69 9

.7 81

10.000.000 9.000.000

6. 27 3

6. 29 1

7.000.000

.8 35

.1 06

8.000.000

6.000.000

1 2. 38

3

.9 53

3. 54

.5 68

83

93 9 23 66 .9

64 6

4. 69 1. 37

5

96 3. 18

4. 70 5 5 89 .9 0

33 0. 10

2

1. 22

2.000.000 1.000.000

1. 94 0

.7 16

2. 71

5 9. 34 2. 04

3.000.000

2. 63

4. 09 5

4.000.000

3. 69

3. 64 6

.0 78

9. 29 3

5.000.000

0

Einfuhren

Ernährung, Tiere Min. Brennstoffe, Energie Halb- u. Fertigwaren

Ausfuhren

Getränke, Tabak Tier. u. pflanzl. Öle u. Fette Masch. u. Verkehrsmittel

Rohstoffe Chem. Erzeugn. Sonst. Fertigw.

Quelle : berechnet mittels Daten aus Österreichisches Statistisches Zentralamt (Hg.) : Der Außenhandel Österreichs 1988, Wien 1989, Serie 2, Tab. 5.

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Der österreichische Osthandel im Spannungsfeld der Blöcke

551

Durch die starken Fluktuationen von Mengen und Preisen stürzte der Anteil der UdSSR-Importe an allen österreichischen Einfuhren, nachdem er 1981 mit 6,2 Prozent sein historisches Maximum erreichte, bis 1989 auf 1,7 Prozent ab. Welche Spuren die Krisenerscheinungen in den Warenstrukturen des Außenhandels hinterließen, sei anhand des Jahres 1988, dem letzten »Normaljahr«, ehe die Protestbewegungen ab 1989 das Machtmonopol der kommunistischen Parteien überwanden, aufgezeigt. Zwei Jahrzehnte (wenngleich mäßig erfolgreicher) Bestrebungen in Richtung ökonomischer Modernisierung haben bei der Grobstruktur der Warenströme eine gewisse Annäherung zwischen den österreichischen Exporten und den RGW6-Exporten gebracht. Zwar bildeten nach wie vor mineralische Brennstoffe und Rohstoffe die wertmäßig größten Warengruppen der Exporte aus Mittel- und Osteuropa, der Anteil der Warengruppen Ernährung/Tiere, Getränke/Tabak, Rohstoffe und Mineralische Brennstoffe/nergie an den Gesamtlieferungen nach Österreich ging aber immerhin von 78 Prozent im Jahr 1960 und 76 Prozent 1974 auf 62 Prozent im Jahr 1988 zurück. Unter den Gesamtexporten der RGW6-Gruppe nach Österreich im Wert von 19,9 Milliarden Schilling befanden sich 1988 Erdölverarbeitungsprodukte aus der Tschechoslowakei um eine Milliarde und aus Ungarn um 1,35 Milliarden Schilling sowie Kohlenwasserstoffe (271 Millionen Schilling) und Bleche (251 Millionen Schilling) aus Ungarn, Roheisen und Eisenwaren aus der Tschechoslowakei um zusammen 229 Millionen Schilling oder Düngemittel um 129 Millionen Schilling aus der DDR. Daneben dominierten jedoch weiterhin Produkte wie Brikette und Braunkohle (DDR : 209 Millionen Schilling), Steinkohle (ČSSR : 398 Millionen Schilling) oder Rundholz (Ungarn : 315 Millionen Schilling). Die oft geradezu verzweifelten Beschaffungsaktionen zur Versorgung der unzufriedenen Bevölkerung in der letzten Phase der kommunistischen Herrschaft sind daran zu erkennen, dass zum Beispiel der traditionelle Agrarexporteur Polen 1988 in Österreich Nahrungsmittel um 740 Millionen Schilling einkaufte, darunter Weizen um eine halbe Milliarde Schilling. Die DDR musste elektrischen Strom um 652 Millionen Schilling importieren, damit die Lichter nicht ausgingen, daneben führte man auch Konsumgüter wie Stoffe und Garne um beinahe eine Milliarde Schilling ein. Allerdings erzielte Österreich nach wie vor mit Investitionsgütern die größten Verkaufserfolge. Nach Ungarn gingen Maschinen und Fahrzeuge um 2,5 Milliarden Schilling, darunter Spezialmaschinen um 258 Millionen, und Telekommunikationsgeräte um 280 Millionen Schilling. Papiermaschinen konnten in der Tschechoslowakei um 188 und in Bulgarien um 176 Millionen Schilling abgesetzt werden. Die DDR führte Spezialmaschinen um eine halbe Milliarde und Schienenfahrzeuge um 302 Millionen Schilling ein. 1988 erzielten immerhin drei der sechs kleineren RGW-Staaten im Außenhandel mit Österreich, nämlich Polen, Rumänien und die Tschechoslowakei, einen akti-

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Andreas Resch

ven Bilanzsaldo. In Rumänien bedeutete dies jedoch, wie bereits angemerkt, dass das Land mit diktatorischen Mitteln als periphere »Werkbank« für Westlieferungen positioniert wurde.139 Trotz akuter Versorgungsprobleme verkaufte das CeauşescuRegime 1988 Nahrungsmittel um 172 Millionen Schilling nach Österreich ; des Weiteren verstand man es Maschinen und Fahrzeuge um 104 Millionen Schilling zu exportieren. Zusammensetzung des österreichischen Warenhandels mit der UdSSR im Jahr 1988 in 1 000 Schilling

5. 40

6.000.000

4. 77 7

5. 81 9

.6 04

7.000.000

5.000.000

3. 14 9

.3 69

4.000.000

2. 03

5. 33

1

3.000.000

7.

47 9 20

3. 48

36

.7 11 17

Einfuhren

Ernährung, Tiere Min. Brennstoffe, Energie Halb- u. Fertigwaren

.9 34

4.

66 0

30 .5 9

49 7 8. 12

17 2

3

17 7

0

3. 51

40 .6 3

1

.8 00 40 1. 99

7

1.000.000

84 7

97 0

1. 26

7. 05 0

2.000.000

Ausfuhren

Getränke, Tabak Tier. u. pflanzl. Öle u. Fette Masch. u. Verkehrsmittel

Rohstoffe Chem. Erzeugn. Sonst. Fertigw.

Quelle : Daten nach Statistik des Außenhandels Österreichs 1988, Serie 2, Tab. 5.

Die Grundstruktur der Sowjetexporte nach Österreich hat sich im Laufe der Jahrzehnte im Gegensatz zu jenen der kleineren RGW-Staaten nicht modernisiert. Auf Nahrungsmittel, Rohstoffe und mineralische Brennstoffe entfielen 1960 82 Prozent, 1974 86 Prozent und 1988 schließlich sogar 91 Prozent der österreichischen UdSSRImporte. Im Unterschied zu den RGW6-Exporten ist also sogar eine gewisse »Primitivisierung« hin zu weniger verarbeiteten Produkten zu erkennen. Wie bereits ausgeführt, waren gerade diese Warenkategorien besonders starken Preisschwankungen auf den Weltmärkten unterworfen. Zum Beispiel verkaufte die UdSSR 1980 in 139 Vgl. dazu Komlosy : Österreichs Brückenfunktion, S. 97–101.

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Der österreichische Osthandel im Spannungsfeld der Blöcke

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Österreich 1,4 Millionen Tonnen Erdöl um 4,6 Milliarden Schilling, 1988 wurde rund eine Million Tonnen um 1,4 Milliarden Schilling geliefert. Der Tonnenpreis war somit von 3 300 um 58 Prozent auf 1 400 Schilling abgestürzt. Die Erdgaslieferungen stiegen weiter, von 2,3 Millionen Tonnen (1980) auf 2,7 Millionen Tonnen (1988), die Erlöse gingen jedoch von 5,66 auf 3,85 Milliarden Schilling zurück, was einen Preisrückgang um 41 Prozent bedeutete. Im UdSSR-Handel dominierten aber auch auf der österreichischen Ausfuhrseite Waren mit einem eher geringen Verarbeitungsgrad, nämlich »Bearbeitete Waren«, wie die Halb- und Fertigwaren seit einer Revision des internationalen Warenschemas in den 1970er-Jahren genannt wurden. Vor allem verkaufte Österreich 1988 diverse Bleche um 2,3 Milliarden Schilling. Weiterhin blieb Moskau aber auch ein verlässlicher Abnehmer von österreichischen Wasserfahrzeugen – die entsprechenden Verkäufe beliefen sich auf 1,16 Milliarden Schilling. Insgesamt dominierten bei den österreichischen Lieferungen sowohl in die UdSSR als auch in die anderen RGW-Staaten keineswegs ausgeprägte Hightechprodukte, sondern eher traditionelle Verarbeitungsprodukte und Maschinen und Konsumwaren. Angesichts von Exporterfolgen bei der Lieferung von Stahl und schlüsselfertigen Anlagen nahm der Anteil der Hochtechnologielieferungen im Laufe der 1970erJahre sogar ab. In den 1980er-Jahren entfielen lediglich zwischen 3,0 und 3,8 Prozent der österreichischen Ostexporte auf Hochtechnologielieferungen. Der Marktanteil österreichischer Hochtechnologie an den Hightech-Ostexporten aus dem OECDRaum nahm von 4,5 (1970) auf 2,7 Prozent (1986) ab. Die Lieferungen aus den ebenfalls neutralen Staaten Schweden und Finnland wiesen einen ähnlich geringen Hightechanteil aus, während von den Schweizer Ostexporten etwa 20 bis 25 Prozent als Hochtechnologie zu kategorisieren waren, obwohl die Schweiz westlicherseits als zuverlässigerer Embargopartner denn Österreich eingeschätzt wurde. Auch der Hochtechnologieanteil an den Ostlieferungen der großen Industriestaaten BRD, Frankreich und Italien, die alle der NATO angehörten, lag zumeist im zweistelligen Bereich.140 Angesichts dieser Zusammensetzungen der Warenströme erscheinen die – insbesondere von amerikanischer Seite – erhobenen Beschuldigungen, dass Österreich aus westlicher Sicht eine besonders bedenkliche »Lücke« für klassifizierte Hochtechnologietransfers in den Osten dargestellt habe, als weitgehend überzogen. Für westliches Misstrauen mag vor allem die Existenz der großen kommunistischen Firmengruppen in Österreich gesorgt haben, von denen auch österreichische Beobachter annahmen, dass sie gegebenenfalls zu im Westen unerwünschten Geschäften bereit waren.

140 Barisitz : Stellenwert der Hochtechnologie ; Barisitz : Austria – A Business Bridge, S. 112.

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Resümee Der Überblick über vier Jahrzehnte österreichischen Osthandel im Spannungsfeld der Blöcke hat gezeigt, dass die internationalen politischen Konstellationen im Laufe der Jahre einen unterschiedlichen Stellenwert für die Handelsentwicklung hatten. Zweifellos ist die Desintegration Österreichs von den zuvor traditionell wirtschaftlich eng verbundenen Märkten in Mittel- und Osteuropa vor allem der Sowjetisierung dieser Gebiete und damit der Etablierung des Eisernen Vorhanges zuzuschreiben. Unter Stalins Herrschaft hatten die RGW6-Staaten vor allem auf Autarkiepolitik zu setzen, insbesondere die Kontakte zum Westen mussten gekappt werden. Hinter dem Eisernen Vorhang wurden Planwirtschaften mit staatlichem Außenhandelsmonopol errichtet. Zusätzlich wurde diese Entwicklung durch die amerikanische Containment-Politik, Bestimmungen des Marschallplans und Embargomaßnahmen verstärkt. Die österreichische Wirtschaft hat es aber verstanden, die Handelskontakte nie gänzlich abreißen zu lassen. Die Sowjetunion konnte aus dem USIA-Konzern umfangreiche Lieferungen in den Osten aufrechterhalten, die sich jeglicher österreichischer Kontrolle entzogen. 1955 erlangte Österreich nicht nur die volle staatliche Souveränität wieder, sondern mit den Ablöselieferungen an Moskau für das Deutsche Eigentum in Österreich und der Aufnahme geregelter handelsvertraglicher Beziehungen wurde auch der Außenhandel auf eine nachhaltigere Grundlage gestellt. Die neuen österreichischsowjetischen Verträge und Abkommen dienten als Vorbild für die vertragsmäßigen Beziehungen mit sämtlichen RGW-Staaten. In den folgenden Jahren wies der Osthandel zwar eher stärkere Fluktuationen als der übrige Außenhandel auf, aber insgesamt konnte das Wachstum einigermaßen mit dem Wachstum der gesamten Ein- und Ausfuhren mithalten. Der Anteil der österreichischen Ostexporte an den Ausfuhren blieb von 1956 bis 1971 zumeist zwischen 12,2 und 16,2 Prozent, jener der Ostimporte an allen Einfuhren zwischen 9,1 und 11,3 Prozent. In der Struktur des Warenhandels zeigte sich eine große Kontinuität zur Zwischenkriegszeit : Österreich lieferte hauptsächlich Halb- und Fertigwaren sowie Maschinen und Verkehrsmittel, während die Oststaaten in Österreich fossile Brennstoffe, Nahrungsmittel und Rohstoffe verkauften. Um die Mitte der 1970er-Jahre führten mehrere Faktoren gemeinsam zu einem vorübergehenden Hoch des österreichischen Osthandels. Die Entspannungspolitik bildete den Hintergrund für eine Liberalisierung der Beziehungen zum Osten, die RGW-Staaten hatten sich 1971 auf die Strategie importinduzierter Modernisierung festgelegt, und Österreich baute die Instrumentarien der Exportförderung aus. Das Zusammentreffen dieser Voraussetzungen mit der Wirtschaftskrise im Jahr 1974 führte dazu, dass Absatzproblemen im Westen aktiv mit einer Forcierung des Osthandels gegengesteuert wurde. 1975 stieg die österreichische Ostexportquote auf

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den Rekordwert von 17 Prozent. Bis in die 1980er-Jahre wurden die Osthandelsbestrebungen von entsprechenden diplomatischen Aktivitäten begleitet. In dieser Phase vermochte sich Wien auch für Dritte als Drehscheibe im West-Ost-Handel zu positionieren. Neben den seit den späten 1940er-Jahren bestehenden Handelsunternehmen im Umkreis der KPÖ bildeten sich nunmehr Dienstleister im Eigentum der österreichischen Großbanken sowie unabhängige Unternehmen und zahlreiche Niederlassungen ausländischer Händler und Transiteure heraus. Die Planwirtschaften scheiterten jedoch mit ihren Modernisierungsbemühungen, und insbesondere die kleineren RGW-Staaten gerieten um 1980 in akute Finanzprobleme. Während dieser Krise manifestierte sich deutlich, wie gegensätzlich sich die Entwicklung der Erdölpreise auf die Wirtschaft in der UdSSR und den RGW6-Staaten auswirkte. Während die Sowjetunion als Öl- und Gasexporteur von steigenden Preisen profitierte, verschärften diese die Zahlungsprobleme der kleineren sozialistischen Staaten. Umgekehrt machte dann der UdSSR, just zur Zeit als Gorbatschow an die Spitze der KPdSU trat, der fallende Ölpreis massiv zu schaffen. Die wachsenden wirtschaftlichen Probleme und das Wiederaufleben des Kalten Krieges brachten ab den frühen 1980er-Jahren die Dynamik des Osthandels zum Erliegen. Devisenmangel schränkte die Importfähigkeit der Oststaaten massiv ein, die Strukturen der östlichen Planwirtschaften behinderten weiterhin flexible Geschäftsbeziehungen, aber auch Protektionismus in Österreich (z. B. Vidierungsverfahren) begrenzte die Entwicklungsmöglichkeiten. Die Beziehungen zu den einzelnen Oststaaten gestalteten sich aber in den 1980er-Jahren recht unterschiedlich. Während mit der Tschechoslowakei in einem überschaubaren Ausmaß interindustrieller Handel abgewickelt wurde, in den insbesondere die österreichische Verstaatlichte Industrie eingebunden war, gestatteten die Reformansätze in Ungarn auch kleineren und mittleren österreichischen Unternehmen, die Geschäftsmöglichkeiten wahrzunehmen. Der DDR-Handel wurde weiterhin im Umfeld von Politkontakten und KPÖ-Firmen abgewickelt, die Handelsbeziehungen mit der UdSSR standen vor allem unter dem Vorzeichen des Erdöl- und Gasgeschäfts. In den Jahren 1983 bis 1987 sorgte immer wieder die amerikanische Embargopolitik für Aufsehen. Sie führte schließlich dazu, dass Österreich sogar in die gesetzlichen Außenhandelsregelungen die COCOM-Listen einbezog, ein Schritt, den man bis dahin aus neutralitätspolitischen Gründen vermieden hatte. Eine Analyse der tatsächlichen Warenströme zeigt aber, dass Österreich ohnehin wenig Hightechprodukte in den Osten zu liefern hatte ; somit hat auch die Embargopolitik zweifellos mehr zu atmosphärischen Turbulenzen als zu tatsächlich substanziellen Beeinträchtigungen des Osthandels geführt. Was die Positionierung Österreichs im großen Spannungsfeld der Blöcke betrifft, so ist zu konstatieren, dass der Außenhandel während der tief greifenden Desintegration, als der Eiserne Vorhang heruntergelassen wurde, zweifellos nur reaktiv mit

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der gegebenen Situation umgehen konnte. Hingegen hat Österreich in der Ära der Détente durchaus die Möglichkeiten von Außenhandelsliberalisierung und Exportförderung genutzt, um aktiv in einer Phase stockender Westexporte im Sinne austrokeynesianischer Politik die Ostexporte auszuweiten. Im Laufe der 1980er-Jahre sind die Möglichkeiten dafür aber angesichts des ökonomischen Verfalls der Oststaaten wieder geringer geworden, was Österreich vor allem zur Kenntnis nehmen, aber kaum beeinflussen konnte. Nunmehr schuf man mit ersten Bankenniederlassungen und Joint Ventures Ausgangspositionen für die Zeit nach der »Wende«.

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Österreich und der Auflösungsprozess des Warschauer Pakts (1989–1991)

Einleitung Österreich hatte keinerlei Einfluss auf den Zerfallsprozess des Warschauer Pakts zwischen 1989 und 1991. Die Änderungen in der österreichischen Verteidigungsplanung nach 1989 (Umstrukturierungen, Reduzierung der Mobilmachungsstärke usw.) waren eine Folge des grundsätzlichen Wandels des politischen und strategischen Umfelds und nicht »nur« (und möglicherweise nicht einmal primär) auf die Agonie des Warschauer Pakts zurückzuführen. Überaus bedeutend in diesem Kontext waren auch die sowjetischen Truppenabzüge aus Ostmitteleuropa (d. h. aus der unmittelbaren Nachbarschaft Österreichs), da sie die militärische Balance in der Region signifikant veränderten und dazu beitrugen, die Gefahr eines »klassischen« Staatenkrieges in Mitteleuropa praktisch auf null zu reduzieren.

Die Quellen und ihre Probleme Allgemeines Zahlreiche dickleibige Überblickswerke zur Europapolitik der Nachkriegszeit schenken der Auflösung des Warschauer Pakts kaum Aufmerksamkeit.1 Das neueste, in deutscher Sprache veröffentlichte Buch zur Geschichte des Warschauer Pakts widmet seinem Ende nur sehr am Rande Aufmerksamkeit.2 Manche einschlägig relevante Publikationen betrachten die Auflösung des Warschauer Pakts nicht einmal als Teil der »revolutionären Umwälzungen in Mittel- und Osteuropa« zwischen 1989 und ∗ Der Verfasser dankt für erhaltene Unterstützung bzw. zur Verfügung gestellte Informationen : Prof. Dr. Manfried Rauchensteiner ; Botschafter a.D. Dr. Herbert Grubmayr ; Botschafter a.D. Dr. Franz Cede ; Botschafter a.D. Dr. Friedrich Bauer ; General i.R. Dr. Alfred Schätz ; General i.R. Horst Pleiner und Ministerialrat Dr. Gottfried Loibl (Außenministerium). 1 Gaddis, John Lewis : Der Kalte Krieg. Eine neue Geschichte, München 2007, S. 295–321 ; Hanhimäki, Jussi M./Westad, Odd Arne (Hg.) : The Cold War. A history in documents and eyewitness accounts, Oxford/New York 2004. 2 Diedrich, Torsten/Heinemann, Winfried/Ostermann, Christian F. (Hg.) : Der Warschauer Pakt. Von der Gründung bis zum Zusammenbruch 1955 bis 1991 (Militärgeschichte der DDR 16), Berlin 2009.

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1991.3 Auch nicht wenige – darunter gehaltvolle – Untersuchungen der Ereignisse ab 1989 kommen ohne den Warschauer Pakte aus4 oder erwähnen ihn nur kurz. Auch Publikationen der NATO widmen dem Zerfall ihres ehemals großen Rivalen weniger Aufmerksamkeit als man annehmen könnte.5 Zeitschriften, von denen man – wie z. B. die vom Cold War Studies Centre der London School of Economics herausgegebene »Cold War History«, die »Militärgeschichtliche Zeitschrift« des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes in Potsdam oder das »Journal of Slavic Military Studies« – eine Beschäftigung mit diesem Thema erwarten hätte können, interessieren sich ebenso kaum dafür wie die Friedensforschung in den deutschsprachigen Ländern, was sich etwa anhand des von mehreren deutschen Think-Tanks jährlich angefertigten »Friedensgutachtens« zeigen lässt. Auch Erinnerungsbücher ehemaliger sowjetischer Spitzenpolitiker und anderer hochgestellter Funktionäre befassen sich nicht oder nur oberflächlich mit dem Schicksal des Warschauer Pakts.6 Dagegen haben Andrew Michta, Zdeněk Matějka, Bogdan Szajkowski, Frank Umbach, Vojtech Mastny/Malcolm Byrne und Christopher Jones die Zerfallsphase des Warschauer Pakts mehr oder weniger detailliert dargestellt.7 Nicht wenige Informationen zu bestimmten Aspekten dieses Prozesses liefert auch das »Parallel History Project on Cooperative Security«.8 Bezüge zu Österreich fehlen aber weitgehend, sodass die vorliegende Untersuchung Neuland betritt. 3 Vgl. z.B. Schröter, Patrick : Neutralität und GASP. Erste Erfahrungen Finnlands, Österreichs und Schwedens (Swiss papers on European integration 11), Bern 1997, S. 9. 4 Vgl. z.B. Danspeckgruber, Wolfgang : Security in Europe 1992, in : Bischof, Günter/Pelinka, Anton (Hg.) : Austria in the New Europe (Contemporary Austrian Studies 1), New Brunswick/London 1993, S. 107–136. 5 Vgl. z.B. Pick, Otto Otto:: The demise of the Warsaw Pact, in in:: NATO Review 2 (April 1991), S. 12–16. 6 Vgl. z.B. das Buch des ehemaligen sowjetischen Außenministers Schewardnadse : Ševardnadze, Eduard : Moj vybor. V zaščitu demokratii i svobody, Moskva 1991 ; Gorbatschow, Michail : Erinnerungen, Berlin 1995 ; El’cin, Boris : Zapiski prezidenta, Moskva 1994 ; Šachnazarov, Georgij : Cena svobody. Reformacija Gorbačeva glazami ego pomoščnika, Moskva 1993. 7 Michta, Andrew A.: East Central Europe after the Warsaw Pact. Security Dilemmas in the 1990s (Contributions in political science, Global perspectives in history and politics 296), New York/Westport/London 1992, S. 43–72 ; Matějka, Zdeněk : How the Warsaw Pact was dissolved, in : Perspectives 8 (1997), S. 55–65 ; Szajkowski, Bogdan : The Demise of the Warsaw Pact and its Aftermath, in: Coexistence 29 (1992), S. 1–17 ; Umbach, Frank : Das rote Bündnis. Entwicklung und Zerfall des Warschauer Pakts 1955 bis 1991 (Militärgeschichte der DDR 10), Berlin 2005, S. 431–573 ; Mastny, Vojtech/Byrne, Malcolm (Hg.) : A Cardboard Castle ? An Inside History of the Warsaw Pact, 1955–1991 (National Security Archive Cold War readers), New York/Budapest 2005, S. 559–684 ; Jones, Christopher : Protection from one’s friends : the disintegration of the Warsaw Pact, in : Leebaert, Derek/Dickinson, Timothy (Hg.) : Soviet strategy and new military thinking, New York/Cambridge 1992, S. 100–126. Letzterer Artikel behandelt weniger die Ereignisse 1989 bis 1991 als die Rolle der Militärdoktrin im Warschauer Pakt seit dem sowjetischen Führer Leonid Breshnew (der zwischen 1964 und 1982 amtierte), das »European security dilemma« der UdSSR 1955 bis 1960 usw. 8 Früher »Parallel History Project on NATO and the Warsaw Pact«; Pact« ; vgl. http http://www.php.isn.ethz.ch ://www.php.isn.ethz.ch (online am 1. Oktober 2009).

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(Kaum) Aufmerksamkeit in Österreich Es ist auf den ersten Blick erstaunlich, dass in der breiten Öffentlichkeit und Politik Österreichs, das »an der Konfrontationslinie zwischen den europäischen Militärgroßbündnissen« NATO und Warschauer Pakt lag,9 letzterer immer relativ wenig Aufmerksamkeit auf sich zog – wie auch das Militärpotenzial, das in den Jahrzehnten des Kalten Krieges in den nordöstlichen und östlichen Nachbarländern aufgebaut und unterhalten worden war. In Österreich war man sich etwa kaum des Umstandes bewusst, dass die Armee der ČSSR (mit ca. 15 Mio. Einwohnern) über 4 500 einsatzfähige Panzer verfügte10 (wozu noch 1 100 bis 1 200 Panzer der dort stationierten sowjetischen Truppen kamen), von Beunruhigung über diesen Umstand ganz abgesehen. Rudolf Bretschneider interpretierte die Daten einer 1988 abgehaltenen und 1989 weitergeführten Meinungsumfrage wie folgt : »Bedrohungsszenarios, die von Zerfallserscheinungen des Sowjetreiches ausgehen […] und Militäraktionen im und am Rande des Warschauer Pakts einschließen, sind der Mehrheit der Österreicher nicht präsent. Man fürchtet sich für, aber nicht vor der Entwicklung in der Sowjetunion.«11 Davon abgesehen standen die außenpolitischen Kenntnisse der Bevölkerung grundsätzlich infrage. So ergab 1980 eine Umfrage, dass 47 % der Befragten Österreich für ein Mitglied der EG und 16 % der NATO hielten.12 Werke zur Geschichte Österreichs erwähnen den Untergang des Warschauer Pakts meist überhaupt nicht, bzw. es lässt sich – bei wohlwollender Betrachtung – annehmen, dass er in Formulierungen wie »Zerfall des sowjetischen Staatenblocks«13 quasi mit erfasst ist. Dem Verfasser ist keine einzige politikwissenschaftliche Untersuchung bekannt, welche ausschließlich die Auswirkungen von Agonie und Zerfall des Warschauer Pakts zwischen 1989 und 1991 auf Österreich zum Gegenstand hätte. Äußerungen zu diesem Themenkreis sind in Arbeiten zur österreichischen und/oder europäischen Sicherheitspolitik bestenfalls »verstreut« anzutreffen. In den

9 Danzmayr, Heinz : Kleinstaat auf der Suche nach Sicherheit. Eine Analyse sicherheitspolitischer Konzepte Österreichs und der Schweiz (Laxenburger Internationale Studien 2), Wien 1991, S. 1. 10 Štembera, Milan : Die Streitkräfte der ČSFR – gestern, heute, morgen, in : Österreichische Militärische Zeitschrift 3/29 (1991), S. 222–227, hier S. 224. 11 Bretschneider, Rudolf : Risikowahrnehmung und Zukunftseinteilung in Österreich, in : Giller, Joachim/ Danzmayr, Heinz/Rumerskirch, Udo (Hg.) : Sicherheitspolitik und Bedrohungsbewußtsein (Seminar 5.– 7.10.1989, Institut für Militärische Sicherheitspolitik an der Landesverteidigungsakademie), Wien 1990, S. 11–28, hier S. 21. 12 Lohwasser, Christian : Die Österreicher und ihre Neutralität (Österreichische Gesellschaft für Landesverteidigung und Sicherheitspolitik, Allgemeine Reihe 51), Wien 1995, S. 17. – In Meinungsumfragen ist der Warschauer Pakt kaum jemals anzutreffen, wovon etwa eine Durchsicht der Zeitschrift der Sozialwissenschaftlichen Studiengesellschaft, »SWS-Rundschau«, seit 1989 zeugt. 13 Wagner, Wilhelm J.: Geschichte Österreichs, St. Pölten/Wien/Linz 2002, S. 329.

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die Außen- und Sicherheitspolitik betreffenden Kapiteln in Gesamtdarstellungen der österreichischen Politik wird die Auflösung des Warschauer Pakts nur kurz oder überhaupt nicht erwähnt.14 Die Kapitel über die österreichische Sicherheitspolitik im voluminösen »Handbuch des politischen Systems Österreichs« und dem Nachfolgewerk »Politik in Österreich« informieren über das Ende des Warschauer Pakts jeweils in einem Halbsatz.15 Das »Österreichische Jahrbuch für Politik«16, das von der Österreichischen Gesellschaft für Außenpolitik und Internationale Beziehungen und dem Österreichischen Institut für Internationale Politik herausgegebene »Österreichische Jahrbuch für Internationale Politik« wie auch das von Erich Reiter zwischen 1997 und 2004 edierte »Jahrbuch für internationale Sicherheitspolitik«, das in jeder Ausgabe Dutzende Beiträge von österreichischen und ausländischen Experten versammelte, beachteten den Warschauer Pakt kaum jemals. Die »Österreichische Zeitschrift für Politikwissenschaft« behandelt Sicherheitspolitik nur in Ausnahmefällen. 1996 gab es ein Schwerpunktheft dazu, doch Erläuterungen zum Warschauer Pakt sucht man darin vergeblich.17 Die angesehene »Europäische Rundschau« verzichtete auf Beiträge mit Hintergründen zum Kollaps des Warschauer Pakts ebenso wie »Geschichtswissenschaft«, die »Österreichische Zeitschrift für Geschichtswissenschaften« und »Österreich in Geschichte und Literatur«. Im Abschnitt »Sicherheit« des Arbeitsübereinkommens zwischen SPÖ und ÖVP vom 29. November 1994 (d. h. des ersten Koalitionsvertrages, der nach 1991 ge14 Vgl. z.B. Pelinka, Anton/Rosenberger, Sieglinde : Österreichische Politik. Grundlagen – Strukturen – Trends, 2., aktualisierte Auflage, Wien 2003, S. 242–252. 15 Skuhra, Anselm : Österreichische Sicherheitspolitik, in : Dachs, Herbert/Gerlich, Peter/Gottweis, Herbert/Horner, Franz/Kramer, Helmut/Lauber, Volkmar/Müller, Wolfgang C./Tálos, Emmerich (Hg.) : Handbuch des politischen Systems Österreichs. Die Zweite Republik, 3., erweiterte und völlig neu bearbeitete Aufl., Wien 1997, S. 740–758, hier S. 747 ; Skuhra, Anselm : Österreichische Sicherheitspolitik, in : Dachs, Herbert/Gerlich, Peter/Gottweis, Herbert/ Kramer, Helmut/Lauber, Volkmar/Müller Wolfgang C./ Tálos Emmerich (Hg.) : Politik in Österreich. Das Handbuch, Wien 2006, S. 838–861, hier S. 845. 16 Vgl. folgende Beiträge der Ausgabe für 1991 : Mayr-Harting, Thomas : 1991 – ein Jahr der Herausforderungen für Österreichs Außenpolitik, in : Khol, Andreas/Ofner, Günther/Stirnemann, Alfred (Hg.) : Österreichisches Jahrbuch für Politik 1991, Wien/München 1992, S. 313–327 ; Gugerbauer, Norbert : 1991 – ein Jahr der Bewährungsproben für Österreichs Außenpolitik, in : Khol, Andreas/Ofner, Günther/ Stirnemann, Alfred (Hg.) : Österreichisches Jahrbuch für Politik 1991, Wien/München 1992, S. 329–340 ; Vetschera, Heinz : Sicherheitspolitische Kooperation und dauernde Neutralität. Österreichs Außenpolitik, in : Khol, Andreas/Ofner, Günther/Stirnemann, Alfred (Hg.) : Österreichisches Jahrbuch für Politik 1991, Wien/München 1992, S. 453–468. 17 1991 erschien ein Artikel zweier Diplomaten, der (u. a. zum Warschauer Pakt) wörtliche Formulierungen aus einem internen Dokument des Außenministeriums vom 5. April 1991 übernahm ; vgl.: Sucharipa, Ernst/Lehne, Stefan : Die Ostpolitik Österreichs vor und nach der Wende, in : Österreichische Zeitschrift für Politikwissenschaft 3/20 (1991), S. 301–312.

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schlossen wurde) fehlt der Warschauer Pakt.18 Die große, vom Staatssekretariat für Europäische Angelegenheiten des Bundeskanzleramtes 1995 herausgegebene Studie »Europa 1996. Sicherheit in Europa« erwähnt den Warschauer Pakt nur selten und geht nirgendwo auch nur ansatzweise auf die Voraussetzungen und/oder Folgen ihres Zerfalls für Österreich und/oder Europa ein.19 Der ehemalige Außenminister (1986 bis 1987) und Staatssekretär für Europafragen im Bundeskanzleramt (1990 bis 1992), Peter Jankowitsch (SPÖ), meinte denn auch auf das Ersuchen um eine Stellungnahme, »leider […] keine zweckdienlichen Angaben machen« zu können : Ihm seien »Erörterungen zu diesem Thema, sei es in der damaligen Bundesregierung, sei es in der SPÖ nicht in Erinnerung, und es wurden dazu offenbar auch keine Stellungnahmen abgegeben«.20 Der Entwurf des »Optionenberichts« von 1998, den die Koalitionsparteien SPÖ und ÖVP wegen gegensätzlicher Auffassungen zur Möglichkeit eines NATO-Beitritts dann doch nicht beschließen konnten, erwähnt die Auflösung des Warschauer Pakts an zwei Stellen ohne weitere Analyse ; es heißt lediglich, dass sich das militärstrategische Umfeld Österreichs nach 1989 »grundlegend« verändert habe.21 Die Bücher früherer und aktiver Spitzenpolitiker wie Heinz Fischer (SPÖ) und Erhard Busek (ÖVP) kümmern sich so gut wie nicht um den Warschauer Pakt. Die sicherheitspolitischen Symposien der Landesverteidigungsakademie, der höchsten Ausbildungsanstalt des Bundesheeres, thematisierten in der ersten Hälfte der 1990er-Jahre die Hintergründe der Auflösung des Warschauer Pakts kaum.22 Auch ein anlässlich des fünfzigjährigen Bestehens des Bundesheeres der Zweiten Republik 2005 erschienenes Buch kommt fast ohne den Warschauer Pakt aus, und in der Chronik der für das Bundesheer wichtigen Ereignisse fehlt er zwischen 1989 bis 1991 ganz.23 Dagegen wurde in manchen Quellen behauptet bzw. kritisiert, dass 18 Bundespressedienst (Hg.) : Arbeitsübereinkommen zwischen der Sozialdemokratischen Partei Österreichs und der Österreichischen Volkspartei, 19. November 1994, Wien 1994, S. 39–41. 19 Mader, Gerald (Hg.) : Europa 1996. Sicherheit in Europa. Rahmenbedingungen und Kriterien einer umfassenden gesamteuropäischen Sicherheits- und Friedensordnung aus österreichischer Sicht (Schriftenreihe Europa des Bundeskanzleramts), Wien 1995. 20 Freundliche Mitteilung von Minister a. D. Jankowitsch an den Verfasser, 5. Jänner 2009. – Der Warschauer Pakt ist denn auch in Jankowitschs Publikationen kaum anzutreffen. 21 Bericht über alle weiterführenden Optionen Österreichs im Bereich der Sicherheitspolitik (Optionenbericht), Wien 1998, S. 4 sowie S. 45. 22 Vgl. z.B.: Institut für Politikwissenschaft (Hg.) : Sicherheit und Demokratie in Ostmittel- und Südosteuropa. Politische Entwicklungen und Lösungsperspektiven ethnischer Konflikte (Referate des Wiener Symposions vom 27. bis 30. Oktober 1992) (Schriftenreihe der Landesverteidigungsakademie, 1993/3, Symposien, Tagungen, Konferenzen), Wien 1993 ; Reiter, Erich/Brauneder, Wilhelm/Eder, Erich (Hg.) : Die Zukunft der europäischen Sicherheit. Referate der Wiener Tagung vom 6. und 7. Mai 1993 (Schriftenreihe der Landesverteidigungsakademie 1993/4, Symposien, Tagungen, Konferenzen), Wien 1993. 23 Vgl. Speckner, Hubert : Chronik zur Geschichte des Österreichischen Bundesheeres, in : Etschmann, Wolfgang/Speckner, Hubert (Hg.) : Zum Schutz der Republik Österreich… 50 Jahre Bundesheer, 50 Jahre

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90 % der Manöver des Bundesheeres »offenbar von einem ›Aggressor‹ aus dem Osten ausgehen«.24

Sichtweisen des Außenministeriums Zwischen 1985 und 1990 bekleidete Herbert Grubmayr den Posten des österreichischen Botschafters in der Sowjetunion, wo sich die Zentralorgane des Warschauer Pakts befanden. Nach seinen Angaben standen bilaterale Angelegenheiten (und insbesondere die ursprüngliche sowjetische Ablehnung eines österreichischen Beitritts zur EG bzw. EU, wirtschaftliche Probleme und militärische Fragen, konkret das Verbot bestimmter Waffen im Staatsvertrag) im Mittelpunkt seiner Tätigkeit, sodass der Warschauer Pakt als multilateraler Problemkomplex in der Berichterstattung an das Außenministerium in Wien nur eine untergeordnete Rolle spielte. Grubmayrs Nachfolger Friedrich Bauer, der bis 1995 amtierte, hielt die Berichterstattung der Botschaft zum Warschauer Pakt »bewusst auf Sparflamme«.25 Auch daher klingt das Urteil Grubmayrs, wonach die österreichische Diplomatie die formelle Auflösung des Warschauer Pakts angesichts seiner Agonie seit spätestens 1990 eigentlich als »non-event« betrachtete, plausibel.26 In den in den letzten Jahren vorgelegten Erinnerungen ehemaliger österreichischer Diplomaten (Bauer, Grubmayr und zweier ehemaliger Generalsekretäre des Außenministeriums, Gerald Hinteregger und Albert Rohan27) kommt der Warschauer Pakt denn auch so gut wie nicht vor. Das Außenministerium in Wien hat sich allerdings an der Lage des Warschauer Pakts in der Zeit der politischen Umbrüche in Ostmittel- und Osteuropa keineswegs bewusst desinteressiert gezeigt. So forderte es alle österreichischen Botschaften in Ostmitteleuropa am 21. Juli 1989 auf, mögliche künftige Entwicklungen im War-

24 25 26 27

Sicherheit : gestern – heute – morgen… (Schriften zur Geschichte des Österreichischen Bundesheeres, Sonderband 50 Jahre Bundesheer), Wien 2005, S. 13–32, v.a. S. 26 f. Riemer, Viktor/Kolba, Peter/Steyrer, Peter : Weißbuch Landesverteidigung, Wien 1987, S. 14. Freundliche Mitteilungen von Bauer an den Verfasser, 25. März und 2. April 2009. Freundliche Mitteilung von Grubmayr an den Verfasser, 22. März 2009. Bauer, Friedrich : Russische Umbrüche. Von Gorbatschow über Jelzin zu Putin, Wien 2008 ; Grubmayr, Herbert : »In zwei Wochen gehst du nach Moskau !«, in : Wohnout, Helmut (Hg.) : Demokratie und Geschichte. Jahrbuch des Karl von Vogelsang-Instituts zur Erforschung der Geschichte der christlichen Demokratie in Österreich, Wien/Köln/Weimar 1999, S. 127–154 ; Grubmayr, Herbert : 60 Jahre mit den »Russen«. Erinnerungen an die Zeit als Legationssekretär an der Österreichischen Botschaft Moskau, in : Karner, Stefan/Stelzl-Marx, Barbara/Tschubarjan, Alexander (Hg.) : Die Rote Armee in Österreich. Sowjetische Besatzung 1945–1955 (Veröffentlichungen des Ludwig-Boltzmann-Instituts für Kriegsfolgen-Forschung, Sonderband 5). Band 1 : Beiträge, Graz/Wien/München 2005, S. 785–813 ; Hinteregger, Gerald : Im Auftrag Österreichs. Gelebte Außenpolitik von Kreisky bis Mock, Wien 2008 ; Rohan, Albert : Diplomat am Rande der Weltpolitik. Begegnungen, Beobachtungen, Erkenntnisse, Wien 2002.

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schauer Pakt zu erkunden,28 und am 9. Oktober 1990 legte das Ministerium den Botschaften in Budapest, Bukarest, Moskau, Prag, Sofia und Warschau per Runderlass nahe, über die Haltung der jeweiligen Länder zu den Reformbestrebungen im Warschauer Pakt zu berichten. Dabei interessierte sich Wien u. a. für die Idee einer aus Ungarn, der ČSFR und Polen bestehenden »mitteleuropäischen Verteidigungsgemeinschaft«29 (die jedoch bald keine Rolle mehr spielte, da diese Länder Kurs auf eine Annäherung an die NATO nahmen). Die Lage im Warschauer Pakt wurde auch immer wieder in den Kontakten zwischen Diplomaten aus Österreich und Osteuropa thematisiert. Außerdem interessierte sich das österreichische Außenministerium in der »Umbruchszeit« für die zwischen den Mitgliedern des Warschauer Pakts bestehenden (und auch und gerade sicherheitspolitisch bzw. militärisch bedeutenden) Grundlagen- bzw. Beistandsverträge sowie die sowjetischen Truppenabzüge aus Ostmitteleuropa. Franz Cede, 1999 bis 2003 Botschafter in Russland, kommentierte, dass der Zerfall des Warschauer Pakts in der politischen Sektion des Außenministeriums zu mehr »Gedankenarbeit« als im von ihm 1993 bis 1999 geleiteten Völkerrechtsbüro geführt hat. Dort kümmerte man sich nach dem Zerfall der UdSSR in erster Linie um Fragen der Staatennachfolge sowie um das weitere Schicksal der Neutralität, nachdem deren »politische Geschäftsgrundlage« durch die Auflösung der UdSSR und des Warschauer Pakts weggefallen sei.30

Aufstieg und Fall des Warschauer Pakts Gründungsphase Der Warschauer Pakt wurde am 14. Mai 1955, einen Tag vor der Unterzeichnung des österreichischen Staatsvertrags, ins Leben gerufen. Das Gründungsdokument des Warschauer Pakts sah keinen Mechanismus zum Austritt eines Landes vor, sondern hielt lediglich fest, dass im Fall der Schaffung eines kollektiven Sicherheitssystems in Europa und dem Abschluss eines »allgemeinen europäischen Vertrages über kollektive Sicherheit« zu diesem Zweck der Gründungsvertrag seine Gültigkeit verlieren würde (Artikel 11).31 28 Bundesministerium für europäische und internationale Angelegenheiten (BMeiA), Warschauer Pakt ; Übergang von militärisch-politischer zu politisch-militärischer Organisation. ÖB Moskau Zl.409-RES/89 v. 18. Juli 1989, GZ 701.03/23-II.3/89, 21. Juli 1989. 29 BMeiA, Wien, 9. Oktober 1990 : Runderlass an die österreichischen Botschaften, GZ 701.03/23-II.3/90 : Warschauer Pakt ; Reformbestrebungen. 30 Freundliche Mitteilung von Cede an den Verfasser, 21. März 2008. 31 In der politischen Praxis kehrte der Warschauer Pakt aber die Reihenfolge um : Ein Vertrag über die Auflösung von Warschauer Pakt und NATO sollte den Weg zu einem Übereinkommen über europäische

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Der erste Versuch, den Warschauer Pakt wieder zu verlassen, wurde bereits im Jahr nach seiner Gründung unternommen. Die reformkommunistische Revolutionsregierung Ungarns unter Ministerpräsident Imre Nagy verkündete am 1. November 1956 die Neutralisierung des Landes. Das zeigte, dass die junge Neutralität Österreichs von 1955 »im Ostblock Nachahmung gefunden hatte«,32 doch war diese unter Teilnahme und Zustimmung aller Großmächte unter ganz spezifischen Umständen zustande gekommen, die auf Ungarn offensichtlich nicht übertragbar waren.33 Dennoch dürfte sich das österreichische Beispiel auch in den folgenden Jahrzehnten in Ostmitteleuropa eine Anziehungskraft bewahrt haben. So konstatierte Anselm Skuhra in seiner Habilitationsschrift von 1987, also nur zwei Jahre vor der »Wende«, eine »gewisse unterschwellige Attraktivität der Neutralität« in der Region.34

Die Funktionen des Warschauer Pakts aus sowjetischer Sicht Der Warschauer Pakt und der bereits 1949 geschaffene Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW) waren Instrumente der Kontrolle der UdSSR über ihr ostmitteleuropäisches Vorfeld. Eine russische Stimme räumte bei einer Konferenz im Stockholm im Juni 1990 ein : »The WTO was used by the Soviet Union to impose a totalitarian ›socialist model‹ in Eastern Europe.«35 Manche Beobachter verwiesen denn auch auf einen Zusammenhang zwischen dem Warschauer Pakt, dem Machterhalt der kommunistischen Parteien in Ostmitteleuropa und dem sowjetischen Militär. Truppenstationierungsverträge der UdSSR mit ostmitteleuropäischen Staaten

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Sicherheit eröffnen ; vgl. Uschakow, Alexander/Frenzke, Dietrich : Der Warschauer Pakt und seine bilateralen Bündnisverträge. Analyse und Texte (Quellen zur Rechtsvergleichung, Verträge sozialistischer Staaten 5), Berlin 1987, S. 27 f. Luif, Paul : Der Wandel der österreichischen Neutralität. Ist Österreich ein sicherheitspolitischer »Trittbrettfahrer« ? (Österreichisches Institut für Internationale Politik, Arbeitspapiere 18), 2., ergänzte Version, Laxenburg 1998, S. 22. Vgl.: Békés, Csaba : The 1956 Hungarian Revolution and the Declaration of Neutrality, in : Cold War History, Vol. 6, No. 4, November ember 2006, S. 477–500, v.a. S. 480 ; Juhász, Borbála : Neutrality in the 1956 Hungarian Revolution, in : Kovács, András/Wodak, Ruth (Hg.) : NATO, Neutrality and National Identity : The Case of Austria and Hungary, Wien/Köln/Weimar 2003, S. 51–74. Skuhra, Anselm : Friedensbewegung, Sicherheitspolitik und neutrales Österreich, Salzburg 1987 (Habilitationsschrift), S. 121. Bezrukov, Mikhail Mikhail:: Soviet Foreign Policy in Europe – Facing New Challenges, in in:: Wallin, Lars B. (Hg.) (Hg.):: Proceedings of a Symposium on NATO and the WP in the 1990s, Stockholm, June 11–13, 1990, Stockholm 1991, S. 69–75, hier S. 73.

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(Polen 1956 ; DDR, Ungarn und Rumänien36 1957, ČSSR 196837) können als Ergänzung zum Warschauer Pakt gelten. Die militärischen Organe des Warschauer Pakts nahmen de facto keine eigene Rolle wahr, sondern fungierten als Instrumente des Generalstabs der Streitkräfte der UdSSR. Das zeigte sich u. a. darin, dass der Chef des Stabes der Vereinigten Streitkräfte des Warschauer Pakts immer auch stellvertretender Chef des sowjetischen Generalstabs war. Manche Autoren vertraten die Meinung, dass der Warschauer Pakt nicht der Sicherheit aller seiner Mitglieder gleichermaßen diente, sondern nur oder in erster Linie der Sowjetunion. Die Organisation habe für Moskau »eine loyale Pufferzone und eine Region der Vorneverteidigung« geschaffen.38 Erst in der Endphase der Existenz des Warschauer Pakts räumten zivile sowjetische Experten ein, dass die Organisation »eindeutig« von Moskau dominiert war – und zwar »in viel höherem Maße, als es die NATO je von den Vereinigten Staaten gewesen ist«.39

»Auflösung der Militärblöcke« Die UdSSR schlug über viele Jahre hinweg immer wieder – und sogar noch nach dem Sturz der KP-Regimes in Ostmitteleuropa 1989 – vor, den Warschauer Pakt und die NATO gleichzeitig aufzulösen. Das war auch in manchen Kreisen in Westeuropa durchaus populär, obwohl (oder gerade weil ?) ein solcher Schritt während des Kalten Krieges die östliche Seite begünstigt hätte, da Moskau längst bilaterale Militärverträge mit ihren ostmitteleuropäischen Satelliten abgeschlossen hatte (Tschechoslowakei 1943 ; Polen und Jugoslawien 194540 ; Ungarn, Rumänien, Bulgarien und Finnland 1948, DDR 1964), denen die Annahme eines bewaffneten Angriffs auf einen oder mehrere Partnerstaaten zugrunde lag. Die bilateralen Bündnisverträge waren eindeutig ein »Auffangnetz für den Fall der Auflösung des Warschauer Pakts«. Eine Auflösung der NATO hingegen hätte wahrscheinlich zu einem US-Abzug aus Westeuropa geführt.41 36 Rumäniens Vertrag erlosch schon 1958, und die sowjetischen Truppen, die seit 1944 im Land gewesen waren, zogen ab. 37 In der ČSSR hatten sich bis zur Niederschlagung des Prager Frühlings keine sowjetischen Truppen aufgehalten. 38 Zellner, Wolfgang/Dunay, Pál : Ungarns Außenpolitik 1990–1997. Zwischen Westintegration, Nachbarschafts- und Minderheitenpolitik (Demokratie, Sicherheit, Frieden 118), Baden-Baden 1998, S. 158. 39 Ambartsumov, Ewgeni A.: Demokratie in Osteuropa : Status und Perspektiven, in : Schneider, Heinrich/ Eder, Erich (Hg.) : Interdisziplinäres Symposion »Demokratisierung und Sicherheit in Europa«, 20.– 24.11.1990. Vorträge und Referate, Wien 1990, S. 19–24, hier S. 20. 40 Gekündigt 1949. 41 So ein österreichischer Botschafter bei einem Symposium in Wien 1990, vgl. Ceska, Franz : Erosion der

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Verlängerung des Warschauer Pakts und Verabschiedung einer Militärdoktrin (1985–1987) 1985 prolongierten die Mitglieder den Warschauer Pakt für 20 Jahre. Beim 27. Parteitag der Kommunistischen Partei der Sowjetunion (KPdSU) im Jahr darauf sprach deren Generalsekretär Michail Gorbatschow von einer großen Bedeutung dieser Verlängerung und fügte hinzu, dass man sich die Weltpolitik ohne den Pakt kaum vorstellen könne. Damals bestand kein Zweifel, dass Gorbatschow den Warschauer Pakt als »tragende Säule« der »sozialistischen Gemeinschaft« betrachtete.42 Glaubt man allerdings Marschall Sergej Achromejew, 1984 bis 1988 Generalstabschef und ab März 1990 Militärberater Gorbatschows, erörterte man in der sowjetischen Militärführung bereits 1986/87 mögliche Auswirkungen eines Zusammenbruchs des »nach dem Krieg geschaffenen Sicherheitssystems der Sowjetunion und anderer Länder des Warschauer Vertrages in Europa«.43 Im Mai 1987 wurde in Ost-Berlin eine angeblich defensive »Militärdoktrin des Warschauer Pakts« verkündet,44 doch blieb ihr tatsächlicher Einfluss auf die sowjetische Kriegsplanung beschränkt. Das Verteidigungsministerium der Bundesrepublik Deutschland, dem nach der Wiedervereinigung 25 000 DDR-Dokumente in die Hände fielen, die Rückschlüsse auf die Absichten des Warschauer Pakts erlaubten, sprach davon, dass die »eindeutig offensiven Kriegsplanungen« der Organisation in Mitteleuropa erst in der zweiten Hälfte der 1980er-Jahre dahingehend Modifizierungen erfuhren, dass »die offensiven strategischen Operationen erst nach einer Anfangsverteidigung vorgesehen wurden«.45

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Allianzen als außen- und innenpolitische Herausforderung für die Staaten und multilateralen Gemeinschaften und Organisationen Europas, in : Schneider, Heinrich/Eder, Erich (Hg.) : Interdisziplinäres Symposion »Demokratisierung und Sicherheit in Europa«, 20.–24.11.1990. Vorträge und Referate, Wien 1990, S. 41–46, hier S. 42. Walter, Franz : Die sowjetische Militärdoktrin und -strategie im Zeichen des »neuen politischen Denkens«, Ottobrunn 1988, S. 79. Achromeev, Sergej : S čem my prišli k smene vech v 1985 godu, in : Achromeeva, T. V./Luzgin, A. S./ Juškin, Ju. F. (Zusammenstellung) : Maršal Achromeev – rokovoj avgust, Saransk 1997, S. 123–243, hier S. 156. Vgl. Jones, Christopher : Gorbačevs Militärdoktrin und das Ende des Warschauer Pakts, in : Diedrich, Torsten/Heinemann, Winfried/Ostermann, Christian F. (Hg.) : Der Warschauer Pakt. Von der Gründung bis zum Zusammenbruch 1955 bis 1991 (Militärgeschichte der DDR 16), Berlin 2009, S. 245–271. Der Bundesminister der Verteidigung, Informations- und Pressestab, Referat Öffentlichkeitsarbeit : Militärische Planungen des Warschauer Pakts in Zentraleuropa. Eine Studie, Bonn 1992, S. 3.

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Die Agonie des Warschauer Pakts und die Sicht des österreichischen Außenministeriums (1989–1991) Am 15. Februar 1989 berichtete die österreichische Botschaft in Moskau an das Außenministerium in Wien über bei einer Pressekonferenz gemachte Stellungnahmen von Oleg Bogomolow, Direktor des Instituts für die Wirtschaft des sozialistischen Systems an der Akademie der Wissenschaften der UdSSR : Dieser wollte »nicht ausschließen«, dass Ungarn im Zuge eines europäischen Entspannungs- und Abrüstungsprozesses neutral werden könnte. Die Botschaft erinnerte daran, dass Imre Nagy »nicht zuletzt« wegen seiner Bemühungen um ein neutrales Ungarn zum Tode verurteilt worden war.46 Am 7. März 1989 meldete die österreichische Botschaft in Moskau an das Außenministerium in Wien, dass die lange von der UdSSR in ihrem Machtbereich verlangten »Mindestkriterien« – herrschende Rolle der jeweiligen kommunistischen Partei sowie Mitgliedschaften im RGW und im Warschauer Pakt – »allmählich […] erodieren«. Kollektivaktionen des Pakts gegen allfällige Reformbestrebungen in einzelnen Ostblockstaaten seien kaum noch realistisch. Es gäbe aber immer noch »Klammern«, die den Block zusammenhielten, so eben den Warschauer Pakt, der eine »ziemlich monocolore russische Spitze« aufweise, und die Kooperation der Geheimdienste.47 Am 21. März 1989 ergänzte die österreichische Botschaft in Moskau, dass die (im Westen) nach dem seinerzeitigen sowjetischen Führer Leonid Breshnew benannte »Doktrin«, welche die Souveränität der ostmitteleuropäischen Staaten gegenüber der UdSSR einschränkte, »wohl als widerrufen angesehen werden« könne.48 Bei der 18. Tagung des Rates der Außenminister des Warschauer Pakts am 11. und 12. April 1989 in Ost-Berlin kritisierten die Delegationen Rumäniens und der DDR andere Mitglieder der Organisation (darunter »sogar« die UdSSR), weil sie »Konzessionen« an den Westen gemacht und eine »innere Krise« im »sozialistischen System« herbeigeführt hätten. Demgegenüber verlangten Polen und Ungarn weniger Konfrontation mit dem Westen und einschneidende Reformen der kommunistischen Systeme.49 Damit waren die Differenzen zwischen »konservativen« und 46 BMeiA, Österreichische Botschaft Moskau, 15. Februar 1989 : Osteuropa im Wandel ; Gorbatschow scheint unbesorgt, GZ 225.02.02/3-II3/89. 47 BMeiA, Österreichische Botschaft Moskau, 7. März 1989 : Das Verhältnis der Sowjetunion zu den anderen sozialistischen Ländern. Verfolg Zl. 89-RES/89 vom 15.2.1989, GZ 225.02.02/6-II3/89. 48 BMeiA, Österreichische Botschaft Moskau, 21. März 1989 : Demontage der Breshnew-Doktrin, Ergänzung. Verfolg 139-RED/89, GZ 225.02.02/8-II.3/89. 49 Baev, Jordan Jordan:: The End of the Warsaw Pact, 1985–1991 : Viewed from the Bulgarian Archives, vgl. http :// www.php.isn.ethz.ch/collections/coll_bulgaria/introduction.cfm ?navinfo=15341 (online am 7. Jänner 2009).

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»reformerischen« Mitgliedern des Warschauer Pakts zwar nicht zum ersten Mal, aber doch besonders offensichtlich geworden. Am 25. April 1989 informierte die österreichische Botschaft in Budapest das Außenministerium in Wien über ein Interview Bogomolows für die ungarische Nachrichtenagentur MTI : Die UdSSR erteile keine Vorgaben für die ungarische Außenpolitik, sei allerdings darauf bedacht, »das System der kollektiven Sicherheit abzusichern, das durch den Warschauer Pakt garantiert wird, und das solange benötigt wird, als die NATO existiert und Europa geteilt ist«.50 Damit hielt Bogomolow an der traditionellen Position Moskaus, eine »gleichzeitige« Auflösung der beiden Militärbündnisse zu verlangen bzw. auf eine solche anzuspielen, fest. Im Mai 1989 meinte der bulgarische Staats- und Parteichef Todor Schiwkow, dass die inneren Reformprozesse in Polen und Ungarn »gefährliche« Konsequenzen haben könnten – so ein Austritt aus dem Warschauer Pakt, ein Zerbrechen des RGW und, »im besten Falle, ein Eintreten des so genannten finnischen oder österreichischen Modells«.51 Das Treffen des Politischen Beratenden Ausschusses des Warschauer Pakts am 7. und 8. Juli 1989 in Bukarest war die letzte Veranstaltung ihrer Art, die ausschließlich kommunistische Führer versammelte. Sie verabschiedeten die Erklärung »Für ein stabiles und sicheres Europa, frei von nuklearen und chemischen Waffen, für eine wesentliche Reduzierung der Streitkräfte, Rüstungen und Militärausgaben«. Darin hieß es u. a., dass jedes Volk das Recht auf Selbstbestimmung, freie Wahl seines sozialpolitischen Entwicklungsweges und Nichteinmischung in innere Angelegenheiten habe.52 Solche Erklärungen hatte es auch schon früher gegeben, doch nun nahm sie die sowjetische Seite auch ernst. Dieses Dokument sollte Einigkeit in sicherheits- und abrüstungspolitischen Fragen bekunden, konnte aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass es im Gebälk des Warschauer Pakts bereits krachte : Während Ungarn und Polen die sowjetische Reformpolitik unterstützten bzw. eine solche längst selbst praktizierten, verharrten die ČSSR, Bulgarien, die DDR und Rumänien in »konservativen« Positionen. Zwischen Ungarn und Rumänien (wegen der Lage der ungarischen Minderheit in Siebenbürgen) sowie der Tschechoslowakei und Ungarn (wegen des ursprünglich gemeinsam geplanten Wasserkraftwerks Gabčíkovo – Nagymaros) bestanden zudem längst auch von außen wahrnehmbare Divergenzen. Gorbatschow sprach sich gegen Gewalt und für eine »Unabhängigkeit der [kommunistischen] Bruderparteien« aus. Dagegen soll der rumänische Präsident und KP-Chef Nicolae Ceauşescu, der die Intervention des Warschauer Pakts in der ČSSR 1968 immer verurteilt hatte, 50 Zitiert nach : BMeiA, Austroamb Budapest an Außenamt Wien, 25. April 1989, Zahl : 225.18.15/1II.3./89. 51 Baev Baev:: The End of the Warsaw Pact. 52 Nach : Wagenlehner, Günther : Gorbatschow und die Auflösung der »sozialistischen Gemeinschaft«, in : Osteuropa, 5/1991, S. 448–466, hier S. 451.

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den »Einsatz aller Mittel« durch den Warschauer Pakt gefordert haben, um die »Eliminierung des Sozialismus« in Polen zu verhindern.53 Damit vertieften sich die seit geraumer Zeit bestehenden Gräben zwischen ihm und Gorbatschow weiter. Am 11. Juli 1989 berichtete die österreichische Botschaft in Moskau an das Wiener Außenministerium von der Tagung des Warschauer Pakts in Bukarest und der dort von der sowjetischen Delegation eingenommenen Haltung. Gorbatschow habe sich in einem Interview für das sowjetische Fernsehen zwar zufrieden über die bisherige Tätigkeit des Warschauer Pakts geäußert, gleichzeitig aber gemeint, dass er sich von einer »militärisch-politischen« in eine »politisch-militärische« Gemeinschaft verwandeln müsse. Das habe Gorbatschow auch in einer Rede während eines von Ceauşescu gegebenen Empfangs klar gemacht. Zudem wies die österreichische Botschaft auf Erklärungen Gorbatschows wie auch seines Ministerpräsidenten Nikolaj Ryschkow hin, welche die künftige Rolle des Warschauer Pakts mit Fragen der Wirtschaftskooperation der Mitglieder verknüpft hatten. Gorbatschow habe unter Hinweis auf die Lage in der UdSSR wie auch in den anderen RGW-Mitgliedern eine »breitere Zusammenarbeit« verlangt.54 Der Gipfel des Warschauer Pakts war auch Gegenstand einer mit 13. Juli 1989 datierten Kurzanalyse des österreichischen Außenministeriums, die v. a. an den Minister, den Generalsekretär und die Sektionsleiter gerichtet war. Es heißt darin, dass Vorbereitung und Ablauf der Veranstaltung im Zeichen sich verstärkender Gegensätze zwischen reformorientierten und orthodoxen Mitgliedern einerseits und bilateraler, über ideologische Fragen hinausgehender Differenzen (Ungarn – Rumänien, ČSSR – Ungarn, UdSSR – Rumänien) gestanden seien. Der Warschauer Pakt befinde sich in einer »Phase des Übergangs« ; die Mitglieder würden in zunehmendem Maße eigene Wege beschreiten. Militärische Fragen »treten gegenüber wirtschaftlichen (Konkurrenz zum RGW ?), politisch-koordinierenden und menschenrechtlichen55 […] Fragen zurück. Dieses neue Selbstverständnis des Bündnisses läßt (gegenwärtig) auch die Möglichkeit der Teilnahme eines nicht-kommunistischen Regierungsund/oder Staatschefs an einem künftigen Gipfeltreffen als realistisch erscheinen«.56 – Diese Vorhersage sollte sich denn auch bald als richtig erweisen. 53 Zitiert nach : Deletant, Dennis : ›Taunting the Bear‹ : Romania and the Warsaw Pact, 1963–89, in : Cold War History 4 (2007), S. 495–507, hier S. 504. 54 BMeiA, Austroamb moskau an aussenamt wien. Stored message, 11.07.89 : wp-tagung in bukarest, wertung der su-haltung sowie der bilateralen treffen (info). 55 Die Erwähnung der Menschenrechte in diesem Kontext wird plausibler, wenn man sich vergegenwärtigt, dass etwa bei einem Treffen von Experten für Außen- und Sicherheitspolitik der Mitglieder des Warschauer Pakts am 29. März 1989 in Prag die Schaffung einer eigenen Kommission des Pakts für Menschenrechte erwogen wurde. 56 BMeiA, Warschauer Pakt nach dem Gipfeltreffen von Bukarest (7./8. Juli 1989), GZ 701.03/14-II.3/89, 13. Juli 1989.

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Gleichfalls auf das Bukarester Treffen des Warschauer Pakts bezog sich die österreichische Botschaft in Moskau gegenüber dem Außenministerium in Wien am 18. Juli 1989 (d. h. einen Tag nach dem österreichischen EG-Beitrittsansuchen) : Die bestehenden Strukturen des Warschauer Pakts würden die Führung eines ständigen politischen Dialogs mit der NATO gar nicht ermöglichen, weil der östliche Militärblock im Unterschied zum Nordatlantikpakt über kein ständig aktives politisches Sekretariat verfügte. Die, so die Botschaft, »in der Regel nicht ohne Schwierigkeiten« ablaufende Koordinierung der Positionen der Paktmitglieder erfolgte auf den zwischen den einzelnen Hauptstädten rotierenden Tagungen des Politischen Beratenden Ausschusses, dessen Infrastruktur die stellvertretenden Außen- und Verteidigungsminister »mehr oder minder ad hoc« organisierten.57 Am 17. August 1989 wies die österreichische Botschaft in Moskau das Außenministerium in Wien auf einen Artikel in der sowjetischen Wochenzeitschrift »Moscow News« hin, den ein wissenschaftlicher Mitarbeiter des Instituts für die Wirtschaft des sozialistischen Systems an der Akademie der Wissenschaften, Andranik Migranyan,58 verfasst hatte und der nach Einschätzung der Botschaft der erste sowjetische Medienbeitrag war, der konkret von der Möglichkeit eines »grundlegenden gesellschafts- und wirtschaftspolitischen Wandels« in Polen und Ungarn ausging.59 Zu diesem Zeitpunkt hatte allerdings Polen seine ersten semidemokratischen Wahlen (mit einem Erdrutschsieg der Opposition) bereits hinter sich, und genau eine Woche nach dem Bericht der Botschaft stieg Tadeusz Mazowiecki zum ersten nichtkommunistischen Ministerpräsidenten Polens seit 1944 auf. M. Potscharow, Vizevorsitzender des Lenkungsausschusses des Obersten Sowjets der UdSSR und Mitglied der »oppositionellen« Interregionalen Parlamentariergruppe um den späteren russischen Präsidenten Boris Jelzin und den Dissidenten Andrej Sacharow, meinte am 6. Oktober 1989 bei einem Hearing in Wien (im Gebäude der ÖVP-Bundesparteileitung), dass einzelne Länder aus dem Warschauer Pakt austreten könnten, doch das werde »kaum« geschehen : »Bestimmte Länder« würden ja auch die NATO aus »wirtschaftlichen und anderen« Gründen nicht verlassen.60 57 BMeiA, Österreichische Botschaft Moskau, 18. Juli 1989 : Warschauer Pakt ; Übergang von militärischpolitischer zu politisch-militärischer Organisation. Verfolg ho. FS 25285 vom 11. Juli 1989, Zl. 409RES/89. 58 Migranyan, Andranik Andranik:: An Epitaph to the Brezhnew Doctrine. The USSR and other socialist countries in the context of East-West relations, in : Moscow News, Nr. 34 (1989), S. 6. – Migranyan, ein ethnischer Armenier, präsentierte sich in postsowjetischer Zeit zunehmend als Sprachrohr russischer Großmachtpolitik nicht ohne Hang zu Verschwörungstheorien. 59 BMeiA, Österreichische Botschaft Moskau, 17. August 1989 : »Moscow News« über eine allfällige »Finnlandisierung« Ungarns und Polens. Zl. 470-RES/89. 60 BMeiA, Vortrag von Abg. M. A. Potscharow (Vizepräsident des Lenkungsausschusses des Obersten Sow-

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Ein Treffen des Warschauer Pakts in Warschau am 26. und 27. Oktober 1989, auf dem mit dem polnischen Außenminister Krzysztof Skubiszewski zum ersten Mal ein Nichtkommunist vertreten war, billigte eine Abschlusserklärung, in der von der gleichzeitigen Auflösung von Warschauer Pakt und NATO im Gefolge der Schaffung eines allgemeinen Systems kollektiver Sicherheit die Rede war. Darauf verwies denn auch ein Bericht der österreichischen Botschaft in Polen vom 2. November 1989, der zudem daran erinnerte, dass an einer solchen Zusammenkunft erstmals auch für die Wirtschaftsbeziehungen mit dem Ausland zuständige Minister teilgenommen hatten. Die Botschaft gab dazu die Meinung eines hohen, aber ungenannten polnischen Gesprächspartners wieder, demzufolge sich der Warschauer Pakt künftig »mehr auf nicht-militärische Angelegenheiten, d. h. vorwiegend auf politische und wirtschaftliche Zusammenarbeit«, konzentrieren solle.61 Im Rahmen des Gipfeltreffens des Warschauer Pakts in Moskau am 4. Dezember 1989 unterzeichneten die UdSSR, die DDR, Polen, Ungarn und Bulgarien eine Deklaration, welche die Intervention in der ČSSR 1968 verurteilte. Rumänien fehlte mit der offiziellen Begründung, dass es an dieser nicht beteiligt gewesen war.62 Zudem distanzierte sich die UdSSR in einer gesonderten unilateralen Erklärung von der Entscheidung der damaligen Breshnew-Führung, die ČSSR (obwohl sie keine Anstalten gemacht hatte, aus dem Warschauer Pakt auszuscheiden) zu besetzen.63 Diese Festlegungen bedeuteten das offizielle Ende der »Breshnew-Doktrin«.64 Am 14. Dezember 1989 wiederholte die österreichische Botschaft in Moskau gegenüber dem Außenministerium in Wien, dass der Warschauer Pakt kein ständiges politisches Sekretariat und daher keine mit der NATO vergleichbare politische Struktur besitze. Die Meldung berief sich auf ungenannte Diplomaten des sowjetischen Außenministeriums, wonach den Außenministerien der Paktmitglieder in Bündnisangelegenheiten immer mehr Gewicht zukomme und »die Militärs auf die Diplomaten zu hören beginnen«. Insgesamt aber, so die Botschaft, habe eine Vor-

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jets, Mitglied der Interregionalen Parlamentsgruppe) über den Stand der Entwicklungen in der UdSSR, 6. Oktober 1989, GZ 225.03.00/49-II.3/89. BMeiA, Österreichische Botschaft Warschau, 2. November 1989 : Tagung der Warschauer-Pakt-Außenminister am 26. und 27. Oktober 1989 in Warschauer Berichtskopie, Zl. 259-RES/89. – Das Außenministerium übermittelte dann die gesamte Abschlusserklärung in Form eines Aktenvermerks u. a. an das Kabinett des Ministers, das Generalsekretariat und die Sektionsleiter ; vgl. BMeiA, Warschauer Pakt ; Treffen des Komitees der Außenminister (26./27. Oktober) in Warschau, 20. November 1989, GZ 701.03/34. II.3/89. Ceauşescu hatte 1968 sogar eine Invasion des Warschauer Pakts auch in Rumänien befürchtet. »Dauernd negative Folgen«. Einmarsch in ČSSR verurteilt, in : Volksstimme, 6. Dezember 1989, S. 1 ; Nicht adäquates Herangehen. Sowjetregierung kritisiert Einmarsch, in : Volksstimme, 6. Dezember 1989, S. 4. Nach Wagenlehner : Gorbatschow und die Auflösung, S. 451 f.

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sprache in der für den Warschauer Pakt zuständigen Abteilung des Außenministeriums den Eindruck hinterlassen, dass »Glasnost« im Warschauer Pakt »noch kein Wert an sich« sei.65 Das Verhältnis zwischen NATO und Warschauer Pakt hatte sich aber sichtlich entspannt. So besuchte Außenminister Eduard Schewardnadse am 19. Dezember 1989 als erstes Regierungsmitglied der UdSSR das Hauptquartier der NATO in Brüssel. Der Außenpolitische Bericht des österreichischen Außenministeriums für 1989 meinte, dass die Demilitarisierung der sowjetischen Außenpolitik für das interne Gefüge und Selbstverständnis des Warschauer Pakts »von allergrößter Bedeutung« sei. Der Bericht zog das Fazit, dass sich der Charakter des Warschauer Pakts von einer »militärisch-ideologischen« zu einer mehr politisch orientierten Organisation zu wandeln beginne. So solle sie ein permanentes (politisches) Sekretariat, vergleichbar mit dem NATO-Generalsekretariat, erhalten.66 – Dazu kam es allerdings nicht mehr. Ab Ende 1989 übten die ostmitteleuropäischen Länder steigenden politischen Druck auf die UdSSR aus, um Reformen im Warschauer Pakt in ihrem Sinne zu erreichen. Moskau lehnte die »radikalsten« Ideen ab, befand sich aber bald in der Defensive und sah sich zu immer mehr Konzessionen veranlasst. Noch Anfang 1990 gingen die politische und die militärische Führung der Sowjetunion davon aus, dass es gelingen könnte, einen reformierten Warschauer Pakt über den Systemwechsel in Ostmitteleuropa hinaus zu erhalten.67 Schewardnadse meinte, dass »die gegenseitigen Bündnisverpflichtungen aufrechterhalten bleiben« müssten.68 Ein halbes Jahr später verlautbarte er seine Einsicht, dass ein Bündnis, das man mit Gewalt zusammenhalten müsse, nicht verlässlich sei.69 Der Desintegrationsprozess im Warschauer Pakt intensivierte sich. So hieß es in einem DDR-Dokument über das Treffen der Außenminister des Warschauer Pakts und der NATO am 12. und 13. Februar 1990 in Ottawa anlässlich der »Open Skies«Konferenz, dass den Einschätzungen der Paktmitglieder »keine einheitliche Sicht auf die Entwicklungen in Europa« zugrunde liege.70 Auch von den Verhandlungen über

65 BMeiA, Österreichische Botschaft Moskau, 14. Dezember 1989 : WP ; Übergang von einer militärischpolitischen zu einer politisch-militärischen Organisation, Zl. 701.03/1-II3/90. 66 Bundesministerium für auswärtige Angelegenheiten (Hg.) : Jahrbuch der österreichischen Außenpolitik. Außenpolitischer Bericht 1989, Wien 1990, S. 47 und S. 53. 67 Schröder, Hans-Henning : Sowjetische Rüstungs- und Sicherheitspolitik zwischen »Stagnation« und »Perestrojka«. Eine Untersuchung der Wechselbeziehung von auswärtiger Politik und innerem Wandel in der UdSSR (1979–1991), Baden-Baden 1995, S. 375. 68 Zitiert nach : Litauen : Heißer Empfang für Gorbatschow, in : Die Presse, 11. Jänner 1990, S. 2. 69 Zitiert nach : Schröder : Sowjetische Rüstungs- und Sicherheitspolitik, S. 382. 70 Information über das Treffen der Außenminister der Teilnehmerstaaten des Warschauer Pakts und der NATO anlässlich der Konferenz »Offener Himmel« am 12. und 13. Februar 1990 in Ottawa, vgl. http ://www.php.isn. ethz.ch/collections/colltopic.cfm ?lng=en&id=21233&navinfo=15697 (online am 14. März 2009).

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konventionelle Streitkräfte in Europa berichteten Angehörige westlicher Delegationen im März 1990, dass der Warschauer Pakt als geschlossene Gruppe nicht mehr existiere. Der sowjetische Verteidigungsminister Marschall Dmitrij Jasow versuchte freilich noch Ende April 1990, die politischen Veränderungen in Ostmitteleuropa und ihre Auswirkungen auf den Warschauer Pakt zu negieren. So meinte er, dass ein »Übergewicht der NATO« die Kriegsgefahr erhöhe. Ein vereintes Deutschland in der Nordatlantischen Allianz sei »unannehmbar«.71 Eine vom 12. Juni 1990 stammende Analyse des österreichischen Außenministeriums, die u. a. für den Minister, den Generalsekretär und die Sektionsleiter bestimmt war, behandelte die Tagung des Politischen Beratenden Ausschusses des Warschauer Pakts am 7. Juni 1990 in Moskau. Es war dies das erste Treffen seiner Art, bei dem Nichtkommunisten die Mehrheit der teilnehmenden Regierungschefs stellten. Der Pakt wolle sich, so die Kurzanalyse, mit sowjetischer Unterstützung in eine Vertragsgemeinschaft »souveräner Staaten mit gleichen Rechten auf demokratischer Basis« umwandeln. Im Pakt habe ein »Wettlauf« mit dem Ziel der Umgestaltung in ein »politisches Verteidigungsbündnis« eingesetzt, der auch von Moskau mitgemacht werde. Ein ständiges politisches Sekretariat dürfte im Pakt aber nicht entstehen. »Trotz bekannter Interessenlagen« habe kein Paktmitglied bei der Tagung für eine Auflösung der Organisation plädiert, was für ein »hohes Verantwortungsbewusstsein« der osteuropäischen Politiker spreche. Derzeit sei nämlich eine Erhaltung des Pakts nötig, um der UdSSR den »Übergang zu neuen Sicherheitsstrukturen« zu erleichtern.72 Die österreichische Botschaft in Ostberlin meldete am 13. Juni 1990 zur Tagung des Politischen Beratenden Ausschusses, dass die DDR die in Aussicht genommene schrittweise Umwandlung des Warschauer Pakts in eine »politische Vertragsgemeinschaft« als »hilfreich für die äußeren Aspekte der deutschen Einigung« begrüßt hat. Zudem gab die Botschaft Äußerungen von DDR-Ministerpräsident Lothar de Maizière wieder, wonach das vereinigte Deutschland »für eine Übergangszeit einer grundlegend reformierten NATO – bei einem militärischen Sonderstatus des heutigen DDR-Territoriums – angehören« könnte. DDR-Außenminister Markus Meckel hat, so hieß es weiter, den sowjetischen Vorschlag einer gleichzeitigen Mitgliedschaft des vereinigten Deutschlands in NATO und Warschauer Pakt als »absurd« bezeichnet.73 71 Bericht über das Treffen des Ministers für Abrüstung und Verteidigung Eppelmann mit dem Minister für Verteidigung der UdSSR, Marschall Jasow, am 29. April 1990, vgl. http ://www.php.isn.ethz.ch/collections/colltopic.cfm ?lng=en&id=21232&navinfo=15697 (online am 14. März 2009). In einem Erinnerungsbuch Jasows kommt der Warschauer Pakt nur en passant vor, vgl.: Jazov, Dmitrij : Udary sud’by. Vozpominanija soldata i maršala. 2-e izdanie, ispravlennoe i dopolnennoe, Moskva 2000. 72 BMeiA, Warschauer Pakt ; Tagung des Politischen Konsultativkomitees (PKK), Moskau, 7. Juni 1990. Zl. 701.03/10-II.3/90. Wien, 12. Juni 1990. 73 BMeiA, Austroamb berlin an aussenamt wien. Stored message, 13.06.90 : warschauer-pakt-tagung in moskau (info). Zu GZ 701.03/6–2.3/90 (fs 85434). Zl. 701.03/14.

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Am 7. Juni 1990 trat der Politische Beratende Ausschuss des Pakts in Moskau zusammen. Einem Bericht des DDR-Außenministeriums zufolge stellte er sich die »komplizierte Aufgabe, die Existenz- und Legitimitätskrise des Warschauer Vertrages zu überwinden und durch eine grundlegende Umgestaltung des Charakters, der Funktionen und der Tätigkeit des Warschauer Vertrages solche Voraussetzungen zu schaffen, damit er in einer Übergangszeit seinen Beitrag zur Schaffung gesamteuropäischer Sicherheitsstrukturen leisten kann«. Die Auffassungen dazu gingen allerdings stark auseinander. So verlangten Ungarn und die ČSFR einen Abbau der militärischen Strukturen, was Polen (noch) nicht mittragen wollte. Die UdSSR und Bulgarien traten »unter dem Blickwinkel des Gleichgewichts und der Stabilität« für eine »Umgestaltung« des Warschauer Pakts ein. Moskau lehnte zudem eine Mitgliedschaft Deutschlands, dessen Wiedervereinigung bevorstand, in der NATO ab und wiederholte die Idee einer deutschen »Assoziierung […] in beiden Blöcken, solange sie bestehen«.74 In der im Vorfeld mühsam ausverhandelten Deklaration zum Treffen des Warschauer Pakts vom 7. Juni 1990 hieß es, dass »Charakter und Funktionen« der Organisation zu überprüfen seien. Dies sei nötig, um es dem Pakt zu ermöglichen, »neue, aktuelle Aufgaben« zu erfüllen, »die mit der Abrüstung und der Bildung eines gesamteuropäischen Sicherheitssystems zusammenhängen«. Der Pakt solle künftig aus »souveränen und gleichberechtigten« Staaten bestehen und auf demokratischen Prinzipien beruhen. Daher habe man eine zeitweilige Kommission von Regierungsbeauftragten geschaffen, die dem Politischen Beratenden Ausschuss bis Ende Oktober 1990 Vorschläge dazu unterbreiten solle. Am Ende des Dokuments ist von einem »Europa ohne Blöcke und Feindschaft« die Rede75 – offenbar eine Anspielung auf eine Auflösung auch der NATO. Am 17. Juli 1990 berichtete die österreichische Botschaft aus Prag an das Außenministerium in Wien vom ersten Treffen der Mitglieder der Kommission von Regierungsbevollmächtigten am 15. Juli in Prag.76 Ungarn schlug dabei eine Auflösung des Warschauer Pakts vor. Die UdSSR, Bulgarien und Rumänien wollten ihn in einen »Vertrag souveräner Staaten mit gleichen Rechten« transformieren, Polen in einen »Vertrag über ein kollektives System mit gleichen Rechten«. Am 2. August 1990 zitierte die österreichische Botschaft Aussagen des tschechoslowakischen Außenministers Jiří Dienstbier in der Zeitung »Lidové noviny«, wonach alle Mitglie74 Bericht über die Tagung des Politischen Beratenden Ausschusses der Teilnehmerstaaten des Warschauer Pakts am 7. Juni 1990 in Moskau, Berlin, den 8. Juni 1990, vgl. http ://www.php.isn.ethz.ch/collections/ colltopic.cfm ?lng=en&id=18995&navinfo=15697 (online am 7. Jänner 2009). 75 Deklaration der Teilnehmerstaaten des Warschauer Pakts, 7. Juni 1990, S. 1 f. und S. 4, vgl. http ://www. php.isn.ethz.ch/collections/colltopic.cfm ?lng=en&id=18997&navinfo=15697 (online am 13. März 2009). 76 BMeiA, Austroamb prag an aussenamt wien. Stored message, 17. Juli 1990 : der warschauer pakt – vor einer auflösung in zwei jahren ? (info).

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der des Warschauer Pakts dessen Auflösung erwarten.77 Die nächsten Sitzungen der Kommission der Regierungsbevollmächtigten fanden im September und Oktober 1990 in Sofia bzw. Warschau statt, wobei Ungarn, die Tschechoslowakei und Polen besonders nachdrücklich für einen völligen Abbau der Militärstrukturen des Warschauer Pakts eintraten. Das empfahl die Kommission denn auch schließlich. Die »Lokomotive« für Reform und dann Auflösung des Warschauer Pakts war klar die »Troika« aus Ungarn, der ČSFR und Polen. Demgegenüber ließ Bulgarien eine anhaltende Nähe zu Moskau erkennen. Bei einem Treffen der Präsidenten Ungarns und der ČSFR, Árpád Göncz und Václav Havel, in Prag im Juli 1990 herrschte insofern Einigkeit, als beide für eine Abschaffung des militärischen Oberkommandos des Warschauer Pakts eintraten ; dieser wäre in ein überwiegend politisches Instrument für Abrüstungsverhandlungen mit der NATO umzuwandeln. Tatsächlich war dann – und v. a. im Herbst 1990, also während der Wiener Verhandlungen zur Begrenzung der konventionellen Rüstung – das Komitee für Abrüstung des Warschauer Pakts aus der Sicht der meisten postkommunistischen Staaten Ostmitteleuropas das einzige nützliche Organ des Bündnisses. Ursprünglich war vorgesehen, im Kriegsfall mit der NATO fast die gesamten nationalen Streitkräfte der ostmitteleuropäischen Mitglieder des Warschauer Pakts dem Vereinigten Oberkommando – und damit de facto dem sowjetischen Generalstab – zu unterstellen. Ab 1989 brachen die Armeen der ostmitteleuropäischen Mitglieder des Pakts aus seiner Militärstruktur heraus. Ein Lehrbuch des Moskauer staatlichen Instituts für Internationale Beziehungen (einer Kaderschmiede u. a. des Außenministeriums) merkte an, dass der Warschauer Pakt ab 1990 »nur noch auf dem Papier existierte«.78 In seinem Abschiedsbericht als Botschafter in Moskau schrieb Grubmayr am 26. September 1990 denn auch, dass Warschauer Pakt und RGW nur noch »lose Klammern« seien, »die nur locker Fragmente umschließen und an deren weitere Halterungsfunktionen eigentlich niemand mehr glaubt. Ihr Vorhandensein wird nur mehr in speziellen Situationen beschworen, wenn man nicht offen zugeben will, dass die Sowjetunion heute ohne Militär- und Wirtschaftsbündnis allein der NATO und den Europäischen Gemeinschaften gegenübersteht«.79 Am 12. Oktober 1990 informierte die österreichische Botschaft in Warschau das Außenministerium in Wien von einem Treffen der (ausschließlich) zivilen stellvertretenden Verteidigungsminister Ungarns, der ČSFR und Polens im polnischen Zakopane. Es handelte sich um die erste Veranstaltung dieser Art. Dabei sei, so die Botschaft unter Berufung auf Informationen aus dem Verteidigungsministerium in 77 BMeiA, Österreichische Botschaft in Prag, 2. August 1990 : Außenminister Dienstbier über die Zukunft d. WP. Zl. 5 177 – A/90. 78 Torkunov, A. V. (Red.) : Sovremennye meždunarodnye otnošenija. Učebnik, Moskva 2001, S. 308. 79 Freundliche Mitteilung von Grubmayr an den Verfasser, 15. März 2009.

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Warschau, die »Entinternationalisierung« zur Sprache gekommen, d. h. es herrschte insofern Einigkeit, als sich die Armeen der drei Staaten ausschließlich auf die eigene Verteidigung konzentrieren sollten. Das sei eine klare Absage an die Grundlagen des Warschauer Pakts wie »Verteidigung des Sozialismus«, »internationale Waffenbruderschaft« und kollektive Verteidigung.80 In einer Gemeinsamen Erklärung der insgesamt 22 Mitglieder von NATO und Warschauer Pakt vom 19. November 1990 hieß es, dass man sich die Hand zur Freundschaft reicht und sich nicht länger als Feinde betrachtet.81 Am 27. November 1990 erinnerte die österreichische Botschaft in Warschau in einer Meldung an das Außenministerium in Wien an die Kommission von Regierungsbevollmächtigten zur Überprüfung der Strukturen und Aktivitäten des Warschauer Pakts angesichts der aktuellen weltpolitischen Entwicklungen. In den Außenministerien der Mitgliedsländer des Pakts herrsche Übereinstimmung in den folgenden Punkten : Die gesamte militärische Struktur der Organisation ist während der ersten Jahreshälfte 1991 aufzulösen ; darüber hinaus erhalten bleiben sollen der Politische Beratende Ausschuss, der künftig ein oder zwei Mal im Jahr zusammenzutreten hätte, sowie ein Komitee für Abrüstung, das alle im Zusammenhang mit den Wiener Konferenzen zur Abrüstung bzw. Rüstungsbegrenzung stehenden Problembereiche zu behandeln hätte.82 Die UdSSR versuchte bis zuletzt, eine Auflösung des Warschauer Pakts mit Versprechen von »Reformen« zu verhindern. Dieser Zug war aber aus der Sicht der ostmitteleuropäischen Paktmitglieder abgefahren. Am 25. Februar 1991 unterzeichneten Regierungsvertreter der (nach dem Ausscheiden der DDR wegen der deutschen Wiedervereinigung am 3. Oktober 1990) noch sechs Paktmitglieder in Budapest ein »Protokoll über die Beendigung der Gültigkeit der im Rahmen des Warschauer Vertrages abgeschlossenen Militärverträge und die Auflösung ihrer militärischen Organe und Strukturen«.83 Aufgrund dieses Dokuments traten sofort außer Kraft : das Protokoll über die Schaffung des Vereinigten Oberkommandos der Teilnehmerstaaten des Paktes vom 14. Mai 1955 ; die Verordnung über das Komitee der Verteidigungsminister der Mitgliedstaaten in Friedenszeiten vom 17. März 1969 ; die Verordnung über die Vereinigten Streitkräfte und das Vereinigte Oberkommando in Friedenszeiten vom 80 BMeiA, Österreichische Botschaft in Polen, Warschau, 12. Oktober 1990 : Zusammentreffen der Verteidigungsminister von Polen, der CSFR und Ungarn. Zl. 298-RES/90. 81 Joint Declaration of Twenty-Two States. Paris, 19. November 1990, vgl. http ://www.fas.org/nuke/control/ cfe/text/paris1.htm (online am 22. März 2009). 82 BMeiA, Österreichische Botschaft in Polen. Warschau, 27. November 1990 : Warschauer Pakt ; Reformbestrebungen. Verfolg Erl.Zl. 701.03/23-II.3/90 vom 9. Oktober 1990. 83 Protokol o prekraščenii dejstvija voennych soglašenij, zaključennych v ramkach Varšavskogo Dogovora, i uprazdnenii ego voennych organov i struktur, in : Gribkov, Anatolij I.: Sud’ba Varšavskogo dogovora : Vospominanija, dokumenty, fakty, Moskva 1998, S. 198–200.

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17. März 1969 ; die Verordnung über den Militärrat der Vereinigten Streitkräfte in Friedenszeiten vom 17. März 1969 ; die Verordnung über das Einheitliche System der Luftverteidigung in Friedenszeiten vom 17. März 1969 ; und die Verordnung über die Vereinigten Streitkräfte des Warschauer Pakts und die Führungsorgane in Friedenszeiten vom 18. März 1980. Alle Organe des Pakts wurden mit 31. März 1991 aufgelöst. Eine »Information« des österreichischen Außenministeriums vom 28. Februar 1991 erwähnte die drei Tage vorher gefallenen Beschlüsse der Außen- und Verteidigungsminister der Mitgliedsländer des Pakts zur Abschaffung der militärischen Strukturen und meinte weiter, dass die politischen Institutionen des Warschauer Pakts zunächst weiter bestehen, aber voraussichtlich nur noch geringe Aktivitäten entfalten würden. Eine Mitgliedschaft der ostmitteleuropäischen Staaten in der NATO wäre zwar »theoretisch die bestmögliche Absicherung« gegen möglichen neuerlichen sowjetischen Druck, sei derzeit aber »völlig unrealistisch« : Sie könnten es sich nicht leisten, Moskau derart zu »provozieren«. Sie würden ihre sicherheitspolitischen Überlegungen »zu einem Gutteil« auf eine NATO stützen, die aber ihre Sicherheitsgarantien nicht auf Ostmitteleuropa ausdehnen wolle.84 Außenminister Alois Mock traf in der Rede »Österreich und die Schweiz im neuen europäischen Umfeld« am 29. April 1991 die nicht zu bestreitende Feststellung, dass die Militärorganisation des Warschauer Pakts nicht mehr bestehe und ihre »politische Struktur […] weithin funktionslos« geworden sei.85 Viele Jahre später nannte Mock die Auflösung des Warschauer Pakts die »logische Folge« des Zusammenbruchs der kommunistischen Regimes in Ostmitteleuropa. Das »Wegbrechen« eines der beiden Militärblöcke, »denen wir neutral gegenüberstanden, […] war sicherlich eine gewisse Erleichterung für uns. Eine eventuelle Bedrohung von Norden und Osten war verschwunden«.86 Am 13. März 1991 meldete die österreichische Botschaft in Moskau an das Außenministerium in Wien, dass die Auflösung der militärischen Strukturen des Warschauer Pakts durch Beschluss vom 25. Februar in der UdSSR Anlass für eine breite Diskussion über die Ursachen des Endes der Organisation und die Konsequenzen für die Zukunft sei. Die Meldung bezog sich auf einen bereits im Jänner 1990 in der Parteizeitung »Prawda« erschienenen Text Achromejews, einen Artikel des bekannten außenpolitischen Kommentators Alexander Bowin in der »Izvestija« (in dem es hieß, dass der Verlust des Machtmonopols der kommunistischen Parteien in den ostmitteleuropäischen Staaten in den Zerfall des Warschauer Pakts münden habe müssen), einen Kommentar der orthodox-kommunistischen Zeitung »Sovetskaja

84 BMeiA, Auflösung des Warschauer Pakts ; zukünftiger sicherheitspolitischer Status der osteuropäischen Staaten, GZ 701.03/4-II.SL/91. 85 Rede von Alois Mock, in : Bundesministerium für auswärtige Angelegenheiten (Hg.) : Österreichische außenpolitische Dokumentation. Texte und Dokumente Nr. 9, Wien 1991, S. 20–25, hier S. 23. 86 Freundliche Mitteilung von Mock an den Verfasser, 6. April 2009.

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Rossija« (die behauptete, dass der Warschauer Pakt »uns Jahrzehnte des Friedens gegeben« habe und seine Auflösung ein »Vakuum« schaffe) sowie einen aktuellen Beitrag in der »Prawda« (der die Hoffnungen vieler in der UdSSR in folgende Worte kleidete : »Auch die NATO ist nicht unsterblich«). Die Meldung zitierte zudem aus einem Gespräch des Geschäftsträgers der Botschaft, Martin Sajdik, mit einem ungenannten, aber einflussreichen Abgeordneten des Obersten Sowjets der UdSSR : »Die Amerikaner müssen uns regelmäßig darüber informieren, was sie auf den Territorien unserer ehemaligen Verbündeten, auch am Industriesektor, tun. Halten sie sich nicht daran, drehen wir den Osteuropäern den Öl- und Gashahn ab.«87 Diese dann von Moskau in postsowjetischer Zeit insbesondere gegen Staaten der GUS immer wieder eingesetzte Strategie wurde also bereits damals angedacht. In einer »Information« des Außenministeriums in Wien vom 5. April 1991, die u. a. an den Minister und den Generalsekretär des Ressorts ging, hieß es, dass die Auflösung des Warschauer Pakts in den ostmitteleuropäischen Staaten zwar als Befreiung empfunden werde, doch bestehe gleichzeitig auch ein Gefühl der Verunsicherung. In dieser Lage stelle sich für Österreich die Frage, welche Rolle es in der Sicherheitspolitik der ostmitteleuropäischen Region spielen könne. Auch für Österreich sei durch die Auflösung des Warschauer Pakts ein »grundlegender Wandel« eingetreten, der zu einer Überprüfung der bisherigen sicherheitspolitischen Annahmen zwinge. Österreichs Sicherheit sei nicht von der Lage in Zentral- und Osteuropa zu trennen, woraus sich eine interessenbedingte Solidarität mit den Ländern dieser Region ableite. Die »Information« setzte fort, dass ein ab 1989 zeitweise ventilierter »Gürtel« neutraler Staaten zwischen der NATO und der UdSSR so lange plausibel gewesen wäre, wie ein neutraler Status eine Gegenleistung der ostmitteleuropäischen Staaten für einen sowjetischen Truppenabzug dargestellt hätte. Da aber dieser Rückzug unilateral erfolgte, habe dieses Modell seine Anziehungskraft eingebüßt. Das Interesse mancher ostmitteleuropäischer Staaten an westlichen Garantien werde in absehbarer Zeit keine Früchte tragen, sodass ihnen in den nächsten Jahren Bündnisfreiheit bevorstehe. Österreich könne seine Neutralität nicht nach Ostmitteleuropa »exportieren« und sollte dem Wunsch seiner östlichen Nachbarn nach Einbindung in westliche Strukturen Verständnis entgegenbringen. Eine österreichische Hilfestellung für ostmitteleuropäische Bemühungen um Kontakte und Kooperation mit westlichen Verteidigungsorganisationen sei nicht möglich und werde auch nicht erwartet. Der wichtigste Beitrag, den Österreich für die Länder Ostmitteleuropas leisten könne, sei eine »breit gefächerte Unterstützung der ›Rückkehr nach Europa‹.«88 87 BMeiA, Österreichische Botschaft Moskau, 13. März 1991 : Warschauer-Pakt ; Auflösung der militärischen Zusammenarbeit ; sowjetische Nachrufe und Zukunftsvorstellungen. Zahl : 701.03/7. 88 BMeiA, Information, 5. Februar 1991. Sicherheitspolitik in Zentral- und Osteuropa ; österreichische Rolle, GZ 701.03/10-II.SL/91.

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Am 18. April 1991 machte die österreichische Botschaft in Bonn das Außenministerium in Wien mit Ergebnissen von Gesprächen mit Vertretern des Auswärtigen Amtes der Bundesrepublik Deutschland bekannt. Diese wollten sich explizit nicht der Aussage anschließen, dass sich Ungarn, die ČSFR und Polen in einem »Sicherheitsvakuum« befinden : Die Auflösung des Warschauer Pakts, »der die osteuropäischen Staaten in der Vergangenheit auf seine Art ›beschützt‹ hat«, könne kaum zum Anlass genommen werden, »die neu gewonnene Freiheit nunmehr als ›Vakuum‹ zu bezeichnen«. Auch andere europäische Staaten würden, so die Stimmen aus dem Auswärtigen Amt, keiner Militärallianz angehören und trotzdem kein solches »Vakuum« für sich beklagen.89 Allerdings meinten auch die österreichischen Diplomaten Albert Rohan und Klaus Wölfer in einem 1994 erschienenen Artikel, dass durch die Auflösung des Warschauer Pakts nach Wahrnehmung einiger seiner früheren Mitglieder ein »sicherheitspolitisches Vakuum« entstanden sei.90 Am 1. Juli 1991 trafen sich der sowjetische Vizepräsident Gennadij Janajew, der tschechoslowakische Präsident Václav Havel, der bulgarische Präsident Zhelju Zhelew, der polnische Präsident Lech Wałęsa, der rumänische Präsident Ion Iliescu und der ungarische Ministerpräsident József Antall in Prag (also der Hauptstadt jenes Landes, das 1968 von Truppen des Warschauer Pakts besetzt worden war). Sie billigten das »Protokoll über die Beendigung der Gültigkeit des Vertrages über Freundschaft, Zusammenarbeit und gegenseitigen Beistand, unterzeichnet in Warschau am 14. Mai 1955, und des Protokolls vom 26. April 1985 über die Gültigkeit dieses Vertrages«,91 das den Warschauer Pakt unverzüglich auflöste. Zudem versicherten einander die bereits ehemaligen Verbündeten, keine gegenseitigen Eigentumsansprüche zu haben (Artikel 2).92 Das Protokoll war seinem Artikel 3(1) zufolge von den Unterzeichnerstaaten zu ratifizieren.93 Janajew, der dann wenige Wochen später 89 BMeiA, Österreichische Botschaft in Bonn, 18. April 1991, an das Bundesministerium für auswärtige Angelegenheiten : Mittel- und osteuropäische Staaten ; sicherheitspolitische Neuorientierung. Zl. 701-03/14II3/9. 90 Rohan, Albert/Wölfer, Klaus : Österreich und die zentraleuropäischen Nachbarstaaten, in : Österreichische Gesellschaft für Außenpolitik und Internationale Beziehungen/Österreichisches Institut für Internationale Politik (Hg.) : Österreichisches Jahrbuch für Internationale Politik 1994, Wien 1994, S. 216–222, hier S. 217. 91 Protokol o prekraščenii dejstvija Dogovora o družbe, sotrudničestve i vzaimnoj pomošči, podpisannogo v Varšave 14 maja 1955 goda, i Protokola o prodlenii sroka ego dejstvija, podpisannogo 26 aprelja goda v Varšave, in : Gribkov : Sud’ba, S. 201 f. 92 Dieser Passus war wichtig für die UdSSR, die so verhindern wollte, für von ihren Truppen angerichtete Schäden an Landschaft, Umwelt usw. der ehemaligen ostmitteleuropäischen Mitglieder des Warschauer Pakts haftbar gemacht zu werden. 93 Als letzter Staat ratifizierte das postsowjetische Russland (am 23. Dezember 1992) dieses Protokoll ; Moskau deponierte seine Ratifikationsunterlagen am 18. Februar 1993 in Prag. Dies war das definitive, auch juristische Ende des Warschauer Pakts.

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zusammen mit Gleichgesinnten (darunter Jasow) einen Putschversuch gegen Gorbatschow und den russischen Präsidenten Jelzin unternehmen sollte, behauptete noch auf dieser letzten Zusammenkunft des Warschauer Pakts einen »substanziellen Beitrag« der Organisation »zu Frieden und Sicherheit in Europa«.94 Die westeuropäische Presse beachtete diese Vorgänge kaum.95 Der RGW war bereits am 28. Juni 1991 in Budapest aufgelöst worden. Zum Außenministertreffen der N+N-Staaten (einer losen Gruppe der Neutralen und Blockfreien Europas) am 16. und 17. Mai 1991 in der liechtensteinischen Hauptstadt Vaduz hieß es in Dokumenten des österreichischen Außenministeriums, dass diese mit dem Wegfall des Warschauer Pakts ihre »traditionelle Vermittlerrolle zwischen Ost und West« eingebüßt hätten. Die N+N-Kooperation könne aber dann auch unter den neuen Bedingungen von Bedeutung sein, wenn es darum gehe, deren »gemeinsame Interessen […] im Bereich der militärischen Sicherheit der NATO-Gruppe und der UdSSR gegenüber« zu vertreten.96 In einer internen Information des Außenministeriums vom 6. Dezember 1991 für Minister Mock hieß es unter explizitem Hinweis auf die ostmitteleuropäischen Staaten, dass die NATO »zu einem späteren Zeitpunkt« einen »Rahmen für ein kollektives Sicherheitssystem abgeben« könnte.97 Die Vorschläge in den ostmitteleuropäischen Staaten, aber auch von Experten von außerhalb der Region, statt des Beitritts zu einem anderen Militärbündnis (d. h. der NATO) die Neutralität anzustreben, blieben ungehört : Ungarn, Tschechien und Polen traten der NATO 1999 bei, Bulgarien, Rumänien und die Slowakei (sowie Estland, Lettland, Litauen und Slowenien) folgten 2004.

Die Positionen mittelosteuropäischer Staaten im Spiegel von Dokumenten des Außenministeriums Ungarn Bei einem Besuch in Österreich erklärte der reformkommunistische Außenminister Gyula Horn seinem Amtskollegen Mock am 26. Juni 1989, dass Budapest keine Auflösung, sondern eine Modernisierung des Warschauer Pakts anstrebe. Diese solle in Zukunft, so Horn weiter, die Verteidigungspolitik koordinieren (wobei eine Neure-

94 Zitiert nach : Umbach : Das rote Bündnis, S. 556. 95 Matějka : How the Warsaw Pact, S. 64 f. 96 BMeiA, Außenministertreffen der N+N-Staaten, Vaduz, 16. und 17. Mai 1991, Zl. 701.01, eingelangt 10. September 1991. 97 BMeiA, Die Reform der NATO ; Frage einer österreichischen Annäherung. Information für den Herrn Bundesminister, Abteilung II.1. Wien, 6. Dezember 1991, GZ 701.01/70-II.1./91.

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gelung das Verhältnis zwischen den gemeinsamen und den nationalen Streitkräften umfassen solle), grundsätzliche Positionen zu internationalen Fragen festlegen und die Souveränität der Mitgliedstaaten wahren.98 Im Juni 1989 meinte Staatsminister Imre Pozsgay, der wohl radikalste Reformpolitiker im kommunistischen Establishment Ungarns, gegenüber einer italienischen Zeitung, dass der Warschauer Pakt und die NATO keine potenziellen Gegner mehr seien. Daher organisiere Budapest seine Streitkräfte nicht länger ausschließlich im Interesse des Warschauer Pakts, sondern beginne mit der Ausarbeitung einer nationalen Verteidigungsdoktrin. Die ungarischen Truppen, die bisher zwecks Abwehr eines möglichen NATO-Angriffs entlang der österreichischen Grenze konzentriert waren, würden an die Ost- und Südostgrenze zu Rumänien verlegt.99 – Diese Aussage warf ein (weiteres) Schlaglicht auf die längst schwierigen Beziehungen zwischen dem sich demokratisierenden Ungarn und Ceauşescus Rumänien. Am 26. Juli 1989 leitete die österreichische Botschaft an das Außenministerium in Wien eine Meldung der ungarischen Nachrichtenagentur mit Stellungnahmen Horns weiter, der u. a. daran erinnert hatte, dass sein Land und Rumänien dem gleichen Verteidigungssystem angehören ; allerdings seien die bilateralen Beziehungen sehr gespannt. Die Sowjetunion sei sich dessen zweifellos bewusst, und als Land, das »strategische Verantwortung« für den Warschauer Pakt trage, würde sie einen solchen Zustand zwischen zwei Mitgliedsländern wohl nicht begrüßen.100 Am 1. September 1989 meldete die österreichische Botschaft in Budapest an das Außenministerium in Wien, dass im militärischen Bereich des Warschauer Pakts keine Auflösungstendenzen, ja nicht einmal Veränderungen registrierbar seien. Von einer geringfügigen Reduzierung der im Land stationierten sowjetischen Truppen abgesehen sei sogar ein »gewisses Beharrungsvermögen« feststellbar, was mit einer bewussten Betonung der Treue zum Warschauer Pakt wie auch mit den »ungarischen Sorgen mit Rumänien« zusammenhänge. Horns nun positive Einschätzung der Entwicklungsfähigkeit des Warschauer Pakts führte die Botschaft v. a. darauf zurück, dass die Wahrung der Souveränität der Mitgliedstaaten in Dokumente des Pakts Eingang gefunden habe und damit die Breshnew-Doktrin »endgültig verabschiedet« worden sei. Eine »Gorbatschow-Doktrin«, wonach die UdSSR bereit sei, die in Osteuropa vor sich gehenden Veränderungen zu akzeptieren, die Mitgliedschaft im Warschauer Pakt aber nicht zur Diskussion gestellt werden dürfe (und die

98 BMeiA, Warschauer Pakt ; Übergang von militärisch-politischer zu politisch-militärischer Organisation. ÖB Moskau Zl.409-RES/89 v. 18. Juli 1989, GZ 701.03/23-II.3/89, 21. Juli 1989. 99 Nach : Umbach : Das rote Bündnis, S. 510. 100 BMeiA, Österreichische Botschaft Budapest, 26. Juli 1989 : Ungarn – Rumänien ; inoffizielle bilaterale Gespräche am Rande des Gipfeltreffens der Warschauer-Pakt-Staaten in Bukarest (7.–8. Juli 1989) ; Wertung durch den ungarischen Außenminister. Zu Zl. 701.03/14-II.3/89.

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Ministerien für Inneres und Verteidigung unter kommunistischer Kontrolle bleiben müssten), werde im ungarischen Außenministerium »als Unding abgetan«.101 Ebenfalls im September 1989 sprach sich der reformkommunistische Parlamentspräsident Mátyás Szűrös, der wenige Wochen später zum Übergangs-Staatspräsidenten bestimmt wurde (als der er bis Mai 1990 fungierte), mittelfristig für einen Austritt Ungarns aus dem östlichen Bündnis aus. Am 26. Oktober 1989 erwähnte Horn bei einem Treffen der Außenminister des Warschauer Pakts in Warschau eine »Bestätigung« der Mitgliedschaft im Bündnis durch die ungarische Regierung. Eine »inhaltliche Erörterung« von Wirtschaftsbeziehungen im Pakt lehnte Horn ab ; dieser sei ein »militärisch-politisches Bündnis«. Zudem schloss er sich der Meinung seines sowjetischen Amtskollegen Schewardnadse an, wonach es keine Krise im Pakt gäbe.102 Verteidigungsminister Ferenc Kárpáti meinte bei einem Treffen mit hochrangigen Vertretern des Pakts im Oktober 1989, dass Ungarn im Bündnis bleiben wolle, aber eine »Modernisierung« seiner Strukturen sowie Abrüstungsschritte wünsche.103 Im Dezember 1989 erklärte der Vorsitzende des damals oppositionellen Demokratischen Forums, József Antall, eine Mitgliedschaft in der EG und die Neutralität anzustreben. Als ersten Schritt schlug er vor, dass Ungarn aus der Militärorganisation des Warschauer Pakts ausscheidet und innerhalb des Bündnisses eine ähnliche Stellung einnimmt wie Frankreich in der NATO. Außerdem forderte Antall den Abzug der sowjetischen Truppen aus Ungarn. 1989/90 wurde in der sicherheitspolitischen Debatte in Ungarn die Neutralität erwogen, die über die sich bereits abzeichnenden Parteigrenzen hinweg auf Interesse und Sympathie stieß. Am 20. Februar 1990, einen Monat vor den ersten freien Parlamentswahlen, sorgte Horn für eine Sensation, als er im Rahmen eines Treffens der Ungarischen Vereinigung für Politikwissenschaft meinte, dass Ungarn in wenigen Jahren Mitglied der politischen Organisation der NATO werden könnte. – Diese Initiative kam aber eindeutig zu früh.104 Am 13. März 1990 meldete die österreichische Botschaft in Budapest nach Wien, dass Budapest Mitglied des Warschauer Pakts bleiben wolle, doch dessen Umwandlung in ein »Beratungsgremium« anstrebe.105 101 BMeiA, Österreichische Botschaft Budapest, 1. September 1989 : Warschauer-Pakt ; Übergang von militärisch-politischer zur politisch militärischen Organisation ; ungarische Haltung. Zl. 212-RES/89, zu Erl. Zl.701.03/23-II.3/89 vom 21. Juli 1989. 102 Speech by the Hungarian Foreign Minister (Gyula Horn), 26. Oktober 1989, vgl. http ://www.php.isn. ethz.ch/collections/colltopic.cfm ?lng=en&id=21239&navinfo=15697 (online am 24. März 2009). 103 Zitiert nach : Warschauer Pakt berät in Polen »politisch-militärische Korrektur«, in : Der Standard, 27. Oktober 1989, S. 2. 104 Zellner/Dunay : Ungarns Außenpolitik, S. 149. 105 BMeiA, Austroamb budapest an aussenamt wien, 13. März 1990, zu 502.06.00/2-a2.2/90 vom 5. März 1990.

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Bereits unmittelbar nach den ersten freien Parlamentswahlen im März und April 1990, aus denen das konservative Demokratische Forum als Mehrheitspartei hervorging, verlangte der oppositionelle liberale Bund freier Demokraten den Austritt Ungarns aus dem Warschauer Pakt. Als die erste postkommunistische Regierung unter Ministerpräsident Antall im Mai 1990 ins Amt kam, war die NATO-Mitgliedschaft noch kein offizielles Ziel Ungarns ; und die Zukunft des Warschauer Pakts war ungewiss. Allerdings wurden jene Stimmen, die einen Austritt Ungarns forderten, lauter. Antall betonte in seiner Regierungserklärung, dass die Mitgliedschaft im Pakt »im Gegensatz zu unserer Position aus dem Jahre 1956 und zu dem in den Wahlen zum Ausdruck gekommenen Volkswillen« stehe. Antall und sein Verteidigungsminister Lajos Für stellten darüber Verhandlungen mit der UdSSR in Aussicht.106 Der neue Außenminister Géza Jeszensky erklärte zunächst noch, dass das Ziel der neuen Führung ein »politisch ungebundenes« Ungarn sei und man nicht gedenke, die bisherige einseitige Orientierung des Landes durch eine andere zu ersetzen. Die Idee einer Neutralität Ungarns »sollte aber letztlich nur ein kurzer Halt auf der Reise nach Westen sein«.107 Am 26. Juni 1990 forderte das Parlament ohne Gegenstimme die Regierung auf, Verhandlungen über einen Austritt aus dem Warschauer Pakt zu beginnen ; zudem solle Ungarn die Teilnahme an seiner Militärorganisation suspendieren. Es war dies die erste Entscheidung dieser Art in einem Mitgliedsland des Pakts. Sie war für die Regierung in den Gesprächen über die Zukunft des Warschauer Pakts bindend. Im Sommer 1990 verlautbarte Für, dass die NATO Ungarn dazu aufgerufen hatte, den Warschauer Pakt nicht einseitig zu verlassen, weil ein solcher Schritt die Wiener Verhandlungen über Reduzierungen der konventionellen Rüstung gefährden könnte. Am 24. Oktober 1990 erklärte István Gyarmati, ungarischer Chefdelegierter bei den Wiener Verhandlungen, dass die ungarische Armee ab dem 1. Dezember 1990 dem Vereinigten Oberkommando des Warschauer Pakts offiziell entzogen sein würde ; de facto sei sie das bereits.108 Am 25. Oktober 1990 berichtete die österreichische Botschaft von einem Gespräch mit dem für Fragen des Warschauer Pakts zuständigen Staatssekretär im ungarischen Außenministerium, dass die ungarische Regierung einem Auftrag des Parlaments folge, demzufolge der Rückzug aus den militärischen Strukturen des Pakts bis Ende 1991 abgeschlossen sein solle. Budapest verwerfe, so der Bericht der Botschaft weiter, die Idee einer »mitteleuropäischen Verteidigungsgemeinschaft« aus Ungarn, Polen und der Tschechoslowakei als »unrealistisch und unzweckmäßig« ; eine militärpolitische Zusammenarbeit der 106 Zitiert nach : Neutral und EG-Mitglied. Ungarn strebt Warschauer-Pakt-Austritt an, in : Die Presse, 23./24. Mai 1990, S. 1. 107 Hutchings : Als der Kalte Krieg zu Ende war, S. 313. 108 Szajkowski : The Demise, S. 4.

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drei Staaten entbehre der nötigen Voraussetzungen. Ungarn setze stattdessen auf ein künftiges »gemeinsames europäisches Sicherheitssystem«. Die Botschaft erinnerte daran, dass Ministerpräsident Antall anlässlich einer USA-Reise (15. bis 20. Oktober 1990) die NATO als »Garantie für die Sicherheit der neuen mittelosteuropäischen Demokratien« bezeichnet hatte.109 Mitte Jänner 1991 erklärte Antall, dass Ungarn nichts mehr mit der militärischen Organisation des Warschauer Pakts verbinde. Er gab dann eine Reihe von Erklärungen ab, die den Stellenwert der NATO (deren Hauptquartier er schon im Juli 1990 besucht hatte) für die europäische Sicherheit unterstrichen. Damit machte sich das offizielle Budapest in der UdSSR naturgemäß besonders unbeliebt. Tschechoslowakei Die ČSSR besaß bis weit in den Herbst 1989 hinein eines der orthodoxesten Regimes Ostmitteleuropas, was sich naturgemäß auch in der sicherheitspolitischen Linie artikulierte. Am 29. März 1989 berichtete die österreichische Botschaft in Prag an das Außenministerium in Wien von einem Arbeitsbesuch des Oberkommandierenden der Truppen des Warschauer Pakts, Sowjetgeneral Pjotr Luschew, in Prag. Der tschechoslowakische Verteidigungsminister General Milan Vaclavik versicherte ihm, dass die Armee der ČSSR als »sicheres Glied in der Verteidigungsstruktur« des Warschauer Pakts auch weiterhin »in jeder Hinsicht zur Stärkung der internationalistischen Kampfgruppe« beitragen werde.110 Die »Samtene Revolution« in der ČSSR im November 1989 änderte jedoch die Voraussetzungen auch für die Sicherheitspolitik grundsätzlich, auch wenn Prag nicht von Anfang an einen stringenten Kurs verfolgte. Václav Havel hatte sich (wie auch Alexander Dubček, der KP-Chef während des Prager Frühlings 1968, der 1990 bis 1992 Vorsitzender des tschechoslowakischen Bundesparlaments war) unmittelbar nach dem Fall des Kommunismus für die Auflösung von Warschauer Pakt und NATO ausgesprochen, änderte dann allerdings bald seine Meinung und stellte sich die NATO als den »Kern eines neuen europäischen Sicherheitssystems« vor.111 Am 13. Juni 1990 fasste die österreichische Botschaft in Prag für das Außenministerium in Wien ein Gespräch mit dem zuständigen Abteilungsleiter des Außenminis-

109 BMeiA, Austroamt budapest an aussenamt wien, 25. Oktober 1990, Stored message : warschauer pakt, reformbestrebungen (info), zu 701.03/23-a2.3/90. 110 BMeiA, Österreichische Botschaft Prag, 29. März 1989 : Besuch des WP-Oberkommandierenden, General Pjotr Luschev. Zl. 118-Res/89. 111 Zitiert nach : Solomon, Gerald B.: The NATO Enlargement Debate, 1990–1997. Blessings of Liberty (The Washington Papers 194), Westport/London 1998, S. 7.

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teriums der ČSFR über den Warschauer Pakt zusammen : Dessen Bestehen werde von Prag für eine »Übergangsperiode« unter der Bedingung der unverzüglichen Einleitung einer »Radikalreform« akzeptiert. So habe Havel bereits gefordert, dass die Beziehungen unter den Mitgliedern des Pakts »absolut gleichrangig« sein müssten. Die Armee der ČSFR sei nunmehr gegenüber »ehemaligen gemeinsamen Entscheidungsstrukturen« autonom,112 d. h. im Klartext : nicht mehr an das östliche Bündnis gebunden. Am 17. Juli 1990 berichtete die österreichische Botschaft in Prag an das Außenministerium in Wien, dass das Außenministerium der ČSFR zwar eine Auflösung des »Paktgefüges« anstrebe, diese aber »im Einklang mit dem gesamteuropäischen Abrüstungs- und Umgestaltungsprozess koordiniert durchführen« wolle ; auch Havel habe vor »überstürztem Handeln«, d. h. Austritten einzelner Länder, gewarnt.113 Am 23. Oktober 1990 berichtete die österreichische Botschaft in Washington an das Außenministerium in Wien von der amerikanischen Haltung zu tschechoslowakischen Vorstellungen von der Zukunft des Warschauer Pakts : Unmittelbar nach dem Sturz des kommunistischen Regimes habe die neue Führung in Prag zunächst die Auffassung vertreten, dass Warschauer Pakt und NATO gleichzeitig aufgelöst werden sollten ; das sei nun, so der Eindruck in Washington, nicht mehr der Fall.114 Die ČSFR vertrete vielmehr die Meinung, dass souveräne Staaten nicht Mitglieder einer Organisation mit einem »zentralen Kommandosystem« sein könnten. Daher gäbe es für die ČSFR nur zwei Optionen – sofortiger Austritt aus dem Warschauer Pakt oder Erreichung seiner kompletten Transformation. Aufgrund einer eingehenden Analyse der Gesamtsituation habe sich Prag (zusammen mit Budapest und Warschau) für Letzteres entschieden. Ausschlaggebend seien die Stellung Gorbatschows, »die Empfindlichkeit der sowjetischen Vertreter« und die starken ökonomischen Bindungen an die UdSSR gewesen. Die von Prag forcierte Transformation des Bündnisses in Richtung einer »politisch konsultativen Vereinigung mit transparenten Strukturen« sah eine Auflösung der militärischen Strukturen im ersten Halbjahr 1991 vor ; danach sollten nur noch einige wenige zivile Organe (wie der Politische Beratende Ausschuss) existieren.115 Anfang Jänner 1991 erklärte Verteidigungsminister Luboš Dobrovský den Warschauer Pakt für »klinisch tot«. Am 30. April 1991 berichtete die österreichische Botschaft in der ČSFR an das Außenministerium in Wien von einem NATO-Seminar in Prag am 25. und 26. April 1991, wo der tschechoslowakische Außenminister 112 BMeiA, Austroamb prag an aussenamt wien. Stored message, 13. Juni 1990 : wvo-gipfel in moskau, csl. haltung (info). Zu fs 85434 vom 11. Juni 1990. 113 BMeiA, Austroamb prag an aussenamt wien. Stored message, 17. Juli 1990 : der warschauer pakt – vor einer auflösung in zwei jahren ? (info). 114 BMeiA, Austroamb washington an aussenamt wien, 23. Oktober 2009, Stored message : us-haltung zu tschechoslowakischen vorstellungen von der zukunft des warschauer paktes. 115 BMeiA, Wien 12. November 1990 : Warschauer Pakt ; Reorganisation, GZ 701.03/30-II.3/90.

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Dienstbier sowjetische Wünsche nach einer Auflösung nicht nur des Warschauer Pakts, sondern auch der NATO als »unseriös« bezeichnet hat.116 Am 21. März 1991 besuchte mit Havel erstmals das Staatsoberhaupt eines Mitglieds des Warschauer Pakts das NATO-Hauptquartier in Brüssel. Er kam dabei u. a. auf die laufende Auflösung des Pakts, die sowjetischen Truppenabzüge aus Ostmitteleuropa und seine Sorge über die künftige Entwicklung in der UdSSR zu sprechen. Havel legte der Allianz nahe, die Tür für die neuen Demokratien Ostmitteleuropas offen zu halten, erklärte aber, sich dessen bewusst zu sein, dass sein Land aus verschiedenen Gründen derzeit nicht NATO-Mitglied werden könne.117 Später rechnete Havel die Auflösung des Warschauer Pakts, eines »Machtinstruments der sowjetischen Hegemonie«, zu seinen größten politischen Erfolgen.118 Polen Am 8. August 1989 meldete die österreichische Botschaft an das Außenministerium in Wien polnische Einschätzungen über die Lage im Warschauer Pakt : Dieser höhle sich aus ; es seien bereits Auflösungstendenzen festzustellen (was ein auffälliger Kontrast zum erwähnten Eindruck der österreichischen Botschaft in Budapest um die gleiche Zeit war). Der Warschauer Pakt würde »nicht zu einer politisch-militärischen Organisation konvertieren oder gar zu einer lediglich politischen Gemeinschaft« werden, sondern zu bestehen aufhören.119 – Dieses Urteil kam zwar zu einem recht frühen Zeitpunkt (noch waren in ganz Ostmitteleuropa kommunistische Parteien an der Macht), doch sollte es sich als zutreffend erweisen. Am 13. September 1989 meldete die österreichische Botschaft in Moskau an das Außenministerium in Wien, dass Moskau die Versicherung der neuen, nichtkommunistisch geführten Regierung Polens, alle Verpflichtungen aus der Mitgliedschaft im Warschauer Pakt einhalten zu wollen, »mit Befriedigung« zur Kenntnis genommen hat.120 Die österreichische Botschaft in Warschau berichtete am 31. Oktober 1989 an

116 BMeiA, Österreichische Botschaft Prag : Zum Verlauf des NATO-Seminars in Prag (25./26. April 1991), 30. April 1991, Zl. 225-RES/91. 117 Havel, Václav : NATO Headquarters. Brussels, 21. März 1991, vgl. http ://old.hrad.cz/president/Havel/ speeches/1991/2103_uk.html (online am 2. April 2009). 118 Havel, Václav : Fassen Sie sich bitte kurz. Gedanken und Erinnerungen zu Fragen von Karel Hvižd’ala, Reinbek 2007, S. 342. 119 BMeiA, Österreichische Botschaft Warschau, 8. August 1989 : Warschauer Pakt ; Übergang von militärisch-politischer zur politisch-militärischen Organisation. Zl. 179-RES/89. Zu Erl. Zl. 701.03/23-II.3/89 vom 21. Juli 1989. 120 BMeiA, Österreichische Botschaft Moskau, 13. September 1989 : Warschauer Pakt ; Interview des GS des politischen Konsultativ-Komitees, Iwan Aboimov. Zl. 508-RES/89, Verfolg Zl. 409-RES/89 vom 18. Juli 1989.

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das Außenministerium in Wien vom Besuch Schewardnadses, des ersten sowjetischen Regierungsmitglieds, das seit der Bildung der mehrheitlich nichtkommunistischen Regierung nach Polen gekommen war. Schewardnadse traf auch Staatspräsident General Wojciech Jaruzelski, der der Botschaft zufolge erklärte, dass der Warschauer Pakt und die Zusammenarbeit mit der UdSSR auch in Zukunft »prioritären Charakter« für Polen haben würden.121 General Florian Siwicki, seit 1985 amtierender (kommunistischer) Verteidigungsminister, hielt noch im Frühjahr 1990 (d. h. unter einer bereits seit mehreren Monaten von Nichtkommunisten geführten Regierung) sowohl an der Mitgliedschaft Polens im Warschauer Pakt wie auch an der Stationierung sowjetischer Truppen in seinem Land fest.122 Jaruzelski meinte bei einer Sitzung des Militärrates des Pakts Anfang Oktober 1990 in Warschau, dass eine »Aggression der NATO« in der näheren Zukunft nicht zu erwarten sei, doch müsse man sich auch auf die Möglichkeit einer raschen Änderung der Lage vorbereiten. Die nichtkommunistische Regierung Polens plädierte zunächst – als »Versicherung« gegenüber unvorhergesehenen Folgen der deutschen Wiedervereinigung – für die Erhaltung eines reformierten Bündnisses und änderte diese Position erst 1991.123 Am 28. August 1990 meldete die österreichische Botschaft in Warschau an das Außenministerium in Wien, dass nach Ansicht hoher Mitarbeiter des polnischen Außenministeriums die weltanschauliche Basis für die Zusammenarbeit des Warschauer Pakts »völlig verschwunden« sei. Die Botschaft gab die Formulierung eines Regierungsvertreters für die Verhandlungen über die Reform des Warschauer Pakts wieder, wonach Polen nicht daran gelegen sei, das Bündnis »künstlich am Leben zu erhalten«. Seine schnelle Auflösung könnte aber, so die polnische Seite, ein »Machtvakuum« schaffen, in das nationalistische Gruppen eindringen könnten. Daher dachte man in Warschau die Schaffung eines »Klubs« jener ostmitteleuropäischen Staaten an, die an der Aufrechterhaltung der Stabilität in der Region und der gegenseitigen Konsultierung in Fragen der Abrüstung und der Schaffung eines neuen europäischen Sicherheitssystems interessiert seien. Ein solcher »Klub« könnte gleichzeitig auch als Sprungbrett für Verhandlungen über eine Rüstungsbegrenzung in Europa, eine völlige Auflösung von Warschauer Pakt und NATO oder deren Integration in ein gesamteuropäisches Sicherheitssystem dienen.124

121 BMeiA, Österreichische Botschaft in Warschau, 31. Oktober 1989 : Offizieller Besuch des sowjetischen Außenministers Shevardnadze. Zl. 256-RES/89. 122 Polens Verteidigungsminister : »UdSSR-Truppen bleiben«, in : Wiener Zeitung, 1. Mai 1990, S. 3. 123 Mastny, Vojtech Vojtech:: Learning from the Enemy. NATO as a Model for the Warsaw Pact (Zürcher Zürcher Beiträge zur Sicherheitspolitik und Konfliktforschung 58), Zürich 2001, S. 41. 124 BMeiA, Österreichische Botschaft in Warschau, 28. August 1990. Zl. 260-RES/90 : Republik Polen und der Warschauer Pakt.

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Im Herbst 1990 war die Vertretung Polens beim Oberkommando des Warschauer Pakts in Moskau bereits praktisch funktionslos, weil die sowjetische Seite »nicht mehr mit ihr redete«.125 Rumänien Noch während der bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen Anhängern und Gegnern Ceauşescus im Dezember 1989 legte die Übergangsregierung unter der Führung von Ion Iliescu ein Programm vor, das u. a. das Versprechen enthielt, die Verpflichtungen Rumäniens im Warschauer Pakt einzuhalten. Fast ein Jahr später, am 9. November 1990, meldete die österreichische Botschaft aus Bukarest, dass ein reformiertes östliches Bündnis nach rumänischer Vorstellung keine politischen Koordinierungsfunktionen übernehmen dürfe. Das offizielle Bukarest dachte offenbar an ein »Konsultativgremium unabhängiger gleichberechtigter Staaten mit ähnlich gelagerten Interessen, dem keine Entscheidungsgewalt übertragen werden« solle.126 In der Pressekonferenz nach der Unterzeichnung des Protokolls, das am 25. Februar 1991 die militärischen Strukturen des Warschauer Pakts für aufgelöst erklärte, meinte der rumänische Verteidigungsminister General Victor Stanculescu, dass dieser Schritt ein »Vakuum« schaffe, das sich aber schon seit Spätherbst 1990 abgezeichnet habe.127 Außenminister Adrian Nastase setzte die Akzente offenkundig anders und plädierte für eine Öffnung in Richtung NATO.128 Bulgarien Bulgarien zeigte auch während der Zeit der Umbrüche (1989/90) eine signifikant größere Nähe zu Moskau als die anderen reform- bzw. postkommunistischen Staaten Ostmitteleuropas. Die österreichische Botschaft in Sofia meldete am 19. Juni 1990 anlässlich der kurz zuvor abgehaltenen Tagung des Politischen Beratenden Ausschusses des Warschauer Pakts Eindrücke von Gesprächen mit den beiden zuständigen Abteilungsleitern im bulgarischen Außenministerium : Das Bündnis habe »im Sicherheitsbereich eine wichtige Funktion« gehabt, solange für die damaligen Ostblockstaaten eine »ideologische Sicherheit« im Vordergrund gestanden habe. Die Sicherheitsbedürf125 So der Botschafter Polens im November 1990 zum österreichischen Botschafter Bauer (freundliche Mitteilung von Bauer an den Verfasser, 2. April 2009). 126 BMeiA, Austroamb bukarest an aussenamt wien, 9. November 1990, Stored message ; warschauer pakt, reformbestrebungen, rumänien (info), zu 701.03/23-a2.3/90. 127 Szajkowski: Szajkowski : The Demise, S. 6. 128 Zitiert nach nach:: Ionescu, Mihail E. (Coordinator) (Coordinator):: Romania – NATO Chronology 1989–2004, Bucharest 2004, S. 50.

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nisse dieser Staaten hätten allerdings nun einen »anderen, den westlichen Vorstellungen ähnlichen Charakter« angenommen. Der Warschauer Pakt entspreche diesen Bedürfnissen nicht mehr. Die Gesprächspartner der österreichischen Botschaft betonten die für Sofia anhaltend wichtigen Beziehungen zur UdSSR, die bei der bulgarischen Haltung in Fragen des Bündnisses ebenfalls »berücksichtigt« werden müssten.129 Am 25. September 1990 meldete die Botschaft an das Außenministerium in Wien, dass Bulgarien »beide Blöcke im Lichte der weltpolitischen und im besonderen der europäischen Entwicklung grundsätzlich als überholt« ansehe. Der (kommunistische) Außenminister Bojko Dimitrow habe aber wiederholt die Ansicht vertreten, dass bis zum Wegfall der Blöcke und der Schaffung eines neuen europäischen Sicherheitssystems kein militärisches bzw. militärpolitisches »Vakuum« entstehen dürfe. Die Botschaft fügte hinzu, dass sich Sofia bei der Formulierung seiner Position zum Bündnis sichtlich an Moskau anlehnte.130 Am 22. Oktober 1990 meldete die österreichische Botschaft in Sofia, dass Bulgarien mit den gegenwärtigen Vorschlägen zur Reform des Warschauer Pakts »mehr nolens denn volens einverstanden« sei. Der verantwortliche Abteilungsleiter im bulgarischen Außenministerium erklärte, die »Eile« nicht zu verstehen, mit der an die Änderungen im Bündnis herangegangen werde. Bulgarien komme es auf die Entwicklung eines kollektiven Sicherheitssystems in Europa an, und die Reformen im Warschauer Pakt sollten synchron dazu verlaufen.131 Die Auflösung des östlichen Bündnisses war dann aber eine der außenpolitischen Prioritäten von Dimitar Popow, des ersten nichtkommunistischen Regierungschefs Bulgariens seit 1944, der 1990 und 1991 eine Übergangsregierung leitete.132

Sowjetische und postsowjetisch-russische Positionen zum Zerfall des Warschauer Pakts Sowjetische Spitzenmilitärs sahen während und nach den politischen Umbrüchen in Ostmitteleuropa ihre Felle davonschwimmen. Sie hielten an ihrem über Jahrzehnte hinweg kultivierten Bedrohungsbild fest und versuchten, die NATO auch noch nach 129 BMeiA, Austroemb sofia an aussenamt wien, 19. Juni 1990 : wp, pkk-tagung moskau 7.6. (info), zu 85434 (GZ 701.03/6-a2.3/90). 130 BMeiA, Österreichische Botschaft in Sofia, 25. September 1990 : Warschauer Pakt ; Tagung der provisorischen Kommission der Regierungsbevollmächtigten der Warschauer-Pakt-Staaten in Sofia, 18. und 19. September 1990. Zl. 229-Res/9. 131 BMeiA, Österreichische Botschaft in Sofia, 22. Oktober 1990 : Warschauer Pakt ; Reformbestrebungen. Zl. 252 – Res/90- Zu Erl. Zl. 701.03/23-II.3/90 vom 9. Oktober 1990. 132 Szajkowski : The Demise, S. 4.

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den Regimewechseln in Ostmitteleuropa als »gemeinsamen Feind« darzustellen. Noch im Mai 1989 hieß es von sowjetischer Seite, dass diese geblieben sei, »was sie immer war – ein feindlicher Militärblock mit einer konkreten Militärdoktrin und einer Erstschlagskapazität«.133 Gegen Ende der 1980er-Jahre erlaubten sich Marschälle und Generäle immer häufiger, was über Jahrzehnte hinweg völlig undenkbar gewesen war, nämlich öffentliche und teilweise harsche Kritik an der politischen Führung. So sahen sich Gorbatschow und Schewardnadse u. a. dem Vorwurf ausgesetzt, den Warschauer Pakt zu »unterminieren«. Dessen Auflösung war dann ein wichtiger Aspekt des Zusammenbruchs des jahrzehntelang von der UdSSR angeführten Ostblocks bzw. »Sozialistischen Weltsystems«, den russische Kommunisten und Nationalisten nicht nur, aber auch und gerade Gorbatschow und Schewardnadse bis heute massiv vorwerfen.134 Eine unilaterale Auflösung des Warschauer Pakts war für das sowjetische Militärestablishment bis Ende 1990 völlig undenkbar. Im gleichen Monat malte der Kommandeur des Militärbezirks Wolga-Ural, Generaloberst Albert Makaschow (der sich dann im postsowjetischen Russland als ebenso linksradikaler wie nationalistischer Politiker zu profilieren versuchte), auf dem Parteitag der neu gegründeten Kommunistischen Partei Russlands ein Schreckensbild : Die NATO rüste auf, während der Warschauer Pakt »schon nicht mehr« existiere. Verteidigungsminister Jasow bemängelte in einem Interview im Februar 1991, dass die UdSSR der NATO jetzt allein gegenüberstehe – »und die, die vor kurzem in unserem Block waren, sind bereit, die Seiten zu wechseln«.135 General Wladimir Lobow, letzter Chef des Stabes der Vereinigten Streitkräfte des Warschauer Pakts, nahm dessen Ende wiederholt (und auch 1991 bei einem Vortrag an der Landesverteidigungsakademie in Wien) zum Anlass, auch die Auflösung der NATO zu verlangen, zu der es »morgen, übermorgen oder auch in einem Jahr« ohnedies kommen werde.136 Achromejew zeigte sich vom Ende des Warschauer Pakts (natürlich) wenig angetan, räumte aber auch insofern einen positiven Effekt ein, als es vor dem Hintergrund der sich verschärfenden wirtschaftlichen Probleme der UdSSR möglich sei, »Armee und Flotte [der UdSSR] von einigen Aufgaben zu entkleiden«.137 Nur relativ wenige postsowjetische russische Stimmen sind so nüchtern wie ein Lehrbuch des Moskauer staatlichen Instituts für Internationale Beziehungen aus dem Jahr 2000, das die Auflösung des Warschauer Pakts und des RGW als »logi133 Zitiert nach : Michta : East Central Europe, S. 56. 134 Gorbatschow wies diese Kritik in ganzen drei Absätzen seiner (in der deutschen Ausgabe) über 1 100 Seiten starken Memoiren zurück ; vgl. Gorbatschow : Erinnerungen, S. 990. 135 Zitiert nach : Schröder : Sowjetische Rüstungs- und Sicherheitspolitik, S. 378 und S. 380. 136 Zitiert nach : Sowjetunion. Der Verlust des »strategischen Glacis«, in : Österreichische Militärische Zeitschrift 3/29 (1991), S. 275–279, hier S. 275. 137 Achromeev : S čem my prišli, S. 224.

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sche Folge« der Regimewechsel in Ostmitteleuropa bezeichnete.138 In den meisten anderen russischen Quellen wird die Auflösung des Pakts bis heute bedauert und als massiver Einflussverlust Moskaus bzw. Ausdruck seines Verlusts der Kontrolle über Ostmitteleuropa gewertet. Bis heute ist in Russland oft zu hören, dass der Pakt »die Unverletzlichkeit der Grenzen seiner Mitglieder«, »Stabilität« oder überhaupt »den Frieden in Europa« gesichert und die NATO vor »aggressivem Verhalten« oder sogar einem Angriff auf die Länder des »friedliebenden sozialistischen Lagers abgehalten« habe. Eine typische Einschätzung findet sich in einem 2002 in Moskau erschienenen, als Lehrbuch zugelassenen Werk : Der Warschauer Pakt sei »ein Gegengewicht zur NATO in Europa und eine Art Instrument der Aufrechterhaltung einer militärischen Balance« gewesen, »auf der die Stabilität in der Welt 40 Jahre lang beruht hatte«.139 Diese »Balance« sei durch die Auflösung des Warschauer Pakts zugunsten der USA verletzt worden.140 Der NATO wird in Russland seit vielen Jahren angelastet, sich nach 1991 nicht nur nicht auch – eben nach dem Vorbild des Warschauer Pakts – aufgelöst, sondern sogar frühere Paktmitglieder aufgenommen zu haben. In manchen russischen Stellungnahmen wird »Enttäuschung« deutlich, weil ostmitteleuropäische Länder der NATO beigetreten sind. Dies sei eine »große Überraschung« gewesen ; schließlich habe man »enge, warme Beziehungen« zueinander gehabt.141 Alexander Dugin, Ideologe des Neoeurasismus und einer der bekanntesten Geopolitiker Russlands, der ständig in offiziellen Medien auftritt und spürbaren Einfluss auf die außen- und sicherheitspolitischen Auffassungen der russischen Eliten ausübt, erstellte folgende »geopolitische Analyse« der Vorgänge nach 1991 : Frühere Mitglieder des Warschauer Pakts »begannen, sich vom Eurasismus zu entfernen, und traten in den Orbit des Atlantizismus ein. Anders konnte es auch nicht sein, weil geopolitische Systeme wie kommunizierende Gefäße miteinander verbunden sind – dort, wo man den Eurasismus verlässt, kommt man beim Atlantizismus an, und umgekehrt«.142 Eine kritische Aufarbeitung 138 Torkunov, A. V. (Vorsitzender des Reaktionsrates) : Vnešnjaja politika Rossijskoj Federacii 1992–1999 (učebnoe posobie), Moskva 2000, S. 207. 139 Man konnte auch in manchen nichtsowjetischen Quellen die Einschätzung finden, dass der Warschauer Pakt ein »allseits akzeptierter Pfeiler des strategischen Gleichgewichts geworden« sei ; Gasteyger, Curt : Dreißig Jahre Warschauer Pakt. Bilanz und Perspektiven, in : Osteuropa 2 (1986), S. 102–111, hier S. 104. 140 Munčaev, Šamil/Ustinov, Viktor : Istorija Sovetskogo gosudarstva, Moskva 2002, S. 624. 141 So wörtlich Kulikow in Interviews (vgl. z.B. Labetskaya, Yekaterina : Marshal Kulikov : »The Military Was Too Docile«, in : Moscow scow News, 15.–21. September 1999, S. 6). Auch Jasow meinte, dass er sich »niemals« habe vorstellen können, dass Tschechien, Polen und Ungarn zur NATO kommen ; vgl.: Former Soviet Defense Minister Dmitrii Yazov Speaks Out – Part 1, in : RFE/RL Newsline – End Note, 10. Februar 2000, vgl. http ://h-net.msu.edu/cgi-bin/logbrowse.pl ?trx=vx&list=H-Diplo&month=0001&week =b&msg=qmltjGKKAdw85lHdjVTeIQ&user=&pw= (online am 12. April 2009). 142 Dugin, Aleksandr Aleksandr:: Evrazija budet sdelana i delaetsja uže, 4. Juli 2002, vgl. http ://www.evrazia.org/modules.php ?name=News&file=print&sid= name=News&file=print&sid=87 (online am 25. Dezember 2008).

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der Rolle des Warschauer Pakts und seiner Funktion bei der sowjetischen Herrschaftssicherung in Ostmitteleuropa ist in Russland sichtlich bis heute nicht gefragt. Stattdessen dominieren Selbstmitleid, Larmoyanz und Falschinformationen wie jene, dass die Auflösung des Pakts »von Moskau initiiert« worden sei.143

Sowjetische Truppenabzüge aus Ostmitteleuropa Anfang 1989 hatte die UdSSR in den ostmitteleuropäischen Mitgliedsländern des Warschauer Pakts ca. 583 000 Soldaten stationiert, Anfang Dezember 1990 noch 454 000.144 Am 7. Dezember 1988, als vom Ende des Warschauer Pakts (oder auch »nur« von Regimewechseln in seinen Mitgliedsländern) keine Rede sein konnte, machte Gorbatschow in einer Rede vor der UNO-Vollversammlung Abrüstungsvorschläge, die eine Reduzierung von 50 000 Mann und 5 000 Panzern in der DDR, der ČSSR und Ungarn beinhalteten.145 Bald darauf wurde Gorbatschow aber von der Realität des Bündniszerfalls überholt. Am 10. März 1990 unterzeichneten die Außenminister Horn und Schewardnadse in Moskau ein Abkommen über den Abzug der sowjetischen Soldaten (»Südgruppe der Truppen« ; die Angaben über ihre Stärke schwankten zwischen 50 000 und 65 000 Mann) aus Ungarn, der bis zum 30. Juni 1991 abgeschlossen sein sollte. Er begann kurz darauf und wurde vorzeitig beendet, obwohl er von Kontroversen zu der Frage überschattet war, wer welche Kosten für angeblich oder tatsächlich angerichtete Umweltschäden sowie getätigte Investitionen übernimmt. Die Stärke der um 1990 in der Tschechoslowakei stationierten sowjetischen Soldaten (»Zentralgruppe der Truppen«) wurde meist mit 73 500 angegeben, doch reichten manche Angaben bis 92 000. Sie sollten aufgrund eines tschechoslowakischsowjetischen Vertrages vom 26. Februar 1990 bis 1. Juli 1991 abgezogen sein, und Moskau erfüllte diesen Termin auch. Für die ursprüngliche Stärke des sowjetischen Kontingents in Polen (»Nordgruppe der Truppen«) wurden zwischen 40 000 und 60 000 Mann genannt. Am 22. Mai 1992 unterzeichneten die Präsidenten Jelzin und Wałęsa einen in langwierigen Verhandlungen ausgearbeiteten Vertrag, der den Abzug der nunmehr russischen Truppen regelte. Bis Ende Oktober 1992 verließen die Kampftruppen Polen, im Jahr

143 Puškov, Aleksej : Pust’ nas ne ljubjat, no sčitajutsja s nami !, in : Boss 6 (2006), vgl. http ://www.bossmag. ru/view.php ?id=2498 (online am 25. Dezember 2008). 144 Bundesminister für Landesverteidigung : Bericht an die Bundesregierung. Sicherheitspolitisches Umfeld und Streitkräfteentwicklung, Wien 1991, S. 15. 145 Rede von Michail Gorbatschow vor der UNO-Vollversammlung, in : Beilage zu »Sowjetunion heute« 12 (Dezember 1988) VII.

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darauf auch die letzten 6 000 Mann in Stäben sowie in Transport- und Kommunikationseinheiten. Damit befand sich zum ersten Mal seit 48 Jahren kein sowjetischer bzw. russischer Soldat mehr auf polnischem Boden.

Exkurs: Hätte die Neutralität Österreich im Kriegsfall zwischen der NATO und dem Warschauer Pakt geschützt? Urteile aus postsowjetischer Zeit Die UdSSR hatte sich während des Kalten Krieges immer an angeblichen »Versuchen von außen« gestört, »auf Österreich Druck auszuüben mit dem Ziel, seinen außenpolitischen Kurs zu ändern, es vom Wege der Neutralität abzubringen und in die politische Einflusssphäre der NATO hineinzuziehen«.146 Aus sowjetischer Sicht war Österreich durch seine Neutralität ausreichend geschützt. Heute behauptet kaum noch ein ernsthafter Historiker oder Kommentator, dass die Neutralität und/oder die Niederlassungen internationaler Organisationen sowie das Konferenzzentrum in Wien, eine »aktive Außenpolitik«, friedenspolitische Initiativen, Vermittlertätigkeit, Angebote von »guten Diensten«, eine UNO-Truppe usw. Österreich vor der Verwicklung in einen »großen Krieg« zwischen der NATO und dem Warschauer Pakt geschützt hätten, auch wenn große Teile der öffentlichen Meinung wie auch der politischen Elite genau daran glaubten. Schon während des Kalten Krieges lagen plausible Annahmen sowie Aussagen von Überläufern aus Ländern des Warschauer Pakts über Pläne der UdSSR mit Österreich im Krisenfall oder im Kriegsfall mit der NATO vor, die auch an die Tagespresse gelangten.147 Nach dem Sturz der kommunistischen Regimes in Ostmitteleuropa 1989 wurden jedoch Dokumente zugänglich, die kaum noch daran zweifeln lassen, dass gescheitert wäre, was Ex-Verteidigungsminister Robert Lichal (ÖVP) kritisch als »unsere ganze Verteidigung« bezeichnete – »uns herauszuhalten, wenn es bei den Großen losgeht«.148 Österreich wäre wahrscheinlich rasch von einem »großen« Krieg zwischen den beiden Militärblöcken erfasst worden. 146 Zitiert nach : Aichinger, Wilfried/Maiwald, Arthur Friedrich : Die Großmächte und die Europäischen Neutralen, in : Österreichische Militärische Zeitschrift 2/27 (1989), S. 105–115, hier S. 113. 147 Vgl. z.B. eine vierteilige Serie in einer Wiener Wochenzeitschrift : Stanzl, Werner : Moskaus Aufmarschpläne gegen Österreich, in : Profil, 14. Februar 1974, S. 39–43 ; Stanzl, Werner : Moskaus Aufmarschpläne gegen Österreich, in : Profil, 21. Februar 1974, S. 28–37 ; Stanzl, Werner : Moskaus Aufmarschpläne gegen Österreich : Keine Rückkehr zur Freiheit, in : Profil, 28. Februar 1974, S. 30–33 ; Stanzl, Werner : Wie es zur »Polarka«-Sendung gekommen ist : Kreiskys Aufmarschpläne, in : Profil, 7. März 1974, S. 35–37. 148 Zitiert nach : Klambauer, Otto : Der Kalte Krieg in Österreich. Vom Dritten Mann zum Fall des Eisernen Vorhangs, Wien 2000, S. 197 f. – Ganz ähnlich äußerte sich ein langjähriger Sektionschef im Verteidigungsministerium : Der Landesverteidigungsplan von 1983 habe auf dem »Grundgedanken des Heraus-

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Diverse Einsatzszenarien der NATO bzw. der USA beinhalteten Kernwaffeneinsätze auf österreichischem Territorium. Zudem gibt es zahlreiche Hinweise, dass der Warschauer Pakt einen Krieg gegen die NATO sofort nach Kriegsausbruch nuklear geführt hätte und auch Österreich Schauplatz des Einsatzes von Kernwaffen geworden wäre. Das sah etwa eine Stabsrahmenübung der Armeen der UdSSR und Ungarns im Juni 1965 explizit vor.149 Auch zahlreiche andere seriöse Quellen und Stimmen kamen zu eindeutigen Schlussfolgerungen. So heißt es in einem Bericht der Wissenschaftskommission des österreichischen Verteidigungsministeriums, dass die Achtung der Neutralität während des Kalten Krieges »im Interesse der Machtblöcke« gewesen sei. Im Kriegsfall aber hätte die Neutralität »bei strategisch-operativer Bedeutung des österreichischen Raumes […] kaum politisch oder militärisch abhaltende Wirkung gehabt«. Dennoch werde nach wie vor oft behauptet, dass die Neutralität Schutz vor Aggressionen oder Konflikten biete.150 General Karl Majcen, 1990 bis 1999 Generaltruppeninspektor und damit höchster Offizier des Bundesheeres, meinte bei einem Vortrag am 25. April 1991 ohne Nennung eines konkreten Militärblocks, dass die »Worst-Case-Option : DurchmarschHinderung« für das Bundesheer »nie realistisch handhabbar« gewesen sei.151 General Erich Eder, 1990 bis 1996 Kommandant der Landesverteidigungsakademie, erklärte, dass Österreich in einem Krieg zwischen den beiden Blöcken »militärisch nicht ernst genommen worden« wäre. Der Warschauer Pakt habe für diesen Fall einen Durchmarsch »in einer für das […] Bundesheer nicht bewältigbaren Stärke« geplant, und der NATO seien keine Bodenstreitkräfte für eine »Vorwärtsverteidigung« in Mittelhaltens« aus einem Krieg zwischen NATO und Warschauer Pakt beruht ; siehe: Reiter, Erich : Österreichische Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Aufsätze und Essays (Rechts- und Sozialwissenschaftliche Reihe 5), Frankfurt a.M./Berlin/Bern/New York/Paris/Wien 1993, S. 41. 149 Staudinger, Martin : »Wien komplett zerstört«, in: n : Format, Nr. 51–52 (2001) S. 50 und S. 52 ; Tweedie, Neil : Vienna was top of Soviet nuclear targets list, in : The Telegraph, 1. Dezember 2001, vgl. http :// www.telegraph.co.uk/news/worldnews/europe/austria/1364037/Vienna-was-top-of-Soviet-nuclear-targets-list.html (online am 1. Februar 2009). – Nach dem Ende des Kalten Krieges tauchten eindeutige Beweise dafür auf, dass die UdSSR trotz Dementis auf Österreich gerichtete, nuklearfähige Raketen vom Typ »Frog« in Ungarn unterhielt (Fényi, Tibor : Nato-Experten entdeckten in Ungarn : Atom-Raketen zielten auf Österreich, in : Die Presse, 25. Juni 1994, S. 5). Anfang Jänner 2005 veröffentlichte die ungarische Tageszeitung »Magyar Nemzet« unter Berufung auf Sitzungsprotokolle des Politbüros der damals regierenden Sozialistischen Arbeiterpartei die Information, dass sich noch kurz vor dem Fall des Eisernen Vorhanges 196 Atomraketen der Sowjetarmee im Land befanden (Sowjetische Atomraketen vor 1989 in Ungarn stationiert, in : Neue Zürcher Zeitung, 8./9. Jänner 2005, S. 4). 150 Bundesminister für Landesverteidigung : Bericht, S. 66. 151 Majcen, Karl : Militärische Sicherheitspolitik in Österreich. Vortrag vor der Gesellschaft für politischstrategische Studien am 25. April 1991, in : Majcen, Karl : Ausgewählte Schriften, Vorträge und Reden 1990–1999 (Schriftenreihe der Landesverteidigungsakademie 7), Wien 1999, S. 19–30, hier S. 19.

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europa zur Verfügung gestanden.152 General Alfred Schätz, 1990 bis 2003 Leiter des Heeres-Nachrichtenamtes des Verteidigungsministeriums und in dieser Eigenschaft zweifellos einer der am besten informierten Militärs Österreichs, vermutete, dass das Land in einen Krieg zwischen der NATO und dem Warschauer Pakt verwickelt worden wäre.153 Auch andere Studien zum Thema kamen zum Schluss, dass NATO und Warschauer Pakt die Maßnahmen Österreichs »zur Erfüllung seiner spezifischen Neutralitätsfunktionen offenbar nicht sehr hoch eingeschätzt« hätten : »Auf beiden Seiten gab es Überlegungen und Planungen, die jeweiligen strategischen Interessen auch unter Inanspruchnahme des österreichischen Staatsgebietes zu schützen.«154 Der Historiker Manfried Rauchensteiner ließ keinen Zweifel an dem Umstand, dass Österreich für den Warschauer Pakt in allen operativen Planungen uneingeschränkt zum südwestlichen Kriegsschauplatz gehörte ; das Land wäre in einen Krieg zwischen den Militärblöcken »so oder so hineingezogen worden […], zerstört und auf vielleicht Jahrzehnte unbewohnbar geworden«.155 In die gleiche Kerbe schlugen Juristen mit starkem internationalem Bezug. So schrieb Hanspeter Neuhold, Völkerrechtsprofessor an der Universität Wien, dass der offiziellen Strategie der »Abhaltung« von einem bewaffneten Angriff auf Österreich durch einen unverhältnismäßig hohen »Eintritts- und Aufenthaltspreis« stets ein »beträchtliches Maß an Wunschdenken« angehaftet habe. Die Achtung der österreichischen Neutralität für den Fall eines Krieges zwischen der NATO und dem Warschauer Pakt sei »eher unwahrscheinlich« gewesen.156 Auch der Jurist und Politiker Andreas Khol bescheinigte der österreichischen Landesverteidigung 1992, »unglaubwürdig« und »lediglich symbolisch« gewesen zu sein.157 Karl Zemanek, einer der bekanntesten Völkerrechtsexper152 Eder, Erich : Verteidigung und Sicherheit im neuen sicherheitspolitischen Umfeld, 5.7.1995 beim Symposium LVAk/Österr. Botschaft Brüssel : »Österreich und der Weg Europas zur gemeinsamen Verteidigungs- und Sicherheitspolitik«, in : Eder, Erich : Ausgewählte Schriften, Vorträge und Reden (Schriftenreihe der Landesverteidigungsakademie 1/1996), Wien 1996, S. 83–88, hier S. 87, und Eder, Erich : Militärische Aspekte zur Neutralität, 24.11.1993 beim Symposium LVAk/Universität Wien : »Neue Sicherheitspolitik/Solidarität – Neutralität – Kooperation«, in : Eder, Erich : Ausgewählte Schriften, Vorträge und Reden (Schriftenreihe der Landesverteidigungsakademie 1/1996), Wien 1996, S. 71–78, hier S. 72. 153 Schätz, Alfred : Die sowjetische Militärpolitik im Kalten Krieg und die österreichische dauernde Neutralität, Wien 2008 (Dissertation), S. 112 und S. 208. 154 Sandrisser, Wilhelm : Europäische Sicherheitsarchitektur. Rahmenbedingungen und Chancen für eine europäische Sicherheitspolitik – Konsequenzen für Österreich, in : Österreichische Militärische Zeitschrift 5/31 (1993), S. 399–406, hier S. 404. 155 Rauchensteiner, Manfried : Immerwährend neutral und die NATO : Der Fall Österreich. Referat am XXV Internationalen Kongress für Militärgeschichte, Brüssel, 2. September 1999. 156 Neuhold, Hanspeter : Österreichische Sicherheitspolitik zwischen Alleingang und Integration (Informationen zur Sicherheitspolitik 1), Wien 1997, S. 41. 157 Khol, Andreas : Konturen einer neuen Sicherheitspolitik : Von der Neutralität zur Solidarität, in : Khol,

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ten des Landes, stellte fest, dass die Meinung einer Mehrheit der österreichischen Bevölkerung, wonach die Neutralität die Sicherheit des Landes über Jahrzehnte hinweg garantiert habe, »wenig mit der Realität zu tun« hatte – »wie etwa die nach dem Ende des Kalten Krieges bekannt gewordenen Operationspläne der Militärpakte für Mitteleuropa zeigen«.158 Die Wiener Wochenzeitschrift »Profil« schrieb 1997 unter Berufung auf historische Dokumente und Expertenmeinungen, dass das von der Neutralität erzeugte »subjektive Sicherheitsgefühl« ohne reale Grundlage gewesen sei, da das Land in einen Krieg zwischen NATO und Warschauer Pakt hineingezogen worden wäre.159 Bundespräsident Kurt Waldheim und Hugo Portisch, einer der bekanntesten Journalisten des Landes, waren sich darin einig, dass die Neutralität Österreich in einem »großen Krieg« zwischen NATO und Warschauer Pakt nicht geholfen hätte.160 Der Journalist und Publizist Peter Michael Lingens kam zu dem Schluss, dass im Kriegsfall »beide Seiten gar nicht anders gekonnt [hätten], als Österreichs Neutralität zu negieren«.161 Und der Diplomat Thomas Nowotny sah es als erwiesen an, dass Österreich im Kriegsfall zwischen »West« und »Ost« Schauplatz von Kernwaffeneinsätzen geworden wäre.162

Verteidigungsministerium: Einige offizielle Dokumente Einem Bericht des österreichischen Verteidigungsministers an die Bundesregierung vom Juni 1991 zufolge haben die Beseitigung der Militärstrukturen des Warschauer Pakts sowie die deutsche Wiedervereinigung das strategische Kräfteverhältnis in Europa grundlegend verändert ; diese beiden Umstände könnten in eine »Renationalisierung der Sicherheitspolitik« münden. Der Bericht verwies auf den strategischen Rückzug der Sowjetunion aus Ostmitteleuropa und widmete der Auf-

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Andreas/Ofner, Günther/Stirnemann, Alfred (Hg.) : Österreichisches Jahrbuch für Politik 1992, Wien/ München 1993, S. 47–73, hier S. 51. Zemanek, Karl : Wie lange währt »immer« ?, in : Die Presse, Beilage Spectrum, 13. November 2004, S. IV. Lackner, Herbert : Lebenslüge Neutralität ?, in : Profil, 26. Mai 1997, S. 24–27 ; vgl. Lackner, Herbert/ Lahodynsky, Otmar : Mogelpackung als Mythos, in : Profil, 15. Dezember 2003, S. 14–22. Liebhart, Karin : Transformation and Semantic Change of Austrian Neutrality, in : Bischof, Günter/Pelinka, Anton/Wodak, Ruth (Hg.) : Neutrality in Austria (Contemporary Austrian Studies 9), New Brunswick/London 2001, S. 7–36, hier S. 22 f. Lingens, Peter Michael : Wehrloses Österreich ? Neutralität oder NATO – Alternativen in der Sicherheitspolitik, Wien 2000, S. 126. Nowotny, Thomas : Neutral bleiben oder in die NATO ? Eine Kosten-Nutzen-Rechnung, in : Europäische Rundschau 4 (1996), S. 53–64, hier S. 56.

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lösung des Warschauer Pakts einen Abschnitt, der v. a. die geplanten Truppenreduzierungen und Militärreformen der ostmitteleuropäischen Staaten sowie das Schicksal der bilateralen Grundlagenverträge behandelte. Durch die Auflösung des Warschauer Pakts bei gleichzeitigem Weiterbestehen der NATO ergebe sich eine völlige Veränderung der strategischen Situation in Europa. Auf der Ebene des Konfliktbildes seien die Auflösung des Pakts und die Beendigung der »Konfrontation« der Bündnis-Streitkräfte in Europa die signifikantesten Veränderungen. Nicht mehr der Warschauer Pakt bilde das »Gegengewicht« zur NATO, sondern allein die Sowjetunion, die aber die größte Militärmacht des Kontinents bleiben werde. »Die Bündnisauseinandersetzung in Europa ist somit einer Konstellation gewichen, bei der nur mehr ein Bündnis einer nuklearen und konventionellen Großmacht [d. h. der UdSSR] gegenübersteht.« Ein klassischer militärischer Bündniskonflikt in Europa sei auf absehbare Zeit undenkbar, womit auch »die bisherige Bedrohung Österreichs durch einen militärisch ausgetragenen Konflikt der beiden Militärallianzen« wegfalle. Mit der Auflösung des Warschauer Pakts werde sich Europa mit einer neuen Bedeutung des bilateralen strategischen Verhältnisses zwischen Moskau und Washington konfrontiert sehen. Der Verzicht auf eine weitere Stationierung eigener Truppen in den ostmitteleuropäischen »Vorfeldstaaten« und der Zusammenbruch des östlichen Bündnisses hätten die Sowjetunion der unmittelbaren Einflussnahme auf ihren (ehemaligen) Hegemonialbereich beraubt. Die Ablehnung der Forderung nach Auflösung auch der NATO werde »von reaktionären Kräften in der Sowjetunion als Beweis für die weitere Aggressivität des Westens« betrachtet.163 Der zweite Bericht dieser Art, der maßgeblich von der Wissenschaftskommission beim Verteidigungsministerium getragen wurde und 1996 erschien, hielt fest, dass Österreich, Schweden und Finnland den russischen Rückzug aus Ostmitteleuropa für einen Beitritt zur EU und eine Annäherung an die NATO »nutzen« konnten. Fraglich war die Behauptung des Berichts, dass die Militärdoktrin des Warschauer Pakts von 1987 und eine »gemeinsam akkordierte Linie im Bereich der konventionellen Abrüstung« eine von der UdSSR ungewollte »Dynamik der Renationalisierung der Verteidigungspolitik« innerhalb des Pakts auslösten : Diese »Dynamik« war zwar unbestreitbar, doch lag ihre Ursache in erster Linie im Systemwechsel in den Ländern Ostmitteleuropas 1989 und in deren Emanzipation von der UdSSR. Ein eigenes Kapitel des Berichts untersuchte das sicherheitspolitische Umfeld Österreichs nach dem Ende des Warschauer Pakts.164 163 Bundesminister für Landesverteidigung : Bericht, S. 3, S. 21, S. 31 und S. 33. 164 Wissenschaftskommission beim Bundesministerium für Landesverteidigung : Sicherheitspolitisches Umfeld und Streitkräfteentwicklung II (Schriftenreihe der Landesverteidigungsakademie 3/1996), Wien 1996, S. 20, S. 27 und S. 28–32.

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Im »Analyse-Teil« der Sicherheits- und Verteidigungsdoktrin, den Verteidigungsminister Herbert Scheibner am 23. Jänner 2001 dem Ministerrat vorlegte,165 heißt es, dass der am 19. November 1990 anlässlich des Pariser KSZE-Gipfels von den Mitgliedstaaten der NATO und des Warschauer Pakts unterzeichnete Vertrag über konventionelle Streitkräfte in Europa »die bedrohliche Überlegenheit« der östlichen Seite beseitigte. Durch die wenig später erfolgte Auflösung des Warschauer Pakts sei »die Parität zwischen zwei europäischen Militärblöcken obsolet« geworden. Der Zerfall des Warschauer Pakts, die Integration einiger früherer Mitglieder in europäische und transatlantische Strukturen sowie der Beitritt zur EU hätten die geopolitische Lage Österreichs »fundamental« verändert. Die klassischen militärischen Bedrohungsbilder aus der Zeit des Kalten Krieges seien für Österreich nach 1989 obsolet geworden. Der NATO hält der »Analyse-Teil« zugute, sich seit Beginn der 1990er-Jahre an die neuen Verhältnisse in Europa angepasst zu haben : Aus einem »westlichen Bollwerk gegen den sowjetisch dominierten Militärkoloss« sei eine Organisation geworden, die sich um sicherheitspolitische Kooperation mit ihren früheren Gegnern bemühe.166

Stellungnahmen von Funktionsträgern Horst Pleiner, 2000 bis 2002 Generaltruppeninspektor des Bundesheeres, war während des Niederganges des Warschauer Pakts zunächst stellvertretender Leiter und dann Leiter der Operationsabteilung (später umbenannt in Führungsabteilung) im Rahmen der Generalstabsgruppe B im Generaltruppeninspektorat des Verteidigungsministeriums, verlegte die ersten Anzeichen für eine »Aufweichung« des Warschauer Pakts an den Beginn der 1980er-Jahre, als die Vorbereitung einer sowjetischen Mobilmachung zwecks Intervention in Polen, wo das KP-Regime vom Sturz bedroht war, nicht die erwünschten Resultate erbracht hätten.167

165 Die Doktrin wurde bei der Abstimmung am 12. Dezember 2001 im Nationalrat nur von den Regierungsparteien ÖVP und FPÖ gebilligt, die oppositionellen Fraktionen von SPÖ und Grünen stimmten dagegen. 166 Sicherheits- und Verteidigungsdoktrin. Analyse-Teil. Bericht an den Nationalrat, 23. Jänner 2001, vgl. http ://www.austria.gv.at/DocView.axd ?CobId=795 (online am 19. März 2009), S. 25, S. 43 f., S. 41 und S. 48. 167 Pleiner, Horst : Die militärstrategische Lage Österreichs – Rückblick, aktueller Stand und Ausblick, in : Österreichische Militärische Zeitschrift 5/31 (1993), S. 495–504, hier S. 500. – Die Operationsabteilung erstellte 1979/80 unter Mitwirkung des Instituts für strategische Grundlagenforschung der Landesverteidigungsakademie, des Wirtschaftsforschungsinstituts und der Bundeskammer der gewerblichen Wirtschaft (heute Wirtschaftskammer) eine geheime Studie zur Abschätzung der »strategischen Durchhaltefähigkeit der UdSSR unter den gegebenen Rahmenbedingungen«, die dem Ostblock den wirtschaft-

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Karl Majcen meinte 1995 in einem Vortrag, dass die Neutralität im Falle eines Krieges zwischen der NATO und dem Warschauer Pakt nur dann einen Sicherheitsgewinn erbracht hätte, wenn Wien den Entscheidungsträgern in beiden Bündnissen überzeugend hätte darlegen können, dass Österreich nicht zum Operationsgebiet des jeweils anderen Blocks werden würde. Während noch am Ende der 1980er-Jahre nach »extrem kurzer« Vorwarnzeit mit einem Einmarsch des Warschauer Pakts gerechnet werden musste, sei ein solches Szenario inzwischen »in sehr weite Ferne gerückt«. Der Zerfall des Pakts habe dazu geführt, dass die »Hauptbedrohung für Europa, ein Bündniskrieg, mit einem Schlag vom Tisch war«.168 Erich Reiter, 1986 bis 1996 Leiter der Präsidial- und Rechtssektion des Verteidigungsministeriums, dann Beauftragter für Strategische Studien und Leiter des Militärwissenschaftlichen Büros bzw. des Büros für Sicherheitspolitik im Verteidigungsministerium, schrieb 1990, dass sich Österreichs politisch-geografische Lage verändert habe : Nachdem es lange »zwischen den Machtbereichen und damit an der militärischen Konfrontationslinie« zwischen NATO und Warschauer Pakt gelegen war, werde es sich bald inmitten »neue Orientierung suchender Kleinstaaten Ost-Mitteleuropas befinden« ; somit dürfte es potenziellem militärischem Druck der UdSSR bzw. des ganzen Warschauer Pakts »weniger stark ausgesetzt sein als derzeit«.169 Ebenfalls 1990 konstatierte Reiter eine »Schwäche« des Warschauer Pakts bzw. bereits dessen »Nichtfunktionieren als effektives Militärbündnis«.170 lichen Zusammenbruch und die Destabilisierung des gesamten Systems von »innen« heraus vorhersagte, ohne einen Zeithorizont nennen zu können. Die Studie hielt ein »präventives« Losschlagen der UdSSR bzw. des Warschauer Pakts gegen die NATO als »worst case« noch vor der sich abzeichnenden Stationierung von amerikanischen Pershing-II-Mittelstreckenraketen und Marschflugkörpern in Westeuropa (Nachrüstung) 1983/84 für denkbar. – Diese Erkenntnisse ließen sich auf der obersten Führungsebene einbringen, fanden ihren Niederschlag in den entsprechenden militärstrategischen Weisungen und auch praktische Umsetzung in den Übungen des Leitungsstabes des Verteidigungsministeriums (freundliche Mitteilung von Pleiner an den Verfasser, 23. März 2009). 168 Majcen, Karl : Österreichische Landesverteidigung heute – und morgen ? Vortrag beim Peutinger-Collegium am 9. Mai 1995, in : Majcen, Karl : Ausgewählte Schriften, Vorträge und Reden 1990–1999 (Schriftenreihe der Landesverteidigungsakademie 7) Wien 1999, S. 113–127, hier S. 116 ; Majcen, Karl : Militärische Konsequenzen der sicherheitspolitischen Integration Europas, Vortrag am Genfer Zentrum für Sicherheitspolitik vor dem Führungslehrgang IV der Schweizer Armee am 26. Februar 1999, in : Majcen, Karl : Ausgewählte Schriften, Vorträge und Reden 1990–1999 (Schriftenreihe der Landesverteidigungsakademie 7) Wien 1999, S. 61–70, hier S. 67 ; Majcen, Karl : Heer im Umbruch, Impulsreferat anlässlich Enquete des ÖVP-Parlamentsclubs am 2. März 1995, in : Majcen, Karl : Ausgewählte Schriften, Vorträge und Reden 1990–1999 (Schriftenreihe der Landesverteidigungsakademie 7) Wien 1999, Seite 107–112, hier S. 108 ; Majcen : Österreichische Landesverteidigung heute, S. 117, und Majcen : Heer im Umbruch, S. 108. 169 Reiter : Österreichische Sicherheits- und Verteidigungspolitik, S. 81 f. 170 Reiter, Erich : Die Bundesheerdebatte zwischen Anspruch und Wirklichkeit, in : Österreichische Militärische Zeitschrift 3/28 (1990), S. 181–187, hier S. 185.

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Reiter sah den Zerfall des östlichen Bündnisses nicht ausschließlich positiv : Dieser habe zu einem »Machtvakuum« in Mittel- und Osteuropa beigetragen171 und zu einer Renationalisierung der Sicherheitspolitik in Mittel- und Osteuropa geführt, weshalb die »zentraleuropäische Stabilität [des Schreckens] der Zeit des Kalten Krieges« nicht mehr gewährleistet sei. Und der Wegfall der »disziplinatorischen Wirkung der großen Militärpakte« bewirke den Ausbruch bzw. die Gefahr des Entstehens zahlreicher begrenzter Konflikte. Da es die Militärblöcke in der alten Form nicht mehr gäbe, sei – so Reiter – die Neutralität »absolut bedeutungslos« geworden.172 Es müsse »doch jedem klar sein«, dass »der auf die Ära der Ost-West-Konfrontation maßgeschneiderte Status der Neutralität« Österreichs angesichts der Veränderungen in Europa und in der Welt, wozu Reiter auch und gerade den Zusammenbruch der UdSSR und die Auflösung des Warschauer Pakts zählte, »seine Funktion der Behauptung der (relativen) Unabhängigkeit verloren« habe. Die Neutralität hätte im Kriegsfall zwischen NATO und Warschauer Pakt keinerlei Schutzwirkung entfaltet.173 2008 meinte der stellvertretende Generalstabschef Generalleutnant Othmar Commenda, dass mit dem Zerfall des Warschauer Pakts und der UdSSR die Grundlagen einer rein nationalen österreichischen Verteidigungsplanung zwischen den Blöcken verloren gegangen seien. »In der Folge muss und will Österreich durch eine sicherheitspolitisch-strategische Neupositionierung von jener Sicherheit profitieren, die eine von der EU getragene europäische Friedens- und Wohlstandszone bietet. Es gibt keine überzeugende Alternative zur Europäisierung der österreichischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik.«174 Darin könnte man eine Absage an die am Beginn der 1990er-Jahre befürchtete »Renationalisierung« erblicken.

Die österreichische militärische Wahrnehmung Publikationen des Verteidigungsministeriums Die Periodika des Verteidigungsressorts, allen voran die »Österreichische Militärische Zeitschrift«, verfolgten natürlich die (sicherheits-)politischen Veränderungen in Ostmittel- und Osteuropa und die daraus resultierenden militärischen Konsequenzen (u. a. in den Bereichen Truppenabzüge und Streitkräftereduzierungen) 171 Reiter, Erich : Neutralität oder NATO. Die sicherheitspolitischen Konsequenzen aus der europäischen Aufgabe Österreichs (Forschungen zur Sicherheitspolitik), Graz/Wien/Köln 1996, S. 52. 172 Reiter : Österreichische Sicherheits- und Verteidigungspolitik, S. 171. 173 Reiter, Erich : Sicherheitspolitik zwischen Wunsch und Wirklichkeit. Gedanken zur Wirksamkeit der österreichischen Neutralität, in : Österreichische Militärische Zeitschrift 2/32 (1994), S. 125–130, hier S. 126–128. 174 Frieden International (Interview), in : Society 4 (2008) S. 52 f., hier S. 53.

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– zunehmend auch unter Heranziehung von Autoren aus dieser Region. Die Zeitschrift »Truppendienst«, die sich von jeher auf technische und operativ-taktische Fragen konzentriert, widmete dem Warschauer Pakt erheblich weniger Aufmerksamkeit, erkannte aber bereits Anfang 1990 »Risse« in der Organisation.175 Und kurz darauf hieß es, dass der Pakt »bereits real vor der Gefahr des Zerfalls« stehe, weshalb der NATO das »traditionelle Feindbild abhanden gekommen« sei.176 Die nächste Ausgabe stellte fest, dass der Warschauer Pakt »kein funktionsfähiges Bündnis« mehr sei ; Ungarn und die ČSFR würden einen Austritt erwägen, und hinsichtlich der angedachten Umwandlung in ein primär politisches Bündnis seien »Zweifel angebracht«.177 Eine Publikation der Landesverteidigungsakademie mit dem Anspruch, einen Überblick über die strategische Lage in der Welt zu geben, meinte mit Stand August 1992, dass die Auflösung des Warschauer Pakts für Moskau eine »völlige Neuorientierung und zuletzt den Verlust des […] seit 1945 behaupteten geopolitischen Vorfeldes« bedeutet hatte. Wegen des Abzuges der sowjetischen Truppen aus Ostmitteleuropa, der Umstrukturierung und Verkleinerung der Streitkräfte in Ungarn, Polen und der ČSFR, des vollständigen Verschwindens des Warschauer Pakts »als eines politischen und militärischen Instruments Moskaus« und einer »wesentlichen Aufwertung« seiner geopolitischen Lage gegenüber den Staaten Ostmittel- und Südosteuropas könne Österreich eine erhebliche Verminderung seiner potenziellen militärischen Bedrohung verzeichnen.178 Letzteres wiederholte eine überarbeitete Neuausgabe dieser Publikation wenige Monate später. Dort hieß es zudem, dass die Auflösung des Warschauer Pakts für Russland bedeute, dass es »anstelle eines tiefen geopolitischen Vorfeldes gegenüber NATO-Europa« mit einer Reihe von Pufferstaaten in einer Region zu tun habe, die man als »Zwischeneuropa« bezeichnen könne. Das Bundesheer müsse sich nun kaum mehr auf die Möglichkeit eines militärischen Zusammenstoßes zwischen »West« und »Ost«, sondern auf regionale bewaffnete Konflikte bzw. »Bürgerkriege mit Eskalationscharakter« in Ost- und Südosteuropa einstellen.179

Warschauer Pakt : Ein Bündnis zeigt Risse, in : Truppendienst 2/29 (1990), S. 177. NATO/Warschauer Pakt : Bündnisse im Aufruhr, in : Truppendienst 3/29 (1990), S. 268 f., hier S. 268. Neue Sicherheitsstrukturen, in : Truppendienst 4/29 (1990), S. 365 f., hier S. 366. Landesverteidigungsakademie : Militärstrategisches Umwelt- und Konfliktbild (Synopse), Wien 1992, S. 37 und S. 64. Zehn Jahre später war in einer Broschüre der Landesverteidigungsakademie zu lesen, dass sich die geopolitische Lage Österreichs seit der Auflösung des Warschauer Pakts und der Öffnung der meisten Staaten Ostmitteleuropas zu EU und NATO »merklich gebessert« habe, »wobei die strategisch heikle Randlage an der Grenze zweier Machtblöcke zugunsten einer wesentlich gebesserten, d. h. relativ sicheren Position in der Nähe der europäischen Mitte gewichen ist« ; Magenheimer, Heinz : Zur geopolitischen Lage Österreichs (Schriftenreihe der Landesverteidigungsakademie 7/2002), Wien 2002, S. 50. 179 Landesverteidigungsakademie : Militärstrategisches Umwelt- und Konfliktbild (Synopse), Wien 1993, S. 67–69. 175 176 177 178

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Heeres-Nachrichtenamt Das Heeres-Nachrichtenamt, der militärische Auslandsnachrichtendienst, verfolgte natürlich die politischen Reformen bzw. Umstürze in Ostmitteleuropa, deren sicherheitspolitische Konsequenzen (darunter die Änderungen in Doktrin/Strategie, Organisation, Ausrüstung, Ausstattung und Ausbildung) sowie den Zerfallsprozess des Warschauer Pakts. Mit Stand Ende März 1990 ging man im Heeres-Nachrichtenamt davon aus,180 dass die 1989 von der sowjetischen politischen Führung angekündigten und bis Ende 1990 abzuschließenden einseitigen Maßnahmen zur Umgliederung der Streitkräfte im Warschauer Pakt und der damit verbundenen Redislozierungen und Reduzierungen noch keine entscheidenden Eingriffe in den dem Militär verbliebenen militärstrategischen Handlungs- und Planungsrahmen darstellen. 1989 sei deutlich geworden, dass das modifizierte Kriegführungskonzept der sowjetischen Streitkräfte und – damit verbunden – des Warschauer Pakts auf dem europäischen Kriegsschauplatz nach wie vor auf offensiv angelegten operativ-strategischen Planungen beruhte. Eine generelle strategische Defensivplanung des Bündnisses für Europa sei nicht feststellbar gewesen. Die an das »neue politische Denken« Gorbatschows angepasste sowjetische Sicherheitspolitik verfolge aber erkennbar die Absicht, militärische Stärke als Faktor von Sicherheit und insbesondere der Bedrohung durch die Streitkräfte der Länder des Warschauer Pakts nach außen abzubauen. Die UdSSR habe aber auch noch 1989 eine Offensivfähigkeit ihrer Streitkräfte gegenüber der NATO zu erhalten versucht und noch keine Anstalten gemacht, auf ihre strategischen Interessen in ihrem westlichen Vorfeld zu verzichten. Moskau habe bisher weder geostrategische Positionen verloren noch militärische Optionen aufgegeben. Allerdings seien für die Zukunft Veränderungen absehbar. So zeichne sich eine quantitative und qualitative Reduzierung der Angriffsfähigkeit der Streitkräfte des Warschauer Pakts in Europa ab. Eine völlige Aufgabe dieser militärstrategischen Option sei unter der Voraussetzung wahrscheinlich, dass der KSZE-Prozess und die weitere Entwicklung der Paktmitglieder zu demokratischen Rechtsstaaten die UdSSR zur Implementierung neuer Sicherheitskonzepte und -strukturen bewegen. Nach Abschluss der sich Anfang 1990 bereits abzeichnenden sowjetischen Truppenabzüge aus Ostmitteleuropa würde die Option einer überraschenden militärischen Operation des Warschauer Pakts nach Westen definitiv entfallen. Im Heeres-Nachrichtenamt war man sich der Kritik hoher sowjetischer Militärs an diesen Abzügen bewusst. Zu den Militärmanövern des Warschauer Pakts im Jahr 1989 meinte das HeeresNachrichtenamt Anfang 1990, dass die Verwirklichung der in offiziellen Verlautba180 Gespräch des Verfassers mit General i.R. Alfred Schätz, 7. April 2009 in Wien.

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rungen immer wieder behaupteten Veränderungen der Militärdoktrin hin zu rein defensiven militärstrategischen Konzepten aus dem Verlauf der Übungen auf strategischer Ebene allein nicht nachvollzogen werden könnte. Allerdings würden sich die Beobachtungen aus dem operativen und taktischen Übungsgeschehen verdichten, welche die offiziellen politischen Feststellungen stützen. Der Warschauer Pakt stelle den Zusammenhalt des östlichen Lagers noch sicher. Allerdings werde die Umwandlung von einem »militärpolitischen« in ein »politischmilitärisches« Bündnis angestrebt, womit sich die östliche Philosophie in dieser Frage der Gedankenwelt der NATO nähere. In Ostmitteleuropa sei es durch die Entmachtung der kommunistischen Parteien und Demokratisierung der politischen Systeme zu einem »Verlassen der politisch-ideologischen Grundlage« des Warschauer Pakts gekommen. Angesichts der politischen Umbrüche in den ostmitteleuropäischen Mitgliedern des Warschauer Pakts 1989 habe sich deren Stellenwert im Bündnis und gegenüber der UdSSR bereits jetzt deutlich verändert. Die jeweils nationalen Komponenten von Militärdoktrinen bzw. sicherheitspolitischen Grundkonzepten würden in den ostmitteleuropäischen Ländern an Bedeutung gewinnen. Die ČSFR und Ungarn hätten aus Angst vor einem innenpolitischen Umschwung in der UdSSR auf einen raschen Abzug der sowjetischen Truppen gedrängt. Die ostmitteleuropäischen Staaten würden, so zeigte sich das Heeres-Nachrichtenamt überzeugt, ihre Mitgliedschaft im östlichen Bündnis zur Diskussion stellen. Es sei bereits absehbar, dass diese Staaten für die UdSSR bald nur noch »Raumpuffer zur NATO« sein würden. Daher werde sich die UdSSR bei künftigen militärischen Operationen auf den Ausgangsraum des eigenen Territoriums beschränken müssen. Im Hinblick auf künftige Vorwarnzeiten für eine Militäraktion des Warschauer Pakts gegen die NATO und möglicherweise auch gegen Österreich ging man im Heeres-Nachrichtenamt mit Stand Anfang 1990 davon aus, dass eine Offensive des Warschauer Pakts mit einer militärisch nutzbaren Vorwarnzeit von 48 Stunden praktisch ausgeschlossen war, obwohl die »militärtechnische Komponente« nach wie vor verfügbar sei. Einen Offensivansatz nach einer Vorbereitungszeit von Wochen oder Monaten hielt das Heeres-Nachrichtenamt unter verschiedenen Umständen für möglich, so im Falle einer »repressiven Stabilisierung« in der UdSSR mit nachfolgender Beendigung der Demokratisierung in Ostmitteleuropa. Die militärtechnische Komponente des Warschauer Pakts sei nach wie vor offensivfähig, Führungssysteme und Versorgungsstrukturen seien noch nutzbar. Von letzteren hänge alles ab : Ihr Abzug würde den sowjetischen Großverbänden in Ostmitteleuropa die Ausgangsbasis für eine Operationsführung in Richtung Westeuropa entziehen. Das HeeresNachrichtenamt befasste sich auch mit der Möglichkeit einer sowjetischen Militärintervention gegen die sich demokratisierenden ostmitteleuropäischen Staaten ohne weiteren Vorstoß nach Westen : In einem solchen Fall betrüge die Vorwarnzeit nur wenige Tage.

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Für den Zeitraum 1989 bis 1994 fasste der ehemalige Leiter des Heeres-Nachrichtenamtes, Schätz, zusammen, dass in den Staaten des (ehemaligen) östlichen Bündnisses zwar noch die alten militärischen Strukturen und die dazugehörende »Hardware« nachweisbar waren, sich diese Staaten aber an europäische Strukturen und die NATO anzunähern begannen.181

Konsequenzen aus dem Niedergang des Warschauer Pakts für Stärke und Struktur des Bundesheeres Österreichs Verteidigungsbudget nahm die »Wende« im Osten quasi vorweg : Es hatte im langjährigen Schnitt ursprünglich 1 bis 1,2 % des BIP betragen und ging bereits ab 1986 zurück.182 Mitte 1989, also knapp vor dem politischen Umbruch in Ostmitteleuropa, kam der Vorschlag eines »Bundesheeres light« ohne schwere Waffen aus den Reihen der SPÖ. Zentralsekretär Peter Marizzi ortete »angesichts der sich in Europa abzeichnenden, positiven sicherheitspolitischen Entwicklungen« einen »erhöhten Erklärungsbedarf für die militärische Landesverteidigung«.183 Kritiker aus der ÖVP wandten ein, dass ein »Bundesheer light« seinen verfassungsmäßigen Auftrag nicht erfüllen könne.184 Die öffentliche Meinung stand hingegen einem »Bundesheer light« unverkennbar nahe : 54 % meinten, dass eine »wirksame Landesverteidigung« keiner schweren Waffen wie Artillerie und Kampfpanzer bedürfe ; nur 29 % vertraten die gegenteilige Ansicht.185 Die Heeresgliederung 1987 mit einem Mobilmachungsrahmen von 200 000 Mann (ohne Wach- und Ersatztruppen sowie Personalreserve) war noch auf einen Konflikt zwischen NATO und Warschauer Pakt ausgerichtet gewesen. Mit dem Zerfall des Ostblocks schien das seit Beginn der 1970er-Jahre entwickelte und systematisch verfolgte Raumverteidigungskonzept überholt ; Verteidigung des Staatsgebietes und Aufrechterhaltung der territorialen Integrität als primäre Aufgabe der Landesverteidigung traten in den Hintergrund. Die »Heeresgliederung Neu« von 1992 pos181 Schätz, Alfred : Nachrichtendienste im Transformationsprozess ? Eine sicherheitspolitische Kurzanalyse am Beispiel Österreichs, in : Österreichische Militärische Zeitschrift 4/45 (2007), S. 395–406, hier S. 399. 182 Reiter : Österreichische Sicherheits- und Verteidigungspolitik, S. 39. 183 Marizzi, Peter : Braucht Österreich ein Bundesheer ?, in : Khol, Andreas/Ofner, Günther/Stirnemann, Alfred (Hg.) : Österreichisches Jahrbuch für Politik 1989, Wien/München 1990, S. 399–404, hier S. 401. 184 Ermacora, Felix : »Bundesheer light« vom wehrpolitischen Standpunkt, in : Khol, Andreas/Ofner, Günther/Stirnemann, Alfred (Hg.) : Österreichisches Jahrbuch für Politik 1989, Wien/München 1990, S. 375–383, hier S. 382 und S. 376. 185 Das Image des österreichischen Bundesheeres, in : SWS-Rundschau 4/29 (1989), S. 535–542, hier S. 538.

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tulierte einen Übergang zu grenznaher Sicherung und Abwehr sowie eine Reduzierung der Gesamtstärke der Einsatzorganisation auf 120 000 plus 30 000 Mann gering organisierter Reserven. Gleichzeitig sah man auch strukturelle Anpassungen in der Heeresorganisation vor, die zu einer Erhöhung der mobilen Kräfte von 11 auf 15 Brigaden sowie zu einer systematischen Verfügbarkeit von rasch einsetzbaren rund 15 000 Mann führen sollten. Hochrangige Vertreter des Verteidigungsministeriums brachten diese Reform in einen expliziten Zusammenhang mit der Auflösung des Warschauer Pakts, des RGW und der UdSSR.186 Allerdings scheiterte die Umsetzung dieses Konzepts an unzureichenden budgetären Mitteln.

Parlamentsparteien Sozialdemokratische Partei Österreichs Zum Zeitpunkt des Zerfalls des Ostblocks galt das SPÖ-Programm von 1978. Es heißt darin, dass »Versuche in einigen kommunistischen Ländern, neue freiere Gesellschaftsstrukturen zu schaffen, […] durch militärische Interventionen von außen zum Scheitern gebracht worden« seien. Der Warschauer Pakt und/oder die UdSSR sind als Ursachen dieses »Scheiterns« nicht erwähnt.187 Ende November 1996 legten Bundeskanzler Franz Vranitzky und Nationalratspräsident Heinz Fischer sicherheitspolitische Leitlinien der SPÖ vor, die eine deutliche Absage an einen Beitritt zur NATO oder zur WEU enthielten. Diese Linie verfolgt auch das bis heute gültige Parteiprogramm von 1998. Es erwähnt im Übrigen den Warschauer Pakt nicht und merkt lediglich an, dass sich die »Perspektiven für ein europäisches Sicherheitssystem […] seit dem Ende der Bipolarität und des Kalten Krieges radikal geändert« hätten.188 Auch sozialdemokratische Regierungsmitglieder und Nationalratsabgeordnete erwähnten den Warschauer Pakt nur selten. Der Abgeordnete Josef Cap gedachte

186 Vgl. z.B. Fasslabend, Werner : Die Heeresreform 1992 – Antwort auf neue Bedrohungsbilder und sicherheitspolitische Herausforderungen, in : Khol, Andreas/Ofner, Günther/Stirnemann, Alfred (Hg.) : Österreichisches Jahrbuch für Politik 1992, Wien/München 1993, S. 585–598, v.a. S. 585 und S. 594 ; Majcen, Karl : Wandlungen in der Aufgabenstellung des Bundesheeres, in : Österreichische Militärische Zeitschrift 6/37 (1999), S. 691–702, v.a. S. 695. 187 Im übernächsten Absatz des Programms ist zu lesen : »Ein fortschreitender Entspannungsprozeß in der Weltpolitik, eine Entwicklung in Richtung auf die soziale Demokratie in den Ländern der kapitalistischen Wirtschaftsordnung und ein Prozeß der Demokratisierung in den kommunistischen Staaten können zu einer Reduzierung der Bedeutung der militärischen Blöcke in der Welt führen« (Modelle für die Zukunft. Die österreichische Sozialdemokratie im Spiegel ihrer Programme, Wien o.J., S. 143). 188 Das neue Grundsatzprogramm der SPÖ, in : Freitag aktuell – Das Wochenmagazin der SPÖ, 5. November 1998, 7. Jahrgang, Nr. 37a, S. 21.

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1996, nach einer kurzen Phase von Sympathien für einen österreichischen NATOBeitritt, jenen ehemaligen Mitgliedern des Warschauer Pakts, die sich der Nordatlantischen Allianz anschließen wollten, die Stationierung von Atomwaffen und »fremden Truppen« zu verbieten.189 Bundeskanzler Viktor Klima meinte Mitte April 1998 im Nationalrat, dass es den Warschauer Pakt »inzwischen Gott sei Dank« nicht mehr gäbe.190 Stefan Prähauser räumte in einer Sitzung des Nationalrates am 12. Dezember 2001 ein, dass vom Warschauer Pakt tatsächlich »eine ernste Bedrohung des Westens« ausgegangen sei, doch nun müsse man nicht mehr »morgen mit feindlichen Maßnahmen aus dieser Richtung rechnen« ; daher sei ein Festhalten an der Neutralität geboten.191 SPÖ-Wehrsprecher Anton Gaál führte in der Nationalratssitzung vom 27. April 2005 die Auflösung des Warschauer Pakts als Argument dafür an, warum keine Abfangjäger (oder, in seiner Diktion, »sündteure Luxus-Kampfjets […], die dem Friedensprojekt Europa entgegenstehen«) benötigt würden.192 Österreichische Volkspartei Andreas Khol, 1990 bis 1994 außenpolitischer Sprecher der ÖVP, meinte 1990, dass der Warschauer Pakt »de facto […] bereits tot« sei, womit eine wesentliche Komponente der europäischen Nachkriegsordnung zu existieren aufhöre. Beim Warschauer Pakt habe es sich um ein »merkwürdiges Bündnis« gehandelt – seine militärischen Aktionen hätten sich nicht etwa gegen Gegner, sondern gegen eigene Mitglieder gerichtet.193 Der Warschauer Pakt sei »Kontrahent der NATO in einem in Einflussbereiche der Blöcke aufgeteilten Europa« gewesen, »an dessen Bruchzone geteilte oder neutrale Länder die Zerrissenheit des Kontinents und den Konflikt am stärksten fühlten«. Österreich liege nicht mehr an der Bruchlinie zwischen West und Ost ; diese sei völlig verschwunden. Im europäischen Zentralraum gäbe es die NATO, zwei Neutrale und ein blockfreies Land, dann einen Gürtel von ehemaligen Mitgliedern des Warschauer Pakts, die zum Teil der NATO beitreten wollten, und schließlich die Sowjetunion mit ihren »Zentrifugalproblemen«.194 1992 schrieb Khol, dass 189 Cap, Josef : Österreich und die NATO, in : Khol, Andreas/Ofner, Günther/Stirnemann, Alfred (Hg.) : Österreichisches Jahrbuch für Politik 1996, Wien/München 1997, S. 235–242, hier S. 240. 190 Rede von Viktor Klima in der 116. Sitzung des Nationalrates der Republik Österreich vom 16. und 17. April 1998, in : Stenographische Protokolle des Nationalrates der XX. Gesetzgebungsperiode, S. 113– 116, hier S. 114. 191 Rede von Stefan Prähauser in der 87. Sitzung des Nationalrates der Republik Österreich vom 12. Dezember 2001, in : Stenographische Protokolle des Nationalrates der XXI. Gesetzgebungsperiode, S. 193 f. 192 Rede von Anton Gaál in der 107. Sitzung des Nationalrates der Republik Österreich vom 27. April 2005, in : Stenographische Protokolle des Nationalrates der XXII. Gesetzgebungsperiode, S. 45 f., hier S. 46. 193 Eine Anspielung auf die Intervention in der ČSSR 1968. 194 Khol, Andreas : Neutralität – ein überholtes Instrument österreichischer Sicherheitspolitik ?, in : Khol,

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der »Paradigmenwechsel« nach dem Zusammenbruch des Weltkommunismus, der Sowjetunion und des Warschauer Pakts Veränderungen im Sicherheitsumfeld Österreichs ausgelöst habe.195 Die Neutralität mache u. a. wegen der Auflösung des östlichen Bündnisses keinen Sinn mehr. Daher sei ein »Abbau der Berührungsängste« zu NATO und WEU anzustreben. Österreich solle ein »Kooperations- und Informationsverhältnis« mit der NATO herstellen, über das die früheren Paktmitglieder Ostmitteleuropas bereits verfügten.196 Von Khol abgesehen fand der Warschauer Pakt in der ÖVP nur selten Aufmerksamkeit. Das bis heute gültige Parteiprogramm von 1995 erwähnt die Organisation nicht. Michael Spindelegger, ursprünglich Abgeordneter und seit Dezember 2008 Außenminister, bestritt in der Nationalratssitzung vom 12. Dezember 2001, dass die Neutralität Österreich im Kriegsfall geschützt hätte : »Denken wir nur an die jetzt veröffentlichten Pläne des Warschauer Pakts, daran, wie man von Seiten des Ostens unsere Neutralität betrachtet hat.«197 Freiheitliche Partei Österreichs Der Abgeordnete Wolfgang Jung, ein Offizier des Bundesheeres, meinte bei der Sitzung des Nationalrates am 26. Februar 1997, dass die Freiheit Österreichs bis zum Zusammenbruch des Warschauer Pakts »einzig und allein durch die Interessen« geschützt worden sei, »die logischerweise auch die NATO in unserem Raum gehabt hat. […] Wir waren […] nur sicherheitspolitische Trittbrettfahrer«.198 Dagegen bestritt sein Fraktionskollege Scheibner einige Monate später, dass »wir uns unter dem Schutzschirm der NATO befunden haben. Die NATO hätte Österreich in einem Ernstfall nicht verteidigt – auch das steht heute fest –, sondern die NATO hätte sich selbst verteidigt, und zwar in Österreich. Die Enns […] wäre die Hauptkampflinie zwischen NATO und dem Warschauer Pakt gewesen«.199 Scheibner wies

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Andreas/Ofner, Günther/Stirnemann, Alfred (Hg.) : Österreichisches Jahrbuch für Politik 1990, Wien/ München 1991, S. 677–709, hier S. 691 und S. 695 f. Khol : Konturen, S. 47 f. Khol, Andreas : Sicherheit für Österreich, in : Reiter, Erich/Mölzer, Andreas (Hg.) : Zukunft Europäisches Sicherheitssystem ?, Graz/Stuttgart 1994, S. 44–47, hier S. 45 und S. 47. Rede von Michael Spindelegger in der 87. Sitzung des Nationalrates der Republik Österreich vom 12. Dezember 2001, in : Stenographische Protokolle des Nationalrates der XXI. Gesetzgebungsperiode, S. 174–177, hier S. 175. Rede von Wolfgang Jung in der 63. Sitzung des Nationalrates der Republik Österreich vom 26. Februar 1997, in : Stenographische Protokolle des Nationalrates der XX. Gesetzgebungsperiode, S. 77–79, hier S. 78. Rede von Herbert Scheibner in der 104. Sitzung des Nationalrates der Republik Österreich vom 11. Dezember 1997, in : Stenographische Protokolle des Nationalrates der XX. Gesetzgebungsperiode, S. 100–105, hier S. 103.

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im Nationalrat – zuerst als Abgeordneter und dann, ab 2000, als Verteidigungsminister – mehrmals auf die Aufmarsch- und Kriegspläne des Warschauer Pakts gegen Österreich hin und verband dies mitunter mit der Aussage, dass es von der Neutralität nicht geschützt worden wäre. Das griff auch FPÖ-Vorsitzender Jörg Haider in einer Nationalratssitzung Mitte April 1998 auf ; er fügte hinzu, dass Österreich seine Neutralität »niemals« alleine hätte verteidigen können.200 In die gleiche Kerbe schlug Reinhard Eugen Bösch in einer Sitzung mehr als fünf Jahre später : Wenn der Warschauer Pakt den Westen angegriffen hätte, »dann hätten wir auch mit unseren [Kampfflugzeugen vom Typ] Draken […] nichts ausrichten können«.201 Scheibner führte den Zerfall des Warschauer Pakts als Argument gegen eine Bewahrung der Neutralität ins Treffen.202 Das Programm der FPÖ von 1997 erwähnte die Auflösung des Warschauer Pakts und meinte, dass diese die Chance eröffne, »in Europa eine dauerhafte Friedensordnung aufzubauen, wodurch die Demokratisierungsprozesse in Zentral- und Osteuropa unumkehrbar gemacht werden könnten«.203 Die Grünen Die Abgeordnete Ulrike Lunacek meinte, an Verteidigungsminister Scheibner gewandt, in der Nationalratssitzung vom 12. Dezember 2001 : »Sie haben vorhin gesagt, Österreich habe in der Zeit der Neutralität sozusagen Glück gehabt, weil es eben keine Angriffe gegeben habe und trotz der Warschauer-Pakt-Pläne [zum Einmarsch in Österreich] zum Glück nichts passiert sei. Was aber diese Pläne des Warschauer Pakts im Endeffekt zunichte gemacht hat, das war weder das österreichische Bundesheer noch sonst ein Heer, sondern das waren die Demokratie- und Menschenrechtsbewegungen in den Staaten des Ostblocks, die das einfach nicht mehr wollten.«204 200 Rede von Jörg Haider in der 116. Sitzung des Nationalrates der Republik Österreich vom 16. und 17. April 1998, in : Stenographische Protokolle des Nationalrates der XX. Gesetzgebungsperiode, S. 116–119, hier S. 116. 201 Rede von Reinhard Eugen Bösch in der 17. Sitzung des Nationalrates der Republik Österreich vom 23. Mai 2003, in : Stenographische Protokolle des Nationalrates der XXII. Gesetzgebungsperiode, S. 45 f., hier S. 45. 202 Rede von Herbert Scheibner in der 6. Sitzung des Nationalrates der Republik Österreich vom 26. Jänner 2000, in : Stenographische Protokolle des Nationalrates XXI. Gesetzgebungsperiode, S. 114–117, hier S. 115. 203 FPÖ-Parteiprogramm, beschlossen am Programmparteitag, 30. Oktober 1997, Linz, Wien 1997, S. 8. – 2005 änderte die FPÖ ihr Programm teilweise, wobei die Erwähnung des Warschauer Pakts wegfiel : Seit damals unterstützt die Partei wieder die Neutralität und lehnt einen Beitritt zur NATO ab. 204 Rede von Ulrike Lunacek in der 87. Sitzung des Nationalrates der Republik Österreich vom 12. Dezember 2001, in : Stenographische Protokolle des Nationalrates der XXI. Gesetzgebungsperiode, S. 195–197,

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1998 behaupteten die Grünen in ihrem dem Nationalrat vorgelegten »Optionenbericht«, dass Österreich im Falle eines großen Krieges zwischen NATO und Warschauer Pakt »von der ersten Stunde […] an Objekt militärischer Operationen gewesen wäre«. Sie räumten damit – vermutlich ungewollt – ein, dass die von ihnen stets mit Nachdruck verfochtene Neutralität Österreich nicht geschützt hätte. Mit dem Umbruch von 1989 stünde Österreichs Sicherheitspolitik, so der »Optionenbericht« weiter, vor einer Neuorientierung : Die Trennlinie zwischen zwei feindlichen Blöcken würde nicht »mehr an einem einzigen Punkt – dem neutralen Österreich – unterbrochen«. Die NATO suche »seit der Auflösung ihres Erzfeindes im Osten […] nach einer neuen Rechtfertigung ihrer Existenz«.205 Letztere Auffassung zieht sich durch zahlreiche Äußerungen von Grünen und ihnen nahe stehenden Friedensaktivisten. So hieß es in einem am 21. April 1999 (d. h. während des Kosovo-Krieges) von den Grünen im Nationalrat eingebrachten Entschließungsantrag, dass einem »Militärpakt wie der NATO« das »militärische Feindbild«, eben der Warschauer Pakt, »abhanden gekommen« sei, weshalb er nunmehr »mit aller Gewalt« versuche, »die UNO als Ordnungsmacht abzulösen«.206 Ganz ähnlich argumentierten auch Klaus Heidegger und Peter Steyrer.207 Letzterer räumte immerhin ein, dass der Zerfall des Warschauer Pakts zu einer »Reduktion der militärischen Bedrohung, insbesondere in Europa, geführt« hat. Gleichzeitig bemängelte er jedoch, dass parallel zum Ende des Warschauer Pakts »ein Zerfall des Ansatzes der gemeinsamen und erweiterten Sicherheit festzustellen« gewesen sei. Steyrer bedauerte, dass sich Ungarn nach dem Zerfall von Warschauer Pakt und UdSSR nicht für die Neutralität, sondern für die NATO entschieden hat. Zudem äußerte er sein Unverständnis über die Passivität der Friedens- und Antikriegsbewegung angesichts der NATO-Beitritte früherer Mitglieder des Warschauer Pakts.208

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hier S. 196. – Ganz ähnlich hatte sich Scheibner, noch als Abgeordneter, in der Sitzung vom 11. Dezember 1997 ausgedrückt : Nicht die NATO habe den Kommunismus und den Warschauer Pakt überwunden, »sondern die Bevölkerung in diesen Ländern hat in einer unglaublich großen demokratischen Bewegung gegen totalitäre Regime gesiegt« (Rede von Herbert Scheibner in der 104. Sitzung des Nationalrates der Republik Österreich vom 11. Dezember 1997, in : Stenographische Protokolle des Nationalrates der XX. Gesetzgebungsperiode, S. 100–105, hier S. 101). Sicher ohne NATO. Optionenbericht der Grünen, Wien 1998, S. 11, S. 63 und S. 46. Entschließungsantrag der Abgeordneten MMag. Dr. Madeleine Petrovic, Van der Bellen, Freundinnen und Freunde betreffend Beibehaltung der österreichischen Neutralität und der Wiederaufnahme einer aktiven Neutralitätspolitik, vgl. http ://www.parlament.gv.at/PG/DE/XX/A/A_01060/fnameorig_125396. html (online am 8. April 2009). Heidegger, Klaus/Steyrer, Peter : NATO-Streit in Österreich. Handbuch zur Neutralität und Sicherheitspolitik, Thaur/Wien/München 1997, S. 28 und S. 64. Steyrer, Peter : Umfassende Sicherheit in Europa, in : Österreichisches Studienzentrum für Frieden und Konfliktlösung (Hg.) : Wie sicher ist Europa ? Perspektiven einer zukünftigen Sicherheitspolitik nach der Jahrtausendwende, Münster 2001, S. 9–23, hier S. 9 und S. 18.

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Politik-, Rechts- und Geschichtswissenschaft Der Politikprofessor Heinrich Schneider von der Universität Wien schrieb 1992, dass man in Österreich »da und dort« die Hoffnung gehegt habe, mit den ostmitteleuropäischen Staaten, die nach 1989/91 »vor dem sicherheitspolitischen Nichts standen«, einen »Club der Neutralen« zu bilden. Die Ostmitteleuropäer hätte diese Idee aber »alles andere als attraktiv« gefunden. Die NATO zeige ihnen die kalte Schulter.209 Der Wiener Politologe Heinz Gärtner, der sich seit vielen Jahren mit sicherheitspolitischen Fragen beschäftigt, sah 1990 »Renationalisierungstendenzen« v. a. im Bereich des Warschauer Pakts. 1992 fand er, dass dessen Auflösung und der Zerfall der UdSSR »die Situation europäischer Sicherheit entscheidend verändert« haben.210 Die Welt werde »multipolarer«. »Die Blockbildung war Ursache globaler Kriegsgefahr und Rüstungskonkurrenz. Diese Ursache ist mit der Auflösung der Bipolarität verschwunden«.211 Er wiederholte zudem, dass in den ehemaligen Mitgliedsländern des Warschauer Pakts eine Entwicklung in Richtung Nationalisierung des Militärs eingetreten sei. Zur Illustration dieses Arguments verwies er auf den Umstand, dass der Warschauer Pakt bereits im Zustand der Agonie war, als die Verhandlungen mit der NATO um eine Reduzierung bzw. Begrenzung der konventionellen Rüstung in Europa Früchte zu tragen begannen : Die »Blocksolidarität« im Osten existiere kaum mehr, und zwischen den Staaten des Warschauer Pakts sei es zu einer scharfen Konkurrenz um Anteile an den Blockquoten für die einzelnen Rüstungskategorien gekommen, da sich bereits abzeichnete, dass sich die (Noch-)Mitglieder künftig nicht mehr auf das Bündnis verlassen würden. Der Trend zur »Renationalisierung« habe sich, so Gärtner, bereits beim KSZE-Treffen über Militärdoktrinen Anfang 1990 in Wien abgezeichnet, als die dort vertretenen Generalstabschefs der ostmitteleuropäischen Staaten den nationalen Charakter ihrer Streitkräfte betonten und den Verpflichtungen gegenüber dem Warschauer Pakt »nicht mehr als Lippenbekenntnisse« geschenkt hätten. Die »Renationalisierung« laufe jedoch, so beklagte Gärtner, allen Versuchen zuwider, kollektive Sicherheitssysteme mit multinationalen Streitkräften zu schaffen. Seine Überzeugung, dass die NATO durch die Auflösung des Warschauer Pakts und der UdSSR an Zusammenhalt verliere, hat sich in der Folge nicht bestätigt. Gärtner erinnerte an die Debatten um die postkommunisti209 Schneider, Heinrich : Weder Leviathan noch Paradiesgarten : Wo Österreichs europäische Zukunft liegt, in : Europäische Rundschau 1 (1993), S. 25–32, hier S. 28 f. 210 Gärtner, Heinz : Wird Europa sicherer ? Zwischen kollektiver und nationaler Sicherheit (Laxenburger internationale Studien 3), Wien 1992, S. xiii ; vgl. Gärtner, Heinz : Modelle europäischer Sicherheit. Wie entscheidet Österreich ? (Laxenburger internationale Studien 11), Wien 1997, S. 1. 211 Gärtner, Heinz : Fünf Sicherheitskonzepte für Europa, in : Europäische Rundschau 1/21 (1993), S. 45–53, hier S. 45.

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schen Grundlagenverträge zwischen der UdSSR und ihren ehemaligen Verbündeten im Warschauer Pakt sowie an die sowjetische Absicht, durch Passagen in neuen Verträgen künftige NATO-Beitritte der ostmitteleuropäischen Staaten zu verhindern oder wenigstens zu erschweren. Einzelne ehemalige Mitgliedsländer des Warschauer Pakts, so die ČSFR und Ungarn, würden Beistandsverträge mit der NATO anstreben. Allerdings könne die Allianz mit ihrer Struktur und Aufgabenstellung kein kollektives Sicherheitssystem für Europa unter Einschluss aller europäischen Länder und der europäischen Republiken der ehemaligen Sowjetunion entwickeln.212 2007 meinte Gärtner, dass Militärbündnisse für eine »Friedensmacht Europa« anachronistisch geworden seien. Er ließ allerdings offen, ob er damit nur die NATO meinte oder auch die (in Öffentlichkeit und Politik Westeuropas und Nordamerikas praktisch unbekannte) »Organisation des Vertrages über kollektive Sicherheit«, ein von Russland forciertes Militärbündnis einiger postsowjetischer Republiken mit einer dem NATO-Vertrag nachempfundenen Beistandsverpflichtung. An österreichischen Universitäten zu sicherheitspolitischen Themen vorgelegte Diplomarbeiten und Dissertationen beachteten den Warschauer Pakt nur in Ausnahmefällen. In manchen Arbeiten finden sich zwar Kapitelüberschriften wie »Die Auflösung des Warschauer Pakts«, doch enthält der entsprechende Text dann nur wenige Informationen dazu.213 Auch und gerade in politikwissenschaftlichen Abschlussarbeiten anzutreffen ist die populäre Behauptung, dass sich die NATO in einer »tiefgreifenden strukturellen Krise« befinde, weil »ihr durch die Selbstauflösung ihres Gegenspielers (Warschauer Pakt) das Feindbild abhanden gekommen« sei.214 Letztere Meinung wird sinngemäß auch von manchen Völkerrechtlern vertreten. So geriet die NATO für Manfred Rotter (Universität Linz) durch die Auflösung des Warschauer Pakts »in besonderem Maße unter erhöhten Legitimationsdruck«. Der Nordatlantikpakt habe daher versucht, seine Tätigkeit auf »klassische Polizeiaufgaben« wie Terrorismus, organisierte Kriminalität und Sabotage auszuweiten, um auf diese Weise der Vorstellung entgegenzutreten, dass die Auflösung der NATO auf das Ende des Warschauer Pakts folgen müsse.215 Österreich sei für beide »von zentraler strategischer Bedeutung« gewesen, weshalb es erwarten konnte, »dass jede 212 Gärtner : Wird Europa sicherer ?, S. 4, S. 83, S. 92, S. 1, S. 61, S. 65 und S. 48 f. 213 Vgl. z.B.: Ghezzo, Michael : Neutralität oder NATO-Beitritt ? Die Debatte um die Optionen der künftigen österreichischen Sicherheitspolitik und ihre Voraussetzungen, Wien 1998 (Diplomarbeit), S. 23–26. 214 Vgl. z.B. Krabath, Wolfgang : Das Ende des Ost-West-Konflikts und der Wandel der Außen- und Sicherheitspolitik der (vormals) neutralen Staaten Österreich, Schweden, Finnland und der Schweiz, Wien 1997 (Diplomarbeit), S. 36. 215 Rotter, Manfred : Anmerkungen zur europäischen Verteidigungsproblematik aus völkerrechtlicher Sicht, in : Kernic, Franz/Hauser, Gunther (Hg.) : Handbuch zur europäischen Sicherheit, Frankfurt am Main/ New York/Wien 2005, S. 41–54, hier 43 f.

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Verletzung, ja bereits jede Bedrohung der territorialen Souveränität Österreichs an entsprechenden Gegenmaßnahmen des jeweils anderen Militärsystems scheitern würde«.216 Wenn der Warschauer Pakt in österreichischen völkerrechtlichen Abhandlungen Erwähnung fand, so meist in Zusammenhang mit der Neutralität. Neuhold zufolge bildete Österreich eine »dauernd neutrale Pufferzone« zwischen NATO und Warschauer Pakt und trieb zusammen mit der Schweiz einen dauernd neutralen »Alpenkeil« zwischen die NATO-Mitgliedstaaten, was ein geostrategischer Vorteil für das östliche Bündnis gewesen sei.217 Der Verfassungsjurist Theo Öllinger urteilte, dass die österreichische Neutralität wegen der Änderung der außenpolitischen Rahmenbedingungen – und v.a. wegen des Zusammenbruchs von UdSSR und Warschauer Pakt – »gewiss nicht mehr das« sei, »was sie zwischen 1955 und 1990 war«.218 Franz Köck und Margit Hintersteininger (Universität Linz) gingen sogar noch weiter : Mit der Auflösung von Warschauer Pakt, RGW und UdSSR habe die österreichische Neutralität ihre Bedeutung, ja ihre Rraison d’Être verloren.219 Der Innsbrucker Historiker Michael Gehler bezeichnete in seinem umfangreichen Werk über die Außenpolitik der Zweiten Republik »sowohl global außen- und sicherheitspolitisch betrachtet als auch neutralitätspolitisch auf Österreich bezogen« 1991 als »Zäsurjahr in der Außenpolitik des Landes« und stellte in wenigen Sätzen den Zerfall des Warschauer Pakts dar, mit dem die NATO »ihr Ziel der Eindämmung des Kommunismus und des Zusammenbrechens der Herrschafts- und Machtsystems der UdSSR erreicht« habe.220 – Allerdings geht aus den zugänglichen ein-

216 Rotter, Manfred : Sicherheit ohne Ausgrenzung. Für die Realutopie »Kollektive Sicherheit«, in : Mader, Gerald (Hg.) : Europa 1996. Sicherheit in Europa. Rahmenbedingungen und Kriterien einer umfassenden gesamteuropäischen Sicherheits- und Friedensordnung aus österreichischer Sicht (Schriftenreihe Europa des Bundeskanzleramts), Wien 1995, S. 265–298, hier S. 275. 217 Neuhold : Österreichische Sicherheitspolitik, S. 43. 218 Öllinger, Theo : Neutralität als Staatszielbestimmung in einer künftigen Bundesverfassung, in : Enzelsberger, Ernest F. (Hg.) : Die Sicherheitspolitik in der Diskussion um eine neue österreichische Bundesverfassung. (Österreichische Gesellschaft für Landesverteidigung und Sicherheitspolitik, Mitteilungsblatt 59), Wien 2005, S. 52–54, hier S. 52. – Auch ein an der Princeton University tätiger österreichischer Politologe erklärte 1991 die Auflösung des Warschauer Pakts zu einem jener Faktoren, die auf die Weiterentwicklung der Neutralität einwirken ; vgl.: Danspeckgruber, Wolfgang F.: Neutrality and the Emerging Europe, in : Danspeckgruber, Wolfgang F. (Hg.) : Emerging Dimensions of European Security Policy, Boulder/San Francisco/Oxford 1991, S. 265–288. 219 Köck, Franz/Hintersteininger, Margit : Neutralität : Kein Konzept für das dritte Jahrtausend, in : Strohmer, Michael F./Lutzenbeger, Günter H. (Hg.) : Neutralität oder Verteidigungsbündnis. Rechtsexperten und Spitzenpolitiker über die sicherheitspolitische Zukunft Österreichs, Innsbruck/Wien/München 2000, S. 21–36, hier S. 26. 220 Gehler, Michael : Österreichs Außenpolitik der Zweiten Republik. Von der alliierten Besatzung bis zum Europa des 21. Jahrhunderts, 2 Bände, Innsbruck/Wien/Bozen 2005, S. 664.

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schlägigen Informationen nicht hervor, dass die NATO zwischen 1989 und 1991 eine »treibende Kraft« bei einer Auflösung des Warschauer Pakts gewesen wäre.

Zusammenfassung und Schlussfolgerungen Einer Publikation des Bundeskanzleramtes von 1993 zufolge war die Auflösung des Warschauer Pakts und die damit verbundene Überwindung des Ost-West-Konflikts »das einschneidendste Ereignis« der Umwälzungen in Ost- und Südosteuropa.221 Allerdings wurde das Ende des östlichen Militärbündnisses in Öffentlichkeit, Medien, Politik und Wissenschaft Österreichs nur am Rande wahrgenommen – und wenn, dann kaum als »eigenständiges« Ereignis, sondern weit eher als Teilaspekt der »Wende« in Ostmittel- und Osteuropa und der daraus resultierenden Demokratisierung der Region. Sehr viel mehr Aufmerksamkeit zogen Fragen der weiteren Entwicklung der Neutralität auf sich – und zwar nicht nur wegen des Zerfalls des östlichen Lagers, sondern auch angesichts des zweiten Golfkrieges (1991) und der Konflikte auf dem Westbalkan (1991 bis 1999), v. a. aber wegen eines zunehmend realistischer werdenden EU-Beitritts. Von einem Sicherheitsgewinn für Österreich durch die Auflösung des Warschauer Pakts (welche die UdSSR so lange wie möglich zu verhindern versuchte) und/oder den Abzug der sowjetischen Truppen aus Mitteleuropa war (von Quellen des Verteidigungsministeriums abgesehen) nur selten die Rede. Stattdessen konnte man etwa die Meinung antreffen, dass die Auflösung des Warschauer Pakts und der UdSSR »neue Instabilitäten und Sicherheitsbedrohungen« (mit-)verursacht habe.222 Noch erheblich häufiger aber war – und zwar von Beobachtern aus mehreren Ländern sowie ganz unterschiedlicher beruflicher und weltanschaulicher Provenienz – von einem sicherheitspolitischen »Vakuum« sowie der Möglichkeit bzw. der Gefahr einer »Renationalisierung« von Sicherheitspolitik die Rede. Zudem fanden sich nicht nur, aber auch in Österreich Beobachter und Analytiker, welche die NATO in einer Krise sahen und/oder Zweifel an ihrer Existenzberechtigung anmeldeten.223 Seltener – und 221 Bundeskanzleramt (Hg.) : Informationen zur österreichischen Sicherheitspolitik, Wien 1993, S. 13. 222 Vgl. z.B. Philips-Slavkoff, Elisabeth : Europäische Sicherheitspolitik. Neuorientierung – Konzepte – Perspektiven (Signum-Europa-Bibliothek), Wien 1993, S. 11. 223 Die (u. a. aus den Akten des Außenministeriums) vorliegenden Informationen lassen die NATO kaum jemals als »Sieger« des Kalten Krieges erscheinen, der selbstbewusst in ein von der UdSSR hinterlassenes Vakuum in Ostmitteleuropa hineinstieß. Im Gegenteil zeigte sich der Nordatlantikpakt vorsichtig ; so wollte er den früheren Mitgliedern des Warschauer Pakts zunächst weder Sicherheitsgarantien anbieten noch fixe Zusagen für eine baldige Mitgliedschaft machen. Die Hauptursache für dieses Verhalten war offenkundig, dass man den sowjetischen bzw. russischen »Reformern« zunächst um Gorbatschow und dann um Jelzin nicht »schaden« wollte.

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zwar praktisch ausschließlich von Beobachtern, welche die Neutralität infrage stellten – wurde die Frage aufgeworfen, zwischen wem Österreich nach dem Zerfall des Warschauer Pakts und des ganzen östlichen Lagers noch neutral sein wolle. – Insgesamt ist aber wohl Václav Havel zuzustimmen, der die Auflösung des Warschauer Pakts einen »heute schon fast vergessenen historischen Schritt« nannte.224

224 Havel : Fassen Sie sich bitte kurz, S. 344.

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Österreich und die NATO am Ende des 20. Jahrhunderts Allgemeine Vorbemerkungen Mit dem Ende des durch 43 Jahre die politisch-strategischen Verhältnisse auch in Europa bestimmenden »Kalten Krieges« im Jahre 1989 ergaben sich dramatische und weitreichende Veränderungen auf friedliche und auch auf gewaltsame Weise in Südost- und Teilen Osteuropas. Die Landkarte veränderte sich, und bis dahin nicht für möglich gehaltene Entwicklungen wie der Zerfall der Sowjetunion und Jugoslawiens oder die Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten bildeten auch für das neutrale Österreich eine außerordentliche politisch-strategische Herausforderung. Durch den Antrag auf Beitritt in die Europäische Gemeinschaft (EG) hatte Österreich bereits 1989 den Schritt aus der bisherigen »individuellen« Position hin zur Einbindung in ein multinationales, wenn schon nicht übergeordnetes, so doch eng vernetztes System gemacht und war ab diesem Zeitpunkt mit strategischen Problemen am Rande und innerhalb einer »bündnisartigen«, jedenfalls multinationalen Struktur konfrontiert. So hatten zum Zeitpunkt des österreichischen Antrages Frankreich und die Niederlande eine gewisse Skepsis bezüglich Österreichs Verhalten im Falle einer Ausrichtung der EG auf eine gemeinsame sicherheitspolitische Verantwortung erkennen lassen. Österreich hatte darauf ausgewogen in dem Sinne reagiert, wonach man nichts behindern werde, was entstehe.1 Aber gleichzeitig ließen die aktuell werdenden Krisen im Nahen Osten und auf dem Balkan erkennen, dass für deren militärische Bewältigung und die Wiederherstellung des Friedens und den Wiederaufbau die Strukturen und Kapazitäten der Vereinten Nationen (UNO) oder der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) nicht ausreichend, und auch die europäischen Staaten der EG ohne den Rahmen der NATO und die Kapazitäten der USA nicht in der Lage waren, »eigenständige« Durchsetzung zu betreiben. Somit verblieb für Europa die NATO als transatlantische Organisation mit der Einbindung der amerikanischen strategischen und operativen Fähigkeiten und der Möglichkeit zur globalen Projektion dieses Machtinstrumentariums die einzige im Bedarfsfall voll reaktionsfähige Struktur. Für die NATO begann ein die gesamten 1990er-Jahre andauernder Prozess der Entwicklung aus einem System der kollektiven Verteidigung in einem abgegrenzten Vertragsgebiet gegen einen bis dahin definierten potentiellen Gegner 1 Bernath, Markus : Den Rubikon schon überschritten. Österreichs Diplomatie drängt auf Beitritt zur NATO, in : Loyal 10/28 (1996), S. 13 f.

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in Richtung eines politisch-strategischen Systems zur Wahrung und Wiederherstellung des Friedens auch über das bisherige Vertragsgebiet hinaus und unter neuartigen Rahmenbedingungen. Hand in Hand damit gingen eine deutliche Veränderung des militärischen Bedrohungsbildes und ein nur mühsam sich von konservativen Vorstellungen lösender Wandel in den militärischen Strukturen und Verfahren, verbunden mit einer progressiven Fortentwicklung der militärischen Hochtechnologie. Somit waren für den neutralen Kleinstaat Österreich aus geografischen, politisch-strategischen und sicherheitspolitischen Gegebenheiten Berührungspunkte mit der NATO in den 1990er-Jahren gegeben. In der Handhabung und der Wahrnehmung dieser Kontakte und Zielvorstellungen zeigte sich jedoch bald die nicht zuletzt innenpolitisch entscheidende Frage der Beibehaltung der Neutralität und der Bewertung aller eigenen Maßnahmen und Erwartungen im Lichte derselben. In der damit verbundenen und sich durch die 1990er-Jahre fortsetzenden Schwankung der politischen und öffentlichen Meinungen fand man schließlich durch die Idee einer Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP) und der »visionären« Ausrichtung auf eine gemeinsame europäische Verteidigungsstruktur einen zumindest oberflächlich konsensfähigen Ansatz einer akzeptierten Zielvorstellung. Damit verband sich auch eine singulär-österreichische Wahrnehmung der Europäischen Union (EU) und der ESVP, die weitgehend außer Betracht lässt, dass die überwiegende Mehrheit der Mitgliedstaaten der EU zugleich auch Mitglieder der NATO sind und dabei stets der Grundsatz unumstößlich vertreten wurde, keine Doppelstrukturen vorzusehen. Dieser Grundsatz der »no duplication« wurde in der österreichischen Befindlichkeit ausgeblendet, erforderte aber letztlich immer wieder »indirekte« Maßnahmen in bilateralem Ansatz zur Wahrnehmung der sicherheitspolitischen Erfordernisse. Schließlich erfolgte aber auch eine Beteiligung österreichischer Kontingente an internationalen Operationen unter NATO-Führung, und das wurde pragmatisch zur anerkannten Realität. Die Ausrichtung der Struktur und Ausrüstung des Bundesheeres auf »Interoperabilität« wurde damit zu einer Notwendigkeit, und man trieb dies auch mit einer gewissen Zielstrebigkeit voran. Die Diskussion um einen Beitritt zur NATO dauerte die gesamten 1990er-Jahre an, verlor aber danach im Zeitraum der EU-Sanktionen gegen Österreich deutlich an Intensität, und ein solcher stand nach dem Bekenntnis aller großen politischen Parteien Österreichs am Beginn des 21. Jahrhunderts zur Beibehaltung der Neutralität nicht mehr heran. Die damit verbundenen Nachteile sind in Kauf zu nehmen. Allerdings hat auch die Vision einer »europäischen« Verteidigungsstruktur für die nächsten Jahrzehnte ihre Strahlkraft eingebüßt. Die vom Europäischen Parlament am 19. Februar 2009 beschlossene Resolution, wonach die aktualisierte Europäische Sicherheitsstrategie und das künftige strategische Konzept der NATO aufeinander abgestimmt sein sollten und die EU dabei besser zivile Bereiche und die NATO primär militärische Aufgaben wahrnehmen sollten, unterstrich de facto die von Groß-

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britannien ausgehende nachhaltige Ablehnung einer eigenen EU-Armee. Demnach sollte es nur »one set of military forces« geben. Mit dem vollen Wiedereintritt Frankreichs in die Kommandostruktur der NATO kurz darauf am 4. April 2009 hat sich der bisher stärkste Betreiber einer europäischen Komponente dem Grundsatz der »no duplication« unterworfen und sich nach dem Zugeständnis zweier wichtiger Führungspositionen in der NATO-Struktur in diesem Bündnis voll eingebracht. Damit wird sich der sicherheitspolitische Stellenwert der »außerhalb« verbliebenen Neutralen mit Berührungsvorbehalten gegenüber der NATO keineswegs verbessern und die Mitwirkung an der Entscheidungsfindung und die Möglichkeiten der Mitgestaltung zwangsläufig bestenfalls auf dem bisherigen Niveau verbleiben. Ob damit den außenwirtschafts- und sicherheitspolitischen Interessen der Betroffenen gedient ist, wird abzuwarten sein. Dabei dürfte das Interesse der NATO am Beitritt von Nationen mit geringem militärischem Potenzial und umfassenden Einsatzvorbehalten ohnedies im zweiten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts nicht vorrangig sein.

Die Beziehungen Österreichs zur NATO von 1990 bis zum Beitritt in die Europäische Union Die Übergabe des Antrags der Republik Österreich um Beitritt zur EG am 17. Juli 1989 in Brüssel erfolgte zu einem Zeitpunkt, da die sich seit einigen Jahren vermehrenden Anzeichen einer umfassenden Änderung der politischen und militärstrategischen Situation in Europa einschließlich der Sowjetunion in eine progressiv verlaufende Entwicklung übergingen. Seit 9. März 1989 fanden als Folge der nach 16 Verhandlungsjahren am 2. Februar 1989 abgebrochenen Bemühungen einer »Mutual Balanced Force Reduction« nunmehr im Rahmen der KSZE-Verhandlungen zu »Vertrauens- und Sicherheitsbildenden Maßnahmen« (VSBM) unter Mitwirkung der neutralen und blockfreien Staaten Europas sowie die Gespräche über die konventionellen Streitkräfte in Europa (VKSE) zwischen 23 Mitgliedstaaten von NATO und Warschauer Pakt (WP) statt.2 Während Österreich bei den VSBM so wie im KSZE-Prozess aktiv mitwirken und seine Vorstellungen einbringen konnte, wurde man über die Ergebnisse bei den VKSE nur informiert. Das blieb grundsätzlich zunächst Sache der Mitgliedstaaten der beiden großen Militärbündnisse. Diese hielten

2 Vgl. dazu : Kozak, Heinz (Hg.) : Konventionelle Rüstungskontrolle in Europa – Dokumente und Kräftevergleich, Wien 1989 ; HF : Streitkräftevergleich 1989 NATO und Warschau Pakt, in : Truppendienst 4/28 (1989), S. 366 f.; Magenheimer, Heinz : Zur Problematik von Kräftevergleichen : neue Ansätze bei NATO und Warschau Pakt in Europa, in : Österreichische Militärische Zeitschrift 2/27 (1989), S. 148–153 ; Magenheimer, Heinz : Die Verhandlungen über konventionelle Streitkräfte in Europa – die Ausgangspositionen, in : Österreichische Militärische Zeitschrift 3/27 (1989), S. 246–249.

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in diesem Herbst 1989 trotz aller Entwicklungen in Richtung einer Entspannung und Vertiefung des Vertrauens aber nach wie vor groß angelegte Manöver ab. So lief die NATO-Übungsreihe »Autumn Forge 89« zwischen Nordnorwegen und der Türkei mit 16 Teilübungen und mehr als 200 000 beteiligten Soldaten ab, wobei die deutsche Bundeswehr in der Übung »Offenes Visier 89« des I. Korps in Niedersachsen erstmals nach einem neuartigen Übungskonzept vorging, das Phasen einer Stabs-Rahmenübung mit Phasen einer Volltruppenübung verband und die Manöverbelastung der Region und Bevölkerung herabsetzen sollte.3 Auch der Warschauer Pakt führte eine Reihe von Manövern durch, allerdings bereits in deutlich verringertem Umfang, und begann mit der Reduzierung der in den osteuropäischen Mitgliedstaaten dislozierten sowjetischen Divisionen und Geschwader.4 Dem »Durchschneiden« des Eisernen Vorhanges an der Grenze zwischen Österreich und Ungarn und der dadurch symbolisierten Liberalisierung folgten der »Fall« der Berliner Mauer und eine Reihe dynamischer Verhandlungen zwischen »Ost« und »West«. Deren Ergebnis hatte die Schaffung einer »Wirtschafts-, Sozialund Währungsunion« zwischen der Bundesrepublik Deutschland (BRD) und der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) mit 1.Juli 1990 und den Beitritt der DDR zur BRD mit dem 3. Oktober 1990 zur Folge. Diese »Wiedervereinigung« der beiden bisherigen deutschen Staaten und die dabei offenkundig gewordene »schwache« Position der Sowjetunion5 unterstützte die Bestrebungen der bisherigen osteuropäischen Mitgliedstaaten des Warschauer Pakts, eines Großteils der bisherigen Teilrepubliken der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien (SFRJ) und zahlreicher Teilrepubliken der Sowjetunion nach Unabhängigkeit und Änderung der politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse. Die Dynamik dieser Entwicklung zeigte sich in der Auflösung der militärischen Strukturen des WP mit 31. März 1991 und der tatsächlichen Beendigung des WP zum 1. Juli 1991. Nach einem Putschversuch im August 1991 und dem Rücktritt Gorbatschows als Generalsekretär der KPdSU am 24. August 1991 übernahm de facto der am 12. Juli 1991 direkt gewählte

3 Vgl. dazu : Karner, Gerald : Offenes Visier 89, in : Österreichische Militärische Zeitschrift 6/27 (1989), S. 491–497. 4 Vgl. dazu : Magenheimer, Heinz : Truppenabzüge und Streitkräftepotential in Ostmitteleuropa, in : Österreichische Militärische Zeitschrift 4/28 (1990), S. 296–300 ; Magenheimer, Heinz : Verminderung der Luftstreitkräfte in Osteuropa, in : Österreichische Militärische Zeitschrift 5/28 (1990), S. 389–394. 5 Zur Unterdrückung separatistischer Bestrebungen waren im April 1989 sowjetische Truppen in Georgien eingesetzt worden. Im Jänner 1990 marschierten sowjetische Verbände in Aserbaidschan ein, gegen Litauen wurde zunächst eine sowjetische Wirtschaftsblockade verhängt und im Jänner 1991 ebenfalls Truppen eingesetzt. In Lettland erfolgte ein Sturm auf das Innenministerium. Alle diese Interventionsversuche konnten aber den inneren Verfall der UdSSR und das Erstarken der peripheren Kräfte nicht verhindern. Vgl. dazu : Stöver, Bernd : Der Kalte Krieg 1947–1991. Geschichte eines radikalen Zeitalters, München 2007, S. 461.

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Präsident Boris Jelzin die Macht und mit 21. Dezember 1991 wurde die UdSSR aufgelöst.6 Die bisherigen europäischen Teilrepubliken der UdSSR erlangten nunmehr ihre Unabhängigkeit und Eigenständigkeit, die früheren sozialistischen osteuropäischen Mitgliedstaaten des Warschauer Pakts leiteten die drastische Hinwendung zu demokratischen Verhältnissen und die Aufgabe der staatlich gelenkten Wirtschaft ein, und von der SFRJ spalteten sich die Teilrepubliken Slowenien, Kroatien sowie Bosnien-Herzegowina und Mazedonien ab. Bis zum Ende dieser Entwicklung Ende 1991 waren in Europa 13 neue Staaten7 entstanden, und in zahlreichen früher sozialistischen Ländern des WP hatten sich die politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Verhältnisse nachhaltig geändert.8 Für Österreich ergaben sich damit erhebliche politische und militärstrategische Konsequenzen. War man bisher geografisch an der Schnittstelle zwischen den großen Bündnissystemen des Warschauer Pakts und der NATO gelegen, so war mit einem Schlag im Osten der Block des WP weggefallen und im unmittelbaren Umfeld der Abzug der bisherigen Gruppen der sowjetischen Truppen aus Ungarn und der Tschechoslowakei bevorstehend. Gleichzeitig war eine mehrfach zur Grundlage operativer Planungen des Bundesheeres9 genommene potenzielle Bedrohung aus dem »Osten« weggefallen, und die Änderungen in Zentral- und Osteuropa hatten die Grenzen Russlands weit nach Osten zurückgeschoben. Die NATO verblieb somit als dominierende militärisch-politische Organisation in Europa, und die USA verblieben als alleinige »Supermacht« mit globaler militärischer Kapazität. Der Wegfall der potenziellen Bedrohung durch den Warschauer Pakt, der man vonseiten der NATO durch ein System der kollektiven Verteidigung mit entsprechender Stationierung von Verbänden der Luftstreitkräfte sowie Korps und Brigaden aus den USA, Großbritannien, Frankreich, Belgien, den Niederlanden, Dänemark und Kanada in der BRD ein Gegengewicht gegenübergestellt hatte, erforderte eine rasche Neuausrichtung der strategischen Konzeption der NATO, eine Neuordnung des transatlantischen Verhältnisses und eine Neudefinition der Aufgaben der NATO, auch als Grundlage für die Reorganisation der Streitkräfte der Mitgliedstaaten und deren Ausrichtung auf die neuen Herausforderungen.10 Diese hatten sich vor allem seit dem Juni 1991 auf 6 Vgl. dazu : Magenheimer, Heinz : Staatsstreich und August-Revolution in der UdSSR, in : Österreichische Militärische Zeitschrift 6/29 (1991), S. 477–484. 7 Estland, Lettland, Litauen, Weißrussland, Ukraine, Moldawien, Makedonien (FYROM), Slowenien, Kroatien, Bosnien-Herzegowina, Jugoslawien (Serbien und Montenegro), Russland und Transnistrien. Die Slowakei folgte erst ein Jahr später durch Trennung von Tschechien. 8 Vgl. dazu : Stöver : Der Kalte Krieg, S. 438–477. 9 Vgl. dazu : Pleiner, Horst : Die militärische Lage Österreichs und ihre Konsequenzen, in : Österreichische Militärische Zeitschrift 1/36 (1998), S. 9–22 ; Pleiner, Horst : Operative Führung im Bundesheer – ein historischer Abriß, in : Österreichische Militärische Zeitschrift 2/36 (1998), S. 139–150. 10 Vgl. dazu : Freistetter, Franz : Internationaler Bericht, in : Österreichische Militärische Zeitschrift 3/28

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dem Gebiet der früheren SFRJ und schon seit August 1990 in der Region des Persischen Golfes als Folge der militärischen Besetzung Kuwaits durch irakische Truppen ergeben. Aber auch die weitere Entwicklung der inneren Verhältnisse in der Tschechoslowakei sowie zwischen Ungarn und seinen Nachbarstaaten mit ungarischen Minderheiten war nicht eindeutig abschätzbar. Die Republik Österreich hatte bis zu diesem Zeitpunkt keine unmittelbaren Beziehungen mit den Institutionen der NATO (wie man diese übrigens auch nicht mit den Institutionen des WP gehabt hatte), und sowohl die diplomatischen als auch militärischen Kontakte waren auf bilateraler Basis mit den einzelnen Mitgliedstaaten und im Rahmen der UNO-Missionen, wenn auch in unterschiedlicher Intensität wahrgenommen worden. Auch im Bereich der Beschaffung militärischer Rüstungsgüter hatte sich das österreichische Bundesheer gegenüber dem Großteil der NATO-Mitgliedstaaten eher zurückhaltend gezeigt. Die Ausnahme bildeten hier die USA und bis zu einem gewissen Grad auch das nicht voll in die militärischen Strukturen der NATO integrierte Frankreich. Zudem erfolgte der Großteil der militärischen Auslandsbeschaffungen aus der Schweiz und Schweden. Nunmehr aber ergab sich zunehmendes Interesse an der Entwicklung der NATO als Folge der Bemühungen der USA und der NATO eine Stabilisierung der Staaten Osteuropas zu erreichen, die in dieser Region verbliebenen Nuklearwaffen der ehemaligen Sowjetunion unter Kontrolle zu halten, durch ein neues »Strategisches Konzept« die militärischen Zielsetzungen und Aufgaben des Bündnisses neu zu definieren und letztlich des Versuches der USA, gleichsam eine neue Weltordnung zu gestalten, um damit die durch den Wegfall des Kommunismus entstandenen »Lücken« nicht anderen Kräften und »Bewegungen« zu überlassen.11 Als Folge der VKSE und der ersten Truppenreduzierungen bei den sowjetischen Gruppen der Truppen im Vorfeld12 wurde zwischen dem 12. Jänner und 5. Februar 1990 das erste Seminar der KSZE über »Militärstrategie und Doktrinen« in Wien abgehalten. Dazu kamen die Chefs der Generalstäbe aus NATO- und WP-Staaten sowie aus den neutralen und blockfreien Mitgliedern der KSZE und hielten im Sinne der Vertrauensbildung Referate zur Lage aus ihrer Sicht und zur jeweils aktuellen Militärdoktrin. Für Österreich betonte der Generaltruppeninspektor (GTI) General (1990), S. 232–235 ; Freistetter, Franz : Zur Verteidigungsdoktrin der NATO, in : Österreichische Militärische Zeitschrift 5/28 (1990), S. 442 f.; Höfler, Günter : Die neue NATO. Der Eckpfeiler der europäischen Sicherheitsarchitektur, Graz 2000, S. 38–42 ; Sandrisser, Wilhelm : Die Nordatlantische Allianz im Wandel, in : Österreichische Militärische Zeitschrift 2/29 (1991), S. 112–120. 11 Vgl. dazu : Schätz, Alfred : Die sowjetische Militärpolitik im Kalten Krieg und die österreichische dauernde Neutralität, Wien 2008 (Dissertation), S. 228 f. 12 Vgl. dazu : Magenheimer, Heinz : Sowjetunion und Warschau Pakt : Truppenreduzierungen und Rüstungskontrolle, in : Österreichische Militärische Zeitschrift 4/27 (1989), S. 332–334 ; Magenheimer, Heinz : Zur Lage am Ende der 2. VKSE-Session und Stand der Truppenabzüge, in : Österreichische Militärische Zeitschrift 5/27 (1989), S. 422–424.

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Othmar Tauschitz die dem Neutralen auferlegten Verpflichtungen und den defensiven Charakter der Raumverteidigung. Dem waren Mitte Juli 1989 Vorschläge des Zentralsekretärs der SPÖ, Peter Marizzi, und des Vorsitzenden der Sozialistischen Jugend, Alfred Gusenbauer, vorhergegangen, die als Konsequenz aus der sich abzeichnenden Entspannung zwischen Ost und West ein »Bundesheer light« gefordert hatten. Beide wollten u. a. ein Bundesheer ausgerüstet mit leichten Defensivwaffen, jedenfalls ausdrücklich ein nicht NATO-konformes Bundesheer. Vom »grünen« Abg. z. NR Peter Pilz war die Forderung nach einem »Bundesheer-Null« gekommen, und sein Kollege Johannes Voggenhuber forderte zumindest die Auflösung von 80 % des Bundesheeres.13 Die Forderung nach einer umfassenden Reform des Bundesheeres stand während des ganzen Jahres 1990 wenn schon nicht im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses, so doch recht häufig auf der innenpolitischen und medialen Tagesordnung. Allerdings förderten die folgenden Monate eine Reihe von sicherheitspolitischen Aspekten zutage, die letztlich als Vorzeichen dafür angesehen werden mussten, dass der »allgemeine« Friede noch keineswegs ausgebrochen war. Nach der Besetzung von Kuwait im August 1990 durch irakische Truppen hatten die USA ab dem 24. August begonnen, Verbände von Army und Air Force auch aus Europa nach Saudi-Arabien zu verlegen. Die USA ersuchten gleichzeitig die NATO um Unterstützung für den Fall des Ausbruchs von Kämpfen. Da der UNO-Sicherheitsrat in einer Resolution das Vorgehen Saddam Husseins verurteilt und Maßnahmen gegen den Irak gebilligt hatte, wurden für diesen Zweck von Österreich die Überflüge amerikanischer Transport- sowie dafür gecharterter Zivilflugzeuge befristet und unter der Auflage des Verzichtes auf Waffenmitnahme gestattet. Da man zu diesem Zeitpunkt keine militärische Auseinandersetzung erwartete, sah man dies noch nicht als Problem der Neutralität an. Für den Eintritt eines »Neutralitätsfalles« war jedoch mit der Rücknahme der Überfluggenehmigung zu rechnen. Daher wurden im BMLV Überlegungen für eine aktive Luftraumüberwachung durch nach Innsbruck und Salzburg zu verlegende »Draken« und »Saab 105 OE« angestellt. Trotz anhaltender Spannung im Nahen Osten trat jedoch bis Ende 1990 der »Neutralitätsfall« noch nicht ein. Die Transportflüge wurden zwar in der Masse ohne Probleme abgewickelt, aber teilweise hielten sich Transportflugzeuge vom Typ C-5 und C-141 nicht an die Daten der jeweiligen Anmeldungen. Daher erfolgte zum Nachweis dieser Abweichungen sogar ein Abfangeinsatz, bei dem ein US-Transportflugzeug fotografiert und in der Folge auch bei den US-Stellen auf Einhaltung der Vorgaben gedrängt wurde. 13 Vgl. dazu : Mäder, Horst : Bundesheer light und Bundesheer Null, in : Truppendienst 5/28 (1989), S. 449 ; Rumerskirch, Udo : Bundesheer light, in : Österreichische Militärische Zeitschrift 6/27 (1989), S. 511 f.; Rumerskirch, Udo : Die Diskussion um das Bundesheer, in : Österreichische Militärische Zeitschrift 2/28 (1990), S. 140–142, hier S. 140 f.

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Etwa gleichzeitig hatte sich an der Grenze zu Ungarn ein anschwellender »Strom« von illegal grenzüberschreitenden Zivilpersonen entwickelt, zu dessen Beherrschung und Kontrolle die österreichische Bundesregierung am 3. September 1990 den Einsatz von Kräften des Bundesheeres als Assistenz zur Überwachung der Grenze im Burgenland beschloss. Dieser wurde mit rund 1 900 Mann am Folgetag begonnen und entgegen den ersten Vorstellungen im weiteren Verlauf des Herbsts 1990 verlängert.14 Als im November 1990 Truppen einer unter Vorgaben der UNO gebildeten Koalition für die Befreiung Kuwaits im Nahen Osten versammelt wurden, regte der den Verteidigungsminister Österreichs vertretende Außenminister Alois Mock15 die Prüfung der Möglichkeiten der Entsendung eines Sanitätskontingentes des österreichischen Bundesheeres in der Stärke von maximal 200 Personen an. Bei Verfügbarkeit einer derartigen Einheit sollte auf eine erwartete Anforderung vonseiten der UNO an Österreich reagiert werden. Schließlich war auch eine krisenhafte Entwicklung in Jugoslawien nicht auszuschließen, verstärkten sich doch die Bestrebungen einzelner Teilrepubliken zur Erlangung der Unabhängigkeit ebenso wie die Bemühungen der Zentralregierung in Belgrad derartige Abspaltungen möglichst zu verhindern. Schon im Februar 1990 hatte Verteidigungsminister Robert Lichal mit Ministerweisung Nr. 137/90 eine Arbeitsgruppe unter Leitung des Politologen Heinrich Schneider und des Leiters der Generalstabsgruppe A im Bundesministerium für Landesverteidigung (BMLV), Divisionär Ernest König, mit der Analyse des sicherheitspolitischen Umfeldes Österreichs und der Streitkräfteentwicklung beauftragt. Ein Zwischenbericht wurde bereits im April 1990 vorgelegt, ein zweiter Bericht stand im Dezember 1990 dem neuen Verteidigungsminister Werner Fasslabend zur Verfügung. Leitlinie der militärischen Dimension der österreichischen Sicherheitspolitik sollte es demnach sein, »dass das Bundesheer unter Aufwendung der notwendigen und politisch vertretbaren Mittel optimal dazu befähigt wird, seinen Beitrag zu allen in seinem Verantwortungsbereich liegenden Aufgaben im Rahmen staatlicher Sicherheitspolitik zu leisten.«16 Damit war bereits der breite Rahmen vorgezeichnet, 14 Die Assistenz des Bundesheeres zur Grenzüberwachung wurde schließlich auf die Grenze zur Slowakei ausgedehnt und bis zur Erweiterung des »Schengen«-Raumes im Jahre 2008 kontinuierlich fortgesetzt. Danach wurde die Zahl der zur Assistenz eingesetzten Soldaten zwar verringert, ein »beobachtender« Einsatz in der Tiefe zur Stärkung des Sicherheitsgefühls der Bevölkerung wird jedoch bis dato wahrgenommen. 15 Mit der Übernahme der Funktion des zweiten Präsidenten des Nationalrates durch den bisherigen Verteidigungsminister Robert Lichal unmittelbar nach der Wahl zum Nationalrat wurde der bisherige Außenminister Alois Mock mit der Vertretung des BMLV bis zur Bildung einer neuen Bundesregierung betraut. 16 Rumerskirch, Udo : Analyse über Sicherheitspolitisches Umfeld und Streitkräfteentwicklung, in : Österreichische Militärische Zeitschrift 2/29 (1991), S. 158 f., hier S. 158.

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der sich aus der vom europäischen Verbund ableitbaren multinationalen Kooperation und solidarische Mitwirkung ergeben sollte. Die ab Mitte November 1990 erkennbare Verstärkung der »Koalitionstruppen« um den Irak hatte jedoch keine weiteren Rückwirkungen auf den österreichischen Luftraum.17 Am 19. September 1990 hatte Großbritannien die Genehmigung für den Eisenbahntransport einer britischen Brigade mit rund 400 Kettenfahrzeugen aus Deutschland nach Italien beantragt. In der Folge gab es auch den Antrag für den Bahntransport amerikanischer Kräfte aus Süddeutschland nach Italien.18 Am 2. Jänner 1991 genehmigte der Nordatlantikrat der NATO auf Ersuchen der Türkei die Verlegung der Luftelemente der »Allied Command Europe Mobile Force« auf einen Stützpunkt im östlichen Anatolien. Daher wurden in den folgenden Tagen 46 NATO-Kampfflugzeuge der belgischen, italienischen und deutschen Luftstreitkräfte (darunter 18 Alpha-Jets der Bundeswehr) am österreichischen Luftraum vorbei in Richtung Türkei verlegt, wofür die früheren WP-Staaten in der Nachbarschaft Österreichs die Genehmigungen zur Benutzung ihres Luftraumes erteilten. Da die österreichischen Überlegungen zur Entsendung eines Sanitätskontingentes an den Persischen Golf vom Bundesministerium für auswärtige Angelegenheiten (BMA) sowie im BMLV noch weiterge-führt wurden, erfolgte eine Verbindungsaufnahme mit dem amerikanischen Luftattaché in Wien hinsichtlich des Transportes mit US-Flugzeugen. Grundsätzlich fand das Anerbieten positive Aufnahme und hätte innerhalb von drei Tagen realisiert werden können, sofern Österreich die Kosten übernahm. Eine Flugstunde mit C-141 wurde mit rund 5 000 US-Dollar eingestuft, eine Stunde C-130 »Hercules« mit etwa 1 300 US-Dollar. Sollte eine kostenfreie Verlegung erfolgen, war mit einer länger dauernden internen Abklärung in den USA zu rechnen. Aber im Falle eines tatsächlichen Krieges am Persischen Golf, so hieß es, stehe keine US-Kapazität für derartige Verlegungen zur Verfügung. Aber schon am 8. Jänner 1991 gab nach dem Ministerrat Bundeskanzler Franz Vranitzky eine Erklärung ab, wonach vonseiten der Bundesregierung kein Anlass für eine Entsendung eines österreichischen Kontingentes an den Golf gesehen werde. Damit hatte sich diese Frage vorerst geklärt, und der wenige Tage später beginnende multinationale Lufteinsatz gegen die irakischen Truppen beendete weitere Diskussionen.

17 So wurde von der 7. US-Armee in Deutschland das VII. US-Korps mit der 1. und 3. PzDiv, einer PzBrig der 2. PzDiv, dem 2.CavRgt und dem 2. Unterstützungs-Korps nach Saudi-Arabien verlegt. Vgl. dazu : Freistetter, Franz : Die Golfkrise – Die zweite Aufmarschphase – Politik-Diplomatie, in : Österreichische Militärische Zeitschrift 1/29 (1991), S. 55–60 ; Freistetter, Franz : Der Golfkrieg – Operation Desert Storm : Mutter aller Schlachten, Vorgeschichte und zweite Phase, in : Österreichische Militärische Zeitschrift 2/29 (1991), S. 148–157, hier S. 148–153. 18 Steiner, Ludwig : Diplomatie-Politik. Ein Leben für die Einheit Tirols – Ein Leben für Österreich 1972– 2007, Bozen 2008, S. 30.

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Obzwar im Rahmen der mit 17. Jänner 1991 begonnenen Luftoperation »Desert Storm« der Koalitionskräfte gegen Ziele im Irak eine hohe Gesamtdichte der Einsatzflüge erreicht wurde19, blieb der Luftraum des neutralen Österreich ausgespart. Allerdings erfolgte mit 3. Februar 1991 ein weiteres Ersuchen der 7. US-Armee in Deutschland um Bahntransport von 120 Bergepanzern für den Persischen Golf über Tirol nach Italien, das am 5. Februar 1991 auch mit der Begründung bewilligt wurde, diese Bergepanzer seien »eigentlich« kein Kriegsgerät. Der am 12. Februar geführte Zug mit Bergepanzern der 7. US Army musste durch ein starkes Aufgebot der Gendarmerie gesichert werden, da eine »Friedensplattform« eine Blockade der Gleise angekündigt hatte. Insgesamt wurden 103 Bergepanzer in mehreren Zügen über Tirol nach Brindisi verlegt. Die Überflüge und Transporte durch Österreich wurden genehmigt, da man den Konflikt um Kuwait nicht als »Krieg«, sondern als »Polizeiaktion« im Auftrag der UNO eingestuft hatte. Mit der am 24. Februar 1991 beginnenden und nur rund 100 Stunden andauernden Bodenoffensive wurde Kuwait von irakischen Truppen befreit und damit die »heiße« Phase des Irak-Kuwait-Konfliktes beendet.20 Vor dem Landesverteidigungsrat (LV) hatte Bundeskanzler Franz Vranitzky am Tag der Genehmigung des Transports von US-Bergepanzern einen Bericht über »die sicherheits-politische Lage Österreichs« erstattet und darin die aktuellen Entwicklungen in Zentral- und Osteuropa gewürdigt und die österreichischen Intentionen um Schaffung von sicherheitsmehrenden, stabilisierenden, gesamteuropäischen Strukturen betont. Hervorgehoben wurden dabei der Ausbau der Strukturen der KSZE zu einem gesamteuropäischen System der kollektiven Sicherheit, die Intensivierung der Wirksamkeit des in Wien anzusiedelnden Konfliktverhütungszentrums der KSZE im Rahmen der Streitschlichtung, die Bedachtnahme auf die geänderten Bedrohungsformen und der Ausbau der österreichischen Kapazitäten für friedenserhaltende Operationen der UNO und humanitäre Einsätze. Die Gültigkeit des Landesverteidigungs-Planes als Leitlinie für die Umsetzung der Sicherheitspolitik auf der Grundlage der darin angeführten Anlassfälle wurde (noch) nicht infrage gestellt.21 Vertiefend dazu wurde am 25. Juni 1991 der Bericht der Schneider-König-Arbeitsgruppe »Sicherheitspolitisches Umfeld und Streitkräfte – Entwicklung« fertiggestellt und Verteidigungsminister Werner Fasslabend vorgelegt. Darin wurde nach einer Analyse der sicherheitspolitischen Gegebenheiten gefordert, die Mög19 So kam es innerhalb der ersten 20 Stunden zu 1 300 Einsätzen, an denen 752 Flugzeuge beteiligt waren. Bei den Zuführungen aus West- und Mitteleuropa wurde der neutrale österreichische Luftraum ausgespart und über die Tschechoslowakei usw. geflogen. 20 Vgl. dazu : Freistetter, Franz : Die Schlacht der 100 Stunden, in : Österreichische Militärische Zeitschrift 3/29 (1991), S. 243–251 ; Murray, Williamson : Air War in the Persian Gulf, Baltimore 1994, S. 273–303. 21 Bundeskanzleramt (Hg.)/Vranitzky, Franz : Die Sicherheitspolitische Lage Österreichs. Ein Bericht des Herrn Bundeskanzlers vor dem LV-Rat am 5. Februar 1991, Wien 1991.

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lichkeiten des Bundesheeres zur Teilnahme an der Gestaltung der Sicherheit auszubauen. Die Verfügbarkeit, das Einsatzspektrum und die Leistungsfähigkeit von Truppen und Einzelpersonen für friedenserhaltende Operationen im Rahmen der UNO oder in Hinkunft auch im Rahmen einer europäischen Sicherheitsorganisation sollten erhöht werden. Die generelle sicherheitspolitische Entwicklung in Europa wurde von der Arbeitsgruppe in Richtung verstärkter Kooperation und umfassender Auffassung von Sicherheit erwartet. Es wurde als vernünftig bezeichnet, sich bereits zum damaligen Zeitpunkt im Bereich der gesamten Sicherheitsvorsorge auf eine verstärkte Übernahme kooperativer Sicherheitsstrukturen vorzubereiten.22 Während die krisenhafte Entwicklung in den Teilrepubliken Slowenien und Kroatien in der Unabhängigkeitserklärung dieser beiden Teilrepubliken mündete, erteilte der Landesver-teidigungsrat (LV-Rat) am 26. Juni 1991 auf Antrag des BMLV eine Empfehlung zur Änderung der Heeresorganisation an die Bundesregierung. Damit hatte man den Abschied von der früheren Zielsetzung der »Ausbaustufe« von 300 000 Mann und de facto auch den Verfahren der Raumverteidigung vollzogen und sich den neuen Herausforderungen der 1990er-Jahre rasch und zweckmäßig gestellt. Noch während des Einsatzes von Teilen des österreichischen Bundesheeres an der Grenze zu Slowenien als Folge der Kampfhandlungen zwischen Einheiten der Jugoslawischen Volksarmee und Kräften der Territorialarmee Sloweniens im Nahbereich der Grenze zu Österreich beschloss der Ministerrat am 2. Juli 1991 die neue Heeresgliederung. Mit Ende dieses Tages wurde trotz des laufenden Einsatzes die bisherige Sektion III/Armeekommando aufgelöst ; deren Kompetenzen im BMLV wurden dem GTI-Bereich sowie den Sektionen IV und II übertragen. Mit dieser Reorganisation waren die Voraussetzungen für den Übergang von einer friedensmäßigen Ausbildungsorganisation zu einer aus der Friedensorganisation des Bundesheeres erwachsenden Einsatzorganisation geschaffen, wie sie dann in der Heeresgliederung-Neu eingenommen wurde. Für diese Entwicklung wurde in Verhandlungen mit Vertretern der SPÖ eine entsprechende Übereinstimmung gefunden und das Ergebnis in sogenannten »10 Eckpunkten« festgehalten. Der Einsatz von Kräften des Bundesheeres an der Grenze zu Jugoslawien zwischen dem 28. Juni und 31. Juli 1991, der Einsatz der »Draken« zur aktiven Luftraumüberwachung und die mediale Verdeutlichung aktueller Gefährdungssituationen führte in gewissem Sinn zu einem raschen Ende der bis dahin geführten »Reformdiskussion« für das Bundesheer. Grundsätzlich wurde ab diesem Zeitpunkt die Notwendigkeit einer militärischen Komponente nicht bestritten und damit die Grundlage für eine konsequente Entwicklung des Bundesheeres als Instrument zur Bewältigung aktueller Herausforderungen und zur Mitwirkung im Rahmen inter22 Bundesministerium für Landesverteidigung (Hg.)/Schneider, Heinrich/König, Ernest : Sicherheitspolitisches Umfeld und Streitkräfte – Entwicklung, Bericht vom 25. Juni 1991, Wien 1991.

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nationaler Operationen zur Friedenssicherung im Interesse der Sicherheit der Republik Österreich auch außerhalb des eigenen Bundesgebietes geschaffen. Die Entsendung einer österreichischen Infanteriekompanie zu UNIKOM in Kuwait in der Zeit vom 25. April bis 23. Juni 1991, die später durch einen Sanitätszug und ein Logistik-Element ersetzt wurde, sowie eines Feldlazaretts in den südwestlichen Iran in der Zeit vom 7. Mai 1991 bis zum 31. Juli 1991 zeigte neben der routinemäßigen Mitwirkung österreichischer Soldaten an den UNO-Einsätzen auf Zypern und den Golanhöhen die Notwendigkeit rascher Reaktionen auf internationale Hilfsansuchen und einer gesteigerten Flexibilität in der Vorbereitung und Verfügbarkeit dafür geeigneter Einheiten. Gleichzeitig waren aber diese Entwicklungen des Jahres 1991 ein klares Anzeichen für die steigende Bedeutung der NATO im Zusammenhang mit europäischen Sicherheitsfragen sowie dem österreichischen Bestreben um Aufnahme in die EG und damit für das Erfordernis, sich im Sinne der Solidarität und der eigenen Sicherheit auch mit allen mit der NATO im Zusammenhang stehenden Fragen auseinanderzusetzen. Daher behandelte der LV-Rat schon am 13. September 1991 die Umwandlung des Bundesheeres in ein Berufsheer. Während Bundeskanzler Vranitzky eine solche Maßnahme als nicht zur Debatte stehend bezeichnete, blieb Verteidigungsminister Fasslabend bei seiner Auffassung, dass ein Berufsheer im Moment zwar nicht aktuell, aber eben in weiterer Zukunft nicht auszuschließen sei.23 Im zweiten Seminar der KSZE über Militärdoktrinen in Wien im Oktober 1991 sollte Aufschluss geboten werden, in welchem Umfang die Doktrinen, Dispositive, Strukturen und militärischen Aktivitäten bereits an die neuen sicherheitspolitischen Realitäten in Europa angepasst worden bzw. welche Veränderungen noch zu erwarten waren. Die NATO reagierte ihrerseits im November 1991 beim Gipfeltreffen in Rom auf die geänderten Bedingungen und beschloss ein neues »Strategisches Konzept«, das auch Abschnitte über Krisenmanagement und Konfliktprävention enthielt.24 Ein darauf Bezug nehmender Beitrag des Sektionschefs im österreichischen Verteidigungsministerium, Erich Reiter, in dem der Ersatz der Neutralität durch Solidarität angesprochen wurde, führte zu einiger Aufregung, doch war dieser Beitrag in gewissem Sinne im Interesse von Verteidigungsminister Fasslabend und wohl ein »erster Vorstoß« in Richtung der in den folgenden 1990er-Jahren vertretenen Auffassungen.25 Hatte sich doch 23 Rumerskirch, Udo : Landesverteidigungsrat : Berufsheer derzeit nicht aktuell, in : Österreichische Militärische Zeitschrift 6/29 (1991), S. 531. 24 Vgl. dazu : Reiter, Erich/Wehrschütz, Christian F.: NATO-Erweiterung und neues strategisches Konzept der NATO (Informationen zur Sicherheitspolitik 19), Wien 1999. 25 Gemäß freundlicher Mitteilung von Dr. Werner Fasslabend an den Verfasser, 31. März 2009, wurden die zahlreichen öffentlichen Meinungsäußerungen von Sektionschef DDr. Erich Reiter weder »im Auftrag« des damaligen BMLV verfasst noch zwischen Dr. Fasslabend und DDr. Reiter inhaltlich und bezüglich des Zeitpunktes der Veröffentlichung abgestimmt. Allerdings waren dem damaligen BMLV die Darstellungen und Zielsetzungen der Beiträge von DDr. Erich Reiter meist nicht »unangenehm«.

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gleichzeitig Außenminister Mock gegen eine Mitwirkung österreichischer Soldaten in einer Europaarmee und gegen die Teilnahme als Beobachter an der WEU ausgesprochen. Doch dürfte das eher eine Art »Absicherung« gewesen sein, um das vorrangige Ziel des EU-Beitrittes nicht zu gefährden.26 Der Chefredakteur der »Presse«, Andreas Unterberger, bestärkte dies durch die Forderung nach entsprechender Ausrichtung auf die NATO und einer raschen Suche Österreichs nach Sicherheit »im Verbund«.27 Auch der ehemalige Kommandant der LVAk, Gen. i.R. Wilhelm Kuntner, äußerte sich überaus kritisch zum »Findelkind« Neutralität, sah aber auch in der angesprochenen Solidarität eine mögliche Ausrede für den Verzicht auf militärische Anstrengungen in Österreich und hegte berechtigte Zweifel an einer etwaigen Aufnahme eines »schwachen« Österreich in die NATO.28 Die deutlichste Reaktion darauf erfolgte durch Gesandten Thomas Nowotny im April 1992, der für eine Bremsung der Bemühungen um ein Abgehen von der Neutralität und die Nichtbeteiligung Österreichs an Konflikten in Zentraleuropa eintrat. Sicherheitspolitisch und militärisch sollte Österreich nur dann aktiv werden, wenn dies einem breiten Konsens aller Beteiligten entsprechen würde.29 Damit waren die Hauptstränge der folgenden Diskussionen zu dieser Thematik und damit der NATO-Frage vorgezeichnet : Bundeskanzler Vranitzky lehnte eine NATO-Mitgliedschaft und jede Beeinträchtigung durch österreichischen Beitritt zu einem Bündnis entschieden ab.30 Dies wurde auch außerhalb Österreichs und vor allem in Brüssel registriert. Allerdings zeigten Besprechungen Minister Fasslabends mit Vertretern der NATO bei offiziellen Besuchen in Österreich ohnedies, dass die NATO keine Aufnahme neutraler Staaten in Betracht zog. Durch die Einrichtung des NATO-Kooperationsrates am 20. Dezember 1991 war aber eine Plattform für den Dialog und die Kooperation zwischen den NATO-Staaten und den Staaten des ehemaligen Warschauer Pakts sowie den Nachfolgestaaten der UdSSR geschaffen worden, die grundsätzlich auch die Möglichkeit einer Intensivierung des »Verbundes« auch durch neutrale Staaten in sich trug. Durch die folgenden Bestrebungen der osteuropäischen Staaten zur Umgestaltung ihrer Streitkräfte nach demokratischen Prinzipien, zur Einrichtung der zivilen Kontrolle und zur Organisation nach »westlichem« Muster wurden ausgelöst durch den NATO-Kooperationsrat mit einigen Nachbarländern Österreichs auf deren Wunsch vom BMLV und Bundesheer ein intensiver Erfahrungsaustausch und eine umfangreiche Kooperation eingeleitet. Diese hielten die nächsten 26 Mock, Alois : Setzen unsere Linie fort, in : Der Standard, 20. Februar 1992, S. 2. 27 Unterberger, Andreas : Europas Sicherheit heißt NATO, in : Die Presse, 11. März 1992, S. 3. 28 Kuntner, Wilhelm : Die politisch-strategische Lage in Europa, in : Österreichische Militärische Zeitschrift 1/31 (1993), S. 1–6, hier S. 4. 29 Nowotny, Thomas : Plädoyer für eine Politik des Abseitsstehens, in : Europäische Rundschau 4/20 (1992), S. 11–15. 30 Lahodynsky, Othmar: Othmar : The changing face of Austrian neutrality, in: in : NATO Review, Dezember 1992, S. 24–28.

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Jahre hindurch an, solange bis die entsprechenden Staaten mit Nachdruck begannen, eine Mitgliedschaft in der NATO zu betreiben.31 Im Februar 1992 wurde die durch Auflösung der Sektion III/Armeekommando und die Anpassung an neue Herausforderungen bedingte neue Geschäftseinteilung der Zentralstelle des BMLV durch Verteidigungsminister Fasslabend verfügt. Damit wurde im Bereich des GTI eine neue Generalstabsgruppe C gebildet, die mit ihren beiden Abteilungen für Auslandsorientierte Angelegenheiten bzw. Attachéangelegenheiten für die 1990er-Jahre zur Schaltstelle für die Wahrnehmung der internationalen Zusammenarbeit und der damit verbundenen militärpolitischen und diplomatischen Erfordernisse wurde. In der Operationsabteilung der Generalstabsgruppe B des BMLV wurde mit der Einrichtung einer noch etwas improvisierten »Einsatzzentrale/Land« begonnen, die in der Folge ebenso wie die bei der Luftabteilung eingerichtete »Einsatzzentrale/Luft«32 im Rahmen des diensthabenden Systems im konkreten Anlass für die Kooperation mit ausländischen Kräften, die Koordination der Maßnahmen und die Abwicklung der damit verbundenen »Tageserfordernisse« zuständig und als Ansprechstelle eingerichtet, im Rahmen der Geschäftseinteilung aber nicht unumstritten war. Das Kommando für Auslandseinsätze in Wien-Stammersdorf übernahm zunächst die Wahrnehmung der truppendienstlichen, organisatorischen und ausbildungsmäßigen Erfordernisse. Den Abschluss der organisatorischen Anpassung bildete am 22. Dezember 1992 der Beschluss des Ministerrates über die »Heeresgliederung-Neu«, die in der Folge vergleichsweise rasch ab 1. Jänner 1993 im Bundesheer umgesetzt wurde.33 Im August 1992 wurde der bisherige in Paris akkreditierte und »nebenamtlich« auch Belgien und Luxemburg mitbetreuende Militärattaché des Bundesheeres von der Funktion für Frankreich getrennt und in eine hauptamtliche Funktion in Brüssel umgewandelt. Bgdr Richard Bondi wechselte daher nach Brüssel und hatte neben 31 So hatten 1993 Polen, Tschechien, die Slowakei, Ungarn, Rumänien und Bulgarien ihren Wunsch zum Beitritt in die NATO geäußert. Die Kontakte mit dem österreichischen Bundesheer wurden vor allem von Ungarn und der Slowakei gesucht, in abgeschwächterem Umfang von Slowenien und Tschechien. 32 Für die operativ-taktische Abwicklung der Luftraumüberwachung und die Radarleitung der aktiven LRÜEinsätze der Fliegerkräfte war die in St. Johann im Pongau eingerichtete »Einsatzzentrale/Berg« der Fliegerdivision zuständig. Diese konnte im Anlassfall als Führungszentrale der Fliegerdivision dienen und verfügte über geschützte Räumlichkeiten zur Aufnahme des Leitungsstabes des BMLV und der obersten Organe im Rahmen der Umfassenden Landesverteidigung. 33 Dabei wurden 70 Regiments- und Bataillonsstäbe sowie 280 Einheiten der bisherigen Friedens- und Einsatzorganisation aufgelöst. Nunmehr verfügte das Bundesheer in der Friedensorganisation über 3 Korpskommanden mit den erforderlichen Korpstruppen, 9 Militärkommanden mit der Territorialorganisation, 12 Jägerregimenter, 3 Panzergrenadierbrigaden und die Fliegerdivision, zuzüglich die Ämter und Anstalten sowie die Akademien und Waffenschulen. In der Einsatzorganisation wurden aus den 12 Jägerregimentern 12 Jägerbrigaden gebildet. Vgl. dazu : Mayer, Walter : Ministerratsbeschluss zur Heeresgliederung 1992, in : Österreichische Militärische Zeitschrift 6/30 (1992), S. 538 f.

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der Wahrnehmung der Belgien und Luxemburg betreffenden militärischen Angelegenheiten auch – zunächst noch inoffiziell – die Kontakte mit den Institutionen der Westeuropäischen Union (WEU) und der NATO in Brüssel aufzubauen.34 Aber schon kurz danach wurde ein österreichischer Vertreter in die NATO-Arbeitsgruppe für internationale Katastrophenhilfe einbezogen, um österreichische Erfahrungen hinsichtlich Organisation und Ablauf umzusetzen. Sozusagen ein Signal für die Einbringung auf dem Gebiet der allgemeinen und humanitären Hilfe, die dann in der Folge ständig erweitert wurde und nicht auf das BMLV beschränkt blieb. In diese Zeit fiel auch im Mai 1992 die Entscheidung der NATO zur Änderung der Kommandostruktur in Europa. Während AFSOUTH in Neapel mit seiner besonderen Bedeutung für die Region Balkan unverändert blieb, wurde in Zentraleuropa AFCENT, neu gegliedert und an die Stelle von AFNORTH und des Befehlsbereiches Ärmelkanal (AFCHAN) wurde das neue Kommando AFNORTHWEST gesetzt. In Österreich entspann sich nach dem Ersuchen der UNO um Entsendung eines mechanisierten Infanteriebataillons nach Somalia am 14. September 1992 eine intensive Diskussion, die mit einer Ablehnung der Teilnahme endete. Während Außenminister Mock und Verteidigungsminister Fasslabend für eine Mitwirkung an dieser UNO-Operation eintraten, sprach sich Bundeskanzler Vranitzky im LV-Rat dagegen aus. Bundespräsident Thomas Klestil nahm dies zur Kenntnis, warnte aber davor, sich als Land abzumelden, das sich der UNO zur Verfügung stellt.35 Diese Diskussion wies aber auf ein Grundsatzproblem der nächsten Jahre hin, das sich aus der Frage der Mitwirkung an der europäischen Sicherheitsstruktur und multinationalen Operationen sowie der Ausrichtung des Bundesheeres auf diese Aufgaben ergab. Schon bei Beginn der konkreten Beitrittsverhandlungen mit der EU zeigte sich, dass die österreichischen Koalitionsparteien zu der Kernfrage Neutralität verschwommene, jedenfalls unterschiedliche Positionen einnahmen und offensichtlich gemeinschaftlich den Versuch unternahmen, gegenüber Brüssel und den EU-Mitgliedern sich anders darzustellen als in der Koalition und gegenüber der österreichischen Öffentlichkeit.36 Dieser Eindruck konnte während der folgenden Jahre nur teilweise gemildert bzw. beseitigt werden. In den folgenden zwei Jahren zeigten sich bei Außenminister Mock Tendenzen eines Bemühens um Mitgestaltung der WEU und eine 34 Freundliche Mitteilung von Gen. i.R. Richard Bondi an den Verfasser, 19. Februar 2009. 35 Kein Österreichisches Kontingent nach Somalia, in : Österreichische Militärische Zeitschrift 6/30 (1992), S. 539 f.; Mäder, Horst : Somalia-Einsatz. Heer war bereit, in : Truppendienst 6/31 (1992), S. 586–588, hier S. 586. 36 Vgl. dazu : Schneider, Heinrich : Der sicherheitspolitische Optionenbericht der österreichischen Bundesregierung : Ein Dokument das es nicht gibt – und ein Lehrstück politischen Scheiterns, in : Reiter, Erich (Hg.) : Jahrbuch für internationale Sicherheitspolitik 1999, Hamburg/Berlin/Bonn 1999, S. 415–448, hier S. 441 f.

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allfällige Mitgliedschaft in der NATO als neutraler Staat sowie bei Verteidigungsminister Fasslabend darüber hinaus noch verstärkt Auffassungen einer Annäherung und Neudefinition des Verhältnisses zur NATO.37 Grundsätzlich aber blieb die ÖVP in ihren Leitlinien zur Sicherheitspolitik zwar positiv für eine Zusammenarbeit mit der NATO, behielt aber klare Distanz bezüglich eines Beitrittes. Möglicherweise hatte Verteidigungsminister Fasslabend schon die Chancen erkannt, die eine NATO-Mitgliedschaft für Österreichs Sicherheits- und Verteidigungspolitik mit sich hätte bringen können.38 Da man innerhalb der großen Bündnisstrukturen als Kleinstaat aber in erster Linie nicht als operatives Potenzial, sondern als Träger spezieller Erfahrungen und Funktionen wahrgenommen worden wäre, hätte man die militärische Komponente eingebunden in das gesamtstrategische Konzept auch auf diese »Nischenfunktionen« und »Spezialbereiche« ausrichten können39 und hätte vollen Zugang zur restriktiv gehandhabten Hochtechnologie, zu allen relevanten Informationen und vor allem die Mitwirkung in den Entscheidungsprozessen erlangt. Demgegenüber stand nur der Nachteil des Abgehens von einer zum »Mythos« gewordenen Neutralität und von außen- und außenwirtschaftspolitischen Dogmen der 1970er-Jahre, die inzwischen durch die Änderung der Verhältnisse in Osteuropa in der Realität ihre Bedeutung bereits vollständig verloren hatten. Die »neuen« Demokratien Osteuropas strebten bereits in die NATO, und die früher großzügig von Österreich vergebenen Kredite waren weitgehend uneinbringbar geworden. Aber während medial doch positive Aspekte eines Beitrittes zur NATO abgehandelt wurden, blieb bei den Repräsentanten der SPÖ weit stärker noch als in einigen Kreisen der ÖVP der deutliche Vorbehalt gegenüber einem NATO-Beitritt und vor allem gegenüber einem Abgehen von der Neutralität bestehen. Die mit der NATO-Frage letztlich auch verbundene Frage des Überganges auf eine Freiwilligenarmee führte zu einer fast leidenschaftlich geführten internen und medialen Diskussion, die sich mit Unterbrechungen bis in das Jahr 2000 hinzog. Die Beibehaltung der allgemeinen Wehrpflicht wurde – abgesehen von der damit verknüpften und kaum lösbaren Frage des Ersatzes der Zivildienstleistenden in der öffentlichen Wohlfahrt – auf eine wenig innovative und konserva37 Siehe : Lahodynsky : The changing face, S. 25–28 ; Fasslabend, Werner : Sicherheit in Europa, in : Österreichische Militärische Zeitschrift 6/31 (1993), S. 493–501 ; Rumerskirch, Udo : Diskussion über österreichische Neutralität, in : Österreichische Militärische Zeitschrift 1/33 (1995), S. 73. 38 Bei seinem Besuch im NATO-Hauptquartier in Brüssel am 7. Oktober 1993 wurden die Rolle der NATO im Peace-Keeping, die Entwicklung der »neuen« NATO und Konsequenzen aus den Entscheidungen des NATO-Gipfels behandelt. So stand auch eine Behandlung der Frage Österreich und dessen Einbeziehung in die NATO sowie der weiteren Vorgangsweise an. 39 So war etwa Vizekanzler Erhard Busek im April 1993 grundsätzlich nicht gegen einen Übergang auf ein Berufsheer mit Freiwilligkeit, und dieses Thema wurde auch von anderen Repräsentanten der ÖVP weitergedacht. Vgl. dazu : Busek, Erhard : Sicherheitsplan zum Schutz der Bürger Österreichs, enthalten in : Der Sicherheitsaspekt in und für Österreich, in : Truppendienst 4/33 (1994), S. 313 f.

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tiv-emotionale Weise »verteidigt«, obwohl sich in den Überlegungen von SPÖ und ÖVP-Repräsentanten sicher weiterführende und überlegenswerte Ansätze gefunden hätten. Allerdings blieb es in den 1990er-Jahren nur bei Ansätzen einer ernsthaften Diskussion, und es bleibt bei all diesen von starken Auffassungsschwankungen der Beteiligten gekennzeichneten Vorgängen der Verdacht, dass sie allesamt eigentlich nur die »Verbilligung« der Aufwendungen für die Landesverteidigung als Ausgangspunkt gehabt haben dürften. Nur die FPÖ bekannte sich in diesem Zeitraum voll zu einem Berufsheer und einem Beitritt zur NATO.40 Diese erste »Welle« der NATO-Diskussion in Österreich begann deutlich in den Hintergrund zu rücken, als sich eine Art Ausweg durch Bemühungen in Richtung der WEU aufgezeigt hatte und die NATO mit der Gipfelkonferenz vom 10. und 11. Jänner 1994 die Grundsätze der im Rahmen des NATO-Kooperationsrates einzurichtenden »Partnership for Peace« (PfP) präsentiert und eine Einladung an die Nicht-NATO-Staaten Europas zur Beteiligung an dieser PfP ausgesprochen hatte.41 Gleichzeitig überschatteten die sich erfolgreich gestaltenden Verhandlungen zum Beitritt in die EU, die Volksabstimmung zu diesem Thema vom 12. Juni 1994 mit 67 % Zustimmung und der unmittelbare Vorgang des Beitrittes Österreichs zur EU am 1. Jänner 1995 alle anderen sicherheits- und verteidigungspolitischen Aspekte.

Der Konflikt auf dem Gebiet der ehemaligen Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien (SFRJ) 1990–1995 Die erwartbare Entwicklung in der SFRJ nach dem Ableben des Staatspräsidenten Marschall Josip Broz Tito hatte sowohl die österreichische Außenpolitik als auch die militärstrategische und operative Planung im BMLV in den 1980er-Jahren nicht unerheblich beschäftigt und auch zu gewissen Befürchtungen Anlass gegeben.42 Die etwa ab 1987 durch Slobodan Milošević in der SFRJ eingeleitete Nationalisierung Serbiens hatte schon den Konflikt im Kosovo beginnen lassen. Die am 23. Februar 1989 erfolgte Einschränkung der Autonomierechte für die Provinzen Kosovo und 40 FPÖ-Generalsekretär Walter Meischberger in der ORF-Pressestunde am 30. Jänner 1994, auch FPÖWehrsprecher Herbert Scheibner : Vgl. dazu : Rumerskirch, Udo : Berichte zur Wehrpolitik, in : Österreichische Militärische Zeitschrift 2/32 (1994), S. 179–182, hier S. 181 f. 41 Vgl. dazu : Karner, Gerald : NATO – Das Gipfeltreffen vom 10. und 11. Jänner 1994, in : Österreichische Militärische Zeitschrift 2/32 (1994), S. 209 f. 42 So hatte die Frage Jugoslawien in der Konzeption der Raumverteidigung zur Festlegung des – teilweise umstrittenen – »Räumlich begrenzten Abwehrkampfes« geführt, der sozusagen in Grenznähe und nach den Prinzipien konventioneller militärischer Sicherung, Überwachung und Verteidigung nur für den Fall einer krisenhaften Entwicklung mit der SFRJ vorgesehen war.

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Vojvodina durch das serbische Parlament und deren Zuordnung als integrale Teile Serbiens sowie die nationalistisch-serbische Demonstration zum 600-jährigen Gedenken der verlorenen Schlacht auf dem Amselfeld am 15. Juni 1989 hatten im Kosovo gewaltsame Auseinandersetzungen und eine Eskalation zur Folge. Unter dem Eindruck zunehmender Differenzen mit Belgrad beschloss die Teilrepublik Slowenien im September 1990 eine Änderung der Verfassung mit Festlegung des Rechtes auf Eigenständigkeit und Sezession. Daraufhin folgte auch die Teilrepublik Kroatien mit Forderungen nach mehr Autonomie. Beide Regionen bekundeten schließlich ihre Absicht, mit 26. Juni 1991 die Unabhängigkeit auszurufen. Die österreichische Außenpolitik bemühte sich nachdrücklich um eine »Beruhigung« des Verhältnisses zu Belgrad, und es durften vom Bundesheer keine »nach außen sichtbaren« Vorbereitungen in Richtung der SFRJ getroffen werden. Nach der Ausrufung der Unabhängigkeit durch Slowenien und Kroatien am 25. Juni 1991 führte der Versuch der Truppenteile der Jugoslawischen Volksarmee (JVA) in diesen Regionen, die Abtrennung von Serbien zu verhindern und vor allem die Grenzkontrollen und damit die Zolleinheit Jugoslawiens zu erhalten, zu Kämpfen im Grenzgebiet zu Österreich zwischen dem 27. Juni und 3. Juli 1991. Daraufhin wurden ab dem 28. Juni 1991 Teile des Bundesheeres auf Anordnung des Einsatzes durch Verteidigungsminister Fasslabend gem. WG § 2 Abs 1 lit. a zum Schutz der Grenzen an der 330 km langen Grenze zu Slowenien sowie des Luftraumes eingesetzt. Auf Vermittlung der EG wurden am 8. Juli 1991 auf der Insel Brioni ein Waffenstillstand zwischen den Konfliktparteien und ein Abzug der Einheiten der JVA aus Slowenien bis zum 28. Oktober 1991 vereinbart. Der Einsatz der Kräfte des Bundesheeres an der Grenze zu Slowenien wurde mit 31. Juli 1991 beendet. Nach dem Abkommen von Brioni kritisierte Jugoslawien die österreichische Haltung als Einmischung in interne Angelegenheiten und Unterstützung des Separatismus mit Waffenlieferungen. Österreich wies das zurück, aber die Spannungen zwischen Wien und Belgrad waren vorhanden.43 Die Eskalation war vorgegeben. Mit der Überwachung des Embargos in der Adria wurde die Frage der Überflüge Österreichs durch NATO-Frühwarnflugzeuge (AWACS)44 und die Einrichtung einer Flugverbotszone über Teilen der ehemaligen SFRJ und deren Überwachung durch NATO-Flugzeuge Anfang Juli 1992 konkret. Erste Transitflüge am 13. und 17. Juli 1992 nach Italien wurden genehmigt, ab dem 10. Dezember 1992 dann auch die regelmäßigen Überflüge der NATO-AWACS von Deutschland nach Ungarn und zurück im Rahmen der Operation »Sky Monitor«. 43 Hölzl, Hadmar : Der Zerfallsprozess Jugoslawiens 1990–1995. Internationales und österreichisches Krisenmanagement im Vergleich, Wien 2007 (Diplomarbeit), S. 97. 44 Vgl. dazu : Zabkar, Anton : Das Adria Embargo, in : Österreichische Militärische Zeitschrift 3/31 (1993), S. 236–241, hier S. 239 f.

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Gegen Ende des Jahres 1992 hatten die Gräueltaten und Kämpfe vor allem auf dem Gebiet von Bosnien-Herzegowina eine intensive Einbeziehung der NATO in die Überlegungen und Maßnahmen der UNO zur Folge.45 Die NATO ihrerseits betonte, nur auf Ersuchen der UNO aktiv werden zu wollen, wobei zwischen den Mitgliedstaaten der NATO auch erhebliche Auffassungsunterschiede z. B. hinsichtlich einer Intervention von Bodentruppen oder der Aufhebung des Waffenembargos für Bosnien bestanden. In diesem Zeitraum gab es auf Anregung von NATO-Dienststellen auch Gespräche im Zusammenhang mit dem UNO-Einsatz über eine etwaige Einbindung des Luftlagebildes über Jugoslawien von der österreichischen militärischen Luftraumüberwachung »Goldhaube« in das UNO-NATO-System. Allerdings standen einer derartigen »Übertragung« technische Gegebenheiten entgegen.46 Auch die Ergebnisse der AWACS-Flüge über Ungarn konnten weder »eingespielt« werden, noch standen sie den österreichischen Dienststellen nachträglich zur Verfügung.47 Aber »informell« wurde – offenbar im Wege der WEU – eine verstärkte Aufklärung und Überwachung der Entwicklungen im »Südostraum« durch Österreich angeregt, um das internationale und UNO-Lagebild zu verdichten. Ab 7. April 1993 begann die NATO auch mit der Verlegung von Flugzeugen nach Italien zur Überwachung und Durchsetzung der Flugverbotszone über BosnienHerzegowina.48 Auch in Österreich bestanden unterschiedliche Auffassungen zu Lösungsansätzen für die Krisenregion Südosteuropa. So hatte sich z. B. Außenminister Mock bezüglich der Ergebnisse internationaler Konferenzen skeptisch gezeigt und schon frühzeitig eine offensive militärische Haltung zur Durchsetzung des Peacemaking gefordert.49 Bundeskanzler Vranitzky stellte aber fest, es sei nicht sehr glaubwürdig, eine Intervention zu fordern und selbst nicht mitzumachen. Für Österreich kam es nach Ansicht Vranitzkys aber aus vielerlei Gründen nicht in Frage, sich an militä-

45 Vgl. dazu : NATO-Struktur, Aufgaben, Erklärungen, in : Österreichische Militärische Zeitschrift 5/30 (1992), S. 471–473 ; Gustenau, Gustav : Zur Neuordnung des südslawischen Raumes, in : Österreichische Militärische Zeitschrift 6/30 (1992), S. 490–495, hier S. 491 f. 46 Diese Anregung erging vom Kommando UNPROFOR in Zagreb im März 1993 und musste am 5. April 1993 als technisch undurchführbar zurückgewiesen werden. 47 Freundliche Mitteilung von Gen. i.R. Mag. Alfred Schätz an den Verfasser, 10. Februar 2009. 48 Die Flugzeuge wurden in Aviano, Villafranca, Cervia, Istrana, Gioia di Colle und Ghedi sowie von USund französischen Flugzeugträgern aus eingesetzt. Die USA, Italien, Frankreich, die Niederlande, Großbritannien und die Türkei hatten neben den NATO-AWACS Flugzeuge im Rahmen der 5. Alliierten Taktischen Luftflotte unter dem Oberbefehl von CINCSOUTH in Neapel beigestellt. Vgl. dazu : Gustenau, Gustav : Zur Neuordnung des südslawischen Raumes, in : Österreichische Militärische Zeitschrift 4/31 (1993), S. 314–322, hier S. 316–318 ; Gustenau, Gustav : Zur Neuordnung des südslawischen Raumes, in : Österreichische Militärische Zeitschrift 5/31 (1993), S. 436–441. 49 Interview des BMA Dr. Mock, in : Profil, 6. Juli 1992, S. 47.

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rischen Einsätzen im ehemaligen Jugoslawien zu beteiligen.50 Grundsätzlich zeigte aber der Konflikt im ehemaligen Jugoslawien deutlich, wo die Grenzen gewaltloser internationaler Bemühungen lagen, und diese Erkenntnis wurde vor allem von Verteidigungsminister Fasslabend immer wieder bemüht.51 Die Regelung von Territorialfragen und die Festlegung dauerhafter Grenzen erwiesen sich als äußerst schwierig. Somit verblieb nur eine durchsetzungsfähige, internationale Handhabung von außen, damit also durch die NATO. Am 29. September 1993 billigte der NATO-Rat dann auch eine vorläufige Einsatzplanung für rund 50 000 Mann, die nach Einigung der Konfliktparteien den Frieden unter NATO-Kommando in Bosnien-Herzegowina sichern sollten.52 Damit stellte sich auch für Österreich die Frage nach den Auswirkungen dieser Entwicklung und dem Verhalten gegenüber den erwartbaren »Anforderungen« eines möglicherweise auch gewaltsamen, wenn auch unter UNO-Mandat stehenden NATO-geführten, militärischen Einsatzes. Ein ab dem 27. September 1993 anlaufender Transit des »nordischen« UNO-Bataillons über Österreich nach Bosnien bzw. Mazedonien war damit sozusagen ein erster »Ansatz« der erwartbaren Anforderungen an die Kommunikation und den »Host Nation Support« in Österreich. Über die Kontakte in Brüssel zum NATO-Hauptquartier hatte das BMLV schon Anfang Mai 1993 Informationen über verschiedene Planungsvarianten für den Einsatz von bis zu 70 000 Mann erhalten, die auch einen teilweisen Aufmarsch über Österreich nach Ungarn vorsahen. Ab dem 7. Oktober 1993 verdichteten sich dann die Kontakte im Hinblick auf die konkrete Durchführung bzw. Ablehnung durch Österreich. Im NATO-Hauptquartier wurde Botschafter Erich Hochleitner gemeinsam mit dem österreichischen Militärdelegierten über die Beurteilung der Lage auf dem Balkan und die Intentionen der NATO für einen militärisch gesicherten Friedensplan für Bosnien-Herzegowina informiert. Demnach war die Führung durch CINCSOUTH53 vorgesehen und auch eine Beteiligung von Nicht-NATO-Kontingenten beabsichtigt. Die konkreten Varianten der Einsatzplanung wurden zur Verfügung gestellt und für die an sich genehmigten Überflüge der AWACS über Österreich um mehr Flexibilität in der Handhabung durch Österreich ersucht. Schließlich brachte die US Air Force am 28. Oktober 1993 das Ersuchen um Genehmigung von Überflügen amerikanischer F-16 mit Übungsmunition von Aviano in Italien zur Ausbildung in Süddeutschland ein. Grundsätzlich stimmte Ös50 Interview mit BK Dr. Vranitzky, in : Süddeutsche Zeitung, 19. März 1993, S. 3. 51 Freundliche Mitteilung von Präs a.D. Dr. Werner Fasslabend an den Verfasser, 31. März 2009. 52 Vgl. dazu : Freistetter, Franz : NATO-Zukunftsfragen, Beitrittswünsche, Bosnien-Einsatz, in : Österreichische Militärische Zeitschrift 6/31 (1993), S. 593 ; Gustenau, Gustav : Die Neuordnung des südslawischen Raumes, in : Österreichische Militärische Zeitschrift 6/31 (1993), S. 549–554 ; Gustenau, Gustav : Die Neuordnung des südslawischen Raumes, in : Österreichische Militärische Zeitschrift 1/32 (1994), S. 61–64. 53 Hauptquartier für den NATO-Bereich Südeuropa (einschließlich gesamtes Mittelmeer) in Neapel.

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terreich in der weiteren Folge jenen Maßnahmen zu, die direkt im Zusammenhang mit der UNO-Operation in Bosnien-Herzegowina gesehen werden konnten. Das galt sowohl für die AWACS-Regelungen, die F-16-Ausbildungsflüge als auch einen Transit von Truppen über Österreich nach Ungarn, Slowenien oder Italien. Das NATO-Ultimatum am 9. Februar 1994 an die bosnischen Serben hinsichtlich des Abzugs aller schweren Waffen aus einer 20-km-Zone um Sarajevo und die damit verbundenen Androhungen von NATO-Luftangriffen lösten im BMLV Vorbereitungen hinsichtlich etwaiger Konsequenzen für Österreich durch Weisungen für die Erhöhung der Einsatzbereitschaft der Luftraumüberwachung und Einteilung eines fernmündlich erreichbaren Generalstabsoffiziers sowie Beratungen zwischen den betroffenen Ressorts zu Fragen der Überflugs- und Transitgenehmigung54 aus. Mit 21. Februar 1994 war aufgrund der Lageentwicklung in Bosnien zunächst geklärt, dass eine Aktivierung der vorbereiteten Maßnahmen im Bundesheer (noch) nicht erforderlich war und sich die NATO-Luftangriffe auf die Unterstützung von UNPROFOR beschränkt hatten. Allerdings kam es unter dem Eindruck einer sich abzeichnenden Herausforderung für das Bundesheer hinsichtlich einer Beteiligung an einer – wie immer gearteten – multinationalen Operation zur Friedenssicherung in Südosteuropa am 25. März 1994 beschleunigt zur Bestellung von 68 Radpanzern des Typs »Pandur« für die in Aufstellung befindlichen »Vorbereiteten Einheiten«. Somit hatte sich im Verlauf der ersten Hälfte des Jahres 1994 eine gewisse Routine in der alltäglichen Abwicklung von NATO-Maßnahmen in Südosteuropa für die Österreich unmittelbar betreffenden Angelegenheiten entwickelt und gleichzeitig abzuzeichnen begonnen, dass mit dem Beitritt zur EU und der beabsichtigten aktiveren Mitgestaltung in europäischen Sicherheitsfragen auch Österreich einen Beitrag einzubringen haben werde. Man begann sich beschleunigt darauf vorzubereiten und Initiativen anzudenken, die dann in weiterer Folge etwa in Form der Zentraleuropäischen Kooperation (CENCOOP) oder der Mitwirkung an der UNO-Brigade SHIRBRIG sowie der österreichischen Beteiligung an der Implementation Force (IFOR) in Bosnien ihren Niederschlag fanden. Bis zum Ende des Jahres 1994 waren auf der Eisenbahn und den Straßen über Österreich rund 1 200 Transporte für Truppen im Zusammenhang mit dem UNO-Einsatz in Kroatien und Bosnien-Herzegowina sowie Mazedonien unter Begleitung durch das Gendarmerie-Einsatzkommando bzw. die Militärstreife mit mehr als 3 400 Übernachtungen in Österreich sowie fast 3 000 Überflüge von militärischen Luftfahrzeugen erfolgt. Darin zeigt sich die Dimension der Zusammenarbeit und Unterstützung, die von Österreich eingebracht wurde.

54 Dabei wurde z.B. der Überflug niederländischer C-130 nach Italien genehmigt, die an der Zuführung von Munition für die unter UNO-Mandat heranstehende Luftoperation beteiligt waren.

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Österreich und die Westeuropäische Union (WEU) Ein Versuch auf dem Nebengeleise Die WEU mit Sitz in London verstand sich 1990 unter ihrem Generalsekretär Willem Van Eekelen als Brücke zwischen der NATO und den Mitgliedstaaten der EU für sicherheits- und verteidigungspolitische Anliegen. Sie war damit in gewissem Sinne eine Art »Bindeglied«55 und wurde, obwohl eine eigenständige Organisation mit zunächst geringem Grad an Strukturierung, trotz ihres langen »Schattendaseins« doch auch als integraler Bestandteil der EG betrachtet. Für einige politische Repräsentanten Österreichs rückte somit auch die WEU nach dem Beitrittsansuchen zur EG zunehmend in das Interesse, da sich damit letztlich eine Art »Begleitschiene« für den Fall unüberwindlicher Probleme hinsichtlich einer Mitgliedschaft in der NATO oder der Beibehaltung der Neutralität anzubieten schien. Die WEU56 sollte nicht nur die Brückenfunktion zwischen der EG und der NATO wahrnehmen, sondern auch zu einem institutionellen Kern für die von der EG bzw. EU angestrebte Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) werden. Besonders Frankreich und Deutschland setzten sich für diese Ausrichtung der WEU ein ; die Niederlande und Großbritannien hatten Bedenken wegen einer etwaigen Aushöhlung der NATO. Auch die USA lehnten konsequenterweise eine solche Entwicklung ab. Eindeutig war jedoch für alle WEU-Staaten, dass eine Verdoppelung bereits vorhandener Strukturen nachhaltig zu vermeiden war. Grundsätzlich waren aber für jeden Beitrittskandidaten zur EG auch die Beobachtung im Rahmen der WEU und Kontakte zu dieser erforderlich und sinnvoll. Damit ergab sich aber auch zwangsläufig eine gewisse »Schiene« zur NATO und für Österreich damit die Frage nach der Vereinbarkeit der Neutralität mit den Zielvorstellungen eines Beitrittes zur EU und der Akzeptanz einer GASP und einer solidarischen, aktiven Mitwirkung in dieser.57 Daraus entwickelte sich eine in den nächsten Jahren bis zum Beitritt in die EU am 1. Jänner 1995 vielschichtig geführte Diskussion über Wert und Unwert der österreichischen Neutralität sowie deren inhaltliche Dimension, in der sich die der FPÖ und ÖVP nahe stehenden Befürworter eines »Abrückens« von der Neutralität, die vorwiegend aus dem Bereich der Wissenschaft kommenden Vertreter der »Interpretation« der als inhaltlich de facto bereits als »ausgehöhlt« angesehenen Neutralität sowie die vorwiegend der SPÖ und den Grünen zuzurechnenden Repräsentanten 55 Westeuropäische Union, in : NATO-Office of Information and Press (Hg.) : NATO-Handbuch, Brüssel 2001, S. 407–412. 56 Mitglieder waren zu diesem Zeitpunkt alle Staaten der EG, ausgenommen Dänemark, Griechenland und Irland. 57 So hatte am 29. Jänner 1991 Univ.-Prof. Karl Zemanek einen Vortrag zu diesem Thema gehalten. Vgl. dazu : Korkisch, Friedrich : Österreich und die Neutralität, in : Österreichische Militärische Zeitschrift 4/29 (1991), S. 299.

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einer nachdrücklichen Betonung am Festhalten an der militärischen Neutralität als Garant der Sicherheit gegenüberstanden. Damit wurde der Boden für die spätere Beitrittsdiskussion zur NATO in Österreich aufbereitet und die Bandbreite der Positionierung auch im Hinblick auf die WEU aufgezeigt. Da sich die WEU durch die sogenannte »Petersberger Erklärung« vom 19. Juni 1992 eine Vorgabe für ihre sicherheitspolitischen Aktivitäten und damit eine aktivere Rolle gegeben hatte, eröffnete sich damit auch ein »Fenster« für den Versuch einer »selektiven Mitwirkung« und Einbindung in eine, wenn auch indirekt mit der NATO verknüpfte, europäische Verteidigungsstruktur. Allerdings war die Beistandsverpflichtung im Artikel V. des Brüsseler Vertrages der WEU kategorischer formuliert als die entsprechende Passage im NATO-Vertrag, und es waren weder von der WEU die Aufnahme »neutraler« Mitglieder58 noch von Österreich ein so weitgehendes Abgehen von der Neutralität zu erwarten. Gemäß der »Petersberger Aufgaben« waren Einsätze militärischer Kräfte der WEU-Mitgliedstaaten nach Entscheidung des Einzelmitgliedes im Einzelfall für humanitäre Aufgaben, Such- und Rettungsmaßnahmen, friedenserhaltende Aufgaben und Kampfeinsätze zur Krisenbewältigung einschließlich von Maßnahmen zur Herbeiführung des Friedens auch außerhalb des Bündnisgebietes möglich. Als erste Folge dieser Entscheidung wurde noch 1992 der Sitz der WEU nach Brüssel verlegt und dort ein Planungsstab eingerichtet, und die Mitgliedstaaten erklärten sich bereit, Truppen für Einsätze im Anlassfall zur Verfügung zu stellen.59 Auch wenn der Generaltruppeninspektor Gen. Majcen zunächst die Bedeutung der WEU und dieser »Aufgaben« als gering einstufte60, zeigte sich dann in der Folge doch steigendes österreichisches Interesse. So schlug etwa Außenminister Mock im Oktober 1992 das Bemühen um Beobachterstatus bei der WEU vor, und auch Verteidigungsminister Fasslabend forderte mehrmals ein Mitgestalten der WEU durch Österreich.61 Die österreichische Beobachtungsgruppe in Brüssel wurde in weiterer Folge zu einer »Militärmission« ausgebaut und personell verstärkt und hatte in diesen Jahren eine starke Ausrichtung auf die WEU.

58 Beim Besuch des belgischen Generalstabschefs in Österreich betonte dieser am 18. März 1991, die NATO werde keine Neutralen aufnehmen, aber der Weg in die EG und WEU stünde Österreich wohl offen. 59 Neuhold, Hanspeter : Optionen österreichischer Sicherheitspolitik, in : Österreichische Militärische Zeitschrift 4/35 (1997), S. 387–405, hier S. 399 ; König, Ewald : WEU ist künftig auch bereit für Kampfeinsätze, in : Die Presse, 20. Juni 1992, S. 1 f. 60 Majcen, Karl : Europa – Sicherheitspolitik – Bundesheer, in : Truppendienst 3/32 (1993), S. 203 f. 61 In einem Vortrag im Liberalen Club am 17. November 1992 verwies BM Dr. Fasslabend auf die Bemühungen um einen Beitritt zur WEU und sah Österreich im Jahre 1998 als Mitglied derselben. Vgl. dazu : Fasslabend, Werner : Neue sicherheitspolitische Perspektiven für Österreich, in : Europa-Info 11/3 (1994), S. 5 ; Berichte zur Wehrpolitik, in : Österreichische Militärische Zeitschrift 2/31 (1993), S. 150 f.; auch in seiner Rede vom 3. Dezember 1992 in Paris vor der Parlamentarischen Versammlung sowie bei der Dreikönigstagung der ÖVP am 6. Jänner 1993 forderte BM Dr. Fasslabend den Beitritt zur WEU.

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Aus Sicht der Militärmission schien auch die SPÖ anfangs einer Annäherung an die WEU nicht abgeneigt gegenüberzustehen, doch dürfte das aktive »Vorantreiben« dieses Aspektes durch Repräsentanten der ÖVP einen »dämpfenden« Effekt nach sich gezogen haben. Die Entscheidung der WEU vom 10. Juli 1992 zur Mitwirkung an der Überwachung des Embargos gegenüber Jugoslawien in der Adria und auf der Donau sowie eine weitere zur Beteiligung an der Minenräumung im Persischen Golf hatte keine Auswirkungen in und für Österreich. Die WEU-Beteiligung an diesen Aktivitäten war de facto ja ein Beitrag einzelner Staaten unter Oberhoheit der NATO, wobei die WEU nur eine Art Koordinationsgremium darstellte. Obwohl in einem Beschluss des österreichischen Ministerrates im Jahre 1993 die Zielvorgaben und der Rahmen für zukünftige Beteiligungen Österreichs nur an Operationen der UNO festgeschrieben wurden, bildete dieser dennoch die Grundlage für die organisatorischen und strukturellen Maßnahmen zur Schaffung »Vorbereiteter Einheiten« (VOREIN) für internationale Einsätze, die dann doch den Kernbereich der Aufstellung österreichischer Kontingente für Einsätze auch im Rahmen anderer Institutionen bildeten. Schon im Herbst 1992 hatte Minister Fasslabend aufgrund der Erfahrung mit den geringen Möglichkeiten der europäischen Staaten zur Handhabung der Krise in Jugoslawien innerhalb seines Ressorts nach einem Konzept für die Zusammenarbeit mit der WEU gefragt. Da ein solches im BMLV (noch) nicht vorhanden war, wurde im Dezember 1992 im BMLV eine Prüfung der Optionen zur Mitwirkung von Kontingenten des Bundesheeres im Rahmen der WEU vorgenommen.62 Im Jahre 1993 erfolgte, vorbereitet von der österreichischen Botschaft in Brüssel und der Militärmission, eine verstärkte Kontaktnahme mit den Institutionen der WEU in Brüssel. Von österreichischer Seite wurde auf den Wunsch nach Beobachterstatus in der WEU hingewiesen und monatliche Gespräche auf Botschafterebene mit dem WEU-Generalsekretariat angeregt. Diese sollten nur als informeller Informationsaustausch verstanden werden. Von Verteidigungsminister Fasslabend wurde schließlich ein Vorschlag für die Einrichtung eines militärischen Verbindungsbüros zu NATO und WEU in Brüssel eingebracht. Schließlich legte der Vorsitzende des Politischen Ausschusses der Parlamentarischen Versammlung der WEU bei einem Besuch in Wien im März 1994 Österreich nach dem EU-Beitritt auch den Beitritt zur WEU nahe. Dabei wurde auch eine für Österreich allenfalls akzeptable Vision einer WEU-geführten »Eingreiftruppe« angesprochen.63 All dies unterstreicht die Vielschichtigkeit und auch Unsicherheiten in der Behandlung dieser ja auch indirekt mit NATO-Bezug verbundenen Frage. Eine klare und damit richtungsweisende 62 Freundliche Mitteilung von Präs. a.D. Dr. Werner Fasslabend an den Verfasser, 31. März 2009. 63 Rumerskirch, Udo : Diskussion über das Verhältnis zur WEU, in : Österreichische Militärische Zeitschrift 3/32 (1994), S. 288 f.

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Aussage in der Neutralitätsfrage unterblieb, auch wenn Bundeskanzler Vranitzky für die SPÖ im Grundsatz stets klar an dem Prinzip der Neutralität festhielt. Damit waren aber auch schon die Grenzen der »Entwicklungsmöglichkeiten« derartiger Beziehungen vorgezeichnet. Auch hielt sich die WEU gegenüber einem vorzeitigen Beobachterstatus für Österreich nach einer derartigen Anregung durch Fasslabend im Sommer 1994 im Lichte des herannahenden Beitritts Österreichs zur EU eher distanziert. Ein Hinweis auf die WEU im zu diesem Zeitpunkt erarbeiteten Parteiprogramm der ÖVP war als Synonym für die NATO zu verstehen. Aber gerade Verteidigungsminister Fasslabend bemühte sich intensiv um eine stärkere Betonung der WEU und deren Funktion als europäische Plattform für die Entwicklung der sicherheitspolitischen Ambitionen der EU.64 Mit dem Beitritt Österreichs zur EU am 1. Jänner 1995 erhielt Österreich auch den Status als Beobachter in der WEU. Die im Artikel 23 f des B-VG eingebrachte Absicherung der Teilnahme Österreichs an wirtschaftlichen Sanktionen im Rahmen der EU hätte grundsätzlich indirekt die Möglichkeit eröffnen können, an WEUMaßnahmen (etwa auf der Donau) mitzuwirken. Auch wenn österreichische Vertreter bereits am 25. Jänner 1995 erstmals an Beratungen der »Defence Representative Group« der WEU und am 21. Februar 1995 an der WEU-Arbeitsgruppe für Balkanfragen teilnahmen, so zeigte sich eindeutig, dass ohne Mitgliedschaft in der NATO auch die »Schiene« der WEU nicht zu einer Integration eines neutralen Österreichs in ein europäisches Verteidigungs- und Sicherheitssystem führen konnte. Da gleichzeitig auch die Teilnahme an der PfP konkretisiert wurde und in der Folge sich die Schwergewichte in Richtung dieser Kooperationsmöglichkeit verschoben, rückte die durch die Working Groups auch eine erhebliche Arbeitsbelastung für die Vertretung in Brüssel darstellende WEU zunehmend an den Rand des Interesses. Daran änderte auch die Auffassung Verteidigungsminister Fasslabends grundsätzlich nichts, der eine volle Mitgliedschaft Österreichs in der WEU bereits bei der Regierungskonferenz 1996 gefordert hatte.65 Immerhin besagte auch das Ende 1994 von der Bundesregierung veröffentlichte Weißbuch zur Europa-Dimension Österreichs, »dass Österreich an einem sich im Zuge der Regierungskonferenz 1996 ergebenden europäischen Sicherheitssystem, das sich aus der WEU entwickeln kann, als vollberechtigtes Mitglied teilnehmen wird«.66 Auch wenn die Parlamentarische Versammlung der WEU im Dezember 1995 eine zu rasche Integration der WEU in

64 Freundliche Mitteilung von Präs. a.D. Dr. Werner Fasslabend an den Verfasser, 31. März 2009. 65 Rumerskirch, Udo : Sicherheitspolitische Perspektiven Österreichs, in : Österreichische Militärische Zeitschrift 2/33 (1995), S. 191. 66 Reiter, Erich : Zur Entwicklung der europäisch-atlantischen Sicherheitssysteme : EU-Erweiterung um Neutrale – Hemmnis der Entwicklung einer europäischen Verteidigungsidentität, in : Österreichische Militärische Zeitschrift 6/33 (1995), S. 612.

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die EU mehrheitlich abgelehnt hatte, betonte dieses beratende Gremium jedoch die Beschränkung der WEU auf eine kleine Organisation. Österreich nahm ab Beginn 1995 regelmäßig an den Ministerkonferenzen der WEU und den Treffen der Generalstabs- und Verteidigungschefs teil, beteiligte sich aber militärisch nicht an Aktivitäten der WEU und beschränkte sich auf die zivile Mitwirkung an der Verwaltung von Mostar. In dem Koalitionsabkommen der »erneuerten« Koalition zwischen SPÖ und ÖVP vom 11. März 1996 wurde eine Prüfung der zukünftigen sicherheitspolitischen Optionen vorgesehen und dabei als einzige der verschiedenen Möglichkeiten die Prüfung einer Vollmitgliedschaft in der WEU angesprochen. Dabei wäre doch anzunehmen gewesen, dass im Lichte der bisherigen Aussagen der Verantwortlichen in und für die WEU ein solcher Beitritt eines Nicht-NATO-Mitgliedes keine realistische Option darstellen konnte. Der Eindruck einer gewissen »Spiegelfechterei« und der Handhabung für die eher uninformierte »Öffentlichkeit« oder zur »Beruhigung« verschiedener Gruppierungen bleibt dazu jedenfalls bestehen. Auch wenn Verteidigungsminister Fasslabend am 28. Februar 1996 in einer Anfragebeantwortung im Parlament erklärt hatte, der Vollbeitritt zur WEU sei sein wesentliches sicherheitspolitisches Ziel und die WEU habe Vorrang67, brachte der Stellvertretende politische Direktor des Außenministeriums, Gesandter Dr. Thomas Mayr-Harting, im Rahmen des Europäischen Forums Alpbach 1996 die außenpolitische Skepsis gegenüber der WEU klar zum Ausdruck.68 Schließlich hatte auch der EU-Außenkommissar Hans van den Broek anlässlich einer Tagung in Bonn Mitte Februar 1997 betont, dass eine WEU-Mitgliedschaft ohne Zugehörigkeit zur NATO nicht möglich sei. Österreich suchte ab diesem Zeitpunkt nicht mehr nach einer aktiven Rolle im Rahmen der WEU. Das »Nebengeleise« endete sozusagen am »Prellbock«. Bei der Tagung der Außen- und Verteidigungsminister der WEU-Staaten in Erfurt am 18. November 1997 wurde von den Beteiligten hervorgehoben, dass die in Amsterdam beschlossene Stärkung der Verbindung zwischen WEU und EU nun auch in eine intensivere praktische Zusammenarbeit einmünden solle. Zwar wurde die zentrale Rolle der NATO in Europa anerkannt, doch wollte man in Europa mehr Verantwortung für die Stabilität und Sicherheit übernehmen und dazu Kapazitäten schaffen bzw. verstärken. Gleichzeitig ließ die Erfurter Deklaration aber für die Zu67 Dringliche Anfrage und Entschließungsanträge im Parlament zu Mängel in der österreichischen Sicherheitspolitik, in : Truppendienst 3/35 (1996), S. 259–261. 68 Schneider, Heinrich : Bericht über die Arbeitsgemeinschaft Sicherheit im Alleingang – Sicherheit im Verbund vor dem Plenum des Forums, in : Sicherheit im Alleingang – Sicherheit im Verbund. Referate der Arbeitsgruppe »Sicherheit im Alleingang – Sicherheit im Verbund« beim Europäischen Forum Alpbach 1996 (Schriftenreihe der Landesverteidigungsakademie 1997/1 : Symposien, Tagungen, Konferenzen), Wien 1997, S. 25–30, hier S. 28.

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sammenarbeit auf dem Gebiet der militärischen Technologie im Rahmen der »Western European Armament Group« (WEAG)69 für Staaten, die nicht Vollmitglieder der WEU sind, nur eine von Fall zu Fall informelle Mitwirkung als Beobachter zu. Das ergab de facto den weitgehenden Ausschluss u. a. Österreichs von einem damit verbundenen Technologietransfer. Außerdem bedeuteten die Erklärungen zur Einbringung eines deutsch-niederländischen Korps und eines italienisch-spanischen amphibischen Verbandes keineswegs die Schaffung eines eigenständigen WEU-Potenzials. Auch die angesprochene »European Security and Defense Identity« (ESDI) blieb trotz aller Erklärungen ein letztlich auf die NATO-Mitglieder beschränkter Aspekt. Bis zum WEU-Ministerrat am 11. und 12. Mai 1998 in Rhodos wurde zwar die Militärstruktur der WEU durch Einrichtung eines Militärausschusses (aus den Generalstabschefs der WEU-Beteiligten) und eines multinationalen Militärstabes in Brüssel vorangetrieben und die Aufstellung von Hauptquartieren der FAWEU entschieden.70 Aber schon im Vorfeld des inoffiziellen Treffens der EU-Staats- und -Regierungschefs in Pörtschach am Wörthersee am 24. und 25. Oktober 1998 war von britischer Seite »informell« die Eingliederung der WEU als »vierte Säule« in die EU gefordert worden. Dies sollte allerdings nur die politischen Aspekte der WEU beinhalten, die militärischen sollten an die NATO übergehen.

Die Mitwirkung Österreichs im Rahmen der »Partnership for Peace« In der Londoner Deklaration des NATO-Gipfeltreffens vom 6. Juli 1990 war bereits der Hinweis auf neue Partnerschaften der NATO mit allen Staaten enthalten. Dies zielte in erster Linie auf die bisherigen Mitgliedstaaten des Warschauer Pakts und sollte zusammen mit den neuen strategischen Grundsätzen der NATO auch zur Vermeidung eines sicherheitspolitischen Vakuums in der ehemaligen sowjetischen Einflusssphäre in Osteuropa beitragen. Mit der Gründung des NATO-Kooperationsrates im Dezember 1991 wurde den bisherigen WP-Mitgliedstaaten und den aus der UdSSR hervorgegangenen Nachfolgestaaten eine Plattform zur Zusammenarbeit mit der NATO für eine stabile Sicherheitsumwelt auf der Grundlage demokratischer Institutionen und zur friedlichen Streitbeilegung geboten. Schon bald zeigte sich bei einigen dieser Staaten das Begehren nach Beitritt zur NATO. Schon 1992 verdeutlichte die NATO durch ihre Bereitschaft zur Beistellung von Truppen für friedenserhaltende Operationen unter 69 Zur WEAG siehe : Cornaro, Markus : Die WEU – ein erster Nachruf, in : Hochleitner, Erich (Hg.) : Das Europäische Sicherheitssystem zu Beginn des 21. Jahrhunderts, Wien/Köln/Weimar 2000, S. 255 f. 70 Bauer, Herbert/Vondrak, Philipp : 50 Jahre WEU, in : Österreichische Militärische Zeitschrift 4/36 (1998), S. 469.

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einem Mandat der KSZE oder der UNO ihren Willen zu militärischen Einsätzen jenseits der kollektiven Selbstverteidigung gem. Artikel V. des Vertrages von Washington und außerhalb des Bündnisgebietes. Damit gewann die angebotene Zusammenarbeit im Rahmen des NATO-Kooperationsrates eine deutliche Aufwertung. Aus diesen Ansätzen von 1992 entwickelte sich in der NATO-Planung die Struktur einer »Partnership for Peace« (PfP), die mit der Erklärung dieses Vorhabens beim NATO-Gipfel am 11. Jänner 1994 und der Einladung zur Teilnahme aller im NATOKooperationsrat beteiligten Staaten sowie anderer (neutraler und blockfreier) KSZEStaaten umgesetzt wurde. Die Ziele dieser PfP waren u. a. die Aufrechterhaltung der Fähigkeit und Bereitschaft zu Einsätzen unter der Autorität der UNO und/oder der Verantwortung der KSZE vorbehaltlich verfassungsrechtlicher Erwägungen sowie die Entwicklung kooperativer militärischer Beziehungen zur NATO mit dem Ziel gemeinsamer Planung, Ausbildung und Übungen, um vor allem die Fähigkeiten von PfP-Partnern auf den Gebieten Friedenswahrung, Such- und Rettungsdienste und humanitärer Operationen zu stärken.71 Für diese Zusammenarbeit wurden 17 Teilbereiche angeboten, die militärische Bereiche verschiedener Ebenen von der Fliegerabwehr bis zur Vereinheitlichung der Ausbildung umfassten. Am 25. Mai 1994 erfolgte das erste Treffen der Verteidigungsminister im Rahmen der PfP. Die ersten Reaktionen in Österreich fielen eher unterschiedlich aus. Der damalige Vizekanzler Erhard Busek meinte, dass Österreich von diesem NATO-Angebot an die osteuropäischen Staaten profitiere und dass ein »Beobachterstatus«, der es Wien erlauben würde, sich zu informieren, denkbar wäre. Bundeskanzler Vranitzky machte aber deutlich, dass Österreich kein direktes Interesse an der von der NATO für Nichtmitglieder angebotenen PfP habe. Österreichs Hauptinteresse sei die Errichtung eines Systems kollektiver Sicherheit72 in Europa. Und in dieser Hinsicht sei der Vertrag von Maastricht konkreter als die PfP. Dies brachte Vranitzky auch bei seinem Besuch in den USA zum Ausdruck : Die PfP sei kein Thema für den Bundeskanzler, doch könne diese Frage bei dem heranstehenden USA-Besuch des Generaltruppeninspektors angesprochen werden. Gen. Majcen hat dann vor Antritt seiner Reise seine Position mit dem Bundeskanzleramt abgesprochen, wobei sich die Tendenz zeigte, eher nicht beizutreten, aber die Argumente dafür doch als bedenkenswert eingestuft wurden.73 Sowohl Verteidigungsminister Fasslabend als auch Außenminister Mock hielten die PfP im Falle Österreich zunächst auch für nicht relevant. Gemäß Fasslabend seien gemeinsame Manöver nicht aktuell, und er ver-

71 Höfler, Günter : Österreich und die NATO-Partnerschaft für den Frieden, in : Der Offizier. Sondernummer 1 (1996), S. 5–9 ; Korkisch, Friedrich : Partnership for Peace, in : Österreichische Militärische Zeitschrift 3/32 (1994), S. 299. 72 Im Unterschied zu einem System kollektiver Verteidigung. 73 Freundliche Mitteilung von Gen. i.R. Karl Majcen an den Verfasser, 17. Februar 2009.

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wies auf bereits durchgeführte Übungen im Rahmen der UNO wie die »Exercise 93«. Für die FPÖ forderte Herbert Scheibner den Übergang auf ein Berufsheer und rasche Verhandlungen mit der NATO zu Kooperationsmöglichkeiten. Als Zielsetzung wurden die Erreichung eines höheren Grades der Interoperabilität und die Entwicklung einer relevanten Standardisierung des österreichischen Bundesheeres angesprochen, wobei es für Österreichs Außen- und Sicherheitspolitik um die Verbesserung der Stabilität und Sicherheit für Österreichs Nachbarn in Zentral- und Osteuropa, um die Entwicklung eines umfassenden europäischen Sicherheitssystems und damit auch um Österreichs Sicherheit selbst ging.74 Auf Einladung der NATO an Schweden, Finnland und Österreich wurde ein Seminar des NATO-Kooperationsrates in Istanbul am 6. Oktober 1994 zum Thema Peacekeeping vom BMLV mit einem Delegierten beschickt. Das Bundesheer hatte gerade auf diesem Gebiet eine seit 1960 gewachsene und international anerkannte Erfahrung aufzuweisen. Das lag auf der von Verteidigungsminister Fasslabend am 21. Juli 1994 geäußerten Linie, wonach Österreich seine Rolle als Mitgestalter der künftigen europäischen Sicherheitspolitik besonders aktiv wahrnehmen solle. Fasslabend zeigte sich überzeugt, dass Österreich mit Beginn des Jahres 1995 an der PfP teilnehmen werde. Und knapp vor der im Herbst 1994 heranstehenden Nationalratswahl verkündete auch Bundeskanzler Vranitzky für manche überraschend die Absicht Österreichs, der PfP beizutreten. Wahrscheinlich hatte sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass ein Abseitsbleiben des neutralen Österreichs dessen Stellenwert gemindert und die erwarteten Gestaltungsmöglichkeiten deutlich relativiert hätte.75 Vielleicht sah man es auch als Möglichkeit, die sich abzeichnende Diskussion um einen NATO-Beitritt zu »entschärfen«. Daher nahm der Ministerrat am 31. Jänner 1995 zustimmend zur Kenntnis, dass die österreichische Teilnahme an der PfP stufenweise verwirklicht werden solle. Darauf folgte schon am 10. Februar 1995 die Unterzeichnung der Annahme der NATO-Einladung zur PfP durch Außenminister Mock als 25. Mitgliedstaat.76 Im Bereich der friedenserhaltenden Operationen sollte die österreichische Mitarbeit der Verbesserung der österreichischen Fähigkeiten für internationale Einsätze unter der Autorität der UNO oder im Rahmen der OSZE dienen. Für humanitäre und Katastrophenhilfe sowie bei den Such- und Rettungsdiensten lag 74 Zentraldokumentation/Landesverteidigungsakademie (LVAk), Austria’s Individual Partnership Programm Annex 1 zu PfP (MSC) D (96)1, S. I – 1, vom 19. Februar 1996. So waren bis zum 13. Juli 1994 bereits 22 Nationen, darunter am 23. Juni 1994 auch Russland, der PfP beigetreten. 75 Freundliche Mitteilung von Gen. i.R. Karl Majcen an den Verfasser, 17. Februar 2009. Demnach wurden die nunmehrigen Gründe für die Änderung der Haltung des BK Dr. Vranitzky (und der SPÖ) zumindest im BMLV nicht bekannt, aber die Entwicklung wurde damit in positiver Weise in Gang gesetzt. 76 Zentraldokumentation/LVAk, NATO-Partnerschaft für den Frieden, Einführungsdokument Vortrag an den Ministerrat vom 23. Mai 1995, BMA Zl. 702.08/88-II.1/95 ; NATO-Partnerschaft für den Frieden : Präzisierung durch Österreich, in : Truppendienst 3/35 (1996), S. 259.

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das Interesse an der Adaptierung des vorhandenen militärischen und zivilen Potenzials in Österreich auf dem Bedarf internationaler Vorsorgemaßnahmen und der Mitwirkung an der Weiterentwicklung internationaler Richtlinien. Grundsätzlich sollte die Mitarbeit in der PfP zur Verbesserung der multinationalen Kooperationsund Kommunikationsfähigkeit des Bundesheeres und einschlägiger ziviler Stellen führen. So erfolgte ab diesem Zeitpunkt die Teilnahme an den Botschaftertreffen im Rahmen des Politischen Komitees der »Cooperation Partners« des NATO-Kooperationsrates. Der Abschluss eines Sicherheitsabkommens, die Ausarbeitung eines individuellen Partnerschaftsprogrammes (IPP), die Vorbereitung der Teilnahme am Planungs- und Überprüfungsprozess mit seinem Zweijahresrhythmus (PARP) und die Unterzeichnung eines Abkommens über den Aufenthalt fremder Streitkräfte im Rahmen der PfP (Status of Forces Agreement/SOFA) wurden auf Beamtenebene und im politischen Rahmen eingeleitet. Das österreichische IPP wurde in den folgenden acht Monaten durch das Bundesministerium für Landesverteidigung, Außenministerium, Bundesministerium für Inneres und das Bundeskanzleramt ausgearbeitet und am 26. Februar 1996 in Brüssel von Außenminister Wolfgang Schüssel dem NATO-Generalsekretär Javier Solana übergeben.77 Das österreichische IPP wurde von der NATO als bestes der bisherigen IPP’s eines Partnerstaates bezeichnet und den anderen Partnern als Beispiel für die erste Erstellung bzw. jährliche Überarbeitung empfohlen. Obwohl der erste PARPZyklus bereits im Frühjahr 1995 begonnen hatte, gelang es durch die Bemühungen der österreichischen diplomatischen und militärischen Vertretung in Brüssel, die Zustimmung zum Einstieg in diesen ersten PARP-Zyklus zu erlangen. Der offizielle Antrag dafür wurde am 20. Dezember 1995 gestellt, und mit 2. Mai 1996 wurde Österreich offiziell in diesen Vorgang aufgenommen. Die Teilnahme am PARP bildete die Grundlage einer stärkeren Einbindung von Partnerländern in Planungs- und Entscheidungsprozesse sozusagen im »Umfeld« der NATO, und die in der NATOVerteidigungsplanung gewonnenen Erfahrungen dienten als Grundlage für die im Rahmen des PARP zu erreichenden Partnerschafts- oder Interoperabilitätsziele (PG). Das lag auf der Interessenlinie des Bundesministeriums für Landesverteidigung und hatte im Ministerium und im Bundesheer die Ausrichtung auf die einschlägigen Abläufe und die Erstellung der Dokumente im kompatiblen Format zur Folge. Österreich sah für diesen laufenden Zyklus 20 PG’s vor, die u. a. Führung, Kontrolle und Kommunikation im Such- und Rettungsdienst, Angleichung der Fernmeldeausrüstung, Sprachkenntnisse für Stabsoffiziere, Verfügbarkeit von Einheiten für PfPOperationen, NATO-Landkartensymbole oder logistische Unterstützung umfassten. Außerdem war mit 14. Februar 1996 von der NATO Military Agency For Standard77 Zentraldokumentation/LVAk, Austria’s Individual Partnership Program for 1996–1998 Annex 1 zu PfP (MSC) D (96)2 vom 19. Februar 1996.

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ization (MAS) die Übersicht aller für Österreich zugänglichen Standardisierungsabkommen (STANAG) übergeben worden.78 Obwohl rund 400 weitere STANAG nur den NATO-Mitgliedstaaten zugänglich blieben, war damit doch eine Grundlage für Bereiche der erforderlichen Standardisierung vorhanden, die zur Verringerung der budgetären und materiellen Aufwendungen, zur Ausrichtung auf gemeinsame Verfahren und Abläufe und zur Verbesserung der multinationalen Kooperation bei internationalen Maßnahmen, Übungen und vor allem Einsätzen angestrebt werden mussten. Hier waren hohe Flexibilität und technische Anpassung gefordert, sollten bei diesen Vorhaben überaus kostenaufwendige »nationale« Einzellösungen vermieden und Nutzung der Ressourcen von Partnern sichergestellt werden. Aber jeder einzelne Punkt des IPP wurde in Österreich politisch bewertet und auf seinen Inhalt bzw. Charakter geprüft. So wurden auch die in Österreich vorgesehenen Kurse für die Verfahren der »Forward Air Controller« (FAC) zum Abruf von Luftnahunterstützung (Close Air Support) durch Abgeordnete der SPÖ mit dem Hinweis abgelehnt, es handle sich dabei um einen »Angriffsaspekt«. Der Generaltruppeninspektor konnte auf den Wert dieser Kenntnisse für die zahlreichen österreichischen UNO-Beobachter und Teilnehmer an UNO-Missionen verweisen und somit doch die Zustimmung erlangen.79 Zwei derartige Kurse wurden dann im Rahmen der PfP-Vorhaben in Neusiedl am See abgehalten.80 Schon im ersten Jahr der Teilnahme an der PfP (1995) nahm Österreich mit Stabsoffizieren, Beobachtern und Kernelementen von Bataillonsstäben an fünf der insgesamt in diesem Jahr abgehaltenen 16 NATO-PfP-Übungen vereinzelt noch unter gewissen Einschränkungen teil. Darüber hinaus wurde zwischen dem 30. Mai und 1. Juni 1995 gemeinsam mit den Generalstäben der Slowakei und Ungarns vom österreichischen Bundesheer eine Stabsübung »Trimigrant 95« im Sinne der Entwicklung der PfP in dieser »Donauregion« durchgeführt. Dabei wurden das grenzüberschreitende Zusammenwirken der Führung und der Durchführung bei grenzüberschreitenden Krisen und humanitärer Hilfe erprobt und Grundlagen für konkrete Verbesserungen geschaffen.81 Weiters wurden auch österreichische Beobachter zur PfP-Übung »Cooperative Nugget 95« im US-Bundesstaat Louisiana entsandt, an der sich im August 1995 17 Nationen mit Peacekeeping-Zügen beteiligten.82 Aber 78 Dokument vom 14 02 1996 MAS Zl. 54–50/23/1, verteilt im BMLV mit AuslA DZ Nr. 296/96 vom 25. März 1996. 79 Freundliche Mitteilung von Gen. i.R. Karl Majcen an den Verfasser, 17. Februar 2009. 80 Freundliche Mitteilung von Bgdr. i.R. Josef Bernecker an den Verfasser, 18. Februar 2009. 81 Trimigrant 95 – Trilaterale Stabsübung Slowakei/Ungarn/Österreich, in : Österreichische Militärische Zeitschrift 4/33 (1995), S. 433 ; Mäder, Horst : Gemeinsame Stabsübung, in : Truppendienst 4/34 (1995), S. 377. 82 Prader, Robert/LF : Cooperative Nugget 95 – Peacekeeping in Louisiana, in : Truppendienst 1/35 (1996), S. 61–64.

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der Antrag zur Teilnahme auf Einladung der Slowakei an einer PfP-Übung in der Zeit vom 6. bis 14. September 1995 mit dem Thema des Zusammenwirkens multinationaler Einheiten im Peacekeeping in der Slowakei, zu dem das BMLV einen Panzergrenadierzug entsenden wollte, wurde von Verteidigungsminister Fasslabend wieder zurückgezogen. SPÖ-Klubobmann Peter Kostelka hatte dies öffentlich kritisiert und festgestellt, diese Übung sei rein militärischer Natur und diene nicht der Friedenserhaltung. Die SPÖ sei sehr wohl für Aktionen der PfP, aber nur wenn es sich um Informationen bzw. Katastropheneinsätze handeln würde. Daher sei eine Zustimmung der SPÖ-Mitglieder der Bundesregierung zu diesem Vorhaben nicht zu erwarten. Dieser Vorgang zeigt die Animosität und Sensibilität, die nach wie vor gegenüber »Berührungen« mit der NATO selbst im Rahmen der PfP und militärischem »Engagement« mit schweren Waffensystemen, wie eben Schützenpanzern, zu diesem Zeitpunkt noch bestanden. Der Militärausschuss der NATO bot am 31. Oktober 1995 den Mitgliedsländern der PfP den Beobachterstatus in der seit 1971 bestehenden NATO Training Group (NTG), und Österreich entschloss sich daraufhin zu einer aktiven Mitarbeit in den relevanten Ausschüssen der NTG. Da am 27. Dezember 1995 das Sicherheitsabkommen und der »Code of Conduct« durch Österreich unterzeichnet wurde, war die Grundlage für eine weitgehend integrierte Teilnahme österreichischer Vertreter und Kontingente an den Vorhaben der PfP geschaffen. Der Aufschub der Unterzeichnung über fast ein Jahr hatte bei der NATO und den PfP-Partnern eine gewisse Verwunderung ausgelöst.83 Nach der am 1. Februar 1996 vorgenommenen Sicherheitsüberprüfung durch das NATO Office of Security war Österreich berechtigt, im Rahmen der PfP-Vorhaben Verschlusssachen der NATO zu erhalten. Österreich bot sodann 25 Vorhaben bzw. Aktivitäten im Bereich der allgemeinen Ausbildung und drei Vorhaben mit dem Thema Katastrophenhilfe auf österreichischem Boden an. Dies zeigte, welch umfangreiche Maßnahmen vor allem des Bundesministeriums für Landesverteidigung und des Bundesheeres, aber auch Bundeskanzleramt, Bundesministerium für Inneres und Bundesministerium des Äußeren erforderlich waren und welche personelle und kapazitätsmäßige Belastung sich aus diesem Schritt in die PfP-Kooperation für die Zentralstellen, die Kommanden und Truppen ergab. Auch die Vorbereitung der einzelnen Übungsteilnahmen beinhaltete jeweils eine Anzahl von Konferenzen, Workshops und Ausbildungsmaßnahmen im In- und vor allem Ausland und hatte nicht nur einen erheblichen Anstieg der Auslandsdienstreisen, sondern auch eine umfassende Neuorientierung der Jahresabläufe bei den jeweils betroffenen Dienststellen und Verbänden des Bundesheeres zur Folge. Da sich Österreich außerdem an insgesamt 17 der 20 Ausschüsse im Rahmen des NATO-Kooperationsrates und der 83 Freundliche Mitteilung von GenLt. Mag. Günter Höfler an den Verfasser, 18. Februar 2009.

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PfP beteiligte, erhöhte sich der Aufwand durch die Vorbereitung, Teilnahme, Auswertung und Umsetzung sowie Berichtslegung sprunghaft und erforderte eine nachhaltige Umgestaltung der internen Abläufe und ein Umdenken aus der in 40 Jahren begrenzten nationalen Sicht – hin zu einer multinationalen Ausrichtung. Man war zwar nicht »im Bündnis«, aber man hatte »wie im Bündnis« zu arbeiten. Schließlich waren auch die finanziellen Vorsorgen für diese Einbindung in die PfP zu treffen. So waren für das Jahr 1996 rund 17 Mio. Schilling eingeplant. Mit dem Beitritt Österreichs zur PfP und mit der erwartbaren intensiveren Kooperation ergab sich die dringende Notwendigkeit, das militärische Kartenwesen und das Ortsangabeverfahren des Bundesheeres dem NATO-Standard anzupassen. Dabei handelte es sich um eine zwar nach außen hin wenig beachtete, aber entscheidende Voraussetzung für die reibungslose Integration österreichischen Personals in multinationale Stäbe, Einheiten und Einsätze, eine Voraussetzung, die im Felde überlebensentscheidend sein konnte. Es waren daher die österreichischen Militärkarten (ÖMK)84 vom Bessel-Ellipsoid und das Gauß-Krüger-System rasch und umfassend auf das Weltweite-Geodätische System und das Universale Transversale Mercatorsystem (UTM) umzustellen. Da ohnedies Neuauflagen heranstanden, wurde im BMLV frühzeitig eine Grundsatzentscheidung getroffen, deren Bedeutung sich damals nur wenigen erschloss. Ab 19. Juni 1995 lag das NATO-PfP-SOFA zur Unterzeichnung auf, das bis Mitte 1996 immerhin zwölf der 28 PfP-Staaten unterzeichneten. In Österreich wurden als Grundlagen zu dessen Unterzeichnung das Entsendegesetz und die Anerkennung des SOFA vorbereitet. Das Bundesverfassungsgesetz über Kooperation und Solidarität bei der Entsendung von Einheiten und Einzelpersonen in das Ausland wurde am 17. April 1997 vom Parlament beschlossen. Demnach wurde für Entsendungen zu Maßnahmen der Friedenssicherung und zu Maßnahmen der humanitären Hilfe und der Katastrophenhilfe die Bundesregierung im Einvernehmen mit dem Hauptausschuss des Nationalrates berufen. Das SOFA wurde am 16. Jänner 1997 von Außenminister Wolfgang Schüssel anlässlich eines Besuches des NATO-Generalsekretärs Solana in Wien unterzeichnet und im November 1997 als Regierungsvorlage dem Parlament übermittelt. Damit war die Grundlage für den Aufenthalt ausländischer Kontingente in Österreich sowie die Erleichterung der Teilnahme österreichischer Soldaten an PfP-Übungen im Ausland und anderen Ausbildungsvorhaben geschaffen.85 Zu diesem Zeitpunkt hatten schon 30 der 43 PfP-Staaten das SOFA unterzeichnet. Österreich anerkannte keine fremde Militärgerichtsbarkeit auf österreichi84 Vor allem die beiden Grundwerke ÖMK 50 im Maßstab 1 :50 000 und ÖMK 200 im Maßstab 1 :200 000. 85 Rumerskirch, Udo : NATO-Generalsekretär zu Besuch in Österreich, in : Österreichische Militärische Zeitschrift 2/36 (1997), S. 180–182, hier 180 f. Das eigentliche Truppenaufenthaltsgesetz trat erst im Jahr 2001 in Kraft.

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schem Boden und sah keine Auslieferung behördlich gesuchter Personen an einen Partnerstaat vor, sofern dort die Todesstrafe drohen konnte. Für Verteidigungsminister Fasslabend bot sich damit durch die PfP für Österreich ein Mitspracherecht in Sicherheitsfragen, allerdings kein Recht auf Mitentscheidung, und somit war das PfP-Programm nur eine Vorstufe mit dem Angebot eines Teiles der Möglichkeiten. Wenige Tage davor hatte der Landesverteidigungsrat am 10. Dezember 1996 das sogenannte »Mech-Paket« beschlossen und damit die Beschaffung von 114 Kampfpanzern »Leopard II«, 87 Jagdpanzern »Jaguar«, 110 Schützenpanzern »Ascod« und 200 Radpanzern »Pandur« trotz vorhergegangener medialer Kontroversen zwischen SPÖ und ÖVP sanktioniert. Eine wesentliche Begründung für die Zustimmung war vermutlich, neben der Sicherung von Arbeitsplätzen in Österreich, das Erfordernis bei der Mitwirkung an friedensunterstützenden Operationen über stärkere Elemente zu verfügen. Die Entwicklung auf dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawien hatte doch deutlich die Notwendigkeit derartiger Komponenten aufgezeigt. Die erste Beteiligung österreichischer Fliegerkräfte an einer PfP-Übung erfolgte vom 22. bis 26. Juli 1996 im Rahmen der Übung »Cooperative Chance 96« in Ungarn mit einem Kontingent von elf Mann mit zwei Pilatus-PC-6-Transportflugzeuge. An dieser Katastrophenhilfeübung beteiligten sich insgesamt 16 Staaten mit rund 1000 Mann und 50 Flugzeugen bzw. Hubschraubern.86 Für die PfP-Übung »Cooperative Osprey 96« in den USA meldete das BMLV sich offiziell am 31. Jänner 1996 bei der Partnership Coordination Cell (PCC) in Mons. Zunächst war nur die Teilnahme von 3 NATO- und 6 PfP-Mitgliedstaaten vorgesehen gewesen, doch schon zum Termin der österreichischen Anmeldung hatten sich bereits 15 PfP-Staaten eingebracht. Daraufhin wurden umfassende diplomatische und militärische Bemühungen eingeleitet, um im NATO-Hauptquartier und bei SHAPE in Mons die Bedeutung einer österreichischen Übungsteilnahme zu unterstreichen, und auch bei der Übergabe des österreichischen IPP durch Außenminister Schüssel im Februar 1996 wurde dieses Thema angesprochen. Schließlich ließ das übungsverantwortliche NATO-Kommando SACLANT am 29. Februar 1996 dem österreichischen Militärattaché beim NATO-Kooperationsrat die positive Entscheidung über die Teilnahme Österreichs und der übrigen 15 PfP-Partner in ihrer Gesamtheit mitteilen. An der Übung im Bereich des Camp Lejeune, North Carolina, mit den Themen einer kombinierten multinationalen Peacekeeping- und Evakuierungsoperation nahm in der Zeit vom 10. bis 31. August 1996 dann auch ein Jägerzug des TherMilAk-Jahrganges »Sterneck« teil. Weitere Übungen unter österreichischer Beteiligung folgten. In der Sitzung der Außenminister der im NATO-Kooperationsrat vertretenen Staaten in Sintra (Portugal) wurde dieses Gremium am 30. Mai 1997 beendet und 86 Multinationales Manöver Cooperative Chance 96 in Ungarn, in : Truppendienst 5/35 (1996), S. 439–441.

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Referatsbogen des Bundesministeriums für Landesverteidigung zum Angebot Österreichs für seine Mitwirkung am NATO Programm „Partnerschaft für den Frieden“ im Zeitraum von 1998 bis 2000. Bundesministerium für Landesverteidigung, GZ 60.784/0223-5.12/97., 15. 9. 1997

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gleichzeitig der Euro-Atlantische Kooperationsrat (EAPC) mit allen Teilnehmern aus NATO, PfP und OSZE als gleichberechtigte Vollmitglieder gegründet. Dessen Sitzungen hatten monatlich in Brüssel auf Botschafterebene und zwei Mal jährlich auf Ebene der Außen- und Verteidigungsminister stattzufinden. Der EAPC war durch das Political Committee (PC) und das Political Military Steering Committee on Partnership for Peace (PMSC) zu unterstützen und bildete den Rahmen für eine Erweiterung und Vertiefung der bisherigen PfP-Beziehungen, verbesserte Konsultationen zwischen den Partnerstaaten und der NATO und eine verbesserte Einbindung und Mitwirkung der Partnerstaaten vor allem bei gemeinsamen friedenserhaltenden Operationen sowie im Rahmen des PARP. Durch diese »Enhanced Partnership for Peace« (allgemein als PfP-Plus oder PfP-Neu bezeichnet) wurde die Einrichtung von Partnership Staff Elements (PSE) bei allen strategisch-operativen NATO-Führungsstellen vorgesehen. Die PfP-Partner erhielten allerdings dadurch nach wie vor keine Rechte oder Einflussmöglichkeiten bei Entscheidungen der NATO oder innerhalb der NATO. Es blieb den einzelnen PfP-Staaten vorbehalten, eine Selbstdifferenzierung hinsichtlich des Ausmaßes der Zusammenarbeit vorzunehmen und auch über die Möglichkeit der Teilnahme an der Planung von Friedensoperationen zu entscheiden.87 Mit dem Beschluss der Bundesregierung vom 24. November 1998 konnte dann Österreich offiziell an der erweiterten PfP teilnehmen. Diese PfP-Plus wurde vom BMLV überaus positiv aufgenommen, das darin eine zunehmende Rolle der PfP im Krisenmanagement sah und damit die Entsendung je eines österreichischen Offiziers in die PSE beim Internationalen Militärstab der NATO in Brüssel sowie bei SHAPE in Mons und SACLANT in Norfolk (USA) möglich wurde.88 Um eine stärkere Vergleichbarkeit mit dem Prozedere der NATO-Verteidigungsplanung im Rahmen des zweijährigen Rhythmus (der vom PARP übernommen worden war) zu erreichen, wurden nunmehr auch für die PfP-Plus »ministerielle Direktiven« entwickelt, aus denen sich die nunmehr Partnerschaftsziele (PG) genannten Interoperabilitätsziele abzuleiten hatten. Aber es meldeten sich auch kritische Stimmen, so etwa die Österreichische Offiziersgesellschaft, die in dieser PfP-Plus keine Verbesserung der Situation sah und stattdessen einen Beitritt zur NATO forderte.89 Ab 1998 nahmen auch österreichische Stabsoffiziere regelmäßig am »Multinational Staff Officers Orientation Course« sowie dem »Crisis Management Course« der NATO-Schule in Oberammergau teil, wobei auch Referenten aus Österreich

87 Dies wurde dann erstmals bei der Planung des Aufbaus und Einsatzes der KFOR im Kosovo 1999 umgesetzt. 88 Jarmin, Bernard : Erster Bundesheeroffizier bei NATO-PfP, in : Truppendienst 3/37 (1998), S. 244. 89 Österreichische Offiziersgesellschaft (Autorenkollegium) : Die erweiterte Partnerschaft für den Frieden (PfP+), in : Truppendienst 1/37 (1998), S. 84.

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zu verschiedensten Themen von Mobilmachung bis Kriegsvölkerrecht, Neutralität oder Erfahrungen in PSO eingeladen wurden oder zeitlich befristet an der Schule tätig waren.90 Ebenso ergab sich für das Mitwirken im Rahmen der PfP-Übungen und die Beteiligung an multinationalen Operationen unter Führung der NATO sowie im Rahmen des »Host Nation Support« in Österreich für ausländische Kräfte im Rahmen internationaler PSO die Notwendigkeit der Anpassung an logistische Grundsätze und die logistische Terminologie der NATO. Bei dem großen Gipfeltreffen der NATO in Washington wurde am 24. April 1999 der sogenannte »Membership Action Plan« (MAP) vorgestellt, der für die einzelnen PfP-Staaten mit Interesse am Beitritt zur NATO die Möglichkeit bieten sollte, seine Strukturen und Fähigkeiten individuell und bedarfsgerecht für eine derartige Mitgliedschaft zu optimieren. Das Jahresprogramm des MAP ging über die Aspekte der PfP hinaus und orientierte sich an den Gegebenheiten des Artikels V. des NATOVertrages über die kollektive Verteidigung, wobei der Überprüfung der erreichten Standards durch NATO-Elemente besondere Bedeutung zugemessen wurde. Dieser MAP hatte allerdings für Österreich und das Bundesheer keine Relevanz und wurde bestenfalls »beobachtet«. Zu diesem Zeitpunkt waren – nach dem Scheitern des Optionenberichtes im davorliegenden Jahr – eine Mitgliedschaft Österreichs in der NATO und somit der Einstieg in einen nationalen MAP für den Rest der Neunziger und auch das Folgejahrzehnt politisch kein Thema mehr. Zwischen dem 11. und 13. Mai fand die multinationale Stabsübung »Hexagrant 99« im Sinne der PfP unter Leitung durch Tschechien mit Beteiligung Österreichs, Ungarns, Polens, der Slowakei, Sloweniens und Deutschlands (mit einer Verbindungsstelle in Prag) statt. Die Übungsannahme sah ein umfassendes Hochwasserszenario an allen größeren Flüssen Mitteleuropas über die Geschehnisse von 1997 hinausgehend vor, und dementsprechend erfolgte die Mitwirkung vor allem durch zivile Stellen und Einsatzorganisationen. Mehr als 2 000 Soldaten aus 15 NATOund 12 PfP-Nationen waren dabei eingebunden.

Die Beziehungen Österreichs zur NATO während des Konfliktes auf dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawien 1995–2000 Zum Zeitpunkt der offiziellen Aufnahme Österreichs in die EU und der Zuerkennung des Beobachterstatus in der WEU hatten die kroatisch-muslimischen Kräfte durch eine groß angelegte Offensive erhebliche Gebiete in Nord- und Zentralbosnien wieder zurückerobert. Drei Diplomaten, vier Offiziere und zwei Unteroffiziere 90 Schröfl, Josef : Multinational Staff Officers Orientation Course an der NATO-Schule (SHAPE) in Oberammergau, in : Österreichische Militärische Zeitschrift 3/37 (1999), S. 328 f.

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wurden als erstes Zeichen der aktiven österreichischen Mitwirkung unmittelbar nach dem 1. Jänner 1995 zur EU-Beobachtungsmission (ECMM) nach Zagreb entsandt. Kroatien entschied sich im Jänner 1995, das Mandat für den Aufenthalt der UNOKräfte mit 31. März 1995 auslaufen zu lassen, gab aber dann seine Zustimmung zu einer »Schutztruppe« in der Stärke von 5 000 Mann. Damit wurde die Lage der UNPROFOR erschwert und es blieb das Erfordernis, die NATO-Planungen von 1994 fortzusetzen und weiterführende, diplomatische und militärische Maßnahmen zu setzen. Das Außenministerium erteilte am 14.März 1995 die Zustimmung zu einer Kontingentslösung für die Überflüge der NATO-AWACS über Österreich im Rahmen des UNO-Mandates, sodass nunmehr nur eine Anmeldung bei der militärischen Einsatzzentrale/Luft in Wien im Rahmen der für begrenzten Zeitraum zugesprochenen nationalen Überflugkontingente erfolgen musste. Darüber hinausgehende Flüge waren nach wie vor beim BMA zu beantragen. Im Frühjahr 1995 kam es unabhängig von den Bemühungen um eine Verhandlungslösung zu verschärften Kämpfen zwischen der bosnischen Armee und der Armee der serbischen Republik Bosnien, zu Beschießungen der »Schutzzonen« durch serbische Kräfte, im Mai zu einer kroatischen Offensive in Westslawonien, gefolgt von einem kroatischen Vorstoß auf Knin in der Krajina im Juni. Dies trieb rund 120 000 Menschen in die Flucht und führte im Juli 1995 zu Kämpfen um die nordöstliche Schutzzone von Srebrenica und Zepa, an deren Ende das Massaker von Srebrenica stand, dem rund 8 000 bosnische Männer zum Opfer fielen. Zur Unterstützung der UNPROFOR begannen mit dem 25. Mai 1995 wieder Luftangriffe der NATO gegen serbische Stellungen und schwere Waffen, die dann im Zeitraum vom 30. August bis 14. September 1995 in der Operation »Deliberate Force« in nachhaltiger Form den Abzug aller schweren Waffen der serbischen Kräfte aus dem Umfeld der »Schutzzonen« erzwangen und die Versorgungswege nach Sarajevo wieder öffnen konnten. Außerdem fanden diese Luftangriffe ihren Niederschlag in der ansatzweisen Bereitschaft der regionalen Konfliktparteien, im Verhandlungswege Grundsatzeinigungen in Betracht zu ziehen bzw. zu akzeptieren.91 UNO-Generalsekretär Boutros-Ghali schlug in richtiger Einschätzung der Möglichkeiten der UNPROFOR die Beendigung von deren Einsatz und den Ersatz durch eine multinationale Streitmacht unter Kommando der NATO vor. Die USA erklärten sich bereit, für diese mit rund 50 000 Mann vorgesehene Peace Implementation Force (PIF) etwa 15 000 bis 20 000 Soldaten beizutragen, und am 29. September 1995 wurde vom NATO-Rat beschlossen, den angesprochenen Einsatz einer »Implementation Force« (IFOR) vorzubereiten. 91 Diese umfassten eine erfolgreiche Vermittlung in Genf durch Richard Holbrooke zwischen Kroatien, Bosnien-Herzegowina und der BR Jugoslawien sowie anschließend in New York zu einer Einigung über die Verfassung von Bosnien-Herzegowina. Vgl. dazu : Gustenau, Gustav : Die Neuordnung des südslawischen Raumes, in : Österreichische Militärische Zeitschrift 6/33 (1995), S. 661–663.

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Die österreichische Bundesregierung gab am 12. Oktober 1995 etwas überraschend den Entschluss für am 17. Dezember 1995 abzuhaltende Neuwahlen bekannt ; die Koalition von SPÖ und ÖVP hatte sich nicht über ein Budget einigen können. Dennoch wurden schon in den nächsten Tagen interne Beratungen über eine österreichische Beteiligung an der PIF bzw. IFOR in Bosnien aufgenommen, die eine Bandbreite von einem Sanitäts- und Transportkontingent über Pionierkräfte bis hin zu einer Jägerkompanie oder gar Jägerbataillon aufwiesen. Gefordert wurde jedenfalls der Einsatz unter Kommando der UNO, schließlich zeichnete sich aber eine Akzeptanz eines NATO-Kommandos unter einem UNO-Mandat ab. Im NATO-Hauptquartier erfolgte am 20. Oktober 1995 eine Information der PfP-Repräsentanten in Brüssel über den Planungsstand eines NATO-Einsatzes in Bosnien-Herzegowina mit der Bezeichnung Operation »Joint Endeavour« und dem Angebot an Nicht-NATO-Staaten zur Teilnahme. Am 27. Oktober 1995 trat dann die NATO ihrerseits an das BMA in Wien mit dem Ersuchen um Gespräche zum Transit der NATO-Force über Österreich heran. Bundeskanzler Vranitzky hatte trotz grundsätzlicher Zustimmung gewisse Bedenken hinsichtlich des Eindruckes der Militärtransporte auf die Öffentlichkeit, aber schließlich wurde in einem Schreiben des BMA im Weg des Botschafters Hochleitner in Brüssel sowohl das Einvernehmen bezüglich der Transporte als auch Österreichs Interesse an einer IFOR-Beteiligung mit »Service-Support«-Kräften zum Ausdruck gebracht. Daraufhin wurden dem österreichischem Repräsentanten beim NATOLogistic-Seminar als Grundlage für österreichische Entscheidungen bereits die konkreten Op-Planungen von AFSOUTH für IFOR übergeben und somit die weitere Bearbeitung in Wien ermöglicht, während die Friedenskonferenz für Bosnien-Herzegowina in den USA mit 1. November gerade angelaufen war. Ein Problem ergab sich innerösterreichisch in dem Verständnis der NATO-Führungsbegriffe »operational command« und »operational control«, da Bundeskanzler Vranitzky im ORF erklärt hatte, man werde keine österreichischen Kräfte unter NATO-Kommando stellen. Die Vorbehalte hinsichtlich des »operational control« konnten jedoch für die erforderliche Vorlage an den Ministerrat abgeklärt werden, mit der am 7. November 1995 die erste Absicht einer Teilnahme bekundet wurde, dem am 20. November ein »firm offer« Österreichs folgte. Es war durch die NATO klargestellt worden, dass es kein zwischen UNO und NATO geteiltes Kommando, sondern die einheitliche Führung aller integrierten Kräfte durch die NATO geben werde, daher waren die Eingliederungsebene und die Festlegung der Führungsverantwortung für die Mitwirkung eines österreichischen Beitrages an IFOR geklärt. Damit bildete das österreichische Kontingent aus einer Transportkompanie, einem Stabselement (Logistic Base) und einem Pionierzug gemeinsam mit Belgien und Griechenland sowie Luxemburg das unter der Bezeichnung »BELUGA« zugeordnete Transport-Bataillon des Korps. Mit der Unterzeichnung des »allgemeinen Rahmenabkommens« zwischen den Kriegsparteien unter der Patronanz der USA am 20. November 1995 zeichnete sich

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der bevorstehende Aufmarsch der IFOR-Truppen unter NATO-Führung nach Bosnien-Herzegowina ab. Mit diesem Aufmarsch wurde das Bundesheer erstmals mit den Erfordernissen eines »Host Nation Support« konfrontiert und begann sich darauf vorzubereiten. Die NATO reagierte darauf am 6. Dezember 1995 mit einem offiziellen Ersuchen um Teilnahme Österreichs an IFOR, und am 12. Dezember 1995 beschloss die Bundesregierung die Mitwirkung mit maximal 300 Mann in der Dauer eines Jahres, wobei Gesamtkosten von 130 Mio. Schilling veranschlagt wurden.92 Bereits mit 14. Dezember hatte der Aufmarsch für IFOR, vor allem des US-Anteils aus Deutschland nach Ungarn, begonnen. Für das Bundesheer, die Österreichischen Bundesbahnen und die Exekutive erbrachte dieser Aufmarsch eine neue und in ihren Ausmaßen unbekannte Herausforderung und erstmals multinationale Führungserfordernisse. Und das alles in einer Zeit der erneuten Koalitionsverhandlungen zwischen SPÖ und ÖVP nach einer für die ÖVP doch enttäuschend verlaufenen Nationalratswahl. Infolge der extremen winterlichen Bedingungen kam es auch auf der Straße zu Staus. Aber mit dem 19. Dezember lösten sich diese Schwierigkeiten, und ab dem 20. Dezember wurden wieder Transporte auf Bahn und Straße weitergeführt, ab dem 23. Dezember sogar jeweils zehn Züge täglich. Der Großteil der über Österreich geführten Züge ging über Ungarn oder Kroatien direkt nach Bosnien weiter, die über die Slowakei kommenden Züge meist nach der neu eingerichteten US-Basis in Kaposvar-Taszar. Dazu kamen täglich Anmeldungen für rund 250 Überflüge, wovon etwa rund ein Drittel tatsächlich erfolgte. In diesen Tagen wurden auch täglich zwischen sieben und 30 Hubschrauber im Transitflug in Hörsching oder Langenlebarn durch das Bundesheer betankt und betreut. In Bruckneudorf wurde auf dem dortigen Truppenübungsplatz (TÜPL) ein Instandsetzungspunkt eingerichtet. Am 27. Dezember 1995 traf der SACEUR, General Joulwan, mit seinem Stab an Bord einer DC-9 in Schwechat zu einer Absprache mit General Majcen zu Transitfragen und zur erforderlichen Anschlussversorgung der NATO-Kräfte bei IFOR ein. Insgesamt wurden für den Aufmarsch von IFOR im Rahmen der etwa 55 000 Mann aus 15 NATO- und 16 anderen Staaten umfassenden Operation »Joint Endeavour« bis Ende Jänner 1996 auf der Straße 28 Konvois mit 579 Fahrzeugen sowie fast 70 000t Ausrüstung und Gerät auf der Bahn in rund 2 000 Waggons transportiert. Rund 1200 Überflüge mit Flugzeugen und Hubschraubern wurden abgewickelt und 130 Landungen von Hubschraubern zur Betankung durchgeführt. Während Österreich die im Zusammenhang mit IFOR stehende Flüge von US Air Force F-16 mit Übungsmunition zur Ausbildung von Aviano nach Süddeutsch92 Im Gegensatz zu UNO-Operationen, bei denen (zumindest eine weitgehende) Refundierung der angefallenen Kosten vorgesehen war, waren für diese Beteiligung an IFOR die Kosten national zur Gänze zu tragen.

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land genehmigt hatte, wurden Ansuchen der deutschen Luftwaffe für Flüge nach Sardinien oder Kreta zu den dortigen NATO-Ausbildungseinrichtungen vom Bundeskanzleramt (BKA) in Wien als nicht im Zusammenhang mit IFOR und damit einem UNO-Mandat stehend abgelehnt. Das führte zu einer gewissen Verwunderung deutscher Stellen, wurden doch auch die Überflüge österreichischer »Draken« für die Ausbildung in Schweden oder Großbritannien über Deutschland bislang stets genehmigt. Im Frühsommer 1996 wurde auf Weisung von Verteidigungsminister Fasslabend im Bundesministerium für Landesverteidigung eine Stabsstudie zu den Möglichkeiten der österreichischen Beteiligung an einer Folgeorganisation von IFOR in Bosnien (unter dem Titel IFOR II) ausgearbeitet. Im Herbst 1996 stellte der NATO-Rat fest, die Implementierung des Friedensvertrages sei gelungen, und der Charakter der NATO-Operation in Bosnien-Herzegowina beginne sich in Richtung der Stabilisierung und des Wiederaufbaus zu verändern. Nach Aufhebung der UNO-Sanktionen gegen die BR Jugoslawien wurde mit 2. Oktober 1996 die Embargoüberwachung in der Adria und auf der Donau eingestellt – in Folge wurden von der NATO Planungen für eine Nachfolgeorganisation zu IFOR als eine Stabilisation Force (SFOR) ausgearbeitet. Am 18. November 1996 beschloss der NATO-Rat diese in ihrem Umfang verringerte SFOR mit NATO-Kommando unter einem UNO-Mandat, wobei von der Annahme einer ausreichend großen Polizeitruppe zum Schutz der Bevölkerung ausgegangen wurde. Die Resolution 1088 des UNO-Sicherheitsrats wurde dazu am 13. Dezember 1996 beschlossen, und mit 20. Dezember 1996 übernahm SFOR die Verantwortung für Bosnien-Herzegowina zunächst für 18 Monate mit einer geplanten Stärke von 30 000 Mann. Damit begannen wiederum Rückführungen von Kräften und eine gestiegene Transitfrequenz durch Österreich. SFOR setzte mit Kontingenten aus 15 NATO- und 17 anderen Staaten den Einsatz nunmehr als Operation »Joint Guard« fort. Als sich in den folgenden acht Wochen erhebliche Unruhen in Albanien entwickelten, wurde unter dem Mandat der OSZE eine Schutztruppe für Albanien vorbereitet. Nachdem der OSZE-Verhandler für Albanien, Bundeskanzler Vranitzky, eine »Polizeiaktion« einer »Koalition der Willigen« angeregt hatte, wurden im Bundesheer vorsorglich das Ausbildungszentrum Jagdkampf in Wiener Neustadt und die Luftlande-Aufklärungskompanie 7 in Klagenfurt bereitgestellt, dann aber nicht abgerufen, sondern statt dessen nach der Resolution 1101 (1997) des UNOSicherheitsrats vom 28. März 1997 eine Infanteriekompanie in der Stärke von 115 Mann vorbereitet. Diese sollte nach Zielsetzung von Verteidigungsminister Fasslabend eine möglichst eigenständige Aufgabe wahrnehmen und die Fähigkeiten des Bundesheeres demonstrieren, nachdem eine vage Idee zur Bildung einer »Multinational Land Force« mit Einheiten aus Italien, Deutschland und Österreich nicht über erste Überlegungen hinaus gediehen war. Die Bundesregierung stimmte am

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15. April 1997 dieser Kompanie für Albanien zu, und mit 24. April wurde sowohl im Hauptausschuss des Nationalrates die Entsendung beschlossen als auch am gleichen Tag das Entsendegesetz durch Einfügung einer auf die OSZE, EU und PfP bezogenen Formulierung abgeändert. Parallel dazu begann die Verlegung des österreichischen Kontingentes im Rahmen der von Italien geführten Operation »ALBA« in der Stärke von insgesamt 6 360 Angehörigen aus acht Ländern. Die österreichische Kompanie wurde bis zur Beendigung der Operation Ende Juli 1997 zur Sicherung des Hauptquartiers der Schutztruppe und von Einrichtungen der OSZE herangezogen. Obzwar die Operation nicht unter NATO-Kommando erfolgte, haben sich bei Vorbereitung, Aufmarsch und Durchführung des österreichischen Beitrags die aus den PfP-Übungen, Workshops und mit AUSLOG/IFOR im Rahmen der NATO gewonnenen Erfahrungen nachhaltig bewährt. Man war sowohl hinsichtlich Kommunikation, Stabsarbeit, Logistik, Terminologie als auch hinsichtlich der Planungsund Entscheidungsabläufe für Transport und Einsatz auf einen Standard gekommen, der auch kurzfristig den Einstieg in eine solche Operation unter Führung eines NATO-Mitgliedes reibungslos ermöglichte. Für Bosnien-Herzegowina hatte das vom UNO-Sicherheitsrat am 15. Juni 1998 für ein Jahr befristet beschlossene Mandat den Übergang am 20. Juni 1998 auf SFORII zur Folge. Während die Stärke mit rund 30 000 Mann unverändert blieb, wurde das Kommando in Sarajevo aus Elementen verschiedener Stäbe einschließlich des Eurokorps gebildet. Österreich beteiligte sich weiterhin im Rahmen von HELBA und entsprach im Oktober 1998 einem Ersuchen der NATO zur Entsendung einer Feuerwehrgruppe93 für das SFOR-II-Hauptquartier im Camp Butmir. In den Monaten ab Mai 1998 zeichnete sich auch eine Verschärfung der Situation im Kosovo durch Intensivierung der serbischen Maßnahmen gegen die »Befreiungsarmee des Kosovo« (UCK) und die Bevölkerung sowie durch erhöhte Aktivitäten der UCK ab.94 Ein weiterer »akuter« Brennpunkt war im Entstehen. Um dort ein deutliches Zeichen westlicher Entschlossenheit zu setzen, wurde auf der NATO-Konferenz der Verteidigungsminister am 12. Juni 1998 die rasche Durchführung einer Übung von NATO-Luftstreitkräften über Albanien und Mazedonien angeordnet. Diese fand dann am 15. Juni 1998 unter der Bezeichnung »Determined Falcon« unter Leitung von AFSOUTH mit 80 Flugzeugen aus 16 NATO-Staaten statt. Damit wurde ein Zeichen der raschen Reaktionsfähigkeit und Flexibilität der NATO-Luftstreitkräfte gesetzt. Für Österreich ergaben sich im Bundesministerium

93 Das Fire Protection Team umfasste 11 Unteroffiziere und 3 Chargen des Bundesheeres mit einem Puch G, zwei Tanklöschfahrzeugen ÖAF 4000 Liter und dem Brandlöschsystem IFEX 3000 und war vorerst für einen Einsatz von sechs Monaten vorgesehen. 94 Jurekovic, Pedrag/Feichtinger, Walter : Zur Lage im Kosovo, in : Österreichische Militärische Zeitschrift 5/36 (1998), S. 550–554.

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für Landesverteidigung Fragen zur weiteren Vorgangsweise hinsichtlich der beabsichtigten Beteiligung eines Klein-Kontingentes an der PfP-Übung »Cooperative Best Effort« in Mazedonien sowie zur Beteiligung an einer NATO-Operation unter UNO- oder OSZE-Mandat im Grenzgebiet von Albanien oder Mazedonien zum Kosovo oder gar innerhalb des Kosovo. Noch dazu fand sich Österreich ab dem 1. Juli 1998 durch die Übernahme des EU-Vorsitzes für sechs Monate in einer etwas herausgehobenen Situation. Das äußerte sich in der Transitfrage mit einer erhöhten Sensibilität. Frankreich hatte für eine gemeinsame Übung mit slowakischen Einheiten den Transit für 40 Panzer- und 130 Räderfahrzeuge über Österreich nach der Slowakei beantragt, der vom Bundeskanzleramt mit Hinweis auf die Neutralität abgelehnt wurde. Auch der Überflug deutscher Kampfflugzeuge und der Transit von Elementen der Bundeswehr, die an den im August stattfindenden Manövern der NATO in Albanien teilnehmen sollten, erhielten keine Genehmigung. Diese Manöver bzw. die NATO-Aktionen um die Region Kosovo waren nicht durch ein UNO-Mandat gedeckt und wurden daher als reine NATO-Maßnahmen eingestuft. Die deutschen Flugzeuge mussten unter beachtlichen Zusatzkosten den deutlich weiteren Flug »außen herum« absolvieren. Aber im Oktober 1998 wurde dann der Überflug von vier deutschen Kampfflugzeugen, der im Zusammenhang mit SFOR beantragt wurde, vom BMA im Sinne der aktuellen »Policy« genehmigt. Zur weiteren Verdeutlichung der Entschlossenheit der NATO in der KosovoFrage wurde am 24. September 1998 vom NATO-Rat die »Action Warning« erteilt. Dies war eine Aufforderung an die 16 Mitgliedstaaten, verbindlich das für eine Luftoperation im Zusammenhang mit dem Kosovo-Problem einzubringende Luftpotenzial bekannt zu geben. Mitte Oktober standen dem SACEUR rund 430 NATOKampfflugzeuge zur Verfügung. Zur gleichen Zeit wurden nach der Unterzeichnung des Milošević-Holbrooke-Abkommens am 13. Oktober 1998 insgesamt 750 OSZEBeobachter im Kosovo zur Kontrolle der Einhaltung des Waffenstillstandes und der Rückkehr der Flüchtlinge in ihre Dörfer eingesetzt. Darunter befanden sich auch österreichische Vertreter. In Verbindung mit einem NATO-Zeitplan für die in Mazedonien bereitgestellte »Extraction Force« und der nach wie vor anhaltenden gewaltsamen Konfrontation im Kosovo ergab sich für das Bundesheer das Erfordernis zur eingehenden Vorbereitung auf die Konsequenzen einer etwaigen NATO-Intervention in diesem Raum bzw. einer intensiven Luftoperation gegen die BR Jugoslawien, da mit nachhaltigem serbischem Widerstand gerechnet werden musste.95 95 So gab es inoffizielle Hinweise im NATO-Hauptquartier über die Möglichkeit des Luftschlages in »etwa« drei bis fünf Wochen und u.a. Informationen über die Dispositionen der US Air Force für B-52 in Europa. Der Überflug von 4 »Tornado« der deutschen Luftwaffe wurde vom BMA im Oktober 1998 genehmigt, da er als Beitrag zu »SFOR« beantragt und beurteilt worden war. Die Grundhaltung von BKA und BMA

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Die Bemühungen um eine Lösung des Konfliktes im Kosovo und eine Beendigung der Kämpfe und der Vertreibungen albanischer Bevölkerungsteile zogen sich durch die ersten drei Monate des Jahres 1999 hin.96 Im Jänner 1999 wurde die als Rückhalt für die OSZE-Kosovo-Beobachter von der NATO vorgesehene Eingreiftruppe in der Stärke von 1700 Mann (Extraction Force) mit einer entsprechenden Komponente zur Luftnahunterstützung in Mazedonien bereitgestellt und in der Folge auf rund 10 000 Mann aufgestockt. Der Transit durch Österreich für Teile dieser Force wurde genehmigt. In dieser Zeit bemühten sich NATO-Stellen um einen österreichischen Beitrag zum Lagebild im Kosovo, galten doch Österreich und Bulgarien für diesen Raum und die dortigen Vorgänge als »meist gut« informiert. Da aber keine unmittelbaren Verbindungen zwischen Info- und Auswerte-einrichtungen der NATO und dem Bundesheer bestanden, wurden diese Kontakte nur bilateral und innerhalb der von Mandaten des UNO-Sicherheitsrats abgedeckten Möglichkeiten wahrgenommen. Am 12. Februar 1999 genehmigte der NATO-Rat als sozusagen nächste Stufe das Konzept für den Einsatz einer Friedenstruppe in der Größenordnung von 28 000 Angehörigen, an der sich auch Kontingente aus Nicht-NATO-Staaten beteiligen sollten. Damit war für Außenminister Schüssel und Verteidigungsminister Fasslabend der Ansatzpunkt gegeben, auf der Grundlage der bisherigen Überlegungen zu Beteiligungen am 16. Februar 1999 in der Bundesregierung die Teilnahme einer Radpanzer-Kompanie (etwa 200 Mann) vorzuschlagen. Während das Bundesministerium für Äußeres trotz des nach wie vor fehlenden UNO- oder OSZE-Mandates dazu eine grundsätzlich positive Haltung einnahm, hatte das BKA Vorbehalte zur Art der Beteiligung und wollte im Falle eines Mandates eher doch eine »friedlichere« Einheit einbringen. In diesen Tagen lehnte trotz einer positiven Haltung des BMA das Bundeskanzleramt auch den Transit eines ungarischen Kontingentes über Österreich zu einer NATO-Übung in Italien ab. Es wurde nicht im Zusammenhang mit einer durch ein UNO-Mandat gedeckten Maßnahme gesehen, und die NATO nahm diese Entscheidung mit einem gewissen Erstaunen zur Kenntnis. Die kategorische Betonung der Neutralität in der folgenden Luftkampagne der NATO gegen die BR Jugoslawien, für die aufgrund der Vetos im UNO-Sicherheitsrat kein UNO-Mandat herbeigeführt werden konnte, zeichnete sich damit schon ab.97 Im Wege der österreichischen Botschaft in Brüssel wurde allerdings am 19. Februar die Bereitschaft zur Teilnahme bei der NATO eingebracht, und Österreich zum Transit und Überflug war eindeutig festgelegt : keine Genehmigungen für NATO-Maßnahmen im Zusammenhang mit Kosovo-Maßnahmen ohne Vorliegen eines UNO-Mandates. 96 Vgl. dazu : Klingl, Livia : Internationaler Bericht – Scheitern der Kosovo-Konferenz, in : Österreichische Militärische Zeitschrift 3/37 (1999), S. 331–333. 97 Der Gewalteinsatz der NATO gegen die BR Jugoslawien und im Kosovo ohne UNO-Mandat löste eine umfangreiche Diskussion der Völkerrechtsexperten mit unterschiedlicher Argumentation aus. Vgl. dazu : Mäder, Horst : Die NATO-Einsätze im Kosovo und das Völkerrecht, in : Truppendienst 3/38 (1999), S. 247 f.

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nahm daher schon drei Tage später an der »Force Generation Conference« teil. Im folgenden Ministerrat am 23. Februar 1999 wurden die monatlichen Kosten einer österreichischen Mitwirkung mit rund 30 Millionen Schilling veranschlagt und am 9. März 1999 ein Grundsatzbeschluss im Ministerrat für eine Beteiligung an einem Kosovo-Einsatz unter UNO-Mandat gefasst. Aber noch gab es keine Grundlage für den Einsatz einer »Friedenstruppe« und noch keine Einigung mit den im Kosovo involvierten Konfliktparteien. In weiterer Vorbereitung der Operation nahm Generaltruppeninspektor General Majcen im Rahmen der PfP-Kooperation am 11. und 12. März 1999 bei SHAPE in Mons an einer »strategischen« Planübung der Generalstabschefs der NATO- und PfP-Länder teil. Am gleichen Tag unterzeichneten Polen, Tschechien und Ungarn die Beitrittsverträge mit der NATO, und damit befand sich Österreich, abgesehen von Slowenien und der Slowakei, militärstrategisch gesehen »in der Tiefe« der NATO. In der Folge zeichnete sich das endgültige Scheitern der Verhandlungen zum Kosovo und damit eine demonstrative NATO-Operation ab. Der österreichische Vertreter bei der PCC in Mons wurde um eine Abklärung der österreichischen Haltung zum Überflug von NATO-Flugzeugen im Zuge einer Luftoperation gegen Jugoslawien ersucht, was schließlich von Österreich abschlägig beschieden wurde. Die NATO-Stellen waren davon nicht gerade erfreut98. Da die Einbeziehung der 82. US-Fallschirmjäger-Division (aus den USA) und der 1. USPanzerdivision (aus Deutschland) in den Operationsplan der NATO bekannt war, ging es auch um das Verhalten bei einem Transitantrag für diese schweren Verbände. Die Interpretation der österreichischen Bundesregierung blieb eindeutig, dass ohne UNO- oder OSZE-Mandat nach den Prinzipien der Neutralität geurteilt und gehandelt werde. In einem Aktenvorgang des Generaltruppeninspektors an Verteidigungsminister Fasslabend wurde eine Art Zusammenfassung der Maßnahmen vorgelegt. Demnach war einerseits die Betonung der neutralen Haltung vorgegeben und andererseits wurde auf ein »Hochfahren« der Reaktionsfähigkeit zur Vermeidung des Eindruckes einer »Überreaktion« verzichtet. Am 20. März 1999 verließen die OSZE-Beobachter die Region Kosovo, und damit wurde ein Einsatz der »Extraction Force« nicht erforderlich. Österreich lehnte auch den Antrag auf Genehmigung des Überfluges des US-Verhandlers Richard Holbrooke von Belgrad nach Brüssel mit der zwar zutreffenden, aber im Hinblick auf die Mission doch etwas fragwürdigen Begründung ab, bei dem »Lear-Jet« handle es sich um ein Flugzeug der US Air Force.99 Dies führte bei den NATO- und US-Stellen zu erheblicher Betroffenheit und stieß auf Unverständnis.100 Nachdem der US-Verhandler Richard Holbrooke 98 Freundliche Mitteilung von GenLt. Mag. Günter Höfler an den Verfasser, 18. Februar 2009. 99 Freundliche Mitteilung von GenLt. Mag. Günter Höfler an den Verfasser, 18. Februar 2009. 100 Freundliche Mitteilung von Präs. a.D. Dr. Werner Fasslabend an den Verfasser, 31. März 2009, und von GenLt. Mag. Günter Höfler an den Verfasser, 18. Februar 2009.

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am 23. März 1999 Belgrad ohne Ergebnis verlassen hatte und um Österreich herum geflogen war, erfolgte eine Anfrage Spaniens beim BMA für Überflüge im Rahmen einer NATO-Luftoperation gegen Serbien und das Verhalten Österreichs in dieser Frage. Dabei dürfte es um die Flugwege der auf britischen Stützpunkten dislozierten B-52 und F-117 gegangen sein. Die B-52 waren im Laufe des 24. März schon in Großbritannien gestartet, da versuchte Milošević einzulenken, und so wurde der Einsatz zunächst wieder abgebrochen. Die Entscheidung über die Ablehnung der Überflüge wurde zwischen dem neuen Bundeskanzler Viktor Klima und Vizekanzler Wolfgang Schüssel getroffen.101 Ein Versuch der US-Botschafterin in Wien, doch noch die Zustimmung zur Nutzung des österreichischen Luftraumes zu erwirken, blieb ohne Erfolg. Ab 21.00 Uhr begann dann in der Nacht vom 24. zum 25. März die NATO-Luftoperation »Allied Force« gegen Ziele in der BR Jugoslawien einschließlich des Kosovo, an der sich rund 430 Flugzeuge aus 13 NATO-Staaten beteiligten. Die Flugwege verliefen für einen Teil der Flugzeuge hart südlich der österreichischen Grenze, in der Region Radkersburg war der Fluglärm deutlich zu hören. Auf Grund der Flüchtlingssituation – 1,2 Mio. Albaner waren aus dem Kosovo vertrieben worden oder geflohen und rund 430 000 davon in Albanien eingetroffen – ersuchten am 1. April 1999 der UNO-Hochkommissar für Flüchtlinge (UNHCR) sowie die Regierungen Albaniens und Mazedoniens um Hilfe zur Bewältigung dieses Flüchtlingsstroms, gleichzeitig wurde die NATO um Wahrnehmung der Koordinierung dieser Maßnahmen gebeten. Am 3. April 1999 ersuchte die NATO im Weg der PfP-Vertretungen Österreich um Mitwirkung. Ein Erkundungskommando des Bundesheeres flog schon am folgenden Tag in Reaktion auf das Ersuchen Albaniens mit einer Short SC-7 »Skyvan« über Italien nach Tirana, und im BMLV wurde das Austrian Humanitarian Contingent/Albania (ATHUM/ALBA) mit Kommando, einer Art Stabskompanie, einer Pionierkompanie, einem Sicherungszug, einer Gruppe mit vier Hubschraubern AB-212 und einem Sanitätselement zur Eigenversorgung sowie zur Errichtung, Sicherung und Unterstützung des vom Österreichischen Roten Kreuz, dem Malteser-Hospitaldienst, der Diakonie Österreich und der Caritas zu betreibenden »Österreich-Camp« für Flüchtlinge geplant, das am 5. April in einem verkleinerten Sonder-Ministerrat mit Dringlichkeitsbeschluss festgelegt wurde. Schon am Folgetag wurde der Sicherungszug mit einer C-160 »Transal« der deutschen Luftwaffe von Augsburg nach Tirana transportiert, und mit dem 10. April begann der Transport des Hauptkontingentes mit einer belgischen C-130, einer französischen »Transal« und einer gemieteten ukrainischen »Ilyushin-76«. Die rund 700 Soldaten errichteten das von mehr als 200 zivilen Freiwilligen betriebene »Österreich Camp« nahe Shkodra, das schließlich von durchschnittlich 3 000 Flüchtlingen bewohnt wurde. Nach Fertigstellung des Zeltlagers verblieben durchschnittlich 101 Freundliche Mitteilung von Präs. a.D. Dr. Werner Fasslabend an den Verfasser, 31. März 2009.

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400 Soldaten und 60 bis 100 zivile Freiwillige in Shkodra eingesetzt. Es war dies die größte bisher vom Bundesheer im Ausland wahrgenommene humanitäre Hilfsaktion, aber es müssen auch die außerordentlichen Leistungen der Angehörigen der zivilen Hilfsorganisationen hervorgehoben werden. Diese haben die eigentliche Versorgung und Betreuung der Flüchtlinge in dem unter dem Schutz des Roten Kreuzes stehenden und von »Nachbar in Not« tatkräftig unterstützten »Österreich Camp«, das daher nicht unter militärischer Verantwortung stehen konnte, wahrgenommen. Ihre Leistungen werden in den Berichten zwar erwähnt, verdienen aber eine besondere Würdigung. Ab 20. April 1999 wurde das ATHUM/ALBA unter »operational control« der aus der NATO-AMF in Albanien hervorgegangenen »Albanian Force« (AFOR) gestellt und die weitere Abwicklung durch dieses Kommando im Rahmen der ab 16. April 1999 eingeleiteten NATO-Hilfsaktion »Allied Harbour« koordiniert. An dieser beteiligten sich außer Österreich mehrere NATO-Länder sowie Georgien, Lettland, Slowenien und die Slowakei. Die USA unterhielten die humanitäre Hilfsaktion »Shining Hope«, und Kontingente aus der Schweiz und einigen arabischen Staaten arbeiteten für den UNHCR. Nach 80 Betriebstagen wurde das »Österreich Camp« geschlossen und Personal und Material zwischen dem 14. und 31. Juli 1999 wieder nach Österreich zurückverlegt. Am 21. April 1999 kam es im Parlament zu einer intensiven Konfrontation über den Konflikt im Kosovo und die Rolle Österreichs in diesem Zusammenhang. Der Klubobmann der SPÖ warf Außenminister Schüssel und Verteidigungsminister Fasslabend vor, zu »agieren wie NATO-Minister« und erhob Vorwürfe gegen das Heeres-Nachrichtenamt wegen angeblicher Weitergabe von Informationen an die USA bzw. die NATO über die laufende serbische Operation »Hufeisen« im Kosovo. Schließlich wurde auch die Vorbereitung eines »Internierungslagers« für nach Österreich gekommene Kämpfer der UC¸ K in der Kaserne Wöllersdorf heftig thematisiert.102 Der Generaltruppeninspektor hatte schließlich im Sinne der eindeutigen Haltung der Bundesregierung betont, dass Österreich im Konflikt zwischen der NATO und der BR Jugoslawien neutral sei. Für die Luftoperation »Allied Force« standen Mitte Mai 1999 dem SACEUR schon rund 800 Flugzeuge zur Verfügung und es erfolgten weitere Verstärkungen, schließlich waren rund 1 100 Flugzeuge einbezogen. Umfangreiche Flugbewegungen und alle damit verbundenen Aktivitäten liefen jedoch unter eindeutiger Aussparung des österreichischen Luftraumes, es hat hier bis zum Ende der durch 79 102 Der Bürgermeister von Wöllersdorf hatte diese Vorbereitungen für maximal 200 Personen als Bedrohung der Bewohner von Wöllersdorf öffentlich kritisiert und dabei an die Vergangenheit von Wöllersdorf als Internierungsort in der Ersten Republik verwiesen. Übrigens sollten nach Österreich gekommene serbische Kombattanten im Hochlager Walchen-Lizum untergebracht werden.

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Tage erfolgten NATO-Luftangriffe am 10. Juni 1999 keine weiteren Luftraumverletzungen gegeben. Die NATO-Luftangriffe hatten letztlich ein Einlenken der BR Jugoslawien und die Einleitung des Einmarsches der »Kosovo International Security Force« unter NATO-Führung in der Region zur Folge. Nach dem ursprünglichen Operationsplan wollte die NATO nur für sechs Monate die Führung wahrnehmen und dann die Verantwortung voll an die UNO übergeben. Am 3. Mai 1999 erfolgte durch Bundeskanzler Klima die Ankündigung der Teilnahme des Bundesheeres an der »Kosovo Force« (KFOR), sofern eine Resolution des UNO-Sicherheitsrats bzw. ein OSZE-Mandat vorliege. Der Bundeskanzler hätte an sich stärkeres Interesse an einem humanitären Hilfseinsatz des Bundesheeres und der NGOs in Mazedonien gehabt, doch sahen sich die zivilen Hilfsorganisationen neben dem laufenden ATHUM/ALBA bzw. »Österreich Camp« personell dazu nicht imstande. Wohl aber wurde von Österreich einem mazedonischen Antrag auf Transit eines FM (Fernmelde-)Kontingentes nach Deutschland zur PfP-Übung »Combined Endeavour 99« stattgegeben, nicht aber der Rückführung desselben, da es sich dabei nach der österreichischen Gesetzeslage um die Durchfuhr von Kriegsmaterial in ein Kriegsgebiet gehandelt hätte. Aufgrund des Gewöhnungseffektes dürfte sich aber die Verwunderung bei den Betroffenen in Grenzen gehalten haben. Nach der Unterzeichnung des Militär-Technischen Abkommens zwischen der NATO und den Streitkräften Jugoslawiens folgte am 10. Juni die Resolution 1244 des UNO-Sicherheitsrats als Grundlage für Aufgaben und Einsatz von KFOR zur Verhinderung neuer Feindseligkeiten, Überwachung der sicheren Rückkehr der Flüchtlinge und Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung. Mit 11. Juni aktivierte der NATO-Rat die Operation »Joint Guardian« im Führungsbereich von AFSOUTH unter Führung des ARCC und mit 15. Juni beschloss der Ministerrat in Wien die Finanzierung der Teilnahme an KFOR durch 366 Mio. Schilling über einen Zeitraum von sechs Monaten. Bei einer Besprechung mit Vizekanzler Schüssel wurde von den Vertretern der bisher beteiligten zivilen Organisationen eine Art Zweiphasenplan als »Verknüpfung« des »Österreich Camp« mit der Mitwirkung im Kosovo angedacht. In der ersten Phase sollte das Bundesheer den Transport der Flüchtlinge aus Shkodra zurück in ihre Heimatgebiete im Kosovo unterstützen, und dann wollte man ein »Österreich-Dorf« im Raum Orahovac nördlich Prizren errichten. Die Zustände in der Region, die Unwägbarkeit der albanischen Verwaltung und die Entscheidungen der NATO-Kommanden über Dislokation und Aufgaben der Truppen beendeten diese Vorstellungen jedoch. Daher wurde am 25. Juni im Ministerrat die Stärke des (militärischen) KFOR-Kontingents des Bundesheers (AUCON/KFOR) mit 450 (in der Aufbauphase 500) Angehörigen festgelegt und die Entsendung formal beschlossen. Für entsprechende Aufklärung im Raum wurden eine Nationale Aufklärungsgruppe (NIC) und eine »Counter Intelligence Cell« (IC) angeschlossen. Absprachen mit der deutschen Bundeswehr bezüglich der Einbindung in die von

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der Bundeswehr geführte Multinational Brigade South (MNB/S) waren erfolgreich abgeschlossen worden, und schon mit 26. Juni wurden Verbindungsoffiziere zum Hauptquartier von KFOR in Pristina und zur MNB/S in Prizren verlegt, zusammen mit einem Erkundungskommando für den konkreten Lagerstandort. Der wurde mit einem Industriegelände nahe Suva Reka gefunden. Für den Aufmarsch wurde die Entscheidung am 9. August für den Lufttransport des Personals und den Seetransport des Materials von Koper (Istrien) nach Saloniki getroffen, und am 18. August begann die Verlegung des Kontingentes »Lageraufbau« nach Suva Reka. Aber mit 21. August wurde das BMLV vom österreichischen Verbindungsoffizier in Prizren über eine Vereinbarung zwischen dem deutschen und niederländischen Außenminister informiert, wonach als Folge des Einsatzes eines zweiten russischen Bataillons im Raum Orahovac dem niederländischen Verband die Stadt Suva Reka und der für das AUCON/KFOR bisher vorgesehene Teil südlich Suva Reka zugeordnet werden sollten. Der SACEUR, General Clark, hatte dem russischen Kontingent Orahovac und dem ursprünglich dort vorgesehenen niederländischen Verband Suva Reka zugesichert. Damit hätte das AUCON/KFOR die Gummifabrik als Standort des Camps verloren und wäre unter höchst ungünstigen Bedingungen zur Suche und Neuerkundung gezwungen gewesen. Bemühungen von Verteidigungsminister Fasslabend und von General Majcen, mit den deutschen Stellen eine tragfähige Lösung zu erreichen, blieben zunächst ohne Erfolg. Über den deutschen Generalinspekteur, General von Kirchbach, wurde am 22. August aber zunächst einmal die Beibehaltung der Gummifabrik für das Lager zugestanden und auf verschiedenen »Schienen« auch die Abklärung der dem AUCON/KFOR zuzuweisenden Einsatzzone betrieben. Dabei ging es auch – im Interesse der Bundesregierung – um die Gewährleistung der Einbringung der zivilen Aspekte (CIMIC) für Stabilisierung und Wiederaufbau und den Ansatzpunkt für wirtschaftliche Möglichkeiten. Daraufhin entschloss sich Minister Fasslabend zu einem persönlichen Besuch beim Teilkontingent AUCON/KFOR in der Gummifabrik, um vor Ort die endgültige Zonenfestlegung für AUCON abzuklären. Trotz einiger Unstimmigkeiten bezüglich des Besuches von Fasslabend konnte dieser am 26. August 1999 bei dem Kommandanten der MNB/S, Brigadegeneral Sauer, in Prizren Übereinstimmung hinsichtlich des geänderten Einsatzraumes AUCON/KFOR nördlich Suva Reka an der Straße nach Prizren erreichen. Damit wurde zwar das Problem Orahovac nicht gelöst, wo die albanischen UC¸ K-Kräfte mit einer tief gestaffelten Barrikade das russische Kontingent nicht hinein und das niederländische Bataillon nicht abrücken lassen wollten, aber das war aus dem Einflussbereich von AUCON/KFOR genommen und nicht mehr für AUCON relevant. Die ganze Entwicklung um diese Änderung der Zonenzuordnung gleichsam über den Kopf eines Nicht-NATO-Mitgliedes hinweg hat doch den Stellenwert verdeutlicht und ließ die Einstufung (hinsichtlich des Potenzials und der Intensität einer Mitwirkung) erkennen. Das galt nicht für die Handhabung durch die MNB/S und

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in der Kooperation vor Ort, wohl aber für die »hohen« Ebenen. Möglicherweise haben dabei auch die »neutrale« Haltung Österreichs während der Luftoperation im Frühjahr und die teilweisen Ablehnungen von Überflügen und Transitanträgen ihre Auswirkungen gezeigt. Gegen Ende 1999 erfolgte der Beginn der Reduzierung der NATO-Kontingente in Bosnien-Herzegowina bei SFOR. Die österreichische Bundesregierung beschloss den Verbleib einer (verminderten) Transporteinheit bei SFOR, und ab 1. März 2000 befand sich das verkleinerte Kontingent der Austrian Logistics/Stabilization Force (AUSLOG/SFOR) von 54 Mann mit 25 Kfz (davon 12 Lkw/Kipper) unter »operational control« im Rahmen eines deutschen Logistikbataillons in der Basis Railovac, rund fünf Kilometer nordwestlich von Sarajevo. Vier Angehörige des Kontingentes versahen weiterhin Dienst im Stab von SFOR. Im Jahr 1999 hatte somit die unmittelbare Kooperation österreichischer Kontingente im Rahmen NATO-geführter und unter UNO-Mandat stehender multinationaler Operationen einen zu Beginn der 1990er-Jahre nicht erwartbaren Umfang erreicht. Durch die Formel des »operational control« verblieb das jeweilige Kontingent in der nationalen Verantwortung und war mit den NATO-Stellen und -Verbänden nur auf Zusammenarbeit angewiesen. Bei offenen Fragen, Widersprüchen oder Sensibilitäten war eine nationale Entscheidung durch das Kontingent einzuholen und danach vorzugehen. Die Informationsbeziehungen zur NATO in Brüssel und Mons hatten sich vertieft und eingespielt, auch wenn es immer wieder – so etwa in der Zonenfrage Suva Reka – spürbar wurde, was es bedeutete, nicht Vollmitglied zu sein. Man hatte Kapazitäten in die multinationalen Operationen eingebracht, man hatte aber von österreichischer Seite auch in den Transit- und Überflugsaspekten die eindeutige Position des neutralen Staates eingenommen und damit manche Erschwernis bzw. Kostensteigerungen für die beteiligten NATO-Staaten verursacht.

Die Beziehungen im Rahmen der Luftstreitkräfte Nach dem offiziellen Antrag der Republik Österreich zum Beitritt in die EG und später EU und der schlagartigen Änderung der Gesamtlage in Zentral- und Osteuropa bis Ende 1991 wurde vom BMLV die bisherige Zurückhaltung gegenüber den Mitgliedstaaten der NATO und auch einem Teil der ehemaligen Mitgliedstaaten des Warschauer Pakts verringert und eine bilaterale Kooperation in verstärktem Ausmaß gesucht. Themenspezifische Zusammenarbeitsvereinbarungen bzw. -regelungen ermöglichten die Aufnahme dieser Kontakte. Im Bereich der Fliegerkräfte des Bundesheeres ergab sich dabei das arbeitstechnische und kapazitätsmäßige Problem der alleinigen Wahrnehmung aller luftfahrtspezifischen Belange durch die Luftabteilung im Rahmen der Generalstabsgruppe B des Bundesministeriums für Landesverteidi-

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gung.103 Innerhalb kurzer Zeit wurden 16 derartige Zusammenarbeitsvereinbarungen verhandelt und abgeschlossen. In der Durchführung dieser Regelungen ergab sich rasch für die Luftabteilung jedoch eine erhebliche Belastung. Der Aufbau dieser Beziehungen hatte besondere Bedeutung, um den Anschluss an den internationalen Standard der militärischen Luftfahrt in technischer, operativer, organisatorischer und rüstungsmäßiger Hinsicht zu erreichen bzw. zu erhalten. Hatte doch gerade in den ersten Wochen des Jahres 1991 der Einsatz der Luftstreitkräfte der Koalition im Konflikt mit dem Irak um Kuwait jene Entwicklung und Möglichkeiten der Luftstreitkräfte aufgezeigt, die sich im zurückliegenden Jahrzehnt ergeben und zu einem »Quantensprung« bei den Einsatz- und Wirkungsmöglichkeiten geführt hatten. Die sich entwickelnden Kontakte und Kooperationen erfolgten zunächst auf bilateraler Grundlage, doch ergab sich durch die Einbindung der Partner-Luftstreitkräfte in das System der NATO eine indirekte Berührung mit NATO-Strukturen und -Verfahren. Mit dem Beitritt Österreichs zur PfP erfolgten neben der Fortsetzung der bilateralen Beziehungen nunmehr auch im Rahmen der PfP und der Jahrespartnerschaftsprogramnme direkte Kontakte und Mitwirkungen in NATO-Arbeitsgruppen und mit NATO-Einrichtungen. Im Rahmen der Vereinbarungen galt es für die Luftabteilung, auch im Hinblick auf den Ersatz der sich langsam dem Ende ihrer Nutzungsdauer nähernden Luftraumüberwachungsflugzeuge vom Typ »Draken«, den Ein- und Überblick zu erhalten und die entsprechenden »unterstützenden« Kontakte und Informationen nicht nur vonseiten der anbietenden Industrie, sondern auch vonseiten der »nutzenden« Luftstreitkräfte zu gewinnen. So hatte im Jahre 1991 Verteidigungsminister Fasslabend die Einleitung des Planungsvorganges für den Ersatz der »Draken« angeordnet. Außerdem gewann die Frage der Verfügbarkeit eines geeigneten Lufttransportraumes für die außerhalb Österreichs vom Bundesheer wahrgenommene Mitwirkung an multinationalen Einsätzen (damals noch vorrangig im Rahmen der UNO-Operationen) zunehmend an Bedeutung. Ein entsprechend umfassendes Lufttransportkonzept wurde als Planungsgrundlage ausgearbeitet, das im Rahmen der Fliegerkräfte des Bundesheeres jeweils geeignete Mittel im Rahmen einer leichten, mittleren und mittelschweren Kapazitätsklasse beinhaltete. Allerdings ergaben sich hinsichtlich der Realisierung unterschiedliche Auffassungen, die nicht nur auf den Bereich des BMLV beschränkt blieben, sondern auch ihren tagespolitischen und medialen Widerhall fanden.104

103 Mit der Auflösung der bisherigen Sektion III/Armeekommando des BMLV am 2. Juli 1991 wurde die bisherige Abteilung des G-Luft/AKdo aufgeteilt und deren Kompetenz einerseits der Luftabteilung/ GStbGrp B im BMLV, andererseits für die materiellen Belange einer Abteilung der Sektion IV/BMLV und in truppendienstlicher Hinsicht dem Kommando der Fliegerdivision in Langenlebarn übertragen. 104 So fanden 1990 noch unter Verteidigungsminister Robert Lichal Verhandlungen mit der britischen Luft-

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Zur Verringerung der Belastung der Luftabteilung durch die angeführten intensiven Kontakte bemühte sich der Leiter der Luftabteilung etwa ab Anfang 1994 nach dem Vorbild der »European Air Chiefs Conference« (EURAC)105, in die er als österreichischer »Air Chief« integriert wurde, gemeinsame Konferenzen mit den Befehlshabern der Luftstreitkräfte in den ehemaligen Mitgliedstaaten des Warschauer Pakts zu organisieren. Dies führte zu zwei Mal jährlich durchgeführten »Air Chiefs Meetings«, in denen gleichlautende Interessengebiete des Luftbereiches wie operative Analysen, konkrete Angelegenheiten der Materialstrukturplanung nach Wegfall der sowjetischen Unterstützung und Kooperation mit den Staaten der NATO behandelt werden konnten. Daran nahmen vor allem die Repräsentanten Ungarns, der Slowakei, Tschechiens, Bulgariens, Rumäniens, Kroatiens, Sloweniens und teilweise der Ukraine teil. Allerdings wurden die Fachgespräche mit Schweden und der Schweiz aufgrund des gegebenen hohen Koordinierungsbedarfes und als Folge der bisherigen Beschaffungen und Zusammenarbeit106 gesondert fortgeführt. Die Kontakte mit den Luftstreitkräften der europäischen NATO-Staaten wurden ab 1993 zunächst informell und ab 1995 weitgehend im Rahmen der EURAC-Meetings wahrgenommen. Daher waren nur mehr mit jenen NATO-Luftstreitkräften bilaterale Fachgespräche vorzusehen, mit denen gemeinsame Projekte abgewickelt wurden. Dies waren Großbritannien, Frankreich und Italien.107 Mit dem Verteidigungsministerium Großbritanniens wurden ab 1993 die erforderlichen Planungen und die vertraglichen Regelungen sowie die Modalitäten der Abwicklung der Gefechtsausbildung der österreichischen »Draken«-Piloten für die neu eingeführte Luft-Luft-Lenkwaffe »Sidewinder« P 3 auf der »North Sea Range« einschließlich der dafür erforderlichen temporären Nutzung der Basis der Royal Air Force in Waddington abgewickelt. Auf dieser »Air Combat Manoeuvering Installation« (ACMI) konnten in einem telemetrisch vollständig erfassten Übungsraum alle Daten eines Luftkampfes bzw. Waffeneinsatzes erfasst und dargestellt werden. Jeweils im Mai 1995 und 1997 wurden je zehn »Draken« mit dem erforderlichen Personal und der Technik bzw. Logistik nach Waddington verlegt und flogen von dort jeweils rund 200 Einsätze im Übungsgebiet. Dabei ergaben sich durch den Einfahrtindustrie über den Ankauf eines Transportflugzeuges vom Typ BAE-146 statt. Dieser ließ kurz vor seinem Wechsel aus dem BMLV in das Präsidium des Nationalrates am 5. November 1990 den Vorgang stoppen. Vgl. dazu : Lichal stoppt umstrittenen Flugzeugankauf des Heeres, in : Kurier, 4. Dezember 1990, S. 2. 105 Die EURAC institutionalisierte regelmäßige Treffen bzw. Fachkonferenzen der Befehlshaber der Luftstreitkräfte in Europa. 106 Mit Schweden hinsichtlich der im österreichischen Bundesheer genutzten Typen Saab 105 OE sowie der Saab »Draken«, mit der Schweiz vor allem bezüglich der Zusammenarbeit im System der Luftraumüberwachung. 107 Freundliche Mitteilung von Bgdr. iR Josef Bernecker an den Verfasser, 18. Februar 2009.

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satz von ausländischen Kampfflugzeugen als »Luftfeind« und Frühwarnflugzeugen erstmals Berührungen mit den NATO-Verfahren und -Abläufen. Ein recht günstiges britisches Angebot zur Abgabe von gebrauchten Transportflugzeugen vom Typ C130 »Hercules« an die österreichischen Fliegerkräfte wurde hingegen damals nicht weiter in Erwägung gezogen.108 Nach dem Beitritt Österreichs zur EU und der Mitgliedschaft in der »Partnership for Peace« ergab sich eine zunehmende »Vernetzung« der Kontakte zwischen den Kommandostrukturen und damit eine Verringerung der ursprünglichen Bedeutung dieser Zusammenarbeitsvereinbarungen. Die EURAC hat sich als Forum der Verantwortlichen der Luftstreitkräfte verstanden, die eine Verbesserung der Zusammenarbeit und Vertiefung des Verständnisses über ein breites Spektrum Militärluftfahrtspezifischer Themen und Aktivitäten anstrebten. Die teilnehmenden Air Chiefs brachten dabei ja nicht nur ihre persönliche Qualifikation für den Bereich der Luftstreitkräfte ein, sondern hatten auch in ihrer jeweiligen Führungs- und Kommandostruktur entsprechende Kapazitäten für die Bearbeitungen einschlägiger Aspekte zur Verfügung. Diese Konferenzen fanden in den restlichen 1990er-Jahren zweimal jährlich in der Dauer von drei Tagen statt, wobei üblicherweise ein Tag etwa für die Teilnahme an einem »Flugtag« bzw. einer »Air Show« oder einer kulturellen Veranstaltung vorgesehen war. Aber vorrangig bemühte sich die EURAC um entsprechende gegenseitige Information über Kernfragen der Luftstreitkräfte wie Organisation, Strukturen und Ausrüstung, Technologie und Geräteplanungen und vor allem Erfahrungen bei diversen Implementierungen. Auch auf dem Gebiet der passiven Luftraumüberwachung und der Führungsverfahren für Fliegerkräfte kam es ab Dezember 1993 zu ersten Kontakten zwischen den österreichischen Fliegerkräften und NATO-Einrichtungen. Im Verlauf des angeführten Planungsverfahrens für die Nachfolge des »Draken« war der Luftabteilung im BMLV bekannt, dass vor allem für den Transfer hochwertiger Technologie jeder Art aus den USA zu den österreichischen Fliegerkräften ein zeitintensives Genehmigungsverfahren in den USA erwartet werden musste. Daher wurde am 26. Mai 1994 das Exportfreigabeverfahren für die Luft-Luft-Lenkwaffe AMRAAM109 bei den amerikanischen Stellen eingeleitet. Diese sollte als System mo108 Auch ein Angebot aus Israel über vier gebrauchte C-130 »Hercules« sowie ein Angebot aus den USA wurden in dieser Zeit nicht berücksichtigt. Im August 1990 hatte der Leiter der Luftabteilung die C–130 »Hercules« in den USA zu Testzwecken geflogen. Die britischen C-130 wurden dann allerdings im Jahre 2002 vom Bundesheer angekauft. 109 Die AIM-120 Advanced Medium Range Air-to-Air Missile (AMRAAM) wurde von Hughes Missile System Company in Tucson, Arizona, und der Raytheon Company in Lexington, Massachusetts, produziert und wurde in der US Air Force auf den Typen F-16, F-15 und F/A-18 verwendet. Die Kosten einer Lenkwaffe lagen damals zwischen 350 000 und 500 000 US Dollars für ausländische Bezieher.

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dernster Technologie als Teil der Bewaffnung des Nachfolgetyps der »Draken« eingebracht werden, ohne zu diesem Zeitpunkt die Typenauswahl selbst zu präjudizieren. Die amerikanische Defense Security Assistance Agency (DSAA) bestätigte mit 8. Juli 1994 dem Leiter der Luftabteilung im BMLV den Empfang des Antrages, und mit 8. Dezember 1994 wurde im Wege des österreichischen Verteidigungsattaches in den USA durch den Vorsitzenden der Joint Chiefs of Staff General Shalikashvili dem österreichischen Generaltruppeninspektor der Vorgang bestätigt und eine Erledigung »early next year« angekündigt. Dann allerdings erfolgte trotz einiger Urgenzen bis Sommer 1995 keine Reaktion der USA. Auf Antrag der Luftabteilung wurde dieses Thema dann am 12. Oktober 1995 im Rahmen der Technologiegespräche der Generalstabsgruppe A des BMLV mit amerikanischen Repräsentanten behandelt und von diesen »eine Antwort in Kürze« in Aussicht gestellt. Die österreichischen Planungsverantwortlichen äußerten »informell« geringes Verständnis für die relativ rasche Freigabe der AMRAAM an das doch in manchen militärischen Belangen mit Russland kooperierende Finnland und die Verzögerung der Entscheidung für Österreich.110 Allerdings hatte sich Finnland bereits 1993 entschlossen, amerikanische F/A-18 zu beschaffen ! Im November 1995 trat als Folge der österreichischen Bemühungen um die AMRAAM die »NATO Maintenance and Supply Agency« (NAMSA) an die Gruppe Versorgungsführung im BMLV heran und lud Beobachter zu den NAMSA-Verhandlungen über eine »AMRAAM Weapon System Partnership« ein, die mit der Schweiz, Schweden und Finnland geführt wurden. Diese drei Nicht-NATO-Staaten hatten die Absicht, nach der Beschaffung dieses Waffensystems auf die logistischen Dienste dieser NATO-Organisation zurückzugreifen. Da sich in Österreich aber die Beschaffung der AMRAAM noch im Projektstadium befand, wurde die projektführende Luftabteilung im Bereich GStbGrp B/GTI mit der Wahrnehmung beauftragt. Für das BMLV nahmen der Leiter Luftabteilung und ein Vertreter der Sektion IV/ BMLV an den Sitzungen der NAMSA mit den »Interessenten« zur Erstellung eines »AMRAAM Weapon System Partnership Agreement« (WSPA) teil, das von den drei Nicht-NATO-Partnern am 22. bzw. 23. Mai 1996 unterzeichnet wurde. Im November 1995 besuchte, wie schon angeführt, der US-Verteidigungsminister William Perry Österreich. Im Rahmen des Gesprächs am 24. November 1995 mit dem BMLV wurde auch die »AMRAAM«-Frage angesprochen. Durch Perry wurde Unterstützung auch darauf zugesagt, aber hingewiesen, die Lenkwaffe würde das »richtige« Radarsystem benötigen, und Lenkwaffe und Radar würden ein »package« bilden. Beim österreichisch-schwedischen Fachgespräch am 12. Dezember 1995 bot der schwedische Brigadier Lundberg an, im Zuge der schwedischen Verhandlungen

110 Hitchens, Theresa Theresa:: Austria Pursue U.S.AMRAAM, in in:: Defense News, 23.–29. Oktober 1995, S. 40.

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um Freigabe dieser Lenkwaffe111 auch einen Termin für Österreich beim stellvertretenden Direktor der DSAA zu vermitteln. Mit Zustimmung des GTI wurde dieses Gespräch dann am 27. und 28. März 1996 durch den Leiter der Luftabteilung in Washington D.C. geführt. Dabei ging es vor allem um die Gewährleistung der »Sicherheit« des Lenkwaffensystems nach NATO-Standard im Rahmen der österreichischen Verschlusssachenvorschrift und innerhalb der nationalen Munitionslager. Die amerikanischen Gesprächspartner zeigten sich dabei über die Sicherheitsmaßnahmen im Zusammenhang mit der Beschaffung der »Sidewinder«-Lenkwaffen für die »Draken« bestens informiert und übergaben schließlich Kopien der mit 25. März 1996 datierten Genehmigungsschreiben der amerikanischen Stellen an Gen. Majcen sowie Bgdr Bernecker. Der ganze Vorgang zeigt die enge Verknüpfung bilateraler Vorgänge mit NATO-Mitgliedstaaten zu den logistischen oder (in anderen Fällen) operativen Strukturen der NATO. Ebenfalls im Jahre 1995 ging von den USA die Initiative zu einer »Regional Airspace Management Initiative« (RAI) aus, als deren Ziel die Errichtung einer zivil-militärischen Luftraumkontrolle in den ehemaligen osteuropäischen WPStaaten bezeichnet wurde, die in vollem Ausmaß mit den »westlichen« Flugverkehrskontroll- und Luftraumüberwachungssystemen kompatibel sein sollte. Auch Österreich fand sich im Kreis jener zentral- und osteuropäischen Staaten, denen als erster Schritt eine Grundsatzstudie des Electronic System Center der US Air Force gegen eine Kostenbeteiligung von 1 Mio. US-Dollar angeboten wurde. Da das Bundesheer jedoch entsprechende Erfahrungen nach der Errichtung des Überwachungssystems »Goldhaube« auf hohem Niveau besaß und die Informationen über die Studie keinen Gewinn an Erkenntnissen erwarten ließen, wurde das Angebot durch die Luftabteilung des BMLV dankend abgelehnt. Das führte allerdings zu einer Intervention der amerikanischen Botschaft in Wien bei Verteidigungsminister Fasslabend. Also wurde amerikanischen Experten das österreichische System »Goldhaube« vorgestellt. Daraufhin wurde eher Wert auf die österreichische Mitwirkung an der RAI gelegt, einerseits aufgrund der praktischen Erfahrungen im System »Goldhaube« und andererseits auch zur Nutzung der guten Beziehungen, die sich zwischen den österreichischen Fliegerkräften und den Luftstreitkräften der östlichen Nachbarstaaten in der ersten Hälfte der 1990er-Jahre entwickelt hatten. Österreich erhielt in diesem Projekt den Status eines Beobachters und nahm mit Vertretern des Luftbereiches ab der Konferenz in Sinaia (Rumänien) im September 1995 beratend an den jährlichen Planungskonferenzen von NATO-Vertretern und regionalen Delegationen für das »Air Sovereignty Operation Center« (ASOC) in Tschechien, Ungarn, Polen, der Slowakei und den drei baltischen Staaten teil. Das 111 Schweden hatte ein entsprechendes konkretes Ansuchen für 100 Stück der AMRAAM in den USA abgegeben und sah die Integration des Systems im »Gripen« vor.

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vierte Meeting fand in der Zeit vom 10. bis 12. November 1998 auf Einladung des BMLV in St. Johann im Pongau statt, woran neben den NATO-Repräsentanten und Österreich noch Delegationen aus 15 Ländern teilnahmen.112 Da in der Zwischenzeit die Systeme in Tschechien, Ungarn und Polen eingerichtet waren und den Probebetrieb aufgenommen hatten, nahm die Luftabteilung noch am fünften Meeting in Polen teil, reduzierte dann aber ihre Aktivitäten aufgrund der abgeschlossenen Planungsphase auf die reine Beobachtung. Mit der RAI verbunden, blieben die Probleme der ursprünglich vorgesehenen Einbindung aller derartigen Zentren in das NATO Air Defense System (NADGE) und des gegenseitigen Datentransfers für ein Luftlagebild. Es wurden umfangreiche Verhandlungen mit den zuständigen NATO-Gremien zu diesem an sich sensiblen Punkt geführt, eine zufriedenstellende Klärung aber in den 1990er-Jahren nicht mehr herbeigeführt. Als PfP-Partner nahmen Vertreter der Luftabteilung des BMLV auch an den zwei Mal jährlich stattfindenden Sitzungen des NATO Air Defence Committee (NADC) teil, das sich mit Fragen der Kooperation in der Luftverteidigung und der Entwicklung eines europäischen Raketenabwehrsystems beschäftigte. Die österreichischen Fliegerkräfte hatten sich bereits seit den 1970er-Jahren intensiv, wenn auch mit unterschiedlicher Akzeptanz um die Gewährleistung der Flugsicherheit und Unfallvermeidung bemüht. Dazu war ein Flugsicherheitsdienst (FSD) ausgebaut worden, der das Problembewusstsein aller Beteiligten zu stärken versuchte und durch eine Reihe von Maßnahmen direkt und indirekt zum Professionalismus in den Fliegerkräften beigetragen hat. Da aber der FSD nicht nur im »nationalen Saft« schmoren sollte und die erwartbare zunehmende Kooperation zwischen den Luftstreitkräften in Europa einen Meinungsaustausch und eine gewisse Standardisierung zweckmäßig erscheinen ließen, traten die österreichischen Fliegerkräfte im Jahre 1997 dem »Air Forces Flight Safety Committee Europe« (AFFSCE) bei. Unter Vorsitz der Royal Air Force fanden Jahreskonferenzen in wechselnden Mitgliedsländern zu Fragen der Flugsicherheit, Risken und Erkenntnissen aus aktuellen Flugunfällen statt. Österreichs Vertreter nahmen seither regelmäßig an diesen Konferenzen teil, wobei die österreichischen Fliegerkräfte durch ihre unfallfreie Bilanz mit dem »Draken« einen erheblichen Erfolg im FSD vorweisen konnten. Wurde doch für den »Draken« aufgrund der statistischen Erfahrungen Schwedens, Finnlands und Dänemarks mit 2,44 Unfällen auf 10 000 Flugstunden gerechnet.113 Auf dem Luft-Luft-Schießplatz Vidsel in Nordschweden wurde in den 1990erJahren die Fortbildung der »Draken«-Piloten mit voller Unterstützung durch die schwedische Luftwaffe durchgeführt. Diese Übungen am Polarkreis waren auf Dauer

112 Freundliche Mitteilung von Bgdr. i.R. Josef Bernecker an den Verfasser, 18. Februar 2009. 113 Freundliche Mitteilung von Bgdr. i.R. Josef Bernecker an den Verfasser, 24. Februar 2009.

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jedoch mit hohem Aufwand für die Hin- und Rückverlegung114 und die Gewährleistung der technischen und logistischen Erfordernisse verbunden und daher relativ kostenintensiv. Auch erwies sich das Fehlen eines größeren Transportflugzeugs115 als problematisch. Nachdem mit dem Beitritt zur PfP die Möglichkeit der Nutzung von Ausbildungseinrichtungen der NATO grundsätzlich bestand und innenpolitisch als akzeptiert angesehen werden konnte, wurden von der Luftabteilung des BMLV Überlegungen für die Nutzung eines entsprechenden Luft-Luft-Schießplatzes im Bereich des Mittelmeeres oder am Schwarzen Meer angestellt. Da für die Schwarzmeervariante ebenfalls eine Zwischenlandung der »Draken« erforderlich gewesen wäre und die Infrastruktur noch nicht dem gewünschten Standard entsprach, verblieben die beiden NATO-Einrichtungen auf Sardinien und Korsika in der näheren Auswahl. Weil aber der Stützpunkt Decimomanu auf Sardinien vorwiegend von der deutschen Luftwaffe genutzt wurde und somit neben den anderen NATO-Nutzern kein geeigneter Termin für die »Draken«-Ausbildung verfügbar blieb, wandte sich die Luftabteilung dem französischen Stützpunkt Solenzara auf Korsika zu. Die grundsätzliche Zustimmung der französischen Luftstreitkräfte wurde erteilt, und die Ausarbeitung der erforderlichen Sicherheitsabkommen, des SOFA sowie die Regelung der Platz- und Infrastrukturmiete und der fliegenden Zieldarstellung wurden begonnen. Dann allerdings ergaben sich Schwierigkeiten durch neue Aktivitäten der oppositionellen Kräfte auf Korsika, durch die auch der Stützpunkt Solenzara in Mitleidenschaft gezogen wurde.116 Daher konnten von französischer Seite keine planbaren Terminzusagen für die »Draken«-Ausbildung gemacht werden. Schließlich wurde aber das erforderliche Vertragswerk im Rahmen eines französisch-österreichischen Fachgespräches unter dem Vorsitz des Befehlshabers der französischen Luftstreitkräfte, General Rannou, finalisiert und ein Übungsprogramm skizziert. Die weiteren Detailvorbereitungen wurden in Österreich dem Überwachungsgeschwader übertragen, und die fliegerische Erkundung durch dieses vorgenommen. Schließlich waren alle Voraussetzungen für die Durchführung der Luftziel-Schießvorhaben mit »Draken« geschaffen und der Termin und das Übungsprogramm festgelegt. Ehe dies aber 1999 umgesetzt werden konnte, begann der NATO-Lufteinsatz gegen Jugoslawien als Folge der Probleme im Kosovo. Daher waren alle Flugplätze in der Region einschließlich Solenzara von NATO-Kräften belegt, und eine Durchführung des österreichischen Fortbildungsvorhabens für die »Draken«-Piloten war ausgeschlossen. 114 So mussten aufgrund der begrenzten Reichweite der »Draken« Zwischenlandestützpunkte wie etwa Ängelholm in Südschweden und gelegentlich in Aalhorn eingerichtet werden. 115 Die Fliegerkräfte des Bundesheeres hatten nur zwei Flugzeuge des Typs »Skyvan« zur Verfügung, die neben geringer Zuladung auch eine begrenzte Reichweite aufwiesen. 116 So war zum Schutz der Piste am Sandstrand ostwärts ein Minenfeld ausgelegt worden. Bei extremem Hochwasserstand wurden diese Minen jedoch ausgeschwemmt und fanden sich dann im Grasgürtel zwischen Strand und Landebahn. Sie mussten dann mühsam einzeln geräumt werden.

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Im Jahre 1998 musste sich die Luftabteilung des BMLV mit der Möglichkeit einer kostengünstigen fortgeschrittenen Ausbildung für Jet-Piloten als Zwischenlösung bis zur eventuellen Verfügbarkeit des multinationalen Advanced European Jet Pilot’s Training117 befassen. Dafür wurde bezüglich der Teilnahme am kanadischen »NATO Flying Training« Verbindung mit der Luftwaffe Kanadas aufgenommen und am 23. April 1999 eine entsprechende Präsentation der Möglichkeiten dieser Einrichtung in Wien durch das »NATO Flying Training Canada« vorgenommen, wo die gesamten Betriebsabläufe nach NATO-Normen abgewickelt werden. Die in der Folge begonnenen Vertragsverhandlungen und die erforderlichen Begleitmaßnahmen in Österreich erforderten jedoch eine entsprechende Zeit und wurden bis zum Jahr 2000 nicht mehr abgeschlossen.118 Die Vorteile der Verbindungen durch EURAC zeigten sich im Zusammenhang mit den heftigen Schneefällen ab dem 11. Februar 1999 in Tirol und Vorarlberg. Da sich am Abend des 22. Februar eine weitere Verschlechterung der Lage abzuzeichnen begann und die Ausschöpfung der Kapazität der Fliegerkräfte des Bundesheeres zur Beistellung von Hubschraubern abzusehen war, nahm die Luftabteilung des BMLV unter Rückgriff auf die EURAC-Kontakte fernmündlich Verbindung mit den Befehlshabern der Luftstreitkräfte im Umfeld Österreichs zur Abklärung etwaiger Unterstützungsmöglichkeiten auf. Die grundsätzliche Bereitschaft zur Abstellung von Hubschraubern wurde somit kurzfristig sichergestellt. Am 23. Februar 1999 wurden gegen 16 Uhr erhebliche Teile der durch die Schneefälle von der Außenwelt abgeschnittenen Ortschaft Galtür im Paznauntal durch eine etwa 800 Meter breite Staublawine verwüstet und zahlreiche Bewohner und Gäste verschüttet. Obwohl es in den ersten Stunden gelang, 22 Personen zu bergen, kamen dort 31 Personen ums Leben. Aufgrund der schlechten Wetterbedingungen hatten die in Tirol und Vorarlberg seit dem 12. Februar zur Assistenz für abgeschnittene Ortschaften eingesetzten Hubschrauber des Bundesheeres den Flugbetrieb eingestellt. Der Versuch einer AB-212, nach dem Unglück Galtür doch noch zu erreichen, musste abgebrochen werden. Aufgrund der Erfordernisse und der begrenzten Kapazität des Bundesheeres119 wurde im Leitungsstab des BMLV in der Nacht zum 24. Februar entschieden, mit einer Verbalnote die Bitte um Abstellung von leistungsfähigen Transporthubschraubern an die Schweiz, Frankreich, Deutschland und die USA zu richten. Dem 117 Erwartbar nicht vor 2012. Ebenso war ein Upgrading der Saab 105 OE aus finanziellen und betrieblichen Gründen nicht zu erwarten. 118 Das Vorhaben wurde letztlich erst 2007 begonnen und hat seit diesem Zeitpunkt jährlich zwei österreichische Flugschüler und einen Fluglehrer einbezogen. Die Kurse beginnen in Kanada jeweils im Mai auf dem Stützpunkt Moose mit Flugzeugen vom Typ »Hawk« und werden mit der taktischen Schulung von der Basis Cold Lake aus etwa bis Dezember fortgesetzt. 119 Zu diesem Zeitpunkt waren bereits 16 Hubschrauber vom Typ AB 212 und Alouette III zur Assistenz eingesetzt.

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wurde entsprochen, und aufgrund der fernmündlichen Vorankündigung traf schon am Nachmittag des 24. Februar eine »Super Puma« der Schweizer Luftwaffe, gefolgt am späteren Nachmittag von neun UH-60 »Black Hawk« der US Army aus Deutschland, fünf CH-53 und sechs UH-1D der deutschen Bundeswehr und zwei »Super Puma« des deutschen Bundesgrenzschutzes und 2 »Puma« sowie drei »Cougar« der französischen Streitkräfte im Raum Landeck ein. Für diese Kräfte wurde ein Teil der Inntalautobahn bei Landeck gesperrt und als Feldflugplatz eingerichtet. Am 25. Februar begannen diese ausländischen Hubschrauberkräfte zusammen mit den bereits am 24. Februar nach Galtür Hilfsmannschaften ein- und Verletzte ausfliegenden Hubschraubern des Bundesheeres die »Luftbrücke« nach Galtür. Die politischen, rechtlichen und administrativen Voraussetzungen für diese Mitwirkung ausländischer Hubschrauber mussten teilweise in der Folge auf ministerieller Ebene »nachvollzogen« werden. In der Abwicklung dieser Transportflüge bewährten sich die Erfahrungen aus der Zusammenarbeit der Fliegerkräfte im Rahmen der PfPÜbungen »Cooperative Chance« und »Cooperative Key« sowie die im Rahmen von EURAC abgehandelten Verfahren. Insgesamt wurden in der bis zum 12. März 1999 dauernden Aktion 18 132 Personen und umfangreiches Material in 840 Flugstunden transportiert und dabei der Abtransport aller eingeschlossenen Touristen aus Galtür sichergestellt. Doch es blieb nicht bei den friedlichen und Hilfseinsätzen. Die in den Abendstunden des 24. März 1999 mit drei Angriffswellen beginnende NATO-Luftoperation »Allied Force« zunächst gegen die Luftverteidigung und wesentliche Teile der Infrastruktur in der BR Jugoslawien wurde von der österreichischen Luftraumüberwachung unmittelbar beobachtet. Es hatte nur allgemeine und keine konkrete Vorinformation durch NATO-Gremien oder -Dienststellen an Österreich gegeben. Der Luftraum des neutralen Österreich blieb ausgespart. Das Kommando der Fliegerdivision meldete am 24. März 1999 der Luftabteilung/BMLV die Absicht, Saab 35 OE »Draken«, bestückt mit Luft-Luft-Lenkwaffen, zur aktiven Überwachung des Luftraumes auf den Flugplatz Klagenfurt-Annabichl zu verlegen. Dies wurde im Hinblick auf die erforderliche Zustimmung der politischen Verantwortungsträger abgelehnt. Die gesamte weitere NATO-Operation »Allied Force« verlief aber ohne den österreichischen Luftraum betreffenden Zwischenfall. Im Jahr 2000 verhinderte die politische Entwicklung im Zusammenhang mit den EU-Sanktionen nach dem Amtsantritt der neuen Koalitionsregierung die Teilnahme österreichischer »Draken« und Radarleitoffiziere an der französischen multinationalen Luftraumüberwachungs-(LRÜ-)Übung »Odax«. Daher verlegte ein österreichisches Mobilradar vom Typ RAT 31 S nach Italien und bezog in einer ehemaligen Fliegerabwehrlenkwaffenstellung auf dem Monte Calvarina bei Vicenza seine Stellung. Von dort wurden im Rahmen dieser Übung die Radardaten sowohl

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in eine auf dem Flugstützpunkt Vicenza eingerichtete österreichische mobile Kontrollzentrale als auch in die italienische Zentrale Poggio Renatico übertragen. Das in der mobilen Kontrollzentrale in Vicenza erzeugte Luftlagebild wurde direkt in das NATO-CAOC 5 in Poggio Renatico eingebracht und über eine Satellitenverbindung mit dem LRÜ-System »Goldhaube« in Österreich vernetzt. Damit standen der LRÜ-Zentrale in St. Johann im Pongau die Radardaten des Monte Calvarina zur Verfügung, und umgekehrt konnte das Lagebild der »Goldhaube« in das CAOC 5 eingespielt werden. Als am letzten Übungstag das Systembild der NATO im CAOC 5 kurzfristig ausgefallen war, wurde das Lagebild aus dem österreichischen System herangezogen. Man hatte damit in der Luftraumüberwachung die Grundlagen für die europäische Koordination und aktive Kooperation geschaffen und einen wesentlichen Schritt für die multinationale Sicherung des Luftraumes getan.

Die Diskussionen um den Beitritt zur NATO in Österreich in den Jahren 1995–1999 Mit dem Beitritt Österreichs zur EU und dem Beobachterstatus in der WEU war sicherheitspolitisch verstärkt Solidarität gefordert. Sie erhielt einen für das neutrale Land neuartigen Rahmen internationaler Kooperation, der sich von der Mitarbeit in der UNO unterschied, sich zunehmend nach »bündnisartigen« Formen und Verfahren entwickelte und außerdem durch die indirekte Vernetzung mit der NATO in allen Belangen der Außen- und Sicherheitspolitik nur unter Beachtung der Beziehung zu dieser Allianz handeln konnte. Das wurde in der österreichischen Politik und Öffentlichkeit zwar nicht in dieser Deutlichkeit wahrgenommen, brachte aber doch ab 1995 eine intensivierte innerösterreichische Diskussion hinsichtlich der Funktion bzw. Aufrechterhaltung der Neutralität sowie der Art und Intensität der Einbindung in das solidarische System der EU. Mit der Einbringung des Artikels 23 f in das B-VG wurde zunächst die Teilnahme Österreichs an wirtschaftlichen Sanktionen im Rahmen der EU abgesichert, dieser Artikel aber in der Folge doch hinsichtlich seiner Bedeutung und Reichweite unterschiedlich interpretiert. In der ÖVP gab es nach dem Amtsantritt der SPÖ-ÖVP-Koalitionsregierung im November 1994 offenbar intern keine völlige Übereinstimmung hinsichtlich der weiteren sicherheitspolitischen Zielsetzungen zur Mitgliedschaft in der WEU und NATO und zur Frage der Neutralität. Der weiterhin im Amt verbliebene Verteidigungsminister Fasslabend sah Mitte Februar 1995 für die politische Vorgangsweise das Ziel einer gleichwertigen Bemühung um WEU und NATO und in einem allmählichen Ersatz der Neutralität durch Solidarität. In Europa sollte auf eine (militärische) Nähe zu Frankreich als Hauptakteur in der WEU und aufgrund von dessen Interessenlage auf dem Balkan hingearbeitet und die Kooperation mit dem militär-

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strategischen Vorfeld Österreichs vertieft werden.120 Die USA und Deutschland waren als die strategisch dominanten Partner zu sehen, und für die strategische Linien gegenüber Russland und Italien sollte ein geeignetes Konzept erarbeitet werden. Außerdem war im BMLV ein »Situationsbericht« zur Evaluierung der Heeresgliederung Neu in Verbindung mit den strategisch-politischen Rahmenbedingungen nach dem EU-Beitritt zu erstellen. Mit 22. Mai 1995 wurde der bisherige Wirtschaftsminister Wolfgang Schüssel Obmann der ÖVP, übernahm das Amt des Vizekanzlers von Erhard Busek und die Funktion des Außenministers von Alois Mock. Eine etwaige Mitgliedschaft Österreichs in der NATO wurde in diesem Zeitraum zu einem aktuellen Thema. So sah der Völkerrechtler Hanspeter Neuhold die Neutralität aus mehr als einem Grund zunehmend problematisch,121 und selbst der Nationalratspräsident und stellvertretende Vorsitzende der SPÖ, Heinz Fischer, meinte, »die Formulierung immerwährende Neutralität bedeute nicht deren Unabänderbarkeit«.122 Auch die FPÖ nahm sich dieser Frage an und brachte am 14. Juli 1995 eine umfangreiche parlamentarische Anfrage an den Außenminister betreffend Österreichs Beziehungen zur NATO123 ein, in deren Beantwortung Außenminister Schüssel ein Bekenntnis zu den nach wie vor gültigen rechtlichen Kernelementen der österreichischen Neutralität – der Nichtteilnahme an Kriegen und die im Neutralitätsgesetz statuierte Verpflichtung, keinem militärischen Bündnis beizutreten und keine militärischen Stützpunkte zuzulassen – abgab. Dieser Kernbestand wurde zu diesem Zeitpunkt von niemandem in der Bundesregierung, wo sich die Konturen der zukünftigen europäischen Sicherheitsstrukturen noch nicht abzeichneten, infrage gestellt.124 Diese Feststellung des damaligen ÖVP-Chefs und Außenministers zeigte die Mehrschichtigkeit des Problems. Die NATO blieb trotz PfP und NATO-Neu, eben die »NATO«, und die Mitgliedschaft eines immerwährend neutralen Staates schloss sich aus. Dabei hatte das NATO-Hauptquartier in Brüssel Österreich eine Information über etwaige Modalitäten und Aspekte eines österreichischen Beitrittes durch ein Team in Wien angeboten. Dies wurde von den österreichischen Stellen abgelehnt. Nach dem Scheitern der Großen Koalition nach nur einjähriger Legislaturperiode am 12. Oktober 1995 überlagerte jedoch wieder ein Wahlkampf die Entwicklung auf dem Balkan und beanspruchte die politische Aufmerksamkeit Österreichs. Während die SPÖ bei diesen Wahlen ihren Anteil auf 38,1 % erhöhen und mit 71 Mandataren 120 Gemeint waren damit Slowenien, Ungarn und die Slowakei. 121 Neuhold, Hanspeter : Austria Still between East and West (Arbeitspapiere des Österreichischen Institutes für Internationale Politik 10), Laxenburg 1995, S. 6. 122 Vgl. dazu : Fischer : Neutralität bliebt »zunächst«, in : Die Presse, 7. Juni 1995, S. 4. 123 Zentraldokumentation/LVAk, Parlamentarische Anfrage Nr. 1782/J-NR–1995 vom 14. Juli 1995. 124 Zentraldokumentation/LVAk, Beantwortung der Parlamentarischen Anfrage Nr. 1782/J-NR–1995 durch den BMA, BMA Zl. 503.03.02/228-II.1/95 vom 13. September 1995.

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in das Parlament einziehen konnte, erlebte die ÖVP eine Enttäuschung, gewann nur 0,6 % dazu und blieb bei 52 Mandaten. Die SPÖ mag dieses Ergebnis auch auf ihre ablehnende Haltung zu einer Änderung der Neutralität und einem NATO-Beitritt zurückgeführt haben und sah sich jedenfalls in ihrer Position klar bestätigt. Die ÖVP hingegen begann – zumindest nach außen hin – eine stärkere Tendenz hinsichtlich einer Annäherung an die NATO zu zeigen. Verteidigungsminister Fasslabend betonte im Februar 1996 intern die Bemühung um die Herbeiführung eines für einen NATO-Beitritt positiven Informations- und Emotionsstandes bei Meinungsträgern und der Öffentlichkeit. Im BMLV war die Frage des NATO-Beitrittes der politischen Ebene vorbehalten. Fasslabend bezog den Generaltruppeninspektor nicht in Überlegungen bzw. Maßnahmen hinsichtlich der »Aufbereitung des Klimas« ein, und so blieb den militärischen Planungsstellen zwar die Möglichkeit des »Nachdenkens«, aber die Entscheidungen fielen durch die Politik. Dabei entstand aber auch der Eindruck, dass die ÖVP als Partei keineswegs voll und geschlossen hinter einer so weit reichenden Zielsetzung stand.125 In den folgenden drei Jahren betonte die NATO offiziell stets, dass es sich bei der Frage des Beitrittes Österreichs um eine ausschließlich nationale Entscheidung handle, man aber für die Behandlung der damit zusammenhängenden Fragen grundsätzlich bereit sei. Inoffiziell ließ man allerdings ein gewisses Interesse an einem Beitritt Österreichs erkennen, das wohl auch durch die geografische Lage Österreichs und seine Kommunikationslinien nach Osten und Süden bedingt gewesen sein dürfte. Am 11. März 1996 wurde das Koalitionsabkommen zwischen der SPÖ und der ÖVP unterzeichnet, mit dem klaren Bekenntnis der beiden Koalitionsparteien, sich im Einklang mit den Zielsetzungen der EU für die vollwertige Teilnahme Österreichs an funktionsfähigen europäischen Sicherheitsstrukturen einzusetzen. Außerdem wurde die Teilnahme an der PfP hervorgehoben und neben einigen Passagen zur österreichischen Landesverteidigung auch die umfassende Überprüfung aller weiterführenden sicherheitspolitischen Optionen, einschließlich der Frage einer Vollmitgliedschaft in der WEU, angekündigt. Der alleinige Hinweis auf die WEU erstaunt im Hinblick auf die in Österreich geführte Neutralitätsdiskussion, musste doch die bei der WEU enthaltene Beistandsverpflichtung nachhaltiger interpretiert werden als jene im Artikel V. des NATO-Vertrages. Darüber hinaus sollte bei der Bewertung der NATO-Diskussion in Österreich nicht übersehen werden, dass zu diesem Zeitpunkt eine ganze Reihe von sozialdemokratisch regierten Ländern Mitglieder der NATO waren und daher wohl keine internationalen sozialdemokratischen Vorbehalte gegen diese Allianz und deren Zielsetzung vorlagen.

125 Freundliche Mitteilung von Gen. i.R. Karl Majcen an den Verfasser, 17. Februar 2009.

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Mit dem Koalitionsabkommen wurde der Ausgangspunkt für die Bearbeitung eines sogenannten »Optionenberichtes« gesetzt. Auch der Nationalrat folgte dieser Zielsetzung und forderte mit seiner Entschließung vom 26. Februar 1997 zu eben dieser Vorgangsweise auf. Heinrich Schneider nimmt zu diesen Vorgängen positiv an, die beiden Koalitionspartner seien sich bei diesen Entscheidungen der Verknüpfung der Sicherheitspolitik der EU mit der WEU und der WEU mit der NATO bewusst und hinsichtlich ihrer Politik und der sich daraus ergebenden Konsequenzen etwa des unvermeidlichen Abgehens von der Neutralität einig gewesen.126 Allerdings dürfte es sich dabei bestenfalls um eine halbherzige Einigkeit und eine taktische Finesse von beiden Seiten gehandelt haben, wohl um einerseits überhaupt zu einer Koalition zu gelangen und andererseits nach dem Motto »Kommt Zeit, kommt Rat« den jeweiligen politischen Vorstellungen passende Lösungen oder Schlupflöcher zu finden. Der notwendigen »Überzeugungsarbeit« gegenüber der Öffentlichkeit und den eigenen Parteistrukturen in der einen oder anderen Richtung kam dabei von Anbeginn entscheidende Bedeutung zu. Das erklärt den außerordentlichen öffentlichen und publizistischen Einsatz, der zu diesem Thema in den folgenden zwei Jahren von beiden Seiten betrieben wurde und dabei erheblich über die Bedeutung der in der Realität durch die Entwicklung de facto »überholten« Neutralität hinausging. Noch vor Beginn der Bearbeitung dieses »Optionenberichtes« kam es zu den ersten Wortmeldungen betreffend NATO-Beitritt127, wobei etwa Botschafter Franz Ceska nur die NATO als geeignetes Sicherheitssystem für Österreich sah und deren Grad an Sicherheit weder durch die UNO noch die KSZE oder EU gewährleistet sah. Er forderte daher konsequent den Beitritt.128 Angeblich waren auch im BMA nach der Anhebung von Ungarn, Polen, Tschechien und der Slowakei zu »assoziierten« Mitgliedern in der WEU und der erwartbaren Osterweiterung der NATO doch Überlegungen zu einer NATO-Mitgliedschaft für Österreich vorhanden.129 Aber auch Heinz Gärtner präsentierte bei einem Seminar des Olof Palme International Center in Stockholm zu »Visionen der europäischen Sicherheit« sechs theoretische Modelle und betonte für Österreich die Sinnhaftigkeit einer freiwilligen Mitwirkung »von Fall zu Fall« und auch die Möglichkeiten der Handhabung der Neutralität im Sinne dieses selektiven Vorgehens bei Maßnahmen im Rahmen der PfP oder der Petersberg-Aufgaben mit einem Mandat der UNO oder OSZE.130 126 Schneider : Der sicherheitspolitische Optionenbericht, S. 422–424. 127 Im Nationalrat wurde am 21. März 1996 durch den Abg. Jörg Haider (FPÖ) ein Antrag eingebracht, die Bundesregierung möge sich entschließen, Verhandlungen mit der NATO über einen etwaigen Beitritt Österreichs aufzunehmen. 128 Ceska, Franz : Österreich im europäischen Sicherheitssystem, in : Europäische Rundschau, Nr. 106 vom 1. April 1996, S. 95–101. 129 Bernath : Den Rubikon schon überschritten, S. 14. 130 Gärtner, Heinz: Heinz : Case-by-case action and case-by-case neutrality. European security models and options

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Die Militärmission (MMB) des Bundesheeres in Brüssel wurde im Hinblick auf den erwartbaren Arbeitsanfall bereits im Herbst 1995 neu organisiert, mit einer EUsowie einer NATO-Abteilung ausgestattet und wie die österreichische Botschaft personell aufgestockt.131 Der österreichische Botschafter Dr. Hochleitner nahm regelmäßig mit dem Leiter der MMB bzw. dem Leiter der NATO-Abteilung an Besprechungen und Briefings teil. Der ab 1995 in Brüssel amtierende Botschafter Dr. Lang nahm allerdings im Gegensatz zu seinem Vorgänger diese Agenden mit deutlich geringerem Enthusiasmus und einer gewissen »Skepsis« gegenüber dem »Militär« wahr. Im Gegenzug wurden bei der NATO die österreichischen Berichte zur Lage auf dem Balkan überaus geschätzt. Aber gegenüber den PfP-Partnern blieb doch eine gewisse restriktive Informationspolitik bestehen, und es kam vor, dass Journalisten besser informiert waren als die MMB. 1997 wurde dann auch der österreichische Vertreter in der PCC in Mons der NATO-Abteilung der MMB unterstellt. Schon 1998 bemühte sich die MMB gemeinsam mit der zuständigen Generalstabsgruppe im BMLV erneut um eine Erweiterung durch eine dritte Abteilung und die personelle Aufstockung auf letztlich mehr als 20 Personen. Die Frage eines NATO-Beitrittes Österreichs wurde anlässlich der USA-Reise von Verteidigungsminister Fasslabend zwischen dem 16. und 22. Juni 1996 zwar bei mehreren Gelegenheiten informell behandelt, dieses Thema aber zwischen ihm und seinem amerikanischen Amtskollegen William J. Perry nicht angesprochen. Mit der Sitzung des Landesverteidigungs-Ausschusses des Nationalrates am 2. Juli 1996 nahm dann die den ganzen Herbst anhaltende rege politische Diskussion zum Thema NATO- respektive WEU-Beitritt ihren Anfang. Darauf folgte im Juli eine heftige Auseinandersetzung zum NATO-Thema, in die sich u. a. Bundeskanzler Vranitzky, Vizekanzler Schüssel, Nationalratspräsident Fischer, die Abg. z. NR Cap (SPÖ), Moser (LIF) und Scheibner (FPÖ) einbrachten. Während Cap für ein Umdenken in der Frage der Neutralität und einen Beitritt zur NATO eintrat, betonte Vranitzky, dies sei nicht die Auffassung der SPÖ und werde diese auch nicht werden.132 Im August 1996 wurde beim Forum Alpbach das Thema »Sicherheit im Alleingang – Sicherheit im Verbund« eingehend von Befürwortern und Skeptikern behanfor the new neutral EU-members, in : Report of the Olof Palme International Center – project visions of european security, Stockholm 1996, S. 356–369. 131 Mit 1. November 1995 wurde die österreichische Militärmission in Brüssel als solche aktiviert, und Bgdr Richard Bondi übernahm deren Leitung. Er war bereits seit dem 12. Jänner 1995 als österreichischer Militärdelegierter der WEU notifiziert und wurde mit dem PfP-Beitritt Österreichs auch als »PartnerMilitärrepräsentant« bei der NATO akkreditiert. Bgdr Bondi hat diese Funktionen bis über die 1990erJahre hinaus wahrgenommen. Hatte das Bundesheer 1994 nur zwei Angehörige in Brüssel, so stieg der Personalstand bis 1999 auf 27 Angehörige der Militärmission an. 132 Dazu Einzelheiten bei : Rumerskirch, Udo : Diskussion über die österreichische Sicherheitspolitik, in : Österreichische Militärische Zeitschrift 5/34 (1996), S. 567 f.

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delt und u. a. auf eine Meinungsumfrage hingewiesen, wonach 79 % der Österreicher eine gemeinsame europäische Verteidigungspolitik und 56 % immerhin eine Verteidigung im NATO-Verbund für sinnvoll hielten. Nur 30 % waren für eine »eigene« Verteidigung ohne NATO-Mitgliedschaft. Ende August 1996 betonte der ÖVPBundesparteiobmann, Vizekanzler Schüssel, ein NATO-Beitritt oder ein Abgehen von der Neutralität sei derzeit kein Thema. Bundeskanzler Vranitzky äußerte sich in ähnlicher Weise, wobei er diese Frage nur unter dem Aspekt bewertet haben wollte, wie viel mehr an Sicherheit das für Österreich bringen werde ? Unterschiedliche öffentliche Wortmeldungen folgten im September und Oktober,133 und die Diskussion über WEU, NATO und Neutralität wurde vielschichtig weitergeführt, ohne den an sich ja von beiden Koalitionsparteien beschlossenen Optionenbericht abzuwarten. So hatte auch Innenminister Caspar Einem (SPÖ) gefordert : »Österreich möge zur aktiven Neutralität zurückkehren, denn Friede wäre nicht durch Siege dauerhaft sicherzustellen, sondern durch verständigungsorientierte Politik.«134 Bei einem Symposium der LVAk zu »Sicherheit und Dynamik in der Mitte Europas – Österreichs Rolle aus der Sicht der Nachbarn« im Oktober 1996 stellte Heinrich Neisser (ÖVP) zu den überholten traditionellen Bündnissen fest : »Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Beitritt Österreichs zur NATO die Sicherheit Österreichs besser gewährleiste, ist größer, als dass dies durch ein Festhalten an der Neutralität gelinge.«135 Während dieser mehr oder weniger staatspolitischen Diskussion wurde am 9. Oktober 1996 BMLV Dr. Fasslabend ein »Situationsbericht« vorgelegt. Die darin enthaltenen Feststellungen zur Anpassung des Bundesheeres an die geänderte sicherheitspolitische Lage sowie zu der budgetären Situation und den bisherigen Erfahrungen mit der Heeresgliederung Neu führten im Jahre 1998 zur Strukturanpassung der Heeresgliederung. Dazu kam eine immer wieder aufflackernde Diskussion über die Umwandlung des Bundesheeres in ein Berufsheer, in die auch Argumente wegen der Mitwirkung an internationalen Maßnahmen eingebracht und auch die NATO-Frage

133 So etwa BK Dr. Vranitzky mit dem Hinweis auf die Einbeziehung einer Volksabstimmung in das Kalkül eines NATO-Beitrittes, Ursula Stenzl (ÖVP) mit einem Ja zur WEU und einem Nein zur NATO, Walter Seledec (ORF) behandelte das Problem eines NATO-Beitrittes in der ORF-TV-Sendung »Thema« am 21. Oktober 1996, die ÖVP wollte bei einer Klausurtagung in Telfs Innere und Äußere Sicherheit zu Schwerpunktthemen der weiteren Arbeit machen, und Innenminister Caspar Einem und der Abg.z.NR Peter Kostelka (SPÖ) brachten Vorstellungen zur Verkleinerung des Bundesheeres auf eine (Berufs-) Truppe zur Erfüllung der Petersberg-Aufgaben und die Ablehnung einer Beschaffung von Flugzeugen als Ersatz für die »Draken« ein. 134 Schneider, Heinrich : Von einem, der auszog, die Neutralität zu erneuern, in : Der Offizier 3/5 (1996), S. 5. 135 Landesverteidigungsakademie, Zentraldokumentation (Autorenkollegium) : Interdisziplinäres Symposium – Sicherheit und Dynamik in der Mitte Europas, in : Aktuelle Information der Zentraldokumentation, Wien 10. Oktober 1996, S. 2.

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nicht ausgeklammert wurde. Zwar wurden bei den Strukturmaßnahmen für das Bundesheer die geänderten Rahmenbedingungen und die Beteiligung an internationalen Operationen berücksichtigt, aber es erfolgten weder Ansätze einer »Annäherung« an NATO-Strukturen noch wurde eine derartige Entwicklung von irgendeiner Stelle der NATO oder WEU erwartet. Grundsätzlich dürften die Positionen der österreichischen politischen Parteien zur NATO-Frage schon vor Beginn der eigentlichen Bearbeitung des »Optionenberichtes« klar festgelegt gewesen sein. Noch vor Beginn der Arbeit am »Optionenbericht« besuchte am 16. Jänner 1997 NATO-Generalsekretär Javier Solana Österreich. Bundeskanzler Vranitzky sah für Österreich keinen Anlass zum Beitritt zur NATO. Die gute und fruchtbare Kooperation mit der NATO, so Vranitzky, mache die Frage nach einem Abgehen von der Neutralität insofern überflüssig, als sie zeige, dass auch als neutraler Staat eine gute Zusammenarbeit möglich sei. Außenminister Schüssel unterzeichnete im Beisein Solanas das multilaterale Truppenstatut des Bündnisses, mit dem der Aufenthalt ausländischer Soldaten im Rahmen der PfP in Österreich geregelt wurde. Schüssel sowie Verteidigungsminister Fasslabend sahen in der »neuen« NATO eine aus österreichischer Sicht positive Entwicklung und den Wegfall von »Berührungsängsten«, aber auch einen »zentralen Sicherheitsfaktor« für Österreich.136 Demgegenüber stellte dann der neue Bundeskanzler Viktor Klima in seiner Regierungserklärung am 29. Jänner 1997 fest : »Österreich werde sich … für einen konstruktiven, gesamteuropäischen Sicherheitsdialog einsetzen … Es wäre daher bei diesem Entwicklungsstand unklug, in einer so bedeutenden Frage den sicherheitspolitischen Spielraum aufzugeben und sich auf eine einzige, institutionelle Option festzulegen.«137 Bei einer Diskussionsveranstaltung in Bonn im Februar 1997, an der auch Vizekanzler Schüssel teilnahm, ließ der EU-Außenkommissar Hans van den Broek keinen Zweifel, dass eine WEU-Mitgliedschaft ohne NATO-Beitritt nicht möglich sein werde.138 Unter all diesen diffusen Vorzeichen wurde im Mai 1997 die Arbeit am »Optionenbericht« mit dem Ziel der Fertigstellung zum 31. März 1998 aufgenommen. Verteidigungsminister Fasslabend bemühte sich um eine Verbesserung der Information von Meinungsträgern, und so entstand eine Kampagne, bei der in verschiedenen Medien einerseits Beiträge zu NATO-Gegebenheiten eingebracht, andererseits aber im Rahmen von Seminaren und Vortragsveranstaltungen Repräsentanten aus der NATO, WEU und EU sowie österreichische Experten zur Herbeiführung eines »positiven« Herangehens an das NATO-Problem ihre Sicht darstellen konnten. Am 16. März trat Vizekanzler Schüssel öffentlich für einen Beitritt Österreichs 136 Rumerskirch : NATO-Generalsekretär, S. 180–182. 137 Eiselsberg, Walter : Regierungserklärung des neuen Bundeskanzlers, in : Österreichische Militärische Zeitschrift 3/35 (1997), S. 300. 138 Keine WEU-Mitgliedschaft ohne NATO-Mitgliedschaft, in : Truppendienst 2/36 (1997), S. 166.

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zur NATO trotz der Neutralität ein. Der Widerspruch der SPÖ folgte prompt am 18. März durch Bundeskanzler Klima, nach dessen Ansicht sich NATO-Beitritt und Neutralität ausschließen würden. Anlässlich seiner Wahl zum Vorsitzenden der SPÖ erteilte Klima am 9. April 1997 der NATO eine klare Absage. Insgesamt lief die subtil betriebene Pro-NATO-Informationskampagne aus Sicht des BMLV nicht ungünstig, wurde aber aus eher innerparteilichen Gründen der ÖVP nicht über einen längeren Zeitraum fortgeführt.139 Da ein massenwirksames österreichisches Medium seine Blattlinie deutlich gegen einen NATO-Beitritt ausgerichtet hatte, wurde diese Frage letztlich von der ÖVP nicht hochgespielt. Vizekanzler Schüssel stellte die Frage der Mitsprache und Mitentscheidung in einem Vortrag Ende April 1997 bei SHAPE in Mons in den Vordergrund, hob die Bedeutung der NATO und der transatlantischen Anbindung für die europäische Sicherheit hervor und verwies auf den Optionenbericht, der sich auch mit der Frage der NATO-Mitgliedschaft befassen werde.140 Die verschiedenen Studien und Beiträge gingen im Beitrittsfall von einem Landesverteidigungsbudget von 1 bis 2 % des BIP aus und versuchten von unterschiedlichen Zielsetzungen ausgehend die Ergebnisse überhöht darzustellen bzw. das als »Ansporn« für eine Anhebung der aktuellen Ausgaben für das BMLV und das Bundesheer zu nutzen. Eine wirklich realistische und von konkreten Optionen zur strukturellen Änderung des Bundesheeres ausgehende Beurteilung wurde dabei letztlich nicht eingebracht, am ehesten dürfte eine Darstellung im Magazin »Trend« den erwartbaren Aufwendungen nahe gekommen sein.141 Die Kostenfrage wurde jedenfalls zu einem vordergründigen, öffentlichkeitswirksamen Argument zur Unterstützung der NATO-Skepsis. Im Juli 1997 legte sich der Parteivorstand der ÖVP offenbar doch auf einen Beitrittskurs zur NATO fest. Aber Ende Juli 1997 schwächte Verteidigungsminister Fasslabend intern die Intensität der Pro-NATO-Kampagne ab und wollte ein früh-

139 Freundliche Mitteilung von GenMjr. Mag. Norbert Sinn an den Verfasser, 20. Jänner 2009. 140 Schüssel, Wolfgang : Österreich und die neue NATO, in : Europäische Sicherheit 6/46 (1997), S. 8–10. 141 Fahmy, Sandra : Die Kosten eines NATO-Beitritts, in : Trend, 3. Juni 1997, S. 14–17. Auch Fred Korkisch dürfte mit seiner Einschätzung der erwartbaren Kosten bei einer Expertenbefragung im Parlament der Realität nahe gekommen sein. Er sprach von einem Umfang zwischen 1 und 2 Mrd. öS/Jahr. Gärtner/ Pucher (Gärtner, Heinz/Pucher Johann : Kostenschätzung einer österreichischen NATO-Mitgliedschaft [Arbeitspapiere des Österreichischen Institutes für Internationale Politik 17], Laxenburg 1997) hingegen vertraten die Erwartung bei 6 bis 7 Mrd. öS/Jahr und sahen daher die Notwendigkeit der Erhöhung des LV-Budgets von 22 auf 28 bis 29 Mrd. öS/Jahr. Außerdem wurden zusätzliche Kosten für die Beteiligung an internationalen Einsätzen von rund 1 Mrd. öS/Jahr und die im NATO-Durchschnitt für die Streitkräfte durchschnittlich aufgewendeten 2,4 % des BIP angesprochen. Das wäre für Österreich einer Erhöhung des LV-Budgets auf 40 Mrd. öS gleichgekommen ! Die Grünen berechneten die NATO-Kosten mit 20 Mrd. öS.

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zeitiges Nein des Koalitionspartners SPÖ zu diesem Thema jedenfalls vermeiden.142 So dauerte dann auch die mediale Auseinandersetzung während der gesamten Zeit der Bearbeitung des »Optionenberichtes« an und erreichte in der Diskussion um »Berufsheer«-Intentionen und der Kosten-Diskussionen einen Höhepunkt. Nun war auf dem EU-Gipfel von Amsterdam Mitte Juni 1997 keine Einigung der EU-Staaten auf eine Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik erfolgt, und im Juli 1997 hatte die NATO bei ihrem Gipfeltreffen in Madrid die Erarbeitung eines neuen strategischen Konzeptes beschlossen und sich nach erheblichen Differenzen für die Aufnahme Polens, Tschechiens und Ungarns entschieden. Der amerikanische Präsident Bill Clinton ließ mit dem Hinweis aufhorchen, »es wäre gut, wenn Österreich sein Interesse am Beitritt bekunden würde und Bulgarien in Zukunft bereit wäre«.143 Demgegenüber wurde Bundeskanzler Klima bei seinem offiziellen Besuch in Moskau im Oktober 1997 von seinen russischen Gesprächspartnern einschließlich des Ministerpräsidenten Primakow zur Nichtbeteiligung an der NATO ermuntert.144 Zudem hatte es trotz gegenteiliger offizieller Statements in der Arbeitsgruppe zwischen den inhaltlich abgestimmten Koordinatoren des BMA und BMLV mit den Repräsentanten des Bundeskanzleramtes einige Diskussionen gegeben, so auch zum Beitrag über das Bundesheer und dessen Akzeptanz durch die jeweiligen Parteien. Eine Verknüpfung zwischen EU-Mitgliedschaft und NATO wurde mit dem Hinweis auf die vom NATO-Ministertreffen in Berlin im Juni 1996 angesprochene »Europäische Sicherheits- und Verteidigungsinitiative« hergestellt, die von Partnern der EU innerhalb der NATO aufgebaut werden sollte. Österreich wollte dabei im Rahmen der im Amsterdamer Vertrag für die EU enthaltenen Perspektive einer gemeinsamen Verteidigungspolitik und gemeinsamen Verteidigung mitwirken.145 Die Fertigstellung des ersten Abschnittes zog sich bis Dezember 1997 hin. Das Bundeskanzleramt hatte schon zu Beginn der Bearbeitung vorsorglich darauf verwiesen, dass die gemeinsam ausgearbeiteten Kapitel vor einer Fertigstellung des »Gesamtberichtes« keineswegs als »endgültig vereinbart« betrachtet werden könnten. 142 Es gab zu diesem Ansatz »Gerüchte« über eine Art Stillhalteabkommen zur NATO-Frage, das zwischen einigen Repräsentanten von ÖVP und SPÖ mit Interesse an der Landesverteidigung und dem Bundesheer »informell« abgesprochen worden sein soll. 143 Fischer, Klemens/Hanke, Wolf : Der NATO-Gipfel in Madrid, in : Europäische Sicherheit 8/46 (1997), S. 6–8 ; Magenheimer, Heinz : Zur Entscheidung über die Erweiterung der NATO, in : Österreichische Militärische Zeitschrift 5/35 (1997), S. 572–578. 144 Lobova, Ludmilla : Russische Positionen zur sicherheitspolitischen Debatte in Österreich, in : Österreichische Militärische Zeitschrift 3/37 (1999), S. 354–360, hier S. 356. 145 Mayr-Harting, Thomas : Die Europäische Union und die europäische Sicherheitsarchitektur, in : Reiter, Erich (Hg.) : Österreich und die NATO. Die sicherheitspolitische Situation Österreichs nach der NATOErweiterung (Forschungen zur Sicherheitspolitik 2), Graz/Wien/Köln 1998, S. 109 f.

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Die öffentliche Diskussion zur Kostenfrage und der Vorwurf der FPÖ an Verteidigungsminister Fasslabend bezüglich einer engen Kooperation mit der NATO, der Planung einer Beteiligung des Bundesheeres an einer Luftoperation der NATO in Südosteuropa und der Akzeptanz der Prüfung der NATO-Tauglichkeit von Teilen des Bundesheeres durch US-Experten waren der Bearbeitung des Optionenberichtes nicht gerade förderlich. Anfang Jänner 1998 betonte Außenminister Schüssel, es dürfe nicht nur die eine Option der PfP geben. Und auch ÖVP-Klubobmann Andreas Khol erklärte in der »Presse«, »der NATO-Beitritt kommt wie das Amen im Gebet«.146 Er unterstellte den SPÖ-Ministern und Spitzenparlamentariern, genau zu wissen, dass dieser Beitritt kommen werde. Nach einem Besuch des neuen NATO-Oberbefehlshabers, General Wesley Clark, in Wien am 13. Februar 1998 intensivierte sich die Diskussion zur NATO zwischen den Parteien erneut bei allerdings schon verhärteten Positionen. Von der SPÖ war bei einer Klausurtagung in Salzburg am 9. und 10. Jänner 1998 der NATO-Beitritt klar abgelehnt worden. Nun lehnte die SPÖ auch die Aufnahme der NATO-Option in den Bericht nachdrücklich ab, aber auf Beamtenebene konnte der zweite Teil immerhin noch einvernehmlich fertiggestellt werden. Der dritte Teil des Optionenberichtes kam hingegen trotz einiger Bemühungen nicht mehr zustande. Die Verhandlungen zwischen ÖVP und SPÖ zu dieser Frage blieben bis Ende März 1998 ohne Annäherung, und so wurden zwei Fassungen der letzten Seite des Berichtes vorbereitet, einmal mit Prüfung der NATO-Option und einmal unter Verzicht der Erwähnung der NATO.147 In einer Abschlussrunde zwischen Bundeskanzler Klima und Vizekanzler Schüssel am 1. April 1998 musste nach längerer Aussprache zur Kenntnis genommen werden, dass das Vorhaben »Optionenbericht der Bundesregierung« gescheitert war. Die ÖVP war der Meinung, es sei besser, keinen Bericht zu haben als einen »schlechten«. Der »Optionenbericht« wurde dann Anfang April 1998 nur noch als von der ÖVP eingebrachter »Bericht über alle weiterführenden Optionen Österreichs im Bereich der Sicherheitspolitik« behandelt. Das Scheitern der Bemühungen um eine gemeinsame Linie in der Sicherheitspolitik trug nicht unerheblich zur Verschlechterung des Klimas zwischen den beiden Koalitionsparteien bei.148 Unabhängig davon wurde vom LV-Rat am 30. März 1998 die zwischen ÖVP und SPÖ vorverhandelte Strukturanpassung der Heeresgliederung empfohlen und mit 1. April 1998 von der 146 NATO-Beitritt kommt wie das Amen im Gebet, in : Die Presse, 8. Jänner 1998, S. 6. 147 Freundliche Mitteilung von Gen. Mag. Raimund Schittenhelm an den Verfasser, 12. Jänner 2009. 148 Als der GTI General Karl Majcen bei seinem Vortrag im Herbst 1998 in der BAWAG zur »Situation der militärischen Landesverteidigung« den Optionenbericht als »Regierungsbericht« bezeichnet hatte, erhielt er ein Schreiben des Kabinettsdirektors des Bundeskanzlers, Dr. Rene Pollitzer, in dem dieser klarstellte, es handle sich dabei nur um einen ÖVP-Bericht. Im Regierungsbericht sei keine Option eines NATO-Beitrittes enthalten. Vgl. dazu : Freundliche Mitteilung von Gen. i.R. Karl Majcen an den Verfasser, 17. Februar 2009.

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Bundesregierung beschlossen. Ein parlamentarischer Antrag der FPÖ am 16. April 1998 für einen NATO-Beitritt Österreichs wurde von SPÖ und ÖVP gemeinsam (!) abgelehnt. Bei genauer Betrachtung zeigt sich, dass die Frage des NATO-Beitrittes in Verbindung auch mit der Neutralität in den 1990er-Jahren über längere Zeit eines der zentralen politischen Diskussionsthemen in Österreich war, letztlich aber nicht von der politischen Spitze getragen, sondern von der darunter liegenden Funktionärsund Beamtenebene hochgespielt wurde. Letztlich blieben all diese Aktivitäten ohne Einfluss auf die sicherheitspolitischen Positionen der Koalitionsparteien, die sich im Rahmen der PfP-Plus und bei den internationalen Operationen vor allem in Südosteuropa mit der Zusammenarbeit recht einvernehmlich zu begnügen schienen. Schließlich gab es auch in der ÖVP Vorbehalte gegen einen NATO-Beitritt, so etwa beim ehemaligen Generalsekretär Michael Graff und den Landeshauptmännern der westlichen Bundesländer.149 Diese hegten die Befürchtung, nach der Integration in die EU wäre ein NATO-Beitritt in kurzer Zeit ein Zuviel an Maßnahmen und breiten Schichten der Bevölkerung wohl nur schwer »schmackhaft« zu machen. In den Meinungsumfragen zeigte sich nach wie vor die Ablehnung der NATO-Mitgliedschaft und die Bekräftigung der bisherigen Situation durch rund zwei Drittel aller Österreicher. Für das Bundesheer blieb die Beitrittsfrage »eher philosophisch und wurde nie planungstechnisch konkretisiert«.150 Dazu kam in der zweiten Hälfte 1998 die Vorsitzführung Österreichs in der EU, welche die Kapazität und Zeit aller Beteiligten in hohem Ausmaß in Anspruch nahm und für »Nebenfronten« wenig Spielraum offen ließ. So ratifizierte Österreich am 21. Juli 1998 den »Vertrag von Amsterdam« und hatte damit das Spektrum seiner solidarischen Beteiligung über die humanitäre und Katastrophenhilfe sowie den Such- und Rettungsdienst hinaus auf friedenserhaltende Einsätze ausgedehnt. Da bei den »Petersberg Aufgaben« auch eine »robuste Durchsetzung« derartiger Vorhaben nicht ausgeschlossen war, hatte sich für Österreich damit die Möglichkeiten eröffnet, in einem breiten Spektrum (nach politisch-strategischem und nationalem Kalkül) an multinationalen Vorhaben mitzuwirken. Bei einer Regierungsklausur am 21. Jänner 1999 in Bad Aussee bekräftigte die SPÖ ihre Ablehnung der NATO-Mitgliedschaft, lehnte aber eine etwaige kleine »Eingreiftruppe« des Bundesheeres für internationale Aufgaben (mit ca. 120 Mann) auf der Grundlage eines »contracting« nicht a priori ab. Zum NATO-Gipfeltreffen aus Anlass des 50-jährigen Bestehens der NATO und dem ebenfalls abgehaltenen EAPC zwischen dem 23. und 25. April 1999 fand sich auch eine österreichische Delegation mit Bundeskanzler Klima, Außenminister Schüssel, Verteidigungsminister 149 Vgl. dazu : Allianz gegen den NATO-Beitritt, in : Der Standard, 24. März 1998, S. 2. 150 Freundliche Mitteilung von Gen. i.R. Mag. Dr. Alfred Schätz an den Verfasser, 10. Februar 2009.

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Fasslabend und Generaltruppeninspektor General Majcen ein. Die politischen Repräsentanten nahmen nur an der großen Sitzung des EAPC zu diesem Anlass teil, am Festakt zu 50 Jahren NATO dann nur der GTI. Das Programm für die NATO-Mitglieder und die PfP-Partner wies Unterschiede auf und bot in seiner Dichte keine Zeit für weiterführende Gespräche. In den Monaten des Nationalratswahlkampfes 1999 zeigte die SPÖ gewisse Tendenzen einerseits für die Umwandlung des Bundesheeres in ein Freiwilligenheer und andererseits für die Verkleinerung des Bundesheeres und den (weitgehenden) Verzicht auf schwere Waffensysteme. Damit hatte man ein mögliches Wahlkampfthema der ÖVP »entschärft«, und die im ÖVP-Wahlprogramm enthaltene Möglichkeit eines NATO-Beitrittes unter fünf Vorbedingungen blieb ohne Resonanz in der breiteren Wählerschaft und in den Medien. Als nach den für die ÖVP abermals enttäuschenden Wahlen (26,9 % und 52 Mandate)151 vom 3. Oktober 1999 die Koalitionsverhandlungen zwischen SPÖ (33,2 % und 65 Mandate) und ÖVP aufgenommen wurden, war eine NATO-Mitgliedschaft nicht nur für die nächste Legislaturperiode, sondern für einen nicht mehr absehbaren Zeitraum »vom Tisch«. Die Entwicklung zwischen EU und WEU sowie die Zielsetzungen der EU in den »Helsinki Force Goals« boten einen Weg der internationalen Mitwirkung und der Wahrung eines gewissen Stellenwertes für die österreichische Außen- und Sicherheitspolitik, ohne sich dem innenpolitisch nur nachteiligen »Kampf« gegen die Neutralität auch nur ansatzweise aussetzen zu müssen. Dem allenfalls erwartbaren Vorwurf der sicherheitspolitischen »Trittbrettfahrerei« in der »Tiefe der NATO« konnte man durch Mitwirkung an Operationen »out of area« entgegenwirken und mit dem Hinweis auf die Zustimmung zur Einbringung in eine europäische Sicherheitsstruktur zu einem nicht näher definierbaren Zeitpunkt in der eher ferneren Zukunft sogar einen gewissen Konsens über die Parteigrenzen hinweg erzielen. Die Beteiligungen von Kontingenten des Bundesheeres in Afghanistan oder im Tschad152 ergaben sich damit gleichsam zwangsläufig und über die ohnedies laufende Teilnahme im Rahmen der UNO-Friedenstruppe auf den Golanhöhen bzw. im Rahmen der NATO im Kosovo hinaus. Man hatte im Zusammenwirken mit der NATO zu einer höchst pragmatischen Vorgangsweise gefunden, die Verfahren eingespielt und die Kommunikation auf das dazu erforderlich Ausmaß gehoben, blieb allerdings als neutraler PfP-Partner

151 Die FPÖ hatte ebenfalls 26,9 % und damit 52 Mandate erhalten, war aber in der Gesamtzahl der abgegebenen Stimmen vor der ÖVP auf Rang zwei gelandet. 152 Es sei nur auf die umfangreiche Kritik und Diskussion um die Entsendung eines Kontingentes des Bundesheeres zur humanitären Hilfe im Tschad hingewiesen. Verteidigungsminister Norbert Darabos (SPÖ) hat dabei nachhaltig eine klare Linie zur Teilnahme vertreten, ohne dabei auf den politisch-strategischen Faktor einzugehen.

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von der Mitgestaltung und Mitentscheidung ausgeschlossen. War schon nach der ersten NATO-Erweiterung mit Ungarn usw. die geografische Position Österreichs für die NATO nachrangig geworden, so dürfte nach der zweiten und dritten Erweiterungsrunde für die NATO auch die etwaige Verfügbarkeit eines österreichischen Potenzials kein zu diskutierender Faktor mehr gewesen sein, noch dazu, da ab dem Jahr 2000 die budgetäre Situation des Bundesheeres zwar den Ansatz für eine »Transformation«, nicht aber die Anhebung des technologischen Standards auf modernste Gegebenheiten deutlich werden ließ. Die Sanktionen der EU gegenüber der am 4. Februar 2000 ins Amt tretenden Koalitionsregierung aus ÖVP und FPÖ unter einem Bundeskanzler Schüssel haben, wenn auch ungewollt, in Österreich die Skepsis gegenüber einem großen »Verbund« (und das galt zumindest zeitweise auch für die EU) gefördert und damit letztlich dazu beigetragen, die Neutralität in ihrer abgeschwächten und dehnbar interpretierten Form geradezu »einzumauern«. Werner Fasslabend wechselte ins Präsidium des Nationalrates und wurde damit dem sicherheitspolitischen Geschehen weitgehend entzogen. Den endgültigen Abschied von der Vision eines NATO-Beitrittes brachte dann die von Helmut Zilk geleitete »Bundesheer-Reformkommission«, in deren Bericht und Empfehlungen eine derartige Option nicht mehr berücksichtigt wurde. Der 11. September 2001 hat in sicherheitspolitischer Hinsicht für die »globalen« Beziehungen Veränderungen gebracht, denen sich auch Österreich pragmatisch und unter Bedachtnahme auf den für die Sicherheitspolitik und das Bundesheer zugeordneten Aufwand stellen musste. Ob sich allerdings für die nächsten zwei Jahrzehnte die Ausrichtung auf die sicherheitspolitische »Schiene« und Organisation der EU für Österreich als zielführend erweisen wird, wird sich nach den mühseligen Erfahrungen bei der Einmeldung der EU-geführten Kräfte für den Tschad und der darauf folgenden zunehmenden »Auslagerung« der militärischen Komponente zurück in die NATO erst zeigen. In Bezug auf die europäische Entwicklung der militärischen und damit sicherheitspolitischen Komponente in Richtung NATO könnte das bekannte Sprichwort angewendet werden, wonach die Hunde zwar bellen, doch die NATO-Karawane weiterzieht.

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Berthold Molden*

»Die Ost-West-Drehscheibe« Österreichs Medien im Kalten Krieg

Außenpolitik, so ließ sich in Meinungsumfragen der letzten Jahrzehnte immer wieder erheben1, zählte langfristig nicht zu den zentralen Interessen der Österreicher. Auch in den österreichischen Medien – mit der Ausnahme einiger weniger – spielten internationale Themen, vor allem aber die Außenpolitik des eigenen Landes eine verhältnismäßig untergeordnete Rolle.2 Dieser Umstand wurde von Beobachtern ∗

Für Unterstützung und Inspiration bei der Bearbeitung dieses Themas danke ich Christoph Bischof, Datenarchiv des Wiener Instituts für Sozialwissenschaftliche Dokumentation und Methodik ; Barbara Coudenhove-Kalergi ; Helmut Hüttl, Zentrale Dokumentationsstelle der Landesverteidigungsakademie ; Robert Kaller, Archivbestände der Österreichischen Gesellschaft für Zeitgeschichte/Institut für Zeitgeschichte ; Georg Miller für seine Mitarbeit bei der Datenerhebung ; Fritz Molden ; Manfred Mugrauer, Alfred-Klahr-Gesellschaft ; Alena Pfoser ; Oliver Rathkolb ; Manfried Rauchensteiner ; Siegfried Steinlechner, Abteilung Dokumentation und Archive des ORF ; Barbara Tóth ; Mario Wimmer und Luisa Ziaja. 1 Vgl. für den hier relevanten Zeitraum die Ergebnisse einer Umfrage aus dem Jahr 1981, nach der nur 25 % »sehr« oder »eher« an außenpolitischen Themen interessiert waren, alle anderen hingegen »eher wenig« oder »völlig uninteressiert«. Zitiert nach : Kicker, Renate/Khol, Andreas/Neuhold, Hanspeter (Hg.) : Außenpolitik und Demokratie in Österreich. Strukturen – Strategien – Stellungnahmen. Ein Handbuch, Salzburg 1983, Anhang A8f. Das Verhältnis zwischen Öffentlichkeit und Außenpolitik sowie die Rolle der Medien in dieser Interdependenz sind nicht nur für Österreich, sondern vielerorts untersucht worden. In Österreich erhielt die dahingehende Forschung in den 1970er-Jahren einen Schub und kulminierte gewissermaßen zwischen 1978 und 1983, den letzten Jahren der Kreisky-Alleinregierung, als unter anderem außenpolitische Programmdenker der ÖVP ihre Unzufriedenheit mit dem Status quo in der Zusammenarbeit mit Kommunikationswissenschaftlern umsetzten. Eine der wichtigsten Publikationen für die hier betrachtete Periode ist der oben und in Folge mehrfach zitierte Band Kicker/Khol/Neuhold : Außenpolitik und Demokratie. Hauptgrundlage dieses 500 Seiten starken »Handbuches« ist eine Repräsentativbefragung, die das Fessel+GfK-Institut im Oktober und November 1981 im Auftrag der Herausgeber und im Rahmen des genannten Forschungsprojektes durchführte. Darüber hinaus haben die Autoren aber auch zahlreiche frühere Studien aufschlussreich zusammengeführt. Für allgemeine Analysen vgl. auch Kramer, Helmut: Zur Rolle der öffentlichen Meinung in der Außenpolitik, in : Österreichische Zeitschrift für Politikwissenschaft 2/13 (1984), S. 141–163 ; Neuhold, Hanspeter : Außenpolitik und Öffentlichkeit in Österreich. Einschätzungen außenpolitischer Praktiker, in : Österreichische Zeitschrift für Außenpolitik 4/21 (1981), S. 309–329 ; Unterberger, Andreas : Außenpolitik und Öffentlichkeit, in : Österreichische Zeitschrift für Außenpolitik 1/19 (1979), S. 3–13. 2 Eine vergleichende Studie über das Jahr 1979 erhob folgende Werte : Durchschnittlich 41,9 % waren außenpolitische Berichte, Spitzenwerte fanden sich in der Presse, der Volksstimme und der Wiener Zeitung ; die Kronen Zeitung lag im Mittelfeld mit 39,6 %. Meist allerdings handelte es sich um Kurzmeldungen. Nur 10,3 % der Beiträge waren kommentiert, entsprachen also einer Glosse, einem Kommentar oder einem Leitartikel.

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und Protagonisten der Außenpolitik der Zweiten Republik immer wieder bedauernd konstatiert.3 Überraschend ist dies insofern, als die Ausbildung und Konsolidierung einer österreichischen nationalen Identität allgemein mit den ersten drei Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg angesetzt wird – jener Periode, in der Österreich zuerst außenpolitisch um seine Souveränität ringen musste und sich anschließend durch die aktive Neutralitätspolitik ein internationales Profil gab.4 Neben dem sogenannten Opfermythos als Abgrenzung gegen Deutschland, einer gewissen Habsburg-Nostalgie, »hochkulturellen« Großmachtsgefühlen und dem sozialpartnerschaftlichen Sonderweg stellten also die Neutralität und die Rolle Österreichs in einer ideologisch wie machtpolitisch geteilten Welt die Hauptelemente dieses Österreich-Bewusstseins dar. An der Entwicklung dieser Identität waren die österreichischen Medien zentral beteiligt5, sowohl die Zeitungen als auch gerade der ORF mit seinem Rundfunkmonopol. Dieser Anspruch wird vom ORF bis heute hochgehalten, sodass Kulturkritiker wie Franz Schuh ihn als Forschungsobjekt empfehlen, weil »der österreichische Rundfunk, diese öffentlich-rechtliche Anstalt, den interessantesten Einblick in diese Art der einerseits verstörenden, andererseits längst schon in Gewohnheiten verschliffenen Identitätspolitik gewährt«.6 Der erste, mit Abstand am längsten dienende und mächtigste Generalintendant des reformierten ORF, Gerd Bacher, sagt heute, er habe den österreichischen Rundfunk »als die ›Zentralanstalt für österreichische Identität’ und mitteleuropäische Drehscheibe« verstanden, »die ihr Informations- und Kulturprogramm auch besonders auf die Nachbarn hinter dem ›Eisernen Vorhang‹ ausrichtet«.7 Dies entspricht, wie noch zu sehen sein wird, durchaus den zeitgenössischen Wahrnehmungen der 1960er-Jahre.

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Vgl. Signitzer, Benno (Projektleiter) : Österreich im internationalen Mediensystem : Beziehungen und Abhängigkeiten. Projekt am Salzburger Institut für Publizistik und Kommunikationswissenschaft, im Auftrag des BMfWuF, empirische Erhebung im März 1979, Endbericht 1980, als Habilitationsschrift 1983. Vgl. wiederum Kicker/Khol/Neuhold : Außenpolitik und Demokratie. Zum Forschungsstand über österreichische Identitätsbildungsprozesse findet sich ein immer noch ausgezeichneter Überblick bei Wodak, Ruth/De Cicilia, Rudolf/Reisigl, Martin/Liebhart, Karin/Hofstätter, Klaus/Kargl, Maria : Zur diskursiven Konstruktion nationaler Identität, Frankfurt am Main 1998, S. 104–164. Als Untersuchung zum Zusammenhang der österreichischen Medienlandschaft mit der nationalen Identitätsbildung vgl. Beer, Beate : Die Entwicklung eines österreichischen Nationalbewusstseins in der Nachkriegszeit (1945–1970) und die diesbezügliche Rolle der Medien, Wien 2000 (Diplomarbeit). Schuh, Franz : Der ORF als Identitätsspender und als gestörte Identität, in : Musner, Lutz/Wunberg, Gotthard/Cescutti, Eva (Hg.) : Gestörte Identitäten ? Eine Zwischenbilanz der Zweiten Republik. Ein Symposion zum 65. Geburtstag von Moritz Csáky, Innsbruck/Wien/München/Bozen 2002, S. 60–71, hier S. 62. Bacher, Gerd : »Hier ist der ORF aus Prag !«, in : Karner, Stefan/Tomilina, Natalja Georgievna/Tschubarjan, Alexander/Išcenko, Viktor Vladimirovich/Prozumenšcikow, Michail/Ruggenthaler, Peter/Tuma, Oldrich/Wilke, Manfred (Hg.) : Prager Frühling. Das internationale Krisenjahr 1968 (Veröffentlichungen des Ludwig-Boltzmann-Instituts für Kriegsfolgen-Forschung, Sonderband 9), 2 Bände, Köln 2008, S. 1095–1100, hier S. 1095.

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So ist es erstaunlich, dass trotz des außergewöhnlichen Nationalstolzes der Österreicher – schon seit den frühen 1970er-Jahren waren stets um die 90 % stolz oder sehr stolz auf ihre Nationalität8 –, der auch oder gerade in Zeiten der EU den aller anderen europäischen Gesellschaften übertrifft9, ihr Interesse für die internationale Position des Landes vergleichsweise gering ausfällt. Insbesondere seit dem Ende des Kalten Krieges und dem bald darauf folgenden Beitritt zur Europäischen Union beschränkte sich die Aufmerksamkeit der österreichischen Bevölkerung für Österreichs Rolle im internationalen Geschehen auf die Frage, ob die europäische Integration mehr Vorteile oder mehr Nachteile für das eigene Land bringe. Man könnte dies als selbstgerechte Reaktion deuten, als das Verhalten vom Wohlstand verwöhnter Menschen, deren Blick nach außen vor allem von der Angst geprägt ist, es könnte ihnen etwas weggenommen werden. Doch stimmt das überhaupt ? War nicht die wahre Goldene Zeit jene der 1960er- und 1970er-Jahre, als Beschäftigungszahlen, Löhne, kommerzielles Angebot und leistbarer technischer Fortschritt ständig zunahmen ? Als Gastarbeiter für den Aufschwung des Wirtschaftswunders ins Land geholt wurden und als Bundeskanzler Bruno Kreisky dem Kleinstaat außenpolitisches Selbstbewusstsein gab ? Als Wien zum Schauplatz sowjetisch-amerikanischer Gipfeltreffen wurde und sich in Phasen von Koexistenz und Krise zwischen den Großmächten mit sogenannter »aktiver Neutralitätspolitik« zu profilieren versuchte ? Wer nun aber glaubt, die Zeit des Kalten Krieges, als Österreich an der geografischen Bruchlinie eines globalen Ideologiekonfliktes lag, hätte mehr Anteilnahme an seinen außenpolitischen Volten erzeugt, täuscht sich. Gewiss, ein Handschlag des Bundeskanzlers mit US-Präsidenten oder ein sowjetischer Staatsbesuch in Wien mochte – abgesehen von der misstrauischen Beobachtung durch die jeweils andere Supermacht ! – auch innenpolitisch, etwa in Wahlkämpfen, politisches Ansehen bringen. Und andererseits ermöglichte internationale Kritik an Österreich – wie im Verlauf der Waldheim-Affäre ab 1986 oder später der EU-Sanktionen angesichts der FPÖ-Regierungsbeteiligung im Jahr 2000 – österreichischen Politikern, trotziges Kapital daraus zu schlagen und weitgehende nationale Schulterschlüsse einzufordern. Doch meist galt das Hauptinteresse der Österreicher den Verhältnissen im eigenen Land. Wenige Menschen schienen zu beachten, in welchem Zusammenhang die beiden Sphären politischen Handelns miteinander standen.

8 Nationalstolz im Steigen, Pressemeldung von GfK Austria vom 3. Dezember 2008, vgl. http ://www.gfk.at/ imperia/md/content/gfkaustria/data/press/2008/2008–12-03_nationalbewusstsein.pdf (online am 3. April 2009). 9 Smith, Tom/Seokho, Kim: Kim : National Pride in Cross-national and Temporal Perspective, in: in : International Journal of Public Opinion Research 18 (2006), S. 127–136, vgl. http ://www-news.uchicago.edu/releases/06/060301.nationalpride.pdf (online am 3. April 2009).

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Die gespannteste Aufmerksamkeit der breiten Öffentlichkeit für Außenpolitik kann ohne Zweifel für die alliierte Besatzungszeit zwischen 1945 und 1955 diagnostiziert werden. Vor allem die Einrichtung der alliierten Kontrollorgane über praktisch alle Sphären der Innenpolitik – darunter gerade auch die Medienpolitik –, sodann der Beginn ökonomischer Unterstützung aus dem Marshallplan sowie die Hochphasen der Verhandlungen um den Staatsvertrag erregten die Gemüter der Österreicher. Schon 1946 berichteten 33 österreichische Tageszeitungen10 wieder über innen-, aber auch außenpolitische Fragen. Denn angesichts der noch so nahe liegenden Erfahrung von Krieg, Diktatur und Massenmord und aufgrund der rasanten politischen Veränderungen, die Europa in der frühen Nachkriegszeit prägten, blickte man zwangsläufig nach außen. Gerade weil die eigene Souveränität und damit die Entscheidungsmacht über das eigene Schicksal eingeschränkt waren, bedeuteten Maßnahmen in Moskau, Washington oder im alliierten Kontrollrat in Wien besonders viel. Regimewechsel in den Nachbarländern und die Teilung Deutschlands spielten sich vor den Augen der Menschen und insbesondere im Osten des Landes als mögliche Varianten der eigenen Zukunft ab. In den folgenden Jahrzehnten erwachte das Interesse der Österreicher an der Außenpolitik in unregelmäßigen Abständen, meist im Zusammenhang mit internationalen Krisen oder einer als waghalsig wahrgenommenen außenpolitischen Linie der Regierung.11 Als Höhepunkte sind hier die ungarische Revolte von 1956, der Prager Frühling sowie die späten 1970er- und frühen 1980er-Jahre (Bürgerrechtsund Streikbewegungen in der Tschechoslowakei, das Wettrüsten und Kreiskys Kurs zwischen den Großmächten) zu nennen. Von diesen Kulminationspunkten wird hier ausführlich die Rede sein. Das Geschick und die Möglichkeiten der österreichischen Außenpolitik in diesem wechselhaften und oft bedrohlichen Szenario waren zwar von existenzieller Wichtigkeit, rückten aber nur gelegentlich ins Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit. Allerdings wurde die österreichische Außenpolitik von Beginn an durch Presse und Rundfunk verfolgt und in den verschiedenen Spektralfarben politischer Interpretation an die Leser, Hörer und Seher vermittelt. So wird im Folgenden diese vielstimmige Berichterstattung im Mittelpunkt stehen. Aus der sich ständig verändernden (und im Laufe der Zeit verringernden) Vielzahl österreichischer Medien werden hier exemplarisch verstärkt herangezogen : Beiträge der Austria Wochenschau und der politischen Berichterstattung des Fern-

10 Boborowsky, Manfred : Österreich ohne Presse ? Perspektiven der Wiener Tageszeitungen 1945, in : Duchkowitsch, Wolfgang (Hg.) : Mediengeschichte : Forschung und Praxis. Festgabe für Marianne LunzerLindhausen zum 65. Geburtstag, Wien/Köln/Graz 1985, S. 113–126, hier S. 114. 11 Zur Rolle von Krisen für die Entwicklung transnationaler Medienöffentlichkeit im Europa des Kalten Krieges, darunter auch Österreich, vgl. Triandafyllidou, Anna/Wodak, Ruth/Krzyżanowski, Michał (Hg.) : The European Public Sphere and the Media. Europe in Crisis, Basingstoke/London/New York 2009.

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sehens, insbesondere der Nachrichtensendung Zeit im Bild ; und stellvertretend für die verschiedenen politischen bzw. medialen Ausrichtungen folgende Zeitungen : die Arbeiter-Zeitung als linke (Partei-)Zeitung, wobei für die Ereignisse ab 1989 der Standard als unabhängiges Medium an ihre Stelle tritt ; Die Presse als bürgerlich-konservatives Blatt ; der Wiener bzw. Neue Kurier als wesentliche Boulevardzeitung bis Ende der 1950er-Jahre, der Express als neues Massenmedium in der Phase der Umgestaltung der Zeitungslandschaft und schließlich die Kronen Zeitung als dominantes Boulevardblatt seit den 1970er-Jahren. Um die allgemeine Betrachtung des Kalten Krieges in der österreichischen Medienöffentlichkeit zu vertiefen, wird außerdem die Berichterstattung über einige Ereignisse besonders fokussiert : die Ungarnkrise 1956, die Niederschlagung des Prager Frühlings 1968, die »Polarka«-Affäre 1974, die Verdichtung der letzten Zuspitzung des Kalten Krieges zwischen Rüstungswettlauf, Friedensbewegung und der Solidarność-Krise 1981 sowie das Aufbrechen des Eisernen Vorhangs, beispielhaft rund um die Öffnung der ungarischen Grenze im Sommer 1989.

Die Besatzungszeit – von der Befreiung bis zum Staatsvertrag Printmedien 1945–1955 Im ersten Nachkriegsjahrzehnt ist für das österreichische Zeitungswesen eine Unterscheidung von großer praktischer Bedeutung : jene zwischen den Besatzungsblättern wie der Österreichischen Zeitung (Sowjetunion), dem Wiener Kurier (USA), der Weltwoche (Großbritannien) und der Welt am Abend/Welt am Montag (Frankreich) einerseits ; und den lizenzierten österreichischen Zeitungen andererseits, ob nun Parteizeitungen oder sogenannte »unabhängige« Zeitungen. Denn während die Besatzungsmächte ihren – ihrerseits völlig unterschiedlich gestalteten – Propagandaplattformen steten Papiernachschub und Vertrieb in der stolpernden Nachkriegswirtschaft sicherten, waren die österreichischen Tages- und Wochenblätter vom guten Willen der Alliierten und der Gunst der Versorgungslage abhängig und mussten oft um ihre Auflage bangen. Der noch wesentlichere Unterschied lag jedoch in der politischen Ausrichtung ihrer Berichterstattung. Gerade für die ersten Monate der Besatzung scheint die Forschung darin übereinzustimmen, dass die sowjetische Lizenzierungspolitik wesentlich liberaler war als die der westlichen Alliierten. Als Argument dafür wird unter anderem das Erscheinen der Drei-Parteien-Zeitung Neues Österreich (bis 1947 unter Leitung des kommunistischen Politikers und Intellektuellen Ernst Fischer) nur acht Tage nach der Österreichischen Zeitung angeführt.12 12 Harmat, Ulrike : Die Medienpolitik der Alliierten und die österreichische Tagespresse 1945–1955, in : Melischek, Gabriele/Seethaler, Josef (Hg.) : Die Wiener Tageszeitungen. Eine Dokumentation, Bd. 5 :

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Obwohl das Neue Österreich als Regierungsorgan im Vergleich zu den anderen Zeitungen rasch an Popularität verlor, spielte es anfangs für die Rahmung der österreichischen Identitätskonstruktion eine nicht unwesentliche Rolle.13 Ernst Fischer brach erst nach dem Einmarsch des Warschauer Pakts in die ČSSR 1968 mit dem von ihm sogenannten »Panzerkommunismus« und wurde daraufhin aus der KPÖ ausgeschlossen. Als Chefredakteur des Neuen Österreich schrieb er als einer der Ersten für eine starke österreichische Identität gerade in der Außenpolitik und verwies auf jene historisch bedingte Ausrichtung Österreichs »auf den Osten und Südosten Europas«, derer man sich paradoxerweise in den 1990er-Jahren in Wirtschafts- und ÖVP-Kreisen (zuerst um Alois Mock, dann um Erhard Busek) wieder entsinnen sollte. Gleichzeitig stellte er sich immer wieder gegen antisowjetische »Kreuzzüge« : »Jeder österreichische Politiker muss sich stets bewusst sein, dass unser Land ein Schnittpunkt zwischen der westlichen und der östlichen Sphäre Europas ist und dass uns daraus die Pflicht erwächst, in aufrichtiger Beziehung zu Ost und West unsere eigenen Interessen wahrzunehmen.«14 Diesen Appell richtete Fischer schließlich nicht nur an die politische Elite, sondern an »jeden österreichischen Patrioten«, dem an der »Sicherung eines wohldurchdachten Gleichgewichtes zwischen den Weltmächten und allen freiheitsliebenden Völkern« gelegen sein müsse.15 Das Neue Österreich repräsentierte gerade in jener Zeit, als die österreichische Öffentlichkeit von beiden Großmächten gewissermaßen umworben wurde, die Mahnung zum moderaten, vorsichtigen Mittelweg. Fischers Leitartikel aus den ersten Monaten der Zweiten Republik zeigen diesen Geist besonders deutlich. Allerdings ist darauf hinzuweisen, dass seine Beiträge in der kommunistischen Parteizeitung Volksstimme einen anderen Tonfall an den Tag legten. Allgemein gilt für diese frühe Phase der Besatzungszeit eine eher restriktive Zulassungspolitik für Zeitungen seitens aller vier Alliierten. Und doch gab es schon 1945 32 Tageszeitungen16, von denen nur ein Viertel von den Besatzungsmächten herausgegeben wurde. Trotz der strengen Haltung der Besatzer und wirtschaftlicher Schwierigkeiten gelang es also bis Jahresende, eine große Vielfalt an Print-

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1945–1955. Mit einem Überblick über die österreichische Tagespresse der Zweiten Republik bis 1998, Frankfurt am Main 1999, S. 57–96, hier S. 74. Sonnleithner, Jakob : Die Konstruktion einer österreichischen Identität in der Nachkriegszeit anhand der Zeitung »Neues Österreich« in den Jahren 1945–1955, Wien 2007 (Diplomarbeit). Fischer, Ernst : Der Weg der österreichischen Außenpolitik, in : Neues Österreich, 14. September 1945, S. 1, zitiert nach : Fischer, Ernst : Das Jahr der Befreiung. Aus Reden und Aufsätzen, Wien 1946, S. 29– 31. Fischer, Ernst : Österreich und die Sowjetunion, in : Neues Österreich, 7. November 1945, S. 1, zitiert nach : Fischer : Das Jahr der Befreiung, S. 119 f. Csoklich, Fritz : Massenmedien, in : Weinzierl, Erika/Skalnik, Kurt (Hg.) : Das neue Österreich. Geschichte der Zweiten Republik, Graz/Wien/Köln 1975, S. 259–276, hier S. 259.

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medien zu etablieren. Am 1. Oktober 1945 erfolgte per Dekret des Alliierten Rates die Aufhebung der Vorzensur. Die Zensur der Alliierten hatte zunächst vor allem mit ihrem Misstrauen gegenüber dem nationalsozialistischen journalistischen Milieu zu tun. Was Oliver Rathkolb für das Außenamt 1945 nachweisen konnte, nämlich eine durchgehend antinazistische Rekrutierungspolitik17, gilt für die Medien in dieser Weise nicht : Ein erheblicher Teil der österreichischen Journalisten der Umbruchszeit hatte vorher mit Medien der NS-Zeit zusammengearbeitet18, wenn auch viele zumindest vorübergehend durch die Entnazifizierungsmaßnahmen der USA Berufsverbot hatten und zahlreiche andere – darunter mehrere Chefredakteure der Bundesländer-Zeitungen – vor 1945 verfolgt worden waren. Interessanterweise tritt bereits im Dekret vom Oktober 1945 ein anderer Vorbehalt neben diese Bedenken : Die Pressefreiheit wurde unter der Bedingung erteilt, kein Material zu veröffentlichen, das »Zwietracht zwischen den Alliierten säen oder Misstrauen des österreichischen Volkes gegen die Besatzungsmächte erzeugen« könnte.19 Seitens der USA war die Aufhebung der Zensur dabei nicht reinem demokratischem Idealismus geschuldet. Vielmehr erwartete man sich eine antikommunistische Grunddisposition und genügend verbleibende Maßnahmen, um »die zu jenem Zeitpunkt verstärkt lancierten antiamerikanischen Artikel durch antisowjetische Berichte in nichtkommunistischen österreichischen Parteizeitungen zu kompensieren«.20 Schließlich blieb die Nachzensur weiterhin in Kraft. Berichte mussten also nicht mehr vorab den Zensoren vorgelegt werden, konnten aber durchaus im Nachhinein Gegenstand alliierter Kritik werden. Diese Praxis gegenüber den österreichischen Medien hielt sich über die Besatzungszeit hinaus : Immer wieder wurde mit Verweis auf den Staatsvertrag und die Neutralitätsverpflichtung Österreichs die Berichterstattung einzelner Medien als tendenziös und neutralitätsverletzend kritisiert – vor allem aus Moskau, aber auch aus Washington. Wie wir sehen werden, traten die österreichischen Regierungen in solchen Fällen nach 1955 stets für die journalistische Freiheit ein und wiesen Interventionsforderungen der Signatarmächte zurück.

17 Rathkolb, Oliver : Die Wiedererrichtung des Auswärtigen Dienstes nach 1945, Wien 1988 (unveröffentlichter Projektendbericht), S. 34–36. Dass in der Folge die antinazistischen Auswahlparadigmen für das diplomatische Corps ebenfalls stark aufgeweicht wurden, zeigen jüngste Forschungen. Vgl. Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes/Österreichische Gesellschaft für historische Quellenstudien (Hg.)/Agstner, Rudolf/Enderle-Burcel, Gertrude/Follner, Michaela : Österreichs Spitzendiplomaten zwischen Kaiser und Kreisky. Biographisches Handbuch der Diplomaten des Höheren Auswärtigen Dienstes 1918 bis 1959, Wien 2009. 18 Vgl. v.a. die Arbeiten des Kommunikationswissenschaftlers Fritz Hausjell. 19 Harmat : Die Medienpolitik der Alliierten, S. 60. 20 Rathkolb, Oliver : Politische Propaganda der amerikanischen Besatzungsmacht in Österreich 1945–1950. Ein Beitrag zur Geschichte des Kalten Krieges in der Presse-, Kultur- und Rundfunkpolitik, Wien 1981 (Dissertation), S. 111.

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Trotz der Abhängigkeit von der Papierzuteilung der Besatzungsmächte zeigte sich die österreichische Journalistik durchaus kritisch und mitunter kämpferisch gegenüber den Besatzungsmächten. Dies gilt auch für die Parteizeitungen, unter denen vor allem die sozialistische Arbeiter-Zeitung während der Besatzungszeit eine besondere Rolle spielte. Seit 1889 das zentrale publizistische Organ der österreichischen Sozialdemokratie, war sie von 1934 bis 1938 als klandestines Kampfblatt erschienen und dann bis 1945 ganz von der Bildfläche verschwunden. Am 5. August 1945 war sie unter den drei neu bzw. wieder gegründeten Parteizeitungen. Bereits im Frühling und Sommer 1945 waren die Druckereien zwischen den drei damals von den Alliierten zugelassenen politischen Parteien intern aufgeteilt worden. So erschienen ab 5. August 1945 die Arbeiter-Zeitung – über 1955 hinaus die auflagenstärkste Zeitung des Landes –, das Kleine Volksblatt der ÖVP und die kommunistische Volksstimme. Mit dem Dekret vom 1. Oktober 1945 konnten auch in den Bundesländern Parteizeitungen gegründet werden, während von den Besatzungsmächten schon 1945 lizenzierte Provinzzeitungen wie die Oberösterreichischen Nachrichten, die Salzburger Nachrichten oder die Tiroler Tageszeitung gleich in österreichische Hände übergingen.21 Von den drei genannten entwickelten sich nur die Salzburger Nachrichten zu einer überregional relevanten österreichischen Tageszeitung. Unter der Chefredaktion des konservativen Intellektuellen und späteren VdU-Gründers Viktor Reimann und des zuvor mit dem kroatischen Ustascha-Regime verbunden gewesenen Journalisten Alfons »Stipe« Dalma wurde sie zum Hausblatt einer westgewandten Außenpolitik und einer äußerst konservativen Innen- und Kulturpolitik. Hinsichtlich der ideologischen Auseinandersetzung zwischen Ost und West stellte Oliver Rathkolb für die ersten Nachkriegsjahre die Diagnose einer »durchgehend antikommunistischen und antisowjetischen Propaganda der ÖVP- und SPÖ-Zeitungen sowie der ›unabhängigen‹ Presse«.22 Dieser Beurteilung kann auf Basis der hier durchgeführten Untersuchung nur zugestimmt werden. Was nun die Haltung gegenüber den Missständen der sowjetischen Besatzungsrealität anbelangt, so nahm vor allem die Arbeiter-Zeitung eine besondere Rolle ein. Während nämlich Die Presse über die von Ernst Molden verkörperte liberal-konservative publizistische Tradition23 sowie über die US-Verbindungen von Fritz Molden im Kalten Krieg klar prowestlich positioniert war, stand es um die Arbeiter-Zeitung anders. Sie musste als Parteizeitung nicht zuletzt den ständigen Angriffen der ÖVP gegenhalten, die SPÖ wolle mit der KPÖ eine »rote Volksfront« bilden – Vorwürfe, die sich bis in die

21 Eine der Schlüsselpersonen in dieser Gründungsphase war der politische Offizier an der US-Vertretung in Wien, Martin F. Herz. 22 Rathkolb : Politische Propaganda, S. 256. 23 Vgl. Moldens Leitartikel zwischen 1946 und seinem Tod im Jahr 1953, in : Molden, Ernst : Das Wort hat Österreich. Beiträge zur Geschichte der Zweiten Republik, Wien 1953.

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1960er-Jahre auf ÖVP-Wahlplakaten fanden. Daher war die Linie der Arbeiter-Zeitung gezeichnet von einer scharfen Ablehnung nicht nur des Kommunismus im Allgemeinen, sondern auch jeder taktischen Verbindung mit der KPÖ. Das unbedingte Bekenntnis zum Sozialismus – »Der Sozialismus will […] und kann die Welt aus der Krise herausführen«24 – sollte nie als rot-roter Schulterschluss oder gar VolksfrontIdee missverstanden werden. Die Arbeiter-Zeitung verkörperte die tägliche Widerlegung einer solchen Behauptung, griff sie doch nicht nur die österreichischen Kommunisten scharf an – jedenfalls ab der Wahl im November 1945, als klar war, dass die KPÖ in der österreichischen Innenpolitik eine marginale Rolle spielen und in der Regierung nur aus Rücksicht auf die Besatzungslage vertreten sein würde. Ab Mitte 1946 kritisierte die Arbeiter-Zeitung auch die Rote Armee bzw. die sowjetische Besatzungsmacht mehr oder minder direkt und erwarb sich damit den Ruf der »Zeitung, die sich was traut«.25 Der langjährige und mächtige Chefredakteur Oscar Pollak, der in »brennenden innenpolitischen Fragen nicht nur die Haltung der Partei wieder-, sondern nicht selten auch die Richtung vor[gab]«26, prägte mit seinem Leitartikel vom 3. April 1947 den sarkastischen Begriff »Die Unbekannten« und sprach damit die weitgehend straffrei bleibenden Übergriffe von Soldaten der Roten Armee an österreichischen Zivilisten an.27 Der Besatzungsmacht wurde dabei zwar guter Wille bescheinigt, doch das mit ihr zusammenhängende Problem marodierender Soldaten deutlich angesprochen.28 In dieser Frage gab die Arbeiter-Zeitung eine Parteilinie mit Volksnähe vor, wie einer ihrer Chefredakteure später schrieb : »Pollaks unversöhnlicher Antikommunismus hat zweifellos die Sozialistische Partei in den Jahren nach dem Krieg geprägt, entsprach aber auch weitgehend der Stimmungslage der Bevölkerung und deren Erfahrungen mit der Besatzungsmacht.«29 Die Angriffe auf die österreichischen Kommunisten wurden vor allem gegen Mitte der 1950er-Jahre heftig und auch immer wieder unflätig. Der KPÖ traute Pollak nicht über den Weg und zieh sie etwa angesichts der Oktober-Streiks 1950 lauter noch als viele andere Blätter des Putschversuchs. Ein Leitartikel von Franz Kreuzer ereiferte sich über die »Lumpen« der KPÖ als »blöde« »Agenten der fremden Ge24 Pollak, Oscar : Die Welt nach dem Krieg, in : Arbeiter-Zeitung, 22. September 1945, S. 1 f. 25 Scheuch, Manfred : Von der Arbeiter-Zeitung zur »Neuen AZ«. Die AZ in der Zweiten Republik, in : Pelinka, Peter/Scheuch, Manfred : 100 Jahre AZ. Die Geschichte der Arbeiter-Zeitung, Wien/Zürich 1989, S. 115–200, hier S. 126–129. 26 Ebd., S. 120. 27 In dieser Bezeichnung klang auch die Assoziation mit dem Denkmal zu Ehren der Soldaten der Sowjetarmee auf dem Schwarzenbergplatz (von 1946 bis 1956 Stalinplatz) mit, das als »Denkmal des unbekannten russischen Soldaten« bekannt war und an dessen Enthüllung am 19. August 1945 die österreichische Staatsführung geschlossen teilgenommen hatte. 28 Pollak, Oscar : Die Unbekannten, Arbeiter-Zeitung, 3. April 1947, S. 1 f. 29 Scheuch : Arbeiter-Zeitung, S. 145.

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walt«, »Halbseidene der Russischen Stunde« und »Kommunokomödianten von der Scala«. Und er sprach ihnen die Zugehörigkeit zu Österreich ab : »Die einen waren die Österreicher, die anderen waren die Lumpen.« Schließlich verwies Kreuzer mit Bezug auf die sogenannte »Figl-Fischerei«30 darauf, dass selbst die ÖVP mit dem Kommunismus Händel habe treiben wollen und nur die SPÖ für eine klare antikommunistische Politik in Österreich stehe.31 Die Attacken Kreuzers gegen die Austrokommunisten trugen der Arbeiter-Zeitung eine Klage seitens der Beleidigten ein, die von der Redaktion gegen die Proteste Pollaks, der den »Kommunisten im eigenen Land […] keine ehrliche politische Gesinnung zubilligte, sondern [diese] durchweg als Agenten einer fremden Macht betrachtete«, auch bezahlt werden musste.32 Gegenüber der Besatzungsmacht bzw. der sowjetischen Politik war Pollak zwar etwas vorsichtiger im Ton, aber dennoch deutlich ablehnend. Dies wird etwa an den Analysen der politischen Wenden in den Nachbarländern deutlich. Zur kommunistischen Machtübernahme in Prag am 25. Februar 1948 schrieb Pollak, »die Sowjetunion stellte sich gegen die Einheit Europas«, und meinte damit natürlich auch das Verbot Moskaus an seine Bruderländer, dem Marshallplan beizutreten. Die Sowjetunion und den Kommunismus schlechthin definierte er als uneuropäisch und als Bedrohung. Seine Warnung richtete sich aber ebenso an die österreichischen Arbeiter, sich nicht von der »russischen Partei« im eigenen Land übertölpeln zu lassen, denn : »Österreich gehört nicht zum Ostblock.«33 Was nun die Besatzungsblätter betrifft, zeigte sich sehr bald ein Kuriosum : Während die sowjetische Österreichische Zeitung als Mitteilungs- und Propagandablatt einen ambivalenten Ruf genoss, die französische Welt am Abend/Welt am Montag nur bis 1948 überlebte und die britische Weltpresse sich bei ca. 100 000 Exemplaren einpendelte, wurde der von den Amerikanern herausgegebene Wiener Kurier zur zweitgrößten Zeitung des Landes. Als Massenzeitung amerikanischen Stils war er sehr beliebt. Unter den Wiener Tageszeitungen war er die mit Abstand stärkste, und österreichweit wurde er nur von der Arbeiter-Zeitung knapp übertroffen.34 Als diese

30 Vgl. Gehler, Michael Michael:: »…this nine days wonder« wonder«?? Die »Figl-Fischerei« von 1947. Eine politische Affäre mit Nachspiel, in : Gehler, Michael/Sickinger, Hubert (Hg.) : Politische Skandale und Affären in Österreich. Von Mayerling bis Waldheim, Thaur/Wien/Innsbruck 1995, S. 346–381. 31 Kreuzer, Franz : Die Lumpen haben nicht recht gehabt, in : Arbeiter-Zeitung, 21. Mai 1955, S. 1 f. 32 Scheuch : Arbeiter-Zeitung, S. 146. 33 Pollak, Oscar : Das Ende einer Nachbardemokratie, in : Arbeiter-Zeitung, 27. Februar 1948, S. 1 f. Zu Österreichs Position gegenüber den kommunistischen Machtübernahmen in Mitteleuropa vgl. auch Bischof, Günter : »Prag liegt westlich von Wien«. Internationale Krisen im Jahre 1948 und ihr Einfluß auf Österreich, in : Bischof, Günter/Leidenfrost, Josef (Hg.) : Die bevormundete Nation. Österreich und die Alliierten 1945–1949 (Innsbrucker Forschungen zur Zeitgeschichte 4), Innsbruck 1988, S. 315–345. 34 Auch diese Einschränkung ist freilich zu relativieren, wie Umfragen in der amerikanischen Zone zeigten. Vgl. Harmat : Die Medienpolitik der Alliierten, S. 78.

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nach Abzug der Besatzungsmacht ihre sowjet-kritische Vormachtstellung einbüßte, setzte sich das 1954 vom ÖVP-nahen Industriellen Ludwig Polsterer als Neuer Kurier übernommene Blatt an die Spitze und verlor diese Position erst Ende der 1960erJahre an die Neue Kronen Zeitung. Der Wiener Kurier war als amerikanische Besatzungszeitung von Anfang an als Propagandamedium konzipiert, sein ideologischer Diskurs durchlief allerdings unterschiedliche Perioden. Diese Abschnitte spiegelten sich im Verhältnis zu der fast durchgehend österreichischen Redaktion, deren Leitung aber nach der Gründung mit dem österreichischen Chefredakteur Oskar Fontana von Wellen der Entaustrifizierung und Amerikanisierung (1946) und dann gegen Ende der Besatzungszeit der Entamerikanisierung und Re-Austrifizierung gezeichnet war. Von Anfang an jedenfalls wollte das amerikanische Oberkommando in Österreich »den Kommunismus auf propagandistischer Ebene treffen, wann und wo immer es möglich war«.35 Diese Grundeinstellung lässt die Aufhebung der Zensur in einem anderen Licht erscheinen, nämlich dem einer als antikommunistisch konzipierten unabhängigen Presse und weist den vom amerikanischen Chefredakteur Hendric Burns 1946 eingeführten täglichen Leitartikel als weltanschauliches Sprachrohr aus.36 Zu Beginn der West-Ost-Konfrontation, ab 1946, fanden sich nur vereinzelt kritische Berichte über sowjetische Akteure, und erst langsam begann man sich auf die sowjetische Besatzungsmacht per se einzuschießen.37 Gleichzeitig wurden alle amerikanischen oder im weiteren Sinne »westlichen« Themen in oft getragenem Tonfall grundsätzlich positiv behandelt, was gerade in der außenpolitischen Berichterstattung die österreichischen Redakteure »immer mehr gestört« hat, »weil dann diese typischen amerikanischen Schmalz-Geschichten drin waren. […] Diese vom amerikanischen Humanitäts-Gedanken getragenen, furchtbar pathetischen Dinge«. So erinnerte sich der damalige Ressortleiter für Außenpolitik, Herbert Krejci, fügte jedoch hinzu : »Aber sonst waren wir ziemlich frei.«38 Die politische Berichterstattung des Neuen Kurier spielte zwar im Vergleich mit den Ressorts Kultur, Chronik und Unterhaltung eine

35 Rathkolb : Politische Propaganda, S. 109. 36 Ebd., S. 111 und S. 119. 37 Rathkolb (ebd., S. 124 f.) misst dieser Periodisierungszäsur hohe Bedeutung bei. Vgl. dazu auch Schönberg, Michael : Die amerikanische Medien- und Informationspolitik in Österreich von 1945 bis 1950, Wien 1975 (Dissertation), S. 92 ; und Mueller, Wolfgang : Die »Österreichische Zeitung«, in : Melischek, Gabriele/Seethaler, Josef (Hg.) : Die Wiener Tageszeitungen. Eine Dokumentation, Bd. 5 : 1945–1955. Mit einem Überblick über die österreichische Tagespresse der Zweiten Republik bis 1998, Frankfurt am Main 1999, S. 11–56, hier S. 38. Letzterem zufolge wird »deutlich, dass es sich um kein punktuelles Ereignis, sondern vielmehr um einen Prozess wachsenden Misstrauens und sich offenbarender Meinungsverschiedenheiten handelte, der das interalliierte Verhältnis in Österreich bestimmte«. 38 Im Interview mit Peter Böhmer, vgl. Böhmer, Peter : Der »Wiener« bzw. »Neue« Kurier von 1951 bis 1967. Der Versuch einer Dokumentation, Wien 1996 (Diplomarbeit), S. 82.

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eher untergeordnete Rolle – der Anteil lag entsprechend dem populären Charakter der Zeitung in den 1950er-Jahren zwischen knapp fünf und maximal 14 %.39 Wurden jedoch politische Fragen angesprochen, so vor allem ab Beginn der 1950er-Jahre in einem Tonfall, welcher der zunehmenden »Totalisierung« des Kalten Krieges entsprach. Mit der Austrifizierung der Zeitung kam eine ganze Reihe neuer Mitarbeiter zum Neuen Kurier, darunter bereits im Oktober 1954 prominente antikommunistische Autoren wie Friedrich Torberg. Am 15. Jänner 1955 übernahm Hugo Portisch auf Ruf des neuen Chefredakteurs Hans Dichand die Leitung der Außenpolitik. Die beiden Journalisten kannten einander bereits von 1948, aus der gemeinsamen Zeit in der Wiener Tageszeitung, wo Portisch später ebenfalls Chefredakteur gewesen war. Als Portisch aus den USA zum »ent-amerikanisierten« Neuen Kurier kam, wurde er dort auch stellvertretender Chefredakteur und Leitartikler. Seine zumindest wöchentlichen Analysen wurden zu einem wichtigen Bestandteil des Neuen Kurier. Eine exemplarische Untersuchung seiner Haltung zu den beiden Großmächten 1956–1957 und 1966–1967 hat ergeben, dass Portisch beiden gegenüber einen moderat-positiven Ton anschlug. Dies galt für die USA mehr oder weniger durchgehend, im Falle der Sowjetunion wurde die Bewertung im Laufe der Jahre immer freundlicher.40 Eine solche Haltung des Chefkommentators bedeutete jedoch zu keinem Zeitpunkt, dass sich der Kurier vom antikommunistischen Konsens der österreichischen Medien entfernt hätte.41 Sie zeigte vielmehr die Wirkung der Entspannungspolitik ab den 1960er-Jahren an, in denen sich außenpolitische Reporter wie Portisch – später auch im Fernsehen – fasziniert von den Entwicklungen in Jugoslawien, Rumänien und dem »Ostblock« im Allgemeinen äußerten. Das sowjetische Pendant zum Wiener Kurier als Besatzungsblatt war die seit 15. April 1945 als erste österreichische Nachkriegszeitung erscheinende Österreichische Zeitung. Von der Dritten Ukrainischen Front der Roten Armee zunächst als Frontzeitung für die österreichische Bevölkerung gegründet, war sie ab August 1945 das offizielle Organ der sowjetischen Besatzungsmacht. Als solches wurde sie am 39 Jörg-Brosche, Claudia : Die Boulevardisierung der Tagespresse nach dem Zweiten Weltkrieg am Beispiel des Wiener bzw. Neuen Kuriers, Wien 1992 (Dissertation), S. 190a. 40 Vgl. Ekl, Ludwig : Kommentar und Persönlichkeit. Ein Beitrag zur Kommunikationsgeschichte, Wien 1975 (Dissertation), S. 55 und S. 67. 41 Vgl. etwa für die Berichterstattung zu den Oktoberereignissen 1956 in Ungarn : Brabec, Heinrich : Die Wiener Tagespresse in ihrem propagandistischen Einsatz gegen den Kommunismus in der Zweiten Republik. Eine Analyse der Aussagen zum kommunistischen Oktoberputsch 1950 und zur Ungarischen Revolution 1956, Wien 1964 (Dissertation), S. 225 f. Dieser Antikommunismus vermochte im Österreich des Kalten Krieges, und vor allem in den 1950er-Jahren, auch die Auflage nachhaltig zu steigern, wie Peter Böhmer ebenfalls am Herbst 1956 gezeigt hat, vgl. Böhmer : Der »Wiener« bzw. »Neue« Kurier, S. 86 und S. 121.

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31. Juli 1955 eingestellt. Bis dahin schwankte ihre Auflage widersprüchlichen Angaben zufolge zwischen 40 00 und 80 000 Stück und erreichte damit nie den Jahresdurchschnitt von 270 000, auf die es der Wiener Kurier in dieser Periode brachte.42 Was unser Thema betrifft, zerfällt der eingehenden Untersuchung von Wolfgang Müller zufolge die Blattlinie der Österreichischen Zeitung in zwei Phasen, ähnlich wie jene des Kurier : ein auch dem Westen gegenüber eher verbindlicher Tonfall bis 1946, gefolgt von einer sich steigernden Radikalisierung der politischen Propaganda gegen den ideologischen Gegner. In jener ersten Phase erkennt Müller als Hauptelemente zunächst die Bereitstellung von Nachrichten für die seit Kriegsende zeitungslose österreichische Bevölkerung, ein klares Bekenntnis zu Österreich und in Folge hinsichtlich seiner unmittelbaren Funktion das Selbstverständnis als Verlautbarungsorgan der Besatzungsmacht. Ab 1946 jedoch begann »im Zuge der Konfrontation mit den Westmächten« ein »Wandel in der Zielsetzung« und leitete die zweite Phase ein, jene der Ideologisierung und des Antiamerikanismus. Initiiert wurde diese neue Linie durch einen Leitartikel des sowjetischen Chefzensors für Österreich, Oberstleutnant Goldenberg, am 15. April 1948 : Die Aufgabe der Zeitung bestehe im »Kampf der demokratischen Kräfte gegen die Reaktion«, in dem es gelte, »den Wall von Lüge und Verleumdung niederzureißen«, den die amerikanische Propaganda sowie die bürgerliche und sozialdemokratische Presse in Österreich seit 1947 errichtet hätten.43 Für Müller ist dieser Wandel »als ein Ausdruck der bereits erwähnten ›Ideologisierung‹, eines Prozesses der ›Einigelung‹ ideologischer Standpunkte, anzusehen, der in den Medien eine verbale Radikalisierung und wachsende Aggression bis hin zur hysterischen Rhetorik des Kalten Krieges mit sich brachte, die trotz des Bekenntnisses zu ›nüchterner Information‹ von Sensationsschlagzeilen und Falschmeldungen als propagandistischen Mitteln überreichen Gebrauch machte«.44 Diese Entwicklung schlug sich natürlich gerade in der internationalen Berichterstattung und vor allem die westlichen Alliierten betreffend nieder. Die außenpolitischen Meldungen der Österreichischen Zeitung beriefen sich meist auf die Presseagenturen TASS und Reuters sowie auf die Prawda. Wie erwähnt, gab man sich anfangs freundschaftlich, ab dem Frühjahr 1946 eskalierte die mediale Konfrontation jedoch zusehends. Am 11. Juli 1946 erschien in der Österreichischen Zeitung ein Angriff auf die US-Haltung bezüglich der sowjetischen Reparationsforderungen.45 Bis dahin waren solche Attacken nicht gegen die Westmächte per se gerichtet, son-

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Vgl. Müller : »Österreichische Zeitung«, S. 27 f. Nach Ebd., S. 25 f. Ebd., S. 26. Dies wies bereits auf die Konfrontation um den Marshallplan hin, in deren Zuge dann endgültig ein offener Schlagabtausch ausbrach.

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dern gegen bestimmte Einzelpersonen. Müller nennt diese Strategie »Personalisierung« und belegt sie mit den Protesten nach einer Schießerei im Mozart-Express im Februar 1946, der ein sowjetischer Soldat zum Opfer fiel, und mit dem Bericht über die Fulton-Rede Churchills.46 In Oliver Rathkolbs Dissertation ist nachzulesen, wie der amerikanische Informationsdienst sich daraufhin ebenfalls medial auf die Sowjetunion einschoss.47 Dies wiederum führte in der Österreichischen Zeitung zu direkten Angriffen auf die USA. Kontroversielle Themen waren der Marshallplan, die US-Politik im Allgemeinen, aber auch über die Besatzungspolitik wurde mit Schlagzeilen wie »Amerikanische Gangsterbräuche in Salzburg« oder »Amerikanische Lebensmittelkonserven gesundheitsschädlich« hergezogen. Gewissermaßen im Gegenzug zu den Protesten der Arbeiter-Zeitung wegen Übergriffen sowjetischer Soldaten gegen österreichische Zivilisten wurde über ähnliche Vergehen amerikanischer Soldaten berichtet. Der Wiener Kurier konterte darauf mit Hinweisen auf die sowjetische Zensur, auf das Schicksal von Kriegsgefangenen in der UdSSR oder der Comic-Serie »Hinter dem Eisernen Vorhang. Das Leben in Polrumgaria«. Die heiße »zweite Phase der gegenseitigen Verwicklung in den Krieg der Worte«48 hatte begonnen und verschärfte sich zusehends. Eine ganze Reihe von aufschlussreichen und illustrativen Dokumenten zur Propagandapolitik der Sowjetunion in Österreich findet sich im Dokumentenband der Publikation »Die Rote Armee in Österreich«.49 Daraus nur zwei Beispiele : Im Sommer 1947 überlegte man im sowjetischen Außenministerium auf Weisung Molotows, wie eine Verbesserung der Propaganda erreicht werden könnte, die auch nach dem Abzug der Roten Armee weitergehen sollte – darunter auch die Gründung einer linken Abendzeitung, zu der es aber nicht kommen sollte.50 Ein Sonderbericht des sowjetischen Geheimdienstleiters in der Alliierten Kommission für Österreich an das Staatssicherheitsministerium beklagte im September desselben Jahres : »Tagtäglich werden von der österreichischen Presse, angefangen vom reaktionären katholischen Blatt ›Die Furche‹ bis zur sozialistischen ›Arbeiter-Zeitung‹, aber auch von den ›unabhängigen‹ ›Salzburger Nachrichten‹ und anderen Zeitungen systematisch antisowjetische Artikel abgedruckt und eine Hetzjagd auf die Kommunistische Partei betreiben.« Der Bericht erwähnte auch Beispiele aus verschiedenen regionalen Blättern und die »Verleumdungen« der Sowjetunion durch Schärf, Helmer, Gruber, Raab und andere. Dies sei kein Zufall, sondern der Müller : »Österreichische Zeitung«, S. 39. Rathkolb : Politische Propaganda, S. 124–129. Müller : »Österreichische Zeitung«, S. 39. Karner, Stefan/Stelzl-Marx, Barbara/Tschubarjan, Alexander (Hg.) : Die Rote Armee in Österreich. Sowjetische Besatzung 1945–1955 (Veröffentlichungen des Ludwig-Boltzmann-Instituts für KriegsfolgenForschung, Sonderband 5). Band 2 : Dokumente, Graz/Wien/München 2005. 50 Schreiben des stellvertretenden sowjetischen Außenministers Andrej Vysinskij vom 22. August 1947, in : Karner/Stelzl-Marx/Tschubarjan : Rote Armee, Bd. 2, S. 475–479.

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Propaganda der US-Macht zuzuschreiben, die gegenwärtig die Angst vor einem kommunistischen Putsch schüre. »Der Urheber für die Verbreitung derartiger Gerüchte in Österreich ist der amerikanische Informationsdienst in Wien.«51 Die Jahre 1955 und 1956 führten der österreichischen Öffentlichkeit vor Augen, wie sehr ihr Land in die Dialektiken des Kalten Krieges verwickelt war und bleiben würde, aber auch, welche Möglichkeiten sich hier abzeichneten. Am deutlichsten symbolisiert dies wohl die direkte Aufeinanderfolge, in der am 14. und am 15. Mai 1955 zwei Verträge unterzeichnet wurden, deren einer Österreich direkt, der andere indirekt betraf : zuerst der Warschauer Pakt und tags darauf der österreichische Staatsvertrag. Insgesamt galt der Vertrag zwischen Österreich und den Siegermächten des Zweiten Weltkriegs, d.h. im Wesentlichen mit den USA und der Sowjetunion als den Großmächten der neuen Weltordnung, in Österreich selbst als Sieg der heimischen Diplomatie – was übrigens auch von der amerikanischen und sowjetischen Presse zugestanden wurde. Wie Heinz Wassermann anhand von Leitartikeln verschiedener Zeitungen untersucht hat, wurde der Grundton der Berichterstattung 1955 selbst von einer Formulierung des damaligen Neue Kurier-Journalisten Hugo Portisch geprägt : Man sei endlich wieder »Herr im eigenen Haus«. Mit zunehmendem Abstand betrachtet wurde die Besatzungsperiode als Heldengeschichte österreichischer Selbstbestimmung sogar unter den Bedingungen der Okkupation dargestellt.52 Diese Wahrnehmung lässt sich in den österreichischen Medien allgemein beobachten. Das österreichische Ereignis wird zwar in seinem weltpolitischen Potenzial als Chance der Entspannung und ost-westlicher Einigung gesehen, nicht jedoch in seiner Bedeutung für die Stabilisierung des kommunistischen Machtblocks in Osteuropa. Die Erkenntnis dieser Bedeutung sollte erst im darauffolgenden Jahr mit den blutigen Ereignissen in Ungarn folgen, die nicht nur für die österreichische Neutralitätspolitik die erste existenzielle Probe bedeuteten – sie verdeutlichten mehr : Mit dem Staatsvertrag war eine strategische Phase des Kalten Krieges in Zentraleuropa zu Ende gegangen. Vom Besatzungsfunk zum Staatsfunk Die Wiedererstehung des Rundfunkwesens 1945 – die RAVAG der Zwischenkriegszeit war in die nationalsozialistische Rundfunkgesellschaft übergeleitet worden – vollzog sich ebenfalls unter den Bedingungen der vier Besatzungsmächte. In gewisser 51 Vgl. Karner/Stelzl-Marx/Tschubarjan : Rote Armee, Bd. 2, S. 479–485. 52 Portisch, Hugo: Blick nach vorn, in: Neuer Kurier, 14. Mai 1955, S. 1. Vgl. die ausgezeichnete Analyse zur Staatsvertrags-Berichterstattung in Wassermann, Heinz: »Zuviel Vergangenheit tut nicht gut!« Nationalsozialismus im Spiegel der Tagespresse der Zweiten Republik, Innsbruck 2000, S. 514–541.

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Weise prägten diese das »ihnen gemäße Rundfunkleitbild«53 in den Regionen ihrer Zuständigkeit. So wurden die Kontrolle durch die Alliierten und die Teilung des österreichischen Territoriums zu Grundproblematiken der Medienpolitik der frühen Nachkriegszeit, verdichtet in den Kampfworten »Rundfunkfreiheit« (gegen Zensur) und »Rundfunkeinheit« (Föderalismus vs. Zentralismus). In der sowjetischen Zone wurde die Russische Stunde auf Radio Wien zum Synonym kommunistischen Propagandafunks. Sie ging zum ersten Mal synchron mit dem amerikanischen Sender RotWeiß-Rot in Salzburg – später dann auch in Linz und Wien – auf Sendung. 1949 gründete die Bundesregierung auf Basis eines Vertrags mit den vier Mächten die Austria Wochenschau, um Nachrichten in Kinosälen zu zeigen. Ihr erster Geschäftsführer, der ÖVP-nahe Kulturpolitiker Ernst Marboe, hatte als Leiter des Bundespressedienstes 1948 »Das Österreich-Buch«54 herausgegeben – eine Mischung aus Fakten- und Werbewerk über und für Österreich, das als »Propagandamittel« an die österreichischen Vertretungen im Ausland gesandt wurde und etwa vom Geschäftsträger in Moskau, Norbert Bischoff, für seinen »hymnisch-apologetischen Stil« und die Anlehnung an eine deutsch-nationale Geschichtsschreibung kritisiert wurde.55 Die Berichterstattung der Wochenschau, der wir im Folgenden noch begegnen werden, prägte das politische Aktualitätsbewusstsein der Österreicher bis in die 1960erJahre stark.56 Bereits vor 1955 vollzog sich die rundfunkpolitische Auseinandersetzung zwischen zentralem Entscheidungs- und Gesamtvertretungsanspruch der Bundesregierung in Wien und föderalem Begehren in den Bundesländern und den Sendern Rot-Weiß-Rot sowie der Sendergruppen West und, im Süden, Alpenland.57 In diesem Ringen verstärkte

53 Ergert, Viktor/Andics, Hellmut/Kriechbaumer, Robert : 50 Jahre Rundfunk in Österreich, 4 Bände, Band 1, Wien 1974, S. 28. 54 Marboe, Ernst (Hg.) : Das Österreich-Buch, 4. Aufl., Wien 1948. 55 Zl. 81.318–9int/49, Archiv der Republik, Bestand Bundeskanzleramt, Auswärtige Angelegenheiten, Kult, Karton 22. Zur Bedeutung des »Österreich-Buchs« in der österreichischen Kulturaußenpolitik vgl. Molden, Berthold : Das Bundeskanzleramt, Auswärtige Angelegenheiten, und seine Rolle in der österreichischen Kulturaußenpolitik gegenüber den osteuropäischen Staaten 1945–1959, Wien 1999 (Diplomarbeit), S. 9 f. 56 Egyed, Marie-Theres : Die Austria-Wochenschau und ihre Rolle im Identitätsbildungsprozess der Zweiten Republik 1955–1965, Wien 2009 (Diplomarbeit) ; Pleschko, Markus : Die Austria-Wochenschau 1949–1966. Produktion und Organisation des österreichischen Medienunternehmens im Spannungsfeld der Koalitionsparteien ÖVP und SPÖ, Wien 1991 (Diplomarbeit) ; Wimmer, Wolfgang : Die Austria-Wochenschau Ges.m.b.H. 1966–1982, Wien 2004 (Diplomarbeit). 57 Vgl. etwa Feldinger, Norbert : Nachkriegsrundfunk in Österreich. Zwischen Föderalismus und Zentralismus von 1945 bis 1957 (Rundfunkstudien 4), München/London/New York/Paris 1990 ; Rathkolb : Politische Propaganda, S. 435–572 ; Müller, Wolfgang : Österreichische Zeitung und Russische Stunde. Die Informationspolitik der sowjetischen Besatzungsmacht in Österreich 1945–1955, Wien 1998 (Diplomarbeit), S. 158–277.

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sich der Druck durch die Krise, welche der Streik im Oktober 1950 ausgelöst hatte.58 Die Angst vor einer kommunistischen Machtübernahme auf dem Wege eines nicht mehr kontrollierbaren Arbeitskampfes machte die Wichtigkeit der Informationsmedien umso deutlicher, und so bemühten sich die Regierungsparteien nun noch stärker um deren bundesweite Kontrolle. Freilich war der Rundfunk nicht nur als Informations-, sondern auch als Propagandamittel interessant, sodass die medienpolitischen Positionen der sowjetischen und der amerikanischen Besatzungsmacht immer unversöhnlicher wurden. Dazu kamen die Bemühungen der österreichischen Großparteien um die Deutungsmacht über das Radio.59 Einig waren die Regierungsparteien im Bemühen, die Zuständigkeit in Rundfunkfragen auf ministerieller Ebene in Wien anzusiedeln und ein österreichweites Programm einzuführen. Diese Entwicklung vollzog sich in den 1950er-Jahren schrittweise. Ab September 1953 sendete Radio Wien als Radio Österreich im ganzen Bundesgebiet. Zwischen 1954 und 1955 gingen schließlich alle Sender aus alliierter an die österreichische öffentliche Verwaltung über. Zu diesem Zeitpunkt hatten die Radioprogramme bereits ca. 1,5 Millionen Hörer, und in Wien, Linz und Graz wurden Fernsehversuchsprogramme ausgestrahlt. Der neue Auslandsdienst des österreichischen Rundfunks nahm im Februar 1955 seine Arbeit auf. Zu diesem Zeitpunkt war der spätere ORF, der den Großteil seiner technischen und medienpolitischen Einflüsse von den Westmächten bezogen hatte, im Rundfunkkonzept des Westens relativ fest verankert : »Vor dem Hintergrund des politischen Tauwetters schreibt man Wien zu, als ›Knotenpunkt‹ der Eurovision zum Osten und auf den Balkan zu fungieren.« Anschlüsse an das tschechische, ungarische und jugoslawische Netz sowie – ein Plan der BBC – bis Moskau sollten u. a. über österreichische Sender funktionieren.60 Im Juli 1956 erfolgte dann das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes über das sogenannte Kompetenzgesetz, wonach der Bund in Rundfunkfragen Entscheidungshoheit besitzen sollte. Obgleich die Länderstudios im Lauf der Jahre eigene Programmteile gestalten konnten und es in den 1980er-Jahren zu einer teilweisen Regionalisierung des Fernsehens kam, ging doch Österreich nicht wie Deutschland den medienföderalistischen Weg, sondern schuf mit dem ORF eine zentral gesteuerte Monopolanstalt.61 Deren Berichterstattung hatte im Verlauf des Kalten Krieges 58 Bischof, Günter Günter:: »Austria looks to the West«. Kommunistische Putschgefahr, geheime Wiederbewaffnung und Westorientierung am Anfang der Fünfzigerjahre, in : Albrich, Thomas/Bischof, Günter/Eisterer, Klaus/Gehler, Michael/Steininger, Rolf (Hg.) : Österreich in den Fünfzigern (Innsbrucker Forschungen zur Zeitgeschichte 11), Innsbruck/Wien 1995, S. 183–209. 59 Ergert/Andics/Kriechbaumer : 50 Jahre Rundfunk, Bd. 2. 60 Dörfler, Edith/Pensold, Wolfgang : Ein Fenster zum Westen. Zur Implementierung des Fernsehens in Österreich, in : Medien & Zeit 3/13 (1998), S. 4–29, hier S. 21. 61 Murschetz, Paul : Die Geschichte des Rechts der elektronischen Medien in Österreich 1945–1995, in :

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Aussendung der Presseagentur Nowosti, Wien, 28. Februar 1974. Institut für Zeitgeschichte, Universität Wien, Trend/Profil-Archiv, Ordner Ö18/Polarka.

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für Österreich oft mehr als nur vermittelnde Bedeutung : Im Zusammenhang mit der Niederschlagung des ungarischen Aufstandes 1956 und später immer wieder kam der Wochenschau, dem Radio und dem Fernsehen eine zentrale Rolle in der Identitätsbildung der Zweiten Republik zu : als neutrales Land mit zunehmend selbstbewusster, wenn auch an eigenen Interessen orientierter und daher vorsichtiger Westanbindung. Die Ungarnkrise im Oktober und November 1956 hat große Bedeutung für die Entwicklung einer »österreichischen Identität« der jungen Zweiten Republik inmitten des Kalten Krieges. In den wenigen Wochen sich zuspitzender Ereignisse – vor allem ab der deutlichen Erklärung des Bundeskanzlers vom 28. Oktober – definierte sich eine erstaunlich selbstbewusste Neutralitätspolitik im Spiel zwischen den Blöcken. Doch der Demokratisierungsversuch der ungarischen Regierung unter Imre Nagy und vor allem die Niederschlagung der Revolution durch die Rote Armee im Oktober 1956 stellten nicht nur für die österreichische Außenpolitik die erste große Herausforderung seit dem Staatsvertrag dar. Auch für die Medien war dies ein überwältigendes Ereignis, das Tausende Zeitungsseiten und Hunderte Stunden an Radiound Wochenschau-Berichten zeitigte. Durch die oft deutlichen Stellungnahmen von Leitartiklern und Reportern gegen die gewaltsame Intervention wurden die Medien selbst Gegenstand diplomatischer Verwicklungen, protestierte doch die Sowjetunion unter Berufung auf die Neutralität gegen tendenziöse Darstellung durch österreichische Journalisten. Ungarn, das Ende 1955 gleichzeitig mit Österreich in die UNO aufgenommen wurde, nahm großen Anteil an den politischen Entwicklungen in seinem westlichen Nachbarland. Die ungarische Begeisterung für Österreich war, jedenfalls was die Regierung Nagy betrifft, auch dem österreichischen Neutralitätsstatus geschuldet, welchen die Reformregierung ebenfalls anstrebte. Das brachte Österreich in eine delikate Situation, denn einerseits fanden die Westmächte nun erstmals Geschmack an der österreichischen Neutralität als Instrument der Destabilisierung des kommunistischen Blocks ; andererseits konnte man sich nicht auf die Bereitschaft eines westlichen Eingreifens gegen eine potenzielle Intervention durch den Warschauer Pakt verlassen. Aussagen Washingtons wurden zwar von der österreichischen Presse als entsprechende Versicherung interpretiert, doch Regierung und Außenamt teilten diese Deutung nicht.62 Hier zeigte sich erstmals eine Konstellation, die sich später in Krisenzeiten am Eisernen Vorhang mehrfach wiederholen sollte. Die Wiener Regierung hatte eine Stepan, Dorothea (Hg.) : Rot-Schwarz-Rot. Rundfunkpolitik in Österreich 1945–1995 (Mediamorphosen 2), Wien 1996, S. 51–134, hier S. 73. 62 Gehler, Michael : Österreichs Außenpolitik der Zweiten Republik. Von der alliierten Besatzung bis zum Europa des 21. Jahrhunderts, 2 Bände, Innsbruck/Wien/Bozen 2005, Bd. 1, S. 164.

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nicht ungewagte Note nach Moskau geschickt, in der sie ihre Sorge über die Intervention in ihrem Nachbarland zum Ausdruck brachte. Obwohl sie gegenüber dem sowjetischen Staatsvertragspatron durch die emphatische Stellungnahme der unabhängigen Zeitungen, aber auch von Parteipresse, Wochenschau und Radio für die »Revolution« in eine noch schwierigere Lage kam, verteidigte sie die Unantastbarkeit der österreichischen Medien stets gegenüber sowjetischen Beschwerden. 1968, als die Berichterstattung des ORF sowie seine Rolle in der internationalen Verbreitung klandestinen Prager Radios die Geduld der Großmacht herausforderte, versuchte Bundeskanzler Klaus zwar den eben emanzipierten Rundfunk zu bändigen, verwehrte sich aber nach außen hin gegen jegliche Zensurforderung. Der Unterschied zwischen Medien- und Regierungsdiskurs war 1956 jedoch noch deutlich geringer als 1968. Während des Ungarnaufstandes lagen der Ton der Regierungserklärungen und der Mediendiskurs viel näher beieinander, und dennoch kam es auch hier zu Spannungen wegen »unverantwortlicher« Berichterstattung. Diese gingen in zwei Richtungen. Einerseits handelte es sich um die Volksstimme, welche die sowjetische Gewaltanwendung begrüßte und insbesondere ab dem 1. November im gleichen Eskalationsstil wie die Zeitungen der Warschauer-Pakt-Staaten der österreichischen Regierung Verwicklung in »faschistische« und »kontrarevolutionäre« Umsturzpläne, Zusammenarbeit mit der US-Armee und ungarischen Invasionstruppen und damit gröbste Verstöße gegen das Neutralitätsgesetz vorwarf. Das Innenministerium ließ daraufhin die Volksstimme bis auf Weiteres beschlagnahmen, und die anderen Wiener Tageszeitungen dieser Tage berichten über die Zerstörung von KPÖ-Lokalen durch die wütende Wiener Bevölkerung.63 Andererseits betraf die Kritik der Regierung auch die sensationslastige Berichterstattung des Bild-Telegraf unter Gerd Bacher.64 Österreichische Journalisten waren schon aufgrund der Nähe zum Schauplatz besonders in die Berichterstattung über die Budapester Ereignisse involviert. Einzige Ausnahme war hier freilich die Volksstimme. Alle anderen Medien jedoch stimmten in ihrer Solidarität mit den Reformkräften und später den Aufständischen überein. Für Die Presse reiste unter anderem Herausgeber Fritz Molden selbst nach Budapest, um zu berichten und um an der Organisation der Hilfslieferungen teilzunehmen. Neben zahlreichen Artikeln in der Presse veröffentlichte er quasi noch inmitten des Geschehens gemeinsam mit Éugen Géza Pogány das Reportagenbuch »Ungarns Freiheits-

63 Vgl. Eger, Reiner : Krisen an Österreichs Grenzen : das Verhalten Österreichs während des Ungarnaufstandes 1956 und der tschechoslowakischen Krise 1968. Ein Vergleich, Wien/München 1981, S. 70 ; und Rauchensteiner, Manfried : Spätherbst 1956. Die Neutralität auf dem Prüfstand (Veröffentlichung des Heeresgeschichtlichen Museums in Wien), Wien 1981, S. 52 f. 64 Österreich ist sich seiner Neutralität bewußt. Rundfunkansprache des Bundeskanzlers – Entschiedene Zurückweisung erfundener Sensationsmeldungen, in : Wiener Zeitung, 4. November 1956, S. 1 f.

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kampf«.65 Die Arbeiter-Zeitung-Redakteure Friedrich Scheu und Alois Brunnthaler holten sogar Anna Kéthly, als sozialdemokratische Führerin jahrelang in Haft, über die Grenze nach Österreich ; sie sollte Ungarn nie wieder betreten.66 Die Presse war anfangs hoffnungsfroh und begeistert, und selbst als sowjetische Panzer gegen die ungarischen Aufständischen rollten, wurde noch in einem Leitartikel gemutmaßt : »Wird sich die Sowjetunion kampflos aus Osteuropa zurückziehen ?«67 Man wollte nicht glauben, dass die Entstalinisierung paktpolitisch keine Auswirkungen haben würde.68 Diese Hoffnung lebte nochmals auf, als am 30. Oktober kurzfristig der Befehl an die Rote Armee erging, Budapest zu räumen. Die Presse titelte über die ganze erste Seite : »Völliger Sieg des ungarischen Aufstands. Sowjets geben Satellitenstaaten frei ?« Tags darauf schrieb der aus Budapest zurückgekehrte Fritz Molden den Leitartikel »Ungarns Opfer« und erklärte darin, was »der Sieg der ungarischen Revolution« für Österreich bedeuten könnte : eine größer gewordene »Freie Welt«.69 In den Tagen der Kämpfe war stets auf mehreren Seiten emphatisch die Rede von »Ungarns heroischem Freiheitskampf«, von »Blutbädern« und von Ungarns vergeblichen »Appellen an den Westen«70 – am dritten Tag der blutigen Auseinandersetzungen forderte auch Co-Chefredakteur Milan Dubrović in einem Leitartikel »Helft der Freiheit !« und schrieb mit Bezug auf die erst junge Unabhängigkeit Österreichs : »Alle Mittel, die uns als neutralem Staat zur Verfügung stehen, müssen aufgeboten werden, um jenen zu helfen, die heute an der vordersten Front im Kampfe für die Freiheit stehen und dafür ihr Leben einsetzen.«71 Die sowjetische Kritik an Österreich war Thema in Otto Schulmeisters Leitartikel »Österreich und Ungarn« : »Österreich hat sich im Staatsvertrag zur militärischen Neutralität verpflichtet. Es betrachtet peinlich genau, was sich an Verantwortung für das Land daraus ergibt und muss mit leidenschaftlicher Empörung alle jene Verleumdungen, mit denen in den letzten 48 Stunden seine karitativen Hilfsaktionen bedacht wurden, zurückweisen. […] Meint man aber in Moskau, Prag oder Pankow, Österreichs Neutralität verpflichte dazu, stumm und gleichgültig den Ereignissen in Ungarn gegenüber zu bleiben, so hat diese Zumutung so wenig mit den völkerrechtlichen Verpflichtungen unseres Lands zu tun wie mit der Wirklichkeit Molden, Fritz/Pogany, Éugen Géza : Ungarns Freiheitskampf, Wien 1956. Scheuch : Arbeiter-Zeitung, S. 143 f. W.: »Oktoberrevolution«, in : Die Presse, 25. Oktober 1956, S. 1. Wolken über Beziehungen zwischen Moskau und Warschau, in : Die Presse, 31. Oktober 1956, S. 4. Molden, Fritz : Ungarns Opfer, in : Die Presse, 1. November 1956, S. 1 f. W. O.: Ein Volk steht auf, in : Die Presse, 26. Oktober 1956, S. 1 f ; Blutbad in Ungarisch-Altenburg, in : Die Presse, 27. Oktober 1956, S. 2 ; Ungarns heroischer Freiheitskampf, in : Die Presse, 27. Oktober 1956, S. 1 f ; Wandruszka, Adam : Leiden und Größe der ungarischen Nation, in : Die Presse, 28. Oktober 1956, S. 5 ; W.: »Wir kämpfen für Euch !«, in : Die Presse, 30. Oktober 1956, S. 1 f. 71 Dubrović, Milan : Helft der Freiheit !, in : Die Presse, 28. Oktober 1989, S. 1 f.

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des Österreichs von heute […]. Sieben Millionen Österreicher sind moralisch die Verbündeten Ungarns, die Verbündeten aller, die einen Weg in die Freiheit suchen, in eine Freiheit aber, die alles andere ist als eine antisowjetische Konspiration.«72 Wenige Tage später erhoffte sich Die Presse vergeblich eine aktivere Außenpolitik der USA : »Die österreichische Öffentlichkeit begrüßt im unverminderten Gedächtnis alles dessen, was der Präsident und das amerikanische Volk in den letzten Jahren an Freundschaftsbeweisen unserem Land erwiesen haben, die Wiederwahl Dwight Eisenhowers, womit sich sogleich die Überzeugung verbindet, dass nun auch die Periode temporärer Lähmung der Außenpolitik der Vereinigten Staaten zu Ende geht.«73 Als betroffene Einsicht in die gescheiterten Hoffnungen der österreichischen Journalisten für die ungarische Sache erschien Fritz Moldens Artikel »Wir schämten uns«, den er während einer kurzfristigen Arretierung an der Grenze während seiner Rückreise nach Wien verfasste : eine feurige Anklage gegen das Versagen des Westens, der die Ungarn zuerst ermutigt und dann im Stich gelassen habe.74 Die Arbeiter-Zeitung schrieb ebenfalls lautstark gegen die sowjetische Invasion an. Diese Berichterstattung hat Brigitta Zierer in ihrer Untersuchung österreichischer Mediendiskurse über Flüchtlinge eingehend analysiert.75 Sie weist darauf hin, dass schon im August die mediale Aufmerksamkeit stetig zunahm, bis im November die Verbalattacken Oscar Pollaks gegen die Sowjetunion den Tenor angaben. Diese wurde als »Feind im eigenen Land« – also in Ungarn – bezeichnet und ihr »Völkermord an Ungarn« vorgeworfen. Besonders eindrucksvoll fiel Pollaks Leitartikel »Ungarisches Requiem« vom 6. November aus, in dem er Österreichs glühende Solidarität für den »Heldenkampf« der Ungarn erklärte – während er tags darauf erneut die österreichischen Kommunisten für ihre prosowjetische Haltung verurteilte. Den Leitartikel »Keinem Kommunisten die Hand geben« am 7. November eröffnete er mit einer Geschichtsdiagnose aus sozialdemokratischer Sicht : »Heute ist der Jahrestag der russischen Revolution, jenes großen historischen Ereignisses, das einmal die Hoffnung aller Arbeitenden war und das dann in seinen Ergebnissen zur größten Enttäuschung aller Sozialisten wurde.« Die ungarische Revolution hingegen sei von den Sowjets im Blut ertränkt worden, und eben diese bezeichnete Pollaks späterer Nachfolger als Chefredakteur, Franz Kreuzer, in einem Leitartikel am 23. Dezember als ebenso wichtig wie die russische Revolution. Wie bereits während der Besatzungszeit zu sehen war, stand die sozialdemokratische Parteipresse der KPÖ ebenso wie der sowjetischen Signatarmacht feindlich

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Schulmeister, Otto : Österreich und Ungarn, in : Die Presse, 4. November 1956, S. 1 f. Schulmeister, Otto : Die Stunde Amerikas, in : Die Presse, 8. November 1956, S. 1 f. Molden, Fritz : Wir schämten uns, in : Die Presse, 14. November 1956, S. 1 f. Zierer, Brigitta : Politische Flüchtlinge in österreichischen Printmedien (Abhandlungen zu Flüchtlingsfragen XXIII), Wien 1998.

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gegenüber und bemühte sich nun kaum noch um diplomatische Vorsicht. Auch die bereits landläufige Bezeichnung des Westens als »Freier Welt« und damit als Gegenpol des kommunistischen Herrschaftsbereichs zeichnete Pollaks Diskurs aus. Deren »Fahnen der Freiheit« wehten in Österreich, wohin »aus all den Ländern […] die Völker« blickten.76 Der sowjetische Außenminister Wjatscheslaw Molotow hatte Pollak bereits im Zusammenhang mit dem Staatsvertrag als »unseren schlimmsten Feind« bezeichnet. Tatsächlich hatte die von Pollak stark mitgetragene sozialdemokratische Linie vor allem ab 1953, nach dem Rücktritt des »Kalten Kriegers« der ÖVP, Außenministers Karl Gruber, noch massiver als der konservative Koalitionspartner Verhandlungen mit der Sowjetunion abgelehnt.77 Für die sozialistische Tageszeitung stand die Sowjetunion für Diktatur, Gewaltherrschaft und Fremdherrschaft78, und »die Aufwertung der ungarischen Helden diente der gleichzeitigen Abwertung der Sowjets und Kommunisten«79, so Zierer in ihrer Analyse. Gleichzeitig wurden die Westmächte, vor allem die USA, die UNO und selbst Propagandainstrumente wie Radio Free Europe mit seinem trügerischen Aufruf zum Kampf kaum kritisiert.80 Was das Kleine Volksblatt der ÖVP betrifft, stellt Zierer fest, dass dieses fast alle Leitartikel zur Zeit der Ungarnkrise dem Thema widmete. Diese Diagnose kann durch die hier vorgenommene Sichtung bestätigt werden. Die Wahrnehmung der Krise, ihrer möglichen Auswirkungen auf Österreich und der Rolle der Großmächte fiel jedoch anders aus als in der Arbeiter-Zeitung. Selbstverständlich unterstützte das Kleine Volksblatt die Politik des ÖVP-Kanzlers Raab, der auf seine Erklärung vom 28. Oktober eine Reihe von Hilfsaufrufen folgen ließ ; diese wurden häufig veröffentlicht. Eine gewisse Berühmtheit erlangte der Leitartikel vom 10. November mit dem Titel »Neutralität des Staates – nicht der Herzen !«, weil er seitens der Sowjetunion, in Gestalt der Prawda, als Beleg für die zweifelhafte Neutralität Österreichs angeführt wurde.81 Auch wurde Österreichs Zugehörigkeit zur »Freien Welt« betont und angesichts dessen seine besondere Lage, die es mehr als jedes andere Land in den Einzugsbereich der ungarischen Ereignisse stelle. Aus diesem Zusammenhang wurde allerdings der Schluss gezogen, dass man besonders zu »Disziplin und Ruhe« – so der Titel des Leitartikels vom 4. November – verpflichtet sei. Am 7. November stand im Leitartikel »Schach den Unruhestiftern !« zu lesen : »Die russischen Panzer könnten jeden Augenblick den Marsch auf Wien antreten oder in den nächsten Stunden schon könnten Bomben auf Österreich 76 Pollak, Oscar : Die Fahnen der Freiheit, in : Arbeiter-Zeitung, 26. Oktober 1956, S. 1 f. 77 Michael Gehler weist freilich darauf hin, dass Gruber nicht ausschließlich als antikommunistischer Agitator, sondern auch als bedächtiger Vermittler zu sehen sei. Vgl. Gehler : Außenpolitik, Bd. 1, S. 67–75. 78 Pollak, Oscar : Das Volk hat gesiegt, in : Arbeiter-Zeitung, 1. November 1956, S. 1 f. 79 Zierer : Politische Flüchtlinge, S. 139. 80 Ebd., S. 140. 81 Gehler : Außenpolitik, Bd. 1, S. 170.

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fallen.«82 Man fürchtete, die Rote Armee könnte auch nach Österreich zurückkehren, was »in der Wiener Bevölkerung zu einer Kriegspanikstimmung« und Hamsterkäufen führte.83 Das hatte sichtlich Einfluss auf die Hilfsbereitschaft der Österreicher. Zierer kommt zu dem Schluss, die zunehmend ablehnende Haltung der Berichte gegenüber den zuerst hilfsbereit aufgenommenen Flüchtlingen erkläre sich »aus Angst davor […], dass die Österreicher ein ähnliches Schicksal erleiden könnten«.84 Daher fiel die Kritik an der Untätigkeit des Westens stärker aus als in der sozialdemokratischen Parteizeitung. Insgesamt kann aber auch für das ÖVP-Blatt Zierers Analyse zugestimmt werden : »Die klar gemalten Feindbilder Sowjetunion und kommunistische OstblockStaaten führten dazu, dass die Leser eine simple Freund-Feind-Zuordnung im Sinne einer Schwarz-Weiß-Malerei (westliche, demokratische ›freie‹ Staaten – östliche, kommunistische ›freiheitsberaubende‹ Staaten) vornehmen konnten.«85 Angesichts einer solchen Berichterstattung der Parteizeitungen beider Koalitionsparteien kann es nicht verwundern, dass Prawda und Iswestija auf die österreichischen Positionen der offiziellen Politik und der Medienberichterstattung gereizt reagierten. Am Ende des bewegten Jahres 1956 resümierten die österreichischen Medien zwar voll Bedauern die sowjetische Intervention in Ungarn, die ja durch die Flüchtlingssituation noch unmittelbar in die österreichische Wirklichkeit hineinreichte. Gerahmt waren diese Ereignisse jedoch oft mit einem gewissen Aufatmen über die eigene, durch den Staatsvertrag gesicherte Situation. Der Jahresrückblick 1956 der Austria-Wochenschau zeigt dies anschaulich. Die Sendung stieg mit der Frage ein : »1956 – war es ein gutes Jahr, war es ein schlechtes Jahr ? Auf jeden Fall war es ein Mozartjahr.« Dementsprechend waren die ersten Beiträge der Kultur gewidmet, sodann der Rückkehr Erwin Schrödingers nach Wien und der Ernennung Franz Königs als Nachfolger von Wiens Erzbischof der Kriegs- und Nachkriegszeit, Theodor Innitzer. Dann erst ging es um die Außenpolitik, deren Resümee von einem zuversichtlichen Ton getragen war : »Ein gewichtiger Besuch kam in der Person des deutschen Wirtschaftsministers Erhard zu uns. Wir bemühten uns überhaupt sehr um unsere internationalen Beziehungen. In Straßburg weht jetzt auch unsere Fahne, denn wir haben nun Sitz und Stimme im Europarat.« Österreich ist wieder wer, doch die Schatten der Vergangenheit sind noch nah : »Im Jahre 1956 verschwanden Gottseidank manche unliebsamen Erinnerungszeichen an die Zeiten der Unfreiheit. Wir sind souverän, sind Herren im eigenen Haus und gedenken, es zu bleiben.«86

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Zierer : Politische Flüchtlinge, S. 146. Rauchensteiner : Spätherbst 1956, S. 70. Zierer : Politische Flüchtlinge, S. 49. Ebd., S. 145. Die Bilder zeigen abrollende Sowjetpanzer und das Auswechseln von Straßenschildern etwa am Schwarzenbergplatz.

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Dieses Echo von Hugo Portischs zum Stehsatz gewordener Wendung aus dem Vorjahr läuft in einem drohenden Ton aus, so als wolle man sagen : »Hütet euch, zurück zu kommen – wir werden unsere Freiheit verteidigen !« Diese Botschaft war unmissverständlich – die Seher dekodierten sie im Zusammenhang mit der Niederschlagung des ungarischen Aufbegehrens. Zu den Bildern von zerstörten Straßen in Budapest, der Verladung österreichischer Hilfskartons und an die Grenze strömenden Flüchtlingen lief folgender Text : »Unsere Kameraleute kamen viel herum und sahen viel Tragisches und Erschütterndes. Während in Österreich Hochkonjunktur herrschte, wurde unser Nachbarland von Empörung und Verzweiflung geschüttelt. Kampf, Blut und bitteres Elend. In diesen Tagen wurden auch wir, die Wohlhabenderen, auf die Probe gestellt. Aber wir glauben, sie bestanden zu haben. Viele Zehntausende von Flüchtlingen sahen in unserem Land eine Stätte der Freiheit und der Hilfsbereitschaft. Und wir haben sie nicht enttäuscht. Gutes Jahr, böses Jahr 1956. Es begann mit einem Opernball, es endete mit Rotkreuztransporten.« Die Wochenschau als zentrales Informationsmedium der Österreicher vermittelte also das Bild eines starken Landes, das mit der Hilfsbereitschaft der Bevölkerung und einer couragierten Außenpolitik im Zeichen der noch jungen, aber bereits »nicht neutralistischen« Neutralität genau ein Jahr nach dem ersten »Tag der Fahne« tatsächlich Flagge gezeigt habe. So hatte auch Oscar Pollak am 26. Oktober 1956 – dem zweiten Tag der Fahnen – in seinem bereits zitierten Leitartikel »Fahnen der Freiheit. Österreich und der Osten« geschrieben : »Und aus all den Ländern blicken die Völker, heute mehr als je, herüber über die Grenzen – nach Österreich, wo die Fahnen der Freiheit wehen. Ja, an diesem Tage wird es uns wieder bewusst und sollte es aller Welt bewusst werden : was die Existenz eines freien Österreich für die Welt bedeutet.« Im Wochenschau-Rückblick wird weiters auf die der Westanbindung geschuldete gute Wirtschaftslage Österreichs verwiesen – »wir, die Wohlhabenderen« – und auf die Großherzigkeit seiner Bürger, die diesen neuen Wohlstand mit ihren armen Nachbarn zu teilen bereit seien. Zwischen Opernball und Ungarnkrise waren die Erfahrungen des ersten Jahres voller Souveränität für die österreichische Öffentlichkeit ambivalent. Man fühlte sich gestärkt, war sich aber der exponierten Situation im Kalten Krieg bewusst. Interessant ist auch, wie die Wochenschau auf die beiden Großmächte Bezug nimmt. Im Zusammenhang mit der Ungarnkrise kommen beide vor, jedoch nicht im Hauptbeitrag, sondern in späteren Abschnitten zu Sonderthemen. Zuerst tritt USVizepräsident Richard Nixon in einem langen und freundlichen Bericht über seinen Besuch zur Inspektion der Flüchtlingslager in Österreich auf. Nixon sei in Wien aus »Sorge um die ungarischen Flüchtlinge«, was seitens des Reporters zur Feststellung einer »lebhaften diplomatischen Tätigkeit am Ballhausplatz« führt – ganz im Stil des aufgeregten Hinweises auf den Erhard-Besuch. Nixon fuhr dann an die burgenländisch-ungarische Grenze, wo er den Ungarn Unterstützung und unkomplizierte

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Einreisemöglichkeiten in die USA versprach. Die Aufnahmen zeigen einen freundlichen Vizepräsidenten umgeben von dankbaren Flüchtlingen. Weiters »dankt [er] den Österreichern in freundlichen Worten für die Organisation der Flüchtlingshilfe […] Dann fährt Richard Nixon weiter in andere Flüchtlingslager«.87 Überall hinterlasse er den Eindruck »echter, von Herzen kommender Anteilnahme«. Die Sowjetunion hingegen kommt – als »die Russen« – schlechter weg. Die Kritik wird allerdings indirekt verpackt, nämlich in dem darauffolgenden Beitrag über die »entscheidende« Abstimmung in der Generalversammlung der UNO – »oft gescholten und dennoch aus der Weltpolitik nicht mehr wegzudenken« – zur Frage, ob die sowjetische Ungarnpolitik als Eingriff in die Rechte eines anderen Volkes verurteilt werden solle. Die Abstimmung brachte 55 Stimmen für den Antrag, acht – »die des Ostblocks« – »unterstützen das Nein der Russen«.88 Auch in dieser Berichterstattung findet sich ein Diskurs vorsichtiger Westanbindung : die USA werden positiv erwähnt, die Sowjetunion wird indirekt kritisiert. Die österreichische Öffentlichkeit reagierte auf das ungarische Drama mit überraschender Vehemenz. Politische Eliten, Medien und die große Hilfsbereitschaft vieler Menschen erzeugten eine gesamtgesellschaftliche Anteilnahme, die sich in dieser Form später nicht wiederholen sollte. Es mag an der noch spürbaren Nähe eines Zustandes gelegen sein, in dem die Österreicher selbst im Zentrum des ideologischen Ringens gestanden waren. An einem vielleicht naiven und dann brüsk enttäuschten Vertrauen in die Strahlkraft der eigenen Neutralität und in die günstige ideologieund machtpolitische Gemengelage in Zeiten der Entstalinisierung. An Artikeln wie Otto Schulmeisters »Österreich und Ungarn« wird deutlich, dass das empörte Aufbegehren gegen den Einsatz der Roten Armee und die gleichzeitige Besinnung auf einen irgendwie diplomatischen Ton einen Drahtseilakt darstellten, der nicht immer funktionierte. Ähnlich wie später angesichts des Prager Frühlings versuchten Politiker, den Aufschrei der österreichischen Presse zu dämpfen. Innenminister Franz Grubhofer hatte am 20. November 1956 in Krems vor dem Arbeiter- und Angestelltenbund an die Bürgerpflicht (und damit auch die der Journalisten) appelliert, die Neutralitätspolitik der Regierung nicht noch mehr zu erschweren.89 Obwohl es gegen diese zensurverdächtige Äußerung umgehend zu scharfen Protesten kam, trat Anfang 1957 eine Arbeitsgruppe unabhängiger Journalisten zusammen, um die Implikationen zu diskutieren, welche die Neutralität Österreichs für die außenpoliti-

87 Offenbar kurios war für die Wochenschau-Reporter der Anblick zweier befreit lachender »asiatischer« Gesichter in Pelzkapuzen : »In Andau trifft der Vizekanzler zwei Koreaner, die irgendein böses Schicksal in ungarische Gefängnisse verschlagen hatte.« 88 Austria-Wochenschau, Jahresrückblick, 28. Dezember 1956, Kassette Z-BD 83.669/1/0. 89 Staatssekretär Grubhofer für ein Neutralitätsgesetz, in : Wiener Zeitung, 21. November 1956, S. 1.

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sche Berichterstattung bereit hielt.90 Das Thema beschäftigte Politik und Medien in gleicher Weise und sollte in den folgenden Jahrzehnten immer wieder virulent werden.

Die Umgestaltung der Medienlandschaft 1955–1974 Boulevard, Parteiinteressen und Zeitungskriege Wie zuvor angesprochen wurde, ging der Rundfunk nach dem Abzug der Besatzungsmächte aus der österreichischen Medienwelt ab 1954 in die von der ÖVP-SPÖKoalition geprägte Bundeskompetenz über. Konflikte ergaben sich hier entlang der Bruchlinie zwischen einer zentralistischen Führung aus Wien und föderalistischen Bestrebungen in den Studios der westlichen Bundesländer. Ganz anders stellte sich die Situation auf dem Tageszeitungsmarkt dar, wo die politischen Parteien und parteiunabhängige Zeitungsverleger um Einfluss kämpften. Abgesehen von den Bundesländern, in denen die ÖVP stärker aufgestellt war, waren Mitte der 1950er-Jahre das Kleine Volksblatt mit ca. 130 000 und die Arbeiter-Zeitung mit ca. 149 000 Stück Auflage nicht nur die wichtigsten Parteizeitungen, sondern neben dem Neuen Kurier (132 000 Stück) die auflagenstärksten Blätter Österreichs überhaupt. Auch das Erbe der großen Besatzungsblätter, vor allem der britischen Weltpresse, die in den Einflussbereich der SPÖ geriet, und des Wiener Kurier, in der die ÖVP in Gestalt des in den 1950er-Jahren äußerst mächtigen Parteistrategen und Klubobmanns Alfred Maleta bis 1958 stiller Gesellschafter war, wurde von den Parteien beansprucht.91 Die kommunistische Volksstimme, die 1952 aufgrund sogenannter »Zwangsabonnements« in der sowjetischen Besatzungszone noch mit ca. 113 000 erschien, wies 1956 immerhin noch eine Auflage von ca. 59 000 Stück auf und pendelte sich für die folgenden Jahrzehnte bis zu ihrer Einstellung um ca. 50 000 Stück ein, die allerdings großteils nicht verkauft wurden. Die Presse hatte im Vergleich dazu eine Auflage von ca. 48 000, die in Südösterreich erfolgreiche Kleine Zeitung unter Hans Dichand ca. 80 000.92 In diese Szenerie war bereits 1954 ein neues Zeitungsprojekt gestoßen : Die Herausgeber der Salzburger Nachrichten, Gustav Canaval, und der Tiroler Tageszeitung, Josef Moser, sowie der ehemalige Herausgeber der Oberösterreichischen Nachrichten, Hans Behrmann, gründeten den Bild-Telegraf, der am 2. April 1954 erstmals erschien. Als die Großparteien dennoch versuchten, ihren Einfluss auf die neuen Boulevardblätter geltend zu machen, kam es zum sogenannten ersten Wiener Zeitungskrieg 90 Schlesinger, Thomas : Austrian neutrality in postwar Europe. The domestic roots of a foreign policy, Wien 1972, S. 47 f. 91 Böhmer : Kurier, S. 36–62. 92 Melischek/Seethaler : Wiener Tageszeitungen, S. 258 f.

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im März 1958, an dessen Ende der Bild-Telegraf unterging und Fritz Molden und Gerd Bacher93 mit dem Express eine extrem erfolgreiche Massenzeitung gründeten, die sich in den folgenden zwölf Jahren mit dem Kurier den österreichischen Boulevardmarkt aufteilte. Doch auch das Experiment des parteiunabhängigen Express wurde durch die Übernahme der Mehrheitseigentümerschaft durch eine SPÖ-nahe Finanzgruppe per 1. Jänner 1960 beendet. Zu diesem Zeitpunkt hatte Hans Dichand bereits gemeinsam mit Fritz Dragon und dem Buchhalter Kurt Falk und mit finanzieller Unterstützung durch den ÖGB-Präsidenten Franz Olah die alte Illustrierte Kronen Zeitung (wieder)gegründet. Im Gegensatz zum Express gelang es der Kronen Zeitung, sich dem Zugriff der SPÖ zu entziehen. Dichand behielt nicht nur die Kronen Zeitung, sondern übernahm 1970 auch den Express, den er allerdings bald darauf mit der Krone »vereinigte«, also einstellte94 – und er gewann den sogenannten zweiten Wiener Zeitungskrieg ab 1970 gegen den Kurier.95 Doch kehren wir noch einmal zurück in die 1950er-Jahre, in denen abseits der Tagespresse andere publizistische Medien eine wichtige, allerdings weniger breitenwirksame Rolle im ideologischen Diskurs des Kalten Krieges spielten. Als wichtigster Proponent ist hier das FORVM zu nennen. Im Jänner 1954 von den vier konservativen Intellektuellen Friedrich Hansen-Loeve, Felix Hubalek, Alexander Lernet-Holenia und Friedrich Torberg gegründet, etablierte sich die als Österreichische Monatsblätter für kulturelle Freiheit firmierende Zeitschrift von Beginn an als eine der wichtigsten Stimmen des Antikommunismus in Österreich. Schon der zitierte Untertitel verweist auf die Finanzierung, die aus dem Kongress für Kulturelle Freiheit stammte, der im Dienste der CIA von Paris aus die kulturelle Landschaft Europas im Sinne der USA zu beeinflussen suchte.96 Zahlreiche vorgeblich apolitische Kulturzeitschriften wie der Monat in Berlin oder Preuves in Paris zählten zu den vom Kongress finanzierten Sprachrohren westlicher Propaganda im Kalten Krieg. Das FORVM unter Führung von Friedrich Torberg führte eine besonders radikale Blatt93 Vgl. aus Sicht eines der Hauptprotagonisten : Molden, Fritz : Besatzer, Toren, Biedermänner. Ein Bericht aus Österreich 1945–1962, Wien 1980 ; eine leider nicht sehr datenreiche und ebenfalls parteinehmende Diplomarbeit liegt von Andrea Crevato vor : Crevato, Andrea : Der Wiener Zeitungskrieg 1958 und seine Auswirkungen auf die heutige Medienlandschaft. Eine Situationsanalyse zweier bedeutender Wochen in der Zeitungsgeschichte Österreichs, Wien 1993 (Diplomarbeit). Aus der Perspektive des Kurier kurz, aber analytisch besser aufgearbeitet findet sich dieser Zusammenhang bei Böhmer : Kurier, S. 65–73 ; vgl. auch Rathkolb, Oliver : Die paradoxe Republik. Österreich 1945 bis 2005, Wien 2005, S. 236–238. 94 Der Versuch von Bruno Kreisky und anderen SPÖ-Politikern, den Express in eine Qualitätszeitung umzuwandeln, scheiterte. Vgl. Rathkolb : Paradoxe Republik, S. 238. 95 Vgl. Dulik, Elisabeth : »Zeitungskriege«. Vergleich und Analyse des zweiten (1970–74) und dritten (1992– 1995) Zeitungskrieges in Österreich unter dem Einfluss der Marktführer »Kronen Zeitung«, »Kurier« und »Täglich Alles«, Wien 1995 (Diplomarbeit), S. 31–59. 96 Scott-Smith, Giles: Giles : The Politics of Apolitical Culture: Culture : The Congress for Cultural Freedom, the CIA, and Postwar Hegemony, London 2002.

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linie. Gleich in der ersten Nummer bezeichnete der aus dem amerikanischen Exil heimgekehrte Schriftsteller den Kampf gegen den Kommunismus als Aufgabe des Blattes und die Kommunisten Osteuropas als »Feind«.97 Ein eigener Blattteil war stets dem Ost-West-Verhältnis gewidmet und beschränkte sich nicht allein auf das Feld der Kultur, in dem Torberg freilich besonders kämpferisch auftrat. Torbergs von ihm selbst als antitotalitär verstandener Furor wurde jedoch selbst seitens der CIA-Financiers als problematisch eingeschätzt, deren Ziel die subtile Gewinnung auch linksliberaler Intellektueller im Sinne einer »Coca-Colanization«98 für die eigene Sache war. In den frühen 1960er-Jahren wurde die Unterstützung sukzessive eingestellt, und Torbergs leitender Mitarbeiter Günther Nenning übernahm 1966 das FORVM. Die Berichterstattung der österreichischen Medien zum Verhältnis der Supermächte und zu anderen Themen, die im Zusammenhang mit der weltpolitischen Grunddisposition des Kalten Krieges standen, war also gegen Ende der 1950er und Anfang der 1960er-Jahre – mit Ausnahme der kommunistischen Medien – eindeutig prowestlich. Freilich gab es Momente der Anerkennung für sowjetische Errungenschaften, wie etwa den Sputnik, in dessen Fall Ernst Haslacher überzeugend von einer diskursiven »österreichischen Aneignung des ersten sowjetischen Weltraumsatelliten 1957/58« spricht.99 Tatsächlich gilt der Sputnik als einer der größten internationalen Propaganda-Erfolge der Sowjetunion. Dennoch erschauerten die Wochenschau, der ORF und die meisten Zeitungen nicht nur vor dem enormen Sprung in der Welteroberung durch die Menschheit, sondern auch vor der Indienstnahme der Technik durch »politische und militärische Programme«, d.h. in Richtung der »Versklavung« des Menschen »unter totalitären Vorzeichen«.100 In der deutschsprachigen Rezeption der amerikanischen Raumforschung – unter maßgeblicher Beteiligung von NS-Raketeningenieuren wie Wernher von Braun – waren solche Befürchtungen nicht zu vernehmen.101 Und angesichts der amerikanischen Mondlandung 1969 herrschte im Westen geschlossene Euphorie, was zwar einerseits damit zusammenhing, dass es sich um das erste globale Fernsehereignis handelte, andererseits aber auch mit der Erleichterung, dass nach den durchgehend sowjetischen Pionierleistungen in der Eroberung des Weltraums nun der Westen zum Überholen 97 Vgl. Torbergs Proklamation »Anstelle eines Leitartikels«, in : FORVM 1/1 (1954), S. 2 f. 98 Wagnleitner, Reinhold : Coca-Colanization and the Cold War. The cultural mission of the USA in Austria after the Second World War, Chapel Hill 1994. 99 Haslacher, Ernst : Sputnik ? Nur keine Panik ! Die österreichische Aneignung der ersten sowjetischen Weltraumsatelliten 1957/58, Wien 1998 (Dissertation). 100 Sch.: Signal aus dem Weltall, in : Die Presse, 6. Oktober 1957, S. 1 f. 101 Vgl. Heumann, Ina : Disneys »Our Friend the Atom«. Bomben, Geister und Atome im Jahr 1957, in : Köhne, Julia (Hg.) : Verschiebungen. Analysen zum intermedialen, diskursiven und zeitlichen Transfer von Wissen (Zeitgeschichte 25/6), Innsbruck 2008, S. 372–395.

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ansetzte.102 Mit der Martialisierung der Raketentechnik sollte sich diese Einschätzung insofern ändern, als die österreichische Öffentlichkeit in den 1970er-Jahren der amerikanischen Atomrüstung zusehends ablehnend gegenüberstand. Zwei Jahre nach dem Sputnik gaben die als kommunistische Propagandaveranstaltung geltenden Weltjugendfestspiele in Wien (24. Juni – 6. August 1959) ein anderes Beispiel für die Haltung der österreichischen Medien gegenüber nicht unmittelbar politischen Ereignissen im Rahmen des Kalten Krieges. Ein Aufsatz Hans Hautmanns schildert die Medienkampagne um die Abhaltung aus Perspektive der KPÖ und zitiert darin zahlreiche Artikel aus Express, Presse, Krone und Volksstimme, welche die aufgepeitschte Rhetorik dieser publizistischen Auseinandersetzung deutlich machen103 ; aus Sicht eines der antikommunistischen Hauptprotagonisten der Ereignisse hat Fritz Molden dem Thema ein Kapitel seines zweiten Memoirenbandes gewidmet.104 Interessant an der Aufregung um die Weltjugendfestspiele, die ja von der österreichischen Regierung genehmigt und von 18 000 internationalen Teilnehmern besucht wurden, war das Zusammenspiel von unabhängigen Medien, konservativen Privatiers und SPÖ-Vertretern105 zur Organisation einer Gegenkampagne, die unter anderem einen völligen Berichterstattungsboykott umfasste. Hinzu kamen Aktionen der Österreichischen Hochschülerschaft und anderer Jugendorganisationen, die Gegeninitiativen starteten. Flugzettel wurden verteilt, Informationsstände aufgebaut, eine siebensprachige Tageszeitung Wiener Nachrichten herausgegeben, und drei einmotorige »Cessnas« flogen mit Spruchbändern »Denk an Ungarn« und »Festival ohne uns« über die Stadt. Von einigen Reibereien abgesehen blieb der Ideologiekonflikt jedoch gewaltfrei. Die Auseinandersetzung zwischen der Volksstimme und den übrigen, durchwegs antikommunistischen Zeitungen ging auch nach Ende der Festspiele weiter. Moldens Wochenpresse fasste unter dem Titel »Kommunistisches Weltjugendfestival. Mit dem Keim des Zweifels« die informationspolitische Lage wie folgt zusammen : Die Sowjetunion habe sich in Gestalt von Botschafter Sergei Lapin beschwert, dass die österreichische Presse nicht über die Festspiele berichten wollte. »Tatsächlich hatten eine Woche vor Beginn der Veranstaltung (ähnlich wie schon einmal bei derartigen Meetings des Weltgewerkschaftsrates in der Besatzungszeit) die Chefredakteure aller Tageszeitungen mit Ausnahme der kommunistischen ›Volksstimme‹ beschlossen, außer aufklärenden Artikeln vor Festivalbeginn auf jede Berichterstattung über die

102 Edgerton, Gary Richard: Richard : The Columbia History of American Television (Columbia histories of modern American life), New York 2009, S. 268–274. 103 Hautmann, Hans : Die Weltjugendfestspiele 1959 in Wien, Wien 1999, vgl. http ://alte.kpoe.at/bund/geschichte/festival.htm (online am 15. März 2009). 104 Molden : Besatzer, S. 275–303. 105 Ebd., S. 282–297.

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Veranstaltungen selbst, einzelne Zwischenfälle und Absprünge von Delegationsmitgliedern zu verzichten. Botschafter Lapin wollte zunächst nicht begreifen, dass die österreichische Regierung nicht in der Lage sei, Zeitungen beeinflussen oder lenken zu können. Eingeweihte wissen zu berichten, dass den Festspielregisseuren und der anwesenden kommunistischen Parteiprominenz keine der geplanten und abrollenden Gegenaktionen so auf die Nerven gegangen ist wie das Stummbleiben der österreichischen Zeitungen.«106 Als viertes Beispiel brachte das Jahr 1961 eine ganze Reihe von weltpolitischen Ereignissen mit mehr oder weniger intensivem Österreich-Bezug, über die die österreichischen Medien berichteten. Hier ist zunächst das Gipfeltreffen von Nikita Chruschtschow und John F. Kennedy in Wien am 3. und 4. Juni zu nennen, das für die österreichische Öffentlichkeit nicht nur die Beendigung der nach der Ungarnkrise 1956 bestehenden Spannungen mit Moskau bedeutete.107 Nachdem 1957 die Internationale Atomenergieorganisation nach Wien gezogen war und damit den Weg Wiens zum dritten UNO-Sitz eröffnet hatte, etablierte der Gipfel der Supermächte Wien als Kommunikationsort zwischen den Blöcken. Die Entscheidung der Internationalen Atomenergieorganisation (IAEO) war 1956/57 unter anderem deshalb für Österreich gefallen, weil es als neutrales Land für Moskau und Washington akzeptabel war. Österreich selbst hatte sich allerdings so sehr um die Standortentscheidung bemüht, weil sein Verschwinden von der Landkarte 1938 nur von Mexiko vor den Völkerbund gebracht worden war ; sollte sich ein solches Schicksal wiederholen, dann würde eine UN-Organisation in Wien die internationale Aufmerksamkeit sichern.108 Der Gipfel von 1961 bewies den Erfolg der Ballhausplatz-Strategie. Eine sowjetische Delegation schlug Österreich bereits im Vorfeld als UNO-Sitz vor, und die ArbeiterZeitung berichtete triumphierend aus Paris, wo Kennedy auf dem Weg zum Wiener Treffen Station machte : »Paris im Schatten Wiens«.109 In den folgenden Tagen standen alle Medien fast ausschließlich im Zeichen des prominenten Besuchs. Fünf Wochen darauf überschatteten freilich die Ereignisse um den Berliner Mauerbau die Entspannungshoffnungen, die sich in Wien angedeutet hatten. Das Schließen der letzten Lücke im Eisernen Vorhang, der an der österreichischen Ost- und Nordgrenze verlief, und die scheinbare Eskalation – obwohl in Wahrheit Entspannung – der deutschen Frage beunruhigte Politik und Medien in Österreich. Eine 106 Mit dem Keim des Zweifels. Kommunistisches Weltjugendfestival, in : Wochenpresse, 8. August 1959, S. 1 f. und S. 14. 107 Vgl. Sommer, Monika/Lindinger, Michaela (Hg.) : Die Augen der Welt auf Wien gerichtet : Gipfel 1961 Chruschtschow–Kennedy, Wien 2005. 108 Fischer, David: David : History of the International Atomic Energy Agency. The First Forty Years, Wien 1997, S. 49 und S. 56 (Anm. 60). 109 Beides nach : Ein sowjetischer Gast meint : Wien soll Sitz der UNO werden, in : Arbeiter-Zeitung, 1. Juni 1961, S. 2 ; und J. K.: Paris im Schatten Wiens, in : Arbeiter-Zeitung, 1. Juni 1961, S. 1 f.

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quantitative Studie des Züricher Forschungsbereichs Öffentlichkeit und Gesellschaft hat dieses Medienereignis u. a. für Österreich anhand der Presse und der Arbeiter-Zeitung ausgewertet und weist für Letztere eine deutlich höhere Dichte an Berichterstattung aus. 22 reflexive Artikel – also Kommentare, Leitartikel etc. – in der Arbeiter-Zeitung stehen 13 in der Presse gegenüber ; auch der Umfang an deskriptiver Berichterstattung ergibt ein ähnliches Verhältnis. Die Identitätsanbindung war bei beiden Zeitungen klar westlich, wobei Die Presse weniger explizite Wir-Bezüge aufwies, von denen sich zwei Drittel auf die USA und ein Drittel auf die »Freie Welt« bezogen. In der Arbeiter-Zeitung richteten sich die meisten Wir-Bezüge auf die »Freie Welt« oder die Welt im Allgemeinen und der antikommunistische Kampfgeist wurde wieder offen proklamiert. Der Ton war in der Presse wesentlich moderater als in der sozialistischen Parteizeitung, obwohl sie aus den Berliner Ereignissen in höherem Maße eine Bedrohung für Österreich ableitete.110 Weitere drei Wochen später beobachteten die österreichischen Journalisten mit neugierigem Interesse die erste Konferenz der Blockfreien Bewegung in Belgrad – eine weltpolitische Entwicklung, in deren Nähe die Wiener Außenpolitik in den folgenden Jahrzehnten immer wieder gerückt wurde. Während die Blockfreien selbst auf den Bau der Mauer kaum Bezug nahmen, wurde die Belgrader Konferenz in Österreich sehr wohl im Kontext der jüngsten Ereignisse betrachtet.111 Der befreite ORF : Das Rundfunk-Volksbegehren Zwischen 5. und 12. Oktober 1964 unterschrieben über 800 000 Österreicher das sogenannte Rundfunk-Volksbegehren, das die Entflechtung des ORF von politischer Einflussnahme zum Ziel hatte. Der ORF galt bis dahin »als der Inbegriff und Ausdruck des Proporzsystems« der großen Koalition.112 Die Notwendigkeit der Nachrichtenfreigabe durch die Parteien führte dazu, dass der ORF viele Themen der Innen- und Wirtschaftspolitik nicht berücksichtigen konnte. Diese Zensur führte zu

110 Greiner, Christian/Tréfás, David : Medienbeschrieb des Kommunikationsereignisses Berlin – Bau der Mauer 1961. Eine Analyse im Rahmen des Kooperationsprojektes mit dem Ludwig Boltzmann Institut für Europäische Geschichte und Öffentlichkeit, Zürich 2008 (unveröffentlichter Forschungsbericht), S. 6, S. 19 f. und S. 32 f. 111 Institut für Internationale Beziehungen (Hg.) : Dokumente der Nichtpaktgebundenen. Hauptdokumente der 1. bis 6. Gipfelkonferenz der nichtpaktgebundenen Staaten 1961–1979, Berlin 1981, S. 32–42 ; vgl. auch : Jakir, Aleksandar : Der Bau der Berliner Mauer und die Politik Jugoslawiens und der Blockfreien Bewegung in den 1960er-Jahren, in : Timmermann, Heiner (Hg.) : Mauerbau und Außenpolitik (Dokumente und Schriften der Europäischen Akademie Otzenhausen e.V. 102), Münster 2002, S. 221–244, hier S. 239 f. 112 Fabris, Hans Heinz : Das österreichische Mediensystem, in : Fischer, Heinz (Hg.) : Das politische System Österreichs, 3. ergänzte Aufl., Wien 1982, S. 514–523, hier S. 518.

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banaler Berichterstattung – was sich spätestens bei der Recherche für die Fernsehdokumentation Österreich II zeigte, als kaum nennenswerte TV-Quellen zu finden waren. Paradoxerweise kam es dadurch zwar zu einem Mehr an Auslandsberichterstattung, doch war diese meist dem Chronik-Bereich zuzuordnen und berührte selten Österreich-relevante Fragen.113 Die Zeit vor und nach dem ersten Wiener Zeitungskrieg hatte deutlich gezeigt, wie die beiden Großparteien versuchten, Massenmedien nicht allein aus ideologischen, sondern auch aus machttaktischen Gründen zu kontrollieren. 1964 gab es bereits weit über zwei Millionen Radio- und eine halbe Million Fernsehteilnehmer, von denen sich eine beträchtliche Zahl in Österreichs erstem Volksbegehren gegen den Medienproporz von ÖVP und SPÖ wandte. Der Initiator des von den Tageszeitungen Kurier, Presse, Kleine Zeitung, Salzburger Nachrichten u.a. mitgetragenen Volksbegehrens war der Kurier-Chefredakteur Hugo Portisch. Und es war auch Portisch, der im »neuen« ORF zum Anchorman der außenpolitischen Berichterstattung Österreichs im Kalten Krieg werden sollte. Aus den 1960er-Jahren stammt der Spruch : »Gegen den ›Kurier‹ kann man nicht regieren !«, der sowohl ÖVP-Kanzler Gorbach als auch seinem Nachfolger Klaus zugeschrieben wird114 und der 40 Jahre und viele Konzentrationsschritte später auf die Kronen Zeitung zuzutreffen scheint. Damals spielte der Kurier eine äußerst einflussreiche Rolle in der Herstellung öffentlicher Meinung – eine Position, die durch das Rundfunk-Volksbegehren noch verstärkt wurde, welches allerdings Hugo Portisch selbst letztlich um seinen Posten als Chefredakteur brachte.115 Als Portisch 1963 über einen Innenpolitik-Redakteur von einem Geheimpakt der beiden Großparteien zur Kontrolle des ORF erfuhr116, kontaktierte er Kollegen anderer Zeitungen, um Widerstand gegen diesen Plan zu formieren : »Und ich habe gesagt : ›Da schimpfen wir über den Ostblock, über Zensur in den Diktaturen, und da machen die hier

113 Portisch, Hugo : Über das Rundfunkvolksbegehren. Protokoll eines Vortrages anlässlich der Jahrestagung der Österreichsektion des deutschen Studienkreises für Rundfunk und Geschichte am 14. November 1998, in : Medien & Zeit 3/14 (1999), S. 48–56, hier S. 50. 114 Ekl : Kommentar und Persönlichkeit, S. 157. 115 Die Zeitungsherausgeber waren Portisch zufolge skeptisch, weil ein verbesserter ORF eine Konkurrenz darstellen würde : »Jetzt ist der Rundfunk so fad, man muss Zeitung lesen«. Portisch : Rundfunkvolksbegehren, S. 52. 116 Interessanterweise sollte der Hörfunk der Kanzlerpartei ÖVP, das Fernsehen dem Junior-Partner SPÖ »gehören«. Zu dieser Zeit galt der Hörfunk als wichtiger und wurde daher von der stärkeren Partei beansprucht. Noch 1965, ein Jahr vor der letzten für die ÖVP erfolgreichen Wahl, ehe der »fahle« Klaus 1970 gegen den späteren »Medienkanzler« Kreisky verlieren sollte, verfügten erst 27 % der Haushalte über Fernsehgeräte, vgl. Dickinger, Christian : »Zampano tritt auf !« Bruno Kreisky und die Medien. Eine Spurensuche, in : Medien & Zeit 3/14 (1999), S. 26–47, hier S. 41. Vgl. auch das Kapitel »Schwarze Welle – Roter Schirm«, in: Rathkolb : Paradoxe Republik, S. 248–258.

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solches !‹«117 Eine wichtige Alliierte war die 1955 gegründete Wochenpresse – »die damals ein sehr gewichtiges Organ war, auch ein politisch gewichtiges«118 – unter Bruno Flajnik und die Kleine Zeitung unter Fritz Csoklich. Letztlich schlossen sich 52 Zeitungen und Zeitschriften an. Trotz einer Weisung an den ORF, über das Thema nicht zu berichten, wurde das erste Volksbegehren Österreichs ein durchschlagender Erfolg für die Organisatoren und eine Niederlage für die politischen Parteien. Nach langen Debatten in einem Sonderausschuss des Parlaments und unter dem Druck der Öffentlichkeit verabschiedete der Nationalrat am 8. Juli 1966 gegen die Stimmen der SPÖ das Rundfunkgesetz, das neben der Entpolitisierung des ORF erstmals einen programmpolitischen Auftrag formulierte.119 Als erster Generalintendant trat am 7. März 1967 Gerd Bacher sein Amt an, der die Entwicklung des öffentlichen Rundfunks in den folgenden Jahrzehnten entscheidend prägte. In einer Pressekonferenz am 14. März 1967 präsentierte er seine »Gedanken zur Rundfunkreform«, in denen er auch seine Vorstellungen zur Rolle des ORF als »Ost-West-Drehscheibe« formulierte : »Österreich liegt am Rande der ›anderen Welt‹, unsere Position ist historisch wie völkerrechtlich (Neutralität) nahezu unvergleichbar. Für Völker, mit denen wir Jahrhunderte in einem Staat lebten, sind wir ›der Westen, die Freiheit, die Menschenwürde, das Abendland‹ schlechthin. Millionen Polen, Tschechen, Slowaken, Ungarn, Slowenen, Kroaten usw. sind täglich Hörer bzw. Seher des österreichischen Rundfunks. Wie aber werden wir dieser Realität, dieser gewaltigen Verantwortung gerecht ? Was sind wir wirklich ? Was hören und sehen unsere Nachbarn von uns ? Wie nimmt sich ›die Stimme Österreichs‹ aus, die weit mehr sein könnte als die Stimme aus Washington, aus Bonn oder von sonstwo ? Die Möglichkeiten, es anders zu machen und diese singulären Chancen zu nutzen, sind beinahe unbegrenzt : Hier können wir jene Ost-West-Drehscheibe verwirklichen, von der sonst immer nur die Rede ist ; hier könnten die Ost-West-Gespräche, die Begegnungen tatsächlich stattfinden ; hier könnte Österreich – wörtlich ! – zu jener Ausstrahlung gelangen, die es bis zur Stunde nur in Wunschträumen gibt.«120

117 Portisch : Rundfunkvolksbegehren, S. 48. 118 Ebd., S. 49. 119 Vgl. Murschetz : Elektronische Medien, S. 75–77. Am 1. Juli 1974 beschloss der Nationalrat eine weitere Reform, das Bundesverfassungsgesetz über die Sicherheit der Unabhängigkeit des Rundfunks – diesmal gegen die Stimmen der ÖVP und FPÖ. Parallel dazu musste Bacher aufgrund eines Konflikts mit Bundeskanzler Kreisky seinen Posten zum ersten Mal räumen, kehrte aber bereits 1979 wieder. In den 1980er-Jahren verkündete der Bundespressedienst, dass durch das Rundfunkgesetz von 1974 »eine Einflussnahme der Regierung oder sonstiger staatlicher Stellen auf den Rundfunk unmöglich ist« ; vgl. Bundespressedienst/Größl, Franz : Massenmedien in Österreich (Österreich Dokumentationen), Wien 1982, S. 7. Die Debatten der letzten Jahre über andauernde Interventionspraktiken beweisen jedoch das Gegenteil. 120 Zitiert nach Ergert/Andics/Kriechbaumer, 50 Jahre Rundfunk, Bd. 4, S. 22.

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Die Verwirklichung dieser Vorsätze ging Bacher mit einem völlig neuen Team an. Sofort entließ er den Großteil der bisherigen ORF-Leitung, um alle Verbindlichkeiten zu den Regierungsparteien zu unterbrechen.121 Franz Kreuzer, ehemals Chefredakteur der Arbeiter-Zeitung, übernahm den Aktuellen Dienst, Klaus’ ehemaliger Informationsstaatssekretär Karl Pisa die Hauptabteilung »Politik und Zeitgeschehen«. Helmut Zilk wurde Fernsehdirektor, Portisch Chefkommentator. Vor allem das Trio Bacher–Portisch–Zilk sollte ganz im Sinne von Bachers oben zitiertem Mission-Statement die ORF-Linie gegenüber Osteuropa in den folgenden Jahrzehnten prägen. Doch der neue Generalintendant holte sich auch andere, umstrittene Kampfgenossen in das Wiener Funkhaus, darunter als Chefredakteur Alfons Dalma, mit dem er bei den Salzburger Nachrichten zusammengearbeitet hatte.122 In unserem Zusammenhang geht es bei dieser Personalpolitik nicht um den damals verbreiteten Vorwurf eines »Neoproporz« im ORF, sondern darum, auf die Rekrutierungsdynamiken des österreichischen Politjournalismus der 1950er- und 1960er-Jahre im Kontext des Kalten Krieges hinzuweisen. Von besonderer Bedeutung waren die Zeitungen der westlichen und südlichen Bundesländer und dort vor allem die Salzburger Nachrichten, die Kleine Zeitung und bis zu einem gewissen Grad die Oberösterreichischen Nachrichten. Vor allem die Neuübernahme des Kurier und die Gründung des Bild-Telegraf schwemmten eine ganze Anzahl engagierter Journalisten aus den Bundesländern in die Hauptstadt. Diese Entwicklung setzte sich in den folgenden Jahren fort und brachte einige der wichtigsten Medienmacher der Zweiten Republik hervor. Gerd Bacher, Alfons Dalma, Viktor Reimann, Ilse Leitenberger und später Heinz Nussbaumer etwa kamen von den Salzburger Nachrichten bzw. der Salzburger Volkszeitung. Die Salzburger Nachrichten unter der Leitung Gustav Canavals waren ein Zentrum der antikommunistischen Meinungsbildung in ganz Österreich und federführend in kulturellen Belangen. Sie waren ein Blatt mit »betont amerikafreundlicher, antikommunistischer Linie«123, das sich um Weisung in der Ausrichtung ihrer sowjetfeindlichen Linie bei den US-Politoffizieren erkundigte.124 Sie konnten aber durchaus Amerika-kritisch werden, wenn es etwa um die skeptische US-Haltung zum als NaziAuffangbecken betrachteten VdU ging. Dabei standen sie – zunächst noch mit Unterstützung der US-Behörden – auf Kriegsfuß mit der ÖVP, die in Salzburg traditionell die Hausmacht besaß und gegen den später dadurch umso VdU-näheren Canaval intrigierte.125 Bis Mitte der 1950er-Jahre aber wurden Bacher, Dalma, Canaval und

121 Ebd., S. 14–17. 122 Der bis dahin freie ORF-Mitarbeiter Alfred Payrleitner wurde dessen Stellvertreter. 123 Vogd, Karl : »Information als Ware«. Die Geschichte der österreichischen Zeitungen im Überblick, Wien 2000, S. 128. 124 Rathkolb : Politische Propaganda, S. 194–196. 125 Ebd., S. 213 f.

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Leitenberger vom US-Information Service Branch finanziell unterstützt und behielten ihren »hehren Antikommunismus« später bei.126 Da sie keine Parteizeitung und der ÖVP gegenüber ebenso oft kritisch wie später dem VdU bzw. der FPÖ gegenüber freundlich gesonnen waren, standen die Salzburger Nachrichten im gesellschaftlichen Spektrum für einen radikalen Konservatismus. Dennoch waren sie dem sogenannten bürgerlichen Lager verbunden und standen der ÖVP manchmal näher als Die Presse. Während etwa der frühere Presse-Herausgeber Fritz Molden seine damalige Feindschaft mit Julius Raab betont127, bezeichnete sich umgekehrt einer von dessen Nachfolgern, Bundeskanzler Klaus, als Freund Canavals.128 Gerd Bacher bezeichnete rückblickend die Salzburger Nachrichten als »Journalistenschule« Österreichs.129 Freilich stammten nicht alle landflüchtigen Reporter dieser Zeit aus Salzburg. Dichand war Steirer, er hatte seine ersten Erfahrungen in einer regionalen DreiParteien-Zeitung gesammelt, war dann über die Murtaler und die Kleine Zeitung zum Kurier gekommen. Hans Behrmann als Master-Mind hinter der Gründung des Bild-Telegraf trat den Marsch auf Wien aus Oberösterreich an. All diese Zeitungsmacher hatten jedoch die Erfahrung mit der alliierten Medienpolitik gemeinsam, die in der Folge nicht nur ihre Haltung gegenüber dem Gesetzgeber, sondern eben auch gegenüber den weltpolitischen Verhältnissen der Großmächte beeinflusste. Der Zuzug von Journalisten einer (mehr oder minder liberal-)konservativen Geisteshaltung riss nicht ab. Eine Generation später folgten Reporter wie Peter Rabl, der von den Niederösterreichischen Nachrichten kommend leitende Funktionen in Wochenpresse, ORF, profil und Kurier erreichte. Verbindungsglied und oft beruflicher Fazilitator vieler dieser Kollegen war vor allem ab 1967 aufgrund seiner einflussreichen Position Gerd Bacher. Am Beginn seiner fast 20 Jahre als ORF-General zwischen 1967 und 1994 holte Bacher Hugo Portisch als politischen Kommentator an Bord, womit die geschichtspolitisch wohl deutungsmächtigste journalistische Karriere der Zweiten Republik in ihre wichtigste Phase trat. Bis zuletzt 2005 fungierte Hugo Portisch als politischer Analyst und »Geschichtslehrer« der Nation. Gleich sein Antrittsjahr als Chefkommentator brachte eine ganze Reihe internationaler Ereignisse, über die Portisch berichtete : die Wahlen in Frankreich und den USA etwa oder das Verhältnis der 126 Rathkolb : Paradoxe Republik, S. 233 f. 127 Vgl. zuletzt ein Interview mit dem Bayrischen Rundfunk in einer Sendung am 11. November 2008, vgl. http ://www.br-online.de/br-alpha/alpha-forum/alpha-forum-fritz-molden-gespraechID1225197422347.xml (online am 4. Mai 2009). 128 Meier-Walser, Reinhard C.: Die Außenpolitik der monocoloren Regierung Klaus in Österreich 1966– 1970, München 1988, S. 122. Das Gleiche nahm Klaus 1968 allerdings auch für den Chefredakteur der Presse in Anspruch. Vgl. die Unterhaltung mit dem sowjetischen Botschafter Boris Podzerob in : Stefan Karner : Prager Frühling, Bd. 2, S. 1315. 129 Rathkolb : Paradoxe Republik, S. 231.

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Sowjetunion zu Jugoslawien. Es war das Jahr des gesellschaftlichen Aufruhrs – aus der Perspektive des globalen Ideologiekonfliktes aber war es das Jahr des Prager Frühlings. Immer wieder hatte der ORF im Soge weltpolitischer Ereignisse eine spezifische Strahlkraft in der Berichterstattung über den Kalten Krieg entwickelt. Dies war 1956 der Fall gewesen, als österreichische Journalisten, Kameraleute und Fotografen in Budapest besonders engagierte und weit verbreitete Frontberichterstattung leisteten ; oder im Juni 1961 mit der weltweiten Übertragung des Treffens Chruschtschows und Kennedys in Wien. Wien als Ort für Gipfeltreffen und Verhandlungen (Helsinki-Prozess, START etc.) oder als strategisches Ziel sowjetischer oder amerikanischer Besuchsdiplomatie brachte den ORF in die Position des medienpolitischen Platzhirschen. Im August 1968 prägten Hugo Portischs Berichte aus Prag den politischen Bezugsrahmen einer Generation.

Der ORF als Sender des Prager Frühlings Im Vergleich zur Ungarnkrise war die offizielle Position Österreichs zu den tschechoslowakischen Ereignissen im Sommer 1968 sehr zurückhaltend. Auch diesmal aber zeigte die österreichische Öffentlichkeit Zeichen großer Hilfsbereitschaft ; Hilfsgüter wurden bereitgestellt und Flüchtlingen Unterstützung angeboten.130 Freilich gab es wesentlich weniger Flüchtlinge als 1956, und die meisten Tschechen, die bei ihrer Rückkehr aus dem Sommerurlaub zunächst in Österreich abwarteten, kehrten nach dem Ende der Konfrontation wieder in die ČSSR zurück. Während der Krise jedoch war die ÖVP-Alleinregierung unter Josef Klaus auf Vorsicht bedacht. Dies geht aus zwei Reden von Bundeskanzler Klaus am 21. August sowie aus einer Stellungnahme am 22. August in Zeit im Bild hervor, in der Klaus bedauerte, dass unter anderem die österreichische Entspannungspolitik zunichte gemacht worden sei. Er äußerte aber weder Kritik am sowjetischen Vorgehen noch besondere Sorge um die Sicherheit der österreichischen Grenze.131 Im Vergleich zu anderen neutralen Staaten wie der Schweiz und Schweden fielen die österreichischen Stellungnahmen also sehr moderat aus. Im Gegensatz dazu gab es scharfe Kritik seitens der Presse132 und der oppositionellen SPÖ133 : Kreisky nannte Klaus einen »Appeaser«, »zu jedem 130 Neuhold, Hanspeter/Zemanek, Karl : Die österreichische Neutralität im Jahre 1968, in : Österreichische Zeitschrift für Außenpolitik 3/9 (1969), S. 144–196, hier S. 161. 131 Meier-Walser : Außenpolitik Klaus, S. 421. 132 Ermacora, Felix : 20 Jahre österreichische Neutralität, Frankfurt am Main 1975, S. 148. 133 Zu den Positionen der Opposition allgemein vgl. Frei, Daniel : Ideologische Dimension der Neutralität, in : Österreichische Zeitschrift für Außenpolitik 4/8 (1968), 207–214 ; Erklärungen von Bundeskanzler Dr. Josef Klaus und Staatssekretär für Information Karl Pisa zur Krise in der ČSSR, in : Österreichische Zeitschrift für Außenpolitik 4/8 (1968), S. 352–253, sowie v.a. Eger : Krisen, S. 114–117.

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Kompromiss bereit […], nur um das Ärgste zu verhindern«, dabei aber eben dieses Ärgste nur beschleunigend134 ; damit wurde das Münchner Abkommen 1938 ebenso angesprochen wie eine von der Opferdoktrin getragene Assoziation mit dem österreichischen »Anschluss«.135 Diese Diskrepanz zeigte sich denn auch im Verhältnis der Regierung zu den Massenmedien, wie Rainer Eger festhält : »Von Anfang an bemüht, jeden Eindruck zu vermeiden, der von sowjetischer Seite als Einmischung hätte aufgefasst werden können, beschränkte sich die Regierung Klaus in ihren Erklärungen nicht nur auf die Betonung der österreichischen Neutralität und äußerte kein Wort der Kritik an dem sowjetischen Vorgehen, sondern versuchte auch, auf die Massenmedien einzuwirken, um eine Dämpfung in der Tonart der Berichterstattung über die Ereignisse in der Tschechoslowakei zu erreichen.«136 Neben Klaus selbst appellierte der Staatssekretär für Information, Karl Pisa, zwei Tage später, am 24. August, in einer Rundfunkansprache an das Verantwortungsgefühl der Medien : Diese sollten »ohne jede Beschönigung, aber auch ohne Übertreibung« über die Vorgänge berichten. Dramatisierung schade den Betroffenen, und in Österreich gebe es keinerlei Sensationen wie Angstkäufe oder Flüchtlingsströme. Schließlich nahm er – im Sinne der Regierungslinie von 1957 – die Kompetenz für rasche und offene Berichterstattung für die Bundesregierung selbst in Anspruch.137 Die Medien reagierten darauf allerdings gereizt und griffen die Regierung ob ihrer vorsichtigen Haltung noch schärfer an : Pisas Aufruf sei »schon mehr geschmacklos, als instinktlos« : »Wenn von den russischen Besatzungstruppen in Prag sogar Kinder erschossen werden, dann gibt es kein ›dramatisieren‹ mehr […]. Nicht einmal das hindert ÖVPler, sich bei der Sowjetmacht durch Liebedienerei als Musterschüler zu gebärden. Just zu einem Zeitpunkt, an dem sogar die KPÖ den Überfall auf die Tschechoslowakei verurteilte. […] Leisetreter Pisa gleicht dem DDR-Spitzbart Ulbricht offenbar nicht nur äußerlich.« Die ÖVP-Alleinregierung wurde derart als Widerspruch zu und »schlechte Visitenkarte« für Österreichs Bekenntnis zur »Freien Welt« angegriffen : »An die Freunde der Freiheit, im Westen wie im Osten, kann man daher nur den Aufruf richten, den Pisa und die Beschwichtigungshofräte in der ÖVP gegenüber der sowjetischen Brutalität nicht zu dramatisieren. Das Volk denkt anders.«138 Die Informationspolitik der Regierung Klaus war insgesamt problematisch, sowohl was das Verhältnis zu den Medien als auch die Vermittlung gegenüber der Bevölkerung betraf. Dies bewies sich gerade im Wahlkampf zwischen Klaus und seinem sozialistischen Herausforderer Bruno Kreisky im Wahlkampf 1970, als Kreiskys

134 135 136 137 138

Kreisky, Bruno : Um was es geht, in : Arbeiter-Zeitung, 27. August 1968, S. 2. Vgl. Gehler : Außenpolitik, Bd. 1, S. 343. Eger : Krisen, S. 111. Wiener Zeitung, 25. August 1968, zitiert nach Eger : Krisen, S. 163 (Anmerkung 154). Wochenpresse, 28. August 1968, zitiert nach Eger : Krisen, S. 163 f. (Anmerkung 156).

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souveräner Umgang mit den Massenmedien zu einem wahlentscheidenden Faktor wurde.139 Die Bestellung des – seinerseits nicht öffentlichkeitswirksamen – Programmstrategen Pisa als Verbindungsmann der Regierung zu Presse und Rundfunk im Jänner 1968 zeigte zwar, dass in der ÖVP ein Problembewusstsein für die neuen Repräsentationsformen der Politik bestand, brachte aber keine Früchte. Pisa wurde – nicht zuletzt aufgrund seines Umgangs mit der Prager Krise – zum »Propagandastaatssekretär« gestempelt.140 Der außenpolitische Jurist, ab 1967 Gesandter in Prag, spätere Außenminister und Bundespräsident Rudolf Kirchschläger hatte schon 1965 im Hinblick auf die Möglichkeiten der »friedlichen Koexistenz« auf die Unterschiede in kommunistischen und nichtkommunistischen Medienöffentlichkeiten hingewiesen und auf die daraus entstehende »Sorge, dass wir dasselbe Wort gebrauchen und doch Verschiedenes darunter verstehen«. Die Information der westlichen Bevölkerung über den Kommunismus durch die Massenmedien sei jedenfalls ein nicht wegzudenkender Faktor.141 Auch Kurt Waldheim, im Jänner 1968 als neuer Außenminister angetreten, war sich der Rolle der Medien durchaus bewusst. Als er drei Jahre später im Rahmen seiner – erfolglosen – ersten Kandidatur für die Bundespräsidentschaft 1971 ein Buch über die Entwicklung der österreichischen Neutralität veröffentlichte, wies er darin auf die Notwendigkeit hin, die Unterstützung der Öffentlichkeit für außenpolitische Entscheidungen zu erlangen. Und bereits 1969 resümierte er die Erfahrungen aus den medienpolitischen Konfrontationen des Jahres 1968 in einem Artikel in der Österreichischen Militärischen Zeitschrift.142 In gewisser Weise sollten ihm diese Kenntnisse der österreichischen Öffentlichkeit während seiner Präsidentschaftskandidatur 1986 nutzen : Gegen alle internationalen Proteste wählten fast 50 % im ersten und fast 54 % im zweiten Wahlgang den wegen seiner NS-Vergangenheit umstrittenen und vor allem in den USA rasch verfemten Spitzendiplomaten nach dem Motto »Wir lassen uns nichts von außen diktieren !« zum Staatsoberhaupt. Dies kann durchaus auch als Lehre aus den Dynamiken österreichischer Öffentlichkeit gegenüber dem Ausland im Allgemeinen und den Großmächten – in diesem Fall den USA – im Besonderen gedeutet werden. Der ORF hatte bereits seit Anfang der 1960er-Jahre eine unternehmungslustige Nachrichtenpolitik in Richtung Osten begonnen. Eine wichtige Rolle spielte hier 139 Vgl. Hölzl, Norbert : Propagandaschlachten. Die österreichischen Wahlkämpfe 1945 bis 1971, Wien 1974. 140 Meier-Walser : Außenpolitik Klaus, S. 124. 141 Kirchschläger, Rudolf : Einige Gedanken zur Koexistenz, in : Mayrzedt, Hans/Romé, Helmut (Hg.) : Koexistenz zwischen Ost und West. Konflikt – Kooperation – Konvergenz (Beiträge der 1965 abgehaltenen Konferenz »Europäische Begegnung in Österreich«), Wien 1967, S. 43–49, hier S. 48 f. 142 Waldheim, Kurt : Der österreichische Weg, Wien 1971 ; Waldheim, Kurt : Außenpolitik und Massenmedien, in : Österreichische Militärische Zeitschrift 6/7 (1969), S. 458–462.

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der beliebte Rundfunkjournalist Helmut Zilk, der später für die SPÖ Unterrichtsminister und langjähriger Bürgermeister von Wien werden sollte. Zilk schuf 1962 das in Österreich neuartige Fernsehformat der »Stadtgespräche«. Diese mit hohen Einschaltquoten sehr erfolgreiche Diskussionssendung konnte im Herbst 1964 aufgrund einer Zusammenarbeit mit dem tschechoslowakischen Fernsehdirektor Jiří Pelikán als »Stadtgespräche Prag–Wien« live aus Prag ausgestrahlt werden. Am 24. September berichtete die tschechoslowakische Gesandtschaft in Wien an das Prager Außenamt, dass die Sendung den Interessen der ČSSR nützlich gewesen sei, da sie den Diskutanten aus Prag die Chance geboten hätte, Argumente »rechter Kreise« in Österreich medienwirksam zu entkräften.143 Diskutiert wurde unter anderem über Fragen der Menschen- und Bürgerrechte. Seitens der tschechoslowakischen Behörden in Prag selbst war die Rezeption skeptischer, sodass eine zweite Live-Sendung auf kulturpolitische Themen beschränkt blieb. Sie wurde am 17. Dezember, wiederum im Hauptabendprogramm um 20.10 Uhr, gesendet. Wie im März 2009 einer breiteren Öffentlichkeit bekannt wurde, hatte die Medienikone Zilk zu diesem Zeitpunkt bereits Kontakt mit einem Mitarbeiter des tschechoslowakischen Geheimdienstes, den er bis Juni 1968 aufrechterhielt. Als Zilks Kontaktleute im Zuge des Prager Frühlings flüchteten, wurden sie und auch Generalintendant Gerd Bacher polizeilich zu den Vorwürfen gegen Zilk einvernommen. Bis zur Publikation des Zilk-Aktes durch die Zeitschrift profil galten dahingehende Behauptungen jedoch als haltlose Gerüchte – nicht zuletzt, weil Bacher und Zilk stets vehement widersprochen hatten.144 Eine dritte Sendung, die laut ČSSR-Gesandtschaft von Zilk für 1967 vorgeschlagen wurde, kam nicht mehr zustande.145 Zilk jedenfalls, dessen sichere Verwendung im ORF sogar im Koalitionsabkommen von 1963 namentlich festgeschrieben worden war146, wurde sofort nach Bachers Antritt 1967 zum Fernsehdirektor befördert und blieb dies bis 1974. Seine bimetropolitanen Sendungen bezeichnete er selbst rückblickend als zentrales Moment »am Beginn des Prager Frühlings«.147 Die Berichterstattung des ORF über die Ereignisse während der demokratischen Öffnung ebenso wie während der Zuspitzung im August 1968 gilt allgemein als Dreh143 Zitiert nach : Ullmann, Paul : Eine schwierige Nachbarschaft. Die Geschichte der diplomatischen Beziehungen zwischen Österreich und der Tschechoslowakei von 1945–1968 (Wiener Osteuropa Studien 20), Wien 2006, S. 212. 144 Lackner, Herbert : Helmut Zilk, Spion : Zilk war jahrelang Informant des CSSR-Geheimdienstes, in : profil, 21. März 2009. 145 Ullmann : Nachbarschaft, S. 212. 146 Rauchensteiner, Manfried : Die Zwei. Die Große Koalition in Österreich 1945–1966, Wien 1987, S. 559. 147 Vgl. Zilk, Helmut : Zum Beginn des »Prager Frühlings«. Die »Stadtgespräche Prag – Wien«, in : Karner : Prager Frühling, Bd. 2, S. 1089–1093.

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scheibe der globalen Öffentlichkeit in dieser zentralen Krise des Kalten Krieges. Dies betraf zunächst die Eigenberichte des ORF, auf deren Basis international fast alle Fernsehanstalten ihre Nachrichten über die ČSSR gestalteten, wie der Rundfunk schon im Juli 1969 stolz im ersten Jahrgang seines »Almanach« berichtete.148 Bacher selbst schrieb rückblickend : »Der ORF war während des ›Prager Frühlings‹ und hier wieder vor allem zur Zeit des Einmarsches der ›sozialistischen Brüder‹, einer der Hauptversorger der demokratischen Welt mit Radio- und Fernsehberichterstattung über die historischen Ereignisse im Nachbarland.«149 Die durch ihre direkte Grenzlage besonders interessierte Gmünder Zeitung im nördlichen Niederösterreich zitierte Bachers »mit gewissem Stolz« vorgetragene Ausführungen in St. Pölten im September 1968 : »Österreich ist während der ČSSR-Krise zum Zentrum der Weltinformation geworden. Und zwar in einem Ausmaß, wie das seit dem Untergang der Monarchie nicht mehr der Fall war.« US-Stationen hätten die österreichischen Berichte übernommen, der Papst sie persönlich angefordert – »Wien ist über Nacht zum Umschlagplatz von Ost und West geworden. Wir haben das gemacht, wovon die Politiker seit Jahren reden.«150 Es war für Bacher eine erste große Stunde, konnte er doch die Ansprüche einlösen, die er bei seinem Amtsantritt gestellt hatte. Bacher im Rückblick : »Bei aller Tragik des Geschehens waren wir gewissermaßen dankbar dafür, programmatischen Ankündigungen den Wahrheitsbeweis nachreichen zu können.«151 Täglich wurden 60 bis 80 Informationssendungen produziert, und die Welt sah auf das Funkhaus. Aber nicht nur ORF-Protagonisten teilen diese Meinung ; der Kurier-Journalist Otto Klambauer kann hier stellvertretend für diese Sichtweise zitiert werden : »Tatsächlich hatten der ORF unter Führung Gerd Bachers und die österreichischen Tageszeitungen die Welt mit Nachrichten versorgt – und weltweite Anerkennung erworben. Für viele ČSSR-Bürger wurde die Berichterstattung des ORF zur einzig verlässlichen Nachrichtenquelle.«152 Dabei spielte nicht nur die Eigenberichterstattung des ORF eine wichtige Rolle, sondern auch das von Journalisten wie Helmut Zilk bereits aufgebaute Naheverhältnis zu den tschechoslowakischen Kollegen. Filmmaterial von Prager Kameraleuten wurde von Touristen nach Wien geschmuggelt und dort vom ORF auf Sendung gebracht.153 Hervorzuheben sind Hugo Portischs Kommentare und Analysen aus dem aufgewühlten und der Moskauer Entscheidung harrenden Prag, die in Österreich und Vgl. Österreichischer Rundfunk, ORF-Almanach 1969, Wien 1969, S. 95–97. Bacher, »Hier ist der ORF aus Prag !«, S. 1095. H. St.: Bacher präsentiert Drei-Stufen-Plan, in : Gmünder Zeitung, 12. September 1968, S. 3. Bacher, »Hier ist der ORF aus Prag !«, S. 1095. Klambauer, Otto : Der Kalte Krieg in Österreich. Vom Dritten Mann zum Fall des Eisernen Vorhangs, Wien 2000, S. 138. 153 Eger : Krisen, S. 164 (Anmerkung 157). 148 149 150 151 152

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darüber hinaus zu Ikonen der Nachrichtengeschichte und des Kalten Krieges wurden. Es war dies Portischs erstes Jahr als Chefkommentator des ORF, nachdem er die Chefredaktion des Kurier 1967 aufgegeben und, wie erwähnt, bereits 1964 mit dem Rundfunkvolksbegehren die österreichische Medienlandschaft grundsätzlich verändert hatte. Somit war jener Mann, der federführend für die Befreiung des Rundfunks vom direkten Gängelband der Regierung verantwortlich zeichnete, nun das Gesicht und die Stimme einer hochbrisanten Berichterstattung, welche die ÖVP-Regierung nur zu gerne besser kontrolliert hätte. Generalintendant Gerd Bacher ermöglichte dies durch seine konsequente Informationspolitik und bewies so erstmals jene Eigenwilligkeit und Widerstandskraft, die ihn gerade für die Ost-West-Journalistik des ORF so bedeutend machen sollte. Als mittlerweile klassisch gewordene außenpolitische Reportage gilt etwa Portischs Zeit im Bild-Beitrag vom 30. Juli 1968 aus Prag. Der Kommentar wurde auf offener Straße gefilmt, wo Portisch bald von einer immer größeren Menge umringt wurde. Die Menschen blieben stehen, um zu hören, ob der ausländische Journalist Neues zu berichten hatte – und Portisch sprach das an, um die Unmittelbarkeit und Spannung der Situation den Sehern zu vermitteln. Er band auch die technischen Bedingungen und den Zeitfaktor der Übermittlung ein, als er sagte, dass »wir den Kommentar hier in Prag zu dieser Stunde abdrehen müssen, damit er Sie noch rechtzeitig in Wien erreicht«. Angesichts der erstmals globalen Übertragung der Mondlandung fast genau ein Jahr später zeigten sich die technischen Grenzen des ORF, der dennoch weltweite Ausstrahlung erzielte. Drei Wochen später war der Warschauer Pakt einmarschiert, und es entstanden die Sendungen des sichtlich ergriffenen Chefreporters vor der entsetzten Menschenmenge auf der Karlsbrücke, die ebenfalls in das Bildgedächtnis des Kalten Krieges eingingen.154 Nachdem er bereits 1968 den »Preis der österreichischen Volksbildung« erhalten hatte, wurde Hugo Portisch im Jänner 1969 für »überragende Leistungen im Fernsehjahr 1968« mit der Goldenen Kamera – einem 1965 von der Fernsehzeitschrift HörZu gestifteten Medienpreis – ausgezeichnet. Bei dieser Gelegenheit meinte Gerd Bacher : »Über das Land hinaus hat die ORF-Information aufgrund des völkerrechtlichen und historischen Status Österreichs eine unvergleichliche Chance und Verpflichtung : die Unterrichtung eines Millionenpublikums in unseren Nachbarländern aus unverdächtiger Quelle und die permanente Österreichrepräsentation überhaupt.«155 Dieses institutionelle Selbstverständnis hatte sich bereits während der Augustkrise und in Abgrenzung zur Nachrichtenpolitik der Regierung verstärkt. Am 21. August erging eine Dienstanweisung Bachers, in der dieser auf die Intervention der Regierung reagierte und den Mitarbeitern, insbesondere den Kommenta154 ORF, Zeit im Bild, 22. und 23. August 1968. 155 ORF, Zeit im Bild, 16. Jänner 1969.

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toren eine ausgewogene Haltung nahelegte – zwischen offener, unzensurierter Berichterstattung und besonderer Rücksicht auf Österreichs heikle Lage, die aus dem Neutralitätsstatus erwachse. Rückblickend hielt die ORF-Leitung fest, »dass vom ORF aus nichts unternommen wurde, was als Einmischung in die Krisenvorgänge aufgefasst hätte werden können«.156 Die sowjetische Führung – und damit die osteuropäischen Medien – sah dies jedoch anders. Ähnlich wie 1956 setzte bald ein propagandistisches Sperrfeuer der sowjetischen Presse gegen Österreich ein, dem über den Vorwurf, Waffen, Soldaten und Sendeanlagen in die ČSSR geschmuggelt zu haben, Neutralitätsbrüche unterstellt wurden. Gleichzeitig intervenierte Moskau bei der Wiener Regierung hinsichtlich einer Einschränkung der antisowjetischen Medienberichterstattung in Österreich. Die Regierung wies diesen Protest zurück : Am 31. August 1968 sprach der sowjetische Botschafter Boris Podzerob bei Klaus vor und überbrachte eine mündliche Note, die ebenso wie dessen Replik als Aufzeichnung des Bundeskanzlers erhalten ist : »In der Sowjetunion konnte man nicht umhin zu bemerken, dass bestimmte Kreise in Österreich versuchten, die tschechoslowakischen Ereignisse für ein feindliches Auftreten gegenüber der UdSSR und anderen sozialistischen Ländern auszunützen. An dieser Kampagne beteiligten sich aktiv das österreichische Fernsehen, das unter Kontrolle der Regierung steht, sowie die österreichische Presse.« Darauf erwiderte Klaus : »Die Neutralität verpflichtet – nach einem Wort von Bundeskanzler Raab – den Staat, aber nicht den einzelnen Staatsbürger. Die öffentliche Meinung, Information der Bevölkerung durch Presse und Rundfunk, unterstehen nicht dem Neutralitätsgesetz. Auch nach dem Rundfunk-Gesetz ist der österreichische Rundfunk unabhängig. Das soll nicht besagen, dass die Bundesregierung nicht seit dem 21. August täglich mit der Leitung des österreichischen Rundfunks Kontakt gehabt hat und diesen darauf hingewiesen hat, auf die Neutralität und die Neutralitätspolitik Österreichs gerade jetzt besonders sorgfältig Rücksicht zu nehmen. Bei Dutzenden von Reportern und Kameraleuten, die durch viele Stunden die verschiedensten Nachrichten aus den verschiedensten Richtungen sammeln, können ›Pannen‹ nicht ausgeschlossen werden. Wenn solche passiert sind, wurde aber wiederum mit der Leitung des Rundfunks wegen Abstellung solcher Irrtümer gesprochen. Auf die Presse habe ich noch weniger Einfluss zu nehmen. Schon die Tatsache, dass die Bundesregierung im Zusammenhang mit den Ereignissen in der ČSSR fast ebenso stark kritisiert wurde wie die Warschauer-Pakt-Staaten, zeigt, dass Österreich eben ein anderes System der Pressefreiheit und Meinungsfreiheit besitzt, welches wahrscheinlich in den Oststaaten nicht verstanden werden kann.«157

156 Österreichischer Rundfunk : ORF-Almanach 1969, S. 98. 157 Zitiert nach : Eger : Krisen, S. 212 f.

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Am 29. August war Podzerob bereits bei Außenminister Waldheim gewesen und hatte mit ihm über »den nicht freundschaftlichen und nicht objektiven Charakter zahlreicher Artikel und Aussagen in der österreichischen Presse, Radio und Fernsehen« gesprochen. Darauf hatte Waldheim dem sowjetischen Botschafter zufolge »die Hände zusammengeschlagen« und darauf hingewiesen, dass die Medien »nicht der Regierung unterstehen und faktisch unabhängig sind«. Podzerob erwiderte, die österreichische Pressefreiheit habe »Grenzen, die ihr durch die Verpflichtungen aus dem Staatsvertrag auferlegt sind«. Damit sei Waldheim einverstanden gewesen.158 Der Forderung nach der Bändigung der österreichischen Medien widersprach jedoch auch der Außenminister. Ähnliche Gespräche fanden noch öfter statt, so im September angesichts eines Prawda-Artikels über Wien mit dem Titel »Nach den Rezepten der Spezialisten des Kalten Krieges«.159 Als »erfolgreich« wurde in Moskau hingegen eine TV-Diskussion des ORF beurteilt, an welcher der stellvertretende Chefredakteur der sowjetischen Agentur APN teilnahm.160 Wie bereits im Zusammenhang mit der Ungarnkrise angesprochen, wird hier wiederum deutlich, dass die österreichische Regierung Rundfunk und Zeitungen gegen sowjetische Interventionsversuche in Schutz nahm, auch wenn sie selbst gerne direkten Einfluss auf diese genommen hätte. Das Argument war dabei stets die Unantastbarkeit der öffentlichen Meinung, selbst unter dem Gesichtspunkt der Neutralität. Das gespannte Verhältnis zwischen der Regierung Klaus und den österreichischen Medien verbesserte sich 1968 jedoch erst nach einem Hintergrundgespräch am 10. September, zu dem die Regierung »die Chefredakteure der Wiener Tageszeitungen, die Wiener Korrespondenten der Tageszeitungen der Bundesländer, die Chefredakteure des Rundfunks, der Austria-Presse-Agentur und meinungsbildender Wochenzeitungen« einlud.161 Die 1970er-Jahre: Kriegsangst und Entspannung Mit dem Wahlsieg Bruno Kreiskys am 1. März 1970 kehrte nicht nur eine der außenpolitischen Schlüsselfiguren der Zweiten Republik an die Schalthebel dieses Ressorts zurück, sondern auch ein Virtuose im Umgang mit den Massenmedien. Kreisky besetzte das Außenamt in der Folge mit drei Berufsdiplomaten : zunächst mit dem späteren Bundespräsidenten Rudolf Kirchschläger, der 1968 als Gesandter in Prag Erfahrung in Eskalationen des Kalten Krieges gesammelt hatte ; dann mit Erich Bielka-Karltreu und schließlich mit Willibald Pahr, der am längsten amtierte und in der österreichischen Öffentlichkeit am umstrittensten war. Letztlich galt jedoch Lob 158 159 160 161

Die Aufzeichnungen des Botschafters sind zitiert nach : Karner : Prager Frühling, Band 2, 1309–1311. Ebd., S. 1325–1329. Ebd., S. 1335. Eger: Eger : Krisen, S. 164 (Anmerkung 158).

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wie Tadel der Medien und der öffentlichen Meinung für österreichische Außenpolitik immer in erster Linie dem Kanzler selbst, da dieser Österreichs internationale Beziehungen stets – und wohl am meisten zur Zeit Pahrs – als Chefsache betrieb. Kreisky war schon bei seinem Amtsantritt als Außenminister 1959 von der US-Botschaft zurecht als überzeugter Antikommunist eingeschätzt worden162, hatte jedoch bereits im gleichen Jahr der Auffassung widersprochen, »dass der Umstand, dass auf der einen Seite Demokratien, auf der anderen Seite bolschewistische Diktaturen stehen, bedeutet, dass einer immanenten Gesetzmäßigkeit zufolge immer nur Diktaturen und immer nur Demokratien zueinander finden«.163 Seine – und damit zwischen 1970 und 1983 Österreichs – Haltung im Ost-West-Konflikt entsprach einer dialogorientierten Eindämmungspolitik164, die sowohl offene Gesprächsbereitschaft gegenüber der Sowjetunion einschloss als auch etwaige Kritik an den USA. Letztere für ihre Politik in »manchmal erstaunlicher Intensität« zu kritisieren oder zu loben sei dem sozialdemokratischen Diplomaten Ingo Mussi zufolge Kreiskys Überzeugung geschuldet, dass die USA die politische und moralische Hauptverantwortung für Europa und die Welt getragen hätten.165 Die diplomatischen Verstimmungen zwischen Wien und Washington in den späten 1970er-Jahren, die in der österreichischen Öffentlichkeit besorgt betrachtet wurden, sind ebenso in diesem Lichte zu sehen wie die gelegentlichen Alleingänge einer »österreichischen Ostpolitik«, die über jene Initiativen hinausging, welche die ÖVP-SPÖ-Koalition bereits seit Anfang der 1960er-Jahre gesetzt hatte. Die spezifische Politik der Regierung in Wien spielte, gerade weil sie noch vor der deutschen Ostpolitik einen eigenen Weg markierte, eine wichtige Rolle in der Ausbildung einer österreichischen Staatsidentität. Auch von ÖVP-Außenpolitikern wie Andreas Khol und selbst in Zeiten parteipolitischer Zerwürfnisse in internationalen Fragen gegen Ende der SPÖ-Alleinregierung wurde Kreiskys Bedeutung in diesem Zusammenhang anerkannt, dem es gelang, das öffentliche Interesse für Außenpolitik zu erhöhen. Tatsächlich war Kreisky der Meinung : »Am allerwichtigsten für die Außenpolitik ist eine im allgemeinen aufgeklärte

162 Rathkolb, Oliver: Oliver : Austria’s »Ostpolitik« in the 1950s and 1960s : Honest broker or double agent ?, in: n: Austrian History Yearbook 26 (1995), S. 129–145, hier S. 141. 163 Kreisky, Bruno : Demokratie und Diplomatie, in : Braunias, Karl/Stourzh, Gerald (Hg.) : Diplomatie unserer Zeit – Beiträge aus dem Internationalen Diplomaten-Seminar Klesheim (Veröffentlichungen der Österreichischen Gesellschaft für Außenpolitik und Internationale Beziehungen), Wien 1959, S. 315– 329, hier S. 316. 164 Vgl. Haymerle, Heinrich: Die Beziehungen zur Großmacht im Osten, in: Bielka, Erich/Jankowitsch, Peter/Thalberg, Hans (Hg.): Die Ära Kreisky. Schwerpunkte der österreichischen Außenpolitik, Wien 1983, S. 143–194; Mussi, Ingo: Bruno Kreisky und der schöpferische Dialog mit den Vereinigten Staaten, in: Bielka, Erich/Jankowitsch, Peter/Thalberg, Hans (Hg.): Die Ära Kreisky. Schwerpunkte der österreichischen Außenpolitik, Wien 1983, S. 117–142; sowie Gehler: Außenpolitik, Bd. 1, S. 293–300. 165 Mussi : Bruno Kreisky, S. 127.

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öffentliche Meinung – ganz gleichgültig, ob sie pro oder kontra eingestellt ist, weil nur sie in der Lage ist, komplizierte Zusammenhänge zu begreifen.«166 In der Frühphase der Kreisky-Periode markierte die neue Haltung der BRD gegenüber der Sowjetunion und den Staaten des Warschauer Pakts, die schließlich erfolgreichen Bemühungen Moskaus für eine Friedenskonferenz sowie die immer umfassendere Diskreditierung des Vietnam-Krieges in der westlichen Öffentlichkeit den Spielraum in den Ost-West-Beziehungen. Österreich hatte schon seit den 1950er-Jahren sowjetische Gesprächsinitiativen immer wieder – oft zum Missfallen des Westens – aufgegriffen, es hatte die finnische KSZE-Initiative im Mai 1969 begrüßt167 und im Juli 1970 durch eine Erklärung der Bundesregierung168 versucht, das Thema der Demilitarisierung Europas ins Zentrum zu rücken, und bot bereits Wien als Tagungsort an, was in der dritten Folgekonferenz der KSZE Ende der 1980er-Jahre verwirklicht wurde. Die Unterzeichnung der Schlussakte von Helsinki am 1. August 1975 wurde also in den österreichischen Medien als Erfolg der Neutralitätspolitik gefeiert. Eine im August dieses Jahres durchgeführte Umfrage zu »Stand und Entwicklung des politischen Bewusstseins in Österreich«, in der unter anderem das außenpolitische Bewusstsein thematisiert wurde, zeitigte vielsagende Ergebnisse. So rangierte eine positive Haltung zum »Osten« je nach Parteizugehörigkeit bei 37 % unter SPÖAnhängern, bei 28 % unter FPÖ-Anhängern und bei 17 % unter ÖVP-Anhängern. Besonders interessant ist dabei die relative Äquidistanz der Befragten zwischen Ost und West, jedenfalls was militärische Bündnisse betrifft. Durchschnittlich 20 % der Bevölkerung lehnten die NATO ausdrücklich ab, wobei diese Haltung – ebenso wie das grundsätzliche Interesse an außenpolitischen Fragen – bei Menschen mit höherem Bildungsabschluss zunahm. Gerfried Sperl schrieb in der Kleinen Zeitung, dass die prowestliche Orientierung bei gleichzeitiger NATO-Skepsis »auf das Einsickern der militärischen Neutralität ins politische Bewusstsein schließen lässt«.169 Österreichs Öffentlichkeit war also keineswegs einhellig proamerikanisch und diese Skepsis gegenüber der westlichen Supermacht nahm im Laufe der 1970erJahre stetig zu. Faktoren in diesem Zusammenhang waren der Vietnam-Krieg und die Folgen der 68er-Bewegung, die mit einiger Verspätung auch in Österreich immer 166 Lucbert, Manuel (Hg.)/Kreisky, Bruno : Die Zeit, in der wir leben. Betrachtungen zur internationalen Politik, Wien/München 1978, S. 76. 167 Vgl. Fischer, Thomas : Die Sowjetunion, Österreich und die finnische KSZE-Initiative vom 5. Mai 1969, in : Mueller, Wolfgang/Portmann Michael (Hg.) : Osteuropa vom Weltkrieg zur Wende (ZentraleuropaStudien 10), Wien 2007, S. 313–339. 168 Mayrzedt, Hans/Hummer, Waldemar : 20 Jahre österreichische Neutralitäts- und Europapolitik (1955– 1975) (Schriftenreihe der Österreichischen Gesellschaft für Außenpolitik und Internationale Beziehungen 9), 2 Bände, Wien 1976, S. 239–241. 169 Sperl, Gerfried : Außenpolitik – Interesse wächst mit der Bildung, in : Kleine Zeitung, 27. August 1975.

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sichtbarer wurden, wo ja 1968 selbst gleichsam nur eine »heiße Viertelstunde«170 gedauert hatte. Als bekannt wurde, dass US-Präsident Richard Nixon auf dem Weg zur Unterzeichnung des SALT-I-Abkommens nach Moskau171 vom 20. bis zum 22. Mai 1972 in Salzburg Station machen und dort von Kreisky begrüßt werden würde, sammelte sich die bewegte Linke Österreichs, die sich grob gesprochen von Maoisten zu linken SPÖ-Mitgliedern spannte, zum Gegenangriff. In einem Presse-Kommentar verglich Wolfgang Oberleitner bereits einige Tage vor Nixons Ankunft die bevorstehende Demonstration im traditionell nationalkonservativen Milieu von Salzburg mit der österreichischen Zwischenkriegszeit. In Salzburg würden sich die extreme Linke und nationale Rechte wie in den 1930er-Jahren gegenüberstehen. Dann stellte er die Situation in den Kontext anderer Großmachtbesuche im Nachkriegsösterreich : »Als seinerzeit Chruschtschow nach Österreich kam, hat man ihn als Gast der Regierung mit Höflichkeit behandelt und die Bevölkerung, noch eingedenk der harten Okkupationsjahre, hat ihn einfach nicht zur Kenntnis genommen. Bei Nixon, dessen Land die Österreicher so viel zu verdanken haben, soll es aber anders sein.«172 Schlüsselpersonen des Protests waren der Sohn des Bundeskanzlers, Peter Kreisky ; Helmut Kramer, widerspenstiger Assistent an einem der Hot Spots amerikanischer Kultur in Österreich, dem IHS in Wien, und später Professor für Politikwissenschaft ; oder Journalisten wie der FORVM-Leiter und Journalistengewerkschafter Günther Nenning und die Außenpolitik-Redakteurin der Arbeiter-Zeitung Barbara Coudenhove-Kalergi. Organisiert wurden die Demonstrationen, die schon Tage vor dem Nixon-Besuch Salzburg in Aufregung versetzten – die FPÖ schuf eine »Bürgerwehr«173 –, maßgeblich vom Sozialdemokratischen Indochinakomitee, in dem Coudenhove-Kalergi, Kramer und Kreisky unter den führenden Köpfen waren. Bruno Kreisky hatte zwar in seiner Rede vor dem Wiener Rathaus anlässlich der Mai-Kundgebung einen allgemeinen Appell ausgesprochen : »Beendet den Krieg in Asien, beendet den Krieg in Vietnam.«174 Doch das reichte dem Indochinakomitee nicht, dessen Aufruf bereits von verschiedenen sozialdemokratischen Intellektuellen, Abgeordneten, Journalisten und Gewerkschaftern unterzeichnet worden war. Im Juni druckte die SPÖ-Zeitung Welt der Arbeit den Forderungskatalog des Komi170 Keller, Fritz ; Mai 1968. Eine heiße Viertelstunde, Wien 1983. 171 SALT-II sollte sieben Jahre später in Wien von Jimmy Carter und – immer noch – Leonid Breshnew unterzeichnet werden. 172 Oberleitner, Wolfgang : Späte Liebe für Hanoi, in : Die Presse, 16. Mai 1972, S. 1. 173 In Radioberichten war von »Bürgerwehren« und »Bürgergarden« die Rede. FPÖ-Obmann Friedrich Peter distanzierte sich im Ö1-Abendjournal von diesem »anarchistischen Terminus« (vgl. Abendjournal, 23. Mai 1972) und erklärte, man versuche nur, Sachbeschädigung an Kulturgütern wie Kirchen zu verhindern. 174 Schluß mit dem Krieg !, in : Welt der Arbeit, Juni 1972, S. 2.

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tees ab, das etwa gleichzeitig eine 60-seitige Informationsbroschüre herausgab, die im Stil der Materialsammlungen anderer Vietnam-Komitees – etwa die im Umfeld von Russels und Sartres Vietnam-Tribunal 1967175 – Grundlagenmaterial über den zu unterstützenden Befreiungskampf des vietnamesischen Volkes veröffentlichte. Von der SPÖ-Führung verlangte man eine klare Verurteilung des Vietnam-Krieges, »ebenso eindeutig wie zur sowjetischen Okkupation der ČSSR«. Die junge sozialdemokratische Gruppe äußerte scharfe Kritik an der Informationspolitik des ORF und forderte in ihrem Aufruf »eine faire Indochina-Berichterstattung im ORF. Es geht nicht länger an, dass Rundfunk und Fernsehen einseitig und tendenziös die Aggressionspolitik der USA verteidigen. Es geht nicht an, dass ein Mann mit unbewältigter faschistischer Vergangenheit wie Alfons Dalma das staatliche Rundfunkmonopol zur Desinformation der Bevölkerung missbraucht. Die SPÖ muss die Propaganda des ORF in der Indochinafrage verurteilen. Beim bevorstehenden Nixon-Besuch in Salzburg darf sich Österreich nicht durch eine MedienKampagne zum Komplizen des US-Präsidenten und seiner Politik machen«.176 Hier wird deutlich, wie die Vergangenheitsbewältigungsdiskurse der 68er-Bewegung in Deutschland und Österreich auf die Rhetoriken des Kalten Krieges einwirkten bzw. wie die beiden Thematiken gerade im Angriff auf den dominanten prowestlichen Mediendiskurs miteinander verschmolzen. In der Broschüre selbst hieß es dazu weiter : »Es gibt Sozialisten, die auf die ORFBerichterstattung, die jede nationalrevolutionäre Unabhängigkeitsbewegung als ›kommunistisch‹ abstempelt, hereinfallen, obwohl sie sich, wenn es um innenpolitische Fragen geht, über die Manipulation der Massenmedien beschweren. Der blinde Antikommunismus macht sie empfänglich für diese Manipulation, sobald es sich nicht um Österreich, sondern um die Dritte Welt, insbesondere um Indochina handelt. Da wird sogar die Sprachregelung eines Alfons Dalma gedankenlos übernommen, weil sie antikommunistisch ist.« Das Komitee ging darüber hinaus auf jene proamerikanische Position der meisten Medien ein, die im zuvor zitierten Oberleitner-Kommentar in der Presse deutlich wurde : »Hinzu kommt die weit verbreitete, auch von manchen Sozialisten unkritisch akzeptierte Meinung : Das österreichische Volk hat die Pflicht, Amerika dankbar zu sein für die Hilfe, die es nach dem Zweiten Weltkrieg erhalten hat. Daher wäre die Verurteilung der USA im Zusammenhang mit den blutigen Ereignissen in Indochina Ausdruck ›österreichischer Undankbarkeit‹.«177

175 Vgl. Molden, Berthold : Genozid in Vietnam. 1968 als Schlüsselereignis in der Globalisierung des Holocaust-Diskurses, in : Kastner, Jens/Mayer, David (Hg.) : Weltwende 1968 ? Ein Jahr aus globalgeschichtlicher Perspektive, Wien 2008, S. 83–97. 176 Sozialdemokratisches Indochinakomitee : Vietnam & die Sozialisten. Materialien zum Indochinakonflikt, Wien 1972 ; die Forderung ist auf den Innenseiten des Umschlages abgedruckt. 177 Ebd., S. 52.

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Die 3 000 Salzburger Demonstranten erreichten zwar einige Medienöffentlichkeit178, doch die Haltung der sozialistischen Parteiführung und damit der Regierung änderten sie damit ebenso wenig wie zunächst die Meinung der Medien und der meisten Österreicher. Der Bundeskanzler holte Nixon am Salzburger Flughafen ab, von wo Hugo Portisch mit einem Fernsehteam berichtete, das u.a. unscharfe Bilder vom erfolglosen Durchbruchversuch der Demonstranten durch den Polizeikordon lieferte.179 In Konsequenz des nicht angemeldeten Auftauchens auf dem Flughafen wurden 53 Demonstranten angezeigt. Bilder von prügelnden Polizisten erschienen in den meisten Zeitungen, die auch zahlreiche Leserbriefe und Umfragen unter Lesern abdruckten, weil die Eskalation zwischen »links« und »rechts«, zwischen »Langhaarigen« und »Stahlhelmexekutive« und schließlich der ideologische Konflikt in der Tourismusstadt Salzburg die Gemüter bewegte und jeder dazu eine Meinung zu haben schien. Die Volksstimme schrieb als einzige offen empört von einer Knüppelattacke und der »Schlacht von Maxglan«.180 Nicht minder scharf äußerte sich ihr extremer ideologischer Gegenpart : In der während der 1950er- und 1960er-Jahre immer wieder wegen ihrer Polemik gegen NS-Prozesse kritisierten und auch beschlagnahmten FPÖWochenzeitung Neue Front, deren Chefredakteur von 1949 bis 1956 Viktor Reimann gewesen war, las man von »Berufsrandalierern« und einer »unklaren Grenze nach links« der SPÖ – eine »kleine, auf jeden Fall aber miese Visitenkarte«.181 In der sozialdemokratischen Arbeiter-Zeitung allerdings schrieb Manfred Scheuch seinerseits, die Demonstranten hätten durch die Randale auf dem Flughafen »ihrer Sache in der österreichischen Öffentlichkeit zweifellos keinen guten Dienst erwiesen«.182 Während die Salzburger Nachrichten in einer Schlagzeile auf der Titelseite mit Bezug auf Bruno und Peter Kreisky über eine »Familienfehde in der SPÖ« witzelten183, schrieb 178 Fotos von Bruno Kreisky mit Nixon und von Peter Kreisky im Demonstrationszug schafften es sogar auf die Titelseite der Herald Tribune vom 22. Mai 1974 unter dem Titel »Austria stop is marked by violence«. 179 News-Zusammenschnitte des ORF vom 20. Mai 1972, Kassette Z-IX.98.776/1/0. Auch die folgenden Tage wurden von Hugo Portisch ausführlich kommentiert, vgl. Kassette Z-IX 99.040/1/0. 180 Die Schlacht von Maxglan, in : Volksstimme, 24. Mai 1972. 181 Unklare Grenze nach links. Die Demonstrationen der Linken während des Nixon-Zwischenaufenthaltes in Salzburg warfen innenpolitische Probleme auf, in : Neue Front, 27. Mai 1972, S. 12 ; siehe auch den Kommentar »Abgeblitzt« auf Seite 1 derselben Ausgabe. 182 Scheuch, Manfred : Kein Weg der Überzeugung, in : Arbeiter-Zeitung, 24. Mai 1972, S. 2. 183 Ritschel, Karl Heinz : Familienfehde in der SPÖ, in : Salzburger Nachrichten 27./28. Mai 1972, S. 1 f. Diese Spitze findet sich in den Medien dieser Tage immer wieder. Besonders gut ist die Schadenfreude mancher Journalisten bei der ORF-Aufzeichnung der auf den Nixon-Besuch folgenden ausführlichen Pressekonferenz von Bruno Kreisky und Rudolf Kirchschläger dokumentiert, in der auf die internationalen Beziehungen Österreichs ebenso eingegangen wurde wie auf die Demonstrationen in Salzburg, vgl. Kassette Z-XI 105.140/1/0.

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Staberl in der Kronen Zeitung : »Hei ! Wie tanzten da bald österreichische reaktionäre Schlagstöcke auf den hohlen, aber stets progressiven Köpfen der Protestierer !« Der Krone-Kolumnist machte sich lustig darüber, dass im Gegensatz zur Wut der österreichischen »Kummerln« in Moskau 100 000 Werktätige, »Vivat« brüllend, zum Willkommen angetreten seien.184 Die Bewegung gegen den Vietnam-Krieg hatte also die zivilgesellschaftlichen Proteste der 1960er-Jahre 1972 auf Österreichs Straßen gebracht, jedoch ohne dass ihr unmittelbar die erhoffte Veränderung des hegemonialen Mediendiskurses gelungen wäre. Allerdings ist darauf hinzuweisen, dass einige Schlüsselfiguren der Politberichterstattung zu diesem Zeitpunkt bereits einen Wandel durchgemacht haben dürften. So ergab eine Inhaltsanalyse von Zeitungskommentaren Hugo Portischs zwischen 1948 und 1967, dass sich seine Haltung gegenüber den USA von reiner Zustimmung zu kritischer Distanz entwickelte, während er der Sowjetunion zusehends positiv gegenüberstand.185 Als Richard Nixon am 10. und 11. Juni 1974 auf dem Weg in den Nahen Osten erneut in Salzburg zwischenlandete, hatte sich die Stimmung deutlich verändert. Nun galt die Angst der österreichischen Behörden eher potenziellen palästinensischen Terroranschlägen, und das Bild des US-Präsidenten in der österreichischen Öffentlichkeit war bereits vom Watergate-Skandal geprägt. Auch diesmal fanden zwar Demonstrationen statt, erregten allerdings wenig Aufsehen. Eine Analyse der Oberösterreichischen Nachrichten im Vorfeld des Besuchs gibt diese Stimmung deutlich wieder und verdient daher beispielhaft zitiert zu werden : »Wie sich die politische Landschaft doch in zwei Jahren verändern kann ! Als Richard Nixon Pfingsten 1972 auf seinem Weg nach Moskau, dem ersten Besuch eines US-Präsidenten in der Sowjetunion, in Salzburg Station machte, stand mit Salzburg ganz Österreich kopf. Es galt als Auszeichnung ersten Ranges, dem Präsidenten der USA vor schweren politischen Entscheidungen zwei Tage Denkpausenaufenthalt zu gewähren. Gleichzeitig formierten sich erstmals in Österreich starke linke Kräfte, die gegen den Präsidenten und seine Politik demonstrierten. Am nächsten Montag, dem 10. Juni, wird vielen offiziellen Begrüßern, denen vor zwei Jahren ihr Buckel nicht tief genug und ihr Strammstehen nicht stramm genug sein konnte, das Begrüßungslächeln in den Mundwinkeln einfrieren. Von den Tausenden, die dem amerikanischen Präsidenten zujubelten und die Demonstranten beschimpften, würde sich heute ein Großteil den Demonstranten anschließen. Richard Nixon ist kein heiler – für viele gleichbedeutend mit heiliger – Präsident mehr. Er ist es so wenig, dass man aus solchen Studentenkreisen, die für Demonstrationen zuständig sind, gestern hören konnte, es lohne sich nicht, gegen den Richard Nixon von heute

184 Staberl : In Salzburg und in Moskau, in : Kronen Zeitung, 24. Mai 1972, S. 4. 185 Ekl : Kommentar und Persönlichkeit, S. 55 und S. 67.

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in Salzburg zu demonstrieren.«186 Die Welt hatte sich in den zwei Jahren seit 1972 verändert. Das Jahr 1974 hatte zudem mit einer Affäre begonnen, die Österreichs sicherheitspolitische Position zwischen den Großmächten und die Rolle der Medien in diesem Zusammenhang auf drastische Weise thematisierte und breite Wirkung in der Bevölkerung hatte. Auch an dieser Stelle soll eine eingehende Analyse Einblick in die publizistische Dynamik österreichischer Krisenberichterstattung im Kalten Krieg geben – und zwar zu einer Phase, als eigentlich Abrüstung auf dem Programm stand. Am 14. Februar 1974 veröffentlichte die Zeitschrift profil187 den ersten Teil einer vierteiligen Serie, die in den drei darauffolgenden Wochen fortgesetzt wurde und in der Aufmarschpläne der Sowjetunion gegen Österreich diskutiert wurden. Das der Redaktion vorliegende Strategiepapier trug den Namen »Polarka« und entwarf detailliert die Besetzung (Ost-)Österreichs im Falle einer Invasion des Warschauer Pakts in Jugoslawien. Den Anlass bzw. Vorwand für das blitzkriegartige Überrollen der österreichischen Landesverteidigung hätten Staatskrisen in Jugoslawien, evtl. aber auch in Österreich abgegeben. Diese Informationen stammten aus einem in den USA mit der Kamera aufgezeichneten Interview des profil-Reporters Werner Stanzl mit Jan Šejna, der im August 1968 als bis dahin regimetreuer höchster Politoffizier der tschechoslowakischen Armee überraschend zum Westen überlief. Als Morgengabe brachte der damals als wichtigster Überläufer des Kalten Krieges gefeierte Šejna zahlreiche Unterlagen mit. So war »Polarka« dem US-Geheimdienst bereits seit Jahren bekannt, den österreichischen Militärs aber nicht in vollem Umfang weitergegeben worden – auch weil man in der Entspannungsphase der späten 1960er- und frühen 1970er-Jahre nicht an seine Umsetzung glaubte.188 In Österreich schlug diese Nachricht buchstäblich wie eine Bombe ein und beschäftigte Politik, Medien und viele Bürger mehrere Wochen intensiv. Wie schon 1968 – als der Plan Jan Šejna zufolge hohe Aktualität gehabt hatte, aber niemand von ihm wusste – machte sich eine gewisse Okkupationsangst in Österreich breit. Die Reaktion der österreichischen Regierung war gespalten. Der Bundeskanzler versuchte, die Brisanz der Enthüllung herunterzuspielen, indem er darauf verwies, die Pläne seien veraltet. Die meisten Zeitungen übernahmen zunächst diesen beschwichtigenden Diskurs. So schrieb etwa Georg Possanner in der Presse : »Generell wird die Sache heruntergespielt, das ganze als Ladenhüter der bösen Zeit vor 1968 186 Wenn Nixon nach Salzburg kommt, wird auch wieder fleißig demonstriert, in : Oberösterreichische Nachrichten, 5. Juni 1974. 187 profil wurde 1970 vom ehemaligen Arbeiter-Zeitung- und Express-Journalisten Oscar Bronner gegründet. Die hier thematisierten Berichte fielen in jene Phase, als das Magazin erstmals wöchentlich erschien, und trugen dazu bei, es als Zentrum des investigativen Politjournalismus in Österreich zu etablieren. Noch im selben Jahr verkaufte Bronner die Zeitschrift an die Kurier-Gruppe und zog nach New York. 188 Moskaus Aufmarschpläne gegen Österreich, in : profil, 14. Februar 1974.

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abgetan, was es in der Tat auch ist.«189 Der Presse-Journalist ortete aber ein »flaues Gefühl«, das zurück geblieben sei. Das Magazin profil als aufdeckendes Medium kommentierte die Zurückhaltung der anderen Medien kritisch : »Während ein Teil der heimatlichen Presse wie gewohnt mit Kreisky befand, dass ›Polarka‹ so gut wie ›keinen Nachrichtenwert‹ (Kreisky) habe und sich bestenfalls dem Streit mit dem ORF zuwendete, teilte die Weltpresse das Kreisky-Urteil nicht ganz.«190 Diese informationspolitische Frontstellung von profil offenbart, wie sich ein noch um seine Position ringendes, relativ neues Medium im sicherheitsrelevanten Themenbereich des Kalten Krieges positionierte. Dabei stellte es sich auch in eine Tradition des ORF – zu diesem Zeitpunkt gerade in Gerd Bachers erster Ablöse als Generalintendant begriffen – und nahm für sich internationale Sendungskraft in Anspruch, indem es auf die Neue Zürcher Zeitung, die Frankfurter Allgemeine Zeitung, die Financial Times und BBC verwies, die »ihr Publikum ausführlich über den Inhalt der profil-Dokumentation« informierten. Auch gegenüber der Arbeiter-Zeitung, die zwar den kalmierenden Ton der SPÖ mit trug, aber immerhin eigene Recherchen anstellte, distanzierte man sich : »Die Arbeiter-Zeitung recherchierte, kombinierte und deckte auf – was profil schon in seinem ersten Bericht klargestellt hatte : dass es ohne das Einverständnis amerikanischer Stellen – sprich der CIA – zweifellos zu den Enthüllungen Jan Šejnas nicht gekommen wäre.«191 In jedem Teil wurde ausführlich und in fetten Lettern auf die vorher berichteten Aspekte verwiesen, diese wiederholt und zusammengefasst. Daraus lässt sich die hohe öffentliche Bedeutung schließen, die profil seinen Berichten zumaß – es sollte jeder Leser, selbst wenn er erst zu einem späteren Zeitpunkt auf die Serie stieß, die gesamte Information zugänglich haben ; schließlich handelte es sich um eine existenzielle Bedrohung des Staates Österreich, die von profil enthüllt wurde. Dieses publizistische Dauerfeuer von profil traf auf eine zusehends sensibilisierte Öffentlichkeit, und dies hatte mit der zuvor angedeuteten Gespaltenheit der Regierung in ihren ersten Stellungnahmen zu tun. Bereits in den ersten Tagen nach dem Eröffnungsteil der profil-Serie meldete sich Verteidigungsminister Karl Lütgendorf im ORF zu Wort. In Folge wurde darüber gestritten, ob der Bundeskanzler das Interview autorisiert hatte. »Das in Fernsehsachen gebrannte Kind Lütgendorf« habe ein 189 Possanner, Georg : Gespenst am Tag. Überfall auf Österreich. Der Neutrale angesichts der Eventualitäten in einem »Fall Jugoslawien«, in : Die Presse, 9./10. März 1974, S. 5. 190 Wie es zur Polarka-Sendung gekommen ist : Kreiskys Aufmarschpläne, in : profil, 7. März 1974. 191 Ebd. Die Frage nach der Motivation und dem Zeitpunkt dieser Freigabe seitens der US-Behörden – etwa antisowjetische Propaganda als Element der Ablenkung von der eigenen Niederlage in Vietnam oder als Strategiezug in den KSZE-Verhandlungen – wird von den österreichischen Medien interessanterweise kaum diskutiert. Manfred Scheuch wies in der Arbeiter-Zeitung auf eine »noch nicht recht klare Absicht der Amerikaner [hin], die den Agentenschocker sicher nicht zufällig gerade jetzt erst freigeben«. Scheuch, Manfred : Die Horror-»Polarka«, in : Arbeiter-Zeitung, 22. Februar 1974, S. 2.

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Interview zunächst mit der Begründung abgesagt, seine dritten Zähne seien nicht rechtzeitig fertig geworden. Der ORF, dem das Thema bereits bekannt war, hatte jedenfalls klargestellt, ohne Stellungnahme des Ministers würde das Šejna-Interview nicht gesendet. Querschnitte-Leiter Alfred Payrleitner hatte zwar Interesse angemeldet, doch der Nachrichten-Chefredakteur Alfons Dalma habe, so profil, einen »Nicht-ohne-Lütgendorf-Befehl« ausgegeben.192 Am 20. Februar gab Lütgendorf schließlich ein ORF-Interview, in dem er die potenzielle Bedrohung eines »Polarka«-ähnlichen Szenarios sehr ernst nahm. In profil erklärte er tags darauf, dass die österreichische Landesverteidigung einem solchen Angriff letztlich wehrlos gegenüberstünde und Österreich innert 24 Stunden besetzt wäre. Die sowjetische Regierung dementierte die Berichte zwar sofort und beschuldigte im Gegenzug die österreichischen Medien der Kriegstreiberei, konnte aber die Existenz derartiger Strategieüberlegungen nicht entkräften. Der ORF und profil, ja auch die verantwortlichen Redakteure und Chefredakteure wurden namentlich angegriffen als »Anhänger des Kalten Krieges«, deren »antisowjetische Kampagne […] im Gegensatz zu den Interessen einer Entspannung in Europa« stünde.193 Abermals wehrte Bundeskanzler Kreisky, als er Ende Mai Moskau besuchte, das sowjetische Begehren nach einer Zügelung der österreichischen Medien ab. Paul Lendvai berichtete von dort : »In der Frage, ob die Beziehungen durch die Massenmedien schlechter bzw. besser werden, konnten natürlich die Meinungsunterschiede nicht überbrückt werden.« Staatspräsident Nikolai Podgorny habe sich über die »PolarkaAffäre« beschwert und von Kreisky die Antwort erhalten, dass »eine Gängelung der Massenmedien in Österreich nicht möglich sei«.194 Nach innen war freilich auch die sozialdemokratische Regierung wenig amüsiert, richtete aber ihre Kritik nicht direkt gegen den – parteilosen – Verteidigungsminister, sondern gegen die verantwortlichen Redakteure des ORF. Gleich nach der Sendung verlangte SPÖ-Zentralsekretär Fritz Marsch in einem Schreiben an den Vorsitzenden des ORF-Aufsichtsrates, den ehemaligen ÖVP-Unterrichtsminister Theodor Piffl-Perčević, eine Sondersitzung, um herauszufinden, ob die Sendung im Widerspruch zu den öffentlichen Informationsaufgaben des Rundfunks gestanden sei und das Redakteursstatut verletzt habe. Offenbar, so Marsch, »wurden bei der Gestaltung dieser Sendung die im ORF dafür geltenden Grundsätze nicht beachtet. Man räumt hier Berichten von Agenten breiten Raum ein«.195 Die Arbeiter-Zeitung

192 Wie es zur Polarka-Sendung gekommen ist : Kreiskys Aufmarschpläne, in : profil, 7. März 1974. 193 Als Beispiel sei hier ein Izvestija-Artikel wiedergegeben, der den publizistischen Gegenangriff der sowjetischen Presse in allen Aspekten zeigt und dabei auch den Kontext der KSZE-Verhandlungen deutlich macht. Vgl. dazu das Faksimile der Aussendung der Presseagentur Nowosti auf S. 704. 194 Paul Lendvai über Kreisky-Besuch in Moskau, in : Kleine Zeitung, 31. Mai 1974, S. 3. 195 ORF-Sondersitzung um »Polarka«, in : Arbeiter-Zeitung, 24. Februar 1974, S. 1.

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sekundierte der Haltung der Regierungspartei. In einem Leitartikel schrieb Manfred Scheuch : »Der Mitternachtskrimi war Mittwoch Abend in die aktuelle Sendung ›Querschnitte‹ vorgerutscht. Präsentator Payrleitner gefiel sich als ein anderer Hitchcock, der ausgezogen war, seine Landsleute das Gruseln zu lehren. Auf dem Programm stand ›Ostblockangriff auf Österreich‹ mit dem umgedrehten tschechischen Agenten Jan Šejna in der Hauptrolle. […] Solche Horrorszenen vergegenwärtigte Österreichs Erstes Fernsehprogramm am Mittwoch seinem daraufhin wohl einigermaßen verstörten Millionenpublikum. Entsprach das dem Verantwortungsbewusstsein, das eine öffentliche Rundfunkanstalt haben sollte ? […] Die Sendung war nicht dazu angetan, den Widerstandswillen der Österreicher zu stärken, sie musste eher Unsicherheit und Hoffnungslosigkeit auslösen.«196 In der ÖVP wandte sich vor allem der Generalsekretär und ehemalige Verteidigungsminister Karl Schleinzer offen gegen eine Disziplinaraktion in Richtung der ORF-Redakteure. Schleinzer bezeichnete ein solches Vorgehen als »symptomatisch für den Stil der SPÖ und bedenklich«, denn es sei ein Versuch, die Staatsräson in den ORF hineinzutragen und diesen in einen »Staatsrundfunk« zu verwandeln.197 Zu einer »Polarka«-Anfrage im Parlament, mit der Schleinzer Außenminister Kirchschläger in die Zange nehmen wollte, kam es letztlich nicht.198 Andererseits wurde in der ORF-Aufsichtsratssitzung am 12. März letztlich mit 13 :3 Stimmen entschieden, dass die Sendung weder dem Rundfunkgesetz noch dem Redakteursstatut oder dem Nachrichtenstatut zuwidergelaufen sei. Der Antrag von Marsch, es habe keine Berichterstattungspflicht bestanden, wurde abgelehnt.199 Auch den Redakteuren schadete die Affäre langfristig nicht : Alfred Payrleitner wurde im Mai 1979 zum Leiter der Dokumentationsabteilung des ORF ernannt. »Polarka« war damit aber keineswegs für alle Zeiten vom Tisch, denn es hatte sich als Chiffre für eine Gefährdung des neutralen Österreich festgesetzt. Symptomatisch dafür war etwa ein Inserat, das Mitte März in profil erschien : »Haben Sie Angst vor einer Besatzung ? Dann sichern Sie sich eine Zweitwohnung im sicheren Westen ! Wir bauen in Zell am See (Salzburg) 80 Zweitwohnungen, davon sind einige noch für Sie frei. Preis je Quadratmeter ab öS 12 000,– !«200 Die Arbeiter-Zeitung erregte Scheuch, Manfred : Die Horror-»Polarka«, in : Arbeiter-Zeitung, 22. Februar 1974. Scheidl, Hans Werner : Polemik um ›Polarka‹-Sendung, in : Die Presse, 26. Februar 1974, S. 2. R.: »Polarka« nur im Couloir, in : Die Presse, 7. März 1974, S. 2. Marsch nach ORF-Aufsichtsrat : »Polarka« war nicht sehenswert, in : Arbeiter-Zeitung, 13. März 1974, S. 2. 200 »Haben Sie Angst vor einer Besatzung ? d a n n s i c h e r n s i e s i c h e i n e z w e i t wo h n u n g i m s i cherern westen! Wir bauen in Zell am See (Salzburg) 80 Zweitwohnungen, davon sind einige für Sie frei. Preis je Quadratmeter ab öS 12 000,-. Bausparkassenfinanzierung möglich ! Garantierte Festpreise ; Luxusausstattung ; Größen ab 31 Quadratmeter. Seenähe oder Hanglage. Unverbaubarer Ausblick, neben Naturschutzgebiet. bergdorf-Ges.m.b.H. Zell am See«, Inserat, in : profil, 21. März 1974, S. 12.

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sich über diese »Polarka-Spekulation«, die sie als Folge unzulässiger Panikmache betrachtete.201 Vor allem im Zusammenhang mit den Entwicklungen in Jugoslawien etablierte sich die Assoziation mit »Polarka« als drohender Widergänger, auf den die öffentliche Wahrnehmung sichtlich reagierte. Die Zusammenschau von Umfragen zur Sicherheitspolitik aus den 1970er-Jahren macht dies deutlich. Zu manchen Themen, etwa der Bedeutung der österreichischen Landesverteidigung, sind die Ergebnisse zwar widersprüchlich.202 Die Antworten auf die Frage, ob eine Verwicklung Österreichs in einen militärischen Konflikt wahrscheinlich sei, weisen jedoch auf die Wiederentdeckung der eigenen Verwundbarkeit Mitte der 1970er-Jahre hin – mit dem Ölpreisschock als Erschütterung des Glaubens an das Wirtschaftswunder und »Polarka« als sicherheitspolitischer Irritation : 1972 hielten zwei Prozent eine kriegerische Verstrickung Österreichs für wahrscheinlich und 31 % für unmöglich ; 1973 elf Prozent für wahrscheinlich und 17 % für unmöglich ; 1975 8 % für wahrscheinlich, 22 % für unmöglich ; 1978 acht Prozent für wahrscheinlich und 17 % für unmöglich ; 1980 glaubten wieder 40 % an die Unmöglichkeit eines solchen Kriegsfalles.203 Und dennoch sollte das Gespenst »Polarka« wiederkehren, vor allem nach Titos tatsächlichem Tod 1980. Im Jänner 1980 paraphrasierte die Arbeiter-Zeitung einen Redebeitrag Heinz Fischers in einer außenpolitischen Parlamentsdebatte wie folgt : »Jugoslawien wird ein Wechsel an der Spitze zwar Probleme bringen, nicht aber das Problem einer militärischen Intervention von außen. In diesem Zusammenhang gibt es keinen Grund zu Nervosität oder gar Hysterie.«204 Einen ähnlichen Tenor hatte wenig später ein Interview mit Außenminister Pahr unter dem Titel »Jugoslawien bleibt stabil !«, in dem der Minister erklärte, »dass es zwischen Österreich und Jugoslawien eine sehr große Interessensparallelität gibt, ja vielleicht ist diese mit keinem anderen Staat so groß wie mit Jugoslawien. Das bedeutet, dass alles, was Jugoslawien nützt, Österreich nützt, und was für Jugoslawien gefährlich ist, für Österreich gefährlich ist und umgekehrt. […] Zum Beispiel, wenn wir etwas zur

201 Polarka-Spekulation, in : Arbeiter-Zeitung, 22. März 1974, S. 2. 202 Man ist zwar für Landesverteidigung, glaubt aber nicht an deren Wirksamkeit. Die Neutralität hingegen wird fast durchgehend positiv eingeschätzt. 1972 ergab eine Umfrage, dass 90 % die Neutralität für eher vorteilhaft hielten, 80 % sich dadurch sicherer fühlten und 74 % ihrem Verdienst einen sehr hohen/hohen internationalen Status Österreichs anrechneten. Vgl. Neuhold, Hanspeter/Wagner, Franz : Das Neutralitätsbewußtsein des Österreichers, in : Österreichische Zeitschrift für Außenpolitik 2/13 (1973), S. 67–94, zitiert nach : Neuhold, Hanspeter : Österreichs Außenpolitik in den Ost-West-Beziehungen, in : Kicker/Khol/Neuhold: Außenpolitik und Demokratie, S. 290–320, hier S. 305. 203 Neuhold : Österreichs Außenpolitik, S. 308 f. In den frühen 1980er-Jahren fürchteten zwar laut GallupDaten 60 % der Österreicher einen Weltkrieg – lagen damit aber weit unter der Angstquote in den USA (88 %), in Großbritannien (69 %), der BRD (76 %) oder der Schweiz (74 %). Wochenpresse 5. Jänner 1982, zitiert nach Neuhold : Österreichs Außenpolitik, S. 302. 204 Außenpolitik braucht keine Korrektur, in : Arbeiter-Zeitung, 24. Jänner 1980, S. 2.

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Sicherheit Jugoslawiens beitragen können, so ist das ein Beitrag zu unserer eigenen Sicherheit«.205 Beispielhaft für diese Debatte kann ein Interview mit Bruno Kreisky herangezogen werden, dass Mitte Januar in der Kleinen Zeitung in Graz erschien. Schon der Titel »Man kann ja Österreich nicht zusperren« verweist auf die pragmatische und deeskalierende Haltung des Bundeskanzlers.206 Noch am gleichen Tag beruhigte auch die Arbeiter-Zeitung »Kreisky : Trotz Weltsituation keine Bedrohung Österreichs«.207 Die Presse berichtete, eine der Hauptsorgen des Außenministers sei, dass »die Verschlechterung der Beziehungen zwischen den Weltmächten, im besonderen der USA und der Sowjetunion […] neben einer ›ernsten Gefährdung der Entspannung‹ eine Fernwirkung auch auf die Staatsvertragsfeiern haben [könnte]«. Den Großmächten könnten Lust und Zeit für das 25. Jubiläum fehlen.208 Und tatsächlich schien jedenfalls die informierte österreichische Bevölkerung 1980 keinen sowjetischen Einmarsch mehr zu fürchten. Die Österreichische Gesellschaft für Außenpolitik und internationale Beziehungen ließ anlässlich ihres Jahrestreffens in Hernstein eine Umfrage unter ihren Mitgliedern durchführen, der zufolge 87 % keine Verwicklung Österreichs in einen militärischen Konflikt befürchteten.209 Andreas Unterberger210 kommentierte dies in der Presse nicht ohne Ironie : »Dieser Glaube der Österreicher [an anderer Stelle hieß es : der österreichischen außenpolitischen Elite, Anm. d. Verf.] an einen eigens für sie abgestellten Schutzengel ist eines der interessantesten Ergebnisse des heurigen außenpolitischen Gesprächs in Hernstein.« Die Sowjetunion wurde dabei von mehr als der Hälfte der Befragten als die größte Bedrohung für den Weltfrieden angesehen – anders als die USA oder China. Gerade angesichts dessen und trotz der Tatsache, dass »aus mehreren anderen Fragen hervorgeht, dass unter den Befragten eine deutliche Mehrheit der Wirtschaft oder der ÖVP zuordenbar ist«, schien es für Die Presse »überraschend, dass das Wettrüsten nur halb so oft als Friedensbedrohung genannt wurde wie die Rohstoffversorgung«.211 Man 205 Katscher, Friedrich/Hoffmann-Ostenhof, Georg : »Jugoslawien bleibt stabil«; Außenminister Pahr : Weiter gute Beziehungen zu Ost und West. Interview mit Willibald Pahr, in : Arbeiter-Zeitung, 15. März 1980, S. 3. 206 »Man kann ja Österreich nicht zusperren«, in : Kleine Zeitung, 16. Jänner 1980. 207 Kreisky : Trotz Weltsituation keine Bedrohung Österreichs, in : Arbeiter-Zeitung, 16. Jänner 1980, S. 1. 208 Staatsvertrags-Vier trotz Krise in Wien ?, in : Die Presse, 17. Jänner 1980, S. 3. 209 Vgl. Neuhold, Hanspeter : Internationale Entwicklungen bis zur Jahrtausendwende aus der Sicht eines Teils der »außenpolitischen Elite« in Österreich, in : Österreichische Zeitschrift für Außenpolitik 4/20 (1980), S. 208–220. 210 Unterberger war von 1984 bis 1995 Ressortleiter für Außenpolitik der Presse, anschließend Chefredakteur, ehe er 2005 zur Wiener Zeitung wechselte. 211 Unterberger, Andreas : Für Österreichs Außenpolitik begann in Hernstein der Frühling, in : Die Presse, 10. Mai 1980, S. 4. Presse-Redakteurin Anneliese Rohrer hatte schon ein halbes Jahr zuvor die Bedenken der ÖVP und FPÖ gegen die Energieabhängigkeit Österreichs vom kommunistischen Osteuropa aufge-

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erwartete keinen Dritten Weltkrieg, aber eine Rückkehr zum Kalten Krieg wie nach 1945. Zwei Tage darauf ging Unterberger nochmals auf die Studie ein und berichtete : »Während die älteren Jahrgänge in Erinnerung an Weltkrieg, Besatzung und Staatsvertrag vor allem um die Sicherheit Österreichs in seiner Bedrohung durch die Sowjetunion bangen, haben die jüngeren stärker den Nord-Süd-Konflikt im Auge ; sie spüren die Bedrohung Österreichs nicht so stark als existentielles Problem.«212

Wettrüsten und Friedensbewegung Die Beurteilung der internationalen Lage seitens der österreichischen Öffentlichkeit stand zu diesem Zeitpunkt wie überall im Zeichen der sowjetischen Aggression gegen Afghanistan, die allgemein verurteilt wurde. Zwar galten diese Ereignisse als Eskalation im globalen Kräftegleichgewicht, doch schien der zentralasiatische Kriegsschauplatz den Konflikt aus Europa fort zu rücken. Gerade in Österreich hatte erst im Vorjahr die Unterzeichnung der SALT-II-Verträge durch Leonid Breshnew und Jimmy Carter in Wien große Aufmerksamkeit erregt. Beispielhaft sei hier ein Kommentar in den Salzburger Nachrichten zitiert, in dem Österreich zwar als »stummer Diener zweier Mächtiger« apostrophiert, der Gipfel jedoch als Anerkennung der aktiven Neutralitätspolitik sehr positiv bewertet wurde : »Der Gipfel in Wien, daran lässt sich nicht deuteln, ist für Österreich Auszeichnung und Ehre und vielleicht wirklich die Bestätigung unserer Rolle auf der internationalen Bühne. Er muss jedoch auch Verpflichtung sein zu bedingungslosem Einsatz für den Frieden. Dass auch ein Land von der unbedeutenden Größe Österreichs Beitrag leisten kann zu einem Klima des Vertrauens – der wichtigsten Voraussetzung für eine wirkungsvolle internationale Entspannung – haben wir bewiesen (etwa auf der europäischen Sicherheitskonferenz : Das Dokument über die Ankündigung von großen Manövern geht weitgehend auf unsere Initiative und unser Bemühen zurück). Kein Zweifel : Der Gipfel vermehrt Österreichs Ansehen in der Welt. Können wir aus ihm auch praktische Vorteile ziehen ? [Außenminister] Pahr glaubt an eine Stärkung unserer österreichischen Sicherheit. Und die Werbewirkung auf Österreich als Stätte internationaler Begegnung

griffen (Rohrer, Anneliese : Kulissengespräche, in : Die Presse, 21. Dezember 1979, S. 2), die im Zuge der polnischen Wirtschaftskrise auch in der öffentlichen Debatte um Solidarno ść eine Rolle spielen sollte. Das Bekenntnis zu einer aktiven Menschenrechtspolitik im Sinne der KSZE und die wirtschaftlichen Interessen Österreichs passten nicht immer zusammen. 212 Unterberger, Andreas : Auf der Suche nach Österreichs Interessen. Generationenkonflikt in der Außenpolitik, in : Die Presse, 12. Mai 1980, S. 2.

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bleibt sicher nicht aus. 2 000 Journalisten drängen nach Wien und noch viel mehr berichten in aller Welt auch über das Land, das der Amerikaner und der Russe als Ort der Entspannung erkoren. […] Österreich rückt wieder einmal in das Bewusstsein der Welt.«213

Der Stil, in dem die Autorin der Salzburger Nachrichten schreibt, ist aufgrund des hohen Grades an gleichzeitiger Identifikation mit der Außenpolitik und dem Volk interessant, die ein Wir-Kollektiv im Sinne von »Wir sind Gipfel« konstruiert. Diese »Der Kongress tanzt«-Mentalität wird zwar auch mit der potenziellen Bedeutung des Ereignisses für den Tourismus verbunden, jedenfalls geht daraus aber eine hohe Begeisterung für die Rolle Österreichs in der Weltpolitik hervor, wie häufig, wenn diese positiv besetzt ist. Derartige Jubelberichterstattung ist am häufigsten im Populärdiskurs der Kronen Zeitung anzutreffen, wie etwa kurz vor dem Gipfel angesichts einer Kreisky-Reise im Rahmen eines USA-Gastspiels der Staatsoper und der Wiener Philharmoniker. Kreisky traf auch Präsident Carter, der ihm »sogar die Stufen entgegen« gekommen sei, gab der New York Times ein Interview und begeisterte mit einer Rede vor der UNO, so Viktor Reimann in der Kronen Zeitung als Sonderberichterstatter. Kurz : »Österreich erobert USA«.214 Gleichzeitig war der Diskurs der Kronen Zeitung gegenüber Osteuropa in den 1970er- und 1980er-Jahren negativ ausgerichtet215, wobei die Sowjetunion und die USA als einzige Länder mit Einzelberichterstattungen gewürdigt wurden.216 Ähnliche Ergebnisse brachte Ende der 1960er-Jahre eine Studie für die österreichischen Medien im Allgemeinen hervor – der Sowjetunion und den USA wurde also in den österreichischen Medien dieser Zeit besondere Wichtigkeit zuerkannt.217 So sehr der SALT-II-Vertrag, wenn auch nicht zuletzt wegen des Ortes seiner Unterzeichnung, die Österreicher positiv beeindrucken mochte – er wurde aufgrund des Einmarsches in Afghanistan vom US-Kongress nicht ratifiziert,218 und zudem waren gerade die für Europa relevanten Mittel- und Kurzstreckenraketen darin nicht

213 Cerha, Birgit : Österreich ist der stumme Diener zweier Mächtiger, in : Salzburger Nachrichten, 15. Juni 1979. 214 Östereich erobert USA, in : Kronen Zeitung, 28. Oktober 1979, S. 3. 215 Gajdek, Joanna : Polnisch-österreichische Beziehungen in den 70er, 80er und 90er-Jahren im Spiegel der Presse der beiden Länder, Wien 1999 (Diplomarbeit), S. 12. 216 So eine empirische Untersuchung 1978, vgl. Kicker, Renate/Benedek, Wolfgang : Die außenpolitische Berichterstattung der Neuen Kronenzeitung. Eine empirische Untersuchung des Jahres 1978 (Grazer rechts- und staatswissenschaftliche Studien), Graz 1981. 217 Zitiert nach Signitzer, Benno : Die Rolle der Massenmedien in der Außenpolitik, in : Kicker, Renate/Khol, Andreas/Neuhold Hanspeter (Hg.) : Außenpolitik und Demokratie in Österreich. Strukturen – Strategien – Stellungnahmen. Ein Handbuch, Salzburg 1983, S. 171–201, hier S. 189. 218 Moskau und Washington hielten sich freilich dennoch an die Vereinbarung.

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berücksichtigt. Im Gegenteil : die Strategie der Westmächte, die Sowjetunion Ende 1979 durch den sogenannten NATO-Doppelbeschluss unter Druck zu setzen, war durch den Einmarsch am 24. Dezember gescheitert. Der daraus resultierende Temperatursturz in den west-östlichen Beziehungen verhinderte jede Annäherung in der Rüstungsfrage. So wurden 1983 tatsächlich die ersten Pershing-II-Raketen in Italien und der BRD stationiert, während die sowjetischen SS-20 östlich des Eisernen Vorhangs drohten. Während dieser vier Jahre dominierte die Rüstungsfrage die außen- und sicherheitspolitischen Debatten in Europa und natürlich auch in Österreich, das im Zentrum des potenziellen Zielgebietes dieser Massenvernichtungswaffen lag. In den Printmedien war die (Ab-)Rüstungsdebatte bereits seit Anfang der 1970er-Jahre ein immer wiederkehrendes Element der außenpolitischen Berichterstattung. Titel wie »Die Waffenarsenale der Weltmächte : Tod für Millionen«,219 »Kommt der Atomkrieg ? Fünf Minuten vor zwölf«220 oder »Die kranken Wunderwaffen«221 geben den Geist der Hochrüstungsdekade wieder. Aufgrund der emotionalen Aufladung des Bedrohungspotenzials schaffte es das Thema nicht nur in die Qualitätszeitungen, sondern auch regelmäßig in die Kronen Zeitung, allerdings vor allem dann, wenn etwa ein Verhandlungsabschnitt zu scheitern drohte. So etwa erschien zwischen 21. Februar und 28. März 1981 die Serie »Die Superwaffen der Sowjets« von Leonid Gogorow, einem »Experten ersten Ranges, der sich in den Westen abgesetzt hat. Er lüftet in mehreren Artikeln exklusiv für die Leser der Kronen Zeitung den Schleier der sowjetischen Rüstungsgeheimnisse«. Die Beiträge nährten die Angst vor der martialischen Überlegenheit der Sowjetunion – »Der Westen fällt von Jahr zu Jahr 219 Maurer, Gerhard : Die Waffenarsenale der Weltmächte. Tod für Millionen (Serie 10.–31. März 1979), in : Oberösterreichische Nachrichten, Magazin, 10. März 1979, S. 1 f.; Oberösterreichische Nachrichten, Magazin, 17. März 1979, S. 4 ; Oberösterreichische Nachrichten, Magazin, 24. März 1979, S. 4 ; Oberösterreichische Nachrichten, Magazin, 31. März 1979, S. 3. 220 Serie »Kommt der Atomkrieg ? Fünf Minuten vor zwölf«von Peter Pelinka in der Arbeiter-Zeitung, 19.–25. Oktober 1983 : Pelinka, Peter : Hiroshima hat nicht gereicht, in : Arbeiter-Zeitung, 19. Oktober 1983, S. 5 ; Pelinka, Peter : Der programmierte Holocaust, in : Arbeiter-Zeitung, 20. Oktober 1983, S. 4 ; Pelinka, Peter : Der fünfundzwanzigfache Overkill, in : Arbeiter-Zeitung, 21. Oktober 1983, S. 5 ; Pelinka, Peter : Waffen der »Nachrüstung« : Pershing, Cruise Missile, in : Arbeiter-Zeitung, 22. Oktober 1983, S. 4 ; Pelinka, Peter : Der Atomkrieg als Panne, in : Arbeiter-Zeitung, 24. Oktober 1983, S. 4 ; Pelinka, Peter : Die ganze Welt wird Karthago, in : Arbeiter-Zeitung, 25. Oktober 1983, S. 4. Erweitert um folgende parallele Beiträge : Pelinka, Peter : »Neue Raketen bewirken nur andere auf der anderen Seite«. Interview mit Bruno Kreisky, in: Arbeiter-Zeitung, 22. Oktober 1983, S. 5 ; Pelinka, Peter : »Einäugige« mit Weitblick. Hunderttausend Teilnehmer bei Friedenskundgebung am Rathausplatz, in : Arbeiter-Zeitung, 24. Oktober 1983, S. 3. 221 Die kranken Wunderwaffen. Eine aktuelle Kurier-Serie (14.–16. Oktober 1983) : Warum jede zweite Atomrakete versagt, in : Kurier, 14. Oktober 1983, S. 5 ; »Superkanone, die immer danebenschießt«, in : Kurier, 15. Oktober 1983, S. 5 ; Moskaus Dampfwalze läuft mit Schnaps, in : Kurier, 16. Oktober 1983, S. 7.

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zurück« – und Einzeltitel wie »Angriff aus dem Hinterhalt«, »Der Atomdolch« oder »Der lautlose Tod. Moskaus geheime Giftgas- und Bakterienwaffen« malten hinterlistige Vernichtungspläne Moskaus aus. In den Schnittarchiven zu österreichischen Medien wie etwa dem Globus-Archiv, dem Trend/Profil-Archiv oder dem Archiv Viktor Matejkas sind die Ordner mit den Schlagworten »Rüstung«, »Raketen«, »Atomwaffen« etc. unter den umfangreichsten. Zwischen November 1979 und November 1983 verfolgte die österreichische Presse aufmerksam die internationalen Rüstungsverhandlungen und die parallelen Abrüstungsversuche im Zusammenhang mit SALT II, den KSZE-Nachfolgekonferenzen und natürlich dem NATO-Doppelbeschluss. Vor allem die SALT-IIVerhandlungen waren allen österreichischen Zeitungen regelmäßig ausführliche Berichterstattung wert – die Frage der Rüstung war eines der schwerwiegendsten Probleme der Weltpolitik und bedrohte alle Leser in gleicher Weise existenziell. Die bereits mehrfach zitierte Studie über Außenpolitik und Öffentlichkeit zu Anfang der 1980er-Jahre kommt zu dem Schluss, dass die Österreicher – wie wohl die meisten Gesellschaften – außenpolitisches Interesse vor allem dann entwickelten, wenn sie sich selbst betroffen wähnten. Ein solches Betroffenheitsgefühl war nur in wenigen außenpolitischen Themen nachzuweisen, darunter vor allem »die Sicherheit des Staates und damit auch des einzelnen«. Die geäußerte Meinung über Abrüstungsfragen macht dies deutlich. 49 % sprachen sich für Österreichs internationalen Einsatz für Rüstungsbegrenzung und Abrüstung aus.222 Da also ein Informations- und Meinungsbedürfnis bestand, schien es wichtig, zunächst Dokumentation – »Was ist SALT II« – und Analysen zu diesem Thema zu verbreiten. Presse-Redakteur Peter Martos schrieb in einem Kommentar zu den SALT-II-Verhandlungen in Genf, diese seien »zum hochpolitischen – und ausschließlich politischen – Problem geworden. […] SALT II wird eher durch die Abkühlung der Beziehungen verzögert denn durch offene Fragen. Deren gibt es wenig im Bereich der strategischen Rüstungsbegrenzung«. Und er schloss : »SALT II ist eine Bremse, die für einen Stopp zu wenig zieht.«223 Unmittelbar vor dem NATO-Doppelbeschluss gab Außenpolitik-Experte Engelbert Washietl eine Prognose ab, die wenige Tage darauf widerlegt werden sollte : »Worauf die Sowjets setzen können, liegt auf der Hand : In den drei bis vier Jahren, die bis zur Stationierung der ersten jener NATORaketen, um die es jetzt geht, verstreichen werden, kann durch Zermürbungstaktik noch alles gewonnen werden, woran sich die erste sowjetische Propagandaoffensive zunächst festgelaufen hat.«224 222 Kicker/Khol/Neuhold: Außenpolitik und Demokratie, S. 418–120. Auf der Negativskala schlug das gleiche Phänomen in der Ablehnung der polnischen Flüchtlinge aus. 223 Martos, Peter : SALT II, in : Die Presse, 15. Juni 1978, S. 2. 224 Washietl, Engelbert : Kommentar, in : Die Presse, 21. November 1979, S. 1.

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Selbstverständlich standen der Rüstungswettlauf und die Bemühungen zu seiner Einbremsung auch immer wieder im Mittelpunkt der Berichterstattung des ORF. Beispielhaft sei hier die über Österreichs Grenzen hinaus beachtete Fernsehdokumentation »Friede durch Angst« von Hugo Portisch aus dem Jahr 1969 genannt, die schon 1970 in Buchform unter dem Titel »Friede durch Angst. Augenzeuge in den Arsenalen des Atomkriegs« erschien. Über weite Teile der 1970er-Jahre pflegte der ORF angesichts der vielversprechenden Entspannungspolitik meist einen optimistischen Ton, allerdings ist darauf hinzuweisen, dass andere außenpolitische Themen wie die Nahost- oder zeitweise auch die Südtirol-Frage den europäischen Kalten Krieg und selbst das Wettrüsten von den Titelseiten verdrängten. Dies änderte sich durch die Ereignisse zwischen der erfolglosen Berlin-Reise des sowjetischen Außenministers Gromyko im Oktober 1979 und der neuerlichen Eskalation des Kalten – bzw. in Afghanistan heißen – Krieges grundlegend. Als im Oktober 1983 der amerikanische Spielfilm »War Games«, in dem ein jugendlicher Computer-Hacker fast einen Atomkrieg auslöst, in die österreichischen Kinos kam, war die hiesige Öffentlichkeit, an der die Atomic Culture der USA ja weitgehend vorübergegangen war, längst bereit für diesen Nervenkitzel. Die Angst vor einem europäischen Atomkrieg und die Wut über die als zynisch und verantwortungslos angesehene Haltung der USA und der europäischen NATORegierungen standen Paten bei der Entstehung einer neuen politischen Bewegung jenseits der traditionellen Parteien in Deutschland und Österreich ab Ende der 1970er-Jahre. Ähnlich wie schon früher in anderen europäischen Ländern225 und in naher Beziehung mit Gruppen in der BRD entwickelte sich in diesem Zusammenhang auch in Österreich rasch eine neue Friedensbewegung, die erstmals mit dem »Langen Marsch für den Frieden« am 27. Juni 1981 an die Öffentlichkeit trat. Damals erreichten die Organisatoren – bestehend aus Atomkraftgegnern, christlichen und linken Friedensgruppen und der beginnenden Grün-Bewegung – noch relativ wenige Menschen. Ca. 5 000 Personen226 zogen vom Wiener Westbahnhof über den Heldenplatz und den Stephansplatz, wo sie sich in einem simulierten Atomangriff unter Sirenengeheul zu Boden legten, in den Prater. Im Oktober desselben Jahres gab es bereits erfolgreichere Veranstaltungen : das »Seminar für die Abrüstung und für den Frieden«, an dem der ehemalige Arbeiter-Zeitung-Chefredakteur Paul Blau teilnahm ; und das Fest »Künstler gegen den Krieg«, das nach dem Vorbild ähnlicher

225 Man denke an die britischen und deutschen Ostermärsche der späten 1950er-Jahre und in den 1960erJahren auch in Österreich. 226 So die Schätzung der Veranstalter, siehe die Webseite des Protagonisten Andreas Maislinger http ://www. maislinger.net/ufi.htm (online am 19. April 2009). Ein kurzer Zeit im Bild-Bericht am 27. Juni 1981, der der Demonstration keine hohe Bedeutung einräumte, sprach von 1 900 Teilnehmern. Vgl. Kassette Z-IX 89.949/1/0.

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Veranstaltungen in Deutschland organisiert wurde und als dessen Höhepunkt die politische Rockgruppe »Die Schmetterlinge« im großen Hörsaal der Technischen Universität auftrat. Ihre stark US-kritische Ausrichtung positionierte die Friedensbewegung in einem delikaten Feld der Ost-West-Debatte. Der Friedensbegriff stellte seit Jahrzehnten ein klassisches Propagandawort des kommunistischen außenpolitischen Ideologiediskurses dar, und die jeweiligen KPs waren in die Konstituierungsphase der Friedensbewegungen in Westeuropa involviert. In Deutschland zeigte der sogenannte Krefelder Appell vom 16. November 1980 durch den Einfluss von DKP-nahen Gruppen, insbesondere der Deutschen Friedensunion, diese Verbindung. Er wurde in der Folge von mehr als vier Millionen Menschen unterzeichnet und brachte die Großparteien unter Zugzwang, vor allem die Regierungspartei SPD, welche der Pershing-Stationierung zugestimmt hatte.227 In Österreich emanzipierte sich das »Friedensmarschkomitee 81« von der dominanten Rolle der KPÖ durch die Gründung der Arbeitsgemeinschaft Unabhängiger Friedensinitiativen im April 1982. Am 15. Mai 1982 zählten die Veranstalter bei einer großen Demonstration, zu der mit dem Slogan »Den Atomkrieg verhindern ! Abrüsten !« aufgerufen worden war, bereits 70 000 Teilnehmer, im Oktober 1983 100 000.228 Von den meisten Medien und in der breiteren Öffentlichkeit wurde die Bewegung als »links« eingestuft, und immer wieder unterstellte man ihr Nähe zur KPÖ oder im Extremfall auch marxistische Agententätigkeit. Aufmerksamkeit erregte eine parlamentarische Anfrage des ÖVP-Abgeordneten und VOEST-Betriebsrats Anton Wimmersberger im März 1985. Wie zahlreiche Medien in der Folge ausführlich berichteten, warf Wimmersberger einer Gruppe um Alexander Van der Bellen vor, im Rahmen eines Forschungsprojektes zur Umstrukturierung der österreichischen Rüstungsindustrie auf Zivilgütererzeugung mit Moskau zusammenzuarbeiten. Die Materialsammlung des Abgeordneten, die er dem profil-Journalisten Hubertus Czernin übergab, hieß »Friedensbewegung in Österreich im Spannungsfeld marxistischer und machtpolitischer Interessen« und wurde von Czernin als »Machwerk recht extremer Art« in Verteidigung von Rüstungsinteressen bezeichnet.229 Eine ironische Gegendokumentation wurde von einer »Gruppe, die aus der Kälte kam (-007°)« herausgegeben, die als Adresse jene der sowjetischen Botschaft angab. Darin hieß es zusammenfassend : »Der Inhalt in Kurzfassung : Minister Fischer und sein Sekretär 227 Vgl. Strässer, Christoph : Der Krefelder Appell, in : Pestalozzi, Hans Anton (Hg.) : Frieden in Deutschland. Die Friedensbewegung, wie sie wurde, was sie ist, was sie werden kann, München 1982, S. 87–92. 228 Maislinger, Andreas : Friedensbewegung in einem neutralen Land. Zur neuen Friedensbewegung in Österreich, in : Steinweg, Reiner (Hg.) : Medienmacht im Nord-Süd-Konflikt. Die neue internationale Informationsordnung (Friedensanalysen 18), Frankfurt am Main 1984, S. 392–415, hier S. 392. 229 Czernin, Hubertus : Du kleiner Spion, du. Wissenschaftsminister Heinz Fischer und der Sozialwissenschaftler Peter Pilz stehen im Visier der Rüstungslobbyisten, in : profil, 24. Juni 1985, S. 19–21.

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Bruno Aigner stützen die Friedensbewegung für ihre ›marxistischen Zielsetzungen‹ und Peter Pilz baut ein Agentennetz auf. Dahinter steckt eine Stadt namens Moskau.«230 Die Mehrheit der Bevölkerung stand zwar nicht den Zielen, aber der aktivistischen Praxis der Friedensbewegung skeptisch gegenüber. Die mehrfach zitierte Studie aus dem Jahr 1983 stellte fest, dass zahlreiche Österreicher jede Art der dezidierten Äußerung in internationalen Belangen ablehnten : »Vor dem Hintergrund der Friedensbewegung war der Anteil [einer] ›biedermeierlichen‹ Grundeinstellung«, man solle sich nicht durch »auch bloß verbales Vorgehen den Mund oder die Finger verbrennen, mit 22 % bemerkenswert hoch.« 29 % wussten auf diese Frage überhaupt keine Antwort. Nur knapp ein Prozent hielt Straßendemonstrationen für ein geeignetes Mittel zur außenpolitischen Mitbestimmung der Bevölkerung.231

Die Debatte um die österreichische Außenpolitik in den 1970erund 1980er-Jahren Bereits Mitte der 1970er-Jahre galt die Sorge der außenpolitischen Kommentatoren der Ausrichtung der Ballhausplatz-Diplomatie. Diese wurde als zu wenig ausgewogen betrachtet, man attestierte ihr eine Ost-Drift. Der liberal-konservative Journalist Hubert Feichtlbauer, später Chefredakteur der Furche, schrieb im September 1976 im Kurier den Kommentar »Hetzjagd auf Staatskosten. Österreichs Besuchsdiplomatie gerät beinahe außer Rand und Band«. Er kritisierte darin, dass die zahlreichen Osteuropa-Besuche von Regierungsmitgliedern »die heikle Ost-West-Balance« gefährdeten und zudem keine Ergebnisse brächten : »Hand aufs reisefrohe Herz : Was kann ein österreichischer Justizminister sich von der Rechtsprechung eines kommunistischen Staates abschauen ?« Kreisky hingegen gehe noch weiter und unterlaufe die offiziellen Kontakte durch Eigeninitiativen : »Aber Kreisky macht ja nicht nur Staats-, sondern noch viel lieber auch Partei- und Privatbesuche. Und wenn selbst Diplomaten bisweilen des übertriebenen Besuchsprotokolls müde werden – noch viel gefährlicher kann da das protokollose Plauderstündchen in der Jagdhütte oder im Seerestaurant werden – besonders bei Plauderern aus Leidenschaft. Schon beim offiziellen Besuch des ungarischen Ministerpräsidenten Lázár in Österreich erstarrten Außen- und Handelsminister vor Schreck, als Kreisky völlig ungeplant das Wort von einer Zollfreizone fallen ließ, an das die Ungarn jetzt pausenlos erinnern. […] Was redet der Kanzler erst, wenn kei230 Die Gruppe, die aus der Kälte kam (-007°) : Schreckgespenst Spionage. Die Wimmersberger-Papers, Wien 1985, S. 5. 231 Neuhold: Österreichs Außenpolitik, S. 309 f.

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ner zuhört ? Niemand weiß, was er mit Präsident Tito um die Jahreswende 1975/76 wirklich besprochen hat. Man merkt heute nur, dass die Jugoslawen es anscheinend anders auslegen als die Österreicher. Dieser Tage war Kreisky zu Vier-Augen-Gesprächen in Ungarn und in Polen. Österreichs Diplomatie hat einige Alpträume mehr.«232 Kreiskys Pressesprecher Johannes Kunz reagierte darauf in einem Leserbrief, die Reisen nach Ungarn und Polen seien keine Privatreisen, sondern »übliche VierAugen-Gespräche« gewesen ; ferner wünsche Kreisky keinen österreichischen Alleingang bezüglich einer Freihandelsregelung mit Oststaaten.233 Anfang November stellte sich Außenminister Pahr in einer Diskussionsmatinee zum Thema »Wer macht die Außenpolitik ?« den Nationalratsabgeordneten Franz Karasek (ÖVP) und Otto Scrinzi (FPÖ).234 Doch die Dementi der Regierung vermochten das Unbehagen nicht aus den Redaktionen zu vertreiben. Zentrales Medium der Kritik an Kreisky war Die Presse. Dort erschien Ende Oktober die dreiteilige Serie Engelbert Washietls »Österreichs Außenpolitik«.235 Im dritten Teil – »Über einen Staatsmann und seine Ambitionen« – wurden vor allem Kreiskys Alleingänge thematisiert, der zweite Teil befasste sich mit der mutmaßlichen »Ost-Drift« des neutralen Österreich : »Eben jetzt lässt der Bundesminister eine Statistik über Österreichs Besuchstätigkeit in Ost und West erarbeiten. Dass diese Aufstellung aber 21 Jahre nach dem Abschluss des Staatsvertrags überhaupt angefertigt werden muss, lässt ahnen, wie sehr die Besuchsdiplomatie aus dem Gleichgewicht geraten ist. Befindet sich Österreich in der vielbeschworenen ›Ostdrift‹ ? Ostpolitik gab es von Anfang an nicht nur im Sinne einer selbstverständlichen Nachbarschaftspolitik. Solange sich Österreich als souveräner und neutraler Staat versteht, wird es der Ost-West-Spannung ausgesetzt sein und deshalb alle seine außenpolitischen Bekundungen streng dosieren müssen.« Im Folgenden erklärte Washietl das Interesse der osteuropäischen Staaten am Besuchsaustausch mit dem neutralen Österreich durch die simple Tatsache, dass die Sowjetunion dies stets erlaubt habe. »Österreich ist das von Moskau sanktionierte Schlüsselloch in den Westen. Insofern sollten die kommunistischen Staaten eigent232 Feichtlbauer, Hubert : Hetzjagd auf Staatskosten. Österreichs Besuchsdiplomatie gerät beinahe außer Rand und Band, in : Kurier, 26. September 1976. 233 Kunz, Johannes : Zu des Bundeskanzlers halboffiziellen Reisen. Leserbrief, in : Kurier, 24. Oktober 1976. 234 »Wer macht die Außenpolitik ?«, in : Wiener Zeitung, 14. November 1976. 235 Washietl, Engelbert : Metternichs Geist oder modernes Management ? Außenministerium günstig abzugeben, Anfr. Unt. ›historisch‹ an Ballhausplatz 2, in : Die Presse, 21. Oktober 1976 ; Washietl, Engelbert : Neutraler Staat in östlicher Drift ? Diplomaten und auch Superdiplomaten : Der Ost-West-Spannung entkommt keiner, in : Die Presse, 22. Oktober 1976, S. 1 ; Washietl, Engelbert : Der Bundeskanzler koordiniert, in : Kreiskys Zylinder die ganze Welt ? Über einen Staatsmann und seine Ambitionen, in : Die Presse, 27. Oktober 1976.

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lich keine Absicht haben, den neutralen Kleinstaat allzu sehr in ihren Bereich hinüberzuziehen, denn dann würde das Schlüsselloch blind.« Die Tendenz zu einer solchen Blindheit wurde Kreisky zugeschrieben, für dessen »Tätigkeit eines Handlungsreisenden« andererseits Verständnis bestand – »er will verkaufen : Österreichs Waren an den Ostblock und seinen Wählern seine Erfolge«. Um im Ringen um »Ansehen, Einfluss […] und harte Währungen« zu bestehen, müsse Österreich eine kontinuierlich ruhige Linie verfolgen. »Und gerade daran mangelte es in der letzten Zeit : Ausländische Beobachter wussten nicht mehr, wie sie das hektische Getriebe deuten sollten, heimische Diplomaten fürchteten, die Aktivität nicht mehr überschauen zu können. Damit ist aber beinahe eine Aufgabe verraten worden, die Kirchschläger während seiner Zeit als Außenminister so formulierte : Österreich muss für die anderen Staaten überschaubar, kalkulierbar bleiben.«236 Zwischen dem zweiten und dritten Teil von Washietls Serie platzierte Chefredakteur Otto Schulmeister einen ausführlichen Leitartikel über »Österreich und seine Außenpolitik«. Eingangs schlug Schulmeister in die Kerbe der Kreisky-Dominanz : »Hat Österreich eine Außenpolitik oder wird sie nur administriert, von den Kanzlereinfällen abgesehen ?« Dann bezweifelte der konservative »Doyen des österreichischen Journalismus« die Erklärung des Außenministers, Österreichs Neutralität schließe jeden Neutralismus aus. Denn : »Wie reimt sich das mit dem gelegentlich immer wieder zu hörenden Verdacht, Österreich, das sich zur westlichen Demokratie bekennt, sei tatsächlich längst in eine ›Ostdrift‹ geraten ?« Daran schloss sich Schulmeisters umfassende Analyse der Außenpolitik an, die als Paradebeispiel für das Weltbild des konservativen österreichischen Qualitätsjournalismus dieser Zeit betrachtet werden kann. »Österreichs Freiheit und Neutralität wurden dem Kalten Krieg abgerungen, die unausgesprochene Voraussetzung aber, sie zu behaupten, blieb das Kräftegleichgewicht, die amerikanisch-europäische Rückendeckung. Kam dazu einmal gar das Hochgehen des Eisernen Vorhanges, konnte diese Investition für die Ost-West-Entspannung erst fruchtbar werden. […] Österreich hat in den beiden Jahrzehnten erstaunlich instinktsicher reagiert, was freilich zugleich sagt, dass da keine große geistige Anstrengung am Werke war. Man hat sich arrangiert, ein immer schwächer werdendes Bewusstsein, auch dieser Republik sei nichts geschenkt, Erlebnisse wie 1956 und 1968 haben da und dort korrigierend eingegriffen. Doch heute, was ist noch außenpolitisches Bewußtsein ? Was ist moralische, nein, kämpferische Deckung der Neutralität ? […] Man hat abgeschaltet, unser Landsmann hört ja auch, Außen- oder Sozialpolitik seien die beste Verteidigung, für diese Republik den Kopf hinzuhalten wohl niemandem zuzumuten, alles nur die 236 Washietl, Engelbert : Neutraler Staat in östlicher Drift ? Diplomaten und auch Superdiplomaten : Der Ost-West-Spannung entkommt keiner, in : Die Presse, 22. Oktober 1976.

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Kunst, nirgends dabei zu sein und dergleichen mehr. ›Insel der Seligen‹ – das ist ein Trugbild oder Produkt der Impotenz. […] Wer in diesem Spätherbst 1976 über seinen Schrebergarten hinausblickt, weiß es ja : Alles ist im Wandel, schneller als sonst. Für den Österreicher heißt das, sich die Außenpolitik – und wäre es nur mit dem Kopf – wieder etwas kosten zu lassen, für die Politiker und Diplomaten, im Land sich jene öffentliche Meinung zu verschaffen, die allein ihre Stärke ist, für uns alle, sich zu vergewissern, was Freiheit und Neutralität – ohne Phrase – heute in sich einschließen. Sonst beißen den Letzten, wieder einmal, die Hunde. Und ›selig’ ist dann gewiss niemand mehr.«237

Otto Schulmeister kam über drei Jahrzehnte eine zentrale Rolle in der Qualitätspresse Österreichs zu. Er galt allenthalben als publizistische Leitfigur, deren Diskurs wirkungsmächtig und weit über die Auflagenreichweite der Presse hinaus die öffentliche Meinung beeinflusste. In seiner medienhistorischen Beurteilung ist Schulmeister allerdings nicht unumstritten. Aufgrund seiner NSDAP-Mitgliedschaft und Tätigkeit nicht nur für NS-Zeitungen, sondern auch für die Wehrmachtspropaganda in Russland konnte Schulmeister zunächst nicht als Journalist arbeiten. In profil stand 2009 zu lesen : »Als Kriegsberichterstatter am Balkan hatte Schulmeister noch im Jahr 1944 im Belgrader Donaukurier Parolen für den Endsieg ausgegeben. Übrigens im Verein mit der späteren, stellvertretenden Presse-Chefredakteurin Ilse Leitenberger.«238 1946 wurde er jedoch vom damaligen Presse-Chef Ernst Molden als außenpolitischer Redakteur zur Presse geholt. Der Historiker und Experte für Geheimdienste in Österreich, Siegfried Beer, der bereits Fritz Molden als bezahlten Agenten zu enttarnen versucht hatte239, deckte im April 2009 CIA-Konakte Otto Schulmeisters in einem Beitrag der Journalistin Christa Zöchling in profil auf und versetzte damit die österreichische Medienlandschaft in Aufregung.240 Seit 1949 hatte Beer zufolge ein CIA-Akt über Schulmeister bestanden. Er wurde seit 1950 als »hochrangige Quelle« geführt, sodass seine Ernennung zum stellvertretenden Chefredakteur 1953 für den US-Geheimdienst »sehr zufriedenstellend« gewesen sei. Als Schulmeister nach dem Verkauf der Presse 1961 237 Schulmeister, Otto : Österreich und seine Außenpolitik, in : Die Presse, 23. Oktober 1976, S. 1 f. 238 Zöchling, Christa : Ex-»Presse«-Chef im Dienste der CIA : Otto Schulmeister agierte für den Geheimdienst, in : profil, 18. April 2009, vgl. http ://www.profil.at/articles/0916/560/239634/ex-presse-chef-dienste-cia-otto-schulmeister-geheimdienst (online am 4. November 2009). Zu Schulmeisters publizistischem Wirken vor 1945 vgl. Hausjell, Fritz : Tangenten. Otto Schulmeister 70. Materialien zur Vergangenheit, in : Medien & Zeit 1–2/1 (1986), S. 75–79. 239 Zu dieser Kontroverse vgl. Molden, Fritz : Ganz besondere Niedertracht. Widerständler, kein US-Agent, in : Die Presse, 28. November 1998, und Beer, Siegfried : Laßt die Dokumente sprechen … Replik auf Fritz Molden, in : Context XXI 3/1999, vgl. http ://www.contextxxi.at/context/content/view/77/28/ (online am 31. Oktober 2009). 240 Für einen Überblick vgl. den Medienspiegel auf http ://www.acipss.org/ (online am 23. Juni 2009).

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Fritz Moldens Nachfolger als Chefredakteur wurde, wurde der Kontakt Beers Akten zufolge auf ein operatives Niveau gehoben. Der enthüllende profil-Artikel zeichnet nach, wie Schulmeister die Linie der Presse im Einvernehmen mit der CIA gestaltete – was ihm angesichts seiner politischen Einstellung jedoch nicht schwerer gefallen sein dürfte, als Kollegen wie Alfons Dalma in den Kontakt mit dem Geheimdienst einzubeziehen.241 Das Flaggschiff der unabhängigen Presse Österreichs war nicht antikommunistisch und proamerikanisch, weil der Chefredakteur vom US-Geheimdienst dafür bezahlt worden wäre, sondern weil dies der politischen Einstellung der meisten liberal-konservativen – und auch der mitte-links angesiedelten – Journalisten der Zeit entsprach. 1976, als der oben zitierte Leitartikel erschien, war Schulmeister den von Beer veröffentlichten Unterlagen zufolge bereits drei Jahre lang unzugänglich für die CIA. Das änderte aber nichts an der Blattlinie, auch nicht, als Schulmeister im selben Jahr Herausgeber wurde und ihm Thomas Chorherr als Chefredakteur nachfolgte.

Der Streit um die gemeinsame Außenpolitik Die besondere Position Österreichs im Ost-West-Verhältnis hatte es ermöglicht, dass auch zu Zeiten der SPÖ-Alleinregierung die Außenpolitik im Einverständnis mit der oppositionellen ÖVP gestaltet wurde. Hier wirkten der »Geist der Lagerstraße« und der Pragmatismus der Staatsvertragsverhandlungen nach : Man durfte sich nicht durch die Konfrontation zwischen dem linken und rechten Lager, die Österreich in der Zwischenkriegszeit teuer zu stehen gekommen war, in sicherheitspolitische Schwierigkeiten bringen. Nicht erst aus den »Polarka«-Akten war bekannt, dass eine politische Krise in Österreich seitens der Sowjetunion als Interventionsvorwand benutzt werden könnte. Diese Übereinkunft kam gegen Ende der 1970er-Jahre ins Wanken, was von der Opposition und zahlreichen Medien problematisiert und in der Bevölkerung mit Besorgnis wahrgenommen wurde.242 Für die ÖVP bestritten die Außenpolitiker Alois Mock und Andreas Khol die meisten Angriffe auf die SPÖ und erhielten dafür Raum in unabhängigen Zeitungen. Anfang 1977 kritisierte Khol in der Wochenpresse Kreiskys aktionistische Außen-»Politik der linken Hand«, die vor allem aus sicherheitspolitischer Sicht problematisch sei.

241 Zöchling, Christa : Ex-»Presse«-Chef im Dienste der CIA : Otto Schulmeister agierte für den Geheimdienst, in : profil, 18. April 2009, vgl. http ://www.profil.at/articles/0916/560/239634/ex-presse-chef-dienste-cia-otto-schulmeister-geheimdienst (online am 4. November 2009). 242 Eine Fessel-Umfrage, freilich im Auftrag der ÖVP erstellt, ergab 1980, dass 69 % der Österreicher sich für eine gemeinsame Außenpolitik der Großparteien aussprachen. 69 % für SP-VP-Außenpolitik, in : Die Presse, 3. April 1980, S. 4.

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Er fragte nach Kreiskys Linie im KSZE-Prozess : »Auf der Sicherheitskonferenz in Genf und Helsinki spielte Österreich 1973 und 1974, hinter den Kulissen, eine wichtige und allgemein bedankte Rolle : als Wortführer der Neutralen vermittelten unsere Diplomaten zwischen den Blöcken, zwischen Ost und West, und trugen wesentlich zum Erfolg der Konferenz bei. Die nächste Etappe in diesem Prozeß steht an : die Vorbereitungskonferenz von Belgrad in diesem Sommer. Da lanciert der Bundeskanzler die Idee, der Westen möge sich doch vor dieser Konferenz gemeinsam absprechen, was dort zu tun sei. Reaktion in Ost und West : Was wollen die Österreicher ?«243 Im März 1978 meldete sich der ehemalige ÖVP-Minister und Vizekanzler Fritz Bock, nunmehr Aufsichtsratspräsident der Creditanstalt, mit einem Kommentar in den Salzburger Nachrichten zu Wort. Darin kreidete er der SPÖ mangelnde Vorsicht in der aktiven Neutralitätspolitik an und empfahl, in der UNO immer nur mit Enthaltung zu stimmen, da alles andere eine fragwürdige Parteinahme bedeute. Er erinnerte an 1938, als »Österreich untergegangen ist, weil es von allen verlassen war.[…] Die österreichische Außenpolitik sollte sich – nicht nur wegen der Neutralität ! – ausschließlich auf die Gewinnung von Freunden ausrichten«.244 Interessant ist in diesem Zusammenhang die Stellungnahme eines anderen »Partei-Bankers«, des sozialdemokratischen Generaldirektors der Nationalbank, Heinz Kienzl. Obwohl sein Beitrag vier Jahre später kam, zeigt er retrospektiv, dass sich die Debatte nicht wesentlich verändert hatte. Kienzl beantwortete seine im Titel gestellte Frage »Gibt es eine sozialistische Außenpolitik ?« wie folgt : »Kreiskys Außenpolitik richtet sich nach Realitäten und nicht nach ideologisch-internationalen Grundsätzen« – was der Autor am Beispiel der Beziehungen zu Israel und den Vereinigten Staaten belegt.245 Nicht nur erinnerte Kienzls Frage an jene, die der Außenpolitik-Chef der Presse 1978 gestellt hatte : »Wie sozialistisch ist Österreichs Außenpolitik ?«246 Auch die rabiate Antwort von Andreas Khol auf Kienzls Gastkommentar macht deutlich, dass sich die Verstimmung über die österreichische diplomatische Ausrichtung weiter verschärft hatte. Kienzl, so Khol, rede einer »völlig opportunistischen, amoralischen Außenpolitik das Wort.« Doch Kreiskys Außenpolitik sei in Wahrheit »sicherlich eine ideologisch gegründete, der sozialistischen internationalen Politik verpflichtete« gewesen. »Der Antiamerikanismus, dem sich die derzeitige Regierung verschreibt, ist nicht durch die Interessen der österreichischen Außenpolitik legitimiert, sondern er entspricht einem ideologischen Konzept dieser Regierung, einem sozialistischen

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Khol, Andreas : Nobles Spielfeld, in : Wochenpresse, 9. Februar 1977. Bock, Fritz : Außenpolitik im Schussfeld. Kommentar, in : Salzburger Nachrichten, 25. März 1978. Kienzl, Heinz : Gibt es eine sozialistische Außenpolitik ?, in : Die Presse, 30. April 1982, S. 2. Washietl, Engelbert : Wie sozialistisch ist Österreichs Außenpolitik ? »Solidarität« als Triebfeder und Ziel internationaler Bewährung, in : Die Presse, 18./19. Februar 1978, S. 2.

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Konzept. Im Gegenteil : Die Sowjetunion wird dadurch eher verunsichert, weil diese Linie einen Schwenk in der österreichischen Politik bedeutet.«247 Gegenstand der Streitigkeiten, die über weite Strecken in den Medien ausgetragen wurde, waren neben Kreiskys Nahost-Initiativen vor allem sicherheitspolitische Überlegungen und die mitunter offen US-kritische Haltung der SPÖ. Alois Mock nahm dies, unterstützt von Andreas Unterberger in der Presse, immer wieder zum Anlass, den Kanzler einer »blockfreien« Politik und mangelnder Westanbindung zu zeihen. Aus Mock sprach dabei »ein weltanschaulich geprägter Grundsatzpolitiker und ideologisch ausgerichteter Außenpolitiker«, dessen »wertkonservative Haltung wiederholt zum Ausdruck« kam.248 Die innenpolitischen Querelen gelangten auch in die Boulevardpresse. Als die Beziehungen zwischen den USA und Österreich immer gespannter wurden, schrieb Kurt Seinitz in der Kronen Zeitung einen Kommentar über den Konflikt Kreisky–Reagan, in dem er den Verlust der »einst vielgerühmten gemeinsamen Außenpolitik der im Nationalrat vertretenen Parteien« bedauerte. »Diese gemeinsame außenpolitische Verantwortung der staatstragenden Parteien ist Anfang der 70er-Jahre verlorengegangen, und deshalb wird heute jede internationale Krise, sei es der Streit zwischen Israel und den Arabern, sei es der kalte Krieg zwischen der Sowjetunion und den USA, sei es Südafrika oder sei es Kuba und Nicaragua zum teils grotesken Streit zwischen der ÖVP und der SPÖ. Der Parteizank in der Außenpolitik hat Österreich bereits beträchtlichen Schaden zugefügt. Unser Ruf im Ausland leidet, und – was ganz gefährlich ist – die außenpolitische Uneinigkeit zwischen SPÖ und ÖVP erlaubt es ausländischen Mächten, sich bei uns einzumischen, wie es im Juni der Auftritt des Reagan-Sonderbotschafters Douglas in Wien zeigte und wie es sich im Dezember mit den kritischen Tönen aus Washington und dem ›Prawda‹-Artikel über Österreichs Neutralität fortsetzte.«249 Ende Mai 1982 war der US-Sonderbeauftragte für Flüchtlingsfragen Howard Douglas auf Einladung der ÖVP in Wien gewesen und hatte die österreichische Nahost-Politik und die Haltung gegenüber der Sowjetunion kritisiert. Die sowjetische Iswestija hatte darauf einen proösterreichischen Kommentar veröffentlicht, worauf die Kronen Zeitung schon damals reagierte : »Das hat uns gerade noch gefehlt : Wegen der vernichtenden Kritik, die in der Vorwoche ein Sonderabgesandter des US-Präsidenten Reagan bei einer ÖVP-Veranstaltung in Wien an Kreiskys österreichischer Außen- und Neutralitätspolitik geübt hatte, nimmt jetzt die Sowjetunion ganz offiziell Österreich ›in Schutz‹.« Die Iswestija habe sich mit »deutlicher Schadenfreude« eingemischt und Österreich »ein derart gutes Neutralitätszeugnis aus247 Khol, Andreas : Nicht die Kassa ist der Maßstab, in : Die Presse, 7. Mai 1982, S. 2. 248 Gehler : Außenpolitik, Bd. 2, S. 582. 249 Seinitz, Kurt : Thema des Tages, in : Kronen Zeitung, 27. Dezember 1982, S. 2. Tatsächlich handelte es sich, wie gleich deutlich wird, um einen Artikel in der Iswestija.

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[gestellt], dass nun vermutlich der Verdacht in Washington über eine ›Ostanfälligkeit‹ Österreichs nur noch weiter zunehmen wird«.250 USA-Korrespondent Georg Possanner räsonierte in der Presse : »Sind die USA schon österreichmüde ? Kaum Chancen für Kreisky-Einladung.« Nun müsse Sinowatz nach Amerika reisen, um die Wogen zu glätten.251 Die SPÖ verwehrte sich gegen diese Kritik. So schrieb die Arbeiter-Zeitung : »VP will Beziehungen zu USA stören.« Man griff den außenpolitischen Sprecher der ÖVP, Ludwig Steiner, als jenen an, der die gemeinsame Außenpolitik aufgekündigt habe, und zitierte den SPÖ-Zentralsekretär Fritz Marsch, der Antiamerikanismus-Vorwurf sei frei erfunden. Die Neutralität sei 1955 von den Sozialisten als aktiv definiert worden, während die ÖVP sich den Entwicklungen passiv ergeben hätte.252 Schon im März war in der Arbeiter-Zeitung zu lesen gewesen, dass Kreisky sich »gegen die VP-Denunziationen« Steiners wehren müsse. Dessen Aufenthalt in den USA habe der Intrige im State Department gegen den Bundeskanzler gedient.253 Diese Anschuldigung musste zwar später zurückgenommen werden254, doch die SPÖ blieb dabei, sich weder der ÖVP noch ausländischen Interventionen beugen zu wollen : »Unsere Neutralität legen wir aus«, wurde Außenminister Pahr im Kurier zitiert.255 Pikanterweise wurde er darin von der FPÖ unterstützt, deren mächtiger Ex-Obmann und ehemaliger Koalitionspartner Kreiskys, Friedrich Peter, im Nationalrat verkündete : »Wir halten an der Tradition fest, dem Ausland gegenüber mit einer Stimme zu reden. Es ist uns in der Seele zuwider, wenn die Kritik an Österreich von einem Gast in Österreich erhoben wird.« Peters radikal antiamerikanische Kritik richtete sich innenpolitisch vor allem gegen die ÖVP und ORF-Generalintendant Gerd Bacher, denen er vorwarf, die Regisseure der US-österreichischen Verstimmung zu sein.256 Wie wichtig der ÖVP bzw. bestimmten einflussreichen Personen in der Partei das Thema Außenpolitik war, wird an einem »Handbuch« deutlich, das die Kommunikationswissenschaftlerin Renate Kicker und der Völkerrechtler Hanspeter Neuhold 1983 gemeinsam mit Andreas Khol herausgaben, als der Streit um die nicht länger

Streit USA-UdSSR über Österreich, in : Kronen Zeitung, 4. Juni 1982, S. 4. Khol, Andreas : Nicht die Kassa ist der Maßstab, in : Die Presse, 7. Mai 1982, S. 2. VP will Beziehungen zu USA stören, in : Arbeiter-Zeitung, 3. Dezember 1982, S. 3. Kreisky gegen die VP-Denunziationen, in : Arbeiter-Zeitung, 17. März 1982, S. 1. Unterberger, Andreas : Pahr nimmt Vorwürfe gegen VP zurück. Aber weiterer Streit um Außenpolitik, in : Die Presse 19. März 1982, S. 1 f. 255 »Unsere Neutralität legen wir aus«. Pahr zum Verhältnis Österreichs zu Supermächten, in : Kurier, 5. Juni 1982, S. 3. 256 Unterberger, Andreas : Sorgenvolle außenpolitische Debatte. Streit über Verhältnis zu den USA, in : Die Presse, 17. Juni 1982, S. 4.

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gemeinsame Außenpolitik unter Kreisky eben seinen letzten Höhepunkt erreichte.257 Der Band tritt einerseits zwar wissenschaftlich auf und präsentierte tatsächlich einen ungekannten Reichtum empirischer Daten zum Zusammenhang von Außenpolitik und Öffentlichkeit.258 Andererseits schlugen die Herausgeber bereits einleitend einen normativen Ton an, der von einem großen Desiderat in diesem Verhältnis ausging, und die Autoren boten meist politikberatende Schlussfolgerungen an. Zwar verhehlt diese Darstellung nicht, dass die entscheidungselitäre Vorgangsweise keine SPÖ-Erfindung war, sondern eine ständige Tradition aller Regierungen und Staatsformen. Auffällig ist jedoch, dass der geballte Veränderungswille der ÖVP nach 13 Jahren auf der Oppositionsbank deklariert wurde. Damit hatte allerdings auch die in den 1970er-Jahren grundlegend veränderte Struktur der österreichischen Öffentlichkeit zu tun. Die Rolle der Presse in dieser Frage wurde, obwohl man allgemein über eine außenpolitische Abstinenz der Zeitungsberichterstattung lamentierte, von manchen ÖVP-Kommentatoren auch umgekehrt gesehen : »Die Presse leistet bisweilen mehr zur öffentlichen Meinungsbildung auf außenpolitischem Gebiet, als der einzelne Bürger wissensmäßig verkraften kann.«259

Österreichische Medien im Schussfeld sowjetischer Kritik In der ersten Hälfte der 1980er-Jahre herrschte allerdings nicht nur eine angespannte Stimmung zwischen Österreich und den USA, sondern – zumindest was die Rolle der Medien betrifft – auch zwischen Wien und Moskau. Noch immer kam es zu Reibereien und Beschwerden über die Berichterstattung im ORF und in österreichischen Zeitungen. Printmedien und Rundfunk entdeckten gerade zu dieser Zeit wieder ihr zwischenzeitlich zurückgegangenes Interesse an Osteuropa. Am 28. und 29. Oktober 1981 organisierte der ORF ein »Ost-West-Symposium« im ORF-Zentrum mit dem Thema »Stellenwert und Funktion der Presse und der audiovisuellen Medien in den Ost-West-Beziehungen«. Und am 1. Juni 1982 wurde ein eigenes »Osteuropabüro« unter Leitung Paul Lendvais eingerichtet, das aus der schon aus der frühen BacherZilk-Zusammenarbeit stammenden Osteuropa-Redaktion hervorging. Ein bekanntes Format dieser Jahre war das Oststudio. Chefreporterin des neuen Büros wurde Barbara Coudenhove-Kalergi, die schon einige Jahre für den ORF aus Osteuropa 257 Kreisky trat nach der Nationalratswahl im April 1983, die der SPÖ erstmals seit 1971 keine absolute Mehrheit brachte, zurück. 258 Kicker/Khol/Neuhold : Außenpolitik und Demokratie. Das Buch war das Ergebnis des Forschungsprojektes »Demokratische Partizipation an der Außenpolitik«. 259 Schambeck, Herbert : Die Macht von Parlament und Presse bei innen- und außenpolitischen Fragen – ein österreichischer Standpunkt, in : Neck, Rudolf/Wandruszka, Adam (Hg.) : Beiträge zur Zeitgeschichte. Festschrift Ludwig Jedlicka zum 60. Geburtstag, St. Pölten 1976, S. 397–408, hier S. 405.

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berichtet hatte. 1986 stieß Susanne Scholl zum Team, die sich als ORF-Reporterin unter anderem in Moskau zu einer zentralen Auslandskorrespondentin des ORF entwickeln sollte. Der Intendant des ersten Fernsehprogramms, Wolf In der Maur, verkündete, es bestehe »keine Absicht zur Äther-Aggression !«, vielmehr wurde die alte Wendung aus den 1960er-Jahren wieder aktiviert, der »ORF soll Ost-WestDrehscheibe werden«. Unter diesem Titel berichtete der Kurier ausführlich über die Neuentwicklung im ORF-Zentrum, wo man sich der Realität der kommunistischen Länder abseits der großen politischen Themen annähern wollte : »Nach ORF-internen und personalpolitischen Querelen hat die Arbeit begonnen und werden große Pläne gewälzt. Der Küniglberg und Lendvais Team wollen Österreich zu einer wichtigen Informationsdrehscheibe zwischen Ost und West machen. Die Devise für dieses Vorhaben lautet : ›In der Kritik sachlich, in der Kooperation mit den osteuropäischen Anstalten illusionslos‹ ! Weder die alten Platten der kalten Krieger noch ›Volksstimme‹-Leitartikel !« Der Kurier resümierte : »Das neue ›Ostbüro‹ des ORF wird von den kommunistischen Staaten sorgsam beäugt werden – und ist jedenfalls ein Politikum. Schon allein deswegen, weil Millionen Ungarn, Tschechoslowaken und Jugoslawen in ihren Heimatländern die ORF-Programme empfangen können.«260

Man versuchte über die Konzentration auf Kultur- und Gesellschaftsberichterstattung auch auf Konflikte zu reagieren, zu denen es in den vergangenen Jahren wiederholt gekommen war. Der ORF hatte im Oktober 1971 ein eigenes Moskauer Korrespondentenbüro unter Leitung Erhard Hutters gegründet. Hutter blieb mehrere Jahre in Moskau und heiratete eine sowjetische Staatsbürgerin, wurde allerdings im Oktober 1978 ausgewiesen. Als Grund galt seine kritische Berichterstattung. Zu dieser Zeit gingen die sowjetischen Behörden allerdings nicht nur mit österreichischen Journalisten streng um, sondern auch mit deutschen und anderen westeuropäischen Kollegen.261 Gleichzeitig gab es in der sowjetischen Presse österreichfeindliche Artikel, wie die Arbeiter-Zeitung berichtete : »Auch Österreich wird in der Presse der Sowjetunion verteufelt.« Dafür sei nicht zuletzt Ivan Bliznjuk verantwortlich, ein »österreichischer Staatsbürger russischer Abstammung«, der von Wien aus für die sowjetische Zeitung Stimme der Heimat seit Jahren Horrorgeschichten über den »Westen« verbreite. Konkret wurde auf einen Artikel in der Zeitung Vaterland Bezug genommen, in dem Bliznjuk die offizielle österreichische Gedenksitzung zum »Anschluss« am 13. März 1978 aufs Korn nahm : der NS-Terror sei in Österreich vergessen worden. Darauf schlug der Arbeiter-Zeitung-Autor zurück : »Die Völker 260 »Keine Absicht zur Äther-Aggression !« ORF soll Ost-West-Drehscheibe werden, in : Kurier, 5. Juli 1982. 261 Vgl. Verlorener Sohn, in : Der Spiegel, 21. Mai 1979, S. 120–124.

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Westdeutschlands und Österreichs antworten solchen Verleumdungen mit ihrer politischen Reife : in den gesamten, schon mehr als 30 Nachkriegsjahren wurde in die Parlamente der Bundesrepublik Deutschland und Österreichs nicht ein einziger Nazi gewählt, aber auch seit vielen Jahren nicht ein einziger Kommunist.«262 Zumindest die erstere Diagnose ist zweifelhaft. Freilich war diese Berichterstattung nicht der alleinige Tenor des sowjetischen Mediendiskurses über Österreich. Vielmehr wurde in österreichischen Zeitungen die jeweils vorherrschende Stimmung oft ohne Kontextualisierung und Relativierung – wie dies etwa am Ballhausplatz sehr wohl geschah – kommentiert. Als Beispiel dafür sei hier ein anlässlich des SALT-II-Gipfels in Wien ebenfalls in der Arbeiter-Zeitung erschienener Artikel zitiert. Der Titel : »Sowjet-Presse liegt in Wien-Euphorie«. Darin wurde aus der Prawda und Iswestija zitiert, »deren Autoren führende sowjetische Journalisten sind. Die übrige sowjetische Presse ist bekanntlich nach diesen beiden Tageszeitungen ausgerichtet. Inhalt und Ton der Artikel sind von einem seltenen Wohlwollen dem kleinen Österreich und seinem friedliebenden Volk gegenüber durchdrungen und zeugen von der Anerkennung der Verdienste Bundeskanzler Kreiskys, dank dessen politischer Klugheit Österreich sowohl mit den Ländern des Westens als auch mit jenen des Ostens gute Beziehungen aufrechterhält«.263 Zur gleichen Zeit vollzog sich eine recht aktive österreichisch-sowjetische Reisediplomatie, unter anderem im Dezember durch Außenminister Pahr, der in Moskau auch die Ausweisung Hutters ansprach. Engelbert Washietl gab dazu eine bissige »Hintergrund«-Analyse in der Presse ab : »Ein ebenso problemloser wie kurzer Besuch also ? Nicht unbedingt, wenn man in Betracht zieht, dass Moskau für seine derzeitige Schönwetterpolitik als Gegenleistung ein entsprechendes Rollenverhalten Österreichs erwartet. Der neutrale Musterschüler könnte – nach sowjetischer Ansicht – einen noch viel stärkeren Einfluss auf die Entwicklung der Entspannungspolitik nehmen, könnte sich tatkräftiger in Fragen der Abrüstung engagieren (zum Beispiel durch die Verurteilung der amerikanischen Neutronenbombe) und könnte in Presse und Rundfunk zeigen, was positiver Journalismus ist. Nicht umsonst ereignete sich der einzige ernst zu nehmende Zwischenfall auf dem Informationssektor. Die Ausweisung Hutters zeigte, dass die ›Verbesserung‹ der Berichterstattung über die Sowjetunion mit hohen Einsätzen herbeigeführt werden soll und sogar zeitweise Klimaverschlechterungen einkalkuliert werden. Parallel dazu arbeiten nämlich die sowjetischen Informationsapparate nachdrücklich an ihrer Aufgabe, ›auch die andere Seite‹, nämlich die Darstellung der Dinge aus dem sowjetischen Blickwinkel, ab und zu in österreichischen Organen zu zeigen. In der Politik dürften sich, auch wenn das 262 Petrov, Nikolai : Auch Österreich wird in der Presse der SU verteufelt, in : Arbeiter-Zeitung, 13. Jänner 1979, S. 3. 263 Petrov, Nikolai : Sowjet-Presse liegt in Wien-Euphorie, in : Arbeiter-Zeitung, 21. Juni 1979, S. 4.

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vielleicht nach außen hin nicht so deutlich erkennbar wird, ganz ähnliche Versuche gezielter, wenn auch völlig ›freundschaftlicher‹ Einflussnahme breitmachen.«264 Österreich protestierte also zwar gegen das sowjetische Vorgehen, ließ sich jedoch dadurch nicht von seiner Entspannungslinie abbringen. Das wiederum verstimmte die Kommentatoren in den österreichischen Medien dauerhaft. So findet sich der Name Hutters auch ein Jahr später noch in Berichten über einen neuerlichen Besuch Pahrs in Moskau, dessen Haupterfolg eine Vereinbarung über ein gemeinsames Polarhunderennen gewesen sei. Wolfgang Broer fragte im Kurier : »War Pahrs Besuch in Moskau sinnvoll ?«, und verneinte dies unter anderem mit dem Hinweis darauf, dass der Fall Hutter nur informell angeschnitten worden sei. Pahr wurde als Postbote Kreiskys dargestellt und die intensive und als einseitig empfundene Besuchsdiplomatie – Stichwort : Ostdrift – als gefährlich verworfen : »Was wollen wir denn tun, wenn wir wirklich einmal einen Großauftrag an Land ziehen wollen und müssen ? Rutscht dann Österreichs Diplomatenriege auf den Knien von Wien nach Moskau oder macht Staribacher dann einen Kopfstand im Kreml ?« Die Sowjetunion sei, so Broer, ein unsicherer Partner, auf den man nicht zu sehr bauen dürfe : »Österreich braucht sich auch von der Supermacht Sowjetunion nicht mit gezielten Unaufrichtigkeiten, getarnt in phrasenhafter Schmeichelei, abspeisen lassen : Da verspricht Gromyko seinem Gast Pahr etwa die ›volle Unterstützung‹ in Sachen UNO-City – aber einen Tag später enthält sich der sowjetische Vertreter bei der darüber entscheidenden Abstimmung in New York der Stimme. Selbstbewusst anstatt bittstellerisch, entschlossen anstatt übertrieben höflich – auch das ist eine Forderung an Österreichs Diplomatie, die man erheben darf. Oder soll Österreichs Außenpolitik wirklich überwiegend nur Tourismus auf Staatskosten sein, und sollen unsere Botschaften zu Schönwetter-Ämtern mit Polarhunden degenerieren ?«265 Kreisky nahm diese Kritik durchaus wahr und reagierte darauf, indem er sich wieder einmal Moskau gegenüber gegen die Angriffe auf den ORF, die im Jänner auch in der Iswestija und TASS fortgeführt wurden, verwehrte. Gegenstand der Angriffe war insbesondere das ORF-Ostbüro, wie in der Presse zu lesen war : »Die sich häufenden scharfen Attacken Moskaus gegen die Osteuropaberichterstattung des ORF beginnen die österreichisch-sowjetischen Beziehungen zu belasten. Nachdem die Moskauer Regierungszeitung ›Iswestija‹ in ihrer Mittwochausgabe einen überaus kritischen Artikel veröffentlicht hatte, den die sowjetische Nachrichtenagentur TASS verbreitete, hat sich Bundeskanzler Kreisky ›mit aller Deutlichkeit schützend‹ vor die angegriffenen Journalisten gestellt. […] Zielscheibe der Kremlkritik sind im 264 Washietl, Engelbert : Nach Moskaus des Klimas wegen. Ein Pahr-Besuch und sowjetische Taktik, in : Die Presse, 16. Dezember 1978, S. 2. 265 Broer, Wolfgang : Polarhunde und andere Lakritzen. War Pahrs Besuch in Moskau sinnvoll ?, in : Kurier, 22. Dezember 1979.

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besonderen die beiden ORF-Journalisten Paul Lendvai und Barbara CoudenhoveKalergi vom Osteuropabüro des ORF. Unter dem Titel ›Lüge auf dem Bildschirm‹ griff die ›Iswestija‹ Fernsehsendungen über die Sowjetunion, die ČSSR, Ungarn und Polen an, die ›unobjektiv und vorwiegend negativ‹ über diese Länder berichtet hätten. Die Tätigkeit des Osteuropabüros des ORF stehe, so das Blatt, ›im Widerspruch zu mehrfach geäußerten Erklärungen führender österreichischer Repräsentanten, die sich immer wieder für die internationale Verständigung und für die bedeutende Rolle eines neutralen Staates zum Abbau der internationalen Spannungen geäußert haben‹.«266 Den Moskauer Vorwurf der Lüge spielte Lendvai prompt im Kurier zurück, wo unter dem Titel »Kesseltreiben des Ostblocks gegen ORF« ein empörter Artikel über die sowjetischen Anwürfe erschien. Es werde »behauptet, die Ost-Berichterstattung des ORF ›widerspricht dem Neutralitätsstatus Österreichs und steht im Gegensatz zum Geist und Buchstaben des Staatsvertrags‹. […] Die sowjetische Regierungszeitung erhebt auch den ungeheuerlichen Vorwurf, der ORF arbeite mit dem in München stationierten US-Sender ›Radio Freies Europa‹ zusammen – und zitiert als ›Beweis‹ die österreichische ›Volksstimme‹. Professor Lendvai dazu zum Kurier : ›Eine glatte Lüge‹.«267 Wie an der Berichterstattung deutlich zu sehen ist, goutierten die Zeitungen die Rückendeckung des Kanzlers, die durchaus der Tradition der österreichischen Außenpolitik gegenüber Moskau entsprach. Dies hatte wohl auch damit zu tun, dass die Printmedien selbst mit einer ähnlichen Behandlung zu rechnen hatten. Zu diesem Zeitpunkt hatten österreichische Tageszeitungen mehrere Korrespondenten in Osteuropa stationiert. Eine Erhebung aus dem November 1978 ergab folgende Verteilung : sechs Korrespondenten in Belgrad, einer in Bukarest, einer in Moskau, einer in Sofia und einer mit allgemeiner osteuropäischer Zuständigkeit. Mit insgesamt zehn festen Mitarbeitern in osteuropäischen Büros fiel die Quote damit weit niedriger aus als etwa für die Regionen Westeuropa (88), Arabische Welt und Israel (14) und Nordamerika (11).268 Obwohl also letztlich nur vier Korrespondenten fix in Staaten des Warschauer Pakts stationiert waren, gab die Moskauer Position Grund zur Sorge. Auch die Zeitungen hatten schon ähnliche Erfahrungen gemacht wie der ORF mit Hutter oder mit Barbara Coudenhove-Kalergi, die ebenfalls bereits mehrfach mit Einreiseverbot in osteuropäische Länder belegt worden war.269

266 Kreisky erwidert scharf auf Moskauer Angriffe gegen ORF, in : Die Presse, 28. Jänner 1983, S. 2. 267 Kesseltreiben des Ostblocks gegen ORF. Kreisky nimmt Journalisten vor Sowjet-Attacken in Schutz, in : Kurier, 28. Jänner 1983. 268 Die Zahlen für die übrigen Weltregionen lauten : Asien (7), Lateinamerika (5), Afrika (4) sowie Australien und Ozeanien (1). Vgl. Signitzer : Massenmedien, S. 187. 269 Interview des Verfassers mit Barbara Coudenhove-Kalergi, 25. Juni 2009.

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So wurde etwa der Presse-Korrespondentin Irene Miller im Februar 1980 die Akkreditierung entzogen, weil sie einen in Polen kursierenden Witz – den Adler im polnischen Wappen durch eine Fliege zu ersetzen – in einem Artikel wiedergegeben hatte. Die Presse gab die polnische Position wieder : »Polen begrüße freie Kritik von ausländischen Journalisten, doch ›es muss Grenzen geben‹.« Miller wurde nicht sofort des Landes verwiesen, da dies ihren Mann – AUA-Manager in Warschau – in Mitleidenschaft gezogen hätte. Die Behörden hofften aber, dass die Familie Miller Polen verlassen würde. Da der Entzug des Agréments faktisch Berufsverbot bedeutete, meinte Kreisky auch damals, dieses Vorgehen sei nicht Helsinki-konform. Zwei Tage später wurde Miller nahegelegt, das Land binnen 48 Stunden zu verlassen, was einer Ausweisung gleichkam. Eine Rückkehr ins Land bedeutete das Risiko einer Gefängnisstrafe, da für Verspottung nationaler Symbole bis zu drei Jahre Gefängnis drohten.270 Die Familie Miller übersiedelte nach Kairo.271

Die Solidarno ść -Krise spaltet Medien, Regierung und Bevölkerung Die Polenkrise, die mit Protesten gegen Fleischpreiserhöhungen im Sommer 1980 begann, sich in den Danziger Werften zu einer Streikbewegung unter dem Dach der Solidarność mit Lech Wałęsa an der Spitze auswuchs und in der Ausrufung des Kriegsrechts am 12./13. Dezember 1981 gipfelte, fand in der österreichischen Öffentlichkeit ein breites und ambivalentes Echo. Dies hatte mit verschiedenen Faktoren zu tun : einer traditionell starken kulturellen Verbindung zwischen Warschau und Wien, den intensiven Wirtschaftsbeziehungen vor allem in Gestalt von Kohlelieferungen nach Österreich seit Mitte der 1970er-Jahre und zuletzt eine 1980 einsetzende polnisch-österreichische Arbeitsmigration, die im Zuge der sich verschärfenden Lage in Polen in eine Fluchtbewegung überging. Die Stagnation der polnischen Wirtschaft hatte also in Bezug auf Österreich eine doppelte Wirkung : Einerseits konnten die Lieferverträge von der polnischen Seite nicht eingehalten werden und andererseits veranlasste die angespannte ökonomische Situation 1981 auch viele Polen, die keine politische Verfolgung zu gewärtigen hatten, zur Flucht nach oder über Österreich. Mehr als 40 000 Personen kamen während der Hochphase der Krise ins Land. Die Reaktionen der Regierung wirkten wie eine Kombination des Verhaltens im Oktober 1956 und im August 1968. Wie während des Prager Frühlings bemühte man sich um Nichteinmischung bei gleichzeitigem Verständnis für die Interessen der 270 Vgl. p.m.: Maßnahme gegen »Presse« belastet Beziehungen zu Polen, in : Die Presse, 14. Februar 1980, S. 1 f.; »Presse«-Vertreterin aus Polen ausgewiesen, in : Die Presse, 16. Februar 1980, S. 1. 271 Interview des Verfassers mit Georg Miller, Irene Millers Sohn, 5. Juni 2009.

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protestierenden Bevölkerung und für die schwierige Lage der politischen Führung in Warschau ; und wie schon angesichts der ungarischen Flüchtlinge 1956 suchte man internationale Unterstützung und die Öffnung traditioneller außereuropäischer Exilländer wie der USA – allerdings erfolglos.272 Die zweigleisige Haltung gegenüber Polen erlaubte der österreichischen Bundesregierung die Einhaltung ihrer Neutralitätsverpflichtung im Sinne militärischer Blockfreiheit und dadurch ein gewissermaßen neutrales Wohlwollen gegenüber dem kommunistischen Ostblock, durch das Kreisky einem drohenden Ende der Entspannungspolitik gegensteuern wollte.273 Anders als 1956 und 1968 stand die österreichische Bevölkerung dem polnischen Flüchtlingsstrom mehrheitlich ablehnend gegenüber. Man könnte angesichts der drei Krisen die These aufstellen, dass die Österreicher über die 25 Jahre hinweg mit zunehmendem Wohlstand eine geringere Hilfsbereitschaft gegenüber Ostflüchtlingen an den Tag legten und dass auch innerhalb jedes der drei Ereignisse die Solidarität abnahm, je länger die Ungarn, Tschechen oder Polen jeweils im Lande waren.274 Zwar wurde am 22. Dezember 1981 das »Österreichische Nationalkomitee für die Polenhilfe« gegründet, dem der ORF und andere Medien beitraten. Doch der Umstand, dass es sich zu einem guten Teil um Wirtschaftsflüchtlinge handelte und diese daher nicht nur in Asyllagern, sondern in Hunderten Pensionen und Hotels in ganz Österreich verteilt waren, nahm die örtliche Bevölkerung gegen sie ein. Auch die nicht von Anfang an konsequente Haltung der Regierung trug wohl zu diesem Umstand bei. So hatte Bundeskanzler Kreisky in einer Veranstaltung im Zuge der VOEST-Betriebsratswahl in der Linzer Sporthalle vor 5 000 Zuhörern die Solidarność aufgefordert, ihrerseits mit Österreich solidarisch zu sein und im Sinne der ausständigen Kohlelieferungen wieder an die Arbeit zu gehen.275 Die polnischen Streikenden verwehrten sich gegen diesen Rüffel und richteten einen »zornigen Appell an den österreichischen ›Arbeiterführer‹«, wie die Wochenpresse unter dem Titel »Zur Sklavenarbeit getrieben« berichtete.276 Die Regierung verurteilte zwar am 14. Dezember die Verhängung des Kriegsrechts, doch die Einführung eines befristeten Visumzwangs für Polen, zu dem sie sich am 7. November aufgrund der überfüllten Aufnahmestellen genötigt sah, konnte als Reaktion auf den allgemeinen Unmut über die Flüchtlinge gesehen werden. Zu diesem Zeitpunkt hatten sich laut Innenminister Lanc 26 000 Asylwerber in Österreich aufgehalten, von denen rund 21 000 aus Polen stammten. Jede Woche kämen 1 200

272 Stanek, Eduard : Verfolgt, verjagt, vertrieben. Flüchtlinge in Österreich 1945–1984, Wien/München/Zürich 1985, S. 150 f. 273 Gehler : Außenpolitik, Bd. 1, S. 486 f. 274 Vgl. Eger : Krisen ; Stanek : Verfolgt. 275 Kreisky erinnert polnische Arbeiter an Kohleverträge, in : Arbeiter-Zeitung, 19. September 1981, S. 2. 276 »Zur Sklavenarbeit getrieben«, in : Wochenpresse, 30. September 1981.

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bis 1 400 neu dazu, ein Großteil entspreche nicht den Bestimmungen der Genfer Konvention. Die Aufnahmemöglichkeiten in Niederösterreich, Oberösterreich, dem Burgenland und der Steiermark in Gaststätten und Pensionen seien erschöpft.277 Tags darauf schrieb der Kurier : »Vergeblich hatte der Innenminister in den letzten Monaten versucht, den Österreichern klarzumachen, dass in vielen Fällen ja eigentlich gar kein Unterschied zwischen den allgemein akzeptierten politischen und den vielfach geschmähten wirtschaftlichen Flüchtlingen bestehe. […] Da es aber nicht gelang, die Fronten in der Öffentlichkeit aufzubrechen, setzte die Bundesregierung – wohl auch als Schuss vor den Bug unentschlossener oder säumiger westlicher Flüchtlings-Aufnahmestaaten – den dramatischen Akzent.«278 Der Akt der österreichischen Regierung entsprach jedoch auch der Kreisky’schen Nichteinmischungspolitik, hatte doch der Stellvertretende polnische Außenminister Josef Czyrek die Gewährung von Asyl an Polen als »unfreundlichen Akt« bezeichnet. Die Presse berichtete, dass Czyrek »betonte, dass ausländische Journalisten stets nach Polen einreisen dürften, wenn es auch aus organisatorischen Gründen gelegentlich Verzögerungen bei der Ausstellung der Aufenthaltserlaubnis geben könne. Tags zuvor hatte die polnische Armeezeitung ›Zolnierz Wolnosci‹ westliche Berichterstatter beschuldigt, in zunehmendem Maße mit westlichen Geheimdiensten zusammenzuarbeiten«.279 Die SPÖ-Regierung wurde aus Sicht der Medien vom »schlechten Gewissen gedrückt«280, während die oppositionelle ÖVP der Entscheidung kritisch gegenüberstand, unter anderem, weil man die westlichen Freunde nicht ausreichend informiert habe.281 Die Haltung der SPÖ wurde auch im Kontext der bereits erwähnten Antiamerikanismus-Debatte interpretiert, da etwa die Moskaufahrt des internationalen Sekretärs der SPÖ, Walter Hacker, Unwillen erregt habe – gerade zu einem Zeitpunkt, als die meisten westlichen Regierungen sich wegen der Ereignisse in Polen den Boykottmaßnahmen der USA zumindest angenähert hätten. Dieser Unmut kochte mittlerweile auch in den Reihen der Sozialdemokraten und auch im ORF wurde gemurrt.282 In der öffentlichen Meinung jedoch kam jedenfalls die Visa-Entscheidung nicht schlecht an. 277 Unterberger, Andreas : Nächste Woche Visumzwang für Polen ? Lanc : Maßnahmen »eher bald«, in : Die Presse, 5. Dezember 1981, S. 1 f. 278 Weil Quartiere für Polen voll sind : Visumzwang als Drohung gegen Westen, in : Kurier, 8. Dezember 1981, S. 1. 279 Czyrek : Asyl für Polen »unfreundlicher Akt«, in : Die Presse, 12. November 1981. 280 Schlechtes Gewissen der SP wegen Polen. Sinowatz und Lanc verteidigen Visazwang, in : Oberösterreichische Nachrichten, 10. Dezember 1981, S. 2 ; Wachter, Hubert : Polen-Visa : Das Gewissen drückt etwas. Sinowatz : Nicht glücklich …, in : Kurier, 10. Dezember 1981, S. 2. 281 Kurier, 10. Dezember 1981. 282 Pauli, Ruth : Wortführer des Antiamerikanismus ? Kritik an sozialistischer Außenpolitik aus den eigenen Reihen, in : Die Presse, 18. Februar 1982.

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Ab 21. Dezember verlangte im Gegenzug Polen von Österreichern ein Visum, wobei als Begründung ebenfalls die »innere Sicherheit« angegeben wurde. Dieser Schritt wurde bereits während des Czyrek-Besuchs beschlossen. Die österreichischen Medien reagierten darauf mit einem einigermaßen alarmierten Ton, der die Verschärfung der bilateralen Beziehungen kritisierte. So etwa der Kurier : »Österreicher brauchen nun auch ein Visum für Polen !« Der Kurier-Beitrag sprach zudem von »harter Kritik der Volkspartei« und »viel Verwirrung an den Grenzen«. Die Regierung in Warschau habe nun »zurückgeschlagen«, nachdem die polnische Nachrichtenagentur PAP bereits zuvor die österreichische Entscheidung als »außerordentlich unfreundlich, aber nicht unerwartet« bezeichnet hatte.283 Ludwig Steiner wurde zitiert, der Visumzwang widerspreche allen Grundsätzen der Menschenrechte und Helsinkis. Die ArbeiterZeitung berichtete naturgemäß mit mehr Verständnis für die Position des sozialistischen Innenministers, die ausführlich wiedergegeben wurde. Auch Kreiskys Replik auf die ÖVP-Kritik fand Raum : »Für politische Verfolgung wird es bei uns immer offene Grenzen geben«, doch die Kosten für die polnischen Flüchtlinge – Kreisky : schon jetzt eine Milliarde – seien zu hoch für ein so kleines Land.284 Die Regierung war in Folge zurückhaltend, was Visa für polnische Oppositionelle betraf. Das passte ebenfalls in Kreiskys außenpolitische Linie, die osteuropäischen Regime nicht brüskieren zu wollen. So hatte Österreich angesichts der Repression der tschechoslowakischen Regierung gegen die Charta 77 ca. 500 Dissidenten Aufnahme geboten. Kreisky betonte jedoch, dass man es nicht übertreiben solle und Österreich sich keinen Sanktionen gegen Prag anschließen werde : »Boykott nützt Dissidenten gar nichts.«285 Diese doppelte Politik wurde damals von den österreichischen Medien, die der Charta 77 sehr positiv gegenüberstanden286, kritisch betrachtet. Bezeichnend für diese Kritik war ein Kommentar der Presse-Außenpolitikredakteurin Anneliese Rohrer anlässlich eines Besuches von Verteidigungsminister Otto Rösch in Moskau im Dezember 1979. Rohrer analysierte darin die »Finnlandisierung« – also Ostanbindung – Österreichs, für die es mehrere Indizien gebe, darunter : »Die kuriose Drohung der ČSSR während der Affäre um Pavel Kohout, Österreich sei doch strategisch vom Osten abhängig. Der Justament-Besuch des österreichischen Außenministers in Prag nach dem Kohout-Zwischenfall, obwohl andere westliche Minister ihre Besuche prompt abgesagt hatten. Und das eigenartige Verhalten Willibald Pahrs den tschechischen Dissidenten gegenüber, für die er plötzlich keine Zeit mehr hatte.«287

»Österreicher brauchen nun auch ein Visum für Polen!«, in: Kurier, 9. Dezember 1981, S. 3. Auch Polen verlangt nun Visum, in: Arbeiter-Zeitung, 9. Dezember 1981, S. 1. Kreisky : Boykott nützt Dissidenten gar nichts, in : Arbeiter-Zeitung, 22. Juli 1978, S. 4. Bacher und Zilk, der mittlerweile in die Politik gewechselt hatte, waren führend an der Hilfe für die verfolgten Intellektuellen beteiligt. 287 Rohrer, Anneliese : Kulissengespräche, in : Die Presse, 21. Dezember 1979, S. 2.

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Doch die publizistische Kritik an der außenpolitischen Linie der SPÖ änderte nichts daran : Auch angesichts des polnischen Kriegsrechts und der allgemeinen Zuspitzung eines neuen Kalten Krieges warnte Außenminister Pahr vor Sanktionen gegen Moskau. Stattdessen empfahl er – vor dem Hintergrund des KSZE-Folgetreffens in Madrid, das wegen der Polen-Krise ins Stocken geraten war – die weitere Zusammenarbeit des Westens mit dem Osten : Dialog statt Wirtschaftssanktionen. In diesem Sinne werde nur freiwillig ausgewanderten Polen Asyl gewährt, nicht aber zwangsausgebürgerten.288 Die Salzburger Nachrichten berichteten wenig später nicht ohne Ironie, dass Polen sich diese Haltung zunutze zu machen gedenke : »Polen setzt Diplomaten auf Kreisky an.« Ein neuer zweiter Zugeteilter, der bisherige Leiter des Planungsamtes im polnischen Außenministerium, sei nur dafür nach Wien beordert worden, um die österreichische Außenpolitik »für einen Durchbruch gegen den westlichen Wirtschaftsboykott zu gewinnen. Seit dem überraschenden Staatsbesuch des libyschen Revolutionsführers Gaddafi in Österreich hält Warschau Wien für einen solchen Vorstoß geeigneter als Bonn«.289 Im Falle der Solidarność-Krise klaffte also – ganz anders als 1956 – die in den unabhängigen Medien vorherrschende Meinung von jener der Bevölkerung im Allgemeinen auseinander. Letztere unterstützte die Politik der Regierung, wie aus einer Umfrage deutlich wird, die bei der Jahrestagung der Österreichischen Gesellschaft für Außenpolitik und internationale Beziehungen Anfang Mai 1982 präsentiert wurde. Der größte Teil der Befragten – 34 % – wünschte keine Unterstützung für Dissidenten, weil man einen Widerspruch mit der Neutralität befürchtete. 21 % wollten wegen polnischer Dissidenten keine Verschlechterung der bilateralen Beziehungen in Kauf nehmen.290 Kreiskys Linie fand also die Unterstützung der Mehrheit.

Das Ende der Blöcke Der ORF hatte ab Mitte der 1980er-Jahre die schon vor 1968 begonnenen institutionellen Kontakte mit Osteuropa verstärkt. Seit 1985 liefen Kooperationsgespräche mit der ungarischen Fernsehanstalt MRT, die die Einspeisung des österreichischschweizerischen Kanals 3Sat in das ungarische Kabelnetz zum Ziel hatten. In Westungarn war das ORF-Programm bereits seit längerer Zeit so offiziell zu empfangen, dass Lokalzeitungen dieses abdruckten. Die Institutionalisierung der Zusammenarbeit bezeichnete Gerd Bacher im Hotel Gellert in Budapest als »bisher wichtigsten grenzüberschreitenden Versuch, die Grundsätze medialer Zusammenarbeit gemäß 288 Pahr warnt vor Sanktionen gegen Moskau, in : Die Presse, 6. März 1982, S. 1. 289 Polen setzt Diplomaten auf Kreisky an, in : Salzburger Nachrichten, 2. April 1982, S. 2. 290 Zitiert nach : Österreicher gegen Hilfe für Dissidenten, in : Die Presse, 8. Mai 1982, S. 3.

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[dem] Abkommen von Helsinki zu verwirklichen«.291 Seine Rede über die »Grenzenlose Welt der Medien« hielt er am 9. Mai 1985 und laut ORF »als erster westlicher Medienfachmann in Budapest«.292 In weiterer Folge sollte dieser ideologische Brückenschlag lukrativ werden, als ab 1986 Radio Danubius, der deutschsprachige »Feriensender des ungarischen Rundfunks für Urlauber«, am Plattensee gemeinsam mit dem ORF initiiert, dann aber vom ungarischen Staatsrundfunk im Alleingang weiter produziert wurde.293 Dieses Programm stand für eine neue Informationspolitik, die 1989 auch für die Fluchtbewegung von DDR-Touristen in Ungarn eine Rolle spielen sollte. 1986 wurde, ähnlich den Stadtgesprächen in Prag 1964, auch eine Café Central-Sendung aus dem Budapester Café Hungaria gesendet. Diese Zusammenarbeit mit Staaten des Warschauer Pakts wurde fortgesetzt. Am 1. April 1986 ging der Club 2 aus Moskau auf Sendung. Damit war der ORF »die erste westeuropäische Rundfunkanstalt, die eine Live-Sendung aus der sowjetischen Hauptstadt ausstrahlt«.294 Am 26. Oktober 1988 – Österreich zu Ehren bewusst am österreichischen Nationalfeiertag angesetzt – schaffte ein unpolitisches, dafür aber populäreres Format einen Clou : Die Unterhaltungsshow Musikantenstadl gastierte in Moskau und erreichte nicht nur knapp drei Millionen österreichische, sondern auch über 200 Millionen potenzielle Zuseher in der Sowjetunion. Dem ORF gelang das Debüt, als erste westliche Fernsehanstalt gemeinsam mit dem sowjetischen Staatsrundfunk eine Sendung dieser Art und Größenordnung zu übertragen.295 In den nächsten Jahren kam es zu einer Reihe von Abkommen mit dem staatlichen Rundfunk der Tschechoslowakei, der polnischen Anstalt PRT und dem albanischen RTV. In Budapest errichtete der ORF am 6. November 1989 auf dem Höhepunkt der Auflösungserscheinungen des ideologischen Grenzregimes in Europa als erste westliche Fernsehanstalt ein Korrespondentenbüro, es folgten Büros in Prag, Belgrad und Ostberlin.296 Die Durchschneidung des Eisernen Vorhangs durch Gyula 291 Ungarn : Brisante Themen, in : Der Spiegel, 20. Mai 1985, S. 133. 292 Vgl. die ORF-Chronik zu 1985 auf http ://mediaresearch.orf.at/chronik.htm (online am 18. April 2009). 293 Dworzak, Alexander/Müller, Thomas : Kleinstaatliche Verhinderungsprozesse zur Verhinderung von Medienkonzentration am Beispiel von Österreich, Ungarn und der Schweiz, 2006, vgl. http ://www.politikberatung.or.at/typo3/fileadmin/02_Studien/1_Liberalisierung/Ungarn.pdf (online am 23. April 2009), S. 11. 294 Vgl. die ORF-Chronik zu 1986 auf http ://mediaresearch.orf.at/chronik.htm (online am 18. April 2009). 295 Gehler : Außenpolitik, Bd. 2, S. 573. 296 1991 schnürte Gerd Bacher ein »Paket für Osteuropa«. Gemeinsam mit den Programmintendanten Marboe, Kunz und Nagiller präsentierte er im Februar ein dreiteiliges Kooperationspaket : eine Programmbörse für die osteuropäischen Anstalten, die lediglich Kopierkosten zu bezahlen hätten ; gemeinsame Sendungen wie Café Central oder Musikantenstadl ; und ein Schulungsprogramm. Das Ganze wurde im Rahmen der »Internationalen Medienkonferenz Mitteleuropa« im ORF-Zentrum vorgestellt, an der ungarische, polnische, tschechoslowakische, slowenische und kroatische Rundfunkleute sowie ein bulgarischer Beobachter teilnahmen. Vgl. Gerd Bachers Paket für Osteuropa, in : Der Standard, 23./24. Februar 1991, S. 13 ; Selbst bewusst. Inserat der KPÖ in : Der Standard, 23./24. Februar 1991, S. 8.

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Horn und Alois Mock am 27. Juni 1989 wurde als Medienereignis weltweit übertragen und die Fotos dieser inszenierten Aktion wurden zu politischen Ikonen des späten 20. Jahrhunderts und der österreichischen Außenpolitikgeschichte im Besonderen. So erstaunt es fast, dass das österreichische Fernsehen zu spät kam, als einen knappen Monat später im Rahmen des sogenannten »Paneuropäischen Picknicks« Hunderte ostdeutsche Touristen bei Sopron über die ungarisch-österreichische Grenze strömten und damit den Zusammenbruch des DDR-Regimes – unter Beihilfe der ungarischen Behörden – einen großen Schritt näher brachten. Die Zeit im Bild vom Abend dieses 19. August hatte nur Fotomaterial zur Illustration der Vorgänge an der Grenze zur Verfügung ; bewegtes Bild kam erst in den Interviews mit den erfolgreichen Flüchtlingen ins Spiel.297 Der Co-Organisator und Chronist der Veranstaltung László Nagy erklärt das Missgeschick – die Aktion war ja als Medienevent gedacht – damit, dass die DDR-Bürger vor Beginn der Feier bereits in Richtung Grenze losgerannt seien und damit die Presse auf ungarischer wie österreichischer Seite zu spät kam.298 Niemand hatte zunächst mit dem illegalen Übertritt gerechnet, sondern sich auf ein wohl organisiertes Programm vorbereitet. Rasch entwickelte sich die offene Grenze zu dem Medienereignis des österreichischen Sommerlochs 1989. »Flüchtlinge schauen : spannender als Fernsehen« titelte der Kurier und »Gemma Flüchtling schauen !« ironisierte der Standard.299 Die Medien griffen jedoch, eingedenk der Dynamik der polnischen Fluchtbewegung 1981, bald auch die Schwierigkeiten auf, die mit dem Flüchtlingsstrom verbunden sein konnten. In der Presse kommentierte Peter Martos : »Österreich ist in eine verfängliche Lage geraten : Osteuropäer drängen über die Grenzen, doch die westlichen Staaten haben ihre Aufnahmekapazitäten erreicht. Im Falle der Massenflucht von DDR-Bürgern ›hilft‹ uns die Selbstverpflichtung Bonns, alle Deutschen als Bundesbürger zu behandeln. Doch was geschieht, wenn die Zahl etwa der Tschechen und Slowaken sprunghaft ansteigt. Dieses kleine Land inmitten von Europa hat schon oft bewiesen, dass es humanitäre Aufgaben ernst nimmt, wenn es von den traditionellen Immigrationsländern im Stich gelassen wird, quillt es bald über.«300 Im Standard schrieb Werner Stanzl : »Es ist geradezu unverschämt, wie Bonn und Ost-Berlin die Maximalforderungen ihrer Deutschlandpolitik in den pannonischen Kukuruzfeldern ausfechten.«301 30 000 DDR-Bürger überquerten bis Ende September die österrei297 Vgl. Zeit im Bild 1, 19. August 1989, Kassette Z-M2 2.420/1/0. 298 Freundliche Mitteilung von László Nagy an den Verfasser, 23. Juni 2009. 299 Flüchtlinge schauen : Spannender als Fernsehen, in : Kurier, 21. August 1981, S. 16 ; Mayer, Thomas : Lokalaugenschein in Mörbisch : Ein ganzes Dorf wird zum Flüchtlingslager, in : Der Standard, 22. August 1989, S. 4. 300 Martos, Peter : Schüsse an der Grenze, in : Die Presse, 23. August 1989, S. 1. 301 Stanzl, Werner : Der Schuß an der Grenze, in : Der Standard, 23. August 1999, S. 20.

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chisch-ungarische Grenze, reisten jedoch alle sofort in die BRD weiter. Ein Überblick über die Themen der österreichischen Auslandsberichterstattung 1988 und 1989 zeigt, dass über Migrationsfragen (Osttourismus und Fluchtdynamiken) ständig und intensiv geschrieben wurde – und keineswegs immer positiv.302 Am 2. Dezember 1989 hob Österreich die Visa-Pflicht für tschechoslowakische Staatsbürger auf – die für Polen und Ungarn war schon im Mai 1988 aufgehoben bzw. erleichtert worden –, und am 17. Dezember 1989 wiederholte Mock das Durchschneidungsspektakel an der böhmischen Grenze mit Jiří Dienstbier. So ging der österreichische Außenminister in das Bildgedächtnis einer europäischen »Wiedervereinigung« ein, für die er sich seit Jahren starkgemacht hatte, ohne mit dem tatsächlichen politischen Wandel rechnen zu können. Eine im Auftrag der Presse im Dezember 1989 von Fessel+GfK durchgeführte Telefonumfrage erhob äußerst positive Reaktionen der Österreicher auf die Grenzöffnung ; man freute sich auf eine Neubelebung der Region und wirtschaftliche Vorteile für Österreich. Dem standen jedoch bereits die Angst vor Schwarzarbeit und Kriminalität gegenüber.303 Ein Jahr darauf gaben Forscher des Instituts für Internationale Politik ebenfalls eine Fessel+GfK-Studie in Auftrag, die unter anderem ergab, dass 33 % der Befragten »überall im früheren Ostblock Wirtschaftskrisen, politische Unruhen und schwere Nationalitätenkonflikte« erwarteten.304 Und ein weiteres halbes Jahr später, im August und September 1991, ließ Der Standard das Institut IMAS nach den »Reaktionen auf den Zusammenbruch des Kommunismus« fragen. 32 % sahen diesen mit Freude, ebenso viele aber mit Sorge und zehn Prozent mit Gleichgültigkeit. 40 % waren der Meinung, Österreich solle Hilfsleistungen an die Sowjetunion – deren Reformregierung zu diesem Zeitpunkt gerade einen Militärputsch überlebt hatte und die dramatische Zerfallserscheinungen durchmachte – der EU und den Großmächten überlassen. Nur ein Viertel war für eine aktive österreichische Beteiligung.305 In der – freilich nicht direkt vergleichbaren – Fessel+GfK-Umfrage vom Jahreswechsel 1990/91 hatten sich 80 % für österreichische Hilfe nach Osteuropa ausgesprochen, wobei etwa die Hälfte diese Unterstützung auf die unmittelbaren Nachbarländer beschränkt sehen wollte.306 302 Wodak, Ruth (Hg.) : Österreichs Einstellungen zu seinen ostmitteleuropäischen Nachbarn. Forschungsprojekt »Studien zum fremdenfeindlichen öffentlichen Diskurs Österreichs während und nach der ›Wende‹ von 1989«, Wien 1993, S. 40–44. 303 Zitiert nach Urban, Waltraud : Die Veränderungen in Osteuropa, in : Neuhold, Hanspeter/Luif, Paul (Hg.) : Das außenpolitische Bewusstsein der Österreicher : aktuelle internationale Probleme im Spiegel der Meinungsforschung (Laxenburger Internationale Studien 4), Wien 1992, S. 1–26, hier S. 23 f. 304 Urban : Veränderungen in Osteuropa, S. 6. 305 Zitiert nach Urban : Ebd., S. 25 f. 306 Ebd., S. 12 f. und Anhang 214–216. Die jährliche ORF-Spendenaktion Licht ins Dunkel hatte 1989/90 30,7 von den 81,7 eingenommen Millionen Schilling an die Rumänien-Hilfe der Caritas und sechs Mil-

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Interessant an diesen Ergebnissen ist die Haltung zur Sowjetunion. Aus der Standard/IMAS-Umfrage geht hervor, dass 45 % der Befragten nicht mit Auswirkungen der sowjetischen Entwicklungen auf Österreich rechneten, während 21 % eine Verbesserung und 14 % eine Verschlechterung der österreichischen Lage für wahrscheinlich hielten.307 Wie Waltraut Urban in der Interpretation der Fessel-Daten aus 1991/92 schrieb, kam »das zweifellos besondere Verhältnis Österreichs zur Sowjetunion nicht an den Stellenwert nachbarlicher Beziehungen heran«.308 Michael Gehler formulierte dies mit Bezug auf dieselbe Erhebung nochmals anders : »Eine besondere Bindung zur Signatarmacht des Staatsvertrags und zum – wenn man so will – ›Neutralitätspartner‹ bestand demnach unter den Befragten nicht.« Gehler zufolge schien die Umfrage auf ein erhöhtes Sicherheitsgefühl unter den Österreichern hinzudeuten, da die Sowjetunion aufgrund ihres eigenen Zerfalls sich weniger in österreichische Belange würde einmischen können.309 Ein gutes Jahr nach dem Fall der Berliner Mauer und den friedlichen Umwälzungen in Mitteleuropa kamen die Außenminister und Verteidigungsminister des Warschauer Pakts ab 24. Februar 1991 in Budapest zusammen, um die Auflösung des Warschauer Pakts und des Comecon zu beschließen. Dadurch fiel für Österreich einer der Hauptfaktoren seiner Außenpolitik fort – das Ende der in zwei Blöcke geteilten Welt nahm vertragliche Gestalt an. Österreichs Neutralitätspolitik der vorangegangenen dreieinhalb Jahrzehnte war so einer seiner Koordinaten »verlustig« gegangen. Im Zuge der sich seit zwei Jahren überstürzenden Ereignisse auf der politischen Landkarte Europas fiel jedoch dieser historische Moment durch den Raster der allgemeinen Wahrnehmung. Ähnlich wie bei seiner Gründung erregte der Warschauer Pakt, der 36 Jahre lang für die gewaltsame Machtpolitik der Sowjetunion in Europa gestanden hatte, auch bei seiner Auflösung kaum Aufmerksamkeit. Dies hatte freilich auch mit der sicherheitspolitischen Lage des Augenblicks zu tun : dem zweiten Golfkrieg. Seit Mitte Jänner 1991 hatten die USA mit Luftangriffen die irakische Besatzungsarmee in Kuwait angegriffen, und genau am 24. Februar, dem Tag des Budapester Treffens, begann der Bodenkrieg, der die ohnehin schon dichte Berichterstattung der Weltpresse noch verstärkte. In allen Zeitungen dieser Tage sind die ersten vier bis sechs Seiten dem Golfkrieg gewidmet. Russland spielte dabei insofern eine Rolle, als Gorbatschow eben eine Friedensinitiative gestartet hatte, die in Washington nicht gerne gesehen war. In der Wochenendbeilage der Presse, dem Spectrum, erschien ein Essay von Erich Reiter über die neuen Kolionen an verschiedene Hilfswerke in Polen, Ungarn, der DDR und der ČSSR überwiesen. Vgl. die ORF-Chronik zu 1989 auf http ://mediaresearch.orf.at/chronik.htm (online am 18. April 2009). 307 Zitiert nach Urban : Veränderungen in Osteuropa, S. 25 f. 308 Ebd., S. 22. 309 Gehler : Außenpolitik, Bd. 2, S. 591.

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ordinaten von Österreichs Sicherheitspolitik. Darin gab es zwar keine explizite Nennung der Auflösung des Warschauer Pakts, doch Bezugnahmen auf die Veränderung der sicherheitspolitischen Koordinaten weltweit und in Europa : »Die Stabilität des Kalten Kriegs ist Geschichte. Die Großmächte sind bereits dabei, ihre Einflusssphären in Europa aufzugeben ; sie ziehen Truppen ab. Die größere Freiheit der europäischen Länder bringt mehr Spielraum, mehr Möglichkeiten für neue Szenarien, mehr Variablen bringen weniger Berechenbarkeit der Lage.« Auch wenn angesichts der bald folgenden bewaffneten Aufmärsche an der österreichisch-jugoslawischen Grenze diese Prognose nicht hielt, sprach der Artikel für die außenpolitische Sensibilität der Presse in diesen Tagen.310 Im Standard verhielt es sich ähnlich. Am 21. Februar rutschte angesichts der kriegerischen Ereignisse im Mittleren Osten sogar die beginnende Loslösung Sloweniens von Jugoslawien auf Seite vier. Tags darauf schrieb der Politologe Andreas Stadler zwar im Kommentarteil über die Neukonzeption der österreichischen Außenpolitik nach dem Ende des Ost-West-Konflikts – die unmittelbar bevorstehende Auflösung des Warschauer Pakts erwähnte er jedoch nicht. Der Gehalt des Budapester Ministertreffens dürfte den Analysten im Westen noch nicht bekannt gewesen sein. Es war Die Presse, die am 25. Februar als erste österreichische Zeitung über die Auflösung des Warschauer Pakts berichtete. Auf Seite eins erschien die Schlagzeile »Warschauer Pakt am Ende. Kontroversen um Neuordnung in Osteuropa«. Der Artikel stammte von Peter Martos. »Mit zwei Paukenschlägen, beide diese Woche in der ungarischen Hauptstadt, wird die Auflösung des Ostblocks formell nachvollzogen.« Darüber hinaus fand sich in der Rubrik Ostpanorama eine ganze Seite über die »Auflösung des Warschauer Pakts : Der Abzug der Roten Armee aus Ostmitteleuropa geht trotz Schwierigkeiten weiter« mit Artikeln zu »Schrille Töne vor der Budapester Tagung« ; »Polen : Der große Bruder will nicht gehen« ; zur DDR »Die Sieger bekommen Care-Pakete« ; »Ungarn : Baufällige Einrichtungen und Verwüstung« ; und »Sofia : ›Perverse Bindung‹.« Offenbar war die Redaktion auf das Ereignis vorbereitet gewesen.311 Am folgenden Tag erschien der obligate Kommentar von Peter Martos. Darin gab Martos zunächst einen Rückblick auf die Geschichte des Vertragssystems von Warschauer Pakt und Comecon, mit Bezug auf 1956, 1968 und 1981. Dann folgte die aktuelle Analyse : »Im veränderten gesamteuropäischen Sicherheitsgefüge ist der Warschauer Pakt – nicht zuletzt durch das Aufgehen der DDR im größeren Deutsch-

310 Reiter, Erich : Neue Orientierung in der unsicher gebliebenen Welt. Österreichs Verteidigungspolitik ringt um gründliche Analysen und eine Übergangslösung, in : Die Presse, Beilage Spectrum, 23./24. Februar 1991, S. 5. 311 Martos, Peter : Warschauer Pakt am Ende. Kontroversen um Neuordnung in Osteuropa, in : Die Presse, 25. Februar 1991, S. 1 f.; Ostpanorama, in : Die Presse, 25. Februar 1991, S. 8.

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land – überflüssig geworden. Dasselbe lässt sich vom Comecon nur als dirigistische Moskauer Zentrale behaupten. Denn so wie Österreich auf den UdSSR-Handel nicht verzichten kann – und will –, so genießen auch die ostmitteleuropäischen Demokratien Vorteile der jahrzehntelangen Beziehungen. Erst wenn diese einige Zeit auf einer neuen Basis funktioniert haben werden, wird man zur Tagesordnung übergehen. Und die heißt Kooperation auf Grundlage von Partnerschaft und Markt. Die ›Woche der Auflösung‹ in Budapest soll die Ausgangspositionen dafür schaffen. Viele Details bleiben offen, die in langwierigen Verhandlungen geregelt werden müssen. Aber der Schrecken ohne Ende, den Comecon und Warschauer Pakt verbreitet haben, wird der Vergangenheit angehören. Es ist ein Ende mit vielen Fragezeichen, jedoch ohne Schrecken.«312 Auf Seite zwei fand sich übrigens ein kurzer Beitrag mit dem Titel »Streit im Comecon. Auflösungstreffen könnte abgesagt werden«. Dies wirkte wie ein Kommentar zu Martos’ Kommentar : Die militärischen Strukturen lösten sich planmäßig auf, bei wirtschaftlichen Themen gab es Differenzen. Der Standard zog erst einen Tag später nach. Dafür war nach der zwangsläufigen Golf-Headline der Titel »Warschauer Pakt vor der Auflösung. Die militärischen Strukturen des östlichen Bündnisses werden bis 1. April liquidiert« als zweitgrößter platziert. Ein Foto zeigte Dmitri Jasow bei der Unterzeichnung der Vereinbarung im Budapester Hotel Intercontinental. Der Beitrag selbst war kurz, doch auf Seite fünf ging es weiter : »Während Polen, Ungarn und die CSFR auf eine vollständige Trennung drängen, will vor allem die Sowjetunion den Warschauer Pakt zumindest nominell während der laufenden Abrüstungsgespräche bis zum KSZE-Gipfel in Helsinki 1992 aufrechterhalten. Gerade bei den Wiener Verhandlungen über Konventionelle Streitkräfte in Europa (VKSE) haben sich jedoch in jüngster Zeit Differenzen der Ostblockstaaten ergeben.« Auf der Kommentarseite folgte bereits eine kurze Analyse von Peter Mayer : »Das Ende des Warschauer Pakts ist die logische Konsequenz aus der Weltordnung, die die Supermächte nach den Revolutionen von 1989 neu bestimmt haben. Seit dem Malta-Gipfel der Präsidenten Bush und Gorbatschow im Dezember 1989, der die Wege zur Entspannung in Europa vorgezeichnet hat, spricht man bei den Abrüstungsverhandlungen nicht mehr von der in Ost und West geteilten Welt, sondern von ›Gruppen von Staaten‹, die ihre Machtpositionen differenzierter abstecken. Es ergibt sich in dieser Neuaufteilung ein Ensemble mitteleuropäischer Länder, die von Slowenien bis Polen nach westlichen Regierungsformen streben, aber auch ein Block von Staaten wie Albanien, Serbien, Rumänien und Bulgarien, die eher dem byzantischen Modell nacheifern. Mit Militärs, die sich nur ungern von den Schalthebeln vertreiben lassen. Mit dem Warschauer Pakt wurde kurzer Prozess gemacht, weil er nicht mehr zeitgemäß war. Das gilt 312 Martos, Peter : Woche der Auflösung, in : Die Presse, 26. Februar 1991, S. 1.

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langfristig auch für die Nato. Nur hat sich das noch nicht herumgesprochen, weil das westliche Verteidigungsbündnis ungleich besser funktionierte – in den finsteren Zeiten großer Antagonismen.«313

Betrachtet man die äußerst skeptische Einschätzung der NATO in der österreichischen Presse der 1970er- und 1980er-Jahre, so nimmt Mayers Kommentar wunder. Er zeugt aber davon, dass in Österreich die NATO bei vielen Analysten positiv konnotiert war, selbst wenn ihre Auflösung gefordert wurde. Am nächsten Tag folgte eine Kurzmeldung über den Abzug sowjetischer Einheiten aus der Tschechoslowakei, und am 28. Februar fand sich ein Kommentar der Anderen des Politologen Heinz Gärtner über die neue Weltordnung, den Golfkrieg und die veränderte Sicherheitslage nach dem Ende der ideologischen Dualismen. Vom Warschauer Pakt war nicht mehr die Rede. Die Kronen Zeitung erwähnte das Ende des kommunistischen Paktsystems nur in einer Kurzmeldung am unteren Rand der sechsten Seite, im selben Umfang wie eine Nachricht über den neuen Bundesstellenplan 1991 : »Die Auflösung ihres militärischen Bündnispaktes haben gestern in Budapest die Außen- und Verteidigungsminister der UdSSR, CSFR, Polens, Bulgariens und Rumäniens beschlossen.« Damit war das Ereignis für die Zeitung mit der größten Reichweite Österreichs erledigt. Alle Kommentare des außenpolitischen Chefanalysten Ernst Trost drehten sich in diesen Tagen um den Irak. An den Folgedaten dieses mehrteiligen Ereignisses – die militärischen Abschnitte des Auflösungspapiers traten am 31. März/1. April 1991 in Kraft, die zivilen am 1. Juli – war die Berichterstattung noch wesentlich schütterer. Der erste Termin fiel auf das Osterwochenende. In der Feiertagsnummer des Standard schrieb Gerfried Sperl in einem Kommentar über Österreichs »Geschichtslose Außenpolitik« : »Wir sollten die Neutralität […] nicht wie ein religiöses Dogma sehen.« Auch militärisch werde man zusammenarbeiten müssen. »In der Nachbarschaftspolitik kann sich Österreich nicht mehr lange so heraushalten, wie es die Regierung versucht – nämlich mit der Methode ›Schulterklopfen, aber wenig tun‹. Unsere Außenpolitik verhält sich derzeit geschichtslos.«314 Die offizielle Auflösung des Warschauer Pakts erwähnte er nicht. Anfang Juli stand die österreichische Presse bereits im Banne des nächsten Krieges – nach dem Austritt Sloweniens aus dem jugoslawischen Bund war es zu Kämpfen gekommen, und die Jugoslawische Volksarmee stand an Österreichs Südgrenze. Der erwähnte Betroffenheitsfaktor machte diese Vorgänge zu einem noch größeren Medienereignis für die Österreicher als selbst den Golfkrieg. In den Folgetagen war 313 Mayer, Norbert : Armeen ohne Pakt, in : Der Standard, 26. Februar 1991, S. 20. 314 Sperl, Gerfried : Geschichtslose Außenpolitik. Osterbilanz Teil 2 : Wer hat noch Angst vor der österreichischen Neutralität ?, in : Der Standard 30. März/31. März/1. April 1991.

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im Standard vom KSZE-Treffen in Prag, dem Georgien-Konflikt und Albanien die Rede – den letzten Seufzer des Warschauer Pakts nahm man nicht wahr. Die Presse berichtete schon in ihrer Osternummer »Warschauer Pakt am Ende«. In dem kurzen Beitrag hieß es : »In aller Stille wird zu Ostern die militärische Struktur des Warschauer Pakts aufgelöst.«315 Am Tag darauf schrieb sie von »Wolken über Beziehungen zwischen Moskau und Warschau«. Diese kämen ungelegen, weil gerade jetzt die Bedingungen des Abzuges der Roten Armee aus der DDR und aus Polen verhandelt werden müssten. Eine geplante Walesa-Reise wurde jedoch abgesagt.316 Wieder einen Tag später schrieb Andreas Unterberger in einer Glosse mit dem Titel »Desinteressiert« über verwirrende Signale der NATO nach Osteuropa. Man solle doch froh sein, wenn dort Interesse für eine NATO-Mitgliedschaft bestehe. »Das Motto der Westeuropäer ist aber : Hauptsache, man fühlt sich selber sicher.«317 Darin wurde die NATO-freundliche Linie des konservativen Blattes deutlich. Die Presse erwähnte als einzige der untersuchten Zeitungen auch am 1. Juli 1991 das »Ende eines Bündnisses. Heute löst sich der Warschauer Pakt auf.« Karl-Peter Schwarz berichtete aus Prag, wo der geschichtsträchtige Akt stattfand und naturgemäß besonders freudige Gefühle verbreitete.318 Das formale Ende der Ära der Blöcke in Europa, die Österreichs politische Situation fast 50 Jahre lang zutiefst geprägt hatte, ging also an den österreichischen Medien weitgehend vorüber. Man schenkte einem Ereignis kaum Aufmerksamkeit, das wenige Jahre zuvor noch eine Sensation ohnegleichen bedeutet hätte. Doch die Weltlage hatte sich in zwei Jahren in unvorstellbarer Weise geändert und brachte fast monatlich neue mitreißende Entwicklungen hervor. Österreich blickte sich um und sah sich von einem neuen Handlungsfeld umgeben, in dem die Kategorien »Ost« und »West« keine Relevanz mehr hatten. Vor allem der »Osten« sollte bald nur noch als Vorsilbe in der Berichterstattung über Zuwanderung und Kriminalität eine Rolle spielen. Die Zeit der Blöcke verschwand überraschend schnell aus der öffentlichen Wahrnehmung des Landes.

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Warschauer Pakt am Ende, in : Die Presse, 30. März/31. März/1. April 1991, S. 2. Wolken über Beziehungen zwischen Moskau und Warschau, in : Die Presse, 2. April 1991. Unterberger, Andreas : Desinteressiert, in : Die Presse, 3. April 1991, S. 2. Schwarz, Karl-Peter : Ende eines Bündnisses. Heute löst sich der Warschauer Pakt auf, in : Die Presse, 1. Juli 1991, S. 1.

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Personenregister Russische Namen wurden im Text transkribiert (Duden, 20. Aufl. 1991) und in den Fußnoten transliteriert.

Acheson, Dean G., US Außenminister 40, 211 Achromejew, Sergej Fjodorowitsch, Marschall der Sowjetunion 187, 566, 577, 590 Adenauer, Konrad, deutscher Bundeskanzler 61, 70, 73 f., 214, 516 Adler, Friedrich, österreichischer Politiker 456 Afheldt, Horst, deutscher Sozialwissenschaftler, Friedensforscher 438 Aigner, Bruno, österreichischer Politikberater 749 Andropow, Juri Wladimirowitsch, sowjetischer Staats- und Parteichef 178, 400 Anning, Nick, britischer Journalist 541 Antall, József, ungarischer Ministerpräsident 579, 582–584 Bach, Albert, österreichischer General 264, 290, 441 Bacher, Gerd, österreichischer Journalist 688, 706, 714, 720–722, 726–728, 738, 756 f., 765–767 Balló, Istvan, ungarischer Offizier, Militärhistoriker 181, 406 Batisky, Pavel L., Marschall der Sowjetunion 408 Battyan, Alexius, österreichischer General 341, 363 Bauer, Friedrich, österreichischer Diplomat 562 Bautzmann, Georg, deutscher General 180 Beer, Siegfried, österreichischer Historiker 752 f. Behrmann, Hans, österreichischer Journalist 713, 722 Berger, Hellmut, österreichischer General 341 Bernadiner, Ernest, österreichischer General 341 Bernecker, Josef, österreichischer General 669

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Béthouart, Emile Marie Antoine, französischer General, Hochkommissar 24, 32 f., 46 Bevin, Ernest, britischer Außenminister 33, 41 Bielka-Karltreu, Erich, österreichischer Außenminister 730 Bierut, Bolesław, polnischer Staatspräsident 502 Binder, Dieter, österreichischer Historiker 185 Binder, Rolf, Schweizer Korpskommandant 238 Bindschedler, Rudolf, Schweizer Völkerrechtler, Diplomat 237, 246 Bischoff, Norbert, österreichischer Diplomat 123, 155, 702 Bittmann, Ladislav, tschechoslowakischer Geheimdienstoffizier 295, 311 Blau, Paul, österreichischer Journalist 747 Bliznjuk, Ivan, österreichisch-russischer Journalist 758 Bock, Fritz, österreichischer Vizekanzler 239, 754 Bogomolow, Oleg, sowjetischer Nationalökonom 567 f. Bondi, Richard, österreichischer General 628, 678 Bonjour, Edgar, Schweizer Völkerrechtler 91 Bösch, Reinhard Eugen, österreichischer Politiker 608 Bowin, Alexander, russischer Journalist 577 Bowman, Isaiah, US Geopolitiker 416 Bradley, Omar N., US General 417 f. Brandt, Willy, deutscher Bundeskanzler 467, 485 Breshnew, Leonid Iljitsch, sowjetischer Staatsund Parteichef 144, 171, 173, 179, 186, 189, 391 f., 397, 463, 514, 558, 567, 571, 581, 733, 743

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Personenregister

Bretscher, Robert, Schweizer Journalist 209 f. Bretschneider, Rudolf, österreichischer Marktund Meinungsforscher 559 Broda, Christian, österreichischer Justizminister 491 Broek, Hans van den, niederländischer Politiker, EU-Außenkommissar 640, 680 Broer, Wolfgang, österreichischer Journalist 760 Bronner, Oscar, österreichischer Journalist 737 Brown, Harold, US Verteidigungsminister 424 Brunnthaler, Alois, österreichischer Sozialwissenschaftler 707 Bulganin, Nikolai Alexandrowitsch, sowjetischer Ministerpräsident 121, 248 Burke, Arleight A., US Admiral 388 Burns, Hendric, US Journalist 697 Busek, Erhard, österreichischer Vizekanzler 561, 630, 642, 675, 692 Bush, George Herbert Walker, US Präsident 772 Byrne, Malcolm, US Historiker 558 Byrnes, James Francis, US Außenminister 23 Calmy-Rey, Micheline, Schweizer Bundesrätin 251 Canaval, Gustav, österreichischer Journalist 713, 721 Cap, Josef, österreichischer Politiker 605, 678 Carl Ludwig, Erzherzog von Österreich 336 Carter, James Earl (Jimmy), US Präsident 415, 424, 463, 733, 743 f. Castro, Fidel, kubanischer Staatspräsident 439 Ceauşescu, Nicolae, rumänischer Staats- und Parteichef 548, 552, 568 f., 571 Cede, Franz, österreichischer Diplomat 563 Ceska, Franz, österreichischer Diplomat 677 Cherrière, Paul, französischer General, Stellvertretender Hochkommissar 34 Chorherr, Thomas, österreichischer Journalist 753 Chruschtschow, Nikita Sergejewitsch, sowjetischer Partei- und Regierungschef 11, 121, 131, 143, 146 f., 151, 154–157, 159, 198 f., 217, 227, 258, 399 f., 514, 717, 733 Churchill, Winston, britischer Premierminister 19, 21 Clark, Wesley, US General 663, 683 Clausewitz, Carl von, preußischer General, Militärtheoretiker 187, 336, 396

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Clay, Lucius D., US General 31 Clinton, William Jefferson Blythe (Bill), US Präsident 682 Commenda, Othmar, österreichischer General 600 Corrieri, Peter, österreichischer General 341 Coudenhove-Kalergi, Barbara, österreichische Journalistin 733, 757, 761 Crossley, Geoffrey Allan, Beamter des ForeignOffice 94, 118, 121 Csoklich, Fritz, österreichischer Journalist 720 Czernin, Hubertus, österreichischer Journalist 748 Czyrek, Josef, polnischer Außenminister 764 f. Dach von, Hans, Schweizer Oberst 438 Dalma, Alfons, österreichischer Journalist 694, 721, 734, 739, 753 Dámo, Lászlo, ungarischer General 182 Däniker, Gustav, Schweizer Divisionär 250, 438 Darabos, Norbert, österreichischer Verteidigungsminister 685 Davison, Michael S., US General 415 Deim, Hans, Generalmajor der NVA 163, 182 Desser, Jenö, österreichischer KP Funktionär 510 Deutsch, Julius, österreichischer Politiker 35, 456 f. Dichand, Hans, österreichischer Journalist 698, 713 f., 722 Dienstbier, Jiří, tschechoslowakischer Außenminister 574, 586, 769 Dimitrow, Bojko, bulgarischer Außenminister 589 Dobretsberger, Josef, österreichischer Politiker 208–211, 527 Dobrovský, Luboš, tschechoslowakischer Verteidigungsminister 585 Douglas, Howard, US Sonderbeauftragter für Flüchtlingsfragen 755 Dragon, Fritz, österreichischer Journalist 714 Dubček, Alexander, tschechoslowakischer Ministerpräsident 584 Dubrović, Milan, österreichischer Journalist 707 Dugin, Alexander, russischer Publizist 591 Duić, Mario, österreichischer General 260, 262, 266, 273–275, 289, 318 f., 437, 439 f., 443 Dulles, John Foster, US Außenminister 40, 60,

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Personenregister 62, 64 f., 67, 71–73, 75, 98, 101, 193, 220, 223, 235, 419 Duttweiler, Gottlieb, Schweizer Unternehmer 231 Eden, Anthony, britischer Premierminister 20, 63, 67 Eder, Erich, österreichischer General 340, 441, 449 f., 594 Eger, Rainer, deutscher Politologe 724 Einem, Caspar, österreichischer Innenminister 679 Eisenhower, Dwight D., US Präsident 44, 52, 58, 60, 72, 147, 213, 223, 390, 417 f., 428 Eizenstat, Stuart E., US Unterstaatssekretär 246 Engels, Friedrich, deutscher Philosoph, Schriftsteller 396, 398 Enzenhofer, Franz, österreichischer General 341 Ermacora, Felix, österreichischer Völkerrechtler 169, 304, 464 Ernst, Alfred, Schweizer Korpskommandant 243 f. Falk, Kurt, österreichischer Journalist 714 Falls Cyrill, britischer Offizier, Historiker 438 Fally, Edmund, österreichischer General 278, 341 Fasslabend, Werner, österreichischer Verteidigungsminister 340, 447, 622, 624, 626, 628– 630, 632, 634, 637–640, 642 f., 646, 648, 655, 658 f., 661, 663, 665, 669, 674, 676, 678–681, 683, 685 f. Faure, Edgar, französischer Ministerpräsident 69 Fechteler, William M., US Admiral 81 Feichtlbauer, Hubert, österreichischer Journalist 749 Feldscher, Peter Anton, Schweizer Diplomat 201, 204–206, 208 f., 211–218, 221–223, 225 f. Figl, Leopold, österreichischer Bundeskanzler 35, 75, 91 f., 103, 107, 112, 114–116, 119, 122–126, 130, 206, 210 f., 213, 216, 219–225, 458, 507, 696 Fischer, Ernst, österreichischer Politiker 207 f., 218, 691 f. Fischer, Heinz, österreichischer Bundespräsident 561, 605, 675, 678, 748 Fitzmaurice, Gerald Gray Sir, Rechtsberater im Foreign Office 93 f. Flajnik, Bruno, österreichischer Journalist 720

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Fontana, Oskar Maurus, österreichischer Journalist 697 Forrestal, James V., US Verteidigungsminister 31 Fortunat, Viktor, österreichischer General 341, 364 Fouchet, Christian, französischer Diplomat 122 Freihsler, Johann, österreichischer General, Verteidigungsminister 274 Freistetter, Franz, österreichischer General 442 Frisch, Max, Schweizer Schriftsteller 246 Frischenschlager, Friedhelm, österreichischer Verteidigungsminister 340, 364, 380 Frunse, Michail, sowjetischer Kriegskommissar 187 Fuchs, Martin, österreichischer Diplomat 263 Für, Lajos, ungarischer Verteidigungsminister 583 Fussenegger, Erwin, österreichischer General 82, 255 f., 265, 268, 273 f., 294, 445 Gaál, Anton, österreichischer Politiker 606 Gaddafi, Muammar Abu Minyar al-, libyscher Revolutionsführer 766 Galley, Robert, französischer Verteidigungsminister 318 Galtung, Johan, norwegischer Soziologe, Friedensforscher 438 Garejew, Machmut, sowjetischer General 187 Gärtner, Heinz, österreichischer Politologe 610 f., 677, 773 Gehler, Michael, österreichischer Historiker 612, 709, 770 Giap, Vo Nguyen, vietnamesischer General 438, 445 Goebbels, Josef, NS Propagandaminister 456 Goldenberg, Yakuv, sowjetischer Medienoffizier 699 Gomułka, Władisław, polnischer Ministerpräsident 502 Göncz, Árpád, ungarischer Staatspräsident 575 Gorbach, Alfons, österreichischer Bundeskanzler 719 Gorbatschow, Michail, sowjetischer Staats- und Parteichef 186–189, 380, 400, 407, 538, 549, 555, 566 Gottwald, Klement, tschechoslowakischer Staatspräsident 502

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Personenregister

Graf, Ferdinand, österreichischer Verteidigungsminister 82 f., 257, 262–265 Graff, Michael, österreichischer Politiker 684 Gratz, Leopold, Außenminister, Bürgermeister von Wien 493 Gretschko, Andrei Antonowitsch, Marschall der Sowjetunion, Verteidigungsminister 162, 172 f., 177, 399 Gromyko, Andrei Andrejewitsch, sowjetischer Außenminister, Staatsoberhaupt 170, 747, 760 Grosz, Károly, ungarischer Ministerpräsident 407 Gruber, Karl, österreichischer Außenminister 30, 32 f., 35, 47, 114 f., 201–208, 211 f., 214–216, 218, 457, 507, 700, 709 Grubhofer, Franz, österreichischer Innenminister 155, 712 Grubmayr, Herbert, österreichischer Diplomat 562, 575 Guevara Serna, Ernesto (Ché), kubanischer Guerillaführer 439 Gusenbauer, Alfred, österreichischer Bundeskanzler 621 Gyarmati, István, ungarischer Diplomat 583 Hacker, Walter, Funktionär der SPÖ 764 Hackett, John Sir, britischer General 415 f. Hahlweg, Werner, deutscher Historiker 438 Haider, Jörg, österreichischer Politiker 608, 677 Hammarskjöld, Dag, schwedischer Politiker, UNO-Generalsekretär 231, 235, 238 Handy, Thomas T., US General 57 Hansen-Löwe, Friedrich, österreichischer Journalist 714 Harrison, Geoffrey, Beamter im Foreign Office 92, 110, 114 Haslacher, Ernst, österreichischer Historiker 715 Hautmann, Hans, österreichischer Historiker 716 Havel, Václav, tschechischer Dichter, Präsident 575, 579, 584–586, 614 Haymerle, Heinrich, österreichischer Diplomat 122, 125 Hayter, William, britischer Diplomat 121 Hebditch, David, britischer Journalist 541 Heidegger, Klaus, österreichischer Friedensaktivist 609 Heller, Otto, österreichischer General 302, 439

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Helmer, Oskar, österreichischer Innenminister 51, 700 Heusinger, Adolf, deutscher General 45, 49, 61, 74 Hibbert, N.N., Beamter im Foreign Office 109 Hinteregger, Gerald, österreichischer Diplomat 562 Hintersteininger, Margit, österreichische Politologin 612 Hitler, Adolf 19, 95, 205 f., 208, 455, 474 Hochauer, Günter, österreichischer General 341, 440 f., 443, 445 f., 450 Hochleitner, Erich, österreichischer Diplomat 634, 653, 678 Hoffmann, Arthur, Schweizer Bundesrat 246 Hoffmann, Heinz, deutscher General, Verteidigungsminister DDR 410 Hohl, Reinhard, Schweizer Diplomat 201, 225 f. Holbrooke, Richard, US Diplomat 652, 657, 659 Honecker, Erich, Staatsratsvorsitzender der DDR 189, 546 Horn, Gyula, ungarischer Außenminister 580– 582, 592, 768 Hotz, Jean, Schweizer Diplomat 504, 540 Hubalek, Felix, österreichischer Schriftsteller 714 Hussein, Saddam, irakischer Diktator 621 Hutter, Erhard, österreichischer Journalist 758– 761 Iliescu, Ion, rumänischer Staatspräsident 579, 588 Iljitschow, Iwan, sowjetischer Diplomat, Hochkommissar 98, 222 Innitzer, Theodor, Kardinal, Erzbischof von Wien 710 Iwaschutin, Pjotr, sowjetischer Generaloberst 160 Jakubovski, Iwan Ignatjewitsch, Marschall der Sowjetunion 287 Janajew, Gennadij, sowjetischer Politiker 579 Jankowitsch, Peter, österreichischer Außenminister 561 Jaruzelski, Wojciech Witold, polnischer Staatspräsident 468, 587 Jasow, Dimitri, Marschall der Sowjetunion 401, 573, 580, 590 f., 772 Jelzin, Boris, sowjetischer, russischer Präsident 570, 580, 592, 613, 619

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Personenregister Jenner, Charles (Karl) von, Schweizer Diplomat 201 Jepischew, Alexej A., sowjetischer General 399 Jeszensky, Géza, ungarischer Außenminister 190, 583 Jetzl, Erwin, österreichischer General 439, 446 Jomini, Antoine-Henri, Schweizer Offizier, Militärtheoretiker 336 Jones, Christopher, US Wissenschaftler 558 Jones, David C., US General 393 Joulwan, George Alfred, US General 654 Jung, Wolfgang, österreichischer General, Politiker 607 Kadar, János, ungarischer Ministerpräsident 406 Kahn, Herman, US Kybernetiker, Futurologe 394 Karasek, Franz, österreichischer Politiker 750 Kárpáti, Ferenc, ungarischer Verteidigungsminister 582 Kaufmann, Stefan, österreichischer Geschäftsmann 509 f. Kelsen, Hans, österreichischer Staats- und Völkerrechtler 464 Kennan, George F., US Diplomat 26 f., 33, 38, 47, 417 Kennedy, John F., US Präsident 151, 388, 390, 417, 422–424, 717, 723 Kéthly, Anna, ungarische Politikerin 707 Keyes, Geoffrey, US General, Hochkommissar 30, 42, 48 Khol, Andreas, österreichischer Nationalratspräsident 595, 606 f., 683, 731, 753 f., 756 Khomeini, Ruholla Mussawi, Ayatollah, Führer der islamischen Revolution im Iran 536 Kicker, Renate, österreichische Kommunikationswissenschaftlerin 756 Kienzl, Heinz, österreichischer Nationalökonom 754 Kirchschläger, Rudolf, österreichischer Bundespräsident 464, 725, 730, 735, 740, 751 Klambauer, Otto, österreichischer Journalist 727 Klaus, Josef, österreichischer Bundeskanzler 169, 293, 706, 719, 721–724, 729 f. Klima, Viktor, österreichischer Bundeskanzler 606, 660, 662, 680–684 Köck, Franz, österreichischer Völkerrechtler 612

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Kohout, Pavel, tschechischer Schriftsteller 765 Koiner, Gottfried, österreichischer General 441, 446 Konew, Iwan Stepanowitsch, Marschall der Sowjetunion, Hochkommissar 162, 177, 399, 403, 408 König, Ernest, österreichischer General 622, 624 König, Franz, Kardinal, Erzbischof von Wien 710 Korbacsics, Pál, ungarischer Diplomat 247 Korkisch, Friedrich, österreichischer Politologe 681 Körner, Theodor, österreichischer Bundespräsident 205, 219, 226, 458 Kossygin, Nikolai, sowjetischer Ministerpräsident 184 Kostelka, Peter, österreichischer Politiker, Volksanwalt 646, 679 Krainer, Josef, österreichischer Politiker, Landeshauptmann der Steiermark 380, 491 Kreisky, Bruno, österreichischer Bundeskanzler 75, 92, 116, 122 f., 125 f., 130, 138, 153, 184 f., 214, 216, 225, 229 f., 243, 248, 263 f., 274, 295, 299–302, 311, 319, 340, 445, 455, 460, 462 f., 465–467, 471, 476, 482, 486, 491 f., 546, 687, 689 f., 714, 719 f., 723 f., 730–733, 735, 738 f., 742, 744, 749–751, 753–757, 759 f., 762–766 Kreisky, Peter, österreichischer Sozialwissenschaftler 733, 735 Krejci, Herbert, österreichischer Industriemanager 697 Kreuzer, Franz, österreichischer Gesundheitsminister 695 f., 708, 721 Kritsch, Paul-Michael, österreichischer General 443 Krünes, Helmut, österreichischer Verteidigungsminister 340, 365, 380, 383 Kudrjawzew, Sergej M., sowjetischer Diplomat, Stellvertretender Hochkommissar 225 Kulikow, Wiktor Georgijewitsch, Marschall der Sowjetunion 175, 178, 181, 189, 287, 400, 591 Kuntner, Wilhelm, österreichischer General 435, 441, 627 Kunz, Johannes, österreichischer Journalist 750, 767

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Personenregister

Lalouette, Roger, französischer Diplomat, Stellvertretender Hochkommissar 92 f., 98 Lang, Wilfried, österreichischer Diplomat 678 Lapin, Sergei, sowjetischer Diplomat 248, 716 f. Laskey, Denis, britischer Diplomat 318 Lázár, György, ungarischer Ministerpräsident 749 Leeb, Anton, österreichischer General 263, 313 f., 449 Leitenberger, Ilse, österreichische Journalistin 721 f., 752 LeMay, Curtis Emerson, US General 417, 422 Lendvai, Paul, österreichischer Journalist 739, 757 f., 761 Lenin, Wladimir Iljitsch [Uljanow], Revolutionsführer, sowjetischer Regierungschef 144, 187, 197, 396 Lernet-Holenia, Alexander, österreichischer Schriftsteller 714 Lichal, Robert, österreichischer Verteidigungsminister 395, 435, 593, 622, 665 Liebitzky, Emil, österreichischer General 81, 255, 257 Liko, Karl, österreichischer General 340 Linder, Harold, US Diplomat 504, 540 Lindt, August E., Schweizer Diplomat 230–235 Lingens, Peter Michael, österreichischer Journalist 596 Lloyd, Selwyn, britischer Außenminister 118, 122 Lobow, Wladimir, sowjetischer General 188, 590 Lunacek, Ulrike, österreichische Politikerin 608 Luns, Joseph, niederländischer Politiker, NATO Generalsekretär 183 Luschew, Pjotr, sowjetischer General, Oberkommandierender Warschauer Pakt 584 Lütgendorf, Karl, österreichischer General, Verteidigungsminister 184, 307 f., 311–313, 318, 340, 412, 446, 738 f. MacArthur, Douglas, US General 417 Macmillan, Harold, britischer Premierminister 96, 98, 101, 103–105 Mahan, Alfred Thayer, US Geopolitker 416 Maizière, Lothar de, Ministerpräsident der DDR 573 Majcen, Karl, österreichischer General 340, 594, 599, 637, 642, 654, 659, 663, 669, 683, 685

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Makaschow, Albert, russischer Generaloberst 590 Malenkow, Georgi, Vorsitzender des Ministerrats der UdSSR 146, 157, 392 Maleta, Alfred, österreichischer Nationalratspräsident 713 Malinowski, Rodion, Marschall der Sowjetunion, Verteidigungsminister 153 f., 157–159, 162, 170, 172, 184, 270, 272, 293, 392 Mao Tse Tung (Zedong), chinesischer Politiker, Vorsitzender der KP Chinas 438 f. Marboe, Ernst, österreichischer Journalist 702, 767 Marizzi, Peter, österreichischer Politiker 604, 621 Marsch, Fritz, österreichischer Politiker 739 f., 756 Marshall, George C., US Politiker, Außenminister 30, 41 Martos, Peter, österreichischer Journalist 746, 768, 771 f. Mastny, Vojtech, tschechischer Historiker 145, 163, 228 Matejka, Viktor, österreichischer Politiker, Schriftsteller 746 Matějka, Zdeněk, tschechoslowakischer, tschechischer Diplomat 558 Maudling, Reginald, britischer Stellvertretender Premierminister 470 Maur, Wolf In der, österreichischer Journalist 758 Mayer, Peter österreichischer Politiker 772 f. Mayer, Walter, österreichischer General 441 Mazowiecki, Tadeusz, polnischer Ministerpräsident 570 McCarthy, Joseph, US Politiker 503 McNamara, Robert, US Verteidigungsminister 421–423 McVey, Charles, US Geschäftsmann 540 Meckel, Markus, Außenminister DDR 573 Meischberger, Walter, österreichischer Politiker 631 Melvern, Linda, britische Journalistin 541 Mendès-France, Pierre, französischer Ministerpräsident 66 f., 223 Michta, Andrew, Politologe 558 Migranyan, Andranik, sowjetischer Nationalökonom 570

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Personenregister Mikojan, Anastas, sowjetischer Stellvertretender Ministerpräsident 129, 131 Miksche, Otto, Schriftsteller 438 Miller, Irene, österreichische Journalistin 762 Milošević, Slobodan, serbischer Präsident 631, 657, 660 Mittendorfer, Johann, österreichischer General 341 Mock, Alois österreichischer Außenminister 577, 580, 622, 627, 629, 633, 637, 642 f., 675, 692, 753, 755, 768 f. Moek, Lutz, deutscher General 435 Moissejew, Michail, Marschall der Sowjetunion 406 Molden, Ernst, österreichischer Journalist 694, 752 Molden, Fritz, österreichischer Journalist, Verleger 491, 694, 706–708, 714, 716, 722, 752 f. Möllemann, Jürgen, deutscher Wirtschaftsminister 539 Molotow, Wjatscheslaw M. (Skrjabin), sowjetischer Außenminister, Staatschef 22, 68 f., 89, 106, 130, 142, 147, 193, 219–221, 223 f., 227, 233, 459, 700, 709 Monnet, Jean, französischer Politiker 470 Montgomery, Bernard Law, Viscount, britischer Feldmarschall 33 f., 46 f., 54 Morgan, Hugh Trevors, britischer Diplomat 318 Moser, Hans Helmut, österreichischer General, Politiker 478 Moser, Josef, österreichischer Journalist 713 Moskalenko, Kyrill Semjonowitsch, Marschall, Stellvertretender Verteidigungsminister der UdSSR 399 Mueller-Graaf, Carl Hermann, deutscher Diplomat 79 Müller, Wolfgang C., österreichischer Politologe 699 f. Münkler, Herfried, deutscher Politologe, Sozialphilosoph 303 Mussi, Ingo, österreichischer Diplomat, Schriftsteller 731 Muzik, Peter, österreichischer Journalist 509 Nagiller, Rudolf, österreichischer Journalist 767 Nagy, Imre, ungarischer Ministerpräsident 257, 564, 567, 705

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801

Nagy, László, ungarischer Techniker 768 Nasser, Gamal Abdel, ägyptischer Staatspräsident 481 Nastase, Adrian, rumänischer Außenminister 588 Nehru, Jawaharlal (Pandit), indischer Premierminister 215, 481 Neisser, Heinrich, österreichischer Politiker, Politologe 679 Nenning, Günther, österreichischer Journalist 715, 733 Neuhold, Hanspeter, österreichischer Völkerrechtler 595, 612, 675, 756 Nimmerrichter, Richard „Staberl“, österreichischer Journalist 736 Nixon, Richard M., US Präsident 711 f., 733–736 Norstad, Lauris, US General 392 Nowotny, Thomas, österreichischer Diplomat 596, 627 Nussbaumer, Heinz, österreichischer Journalist 721 Nutting, Anthony, britischer Diplomat 113 Oberleitner, Wolfgang E., österreichischer Schriftsteller 733 f. Ochsenbein, August, Schweizer Diplomat 201 Ogarkow, Nikolai, Marschall der Sowjetunion 173–175, 179, 187, 332 f., 398–400, 403 Olah, Franz, österreichischer Innenminister 714 Öllinger, Theo, österreichischer Politiker 612 Pahr, Willibald, österreichischer Außenminister 730 f., 741, 743, 750, 756, 759 f., 765 f. Paumgartten, Zdenko, österreichischer General 255, 278 Payrleitner, Alfred, österreichischer Journalist 721, 739 f. Pelikán, Jiří, tschechoslowakischer Fernsehdirektor 726 Penfield, J. K., US Diplomat, Hochkommissar 122 f., Perle, Richard, US Politiker, Berater 539 Perry, William J., US Verteidigungsminister 668, 678 Perwuchin, Michail Georgijewitsch, Stellvertretender Ministerpräsident UdSSR 399 Peter, Friedrich, österreichischer Politiker 733, 756

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802

Personenregister

Petitpierre, Max, Schweizer Bundesrat 231 f., 235, 246 f. Philipp, Hannes, österreichischer General 341, 364, 440 f. Piffl-Perčević, Theodor, österreichischer Unterrichtsminister 739 Pilz, Peter, österreichischer Politiker 621, 749 Pirker, Kurt, österreichischer General 341, 446 Pisa, Karl, österreichischer Staatssekretär 721, 724 f. Platzer, Wilfried, österreichischer Diplomat 519 Pleiner, Horst, österreichischer General 280, 340, 598 Podgorny, Nikolai, sowjetischer Staatschef 739 Podzerob, Boris, sowjetischer Diplomat 168, 729 f. Pogány, Éugen Géza, österreichischer Journalist 706 Pollak, Oscar, österreichischer Journalist 695 f., 708 f., 711 Pollhammer, Josef, österreichischer General 341 Pollitzer, Rene, österreichischer Diplomat 683 Popow, Dimitar, bulgarischer Ministerpräsident 589 Portisch, Hugo, österreichischer Journalist 118, 596, 598, 701, 711, 719, 721–723, 727 f., 735 f., 747 Possanner, Georg, österreichischer Offizier, Journalist 737, 756 Postnikow, Stanislaw I., sowjetischer Armeegeneral 403 Potscharow, Michail, sowjetischer Politiker 570 Power, Thomas, US General 421 f. Pozsgay, Imre, ungarischer Staatsminister 581 Prader, Georg, österreichischer Verteidigungsminister 170, 273 f., 295, 438, 445 Prähauser, Stefan, österreichischer Politiker 606 Primakow, Jewgeni Maximowitsch, russischer Ministerpräsident 682 Puy, William E. de, US General 415 Raab, Julius, österreichischer Bundeskanzler 62, 66 f., 70, 75, 79, 82, 91 f., 107, 112 f., 126, 130, 155, 213, 216 f., 219, 222 f., 225, 239, 248, 253, 257, 269, 466, 700, 709, 722, 729 Rabl, Peter, österreichischer Journalist 722 Radford, Arthur William, US Admiral 64, 417

978-3-205-78469-2_Rauch_Block.in802 802

Rannou, Jean, französischer General 671 Rapacki, Adam, polnischer Außenminister 83 Rappard, William E., Schweizer Politiker 245 Rathkolb, Oliver, österreichischer Historiker 693 f., 697, 700 Rauchensteiner, Manfried, österreichischer Historiker 90 f., 595 Reagan, Ronald, US Präsident 400, 417, 536– 539, 755 Reichel, Ignaz, österreichischer General 441 Reimann, Viktor, österreichischer Journalist 694, 721, 735, 744 Reiter, Erich, Sektionschef im BMLV 180, 560, 599 f., 626, 770 Rendulic, Lothar, Generaloberst Deutsche Wehrmacht 275 f., 290 Renner, Karl, österreichischer Bundespräsident 24, 454 f., 457, 488 Ridgeway, Matthew, US General 420 Ritter, Paul, Schweizer Diplomat 246 Roberts, Frank, britischer Diplomat 27 Rohan, Albert, österreichischer Diplomat 562, 579 Rohrer, Anneliese, österreichische Journalistin 742, 765 Rokossowski, Konstantin, Marschall der Sowjetunion, polnischer Verteidigungsminister 141, 399 Roosevelt, Franklin Delano, US Präsident 20, 416 Root, Elihu, US Außenminister, Philantrop 245 Roppert, Alois, österreichischer Politiker 380 Rösch, Otto, österreichischer Verteidigungsminister 181, 184, 259, 274, 300, 340, 342, 346, 353, 765 Ross, A. D. M., britischer Diplomat 102 Rostmistrow, Pawel A., sowjetischer Hauptmarschall 399 Rostow, Walt W., US Sicherheitsberater 423 Rotter, Manfred, österreichischer Völkerrechtler 611 Rüddenklau, Harald, deutscher Politiker 391 Rühl, Lothar, deutscher Staatssekretär 180 Rusk, Dean, US Außenminister 285, 423 Ryschkow, Nikolaj, sowjetischer, russischer Politiker 569

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Personenregister Sacharow, Andrej, sowjetischer Atomphysiker 570 Sacharow, Matwei Wassiljewitsch, Marschall der Sowjetunion 399 Sadykiewicz, Michael sowjetischer und polnischer Offizier, Militärwissenschafter 179 Sajdik, Martin, österreichischer Diplomat 578 Sandler, Rickard, schwedischer Politiker 233 Schano, Michael, österreichischer Schriftsteller 509 Schärf, Adolf, österreichischer Bundespräsident 92, 159, 211, 225, 255, 490 f., 700 Scharff, Heinz, österreichischer General 289, 340, 364 Schätz, Alfred, österreichischer General 595, 604 Scheibner, Herbert, österreichischer Verteidigungsminister 598, 607–609, 643, 678 Scheu, Friedrich, österreichischer Journalist 707 Scheuch, Manfred, österreichischer Journalist 735, 738, 740 Schewardnadse, Eduard, sowjetischer Außenminister, Präsident Georgiens 572, 582, 587, 590, 592 Schiwkow, Todor, bulgarischer Staats- und Parteichef 568 Schleinzer, Karl, österreichischer Verteidigungsminister 262, 273, 740 Schmid, Carlo, Schweizer Ministerialbeamter 231 Schneider, Heinrich, österreichischer Politologe 610, 622, 624, 677 Scholl, Susanne, österreichische Journalistin 758 Schöller, Karl, österreichischer General 446 Schöner, Josef, österreichischer Diplomat 122, 125 f., 214 Schrödinger, Erwin, österreichischer Physiker 710 Schuh, Franz, österreichischer Schriftsteller 688 Schulmeister, Otto, österreichischer Journalist 118, 707, 712, 751–753 Schuman, Robert, französischer Ministerpräsident 40 f. Schüssel, Wolfgang, österreichischer Bundeskanzler 644, 647, 648, 658, 660–662, 675, 678–681, 683 f., 686 Schwarz, Karl-Peter, österreichischer Journalist 774

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803

Schwarzenberg, Johannes, österreichischer Diplomat 103 f., 106, 113, 115, 122 Scrinzi, Otto, österreichischer Politiker 750 Ségur-Cabanac, August, österreichischer General 341, 439 Seinitz, Kurt, österreichischer Journalist 755 Seitz, Otto, österreichischer General 273, 441 Šejna, Jan, tschechoslowakischer General 258, 309–311, 412, 737–740 Seledec, Walter, österreichischer Journalist 679 Senghaas, Dieter, deutscher Sozialwissenschaftler, Friedensforscher 438 Seydoux, François, französischer Diplomat 104, 114, 117 f., 122 f., 130 Shalikashvili, John M., US General 668 Shukow, Georgi Konstantinowitsch, Marschall der Sowjetunion, Verteidigungsminister 157 f., 258, 408 Sinowatz, Fred, österreichischer Bundeskanzler 340, 380, 461, 756 Široký, Viliam, tschechoslowakischer Ministerpräsident 143 Siwicki, Florian, polnischer General 587 Skubiszewski, Krzysztof, polnischer Außenminister 571 Skuhra, Anselm, österreichischer Politologe 564 Slansky, Rudolf, tschechoslowakischer Politiker 502 Slany, William, US Historiker 246 Sloss, Leon, US Abrüstungsexperte 393 Smirnow, Andrej, sowjetischer Diplomat 124 Sokolowski, Wassili Danilowitsch, Marschall der Sowjetunion 139, 159, 160, 172, 175, 187, 265, 277, 329, 398 f. Solana, Javier, spanischer Politiker, NATO Generalsekretär 644, 647, 680 Spaak, Paul-Henri, belgischer Politiker, NATO Generalsekretär 73, 101, 114, 132, 231 Spannocchi, Emil, österreichischer General 182, 244, 260 f., 302–305, 309, 312, 316, 319–322, 337, 341, 343, 346, 438, 439 f., 445–448, 450 Speidel, Hans, deutscher General 72 Sperl, Gerfried, österreichischer Journalist 732, 773 Spillmann, Kurt R., Schweizer Historiker 237 Spindelegger, Michael, österreichischer Außenminister 607

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804

Personenregister

Spykman, Nicholas, US Geopolitker 416 Stadler, Andreas, österreichischer Politologe 771 Stalin, Josef 19–22, 26, 29, 38, 56, 58, 141, 144, 146 f., 197 f., 204, 214, 502, 513, 537, 554 Stanculescu, Victor, rumänischer Politiker, Verteidigungsminister 588 Stankovsky, Jan, österreichischer Wirtschaftswissenschaftler 541 Stanzl, Werner, österreichischer Journalist 310, 737, 768 Staribacher, Josef, österreichischer Handelsminister 321, 760 Steiner, Ludwig, österreichischer Staatssekretär 756, 765 Stenzl, Ursula, österreichische Journalistin, Politikerin 679 Stephani, Karl, österreichischer Staatssekretär 255, 265, 274, 290 Steyrer, Peter, österreichischer Politiker 609 Stiotta, Max, Generalmajor Deutsche Wehrmacht 271 Stourzh, Gerald, österreichischer Historiker 90 f., 132, 193 Stoutz, Jean de, Schweizer Diplomat 213 Strasser, Peter, österreichischer Politiker 489, 491 Strauß, Franz-Josef, deutscher Verteidigungsminister 82 Strausz-Hupe, Robert, US Geopolitiker 416 Streletz, Fritz, Generaloberst der NVA 181 f. Sukarno, Achmed, indonesischer Präsident 481 Szajkowski, Bogdan, Politologe 558 Széles, Robert, ungarischer General 181, 272, 287 Szűrös, Mátyás, ungarischer Parlamentspräsident 582 Tauschitz, Othmar, österreichischer General 340 f., 380, 445, 450, 621 Taviani, Paolo Emilio, italienischer Verteidigungsminister 80 f., 83, 102, 257 Taylor, Maxwell D., US General 388, 420 Thalberg, Hans, österreichischer Diplomat 193 f. Thatcher, Margaret, britische Premierministerin 537 Thompson, Llewellyn, US Diplomat, Hochkommissar 92 f., 96–98, 104, 109, 114, 118, 120, 130

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Timoschenko, Semjon Konstantinowitsch, Marschall der Sowjetunion, Verteidigungsminister 399 Tito, Josip (Broz), jugoslawischer Marschall, Präsident 54, 58, 307, 310, 356, 481, 631, 741, 750 Tomicich, Eckart, österreichischer Diplomat 516 Torberg, Friedrich, österreichischer Journalist, Schriftsteller 491, 698, 714 f. Tretter, Johann, österreichischer General 341, 449 Trost, Ernst, österreichischer Journalist, Schriftsteller 773 Truman, Harry S., US Präsident 22, 28 f., 31, 38 f., 43, 53, 123, 125, 417, 502, 508 Truxa, Raimund, österreichischer General 316, 341, 450 Tschuikow, Wassili Iwanowitsch, Marschall der Sowjetunion 399 Ulbricht, Walter, Staatsratsvorsitzender DDR 264, 724 Umbach, Frank, deutscher Historiker 156, 179, 558 Unterberger, Andreas, österreichischer Journalist 627, 742, 755, 774 Unterseher, Lutz, deutscher Politikberater 438 Ustinow, Dmitri, Marschall der Sowjetunion, Verteidigungsminister 173, 184, 287 Vaclavik, Milan, tschechoslowakischer Verteidigungsminister 584 Van der Bellen, Alexander, österreichischer Politiker 748 Verdross, Alfred, österreichischer Völkerrechtler 464, 472 Verosta, Stephan, österreichischer Völkerrechtler 126, 464 Voggenhuber, Johannes, österreichischer Politiker 621 Vollgruber, Alois, österreichischer Diplomat 115, 214 Vranitzky, Franz, österreichischer Bundeskanzler 340, 380, 605, 623 f., 626 f., 629, 633, 639, 642 f., 653, 655, 678–680 Vyšinskij, Andrej, sowjetischer Außenminister 67 Waldheim, Kurt, österreichischer Bundespräsi-

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Personenregister dent 168, 170, 184, 380, 468, 477, 596, 689, 725, 730 Wałęsa, Lech, polnischer Präsident 579, 592 Wallinger, Geoffrey, britischer Diplomat, Hochkommissar 92 f., 96, 98, 103 f., 106–110, 112–118, 120, 122–127, 130 Ward, Jack, E., britischer Diplomat 98 Warenzow, Sergei Sergejewitsch, sowjetischer Hauptmarschall 399 Washietl, Engelbert, österreichischer Journalist 746, 750 f., 759 Wassermann, Heinz, österreichischer Historiker 701 Wassilewski, Alexandr, Marschall der Sowjetunion, Verteidigungsminister 141 Weichs an der Glon, Clemens, österreichischer Diplomat 119, 126 Wieser, Friedrich, österreichischer General 341 Wildmann, Karl, österreichischer Diplomat 217

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805

Wimmersberger, Anton, österreichischer Politiker 748 Wingelbauer, Hubert, österreichischer General 340 Wohlgemut, Carl, österreichischer General 341 Wölfer, Klaus, österreichischer Diplomat 579 Woroschilow, Kliment Jefremowitsch, Marschall der Sowjetunion, Verteidigungsminister 399 Zeeland, Paul van, belgischer Außenminister 61 Zemanek, Karl, österreichischer Völkerrechtler 464, 595, 636 Zhelew, Zhelju, bulgarischer Präsident 579 Zierer, Brigitta, österreichische Kommunikationswissenschaftlerin 708–710 Zilk, Helmut, österreichischer Journalist, Bürgermeister von Wien 686, 721, 726 f. 757, 765 Zöchling, Christa, österreichische Journalistin 752

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Abkürzungsverzeichnis

a. d. D. ABC-Waffen Abg. z. NR ABM ACMI AFB AFCENT AFCHAN AFFSCE AFNORTH AFNORTHWEST AFOR AFSOUTH AK AKdt AMI AMRAAM Art. ASOC ATAF ATHUM/ALBA AUSLOG/IFOR AWACS A-Waffen AWT B-52 BAV BAWAG BBC Bde BGBl. Bgdr. BIP BKA Blg. BMaA (BMeiA)

978-3-205-78469-2_Rauch_Block.in807 807

auf dem Dienstweg atomare, biologische und chemische Waffen Abgeordnete(r) zum Nationalrat Anti-Ballistic Missile Air Combat Manoeuvering Installation Air Force Base Allied Forces Central Europe Allied Forces Channel Air Forces Flight Safety Committee Europe Allied Forces Northern Europe Allied Forces Northwestern Europe Albanian Force Allied Forces Southern Europe Armeekommando Armeekommandant Austria Mikrosysteme International Advanced Medium-Range Air-to-Air Missile Artikel Air Sovereignty Operation Center Allied Tactical Air Force Austrian Humanitarian Contingent/Albania Austrian Logistics/Implementation Force (Bosnien) Airborne Early Warning and Control System Atomare Waffen Amt für Wehrtechnik Strategischer Bomber der USA Besondere Anweisungen für die Versorgung Bank für Arbeit und Wirtschaft British Broadcasting Corporation (US-)Brigade Bundesgesetzblatt Brigadier Bruttoinlandsprodukt Bundeskanzleramt Beilage Bundesministerium für auswärtige (europäische und internationale) Angelegenheiten

08.03.2010 15:50:23

808 BMLV BRD Brig BT B-VG CA CAOC CENTAG CENTCOM CG TRADOC CIA CINC CINCSAC CINCSOUTH CINCUSAREUR COCOM COMECON ČSFR ČSSR ČVA d.R. DBPO D-Day DDR DDSG DEFCON dG dhmD Divs DKP DSAA EAPC Ebd. ECA ECE ECMM EFTA EG EGKS Einh ESDI ESVP EU

978-3-205-78469-2_Rauch_Block.in808 808

Abkürzungsverzeichnis

Bundesministerium für Landesverteidigung Bundesrepublik Deutschland Brigade Bereitschaftstruppe Bundes-Verfassungsgesetz Canadisch(e) Combined Air Operations Center Central Army Group Central Command Commanding General US Army Training and Doctrine Command Central Intelligence Agency Commander in Chief Commander in Chief Strategic Air Command Commander in Chief Allied Forces Southern Europe Commander in Chief, US Army Europe Coordinating Committee for East-West-Trade Council for Mutual Economic Assistance Tschechische und Slowakische Föderative Republik Tschechoslowakische Sozialistische Republik Tschechoslowakische Volksarmee der Reserve Documents on British Policy Overseas Stichtag für militärische Operationen Deutsche Demokratische Republik Donaudampfschifffahrtsgesellschaft Defense Readiness Conditions des Generalstabs des höheren militärischen Dienstes (US, brit.) Divisions Deutsche Kommunistische Partei Defense Security Assistance Agency Euro-Atlantic Partnership Council Ebenda Economic Cooperation Administration Europäische Wirtschaftskommission der Vereinten Nationen EU-Monitoring Mission European Free-Trade Association Europäische Gemeinschaft(en) Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl Einheit(en) European Security and Defense Identity Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik Europäische Union

08.03.2010 15:50:23

Abkürzungsverzeichnis

EUCOM EURAC EVG EWG EWR Exp. FAC FAmb FAn FAO FAWEU fdhmD FlA-Waffen FlDiv FM Fn FO FOFA FPÖ FROG FRUS FSD FüBer FYROM GASP GATT GE GenMjr. GenObst Ges.m.b.H GLCM GmbH & Co. KG GPS Global GStbGrp GTD GTI GUS H-Bombe HELBA Hg. HVers i.R.

978-3-205-78469-2_Rauch_Block.in809 809

809

US European Command European Air Chiefs Conference Europäische Verteidigungsgemeinschaft Europäische Wirtschaftsgemeinschaft Europäischer Wirtschaftsraum Export(e) Forward Air Controller Feldambulanz Feste Anlagen Food and Agriculture Organization of the United Nations Forces Answerable to WEU für den höheren militärischen Dienst Fliegerabwehr-Waffen Fliegerdivision Fernmelde Fußnote Foreign Office Follow-on-Forces-Attack Freiheitliche Partei Österreichs NATO Bezeichnung für sowjetische taktische und ballistische Raketen Foreign Relations of the United States Flugsicherheitsdienst Führungsbereich Former Yugoslav Republic of Macedonia Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik General Agreement on Tariffs and Trade Germany Generalmajor Generaloberst Gesellschaft mit beschränkter Haftung Ground Launched Cruise Missile Gesellschaft mit beschränkter Haftung & Compagnie Kommanditgesellschaft Positioning System Generalstabsgruppe Gruppe der Sowjetischen Truppen in Deutschland Generaltruppeninspektor / Generaltruppeninspektorat Gemeinschaft Unabhängiger Staaten Wasserstoffbombe Hellenic-Bulgarian-Austrian (Group) Herausgeber Heeres Versorgung in Ruhe

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810 IAEA IAEO IC ICBM IFEX IFOR IHS IKRK IMAS Imp. INF IPP IRD IWF JaKB JCS JgB JgBrig JVA Kat. Kdo KFOR KG KGB klVerb KP KPdSU KPÖ KSZE KT KTV LANTCOM LD LKW lLWB LRÜ LtGen LV LVAk LWB LWSR MAD

978-3-205-78469-2_Rauch_Block.in810 810

Abkürzungsverzeichnis

International Atomic Energy Agency Internationale Atomenergieorganisation Intelligence Cell Inter Continental Ballistic Missile Impulse Fire Extinguishing System Implementation Force Institut für Höhere Studien Internationales Komitee vom Roten Kreuz Internationales Institut für Markt- und Sozialanalyse Import(e) Intermediate Range Nuclear Forces Individuelles Partnerschaftsprogramm Information Research Department Internationaler Währungsfonds Jagdkampfbataillonen Joint Chiefs of Staff (USA) Jägerbataillon Jägerbrigade Jugoslawische Volksarmee Kategorie Kommando Kosovo Force Kommanditgesellschaft Komitet Gosudarstvennoy Bezopasnost (Komitee für Staatssicherheit, UdSSR) kleiner Verband Kommunistische Partei Kommunistische Partei der Sowjetunion Kommunistische Partei Österreichs Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa Kilotonnen Kampftagsverbrauch US Atlantic Command Leuchtdiode Lastkraftwagen leichte Landwehrbataillone Luftraumüberwachung Lieutenant General Landesverteidigung Landesverteidigungsakademie Landwehrbataillon Landwehrstammregiment Mutually Assured Destruction

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Abkürzungsverzeichnis

MAP MAS MB/MilBez mbl LW MC MdSU MGFA MID MiG Mill/Mio MIT MMB MNB/S MP Man MRBM MRT MT N+N NADC NADGE NAMSA NATO NESC NGT NIC NORTHAG NPG Nr. NS NSC NSDAP NTG NATO NVA ÖAF OECD OEEC ÖGB ÖMK OPEC Op-Fall ORF öS Österr.

978-3-205-78469-2_Rauch_Block.in811 811

811

Membership Action Plan Military Agency for Standardization Militärbezirk (Sowjetunion) Mobile Landwehr Military Council Marschall der Sowjetunion Militärgeschichtliche Forschungsamt Ministerstwo inostrannych del (Außenministerium der Sowjetunion) Mikojan Gurewitsch(-21 etc.), sowjetisches Kampfflugzeug Millionen Massachusetts Institute of Technology Österreichische Militärmission in Brüssel Multinational Brigade South Power Medium Range Ballistic Missile Magyar Rádió és Televízió (staatl. ung. Rundfunk/Fernsehen) Megatonnen Gruppe neutraler und blockfreier Staaten NATO Air Defence Committee NATO Air Defence and Ground Environment NATO Maintenance and Supply Agency North Atlantic Treaty Organization Net Evaluation Sub-Committee Nördliche Gruppe der sowjetischen Truppen National Intelligence Cell Northern Army Group Nuclear Planning Group Nummer Nationalsozialismus/nationalsozialistisch National Security Council Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei Training Group Nationale Volksarmee der DDR Österreichische Automobil Fabrik Organisation for Economic Co-operation and Development Organisation for European Economic Co-operation Österreichischer Gewerkschaftsbund Österreichische Militärkarte Organization of Petroleum Exporting Countries Operations-Fall Österreichischer Rundfunk Österreichische Schilling Österreich/österreichisch

08.03.2010 15:50:23

812 ÖVP PACOM PAP PARP PBA PC PC-6 PCC PfP PG PHP PIF PKK PMSC POMCUS PR PRT PS PSE PSO PTT PzGrenDiv PzTrp RAI RAND RAVAG REFORGER Res. rgbLW Rgt RGW RSZ RTV RVÜ S I, II, III, IV SAC SACEUR SALT SBZ SCUD SDI

978-3-205-78469-2_Rauch_Block.in812 812

Abkürzungsverzeichnis

Österreichische Volkspartei US Pacific Command Polska Agencja Prasowa (polnische Nachrichtenagentur) Planning and Review Process Politischer Beratender Ausschuss (Warschauer Pakt) Political Committee Pilatus Commercial-6 Partnership Coordination Cell Partnership for Peace Partnerschafts- oder Interoperabilitätsziele Parallel History Project on NATO and the Warsaw Pact Peace Implementation Force Politisches Konsultativkomitee (Warschauer Pakt) Political Military Steering Committee on Partnership for Peace Prepositioning of Material Configured in Unit Sets Public Relations Polskie Radio i Telewizja (staatl. polnischer Rundfunk/Fernsehen) Pferdestärken Partnership Staff Elements Peace Support Operations Push to Talk (Fernsprechverbindung) Panzergrenadierdivision Panzertruppe(n) Regional Airspace Management Initiative Research and Development (US »Denkfabrik«) Radio Verkehrs Aktiengesellschaft Return of Forces to Germany Reserve Raumgebundene Landwehr Regiment Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe Raumsicherungszone(n) Radio Television (albanische Fernsehanstalt) Raumverteidigungsübung Sektionen des österreichischen Bundesministeriums für Landesverteidigung Strategic Air Command Supreme Allied Commander Europe Strategic Arms Limitation Talks Sowjetische Besatzungszone in Deutschland NATO-Bezeichnung für sowjetische bzw. russische ballistische BodenBoden-Raketen Strategic Defense Initiative

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Abkürzungsverzeichnis

SED SETAF SFOR SFRJ SGT SHAPE SIOP SLBM SMV SOFA SOUTHAG SOUTHCOM SpB SPD SPÖ SS-20, 21 sSR STANAG START StbB StbKp SU SWS SZ t TASS Terr Org TherMilAk TlZ TRUST TÜPl TV TVD U.K. U.(d).S.S.R. UB U-Boot UÇK UdSSR ULV

978-3-205-78469-2_Rauch_Block.in813 813

813

Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands Southern European Task Force Stabilisation Force Sozialistische Föderative Republik Jugoslawien Südliche Gruppe der sowjetischen Truppen Supreme Headquarters Allied Powers Europe Single Integrated Operational Plan Submarine Launched Ballistic Missile Sowjetische Mineralöl-Verwaltung Status of Forces Agreement Southern Army Group US Southern Command Sperrbataillon Sozialdemokratische Partei Deutschlands Sozialistische (1945–1991), seit 1991 Sozialdemokratische Partei Österreichs Surface to Surface (NATO-Bezeichnung für sowjetische ballistische Raketen) selbstständige Schlüsselräume Standardization Agreement Strategic Arms Reduction Treaty Stabsbataillon Stabskompanie Sowjetunion Sozialwissenschaftliche Studiengesellschaft Schlüsselzone(n) Tonnen Telegrafnoje Agentstwo Sowjetskogo Sojusa (sowjetische Nachrichtenagentur) Territorial Organisation Theresianische Militärakademie Teilzonen US Truppen in Triest Truppenübungsplatz Teatr Wojny (Kriegsschauplatz) Teatr Wojennych Deijstwij (Schauplätze von Kriegshandlungen) United Kingdom Union der Sozialistischen Sowjet Republiken Unbedenklichkeitsbescheinigung Unterseeboot Ushtria Çlirimtare e Kosovës (Befreiungsarmee des Kosovo) Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken Umfassende Landesverteidigung

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814 UN UNCTAD UNDOF UNEF UNFICYP UNHCR UNICEF UNIDO UNIKOM UNO UNPROFOR UNRRA US USA USCINCEUR USD USFA USIA USRO UTM UVA VdU VKSE VÖEST VOK VOREIN VSBM WdU WEAG WEOG WEU WP WSPA WTO zbV ZGT ZR

978-3-205-78469-2_Rauch_Block.in814 814

Abkürzungsverzeichnis

United Nations Konferenz der Vereinten Nationen für Handel und Entwicklung United Nations Disengagement Observer Force United Nations Emergency Force United Nations Peacekeeping Force in Cyprus (Office of the) United Nations High Commissioner for Refugees United Nations International Children’s Emergency Fund United Nations Industrial Development Organisation United Nations Iraq-Kuwait Observation Mission United Nations Organization United Nations Protection Force United Nations Relief and Rehabilitation Administration United States United States of America US Commander in Chief Europe US-Dollar US Forces in Austria Verwaltung des sowjetischen Eigentums in Österreich United States Regional Organizations Universale Transversale Mercatorsystem Ungarische Volksarmee Verband der Unabhängigen Verhandlungen über Konventionelle Streitkräfte in Europa Vereinigte Österreichische Eisen- und Stahlwerke Vereintes Oberkommando Vorbereitete Einheiten Vertrauens- und Sicherheitsbildenden Maßnahmen Wahlpartei der Unabhängigen Western European Armaments Group Western European and Other States Group Westeuropäische Union Warschauer Pakt Weapon System Partnership Agreement World Trade Organization zur besonderen Verwendung Zentrale Gruppe der sowjetischen Truppen Zentralraum

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Autorenverzeichnis

Privatdozent Dr. phil. Hans Rudolf Fuhrer (*1941) : Lehr- und Forschungstätigkeit an der Sekundarlehrerausbildung/Universität Zürich (SFA) bis 1990, an der Militärakademie/ ETH Zürich und an der Universität Zürich bis 2006 und seither an den Seniorenuniversitäten/Volkshochschulen Luzern/Winterthur und Zürich ; Vorstandsmitglied in der Schweizerischen Vereinigung für Militärgeschichte und Militärwissenschaft (SVMM) bis 2008 und in der Gesellschaft für Militärhistorische Studienreisen (GMS) seit 1991 ; diverse Publikationen vor allem zur schweizerischen Militärgeschichte ; Oberst a D, als Milizoffizier zuletzt Kommandant eines Motorisierten Infanterieregiments ; [email protected]. Univ.-Prof. Mag. Dr. Michael Gehler (*1962) : Leiter des Instituts für Geschichte und Jean Monnet-Chair an der Stiftung Universität Hildesheim, Mitglied der Verbindungsgruppe der Historiker bei der Kommission der Europäischen Union, korrespondierendes Mitglied der Philosophisch-Historischen Klasse der Österreichischen Akademie der Wissenschaften für das Ausland, http://www.uni-hildesheim.de/de/geschichte.htm; [email protected] Botschafter Dr. Peter Jankowitsch (*1933) : Ständiger Vertreter bei den Vereinten Nationen in New York, bei der OECD in Paris und bei zahlreichen großen internationalen Konferenzen, darunter vielen Gipfeltreffen der Blockfreien oder der Organisation Frankophoner Staaten auf allen Kontinenten ; mehrmals in den Nationalrat gewählt ; Mitglied der Bundesregierung als Au?enminister und Staatssekretär für Europa ; gegenwärtig u. a. als Generalsekretär des Österreichisch-Französischen Zentrums für europäische Annäherung und Experte für Weltraumfragen in gemeinsamen Organen der Europäischen Union und der Europäischen Weltraumagentur ESA tätig. Mag. phil. Friedrich Korkisch PhD (*1940) : Studium in Österreich, Ungarn und in den USA, Univ.-Lektor. MinR iR des BMLV, Oberst dhmfD iR, von 1972 bis 2002 im BMLV, Generalstabsgruppe B/ LuftA/Air Staff ; Lehrtätigkeit an der Landesverteidigungsakademie Wien und am Strategischen Führungslehrgang, im Vorstand des Europäischen Forums Alpbach, Leiter des Instituts für Außen- und Sicherheitspolitik, Mitglied der Wissenschaftskommission des BMLV und Vorsitzender des Beirates für Strategie und Sicherheitspolitik des BMLVS, zwischen 1992 und 2002 KSZE/OSZE und ab 1996 auch im NATO Air Defense Committee ; Mitarbeiter der ÖMZ ; Mitglied der International Studies Assoc., Univ. of Arizona ; Verfasser von Beiträgen zur Sicherheitspolitik, Strategie, Luftkrieg, Diplomatie und Völkerrecht in Österreich, Deutschland und USA. Dr. phil. Martin Malek (*1965) : 1991 Promotion in Politikwissenschaft in Wien, seit 1997 Forscher am Institut für Friedenssicherung und Konfliktmanagement der Landesvertei-

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digungsakademie (Wien) ; arbeitet dort u.a. am Monitoring von ethnischen Konflikten in der GUS, der Analyse von Sicherheits- und Militärpolitik der GUS-Staaten, Failed-states-Theorien sowie den Beziehungen zwischen der GUS und der EU bzw. NATO ; Gastforscheraufenthalte in Russland, der Ukraine, Deutschland und den USA ; Lehrtätigkeit u.a. an der Landesverteidigungsakademie und der Universität Wien ; Verfasser von ca. 250 in einem Dutzend Ländern erschienenen Publikationen. Dr. Berthold Molden (*1974) : Historiker, arbeitet zu Fragen des Kalten Krieges (Mediengeschichte, Geschichts- und Erinnerungspolitik, Intellectual History) in Europa, Lateinamerika und den USA ; am Ludwig Boltzmann Institut für Europäische Geschichte und Öffentlichkeit koordiniert er das internationale Forschungsprojekt »Repräsentationen des Kalten Krieges an europäischen Grenzen« ; [email protected]. Dr. phil. Wolfgang Mueller: Mitarbeiter an der Historischen Kommission der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) ; Lehrbeauftragter an der Universität Wien ; Forschungsaufenthalte u.a. an der Russischen Akademie der Wissenschaften und Stanford University ; Publikationen u. a.: »Die sowjetische Besatzung in Österreich 1945–1955«, »Sowjetische Politik in Österreich 1945–1955 : Dokumente aus russischen Archiven« (Hg. mit A. Suppan, N. Naimark, G. Bordjugov), »Der österreichische Staatsvertrag 1955« (Hg. mit G. Stourzh, A. Suppan), »Peaceful Coexistence or Iron Curtain ? Austria, Neutrality, and Eastern Europe, 1955–1989« (Hg. mit A. Suppan). Gen iR Hannes Philipp (*1930) : 1955 Eintritt in das österreichische Bundesheer ; Offiziersausbildung an der Theresianischen Militärakademie 1957 mit Rang 1 beendet ; Fortbildungen in den USA ; 1963–1966 Generalstabsausbildung ; 1966 zum Hauptmann des Generalstabs ernannt ; 1968 im HQ/UNFICYP ; 1974–1979 Force Commandant von UNDOF (United Nations Disengagement Force) ; 1985–1991 Armeekommandant und bis 1992 Leiter der SIII/BMfLV als General. Gen iR Horst Pleiner (*1941) : 1959 Matura in Salzburg ; 1959 zum Bundesheer (FJgB 29) in Glasenbach, 1960 bis 1963 Militärakademie, 1963 Ausmusterung als Leutnant zur Jägerschule in Saalfelden, 1969 bis 1972 Generalstabskurs, 1972 bis 1975 Hauptlehroffizier an der LVAk, 1975 bis 1978 Kommandant des 8. Generalstabskurses, 1978 Operationsabteilung im BMfLV, 1979 bis 1980 Truppenverwendung als Kommandant LWSR 32 in Leobendorf, 1980 zurück in Operationsabteilung, dann Leiter der Abteilung ; 1990 Leiter der Generalstabsgruppe B im BMLV, 2000 bis 2003 Generaltruppeninspektor, April 2003 Ruhestand ; [email protected]. Dr. Manfried Rauchensteiner (*1942) : studierte Geschichte und Germanistik an der Universität Wien ; seit 1975 ao. Univ.-Prof. für österreichische Geschichte an der Universität Wien und zeitweilig in Innsbruck, sowie an der Landesverteidigungsakademie und der Diplomatischen Akademie in Wien ; 1988–1992 Leiter des Militärhistorischen Dienstes im Bundesministerium für Landesverteidigung ; danach bis 2005 Direktor des Heeresgeschichtlichen Museums ; Autor zahlreicher Publikationen ; [email protected]

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Dr. Andreas Resch: ao. Univ.-Prof. am Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Wirtschaftsuniversität Wien ; zahlreiche Publikationen, u.a. zu den Themenbereichen Osthandel, Kapitalmärkte, Industrieentwicklung und Innovationen, Kartelle und Wettbewerbspolitik, Kreativwirtschaft, Unternehmensgeschichte. Dr. Bruno Thoß (*1945) : Ltd. Wiss. Direktor a. D.; 2001–2005 Leiter des Forschungsbereichs III »Militärgeschichte der Bundesrepublik im Bündnis« im Militärgeschichtlichen Forschungsamt Potsdam ; 2005–2008 Leiter der Abteilung Forschung ; Forschungsschwerpunkt: Geschichte der Internationalen Sicherheitsbeziehungen nach 1945 ; [email protected].

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