Zur Schadensersatzpflicht wegen Vertragsverletzungen im Gemeinen Recht des 19. Jahrhunderts: Grundsätze des Leistungsstörungsrechts im Gemeinen Recht in ihrer Bedeutung für das BGB [1 ed.] 9783428470075, 9783428070077


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German Pages 292 Year 1990

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Zur Schadensersatzpflicht wegen Vertragsverletzungen im Gemeinen Recht des 19. Jahrhunderts: Grundsätze des Leistungsstörungsrechts im Gemeinen Recht in ihrer Bedeutung für das BGB [1 ed.]
 9783428470075, 9783428070077

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SUSANNE W Ü R T H W E I N

Zur Schadensersatzpflicht wegen Vertragsverletzungen im Gemeinen Recht des 19· Jahrhunderts

Schriften zur Rechtsgeschichte Heft 47

Zur Schadensersatzpflicht wegen Vertragsverletzungen im Gemeinen Recht des 19. Jahrhunderts Grundsätze des Leistungsstörungsrechts im Gemeinen Recht in ihrer Bedeutung für das BGB

Von

Susanne Würthwein

Duncker & Humblot * Berlin

CIP-Titelaufnahme der Deutschen Bibliothek

Würthwein, Susanne: Zur Schadensersatzpflicht wegen Vertragsverletzungen im Gemeinen Recht des 19. Jahrhunderts: Grundsätze des Leistungsstörungsrechts im Gemeinen Recht in ihrer Bedeutung für das BGB / von Susanne Würthwein. - Berlin: Duncker und Humblot, 1990 (Schriften zur Rechtsgeschichte; H. 47) Zugl.: Marburg, Univ., Diss., 1989 ISBN 4-428-07007-0 NE: GT

Alle Rechte vorbehalten © 1990 Duncker & Humblot GmbH, Berlin 41 Fotoprint: Werner Hildebrand, Berlin 65 Printed in Germany ISSN 0720-7379 ISBN 3-428-07007-0

Dem Andenken meiner lieben Mutter und meinem lieben Vater in herzlicher Dankbarkeit

Vorwort Diese Arbeit wurde vom Fachbereich Rechtswissenschaften der PhilippsUniversität Marburg im Sommersemester 1989 als Dissertation angenommen. Meinem verehrten Lehrer und Doktorvater, Herrn Prof. Dr. Hans Georg Leser, MCL, danke ich sehr herzlich für die Anregung zur Bearbeitung dieses Rechtsgebietes, für seine stets freundlich gewährte Förderung und Beratung bei der Entstehung dieser Untersuchung sowie sein Verständnis in schwieriger Zeit. Mein Dank gilt weiterhin dem Präsidenten der Philipps-Universität Marburg, Herrn Prof. Dr. Dietrich Simon, für seine aufmerksame und wohlwollende Anteilnahme an der Entstehung der Arbeit, für seine anregende Kritik und seine wertvollen Hinweise sowie dem Zweitgutachter Herrn Prof. Dr. Dieter Werkmüller für seine hilfreichen Anregungen und sein freundliches Interesse. Herrn Verleger Norbert Simon vom Verlag Duncker & Humblot danke ich für die Übernahme der Dissertation in seinen Verlag. Ferner danke ich Frau Helene Fett sehr für die sorgfältige Erstellung der Druckvorlage. Die Arbeit wurde durch ein Stipendium der Philipps-Universität Marburg im Rahmen der hessischen Graduiertenförderung unterstützt.

Marburg, Sommer 1990 Susanne Würthwein

Inhaltsverzeichnis

Einleitung

15

Erster Teil: Die Haftung für Vertragsverletzungen an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert

22

§ 1 Verletzungen der Leistungspflicht

24

A. Die Nichterfüllung I.

II.

24

Der Naturalerfüllungsanspruch

25

1. I m römischen Recht bis zum frühen usus modernus

25

2. I m Naturrecht

28

3. I m gemeinen Recht an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert . .

31

Das Verhältnis zwischen Naturalerfüllungsanspruch und Wertersatz . .

32

1. I m gemeinen Recht

32

2. I m Naturrecht

35

3. I n den Naturrechtskodifikationen

36

a) Code Civil

36

b) Preußisches Allgemeines Landrecht

37

c) Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch Österreichs

38

B. Die Unmöglichkeit der Leistung

40

I.

Anfängliche Unmöglichkeit der Leistung

40

II.

Nachträgliche Unmöglichkeit der Leistung

42

1. Die befreiende Wirkung

43

2. Die Haftung auf das Interesse

45

10

Inhaltsverzeichnis

§2 Sonstige Vertragsverletzungen

48

I.

I m usus modernus pandectarum

48

II.

I n der Naturrechtslehre

49

I I I . I m gemeinen Recht am Ende des 18., zu Beginn des 19. Jahrhunderts .

52

1. Rechtsverletzung

54

2. Verschulden

55

3. Geltendmachung der Schadensersatzansprüche

57

4. Exkurs: Die Haftung für Mangelfolgeschäden beim Specieskauf . .

59

Zweiter Teil: Die Haftung für Vertragsverletzungen im 19. Jahrhundert

62

§ 1 Verletzungen der Leistungspflicht

64

A. Die Nichterfüllung

64

I.

Das Obligationsverständnis

64

II.

Der Naturalerfüllungsanspruch

66

I I I . Das Prinzip der Geldersatzpflicht

69

I V . Das Exekutionsverfahren

70

1. I m gemeinen Recht vor 1873

70

2. Nach der Civilprozeßordnung von 1873

72

B. Die Unmöglichkeit der Leistung bei Savigny und Mommsen .

75

I.

Der Begriff der Unmöglichkeit bei Savigny

77

II.

Die Unmöglichkeitslehre Friedrich Mommsens

79

1. Der Begriff der Unmöglichkeit bei Mommsen

81

2. "Graenzen der Unmöglichkeit"

83

a) Anfängliche Unmöglichkeit

83

b) Nachträgliche Unmöglichkeit

85

c) Die "wahre Unmöglichkeit"

87

3. Die praktische Behandlung a) Anfängliche Unmöglichkeit b) Nachträgliche Unmöglichkeit

88 88 91

aa) Verschuldete Unmöglichkeit

91

bb) Unverschuldete Unmöglichkeit

92

Inhaltsverzeichnis

C. Die Bedeutung der Lehre Mommsens im gemeinen Recht

..

95

I.

Der Begriff der Unmöglichkeit

95

II.

Behandlung der Fälle der Unmöglichkeit

96

1. Anfängliche Unmöglichkeit

97

2. Nachträgliche Unmöglichkeit

98

I I I . Die Unmöglichkeit als Befreiungstatbestand von einer grundsätzlichen Einstandspflicht bei Mommsen 1. Savigny und Mommsen

103

2. I n der Literatur des gemeinen Rechts

108

3. Beispiele für die Einstandspflicht i m gemeinen Recht

110

a) Anfängliche subjektive Unmöglichkeit

110

b) Verkauf einer nicht existierenden Forderung

111

c) Eviktion

113

d) R G Z 36,187 ff

113

4. Umfang der Einstandspflicht I V . Die Schadensersatzpflicht wegen verschuldeter nachträglicher Unmöglichkeit V.

102

115

117

Die Unmöglichkeit als abschließender Haftungstatbestand

122

1. Savigny

123

2. Mommsen

124

V I . Die Bedeutung der teilweisen Unmöglichkeit bei Mommsen

126

1. Teilweise Unmöglichkeit hinsichtlich der Qualität der zu leistenden Sache

127

2. Teilweise Unmöglichkeit der Leistung hinsichtlich der Zeit

130

3. Teilweise Unmöglichkeit und mora

132

4. Ergebnis

134

D. Würdigung und Kritik der Lehre Mommsens und der herrschenden Meinung im 19. Jahrhundert

136

I.

Die Lehre Mommsens

136

II.

Die Gegenmeinung Hartmanns

140

E. Das Prinzip vom Vorrang der Erfüllung und seine Ausnahmen

143

I.

Das Prinzip vom Vorrang der Erfüllung

143

II.

Die Ausnahmen vom Prinzip des Vorrangs der Erfüllung

145

1. Interesseleistung bei Unmöglichkeit der Erfüllung

147

12

Inhaltsverzeichnis

a) Ansätze zur extensiven Auslegung des Begriffs Unmöglichkeit .

147

b) Unmöglichkeit beim Lieferungskauf

150

c) Unterlassungspflichtverletzungen

152

d) Ergebnis

152

2. Interesse wegen fehlender Durchsetzbarkeit des eingeklagten Erfüllungsanspruchs

153

3. Schadensersatz wegen fehlendem Interesse des Gläubigers an der Erfüllung

155

a) Der Grundsatz

155

b) Erfüllungsverweigerung

158

c) Verzug

161

aa) Allgemeines zum Verzug

161

bb) Anspruch auf das Erfüllungsinteresse statt der Leistung . .

162

cc) Rechtsprechung

165

d) Die Regelungen im A D H G B von 1861

167

aa) Allgemeines

167

bb) A r t t . 355,356 A D H G B

169

cc) Erfüllungsverweigerung

171

dd) Sukzessivlieferungsvertrag

173

4. Abhängigkeit des Ersatzanspruchs von einem Verschulden des Schuldners?

174

5. Ergebnis

177

§2 Sonstige Vertragsverletzungen

179

A. Die Haftung für sonstige Vertragsverletzungen zu Beginn des 19. Jahrhunderts

180

B. Die Haftung für sonstige Vertragsverletzungen bei Savigny ..

183

I.

Die obligatio als Organismus

184

II.

Trennung zwischen vertraglichen und deliktischen Vertragsverletzungen

185

I I I . Der Inhalt der obligatio, die "Nebenverbindlichkeiten"

187

I V . Die Haftung für culpa

188

V.

Die Haftung für Vertragsverletzungen bei den einzelnen Vertragstypen

190

Inhaltsverzeichnis

C. Die Haftung für sonstige Vertragsverletzungen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts

192

I.

Die Haftung für Rechtsverletzungen

192

II.

Die Trennung zwischen vertraglichen und deliktischen Rechtsverletzungen

194

I I I . Die vertragliche Haftung

196

1. Die Grundlage der Haftung

196

2. Vertragsverletzungen

199

a) Keller

199

b) Puchta

201

c) Windscheid

203

3. Verschulden

206

4. Exkurs: Die Haftung für Mangelfolgeschäden beim Specieskauf . .

207

D. Die Haftung für sonstige Vertragsverletzungen in der Rechtsprechung der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts

210

I.

Die Trennung zwischen vorvertraglicher und vertraglicher H a f t u n g . . .

210

II.

Einzelne Vertragsverletzungen

214

1. Verletzung eines Vertragspartners bei der Vertragsabwicklung . . .

214

a) Sorgfaltspflichtverletzungen

214

b) Instruktions-und Hinweispflichtverletzungen

216

2. Verletzung der Vermögensinteressen des Vertragspartners

218

3. Ergebnis

222

Dritter Teil: Die Haftung für Vertragsverletzungen in der Entstehungsgeschichte des BGB § 1 Verletzungen der Leistungspflicht

224

226

A. Der Erfüllungsanspruch

226

B. Die Einstandspflicht für das Erfüllungsversprechen

229

C. Die Bedeutung der Unmöglichkeit der Leistung

233

I.

Anfängliche Unmöglichkeit

233

II.

Nachträgliche Unmöglichkeit

237

14

Inhaltsverzeichnis

1. Unverschuldete Unmöglichkeit

237

a) Der Entwurf v. Kübels

237

b) Die Entwürfe der 1. und 2. Kommission

240

2. Verschuldete Unmöglichkeit I I I . Exkurs: Der Verletzung von Unterlassungspflichten

§ 2 Sonstige Vertragsverletzungen

244 247

250

A. Die Regelungen der Vertragsverletzung in den Entwürfen und Gesetzen der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts

250

B. Die Entstehungsgeschichte des § 276 BGB

254

I.

Der Entwurf v.Kübels

254

II.

§ 224 Ε I

258

I I I . §276 B G B

262

I V . Ergebnis

263

Resümee

265

Literaturverzeichnis

269

A. Handschriften

269

B. Literatur

269

C. Rechtsprechungssammlungen

291

Einleitung 1

Schon im Jahre 1902 kam Staub bei seiner Untersuchung der vertraglichen Schadensersatznormen im Bürgerlichen Gesetzbuch zu der Erkenntnis, daß das Bürgerliche Gesetzbuch zwar eine Reihe von besonderen Haftungstatbeständen - wie Unmöglichkeit, Verzug, Gewährleistungsrechte - enthalte, daß sich jedoch keine allgemeine abschließende Regelung der Ersatzpflicht bei Vertragsverletzungen erkennen lasse. Er diagnostizierte deshalb bereits zwei Jahre nach Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuches, das Bürgerliche Gesetzbuch enthalte eine "Lücke" . Es fehle eine Vorschrift "für die zahlreichen Fälle, in denen jemand eine Verbindlichkeit durch positives Tun verletzt, in denen jemand tut, was er unterlassen soll, oder die Leistung, die er zu bewirken hat, zwar bewirkt, aber fehlerhaft" . Staub entwickelte damit neben der Unmöglichkeit und dem Verzug den Haftungstatbestand der "positiven Vertragsverletzungen". Zwar kann der Charakterisierung der im Bürgerlichen Gesetzbuch nicht geregelten Fälle als "positiven" Vertragsverletzungen nicht gefolgt werden 4 - Stoll proklamierte schon 1932 den Abschied von der Lehre von den positiven Vertragsverletzungen 5. Aber Staubs Bezeichnung hat sich für die Fälle, in denen eine Schadensersatzhaftung nicht ausdrücklich geregelt ist und in denen der Schuldner anerkanntermaßen haftet, durchgesetzt 6. Vornehmlich

1 Staub, in der in der Guttentagschen Festgabe für den 26. Deutschen Juristentag enthaltenen Abhandlung "Über die positiven Vertragsverletzungen und ihre Rechtsfolgen" vom September 1902, auch enthalten in seiner Schrift "Die positiven Vertragsverletzungen" von 1904, die hier zugrundegelegt wird. 2

Staub, p.V.V., S. 5.

3

Staub, p.V.V., S. 5.

4 Die Haftung beschränkt sich weder auf die Haftung für positives Tun noch auf die Verletzungen von vertraglichen Pflichten. Stoll, AcP 136, 257 ff, 314 ff; Rabel, RheinZ 3, 467 ff, 485 ff = Ges. Aufs., Bd. I, S. 74; Medicus, Schuldrecht, A T , S. 181 f; Larenz, Schuldrecht, A T , § 24 I a, S. 338; Jakobs, Unmöglichkeit, S. 13 ff; Westhelle, Nichterfüllung, S. 12 f; Blomeyer, Schuldrecht, A T , § 301; Fikentscher, Schuldrecht, § 42 I I I ; Gillig, Nichterfüllung, S. 426; Kopeke, Typen, S. 12; Schünemann, JuS 1987,1 ff, 4. 5 6

Stoll, AcP 136, 257 ff.

Vgl. zu den Fällen der Haftung wegen "positiver Vertragsverletzung" bzw. "positiver Forderungsverletzung" Emmerich, Leistungsstörungen, S. 192 ff; ders., Athenäum, S. 432 ff;

16

Einleitung η

handelt es sich dabei um die Fallgruppen der Verletzung von Nebenpflichten , von Larenz als Verletzungen weiterer Verhaltenspflichten bezeichnet , und die Schlechterfüllung einer Hauptleistungspflicht, sofern durch die nicht ordnungsgemäße Erfüllung ein über das Erfüllungsinteresse hinausgehender zusätzlicher Schaden (Begleitschaden) beim Gläubiger entstanden ist 9 . Dazu werden ferner die Erfüllungsverweigerung 10 des Schuldners und die Verletzung einzelner Lieferungspflichten beim Sukzessivlieferungsvertrag 11 gezählt. Das Fehlen einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung dieser Fallgruppen im Gegensatz zu der extensiven Regelung der Haftung bei Unmöglichkeit und Verzug gaben Anlaß zu der vorliegenden Untersuchung, ob vor Inkrafttreten des BGB die Haftung für Vertragsverletzungen bewußt auf die Fälle der Unmöglichkeit und des Verzuges reduziert worden war. Wie wurden die Fälle, die nach unserer heutigen Auffassung weder als Fälle der Unmöglichkeit noch des Verzuges eingestuft werden, also die Fälle in der "Lücke", gelöst? Damit stellt sich die Frage nach dem gesamten Haftungssystem für Vertragsverletzungen im gemeinen Recht vor dem 1.1.1900. Die Grundstrukturen des Haftungssystems im 19. Jahrhundert und damit auch die, auf denen das Bürgerliche Gesetzbuch aufgebaut ist, sind noch weitgehend ungeklärt. So besteht bereits Uneinigkeit darüber, ob das gemeine

Larenz, Schuldrecht, A T , § 241 a; Medicus, Schuldrecht, A T , S. 181 ff; Fikentscher, Schuldrecht, § 47; Kopeke, Typen, S. 30 ff mit einer Aufgliederung der Fälle der positiven Vertragsverletzungen in Fallgruppen; Schünemann, JuS 1987,1 ff. M a n ist sich dabei jedoch nur in der negativen Umschreibung der Fälle in der Lücke des B G B einig und beschreibt sie als Leistungsstörungen, die nicht auf Unmöglichkeit beruhen oder einen Verzug darstellen. A u c h die Grundlage der Haftung ist keineswegs geklärt, man vergleiche nur die unterschiedlichen Begründungen bei Staub, p. V.V., S. 15,23,51 f; Lehmann, AcP 96,60 ff; 83 ff; Zitelmann, Festgabe Krüger, S. 265 ff, 276; Stoll, AcP 136,257 ff, 282. 7 Emmerich, Leistungsstörungen, S. 192, 211; Medicus, Schuldrecht, A T , S. 183; Kopeke, Typen, S. 65 ff; Brox, Schuldrecht, A T , Rdnr. 294. 8

Larenz, Schuldrecht, A T , § 241 a.

9

Emmerich, Leistungsstörungen, S. 195; Huber, AcP 177,281 ff, 290 f; Larenz, Schuldrecht, A T , § 241; Medicus, Schuldrecht, A T , S. 183; Brox, Schuldrecht, A T , Rdnr. 295; Kopeke, Typen, S. 30 ff. 10 Staub, p.V.V., S. 50 ff; vgl. dazu Leser, Festschr. Rheinstein, S. 643 ff, 648 ff; Emmerich, Leistungsstörungen, S. 209 ff; ders. in Münch.-Komm., Vor § 275,120 ff; Kopeke, Typen, S. 73 f, 148 ff; Rabel, Warenkauf I, S. 383 ff; Hüffer, Leistungsstörungen, S. 241 ff; Jakobs, Unmöglichkeit, S.51 ff; Westhelle, Nichterfüllung, S. 65 ff; Brox, Schuldrecht, A T , Rdnr. 297. 11 Staub, p.V.V., S. 18 ff; vgl. dazu Emmerich, Leistungsstörungen, S. 225 f; ders. in Münch.Komm., Vor § 275,165 ff; Westhelle, Nichterfüllung, S. 72 ff; Gillig, Nichterfüllung, S. 149 ff; Brox, Schuldrecht, A T , Rdnr. 296; Kopeke, Typen, S. 146.

Einleitung

Recht im 19. Jahrhundert einen umfassenden Haftungstatbestand für Vertragsverletzungen kannte oder ob die Haftung auf Unmöglichkeit und Verzug beschränkt war. Zum Teil wird die "Lücke" im Bürgerlichen Gesetzbuch damit erklärt, daß zwar das gemeine Recht des 19. Jahrhunderts eine umfassende Haftung für schuldhaftes Verhalten im vertraglichen Bereich gekannt habe, die 12

Haftung für culpa . Dieser umfassende Haftungstatbestand sei jedoch versehentlich bei der Kodifizierung neben den Tatbeständen der Unmöglichkeit und des Verzuges übersehen worden 13 . § 224 Ε I 1 4 zeige, daß ein umfassender Haftungstatbestand in das Bürgerliche Gesetzbuch aufgenommen werden sollte, durch ein Redaktionsversehen sei jedoch diese Haftungsnorm in die reine Zurechnungsnorm des § 276 BGB umgewandelt worden 1 5 . Auf dieser Basis sei § 276 BGB als Ausdruck des umfassenden Haftungstatbestandes für Verschulden im vertraglichen Bereich im gemeinen Recht zu sehen und als allgemeiner Haftungstatbestand auszulegen16. Daß eine Regelung eines allgemeinen Haftungstatbestandes aus Versehen unterblieben sei, hält demgegenüber Stoll für unwahrscheinlich. Er erklärt die Lücke damit, daß man im gemeinen Recht wohl auch für Vertragsverletzungen im hier fraglichen Bereich gehaftet habe, daß sich jedoch keine allgemeinen Regeln über die Behandlung dieser Fälle herausgebildet hätten. "Sie" (die Fälle der Schlechtleistung) "wurden nur wenig 17

beachtet und ihre Bedeutung nicht genügend gewürdigt" . Nach Himmelschein und Wollschläger dagegen sollen Savigny und Mommsen im 19. Jahrhundert die allgemeine Haftung für schuldhaftes Verhalten bewußt auf die Fälle der Unmöglichkeit der Leistung beschränkt haben. So hätten sie eine 12 Harting, p.V.V., S. 152; Emmerich, Leistungsstörungen, S. 11, 193; ders. in Münch.Komm., Vor § 275,3; Blaurock, Kolloquium, S. 51 ff, 56; Huber, Gutachten, S. 759; einschränkend auch Fikentscher, Schuldrecht, § 42 I I (6. Aufl.). 13 Emmerich, Leistungsstörungen, S. 11, 193; Fikentscher, Schuldrecht, § 42 I I (6. Aufl.); Blaurock, Kolloquium, S. 51 ff, 56; Harting, p . V . V . , S. 177 ff. 14 § 224 Ε I : "Der Schuldner ist verpflichtet, die nach dem Schuldverhältnisse ihm obliegende Leistung vollständig zu bewirken. Er haftet nicht blos wegen vorsätzlicher, sondern auch wegen fahrlässiger Nichterfüllung seiner Verbindlichkeit..." 15 Emmerich, Leistungsstörungen, S. 11, 193; Huber, Gutachten, S. 759; ders., Festschr. v. Caemmerer, S. 840 ff; Honsell, JR 1976, 365 f; vgl. Soergel-Wiedemann, Vor § 275, 204; krit. Jakobs, Gesetzgebung, S. 16. 16 Emmerich, Leistungsstörungen, S. 11,193; insbesondere die Rechtsprechung sah in § 276 lange Zeit eine Haftungsnorm; vgl. R G Z 52,18 ff; 52,365,367; 53,202; 68,194; R G in DJZ1902, 435; vgl. auch den R G R K bis zur 11. Auflage, § 276,1 ff; Dernburg, D J Z 1903,1 f, 5; Kipp, DJZ, 1903, 253 f; Werner, Das Recht, 1903, 308; Krückmann, AcP 101, 191 ff; Crome, System I I 1, § 150 I I I 2 c, S. 65; Schollmeyer, Schverh., §§ 276,277. 17

Stoll, AcP 136,257 ff, 278.

Einleitung

18

umfassende Haftung für schuldhafte Vertragsverletzungen abgelehnt und die Haftung vom Vorliegen der Unmöglichkeit der Leistung oder des Verzuges als 18

objektiven Haftungsvoraussetzungen abhängig gemacht . Sie hätten dabei jedoch wohl in der Unmöglichkeit der Leistung einen weitreichenden Haftungstatbestand gesehen, der über den Haftungstatbestand der Unmöglichkeit, wie wir ihn heute verstehen, hinausging. Er sei geeignet gewesen, Vertragsver19

letzungen aller Art zu erfassen . Beide Hauptthesen erscheinen bereits auf den ersten Blick zweifelhaft. Denn daß der tragende Haftungsgrundsatz des 19. Jahrhunderts für Vertragsverletzungen "versehentlich" nicht in das Gesetz Eingang gefunden habe oder einem Redaktionsversehen zum Opfer gefallen sei, erscheint wenig überzeugend. Die These von der bewußten Selbstbeschränkung der Haftung auf die Fälle der Unmöglichkeit und des Verzuges fordert hingegen die Frage heraus, warum man glaubte, auf einen offenen allgemeinen Haftungstatbestand verzichten zu können. Warum hat der Gesetzgeber in seiner Regelung zur Unmöglichkeit nicht deutlich gemacht, daß von der Unmöglichkeit der Leistung alle Vertragsverletzungen erfaßt würden, so daß schließlich Staub, der ja das gemeine Recht des 19. Jahrhunderts kannte, plötzlich eine Lücke im Gesetz sehen konnte. Handelt es sich bei der Haftung wegen Unmöglichkeit jedoch nicht um einen verkappten umfassenden Haftungstatbestand für schuldhafte Vertragsverletzungen, bleibt das Problem, in welchem Verhältnis die Haftung für schuldhafte Unmöglichkeit zur allgemeinen Haftung für schuldhafte Vertragsverletzungen stand und warum die Haftung bei Unmöglichkeit eine so ausgedehnte Regelung erfuhr. Welche Rolle spielt die Unmöglichkeitslehre, insbesondere die Haftung für schuldhafte Unmöglichkeit, wenn sich bereits eine umfassende Haftung für schuldhafte Vertragsverletzungen aus den allgemeinen Regeln

18 Wollschläger, Unmöglichkeit, S. 144 f, 148, 152, 188; Himmelschein, AcP 135, 255 ff, 281 ff, 289; ders., AcP 158, 273 ff, 284 ff; Fikentscher, Schuldrecht, § 42 I I (6. Aufl.); zum Teil auch Emmerich, Leistungsstörungen, S. 9,11,193, sympathisierend wohl auch Medicus, Schuldrecht, A T , S. 182; vgl. zur Unmöglichkeit als umfassenden Haftungstatbestand die Ansätze bei Titze, Unmöglichkeit, S. 10,31 ff; Goldmann-Lilienthal, BGB, § 851, S. 333 Anm. 13; § 84, S. 331, Anm. 60; Schöller, Gruchot 46, 25 ff; Wicher, AcP 158, 297 ff; Siber, Jh.Jb. 50,200; neuerdings verficht diesen Gedanken auch Motzer, J Z 1983,884 ff, 888. 19 Himmelschein, AcP 135, 255 ff, 281 ff, 289; ders., AcP 158, 273 ff, 284 ff; Wollschläger, Unmöglichkeit, S. 134,144,148,152; Kaufmann, SZRom 88, 418, 425; Luig, AcP 172,475,476; vgl. Soergel-Wiedemann, Vor § 275, 203; in diese Richtung auch Emmerich, Leistungsstörungen, S. 11,193 für die Fälle der Schlechtleistung.

Einleitung

ergibt? Dieser Fragestellung ist bisher noch nicht nachgegangen worden. We20

der Emmerich

21

noch Harting , die einen sehr weiten Unmöglichkeitsbegriff

zugrunde legen und die Unmöglichkeit einem umfassenden Haftungstatbestand annähern, legen dar, in welcher Beziehung die Haftung wegen schuldhafter Unmöglichkeit zu dem von ihnen ebenfalls angenommenen allgemeinen Haftungstatbestand wegen Vertragsverletzung steht. Die Untersuchung des Haftungssystems im gemeinen Recht des 19. Jahrhunderts und des Verhältnisses der Haftung für schuldhaftes Verhalten und der Unmöglichkeitslehre in diesem System ist auch deshalb von Interesse, weil damit gleichzeitig das Selbstverständnis der Regelungen im BGB hervortritt. Es kann über das bisher nicht geklärte Verhältnis zwischen Unmöglichkeit und den gesetzlich nicht geregelten Haftungsfällen Aufschluß geben. Diese Problemstellung erfordert es, die Untersuchung auf die Haftung für Vertragsverletzungen überhaupt - mit Ausnahme der Sonderprobleme des Verzuges und der Sachmängelhaftung - zu erstrecken. Denn nur eine umfassende Betrachtung der Haftung für Vertragsverletzungen läßt erkennen, auf welchen Grundlagen die Haftung für Vertragsverletzungen im gemeinen Recht des 19. Jahrhunderts beruhte. Gab es einen umfassenden Haftungstatbestand? Welche Rolle spielte die Unmöglichkeitslehre, und welche Lösung fanden schließlich die Fälle, die wir heute zu dem Bereich der positiven Vertragsver22

letzungen zählen? Vertragsverletzungen können in mannigfacher Form geschehen. Sie können die primär vertraglich versprochene Leistung betreffen oder sonst bei der Vertragsabwicklung auftreten. Verletzungen, die die primär vertraglich versprochene Leistung betreffen - im folgenden als Leistungspflichtverletzungen bezeichnet -, wirken in besonders schwerem Maße auf das Vertragsverhältnis

20

Emmerich, Leistungsstörungen, 1. Aufl., S. 10 f, 148ff.

21

Harting, p.V.V., S. 113 ff

22 Die positiven Vertragsverletzungen bilden kein einheitliches Rechtsinstitut, sondern unter diesem Namen vereinigen sich die unterschiedlichsten Fallgruppen - durch Schlechterfüllung verursachte Begleitschäden, Nebenpflichtverletzungen, Erfüllungsverweigerung, fehlerhafte Leistungen beim Sukzessivlieferungskauf; daher war es von vornherein aussichtslos, nach einem den von Staub entdeckten positiven Vertragsverletzungen vergleichbaren Haftungstatbestand im gemeinen Recht des 19. Jahrhunderts zu suchen. Zur Problematik des Vergleichs bestimmter Rechtsinstitute in verschiedenen Rechtssystemen vgl.: Leser, Festschr. v. Caemmerer, S. 891 ff; Leser, JuS 1987,852,853; Rheinstein, Rechtsvergleichung, S. 15; Zweigert/Kötz, Rechtsvergleichung, S. 34.

Einleitung

20

ein, und bei ihnen stellt sich das Problem, ob ein Vertragspartner die Leistung gerichtlich erzwingen kann, also einer Vertragsverletzung entgegentreten kann. Deshalb bietet es sich an, die Leistungspflichtverletzungen von den 23

sonstigen Vertragsverletzungen getrennt zu betrachten . Es wird daher so vorgegangen, daß die Fälle der Verletzung der Leistungspflicht in einem ersten Teil behandelt und auf die sonstigen Vertragsverletzungen in einem zweiten Teil eingegangen wird. In die Betrachtung der Verletzung der Leistungspflicht werden auch die Fälle der reinen Vorenthaltung der Leistung miteinbezogen. Zwar werden heute im allgemeinen diese Fälle der reinen Nichterfüllung nicht als Leistungsstörungsfälle angesehen, da dem Gläubiger noch der Erfüllungsanspruch zustehe . Unabhängig von der Frage der Erzwingbarkeit der Leistung stellt jedoch gerade die Vorenthaltung der Leistung eine grundlegende und schwerwiegende Verletzung des vertraglich Versprochenen dar. Die Einbeziehung dieses Grundtyps der Vertragsverletzungen ist - wie sich zeigen wird - von entscheidender Bedeutung für das Gesamtverständnis der Haftung aus 25

dem Vertragsverhältnis

. So läßt sich nur auf dem Hintergrund der rechtlichen

Bewertung der Fälle reiner Nichterfüllung die besondere Bedeutung der Fälle der Unmöglichkeit der Leistung erfassen, denen im 19. Jahrhundert eine so hervorgehobene Bedeutung zukam. Auf die Unmöglichkeitslehre Savignys und Mommsens wird ein besonderes Augenmerk gelegt, da sie die Haftung für schuldhafte Vertragsverletzungen auf die Haftung für Unmöglichkeit reduziert Λ/Τ

haben sollen . Zudem genoß die Unmöglichkeitslehre als Kernstück des 27

Rechts der Leistungsstörungen im 19. Jahrhundert allgemeine Anerkennung , während sie heute aufgrund veränderter Sichtweise starker Kritik ausgesetzt 23 Die Differenzierung zwischen der Verletzung von Leistungs- und Nebenpflichten, nach Larenz besonderen Verhaltenspflichten, Schuldrecht, A T , § 2 I, ist deshalb von besonderer Wichtigkeit, weil nur die Leistungspflichten einen Erfüllungsanspruch auslösen und daher hinsichtlich des Erfüllungsanspruchs eine isolierte Betrachtung erfordern; vgl. Fikentscher, Schuldrecht, § 8, 3; Brox, Schuldrecht, Rdnr. 12; Medicus, Schuldrecht, A T , S. 206; Stoll, AcP 136, 257 ff, 287 f; ders., Leistungsstörungen, S. 27. 24 Fikentscher, Schuldrecht, § 421 2 "die (bloße) Nichterfüllung ist daher keine Leistungsstörung"; Emmerich, Leistungsstörungen, S. 4. 25 Diesen Aspekt berücksichtigen insbesondere auch Jakobs, Unmöglichkeit, S. 17 ff, 25; Himmelschein, AcP 135,255 ff; AcP 158,273 ff. 26 Wollschläger, Unmöglichkeit, S. 144 f; Luig, AcP 172, 475, 476; Kaufmann, SZRom 88, 518 ff, 525; Himmelschein, AcP 135,255 ff, 281 ff, 289; ders., AcP 158,273 ff, 284 ff; Fikentscher, Schuldrecht, § 42 I I (6. Aufl.). 27

Das gesteht selbst ihr Gegner Hartmann zu, Obligation, S. 166 f, 167 A n m .

Einleitung

ist

28

21

und seit Rabeis Forderung nach einer Gesetzesänderung immer wieder

Anlaß zu Bestrebungen für eine neue Regelung des Leistungsstörungsrechts bildet 2 9 . I m Anschluß an die Leistungspflichtverletzungen werden die sonstigen Vertragsverletzungen des Schuldners, die wir heute überwiegend zu dem Bereich der Nebenpflichtverletzungen rechnen würden, betrachtet. Diese Vertragsverletzungen zeichnen sich dadurch aus, daß sie zu einer selbständigen Schädigung des Gläubigers in seinen Rechtgütern führen, der Schuldner z.B. den Gläubiger an seiner Gesundheit oder in seinem Eigentum schädigt. In zeitlicher Hinsicht liegt der Schwerpunkt der Arbeit, der Problemstellung entsprechend, auf der Darstellung der Rechtslage zur Zeit der historischen Rechtsschule unter Savigny bis hin zu Windscheid (Teil 2). Da jedoch die Wandlungen in der Rechtsanschauung durch die historische Rechtsschule, insbesondere die Herausbildung der Unmöglichkeitslehre im 19. Jahrhundert, nur richtig gewürdigt und verstanden werden können, wenn man die Rechtslage vor ihrer Entstehung miteinbezieht, wird zunächst in einem ersten Teil die Rechtslage an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert dargestellt. Im Schlußteil wird noch der Frage nachgegangen, inwieweit der Gesetzgeber bei dem Entwurf des Bürgerlichen Gesetzbuches von dem Haftungssystem für Vertragsverletzungen im gemeinen Recht des 19. Jahrhunderts ausgegangen ist. Insoweit soll auf bestimmte aus dem 19. Jahrhundert übernommene Grundstrukturen, die auch das BGB prägen, hingewiesen werden. Die Arbeit will insofern zu einem besseren Verständnis des Bürgerlichen Gesetzbuches beitragen, sie versteht sich jedoch nicht als Versuch, die Probleme der Haftung für Vertragsverletzungen im Bürgerlichen Gesetzbuch zu lösen.

28 M a n siehe nur die Kritik von Rabel, Festschr. Bekker, S. 171 ff = Ges. Aufs. I, S. 1 ff; ders., RheinZ 3, S. 467 ff = Ges. Aufs. I, S. 56 ff; Harting, p.V.V., S. 132 ff; Lemppenau, Gattungsschuld, S. 39 ff. 29 Rabel, RheinZ 3, S. 467 = Ges. Aufs. I, S. 56: "Das Leiden scheint mir ganz tief zu sitzen, und nur eine radikale Operation könnte es schnell und vollständig heilen, eine Gesetzesänderung"; Stoll, Leistungsstörungen, S. 30; Huber, Gutachten, S. 647 ff.

Erster Teil

D i e H a f t u n g für V e r t r a g s v e r l e t z u n g e n an der Wende vom 18. zum 19. J a h r h u n d e r t A m Ende des 18., zu Beginn des 19. Jahrhunderts galt im deutschen Raum als positives Recht weitgehend das gemeine Recht 1 . Es war bis zum Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuches in den meisten Ländern des deutschen Reiches zumindest subsidiär anwendbar und wurde nur allmählich durch einzelne Kodifikationen wie das preußische Allgemeine Landrecht von 1794 verdrängt . Das jus commune, das gemeine Recht, war vornehmlich römischkanonisches Recht . Es stand bis zum Beginn der historischen Rechtsschule noch im Zeichen des "usus modernus pandectarum", d.h. der zeitgemäßen Praxis des römischen Rechts. Der usus modernus pandectarum unterzog die überkommenen, vornehmlich römisch-rechtlichen Rechtssätze einer kritischen Untersuchung und übertrug sie auf die bestehenden Verhältnisse 4. Dadurch kam es zu einer gewissen Loslösung von der überkommenen Art der Rechtsfindung und einer Öffnung für neue Ansätze 5 . Auf diesem Hintergrund kommt dem Naturrecht 6 , das zur Zeit der Aufklärung von ca. 1600-1800 seinen 1 Coing, Privatrecht, Vorwort V ; ders., NJW 1979,2018 ff; HRG-Thieme, Gemeines Recht, S. 1506 ff. 2 HRG-Thieme, Gemeines Recht, S. 1508. Gemeines Recht galt bis zur Einführung des BGB unter anderem in Hessen, Braunschweig, Hannover, Oldenburg, Mecklenburg, Neuvorpommern und Rügen, Thüringen und Schleswig-Holstein; vgl. auch Mitteis-Liebrich, Dt. Rechtsgeschichte, S. 421. 3

Coing, Privatrecht, S. 34 f.

4

Coing, NJW 1979,2018; Wieacker, Privatrechtsgeschichte, S. 223 f.

5 Wieacker, Privatrechtsgeschichte, S. 204 ff; Wesenberg/Wesener, Privatrechtsgeschichte, S. 115,118. 6 Unter Naturrecht versteht man allgemein die sozialphilosophische Tradition, deren Grundgedanken bis in die frühe Antike zurückgehen und die bis in die Gegenwart die geistige und rechtliche Entwicklung in Europa stark geprägt hat, vgl. Mitteis, Naturrecht, S. 8 ff; Welzel, Pufendorf, S. 9 ff; ders., Naturrecht, S. 9; Thieme, Naturrecht, S. 9 ff; Coing, Naturrecht, S. 1 ff; Wieacker, Privatrechtsgeschichte, S. 249,250,275; Wesenberg/Wesener, Privatrechtsgeschichte, S. 139. Hier interessiert jedoch das Naturrecht in seiner besonderen Ausformung und Gestalt im 17. und 18. Jahrhundert, dem "klassischen Zeitalter des Naturrechts", Mitteis, Naturrecht, S. 5,17; das Vernunftrecht, Wieacker, Privatrechtsgeschichte, S. 249.

Vertragshaftung an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert

23

η

Höhepunkt erreichte, große Bedeutung zu . Denn das Naturrecht setzte an die Stelle der alten traditionellen Art der Rechtsfindung durch die Auslegung alter, meist römischer Rechtsquellen ein neues autonomes Rechtssystem, das durch Q

das Gebot "handele vernunftgemäß" bestimmt wurde , und gab der Rechtsentwicklung neue Impulse 9 . Es beeinflußte das gemeine Recht stark 10 , so fand insbesondere die naturrechtliche Systematik Eingang in das gemeine Recht 1 1 und zeigte auch im hier interessierenden vertraglichen Bereich Auswirkungen. Die gegenseitige Befruchtung von römisch-rechtlich geprägtem gemeinen 12

Recht und Naturrecht kann dabei nicht verwundern , lehrten doch viele Rechtsgelehrte wie noch Thibaut 1 3 und Höpfner 1 4 sowohl gemeines wie auch Naturrecht 15 . Das gemeine Recht am Ende des 18., zu Beginn des 19. Jahrhunderts steht damit einerseits noch auf dem Boden des überkommenen römischen Rechts, andererseits hat aber auch das Naturrecht deutliche Spuren hinterlassen.

7 Der usus modernus pandectarum und das Naturrecht überschneiden sich also zeitlich, Wesenberg/Wesener, Privatrechtsgeschichte, S. 139. 8

Wieacker, Privatrechtsgeschichte, S. 252,272; Welzel, Naturrecht, S. 110; Coing, Epochen,

S. 76. 9 Aufnahme fand das Naturrecht vornehmlich in den Naturrechtskodifikationen: dem Codex Maximilianeus Bavaricus Civilis von 1756, der jedoch noch stark dem gemeinen Recht verhaftet ist, vgl. Wieacker, Privatrechtsgeschichte, S. 326; Klischies, S. 73; dem Allgemeinen Preußischen Landrecht von 1794; dem österreichischen Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch von 1811; dem französischen code civil von 1804; vgl. dazu Wieacker, Privatrechtsgeschichte, S. 327 f; Mitteis-Liebrich, Deutsche Rechtsgeschichte, S. 315. 10 Koschaker, Europa, S. 252 f; Döhring, S. 308 f; Coing, NJW1979,2018; Luig SZGerm 96, 38 ff; Wesenberg/Wesener, Privatrechtsgeschichte, S. 128, 146 ff; Thieme, Spätes Naturrecht, S. 219; Molitor-Schlosser, Privatrechtsgeschichte, S. 42 ff; Wieacker, Privatrechtsgeschichte, S. 322, spricht davon, daß auch bei den Rechtsgelehrten des späten usus modernus das Naturrecht zum "konkreten Naturrecht" geworden ist. Die Bedeutung des Naturrechts für die Rechtsentwicklung insbesondere im 18. Jahrhundert ist durch die ablehnende Haltung des 19. Jahrhunderts gegenüber dem Naturrecht verdeckt worden; Thieme, Spätes Naturrecht, S. 202 f; Wesenberg, SZRom 67, 459 ff, 468. 11

Schwarz, SZRom 42,578 ff, 588 ff.

12

Z u m Einfluß des römischen Rechts auf das Naturrecht vgl. Wieacker, Privatrechtsgeschichte, S. 252; Koschaker, Europa, S. 251 ff; Scharr, Römisches Privatrecht, S. 21; vgl. auch Wesener, Z N R , 1984,113 ff, 130. 13 Zur Person Thibauts vgl. Kiefner, SZRom 77,304 ff, 335. Thibaut ist "der Sache nach noch der vorkritischen Vernunftsepoche zuzurechnen". 14 15

Vgl. Döhring, S. 324.

Vgl. Wieacker, Privatrechtsgeschichte, S. 220,221,223, wo er den naturrechtlichen Einfluß auf einzelne Persönlichkeiten der Rechtswelt des 18. Jahrhunderts nachweist.

§1

Verletzungen der Leistungspflicht A. Die Nichterfüllung

Eine Verletzung der vertraglichen Leistungspflicht liegt grundsätzlich dann vor, wenn der Schuldner die im Vertrag primär versprochene Leistung nicht erbringt. Die Nichterfüllung des vertraglichen Versprechens kann dabei unterschiedliche Ursachen haben; der Schuldner kann z.B. den Vertrag inzwischen als für ihn ungünstig erkannt haben und ihn deshalb nicht erfüllen wollen, oder der Erfüllung stehen Hindernisse entgegen, so daß er die Leistung nur unter Schwierigkeiten erbringen kann oder ihm die Leistung zumindest zur Zeit nicht möglich ist. I m folgenden soll zunächst für das gemeine Recht am Ende des 18., zu Beginn des 19. Jahrhunderts untersucht werden, welche Rechtsfolgen solche Leistungspflichtverletzungen auslösten, um aus den an sie geknüpften Rechtsfolgen auf die Haftungsstrukturen rückzuschließen. Die an die Leistungspflichtverletzung geknüpften Rechtsfolgen können dabei unterschiedlicher Natur sein. So kann die Rechtsfolge primär darauf gerichtet sein, daß der Schuldner soweit möglich zu der versprochenen Leistung, d.h. zur Naturalerfüllung, verurteilt wird und der Gläubiger die versprochene Leistung gerichtlich erzwingen muß oder aber der Erfüllungsanspruch kann sich aufgrund der Leistungspflichtverletzung in einen Schadensersatzanspruch umwandeln und so eine unmittelbare Ersatzpflicht begründen. Dabei soll insbesondere das Verhältnis zwischen dem Erfüllungsanspruch und dem Geldersatzanspruch herausgearbeitet und untersucht werden, ob sich Erfüllungsanspruch und Geldersatz entsprachen oder ob sie unterschiedliche Voraussetzungen hatten. Dies ist von besonderer Bedeutung für die systematische Einordnung der Unmöglichkeit der Leistung. Denn nur wenn man die regelmäßigen Folgen einer Leistungspflichtverletzung kennt, kann man beurteilen, welche Stellung den Unmöglichkeitsfällen zukam und wie sie sich von den übrigen Fällen der Nichterfüllung unterschieden. Hatten sie vorrangig die Bedeutung eines Befreiungs- oder eines Haftungsgrundes?

Der Naturalerfüllungsanspruch

25

Daher ist zunächst der Frage nachzugehen, welche Rolle dem Naturalerfüllungsanspruch am Ende des 18., zu Beginn des 19. Jahrhunderts beigemessen wurde und ob der Gläubiger bei Nichterfüllung statt der Naturalerfüllung auch Geldersatz verlangen konnte. Dies ist auch deshalb von besonderem Interesse, weil in unserem heutigen BGB die Naturalerfüllung sehr stark ausgestaltet und diese regelmäßig durchsetzbar ist. Dadurch aber wird die Geldersatzpflicht in den Hintergrund gedrängt - aufgrund des Naturalerfüllungsanspruchs ist die Schadensersatzpflicht auf Unmöglichkeit und Interessenwegfall bei Verzug beschränkt 1 - und so die Frage nach einer umfassenden Schadensersatzpflicht wegen Leistungspflichtverletzung übergangen.

I. Der Naturalerfüllungsanspruch

Die Ansichten zu der Frage, ob der Schuldner bei einer Verletzung der Leistungspflicht zur Naturalerfüllung verurteilt werden konnte und sollte und damit auch ihr Verhältnis zur Geldersatzhaftung haben sich im Laufe der Jahrzehnte entschieden gewandelt. Die Entwicklung soll im folgenden kurz skizziert werden, da sie für das Gesamtverständnis des Haftungssystems im 19. Jahrhundert von entscheidender Bedeutung ist und ihr bisher nicht die nötige Aufmerksamkeit geschenkt wurde.

1. Im römischen Recht bis zum frühen usus modernus Für die Beantwortung der Frage nach einem Naturalerfüllungsanspruch aus Vertrag im römischen Recht ist zunächst darauf hinzuweisen, daß das antike römische Recht seinen Ausgangspunkt nicht von dem Gedanken des Vertrages im allgemeinen genommen hat, sondern vielmehr in einer Jahrhunderte währenden Entwicklung Aktionen für bestimmte Typen und Formen von Verträ2

3

gen ausgebildet hatte , so z.B. die Stipulation , die klagbaren Konsensualver-

1 Es wird deshalb für das B G B zwischen den Fällen der reinen Nichterfüllung, bei denen dem Gläubiger nur ein Erfüllungsanspruch zusteht, und den Leistungsstörungen, insbesondere Unmöglichkeit und Verzug, unterschieden, Fikentscher, Schuldrecht, § 42 I; Emmerich, Leistungsstörungen, S. 3 ff; vgl. dazu auch Jakobs, Unmöglichkeit, S. 25 f. 2

Coing, Privatrecht, S. 398.

3

Liebs, R.R., S. 193 ff; Coing, Privatrecht, S. 398; Käser, R.P., S. 522 ff.

Vertragshaftung an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert

26

träge - wie emptio - venditio, locatio - conductio, mandatum, societas4. Die Art der Verbindlichmachung entschied dabei auch über die Klageart (stricti juris judicia, bonae fidei judicia) und somit über die Art und den Umfang der vertraglichen Verpflichtung 5 . Nur diese anerkannten Vertragstypen waren bindend und konnten vertragliche Ansprüche des Gläubigers begründen, während Vereinbarungen außerhalb dieser anerkannten Vertragstypen nicht bindend waren und deshalb Erfüllungs- und Schadensersatzansprüche des Gläubigers von vornherein ausschieden6. Klagte der Gläubiger aus einem bindenden Versprechen - etwa einer Stipulation -, so konnte er zwar auf Erfüllung klagen. I m römischen Recht galt jedoch das auf das frühe römische Recht zurückgehende Prinzip der Geldverurteilung. Danach richtete sich das Urteil gegen den verklagten Schuldner, wenn er nicht vorher freiwillig leistete, nicht etwa auf die vertraglich versprochene Leistung, η d.h. auf Naturalerfüllung, sondern auf den Geldwert . Dies hatte seinen Grund darin, daß die Obligation nur zu einer Haftung des Schuldners für die Erbrino

gung der Leistung führte . Der Schuldner hatte damit keine Leistungsverpflichtung, sondern er mußte nur gewärtig sein, im Falle der Nichterbringung der Leistung zu haften. Die Haftung konnte er mit einer Geldleistung abwenden. Der Gläubiger konnte also gegenüber dem Schuldner nur einen mittelbaren Zwang ausüben, um ihn zur Leistung zu bewegen9, nicht jedoch die vom Schuldner versprochene Leistung in natura erzwingen 10 . Er bekam statt der versprochenen Leistung den Wert, also einen Ersatz in Geld, wenn es der Beklagte nicht vorzog, zu leisten. Das heißt, daß das römische Recht keinen erzwingbaren Naturalerfüllungsanspruch kannte, sondern nur eine an die Erfüllung gekoppelte und damit grundsätzlich verschuldensunabhängige Haftung in Geld. 4

Z u m Typenzwang Dilcher, SZRom 77,270; Coing, Privatrecht, S. 398.

5

Liebs, R.R., S. 225.

6

Käser, R.P., S. 522; Hausmaninger/Selb, R.P., S. 248 ff; Coing, Privatrecht, S. 398.

7 Liebs, R.R., S. 185 ff, 270 ff; Medicus, SZRom 86, 70 ff; Käser, Zivilprozeßrecht, S. 286; Hausmaninger/Selb, R.P., S. 246; Dilcher, SZRom 78, 277 ff; Medicus, I d quod interest, S. 3; Keller, römischer Civilprozeß, § 16. 8

Käser, R.P., S. 149 ff; Koschaker, SZRom 37,355-359; Liebs, R.R., S. 189 ff.

9

Hausmaninger/Selb, R.P., S. 244,246; Käser, R.P., S. 149 ff; Hägerström, SZRom 63, 268, 276 ff. 10

Käser, Zivilprozeßrecht, S. 286.

Der Naturalerfüllungsanspruch

27

Zwar kam es in der Spätantike auch zur Sachverurteilung und damit zur Durchbrechung des Grundsatzes der Geldverurteilung 11 , jedoch hat das Prin19

zip der Geldverurteilung das Rechtsdenken bis ins Mittelalter geprägt . Das gerichtlich durchsetzbare Recht des Gläubigers aus dem Vertrag ging vornehmlich auf eine Ersatzleistung, ein Recht auf die Leistung selbst stand dem 13

Gläubiger nur ausnahmsweise zu . Im Mittelpunkt des Rechtsdenkens stand damit nicht die Naturalerfüllung, sondern die Ersatzleistung bei Nichtleistung. Die Auflösung der Leistung in einen Ersatzanspruch zeigt sich heute noch im englischen Recht 1 4 . Dort steht dem Gläubiger grundsätzlich nur ein Schadensersatzanspruch bei Nichtleistung des Schuldners zu, nur in Ausnahmefällen kann der Gläubiger Naturalerfüllung, "specific performance", verlangen. Auch hier kommt es nur auf den Vertragsbruch - breach of contract - an, nicht auf ein schuldhaftes Verhalten des Schuldners. Unter dem Einfluß des kanonischen Rechts kam es seit dem Mittelalter zur Diskussion über das Recht des Gläubigers auf "präcise" Erfüllung und damit zu einer Infragestellung des Prinzips der Geldverurteilung 15 . Die Frage, ob der Gläubiger präcise Erfüllung verlangen konnte, wurde dabei für die verschiedenen Fallgruppen sehr unterschiedlich beantwortet. Bei Ansprüchen auf dare Zahlung und Übereignung - wurde überwiegend ein Erfüllungsanspruch neben dem Wertersatzanspruch zugebilligt, während es bei den Ansprüchen auf facere bei der Geldverurteilung blieb. Bei den Ansprüchen des Käufers auf tradere war man sich uneins, ob man, wie bei den Obligationen auf dare, einen Erfüllungsanspruch einräumen sollte oder ob es aber wie bei den Obligationen auf facere bei der Geldverurteilung bleiben sollte 16 .

11

Käser, Zivilprozeßrecht, S. 498; Medicus, I d quod interest, S. 340 f.

12

Dilcher, SZRom 78,277 ff, 290; Sintenis, Gießener Zschr. 11,20 ff, 22 ff; Lange, Schadensersatz, S. 10,29. Dies gilt insbesondere bei Obligationen auf facere und tradere. 13

Wollschläger, Unmöglichkeit, S. 40 ff.

14

Leser, Festschr. f. Wolf, S. 373 ff, 376; Henrich, S. 46; Jakobs, Unmöglichkeit, S. 169 ff.

15

Coing, Privatrecht, S. 432.

16 Sintenis, Gießener Zschr. 11,20 ff, 21 ff; Höpfner, Comm., § 878; Dilcher, SZRom 78,277, 287; Coing, Privatrecht, S. 432; vgl. auch Cohnfeldt, Interesse, S. 24; Lange, Schadensersatz, S. 10 f; Koch, Forderungen I I I , S. 753 f.

Vertragshaftung an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert

28

2. Im Naturrecht Die Naturrechtler stellten auf der Grundlage eines neuen Vertragsverständnisses die Beschränkung der Klagbarkeit vertraglicher Versprechen auf bestimmte Vertragstypen, wie auch den Grundsatz der Geldverurteilung in Frage. So wurden unter dem starken Einfluß des kanonischen Rechts und schließlich des Naturrechts auf der Grundlage des Satzes "pacta sunt servanda" 17 alle 18

Verträge ohne Unterschied als bindend und klagbar erklärt

. Entscheidenden

Einfluß auf den Wandel des Vertragsverständnisses hatte dabei die Versprechenslehre von Hugo Grotius 1 9 , 2 0 . Grotius ging von einem christlich-stoisch geprägten Menschenverständnis aus, wonach jeder Mensch in der Lage sei, sich 21

frei und eigenverantwortlich durch seinen Willen selbst zu binden . Grotius stellte damit die Autonomie jeder einzelnen Person in den Mittelpunkt seiner Versprechenslehre. Die bindende Wirkung eines rechtlichen Versprechens ergebe sich aus dem Willen der versprechenden Person und der Betätigung 22

dieses Willens

und nicht so sehr aus der sozialtypischen Bedeutung entspre-

chender Verhaltensweisen und ihrer aus einem Gesetz folgenden Wirkunyx

24

gen . Er wandte sich daher stark gegen die von Connanus

vertretene, vom

römischen Recht geprägte Auffassung, wonach die Bindungswirkung an weite17 Hattenhauer, Grundbegriffe, S. 59; zur Herkunft dieses Rechtssatzes Liebs, Lat. Rechtsregeln, P. 3. 18

Coing, Privatrecht, S. 400; Seuffert, Geschichte, S. 130.

19

Zur Person: Wieacker, Privatrechtsgeschichte, S. 287 f; Wolf, Rechtsdenker, S. 253 ff; Welzel, Naturrecht, S. 126 ff; nachdem Grotius zunächst als Gründungsheros des Naturrechts gefeiert, dann als Nachfolger der Spätscholastiker eingeordnet wurde, sieht man heute seine besondere Bedeutung in der Vermittlerrolle zwischen moraltheologischer Tradition und künftigem profanen Vernunftrecht, Wieacker, a.a.O., S. 299; ders. in Festschr. f. Welzel, S. 7 ff; Welzel, Naturrecht, S. 126 ff; Pennrich, S. 2 20

Selbst Savigny ist noch durch seine Versprechenslehre beeinflußt, Coing, NJW1979,2018,

2020. 21

Grotius, DJBP, I I 11,1 und I V ; vgl. auch Diesselhorst, Lehre des Hugo Grotius, S. 34,50 ff

22

Grotius, DJBP; I I 11, X I , der Wille allein reicht nicht, das Versprechen fordert eine äußere Handlung; vgl. auch Martini, Lehrbegriff, § 451, die Worte werden für den Willen selbst gehalten; zur Erklärungslehre von Grotius und ihrer Vereinbarung von Willens- und Vertrauensethik, Wieacker, Privatrechtsgeschichte, S. 293. 23 Grotius in seiner Entgegnung auf Connanus, DJBP II, 11,1, 2; I I 12, I I I ; vgl. dazu auch Diesselhorst, Lehre des Hugo Grotius, S. 34; Scherner, Rücktrittsrecht, S. 93 f. 24

Vgl. zu Connanus Bergfeld, N. Connanus.

Der Naturalerfüllungsanspruch

29 25

re Erfordernisse, Formerfordernisse, Vorleistung etc. geknüpft wurde . Daher bleibt für Grotius auch kein Raum für die Differenzierung der Verträge in 9/ί

Nominat- und Innominatverträge im Hinblick auf die bindende Wirkung . Das vertragliche Versprechen hat nach Grotius eine Art Rechtsübergang zur 27

Folge . Das Versprechen einer Sache, beim Stückkauf etwa, führe dazu, daß das Eigentum bereits mit dem Versprechen auf den Gläubiger übergehe, ohne 28

daß es auf die Ubergabe des Besitzes ankäme . Nach Grotius findet auch beim Versprechen einer Handlung ein solcher Rechtsübergang statt. Die Freiheit des Menschen sei nämlich nur ein nach außen scharf abgegrenzter, nach innen jedoch jederzeit aufteilbarer Freiheitsbereich. Der Schuldner könne daher ohne weiteres durch sein Versprechen einen Teil seiner Freiheit, einen Frei29

heitspartikel, auf den Gläubiger übertragen . Nach Grotius unterliegt damit jedes gegenwärtige und zukünftige Handeln der souveränen Herrschaft der Person, die den Zugriff aller anderen Personen ausschließen kann, durch ihr eigenes Versprechen jedoch diese Freiheit übertragen kann, so daß sie zu einer 30

teilweise fremdpersonalen Bindung wird . Die so herbeigeführte Bindung des Versprechenden habe zur Folge, daß die Beteiligten - der Versprechende und 31

der Versprechensempfänger - gegenseitig zur Treue verpflichtet sind . Die von Grotius entwickelte Lehre vom Versprechen und seiner bindenden Wir25 Grotius, DJBP, II, 11,1; vgl. dazu Wieacker, Privatrechtsgeschichte, S. 294; so aber noch Schmalz, Naturrecht, § 144; Warnkönig, Rechtsphilosophie, § 176; diese Auffassung erinnert an die im angelsächsischen Raum herrschende Considerationslehre, vgl. Henrich, S. 53. 26

Grotius, DJBP, I I 11,1, 1 ff; Pufendorf, DJNG, III, V , 9; vgl. Scherner, Rücktrittsrecht,

S. 97. 27 Grotius, DJBP, I I 11, I V , 1 ff; Inl. I I I , I, 9 ff unter Hinweis auf das geltende Recht; vgl. Diesselhorst, Lehre des Hugo Grotius, S. 50. 28 Grotius, DJBP; I I 12, X V ; auch schon in Inl. II, V , 2 f; vgl. auch Achenwall, Jus Naturae, § 169; s.a. Hägerström, Recht, S. 68 f; so auch die Regelung im französischen Recht vgl. Wollschläger, Unmöglichkeit, S. 104. 29 Grotius, DJBP; I I 11, I V ; vgl. dazu Diesselhorst, Lehre des Hugo Grotius, S. 51; Wieacker, in Festschr. f. Welzel, S. 7 ff; Hägerström, Recht, S. 73. 30 31

Diesselhorst, Lehre des Hugo Grotius, S. 51; vgl. auch Hattenhauer, Grundbegriffe, S. 65.

Erbrachte der Schuldner die Leistung nicht, so verletzte er den Gläubiger in dem ihm zustehenden Rechte und wurde gemäß den allgemeinen Haftungsgrundsätzen schadensersatzpflichtig, Grotius, DJBP, II, 17, I und I I ; Wolff, Grundsätze, §§ 97, 270, 415 f; Höpfner, Naturrecht, § 64; Hufeland, Naturrecht, § 275; Schaumann, Versuch, I I I 1, § 132; Martini, Lehrbegriff, § 456. Zur Bedeutung des Treuegedankens: Diesselhorst, Lehre des Hugo Grotius, S. 40, 42; Scherner, Rücktrittsrecht, S. 97; Coing, Naturrecht, S. 19 f, 24; Mitteis, Naturrecht, S. 20.

Vertragshaftung an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert

30

kung setzte sich durch

32

und fand am Ende des usus modernus weitgehend γι Aufnahme im gemeinen Recht . Aus der Bindung des Schuldners kraft seines freien und eigenverantwortlichen Versprechens leiteten die Naturrechtler ein subjektives Recht 3 4 an der Leistung selbst ab und überwanden so den Grundsatz ausschließlicher Geldverurteilung. Denn die Natur des Vertrages und der Grundsatz der Gerechtig35

keit fordere, daß der Gläubiger auch das Versprochene verlangen könne . Die Naturrechtler forderten ein Recht auf "Naturalerfüllung", insbesondere auch bei Obligationen auf facere. So erklärte Höpfner unter Berufung auf die dissertatio von Thomasius "an promissor facti liberetur praestando id quod interest?", daß es vernunftwidrig und gesetzlich nicht begründbar sei, bei einem Vertrag auf facere den Gläubiger auf den Schadensersatzanspruch zu beschränken, denn warum solle man ein versprochenes factum nicht ebensogut wie eine IT

versprochene Sache erzwingen dürfen . Die Ausbildung des Naturalerfüllungsanspruchs läßt sich auch an den Naturrechtskodifikationen gut verfolgen. Der code civil ließ noch nur bei den Obligationen auf donner eine Verurteilung auf Erfüllung zu. Nach seinem Wortlaut war dagegen ein Erfüllungsanspruch bei Obligationen auf faire oder 37

ne pas faire gemäß Art. 1142 ausgeschlossen , der Anspruch des Gläubigers 32 Thomasius, Göttliche Rechtsgelahrtheit II, V I I , §§ 1 ff; Höpfner, Naturrecht, §§ 62, 64; Hufeland, Naturrecht, §§ 223, 239; Röder, Naturrecht, § 177; Martini, Lehrbegriff, § 456; Schmauß, Recht der Natur, X X X , X ; Schaumann, Krit. Abh., § 20 ff, 26; ders., Versuch, 3 I, § 96 ff; ders., Naturrecht, § 396; Schilling, Naturrecht, § 144; mit Begründung aus dem Sittengesetz: Hugo, Naturrecht, S. 335 f. 33 Höpfner, Comm., §§ 733,737; Thibaut, Pand., § 168; Glück, I V , S. 49; Dabelow, Handbuch, §§ 138 ff, 172 ff; Seuffert, Pand. § 308 Note 1; vgl. für das gemeine deutsche Recht Mittermaier, Grundsätze, § 188: "Jeder Vertrag durch bloßen Consens perfect werde und klagbar sey". 34 Vgl. zum subjektiven Recht Coing, Subj.R., S. 46 ff.Nach Hägerström, Recht, S. 14, stammt der Begriff der Rechtspflicht direkt aus der Naturrechtslehre des 17./18. Jahrhunderts. Dazu gehöre als wesentliches Merkmal das private subjektive Recht der interessierten Person als Macht, "das in Betracht kommende Handeln des Verpflichteten zu fordern oder ihn dazu zu verpflichten und als eine weitere, damit verbundene Macht, bei Nichterfüllung der Pflicht den Schutz des eigenen Interesses gegenüber dem Verpflichteten zu fordern". 35 Daries, Inst., § 420, § 824 cor. I I ; Höpfner, Naturrecht, § 80 (1); a.A. Warnkönig, Rechtsphilosophie, § 179; Schmalz, Naturrecht, § 118 (2) mit dem Hinweis, daß der Gläubiger die Leistung wohl auch nicht mehr schätzen würde. 36

Höpfner, Naturrecht, § 80 (1); vgl. auch Martini, Lehrbegriff, § 464; Hufeland, Naturrecht,

§238. 37 Art. 1142 c.c.; vgl. Falkmann, Zwangsvollstreckung, S. 922; Wollschläger, Unmöglichkeit, S. 103 f; A r t . 1142 c.c. hat seit dem 19. Jahrhundert in der französischen Literatur und Recht-

Der Naturalerfüllungsanspruch

31

ging auf Schadensersatz. Demgegenüber geht das preußische Allgemeine Landrecht von einem allgemeinen Erfüllungsanspruch aus, worauf die §§ 270, 273,276 im 5. Kapitel des 1. Teils hinweisen 38 . Auch bestand nach 124 §§ 48 ff der Allgemeinen Gerichtsordnung in Preußen die Möglichkeit der Exekution eines Erfüllungsanspruchs auf facere. Der Gläubiger konnte jedoch auch sein 39

Interesse liquidieren . Das österreichische Allgemeine bürgerliche Gesetzbuch räumte dem Gläubiger ebenfalls grundsätzlich einen Erfüllungsanspruch

3. Im gemeinen Recht an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert Der naturrechtlich geprägten Auffassung, daß ein vertragliches Versprechen grundsätzlich bindend und der Schuldner verpflichtet war, das, was er versprochen hatte, zu erbringen, folgte auch das gemeine Recht am Ende des 18., zu Beginn des 19. Jahrhunderts. 41 So erklärte Thibaut 4 2 etwa: "Bey zweyseitigen Contracten sind beide Theile sofort vermöge der Natur des Contracts einander verpflichtet; beide haben also sogleich eine sogenannte actio d i r e c t a (aus der Natur des Vertrages folgende Klage) gegen einander". Er leitet damit aus dem vertraglichen Versprechen einen direkten Erfüllungsanspruch der Parteien gegeneinander ab 4 3 . Auch die Forderung der Naturrechtler, daß alle versprochenen Leistungen erzwingbar sein müßten, fand Eingang in das gemeine

sprechung Schwierigkeiten bereitet, vgl. Ferid, 2 C 107. Ähnlich wie die Regelung im französischen Recht war die Regelung im Codex Maximilianeus Bavaricus Civilis, vgl. C M B C I V 1, § 17 n. 1; vgl. dazu Wollschläger, Unmöglichkeit, S. 102. 38 I 5 § 270 A L R : "In der Regel müssen die Verträge nach ihrem ganzen Inhalt erfüllt werden", vgl. auch Fischer, Preuß.P., § 53; Koch, PrivatR II, § 559; I 5 § 276 A L R : "Wer eine Handlung zu leisten schuldig ist, kann dazu durch gerichtliche Zwangsmittel nach den Vorschriften der Prozeßordnung angehalten werden". 39

I 24 §§ 50 ff A G O ; vgl. auch Dernburg, Preuß.P. II, § 170, II.

40

§ 919 A B G B : "Wenn ein Teil den Vertrag entweder gar nicht oder nicht zu der gehörigen Zeit, an dem gehörigen Orte oder auf die bedungene Weise erfüllet, so ist der andere Teil, außer den im Gesetz bestimmten Fällen oder einem ausdrücklichen Vorbehalte nicht berechtigt, die Aufhebung, sondern nur die genaue Erfüllung des Vertrages und Ersatz zu fordern"; vgl. dazu Krainz, Bd. II, § 320; Hoffmann-Burchardi, S. 110. 41 Thibaut, Pand., §§ 168 ff; Dabelow, System, § 2216; Höpfner, Comm., § 733; Cramer, Anfangsgründe, I I I , X I , § 9,17; I I I , I, § 13, 28. 42 43

Thibaut, Pand., § 170.

Thibaut unterscheidet zwischen der actio directa auf Erfüllung, die sich aus der Natur des Vertrages sofort ergibt und der actio contraria, die sich auf Ansprüche bezieht, die nicht im Wesen des Geschäfts selbst begründet sind. Zur actio contraria zählen nach Thibaut etwa Ansprüche wegen Verletzungen bei Vertrag; vgl. dazu auch unten S. 57 f.

32

Vertragshaftung an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert

Recht 4 4 . So wurde ein Recht des Käufers auf die Erfüllung des Kaufvertrages anerkannt. Hermann argumentiert etwa in bezug auf einen Grundstücksvertrag, daß in diesem Falle den Interessen des Gläubigers nicht genügend Rechnung getragen würde, wenn dem Gläubiger statt der versprochenen Leistung nur ein Wertersatzanspruch zustände und der Schuldner ihm diesen gegen seinen Willen aufdrängen könne 4 5 . Aber auch hinsichtlich der Obligationen auf facere setzte sich gegen Ende des 18. Jahrhunderts die Auffassung durch, daß hier der Gläubiger die Erfüllung erzwingen dürfe 4 6 . G l ü c k 4 7 nimmt z.B. auf die Forderung der Naturrechtler, daß der Gläubiger die Erfüllung erzwingen können müsse, Bezug und erklärt knapp:"Von diesen Grundsätzen des Naturrechts weichen auch die römischen Gesetze nicht ab".

I I . Das Verhältnis zwischen Naturalerfüllungsanspruch und Wertersatz

7. Im gemeinen Recht Für das gemeine Recht am Ende des 18., zu Beginn des 19. Jahrhunderts läßt sich festhalten, daß dem Gläubiger ein Recht auf Naturalerfüllung eingeräumt wurde. Mit der Anerkennung eines Rechts des Gläubigers auf Erfüllung erhebt sich die Frage, ob der Gläubiger anstelle der Naturalerfüllung auch einen Geldersatz verlangen konnte. Solange noch Streit darüber bestand, ob der Gläubiger die Naturalerfüllung selbst durchsetzen könne, wurde in der Literatur diese Problematik unter dem Aspekt diskutiert, ob der Schuldner dem Gläubiger das Interesse statt der Erfüllung aufdrängen könne, ob der Gläubiger auf einen Geldersatzanspruch beschränkt sei 4 8 . Die allmähliche Entwicklung des Erfüllungsanspruchs neben

44 Hellfeld, Pand., § 310, 316; Hermann, Pand., S. 200; Cramer, Anfangsgründe III, I, § 13, 28; I I I , X I , § 9,17; Höpfner, Comm., § 743; Seuffert, Pand., § 238; Thibaut, Pand., §§ 92,168, 169; Westphal für den Kauf, §§ 168 f. 45 Hermann, Pand., S. 200; Cramer, Anfangsgründe, I I I , X I , §§ 9, 17; vgl. auch Koch, Forderungen I I I , S. 753 ff. 46

Höpfner, Comm., § 743; Seuffert, Pand., § 238; Thibaut, Pand., §§ 92,168,169; Glück, I V ,

S.306ff. 47 48

Glück, I V , S. 306 ff.

Hermann, Pand., S. 200; Glück, X V I , S. 113 ff; vgl. dazu auch Dilcher, SZRom 78, 277, 284, 290; Lange, Schadensersatz, S. 10, 29; Kniep, Mora II, § 91; Sintenis, Gießener Zschr. 11, 20 ff.

Das Verhältnis zwischen Naturalerfüllung und Wertersatz

33

dem Anspruch auf eine Geldleistung statt der Erfüllung führte dazu, daß der Gläubiger den Erfüllungsanspruch und den Geldersatzanspruch zunächst wahlweise geltend machen konnte; der Gläubiger konnte entscheiden, ob er auf der Naturalerfüllung beharrte oder aber ob er lieber mit dem Geldersatz zufrieden war. Dabelow schreibt z.B. in seinem Handbuch von 1803 in § 191: "Bey Verträgen ist auch dieses eine nothwendige Folge der Vereinbarung, daß derjenige, welcher seine übernommene Verbindlichkeit nicht erfüllt, mag er sie nicht erfüllen können oder nicht wollen, seinem Mit-Paciscenten zum Ersätze alles Schadens und des Interesse verpflichtet wird, je nachdem das eine oder das andere gehörig erwiesen wird" 4 9 . Seuffert führt aus, daß der Berechtigte bei jeder Forderung, "wenn sich der Schuldner der Erfüllung entzieht, statt des ursprünglichen Gegenstandes den Werth desselben in Anspruch nehmen" kann 5 0 . Aus seinen weiteren Ausführungen ergibt sich, daß "die Verbindlichkeit zur Leistung des Interesse" sobald eintritt, "als der Schuldner die eigentliche Leistung unmöglich macht, verweigert oder verzögert". "Jedoch kann der Schuldner, bis er belangt wird, die Hauptleistung" noch erbringen 51 . Hat der Gläubiger bereits auf Wertersatz oder das Interesse geklagt, ist das Anerbieten der Leistung durch den Schuldner wirkungslos, er kann nun die Naturalleistung gegen den Willen des Gläubigers 52

nicht mehr erbringen

.

Bei Glück klingt im Verhältnis zwischen Erfüllungs- und Interesseklage erstmals eine gewisse Vorrangstellung der Erfüllungsklage an, wobei er allerdings davon auszugehen scheint, daß der Gläubiger vorrangig an der Naturalerfüllung interessiert ist. Er führt aus: "das Interesse kann z.B. der Promissarius fordern, wenn wegen des Verzuges des Schuldners die Leistung des Factums jetzt keinen Nutzen mehr hat, oder der Promissor durch seine Schuld außer

49 Dabelow, Handbuch, § 191; vgl. auch Mackeldey, Lehrbuch, § 549, der allerdings das Element der Schuld miteinbezieht, wenn er erklärt: "... und jede Obligation lößt sich am Ende in eine Forderung auf Schadensersatz auf, wenn durch die Schuld des Schuldners der ursprüngliche Gegenstand nicht geleistet wird". 50

Seuffert, Pand., § 240; vgl. auch Thibaut, Pand., § 92.

51

Seuffert, Pand., § 240 Anm. 5.

52 Seuffert, Pand., § 247: "Der eingetretene Verzug wird beseitigt... 2) durch reelle Anerbietung derselben" (gemeint ist die Erfüllung der Leistung), "sofern der Gläubiger nicht bereits auf das Interesse geklagt hat".

34

Vertragshaftung an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert

Stand gerathen, das versprochene Factum zu leisten, oder die richterlichen Zwangsmittel vergeblich angewendet worden sind, um ihn zur wirklichen 53

Leistung des Factums zu nötigen" . Auf der anderen Seite hält Glück jedoch anscheinend an dem Wahlrecht des Gläubigers zwischen Erfüllung und Geldersatz fest, wenn er erklärt: "Der Natur des Contracts gemäß kann also wohl... nur diese (Meinung) seyn, daß wenn keine Uebergabe erfolgt, und der Käufer mit der Entschädigung zufrieden seyn will, oder etwa die Sache gar nicht mehr zu erhalten wäre, auf Vergütung des Interesse geklagt oder erkannt werden könne" 54 . Es hängt also vom Gläubiger ab, ob er auf die Naturalerfüllung klagt oder sich mit der Entschädigung begnügen will. Das Wahlrecht des Gläubigers zwischen Naturalerfüllung und Geldersatz macht deutlich, daß er nicht auf den Erfüllungsanspruch beschränkt war - wie grundsätzlich im geltenden Recht -, sondern daß der Schuldner für die Leistungspflichtverletzung auch mit Geldersatz haftete. Diese Haftung wegen einer Leistungspflichtverletzung war genau wie der Erfüllungsanspruch grundsätzlich verschuldensunabhängig, sie beruhte allein auf der Nichteinhaltung des vertraglichen Versprechens. Somit lag der Ersatzverpflichtung bei Nichterfüllung eine Art Garantiehaftung zugrunde. Nach Seuffert spielte ein Verschulden des Schuldners nur für die Höhe des Geldersatzes eine Rolle. Denn wenn dem Schuldner "Schuld oder Säumniß" zur Last fällt, hat er das volle Interesse des Gläubigers an der Leistung zu ersetzen, während er sonst nur Wertersatz zu leisten hatte 5 5 . Daß diese Haftung, die nur höhenmäßig vom Vorliegen eines Verschuldens abhängig war, neben der Möglichkeit, die Naturalerfüllung einzufordern, bestehen blieb, dürfte unter anderem darauf zurückzuführen sein, daß die praktische Durchsetzbarkeit des Erfüllungsanspruchs Schwierigkeiten in sich c/r en barg . So empfehlen Thibaut und Höpfner , die für den Naturalerfüllungsanspruch des Gläubigers stritten, daß es insbesondere bei Obligationen auf facere 53

Glück, I V , S. 306 ff, Anm. 66.

54

Glück, X V I , S. 115.

55

Seuffert, Pand., § 240; vgl. auch dazu Glück I V , S. 446 ff; Thibaut, Pand. §§ 274,275.

56

Vgl. dazu Sintenis, Gießener Zschr. 11,20 ff, 33. So stand einer zwangsweisen Exekution vertraglicher Handlungsansprüche die naturrechtliche Freiheitsauffassung entgegen, wonach kein Bürger gegen seinen Willen zu einer Handlung gezwungen werden konnte. Z u den Problemen praktischer Durchsetzbarkeit vgl. auch die Hinweise bei Bethmann-Hollweg, Versuche, S. 21. 57

§238.

Thibaut, Pand., § 92; Höpfner, Comm., § 743; ders., Naturrecht, § 64, I I I ; Seuffert, Pand.,

Das Verhältnis zwischen Naturalerfüllung und Wertersatz

35

oft ratsamer sei, gleich das Wertinteresse zu fordern, da auch nach erfolgloser Durchführung des Zwangsverfahrens nur dieses verlangt werden könne. Weitere Rechte konnte der Gläubiger in jener Zeit bei Nichtleistung nicht geltend 58

machen, insbesondere stand ihm kein Rücktrittsrecht zu . Für das ausgehende 18. und das beginnende 19. Jahrhundert läßt sich damit festhalten, daß der Gläubiger zwischen der Naturalerfüllung und der verschuldensunabhängigen Haftung auf Geldersatz wählen konnte. Allerdings deutet sich bereits an, daß der Anspruch auf Naturalerfüllung, das eigentlich aufgrund des Vertrages Geschuldete und vom Gläubiger Erstrebte, immer mehr in den Vordergrund rückte. Diese Entwicklung setzte sich im 19. Jahrhundert fort und wurde von großer Bedeutung für das gesamte Rechtsverständnis vom Vertrag und der Haftung aus Vertrag. Deshalb soll hier noch kurz auf die unterschiedlichen Ansätze zur Regelung des Verhältnisses zwischen Naturalerfüllung und Schadensersatz im Naturrecht und in den Kodifikationen eingegangen werden.

2. Im Naturrecht Aufgrund ihres besonderen Vertragsverständnisses sahen die Naturrechtler die Frage der Rechtsfolgen bei Nichtleistung in einem etwas anderen Licht. Die naturrechtliche Vertragsauffassung war geprägt durch die gegenseitige Verpflichtung der Parteien zur Treue bei der Abwicklung des Vertrages 59 . Dies führte zu einer einheitlichen Betrachtung von Leistung und Gegenleistung 60 . Für die Behandlung der Fälle der Nichterbringung der Leistung ergab sich aus der gegenseitigen Treueverpflichtung folgendes: Wenn ein Vertragspartner entgegen der vertraglichen Verpflichtung nicht leistete, verstieß er gegen den Grundsatz der Vertragstreue. Die perfidia, d.h. Untreue, hatte zur Folge, daß das vertragliche Treueband zerstört wurde (abrumpere) und die gegenseitigen

58 Leser, Rücktritt, S. 2 ff; Scherner, Rücktrittsrecht, S. 45 f. Dabelow, Handbuch, § 191, räumt zumindest in beschränktem Maße ein Rücktrittsrecht ein, wenn er erklärt: "Es kann auch wohl der ganze Vertrag rückgängig werden, wenn solches auf diesen Fall festgesetzt worden ist, oder eine spätere Leistung (wenn solche zu einer bestimmten Zeit geschehen muß) dem Mit-Paciscenten nichts mehr nützt". 59 Wolff, Grunds., §§ 442, 443; Schaumann, Naturrecht, § 372; Höpfner, Naturrecht, § 112 (I); Schilling, Naturrecht, § 117. 60

Vgl. dazu Leser, Rücktritt, S. 5.

Vertragshaftung an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert

36

vertraglichen Verpflichtungen aufgehoben wurden 6 1 . Die Nichterbringung der fO Leistung begründete damit ein Rücktrittsrecht des Gläubigers . Nach dieser Auffassung konnte der Gläubiger bei Nichtleistung entscheiden, ob er an dem Vertrag trotz des Treuebruchs festhalten oder aber im Hinblick auf den Treuebruch die Aufhebung des Vertrages verlangen wollte. Interessant ist dabei, daß das Prinzip der rigorosen Vertragsaufhebung bei jeder Art des Verstoßes gegen die Leistungspflicht von einigen Naturrechtlern in Frage gestellt wurde. So schränkte Höpfner ein: "Wenn der andere den Vertrag nicht zur bestimmten Zeit erfüllt, so bin ich darum nicht berechtigt, den Vertrag als aufgehoben zu fCK sehen, sofern dies nicht ausdrücklich bedungen worden ist" . Beruft sich der Gläubiger auf die Vertragsaufhebung durch den Treuebruch, so kann er neben der Vertragsaufhebung noch den Schaden geltend machen, der ihm durch die Nichterbringung der Leistung entstanden ist 6 4 . 3. In den Naturrechtskodifikationen Die Naturrechtskodifikationen schlagen in der Frage der Rechtsfolgen bei Nichtleistung des Geschuldeten unterschiedliche Wege ein. a) Code Civil Der französische code civil differenziert zwischen Obligationen auf faire und donner 65 . Bei Obligationen auf faire - facere - kennt der code civil ursprünglich keinen erzwingbaren Erfüllungsanspruch des Gläubigers 66 , Art. 1142 c.c. Die

61 Pufendorf, DJNG, V11,9; Wolff, Grundsätze, §§442 ff; ders., J N I I I , § 830, danach besteht das Rücktrittsrecht nur, solange noch nicht vollständig geleistet ist; Schaumann, Naturrecht, § 372; Höpfner, Naturrecht, § 112; Schilling, Naturrecht, § 117. 62 Vgl. zum Rücktrittsrecht auch die Darstellungen bei Leser, Rücktritt, S. 5 f; Scherner, Rücktrittsrecht, S. 97 f. Zur Vertragsaufhebung bei Treulosigkeit meint Wenn, S. 30, Pufendorf habe die Treuepflicht als Bedingung aufgefaßt, so daß sich auch ohne besondere Geltendmachung gegenüber der Vertragsbrüchigen Partei der Vertrag auflöse; trotz der Bedingungskonstruktion scheint jedoch die Geltendmachung der Treulosigkeit durch den Gläubiger notwendig gewesen zu sein, vgl. dazu Scherner, Rücktrittsrecht, S. 97 f. 63

Höpfner, Naturrecht, § 112 (III).

64

Höpfner, Naturrecht, § 64; Martini, Lehrbegriff, §§ 456, 386; Schaumann, Versuch I I I 1,

§132. 65 Vgl. zur eigenständigen französischen Lösung Leser, Rücktritt, S. 8; Scherner, Rücktrittsrecht, S. 191 ff. 66

Vgl. zu A r t . 1142 c.c. oben S. 30 f.

Das Verhältnis zwischen Naturalerfüllung und Wertersatz

37

Nichterbringung des Geschuldeten zog regelmäßig einen Schadensersatzanfi7

spruch nach sich . Bei Obligationen auf donner - dare - besteht bei Nichterbringung - "inexécution" - des Geschuldeten ein Wahlrecht des Gläubigers zwischen dem Erfüllungsanspruch und dem Begehren richterlicher VertragsfA auflösung unter Gewährung von Schadensersatz . Der Gläubiger kann also statt der Erfüllung verlangen, daß das Gericht den Vertrag auflöst, wobei der Richter im Hinblick auf die Vertragsauflösung einen Ermessensspielraum hat 6 9 . Letztlich spiegelt sich in der Auflösung des Vertrages durch das Gericht die naturrechtliche Auffassung wider, durch die Nichtleistung werde das Vertragsband zerstört und die gegenseitigen Verpflichtungen würden aufgehoben. b) Preußisches Allgemeines Landrecht Auch das A L R unterscheidet für die Rechtsfolgen bei Nichtleistung zwischen Obligationen auf dare und facere. Bei Obligationen auf facere folgt das A L R der naturrechtlichen Anschauung und gibt dem Gläubiger im Falle der vermuteten Treulosigkeit des Schuldners ein Rücktrittsrecht - allerdings auf eigene Gefahr 15 § 408 A L R -, das für den Fall der tatsächlichen Untreue mit 70

einem Schadensersatzanspruch gekoppelt ist . Dem Gläubiger stand damit im Falle der Nichtleistung, verstanden als Untreue, ein Wahlrecht zwischen Er71

füllung und Rücktritt i.V.m. einem Schadensersatzanspruch zu . Für Obligationen auf dare hat sich das A L R für einen neuen eigenen Weg 72

entschieden . Das A L R stellt den Anspruch auf Erfüllung in den Vordergrund. Nach § 394 im ersten Buch 5. Kapitel kann der Gläubiger grundsätzlich bei "verweigerter und nicht gehörig geleisteter Erfüllung" allein die versprochene

67

Vgl. Ferid, 2 C 107.

68

A r t . 1184 c.c. I n der weiteren Entwicklung haben Rechtsprechung und Lehre den Begriff inexécution bei Obligationen auf donner auf die inexécution definitive et irrevocable beschränkt, vgl. Ferid, 2 C106; Scherner, Rücktrittsrecht, S. 191 ff; Harting, p.V.V., S. 89 ff. Dadurch wurde dem Erfüllungsanspruch größere Bedeutung beigemessen, vgl. auch die Darstellung bei Crome, Grundlehren, S. 111 f, der sich an die deutsche Unmöglichkeitslehre des 19. Jahrhunderts anlehnt. 69

Vgl. dazu Leser, Rücktritt, S. 10; Rabel, Warenkauf, I, § 29,1.

70

I 5 §§ 408 ff; vgl. auch die Anmerkungen bei Koch, A L R zu I 5 §§408 ff; Bornemann, System., § 168,1. 71

Bornemann, System., § 168,1.

72

Bornemann, Rechtsgeschäfte, S. 344; Rönne, § 128.

Vertragshaftung an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert

38

Erfüllung verlangen. Der Gläubiger soll also seinen Erfüllungsanspruch durchsetzen, ein Ersatzanspruch kam nur neben der Erfüllung, z.B. wegen Verzug 73

im Hinblick auf den Verzugsschaden, in Betracht . Ein allgemeines Rücktrittsrecht konnte sich damit im A L R nicht durchsetzen 74 . Jedoch räumte das A L R in besonderen Fällen der Nichterbringung der Leistung auch die Möglichkeit der Vertragsaufhebung verbunden mit der Gewährung von Schadensersatz ein. So gab es die Möglichkeit der Vertragsaufhebung und des Schadensersatzes in den Fällen der Erfüllungsverweigerung. Die Regelung im 1. Buch, 5. Kapitel, §§ 396 ff sah jedoch vor, daß der Gläubiger zunächst seine Berechtigung zur Vertragsaufhebung wegen Erfüllungsverweigerung gerichtlich feststellen lassen mußte. Erst wenn ihm dieses Rücktrittsrecht gerichtlich zuge75

standen war, konnte er die Vertragsaufhebung geltend machen . Diese Regelung, die wohl ursprünglich dem Gläubiger eine weitreichende Möglichkeit zur Vertragsaufhebung unter Wahrung von Schadensersatzansprüchen bei Nichtleistung geben sollte, stellte sich aufgrund der zunächst erforderlichen gerichtlichen Feststellung einer Rücktrittsberechtigung als sehr kompliziert und unnr glücklich dar. Sie wurde deshalb auch weitgehend als mißglückt betrachtet . In der Praxis fand sie kaum Anwendung. c) Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch Österreichs Noch stärker als im A L R ist das Prinzip, daß die Erfüllung einer Ersatzleistung in Geld vorgeht, im österreichischen Allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuch verankert. § 919 stellt die Erfüllungspflicht klar in den Vordergrund, wenn es dort heißt: "Wenn ein Teil den Vertrag entweder gar nicht oder nicht zu der gehörigen Zeit, an dem gehörigen Orte oder auf die bedungene Weise erfüllet, so ist der andere Teil außer den im Gesetz bestimmten Fällen oder einem ausdrücklichen Vorbehalte nicht berechtigt,

73

Bornemann, Rechtsgeschäfte, S. 325 ff; ders., System., § 151; Klein, System, § 108.

74

Bornemann, Rechtsgeschäfte, S. 344; Rönne, § 128.

75

Bornemann, System., § 168,2; Koch, A L R , Anm. zu 15 §§ 396 ff.

76

Bornemann, System., § 168,2; Fischer, Preuß.P., § 55; Koch, PrivatR., II, § 476 Anm. 21; Koch, Forderungen II, S. 510; Leser, Rücktritt, S. 8; vgl. auch Scherner, Rücktrittsrecht, S. 126 ff.

Das Verhältnis zwischen Naturalerfüllung und Wertersatz

39

die Aufhebung, sondern nur die genaue Erfüllung des Vertrages 77

und Ersatz zu fordern"

.

In dieser strengen Verweisung des Gläubigers auf den Erfüllungsanspruch sah man später einen Mangel des ABGB, da man es unterlassen hätte, dem Gläubiger in den Fällen des Verzugs ein Schadensersatzrecht wegen Nichter78

füllung statt der Naturalleistung einzuräumen . Für das A L R und das ABGB läßt sich damit festhalten, daß der Erfüllungsanspruch in den Vordergrund tritt 79

und der Gläubiger primär auf den Erfüllungsanspruch beschränkt wird . Ihm steht nicht mehr wie im gemeinen Recht bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts ein Wahlrecht zwischen der Erfüllung und dem Wertersatz zu. Diese Entwicklungstendenz wird das gemeine Recht im 19. Jahrhundert prägen.

77 Vgl. dazu Krainz, Bd. II, § 320. Nur bei schuldhafter Unmöglichmachung kann der Schuldner Schadensersatz verlangen, Krainz, Bd. II, § 338; Hoffmann-Burchardi, S. 110. 78 79

Vgl. Floßmann, S. 228.

Dies führt zu einer Sonderstellung der Unmöglichkeitsfälle, da allein hier sofort an die Stelle der Leistung ein Ersatzanspruch tritt, vgl. 15 § 360 A L R ; s. dazu Wollschläger, Unmöglichkeit, S. 112 f.

Β. Die Unmöglichkeit der Leistung Nach dem gemeinen Recht am Ende des 18., zu Beginn des 19. Jahrhunderts war der Schuldner aufgrund seines vertraglichen Versprechens zur Leistung verpflichtet. Kam er seiner Verpflichtung zur Leistung nicht nach, so konnte der Gläubiger auf die Erfüllung oder aber einen Geldersatz klagen1. Im folgenden soll nun untersucht werden, ob dieser Grundsatz auch dann galt, wenn der Schuldner zur Leistung nicht in der Lage war, er nicht erfüllen konnte. Mußte er auch in diesen Fällen Geldersatz leisten oder wurde er ausnahmsweise von der Geldersatzpflicht befreit? Es stellt sich dabei die Frage nach der Bedeutung der Unmöglichkeit der Leistung, nach ihrer historischen Definition und den an sie geknüpften Rechtswirkungen.

I.

Anfangliche Unmöglichkeit der Leistung 2

Für die Fälle anfänglicher Unmöglichkeit der Leistung, d.h. wenn die Unmöglichkeit der Leistung schon zur Zeit des Vertragsschlusses bestand, der Vertrag folglich auf eine unmögliche Leistung gerichtet war, war die auf das römische Recht zurückgehende Maxime "impossibilium nulla obligatio" maßgeblich. Allerdings galt dieser Grundsatz im römischen Recht nur für die Fälle α

objektiver Unmöglichkeit bei der Stipulation . Soweit die Nichterbringbarkeit der Leistung nicht als "impossibilis" - d.h. auf objektiver Unmöglichkeit beruhend - angesehenwurde, warder Vertrag wirksam, und eine Verurteilung des Schuldners auf Geldersatz war die Folge 4 . Zur allgemeinen Regel, daß jeder 1

Vgl. oben S. 32 ff.

2

Wenn hier auf alle Fälle der Unmöglichkeit der Leistung, also auch die Fälle anfänglicher Unmöglichkeit der Leistung, eingegangen wird, so hat dies seinen Grund darin, daß Mommsen im 19. Jahrhundert eine umfassende Unmöglichkeitslehre entwickelt, die nur durch eine einheitliche Betrachtung in ihrer Bedeutung erfaßt werden kann. 3 Medicus, SZRom 86,75 ff; Rabel, Mélanges Géradin, S. 473 ff = Ges. Aufs. I V , S. 105 ff; Peters, in Festschr. Käser, S. 285 ff; Emmerich, Leistungsstörungen, 1. Aufl., S. 5 f. Erst Donell übertrug den Grundsatz später auf alle Vertragstypen, Wollschläger, Unmöglichkeit, S. 28 ff. 4

Medicus, SZRom 86,75 ff, 100 ff; Wollschläger, Unmöglichkeit, S. 9.

ä g l i c h e Unmöglichkeit der Leistung

41

Vertrag, der auf etwas für den Schuldner Unmögliches gerichtet war, nichtig sei, wurde diese Maxime erst im Naturrecht herausgebildet 5. Während im römischen Recht der Grundsatz auf die objektive Unmöglichkeit bezogen worden war, legten die Naturrechtler ihrer Unmöglichkeitslehre einen neuen, erweiterten Unmöglichkeitsbegriff zugrunde, der durch Moraltheologie und Vernunftethik bestimmt war 6 . Danach kam es nicht mehr auf die objektive Leistungsunmöglichkeit an, sondern darauf, ob der Schuldner seiner persönlichen Handlungspflicht nachkommen konnte, der Schuldner zur Erfüllung n vermögend war . Die Anknüpfung an das tatsächliche Handlungsvermögen des Schuldners zeigt, daß Mängel in der Willensherrschaft des Schuldners über die versprochene Handlung die Grundlage des naturrechtlichen Unmöglicho

keitsdogmas bilden . Als nichtig wurde deshalb von der Naturrechtslehre jedes Versprechen einer dem Schuldner unmöglichen Handlung angesehen. Denn ein solches Versprechen sei vernunftwidrig und nutzlos, da das verfolgte Ziel, der Leistungsaustausch, nicht erreicht werden könne 9 . Deshalb waren nicht nur Verträge über nicht existierende oder bereits untergegangene Gegenstände 1 0 , sondern auch Versprechen über Handlungen oder Dinge Dritter 1 1 nichtig. Ja, selbst Versprechen unsittlicher und unerlaubter Handlungen wurden 12

auf der Grundlage dieser Maxime als unmöglich und daher nichtig erachtet . Das gemeine Recht am Ende des 18., zu Beginn des 19. Jahrhunderts ging in Anlehnung an die naturrechtliche Auffassung von dem Grundsatz aus, daß 13

der Gegenstand des Vertrages in der "Gewalt der Paciscenten seyn" mußte . 5 Pufendorf, D J N G I, V , 8; I I I , V I I , 2 u. 3; Daries, Inst., § 394, cor. V ; Grotius, Inl. I I I , I, 42; Heineccius, Elementa juris naturae I, § 397; Pütter/Achenwall, Elementa juris naturae, § 156; Schaumann, Naturrecht, § 390; Höpfner, Naturrecht, §§ 10, 75; Martini, Lehrbegriff, § 462; Schmalz, Naturrecht, §§ 119 ff; für das gemeine Recht Heineccius, Pandekten, L 45, I, 14; Dabelow, System, § 2206. 6

Wollschläger, Unmöglichkeit, S. 76; ders., Sympotica, S. 154 ff.

7

Grotius, DJBP II, 11, § 8,1; Pufendorf, D J N G I I I , V I I , 1 f; Martini, Lehrbegriff, § 462.

8

Grotius, Inl. I I I , 1, § 19; ders., DJBP II, 11, V I I I ; Pufendorf, D J N G I I I , V I I , 1 f; Pufendorf, Elementa I, Def. 12, § 32; vgl. dazu auch Wollschläger, S. 77. 9

Pufendorf, D J N G I I I , V I I , 1 f; auch noch Westphal für den Kauf, I I I , § 55.

10

Pufendorf, D J N G I I I , V I I , 6; Sitten- und Staatslehre I, 9, §§ 18,19; Wolff, Grundsätze, §§ 411 ff; siehe auch die Beispiele bei Höpfner, Comm., § 737 - abgebranntes Haus, krepiertes Pferd. 11 Pufendorf, D J N G I I I , V I I , 10; Wolff, Grundsätze, § 412; vgl. auch die Regelungen im C M B C I V , 1, § 16 Nr. 3 und im A L R I 5 §§ 40,46; ausführlich vgl. dazu Wollschläger, Unmöglichkeit, S. 92 ff. 12

Grotius, Inl. I I I , I, § 42; vgl. auch 14 § 7 A L R und die Erläuterungen dazu bei Koch, A L R .

13

Glück, I V , S. 200; Thibaut, Pand., § 158; Dabelow, System, § 2206; Höpfner, Comm.,

§ 737.

42

Vertragshaftung an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert

Allerdings zeigen sich Tendenzen, die subjektive Handlungsunfähigkeit des Schuldners in bestimmten Fällen als nicht zur Nichtigkeit führend zu betrachten 1 4 . Das Vertragsverhältnis wurde also dann, wenn die Nichterbringbarkeit der Leistung auf einer nur subjektiven Unmöglichkeit beruhte, als wirksam angesehen, und der Gläubiger konnte dann zumindest Wertersatz verlangen 1 5 . Eine Rückkehr zu dem römisch-rechtlichen Verständnis von der Unmöglichkeit als objektiver Unmöglichkeit deutet sich hier an. Einig war man sich auch darüber, daß dem Gläubiger trotz der Nichtigkeit des Vertrages unter Umständen ein Schadensersatzanspruch zustehen konnt e 1 6 . Dieser Schadensersatzanspruch wurde aufgrund des Fehlens eines wirksamen Vertrages jedoch weniger aus vertraglichen Grundsätzen abgeleitet als 17

aus der Haftung für dolus bzw. aus dem allgemeinen Haftungstatbestand . Deshalb geht die Schadensersatzpflicht des Schuldners auch zunächst darauf, das Interesse des Gläubigers zu ersetzen, das dieser daran hat, nicht derart über die Leistungsfähigkeit des Schuldners getäuscht bzw. hintergangen zu werden 1 8

I I . Nachträgliche Unmöglichkeit der Leistung

Stärker als in den Fällen anfänglicher Unmöglichkeit der Leistung stellt sich in den Fällen nachträglicher Unmöglichkeit 19 der Leistung die Frage nach ihren Auswirkungen, da die anfängliche Unmöglichkeit ein Vertragsverhältnis gar nicht erst entstehen läßt, während bei der nachträglichen Unmöglichkeit auf ein bereits entstandenes Vertragsverhältnis eingewirkt wird. Hat die nach-

14 Glück, I V , S. 201, z.B. erkennt den Vertrag über eine fremde Sache für wenigstens unter den Parteien für verbindlich an; ähnl. Dabelow, System, § 2208; Höpfner, Comm., § 737; Seuffert, Pand., § 259. 15 Dabelow, System, § 2208; Seuffert, Pand., § 259; vgl. zur Diskussion über die Auslegung des Unmöglichkeitsbegriffs im A L R und A B G B Wollschläger, Unmöglichkeit, S. 95,100. 16 Pufendorf, D J N G I I I , 1, I I I , 7, § 2; Höpfner, Comm., § 737; Thibaut, Pand, § 86; Seuffert, Pand, § 259; für das Naturrecht vgl. Wollschläger, Unmöglichkeit, S. 79; s.a. § 878 A B G B sowie Zeiller, A B G B , §878, 4. 17

So schon Pufendorf, D J N G I I I , 11; Höpfner, Comm., § 737; Seuffert, Pand, § 259.

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Hellfeld, Pand, § 333. Die Haftungsbeschränkung auf das negative Interesse deutet sich hier an, vgl. dazu Wollschläger, Unmöglichkeit, S. 80. 19 Zur Bedeutung der Fälle nachträglicher Unmöglichkeit im römischen Recht Medicus, SZRom 86, 70 ff, 78 ff; Emmerich, Leistungsstörungen, 1. Aufl., S. 6 f; Wollschläger, Unmöglichkeit, S. 35; Lemppenau, Gattungsschuld, S. 32 ff; Jakobs, Unmöglichkeit, S. 129 ff.

Nachträgliche Unmöglichkeit der Leistung

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trägliche Unmöglichkeit die Folge, daß der bereits einmal entstandene Erfüllungsanspruch bzw. der Wertersatzanspruch nachträglich wieder wegfällt, d.h. der Schuldner von ihnen befreit wird, oder ist die Unmöglichkeit ohne Einfluß auf sie?

1. Die befreiende Wirkung I m Naturrecht übertrug man die Regel "impossibilium nulla obligatio" auch 20

auf die Fälle nachträglicher Unmöglichkeit insbesondere beim Sachuntergang und begründete so die Befreiung des Schuldners von seiner Erfüllungsund Geldersatzpflicht. So wurde unter Übertragung dieses Rechtssatzes auf die Fälle nachträglicher Unmöglichkeit erklärt, da Unmögliches nicht gefordert werden könne, führe der Sachuntergang grundsätzlich zur Vertragsaufhe21

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und damit auch zur Befreiung hinsichtlich des Wertinteresses. Aller-

dings sollte dies nicht gelten, wenn die Unmöglichkeit der Leistung auf einem Verschulden oder mora beruhte, hier sollte der Schuldner vielmehr Schadens22

ersatz leisten müssen . Zwar lassen sich am Ende des 18., zu Beginn des 19. Jahrhunderts auch im gemeinen Recht Tendenzen feststellen, die Befreiungsgründe als Fälle unverschuldeter Unmöglichkeit zusammenzufassen . So spricht etwa Seuffert davon, daß der Schuldner durch den "unverschuldeten Untergang des Gegenstandes und jeden andern Zufall, welcher die Leistung unmöglich macht von der Obligation befreit werde" 24 . Schwerpunktmäßig wurde jedoch die Befreiung von der Erfüllung und damit der Geldersatzpflicht nicht von der Unmöglichkeit der Leistung abhängig gemacht, sondern es wurden - zum Teil für die

20 Pufendorf, D J N G I I I , V I I , 3; Heineccius, Elementa juris naturae, § 1010; Höpfner, Naturrecht, § 114; vgl. auch Wollschläger, Unmöglichkeit, S. 82; Diesselhorst, Lehre des Hugo Grotius, S. 128 ff zur Ausdehnung der Regel, daß niemand zu Unmöglichem verpflichtet sei, auf die Fälle nachträglicher Unmöglichkeit seit der Scholastik. 21

Pufendorf, D J N G I I I , V I I , 3 vgl. auch Thibaut, Pand., § 204.

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Pufendorf, D J N G I I I , V I I 3 und insbes. 4; Wolff, JN I I I , §§ 673 f; Heineccius, Elementa juris naturae, §§ 353, 397, 406 II, 417; ders. auch in seinen Pandekten L 46, I I I , § 60; Höpfner, Naturrecht, § 114. 23 24

Thibaut, Pand., § 204; Seuffert, Pand., § 285; Dabelow, System, §§ 683-689.

Seuffert, Pand., § 285; vgl. auch die Regelung i m österreichischen A B G B , § 1447: "Der zufällige gänzliche Untergang einer bestimmten Sache hebt alle Verbindlichkeit, selbst die, den Werth derselben zu vergüten, auf. Dieser Grundsatz gilt auch für diejenigen Fälle, in welchen die Erfüllung einer Verbindlichkeit, oder die Zahlung einer Schuld durch einen anderen Zufall unmöglich wird..."

Vertragshaftung an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert

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einzelnen Vertragstypen gesondert - die einzelnen konkreten Gründe der 2