Zur Rekonstruktion des Verstandesbegriffs in der Philosophie Hegels [1 ed.] 9783428587759, 9783428187751

Alles Spekulative ist dem Verstand ein ›Mysterium‹, so eine der bekanntesten Behauptungen Hegels. Er bestand jedoch dara

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Zur Rekonstruktion des Verstandesbegriffs in der Philosophie Hegels [1 ed.]
 9783428587759, 9783428187751

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Hegel-Jahrbuch Sonderband 16 Zur Rekonstruktion des Verstandesbegriffs in der Philosophie Hegels Von Veronika Klauser

Duncker & Humblot

VERONIKA KLAUSER Zur Rekonstruktion des Verstandesbegriffs in der Philosophie Hegels

HEGEL-JAHRBUCH Herausgegeben von Brady Bowman, Myriam Gerhard, Jure Zovko Begründet von Wilhelm Raimund Beyer (†)

Sonderband 16

Zur Rekonstruktion des Verstandesbegriffs in der Philosophie Hegels Von Veronika Klauser

Duncker & Humblot  ·  Berlin

Die Philosophische Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin hat diese Arbeit im Jahr 2022 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© 2023 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: 3w+p GmbH, 97222 Rimpar Druck: CPI books GmbH, Leck Printed in Germany

ISSN 2199-8167 ISBN 978-3-428-18775-1 (Print) ISBN 978-3-428-58775-9 (E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 Internet: http://www.duncker-humblot.de

Meiner Mutter

Danksagung Mein allererster herzlicher Dank gilt Prof. Dr. Andreas Arndt, der sich bereit erklärt hat, diese Arbeit als Erstbetreuer zu begleiten, obwohl er eigentlich keine Dissertationen mehr betreuen wollte. Sein Interesse an meinem Projekt und seine Bereitschaft dafür, eine Ausnahme zu machen, sind eine große Ehre für mich. Ohne seine verständnisvolle und inspirierende Betreuung, sorgfältige Unterstützung, zahlreichen wissenschaftlichen Hinweise und unseren anregenden Gespräche wäre diese Dissertation überhaupt nicht denkbar. Meinem Zweitbetreuer Prof. Dr. Tobias Rosefeldt möchte ich für seine scharfsinnigen kritischen Bemerkungen sowie die Möglichkeit danken, ausgewählte Ausschnitte meiner Arbeit in seinem Forschungscolloquium präsentieren und diskutieren zu dürfen. Für aufschlussreiche Gespräche bedanke ich mich zudem bei Prof. Dr. Rainer Adolphi, Anne Becker, Julian Hensold, Jenny Kneis, Dr. Ryu Okazaki, Dr. Luz Christopher Seiberth und Dr. Georg Oswald. Günter Scharfe danke ich für die zahlreichen stilistischen Hinweise. Auch David Benseler danke ich für Impulse, meine Arbeit vor der Veröffentlichung an manchen Stellen stilistisch zu schärfen, sowie für seine anregenden Hinweise. Für die finanzielle Förderung meiner Dissertation bedanke ich mich bei der Konrad-Adenauer-Stiftung. Mein Dank gilt außerdem der Humboldt-Universität zu Berlin, welche die Fertigstellung des Manuskriptes sowie die Vorbereitung der Disputation durch das Caroline von Humboldt-Abschlussstipendium gefördert hat. Da meine Promotionsjahre durch schwere Lebensumstände beeinträchtigt wurden, wäre das Projekt ohne die tatkräftige Hilfe von Rosa Sorrentino, Irina Stark, Olga Bading, Eduard Walz und Eberhard Bock nicht zustande gekommen. Dafür bin ich ihnen zutiefst dankbar. Mein besonderer Dank geht an Dr. Marcel Twele, der mich über all diese Jahre begleitet, in vielerlei Hinsicht unterstützt und ständig sehr geduldig beim Korrekturlesen geholfen hat. Meine Mutter, Nadezhda Miroshnikova, hat mir durch ihre liebevolle Geduld und stetige Ermutigung die Kraft gegeben, die großen Schwierigkeiten auf meinem akademischen Weg zu überwinden und diesen Weg überhaupt zu gehen. Ihr widme ich diese Arbeit.

Inhaltsverzeichnis Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 I. Der Verstand im Lichte des Erbes der Aufklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 1. Setzt der Glaubensinhalt dem Erkennen tatsächlich ein Ende? . . . . . . . . . . . . . . . 16 2. Eine erweiterte Sicht auf die Kompetenz des Verstandes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 a) Wie die Reflexion das Absolute fasst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 b) Der Zweifel als unverzichtbarer Bestandteil eines sicheren Erkennens . . . . . . . 35 c) Zur Vervollständigung des Wissens durch den Glauben . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 II. Der Verstand in der Philosophie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 1. Präzisierung des Hegelschen Vorhabens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 2. Zur Rekonstruktion des Verstandesbegriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 III. Der Verstand und die Logik: Zur Einordnung der Verstandesfunktion im Lichte des philosophischen Systems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 1. Heidelberger Enzyklopädie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 2. Die Vorlesungsnachschriften (im Anschluss an die Heidelberger Enzyklopädie)

98

a) Die Vorlesungsnachschrift von 1817 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 b) Die Vorlesungsnachschriften von 1823 – 1826 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 3. Klassifizierung des Denkens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 a) Das Denken nach der „nächsten Vorstellung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 b) Das Nachdenken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 c) Das objektive Denken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 IV. Der Verstand und die Objektivität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 1. Die Objektivität und die Schulmetaphysik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 2. Die Objektivität und der Empirismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 3. Die Objektivität und die Kritische Philosophie Kants . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 4. Die Objektivität und das unmittelbare Wissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 Schluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158

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Inhaltsverzeichnis

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 Primärliteratur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 Forschungsliteratur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167

Vorwort Einer der bekanntesten Hegelschen Behauptungen zufolge ist alles Spekulative dem Verstand ein Mysterium.1 Doch auf dem Weg zum vollständigen Wissen, so Hegel, lasse sich dieses Mysterium nicht umgehen, da die Wahrheit nur als das Ganze zu fassen sei2 und das Ganze seinerseits sich nur mittels Spekulation erschließen läßt. Dieser knappe Umriß provoziert die Frage, ob Hegel das formal-logische Denken des Verstandes im Ganzen verwirft und letztlich danach strebt – wie einige ForscherInnen behaupten – alles im Namen des Begriffs unterschiedslos zu vertilgen?3 Hegel selbst antwortet darauf mit einem eindeutigen Nein, wenn er wörtlich erklärt, „[i]n der speculativen Logik ist die bloße Verstandes-Logik enthalten und kann aus jener sogleich gemacht werden; es bedarf dazu nichts, als daraus das Dialektische und Vernünftige wegzulassen; so wird sie zu dem, was die gewöhnliche Logik ist.“4

Hiermit ordnet Hegel den Verstand (bzw. die „Verstandes-Logik“) zunächst als ein – wenn auch nicht als einzigen – konstitutiven Bestandteil des Erkennens ein. Doch im Lichte des spekulativen, das heißt vernünftigen Denkens, mit dem sich Hegel im Laufe seines Schaffens überwiegend beschäftigt, blieb der Verstand etwas unterbestimmt. Auf diesen Umstand lassen sich zahlreiche Missverständnisse und unzutreffende Interpretationen des Hegelschen Anliegens zurückführen. Denn gemäß der weitverbreiteten common sense-Tradition basiert der Erwerb wahrer Kenntnisse auf dem formal-logischen, d. i. verständigen Denken, während alles, was sich mittels dieses Denkens nicht begreifen lässt, als unerkennbar bezeichnet wird. Das von Hegel entworfene Erkenntnisprogramm dagegen bringt eine ganze neue Perspektive hervor, indem er dem formal-logischen Denken darin zugunsten des vernünftigen die führende Funktion abspricht und die Wahrheit überhaupt als „Mysterium“ für den Verstand bezeichnet. Von den zahlreichen Interpretationen der Philosophie Hegels, die seinem Denken nicht gerecht werden konnten, sollen an dieser Stelle nur einige einflußreiche Beispiele erwähnt werden: Karl Marx beschuldigt Hegel des Mystifizierens. Er erklärt, Hegels Philosophie stehe „auf dem Kopf“, man müsse sie „umstülpen“, um „den rationalen Kern in der 1 2

19). 3

G. W. F. Hegel, Die vollendete Religion, 1995, 276. „Das Wahre ist das Ganze“ heißt es wörtlich in der Phänomenologie des Geistes (GW 9,

Nikolai Hartmann argumentiert ganz entschieden dagegen, der Philosophie Hegels einen Rationalismus zuzuschreiben (vgl. N. Hartmann [1923] 1960, 254 f. 257). Jens Halfwassen interpretiert Hegel ausschließlich im Lichte des Neuplatonismus (vgl. J. Halfwassen 1999). 4 GW 16 (Enz. 1830, § 82).

12

Vorwort

mystischen Hülle zu entdecken.“5 In einem Brief gesteht Marx sogar zu: „Wenn je wieder Zeit […] kommt, hätte ich große Lust […] das Rationelle an der Methode, die Hegel entdeckt, aber zugleich mystifiziert hat, dem gemeinen Menschenverstand zugänglich zu machen.“6 Was auch immer Marx unter dem „rationale[n] Kern“, von dem er spricht, verstanden haben mag – dem kann ich im Rahmen dieser Arbeit leider nicht nachgehen –, so deuten diese Bemerkungen dennoch offensichtlich eine kritische und entmystifizierende Richtung in der Interpretation der Philosophie Hegels an. Während also einige KritikerInnen, von denen Marx zu den prominentesten zählt, die Hegelsche Philosophie vom Mystischen „zu befreien“ suchten, zielten andere darauf ab, diese völlig zu widerlegen. Diese Versuche erreichen meines Erachtens ihren Kulminationspunkt in der Interpretation Karl Poppers, welcher der Philosophie Hegels jegliche Rationalität abspricht und darauf besteht, dass Hegel das rationale Denken beseitigt. Er verhindere, so Popper, damit den naturwissenschaftlichen und geistigen Fortschritt.7 Seine Behauptungen, welche die allgemeinen Vorurteile gegen Hegel vertiefen, erfuhren große Resonanz. Sie führten zu der verbreiteten Einschätzung, dass Hegels Philosophie unnütz sei, da sie mit dem formal-logischen Denken des Verstandes breche und infolgedessen „beliebig“ verlaufe. Poppers Hegel-Kritik wurde später selbst Gegenstand einer kritischen Auseinandersetzung, für die meines Erachtens allerdings eine Position wie die Herbert Schnädelbachs kennzeichnend bleibt. Dieser konstatiert zwar die Voreiligkeit der Schlussfolgerungen Poppers, gesteht aber letztlich zu, dass die Philosophie Hegels längst überwunden sei: „Hegels System ist ein intellektueller Traum, aus dem die Philosophie erwachen mußte, als sie erwachsen wurde.“8 Und ferner, so Schnädelbach, können wir Hegels Konzeption der Wahrheit heute im Ganzen gar nicht mehr vertreten, sondern höchstens einige ihrer Teile in Betracht ziehen.9 Egal von welcher Seite Hegels Philosophie kritisiert oder angegriffen wurde, so liefen die Vorwürfe zumeist darauf hinaus, die Stellung des formal-logischen Denkens des Verstandes in Hegels Philosophie anzuzweifeln. Der gemeine Menschenverstand, so grosso modo die Kritik, würde von Hegel vernachlässigt oder sogar verletzt. Tatsächlich beschäftigt sich Hegel vorwiegend mit dem spekulativen, d. i. vernünftigen Denken, das er vom Verstandesdenken scheidet. Gleichzeitig aber – und dies wird oft übersehen oder sogar absichtlich außer Acht gelassen – geht das spekulative Denken in Hegels Philosophie stringent aus dem setzenden Ausschlussverfahren des Verstandes hervor. Wie fasst Hegel selbst den Verstand und wie lässt sich dessen Rolle innerhalb seines Denkens nachvollziehen? Welche Triftigkeit 5

Vgl. K. Marx, Kapital I, MEW 23, 27 f. K. Marx, Brief an Engels (1858), MEW 29, 260. 7 Vgl. K. Popper [1945] 1962, 224 f. 8 H. Schnädelbach 2011, 166. 9 Vgl. H. Schnädelbach: Hegels Lehre von der Wahrheit. Antrittsvorlesung 26. Mai 1993, Berlin 1993. 6

Vorwort

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kommt Hegels Denken des Verstandes zu? Welcher Begriff des Verstandes wäre schließlich adäquat zu nennen? Dies sind die zentralen Fragen, mit denen ich mich in der vorliegenden Arbeit auseinandergesetzt habe. Diese Fragen habe ich in den folgenden Schritten erarbeitet: Im ersten Kapitel geht es darum, den Begriff des Verstandes im Lichte des Erbes der Aufklärung zu erörtern. Bekanntlich endete die Aufklärung damit, den Glauben aus dem Bereich des Wissens auszuschließen.10 Während aber die Gründe für die Angemessenheit eines solchen Ausschlusses ausführlich dargelegt wurden, wurde der Akt des Ausschlusses selbst – bzw. des Entgegensetzens, dank dem das Wissen dem Glaubensinhalt entgegentrat, – außer Acht gelassen. Hegel dagegen hat bereits in der Anfangsphase seines Schaffens den ernsthaften Versuch unternommen, den Akt des Entgegensetzens angesichts seiner Auswirkungen auf den Prozess des Erkennens zu befragen. Auch wenn seine Nähe zu zeitgenössischen Positionen, vor allem zu der Kantischen Trennung zwischen Glauben und Wissen, in dieser Zeit (Bern, Frankfurt) nicht zu leugnen ist, hilft ihm die Thematisierung des Entgegensetzens zweifelsohne, den Blick auf das Erkennen im Allgemeinen, wie auf die Kompetenz des Verstandes im Besonderen wesentlich zu erweitern. Den Fragen, wie der Mechanismus der Setzung des Verstandes nach Hegel genau funktioniert und warum das Ausschlussverfahren des Verstandes nicht nur vereinzelte stimmige Erkenntnisse zur Verfügung stellt, sondern sich auch mit den Inhalten des Glaubens verbindet, gehe ich ausführlich nach. Daran anknüpfend werde ich die entscheidenden Schritte rekonstruiert, anhand derer Hegel die Erkennbarkeit des Absoluten behauptet und dem Zweifel eine konstitutive Rolle auf dem Weg zum vollständigen Erkennen attestiert. Diese Schritte vollzog er in der sogenannten Kritischen Jenaer Phase. Im zweiten Kapitel will ich den Verstandesbegriff Hegels rekonstruieren. Die geläufigen Fragen, welche diesem Unternehmen zahlreiche Hindernisse zu bereiten scheinen, sind die folgenden: Ist der Verstand nicht eigentlich diejenige Instanz, die erst Begriffe zur Verfügung stellt? Und wenn das so ist, ist es dann nicht unsinnig, den Verstand selbst auf einen Begriff bringen zu wollen? Diese Einwände werden eingangs anhand der Ergebnisse des ersten Kapitels zurückgewiesen. Dies geschieht, indem die Angemessenheit der Suche nach einem triftigen Verstandesbegriff im Lichte denjenigen Verstandesfähigkeiten betrachtet wird, mit Hilfe derer der Verstand sich selbst in den Fokus des Erkennens nimmt. Unter diesem Blickwinkel wird das bahnbrechende – von Hegel in der Phänomenologie des Geistes entfaltete – Denken nicht nur nachvollziehbar, vielmehr lässt sich ein produktiver Verstandesbegriff daraus rekonstruieren. Zu den zentralen Aufgaben des zweiten Kapitels wird es gehören, die Tragweite eines solchen Begriffs zu klären sowie seine systematischen Ansprüche offenzulegen.

10 In der Vorrede zur zweiten Auflage der Kritik der reinen Vernunft hieß es bei Kant: „Ich mußte also das Wissen aufheben, um zum Glauben Platz zu bekommen“. (KrV, B XXX).

14

Vorwort

Nachdem die entscheidenden Charakteristika des Verstandesbegriffs auf diese Weise herausgearbeitet sind, soll den sich hier ergebenden Fragen nachgegangen werden, welche Stellung dem Verstand innerhalb der Logik zuzuschreiben ist und aus welchem Grund Hegel dessen Funktion für den Wissenserwerb als unzureichend qualifiziert. Im dritten Kapitel werden diese Fragen in Bezug auf die erste Fassung der Enzyklopädie Hegels, der sogenannten Heidelberger Enzyklopädie von 1817, sowie seine Logik-Vorlesungen (1817 – 1826) ausführlich behandelt. Bekanntlich beschäftigt sich Hegel in dieser Phase mit der Ausarbeitung seines philosophischen Systems, was aber auch bedeutet, dass er im Zuge dessen seine Grundkonzepte weiterentwickelt. Angesichts dieser Entwicklungen des Hegelschen Denkens können die zu beantwortenden Fragen besonders produktiv aufgegriffen werden. Die entscheidenden Umarbeitungen Hegels, die sich an den oben genannten Texte aufzeigen lassen, ermöglichen eine folgenreiche Explikation des Verhältnisses, in dem sich der Verstand zur Logik befindet. In diesem Rahmen werde ich mich auch mit den fast überhaupt noch nicht untersuchten Logik-Vorlesungen Hegels beschäftigen. Denn da diese Vorlesungen erst relativ spät erschienen sind,11 wurden sie von der Forschung bisher nur am Rande erwähnt. In dem abschließenden Kapitel kehre ich zu den Anfangsfragen zurück, die sich so reformulieren lassen: In welchem Umfang ist die Objektivität dem Verstand zugänglich? Wo stößt der Verstand an die eigenen Grenzen? Und setzen letztlich diese Grenzen dem zuverlässigen Erkennen tatsächlich ein Ende? Hegel selbst beantwortet die letztere Frage, wie eingangs schon angeführt, mit einem Nein. Ob dieses Nein mit den systematischen Ausweitungen der Kompetenz des Verstandes, welche Hegel vornimmt, zu vereinbaren ist, oder aber, wie von KritikerInnen unterstellt, mit einem Bruch der Grundlagen des formal-logischen Erkennens enden muss, wird das zentrale Problem meiner abschließenden Studien sein. Das Verhältnis des Verstandes – bzw. seines Denkens – zur Objektivität wird auf der Grundlage der letzten Fassung der Enzyklopädie von 1830 verfolgt, wobei die drei Stellungen des Gedankens zur Objektivität im Fokus der Untersuchungen stehen. Die vorliegende Arbeit stellt den Versuch dar, ein eindeutiges Forschungsdefizit zu beheben, denn die Bestimmung des Verhältnisses von Verstand und Vernunft wurde bisher nur selten thematisiert. Dabei erschließt meine Arbeit diese Problematik sowohl entwicklungsgeschichtlich als auch systematisch. Die hier vorgenommene rekonstruierende Darstellung der Charakteristika des Verstandes in der Hegelschen Philosophie lässt Hegels Umgang mit dem formal-logischen Denken des Verstandes in neuer Perspektive erscheinen, welche es ermöglicht, einen erweiterten Blick auf den Verstand und seine Leistung zu werfen. Das erlaubt es auch, mit Hilfe des Denkens Hegels die durch die kritische Philosophie Kants bis heute mehr oder

11 In der kritischen Edition (GW 23/1 und GW 23/2) sind Hegels Vorlesungen über die Wissenschaft der Logik erst in den Jahren 2013 und 2015 erschienen.

Vorwort

15

weniger kanonisch gewordenen Rahmen des Erkennens in einem neuen Lichte zu hinterfragen.

I. Der Verstand im Lichte des Erbes der Aufklärung Die allerersten Hegelschen Ausarbeitungen zur Leistung des Verstandes schließen zweifelsohne an das Erbe der Aufklärung an. Dieses Erbe ist durch eine klare Trennung zwischen Glauben und Wissen gekennzeichnet. So wurde das höchste Ideal – als Gott bzw. das Göttliche oder die Gottheit genannt – dem Bereich des Erkennbaren entgegengesetzt und als unerkennbar, das heißt dem Verstand unzugänglich, postuliert. Während die Gründe für die Angemessenheit eines solchen Ausschlusses des Glaubensinhaltes aus dem Wissensbereich ausreichend ausgearbeitet wurden, blieb der Akt des Ausschlusses selbst – das heißt des Entgegensetzens, dank dem das Wissen dem Glaubensinhalt entgegentritt – außer Acht gelassen. Einen ernsthaften Versuch, diesen Akt angesichts seiner Auswirkungen auf den Prozess des Erkennens zu befragen, unternimmt Hegel bereits in der Anfangsphase seines Schaffens. Auch wenn seine Nähe zu den zeitgenössischen Ergebnissen – vor allem zur Kantischen Trennung zwischen Glauben und Wissen – in dieser Zeit (Bern, Frankfurt) nicht zu leugnen ist, gelingt es Hegel, den Blick auf das Erkennen im Allgemeinen sowie auf die Kompetenz des Verstandes im Partikulären wesentlich zu erweitern. Bereits in der frühen Jenaer Phase kommt er zum Ergebnis, dass die Inhalte, welche mittels des Verstandes nicht zu erschließen sind, dem Erkennen keinen Abbruch tun. Vielmehr stellen sie diesen vor neue Herausforderungen. In diesem Kapitel gehe ich zunächst den entscheidenden Schritten Hegels nach, dem Akt des Entgegensetzens einen eigenen Platz innerhalb des Erkennens einzuräumen. Dafür ziehe ich seine sogenannten frühen Schriften in Betracht. Im Anschluss daran kläre ich die Frage, wodurch die bahnbrechende Behauptung Hegels motiviert ist, die Erkennbarkeit des Absoluten außer Zweifel zu setzen. Dies expliziere ich anhand seiner einigen Jenaer kritischen Schriften.

1. Setzt der Glaubensinhalt dem Erkennen tatsächlich ein Ende? In der Forschung ist seit Jahrzehnten umstritten, ob zwischen den Konzepten des jungen Hegels, die in den frühen Schriften zu finden sind, und seinem späten ausgereiften systematischen Denken ein sinnvoller Zusammenhang herzustellen ist.1 Dies war beispielsweise ein Grund dafür, dass die sogenannten Freunde des Verewigten die Hegelschen Jugendschriften nicht im vollen Umfang in die Werkausgabe 1 Mehr zur Geschichte der Erforschung von Hegels Jugendschriften siehe Ch. Jamme und H. Schneider 1990, 7 – 36.

1. Setzt der Glaubensinhalt dem Erkennen tatsächlich ein Ende?

17

übernommen haben.2 Erst durch Herman Nohls Edition3 (1907) kam es zur Wiederaufnahme der Jugendschriften in die wissenschaftliche Rezeption, jedoch in einem irreführenden Lichte. Denn sowohl die Textwahl als auch Nohls Bestrebungen, diese Herausarbeitungen Hegels ausschließlich im theologischen Sinne zu interpretieren,4 haben jegliche Möglichkeit versperrt, ein adäquates Bild bezüglich der früheren Arbeitsphase Hegels zu gewinnen. Vielmehr sorgte diese Edition für zahlreiche Missverständnisse, die bis in die heutige Zeit reichen und dem jungen Hegel ausschließlich theologisches, keineswegs aber philosophisches Verdienst attestieren. Auch Werner Hamachers Edition5 (1978) besserte die Lage nicht, denn sie brachte schließlich keine vollständige Ausgabe der Jugendschriften heraus – wie anfangs angekündigt wurde –, sondern begrenzte sich auf die (nicht immer getreu datierten) Fragmente. Außerdem wurde auch in dieser Edition unkritisch Nohls Position gefolgt.6 Die vollständigste sowie die getreuste Sammlung Hegels Jugendschriften (was sowohl das Transkribieren seiner Handschrift als auch die Datierungen der erhaltenen Fragmente angeht) wurde erst als Resultat der mehrjährigen akribischen Arbeit von Friedhelm Nicolin, Ingo Rill, Peter Kriegel sowie Walter Jaeschke zustande gekommen und in der kritischen Edition der Gesammelten Werke herausgegeben.7 Damit wurde außer Zweifel gesetzt, dass die Jugendinteressen Hegels weit über die Grenzen bloß religiöser Fragen hinausreichen. Zudem war klar geworden, dass die Jugendschriften einen wesentlichen Beitrag zum Verständnis der Entwicklung seines philosophischen Denkens leisten.8 Heutzutage ist die frühe Arbeitsphase Hegels zu einem Fachbegriff geworden. Im engeren Sinne wird damit die Zeit bis zum Übergang nach Jena verstanden, während die ausgeweitete Auffassung auch die Jenaer kritische Schaffensphase (bis zur Entstehung der Phänomenologie des Geistes) mit einschließt.9 Aus systematischen Gründen wird in diesem Abschnitt auf die frühe Phase im engeren Sinne rekurriert. Denn, im Unterschied zur Jenaer 2 Georg Wilhelm Friedrich Hegel’s Werke. Vollständige Ausgabe durch einen Verein von Freunden des Verewigten. Hg. v. K. Michelet und J. Schulze. Duncker und Humblot, Berlin 1832 – 1845. 3 Hegels theologische Jugendschriften, nach den Handschriften der Kgl. Bibliothek in Berlin, hg. v. Herman Nohl, Tübingen 1907. 4 Mehr dazu siehe GW 1, Vorwort, V-X. 5 G. W. F. Hegel: „Der Geist des Christentums“. Schriften 1796 – 1800. Mit bislang unveröffentlichten Texten. Herausgegeben von Werner Hamacher. Frankfurt a. M., Berlin und Wien: Ullstein 1978. 6 Ch. Jamme 1980, 283. 7 G. W. F. Hegel, Gesammelte Werke, Band I, Frühe Schriften I, hg. v. F. Nicolin und G. Schüler, Felix Meiner Verlag, 1989; und Band II, Frühe Schriften II, hg. v. W. Jaeschke, Felix Meiner Verlag, 2014. 8 Als gute Beispiele für eine systematisch fruchtbare Auseinandersetzung mit den Jugendschriften Hegels können an dieser Stelle die folgenden erwähnt werden: M. Baum 1976, 89 – 124; W. Jaeschke 1983, 2 f.; T. Schmidt 1997, 19 – 122; M. Bondeli 1997, 63 f. 9 Mehr zu dieser Unterscheidung siehe M. Baum 1976, 89 f.

18

I. Der Verstand im Lichte des Erbes der Aufklärung

kritischen Phase, geht es hier bloß um die skizzenartigen, meist nicht abgeschlossenen Fragmente. In einen Zusammenhang gebracht, helfen sie aber dabei, die Anfangsposition Hegels zur Rolle des Verstandes zu verdeutlichen sowie ihre Entwicklung genauer zu verfolgen. Da eine vollständige Rekonstruktion des Verstandesbegriffs nur im Kontext der wesentlichen Wandlungen, die er durchläuft, möglich ist, ist die epistemische Bedeutung der frühen Schriften Hegels nicht zu unterschätzen. Im Lichte der oben geschilderten Fragestellung fokussiere ich mich nun auf die zentralen Konzepte, mit denen sich Hegel zur Berner und Frankfurter Zeit ausgiebig beschäftigt. In der frühen Phase seines Schaffens behauptet Hegel: Das vom Menschen anzustrebende höchste Ideal stelle diejenige Vereinigung dar, welche Objekt und Subjekt zugleich umfasst, das heißt, die Antinomie in eine Vorstellungsform bringt.10 Im Berner Manuskript „Religion…“11 heißt es: Das Objekt jeder Religion ist ein höchstes Ideal (von Hegel als Gottheit bezeichnet), das nichts anderes als „Subjekt und Objekt zugleich“12 ist. Erst in diesem Ideal offenbare sich das Unbedingte dem Menschen und werde ihm mithilfe des Glaubensvermögens – das Hegel an die Vernunft anknüpft – in Form einer (religiösen) Vorstellung zugänglich, wie dies im Manuskript „Glauben ist die Art…“ skizziert wird.13 Seinerseits ist dieses Ideal diejenige Instanz, aus der sich das Erfordernis nach der Selbstbestimmung des Menschen ergibt sowie die Frage nach dem Wesen des Unbedingten stellt. Dabei unterscheidet Hegel zwischen dem Inhalt des höchsten Ideals, der auf die moralischen Gebote hinausläuft, und der Verwirklichung desselben.14 Denn die moralischen Gebote sind dafür da, um in der Welt vollbracht zu werden, was nur mittels des menschlichen Handels zu realisieren ist. Ihrerseits deutet die anzustrebende Realisierbarkeit auf eine gewisse Verbindung bzw. auf die Einheit zwischen dem Menschen und dem Unbedingten (der Gottheit) hin. Ohne diese Verbindung ist weder die Forderung der moralischen Gebote noch ihre Verwirklichung möglich. Die darauf folgenden Überlegungen Hegels knüpfen an die Frage an, wie sich die erforderliche Verbindung nachvollziehen lässt. Das zusammenhaltende Element der entstandenen Konstellation ist die praktische Tätigkeit, denn sie „handelt frei“ und „ist die Einheit selbst“.15 Die Freiheit, wodurch die praktische Tätigkeit konstituiert wird, sowie die Realität, innerhalb derer diese Tätigkeit vollzogen wird, sind ausschlaggebend für die Hegelsche Argumentation: Indem der freie Entschluss zum Handeln die Autonomie des Menschen belegt, zeugt 10

Vgl. „Glauben ist die Art…“ (Text Nr. 42), GW 2, 10 – 13. Text Nr. 41, GW 2, 8 – 9. 12 Vgl. GW 2, 9. 13 Vgl. ebd., 10. 14 Im Manuskript „Positiv wird ein Glauben genannt“ (Text Nr. 40, GW 2, 5 – 7) heißt das: „Alle moralischen Gebote sind Forderungen diese Einheit zu behaupten gegen Triebe.“ Und weiter: „Das Objekt des moralischen Begriffs ist eine gewisse Bestimmung des Ichs.“ (Ebd., 5). 15 Ebd., 6. 11

1. Setzt der Glaubensinhalt dem Erkennen tatsächlich ein Ende?

19

die durch das Handeln vollbrachte Vermittlung zwischen dem Menschen und der Realität von der Dominanz des echten (unreflektierten) Seins im Vergleich zum reflektierten. So kommt das reflektierte Sein ausschließlich dem Gedachten zu. Ferner wird das Gedachte erst in Abgrenzung zum Denkenden, dem Subjekt, welches die Gedanken tatsächlich fasst, bestimmt, indem das Gedachte dem Denkenden entgegengesetzt wird.16 Damit tritt für Hegel das Problem der Positivität hervor: Denn es kann nichts von dem Subjekt erkannt werden – geschweige das höchste Ideal –, ohne ihm zunächst in einer Denkform (als etwas bereits Gedachtes) mitgeteilt zu werden. Eine solche Mitteilung fordert aber eine Akzeptanz des bereits in einer reflexiven Denkform Gegebenen. Sollte das Gegebene unhinterfragt akzeptiert werden, führt dies zur Unterordnung des Menschen unter das höchste Ideal, was gegen den inhaltlichen Anspruch des Ideals selbst verstößt, nämlich – an die Autonomie des menschlichen Wesens zu appellieren. Daraus ergibt sich die folgende Struktur: Einerseits ist die Vernunft die einzige Instanz, die dem Menschen seine Autonomie und somit die Freiheit sichert, andererseits ist sie im Rahmen des positiven Glaubens durch die festgelegten äußeren Gebote eingeschränkt. Indem die moralischen Gebote bloß als Sollen formuliert werden, kommt die Autonomie der Vernunft überhaupt nicht zustande. „In dieser Rücksicht heißt Glauben“, so Hegel, „Mangel des Bewustseyns, daß die Vernunft absolut, in sich selbst vollendet ist – daß ihre unendliche Idee nur von sich selbst, rein von fremder Beimischung geschaffen werden muß“.17 So hat der positive Glaube eine völlige Abhängigkeit des Menschen von dem jenseitigen Ideal (der Gottheit) zur Folge, was die Selbstbestimmung des Menschen verhindert. Wo aber das selbständige, aus dem freien Willen ausgeführte Handeln keinen Platz mehr hat, bleibt nur die Hoffnung, dass das ins Stocken geratene Streben nach Moralität mithilfe des gnädigen Herrn, dem sogenannten ersten Beweger des Werkes, wieder und wieder in die Bewegung gebracht wird.18 Hegels Anspielung an die Hoffnung macht seinen Bezug auf die Kantische moraltheologische Konzeption ersichtlich.19 Daraus ergibt sich die Frage: Welchem Zweck dient dieser Bezug? Soll er dabei helfen, die bisher erzielten Ergebnisse Hegels bloß zu bekräftigen oder vielmehr seinen eigenständigen Ge-

16

Vgl. ebd., 6. GW 1, 358 („Ein positiver Glauben…“, Text Nr. 33, 352 – 358). 18 Vgl. ebd., 356. 19 In der Kant-Forschung wird zwischen zwei moraltheologischen Konzeptionen unterschieden: Während eine auf der Annahme eines höchsten vernünftigen Wesens als der Bedingung der Denkbarkeit einer vollkommenen Verwirklichung des höchsten Gutes beruht (diese ist in der sogenannten Transzendentalen Methodenlehre der Kritik der reinen Vernunft zu finden), betont die andere die Unabhängigkeit der moralischen Autonomie von theologischen Voraussetzungen (die Postulatenlehre in der Kritik der praktischen Vernunft). Mehr zur Begründung der Unterscheidungen zwischen Kants Konzeptionen siehe D. Henrich [1971] 2010, 41 – 72; K. Düsing 1973, 53 – 90; T. Schmidt 1997, 27 – 33. Zur Unterstützung der These, dass der Berner Hegel zweifelsohne an Kants „praktische Vernunft“ anschließt, siehe M. Bondeli 1990, 173 f. 17

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I. Der Verstand im Lichte des Erbes der Aufklärung

dankengang zu verdeutlichen? Um diese Frage zu beantworten, muss einiges eingeholt werden, was innerhalb der Kantischen Konzeption vorliegt. Die Postulatenlehre Kants ist auf der strikten Unterscheidung zwischen der sinnlichen und der intelligiblen Welt gegründet: So ist die sinnliche Natur der vernünftigen Wesen „die Existenz derselben unter empirisch bedingten Gesetzen“20, infolgedessen sich das Vernunftvermögen als bloß regulativ erweist. Dagegen stellt die übersinnliche Natur derselben Wesen „ihre Existenz nach Gesetzen [dar], die von aller empirischen Bedingung unabhängig sind, mithin zur Autonomie der reinen Vernunft gehören“21. Daraus lässt sich eine Konsequenz ablesen, welche für die darauf folgende Argumentation Hegels entscheidend sein wird: Für die Freiheit des menschlichen Willens ist die Autonomie der Vernunft erforderlich. Autonom und hiermit konstitutiv ist aber die Vernunft nur dann, wenn sie von der Sinnlichkeit (das heißt von der Welt der Empirie) nicht behaftet ist. Laut Kantischer Fassung trifft dies auf den Bereich der Moralität zu, denn das moralische Gesetz lege ein „unerklärliches Faktum an die Hand“22, das „auf eine reine Verstandeswelt Anzeige gibt, ja diese sogar positiv bestimmt und uns etwas von ihr, nämlich ein Gesetz, erkennen läßt.“23 Als autonom und hiermit konstitutiv ist die Vernunft laut Kant dann und nur dann, wenn sie mit der Sinnlichkeit nicht kontaminiert24 ist. Infolgedessen sei das höchste Gut das notwendige Objekt der reinen praktischen Vernunft, auch wenn die praktische Folge dieser Idee zur Sinnenwelt gehört.25 Es lässt sich festhalten: Das höchste Gut ist nun das Ideal bzw. das notwendige Objekt der reinen Vernunft in ihrem praktischen Gebrauch. Der Entschluss zu seiner Bewirkung erfolgt aus dem freien Willen des Subjekts, während der freie Wille wiederum in Ansehung des moralischen Gesetzes bestimmt wird. Das Ganze entspringt der praktischen Vernunft und sei von der Sinnenwelt unabhängig. Für die Verwirklichung der Handlung, die auf das höchste Gut abzielt, ist aber die Sinnenwelt unverzichtbar. Daraus ergibt sich das folgende Problem: Wie lässt sich das höchste Gut, das ausschließlich der intelligiblen Welt gehört, mit der sinnlichen Welt vermitteln? Da die Autonomie der praktischen Vernunft von sinnlicher Beimischungen rein sein muss, kommt es bei Kant konsequenterweise gar nicht darauf an, ob und wie beim Streben nach dem höchsten Gut das Glück bzw. der Zustand der Glückseligkeit im handelnden Subjekt bewerkstelligt wird. Vielmehr gehe es darum, „wie wir der Glückseligkeit würdig werden sollen“26. Der Zustand des handelnden Subjekts, welcher bei der Verwirklichung des Ideals hervortritt, fällt dabei außer Acht. Denn, an die empirische Welt geknüpft, ist die Glückseligkeit kein Zustand, der 20 21 22 23 24 25 26

KpV, 74. KpV, 74. KpV, 74. KpV, 74. Mehr dazu siehe J. Rohbeck 1981, 275 – 282. Vgl. KpV, 215. KpV, 234.

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mit dem moralischen Gesetz notwendig verbunden ist. Nur die Gesinnung bzw. die Sittlichkeit erhält den Maßstab, nach dem das höchste Gut zu bewirken sowie die Würdigkeit des dabei erzielten Zustandes zu erwarten ist.27 Um den sinnlichen Beimischungen nicht anheimzufallen und die Reinheit der Vernunft (in ihrem praktischen Gebrauche) zu sichern, bedarf es, so Kant, der Postulate. Diese seien nichts anderes als die „Voraussetzungen in notwendig praktischer Rücksicht“: die Unsterblichkeit der Seele, die Freiheit des Menschen sowie das Dasein Gottes.28 Zusammengefasst bedeutet das: Angesichts des höchsten Gutes stellt die praktische Tätigkeit ein formales Befolgen des moralischen Gesetzes dar. Dieses Gesetz ist bereits gegeben, oder, mit Hegel gesprochen, es liegt in einer reflektierten Form als Gedachtes vor. Unter der angegebenen Bedingung verbleibt nur einzig die Hoffnung darauf, der Glückseligkeit würdig zu werden29, bzw. es entsteht die Erwartung, dass der Wille dem höchsten Gute angemessen sei.30 So endet das gesamte Kantische Konzept bei einer sein-sollenden Übereinstimmung des zu bewirkenden Ideals mit dem handelnden Subjekt, wobei die tatsächliche Vermittlung der beiden Elemente entfällt. An den oben ausgearbeiteten Punkt knüpft nun die Hegelsche Kritik an: Sollte es am Ende der ausgeführten Handlung nur auf die Hoffnung ankommen – dass die Handlung dem zu bewirkenden Ziel überhaupt angemessen ist –, kann bloß von einer möglichen, nicht aber von einer tatsächlichen Verbindung zwischen dem tätigen Subjekt und dem zu verwirklichenden Ideal die Rede sein. Das Auseinanderfallen von Subjekt und von ihm angestrebtem Ideal deutet Hegel als Konsequenz des positiven Glaubens, der lediglich bei der blinden Akzeptanz der vorausgesetzten Gebote (oder, im Falle der Kantischen Konzeption, des moralischen Gesetzes) stehenbleibt.31 Die detaillierte Argumentation lässt sich dabei wie folgt rekonstruieren: Der in der positiven Form (vor)gegebene moralische Inhalt – welchen Hegel anhand der Religion illustriert32– bezieht sich „theils auf die Einbildungskraft, theils auf den

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„Würdig ist jemand des Besitzes […] eines Zustandes, wenn, daß er in diesem Besitze sei, mit dem höchsten Gute zusammenstimmt. Man kann jetzt leicht einsehen, daß alle Würdigkeit auf das sittliche Verhalten ankomme, weil dieses im Begriffe des höchsten Guts die Bedingung des übrigen (was zum Zustande gehört), nämlich des Anteils an Glückseligkeit, ausmacht.“ (KpV, 234). 28 Vgl. KpV, 238. 29 „[D]ie angeführte notwendige Verknüpfung der Hoffnung, glücklich zu sein, mit dem unablässigen Bestreben, sich der Glückseligkeit würdig zu machen, kann durch die Vernunft nicht erkannt werden [Hervorhebung V. K.], wenn man bloß Natur zum Grunde legt, sondern darf nur gehofft werden, wenn eine höchste Vernunft, die nach moralischen Gesetzten gebietet, zugleich als Ursache der Natur zum Grunde gelegt wird.“ (KrV, B 838). 30 Vgl. KpV, 235. 31 Wie Ludwig Siep treffend bemerkt, läuft Hegels Kritik an Kant auf das Erfordernis eines „höheren“ Autonomiebegriffs hinaus. Mehr dazu: L. Siep 1990, 290 f. 32 Mehr zu Hegels Konzeption der Entgegensetzung als eine Folge der positiven Form der Religion und ihres moralischen Charakters siehe W. Jaeschke 2016, 88.

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Verstand, theils auf die Vernunft.“33 Die sogenannten geschichtlichen Wahrheiten der Religion sind nun diejenigen, welche mittels des Verstandes problemlos aufgenommen werden. In diesem Fall handelt es sich um Gegebenheiten und Geschehnisse, die der menschlichen Alltagserfahrung und den damit verbundenen Naturgesetzen nicht widersprechen.34 Innerhalb der Religion geht es aber in erster Linie nicht um die nachvollziehbaren geschichtlichen Geschehnisse, sondern um den weit über das Verstandesvermögen hinausreichenden übersinnlichen Inhalt, dessen Wahrhaftigkeit mittels der Wunder belegt wird:35 So setzen die sogenannten religiösen Wunder die Naturgesetze außer Kraft, weshalb die Verstandesregeln keine Anwendung mehr finden, infolgedessen die Zuverlässigkeit des menschlichen Erkenntnisvermögens in Frage gestellt wird. Denn für das Annehmen der die Grenzen der Sinnlichkeit überschreitenden und hiermit dem Verstand widersprechenden Gegebenheiten „muß also ein höheres Vermögen, vor dem der Verstand selbst verstummen muß, ins Spiel gezogen werden.“36 Den oben aufgelisteten (Fassungs-) Vermögen zufolge ist das höhere Vermögen, so Hegel, wohl auf das der Vernunft zurückzuführen. Da die religiösen Wunder zugleich dem Ziel dienen, die Wirksamkeit des Übersinnlichen zu bestätigen und im Menschen den Glauben zu erwecken, ist die Leistung des höheren Vermögens zugleich die des Glaubens. Die Sonderstellung der religiösen Wunder ist die Ursache dafür, dass der erweckte Glaube (das sogenannte höhere Vermögen) zunächst in Abgrenzung zum verstummten Erkenntnisvermögen des Verstandes bestimmt wird: Indem die religiösen Wunder das Übersinnliche im Rahmen der sinnlichen Welt belegen (das heißt, das Übersinnliche unter Beimischung des Sinnlichen bzw. des Bedingten ersichtlich machen), appellieren sie zugleich an das Vermögen des Verstandes (welches dadurch, so Hegel, verstummt) und das Vermögen der Vernunft. Die entstandene Konstellation führt zum Inkrafttreten des positiven Glaubens. Als Zugeständnis des menschlichen Unvermögens, das Übersinnliche zu fassen, endet der positive Glaube bei der Forderung, die von einer Autorität gegebenen Wahrheiten unhinterfragt zu akzeptieren37 und die Übermacht eines höchsten Wesens über den eigenen Geist und den ganzen Umfang des eigenen Seins anzuerkennen.38 Da, wie oben bereits ausgeführt, der eigentliche Gegenstand der Religion in dem höchsten Ideal (von Hegel als Gottheit benannt) besteht und die moralischen Gebote zum Inhalt hat, ist 33

GW 1, 355. Im Rahmen der christlichen Religion wären dann die sogenannten biografischen Fakten – Christus wurde geboren, getauft, er wanderte durch die Welt usw. – das beste Beispiel dafür. 35 Als einige Beispiele dafür (wiederum an die christliche Religion angelehnt) können die folgenden, von Christus vollbrachten, Wunder erwähnt werden: Heilung des Blindgeborenen (Johannes 9:1 – 11), wundersame Speisung der Viertausend (Matthäus 15:32 – 38), die Zähmung der Naturkräfte bzw. eines Sturmes am See (Lukas 8:24) usw. So lassen sich die Wunder nicht mehr mittels des Verstandes nachvollziehen. Es kann nur an sie geglaubt (oder eben nicht geglaubt) werden. 36 GW 1, 355. 37 Vgl. ebd., 352. 38 Vgl. ebd., 353. 34

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schließlich die praktische Tätigkeit, so Hegel, die Einheit selbst, weil sie das höchste Erfordernis vollzieht. Hiermit wird die Vernunft und ihre Leistung des Glaubens von Hegel als das die menschliche (Selbst)Bestimmung konstituierende Vermögen interpretiert, welches dem Bewusstsein ausschließlich das Gefühl von Sollen gibt.39 Dieses Gefühl von Sollen ist aber selbst noch keine Handlung, sondern leitet zu dieser über. Während die in einer reflexiven Denkform (das heißt als ein Gedachtes) kommunizierten moralischen Gebote keine wirklichen sind, denn sie stehen der eigenen Realität entgegen, vermittelt die seitens des Menschen ausgeführte praktische Tätigkeit die moralischen Gebote mit der realen Welt. Die beiden Pole bleiben nicht innerhalb des reflektierten Seins (als bloß Gedachte) stehen, sondern gehen in das echte, das heißt, in das außer-reflexive Sein über und treffen infolgedessen aufeinander. Somit läuft die Argumentation Hegels auf das Folgende hinaus: Dadurch, dass das reflektierte Erkenntnisvermögen des Verstandes zu kurz greife, werde das höhere Vermögen (das des Unbedingten) nicht beschränkt, denn „[d]as getrennte findet nur [Hervorhebung V. K.] in Einem Seyn seine Vereinigung“40, was letztlich auf die Wirksamkeit der seitens des Menschen zu realisierenden praktischen Tätigkeit zurückzuführen sei. Die Konklusion Hegels dazu lautet nun: „Vereinigung und Seyn sind gleichbedeutend.“41 Daraus, dass der Glaube ein Sein notwendig voraussetzt, schließt Hegel zugleich auf die Unabhängigkeit bzw. die Absolutheit des Seins selbst. So ermögliche das absolute Sein erst den Glauben überhaupt, während der Verstand die Aufnahme der zu verwirklichenden Inhalte sichere. Deshalb sei der positive moralische Begriff (das mittels des Denkens aufgenommene moralische Gebot) zweifelsohne fähig, den Charakter der Positivität abzulegen, „wenn die Thätigkeit[,] die er ausdrückt, selbst entwikelt wird, und Kraft bekommt – aber das[,] was [man] gewöhnlich positiv nennt, ist von der Beschaffenheit, daß es nicht eine reflektirte Thätigkeit unserer selbst ist, sondern etwas objektives und diesen Charakter nie ablegen kan[n].“42

Dieses Zitat macht den Ansatzpunkt Hegels deutlich: Innerhalb der Konstellation, in der die Objektivität ausschließlich dem moralischen Begriff zugesprochen wird (das heißt dem Gebot, welches in der Denkform fixiert ist, oder dem moralischen Gesetz, wie etwa bei Kant), bleibt die Rolle der praktischen Tätigkeit nicht berücksichtigt. Daraus entsteht das folgende Problem: Während die Verwirklichung der Moralität auf der praktischen Ebene vollzogen wird und sich eindeutig der Verbindung zwischen dem moralischen Gebot und dem Menschen verdankt, der diesem Gebot Folge leistet, lässt sich diese Verbindung mittels des Denkens nicht fassen. Für den Berner Hegel zeugt das von der Mangelhaftigkeit des reflexiven, mittels des Denkens aufgefassten Seins gegenüber dem echten Sein. Das erzielte Resultat macht die außerbegriffliche Natur des echten Seins deutlich. Nur mithilfe des (reinen) 39 40 41 42

Vgl. ebd., 357. GW 2, 11. Ebd., 11. Ebd., 6.

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Glaubens ist das echte Sein dem Menschen schließlich zugänglich.43 Infolgedessen kann der einleuchtende Glaube an etwas, was sein soll, nicht im Sein-Sollen dieses Etwas, sondern nur im tatsächlichen (wahren) Sein liegen: Da die Entgegensetzung des reflexiven Seins dem echten Sein gegenüber nur angesichts der Vereinigung nachvollziehbar ist, konzipiert Hegel die Vereinigung als einen notwendigen, innerhalb des echten Seins vorzufindenden Maßstab.44 Als ein bloß vorzufindender Maßstab aufgefasst, lässt aber die erreichte Vereinigung letztlich nur zwei beziehungslose Seiten (die Seite des reflektieren Seins, die des Gedachten, und die Seite des außer-reflexiven bzw. des wahren Seins) in Betracht kommen. Dies wirft die Frage auf: Wie verhalten sich diese Seiten zueinander bzw. was hält sie zusammen? Mit der Beantwortung dieser Frage beschäftigt sich Hegel in der darauffolgenden Frankfurter Schaffensphase. Während der Frankfurter Zeit rückt ins Zentrum der Hegelschen Aufmerksamkeit die menschliche Natur selbst, die dadurch konstituiert ist, dass der Mensch ein vernünftiges Wesen ist und die höheren Bedürfnisse der Religiosität aufweist. Die Letzteren äußern sich als ein natürliches Gefühl oder Bewusstsein einer übersinnlichen Welt und der Verpflichtung dem Göttlichen gegenüber.45 So wird die Verbindung zwischen den beiden Elementen (dem Menschen und der Gottheit) nicht mehr, wie zur Berner Zeit, an partikulare menschliche Aktivitäten (nämlich an die unter der Leitung der moralischen Gebote stehende Tätigkeit) gebunden, sondern auf die gesamte menschliche Natur – inklusive des Denkvermögens – ausgeweitet. Der entstandenen Konstellation gemäß kann das höchste Ideal (die Gottheit bzw. Gott) erst dann für positiv erklärt werden, wenn die Beglaubigung seiner Gebote „auf eine gewaltsame Art mit Unterdrükkung der Freyheit angekündigt“46 und mittels des Verstoßes gegen die notwendigen Gesetze des Verstandes und der Vernunft realisiert wird.47 Der entscheidende Unterschied zur Berner Zeit liegt nun darin, dass Hegel die Positivität nicht mehr als Folge des Widerstreites zwischen dem theoretischen Auffassungsvermögen (das heißt dem Denkvermögen) und dem praktischen Handeln des Menschen konzipiert, sondern als eine besondere Verhältnisart der

43 So heißt es bei Hegel: „[E]s ist also widersprechend zu sagen, um glauben zu können müsse man sich von dem Seyn vorher überzeugen“. Und mehr noch: „[D]as[,] was ist[,] muß nicht geglaubt werden, aber was geglaubt wird, muß sein“. (Ebd., 11). 44 „[D]ie Vereinigung ist der Maasstab, an welchem die Vergleichung geschieht, an welchem die entgegengesetzte, als solche, als unbefriedigte erscheinen.“ (Ebd., 10). Daran liegt der wesentliche Unterschied zwischen der Kantischen Fassung der praktischen Tätigkeit, die mit der Sinnenwelt unvermittelt bleibt und der Hegelschen Fassung, welche die Notwendigkeit der Vermittlung bereits miteinschließt. 45 Vgl. GW 2, 357. 360. („Der Begriff der Positivität…“, Text Nr. 65, 351 – 367). 46 Ebd., 356. 47 „Nun wenn das Überflüssige die Freyheit aufhebt, wird es positiv, das heißt wenn es Prätension gegen den Verstand und die Vernunft macht, und deren nothwendigen Gesetzen widerspricht.“ (Ebd., 355).

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menschlichen Natur (bzw. des Begriffes davon) zur Gottheit auffasst.48 Daraus entspringen die zwei systematischen Aufgaben: den Begriff (der menschlichen Natur) sowie sein Verhältnis zur Gottheit bzw. zum höchsten Ideal (dem Unbedingten) zu bestimmen.49 Hegel sucht danach, die Bedingungen zu klären, unter denen das Bestimmungsverfahren, das der Entgegensetzung, vollzogen wird. Während der Berner Hegel die Entgegensetzung ausschließlich angesichts der formalen Voraussetzung der Verbindung fasst, zieht er zur Frankfurter Zeit zusätzliche Fragen in Betracht: Was genau sind die entgegengesetzten Bestandteile und wie können sie ihrem Gehalt nach sinnvoll aufgefasst werden? Die gestellten Fragen führen zur Berücksichtigung der einheitsstiftenden Grundlage des Bestimmens, nämlich – des Lebens. Es geht also jetzt darum, die Grundlage selbst zu verdeutlichen. So wird nun das Leben demselben Bestimmungsverfahren unterzogen und zunächst als „die Vielheit Lebendiger“50 wie folgt präzisiert: „[E]in Theil dieser Vielheit […] wird bloß in Beziehung betrachtet, sein Seyn nur als Vereinigung habend, – der andere Theil […] wird nur in Entgegensetzung betrachtet, sein Seyn nur durch die Trennung von jenem Theil habend, und so wird jener Theil auch so bestimmt, als sein Seyn nur durch die Trennung von diesem habend.“51

Wie kryptisch das Zitierte auch klingen mag, kann seine Botschaft problemlos entziffert werden: Als die Vielheit Lebendiger aufgefasst, lässt die einheitsstiftende Grundlage (das heißt das Leben) ihre Teile nun dank der Feststellung, dass eines davon nicht das andere ist (und vice versa) bestimmen. An dieser Stelle wird der Bezug auf Spinozas Bestimmungsverfahren des determinatio est negatio deutlich: Indem sich ein Teil der Vielheit nur durch das Ausschließen vom anderen Teil der Vielheit bestimmen lässt, bleiben die beiden einander entgegengesetzt, das heißt, sie bleiben bloß negativ aufeinander bezogen. Zudem ist aber nichts Gehaltvolles bezüglich der zu bestimmenden Objekt ausgesagt, geschweige der die Entgegensetzung stiftenden Einheit selbst. In diesem Zusammenhang präzisiert Hegel nun das 48

In der umgestalteten Fragestellung Hegels wird meistens eine Abkehr vom Kantianismus gesehen. So behauptet Hannelore Hegel, dass Hegel nur bis zu seiner Übersiedlung nach Frankfurt ein strikter Kantianer geblieben sei (Vgl. H. Hegel [1971] 1999, 79). Auch M. Bondeli ist der Meinung, dass die vom Frankfurter Hegel ausgearbeitete Konzeption sogar zur Absage des Kantischen Moralitätskonzepts führe (Vgl. M. Bondeli 1997, 78 f.). Wie aber W. Jaeschke herausgestellt hat, werde oft übersehen, dass unter dem Eindruck der Abwendung des Frankfurter Hegels von seinem Berner Kantianismus, die umgestaltete Problemstellung wörtlich an Kants Religionsschrift anschließt. Diese steht nun im Zeichen der Frage, welche Bedingungen dazu beitragen, dass die Lehre der Religion für den Menschen nicht etwas Überflüssiges bzw. Zufälliges ist. (Mehr dazu siehe W. Jaeschke 2016, 89). 49 In der Schrift „Der Begriff der Positivität…“ formuliert Hegel die entstandene Aufgabe wie folgt: „[U]m eine Religion oder einen Theil derselben für positiv erklären zu können, der Begriff der menschlichen Natur, und damit auch das Verhältniß derselben zur Gottheit bestimmt worden seyn muß.“ (GW 2, 351). 50 Vgl. GW 2, 351. 51 Ebd., 341. („Absolute Entgegensetzung…“, Text Nr. 63, 341 – 344).

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Leben aufs Neue, indem er es als die „Ganzheit Lebendiger“ bezeichnet. Eine sinnvolle Auffassung des Ganzheit-Konzepts ist aber erst dann möglich, wenn nicht nur das Bestimmungsverfahren (die Entgegensetzung) selbst, sondern auch das die Bestimmung betätigende – die entgegengesetzten Teile zusammenhaltende – Element berücksichtigt wird. Hegels Argumentation zufolge sei dieses die Individualität, denn sie schließt die „Entgegensetzung gegen unendliche Mannigfaltigkeit, und Verbindung mit demselben in sich.“52 Innerhalb des Lebens (bzw. der Ganzheit Lebendiger) wird die Individualität nicht nur als ein selbständig Seiendes, dem restlichen Leben Entgegenstehendes bestimmt, sondern auch als eine organische Komponente des gesamten (ungeteilten) Lebens begriffen, die mit dem Leben aufs Innigste verbunden ist. Der Individualitätsbegriff überführt die einheitsstiftende Grundlage – die Ganzheit Lebendiger bzw. das ungeteilte Leben – auf eine qualitativ neue Ebene, indem die Ganzheit als das Resultat des vollbrachten Bestimmungsverfahrens erfasst wird. Die erreichte organisierende Bestimmungsgrundlage, die des ungeteilten Lebens, ist nun die Einheit, unter der wörtlich „ein einziges organisiertes[,] getrenntes und vereinigtes[,] Ganzes – die Natur“53 bezeichnet wird. So hat sich das auf den Begriff zu bringende Ganze bzw. die Einheit als die Natur erwiesen, denn „ins Leben hat die Reflexion ihre Begriffe von Beziehung und Trennung von einzelnem, für sich bestehendem, und allgemeinem, verbundenem, jenem also einem beschränktem, diesem einem unbeschränktem gebracht, und es durch Setzen zur Natur gemacht [Hervorhebung V. K.].“54

Wie aus dem Zitierten hervorgeht, stellt der Natur-Begriff schließlich ein eindeutiges Produkt des reflektierenden Setzens dar, der das ungeteilte Leben als „die Verbindung der Verbindung und der Nichtverbindung“55 zum Ausdruck bringt. Daraus wird das Folgende ersichtlich: Die im Laufe des Bestimmens herausgearbeiteten Oppositionen – wie bspw. ,Verbindung – Trennung‘, ,Beschränktes – Unbeschränktes‘ usw. – sind die reflexionslogischen Kategorien, die nur in Bezug aufeinander bestehen. Wie aber bereits ausführlich dargelegt, reicht ein bloß negatives Beziehen der (entgegengesetzten) Kategorien aufeinander nicht aus, um die einheitsstiftende Grundlage des Bestimmens einzuholen. Infolgedessen erweist sich jedes auf den Begriff gebrachte Objekt schließlich als ein reines Produkt der Reflexion, indem mittels der Reflexion aufgezeigt wird, dass „damit, daß etwas gesezt 52

Ebd., 341. Ebd., 342. 54 Ebd., 342. 55 Ebd., 344. In der ausgebildeten Formel der „Verbindung der Verbindung und der Nichtverbindung“ nähert sich Hegel seinem späten Begriff der Dialektik, allerdings ohne ihn zu erreichen. Denn die Umgestaltung dieser Formel in den Gedanken der „Identität der Identität und der Nichtidentität“ findet zur Frankfurter Zeit noch nicht statt (W. Jaeschke 2016, 92). Auch Manfred Baum sieht in den Frankfurter Schriften die sogenannten Anfänge der Hegelschen Dialektik gelegt (M. Baum 1989, 48 ff.). 53

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wird, zugleich ein anderes nicht gesezt, ausgeschlossen [Hervorhebung V. K.] ist.“56 Hiermit ist der Satz vom ausgeschlossenen Widerspruch, das sogenannte Gesetz des Verstandes, erreicht und die reflektierende Tätigkeit des Verstandes als das Fortgetriebenwerden ohne Ruhepunkt57 bestimmt.58 Die abschließende Argumentation Hegels läuft auf das Folgende hinaus: Während sich das reflektierende Bestimmen des Verstandes weiterhin des Ausschlussverfahrens bedient, bleibt es unfähig, das tatsächlich unendliche bzw. nicht reflexive Ganze (die einheitsstiftende Grundlage seiner Tätigkeit) zu fassen, sondern stellt es wiederum in die Opposition zum Endlichen – als Un-Endliches – und terminiert es. Dabei fühlt aber, so Hegel, „das Natur betrachtende, denkende Leben [das die Natur auffassende Subjekt, V. K.] diesen Widerspruch[,] diese einseitige noch bestehende Entgegensetzung seiner selbst gegen das unendliche Leben.“59 Seinerseits deutet der empfundene bzw. gefühlte Widerspruch auf die Notwendigkeit der Aufhebung reflexiver Oppositionen, das heißt, er deutet auf die Ermangelung der reflexiven Oppositionen, deren einheitsstiftende Grundlage entfällt. Denn, wie Hegel bereits zur Berner Zeit nachgewiesen hat, ist das reflexive Sein, um bestehen zu können, nicht selbstgenügsam, da es bloß mittels des Ausschließens des Gedachten vom Denkenden in Gang gebracht wird. Die Forderung des Widerspruchsgefühls ist aber erst dann erfüllt, wenn die Reflexion außer Kraft gesetzt bzw., mit Hegel gesprochen, beruhigt wird. Laut der Frankfurter Fassung sei dies erst im Medium der Anschauung (bzw. der Vorstellung) – im Rahmen der Religion – zu erreichen.60 Hegels Zusammenfassung dazu lautet: „Die Philosophie muß eben darum mit der Religion aufhören, weil jene ein Denken ist, also einen Gegensaz theils des Nichtdenkens hat, theils des Denkenden und des Gedachten; sie hat in allem Endlichen die Endlichkeit aufzuzeigen, und [muß] durch Vernunft die Vervollständigung desselben fordern, besonders die Täuschungen durch ihr eignes Unendliche [das Un-Endliche des Verstandes, das Produkt der bloßen absoluten Entgegensetzung, V. K.] erkennen, und so das wahre Unendliche ausserhalb ihres Umkreises sezzen.“61

Wie aus dem Zitierten ersichtlich wird, scheitert die Reflexion (die setzende Tätigkeit des Verstandes) an der Aufgabe, das Unbedingte auf den Begriff zu bringen und das Verhältnis zwischen Gott und Mensch angemessen auszudrücken. Infolgedessen bleibt das höchste Ideal (das Unbedingte bzw. Gott) vom Menschen nicht 56

Ebd., 344. Vgl. ebd., 344. 58 Hiermit ist bereits die Figur vorgezeichnet, die Hegel später, in Anlehnung an Spinozas ,determinatio est negatio‘, als die interne Negation (das Moment der Bestimmung) herausarbeiten wird: Etwas ist dadurch bestimmt, dass es nicht das andere ist. 59 GW 2, 342. 60 Hiermit wird die Einheit vom Frankfurter Hegel als außer-reflexiv konzipiert und dem Gebiet des Anschauens zugeordnet. Dies lässt eine gewisse Parallelität zu Schleiermachers Konzept des Gefühls (als derjenigen Instanz, der die Einheit zugänglich ist) erkennen. Mehr dazu siehe H. Kimmerle 1990, 271; auch E. Müller 1987. 61 Ebd., 344. 57

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erfasst, sondern tritt ihm als positiv (das heißt als vorgegeben) entgegen. Der Frankfurter Fassung zufolge ist dies die eindeutige Konsequenz daraus, dass der Begriff sich als das ausschließliche Produkt des reflektierenden Denkens des Verstandes erweist: Zwiegespalten fordert der Begriff immer eine neue Opposition und bleibt außerstande, die einheitsstiftende Grundlage zu erschließen bzw. die Forderung nach der Vervollständigung der erreichten Opposition zu erfüllen.62 Resümierend lässt sich sagen: Zum Ende der Frankfurter Zeit gelingt es Hegel, die einheitsstiftende Grundlage, die den Menschen mit dem Unbedingten (der Gottheit) aufs Innigste zusammenhält, als ein nicht von der Hand zu weisendes Resultat zu fassen. Einerseits ist dieses Resultat die eindeutige Folge dessen, dass jegliche Bestimmungsart mittels des menschlichen Fassungsvermögens ausgeführt und zunächst dank dem reflexiven Denken des Verstandes in Gang gesetzt wird. Andererseits ist es das eindeutige Ergebnis des Scheiterns der Reflexion (das heißt des verständigen Entgegensetzens), die mit Notwendigkeit auf das Unbedingte führt, nicht aber imstande ist, es zu fassen: Sollte das Unbedingte (bzw. das Ganze) mittels des reflektierenden Denkens aufgefasst werden, schlägt es in reine Positivität um, denn sein Inhalt wird mittels des eindeutigen Verstoßes gegen die notwendigen Gesetze des Verstandes und der Vernunft auf den Begriff gebracht. So wird das Erfordernis der Vernunft (der Anspruch auf die Vollständigkeit) mittels des verständigen Setzens verletzt, weshalb das Unbedingte nicht nachvollzogen, sondern in eine neue Opposition gesetzt und als bloß Gedachtes gefasst wird.63 Hiermit erweist sich der Begriff als ein Mittel, dank dem das Unbedingte eingeschätzt, längst aber nicht erschlossen werden kann: Während das reflexive Bestimmungsverfahren des Verstandes auf das Unbedingte führt, wird der tatsächliche Zugang zum Unbedingten (zu Gott) dank dem Bruch mit dem reflexiven Denken, das heißt, mittels des außerreflexiven Vermögens der Vernunft ermöglicht. Hiermit wird das Unbedingte (das wahre Unendliche) nicht im Medium des Denkens, sondern in dem der religiösen Vorstellung bzw. der Anschauung erreicht. Dabei wird aber eine neue Opposition – ,Denken – Anschauung‘ – hergestellt, wobei die Frage in den Vordergrund rückt, wie die zusammenhaltende Grundlage gefasst werden kann.

2. Eine erweiterte Sicht auf die Kompetenz des Verstandes Wie im vorigen Abschnitt ausführlich dargestellt, enden die Ausarbeitungen des jungen Hegels damit, das auf den Begriff gebrachte Unbedingte (bzw. das Absolute) 62 Zur Frankfurter Zeit handelt es sich bei der Reflexion und den mittels ihrer herausgearbeiteten Begriffen um ein Denken, dessen Trennen und Beziehen zwar vom Denkenden (vom Subjekt bzw. vom Ich) ausgeht, dessen konstituierendes Merkmal aber die Aufhebung einer ursprünglichen, zugrundeliegenden Einheit ist. Mehr zu dieser These siehe M. Baum 1976, 107; H. Hegel [1971] 1999, 88 f. 63 Mehr zur Unterstützung der These, dass der Frankfurter Hegel unter „positiv“ das unvollständige, bloß gedachte Verbundensein fasst, siehe M. Bondeli 1997, 73.

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als das unvermeidliche Ergebnis des korrekt ausgeführten formal-logischen Denkens zu fassen. Die Unmöglichkeit, das Absolute selbst mithilfe des formalen Bestimmungsverfahrens adäquat zu erschließen, führt Hegel dazu, dem Absoluten die außer-reflexive Natur zu attestieren: Wenn das denkende Subjekt über den Rahmen des formalen Denkens hinausgeht, offenbart sich das Absolute letztlich als ein Gefühl bzw. eine Art der Anschauung und wird nur dank des Glaubens ersichtlich. An die Grenze zur Religion getrieben, nimmt die Philosophie ihr Ende, weshalb sie bei der Religion aufzuhören hat.64 Zum Anfang einer neuen Arbeitsphase – die als die kritische Jenaer Phase bekannt ist und im Jahr 1801 mit der Veröffentlichung der sogenannten DifferenzSchrift65 beginnt – kündigt Hegel jedoch das Ziel an, „vornehmlich zu zeigen, in wiefern die Reflexion das Absolute zu fassen fähig ist.“66 Dieses angestrebte Ziel scheint eine neue Weise zu beanspruchen, wie das Absolute erfasst werden kann. Zugleich lässt es einen klaren Bezug67 zu den Ergebnissen der transzendentalen Dialektik Kants erkennen, nämlich zu der These, dass man sich auf die Welt als eine Totalität, eine Allheit68 von Sachverhalten, nicht mit dem Anspruch auf Wissen beziehen kann.

a) Wie die Reflexion das Absolute fasst Während das Hauptergebnis von Kants Dialektik ein Scheitern der Vernunft am Unbedingten darstellt, das sich in der erreichten Antinomie ausdrückt,69 sucht Hegel danach, das erzielte Resultat unter einem anderen Blickwinkel zu beleuchten. Sein Vorhaben realisiert er im Rahmen einer Kritik der Ergebnisse, welche zu dieser Zeit in der Philosophie erzielt wurden. Der Aufbau des Werkes sowie das Anliegen des Autors zeugen vom programmatischen Charakter der Differenz-Schrift, welcher in der vorliegenden Arbeit außer Zweifel steht.70 In das zeitgenössische Feld einge64

Vgl. GW 2, 344. Differenz des Fichteschen und Schellingschen Systems der Philosophie,1801. 66 GW 4, 16. 67 Dieser Bezug ist in der Hegel-Forschung unumstritten. Siehe zum Beispiel W. Jaeschke 2016, 102 f.; K. Düsing 1983, 216 ff.; L. Siep 2000, 32 f. 68 Vgl. KrV, B 379. 69 Da die Vernunftgegenstände nach Kants Auffassung keine Gegenstände der Erfahrung sind, verstrickt sich die reine Vernunft in dialektischen Oppositionen und kommt am Ende zu einer Antinomie, die als die transzendentale Idee gefasst wird. 70 Es existiert nämlich die Meinung, dass die Differenz-Schrift einen der frühesten systematischen Entwürfe Hegels darstelle. So schreibt bspw. R.-P. Horstmann: „Wer jemals Hegels frühe systematische Entwürfe [Hervorhebung V. K.] aus der Jenaer Zeit von der Differenzschrift bis hin zur Jenaer Logik, Metaphysik und Naturphilosophie (1804/05) […] zur Kenntnis genommen hat, der weiß, daß das Hegelsche Programm des systematischen Infragestellens der mit den traditionellen Rationalitätsvorstellungen verbundenen logischen und methodischen Überzeugungen sehr direkt auf Hegels frühe Konzeption einer Logik führt.“ (R.-P. Horstmann 65

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bettet, bringen die Kritikpunkte Hegels seine eigene Position ans Licht, deren Rekonstruktion dabei hilft, die folgenden Fragen zu klären: 1. Was gibt Hegel den Anlass, für die Erkennbarkeit des Absoluten zu argumentieren? 2. Wie lässt sich die Funktion des Erkenntnisvermögens im Allgemeinen sowie die Stellung des Verstandes im Partikulären angesichts des angestrebten Ziels nachvollziehen? 3. Und schließlich: Ist mit der angestrebten Erweiterung der Reflexionsfähigkeit ein Bruch mit dem rationalen (formal-logischen) Denken verbunden bzw. folgt daraus eine Vernachlässigung der Verstandesfunktion? Den Ausgangspunkt von Hegels Überlegungen bildet die Kantische Antinomie: die dialektischen Oppositionen, bei denen der formal-logisch korrekt ausgeführte Erkenntnisprozess unvermeidlich endet. Da das formal-logisch korrekt ausgeführte Erkennen unvermeidlich auf die sogenannte transzendentale Idee der Vernunft (die des Unbedingten) hinführt, stellt die erreichte Antinomie (die Einheit der aufeinander bezogenen These und Antithese) auf gar keinen Fall eine leere Aussage dar, auch wenn diese Aussage keinen Gegenstand im formal-logischen Sinne zum Inhalt hat. Bekanntlich wird dieser Gegenstand von Kant als unerkennbar interpretiert. Deshalb weist er der erzielten transzendentalen Idee eine bloß regulative Funktion zu. Was gibt aber Hegel den Anlass, auf die Fähigkeit der Reflexion zu schließen, das Absolute fassen zu können? Um dies nachzuvollziehen, muss sein Gedankengang rekonstruiert werden. Die kritischen Abhandlungen Hegels beginnen mit dem formal-logischen Bestimmungsverfahren, welches die „isolirte Reflexion“71 zum Ergebnis hat. Der zu erkennende Gegenstand wird als mit sich identisch bestimmt, indem er unter die Formel ,A ist A‘ gebracht, das heißt, dem restlichen Bereich der (Erkenntnis)Gegenstände entgegengesetzt bzw. davon isoliert wird. Wie im vorigen Abschnitt bereits ausführlich dargestellt, fällt die einheitsstiftende Grundlage der Entgegensetzung beim formalen Bestimmen außer Acht, weshalb, so Hegel, die Entgegensetzung absolut wird und „dem formalen Geschäfte“ keine andere Synthese lässt, „als die der Verstandes-Identität, A ins Unendliche zu wiederholen“72 : Unter der Leitung des 1991, 127). Der Anlass für diese voreilige Schlussfolgerung ist ein Brief an Schelling (vom 2. 11. 1800), in dem Hegel mitteilt, sein „Ideal des Jünglingsalters [müsse] sich zur Reflexionsform, in ein System zugleich verwandeln.“ (Vgl. Briefe von und an Hegel, 1969, Bd. I, 59 f.). Das angedeutete Ziel führt aber vorerst zu zahlreichen Abhandlungen, in denen Hegel noch nicht die eigenen systematisch aufgebauten Konzeptionen parat hat, sondern seine Position mittels der Kritik und überwiegend in der Terminologie der zeitgenössischen Philosophen herausarbeitet. Demgemäß ist die Differenz-Schrift, wie es W. Jaeschke treffend auf den Punkt bringt, wenig zur Einführung in die systematischen Intentionen Hegels geeignet. Vielmehr lasse sie das programmatische Anliegen des Autors erkennen (W. Jaeschke 2016, 116). 71 GW 4, 16. 72 Vgl. ebd., 27.

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Satzes vom Widerspruch ausgeführt, verdankt sich der formal-logische Erkenntnisgewinn dem Abstrahieren vom Ausgeschlossenen bzw. vom Entgegengesetzten, wobei eine bloße Tautologie (,A ist A‘) zum Ausdruck gebracht wird. Hegels Zusammenfassung dazu: „Der Eigensinn des Verstands vermag die Entgegensetzung des Bestimmten und Unbestimmten, der Endlichkeit und der aufgegebenen Unendlichkeit unvereinigt neben einander bestehen zu lassen; und das Seyn gegen das ihm eben so nothwendige NichtSeyn festzuhalten.“73

Aus dem Zitierten lässt sich der folgende Gedanke ablesen: Hegel macht darauf aufmerksam, dass die formale Identität nicht nur dadurch besteht, dass der zu bestimmende Gegenstand als mit sich identisch (,A ist A‘) fixiert wird, sondern auch dadurch, dass er zugleich dem Anderen entgegengesetzt bzw. von alledem, was er nicht ist, ausgeschlossen wird. Daraus geht hervor: Die formale Identität des Verstandes ist nicht nur mittels des bloßen Setzens – ,A ist A‘, ,B ist B‘, ,C ist C‘, ,D ist D‘ und so ins Unendliche – hergestellt, sondern auch dank des gleichzeitigen Ausschlusses des sogenannten „NichtSeyns“ konstituiert, das heißt, dank der Negation dessen, was das formal Identische nicht ist (,A ist A und zugleich nicht B, nicht C nicht D usw.‘). Während der unter die isolierte Form gebrachte Gegenstand des Bestimmens als das Endergebnis des formal-logischen Vorgehens und hiermit als die erzielte Erkenntnis aufgefasst wird, fällt das Bestimmen selbst – die vollbrachte Tätigkeit der Reflexion, welche sich als die negierende Beziehung realisiert – außer Acht, weshalb ein wesentlicher Bestandteil des Bestimmens ausgeblendet bleibt. Infolgedessen wird die Bedeutung der Verstandesidentität zunächst auf die reine (formale) Einheit begrenzt, „worin von der Entgegensetzung abstrahirt ist.“74 Mit anderen Worten: Indem die reine Einheit (die formale Identität) festgestellt, das heißt, in die isolierte Form gebracht wird, wird zugleich von der einheitsstiftenden Grundlage – dem Synthetischen – abgesehen. Das unthematisiert gelassene Synthetische ist aber derjenige konstitutive Bestandteil, dem sich das formal-setzende Ausschlussverfahren des Verstandes verdankt und weshalb es sich ins Unendliche ausdehnt. Das erworbene Resultat zeugt von der Präsenz des Unbedingten (im Sinne des Unendlichen), das bereits angesichts der reflexiven Tätigkeit des Verstandes ans Licht tritt.75 Hieraus schließt Hegel: „Die Reflexion scheint hierinn nur verständig, aber diese Leitung zur Totalität der Nothwendigkeit ist der Anteil und die geheime Wirksamkeit der Vernunft.“76 Der bisher rekonstruierte Gedankengang lässt sich wie folgt zusammenfassen: Da sich jede formale Bestimmung dem Ausschlussverfahren bzw. der Negation verdankt, hängt die formale Identität mit dem negativen Bezug auf Anderes notwendig 73 74 75 76

Ebd., 17. Ebd., 25. Vgl. A. Arndt, 2004, 115. GW 4, 17.

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zusammen.77 Ihrerseits läuft eine (annähernd) vollständige Bestimmung des mit sich formal-identischen Gegenstandes darauf hinaus, dass die negative Beziehung auf alles in der Welt, ausschließlich des zu bestimmenden Gegenstandes selbst, erforderlich ist, das heißt, dass sie ins Unendliche ausgedehnt wird. Hiermit weitet das formal-logische Ausschlussverfahren – oder, mit Hegel gesprochen, die setzende Reflexion des Verstandes – den Horizont des Bestimmens ins Unendliche aus. So gelangt das Unendliche in den Fokus der Reflexion und wird selbst zum Erkenntnisgegenstand. Als Folge davon wird die Zuverlässigkeit des formal-logischen Bestimmungsverfahrens in Frage gestellt. Unter der Leitung des Satzes vom Widerspruch bestimmt, wird das Unendliche relativiert und verendlicht, indem es dem Endlichen bloß entgegengesetzt und unter die Formel ,das Unendliche ist nicht das Endliche‘ gebracht wird. Um das Endliche aber seiner Natur gemäß zu fassen, muss die Entgegensetzung aufgehoben werden. An diesem Punkt des Bestimmungsverfahrens angekommen, wird die Reflexion selbst zu ihrem eigenen Gegenstand, da die Entgegensetzung schließlich ihr eigenes, den Erkenntnisprozess konstituierendes Tun (die negative Beziehung) ist. Ins Unendliche ausgedehnt, vervollständigt sich nun die reflexive Tätigkeit, indem die Reflexion auf sich selbst Bezug nimmt. In diesem Stadium wird die isolierte Reflexion zur philosophischen78, das heißt, so Hegel, sie wird zur Spekulation.79 Die erforderliche Aufhebung der Entgegensetzung lässt sich nur um den Preis erfüllen, dass der (zu vermeidende) Widerspruch zugelassen wird, was die Aufhebung der Reflexion selbst nach sich zieht. Da diese Aufhebung nur mittels der Reflexion zu leisten ist, resultiert die aufgehobene Entgegensetzung in der (Selbst) Vernichtung der Reflexion,80 wobei die Reflexion ihr höchstes Gesetz erreicht: „Insofern die Reflexion sich selbst zu ihrem Gegenstand macht, ist ihr höchstes Gesetz […] ihre Vernichtung; sie besteht, wie Alles, nur im Absoluten, aber als Reflexion ist sie ihm entgegengesetzt; um also zu bestehen, muß sie sich das Gesetz der Selbstzerstörung geben.“81

Aus dem bisher Entwickelten geht die folgende Denkfigur hervor: Während die fixierten Gegenstände des formal-logischen Setzens (die Gegenstände der isolierten Reflexion) dank der Entgegensetzung bestehen (indem sie mittels der Reflexion gesetzt werden), besteht die Reflexion selbst – als ihr eigener Gegenstand – im Absoluten, indem sie sich aufhebt bzw. aufgibt. Die Aufhebung der Reflexion resultiert in der transzendentalen Anschauung, der Erscheinung des Absoluten, welche die Aufhebung der Entgegensetzungen und damit die Einheit des Subjektiven und 77

Das ganze Bestimmungsverfahren wird im Rahmen des Spinozistischen Arguments determinatio est negatio gedacht. Mit dem Unterschied, dass Hegel diese Formel bis zu omnio determenatio est negatio erweitert. 78 Vgl. ebd., 16. 20. 35. 79 Vgl. ebd., 11. 12. 16. 80 Vgl. ebd., 18. 81 Ebd., 18.

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Objektiven – das Synthetische – positiv ausdrückt.82 Demgemäß wird die Antinomie als „der höchste formelle Ausdruck des Wissens und der Wahrheit“83 gefasst, deren Widerspruch „die rein formale Erscheinung des Absoluten“84 darstellt. So ist das Absolute für Hegel (im Gegensatz zu Kant) kein Gegenstand, welcher für sich selbst, unabhängig von jeglicher Art der Reflexion, existiert bzw. als von der Reflexion unabhängig angenommen wird, sondern ein notwendiges Ergebnis, zu dem der – im Erkennen bereits enthaltene – „Trieb zur Vollständigkeit der Kenntnisse“85 führt. Das erreichte Resultat beurteilt Hegel im Blick darauf, wie das Absolute ins Bewusstsein eintritt: Da das Bewusstsein nur dasjenige greift, was ihm entgegensteht, das heißt, die Trennung – zwischen dem erkennenden Subjekt und dem zu erkennenden Gegenstand – beansprucht, gesteht Hegel konsequenterweise zu, dass kein Wissen vom Absoluten erzielt werden kann, sondern bloß von seiner Erscheinung. Dabei wird das Absolute für das Bewusstsein mittels der Reflexion (in der Erscheinungsform) produziert.86 Obwohl es Hegel gelingt, die Selbstthematisierung der Reflexion als einen konstitutiven Bestandteil des Erkennens zu explizieren, macht er von der erreichten Figur der Selbstbezüglichkeit87 noch keinen Gebrauch, sondern setzt die Reflexion (genauer gesagt, die Spekulation) wiederum zum Erkenntnisgegenstand herab, dessen Selbstaufhebung das Bewusstsein der absoluten Identität, des Synthetischen, produziert. Dieses Produzieren bringt ans Licht, dass die vereinzelten – mittels des Ausschlusses erzielten – Erkenntnisse nur dank der Vereinigung bestehen und erst, als eine Organisation von Erkenntnissen begriffen, in einem vollständigen Wissen resultieren: „Nur insofern die Reflexion Beziehung aufs Absolute hat, ist sie Vernunft und ihre Tat ein Wissen; durch diese Beziehung vergeht aber ihr Werk, und nur die Beziehung besteht, und ist die einzige Realität der Erkenntniß; es gibt deßwegen keine Wahrheit der isolirten Reflexion, des reinen Denkens, als die ihres Vernichtens. Aber das Absolute, weil es im Philosophieren von der Reflexion fürs Bewußtseyn producirt wird, wird hierdurch eine objektive Totalität, ein Ganzes von Wissen, eine Organisation von Erkenntnissen.“88

Das erreichte Wissen ist schließlich das Werk der Spekulation: Es stellt die vermeintliche Unüberwindbarkeit der formal-logischen Setzung in Frage und expliziert diese Unüberwindbarkeit als bloße Folge des mangelhaften Einsatzes der Reflexion (als Folge des Abstrahierens von der reflexiven Tat selbst). Im Rahmen der von Hegel entwickelten Denkfigur wird das erzielte Wissen von der absoluten 82

Vgl. ebd., 28. Ebd., 26. 84 Ebd., 27. 85 Ebd., 9. 86 Mehr zu dieser These siehe W. Jaeschke 2016, 104. 87 Indem die Reflexion sich zum Gegenstand macht, greift sie sich selbst, das heißt, sie wird auf sich selbst bezogen. 88 GW 4, 19. 83

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Identität als ein offensichtliches Resultat der konsequenten Denkentwicklung begriffen. Die herausgearbeitete objektive Totalität stellt dabei nicht einen Teil der gedachten Sukzession dar, da in diesem Fall der Prozess des formal-logischen Setzens ins Unendliche getrieben wird, sondern wird in einem Akt mittels der Aufhebung der Reflexion vervollständigt. An dieser Stelle ist es angebracht, einem geläufigen Vorwurf zu entgegnen. Der besagt, dass Hegel in der frühen Jenaer Zeit die absolute Identität voraussetze und hiermit eine Substanzmetaphysik im spinozistischen Sinne betreibe.89 Aus dem oben entwickelten Gedankengang geht aber eindeutig hervor, dass sich diese Behauptung in einem offensichtlichen Widerspruch zu Hegels Argumentation befindet. Denn zum einen gesteht Hegel zu, dass die Antinomie ein höchst formeller Ausdruck der Wahrheit ist, indem sie erst als Ergebnis der Selbstthematisierung der Reflexion ans Licht kommt (damit ist ausdrücklich ein Resultat und nicht die Voraussetzung formuliert). Zum anderen macht er aber deutlich, dass die Substanzmetaphysik bei ihrem Ausgehen vom Zusammenfallen des Entgegengesetzten (etwa vom Zusammenfallen von Ursache und Wirkung in einer Substanz, wie es bei Spinoza der Fall ist) kein adäquates Mittel für eine Begriffsentwicklung zur Verfügung stellt.90 Im Rahmen der von Hegel entwickelten Denkfigur wird die Relativität von einzelnen, in Abgrenzung zueinander bestehenden, Erkenntnissen mittels der Antinomie ersichtlich gemacht und im vollständigen Wissen (der Organisation von Erkenntnissen) aufgehoben. Das erworbene Resultat stellt die Unvermeidlichkeit der dialektischen Oppositionen dar, die bereits von Kant herausgearbeitet wurden.91 Jedoch interpretiert Hegel dieses Resultat auf eigene Art. Für ihn ist der dialektische Schein in dem Sinne unvermeidlich, als er bereits beim Ausführen des verständigen Denkens selbst (dessen Tätigkeit die isolierte Reflexion des Verstandes darstellt) anwesend ist, das Denken auf die Wahrheit führt und es im vollständigen bzw. objektiven Wissen resultieren lässt. Denn selbst beim verständigen Bestimmen des Einzelgegenstandes ist das Unbedingte als Grundlage des Bestimmens bereits präsent. Dieses Unbedingte (das Absolute) macht das formal-logische Denken, die Tätigkeit der isolierten Reflexion des Verstandes, überhaupt erst möglich. Entsprechend ergibt sich der darauf folgende Übergang des Verstandes (der isolierten Reflexion) in die reine Spekulation (in die philosophische Reflexion bzw. in die Vernunfttätigkeit) einzig aufgrund der stimmigen Denkentwicklung des Verstandes, wodurch das Wissen der synthetischen Grundlage des Bestimmungsverfahrens (der absoluten Identität) ins Bewusstsein gelangt. 89

Mehr zu diesem Argument siehe K. Düsing 1980 a, 34 ff. Vgl. GW 4, 24. 91 Zur Erinnerung: Kant löst die Täuschung der dialektischen Oppositionen (die auch für ihn notwendig und unvermeidlich sind) dadurch, dass er die Vernunftgegenstände als keine Erkenntnisgegenstände postuliert und damit dem menschlichen Erkenntnisvermögen eine eindeutige Grenze setzt. Die Frage nach dem Unbedingten bleibt dabei die abschließende Frage, die sich erst am Ende der korrekten formal-logischen Denkentwicklung stellt. 90

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b) Der Zweifel als unverzichtbarer Bestandteil eines sicheren Erkennens Wie der Differenz-Schrift nun zu entnehmen ist, läuft das programmatische Anliegen Hegels in der kritischen Jenaer Phase auf Folgendes hinaus: Als Erscheinung sei das Absolute (von Hegel als Vernunft bezeichnet) dem menschlichen Erkenntnisvermögen zugänglich und mittels der (philosophischen) Reflexion greifbar. So steht außer Zweifel, dass das Erkennen mit dem Anspruch auf Objektivität ausgeführt werden kann. Dies veranlasst zugleich eine neue Frage: Wie lässt sich ein objektives Erkennen vollziehen bzw. was ist unter einem objektiven Wissen zu verstehen? In diesem Zusammenhang wendet sich Hegel dem Skeptizismus zu. Dabei vertritt er die These: Erst als eine Auffassungsweise ins Verhältnis zur Philosophie gebracht, ermöglicht der Skeptizismus, dem Erkennen den Anspruch auf Objektivität zu erheben sowie das Wissen vor etlichen Irrtümern zu bewahren.92 Dabei unterscheidet Hegel strikt zwischen zwei Arten des Skeptizismus: dem sogenannten modernen und dem antiken Skeptizismus. Während dem antiken der Status des „ächten“93– zum Wissen beitragenden – attestiert wird, verfehlt der moderne seine Ziele, indem er sich gegen die Möglichkeit eines sicheren Wissenserwerbs richtet und infolgedessen „inkonsequent“94 wird. Ins Zentrum der Aufmerksamkeit rückt dabei das Erkenntnisverfahren selbst sowie seine konstitutiven Bedingungen. Im Folgenden will ich zunächst klären, inwiefern der moderne Skeptizismus – der Hegelschen Diagnose nach – zum Scheitern verurteilt ist, während der antike eine wesentliche Seite des Erkennens überhaupt darzustellen vermag. Daran anschließend werde ich der Frage nachgehen, wie Hegel die Leistung des Verstandes dabei konzipiert. Mit dem modernen Skeptizismus meint Hegel die Position, welche Gottlob Schulze als Kritik an der Philosophie Kants formuliert. Die Geschichtskulisse ist an der Stelle insofern zu erwähnen, als die Bestrebung des Skeptizismus-Aufsatzes95– die entstandene Lage zu verdeutlichen – an die damalige Situation gekoppelt ist. Der dadurch erzielte Ertrag Hegels erstreckt sich aber deutlich über den Geschichtsrahmen hinaus und bringt den folgenden Punkt ans Licht: Nicht der Skeptizismus als solcher, sondern das Bestimmungsverfahren einer konsequent ausgeführten Entgegensetzung, von dem der skeptische Zweifel lebt, trägt zum eigentlichen Wissen bei.

92

„Ohne die Bestimmung des wahren Verhältnisses des Skepticismus zur Philosophie, und ohne die Einsicht, daß mit jeder wahren Philosophie der Skepticismus selbst aufs Innigste Eins ist, und daß es also eine Philosophie gibt, die weder Skepticismus noch Dogmatismus, und also beydes zugleich ist, können alle die Geschichten und Erzählungen und neue Auflagen des Skepticismus zu nichts führen.“ (GW 4, 206). 93 Ebd., 206. 94 Ebd., 221. 95 „Verhältniß des Skepticismus zur Philosophie, Darstellung seiner verschiedenen Modificationen, und Vergleichung des neuesten mit dem alten“ (1801).

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Die Anfangskonstellation ist nun dadurch gekennzeichnet, dass der moderne, von Schultze ausgearbeitete, Skeptizismus sich der Kritischen Philosophie Kants entgegenstellt und den Status des Außersinnlichen bzw. des Unbedingten auf eigene Art zu klären sucht, indem zunächst behauptet wird: Die Erfahrung sei das einzige Kriterium, welches das Erkennen objektiviert. Es kann nur das sicher erkannt werden, was als Tatsache des Bewusstseins aufgefasst wird (das heißt dasjenige, was innerhalb der Realität bzw. der Sinnlichkeit gegeben ist).96 Hiermit wird die Objektivität des Erkannten ausschließlich an die Realität, das Gebiet des Sinnlichen, gebunden, während das Außersinnliche – Begriffe, Vernunft-Ideen und schließlich das Erkenntnisvermögen selbst – als problematisch angesehen werden, denn, so Schulze, „ob dergleichen Vermögen außer unserer Vorstellung davon auch objektiv wirklich sei, und ob der Gedanke von einem solchen Etwas, das die Anschauungen, die Begriffe und die Ideen in uns erst möglich machen soll, eine an allem objektiven Wert ganz leere Idee sei, oder nicht, […] dies ist nach dem Skeptizismus völlig ungewiß, und läßt sich aus den Prinzipien, welche Philosophie bis jetzt aufzuweisen hat, weder bejahen, noch verneinen.“97

Während Schulze die Erkennbarkeit der zu bestimmenden sinnlichen Objekte außer Zweifel setzt – so behauptet er ganz entschieden: „Daß der Mensch Erfahrungserkenntnisse besitze, ist eine unleugbare Tatsache [Hervorhebung V. K.]“98–, macht er andererseits darauf aufmerksam, dass den Begriffen, Vernunft-Ideen sowie dem eigentlichen Erkenntnisvermögen nichts Sinnliches entspricht, weshalb unentschieden bleibt, ob dem Erkennen selbst ein objektiver Status zukommt oder nicht. Eines steht für Schulze jedoch außer Frage: Das Dasein der dem Erkennen dienenden Anschauungen, der Begriffe und der Ideen im Menschen sowie ihren Unterschied voneinander leugne kein Skeptiker, denn „das Dasein derselben und ihres Unterschiedes ist eine Tatsache [Hervorhebung V. K.]“.99 So ist das Außersinnliche (Begriffe, Vernunft-Ideen und das Erkenntnisvermögen) der Schulzeschen Konzeption zufolge dem Erkennenden deshalb gewiss, weil es ihm als eine Tatsache bewusst wird. Dementsprechend bezeichnet er alle außersinnlichen Konzepte als die Tatsachen, welchen nichts Objektives entspricht und welche letztendlich als bloße Wörter im Gemüte des Erkennenden auftauchen: „[S]o braucht auch der Skeptiker die Wörter [Hervorhebung V. K.] Sinnlichkeit, Verstand, Vernunft, Vorstellungs- und Erkenntnis-Vermögen, um sich andern verständlich zu machen, und gewisse Unterschiede an den menschlichen Vorstellungen dem Sprachgebrauche gemäß anzudeuten. Ob aber überall ein wahrer objektiver Grund existiere [Hervorhebung V. K.], der […] dieselben hervorgebracht hat, oder nicht, ist nach der Überzeugung desselben beim gegenwärtigen Zustande der Philosophie noch völlig problematisch.“100 96

Vgl. G. Schulze [1792] 1996, 86. Ebd., 78. 98 Ebd., 92. 99 Vgl. ebd., 78. 100 Ebd., 79. 97

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Somit lässt Schulze das Außersinnliche und damit das Unbedingte – die zusammenhaltende Grundlage des Erkenntnisverfahrens, angesichts dessen das Bestimmen vollzogen wird – außerhalb des Rahmens des Erkennens fallen: Indem das Außersinnliche jeglicher Vermittlungsart unzugänglich ist, erweist es sich bei Schulze als eine problematische Seite des Erkennens, die schließlich den Anlass gibt, das Wissen überhaupt in Zweifel zu ziehen: Während die im Anschluss an die Realität erkannten Einzelheiten zum sicheren Erkennen beitragen, kann bezüglich der Gesamtheit des Erkannten sowie des Erkennens selbst (das heißt bezüglich des Erkenntnisvermögens) keinerlei Auskunft gegeben werden. Auf den ersten Blick ist dieses Ergebnis recht bescheiden: Solange dem Erkannten etwas innerhalb der Realität korrespondiert, handelt es sich um ein objektives Erkenntnis, sobald aber der Boden des Sinnlichen verlassen wird, geht es um kein sicheres Erkennen mehr. Dabei entspricht das Erkennen selbst – als Erkenntnisvermögen – auf keinerlei Weise den festgelegten Standards der Objektivität, da ihm innerhalb des empirischen Bereichs nichts korrespondiert. Die Schulzesche Argumentation läuft auf das Folgende hinaus: Alles, was sich empirisch nicht bestätigen lässt, ist unsicher und muss angezweifelt werden. Auf die Spitze getrieben bedeutet dies: Auch das Erkennen – als Vermögen und ausschließliche Grundlage der Erkenntnis – kann dem Zweifel nicht entzogen werden. Dass es das Erkennen sowie die Begriffe und die Vernunft-Ideen gibt, sei aber, so Schulze, eine Tatsache. Hier nun setzt Hegel mit der folgenden Kritik an: Indem das Unbedingte (die Vernunft-Idee) sowie das Erkennen (den mithilfe des Erkenntnisvermögens ausgeführten Prozess) von Schulze bloß als Tatsachen des Bewusstseins konstatiert werden, werden sie als verborgene Dinge gesetzt. Hegel schreibt: „Die obersten und unbedingtesten Ursachen selbst aber, oder besser das Vernünftige, begreift Hr. Schulz auch wieder als Dinge, die über unser Bewußtseyn hinausliegen, etwas Existierendes, dem Bewußtseyn schlechthin entgegengesetztes; von der vernünftigen Erkenntniß kommt nie eine andere als die zum Ekel wiederholte Vorstellung vor, daß durch dieselbe eine Erkenntniß von Sachen erworben werden solle, welche hinter den Schattenrissen von Dingen, die uns die natürliche Erkenntnißart der Menschen vorhält, verborgen liegen sollen.“101

Wie aus dem Zitat hervorgeht, läuft Hegels Kritik darauf hinaus, dass jede Tatsache, um überhaupt festgestellt zu werden, des Bewusstseins bedarf. Mehr noch: Um an das Bewusstsein zu gelangen, müssen die Tatsachen dem Bewusstsein entgegentreten. Fasst man das Erkenntnisvermögen als eine Tatsache, so setzt man das Erkenntnisvermögen dem erkennenden Subjekt entgegen,102 was eine eindeutige 101

GW 4, 201. Schulze hält es für möglich, dass das Erkenntnisvermögen aus den sinnlichen Objekten entspringt: „Es läßt sich nämlich denken, daß alle unsere Erkenntnis aus der Wirksamkeit realiter vorhandener Gegenstände auf unser Gemüt herrühre und daß auch die Notwendigkeit, welche in gewissen Teilen dieser Erkenntnis angetroffen wird, durch die besondere Art und Weise, wie die Außendinge unser Gemüt affizieren, und Erkenntnisse in demselben veranlassen, erzeugt werde; und daß mithin die notwendigen synthetischen Urteile […] nicht aus dem 102

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Trennung zwischen dem erkennenden Subjekt und dem mittels des erkennenden Subjekts ausgeführten Erkennen markiert. Damit ist nun der Punkt erreicht, an dem der moderne Skeptizismus in sich selbst inkonsistent geworden ist. Hegel fasst dies so zusammen: „In diesem Extrem der höchsten Consequenz, nemlich der Negativität, oder Subjekctivität, die sich nicht mehr auf die Subjectivität des Charakters, die zugleich Objectivität ist, beschränkte, sondern zu einer Subjectivität des Wissens wurde, die sich gegen das Wissen richtete, mußte der Septicismus inkonsequent werden; denn das Extrem kann sich nicht ohne sein entgegengesetztes erhalten.“103

Die hervorgetretene Inkonsistenz lässt sich wie folgt explizieren: Wird die Vernunft-Idee des Unbedingten – die konstitutive Grundlage, angesichts derer jegliches Ausschlussverfahren ausgeführt wird – als eine Tatsache aufgefasst, wird sie, und zwar unverzüglich, dem Bedingten entgegengestellt. Demgemäß habe die sogenannte Tatsachenphilosophie, so Hegel, „keine andere als die stumpfe Antwort: daß jenes Streben nach einer Erkenntniß, die über das reale, ganz gewisse Seyn der Dinge hinausgeht, also sie für ungewiß erkennt, – auch eine Tatsache des Bewußtseyns sey.“104

Dabei wird aber die verbindende Grundlage des Erkennens verfehlt, weshalb das Ausschlussverfahren der setzenden Reflexion bei zwei losen Seiten endet. Die Argumentation Hegels läuft eindeutig darauf hinaus, dass ein Etwas, welches als eine Tatsache behauptet wird, schließlich das Ergebnis des Ausschlussverfahrens darstellt. Zu diesem Prozess gehört aber nicht nur das jeweils innerhalb der Realität Wahrgenommene und infolgedessen Erkannte, sondern auch das Wahrnehmen sowie das Erkenntnisverfahren selbst. Während Schulze die vermeintlich bescheidene Behauptung macht, die Vernunft-Ideen und das Erkenntnisvermögen seien Tatsachen, die von keinem Skeptiker angezweifelt, zugleich aber niemals mit Sicherheit erkannt werden können, setzt er das Unbedingte als einen fehlenden Grund des Erkennens – und zwar dogmatisch (!) – voraus. Dies führt dazu, dass das Unbedingte im Endeffekt als ein verborgenes Ding festgelegt wird, was von der Leistung der setzenden Reflexion zeugt, die, wie in der Differenz-Schrift ausführlich dargestellt, das Eine mittels des Ausschließens des Anderen bloß fixiert. Das Problem, welches sich nun im Hintergrund befindet, lässt sich wie folgt explizieren: Das basale Ausschlussverfahren, bei dem jeder Erkenntnisprozess anfängt, scheint evident und nicht sonderlich erklärungsbedürftig zu sein: Die Feststellung der formalen Identität sowie das Urteilen bezüglich der gewissen beobachtbaren Geschehnisse erwecken im erkennenden Subjekt den Eindruck, eine sichere Kenntnis erworben zu haben. Damit aber das Ausschlussverfahren funktioniert, so Gemüte, sondern aus den nämlichen Gegenständen herrühren, welche die zufälligen und veränderlichen Urteile nach der kritischen Philosophie in uns hervorbringen sollen.“ (G. Schulze [1792] 1996, 106). 103 GW 4, 221. 104 Ebd., 202.

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die Pointe Hegels, muss die Verbindung am Werk sein, denn das Eine kann nur mittels des Ausschlusses vom Anderen gesetzt werden. Dies deutet auf das Unbedingte (bzw. das Ganze, das Absolute) hin, dem nichts entgegensteht. Wird auf das Unbedingte selbst das Ausschlussverfahren angewandt, verwandelt es sich in das Bedingte: Denn für diese Bestimmung des Unbedingten wird etwas entgegengesetzt, wobei das Unbedingte mittels der hinzugefügten Bedingung zerstört wird. So wird ersichtlich: Dasjenige, was unterschwellig am Werk ist – was Hegel als das Vernünftige bezeichnet –, lässt sich mittels des Ausschließens nicht korrekt setzen, sondern es bedarf eines anderen Bestimmungsverfahrens.105 Den Schlüssel, wie dies zu vollziehen ist, sieht Hegel im antiken Skeptizismus. Bekanntlich zielen die zehn Tropen des pyrronischen Skeptizismus, mit denen der antike Skeptizismus beginnt, allein auf die „Unsicherheit der sinnlichen Wahrnehmung“106 ab. Damit ist der antike Skeptizismus, so Hegel, nicht gegen die Möglichkeit, sichere Kenntnis zu erlangen, sondern gegen das gemeine Bewusstsein gerichtet, welches sich ausschließlich auf Tatsachen beruft und das Endliche für wahr hält. Infolgedessen rückt das Spezifikum des setzenden Bestimmungsverfahrens ins Zentrum der Aufmerksamkeit: Denn nur im Unterschied zueinander – und dies war bereits den antiken Skeptikern bewusst – erhalten die gesetzten Bestimmungen ihre Bedeutung. Um bspw. etwas als ,süß‘ zu bestimmen und diese Bestimmung weiterhin anwenden zu können, muss man nicht nur den dazu passenden Geschmack kennen, sondern diesen von anderen (wie ,sauer‘, ,bitter‘ und dergleichen) unterscheiden und ausschließen können. Das heißt: Um ein beliebiges A als mit sich identisch behaupten zu können, muss das Entgegengesetzte – was dieses A nicht ist – bereits im Spiel sein, denn die formale Identität ist nur mittels des Ausschussverfahrens festzustellen. Während aber jede formal fixierte (verständige) Identität sich der Entgegensetzung verdankt, bleibt das dem Objekt des Bestimmens Entgegengesetzte selbst dahingestellt und durch das formal-logische Verfahren ausgeschlossen. Aus dieser Perspektive betrachtet, taugen Tatsachen nicht zum Kriterium einer sicheren Erkenntnis. Denn jede Tatsache stellt ein Produkt des setzenden Bestimmens dar, das heißt, sie befindet sich zu einem Etwas, was sie nicht ist, bereits im Gegensatz. Wird das formal Gesetzte mittels des Ausschließens des Entgegengesetzten bestimmt, ist zu fragen: Worauf gründet sich die Entgegensetzung bzw. was ist die Grundlage des Ausschlussverfahrens? Den Hinweis, wie dieser Frage nachzugehen ist, sieht Hegel im Platonischen Parmenides, dem vollendetsten „Dokument und System des ächten Skepticismus“.107 Dies vor allem deshalb, weil er nicht einen bloßen Zweifel an Verstandeswahrheiten enthält, sondern vielmehr „auf ein gänzliches Negieren aller Wahrheit eines solchen [verständigen, V. K.] Erkennens“108 105

135 ff. 106 107 108

Zur epistemischen Inkonsistenz der Schlulzschen Position siehe D. Heidemann 2002, GW 4, 205. Ebd., 207. Ebd., 207.

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geht, demgemäß „selbst die negative Seite der Erkenntniß des Absoluten“109 darstellt und „unmittelbar die Vernunft als die positive Seite“110 voraussetzt. Hiermit knüpft Hegels spezifische Auseinandersetzung an den zweiten Teil des Platonischen Parmenides an, in dem es um das Problem der Erkenntnis des Einen (im Sinne des Ganzen bzw. des Absoluten) geht, die der wahre Skeptizismus vorbereiten und ermöglichen soll. Er schließt sich also der Interpretation des Parmenides an, die sein Resultat – im Gegensatz zur theologischen Deutung der Neuplatoniker – für rein negativ hält.111 Hegels Gedankengang lässt sich dabei wie folgt rekonstruieren: Die Bestimmungen des Verstandes sind nur dank der Abgrenzung voneinander, mittels des Satzes des Widerspruchs, zu erzielen. Um das Ausschlussverfahren aber vollziehen zu können, bedarf es der Einheit, denn nur in dieser erhalten sie ihre Bedeutung. So tragen die entgegengesetzten Bestimmungen zum eigentlichen Erkennen nur dann bei, wenn sie aufeinander bezogen werden. Der Platonische Parmenides stellt nun ausführlich dar, wie zu unterschiedlichen gesetzten Bestimmungen die jeweils entgegengesetzten zu bilden sind,112 indem er, so Hegel, „das ganze Gebiet jenes Wissens durch Verstandesbegriffe umfaßt und zerstört“.113 Hieraus geht hervor: Während der Satz des Widerspruchs aus der formalen Sicht richtig ist, ist er aus der Sicht der zugrundeliegenden (vernünftigen) Einheit falsch. Das heißt: Jede formale Setzung lässt sich mittels des Entgegengesetzten aufheben bzw. dem skeptischen Prinzip der Isosthenie nach vervollständigen, denn „[j]edem Argument steht ein gleichwertiges entgegen“.114 Es zeigt sich also, dass es Hegel nicht um die Platonische Aufzählung der einseitigen Bestimmungsarten des Verstandes geht, sondern darum, dass sie alle auf dasselbe Ergebnis hinführen: Da der Verstand nur mittels des Ausschlussverfahrens verfährt (das heißt, unter der Leitung des Satzes des Widerspruchs steht), ist es immer möglich, zu jeder gesetzten Bestimmung eine entgegengesetzte zu bilden. Somit deutet sich die Idee des Ganzen, des allumfassenden Absoluten (oder, mit Platon gesprochen, des Einen) derart an, dass sie als diejenige Instanz ans Licht tritt, welche überhaupt die Bedeutung der gesetzten Bestimmungen des Endlichen erst möglich macht. An diesem Punkt nimmt Platons Argumentation ihr Ende, indem das Eine als die einheitsstiftende Grundlage bzw. die Gesamtheit aller gesetzten Bestimmungen als einzig sichere, doch dem formal-logischen Bestimmen nicht zugängliche Kenntnis erzielt wird. Die Unmöglichkeit, die erreichte Kenntnis zu explizieren, zeugt davon, dass Platon die Gültigkeit des Satzes vom Widerspruch voraussetzt. Diese Voraussetzung wird in der Forschung oft als Grund dafür interpretiert, dass Platons Argumentation nicht mit 109

Ebd., 207. Ebd., 207. 111 Mehr zur Unterstützung sowie Begründung dieser These siehe W. Jaeschke 2016, 124; K. Düsing 1980 b, 129 f. 112 Zur ausführlichen Rekonstruktion der Vervollständigung unterschiedlicher Bestimmungen siehe K. Düsing 1980 b, 98 ff. 113 GW 4, 207. 114 GW 4, 208. 110

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derjenigen Hegels vereinbar sei.115 Es scheint aber einleuchtend zu sein, dass Hegel nicht darauf abzielt, die Argumentation Platons zu destruieren, sondern vielmehr danach strebt, darüber hinaus zu gehen.116 Versucht man das angedeutete platonische Eine mittels des Satzes vom Widerspruch zu bestimmen, wird seine Richtigkeit tatsächlich in Frage gestellt: Indem die entgegengesetzten Bestimmungen nur in Bezug aufeinander bestehen, bleibt die einheitsstiftende Grundlage dieses Bestehens mittels des Setzens nicht mehr greifbar. Infolgedessen erweist sich der Satz des Widerspruchs angesichts der angedeuteten Einheit, welche Hegel als Vernunft bezeichnet, als falsch, wobei das Erfordernis der Vernunft ersichtlich wird, „einen Verstoß gegen denselben [zu] enthalten“.117 So erreicht Hegel den Punkt, wo er, statt sich mit dem formalen (widerspruchsfreien) Ausdruck der Wahrheit zufriedenzugeben, den Widerspruch als Kriterium der Unwahrheit der endlichen Kenntnis fasst und über die Ergebnisse Platons hinausgeht: Denn besteht die formale Identität in der Entgegensetzung – das heißt, sie ist zugleich die „Nicht-Identität“ dessen, wovon sie ausgeschlossen ist –, so besteht die Entgegensetzung in der Beziehung der Entgegengesetzten aufeinander. Diese ist die Beziehung, die von der Einheit zeugt, welche Hegel – im Unterschied zur formal-logischen Identität – als das „Vernünftige“118 bzw. als die „vernünftige Identität“119 bezeichnet. Aus dem bisher Herausgearbeiteten ergibt sich nun das Folgende: Indem Hegel nach der Bedingung des Ausschlussverfahrens des verständigen Setzens fragt, macht er die Verbindung geltend, welche diesem Verfahren zugrunde liegt. Dabei hebt er die Idee des einheitsstiftenden Ganzen hervor, die nicht mittels desselben Ausschlussverfahrens bestimmbar ist, sondern als ein reines Beziehen des Entgegengesetzten im Erkennen bereits präsent ist. Versucht man diese Idee zu explizieren, ergibt sich: Während das Endliche in der Entgegensetzung besteht, so ist die einheitsstiftende Grundlage dieses Bestehens – das Absolute bzw. das Ganze – als das reine Beziehen der Entgegengesetzten aufeinander zu fassen. Dies ist letztlich die einzig zweifelsfreie Kenntnis, welche sich mit dem konsequent ausgeführten Erkennen zusammenschließt und um den Preis des Verstoßes gegen den Satz vom Widerspruch erreicht wird.120 Dabei wird nicht nur das Spezifikum des Erkennens, sondern der Inhalt des Erkannten aus der Position des Ganzen, welches die Gesamtheit aller endlichen Kenntnisse umfasst, in seiner ganzen Bedeutung sichtbar. Als einheits115 Bspw. behauptet K. Düsing: „Hegel unterstellt jedoch Plato sein eigenes Prinzip, daß derartige Widersprüche in einer höheren, positiven Einheit gründen müssen, auch wenn diese nicht eigens dargestellt wird. Da Plato auch im Parmenides aber die Gültigkeit des Satzes vom Widerspruch voraussetzt, ist diese Deutung mit Platos Argumentation nicht vereinbar.“ (K. Düsing, 1980 b, 130). 116 Zur Unterstützung dieser These siehe M. Gessmann, 1996, 56 f. 117 GW 4, 208. 118 Ebd., 223. 119 Ebd., 223. 120 Zur Unterstützung dieser These siehe M. Baum 1980, 128 f.

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stiftend erweist sich das Ganze derart, dass „es selbst […] nichts als das Verhältniß“121 oder „die Beziehung selbst“122 ist, dass es „kein Gegentheil“123 hat, denn es schließt „die Endlichen, deren eines das Gegentheil vom anderen ist, beide in sich“.124 Hierbei zeigt sich ein konsequentes Münden der endlichen Kenntnisse (des Verstandes) in die Kenntnis der Vernunft (in den Bereich der reinen Verhältnisse), indem das Bestimmungsverfahren des Setzens in das des Beziehens umschlägt. Die Pointe dieser Überlegungen ist, „daß es also eine Philosophie gibt, die weder Skepticismus noch Dogmatismus, und also beydes zugleich ist.“125 Während jede Setzung des Verstandes bereits eine dogmatische ist – weil sie das einzig Gesetzte als wahr behauptet, gleichzeitig aber von dem Ausgeschlossenen absieht –, so ist die skeptische Vorgehensweise, das sogenannte Infragestellen des Gesetzten bzw. die Suche nach dem Entgegengesetzten und hiermit nach dem Gegenargument, von der dogmatischen Setzung nicht zu trennen. Wird von der einheitsstiftenden Grundlage abgesehen, fallen die zwei Seiten lose auseinander. Erst ins Verhältnis zueinander gebracht, sind sie imstande, zum Wissen beizutragen. Nun lassen sich die am Anfang dieses Abschnittes gestellten Fragen wie folgt beantworten: Hegels Konzeption zufolge wird die objektive bzw. sichere Kenntnis erst dann erworben, wenn die einheitsstiftende Grundlage des setzenden, unter der Leitung des Satzes des Widerspruchs stehenden, Bestimmungsverfahrens berücksichtigt wird. Diese Grundlage bezeichnet Hegel als „das Vernünftige“126 bzw. als „die vernünftige Identität“.127 Die angeforderte Berücksichtigung ist erst dank der Integration der skeptischen Vorgehensweise in das Erkennen (bzw. in die Philosophie) zu leisten und nur um den Preis der Aufhebung oder, wie Hegel es formuliert, des Verstoßes gegen den Satz des Widerspruchs, zu realisieren.128 Die angesprochene Realisierung schließt sich ihrerseits mit dem Erkennen als dem Prozess bzw. als einer gewissen Art des Erkenntnisvermögens zusammen, das Hegel als Vernunft bezeichnet. Dabei wird „die negative Seite der Erkenntniß des Absoluten“129– und zwar des Absoluten, welches als die Gesamtheit aller Verstandeswahrheiten gefasst wird – erreicht und als reines Verhältnis nachvollzogen. Damit schlägt das basale setzende Bestimmungsverfahren des Verstandes in das des Beziehens der Vernunft um. Infolgedessen wird die Erkenntnisebene erreicht, von der aus die Offensichtlichkeit des 121

Ebd., 220. Ebd., 220. 123 Ebd., 220. 124 Ebd., 220. 125 Ebd., 206. 126 Ebd., 223. 127 Ebd., 223. 128 Mehr zu diesem Ergebnis, doch angesichts anderer Problemstellungen, siehe W. Jaeschke 2016, 125; M. Baum 1980, 128 ff.; K. Düsing 1980 b, 126. 129 GW 4, 207. 122

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Ganzen nicht mehr demselben Verfahren des Zweifels unterzogen werden kann, ohne das Verfahren selbst zu unterminieren. Mit dem erreichten Resultat erweitert Hegel den Rahmen des Erkennens derart, dass er in diesen das Erkennen selbst als den konstituierenden Teil integriert. Diese Erweiterung stellt sich als eindeutige Folge der konsequent ausgeführten Explikation des Verhältnisses heraus, in welchem sich die gesetzten Bestimmungen des Verstandes, die sogenannten Tatsachen des Bewusstseins, bereits zueinander verhalten.130 Das explizierte Verhältnis ist aber mithilfe des setzenden Bestimmens des Verstandes nicht mehr greifbar. Deshalb darf man Hegel nicht unterstellen, dass er das zugrundeliegende Ganze mittels des Setzens bestimmt.131 Als ein einschlägiges Beispiel für eine solche unangemessene Unterstellung eignet sich die folgende Passage von R.-P. Horstmann: „Wenn es nämlich stimmt, daß es nur die Vernunft […] gibt [Hervorhebung V. K.], und wenn es stimmt, daß zu diesem Begriff der Vernunft das Konzept seiner Realisierung in der Form eines Erkenntnisprozesses wesentlich gehört, dann kann dieser Prozess nur auf die Erkenntnis der Vernunft selbst gerichtet sein, weil außer der Vernunft nichts gibt [Hervorhebung V. K.].“132

Wie im vorliegenden Abschnitt ausführlich dargestellt, ist die Fragestellung, ob es die Vernunft gibt (bzw. die Setzung, dass es nur die Vernunft gebe), demjenigen Resultat nicht angemessen, worauf das setzende Bestimmungsverfahren des Verstandes hinführt. Denn es geht nicht darum, festzustellen, was es gibt, sondern darum, was es überhaupt bedeutet, etwas als gegeben zu behaupten. Solange die endlichen (gesetzten) Bestimmungen des Verstandes für letztgültig gehalten werden, bleiben sie einseitig und relativ. Erst im Lichte des Verhältnisses betrachtet – in welchem sie sich bereits zueinander befinden – erhalten sie ihre Bedeutung. Dieses Verhältnis ist aber wiederum erst dann fassbar, wenn die Setzung dank der entsprechenden Entgegensetzung – mittels des Verstandes – vervollständigt wird. Auf die Spitze getrieben, läuft das konsequent ausgeführte Setzen des Verstandes darauf hinaus, dass kein sinnvolles Setzen mehr ausgeführt werden kann. Infolgedessen wird die Gesamtheit aller gesetzten Bestimmungen als negative Seite des Absoluten begriffen. Somit erreicht der Verstand, wie Klaus Vieweg treffend auf den Punkt bringt, die höchste Stufe, die seine Leistung als reine Negativität ans Licht bringt.133 Dass Hegel die in das Wissen integrierte Methode des (antiken) Skeptizismus beim Erreichen der bloßen Negativität des Verstandes ans Ende gekommen sieht, ohne der Frage nachzugehen, auf welche Weise sich der Inhalt des Absoluten positiv 130 Wie oben ausführlich dargestellt sind einzeln erworbene Kenntnisse des Verstandes (als Tatsachen des Bewusstseins aufgefasst) dank diesem Verhältnis miteinander vernetzt und aufeinander bezogen. 131 Eine solche Unterstellung ist mit dem oben rekonstruierten Gedankengang nicht kompatibel. 132 R.-P. Horstmann [1991] 2004, 138. 133 Vgl. K. Vieweg 2007, 95.

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explizieren ließe, entspricht vollkommen seiner programmatischen Stellung der kritischen Jenaer Phase, die Erkennbarkeit des Absoluten auf seine Erscheinung zu begrenzen.134 In dieser Beschränkung der skeptischen Methode auf ein bloß negatives Ergebnis, deutet sich die spätere Hegelsche Fassung der Dialektik als sogenannte „negativ-Vernünftige“ Seite des Erkennens bereits an.135 Dabei wird nicht nur das Kriterium des sicheren Erkennens, sondern auch die theoretische Erkennbarkeit des Ganzen bzw. des Absoluten – in der Form seiner Erscheinung, als der Gesamtheit der aufeinander bezogenen gesetzten Bestimmungen des Verstandes – herausgearbeitet.

c) Zur Vervollständigung des Wissens durch den Glauben Wie bisher ausführlich dargestellt, gelingt es Hegel in der kritischen Jenaer Phase, die Totalität als konstitutive Grundlage des Erkenntnisprozesses herauszuarbeiten. Zur Vollständigkeit der Erkenntnis getrieben, weitet sich die setzende Reflexion ins Unendliche, wobei die Totalität zutage tritt und selbst zum Objekt der Erkenntnis wird. Abhängig von der erreichten Stufe der Erkenntnis kommt die Totalität als die allumfassende Einheit, das Unbedingte, das Unendliche bzw. als das Absolute zum Ausdruck. Das Spezifikum dieses Objekts stellt die Reflexion vor eine Aufgabe, die mithilfe des formal-logischen Verfahrens nicht mehr sinnvoll zu lösen ist. Die in der Differenz-Schrift ausgearbeitete Greifbarkeit des Absoluten für die Reflexion und hiermit für das Erkennen wird von Hegel zunächst als „transzendentale Anschauung“136 bezeichnet. Da Hegel zu diesem Ausdruck nie wiederkehrt, lässt sich vermuten, dass dieser bloß eine stellvertretende Bezeichnung für das herausgearbeitete Problem darstellt und keine Ressourcen zu deren Lösung anzubieten hat. Bestätigt findet sich die aufgestellte Vermutung bereits im SkeptizismusAufsatz, dessen Argumentation beim Resultat ankommt, das Ausschlussverfahren des Verstandes bzw. seine setzende Leistung der negativen Seite des Absoluten (das heißt der Erscheinung des Absoluten) zuzuordnen. Das erreichte Ergebnis wirft die Frage auf, wie das Absolute – die einheitsstiftende Grundlage des Erkennens bzw. die allumfassende Totalität – zu explizieren wäre, ohne ins Ausschlussverfahren des Verstandes zurückzufallen, zugleich aber der Leistung des Verstandes Rechnung zu tragen. Denn dank der setzenden Tätigkeit des Verstandes wird die einheitsstiftende Grundlage des Erkennens ja überhaupt erst sichtbar. 134 Das erklärt, warum Hegel in diesem Kontext der Frage nicht nachgeht, ob der Widerspruch in der Tat ausschließlich beim negativen Resultat – der Vernichtung des Endlichen – endet, oder auch auf ein positives hinzuführen vermag. Insofern stimme ich Manfred Baum zu, der behauptet: „Die spätere Dialektik ist für Hegel hier nur erst ein Teil bzw. Aspekt der Philosophie, noch nicht die absolute Methode der ganzen Philosophie, da er ihre positive Seite noch der Anschauung des Absoluten vorbehält.“ (M. Baum [1986] 1989, 183). 135 Mehr zu dieser These: W. Jaeschke 2016, 125. 136 GW 4, 27.

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Die Grenzfälle, von denen nicht abzusehen ist, an denen aber das formal-logische Bestimmen des Verstandes nicht mehr sinnvoll durchgeführt werden kann, sind nun die Angelpunkte, um welche die Argumentation Hegels in Glauben und Wissen137 kreist. Diese Argumentation wird vor dem Hintergrund des Absoluten ausgeführt, welches Hegel als das notwendige Resultat des formal-logischen Erkenntnisprozesses denkt. Dieses Resultat wird nun als die Idee bezeichnet. Nachdem die Fassbarkeit des Absoluten für die Reflexion in der Differenz-Schrift begründet sowie die Produktivität des Entgegensetzens für den Wissenserwerb im SkeptizismusAufsatz ausgearbeitet sind, beschäftigt sich Hegel nun mit dem folgenden Problem: Was führt dazu, dass das Erkennen, mit dessen Hilfe die Notwendigkeit des Absoluten sichtbar wird, sich beim Fassen des Absoluten als mangelhaft erweist und durch den Glauben ersetzt wird? In Glauben und Wissen geht Hegel dieser Frage nach, indem er die Trennung zwischen Glauben und Wissen untersucht. Diese Trennung ist zunächst einmal vor dem historischen Hintergrund der Aufklärung so zu verstehen, dass der Streit um den autoritären Geltungsanspruch des Unbedingten (des sogenannten Göttlichen oder, wie Hegel es bezeichnet, des Absoluten) zum Ausschluss des Unbedingten aus dem Bereich des Erkennbaren und hiermit aus dem Bereich des Wissens führte. Daraus entstand das Bedürfnis, die Stellung des Unbedingten zum Wissen sowie seine Auswirkungen auf das Erkennen zu klären. So behandelt Hegel in seinem Werk nicht den äußeren Streit des Wissens mit dem religiösen Glauben, sondern beschäftigt sich, wie es Walter Jaeschke treffend beschreibt, in erster Linie mit demjenigen Glauben, der sich zum Prinzip innerhalb der Philosophie entwickelt und als Manifestation der Beschränkung des Wissens zugunsten des „Vernunftglaubens“ zur Geltung kommt.138 Diese Beschränkung endet beim Setzen des Jenseitigen, wovon sich die Vernunft – das Erkenntnisvermögen des Unbedingten – unterscheidet und welches sie über sich selbst, als etwas Höheres und absolut Unbegreifliches, fixiert. Daraus geht eine klare Konstellation hervor, in deren Rahmen dem Erkennbaren (dem Empirischen oder, in Hegels Terminologie, dem Endlichen) das Unerkennbare (das Unbedingte bzw. das Übersinnliche) entgegengesetzt wird, was wiederum von der reflexiven (Denk)Leistung des Verstandes zeugt. Auf der Grundlage der absoluten Entgegensetzung kristallisiert sich das Erkenntnisprinzip der sogenannten „Reflexionsphilosophie“ heraus, deren wesentliches Merkmal die unüberwindliche Trennung des Endlichen (des erkennbaren Empirischen, Diesseitigen) vom Unendlichen (dem Unbedingten, Jenseitigen) ausmacht. Dabei wird das Unendliche in Bezug auf das Endliche bestimmt, dadurch relativiert und infolgedessen dem eigenen Wesen unangemessen erfasst. Zusammengenommen bilden die von Kant, Jacobi und Fichte ausgearbeiteten TrennungsVarianten das Prinzip des Entgegensetzens in seiner Vollständigkeit aus oder, mit Hegel gesprochen, sie bilden „die Totalität der für das Princip [der Trennung, V. K.] 137 „Glauben und Wissen oder die Reflexionsphilosophie der Subjectivität, in der Vollständigkeit ihrer Formen, als Kantische, Jacobische, und Fichtesche Philosophie“ (1802). 138 Vgl. W. Jaeschke 2004 b, 12. Zur selben These siehe auch B. Sandkaulen 2004, 165.

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möglichen Formen“139. Diese gänzliche unterschiedlichen Denkrichtungen sieht Hegel in Anbetracht ihrer Stellung zum Absoluten aufs Innigste verbunden. Denn sie setzen ein mittels des Erkenntnisvermögens nicht zu greifendes Unbedingtes außerhalb des Rahmens des Erkennens, weshalb das Unbedingte aus dem Bereich des Wissens in den des Glaubens überführt und dem Erkennbaren entgegengestellt wird. In diesem Zusammenhang stellt sich Hegel die Frage, wie sich die der Entgegensetzung zugrunde liegende Verbindung erfassen lässt. Er versucht, das passende Instrumentarium zu entwickeln, mit dem er die Verbindung begrifflich einholen sowie dem Absoluten (als dem Unbedingten, das heißt, als dem auf sich selbst Gründenden) gerecht werden kann. Dabei richtet Hegel seine Aufmerksamkeit auf die folgenden Ergebnisse Kants: (1) die Unvermeidlichkeit der Antinomie, auf die das korrekt ausgeführte formal-logische Erkennen hinführt, und (2) das Bestimmungsverfahren der reflektierenden Urteilskraft, welches eine eigenartige Verhältnisart der in den Erkenntnisprozess involvierten Komponente (des Allgemeinen und des Einzelnen bzw. des Besonderen) zum Vorschein bringt. Die zentrale Frage, um welche die Argumentation Hegels kreist, lässt sich wie folgt formulieren: Was bedeuten die von Kant erworbenen Resultate für das Erkennen selbst bzw. was ist die angemessene Stellung der dialektischen Opposition innerhalb des Wissens, dessen notwendiges Ergebnis sie darstellt? Bekanntlich läuft die Kantische Lösung der dialektischen Opposition140 darauf hinaus, dem objektiv verlaufenden Erkennen ein Ende zu setzen und die erreichte Vernunft-Idee für den blendenden, aber falschen Schein zu erklären.141 Denn, so lautet die Erklärung, es gibt kein geeignetes Mittel, sie adäquat zu fassen, da zu ihr kein Gegenstand im Sinne eines Dinges bzw. eines wirklich existierenden Dinges aufzufinden ist. Warum das Entfallen des Gegenstandes für Kants Entscheidung ausschlaggebend ist, wird ersichtlich, wenn seine Konzeption der objektiv-sicheren Erkenntnis ins Auge gefasst wird. Es ist nämlich erst dann mit der objektiven Erkenntnis zu rechnen, wenn das Erkannte im Rahmen des formal-logischen Ausschlussverfahrens erworben wird.142 So stellt die Aufforderung der Widerspruchs139

GW 4, 321. Nach Kants Auffassung stellt die dialektische Opposition einen scheinbaren Widerspruch dar, wodurch sie sich von der analytischen Opposition strikt unterscheidet. Während der letzteren ein kontradiktorischer, zu vermeidender, Widerspruch zugrunde liegt, lässt sich der der dialektischen Opposition zugrunde liegende Widerspruch nicht vermeiden. Eine ausführliche Studie zu diesem Unterschied: M. Wolff [1981] 2017. 141 Vgl. KrV, B 435. 142 So behauptet Kant bspw.: „Die Namenserklärung der Wahrheit, daß sie nämlich die Übereinstimmung der Erkenntnis mit ihrem Gegenstande sei, wird hier geschenkt und vorausgesetzt.“ (KrV, B 82). An einer anderen Stelle definiert Kant die Quelle aller Wahrheit als die Übereinstimmung unserer Erkenntnis mit Objekten, die uns gegeben werden mögen. (Vgl. KrV, B 295). Und mehr noch: „Wahrheit aber beruht auf der Übereinstimmung mit dem Objekte, in Ansehung dessen folglich die Urteile eines jeden Verstandes einstimmig sein müssen.“ (KrV, B 848). Wie daraus ersichtlich wird, läuft das Kantische Verständnis der Wahrheit bzw. des objektiven Wissens auf die Übereinstimmung zwischen dem Begriff und dem diesem Begriff zu 140

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freiheit das grundlegende Kriterium dar, anhand dessen festgestellt wird, ob eine objektive Erkenntnis vorliegt. Ihrerseits ist die Erfahrung zum Ausschluss des Widerspruchs unverzichtbar, da erst in Bezug auf einen konkreten Gegenstand entschieden werden kann, welche der einander ausschließenden Behauptungen zutrifft. Denn für sich genommen sind sie vorerst weder falsch noch wahr, sondern nur auf einen Gegenstand bezogen erhalten sie einen Sinn. Anders verhält es sich im Falle der Vernunft-Idee. Hier kann nämlich nicht mehr entschieden werden, welcher Teil der einander ausschließenden Urteile (die These oder die Antithese) zutrifft, weil jedes dieser Urteile, so Kant, „etwas mehr sagt, als zum Widerspruch erforderlich ist.“143 Dadurch erweist sich der Widerspruch als scheinbar. Um zu entscheiden, welches der einander ausschließenden Urteile zutrifft, erfordert die Widerspruchsform einen Gegenstand, der im Falle der erreichten dialektischen Opposition nicht mehr unterstellt werden kann. Vielmehr erzeugt das Erfordernis einer solchen Unterstellung, so Kant, einen „blendenden Schein“.144 Die einander ausschließenden Urteile bezüglich der Unendlichkeit und Endlichkeit der Welt setzen beispielsweise bereits voraus, dass die Welt ein Ding (an sich) sei, von welchem Aussagen hinsichtlich der Größe gemacht werden können.145 Sollte die gemachte Voraussetzung aber weggenommen werden, indem geleugnet wird, dass die Welt „ein Ding an sich selbst sei, so verwandelt sich der kontradiktorische Widerstreit beider Behauptungen in einen bloß dialektischen“.146 So kommt ans Licht, dass sich die dialektische Opposition von der analytischen (von dem Widerspruch im formal-logischen Sinne) der bloßen Form nach gar nicht unterscheiden lässt. Während aber im Falle des formal-logischen Widerspruchs entschieden werden kann, welches Urteil zutrifft, sind im Falle der dialektischen Opposition die beiden aufeinander bezogenen Urteile falsch, weil sie Aussagen über etwas treffen, was nicht als Gegenstand gegeben werden kann. Der Kantischen Konzeption zufolge führt dies schließlich zur Aufhebung der dialektischen Opposition, indem der Widerstreit sich als gegenstandslos erweist und infolgedessen kein objektiv gültiges Wissen beanspruchen kann. So beruht der transzendentale Schein der Gegenständlichkeit darauf, dass beim Versuch, das Unbedingte zu bestimmen, das Unbedingte in der Form eines (an sich seienden) Dinges fixiert wird, welches den Kriterien des Dinges nicht entspricht bzw. nichts für die Erkenntnis ist. Darin sieht Hegel nun bereits den negativen Schlüssel zur Auflösung des Widerstreites147 gegeben, den Widerstreit selbst aber auf keinerlei Weise gelöst. Denn, so der Einwand wörtlich,

unterstellenden Gegenstand hinaus, was auf dem Gesetz des zu vermeidenden Widerspruchs beruht. 143 KrV, B 532. 144 GW 4, 337. (Vgl. auch Kant: KrV, B 435). 145 Vgl. KrV, B 532. 146 KrV, B 533. 147 Vgl. GW 4, 337.

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Was Hegel hier vermisst, ist das Positive der Antinomie, ihre Mitte bzw. die Idee, die nicht erkannt wird.149 Gemäß der zuletzt aufgestellten Ausführungen mag dies irreführend klingen, doch die Hegelsche Argumentation ist durchsichtig: Er macht lediglich darauf aufmerksam, dass sich die beiden einander ausschließenden Urteile der dialektischen Opposition wechselseitig bedingen, was auf einen inneren Zusammenhang zwischen ihnen hindeutet und auf die Einheit schließen lässt, welche die Entgegensetzung in sich beinhaltet. So ist die hervorgetretene Einheit zunächst als die Idee, „das absolute Aufgehobensein des Gegensatzes“ bzw. die „absolute Identität“150 auf den Punkt gebracht. Wie bereits ausführlich dargestellt, ist diese Idee kein Gegenstand im formal-logischen Sinne. Das Erreichte führt auf die bereits in der Differenz-Schrift ausgearbeitete Überlegung Hegels zurück, dass etwas nur deshalb mittels des Ausschlussverfahrens bestimmt werden kann, weil es von Anderem unterschieden ist. Das Streben nach der Vollständigkeit des Erkennens treibt die setzende Reflexion des Verstandes ins Unendliche, welches er mit seinen Mitteln nicht erschöpfend fassen kann. Seinerseits endet der ins Unendliche ausgedehnte Bestimmungsprozess dabei, dass das formallogische Ausschlussverfahren letztlich auf das Unendliche angewandt wird. Dadurch wird das Unendliche mittels des Verstandes im Gegensatz zum Endlichen (als UnEndliches) bloß fixiert. Infolgedessen gerät der Verstand in eine Antinomie, die der ersten kosmologischen Antinomie Kants nachgebildet ist: „Fixirt der Verstand diese Entgegengesetzten, das Endliche und das Unendliche, so daß beyde zugleich als einander entgegengesetzt bestehen sollen, so zerstört er sich, denn die Entgegensetzung des Endlichen und Unendlichen hat die Bedeutung, daß insofern eines derselben gesetzt, das andere aufgehoben ist.“151

An diesem Punkt scheinen die Ausarbeitungen Hegels mit dem Kantischen Resultat übereinzukommen. Doch die Hegelsche Auflösung des Widerstreites führt insofern über die hervorgetretenen Grenzen hinaus, als Hegel das erreichte Problem als Ergebnis des Erkenntnisprozesses selbst deutet. Aus der Perspektive des in Unendlichkeit getriebenen formal-logischen Bestimmungsprozesses betrachtet, tritt das Unendliche bzw. das Unbedingte nicht als ein vorauszusetzendes (an sich seiendes) Ding, sondern als die Thematisierung der eigentlichen Tätigkeit des Verstandes hervor. Wird die formale Bedingung (der Satz des Widerspruchs) auf die eigene Leistung angewandt, so hebt sich der Verstand auf, wobei das Positive – das heißt die Idee der Antinomie – als die (Selbst)Aufhebung der setzenden Reflexion des Verstandes in Ansehung des Unbedingten hervorgeht. Hiermit wird das vermisste 148 149 150 151

Ebd., 337. Vgl. ebd., 337. Vgl. ebd., 328. Ebd., 17.

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Positive der Antinomie als „das Dritte“152 des Gegensatzes und die eigentliche Mitte eines Vernunft-Schlusses aufgefasst, die sich als das Resultat des ausgeführten Prozesses zeigt. In ihr sind „endliches und unendliches Eins, und deßwegen die Endlichkeit als solche verschwunden“.153 Hieraus lassen sich die folgenden Konsequenzen ziehen: Zum einen, dass die Totalität bzw. das Unbedingte, oder, wie Hegel es bezeichnet, das Absolute die konstitutive einheitsstiftende Grundlage des Erkenntnisprozesses darstellt, was auf die Verbindung zwischen dem erkennenden Subjekt und dem zu erkennenden Gegenstand hinweist. Denn, allein um das formal-logische Ausschlussverfahren vollziehen zu können, bedarf es bereits der Einheit bzw. der Totalität, was von der Verbindung oder, mit Hegel gesprochen, von der verbindenden Mitte der Entgegengesetzten zeugt. Zum anderen wird daraus ersichtlich, dass die herausgearbeitete Totalität – das Allgemeine –, angesichts derer das Bestimmen überhaupt vollzogen wird, nicht als Spitze einer hierarchischen Struktur zu konzipieren ist, weshalb sich das Urteil – als spezifische Tätigkeit des Verstandes – als defizitär erweist. Denn mittels des Urteilens werden bloß „die dürftigen Identitäten“154 erzeugt, die nur in Abgrenzung voneinander eine Bedeutung erhalten, während dasjenige, was sie verbindet, die positive Mitte, nicht thematisiert wird und sich mittels des Urteilens nicht einholen lässt. Einen Hinweis, wie die entfallene Mitte bzw. die (vereinheitlichende) Idee zu fassen wäre, findet Hegel in der reflektierenden Urteilskraft, einem „interessante[n] Punct des Kantischen Systems“155, „auf welchem es eine Region erkennt, welche eine Mitte [Hervorhebung V. K.] ist zwischen dem empirischen Mannichfaltigen und der absoluten abstracten Einheit“.156 Entscheidend an dieser Stelle ist das Verhältnis, das dem Bestimmungsverfahren der reflektierenden Urteilskraft zugrunde liegt und diese über das formal-logische Subsumieren157 hinausführt.158 So nimmt die Kantische reflektierende Urteilskraft ihren Ausgang von Einzelnem (einem gegebenen Gegenstand), von dem aus auf das Allgemeine geschlossen wird: Das Urteil, welches die reflektierende Urteilskraft ausspricht und in dem das Einzelne bzw. das Be152

Vgl. ebd., 319. Ebd., 324. 154 Vgl. ebd., 344. 155 Ebd., 338. 156 Ebd., 338. 157 Das subsumierende Verhältnis ist dadurch charakterisiert, dass in dessen Rahmen der zu bestimmende Gegenstand (das Einzelne) unter den passenden Begriff (unter das Allgemeine) gebracht, das heißt, unter dem Begriff (dem Allgemeinen) subsumiert wird. 158 So wird deutlich, weshalb Hegel die reflektierende und nicht die bestimmende Urteilskraft für interessant hält: Während die bestimmende Urteilskraft von dem bereits gegebenen Allgemeinen (dem Begriff) ausgeht und dazu einen passenden Gegenstand (das Besondere) zu finden sucht, den sie schließlich unter dem Allgemeinen subsumiert, sucht die reflektierende Urteilskraft das Allgemeine zum bereits gegebenen Gegenstand (dem Besonderen) aufzufinden, das heißt, den gegebenen Gegenstand auf das Allgemeine zu beziehen bzw. vom gegebenen Gegenstand auf das Allgemeine zu schließen. 153

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sondere auf das Allgemeine bezogen wird, wird damit zum Moment des Schlusses. Als ein Beispiel dafür kann die folgende Illustration dienen: Von einem Kunstwerk wird auf die Idee des Schönen geschlossen, das heißt, das Schöne wird im bereits vorliegenden Gegenstand aufgefunden. Infolgedessen tritt eine Einheit – das in einem Kunstwerk zum Ausdruck gebrachte Schöne – hervor, deren Teile derart aufeinander bezogen sind, dass keiner davon wegzunehmen ist, ohne diese Einheit selbst zu zerstören. Mittels des fassbaren (empirischen) Gegenstands zum Ausdruck gebracht, ist die zu bestimmende Idee nicht in vollem Umfang innerhalb des empirischen Bereichs zu fassen, weshalb Kant sie als das dem Sinnlichen entgegengesetzte, ausschließlich in dem erkennenden Subjekt gründende Übersinnliche159, konzipiert: Denn nicht das Schöne per se, um bei der zuvor eingeführten Illustration zu bleiben, sondern ein tatsächlich fassbarer empirischer Gegenstand bringt die zu bestimmende Idee zum Vorschein, während der Idee selbst keine „adäquat korrespondierende Erfahrung unterlegt werden kann.“160 Als bloß Gedachtes, dem Empirischen Entgegengesetztes gefasst, wird die Idee nun von Kant als dasjenige konstatiert, von dem keine Erkenntnis erworben werden kann. Als etwas Übersinnliches bloß fixiert, endet die Idee bei der dürftigen formalen Identität und der Erkenntnisprozess bei der Entgegensetzung, indem das Übersinnliche im Gegensatz zum Sinnlichen bestimmt wird. Gründe dafür gibt es zwei. Zum einen wird das die Idee konstituierende vermittelnde Verhältnis – welches anhand des Schließens realisiert wird – zugunsten des subsumierenden Verhältnisses vernachlässigt, indem dem Urteilen die leitende Rolle auf dem Weg des Bestimmens überlassen wird. Zum anderen erfordert die Anwendung des Ausschlussverfahrens – auf die Idee selbst – die Unterstellung eines Inhaltes, nämlich des Gegenstandes, welcher der Idee entspricht. Dies wirft die Idee auf die formale oder, mit Hegel gesprochen, auf die dürftige Identität zurück, weshalb sie auf einen inhaltsleeren Begriff reduziert wird. Die letztendliche Feststellung, wie etwa „Raffaels Madonna ist das Schöne“, setzt die auf dem Wege des Schließens erworbene Idee des Schönen wiederum in die Urteilsform. So endet der Erkenntnisprozess bei der ursprünglichen Annahme, dass eine sichere Erkenntnis erst dann erreicht sei, wenn einem Begriff ein entsprechender Gegenstand bzw. eine dem Begriff korrespondierende Erfahrung unterliegt. Dabei entgleitet die positive Mitte, das heißt die zu fassende Idee, dem Erkenntnisprozess, sodass bei der zu überbrückenden Entgegensetzung – zwischen dem Bestimmenden, dem Subjekt, und dem Objekt des Bestimmens, dem Gegenstand – stehengeblieben wird. Einen ernsthaften Versuch, dieses Ergebnis kritisch zu hinterfragen, findet Hegel in der Position Jacobis, die dadurch gekennzeichnet ist, die Unerkennbarkeit des Unbedingten – des Inhaltes der Idee – in Frage zu stellen. Doch auch wenn Jacobi in dieser Frage als leidenschaftlicher Kritiker Kants auftritt, stellt Hegel diese beiden

159 160

Vgl. KdU, B 240. KdU, B 240.

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Positionen überraschenderweise in eine Perspektive.161 Denn die beiden, so die Begründung, befinden sich innerhalb einer ihnen gemeinschaftlichen Sphäre, in deren Rahmen „die Kantische absolute Subjektivität und Endlichkeit in reiner Abstraktion setzt und dadurch die Objektivität und die Unendlichkeit des Begriffs gewinnt, die Jacobische aber die Endlichkeit selbst nicht in den Begriff aufnimmt, sondern sie als Endlichkeit, als empirische Zufälligkeit und Bewußtsein dieser Subjektivität zum Prinzip macht.“162

Die Gemeinsamkeit beider Positionen liegt also darin, dass sie auf den Gegensatz von Begriff und Inhalt hinauslaufen. Während bei Kant die Idee schließlich auf einen Begriff gebracht wird, dem kein Inhalt entspricht, geht Jacobi von der absoluten Gewissheit des Unbedingten (das heißt der Idee) aus, dessen Inhalt sich dem erkennenden Subjekt mittels des Gefühls offenbart, sich aber keineswegs auf den Begriff bringen lässt. Was bedeutet es nun, vom Unbedingten zu wissen, ohne es begreifen zu können? Dies ist die zentrale Frage, um welche die Überlegungen Hegels kreisen. Den Rahmen des Erkennens gestaltet Jacobi derart, dass er den sogenannten Satz des Widerspruchs, oder, wie er diesen nennt, den Satz der Ursache,163 durch den Satz des Grundes ergänzt164 und auf die Formel bringt: „Alles Abhängige ist von Etwas abhängig“.165 Dem liegt folgender Gedanke zugrunde: Während das auf der empirischen Basis verlaufende Erkennen die Kausalkette von Ursachen und Wirkungen (bzw. vom Bedingten und dessen Bedingungen) ins Unendliche reproduziert, bleibt der zusammenhaltende Grund aller Bedingungen, die Einheit, auf deren Grundlage das Bestimmungsverfahren vollzogen wird, dem Begreifen absolut verborgen. Nach einem möglichst vollständigen Bestimmen strebend, wird das Ausschlussverfahren des Verstandes ins Unendliche geführt, wobei sich das Begreifen „in einer Kette bedingter Bedingungen“166 verstrickt und bei der Idee des Unbedingten, des Grundes aller Bedingungen, ankommt. Die sich in Unendlichkeit ausbreitende Tätigkeit des Verstandes ist nun dasjenige, was auf die Idee des Unbedingten hinführt. Zum Gegenstand des Erkennens geworden, erweist sich aber das Unbedingte als unbegreiflich. Denn das Begreifen sucht schließlich danach, so Jacobi, den Mechanismus eines zu bestimmenden Gegenstandes in Ansehung seiner Entstehungsgründe bzw. seiner Bedingungen zu verdeutlichen.167 Dasselbe Bestimmungsverfahren auf das Unbedingte angewandt, führt dazu, dass das Erkennen in einen nicht mehr zu lösenden Widerspruch mit sich selbst gerät. Denn das Unbedingte in Ansehung seiner Grunde zu verdeutlichen, bedeutet nichts anderes, als dieses innerhalb der unend161 162 163 164 165 166 167

Vgl. dazu B. Sandkaulen 2000. GW 4, 383. Vgl. F. H. Jacobi [1785], 2000, 282. Vgl. B. Sandkaulen 2004, 167. F. H. Jacobi [1785], 2000, 283. Ebd., 288. Vgl. ebd., 284 f.

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lichen Kette der bedingten Bedingungen zu integrieren, das heißt, zu ihm selbst einen ausreichenden Grund zu finden. Die Jacobische Konklusion daraus lautet. Da wir nur dasjenige Entstehen begreifen können, welches sich innerhalb des natürlichen (das heißt des empirischen) Zusammenhangs ereignet, ist das Unbedingte unbegreiflich, denn es liegt außerhalb der Natur und gehört dem Übernatürlichen an. Wörtlich heißt es: „Da […] das Unbedingte außer der Natur, und außer allem natürlichen Zusammenhange mit derselben liegt […]: so wird dieses Unbedingte das Übernatürliche genannt.“168 Der hervorgetretene Gegensatz ,natürlich-übernatürlich‘ ist für Jacobi insofern kein unüberwindlicher, als die vermisste Einheit (bzw. der vermisste Grund) auf einem anderen Weg aufzufinden ist: Dies ist das Gefühl,169 in dem sich das Unbedingte dem erkennenden Subjekt offenbart170 und als die unbezweifelbare Einheit zwischen dem empfindenden Subjekt und dem von ihm empfundenen Objekt auf Sicherste gewusst wird. Denn wir brauchen „das Unbedingte nicht erst zu suchen, sondern haben von seinem Dasein dieselbige, ja eine noch größere Gewissheit, als wir von unserem eigenen bedingten Dasein haben.“171 So ist das Unbedingte letztlich eine unleugbare Tatsache, welche als bloß Gegebenes anzunehmen bzw. im Gefühl aufzufinden ist.172 Hiermit wird der fehlende Grund, auf den das empirische Erkennen hinausläuft, im Gefühl gesichert, dessen Inhalt als eine unhintergehbare Einheit des Subjekts und des sich offenbarenden Objekts (des Unbedingten) empfunden wird. Das erreichte Ergebnis zeugt gleichermaßen von der innigsten Verbindung zwischen dem Erkennenden und dem Unbedingten, wie von dessen Unbegreiflichkeit (der sogenannten „Unmittelbarkeit“173). So wird die zuvor erreichte Trennung ,natürlich-übernatürlich‘ durch die zusätzliche ,begreifbar-unbegreifbar‘ ergänzt. Hier setzt Hegel mit seiner Kritik an: Das Unbedingten erkennbar zu behaupten, bedeute bloß der Intention nach eine Verbesserung. Das Unbedingte aber auf dem bloßen Gefühl ruhen zu lassen und dem Unbedingten den Begriff verwehrt zu haben, mache diese Verbesserung doch zu einer scheinbaren und führe das Erkennen in „einen absoluten Dogmatismus“174 hinein. Die damit ausgesprochene Kritik Hegels läuft auf den folgenden Punkt hinaus: Als dem Erkennen zugrundeliegend konzipiert, übernimmt das Unbedingte die vermittelnde Funktion, die Ermangelung des bedingten (empirischen) Erkennens in Ansehung des unbedingten (Offenbarungs)Wissens ans 168

Ebd., 288. Ebd., 285, Anm. 170 Vgl. ebd., 124, Anm. 171 Ebd., 287. 172 Vgl. ebd., 289. Da ein solches Wissen jeder reflexiven Vermittlung fern ist und keine Begrifflichkeit beansprucht, wird es von Jacobi konsequenterweise auch als Glaube bezeichnet (Vgl. ebd., 26, 143). 173 Vgl. ebd., 290 f. 174 GW 4, 352. 169

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Licht zu bringen. In den Rahmen des Erkennens integriert, beansprucht das Unbedingte, seiner Rolle gemäß, den Status der allumfassenden Einheit, dem es aber nicht gerecht wird. Denn, als eine unbezweifelbare Tatsache angenommen und ausschließlich an das Gefühl des erkennenden Subjekts geknüpft, vermag sich das Unbedingte (das Übersinnliche) nicht über den Bereich der Sinnlichkeit, das heißt den des empirischen, zu erheben. Zum einen bedarf absolut jede Tatsache, um überhaupt angenommen zu werden, des Bewusstseins und damit der Erfahrung, was von der Trennung zwischen dem Subjekt und dem Objekt zeugt. Zum anderen weist der Offenbarungscharakter des Unbedingten auf seine Abhängigkeit von den äußeren Dingen hin, mittels derer sich das Unbedingte überhaupt offenbart. Auf diese Weise aufgefasst, stellt der Inhalt des Unbedingten keineswegs eine allumfassende Einheit (die Totalität) dar, sondern setzt sich aus den jeweils einzeln empfundenen Gefühlen der erkennenden Subjekte und den mannigfaltigen (Offenbarungs)Tatsachen zusammen. Das heißt, das Unbedingte lässt sich nicht als die allumfassende Einheit, die Idee der Totalität, wiederfinden, sondern tritt als bloße Gesamtheit des Zusammengesetzten hervor. Am Ende bleibt das Unbedingte, so Hegel, nur „sehr verständlich“175 ausgesprochen. Als das Übersinnliche wird es dem Sinnlichen entgegengestellt, was lediglich die setzende Leistung des Verstandes markiert. Die zu erfüllende Funktion des Unbedingten – als die einheitsstiftende Grundlage des Erkennens zu fungieren – zeugt eindeutig davon, so kann Hegels Einwand gegen Jacobi zusammengefasst werden, dass dem Unbedingten bereits die Reflexionsleistungen (der epistemischen Rechtfertigung) aufgeladen sind,176 von denen Jacobi aber absieht. Dies führt zu einer zusätzlichen Ungereimtheit: Als das Un-Begreifliche, das heißt nicht auf den Begriff zu Bringende, bestimmt und ausschließlich an das Gefühl jedes einzelnen Erkennenden angeknüpft, verbleibt das Unbedingte im Status des Besonderen befangen, wodurch das Wissen als eine Sammlung „von Besonderheiten und Eigentümlichkeiten“177 erzeugt wird, während die allgemeingeltende Grundlage des Erkennens ausbleibt. Da dem Unbedingten der Begriff verwehrt ist, ist ihm ebenso verwehrt, sich über den empirischen Bereich zu erheben, um als das (objektive) Allgemeine wiedergefunden zu werden. In der Konsequenz bedeutet das: Exklusiv im Gefühl situiert, wird das Unbedingte auf eine relationslose Einheit verkürzt. Als eine relationslose Einheit mittels des Urteilens konstatiert – in der Form: ,das empfundene Etwas ist das Unbedingte‘ –, wird es innerhalb des Rahmens des Erkennens bloß gesetzt. Infolgedessen ist es nicht imstande, die im Voraus angekündigte Aufnahme des Bedingten zu leisten, stattdessen schließt es das Bedingte von sich aus. An der Grenze des Natürlichen und des Übernatürlichen hervorgetreten, erweist sich aber das Unbedingte als die Mitte zwischen beiden Seiten. Seiner Stellung nach, so die Pointe Hegels, kann es nicht einer der Seiten zugeordnet werden, ohne die 175 176 177

Vgl. GW 4, 371. Vgl. A. Arndt 2013, 28. GW 4, 385.

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andere von sich auszuschließen und so beim Gegensatz zu enden. Dem ursprünglichen Anspruch – alle Bedingungen in sich zu versöhnen – kann aber das Unbedingte erst dann gerecht werden, wenn es nicht gesetzt, sondern darauf geschlossen wird. Hierfür erweist sich aber der Begriff als unverzichtbar. In der Konsequenz bedeutet dies, so Hegel, dass die Vernunfterkenntnis doch „etwas ganz anderes ist, als Jacobi begreifft“.178 Denn erst auf die Idee der Totalität gebracht, wird das Unbedingte den ihm aufgeladenen reflexiven Leistungen der epistemischen Rechtfertigung gerecht, indem das Unbedingte als die „absolute ursprüngliche Identität des Allgemeinen und Besondern“ herausgebildet und dadurch als die einheitsstiftende Grundlage des Erkennens etabliert wird. Als einheitsstiftende Grundlage ist das Unbedingte viel mehr als ein bloßes Gefühl, sondern die Idee der Totalität, die an der Grenze des Natürlichen und des Übernatürlichen zutage tritt. Die Vernunfterkenntnis gestaltet diese Idee – im Sinne der Totalität, das heißt der allumfassenden Einheit – derart, dass „die Einheit und Mannigfaltigkeit in ihr nicht zu einander hinzutreten“, sondern „von der Mitte zusammengehalten werden.“179 Innerhalb der Jacobischen Konzeption, so Hegels Konklusion, wird das Unbedingte zum Prinzip der vernünftigen Erkenntnis180 entwickelt. Einerseits ist das Unbedingte als innerhalb der fassbaren Natur präsent erwiesen, indem es im Gefühle jedes Erkennenden aufgefunden wird und dadurch in seinen Rahmen des Erkennens tritt. Andererseits, als unbegreiflich bzw. nicht mitteilbar gefasst, wird das Unbedingte der ihm aufgeladenen reflexiven Leistung nicht gerecht, infolgedessen prallt es vom einzuholenden Grund (des Wissens) ab, weshalb dieser Grund ins Jenseits verlagert wird.181 Auf ein Empfundenes reduziert, ist das Unbedingte nicht imstande, sich von einer bloß vorausgesetzten Einheit zur allumfassenden Einheit herauszubilden und als Resultat des ausgeführten Prozesses aufgefasst zu werden. Mit Blick auf die obige Argumentation mag der voreilige Eindruck entstehen, dass allein der Begriff, sollte dieser dem Unbedingten verwehrt bleiben, die ganze Konstellation zum Einsturz bringt. Das dem nicht so ist, wird anhand der zusätzlichen Überlegungen Hegels ersichtlich, in denen er die Jacobischen Resultate mittels Schleiermachers Konzept des Universums ergänzt und die fehlenden Akzente hervorhebt. In den Reden über die Religion bringt Schleiermacher das Absolute (im Sinne der allumfassenden Einheit bzw. des Unbedingten) auf den Begriff ,Universum‘ und fasst es als gemeinsamen Gegenstand der Philosophie und der Religion (des Glaubens) auf:

178

GW 4, 372. Ebd., 372. 180 Vgl. ebd., 348. 181 Erst mittels eines Sprunges, des sogenannten Salto mortale, wird der Bereich des Bedingten verlassen und der des Unbedingten betreten. (Vgl. F. H. Jacobi [1785], 2000, 26). 179

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„Stellet Euch auf den höchsten Standpunkt der Metaphysik und der Moral, so werdet Ihr finden, daß beide mit der Religion denselben Gegenstand haben, nemlich das Universum und das Verhältniß des Menschen zu ihm.“182

Im Sinne des Universums gefasst, wird die Natur zugleich in den Status des Allgemeinen erhoben, demzufolge sich die implizite reflexive Leistung der allgemeingeltenden einheitsstiftenden Grundlage in ihr bereits eingeschrieben findet. Während aber der Begriff des Absoluten – das Universum – der Philosophie angehört, bleibt nur die Religion imstande, einen Zugang zu seinem Inhalt zu verschaffen, denn nur mittels des Gefühls und Anschauens offenbart es sich. Infolgedessen muss „alles“, so Schleiermacher, vom Anschauen ausgehen und „wem die Begierde fehlt[,] das Unendliche anzuschauen, der hat keinen Prüfstein und braucht freilich auch keinen, um zu wissen, ob er etwas ordentliches darüber gedacht hat.“183 Daraus lässt sich die folgende Konstellation ablesen: Unter dem allgemeinen Begriff des Universums gefasst, ist der Inhalt des Universums derart zugesichert, dass er sich in jedem einzelnen Subjekt als „das Gefühl des Unendlichen“184 bzw. das „Anschauen des Universums“185 offenbart. Da die Anschauung immer „etwas einzelnes, abgesondertes, die unmittelbare Wahrnehmung“186 ist, bleibt die Religion „bei den unmittelbaren Erfahrungen vom Dasein und Handeln des Universums, bei den einzelnen Anschauungen und Gefühlen“187 stehen, während die Zusammenfassung einzelner Erfahrungen unter dem Begriff des Universums das Tun „des abstrakten Denkens“188 ist und deshalb nur der Philosophie zugeordnet wird. Als bloß Angeschautes gefasst, vermag sich aber das Universum, so die Pointe Hegels, nicht mehr in der allumfassenden Einheit wiederfinden, sondern lässt sich in der „allgemeinen Atomistik“189 als die Gesamtheit des jeweils einzeln Angeschauten (was auch immer damit gemeint werden kann) bloß zusammensetzen. Auch wenn bei Schleiermacher das entwickelte Prinzip nicht mehr restlos (wie bei Jacobi) vom Absoluten abprallt, findet sich das Absolute – als eine allumfassende Einheit, die Idee des Universums – im Angeschauten nicht vollständig wieder. Denn nach Schleiermachers Konzeption bleiben die einzelnen Anschauungen „ungestört nebeneinander“ stehen, so dass „alles […] Eins“ und „alles […] wahr“ ist.190 Infolgedessen findet sich der auf die Anschauung reduzierte Zugang zum Inhalt des Universums in der unhintergehbaren Pluralität religiöser Perspektiven wieder, nicht aber in der einheitlichen Idee des Universums selbst.191 182 183 184 185 186 187 188 189 190 191

KGA I/2, 207. Ebd., 213. Ebd., 213. Ebd., 213. Ebd., 215. Ebd., 215. Ebd., 215. Vgl. GW 4, 386. Vgl. KGA I/2, 217. Mehr dazu siehe A. Arndt 2019, 122 f.

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Als die einheitsstiftende Grundlage auf den Begriff des Universums gebracht und den nachfolgenden Überlegungen vorausgeschickt, wird das Absolute beim letzten Schritt nicht begrifflich eingeholt, da der Inhalt des Absoluten exklusiv an die sinnlichen Empfindungen einzelner Subjekte geknüpft bleibt. So fallen Jacobis und Schleiermachers Ausführungen beim letzten Schritt zusammen, indem sie den absoluten Inhalt ausschließlich innerhalb einzelner empirischer Subjekte verankern. Infolgedessen wird dem Inhalt des Absoluten jegliche Möglichkeit genommen, sich dem setzenden Verfahren des Verstandes zu entziehen und in das Verfahren des Schließens überzugehen, das heißt, auf den Begriff bzw. auf die damit angedeutete Idee des Absoluten (des Unbedingten) gebracht zu werden. Hieraus ergibt sich, dass im Absoluten auch die interne, ihm zugrundeliegende, Reflexivität verborgen bleibt. Die bisher abgehandelten Positionen sind durch die eindeutige Trennung zwischen dem Begriff und dem Inhalt gekennzeichnet: Während der Kantischen Idee der Vernunft – aufgrund ihrer antinomischen Form – kein angemessener Inhalt zu unterstellen ist, lässt sich das im Gefühl aufgefundene (Jacobi) bzw. durch das Anschauen offenbarte Unbedingte (Schleiermacher) auf keinerlei Weise unter einen angemessenen Begriff bringen. Infolgedessen bleibt das Unbedingte mittels des Gegensatzes ,Begriff-Inhalt‘ bloß fixiert. In beiden Fällen wird das erworbene Ergebnis als Scheitern des Erkennens gedeutet und die Folge daraus gezogen, dass das Unbedingte (die Totalität) nicht erkannt werden kann, sondern ausschließlich geglaubt werden muss. In diesem Zusammenhang interpretiert Hegel Fichtes Unternehmen als einen Versuch, den Begriff mit dem Inhalt zu synthetisieren.192 Die Problemstellung, um die es Fichte geht, unterscheidet sich von der zuvor betrachteten derart, dass Fichte nicht bloß zu klären sucht, wie der Mechanismus des Erkennens funktioniert, sondern es geht ihm vielmehr darum, was diesen Mechanismus überhaupt in Gang setzt. Das Erkennen kann nämlich erst dann vollzogen werden, so die Grundüberlegung im Groben, wenn das erkennende Subjekt (Ich) den Bezug auf sich selbst nimmt, das heißt, sich seiner selbst bewusst wird. Hiermit handelt es sich um den Zustand des Selbstbewusstseins, in dem das erkennende Subjekt (Ich) sich als denkendes Subjekt und zugleich als Objekt, welches denkt, identifiziert. Oder, anders formuliert: Das erkennende Subjekt (Ich) fasst sich als eine Einheit auf, in welcher das Ich-Subjekt mit dem Ich-Objekt vereinigt sind. Auf diese Einheit kommt es nun an: Es handelt sich um das „Verhältnis auf sich“193, welches „das Vermögen der Synthesis“194 ist. Durch dieses wird der „Zustand des An-

192 Die Ausführungen Hegels, um die es im Folgenden gehen wird, greifen nicht die sogenannte Spätphilosophie Fichtes auf, sondern orientieren sich an der (dualistischen) Konstellation zwischen Geist und Natur (Ich und Nicht-Ich), welche Fichte in der Wissenschaftslehre von 1794 erarbeitet hat. Aus der Sicht dieser Position sind aber die kritischen Bemerkungen Hegels durchaus relevant. (Mehr dazu siehe L. Siep 1970, 11). 193 J. G. Fichte, Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre (1794), Felix Meiner Verlag 1997, 145. 194 Ebd., 144.

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schauens“195 hergestellt. Nur in diesem Zustand erhalten die Entgegengesetzten (,Subjektivität-Objektivität‘) „einen gewissen Gehalt“, der sich als ein Etwas „im Bewußtsein auffassen und festhalten läßt“.196 „Gleichsam“197 wird das Bewusstsein von diesem Gehalt gefüllt. Dank der Anschauung kommt dem Wissensgehalt Realität zu, denn, so Fichte, „es gibt keine andere Realität, als die vermittelst der Anschauung, und kann keine andere geben.“198 Sieht man vom grundlegenden „Verhältnis auf sich“ (dem Selbstbewusstsein) ab, verlässt man den unmittelbaren Zustand des Anschauens und fällt in ein vermitteltes Bewusstsein herab, in das Bewusstsein dessen, was das Ich nicht ist.199 In diesem sind die Entgegengesetzten, das Subjektive (Ich) und das Objektive (Nicht-Ich), negativ, das heißt bloß formal aufeinander bezogen: Sie schließen einander derart aus, dass „nichts“200 übrig bleibt. Auf diese Weise bezeichnen sie „schlechthin nichts Positives“ und tragen auf keinerlei Weise zum Wissen bei, denn „über nichts kann man nicht reflektieren.“201 Wie aus dem Ausgeführten ersichtlich wird, knüpft Fichte die einheitsstiftende unbedingte Grundlage des Wissens, „das Positive“, direkt an das „Verhältnis auf sich“ bzw. an das synthetische Vermögen des erkennenden Subjekts (des Ich): Indem sich der Beziehende (das Ich-Subjekt) auf sich selbst (auf das Ich-Objekt) bezieht, erzielt er eine derartige Einheit von Form und Gehalt, welche als Einzige nicht dem formalen Ausschlussverfahren unterliegt und hiermit diesem nachgeordnet wird. Demgemäß ist die Selbstsetzung, so Fichte, unhintergehbar und absolut. Von ihr kann nicht mehr abstrahiert werden, denn „das Abstrahierende“ kann „unmöglich von sich selbst abstrahieren“.202 Der Punkt, an dem Hegels Kritik ansetzt, ist nun der Status des Selbstbezuges bzw. des dadurch erzielten Selbstwissens als des Absoluten: Sollte der im reinen Wissen resultierende Bezug auf sich selbst tatsächlich absolut, das heißt, unbedingt sein, muss er den Gehalt der auf sich selbst gründenden Totalität aufweisen. Unter den Voraussetzungen, die Fichte macht, ist dies nur dann zu erfüllen, wenn der aufzuweisende Gehalt (bzw. der Inhalt des Selbstwissens) ausschließlich im Rekurs auf das Vermögen des erkennenden Subjekts bestimmt wird.203 Dies ist aber deshalb nicht gegeben, weil das unmittelbare Bewusstsein, so wie Fichte es konzipiert, dank 195

Ebd., 145. Ebd., 144. 197 Ebd., 144. 198 Ebd., 146. 199 „Alles, was ich weiß, ist mein Bewußtsein selbst. Jedes Bewußtsein ist entweder ein unmittelbares, oder ein vermitteltes. Das erstere ist Selbstbewußtsein, das zweite, Bewußtsein dessen, was nicht ich selbst ist.“ (J. G. Fichte, Die Bestimmung des Menschen, Felix Meiner Verlag 2000, 82). 200 J. G. Fichte, Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre (1794), Felix Meiner Verlag 1997, 144. 201 Ebd., 144. 202 Ebd., 146. 203 Siehe dazu A. Arndt 1994, 80. 196

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des Abstrahierens vom fremdartigen Inhalt, demjenigen, was das Ich nicht ist, – der sinnlichen Welt – konstituiert wird. Mit Hegels Worten heißt das: „Die Form, unter welcher die objektive Welt, als ein Fremdes zu dem, was durch sie vervollständigt wird, nemlich zum reinen Wissen hinzutritt, ist das Schließen von dem Mangel eines Umstandes im Anknüpfungspuncte, auf seine Nothwendigkeit, von der Unvollständigkeit des Absoluten, das selbst ein Theil ist, auf einen anderen Theil, der jeden vervollständigt.“204

Die Botschaft des Zitierten lässt sich wie folgt explizieren: Während Fichte die Grundlage des reinen Wissens auf die Selbstidentifikation des Ich zurückführt, gesteht er implizit zu, dass dasjenige, wovon abstrahiert wird (die restliche Welt), einzig und allein aus dem Prinzip des selbstbezogenen Ich heraus zu erschließen sei.205 Denn, wie oben bereits erwähnt, gibt es nach Fichte keine andere Realität als die, welche vermittelst der Anschauung vom erkennenden Subjekt aufgefasst wird.206 Demzufolge findet auch das Erkenntnisvermögen, durch welches die Empirie ausgeschlossen wird – das heißt die Tätigkeit des formal-logischen Ausschlussverfahrens oder, mit Fichte gesprochen, die des Abstrahierens –, im reinen Wissen keinen Platz. Daraus ergibt sich die folgende Konsequenz: Generell läuft das vorausgesetzte unmittelbare Selbstwissen – welches als absolut behauptet wird – auf eine Festsetzung hinaus, dass jeder Erkennende sich seiner selbst gewiss ist, denn das Verhältnis auf sich selbst ist das eigene Tun jedes einzelnen Subjekts. Hieraus erschließt sich die Bedeutung der Selbstsetzung derart, so Hegel, dass „ja doch jeder weiß, daß er weiß.“207 Die von jedem gewusste Einheit des eigenen Selbst, welche mittels des Selbstbezugs des erkennenden Subjekts hergestellt und aufgefunden wird, resultiert schließlich in jedem einzelnen auf sich selbst bezogenen empirischen Subjekt. Das heißt: Als das unmittelbar gegebene „Verhältnis auf sich“ gefasst, tritt die dem Erkennen zugrunde gelegte Einheit des Selbstwissens als bloße Summe einzelner (Selbst)Setzungen hervor. Dementsprechend erweist sie sich nicht als die allumfassende Einheit des Wissens, welche sie zu sein beansprucht. Ausschließlich an die Selbstsetzung des Ich geknüpft, zeigt sich das Absolute als ein Teil, der unter Absehung von der empirischen Welt in jedem einzelnen erkennenden Subjekt zutage tritt. 204

GW 4, 391. An dieser Stelle stimme ich Ludwig Siep zu, der behauptet: „Für Hegel bedeutet das Prinzip der W. L. [Wissenschaftslehre vom 1794, V. K.], das reine Ich, nach wie vor die Absolutsetzung eines Teiles, einer Abstraktion vom Ganzen. Dieses Ganze ist die Einheit von Subjekt und Objekt als Einheit von Identität und Unterschied. Das bezeugt sich in Fichtes Philosophie selbst, indem er sich gezwungen sieht, von der reinen, unterschiedslosen Selbstanschauung des Ich, als einem ,Mangelhaften‘, zum Nicht-Ich überzugehen. […] Fichtes Prinzip, nach Hegel gewählt aus dem Bedürfnis, mit ,etwas schlechthin Wahrem und Gewissen‘ anzufangen, taugt daher als ,Prinzip der Deduktion‘ nur durch seine eigene Unvollständigkeit.“ (L. Siep 1970, 29). 206 Vgl. J. G. Fichte, Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre (1794), Felix Meiner Verlag 1997, 146. 207 GW 4, 391. 205

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Die Kritik Hegels läuft darauf hinaus, dass weder die Form des Selbstbezuges, das sogenannte „Verhältnis auf sich“, noch der Gehalt des reinen Selbstwissens sich als allumfassend, das heißt als absolut, begrifflich fassen und hiermit in die Wissensform bringen lassen: Der im unmittelbaren Bewusstsein realisierte Selbstbezug ist bereits nahtlos an die empirische Welt (von der abgesehen wird) geknüpft. Zudem beruht der Gehalt des Selbstwissens auf der Feststellung jedes einzelnen Subjekts, weshalb die vorausgesetzte Totalität des unmittelbar angeschauten Gehalts lediglich als die Zusammensetzung der einzeln vollbrachten Selbstbezüge hervortritt und, so Hegel, den empirischen Standpunkt eines jeden Einzelnen annimmt.208 Die beiden Konsequenzen weisen auf eine interne Struktur hin, die dem unmittelbaren Wissen – welches nicht klärungsbedürftig zu sein scheint – bereits innewohnt. Zum einen ist diese Struktur durch eine negative Beziehung zwischen dem Subjekt (dem Ich) und der Welt (dem Nicht-Ich) vorgezeichnet. Denn mittels des Abstrahierens ist das reine Wissen überhaupt konstituiert. Zum anderen tritt die Ermangelung des Selbstbezuges ans Licht, sollte seine Bedeutung des Unbedingten ausschließlich auf den bloßen Zustand des Anschauens, das heißt, auf das reine Phänomen des Selbstwissens jedes einzelnen Subjekts reduziert werden. Das Selbstbewusstsein bzw. das (Selbst)Wissen des Ich, welches sich nach Fichte in der Denkfigur der Unmittelbarkeit auflöst und keiner weiteren Klärung bedarf, hat eine große Resonanz erfahren und sich zu einem Streitpunkt gebildet. So gibt es bis in die Gegenwart ausreichend VerteidigerInnen, welche die Unmittelbarkeit des (Selbst)Wissens für nicht explizierbar sowie den Anspruch Hegels, diese Figur mittels der Reflexion lösen zu wollen, für unberechtigt halten. Tatsächlich geht es im Falle des (Selbst)Wissens um einen Zustand, mit dem jedes Subjekt zutiefst vertraut ist. Diese Unbedingtheit des reinen (Selbst)Bewusstseins als der unmittelbaren und nicht weiter klärungsbedürftigen Einheit ist dank des systematisch folgenreichen Beitrags von Dieter Henrich als „Fichtes ursprüngliche Einsicht“209 in die Forschung eingegangen. Es handelt sich dabei um eine derart ursprüngliche Einsicht, welche, wie Dieter Henrich es fasst, dem Ich „durch keine Nachricht einer dritten Instanz zukommen“210 könne. Hierbei geht es um einen Ursprung, welcher den reflexiven Prozess des Erkennens in jedem Erkennenden ins Leben ruft. Doch ausschließlich als ein Phänomen, als der Ursprung des Wissens, gefasst, erweist sich das Selbstanschauen als ein Zustand, der sich dem Abstrahieren von der äußeren Welt verdankt. Da die Funktion des unbedingten Grundes – welche Fichte der reinen (Selbst)Anschauung anheftet –, die Einigung aller Erkennenden (angesichts des vorausgesetzten Unbedingten) impliziert, deutet sich doch die Explikation des Angeschauten und hiermit des Begriffs an, was, der Hegelschen Konzeption zufolge, auf die interne Struktur des Wissens selbst hinweist.211 Aus dieser Beobachtung geht schließlich 208 209 210 211

Vgl. ebd., 390. D. Henrich [1966], 2019. D. Henrich [1966], 2019, 11. Mehr dazu siehe Arndt 2013, 36 ff.

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Hegels Kritik an Fichte hervor. Denn sieht man von der sich andeutenden internen Struktur des Wissens ab und kommt den impliziten Aufforderungen nicht nach, ist es nicht mehr möglich, dass der vorausgesetzte unbedingte Grund des Erkennens seine eigenen Ansprüche einhält. So schlägt er in eine „Totalität des Sollens“212 um, welche dem formalen „Princip der Deduction“213 unterliegt. Den ausführlichen Überlegungen Hegels zufolge bringt dieses Prinzip ein leeres Wissen hervor, denn unter seiner Leitung „ist die Sinnenwelt als ein minus gesetzt, es ist von ihr abstrahiert, sie ist negirt worden; der Schluß auf sie besteht darin, daß sie nunmehr als ein plus, und dieß plus als Bedingung des Selbstbewußtseyns gesetzt wird.“214

Die von Fichte errichtete Konstellation, in deren Rahmen das reine Bewusstsein als unhintergehbar gesetzt und dem vermittelten Bewusstsein vorausgeschickt wird, schlägt auf das Erkennen derart zurück, dass die Idee der Totalität, welche sich im (Selbst)Anschauen andeutet, auf eine zweistellige Relation zwischen dem fixierten Etwas (dem Ich) und dem Nichts (der äußeren Welt, das heißt dem Nicht-Ich) reduziert wird. Mittels des Ausschlusses bzw. des Abstrahierens von der eigenen internen Struktur bleibt die implizite Idee der Totalität letztlich auf den Zustand des (Selbst)Anschauens fixiert. Oder, mit Hegel gesprochen: „In die Erscheinung herabgezogen“ und „mit den Principien der Empirie verbunden“ wird eine philosophische Idee „unmittelbar eine Einseitigkeit“215. Ihrerseits kommen die „Principien der Empirie“ dort ins Spiel, wo der Bestimmende selbst – das setzende Ich – als nicht bestimmbar fixiert bleibt, während ihm doch eine eindeutige Bestimmung zukommt: Diese Bestimmung ist die negative Beziehung auf die Welt, und zwar die Bestimmung, welche für das (sich)setzende Subjekt konstituierend ist.216 Die ausgeblendete Bestimmung ist nun dasjenige, was die Seite der Idealität (des Subjekts bzw. des Ich) und die der Realität (der Welt bzw. des Nicht-Ich) nicht restlos auseinanderfallen lässt, sondern innerlich zusammenhält. Zugleich zeugt diese Bestimmung davon, dass die Grundstruktur des Unbedingten, welches seinen Anfang, so Fichte, im reinen (Selbst)Anschauen nehmen sollte, keine direkte Bezugnahme auf sich selbst aufweist, sondern durch die negative Beziehung auf das NichtIch vermittelt ist. Dies deutet auf die begriffliche (das heißt reflexive) Verfassung des Unbedingten hin und läuft auf die Verbindung zweier Aspekte hinaus: die Negation des Endlichen – das heißt der sinnlichen – Welt und die negative Beziehung als die 212

GW 4, 389. Ebd., 391. 214 Ebd., 392. 215 Vgl. ebd., 405. 216 An dieser Stelle wird bereits die Struktur des Selbstbewusstseins vorgezeichnet, die Hegel in der Phänomenologie des Geistes systematisch entfalten wird: das Selbstbewusstsein als die Einheit der Selbstbeziehung und Beziehung auf Anderes, aber im Rahmen einer absoluten Selbstbezüglichkeit des Geistes. (Mehr dazu siehe Ch. Iber 2000). In Glauben und Wissen macht Hegel keinen systematischen Gebrauch davon, sondern wendet die innerhalb der Fichteschen Konstellation ausgearbeiteten Brüche für die eigene Kritik an. 213

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interne Bestimmung des selbstbezogenen Unbedingten. Erst der Mitvollzug der ausgelassenen Bestimmung überführt das vorausgesetzte Unbedingte aus der Form des Urteilens – welche der Selbstsetzung innewohnt – in die des Schließens, in deren Rahmen das erkennende Subjekt mittels des Selbstunterscheidens von der äußeren Welt auf sich selbst schließt. Die (Wieder)Aufnahme der impliziten Bestimmung (der negativen Beziehung auf die Welt) lässt nun die Gewissheit des Selbstanschauens als einen Moment begreifen, welcher zur vollständigen Auffassung „der höchsten Idee“217 der Totalität tatsächlich beiträgt und, wie bereits ausführlich dargestellt, im (Selbst)Anschauen des Ich nicht festzuhalten ist. Doch der Fichtesche Versuch basiert genau auf diesem Festhalten, welches sich dem Ausschluss verdankt und infolgedessen, so Hegel, nicht aus dem Prinzip des „allgemeinen Menschenverstandes“ heraustritt.218 Als die fixierte unhintergehbare Grundlage des Erkennens verfügt das selbstbezogene Ich über kein Instrumentarium, mit dessen Hilfe die interne Struktur des Ich expliziert werden kann. Infolgedessen muss das Ich sich schließlich mit dem Glauben an die eigene Unmittelbarkeit zufriedengeben.219 Im Anschluss an Glauben und Wissen lassen sich nun die Herausarbeitungen Hegels wie folgt zusammenfassen: Aus der Perspektive des Erkenntnisprozesses betrachtet, bleibt es einerlei, ob das Absolute (die Totalität) letztlich als eine nicht weiter erklärungsbedürftige Selbstanschauung (Fichte), eine durchaus gewisse Tatsache (Jacobi) oder als etwas vollkommen Unerkennbares (Kant) festgestellt wird. Denn in allen betrachteten Fällen zeigt sich das – als absolut zu bestimmende – Objekt bereits in den Rahmen des Erkennens involviert und als dessen Bestandteil mittels der Reflexion gesetzt. Hieraus ergibt sich, dass die Entgegensetzung der Titelkategorien (Glauben und Wissen) die unabweisliche Konsequenz der reflexiven Leistung darstellt. Jede der oben betrachteten Setzungen macht ein bestimmtes Charakteristikum des Absoluten ersichtlich: So ist das Absolute dann nicht mehr von der Hand zu weisen, wenn die Form der dialektischen Opposition, die sogenannte Antinomie, erreicht ist. Sieht man von dieser Form ab und lastet das Scheitern ihrer Auffassung ausschließlich dem Erkenntnisvermögen an (Kant), wird das Absolute seitens des Inhaltes thematisiert. Die Gewissheit eines solchen Inhaltes wird zugleich als Grund angesehen, das Absolute (bzw. das Unbedingte) ausschließlich seitens des Inhaltes zu erkennen (Jacobi, Schleiermacher). Infolge eines solchen Vorgehens wird das Absolute entweder als bloße Form (als Antinomie), oder als reiner Inhalt (das Gefühl des Unendlichen)konstatiert und hiermit nur verkürzt gefasst. Der Versuch, die Form 217

Vgl. GW 4, 414. Vgl. ebd., 397. 219 In diesem Zusammenhang kommt Fichte auf ein Organ zu sprechen, mit dem alle Realität ergriffen und alles Wissen begründet sei. Denn „[k]ein Wissen kann sich selbst begründen und beweisen; jedes Wissen setzt ein noch Höheres voraus, als seinen Grund, und dieses Aufsteigen hat kein Ende. Der Glaube ist es; dieses freiwillige Beruhen bei der sich uns natürlich darbietenden Ansich, weil wir nur bei dieser Ansich unsere Bestimmung erfüllen können.“ (J. G. Fichte, Die Bestimmung des Menschen, Felix Meiner Verlag 2000, 92). 218

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I. Der Verstand im Lichte des Erbes der Aufklärung

mit dem Inhalt zu vereinigen und das Absolute als eine unhintergehbare, im Selbstanschauen resultierende Einheit zu fassen (Fichte), scheint die befestigte Trennung überwunden zu haben. Doch, wie Hegel dies detailliert herausgearbeitet hat, ist auch diese Fassungsart des Absoluten mittels der Trennung konstruiert und dank des Ausschlusses der negativen Beziehung des erkennenden Subjekts auf die Welt (,Ich – Nicht-Ich‘) hergestellt. An die oben aufgelisteten Ergebnisse anschießend, strebt Hegels das Ziel an, alle erworbenen Charakteristika – welche das Ende des sinnvoll auszuführenden Erkennens zu markieren scheinen – in den Rahmen des Erkennens aufzunehmen. Denn mittels des Erkennens wurden diese Charakteristika überhaupt ans Licht gebracht. Infolgedessen kommt Hegel in Glauben und Wissen auf das „Dritte“ zu sprechen, welches die entgegengesetzten Seiten zusammenhält. Dieses „Dritte“ wird als die Idee gedeutet, welche derart bestimmt ist, dass ihr sowohl der Begriff als auch der Inhalt gleichermaßen zukommen und in ihr vereint werden. Da sich die setzende Reflexion (das Ausschlussverfahren des Verstandes) dafür nicht eignet – denn dadurch werden nur neue Gegensätze erzeugt – interpretiert Hegel die Idee als die Mitte eines (Vernunft-)Schlusses, das Positive, bei dem der vollständig ausgeführte Erkenntnisprozess endet. Als das „Dritte“ des Gegensatzes gefasst, erweist sich das Absolute (das Unbedingte bzw. die Totalität) derart, dass in ihm „endliches und unendliches Eins, und deßwegen die Endlichkeit als solche verschwunden“220 ist. Das Verschwinden der Endlichkeit – das heißt, das Aufheben der Endlichkeit im Absoluten – folgt daraus, dass die der Endlichkeit innewohnende Negation „negirt worden, und also die wahre Affirmation“221 erreicht ist. So macht Hegel die – zunächst als rein-negativ konzipierte – Selbstvernichtung der Reflexion (DifferenzSchrift) zum Moment des Absoluten bzw. zum konstitutiven Moment, in welchem sich das Absolute im Resultate des vollständig ausgeführten Erkenntnisprozesses zeigt. Dabei wird die (an die Grenze getriebene) Entgegensetzung, welche die Form der dialektischen Opposition annimmt, in den Wissensrahmen aufgenommen und mittels der negativen Beziehung in Verbindung zum Absoluten gebracht, womit die setzende Reflexion (das Ausschlussverfahren des Verstandes) an ihr Ende kommt. Zusammenfassend lässt sich sagen: Mit Glauben und Wissen stellt Hegel klar, dass diejenigen Festsetzungen, welche während des Erkennens als nicht weiter klärungsbedürftig bzw. nicht mehr erkennbar ans Licht treten, durch den Ausschluss fixiert werden und bereits in das Verhältnis der Entgegensetzung verwickelt sind, so dass sie auf keinerlei Weise als für sich bestehend und unhintergehbar angesehen werden können. Infolgedessen fasst Hegel die mittels der setzenden Reflexion erzeugte Entgegensetzung als immanente Negativität der Reflexionsverhältnisse auf, die das Erkennen konstituieren und sich selbst zum Objekt des Wissens emporarbeiten. Darauf gründet sich die eigentliche Leistung der setzenden Reflexion (die des Verstandes): Sollte diese Leistung ausgeblendet bleiben, endet das Wissen im 220 221

GW 4, 324. Ebd., 324.

2. Eine erweiterte Sicht auf die Kompetenz des Verstandes

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Glauben, welcher nichts anderes als den unvollständigen Einsatz der reflexiven Leistung darstellt. Abschießend wäre noch eine Bemerkung angebracht: In der kritischen Jenaer Zeit bringt Hegel die herausgearbeitete immanente Negativität letztlich auf den Terminus ,Dialektik‘ bzw. ,dialektisch‘,222 bei dem er dann in seinen weiteren Untersuchungen bleiben wird.223 So heißt es in dem Aufsatz Über die wissenschaftlichen Behandlungsarten des Naturrechts (1802), die Dialektik habe zu erweisen, dass „das Verhältniß überhaupt nichts an sich ist“,224 während in dem Entwurf System der Sittlichkeit (1802/03) ausdrücklich behauptet wird, dass die Vernichtung des Gegensatzes als dialektisch „rein negativ“ sei.225 So erzeugt die Dialektik das Bestimmungsfeld, auf dem die Identitätszuschreibung bzw. das vollständige Vollziehen des Erkenntnisprozesses erst möglich wird. Demnach findet Hegel (entgegen Kant) im Dialektischen – in der immanenten, mittels des Verstandes erzeugten, Negativität – kein Anzeichen eines bedeutungslosen Scheins, bei dem das Erkennen zu enden hat.226 Hingegen wird die Bedeutung der eigentlichen Leistung des Verstandes dadurch ans Licht gebracht, dass diese Leistung (die setzende Reflexion) zum Objekt des Erkennens wird (als reines Verhältnis, welches nichts an sich ist), infolgedessen das Absolute, rein negativ, zum Vorschein tritt. Damit wird das Erkennen auf die Spur der Idee – des Positiven des Wissens selbst – gebracht.

222 Eine ausführliche Studie zur Herausbildung des Terminus ,Dialektik‘ bei Hegel siehe M. Baum [1986] 1989. 223 Dies ist insofern entscheidend, als der Terminus ,Dialektik‘ von nun an in das feste Vokabular Hegels eintritt und für die späteren Ausarbeitungen von entscheidender Bedeutung sein wird (mehr dazu siehe M. Baum [1986] 1989, 225 ff.). Dabei ist es wichtig im Auge zu behalten, unter welchen Umständen der Terminus ,Dialektik‘ zu Stande kam sowie mit welchen Konnotationen er in fester Verbindung stand: Zum einen, dass dieser Terminus sich der Auseinandersetzung mit der Kantischen Dialektik verdankt (mehr dazu siehe A. Arndt 2003, 105 – 120; A. Arndt 2004, 112; W. Jaeschke/A. Arndt 2012, 552 f.), und zum anderen, dass er keineswegs auf den antiken Sprachgebrauch zurückzuführen ist. (Zur Begründung der Position, dass sich die ,Dialektik‘ bei Hegel nicht auf den antiken Wortgebrauch reduzieren lässt, siehe K. Düsing 1980 b, 96 f. Für einen Versuch, Hegels ,Dialektik‘ im Lichte des antiken Wortgebrauchs zu verstehen, siehe exemplarisch H.-G. Gadamer, 1961, 174; M. Riedel, 1990, 9). 224 GW 4, 446. 225 Vgl. GW 5, 310. 226 Vgl. A. Arndt 2004, 112 – 117.

II. Der Verstand in der Philosophie Wie im vorigen Kapitel ausführlich nachgewiesen, arbeitet Hegel in seiner anfänglichen Schaffensphase (bis einschließlich der kritischen Jenaer Zeiten) die reflexive Leistung des Verstandes derart heraus, dass diese Leistung nicht als ein mentaler Akt – deren Platz sich bloß im denkenden Subjekt befindet – konzipiert, sondern zugleich als eine (reflexive) Struktur begriffen wird. Davon abgesehen, dass die Leistung des Verstandes dem denkenden Subjekt einen Zugang zur Realität sichert und die Bestimmung der äußeren Gegenstände ermöglicht, führt sie zudem auf das Unbedingte hin, und zwar unvermeidlich. Hiermit wird gezeigt, dass der Glaube dem Wissen kein Hindernis bereitet, sondern selbst eine gewisse Art des Wissens darstellt. In dem Jahr 1807 vollzieht Hegel in seiner Phänomenologie des Geistes nun eine systematische Prüfung dessen, was ein echter Maßstab des vollständigen Wissens ist. In diesem Zusammenhang wird besonders ersichtlich, wie er den Verstand innerhalb der Philosophie einordnet und seine Leistung in diesem Kontext detailliert herausarbeitet. Im Folgenden präzisiere ich zunächst das eigentliche Vorhaben Hegels, welches er im Rahmen der Phänomenologie des Geistes verfolgt. Im Anschluss daran rekonstruiere ich den Verstandesbegriff. Die Tragweite dieses Begriffs zu klären sowie seine systematischen Ansprüche offenzulegen sind nun die zentralen Aufgaben dieses Kapitels. Letztlich sollen die zwei Fragen geklärt werden: Unternimmt Hegel in seiner Phänomenologie eine derartige Kritik des Verstandes, die letztlich zum Abstreiten seiner konstitutiven Rolle auf dem Weg zum vollständigen Wissen führt?1 Oder strebt er danach, nachzuweisen, dass das rationale, das heißt das verständige Denkvermögen viel breiter zu fassen sind, als angenommen?

1. Präzisierung des Hegelschen Vorhabens Das in der Phänomenologie des Geistes zu realisierende Projekt zielt im Wesentlichen, so Hegel, darauf ab, die Erkenntnis bezüglich ihrer Natur aufzuklären und 1 Dies wird Hegel oft vorgeworfen: So behautet bspw. H. Schnädelbach, dass Hegels Strebungen im Ganzen bloß einen Traum darstellen, aus dem die Menschheit zu erwachen habe (Vgl. H. Schnädelbach 2011, 166); während H. F. Fulda daran zweifelt, ob das Hegelsche Unternehmen im Laufe des gesamten Werks tatsächlich systematisch auf ein Endergebnis führt (Vgl. H. F. Fulda 2007); schließlich stellt R.-P. Horstmann Hegels eigentümliches Vorhaben in Frage, ein Objekt dank der Vermittlung seines Begriffs mit der eigentlichen „Objektivität“, überhaupt erfassen, d. h., rational erschließen zu können (Vgl. R.-P. Horstmann 1990, 79).

1. Präzisierung des Hegelschen Vorhabens

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bei dieser Gelegenheit „einige Formen zu entfernen, deren Gewohnheit ein Hinderniß für das philosophische Erkennen ist“.2 Das im Hintergrund stehende Problem läuft auf den zu Hegels Zeiten etablierten Unterschied zwischen Substanz und Subjekt hinaus. Dieses Problem lässt sich wie folgt skizzieren: Während die Substanz, der (Schul)Metaphysik zufolge, als diejenige Instanz angenommen bzw. vorausgesetzt wird, welche bestehende und hiermit wahre Objekte der äußeren Welt (die sogenannten Gegenstände) repräsentiert, fallen die für das Auffassen der objektiven Welt herausgebildeten Begriffe auf die Seite der Subjektivität. Diesem Auffassen zufolge ergibt sich nun eine eindeutige Grenze zwischen der äußeren objektiven Welt der Gegenständlichkeit, dem Bereich der Substanz, und dem Denken, das heißt dem Bereich des Subjekts. Anders formuliert: Der bereits beschriebene Unterschied läuft auf den Widerstand zwischen Objekt und Subjekt hinaus, was die folgenden Fragen veranlasst: Wie lassen sich Objekte der äußeren (dem Denken entgegenstehenden) Welt tatsächlich erkennen? Was bedeutet es, einen unmittelbar gegebenen Gehalt der objektiven Welt innerhalb des Wissens zu integrieren? Und schließlich, wie wird ein wahres Wissen überhaupt erlangt? Die von Hegels Vorgängern herausgearbeiteten Umgangsweisen mit den oben erwähnten Fragen sind zwei: Entweder wird darauf bestanden, dass sich die dem Denken bzw. dem Subjekt entgegenstehende objektive Welt nie vollkommen erschließen lässt, sondern bloß der eigenen Erscheinung nach erkannt wird (so bleibt das Ding an sich im Rahmen des Kantischen Konzepts dem Erkenntnisvermögen des Subjekts für immer verborgen), oder es wird ein Wechsel des theoretischen Mittels vorgeschlagen, z. B. an der sogenannten intellektuellen Anschauung festzuhalten, welche die vollkommene Übereinstimmung zwischen dem Objekt und dem Subjekt und hiermit das absolute Wissen gewährleisten soll. Die letztere Möglichkeit wird von Hegel mit der Begeisterung verglichen, „die wie aus der Pistole mit dem absoluten Wissen unmittelbar anfängt, und andern Standpunkten dadurch schon fertig ist, daß sie keine Notiz davon zu nehmen erklärt.“3 Damit nimmt Hegel eine kritische Stellung zur Transzendentalphilosophie seiner Zeitgenossen ein (vor allem zur Philosophie Schellings), die das Absolute als einen Indifferenzpunkt von Subjekt und Substanz (bzw. dem Objekt) behaupten. Da Hegel ein irrationales Festlegen der absoluten Identität für belanglos hält, sieht er sich der ersten Möglichkeit verpflichtet und unternimmt den Versuch, der Frage nach den Grenzen des subjektiven Erkenntnisvermögens nachzugehen. Dabei handelt es sich bei Hegel in erster Linie darum, zu belegen, dass jeder vermeintlich unmittelbare (pre-reflexive) Kenntnisgehalt – sei es eine religiöse Offenbarung, ein sich stark manifestierendes Gefühl oder auch eine Alltagsüberzeugung – alleine in dem Moment, in dem das Subjekt diesen für sich selbst begrifflich artikuliert und Anderen mitzuteilen sucht, seine unmittelbare Natur ablegt und mittels der Reflexion zum eigentlichen Erkennen beiträgt. Da jeder Kenntnisgehalt eine solche reflexive Vermittlung durchlaufen 2 3

GW 9, 18. Ebd., 24.

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II. Der Verstand in der Philosophie

muss – sonst bleibt dieser nicht mitteilungsfähig und für das Wissen belanglos –, sieht Hegel keinen Sinn darin, sich über die unmittelbaren, sich außerhalb der Reflexion befindenden Gegenstände und Prozesse zu verständigen, sondern strebt danach, die reflexive Natur des Wissens möglichst durchsichtig zu machen. Bereits zum Anfang des Vorwortes zu seiner Phänomenologie behauptet er, es komme ihm darauf an, „das Wahre nicht als Substanz, sondern eben so sehr [Hervorhebung V. K.] als Subject aufzufassen und auszudrücken“.4 Denn sobald alle unabhängigen Gegebenheiten der äußeren Realität vom denkenden Subjekt aufgenommen bzw. erfasst werden, werden sie weiterhin reflexiv behandelt, woraus sich für Hegel der philosophische Bedarf ergibt, die reflexive Struktur als konstitutive Grundlage des Wissens selbst detailliert zu erarbeiten und den Status des Subjekts dementsprechend zu bestimmen. Die folgende, etwas längere Passage hilft dabei, die entscheidenden Überlegungen einsichtiger zu machen: „Die lebendige Substanz ist ferner das Seyn, welches in Wahrheit Subject, oder was dasselbe heißt [Hervorhebung V. K.] welches in Wahrheit wirklich ist, nur insofern sie die Bewegung des sich selbst Setzens, oder die Vermittlung des sich anders Werdens mit sich selbst ist. Sie ist als Subject die reine einfache Negativität, ebendadurch die Entzweyng des Einfachen, oder die entgegensetzende Verdopplung, welche wieder die Negation dieser gleichgültigen Verschiedenheit und ihres Gegensatzes ist; nur diese sich wiederherstellende Gleichheit oder die Reflexion [Hervorhebung V. K.] im Andersseyn in sich selbst – nicht eine ursprüngliche Einheit als solche, oder unmittelbare als solche, ist das Wahre.“5

Als Subjekt aufgefasst stellt die lebendige Substanz für Hegel zunächst eine reine einfache Negativität dar. Diese auf den ersten Blick etwas kryptische Behauptung lässt sich auf folgende Weise erschließen: Wann und wo auch immer ein Subjekt sich seines konstitutiven Denkvermögens bewusst wird, wird es sich unverzüglich dessen bewusst, dass es (das Subjekt) der Substanzialität (bzw. der Gegenständlichkeit) der äußeren Welt entgegensteht oder – was auf das Gleiche hinausläuft – dass es die letztere nicht ist. Dies kann in der folgenden Form ausgedrückt werden: ,Ich bin nicht die (mich umkreisende) äußere Welt‘. So kommt das einfache Negieren als ein reflexiver Akt zustande, auf dessen Grund Hegel die nachfolgenden Überlegungen baut. Aus dem einfachen Negieren – zwischen dem Subjekt (Ich) und dem Rest (der äußeren Welt, der Substanz) – entsteht nun die entgegensetzende Verdopplung: Versucht man die bereits ausgeschlossene Substanzialität weiter zu bestimmen, wird diese der gleichen Vorgehensweise nach als nicht Subjekt bestimmt (in der Form: ,Die (mich umkreisende) äußere Welt ist nicht Ich‘ bzw. ,Der Gegenstand ist nicht ich‘). Dadurch zeigen sich die zwei aus demselben Bestimmungspunkt (aus demselben Subjekt) ausgehenden einfachen Negationen: Einmal wird diese in der Form ,das Subjekt ist nicht Substanz‘ bzw. ,Ich bin nicht die (mich umkreisende) äußere Welt‘ aufgefasst, ein anderes Mal ,die Substanz ist nicht Subjekt‘ bzw. ,die (mich 4 5

Ebd., 18. Ebd., 18.

1. Präzisierung des Hegelschen Vorhabens

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umkreisende) äußere Welt ist nicht ich‘. In beiden Bestimmungsfällen geht es aber um ein und dasselbe reflektierende Subjekt, das heißt, es geht um ein und dasselbe ich, woraus nun die Gleichung resultiert: ,ich bin nicht der Gegenstand‘ = ,der Gegenstand ist nicht ich‘. Erst aufeinander bezogen, erweisen sich die beiden reflexiven Bestimmungen als wahr. Denn, Hegels Auffassung zufolge, kann schließlich nur ein vollständig reflektierter Wissensgehalt zum Wahren führen. Der Wissensgehalt ist seinerseits erst dann vollständig reflektiert, wenn das Subjekt, das diesen Wissensgehalt reflektiert, sich dessen bewusst wird, dass sowohl sein eigenes Wesen (die das Wesen des Subjekts ausmachende Subjektivität) als auch das Wesen der ihm (dem Subjekt) entgegenstehenden äußeren Welt (die Substanzialität) dem einzig möglichen Negation-Schema nach bestimmt ist. Daraus resultiert letztlich das Begreifen dessen, dass nicht nur der Ausgangspunkt jeglicher Bestimmung, sondern auch das Endstadium des ausgeführten Bestimmens in der Tat aufeinander treffen und auf dasselbe reflektierende Subjekt (Ich) hinauslaufen. Somit stellt sich das Wahre der Hegelschen Auffassung zufolge als „die Reflexion im Anderssein in sich selbst“ heraus, wobei unter der Reflexion „im Anderssein“ das ausgehende Reflektieren des Subjekts hervortritt – in Form einer einfachen Negation ,Ich bin nicht die (mich umkreisende) äußere Welt (bzw. die Substanz)‘ –, während die Erweiterung der Bestimmung des Reflexionsbegriffs – als „im Anderssein in sich selbst“ – darauf hinausläuft, dass auch das festgestellte Anderssein ein Produkt desselben reflexiven Akts bleibt und zu derselben reflektierenden Instanz zurückführt: So ist das Subjekt sich in sich selbst dessen bewusst, dass es selbst und nicht ein Anderes das Anderssein der äußeren Welt reflektiert. Hiermit wird die reflexive Struktur des Wahren skizziert und das folgende Ergebnis angedeutet: Erst dann, wenn der oben beschriebene Bestimmungsprozess vollständig vollbracht ist, kann das Aufgefasste als wahr eingesehen werden. Daraus geht nun das bekannte Hegelsche Diktum hervor: „Das Wahre ist das Ganze. Das Ganze aber ist nur durch seine Entwicklung sich vollendende Wesen. Es ist von dem Absoluten zu sagen, daß es wesentlich Resultat, daß es erst am Ende das ist, was es in Wahrheit ist.“6

Ausgehend davon, dass das Wissen solchem Hegelschen Verständnis zufolge ausschließlich ein Produkt der Reflexion darstellt, während für die letztere ein denkendes Subjekt erforderlich ist, wird ersichtlich, dass Hegel mit dem Resultat nun einen vollständig und konsequent ausgeführten Denkprozess meint, in dessen Rahmen sowohl der eingetretene äußere Wissensgehalt – der sogenannte unmittelbar aufgenommene Inhalt in Form eines Gegenstandes – als auch die Stellung des diesen Wissensgehalt reflektierenden Subjekts der eigentlichen Natur der Reflexion nach (das heißt als aufeinander bezogenen) restlos erarbeitet werden. Nur in diesem Fall kann das Absolute als ein wirklich erfasstes und hiermit durchsichtiges, vollkommen 6

Ebd., 19.

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II. Der Verstand in der Philosophie

vermitteltes, Ergebnis der (Wissens)Entwicklung begriffen werden. Weiterhin bedeutet diese Vermittlung, so Hegel, nichts anderes, als „die sich bewegende Sichselbstgleichheit, oder sie ist die Reflexion in sich selbst“.7 Damit wird einmal mehr die konstitutive Stellung der Subjektivität bzw. des Subjekts innerhalb des Erkenntnisprozesses betont: Das Herstellen der Sichselbstgleichheit sowie das Ausführen der Reflexion in sich selbst bleibt ausschließlich ein reflexives Tun des Subjekts. Es ist daher „ein Verkennen der Vernunft, wenn die Reflexion aus dem Wahren ausgeschlossen und nicht als positives Moment des Absoluten erfaßt wird. Sie [die Reflexion, V. K.] ist es, die das Wahre zum Resultate macht.“8

Damit schließt Hegel die strukturelle Schilderung des Wahren ab und geht zu dessen inhaltlichen Bestimmungen über. Als Nächstes deutet er darauf hin, dass die konsequente Entwicklung des Wissens zum Erkennen des Geistesbegriffs führt, welcher, so lautet die Konklusion, „der erhabenste Begriff [ist], und der der neuern Zeit […] angehört“9. Nun muss erwähnt werden, dass die Bedeutung des Begriffs ,Geist‘ in der Hegel-Forschung umstritten ist. Diesen begrifflichen Kontroversen kann im Rahmen der vorliegenden Arbeit nicht im Detail nachgegangen werden. Stattdessen skizziere ich im Folgenden kurz, auf welches Verständnis ich mich beziehe. Da es Hegel in der Phänomenologie in erster Linie um die Erhebung des natürlichen bzw. alltäglichen Bewusstseins zur Wissenschaft geht, bindet er das philosophische Wissen in diesem Werk an die zahlreichen Erfahrungen des natürlichen Bewusstseins, die sich über das gesamte Feld des geschichtlich-kulturellen Prozesses erstrecken und mittels der Bildung sowohl angeeignet als auch weitergegeben werden. In diesem Zusammenhang redet Hegel bspw. über die Bildungsgeschichte des Einzelnen.10 Der zentrale Überlegungspunkt besteht darin, den geschichtlichkulturellen Prozess zum Leitfaden der philosophischen Erkenntnis zu machen und die dem Erkennen dienenden Kategorien als diejenigen Objektivierungen nachzuweisen, welche dank dieses Prozesses herausgearbeitet wurden.11 Dem oben beschriebenen Rahmen entsprechend, wird auch der Begriff ,Geist‘ – bevor ihn Hegel eigens systematisch präzisiert – zunächst als ein Produkt der geschichtlich-kulturellen Entwicklung sowie der Bildung eingeführt. Der oben zitierte Hinweis Hegels – der Geist sei als ein der neuen Zeit angehörender Begriff aufzufassen – macht deutlich: Zunächst nimmt er diesen Begriff so auf, wie er zu seiner Zeit geläufig verstanden wurde. Wie Christine Weckwerth in ihrem Werk Metaphysik als Phänomenologie detailliert dargestellt hat,12 trugen sowohl die klassischen deutschen 7

Ebd., 19. Ebd., 20. 9 Ebd., 22. 10 Vgl. ebd., 24 f. 11 Mehr dazu siehe Ch. Weckwerth 2000, 86 ff. 12 Vgl. ebd., 204 ff. 8

1. Präzisierung des Hegelschen Vorhabens

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Philosophen als auch die französischen Aufklärer Entscheidendes zu diesem Geistesbegriff bei. Die Ergebnisse dieser hermeneutischen Analyse lassen sich wie folgt zusammenfassen: Im Rahmen der Klassischen Deutschen Philosophie wird der Begriff ,Geist‘ als die allgemeine Bestimmung eines tätigen Prinzips gebraucht. Auf die ästhetische Sphäre bezogen, erläutert Kant diesen Begriff als das „belebende Princip im Gemüthe“13, während Schelling den Geist nicht bloß auf der ästhetischen Ebene angesiedelt sieht, sondern unter diesem Begriff das Streben nach Selbstbewusstsein versteht.14 Was aber alle erwähnten Auffassungen vereint, ist das Bestreben, den Geist als ein (subjektives) Tätigkeitsprinzip aufzufassen, welches zur sinnlichen Welt im Gegensatz steht. Weiterhin ist das Geisteskonzept stark von der französischen Aufklärung geprägt. Für dieses sind folgende Charakteristika kennzeichnend: Zum einen wird der Geist als Prinzip einer dauernden Perfektibilität gebraucht (Helvetius, Condorcet); zum anderen wird dem Begriff ,Geist‘ eine Dimension zugesprochen, welche die Sphäre des einzelnen Individuums überschreitet und den Geist für den Zusammenhang der bestimmten historischen Abschnitte verantwortlich macht (Voltair); schließlich wird der Geistesbegriff für die Gesamtheit der sozialen Relationen sowie für den Zusammenhang der Kulturformen gebraucht (Montesquieu, Helvetius). Angesichts dessen, wie Hegel im Vorwort zur Phänomenologie die Rolle des Geistes selbst schildert, geht meines Erachtens eindeutig hervor, dass sein Begriff ,Geist‘ tatsächlich eine Sammlung der oben dargestellten Bestimmungen ist und dass es Hegel nun darauf ankommt, einen systematischen Zusammenhang zwischen diesen Bestimmungen herzustellen. Die folgende Passage soll dabei helfen, dieses Anliegen zu verdeutlichen: „[D]aß Substanz wesentlich Subjekt ist, ist in der Vorstellung ausgedrückt, welche das Absolute als Geist ausspricht. […] Das Geistige allein ist das Wirkliche; es ist das Wesen oder an sich seyende, – das sich Verhaltende oder Bestimmte, das Andersseyn und Fürsichseyn – und in dieser Bestimmtheit oder seinem Außersichseyn in sich selbst bleibende; – oder es ist an und für sich. – Diß an und für sich seyn aber ist es erst für uns oder an sich, oder es ist die geistige Substanz. Es muß diß auch für sich selbst, – muß das Wissen von dem Geistigen und das Wissen von sich als dem Geiste seyn; das heißt, es muß sich als Gegenstand seyn […].“15

So ist mit dieser Erläuterung die inhaltliche Seite des Absoluten (dessen Wesen das Geistige ausmacht) eingeführt und die prinzipielle Möglichkeit angelegt, das Absolute begreifen bzw. erschließen zu können. Denn der Geist ist (1) das Wesen und zwar nicht bloß irgendein willkürliches Wesen, sondern er ist auch 13

KdU, B 192. Zur ausführlichen Auffassung des Begriffs ,Geist‘ bei Schelling siehe Ch. Weckwerth 2000, 205 f. 15 GW 9, 22. 14

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II. Der Verstand in der Philosophie

(2) das Bestimmte – in Hegels Terminologie heißt es, dass der Geist das Anderssein und das Fürsichsein zugleich ist –, weiterhin ausgeführt ist der Geist (3) für uns (was Hegel mit dem an sich gleich setzt und daran anknüpfend als geistige Substanz bezeichnet) und schließlich ist er (4) das Wissen für sich selbst, das heißt, er ist sich selbst der Gegenstand. Hiermit wird die Stellung Hegels deutlich, dass das Wissen als solches sich der geistigen Tätigkeit verdankt. Nun ist zu fragen, was es mit den soeben aufgezählten Charakteristika gemeint ist. Zunächst erweist sich das Geistige, so Hegel, als an sich, welches wie folgt erläutert wird: „An sich ist […] wohl die ungetrübte Gleichheit und Einheit mit sich selbst. […] [D]iß An sich ist die abstracte Allgemeinheit, in welcher von seiner Natur, für sich zu seyn, und damit überhaupt von der Selbstbewegung der Form abgesehen wird.“16

Unter der Bezeichnung der „abstracte[n] Allgemeinheit“ ist nun das Hegelsche ,an sich‘ als eine festgelegte formelle Identität – ,A ist A‘ oder ,Haus ist Haus‘ – zu verstehen. Denn die Frage danach, was die Natur einer solchen Bestimmung ausmacht, bleibt dabei unberücksichtigt. Anschließend leitet Hegel dazu über, dass die auf solche Art festgelegte Bestimmung – ein vermeintlich unmittelbarer Wissensgehalt – nicht selbstständig und isoliert für sich alleine steht und dem Subjekt ohne weiteres gegeben wird, sondern sich zu dem ihn aufnehmenden Subjekt verhält. Hiermit ist ,an sich‘ zugleich ,für uns‘, da es zu dem seinen Inhalt reflektierenden Subjekt ins Verhältnis tritt. Verhaltend ist ein Wissensgehalt, so Hegel, Anders- und Fürsichsein zugleich, was bedeutet, dass er den Vermittlungsprozess durchlaufen hat. Schließlich wird die erworbene Kenntnis als das eigentliche Ergebnis der geistigen Tätigkeit konstatiert und mit dem Begreifen dessen vervollständigt, dass der Geist sich selbst sein Gegenstand ist. So wird das Geistige, mit Hegel gesprochen, ,für sich selbst‘. Das heißt, um vollständig angeeignet zu werden, müssen die zum Objekt gewordenen Ergebnisse jeglicher geistigen Tätigkeit mithilfe der Reflexion allumfassend erschlossen werden. Erst wenn das Geistige nicht als bloß Gegebenes, sondern als Reproduzierbares in kleinsten Details nachvollzogen wird, verlässt es den Bereich der reinen Abstraktion, wird konkret, oder, wie Hegel es ausdrückt, in sich selbst reflektiert. Um dies realisieren zu können, bedarf der Geist einer systematischen Herangehensweise, die notwendig auf die Figur des Sich-selbst-Wissens zurückläuft: Denn das Bewusstsein über sich selbst erwirbt der Geist ausschließlich dadurch, dass er reflektiert, wofür ein reflektierendes Subjekt erforderlich ist. Resümierend heißt das: „Der Geist, der sich so als Geist weiß, ist die Wissenschaft. Sie ist seine Wirklichkeit und das Reich, das er sich in seinem eigenen Elemente erbaut.“17

16 17

Ebd., 18 f. Ebd., 22.

1. Präzisierung des Hegelschen Vorhabens

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Hiermit macht Hegel seine Position deutlich, dass das Erfassen des Absoluten dank dem Selbstverstehen des sich geschichtlich explizierenden Geistes verläuft. Weiterhin macht er darauf aufmerksam, dass die im Rahmen der Menschheitsgeschichte erworbenen Kenntnisse ausnahmslos dem Bereich des Geistigen angehören18 und dass sie sich im Laufe der Geschichte entfalten, entwickeln und dank diesem Prozess als Gegenstände bzw. als Objekte der einheitlichen geistigen Erfahrung erkannt werden. In diesem Zusammenhang arbeitet Hegel den Unterschied zwischen dem allgemeinen Geist (den er sonst auch als das allgemeine Individuum19 bezeichnet) und dem besonderen Individuum (dem besonderen Geist) wie folgt heraus: Während der allgemeine Geist die Gesamtheit aller bereits vorhandenen und abgelegten Kenntnisse repräsentiert und damit die „ungeheure Arbeit der Weltgeschichte“20 darstellt, ist das besondere Individuum dasjenige, das einerseits sich die bereits erworbenen Kenntnisse mittels der Bildung aneignet und andererseits die angeeigneten Kenntnisse anwendet und weiterentwickelt, indem es diese mittels den neu hinzukommenden Erfahrungen bereichert und begreift. So ist die eigentliche Aufgabe nach Hegel nun, „de[n] Weltgeist in seiner Bildung zu betrachten“,21 denn „[s]o durchlaufft jeder einzelne auch die Bildungsstuffen des allgemeinen Geistes, aber als vom Geiste schon abgelegte Gestalten, als Stufen eines Wegs, der ausgearbeitet und geebnet ist“.22 Sowohl die Aneignung als auch die Herstellung der Kenntnisse geht Hegels Auffassung nach mit der Arbeit einher: Nur mittels eines reflektierenden Subjekts in ein systematisches Verhältnis zueinander gebracht, bilden die vereinzelten Erkenntnisgehalte das allumfassende Wissen. So wird der bereits gegebene Wissensgehalt in Bewegung des Nachvollziehens gebracht. In diesem Zusammenhang stellt sich für Hegel die Frage: Mit welchem Mittel ist eine solche Bewegung des Nachvollziehens und schließlich das Begreifen des Wahren zu realisieren? Die traditionelle Urteilsform findet Hegel dafür nicht geeignet, da in deren Rahmen das Subjekt etwas völlig Unbestimmtes bleibt und das verfolgte Ziel – das Wahre nicht nur als Substanz, sondern „eben so sehr“23 als Subjekt zu erfassen – verfehlt wird. Der Grund dafür liegt, Hegel zufolge, in der Struktur des Urteils, weil in deren Rahmen das Subjekt als etwas völlig Unbestimmtes vorausgesetzt wird und damit „de[n] leere[n] Anfang“24 bildet. Da die Urteilsform ,A ist dies und jenes‘ sich dem Hinzusetzen der unterschiedlichen Be18 Wie in der zahlreichen Forschungsliteratur belegt ist, kann in den meisten Fällen, wo Hegel den Begriff „Geist“ verwendet, der Ausdruck „Kultur“, eingesetzt werden. Mehr dazu siehe Schnädelbach 2013, 68 f. 19 GW 9, 24. 20 Ebd., 25. 21 Ebd., 25. 22 Ebd., 25. 23 Ebd., 18. 24 Ebd., 20.

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II. Der Verstand in der Philosophie

stimmungen verdankt – die bereits bekannt sein müssen, sonst können sie nicht verwendet werden –, bleibt die angestrebte Vermittlung der Urteilskomponenten weiterhin unrealisiert. Denn, „[i]n solchen Sätzen [damit sind die Urteilssätze gemeint, V. K.] ist das Wahre nur geradezu als Subjekt gesetzt, nicht aber als die Bewegung des sich in sich Reflektierens dargestellt“25. Um diese Bewegung zu realisieren, muss, so Hegel, systematisch der Frage nachgegangen werden, wie Urteile sich auseinander entwickeln und wie die Vermittlung der Bestimmungen vollzogen werden kann: „Daß die Form des Satzes aufgehoben wird, muß nicht nur auf unmittelbare Weise geschehen, nicht durch den blossen Inhalt des Satzes. Sondern diese entgegengesetzte Bewegung muß ausgesprochen werden; sie muß nicht nur jene innerliche Hemmung, sondern diß Zurückgehen des Begriffes in sich muß dargestellt seyn. Diese Bewegung, welche das ausmacht, was sonst der Beweis leisten sollte, ist die dialektische Bewegung des Satzes selbst. Sie allein ist das wirkliche Speculative, und nur das Aussprechen derselben ist speculative Darstellung.“26

Das Zitierte verdeutlicht, dass die zu realisierende Bewegung für Hegel eine dialektische ist, die dadurch charakterisiert wird, dass sie nicht auf einen Satz fixiert bleibt, sondern die Bewegung des Satzes selbst leistet. Das Hauptziel des ganzen Hegelschen Projekts liegt also darin, dieser Bewegung als Selbstbewegung des eigentlichen Gegenstandes ausführlich nachzugehen und sie darzustellen. Sein Vorhaben schließt Hegel eindeutig an das Kantische Programm an.27 In der Vorrede zur zweiten Auflage der Kritik der reinen Vernunft schreibt Kant, es gehe ihm darum, die Metaphysik auf den „sicheren Gang einer Wissenschaft“28 zu bringen. Als ein Beispiel für die ,sicheren‘ Wissenschaften nennt er Mathematik und Physik, die auf den apriorischen Prinzipien beruhen, aus denen das Wissen notwendig gefolgert wird.29 So werden die Beobachtungen innerhalb einer sicheren Wissenschaft dank den vorausgesetzten apriorischen Prinzipien unter ein notwendiges Gesetz zusammengebracht und mittels der allgemeinen Begriffe subsumiert. Dadurch ergibt sich nach Kant die folgende Konstellation: Auf der einen Seite steht die objektive Welt der mannigfaltigen Empirie, auf der anderen befindet sich ein diese Welt auffassendes Subjekt, welches – dank seines Erkenntnisvermögens – die allgemeinen Prinzipien (Begriffe) auf die objektiven Gegebenheiten anwendet und die letzteren dadurch erkennt. Daraus entspringt nach Kant die Notwendigkeit, das Erkenntnisvermögen zu untersuchen, um seine allgemeinen Prinzipien zu bestimmen und die Grenzen des Wissens herauszuarbeiten. Schließlich sucht er danach, die

25

Ebd., 20. Ebd., 45. 27 Mehr dazu siehe W. Jaeschke 2020, 35 ff. 28 KrV, B XIV. 29 Als Beispiel dafür nennt Kant die sogenannte gleichschenklige Triangel, aus deren Begriff Thales sein Wissen gefolgert hat (Vgl. KrV, B XI). 26

1. Präzisierung des Hegelschen Vorhabens

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sicheren a priori-Prinzipien des Denkens zu erarbeiten, die dem Subjekt die Möglichkeit geben, das Wissen zu erwerben. Die oben skizzierte Kantische Vorgehensweise30 stellt Hegel bereits in den einführenden Teilen der Phänomenologie (in der Vorrede und der Einleitung) in Frage und verfolgt das Ziel, die Vorstellung zurückzuweisen, dass es ein Erkenntnisvermögen gibt, welches der Gegenständlichkeit gegenübersteht. Diese Vorstellung ist für Hegel bloß ein Produkt des natürlichen Bewusstseins, welches das Erkennen als ein Mittel zum Wissen des objektiven Inhaltes gebraucht, und zwar auf die folgenden Weisen: Das natürliche Bewusstsein nimmt an, dass das Erkennen entweder „das Werkzeug [ist], sich des absoluten Wesens zu bemächtigen“, oder es verhält sich als ein „passives Medium, durch welches hindurch das Licht der Wahrheit an uns gelangt […]“.31 Hegel macht darauf aufmerksam, dass die beiden Bestandteile – das Denken als ein Erkenntnismittel und als der zu bestimmende Gegenstand – bereits im Bewusstsein vorhanden sind: Denn sowohl ein unmittelbarer Gegenstand als auch eine begriffliche Bestimmung davon, was als ein ,Gegenstand‘ bezeichnet wird, sind dank des reflexiven Verhältnisses aufeinander bezogen. Daraus folgt, dass der Gegenstand selbst, sobald er in das Bewusstsein eintritt, im letzteren notwendig in einer Begriffsform präsent wird (sonst ist es kein Objekt des Bewusstseins). Dies deutet offensichtlich darauf hin, dass das Bewusstsein selbst den Maßstab dafür setzt, auf welche Weise und in welcher Form der Begriff den zu bestimmenden Gegenstand trifft. In Hegels Terminologie heißt das: „An dem also, was das Bewußtsein innerhalb seiner für das an sich oder das Wahre erklärt, haben wir den Maßstab, den es selbst aufstellt, sein Wissen darin zu messen.“32 Dem reflektierenden Subjekt bleibt dabei nur übrig, dem Prozess zuzusehen, wie sich das Verhalten zwischen dem Gegenstand und dem Begriff entwickelt. Entspricht der zu bestimmende Gegenstand dem herausgearbeiteten Begriff nicht vollkommen, kommt der Zweifel ins Spiel: Zum einen wird angezweifelt, ob das Bewusstsein überhaupt imstande ist, das Bestimmen des Gegenstandes zu leisten, zum anderen wird angezweifelt, ob die Vorstellung bzw. der Begriff des Gegenstandes selbst ausreichend herausgearbeitet ist. Infolgedessen gerät das Subjekt immer wieder in eine neue Konstellation des Bestimmens: „Entspricht sich in dieser Vergleichung beydes [Begriff und Gegenstand, V. K.] nicht, so scheint das Bewußtseyn sein Wissen ändern zu müssen, um es dem Gegenstande gemäß zu machen, aber in der Veränderung des Wissens ändert sich ihm in der Tat auch der Gegenstand selbst; denn das vorhandene Wissen war wesentlich ein Wissen von dem Gegenstande; mit dem Wissen wird auch er ein anderer, denn er gehörte wesentlich diesem Wissen an.“33

30 31 32 33

Mehr zu den Annahmen Kants siehe S. Sedgwick 2008, 95 ff. GW 9, 53. Ebd., 59. Ebd., 60.

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II. Der Verstand in der Philosophie

Modern gesprochen, wird an dieser Stelle die Suche nach einem passenden Wissensparadigma angedeutet34: Entspricht der zu bestimmende Gegenstand dem herausgearbeiteten Begriff nicht vollkommen (wird dadurch nicht umfangreich nachvollzogen), bedarf es einer Veränderung des Bestimmungsverfahrens. Deshalb gerät das Subjekt, so Hegel, immer wieder in eine neue Konstellation des Bestimmens, während das Wissen darauf hinausläuft, die Einheit zwischen dem Gegenstand (dem Objekt des Bestimmens) und dem ihn treffenden Begriff herzustellen. Wird diese Einheit nicht erreicht, setzt sich ein Zweifel durch, indem das reflektierende Subjekt sich dessen bewusst wird, dass der Gegenstand nicht ausreichend oder sogar falsch aufgefasst wurde: „Es wird hiemit dem Bewußtseyn, daß dasjenige, was ihm vorher das an sich war, nicht an sich ist, oder daß es nur FÜR ES an sich war.“35 Durch dieses Zitat wird ersichtlich, dass dasjenige, was als ein an sich seiender Gegenstand angesehen wurde – ein Gegenstand, der außerhalb und unabhängig von jeglichem Bewusstsein existiert, zu dem das Bewusstsein sich äußerlich verhält –, imgrunde genommen nichts anderes ist, als eine bestimmte Art und Weise Gegenständlichkeit im Bewusstsein selbst zu denken, was für Hegel eindeutig gegen eine bloß instrumentalistische Auffassung des Denkvermögens spricht. Das korrekte Bestimmungsverfahren verdankt sich ausschließlich der dialektischen Bewegung, die nichts anderes als die Erfahrung darstellt. Mittels der Erfahrung, welche reflektierende Subjekte machen und sammeln, passen sich die erarbeiteten Begriffe und die ins Bewusstsein eingetretenen objektiven Gehalte der äußeren Welt einander an. So nimmt die Bewegung erst dann ein Ende, wenn eine Struktur hergestellt wird, in deren Rahmen Begriff und Gegenstand einander tatsächlich in der Weise entsprechen, dass weder Begriff noch Gegenstand sich mehr zu verändern brauchen, das heißt, wenn der Begriff den zu bestimmenden Gegenstand vollständig erschlossen hat. Eine solche Konstellation bezeichnet Hegel als Selbstbezüglichkeit. Für diese ist konstitutiv, dass sie nicht mehr von Äußerem abhängt, sondern auf sich selbst beruht und absolut ist. Hiermit macht Hegel deutlich, dass die Frage danach, wie Erkenntnis erlangt werden kann, nur dann sinnvoll zu stellen ist, wenn systematisch untersucht und restlos erarbeitet wird, auf welche Weise und in welchem Umfang sowohl das Erkenntnisinstrumentarium als auch die zu bestimmende Gegenständlichkeit aufeinander treffen und sich miteinander vermitteln lassen.36

34 Ludwig Siep erläutert dies wie folgt: „Die neue Gegenstandsauffassung soll die Lösung der im alten Paradigma unüberbrückbaren Differenzen innerhalb des Wissens und zwischen dem Wissen und seinem Maßstab, der vorausgesetzten eigentlichen Realität, enthalten.“ (Siep 2000, 77). 35 GW 9, 60. 36 Damit lehnt Hegel jegliche Art des sogenannten unmittelbaren Wissens ab, indem er die Frage nach den Vermittlungsmöglichkeiten aller in das Bewusstsein eintretenden Gehalte stellt. Zum Problem der Unmittelbarkeit bei Hegel siehe A. Arndt 2004 (2013), 44 – 63.

2. Zur Rekonstruktion des Verstandesbegriffs

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2. Zur Rekonstruktion des Verstandesbegriffs Wie oben ausführlich dargestellt, gelingt es Hegel zu beweisen, dass die Reflexion fähig ist, das Absolute begreifen zu können. Außerdem begründet er, dass die Natur des Absoluten darin besteht, „eben so sehr“ die Substanz, wie auch das Subjekt zu sein. Vor diesem Hintergrund besteht Hegel darauf, die reflektierte Natur jeglicher Kenntnisart systematisch erarbeiten zu müssen. Da jeder Kenntnisgehalt erst im Bewusstsein und dank des Bewusstseins thematisiert wird, stellt das letztere – als ein gewisser reflexiver Zustand, oder, wie Hegel es bezeichnet, eine gewisse Denkgestalt – einen konstitutiven Bestandteil des Erkenntnisprozesses dar. Davon ausgehend, dass Hegel in der Phänomenologie den Verstand als eine Weise des Bewusstseins – neben Wahrnehmen und Meinen37– auffasst, rekonstruiere ich im Folgenden den Verstandesbegriff. Dies führe ich anhand des Kapitels Kraft und Verstand aus. Der Ausgangspunkt des Kapitels ist der Übergang des Bewusstseins in das Reich des Verstandes. Hegel affirmiert darin, dass diese Ebene erst dann erreicht wird, wenn die Einheit vom für sich Sein und dem Sein für ein anderes hergestellt und mittels des Begriffs an sich (der das unbedingt Allgemeine auf diesem Stadium repräsentiert) bestimmt wird. So wird der zu bestimmende Gegenstand, auf den man sich erkennend bezieht, unter einen allgemeinen Begriff (z. B. ,ein Haus‘) gebracht. In Bezug darauf ergeben sich für Hegel die zwei folgenden Fragen: (1) was stellt die Wahrheit eines solchen Begriffs sicher und (2) was zeichnet das Wesen des zu erkennenden Gegenstandes aus? Das sogenannte für sich Sein setzt Hegel mit der absoluten Negation alles Andersseins gleich und bezeichnet es als nur sich auf sich beziehende Negation.38 Auf diese Weise bestimmt, wird ein Gegenstand als mit sich identisch dank des Ausschließens alles Anderen fixiert. Um bspw. ,ein Haus ist ein Haus‘ behaupten zu können, muss alles Andere, was ein Haus nicht ist, aus dem Bestimmungsfeld ausgenommen werden. So wird der zu bestimmende Gegenstand als mit sich identisch fixiert und unter einen an sich Begriff39 (,ein Haus‘) gebracht. Damit wird der Gedankengang zu Ende geführt, der besagt, dass man sich beim Erkennen bloß aufnehmend auf etwas sinnlich Vorhandenes bzw. Wahrnehmbares beziehe. Oder, mit Hegels Worten: „Dieses [an sich seiende Wahre, V. K.] treibt sein Wesen für sich selbst; so daß das Bewusstsein keinen Anteil an seiner freien Realisierung hat, sondern ihr nur zusieht, und sie rein auffasst“.40 Dem eingeführten Konzept zufolge wird der rein aufgefasste Begriff an sich ohne Berücksichtigung der Rolle des ihn reflektierenden Subjekts oder, wie Hegel formuliert, ohne Berücksichtigung der Rolle des Bewusstseins gebildet. Sollte diese Rolle aber für das Erkennen tatsächlich 37 38 39 40

Vgl. GW 9, 102. Vgl. ebd., 78. Vgl. ebd., 82. Ebd., 82.

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II. Der Verstand in der Philosophie

ohne Bedeutung sein, muss zugestanden werden, dass schließlich ein passives Beziehen auf das sinnlich Vorhandene – auf das Materielle – die Wahrheit der Erkenntnis sicherstellt. Das heißt: Es ist nur das wahr, was sinnlich erfahren wird. Dies zu überprüfen ist nun die Aufgabe, welcher Hegel im Folgenden nachgeht. Aus dem Obigen ergibt sich, dass die zwei wesentlichen Momente dem Bestimmen des Gegenstandes beitragen: (1) das für sich Sein (die Identität des Gegenstandes mit sich) und (2) das Sein für ein anderes (der Unterschied, wodurch der Gegenstand aus der Reihe der anderen Gegenstände hervortritt). Beide Momente kommen dem Gegenstand der Erkenntnis gleichermaßen zu und werden mittels einer gewissen Bewegung realisiert. Indem sich die wahrnehmbaren Materien ständig in Bewegung befinden, sondern sie sich voneinander ab bzw. kommen in unterschiedlichen Kombinationen zusammen, was schließlich zum Entstehen der zu erkennenden Gegenstände führt. Ihrerseits ist diese Bewegung, so Hegel, „dasjenige, was Kraft genannt wird“.41 In diesem Kontext soll nun auf die Kraft als auf die den Prozess des Erkennens sicherstellende allgemeine Instanz rekurriert werden. Sie ist dasjenige, was den Zusammenhang gewährleistet, auf dessen Grundlage das Erkennen überhaupt realisierbar ist. Die Kraft stellt das Erkennen insofern sicher, als sie die zwei dem zu erkennenden Gegenstand angehörenden Momente miteinander verbindet. Sich selbst lässt sie dabei aber gar nicht blicken, denn „das eine Moment derselben [der Kraft, V. K.], nämlich sie als Ausbreitung der selbstständigen Materien in ihrem Sein ist ihre Äußerung; sie aber als das Verschwundensein derselben ist die in sich aus ihrer Äußerung zurückgedrängte, oder die eigentliche Kraft.“42

Im Verschwundensein resultierend, stellt nun die Kraft die zuvor gemachte Annahme in Frage. Denn sollte sich der Verstand bzw. das Bewusstsein im Prozesse des Erkennens der äußeren Welt gegenüber bloß passiv (das heißt bloß aufnehmend) verhalten, wäre der Verstand nie genötigt, die zusätzlichen Annahmen zu machen, um das Erkennen durchführen zu können. Die Einführung der Kraft hat aber das Gegenteilige belegt und die Aufgabe veranlasst, die innerhalb des Rahmens des Erkennens aufgetauchte neue Komponente, nämlich die Kraft, selbst zu erkennen. Dieser Aufgabe kommt Hegel systematisch nach, indem er die wesentliche, zum Erkennen beitragenden Bestimmungsmomente – das für sich Sein und das Sein für ein anderes – auf die Kraft selbst anwendet. Ausgehend davon, dass im Rahmen der zu prüfenden Position nur das sinnlich Erfahrbare und empirisch Belegbare (das Materielle) als wahrheitsfähig und hiermit als erkennbar angenommen ist, wird nun der Versuch unternommen, die Kraft mit Blick auf das materielle Kriterium weiter konsequent herauszuarbeiten. Daran anschließend führt Hegel die folgenden Überlegungen aus: „Daß also die Kraft in ihrer Wahrheit sei, muß sie ganz vom Gedanken frei gelassen und als die Substanz dieser

41 42

Ebd., 84. Ebd., 84.

2. Zur Rekonstruktion des Verstandesbegriffs

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Unterschiede gesetzt werden.“43 In der Konsequenz bedeutet das: Um als wahr aufgefasst zu sein, muss die Kraft als Seiendes (das heißt als sinnlich Vorhandenes) sich blicken lassen. Sollte die Kraft im oben geschilderten Rahmen als das Wahre des Gegenstandes konzipiert werden, müssen sich die zu ihrer Bestimmung gehörenden Momente – das für sich Sein und das Sein für ein anderes – als real und nicht bloß erdacht erweisen. Unter den eingeführten Annahmen ist dies aber erst dann möglich, wenn die beiden Momente als sinnlich vorhandene (das heißt als materielle) auftreten. Daraus ergibt sich nun der Bedarf, herauszuarbeiten, wie das sinnlich Vorhandene (Materielle) als wahr konzipiert werden kann. Die daran anschließenden Überlegungen führt Hegel im strengen empiristischen Rahmen aus: Um erkannt zu werden, muss auch die substanziierte Kraft dem gleichen Schema nach aufgefasst werden: (1) als für sich seiende, das heißt, als ein allgemeines Medium, das viele Materien dank der zurückdrängenden Kraft in sich vereint, und (2) als für ein anderes seiende, das heißt, als die Porosität der Materien, die das Bestehen der einzelnen voneinander unterschiedenen Materien mithilfe der passiven (zurückgedrängten) Kraft gewährleistet. Das vorgeschlagene Modell lässt sich wie folgt darstellen: Die Gesamtheit aller Materien – oder, in Hegels Worten, das allgemeine Medium – drängt nun eine bestimmte Materie zurück, während sich diese ihrerseits, dank der zurückgedrängten Kraft, von anderen Materien absondert und unterscheidet. Dadurch entsteht letztlich ein beobachtbarer Gegenstand. Das Problem dabei ist, dass das Vorhandensein der angenommenen substantiierten Kräfte erst dann festgestellt werden kann, wenn diese einander bereits berührt haben, das heißt, nur anhand des entstandenen, beobachtbaren Gegenstandes. Als selbstständig angenommene lassen sich aber diese Kräfte weiterhin nicht beobachten, sondern werden erst dank dem Entstehen des Gegenstandes wirkend bzw. wirklich. Von daher stehen die beiden Kräfte immer schon in einem Verhältnis zueinander, was eindeutig gegen ihre Selbstständigkeit spricht. Denn, um den Begriff ,Kraft‘ als wahr gelten zu lassen, muss dem Folgenden zugestimmt werden: Auch wenn die Kraft nicht beobachtet werden kann und ihr keine Realität zukommt, ist sie trotzdem wahr, indem sie wirkt. Diese Feststellung bringt jedoch neue Schwierigkeiten mit sich. Da die eigentliche Kraft erst dank der zwei selbstständigen Kräfte als wirklich zu fassen ist, müssen diese weiterhin als selbstständig angesehen werden bzw. als selbstständig bestehen können. Dem oben erstellten Erfordernis nach – als voneinander unterschiedene – lassen sich aber die beiden zur Existenz des zu bestimmenden Gegenstandes gehörenden Momente (zwei selbstständige Kräfte) nicht herausarbeiten. Denn als bloß an der Stelle der gegenseitigen Berührung – in Form eines daseienden Gegenstandes – beobachtbare, fallen sie in eine ununterschiedene Einheit zusammen; somit bleibt die Wahrheit der Kraft weiterhin „nur der Gedanke derselben“.44

43 44

Ebd., 84. Ebd., 87.

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II. Der Verstand in der Philosophie

An dieser Stelle wird nun die Position zu Ende geführt, die dasjenige Ziel verfolgt, die Gesamtheit aller sinnlichen Gegenstände sowie zu ihr gehörende Teile aus demselbigen Prinzip abzuleiten. Ein gutes Beispiel dafür stellt die Gravitationskraft dar, als Newton diese aufgrund zahlreicher Beobachtungen einführte und noch keinen formalen Ausarbeitungen unterzogen hatte. Denn in Form eines unmittelbaren Begriffs machte sie die folgende Behauptung möglich: Die Gravitationskraft sei ein Ergebnis des gegenseitigen Körper-Anziehens, während sich dieses Anziehen dem Verhältnis zwischen den Körper-Massen verdanke. Mittels der eingeführten Gravitationskraft wurden einerseits die einzelnen empirischen Körper präzisiert (nämlich als ein Massenverhältnis zwischen ihnen), andererseits wurde die Einheit dieser Körper mittels der diese Einheit durchdringenden Gravitationskraft (der Allgemeinheit) differenziert. Aus den erzielten Ergebnissen konnten aber weder die weiteren Auskünfte bezüglich des sinnlichen (das heißt physikalischen bzw. materiellen) Inhalts des Körpers noch die eigentlichen Bestimmungen der Natur der Gravitationskraft selbst gewonnen werden, denn die Gravitationskraft selbst blieb der Beobachtung nicht zugänglich. So hat sich die zu Ende geführte Position, in deren Rahmen nur der zu bestimmende Gegenstand wahr ist, während dem Bewusstsein nur eine passive Rolle zukommt, als unhaltbar oder, mit Hegels Worten, als ein bloßes Spiel der Kräfte herausgestellt. Denn als der Beobachtung absolut unzugänglich erwies sich die Kraft letztlich als ein dem Bewusstsein gehörender Gedanke. Als Konsequenz daraus ist auch der empiristische Anspruch gescheitert, das Erkennen ausschließlich auf dem Boden der reinen Sinnlichkeit durchführen zu können. Auf der Suche nach Lösungsmöglichkeiten des hervorgetretenen Problems formuliert Hegel die Frage nach den Wahrheitskriterien des Erkennens neu. Dabei wendet er sich der rationalistischen Auffassung zu und räumt dem Bewusstsein eine konstitutive Rolle im Prozesse des Erkennens ein, denn „[d]ieses wahrhafte Wesen der Dinge hat sich itzt so bestimmt, daß es nicht unmittelbar für das Bewusstsein ist, sondern daß dieses ein mittelbares Verhältnis zu dem Innern hat, und als Verstand durch diese Mitte des Spiels der Kräfte in den wahren Hintergrund der Dinge blickt.“45

Bevor ich der darauffolgenden Überlegungen Hegels mit Blick auf den zu rekonstruierenden Verstandesbegriff weiter nachgehe, möchte ich dem Missverständnis entgegnen, Hegel habe die empiristische Position nicht komplett erschöpft, sondern einige Möglichkeiten ihrer Verteidigung unberücksichtigt gelassen. Ein gutes Beispiel hierfür sei ein nominalistischer oder eliminativer Lösungsweg,46 in dessen Rahmen behauptet wird, dass, auch wenn es tatsächlich keine substanziierten Kräfte gibt, der Begriff ,Kraft‘ zu Erklärungsprinzipien beobachtbarer Gegebenheiten führt. Dieser Vorschlag ist deshalb nicht zulässig, weil die Annahme des Erklärens, dem der Begriff ,Kraft‘ dienlich sein soll, den von Hegel zuvor einge45 46

Ebd., 100. Mehr dazu siehe D. Emundts 2012, 226 f.

2. Zur Rekonstruktion des Verstandesbegriffs

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führten strengen empiristischen Rahmen des Erkennens verletzt. Denn in diesem Rahmen kommt dem Bewusstsein (das heißt dem Denken) keine konstitutive, sondern eine bloß passiv aufnehmende Rolle zu. Demzufolge steht uns das Erklären – als eine eigentümliche und aktive Tätigkeit des Denkens selbst – nicht zur Verfügung. Der darüber hinausgehende Vorschlag, die Erklärungsprinzipien als objektiv gelten zu lassen, erweist sich aus demselben Grund als unzulässig. Nachdem die empiristische Stellung zu Ende geführt wurde, vollzieht Hegel eine neue Wendung, indem er, wie oben bereits erwähnt, nach den Wahrheitskriterien des Denkens bzw. des Bewusstseins fragt. Die aus den obigen Entwicklungen hervorgetretene Konstellation stellt sich wie folgt dar: Indem gezeigt wurde, dass der zu bestimmende Gegenstand ein Produkt des Wirkens der angenommenen Kraft ist, während die Kraft selbst nichts Sinnliches (das heißt nichts Erfahrbares) darstellt, sondern bloß begrifflich erfasst bleibt, wird nun der Versuch unternommen, die erreichte Position durch eine neue Annahme – der des Inneren des Dinges – aufrechtzuerhalten. Damit scheint Hegel das Ziel anzustreben, das nicht empiristisch gesicherte Allgemeine (die Kraft) trotzdem als wahr zu fassen und ins Verhältnis zum Gegenstand der Erkenntnis zu setzen. In diesem Kontext führt Hegel das Innere des Dinges als ein dem Verstand verborgenes – durch die Kraft hervorgebrachtes – Wesen des zu bestimmenden Gegenstandes ein. Da es sich aber bereits ergeben hat, dass der zu bestimmende Gegenstand nichts unmittelbares für das Bewusstsein ist, sondern ein Produkt der Vermittlung darstellt (das Einführen der ,Kraft‘ ist ein Beleg dafür), spricht Hegel in diesem Überlegungsstadium die vermittelnde Funktion der Erscheinung zu und bestimmt diese auf folgende Weise: Zum einen wird sie im Unterschied zum Schein als ein Ganzes des Scheins eingeführt und hiermit als ein Ausdruck der Gesamtheit aller materiellen Dinge formuliert, zum anderen wird dieses Ganze des Scheins (die Erscheinung) als das eigentliche Innere bestimmt, welches schließlich nichts anderes, als bloß „das Spiel der Kräfte, als Reflexion desselben in sich selbst“47 ist. Die Erscheinung repräsentiert nun, so Hegel, „das entwickelte Sein“48 und schließt die aufeinander bezogenen Extreme – das Extrem des Verstandes (das heißt der Begriff) und das Extrem des zu bestimmenden Gegenstandes (der Inhalt bzw. das Innere des Gegenstandes) – in der Mitte (in der Erscheinung) zusammen. Anhand dieser Auffassung werden die zu bestimmenden sinnlichen Gegenstände als durch das Wirken von Etwas, welches von Anderem (von der Kraft) hervorgebracht wird, behauptet und dem Scheine nach als etwas Bestehendes und vollkommen Selbstständiges angenommen. Aber sind sie tatsächlich selbstständig? Im nächsten Schritt macht Hegel auf das folgende Problem aufmerksam: Um die vermeintlich unmittelbaren Objekte der äußeren Welt (bspw. ein Haus, einen Baum usw.) erkennen zu können, muss man nicht nur den Sinn der Definition (,Haus‘ oder ,Baum‘) kennen, sondern auch im Stande sein, die zu erkennenden Objekte von47 48

GW 9, 88. Vgl. ebd., 88.

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II. Der Verstand in der Philosophie

einander zu unterscheiden. Als scheinbar selbstständige erhalten Gegenstände der Erkenntnis jedoch erst dann einen Sinn, wenn sie in Relation zueinander gebracht werden. Somit beinhaltet jegliche Bestimmung eines einzelnen Gegenstandes in sich auch einen Ausdruck dessen, was dieser Gegenstand in Relation zu anderen Gegenständen darstellt und in Bezug auf diese nicht ist, denn, so Hegel, „Schein nennen wir das Seyn, das unmittelbar an ihm selbst ein Nichtseyn ist“.49 Hieraus folgt, dass das Erkennen des einzelnen Gegenstandes nur angesichts der Gesamtheit (aller Gegenstände) möglich ist, wofür die Auffassung der sinnlichen Welt als eines Ganzen erforderlich bleibt. Von daher schließt der von Hegel eingeführte Begriff der Erscheinung – als ein „Ganzes des Scheins“ – alle vorhandenen Relationen in sich ein, indem er die Gesamtheit alles Materiellen repräsentiert und selbst zum Ausdruck des Ganzen der sinnlichen Welt wird. Damit wird die in der ersten oben bereits beschriebenen empiristischen Auffassung vermisste Seite des Seins für ein anderes (der Unterschied) dank der Einführung des Begriffs der Erscheinung eingeholt. Die materiellen Dinge bilden jetzt ein „Ganzes des Scheins“, dem ein einfaches Prinzip – die Kraft – zugrunde gelegt wird. Da die herausgearbeitete Gesamtheit gleichzeitig dem Verstand angehört – denn aus den obigen Überlegungen ging das Ergebnis vom Kraft-Wirken als bloßer Gedanke und hiermit als ein reiner Begriff des Verstandes hervor –, wird nun der Inhalt des herausgearbeiteten Begriffs – das verborgen gebliebene Innere des Dinges selbst – zum Gegenstand der Erkenntnis gemacht. Dies veranlasst die darauffolgende Denkentwicklung Hegels. Bevor ich dieser im Detail nachgehe, muss einiges erläutert werden, worauf Hegel einen impliziten Bezug nimmt. Auch wenn die Frage nach den Vermittlungsmöglichkeiten des Inneren der Dinge und schließlich der Erscheinung selbst für die weiteren Überlegungen Hegels ausschlaggebend ist, werden in der Forschungsliteratur Versuche unternommen, das ganze Kapitel in Anlehnung an Platon bzw. seine Ideen-Lehre zu lesen.50 Unter den systematisch erarbeiteten und zuvor angegebenen Prämissen kann eine solche Lesart, so meine These, jedoch nicht als akzeptabel angesehen werden, da die antiplatonischen Züge Hegels zu offensichtlich sind.51 Vielmehr lässt sich mit der Einführung des Begriffs der Erscheinung sowie der Behauptung, dass sein Wesen nichts Sinnliches darstellt, sondern rein begrifflich ist, an die Kantische Position anschließen. Im Verhältnis zu dieser Position werden die systematischen Züge Hegels besonders deutlich. Um den Bezug zu Kant durchsichtig zu machen, scheint die folgende Passage aus der Kritik der reinen Vernunft ausschlaggebend zu sein: „An einem Gegenstande des reinen Verstandes ist nur dasjenige innerlich, welches gar keine Beziehung (dem Dasein nach) auf irgendwas von ihm Verschiedenes hat. Dagegen sind die inneren Bestimmungen einer substantia phaenomenon im Raume nichts als Verhältnisse, und sie selbst ganz und gar ein Inbegriff von lauter Relationen. Die Substanz im Raume 49 50 51

Ebd., 88. L. Siep 2000; H.-G. Gadamer 1973. Mehr zu dieser Argumentation siehe B. Bowman 2008, 161.

2. Zur Rekonstruktion des Verstandesbegriffs

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kennen wir nur durch Kräfte, die in demselben wirksam sind, andere dahin zu treiben (Anziehung), oder vom Eindringen in ihn abzuhalten (Zurückstoßung oder Undurchdringlichkeit); andere Eigenschaften kennen wir nicht, die den Begriff von der Substanz, die im Raum erscheint, und die wir Materie nennen, ausmachen.“52

Während sich die substantia phaenomenon (die sogenannte Erscheinung) – bei Kant wie bei Hegel – anhand der reinen Verhältnisse äußert, indem diese Verhältnisse das Wirken der inneren Kräfte darstellen, bleibt die eigentliche Substanz ihrem inneren Inhalt nach ein Gegenstand des Verstandes. Von der inhaltlichen Seite gesehen, ist aber der Gegenstand des Verstandes für Kant derjenige, welcher keine Beziehung auf irgendetwas von ihm Verschiedenes hat und somit kein Objekt der Erfahrung ist. Auch wenn Kant und Hegel darin übereinzustimmen scheinen, dass das Innere nicht erfahrbar ist, schlägt Hegel im Weiteren einen anderen Weg ein. So stellt für ihn die von Kant angenommene Unerkennbarkeit des Inneren der Dinge eine eindeutige Konsequenz dessen dar, dass die Kraft – die Wahrheitsinstanz, auf die beim Erfassen der Gegenstände rekurriert wird – nichts Seiendes bzw. Erfahrbares ist und den zuvor eingeführten Bestimmungskriterien nach nicht bestimmt werden kann. Daraus ergibt sich, dass die erreichte Unerkennbarkeit des Inneren der Dinge ein mangelhafter Einsatz des Erkennens, das heißt des Denkens darstellt. Infolge dessen bleibt für Hegel die Möglichkeit ausgeschlossen, die vollkommene Beziehungslosigkeit des Inneren der Dinge – genau das, was bei Kant einen Grund für die Unerkennbarkeit des Inneren ist (!) – zu behaupten. Während Kant darauf besteht, die Substanz als Träger alles Erscheinenden vorauszusetzen, erweist sich die Annahme eines solchen Trägers für Hegel als unzulässig. Denn bis zu diesem Punkt der Überlegungen hat Hegel bestätigt, dass nicht eine unmittelbare Welt – soweit diese als ein erfahrbarer Träger von unzählbar vielen Erscheinungen der materiellen Gegenstände erkannt werden kann – schon Erkenntnis ist, sondern diese Welt erst als ein Produkt der konsequenten Denkerfassung und Denkvermittlung zum eigentlichen Erkennen beiträgt.53 Weiterhin ist die Kantische Annahme der Beziehungslosigkeit des Inneren der Dinge für Hegel deshalb nicht haltbar, weil diese Annahme gegen die eigentliche Struktur des Bestimmens selbst verstößt, indem sie den Inhalt des Verstandesbegriffs als mit sich identisch ausschließlich der Seite des für sich Seins nach (das heißt der formalen Identität nach) postuliert, und von der zweiten konstituierenden Seite des Bestimmens – nämlich der des Seins für ein Anderes (der des Unterschieds) – absieht. Hegel macht darauf aufmerksam, dass die Unerkennbarkeit des Inneren die eindeutige Folge dessen ist, das Innere als Seiendes – das heißt, als Sinnliches und hiermit als Erfahrbares – zu behaupten und davon abzusehen, wie man überhaupt zur Behauptung des Inneren als solchem gekommen war, denn 52

KrV, A 265/B 321. Hegels Versuch, die Kräfte als substanziell aufzufassen, endete bereits mit der Konklusion: „Sie haben hiemit in der That keine eignen Substanzen, welche sie trügen und erhielten. Der Begriff der Krafft erhält sich vielmehr als das Wesen in seiner Wirklichkeit selbst“ (GW 9, 70). 53

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II. Der Verstand in der Philosophie „[u]nser Gegenstand ist hiemit nunmehr der Schluß, welcher zu seinen Extremen, das Innere der Dinge, und den Verstand, und zu seiner Mitte die Erscheinung hat; die Bewegung dieses Schlusses aber gibt die weitere Bestimmung dessen, was der Verstand durch die Mitte hindurch im Inneren erblickt, und die Erfahrung, welche er über dieses Verhältnis des Zusammengeschlossenseins macht.“54

Die weiteren Überlegungen Hegels laufen darauf hinaus, dass das Innere kein Produkt des reinen Bestimmens des Verstandes ist – wie Kant dies behauptet –, sondern mittels der Erscheinung hervorgebracht wird und das Resultat der Dreierrelation – zwischen dem Verstand (1), dem Inneren der Dinge (2) und der Erscheinung (3) in der Mitte – darstellt. Die entstandene Relation verdeutlicht ihrerseits, dass ohne vermittelnde Funktion der Erscheinung, die erst dank dem Schließen darauf und nicht dem Urteilen darüber erfasst wird, keine Erkenntnis möglich wäre. Hegels Erläuterung dazu lautet: „[w]enn es mit dem Innern und dem Zusammengeschlossensein mit ihm durch die Erscheinung weiter nichts wäre, so bliebe nichts übrig, als sich an die Erscheinung zu halten, das heißt, etwas als wahr zu nehmen, von dem wir wissen, daß es nicht wahr ist“.55

Die systematische Begründung der vermittelnden Funktion der Erscheinung macht es möglich, die Erkennbarkeit des Inneren der Dinge zu behaupten. Da, wie zuvor eingeführt, nur dasjenige erkannt werden kann, was zum einen dank einem Unterschied bestimmt ist, und zum anderen anhand eines einheitlichen Prinzips konzipiert wird, zielt die nachfolgende Argumentation Hegels darauf ab, den bisher vermissten, der Kraft zugrundeliegenden Unterschied – nämlich die Seite des Seins für ein anderes – zu explizieren. Hegel schreibt: „Dieser Unterschied als allgemeiner ist daher das Einfache an dem Spiele der Krafft selbst, und das Wahre desselben; er ist das Gesetz der Krafft.“56 In diesem Zusammenhang führt Hegel nun das ,Gesetz‘ als die Inhaltsbestimmung bzw. die Wesensbestimmung der Kraft ein, indem er den allgemeinen Unterschied nun wie folgt erläutert: „[D]ie Negation ist wesentliche Moment des Allgemeinen, und sie oder die Vermittlung also im Allgemeinen ist allgemeiner Unterschied. Er ist im Gesetze ausgedrückt, als dem beständigen Bilde der unsteten Erscheinung. Die übersinnliche Welt ist hiemit ein ruhiges Reich von Gesetzen.“57

Als Negation wird der Unterschied von Hegel als ein wesentliches Moment des Allgemeinen (das heißt des Begriffs) bestimmt. Dank diesem Moment wird der zu bestimmende Gegenstand derart präzisiert, dass er in eine negative Beziehung zu alledem, was er nicht ist, gebracht wird. Somit wird reflexiv-logisch begründet, dass das Bestimmen und letztlich das Erkennen erst dank des Unterschieds (der Negation) möglich ist. 54 55 56 57

GW 9, 89. Ebd., 90. Ebd., 91. Ebd., 91.

2. Zur Rekonstruktion des Verstandesbegriffs

83

An dem bisher erreichten Punkt der Untersuchung sind die folgenden Ergebnisse festzuhalten: Der allgemeine Unterschied wird als Negation und schließlich als wesentliches Moment des Allgemeinen (des Begriffs) erkannt. Weiterhin wird der Unterschied in das Innere aufgenommen. Damit wird systematisch belegt, dass die Gegenstände nicht als unmittelbar gegebene, sondern erst mittels des Verstandes als voneinander unterschiedene aufgefasst werden. Da dem Unterschied eine vermittelnde Funktion zukommt, muss er – um dieser Funktion gerecht zu werden – eine gewisse Gesetzmäßigkeit aufweisen. Daran anschließend strebt Hegel nun das Ziel an, das Gesetz als ein dem Erkennen zugrundeliegendes einheitliches allgemeines Prinzip aufzufassen. Durch das Gesetz soll nun die Erscheinung, die zuvor als etwas unmittelbar Gegebenes zur Kenntnis genommen wurde, vermittelt werden. Hiermit verlegt Hegel das verdeckte Innere des Dinges, welches dem oben ausgeführten Vorgang nach die Erscheinung selbst beinhalten sollte, auf die Seite des Begriffs, und hiermit des Verstandes, denn „die Erscheinung ist sein Wesen, und in der That seine Erfüllung“.58 Da die Erscheinung nicht mittels der sinnlichen Erfahrung erfasst wird, sondern dank dem wesentlichen Moment des Bestimmens selbst – dem Unterschied – zustande kommt, indem auf sie als ein Ganzes des Scheins geschlossen wird, konzipiert Hegel sie als eine Bestimmung des Allgemeinen überhaupt. Hiermit ist das Innere dem Verstand „als das allgemeine noch unerfüllte Ansich geworden“.59 Im oben ausgeführten Kontext ist nun das Gesetz dasjenige, was die Kraft präzisieren muss. Unter dem Gesetz als solchem wurde bereits zu Hegels Zeiten ein Prinzip der Notwendigkeit dessen verstanden, was den Gegenstand der Erkenntnis bestimmt.60 Bedenkt man diesen Fakt, lässt sich das angestrebte Ziel wie folgt ausdrücken: Um erkennen zu können, muss die Vereinigung (bzw. der Zusammenhang) beider dem Bestimmen des Gegenstandes konstitutiver Momente (des für sich Seins und des Seins für ein anderes) als notwendig aufgefasst werden, wofür auch die diese Vereinigung realisierende, zu einem und demselben Begriff gehörende, Bewegung als eine notwendige nachgewiesen werden muss. Angesichts der bisher gemachten Annahme – welche dem Bewusstsein eine konstitutive Rolle im Erkenntnisprozess einräumte und die Frage nach den Wahrheitskriterien des Denkens selbst veranlasste – führt Hegel die darauf folgenden Überlegungen so aus, dass er nach den Möglichkeiten sucht, das Gesetz als Wahrheitskriterium des Begriffs herauszuarbeiten. In dieser Untersuchungsphase konzentriert er sich ausschließlich auf die physikalischen, das heißt empirisch belegbaren Gesetze. Zunächst verfährt Hegel so, dass er die Auffassung der physikalischen Gesetze wiedergibt, indem er das Gesetz als in der Erscheinung gegenwärtig formuliert, denn 58

Ebd., 74. Ebd., 75. 60 So definiert Kant bspw. Gesetze als Prinzipien der Notwendigkeit dessen, was zum Dasein eines Dinges gehört (I. Kant, Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft, Vorrede, VII). 59

84

II. Der Verstand in der Philosophie

„es hat unter immer andern Umständen eine immer andere Wirklichkeit“.61 Daran anknüpfend geht er dazu über, die physikalischen Gesetze daraufhin zu untersuchen, ob sie tatsächlich notwendig sind. Dies bedarf einer Erläuterung: Als Prinzip der Notwendigkeit besagt bspw. das physikalische Gesetz der Gravitationskraft, wie die Körper sich zueinander verhalten, nämlich, dass zwei Körper eine Kraft aufeinander ausüben, die abhängig vom Abstand zwischen ihnen ist und in direktem Verhältnis zum Produkt ihrer Massen steht. Versteht man diese Behauptung als etwas, was in allen Fällen gilt – denn nur dann entspricht das Gesetz seinem grundlegenden Prinzip, das hießt, ist notwendig –, kommt man zu dem Ergebnis, dass es in der Realität nicht erfüllt werden kann: Durch andere wirkende Kräfte beeinflusst – z. B. durch elektrische oder magnetische Kraft –, lässt sich das Verhältnis (das sogenannte Innere) zwischen beiden Körpern nie ausschließlich dem Gravitationsgesetz nach bestimmen, sondern stellt die Gesamtheit aller auf diese Körper wirkenden Kräfte – in einer resultierenden Kraft – dar. So bleibt das Ziel, das Innere des Gegenstandes als ein konstitutives Moment seines Begriffs aufzufassen, in diesem Stadium des Untersuchens unerreicht, denn „[d]as Gesetz ist dadurch auf eine gedoppelte Weise vorhanden, das einemal als Gesetz, an dem die Unterschiede als selbstständige Momente ausgedrückt sind; das anderemal in der Form des einfachen in sich zurückgegangenseyns, welche wieder Kraft genannt werden kann, aber so daß sie […] die Kraft überhaupt oder als der Begriff der Krafft ist, eine Abstraction, welche die Unterschiede dessen, was attrahirt und attrahirt wird, selbst in sich zieht.“62

Als auf eine gedoppelte Weise Vorhandenes scheint das Gesetz nun im Sinne einer Definition bzw. einer speziellen Formel gemeint zu sein: Denn in solcher Standardform ausgedrückt, fällt der abstrakte (formale) Begriff – z. B. ,Gravitationskraft‘ – auf die eine (meistens linke) Seite der Formel, hingegen befindet sich die Bestimmung des Begriffs (ein Unterschied, der mittels zweier vermeintlich selbstständiger Momente ausgedrückt wird) auf der anderen Seite.63 Die Hegelsche Argumentation läuft dabei auf das folgende Problem hinaus: Während der auf der linken Seite der Formel stehende Begriff (z. B. ,Gravitationskraft‘) mithilfe der formalen Identität fixiert wird, stellt die auf die andere Seite der Formel verlegte Bestimmung des Begriffs das eigentliche Moment des Unterscheidens dar, wodurch der Begriff überhaupt zu präzisieren ist. Auf diese Weise aufgefasst, fallen die linke und die rechte Seite der Formel aus zweierlei Gründen auseinander: Zum einen, weil der zu präzisierende Begriff als bereits vorhandener 61 62 63

GW 9, 78. Ebd., 80. Zur Verdeutlichung des eingeführten Beispiels kann die folgende Formel dienen:

mm F = G 1 2 2 . Unter den Zeichen ist dabei Folgende zu verstehen: und – Massen der beiden r Körper, r – Abstand der Massenmittelpunkte, G – Gravitationskonstante und F – die Anziehungskraft.

2. Zur Rekonstruktion des Verstandesbegriffs

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und bekannter – in Form einer einfachen Bezeichnung des Erkenntnisgegenstandes (,die Gravitationskraft‘) – vorausgesetzt wird, zum anderen, weil der Unterschied – die sogenannte Bestimmung des Begriffs – anhand zweier als selbstständig angenommener Momente (in unserem Fall sind das die zwei selbstständigen Körper, die eine Anziehungskraft aufeinander ausüben) erst herausgearbeitet bzw. berechnet wird und sich nicht als ein konstitutiver Teil des eigentlichen Begriffs (des der Gravitationskraft) zeigt. So wird das mittels der Formel berechnete Ergebnis am Ende dem vorausgesetzten (Erkenntnis)Gegenstand bloß zugeschrieben, während der Gegenstand selbst nicht aufgezeigt wird. Als allgemein geltend vorausgesetzt, wird die Kraft dem oben ausgeführten Bestimmungsverfahren nach ausschließlich im Bereich der Empirie (der Sinnlichkeit) bestätigt, während dieser Bereich, wie oben ausgeführt, als ein eigenständiges Wahrheitskriterium für die Erkenntnis belanglos bleibt.64 Man wird auch deswegen der vorgenommenen Aufgabe nicht gerecht, weil das zu bestimmende Innere wiederum an die Seite der unmittelbaren Sinnlichkeit verlegt wird, weshalb die Bestimmung des Erkenntnisgegenstandes (die Bestimmung der Kraft) eine Inkonsistenz aufweist, indem der zu bestimmende Gegenstand mithilfe der Annahme der zwei voneinander unterschiedenen selbstständigen Momente erfasst wird. Die Selbstständigkeit dieser Momente steht im offensichtlichen Widerspruch zum bisher erreichten Ergebnis, wonach dem Denken selbst eine konstitutive Rolle im Erkenntnisprozess zugemessen wurde, was die Selbstständigkeit des unmittelbar Sinnlichen unmöglich machte. Das erreichte Resultat hat zur Folge, dass nicht das Gesetz als solches – seiner eigentümlichen Struktur nach –, sondern bloß ein bestimmtes (das heißt ein besonderes) Gesetz hervortritt, wovon, so Hegel, unbestimmt viele vorhanden sind (wie bspw. die Gesetze der Gravitation, des Magnetismus, der Elektrizität usw.). Das Streben danach, die universale Struktur des Gesetztes durchsichtig zu machen, endet schließlich in einem Zusammenfallen von unzählig vielen bestimmten Gesetzen, woraus folgt, dass der Begriff und seine Bestimmung nicht notwendig verbunden sind. Das erreichte Problem lässt sich mithilfe der folgenden zwei Beispiele illustrieren. 1. Beispiel: So wird die anhand des Fallens wirkende Schwere (die sogenannte Schwerkraft), welche sich mittels eines einheitlichen dynamischen Prozesses bemerkbar macht, durch das oben dargestellte Bestimmungsverfahren als ein statisches Zusammensetzen der voneinander unterschiedenen und vollkommen selbstständigen Momente aufgefasst. Während die Geschwindigkeit des Fallens anhand der Zeit präzisiert wird, wird die Entfernung mittels des Raums veranschaulicht. Der notwendige Zusammenhang beider Momente wird dabei außer Acht gelassen und auf keinerlei Weise thematisiert, was der Natur des zu bestimmenden Gegenstandes, der Schwerkraft, nicht entspricht. 64 Modern gesprochen, haben wir hier das sogenannte Problem des Induktionsschlusses erreicht.

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II. Der Verstand in der Philosophie

2. Beispiel: Betrachtet man das Elektrizitätsgesetz etwas präziser, stellt man Folgendes fest: Um das, was als negative und positive Ladung bestimmt ist, als Bestehend aufzufassen, muss davon abgesehen werden, dass das Wesen des zu bestimmenden Gegenstandes – das heißt das Wesen der Elektrizität – ein dynamischer Prozess ist. Auf solche Weise aufgefasst, ist das Elektrizitätsgesetz nur dann gültig, wenn die Ladungen ruhen (bzw. fixiert sind), nicht aber wenn sie in Bewegung kommen. Die Zusammensetzung der selbstständigen Momente impliziert seinerseits keine Bewegung mehr. So fällt der gemachte Unterschied ausschließlich in den Verstand – das heißt in das Denken bzw. in das Subjekt selbst –, nicht aber in den vom Verstand thematisierten Gegenstand, welcher das eigentliche Objekt der Erkenntnis ist. Die oben betrachteten Beispiele machen nun die Gleichgültigkeit ersichtlich, die sich auf zweierlei Weise äußert: Einerseits besteht sie zwischen der Kraft und dem Gesetz (1), andererseits tritt sie zwischen dem Begriff und dem Sein auf (2). So wird im ersten Fall die vorausgesetzte Kraft (in Form einer Definition) mittels der an diese Voraussetzung angepassten Bestimmung bloß erläutert, indem die zwei voneinander unterschiedenen selbstständigen Momente eingeführt werden. Die zweite Weise der Gleichgültigkeit zeichnet sich dadurch aus, dass mittelst der begrifflich aufgefassten Kraft tatsächlich kein zu bestimmender Gegenstand als ein notwendiger erkannt wird.65 Anhand der zuvor betrachteten Gravitationskraft lässt sich das erreichte Problem wie folgt veranschaulichen: Sollte die Gravitationskraft tatsächlich notwendig sein, muss sie ausschließlich durch das Verhältnis der Massen von Körpern und deren Abstand erkannt bzw. bestimmt werden können. Dies ist jedoch nicht der Fall. Auch wenn die Gravitationskraft unter den angegebenen Umständen tatsächlich zu konstatieren ist, lässt sie sich nie rein (das heißt, von keinen zusätzlichen Einwirkungen beeinflusst) bestimmen. Um einem Gesetz den Status der Notwendigkeit zuzusichern, wird in der Naturwissenschaft der Versuch unternommen, dieses Gesetz unter sogenannten Laborbedingungen zu spezifizieren, um die Fälle auszuschließen, in welchen das zu präzisierende Gesetz nicht gilt. Ein solches Verfahren löst aber das entstandene Problem nicht, denn das Spezifizieren des Gesetztes verdankt sich des Ausschlusses anderer Beimischungen, was mit dem Anspruch auf die Notwendigkeit des Gesetzes selbst nicht vereinbar ist.66 Demnach erweist sich die Bestimmungstätigkeit des Denkens, so Hegel, schließlich als ein bloßes Erklären, das 65

An dieser Stelle stimme ich Wolfgang Neuser zu, der behauptet: „Die Leistung des Verstandes bei der Darstellung des ersten Gesetzes besteht darin, daß er sein Inneres, d. h. sein Verständnis von den Sachverhalten, als ein Äußeres, d. h. als eine hinter diesem Verständnis liegende jenseitige Welt der Realität interpretiert.“ (W. Neuser 2004, 24). 66 Diesem Verfahren nach kann bspw. das Gesetz der Gravitationskraft wie folgt formuliert werden: Wenn zwei den oben eingeführten Bedingungen nach relevante Körper vorhanden sind und keine anderen Kräfte – außer der Gravitationskraft – wirken, dann wirkt zwischen zwei Körpern eine Kraft, die abhängig vom Abstand zwischen ihnen ist und in direktem Verhältnis zum Produkt ihrer Massen steht. Die Bedingungen, unter denen das Gesetz als notwendig

2. Zur Rekonstruktion des Verstandesbegriffs

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„nicht nur Nichts erklärt, sondern so klar ist, daß es, indem es Anstalten macht, etwas unterschiedenes von dem schon Gesagten zu sagen, vielmehr nichts sagt, sondern nur dasselbe wiederholt.“67

So wird das (Verstandes)Denken, das sich zur Erklärungstätigkeit erhoben hat, von Hegel derart charakterisiert, dass es an dem Anspruch, einen objektiv geltenden Unterschied festzustellen, scheitert und deshalb kein echtes Erkennen leistet. Das erreichte Ergebnis, welches sich dem Aufstellen der Unterschiede verdankt, die in der Tat gar keine waren, vergleicht Hegel erneut mit dem Spiel der Kräfte, denn es ist „diß derselbe Wechsel, der sich als das Spiel der Kräffte darstellte“.68 Beim Bestimmen des Gesetzes war nämlich bisher ständig zwischen Subjekt und Objekt gewechselt worden, ohne beide Seiten miteinander zu verbinden. Die hervorgetretene Konstellation veranlasst nun die Frage nach den Lösungsmöglichkeiten. Die letzteren liegen nach Hegel in einer konsequenten Erweiterung des Bestimmungsverfahrens. Die in die neue Untersuchungsphase überleitende Fassung lautet: „Mit dem Erklären also ist der Wandel und Wechsel, der vorhin außer dem Innern nur an der Erscheinung war, in das Uebersinnliche selbst eingedrungen; unser Bewußtseyn ist aber aus dem Innern als Gegenstande auf die andere Seite in den Verstand herübergegangen, und hat in ihm den Wechsel.“69

Damit vollzieht Hegel einen Perspektivwechsel: Während die Aufmerksamkeit bis jetzt ausschließlich auf die äußere (empirische) Welt und hiermit auf die empirischen Gesetze gerichtet wurde, wird nun der Verstand (das heißt das Denken und hiermit das Denkgesetz selbst) zum Thema der nachfolgenden Untersuchungen. Mit dem Perspektivwechsel erfährt der Verstand, so Hegel, „[e]in zweytes Gesetz, dessen Inhalt demjenigen, was vorher Gesetz genannt wurde, nemlich dem sich beständig gleichbleibenden Unterschiede entgegengesetzt ist“.70 Dies bedarf einer Erläuterung: Während dem ersten Gesetz gemäß der zu bestimmende Gegenstand als mit sich identisch oder, in Hegels Terminologie gesprochen, als ein gleich bleibender Unterschied aufgefasst wurde – indem die vorausgesetzte Einheit (der Begriff) und der Unterschied (die Bestimmung des Begriffs) als unmittelbar identische vorausgesetzt wurden –, liefert das zweite Gesetz nun die Begründung dafür, wodurch der zuvor behauptete beständig gleichbleibende Unterschied (damit ist die formale Identität ,A ist A‘ gemeint) geleistet wird. Denn, so Hegel, „diß neue [Gesetz, V. K.] drückt vielmehr das Ungleichwerden des Gleichen, und das Gleichwerden des Ungleichen aus“.71 Die folgenden Überlegungen helfen dabei, diese etwas kryptische Formulierung aufzuschlüsseln: aufzufassen ist, bleiben jedoch außerhalb des Gesetzes liegen, was die Notwendigkeit des Gesetzes selbst – im strengen Hegelschen Sinne verstanden – unmöglich macht. 67 GW 9, 86. 68 Ebd., 87. 69 Ebd., 87. 70 Ebd., 87. 71 Ebd., 87.

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II. Der Verstand in der Philosophie

Bedenkt man den bereits vollzogenen Perspektivwechsel, stellt sich heraus, dass aus dem Bereich der Empirie, dessen Abbild die Naturgesetze darstellen, in den Bereich der reinen Rationalität übergegangen wurde. Von dieser Seite her wird nun das (Denk)Gesetz zum Zentrum der eigentlichen Untersuchung. In diesem Zusammenhang lässt sich die zum Ausdruck gebrachte Entgegensetzung als das Denkgesetz zum Ausschließen des Widerspruchs erkennen, denn jeglicher Akt des Identitätssetzens verdankt sich (und zwar notwendig) dem Ausschließen des Widerspruchs. Durch den vollbrachten Perspektivwechsel wird mittels des Verstandes erfahren, dass ein neues (zweites) Gesetz das Gegenteil des vorausgehenden besagt und die ,Verkehrung‘ dessen bedeutet, was bisher als gesetzmäßig behauptet wurde. An dieser Stelle wird das folgende Problem ersichtlich: Versucht man an beiden Gesetzen – dem Identitätsgesetz und dem Gesetz zum Ausschließen des Widerspruchs – festzuhalten, stellt sich heraus, dass beide Gesetze einander ausschließen und im Endeffekt, so Hegel, zur Gedankenlosigkeit führen. Die angedeutete Gedankenlosigkeit scheint in diesem Kontext nichts anderes, als ein Scheitern des setzenden verständigen Bestimmens zu sein, denn das erste Gesetzt des Verstandes setzt genau dasjenige voraus, was das zweite zu vermeiden sucht und vice versa. Da das zweite Gesetz – genau wie das erste – nicht nur ein Ergebnis derselben konsequenten Denkausführungen ist, sondern die beiden erst in Bezug aufeinander einen Sinn erhalten, darf keines von beiden Gesetzen ignoriert werden. Daran anknüpfend mutet nun der Begriff, so Hegel, „der Gedankenlosigkeit zu, beyde Gesetze zusammenzubringen, und ihrer Entgegensetzung bewußt zu werden“.72 Systematisch gesehen kann aber das angedeutete Zusammenbringen der Gesetze nur unter der Bedingung realisiert werden, dass die Bestimmungen, die anhand dieser Gesetze gemacht worden sind, auf dasselbe Wesen des zu erkennenden Dinges (auf dasselbe Innere des zu bestimmenden Gegenstandes) zurückgeführt werden. Oder, anders formuliert, dass die Verkehrung als die demselben Wesen entsprechende erwiesen wird. Dies kann erst dann erfüllt werden, wenn das Innere des Gegenstandes, als das Gleichnamige aufgefasst wird, denn, so Hegel, „es ist das gleichnamige, was sich von sich selbst abstößt, und dies abgestoßene zieht sich daher wesentlich an, denn es ist dasselbe; der gemachte Unterschied, da er keiner ist, hebt sich also wieder auf. Er stellt sich hiemit als Unterschied der Sache selbst, oder als absoluter Unterschied dar, und dieser Unterschied der Sache ist also nichts anders als das Gleichnamige, das sich von sich abgestoßen hat, und daher nur einen Gegensatz setzt, der keiner ist.“73

Beim Auffassen des Inneren des Dinges als des Gleichnamigen (das heißt des Desselbigen) stößt der Verstand jedoch auf eine Schwierigkeit: Von der Sinnlichkeit nicht völlig befreit, wird weiterhin danach gesucht, das Bestimmen mittels des Festhaltens an den selbständigen Momenten zu realisieren. Dies verdeutlicht Hegel anhand des folgenden Beispiels: In Bezug auf die bestimmten Gesetze – die ihre 72 73

Ebd., 87. Ebd., 88.

2. Zur Rekonstruktion des Verstandesbegriffs

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Bestätigung, wie bereits ausgeführt, aus dem Bereich der Empirie schöpfen – heißt die vom Verstand erfahrene Verkehrung zunächst, dass diese bestimmten Gesetze, die im Verhältnis der Verkehrung zueinander stehen, das Gegenseitige zum Ausdruck bringen. Zur Illustration dessen zieht Hegel die magnetische Kraft heran: „Was im Gesetz der erstern, am Magnete Nordpol, ist in seinem anderen übersinnlichen Ansich, (in der Erde nemlich), Südpol; was aber dort Südpol ist, hier Nordpol“.74 Das im Hintergrund stehende Problem ist das folgende: Die Bezeichnung von Nord- und Südpol kann sowohl im physikalischen als auch im geographischen Sinn verstanden werden. Der geographische Nordpol ist als der Punkt definiert, welcher von einem Kompass als Norden angezeigt wird. Da sich gleichnamige Pole abstoßen bzw. ungleichnamige anziehen und der Kompass aus einem Magneten besteht, ist der geographische Nordpol im physikalischen Sinn der Südpol. So wird sich bspw. derjenige magnetische Pol, der als Nordpol definiert ist, anhand des im physikalischen Sinn aufgefassten Magnetismus als Nordpol, hingegen, geographisch gesehen, als Südpol erweisen. Da es sich in beiden Fällen um ein und dasselbe Wesen (das heißt um das Gleichnamige) des Magnetismus handelt, können die zu seinem Begriff gehörenden, einander aber ausschließenden Bestimmungsmomente erst dann eine Bedeutung erhalten, wenn ihnen die Selbstständigkeit zukommt. Dies ist aber allein deswegen nicht gegeben, weil die eingeführten Momente (des Nord- und Südpols) – dem Prinzip des Unterscheidens nach – erst in Bezug aufeinander präzisiert werden können. Daraus folgend erweist sich der auf solche Art präzisierte Magnetismus – den von Hegel zuvor aufgestellten und herausgearbeiteten Kriterien nach – als nicht notwendig, das heißt nicht objektiv, da eine solche Präzision unbegründeter Annahmen bzw. Voraussetzungen bedarf. Das hervorgetretene Problem lässt sich wie folgt zusammenfassen: Soll die Bestimmung, wodurch der Erkenntnisgegenstand von alledem, was er nicht ist, unterschieden wird, außerhalb des Gegenstandes (außerhalb seines eigenen Wesens) liegen, wird die Notwendigkeit des Gegenstandes selbst nicht bestätigt, denn in diesem Fall bleibt der Gegenstand von der Bestimmung abhängig und wird nicht vollständig erschlossen. Auf den Punkt gebracht heißt das: Während das erste oben betrachtete Gesetz die Identität als universal geltendes Prinzip der Erkenntnis sicherstellt, fordert das zweite Gesetz die sogenannte Verkehrung, um mittels des Ausschließens auf die zuvor behauptete Identität kommen zu können. Da der Verstand aber beim Realisieren beider Gesetze an die Sinnlichkeit anknüpft, wird die gesuchte Identität weiterhin dank der Setzung des Anderen (der gegenteiligen Vorstellung zum sinnlich Belegten) vervollständigt. Als Konsequenz daraus tritt ein unlösbarer Widerspruch auf, der seinerseits das einfache Prinzip des Begriffs sowie das einheitliche Wesen des zu bestimmenden Gegenstandes unmöglich macht. In diesem Zusammenhang führt Hegel die folgenden Überlegungen an: „Aus der Vorstellung also der Verkehrung, die das Wesen der einen Seite der übersinnlichen Welt ausmacht, ist die sinnliche Vorstellung von der Befestigung der Unterschiede in einem 74

Ebd., 88.

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II. Der Verstand in der Philosophie verschiedenen Elemente des Bestehens zu entfernen, und dieser absoluter Begriff des Unterschieds, als innerer Unterschied, Abstoßen des Gleichnamigen als gleichnamigen von sich selbst, und Gleichseyn des Ungleichen als Ungleichen, rein darzustellen und aufzufassen. Es ist der reine Wechsel, oder die Entgegensetzung in sich selbst, der Widerspruch zu denken.“75

Das verständige Auffassen ist erst dann vollendet, wenn der Unterschied als in sich vorhandene Entgegensetzung oder als der reine Wechsel begriffen wird. Dies setzt Hegel mit dem Erkennen der Struktur der Unendlichkeit in Verbindung, auf die das Bewusstsein stößt, indem es die Erfahrung macht, dass das Innere der Dinge einerseits eine Einheit bildet, andererseits aber das Übergehen (die sogenannte Verkehrung) in das Andere darstellt. Die aufgedeckten Unstimmigkeiten ermöglichen dem Bewusstsein eine korrekte Struktur-Beschreibung: So wird die Unendlichkeit als das Einfache des Gesetzes dank der Erscheinung erkannt und mittels dreier konstitutiver Momente – des sich selbst Gleichen (der Identität), des Entzweiten (des Unterschieds) und der Einheit (der Vereinigung der ersten beiden) – präzisiert. Während die durchsichtig gewordene Struktur der Unendlichkeit damit vollendet wird und sich als die Notwendigkeit des Gesetzes selbst erweist, bleibt ihr Inhalt – die Unendlichkeit als Gegenstand des Bewusstseins erfasst – den neuen Anforderungen nicht angemessen. Das erreichte Ergebnis kommt wie folgt zum Ausdruck: „In dem entgegengesetzten Gesetze als der Verkehrung des ersten Gesetzes […] wird zwar die Unendlichkeit selbst Gegenstand des Verstandes, aber er verfehlt sie als solche wieder, indem er den Unterschied an sich […] wieder an zwey Welten, oder an zwey substanzielle Elemente vertheilt; die Bewegung, wie sie in der Erfahrung ist, ist ihm hier ein Geschehen, und das gleichnamige und das ungleiche Prädicate, deren Wesen ein seyendes Substrat ist. Dasselbe, was ihm in sinnlicher Hülle Gegenstand ist, ist es uns in seiner wesentlichen Gestalt, als reiner Begriff.“76

Obwohl die hergestellte strukturelle Einheit auf die Bewegung als einen innerlichen Vorgang hindeutet, wird diese Bewegung mittels des Verstandes – anhand des Prädizierens bzw. des Setzens – weiterhin als ein äußerliches statisches Geschehen aufgefasst. Die daraus entstehenden neuen Denkgestalten des Bewusstseins tragen zur Vermittlung des zu bestimmenden Gegenstandes (Unendlichkeit) nichts mehr bei. Erst mit dem Schließen auf das ,Ich‘ sieht Hegel das Übergehen in eine neue Denkgestalt – die des Selbstbewusstseins – eingeleitet und das Erkennen des Gleichnamigen vollbracht, denn „[i]ch, das Gleichnamige, stoße mich von mir selbst ab; aber diß unterschiedne, ungleichgesetzte, ist unmittelbar, indem es unterschieden ist, kein Unterschied für mich“.77 Mit der Herstellung des Selbstbezugs (des Ichs) wird die Denkobjektivität erreicht, denn die Bewegung ist nicht mehr als ein äußerliches Geschehen erfasst, 75 76 77

Ebd., 93. Ebd., 98. Ebd., 99.

2. Zur Rekonstruktion des Verstandesbegriffs

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sondern als ein innerlicher Denkvorgang realisiert und begriffen. So wird die bisher korrekt beschriebene Struktur der Unendlichkeit auf den neuen bereicherten an sich Begriff (auf den des Ichs) gebracht. Erst „[d]iß Auffassen des Unterschieds, wie er in Wahrheit ist, oder das Auffassen der Unendlichkeit als solcher, ist für uns, oder an sich. Die Exposition ihres Begriffs gehört der Wissenschaft an“.78 Während die Notwendigkeit der bereits beschriebenen Form der Unendlichkeit mittels des Verstandes realisiert und erfasst wurde, wird die Notwendigkeit des diese Form füllenden Wesens (das heißt des Inhalts) mit dem Übergehen des Denkens in eine neue Denkgestalt des Selbstbewusstseins (des Ichs) belegt, weil erst das Selbstbewusstsein (und nur dieses) imstande ist, die einander ausschließenden Momente als die seinigen zusammenzuschließen. Denn dem Selbstbewusstsein gilt nicht etwas Anderes als wahr – nämlich das, was das Bewusstsein als selbstständig, das heißt substantiell erfasst –, sondern das Denken selbst (was mit dem Schließen auf sich selbst, das heißt auf das ,Ich‘, bestätigt wird); und alles, was unabhängig vom Denken zu bestehen scheint, ist hiermit nur ein Schein des Bestehens, der seinen Grund im Bewusstsein hat. Die Kraft, die am Anfang der zu prüfenden Position als Wahrheitsinstanz zu untersuchen war, ist damit restlos erarbeitet und in der Denkgestalt des Selbstbewusstseins aufgehoben. Hiermit hat sie sich als ein konstitutiver Bestandteil des Verstandes selbst erwiesen. Die erreichten Ergebnisse lassen sich wie folgt zusammenfassen: Wie systematisch nachgewiesen wurde, laufen die Bestandteile des reflexiven Beziehens – ,Subjekt - Objekt‘ bzw. ,Verstand - Kraft‘ – auf eine Einheit hinaus, wobei sich die sogenannte Erscheinung letztlich als die Vermittlung beider Extreme erweist, denn „[e]s zeigt sich, daß hinter dem sogenannten Vorhange, welcher das Innre verdecken soll, nichts zu sehen ist, wenn wir nicht selbst dahintergehen, ebensosehr damit gesehen werde, als daß etwas dahinter sey, das gesehen werden kann.“79

Dieses Resultat – dass es kein verdecktes Inneres gibt, sondern sich jeglicher thematisierter Gehalt notwendig der Denkvermittlung verdankt – ist die eigentliche Verstandes-Leistung, die dem objektiven Erkennen dient und zum vollständigen oder, mit Hegels Worten, zum absoluten Wissen führt: „[E]s ergibt sich zugleich, daß nicht ohne alle Umstände geradezu dahinter [hinter den das Innere verdeckenden Vorhang, V. K.] gegangen werden könne; denn diß Wissen, was die Wahrheit der Vorstellung der Erscheinung und ihres Innern ist, ist selbst nur Resultat einer umständlichen Bewegung, wodurch die Weisen des Bewußtseyns, Meynen, Wahrnehmen und der Verstand verschwinden.“80

Daran anknüpfend lassen sich die zu Beginn des Kapitels formulierten Fragen mittels des rekonstruierten Verstandesbegriffs folgend beantworten: Die konse78 79 80

Ebd., 98. Ebd., 100. Ebd., 100.

92

II. Der Verstand in der Philosophie

quente Entwicklung der Denkbewegung des Verstandes leistet ein restloses Überwinden des statischen Gegensatzes ,Begriff - Gegenstand‘, indem systematisch nachgewiesen und schließlich erkannt wird, dass es kein verdecktes und dem Erkennen unzugängliches inneres Wesen der Dinge gibt. Mit diesem Ergebnis belegt Hegel stringent, dass das Erkennen mit dem Anspruch auf Objektivität verläuft und dem Verstand dabei eine konstitutive Rolle zukommt. Das objektive Erkennen bedeutet also keinen Bruch mit dem formal-logischen Denken des Verstandes, sondern vielmehr eine systematische Erweiterung der Verstandes-Funktion. Dabei wird nicht nur das Ergebnis des setzenden Ausschlussverfahrens des Verstandes (die formale Identität), sondern auch das setzende Verfahren selbst (als Prozess) in den Rahmen des Erkennens aufgenommen und thematisiert. Demnach ist die vermittelnde Verstandes-Funktion erst dann restlos realisiert, wenn sie in der Denkgestalt des Selbstbewusstseins aufgehoben bzw. auf den ,Ich‘-Begriff gebracht wird. Sieht man vom Letzteren ab, verbleit das Erkennen ein blindes Akzeptieren der vorausgesetzten Annahmen, weshalb der Erwerb des vollständigen Wissens unmöglich wird.

III. Der Verstand und die Logik: Zur Einordnung der Verstandesfunktion im Lichte des philosophischen Systems Die im vorigen Kapitel herausgearbeiteten Charakteristika des Verstandesbegriffes werfen folgende Fragen auf: Welche Stellung ist dem Verstand innerhalb der Logik zuzuschreiben und warum ist der Verstand in Hegels Augen für den Wissenserwerb unzureichend? Diesen Fragen gehe ich hier in Bezug auf die erste Fassung der Enzyklopädie – der sogenannten Heidelberger Enzyklopädie von 1817 – sowie den Logik-Vorlesungen Hegels, welche er in Anlehnung an die Heidelberger Enzyklopädie in der Schaffensphase von 1817 bis 1826 gehalten hat, nach. Bekanntlich beschäftigt sich Hegel in dieser Phase mit der Herausarbeitung seines philosophischen Systems, im Zuge dessen die Grundkonzepte stets weiterentwickelt werden. Angesichts dieser Entwicklung können die zu beantwortenden Fragen besonders produktiv aufgegriffen werden. Dies ermöglicht eine folgenreiche Explikation des Verhältnisses, in dem sich der Verstand zur Logik befindet. Mein Vorhaben realisiere ich im Anschluss an den sogenannten enzyklopädischen Vorbegriff. Mit diesem strebt Hegel das Ziel an, in sein philosophisches System einzuleiten und dabei einige für die Philosophie besonders relevanten Probleme darzustellen. Insofern ist die Darstellungsweise, die er im Vorbegriff entwickelt, dem restlichen Teil der Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften äußerlich. Jedoch ist der Vorbegriff für das im Zentrum der vorliegenden Arbeit stehende Problem – die Präzisierung des Verstandesbegriffes und seiner Funktion – von entscheidender Bedeutung. Denn anhand des Vorbegriffs werden die Diskrepanzen zwischen der zu Hegels Zeiten geläufigen Auffassungen von den Leistungen des Verstandes und dem Hegelschen Konzept des Verstandes sowie seiner Rolle innerhalb der Logik besonders ersichtlich.1 1 Bevor zur Behandlung der oben genannten Fragen übergegangen wird, ist es wichtig zu bemerken, dass Hegel sein System in der Form eines Kompendiums unter dem Titel Die Enzyklopädie der Philosophischen Wissenschaften im Grundrisse hinterließ. Dieses sollte bloß als ein Leitfaden zu seinen Vorlesungen dienen und erst „durch den mündlichen Vortrag die nöthigen Erläuterungen“ erhalten (GW 20, 27). Es sei auch erwähnt, dass die erste Auflage des Kompendiums bereits im Jahr 1817 vorlag, die überarbeiteten Fassungen aber erst in den Jahren 1827 und 1830 veröffentlicht wurden. Während Hegel im Kompendium von 1817 untersucht, was das Denken überhaupt ist (mehr zur Unterstützung dieser These siehe A. Sell, 2010, 75.), behandelt er erst in den späteren Fassungen (1827, 1830) zusätzlich das Problem der sogenannten Objektivierung des Denkergebnisses (des Gedankens), indem er die drei Stellungen des Gedankens zur Objektivität formuliert und die Vor- sowie Nachteile jeder einzelnen Stellung ausführlich darstellt. Die später hinzugekommenen Ausarbeitungen des Verhältnisses zwischen

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III. Der Verstand und die Logik: Zur Einordnung der Verstandesfunktion

1. Heidelberger Enzyklopädie Im Vordergrund des einleitenden Teils der Enzyklopädie von 1817 steht die Frage, was Denken überhaupt ist. Einerseits schildert Hegel den geläufigen Gebrauch des Terminus ,Denken‘, andererseits behandelt er diesen Terminus kritisch, indem er das Denken angesichts der spezifischen Probleme auffasst, die sich innerhalb der Philosophie stellen, und im Kontrast zu den sogenannten besonderen Wissenschaften problematisiert. Was Hegels Kritik am geläufigen Gebrauch des Terminus ,Denken‘ betrifft, so schließt diese meines Erachtens nahtlos an die bereits im Vorwort zur Phänomenologie des Geistes herausgearbeiteten Charakteristika desselben an. Hierzu gehören die feste Entgegensetzung zwischen Subjekt und Objekt, die bedingungslose Anlehnung an die Sinnlichkeit sowie die Annahme der unmittelbaren Natur der gegebenen Gegenstände. Daraus ergibt sich die Unmöglichkeit, dem Inhalt der zu bestimmenden Gegenstände adäquat nachzugehen, denn genau dieser Inhalt wird dem Gebiet der Empirie zufällig entnommen und mittels des formal-logischen Denkens des Verstandes bloß festgesetzt. Mit Hegels Worten heißt das: „Was das Formelle daran betrifft, so ist dafür die Logik, die Lehre von Definitionen, Eintheilungen u. s. f. vorausgesetzt; was aber den Inhalt betrifft, so ist gestattet, dabey auf eine empirische Weise zu verfahren, um bey sich und andern zu suchen, was für dergleichen Merkmale factisch in der Vorstellung des allgemeinen Gegenstandes vorgefunden werde.“2

Da die empirische Vorgehensweise Voraussetzungen zulässt, die ständig unthematisiert bleiben, ist der rein empirische Wissenserwerb in Hegels Augen mangelhaft. Seine Kritik verdeutlicht er anhand der Botanik, in deren Rahmen es, so Hegels Argumentation, ausschließlich darum geht, den Untersuchungsgegenstand mittels verschiedener Entdeckungen neuer Gegenstandsarten – das heißt neuer Arten von Pflanzen – zu präzisieren. Die Frage danach, aus welchem Grund auf die Pflanze als einen allgemeinen Gegenstand, der innerhalb des empirischen Bereichs nicht aufzufinden ist, zu schließen sei, bleibe dabei, so Hegel, ausgeblendet. Da die Pflanze im Bereich der Empirie immer nur als ein besonderes Einzelexemplar präsent ist, können die beobachteten Merkmale dem Gegenstand bloß zugeschrieben werden. Dies ist die Konsequenz daraus, dass dem Denken innerhalb des geschilderten Rahmens bloß eine passiv aufnehmende Rolle zugeschrieben wird.3 Indem das Wahrheitskriterium ausschließlich dem Bereich der Sinnlichkeit bzw. der Empirie zugesprochen wird, wird das Denken restlos auf die Seite der reinen Subjektivität

dem Verstand und der Objektivität wird das Thema des abschließenden Kapitels der vorliegenden Arbeit. 2 GW 13, § 1, Anm. 3 Die sich im Rahmen dieser Position ergebenden Probleme wurden bereits im III. Kapitel der vorliegenden Arbeit ausführlich diskutiert.

1. Heidelberger Enzyklopädie

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verlegt und mittels empirischer Belege objektiviert.4 Diese Denkweise muss die Frage danach ignorieren, worauf sich die Denkstrukturen selbst gründen, dank derer empirische Belege ständig in das Wissen integriert werden. Während die empirischen Wissenschaften alle zu erkennenden Objekte ausschließlich den formalen Prinzipien nach, das heißt mittels der formalen Logik, erfassen, setzen sie die formallogische Struktur unhinterfragt voraus. Dies führt dazu, dass der Zusammenhang zwischen dem Erkenntnisgegenstand und dem diesen Gegenstand fassenden Denken unthematisiert bleibt. Der Wegfall dieses Zusammenhangs hat zur Folge, dass die empirischen Wissenschaften nicht imstande sind, vollständiges Wissen zu erzielen, sondern bloß „Aggregate von Kenntnissen“ darstellen können.5 Indem das Denken nur von den äußeren, das heißt zufälligen, Sichtweisen abhängig bleibt, läuft es auf eine bloße Mannigfaltigkeit nebeneinander stehender, nicht aber zusammenhängender Kenntnisse hinaus. Den Hegelschen Überlegungen zufolge erweist sich ein derartiges Denken als mangelhaft und schließlich grundlos. Der fehlende denkerische Fundierung lässt sich aber einholen und zwar dadurch, dass das Denken selbst in den Fokus des Erkennens gerückt wird. Dadurch wird eine systematische Ausweitung des Denkinstrumentariums motiviert, welche auf die Ebene der spekulativen Logik hinführt. So geht die spekulative Logik aus dem Boden der formalen Logik hervor, denn, so Hegel, „[i]n der speculativen Logik ist die bloße Verstandes-Logik enthalten und kann aus jener sogleich gemacht werden; es bedarf dazu nichts, als daraus das Dialektische und Vernünftige weg zu lassen; so wird sie zu dem, was die gewöhnliche Logik, eine Historie von mancherley zusammenfallenden Gegenstandsbestimmungen, die in ihrer Endlichkeit als etwas Unendliches gelten.“6

Hier gibt Hegel ausdrücklich zu verstehen, dass die Verstandes-Logik (das heißt die formale Logik) einen konstitutiven Bestandteil innerhalb der spekulativen darstellt und, unter dem Abzug der wesentlichen Elemente, die der letzteren zukommen, in dieser immer erhalten bleibt. Die wesentlichen Elemente der spekulativen Logik sind: (1) das Abstrakte (oder Verständige), (2) das Dialektische (Negativ-Vernünftige) und (3) das Spekulative (Positiv-Vernünftige).7 Mittels dieser Elemente des Denkens wird nun der Aufstieg zur spekulativ-logischen Ebene wie folgt durchgeführt: Das verständige Denken ist dadurch gekennzeichnet, dass es mithilfe der formalen Identität (in der Form ,A ist A‘) den zu bestimmenden Gegenstand fixiert und in Abgrenzung zu allen anderen Gegenständen als einen unmittelbar vorhandenen – in der Form „ein Baum ist ein Baum“ oder „ein Stift ist ein Stift“ – festlegt. In Hegels 4

Diese ist dieselbe, jedoch hier auf eine andere Weise artikulierte Position, die im Rahmen der Phänomenologie den sogenannten Übergang des Bewusstseins in das Reich des Verstandes darstellt. 5 Vgl. GW 13, § 10. 6 Ebd., § 16, Anm. 7 Vgl. ebd., § 13.

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III. Der Verstand und die Logik: Zur Einordnung der Verstandesfunktion

Vokabular heißt das, den zu bestimmenden Gegenstand als für sich Seienden zu erfassen. Das dialektische Moment kommt erst dann ins Spiel, wenn das Bewusstsein davon gebildet wird, dass jeder Gegenstand der Erkenntnis erst mittels des Unterscheidens von anderen Gegenständen, welche er nicht ist, als mit sich identisch fixiert wird. So wird ein Baum nicht nur dadurch als Baum bestimmt, dass er als Baum bezeichnet wird, sondern auch dadurch, dass er sich von allen anderen Gegenständen, welche er nicht ist (wie etwa von einem Stift), unterscheidet. Damit entsteht nun eine Denkbewegung von dem zu bestimmenden Gegenstand (z. B. einem Baum) zu einem anderen Gegenstand, welcher der erstere nicht ist. Im Wesentlichen stellt der zum Bestimmen des Gegenstandes beitragende Unterschied nichts anderes dar, als eine bloße Negation, wie etwa: ,der Baum ist nicht ein Stift‘. In Hegels Terminologie gesprochen, kommt hier die Seite des Seins für ein Anderes zum Vorschein. Daran anschließend wird das Denken auf eine höhere Stufe überführt, indem das Bewusstsein davon gebildet wird, dass sowohl der zu bestimmende Gegenstand als auch der zu seinem Bestimmen beitragende Unterschied für das Bestimmungsverfahren konstitutiv sind und, als aufeinander bezogen, eine Einheit bilden. Hiermit wird das Denken für Hegel konkret, denn es erweist sich, dass die zum Begreifen des Gegenstandes beitragenden Bestimmungen sich in einer Einheit befinden. Erst die dem verständigen Denken zusätzlich zukommenden Elemente – das dialektische und das spekulative – ermöglichen es, die Natur des Denkens selbst zu thematisieren und das Denken nicht als der Realität absolut entgegensetzt zu behaupten. Darüber hinaus wird es erst anhand dieser Elemente möglich, dass das korrekt ausgeführte Denken nicht nur in einer Sammlung von Kenntnissen resultiert, sondern vielmehr zum Erwerb des vollständigen Wissens führt. Hiermit stellt das Wissen, dem Hegelschen Verständnis nach, einen ineinandergreifenden immanenten Zusammenhang der zum Bestimmen des Gegenstandes beitragenden Teile dar, die sich zueinander verhalten. Auf solche Weise konzipiert, so Hegel, sind Form und Inhalt nicht mehr voneinander abgesondert, sondern werden – mittels der spekulativen Logik – wechselseitig zum Gegenstand des Erkennens. Infolgedessen wird das Verhältnis zwischen den beiden Komponenten (Inhalt – Form) durchsichtig, was schließlich das Begreifen ihrer immanenten Einheit ermöglicht. So wird das Wissen an dieser Stelle der Hegelschen Überlegungen wie folgt charakterisiert: Zum einen ist das Wissen, in Abgrenzung zur bloßen Kenntnis, kein fixiertes formales Behaupten des zu bestimmenden Gegenstandes (,Haus ist Haus‘, ,Baum ist Baum‘ usw.), sondern auch das Nachvollziehen der Bewegung, welche die Natur des Denkens konstituiert. Dieses Nachvollziehen wird anhand des dialektischen Moments ersichtlich (,Haus ist nicht Baum‘). Zum anderen wird das Wissen erst dann konkret, wenn die Denkbestimmungen – das heißt die Denkkategorien und Denkformen – als miteinander zusammenhängende gefasst werden. Die im vollständigen Umfang nachvollzogenen Bestimmungen des zu präzisierenden Gegenstandes lassen diesen Gegenstand schließlich als Totalität fassen8 und das Hauptziel des Wissens 8

Vgl. ebd., § 7.

1. Heidelberger Enzyklopädie

97

realisieren, nämlich, das Wahre zu begreifen, was schließlich, so Hegel, nur innerhalb der Philosophie zu erreichen sei. Da der Gegenstand der Philosophie, so Hegel, „nicht ein unmittelbarer ist, so kann sein Begriff und der Begriff der Philosophie selbst, nur innerhalb ihrer gefaßt werden.“9 Somit ist die Philosophie für Hegel, dem einleitenden Teil der Enzyklopädie von 1817 zufolge, nichts anderes, als „die Wissenschaft der Vernunft“, weil innerhalb dieser „die Vernunft ihrer selbst als alles Seyns bewußt wird“10 und das Ziel anstrebt, „de[n] Zusammenhang ihrer Teile nach der Notwendigkeit des Begriffs“ darzustellen und schließlich die Idee vollständig zu erfassen. Denn die „Idee ist wohl das Denken, aber nicht als formales, sondern als die Totalität seiner eigentümlichen Bestimmungen, die es sich selbst gibt.“11 Die Idee wird nach Hegel vollständig durch ihre drei Teile charakterisiert. Das sind (1) die spekulative Logik, welche die Wissenschaft der Idee an und für sich ist; (2) die Naturphilosophie, welche die Wissenschaft der Idee in ihrem Anderssein darstellt; (3) die Philosophie des Geistes, in deren Rahmen die Idee aus ihrem Anderssein in sich zurückkehrt.12 Es ist wichtig zu erwähnen, dass Hegel diese Teile als ein fließendes Moment der Darstellung der Idee konzipiert, keineswegs aber diese als voneinander unabhängige Arten der Philosophie fasst. Seine Ausführungen beginnt er jedoch mit der Logik, weil „die Logik als die rein speculative Philosophie, zunächst die Idee im Denken, oder das Absolute noch in seine Ewigkeit eingeschlossen ist, so ist sie einerseits die subjective und hiemit die erste Wissenschaft; es fehlt ihr noch die Seite der vollständigen Objectivität der Idee. Nicht nur bleibt sie aber als der absolute Grund des Realen; sondern dadurch daß sie sich als dieser zeigt, erweist sie sich eben so als die realallgemeine und objective Wissenschaft.“13

Wie aus dem Zitat hervorgeht, geht Hegel von der Annahme aus, dass die Logik „der absolute Grund des Realen“ ist, dabei strebt er das Ziel an, „die Vollständigkeit der Idee“ mittels der spekulativen Logik zu erfassen. Denn erst dann, wenn die Immanenz des logischen Grundes ersichtlich wird, können sowohl die vermeintlich selbstständigen (das heißt aus dem empirischen Bereich stammenden) Gegenstände als auch das vermeintlich Subjektive (das heißt die im Denken formulierten Bestimmungen des Gegenstandes) aufeinander treffen und objektiv werden.14 Was an dieser Stelle unter der Objektivität zu verstehen ist, 9

Ebd., § 4. Ebd., § 5. 11 Ebd., § 12, Anm. 12 Vgl. ebd., § 11. 13 Ebd., § 17. 14 Es sei angebracht zu erwähnen, dass die eigentümliche Funktion der Logik als Wissenschaft (in Abgrenzung zu den empirischen Wissenschaften) laut der Vorlesungsnachschrift von 1823 auf folgende Weise bestimmt wurde: „So ist sie eher das Nervensystem. – Das Interesse der andern Wissenschaften ist dann nur die logischen Formen in den Gestalten der Natur 10

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III. Der Verstand und die Logik: Zur Einordnung der Verstandesfunktion

sowie auf welche Weise ein adäquates Aufeinandertreffen des zu präzisierenden Gegenstandes und der ihm zukommenden Bestimmungen aufzufassen ist, erläutert Hegel erst exemplarisch, indem er den systematischen Ausführungen der eigentlichen Wissenschaft der Logik – in deren Rahmen die auf den Begriff gebrachte Idee durchsichtig wird – den Vorbegriff vorausschickt und illustrativ einführt, welchen Schwierigkeiten das Denken auf dem Weg zur Objektivierung und, als Folge daraus, bei der Herausarbeitung des allumfassenden Begriffs, ausgesetzt ist. Die Erläuterungen, welche Hegel in diesem Zusammenhang betreffs des Verhältnisses zwischen Subjekt und Objekt gibt, verdeutlichen seine Auffassung vom verständigen Denken. Im Folgenden betrachte ich die Vorlesungsnachschriften, in denen Hegels Ausführungen zur ersten Fassung der Enzyklopädie festgehalten wurden und welche die für meinen Forschungsansatz entscheidenden Analysen enthalten.

2. Die Vorlesungsnachschriften (im Anschluss an die Heidelberger Enzyklopädie) Einführend ist es wichtig zu erwähnen, dass in jeder der erhaltenen Vorlesungsnachschriften jeweils unterschiedliche Schwerpunkte gesetzt sind.15 Zusammengenommen weisen sie jedoch eine systematische Gesamtentwicklung auf, die Hegel bis zum Erscheinungsjahr der letzten Enzyklopädie-Fassung vollzieht. Im Folgenden betrachte ich zunächst die aus dem Jahr 1817 stammende Vorlesungsnachschrift separat. Da in dieser keine Abweichungen gegenüber der Heidelberger Enzyklopädie vorliegen, scheint sie etwas abgesondert von den anderen erhaltenen Vorlesungsnachschriften zu stehen. So wird in ihrem Rahmen das dialektische Denken vom positiv-vernünftigen noch streng getrennt. Die vier restlichen Vorlesungsnachschriften (1823, 1824, 1825 und 1826) betrachte ich hingegen gemeinsam angesichts dessen, dass die Trennung zwischen der dialektischen und der vernünftigen Seite des Denkens von Hegel vernachlässigt wird.

a) Die Vorlesungsnachschrift von 1817 Bereits in der ersten der betrachteten Vorlesungsnachschriften lässt sich die entscheidende Überlegung festhalten, dass das menschliche Wesen dadurch charakterisiert ist, denkend zu sein. Daran anknüpfend führt Hegel das zentrale Kriterium des Denkens wie folgt ein: Während Ich immer denkend ist, stellt das Denken als solches eine besondere Art und Weise dar, „wie etwas das meinige [Hervorhebung

und des Geistes zu erkennen, Gestaltungen, die nur eine besondere Weise des Ausdrucks der Formen des reinen Denkens sind.“ (GW 23 (1), 172). 15 Mehr dazu siehe A. Sell, 65 f.

2. Die Vorlesungsnachschriften

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V. K.] wird.“16 So wird mit dem „meinigen“ angedeutet, dass jegliche Art des Denkens ausschließlich das Produkt des Denkenden selbst ist. Infolgedessen ist auch die Aneignung (das heißt das Erfassen) der äußeren Gegenstände – der sogenannten Objekte der Erkenntnis, die dem Bereich der Empirie entnommen werden – nichts Anderes als die Umwandlung dieser in einen gedanklichen Inhalt. Daraus ergibt sich die Frage, wie sich explizieren lässt, dass äußere Gegenstände sich im Denken als die Meinige konstituieren? Den Prozess der Erkenntnis charakterisiert Hegel hier derart, dass in diesem zunächst ein Gegenstand angeschaut wird. Im Anschluss daran „geht die Reflexion über den Gegenstand hinaus, und endlich wird in der Idee oder im wahren Begriff das Angeschaute wieder mit dem Gedanken vereinigt.“17 Während aus dem Bereich der Sinnlichkeit genommene Gegenstände vom Denken absolut unabhängig zu sein scheinen, werden sie bereits im zweiten Auffassungsschritt – durch die Reflexion – unter einen Begriff (,ein Haus‘, ,ein Baum‘ usw.) gebracht bzw. mittels eines abstrakten Begriffs an sich bezeichnet. Denn „etwas an sich heißt, wie es im Denken, in der Reflection oder Abstraktion ist“. So ist das Ansich für Hegel „ein Objekt[,] wo ich das subjekt ist.“18 Dadurch wird nun eine einfache Konstellation zwischen dem erkennenden Subjekt und dem zu erkennenden Objekt ersichtlich. Während bspw. ein Haus als unmittelbar angeschautes außerhalb des Denkens liegt, gehört dieses in der Begriffsform ,Haus‘ bloß dem Denken an. Die entstandene Kluft zwischen dem Objekt der Erkenntnis und dem erkennenden Subjekt ist aber keine echte, das heißt, sie ist keine unüberwindbare, sondern löst sich, so Hegel, im Absoluten auf, denn „das Absolute ist an und für sich, erkennt und betrachtet sich selbst. […] Das An und für sich ist das Denkende und das Gedachte in Einheit.“19 Aus diesem Zitat wird Hegels Bestreben ersichtlich, die Einheit zwischen dem Denkenden (dem erkennenden Subjekt) und dem Gedachten (dem zu erkennenden Objekt) als ein konstitutives Moment der Erkenntnis selbst zu thematisieren. Erst vermittels des Einbezuges dieser Einheit scheint der implizite Anspruch des „meinigen“ – worauf, wie oben bereits zitiert, das Denken hinausläuft – erfüllt zu werden. Hegel fasst das soeben Ausgeführte so zusammen: „Die Wahrheit des subjektiven Begriffs ist der objektive Begriff nicht das Objekt als solches [Hervorhebung V. K.], denn dies ist dem Subjekt entgegengesetzt [,] sondern die Absolute Idee.“20 Damit stellt sich die Frage, welcher Mittel sich Hegel bedient, um die angedeutete Einheit erfassen zu können. Der gesamte Gehalt des in der betrachteten Vorlesungsnachschrift notierten Vorbegriffs zeugt eindeutig davon, dass Hegel die Einheit zwischen dem Denkenden (Subjekt) und dem Gedachten (Objekt) unter dem Blickwinkel des Lebens zu il16 17 18 19 20

GW 23 (1), 16. Ebd., 61. Ebd., 55. Ebd., 55. Ebd., 47.

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III. Der Verstand und die Logik: Zur Einordnung der Verstandesfunktion

lustrieren sucht oder, wie er es selbst formuliert, unter dem Blickwinkel dessen, was den sogenannten Puls des Lebens21 ausmacht, des Dialektischen. Diese Umstand hat bei Annette Sell zu der voreiligen Schlussfolgerung geführt, zu Zeiten der Heidelberger Enzyklopädie sei die Argumentation Hegels insgesamt vom naturphilosophischen Denken geprägt gewesen, was sich vor allem anhand der Vorlesungsnachschrift von 1817 bestätigen lasse.22 Tatsächlich zieht sich die Bestimmung der lebendigen Natur durch den ganzen einleitenden Teil der Vorlesungsnachschrift. Dies bestätigt aber nicht, dass die Überlegungen Hegels ausschließlich mittels naturphilosophischen Denkens ausgeführt sind, sondern zeigt vielmehr, so meine These, dass er seine hochkomplexen Ziele zunächst für ein möglichst breites Publikum zugänglich machen will. Genau deshalb sind die an die Sinnlichkeit anknüpfenden Illustrationen unverzichtbar. Daraus ergibt sich jedoch die Gefahr, dass das Dialektische verkürzt aufgefasst und bloß auf die Ebene des Realen zurückgestuft wird. Im Kontext des Realen stellt das Dialektische nichts anderes dar, als die unaufhörliche Veränderung, deren Wesen die Bewegung ausmacht. Umwandlungen, die alle Objekte der Realität durchlaufen, zeugen eindeutig davon. Als ein Beispiel hierfür erwähnt Hegel ein grünes pflanzliches Blatt, welches sich mit der Zeit seines Lebens entfärbt und schließlich vergeht.23 Dabei ist entscheidend, dass die ablaufenden Veränderungen demselben Wesen (dem des Blattes) zukommen, und sich der Eigentümlichkeit dieses Wesens – der Veränderung fähig zu sein – verdanken. An diesem Prozess zeigt sich das dialektische Moment. Davon ausgehend, dass das dieses „Blatt“ ebenso sehr ein unmittelbar Wahrgenommenes als auch ein Gedachtes ist, darf das dabei Gedachte nicht unberücksichtigt bleiben. Da das Gedachte aber nicht vom Denkenden abzutrennen ist, deutet die erreichte Konstellation auf ein gewisses Verhältnis zwischen dem denkenden Subjekt und der realen Welt hin. So beginnt jegliches Erkennen erst mit dem verständigen Bestimmen, welches Hegel wie folgt charakterisiert: „Die einfache abstrakte Bestimmtheit ist das Verständige, welches als Allgemeines, das erste nothwendige Moment ist, und den anderen zu Grunde liegt, Aber als unmittelbares und bestimmtes Wesentlich in anderes übergeht.“24

Damit deutet Hegel die Negation – zunächst von der Seite des denkenden Subjekts gesehen – als ein wesentliches Moment des Denkens an. Die formale Identität, welche anfangs vom Denkenden gesetzt wird (,ein grünes Blatt ist ein grünes Blatt‘ oder, formalisiert, ,A ist A‘), veranlasst schließlich zur folgenden Feststellung, dass das Objekt erst dann vollständig bestimmt werden kann, wenn es angesichts der 21

Vgl. ebd., 13. Die These, dass der Gehalt der Vorlesungsnachschrift von 1817 insgesamt vom naturphilosophischen Denken Hegels zeugt, wird z. B. von A. Sell vertreten. Mehr dazu siehe A. Sell 2004, 188 – 205. 23 Vgl. GW 23 (1), 22. 24 Ebd., 20. 22

2. Die Vorlesungsnachschriften

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Veränderungen, die es durchläuft, präzisiert wird. Während durch das verständige Bestimmen ein unmittelbares Setzen des Gegenstandes (,ein grünes Blatt‘) stattzufinden scheint, erweist sich dieses Setzen bei genauerer Betrachtung als nicht unmittelbar. Es stellt vielmehr ein mittels des Unterschieds hervorgebrachtes Bestimmen dar, welches schließlich ein ständiges Übergehen in Anderes, das der bereits festgelegte Gegenstand nicht ist, impliziert. So ist ein grünes Blatt nicht ein gelbes Blatt; unter dem Blickwinkel des Lebens betrachtet stellen jedoch beide einen und denselben Gegenstand des Bestimmens dar. In diesem Stadium des Erkennens wird der mittels des Verstandes fixierte Gegenstand nur als dasjenige bestimmt, was er nicht ist, liefert aber keine Auskunft darüber, was sein Wesen ausmacht. Das verständige Moment erweist sich allerdings bereits in diesem Schritt als notwendig, wie schon aus dem oben angeführten Zitat hervorgeht. Denn dieser Schritt liegt dem Bestimmungverfahren zugrunde. Im Umkehrschluss folgt daraus, dass das abstrakte verständige Setzen der formalen Identität einen Bezug auf das Andere bereits in sich beinhaltet und auf die Feststellung des Unterschieds hinausläuft. Schließlich wird dadurch das Bewusstsein des Unterschieds ermöglicht, dank welchem alle Reflexionsbestimmungen erst einen Sinn ergeben. Hegels Zusammenfassung dazu lautet: „Der Verstand nimmt insbesondere im Gegensatz der Reflectionsbestimmung z. B. Endliches und Unendliches[,] Positives und Negatives, Ursache und Wirkung usf[.] als ein Letztes an, er ist daher überhaupt dualistisch und fordert bey der einen Reflectionsbestimmung die Abstraktion von ihrer andern, das Beschränkte, und Endliche, gilt daher überhaupt für absolut.“25

So wird mittels des Verstandes das Setzen des Endlichen (in Form der formalen Identität) realisiert, wodurch der zu bestimmende Gegenstand von anderen abgegrenzt und fixiert wird. Seinerseits ermöglicht ein solches verständiges Setzen dem Denkenden (dem Subjekt) sich seiner Beziehung auf Anderes (mittels der Oppositionen ,Endliches-Unendliches‘, ,Positives-Negatives‘, ,Ursache-Wirkung‘ usf.) bewusst zu werden. Infolgedessen erweist sich das verständige Moment als konstitutiv, aber nicht hinreichend für den vollständigen Wissenserwerb. Den Stein des Anstosses stellt für Hegel das unzureichend artikulierte Verhältnis zwischen dem Denkenden und der Realität dar. Denn, mittels des verständigen Denkens expliziert, greift dieses Verhältnis das zu bestimmende Objekt nicht vollständig auf. Hegel fasst dies wie folgt zusammen: „Insofern der Verstand den bestimmten Gegenstand auffaßt, läßt er denselben auseinanderfallen und die Entgegengesetzten sollen theils nur verschiedene Seiten an der Sache sein, theils soll der Widerspruch überhaupt nicht in die Sache, sondern in die äussere Reflexion in das Denken fallen, in welchem aber eben damit dieser Widerspruch ist.“26

25 26

Ebd., 20. Ebd., 24 f.

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III. Der Verstand und die Logik: Zur Einordnung der Verstandesfunktion

Das eingeführte Zitat macht auf das folgende Problem aufmerksam: Bezüglich der Problematik des denkenden Subjekts, läuft das verständige Bestimmen auf das Fixieren der Opposition „Subjekt (Denkendes) - Objekt (Gedachtes)“ hinaus; bezüglich der Problematik des Gedachten, liegt die Schwierigkeit darin, dass die oben betrachteten reflexiven Denkoppositionen nur in Bezug aufeinander einen Sinn ergeben, sich aber gegenseitig restlos ausschließen. Für ein korrektes verständiges Bestimmen bleibt eine der beiden zur Opposition gehörenden Bestimmungen erforderlich, während die andere ausgeschlossen wird. Diese Konsequenz macht ersichtlich, dass der sinnstiftende Zusammenhang, der den Reflexionsbestimmungen zugrunde liegt, unberücksichtigt und ihre oben angedeutete Einheit unbegriffen bleibt. Indem das zu bestimmende Objekt dem Bereich der Realität entnommen, mittels der formalen Identität in ein Gedachtes verwandelt und anhand der setzenden Reflexionsbestimmung fixiert wird, fällt das wesensausmachende Moment der Realität – die ständige Bewegung, das heißt das Dialektische – bei diesem Verfahren komplett aus. Dies macht eine adäquate Auffassung des Verhältnisses zwischen dem Denkenden und dem Gedachten unmöglich. Der Widerspruch, der bei diesem Verfahren auf der Seite der Realität unberücksichtigt bleibt, fällt damit bloß in das Denken. Damit wird die Widersprüchlichkeit allein dem Denken zugeschrieben, während die Veränderungen der Natur (die Bewegung), welche der Realität zukommt, außer Acht gelassen wird. So aber fällt die Einheit zwischen dem Denkenden und dem Gedachten auseinander. In Hegels Terminologie gesprochen, erweist sich hier die äußere (das heißt bloß auf die Seite des Subjekts fallende) Reflexion als widersprüchlich, während die dem denkenden Subjekt gegenüberstehende Realität mittels derselben Reflexion als widerspruchsfrei bestimmt wird. Dabei bleibt das einheitliche – den Denkenden und das Gedachte verbindende – Wesen nicht erfasst und der tatsächliche Grund des Realen unerreicht. Diese Problematik veranlasst zur Suche nach anderem Instrumentarien des Denkens, denn „[d]as Lebendige […] ist als Subjectivität die unendliche Kraft, im Widersprechenden sich zu erhalten und als die Identität desselben seyn. Diese Identität ist nicht die Abstrakte und der Widerspruch schlechthin nicht ein ruhiges positives Bestehen, sondern die Absolute Unruhe, Veränderung und Thätigkeit welche dem Subjecte angehört, in der es aber selbst nicht verändert wird, sondern identisch mit sich bleibt. Diese Identität, welche der Verstand für unbegreiflich erklärt, ist gerade der Begriff. Der Verstand nennt das Begrifflose nemlich die einseitige Abstraction dagegen das Begreifliche.“27

Hegel macht darauf aufmerksam, dass die zu begreifende Einheit zwischen dem Denkenden und dem Gedachten sich nicht mittels der formalen Identität nachvollziehen lässt. Auch die Tätigkeit des Bestimmens – die das Denken, wie oben bereits erwähnt, ins „meinige“ verkehrt – erfordert eine andere Denkweise. Denn „[d]ie Auflösung des Widerspruchs ist [S]ache der Einheit aber nicht in Abstrakto. Der

27

Ebd., 25.

2. Die Vorlesungsnachschriften

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Widerspruch wird dadurch nicht gelößt dass in ihm etwas negiert wird.“28 Hiermit wird nicht nur die Unvollständigkeit der erworbenen Kenntnisse zum Ausdruck gebracht, sondern es wird auch das Erfordernis deutlich, das dialektische Moment nicht nur im Kontext des Realen zu fassen. Daraus ergibt sich die Forderung nach einer Erweiterung des Denkinstrumentariums. Ihrerseits hat sich diese Forderung als eindeutiges Verdienst des Verstandes erwiesen. Um aber dieser Forderung nachgehen zu können, bedarf es des spekulativen Denkens, womit das feste Setzen des Verstandes aufgehoben wird. Dies bedeutet aber keineswegs das Scheitern des Verstandes, denn, so Hegel, „ohne Verstand kann man […] keine Vernunft haben. Mit der Aufhebung des Verstandes ist kein Unverstand verstanden.“29 Allerdings führt Hegels naturphilosophische Darstellungsweise dazu, dass sich die Bruchstellen zwischen dem Denken und der Objektivität (das heißt aufgefasste Reale) nicht vollständig herausarbeiten lassen. Denn da, wo ausschließlich das direkt an die Sinnlichkeit anknüpfende Andere im Fokus steht,30 kommt das eigentliche Andere, das sich innerhalb des Denkens selbst befindet und das vollständige Erschließen der Idee verhindert, nicht zur Sprache. Damit wird die Suche nach der angedeuteten Einheit (,Denkendes-Gedachtes‘) nur verkürzt erfasst. Dieses Resultat motiviert wesentliche Veränderungen in Hegels Darstellungsweise, die sich bereits in allen nachfolgend notierten Vorlesungen feststellen lassen. Diesen will ich in dem folgenden Abschnitt nachgehen.

b) Die Vorlesungsnachschriften von 1823 – 1826 Die vier darauf folgenden, sich um die Enzyklopädie von 1817 drehenden Vorlesungsnachschriften (1823, 1824, 1825, 1826) sind für das Anliegen meiner Arbeit deshalb von Bedeutung, weil in diesen die auf die späteren Fassungen der Enzyklopädie hinführenden Ausarbeitungen des Begriffs des Denkens vollzogen werden. Auch wenn die einzelnen Nachschriften je einen besonderen Schwerpunkt hervorheben und diesen ausführlich erläutern, sind alle vier insofern miteinander verbunden, als in ihnen eine grundlegende Ausweitung des Problems sowie eine konsequente Ausdehnung des Vorbegriffs vorgenommen wird. Vor allem bezieht sich die Ausweitung des Problems darauf, was unter Objektivität zu verstehen ist und auf welche Weise das Denken überhaupt und im Besonderen das objektive Denken charakterisiert wird. Auch wenn hier die spezifischen Arten des Denkens nicht hinreichend präzisiert werden, was einerseits dem Vorlesungsformat und andererseits den einleitenden 28

Ebd., 24. Ebd., 24. 30 Allein dem Status nach ist die Natur (als Reale), so Hegel, das Andere (bzw. das Äußere) der Idee, weshalb die Naturphilosophie für ihn die Wissenschaft der Idee im Anderssein darstellt. 29

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III. Der Verstand und die Logik: Zur Einordnung der Verstandesfunktion

Zielen des Vorbegriffs geschuldet ist, wird in diesen Nachschriften eine wichtige Tendenz erkennbar. Die im Kompendium der Enzyklopädie von 1817 gezogene strikte Grenze zwischen dem negativ-vernünftigen und dem positiv-vernünftigen Denken verliert deutlich an Schärfe bzw. wird vollkommen nivelliert. In Bezug auf die Problematik der vorliegenden Arbeit ergeben sich die folgenden Fragen: 1. Was bedeutet diese Zusammenführung der zuvor eindeutig voneinander abgetrennten Arten des Denkens im Hinblick auf die Leistungen des Verstandes? 2. Lässt sich aus dieser hieraus eine Abwertung des Verstandes zugunsten einer anderen höheren (das heißt vernünftigen) Denkleistung folgern? Diesen Fragen will ich im folgenden Abschnitt nachgehen.

3. Klassifizierung des Denkens Das zentrale Ziel des einleitenden Teils des Vorbegriffs ist es, das Denken bzw. seine Arten im Kontext der These zu thematisieren, dass das Erkennen nur mittels des Denkens und bloß im Denken zu erzielen ist. Den Hegelschen Analysen zufolge, kann ein vollständiges Erkennen erst dann erreicht werden, wenn alle spezifischen Denkweisen vollzogen und im zu erkennenden Gegenstand ineinander greifen. In der Vorlesungsnachschrift von 1823 ist von drei Stufen des Denkens die Rede. Diese werden als (1) das Denken nach der nächsten Vorstellung, (2) das Nachdenken und schließlich als (3) das objektive Denken bezeichnet.31 In der Vorlesungsnachschrift aus dem Jahr 1825 wird das Denken angesichts der drei Formen der Idee klassifiziert und als (1) Idee in der Form der Unmittelbarkeit, als (2) Form des Unterschieds (das Hinausgehen über die Unmittelbarkeit) und als (3) Begriff, die Idee selbst bzw. das Wahre definiert.32 Ein Jahr später, 1826, spricht Hegel von drei Arten des Denkens, nämlich (1) von der eingehüllten Weise des Denkens (sinnliche Wahrnehmung), (2) von der Weise der Reflexion und (3) vom logischen Denken.33 Wesentlich dabei ist, dass erst alle drei Komponenten des Denkens zusammen – die in den unterschiedlichen Jahren jeweils als Stufen (1823), Formen (1825) oder Arten (1826) bezeichnet werden – das vollständige Erkennen ermöglichen. So verdankt sich dieses dem Zusammenschließen von subjektivem, reflexivem und logischem Denken. Im Folgenden werde ich jede der drei Komponenten des Denkens rekonstruieren, um die von Hegel entworfene Struktur des Denkens zu explizieren.

31 32 33

Vgl. GW 23 (1), 160 f. Vgl. ebd., 318. Vgl. ebd., 414.

3. Klassifizierung des Denkens

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a) Das Denken nach der „nächsten Vorstellung“ Die erste Stufe bzw. Art des Denkens ist nach Hegel dadurch charakterisiert, dass ein Gegenstand (das Objekt des Bestimmens) dem Erkenntnisvermögen unmittelbar korrespondiert – das heißt, das Erkenntnisvermögen affiziert – und in der Form der Anschauung dem erkennenden Subjekt präsent wird. Dadurch kommt ein wesentliches Charakteristikum des Denkens zum Vorschein, nämlich – einheitlich zu sein. So formuliert Hegel bereits im Jahr 1817: „In der Anschauung ist nicht bloß ein subjektives, sondern ein subjektives und objektives in Einheit. […] Das Denken ist daher die Einheit.“34 Davon abgesehen, dass ein solches Objekt der Erkenntnis unmittelbar ist, ist es auch einzeln. Hier schließt Hegel nahtlos an Kant an, bei dem die Anschauung als ein unmittelbarer Bezug auf den Gegenstand bzw. als eine unmittelbare Vorstellung aufgefasst wird.35 Gleichzeitig macht Kant aber auf das Problem aufmerksam, dass der unmittelbar angeschaute Gegenstand, sobald er in die Vorstellung eintritt, seine Unmittelbarkeit ablegt. Denn in der Vorstellung wird ein Begriff dem angeschauten Gegenstand zugeordnet. So kann der Begriff, den Kantischen Ausführungen zufolge, „nun gar keine bestimmte Anschauung enthalten, und wird also nichts anders, als diejenige Einheit betreffen, die in einem Mannigfaltigen der Erkenntnis angetroffen werden muß, so fern es in Beziehung auf einen Gegenstand steht.“36

So macht Kant darauf aufmerksam, dass die Anschauung dann zum Objekt der Erkenntnis wird, wenn sie, unter einen Begriffs gebracht, d. i. in die Vorstellungsform überführt wird. Bei Kant wird also die unmittelbare Natur des Gegenstandes mithilfe des Begriffs vermittelt, was den Verlust der ursprünglichen Form der Unmittelbarkeit nach sich zieht. Hegel knüpft an Kant an, wenn er die Vorstellung auf zweierlei Weise behandelt. Einerseits ordnet er sie noch dem rein subjektiven, unmittelbaren Denken zu, andererseits sieht er mit der Vorstellung bereits das Nachdenken – das heißt, die Reflexion, die sich mittels des Unterschieds präsentiert – hervortreten. Die Uneindeutigkeit der Zuordnung ist der eigentümlichen Struktur der Vorstellung selbst geschuldet, denn in den Vorstellungen, so Hegel, „ist der Inhalt nicht bloß sinnlich wie bei den Anschauungen [hier und weiter hervorgehoben von V. K.], sondern der Inhalt ist entweder sinnlich, die Form aber das Denken, oder umgekehrt ist der Inhalt Gedanke [und] die Form das Sinnliche. Im ersten Fall ist der Stoff gegeben, und die Form gehört dem Denken an, im anderen Fall ist das Denken der Quell des Inhalts, aber durch die Form wird dieser Inhalt zu einem Gegebenen, das somit äußerlich an den Geist kommt. Die Vorstellung somit giebt immer eine Voraussetzung, ein Gegebenes, von der Thätigkeit des formellen Denkens Unabhängiges.“37

34 35 36 37

Ebd., 57. Vgl. KrV, A 109. KrV, A 109. GW 23 (1), 170.

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III. Der Verstand und die Logik: Zur Einordnung der Verstandesfunktion

Resümierend lässt sich sagen, dass das Denken in der Vorstellung entweder als Form oder als Inhalt zum Tragen kommt. Im ersten Fall ist der inhaltliche Stoff empirisch (das heißt sinnlich) vorgegeben und in die Denkform gebracht, im zweiten wird der Inhalt in Form eines Denkkonzepts vorgegeben und schließlich anhand empirischer (bzw. sinnlicher) Präzisierungen erläutert. Ein Beispiel für den ersten Fall wären die alltagssprachlichen „konkreten“ (nicht im Sinne Hegels) Begriffe, wie etwa ,Haus‘, ,Papier‘, ,Stift‘ usw., die sich inhaltlich immer auf die empirisch aufzufindenden Gegenstände beziehen, während die Form des diesen Gegenstand bezeichnenden Begriffs allgemeiner Natur ist und allein dem Denken angehört. So werden bspw. unter dem Begriff ,Haus‘ alle möglichen Häuser subsumiert. Das Beispiel für den zweiten Fall stellen hingegen diejenigen – alltagssprachlich als „abstrakt“ bezeichneten – Begriffe dar, welche auf solche Gegenstände verweisen, die nicht innerhalb des sinnlichen Bereichs aufzufinden sind. Beispiele hierfür sind ,Recht‘, ,Staat‘, ,Institution‘ usw. Während der Gegenstand selbst als reiner Denkinhalt (das heißt als bloß rationaler Inhalt) präsent bleibt, wird er anhand des empirischen Stoffes (mittels des Prädizierens) bestimmt. Somit kommt der Vorstellung eine doppelte Funktion zu: die des Veranschaulichens (1) und die des Verallgemeinerns bzw. des Vereinheitlichens (2). Die Funktion des Veranschaulichens knüpft also gewissermaßen an das Herauswachsen der Vorstellung aus der Anschauung an und trägt den Anspruch in sich, den vorgestellten Gegenstand auch innerhalb der Realität – wie etwa ,dieses Haus‘ – aufzeigen zu können. Die Funktion des Verallgemeinerns (bzw. des Vereinheitlichens) entspringt der eigentümlichen Natur des Denkens selbst, den Erkenntnisgegenstand mittels eines allgemein geltenden Begriffs zum Ausdruck zu bringen. So wird bspw. ein tatsächlich vorhandenes Haus mittels des Begriffs ,Haus‘ artikuliert, während der Begriff selbst allgemeiner Natur ist und auf alle möglichen Häuser bezogen werden kann. Auf dieser Stufe – als bloß subjektive Tätigkeit – tritt das Denken der zu erfassenden Realität entgegen, indem die erstrebte (propositionale) Übereinstimmung des Denkens mit dem Gegenstand auf eine treffende Bezeichnung des zu bestimmenden Gegenstandes hinausläuft. Hegel macht darauf aufmerksam, dass eine solche Bezeichnung des Gegenstandes nicht dem wahren Erkennen dient, sondern dass es besser sei, „die Uebereinstimmung eines Gegenstandes und der Vorstellung von ihm Richtigkeit [Hervorhebung V. K.] zu nennen.“38 Mit wahrem Erkennen hat dieses Ergebnis zunächst einmal deshalb nichts zu tun, weil die zentralen Ansprüche des Denkens selbst unbeachtet bleiben. Sollte bspw. der Anspruch auf die Veranschaulichung des zu bestimmenden Gegenstandes in Erfüllung gehen, lässt sich das aufzuzeigende Objekt nur in Abgrenzung zu allen anderen Objekten als ein einzelnes präzisieren, wobei der Anspruch auf Verallgemeinerung unerfüllt bleibt. Es wird nämlich kein allgemeines Objekt – wie „Tier“ oder „Pflanze“ – veranschaulicht. Auch das Streben nach der Vereinheitlichung läuft darauf hinaus, unterschiedliche (einander meist ausschließende) Prädikate einem zu 38

Ebd., 174.

3. Klassifizierung des Denkens

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bestimmenden Objekt als bloß vorgegebene zuzuschreiben, da das Verhältnis zwischen den Bestimmungen – des zu erkennenden Objekts – innerhalb der Vorstellung nicht thematisiert wird. Im Modus des Vorstellens bleibt das Denken absolut unfähig, die Konsequenzen der entstandenen Lage zu bewerten, das heißt, sich des Problems bewusst zu werden, dass die dem Gegenstand beigelegten Prädikate einander restlos ausschließen können. Damit macht Hegel darauf aufmerksam, dass ein in der Vorstellung inexplizites Verhältnis zwischen dem Denken und dem zu bestimmenden Gegenstand besteht, welches für den Erwerb des adäquaten Wissens konstitutiv ist und expliziert werden muss.39 Dies ist die Aufgabe des Nachdenkens, durch welches das Beziehen des Denkens auf das zu bestimmende Objekt zum Thema gemacht wird. Dabei erweist sich das Denken für das wahre Erkennen als unumgänglich, denn „wir gehen von Gegebenen nur aus, was hervorkommt ist ein Product unseres Kopfes, unseres Denkens.“40 Durch diese Behauptung zog Hegel sich den Vorwurf zu, in seiner Konzeption bleibe die Realität für das Denken unantastbar.41 Um diesem Vorwurf zu entgegnen, sind die folgenden Anmerkungen angebracht: Zum einen, wie bereits im vorigen Kapitel detailliert dargestellt wurde, geht es Hegel nicht um die Unantastbarkeit der gegebenen Realität als solcher, deren Präsenz bzw. Gegebenheit er nie dem Zweifel unterzogen hat, sondern um die begriffliche Artikulierbarkeit der dem Denken entgegentretenden objektiven Welt. Zum anderen wird in der Vorlesungsnachschrift von 1823 gleich zu Anfang betont, dass ohne Kenntnis der Beschaffenheit des Denkens selbst kein wahres Erkennen möglich ist. Diese Beschaffenheit kommt ihrerseits dann zum Vorschein, wenn Erfahrungen gemacht werden. So werden die Denkregeln ausschließlich in Anlehnung an die Erfahrung expliziert und zunächst mittels des Verstandes erfasst.42 Zugleich ist die gegebene Welt der Empirie (die Objektivität) für die Erfahrung unverzichtbar und konstitutiv. Denn Erfahrung ist nur durch Sinne möglich.

39

Vgl. ebd., 159. Ebd., 165. 41 Bezogen auf die oben zitierte Feststellung (dass das mittels des Denkens aufgefasste Objekt ein Produkt unseres Kopfes sei) werfen zahlreiche KritikerInnen der Philosophie Hegels vor, einen reinen, nicht mit der Realität zusammenhängenden Idealismus begründet zu haben. An dieser Stelle ist es angebracht, darauf hinzuweisen, dass bspw. Karl Marx – der in der philosophischen Rezeption als ein unbestreitbarer Materialist gilt – im Produkt des Kopfes den Anfang der Aneignung der (materiellen) Welt feststellt. Diesen (vom Wortlaut Hegels kaum abweichenden) Gedanken bringt er in seinen Ökonomischen Manuskripten wie folgt auf den Punkt: „Das Ganze, wie es im Kopfe als Gedankenganzes erscheint, ist ein Produkt des denkenden Kopfes, der sich die Welt in der ihm einzig möglichen Weise [Hervorhebung V. K.] aneignet.“ (MEW 42, 36). 42 Vgl. GW 23 (1), 161. 40

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III. Der Verstand und die Logik: Zur Einordnung der Verstandesfunktion

b) Das Nachdenken Um nachzuvollziehen, wie das Nachdenken von Hegel konzipiert wird, sind die folgenden Fragen hilfreich: Worauf gründet sich der Anspruch, einen Gegenstand als allgemein zu formulieren (1) und wie wird das Allgemeine dem Kriterium der Notwendigkeit gerecht (2)? Denn nur unter der Bedingung der Notwendigkeit kann etwas überhaupt als Allgemeines erkannt werden. Mit diesen Fragen wird, so meine These, der Bereich des bloß subjektiven bzw. sogenannten unmittelbaren Denkens verlassen, so dass das Nachdenken, das heißt „das Denken als Beziehung [Hervorhebung V. K.] auf ein Objekt“,43 in Kraft tritt. In den hier analysierten Vorlesungsnachschriften wird das Nachdenken durch seine Tätigkeit charakterisiert. Als solche ist es das Denken, welches das Dauernde, das Allgemeine bzw. das allgemeine Konstante hervorbringt.44 Weiterhin ist das Nachdenken „eine Tätigkeit, die Veränderungen hervorbringt“ und schließlich ist das Nachdenken nichts anderes als die „trennende Reflexion“.45 Dieses letzte Charakteristikum schließt Hegel mit dem Verstand zusammen: „Der Verstand wird auch reflexion genannt. Die Reflexion ist das hinausgehen über das unmittelbare, wenn z. B. nach dem Wesen gefragt wird. Sie ist die Brechung des unmittelbaren, einer Anschauung überhaupt.“46

Wie die aufgezeigten Charakteristika verdeutlichen, zielt das Nachdenken darauf ab, die Unmittelbarkeit der Anschauung zu brechen und die allgemeine Natur des Gegensandes herauszuarbeiten. Das Spezifische eines solchen Bruchs mit der Unmittelbarkeit der Anschauung besteht aber nicht darin, das Angeschaute bloß anhand eines begrifflichen Ausdrucks zu bezeichnen, sondern darin, die von den Sinnen verdeckte Natur des zu erkennenden Objekts selbst nachzuvollziehen. Dementsprechend ist das Ergebnis des Nachdenkens, so Hegel, „mit Sinnen nicht zu erfassen.“47 Deshalb bleibt das auf dieser Stufe des Denkens hervorgebrachte Allgemeine zunächst einmal „ein Produkt unseres Kopfes, unseres Denkens“.48 Weiter ausgeführt, verdankt sich ein solches Produkt der Tätigkeit des Verstandes, denn, so Hegel, „[d]er Verstand ist das Fixierende, das Allgemeines feststellt, das aber nur ist in Beziehung auf sich selbst, nur sich selbst gleich, und absolut im Gegensatz gegen sein Anderes.“49 Somit erreicht man durch das Nachdenken die Konstellation, in deren Rahmen sowohl die zu bestimmenden Objekte samt den ihnen beigelegten Prädikaten mittels eindeutiger Abgrenzung festgelegt werden. Ein Haus als solches wird zunächst 43 44 45 46 47 48 49

Ebd., 162. Vgl. ebd., 163 f. Ebd., 228. Ebd., 228. Ebd., 164. Ebd., 165. Ebd., 185.

3. Klassifizierung des Denkens

109

einmal in Abgrenzung zu alledem, was es nicht ist, präzisiert, während seine Merkmale (in prädikativer Form) – wie z. B. ,groß‘ oder ,aus Holz gebaut sein‘ – auch in Bezug auf die anderen, solche Merkmale ausschließenden Gegenstände bestimmt werden. So wird ,groß‘ nur dann einen Sinn ergeben, wenn sein Gegenteil – ,klein‘ – verstanden wird, während die Präzisierung ,aus Holz gebaut sein‘ sich erst in Relation zu allen anderen Materialien erschließt, aus denen ein Haus gebaut werden kann, welche aber ,nicht Holz sind‘. Als Folge dieses Bestimmungsverfahrens kommt Hegel zu dem Unterschied zwischen endlichem und unendlichem Denken. Während das endliche Denken, wie bereits ausgeführt, durch etwas Anderes begrenzt und fixiert bleibt, deutet sich das unendliche Denken als ein solches an, welches sich nicht in Abgrenzung zu Anderem, sondern durch sich selber begreifen lässt. Dieses Erfordernis macht auf den Zusammenhang zwischen dem Denken und dem das Denken ausführenden Ich aufmerksam, denn das Ich ist „dasselbe mit dem Denken, und ist nur das Denken als Denkendes.“50 An dieser Stelle lässt sich Folgendes festhalten: Indem die Aufmerksamkeit von der empirischen (objektiven) Welt auf die das Denken betätigende Instanz – auf den Denkenden, das heißt auf das Ich – gerichtet wird, stellt sich heraus, dass die beiden Komponenten nicht voneinander zu trennen sind. Während aber der Denkende (Ich) sich seiner eigenen Selbstbezogenheit bewusst wird – indem es begreift, dass es die Denktätigkeit ausführt –, werden die gedachten Objekte sowohl der Form als auch dem Inhalt nach weiterhin durch die Abgrenzung voneinander sowie von Etwas anderem bestimmt.51 Gemäß dieser Überlegungen erweist sich das Tun des Denkens – das heißt das Ich – als das Allgemeine selbst. Denn, „[i]ndem ich einen Gedanken zum Gegenstande habe, bin ich bei mir selbst. […] Ich das Denken also ist unendlich darum, weil Ich sich im Denken zu einem Gegenstand verhält, der er selbst ist.“52 So sind die Gedanken, die mittels des Nachdenkens erzeugt werden, schließlich – dank dem Festhalten an den vereinzelten Objekten – in Abgrenzung zueinander artikuliert. Hegel fasst dies wie folgt zusammen: „Das Analysieren thut also etwas, was es selbst nicht weiß; es macht aus dem Concreten ein Abstractes. […] Die Gedanken also, die durch Analyse entstehen, sind abstracte. Man nimmt sie nicht nur aus dem Concreten heraus, sondern sie sind Thun der Denkthätigkeit, sie trennen was im Gegenstand als vereinigt ist, und halten es als Getrenntes fest.“53

In diesem Stadium, in dem das denkende Ich die Form der isolierten (das heißt abstrakten) Gedanken hervorbringt, deutet sich die Notwendigkeit an, die Relation dieser Gedanken zum Ich näher zu bestimmen. 50

Ebd., 169. Somit wird das Moment der Selbstbezüglichkeit des Denkenden (des Ichs) im Nachdenken ersichtlich. Dieses Ergebnis ist aber nicht so ausführlich wie in der Phänomenologie des Geistes dargestellt. Mehr dazu siehe das II. Kapitel der vorliegenden Arbeit. 52 GW 23 (1), 180. 53 Ebd., 196. 51

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III. Der Verstand und die Logik: Zur Einordnung der Verstandesfunktion

c) Das objektive Denken Unter objektivem Denken versteht Hegel einen Vorgang, den er als korrektes Nachvollziehen von auf der Stufe des Nachdenkens vollbrachter reflexiver Leistungen des Verstandes beschreibt. So ist der Gedanke, welcher vom Nachdenken produziert wurde, in eine Denkstruktur zu integrieren, die keine äußeren (das heißt vom Denken unabhängigen) Voraussetzungen mehr zulässt und folglich sich selbst genügt. Diesen Anspruch erläutert Hegel so: „Die äussere Natur ist Stoff unseres Gedankens, aber diese unmittelbare Weise der Dinge ist nur der Ausgangspunkt [Hervorhebung V. K.] und der Gedanke verkehrt sie zu einem Gedachten.“54 Zudem verdichten sich hier die Andeutungen dafür, dass Hegel der Meinung ist, dass das objektive Denken den zuvor erreichten Ergebnissen des subjektiven Denkens sowie des Nachdenkens überlegen ist bzw. beide in sich einschließt und auf ein neues Niveau überführt. Hegel macht deutlich, dass das Gedachte nicht als ein bloßes Produkt unseres Kopfes aufzufassen ist, sondern über die bloß subjektive bzw. mentale Leistung des Denkens hinausreicht. Denn „[e]ine Bestimmung herauszuheben, die andere weglassen, ist das Thun des Verstandes […]. Der Verstand ist also etwas einseitiges […]. [D]ieser Inhalt hat jedoch wirkliches Dasein nur in Verbindung [Hervorhebung V. K.] mit anderen Bestimmungen.“55 Während das Erkennen mittels der trennenden Reflexion des Verstandes auf das Setzen der zu bestimmenden Gegenstände – als für sich bestehende – sowie auf das Festlegen ihrer Merkmale in Abgrenzung zu allen anderen Merkmalen, die dem zu bestimmenden Gegenstand nicht zukommen, hinausläuft, zieht das objektive Denken die Frage nach sich, wie sich der sinnstiftende Zusammenhang aller vereinzelten Denkbestimmungen erfassen lässt. Darüber hinaus ergibt sich hier die Frage, auf welche Art und Weise das reflexive – mittels des Nachdenkens erreichte – Produkt unseres Kopfes auf die Realität bezogen ist und sich als wahr erweist. In diesem Zusammenhang macht Hegel darauf aufmerksam, dass im alltäglichen Sprachgebrauch unter der Wahrheit etwas anderes verstanden wird als das, worum es ihm geht, denn „[g]ewöhnlich nennen wir Wahrheit Uebereinstimmung eines Gegenstandes mit unserer Vorstellung.“56 Da aber die mit Sinnlichkeit behaftete Vorstellung kein reines Denken darstellt, kann die Übereinstimmung des Gegenstandes mit der ihm entsprechenden Vorstellung Hegels Wahrheitsansprüchen nicht gerecht werden. Zum einen, weil innerhalb einer solchen Konstellation der Gegenstand selbst noch nicht mittels des Nachdenkens ins rein Gedachte verkehrt ist, sondern bloß als ein unmittelbar (vor)gegebener beim Namen genannt wird (z. B. ,ein Haus‘).57 Zum 54

Ebd., 167. Ebd., 226 f. 56 Ebd., 174. 57 Zum erwähnten Problem behauptet Hegel: „[F]ange ich beym Namen an, so fange ich bey der Vorstellung an; auf den Namen kömmt’s nicht an, auf die Sache, den Inhalt, also die nothwendigen Gedankenverhältnisse. Dieses Gedankenverhältnis suchen wir dann durch ein Wort zu bezeichnen.“ (Ebd., 432). 55

3. Klassifizierung des Denkens

111

anderen bleibt die Vorstellung selbst von unreflektierten Vorannahmen abhängig. In der Folge dieser Überlegungen wird der Unterschied zwischen Wahrheit und Richtigkeit weiter ausdifferenziert. Während Hegel die Richtigkeit als Übereinstimmung eines Gegenstandes mit der ihm entsprechenden Vorstellung fasst, expliziert er die Wahrheit als „Zusammenstimmung eines Inhalts in sich mit sich selbst“58, und damit anhand einer Formulierung, die eindeutig auf die Struktur des herauszuarbeitenden Begriffes hindeutet. Denn nur der Begriff, welcher an dieser Stelle noch nicht thematisiert wurde, ist nach Hegel wahrheitsfähig, weil erst mittels des Begriffes das subsumierende Verhältnis der Richtigkeit in das wahre (Selbst) Verhältnis überführt werden kann.59 Auch wenn die Formulierungen, in welchen Hegel hier sein Konzept von Wahrheit vorstellt, kryptisch klingen mögen, so vermitteln sie doch eine klare Botschaft: Im objektiven Denken handelt es sich um einen reflexiven Denkvollzug, welcher sich von den äußeren Annahmen allmählich befreit, indem ein klarer Begriff herausgearbeitet wird. Die von Hegel entwickelte Unterscheidung zwischen Richtigkeit und Wahrheit, wirft die Frage auf, ob Hegel die Relevanz der Richtigkeit – mit welcher vor allem der korrekte Vollzug des formalen verständigen Denkens gemeint ist – für das Erlangen des wahren philosophischen Wissens bestreitet.60 Dieser Frage will ich mit den folgenden Überlegungen nachgehen: Während die Übereinstimmung von Hegel in den Vorlesungsnachschriften immer dann erwähnt wird, wenn es um eine deutliche Trennung zwischen dem Gegenstand (Objekt) und dem Denken (dem denkenden Subjekt) geht, kommt die sogenannte – auf die Wahrheit hinführende – Zusammenstimmung des Inhaltes in sich mit sich selbst erst dann zustande, wenn eine solche Trennung nicht als unüberwindbar, sondern als Relation zwischen Denkendem und Gedachtem thematisiert wird. Dieses Ergebnis verdankt sich seinerseits dem Bewusstwerden darüber, dass Ich und Denken dasselbe sind.61 Auf der erreichten Ebene wird das Erkennen auf zweierlei Weise realisiert. Einerseits werden dem Gegenstand mittels des erkennenden Subjekts weiterhin gewisse Merkmale als Prädikate beigelegt, was dem – modern gesprochen – intentionalen Denken entspricht. Den Kriterien des intentionalen Denkens zufolge ist der aufgefasste Gegenstand erst dann richtig bestimmt, wenn das Denken 58

Ebd., 174. Mehr zur ausführlichen Unterstützung dieser These sowie einer detaillierten Herausarbeitung des Problems von Wahrheit und bloßer Richtigkeit (bzw. der formalen Übereinstimmung des zu bestimmenden Gegenstandes mit dem Begriff) siehe M. Theunissen 1989. Da ein subsumierendes Bestimmen eines Gegenstandes (unter einen Begriff) eine „bloß formelle Entsprechung“ darstellt, habe die Realität, so Theunissen, „ihren Begriff nicht an sich, sondern gleichsam über sich, als die selber nur nominelle Instanz, deren Regelung sie folgen muß.“ (M. Theunissen 1989, 346 f.). Es gehe aber Hegel nicht darum, der Regelung blind zu gehorchen, sondern sie zu erschließen. 60 Dass dies eindeutig nicht so ist und dass die Richtigkeit eine unverzichtbare Stufe auf dem Weg zum vollständigen philosophischen Wissen ist, hat Ch. Halbig (2002) in Bezug auf die Enzyklopädie von 1830 ausführlich dargestellt (siehe Ch. Halbig 2002, Kapitel 5). 61 Vgl. GW 23 (1), 170. 59

112

III. Der Verstand und die Logik: Zur Einordnung der Verstandesfunktion

mit dem übereinstimmt, worauf es sich richtet. Seinerseits stellt das Objekt des Erkennens, worauf sich das Denken intentional bezieht, irgendetwas dar, was, der Alltagsüberzeugung zufolge, absolut unabhängig vom Denken bleibt und innerhalb der äußeren Welt selbstständig vorhanden ist. Oder, wie Hegel es zum Ausdruck bringt: „Man sagt gewöhnlich die Logik habe es nur mit reinen Formen zu thun und ihren Inhalt anders woher zu nehmen.“62 Andererseits wird sich das denkende Subjekt (das Ich) seiner eigenen Denktätigkeit bewusst, indem es feststellt, dass das Gedachte von ihm nicht abzutrennen ist. Mit dieser Feststellung leitet Hegel die zweite Weise des Erkennens ein, in welcher der zu bestimmende Inhalt nicht als bloß von außen genommener, sondern als im Inneren aufgefundener behandelt wird, weshalb die Denkformen „wohl ein Inhalt“63 werden. Infolgedessen bleibt das Subjekt hier nicht nur logisches Subjekt des Prädizierens, sondern wird auch als denkendes Subjekt thematisiert. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit, den zu bestimmenden Inhalt nicht nur als Gedachtes (als den zu bestimmende Gegenstand), sondern auch als denkendes Subjekt (das Ich), welches das Gedachte konstituiert, zu begreifen. Wie heraus erhellt bestreitet also Hegel keineswegs die Relevanz der Richtigkeit für das Erlangen des philosophischen Wissens. Denn die beiden Bestandteile des Denkaktes fallen eben nicht unterschiedslos zusammen, so dass das erreichte Ergebnis auch nicht auf dem Verwerfen des formalen Setzens des Verstandes – welches der Hegelschen Auffassung zufolge auf bloße Richtigkeit hinausläuft – beruht, sondern dies Ergebnis stellt eine Erweiterung seiner Bestimmungsmöglichkeiten dar. Der Schluss zeigt sich nun in seiner Wahrheit als „die Bestimmung, daß das Besondere die Mitte sei, welche die Extreme des Allgemeinen und Einzelnen zusammenschließt. Diese Form des Schlusses ist eine allgemeine Form aller Dinge. Alle Dinge sind besondere, die sich als ein einzelnes mit dem Allgemeinen zusammenschließen.“64

Die zum Bewusstsein gebrachte Denkstruktur, innerhalb derer das denkende Subjekt (das Ich) mit dem Gedachten zusammengeschlossen ist, wird nun als die Grundlage des Denkens selbst begriffen. Die erreichte Konstellation führt notwendig über die formale Identitätssetzung hinaus und überschreitet damit den Rahmen der Urteilsform.65 Wichtig dabei ist, dass diese Konstellation nicht als eine Alternative zum setzenden Bestimmungsverfahren des Verstandes hervortritt, sondern sowohl dieses Setzen als auch denjenigen Bezug umfasst, welchen das Ich (das denkende Subjekt) auf sich selbst nimmt. Während die Verstandesreflexion, um den Widerspruch zu vermeiden, ständig zwischen den Entgegengesetzten zu entscheiden sucht, 62

Ebd., 173. Ebd., 173. 64 Ebd., 172. 65 Hegels Zusammenfassung hierfür lautet: „Durch ein abstraktes Gedankenprädikat kann die Natur einer Sache nicht ausgedru¨ ckt werden, da solches nur eine einfache Bestimmung ist.“ (Ebd., 416). 63

3. Klassifizierung des Denkens

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ohne die Begriffe, im Blick auf ihre objektive Gültigkeit zusammenzudenken, so ermöglicht es erst die philosophische Reflexion, die auseinanderfallenden Entgegengesetzten auf den zusammenhaltenden Grund zurückzuführen. Denn, wie bereits erwähnt, „Ich und Denken ist dasselbe. Wir brauchen das Ich ganz trivial, und die philosophische Reflexion erst ist es, daß wir es zum Gegenstand der Betrachtung machen. Im Ich haben wir den ganz reinen praesenten Gedanken.“66

An dieser Stelle ist es angebracht, zu erwähnen, dass Hegel das Ich nicht im Sinne eines besonderen denkenden Subjekts auffasst, sondern als die allgemeine Denktätigkeit überhaupt konzipiert: „Ich bin diese Thätigkeit dies ganz allgemeine hervorzubringen und mich in diesem zu halten. Ich, ist das allgemeine in allen besonderheiten; das substantielle. Das denken ist so die Seele die alles belebt durchdringt. Nichts ist ohne diese Grundlage.“67

Infolgedessen ist das objektive Denken erst dann erreicht, wenn die entgegengesetzten Bestimmungen zusammen gedacht und auf denselben Grund – auf das Ich – zurückgeführt worden sind. Dies ist nur mittels der philosophischen Reflexion realisierbar, denn erst sie ist imstande, die Endlichkeit der Denkbestimmungen aufzuheben. Hegels Zusammenfassung lautet: „Die Denkbestimmungen wie sie so einzeln sind, sind endlich, sind bestimmt; das Wahre aber ist das in sich Unendliche, das durch Endliches sich nicht läßt ausdrücken und zum Bewußtsein bringen. Der Ausdruck Denken des Unendlichen kann sonderbar scheinen, wenn man die Vorstellung der neuern Zeit festhält, als sei das Denken immer beschränkt. Aber das Denken ist in sich unendlich. Endliches heißt formell ausgedrückt, was ein Ende hat, das ist, aber aufhört da, wo es mit einem Andern seiner zusammenhängt, wo also dieses es beschränkt. Das Endliche besteht also in Beziehung auf sein Anderes; das seine Negation ist, die als Grenze sich darstellt. Das Denken aber ist bei sich selbst, denkt sich, hat sich zum Gegenstand, verhält sich zu sich selbst. Indem ich einen Gedanken zum Gegenstande habe, bin ich bei mir selbst.“68

So wird durch den Selbstbezug (des Ichs als allgemeiner Denktätigkeit) die unendliche Denkstruktur erreicht, indem das Andere (das heißt der Gegenstand des Erkennens) sich mit dem dieses Andere bestimmenden Subjekt (mit dem Ich) zusammenschließt. Dieses Ergebnis ist aber auf das Zugeständnis angewiesen, dass die Dialektik nicht bloß ein negatives Resultat hervorbringt – denn dann würden die zusammengeschlossenen Denkelemente für immer voneinander getrennt bleiben –, sondern in sich selbst auch das Positive beinhaltet, denn „[d]ie wahrhafte Dialectik aber ist immanent, die zeigt an den Bestimmungen selbst, daß sie sich auflösen. Sie ist überhaupt kein subjectives Thun, keine Reflexion, sondern die eigene

66 67 68

Ebd., 170. Ebd., 219. Ebd., 180.

114

III. Der Verstand und die Logik: Zur Einordnung der Verstandesfunktion

Natur des Gegenstandes selbst. Der Gegenstand ist an ihm selber die Unruhe seiner in sich.“69

Hier wird deutlich, dass das dialektische Moment von Hegel konsequenterweise nicht mehr ausschließlich als bloßer Puls des Lebens70 gefasst, sondern auch als immanente Bewegung der Sache selbst begriffen wird. Denn der Rückgang in den Grund (Ich) ist objektiv und lässt sich erst dann adäquat nachvollziehen, sobald die philosophische Reflexion einsetzt. Erst sie ist imstande, die lebendige dialektische Bewegung korrekt aufzufassen und auf das objektive begriffliche Niveau zu überführen. Hegel gesteht ab dem Jahr 1826 zu: „Der Widerspruch hebt sich auf. [A]ufheben ist ebensowohl [Hervorhebung V. K.] negativ als affirmativ.“71 Selbst im Modus des Skeptizismus bleibt Dialektik nicht bloß negativ, weil das negative Resultat, so Hegel, „jedoch auch Affirmation enthält. Die ewige Dialektik: das Andere seiner selbst setzen, und sich selbst als anderes zu setzen. Die Negation der Negation ist das Wahrhafte als aufgelöster Widerspruch.“72 Da, wie oben bereits ausgeführt, das objektive Denken und hiermit der objektive Begriff so bestimmt sind, dass in diesen gleichwohl die Form wie der Inhalt nicht außer Acht gelassen, sondern ausreichend thematisiert und nachvollzogen werden, stellt sich nun die Frage, inwieweit die verständige Reflexion ihren Anspruch auf Objektivität einlösen und objektiv gültiges Erkennen gewährleisten kann. Um diese Frage zu beantworten, gilt es, die angemessene Stellung des Gedankens zur Objektivität zu erschließen. Denn im Rahmen der erreichten unendlichen Struktur (des Zusammenschließens von Denken und Ich) erschließt sich zunächst noch nicht, welcher Art der Denkinhalt ist bzw. welche Kriterien der objektive Gedanke erfüllen muss, um der hergestellten unendlichen Denkstruktur gerecht zu werden. Hegels Ausweitung des Vorbegriffs, welche er in den Jahren 1827 und 1830 vornimmt, wie auch die Einführung der Drei Stellungen des Gedankens zur Objektivität lassen sich als konsequenter Versuch verstehen, den hier hervorgetretenen systematischen Herausforderungen gerecht zu werden.

69 70 71 72

Ebd., 228. Ebd., 13. Ebd., 432. Ebd., 432.

IV. Der Verstand und die Objektivität Hegel beweist, wie im vorigen Kapitel dargestellt, dass das dialektische Moment im positiv-vernünftigen Denken aufzufinden ist. In der Konsequenz führt also die Dialektik – in der affirmativen Form der „Negation der Negation“ – zu einem positiven Ergebnis, wodurch der Rahmen der Logik erweitert wird. So zeigt sich die formale – dem Verstand vertraute – Logik als ein wesentlicher Teil der höheren, spekulativ verfahrenden Logik. Statt der formal-logischen Vorgehensweise des Verstandes Abbruch zu tun, tritt die spekulative sogar aus dieser hervor. Das von Hegel eigenständig thematisierte objektive Denken, wird dabei zum Garanten, welcher den Weg zum vollständigen Wissen eröffnet. Da dieses Denken sich jedoch mittels des Verstandes emporarbeitet, stellt sich die Frage, in welchem Umfang die Objektivität dem Verstand überhaupt zugänglich wird. Wo stößt der Verstand an die eigenen Grenzen? Setzen diese Grenzen dem zuverlässigen Erkennen ein Ende? Und zuletzt, welchen Kriterien muss das mittels des Verstandes erworbene objektive Denken entsprechen, um auf das vollständige Wissen hinzuführen? Diesen Fragen geht Hegel in den Drei Stellungen des Gedankens zur Objektivität nach, welche er den Fassungen der Enzyklopädie von 1827 und 1830 hinzufügt. Hegel selbst erklärt, dass er in der Einleitung zur Enzyklopädie von 1830 den Einstieg in sein System bloß „räsonierend“1 herstellen wolle, ohne den inneren Zusammenhängen des erforderlichen Denkinstrumentariums systematisch nachzugehen. Dementsprechend entwickeln auch die Drei Stellungen des Gedankens zur Objektivität weder vollständig noch systematisch die eigentliche philosophischen Problematik – die Wahrheit zu begreifen. Stattdessen geben sie lediglich Fallbeispiele, welche die wesentlichen Schwierigkeiten ersichtlich machen,2 denen das Denken auf dem Weg zum wahren (bzw. vollständigen) Wissen ausgesetzt ist, oder, um es mit Hegels Worten zu sagen, geht es hier darum, das Denken „nach seiner Grenze“3 zu betrachten. Den Fallbeispielen Hegels liegt jedoch, so meine These, eine eindeutige Struktur zugrunde. Diese Struktur wird durchsichtig, sobald alle drei Stellungen in Bezug zueinander gebracht werden. Sie legt die Bruchstellen des Denkens auf dem Weg zur Objektivierung offen, wie ich im Folgenden aufzeigen werde. Anknüpfend an die im vorigen Kapitel erzielten Ergebnisse, untersuche ich im Weiteren jede der innerhalb der drei Stellungen präsentierten Arten des Denkens daraufhin, was darin die Objektivierung jeweils ermöglicht und was sie erschwert. 1

Ebd., § 25, Anm. Andreas Arndt weist den Fallbeispielen der Drei Stellungen eine exemplarische Bedeutung zu. Vgl. A. Arndt 1994, 148 f. 3 Enz. 1830, § 27. 2

116

IV. Der Verstand und die Objektivität

1. Die Objektivität und die Schulmetaphysik Die erste Stellung des Gedankens zur Objektivität wird von Hegel im „unbefangenen Verfahren“ gesehen, „welches, noch ohne das Bewußtsein des Gegensatzes des Denkens in und gegen sich, den Glauben enthält, daß durch das Nachdenken die Wahrheit erkannt“ wird4. Diese Art des Denkens ist nicht nur für das „tägliche Tun und Treiben des Bewusstseins“5 typisch, sondern charakterisiert auch den Bereich der „vormaligen Metaphysik“6 (der vorkritischen Metaphysik der Leibniz-Wolffschen Schule). Anhand der letzteren erläutert Hegel nun die Eigentümlichkeiten der unbefangenen Denkungsart sowie ihre Vor- und Nachteile. Einer ihrer wesentlichen Vorteile ist es, dass im unbefangenen Denken bereits gewisse unverzichtbare Elemente enthalten sind, die es ermöglichen, das Denken als „ächtes speculatives Philosophieren“7 durchzuführen. So ist die Stellung des Gedankens innerhalb der Schulmetaphysik insofern vorteilhaft, als in deren Rahmen die Denkleistung dem Zweifel nicht unterworfen wird (das heißt, hier wird die Erschließung der Wahrheit als alleiniges Tun des Denkens angesehen) und der Anspruch besteht, den Inhalt des zu bestimmenden Gegenstandes als allumfassend, das heißt als ausreichend, konzipieren zu können. Demgemäß liegen die Spezifika der traditionellen metaphysischen Genstände – Welt, Seele, Gott – darin, dass sie als allumfassende Denkkonzepte fungieren und, so Hegel, „an und für sich der Vernunft, dem Denken des in sich concreten Allgemeinen angehören“.8 Abgesehen von diesen Vorteilen hat das Denken im Rahmen der ersten Stellung jedoch Nachteile. Da der metaphysische Inhalt – um dem Hegelschen Vokabular getreu zu bleiben – bereits mittels der Begriffe ,Gott‘, ,Seele‘, ,Welt‘ bestimmt ist, das heißt, als Vorhandenes auf die Seite des bestimmten Denkens fällt, bedarf er nun des bestimmenden Denkens, um präzisiert zu werden. Dies passiert dann, wenn den zu bestimmenden Gegenständen mittels der Urteilsform gewisse Merkmale beigelegt werden. Beispielsweise wird die Welt durch die Zuschreibung des Prädikats ,unendlich‘ in die Urteilsform gebracht: ,Die Welt ist unendlich‘. Das erreichte Ergebnis bringt für Hegel zweierlei Probleme mit sich. Das erste Problem betrifft denjenigen Bestandteil des Urteils, der innerhalb dieser Konstellation als das bestimmende Denken auftritt. So ist ,unendlich‘ in Bezug auf die ,Welt‘ bestimmend, aber keineswegs selbst bestimmt. Mehr noch: als eine festgelegte Bestimmung ist ,unendlich‘ ein Produkt des reflexiven Denkens (des Nachdenkens bzw. des verständigen Denkens), welches dank der Entgegensetzung formuliert wird. Zur Erinnerung: ,unendlich‘ lässt sich erst dann erschließen, wenn es auf ,endlich‘ bezogen wird. Hiermit läuft das erste Problem darauf hinaus, dass der 4 5 6 7 8

Ebd., § 26. Ebd., § 26. Ebd., § 27. Ebd., § 27. Ebd., § 30.

1. Die Objektivität und die Schulmetaphysik

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mit dem Anspruch auf Ganzheit formulierte Gegenstand (die Welt) mittels des ausschließenden Denkverfahrens artikuliert wird. Mit diesem Resultat ist aber das erste Problem längst nicht erschöpft. Eine darüber hinausgehende Schwierigkeit ergibt sich dann, wenn die Welt mittels einer weiteren Prädikation bestimmt wird. Zum Beispiel: ,die Welt ist unendlich und unteilbar‘. Denn, in Verbindung zueinander gebracht, erweisen sich die Prädikate ,unendlich‘ und ,unteilbar‘ ebenfalls als ausschließend: Sollte die Bestimmung ,unteilbar‘ an Präzision gewinnen, wird diese zum einen das Ausschließen von ,teilbar‘ fordern, zum andern auf das Explizieren des Bezugs führen, in dessen Rahmen ,unteilbar‘ als dasjenige formuliert wird, was als ,nicht unendlich‘ zu artikulieren ist. Dieses Ergebnis leitet zum zweiten Problem über. Das zweite Problem betrifft die Urteilsform selbst. Zum einen setzt diese den zu bestimmenden Inhalt als eine bereits bestimmte Definition des logischen Subjekts voraus. So läuft der Anspruch des Urteilens darauf hinaus, die Welt als ein vorausgesetztes Objekt mittels der ihm zukommenden Merkmale und gemäß den dazu passenden Vorstellungen zu präzisieren. Erst die Merkmale bzw. Prädikate geben Auskunft darüber, was das Objekt des Bestimmens ist, während das Objekt selbst völlig unbestimmt und leer bleibt. Zum anderen erweist sich das zu präzisierende Objekt, welches im Urteil die Rolle des logischen Subjekts übernimmt, nicht als Grund, auf den alle beigelegten Merkmale notwendigerweise zurückzuführen sind, sondern bloß als Knoten,9 der alle Prädikate mittels des „auch“ miteinander verbindet. Das folgende Beispiel Hegels, hilft zu verstehen, was er im Sinne hat. So behauptet er: „Ein haus ist ein ganzes; es ist eins. Aber es ist nur zusammengesetzt. Die steine, die balken können ganz selbständig auseinander genommen werden. [U]m Stein, um holz zu sein bedarf es dieser einheit nicht, welche ein Haus ausmacht.“10

Wie das erwähnte Beispiel ersichtlich macht, bereits auf den Bereich des oben erwähnten täglichen Tuns des Bewusstseins bezogen scheitert der Anspruch des Urteilens, das vollständige Wissen erlangen zu können. Denn im Rahmen eines solchen Urteilens greifen die dem vollständigen Wissen dienenden Komponenten nicht vollständig ineinander und, für sich genommen, bedarf jede dieser Komponente der weiteren Bestimmungen. Deshalb stellt die Verbindung zwischen dem Inhalt und der ihm zukommenden Form am Ende ein bloßes Zusammensetzen und keinen Zusammenhang dar. Der Zusammenhang, welche dem wahren Wissen zugrunde liegt, ist laut der Vorlesung 1831 aber die folgende: „Wenn wir vom Menschen sagen, er hat Eingeweide, Nerven, Muskeln, so haben wir das Gefühl, daß das Eine Wirksamkeit und Thätigkeit ist; hier sind diese nicht so nebeneinander so, daß sie nur Zusammenhang am Subjekt haben, sie hängen miteinander zusammen, das Eine kann nicht ohne das Andere seyn als Lebendiges.“11 9

Vgl. GW 23 (2), 459: „Subject ist nur Knoten nicht ihr [der Prädikaten, V. K.] Inhalt.“ Ebd., 544. 11 Ebd., 671. 10

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IV. Der Verstand und die Objektivität

Ohne sich in Details zu vertiefen, macht Hegel darauf aufmerksam, dass ein echter innerlicher Zusammenhang, der dem Wissen zugrunde liegt, kein mechanischer, sondern ein organischer ist und sich mittels des formal-logischen Bestimmens des Verstandes nicht vollständig erschließen lässt. Da das Urteil, so Hegels Konklusion, „durch seine Form einseitig und in sofern falsch“12 ist, reichen die Kapazitäten des formal-logischen Urteilens dafür nicht aus. Hier ergibt sich die Gefahr, den Hegelschen Ausdruck „falsch“ in diesem Kontext misszudeuten und im Sinne zu interpretieren, dass die den strengen Bedingungen der formalen Logik unterlegte und korrekt ausgeführte Tätigkeit des Urteilens als solche falsch ist. Der eindeutige Beleg dafür, dass es nicht so gemeint ist, stellt das bereits zum Anfang des Vorbegriffs ausgedrückte Ziel dar. Die Bedingungen zu schildern, die für das Erreichen des wahren Wissens bzw. der Wahrheit – nicht aber der formalen Kenntnis (!) – von unverzichtbarer Bedeutung sind. Während die Urteilsform für die formale Kenntnis konstitutiv ist (um ein Haus richtig zu identifizieren, ist diese Form zweifelsohne ausreichend), genügt sie für das Anliegen des wahren, das heißt des vollständigen Wissens nicht. Aus dem oben Ausgeführten geht hervor, dass die Einseitigkeit des Urteilens, die Hegel im Sinne hat, auf zweierlei Weise expliziert werden kann. Einerseits ist die Prädikaten-Bedeutung (oder, mit Hegels Terminologie, die Bedeutung dessen, was auf die Seite des bestimmenden Denkens fällt) innerhalb des Urteils immer einseitig, da diese mittels des reflexiven Setzens des Verstandes erzielt wird und deswegen immer durch das Entgegengesetzte begrenzt bleibt. Andererseits ist die gesamte Urteilsform insofern einseitig, als in deren Rahmen die Stellung des zu bestimmenden Objekts nicht nur komplett außer Acht gelassen wird, sondern auch keine Möglichkeit bekommt, überhaupt thematisiert zu werden, weshalb auch ein innerer Zusammenhang zwischen dem Objekt und seinen Bestimmungen nicht ersichtlich wird. Am Ende verfehlt die Schulmetaphysik ihr Ziel, das Wahre mittels des Nachdenkens vollständig zu erschließen, und stellt sich letztendlich als ein formales Setzen heraus, was sie, so Hegels Konklusion, zur „bloße[n] Verstandes-Ansicht der Vernunftgegenstände“13 macht. Hiermit bietet der einseitige Rahmen der Schulmetaphysik keine Möglichkeit, die Prädikate und die Form des Urteilens selbst zu bestimmen. Die unvermeidliche Konsequenz daraus ist, so Hegel, ein formales Festlegen des Erkenntnisgegenstandes (des Vernunftobjektes) und ein blinder Gebrauch des dafür nötigen bestimmenden Denkens selbst. So wird durch die bloße Form des Denkens (in diesem Fall der Urteilsform) über das Erkenntnisobjekt eine inhaltsleere Auskunft gegeben, weil die Form selbst unbestimmt bleibt. Indessen weist sich der Inhalt der Erkenntnis, das heißt das logische Subjekt, als bloßes Denken aus, welches völlig unbestimmt ist, weshalb das eigentliche Ziel des Erkennens nicht erreicht wird. 12 13

Vgl. Enz. 1830, § 31, Anm. Ebd., § 27.

2. Die Objektivität und der Empirismus

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Hiermit erweist sich die Ausgangsstellung des urteilenden Bestimmens als unverzichtbar, zugleich aber als ungenügend. Denn das Verhältnis zwischen dem Objekt des Bestimmens und dem ihm zukommenden Prädikat läuft weit darüber hinaus, das Prädikat dem logischen Subjekt bloß zuzusprechen. Vielmehr fordert es sowohl das Bestimmen des Prädikats als auch der Urteilsform selbst. So wird in der Schulmetaphysik der Bedarf nach dem Bestimmen der bestimmenden Denkformen ersichtlich, indem das Bewusstsein des Gegensatzes zwischen dem Objekt des Bestimmens und dem dieses Objekt bestimmenden Subjekt mittels des Verstandes gebildet wird.

2. Die Objektivität und der Empirismus Das Scheitern der Schulmetaphysik an dem Anspruch, das Allgemeine im Denken zu gründen, veranlasste eine erneute Suche nach den Möglichkeiten, objektives Wissen zu erwerben. Dies hatte einen Wechsel des Paradigmas der Erkenntnis zur Folge, welcher durch den Empirismus vollzogen wurde. Bevor ich mich mit den programmatischen Anliegen Hegels auseinandersetze, möchte ich einem – meines Erachtens unangebrachten – Vorwurf entgegnen. So wird oft die Meinung vertreten, dass Hegel gewisse philosophische Positionen bloß plakativ erörtere bzw. ausschließlich seinen eigenen Zielen dienen lasse, ohne sich mit diesen im Detail zu beschäftigen. Die folgende Behauptung, welche sich unmittelbar auf die zweite Stellung bezieht, bietet eine gute Illustration dafür: „Mit welchen empiristischen Philosophen sich Hegel hier im einzelnen auseinandersetzt, kann hier ebensowenig untersucht werden wie die Frage, ob er ihnen in der Rekonstruktion ihrer Argumente gerecht wird.“14

Mit dieser Behauptung unterstellt Christoph Halbig, dass in der Postion Hegels weder eine geschichtliche noch eine systematische Klarheit herrscht. Das heißt, es könne nicht untersucht werden, mit welchen empiristischen Philosophen Hegel sich im einzelnen auseinandersetze, darüberhinaus bleibe ungewiss, ob Hegel in seiner Rekonstruktion den empiristischen Argumenten gerecht werde. Beide Vorwürfe sind meines Erachtens verfehlt. Zuerst ist es angebracht, erneut zu betonen, dass im Rahmen des Vorbegriffs lediglich eine grobe Schilderung des gesamten Hegelschen Vorhabens gegeben wird, weswegen eine ausführliche Auseinandersetzung mit einzelnen (empiristischen) Philosophen in diesem Format nicht zu erwarten ist. Die Philosophen des Empirismus, welche Hegel hier im Sinne hat, lassen sich jedoch durchaus identifizieren. Er hat sie in den Logik-Vorlesungen wiederholt namentlich genannt, wie die Vorlesungsnachschriften zeigen. Im Jahr 1817 heißt es in Bezug auf den Empirismus: „Loke entwikelte wie wir wahrnehmen und wahrzunehmen haben. Hume hat gezeigt wie uns die Sinnliche 14

Ch. Halbig 2002, 225 f.

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IV. Der Verstand und die Objektivität

Auffassung weder Allgemeinheit noch Wahrheit als solche gibt.“15 Laut der Vorlesungsnachschrift aus dem Jahr 1823 sieht Hegel den Empirismus dadurch gekennzeichnet, „die Methode des Analysierens des Unmittelbaren“ entwickelt zu haben. Diese Methode „hieß dann auch Philosophie. Dieses Philosophiren ist dann in der Lockischen Philosophie enthalten. Hume stellte nun einen Scepticismus innerhalb dieser Ansicht auf.“16 Im darauffolgenden Jahr nimmt Hegel erneut Bezug auf Locke und Hume, um den empiristischen Rahmen zu schildern. So hat Locke in den Erfahrungen „das[,] worauf das Interesse geht[,] d. h. diß allgemeine aufzeigen wollen“,17 während Hume auf das Problem der Verallgemeinerung empirischer Einzelheiten aufmerksam machte, denn das äußerlich Gegebene ist „ein nicht Identisches, nicht in sich zusammenhängend, gesetzlos, zufällig überhaupt, und Hume sagt darum[:] in einer andern Form.“18 Der Vorlesungsnachschrift von 1828 sind wieder dieselben Namen zu entnehmen: „Hume hat angenommen daß wir zur Allgemeinheit und Nothwendigkeit gar nicht berechtigt sind. Die Früheren haben diese Reflexion nicht gemacht. Lokke hat gradezu gesagt, aus der Erfahrung nehmen wir nur unsere Vorstellungen. Das concrete am Humeschen Schluß ist dieses, daß die Allgemeinheit blos eine subjective Zufälligkeit ist. eine Gewohnheit. und diese ist nach dem Subjecte verschieden.“19

Im Jahr 1829 behauptet Hegel: „Newton, Locke und Hume haben die Philosophie empyrisch behandelt: und die Engländer sind noch nicht darüber hinaus.“20 In der Logikvorlesung von 1831 (im Vorbegriff) wird Hume als „ein Lockescher Philosoph“ bezeichnet, der die „richtigen Folgen“ gezogen habe.21 Und schließlich in der Endfassung der Enzyklopädie (1830) gesteht Hegel zu, in seiner Reflexion bezüglich des Empirismus gehe er „vornehmlich“ vom „Humesche[n] Skeptizismus“ aus.22 Das oben Zitierte zeugt eindeutig davon, dass Hegel sich auf dieselben empiristischen Philosophen bezieht und dass es ihm vor allem darum geht, das Eigentümliche des empiristischen Denkens hervorzuheben. Im Folgenden gehe ich den programmatischen Anliegen Hegels im Detail nach. Auf dem Weg zur Denkobjektivierung ist der Empirismus in Hegels Augen insofern vorteilhaft, als in dessen Rahmen zwei wesentliche Prinzipien herausgearbeitet werden. Das erste Prinzip ist die Hinwendung der Empiristen zur Realität, nämlich die Überzeugung, dass „[d]as, was wahr ist, da sein muss.“23 Es handelt sich dabei um sinnliche Gewissheit, die von Empiristen dem objektiven Erkennen zu15 16 17 18 19 20 21 22 23

GW 23 (1), 50. Ebd., 198. Ebd., 234. Ebd., 234. GW 23 (2), 428. Ebd., 552. Vgl. ebd., 676. Enz. 1830, § 39, Anm. Ebd., § 38.

2. Die Objektivität und der Empirismus

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grunde gelegt wird. So behauptet Hume in seiner programmatischen Schrift Enquiry concerning Human Understanding: „[I]t is impossible for us to think of anything that we haven’t previosly felt throught either our external or our internal senses.“24 Das zweite wichtige Prinzip des Empirismus stellt eine eindeutige Implikation der Hinwendung zur Realität dar, indem dem wahrnehmenden Subjekt (dem Ich) eine konstitutive Rolle im Erkenntnisprozess eingeräumt wird, was schließlich die Begründung des subjektiven Freiheitsprinzips ermöglicht, denn „[n]ach der subjectiven Seite ist ebenso das wichtige Princip der Freiheit anzuerkennen, welches im Empirismus liegt, daß nämlich der Mensch, was er in seinem Wissen gelten lassen soll, selbst sehen, sich selbst darin präsent wissen soll.“25

Während den empirischen Einzeldaten sowie dem wahrnehmenden Subjekt die leitende Rolle im Prozess des Erkennens zugeteilt wird, gelangt man jedoch an das empirisch konzipierte Wissen erst dann, wenn die Einzeldaten mehrmals beobachtet und aufgrund der gemachten Erfahrung mithilfe der Verallgemeinerung verarbeitet sind. Die Anerkennung der konstitutiven Rolle der Erfahrung zählt Hegel zu einem der wichtigsten Fortschritte auf dem Weg zur Objektivierung des Wissens. Gleichzeitig sieht er aber an der Erfahrung – wie diese im Rahmen des Empirismus aufgefasst wird – die Grenze markiert, welche die Inkonsistenzen des Denkens einsichtig macht. Die erreichten Schwierigkeiten lassen sich wie folgt explizieren: Die erste Schwierigkeit betrifft den Status der kategorialen Denkbestimmungen, die beim Wissenserwerb herangezogen werden. Während bspw. einzelne empirische Gegenstände – wie einzelne Kühe, Schweine, Katzen usw. – unproblematisch konstatiert werden, wird dagegen die Erkennbarkeit der Allgemeinheit als solcher durch den Empirismus geleugnet. Infolgedessen, so Hegels Diagnose, wird von der Allgemeinheit bloß ein blinder Gebrauch gemacht, insofern ausschließlich dem empirischen Subjekt einerseits und dem empirischen Objekt andererseits eine konstitutive Rolle beim Erkennen zugeteilt wird. Während jede Erkenntnisakt zwangsläufig auf Allgemeinheit hinausläuft, bleibt die Allgemeinheit außerhalb des empirischen Bereichs. Deshalb kann sie nicht erkannt, sondern bloß konstatiert werden. Dementsprechend erhalten die kategorialen Denkbestimmungen im Rahmen des Empirismus den Status des Anderen. So ist bspw. der Begriff ,Tier‘, wenn er auf eine konkret beobachtete Kuh angewendet wird, etwas Anderes als sie. Dies führt dazu, dass das bestimmende kategoriale Denken im Erkenntnisprozess als unvermittelt und der Begriff als vorausgesetztes Anderes angewandt wird, selbst aber unthematisiert bleibt. Darin sieht Hegel die erste Grenzmarke, an welcher der Empirismus sich die Möglichkeit nimmt, im vollständigen objektiven Wissen zu münden. Dieses Problem hat auch Hume ganz genau gesehen und daraus, so Hegels Zugeständnis,

24 25

Vgl. D. Hume [1748] 1975, 62. Enz. 1830, § 38, Anm.

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IV. Der Verstand und die Objektivität

„die scharfsinnige bemerkung gemacht: die wahrnehnung ist grund unseres erkennens. Die nothwendigkeit und allgemeinheit finden sich aber nicht in der erfahrung, es ist daher ein unberechtigtes“.26

Das Aufdecken des Unberechtigten der Erfahrung veranlasste schließlich die Frage: Wieweit lässt sich ein objektives Wissen auf dem Boden des Unberechtigten (dem der Erfahrung) fassen bzw. was kann unter solchen Bedingungen tatsächlich gewusst werden? So komme ich zur zweiten Schwierigkeit, welche der Empirismus nach sich zieht. Die zweite Schwierigkeit betrifft die Berechtigung der Denktätigkeit, aus den zahlreichen empirischen Daten gewisse Schlussfolgerungen zu ziehen oder, anders formuliert, die zweite Schwierigkeit betrifft das Problem, wie dem Dynamischen bzw. dem Bewegungsmoment im Rahmen des Empirismus nachzugehen ist. Damit ist vor allem der Ablauf gemeint, anhand dessen einem beobachteten Ereignis ein anderes zugrunde gelegt wird, das heißt, dass eins davon als die Ursache des Anderen als seine Wirkung aufgefasst wird. Das sich dabei ergebende Problem sieht wie folgt aus: Während die einzelnen Verknüpfungen zwischen den beobachteten Ursachen und Wirkungen tatsächlich mittels der Wahrnehmung festgestellt und – dem empiristischen Anspruch nach – erkannt werden können, kann weder die Idee der Kausalität, die Grundlage des Zusammenhangs zwischen Ursache und Wirkung, noch das die Kausalität bestimmende Gesetz mit Anspruch auf Notwendigkeit erkannt werden. An dieser Stelle sieht Hegel die eindeutige Grenze des empiristischen Denkens dadurch erneut markiert, dass dieses den „Bestimmungen der Allgemeinheit und Notwendigkeit“ in der Erfahrung nicht Rechnung zu tragen vermag, sondern diese Bestimmungen als etwas „Unberechtigtes, als eine subjektive Zufälligkeit, eine bloße Gewohnheit, deren Inhalt so oder anders beschaffen sein kann“27, aufnimmt. Diese Diagnose Hegels wird häufig mittels des Einwands angegriffen, dass die dem empirischen Wissen unterstellte Inkonsistenz bereits von den Empiristen selbst anerkannt und demgemäß an das im Rahmen dieser Theorie herrschende Erkenntnisparadigma angepasst wurde.28 Daraus folgend, verfehle Hegel in seiner Rekonstruktion die empiristischen Argumente überhaupt. Ob dies zutrifft, wird sich anhand der folgenden Überlegungen zeigen: Tatsächlich wird bspw. in der Schrift Enquiry concerning Human Understanding – auf die Hegel in diesem Kontext eindeutig rekurriert – von Hume strikt zwischen der constant (oder auch customary) conjunction29 (der beständigen Ver26

Vgl. GW 23 (2), 552. Enz. 1830, § 39. 28 So findet man bei Christoph Halbig tatsächlich eine derartige Behauptung: „Hume würde dieser Diagnose zustimmen, aber bestreiten, daß es sich um einen Einwand gegen seine Position handelt, weil er gerade zeigen wollte, daß die Notwendigkeit etwa in der Verknüpfung von Ursache und Wirkung nicht in der ,necessary connexion‘, sondern in der ,constant conjunction‘ besteht.“ (Ch. Halbig 2002, 228). 29 D. Hume [1748] 1975, 75. 27

2. Die Objektivität und der Empirismus

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knüpfung) und der necessary connexion30 (der notwendigen Verbindung) unterschieden. Während die beständige Verknüpfung (constant conjunction) innerhalb dessen fungiert, was als cause und effect tatsächlich beobachtet bzw. wahrgenommen wird, bestimmt Hume die notwendige Verbindung (necessary connexion) als eine solche, in deren Rahmen die Wirkung als Äußerung einer grundlegenden Kraft konzipiert wird. Diese Kraft stellt ihrerseits die Grundlage für eine solche Äußerung dar. Konsequenterweise gesteht Hume zu, dass die Notwendigkeit, die tatsächlich erkannt werden kann, auf die Seite der constant conjunction fällt, nicht aber auf die der necessary connexion. Die Konklusion dazu lautet: „In all single instances of the operation of bodies or minds, there is nothing that produces any impression, nor consequently can suggest any idea, of power or necessary connexion. […] For as this idea arises from a number of similar instances, and not from any single instance, it must arise from that circumstance, in which the number of instances differ from every individual instance. But this customary connexion [Hervorhebung V. K.] or transition of the imagination is the only circumstance in which they differ.“31

Um den Ansprüchen des Empirismus treu zu bleiben, reduziert Hume die objektive Notwendigkeit auf die Verknüpfung (constant conjunction), welche zwischen den beobachtbaren Ereignissen festzustellen ist, spricht aber der eigentlichen Idee der Notwendigkeit (necessary connexion) die Legitimität ab. Infolgedessen wird die Kausalität auf die Seite des rein subjektiven Denkvermögens gelegt und nicht innerhalb der Realität – als eine objektive Struktur der Wirklichkeit selbst – behauptet. Unter den angegebenen Bedingungen können im empiristischen Rahmen schließlich nur gewisse Gesetzmäßigkeiten – bzw. die beständigen Verknüpfungen zwischen den analogen Ereignissen – als objektiv erkannt werden. Daran anschließend, können auch die Prognosen über ähnliche zukünftige Ereignisabläufe Verbindlichkeit beanspruchen, was mit den aufgestellten Erfordernissen des Empirismus konform geht. Da diese Ergebnisse aber der Kontingenz der Außenwelt unterliegen, führt die erreichte Position in den Zweifel an der Zuverlässigkeit des Wissens überhaupt. Dem Induktionsprinzip unterworfen, ist das erreichte empirische Wissen immer auf Falsifikation angewiesen. Es gilt nämlich solange, bis es widerlegt oder mittels einer besseren Methode korrigiert wird. Der vertretenen Position treu bleibend, hat sich Hume konsequenterweise als Skeptiker bekannt, was Hegel hoch schätzte, wie es dem folgenden Zitat zu entnehmen ist: „Die consequente Durchführung des Empirismus, in sofern er dem Inhalte nach sich auf Endliches beschränkt, läugnet aber das Uebersinnliche überhaupt oder wenigstens die Erkenntnis und Bestimmtheit desselben, und läßt dem Denken nur die Abstraction und formelle Allgemeinheit und Identität zu.“32

Hiermit wird der Tatbestand auf den Punkt gebracht, dass die konsequente Durchführung des Empirismus in der Abstraktion, das heißt, in formeller Allge30 31 32

Ebd., 62. Ebd., 78. Enz. 1830, § 38, Anm.

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IV. Der Verstand und die Objektivität

meinheit und formeller Identität resultiert. Daraus ergibt sich nun die Frage, ob Hegel in diesem Ergebnis eine eindeutige Bestätigung dessen sieht, dass der Empirismus sich auf dem Weg zum objektiven Wissen als belanglos erweist, oder eher das Ziel verfolgt, mit der erstellten Zusammenfassung auf ein anderes Problem aufmerksam zu machen. Bedenkt man, dass die Hinwendung zur Sinnlichkeit, die Anerkennung der konstitutiven Rolle der Erfahrung sowie der leitenden Position des empirischen Subjekts für den Erkenntnisprozess von Hegel bereits zu unbezweifelbaren Stärken des Empirismus gezählt wurden, scheint die Behauptung, der Empirismus sei für Hegel absolut belanglos, nicht angebracht zu sein. Zieht man zusätzlich die Äußerungen Hegels in Betracht, das Konkrete am Humeschen Schluss liege genau darin, festzustellen, dass die erkannte Allgemeinheit in der Tat bloß eine Zufälligkeit33 und die Kausalität ausschließlich eine Weise subjektiver Reflexion sei,34 wird klar, dass die von Hegel gemachte Diagnose in keinerlei Weise die Belanglosigkeit des Skeptizismus beim Erwerb des objektiven Wissens behauptet. Keinesfalls verwirft Hegels Diagnose die empiristische Argumentation, vielmehr markiert sie die Bruchstellen, die dem Wissenserwerb Hindernisse bereiten. Hegel operiert mit dem Anspruch, das im Rahmen des Empirismus entwickelte begriffliche Instrumentarium aufzunehmen und – mit dem Hinweis, dass es für den Erwerb des Wissens nicht ausreichend sei – seine konsequente Weiterentwicklung zu betreiben. Der Vorrang empirischer Einzelheit sowie der Ausschluss der Allgemeinheit implizieren bloß das Ausgrenzen der letzteren, bedeuten aber keineswegs ihre Vernachlässigung beim Prozess des Erkennens. Der notwendige, aber unsichtbare Zusammenhang wird an der Grenzstelle besonders ersichtlich, die anhand der Erfahrung zum Vorschein kommt. Die beide Elemente – das objektive und das subjektive Element – vereinigende Einheit wird mittels des Erfahrung-Konzepts einleuchtend, kann aber nicht vollständig begriffen werden. An der Stelle des bestimmten Denkens angelangt – welches die Erfahrung bloß beim Namen nennt bzw. setzt –, wird die Erfahrung mithilfe des bestimmenden, inhaltlich aber unthematisierten Denkens dem einseitigen Vorgehen des Verstandes nach weiterhin bloß erläutert (bspw. dank dem Festhalten am Gegenseitigen, wie etwa „Einzelheit-Allgemeinheit“). Denn im angegebenen Rahmen wird keine Möglichkeit zur Verfügung gestellt, das Denkinstrumentarium selbst – die Natur des Schließens sowie die der Allgemeinheit und Notwendigkeit – zu untersuchen. Um dem empirischen Anspruch Rechnung zu tragen, erfordert das Denken weiterhin die Begründung zahlreicher Annahmen und Voraussetzungen, die im Rahmen des Empirismus genauso unbestimmt und unbegründet bleiben wie die Annahmen der (Schul)Metaphysik bzw. der rationalistischen Position, die der Empirismus ursprünglich übertreffen wollte. An der Stelle, wo sich der Empirismus dem vollständigen Nachvollziehen der Kausalität entzieht und seine Aufgabe auf eine bloße Erklärungstätigkeit begrenzt, fällt er mit dem Rationalismus zusammen. Indem der Empirismus nicht nur dieselben 33 34

Vgl. GW 23 (2), 467. Vgl. ebd., 552.

3. Die Objektivität und die Kritische Philosophie Kants

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metaphysischen Denkkategorien anwendet, sondern einen blinden Gebrauch davon macht, tritt er als ein Gegenbild zum Rationalismus auf. Da eine solche Wahl nur mittels der Ausgrenzung einer der beiden Komponenten (des Denkens oder des Gegenstandes) funktioniert, ist es einerlei, ob das Denken (wie im Rationalismus) oder der empirische Gegenstand (wie im Empirismus) als die letztgültige Wahrheitsinstanz gewählt wird. Deshalb erweisen sich die rationalistische sowie die empiristische Position schließlich als Gegenbilder zu einem und demselben Problem: dem Erfordernis eines konsequenten und vollständigen Nachvollziehens der tiefliegenden Verbindung, welche letztlich das Subjekt mit dem zu erschließenden Gegenstand zusammenhält und die Grundlage des objektiven Wissens bildet. Da das erforderliche Nachvollziehen letztendlich eine reflexive Tat ist, deutet die erreichte Position darauf hin, dass die Subjektivität als solche nicht nur als eine empirische Tätigkeit angewandt, sondern auch als eine gewisse Form bzw. eine Struktur des Denkens selbst begriffen und in den Erkenntnisprozess integriert werden muss.

3. Die Objektivität und die Kritische Philosophie Kants Hegels Abhandlung der Kantischen Ergebnisse kreist sich im Wesentlichen um drei Momente: das Ding an sich, die Antinomien und die Sonderstellung der reflektierenden Urteilskraft, welche das Allgemeine auf besondere Weise erschließen lässt. Hinsichtlich der aufgelisteten Momente behauptet Hegel ganz entschieden: (1) es sei nichts Einfacheres, als das Ding an sich zu erkennen,35 (2) es gebe nichts Offensichtlicheres, als dass die Antinomien absolut allem Denken zugrunde liegen,36 und (3) es sei das höchste anzustrebende Ziel des objektiven Erkennens, die transparente Struktur des Allgemeinen überhaupt – die Hegel als „an ihm selbst concret gedacht“37 bezeichnet – offenzulegen, anstatt diese auf einzelne Sonderfälle zurückzuführen.38 Im Folgenden werde ich untersuchen, wie diese Erfordernisse konsequent erschlossen werden können und welche Rolle dabei dem Verstand zugemessen wird. Hegels Auffassung zufolge sei nichts leichter, als zu wissen, was das Ding an sich ist.39 Im Anschluss an diese ziemlich umstrittene Behauptung schütteln die KantForscherInnen seit Jahrzehnten die Köpfe und stellen sich immer aufs Neue die Frage: Wie ernst ist diese Behauptung zu nehmen? Denn die zwischen ihnen herrschende Ansicht besagt, dass unter dem Ding an sich ein außersinnliches Objekt zu 35

Vgl. Enz. 1830, § 44, Anm. Vgl. ebd., § 48, Anm. 37 Ebd., § 55. 38 Vgl.: ebd., § 55. 39 So behauptet Hegel: „Man muß sich hiernach nur wundern so oft wiederholt gelesen zu haben, man wisse nicht, was Ding-an-sich seye; und es ist nichts leichteres als diß zu wissen.“ (Ebd., § 44, Anm.). 36

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IV. Der Verstand und die Objektivität

verstehen ist, solange es keinen Gegenstand der Erfahrung darstellt. Dieses Objekt hat die Eigenschaft, das erkennende Subjekt sinnlich zu affizieren, das heißt, dem Subjekt zu erscheinen. Erst in der Form der Erscheinung wird es erkannt. Zusammengefasst heißt das, dass alle Dinge, die wir wahrnehmen und darauf bezogen beurteilen, nichts anderes, als bloße Erscheinungen der Dinge an sich sind. Die Dinge an sich sind zugleich viel mehr, als nur das, was uns, den erkennenden Subjekten, mittels der Wahrnehmung zugänglich ist. So ist es dann und nur dann von dem Ding an sich die Rede, wenn dieses zum Erscheinen fähig ist, das heißt, zum Objekt der Erfahrung werden kann. Nun behauptet Hegel aber nicht nur, es gäbe nichts Leichteres, als Wissen vom Ding an sich zu erwerben, sondern setzt dieses zudem mit Geist und Gott gleich: „[U]nter dem Ding [an sich] wird auch [Hervorhebung V. K.] der Geist, Gott befaßt.“40 Angesichts des Umstandes, dass Gegenstände wie Geist oder Gott die Grenzen des Erfahrbaren überschreiten und infolgedessen überhaupt kein Objekt der Erfahrung sind – weshalb Kant ihnen den Status des Unbedingten einräumt –, ergibt sich eine zusätzliche Frage: Aus welchem Grund identifiziert Hegel das Unbedingte auch mit dem Ding an sich? Hegel erläutert, dass ein solcher Gegenstand erst dann zum Erkenntnisobjekt werden kann, wenn „von Allem, was er für das Bewußtseyn ist, von allen Gefühlsbestimmungen, wie von allen bestimmten Gedanken desselben abstrahirt wird.“41 Aus der Perspektive Hegels gesehen, liegt die offensichtliche Verwandtschaft zwischen dem Ding an sich und dem Unbedingten darin, dass beide mittels des Denkens schließlich als unerkennbar konstatiert werden. Das heißt, sie werden auf die gleiche Art bestimmt. In diesem Lichte betrachtet, verliert der Kantische Unterschied zwischen dem Erkenntnisvermögen des Bedingten (wofür der Verstand zuständig ist) und dem des Unbedingten (wofür die Vernunft zuständig ist) an Bedeutung, denn im Endeffekt wird derselbe Wissensgehalt zum Ausdruck gebracht. Es wird nämlich ein Ding festgestellt, das nicht erkannt werden kann. Damit deutet Hegel die einheitliche Natur des Erkenntnisvermögens bloß an, nivelliert aber keineswegs die funktionalen Unterschiede der bedingten empirischen und der unbedingten, sich außerhalb des empirischen Bereichs befindenden Objekte der Erkenntnis. An die bereits ausgeführten Überlegungen direkt anknüpfend, lässt Hegel die sogenannten unbedingten Objekte zunächst beiseite und konzentriert sich ausschließlich auf den hervorgebrachten Wissensaspekt der Unerkennbarkeit gewisser Gegenstände überhaupt. Indem er das Ding an sich als „das Negative der Vorstellung, des Gefühls“ und schließlich „des bestimmten Denkens“42 auffasst, hebt er den negativen Denkbezug hervor. Im Falle des Dinges an sich handelt es sich letztendlich um einen Gegenstand, der nicht erkannt werden kann. Von dem angedeuteten negativen Denkbezug her betrachtet – das heißt, mittels des Abstrahierens von alledem, was als erfahrbar erfasst wird bzw. erfasst werden kann – lässt sich 40 41 42

Ebd., § 44, Anm. Ebd., § 44, Anm. Vgl. ebd., § 44, Anm.

3. Die Objektivität und die Kritische Philosophie Kants

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jeglicher Gegenstand, der kein Objekt der Erfahrung bildet, weiterhin als „das völlige Abstractum“, „das ganz Leere“ und ein „Jenseits“ bestimmen.43 In diesem Rahmen ist es einerlei, ob der angenommene unerkennbare Gegenstand zum Objekt der Erfahrung werden kann (das Ding an sich) oder für immer außerhalb der Grenzen der Erfahrung verbleiben muss (das Unbedingte bzw. die Totalität, wie etwa Gott oder Welt). Dank demselben negativen Denkbezug gehören solche Gegenstände dem Rahmen des Erkennens in beiden Fällen bereits an. Der erreichte Standpunkt legitimiert nun die Ausweitung der Hegelschen Anwendung des Dinges an sich – im Sinne eines terminus technicus – auf all das, was als unerkennbar innerhalb des Erkenntnisprozesses aufzutauchen vermag. So ist das Ziel, welches Hegel im Wesentlichen verfolgt, nicht die Beantwortung der Kantischen Frage, wie eine mögliche Erkenntnis zu erwerben ist, sondern die Klärung dessen, was das Erkennen als solches konstituiert und unter welchen Bedingungen sich das vollständige objektive Wissen erwerben lässt. Der geschilderte negative Denkbezug, von dem aus Hegel die nachfolgende Argumentation entwickelt, taucht bereits mehrfach bei Kant auf. Während Kant diesen aber als eine unhintergehbare Grundlage des Erkennens voraussetzt,44 strebt Hegel nun das Ziel an, ihn als einen das Erkennen konstituierenden Bestandteil zu erfassen. Im Unterschied zu Kant macht Hegel nicht das Objekt des Wissens zum Ausgangspunkt seiner Überlegungen, sondern die Bedingungen, unter denen das Erkennen überhaupt stattfindet.45 Im Folgenden analysiere ich, wie Hegel das objektive Erkennen angesichts des neuen Blickwinkels zu erreichen sucht. Zunächst untersuche ich, unter welchen Umständen und zu welchem Zweck Kant selbst Gebrauch vom negativen Denkbezug macht. Danach gehe ich der Frage nach, wie der negative Denkbezug, aus Perspektive Hegels betrachtet, zum vollständigen Erkennen beiträgt. Empirische Gegenstände werden – Kant zufolge – durch ihre Erscheinungen erkennbar. Hinter diesen verbergen sich, vom Subjekt absolut unabhängig, die Dinge an sich, bzw. die Gegenstände überhaupt oder, mit Kant gesprochen, die transzendentalen Gegenstände. Wie Marcus Willaschek in seinen Untersuchungen bestätigt hat, verwendet Kant den Ausdruck „transzendentaler Gegenstand“ mindestens zweifach:46 1) Als ein „Etwas = x“, auf das der Verstand die Erscheinungen bezieht, „wovon wir gar nichts wissen, noch überhaupt […] wissen können, sondern, welches nur als ein Correlatum der Einheit der Apperzeption zur Einheit des Mannigfaltigen in der sinn-

43

Vgl. ebd., § 44, Anm. Innerhalb des Kantischen Rahmens des Erkennens ist es selbstverständlich, dass es die gewissen Objekte gibt, die nicht erkannt werden können. 45 Dieselbe Auffassung wird von Andreas Arndt vertreten (jedoch im Lichte einer anderen Problematik). Mehr dazu siehe A. Arndt 1994, 47. 46 Mehr dazu siehe M. Willaschek 1998, 334. 44

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IV. Der Verstand und die Objektivität

lichen Anschauung dienen kann, vermittelst deren der Verstand dasselbe in den Begriff eines Gegenstandes vereinigt.“47

2) Als uns „unbekannte[r] Grund der Erscheinungen“,48 der nicht für alle Erscheinungen „einerlei“ ist, sondern gerade deshalb „unbekannt“ ist, weil er für eine bestimmte Erscheinung spezifisch ist und ihren transzendentalen „Grund“ darstellt.49 Als nicht erkennbar vorausgesetzt stellen sowohl das angenommene Etwas als auch der angenommene transzendentale Grund eine Sicherungsinstanz dar. Sie ermöglichen dem erkennenden Subjekt alle mannigfaltigen Daten, die auf dem empirischen Weg eingesammelt sind, so einzuordnen, dass diese auf einen Träger oder einen Grund (je nach Sichtweise) zurückgeführt werden, der diese Daten in sich zusammenhält und „in dessen Begriff das Mannigfaltige einer gegebenen Anschauung vereinigt ist.“50 An dieser Stelle ist angebracht zu bemerken, dass dem epistemischen Status nach sowohl das Ding an sich als auch das Noumenon – dessen Oberbegriff das Ding an sich bildet51– und schließlich das Unbedingte (die sogenannten Totalitäten, wie Gott oder Welt) bei Kant nicht erkennbar sind. Während die oben geschilderte Annahme (des transzendentalen Gegenstandes und des transzendentalen Grundes) das Erkennen überhaupt ermöglicht, kann sie selbst nicht nachvollzogen werden. Kant zufolge sei dies aber auch gar nicht nötig. Egal, ob es um das Ding an sich oder um seine spezifische Art (um das Noumenon) geht, ist das Wissen davon für das erkennende Subjekt weder möglich noch relevant. Die Erläuterung Kants lautet: „[W]as die Dinge an sich sein mögen, weiß ich nicht, und brauche es auch nicht zu wissen [Hervorhebung V. K.], weil mir doch niemals ein Ding anders, als in der Erscheinung vorkommen kann.“52 So bleibt das Ding an sich, wie oben bereits ausgeführt, innerhalb der Kantischen Struktur der Erkentnis als dasjenige integriert, was nicht erkannt werden kann. Geht man zu den spezifischen Arten des Dinges an sich über, nämlich zu den Noumena, so gewinnt man die folgenden Präzisierungen: Zunächst wird von Kant zwischen den Noumena im negativen und positiven Sinne unterschieden. Im ersten Fall geht es um ein Objekt, welches „nicht Objekt unserer 47

KrV, A 250. KrV, A 380. 49 Vgl. bspw. KrV, A 190 f./B 236; A 358; A 478/B 506. 50 KrV, B 137. 51 Dass das Ding an sich der Oberbegriff zur Unterscheidung zwischen Noumena in positiver und negativer Bedeutung ist, steht in dieser Arbeit außer Frage. Mehr zur Begründung dieser These siehe M. Willaschek 1998, 337 f.; G. Irrlitz 2015, 167. Zudem sei am Rande bemerkt, dass, laut dem Bericht von Gottlob Schulze (1761 – 1833), bereits einige Zeitgenossen Kants unter dem Noumenon ausschließlich das Ding an sich verstanden haben, wozu „Herr Kant selbst Anlaß gegeben hat, indem er das Wort Noumenon ein paarmal (S. Prolegomena S. 101, 106 und Kritik der reinen Vernunft S. 423 in der Anmerk.,) in der ehemals schulüblichen Bedeutung braucht.“ (Schulze [1792] 1996, 117, Anm.). 52 KrV, A 277/B 333. 48

3. Die Objektivität und die Kritische Philosophie Kants

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sinnlichen Anschauung“ ist,53 im zweiten – um „ein Objekt einer nichtsinnlichen Anschauung“.54 So sind die Noumena in beiden Fällen weiterhin nicht erkennbar. Von daher muss alles, „was […] von uns Noumenon genannt wird, […] als ein solches nur in negativer Bedeutung [Hervorhebung V. K.] verstanden werden.“55 Von der negativen Bedeutung ist dabei erst dann die Rede, „[w]enn wir unter Noumenon ein Ding verstehen, so fern es nicht Objekt unserer sinnlichen Anschauung ist.“56 Demgemäß wird das auf die Grenze der Erkennbarkeit getriebene Objekt durch das Abstrahieren von der Anschauung zunächst als dasjenige, was „nicht die Anschauung ist“, und dann als das, was „nicht erkannt werden kann“, bestimmt. Während das Ding an sich die Verbindung von Erscheinungen sichert, beruht der Erkenntnisakt selbst auf der Einheit des Denkens, die Kant als die „transzendentale Einheit des Selbstbewusstseins“57 bezeichnet. Diese kennzeichnet er einerseits als „eine objektive Bedingung aller Erkenntnis […] unter der jede Anschauung stehen muß, um für mich Objekt zu werden“,58 andererseits bleibt dieses Prinzip selbst im Erkenntnisakt unerkannt. Da die transzendentale Einheit des Selbstbewusstseins nicht zur Sinnlichkeit gehört, kann sie der Kantischen Konzeption zufolge nicht erkannt werden. So bleibt der Erkenntnisgrund – das heißt die mittels des transzendentalen Ichs gesicherte Einheit des Denkens – unerkennbar, wodurch, so Hegel, diese Grundannahme Kants nicht anderes, als den negativen Denkbezug darstellt. Die Pointe Hegels liegt darin, dass innerhalb der Kantischen Erkenntnisstruktur sowohl der Erkenntnisgegenstand (das Ding an sich), der hinter den Erscheinungen verdeckt bleibt, als auch die erkennenden Instanz (das Subjekt) bzw. der Erkenntnisgrund (das Sich-selbst-Gleiche, das heißt das transzendentale Ich) mittels desselben negativen Denkbezugs bereits bestimmt, in den Rahmen des Erkenenns involviert und schließlich den letzteren bereits konstituieren. So lebt das Kantische Erkenntnismodell davon, dass der transzendentale Erkenntnisgrund als bloß gegebener vorausgesetzt und als ein dem Denken entgegenstehender – das heißt dem Denken nicht zugänglicher – erfasst wird. Dank seiner einheitsstiftenden Funktion und dank dem ihm korrespondierenden Objekt wird das transzendentale Ich wird sichtbar, es verfügt aber nicht über die Möglichkeit, seinen eigenen Inhalt zu explizieren. Infolgedessen gibt Kant konsequenterweise zu, dass es der transzendentalen Subjektivität aufgrund ihrer internen Verfassung nicht möglich ist, ein direktes Wissen über sich selbst zu gewinnen. Denn, belässt man die transzendentalen Gründe unhinterfragt (wie bei Kant), muss zugestanden werden, dass keine Begriffsform 53 KrV, B 307. In diesem Fall geht es um ein Objekt, sobald wir davon absehen, wie es uns erscheint. 54 KrV, B 307. In diesem Fall geht es um ein solches Objekt, welches niemals zum Objekt unserer Erkenntnis werden kann, weil uns eine nicht sinnliche Anschauung unzugänglich ist. 55 KrV, B 309. 56 KrV, B 307. 57 KrV, B 132. 58 KrV, B 138.

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IV. Der Verstand und die Objektivität

imstande ist, die Dunkelheit der offensichtlichen Selbstbeziehung des transzendentalen Ich aufzuhellen.59 Auch wenn diese Position, unter dem angenommenen Blickwinkel betrachtet, konsistent und nachvollziehbar ist,60 beweist sie längst nicht, dass die angenommenen transzendentalen Gründe tatsächlich unhintergehbar sind. Daran anschließend setzt Hegel mit seiner Argumentation an: „Was hier Vernunftgegenstand heißt, das Unbedingte oder Unendliche, ist nicht anders, als das Sich-selbst-Gleiche, oder es ist die […] ursprüngliche Identität des Ich im Denken. Vernunft heißt diß abstracte Ich oder Denken, welches diese reine Identität sich zum Gegenstande oder Zweck macht.“61

Hegel macht darauf aufmerksam, dass die festzustellende Identität sich sowohl dem Einheitsgrund (das heißt dem erkennenden Subjekt) als auch der Vereinheitlichungsinstanz (das heißt dem zu erkennenden Gegenstand) verdankt. So ist die anzustrebende Einheit diejenige, die einerseits die Identität sicherzustellen verspricht, sich aber andererseits als nicht fassbar erweist, sollte man mithilfe der bedingten (empirischen) Mitteln an sie herangehen. Infolgedessen kommt das Unbedingte, so Hegels Beobachtung, auf zweierlei Weise zum Vorschein: Als Erkenntnisvermögen ist es das Sich-selbst-Gleiche (bzw. die ursprüngliche Identität des Ich im Denken), als Erkenntnisgegenstand ist es das Unendliche. Seiner Stellung nach ist es aber in beiden Fällen schließlich das Unbedingte. Vom angenommenen Unbedingten ausgehend – der Annahme, die den ganzen Erkenntnisprozess bei Kant konstituiert –, wird die Verbindung zwischen Identität und Einheit offensichtlich. Denn allein Formulierungen wie „etwas, was nicht erkannt werden kann“ (das Ding an sich bzw. der zu erkennende Gegenstand überhaupt) und „etwas, was sich selbst gleich ist“ (das transzendentale Ich) gehören bereits demselben Denken an. Mehr noch: Nur aufeinander bezogen ergeben sie einen Sinn, was auf einen Zusammenhang bzw. ein Verhältnis zwischen ihnen hindeutet. Im direkten Anschluss an den hervorgetretenen Tatbestand formuliert Hegel nun das Bedürfnis, „diese leere Identität oder das leere Ding-an-sich zu erkennen,“ wobei unter dem Erkennen explizit nichts anderes verstanden wird, als „einen Gegenstand nach seinem bestimmten Inhalte zu wissen.“ Dieser bestimmte 59 Aus dieser Perspektive betrachtet, formuliert Dieter Henrich bspw. die These, man könne den Einheitsgrund des Wissens nicht mit dem Mittel des Wissens explizieren. Mehr noch: Die Grundform des Wissens sei nicht selbst explikativ; das Wissen vom Selbst sei das mit sich selbst vertraute Wissen, dessen Dunkelheit unbegreiflich, das heißt, nicht explikativ sei. Mehr dazu siehe D. Henrich 1976; D. Henrich 1999. 60 Von der konstituierenden Rolle des negativen Denkbezugs abgesehen, sind die zwei entscheidenden Annahmen Kants – die der transzendentalen Einheit des Selbstbewusstseins und die des Dinges an sich – nachvollziehbar und berechtigt und die Kantische Aufteilung des Denkens in das Vermögen des Bedingten (des Verstandes) und das des Unbedingten (der Vernunft) legitimiert. Während der transzendentale Erkenntnisgrund sowie der transzendentale Gegenstand nur mittels der Vernunft formuliert wird und die Leistung des direkt an die Sinnlichkeit geknüpften Verstandes sichert, bleibt nur das Denken des Verstandes dafür zuständig, aus den Sinnesdaten der äußeren Welt objektive Kenntnisse zu ziehen. 61 Enz. 1830, § 45.

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Inhalt kommt aber erst dann ans Licht, wenn, so Hegel, der angedeutete Zusammenhang mitbedacht wird.62 So strebt Hegels das Ziel an, die Verbindung bzw. den Zusammenhang zwischen dem erkennenden Subjekt (Ich) und dem zu erkennenden Gegenstand (dem Deng an sich) offenzulegen. Dieser Verbindung geht er aber aus der Perspektive des Denkenden nach. Während die Kantische Fragestellung vom Erkenntnisobjekt her ausgeführt wird, zieht Hegel das Verhältnis zwischen dem zu erkennenden Gegenstand und der transzendentalen Subjektivität in Betracht und geht dem Zusammenhang zwischen Einheit und Identität ausführlich nach. So lässt sich Hegels Vorhaben als eine systematische Auffassung des sich tatsächlich ereignenden Erkenntnisprozesses verstehen, dessen Realisierbarkeit von der bereits vorhandenen Verbindung – zwischen dem erkennenden Subjekt und dem zu erkennenden Objekt – lebt. An dieser Stelle ist wichtig zu bemerken, dass für die Explikation der angedeuteten Verbindung der Erkenntnisprozess selbst unverzichtbar ist, denn mittels dessen wird diese Verbindung überhaupt ersichtlich.63 Während Kant die transzendentalen Gründe als dem Erkennen vollkommen entzogen festlegt, macht Hegel darauf aufmerksam, dass sie – allein um angenommen zu werden – des Denkens bzw. des Denkenden, des Sich-selbst-Gleichen, bedürfen. Diese erweiterte Auffassung motiviert die Aufgabe, die reflexive Natur jeglichen Setzens (inklusive des Voraussetzens der transzendentalen Gründe) in den eigentlichen Rahmen des Erkennens einzuführen und zum Gegenstand des Erkennens selbst zu machen. Von diesem Standpunkt her gehe ich den weiteren Überlegungen Hegels nach, indem ich mich mit der zweiten – oben bereits erwähnten – Behauptung Hegels auseinandersetze. Diese lautet, es gebe nichts Offensichtlicheres als die absolut allem Denken zugrunde liegenden Antinomien.64 Die Berechtigung dieses Anliegens lässt sich anhand des folgenden, für die Argumentation Hegels zentralen Beispiels ersichtlich machen. Sollte die Antinomie die Denknatur nicht konstituieren, ist Freiheit begrifflich nicht formulierbar. Wenn dies der Fall ist, dann ist die Welt als absolut determiniert an62

Vgl. ebd., § 46. Hiermit schließt Hegel jegliche Möglichkeit aus, die Voraussetzungen innerhalb des von ihm errichteten Rahmens des Erkennens einzuführen, sondern erhebt den Anspruch, an das Wissen im Prozesse des Erkennens selbst gelangen zu können. Von daher erweist sich jeder Versuch, Hegels Vorhaben aus einer fixierten Perspektive zu erschließen, als dem eigentlichen Anspruch Hegels nicht genügend und infolgedessen als unzulänglich. Ein gutes Beispiel für ein solches – dem Anspruch Hegels in keinerlei Weise entsprechendes – Vorhaben stellt James Kreines’ Versuch dar, das Anliegen Hegels aus der Perspektive von „the metaphysics of reason“, die er als „organizing focus“ voraussetzt, adäquat zu erschließen. So behauptet Kreines: „Hegel […] advocates a kind of holism, which takes everything to be constituted by its relations with everything else, so that metaphysics and epistemology are thus interrelated. But this holism woud unify Hegel’s project via a view in metaphysics, as I have defined: everything would be part of the reason why everything else is what it is. The general points is this: Hegel aims for systematic unity of his project; we should try to make sense of this, and so if possible to get beyond a mere ,also‘ formulation; and I argue it is possible, but only if we recognize Hegel’s taking the metaphysics of reason as basic [Hervorhebung V. K.].“ (Kreines 2015, 12). 64 Vgl. Enz. 1830, § 48, Anm. 63

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zunehmen. Damit geht dem erkennenden Subjekt die praktische Fähigkeit verloren, frei zu handeln. Die täglich beobachtete Realität und die dadurch gewonnene Erkenntnis zeugen allerdings vom Gegenteil, indem der Eindruck entsteht, das erkennende und dabei handelnde Subjekt entfalte sich frei. Auf die geschilderte Problemlage war bereits Kant gestoßen. Die von ihm herausgearbeitete Lösung dafür wird von Hegel jedoch als mangelhaft bzw. dem Erkennen nicht gemäß eingeschätzt. Bekanntlich behauptet Kant nicht, dass die Denknatur grundsätzlich antinomisch ist, macht aber die Antinomien und deren Unvermeidlichkeit zum Thema, wobei er dieses Thema strikt auf den transzendentalen Bereich begrenzt. Darin sieht Hegel einen der wichtigsten Verdienste der Kantischen Philosophie überhaupt, denn „[d]ieser Gedanke, daß der Widerspruch, der am Vernünftigen durch die Verstandesbestimmungen gesetzt wird, wesentlich und nothwendig ist, ist für einen der wichtigsten und tiefsten Fortschritte der Philosophie neuerer Zeit zu achten.“65

So hat Kant systematisch herausgearbeitet und nachgewiesen, dass die Verstandesbegriffe beim Erfassen des Unbedingten (bzw. der Totalität) unvermeidlich zu Antinomien führen, indem mit gleichem Recht die zwei einander ausschließenden Formulierungen bezüglich desselben unbedingten Gegenstandes – Gott, Seele, Welt – gemacht werden können. In der Unvermeidlichkeit des aufgedeckten Widerspruchs findet Kant die Bestätigung seiner prinzipiellen Annahmen, dass die Verstandesbegriffe zum Erschließen des Unbedingten nicht taugen. So liegt es naher, dass dasjenige, was kein Objekt der Erfahrung ist, nicht erkannt werden, infolgedessen sich die Vernunft – das Vermögen des Unbedingten im Denken – als bloß regulativ erweist. Was führt nun Hegel dazu, die Antinomie als allem Denken zugrunde liegend zu behaupten? Verständlich wird diese Behauptung erst unter dem bereits im vorigen Abschnitt erwähnten eigentümlichen Hegelschen Blickwinkel: Indem das Erkennen als bestimmendes und bestimmtes Denken66 aufgefasst wird, erweist sich die Vernunft, auf eine bloß regulative Funktion reduziert, als inhaltslos (das heißt bloß bestimmend) und somit leer (das heißt nicht bestimmt). Nimmt man den unbedingten Gegenstand Welt als Beispiel, so können die Überlegungen Hegels wie folgt illustriert werden: Zunächst ist der betrachtete unbedingte Gegenstand als Welt mittels des Denkens bzw. im Denken bloß benannt, das heißt, als mit sich identisch fixiert. Da der zu bestimmende Gegenstand im Rahmen des Kantischen Erkenntnismodells nur anhand der erfahrbaren Daten (Inhalte) zuverlässig präzisiert werden kann, dem Unbedingten aber keine erfahrbaren Daten entnommen werden können, bleibt das Denken angesichts des Unbedingten auf sich selbst gestellt – und zwar unvermeidlich bzw. notwendig. Das einzige Instrument des Bestimmens in diesem Fall sind die Verstandesbegriffe. Dies führt dazu, dass bspw. die Welt als endlich oder unendlich (hinsichtlich der Zeit) und als teilbar oder unteilbar (hinsichtlich des Raums) mit 65 66

Ebd., § 48, Anm. Vgl. ebd., § 48, Anm.

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gleichem Recht bestimmt werden kann. Da die gewonnenen Präzisierungen aber zugleich bestehen und auf denselben Gegenstand (Welt) hinführen, ist der Satz vom ausgeschlossenen Widerspruch hier nicht erfüllt. Mit der erreichten Widersprüchlichkeit sieht Kant das Ende des zuverlässigen Erkennens markiert.67 Infolgedessen lässt er dem Unbedingten am Ende des Bestimmens, so Hegel, bloß eine vorausgesetzte leere Identität (in der Form „Welt ist Welt“) übrig. Folgt man den Hegelschen Überlegungen, wird klar, dass der fehlende Inhalt dadurch einzuholen ist, wenn dieser der fixierten Identitätsform hinzugedacht wird. Denn die einander ausschließenden Bestimmungen (z. B. ,endlich-unendlich‘, ,teilbar-unteilbar‘) kommen dem zu präzisierenden Inhalt mit gleichem Recht zu. Auch wenn der gewonnene Inhalt nichts anderes als einen bloßen Widerspruch darstellt, darf er nicht verworfen werden. Erst in diesem Fall wird das Erkennen vollständig. Auch wenn der Akt des Hinzudenkens bereits von Kant entwickelt wurde – so wird das Wissen im Rahmen seines Erkenntnismodells dadurch erzielt, dass der Begriff den zusammengefassten (empirischen) Daten hinzugedacht wird –, erweitert Hegel diesen Akt wesentlich, indem er das Denken als eine unverzichtbare Komponente des Erkennens thematisiert und dementsprechend behandelt. So rückt das Denken selbst an die Stelle des Erkenntnisgegenstandes, was zur Feststellung führt, dass das Unbedingte nichts als reiner Widerspruch und hiermit, so Hegel, das wesentliche Moment der Erkenntnis selbst sei. Denn „[d]iß zu wissen und die Gegenstände in dieser Eigenschaft zu erkennen gehört zum Wesentlichen der philosophischen Betrachtung; diese Eigenschaft macht das aus, was weiterhin sich als das dialektische Moment des Logischen bestimmt“.68

Wie rätselhaft auch immer das erreichte Resultat – den Widerspruch als eigentlichen Inhalt des Unbedingten zu fassen – auf den ersten Blick wirken mag, so darf von diesem nicht abgesehen werden, denn dieses Resultat wurde im Prozess des eigentlichen Erkennens erzielt. Seinerseits bringt dieses Resultat das Bestreben Hegels ans Licht, die Antinomie als dem Denken zugrunde liegend zu erschließen. Dabei stellt sich allerdings die Frage, was das Erzielte zum Erkennen beiträgt. Die naheliegende Antwort lautet: Das erreichte Resultat macht die Verbindung zwischen dem sogenannten erkennenden Subjekt und dem zu erkennenden Objekt offensichtlich, was für ein objektives Erkennen (wie Hegel dieses auffasst) von unverzichtbarer Bedeutung ist. Den ersten eindeutigen Beweis dafür, dass die angenommene Denkrichtung nicht falsch ist und die bereits erwähnte Verbindung tatsächlich vorliegt, sieht Hegel innerhalb der praktischen Philosophie Kants, wo die Frage nach der Freiheit aufgeworfen wird. Sollte die Vernunft tatsächlich bloß eine regulative Funktion erfüllen, so stellt sich die Frage, wie die Freiheit des erkennenden Subjekts begrifflich schlüssig erfasst werden kann. Unter Freiheit eines vernünftigen Wesens wird dabei die Fä67 Für eine ausführliche Studie zum Problem des scheinbaren bzw. des dialektischen Widerspruchs siehe M. Wolff [1981] 2017, 59 – 81. 68 Ebd., § 48, Anm.

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higkeit verstanden, eigene Ziele unabhängig von fremden Einflüssen zu formulieren, ein passendes Mittel für deren Realisierung zu suchen und schließlich diese Ziele zu verwirklichen. Damit das in Erfüllung geht, bedarf es nicht nur der mentalen Fähigkeit, die Ziele im Denken zu formulieren, sondern auch die Möglichkeit, sie in der objektiven Welt zu verwirklichen. Insofern ist der Zusammenhang zwischen dem handelnden Subjekt und der objektiven Welt notwendig. Bekanntlich löst Kant dieses Problem so, dass er Vernunft in das theoretische und das praktische Denkvermögen aufteilt und der praktischen Vernunft die konstitutive Rolle beimisst. Die Bestätigung des konstitutiven Wirkens der praktischen Vernunft wird, so Kant, in der Erfahrung ersichtlich. So wird das höchste Gesetz der Selbstbestimmung (das heißt der kategorische Imperativ) zunächst angesichts des höchsten Ziels (des Guten) begrifflich formuliert, indem es mittels der entsprechenden moralischen Rechte und Pflichten bestimmt wird. Die Realisierbarkeit des angestrebten Ziels deutet darauf hin, dass das Gute innerhalb der objektiven Welt aufzufinden ist und mittels der zu erfüllenden Rechte und Pflichten erreicht werden kann, was schließlich, so Kant, anhand der Erfahrung festzustellen sei. An die Ergebnisse Kants anknüpfend, stellt Hegel nun die Frage, ob ausschließlich die Erfahrung dafür ausreicht, die konstitutive Rolle der praktischen Vernunft zu beweisen. Da Erfahrung nur empirische Daten (Einzelheiten) liefert und infolgedessen dem Allgemeinen nicht Rechnung zu tragen vermag, läuft das gesamte Kantische Bestimmungsverfahren, so Hegels Argument, auf „die skeptische (auch Hume’sche) Induktion von der unendlichen Verschiedenheit desjenigen“ hinaus, „was für Recht und Pflicht unter Menschen gilt [Hervorhebung V. K.].“69 Während die angesichts des höchsten zu realisierenden Ziels (des Guten) formulierten Rechte und Pflichten ausnahmslos für alle Subjekte gelten müssen, werden mittels der Erfahrung bloß unendlich viele verschiedene Fälle von Rechten und Pflichten konstatiert und mithilfe der Induktion als für viele Subjekte geltend formuliert, womit der Anspruch auf Allgemeinheit nicht erfüllt ist. Die Erfahrung stellt zwar eine notwendige, längst aber keine hinreichende Bedingung auf dem Weg zum objektiven Erkennen der Freiheit dar; die tatsächliche Freiheit erfordert eine andere Begründung. Das Entfallen des echten Grundes hat zur Folge, dass viele verschiedene Rechte und Pflichten – je nach Sichtweise – formuliert und mit der gleichen Berechtigung angenommen werden. Dies läuft darauf hinaus, dass aus ihnen immer die bestformulierten – wiederum je nach Sichtweise – gewählt werden, während die anderen ausgeschlossen bleiben. Es wird aber gleichzeitig davon abgesehen, dass alle herausgearbeiteten Bestimmungen nur in Bezug aufeinander bestehen, was auf eine innerliche – mittels der Erfahrung nicht nachweisbare – Verbindung zwischen ihnen hindeutet und die Unselbstständigkeit jeder einzelnen bestätigt. Infolgedessen kommt die praktische Vernunft – das Vermögen des Unbedingten – „über den Formalismus nicht hinaus“ und erweist sich, so Hegel, als „letzte der theoretischen 69

Ebd., § 53.

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Vernunft.“70 Hiermit macht Hegel klar, dass der von Kant gemachte Unterschied zwischen der praktischen und der theoretischen Vernunft am Endeffekt verschwindet, und zwar – restlos. Einerseits wird das angesichts der Freiheit vorausgesetzte Ziel – das Gute – mittels der formalen Identität (,das Gute ist das Gute‘) bloß als allgemein bestimmte angenommen. Andererseits werden die zur Realisierung und hiermit zur Bestimmung dieses Ziels beitragenden Komponenten (Rechte und Pflichten) mittels der Erfahrung präzisiert, während die Erfahrung bloß endliche – das heißt nur in Bezug aufeinander bestehende – und immer vereinzelte Inhalte zur Verfügung stellt. Hegels Kritikpunkte zeugen eindeutig davon, dass es ihm darum geht, das Verhältnis zu präzisieren, in welchem die Bestandteile zueinander stehen, die zum Erkennen der Freiheit beitragen. Denn die von Kant herausgearbeitete Konstellation stellt keine Möglichkeit zur Verfügung, den Erkenntnisgrund begrifflich zu explizieren. Für Hegel ist dieses Problem allerdings die eindeutige Folge dessen, dass Kant nur das formal-logische Ausschlussverfahren für das einzig zuverlässige objektive Bestimmen annimmt, infolgedessen „das Kriterium des Bestimmens“ bloß die „abstracte Identität des Verstandes“ bleibt, „daß kein Widerspruch in dem Bestimmen Statt finde.“71 So führt die formal-logische Forderung des Verstandes, widerspruchsfrei zu denken, dazu, dass der Einheitsgrund bzw. der Grund des Erkennens – die Grundlage eigener Forderung des Verstandes – außer Acht gelassen wird. Infolgedessen bleibt das Erkennen gehindert, objektiv zu werden. Die entstandene Lage bringt Andreas Arndt wie folgt treffend auf den Punkt: „Wo der Verstand zur Realisierung der Möglichkeit objektiver Erkenntnis übergeht, bezieht er sich selbst auf das Bedingende als ein Ansich, d. h.: er steht als Verstand schon in der Grundlegung der Vernunft, die das Bedingende als Unbedingtes eigens thematisiert.“72

Im Lichte des Widerspruchs, welcher sich als konstitutiver Bestandteil des Erkennens erwiesen hat, wird nun auch das anfängliche Hegelsche Ziel nachvollziehbar, die Offensichtlichkeit des allem Denken zugrundeliegenden Widerspruchs anzuerkennen. Denn, um den entfallenen, für das vollständige Erkennen aber unverzichtbaren Grund des Erkennens einzuholen, darf die epistemische Funktion des Widerspruchs nicht verworfen werden. Dieses Ergebnis deutet darauf hin, dass die Struktur des Allgemeinen über die Grenzen der abstrakten (das heißt formalen) Identität hinausreicht. Die Bestätigung dafür, dass auch dieser Gedanke nicht abwegig ist, findet Hegel wiederum in Kants Kritik der Urteilskraft. An diese anknüpfend hebt Hegel hervor, dass Kant hier den Gedanken der Idee ausgesprochen habe, indem er das Allgemeine als „an ihm selbst concret gedacht“ fasst.73 Zugleich wirft er aber Kant vor, er habe keine ausreichenden Konsequenzen aus diesem 70 71 72 73

Ebd., § 54. Ebd., § 54. A. Arndt 1994, 46. Vgl. Enz. 1830, § 55, Anm.

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Gedanken gezogen.74 Im Folgenden gehe ich der Frage nach, welche Konsequenzen Hegel im Sinne hat. Dabei vertrete ich die These, dass es Hegel auf keinerlei Weise darum geht, die Kantischen Ergebnisse bloß aufzunehmen, sondern diese darüberhinaus zu entwickeln. Wie oben bereits erwähnt, hebt Kant in der Form eines Spezialfalls ein eigentümliches Erkenntnisvermögen hervor, „das Besondere als enthalten unter dem Allgemeinen zu denken.“75 Dieses Vermögen ordnet er der Urteilskraft zu, „ein[em] Mittelglied zwischen dem Verstande und der Vernunft.“76 Laut Kant vermittelt die Urteilskraft zwischen Verstand und Vernunft auf zweierlei Weise. Sie verfährt bestimmend (das heißt subsumierend), wenn das Allgemeine bereits gegeben ist und auf das Besondere der Anschauung angewandt wird, hingegen erweist sie sich als reflektierend, sollte das Allgemeine erst im Besonderen der Anschauung aufgefunden werden.77 Die Aufmerksamkeit Hegels ist dabei auf die reflektierende Urteilskraft gerichtet, denn „[h]ier ist der Gedanke eines andern Verhältnisses vom Allgemeinen des Verstandes zum Besondern der Anschauung aufgestellt, als in der Lehre von der theoretischen und praktischen Vernunft zu Grunde liegt.“78 Im Rahmen der Kantischen Konzepts wird dieses andere für die Argumentation Hegels entscheidende Verhältnis in Produkten der organischen Natur sowie der Kunst mittels der Urteilskraft erfahren, indem sie unter der Leitung eines eigenen Prinzips – der Zweckmäßigkeit – verfährt. Es wird dabei zwischen der ästhetischen und der teleologischen Urteilskraft unterschieden. Die ästhetische Urteilskraft wird von Kant wie folgt charakterisiert: „Wenn […] die Einbildungskraft (als Vermögen der Anschauungen a priori) zum Verstande (als Vermögen der Begriffe) durch eine gegebene Vorstellung unabsichtlich in Einstimmung versetzt und dadurch ein Gefühl der Lust erweckt wird, so muß der Gegenstand alsdann als zweckmäßig für die reflektierende Urteilskraft angesehen werden.“79

Als Zweck der künstlerischen Darstellung wird bspw. das Schöne mittels einer bestimmten Form von einem Genie so veranschaulicht, dass das entstandene Werk in jedem Beurteilenden ein Gefühl der Lust erweckt, welches folglich auf denselben Grund – den des Schönen – zurückgeführt wird. Zum Beispiel: Die von Raffael Santi erschaffene Sixtinische Madonna erweckt das Gefühl der Lust in jedem Beurteilenden und trägt zum Erkennen der Idee des Schönen bei. Der Gegenstand, so Kant, „heißt alsdann schön; und das Vermögen, durch eine solche Lust (folglich auch 74 So heißt es bei Hegel: „Aber die Faulheit des Gedankens, wie es genannt werden kann, hat bei dieser höchsten Idee an dem Sollen einen zu leichten Ausweg, gegen die wirkliche Realisierung des Endzwecks an dem Geschiedenseyn des Begriffs und der Realität festzuhalten.“ (Enz. 1830, § 55, Anm.). 75 KdU, B XXVI. 76 KdU, B XXI. 77 Vgl. KdU, B XXVI. 78 Enz. 1830, § 56. 79 KdU, B XLIV.

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allgemeingültig) zu urteilen, der Geschmack.“80 So ist das künstlerische Produkt dadurch gekennzeichnet, dass in diesem die Form (das eigentliche konkret realisierte Kunstwerk, welches im oben betrachteten Fall Raffaels Sixtinische Madonna exemplarisch darstellt) von dem zu erkennenden Inhalt (dem Schönen) nicht zu trennen ist. Auch wenn das entstandene Kunstprodukt, für sich genommen, die Seite des zu erkennenden Objekts annimmt, ist die erbrachte Gesamtleistung jedoch bloß subjektiv, denn „[d]ie Lust ist also im Geschmacksurteile zwar von einer empirischen Vorstellung abhängig, und kann a priori mit keinem Begriffe verbunden werden […]; aber sie ist doch der Bestimmungsgrund dieses Urteils nur dadurch, daß man sich bewußt ist, sie beruhe bloß auf der Reflexion und den allgemeinen, obwohl nur subjektiven [Hervorhebung V. K.] Bedingungen der Übereinstimmung derselben zum Erkenntnis der Objekte überhaupt, für welche die Form des Objekts zweckmäßig ist.“81

Da sowohl der Zweck selbst – mittels der Idee des Schönen formuliert – als auch der diesen Zweck veranschaulichende Inhalt – ein künstlerisches Werk – durch die Leistung des erkennenden Subjekts realisiert werden, innerhalb der Realität aber nicht aufzufinden sind, beurteilt die ästhetische Urteilskraft, so Kant, bloß die formale Zweckmäßigkeit, die sonst „auch subjektive genannt“82 wird. Hingegen wird die reale Zweckmäßigkeit, welche die teleologische Urteilskraft beurteilt, von Kant als objektiv bezeichnet, denn diese gehört der Natur selbst als dem Objekt der Erfahrung an. Infolgedessen ist die ästhetische Urteilskraft ein besonderes Vermögen, „Dinge nach einer Regel, aber nicht nach Begriffen, zu beurteilen“, während die teleologische kein besonderes Vermögen mehr, sondern „die reflektierende Urteilskraft überhaupt“83 ist. So wird mittels der teleologischen Urteilskraft die Existenz eines Dinges dann als Naturzweck beurteilt, wenn dieses „von sich selbst […] Ursache und Wirkung ist.“84 Ein Baum, für sich genommen, ist bspw. als Wirkung eines anderen, diesen Baum erzeugt habenden Baumes anzusehen. Angesichts der Gattungserhaltung wird aber derselbe – bereits als eine Wirkung erfasste – Baum selbst zur Ursache, die einen anderen Baum ins Leben ruft. In Betracht dessen, dass ein Baum auch sich selbst als Individuum85 erzeugt, indem er sich als lebendig erhält, stellen seine Teile – Blätter, Äste, Wurzeln, Baumstamm – aus der Sicht des verfolgten Zwecks (des der Lebenserhaltung) einen organischen Zusammenhang dar, dessen Zerstörung das angestrebte Ziel unmöglich macht. Auch das Verhältnis zwischen dem Baum und seinen Teilen ist angesichts der Lebenserhaltung wechselseitig. Während der Baum die Ursache der zu ihm gehörenden Teile ist,

80 81 82 83 84 85

KdU, B XLV. KdU, B XLVII. Vgl. KdU, B L. KdU, B LII. KdU, B 286. Vgl. KdU, B 287.

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werden diese Teile wiederum als die Ursache für die Lebenserhaltung des ganzen Baumes aufgefasst. Angesichts der Endergebnisse ist es aber einerlei, ob die hinsichtlich der Erfahrung aufgefasste Einheit anhand der bloßen Annahme, es gebe einen Sinn, dank dem das Geschmacksurteil gefällt werde (ästhetische Urteilskraft),86 oder dank dem als zweckmäßig angenommenen objektiven Gegenstand (teleologische Urteilskraft) gesichert wird. In beiden Fällen nimmt der Begriff ,Zweckmäßigkeit‘, so Kant, seinen Ursprung in dem erkennenden Subjekt selbst, „als ob [Hervorhebung V. K.] ein Verstand den Grund der Einheit des Mannigfaltigen“87 enthalte. An diesen Punkt anknüpfend setzt Hegel seine originären Überlegungen ein, indem er dafür argumentiert, Kant habe keine ausreichenden Konsequenzen aus dem Gedanken der Idee gezogen, welchen er jedoch ganz korrekt mittels der reflektierenden Urteilskraft formuliert habe. Einer der aufschlussreichsten Versuche, Hegels Anschluss an die reflektierende Urteilskraft als Aneignung des Kantischen Begriffs ,intellektuelle Anschauung‘ zu interpretieren, wurde von Christoph Halbig unternommen. Er vertritt die These, Hegel bekenne sich zur intellektuellen Anschauung Kants, indem er davon einen produktiven Gebrauch mache.88 Die eindeutige Bestätigung für seine These glaubt Halbig in der folgenden Passage Hegels gefunden zu haben: „Hier [in der reflektierenden Urteilskraft, V. K.] ist der Gedanke eines andern Verhältnisses vom Allgemeinen des Verstandes und dem Besonderen der Anschauung aufgestellt, als in der Lehre von der theoretischen und praktischen Vernunft zu Grunde liegt. Es verknüpft sich damit aber nicht die Einsicht, daß jenes [Hervorhebung V. K.] das wahrhafte, ja die Wahrheit selbst ist.“89

Seine Interpretation des oben Zitierten beginnt Halbig damit, dass er das einleitende „Hier“ auf die intellektuelle Anschauung bezieht. Der ursprüngliche Kontext zeigt aber eindeutig, dass Hegel wörtlich auf die reflektierende Urteilskraft rekurriert. Die Wortwahl Hegels – den Ausdruck „reflektierende Kraft“ statt „intellektuelle Anschauung“ zu gebrauchen – scheint dabei durchaus bedacht zu sein (worauf im Folgenden eingegangen wird). Beim nächsten Interpretationsschritt führt Halbig „das wahrhafte“ und „die Wahrheit“ auf die intellektuelle Anschauung zurück, die er durch Kursivstellung von „ist“ hervorgehoben sieht: „Die Bedeutung der Identifikation [Hervorhebung V. K.] von Wahrheit und intellektueller Anschauung, die Hegel durch die Kursivstellung von ,ist‘ noch zusätzlich akzentuiert, klärt sich erst aus den Zusammenhang von intellektueller Anschauung und Idee.“90 86

Vgl. KdU, B 64. KdU, B XXVIII. 88 Mehr dazu siehe Ch. Halbig 2002, Kap. 7.3.2: „Intellektuelle Anschauung – Hegels epistemologische und ontologische Aneignung eines kantischen Begriffs“. 89 Enz. 1830, § 56. 90 Ch. Halbig 2002, 262. 87

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Auch wenn das in Hegels Passage angewandte Pronomen „jenes“ in direktem Zusammenhang mit dem – im vorigen Satz erwähnten – „Verhältnis“ steht und auf keinerlei Weise (weder grammatikalisch noch sinnlich) auf die Wahrheit verweist, geschweige auf eine solche Wahrheit, die sich mittels der intellektuellen Anschauung erschließen lässt, zieht Halbig nicht nur die oben aufgeführten Schlussfolgerungen, sondern leitet aus diesen sogar die Aufgabe ab, den Ort zu bestimmen, „den Hegel der intellektuellen Anschauung in seinem eigenen System zuweist.“91 Dies soll schließlich dem Verständnis des Hegelschen Anliegens dienen. Von der bereits belegten grammatikalischen Unschärfe – die sich Halbig erlaubt – abgesehen, lassen sich jedoch zahlreiche Belege dafür finden, dass es Hegel auf gar keinen Fall um eine Verortung der kantischen Ergebnisse bzw. um die Aneignung eines seiner Begriffe (nämlich des der intellektuellen Anschauung) geht, sondern um eine systematische Erweiterung der von Kant erzielten Resultate. Die Rekonstruktion der eigentlichen Argumentation Hegels soll nun dabei helfen, seine tatsächlichen Bestrebungen ersichtlich zu machen. In den Kantischen Ergebnissen sieht Hegel tatsächlich „die Vorstellung, ja den Gedanken der Idee ausgesprochen.“92 Diese Vorstellung bringt sogar die spekulativen Züge ans Licht, die dadurch gekennzeichnet sind, das Allgemeine zugleich als „an ihm selbst concret“93 zu denken. Es wird dabei ersichtlich, dass Hegel nicht den Begriff, sondern bloß die Vorstellung bzw. den Gedanken der Idee in der Kritik der Urteilskraft ausgesprochen findet. Weiter ausgeführt ist der Kantische Gedanke der Idee für Hegel dadurch gekennzeichnet, dass ihm ein wahrhaftes Verhältnis zugrunde liegt, dank welchem das zu bestimmende Objekt von dem dieses Objekt bestimmenden Denken nicht zu trennen ist. Diese Art der Verbindung zwischen Objekt und Denken bezeichnet Hegel als an ihm selbst konkret gedacht. Es ist also am Folgenden festzuhalten: Der Gedanke der Idee (im Sinne Hegels) liegt dann und nur dann vor, wenn das wahrhafte Verhältnis aufgebaut und die Struktur – die Idee bzw. das Allgemeine als an ihm selbst konkret gedacht – herauskristallisiert wurde. Die nachfolgende Argumentation Hegels dreht sich implizit um die Frage, wie das erreichte, mittels des Kantischen Ideen-Gedankens ausgesprochene andere Verhältnis (des Allgemeinen zum Besonderen) aufrechterhalten werden kann und wie sich der Ideen-Gedanke auf den Begriff bringen lässt. Darauf bezogen arbeitet Hegel nun die Transformationen des Gedankens der Idee heraus, welche dieser Gedanke infolge der Zerstörung des wahrhaften Verhältnisses durchläuft. Die oben bereits diskutierte Entscheidung Kants, den vereinigenden Mittelbegriff – den der Zweckmäßigkeit – ausschließlich der Seite des Subjekts zuzuordnen und das Bestimmungsverfahren der reflektierenden Urteilskraft bloß für empirische Objekte (das heißt für die Ebene der Erfahrung) als relevant zu erklären, führt letztlich dazu, dass die herausgearbeitete Einheit nur so aufgenommen werden kann, 91 92 93

Ebd., 262. Enz. 1830, § 55. Ebd., § 55.

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„wie sie in endlichen Erscheinungen zur Existenz kommt“94 und in der Erfahrung aufgezeigt ist. Mittels der empirischen Inhalte veranschaulicht, lässt sich eine solche Einheit nur in Abgrenzung gegenüber der Mannigfaltigkeit anderer empirischen Objekte bestimmen und erweist sich selbst am Ende des Bestimmens wiederum als ein Teil. Sowohl die lebendige Individualität (z. B. ein Baum) als auch das Kunstprodukt (ein Bild) sind vor allem endliche Objekte, die neben vielen anderen bestehen. Infolgedessen wird die vereinheitlichende Idee – das Allgemeine als in sich konkret Gedachtes, das heißt im Prozesse des Erkennens mittels der ihm zukommenden inhaltlichen Bestimmungen Konstituiertes – schließlich vor das erkennende Subjekt gestellt, wobei das eigentliche Verhältnis zwischen dem Erkennenden (dem Subjekt) und dem Erkenntnisgegenstand (dem Objekt) im Rahmen der hergestellten Konstellation offensichtlich aus dem Blick gerät. Während Kant die einzig hinreichende Begründung hierfür darin sieht, dass die Idee bloß aus der Reflexion entspringt, infolgedessen keinen Gegenstand der Erfahrung bildet und deshalb jeglichem Erkennen entzogen bleibt – was schließlich im Auseinanderfallen des erkennenden Subjekts und des zu erkennenden Objekts resultiert –, macht Hegel auf das Folgende aufmerksam: Es wird dabei das Faktum ausgeblendet, dass die Idee nicht nur in Bezug auf die aufgenommenen Inhalte bestimmend ist, sondern auch den Erkenntnisprozess vollzieht und erst mittels dessen erkennbar wird. Also trägt auch das Erkennen (als Prozess) zur Identifikation der Idee bei. Die als in sich konkret gedachte Idee der Lebenserhaltung wird bspw. nicht als ein fixierter Erkenntnisgegenstand vor Augen gestellt, sondern anhand der bestimmenden inhaltlichen Komponenten – des Baumes sowie seiner Bestandteile – im Prozesse des Bestimmens herauskristallisiert. Sollte der Prozess des Erkennens für die Erkenntnis von keiner Bedeutung sein, ist zu fragen: Mit welchem Recht kann das Produkt der Erkenntnis als an ihm selbst konkret gedachtes konstatiert werden? Oder in Kants Terminologie formuliert: Aus welchem Grund wird das Allgemeine als im Besonderen enthalten zur Geltung gebracht bzw. erkannt, wenn der eigentliche Erkenntnisprozess – das heißt das Auffinden des Allgemeinen im Besonderen – mit der Erkenntnis tatsächlich gar nicht zusammenhängt? Ganz deutlich werden die Inkonsistenzen einer solchen Konstellation bei dem Versuch, die Vernunftbegriffe, den der Freiheit einerseits und den der Welt andererseits, angesichts des Endzwecks – das heißt des Guten – zu denken. Setzt man das Mittel zum Realisieren des Guten – das Sittengesetz – der objektiven Welt entgegen, so wie es Kant tut, indem er dieses als ein reines Erzeugnis der Reflexion auffasst, spricht man diesem eine bloß bestimmende Funktion zu, während die Herausbildung des Sittengesetzes – als innerhalb der objektiven Welt tatsächlich stattfindender Prozess – aus dem Rahmen des Erkennens herausfällt. Infolgedessen wird das angestrebte Ziel, die Gegenpole – Freiheit und Welt – angesichts der Sittlichkeit als miteinander vermittelt zu denken, nicht erreicht. Durch die formale Identität bloß fixiert, fällt die Sittlichkeit aus dem wahrhaften Verhältnis heraus und ist gleich in 94

Ebd., § 56.

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das subsumierende, für sie nicht charakteristische Verhältnis involviert. Dies hat zur Folge, dass die Sittlichkeit (bzw. die Moralität) in der Welt nicht aufgefunden, sondern auf diese bloß als sein-sollende angewandt wird, was schließlich, so Hegel, auf die „Uebereinstimmung des Weltzustands und der Weltereignisse mit unserer Moralität“95 hinausläuft. Die hergestellte Übereinstimmung impliziert ihrerseits eine Zusammensetzung, keineswegs aber die angestrebte Einheit. Hegels Argumentation lässt sich also wie folgt zusammenfassen: Genauso wie der anhand der Kunstwerke oder Naturprodukte herausgearbeitete Gedanke der Idee ist die Sittlichkeit erst dann vollständig erfasst, wenn sie demselben Anspruch genügt, das heißt, dank der Vermittlung – zwischen der Freiheit und der Welt – formuliert wird. Ihrerseits impliziert die angestrebte Vermittlung die Einheit der zu vermittelnden Komponenten (nämlich der Freiheit mit der Welt). Die Herabsetzung der vermittelnden Instanz – der Sittlichkeit – zum bloßen Erzeugnis des Denkens, welchem jeglicher Zugriff zur objektiven Welt versperrt bleibt, führt aber dazu, dass der Anspruch, demgemäß die Sittlichkeit (als Idee) ursprünglich definiert war, nicht erfüllt und die angestrebte Einheit zwischen dem Denken und der objektiven Welt verfehlt wird. Um den Anspruch des Gedankens der Idee jedoch aufrechtzuerhalten, muss die Identifikation der Idee über den Rahmen einer bloß formalen Identitätsfeststellung hinausgeführt werden. Oder, mit Hegels Vokabular gesprochen, die Idee muss nicht nur als bestimmend angewandt, sondern auch selbst bestimmt werden. Das Letztere ist aber erst dann zu realisieren, wenn die Herausbildung der Idee – als Prozess – in den Rahmen des Erkennens eingeführt und als eine zur Erkenntnis beitragende Komponente mitbedacht wird. In diesem Fall lässt sich die der Idee zugrunde liegende implizite Struktur – in sich konkret gedacht – explizieren. Mit dem Auslassen des Erkenntnisprozesses aus dem Rahmen der Erkenntnis, weigert sich die kantische Philosophie, so Hegel, „etwas, was den Charakter einer Aeußerlichkeit hat, in sich gewähren und gelten zu lassen.“96 Aus der ausgeführten Rekonstruktion wird ersichtlich, dass sich die Überlegungen Hegels ununterbrochen um die Frage kreisen, wie das wahrhafte – die Vermittlung zwischen dem Subjekt (dem Denkenden) und dem zu bestimmenden Gegenstand (dem Gedachten) leistende – Verhältnis aufrechtzuerhalten ist. Seine Kritik – sowohl an den Naturprodukten als auch an den Kunstwerken – richtet er darauf, dass die erarbeiteten Kantischen Konzepte der Idee schließlich mittels der endlichen Produkte (das heißt mittels der greifbaren, neben den vielen anderen bestehenden Gegenständen) bloß veranschaulicht sind. Demzufolge wird aber der eigentliche Anspruch der Idee – als einheitsstiftendes Allgemeines zum Erkennen beizutragen – nicht erfüllt, weshalb sich das wahrhafte, den Gedanken mit dem zu bestimmenden Gegenstand vermittelnde, Verhältnis löst.

95 96

Ebd., § 60. Ebd., § 60.

142

IV. Der Verstand und die Objektivität

Auch in dem Fall, wo die zu vermittelnden Extreme, von der Sinnlichkeit befreit, selbst bereits Totalitäten sind, kann der Anspruch der Idee – diese Extreme zu vereinigen – nicht erfüllt werden, sollte das wahrhafte Verhältnis aufgelöst sein. In diesem Kontext ist Hegels Kritik an der kantischen Auffassung der Sittlichkeit (bzw. der Moralität), zu der er gleich nach der Abhandlung der Urteilskraft wiederkehrt, kein unbegründeter Rückgriff auf die praktische Philosophie Kants, die ein paar Paragraphen zuvor bereits abgehandelt wurde, sondern eine systematische Abschließung der Argumentation, die entlang des Gedankens der Idee geführt wird. Denn die tatsächliche Idee der Sittlichkeit (bzw. der Moralität) liegt in ihrer Verwirklichung bzw. Realisierung, was auf die Vermittlung der menschlichen Freiheit (die eindeutig auf die Seite des Denkenden fällt) mit der den Menschen umkreisenden Welt hinausläuft (welche der Seite der Objektivität, das heißt, der des zu bestimmenden Gegenstandes zuzuordnen ist). Sollte die Sittlichkeit selbst als ein bloßes Erzeugnis des Denkens angesehen werden (wie dies Kant konzipiert), fällt sie – als Idee – aus dem wahrhaften Verhältnis heraus. Als Folge davon wird sie mittels der formalen (verständigen) Identität bloß fixiert und demgemäß nicht mehr als an ihm selbst konkret gedachtes Allgemeines nachvollzogen, sondern als abstrakt Allgemeines festgelegt. Statt als wirklich aufzufindende erfasst zu werden, wird die Sittlichkeit als sein-sollende konstatiert, was schließlich in der oben bereits erwähnten „Uebereinstimmung des Weltzustands und der Weltereignisse mit unserer Moralität“97 resultiert.98 Ihrerseits signalisiert die hergestellte Übereinstimmung, dass die angestrebte Einheit verfehlt ist, da ihr wesentlicher Bestandteil – der des Herauskristallisierens der eigentlichen Idee (als Prozess) – außerhalb des Rahmens des Erkennens liegt. Die Reduktion des an ihm selbst konkret gedachten Allgemeinen auf ein abstraktes, mittels der formalen Identität fixiertes Allgemeine, lässt die Einheit nicht vollständig erfassen, sondern nur veranschaulichen. Als bloß veranschaulichte – anhand der und in Bezug auf die Erfahrung herausgearbeitete – fällt die Idee des in sich konkret gedachten Allgemeinen auf ein mittels des Verstandes fixiertes Denken zurück, dessen Bestehen auf die Exklusion (aus der Mannigfaltigkeit anderer Denkkonzepte) angewiesen ist. So wird die in der angedeuteten Einheit liegende Wahrheit des an ihm selbst konkret gedachten Allgemeinen – was Hegel als „die Wahrheit selbst“99 bezeichnet – nicht dem eigenen Anspruch gemäß begriffen. Erst dann, wenn das Erkennen dem wahrhaften Verhältnis gemäß korrekt vollzogen ist, kann das Begreifen der bereits veranschaulichten Idee ausgeführt und schließlich der Begriff der Idee herausgearbeitet werden.

97

Ebd., § 60. Mit dem hervorgetretenen Problem war auch Kant vertraut. Seine zahlreichen Versuche, es zu lösen, liefen aber darauf hinaus, die der Moralität zugrunde liegenden Gesetze angesichts der herrschenden sittlichen Vorstellungen möglichst ausführlich auszuarbeiten, nicht aber diese im Blick auf die wesensstiftende Struktur des in sich konkreten Allgemeinen selbst zu erfassen. 99 Enz. 1830, § 56. 98

3. Die Objektivität und die Kritische Philosophie Kants

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Zusammenfassend lässt sich sagen: Mit seinem Vorhaben, die wahre Struktur der Idee sowie das andere Verhältnis, welches diese Struktur konstituiert, aufrechtzuerhalten, nähert sich Hegel den Bruchstellen, die dem eigentlichen vollständigen Begreifen der Idee und hiermit dem objektiven Erkennen im Wege stehen. Erst wenn die aufgedeckten Bruchstellen behoben sind, kann die Idee auf den Begriff gebracht und das objektive Erkennen ausgeführt werden. So geht es Hegel eindeutig nicht darum, gewisse Ergebnisse Kants in das eigene System zu übernehmen, sondern diese seinem eigenen Vorhaben gemäß weiterzuentwickeln. In Anbetracht dieses ersichtlichen Strebens lässt sich die oben diskutierte These, Hegel suche danach, Kants Begriff der intellektuellen Anschauung innerhalb des eigenen Systems bloß aufzunehmen, stringent zurückweisen. Wie ich bereits in den Abschnitten 2 und 3 ausgeführt habe, sind in den Augen Hegels Empirismus und Kants kritische Philosophie im Kern miteinander verbunden, da beide suchen, das objektive Wissen auf dem Boden der Erfahrung zu erzielen. Während der Empirismus die Erfahrung als einzig geltende voraussetzt, wird im Rahmen der Kantischen Philosophie ausschließlich die Erkennbarkeit des Erfahrbaren zum Prüfstein des Denkens. Der Schwerpunkt von Hegels Überlegungen liegt darin, dass die Erkennbarkeit, das heißt die Explizierbarkeit jeglicher Erfahrung, ausschließlich die Leistung des erkennenden Subjekts bzw. seines Denkens ist. Die feste Setzung der Erfahrung als bloß gegebener dagegen führt zur unvollständigen Ausführung des Denkens, woraus ein mangelhaftes Erkennen folgt. Vervollständigt wird das Erkennen erst dann, wenn die angesichts der Erfahrung aufgedeckten Bruchstellen im Denken – welche dem Erwerb des objektiven Wissens Hindernisse bereiten – systematisch nachvollzogen, das heißt, selbst im Rahmen des Erkennens thematisiert werden. Zu diesen Bruchstellen gehören die folgenden: Die erste Bruchstelle entsteht, wenn das erkennende Subjekt und der zu erkennende Gegenstand miteinander unvermittelt bleiben. Der Ausfall der Vermittlung macht Erkennen nur unter bestimmten, unüberprüft und unreflektiert gelassenen, Annahmen möglich. Erst durch das Aufdecken dieser Vor-Annahmen werden die spezifischen Defizite dieses Denkens sichtbar. So erweist sich die Anwendung des Ausschlussverfahrens des Verstandes – dem das Prinzip des auszuschließenden Widerspruchs zugrunde liegt – im Empirismus als defizient, da der Ausschluss nur im Horizont der Einheit denkbar und realisierbar ist. Echte, mit dem Anspruch auf Notwendigkeit formulierte Allgemeinheit (wie bspw. die Idee der Kausalität) bedarf eines anderen (als des bloß setzenden) Nachvollzuges. Auch wenn die dem Erkennen zugrunde liegende Einheit mit dem empiristischen Instrumentarium nicht greifbar ist, bleibt sie – wie Hegel zeigt – für das Erzielen einer adäquaten Erkenntnis unverzichtbar. Kants Versuch, die Natur des Denkens im Blick auf die Probleme zu untersuchen, welche im empiristischen Rahmen hervorgetreten sind, bringt die – sich im Vollzug dieses Versuches offenbarenden – Grenzen dieses Denkens ans Licht. Das sind die Unvermeidlichkeit des Widerspruchs angesichts der Totalitäten bzw. die Notwen-

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IV. Der Verstand und die Objektivität

digkeit der antinomischen Denkkonzepte und das Erfordernis eines begreifbaren Zusammenhangs zwischen der objektiven Welt und dem diese Welt erkennenden Subjekt. Diese, dem Erwerb des objektiven Wissens im Wege stehenden, Hindernisse sucht Kant dadurch zu überwinden, dass er dem Denken eine Grenze angesichts der Erfahrung setzt und diesbezüglich strikt zwischen dem verständigen und dem vernünftigen Denkvermögen unterscheidet. Folglich konzipiert er den Vollzug der Erkenntnis im Lichte dieser Trennung. In diesem Kontext ergeben sich für Hegel die folgenden Fragen: Mit welchem Recht wird hier das innerhalb des Erkenntnisessprozesses offensichtlich involvierte Unerkennbare – das durch die verständige Setzung als „nicht erkennbar“ gekennzeichnete – als außerhalb des Erkennens sich Befindende konzipiert und infolgedessen als absolutes Hindernis bzw. absolute Schranke des menschlichen Wissens aufgefasst? Und wie liesse sich ein solches Ausschlussverfahren des Verstandes überhaupt realisieren, läge diesem keine Einheitsgrundlage zugrunde? Hegel argumentiert, dass jeder Ausschlussakt auf eine nicht von der Hand zu weisende Einheit bzw. Verbindung hinausläuft, denn „[a]ls Schranke, Mangel wird etwas nur gewußt, ja empfunden, indem man zugleich darüber hinaus ist.“100 Daraus wird ein innerer Zusammenhang zwischen dem verständigen und dem vernünftigen Denken ersichtlich: Beide sind aufeinander angewiesen und bleiben in der Relation immer präsent, auch wenn eine Seite der Relation unterbeleuchtet ist. Das Ausschließen bzw. die strikte Trennung der Denkvermögen voneinander endet unvermeidlich in einem unvollständigen und somit mangelhaften Wissen. Da das Wissen selbst das Produkt des sich im Prozesse des Erkennens herausbildenden Denkens ist – wofür das erkennende Subjekt unverzichtbar ist –, muss dem erkennenden Subjekt der Status des Objektiven und dem Erkenntnisprozess eine konstitutive Rolle eingeräumt werden. So kann erst dann von einem vollständigen bzw. objektiven Wissen die Rede sein, wenn das Denken selbst als der Vereinheitlichungs- und deshalb auch der Objektivierungsgrund angesichts aller – mittels des bis an die Grenze des Erfahrbaren getriebenen Verstandes – aufgedeckter Hindernisse erfasst wird. Dafür ist die bisher nicht vollzogene Vermittlung zwischen dem erkennenden Subjekt und dem zu erkennenden Gegenstand unverzichtbar. Wie dies zu realisieren wäre, ist nun der Gegenstand der dritten Stellung des Gedankens zur Objektivität.

4. Die Objektivität und das unmittelbare Wissen In der dritten Stellung des Gedankens zur Objektivität setzt sich Hegel mit dem Konzept des unmittelbaren Wissens auseinander. Dieses Konzept wird vor der geschichtlichen Kulisse als Jacobis Antwort auf die Ergebnisse des empiristischen 100

Ebd., § 60, Anm.

4. Die Objektivität und das unmittelbare Wissen

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Denkens und die Resultate der kritischen Philosophie Kants eingeführt und im Anschluss daran beurteilt. Die Grundkonstellation der Problematik, auf welche sich Hegels Analyse konzentrieren, sieht wie folgt aus: Einerseits stimmt Jacobi den Kantischen Schlussfolgerungen vollkommen zu, welche besagen, dass die Denkkategorien sich ausschließlich dafür eignen, das Bedingte bzw. Erfahrbare zu erkennen, andererseits fordert er jedoch, dem Unbedingten den Status des Gewussten einzuräumen. Freilich muss Jacobi gestehen, dass das unmittelbare Wissen außerbegrifflich sei und sich dank der intellektuellen Anschauung offenbare.101 In Hegels Darstellung der Problematik zeigt sich, dass seine wesentliche Argumentation darauf abzielt, das unmittelbare Wissen als ein Auffassen des Unbedingten zu konzipieren. Während Jacobis Überzeugung – vom Unbedingten wisse das erkennende Subjekt mit Sicherheit – bei Hegel die höchste Schätzung erfährt, unterzieht er Jacobis Konzept des Unbedingten im Einzelnen und das des unmittelbaren Wissens insgesamt einer radikalen Kritik. Auch wenn die dritte Stellung in der Forschungsliteratur bisher eher am Rande rezipiert worden ist,102 zeichnet sich in dieser die Tendenz ab, Hegel vorzuwerfen, dass er keine sachgerechte, systematisch ausgearbeitete Auseinandersetzung mit der Jacobischen Position geleistet, sondern sie bloß missverstanden und sogar willkürlich verstellt habe.103 Diesem Vorwurf werde ich in meiner Argumentation deshalb nachgehen, weil die Belege dieser Kritik Hegels eigenen Schlussfolgerungen aus Jacobis Darlegungen entnommen sind. Würden sich die erhobenen Vorwürfe bestätigen, so würde das bedeuten, dass die von Hegel angestrebte systematische Auseinandersetzung mit dem Denkvermögen – welches sich, so Hegels Überzeugung, nur innerhalb des Erkenntnisprozesses selbst erfassen lässt – von ihm selbst nicht konsequent durchgeführt worden ist. Denn genau solch eine Vorgehensweise führt unvermeidlich – wie der bereits erwähnte Vorwurf unterstellt – zu inkonsistenten Ergebnissen. Im Folgenden will ich die These vertreten, dass Hegels Beweisführung über die genannten Inkonsistenzen der Jacobischen Position sachgerecht ist und im Übrigen dem Wissensrahmen, in welchen Jacobi seine Konzepte einordnet, immanent bleibt. Hierfür stelle ich zunächst den Gedankengang Jacobis dar und gehe dann den systematischen Überlegungen Hegels sowie den oben erwähnten Vorwürfen im Detail nach. Die entscheidenden Fragen, um deren Klärung es in erster Linie geht, sind: Wie ist das Unbedingte als ein konstitutiver Bestandteil des Wissens systematisch einzuordnen? Und mit welchen Konsequenzen ist zu rechnen, wenn das Objekt des unmittelbaren Wissens (das Unbedingte) erst in Abgrenzung zum begreifenden Erkennen erfasst und als außer-begrifflich gesetzt wird? 101

Vgl. F. H. Jacobi [1785] 2000, 283 ff. Zu den wenigen Erörterungen der „Dritten Stellung“ gehören bspw. P. Stekeler-Weithofer, Hegels Analytische Philosophie. Die Wissenschaft der Logik als kritische Theorie der Bedeutung, 1992, 88 – 91; A. Arndt, Dialektik und Reflexion. Zur Rekonstruktion des Vernunftbegriffs, 1994, 159 – 161; Ch. Halbig, Objektives Denken. Erkenntnistheorie und Philosophie of Mind in Hegels System, 2002, 279 – 324. 103 Mehr dazu siehe B. Sandkaulen 2010, 166 f. 102

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IV. Der Verstand und die Objektivität

Der Punkt, an dem Jacobi einsetzt, ist knapp und präzise: Die auf der Ebene der reinen Empirie erzielten Kenntnisse stellen nichts anderes als eine mechanische Kette bedingter Bestandteile (von Ursachen und Wirkungen) dar, während der zusammenhaltende Grund einer solchen Kette dem Erkennen für immer verborgen bleibt und sich nicht in demselben empirischen Bereich auffinden lässt. Der Argumentation Jacobis zufolge wird ein Begriff erst dann gebildet, wenn die zu begreifende Sache mittels des Verstandes konstruiert, das heißt, mittels der dazugehörenden Bedingungen nachvollzogen wird. Denn, so Jacobi, „[w]ir begreifen eine Sache, wenn wir sie aus ihren nächsten Ursachen herleiten können, oder ihre unmittelbaren Bedingungen der Reihe nach einsehen. […] Die Konstruktion eines Begriffes überhaupt ist das a priori aller Konstruktionen; und die Einsicht in seine Konstruktion gibt uns zugleich auf das gewisseste zu erkennen, daß wir unmöglich begreifen können [Hervorhebung V. K.], was wir zu konstruieren nicht im Stande sind.“104

Während die unaufhörliche Reihe der beobachtbaren, miteinander vermittelten Ursachen und Wirkungen das erkennende Subjekt auf die Idee des Unmittelbaren (bzw. des Unbedingten) bringt, lässt sich diese Idee selbst nicht mittels des endlichen (empirischen) Erkennens erschließen. Gleichzeitig steht aber ihre Offensichtlichkeit für Jacobi außer Zweifel und wird aufs Gewisseste unmittelbar gewusst. Daraus erwächst nun die Konstellation, in deren Rahmen dem vermittelten Erkennen das unmittelbare Wissen entgegengesetzt wird. Seinerseits ist dieses Wissen, so Jacobi, nur durch einen Sprung – mithilfe des sogenannten Salto mortale – zu erlangen.105 Mit dem angedeuteten Sprung sucht Jacobi nicht nur die von Empiristen entworfene mechanistische Weltauffassung zu überwinden, sondern auch dem Determinismus zu begegnen und die Möglichkeit des freien Willens des Menschen zu belegen. In diesem Zusammenhang bestimmt er das Unbedingte als die von sich aus absolut frei handelnde Intelligenz (Gott)106 und integriert es als einzig wahres Wissen in sein erkenntnistheoretisches Konstrukt. Im Anschluss daran bestimmt Jacobi das Denkvermögen. Während die endlichen (vermittelten) Kenntnisse durch den Verstand erzielt werden, knüpft die Vernunft – als Wahrnehmungsorganon sui generis – direkt an das Unbedingte an und weiß davon dank der intellektuellen Anschauung107 bzw. eines spezifischen Gefühls. Der auf solche Weise erfasste Inhalt unterliegt seinerseits keinem Zweifel. Der Argumentation Jacobis zufolge, wird dies durch das Wissen vom eigenen Dasein bereits eindeutig belegt, denn „[s]elbst von unserem eigenen Dasein haben wir nur ein Gefühl; aber keinen Begriff.“108

104

F. H. Jacobi [1785] 2000, 284 f., Anm. Vgl. ebd., 26. 106 Jacobi schreibt: „Ich glaube eine verständige persönliche Ursache der Welt.“ (Ebd., 26) Und mehr noch: „Gott, welcher nur aus dem Grunde handelt und handeln kann, aus dem er ist, und der nur durch sich selbst ist, besitzt demnach die absolute Freiheit.“ (Ebd., 77). 107 Vgl. ebd., 287. 108 Ebd., 284 f., Anm. 105

4. Die Objektivität und das unmittelbare Wissen

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Entscheidend für diese Argumentation ist, dass der Inhalt, welcher sich mittels der Anschauung offenbart, dem erkennenden Subjekt von etwas Anderem (von der extramundanen Intelligenz bzw. Gott) als eine Tatsache gegeben wird. Jacobis Begründung hierfür lautet: „[D]a alles, was außer dem Zusammenhange des Bedingten, des natürlich vermittelten liegt, auch außer der Sphäre unserer deutlichen Erkenntnis liegt, und durch Begriffe nicht verstanden werden kann: so kann das Übernatürliche auf keine andre Weise von uns angenommen werden, als es uns gegeben ist; nämlich, als Tatsache – Es ist!“109

Diesem Zitat zufolge fasst Jacobi das Unbedingte also als Objekt des unmittelbaren Wissens auf. Dieses Objekt stellt eine Tatsache des Bewusstseins dar, welche dadurch charakterisiert ist, dass ihr Inhalt nichtreflexiver Natur bleibt. Denn ein solcher Inhalt kann nicht nachvollzogen, sondern nur offenbart werden. Demgemäß wird die Offenbarung als das höchste Prinzip des unmittelbaren Wissens eingeführt. Die Begründung dafür lautet: „[E]s liege allen Erweisen etwas, sowohl der Materie als der Form nach gerade zu Offenbartes, woraus und worüber sie entstehen, als ihr Prinzip zum Grunde.“110 Konsequenterweise lässt Jacobi das unmittelbare Wissen schließlich mit dem Glauben zusammenfallen: Von jeglicher Weise der Vermittlung befreit und als durch sich selbst begründbar und erschließbar gedacht, kulminiert das Unbedingte nach Jacobi zum Produkt des unmittelbaren, einzig objektiven und vollständigen Wissens in der Entgegensetzung zum endlichen Erkennen. Hegel unterzieht Jacobis Theorie einer systematischen Untersuchung, indem er das vermittelte Erkennen einerseits und das unmittelbare Wissen andererseits mit Blick auf das zwischen ihnen entstandene Verhältnis befragt. Der von Jacobi hervorgehobene Offenbarungscharakter der Anschauung (bzw. ihre nichtreflexive Natur) und die Funktion der Anschauung des Unbedingten als Grundlage epistemischer Rechtfertigung stellen die entscheidenden Punkte dar, an denen Hegels Kritik ansetzt. Dabei ist die zentrale Frage, welche Rolle die Annahme eines unmittelbaren (nichtreflexiven) Wissensinhaltes erfüllt, bzw. welche Auswirkungen diese Annahme auf das Denken selbst hat. Oder, zugespitzt formuliert: Was bedeutet es, etwas zu wissen, ohne diesen Wissensinhalt begreifen, das heißt, im Denken fassen zu können? Das erste Problem, mit dem Hegel sich ausführlich beschäftigt, ist der Status des unmittelbaren Wissens. Wenn das Jacobische Konzept das unmittelbare Wissen als ein dem endlichen Erkennen Entgegengesetztes fasst, so zeugt die dadurch entstandene Relation eindeutig davon, dass im Rahmen dieses Konzepts von keinem tatsächlich Unbedingten – das heißt durch sich selbst Begründeten – die Rede sein kann, sondern bloß von einem in Bezug auf das endliche Erkennen bereits Bestimmten. Hegel identifiziert diese Vorgehensweise eindeutig als eine des Verstandes, die dem Prinzip des Entweder-Oder (dem Prinzip des Ausschließens) unterliegt: 109 110

Ebd., 289. Ebd., 124, Anm.

148

IV. Der Verstand und die Objektivität

„Es ist damit ein Entweder – Oder gesetzt, es gibt kein Drittes: dieses ist Behauptung des Verstandes, das Vernünftige ist weder das Eine, noch das Andre sondern sowohl das Eine als das Andre.“111

Das innerhalb der von Jacobi vorgestellten Erkenntnisstruktur durchgeführte Ausschlussverfahren, nach dem man es entweder mit dem endlichen Erkennen zu tun hat, oder den Sprung in das unmittelbare Wissen schafft, zeugt, gemäß Hegel, davon, dass Jacobis Denken sich in der Sphäre des Verstandesdenkens bewegt. Dabei wird jedoch die angestrebte Einheit – zwischen dem endlichen Erkennen und dem unmittelbaren Wissen, welches dieses Erkennen, dem Jacobischen Anspruch nach, einschließt – verfehlt. Das andere von Hegel hervorgehobene Problem betrifft nun die eigentliche Natur bzw. den Inhalt des Unbedingten. So wird das Unbedingte (das eigenständige Objekt des unmittelbaren Wissens) im Rahmen des Jacobischen Konzeptes dem erkennenden Subjekt durch die intellektuelle Anschauung als die gewisseste Tatsache offenbart. Dies geschieht mithilfe der Vernunft – die Jacobi als (Wahrnehmungs) Organon sui generis bestimmt. Mehr noch: Der Inhalt des Unbedingten ist allen erkennenden Subjekten gemein; er ist allumfassend, unbedingt und wird von den erkennenden Subjekten im Ganzen – in Jacobis Fassung als Inhalt der christlichen Religion – empfangen.112 An diesem Punkt setzt Hegels Kritik an. Zunächst weist er darauf hin, dass jede Tatsache, um überhaupt gewusst zu werden, des Bewusstseins bedarf und dass Tatsachen dem Bewusstsein ausschließlich mittels der Erfahrung zugänglich sind. Auf den Punkt gebracht, heißt das, dass es im Grunde genommen egal ist, ob es sich um eine empirische oder um eine unmittelbar gewusste Tatsache handelt, denn Tatsachen als solche sind dadurch gekennzeichnet, dass sie dann und nur dann zur Kenntnis genommen werden können, wenn sie ins Bewusstsein eintreten, wofür die Erfahrung unverzichtbar ist. Als eine gegebene Tatsache bestimmt, tritt das unmittelbar Gewusste (das Unbedingte) dem erkennenden Subjekt entgegen, dadurch wird eine eindeutige Trennung zwischen dem erfassenden Subjekt und dem zu erfassenden Objekt markiert. Dieses Konzept des Objektes des unmittelbaren Wissens kann aber, gemäß Hegels Analyse, nur dann aufgehen, wenn es vom Subjekt als dem Subjekt Entgegengesetztes empfangen wird. Infolgedessen erweist sich das Unbedingte als erfahrungsbedürftig und ist daher – anders als Jacobi behauptet113– kein auf sich selbst (un-bedingt) Gründendes, welches im Stande wäre, eine sichere Grundlage der Erkenntnis zu leisten. 111

GW 23 (2), 704. Der Rechtfertigung des christlichen Religionsinhalts bzw. der Wahl dieses Inhaltes wird im Rahmen der vorliegenden Arbeit nicht weiter nachgegangen, denn für die zu rekonstruierende Argumentation Hegels ist die systematische Funktion der Offenbarung entscheidend, nicht aber der (besondere) Gehalt des Christentums, der als notwendig Geoffenbartes zu rechtfertigen wäre. 113 So heißt es bei Jacobi wörtlich: „[E]s liege allen Erweisen etwas, sowohl der Materie als der Form nach gerade zu Offenbartes, woraus und worüber sie entstehen, als ihr Prinzip zum Grunde.“ (F. H. Jacobi [1785] 2000, 124, Anm.). 112

4. Die Objektivität und das unmittelbare Wissen

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Zusammenfassend lässt sich mit Hegel sagen, dass das Unbedingte, als Tatsache des Bewusstseins formuliert, der Erfahrung bedarf, um in das Bewusstsein eintreten zu können. Dieser Status ist dem Unbedingten insofern nicht angemessen, als er das verständige Bestimmen erfordert. Deshalb wird das Unbedingte bei Jacobi mithilfe des einfachen Konstatierens – in der Form „Es ist so!“, wie oben bereits zitiert, – bloß festgesetzt. Und selbstverständlich kann es dem Anspruch auf Unbedingtheit (bzw. Unmittelbarkeit) nicht genügen, dass das Unmittelbare (als Tatsache des Bewusstseins), um erfasst zu werden, auf die Erfahrung angewiesen bleibt. Damit sind aber die systematischen Inkonsistenzen des Jacobischen Konzeptes noch nicht vollständig erfasst. In einem weiteren Schritt hebt Hegel hervor, dass das Bestreben Jacobis, den wahren, durch das unmittelbare Wissen offenbarten Inhalt mithilfe der Behauptung seiner nichtreflexiven Natur aufrechtzuerhalten, unvermeidlich zum Verweigern der begrifflichen Explikation des unmittelbar Gewussten führen müsse. Ein Vorwurf, der sich an Jacobis Vorgehensweise bestätigt. Das Fernhalten des unmittelbaren Wissens von jeglicher Art der Vermittlung muss aber den Charakter des Scheins, des, so Hegel, Vermeintlichen haben, denn, wie auch immer die Ursprünglichkeit des Unbedingten aufgefasst wird, „so ist die allgemeine Erfahrung, daß, damit das, was darin enthalten ist, zum Bewußtseyn gebracht werde, wesentlich Erziehung […]; – (die christliche Taufe, obgleich ein Sacrament, enthält selbst die fernere Verpflichtung einer christlichen Erziehung) d. i. daß Religion, Sittlichkeit, so sehr sie ein Glauben, unmittelbares Wissen sind, schlechthin bedingt durch die Vermittlung seyen, welche Entwicklung, Erziehung, Bildung heißt.“114

Wie aus dem Zitat ersichtlich wird, läuft die Argumentation Hegels darauf hinaus, dass die Entität, welche als unbedingt Gewusste behauptet wird, das Resultat eines langen Prozesses der Wissens-Hervorbringung darstellt. Zu diesem Prozess gehört aber nicht nur das jeweils in der tiefsten Seele eines erkennenden Subjekts Angeschaute und in seinem Herzen Gefühlte, sondern auch die Weitergabe dieser Inhalte durch Erziehung und Bildung, wofür jedoch die Explikation der empfangenen Inhalte unverzichtbar ist. An dieser Stelle ist eine Überzeugung Hegels wieder ganz präsent, welche er bereits in der Phänomenologie des Geistes detailliert ausgeführt hatte: Das Wissen ist nur durch das Denken und nur im Denken zu erwerben.115 So erklärt er auch in der letzten Fassung der Enzyklopädie von 1830: „Auch indem die Einzelheit als Ich, die Persönlichkeit, in sofern nicht ein empirisches Ich, eine besondere Persönlichkeit verstanden wird, vornehmlich indem die Persönlichkeit Gottes vor dem Bewußtsyen ist, so ist von reiner, d. i. der in sich allgemeinen Persönlichkeit die Rede; eine solche ist Gedanke [Hervorhebung V. K.] und kommt nur dem Denken [Hervorhebung V. K.] zu.“116

114 115 116

Enz. 1830, § 67. Mehr dazu siehe II. Kapitel der vorliegenden Arbeit. Enz. 1830, § 63, Anm.

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IV. Der Verstand und die Objektivität

Hegel geht nun daran – im weiteren konsequenten Vollzug der Kritik systematischer Inkonsistenzen des unmittelbaren Wissens Jacobis –, sein eigenes Erkenntniskonzept zu entwerfen. Sein implizites Ziel ist es offensichtlich, zu beweisen, dass die Annahme bzw. die Voraussetzung einer nichtreflexiven Natur des unmittelbaren Wissens unvermeidlich den von Jacobi gesetzten Rahmen des Erkennens sprengt. Hegel verdeutlicht dies im Rückgriff auf Jacobis Argumentation: Um die Evidenz des unmittelbar Gewussten zu illustrieren, nimmt Jacobi nämlich ein Beispiel zu Hilfe, mit dem der neuralgische Punkt seiner ganzen Auffassung ans Licht tritt. So verdankt sich, ihm zufolge, nicht nur das eigentlich Unbedingte (Gott) der Offenbarung, sondern auch die Alltagskenntnisse offenbaren sich. Nach Jacobi wissen wir bspw. durch den Glauben, „daß wir einen Körper haben, und daß außer uns andre Körper und andre denkende Wesen vorhanden sind. Eine wahrhafte, wunderbare Offenbarung!“117 Diese Aussagen fasst Hegel wie folgt zusammen: „Wir glauben, sagt Jacobi, daß wir einen Körper haben, wir glauben an die Existenz der sinnlichen Dinge.“118 Mit seiner ironischen Bemerkung lenkt Hegel die Aufmerksamkeit auf die Frage, welche systematische Funktion der nichtreflexive Wissensgehalt überhaupt hat. Innerhalb des von Jacobi errichteten Rahmen des Erkennens läuft diese Funktion, so Hegels Fazit, ausschließlich auf die Feststellung der Einheit zwischen dem Wissensobjekt und seiner Existenz hinaus. Denn „[i]n formeller Rücksicht ist insbesondere der Satz interessant, daß nämlich mit dem Gedanken Gottes sein Seyn, mit der Subjectivität, die der Gedanke zunächst hat, die Objectivität unmittelbar und unzertrennlich verknüpft [Hervorhebung V. K.] ist. Ja die Philosophie des unmittelbaren Wissens geht in ihrer Abstraction so weit, daß nicht nur mit dem Gedanken Gottes allein, sondern auch in der Anschauung mit der Vorstellung meines Körpers und der äußerlichen Dinge die Bestimmung ihrer Existenz ebenso unzertrennlich verbunden sey [Hervorhebung V. K.].“119

Aus der systematischen Perspektive Hegels ist das Ziel des Jacobischen unmittelbaren Wissens erst dann erreicht, wenn die Existenzbestimmung des Objekts des Wissens erworben wird, was die eben zitierte Passage der Enzyklopädie eindeutig belegt. In der Konsequenz heißt das, dass die Wahrheit bzw. die unbezweifelbare Objektivität des Unbedingten, den Jacobischen Überlegungen zufolge, mit der Existenz des Objekts des Wissens – des Unbedingten – zusammenfällt und erst mittels der äußeren Existenz überhaupt belegt werden kann. Aus Hegels Sicht bestätigt dieses Ergebnis ganz eindeutig, dass die theoretischen Mittel Jacobis für das von Jacobi angestrebte programmatische Ziel nicht ausreichen. Hier, so Hegel, lasse sich sogar ein gewisser Rückfall in die von Descartes erreichten Resultate nicht vermeiden, denn „[d]ie Ausdrücke Descartes über den Satz der Unzertrennlichkeit meiner als Denkenden vom Seyn […] sind so sprechend und bestimmt, daß die modernen Sätze Jacobi’s und 117 118 119

F. H. Jacobi [1785] 2000, 114. Enz. 1830, § 63, Anm. Ebd., § 64, Anm.

4. Die Objektivität und das unmittelbare Wissen

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anderer über diese unmittelbare Verknüpfung nur für überflüssige Wiederholungen gelten können.“120

Wie im einführenden Teil bereits erwähnt wurde, sorgte Hegels oben zitiertes Fazit über Jacobi für Angriffe verschiedener Art. Einer lautete, zum Beispiel, Hegel habe das programmatische Anliegen Jacobis missverstanden, was ihn zu seiner Gleichsetzung der Jacobischen Unmittelbarkeit mit der Cartesischen Wissensevidenz verführt habe. So trägt bspw. Christoph Halbig diese Hegel-Kritik in leicht abgeschwächten Form vor, wenn er erklärt: „Auf Jacobi selbst nämlich trifft Hegels Kritik […] keineswegs zu; er verwendet sie [seine Kritik, V. K.] vielmehr ausnahmslos in einem technischen Sinne […]“.121 Birgit Sandkaulen wiederum ist fest davon überzeugt, dass Hegel seine Argumentation um den Preis „einer Verstellung der Jacobischen Position“ erkauft,122 weshalb seine systematische Auslegung des Jacobischen Strebens vollkommen ins Leere greife.123 Die Bestätigung hierfür sieht sie vor allem darin, dass Hegel die Jacobische Konzeption der Vernunft – als (Wahrnehmungs)Organon sui generis – nicht preisgebe, da er zu Unrecht Denken und Anschauen als dasselbe zusammenführe.124 Damit, so Sandkaulen, ignoriere er die Jacobische Unterscheidung zwischen Denken (dem Werkzeug des Verstandes) und Anschauung (dem Werkzeug der Vernunft) vollkommen. Als Folge dieser fehlerhaften Interpretation, so Sandkaulen, werde Hegel dem tatsächlichen Anspruch des Jacobischen unmittelbaren Wissens nicht gerecht, da er die Position Jacobis mit der Cartesischen unterschiedslos zusammenfallen lasse. Diesen Vorwürfen will ich im Folgenden systematisch nachgehen, um die Frage zu klären, ob diese Vorwürfe gegen Hegels Interpretation gerechtfertigt sind. Hinter Hegels Gleichsetzung des Jacobischen Konzepts mit den Ergebnissen der Cartesischen Untersuchungen lässt sich die folgende Argumentation rekonstruieren: Da sich die Voraussetzung des Unmittelbaren nur um den Preis des Ausschlusses der Vermittlung erkaufen lässt – ein Umstand, der sich bereits in der Wissensevidenz Descartes zeigt125– läuft im Grunde genommen jeder Versuch, das Unbedingte als absolut vermittlungslos zu konzipieren, auf das bereits von Descartes erzielte Ergebnis hinaus. Dieser Versuch führt zum unterschiedslosen, bzw. unvermittelten, Zusammenfallen des zu erkennenden unmittelbaren Gegenstandes mit dem diesen Gegenstand auffassenden Subjekt. Setzt man die bedingungslose Unmittelbarkeit des Unbedingten voraus, wie Jacobi dies tut, gelangt man – und zwar unvermeidlich – zu den Ergebnissen Descartes, welche Hegel als Unzertrennlichkeit des Denkenden vom Sein bzw. als Unzertrennlichkeit der Anschauung von der Existenz bezeichnet. 120

Ebd., § 64, Anm. Ch. Halbig 2002, 285. 122 B. Sandkaulen 2010, 187. 123 Ebd.,189, Anm. 124 Vgl. ebd., 189. 125 Das bestätigte auch Descartes selbst, indem er sein folgenreiches Cogito ergo sum wegen des fehlenden Mittelgliedes keineswegs für einen Schluss behauptete. 121

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IV. Der Verstand und die Objektivität

Der offensichtliche Schwachpunkt des Jacobischen Konzepts liegt, aus der Perspektive Hegels, darin, „daß das unmittelbare Wissen nur isolirt genommen, mit Ausschließung der Vermittlung, die Wahrheit zum Inhalt habe. – In solchen Ausschließungen selbst gibt sich sogleich der genannte Standpunkt als ein Zurückfallen in den metaphysischen Verstand kund, in das Entweder – Oder desselben.“126

Während die intuitive Evidenz Descartes’ keinem eigenen Organ des Intellekts zugehört und auf keinerlei Weise auf eine irreduzible – von einem konkreten Ich aufgefasste – Existenz abzielt, sondern auf den allgemeinen Fall einer denkenden Substanz hinauszulaufen scheint, strebt Jacobi danach, das unmittelbare Wissen auf einen sicheren Grund zurückzuführen, der im Wissens-Organon jedes erkennenden Subjekts auffindbar sein soll. Das Mittel aber, mit dem Jacobi sein Ziel zu erreichen sucht, und genau das ist für Hegel entscheidend, eignet sich aus Sicht des Letzteren dafür nicht. Es sind die zwei folgende Annahmen, welche die theoretischen Mittel Jacobis für Hegel unakzeptabel machen: 1) das unmittelbare Wissen wird als Gegensatz zum Erkennen konzipiert und 2) der Inhalt des Unbedingten wird als ausschließlich der intellektuellen Anschauung Zugängliches bestimmt, das heißt, seine Natur wird als nichtreflexiv bzw. außer-begrifflich, das heißt, als vermittlungslos fixiert. Wie ich bereits ausgeführt habe, macht Hegel darauf aufmerksam, dass jegliche Art der Anschauung, sei sie sinnlich oder intellektuell (was auch immer darunter verstanden werden soll), erst dann zum Wissen beiträgt, wenn sie explizit ausgeführt, das heißt, mittels des Denkens nachvollzogen wird, wofür das Denken absolut unverzichtbar bleibt. In diesem Zusammenhang behauptet Hegel bereits im Jahr 1817: „Alles Anschauen, Vorstellen Begehren Wollen und sofort ist wesentlich [Hervorhebung V. K.] Denken.“127 In Bezug auf dieses Zitat ist es zunächst angebracht, zu bemerken, dass der Terminus ,wesentlich‘ hier nicht ,dasselbe‘ impliziert, das heißt, dasjenige, was mit dem Denken vollkommen identisch ist. Um das Angeschaute, sowohl sich selbst als auch jemandem anderen, mitteilen zu können, bedarf es des Denkens, weshalb Hegel formuliert, dass das Anschauen wesentlich Denken sei. Dies bedeutet aber längst nicht, dass es korrekt auf den Begriff gebrachter Gedanke ist. Im Rahmen seiner systematischen Überlegungen fügt Hegel hier jedoch eine Bedingung an, unter welcher Denken und Anschauen tatsächlich ein und dasselbe sind. So heißt es in der Endfassung der Enzyklopädie wörtlich: „Abstraktes Denken (die Form der reflectierenden Metaphysik) und abstractes Anschauen (die Form des unmittelbaren Wissens) sind ein und dasselbe.“128 Dieser Satz macht deutlich, dass Hegel erst dann Anschauen und Denken gleichsetzt, wenn beiden das Prädikat 126 127 128

Enz. 1830, § 65. GW 23 (1), 16. Enz. 1830, § 74.

4. Die Objektivität und das unmittelbare Wissen

153

,abstrakt‘ im gleichen Maße zukommt. Bereits im Jahr 1817 hatte er einen ähnlichen Gedanken zum Ausdruck gebracht, als er behauptete: „Reines Denken und reines Anschauen ist eins und dasselbe, die Abstraktion des an und in sich seyenden Begriffes, das reine Ich, wo kein Anderes ist, das freye, reine Erkennen.“129 Vor diesem Hintergrund erschließt sich die Behauptung Hegels, das reine bzw. abstrakte Anschauen unterscheide sich nicht vom reinen (abstrakten) Denken, denn beide haben – wie er betont – schließlich die bloße Abstraktion zum Inhalt, das heißt, sie drücken denselben Inhalt aus. Hegel führt aus, dass diese Abstraktion immer dann vorliegt, wenn ein zum Erkennen beitragender Bestandteil als bereits Gegebener behandelt wird: Sei es, dass es sich dabei um das Denken handelt, welches das erkennende Subjekt in Bezug zu dem zu erkennenden Gegenstand bringt, sei es, dass es sich um den Gegenstand selbst handelt, welcher mittels des erkennenden Subjekts zum Objekt des Wissens gemacht wird. Denn das als Gegebenes bzw. Vorausgesetztes behandelte ist immer schon in Abgrenzung zum Erkannten bestimmt. Betrachtet man das entstandene Problem von der Seite des erkennenden Subjekts her, so hat man mit dem abstrakten Denken zu tun; geht man diesem Problem hingegen vom Standpunkt des zu erfassenden Gegenstandes nach, hat man es mit der abstrakten Anschauung zu tun. Denn erst in der Anschauungsform ist der zu erkennende Gegenstand in den Wissensrahmen integriert und infolgedessen überhaupt fassbar. Indem Hegel der intellektuellen Anschauung Jacobis dieselbe systematische Funktion wie dem abstrakten Denken zuweist, verkennt er nicht die Position Jacobis, sondern betrachtet diese aus einer neuen Perspektive. Als Unmittelbares bestimmt, ist das Wissensvermögen der Vernunft, der Jacobischen Auffassung gemäß, in Abgrenzung zur vermittelnden Denktätigkeit des Verstandes formuliert, gerade hierdurch jedoch in Bezug auf das Verstandesvermögen bestimmt. Der hergestellte Bezug zeugt eindeutig davon, dass die Un-Bedingtheit des besonderen Wissensvermögens – für dessen Realisierung allein die Vernunft verantwortlich wäre – nicht erreicht wird. Dieser Umstand wird durch die von Jacobi vollzogene Trennung zwischen der vermittelnden Denktätigkeit des Verstandes und dem unmittelbaren Wissensvermögen der Vernunft bestätigt. Denn so bleibt die erreichte intellektuelle Anschauung dem Denken bloß entgegengesetzt und stellt dasjenige dar, was nicht das Denken ist, während das Denken dasjenige bleibt, was nicht die intellektuelle Anschauung ist. Vor dem Hintergrund dieser Erläuterungen lässt sich nun Sandkaulens Kritik an Hegel zurückweisen. Denn, in Bezug aufeinander fixiert, bleiben sowohl das Denken als auch die intellektuelle Anschauung – als die zum Wissen beitragenden Komponenten – inhaltsleer, infolgedessen bloß abstrakt und in dieser Abstraktheit unterschiedslos. Auf solche Art konzipiert, fallen sie tatsächlich so zusammen, wie Hegel dies behauptet. Deshalb gelingt es dem unmittelbaren Wissen Jacobis auf keinerlei Weise, der vermittelnden Tätigkeit des Verstandes zu entkommen. Denn 129

GW 23(1), 143.

154

IV. Der Verstand und die Objektivität

das empfangene Unbedingte – dessen Natur die Unmittelbarkeit ausmacht – bleibt letztlich mittels des Verstandes bloß als ein Etwas gedacht, was nicht vermittelt ist. Innerhalb des eigentlichen Rahmens des Wissens betrachtet – und diesem Rahmen gehört auch das Unbedingte eindeutig zu (was auch von Jacobi auf keinerlei Weise bestritten wird) – bleibt Jacobis Konzept des Unbedingten nur abstrakt, auch wenn dieses mithilfe des Wahrnehmungsorganons sui generis als inhaltsreich empfunden wird. An dieser Stelle mag es angebracht sein, der von Walter Jaeschke ausgearbeiteten Lesart nachzugehen. Jaeschke verfolgt das Ziel verfolgt wird, die Position Jacobis nicht von der Seite des eigentlichen Wissensvermögens des Subjekts, sondern von der des unmittelbaren Gegenstandes her, des Unbedingten bzw. des Unmittelbaren, zu erläutern und auf diese Weise Hegels Kritik als untauglich abzuweisen. In seiner Argumentation geht Jaeschke von der fundamentalen Unterscheidung130 aus, welche Jacobi zwischen substantivischer und adjektivischer Vernunft in der Beilage VII zu den sogenannten Spinozabriefen aufstellt.131 In dieser Beilage formuliert Jacobi die Frage: „[H]at der Mensch Vernunft; oder hat Vernunft den Menschen?“132 Dieser etwas sonderbar klingenden Frage geht Jacobi dadurch nach, dass er zwischen der Vernunft als einer Beschaffenheit des Menschen (als einem Werkzeug des Wissens bzw. als dem Wissensvermögen) und der Vernunft als dem Prinzip der Erkenntnis überhaupt unterscheidet.133 Jacobi zufolge ist die Vorstellung des Unbedingten, auf die das erkennende Subjekt im Laufe des Erkenntnisprozesses unvermeidlich stößt, eine, welche der Vorstellung des Bedingten immer schon vorausgesetzt ist. Denn, so Jacobi, „[w]ir brauchen also das Unbedingte nicht erst zu suchen, sondern haben von seinem Dasein dieselbige, ja eine noch größere Gewißheit, als wir von unserem eigenen bedingten Dasein haben.“134 Der Gedankengang Jacobis lässt sich wie folgt zusammenfassen: Wäre das Unbedingte im Laufe des vermittelnden Erkennens des Verstandes erschließbar, dann wäre es selbst notwendig bedingt. Der unbedingte Gegenstand kann – unter den gemachten Voraussetzungen – nur dann un-bedingt bleiben, wenn er nicht mittels des Erkennens nachvollzogen, sondern als bereits Gegebenes konstatiert wird. Die Gewissheit des Unmittelbaren – als Grundlage jeglicher Erkenntnis überhaupt – muss dem erkennenden Subjekt im Voraus gegeben sein und wird durch den bereits gegebenen Gegenstand des unmittelbaren Wissens, durch das Unbedingte, gesichert.135 Darüber hinaus behauptet Jacobi,

130

Vgl. W. Jaeschke 2004 a, 209. An die Beilage VII zu den Spinozabriefen rekurriert auch Hegel im Vorbegriff der Enzyklopädie von 1830 (Vgl. Enz. 1830, § 62, Anm.). 132 F. H. Jacobi [1785] 2000, S. 286. 133 Vgl. ebd., 287. 134 Ebd., 287. 135 Vgl. ebd., 113. 131

4. Die Objektivität und das unmittelbare Wissen

155

„[w]ir [die erkennenden Subjekte, V. K.] erhalten bloß durch Beschaffenheit die wir annehmen, alle Vorstellungen, und es gibt keinen andern Weg reeller Erkenntnis; denn die Vernunft, wenn sie Gegenstände gebiert, so sind es Hirngespinste.“136

Wie hieraus ersichtlich wird, konzipiert Jacobi das Unbedingte, den Gegenstand des unmittelbaren Wissens, als vom Wissensvermögen des Subjekts absolut Unabhängiges. Seinerseits nimmt aber dieser unbedingte Gegenstand auf das Wissensvermögen des erkennenden Subjekts Einfluss, weshalb auch das Konzept des Unmittelbaren dem erkennenden Subjekt zugänglich wird. Zugespitzt formuliert könnte man sagen, sobald das Unbedingte sich dem erkennenden Subjekt mithilfe der intellektuellen Anschauung offenbart, hat es, mit Jacobis Vokabular gesprochen, das Subjekt, indem das Unbedingte Einfluss auf das Wissensvermögen des erkennenden Subjekts nimmt bzw. sich zu dem erkennenden Subjekt verhält. Durch diesen Einfluss des unmittelbaren Gegenstandes (das ist nach Jacobis Verständnis Gott) wird sich das erkennende Subjekt nicht nur der Begrenztheit seines vermittelnden, das heißt verständigen Erkenntnisvermögens bewusst, sondern es erlangt auch Gewissheit von der Zugänglichkeit des Unbedingten. Jaeschke nimmt den oben dargestellten Gedankengang Jacobis auf, indem er auf die Offensichtlichkeit der dualen Struktur verweist, die sich in dem Konzept Jacobis herauskristallisiert hat. Diese Struktur beruht, so Jaeschke, „auf der Korrespondenz zwischen einem Innen und einem Außen, zwischen Intention und Sachverhalt, ja zwischen ,subjektiver‘ und ,objektiver‘ Vernunft – auch wenn dies wiederum nach einer hegelianisierenden Verfälschung klingen mag. Präziser ist es ohnehin, nicht von ,objektiver‘ und ,subjektiver Vernunft‘ zu sprechen, sondern von den beiden Seiten, deren Korrespondenz allererst die Eine Vernunft [Hervorhebung V. K.] ausmache.“137

Jaeschke verweist hier darauf, dass von Vernunft im Sinne Jacobis, als einer, die den unmittelbaren Wissensinhalt offenlegt, erst dann die Rede sein kann, wenn das Korrespondenz-Verhältnis zwischen dem Gegenstand des unmittelbaren Wissens und dem unmittelbaren Wissensvermögen des erkennenden Subjekts hergestellt ist. Dies ist erst dann der Fall, wenn die beiden Pole so verbunden sind, dass sie eine Einheit bilden. Die Gefahr „einer hegelianisierenden Verfälschung“138 von Jacobi entsteht aber dann, wenn die für Jacobi wesensbestimmende Korrespondenzstruktur der Vernunft – zwischen ihrem subjektiven (dem Wissensvermögen des Subjekts) einerseits und dem objektiven Bestandteil (dem unmittelbaren Gegenstand selbst) andererseits – übersehen wird. Und mehr noch, aufgrund ihrer wesensbestimmenden dualen Korrespondenz-Struktur kann die im Sinne Jacobis konzipierte Vernunft, so Jaeschke, „überhaupt nicht ,reine Vernunft‘ sein.“139 In dieser Bemerkung zeichnet sich Jaeschkes Kritik an Hegels Umgang mit Jacobi ab, insofern Hegels Kritik an Jacobi immer schon durch sein eigenem Bestreben geprägt wird, die Struktur der 136 137 138 139

Ebd., 114. W. Jaeschke 2004 a, 208. Ebd., 208. Ebd., 208.

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IV. Der Verstand und die Objektivität

Vernunft, deren Natur die Unbedingtheit ausmacht, als in sich konkreter, das heißt in sich geschlossener, welche mit keinem Außen korrespondiert, zu entfalten. Um seinen Gedanken weiter zu verdeutlichen, nimmt Jaeschke die folgende, von Jacobi inspirierte, Metapher zu Hilfe: „Wie […] das Auge auf den Gegenstand, so ist die subjektive Vernunft auf die objektive gerichtet. Und nur dort, wo Auge und Gegenstand, subjektive und objektive Vernunft zusammentreffen, nur dort ist auch diejenige Vernunft wirklich, die wirklich die Vernunft ist.“140

So kommt Jaeschke zu der Schlussfolgerung, dass immer dann eine hegelianisierende Verfälschung vorliegt, wenn die eigentümliche Stellung des unbedingten, vom auffassenden Subjekt vollkommen unabhängigen Gegenstandes für die Herausbildung der von Jacobi konzipierten Vernunft übersehen wird.141 Sollte es Jaeschke mit diesem Ergebnis seiner Analyse ernst sein, so stellt sich die Frage, was mit der unmittelbaren Natur des unbedingten Gegenstandes gemeint ist, wenn der unmittelbare Gegenstand selbst erst unter dem Anschluss an das Wissensvermögen des erkennenden Subjektes – das heißt dank dem Verhältnis, welches zwischen dem Subjekt und dem zu erkennenden Gegenstand entsteht, – zum tatsächlichen Bestandteil des (unmittelbaren) Wissens überhaupt werden kann? Außerdem ist das Bewusstsein des erkennenden Subjekts unabdingbar, um vom Wissensvermögen des Subjekts Gebrauch zu machen. Dafür aber hat sich die Erfahrung als unverzichtbar erwiesen.142 Dieses Ergebnis macht deutlich, dass im Rahmen der von Jacobi errichteten dualen Struktur, der unbedingte Gegenstand nur als auf Erfahrung angewiesener konzipiert werden kann, weshalb das Konzept den Anspruch auf Un-Bedingtheit nicht erfüllt. Damit erweist sich die duale Korrespondenz-Struktur als unfähig, unmittelbares Wissen zu erwerben. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass sobald der Gegenstand des unmittelbaren Wissens zum Ausgangspunkt einer Rekonstruktion der subjektiven Bedingungen dieses Wissens gemacht wird – wie bspw. von Jaeschke durchgeführt –, das korrespondierende Verhältnis zwischen dem erkennenden Subjekt und dem sogenannten unmittelbaren Gegenstand in den Vordergrund tritt. Die Subjektivität selbst aber, als Instanz, welche dieses Verhältnis vollzieht, gerät dabei aus dem Blick. Denn innerhalb der letzteren, das heißt innerhalb der Subjektivität, wird das Korrespondenzverhältnis überhaupt erst möglich. Hier zeigt sich auch, dass das erstrebte unmittelbare Wissen – als einzig objektives – erst dann erreicht werden kann, wenn die Tätigkeit des Wissensvermögens selbst mitbedacht wird. Denn die Unmittelbarkeit bzw. die Unbedingtheit, der einzige Garant der Objektivität, lässt sich als Voraus140

Ebd., 210. An einer anderen Stelle bringt Walter Jaeschke einen ähnlichen Gedanken wie folgt zum Ausdruck: „Entscheidend ist hier ausgesprochene Korrespondenz zwischen der – im Wandel der Weltbegebenheiten wirklichen – ,objektiven Vernunft‘ der Geschichte und der subjektiven Vernunft der Menschen – auch wenn dies relativistisch und unvernünftig und obendrein hegelianisch klingen mag [Hervorhebung V. K.].“ (W. Jaeschke 2004 a, 212). 142 Mehr dazu siehe II. Kapitel der vorliegenden Arbeit. 141

4. Die Objektivität und das unmittelbare Wissen

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setzung nicht ausreichend anders, denn defizient formulieren, wirklich erreichbar wird sie nur als Ergebnis des korrekt ausgeführten Erkenntnisprozesses. Im Ergebnis läuft Hegels Konzept der reinen Vernunft bzw. des reinen Denkens – was schließlich nichts anderes im Sinne hat, als die Theorie des Wissens von wesensfremden Voraussetzungen zu befreien – weder auf die Verstellung der Jacobischen Position, wie dies Sandkaulen behauptet, noch auf ihre Verfälschung hinaus, wie es Jaeschke zu bestätigen sucht, sondern auf die Vervollständigung des Jacobischen Konzepts: Denn erst auf dem sicheren Boden der systematisch mitbedachten Subjektivität kann das Unbedingte korrekt nachvollzogen werden. Dies erst eröffnet andererseits dem Subjekt die Möglichkeit, objektiv zu erkennen, das heißt, das tatsächlich unmittelbare Wissen zu erwerben. Hegels Auffassung von Jacobis Konzept des unmittelbaren Wissens basiert keineswegs auf einem Missverständnis, sondern muss als eine der Natur des Denkens immanente Weiterentwicklung der Erkenntnisstruktur begriffen werden. So belegt Hegel stringent, dass sich die unmittelbare Natur des Unbedingten als eine mittels des Verstandes vorausgesetzte Annahme nicht korrekt erschließen lässt, sondern erst als Resultat des vollständig ausgeführten Wissensprozesses wirklich begreifbar wird. Die ausschließende Tätigkeit des Verstandes reicht aber dafür nicht aus, auch wenn sie unvermeidlich auf das Unbedingte bzw. auf die Idee der Unmittelbarkeit hinführt. Anliegen des vorliegenden Kapitels war es, die Bruchstellen offenzulegen, welche sich durch den Bezug des Verstandes auf die Objektivität ergeben. Im Resümee lässt sich sagen, dass aufgezeigten Bruchstellen, in Verbindung zueinander gebracht, zu folgenden Ergebnissen führen: Die erste Stellung bleibt dadurch charakterisiert, dass noch kein Gegensatz zwischen dem Objekt des Bestimmens und dem bestimmenden Subjekt gebildet wird, weshalb die beiden restlos zusammenfallen. Im Rahmen der zweiten Stellung kommt es bereits zur Trennung zwischen Objekt und Subjekt und zwar derart, dass die Kluft zwischen Denken und Gegenstand als unüberwindbar postuliert und die Objektivität entweder auf die Seite der Realität oder die der Subjektivität fällt. Erst im Rahmen der dritten Stellung ergibt sich nun die Frage, was eine solche Trennung für das Wissen überhaupt bedeutet und wie das Denken bzw. das denkende Subjekt mit dem zu bestimmenden Gegenstand vermittelt werden kann. Dabei wird die mittels des Verstandes vollzogene Trennung zwischen der zu bestimmenden Objektivität und dem eigentlichen Verfahren des Bestimmens thematisch. Hierbei zeigt sich, dass die Grenzen, welche der Verstand in Bezug auf die Objektivität setzt, keineswegs ein Ende des zuverlässigen Erkennens bedeuten, sondern vielmehr die Herausforderung mit sich bringen, den Verstand nicht blind als die letzte Wahrheitsinstanz zu akzeptieren, sondern seine Leistung selbst in den Rahmen des Erkennens miteinzubeziehen und diese – den Kriterien des objektiven Denkens entsprechend – zu erkennen.

Schluss Am Anfang dieser Arbeit habe ich die Frage aufgeworfen, ob Hegel unwiderruflich mit dem formal-logischen Denken bricht. Um dieser Frage gerecht zu werden, war es nötig, den Verstandesbegriff in Hegels Philosophie darstellend zu analysieren. Dabei hat sich gezeigt, dass Hegel keinen Bruch mit dem formal-logischen Denken vollzieht. Vielmehr müssen die Ergebnisse seiner Reflexionen als Erweiterung desselben aufgefasst werden. Denn Hegel nimmt die Verstandestätigkeit selbst, den Prozess des Ausschlussverfahrens, in den Blick und integriert diesen in sein Konzept des Erkenntnisprozesses, so dass dieser selbst zum Objekt des Wissens wird. Im Ergebnis fasst er es als dem Erkennen immanente Negativität auf. Verstand wird von Hegel dementsprechend durch die folgenden, nahtlos aneinander anknüpfenden, Charakteristika gekennzeichnet: (1) durch die Festsetzung der formalen (abstrakten) Identität (,A ist A‘)1 und (2) durch den Vollzug des Bestimmungsverfahrens, welches unter der Leitung des Satzes vom ausgeschlossenen Widerspruch realisiert wird (A kann nicht zugleich A und nicht A sein). Dabei läuft die Tätigkeit des Verstandes auf eine – im formal-logischen Sinne – saubere Vorgehensweise hinaus, indem der Gegenstand des Bestimmens mittels des Ausschließens von alledem, was er nicht ist, fixiert wird. Am Ende des korrekt ausgeführten formal-logischen Bestimmens tritt als Gegensatz ans Licht das (zu bestimmende) Objekt und dasjenige, was nicht das (zu bestimmende) Objekt ist. Das immanente (negative) Beziehen der entgegengesetzten Pole aufeinander stellt, so Hegel, das dialektische Moment2 dar. Dieses zeugt davon, dass die vom Verstand als selbstständig bestimmten Objekte nicht wirklich selbständig sind, sondern dadurch erkannt werden, dass sie in Abgrenzung zueinander bzw. mittels des negativen Beziehens aufeinander thematisiert werden. Damit deutet die Entgegensetzung ihrerseits die Einheit (bzw. die Verbindung) an, ohne welche weder die Entgegensetzung denkbar noch der Erkenntnisprozess realisierbar wäre. Weiterhin wird diese Entgegensetzung von Hegel nicht als bloßes Erzeugnis des erkennenden Subjekts aufgefasst, das heißt ausschließlich als Erzeugnis des Denkens des Subjekts. Vielmehr erweist sich ihm diese Entgegensetzung sowohl als innerhalb der realen Welt stattfindender Bewegungsprozess – als realer Puls des Lebens3–, wie auch als dem Denken immanenter Prozess des Bestimmens. Die Gegensätze, auf die 1

Diese Leistung des Verstandes ordnet Hegel dem abstrakten Moment des Logischen zu. Vgl. Enz. 1830, § 79, auch GW 23 (2), 478. 2 Zur ausführlichen Ausarbeitung, wie Hegel das dialektische Moment in das Erkennen aufnimmt, siehe vor allem die folgenden Seiten der vorliegenden Arbeit: 57 f., 93 – 98, 113 f. 3 Vgl. GW 23 (1), 13.

Schluss

159

das erkennende Subjekt im Erkenntnisprozess unvermeidlich stößt, „sind nicht Betrachtungen, die wir selbst machen“4, sondern stellen das Resultat des korrekt ausgeführten formal-logischen Bestimmungsverfahrens dar. Während sich aber die Bestätigung, dass die Entgegensetzung bzw. das Dialektische sowohl im Denken als auch im Kontext der realen (das erkennende Subjekt umgebende) Welt auffindet, für Hegel als unproblematisch herausstellt, bringt das gleichzeitig ausgesprochene Erfordernis der Einheit Schwierigkeiten mit sich: Einerseits lässt sich nicht von der Einheit absehen, denn ohne sie ist das basale Bestimmungsverfahren des Verstandes – das Ausschlussverfahren – überhaupt nicht realisierbar, andererseits lässt sich die Einheit mittels des formal-logischen Bestimmens (oder, mit Hegel gesprochen, mittels der setzenden Tätigkeit des Verstandes) gar nicht begreifen, ohne die Zuverlässigkeit dieses Bestimmens – die Zuverlässigkeit des Verstandes – in Frage zu stellen. An diesem Punkt, an dem sich die Notwendigkeit diese Einheit zu denken schon andeutet, leitet schließlich in das spekulative Denken über. Denn die Einheit, um die es Hegel geht, ist nur mittels der spekulativen Logik explizierbar. Was auch immer es mit dieser Einheit auf sich haben mag (dies zu untersuchen war nicht Anliegen der vorliegenden Arbeit), so steht doch außer Zweifel, dass der Übergang vom formal-logischen in das spekulative Denken keineswegs das Verwerfen der formal-logischen Gesetze des Verstandes bedeutet. Hegel erkennt diese Letzteren bedingungslos an, denn – so bemerkt er – „ohne Verstand kann man […] keine Vernunft haben“, sodass „[m]it der Aufhebung des Verstandes […] kein Unverstand verstanden“ wird.5 Darüber hinaus kehrt das Denken, sobald es das Dialektische und das Vernünftige aus der spekulativen Logik ausnimmt, unvermeidlich zur gewöhnlichen „bloßen Verstandes-Logik“ zurück.6 Dementsprechend lässt sich Verstand, so wie er in der Philosophie Hegels entworfen wird, wie folgt auffassen: Aus der Position des formal-logischen – des verständigen – Denkens selbst betrachtet, läuft jegliches konsequent ausgeführte Bestimmungsverfahren des Verstandes unvermeidlich auf die Grenze zu, die das Ende des sinnvollen formal-logischen Erkennens zu markieren scheint, und die Frage nach dem Unbedingten bzw. der einheitsstiftenden Grundlage des Bestimmens mit sich bringt. Versucht man diese Frage mit denselben Mitteln zu beantworten (das heißt, das Unbedingte mittels des Prädizierens zu bestimmen), entstehen unbrauchbare, dem sinnvollen Erkennen auf keinerlei Weise dienliche Konzeptionen. Der Versuch, einen sicheren Boden bzw. einen Prüfstein des Erkennens festzulegen, um dadurch die fehlende einheitsstiftende Grundlage zu sichern, führt zu eine Voraussetzungsstruktur, welche die erstrebten Annahmen zwar zulässt, deren eigene Begründung jedoch ungesichert bleiben muss.7 Wird in diesem Kontext das Anliegen verfolgt, aus der unendlichen 4 5 6 7

GW 23 (2), 479. GW 23 (1), 24. Enz. 1830, § 82. Diesen Umstand expliziert Hegel exemplarisch auf zweierlei Weise:

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Schluss

Reihe der Bedingungen in das wahre, das heißt in das unmittelbare, Wissen überzugehen, wird die Opposition zwischen der Vermittlung und der Unmittelbarkeit sichtbar. Die hier aufgewiesenen Hindernisse, welche auf dem Weg zum vollständigen Wissen sichtbar werden, legt der Verstand offen. Den systematisch ausgeführten Überlegungen Hegels zufolge, implizieren aber diese im Erkennen offengelegten Bruchstellen keineswegs, dass das Bestimmungsverfahren mangelhaft oder falsch ausgeführt wurde. Sie veranlassen vielmehr einen Perspektivwechsel, infolgedessen die Leistung des Verstandes selbst zum Objekt des Wissens wird.8 Durch diesen Perspektivwechsel stellt sich die Frage, unter welchen Bedingungen die dem Prozess des Erkennens erforderlichen Voraussetzungen gemacht werden und welche Begründung ihrer Geltung beigebracht werden kann. Denn erst dann, wenn jegliche Art des Entgegen- sowie des Voraussetzens an das Bewusstsein gelangt und das erkennende Subjekt sich seiner eigenen Denktätigkeit bewusst wird, tritt die einheitsstiftende Grundlage des Erkennens ans Licht und wird selbst zum Objekt des Erkennens. Das führt im Ergebnis dazu, dass das Denken nicht mehr als dem formallogischen Gesetz bloß unterworfenes, sondern selbst als gesetzgebend begriffen werden muss.9 Die damit erreichte Perspektive ist die des spekulativen Denkens. Aus dieser Perspektive gesehen, lässt sich der Verstand, metaphorisch ausgedrückt, als „Kontrastmittel“ auffassen, das die dem Bestimmen dienlichen Bestandteile mithilfe des Entgegensetzens sichtbar macht. Zugleich befinden sich aber die kontrastierten Bestandteile innerhalb des Ganzen,10 welches kein Fest-Gesetztes ist, sondern einen dynamischen Prozess darstellt oder, mit Hegel gesprochen, als die lebendige Bewegung aufzufassen ist.11 Hiermit erweist sich das spekulative Denken, welches das verständige in sich aufnimmt, nicht als eine eigenständige, dem Denken des Verstandes entgegenstehende Alternative, sondern wird als systematischer Abschluss des Denkvorganges erkennbar, welcher seinen Anfang auf dem Gebiet des Sinnlichen bzw. des Empirischen nimmt und mittels des Verstandes durchgeführt wird. Das zu Ende geführte verständige Festsetzten der formal-logischen Identitäten selbst läuft auf die Erkenntnis der durch die Vernunft gestifteten Einheit hinaus, in welcher der Verstand je schon verwurzelt ist. (1) Der Empirismus: Das dem erkennenden Subjekt entgegenstehende Objekt ist sicher, die Denkleistung des Erkennenden aber fehlbar, denn sie befinden sich außerhalb des Empirischen. (2) Die kritische Philosophie Kants: Der genaue Rahmen des Denkens kann anhand der erfahrbaren Welt mit Sicherheit bestimmt werden, während die Welt selbst (das Objekt des Erkennens) dem Denken nur begrenzt zugänglich ist. 8 Zu dieser Figur kommt Hegel bereits in der Differenz-Schrift. 9 Vgl. GW 23 (2), 711. 10 Denn, wie oben ausführlich dargelegt, können die kontrastierenden Bestandteile des Erkennens ohne des Ganzen bzw. ohne der Einheit überhaupt nicht kontrastiert werden. 11 Die Bestätigung hierfür sind sowohl das positive Resultat, auf welche die Dialektik bereits im Kontext des Realen hinführt, als auch die Feststellung des eigenen Selbst (des erkennenden Subjekts), die sich der Selbstbezüglichkeit des Denkens verdankt.

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Stichwortverzeichnis Dialektik 26, 29, 44, 63, 113, 114, 115, 145, 160 Erkennen 11, 13, 14, 15, 16, 30, 33, 35, 36, 37, 38, 39, 40, 41, 42, 43, 44, 45, 46, 48, 51, 52, 56, 58, 60, 62, 63, 65, 68, 73, 75, 76, 78, 80, 81, 82, 83, 87, 90, 91, 92, 95, 100, 104, 106, 107, 110, 111, 114, 115, 120, 121, 125, 127, 128, 130, 131, 132, 133, 134, 135, 136, 140, 141, 142, 143, 144, 145, 146, 147, 148, 150, 152, 153, 154, 157, 158, 159, 160 Formal-logisches Denken 11, 12, 14, 29, 30, 34, 92, 158 Objektivität 14, 23, 35, 36, 37, 51, 57, 92, 97, 103, 107, 114, 115, 116, 119, 125, 142, 144, 150, 156, 157

Spekulation 11, 32, 33, 34 Vermittlung 19, 21, 65, 66, 68, 72, 79, 82, 90, 91, 141, 142, 143, 144, 147, 149, 151, 152, 160 Verstandesbegriff 18, 40, 64, 75, 78, 81, 91, 93, 132, 158 Wissen 13, 16, 29, 33, 34, 35, 37, 38, 40, 42, 43, 44, 45, 46, 47, 52, 53, 57, 58, 59, 60, 61, 62, 64, 65, 66, 67, 68, 69, 70, 71, 72, 73, 74, 91, 92, 95, 96, 107, 111, 112, 115, 117, 118, 119, 121, 122, 123, 124, 125, 126, 127, 128, 129, 133, 143, 144, 145, 146, 147, 148, 149, 150, 151, 152, 153, 154