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German Pages 207 Year 1995
Veröffentlichungen des Osteuropa-Institutes München Reihe: Wirtschaft und Gesellschaft Heft 22
Zwischen Anpassung und Autonomie Rußlanddeutsche in der vormaligen Sowjetunion und in der Bundesrepublik Deutschland Von Barbara Dietz
Duncker & Humblot · Berlin
BARBARA DIETZ
Zwischen Anpassung und Autonomie
Veröffentlichungen des Osteuropa-Institutes München Reihe: Wirtschaft und Gesellschaft früher Schriften des Institutes zum Studium der Sowjetwirtschaft an der Hochschule für Sozialwissenschaften Wilhelmshaven
Herausgegeben von Prof. Dr. G. Hedtkamp Redaktion: Dr. H. Clement Heft 22
Zwischen Anpassung und Autonomie Rußlanddeutsche in der vormaligen Sowjetunion und in der Bundesrepublik Deutschland
Von
Barbara Dietz
Duncker & Humblot · Berlin
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme
Dietz, Barbara: Zwischen Anpassung und Autonomie : Russlanddeutsche in der vormaligen Sowjetunion und in der Bundesrepublik Deutschland / von Barbara Dietz. Berlin : Duncker und Humblot, 1995 (Veröffentlichungen des Osteuropa-Institutes München : Reihe: Wirtschaft und Gesellschaft ; H. 22) Zugl.: Bremen, Univ., Diss., 1995 ISBN 3-428-08472-1 NE: Osteuropa-Institut (München): Veröffentlichungen des OsteuropaInstitutes München / Reihe: Wirtschaft und Gesellschaft
Alle Rechte vorbehalten © 1995 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0580-2008 ISBN 3-428-08472-1 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 ©
Vorwort Seit dem Ende der achtziger Jahre gehören die Rußlanddeutschen zu den größten Zuwanderungsgruppen in der Bundesrepublik. Ihrer Aufnahme und Integration wird deshalb in der Öffentlichkeit weitaus größere Aufmerksamkeit geschenkt als dies früher der Fall war. Dabei scheinen die Voraussetzungen für ihre Integration in der Bundesrepublik auf den ersten Blick besonders günstig: Rußlanddeutsche sind sowohl ihrer Herkunft und ihrem Empfinden als auch der gesetzlichen Regelung in der Bundesrepublik nach Deutsche, und ihre Integrationsbereitschaft ist zumeist hoch. Jedoch unterscheiden sich ihre Sozialisationsbedingungen und Prägungen in der vormaligen Sowjetunion so grundlegend von denjenigen der Bundesbürger, daß erhebliche wechselseitige Anpassungs- und Verständigungsschwierigkeiten unvermeidlich auftreten müssen. Ausgehend von der Annahme, daß die Situation im Herkunftsland die Integration rußlanddeutscher Aussiedler in der Bundesrepublik bestimmt, werden im vorliegenden Band die Lebensbedingungen der Rußlanddeutschen in der (vormaligen) Sowjetunion beleuchtet und Überlegungen dazu angestellt, worauf sich ihre ethnische Identität bezieht. Vor dem Hintergrund der Migration zahlreicher Rußlanddeutscher in die Bundesrepublik schließt sich eine Untersuchung ihrer Integrationsbedingungen und -probleme in Deutschland an. Dabei wird reflektiert, daß sich wesentliche Fragestellungen des ausgehenden zwanzigsten Jahrhunderts - die Stellung ethnischer Minderheiten in Vielvölkerstaaten, die wandelbare Rolle ethnischer Identität, die zunehmenden Migrationsbewegungen aufgrund ökonomischer Schwierigkeiten und ethnischer Konflikte und die Integration von Zuwanderern in eine unbekannte Gesellschaft - exemplarisch in der Geschichte der Rußlanddeutschen spiegeln. Mein Dank gilt vor allem Professor Dr. W. Eichwede und Dr. K. Segbers, die diese Arbeit fachlich betreut und mit vielen Anregungen unterstützt haben. Weiterhin möchte ich meinen Kollegen und den studentischen Mitarbeiterinnen vom Osteuropa-Institut München für ihre engagierten Diskussionen danken. Ohne die Förderung des Bundesministeriums des Inneren und die Unterstützung des Direktors und des stellvertretenden Direktors des OsteuropaInstituts München, Prof. Dr. G. Hedtkamp sowie Dr. H. Clement, wäre diese Arbeit nicht zustande gekommen. Ihnen gebührt dafür besonderer Dank. München, im Juni 1995 Barbara Dietz
Inhalt
Einführung
13
Erstes Kapitel
Die Rußlanddeutschen in der Sowjetunion und ihren Nachfolgestaaten: Stellung im multinationalen Zusammenhang und ethnische Identität 1. Nationalitätenpolitik in der vormaligen Sowjetunion
20
2. Die Bedeutung der föderalen Struktur in der vormaligen Sowjetunion . . . .
24
3. Nationale Grenzziehungen in der vormaligen Sowjetunion: Volkszählung und Paßsystem
27
4. Die Stellung der Deutschen im multinationalen Zusammenhang der vormaligen Sowjetunion
28
4.1.
Zur Geschichte der Rußlanddeutschen
29
4.2.
Die Rußlanddeutschen im Spiegel der sowjetischen Volkszählungen . .
33
5. Zur ethnischen Identität der Rußlanddeutschen
37
5.1.
Ethnische Identität: eine Begriffsbestimmung
38
5.2.
Elemente ethnischer Identität bei den Rußlanddeutschen
40
5.2.1.
Vorstellung einer gemeinsamen Herkunft, gemeinsamer geschichtlicher Hintergrund und gemeinsame gesellschaftliche Erfahrungen
41
5.2.2.
Soziokulturelle Gemeinsamkeiten
42
5.2.3.
Subjektives Bekenntnis zur gemeinsamen ethnischen Gruppe
5.2.4.
Fremdzuweisung
.
47 48
Inhalt
8
Zweites Kapitel
Die Lebensbedingungen der Rußlanddeutschen in der vormaligen Sowjetunion 1. Ausbildungssituation, Arbeitsleben und wirtschaftliche Lage 1.1.
Die Bildungssituation im sowjetischen Kontext
54
1.2.
Die Stellung im Arbeitsleben
57
1.3.
Die wirtschaftliche Situation
59
1.4.
Deutsche als Wirtschaftsfaktor
62
2. Partizipation im politischen und gesellschaftlichen Bereich
65
2.1.
Deutsche in politischen Institutionen
2.2.
Politische Betätigung und gesellschaftliche Partizipation aus individueller Sicht
68
2.3.
Politische Initiativgruppen und die Autonomiediskussion
70
2.3.1.
Die Gesellschaft »Wiedergeburt«
72
2.3.2.
Autonomievarianten
74
2.4. 3.
53
Fortbestand sprachlicher, kultureller und religiöser Traditionen unter sowjetischen Rahmenbedingungen
Ethnische Beziehungen
66
78 80
3.1.
Ethnisches Konfliktpotential
81
3.2.
Ethnische Beziehungen aus der Sicht der Rußlanddeutschen
84
Drittes Kapitel
Migrationsbewegungen in der Geschichte der Rußlanddeutschen 1. Migrationsbewegungen der Rußlanddeutschen im Kontext der allgemeinen Wanderungsbewegungen innerhalb der vormaligen Sowjetunion 1.1.
Die Migration der Rußlanddeutschen innerhalb der vormaligen Sowjetunion
2. Die Emigration der Rußlanddeutschen aus der vormaligen Sowjetunion . . . 2.1.
Die Dynamik der rußlanddeutschen Ausreisebewegung
2.2.
Ausreisegründe aus der Sicht der Rußlanddeutschen
88 92 97 98 105
Inhalt Viertes Kapitel
Rußlaiiddeutsche in der Bundesrepublik Deutschland: Aufnahmebedingungen und Aspekte der Integration 1. Integration unter neuen gesellschaftlichen Vorzeichen
113
1.1.
Integration: eine Begriffsbestimmung
114
1.2.
Zur Integration der Rußlanddeutschen in der Bundesrepublik
115
1.3.
Kenntnisse über Deutschland und Erwartungen an die »neue Heimat« .
117
1.4.
Aufnahmebedingungen in der Bundesrepublik
119
2. Zur beruflichen Integration rußlanddeutscher Aussiedler
122
2.1.
Stationen der beruflichen Integration
2.2.
Individuelle Faktoren der Arbeitsmarktintegration
126
2.3.
Probleme und Chancen auf dem Arbeitsmarkt
129
2.4.
Berufliche Integration im Spiegel einer Befragung rußlanddeutscher Aussiedler
132
2.5.
Rußlanddeutsche Aussiedler in der bundesdeutschen Arbeitswelt . . .
137
3. Zur gesellschaftlichen und politischen Partizipation rußlanddeutscher Aussiedler
123
139
3.1.
Konfrontation mit einem anderen Gesellschaftssystem
140
3.2.
Meinungen rußlanddeutscher Aussiedler über Staat, Wirtschaft und Gesellschaft der Bundesrepublik
146
3.3.
Mitwirkung in kirchlichen Gemeinden, gesellschaftlichen und politischen Organisationen
151
3.4.
Wahlverhalten und politische Einstellungen
155
4. Rußlanddeutsche Aussiedler im bundesdeutschen Alltag
158
4.1.
Die Rolle der Familie im sozialen Beziehungsgeflecht
159
4.2.
Die Bedeutung der Wohnsituation für die soziale Integration
161
4.3.
Soziale Beziehungen im gesellschaftlichen Kontext
167
Resümee
173
Anhang
176
Literaturverzeichnis
185
Verzeichnis der Tabellen Tabelle 1
Die regionale Verteilung der Deutschen in der Sowjetunion im Jahre 1926
33
Tabelle 2
Die regionale Verteilung der Deutschen in der Sowjetunion in den Jahren 1959,1970,1979 und 1989
35
Tabelle 3
Die regionale Verteilung der Deutschen in der Sowjetunion zu Beginn des Jahres 1991
37
Tabelle 4
Paßnationalität und subjektive Einschätzung der Nationalität. . .
48
Tabelle 5
Einschätzungen der befragten Deutschen in Westsibirien und Kasachstan zur Haltung sowjetischer Behörden und zum »deutschen Problem«
49
Tabelle 6
Bildungsniveau der Deutschen, Kasachen und Russen in Kasachstan
55
Tabelle 7
Studenten an Hochschulen Kasachstans nach der Nationalitätszugehörigkeit zu Beginn des Studienjahres
56
Tabelle 8
Bildungsniveau der Deutschen und Russen im Altaigebiet und im Gebiet Nowosibirsk nach der Volkszählung von 1989 . . . .
56
Tabelle 9
Deutsche Deputierte in örtlichen Sowjets
67
Tabelle 10
Die regionale Verteilung der deutschen Bevölkerung in den Sondersiedlungen
94
Tabellell
Ausreisegründe der interviewten Aussiedler
106
Tabelle 12
Anträge für Aufnahmebescheide
109
Tabelle 13
Einschätzung der befragten Deutschen in der Sowjetunion zur Integration von Aussiedlern in der Bundesrepublik Altersaufbau der befragten rußlanddeutschen Aussiedler zum
118
Tabelle 14
Zeitpunkt des Interviews 1990
133
Tabelle 15
Zeitspanne bis zur ersten Arbeitsaufnahme nach der Einreise
. .
133
Tabelle 16
Beruflicher Neubeginn
Tabelle 17
Verteilung der beschäftigten Befragten auf Berufsbereiche vor der Ausreise und zum Zeitpunkt der Befragung
135
Tabelle 18
Zufriedenheit mit der beruflichen Situation
137
Tabelle 19
Positive Aspekte des Lebens in der Bundesrepublik
144
Tabelle 20
Negative Aspekte des Lebens in der Bundesrepublik
145
Tabelle 21
Einstellung zur Fürsorgepflicht des Staates
148
Tabelle 22
Einstellung zu Staat und Unternehmerfreiheit
149
Tabelle 23
Einstellung zu Unternehmergewinnen
149
Tabelle 24
Einstellung zum gewerkschaftlichen Zusammenschluß
150
134
Tabellen und Abbildungen Tabelle 25
Einstellung zur Gewinnverteilung
11 150
Tabelle 26
Organisationsgrad der befragten Aussiedler
152
Tabelle 27
Religionszugehörigkeit der Befragten
154
Tabelle 28
Subjektive Einschätzung des politischen Interesses
156
Tabelle 29
Parteienorientierung der befragten rußlanddeutschen Aussiedler .
158
Tabelle 30
Familiäre und verwandtschaftliche Kontakte
160
Tabelle 31
Verteilungsschlüssel (Soll-Aufnahme) und tatsächliche Aufnahme von Aussiedlern sowie von Aussiedlern aus der ehemaligen Sowjetunion in der Bundesrepublik Deutschland nach Bundesländern 1976-1992
163
Tabelle 32
Wohnsituation der befragten Aussiedler zum Zeitpunkt des Interviews im Jahre 1990
165
Tabelle 33
Ansiedlungswünsche rußlanddeutscher Aussiedler
166
Tabelle 34
Erfahrung der Ablehnung
168 169
Tabelle 35
Gesellschaftlicher Kontext der Ablehnung
Tabelle 36
Akzeptanz durch die bundesdeutsche Bevölkerung
170
Tabelle A l
Ausgewählte soziodemographische Merkmale (Studie 1985/86) .
176
Tabelle A2
Ausgewählte soziodemographische Merkmale (Studie 1989/90) .
178
Tabelle A3
Ausgewählte soziodemographische Merkmale (Studie 1990). . .
180
Tabelle A4
Ausgewählte soziodemographische Merkmale (Studie 1991). . .
182
Tabelle A5
Anzahl der Aussiedler insgesamt und der Aussiedler aus der vormaligen Sowjetunion
184
Verzeichnis der Abbildungen Abbildung 1
Merkmale ethnischer Identität der Befragten nach Altersgruppen .
51
Abbildung 2
Deutsche Aussiedler aus der Sowjetunion in der Bundesrepublik Deutschland (1955-1986)
101
Abbildung 3
Deutsche Aussiedler aus der ehemaligen Sowjetunion in der Bundesrepublik Deutschland (1987-1992)
103
Abbildung 4
Aspekte der Arbeitswelt in der Sowjetunion und in der Bundesrepublik Deutschland aus der Sicht der Befragten
138
Einführung
Am Ende der achtziger Jahre erreichte die Ausreisebewegung der Deutschen aus der Sowjetunion1 eine bis dahin unbekannte Dynamik und Brisanz sowohl für die beteiligten Staaten - die UdSSR und die Bundesrepublik Deutschland - als auch für die Rußlanddeutschen2 selbst Diese Bewegung hielt nach der Auflösung der Sowjetunion unvermindert an und die damit einhergehenden Probleme verschärften sich. Die Rußlanddeutschen sahen sich, bedingt durch ethnische Konflikte und durch die politische und wirtschaftliche Krisensituation in der vormaligen UdSSR, zunehmend ohne Perspektiven in den jeweiligen Nachfolgestaaten. In der Bundesrepublik Deutschland führte aber die wachsende Zahl rußlanddeutscher Aussiedler, vor dem Hintergrund der sich in den neunziger Jahren verschlechternden wirtschaftlichen Situation, zu sozialen Spannungen, die den Integrationsprozeß der neu ankommenden rußlanddeutschen Zuwanderer in erheblichem Maße erschwerten. Die historischen Erfahrungen und die Lebensbedingungen der Rußlanddeutschen im multinationalen Sowjetstaat bilden die Grundlage für das Verständnis ihrer Situation zwischen »Bleiben oder Gehen«. Der Wunsch, das Territorium der ehemaligen Sowjetunion zu verlassen, ist unter ihnen weitverbreitet. Aber auch der Wille, dort zu bleiben, schließt in manchen Fällen eine Migrationsbewegung innerhalb der Nachfolgestaaten der UdSSR ein. Es besteht die Tendenz, dorthin zu ziehen, wo bereits Deutsche leben bzw. wo vor dem Zweiten Weltkrieg Siedlungsgebiete der Deutschen waren. Diese Form der Migration - back to the roots - ist seit Ende der achtziger Jahre bei zahlreichen nationalen Gruppen in der vormaligen UdSSR zu beobachten. Die Deutschen in der Sowjetunion gehörten zu den wenigen Bevölkerungsgruppen, die seit dem Ende der fünfziger Jahre legal im Rahmen der Familienzusammenführung ausreisen durften. Diese Ausreisemöglichkeit war zahlreichen Restriktionen unterworfen. Erst als die Politik der Perestroika zu 1 Die Auflösung der Sowjetunion hat zu Begriffsverwirrungen geführt. Wenn in der folgenden Arbeit von der »Sowjetunion« oder der »UdSSR« gesprochen wird, beziehen sich die Ausführungen auf die Zeit bis zum Dezember 1991. Danach wird auf die »vormalige Sowjetunion« oder explizit auf die Nachfolgestaaten Bezug genommen. 2 Der Begriff »Rußlanddeutsche« wird hier für die Nachfahren deutscher Kolonisten verwendet, die in der Sowjetunion und ihren Nachfolgestaaten leben. Damit wird der Begriff »rossijskie nemcy« aufgenommen, den sie zumeist selbst benutzen. Vor der Auflösung des Unionsverbandes waren auch Bezeichnungen wie »Sowjetdeutsche« oder »Sowjetuniondeutsche« gebräuchlich.
14
Einführung
greifen begann, lockerten sich die Ausreisebedingungen, während sich die Einreise in die Bundesrepublik schwieriger gestaltete. Die Ausreisebewegung der Rußlanddeutschen ist somit nicht nur von ihren Lebensbedingungen am Herkunftsort und von den gesetzlichen Rahmenvorschriften der UdSSR bzw. ihrer Nachfolgestaaten abhängig. Auch die Aufhahmeregelungen in der Bundesrepublik und die Sogwirkung, die von bereits dort lebenden Verwandten und den vergleichsweise stabilen wirtschaftlichen und politischen Verhältnissen in diesem Land ausgehen, haben einen gravierenden Einfluß. Die Integration rußlanddeutscher Aussiedler in der Bundesrepublik Deutschland ist mit Problemen verbunden, die nicht nur mit der Zahl der rußlanddeutschen Zuwanderer zu tun haben, sondern ebenso mit ihrer Geschichte und ihrer sozialen und kulturellen Prägung. Häufig stellen rußlanddeutsche Aussiedler fest, daß sie sich nach ihrer Ausreise in einer zunächst schwer zugänglichen Gesellschaft wiederfinden, in der sie sich, trotz vermeintlicher Gleichstellung, als Fremde fühlen und auch als solche wahrgenommen werden.
Methoden und Daten Die vorliegende Arbeit untersucht die wirtschaftliche und soziale Situation der Rußlanddeutschen in der vormaligen Sowjetunion, ihre Wanderungstendenzen und -motive sowie die Frage der Integration der ausgereisten Rußlanddeutschen in der Bundesrepublik Deutschland. Diese Fragestellungen werden vor dem Hintergrund der politischen und sozialen Struktur in der Sowjetunion und ihren Nachfolgestaaten beleuchtet und im Kontext der Integrationsbereitschaft und -fähigkeit der bundesdeutschen Gesellschaft dargestellt. Für verschiedene Teilaspekte dieser Arbeit (z.B. für die Frage nach der ethnischen Identität der Rußlanddeutschen oder nach der Integration rußlanddeutscher Aussiedler in der Bundesrepublik Deutschland) schien es sinnvoll, soziologische und politologische Ansätze heranzuziehen, die in anderen Zusammenhängen vorgestellt wurden, hier aber für die besondere Situation der Rußlanddeutschen Anwendung finden. Die Untersuchung basiert in weiten Bereichen auf den Resultaten umfangreicher Befragungen von Aussiedlern aus der Sowjetunion und von Deutschen, die zum Interviewzeitpunkt in Westsibirien und Kasachstan lebten. Dies macht es möglich, die Erfahrungen und die Sichtweise der Rußlanddeutschen in die Arbeit einzubeziehen. In den Jahren 1985/86 wurde im Rahmen eines Forschungsprojektes am Osteuropa-Institut München die erste der hier ausgewerteten Befragungen von rußlanddeutschen Aussiedlern durchgeführt, um Informationen über die Situa-
Einführung
tion der Deutschen in der vormaligen UdSSR zu erhalten.3 Die grundsätzlichen Schwierigkeiten bei der Interpretation der Untersuchungsergebnisse waren aus anderen Studien mit Emigranten aus der Sowjetunion bekannt: Personen, die ein Land verlassen, sind aufgrund der Emigrationsentscheidung und der Emigrationserfahrung nicht unbedingt repräsentativ für eine nach sozialen Merkmalen gleiche Gruppe, die im Land zurückbleibt.4 Im Falle der Rußlanddeutschen war zudem zu berücksichtigen, daß nur sehr wenige Informationen über die soziodemographische Struktur der gesamten Gruppe vorlagen. Daher konnte die Repräsentanz der Interviewpartner für die Rußlanddeutschen in der Sowjetunion nach bestimmten sozialen Merkmalen, wie z.B. der Ausbildungsoder Berufsstruktur, nicht gewährleistet werden. Aus diesem Grunde wurden die Befragten in erster Linie als Berichterstatter über die Lebensbedingungen in der UdSSR und die Ausreiseerfahrungen herangezogen. Die Ergebnisse der Befragungen konnten auf diese Weise, im Zusammenhang mit der Auswertung anderer verfügbarer Quellen, vorhandene Wissenslücken schließen. Bei der 1985/86 durchgeführten Befragungsstudie nahmen 450 erwachsene rußlanddeutsche Aussiedler teil, die zwischen 1979 und 1984 aus der Sowjetunion ausgereist waren. Sie beantworteten in mündlichen Interviews einen umfangreichen Fragebogen.5 Diese Befragung lieferte eine Fülle von Informationen zur sozialen, wirtschaftlichen, kulturellen und politischen Situation der Deutschen in der Sowjetunion sowie zu den Ausreisebedingungen und den Ausreisemotiven. Auf der Basis dieser Interviewstudie führte das Osteuropa-
3 In der Bundesrepublik hatte bereits 1976 eine Befragung von Aussiedlern aus Osteuropa und der Sowjetunion stattgefunden. Wichtigste Themen waren hier jedoch die Motive der Ausreise und die Situation bei der Eingliederung. Die Lebensbedingungen im Herkunftsland standen nicht im Vordergrund. Vgl. W. Arnold (Hrsg.), Die Aussiedler in der Bundesrepublik Deutschland. Forschungen der A W R Deutsche Sektion. 1. Ergebnisbericht. Herkunft, Ausreise, Aufnahme. Wien 1980 (Abhandlungen zu Flüchtlingsfragen, 12/1); H. Harmsen (Hrsg.), Die Aussiedler in der Bundesrepublik Deutschland. Forschungen der A W R Deutsche Sektion. 2. Ergebnisbericht. Anpassung, Umstellung, Eingliederung. Wien 1983 (Abhandlungen zu Flüchtlingsfragen, 12/2); L. Wilkiewicz, Aussiedlerschicksal: Migration und familialer Wandel dargestellt am Beispiel rußlanddeutscher Familien in der Bundesrepublik Deutschland. Pfaffenweiler 1989 (Aktuelle Beiträge zur sozialwissenschaftlichen Forschung, 1). 4 Interviews mit Emigranten wurden für die Untersuchung der sowjetischen Gesellschaft in der Nachkriegszeit von westlichen Wissenschaftlern mehrfach als empirische Basis genutzt. Pionierarbeit leistete Anfang der fünfziger Jahre eine Forschergruppe der Harvard University in den USA. Vgl. R. Bauer/A Inkeles/C. Kluckhohn, How the Soviet System Works: Cultural, Psychological, and Social Themes. Harvard 1956. In den siebziger Jahren fanden auch in Israel und in den USA Befragungen mit Emigranten aus der Sowjetunion statt, die wesentliche wissenschaftliche Erkenntnisse lieferten. Vgl. G. Ofer/A. Vinokur/Y. Bar-Chaim, Family Budget Survey of Soviet Emigrants in the Soviet Union. Research Paper no. 32. Soviet and East European Research Center, Hebrew University, Jerusalem 1979; J. R. Millar (ed.), Politics, Work, and Daily Life in the USSR. A Survey of Former Soviet Citizens. Cambridge 1987. 5 Zu den methodischen Grundlagen dieser Befragung vgl. Β. Dietz, Deutsche in der Sowjetgesellschaft. Statistische Grundlagen einer Befragungsstudie mit deutschen Spätaussiedlern aus der
Einführung
16
Institut in München 1989/90, als in der Sowjetunion die Politik von Glasnost zu greifen begann, eine zweite Befragung von Aussiedlern durch, um eventuelle Veränderungen der Lebensbedingungen der Deutschen in der Sowjetunion erfassen zu können. An dieser Befragung nahmen 879 Aussiedler im Erwachsenenalter teil, und auch sie berichteten in mündlichen Interviews - wie die Aussiedler in der vorangegangenen Untersuchung - umfassend über ihre Erfahrungen und Lebensbedingungen in der Sowjetunion.6 Der Integrationsprozeß von Aussiedlern in der Bundesrepublik war Gegenstand einer dritten - als Längsschnittstudie angelegten - Befragung, die im Sommer 1990 stattfand. Insgesamt 427 Personen, die zwischen 1975 und 1985 nach Deutschland gekommen waren, gaben über ihre Lebensbedingungen in der Bundesrepublik Deutschland Auskunft. Beinahe die Hälfte der Interviewpartner (200) hatte bereits bei der Befragung in den Jahren 1985/86 teilgenommen. Die verschiedenen Aspekte der Integration können somit vor dem Hintergrund der Situation im Herkunftsland und der Ausreisemotivation auf empirischer Basis analysiert werden. Im Frühjahr 1991 wurde erstmals, aufgrund einer Kooperation zwischen dem Osteuropa-Institut München und den VCIOM (Allunionszentrum für Meinungsforschung) in Moskau, eine Umfrage unter Deutschen realisiert, die in der Sowjetunion lebten. Sämtliche vorbereitende Arbeiten dieser Untersuchung wurden vom Osteuropa-Institut München durchgeführt, während das VCIOM, vertreten durch seine Zweigstellen vor Ort, die Befragung übernahm. Die Vergleichbarkeit der Studien in der Bundesrepublik und in der Sowjetunion wurde durch die identische methodische Grundlage und die Verwendung weitgehend übereinstimmender Fragebögen gewährleistet.7 Etwas mehr als tausend Personen (1013) deutscher Nationalität, die in Westsibirien und in Kasachstan lebten, nahmen zu ihrer sozialen, kulturellen und politischen Situation Stellung.8 Die Kooperationsbereitschaft war erfreulich groß und viele der Befragten äußerten auch ein lebhaftes Interesse an den Ergebnissen der Studie. Sowjetunion. Forschungsprojekt »Deutsche in der Sowjetgesellschaft«, Arbeitsbericht Nr. 1, München 1986. 6 Vgl. B. Dietz, Deutsche Aussiedler aus der Sowjetunion. Sozialer Hintergrund und Ausreisebedingungen am Ende der achtziger Jahre. Forschungsprojekt »Deutsche in der Sowjetunion und Aussiedler aus der UdSSR in der Bundesrepublik Deutschland«, Arbeitsbericht Nr. 3, München 1990. 7
Alle vier hier vorgestellten Befragungsstudien werden im Anhang (vgl. S. 176 ff. dieser Arbeit) nochmals detailliert vorgestellt. Wenn im Text auf eine Befragung Bezug genommen wird, geschieht dies mit dem Hinweis auf den Untersuchungszeitraum, also z.B. Befragungsstudie 1985/86. 8 Bei den soziodemographischen Merkmalen der Interviewpartner in der vormaligen Sowjetunion fällt auf, daß sie jünger und besser ausgebildet waren und daß sie seltener einer Konfession angehörten als die befragten Aussiedler (vgl. Anhang, S. 176 ff. dieser Arbeit). Das hatte mit der Interviewbereitschaft der Deutschen in der vormaligen Sowjetunion zu tun. Die Teilnahmebereitschaft älterer und schlechter ausgebildeter Personen war sehr viel geringer, als die der jüngeren und gutausgebildeten. Jüngere Rußlanddeutsche gehören generell seltener einer Konfession an,
Einführung
Fragestellungen und Forschungsstand Die Stellung der Rußlanddeutschen in der multinationalen Sowjetunion und ihren Nachfolgestaaten wird zu Beginn der folgenden Arbeit untersucht Im Zuge der allgegenwärtigen nationalen Renaissance auf dem Gebiet der vormaligen UdSSR wird beleuchtet, wie sich die ethnische Identität der Rußlanddeutschen bestimmt und wie sie überdauerte bzw. neu auflebte. 9 Dies hat weitergehende Implikationen für die Ausreisemotivation und die Integration in der Bundesrepublik, und wird im ersten Kapitel ausführlich behandelt. Das Schicksal der Deutschen in der Sowjetunion lag lange Zeit im Dunklen. In den Nachkriegsjahren stellte es für sowjetische Wissenschaftler und Publizisten ein Tabu-Thema dar, und auch in der Bundesrepublik bestand wenig Interesse an den Deutschen mit sowjetischer Staatsbürgerschaft. Die Geschichtsforschung befaßte sich in den Nachkriegsjahren noch am intensivsten mit den Rußlanddeutschen, wobei umfassendere Arbeiten erst seit den frühen achtziger Jahren erschienen.10 Die soziale, wirtschaftliche und politische Situation der Rußlanddeutschen ließ sich bis zum gleichen Zeitpunkt nur durch verstreute und spärliche Meldungen in sowjetischen Publikationen - vornehmlich den deutschsprachigen - erfassen. Die Informationssituation verbesserte sich erst durch die Politik von Glasnost in der UdSSR, die bisher unzugängliche Quellen verfügbar machte. Die Situation der Deutschen in der Sowjetunion und ihren Nachfolgestaaten wird im zweiten Kapitel dieser Arbeit für wesentliche Bereiche des Alltagslebens, für die Arbeitssituation, die politische und gesellschaftliche Partizipation und die sozialen Beziehungen, untersucht. Es wird in diesem Zusammenhang auch geprüft, inwieweit die Rußlanddeutschen Anzeichen einer gesellschaftlichen Desintegration aufzeigten, die eine Wanderungsbewegung auszulösen vermochte. was teilweise den hohen Anteil an konfessionslosen Befragten erklärt. Ein weiterer Grund dürfte sein, daß in der Sowjetunion konfessionelle Bindungen nicht so stark etabliert waren. Es ist davon auszugehen, daß Aussiedler, die in den siebziger und achtziger Jahren in die Bundesrepublik kamen, in stärkerem Maße religiös gebunden waren, als Rußlanddeutsche in der Sowjetunion. Aussiedler, die nach diesem Zeitpunkt kamen, schlossen sich häufig aufgrund ihres Ausreisewunsches einer Religionsgemeinschaft an. 9 Zur Frage der ethnischen Identität und zur Stellung ethnischer Minderheiten sind in der jüngsten Zeit eine Vielzahl von Arbeiten erschienen. Einige werden im Kapitel 1.5.1. vorgestellt. 10 Eine Ausnahme stellt in diesem Zusammenhang K. Stumpp dar, der bereits früher zur Situation der Rußlanddeutschen Stellung nahm. Vgl. z.B. K. Stumpp, Die heutigen Wohngebiete und berufliche Aufgliederung der Deutschen in der Sowjetunion, in: Landsmannschaft der Deutschen aus Rußland (Hrsg.), Heimatbuch der Deutschen aus Rußland 1959. Stuttgart 1959, S. 5-15. Ders., Die Rußlanddeutschen. Zweihundert Jahre unterwegs. Freilassing, 1964. In der Sowjetunion war es L. Malinowski, der sich seit den sechziger Jahren um die Erforschung der Geschichte der Deutschen in der UdSSR bemühte. Vgl. L. Malinowski, Der Sowjetdeutsche in Sibirien - wie er leibt und lebt, in: Neues Leben, 2.7., 9.7, 16.7 und 23.7.1969, jeweils S. 7. Zu den späteren Arbeiten vgl. die Literaturangaben in Kapitel 1.4.1.
2 Dietz
Einführung
18
Die Migrations- und Emigrationsprozesse der Rußlanddeutschen sind in groben Umrissen dokumentiert.11 Für die jüngsten Zeit liegt es nahe, sie vor dem Hintergrund ethnisch motivierter Wanderungsbewegungen in den Nachfolgestaaten der Sowjetunion und der neuen Ost-West-Wanderungen zu sehen, und entsprechende Untersuchungen mitheranzuziehen. Dies ist Gegenstand des dritten Kapitels. Die Integration der Rußlanddeutschen in der Bundesrepublik Deutschland ging lange Jahre, wenn auch nicht unproblematisch, so doch wenig analysiert vor sich. Im vierten Kapitel der vorliegenden Arbeit wird der Integrationsprozeß von rußlanddeutschen Aussiedlern aus der vormaligen Sowjetunion nachgezeichnet, wobei die Aufnahmebedingungen in der bundesdeutschen Gesellschaft berücksichtigt, die wirtschaftliche und soziale Situation der Aussiedler sowie deren subjektive Bewältigung und Bewertung der Integration aber im Vordergrund stehen. Die Untersuchung konzentriert sich im wesentlichen auf die Ausbildungs- und Arbeitssituation, auf die politische und gesellschaftliche Partizipation sowie auf die sozialen Beziehungen in der »neuen Heimat«. Der Integrationsprozeß wird somit spiegelbildlich zu den hier bereits dargestellten Lebensbedingungen der Rußlanddeutschen in der Sowjetunion und ihren Nachfolgestaaten nachgezeichnet. Die Integrationsprobleme von Zuwanderergruppen in der Bundesrepublik Deutschland, z.B. von Flüchtlingen und Vertriebenen in der Zeit unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg und später von ausländischen Arbeitnehmern, wurden vielfach und unter verschiedenen wissenschaftlichen Aspekten erfaßt. Es bietet sich an, diese Ansätze auch für die Frage der Integration von Aussiedlern aus der vormaligen Sowjetunion zu nutzen. Dennoch beinhaltet die Aufnahme von rußlanddeutschen Aussiedlern eine ganz spezifische Problematik, die nur dann entsprechend aufgezeigt werden kann, wenn sie vor dem Hintergrund der Situation der Rußlanddeutschen im Herkunftsland und ihrer Ausreisemotivation gesehen wird.
Technischer Hinweis: Bei der Transliteration russischer Namen, Ortsbezeichnungen und Literaturangaben wird im Text auf die phonetische und in den Anmerkungen auf die wissenschaftliche Transliteration zurückgegriffen.
11
Vgl. dazu die Literaturangaben in Kapitel 3.
Erstes Kapitel
Die Rußlanddeutschen in der Sowjetunion und ihren Nachfolgestaaten: Stellung im multinationalen Zusammenhang und ethnische Identität Zu den zahlreichen ethnischen Minderheiten,1 die von der Staatsgründung an auf vormals sowjetischem Territorium lebten, gehörten auch die Rußlanddeutschen. Ihre Stellung war stets in starkem Maße durch die sowjetische Nationalitätenpolitik und durch die außenpolitischen Beziehungen zwischen der vormaligen UdSSR und Deutschland geprägt. Als tragische Folge der stalinistischen Nationalitätenpolitik und des Zweiten Weltkrieges wurden die Rußlanddeutschen zur diskriminierten ethnischen Gruppe.2 Ihre nahezu rechtlose Lage hob die sowjetische Regierung erst Mitte der fünfziger Jahre Schritt für Schritt auf. Die vollständige Rehabilitierung, das heißt zum Beispiel die Wiederherstellung der Autonomen Wolgarepublik, stand bis zur Auflösung der UdSSR im Dezember 1991 aus. 1 Der Tenni nus »ethnische Minderheit« wird hier in quantitativem Sinne verstanden. Ethnische Minderheiten sind dementsprechend ethnische Gruppen, die innerhalb eines bestimmten Gesamtzusammenhanges, z.B. Staates, nicht die zahlenmäßige Mehrheit stellen. Diese Begriffsbestimmung steht im Gegensatz zu einer anderen Definition, nach der ethnische Minderheiten per se als diskriminierte Gruppen aufgefaßt werden. F. Heckmann geht z.B. von folgender Definition aus: »Die benachteiligten, diskriminierten ethnischen Gruppen bezeichnen wir als ethnische Minderheiten, privilegierte, herrschende ethnische Gruppen als ethnische Mehrheiten.« Vgl. F. Heckmann, Ethnische Minderheiten, Volk und Nation. Stuttgart 1992, S. 1. 2 Die Unterscheidung der Begriffe ethnisch und national ist häufig unscharf. Wenn nicht auf eine andere Bedeutung hingewiesen wird (vgl. z.B. A. Nassehi, Zum Funktionswandel von Ethnizität im Prozeß gesellschaftlicher Modernisierung, in: Soziale Welt, Nr. 3, 1990, S. 260-282, hier S. 261) hebt der Terminus national meistens darauf ab, daß sich die entsprechende Gruppe in einem Nationalstaat oder einer ähnlichen Organisationsform zusammengeschlossen hat bzw. hatte oder daß sie über ein Territorium verfügt. Der Begriff ethnisch ist üblicherweise weiter gefaßt, d.h. vor allem nicht an eine Staatlichkeit (Territorialität) der jeweiligen Gruppe geknüpft Dieser Übereinkunft wird hier weitgehend gefolgt. Nach der offiziellen sowjetischen Terminologie, die noch auf Stalins Begrifflichkeit aufbaute, mußten vier Kriterium erfüllt sein, um den Begriff Nation zu definieren: Gemeinsamkeiten des wirtschaftlichen Lebens, der Sprache, des Territoriums und der Wesensart. Gruppen, die diesen Anforderungen nicht entsprachen wurden als Völkerschaften (narodnosti) bezeichnet. Ethnizität stellte in diesem Zusammenhang eine »Seite der nationalen Erscheinungen« dar. Diese umfaßte alltägliche Kultur, Bräuche, Verhaltensnormen, Besonderheiten
2*
20
1. Kapitel: Die Rußlanddeutschen in der vormaligen Sowjetunion
Eine Ausgangsbedingung zum Verständnis der Lebenssituation und des Handlungsspielraums ethnischer Minderheiten ist es, ihre Stellung im multinationalen Zusammenhang sowie ihr ethnisches Selbstverständnis zu erfassen. Im besonderen Falle der Rußlanddeutschen kann dies jedoch nur vor dem Hintergrund ihrer historischen Entwicklung und der sowjetischen Nationalitätenpolitik geschehen.
1. Nationalitätenpolitik in der vormaligen Sowjetunion Die sowjetische Nationalitätenpolitik zeichnete sich von der Gründung der UdSSR an durch verschiedene, letztlich schwer miteinander zu vereinbarende Zielsetzungen aus.3 Auf der einen Seite wurde das »Absterben nationaler Unterschiede« im sozialistischen Vielvölkerstaat propagiert, das durch die Unterordnung nationaler Zielsetzungen unter eine allen Völkern gemeinsame, wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklungsstrategie erreicht werden sollte.4 Auf der anderen Seite entsprach diese Politik, vor allem in den zwanziger Jahren, ethnischen Bedürfnissen insbesondere auf kulturellem Gebiet und eines ihrer erklärten Ziele war es, dem Sowjetsystem verbundene ethnische Eliten zu schaffen. 5 Das Bildungssystem stellte in diesem Zusammenhang einen wichtigen Mechanismus zur Gleichstellung ethnischer Gruppen und zur
der psychischen Verfassung, der Wertorientierungen und des ethnischen Selbstbewußtseins. Vgl. Ju. Bromlej, Ètniôeskie processy ν SSSR, in: Kommunist, Nr. 5,1983, S. 56-64. 3 Zur sowjetischen Nationalitätenpolitik sind zahlreiche Werke erschienen. Vgl. z.B. E. Allworth (ed.), Soviet Nationality Problems. New York & London 1971; J. R. Azrael (ed.), Soviet Nationality Policies and Practices. New York 1978; H. Carrère d'Encausse, Risse im roten Imperium. Das Nationalitätenproblem in der Sowjetunion. Wien - München - Zürich - Innsbruck 1979; Ju. Bromlej, Κ izuöeniju nacional'nych processov socialistiöeskogo obsòestva ν kontekste ètniòeskoj istorii, in: Istorija SSSR, Nr. 6, 1984, S. 40-56; G. Simon, Nationalismus und Nationalitätenpolitik in der Sowjetunion: von der totalitären Diktatur zur nachstalinistischen Gesellschaft. Baden-Baden 1986 (Osteuropa und der internationale Kommunismus, 16); V. Zaslavsky, Das russische Imperium unter Gorbatschow. Seine ethnische Struktur und ihre Zukunft. Berlin 1991; H. R. Huttenbach (ed.), Soviet Nationality Policies. Ruling Ethnic Groups in the USSR. London 1990; A Motyl (ed.), Thinking Theoretically about Soviet Nationalities. History and Comparison in the Study of USSR. New York 1992. 4 Dies war angesichts der großen sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Unterschiede zwischen den Völkern auf sowjetischem Territorium eine enorme Aufgabe. 5 Die Widersprüchlichkeit dieser Politik wurde bereits zu Beginn der dreißiger Jahre von H. Kohn herausgestellt. »So soll der Nationalismus aus seiner Absolutheit zum Diener einer übernationalen Idee werden. Vielleicht wird dies in der Zukunft der kommunistischen Erziehung der Jugend und der Massen gelingen ... vorläufig aber sind die alten Kräfte im Leben und in der Seele der Menschen noch mächtig: der großrussische Chauvinismus< und der >lokale Nationalismus«^ Vgl. H. Kohn, Der Nationalismus in der Sowjetunion. Frankfurt am Main 1932, S. 96.
1. Nationalitätenpolitik in der vormaligen Sowjetunion
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Förderung ethnischer Eliten dar. Unter dem Stichwort »korenizacija«6 wurden seit den zwanziger Jahren die Angehörigen der verschiedenen ethnischen Gruppen, vor allem in ihrem jeweiligen Territorium, beim Zugang zu höherer Bildung und bei der Besetzung von Führungs- und Verwaltungspositionen besonders berücksichtigt Diese Politik der nationalen Konsolidierung erlaubte es in den zwanziger Jahren zahlreichen ethnischen Gruppen, so auch den Rußlanddeutschen, ihre Sprache und ihre kulturellen Traditionen in einem gewissen Umfang zu bewahren7 und auf ihrem jeweiligen Territorium einen relativ starken Einfluß zu erlangen. Dennoch gestattete die zentral festgelegte, ideologisch fundierte Nationalitätenpolitik keine politischen Abweichungen: nationalistische oder separatistische Bewegungen wurden isoliert und unterdrückt.8 Im Verlauf der sowjetischen Geschichte erfuhr die Nationalitätenpolitik verschiedene Ausprägungen, die zwischen Zugeständnissen an nationale Forderungen und deren Unterdrückung schwankten. »Zu bestimmten Zeiten überwog das Entgegenkommen (zwanziger Jahre, 1941-1944, zweite Hälfte der fünfziger Jahre), zu anderen der rücksichtslose Gebrauch von Macht (Bürgerkrieg, dreißiger Jahre, 1944-1952).«9 In der Sowjetunion der Nachkriegszeit wurden nationale Forderungen und Konflikte als Probleme wahrgenommen, die sich mit der fortschreitenden Modernisierung der sozialistischen Gesellschaft lösen würden, wobei der ausgleichende Faktor der Wirtschaftspolitik eine wesentliche Rolle spielen sollte.10 Richtungsweisend in diesem Zusammenhang waren die von ideologischen Vorstellungen geprägten Debatten über die Annäherung (sbliienie) nationaler Gruppen und in einem weiteren Schritt über deren Verschmelzung (slijanie) zum Sowjetvolk,11 die letztlich jedoch nur wenig realen Gehalt besaßen.12
6 Wörtlich bedeutet dies »Einwurzelung«, im übertragenen Sinne ging es darum, politische und administrative Positionen in den jeweiligen nationalen Gebieten mit einheimischen Kadern zu besetzen. In den 30er Jahren fand diese Politik ihr vorläufiges Ende und wurde erst nach dem Zweiten Weltkrieg wieder aufgenommen. Vgl. A. Martiny, Sozialstruktur und Nationale Beziehungen in der UdSSR - Zur These der »odnorodnost« der Sozialstruktur der sowjetischen Nationen, in: Nationalities Papers, no. 4, 1981, S. 45-62. 7
Die Religionsausübung war davon ausgeschlossen.
8
Vgl. G. Simon (1986), S. 17.
9
Vgl. G. Simon (1986), S. 14.
10
Gerade dieser Punkt stellte sich jedoch beim Aufbrechen der nationalen Konflikte am Ende der achtziger Jahre als besonders sensibel heraus. Die wirtschaftliche Krise setzte eine scharfe Debatte in Gang, welche nationalen Gruppen bisher von der Nationalitätenpolitik wirtschaftlich profitiert hatten und welche den wirtschaftlichen Ausgleich letztlich finanzierten. 11 Zu einer ausführlichen Darstellung der Begriffe »sbliienie« und »slijanie« vgl. T. Rakowska-Harmstone, Die aktuelle Problematik sowjetischer Nationalitätenpolitik, in: Osteuropa, Nr. 7, 1985, S. 488-505. In politischen Verlautbarungen wurde die Verschmelzung der nationalen Gruppen auf sowjetischem Territorium propagandistisch vorweggenommen. Auf dem X X I I . Parteikongreß der KPdSU im Oktober 1961 verkündete Chruschtschov: »In der UdSSR ist eine neue
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»Versuche, die praktische Politik den theoretischen Vorstellungen anzupassen, gab es nur während relativ kurzer Perioden der sowjetischen Nationalitätenpolitik; i m großen und ganzen opferte man die utopische Ideologie lieber pragmatischen Erwägungen. D i e Hauptaufgaben der sowjetischen Nationalitätenpolitik bestanden also, realistischer formuliert, darin, die ethnischen Populationen für die Modernisierung sowjetischen Stils zu gewinnen und gleichzeitig die innere Stabilität in einem multinationalen Land mit tiefen ethnischen Gegensätzen und Ressentiments aufrechtzuerhalten.« 13
Bis zum Beginn der achtziger Jahre herrschte in der Sowjetunion die Einschätzung vor, daß der sowjetische Staat mit seiner Politik der sozialen Mobilisierung die verschiedenen ethnischen Gruppen auf seinem Territorium relativ erfolgreich zu integrieren vermochte.14 Die Einbindung ethnischer Gruppen in das sowjetische System beruhte auf verschiedenen Mechanismen, unter anderem darauf, »die Republiken der Peripherie zu entwickeln und zu modernisieren, die Interessen der politischen Elite und der neuen Mittelschicht zu befriedigen, eine Migration der russischen Bevölkerung in die anderen Republiken in Gang zu setzen und - mit >sanftem Druck< (durch Zweisprachigkeit) - die Landessprachen allmählich durch das Russische zu ersetzen.«15 Diese Politik der Annäherung der sozioökonomischen Bedingungen der verschiedenen ethnischen Gruppen - allerdings unter »russischem Vorzeichen« - wurde nicht nur im gesellschaftlichen Leben propagiert, sondern auch in die Verfassung der UdSSR von 1977 aufgenommen.16 Mit dieser Nationalitätenpolitik waren jedoch die Ursachen für die späteren ethnischen Konflikte angelegt: die Migration von Russen in nicht-russische Unionsrepubliken und deren Übernahme wichtiger Positionen in Wirtschaft und Politik stießen auf zunehmenden Widerstand der einheimischen Bevölkerung und die Bedeutung des historische Menschengemeinschaft aus verschiedenen Nationalitäten, die gemeinsame charakteristische Züge haben, entstanden - das Sowjetvolk« Zitiert aus: G. Simon (1986), S. 293. 12 Ende der achtziger Jahre wurde dies auch in den theoretischen Diskussionen über die »zwischennationalen Beziehungen der Sowjetunion« deutlich. Es wurde darauf verwiesen, daß Bürger der Sowjetunion einer bestimmten ethnischen Gruppe zugehörten, während sie gleichzeitig Teil der größeren Gemeinschaft des Sowjetvolkes waren. Vgl. V. A. TiSkov, Ο koncepcii perestrojki meSnacionaln'ych otnoSenij ν SSSR, in: Sovetskaja étnografîja, Nr. 1, 1989, S. 73-89, hierS. 79. 13
Vgl. V . Zaslavsky (1991), S. 12.
14
Es gab im Westen jedoch immer auch kritische Stimmen. Vgl. z.B. T. RakowskaHarmstone, The Dialectics of Nationalism in the USSR, in: Problems of Communism, no. 5/6, 1974, S. 1-22. 15 Vgl. V . Zaslavsky, Die ethnische Frage in der Sowjetunion, in: V. Zaslavsky, In geschlossener Gesellschaft. Berlin 1982, S. 89-123, hier S. 123; siehe auch E. Jones / F. W. Grupp, Modernisation and Ethnic Equalification in the USSR, in: Soviet Studies, no. 2, 1984, S. 159-184. 16 In der »Verfassung der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken« vom 7. Oktober 1977 wird im Artikel 19 vermerkt: »Der Staat trägt... zur weiteren allseitigen Entwicklung und Annäherung aller Nationen und Völkerschaften der UdSSR bei.« Vgl. E. Schneider, Breschnews neue Sowjetverfassung. Kommentar mit den Texten der UdSSR-Grundgesetze von Lenin über Stalin bis heute. Stuttgart 1978, S. 47.
1. Nationalitätenpolitik in der vormaligen Sowj etunion
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Russischen als lingua franca wurde von zahlreichen Nichtrussen als Element der Russifizierung empfunden. Zudem erwies sich die Herausbildung ethnischer Eliten als problematisch. Dem sowjetischen Staat war es zwar gelungen, Eliten aus Angehörigen der verschiedenen Nationalitäten und ethnischen Gruppen heranzubilden, die sich aufgrund des eigenen Aufstiegs der Gesamtstaatlichkeit verpflichtet fühlten. Dennoch stellten diese nicht immer Garanten für eine Neutralisierung ethnischer Forderungen dar. Es zeigte sich vielmehr, daß in der UdSSR, wie in anderen modernen multinationalen Industriestaaten, die ethnischen politischen Eliten und Mittelschichten hauptsächlich für die »ethnische Polarisierung verantwortlich waren und am ehesten dazu neigten, den Nationalismus im Konkurrenzkampf mit anderen ethnischen Gruppen um ökonomische und politische Privilegien zu instrumentalisieren.« 17
Von einem Verschwinden des ethnischen Bewußtsein im politischen und gesellschaftlichen Leben der Sowjetunion konnte in den siebziger und achtziger Jahren nicht die Rede sein.18 Es wuchs vielmehr eine neue Form des ethnischen Selbstbewußtseins heran, dessen Träger vornehmlich die ethnischen Eliten waren. Sämtliche Nachfolgestaaten der UdSSR sind ebenfalls mit dem Problem konfrontiert, daß auf ihren Territorien neben der jeweils dominierenden Titularnation ethnische Minderheiten ansässig sind, die sowohl quantitativ als auch nach ihrer Präsenz im politischen und wirtschaftlichen Leben eine wichtige Rolle spielen. Im Zusammenhang mit den Unabhängigkeitserklärungen der vormaligen Sowjetrepubliken setzt sich ein Prozeß durch, der mit der modernen Staaten- bzw. Nationenbildung einhergeht: »Nationenbildung als umfassender Vereinheitlichungsprozeß und Nationalstaat schaffen eigentlich erst ethnische Gruppen und Minderheiten in ihrer gegenwärtigen Bedeutung; ethnische Gruppen werden zu Minderheiten, wenn sich >Mehrheiten< in der Form von Nationen bilden.«19 Diese politischen Prozesse stellen besonders die Russen, die in Staaten der GUS außerhalb von Rußland leben, vor eine völlig neue Situation. Sie wurden dort - auch bei starker zahlenmäßiger Präsenz - nach der Auflösung der UdSSR zur nationalen Minderheit. Mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion und mit der politischen, wirtschaftlichen und sozialen Neuorientierung ihrer Nachfolgestaaten wurden zahlreiche ethnische Konfliktbereiche politisch relevant. In vielen Fällen scheint sich der Aufbau einer neuen sozialen Ordnung auch innerhalb der einzelnen 17
Vgl. V . Zaslavsky (1991), S. 17.
18
Dieses Bewußtsein war allerdings in verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen unterschiedlich ausgeprägt Vgl. dazu R. Karklins, Ethnic Relations in the USSR. The Perspective from Below. Boston 1986. 19
Vgl. F. Heckmann (1992), S. 38.
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Staaten vor dem Hintergrund ethnischer Abgrenzungen zu vollziehen. Dabei manifestiert sich nicht selten ein bislang kaum in Erscheinung getretener Nationalismus, der sich unter anderem in der Forderung ausdrückt, daß sich »ethnische und staatliche Grenzen nicht überschneiden dürfen.« 20 Die schlüssigsten Erklärungen dafür sind, daß der offene Ausbruch ethnischer Konflikte durch die staatliche Nationalitätenpolitik verhindert wurde und daß der Zusammenbruch der bisherigen politischen, wirtschaftlichen und sozialen Ordnung ein Macht- und Wertevakuum hinterließ, das unter anderem durch Nationalismus gefüllt werden kann. »Er ist indifferent für Klassen und Interessen, verbindet die Menschen und erinnert nicht an die jüngste Vergangenheit und wirft sie auch niemandem vor.«21
2. Die Bedeutung der föderalen Struktur in der vormaligen Sowjetunion Die Staatsbürger der Sowjetunion gehörten zahlreichen ethnischen Gruppen an, deren Bedeutung in Politik, Wirtschaft und sozialem Leben jedoch sehr verschieden war. Es bestand - noch als Erbe des Zarenreiches - eine starke Hierarchisierung unter den Völkern, die sich bis zum Auseinanderbrechen der Union kaum veränderte. Dazu hat die sowjetische Innen- bzw. Nationalitätenpolitik nicht wenig beigetragen. Bereits die Gründung der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken basierte auf einer national-territorialen Struktur. 22 »Soviet Russia thus became the first modern state to place the national principle at the base of its federal structure.«23
20 Nach E. Gellner ist dies der entscheidende Punkt nationalistischer Zielsetzungen. »Nationalismus ist eine Theorie politischer Legitimität, der zufolge sich die ethnischen Grenzen nicht mit politischen überschneiden dürfen; insbesondere dürfen innerhalb eines Staates keine ethnischen Grenzen die Machthaber von den Beherrschten trennen - eine Möglichkeit, die bereits formal durch die allgemeine Formulierung des Prinzips ausgeschlossen ist.« Vgl. E. Gellner, Nationalismus und Moderne. Berlin 1991, S. 8 und 9. 21 Vgl. J. âiklovâ, Nationalismus in Ost- und Mitteleuropa, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 4. 9.1992, S. 10. 22 Auf die Problematik dieser Strukturentscheidung wurde häufig hingewiesen. Vgl. z.B. A. Kappeler, Rußland als Vielvölkerreich. Entstehung - Geschichte - Zerfall. München 1992, S. 302. »Das Ordnungsprinzip des neuen föderalen Staates war das der sprachnational definierten Territorien. Es widersprach nicht nur der anationalen kommunistischen Ideologie, sondern auch den demographischen Realitäten des Russischen Reiches mit ihrer ethnischen Gemengenlage, denen ... das Prinzip der personalen Kulturautonomie angemessener gewesen wäre.« 23 Vgl. R. Pipes, The Formation of the Soviet Union. Communism and Nationalism 1917-1923. Cambridge, Mass. 1954, S. 112.
2. Die Bedeutung der föderalen Struktur
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Bis zur Auflösung der Sowjetunion erlaubte die hierarchische Gliederung des Territoriums in Republiken, Autonome Republiken, autonome Gebiete und autonome Kreise den jeweils »namensgebenden Völkern« eine gewisse Eigenstaatlichkeit, die allerdings einer strengen Hierarchie unterlag: Völker mit eigener Unionsrepublik hatten die weitestgehenden Rechte, gefolgt von solchen mit einer Autonomen Republik, einem autonomen Gebiet und einem autonomen Kreis. Die fünfzehn Unionsrepubliken besaßen eine eigene Verfassung und wurden als souveräne Staaten im Unionsverband angesehen. Die insgesamt zwanzig Autonomen Republiken genossen politische und Verwaltungsautonomie, während den acht autonomen Gebieten und den zehn autonomen Kreisen nur letztere zugestanden wurde. Das zentralistische Prinzip dominierte jedoch sämtliche Entscheidungsbefugnisse.24 Bei der Gewährung bestimmter Rechte für die Völker der Sowjetunion, z.B. Bildungseinrichtungen in der jeweiligen Sprache, war der territorialrechtliche Gedanke entscheidend, bei dem »nicht Volksgruppen, sondern Gebietseinheiten die Zuordnungssubjekte von Rechtspositionen sind. Daneben kommt der individualrechtlichen Lösung, die auf dem Gleichheitsgrundsatz und nationalitätenbezogenen Grundrechten der Einzelperson beruht, nur ergänzende Bedeutung zu.«25 Mittels des administrativ-territorialen Systems ließen sich die Privilegien ethnischer Gruppen staatlich einbinden und kontrollieren. 26 Bei der Volkszählung von 1989 wurden in der Sowjetunion über 100 ethnische Gruppen erfaßt, von denen 58 über eine nationale Gebietseinheit verfügten 27. Keine der nationalen Gebietseinheiten war ethnisch homogen und zahlreiche Angehörige von »Titularnationen« lebten außerhalb »ihres Territoriums«. Nach der Volkszählung von 1989 befanden sich allein 25 Millionen Russen nicht in Rußland und etwa 54 Millionen Sowjetbürger nicht in ihren ethnischen Heimatgebieten.28 Nach dem Auseinanderbrechen des Unionsverbandes verlagerten sich die Probleme der ethnischen Vielfalt nur eine Stufe nach unten. So gut wie alle Staaten sind sich des ethnischen Sprengstoffes 24 Vgl. G. Brunner, Die Rechtslage der Minderheiten nach sowjetischem Verfassungsrecht, in: G. Brunner, A. Kagedan (Hrsg.), Die Minderheiten in der Sowjetunion und das Völkerrecht Köln 1988 (Nationalitäten- und Regionalprobleme in Osteuropa, 2), S. 23-54, hier S. 30. Zur Frage des sowjetischen Föderalismus vgl. auch A. McAuley (ed.), Soviet Federalism. Nationalism and Economic Decentralisation. Leicester and London 1991. 25
Vgl. G. Brunner (1988), S. 25.
26
A. Kagedan formulierte dies sehr pointiert: »The Soviet administrative-territorial system is a licensing regime for ethnic sentiment.« A. Kagedan, Territorial Units as Nationality Policy, in : H. R. Huttenbach (ed.) (1990), S. 164. 27 Allerdings gab es fünf Gebietseinheiten mit jeweils zwei Titularnationen und eine Autonome Republik (Dagestan) in der zehn ethnische Gruppen die Titularnationen stellen. 28 Vgl. Nadonal'nyj sostav naselenija SSSR. Po dannym Vsesojuznoj perepisi naselenija 1989g., Moskva 1990, S. 5; S. 138-151.
26
1. Kapitel: D i e Rußlanddeutschen in der vormaligen Sowjetunion
bewußt und manche, wie zum Beispiel die Ukraine und Rußland, bereiten Gesetzesvorlagen zur Stellung und zum Schutz von Minderheiten vor. 29 In zahlreichen Gebieten auf dem Territorium der vormaligen Sowjetunion haben ethnische Konflikte bereits eine beträchtliche Eigendynamik erreicht Bereits im März 1991 wurde von einer Studie, die Moskau News in Auftrag gegeben hatte, festgestellt, daß zu diesem Zeitpunkt insgesamt 156 Nationalitätenkonflikte entbrannt waren oder zu schwelen begannen. Ein Jahr später war die Zahl territorial-ethnischer Streitigkeiten auf insgesamt 180 Brennpunkte angestiegen.30 Dabei ist nicht von der Hand zu weisen, daß die Grundlagen dieser Konflikte im sowjetischen Föderalismus und in der sowjetischen Nationalitätenpolitik angelegt waren. »The nationalism that has gripped tens of millions in the Soviet Union i n the past several years represent neither the awakening of an eternal essence common to all peoples nor a regrettable throwback to an earlier era of strife and bloodshed. Instead, it is a product of the particular experience of nation-building that has gone on in the Soviet Union since the early 1920s.« 3 1
Im Zusammenhang mit den aufbrechenden ethnischen Konflikten ist eine Migrationsbewegung »back to the roots« festzustellen, deren Dynamik zunimmt. Die Angehörigen ethnischer Gruppen, die in bestimmten Staaten oder Gebieten zur bedrohten Minderheit geworden sind, versuchen in »ihren« Staat oder »ihr« Gebiet zu wandern. Ein Beispiel dafür sind Russen und Ukrainer, die Kasachstan oder die mittelasiatischen Republiken verlassen, um nach Rußland bzw. in die Ukraine zu ziehen. Für die Rußlanddeutschen ist in den meisten Fällen die Bundesrepublik das Zielland, wenn sie sich ethnischen Bedrohungen ausgesetzt fühlen. 32
29 Vgl. S. Stewart, Ukraine's Policy toward its Ethnic Minorities, in: RFE/RL Research Report, no. 36,1993, S. 55-62. 30 Vgl. Ο. Gläser / Ν. Petrow / W. Strelezki, Der Flächenbrand der Nationalitätenkonflikte, in: Moskau News, Nr. 5,1992, S. 6. 31
Vgl. R. G. Suny, Nationalist and Ethnic Unrest in the Soviet Union, in: World Policy Journal, no. 3, 1989, S. 503-528, hier S. 505. 32
Es gibt aber auch Rußlanddeutsche, die nicht aus der vormaligen Sowjetunion ausreisen können oder wollen. Wenn sie sich aus ethnischen Gründen in ihren bisherigen Siedlungsgebieten bedroht fühlen, ziehen sie zumeist in bestimmte Gebiete Rußlands, vor allem in die deutschen Rayons in Westsibirien. Das Gebiet Kaliningrad und die südliche Ukraine stellen ebenfalls Zuzugsgebiete für Rußlanddeutsche dar. Vgl. auch S. 76 ff. dieser Arbeit.
3. Nationale Grenzziehungen: Volkszählung und Paßsystem
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3. Nationale Grenzziehungen in der vormaligen Sowjetunion: Volkszählung und Paßsystem Für die Einschätzung der Bevölkerungsentwicklung und der Wanderungsbewegungen nationaler Gruppen in der Sowjetunion stehen als wichtigste Datenquellen die Ergebnisse der Volkszählungen zur Verfügung. 33 Hier ist zu beachten, daß die nationale Zugehörigkeit (nacional'nost') auf der subjektiven Einschätzung der Sowjetbürger beruhte.34 Diese Praxis eröffnete jedem Bürger die Möglichkeit, bei Volkszählungen die Nationalität anzugeben, die empfunden bzw. gewünscht wurde, und diese konnte bei der nächsten Volkszählung auch wieder verändert werden. Nach allen zugänglichen Informationen bereitete die Nationalitätenzuordnung nur einem Teil der Sowjetbürger bei der Volkszählung Unsicherheiten. Probleme hatten offenbar eher Personen, die aus Mischehen stammten, die ihre Herkunft nicht kannten, die sich mit einer anderen Nationalität identifizierten (z.B. weil sie auf »deren Gebiet« lebten oder weil der Ehepartner dieser Nationalität angehörte) und die wegen nationaler Diskriminierungen die eigene Nationalität verbergen bzw. diese im Hinblick auf geringere Aufstiegschancen nicht nennen wollten.35 Hauptsächlich dürften es die Angehörigen der Nationalitäten mit nur geringfügigen Rechten (Völker ohne Territorium oder deportierte Völker) gewesen sein, die sich bei den Volkszählungen zu einer anderen - vornehmlich zur russischen Nationalität bekannten. Zur Zeit der letzten Volkszählung (1989) war jedoch ein Wiedererwachen des ethnischen Selbstbewußtseins zu beobachten. Daher ist zu vermuten, daß zu diesem Zeitpunkt nur noch relativ wenige Sowjetbürger aus Furcht vor Diskriminierungen ihre Nationalität verbargen. Im Alltagsleben der Sowjetbürger war die Nationalität auch durch den internen Paß präsent, das heißt durch den sogenannten »Punkt fünf«, der die nationale Zugehörigkeit vermerkte. Die nationale Zuordnung wurde hier nicht nach der subjektiven Einstuftmg, sondern nach der Nationalität der Eltern vorgenommen. Nur die Kinder aus Mischehen hatten mit sechzehn Jahren bei der Paßausgabe das Recht, die Nationalität (des Vaters oder der Mutter) zu wählen. Diese Regelung, die Nationalität letztlich biologisch bestimmte und auf Lebenszeit festschrieb, stand in gewissem Widerspruch zur Volkszählungs33
In der Nachkriegszeit fanden vier Volkszählungen statt: 1959, 1970,1979, 1989.
34
Diese Regelung gilt seit der Volkszählung von 1937. Bei der ersten allgemeinen Volkszählung unter sowjetischer Regierung im Jahre 1926 bestimmte sich die ethnische Zugehörigkeit damals noch als Volkszugehörigkeit (narodnost') bezeichnet - durch die Herkunft, wobei die ethnische Zugehörigkeit der Mutter ausschlaggebend war. Hier hatte sich bereits eine Änderung im Vergleich zur Zarenzeit vollzogen. Bei der Volkszählung von 1897 war die Sprache ausschlaggebend für die Zuordnung zu einer ethnischen Gruppe. 35 Vgl. R. Karklins, A Note on >Nationality< and >Native Tongue< as Census Categories in 1979, in: Soviet Studies, no. 3, 1980, S. 415-422.
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1. Kapitel: Die Rußlanddeutschen in der vormaligen Sowjetunion
praxis.36 Es kam allerdings, wie inzwischen bekannt ist, auch bei der Paßeintragung zu Veränderungen der Nationalitätenzugehörigkeit In den sechziger und siebziger Jahren, als bestimmte nationale Gruppen, wie z.B. die Deutschen, noch unter starken Diskriminierungen zu leiden hatten, versuchten manche, im Inlandspaß ihrer Kinder, eine privilegiertere Nationalität, z.B. die russische, eintragen zu lassen.37 Die Nationalitätenzugehörigkeit offenbarte sich über den Inlandpaß bei offiziellen Anlässen, z.B. beim Hochschuleintritt oder bei der Arbeitsaufnahme und blieb daher von einschneidender Bedeutung. Durch diese Politik und durch den »Blick der anderen« war es den Sowjetbürgern nicht möglich, ihre nationale Zugehörigkeit zu vergessen.
4. Die Stellung der Deutschen im multinationalen Zusammenhang der vormaligen Sowjetunion Die besondere Situation der Rußlanddeutschen in der vormaligen Sowjetunion ist ohne einen Rückgriff auf ihre - auch vorsowjetische - Geschichte nicht zu verstehen.38 Hier spiegelt sich die Abhängigkeit ihrer Stellung von der 36 Es gibt keine offiziellen Daten über die Verteilung der nationalen Zugehörigkeit in der Sowjetunion nach der Paßnationalität. 37 Derartige Fälle werden zum Problem, wenn Deutsche in die Bundesrepublik ausreisen wollen und den Nachweis ihrer deutschen Volkszugehörigkeit erbringen müssen. 38 Vgl. A Kappeler (1992), S. 9. »Für ein tieferes Verständnis des sowjetischen Vielvölkerreiches, seiner Nationen und ethnischen Gruppen und ihrer Emanzipation von der Zentrale, ist der Rückgriff auf seinen Vorgänger notwendig.« Zur Geschichte der Rußlanddeutschen sind in den letzten Jahren eine Reihe von Arbeiten erschienen. Unter der Rubrik »Beiträge zur Geschichte der Sowjetdeutschen« veröffentlichte L. Malinowski in »Heimatliche Weiten« eine Reihe von Aufsätzen zur Historie der Rußlanddeutschen. Vgl. Heimaliche Weiten, Nr. 1, 1981, S. 234-256; ebd., Nr. 2, 1981, S. 246-262; ebd., Nr. 1, 1982, S. 250-266; ebd. Nr. 2, 1982, S. 226-247; ebd., Nr. 1, 1983, S. 253-279; ebd., Nr. 2, 1983, S. 228-236. Vgl. auch I. Fleischhauer, Das Dritte Reich und die Deutschen in der Sowjetunion. Stuttgart 1983 (Schriftenreihe der Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte, 46); dies., Die Deutschen im Zarenreich. Zwei Jahrhunderte deutsch-russische Kulturgemeinschaft Stuttgart 1986; dies, und B. Pinkus: Die Deutschen in der Sowjetunion. Geschichte einer nationalen Minderheit im 20. Jahrhundert. Bearbeitet und herausgegeben von K.-H. Ruffmann, Baden-Baden 1987 (Osteuropa und der internationale Kommunismus, 17); M . Buchsweiler, Volksdeutsche in der Ukraine am Vorabend und Beginn des Zweiten Weltkrieges - ein Fall doppelter Loyalität? Gerlingen 1984; A Eisfeld, Deutsche Kolonien an der Wolga 1917-1919 und das Deutsche Reich. Wiesbaden 1985 (Veröffentlichungen des Osteuropa-Institutes München. Reihe Geschichte, 53); Tausend Jahre Nachbarschaft Rußland und die Deutschen. Hrsg. von der Stiftung Ostdeutscher Kulturrat, Bonn. Zusammengestellt in Verbindung mit A. Eisfeld von M. Hellmann, München 1988; H. Wormsbecher, Die Sowjetdeutschen: Probleme und Hoffnungen, in: Heimatliche Weiten, Nr. 1, 1988, S. 252-278; Sovetskie nemcy: istorijai sovremennost' (Materialy Vsesojuznoj nauöno-prakticeskoj konferencii. Moskva, 15.-16. nojabrja 1989 g.). Moskva 1990; Β. Dietz/P. Hilkes, Rußlanddeutsche: Unbekannte im Osten. München 1993; D. Brandes, Die
4. Die Stellung der Deutschen
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russischen bzw. sowjetischen Nationalitätenpolitik ebenso wider, wie die Verknüpfung ihrer Situation mit den wechselhaften außenpolitischen Beziehungen zwischen Rußland sowie der vormaligen UdSSR und Deutschland.
4.1. Zur Geschichte der Rußlanddeutschen
Die Vorfahren der heute in der Sowjetunion lebenden Deutschen gehörten verschiedenen Einwanderergruppen an, die über mehr als ein Jahrhundert hinweg in das zaristische Rußland kamen.39 Die meisten unter ihnen waren bäuerliche Siedler, die auf der Flucht vor wirtschaftlicher Not und religiöser Verfolgung eine neue Heimat suchten. Die erste große Gruppe ließ sich auf die 1763 erfolgte Einladung von Katarina II. in den Steppengebieten der unteren Wolga nieder.40 Wirtschaftliche Motive spielten dabei auch für die russische Regierung eine wichtige Rolle. Die landwirtschaftliche Erschließung der Gebiete am Rande des russischen Reiches durch ausländische Kolonisten erschien ökonomisch so vielversprechend, daß ihnen dafür erhebliche Privilegien angeboten wurden. Die wichtigsten waren die Befreiung von Steuern und vom Militärdienst, sowie das Recht zur selbständigen Verwaltung ihrer Dörfer. Diese günstigen Bedingungen veranlaßten eine große Zahl deutschstämmiger Siedler, zwischen 1764 und 1768 ins russische Reich einzuwandern, wo sie vornehmlich im Wolgagebiet, aber auch am Schwarzen Meer, Land zugewiesen bekamen. Die nächste größere Gruppe von Kolonisten aus deutschen Fürstentümern gründete unter Alexander I. (1801-1825) in Gebieten der heutigen Ukraine, im Transkaukasus und in Bessarabien zahlreiche neue Siedlungen. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts schoben sich einzelne Tochterkolonien bis nach Mittelasien vor. Die deutschen Siedler waren nach einer schweren Aufbauarbeit wirtschaftlich relativ erfolgreich, was einmal ihrer Diszplin und ihrem technischen »know-how« zuzuschreiben war, zum anderen kamen sie in den Genuß der bereits genannten Privilegien der russischen Regierung. Die wirtschaftlichen Deutschen in Rußland und der Sowjetunion, in: K. J. Bade, Deutsche im Ausland, Fremde in Deutschland. Migration in Geschichte und Gegenwart. München 1992, S. 85-134; A. Eisfeld, Die Rußlanddeutschen. Mit Beiträgen von D. Brandes und W. Kahle. München 1992 (Studienbuchreihe der Stiftung Ostdeutscher Kulturrat, 2). Im Jahre 1993 erschien in Rußland erstmals ein Band mit Dokumenten zur Geschichte der Rußlanddeutschen. Vgl. Meidunarodnyj Institut gumanitarnych Programm (Hrsg.), Istorija rossijskich nemcev ν dokumentach (1763-1992), Moskva 1993. 39 Die Deutschbalten und die Deutschen, die als ausländische Experten in die großen Städten Rußlands eingewandert waren, gehörten nicht zu diesem Personenkreis. 40 Zur Geschichte der Wolgadeutschen vgl. M Geschichte und Gegenwart. Berlin 1992.
Schippan/S. Striegnitz, Wolgadeutsche.
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1. Kapitel: Die Rußlanddeutschen in der vormaligen Sowjetunion
Erfolge der Kolonisten sowie ihre andere sprachliche, religiöse und kulturelle Prägung führten jedoch zeitweise zu Spannungen mit den Nachbarvölkern, die von den anwachsenden panslawistischen Kräften aufgegriffen wurden. Reformen Alexanders II. (1855-1881) im Jahre 1871 nahmen schließlich die meisten Vorrechte zurück, die den Kolonisten gewährt worden waren. Die Rußlanddeutschen stellten keine einheitliche Gruppe dar, sondern blieben entsprechend dem Herkunftsgebiet ihrer Vorfahren sprachlich (Dialekt), kulturell und religiös (Protestanten, Katholiken, Mennoniten und Baptisten) voneinander abgegrenzt, was sich durch die jeweils unterschiedlichen, geographisch weit auseinanderliegenden Siedlungsgebiete fortschrieb. Diese Verschiedenheiten lassen sich teilweise noch heute ausmachen41 und tragen mit dazu bei, daß die Deutschen in der vormaligen Sowjetunion eine - bei zahlreichen Gemeinsamkeiten - heterogene Gruppe bilden.42 »Erst die soziale und rechtliche Nivellierung in der Sowjetunion und Stalins Politik der Unterdrückung und Deportation schufen ein Gefühl der Zusammengehörigkeit und ein >nationales< Bewußtsein, das auch aus dem Namen der 1989 gegründeten Gesellschaft >Wiedergeburteigenen< Nationalität zu haben .... Folglich ist die ethnische Zugehörigkeit in den scheinbar rein geschäftlichen, modernen Bezie-
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Schule hatten 33% der Befragten oder deren Angehörige manchmal nationale Diskriminierungen erfahren und 39% manchmal im öffentlichen Leben. Das unterstreicht, daß die Deutschen am Arbeitsplatz die vergleichsweise geringsten Probleme aufgrund ihrer nationalen Zugehörigkeit hatten. Dies erklärt sich auch daraus, daß die Rußlanddeutschen »Reiß, Arbeitsamkeit und Disziplin« traditionell als besonders wertzuschätzende Eigenschaften ansahen und in der Familie weitergaben. Diese zentralen Eigenschaftsdimensionen prägten das Selbst- und Fremdbild der Rußlanddeutschen über Jahrhunderte.16 Vor diesem Hintergrund wird verständlich, daß sich die Rußlanddeutschen im Arbeitszusammenhang wieder relativ gut integrieren konnten, besonders da sie in den meisten Fällen über die notwendigen Kenntnisse der lingua franca - russisch verfügten. Probleme waren jedoch beim Aufstieg in bestimmten Berufssparten, wie z.B. bei höheren Verwaltungspositionen oder beim Militär, noch immer vorhanden. Es ist abzusehen, daß sich in den Nachfolgestaaten der Sowjetunion neue Konstellationen für den beruflichen Ein- und Aufstieg herausbilden werden. In den neuetablierten Staaten wird für zahlreiche Berufe (z.B. im kaufmännischen, schulischen und administrativen Bereich) die Beherrschung der jeweiligen Landessprache unumgänglich. Zudem deutet sich an, daß die Angehörigen der Titularnation bei der Besetzung von Führungspositionen bevorzugt werden könnten. Dies führte bereits zu Spannungen zwischen den verschiedenen ethnischen Gruppen, wovon die Deutschen - als ethnische Minderheit - jeweils in besonderer Weise betroffen sind.
13. Die wirtschaftliche Situation
Die wirtschaftliche Situation der Deutschen in der UdSSR läßt sich sinnvollerweise nur im Vergleich mit anderen Bevölkerungsgruppen und im Kontext der Wirtschaftsentwicklung der Sowjetunion und ihrer Nachfolgestaaten beleuchten. Das Einkommen der Deutschen entsprach - nach den Ergebnissen der 1989/90 und der 1991 durchgeführten Interviewstudien - den sowjetischen Durchschnittslöhnen in den entsprechenden Branchen. Am Ende der achtziger Jahre konnte keine Einkommenscüskriminierung aus nationalen Gründen festgestellt werden. Da die meisten Deutschen in relativ großen Familien mit mehhungen von Bedeutung.« Vgl. J. Lewada, Die Sowjetmenschen 1989-1991. Sonogramm eines Zerfalls. Berlin 1992, S. 46. 16
Vgl. Th. Kussmann, B. Schäfer (1982), S. 45-49; siehe auch L. Wilkiewicz (1989), S. 28 ff.
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reren verdienenden Mitgliedern lebten, dürfte auch ihr Familieneinkommen in vielen Fällen dem sowjetischen Durchschnitt in etwa gleichgekommen sein. Von den 1991 in der Sowjetunion interviewten Deutschen hielten die Hälfte (54%) ihr Familieneinkommen für durchschnittlich, wenige (6,5%) zählten sich den Besserverdienenden zu, während ungefähr ein Drittel der Ansicht waren, die Einkünfte ihrer Familien lägen etwas bzw. wesentlich unter dem Durchschnitt. Die befragten Deutschen nannten zu einem vergleichsweise hohen Prozentsatz ein Haus bzw. eine Wohnung ihr eigen (unter den 1989/90 befragten rußlanddeutschen Aussiedlern waren es 53%, unter den 1991 in der Sowjetunion interviewten Deutschen 39%).17 Für die Versorgung der Familie spielte neben dem Einkommen die Selbstversorgung mit landwirtschaftlichen Produkten eine sehr wichtige Rolle. Das hatte sowohl mit dem Mangel an Lebensmitteln, als auch mit der oft unbefriedigenden Qualität der angebotenen Produkte zu tun. Für die Deutschen in der Sowjetunion war die private Landwirtschaft schon immer eine bedeutende Quelle der familiären Versorgung, wobei den meisten ihre bäuerliche Herkunft zugute kam. Mehr als drei Viertel der 1991 in der Sowjetunion befragten Deutschen gaben an, über eine Datscha, ein Hofgrundstück oder einen Gemüsegarten zu verfügen bzw. Vieh zu halten.18 Der Anteil der Stadtbewohner, der sich nebenher noch mit landwirtschaftlicher Produktion beschäftigte, war relativ hoch (30%). Für die Landbewohner spielten das Hoflandgrundstück (54%), der Gemüsegarten (79%) und die Viehhaltung (75%) eine ganz entscheidende Rolle bei der alltäglichen Versorgung. Nach den Angaben der befragten Deutschen verkauften etwa ein Viertel zumindest teilweise ihre landwirtschaftlichen Produkte. Die Erträge aus der privaten Landwirtschaft trugen nicht unwesentlich zur Verbesserung ihrer alltäglichen Versorgung mit Lebensmitteln bzw. zu einem zusätzlichen Einkommen bei. Bis heute bewahrten viele Deutsche bäuerliche Traditionen der Vorkriegszeit. Ganz unabhängig davon, ob sie in Kasachstan, im Altaigebiet, in Kirgisien oder in Usbekistan lebten, wurde der gepflegte Gemüsegarten und die sorgfältige Verarbeitung der landwirtschaftlichen Produkte als eine Besonderheit der deutschen Bevölkerung betrachtet. Mit der zunehmenden Ausreise der Deutschen bedauern die Nachbarvölker vielfach den Verlust dieser bäuerlichen Kultur.
17 Im Jahre 1989 war in der Sowjetunion 39,8% des »Wohnungsfonds« in privatem Besitz. Vgl. Narodnoe chozjajstvo SSSR ν 1989 g., Moskva 1990, S. 165. 18 Hier waren Mehrfachnennungen möglich, was bedeutet, daß drei Viertel aller Befragten zumindest über eine der angegebenen Möglichkeiten verfügten.
1. Ausbildungssituation, Arbeitsleben und wirtschaftliche Lage
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Vor diesem Hintergrund wird verständlich, daß über die Hälfte der 1989/90 interviewten Aussiedler mit ihrem Lebensstandard einigermaßen (49%) oder sogar sehr (5%) zufrieden waren. Etwas schlechter stellte sich die Situation aus dem Blick der 1991 in der Sowjetunion befragten Deutschen dar. 3% waren vollständig mit ihrem Lebensstandard zufrieden und 33% einigermaßen. Hier spielte der Zeitfaktor - die Studie in der Sowjetunion wurde ein Jahr nach der Befragung in der Bundesrepublik durchgeführt - eine relativ große Rolle, denn die wirtschaftliche Situation in der Sowjetunion verschlechterte sich im Verlauf der Jahre 1989/1990. Im sowjetischen Kontext stellten die befragten Deutschen keineswegs eine besonders unzufriedene Gruppe dar. Im März 1990 gaben nur 26% aller Sowjetbürger bei einer repräsentativen Umfrage an, mit ihrem Lebensstandard zufrieden zu sein. Vor dem Hintergrund der wirtschaftlichen Entwicklung zu dieser Zeit ist nicht überraschend, daß der Anteil der »Unzufriedenen« innerhalb eines Jahres um 22% zugenommen hatte.19 Die wirtschaftliche und politische Lage in den Nachfolgestaaten der UdSSR war am Ende des Jahres 1993 von großen Unsicherheiten und unklaren institutionellen Verhältnissen gekennzeichnet. Der Übergang zur Marktwirtschaft wurde zwar in so gut wie allen Staaten propagiert, die Übergangsregelungen blieben jedoch in weiten Bereichen umstritten. Ein Großteil der Bürger der vormaligen Sowjetunion sah sich mit Hyperinflation, zusammenbrechenden Versorgungssystemen und drohender Arbeitslosigkeit konfrontiert. 20 Für die Rußlanddeutschen, die vor der Auflösung des Unionsverbandes keine ökonomische Randgruppe mehr darstellten, wurde zudem die Frage drängend, ob die ethnische Zugehörigkeit bei den anstehenden Neuordnungen in den jeweiligen Staaten eine wesentliche Rolle spielen würde.21
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Vgl. L. Kazakova, Dovol'ny Ii vy svoej iizn'ju? In: Nedelja, 15.4.1990, S. 5. Wirtschaftswissenschaftliche Gutachten zur ökonomischen Lage in Rußland, Weißrußland, der Ukraine und Kasachstan bestätigen dies. Vgl. Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung, Berlin, Institut für Weltwirtschaft an der Universität Kiel, Institut für Wirtschaftsforschung Halle, Die wirtschaftliche Lage Rußlands und Weißrußlands - Systemtransformation am Scheideweg. September 1992; H. Clement /J. Slama, Die wirtschaftliche Situation der Ukraine. Gutachten erstellt im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft, Osteuropa-Institut München, September 1992; G. Huber / S. Schönherr / B. Thanner, Kasachstan - Wirtschaft im Umbruch. Untersuchung im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft, ifo Institut für Wirtschaftsforschung, München, September 1992. 21 Dies stellte sich vor allem in Kasachstan und Zentralasien als wesentlicher Punkt dar. Vgl. G. Gleason, Central Asia: Land Reform and the Ethnic Factor, in: RFE/RL Research Report, no. 3, January 1993, S. 28-33. 20
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1.4. Deutsche als Wirtschaftsfaktor
Mit der Öffnung hin zur Marktwirtschaft, dem Zwang zur Selbstfinanzierung in vielen Bereichen sowie mit den immer größeren Problemen bei der Versorgung der Bevölkerung, erschienen die Deutschen in der vormaligen Sowjetunion, später den Staaten der GUS in neuem Licht.22 Es setzte sich offensichtlich in Politik, Verwaltung und Wirtschaft die Vorstellung durch, daß die Deutschen aufgrund der Förderungsmaßnahmen23 der Bundesregierung möglicherweise aber auch als Anknüpfungspunkt für deutsche Privatfirmen einen »Wirtschaftsfaktor« darstellen könnten. Dies rückte in Rußland ins Blickfeld, als das Gebiet Kaliningrad im Frühsommer 1991 zur Freihandelszone erklärt wurde. In diesem Zusammenhang kam zur Sprache, daß die bereits seit einiger Zeit aus den verschiedenen Teilen der Sowjetunion dorthin übersiedelnden Deutschen Investitionen aus der Bundesrepublik anziehen könnten.24 Zahlreiche bürokratische Hürden und wirtschaftliche sowie politische Unsicherheiten behinderten diese Pläne bislang. Deutsche Investitionen beschränkten sich im Jahre 1991 auf die Beteiligung einer deutschen Firma am Bau eines internationalen Hotels und an einer Ziegelei.25 »Trotz der bleibenden Unsicherheit über den gesetzlichen Rahmen der freien Wirtschaftszone, der fehlenden Ausführungsbestimmungen, der wider22 Vgl. in diesem Zusammenhang auch Reaktionen in der russischen Presse, z.B. S. Guk, Rossija i Ukraina napereboj zazyvajut nemcev, in: Izvestija, 27.7.1992, S. 7. 23 Die zunehmende Auswanderung der Deutschen aus der Sowjetunion führte in der Bundesrepublik zu wachsenden Problemen bei der Aufnahme. Unter anderem um die sozialen und wirtschaftlichen Schwierigkeiten aufzufangen, die in Deutschland durch die große Zahl der jährlich ankommenden Aussiedler entstanden waren, wurde von der Bundesregierung ein Förderprogramm - mit dem Schwerpunkt Sowjetunion, später GUS, aufgelegt. Das Ziel war, die dort lebenden Deutschen in wirtschaftlichen und kulturellen Bereichen zu unterstützen, um sie zu ermutigen, weiter in der Sowjetunion zu bleiben. Das Programm sah Soforthilfen mit Medikamenten, Lebensmitteln und Bekleidung vor. Weitere Mittel galten dem Aufbau und der Förderung mittelständischer Betriebe, hauptsächlich im landwirtschaftlichen Bereich, sowie der Unterstützung sozialer und kultureller Zentren. Dafür wurden in den Jahren 1990/91 etwa 100 Millionen Mark bereitgestellt. Weitere 100 Millionen Mark waren perspektivisch für Initiativen im Wolgagebiet vorgesehen, sollte es dort tatsächlich zu einer deutschen Autonomie kommen. Vgl. Redaktion Mediendienst zum Thema deutsche Aussiedler, Bonn, Januar 1992, S. 12-15. Im Jahr 1993 gingen 76,2 Millionen Mark aus den Mitteln des Innenministeriums zur Unterstützung der Rußlanddeutschen nach Rußland. Vgl. R. Olt, »Hilfe für Deutsche in Osteuropa ist eine Zukunftsinvestition«, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 16.12.1993, S. 7. 24 Die Angaben über die Zahl der zugewanderten Rußlanddeutschen schwanken sehr stark. Sie wurden bis zur Mitte des Jahres 1993 mit 4.000-20.000 Personen angegeben. Die Oblast-Verwaltung nannte die niedrigere Zahl, die zugewanderten Rußlanddeutschen die höhere. Vgl. G. P. Hefty, Es ist nicht das Schlechteste, wenn in den Kirchen die Kühe stehen, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 26.3.1993, S. 3; A. Graw, Von der Militärkolonie zur Freihandelszone, in: Das Parlament, 9.7.1993, S. 16. 25 Vgl. M. Leclerc, Kaliningrad als »Hongkong des Baltikums«, in: Süddeutsche Zeitung, 17.9.1991, S. 7.
1. Ausbildungssituation, Arbeitsleben und wirtschaftliche Lage
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sprüchlichen Informationen über die geltenden Vorschriften und des Kompetenzwirrwarrs bzw. der Inkompetenz in der Gebietsadministration waren 1992 Anzeichen verstärkter Verbindungen zwischen deutschen Firmen und Betrieben aus der Königsberger Region zu erkennen.«26 Durch den Zerfall der Sowjetunion ist das Gebiet Kaliningrad zur Exklave geworden.27 Dies führte dazu, daß ausländische Investoren - aufgrund der politischen Brisanz besonders die deutschen - nach wie vor zumeist in der Beobachterposition blieben.28 Im wiedergegründeten deutschen Rayon im Altaigebiet wurde Mitte 1991 eine erste wirtschaftliche Kooperation zwischen der Bundesrepublik und sowjetischen Partnern auf Gebietsebene (Altai-Gebiet) gestartet, die sowohl den dort relativ kompakt lebenden Deutschen als auch ihren Nachbarvölkern zugute kommen sollte. Dabei handelte es sich um ein Joint Venture zwischen einer Mittlerorganisation der Bundesregierung (VDA, Verein für das Deutschtum im Ausland) und sowjetischen Partnern (Kolchosen und die Produktionsvereinigung Altaichimprom). Während der VDA für die Lieferung eines mobilen Schlachtzuges sowie für den Bau einer Käserei und einer Bäckerei sorgte, stellten die sowjetischen Partner Land, Räume und Elektrizität zur Verfügung. Die Gewinne aus diesen Unternehmungen sollten im Altaigebiet verbleiben und für die Ausstattung von Kindergärten und Schulen sowie für die bessere Versorgung der Bevölkerung mit Konsumgütern und zur Unterstützung von Rentnern und Invaliden bereitgestellt werden. Diese Projekte entwickelten sich nur mit Schwierigkeiten.29 Der VDA geriet unter starke Kritik und wurde inzwischen von der Betreuung wirtschaftlicher Projekte abgelöst30
26 Vgl. D. Bingen, Das Gebiet Kaliningrad (Königsberg): Bestandsaufnahme und Perspektiven. Deutsche Ansichten (II). Bundesinstitut für ostwissenschaftliche und internationale Studien, Nr. 25, Köln 1993, S. 29. 27 Aufgrand dieser Situation wurden von polnischer Seite Bedenken dagegen vorgebracht, daß der Anteil der deutschen Bevölkerungsgruppe im Gebiet Kaliningrad zu stark wachsen könnte. »Wir wollen allerdings nicht zulassen, daß es im Gebiet von Königsberg zu einer Wiedergeburt einer Art Ostpreußen kommt«, sagte der stellvertretende Ministerpräsident H. Goryszewski bei einem Interview. Vgl. Süddeutsche Zeitung, 5./6.9.1992, S. 7. 28 Diese Zurückhaltung wurde vom Gebietspräsidenten J. Matotschkin mit Bedauern zur Kenntnis genommen. Vgl. Verwalter von Kaliningrad: Deutsche investieren kaum, in: Süddeutsche Zeitung, 13.2.1992, S. 2; Kaliningrad von Deutschen enttäuscht, in: Süddeutsche Zeitung, 22./23.2.1992, S. 8. Ende 1992 zeigte sich Matotschkin beim Hanse-Kolleg in Kaliningrad resigniert. »Erst müsse das Überleben gesichert werden, bevor man an eine Entwicklung denken könne«. Vgl. J. Abaffy, Ungenutzte Chancen, in: Handelsblatt 16./17.10.1992, S. 3. 29 Vgl. S. Gressler, Wie effektiv ist die Hilfe im Deutschen Nationalen Rayon im Altai? In: Deutsche Allgemeine Zeitung, 18.7.1992, S. 2. 30 Für die wirtschaftlichen Förderungsmaßnahmen der Bundesregierung sind inzwischen die GTZ (Gesellschaft für technische Zusammenarbeit) und die Kreditanstalt für Wiederaufbau zuständig. Zur Kritik am VDA vgl. H. Klüter, Die Deutschstämmigen Sibiriens. Zwischen regionaler Autonomie und Auswanderung, in: Geographische Zeitschrift, Heft 3, 1992, S. 129-148.
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Die Förderungsmaßnahmen der Bundesregierung sind in ihrer Auswirkung auf weiteres - privatwirtschaftliches, westliches (deutsches) Engagement - mit Zurückhaltung zu beurteilen. Obwohl das Altaigebiet zur freien Wirtschaftszone erklärt wurde, ist keineswegs sicher, ob die bisher vorhandene Infrastrukturausstattung, die wirtschaftlichen Ausgangsbedingungen und die Ausbildung der Arbeitskräfte es auch für private Kapitalanleger attraktiv erscheinen läßt, zu investieren. Das um so mehr, als die konkrete Ausgestaltung der Sonderwirtschaftszone noch immer unklar isL31 Ähnlich sieht die Situation auch im deutschen Rayon Asowo aus, wobei die Förderungsmaßnahmen dort durchaus einen wirtschaftlichen Impuls, vor allem im Wohnungsbau, darstellen.32 In Kasachstan drückten offizielle Kreise in Wirtschaft und Politik, gerade nach der Unabhängigkeitserklärung, wiederholt den Wunsch aus, die dort lebenden Deutschen ins Wirtschaftsleben einzubinden und auch mit der Bundesrepublik in intensiveren wirtschaftlichen Kontakt zu treten.33 Diese Vorstellung wurde vom Präsidenten Kasachstans N. Nasarbajew bei seinem Besuch in Bonn im September 1992 nochmals wiederholt, wobei der Minderheitenschutz für die deutsche Bevölkerung in Kasachstan zur Sprache kam, den Nasarbajew ausdrücklich garantierte.34 Bis zum Herbst 1992 konnte eine Reihe kleiner gemeinschaftlicher Projekte der Bundesregierung und örtlicher Organisationen in Kasachstan realisiert werden.35 Die Deutschen dort stehen diesen Bemühungen zumeist abwartend und skeptisch gegenüber. Sie befürchten generell eine »Kasachisierung« des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens. Viele sehen daher ihre Perspektive inzwischen in der Bundesrepublik. Eine weitere Variante beim Versuch, die Ansiedlung von Deutschen mit der wirtschaftlichen Entwicklung eines Nachfolgestaates der Sowjetunion zu verknüpfen, kam durch den Vorschlag des Präsidenten der Ukraine L. Krawtschuk 31 Sonderwirtschaftszonen in der Sowjetunion sind in ihrer Auswirkung auf die wirtschaftliche Entwicklung des Landes umstritten. Vgl. H. Dörrenbächer, Sonderwirtschaftszonen - Ein Beitrag zur wirtschaftlichen Entwicklung der UdSSR? In: Osteuropa Wirtschaft, Nr. 2, 1991, S. 81-105; Dies., Mythos Joint Ventures. Ergebnisse einer empirischen Untersuchung deutsch-sowjetischer Jointventures, in: Osteuropa Wirtschaft, Nr. 2,1992, S. 133-147. 32 Vgl. R. Olt, Im westsibirischen Asowo hat Bruno Reiter das Sagen. Nahe Omsk entsteht mit Bonner Hilfe ein Deutscher Nationalrayon, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 15.7.1993, S. 3; R. Olt, Es sind unsere besten Leute. Sie sollen hierbleiben. In Omsk will man die Rußlanddeutschen halten, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 17.7.1993, S. 4. 33 Vgl. z.B. R. Olt: »An besten Beziehungen zu allen Deutschen interessiert«, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 11.11.1991, S. 7. 34 Vgl. Bonn: Kasachstan stellt Deutschstämmige gleich, in: Süddeutsche Zeitung, 10.9.1992, S. 2; Bonn sagt keine Finanzhilfe zu, in: Süddeutsche Zeitung, 23.9.1992, S. 9. 35 Vgl. S. Gressler, Dr. Waffenschmidt in Kasachstan und Kyrgystan, in: Deutsche Allgemeine Zeitung, 12.9.1992, S. 3; H. Auras, Die Bemühungen müssen verstärkt werden. Pressekonferenz Dr. Horst Waffenschmidts, in: Deutsche Allgemeine Zeitung, 12.9.1992, S. 3.
2. Partizipation i m politischen und gesellschaftlichen Bereich
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ins Spiel, Deutschen aus verschiedenen Staaten und Gebieten der ehemaligen Sowjetunion in der südlichen Ukraine und auf der Krim Land anzubieten.36 Diese Möglichkeit wurde von einer Reihe von Deutschen begrüßt 37 Da es vor dem Zweiten Weltkrieg autonome nationale Gebiete der Deutschen in der Ukraine gegeben hatte, stellte sich dieses Projekt für manche Rußlanddeutsche nicht zuletzt deswegen attraktiv dar, weil auch die Bundesregierung Unterstützung signalisierte und ein deutsch-ukrainischer Fonds gegründet wurde.38 Gegen Ende des Jahres 1992 kehrte im Zusammenhang mit den Umsiedlungsprojekten Ernüchterung ein.39 Die Bedingungen vor Ort erwiesen sich bislang als ungeeignet für eine größere Zahl von Übersiedlern. Zudem deutet manches daraufhin, daß örtliche Funktionäre und rußlanddeutsche Geschäftsleute über die Köpfe der Umsiedler hinweg mit den Mitteln des deutsch-ukrainischen Fonds ihre eigenen Interessen verfolgten. 40
2. Partizipation im politischen und gesellschaftlichen Bereich Die Einbindung einer ethnischen Minderheit in die Gesamtgesellschaft läßt sich unter anderem daran bemessen, in welchem Maße sich Angehörige dieser Gruppen an politischen und gesellschaftlichen Aktivitäten beteiligen können und ob es ihnen möglich ist, die eigenen kulturellen und religiösen Traditionen im Rahmen der Gesamtgesellschaft weiterzuführen.
36
Von Seiten der ukrainischen Regierung war das Angebot gemacht worden, 400.000 Deutschen Aufnahme zu gewähren. Vgl. Ukraine nimmt Rußlanddeutsche auf, in: Süddeutsche Zeitung, 2.3.1992, S. 7; Interview mit L. Krawtschuk, in: Der Spiegel, Nr. 6, 1992, S. 155-163. 37 Vgl. z.B. die Erklärung von H. Wormsbecher in: Feras eh- /Hörfunkspi eg el Ausland, 14.2.1992. 38 Vgl. Deutschland und Ukraine wollen Grundlagenvertrag, in: Süddeutsche Zeitung 5.2.1992, S. 2; Jeder soll 50 Hektar der fruchtbaren Erde erhalten, in: Süddeutsche Zeitung, 5.8.1992, S. 6; S. Greßler, Ein Großprojekt, das Bonn und Kiew unterstützen wollen, in: Volk auf dem Weg, Nr. 6, 1992, S. 12-13. Vgl. auch A. Eisfeld, Zwischen Bleiben und Gehen: Die Deutschen in den Nachfolgestaaten der Sowjetunion, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, Β 48/93, 26. November 1993, S. 44-52, hier S. 50-51. 39 Dies zeigte sich auch daran, daß bis zum November 1992 nur 500 Deutsche in die Ukraine übersiedelt waren. Vgl. Ju. Gulyj, Ukraina prinjala pervych 500 nemcev-pereselencev, in: Izvestija, 3.11.1992, S. 5. Nach einer Angabe vom August 1993 waren bis zu diesem Zeitpunkt 1526 Rußlanddeutsche in die Ukraine übergesiedelt. Vgl. Ch. Schneider, Im Container auf der grünen Wiese, in: Süddeutsche Zeitung, 14./15.8.1993, S. 9. 40 Vgl. z.B. Alles halbgewalkt, in: Der Spiegel, Nr. 38, 1992, S. 196-198; K. Grobe, Im Hintergrund: Ukrainedeutsche. Aus der Traum, wohin nun? In: Frankfurter Rundschau, 16.8.1993, S. 9.
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2.1. Deutsche in politischen Institutionen
Im Vielvölkerstaat Sowjetunion spielte die Nationalitätenzugehörigkeit bei der Vergabe politischer Ämter zwar aufgrund des Proporzdenkens eine gewisse Rolle, im allgemeinen hatte sie jedoch kaum Auswirkungen auf politische Entscheidungen. Insofern war die Nationalitätenzugehörigkeit von Verantwortlichen in politischen Institutionen kein Hinweis auf eine entsprechende nationale Politik. Das traf auch auf Deutsche in politischen Positionen oder in Parteifunktionen zu. Bis gegen Ende der achtziger Jahre traten diese nur in den seltensten Fällen explizit für die besonderen Interessen der deutschen Bevölkerung ein. Nationale Anliegen, wie z.B. die Forderung nach der Wiedererrichtung der Autonomen Wolgarepublik wurden vor diesem Zeitpunkt fast immer von außen, das heißt von rußlanddeutschen Initiativgruppen, an staatliche Instanzen herangetragen. Die Möglichkeit von Deutschen, in politischen Ämtern zu wirken, war dennoch ein gewisser Gradmesser für ihre politische Integration. Im Jahre 1961 stellten die Deutschen 5648 Deputierte in örtlichen Behörden (Sowjets), das heißt den noch geringen Anteil von 0,3% an der Gesamtzahl aller Deputierten. Bis zum Jahre 1969 verdoppelte sich dieser Anteil - sicherlich auch durch die »Rehabilitierung« von 1964 bedingt Von diesem Zeitpunkt an bis zur letzten verfügbaren Zahl aus dem Jahre 1987 hielt sich der prozentuale Anteil der Deutschen an der Gesamtzahl aller Deputierten auf diesem Niveau. Deutsche waren in den höheren Verwaltungspositionen jedoch seltener vertreten als in den unteren. Im Jahre 1973 wurden erstmals zwei Deutsche als Deputierte des Obersten Sowjets der UdSSR aufgeführt. Die Partizipation von Deutschen in höheren politischen Ämtern nahm langsam zu: 1984 gab es vier deutsche Vertreter im Obersten Sowjet der UdSSR und neunzehn im Obersten Sowjet einer Unionsrepublik.41 Bis auf ein ausgeschiedenes Mitglied des Obersten Sowjet der UdSSR hielt sich dieser Anteil auch im Jahre 1987 und 1989.42 Als mit dem Volkskongreß 1989 ein neues politisches Gremium geschaffen wurde, gehörten ihm zehn Deutsche (0,4% aller Deputierten) an.43 Bei einem Bevölkerungsanteil der Deutschen von 0,7% waren sie damit im Vergleich zu anderen kleinen Völkern, wie z.B. den Juden oder den Polen, schlechter reprä-
41
Neues Leben Nr. 31, 1984, S. 7. Vgl. V. A. TiSkov, Assambleja nacij ili sojuznyi parlement? In: Sovetskaja Étnografija, Nr. 3, 1990, S. 9. 43 ebenda, S. 6. 42
2. Partizipation i m politischen und gesellschaftlichen Bereich
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sentiert 44 Dies legt den Schluß nahe, daß die Deutschen zwar nicht völlig von der politischen Verantwortung ausgegrenzt waren, daß sie aber nur eine unbedeutende Rolle spielten.
Tabelle 9 Deutsche Deputierte in örtlichen Sowjets Verwaltungsebene
1961
1969
1971
1973
1977
1984
1987
Gebiet Kreis Stadt Ländl. Siedlung
68 758 214 4608
73 1513 898 10276
62 1581 969 10556
90 1743 1108 11071
181 2062 1665 12048
_
_
-
-
Gesamt
5648
12760
13168
14012
15956
-
-
-
-
17630
20000
Quelle: Itogi vyborov i sostav deputatov mestnych sovetov deputatov trudjaScächsja (statistiöeski sbornik) 1961, 1969, 1971, 1973, 1977; Neues Leben, Nr. 31, 1984, S. 7. Interview mit B. Borissow, in: Sowjetunion heute, Nr. 8,1989, S. 58.
Lediglich in Kasachstan, wo die Deutschen den dritten Platz unter den Nationalitäten belegten, waren sie am Ende der achtziger Jahre »relativ frei und fast gleichberechtigt«.45 Unter den 126 Volksdeputierten der Kasachischen SSR, die im April 1990 gewählt wurden, befanden sich mindestens zehn Deutsche.46 In Kasachstan hatten die Deutschen, so scheint es, relativ gute Chancen sich politisch zu betätigen und in örtlichen Behörden Positionen zu besetzen.47 Dies deutete sich bereits 1961 an, als unter allen deutschen Deputierten in örtlichen Sowjets der UdSSR 78% in Kasachstan aktiv waren. Neben der Präsenz in politischen Institutionen und Ämtern war die politische Partizipation in der Sowjetunion bis zum Ende der achtziger Jahre an der Parteizugehörigkeit abzulesen. Bis zu diesem Zeitpunkt gab es kaum eine Möglichkeit, ohne die Mitgliedschaft in der KPdSU in etwas bedeutendere 44 Die Juden stellten 0,75 der Delegierten bei einem Bevölkerungsanteil von 0,5% und die Polen waren bei einem Bevölkerungsanteil von 0,45 mit 0,3% der Delegierten vertreten. V. A. TiSkov (1990), S. 5 und 6. 45 Vgl. K. Kister, Rodina - mat' ih macecha? In: Sojus, Nr. 43,1990, S. 12. 46 Vgl. ebenda. 47 Das ist auch daran abzulesen, daß nach der Unabhängigkeitserklärung Kasachstans in hohen Regierungsämtern Deutsche vertreten waren: A Braun war Verwaltungsleiter des Gebiets Zelinograd und Ch. Driller der Vorsitzende des Staatlichen Komitees Kasachstans für die Unterstützung neuer Wirtschaftsstrukturen und die Einschränkung monopolistischer Tätigkeit.
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öffentliche Ämter zu gelangen.48 Mitte der achtziger Jahre (1984) gehörten 75.000 Deutsche, das heißt 3,8% der deutschen Bevölkerung, der KPdSU an.49 Damit blieben sie hinter dem Durchschnitt in der Sowjetunion zurück (6,9% aller Sowjetbürger waren zu diesem Zeitpunkt Parteimitglieder), was sich aufgrund ihrer Außenseiterposition in der Nachkriegszeit erklärte. Die Zahl der deutschen Parteimitglieder nahm jedoch in den nächsten Jahren zu, bis sie 1989 ihren absolut (89.500 Personen) und relativ (4,5%) höchsten Stand seit dem Zweiten Weltkrieg erreichte. 50 Ohne genaue Zahlen nennen zu können, muß davon ausgegangen werden, daß eine Reihe von deutschen KPdSU-Mitgliedern die Partei nach diesem Zeitpunkt - unter anderem wegen der zögernden Haltung der sowjetischen Regierung in bezug auf die Wiederherstellung einer deutschen Autonomie - verließ. Die 1991 unter Deutschen in der Sowjetunion durchgeführte Umfrage bestätigte dies. Nach den Resultaten der Interviews waren zum Befragungszeitpunkt im Frühjahr 1991 noch 5% der interviewten Deutschen Parteimitglieder, während ebenso viele kurz zuvor aus der KPdSU ausgetreten waren. Die Enttäuschung mit der Politik der Partei war daran ebenso deutlich abzulesen, wie die ersten Anzeichen für eine Veränderung des politischen Einparteiensystems.51 Auch Ausreisewillige kehrten der Partei den Rücken, sobald sie den Entschluß zum Verlassen des Landes gefaßt hatten. Sie befürchteten, in Deutschland als Mitglied der KPdSU Probleme zu bekommen.
2.2. Politische Betätigung und gesellschaftliche Partizipation aus individueller Sicht
Für eine Reihe von politischen und gesellschaftlichen Aktivitäten, wie z.B. die Wahlteilnahme oder die Mitgliedschaft in gesellschaftlichen Organisationen, wurden in der Sowjetunion keinerlei nach Nationalitäten aufgeschlüsselte Angaben veröffentlicht Die Ergebnisse der Befragungen von Aussiedlern aus der Sowjetunion und von in der Sowjetunion lebenden Deutschen liefern in diesem Zusammenhang die notwendigen Hintergrundinformationen. Dabei ist jedoch zu beachten, daß das Engagement bei verschiedenen politischen Aktivitäten grundsätzlich völlig unterschiedlicher Natur ist.52 Die Wahlteilnahme 48 Die Parteizugehörigkeit Heß allerdings nur bedingt einen Rückschluß auf die ideologische Überzeugung zu. Die Parteimitgliedschaft war in vielen Fällen eine notwendige Voraussetzung für den gesellschaftlichen und beruflichen Aufstieg. 49 Freundschaft, 21.8.1984, S. 2. 50 Izvestija CK KPSS, Nr. 7,1989. 51 Die Deutschen verließen zu diesem Zeitpunkt keineswegs als einzige Bevölkerungsgruppe die KPdSU. Vgl. P. Hanson, E. Teague, Soviet Communist Party loses members, in: Radio Liberty, Report on the USSR, no. 20,1990, S. 1-3. 52 »The most careful crossnational studies show that political involvement covers a broad spectrum of activities, each demanding different resources from participants and each with different
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stellte sich z.B. im Kontext des sowjetischen Systems zuallererst als eine gesellschaftliche Verpflichtung dar, die jedoch geringen persönlichen Einsatz erforderte. Vor diesem Hintergrund kam der Boykott von Wahlen in manchen Fällen einer Systemkritik gleich. Die Ergebnisse der Befragungsstudien zeigen, daß sich die Interviewten dort am stärksten engagierten, wo der geringste persönliche Einsatz gefordert war.53 Aktivitäten, die im sowjetischen System Konformität signalisierten, wie z.B. die Wahlteilnahme, standen bei den befragten Aussiedlern an höchster Stelle. Die im Jahre 1991 unter den in der Sowjetunion lebenden Deutschen durchgeführten Interviews deuteten bei der Wahlteilnahme eine Veränderung an. Nur 67% der Befragten gaben an, sie hätten in den letzten zwei Jahren immer an Wahlen teilgenommen. Hier machte sich das Nachlassen der allgegenwärtigen politischen Kontrolle - so auch bei der offiziell erwünschten Wahlteilnahme - bemerkbar. Während die prozentuale Gewerkschaftsmitgliedschaft (69,7%) bei den 1985/86 Interviewten, die in einem Arbeitsverhältnis standen, im Vergleich zum gewerkschaftlichen Organisationsgrad in der Sowjetunion,54 niedriger lag, kam sie bei den 1989/90 Befragten (92,1%) dem sowjetischen Durchschnitt gleich. Dies spricht dafür, daß sich die Situation und das Verhalten der Deutschen am Arbeitsplatz den allgemeinen Bedingungen stärker angepaßt hatten. Generell ist festzustellen, daß die 1989/90 Befragten in der Sowjetunion in stärkerem Maße gesellschaftlich engagiert waren, als die vier Jahre vorher Interviewten. Es standen jedoch immer solche Aktivitäten im Vordergrund, die direkt mit dem sozialen Leben der Befragten zusammenhingen, wie z.B. das Engagement in der Schule der Kinder (Elternkomitee) oder am Arbeitsplatz. Um ein Gesamtbild der politischen und gesellschaftlichen Aktivitäten zu erhalten, ist auch ein Blick auf nichtkonforme politische Handlungen nötig. Über die Beteiligung von Deutschen an dissidenten Aktivitäten in der Sowjetunion ist nur relativ wenig bekannt, nicht zuletzt weil die Deutschen fast nie durch spektakuläre politische Aktivitäten auf sich aufmerksam machten. Es formierten sich zwar seit 1964 bis hin zur Gründung der Gesellschaft »Wiedergeburt« im Jahre 1989 einige Male Gruppen, die eine Wiederimplications for the political system.« Vgl. D. Bahry, Politics, Generations, and Change in the USSR, in: J. R. Millar (ed.) (1987), S. 61-99 hier S. 69. Sie bezieht sich hier vornehmlich auf: S. Verba/N. Nie/J. Kim, Partizipation and Political Equality: A Seven-Nation Comparison. Cambridge 1978. 53 Hier wurden die Befragungen unter Aussiedlern im Jahre 1985/86 und 1989/90 sowie die 1991 in der Sowjetunion realisierten Interviews ausgewertet. Zu den genauen Ergebnissen vgl. B. Dietz, Anders als die anderen, in: Osteuropa, Nr. 2, 1992, S. 147-159, hier S. 156 und 157. 54 Die gewerkschaftliche Organisierung der Beschäftigten lag in der Sowjetunion immer über 90%.
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herstellung der deutschen Autonomie forderten, oder die das Recht auf freie Ausreise verlangten.55 Generell blieben diese Initiativen jedoch auf einen kleinen Personenkreis beschränkt, was sich auch durch die Ergebnisse der Befragungen bestätigte. Ganz offensichtlich hielten sich die meisten Deutschen vor nichtkonformen politischen Aktivitäten zurück.56 Die Angaben der Interviewten zu ihrer politischen und gesellschaftlichen Partizipation lassen insgesamt den Schluß zu, daß sie weder politisch besonders aktive Personen waren noch offen gesellschaftskritische. Sowohl bei konformen als auch bei nichtkonformen Aktivitäten artikulierten sie sich jeweils dort am stärksten, wo das relativ geringste politische und gesellschaftliche Engagement gefragt war.
23, Politische Initiativgruppen und die Autonomiediskussion
Seit 1964 gründeten Deutsche in der Sowjetunion Initiativgruppen, um ihre nationalen Anliegen an die sowjetische Regierung heranzutragen. Die Mitglieder dieser Gruppen blieben allerdings bis Ende der achtziger Jahre, bis zur Gründung der Gesellschaft »Wiedergeburt«, auf einen sehr kleinen Personenkreis beschränkt. Als wichtigste Forderung galt die volle Rehabilitierung der Deutschen, was auch die Wiedererrichtung der Autonomen deutschen Wolgarepublik einschloß. Mehrere Delegationen trugen in Moskau dieses Anliegen vor. 57 Am 7. Juni 196558 kam es zu einer Unterredung mit dem damaligen Staatsoberhaupt A. Mikojan, der eine Wiedererrichtung der deutschen Autonomie jedoch
55 Vgl. A. Eisfeld, Zur jüngsten Entwicklung der Autonomiebewegung der Sowjetdeutschen, in: Osteuropa, Nr. 1, 1990a, S. 10-31. 56 Es gab jedoch unter den Rußlanddeutschen einige Personen, die sich trotz des staatlichen Drucks zu Protestaktionen bereitfanden. Für die siebziger Jahre sind einige dieser Aktivitäten dokumentiert. Vgl. B. Pinkus, I. Fleischhauer (1987), S. 515-520. 57 Zur Geschichte und Aktivität der verschiedenen Initiativgruppen vgl. A. Eisfeld (1990a); J. Kühl, Die nationale Renaissance und die Autonomiediskussion bei den Deutschen in der Sowjetunion, Forschungsprojekt »Deutsche in der Sowjetunion und Aussiedler aus der UdSSR in der Bundesrepublik Deutschland«, Arbeitsbericht Nr. 2, 1990; A. Eisfeld, Teilerfolge und Rückschläge für die Autonomiebewegung der Sowjetdeutschen, in: Osteuropa, Nr. 9, 1990b, S. 849-863. 58 Dieses Datum wird im Politiceskij dnevnik. Amsterdam 1972, S. 92 angegeben, sowie in den darauf aufbauenden Quellen, z.B. bei B. Lewytzkyj, Politische Opposition in der Sowjetunion 1960-1972. München 1972, S. 231. Bei A. Eisfeld (1990a), S. 11 wird darauf verwiesen, daß dieses Treffen am 7. Juli 1965 stattgefunden habe. Dieses Datum gibt auch J. Warkentin (Hrsg.), Rußlanddeutsche - Woher? Wohin? Berlin 1992, S. 146 an.
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zurückwies.59 Zugeständnisse konnten die Delegierten nur im kulturellen Bereich erwirken, was unter ihnen große Unzufriedenheit auslöste: »Das Volk schickt uns nicht als Laienschauspielgruppe zur Regierung, sondern um die volle Rehabilitierung von zwei Millionen Menschen zu erreichen, um deren Gleichberechtigung mit anderen Bürgern der UdSSR und die Herstellung ihrer Eigenstaatlichkeit zu erzielen.«60
Da auch weitere Versuche scheiterten, eine deutsche Autonomie durchzusetzen, resignierten die meisten der in der Bewegung aktiven Deutschen, zudem sie nicht selten von den Sicherheitsorganen stark unter Druck gesetzt wurden. Einige in der Autonomiebewegung engagierte Personen reisten in die Bundesrepublik aus, da sie in der Sowjetunion keine Möglichkeiten zur Verwirklichung ihrer Vorstellungen mehr sahen. Die Ausreise schien sich seit Beginn der siebziger Jahre für immer mehr Deutsche - allerdings aus verschiedenen Gründen - als Alternative zu einem Verbleib in der Sowjetunion zu stellen. Wenn es keine Autonomie, also keine nationale Gleichstellung mit den anderen Völkern geben würde, argumentierten viele unter den für ihre nationalen Belange eintretenden Deutschen, hätten sie in der Sowjetunion keine Zukunftschancen. Damit begann eine Ausreisebewegung, die im Jahre 1972 zur Gründung der illegalen »Vereinigung auswanderungswilliger Deutscher« führte. 61 In zahlreichen Petitionen an die Regierungen der BRD, der DDR, der USA sowie an internationale Organisationen forderten sie die uneingeschränkte Reisefreiheit für die Deutschen in der Sowjetunion.62 Die Autonomiebewegung existierte, in eingeschränkter Aktivität, jedoch weiter. Die aus ihren Reihen gebildeten Delegationen und die immer wieder eingereichten Petitionen führten zwar nicht dazu, daß die staatlichen Instanzen ihre ablehnende Haltung in bezug auf eine deutsche Autonomie veränderten. Die Bewegung erreichte jedoch eine größere - staatlich sanktionierte - Toleranz den Deutschen gegenüber im kulturellen und sozialen Bereich. Nach den verfügbaren Informationen unterstützten ohnehin nur wenige Deutsche bis gegen Mitte der achtziger Jahre aktiv die Forderungen nach einer Wiederherstellung der deutschen Autonomie. Eine Veränderung trat hier infolge von Glasnost ein, als in deutschsprachigen Zeitungen in der Sowjetunion, erstmals seit dem Zweiten Weltkrieg, die 59
Vgl. B. Lewytzkyj (1972), S. 231-235. Hier handelt es sich um einen Auszug aus einem Brief der Delegation der Deutschen, nach dem Empfang, an Mikojan und Scheiepin. Vgl. B. Lewytzkyj (1972), S. 234. 61 In diesem Zusamenhang muß berücksichtigt werden, daß Sowjetbürger zum damaligen Zeitpunkt nur auf der Basis der Familienzusammenführung das Land verlassen durften. Auch gegen diese restriktive Bestimmung wandte sich die Ausreisegruppe. 62 Vgl. I. Trutanow, Zelinograd, Juni 1979, in: Deutsche Allgemeine Zeitung, 20.7.1991, S. 2. 60
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eigene Geschichte und damit auch die sogenannten »weißen Flecken« der Vergangenheit, wie z.B. die Lebensbedingungen in den Sondersiedlungen und in der Arbeitsarmee thematisiert wurden. Dies trug dazu bei, das Bewußtsein der Deutschen für ihre eigene Geschichte zu schärfen und die Forderung nach einer vollständigen Rehabilitierung, das hieß auch nach der Wiederherstellung der deutschen Autonomie, neu zu beleben. Die Deutschen in der Sowjetunion standen zu diesem Zeitpunkt mit der Wiederentdeckung der nationalen Frage nicht allein. Zahlreiche andere Völker auf sowjetischem Territorium besannen sich auf ihre eigene Geschichte und ihre Traditionen und versuchten, ihren Standpunkt neu zu definieren. Die nationale Renaissance brachte, über die gesamte Sowjetunion verstreut, eine ganze Reihe von nationalen Organisationen hervor. Dies verschärfte jedoch auch die nationalen Konflikte im Vielvölkerstaat Sowjetunion erheblich, ebenso wie die Auseinandersetzung der verschiedensten Völker mit dem zentralistischen Staat.63
2.3.1. Die Gesellschaft »Wiedergeburt« Ende März 1989 schlossen sich Deutsche in der Sowjetunion in einer Gesellschaft zusammen, um ihre Anliegen offensiv zu vertreten. Die selbstgestellten Aufgabe der damals gegründeten >Unionsgesellschaft der Sowjetdeutschen »Wiedergeburt« für Politik, Kultur und Bildung < waren vielfältig. 64 Ein vordringliches Anliegen bestand darin, die Sprache, Kultur und die Traditionen der Deutschen zu pflegen und zu fördern, wobei besonderes Gewicht darauf gelegt wurde, die - vielfach in Vergessenheit geratene - eigene Geschichte und Kultur zu erforschen und zu dokumentieren. Zudem galt es, die Wiederherstellung der Autonomie zu erreichen. Die Autonomie würde, nach Ansicht der »Wiedergeburt«, zum entscheidenden Faktor werden, um die Deutschen zum Verbleiben in der Sowjetunion zu bewegen. Die Unionsgesellschaft bekannte sich explizit zur Perestroika, mahnte aber gleichzeitig an, die Glaubensfreiheit in der Sowjetunion vollständig zu gewährleisten. Auch zur Umweltsituation bezog die »Wiedergeburt« Stellung und empfahl eine aktive Teilnahme an der ökologischen Bewegung. Kurz nach der Gründung der übergreifenden Unionsgesellschaft »Wiedergeburt« bildeten sich in fast allen Unionsrepubliken, Gebieten und 63 Dieser Prozeß kann als »ethnische Dissimilierung« verstanden werden. Vgl. F. Heckmann (1992), S. 171. 64 Vgl. Neues Leben, Nr. 16, 1989, S. 3-7.
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Kreisen, in denen Deutsche lebten, Unterorganisationen dieser Gesellschaft. Obwohl nie eindeutig klar war, wie viele Mitglieder sie hatte, 1992 wurden 100.000 genannt,65 gelang es ihr erstmals in der Nachkriegszeit, die Interessen der Rußlanddeutschen in der politischen Öffentlichkeit darzustellen und zu vertreten. Es darf jedoch bezweifelt werden, daß die »Wiedergeburt« berechtigt war, für die Gesamtheit der Deutschen in der Sowjetunion zu sprechen. Die Mehrheit der Deutschen war allem Anschein nach bereits am Ende der achtziger Jahre zutiefst resigniert und konnte auch der möglichen Wiederherstellung einer deutschen Autonomie keine Perspektive mehr abgewinnen. Dennoch brachte die Gründung der Gesellschaft »Wiedergeburt« ein neues Element in die deutsche Autonomiebewegung. Die meisten Protagonisten der Gesellschaft, vermutlich aber auch die Mehrheit der Mitglieder, hatten ihren Sozialisationsprozeß in der Nachkriegszeit durchlaufen. Sie kannten somit die verschiedenen Formen der deutschen Autonomie - deutsche Landkreise und die Wolgarepublik - nicht mehr aus eigener Anschauung. Damit setzten sich Mitglieder einer neuen Generation für die nationalen Belange der Deutschen ein. Die meisten unter ihnen zählten zur Intelligenz und einige unter den bekannten Vertretern der »Wiedergeburt« hatten relativ beachtliche berufliche Karrieren durchlaufen. Seit ihrer Gründung führte die »Wiedergeburt« mehrere Konferenzen durch, die allerdings keine konkreten Ergebnisse erbrachten. Es traten aber immer deutlicher Meinungsverschiedenheiten innerhalb der Gesellschaft zu Tage. Als entscheidender Punkt kristallisierte sich die Frage heraus, wie die Wiederherstellung der deutschen Autonomie zu bewerkstelligen sei. Eine Gruppierung, verbunden mit dem Namen des damals stellvertretenden Vorsitzenden H. Wormsbecher, wollte sich zunächst mit einem langsamen Weg hin zur Autonomie zufriedengeben. Konkret hätte das bedeutet, vorerst eine »Autonomie ohne Territorium« zu akzeptieren. Im Gegensatz dazu bestanden die sogenannten Maximalisten unter dem Vorsitzenden H. Groth darauf, die Wolgarepublik möglichst unverzüglich in den alten Grenzen wiederherzustellen. Mit der Losung »Autonomie oder Ausreise« sollte dieser Forderung Nachdruck verliehen werden.66 Es gelang den Mitgliedern der Gesellschaft »Wiedergeburt« in der Folge nicht, sich auf eine gemeinsame Linie zu einigen, weshalb es im Mai 1991 zum Bruch kam. Die Gruppierung um H. Wormsbecher organisierte sich im Juni 1991 im »Verband der Deutschen der UdSSR«,
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V. Diesendorf nannte bei einer Anhörung des Innenausschusses und des Auswärtigen Ausschusses des Bundestages diese Zahl. Vgl. Deutscher Bundestag, 12. Wahlperiode, Innenausschuß, Ausschußdrucksache 12/40, Bonn, den 2. November 1992, S. 263. 66 Vgl. B. Küppers, Appell der Rußlanddeutschen an Gorbatschow: »Wolga-Republik wiederherstellen«, in: Süddeutsche Zeitung, 15.3.1991, S. 14.
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der später in »Zwischennationaler Verband der Deutschen in der GUS« umbenannt wurde, neu. Der Verband betonte, daß alle Formen der Selbstverwaltung der Deutschen zu unterstützen seien, ebenso wie die notwendige Wiederbelebung der deutschen Sprache und Kultur. 67 Die »Wiedergeburt« hielt im Gegensatz dazu noch bis zum Dezember 1992 daran fest, im ersten Schritt die Autonomie an der Wolga wiederherzustellen, wobei als Alternative nur die Ausreise in Frage käme.
2.3.2. Autonomievarianten Für zahlreiche Rußlanddeutsche, vor allem für diejenigen, die sich in der Gesellschaft »Wiedergeburt« organisiert hatten, schien die Wiederherstellung der Autonomen Wolgarepublik unumgänglich für die Bewahrung der kulturellen Identität der Deutschen.68 Diese Überzeugung ließ sich auch daher ableiten, daß in der Sowjetunion ein Großteil der Minderheitenrechte ethnischer Gruppen an einem Territorium festgemacht wurde. Mit der Wiedererrichtung der Wolgarepublik verband sich aber nicht nur die Möglichkeit, sprachliche und kulturelle Traditionen fortzuführen und zu bewahren, sondern sie galt auch als notwendige Voraussetzung für die endgültige Wiederherstellung der »historischen Gerechtigkeit«.69 Dennoch kamen neben der Wolgarepublik noch andere Autonomievarianten zur Sprache. Dabei gab es sowohl mehrere Vorschläge in bezug auf das Territorium, auf dem eine deutsche Autonomie erstehen sollte,70 als auch über die rechtliche Form der Autonomie: genannt wurden eine Autonome Republik, autonome Rayons (Landkreise) oder beides. Die Wiederherstellung der Wolgarepublik besaß lange Zeit Priorität und wurde von den meisten in der Gesellschaft »Wiedergeburt« aktiven Deutschen unterstützt Die örtlichen Behörden und Parteiorgane im Gebiet der vormaligen Wolgarepublik hatten jedoch von Anfang an massiven Widerstand gegen eine deut-
67 Der »Zwischennationale Verband der Deutschen in der GUS« besaß Ende 1992 nur noch einen relativ geringen Einfluß. Vgl. R. Olt, Zwischen Vergangenheit und Verlockung, in: Frankfurter Allgemeinen Zeitung, 28.8.1992, S. 12. 68 Dies wurde unter anderen von H. Belger betont. Vgl. H. Beiger, Zeit zum Überlegen und Handeln. Gedanken zu einem freien Thema, in: Neues Leben, Nr. 13, 1988, S. 8; Vgl. auch J. Schleicher, Zurück an die Wolga? in: Osteuropa, Nr. 1, 1990, S. 33-38. 69 Vgl. P. Hilkes, Die Gerechtigkeit wiederherstellen, in: Frankfurter Allgemeinen Zeitung, 7.4.1988, S. 8. 70 Es handelte sich hier entweder um Gebiete, in denen die Deutschen vor der Deportation gelebt hatten bzw. wo autonome Rayons der Deutschen aufgelöst worden waren, oder um Gebiete, in denen Siedlungsschwerpunkte der Rußlanddeutschen in der Nachkriegszeit lagen. Die einzige Ausnahme stellte in diesem Zusammenhang das Gebiet Kaliningrad dar.
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sehe Autonomie organisiert. 71 Die dort lebende, hauptsächlich russische Bevölkerung stellte sich zum Großteil hinter die Funktionäre des Gebiets.72 In dieser Situation waren nur die wenigsten Deutschen bereit in das Wolgagebiet überzusiedeln, dessen Wirtschafts- und Infrastruktur zudem in keinster Weise auf die Ankunft zahlreicher Neubürger vorbereitet war. Dennoch begründete B. Jelzin im März 1992, nicht zuletzt auf Druck der deutschen Regierung, per Dekret zwei deutsche Rayons im Wolgagebiet.73 Einer umfaßt die Fläche der Sowchose 23 im Gebiet Saratow, der andere befindet sich im Gebiet Wolgograd und schließt den südlichen Teil des Rayons Pallasowka sowie den nördlichen des ehemaligen Raketentestgeländes Kapustin Jar ein, erweitert durch einen Gebietsstreifen in Richtung der Stadt Kamyschin. Obschon eine Erklärung zur »stufenweisen Wiederherstellung der Staatlichkeit der Rußlanddeutschen« von der russischen und deutschen Regierung unterschrieben wurde, ist dieses Unterfangen mit Zurückhaltung zu beurteilen.74 Die heute im Gebiet der ehemaligen Wolgarepublik lebende Bevölkerung steht der Wiederherstellung einer deutschen Autonomie auf ihrem Gebiet nach wie vor mit größter Skepsis gegenüber und die russische Regierung befürchtet die Entstehung eines weiteren ethnischen Konfliktherds. 75 Dennoch blieb die Forderung nach der Wiederherstellung der deutschen Wolgarepublik, als Garant für die nationale Gleichstellung der Deutschen, von Seiten der »Wiedergeburt« bis zu ihrem vierten Kongreß im August 1992 bestehen. Von diesem Zeitpunkt an wurde die Wiederherstellung der Wolgarepublik auch von ihrer Seite mit Skepsis beurteilt 76 Im Dezember 1992 ließ H. Groth, der damalige Vorsitzende der 71 Vgl. Warnung vor neuem Nagornyj-Karabach, in: Süddeutsche Zeitung, 19.7.1990, S. 5. In der »Neuen Zeit« wies W. Tschernyschow auf die Ursache der antideutschen Haltung der Funktionäre im Wolgagebiet hin. »Als die ersten vereinzelten Heimkehrer aus den Orten der ehemaligen Deportation in die einstige engere Heimat kamen, drohten sie beim Anblick der durch Melioration verschandelten und heruntergewirtschafteten Böden den Parteibonzen von Saratow und Wolgograd, nach der Wiederherstellung der Autonomie die Untersuchung anzuregen, wer Milliarden Rubel in den Boden an der Wolga vergraben hatte.« Vgl. W. Tschernyschow, Selbst der KGB war ohnmächtig, in: Neue Zeit, Nr. 50, 1991, S. 43. 72 Vgl. V. Tschistjakow, Was wird, wenn die Deutschen kommen? In: Moskau News, Nr. 9, 1989, S. 3 sowie Α. K. Meschtschorkin, Die Bevölkerung des Gebietes Saratow: Untersuchung ihrer wirtschaftlichen, politischen und sozialen Situation. Ergebnisse einer Befragung. Forschungsprojekt »Deutsche in der Sowjetunion und Aussiedler aus der UdSSR in der Bundesrepublik Deutschland«, Arbeitsbericht Nr. 9, München 1993. 73 Vgl. Wiederherstellung der Staatlichkeit der Rußlanddeutschen, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 4.3.1992, S. 1 und 2. 74 Vgl. Protokoll über die Zusammenarbeit zur stufenweisen Wiederherstellung der Staatlichkeit der Rußlanddeutschen, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 29.4.1992, S. 6. 75 Vgl. E. Pain, Nemcy ne priedut, no vyigrajut li ot étogo Saratovcy? In: Nezavisimaja gazeta, 14.1.1992, S. 3; S. Guk, Eine Reise nach Saratow aus »deutscher« Sicht, in: Wostok, Nr. 3, 1992, S. 44-45. 76 Vgl. R. Olt, Zwischen Vergangenheit und Verlockung, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 28.8.1992, S. 12.
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»Wiedergeburt« schließlich wissen, daß »niemand mehr eine Wolgarepublik wolle«.77 Ein vielbeachteter Vorschlag aus dem Kreis der »Wiedergeburt« sah im Oktober 1989 vor, im Gebiet Kaliningrad eine deutsche Autonomie zu begründen.78 Die Bedingungen dort schienen für eine Ansiedlung von Rußlanddeutschen günstig: die örtlichen Behörden standen diesem Vorschlag, gerade im Hinblick auf geschäftliche Anknüpfungspunkte mit der Bundesrepublik Deutschland, positiv gegenüber, es zeichneten sich keine ethnischen Konflikte ab und die Besiedlungsdichte ließ die Aufnahme von Neuankömmlingen zu.79 Inzwischen zogen eine Reihe von Rußlanddeutschen, vor allem aus den mittelasiatischen Republiken zu. Aufgrund der geopolitischen Situation ist eine deutsche Autonomie im Gebiet Kaliningrad jedoch unrealistisch. Zudem gab es in der »Wiedergeburt« Stimmen, die auf die problematische Situation Kaliningrads aufmerksam machten. »Das Gebiet Kaliningrad ist mit der Geschichte der Deutschen in Rußland gar nicht verbunden, so daß wir keine juristischen oder moralischen Gründe haben, darauf Anspruch zu erheben.«80 Es wurde seit der Gründung der »Wiedergeburt« mehrmals diskutiert, dort eine deutsche Autonome Republik zu initiieren, wo Deutsche kompakt leben, also z.B. in Westsibirien oder in Kasachstan. Die Errichtung einer Autonomen Republik in diesen Gebieten erwies sich aber aus politischen Gründen als undurchführbar. Die Gründung deutscher nationaler Rayons wurde in Westsibirien jedoch mit großer Energie betrieben und führte zur Schaffung von zwei deutschen Rayons (Landkreisen): einer entstand im Altaigebiet81 und einer im Gebiet Omsk (Asowo).82 Diese üben mittlerweise eine starke Anziehungskraft auf die Deutschen, vor allem aus Kasachstan und den mittelasiatischen Republiken aus, die diese Gebiete aufgrund der nationalen Konflikte verlassen wollen.83 77 Vgl. Rußlanddeutsche wollen keine Wolga-Republik mehr, in: Süddeutsche Zeitung, 5./6.12.1992, S. 2. 78 Diese Möglichkeit wurde durch eine Umfrage in der literaturnaja gazeta vorgestellt. Vgl. Nemeckaja Avtonomija. Gde? Kogda? Kak? In: Literaturnaja gazeta, Nr. 41, 1989, S . l l . 79 Vgl. O. Ihlau, »Sie täten morgen kommen wolle«, in: Der Spiegel, Nr. 2, 1991, S. 124-127; A. Simon, KP-Funktionär behauptet: Lieber Kaliningrad als Deutschland, in: Moskau News, Nr. 6, 1991, S. 15. 80 Vgl. das Interview mit G. Wolter über eine Autonomie der UdSSR-Deutschen, in: Sowjetunion heute, Nr. 7, 1991, S. 10. 81 Am ersten Juli 1991 wurde der deutsche Rayon im Altai wiedergegründet. Vgl. A. Resner, Deutscher Nationalkreis wiederhergestellt. Wie geht es weiter? In: Neues Leben, Nr. 39,1991, S. 3. 82 Der deutsche Rayon Asowo im Gebiet Omsk wurde am 1.3.1992 gegründet. Vgl. H. Auras, Deutscher Nationalrayon in Asowo: Legende oder Wirklichkeit? In: Deutsche Allgemeine Zeitung, 25.7.1992, S. 4. 83 Vgl. L. Schiwljuk, 20.000 Neusiedler werden im deutschen autonomen Rayon in Asowo erwartet, in: Zeitung für Dich, 14.10.1992, S. 1 und 4. B. Reiter gab etwas später in einem Inter-
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In Gebiet Zelinograd in Kasachstan wurde im Juni 1979 von einigen Mitgliedern der kasachischen Regierung mit Beteiligung einiger rußlanddeutscher Lokalpolitiker, die Errichtung einer deutschen Autonomie vorbereitet, wobei die Hintergründe dieser Aktion bis zum heutigen Zeitpunkt nicht genau geklärt werden konnten. Eine deutsche Autonomie auf kasachischem Gebiet erschien der kasachischen Bevölkerung unannehmbar, und auch die meisten Rußlanddeutschen selbst waren über diese Unternehmung so gut wie nicht informiert. 84 Es kam zu Unruhen und der Gedanke an eine deutsche Autonomie im Gebiet Kasachstan wurde aufgegeben. Nach der Unabhängigkeitserklärung Kasachstans machte der Präsident N. Nasarbajew unmißverständlich klar, daß die Deutschen zwar als gleichberechtigte Bürger gelten würden, daß eine Autonomie, in welcher Form auch immer, jedoch nicht in Frage käme.85 Zu Beginn des Jahres 1992 schlug der ukrainische Präsident L. Krawtschuk den Rußlanddeutschen vor, ihre vormaligen nationalen Rayons in der Ukraine wiederzubegründen. Die erste Reaktion der Rußlanddeutschen darauf war, wie bereits erwähnt, positiv. Es stellte sich jedoch bald heraus, daß wichtige Fragen der Umsiedlung, z.B. welche Personen zur Übersiedlung berechtigt wären, wie die Staatsangehörigkeit geregelt würde, welche Möglichkeiten die Umsiedler hätten, Land zu erwerben, nicht geklärt waren. Zudem entwickelte sich die wirtschaftliche Situation in der Ukraine für die Aufnahme von Zuwanderern sehr ungünstig.86 Wie bereits erwähnt, kam es auch zu Unregelmäßigkeiten bei der Verwaltung der Mittel, die für die Ansiedlung von Rußlanddeutschen in der Ukraine zur Verfügung gestellt worden waren. Aus diesen Gründen ist in der nahen Zukunft keine bedeutende Zuwanderung von Rußlanddeutschen in die Ukraine zu erwarten. Nach der Unabhängigkeitserklärung Kirgisiens gründete der Präsident des Landes A. Akajew zwei deutsche nationale Kulturbezirke, Tschuj und Sokuluk.87 Dies geschah nach einer Pressemeldung ohne Zustimmung des Paria-
view der Zeitung für Dich an, daß 30.000 Personen einen Antrag auf Aufnahme gestellt hätten. Vgl. »Meine Devise ist nicht abwarten, sondern handeln«. Gespräch mit dem Verwaltungschef des Deutschen Nationalkreises Asowo, Dr. der Biologie, Bruno Reiter, in: Zeitung für Dich, Nr. 31, 1993, S. 6. 84 Vgl. I. Trutanow (1991). 85 Vgl. Schicksal der Deutschen in Kasachstan. Kernthema des Gesprächs zwischen Nursultan Nasarbajew und Horst Waffenschmidt. Aufgezeichnet von Konstantin Ehrlich, in: Deutsche Allgemeine Zeitung, 12.9.1992, S.l. 86 Vgl. H. Clement / M. Knogler / A Sekarev /1. Lunina, Verschärfte Wirtschaftskrise in der Ukraine. Inflationäre Geld- und Finanzpolitik bei ordnungspolitischer Stagnation. Arbeiten aus dem Osteuropa-Institut München, Nr. 161, September 1993. 87 Vgl. A. Ivanov, Nemcy u2e aplodirujut Akaevu, in: Literaturnaja gazeta, Nr. 6, 1992, S. 2.
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ments, da der Präsident dort wahrscheinlich auf heftigen Widerstand gestoßen wäre.88 Bisher erwiesen sich nahezu alle staatlichen Bemühungen, die Rußlanddeutschen mittels Autonomieangeboten im Lande zu halten, als zwiespältig. In der Mehrzahl der Fälle handelte es sich um Vorstöße der höchsten Regierungsgremien, die, wie hier bereits ausgeführt wurde, die Rußlanddeutschen nicht zuletzt als »Wirtschaftsfaktor« im Lande halten wollten. Von den örtlichen Behörden und der Bevölkerung wurden diese Initiativen nur begrenzt mitgetragen.
2.4. Fortbestand sprachlicher, kultureller und religiöser Traditionen unter sowjetischen Rahmenbedingungen
Die Angehörigen der nationalen Minderheiten im Vielvölkerstaat UdSSR waren zumeist bemüht, ihre sprachlichen, kulturellen und religiösen Traditionen zu bewahren. Dies stieß jedoch auf staatliche Bevormundung, die von rigider Unterdrückung bis zu moderater Akzeptanz reichte. Diese Politik hatte für die Angehörigen zahlreicher Völker in der Sowjetunion zur Folge, daß sie von ihren sprachlichen und kulturellen Wurzeln abgeschnitten wurden. Durch das sowjetische Paßsystem und durch ein subjektives Zugehörigkeitsgefühl blieben sie der jeweiligen Nationalität jedoch verbunden. Den Deutschen in der Sowjetunion war es in den siebziger und achtziger Jahren wieder begrenzt möglich, ihre Muttersprache zu erlernen und im Alltag zu verwenden. In der Praxis gelang es den meisten der verstreut lebenden Deutschen allerdings aus Mangel an entsprechenden Einrichtungen nicht, am »Muttersprachlichen Deutschunterricht teilzunehmen«, der besonders für die deutschen Schüler eingerichtet worden war.89 Die im Jahre 1991 befragten Deutschen in Westsibirien und Kasachstan bestätigten dies. Nach ihren Angaben konnte der Muttersprachliche Deutschunterricht nur von 12,2% der Interviewten am Wohnort besucht werden.90 88
Vgl. ebenda. Im »Muttersprachliche Deutschunterricht« wurden auch bescheidene Kenntnisse der Geschichte und Kultur der Rußlanddeutschen vermittelt. Daher war der Mangel an diesem Unterrichtsfach besonders problematisch. Schüler, die Deutsch lernen wollten, griffen deshalb auf das häufiger angebotene Fach »Deutsch als Fremdsprache« zurück. Zu den verschiedenen Formen des deutschen Sprachunterrichts und seiner Bedeutung vgl. P. Hilkes, Unterricht in der Muttersprache bei den Deutschen in der Sowjetunion, in: Osteuropa, Nr. 38, 1988, S. 931-949; Ders., Zwischen Sprachverlust und Sprachbewahrung: Zur Sprachsituation der Deutschen in der Sowjetunion, in: Info-Dienst Deutsche Aussiedler, Nr. 31, Bonn, November 1991, S. 5-12. 90 Vgl. B. Dietz / P. Hilkes (1993), S. 42. 89
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Seit Mitte der achtziger Jahre forderten die Rußlanddeutschen deutsche Schulen, das heißt die Unterrichtung aller Fächer in der deutschen Sprache. Damit wurde die Hoffnung verbunden, dem Verlust der Muttersprache und dem Verlust der kulturellen Identität entgegenzuwirken. Obwohl diese Forderung von staatlicher Seite in Rußland, Kasachstan und anderen Nachfolgestaaten der Sowjetunion nicht zurückgewiesen wurde, stieß sie doch auf zahlreiche verwaltungstechnische undfinanzielle Probleme. Zudem deutet alles daraufhin, daß in den Nachfolgestaaten der UdSSR die Sprache der jeweiligen Titularnation zur Staatssprache werden wird. Dies zwingt alle Bürger, sich Kenntnisse der jeweiligen Sprachen anzueignen. Für Personen, die sich in etwas gehobeneren beruflichen Positionen befinden, gilt das in besonderem Maße. Dabei handelt es sich in jedem Falle um einen längerfristigen Prozeß,91 der den Rußlanddeutschen jedoch vor Augen führt, daß die deutsche Sprache außerhalb des rußlanddeutschen Umfeldes keine öffentliche Funktion haben wird. Insofern wird die deutsche Hochsprache bzw. ein deutscher Dialekt nach wie vor die »private Sprache« im familiären Bereich oder im rußlanddeutschen Milieu bleiben und eventuell als Verwaltungs- und Umgangssprache in den deutschen nationalen Rayons fungieren. Wenn sich jedoch die Vermittlung der deutschen Sprache in den Schulen nicht in naher Zukunft verbessert, kann der Verlust der deutschen Muttersprache kaum noch aufgehalten werden. Die bisher noch traditionelle Sprachvermittlung im Elternhaus, nicht selten durch die Großelterngeneration, wird durch die geringen Sprachkompetenzen der Kriegs- und Nachkriegsgeneration zunehmend in Frage gestellt. In den Nachkriegsjahren konnten die Rußlanddeutschen ihre kulturellen Traditionen nach und nach wieder aufnehmen, die Religionsausübung blieb jedoch bis gegen Ende der achtziger Jahre stark eingeschränkt. Dennoch stellte die Glaubenszugehörigkeit für die Rußlanddeutschen, vor allem der älteren Generation, einen ungemein wichtigen Bestandteil ihrer Identität und ihres ethnischen Zusammengehörigkeitsgefühls dar. »Die deutschsprachigen religiösen Vereinigungen waren bis in die jüngste Zeit die einzigen nationalen Organisationen der Sowjetdeutschen. Sie bestanden - gleich allen religiösen Vereinigungen im Lande - entgegen dem Willen der örtlichen Behörden und kannten keine Unterstützung seitens des Staats.«92 Die Politik von Glasnost führte dazu, daß die bislang geltenden politisch ideologischen Erziehungsideale in der UdSSR zurückgedrängt wurden und daß sich religiöse Werte wieder stärker verbreiten konnten. Die Vermittlung religiöser Werte fand bei den Rußlanddeutschen in den meisten Fällen in der Familie statt. Die Besinnung auf religiöse Werte und Traditionen erfaßte nach der Auflösung der Sowjetunion alle 91 Die einheimische Bevölkerung beherrscht in den meisten neugegründeten Staaten die eigene Muttersprache oft nur ungenügend. 92 Vgl. P. Dyck, Gläubige der achtziger Jahre, in: Freundschaft, 22.12.1990, S. 2.
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Völker. Zu Beginn der neunziger Jahre waren Konflikte bezüglich der Religionsausübung weniger von staatlicher Seite zu erwarten 93 als vielmehr durch die stark differierenden Wertvorstellungen der verschiedenen Glaubensrichtungen. Dies dürfte vornehmlich in solchen Staaten zum Tragen kommen, in denen der Islam traditionell eine wichtige Rolle spielte.94 Die Beziehung der Rußlanddeutschen zu ihren sprachlichen, kulturellen und religiösen Traditionen durchlief in der Nachkriegszeit verschiedene Phasen. Während es bis in die sechziger und teilweise siebziger Jahre hinein nur unter den schwierigsten Bedingungen und gegen staatlichen Druck möglich war, diese zu bewahren, ließ die offizielle Ausgrenzung in den siebziger und achtziger Jahren nach. Die Öffnung durch die Politik von Glasnost schuf Freiräume, die auch von den Rußlanddeutschen dafür genutzt werden konnten, sich zu organisieren und sich auf ihre Sprache und kulturelle Identität zu besinnen. In zahlreichen Fällen war jedoch der Verlust der Sprache und der kulturellen sowie religiösen Traditionen so weit fortgeschritten, daß nur ein subjektiv empfundenes ethnisches Zugehörigkeitsgefühl diese Lücken auffüllen konnte. In den Nachfolgestaaten der Sowjetunion, vor allem in den mittelasiatischen Ländern, zeichnete sich als neue Entwicklung ab, daß die sprachlichen, kulturellen und religiösen Traditionen der Rußlanddeutschen, wie die anderer nationaler Minderheiten auch, dort nicht primär auf staatliche Veranlassung als vielmehr durch das Wiedererwachen der einheimischen Traditionen der Mehrheitsbevölkerung an den Rand gedrängt werden könnten.
3. Ethnische Beziehungen In der Sowjetunion wurde von staatlicher Seite aus großer Wert darauf gelegt, Spannungen zwischen den verschiedenen ethnischen Gruppen aus dem politischen und sozialen Leben zu verbannen. Dennoch spielte die ethnische Zugehörigkeit sowohl im öffentlichen Bereich als auch im alltäglichen Miteinander eine Rolle.95 Letzteres gewann durch die nationale Renaissance in der 93 Dies könnte sich allerdings verändern, wenn in den neugegründeten Staaten eine Glaubensrichtung zur »Staatsreligion« erklärt würde. 94 Dabei darf aber nicht übersehen werden, daß der Islam in der Sowjetunion »kein monolithisches national-religiöses Potential, keine zusammenhängende Region oder einmütig handelnde Gemeinschaft« darstellte. Vgl. U. Halbach, Islam, Nation und politische Öffentlichkeit in zentralasiatischen (Unions-)Republiken. Bericht des Bundesinstituts für ostwissenschaftliche und internationale Studien, Nr. 57, 1991, S. 1. 95 Auf die widersprüchliche staatliche Haltung in der Sowjetunion bezogen auf die ethnische Zugehörigkeit wurde in dieser Arbeit bereits mehrfach hingewiesen.
3. Ethnische Beziehungen
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Sowjetunion im Alltagsleben eine enorme Bedeutung. Die Frage, in welchem Maße sich die Angehörigen der verschiedenen Völker in der UdSSR gegenseitig akzeptierten bzw. zurückwiesen, war dort jedoch kaum beachtet oder untersucht worden.96 Jahrzehntelang prägte die offizielle Darstellung eines nahezu konfliktfreien Miteinanders der verschiedenen ethnischen Gruppen das Bild der UdSSR. Obschon das vorhandene ethnische Konfliktpotential keineswegs unbekannt war, überraschte dennoch die heftige Krise der ethnischen Beziehungen, die sich etwa ab 1986 abzeichnete.97
3.1. Ethnisches Konfliktpotential
Mit der Auflösung des Unionszusammenhangs, der ethnische Konflikte noch stellenweise zu neutralisieren vermochte, traten die ethnischen Spannungen im Alltagsleben offen zu Tage.98 Diese basierten teilweise auf traditionellen, noch in der vorsowjetischen Zeit wurzelnden Konflikten, teilweise waren sie von der sowjetischen Nationalitätenpolitik überlagert und in neuer Form hervorgerufen worden.99 An erster Stelle standen Auseinandersetzungen um territoriale Ansprüche, bzw. um Autonomieansprüche, die an bestimmten Gebieten festgemacht wurden. Diese territorialen Forderungen eskalierten in Extremfällen in bürgerkriegsähnlichen Zuständen (das bekannteste Beispiel hierfür ist der KarabachKonflikt). Territoriale Auseinandersetzungen wurden generell sehr emotional geführt und beeinflußten in wesentlichem Maße die Beziehungen der verschiedenen dabei beteiligten nationalen Gruppen untereinander.100 Dies war auch bei den Auseinandersetzungen um die Wiederherstellung der deutschen Wolga-
96 Auch im Westen wurde die sowjetische Nationalitätenpolitik sehr viel umfassender analysiert als die Beziehungen zwischen den verschiedenen nationalen Gruppen. Eine Ausnahme stellt in diesem Zusammenhang R. Karklins (1986) dar. 97 Vgl. G. Ch. Guseinov, D. V. Dragunskii, A New Look at Old Wisdom, in: Social Research, no. 2,1990, S. 399. 98 Vgl. z.B. U. Halbach (1990), S. 118 ff. 99 »Among the ethnic Russians there is ever-growing discontent with the »non-Russian integrates« - both the southern nations, who are »living off the fat« of their fertile lands, and the Baltic peoples, who are unwilling to share their higher economic and cultural achievments. For their part, the non-Russians are angry with the Russian »older brother«, who foists his strategic goals on them all: orchard-destroying cotton monoculture on the Uzbeks; virgin-soil agriculture instead of traditional cattle farming on the Kazakhs; chemical industry on the Armenians; nuclear power stations on the Ukrainians.« Vgl. G. Ch. Guseinov, D. V. Dragunskii (1990), S. 389-433. 100 Hier spielte der Begriff »Heimat« eine wesentliche Rolle, der Gebietsansprüche zu begründen bzw. abzuwehren half.
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republik zu beobachten. Während von Seiten der sowjetischen Regierung zugestanden wurde, daß die vormalige Wolgarepublik unrechtmäßig aufgelöst worden war, brachte sie dennoch zahlreiche Bedenken gegen eine Wiederherstellung vor, die unter anderem mit dem Widerstand der dort inzwischen ansässigen Bevölkerung begründet wurde.101 In der vormaligen Sowjetunion waren, nicht zuletzt aufgrund der staatlichen Nationalitätenpolitik, Konkurrenzen zwischen den ethnischen Gruppen in den verschiedenen Republiken bzw. Nachfolgestaaten entstanden, so z.B. um Ausbildungsplätze und um die sprachliche und kulturelle Präsenz im Alltagsleben. Am häufigsten entwickelten sich diese Konkurrenzen zwischen der Titularnation und den anderen in der jeweiligen Republik bzw. dem jeweiligen Gebiet lebenden Völkern. 102 In dieser Situation formierten sich die Angehörigen der Völker, die nicht der Titularnation angehörten, um z.B. eine Gleichbehandlung im Bildungs- und Arbeitsplatzbereich zu erreichen und um die eigenen kulturellen und sprachlichen Forderungen zu artikulieren. Nicht selten gipfelten diese Konflikte in Autonomieansprüchen ethnischer Gruppen, die nicht zur Titularnation zählten.103 In so gut wie allen nichtrussischen Republiken entwickelte sich etwa seit 1986 eine starke Opposition gegen die »russische« Präsenz, die in vielen Fällen mit staatlicher Bevormundung identifiziert wurde/ 04 In alltäglichen sozialen Beziehungen führte dies besonders in Kasachstan und den mittelasiatischen Staaten zur Ausgrenzung von Russen bzw. von Angehörigen solcher Völker, die in diesem Zusammenhang von Russen kaum unterschieden wurden (z.B. Ukrainern oder Deutschen). Die über alle Nachfolgestaaten der Sowjetunion verstreut lebenden Deutschen erfuhren die oben beschriebenen Spannungen und Ausgrenzungsmechanismen in den jeweiligen Republiken bzw. Nachfolgestaaten der UdSSR in unterschiedlicher Weise. Während sie in Rußland als Angehörige einer ethnischen Minderheit um die Bewahrung ihrer kulturellen und sprachlichen Identität sowie um die Wiederherstellung ihrer territorialen Autonomie bemüht waren, gerieten sie in Teilen Kasachstans und einigen mittelasiatischen
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Auf die Rolle der örtlichen Behörden, die den Widerstand der Bevölkerung mitinitiiert hatten, wurde in dieser Arbeit (S. 80) bereits hingewiesen. 102 Vgl. R. Karklins (1986), Kapitel 3. 103 Beispiele dafür sind die Auseinandersetzungen zwischen Abchasen und Georgiern in Georgien, zwischen Russen und Moldawiern in Moldowa sowie zwischen Tataren und Russen in Rußland. 104 Den »Russen« wurden die jahrelangen ökologischen und ökonomischen Versäumnisse der sowjetischen Regierung angelastet.
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Staaten als »europäisches Volk« gemeinsam mit Russen, mit denen sie dort identifiziert wurden, stellenweise unter Vertreibungsdruck. 105 Für die Rußlanddeutschen wirkte sich zudem die Möglichkeit konfliktträchtig aus, die Nachfolgestaaten der Sowjetunion verlassen zu können.106 Dafür wurden sie aufgrund der krisenhaften politischen und ökonomischen Entwicklung der letzten Jahre einerseits beneidet, andererseits wurde dies als Argument verwendet um Rußlanddeutsche auszugrenzen. Rußlanddeutschen Bewerbern für eine Hochschulbildung wurde z.B. bedeutet, daß sie keinen Studienplatz bekommen würden, da ohnehin mit ihrer Ausreise zu rechnen sei. Bei der Auseinandersetzung um die Wiederherstellung der Autonomen Wolgarepublik wurde den Rußlanddeutschen in diesem Zusammenhang vorgehalten, daß Deutschland ihre eigentliche Heimat sei, in die sie ausreisen könnten.107 Die Beziehungen der Rußlanddeutschen zu ihren Nachbarvölkern hatten sich in der unmittelbaren Nachkriegszeit problematisch gestaltet, da sie - vor allem in Rußland - mit dem vormaligen Kriegsgegner Deutschland identifiziert wurden. Aus Berichten von nach Kasachstan und Mittelasien deportierten Rußlanddeutschen geht dagegen hervor, daß die Beziehungen zu den einheimischen Völkern dort relativ konfliktfrei waren, obschon sie aufgrund der starken kulturellen Unterschiede distanziert blieben. Das Verhältnis der Rußlanddeutschen zu ihren Nachbarvölkern entspannte sich, bei latent vorhandenen staatlichen Diskriminierungen, bis zur Mitte der achtziger Jahre. Von diesem Zeitpunkt an trat eine Wende ein. Im Zusammenhang mit der allgemeinen »nationalen Renaissance« gewannen ethnische Abgrenzungen und Ausgrenzungen im Alltagsleben zunehmend an Bedeutung. Diese wurden nicht primär von staatlicher Seite, sondern »von unten«, von den verschiedenen Bevölkerungsgruppen getragen und spielten beim Prozeß der »Nationwerdung« der ehemaligen Sowjetrepubliken eine wesentliche Rolle. Im Zusammenhang mit der krisenhaften wirtschaftlichen Entwicklung in den Nachfolgestaaten der Sowjetunion bildete dies den Hintergrund für die spannungsgeladenen ethnischen Beziehungen zu Beginn der neunziger Jahre.
105 Vgl. Interview mit H. Wormsbecher, in: Die Tageszeitung, 1.6.1992, S. 5; P. Hilkes, Sprachlos zwischen den Stühlen? Zwei aktuelle Probleme von Rußlanddeutschen: Sprachsituation und Vertreibungsdruck, in: cbw Zeitung, Nr. 33, 1992, S. 7-10. 106 Dies ist, zumindest für die Bürger Rußlands, ab Januar 1993 ebenfalls möglich. Die emigrationswilligen Bürger der vormaligen Sowjetunion haben jedoch, anders als Deutsche, in den meisten Fällen Probleme, ein Aufnahmeland zu finden. 107 Bei einer Umfrage im Gebiet Saratow wurde dies von Responten folgendermaßen ausgedrückt: »Rußland den Russen, Deutschland den Deutschen«. Vgl. J. Meschtscherkina / A. Meschtscherkin, Emotionen gegen Argumente, in: Moskau News, Nr. 1, 1993, S.3.
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3.2. Ethnische Beziehungen aus der Sicht der Rußlanddeutschen
Auf der Basis der Befragung von rußlanddeutschen Aussiedlern (1989/90) und von in der Sowjetunion lebenden Deutschen (1991) ist es möglich, die ethnischen Beziehungen zwischen den Rußlanddeutschen und ihren Nachbarvölkern am Ende der achtziger/Anfang der neunziger Jahre näher zu beleuchten. Auf die Frage, ob sich die Beziehungen zwischen den nichtdeutschen Nationalitäten während der letzten fünf Jahre in ihrer Unionsrepublik verändert hätten, gaben beinahe die Hälfte (48%) der 1989/90 befragten Aussiedler an, diese hätten sich verschlechtert Etwa jeder vierte (39%) war der Ansicht, die ethnischen Beziehungen wären gleich geblieben und nur 7% meinten, sie hätten sich verbessert 108 Die Mehrheit (63%) der Befragten, die eine Begründung für die ihrer Ansicht nach eingetretene Verschlechterung der ethnischen Beziehungen angegeben hatten,109 nannte ethnische und politische Gründe, wobei am häufigsten (32%) geäußert wurde, daß »der Druck gegen die Sprachen und Kulturen der nichtrussischen Völker gewachsen sei«. Die krisenhafte wirtschaftliche Entwicklung und die daraus resultierende Konkurrenz wurden von einem Drittel der Interviewten als Ursache wachsender ethnischer Spannungen bezeichnet, während etwa 5% der Ansicht waren, wirtschaftliche, politische und ethnische Gründe gemeinsam hätten die ethnischen Beziehungen verschlechtert Die Gründe, die für eine Verbesserung des Verhältnisses unter den Nationalitäten genannt wurden,110 deckten sich nahezu mit den Ursachen, die für die Verschlechterung der Beziehungen zwischen den Nationalitäten angegeben worden waren. Einige der Interviewpartner sahen in der wirtschaftlichen Krise den Grund dafür, daß der soziale Zusammenhalt zwischen den verschiedenen ethnischen Gruppen gewachsen sei. Auch die Politik der Perestrojka wurde als Ursache für die Verbesserung der ethnischen Beziehungen genannt.111 Dies zeigt, daß die Entwicklung des ethnischen Zusammenlebens aus der Sicht der Befragten grundsätzlich von den wirtschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen sowie von der Bedeutung der »nationalen Frage« abhängig gemacht wurde.
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6% der Befragten hatten sich dazu keine Gedanken gemacht. Es handelte sich um 371 Interviewte. 110 Hier äußerten sich 49 Interviewpartner. 111 Bei einer Meinungsumfrage, die 1988 in der Sowjetunion durchgeführt wurde, hielten 51% der hauptsächlich nichtrussischen Interviewpartner nationales Aufbegehren für ein positives Element, das eine Demokratisierung der sowjetischen Gesellschaft herbeiführen könnte. Vgl. K. Mihalisko, Poll of Soviet Citizens' Attitudes towards ethnic Unrest, in: Radio Liberty Report on the USSR, no. 10, 1989, S. 31-42, hier S. 34. 109
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Die Einschätzung der ethnischen Verhältnisse hing stark davon ab, in welcher Republik die Befragten jeweils gelebt hatten. In Kirgisien und Usbekistan entwickelten sich die ethnischen Beziehungen aus der Sicht der Interviewpartner am negativsten: Jeweils über 60% der Befragten (67% in Kirgisien und 61% in Usbekistan) waren der Ansicht, die ethnischen Beziehungen hätten sich verschlechtert Diese Meinung vertraten nur ein Drittel aller Befragten aus Rußland und 46% der Interviewten, die in Kasachstan gelebt hatten. Personen, die aus ländlichen Gebieten stammten, berichteten häufiger von einer Verschlechterung des Verhältnisses der verschiedenen (nichtdeutschen) Nationalitäten untereinander. 112 Im Vergleich zu dem Bild, das die befragten Aussiedler von der Entwicklung der ethnischen Beziehungen in der Sowjetunion gezeichnet hatten, nahmen die 1991 in Rußland und Kasachstan interviewten Deutschen das Verhältnis zwischen den verschiedenen (nichtdeutschen) ethnischen Gruppen etwas weniger angespannt wahr. Etwa ein Drittel aus diesem Personenkreis (32%) war der Ansicht, die Beziehungen zwischen den verschiedenen Nationalitäten hätten sich am jeweiligen Wohnort verschlechtert. Eine Verbesserung stellten nur 3% fest und 57% meinten, die Situation wäre die gleiche geblieben.113 In Kasachstan wurde die Entwicklung insgesamt pessimistischer als in Rußland bewertet.114 Die Begründung für die Verschlechterung der ethnischen Beziehungen entsprach nahezu den Ergebnissen der Aussiedlerbefragung in den Jahren 1989/90.115 An erster Stelle standen politische und ethnische Begründungen, wie z.B. die »Forderung nach Autonomie«, »Perestrojka und Demokratisierung« sowie »politische Instabilität«, die von der Hälfte der Befragten vorgebracht wurden. Etwa ein Drittel nannte wirtschaftliche Gründe und die restlichen Interviewpartner machten politische, ethnische und wirtschaftliche Ursachen gemeinsam für die Verschlechterung der ethnischen Beziehungen verantwortlich. Das Verhältnis der Nachbarvölker zu den Rußlanddeutschen wurde positiver eingeschätzt als die Entwicklung der ethnischen Beziehungen insgesamt. Zwei Drittel unter den 1991 in der UdSSR befragten Deutschen waren der Meinung, das Zusammenleben der Rußlanddeutschen mit ihren Nachbar112 Unter den Befragten aus ländlichen Gebieten gaben 53% an, die nationalen Beziehungen hätten sich verschlechtert; unter denjenigen aus Städten waren es 46%. Dafür könnte die größere Anonymität in den Städten verantwortlich gemacht werden. 113 9% unter den Interviewten hatten sich keine Gedanken zu dieser Frage gemacht. 114 Unter den Befragten in Kasachstan (Rußland) waren 2% (3%) der Ansicht, die Beziehungen zwischen den Nationalitäten hätten sich verbessert, 38% (26%) meinten, sie hätten sich verschlechtert und 51% (62%) konnten keine Veränderungen feststellen. Jeweils 9% hatten über diese Frage nicht nachgedacht. 115 Insgesamt machten 258 Personen Angaben zu den Gründen, die ihrer Ansicht nach für die Verschlechterung der nationalen Beziehungen verantwortlich gewesen waren.
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Völkern sei am jeweiligen Ort unverändert geblieben. Eine Verschlechterung der Beziehungen hatten 15% wahrgenommen, während 11% von einer Verbesserung berichteten.116 Die Befragten in Rußland und Kasachstan beurteilten die Situation in etwa gleich. Die unterschiedliche Einschätzung der ethnischen Beziehungen, abhängig davon, ob es sich um die Situation zwischen den Rußlanddeutschen und ihren Nachbarvölkern oder um die generelle Entwicklung der ethnischen Verhältnisse handelte, weist darauf hin, daß sich die Rußlanddeutschen nicht im Zentrum der ethnischen Konflikte sahen. Hier bestätigt sich, daß zahlreiche Rußlanddeutsche befürchten, in den Sog ethnischer Konflikte hineingezogen zu werden ohne selbst deren ursprünglicher Adressat zu sein. Besonders brisant stellt sich dieses Problem in Kasachstan und Mittelasien dar. »Des Bemühens vieler Staatsfiihrungen, wie insbesondere auch des kasachischen Präsidenten Nasarbajew, um ein gutes Verhältnis unter den Nationalitäten ihres Landes ungeachtet, breiten sich in Zentralasien Tendenzen zur Verdrängung der Fremden aus, die sich zwar primär gegen die Russenrichten, aber die anderen Europäer und damit die Deutschen einbeziehen.«117 Die Ergebnisse der Befragung, die im Frühjahr 1991 durchgeführt wurde, deuteten die Struktur der künftigen ethnischen Konflikte an. Die »Nationwerdung« der vormaligen Sowjetrepubliken verschärfte in manchen Fällen - wie z.B. in Moldowa, Tadschikistan, Georgien, Armenien und Aserbaidschan - die angelegten ethnischen Konflikte, überlagert von politischen Machtkämpfen, bis hin zum Bürgerkrieg. Rußlanddeutsche, die in den bedrohten Gebieten lebten, sahen kaum einen anderen Ausweg, als diese Staaten zu verlassen, wenn ihnen das aufgrund der krisenhaften Zuspitzung der Situation noch möglich war und sie in einem anderen Staat Aufnahme fanden. 118
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8% unter den Befragten hatten sich keine Gedanken zu dieser Frage gemacht. Vg. M. Wolf, A. Frank (1993), S. 153. 118 Von seiten der Landsmannschaft der Deutschen aus Rußland wurde in diesem Zusammenhang gefordert, Sofortmaßnahmen für Deutsche in Krisengebieten der vormaligen Sowjetunion in die Wege zu leiten. Vgl. Rußlanddeutsche in Krisengebieten, in: Volk auf dem Weg, Nr. 12, 1992, S. 2. 117
Drittes Kapitel
Migrationsbewegungen in der Geschichte der Rußlanddeutschen Beginnend mit der Zuwanderung in das zaristische Rußland stellten Migrationsbewegungen ein wesentliches Moment in der Geschichte der Rußlanddeutschen dar. Auslöser der Wanderungen waren entweder religiöse, ethnische oder wirtschaftliche Schwierigkeiten im Herkunftsgebiet (pushFaktoren) oder es wurden in einem bestimmten Zuzugsgebiet günstige ethnische, religiöse oder wirtschaftliche Bedingungen erwartet (pull-Faktoren).1 Nicht selten verstärkten sich push- und pull-Faktoren. Dieser klassische Mechanismus von Wanderungsbewegungen läßt sich für die Rußlanddeutschen in verschiedenen Varianten, von der ursprünglichen Einwanderung nach Rußland im 18. Jahrhundert bis hin zur Ausreise aus der vormaligen Sowjetunion in die Bundesrepublik Deutschland, beobachten.2 In manchen Fällen stellten dabei die push-, in anderen die pull-Faktoren den entscheidenden Anstoß zur Migration dar. Ein beispielloser Bruch in der Geschichte der Rußlanddeutschen trat durch ihre Deportation während des Zweiten Weltkrieges ein. Diese hatte nicht nur die Entwurzelung der deutschen Bevölkerung und ihre regionale Verschiebung über tausende von Kilometern zur Folge sondern führte auch dazu, daß sich nicht wenige unter ihnen noch Jahrzehnte nach diesen traumatischen Ereignissen als »Verbannte« empfanden. Zweifellos bestimmte diese gewaltsame Bevölkerungsbewegung das Migrationsverhalten der Deutschen in der vormaligen Sowjetunion in starkem Maße. Vor diesem Hintogrund sind auch die Ausreisebemühungen der Rußlanddeutschen in der Nachkriegszeit zu sehen, 1 Zur Theorie von Wanderungsbewegungen vgl. E. S. Lee, Eine Theorie der Wanderung, in: G. Szell (Hrsg.), Regionale Mobilität. München 1972, S. 115-129 sowie A. Treibel, Migration in modernen Gesellschaften. Soziale Folgen von Einwanderung und Gastarbeit Weinheim und München 1990, S. 29-34. 2 Bei der Gründung der Sowjetunion hatten die Rußlanddeutschen bereits zahlreiche Gebiete besiedelt, die östlich und südlich der ihnen ursprünglich zugewiesenen Kolonien lagen. Die Gründe für diese Wanderungen waren hauptsächlich wirtschaftlicher Natur: Der Ertrag ihrer Ländereien reichte in manchen Fällen für die anwachsenden Familien nicht mehr aus oder Mißernten bedrohten die Existenzgrundlage. Aber auch politische Maßnahmen der russischen Regierung (Einführung des allgemeinen Wehrdienstes, Verlust von Privilegien)riefen Wanderungen hervor. Bei der Einführung des allgemeinen Wehrdienstes (1874) versuchten beispielsweise zahlreiche Mennoniten, das Land zu verlassen. Vgl. D. Brandes (1992), S. 115.
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3. Kapitel: Migrationsbewegungen in der Geschichte der Rußlanddeutschen
die im Jahre 1955 zögernd einsetzten und Ende der achtziger Jahre in eine bedeutende Emigrationsbewegung einmündeten. Die innersowjetische Migration und die Emigration der Rußlanddeutschen in der Nachkriegszeit läßt sich nur im Kontext der sowjetischen und postsowjetischen Migrations- und Emigrationsbewegungen erfassen. Die Emigration der Rußlanddeutschen spiegelt hier in besonderer Weise die restriktive Ausreisepolitik der UdSSR und deren sukzessive Auflösung wider. In der jüngsten Zeit stellt sie sich als Teil der neuen »Ost-West-Wanderungen« dar.3
1. Migrationsbewegungen der Rußlanddeutschen im Kontext der allgemeinen Wanderungsbewegungen innerhalb der vormaligen Sowjetunion Seit der Gründung der Sowjetunion gab es bedeutende Migrationsbewegungen innerhalb des Landes, die noch bis in die achtziger Jahre hinein der staatlichen Kontrolle unterstanden.4 Ursprünglich stellte die forcierte Industrialisierung und die damit einhergehende Urbanisierung eine wesentliche Ursache der Wanderungen dar.5 Von großer Bedeutung, obschon häufig nicht im Zusammenhang mit Migrationsprozessen erwähnt, waren erzwungene Wanderungen. »The GULAG system ... became a place of massive resettlement. Logically, the process ended with entire small nations were resettled to a foreign environment, from which they must now look for a new homeland during the empire's dislocation ... These prewar or immediate afterwar phenomena are only one generation away from the present and thus have not faded from memory. This is a necessary background to understand the great migration streams about to come and to predict probable re-migration in the future.«
Diese Aussage trifft auf die Deutschen in der Sowjetunion in besonderer Weise zu. 3 Vgl. zum Beispiel V. Ronge, Ost-West-Wanderungen nach Deutschland, in: Aus Politik und Zeitgeschichte. Β 7/93, 12. Februar 1993, S. 16-28. 4 Wesentliche Ordnungsinstrumente stellten in diesem Zusammenhang das System der internen Päße sowie das »Propiskasystem« (beim Zuzug zu bestimmten Städten war eine staatliche Genehmigung nötig) dar. Gegen Ende der siebziger Jahre nahmen die spontanen Wanderungen immer stärker zu, was die Planungsbehörden zwar beunruhigte, wogegen sie allerdings nicht mehr mit dirigistischen Mitteln vorgingen. Vgl. B. Knabe, Mobilität in der Sowjetunion. Zur Frage planwidriger Bevölkerungs- und Arbeitskräfteverlagerungen, in: Osteuropa Nr. 11/12, 1983, S. 849-859. 5 Beträchtliche Wanderungen wurden in den frühen zwanziger Jahren auch durch Fluchtbewegungen infolge des Bürgerkrieges und in den zwanziger sowie frühen dreißiger Jahren durch Hungersnöte hervorgerufen. 6 Vgl. M. Titma / Ν. B. Tuma, Migration in the Former Soviet Union. Berichte des Bundesinstituts für ostwissenschaftliche und internationale Studien, Nr. 22,1992, S. 8.
1. Migrationsbewegungen der Rußlanddeutschen in der Sowjetunion
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In der Nachkriegszeit stellten die Industrialisierungs- und Landnahmepolitik7 wesentliche Auslöser von Migrationsbewegungen dar. Zudem sah die im Rahmen der Nationalitätenpolitik angestrebte Herausbildung eines »Sowjetvolkes« neben anderen politischen Maßnahmen vor, einen »melting pot« Effekt durch Wanderungsbewegungen zu erreichen. Rückblickend ist festzustellen, daß die Migrationsbereitschaft über Republiksgrenzen hinweg bei verschiedenen nationalen Gruppen in der Sowjetunion sehr unterschiedlich ausgeprägt war. Während Russen und die Angehörigen einiger europäischer Völker (z.B. Weißrussen und Ukrainer) eine starke innersowjetische Mobilität aufwiesen, traf dies für die Titularnationen Kasachstans und der mittelasiatischen Republiken nicht zu.8 Die Zuwanderung nach Kasachstan und in die mittelasiatischen Republiken wurde in den fünfziger, sechziger und siebziger Jahren vornehmlich durch die landwirtschaftliche Erschließung und Industrialisierung dieser Gebiete ausgelöst Da die einheimische Bevölkerung zur damaligen Zeit in zahlreichen Fällen wegen ihrer geringen Mobilität und ihrem niedrigen Ausbildungsniveau für diese Aufgaben nicht zur Verfügung stand, wurden Arbeitskräfte aus den europäischen Republiken der Union angeworben. Zwischen den Volkszählungen von 1959 und 1979 gab es eine Netto-Einwanderung von Russen nach Kasachstan und Mittelasien und bis zur Volkszählung von 1989 hielt ihre Nettoeinwanderung in die europäischen Republiken (Ukraine, Weißrußland, Moldawien und das Baltikum) der Union an. Die Migrationsbewegung der Russen kehrte sich am Anfang der achtziger Jahre um.9 Durch die zunehmenden nationalen Spannungen in den südlichen Republiken, die nicht zuletzt durch die Nationalitätenpolitik mithervorgerufen worden waren10, setzte eine Bewegung nach Westen ein, die sich bei der Volkszählung von 1989 in einer Netto-Abwanderung von Russen aus Kasachstan und Mittelasien niederschlug.11 Die Wanderungsbewegungen in der Sowjetunion der achtziger Jahre unterstützten - ganz im Gegensatz zur Migration davor -
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Hierunter sind die sogenannten »Neulandkampagnen« z.B in Kasachstan zu verstehen. Vgl. A. Nove, An Economic History of the USSR. Middlesex 1969, S. 331 ff. 8 Das hatte auch damit zu tun, daß die einheimischen Völker Kasachstans und der mittelasiatischen Republiken ihrer traditionellen Lebensweise, die sie auf ihren Territorien noch am relativ besten entfalten konnten, stärker verbunden waren. 9 Das ließ sich auch daran ablesen, daß der Migrationssaldo für Rußland zwischen 1979 und 1989 positiv war, während er für Kasachstan und Mittelasien ein negatives Vorzeichen aufwies. Vgl. V. Perevedencev, Rynok truda i migracija naselenija SSSR, in: Vorprosy ékonomiki, Nr. 9, 1991, S. 45-54, hierS. 47. 10 Vgl. dazu S. 20 ff. dieser Arbeit. 11 Vgl. B. A. Anderson / B. D. Silver, Growth and Diversitiy of the Population of the Soviet Union, in: The Annals of the American Academy of Political and Social Sciences, 510, July 1990, S. 155-177, hier S. 162-163 sowie Α. V. Topilin, Vlijanie migracii na ètnonacional'nuju strukturu, in: Sociologiöeskie issledovanija, Nr. 7,1992, S. 31-43, hier S. 36 ff.
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3. Kapitel: Migrationsbewegungen in der Geschichte der Rußlanddeutschen
eine ethnische Homogenisierung im Kaukasusgebiet,12 in Kasachstan und in den Republiken Mittelasiens. Seit Mitte der achtziger Jahre deuteten sich in der Sowjetunion, neben den weiter anhaltenden Urbanisierungsprozessen 13 sowie der Mobilität aufgrund von unterschiedlichen Arbeitsmarktbedingungen, neue Tendenzen der Wanderungsbewegungen an, die sich mit der Auflösung des Unionsverbandes verstärkten.14 Ursachen dieser Wanderungsbewegungen waren neben den wachsenden nationalen Konflikten ökonomische, politische und ökologische Probleme.15 Eben diese Schwierigkeiten waren für bestimmte Personengruppen, die aus der vormaligen Sowjetunion ausreisen konnten und die auch ein Aufnahmeland fanden, wie z.B. die Deutschen, der Anstoß zur Emigration. Nationale Konflikte bzw. die Furcht davor stellten Ende der achtziger/Anfang der neunziger Jahre einen wesentlichen Migrationsauslöser dar. Dies führte zu einer Migration nationaler Gruppen in »ihre« Republik bzw. »ihren« Staat oder in solche Gebiete, wo keine Verfolgung oder Diskriminierung aus nationalen Motiven drohte. Die Anzahl künftiger Migranten (Emigranten) aus nationalen Gründen ist schwer einschätzbar.16 Um die Dimensionen abzustecken, sei darauf verwiesen, daß innerhalb der Sowjetunion insgesamt 54 Millionen Menschen (nach der Volkszählung von 1989) nicht auf »ihrem« Territorium in der UdSSR lebten. An der Spitze standen hier Russen (25,3 Millionen) gefolgt von Ukrainern (6,7 Millionen) und Usbeken (2,5 Millionen). Außerdem gab es sechs Millionen Menschen, die innerhalb der Sowjetunion überhaupt keine Staatlichkeit besaßen, wie zum Beispiel die Deutschen (2,0 Millionen) oder die Polen (1,1 Millionen).17 Dennoch kann nicht davon 12 Aus Armenien, Georgien und Aserbaidschan waren allerdings bereits seit 1959 mehr Russen abgewandert als zugezogen. Vgl. Β. A. Anderson, B. D. Silver (1990), S. 163. 13 Es war jedoch festzustellen, daß sich der Urbanisierungsprozeß in allen Unionsrepubliken seit den sechziger Jahren verlangsamt hatte. »The urbanisation process reached a peak in the 1960s and declined thereafter, even in the Central Asian republics.« Vgl. M. Titma, Ν. Β. Tuma (1992), S. 33. 14 Vgl. G. F. Morozova, Sovremennye migracionnye javlenija: beiency i èmigranty, in: Sociologiôeskie issledovanija, Nr. 3, 1992, S. 34-40; K. Segbers, Wanderungsbewegungen in und aus der Früheren Sowjetunion (FSU). Arbeitsbericht der Stiftung Wissenschaft und Politik, April 1992; B. Knabe, Faktoren und Perspektiven der Ost-West-Wanderungen in Europa. Berichte des Bundesinstituts für ostwissenschaftliche und internationale Studien, Nr. 43, 1992; V. Mykomel' /E. Pain / A. Popov, Sojuz raspalsja - meinacional'nye konflikty ostalis', in: Nezavisimaja gazeta, 10.1.1992, S. 5. 15 Vgl. I. Oswald, Emigranten, Binnenmigration und Flüchtlingsprobleme in der Sowjetunion, in: H.-G. Ehrhart (Hrsg.), Die sowjetische Frage: Integration oder Zerfall? Baden-Baden 1991, S. 95-106 sowie die oben angegebene Literatur. 16 Nach der Auflösung der Sowjetunion wurden Migranten, die vormalige Republiksgrenzen überschritten, in vielen Fällen zu Emigranten. 17 Vgl. Nacional'nyj sostav naselenija SSSR (1990), S. 138-151.
1. Migrationsbewegungen der Rußlanddeutschen in der Sowjetunion
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ausgegangen werden, daß ein Großteil der Personen, die außerhalb ihrer nationalen Territorien leben, dorthin wandern werden.18 Nach der Einschätzung von M. Titma und Ν. B. Tuma sind unter den slawischen Völkern etwa 3,1 Millionen Menschen unmittelbar von nationalen Konflikten bedroht. Weitere zwei Millionen könnten mit der Verschlechterung der Lebensbedingungen vor Ort unter Druck kommen.19 Α. V. Topilin ging davon aus, daß bis zum Jahre 2000 die Anzahl der außerhalb Rußlands lebender Russen auf 22-23 Millionen gesunken sein dürfte. 20 Der wirtschaftliche Systemwandel verschärfte in allen Nachfolgestaaten der Sowjetunion die bereits seit Ende der achtziger Jahre existente wirtschaftliche Krise. Diese ging mit einer Freisetzung von Arbeitskräften einher, deren künftige Dimensionen noch nicht absehbar sind.21 Aufgrund der steigenden Arbeitslosigkeit zeichnen sich weitere Wanderungsbewegungen sowohl zwischen als auch innerhalb der Nachfolgestaaten der Sowjetunion ab. So ist zum Beispiel damit zu rechnen, daß die im Hohen Norden und Osten geschaffenen Industriezentren (Murmansk, Perm, Norilsk, Krasnojarsk und Archangelsk), in denen mehr als 30 Millionen Menschen leben, wirtschaftlich in der bislang praktizierten Weise nicht überlebensfähig sind und beträchtliche Arbeitskräftebewegungen hervorrufen werden.22 Die schwerwiegenden ökologischen Probleme in der vormaligen Sowjetunion traten in den letzten Jahren immer stärker zutage und konnten von den Behörden vor Ort nicht mehr verleugnet werden. Aus ökologischen Krisengebieten kommt es bereits zu Abwanderungen,23 wobei absehbar ist, daß diese im Falle akuter Katastrophen in Fluchtbewegungen umschlagen werden. 18
Eine Umfrage des Allunionsinstitut für Meinungsforschung (VCIOM) unter nicht in Rußland lebenden Russen ergab im Frühsommer 1992, daß nur 19% unter diesen sich eine Abwanderung überlegten. Vgl. I. Dement'eva, Prodaetsja dom, in: Izvestija, 9.7.1992, S. 3. 19 Vgl. M Titma, N. B. Tuma (1992), S. 45. 20 Vgl. Α. V. Topilin (1992), S. 42. 21 Die Arbeitslosigkeit hatte für Rußland in den Jahren 1992 und 1993 nicht die gewaltigen Ausmaße angenommen, die vorab prognostiziert worden waren. Insgesamt waren zu Beginn des Jahres 1993 offiziell 1.014.000 beschäftigungslose Personen gemeldet und am Ende des Jahres 1993 gab es 1.084.500 Beschäftigungslose. Vgl. Kratkij obzor poloienija na rynke truda Rossii ν 1993 godu, in: VaS partner, Beilage zu: Ékonomika i iizn1, Nr. 7, 1994, S. 12. Es ist jedoch davon auszugehen, daß die offiziellen Zahlen die Arbeitslosigkeit nicht im vollen Umfang ausweisen und daß diese drastisch zunehmen wird. Schätzungen der Weltbank gaben für das Jahr 1993 eine mögliche Arbeitslosigkeit von 4 Millionen und für das Jahr 1994 eine von 10 Millionen Personen an. Vgl. K. Bush, Conversion and Unemployment in Russia, in: RFE/RL Research Report, no. 2, 1993, S. 29-32. Auch Schätzungen des ILO Instituts gehen von einer weit höheren (6-7 mal höher) Arbeitslosigkeit aus, als offiziell angegeben. Vgl. F. Williams, ILO reports severe job losses in Russia, in: Financial Times, 8.2.1994. 22
Vgl. M. Titma, Ν. B. Tuma (1992), S. 45. Dies kann auch im Falle von Deutschen beobachtet werden, z.B. bei Abwanderungen aus dem Gebiet Semipalatinsk in Kasachstan. 23
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3. Kapitel: Migrationsbewegungen in der Geschichte der Rußlanddeutschen
Generell ist für die vormalige Sowjetunion zu befürchten, daß durch die Verschärfung der nationalen Konflikte sowie durch den Zusammenbruch des politischen und wirtschaftlichen Systems in zunehmenden Maße Flüchtlingsströme auftreten werden, wobei einzelne Gruppen unter bestimmten Umständen versuchen könnten, die Grenzen der ehemaligen Union zu überschreiten. Obschon sich das Problem innersowjetischer Flüchtlingsbewegungen bereits vor einigen Jahren ankündigte, wurde erst Anfang 1992 beim russischen Arbeitsministerium »ein Komitee für die Angelegenheiten der Bevölkerungsmigration eingerichtet, das im Juni durch einen >Föderalen Migrationsdienst Rußlands< abgelöst wurde.«24 Die Anzahl der Flüchtlinge stieg innerhalb der vormaligen Sowjetunion seit 1988 deutlich an. Während im Winter 1988/89 insgesamt 422.000 Menschen als Flüchtlinge registriert waren, wurden im September 1991 Zahlen zwischen 700.000 und 1,5 Millionen Flüchtlingen genannt.25 Im Dezember 1992 hielten sich allein in Rußland nach den Angeben von T. Regent, der Leiterin des »Föderalen Migrationsdienstes Rußlands«, 470.000 Flüchtlinge auf, zu denen noch 800.000 Migranten aus anderen ehemaligen Sowjetrepubliken kamen. Bis Ende des Jahres 1993 war nach Auskunft von T. Regent mit zwei Millionen Flüchtlingen und Migranten zu rechnen.26 Zu den Flüchtlingen aufgrund eines anhaltenden Bürgerkrieges zählten zum Beispiel auch Deutsche aus Tadschikistan, die in der Nähe von Moskau im Flüchtlingslager Walujewo eine vorläufige Bleibe gefunden haben.27
1.1. Die Migration der Rußlanddeutschen innerhalb der vormaligen Sowjetunion
Die Wanderungen der Rußlanddeutschen innerhalb der vormaligen Sowjetunion vollzogen sich zwar im Rahmen der hier beschriebenen Migrationsbewegungen, waren aber zugleich von ihrer besonderen Situation - Sowjetbürger deutscher Nationalität zu sein - geprägt. Zwischen dem Ersten und dem Zweiten Weltkrieg stellten politische Konflikte sowie Hungersnöte in den Siedlungsgebieten der Deutschen die hauptsächlichen Migrations- bzw. Emigrationsursachen dar.28 Gegen Ende der zwanziger Jahre setzte im Zusammenhang mit der Kollektivierung und der 24
Vgl. B. Knabe (1992), S. 19. Vgl. G. F. Morozova (1992), S. 36; Süddeutsche Zeitung 24. 9. 1992, S. 9. 26 Vgl. Süddeutsche Zeitung, 2. 12. 1992, S. 10. 27 Vgl. I. Zahn, Rußlanddeutsche aus Tadschikistan im Flüchtlingslager Walujewo, in: Deutscher Ostdienst, Nr. 6, 1993, S. 1. 28 Vgl. D. Brandes (1992), S. 126. Im Jahre 1921 verließen danach allein 74.000 Deutsche das Wolgagebiet infolge der Hungersnot. 25
1. Migrationsbewegungen der Rußlanddeutschen in der Sowjetunion
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»Entkulakisierung« eine Verbannungspolitik ein, von der zahlreiche deutsche Bauern im Wolga- und Schwarzmeergebiet sowie in Westsibirien betroffen waren.29 Als Folge der »Entkulakisierung« wurden rußlanddeutsche Familenväter, oft aber auch ganze Familien, in entlegene Gebiete im Osten der Union deportiert. 30 Die Deportation der Rußlanddeutschen im Zusammenhang des Zweiten Weltkrieges führte innerhalb eines Jahres zu ihrer zwangsweisen Umsiedlung vom europäischen Teil der UdSSR in den nördlichen und sibirischen Teil Rußlands sowie nach Kasachstan und in die mittelasiatischen Republiken. Das Ausmaß dieser Zwangsmigration wird deutlich, wenn die erst kürzlich veröffentlichten Zahlen über die »Umsiedlung der Deutschen« im Jahre 1941 und danach zitiert werden.31 Insgesamt wurden während der Kriegszeit mindestens 950.000 Deutsche deportiert, von denen nahezu die Hälfte (446.000) aus der aufgelösten Wolgarepublik stammten.32 Aus den Bezirken Krasnodar und Stawropol kamen 149.000 Zwangsumsiedler, 82.900 aus der Ukraine, 46.000 aus den kaukasischen Unionsrepubliken; die anderen hatten in verschiedensten Gebieten der RSFSR westlich des Ural gelebt. Die für den 1. Janauar 1949 veröffentlichte regionale Verteilung der Deutschen, die sich zum damaligen Zeitpunkt in Sondersiedlungen aufhielten, gab einen ersten Anhaltspunkt für die Ansiedlungsschwerpunkte der Deutschen in der Nachkriegszeit.33 Es kann davon ausgegangen werden, daß die 1955 nach der Auflösung der Sondersiedlungen einsetzende Migration und Emigration der Rußlanddeutschen noch bis zum heutigen Zeitpunkt durch die Deportationsmaßnahmen beeinflußt sind. Dennoch entsprach die innersowjetische Wanderung der Ruß-
29 Zum Verlauf und den wirtschaftlichen Folgen der Zwangskollektivierung sowie der Entkulakisierung vgl. R. Lorenz, Sozialgeschichte der Sowjetunion I. 1917-1945. Frankfurt 1978, S. 183215. 30 Ein relativ kleiner Teil unter den Rußlanddeutschen versuchte vor der drohenden Zwangskollektivierung ins Ausland (nach Deutschland oder nach Übersee) zu fliehen. Vgl. V. Veer, Die Flucht vor dem Zwang. Emigration der Mennoniten aus der UdSSR im Zeiraum 1923 bis 1930, in: Freundschaft, 31.5.1990, S. 3; Freundschaft, 6.6.1990, S. 3 sowie L. Belkovec, Popytka massovogo vyezda iz SSSR sovetskich nemcev ν 1929 g., in: Vstreòa, Gazeta nemcev Novosibirskoj oblasti, Nr. 2, September 1992, S. 4-5. 31 Hier wird im wesentlichen auf zwei Quellen bezug genommen. Vgl. V. N. Zemskov, Specposelency (po dokumentacii NKVD-MVD SSSR), in: Sociologiceskie issledovanija, Nr. 11, 1990, S. 3-17; N. F. Bugaj, 40-e gody: »Avtonomiju nemcev Povoli'ja likvidirovat'...«, in: Istorija SSSR, Nr. 2, 1992, S. 172-180. Beide Artikel beziehen sich auf das Zentralstaatliche Archiv der Oktoberrevolution (CGAOR SSSR). Dennoch stimmen die Datenangaben stellenweise nicht überein. Darauf wird im Text verwiesen. 32 Vgl. V. N. Zemskov (1990), S. 8. Dagegen gibt N. F. Bugaj (1992), S. 175 an, daß bis zum Ende des Jahres 1942 insgesamt 1.209.430 Deutsche umgesiedelt worden seien. 33 Bis auf einen relativ kleinen Anteil von Deutschen, die bereits vor der Verbannung in den Deportationsgebieten gelebt hatten, handelte es sich um die gesamte Bevölkerungsgruppe.
94
3. Kapitel: Migrationsbewegungen in der Geschichte der Rußlanddeutschen
Tabelle 10 Die regionale Verteilung der deutschen Bevölkerung in den Sondersiedlungen (1.1.1949) Insgesamt Davon in: Rußland davon im Gebiet: Altai Nowosibirsk Krasnojarsk Kemerowo Swerdlowsk Molotowsk Tscheljabinsk Omsk Tjumen Tomsk andere Gebiete Kasachstan Tadschikistan Kirgisien Usbekistan Turkmenistan
1.035.701
599.884 86.709 70.729 56.184 49.467 45.587 39.909 38.440 38.182 24.228 21.085 129.364 393.537 18.184 14.954 6.518 2.524
Quelle: V. N. Zemskov (1990), S. 10 und 11.
landdeutschen in manchen Aspekten den allgemein in der Sowjetunion zu beobachtenden Migrationsbewegungen. So stieg zum Beispiel die Urbanisierung der Deutschen seit der ersten Volkszählung nach dem Krieg kontinuierlich an. Zu diesem Zeitpunkt, im Jahre 1959, lebten nur 39 Pozent der Deutschen in Städten, während es im Jahre 1989 bereits 53% waren.34 Zudem konnte in den sechziger und siebziger Jahren ein migrationsbedingtes Anwachsen der deutschen Bevölkerung in Kasachstan und Mittelasien - analog zur Zunahme der
34 Vgl. dazu Itogi Vsesojuznoj perepisi naselenija 1959 goda SSSR. Moskva 1962, S. 226 und 227. Die Daten für das Jahr 1989 wurden von der Gesellschaft »Wiedergeburt« in Moskau zur Verfügung gestellt.
1. Migrationsbewegungen der Rußlanddeutschen in der Sowjetunion
95
russischen und europäischen Bevölkerung dort - beobachtet werden.35 Dies veränderte sich, mit Ausnahme von Kasachstan, wo dieser Prozeß erst nach 1989 einsetzte, von Beginn der achtziger Jahre an. Bedingt durch zunehmende nationale Konflikte verließen Rußlanddeutsche die mittelasiatischen Republiken, später Staaten. Seit Ende der achtziger Jahre beschleunigte sich dieser Abwanderungsprozeß und griff auch auf Kasachstan über.36 Ein beträchtlicher Teil der innersowjetischen Migrationsbewegungen der Rußlanddeutschen in der Nachkriegszeit muß, wie bereits erwähnt, als Reaktion auf die Deportationen verstanden werden. Dabei sind Wanderungsbewegungen mit dem Ziel der Emigration ebenso zu nennen wie der Zuzug in Gebiete, in denen es Formen einer deutschen Autonomie gegeben hatte, in denen deutsche autonome Gebiete wiederhergestellt worden waren oder in denen sich eine Wiederherstellung abzeichnete. In den siebziger Jahren hatten die Rußlanddeutschen von Seiten der sowjetischen Regierung noch mit großen Schwierigkeiten zu rechnen, wenn sie in die Bundesrepublik Deutschland ausreisen wollten, wobei es von bestimmten Unionsrepubliken aus, den baltischen und der moldauischen, weniger starke Restriktionen gab. In dieser Zeit zogen zahlreiche Rußlanddeutsche aufgrund ihrer Ausreiseentscheidung in die genannten Republiken.37 Die innersowjetische Migration der Rußlanddeutschen, mit dem Ziel der Ausreise, ließ in den achtziger Jahren deutlich nach und war zu Beginn der neunziger Jahre so gut wie nicht mehr anzutreffen. Dies zeigte sich auch am Verhalten der Aussiedler, die im Jahre 1985/86 und 1989/90 über ihren Ausreisehintergrund befragt wurden. Unter den 1989/90 interviewten (und ausgereisten) Aussiedlern hatten nur 3% aufgrund ihrer Entscheidung, das Land zu verlassen, den Wohnort gewechselt Im Gegensatz dazu waren 22% der im Jahre 1985/86 Befragten vor ihrer Ausreise umgezogen, um bessere Emigrationschancen zu haben.38 Die Wanderung von Rußlanddeutschen in Gebiete, in denen es Formen einer deutschen Autonomie gegeben hatte, setzte im Jahr 1972 mit der Aufhebung der Beschränkung ihrer Wohnortwahl ein.39 Diese Migrationsbewegungen hatten jedoch insgesamt gesehen kein großes Gewicht. Erst gegen Ende der achtziger Jahre, als die Diskussion um die Wiederherstellung autonomer deutscher Gebiete bzw. der deutschen Wolgarepublik geführt wurde, kam die mögliche Übersiedlung einer größeren Anzahl von Rußlanddeutschen in ihre ehe35
Vgl. dazu S. 36 dieser Arbeit. Die meisten der abwandernden Rußlanddeutschen reisten in die Bundesrepublik aus. 37 Vgl. dazu S. 36 dieser Arbeit. 38 Vgl. B. Dietz / P. Hilkes (1993), S. 114. 39 Dies war für die Ukraine sowie für das Territorium der vormaligen Wolgarepublik, das auf die Verwaltungsgebiete Wolgograd und Saratow verteilt worden war, zu beobachten. 36
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3. Kapitel: Migrationsbewegungen in der Geschichte der Rußlanddeutschen
maligen Siedlungsgebiete zur Sprache.40 Als Voraussetzung dafür wurde jedoch von übersiedlungswilligen Deutschen sowie von der Gesellschaft »Wiedergeburt« die Herstellung entsprechender Autonomieformen gefordert. Da dies z.B. auf dem Gebiet der vormaligen Wolgarepublik nicht erfolgte - die per Dekret errichteten deutschen Landkreise wurden von der Mehrzahl der Deutschen nicht einmal als »Schritt hin zur Wolgarepublik« akzeptiert - fand dorthin keine bedeutende Zuwanderung statt.41 Anders sah es für die deutschen Landkreise im Altaigebiet sowie im Gebiet Omsk (Asowo) aus. Diese beiden Landkreise entwickelten sich im Lauf des Jahres 1992 und 1993 zu einer Art »Auffangbecken« für Rußlanddeutsche, die Kasachstan und die mittelasiatischen Republiken verließen. Nach Presseberichten liegen allein dem deutschen Landkreis Asowo 30.000 Anträge von übersiedlungswilligen Deutschen vor. 42 Es ist aber bislang noch nicht abzusehen, ob die neuzuziehenden Deutschen dort tatsächlich bleiben werden, oder ob sie die deutschen Landkreise nur als »Durchgangsstation« auf dem Weg in die Bundesrepublik betrachten. In den beiden deutschen Landkreisen in Westsibirien läßt sich seit einiger Zeit beobachten, daß alteingesessene rußlanddeutsche Familien in zunehmendem Maße diese Gebiete verlassen, um in die Bundesrepublik auszureisen. Es ziehen zwar ständig neue Zuwanderer aus Kasachstan und Mittelasien nach und füllen die Bevölkerungslücken auf. Die Zuwanderer leben aber häufig in gemischt-nationalen Familien und beherrschen die deutsche Sprache nur noch schlecht oder überhaupt nicht mehr. Als Resultat dieser sich überschneidenden Wanderungsbewegungen verlieren die deutsche Sprache und deutsche Traditionen in den beiden deutschen Rayons in Westsibirien an Bedeutung43 Die Migration von Rußlanddeutschen auf dem Territorium der vormaligen Sowjetunion war in den letzten Jahren hauptsächlich von der Abwanderung aus Kasachstan und Mittelasien (vornehmlich Kirgisien) gekennzeichnet Zuzugsgebiete innerhalb der ehemaligen UdSSR stellten die deutschen Landkreise in Westsibirien, einige Gebiete in Mittelrußland, wo bereits Deutsche lebten,44 das 40
Von Seiten der ukrainischen Regierung war das Angebot gemacht worden, 400.000 Deutschen Aufnahme zu gewähren. Vgl. S. 64 f. dieser Arbeit. 41 Dabei spielte zusätzlich die ablehnende Haltung der inzwischen dort ansässigen Bevölkerung eine Rolle. 42 Vgl. Rußlanddeutsche gehen nach Sibirien, in: Süddeutsche Zeitung 26.10.1992, S. 6 sowie ein Interview mit B. Reuter (Reiter), in: Neues Leben, Nr. 1, 1993, S. 5. B. Reiter wies dort auch darauf hin, daß im Gebiet Omsk insgesamt mit 50.000 deutschen Neuansiedlern gerechnet würde. Die Zahl von 30.000 Zuwanderungswünschen für den Rajon Asowo nannte B. Reiter bei einem Interview in der Zeitschrift für Dich. Vgl. »Meine Devise ist nicht abwarten, sondern handeln« (1993), S. 6. 43 Vgl. M. Klaube, Emigration und Migration in den beiden deutschen Landkreisen Westsibiriens, in: Osteuropa, Nr. 1, 1994, S. 74-89. 44 Vgl. A. Schmidt, Sie verstehen sich weder »op dütsch« noch »auf deitsch«, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 10.8.1990, S. 8.
2. Die Emigration der Rußlanddeutschen
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Gebiet Kaliningrad45 sowie sehr begrenzt die Gebiete an der Wolga und die angebotenen Ansiedlungsgebiete in der Ukraine dar. Der überwiegende Teil der Rußlanddeutschen, der Ende der achtziger/Anfang der neunziger Jahre den bisherigen Wohnsitz in der vormaligen Sowjetunion verließ, wanderte in die Bundesrepublik aus.
2. Die Emigration der Rußlanddeutschen aus der vormaligen Sowjetunion Die Sowjetunion konnte bis zum Ende der achtziger Jahre als nahezu geschlossene Gesellschaft gelten, deren Bürger bis auf wenige Ausnahmen kein Recht auf Ausreise besaßen. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Emigration zwar gesetzlich zugelassen; aufgrund der restriktiven Bestimmungen stand sie allerdings nur einem engbegrenzten Personenkreis offen. 46 Obschon die Sowjetunion grundlegende Vereinbarungen unterzeichnet hatte, die das individuelle Recht auf Freizügigkeit garantierten, wie z.B. die allgemeine Deklaration der Menschenrechte (1948) sowie die Schlußakte von Helsinki (1975), enthielten die Verfassungen der UdSSR aus den Jahren 1924, 1936 und 1977 dieses Recht nicht.47 In der sowjetischen Gesetzespraxis erwies sich die Emigration in der Nachkriegszeit als ein Zugeständnis, das in Ausnahmefällen, zumeist auf der Basis der Familienzusammenführung, gewährt wurde.48 Dementsprechend stand die Ausreise nur Personen offen, die eine Einladung von Verwandten ersten Grades im Einreiseland vorweisen konnten. In den Genuß dieser Regelungen kamen die Angehörigen bestimmter - vornehmlich nationaler - Gruppen, deren Familien durch die Kriegsereignisse auseinandergerissen worden waren, oder die aus anderen Gründen Verwandte im Ausland hatten. Zudem stellte die Intervention ausländischer Staaten zugunsten der ausreiseberechtigten Gruppen ein 45 Vgl. S. Gressler, Wir ziehen in das Gebiet um das ehemalige Königsberg! In: Deutsche Allgemeine Zeitung, 27.8.1992, S. 2; »Wie's Messer in'n Schmand«. Spiegel-Redakteur Walter Mayr über rußlanddeutsche Pioniere am Kurischen Haff, in: Der Spiegel, Nr. 53, 1992, S. 136-143. 46 Es handelte sich um die »Bestimmungen zur Einreise in die UdSSR und zur Ausreise aus der UdSSR« vom Juni 1959. Diese wurden 1970 und 1986 nochmals revidiert, in ihrer Grundlage jedoch nicht verändert. Vgl. S. Heitman, The Third Soviet Emigration: Jewish, German and Armenian Emigration from the USSR since World War II. Berichte des Bundesinstituts für ostwissenschaftliche und internationale Studien, Nr. 21, 1987, S. 14 und 15. 47 Auf diese widersprüchliche Haltung der sowjetischen Regierung wurde mehrfach hingewiesen. Vgl. zum Beispiel B. Pinkus, The Emigration of National Minorities from the USSR in the Post-Stalin Era, in: Soviet Jewish Affairs, no. 1, 1983, S. 3-36, hier S. 21-23. 48 Die endgültige Erteilung des Ausreisevisums hing jedoch von einer Vielzahl von internen Bestimmungen ab, die auf Absprachen des Außen- und Innenministeriums, des KGB sowie des Verteidigungsministeriums beruhten.
7 Dietz
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3. Kapitel: Migrationsbewegungen in der Geschichte der Rußlanddeutschen
wesentliches Element bei der Gewährung von Ausreisegenehmigungen in der Nachkriegszeit dar. Vor diesem Hintergrund wird verständlich, daß vornehmlich Juden, Deutsche und Armenier sowie Griechen die Sowjetunion verlassen durften. 49 Angehörige dieser nationalen Gruppen waren für die Familienzusammenführung qualifiziert und die potentiellen Aufnahmeländer (hauptsächlich Israel, die USA und die Bundesrepublik) setzten sich für sie ein. Die Ausführungsbestimmungen der Emigration wurden jedoch zeitweise, so zum Beispiel in den siebziger Jahren und nach dem Beginn der Politik der Perestroika, großzügiger gefaßt, so daß auch vereinzelt Personen, die keine nahen Verwandten im Ausland besaßen, ausreisen konnten. Es handelte sich hier um politische Dissidenten und um die Angehörigen bestimmter religiöser Gruppen (unter anderen um Pfingstler). Insgesamt gesehen stellte sich jedoch die Emigrationsbewegung der Nachkriegszeit, auch »dritte Welle« genannt,50 als »nationale Abwanderung« dar.
2.1. Die Dynamik der rußlanddeutschen Ausreisebewegung
Die Rußlanddeutschen gehörten zu den wenigen Gruppen, die in der Nachkriegszeit die Möglichkeit hatten, aus der Sowjetunion zu emigrieren. 51 Als wesentlich muß in diesem Zusammenhang angesehen werden, daß die Bundesrepublik die Aufnahme der Rußlanddeutschen garantierte.52 Die Ausreise der Rußlanddeutschen hing, wie sich im Rückblick zeigen läßt, in starkem Maße von den Interessen des sowjetischen Staates ab, der die Ausreisegenehmigungen in Abwägung interner und außenpolitischer Zielvorstellungen gewährte. Vor diesem Hintergrund läßt sich erklären, daß die Zahl der Ausreisenden bis gegen Ende der achtziger Jahre jährlich stark schwankte, obschon dies nicht auf eine Veränderung der individuellen Emigrationswünsche zurückzuführen war.
49 Vgl. S. Heitman (1987) sowie V. Zaslavsky / R. Brym, Soviet Jewish Emigration and Soviet Nationality Policy. London 1983. 50 Dieser Begriff geht darauf zurück, daß es aus der UdSSR, trotz des relativ bald einsetzenden Versuchs, die Grenzen abzuriegeln, bereits unmittelbar nach der Revolution eine erste AusreiseweUe gegeben hatte, der während und kurz nach dem Zweiten Weltkrieg eine weitere folgte. Die »dritte Welle« in der Nachkriegszeit stellte schließlich eine Emigrationsbewegung dar, die hauptsächlich auf der Familienzusammenführung basierte. 51 Bereits in den zwanziger Jahren waren Rußlanddeutsche, hauptsächlich wegen ihrer religiösen Einstellung und ihrer privatwirtschaftlichen Orientierung, aus der Sowjetunion emigriert. »In den Jahren 1923-1928 gelang es den nordamerikanischen Mennoniten, 18.300 ihrer Glaubensbrüder aus der Sowjetunion herauszuholen.« Vgl. D. Brandes (1992), S. 126. 52 Zu den Aufnahmebedingungen vgl. S. 110 ff. dieser Arbeit.
2. Die Emigration der Rußlanddeutschen
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Die Ausreisepolitik gegenüber den Angehörigen der verschiedenen nationalen Gruppen, die in der UdSSR Emigrationsansprüche geltend machen konnten, wies Ähnlichkeiten auf, verlief jedoch nicht gleichläufig. Vieles spricht dafür, daß die außenpolitischen Beziehungen der UdSSR zu den Ländern, die sich für Ausreisewillige einsetzten und ihre Aufnahme garantierten, die Politik der Emigrationsgenehmigungen wesentlich beeinflußte. Daneben spielte der politische Druck der Ausreisewilligen sowie die innenpolitische Situation der UdSSR eine wichtige Rolle.53 Zwischen 1955 und dem Ende des Jahres 1986, als sich die Politik der Perestroika auf die Ausreisegenehmigungen auszuwirken begann, verließen insgesamt etwa 104.300 Rußlanddeutsche die Sowjetunion.54 Sie stellten damit ungefähr ein Viertel aller Emigranten aus der UdSSR in diesem Zeitraum.55 Der überwiegende Teil der Rußlanddeutschen reiste in die Bundesrepublik Deutschland aus (vgl. Abbildung 2), nur sehr wenige emigrierten in die vormalige DDR. Dies lag, neben den bestehenden verwandtschaftlichen Beziehungen, hauptsächlich daran, daß die Bundesrepublik die Deutschen aus der Sowjetunion und aus Osteuropa als deutsche Staatsbürger anerkannte und zur damaligen Zeit ohne Einschränkungen aufnahm. In der DDR gestaltete sich die Zuwanderung schwieriger, da es für die Rußlanddeutschen nach offizieller Einstellung keinen Grund gab, die Sowjetunion zu verlassen.56 Von Seiten der Rußlanddeutschen wurde die DDR in den meisten Fällen nur als Notlösung bei der Ausreise angesehen.57 53
Es blieb in der Fachliteratur umstritten, welche Bedeutung jeweils den außen- bzw. innenpolitischen Faktoren zukam. Vgl. S. Heitman, Soviet Emigration since Gorbachev. Berichte des Bundesinstituts für ostwissenschaftliche und internationale Studien, Nr. 62, 1989, S. 28. Es kann jedoch mit ziemlicher Sicherheit davon ausgegangen werden, daß sich die sowjetische Regierung allein durch Druck von außen nicht zur Erleichterung der Emigration zwingen ließ. V. Zaslavsky / R. Brym (1983), S. 66. 54 Diese Zahlenangabe beruht zunächst auf den Daten des Bundesausgleichsamtes, nach dessen Informationen 93.300 Deutsche aus der Sowjetunion zwischen 1955 und 1987 in der Bundesrepublik Deutschland aufgenommen wurden. Vgl. Bundesausgleichsamt, Statistischer Bericht Vt2/92, 24. Februar 1992. Zu den in die Bundesrepublik eingereisten Aussiedlern aus der UdSSR sind im oben genannten Zeitraum noch etwa 11.000 Deutsche zu rechnen, die in die vormalige DDR emigrierten. Vgl. S. Heitman (1987), S. 21. Es ist nicht bekannt, wieviele der deutschen Aussiedler aus der Sowjetunion in die UdSSR zurückkehrten. Insgesamt dürfte es sich um eine vernachlässigbare Größe handeln. 55 Vgl. S. Heitman (1987), S. 23. 56 Zum Verhältnis der DDR zu den Rußlanddeutschen siehe H. Lindemann, Die DDR und die Rußlanddeutschen, in: Deutschland-Archiv, Nr. 7, 1989, S. 789-798. 57 Die DDR wurde offensichtlich von den Rußlanddeutschen als Ausreiseland gewählt, die keine Verwandten in der Bundesrepublik hatten. Von dort versuchten die meisten, in die Bundesrepublik zu gelangen. Dies war in den siebziger Jahren möglich, in den achtziger Jahren jedoch nicht mehr. Rußlanddeutsche wurden von der DDR aufgenommen und konnten dort auch als sowjetische Staatsangehörige leben. Die Umsiedlung in die Bundesrepublik wurde ihnen jedoch in den meisten Fällen nicht mehr gestattet. Vgl. Ständiges Sekretariat für die Koordinierung der bundesge-
7*
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3. Kapitel: Migrationsbewegungen in der Geschichte der Rußlanddeutschen
Die erste Abwanderungsphase (1955-1970) nahm mit dem Besuch des damaligen Bundeskanzlers K. Adenauer in Moskau (im September 1955) ihren Anfang. 58 Kurz darauf lagen bei der deutschen Botschaft in Moskau zahlreiche Anträge von Deutschen vor, die das Land verlassen wollten.59 Auf der Basis eines mündlichen Repatriierungsabkommens vom 8. April 1958 wurde die Ausreise einer Reihe von ihnen, oft jedoch erst nach großen Schwierigkeiten, in den folgenden Jahren gestattet.60 Bereits zu diesem Zeitpunkt deutete einiges daraufhin, daß die Ausreisegenehmigungen auch eine »Verhandlungsmasse« in den außenpolitischen Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und der Sowjetunion darstellten. Dies läßt sich für die zweite Ausreisephase (19711980) deutlicher zeigen, als die Ausreisegenehmigungen für die Deutschen in der Sowjetunion stark zunahmen.61 Die siebziger Jahre standen im Zeichen der Entspannungspolitik und des expandierenden Ost-West Handels. Der Besuch des damaligen Bundeskanzlers W. Brandt in Moskau (1971) sowie die Ratifizierung der Ostverträge (1972) verbesserten die Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und der Sowjetunion erheblich und trugen in diesem Zusammenhang dazu bei, daß relativ viele Rußlanddeutsche die UdSSR verlassen durften. Gleichzeitig hatten die Rußlanddeutschen Interessensgruppen gebildet, die sich für die Ausreisefreiheit einsetzten.62 Dennoch bleibt kaum ein Zweifel daran, daß die Emigrationspolitik der UdSSR von diesen Forderungen nur geringfügig beeinflußt wurde. Die dritte Phase der Emigration in der Nachkriegszeit (1981-1986) war ebenfalls von einer engen Verknüpfung der außenpolitischen Beziehungen und der innenpolitischen Situation mit der Ausreisepolitik gekennzeichnet In den letzten Jahren der Regierungszeit Breschnews, der »Zeit der Stagnation«, fand die außenpolitische Entspannungspolitik ihr vorläufiges Ende, während die förderten Osteuropaforschung. Deutsche in der Sowjetunion. Bericht über die 3. Arbeitskonferenz am 10. April 1984 in Köln, S. 20. 58 Zu den Verhandlungen zwischen der Bundesrepublik und der Sowjetunion vgl. Moskau Bonn. Die Beziehungen zwischen der Sowjetunion und der Bundesrepublik Deutschland 19551973. Dokumentation. Herausgegeben und eingeleitet von B. Meissner, Köln 1975, S. 81-147. 59 Der deutsche Botschafter Haas in Moskau gab am 3. August 1957 an, daß 100.000 Deutsche in der Sowjetunion bei der deutschen Botschaft brieflich oder persönlich um ihre Ausreise gebeten hätten. Vgl. Moskau Bonn (1975), S. 298. 60 Dieses Abkommen galt auf der Basis der Familienzusammenführung und berücksichtigte zum damaligen Zeitpunkt in erster Linie Personen, die am 21. Juni 1941 die deutsche Staatsangehörigkeit besessen hatten, das heißt vornehmlich Deutsche, die während der Kriegszeit in der besetzten Ukraine gelebt und die deutsche Staatsangehörigkeit per Verordnung erworben hatten. Vgl. Moskau Bonn (1975), S. 370-371. 61 Es konnten insgesamt gesehen sehr viel mehr Sowjetbürger als in den vergangenen Jahren emigrieren. 62 Vgl. B. Pinkus, Die Auswanderungsbewegung der Deutschen und Juden seit 1970. Ein Vergleich, in: A. Kappeler / B. Meissner / G. Simon (Hrsg.), Die Deutschen im Russischen Reich und im Sowjetstaat. Köln 1987, S. 151-166.
2. Die Emigration der Rußlanddeutschen
101
innenpolitischen Repressionen zunahmen. Beides wirkte sich negativ auf die Ausreisemöglichkeiten der Rußlanddeutschen aus.
Ausreisejahr
Abbildung 2: Deutsche Aussiedler aus der Sowjetunion in der Bundesrepublik Deutschland (1955-1986) Quelle: Bundesausgleichsamt, Statistischer Bericht Vt-2/92, 24. Februar 1992.
Zwei Jahre nach Gorbatschows Amtsantritt kam die Politik der Perestroika bei der Erteilung von Ausreisegenehmigungen zum Tragen.63 Obschon sich an den rechtlichen Bestimmungen nichts geändert hatte, stieg die Zahl der Rußlanddeutschen, die seit Beginn des Jahres 1987 emigrieren konnten, sprunghaft an (vgl. Abbildung 3).04 Es liegt nahe, zunächst die innersowjetischen Demo-
63 Zur Emigration aus der vormaligen Sowjetunion in dieser Zeit vgl. Sh. Sajontschkowskaja, Emigration aus der Ex-UdSSR, in: P. Poljan (Hg.), Die Bevölkerung Rußlands: Neue Tendenzen und Veränderungen. Bundesinstitut für ostwissenschaftliche und internationale Studien, Sonderveröffentlichung, Mai 1993, S. 50-64. 64 Vgl. Bundesausgleichsamt, Statistischer Bericht Vt-2/92, 24. Februar 1992; Bundesverwaltungsamt, Jahresstatistik Aussiedler 1992, 22.1.1993; Info-Dienst Deutsche Aussiedler, Nr. 49, Bonn, Januar 1994, S. 15. In der Sowjetunion wurden ebenfalls Emigrationsdaten von Ausreisenden in die Bundesrepublik veröffentlicht. Vgl. A. Zolotych, Grozit Ii nam massovyj ischod, in: Narodnyj députât, Nr. 13, 1991, S. 117 sowie Narodnoe chozjajstvo SSSR ν 1990 g., Moskva 1991,
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3. Kapitel: Migrationsbewegungen in der Geschichte der Rußlanddeutschen
kratisierungsprozesse und in deren Folge die sich entspannenden Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der UdSSR dafür verantwortlich zu machen. Die Veränderung der Emigrationspolitik konnte als Hinweis darauf angesehen werden, daß die Ausreise als individuelles Recht in weit stärkerem Maße als bisher akzeptiert wurde. Die sowjetischen Behörden griffen am Ende der achtziger Jahre auch nicht mehr darauf zurück, die gesetzlich sanktionierte Emigration mittels bürokratischer Barrieren zu verlangsamen oder zu stoppen. Im Zusammenhang mit der veränderten Einstellung der sowjetischen Behörden bezüglich der Emigration wurde im Oktober 1989 vom Obersten Sowjet in erster Lesung ein Gesetzesentwurf gebilligt, der die Ausreise und die Einreise von Sowjetbürgern auf eine völlig neue Grundlage stellte.65 Der Entwurf sah unter anderem vor, die Familienzusammenführung als Grundlage der Emigration abzuschaffen und das Recht auf freie Ausreise anzuerkennen. Im Mai 1991 wurde das neue Gesetz zur Regelung der Ausreise und Einreise von Sowjetbürgern (Reisegesetz) angenommen.66 Wegen zahlreicher interner Probleme sollte es jedoch erst am 1.1.1993 in Kraft treten.67 Mit der Bekanntgabe des neuen Reisegesetzes begann vor allem in westlichen Ländern eine intensive Diskussion über das künftige Emigrationspotential aus der Sowjetunion.68 Nach dem Zusammenbruch der UdSSR nahmen die Befürchtungen zu, daß mit der Gültigkeit des neuen Gesetzes eine nicht absehbare Anzahl von Personen das Land verlassen könnten. Um nur zwei Eckdaten zu nennen: der Hohe Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen ging im Jahr 1991 davon aus, daß 25 Millionen Sowjetbürger das Land bei eintretender Reisefreiheit verlassen würden,69 während sowjetische Exper-
Narodnyj députât, Nr. 13, 1991, S. 117 sowie Narodnoe chozjajstvo SSSR ν 1990 g., Moskva 1991, S. 96. Diese stimmen nicht vollständig mit den Angaben des Bundesausgleichsamtes überein. Die Ursachen für die jährlich höchstens 8% betragenden Unterschiede sind nicht bekannt. 65 Vgl. S. Heitman, The Right to Leave. The New Soviet Draft Law on Emigration. Berichte des Bundesinstituts für ostwissenschaftliche und internationale Studien, Nr. 26, 1990. 66 Vgl. Zakon Sojuza Sovetskich Socialisticeskich Respublik. Ο porjadke vyezda iz Sojuza Sovetskich Socialisticeskich Respublik i v'ezda ν Sojuza Sovetskich Socialisticeskich Respublik graidan SSSR, in: Izvestija, 6.7.1991, S. 4, Th. J. Brendel, Ein neues Gesetz zur Regelung von Ausreise und Einreise für Bürger der UdSSR, in: Osteuropa, Nr. 4, 1992, S. 303-309. 67 Von den Nachfolgestaaten der UdSSR hat bislang nur Rußland dieses Gesetz übernommen. 68 Vgl. zum Beispiel I. Oswald (1991); E. Hönekopp, Ost-West-Wanderungen: Ursachen und Entwicklungstendenzen. Bundesrepublik Deutschland und Österreich, in: K. M. Bolte (Hrsg.), Mitteilungen aus der Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, Nr. 1, 1991, S. 115-133; B. Knabe (1992); K. Segbers (1992); V. Ronge (1993). 69 Vgl. C. Musekamp, Fluchtziel Deutschland, in: Der Staatsbürger, Nr. 11, 1991, S. 1-6, hier S. 1. Diese Zahlenangabe ist insofern problematisch, als keine Zeitspanne angegeben wurde, auf die sich die geschätzten Ausreisedaten beziehen.
2. Die Emigration der Rußlanddeutschen
103
ten zu einem etwas späteren Zeitpunkt eine Abwanderung von 2 bis 5 Millio nen Menschen in fünf Jahren für realistisch hielten.70
Ausreisejahr
Abbildung 3: Deutsche Aussiedler aus der ehemaligen Sowjetunion in der Bundesrepublik Deutschland (1987-1992) Quelle: Bundesausgleichsamt, Statistischer Bericht Vt-2/92, 24. Februar 1992; Bundesverwaltungsamt, Jahresstatistik Aussiedler 1992, 22.1.1993; Info-Dienst Deutsche Aussiedler, Nr. 49, Bonn, Januar 1994, S. 15; Nr. 63, Januar 1995, S. 4.
Die Emigration der Rußlanddeutschen hatte am Ende der achtziger Jahre ein bisher noch nie erreichtes Ausmaß angenommen, das auch in den neunziger Jahren unvermindert anhielt Die scheinbare Verstetigung der jährlichen Ausreisen auf ca. 147.000 Personen in den Jahren 1990 und 1991 war in erster Linie auf eine Veränderung der bundesdeutschen Aufhahmeregelungen zurückzuführen. Seit dem 1. Juli 1990 sorgte das Bundesaufhahmegesetz dafür, daß deutsche Aussiedler aus Osteuropa und aus der Sowjetunion bzw. deren Nachfolgestaaten den Nachweis ihrer deutschen Abstammung - auf dem laut 70 Vgl. A. ViSnevskij, 9.2.1992, S. 18 und 19.
/ Zajonckovskaja, Öetvertyj val èmigracii, in: Moskovskie novosti,
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3. Kapitel: Migrationsbewegungen in der Geschichte der Rußlanddeutschen
Grundgesetzartikel 116 ihre Anerkennung in der Bundesrepublik beruht - vom Herkunftsland aus zu führen haben. Durch die Bearbeitungszeit der Anträge war damit ein Mechanismus geschaffen, der eine indirekte Kontingentierung der Aussiedleraufhahme ermöglichte. Das Kriegsfolgenbereinigungsgesetz, das am 1.1.1993 in Kraft trat, schrieb schließlich ein Einreisekontingent von jährlich etwa 225.000 Aussiedlern aus Osteuropa und aus der vormaligen Sowjetunion fest. 71 Die Gründe für die ab 1987 sprungartig angestiegene Emigration der Rußlanddeutschen waren vielfältig und miteinander verwoben. Zwar spielten die Ausreiseerleichterungen von sowjetischer Seite eine Schlüsselrolle, sie stellten aber nur einen auslösenden Faktor dar.72 Die zunehmenden nationalen Konflikte in der Sowjetunion und in ihren Nachfolgestaaten wirkten im Zusammenhang mit der wirtschaftlichen und politischen Krisensituation auf die Rußlanddeutschen - als nationale Minderheit ohne territoriale Autonomie - besonders bedrohlich. Zudem gab es keinen ernstzunehmenden Versuch, die deutsche Wolgarepublik wiederherzustellen, der für zahlreiche Rußlandeutsche ein Zeichen der Gleichstellung mit anderen nationalen Gruppen in der Sowjetunion bedeutet hätte. Auf der anderen Seite garantierte die wirtschaftlich und politisch stabile Bundesrepublik die Aufnahme der Rußlanddeutschen, die sich dort auch die Möglichkeit erhofften, als »Gleiche unter Gleichen« zu leben. Vor diesem Hintergrund entstand eine Ausreisebewegung, die sich durch die stetig wachsende Zahl der Ausreisenden noch verstärkte (Kettenmigration). Die Vorstellung, »alleine zurückzubleiben« beschleunigte die Ausreiseentscheidung ebenso wie die Furcht, in naher Zukunft möglicherweise keine Aufnahme mehr in der Bundesrepublik zu finden. Insgesamt gesehen zeigte sich am Ende der achtziger/Anfang der neunziger Jahre, daß eine Reihe von push- und pull-Faktoren die Ausreise der Rußlanddeutschen vorantrieb, während sich in der Sowjetunion und ihren Nachfolgestaaten nur bescheidene Zukunftsperspektiven für sie abzeichneten.
71 Das Gesetz sah vor, daß künftig jedes Jahr so viele Aussiedler aufgenommen werden können wie im Durchschnitt der Jahre 1991/1992 eingereist waren. Zudem ist dem Bundesverwaltungsamt gestattet, von diesem Richtwert bis zu 10% nach oben oder unten abzuweichen. Vgl. Info-Dienst Deutsche Aussiedler, Nr. 38, Bonn, Januar 1993, S. 15-38. Dies läßt dann ein größeres Kontingent von Aussiedlern aus der Sowjetunion zu, wenn aus anderen Ländern Osteuropas weniger Aussiedler kommen. 72 Die Ausreiseerleichterungen zeigten sich an zahlreichen Faktoren, wie zum Beispiel der Verkürzung der Wartezeit bis zur Erteilung eines Ausreisevisums, der sinkenden Anzahl von Anträgen, die bis zur Erlaubnis der Ausreise gestellt werden mußten etc. Vgl. B. Dietz / P. Hilkes (1993), S. 113 und 114.
2. Die Emigration der Rußlanddeutschen
105
2.2. Ausreisegründe aus der Sicht der Rußlanddeutschen
Seitdem sich die Zahl der Aussiedler in starkem Maße erhöht hat, wird in der Bundesrepublik immer häufiger die Frage gestellt, aus welchen Gründen diese Personengruppe ihre vormalige Heimat verläßt. Dabei wird oft die Meinung vertreten, daß die Aussiedler aus Osteuropa und aus der Sowjetunion in hohem Maße aufgrund der wirtschaftlichen Situation in die Bundesrepublik Deutschland strebten.73 Für die Rußlanddeutschen hat der Prozeß der Ausreiseentscheidung in den meisten Fällen jedoch einen sehr viel komplexeren Hintergrund. Dies wird unter anderem daran deutlich, daß die Rußlanddeutschen überwiegend im Familienverband das Land verlassen,74 nachdem sie ihren gesamten privaten Besitz aufgegeben haben.75 Die Befragung von rußlanddeutschen Aussiedlern und die Interviews mit Deutschen in der Sowjetunion geben einige Hinweise auf die Struktur der Ausreisemotive. Dabei zeigt sich, daß die Ausreisegründe nicht nur von der Generationszugehörigkeit abhängen, sondern auch von der Zeit, in der die Emigrationsentscheidung getroffen wurde. Bei den 1985/86 interviewten Aussiedlern standen ethnische Motive als Begründung für die Ausreise an erster Stelle. Am häufigsten wurden Formulierungen wie »wir wollen als Deutsche unter Deutschen leben« sowie »wir möchten unsere Muttersprache und Kultur nicht verlieren« verwendet. Im Gegensatz dazu gaben die Interviewpartner in den Jahren 1989/90 die Familienzusammenführung als wichtigstes Ausreisemotiv an. Diese Veränderung deutete auf die Sogwirkung hin, die von den bereits ausgereisten Rußlanddeutschen ausging und stand im Zusammenhang mit den Ausreiseerleichterungen am Ende der achtziger Jahre. Wirtschaftliche Motive, wie zum Beispiel der Wunsch nach einem höheren Einkommen, rangierten bei den Befragten am Ende der achtziger Jahre vor politischen Gründen an dritter 73 Dies wurde bei einer Repräsentativumfrage in Nordrhein-Westfalen im November 1988 bestätigt. Vgl. Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen, Aussiedler - Wissen und Einstellungen der Bevölkerung in Nordrhein-Westfalen. Ergebnisse einer Repräsentativbefragung Ende November 1988. Düsseldorf 1988. 74 Dies bestätigte sich sowohl durch die Befragungsstudien - nach denen jeweils 98% der interviewten Aussiedler mit ihren Familien eingereist waren - als auch durch die Angaben des Bundesausgleichsamtes. Dieses stellte fest, daß am Ende der achtziger Jahre 90% der Aussiedler aus dem sowjetischen Bereich im Familienverband nach Deutschland kamen. 75 Der Großteil der Aussiedler aus der vormaligen UdSSR kam dennoch mit so gut wie keinen finanziellen Mitteln in der Bundesrepublik an. Der Erlös aus dem Verkauf von Häusern etc. war häufig nicht groß und der Umtausch in Devisen sehr kompliziert. Zudem mußten des öfteren beträchtliche Bestechungssummen aufgebracht werden, um bei den örtlichen Behörden die Ausreiseformalitäten erledigen zu können. Davon wird vor allem seit Ende der achtziger Jahre berichtet.
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3. Kapitel: Migrationsbewegungen in der Geschichte der Rußlanddeutschen
(vorletzter) Stelle, während sie bei den Interviewten zu Beginn der achtziger Jahre so gut wie keine Rolle gespielt hatten. Für diese Entwicklung dürfte hauptsächlich die wirtschaftliche Krise in der Sowjetunion am Ende der achtziger Jahre verantwortlich gewesen sein.76
Tabelle 11 Ausreisegründe der interviewten Aussiedler (in Prozent)
Ausreisegründe
Studie 1985/86 N=450
Studie 1989/90 N=872
ethnische familiäre politische wirtschaftliche andere
62,5 22,0 13,0 2,5 0,0
36,7 44,4 4,0 10,9 4,0
Bei einer Schichtung der Befragten nach der Generationszugehörigkeit verschob sich die Struktur der Ausreisemotive geringfügig. Für die jüngeren Aussiedler hatten wirtschaftliche und politische Gründe ein etwas höheres Gewicht als für die älteren, die am häufigsten ethnische Motive nannten.77 In der deutschsprachigen Presse der vormaligen Sowjetunion wurde über lange Jahre das Problem der Ausreise und der Ausreisemotive diskutiert Vor allem in Leserzuschriften äußerten sich zahlreiche Deutsche zu diesen Fragen. Stellvertretend für die Meinung von Rußlanddeutschen, die aus ethnischen Motiven ihre Aureiseentscheidung getroffen hatten, sei der folgende Brief zitiert: »Ich und meine Frau haben fest beschlossen - wir fahren in die BRD. Materiell gesehen geht es uns gut, haben auch eine gewisse Finanzreserve ... Wir glauben nicht an die Zukunft unserer Nation in der UdSSR und wollen, daß unsere Kinder
76 Bei der Beurteilung der Ausreisegründe ist jedoch zu beachten, daß die Ausreise aus der Sowjetunion auf der Basis der Familienzusammenführung gewährt wurde und daß die Aufnahme in der Bundesrepublik auf der deutschen Volkszugehörigkeit beruhte. Es ist deshalb davon auszugehen, daß die befragten Aussiedler bevorzugt solche Ausreisegründe nannten, die offiziell von sowjetischer und bundesdeutscher Seite akzeptiert wurden. 77 Aber audi bei der jüngsten Gruppe der 1989/90 befragten Aussiedler (nach 1955 geboren) machten wirtschaftliche Motive nur 13% aus. Vgl. B. Dietz (1990), S. 21
2. Die Emigration der Rußlanddeutschen
107
eine lichte Zukunft haben und ungezwungen und ohne sich zu schämen ihren deutschen Familiennamen nennen können.«78
Die 1991 durchgeführte Befragung von Deutschen, die zu diesem Zeitpunkt in der Sowjetunion lebten, ergab eine stärker ökonomisch begründete Sichtweise der Ausreisemotive.79 Die Interviewten in der Sowjetunion wurden aber im Unterschied zu den Aussiedlern, die ihre eigenen Motive schilderten, als Kommentatoren herangezogen. Auf die Frage »was ist Ihrer Meinung nach der Hauptgrund dafür, daß die Rußlanddeutschen nach Deutschland ausreisen« wurde insgesamt am häufigsten der Wunsch der Aussiedler nach einer Verbesserung der Lebens- und Wohnverhältnisse genannt (63,8%).80 Die zweite und dritte Stelle unter den Nennungen nahm die Begründung ein, daß es keine Hoffnung mehr auf eine völlige Wiederherstellung der nationalen Rechte der Deutschen in der Sowjetunion gäbe (42,9%) und daß die Kinder in einer deutschen Umgebung aufwachsen sollten (42,5%). Große Bedeutung wurde zudem der wirtschaftlichen und politischen Krise und einem möglicherweise drohenden Bürgerkrieg in der UdSSR zugeschrieben (37,9%) sowie dem Wunsch, in einem freien Land zu leben (35,8%). Nur wenige unter den 1991 in der Sowjetunion interviewten Deutschen (15%) gaben einen einzigen Ausreisegrund an.81 Die meisten hielten mehrere Motive für ausschlaggebend, um das Land zu verlassen. Dabei wurden fast immer wirtschaftliche, ethnische und politische Gründe gleichzeitig genannt. Die Schichtung der Befragungsergebnisse nach der Generationszugehörigkeit zeigt, daß die älteren Interviewpartner - ebenso wie bei der zitierten Aussiedlerstudie - häufiger ethnische Gründe als Ausreisemotiv nannten als die jüngeren. Während die älteste Gruppe der Befragten (bis zum Jahre 1930 geboren) die Verbesserung der Lebens- und Wohnverhältnisse ebenso häufig als Ausreisegrund angab wie die Hoffnungslosigkeit bezüglich der Wiederherstellung der nationalen Rechte der Deutschen in der Sowjetunion (jeweils 47%), bezeichneten die Jüngsten (nach 1955 geboren) die Verbesserung der Lebens- und Wohnverhältnisse als wichtigsten Ausreisegrund (72%). Der Verlust der Hoffnung auf eine vollständige nationale Rehabilitierung belegte bei der jüngsten Altersgruppe den dritten Platz unter den Ausreisegründen
78
Hier spricht der Leser, in: Neues Leben, Nr. 51, 1990, S. 14. Bei der Einschätzung möglicher Ausreisegründe spielte sicherlich auch die Verschlechterung der wirtschaftlichen Situation und die politische Instabiltät in der Sowjetunion zu Beginn der neunziger Jahre eine Rolle. 80 Methodisch unterschieden sich die Befragungen von Aussiedlern und von Deutschen in der Sowjetunion bei dieser Frage noch dadurch, daß die Deutschen in der Sowjetunion bis zu fünf Antworten auf die Frage nach dem Ausreisemotiv geben konnten, während die Aussiedler separat einen erst- zweit- und drittwichtigsten Grund nennen konnten. 81 Die Häufigkeiten waren hier ungefähr so verteilt wie bei den Nennungen insgesamt. 79
108
3. Kapitel: Migrationsbewegungen in der Geschichte der Rußlanddeutschen
(37%) hinter der politischen und wirtschaftlichen Krise in der UdSSR, die am zweithäufigsten angegeben wurde (39%). Danach befragt, ob sie aus der UdSSR ausreisen wollten, meinten 52% unter den 1991 in der Sowjetunion interviewten Deutschen, sie hätten dies in jedem Falle vor. Ein Drittel zeigte sich unentschlossen und nur 17% gaben an, in der Sowjetunion bleiben zu wollen. Bei einer Untersuchung des demographischen und sozialen Hintergrundes der Ausreisewilligen war festzustellen, daß die Ausbildungs- und Berufsstruktur im Gegensatz zum Alter keinen Einfluß auf die Ausreiseentscheidung hatte. Unter den jüngeren Befragungspersonen war allerdings der Wunsch, das Land zu verlassen, etwas stärker verbreitet als unter den älteren. Ein Vergleich mit einer im Frühjahr 1991 durchgeführten empirischen Untersuchung unter Sowjetbürgern in acht damaligen Unionsrepubliken zeigt auf, daß auch dort jüngere Personen eher an eine Emigration dachten.82 Diese Befragung ergab aber zudem, daß die besser Ausgebildeten eine stärkere Emigrationsneigung ausdrückten. Dies ist ein Hinweis darauf, daß der Ausreisewunsch unter den Deutschen in der vormaligen Sowjetunion im Gegensatz zu anderen Emigrationswilligen allem Anschein nach nicht mit ihrem sozialen und beruflichen Hintergrund korrespondiert Die Befragungsergebnisse unter den Rußlanddeutschen deuteten eher darauf hin, daß die familiäre Situation sowie die nationalen Spannungen im Herkunftsgebiet die Ausreiseentscheidung beeinflußten. Unter den Befragten in Kasachstan hatten sich zum Beispiel 60% für die Ausreise entschlossen, während es unter den Interviewten in Rußland nur 44% waren. Die häufig geäußerte Vermutung, daß Deutsche mit deutschen Ehepartnern eher zur Ausreise tendierten, bestätigte sich durch die Befragung. Nicht ganz die Hälfte (42%) deijenigen, die in der Sowjetunion bleiben wollten, hatten einen deutschen Ehepartner, während unter den Ausreisewilligen nahezu zwei Drittel (65%) mit einem deutschen Partner verheiratet waren. Verwandtschaftliche Beziehungen zu Personen, die bereits in der Bundesrepublik lebten, spielten bei der Ausreise - schon allein aufgrund der sowjetischen Gesetzgebung - eine weitere entscheidende Rolle: von den Ausreisewilligen hatten über 80% Verwandte in Deutschland, von denjenigen, die in der Sowjetunion bleiben wollten, nur 38%. Vor dem Hintergrund der krisenhaften wirtschaftlichen und politischen Entwicklung, nationaler Spannungen und der noch unklaren Minderheitenpolitik in den Nachfolgestaaten der Sowjetunion zeichnet sich ab, daß die Ausreisewelle unter den Rußlanddeutschen weiterhin anhalten wird. In der Bundesrepublik wurde jedoch mit dem Kriegsfolgenbereinigungsgesetz ein jährliches Einreisekontingent für Aussiedler aus Osteuropa und aus den Nachfolgestaaten der Sowjetunion festgelegt 82
Vgl. Èksport rabocej sily: vzgljad iznutri, in: Voprosy ékonomiki, Nr. 9, 1991, S. 88-97.
2. Die Emigration der Rußlanddeutschen
109
Seit 1990 stellten die Aussiedler aus der vormaligen Sowjetunion den größten Anteil unter allen Aussiedlern83 und aus der Anzahl der Anträge für Aufnahmebescheide wird ebenfalls deutlich, daß sie künftig die stärkste Gruppe unter den Aussiedlern ausmachen werden.
Tabelle 12 Anträge für Aufnahmebescheide (Anzahl) 1991
1992
1993
1994
Insgesamt
557.544
402.375
241.178
237.291
Ehem. UdSSR
445.198
356.233
223.368
213.214
Quelle: Info-Dienst Deutsche Aussiedler, Nr. 49, Bonn, Januar 1994, S. 12; Info-Dienst Deutsche Aussiedler, Nr. 63, Bonn, Januar 1995, S. 1-2.
Trotz der zu erwartenden starken Abwanderungen werden dennoch Rußlanddeutsche in den Nachfolgestaaten der Sowjetunion bleiben. Die Bundesregierung fördert in diesem Zusammenhang besondere Regionen in der vormaligen UdSSR, in denen Rußlanddeutsche leben und die auch Abwanderungswilligen aus Kasachstan und Mittelasien eine neue Heimat bieten sollen: Westsibirien mit den deutschen Rayons, das Wolgagebiet mit den traditionellen Siedlungsgebieten der Deutschen und Regionen in der Südukraine im Raum Odessa. Im Jahr 1993 waren, wie hier bereits erwähnt, eine Reihe von unterstützenden Maßnahmen in diesen Schwerpunktgebieten geplant, die auch die nichtdeutsche Bevölkerung einbezogen. Im Jahr 1994 ist vorgesehen, Häuser und Übergangswohnheime zu bauen, mittelständische Betriebe zu errichten, kulturelle und soziale Einrichtungen zu unterstützen sowie Informations- und Kommunikationszentren zu betreuen. Bisher hatten die bereits angelaufenen Hilfsprogramme noch relativ wenig Erfolg, die Rußlanddeutschen in ihren Wohngebieten zu halten bzw. sie zu einer Ansiedlung innerhalb der Grenzen der vormaligen Sowjetunion anzuregen. Allein die Zahl der Antragsstellungen weist seit 1991 daraufhin, daß die Ausreise der Rußlanddeutschen auch in den nächsten Jahren in der bisherigen Größenordnung verlaufen wird.
83 Im Jahre 1990 betrug der Anteil der Rußlanddeutschen an der Gesamtzahl der Aussiedler 37%, im Jahre 1991 vergrößerte sich dieser auf 66%. In den Jahre 1992 und 1993 war ihr Anteil auf 84 bzw. auf 95% angestiegen.
Viertes Kapitel
Rußlanddeutsche in der Bundesrepublik Deutschland: Aufnahmebedingungen und Aspekte der Integration Bis zum Beginn des Jahres 1995 fanden nahezu 1.165.000 Deutsche aus der vormaligen Sowjetunion in der Bundesrepublik eine neue Heimat.1 Sie stellten damit etwa ein Drittel der Personengruppe, die als Aussiedler nach Deutschland kamen.2 Diese Zuwanderung war Teil und Ausläufer einer gewaltigen Bevölkerungsverschiebung, die kurz nach dem Zweiten Weltkrieg einsetzte. Als Folge von Flucht und Vertreibung gelangten allein zwischen 1945 und 1950 etwa 8 Millionen Deutsche aus den ehemaligen Ostgebieten des Deutschen Reiches und aus ihren Siedlungsgebieten in Ost- und Südosteuropa in das zunächst in vier Besatzungszonen aufgeteilte Deutschland der Nachkriegszeit.3 Das gesamte Ausmaß dieser unmittelbar und mittelbar durch den Zweiten Weltkrieg ausgelösten Zuwanderung wird daran deutlich, daß das westliche Nachkriegsdeutschland und die Bundesrepublik bis zum Jahr 1990 rund 15 Millionen Flüchtlinge, Vertriebene, Übersiedler und Aussiedler aufgenommen hatte.4 Diesen Personengruppen war bzw. ist es gemeinsam, daß sie in der Bundes1 Vgl. Bundesausgleichsamt, Statistischer Bericht Vt-2/92, 24. Februar 1992; Bundes verwaltungsamt, Jahresstatistik Aussiedler 1992, 22.1.1993; Info-Dienst Deutsche Aussiedler, Nr. 49, Bonn, Januar 1994, S. 15; Info-Dienst Deutsche Aussiedler, Nr. 63, Bonn, Januar 1994, S. 4. Der Ausreiseprozeß der Rußlanddeutschen begann Mitte der fünfziger Jahre (vgl. Tabelle A5 im Anhang). 2 Vgl. ebenda. 3 Vgl. K. J. Bade (Hrsg.), Neue Heimat im Westen. Vertriebene, Flüchtlinge, Aussiedler. Münster 1990, S. 5. Zur Problematik von Flucht und Vertreibung der Deutschen in der unmittelbaren Nachkriegszeit gibt es eine Fülle von Literatur. Eine aktuelle Aufarbeitung dieses Themas findet sich bei W. Benz (Hrsg.), Die Vertreibung der Deutschen aus dem Osten. Ursachen, Ereignisse, Folgen. Frankfurt 1985. 4 Vgl. K. J. Bade, Fremde Deutsche: >Republikflüchtlinge< - Übersiedler - Aussiedler, in: K. J. Bade (Hrsg.) (1992), S. 401-410, hier S. 401. Die Begriffe »Flüchtlinge« und »Vertriebene« werden im Bundesvertriebenengesetz (BVFG) definiert. Vgl. J. Haberland, Eingliederung von Aussiedlern. Sammlung von Texten, die für die Eingliederung von Aussiedlern aus den osteuropäischen Staaten von Bedeutung sind. Leverkusen 1991, S. 101 ff. Für die Bezeichnung »Vertriebene« hat sich seit Beginn der fünfziger Jahre der Begriff »Aussiedler« durchgesetzt, der auch vom Bundesausgleichsamt verwendet wird. Danach sind Aussiedler deutsche Staatsangehörige und deutsche Volkszugehörige, die nach Abschluß der allgemeinen Vertreibungsmaßnahmen die Aussiedlungsgebiete unter dem fortdauernden gegen die deutsche Bevölkerung gerichteten Vertreibungsdruck verlassen haben. Vgl. Bundesausgleichsamt, Statistischer Bericht Vt-2/92, 24. Februar 1992.
4. Kapitel: Rußlanddeutsche in der
undesrepublik Deutschland
republik auf der Basis gesetzlicher Regelungen als Deutsche anerkannt werden. Maßgeblich dafür ist der Artikel 116 Absatz 1 des Grundgesetzes: »Deutscher im Sinne dieses Grundgesetzes ist vorbehaltlich anderweitiger gesetzlicher Regelung, wer die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt oder als Flüchtling oder Vertriebener deutscher Volkszugehörigkeit oder als dessen Ehegatte oder Abkömmling in dem Gebiet des Deutschen Reiches nach dem Stande vom 31. Dezember 1937 Aufnahme gefunden hat.«5
Die Flüchtlings- bzw. Vertriebeneneigenschaft sowie die deutsche Volkszugehörigkeit wird ergänzend durch das Bundesvertriebenengesetz (BVFG §1 und §6) bestimmt.6 Entscheidend für die Regelung des Grundgesetzes ist somit ein Zusammentreffen von deutscher Volkszugehörigkeit und Vertreibungssituation. Aus dieser Konstellation resultiert, daß nur deutsche Volkszugehörige, die in osteuropäischen Staaten leben, in den Genuß dieses Gesetzes kommen. Denn laut BVFG wurden die osteuropäischen Staaten als Gebiete festgeschrieben, in denen die Deutschen in Folge des Zweiten Weltkrieges unter Vertreibungsdruck standen. »Vertriebener ist, wer als deutscher Staatsangehöriger oder deutscher Volkszugehöriger seinen Wohnsitz in den ehemals unter fremder Verwaltung stehenden deutschen Ostgebieten oder in den Gebieten außerhalb der Grenzen des Deutschen Reiches nach dem Gebietsstande vom 31. Dezember 1937 hatte und diesen im Zusammenhang mit den Ereignissen des zweiten Weltkrieges infolge Vertreibung, insbesondere durch Ausweisung oder Flucht, verloren hat.«7
Bis zum Ende des Jahres 1992 wurde generell davon ausgegangen, daß der fortwährende Vertreibungsdruck Ursache der Ausreisebewegung sei. Ein individueller Nachweis der Diskriminierung aufgrund der deutschen Volkszugehörigkeit wurde beim Anerkennungsverfahren für Aussiedler nicht verlangt. Dies hat sich mit dem Kriegsfolgenbereinigungsgesetz, das am 1.1.1993 in Kraft trat, gewandelt
5
Zitiert nach J. Haberland (1991), S. 183. Vgl. J. Haberland (1991), S. 101 ff. Eine Neufassung des BVFG wurde zum 1.1.1993 mit dem Kriegsfolgenbereinigungsgesetz (KfbG) in Kraft gesetzt Der Personenkreis, der nach dem 31. 12. 1992 die Aussiedlungsgebiete im Rahmen des Aufnahme Verfahrens verlassen und den ständigen Aufenthalt im Bundesgebiet genommen hat, erhält nun den Status eines Spätaussiedlers. Dieser entspricht im wesentlichen dem der bisherigen Aussiedler. Vgl. H. Gassner, Die Aussiedlerpolitik der Bundesregierung, in: Sozialer Fortschritt, Nr. 11, November 1992, S. 256-258, hier S. 258. Vgl. auch: Bekanntgabe der Neufassung des Bundesvertriebenengesetzes, in: Info-Dienst Deutsche Aussiedler, Nr. 39, Bonn, Februar 1993, S. 1-33, sowie: Vorläufige Richtlinien zu den Neuregelungen des Bundesvertriebenengesetzes, in: Info-Dienst Deutsche Aussiedler, Nr. 41, Bonn, Mai 1993, S. 1-49. Der Begriff »Spätaussiedler« war bereits in Verbindung mit den Ostverträgen bzw. mit dem Ausreiseprotokoll von Helsinki - vor allem in den Medien - verwendet worden. Vgl. dazu R. Pfundtner, Spätaussiedler Tragödie: Ursachen Folgen Perspektiven. Hannover 1979, S. 22-24. 7 Vgl. Die Neufassung des BVFG §1 (1), in: Info-Dienst Deutsche Aussiedler, Nr. 39, Februar 1993, S.3. 6
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4. Kapitel: Rußlanddeutsche in der
undesrepublik Deutschland
»In ihm ist vorgesehen, daß mit Ausnahme der Deutschstämmigen in der GUS alle Ausreisewilligen aus den Staaten Osteuropas individuell glaubhaft machen müssen, daß sie noch Benachteiligungen ausgesetzt sind, weil sie zur deutschen Volksgruppe gehören ... Die Deutschstämmigen aus den Nachfolgestaaten der Sowjetunion sind von einer derartigen Umkehr der Beweislast ausgenommen, weil in ihrem Fall weiterhin davon ausgegangen wird, daß die Folgen des Zweiten Weltkriegs - wie Verschleppung und staatliche Diskriminierung - noch heute spürbar sind.«8
Diese rechtliche Konstruktion der Anerkennung von Flüchtlingen und Vertriebenen deutscher Volkszugehörigkeit als deutsche Staatsbürger beruht auf der Tradition des »ius sanguinis« und besitzt keine Parallele im Staatsbürgerrecht anderer Nationen.9 Die Aufnahme von deutschstämmigen Aussiedlern hatte unter den Vorzeichen der Ost-West-Konfrontation jedoch auch einen politischen Aspekt, der in den letzten Jahren - mit der Auflösung dieser Konfrontation - an Bedeutung verlor. Aussiedler dienten als Beleg für eine Politik der Unterdrückung in den osteuropäischen Staaten und in der Sowjetunion, der propagandistisch genutzt werden konnte.10 Neben Zuwanderern, die auf der Basis der deutschen Volkszugehörigkeit und der Vertreibungssituation in die Bundesrepublik Deutschland kamen und kommen, gibt es noch weitere Immigrantengruppen (z.B. Arbeitsmigranten oder Asylbewerber), die jedoch im Gegensatz zum vorab genannten Personenkreis erst nach einem langwierigen Verfahren die Möglichkeit haben, deutsche Staatsbürger zu werden.11 In den letzten Jahren wurde vor dem Hintergrund der gestiegenen Zahl von Aussiedlern, Asylbewerbern sowie potentiell Einwanderungswilligen und im Zusammenhang mit bereits seit vielen Jahren in Deutschland ansässigen Ausländern eine sehr kontroverse Debatte über Regelungen der Zuwanderung sowie das Ausländer- und Asylrecht geführt. 12 Diese 8
Vgl. S. Delfs, Heimatvertriebene, Aussiedler, Spätaussiedler. Rechtliche und politische Aspekte der Aufnahme von Deutschstämmigen aus Osteuropa in der Bundesrepublik Deutschland, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, Β 58/93, 26. November 1993, S. 3-11, hier S. 9. 9 In anderen Staaten wie z.B. in Frankreich und den USA wird dagegen das »ius solis«, das heißt eine politische Definition der Staatszugehörigkeit, praktiziert. 10 »Der >Ideologiebezug< der Aussiedleranerkennung zeigt sich auch an der Vorkehrung in § 11 des Bundesvertriebenengesetzes von 1971. Demnach ist von den Rechten und Vergünstigungen des Vertriebenenstatus ausgeschlossen, wer in den kommunistischen Staaten dem herrschenden System erheblich Vorschub geleistet hat oder leistet< oder wer >die freiheitlich demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland einschließlich des Landes Berlin bekämpft hat oder bekämpfte« Vgl. S. Delfs (1993), S. 7. 11 Vgl. z.B. O. Kimminich, Heimat, Zuflucht, Gastland. Menschliches Schicksal im Spiegel des Redits, in: P. Bocklet (Hrsg.), Aussiedler, Gastarbeiter, Asylanten. Zu viele Fremde im Land? Düsseldorf 1990, S. 86-112. 12 Vgl. G. Gugel, Ausländer, Aussiedler, Übersiedler. Fremdenfeindlichkeit in der Bundesrepublik Deutschland. Tübingen 1992; O. Kimminich, Asylgewährung als Rechtsproblem, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, Β 9/92, 21. Februar 1992, S. 3-12. Dabei ist anzumerken, daß die Gesamtzahl der Zuwanderer in den Jahren 1989 und 1990 extrem stark angestiegen war, danach aber wieder abgenommen hatte. Vgl. A. Gieseck / U. Heilemann / H. D. von Loeffelholz, Wirt-
1. Integration unter neuen gesellschaftlichen Vorzeichen
113
Diskussion machte deutlich, daß der Abschottung vor potentiellen Zuwanderern und bereits in Deutschland lebenden Ausländern ein weitaus höheres Gewicht eingeräumt wurde als Überlegungen zur Aufnahme und Integration.13 Nicht selten wurden dabei bereits in Deutschland lebende Ausländer, Aussiedler und Asylbewerber gegeneinander ausgespielt. Dies zeigte sich besonders deutlich an der Debatte um die Veränderung des Grundgesetzartikels 16, Absatz 2 (Asylrecht) und des Grundgesetzartikels 116 (Aufnahme von Aussiedlern).14 Wenn im folgenden der Integrationsprozeß von rußlanddeutschen Aussiedlern nachgezeichnet wird, stehen zwar in erster Linie die besonderen Aufnahmebedingungen und Probleme dieser Personengruppe im Mittelpunkt, es wird aber auch beleuchtet, daß die Integrationssituation Aspekte und Schwierigkeiten aufweist, die Zuwanderungsgruppen generell zu eigen sind.
1. Integration unter neuen gesellschaftlichen Vorzeichen Die Integration von Zuwanderern nahm in der Geschichte der Bundesrepublik einen breiten Raum ein.15 Zunächst waren es Flüchtlinge und Vertriebene, die es aufzunehmen galt, etwas später wurde die Problematik der Integration an Arbeitsmigranten deutlich und seit der Zunahme von Aussiedlern aus Osteuropa sowie der ehemaligen Sowjetunion zeigt sich wiederum, daß bei der Aufnahme größerer Zuwanderungsgruppen spezifische gesellschaftliche Integrationsprobleme entstehen.16
schafts- und sozialpolitische Aspekte der Zuwanderung in die Bundesrepublik, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, Β 7/93,12. Februar 1993, S. 29-41, hier S. 30. 13 Vgl. z.B. K. J. Bade, Maulkörbe zum Thema Einwanderung, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 28.12.1993, S. 6. 14 Vgl. K. J. Bade (Hrsg.), Ausländer - Aussiedler - Asyl in der Bundesrepublik Deutschland (Niedersächsische Landeszentrale für politische Bildung). Bonn/Hannover 1992. 15 Der Integrationsbegriff hat dabei eine Fülle teilweise widersprüchlicher Definitionen erfahren. Vgl. A. Treibel (1990), S. 47 und S. 107. Dennoch wird er im folgenden verwendet, da alternative Vorschläge wie z.B. »Eingliederung« oder »Absorption« mindestens ebenso problematisch erscheinen. 16 Vgl. B. Dietz/ P. Hilkes, Integriert oder isoliert? Zur Situation rußlanddeutscher Aussiedler in der Bundesrepublik Deutschland. München 1994.
8 Dietz
114
4. Kapitel: Rußlanddeutsche in der Bundesrepublik Deutschland
7.7. Integration: eine Begriffsbestimmung Der Begriff Integration bezeichnet im folgenden die Aufnahme von zuwandernden Personen oder Gruppen in die Sozialstruktur eines bestehenden gesellschaftlichen Systems.17 Damit wird Integration sozialstrukturell gefaßt, das heißt es wird die Frage gestellt, in welchem Maße Zuwanderer im Vergleich zu Einheimischen an gesellschaftlichen Gütern teilhaben können.18 Bereits in wissenschaftlichen Arbeiten der frühen fünfziger Jahre wurde darauf verwiesen, daß die Integration von Zuwanderern grundsätzlich alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens umfaßt. So geht zum Beispiel S. N. Eisenstadt davon aus, daß kulturelle, personale und institutionelle Dimensionen der Integration nahezu gleichberechtigt nebeneinanderstehen.19 Häufig ist allerdings zu beobachten, daß die verschiedenen Dimensionen der Integration zeitlich verschoben und teilweise gar nicht errreicht werden. Es greift daher zu kurz, wenn die Integration als gelungen bezeichnet wird, haben die Zuwanderer Wohnraum und Arbeit gefunden. So wesentlich diese Absicherung ist, sie kann dennoch nur als ein Moment der Integration verstanden werden. Wenn die Aufnahme von Zuwanderern nicht auf die Bildung einer Zweiklassengesellschaft hinauslaufen soll, dann umfaßt Integration eine gleichberechtigte Teilhabe am wirtschaftlichen, politischen, gesellschaftlichen und kulturellen Leben im Aufnahmeland, unter Anerkennung der dort für alle verbindlichen Grundrechte. Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, daß Zuwanderungsgesellschaften ebenso wie Zuwanderergruppen im allgemeinen nicht homogen sind, sondern zahlreiche Gegensätze, hierarchische Strukturen und soziale Unterschiede auf-
17 Der Integrationsbegriff wurde in den Sozialwissenschaften vornehmlich im Zusammenhang von Wanderungsbewegungen diskutiert Vgl. z.B. S. N. Eisenstadt, The Absorption of Immigrants. London 1954 sowie M. M. Gordon, Assimilation in American Life. The Role of Race, Religion and National Origins. New York 1964. In Deutschland fand diese Fragestellung mit der Aufnahme von Flüchtlingen und Vertriebenen eine starke Beachtung. Eine Literaturübersicht bietet V. Ackermann, Integration: Begriff, Leitbilder, Probleme, in: K. J. Bade (Hrsg.) (1990), S. 14-26. Die Aufnahme dieser Personengruppen hat Mitte der achtziger Jahre erneut zu einer Diskussion ihrer Integrationsproblematik geführt. Vgl. z.B. F. J. Bauer, Zwischen »Wunder« und Strukturzwang. Zur Integration der Flüchtlinge und Vertriebenen in der Bundesrepublik Deutschland, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, Β 32/87, 8. August 1987, S. 21-33; P. Lüttinger unter Mitwirkung von R. Rossmann, Integration der Vertriebenen. Eine empirische Analyse. Frankfurt/Main, New York 1989. Die Problematik des Integrationsbegriffes wurde auch im Rahmen soziologischer Theorien umfassend diskutiert. Vgl. H.-J. Hoffmann-Nowotny, Soziologie des Fremdarbeiterproblems. Eine theoretische und empirische Analyse am Beispiel der Schweiz. Stuttgart 1973; H. Esser, Aspekte der Wanderungssoziologie. Assimilation und Integration von Wanderern, ethnischen Gruppen und Minderheiten. Eine handlungstheoretische Analyse. Darmstadt 1980. 18 Gesellschaftliche Güter werden hier im weitesten Sinne gefaßt. Das heißt, es werden z.B. auch alltägliche Kommunikationsbeziehungen einbezogen. 19 Vgl. S. N. Eisenstadt (1954), S. 11.
1. Integration unter neuen gesellschaftlichen Vorzeichen
115
weisen. Integration umfaßt in diesem Zusammenhang die »Zutrittschancen« der Immigranten zu den »Statuspositionen der aufnehmenden Gesellschaft.« 20 Es wurde häufig darauf verwiesen, daß bei der Integration von Zuwanderern die zeitliche Dimension eine Rolle spielt. Insbesondere Sequenzmodelle stellten heraus, daß die Integration stufenweise, zum Beispiel durch ethnische Anpassung,21 durch wirtschaftliche Einbindung oder aber durch soziale Kontakte erfolgt 22 Übergreifend hat sich die Hypothese durchgesetzt, daß Integration in den meisten Fällen einen Prozeß über Generationen hinweg darstellt.23 Obschon der zeitliche Verlauf der Integration hier nicht im Mittelpunkt der Betrachtung steht, wird dennoch seine Bedeutung reflektiert und soweit als möglich in die Untersuchung miteinbezogen. Integration ist ein zweiseitiger Vorgang zwischen der Aufhahmegesellschaft und den Migranten. Sowohl die Zuwanderungsgesellschaft als auch die Zuwanderer unterliegen durch den Prozeß der Integration einem soziokulturellen Wandel,24 wobei die Auseinandersetzung mit den neuen gesellschaftlichen Bedingungen für letztere nicht selten einer zweiten Sozialisation gleichkommt. »Die zweite Sozialisation bringt zum Ausdruck, daß die erste Sozialisation nicht einfach abgelegt und gegen eine >neue< ausgetauscht werden kann.«25 Sozialisation ist ein lebenslanger Prozeß, der durch die Migration nicht abgebrochen oder unterbrochen, sondern komplexer wird.
1.2. Zur Integration der Rußlanddeutschen in der Bundesrepublik
In den meisten Fällen stammen Zuwanderer aus Gesellschaften, die sich von deijenigen des Aufhahmelandes unterscheiden und sie gehören einer ethnischen Gruppe an, die dort nicht die Majorität stellt. Bei der Einreise von Aus20
Vgl. P. Lüttinger (1989), S. 44. Vgl. R. E. Park, Race and Culture. Glencoe 1950. 22 Vgl. H. J. Hoffmann-Nowotny / K. O. Hondrich, Zur Funktionsweise sozialer Systeme Versuch eines Resümes und einer theoretischen Integration, in: H. J. Hoffmann-Nowotny / K. O. Hondrich (Hrsg.), Ausländer in der Bundesrepublik Deutschland und in der Schweiz. Segregation und Integration: eine vergleichende Untersuchung. Frankfurt 1982, S. 589-635. 23 Der Faktor »Zeit« kann den Integrationsprozeß allerdings nicht erklären und es ist auch keineswegs generell davon auszugehen, daß im zeitlichen Verlauf Integrationsprobleme tatsächlich gelöst werden. Dies gilt nur unter ganz bestimmten Bedingungen. Vgl. H. Esser, Nur eine Frage der Zeit? Zur Frage der Eingliederung von Migranten im Generationen-Zyklus und zu einer Möglichkeit, Unterschiede hierin theoretisch zu erklären, in: H. Esser / J. Friedrich (Hrsg.), Generation und Identität. Theoretische und empirische Beiträge zur Migrationssoziologie. Opladen 1990, S. 73-100. 24 Vgl. G. Endruweit / G. Trommsdorff (Hrsg.), Wörterbuch der Soziologie. Stuttgart 1989, S. 307. 25 Vgl. A. Treibel (1990), S. 69. 21
8*
116
4. Kapitel: Rußlanddeutsche in der
undesrepublik Deutschland
Siedlern aus Osteuropa und der vormaligen Sowjetunion in die Bundesrepublik ist diese Situation nur teilweise gegeben. Aussiedler kommen aus anderen Gesellschaften, sie sind aber ihrem Selbstverständnis und der gesetzlichen Regelung nach in der Bundesrepublik Deutsche. Dies macht den Aufnahmeprozeß erst möglich und erleichtert ihn auch in manchen Punkten, löst jedoch das Integrationsproblem keineswegs im Vorfeld. Das galt, entgegen mancher optimistischer Einschätzungen, nicht einmal für die Flüchtlinge und Vertriebenen in der unmittelbaren Nachkriegszeit, die noch in weit stärkerem Maße als die Aussiedler heute über eine gemeinsame Sprache, Kultur und einen gemeinsamen sozialen Bezugsrahmen mit dem Aufhahmeland verfügten. 26 Es wurde in dieser Arbeit gezeigt, daß sich die Rußlanddeutschen in der Sowjetunion zu Beginn der neunziger Jahre hauptsächlich durch ein subjektives Zugehörigkeitsgefühl, durch Fremdzuweisung und durch ihre gemeinsamen historischen Erfahrungen als Deutsche definieren, obwohl sie nur noch über geringe deutsche Sprachkompetenz verfügen und ihnen die soziale und kulturelle Entwicklung im Deutschland der Nachkriegszeit fremdblieb. Viele Rußlanddeutsche machen deshalb die Erfahrung, daß sie in der Sowjetunion und deren Nachfolgestaaten als »Deutsche« galten, während sie nach der Ausreise in der Bundesrepublik als »Russen« wahrgenommen werden. Das hat nicht allein mit den fehlenden deutschen Sprachkenntnissen zu tun, sondern läßt sich vor dem Hintergrund erklären, daß die Rüßlanddeutschen in wesentlichen Punkten eine andere Prägung erfuhren als die Deutschen in der Bundesrepublik. In diesem Zusammenhang spielt die sich über zwei Jahrhunderte erstreckende Geschichte der Rußlanddeutschen als Einwanderungsminderheit, was auch ihre besondere sprachliche, kulturelle und religiöse Entwicklung bedingte, eine ebenso wichtige Rolle wie ihre Sozialisation im vormals sowjetischen System. Für den Integrationsprozeß in der Bundesrepublik Deutschland ist diese spezifische Ausgangssituation von großer Bedeutung. Denn unabhängig von der Tatsache, daß Rußlanddeutsche nach ihrer Aufnahme in der Bundesrepublik als deutsche Staatsbürger anerkannt werden, bestehen bezüglich der sprachlichen Ausgangsbedingungen, der Ausbildung, des beruflichen Werdegangs, des religiösen und kulturellen Hintergrundes sowie der Wertorientierung erhebliche Unterschiede zur Bevölkerung in der Bundesrepublik. Dieses Spannungsverhältnis macht deutlich, daß die in Deutschland auf rechtlicher Basis gezogene Trennungslinie zwischen »Ausländern« und »Deutschen« unscharf geworden ist. »Neben einheimischen Deutschen stehen heute in der hier aufgewachsenen oder geborenen zweiten Generation auch einheimische Ausländer, die längst nicht mehr 26 Vgl. P. Lüttinger, Der Mythos der schnellen Integration. Eine empirische Untersuchung zur Integration der Vertriebenen und Flüchtlinge in der Bundesrepublik Deutschland bis 1971, in: Zeitschrift für Soziologie, Heft 1,1986, S. 20-36.
1. Integration unter neuen gesellschaftlichen Vorzeichen
117
Fremde mit deutscher Aufenthaltsgenehmigung sind, sondern, je nach Selbstverständnis, ausländische Inländer oder Deutsche mit fremdem Paß.«27
Daher führt die in einem Gutachten des Instituts der deutschen Wirtschaft geäußerte Einschätzung, daß es wegen der ethnischen Herkunft und Identität der Aussiedler praktisch keine soziokulturellen Integrationsprobleme gäbe, an der tatsächlich vielschichtigen Problematik ihrer Integration vorbei.28 Vor dem Hintergrund der Einwanderungssituation rußlanddeutscher Aussiedler wird deutlich, daß sie hier zunächst eine neue Migrantenminorität darstellen. »Aussiedler tauchen eben nicht - wie aufgrund ihrer Zugehörigkeit zum »deutschen Kulturkreis« gehofft und zum Zwecke der Abgrenzung zu anderen Gruppen (Ausländer, Asylbewerber) häufig unterstrichen wurde - problemlos in die Aufhahmegesellschaft ein. Zwischen Herkunfts- und Aufhahmegesellschaft sind soziokulturelle Differenzen sichtbar geworden, die unter den gegenwärtigen Rahmenbedingungen anscheinend nicht ohne weiteres überbrückbar sind. Der Minderheitenstatus äußert sich jedoch nicht nur in den veränderten Merkmalen, welche die Aussiedler selbst mitbringen, und die eben diese gewachsene soziokulturelle Differenz zur Aufhahmegesellschaft anzeigen, sondern er äußert sich vor allem in der neuen gesellschaftlichen Rolle, die ihnen zugewiesen wird und sich in ihrer sozialen Lage niederschlägt.«29 Auf die letztgenannten Punkte wird im folgenden noch ausführlich eingegangen.
13. Kenntnisse über Deutschland und Erwartungen an die »neue Heimat«
Ein Großteil der Aussiedler aus der vormaligen Sowjetunion kam mit der Erwartung als »Deutsche unter Deutschen zu leben« in die Bundesrepublik und sie brachten gerade im Hinblick auf diese Vorstellung ein idealisiertes Bild der deutschen Gesellschaft mit In den letzten Jahren wird hier von Seiten der Aus27
K. J. Bade, Ausbück: Einheimische Ausländer und fremde Deutsche, in: K. J. Bade (Hrsg.) (1990), S. 150-158, hier S. 152. 28 Vgl. das Gutachten des Instituts der deutschen Wirtschaft, das im Zusammenhang mit der Zuwanderung von Aussiedlern feststellte: »Es entstehen praktisch keine sozio-kulturellen Integrationsprobleme und -folgen.« Institut der deutschen Wirtschaft, Die Integration deutscher Aussiedler - Perspektiven für die Bundesrepublik Deutschland. o.O., o.J., S. 216. 29 Vgl. H.-J. Hofmann, H.-J. Bürkner, W. Heller, Aussiedler - eine neue Minorität. Forschungsergebnisse zum räumlichen Verhalten sowie zur ökonomischen und sozialen Integration. Praxis Kultur- und Sozialgeographie Heft 9, Geographisches Institut der Universität Göttingen, 1992, S. 7; vgl. auch W. Nielke, Die Integration von Aussiedlern als Aufgabe für »Interkulturelle Erziehung« in Berufsbildung und Erwachsenenbildung, in: R. Dobischat/A. Lipsmeier (Hrsg.), Berufliche Umschulung. Konzepte und Erfahrungen beruflicher Qualifizierung mit Aussiedlern aus osteuropäischen Staaten. Zeitschrift für Berufs- und Wirtschaftspädagogik, Beiheft 10, Stuttgart 1992, S. 50-68, hierS. 30.
118
4. Kapitel: Rußlanddeutsche in der
undesrepublik Deutschland
Siedler allerdings eine Einstellungsänderung spürbar. Die erhoffte Rückkehr in die »Heimat« wird häufig von der Furcht überlagert, dort nicht als gleichberechtigte Bürger akzeptiert zu werden. Für Aussiedler aus der vormaligen Sowjetunion gilt aber noch immer, daß die Informationen, die sie über die Bundesrepublik haben, wenig fundiert und besonders im sozialen Bereich und im zwischenmenschlichen Miteinander von Wunschdenken geprägt sind. Dies wurde durch Befragungen von Aussiedlern und von Deutschen, die in der Sowjetunion leben, bestätigt. Über drei Viertel der 1989/90 interviewten Aussiedler und der 1991 befragten Deutschen in der Sowjetunion kannten die Bundesrepublik nur vom Hörensagen.30 Bei beiden Befragungsstudien zeigte sich
Tabelle 13 Einschätzung der befragten Deutschen in der Sowjetunion zur Integration von Aussiediern in der Bundesrepublik (N=1013, in Prozent) Bei der Arbeitssuche gibt es:
ernsthafte Probleme keine ernsthaften Probleme weiß nicht keine Antwort
61,8 12,4 25,4 0,5
Bei der Wohnungssuche gibt es:
ernsthafte Probleme keine ernsthaften Probleme weiß nicht keine Antwort
51,5 21,2 26,2 1,1
Mit den Behörden gibt es:
ernsthafte Probleme keine ernsthaften Probleme weiß nicht keine Antwort
30
17,7 21,3 60,1 0,9
Vgl. B. Dietz, Anders als die anderen. Zur Situation der Deutschen in der Sowjetunion und der deutschen Aussiedler in der Bundesrepublik, in: Osteuropa, Nr. 2, 1992, S. 147-159, hier S. 156-158.
1. Integration unter neuen gesellschaftlichen Vorzeichen
119
übereinstimmend, daß Verwandte und Freunde in der Bundesrepublik die wichtigsten Informationsquellen über das Leben in Deutschland darstellten. Dies ist keineswegs unproblematisch, da es manchen Aussiedlern daran gelegen sein dürfte, ihre Situation in der Bundesrepublik positiv zu schildern, um die eigene Ausreiseentscheidung nicht in Frage zu stellen. Die 1991 in der Sowjetunion befragten Deutschen beurteilten die Aufnahme von Aussiedlern in der Bundesrepublik zurückhaltend. Auf die Frage, ob sie der Ansicht seien, daß Aussiedler aus der UdSSR ernsthafte Probleme bei der Arbeits- und Wohnungssuche oder mit Behörden hätten, überwog eine pessimistische Einschätzung. Diese Einschätzungen zeigen, daß mehr als die Hälfte der befragten Deutschen in der Sowjetunion bei der Arbeits- und Wohnungssuche für Aussiedler Schwierigkeiten antizipierten, während etwa ein Viertel die Situation nicht einzuschätzen vermochte. Bei der Frage nach dem Verhältnis von Aussiedlern zu Behörden offenbarte sich eine relativ große Unsicherheit, was darauf hinweist, daß über dieses Thema in der Sowjetunion wenig bekannt ist. Die meisten Aussiedler aus der vormaligen Sowjetunion wissen, daß sie in ein Land »zurückkehren«, das ihnen fremd sein wird. Dennoch sind sie im allgemeinen bereit, auch Einschränkungen auf sich zu nehmen, um in der Bundesrepublik Fuß zu fassen. Viele Aussiedler aus der ehemaligen UdSSR hegen keine Rückkehrabsichten, was ihre Integrationsbereitschaft erheblich verstärkt.
1.4. Aufnahmebedingungen in der Bundesrepublik
Der Integrationsprozeß der Aussiedler hängt in hohem Maße von den Aufnahmebedingungen der bundesdeutschen Gesellschaft ab. Dabei spielen, neben den wirtschaftlichen und sozialen Ausgangsbedingungen, die rechtliche Stellung der Zuwanderer, die für sie bereitgestellten finanziellen und sozialen Hilfeleistungen und die Haltung der einheimischen Bevölkerung eine wichtige Rolle. In den letztgenannten Punkten drückt sich die »Offenheit« (oder Geschlossenheit) der Zuwanderungsgesellschaft aus, die jedoch keine Konstante ist. »In schlechten Zeiten< mit Arbeitslosigkeit, Wohnungsproblemen, Überlastungen der öffentlichen Haushalte, der Sozialleistungen und der Infrastruktur, kurz dem Kampf um knapper werdende Ressourcen, setzen in MarktgeseUschaften Prozesse der sozialen Schließung gegenüber Minderheiten und Zuwanderern ein; in >guten Zeiten< ist die Offenheit größer.« 31
120
4. Kapitel: Rußlanddeutsche in der
undesrepublik Deutschland
Aussiedler in der Bundesrepublik haben Anspruch auf eine Reihe finanzieller und sozialer Eingliederungshilfen. In den letzten Jahren führte die wachsende Zahl von Aussiedlern im Zusammenhang mit der sich verschlechternden wirtschaftlichen Lage in der Bundesrepublik allerdings dazu, daß diese Hilfeleistungen eingeschränkt wurden.32 Trotz der vorgenommenen Kürzungen haben Aussiedler nach wie vor ein Recht auf staatliche Hilfen bei der Unterbringungung und bei der beruflichen Eingliederung sowie auf finanzielle Unterstützung bei Arbeitslosigkeit und beim Erlernen der deutschen Sprache.33 Darüber hinaus werden soziale Beratung und Betreuung angeboten, wobei sich vor allem die Wohlfahrtsverbände, aber auch Interessensvertretungen von Vertriebenen und Aussiedlern, wie z.B. Landsmannschaften, engagierten. Die Erstgenannten haben inzwischen eine weit über eine Beratungsfunktion hinausgehende Rolle bei der Aufnahme von Aussiedlern übernommen. Sie stellen finanzielle Hilfen und Sachleistungen zur Verfügung, bieten Weiterbildungsmaßnahmen, Sprachkurse sowie Informationsdienste an und organisieren ein breites Spektrum von sozialen und kulturellen Integrationsangeboten.34 Die Wohlfahrtsverbände nehmen in den letzten Jahren eine Schlüsselstellung bei der Integration von Aussiedlern ein, die jedoch vor dem Hintergrund der anstehenden Mittelkürzungen zunehmend in Gefahr gerät. Es wurde bereits darauf hingewiesen, daß die Einstellung der einheimischen Bevölkerung zu den Aussiedlern Einfluß auf deren Integrationsbedingungen nimmt. Während die bundesdeutsche Bevölkerung den Aussiedlern bis gegen Ende der achtziger Jahre relativ offen gegenüberstand, veränderte sich diese Haltung im Zusammenhang mit der verstärkten Zuwanderung von Aussiedlern und den sich immer deutlicher abzeichnenden wirtschaftlichen Schwierigkeiten in der Bundesrepublik.35 Dabei läßt sich feststellen, daß Personen, die in Bera-
31
F. Heckmann (1992), S. 187. Neben den Kürzungen bei der Sprachförderung und den Maßnahmen zur beruflichen Eingliederung sind hier vor allem Streichungen gemeint, die mit dem KfbG durchgesetzt wurden. Damit wurde das Lastenausgleichsgesetz und das Kriegsgefangenenentschädigungsgesetz abgeschafft. Das Häftlingshilfegesetz wurde verändert. Vgl. Info-Dienst Deutsche Aussiedler, Nr. 38, Bonn, Januar 1993, S. 15-39. 33 Vg. T. Conrad, Schwerpunkte der Aussiedlerpolitik in Deutschland, in: K. J. Bade / S. I. Troen (Hrsg.), Zuwanderung und Eingliederung von Deutschen und Juden aus der früheren Sowjetunion in Deutschland und Israel. Bonn 1993, S. 38-48. Die einzelnen Unterstützungsleistungen für Aussiedler vom Wohngeld bis zu Rentenzahlungen sind bei J. Haberland (1991) abgedruckt. Die Veränderungen, die sich infolge des KfbG ergeben, wurden im Info-Dienst Deutsche Aussiedler, Nr. 38, Bonn, Januar 1993, S. 15-39 vorgestellt. 34 Vgl. W. Lanquillon, Die Eingliederung von Aussiedlern und die Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege in Deutschland, in: K. J. Bade / S. I. Troen (Hrsg.) (1993), S. 55-63. 35 Vgl. J. Puskeppeleit, Von der Politik der »nationalen Aufgabe« zur Politik der »Eindämmung der Zu- und Einwanderung und der Konkurrenz- und Neidbewältigung« - Der 32
1. Integration unter neuen gesellschaftlichen Vorzeichen
121
tungs- oder Betreuungsfunktionen direkt m i t Aussiedlern zu tun haben, diesen gegenüber aufgeschlossener sind. Häufig ist das auf eine bessere Kenntnis der Lebensbedingungen und der Geschichte der Aussiedler zurückzuführen. Nach den Ergebnissen
einer Repräsentativbefragung
im
Auftrag
des
Ministeriums für Arbeit, Gesundheit und Soziales i n Nordrhein-Westfalen i m Jahr 1988 war die Grundhaltung der Bevölkerung den Aussiedlern gegenüber zu diesem Zeitpunkt einigermaßen aufgeschlossen
und hilfsbereit. 3 6
Das
drückte sich z u m Beispiel darin aus, daß 73% Prozent der Befragten Aussiedlern persönlich helfen würden, wenn sie dies könnten. A u f der anderen Seite zeichnete sich ab, daß Aussiedler auf dem Arbeits- und Wohnungsmarkt als potentielle Konkurrenten wahrgenommen wurden. »Die soziale und humanitäre Grundsympathie für die Aussiedler kann also relativ rasch in eine ablehnende Haltung umschlagen, wenn durch sie materielle Eigeninteressen berührt werden. Insbesondere eine bevorzugte Behandlung von Aussiedlern - etwa bei der Wohnungszuweisung oder der Vermittlung von Arbeitsplätzen würde wohl das vorhandene Mißtrauen in Ablehnung umwandeln.« 37 Neuere Umfragen belegen diesen antizipierten Umschwung. »Konnten wir in der Repräsentativbefragung von 1988 noch eine sozial und humanitär motivierte Sympathie und Aufgeschlossenheit gegenüber Aussiedlern feststellen, so hat sich diese Grundhaltung 1992 eindeutig zum negativen verändert.« 38 D i e Vorstellung, daß Aussiedler materiell bevorzugt werden oder daß sie den ökonomischen Status der einheimischen Bevölkerung gefährden könnten, ist inzwischen relativ weit verbreitet. 3 9 »Aussiedler wie auch andere Zuwanderergruppen werden offensichtlich zunehmend als Bedrohung der eigenen Zukunftsperspektive und des eigenen Lebensstandards
Wandel der Aussiedlerpolitik, in J. Puskeppeleit (Hrsg.), Migration und Bildungswesen: Aussiedler in der Bundesrepublik - deutsche Minderheit in Osteuropa. Münster 1992 (Interkulturelle Studien, 20), S. 1-30. 36 Vgl. Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen (1988), S. 3. Dies ergab auch eine bundesweite Repräsentativumfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach. Vgl. G. Herdegen, Aussiedler in der Bundesrepublik Deutschland. Einstellungen und Problemsicht der Bundesbürger, in: Deutschland Archiv, Nr. 8,1989, S. 912-924. 37 Vgl. Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen (1988), S. 3. 38 Vgl. Polis, Gesellschaft für Politik- und Sozialforschung mbH, Einstellung zu Aussiedlern. Ergebnisse einer Repräsentativbefragung im Februar/März 1992. Eine Untersuchung im Auftrag des Ministers für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen. München 1992, S. 3. 39 Vgl. Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen, Ausländer, Aussiedler und Einheimische als Nachbarn. Ermittlung von Konfliktpotentialen und exemplarischen Konfliktlösungen im nachbarschaftlichen Zusammenleben von Ausländern, Aussiedlern und Einheimischen, erarbeitet von der Forschungsgruppe Kommunikation und Sozialanalysen GmbH, FOKUS, Wuppertal 1992, S. 106 ff.
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4. Kapitel: Rußlanddeutsche in der
undesrepublik Deutschland
erlebt ... - möglicherweise ist das Solidaritätspotential der Menschen durch die Vereinigung von Ost- und Westdeutschland erschöpft.« 40
Die Integrationsbedingungen rußlanddeutscher Aussiedler verschlechterten sich somit deutlich: die sozialen und finanziellen Eingliederungsmaßnahmen wurden stark gekürzt und die Haltung der bundesdeutschen Bevölkerung den Aussiedlern gegenüber nahm ablehnende Züge an. Dies ist zu einem Zeitpunkt, da rußlanddeutsche Aussiedler von ihren soziokulturellen Ausgangsbedingungen her im Grunde besondere Hilfestellungen benötigen, äußerst problematisch.
2. Zur beruflichen Integration rußlanddeutscher Aussiedler Der berufliche Einstieg in der Bundesrepublik Deutschland stellt für erwerbsfähige Aussiedler aus der vormaligen Sowjetunion und deren Familien einen wichtigen Schritt dar, in dieser Gesellschaft Fuß zu fassen. Von entscheidender Bedeutung für die berufliche Integration sind die jeweiligen wirtschaftlichen Gegebenheiten in der Bundesrepublik - die Arbeitsmarktsituation sowie die Eingliederungsbedingungen - , aber auch der soziodemographische Hintergrund und die Gesamtzahl der einreisenden Aussiedler spielen eine wesentliche Rolle. Beide Faktoren, sowohl die gesellschaftlichen als auch die individuellen, unterlagen in den letzten Jahren einschneidenden Veränderungen. Es hat sich generell gezeigt, daß rußlanddeutsche Aussiedler vielfach Schwierigkeiten bei der Anerkennung ihrer beruflichen Qualifikation haben und daß sie mit den Mechanismen des bundesdeutschen Arbeitsmarktes nicht vertraut sind.41 Hinzu kommen große sprachliche Defizite; zudem bringen erwerbstätig gewesene Aussiedler in den wenigsten Fällen in ihren ausgeübten Berufen Erfahrungen mit, die am bundesdeutschen Arbeitsmarkt unmittelbar verwertbar sind. Daher stellte die Qualifizierungspolitik der Bundesregierung, wie zum Beispiel die Unterstützung beim Spracherwerb sowie die Möglichkeiten der beruflichen Umschulung und Weiterbildung, eine erhebliche Hilfe40
Vgl. Polis (1992), S. 3. Dies gilt im Grunde für alle Aussiedler, unabhängig vom Herkunftsland. Es ist ohnehin bei zahlreichen statistischen Angaben zur soziodemographischen Struktur und zur Situation der Aussiedler nicht möglich, diese nach Herkunftsländern zu unterscheiden, da die offiziellen Statistiken in der Bundesrepublik keine entsprechenden Daten enthalten. Daher wird im folgenden bei allgemeinen Aussagen auf die Gesamtheit der Aussiedler Bezug genommen. Auf der Basis von Befragungen rußlanddeutscher Aussiedler ist es jedoch möglich, deren besondere Situation zu beleuchten. 41
2. Zur beruflichen Integration rußlanddeutscher Aussiedler
123
Stellung bei der beruflichen Integration rußlanddeutscher Aussiedler dar. Diese wurde in den letzten Jahren allerdings Schritt für Schritt abgebaut.42 Aber selbst eine großzügige Unterstützung der beruflichen Eingliederung und Weiterbildung erhöht nicht notwendig die Chancen der Aussiedler auf dem Arbeitsmarkt. Von primärer Bedeutung ist die gesamte wirtschaftliche Lage und die Arbeitsmarktsituation, die in der Bundesrepublik lange Jahre die berufliche Integration von Aussiedlern erleichterte. Seit 1992 hat sich die Arbeitsmarktsituation in der Bundesrepublik verschlechtert Hohe Arbeitslosigkeit und strukturelle Veränderungen erschweren die berufliche und wirtschaftliche Integration von Aussiedlern. »Die Integration ... verläuft in Zeiten wirtschaftlicher Prosperität und der Teilhabe aller gesellschaftlicher Gruppen an der allgemeinen Wohlstandssteigerung relativ problemlos. Erheblich sind jedoch oft die Zerreißproben und Belastungen gesellschaftlicher Integrationskapazitäten in Zeiten wirtschaftlicher Depression, einer damit verschärften Konkurrenzsituation auf dem Arbeitsmarkt und im Zugang zu Ressourcen und einem damit verbundenen Wechsel von universalistischen zu parükularistischen Kriterien bei der Statuszuweisung.«43
2.1. Stationen der beruflichen Integration
Die meisten rußlanddeutschen Aussiedler, die in der vormaligen Sowjetunion beschäftigt waren, wollen auch nach ihrer Ausreise wieder eine Tätigkeit aufnehmen, wenn sie dann nicht bereits das Rentenalter erreicht haben.44 Unter den berufstätig gewesenen Frauen, deren Anteil - wie generell in der vormaligen Sowjetunion - hoch war, gibt es jedoch einige, die in der Bundesrepublik aus dem Arbeitsleben ausscheiden und sich als Hausfrauen um ihre zumeist großen Familien kümmern. In einigen Fällen handelt es sich um die bewußte Entscheidung einzelner Aussiedlerinnen, meistens sind es aber die Probleme
42 Mit den letzten Änderungen des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG § 62a ff.), die vom 1.1.1993 an gelten, wurden die Eingliederungsleistungen erheblich reduziert Die Anspruchsdauer für Unterhaltsleistungen sank von 12 auf 9 Monate. Aussiedler, die an Sprachförderungsmaßnahmen teilnehmen, können nochmals für höchstens sechs Monate unterstützt werden. Bei der Teilnahme von Aussiedlern an beruflichen Qualifizierungsmaßnahmen wird nun keine Eingliederungshilfe mehr gewährt. Unter bestimmten Bedingungen können Aussiedler zwar eine Erstattung der Maßnahmekosten erhalten, der Lebensunterhalt muß jedoch, wenn keine eigenen Mittel vorhanden sind, aus der Sozialhilfe (die niedriger als die Eingliederungshilfe ist) gedeckt werden. Vgl. B. Koller, Integration oder Ausgrenzung? - Arbeitsmarktsituation für (junge) Aussiedlerinnen, in: Jugend Beruf Gesellschaft, Zeitschrift für Jugendsozialarbeit, Nr. 3,1993b, S. 154-163. 43 Vgl. P. Lüttinger (1989), S. 37. 44 Die Erwerbsquote von Aussiedlern lag nach den Daten des Bundesausgleichsamtes in den letzten Jahren im Schnitt bei ca. 50%.
124
4. Kapitel: Rußlanddeutsche in der
undesrepublik Deutschland
des Arbeitsmarktes, die sie in die Rolle der Hausfrau drängen.45 Aus mehreren Gründen sind rußlanddeutsche Aussiedlerinnen auf dem bundesdeutschen Arbeitsmarkt in einer besonders ungünstigen Position: sie haben Schwierigkeiten, während der Arbeitszeit eine entsprechende Kinderbetreuung zu finden46; oft konnten sie - ebenfalls wegen mangelnder Kinderbetreuung - die Sprachkurse nicht kontinuierlich besuchen, was ihre Einstiegsbedingungen ebenfalls verschlechterte; zudem waren sie zu einem hohen Anteil in Dienstleistungsberufen tätig, die hier für rußlanddeutsche Aussiedlerinnen, aufgrund der benötigten Sprachkenntnisse und des gesellschaftlichen sowie wirtschaftlichen Hintergrundwissens, besonders schwer zugänglich sind.47 Im Gegensatz zu Arbeitsmigranten kommen rußlanddeutsche Aussiedler ohne einen Arbeitsvertrag in die Bundesrepublik, wo ihnen allerdings für eine gewisse Zeit finanzielle Eingliederungshilfen und Unterstützungen zum beruflichen Einstieg zur Verfügung stehen. Um diese Leistungen zu erhalten, müssen sich Aussiedler, die in der vormaligen Sowjetunion berufstätig waren und die in Deutschland erneut eine Beschäftigung anstreben, arbeitslos melden und Eingliederungshilfe beantragen.48 Je nach ihren individuellen Voraussetzungen und Tätigkeitsbereichen sind sie bei der Suche nach einem entsprechenden Arbeitsplatz mit folgenden Problemen konfrontiert: der Anerkennung ihrer beruflichen Qualifikation, dem Erwerb der nötigen Sprachkenntnisse und eventuell der Teilnahme an einer Fortbildung oder Umschulung. Die formale Anerkennung der beruflichen Qualifikation bringt eine Reihe von Schwierigkeiten mit sich, da Ausbildungsinhalte und fachliche Qualifikationsanforderungen in der vormaligen Sowjetunion und in der Bundesrepublik Deutschland sehr unterschiedlich sind. Aufgrund dieser Divergenzen wird die berufliche Qualifikation rußlanddeutscher Aussiedler hier nicht immer anerkannt.49 Die Berufsaufhahme rußlanddeutscher Aussiedler hat in den meisten Fällen die Teilnahme an einem Sprachkurs zur Voraussetzung. Darauf weisen sowohl 45 Vgl. Polis, Gesellschaft für Politik- und Sozialforschung mbH, Aussiedler Monitor qualitativ. Biographien von Aussiedler-Familien. Phase II: Zwischenbilanz. Eine Untersuchung im Auftrag des Ministers für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen. München 1990, S. 125 ff; B. Koller, Aussiedler nach dem Deutschkurs: Welche Gruppen kommen rasch in Arbeit? In: Mitteilungen aus der Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, Nr. 2, 1993a, S. 207-221, hier S. 214 ff. 46 In der Sowjetunion gab es dieses Problem nicht. Die Kinderbetreuung war bereits für Kleinkinder garantiert. 47 Vgl. B. Koller (1993b), S. 158. 48 Hier handelt es sich um ein in der Höhe pauschaliertes Arbeitslosengeld, das von der Bundesanstalt für Arbeit bezahlt und durch das Arbeitsförderungsgesetz (§ 62a ff.) geregelt wird. 49 Zu den Kriterien und Problemen der Anerkennung der beruflichen Qualifikation von Aussiedlern vgl. H. Göring, Qualifikationsvoraussetzungen und -erwartungen von Aussiedlern, in: H.P. Baumeister (Hrsg.) (1991), S. 120-130.
2. Zur beruflichen Integration rußlanddeutscher Aussiedler
125
die Resultate einer 1990 durchgeführten Befragung rußlanddeutscher Aussiedler zu ihren Integrationsproblemen in der Bundesrepublik hin, als auch die neuesten Ergebnisse aus der Arbeitsmarkt- und Berufsforschung. Unter den interviewten erwerbstätigen Aussiedlern aus der Sowjetunion, die zwischen 1975 und 1985 in die Bundesrepublik gekommen waren, hatten 85% einen Sprachkurs besucht. Auch in den neunziger Jahren wird für die Gesamtheit der Aussiedler im erwerbsfähigen Alter damit gerechnet, daß 80% unter ihnen einen Deutschkurs benötigen.50 Die Teilnahme an einem Sprachkurs wurde Ende der 80er Jahre maximal 10 Monate, seit Juli 1991 acht Monate und seit dem 1.1.1993 nur noch sechs Monate gefördert. Dies ist eine für die berufliche wie für die gesellschaftliche Integration äußerst problematische Entwicklung, da sich die Sprachkompetenz der neuankommenden rußlanddeutschen Aussiedler in den letzten Jahren verschlechtert hat. Die Auswirkungen dieser Kürzungen sind weitreichend: »beschränkte berufliche Möglichkeiten, beschränkte Möglichkeiten der Teilnahme am kulturellen Leben und Beschränkung der sozialen Kontakte auf die eigene Herkunftsgruppe.« 51 In diesem Zusammenhang wird die zwiespältige Situation rußlanddeutscher Aussiedler - Deutsche ohne ausreichende deutsche Sprachkenntnisse zu sein - ein weiteres Mal offenkundig. Es wurde häufig darauf hingewiesen, daß fast alle bereits erwerbstätig gewesenen Aussiedler eine berufliche Qualifizierung durchlaufen müßten, um auf dem bundesdeutschen Arbeitsmarkt konkurrenzfähig zu sein. »Das können Anpassungsqualifizierungen sein, um das deutsche Niveau des ausgeübten Berufes zu erreichen; das können erhebliche Weiterbildungen oder zusätzliche Qualifizierung sein, wenn das Berufsbild in der Bundesrepublik sich wesentlich von dem in der früheren Heimat unterscheidet. Und das kann auch das Erlernen eines neuen Berufes durch eine Ausbildung oder eine Umschulung sein.«52
Diese Forderungen wurden zeitweise eingelöst und erwiesen sich für zahlreiche Aussiedler als eine wichtige Hilfestellung. So kam eine Analyse, die dem Verbleib von Aussiedlern und Einheimischen im Anschluß an Fortbildungs- und Umschulungsmaßnahmen nachging, zu dem Schluß, daß Aussiedler - insbesondere Männer - , die an Weiterbildungsmaßnahmen teil-
50 Vgl. B. Koller / E. Nagel / D. Blaschke, Zur beruflichen Integration von Aussiedlerinnen Verlauf und Probleme, in: R. Dobischat / A. Lipsmeier (Hrsg.) (1992), S. 9-24, hier S. 12. 51 Vgl. B. Koller, Aussiedler in Deutschland. Aspekte ihrer sozialen und beruflichen Eingliederung, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, Β 48/93, 26. November 1993c, S. 12-22, hier S. 15. 52 Vgl. K. Leciejewski, Zur wirtschaftlichen Eingliederung der Aussiedler, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B3/90, 12. Januar 1990, S. 52-62, hier S. 59.
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4. Kapitel: Rußlanddeutsche in der
undesrepublik Deutschland
genommen hatten, zu einem hohen Anteil in Beschäftigung kamen.53 Seit dem Beginn des Jahres 1993 müssen Aussiedler jedoch in fast allen Fällen selbst für die Finanzierung von Anpassungsqualifikationen und Weiterbildungsmaßnahmen aufkommen, was die Teilnahmemöglichkeit erschwert.
2.2. Individuelle Faktoren der Arbeitsmarktintegration
Wie gut die berufliche Integration gelingt, ist - neben den Bedingungen des Arbeitsmarktes - hauptsächlich von individuellen Faktoren abhängig, wie z.B. dem Lebensalter, der beruflichen Qualifikation, der Motivation und der Mobilität der arbeitsuchenden Aussiedler.54 Bei der Arbeitsfmdung spielen aber auch »gruppenspezifische« Elemente wie z.B. die besondere Qualifizierungspolitik für Aussiedler und der sogenannte »Aussiedlerbonus« eine Rolle, das heißt ihr Ruf, als Arbeitnehmer besonders fleißig und zuverlässig zu sein, der auch mit ihrer Bereitschaft verknüpft ist, unterhalb ihrer Qualifikation zu arbeiten. Vor dem Hintergrund der Arbeitsmarktsituation in der Bundesrepublik gilt generell, daß es ältere Arbeitnehmer schwerer haben, eine Tätigkeit zu finden, als jüngere. Für Aussiedler trifft dies in besonderem Maße zu, da viele Betriebe nicht bereit sind, notwendige Einarbeitungsphasen auch für ältere Arbeitnehmer in Kauf zu nehmen.55 Ältere Aussiedler mit einer hohen Qualifikation z.B. Akademiker - haben in den meisten Fällen besonders große Probleme, eine entsprechende Arbeit zu finden. Nach den bisherigen Erkenntnissen fällt es aber auch jungen Aussiedlern, die im Herkunftsland noch keine Berufserfahrung gesammelt haben und die in der Bundesrepublik erstmals mit der Berufsaufnahme konfrontiert werden, nicht leicht, sich in der bundesdeutschen Arbeitswelt zu orientieren. Besonders gilt dies für ihre langfristige Berufsperspektive. Häufig tendieren sie aufgrund der vorhandenen materiellen Schwierigkeiten in ihren Familien und der eigenen Konsumwünsche zu einer schnellen Arbeitsaufnahme. »Die Gefahr der langfristigen Dequalifizierung mit ihren belegten negativen Folgen für die eigenen Chancen auf dem zukünftigen Arbeitsmarkt werden von den jungen Aussied-
53
B. Koller (1993c), S. 18. Vgl. H.-P. Klös, Integration der Einwanderer aus Ost-/Südosteuropa in den deutschen Arbeitsmarkt, in: Sozialer Fortschritt, Heft 11,1992, S. 261-270. 55 Vgl. D. Blaschke, Sozialbilanz der Aussiedlung in den 80er und 90er Jahren, in: H.-P. Baumeister (Hrsg.) (1991), S. 35-77, hier S. 58. 54
2. Zur beruflichen Integration rußlanddeutscher Aussiedler
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lerinnen und Aussiedlern meist unterschätzt.«56 Eine großangelegte Studie zur Situation jugendlicher Aussiedler57 ergab bereits für den Anfang der achtziger Jahre, daß eine formale berufliche Qualifikation für jugendliche Aussiedler nicht immer ausreicht, um auf dem Arbeitsmarkt zu bestehen. »Wenn eine Benachteiligung von Aussiedler-Jugendlichen konkret gefaßt werden soll, dann erst auf der Ebene der Erwerbstätigkeit in Konkurrenz mit formal gleichgestellten einheimischen Jugendlichen, wo sie dann häufig abgedrängt in >Ausweichposiüonen< (Hilfsarbeit) anzutreffen sind.«58
Dennoch bleibt die Ausbildung, insbesondere die betriebliche Berufsausbildung, eine echte Alternative zur schnellen Arbeitsaufnahme als ungelernte oder angelernte Kraft. Dies ist derzeit auch eine realisierbare Möglichkeit, da es für Aussiedler-Jugendliche kaum Probleme gibt, eine betriebliche Berufsausbildung zu beginnen, falls sie dies wünschen.59 Hier werden allerdings ausreichende deutsche Sprachkenntnisse vorausgesetzt. Die Berufsausbildung und die beruflichen Erfahrungen der bereits erwerbstätig gewesenen Aussiedler werden auf dem bundesdeutschen Arbeitsmarkt häufig nicht ohne eine zusätzliche Qualifikation akzeptiert Es kann zwar besonders im Falle rußlanddeutscher Aussiedler davon ausgegangen werden, daß viele unter ihnen eine Dequalifizierung in Kauf nehmen, daß aber gerade solche Arbeitnehmer, die in der Sowjetunion einen qualifizierten Beruf ausgeübt haben, diesen auch in der Bundesrepublik wieder ergreifen möchten. Das legen zumindest die Ergebnisse der 1989/90 durchgeführten Befragung von rußlanddeutschen Aussiedlern nahe. »Bei einer genaueren Analyse der Beruf s Vorstellungen zeigt sich, daß viele der befragten Aussiedler Tätigkeiten annehmen wollen, deren Qualifikationsanforderungen, zumindest nach sowjetischen Verhältnissen, niedriger sind als im ausgeübten Beruf. Es gibt aber auch eine Reihe von Personen, gerade solche mit qualifizierter Ausbildung, wie z.B. Ärzte, Lehrer und Verwaltungskräfte, die zu einem hohen Prozentsatz wieder in ihrem Beruf arbeiten wollen.«60
Je nach dem beruflichen Hintergrund sind die Schwierigkeiten des Einstiegs in die bundesdeutsche Arbeitswelt und die Anforderungen dabei unterschiedlich. Eine wesentliche Voraussetzung für den beruflichen Start, noch stärker allerdings für eine berufliche Integration auf längere Sicht, sind deutsche 56
Vgl. G. Bonifer-Dörr, Auf der Suche nach einer anderen Zukunft. Junge Aussiedlerinnen und Ausiedler in Ausbildung und Beruf. Materialien und Praxisberichte zu Ausbildung und Arbeit von Jugendlichen. Band 13, Heidelberg 1990, S. 28. 57 Vgl. L. Kossolapow, Aussiedler-Jugendliche. Ein Beitrag zur Integration Deutscher aus dem Osten. Weinheim 1987. 58 Vgl. L. Kossolapow (1987), S. 75. 59 Vgl. B. Koller (1993b), S. 162. 60 Vgl. B. Dietz(1991), S. 26.
128
4. Kapitel: Rußlanddeutsche in der
undesrepublik Deutschland
Sprachkenntnisse. Die Anforderungen sind dabei umso höher, je qualifizierter die Tätigkeiten sind. Die Verschiedenheit des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Systems in der Bundesrepublik und der vormaligen Sowjetunion sowie der in vielen Bereichen unterschiedliche technische Entwicklungsstand bringt es mit sich, daß für zahlreiche Berufe, vor allem im Wirtschafts- und Verwaltungsbereich, aber auch bei technischen Berufen und bei qualifizierten handwerklichen Tätigkeiten, ein anderes Know-how benötigt wird. Neben hochqualifizierten haben aber auch ungelernte Arbeitskräfte langfristig gesehen ungünstige Perspektiven auf dem Arbeitsmarkt Bereits Ende der achtziger Jahre stellten die Ungelernten unter den arbeitslosen Aussiedlern einen außerordentlich hohen Anteil.61 Dabei wird sich die Zahl der Arbeitsplätze, die Ungelernten zur Verfügung steht, künftig noch drastisch verringern. Neuankömmlinge haben es dann besonders schwer. Ein weiteres Hindernis bei der beruflichen Integration rußlanddeutscher Aussiedler stellt die Tatsache dar, daß diese nur in geringem Maße räumlich mobil sind. Nach ihrer Ausreise versuchen die meisten dorthin zu ziehen, wo bereits ihre Verwandten oder Bekannten leben, nicht aber wo die Arbeitsplatzsituation am günstigsten ist. Einem späteren Wohnortwechsel zur Arbeitsaufnahme stehen häufig die starken familiären Bindungen entgegen. Aus dem Zusammenspiel der oben ausgeführten Probleme gelingt es einer ganzen Reihe von rußlanddeutschen Aussiedlern nicht mehr, wieder in ihrem vormals ausgeübten Beruf tätig zu werden. Die meisten reagieren darauf relativ flexibel und nehmen - ungeachtet ihrer Vorkenntnisse - die Tätigkeiten an, die ihnen angeboten werden. Hierbei spielt auch die traditionell hohe Wertschätzung der Arbeit bei den Rußlanddeutschen eine Rolle. Um möglichst schnell eine Arbeit aufnehmen zu können, akzeptieren sie eine Dequalifizierung. Damit setzt sich ein Prozeß durch, der in manchen Aspekten einer »Unterschichtung« gleicht. »Unterschichtung« drückt aus, daß Zuwanderer vornehmlich in die unteren Positionen der Beschäftigungsstruktur eintreten und eine neue soziale Schicht unter der Schichtstruktur des Einwanderungskontextes bilden.62 Letzteres kann im Falle der Aussiedler jedoch nicht nachgewiesen werden. Bei der beruflichen Integration von Aussiedlern zeigen sich Unterschichtungstendenzen vielmehr darin, daß sie häufig untere Positionen, unabhängig von ihrer vormaligen Ausbildung und Berufserfahrung, besetzen.63
61 Unter den arbeitslosen Aussiedlern hatten 47% keinen Berufsabschluß. Vgl. Informationen für die Beratungs- und Vermittlungsdienste der Bundesanstalt für Arbeit, Nr. 26, 1989, S. 242. 62 Vgl. H.-J. Hoffmann-Nowotny, (1974), S. 52. 63 Vgl. P. Lüttinger (1989), S. 51.
2. Zur beruflichen Integration rußlanddeutscher Aussiedler
129
2.3» Probleme und Chancen auf dem Arbeitsmarkt
Vom Anfang der siebziger bis zum Beginn der neunziger Jahre läßt sich feststellen, daß die berufliche Integration von Aussiedlern in dem Sinne gut gelang, daß viele unter ihnen eine Arbeit aufnehmen konnten und daß sie diese trotz teilweiser Dequalifizierung auch akzeptierten64. In dieser Zeitspanne begünstigte die staatliche Eingliederungspolitik und die Arbeitsmarktsituation die berufliche Integration von Aussiedlern. Letzteres hatte unter anderem damit zu tun, daß die Aussiedler zu einem höheren Anteil als die Beschäftigten in der Bundesrepublik in Fertigungsberufen arbeiteten, während sie bei den Dienstleistungsberufen vergleichsweise unterrepräsentiert waren. Sie kamen damit einer vorhandenen Nachfrage nach Arbeitnehmern mit Fertigungsberufen entgegen, die von bundesdeutscher Seite nicht entsprechend gedeckt war. Zudem erfolgte der sprunghafte Anstieg von Aussiedlern erst im Jahre 1987, als sich die Arbeitsmarktentwicklung vergleichsweise positiv für diesen Zuwachs gestaltete.65 Dennoch war die Zahl der arbeitslosen Aussiedler seit dem Ende der achtziger Jahre hoch und ihre Arbeitslosenquote überstieg allen Einschätzungen nach diejenige der bundesdeutschen Beschäftigten beträchtlich.66 Somit galten Aussiedler, seit ihre Zahl stark angestiegen war, durchaus als mögliche Problemgruppe auf dem Arbeitsmarkt. Bemerkenswerterweise wurde seit diesem Zeitpunkt die Aufnahme von Aussiedlern in mehreren Untersuchungen unter dem Gesichtspunkt einer Kosten-Nutzen-Analyse diskutiert.67 Als Argu64 Im Jahr 1992 stellte H.-P. Klös fest: »Auch wenn dieses Grundbild deutliche regionale und qualifikatorische Eintrübungen aufweist, so kann doch insgesamt ... konstatiert werden, daß durch eine außerordentlich gute Beschäftigungsbilanz und dank einer arbeitsmarktpolitischen Kraftanstrengung die Integration von ca. 1,2 Millionen Zuwanderern aus Osteuropa in den westdeutschen Arbeitsmarkt bisher ohne irreparable soziale Verwerfungen gelungen zu sein scheint«. Vgl. H.-P. Klös, Integration der Migranten aus Mittel- und Osteuropa in den westdeutschen Arbeitsmarkt. Überarbeitetes Manuskript eines Vortrages an der Universität Münster anläßlich einer Konferenz zur Ost-West-Migration im Mai 1992. 65 Allerdings gab es bereits zur damaligen Zeit eine Vielzahl von Schwierigkeiten bei der Integration von Aussiedlern in die bundesdeutsche Arbeitswelt. Vgl. z.B. S. Wahl, Zuwanderung von Aussiedlern in der Kurz- und Langfristperspektive, in: Informationen zur Raumentwicklung, Heft 5, 1989, S. 315-321. 66 Genaue Zahlen dazu gibt es nicht. Zwar sind die arbeitslosen Aussiedler in der deutschen Arbeitsmarktstatistik aufgeführt, nicht aber die zur Berechnung der Arbeitslosenquote erforderliche Bestandszahl der als Arbeitnehmer tätigen Aussiedler. H. Heischer / H. Proebsting haben als Hilfskonstruktion den Anteil der arbeitslosen Aussiedler an der Gesamtzahl der deutschen Arbeitslosen mit dem Anteil der Aussiedler (Gesamtzahl der in den letzten zehn Jahre registrierten Personen) an der deutschen Bevölkerung verglichen. Auf der Basis dieses Vergleichs kamen sie zu dem Ergebnis, daß die Arbeitslosenquote der Aussiedler wesentlich höher sein müßte, als die der deutschen Bevölkerung. Vgl. H. Fleischer / H. Proebsting, Aussiedler und Übersiedler - zahlenmäßige Entwicklung und Struktur, in: Wirtschaft und Statistik, Nr. 9, 1989, S. 582-589, hier S. 586. 61 Vgl. Institut der Deutschen Wirtschaft (o.J.); vgl. auch G. Buttler / H. Winterstein / N. Jäger, Aussiedler - Ein Gewinn oder Verlust für das System der sozialen Sicherung? In: Arbeit- und
9 Dietz
1 3 0 4 .
Kapitel: Rußlanddeutsche in der
undesrepublik Deutschland
ment für die Akzeptanz ihrer Zuwanderung wurde aufgeführt, daß sie zur Verjüngung der Altersstruktur der bundesdeutschen Bevölkerung beitrügen und damit die künftigen Renten mitabsicherten68 sowie, daß sie zur Deckung des künftigen Arbeitskräftebedarfs beitragen könnten. Eine in dieser Hinsicht besonders optimistische Analyse wurde vom Institut der deutschen Wirtschaft vorgelegt.69 Aber selbst diese Untersuchung ging kurzfristig von massiven Schwierigkeiten der Aussiedler bei der Arbeitsaufnahme aus (»Aussiedlerstau« auf dem Arbeitsmarkt), rechnete aber langfristig mit ihrer beruflichen Etablierung und mit positiven Impulsen für den Arbeitsmaikt. Damit war erstens gemeint, daß die Zuwanderung von Aussiedlern eine expansive Beschäftigungsentwicklung stützen würde. Zweitens wurde erwartet, daß die Aussiedler aufgrund ihrer günstigen Altersstruktur den aus damaliger Sicht in den neunziger Jahren anstehenden Arbeitskräftemangel zumindest teilweise kompensieren könnten.70 Diese optimistischen Prognosen erfüllten sich aufgrund der wirtschaftlichen und politischen Veränderungen (deutsche Wiedervereinigung, konjunkturelle Probleme auf dem Weltmarkt) nicht, was darauf verweist, wie wesentlich die jeweilige gesamtwirtschaftliche Situation für die berufliche Integration von Zuwanderern ist. Die Arbeitsmaiktsituation in der Bundesrepublik hat sich seit Beginn des Jahres 1992 insgesamt gesehen außerordentlich verschlechtert,71 was die Berufsaufhahme der rußlanddeutschen Aussiedler erschwert. Zudem schlugen die Kürzungen der Eingliederungsmaßnahmen negativ zu Buche. Bei der bundesdeutschen Beschäftigungsentwicklung ging die Nachfrage nach Ferügungsberufen - Tätigkeiten im Baugewerbe ausgenommen - deutlich zurück, während sie im Dienstleistungsbereich noch etwas expandierten. Diese Entwicklung ist für rußlanddeutsche Aussiedler ungünstig, da sie noch immer zu einem höheren Prozentsatz in Fertigungsberufen 72 gearbeitet haben als die Sozialpolitik, Nr. 8/9, 1989, S. 232-237 sowie G. Barabas/A. Gieseck/U. Heilmann/H. D. von Loeffelholz, Gesamtwirtschaftliche Effekte der Zuwanderung 1988 bis 1991, in: RWI-Mitteilungen, Heft 2,1992, S. 133-155. 68 Es wurde allerdings auch darauf hingewiesen, daß dieser Prozeß nur begrenzt wirksam ist. »Es ist aber nicht möglich, über Außenwanderungsgewinne eine Umkehrung des Alterungsprozesses zu erwirken. Langfristig ist Zuwanderung somit kein Allheilmittel zur Sanierung der deutschen Sozialversicherung.« Vgl. G. Barabas / A. Gieseck / U. Heilmann / H. D. von Loeffelholz (1992), S. 153. 69 Vgl. Institut der Deutschen Wirtschaft (o.J.). 70 Diese Auswirkung der Zuwanderung war jedoch in ihrem Ausmaß immer umstritten. Vgl. B. Hof, Von der Wucht des demographischen Prozesses, in: Süddeutsche Zeitung, 9./10.2.1991, S. 21. 71 Vgl. Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung, Der Arbeitsmarkt in Deutschland, in: Wochenbericht 5-6/92, 30. Januar 1992, S. 49-57; Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung, Sinkende Beschäftigung und steigende Arbeitslosigkeit in Deutschland, in: Wochenbericht 4/93, 28. Januar 1993, S. 35-42. 72 Es fand allerdings auch hier im Zeitverlauf eine Verschiebung statt. Während die in den siebziger Jahren ankommenden rußlanddeutschen Aussiedler zu einem sehr hohen Prozentsatz in
2. Zur beruflichen Integration rußlanddeutscher Aussiedler
131
Beschäftigen in der Bundesrepublik und da sie im Dienstleistungsbereich der einheimischen Konkurrenz häufig nicht gewachsen sind. Der berufliche Neubeginn wird für rußlanddeutsche Aussiedler - aufgrund der ungünstigen Arbeitsmarktsituation und der Kürzungen in allen Bereichen der Eingliederungsmaßnahmen - generell schwieriger werden. Dies wird zur Folge haben, daß ihre Chancen, wieder im vormals ausgeübten Beruf tätig zu werden bzw. überhaupt einen Arbeitsplatz zu finden, in den neunziger Jahren sinken. Die zuweilen geäußerte optimistische Einschätzung,73 daß mit der Annahme einer weniger qualifizierten Tätigkeit die Möglichkeit verbunden sein könnte, wieder die frühere Qualifikation zu erreichen, erscheint für die neunziger Jahre wenig realistisch. Untersuchungen zur beruflichen Integration von Aussiedlern weisen für die beginnenden neunziger Jahre daraufhin, daß sie vornehmlich noch in Bauberufen Chancen haben werden. »Branchen, in denen die Beschäftigungschancen für Aussiedler bisher gut waren und aus denen viele Aussiedler kamen, wie der Metall- und Elektrobereich, haben unter der gegenwärtigen Rezession besonders zu leiden. Es werden keine Arbeitskräfte mehr eingestellt und Arbeitsplätze abgebaut, was in der Regel jene stärker trifft, die zuletzt kamen.«74
Rußlanddeutsche Aussiedler mit technischen Berufen haben es weiterhin schwer, eine Tätigkeit zu finden ebenso wie Arbeitssuchende im Dienstleistungsbereich, besonders bei Organisations- Verwaltungs-, Sozial- und Erziehungsberufen. Aussiedlerinnen aus der vormaligen Sowjetunion, die zu einem hohen Anteil in letztgenannten Berufen tätig waren stellen insgesamt gesehen eine besondere Problemgruppe dar. Die entscheidende Barriere für ihre Arbeitsaufnahme sind neueren Unersuchungen zufolge nicht primär ihre familiären Verpflichtungen, sondern vielmehr ihre beruflichen Ausgangsbedingungen.75 Im Hinblick auf die Verschlechterung der Arbeitsmarktsituation liegt die Vermutung nahe, daß Aussiedler aufgrund ihrer Sprachprobleme und ihrer für den bundesdeutschen Arbeitsmarkt nichtadäquaten beruflichen Voraussetzungen stärker unter der aktuellen Arbeitsmarktproblematik zu leiden haben als die Beschäftigten in der Bundesrepublik. Diese Entwicklung hat sich bisher Fertigungsberufen tätig waren (vgl. K. Horstmann, Stabilität und Flexibilität bei der beruflichen Eingliederung. Gesamtüberblick, in: H. Harmsen (1983), S. 226), galt dies in den achtziger und neunziger Jahren allem Anschein nach nicht mehr. Die 1989/90 und die 1990 durchgeführten Befragungen rußlanddeutscher Aussiedler sowie die amtlichen Statistiken in den Jahren 1992 und 1993 weisen daraufhin, daß der Anteil der erwerbstätigen rußlanddeutschen Aussiedler mit Dienstleistungsberufen größer geworden ist. 73 Vgl. K. Leciejewski (1990), S. 57. 74 Vgl. B. Koller (1993a), S. 221. 75
9*
Vgl. B. Koller (1993a), S. 220.
1 3 2 4 .
Kapitel: Rußlanddeutsche in der
undesrepublik Deutschland
jedoch nicht bestätigt. Die Entwicklung der Arbeitslosenzahlen deutet vielmehr daraufhin, daß Aussiedler insgesamt gesehen die Konjunktureinbrüche bisher besser bewältigt haben als die Gesamtbevölkerung des Bundesgebiets West.76 Diese scheinbar günstige Entwicklung berücksichtigt jedoch nicht, daß sich die Arbeitslosigkeit von Aussiedlern bereits seit Ende der achtziger Jahre auf einem weitaus höheren Niveau befand als diejenige der bundesdeutschen Bevölkerung. Zudem deutet alles daraufhin, daß Aussiedlerinnen besonders schlecht auf dem Arbeitsmarkt abschneiden, daß sich also die insgesamt relativ günstige Entwicklung auf sie nicht bezieht. Weiterhin ist davon auszugehen, daß für viele Aussiedler die Arbeitsaufnahme mit einer Dequalifizierung einhergeht.
2.4. Berufliche Integration im Spiegel einer Befragung rußlanddeutscher Aussiedler
Eine 1990 durchgeführte Befragung von rußlanddeutschen Aussiedlern, die zwischen 1975 und 1985 in die Bundesrepublik gekommen waren, macht es möglich, ihre berufliche Integration aus individueller Sicht nachzuzeichen. Für eine weitergehende Einschätzung ist allerdings ζμ berücksichtigen, daß die später erfolgte starke Zuwanderung und die 1992 einsetzende ungünstige Arbeitsmarktentwicklung sowie die Kürzung der Eingliederungshilfen die berufliche Integration verändert und erschwert haben. Dennoch lassen sich aus den Ergebnissen der Befragung auch Vermutungen darüber anstellen, welche Konsequenzen diese Veränderungen für die berufliche Integration rußlanddeutscher Aussiedler in den neunziger Jahren haben könnten. Zum Zeitpunkt der Befragung gingen 51% der interviewten rußlanddeutschen Aussiedler einer Beschäftigung nach, während nur eine überraschend geringe Zahl unter ihnen (3%) arbeitslos war. Befragte ohne Erwerbstätigkeit führten entweder den Haushalt (10%), befanden sich in der Ausbildung (7%) oder waren Rentner (29%).77 Der hohe Anteil von Rentnern erklärt sich durch den Altersaufbau der Interviewpartner bzw. durch die Eingrenzung der Grundgesamtheit auf volljährige Befragte. 78
76
Vgl. B. Koller (1993c), S. 21. Es ist durchaus möglich, daß sich z.B. bei den Hausfrauen »versteckte Arbeitslose« verbargen. 39% der Befragten, die in der Bundesrepublik Hausfrauen waren, hatten in der Sowjetunion gearbeitet und 7% eine Schule besucht. 78 Durch den Ausschluß von Kindern und Jugendlichen ist die Altersstruktur der Befragten von derjenigen der Gesamtheit der rußlanddeutschen Aussiedler stark unterschieden. Für eine Analyse 77
2. Zur beruflichen Integration rußlanddeutscher Aussiedler
133
Tabelle 14 Altersaufbau der befragten rußlanddeutschen Aussiedler zum Zeitpunkt des Interviews 1990 (N=427, in Prozent) Altersgruppen 2,6 36,7 28,1 32,7
18 bis 24 Jahre 25 bis 44 Jahre 45 bis 59 Jahre über 60 Jahre
Die sehr geringe Zahl von Arbeitslosen unter den befragten Aussiedlern legt zunächst nahe, von einer gelungenen beruflichen Integration auszugehen. Eine genauere Analyse des Prozesses der Arbeitsfindung und der dann ausgeübten Tätigkeit relativiert jedoch diese erste Wahrnehmung. Im Durchschnitt benötigten die interviewten Aussiedler, die in der Sowjetunion bereits berufstätig gewesen waren, 20 Monate, um in der Bundesrepublik wieder eine Anstellung zu finden. 79 Zu berücksichtigen ist hier jedoch, daß dieser Personenkreis nach der Ausreise durchschnittlich 8 1/2 Monate einen Sprachkurs besucht hatte. Tabelle 15 Zeitspanne bis zur ersten Arbeitsaufnahme nach der Einreise (N=251, in Prozent) Jahre
Beschäftigte Aussiedler
bis 0,5 bis 1 bis 2 bis 3 über 3
14,7 30,5 31,0 11,5 12,3
der beruflichen Integration spielt dies keine Rolle, da hier jeweils auf die Erwerbspersonen (Beschäftigte und Arbeitslose) Bezug genommen wird. 79 Es handelt sich bei dieser Fragestellung um die erste Beschäftigung nach der Ausreise. Eine ganze Reihe der Befragten erreichte bis zum Befragungszeitpunkt das Rentenalter. Daher ist die Anzahl der Beschäftigten hier höher als zum Zeitpunkt der Befragung.
134
4. Kapitel: Rußlanddeutsche in der
undesrepublik Deutschland
Nach der Aufnahme der ersten Beschäftigung war immerhin jeder fünfte unter den befragten Erwerbstätigen80 zumindest einmal länger als zwei Monate arbeitslos gewesen. Nahezu ein Drittel aus diesem Personenkreis hatte zu den Langzeitarbeitslosen (12 Monate und mehr) gezählt. Aussiedler, die in der UdSSR bestimmte Berufe ausgeübt hatten, wie z.B. landwirtschaftliche Arbeiter, Techniker, Verwaltungs- oder Bürokräfte waren häufiger arbeitslos gewesen. Als Gründe für die Arbeitslosigkeit nannten die Betroffenen Qualifikationsprobleme (16%), Sprachschwierigkeiten (20%) sowie fehlende Arbeitsplätze am Wohnort (56%).81 Für das letztgenannte Problem dürfte die bereits angesprochene geringe Mobilität der rußlanddeutschen Aussiedler mitverantwortlich gewesen sein. Es wurde hier mehrfach auf Untersuchungen hingewiesen, die für die beginnenden neunziger Jahre zeigen, daß es Aussiedlern häufig nicht mehr gelingt, wieder im vormals ausgeübten Beruf tätig zu werden.82 Auch unter den beschäftigten Befragten, die zwischen 1975 und 1985 eingereist waren, mußten etwas mehr als zwei Drittel eine andere Tätigkeit aufnehmen.
Tabelle 16 Beruflicher Neubeginn Arbeiten Sie im gleichen Beruf wie in der UdSSR? (N=204, in Prozent) ja nein weiß nicht
29,9 68,1 2,0
Unter den Interviewten, die nicht mehr im vormals ausgeübten Beruf tätig waren, gaben 35% an, sie würden nun unter ihrer vormaligen Qualifikation arbeiten. Einem nicht zu vernachlässigendem Teil (15%) war es nach eigener Einschätzung gelungen, in eine höherqualifizierte Tätigkeit aufzusteigen. Die anderen meinten, daß sich ihre berufliche Qualifikation nicht verändert habe. Durch die Ausreise ergaben sich erhebliche berufliche Umstellungen, die sich an den strukturellen Veränderungen der Berufsgruppenzugehörigkeit erkennen lassen, wird diese zum Zeilpunkt der Befragung mit deijenigen vor 80 Damit sind die Personen gemeint, die zum Zeitpunkt der Befragung einer Erwerbstätigkeit nachgingen. 81 Die übrigen (8%) wußten keine Gründe für ihre Arbeitslosigkeit zu nennen. 82 Vgl. Polis (1990), Β. Koller (1993b), S. 159, B. Koller (1993c), S. 21.
2. Zur beruflichen Integration rußlanddeutscher Aussiedler
135
der Ausreise verglichen (vgl. Tab. 17).83 Dabei sind nicht nur die Bestandszahlen sondern vor allem die Zu- und Abgänge zu den jeweiligen Berufsgruppen von Bedeutung. Diese geben Umfang und Richtung der Fluktuationen wieder, während die Berufsgruppenstruktur zum Zeitpunkt der Befragung das Resultat der Veränderungen darstellt. In Tabelle 17 wird unter der Kategorie »insgesamt« aufgeführt, wie sich die Zugehörigkeit der interviewten Beschäftigten zu den jeweiligen Berufsgruppen vor der Ausreise (Spalte) und nach der Ausreise (Zeile) verteilt Aus der Matrix ist dann abzusehen, wie groß der
Tabelle 17 Verteilung der beschäftigten Befragten auf Berufsbereiche vor der Ausreise und zum Zeitpunkt der Befragung (N=191, insgesamt, Prozentangaben in Klammern)* Berufsbereiche
Berufsbereiche bei der Befragung
m
IV
2 (1,0)
94 (49,2)
9 (4,7)
13 (6,8)
1 (7,7)
9 (69,2)
m
71 (37,2)
1 (1,4)
57 (80,3)
2 (2,8)
11 (15,5)
IV
21 (11,0)
7 (33,3)
6 (28,6)
8 (38,1)
21 (24,4)
1 (1,2)
64 (74,4)
vor der Ausreise
Insgesamt
191 (100) I
V
86 (45,0)
I
-
-
-
V
86 (45,0) 3 (23,1)
* Bei der Zuordnung zu Berufsbereichen wurde die Statistik des Bundesarbeitsamtes zu Grunde gelegt. Der Berufsbereich II (Bergbau) war unter den Befragten nicht besetzt. I = Land- und forstwirtschaftliche Berufe; III = Fertigungsberufe; IV = Technische Berufe; V = Dienstleistungsberufe.
83 Die Grundgesamtheit umfaßte alle Personen (191), die zum Zeitpunkt der Befragung und vor der Ausreise beschäftigt waren.
136
4. Kapitel : Rußlanddeutsche in der Β undesrepublik Deutschland
Anteil an Beschäftigten war, der jeweils in einer Berufsgruppe verblieb bzw. in andere Berufsgruppen wechselte. Vor der Ausreise waren z.B. 6,8% (13 Personen) aller Befragten in land- und forstwirtschaftlichen Berufen tätig. Nur 7,7% unter diesen, das heißt 1 Person, arbeiteten auch nach der Ausreise in diesem Bereich. Die meisten wechselten jedoch in Fertigungs- (69,2%) oder in Dienstleistungsberufe (23,1%). Die Matrix der Verteilung der beschäftigten Befragten auf die verschiedenen Berufsbereiche vor der Ausreise und zum Zeitpunkt der Befragung zeigt eine Reihe von Veränderungen auf. Im Ergebnis haben die land- und forstwirtschaftlichen Berufe sowie die technischen Berufe absolut und prozentual abgenommen, während die Gruppe der Fertigungsberufe zunahm und diejenige der Dienstleistungsberufe gleichblieb.84 Wie bereits erwähnt, handelt es sich hier um das Resultat beträchtlicher Fluktuationen zwischen den Berufsbereichen, von denen alle - wenn auch in unterschiedlicher Stärke - betroffen waren. Insgesamt kann keine Angleichung der Berufsgruppenstruktur der befragten Aussiedler an diejenige der bundesdeutschen Beschäftigten festgestellt werden.85 Eine Ausnahme bildet hier nur der Bereich der land- und forstwirtschaftlichen Berufe, der von einem geringen Verbleib (7,7%) und einer die Zugänge übersteigenden Abwanderung gekennzeichnet ist. Auch bei den technischen Berufen überwiegen die Abwanderungen die Zugänge. Während das bei den landwirtschaftlichen Berufen daran liegen dürfte, daß in diesem Berufsbereich - außer Saisonarbeitern - generell kaum Beschäftigte nachgefragt werden, können rußlanddeutsche Aussiedler bei den technischen Berufen die erwarteten Anforderungen häufig nicht erfüllen. Am größten war der Verbleib noch bei den Fertigungs- (80,3%) und den Dienstleistungsberufen (74,4%). Es ist davon auszugehen, daß sich die hier beschriebenen Fluktuationen der Berufsstruktur auch in den neunziger Jahren durchsetzen werden. Es muß künftig jedoch stärker damit gerechnet werden, daß es dabei zu Dequalifizierungen kommt.
84 Hier muß allerdings auch berücksichtigt werden, daß zum Fertigungs- und Dienstleistungsbereich mehr Berufe gezählt werden als zum Bereich der »land- und forstwirtschaftlichen Berufe« sowie der »technischen Berufe«. Die Wahrscheinlichkeit, bei einem Berufswechsel auch den Bereich wechseln zu müssen, ist daher bei den letztgenannten allein aufgrund der Gruppeneinteilung größer. 85 Im Jahre 1990 verteilten sich die sozialversicherten Beschäftigten in der Bundesrepublik wie folgt auf die Berufsgruppen: Land- und forstwirtschaftliche Berufe: 1,2%; Bergbau: 0,4%; Fertigungsberufe: 35,8%; technische Berufe: 7,1%; Dienstleistungsberufe: 55,1%. Vgl. G. Barabas/ A. Gieseck/U. Heilmann/H. D. von Loeffelholz (1992), S. 141. Eine Untersuchung zur beruflichen Integration von Aussiedlern im Jahre 1979 ergab ebenfalls, daß sich die Berufsstruktur der Aussiedler nicht an diejenige der Beschäftigten in der Bundesrepublik angenähert hat. Vgl. G. Watrinet, Die wirtschaftliche Eingliederung, in: H. Harmsen (Hrsg.) (1983), S. 203-239.
2. Zur beruflichen Integration rußlanddeutscher Aussiedler
137
2.5. Rußlanddeutsche Aussiedler in der bundesdeutschen Arbeitswelt
Für die Beurteilung der beruflichen Integration von Aussiedlem steht sicherlich die Arbeitsfindung und die Qualität der ausgeübten Tätigkeit an erster Stelle. Dennoch spielt in diesem Zusammenhang auch eine Rolle, wie die Arbeitssituation aus subjektiver Sicht empfunden wird. Zumindest aufgrund der Befragungsergebnisse ist zu schließen, daß die Mehrzahl der rußlanddeutschen Aussiedler mit ihrer Tätigkeit zufrieden ist.
Tabelle 18 Zufriedenheit mit der beruflichen Situation Wie zufrieden sind Sie mit Ihrer jetzigen Tätigkeit? (N=220, in Prozent) sehr zufrieden einigermaßen zufrieden eher unzufrieden vollkommen unzufrieden
61,8 33,8 2,5 2,5
Die große Zufriedenheit der Aussiedler mit ihrer beruflichen Tätigkeit läßt sich vor dem Hintergrund verstehen, daß es die meisten uneingeschränkt positiv bewerten, eine Arbeitsstelle gefunden zu haben. Die Arbeitsbedingungen und die sozialen Beziehungen am Arbeitsplatz in der Sowjetunion und in der Bundesrepublik sind von vollkommen unterschiedlichen Wirtschaftssystemen geprägt.86 Marktwirtschaftliche Konkurrenzverhältnisse aber auch die Anforderung von Selbständigkeit und Teamgeist bestimmen die Arbeitswelt in der Bundesrepublik, während in der Sowjetunion die Regeln der Planwirtschaft (hierarchische Verhältnisse, Arbeitsplatzsicherheit) vorherrschten. Dies hat für rußlanddeutsche Aussiedler zunächst eine grundsätzliche Umstellung im Bereich der Arbeitswelt zur Folge. Die erlebten Veränderungen lassen sich auf der Basis der Interviews deutlich nachzeichnen (vgl. Abb. 4). Bei einer Gegenüberstellung verschiedener Aspekte der Arbeitswelt in der Sowjetunion und in der Bundesrepublik weisen die Befragten auf grundlegende Unterschiede hin. Die Arbeitstätigkeit in der Sowjetunion wurde von der Mehrzahl als körperlich belastend empfunden, während sie in der Bundesrepublik 86
Dies galt auf jeden Fall bis zum Ende der achtziger Jahre.
138
4. Kapitel: Rußlanddeutsche in der Bundesrepublik Deutschland
Die Arbeit ist körperlich belastend ...
0%
20%
40%
60%
Die Arbeitsdisziplin ist streng ...
0%
20%
40%
60%
80%
Die Konkurrenz unter den Kollegen ist groß ...
0%
20%
40%
60%
80%
Die Arbeit ist seelisch belastend ...
0%
10%
20%
30%
40%
50%
Die Qualitätsanforderungen sind hoch ...
0%
20%
40%
60%
80%
100%
Die Hilfsbereitschaft unter den Kollegen ist groß ...
0%
20%
40%
60%
80%
E 3 In der Sowjetunion • In def Bundesrepublik Deutschland
Abbildung 4: Aspekte der Arbeitswelt in der Sowjetunion und in der Bundesrepublik Deutschland aus der Sicht der Befragten
3. Zur gesellschaftlichen und politischen Partizipation
139
eher psychischen Stress auslöste. Strenge Arbeitsdisziplin und hohe Qualitätsanforderungen bei einer starken Konkurrenz und einereher geringen Hilfsbereitschaft unter Kollegen wurden der bundesdeutschen Arbeitswelt zugeschrieben. Die Arbeitsbedingungen in der Sowjetunion erschienen dagegen in anderem Licht: geringe Konkurrenz und große Hilfsbereitschaft unter Kollegen gingen mit einer eher niedrigen Arbeitsdisziplin und geringen Qualitätsanforderungen einher. Mit diesem Hintergrundwissen um die sehr unterschiedlichen Bedingungen der Arbeitswelt in der Sowjetunion und in der Bundesrepublik wird die hohe Zufriedenheit der Aussiedler mit ihrer Tätigkeit nochmals von einem anderen Aspekt her plausibel. Es dürfte für viele eine positive Erfahrung gewesen sein, in einem Wirtschaftssystem, das der eigenen Einschätzung nach von hohen Anforderungen in der Arbeitswelt gekennzeichnet ist, wieder beruflich Fuß gefaßt zu haben.
3. Zur gesellschaftlichen und politischen Partizipation rußlanddeutscher Aussiedler
Die gesellschaftliche und politische Partizipation rußlanddeutscher Aussiedler dürfte ein wesentlicher Indikator dafür sein, ob sie in der bundesdeutschen Gesellschaft eingebunden sind und sich dort aufgehoben fühlen, oder ob sie - trotz eventuell gelungener wirtschaftlicher Integration - eine gesellschaftlich abseits stehende Gruppe bilden, die am sozialen, kulturellen und politischen Leben nicht bzw. kaum teilnimmt.87 In diesem Zusammenhang ist besonders zu berücksichtigen, daß die deutschen Sprachkenntnisse rußlanddeutscher Aussiedler bei ihrer Einreise zumeist gering sind und daß sich ihre soziokulturellen und politischen Prägungen von denjenigen der bundesdeutschen Bevölkerung grundlegend unterscheiden.88 Hier kommt nicht nur der Einfluß des sozialen und politischen Systems in der 87 Die gesellschaftliche Partizipation rußlanddeutscher Aussiedler ist vielfach nicht von ihren Beziehungen zur einheimischen Bevölkerung im Alltagsleben zu trennen. Hier ergeben sich notwendigerweise Überschneidungen zum nächsten Abschnitt, der unter anderem die Beziehungen zwischen Aussiedlern und der einheimischen Bevölkerung im Alltagsleben behandelt. Vgl. B. Dietz / P. Hilkes (1994). 88 Darüber gibt es aus der Sicht der Betroffenen und der Aussiedlerbetreuer eine Fülle von Literatur. Vgl. z.B. B. Malchow/K. Tayebi/U. Brand, Die fremden Deutschen. Aussiedler in der Bundesrepublik. Reinbek 1990; L. Ferstl / H. Hetzel, Wir sind immer die Fremden. Aussiedler in Deutschland. Bonn 1990; A. Baaden, Kulturarbeit mit Aussiedlern. Projekte - Erfahrungen Handlungsbedarf. Ein Handbuch für die soziokulturelle Integrationsarbeit mit Migrantenminoritäten. Herausgegeben vom Zentrum für Kulturforschung. Bonn 1992.
140
4. Kapitel: Rußlanddeutsche in der Bundesrepublik Deutschland
Sowjetunion zum Tragen, sondern es wird auch deutlich, daß Rußlanddeutsche in der UdSSR Wertvorstellungen und Traditionen bewahrt haben, die in der Bundesrepublik der Nachkriegszeit keine Orientierungshilfen mehr bieten.89 Zahlreiche Bundesbürger gehen aber davon aus, daß sich Aussiedler, da sie aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit Aufnahme finden, problemlos in das gesellschaftliche und politische Leben der Bundesrepublik einpassen müßten.90 Gelingt das nicht, was immer auch, aber nicht nur, mit sprachlichen Problemen gekoppelt ist, sehen Bundesbürger dies häufig als Indiz dafür an, daß rußlanddeutsche Aussiedler keine »richtigen« Deutschen seien. Ausgehend von dieser widersprüchlichen Situation wird im folgenden untersucht, wie sich rußlanddeutsche Aussiedler mit dem bundesdeutschen Gesellschaftssystem auseinandersetzen und wie ihre politische und soziale Partizipation im Alltagsleben in Erscheinung tritt.
3.1. Konfrontation mit einem anderen Gesellschaftssystem
Aussiedler aus der UdSSR wurden in einem Gesellschaftssystem sozialisiert, das bis vor kurzem zentralistisch organisiert und von sozialistischen Wertvorstellunen geprägt war. 91 Untersuchungen zur gesellschaftlichen und politischen Partizipation von Rußlanddeutschen in der UdSSR weisen daraufhin, daß sie sich, bis auf wenige Ausnahmen, weder politisch besonders engagierten, noch offen gegen das System opponierten. Sie erfüllten die notwendigen politischen Verpflichtungen (z.B. Wahlteilnahme, Gewerkschaftsmitgliedschaft etc.) ohne sich in irgendeiner Weise zu exponieren. Im gesell-
89 Auf diese vielschichtige Problematik wurde bei der Integration von Aussiedlern immer wieder hingewiesen. Vgl. dazu eine Diskussion in der Zeitschrift Osteuropa. B. Hager / F. Wandel, Probleme der sozio-kulturellen Integration von Spätaussiedlern, in: Osteuropa, Nr. 3, 1978, S. 193209; B. Hager/F. Wandel, Zur politischen Sozialisation von Spätaussiedlern. Ein Nachtrag, in: Osteuropa, Nr. 11, 1978, S. 1015-1018; H. Langnickel, Thesen zur Integration von Spätaussiedlern, in: Osteuropa, Nr. 11, 1978, S. 1018-1022; P. RobejSek, Zur Frage der sozio-kulturellen Merkmale deutschstämmiger Spätaussiedler aus Osteuropa, in: Osteuropa, Nr. 6, 1979, S. 476-483; P. Robejsek, Probleme und Möglichkeiten der Integration deutschstämmiger Spätaussiedler, in: Osteuropa, Nr. 7, 1979, S. 563-578; K. Wypych, Adaption und Integration jugendlicher Spätaussiedler. Ein Vergleich einiger wissenschaftlicher Ergebnisse, in: Osteuropa, Nr. 2, 1980, S. 126-137; L. Wilkiewicz, »Du Schäfer und nicht Iwanow«. Zu einem Seminar mit jugendlichen Spätaussiedlern, in: Osteuropa, Nr. 2, 1980, S. 138-148; B. Hager, Zur Akkulturation und Sozialisation von Übersiedlern aus Osteuropa. Zusammenfassende Bemerkungen über die Diskussion der Integrationsproblematik, in: Osteuropa, Nr. 2,1980, S. 149-158. 90
Vgl. H.-J. Hofmann, H.-J. Bürkner, W . Heller (1992), S. 58 ff.
91
Die Auswirkungen dieser Strukturen wurden von J. Lewada (1992), Kapitel 2 und 3 analy-
siert.
3. Zur gesellschaftlichen und politischen Partizipation
141
schaftlichen Zusammenhang traten sie am ehesten für ihre unmittelbaren Interessen (z.B. am Arbeitsplatz) ein.92 In den meisten Fällen war das Alltagsleben der Deutschen in der UdSSR ebenso wie das zahlreicher Sowjetbürger - von einer starken Trennung von gesellschaftlichem und privatem Leben gekennzeichnet. Dies wies privaten Beziehungen (in der Familie, zu Freunden) nicht nur einen sehr wichtigen Stellenwert zu, sondern erlaubte es den Rußlanddeutschen seit Beginn der siebziger Jahre auch, spezifische Traditionen im privaten und familiären Bereich fortzuführen und zu pflegen. Rußlanddeutsche konservierten im allgemeinen ein Wertesystem, das von religiösen Prinzipien und von der eigenen Einschätzung nach »deutschen« Grundsätzen wie Ehrlichkeit, Pflichtbewußtsein, Gehorsam und Heiß abgeleitet war.93 Dieses ging, trotz grundlegender ideologischer Differenzen, mit bestimmten Werten des Sowjetsystems, in dem Autorität und Kollektivität eine wichtige Rolle spielten, durchaus konform. Für die Annäherung an die bundesdeutsche Gesellschaft tragen solche sozialen Kompetenzen allerdings nur wenig bei. Hier werden rußlanddeutsche Aussiedler vielfach unerwartet - mit einem Gesellschaftssystem konfrontiert, das auf der Pluralität politischer Standpunkte und Meinungen, Individualisierung, konkurrenzorientiertem Leistungsdenken und demokratischen Entscheidungsstrukturen beruht und einen raschen sozialen Wandlungsprozeß durchläuft. 94 Diese Situation erzeugt häufig große Unsicherheit, die sich in Passivität, aber auch im Wunsch niederschlägt, in der Öffentlichkeit nicht aufzufallen. Nach der Ausreise wird rußlanddeutschen Aussiedlern deutlich, daß wesentliche Merkmale ihrer Identität (z.B. Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft) und das Bewahren »deutscher« Tugenden (Arbeitsamkeit, Ehrlichkeit etc.) keineswegs dazu führen, in der Bundesrepublik als »Gleiche« anerkannt zu werden.95 »Das Bekenntnis zum Deutschtum, zur christlichen Religion, ermöglicht in den Herkunftsländern das Bilden und Bewahren einer persönlichen Identität, - wenn auch einer negativen und zur Randständigkeit verurteilenden. Diese Identität wird nach der Übersiedlung in die BRD nicht einfach positiv, sondern entwertet.«96 Damit wird offensichtlich, daß die im familiären und privaten Bereich bewahrten traditionellen Wertvorstellungen und das »sozialistische
92
Vgl. B. Dietz / P. Hilkes (1993), Kapitel V.
93
Wie hier bereits gezeigt wurde trug dieses Normensystem auch zur Identitätsbildung der Rußlanddeutschen in der Sowjetunion bei. 94 Zu den sozialen Veränderungsprozessen der modernen Industriegesellschaften vgl. U. Beck, Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine andere Moderne. Frankfürt 1986. 95 Vgl. I. Graudenz / R. Römhild, Kulturkontakt unter Deutschen: Zur interaktiven Identitätsarbeit von Spätaussiedlern, in: Bildung und Erziehung, Nr. 3, 1990, S.313-324. 96 Vgl. B. Hager / F. Wandel, Integration oder Isolation? - Zum Problem der Identitätsfindung von Spätaussiedlern, in: Frankfurter Hefte, Nr. 3,1978, S. 41-48, hier S. 44.
142
4. Kapitel: Rußlanddeutsche in der Bundesrepublik Deutschland
Sozialisationsgepäck«97 die gesellschaftliche Integration rußlanddeutscher Aussiedler eher erschwert. In einer ersten Annäherung läßt sich die Eingewöhnung rußlanddeutscher Aussiedler in die bundesdeutsche Gesellschaft und die dabei entstehenden Probleme anhand der Frage nachzeichnen, was ihnen am Leben in Deutschland besonders gut gefiel bzw. womit sie besonders unzufrieden waren. Bei der 1990 durchgeführten Interviewstudie wurden diese beiden Fragen ohne eine Antwortvorgabe gestellt, so daß die Interviewpartner sich individuell dazu äußern konnten. Die im folgenden wiedergegebenen Antworten (Vgl. Tab. 19 und 20) spiegeln einerseits die Zufriedenheit der Befragten mit der materiellen und sozialen Sicherheit sowie den individuellen und gesellschaftlichen Freiheiten in der Bundesrepublik wider, weisen aber auch deutlich auf zentrale Schwierigkeiten hin: die drohende Isolation in einem Gesellschaftssystem, mit dessen pluralistischen und individualistischen Ausprägungen rußlanddeutsche Aussiedler nur bedingt zurechtkommen. Die positiven Erfahrungen rußlanddeutscher Aussiedler in der bundesdeutschen Gesellschaft unterscheiden sich je nach Alterszugehörigkeit. Um dies zu zeigen, wurden die Interviewpartner in drei Altersgruppen eingeteilt (unter 40 Jahre, zwischen 40 und 59 Jahre, 60 Jahre und älter). Dabei nannten die Jüngeren häufiger die materiellen Lebensbedingungen sowie persönliche und gesellschaftliche Freiheiten als Ursache ihrer besonderen Zufriedenheit als die Älteren. Für letztere spielte dagegen die Religionsfreiheit und die Möglichkeit, »unter Deutschen zu leben«, eine wichtigere Rolle. Die Unterschiede zwischen den Generationen dürften im wesentlichen auf verschiedene lebensgeschichtliche Erfahrungen zurückzuführen sein. Vor dem Hintergrund der bedrückenden Lebensumstände zur Zeit des Zweiten Weltkrieges und danach (Diskriminierung als Deutsche bzw. als Mitglieder einer Religionsgemeinschaft) hatten ethnische und religiöse Belange für die Älteren offensichtlich einen besonders hohen Stellenwert. Die globale Einschätzung »alles ist gut« wurde nicht nur als positive Erfahrung gewertet, sondern auch als Antwort auf die Frage gegeben, was die Interviewten in der Bundesrepublik am meisten vermißten bzw. womit sie am unzufriedensten waren. Nahezu jeder dritte (30%) meinte, es gäbe keine Probleme, alles sei gut. In der Gruppe der über Sechzigjährigen war das sogar die häufigste Nennung. Dies deutet einerseits auf die erlebte »Problemlosigkeit« des Lebens in Deutschland hin. Andererseits ist aber auch zu berücksichtigen, daß 97 Bei der Integration von DDR-Übersiedlern konnte auch beobachtet werden, daß die Sozialisation in einem sozialistischen System nur geringe Orientierungshilfen für das soziale Leben in der Bundesrepublik bietet. Vgl. V. Ronge, Die soziale Integration von DDR-Übersiedlern in der Bundesrepublik Deutschland, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, Β 1-2/90, 5. Januar 1990, S. 39-47.
3. Zur gesellschaftlichen und politischen Partizipation
143
eine Reihe von Aussiedlern nicht durch »Kritik« auffallen möchte.98 Diese Haltung dürfte sowohl auf persönliche Bescheidenheit, als auch auf die Dankbarkeit für die Aufnahme in der Bundesrepublik zurückzuführen sein. In den Augen mancher rußlanddeutscher Aussiedler verbietet es sich aus diesem Grunde, »Kritik« zu üben. Bei den negativen Erfahrungen zeichnete sich deutlich ab, daß es einer nicht unbedeutenden Zahl von rußlanddeutschen Aussiedlern, vor allem den Jüngeren, Schwierigkeiten bereitete, soziale Beziehungen aufzunehmen, wofür auch die als »kalt« empfundene Atmosphäre der Gesellschaft mitverantwortlich gemacht wurde.99 Dabei war es vermutlich nicht die größere Fähigkeit der Älteren, Kontakte anzuknüpfen, die sie an dieser Stelle zufriedener erscheinen ließ. Vielmehr dürften letztere bereits von sich aus geringere Ansprüche an soziale Beziehungen artikulieren als die Jüngeren. In diesem Zusammenhang hatte es keine Bedeutung, wie lange die interviewten rußlanddeutschen Aussiedler bereits in der Bundesrepublik lebten. Unter den vor 1980 eingereisten Befragten war der Anteil an Personen, die mit den sozialen Beziehungen in der Bundesrepublik unzufrieden waren, fast genauso groß wie deijenige unter den später gekommenen. Auch eine bessere Sprachbeherrschung trug im Falle der Interviewten nicht zu einer größeren Zufriedenheit mit den persönlichen und sozialen Beziehungen bei.100 Interviewte Aussiedler, die zum Befragungszeitpunkt angaben, noch in manchen Situationen Sprachprobleme zu haben (28%), artikulierten ebenso häufig Unzufriedenheiten im Bereich der persönlichen Beziehungen wie Personen ohne Sprachprobleme. Dies weist daraufhin, daß die Zeitspanne des Aufenthalts und die bessere Sprachbeherrschung nicht per se die Aufnahme sozialer Beziehungen erleichtern. Einen weiteren wesentlichen Grund der Unzufriedenheit stellten bestimmte soziale Entwicklungen und gesellschaftliche Probleme in Deutschland dar. Hier 98 Die Tatsache, daß bei der hier zitierten Interviewstudie 93 Personen zu der Frage, was sie in der Bundesrepublik am meisten vermißten, keine Angabe machten, unterstreicht dies. Bei der Frage, was ihnen am Leben in der Bundesrepublik am besten gefiel, machten nur 16 Befragte keine Angabe. Auch aus anderen Studien wird deutlich, daß Aussiedler - zumindest in der Öffentlichkeit - sehr zurückhaltend mit kritischen Äußerungen der Bundesrepublik gegenüber sind. Vgl. Polis (1992), S 84; Κ. Boll, Kulturwandel der Deutschen aus der Sowjetunion. Eine empirische Studie zur Lebens weit rußlanddeutscher Aussiedler in der Bundesrepublik- Marburg 1993 (Schriftenreihe der Kommission für ostdeutsche Volkskunde in der deutschen Gesellschaft für Volkskunde), S. 163. 99 Vgl. z.B. auch S. Röh, Heimatvorstellungen von Spätaussiedlern. Ein Spiegel der Integrationsproblematik, in: Jahrbuch für ostdeutsche Volkskunde, Band 25,1982, S. 139-201. 100 Dabei ist zu beachten, daß alle Befragten über genügend Sprachkenntnisse verfügten, um den Fragebogen in deutscher Sprache beantworten zu können. Ein Teil der Interviewten (28%) gab jedoch an, noch in manchen Situationen Sprachprobleme zu haben.
144
4. Kapitel: Rußlanddeutsche in der Bundesrepublik Deutschland
Tabelle 19 Positive Aspekte des Lebens in der Bundesrepublik (in Prozent) Was gefällt Ihnen an Ihrem Leben hier in der Bundesrepublik ganz besonders gut? Insges.
Nach Altersgruppen unter 40
40-59
über 60
N=411
N=129
N=139
N=143
34,9
38,1
35,1
32,1
15,5
16,3
12,6
12,4
14,0
17,9 10,8
gute Arbeitsbedingungen
3,9
4,7
5,0
Sozialsystem
3,1
3,1
1,4
2,1 4,9
33,3
38,9
30,8
30,8
materielle Lebensbedingungen und soziale Situation: Warenangebot, Lebensmittelversorgung hoher Lebensstandard Verdienst nach Leistung,
12,5
gesellschaftliche und persönliche Freiheiten: Freiheit, persönliche 22,1
29,5
21,5
16,1
Religionsfreiheit
Freiheit, Reisefreiheit
5,8 3,4
4,3 3,6
9,8
Demokratie, Menschenrechte
3,1 4,7
2,0
1,6
1,4
2,8
12,2 10,8
16,1
6,5
8,4
2,1
Meinungsfreiheit Pluralismus
11,4
5,4
unter Deutschen leben Sicherheit u. Ordnung
alles ist gut
7,2 6,0
0,8
anderes weiß nicht
9,8
5,3
3,1 8,7
3,5
2,8
1,9
5,4
0,7
0,0
3. Zur gesellschaftlichen und politischen Partizipation
145
Tabelle 20 Negative Aspekte des Lebens in der Bundesrepublik (in Prozent) Was vermissen Sie in der Bundesrepublik am meisten bzw. womit sind sie am meisten unzufrieden? Insges.
Nach Altersgruppen unter 40
40-59
über 60
N=334
N=106
N=115
N=113
31,2
48,0
27,9
18,6
wie in der UdSSR Konkurrenzdenken,
8,4
12,3
5,2
5,3
Egoismus
6,9
10,3
7,0
3,5
5,4
9,4
2,6
4,5
soziale und persönliche Beziehungen keine echten Freundschaften
Anonymität, jeder lebt für sich Verschlossenheit und Kälte der Einheimischen alles ist gut
3,9
6,6
3,5
1,8
29,9
15,1
32,2
41,6
24,9
15,7
28,0
29,7
10,4 3,5
7,1
gesellschaftliche und soziale Probleme soziale Ungerechtigkeit, Arbeitslosigkeit
8,4
8,3
Verwahrlosung der Jugend
3,9
0,9
keine Moral zuviele Ausländer
2,7 2,7
2,8 0,0
Streß, Hektik
2,1
1,9
Ablehnung von Aussiedlern anderes
2,1 6,6 4,5
1,8 8,5
weiß nicht
2,7
6,3
Abkehr von Gott, 2,6 3,5 2,6
2,7 4,4
1,8
7,5
6,1 3,6
2,1 5,4 2,7
4,7
1,7
1,8
1,8
Demokratie, Parteienvielfalt
10 Dietz
146
4. Kapitel: Rußlanddeutsche in der Bundesrepublik Deutschland
wurden vor allem Kritikpunkte genannt, die vermuten lassen, daß die Erwartungen rußlanddeutscher Aussiedler vom Leben in der Bundesrepublik enttäuscht wurden, wie z.B. Gottlosigkeit, Verwahrlosung der Jugend, fehlende Traditionspflege, soziale Ungerechtigkeit oder die Präsenz von Ausländern. Der Ausländeranteil in der Bundesrepublik irritiert eine Reihe von rußlanddeutschen Aussiedlern, die davon ausgingen, nun nicht mehr in einer multikulturellen Gesellschaft zu leben wie in der UdSSR. Aus der Interviewstudie geht ebenso wie aus anderen Untersuchungen hervor, daß die Akzeptanz von Ausländern unter Aussiedlern - vor allem in der älteren Generation - gering ist.101 Die Aussagen der Befragten über ihre negativen Erfahrungen in der Bundesrepublik machten deutlich, daß ihnen vor allem die individualistischen und pluralistischen Elemente der bundesdeutschen Gesellschaft Schwierigkeiten bereiteten.102 Während die Jüngeren im Vergleich zu den Älteren ihre Unzufriedenheit besonders im Bereich der sozialen Beziehungen artikulierten, waren letztere eher mit gesellschaftlichen »Mißständen« unzufrieden. Aufgrund des Wertewandels in der Bundesrepublik sehen sich rußlanddeutsche Aussiedler hier vor allem die Älteren - einem Spannungsverhältnis von traditionellen und modernen Normen ausgesetzt.103 In diesem Zusammenhang manifestiert sich auch ein latent vorhandener Generationenkonflikt: die Älteren kritisieren persönliche und gesellschaftliche Freiräume, die von den Jüngeren zunehmend bejaht werden.
3.2. Meinungen rußlanddeutscher Aussiedler über Staat, Wirtschaft und Gesellschaft der Bundesrepublik
Es wurde häufig vermutet, daß Aussiedler aus der UdSSR sämtliche Elemente der sowjetischen Wirtschaft und Gesellschaft, wie z.B. die staatliche Lenkung und Kontrolle des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens generell ablehnen würden. Interviewstudien konnten zeigen, daß dies, zumin101 Vgl. z.B. Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen (1992), S. 120 ff. In diesem Zusammenhang dürfte eine Rolle spielen, daß sich Aussiedler und Ausländer nicht selten wechselseitig als Konkurrenten empfinden. Diese Konkurrenzsituation wurde in der politischen Diskussion um die Zuwanderung immer wieder ausgenutzt. Vgl. dazu audi Ch. Seil-Greiser, Aus- und Übersiedler in der Bundesrepublik Deutschland: Determinanten ihres Ausreiseprozesses und ihrer lebensweltlichen Strukturen. Münster, Hamburg 1993 (Spuren der Wirklichkeit, 4), S. 134-139. 102 Vgl. L. Kossolapow, Aussiedler-Integration als Herausforderung für die Bundesbürger, in: L. Kossolapow, Aussiedler-Integration. Aufsätze und Vorträge aus den Jahren 1982-1988, Köln 1989, S. 47-65, hier S. 57ff. 103 Vgl. S. Schwab, Deutsche unter Deutschen. Aus- und Übersiedler in der Bundesrepublik. Pfaffenweiler 1990, S. 226 ff.
3. Zur gesellschaftlichen und politischen Partizipation
147
dest für Personen, die bis zur Mitte der achtziger Jahre in der UdSSR lebten, nicht durchgängig der Fall war. Rußlanddeutsche Befragte hielten bestimmte Elemente des zentral gelenkten sowjetischen Wirtschafts- und Gesellschaftssystems (z.B. Gesundheitswesen und Bildungssystem) zumindest teilweise für akzeptabel. Zudem fand die Fürsorgepflicht des Staates für den einzelnen Bürger starke Zustimmung.104 Dies korrespondiert damit, daß rußlanddeutsche Aussiedler bei der Lösung alltagspraktischer Probleme (z.B. Arbeitsplatz- und Wohnungssuche) auch in der Bundesrepublik häufig die Unterstützung durch staatliche Stellen erwarten. 105 Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, wie rußlanddeutsche Aussiedler, die schon länger in der Bundesrepublik leben, wesentliche Elemente des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Systems hier, wie z.B. individuelles Leistungs- und Konkurrenzdenken, Profitorientierung, Fragen der sozialen Sicherheit etc. einschätzen. Besonders aufschlußreich ist es in diesem Zusammenhang, die Meinung von Bundesbürgern und von rußlanddeutschen Aussiedlern zu vergleichen. In der Bundesrepublik werden seit 1980 in regelmäßigen Abständen allgemeine Bevölkerungsumfragen durchgeführt (Allgemeine Bevölkerungsumfrage der Sozialwissenschaften ALLBUS). Das Schwerpunktthema des ALLBUS 1984 war die soziale Ungleichheit.106 Den bundesdeutschen Interviewpartnern lagen unter anderem eine Reihe von Einstellungsfragen zu Staat und Wirtschaft in der Bundesrepublik vor, die auch den 1990 interviewten Aussiedlern gestellt wurden. Auf dieser Basis können die Meinungen von Bundesbürgern und von rußlanddeutschen Aussiedlern über einige Aspekte des staatlichen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens verglichen werden. Aus der Gegenüberstellung der Befragungsergebnisse wird zunächst deutlich, daß rußlanddeutsche Aussiedler in etwas stärkerem Maße die Verantwortlichkeit des Staates für die Lebensverhältnisse der Bürger einforderten als die Bundesdeutschen (vgl. Tab. 21). Dies ist vor dem Hintergrund der Sozialisation 104 Gleichzeitig wurde aber eine die individuellen Rechte einschränkende staatliche Vormachtstellung abgelehnt. Vgl. B. Dietz, Interviews with Soviet German Emigrants as a Source of Information for Soviet Studies. First Results of the General Survey of Soviet German Emigrants. Forschungsprojekt »Deutsche in der Sowjetgesellschaft«, Arbeitsbericht Nr. 4, München 1986. 105 Diese Haltung wurde auch bei Juden, die aus der Sowjetunion nach Israel auswanderten, festgestellt. Vgl. T. Horowitz, The Soviet Man in an Open Society. An Overview, in: T. Horowitz (ed.), The Soviet Man in an Open Society. Lanham, New York, London 1989, S. 5-18, hier S. 16 ff. 106 Die Grundgesamtheit des ALLBUS 1984 bestand aus allen Personen mit deutscher Staatsangehörigkeit, die in der Bundesrepublik und West-Berlin lebten und jeweils zu Beginn der Datenerhebung das 18. Lebensjahr vollendet hatten. Der Stichprobenansatz war so gestaltet, daß die Zahl der vollständigen Interviews ca. 3000 betrug. Vgl. Zentralarchiv für empirische Sozialforschung an der Universität zu Köln, Allgemeine Bevölkerungsumfrage der Sozialwissenschaften. ALLBUS 1984. Codebuch ZA.-Nr. 1340, S. 6.
10*
1 4 8 4 .
Kapitel: Rußlanddeutsche in der Bundesrepublik Deutschland
in einem System zu verstehen, in dem der Staat in starkem Maße die Lebensverhältnisse der Bürger bestimmte.
Tabelle 21 Einstellung zur Fürsorgepflicht des Staates Der Staat muß dafür sorgen, daß man auch bei Krankheit, Not, Arbeitslosigkeit und im Alter ein gutes Auskommen hat Α
Β
stimme voll zu
65,8
55,1
stimme eher zu
26,4
34,7
stimme eher nicht zu
2,1
7,1
stimme überh. nicht zu
0,2
7,1
weiß nicht keine Angabe
3,9
1,3 0,0
1,4
A = rußlanddeutsche Aussiedler ( Ν = 427); Β = Bundesbürger ( Ν = 3004, Quelle: ALLBUS '84).
Die Einstellungen von rußlanddeutschen Aussiedlern und von Bundesbürgern glichen sich bei der Beurteilung der Aussage »der Staat muß dafür sorgen, daß jeder Arbeit hat und die Preise stabil bleiben, auch wenn deswegen die Freiheiten der Unternehmer eingeschränkt werden müssen« (vgl. Tab. 22). Dies ist ein Hinweis darauf, daß rußlanddeutsche Aussiedler, ebenso wie Bundesbürger, die staatliche Fürsorgepflicht über unternehmerische Freiheiten stellen. Die Aussage, daß Unternehmergewinne letzten Endes allen zugute kommen, wurde von rußlanddeutschen Aussiedlern in stärkerem Maße gestützt als von den Bundesbürgern (vgl. Tab. 23). Hier mag auf Seiten der rußlanddeutschen Aussiedler auch die - unter Umständen überzogen optimistische - Vorstellung eine Rolle gespielt haben, daß hohe Unternehmergewinne in keinem Falle die soziale Ungleichheit vergrößern. Bei der Bewertung der Einschätzung »in unserer Gesellschaft muß jeder schauen, daß er auf einen grünen Zweig kommt« erwiesen sich rußlanddeutsche Aussiedler stärker als Bundesbürger davon überzeugt, daß ein gemeinschaftliches politisches oder gewerkschaftliches Vorgehen sinnvoll sein könnte. Kollektive Wertvorstellungen sind unter rußlanddeutschen Aussiedlern stärker präsent.
3. Zur gesellschaftlichen und politischen Partizipation
149
Tabelle 22 Einstellung zu Staat und Unternehmerfreiheit Der Staat muß dafür sorgen, daß jeder Arbeit hat und die Preise stabil bleiben, auch wenn deswegen die Freiheiten der Unternehmer eingeschränkt werden müssen Α
Β
stimme voll zu
34,4
34,9
stimme eher zu
34,4
36,0
stimme eher nicht zu
17,7
19,1
stimme überh. nicht zu
3,7
6,5
weiß nicht
7,6
3,5
keine Angabe
2,3
0,0
A = rußlanddeutsche Aussiedler (N = 427); Β = Bundesbürger (N = 3004, Quelle: ALLBUS '84).
Tabelle 23 Einstellung zu Unternehmergewinnen Die Wirtschaft funktioniert nur, wenn die Unternehmer gute Gewinne machen. Und das kommt letzten Endes allen zugute Α Β stimme voll zu
38,8
27,7
stimme eher zu
36,2
38,4
stimme eher nicht zu
12,4
20,1
stimme überh. nicht zu
2,5
9,7
weiß nicht
8,9
4,1
keine Angabe
1,1
0,0
A = rußlanddeutsche Aussiedler (N = 427); Β = Bundesbürger (N = 3004, Quelle: ALLBUS '84).
150
4. Kapitel: Rußlanddeutsche in der Bundesrepublik Deutschland Tabelle 24 Einstellung zum gewerkschaftlichen Zusammenschlug
In unserer Gesellschaft muß jeder für sich schauen, daß er auf einen grünen Zweig kommt. Es hilft nicht viel, sich mit anderen zusammenzuschließen, um politisch oder gewerkschaftlich für seine Sache zu kämpfen Α stimme voll zu
Β
14,7
25,2
stimme eher zu
24,8
32,1
stimme eher nicht zu
28,2
22,7
stimme überh. nicht zu
12,4
16,0
weiß nicht keine Angabe
17,7 2,3
3,9 0,0
A = rußlanddeutsche Aussiedler ( Ν = 427); Β = Bundesbürger (Ν = 3004, Quelle: ALLBUS '84).
D i e Meinungen zur Verteilung
der wirtschaftlichen
Gewinne
weisen
schließüch daraufhin, daß rußlanddeutsche Aussiedler eher als Bundesbürger der Ansicht waren, daß diese i m großen und ganzen gerecht verteilt würden. D i e hier zutage tretenden Unterschiede können m i t darauf zurückzuführen sein,
Tabelle 25 Einstellung zur Gewinnverteilung Die wirtschaftlichen Gewinne werden in der Bundesrepublik im großen und ganzen gerecht verteilt Α
Β
stimme voll zu
11,0
6,7
stimme eher zu
34,2
stimme eher nicht zu stimme überh. nicht zu weiß nicht keine Angabe
21,1 7,8 22,5 3,4
28,0 40,0
A = rußlanddeutsche Aussiedler (N = 427); Β = Bundesbürger (N = 3004, Quelle: ALLBUS '84).
17,4 7,9 0,0
3. Zur gesellschaftlichen und politischen Partizipation
151
daß rußlanddeutsche Aussiedler stärker als Bundesbürger geneigt sind, die wirtschaftliche und die Verteilungssituation in der Bundesrepublik positiv zu bewerten. Bei allen hier zitierten Einschätzungen fällt ein Punkt besonders auf. Die interviewten Rußlanddeutschen bezogen sehr viel häufiger als Bundesbürger zu den vorgegebenen Meinungen keine Stellung, das heißt sie antworteten mit »weiß nicht«. Dies deutet daraufhin, daß ein Teil der befragten Aussiedler entweder Schwierigkeiten hatte, die Fragen einzuordnen oder aber, daß sie sich nicht äußern wollten. Insgesamt gesehen sind jedoch die Meinungen rußlanddeutscher Aussiedler bezüglich einiger Aspekte der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Situation in der Bundesrepublik keineswegs fundamental von denjenigen der Bundesbürger unterschieden. Dies deutet - ebenso wie die Antworten auf die Fragen, womit rußlanddeutsche Aussiedler in der Bundesrepublik besonders zufrieden bzw. unzufrieden waren - daraufhin, daß sich gesellschaftliche Integrationsprobleme am stärksten im Bereich der sozialen und persönlichen Beziehungen manifestieren.
33. Mitwirkung in kirchlichen Gemeinden, gesellschaftlichen und politischen Organisationen
Die Mitgliedschaft in gesellschaftlichen Organisationen und/oder in politischen Parteien kann als ein gewisser Indikator für die gesellschaftliche und die politische Einbindung angesehen werden. Dies gilt besonders für Migranten, die in den meisten Fällen zunächst nur über geringe gesellschaftliche Kontakte verfügen. In dieser Situation sind auch Aktivitäten in einer Kirchengemeinde von Bedeutung. Allerdings kann die religiöse Bindung auch zu gesellschaftlicher Isolation führen. Das ist besonders dann der Fall, wenn zuwandernde Mitglieder einer Religionsgemeinschaft keine existierenden Gemeinden ihrer religiösen Gruppe im Aufhahmeland bzw. dort, wo sie leben vorfinden, oder aber wenn sie andere Vorstellungen der Religionsausübung mitbringen. Beide Situationen führen zu einer Abkapselung der Zuwanderer im religiösen Bereich, was meist mit gesellschaftlichem Rückzug einhergeht. Rußlanddeutsche Aussiedler gelten im allgemeinen als ein selbstgenügsamer Personenkreis, der sich - bis auf kirchliche Aktivitäten - nur in geringem Maße in gesellschaftlichen oder politischen Organisationen engagiert. Dies wurde allerdings von der 1990 durchgeführten Aussiedlerbefragung nicht im erwarteten Umfang bestätigt. Dabei ist zu bedenken, daß die Befragten
152
4. Kapitel: Rußlanddeutsche in der Bundesrepublik Deutschland
bereits zwischen 5 und 15 Jahren in der Bundesrepublik lebten, die deutsche Sprache relativ gut beherrschten und vor der großen »Aussiedlerwelle« kamen. Es deutet einiges daraufhin, daß die später Eingereisten im kirchlichen und gesellschaftlichen Leben weitaus weniger aktiv sind. Unter den Befragten gehörten 44% einer gesellschaftlichen oder politischen Organisation an und 56% der Angehörigen einer Religionsgemeinschaft waren in ihrer Kirchengemeinde aktiv. Wie zu erwarten, engagierten sich Männer (53%) häufiger als Frauen (37%) in gesellschaftlichen und politischen Organisationen, während bei der Teilnahme am kirchlichen Gemeindeleben kein großer Unterschied festzustellen war. 107 Die meisten Befragten, die sich einer gesellschaftlichen oder politischen Organisation angeschlossen hatten, waren der Landsmannschaft der Deutschen aus Rußland beigetreten; danach folgten verschiedene Vereine und die Gewerkschaft. Die Mitgliedschaft in einer politischen Partei rangierte an letzter Stelle.108
Tabelle 26 Organisationsgrad der befragten Aussiedler (N=425, Mehrfachnennungen möglich, in Prozent) Landsmannschaft
27,1
Verein (Sport- Musikverein etc.)
10,7
Gewerkschaft
9,7
soziale Organisation
3,0
politische Partei keine Mitgliedschaft
1,6 55,7
Zweifellos stellte die Landsmannschaft für die Befragten die wichtigste gesellschaftliche Organisation in der Bundesrepublik dar. Dies relativiert sich jedoch, wird die Mitgliedschaft der Interviewpartner in verschiedenen gesellschaftlichen oder politischen Organisationen nach Altersgruppen untersucht. Die Landsmannschaft konnte unter den Jüngeren (unter 40 Jahre) nur 10% der Interviewten ansprechen, während unter den Älteren (40 Jahre und mehr) etwa ein Drittel Mitglied der Landsmannschaft war. Die Tatsache, daß vor allem 107 Letzteres wurde auch von anderen Studien bestätigt. Vgl. z.B. K. Kusterer (1990), S. 22; K. Boll (1993), S. 87. 108 Diese Rangfolge konnte auch bei der Untersuchung der AWR (Association for the Study of the World Refugee Problem) Deutsche Sektion festgestellt werden. Vgl. E. Wagner, Zur sozio-kulturellen und kirchlich-religiösen Eingliederung, in: H. Harmsen (Hrsg.) (1983), S. 123 ff. sowie L. Wilkiewicz (1989), S. 37 ff.
3. Zur gesellschaftlichen und politischen Partizipation
153
ältere Rußlanddeutsche der Landsmannschaft beitraten, läßt sich auf die Politik und die Aktivitäten dieser Organisation zurückführen. 109 Die Landsmannschaft sah ihre Aufgabe lange Zeit hauptsächlich in der Bewahrung rußlanddeutscher Geschichte und Traditionen, wobei die stark zum Folkloristischen neigende und an traditionellen Werten ausgerichtete Verbandspolitik bei den jüngeren Rußlandddeutschen vielfach nur auf geringes Interesse stieß.110 Der gewerkschaftliche Organisationsgrad unter den Befragten (9%) war vermutlich etwas geringer als deqenige der (erwachsenen) bundesdeutschen Bevölkerung.111 Auffallend ist in diesem Zusammenhang, daß die Interviewpartner in der Sowjetunion zu 68% gewerkschaftlich organisiert waren. Dies spiegelt mit hoher Wahrscheinlichkeit keine grundlegende Veränderung der Einstellung der Interviewten bezüglich einer gewerkschaftliche Organisierung wider, sondern weist eher auf die politische Situation in der Sowjetunion in den siebziger und achtziger Jahren hin, als es nahezu einer Systemkritik gleichkam, die Mitgliedschaft in der Gewerkschaft zu verweigern. Wie bereits mehrfach erwähnt, entsprach es nicht der Haltung der Rußlanddeutschen, sich in der Sowjetunion durch offene Systemkritik zu exponieren. Im Vergleich zur bundesdeutschen Bevölkerung, unter der laut ALLBUS 1984 insgesamt 4% Mitglieder einer politischen Partei waren, gehörten die befragten rußlanddeutschen Aussiedlern seltener einer politischen Partei an (1,6%). Dabei waren in der UdSSR 27% der interviewten Rußlanddeutschen Mitglieder des Komsomol, der Jugendorganisation der KPdSU, gewesen. Die Mitgliedschaft der vormaligen Komsomolangehörigen in bundesdeutschen Parteien lag dabei nur geringfügig über deijenigen aller Befragten (3,4%). Das läßt darauf schließen, daß die ehemaligen Komsomolmitglieder eher aus pragmatischen Erwägungen (Karrieregründe, Wunsch einer bedeutenden Gruppe anzugehören) der Jugendorganisation der KPdSU beigetreten waren. Dies umsomehr, als die Parteienorientierung der vormaligen Komsomolmitglieder in der Bundesrepublik die politischen Vorstellungen des Komsomol in keinster Weise aufnimmt. 112
109
Vgl. auch K. Boll (1993), S. 245.
110
In den letzten Jahren deutet sich hier eine gewisse Änderung hin zu einer stärkeren Orientierung an der Aussiedlerproblematik und an den aktuellen Lebensbedingungen der Rußlanddeutschen in der Sowjetunion an. Dies schlug sich z.B. in in der Aussiedlerberatung und in Hilfsmaßnahmen für die Deutschen in der Sowjetunion nieder. 111 Diesen Schluß läßt zumindest der ALLBUS 1984 zu. Nach dieser Umfrage waren 12,9% der volljährigen Bundesbürger gewerkschaftlich organisiert. 112 Auf die Frage welche Partei sie wählen würden, wenn am nächsten Sonntag Bundestagswahlen wären, antworteten 68% der vormaligen Komsomolmitglieder die C D U und 17% die SPD. Die übrigen verteilten sich auf andere Parteien. Die Parteienorientierung der Gesamtheit der Befragten wird in Tabelle 29 dieser Arbeit dargestellt.
1 5 4 4 .
Kapitel: Rußlanddeutsche in der Bundesrepublik Deutschland
Insgesamt gesehen waren die befragten rußlanddeutschen Aussiedler in erster Linie in der Kirchengemeinde und in der Landsmannschaft aktiv. Dabei stellte das Engagement im kirchlichen Bereich einen so wichtigen Punkt dar, daß darauf nochmals näher eingegangen wird. Über vier Fünftel der Befragten (87%) gehörten einer Religionsgemeinschaft an, wobei - wie für Rußlanddeutsche typisch - die meisten evangelisch waren und es neben der Gruppe der Katholiken noch einen nicht zu vernachlässsigenden Anteil an Baptisten, Mennoniten und anderen Freikirchlern (z.B. Adventisten oder Pfingstler) gab. Je jünger die Befragten waren, desto häufiger bezeichneten sie sich als konfessionslos.
Tabelle 27 Religionszugehörigkeit der Befragten (in Prozent) Insges.
Nach Altersgruppen
N=424
unter 40 N=131
40-59 N=146
über 60
Religionsgemeinschaft evangelisch-lutherisch
44,1
41,2
katholisch
23,8
19,1
47,9 26,7
42,9 25,2
Baptisten
8,7
12,2
7,5 2,8
6,9 4,6
6,8
Mennoniten andere Freikirchen
4,8
1,5 26,7
2,1 11,6
12,9 4,8
keine Religionsgemeinschaft
13,0
N=147
2,0
Mehr als die Hälfte (56%) der Angehörigen einer Religionsgemeinschaft waren in ihrer Kirchengemeinde aktiv, wobei die Freikirchler überdurchschnittlich am Gemeindeleben partizipierten. Wie zu erwarten, engagierten sich ältere Personen häufiger im Gemeindeleben als jüngere. Dennoch trugen die Zugehörigkeit zu einer kirchlichen Gemeinde und die Aktivitäten dort nicht notwendig zu einer Annäherung an die einheimische Bevölkerung bei. Rußlanddeutsche fühlten sich im Gemeindeleben in der Bundesrepublik Deutschland nicht immer aneikannt und aufgehoben. Rußlanddeutsche kritisieren häufig das »unpersönliche« Gemeindeleben, die geringe Emotionalität im Gottesdienst und das ihrer Ansicht nach zu tolerante Verhalten der Kirchen gegenüber dem Verfall moralischer Werte. Diese Unvereinbarkeiten führten bereits dazu, daß Rußlanddeutsche sich in eigenen Gruppen innerhalb der jeweiligen Religionsgemeinschaften zusammenfanden. Baptisten, Mennoniten und andere Freikirchler unter den Rußlanddeutschen tendieren nach den verfügbaren Infor-
3. Zur gesellschaftlichen und politischen Partizipation
155
mationen ohnehin dazu, sich in rußlanddeutschen Gemeinden zu organisieren.113 Dies geht oft auch mit einem Rückzug von der bundesdeutschen Gesellschaft einher. Die Gründe dafür werden in folgendem Zitat sehr deutlich: »Mennonitische Aussiedler versuchen gute Nachbarn in der Bevölkerung und gute Bürger des Staates zu sein, aber darüber auf keinen Fall zu vergessen, daß sie Bürgerrecht i m H i m m e l haben und auf den Himmel und die Ewigkeit zu leben. Praktisch bedeutet das für sie, an vielen Veranstaltungen in der Gesellschaft nicht teilzunehmen, manches zu meiden, was andere bedenkenlos t u n . « 1 1 4
Daß rußlanddeutsche Freikirchler oft eine Gruppe für sich bilden, läßt sich auch aus den Antworten der interviewten Freikirchler auf die Frage erschließen, was ihnen in der bundesdeutschen Gesellschaft am meisten mißfiel. Sie nannten seltener Schwierigkeiten im Bereich der persönlichen Beziehungen (21%) als die Gesamtheit der Interviewten, während ihre Kritik an gesellschaftlichen und sozialen Mißständen (38%) größer war. 115 Dies legt nahe, daß sie aufgrund des Zusammenhalts in der eigenen religiösen Gemeinde weniger als andere Rußlanddeutsche an Außenkontakten interessiert waren und deshalb in diesem Bereich auch weniger Frustrationen erlebten.116
3.4. Wahlverhalten und politische Einstellungen
Aussiedler in der Bundesrepublik stellen bislang keine in der politischen Öffentlichkeit aktive »pressure group« dar. 117 Dies mag daran liegen, daß ihnen - nicht zuletzt aufgrund ihrer Sozialisation in einem sozialistischen System diese Form der politischen Initiative fremd ist. Es ist aber auch möglich, daß sie nicht als »Aussiedler« in die Öffentlichkeit treten wollen, in einer Rolle also, mit der sich die meisten unter ihnen nicht identifizieren wollen. Über das politische Engagement und das Wahlverhalten rußlanddeutscher Aussiedler ist wenig bekannt. Im allgemeinen wird vermutet, daß sie sich von 113 Vgl. dazu die Referate in: Landsmannschaft der Deutschen aus Rußland (Hrsg.), Kirche, Staat, Gesellschaft. Die Rußlanddeutschen am Scheideweg. Kulturtagung der Deutschen aus Rußland/UdSSR vom 26. bis 28. Oktober 1990 in Stuttgart. Stuttgart 1990. 114 Diese Einstellung gilt sicherlich in ähnlicher Weise auch für die Angehörigen anderer Freikirchen. Vgl. H. von Niessen, Die Mennoniten und ihre Grundsätze. Probleme der Integration, in: Landsmannschaft der Deutschen aus Rußland (Hrsg.) (1990), S. 82. 115 Zum Vergleich mit den Aussagen der Gesamtheit der Interviewpartner siehe Tabelle 20 dieser Arbeit. 116 117
Vgl. K. Boll (1993), S.89.
Die Vertriebenen und Flüchtlinge bildeten im Gegensatz dazu in der bundesdeutschen Nachkriegspolitik einen bedeutenden politischen Faktor. In mancher Hinsicht profitieren die Aussiedler bis heute von den in der Nachkriegszeit durch die Lobby der Vertriebenen und Flüchtlinge durchgesetzten politischen Regelungen und Eingliederungshilfen.
156
4. Kapitel: Rußlanddeutsche in der Bundesrepublik Deutschland
politischen Aktivitäten eher zurückhalten und bei Wahlen konservative, eventuell auch rechtsradikale Parteien unterstützen.118 Diese Vorstellungen wurden durch die Befragung rußlanddeutscher Aussiedler nur zum Teil bestätigt Überraschenderweise gab nahezu ein Drittel der Befragten an, sich sehr stark oder stark für Politik zu interessieren. Damit offenbarten die rußlanddeutschen Interviewten ein größeres politisches Interesse als die interviewten Bundesbürger beim ALLBUS im Jahre 1984.
Tabelle 28 Subjektive Einschätzung des politischen Interesses (in Prozent) Wie stark interessieren Sie sich für Politik? A
Β
sehr stark
10,1
7,8
stark
20,2
17,6
mittel
31,0
42,9
wenig
23,6
20,9
überhaupt nicht weiß nicht
15,1 0,0
20,9 10,5
0,0
0,4
keine Angabe A: rußlanddeutsche Aussiedler (N = 427);
B: Bundesbürger (N = 3004, QueUe: ALLBUS 1984).
Dabei deutet einiges daraufhin, daß sich rußlanddeutsche Aussiedler vornehmlich für die Situation in ihren Herkunftsgebieten, für die Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und den Nachfolgestaaten der Sowjetunion sowie für Aussiedlerthemen interessieren.119 Die Untersuchung des Wahlveihaltens wies auf eine hohe Wahlbeteiligung der rußlanddeutschen Aussiedler hin. Insgesamt gaben 90% unter den Interviewten an, sie gingen regelmäßig zur Bundestagswahl. Die Wahlteilnahme bei Landtags- und Kommunalwahlen war etwas geringer, aber mit 83% bzw. 79% Beteiligung noch immer beachtlich. Wird als Vergleich dazu die Wahlbeteili118 Vgl. z.B. A. Blume, Aussiedler in der Bundesrepublik. »Auf unserem Hof wuchsen Blumen und bei den Russen lag Mist«, in: Süddeutsche Zeitung, 29./30.4./1.5. 1989, S. 12. 119
Vgl. K. Boll (1993), S.343.
3. Zur gesellschaftlichen und politischen Partizipation
157
gung der bundesdeutschen Bevölkerung bei der Wahl des 12. deutschen Bundestages am 2. Dezember 1990 herangezogen, dann fiel diese mit 76,3% geringer aus.120 Die hohe Wahlbeteiligung der rußlanddeutschen Aussiedler sollte aber auch vor dem Hintergrund ihres Wahlverhaltens in der Sowjetunion gesehen werden. Hier ist ein Vergleich aufschlußreich, obwohl Wahlen in der UdSSR in erster Linie eine Bestätigung des Parteikandidaten darstellten und mit demokratischen Wahlen wenig gemein hatten. Nach allen zugänglichen Informationen war die Wahlbeteiligung der Rußlanddeutschen in der Sowjetunion hoch, was im Kontext des sowjetischen Systems zunächst eine gewisse Konformität signalisierte. Die Wahlen in der UdSSR wurden von den Rußlanddeutschen vermutlich als eine politische Pflichtübung aufgefaßt, die zu erfüllen hatte, wer nicht auffallen wollte. Es ist durchaus denkbar, daß sich rußlanddeutsche Aussiedler in der Bundesrepublik ebenfalls zur Wahlteilnahme verpflichtet fühlen, hier aber vor dem Hintergrund, als bundesdeutsche Staatsbürger politische Mündigkeit zu demonstrieren. Die Parteienorientierung der befragten Aussiedler fiel gleichförmig aus und überraschte vor dem Hintergrund ihrer eher traditionellen und religiösen Orientierungen nicht. Auf die Frage, welche Partei sie wählen würden, wenn am nächsten Sonntag Bundestagswahlen wären, stimmten 70% der Befragten für die CDU. Die deutliche Votierung für die CDU dürfte zu einem wesentlichen Teil mit der Aussiedlerpolitik dieser Partei zu tun haben. Für viele Aussiedler symbolisiert die CDU die politische Kraft, die es ihnen ermöglichte, in die Bundesrepublik zu kommen. Daher fühlen sich rußlanddeutsche Aussiedler der CDU besonders verpflichtet und wählen sie auch, selbst wenn sie inhaltlich mit ihrem Programm nur teilweise übereinstimmen oder es kaum kennen.121 Die anderen Parteien schneiden - in ihren Augen - im Hinblick auf die Aussiedlerpolitik sehr viel schlechter ab. So kann es durchaus vorkommen, daß rußlanddeutsche Ausiedler, die inhaltlich der SPD nahestehen, dennoch die CDU wählen. Zudem bekennt sich die CDU zu christlichen Werten, was für eine Reihe von Aussiedlern ein weiterer Grund sein dürfte, für sie zu stimmen. Entgegen mancherorts geäußerter Vermutungen, waren die interviewten rußlanddeutschen Aussiedler zum Befragungszeitpunkt nicht von rechtsradikalen Gruppierungen ansprechbar.
120
Vgl. Statistisches Jahrbuch 1992, S. 99.
121
Vgl. Polis (1990), S. 174.
158
4. Kapitel: Rußlanddeutsche in der Bundesrepublik Deutschland
Tabelle 29 Parteienorientierung der befragten rußlanddeutschen Aussiedler Wenn nächsten Sonntag Bundestagswahlen wären, welche Partei würden Sie dann wählen? (N=427, in Prozent) Partei 70,0 13,4
CDU SPD CSU FDP Grüne
1,2 1,0 0,7
NPD
0,2
DVU
0,2
anderes
2,0
wähle nicht
5,5
weiß nicht
5,7
4. Rußlanddeutsche Aussiedler im bundesdeutschen Alltag
Die alltäglichen Sozialbeziehungen rußlanddeutscher Aussiedler in der Bundesrepublik sind von gravierender Bedeutung für ihre soziale Integration.122 Wesentlich erscheint in diesem Zusammenhang vor allem, ob rußlanddeutsche Aussiedler im bundesdeutschen Alltagsleben ein Gefühl der sozialen Zugehörigkeit entwickeln können. Dies ist auch damit verknüpft, ob die Bevölkerung der Bundesrepublik bereit ist, rußlanddeutsche Aussiedler im alltäglichen sozialen Miteinander zu akzeptieren. Es ist zudem zu berücksichtigen, ob rußlanddeutsche Aussiedler tendenziell in der eigenen Gruppe, z.B. auch innerhalb der Familien, ein soziales Netzwerk aufbauen und unter welchen Bedingungen dieses hilfreich für die Integration im gesamtgesellschaftlichen Zusammenhang sein kann.
122 Hier spielen unter anderem die im Beziehungszusammenhang transportierten Botschaften eine wichtige Rolle. Um nur zwei Beispiele zu nennen: Aussiedlern kann bedeutet werden, daß sie willkommen sind und gebraucht werden oder aber, daß ihre Zuwanderung weder verstanden noch gewünscht wird.
4. Rußlanddeutsche Aussiedler im bundesdeutschen Alltag
159
4.1. Die Rolle der Familie im sozialen Beziehungsgeflecht
Für rußlanddeutsche Ausiedler hat der familiäre Zusammenhalt einen hohen Stellenwert. Dies spiegelt sich z.B. darin wider, daß sie in der überwiegenden Mehrzahl im Familienverband in die Bundesrepublik einreisen und daß sie zumeist versuchen, mit allen Familienmitgliedern gemeinsam zu kommen. Im Vergleich zu bundesdeutschen Familien ist die Verbindlichkeit innerhalb der rußlanddeutschen Familie noch sehr viel größer. 123 Es herrschen zumeist patriarchalische Strukturen vor und die Rollenverteilungen zwischen Frauen und Männern sind traditionell geprägt.124 Daran hat auch die Berufstätigkeit der Frauen, die in der Sowjetunion weitverbreitet war, so gut wie nichts geändert. Die starke familiäre Bindung hat jedoch in der bundesdeutschen Gesellschaft, die in den neunziger Jahren einen derartigen Zusammenhalt im allgemeinen nicht mehr kennt, zwiespältige Auswirkungen. Einerseits stellt die Familie bei der Alltagsbewältigung nach der Migration - vor allem auch im psychischen Bereich - eine wichtige Stütze dar; 125 andererseits kann die familiäre Einbindung den Einzelnen in der Ausbildungssituation, beim Eintritt ins Berufsleben oder bei der sozialen Orientierung daran hindern, sich den individuellen Möglichkeiten entsprechend zu entfalten. Von diesem Spannungsverhältnis sind vor allem Jugendliche betroffen. 126 Nicht selten verließen sie die vormalige Sowjetunion, wo sie sozial eingebunden waren, weil die Familie die Ausreise beschlossen hatte. Aus mehreren Gründen fällt gerade den Jugendlichen die Eingewöhnung an das Leben in der Bundesrepublik schwer, wobei das familiäre Umfeld nur begrenzt in der Lage ist, diese Probleme aufzufangen. 127 Die deutsche Sprachkompetenz der Jugendlichen ist bei der Ankunft zumeist gering, ihre Schuloder begonnene Berufsausbildung ist in Deutschland nahezu wertlos. Besonders schwer wiegt jedoch, daß sie nicht ohne weiteres Anschluß an einheimi-
123 Dies kann mit einer Situation verglichen werden, wie sie in der Bundesrepublik in der Nachkriegszeit bis hin zu den sechziger Jahren vorherrschte. »Noch in den sechziger Jahren besaßen Familie, Ehe und Beruf als Bündelung von Lebensplänen, Lebenslagen und Biographien weitgehend Verbindlichkeit. Inzwischen sind in allen Bezugspunkten Wahlmöglichkeiten und -zwänge aufgebrochen.« Vgl. U. Beck (1986), S. 163. 124
Vgl. L. Wilkiewicz (1989), S. 52 ff.; K. Boll (1993), Kap. II.
125
Vgl. B. Hager / F. Wandel (1978), S. 47; S. Röh, Heimatvorstellungen von Spätaussiedlern, in: Jahrbuch für ostdeutsche Volkskunde, Bd. 25,1982, S. 139-201, hier S. 181. 126 Vgl. G. Auernheimer, Zwischen Heimat Ost und West, in: päd. extra & demokratische erziehung, Oktober 1989, S. 5-10. 127 Zur Situation von jugendlichen Aussiedlern in Bundesrepublik vgl. L. Kossolapow (1987); G. Bonifer-Dörr (1990); M. Bauer, Beheimatung jugendlicher Aussiedler. Schriftenreihe der Ackermann-Gemeinde, Heft 35, München 1991.
160
4. Kapitel: Rußlanddeutsche in der Bundesrepublik Deutschland
sehe Jugendliche finden. 128 In den Augen rußlanddeutscher Jugendlicher sind die Einheimischen arrogant, konsum- und konkurrenzorientiert. 129 Sie selbst aber werden als altmodisch und fremd wahrgenommen, ihre Zuwanderung bleibt unverständlich. Übernehmen jugendüche Rußlanddeutsche pluralistische und individualistische Einstellungen der bundesdeutschen Gesellschaft, kommt es zu Konflikten mit den Eltern und Großeltern. Nach deren Wahrnehmung sind in der Bundesrepublik die persönlichen Freiheiten zu groß und die Bedeutung moralischer Werte zu gering. Die vor diesem Hintergrund unausweichlichen familiären Konflikte werden unterschiedlich gelöst Je stärker die einzelnen Familien in strenggläubige religiöse Gruppen eingebunden sind, desto eher tendieren sie dazu, sich von der bundesdeutschen Gesellschaft abzuschließen und soziale Kontakte vornehmlich in der Familie und der Gemeinde zu suchen. Die anderen finden sich zumeist damit ab, daß ihr Leben und das ihrer Kinder in Deutschland tiefgreifende Veränderungen erfahren wird. Im allgemeinen bleiben die familiären Bindungen rußlanddeutscher Aussiedler eng. Die Interviewstudie von 1990 konnte zeigen, daß rußlanddeutsche Ausiedler selbst nach längerem Aufenthalt in der Bundesrepublik noch häufig familiäre und verwandtschaftliche Kontakte pflegen (vgl. Tab. 30).
Tabelle 30 Familiäre und verwandtschaftliche Kontakte Wie oft treffen Sie sich durchschnittlich mit Ihren Kindern und Ihren Verwandten, die nicht in Ihrem Haushalt leben? (N=427, in Prozent) Kinder Verwandte oft jeden Tag mehrmals pro Woche mehrmals pro Monat
17,9 41,0
2,5 8,4
28,9 7,4
0,5 61,8 13,0
selten, kaum
4,7
12,8
nie
0,0
1,0
einmal pro Monat
128 Vgl. Landesstelle für Katholische Jugendarbeit in Bayern, Integration von Aussiedlerjugendlichen. Aufgaben und Chancen für die Jugendarbeit. Regensburg 1993, S. 16 ff. 129
Vgl. I. Bruns, »Manchmal bin ich nichts«. Gespräche jugendlicher Aussiedler aus Polen und Rußland. Herausgegeben von Wolfgang Lanquillon im Auftrag des Diakonischen Werks der EKD, Stuttgart 1992.
4. Rußlanddeutsche Aussiedler im bundesdeutschen Alltag
161
Jeweils über drei Viertel der Befragten gaben an, die Beziehungen zu den außer Hause lebenden Kindern und Verwandten seien auch nach der Ausreise gleichgeblieben. Eine Veränderung der Kontakte, das heißt eine Verringerung oder eine Intensivierung, wurde in erster Linie auf die Entfernung zum Wohnort der Kinder bzw. der Verwandten zurückgeführt. Der familiäre Zusammenhalt hatte für rußlanddeutsche Aussiedler in den meisten Fällen eine stabilisierende Funktion.130 Darüber hinausgehend bilden die rußlanddeutschen Familien in der Bundesrepublik ein soziales Netzwerk, das gegenseitige Hilfeleistung bei alltagspraktischen Problemen, wie z.B. bei der Wohnungs- und Arbeitsplatzsuche sowie beim Hausbau, garantiert.
4.2. Die Bedeutung der Wohnsituation für die soziale Integration
Die Wohnsituation stellt für rußlanddeutsche Aussiedler, wie für die meisten Zuwanderer, nicht nur im Hinblick auf die persönliche und familiäre Lebensqualität einen wichtigen Faktor dar, sondern ist in gewisser Weise auch eine Voraussetzung ihrer sozialen Integration. Im Gegensatz zu Arbeitsmigranten wird Aussiedlern mit der Aufnahme in die Bundesrepublik auch ihre Unterbringung garantiert. 131 Die erste Station ist dabei in aller Regel ein Aufnahmelager des Bundes. Nach der Abwicklung der Einreiseformalitäten werden Aussiedler über Landesaufhahmestellen in die verschiedenen Bundesländer verteilt. An den Aufnahmeorten erhalten sie dann entweder einen Platz in einem Übergangswohnheim oder sie versuchen, eine eigene Wohnung zufinden. Die jeweiligen Bundesländer - seit dem 1.11.1990 auch die neuen - sind bis zu einer gewissen Quote (Soll-Zahl) verpflichtet, Aussiedler aufzunehmen. 132 Die meisten rußlanddeutschen Aussiedler, die seit Mitte der siebziger Jahre in die Bundesrepublik kamen, fanden bereits Verwandte oder Bekannte aus der
130
Dies konnte in bestimmten Fällen, vor allem für Jugendliche, jedoch auch als Einengung oder Kontrolle erlebt werden. 131 Vgl. J. Haberland (1991), S. 92-101; Ch. Bals, Zur Wohnungsversorgung von Aussiedlern in der Bundesrepublik, in: K. J. Bade/S. I. Troen (Hrsg.) (1993), S. 76-84; B. Hallermann, Rahmenbedingungen der Unterbringung, Erstberatung und Erstunterkunft von Aussiedlern, in: K. J. Bade / S. I. Troen (Hrsg.) (1993), S. 85-93. 132 Die Verteilungsordnung wurde am 28.3.1952 festgelegt und mit dem Kriegsfolgenbereinigungsgesetz zum 1.1.1993 verändert. Die bis zum 31.12.1992 gültigen Quoten sind bei J. Haberland (1991) S. 30-31 abgedruckt, die später gültigen Quoten im Info-Dienst Deutsche Aussiedler, Nr. 38, Bonn, Januar 1993, S. 25. Vgl. auch Tabelle 31 in dieser Arbeit.
11 Dietz
162
4. Kapitel: Rußlanddeutsche in der Bundesrepublik Deutschland
Sowjetunion vor. 133 Daher war unter den Neuankommenden der Wunsch weit verbreitet, in den Ort oder wenigstens in das Bundesland zu ziehen, wo diese lebten.134 Aufgrund des starken Zuwachses der Aussiedlerzahlen traten Ende der achtziger Jahre in solchen Kommunen und Kreisen Engpässe auf, die bisher die vergleichsweise meisten Aussiedler aufgenommen hatten. Um dieser, aus der Sicht der betroffenen Gemeinden, problematischen Entwicklung entgegenzuwirken, intervenierten die Vertretungen von Kommunen und Kreisen sowie die Länder Nordrhein-Westfalen und Berlin im Jahre 1988 gegen die vorherrschende Verteilungspraxis. Daraufhin wurde ein Gesetz beschlossen, das die Zuweisung von Aussiedlern an die Gemeinden neu regelte.135 Aussiedler konnten nun auch Gemeinden zugewiesen werden, für die sie sich nicht freiwillig entschieden hatten und die vielfach von den Wohnorten der Verwandten und Bekannten weit entfernt waren.136 Es war festzustellen, daß unter den verschiedenen Aussiedlergruppen unterschiedliche regionale Prioritäten gesetzt wurden. Rußlanddeutsche Aussiedler zogen z.B. in den Jahren 1976-1992 überproportional häufig in die Länder Niedersachsen, Hessen, Rheinlandpfalz und Baden-Württemberg (vgl. Tab. 31). Das läßt sich als Resultat einer Kettenmigration erklären, wobei die bereits Ausgereisten immer weitere Verwandte und Bekannte in ihre nähere Umgebung »nachzogen«.137 Die Wohnsituation rußlanddeutscher Aussiedler ist in der ersten Zeit nach ihrer Ankunft von vorläufigen Unterbringungen geprägt. Auf das erste Aufnahmelager folgt zumeist der Aufenthalt in einem Übergangswohnheim oder einer Ausweichunterkunft. Diese Form der Unterbringung war zunächst als
133 Dies wurde auch durch die 1990 durchgeführte Befragung bestätigt: 79% der Interviewten hatten Verwandte in der Bundesrepublik. 134 Bei der 1989/90 durchgeführten Befragung von rußlanddeutschen Aussiedlern, die gerade in die Bundesrepublik gekommen waren, wußten 86% der Interviewten in welchem Bundesland sie leben wollten. Vgl. B. Dietz (1991), S. 21. 135 Das Gesetz über die Festlegung eines vorläufigen Wohnortes für Aussiedler und Übersiedler vom 6. Juli 1989 (BGBl. I S. 1378) ist in J. Haberland (1991), S. 99 abgedruckt. Vgl. dazu auch J. Puskeppeleit, Zuzugsentwicklung, Ungleichverteilung und ihre Auswirkungen auf die Kommunen, in: K. A. Otto (Hrsg.), Westwärts-Heimwärts? Aussiedlerpolitik zwischen »Deutschtümelei« und »Verfassungsauftrag«. Bielefeld 1990, S. 161-175. 136 Das Gesetz über die Festlegung eines vorläufigen Wohnortes für Aussiedler und Übersiedler sah zwar vor, die Wünsche der Aufgenommenen bei der Zuweisung zu berücksichtigen (§2), dies war aber aufgrund der Aufnahmekapazitäten nicht immer möglich. 137 Auf diese Weise kommt es vor, daß sich nahezu alle Aussiedler aus einem bestimmten Dorf in der ehemaligen Sowjetunion in der Bundesrepublik wieder in einem kleinen Ort zusammenfinden. Ein Beispiel dafür ist der Ort Willebadessen im östlichen Nordrhein-Westfalen in dem sich zahlreiche Aussiedler aus Polewoje, einem Ort im Gebiet des heutigen deutschen nationalen Rayons in der Kulunda-Steppe bei Slawgorod, angesiedelt haben. Vgl. M. Klaube, In Willebadessen läuft alles in guten Bahnen, in: Zeitung für Dich, Nr. 35,1993, S. 6.
4. Rußlanddeutsche Aussiedler im bundesdeutschen Alltag
163
kurzfristige Überbrückung bis z u m Bezug der eigenen Wohnung gedacht, entwickelte sich jedoch seit Ende der achtziger Jahre zu einem langfristigen Provisorium. Dafür waren die allgemeine Wohnungsnot und die starke Zunahm e v o n Aussiedlern und Übersiedlern i n diesem Zeitraum verantwortlich. Der inzwischen langfristige Aufenthalt i n einem Übergangswohnheim
belastet
Tabelle 31 Verteilungsschlüssel (Soll-Aufnahme) und tatsächliche Aufnahme von Aussiedlern sowie von Aussiedlern aus der ehemaligen Sowjetunion in der Bundesrepublik Deutschland nach Bundesländern 1976-1992 (in Prozent) Ist-Aufnahme 3
Soll-Aufnahme
Bundesland
Vert.-schl.1
Vert.-schl. 2
bis zum
ab 1.1.1993
Aussiedler insgesamt
31.12.1992
Aussiedler aus d. vorm. UdSSR
Schleswig-Holstein
1,8
3,3
1,5
1,3
Hamburg Niedersachsen
3,1
2,1 9,2 3,5
2,2 9,4
1,1 13,7
1,2 33,2
1,1 28,1
Bremen Nordrhein-Westfalen
8,2 1,2 31,7
21,8
Hessen
8,5
7,2
8,2
9,3
Rheinland-Pfalz
4,9
4,7
4,8
7,8
16,9 13,2 2,5
12,3 14,4
18,0 14,5
19,3 10,0
1,4 2,7
1,1 3,3
1,1 0,8
6,5 2,6
0,8
2,1 0,7
Β aden-Württemberg Bayern Saarland Berlin Sachsen Meckl. -Vorpommern Sachsen-Anhalt Thüringen Brandenburg 1
8,0 -
-
3,9 3,5
0,3 0,4 0,5
-
3,5
0,4
-
1,2 1,4 1,0
Verteilungsschlüssel von 1952, vgl. J. Haberland (1991), S. 30-31.
2
Dieser Verteilungsschlüssel wurde mit dem Kriegsfolgenbereinigungsgesetz festgelegt und ist seit dem 1.1.1993 gültig. Vgl. Info-Dienst Deutsche Aussiedler, Nr. 38, Bonn, Januar 1993, S. 25.
3
Quellen: Bundesausgleichsamt, Bundesverwaltungsamt, eigene Berechnungen.
11*
164
4. Kapitel: Rußlanddeutsche in der Bundesrepublik Deutschland
rußlanddeutsche Ausiedler und ihre Familien in hohem Maße.138 Die äußerst beschränkten Wohnbedingungen und die minimalen alltäglichen Kontaktmöglichkeiten zur einheimischen Bevölkerung leisten einer Ghettobildung Vorschub und begünstigen den Rückzug in den engsten Familienkreis. Die Interviewstudie von 1990 konnte die Wohnsituation rußlanddeutscher Aussiedler in einigen Punkten beleuchten. Repräsentativ sind die Ergebnisse jedoch nur für solche Aussiedler, die bis etwa 1985 in die Bundesrepublik gekommen waren. Die Lage auf dem Wohnungsmarkt, aber auch die materiellen Eingliederungsbedingungen für Aussiedler haben sich inzwischen fundamental geändert. Dennoch lassen die Resultate der Interviews einige Schlußfolgerungen zum Zusammenhang von Wohnsituation und sozialer Integration zu, die auch noch in den neunziger Jahren Gültigkeit haben dürften. Aus mehreren Untersuchungen ist bekannt, daß rußlanddeutsche Aussiedler besonders daran interessiert sind, ein eigenes Haus oder eine Eigentumswohnung zu besitzen.139 Das mag an den vergleichsweise großen Familien der rußlanddeutschen Aussiedler liegen, aber auch an der noch an bäuerlichen Traditionen orientierten Einstellung, wonach das eigene Haus im Zentrum des familiären Lebens steht. Selbst in der Sowjetunion lebte ein großer Teil der Rußlanddeutschen in einem eigenen Haus oder einer Eigentumswohnung.140 Viele Rußlanddeutsche Familien konzentrieren auch in ^ler Bundesrepublik all ihre Kraft und ihre finanziellen Mittel darauf, sich ein eigenes Haus zu kaufen oder zu bauen. Dies geschieht unter Mitwirkung von Verwandten und Bekannten; oft werden dafür hohe Renovierungsaufwendungen oder regional ungünstige Standorte in Kauf genommen.141 Noch in den siebziger und den beginnenden achtziger Jahren gelang es einer beträchtlichen Anzahl unter den rußlanddeutschen Aussiedlern, sich den Wunschtraum des eigenen Hauses bzw. der Eigentumswohnung zu erfüllen. Dies geht aus der 1990 durchgeführten Interviewstudie ebenso hervor wie aus anderen Untersuchungen.142 Zum Zeitpunkt der Befragung im Jahre 1990, also zwischen 5 und 15 Jahren nach ihrer Ankunft in Deutschland, stellte sich die Wohnsituation der Interviewten durchaus günstig dar: Über 40% der Befragten 138 Vgl. z.B. w . Drexler / B. Hoffmann /H. G. Pütz (Hrsg.), Aussiedlerfamilien aus der ehemaligen Sowjetunion in Bielefelder Übergangsheimen: Probleme und Chancen des Integrationsprozesses. Eine Untersuchung im Auftrag der Stadt Bielefeld und des Ministers für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen, April 1991, S. 18. 139 Vgl. H.-J. Hoffmann / H.-J. Bürkner/W. Heller (1992), S. 62; G. Watrinet, Die Wohnraumversorgung der Aussiedler - Unterbringung, Familienzusammenführung, Eigentumsbildung - , in: H.Harmsen (Hrsg.) (1983), S. 187-203, hier S. 193. 140
Vgl. B. Dietz /P. Hilkes (1993), S. 66.
141
Vgl. Polis (1990), S. 53.
142
Vgl. L. Willdewicz (1989), S. A94; K. Boll (1993), S. 157 ff.
4. Rußlanddeutsche Aussiedler im bundesdeutschen Alltag
165
lebten im eigenen Haus oder einer Eigentumswohnung (vgl. Tab. 32). Der Erwerb von Haus- oder Wohnungseigentum erfolgte zumeist nach mehreren Umzügen und längeren Jahren des Aufenthalts in der Bundesrepublik.
Tabelle 32 Wohnsituation der befragten Aussiedler zum Zeitpunkt des Interviews im Jahre 1990 (N=426, in Prozent) eigenes Haus, Eigentumswohnung
42,5
Sozialwohnung
28,6
Mietwohnung bei Verwandten oder Bekannten
20,5 4,0
anderes
4,4
Unter den befragten Aussiedlern, die sich bereits länger - das heißt hier 10 Jahre und mehr - in der Bundesrepublik aufhielten, besaß nahezu die Hälfte (48%) Wohnungseigentum. Bei Interviewpartnern, die zwischen 5 und 10 Jahren hier lebten, war der Anteil mit 34% um einiges geringer. Die Länge des Aufenthalts in der Bundesrepublik spielte in diesem Zusammenhang für die Ansparung der entsprechenden Mittel und die Beantragung und Nutzung der verfügbaren Aufbaudarlehen 143 eine wesentliche Rolle. Es muß aber auch bedacht werden, daß die Lage auf dem Immobilienmarkt in den siebziger Jahren noch günstiger war als danach. Rußlanddeutsche Aussiedler kommen zumeist in einem relativ großen, mehrere Generationen umfassenden Familienverband in die Bundesrepublik und sie versuchen auch, hier gemeinsam eine Wohnung zufinden. In Deutschland hat sich diese Form des familiären Zusammenlebens bereits weitgehend aufgelöst: Im Jahre 1990 bestand der durchschnittliche Haushalt in der Bundesrepublik nur noch aus 2,3 Personen.144 Die Ergebnisse der 1990 durchgeführten Befragung deuten daraufhin, daß sich rußlanddeutsche Aussiedler mit der Zeit an die Wohnformen der Bundesbürger anpassen, das heißt, daß ihre Haushalte kleiner werden, wenn sie länger in Deutschland leben. Nach den Angaben der Befragten umfaßte der erste Haushalt nach der Einreise durchschnittlich 4,3 Personen, während beim Interview nur noch durchschnittlich 3,7 Personen 143 Zur damaligen Zeit standen vielen Aussiedlern nach dem Lastenausgleichsgesetz Aufbaudarlehen für den Wohnungsbau bzw. für landwirtschaftliche Nebenerwerbsstellen zu. 144
Vgl. Statistisches Jahrbuch 1992, S. 69.
166
4. Kapitel: Rußlanddeutsche in der Bundesrepublik Deutschland
zusammen wohnten. Es gibt jedoch eine entscheidende Ausnahme: Im eigenen Haus oder der Eigentumswohnung lebten (zum Befragungszeitpunkt) durchschnittlich 5 Personen zusammen. Dies läßt vermuten, daß besonders große Familien danach streben, Wohneigentum zu besitzen. Es ist aber auch ein Hinweis darauf, daß sich Familien, nicht zuletzt ausfinanziellen Gründen, zusammenschließen, um gemeinsam ein eigenes Haus oder eine Eigentumswohnung erwerben zu können. Die Wohnsituation rußlanddeutscher Aussiedler kann, wie das im Grund für alle Zuwanderungsgruppen gilt, die Kontakte zur einheimischen Bevölkerung tendenziell fördern; sie kann diese aber auch behindern. Grundsätzliche Regeln dafür, welche Wohnformen sich positiv auf die nachbarschaftlichen Beziehungen zwischen Einheimischen und Zuwanderern auswirken, gibt es allerdings nicht. Es hat sich aber immer wieder herausgestellt, daß die Ansiedlung einer großen Anzahl von Zuwanderern in ein bestimmtes Gebiet, z.B. bestimmte Stadtviertel, die Beziehungen zwischen Zuwanderern und bereits Ansässigen fast immer nachteilig beeinflussen. Dies zeigt sich im Falle der Aussiedler bereits bei den Übergangsheimen, die in Stadtrandgebieten liegen und die allen Anzeichen nach eine soziale Isolierung begünstigen. Rußlanddeutsche Aussiedler sind bezüglich ihrer Ansiedlungswünsche in einer zwiespältigen Situation. Obschon die meisten ihren Verwandten und Bekannten nahe sein wollen, empfinden sie das geballte Zusammenleben von Aussiedlern als problematisch. Die Frage, ob es eigene Siedlungen für Aussiedler geben sollte, verneinten 87% der Interviewpartner, die an der 1990 durchgeführten Befragung teilnahmen. Als Begründung dafür wurden in erster Linie die zu erwartenden Integrationsprobleme angegeben.
Tabelle 33 Ansiedlungswünsche rußlanddeutscher Aussiedler (N=427, in Prozent) Glauben Sie, daß es insgesamt besser wäre, wenn man für die Deutschen aus der Sowjetunion hier in der Bundesrepublik eigene Siedlungen vorsehen würde? ja nein kann ich nicht beurteilen
3,0 86,9
10,1
4. Rußlanddeutsche Aussiedler im bundesdeutschen Alltag
167
Seit Ende der achtziger Jahre haben sich die Chancen rußlanddeutscher Aussiedler auf dem Wohnungsmarkt und als Folge davon ihre Wohnsituation drastisch gewandelt. Die Möglichkeit, ein eigenes Haus oder eine Eigentumswohnung zu erwerben, sind gering geworden. Das liegt sowohl an der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung in der Bundesrepublik Deutschland, als auch daran, daß besondere staatliche Unterstützungsleistungen zur Eingliederung von Aussiedlern beschnitten wurden. Das Lastenausgleichsgesetz z.B., das in den meisten Fällen die Basisfinanzierung für das Wohnungseigentum ermöglichte, wurde mit dem Kriegsfolgenbereinigungsgesetz abgeschafft Neuankommende Aussiedler haben seit dem Ende der achtziger Jahre mit einem langfristigen Aufenthalt in einem Übergangsheim zu rechnen. Wegen der angespannten Wohnungsmarktsituation ist zu erwarten, daß sie als anfänglich einkommensschwächere Gruppe auf dem freien Wohnungsmarkt nur geringe Chancen haben dürften, eine Wohnung zu finden. Daher sind sie in starkem Maße auf den Sozialwohnungsmarkt angewiesen. Kommunen und genossenschaftliche Bauträger haben mittlerweile beträchtliche Wohnungskontingente für Aussiedler reserviert, die allerdings häufig in unmittelbarer Nähe zueinander und in Neubauvierteln an Stadt- oder Ortsrändern liegen. »Auch wenn man davon ausgeht, daß die räumliche Nähe zu anderen Aussiedlern von dem einzelnen zumindest zu Beginn des Aufenthalts zunächst gesucht wird, bleibt die Konzentration aufgrund der Verteilungsmechanismen weitgehend erzwungen.«145 Diese räumliche Zusammenballung von Aussiedlern ist in den meisten Fällen für deren Kontaktaufhahme zur einheimischen Bevölkerung und manchmal auch für die Beziehungen der Aussiedler untereinander nicht förderlich. 146
43. Soziale Beziehungen im gesellschaftlichen Kontext
Die Erfahrung, aufgrund der ethnischen Zugehörigkeit in einer Minderheitensituation zu sein, ist zahlreichen rußlanddeutschen Aussiedlern aus der Sowjetunion bekannt Daher registrieren sie im allgemeinen sehr sensibel, ob sie in der Bundesrepublik erneut - als Aussiedler - ausgegrenzt werden. In den letzten Jahren ist einer Fülle von Presseberichten zu entnehmen, daß Aussiedler von der einheimischen Bevölkerung in zunehmendem Maße als
145 146
Vgl. H.-J. Hoffmann / H.-J. Bürkner / W. Heller (1992), S. 64.
Vgl. »Hier redet man Russisch«. Im Pforzheimer Aussiedler-Stadtteil Haidach fühlen sich Einheimische fremd, in: Der Spiegel, Nr. 12, 1990, S. 69-76.
168
4. Kapitel: Rußlanddeutsche in der Bundesrepublik Deutschland
unwillkommene Fremde wahrgenommen werden.147 Die Gründe der Ablehnung sind vielseitig und werden in den unterschiedlichsten gesellschaftlichen Zusammenhängen artikuliert Eine Reihe von Bundesbürgern machen ihre ablehnende Haltung daran fest, daß rußlanddeutsche Aussiedler vornehmlich aus materiellen Gründen in die Bundesrepublik gekommen seien und daß sie mit »Deutschen« wenig gemein hätten. Fehlende deutsche Sprachkompetenz und die Unkenntnis des Lebensstils und des Gesellschaftssystems in der Bundesrepublik werden als Beleg dafür angesehen. In vielen Fällen läßt sich die Ausgrenzung der Aussiedler durch die einheimische Bevölkerung auf deren diffuse Wahrnehmung reduzieren, eine Gruppe vor sich zu haben, die rechtlich den Bundesbürgern gleichgestellt, in vielem aber »anders« ist. 148 Vor diesem Hintergrund erstaunt es nicht, daß über die Hälfte der im Jahre 1990 befragten Rußlanddeutschen mit der ablehnenden Haltung der bundesdeutschen Bevölkerung konfrontiert worden war. Nach den Äußerungen der Interviewten, die selbst oder deren Familien von der bundesdeutschen Bevölkerung abgelehnt worden waren, kam dies am häufigsten in der Nachbarschaft vor. Aber auch am Arbeitsplatz, bei Behördengängen sowie in Schule und Ausbildung wurde im alltäglichen Umgang mit der einheimischen Bevölkerung deren Ablehnung spürbar.
Tabelle 34 Erfahrung der Ablehnung Ist es vorgekommen, daß sich jemand aus der einheimischen Bevölkerung Ihnen bzw. Ihrer Familie gegenüber wegen Ihrer Herkunft aus der Sowjetunion ablehnend verhalten hat? (N=426, in Prozent) ja, häufig ja, gelegentlich
7,3 46,2
nein, selten; nie
46,5
147
Als aktuelles Beispiel sei hier genannt »Für jeden Ami ein Russe«, in: Der Spiegel Nr. 4, 1994, S. 45-50. Dieses Problem wird inzwischen auch von der russischen Presse aufgegriffen. Vgl. z.B. V. Zapevalov, Nemeckij by vyucil tolk'o za to ..., in: Literaturnaja gazeta, Nr. 18, 5. Mai 1993, S. 9. 148
Vgl. »Für jeden Ami ein Russe«, in: Der Spiegel Nr. 4, 1994, S. 45-50.
4. Rußlanddeutsche Aussiedler im bundesdeutschen Alltag
169
Tabelle 35 Gesellschaftlicher Kontext der Ablehnung Wo haben Sie die Ablehnung der einheimischen Bevölkerung erlebt? (N=228, Mehrfachnennungen, in Prozent) in der Nachbarschaft
51,3
am Arbeitsplatz
48,7
auf der Straße
33,3
bei Behördengängen
28,5
im Kindergarten, in der Schule, am Ausbildungsplatz
15,8
anderes
10,5
Jüngere Aussiedler berichteten häufiger von der Ablehnung durch die Einheimischen als die älteren. Dies hatte damit zu tun, daß erstere im öffentlichen Leben stärker präsent waren. Zudem deutet einiges daraufhin, daß ältere Aussiedler dazu neigen, das Leben in der Bundesrepublik zu idealisieren. Erfahrungen der Ablehnung, die eventuell auch von Familienmitgliedern erlebt wurden, werden dann verdrängt Die Beherrschung der deutschen Sprache spielt in diesem Zusammenhang sicherlich eine wesentliche Rolle. Dies konnte durch die Befragungsergebnisse jedoch nicht geprüft werden, da alle Interviewten die deutsche Sprache in den Grundzügen beherrschten.149 Vor dem Hintergrund der geschilderten Erfahrungen wird verständlich, daß nur relativ wenige unter den Interviewten meinten, Aussiedler wären in Deutschland uneingeschränkt willkommen. Die Dauer des Aufenthalts in Deutschland beeinflußte dabei kaum, ob die Haltung der bundesrepublikanischen Bevölkerung den Aussiedlern gegenüber positiv oder negativ eingeschätzt wurde. Im Gegensatz dazu erwies sich die Generationszugehörigkeit als wesentlicher Faktor. Die Jüngeren waren insgesamt gesehen häufiger als die Älteren der Ansicht, daß Aussiedler nicht willkommen seien. Letztlich bestätigen die Befragungsergebnisse aus der Sicht rußlanddeutscher Aussiedler, was seit Ende der achtziger Jahre aus zahlreichen Presseveröffentlichungen und Umfragen unter Bundesbürgern hervorgeht: die Aufnahme von Aussiedlern findet keinen starken Rückhalt in der Bevölkerung mehr. 149 Zudem wurden auch die Erfahrungen der Familienmitglieder, über deren Sprachkenntnisse nichts bekannt war, in den Antworten berücksichtigt.
4. Kapitel: Rußlanddeutsche in der Bundesrepublik Deutschland
170
Tabelle 36 Akzeptanz durch die bundesdeutsche Bevölkerung Haben Sie den Eindruck, daß Aussiedler bei der bundesrepublikanischen Bevölkerung willkommen sind? (N=426, in Prozent) Insges. N=426
Nach Altersgruppen unter 40
40-59
über 60
N=133
N=147
N=146
ja teils/teils
7,3
5,3
7,5
52,8
48,1
48,3
8,9 61,6
nein
37,1
45,9 0,8
40,1
26,0
4,1
3,4
weiß nicht
2,8
Im alltäglichen Miteinander geüngt es rußlanddeutschen Aussiedlern nur schwer, zur einheimischen Bevölkerung Kontakte anzuknüpfen. 150 Dabei ist nicht ohne weiteres festzustellen, wie stark dies von seiten der Rußlanddeutschen als Defizit empfunden wird. Einige unter ihnen, vor allem die Älteren, sind, soweit dies von außen zu beurteilen ist, mit den sozialen Beziehungen in der Familie und im rußlanddeutschen Bekanntenkreis durchaus zufrieden. 151 Andere wünschen sich vermutlich engere Kontakte zur einheimischen Bevölkerung, obschon es ihnen, wie auch die Befragung zeigt, schwerfällt, dies zu artikulieren. Auf die Frage, zu welchen Personengruppen sie in ihrer Freizeit hauptsächlich Kontakt hätten, nannten über die Hälfte der Interviewten (54%) Deutsche aus der Sowjetunion. Etwas mehr als ein Fünftel (21,9%) meinten, sie hätten zu Einheimischen engere Beziehungen und die übrigen gaben an, zu allen Bevölkerungsgruppen etwa gleichstarke Kontakte zu haben. Die unter vierzigjährigen schlossen sich in ihrer Freizeit etwas stärker den Einheimischen an als die Älteren. Vor dem Hintergrund des bisher Gesagten verwundert es nicht, daß die besten Freunde unter den Interviewten (62%) vorwiegend aus der UdSSR stammten.
150 Dies läßt sich zum Teil auch darauf zurückführen, daß rußlanddeutsche Aussiedler es sich häufig nicht zutrauen, bei der Kontaktaufnahme mit Einheimischen die Initiative zu ergreifen. Vgl. Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen (1992), S. 177. 151
Vgl. Polis (1990), S. 228.
4. Rußlanddeutsche Aussiedler im bundesdeutschen Alltag
171
Danach befragt, zu welchen Personen oder Bevölkerungsgruppen sie selbst gerne häufiger oder intensiver Kontakt hätten, meinten über die Hälfte der Interviewten (56%), daß alles so bleiben sollte wie es sei, oder daß sie bereits über ausreichende Kontakte verfügten (19%). Unter denjenigen (25%), die sich intensivere Beziehungen in der Bundesrepublik wünschten, wollten die meisten (69%) mehr mit der einheimischen deutschen Bevölkerung zu tun haben. Dies scheint in gewissem Widerspruch dazu zu stehen, daß ein Teil der Befragten an anderer Stelle im Hinblick auf die sozialen Beziehungen in der Bundesrepublik Defizite beklagte (vgl. Tab. 20). Es ist nicht von der Hand zu weisen, daß sich unter rußlanddeutschen Aussiedlern bezüglich der sozialen Kontakte bereits eine gewisse Resignation eingestellt hat. Unterstützt wird diese Vermutung durch die Antwort auf die Frage, ob die Interviewten der Ansicht seien, daß sich die Deutschen aus der Sowjetunion mehr Kontakte zur einheimischen Bevölkerung wünschten. Zwei Drittel meinten »ja, ich glaube schon« und 12% hielten dies für möglich.152 Das spricht dafür, daß rußlanddeutsche Aussiedler den Kontakt zu Einheimischen in starkem Maße bejahen, obschon es vielen unter ihnen noch nicht im erwünschten Maße gelungen sein dürfte, Beziehungen zur einheimischen Bevölkerung anzuknüpfen. Ein Großteil der rußlanddeutschen Aussiedler findet in der Familie und der eigenen Gruppe einen relativ starken Rückhalt und gegenseitige Hilfestellung. Diese Form der Einbindung von Zuwanderungsgruppen in eigene soziale Zusammenhänge wird als Binnenintegration bezeichnet.153 Die Frage, ob Binnenintegration tendenziell die soziale Integration der entsprechenden Zuwanderungsgruppe verhindert, oder ob sie diese im Gegenteil sogar fördert, wurde des öfteren diskutiert, wobei die Meinungen darüber geteilt waren.154 Im Falle rußlanddeutscher Aussiedler deutet einiges darauf hin, daß die Binnenintegration - je nach den vorgegebenen Zusammenhängen und dem sozialen Hintergrund der Aussiedler - sowohl positive Anstöße für die soziale Integration vermitteln als auch dem sozialen Rückzug Vorschub leisten kann. Eine wesentliche Hilfestellung für die soziale Integration, die durch Binnenintegration geleistet wird, ist z.B. die Vermittlung von Alltagswissen. Dafür gibt es im Falle rußlanddeutscher Aussiedler eine Fülle von Beispielen. Das Verhalten bei Behörden und der Umgang mit Formularen, Anträgen etc. wird neuankommenden Aussiedlern häufig über die Beziehungen zur eigenen 152 Die übrigen hatten dazu keine Meinung (10%) oder sie waren der Ansicht, daß die rußlanddeutschen Aussiedler genügend Kontakte hätten (5%) bzw. daß sie keine weiteren Kontakte wünschten (7%). 153 Vgl. G. El wert, Probleme der Ausländerintegration. Gesellschaftliche Integration durch Binnenintegration? In: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, Jg. 34, 1982, S. 717-731. Die Einbindung von Zuwanderern in ein eigenes soziales Netz wird auch als ethnische Kolonienbildung beschrieben. Vgl. F. Heckmann (1993), Kap. 6. 154
Vgl. G. Elwert (1982), S. 717.
172
4. Kapitel: Rußlanddeutsche in der Bundesrepublik Deutschland
Gruppe vermittelt und kann für die erste Kontaktaufnahme mit gesellschaftlichen Instanzen von erheblicher Bedeutung sein. Bei der Arbeits- und Wohnungssuche sind Aussiedler, die über Binnenkontakte verfügen, nicht auf sich gestellt. Gleiches gilt beim Eintritt in Vereine oder andere soziale Organisationen, die über die eigene Gruppe vermittelt werden. Die Weitergabe von Alltagswissen und -kontakten erleichtert auf diese Weise auch die soziale Integration.155 Die günstigen Auswirkungen der Binnenintegration sollten bei rußlanddeutschen Aussiedlern jedoch nicht überschätzt werden. Es sind zwar durchaus enge soziale Beziehungen untereinander vorhanden, diese gehen aber häufig nicht über einen engen familiären und bekanntschaftlichen Kreis hinaus.156 Der spezifische Hintergrund einiger rußlanddeutscher Aussiedler birgt jedoch zweifellos die Gefahr in sich, daß die Binnenintegration zu rußlanddeutschen Gruppierungen innerhalb der bundesdeutschen Gesellschaft führt, die in selbstgewählter sozialer Isolation leben. Dies dürfte vornehmlich auf bestimmte religiöse Gemeinschaften zutreffen, wie z.B. strenggläubige Baptisten, Mennoniten oder Pfingstler. Aufgrund ihrer Glaubensgrundsätze sind diese Gruppen auch von sich aus eher auf Segregation denn auf Integration bedacht Problematisch ist dies vor allem deshalb, weil die einheimische Bevölkerung mit diesem Verhalten häufig nicht zurechtkommt und mit Unverständnis oder Feindseligkeiten reagiert. Die daraus entstehenden Konflikte verweisen erneut darauf, daß die Aufnahmebereitschaft der bundesdeutschen Bevölkerung bei der Integration von Zuwanderern schnell an eine Grenze stößt.
155 Diese positiven Effekte der Binnenintegration werden jedoch nur in dem Maße wirksam, in dem von Seiten der bundesrepublikanischen Gesellschaft auch tatsächlich Aufnahmebereitschaft vorherrscht. 156
Vgl. Vgl. H.-J. Hoffmann / H.-J. Bürkner / W. Heller (1992), S. 65.
Resümee Ziel der vorliegenden Arbeit war es, die Lebensbedingungen der Deutschen in der vormaligen Sowjetunion, ihre Wanderungstendenzen und -motive, sowie die Frage der Integration der ausgereisten Rußlanddeutschen in der Bundesrepublik Deutschland zu untersuchen. Dabei erwies sich, daß in Geschichte und Gegenwart der Rußlanddeutschen die Erfahrung der Migration und die damit verbundene Notwendigkeit zur Neuorientierung in einem fremden sozialen Umfeld, einen zentralen Stellenwert einnimmt Die Geschichte der Rußlanddeutschen geht auf die Zuwanderung deutscher Kolonisten ins russische Zarenreich im 18. Jahrhundert zurück. Daß sie sich bis heute in der vormaligen Sowjetunion als eigenständige ethnische Gruppe wahrnehmen und als solche auch von Staat und Gesellschaft angesehen werden, mag anachronistisch erscheinen. Dies umso mehr, als die Rußlanddeutschen in der vormaligen Sowjetunion ihre eigenen sprachlichen, kulturellen und religiösen Traditionen weitgehend verloren haben. Verständlich wird diese Entwicklung vor dem Hintergrund der sowjetischen Nationalitätenpolitik, die von einer zwiespältigen Einstellung gegenüber den ethnischen Gruppen im Vielvölkerstaat gekennzeichnet war. Es wurde von staatlicher Seite aus versucht, die Forderungen und Ansprüche der verschiedenen ethnischen Gruppen auf Autonomie abzuwehren, während gleichzeitig die ethnische Zugehörigkeit der Sowjetbürger im Paß festgehalten wurde und in allen Bereichen des öffentlichen Lebens eine Rolle spielte: beim Zugang zur Hochschule, beim beruflichen Weiterkommen und bei der Besetzung politischer Ämter. Die föderale Struktur der Sowjetunion orientierte sich weitgehend im Rahmen nationaler Grenzziehungen und die Rechte ethnischer Gruppen (z.B. Verwaltungs- oder Sprachautonomie) waren an eine territoriale Autonomie gebunden. Dies leistete nicht nur einer Hierarchisierung der verschiedenen ethnischen Gruppen in der vormaligen Sowjetunion Vorschub, sondern führte auch dazu, daß insbesondere ethnische Gruppen ohne territoriale Autonomie nur geringe Möglichkeiten hatten, ihre sprachlichen und kulturellen Tradditionen zu bewahren. In der unmittelbaren Nachkriegszeit stellten die Rußlanddeutschen in der Sowjetunion eine marginale ethnische Gruppe dar: sie waren aufgrund der kollektiven Deportation nach dem deutschen Angriff auf die Sowjetunion über das gesamte Land verstreut und hatten ihre territoriale Autonomie verloren. Die Bewahrung eigenkultureller Werte wurde damit nahezu unmöglich gemacht.
174
Resümee
Vielfach ersetzte bei den Rußlanddeutschen in der Nachkriegszeit ein subjektives Zugehörigkeitsgefühl zur eigenen ethnischen Gruppe die nicht mehr vorhandenen soziokulturellen Gemeinsamkeiten. Dieses Phänomen läßt sich bei ethnischen Minderheiten in multinationalen Staaten häufig feststellen. Vor diesem Hintergrund und im Zusammenhang mit der Aufhahmegarantie der Rußlanddeutschen in der politisch und wirtschaftlich stabilen Bundesrepublik Deutschland, etablierte sich eine Ausreisebewegung, die von Seiten der Rußlanddeutschen als Rüdewanderung verstanden wird. Dies spiegelt einen Aspekt von Wanderungsbewegungen in einer Zeit, in der das Modell des ethnisch einheitlichen Nationalstaates eine - vielfach unheilvolle - Renaissance erlebt. In der Bundesrepublik stellen die Rußlanddeutschen eine Zuwanderungsminorität dar, die laut Grundgesetz als deutsche Staatsbürger aufgenommen werden. Nicht zuletzt durch die großzügigen materiellen Eingliederungshilfen bis gegen Ende der achtziger Jahre verlief die wirtschaftliche und berufliche Integration der rußlanddeutschen Zuwanderer relativ erfolgreich. Die soziale Integration, das heißt z.B. die Möglichkeit, soziale Kontakte im Alltag aufzunehmen und zu Einheimischen freundschaftliche Beziehungen anzuknüpfen, gelang hingegen nicht so gut. Die Integrationsbedingungen für rußlanddeutsche Aussiedler sind seit den späten achtziger Jahren schwierig geworden: die materiellen Eingliederungshilfen wurden stark gekürzt und die Akzeptanz von rußlanddeutschen Zuwanderern durch die einheimische Bevölkerung nahm ab. Die wachsenden Probleme bei der Wohnraumbeschaffung und bei der Arbeitsfindung gehen häufig mit sozialer Isolation einher. Die Ergebnisse der vorliegenden Arbeit legen in diesem Zusammenhang die Schlußfolgerung nahe, daß die Sozialisation der rußlanddeutschen Aussiedler in der sowjetischen Gesellschaft ihre Integration in der Bundesrepublik Deutschland nahezu ebenso schwierig macht, wie die anderer Zuwanderungsgruppen. Dennoch ist zu vermuten, daß die in der Bundesrepublik geborenen und sozialisierten Kinder und Enkel rußlanddeutscher Aussiedler sich nicht mehr primär als Angehörige einer Zuwanderungsminderheit verstehen oder als solche wahrgenommen werden. Dafür dürfte zum Teil ihr eigenes Selbstverständnis verantwortlich sein, das heißt, daß die Rußlanddeutschen sich - unabhängig von ihrer Sprachkompetenz - auf die deutsche Sprache als ihre Muttersprache beziehen, und daß sie an kulturelle Traditionen anknüpfen, die in der Familie als deutsche Traditionen fortgeführt wurden. Mindestens ebenso wesentlich ist aber, daß die Rußlanddeutschen, wie alle Aussiedler, in der Bundesrepublik Deutschland von staatlicher Seite nicht als Angehörige eines Zuwanderungskollektivs aufgenommen werden, wie z.B. Arbeitsmigranten, sondern als gleichberechtigte deutsche Staatsbürger. Vieles deutet daraufhin, daß die Gleichbehandlung als Bürger und die Hilfen zur Inte-
Resümee
175
gration (z.B. materielle Unterstützung und Sprachkurse) die ausschlaggebenden Punkte waren, die den rußlanddeutschen Aussiedlern den Neubeginn in der bundesdeutschen Gesellschaft ermöglichten.
Anhang
Kurzbeschreibung der Befragungsstudien
Studie 1985/86 Untersuchungszeitraum:
Sommer 1985 bis Frühjahr 1986.
Befragungsort:
Bundesrepublik (alte Bundesländer), Wohnung der Befragten.
Anzahl der Befragte:
450.
Zielgruppe:
Erwachsene Deutsche aus der Sowjetunion, die zwischen 1975 und 1984 in die Bundesrepublik umgesiedelt sind.
Methode:
Mündliches Interview.
Dauer:
zwischen 3 und 5 Stunden.
Interviewsprache:
Deutsch/Russisch.
Hauptthema:
Lebensbedingungen in der Sowjetunion.
Tabelle Al Ausgewählte soziodemographische Merkmale (in Prozent) Alter zum Zeitpunkt der Befragung Jahre bis 29 30-39 40-49 50-59 60-69 70 und älter
5,6 26,9 23,3 23,8 14,4 6,0
Anhang
177
Tabelle Al, Forts. Geschlecht männlich weiblich
58,0 42,0
Ausreisezeitpunkt 1975 1976 1977 1978 1979 1980 1981 1982 1983 1984
0,2 0,2 0,4 2,0 17,6 23,8 17,3 19,1 18,4 0,9
Wohnort in der Sowjetunion (Republik) RSFSR Ukraine Usbekistan Kasachstan Georgien Moldawien Tadschikistan Kirgisien Litauen Lettland Estland
24,0 4,0 2,2 32,4 0,4 6,4 8,0 12,0 4,4 1,6 4,4
Ausbildung in der Sowjetunion Grundschule und weniger unvollst. Mittelschule Mittelschule mittlere Fachschule Hochschule
26,2 25,1 12,7 16,7 19,1
Religionszugehörigkeit zum Befragungszeitpunkt evangelisch katholisch Mennoniten Baptisten andere Konfessionen keine Konfession
12 Dietz
48,4 24,3 9,0 8,6 1,0 8,6
Anhang
178
Studie 1989/90 Untersuchungszeitraum:
Herbst 1989 bis Frühjahr 1990.
Befragungsort:
Bundesrepublik (alte Bundesländer) Grenzübergangslager Osnabrück und Empfingen.
Anzahl der Befragten:
879.
Zielgruppe:
Erwachsene Deutsche aus der Sowjetunion, die zwischen 1989 und 1990 in die Bundesrepublik umgesiedelt sind.
Methode:
Mündliches Interview.
Dauer:
ca. 1,5 Stunden.
Interviewsprache:
Deutsch/Russisch.
Hauptthema:
Lebensbedingungen in der Sowjetunion.
Tabelle A2 Ausgewählte soziodemographische Merkmale (in Prozent) Alter zum Zeitpunkt der Befragung Jahre bis 29 30-39 40-49 50-59 60-69 70 und älter
24,7 34,5 12,2 14,9 10,8 3,0
Geschlecht männlich
58,9
weiblich
41,1
Anhang
179
Tabelle A2, Forts. Ausreisezeitpunkt 1989 1990
91,2 8,8
Wohnort in der Sowjetunion (Republik) RSFSR
21,6
Ukraine Usbekistan
1,1 5,3
Kasachstan
46,8
Weißrußland
0,1
Moldawien
0,1 8,8
Tadschikistan Kirgisien Turkmenien Litauen
14,9 0,1 0,3
Lettland
0,3
Estland keine Angabe
0,3 0,6
Ausbildung in der Sowjetunion Grundschule und weniger
18,4
unvollst. Mittelschule
18,3
Mittelschule
35,6
mittlere Fachschule Hochschule
18,0 9,5
Religionszugehörigkeit zum Befragungszeitpunkt
12*
evangelisch katholisch Mennoniten Baptisten andere Konfessionen
36,1 21,5 14,5 13,4
keine Konfession
13,0
2,0
Anhang
180
Studie 1990 Untersuchungszeitraum:
Frühjahr 1990 bis Herbst 1990.
Befragungsort:
Bundesrepublik (alte Bundesländer), Wohnung der Befragten.
Anzahl der Befragten:
427.
Zielgruppe:
Erwachsene Deutsche aus der Sowjetunion, die zwischen 1975 und 1985 in die Bundesrepublik umgesiedelt sind.
Methode:
Mündliches Interview.
Dauer:
ca. 1,5-2 Stunden.
Interviewsprache:
Deutsch.
Hauptthema:
Integrationsverlauf in der Bundesrepublik.
Tabelle A3 Ausgewählte soziodemographische Merkmale (in Prozent) Alto: zum Zeitpunkt der Befragung Jahre bis 29
10,1
30-39
21,1
40-49 50-59
11,2 23,2
60-69 70 und älter
23,7 10,8
Geschlecht männlich weiblich
48,7 51,3
Anhang
181
Tabelle A, Forts. Ausreisezeitpunkt 1975 1976 1977 1978 1979 1980 1981 1982 1983 1984 1985
2,8 5,9 8,2 7,7 19,0 20,6 11,0 11,5 9,6 3,5 0,2
Wohnort in der Sowjetunion (Republik) RSFSR Ukraine Usbekistan Kasachstan Weißrußland Aserbaidschan Georgien Moldawien Tadschikistan Kirgisien Litauen Lettland Estland
29,6 4,7 2,8 40,8 0,2 0,2 0,5 2,1 4,7 11,3 0,7 1,2 1,2
Ausbildung in der Sowjetunion Grundschule und weniger unvollst. Mittelschule Mittelschule mittlere Fachschule Hochschule keine Angabe
22,2 30,4 23,9 10,8 11,9 0,7
Religionszugehörigkeit zum Befragungszeitpunkt evangelisch katholisch Baptisten Mennoniten andere Konfessionen keine Konfession keine Angabe
43,8 23,5 8,7 7,5 2,8 12,9 0,7
Anhang
182
Studie 1991 Untersuchungszeitraum:
Frühjahr 1991.
Befragungsort:
Vormalige Sowjetunion: Kasachstan und Westsibirien.
Anzahl der Befragten:
1013.
Zielgruppe:
In der Sowjetunion lebende erwachsene Deutsche.
Methode:
Mündliches Interview.
Dauer:
ca. 1-1,5 Stunden.
Interview spräche:
Russisch.
Hauptthema:
Lebensbedingungen in der Sowjetunion, Perspektiven.
Tabelle A4 Ausgewählte soziodemographische Merkmale (in Prozent) Alter zum Zeitpunkt der Befragung Jahre bis 29
27,2
30-39
33,7
40-49 50-59 60-69 70 und älter
21,1 11,4 6,3 0,3
Geschlecht männlich weiblich
49,5 50,5
Anhang
183
Tabelle A, Forts. Wohnort in der Sowjetunion (Republik) RSFSR
49,4
Kasachstan
50,6
Ausbildung in der Sowjetunion Grundschule und weniger unvollst. Mittelschule
9,2 7,0
Mittelschule
31,7
mittlere Fachschule
31,9 20,0
Hochschule Religionszugehörigkeit zum Befragungszeitpunkt evangelisch katholisch
23,0
Mennoniten
6,9 0,8
Baptisten andere Konfessionen
4,4
keine Konfession keine Angabe
0,7 61,7 2,5
Die Studie 1985/86 wurde von der Volkswagenstiftung und der Deutschen Forschungsgemeinschaft, die Studien 1989/90, 1990 und 1991 von dem Bundesinnenministerium gefördert.
184
Anhang
Tabelle A5 Anzahl der Aussiedler insgesamt und der Aussiedler aus der vormaligen Sowjetunion Jahr
54 55 56 57 58 59 60 61 62 63 64 65 66 67 68 69 70 71 72 73 74 75 76 77 78 79 80 81 82 83 84 85 86 87 88 89 90 91 92 93 94
Aussiedler aus der vormaligen UdSSR 18 154 1.016 923 4.122 5.563 3.272 345 894 209 234 366 1.245 1.092 598 316 342 1.145 3.426 4.494 6.541 5.985 9.704 9.274 8.455 7.226 6.954 3.773 2.071 1.447 913 460 753 14.488 47.572 98.134 147.950 147.320 195.576 207.347 213.214
Aussiedler insgesamt
10.390 13.202 25.302 107.690 129.660 27.136 18.171 16.414 15.733 14.869 20.099 23.867 27.813 26.227 23.201 29.873 18.590 33.272 23.580 22.732 24.315 19.327 44.248 54.169 58.062 54.802 51.984 69.336 47.993 37.844 36.387 38.905 42.729 78.488 202.645 377.036 397.073 221.995 230.565 218.888 222.591
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