Zur Kritik des Bildungsbegriffs aus subjektwissenschaftlicher Perspektive: Diskursanalytische Untersuchungen 3886197298

An den Bildungsbegriff waren zu Beginn der Moderne die Emanzipationshoffnungen des Bürgertums geknüpft, und noch heute s

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German Pages [247] Year 1998

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Table of contents :
Einleitung
1.Kapitel
Die Archäologie des modernen Bildungsdiskurses
1.1. Die archäologische Struktur der Moderne
a) Die Form der Problematisierung des Subjekts
b) Die Form der Problematisierung des Objekts
Zwischenbetrachtung.
1.2. Bildungstheorien in der episteme der Moderne
a) G.W.F.Hegel
b) W.v.Humboldt
Exkurs zu F.Nietzsches Bildungskritik
c) W.Dilthey
d) H.Nohl und W.Flitner
e) Th. Litt
f) F.Fischer
Exkurs zu Th.W.Adornos >Theorie der Halbbildungschöne< Geschichte 129
b) Die Protagonistin - Die Bildungsform 130
c) Die diskursiven und nicht-diskursiven Praxen des
Bildungssystems 132
d) Die Gegenerzählung - Fragen der Übertragung und
Gegenübertragung 133
4.Kapitel
Methodologie und Methodik subjektwissenschaftlicher
Biographieforschung 135
4.1. Grundlagen subjektwissenschaftlicher Aktualempirie 136
4.2. Methoden der Biographieforschung 142
4.2.1. Methoden qualitativer Biographieforschung 1437
4.2.2. Methoden subjektwissenschaftlicher Biographieforschung 151
a) Erinnerungsarbeit . 151
b) Kollektive-Autobiografie-Forschung (KAF) 155
4.3. Die Methode der >diskursiven Biographie-Prozeß-Forschung< 160
5.Kapitel
Bildungsbiographien in theoretischer Reflexion und
Diskussion 170
5.1. Bildung als Ordnungszwang - Forscherfragen und
Forschungsperpektiven 171
5.2. Fünf Fallstudien zu bildungsbiographischen Prozessen 174
a) Angela
Befreiung zwischen Zufall und Notwendigkeit - eine klassische
Bildungsgeschichte 175
b) Judith
Orte in der Ortlosigkeit - eine postmoderne Bildungsgeschichte 181
c) Klaus
Versperrter Übergang - eine moderne Bildungsgeschichte 187
d) Bettine
Bildung im Übergang - eine dialektische Bildungsgeschichte 192
e) Martin
Bildung als Sprachsuche in der Sprachlosigkeit -
eine existential-ontologische Bildungsgeschichte 197
5.3. Bildungsbiographien im Vergleich - Ergebnisse aktualempirischer
Forschung 203
5.4. Kategoriale Spannungen zwischen Theorie und Aktualempirie 209
6. Kapitel
Konsequenzen subjektwissenschaftlichen Bildungsdenkens 214
6.1. Bildungspolitik zwischen De-Regulierung, Wertkonservativismus
und sozialer Gerechtigkeit 215
6.2. Konsequenzen für eine subjektwissenschaftliche Bildungs- und
Berufsberatung 2298
Literaturverzeichnis 235
Quellenverzeichnis 244
Nachwort 245
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Zur Kritik des Bildungsbegriffs aus subjektwissenschaftlicher Perspektive: Diskursanalytische Untersuchungen
 3886197298

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Arnd Hofmeister

Zur Kritik des Bildungsbegriffs aus subjektwissenschaftlicher Perspektive Diskursanalytische Untersuchungen

Reihe Psychologie 7 Argument

An den Bildungsbegriff waren zu Beginn der Moderne die Emanzipationshoffnungen des Bürgertums geknüpft, und noch heute steht er in der sozialdemokratischen Forderung »Bildung für alle« für die Durchsetzung der Forderung nach Chancengleichheit. Hofmeister analysiert das »diskursive Feld«, in dessen Brennpunkt der Bildungsbegriff steht. In Anlehnung an die Lerntheorie Klaus Holzkamps entwickelt er Elemente eines subjektwissenschaftlichen Bildungsbegriffs, deren praktischer Nutzen an fünf Fallstudien dargelegt wird. Die Ergebnisse sind für bildungspolitische Fragen und Probleme der Berufs- und Bildungsberatung nutzbar.

ISBN 3-88619-729-8

34,80 DM

Arnd Hofmeister

Zur Kritik des Bildungsbegriffs aus subjektwissenschaftlicher Perspektive Diskursanalytische Untersuchungen

Reihe Psychologie 7 Argument

Die Reihe Psychologie erscheint mit separater Bandzählung im Rahmen

der Reihe Edition Philosophie und Sozialwissenschaften Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Hofmeister, Arnd: Zur Kritik des Bildungsbegriffs aus subjektwissenschaftlicher Perspektive ; diskursanalytische Untersuchungen / Arnd Hofmeister. 1. Aufl. - Hamburg : Argument, 1998 (Edition Philosophie und Sozialwissenschaften : Reihe Psychologie ; 7) ISBN 3-88619-729-8 NE: Edition Philosophie und Sozialwissenschaften / Reihe Psychologie

Alle Rechte vorbehalten © Argument Verlag 1998 Argument Verlag, Eppendorfer Weg 95a, 20259 Hamburg Tel. 040 4018000, Fax 040 40180020 email: [email protected] www.argument.de PC-Texterfassung und Layout durch den Autor Druck: Alfa-Druck, Göttingen Erste Auflage 1998

"Wie können die Zwangswirkungen, die jenen Positivitäten eigenen - anstatt durch eine Rückkehr zur rechtmäßigen Bestimmung der Erkenntnis oder durch eine Reflexion auf ihr transzendentales oder quasi-transzendentales Wesen verflüchtigt zu werden - innerhalb des konkreten strategischen Feldes, das sie herbeigeführt hat, und aufgrund der Entscheidungen nicht regiert zu werden, umgekehrt oder entknotet werden?" (Foucault 1992, 40f)

Für Andreas, Danny und Frank

Inhaltsangabe Einleitung

1. Kapitel Die Archäologie des modernen Bildungsdiskurses 1.1. Die archäologische Struktur der Moderne a) Die Form der Problematisierung des Subjekts b) Die Form der Problematisierung des Objekts Zwischenbetrachtung. 1.2. Bildungstheorien in der episteme der Moderne a) G.W.F.Hegel b) W.v.Humboldt Exkurs zu F.Nietzsches Bildungskritik c) W.Dilthey d) H.Nohl und W.Flitner e) Th. Litt f) F.Fischer Exkurs zu Th.W.Adornos >Theorie der Halbbildung< g) H.-J.Heydorn 1.3. Grenzen der bewußtseinsphilosophischen Anordnung des Bildungsbegriffs

2.Kapitel Genealogie des gebildeten Subjekts 2.1. Genealogie des modernen Subjekts 2.2. Das Bildungssystem in den diskursiven Formationen der Moderne. 2.2.1. Eine bildungssoziologische Perspektive auf die Humboldtsche Bildungsreform a) Die soziale Struktur des ökonomischen Systems b) Die Struktur des Staates c) Die Struktur institutionalisierter Bildung d) Bildungsformen

6 Zwischenbetrachtung 2.2.2. Eine bildungssoziologische Analyse des bundesrepublikanischen Bildungssystems a) Die soziale Struktur des ökonomischen Systems b) Die Struktur des Staates c) Die Struktur institutionalisierter Bildung d) Bildungsformen 2.3. Vom Bildungsbürger zur Patch-Work-Identität

3. Kapitel Elemente eines subjektwissenschaftlichen Bildungsbegriffs 3.1. Die Spezifik subjektwissenschaftlicher Theoriebildung 3.2. Subjektwissenschaftliche Lerntheorie im Begründungsdiskurs 3.3. Der nicht-affirmative Charakter eines subjektwissenschaftlichen Bildungsbegriffs 3.3.1. Dezentrierte Subjektivität 3.3.2. Plurale Objektivität 3.3.3. Bildung zwischen Selbst- und Fremdvergesellschaftung 3.4. Kategoriale Grundlagen der aktualempirisehen Forschung von Bildungsprozessen a) Die Bildungsbiographie - ein >schöne< Geschichte b) Die Protagonistin - Die Bildungsform c) Die diskursiven und nicht-diskursiven Praxen des Bildungssystems d) Die Gegenerzählung - Fragen der Übertragung und Gegenübertragung

74 76 76 81 82 85 88

93 94 96 100 104 113 121 128 129 130 132 133

4.Kapitel Methodologie und Methodik subjektwissenschaftlicher Biographieforschung

135

4.1. Grundlagen subjektwissenschaftlicher Aktualempirie 4.2. Methoden der Biographieforschung 4.2.1. Methoden qualitativer Biographieforschung

136 142 143

7 4.2.2. Methoden subjektwissenschaftlicher Biographieforschung a) Erinnerungsarbeit . b) Kollektive-Autobiografie-Forschung (KAF) 4.3. Die Methode der >diskursiven Biographie-Prozeß-Forschung
Bildungsbegriff< bestimmt seit ungefähr 200 Jahren die Erziehungswissenschaften in unterschiedlicher Intensität. Die Affirmation dieses Begriffs wechselt sich mit seiner Kritik ab, aber allen Versuchen zum Trotz, ihn zu verdrängen und durch andere zu ersetzen, kehrt er mit Beständigkeit wieder. Es ist ebensowenig gelungen, ihn endgültig zu definieren und seine Bedeutung festzulegen. So ist dieser Terminus eher als Brennpunkt zu begreifen, in dem die zentralen Probleme der Erziehungswissenschaft konzentriert erscheinen (vgl. Adorno 1973, 8). Wenn ich mich in dieser Arbeit dem Bildungsbegriff nähere, so geschieht dies mit der Absicht, die Probleme, die in diesem Begriff geronnen sind, zu entfalten. Ich gehe dabei von der Annahme aus, daß bei aller Problematik, die mit diesem Begriff verbunden ist, er nach wie vor als erziehungswissenschaftliche Grundkategorie unersetzbar ist. Eine >Kritik des Bildungsbegriffs< zu schreiben,'wäre auf problematische Weise totalisierend, ist doch die transzendentale Frage nach den Bedingungen der Möglichkeit von Bildung überhaupt nicht mehr möglich, ohne sich über die widerstreitenden Positionen im Feld der Bildungstheorie zu erheben. Wenn ich also >Zur Kritik des Bildungsbegriffs ...< schreibe, so begreife ich mich als Teil dieses Diskurses, in den ich strukturierend, d.h. kritisch, eingreifen möchte und zwar aus subjektwissenschaftlicher Perspektive. Diese Arbeit begreift sich im Spannungsfeld von Erziehungswissenschaft und Psychologie. Subjektwissenschaftliche Theoriebildung (so wie sie von K.Holzkamp (1991, 5ff) bestimmt ist), versucht, psychologische Wissenschaft aus der Perspektive des Subjekts zu betreiben. Sie steht kontrollwissenschaftlichen Ansätzen gegenüber, die von einem Drittstandpunkt Aussagen über menschliche Lebensvollzüge treffen, anstatt Wissenschaft für den Menschen zu betreiben. In ihrem Ansatz begreift sich subjektwissenschaftliche Theoriebildung als emanzipatorisch. Doch mit der Spezifizierung des methodischen Vorgehens als diskursanalytisch bleibe ich mit meinen Untersuchungen nicht nur im dezidierten Feld der Kritischen Psychologie, sondern bewege mich im Spannungsfeld zwischen dieser und einem Vorgehen, in dem ich mich zentral auf die Arbeiten von M. Foucault beziehe. Diese beiden Positionen sind zunächst diametral entgegengesetzt, ist doch der zentrale Ausgangspunkt Kritischer Psychologie das Subjekt, während es Foucault gerade um die Auflösung oder Zerstreuung dieser Kategorie geht. Bezogen auf systematische Fragen innerhalb der Psychologie geht es dabei um die Frage des Primats gegenstandsbezogener oder wissenschaftsbezogener Kritik im Rahmen psychologischer Theoriebildung (vgl. Maiers 1979, 47ff).

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Einleitung

Begreift man den Gegenstand der Psychologie, das menschliche Subjekt, als genuinen Gegenstand, der lediglich in anderen Konzeptionen verkürzt erfaßt wird, oder tritt dieser Gegenstand erst im Übergang zur bürgerlich kapitalistischen Gesellschaft hervor. Dessen Konstitution ist dann untrennbar von der Freisetzung der Menschen aus der ständischen Gesellschaft. Die entstehenden Sozial-und Humanwissenschaften dienen wiederum der Disziplinierung und Unterwerfung der Menschen unter die neuen Ausbeutungsmechnismen (vgl., Jäger/Staeuble 1978). W.Maiers schreibt dazu: "Gewiß bringen die in Konstitutions- und Funktionsanalysen gewonnenen Einsichten in die gesellschaftlichen Triebkräfte und Hemmungsbedingungen der Profilierung von Einzel Wissenschaften einen zentralen Erkenntniszuwachs, von dem auch das Urteil über den Erkenntnisgehalt wissenschaftlicher Aussagen nicht unberührt bleiben wird; jedoch ist dessen Verständnis nicht genetisch an das erste gebunden" (1979, 118). Umgekehrt, so folgert Maiers, setzt nicht die gegenstandsbezogene die Konstitutionsanalyse voraus, sondern ist selbst Voraussetzung einer solchen W ; ssenschaftskritik (ebd., 121). Für die Kritische Psychologie folgt daraus die Konzentration auf eine Gegenstandsanalyse, obgleich damit die Erkenntisse aus jenen Funktions- und Konstitutionsanalysen nicht bedeutungslos sind, sondern notwendig. "Bei einer vollständigen historischen Analyse eines psychologischen Gegenstandsbereiches muß er also quasi als >im Schnittpunkt< der beiden historischen Entwicklungszüge (gegenstandsbezogene und konstitutions/ wissenschaftsbezogene; A.d.A.) liegend begriffen werden" (Holzkamp 1973,47). Im Gegensatz zu dieser Position geht es S.Jäger und I.Staeuble in ihrem Werk "Die gesellschaftliche Genese der Psychologie" (1978) zentral um jene wissenschaftsbezogene Kritik der Psychologie. Mit dem Begriff >empirische Subjektivität versuchen sie den Bereich global zu umschreiben, "in dem Psychologie ihren Gegenstand zu haben meint" (ebd., 11). Mit dieser wagen Formulierung deuten sie zwar einerseits eine grundlegende Problematisierung des Gegenstands als eines substantiellen an, ohne ihn aber gleich grundsätzlich zu verwerfen. Ihre Aufmerksamkeit richtet sich eher auf die "Parzellierung von Subjektivitätsaspekten durch die Institutionen" (Staeuble 1985, 41). Foucaults Analysen sprechen eine deutlichere Sprache. Für ihn ist der Gegenstand der Psychologie, das menschliche Subjekt, selbst ein Effekt einer sich im 18. Jahrhundert durchsetzenden Disziplinarmacht, eine Form der Unterwerfung, an der die Humanwissenschaften einen erheblichen Anteil haben (Foucault 1975, 1976). Wenn ich diese Arbeit als subjektwissenschaftliche Kritik am Bildungsbegriff verstehe, dann in diesem Spannungsverhältnis von gegenstands- und wissenschaftsbezogener Analyse. Die Versuche, menschliche Subjektivität wissenschaftlich in ihrem Kern zu bestimmen, sind nicht mehr möglich. "Wenn von dem Menschen gesprochen wurde, dann wurde (in der anthropologischen

11 Diskussion in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts, A.d.A.) stillschweigend der singuläre, europäische, männliche Mensch zur Norm gemacht" (Wulf 1997, 13). Gleichwohl ist es für eine Individualwissenschaft unerläßlich, will sie nicht zur Kontrollwissenschaft werden, Wissenschaft aus der Perspektive des Individuums zu betreiben. Dabei gilt es stets zu reflektieren, daß alle Kategorien, mit denen individuelles Handeln begriffen werden soll, in der Gefahr stehen, den Menschen zu bestimmen und damit selbst auf die eine oder andere Art kontrollwissenschaftlich zu werden. Dieses Paradox, vom Menschen zu sprechen und gleichzeitig die Möglichkeit dieses Sprechens zu bestreiten, läßt sich letztlich nicht lösen. Die Frankfurter Schule, namentlich Adorno (1966), versucht durch ein Beharren in der Negativität, an der Möglichkeit des >Menschen< (Subjekts) festzuhalten, während sich poststrukturalistische Ansätze auf die Suche nach den jeweiligen historischen Strukturen machen, in denen die epistemische Figur des Menschen (vgl. Foucault 1971) auftaucht und versuchen herauszuarbeiten, in welchen Grenzen dieser Mensch gedacht werden kann. Während der erste Lösungsversuch letztlich alles in den Schlund der Negativität zieht und dort überwinternd auf bessere Zeiten hofft, läuft der zweite Ansatz Gefahr, in den schlechten Relativismus eines >anything goes< zu verfallen. Das diesen Untersuchungen zugrundeliegende diskursanalytische Vorgehen versucht jede bekenntnishafte Parteinahme für einen dieser beiden Ansätze zu vermeiden. 1 Durch seine Bezugnahme auf die Kritische Psychologie wird zeitweilig sogar mit positiven anthropologischen Kategorien gearbeitet, ohne sie jedoch zu Letztheiten werden zu lassen. Es gilt, D. Kamper folgend, im Modus der strikten Ambivalenz zu denken (1985). Gerade im Spannungsfeld von Kritischer Psychologie, Kritischer Theorie und poststrukturalistischer Theoriebildung scheint mir eine produktive Kritik des Bildungsbegriffs möglich. Es gibt verschiedene Versuche, eine Methode der Diskursanalyse zu bestimmen (vgl. Jäger 1993, Potter/Wetherell 1995, Kammler 1997). So ist im Anschluß an Foucault (1973, 156) ein Diskurs durch Regeln bestimmt, die die Anordnung der Gegenstände organisieren, die in ihm zur Sprache kommen können, sowie der Subjektpositionen, die in ihm eingenommen werden können, der Begriffe, die in ihm verwendet werden können und der Theorien bzw. Strategien, die ihn prägen. Mit Foucault lassen sich weiterhin diskursive Praxen, die das Feld des Sagbaren bestimmen, von nicht-diskursiven Praxen (institutionelle, ökonomische und technische Praxen), die das Feld des Sichtbaren organisieren, unterscheiden. In einer als diagrammatisch zu bezeichnenden Struktur der Macht bilden diese unterschiedlichen Praxen Dispositive aus (Deleuze 1987). Diese 1 Dieser These folgt in der Regel die Antithese, daß ein Nicht-Standpunkt logisch unmöglich sei. Diese Argumentation reicht so kurz, wie sie unfruchtbar ist Sie stellt das Nach-denken zugunsten eines Glaubensbekenntnisses kalt. Vom jeweiligen Standpunkt aus wird die Welt geordnet und zur Ordnung gerufen. Ob ein solches Denken in der Politik seine Berechtigung hat, sei dahingestellt, für wissenschaftliche Fragen ist es jedenfalls hinderlich.

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Einleitung

strukturanalytischen Überlegungen bilden ein Raster für diese diskursanalytischen Untersuchungen. Ihnen wohnt allerdings die Gefahr inne, zu einem System zu erstarren, in dem die ursprüngliche Bedeutung von Diskurs verlorengeht. "Dis-cursus - das meint ursprünglich die Bewegung des Hin- und-HerLaufens, das ist Kommen und Gehen, das sind >SchritteVerwicklungenFortschrittSetzung< in Sätze zu finden" (Lyotard 1989, 237). Diese ambivalente Formulierung deutet die ganze Problematik des Lyotardschen Denkens an. Es kann sich dabei keinesfalls um ein Meta-Idiom handeln, dennoch muß es Vergleichs- und Übergangsmöglichkeiten zwischen den verschiedenen Diskursarten geben, sonst wäre eine Verständigung über einen Widerstreit erst gar nicht möglich. Dem Philosophen wächst nun die Aufgabe zu, Widerstreit zu bezeugen und ihm ein mögliches Idiom zu geben. Die Frage der Verbindung zwischen zwei Diskursarten taucht bei Lyotard einmal negativ im Terminus "Verkettung" und einmal positiv mit dem Begriff des "Übergangs" auf. "Man muß verketten, aber der Verkettungsmodus ist niemals notwendig" (ebd., 59). Die Form der Verkettung ist in gewissem Maße kontingent. Deshalb bedeutet jede Verkettung den Ausschluß anderer Möglichkeiten, hat also unterdrückenden Charakter. Verbindung im Sinne von Verkettung hat keine positive Konnotation. Mit dem auf Kant zurückgehenden Begriff des Übergangs, versucht er ein positives Konzept von Verbindung zu entwickeln. Dieser hatte in seiner "Kritik der Urteilskraft" letzterer das Vermögen zugewiesen, "den Übergang vom Gebiete des Naturbegriffs zu dem des Freiheitsbegriffs" (KUK, B LVI) zu ermöglichen. Lyotard arbeitet diesen Begriff des Übergangs in seiner Studie "Der Enthusiasmus - Kants Kritik der Geschichte" (1988) systematisch aus. Dort entwickelt er die These, ausgehend von der Tatsache, daß Kant keine vierte Kritik als Kritik der politischen Vernunft geschrieben, sondern in einer Vielzahl kleinerer Schriften dazu Reflexionen angestellt hat, daß das historischpolitische Feld ein heterogenes ist. Schon die dritte Kritik stellte den Versuch dar, Übergänge zwischen dem Verstand und der Vernunft zu denken. Im historisch-politischen Feld gibt es eine weitaus größere Zahl unterschiedlicher Diskursarten. So bedient sich Lyotard des Bildes eines Archipels. Die verschiedenen Diskursarten sind wie Inseln voneinander getrennt. Doch zwischen diesen Inseln verkehrt gleichsam als Urteilskraft ein Reeder oder Admiral, "der von einer Insel zur anderen Expeditionen unternähme, die dazu bestimmt wären, der einen zu präsentieren, was man auf der anderen gefunden (...) hat" (ebd., 33). Sein Urteilsvermögen erlaubt eine Bestimmung der jeweiligen Vermögen der einzelnen Diskursarten und Übergänge zwischen ihnen. Allerdings wendet er ein, daß "jeder unkritische Übergang von einer zur anderen illegitim" (ebd., 106) ist. Während Kant noch in seinen Studien die Anziehungskraft zwischen den verschiedenen Diskursarten (Rationalitätsformen) hervorhebt, akzentuiert Lyotard eher die Spaltung (vgl. ebd. 122ff).

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3. Kapitel

Die zentrale Problematik in Lyotards Konzeption liegt in der Figur des Reeders. Wenn Sprache wie eine Inselgruppe strukturiert ist, dann müßte dies auch für den kritischen Diskurs des Reeders gelten oder er müßte sich im Fahrwasser eines Meta-Diskurses bewegen. Ein solcher Meta-Diskurs kann nun aber Lyotards Ausgangsüberlegungen zufolge nicht existieren, andererseits existiert er bei ihm schon in seinem Text, wenn er nämlich die Eigenrechte der Inseln/Diskursarten gegeneinander abgrenzt. Um aus diesem Widerspruch herauszukommen, gibt es Welsch zufolge zwei Möglichkeiten: Entweder der Diskurs des Reeders oder auch der philosophische Diskurs ist immer schon präsenter Teil inmitten der verschiedenen Diskurse, oder er kommt von außen, ist aber mit der Fähigkeit des Eindringens in die jeweiligen Diskurse ausgestattet (ders., 1996, 342). Lyotard entscheidet sich für die zweite Option. Doch nach einer solchen Entscheidung wächst dieser Figur ein derartiges Vermögen zu, demgegenüber die Eigenart der Diskursarten minimiert wird. Ein Grundproblem Lyotards liegt schon in der Wahl des Bildes. Zwischen den einzelnen Inseln kann es zu keinem Widerstreit kommen, weil sie nichts miteinander zu tun haben. So verständlich die Betonung der Heterogenität der Diskursarten im Zeichen ihrer Uniformierung ist, so wenig hilft diese Konzeption letztlich weiter. Welsch optiert deshalb für das Modell der inneren Verflechtung der unterschiedlichen Diskursarten. "Es wird darauf ankommen, Vernunft inmitten der pluralen Rationalität als >Vernunft im Übergang< zu denken" (ebd., 353). Dieses Konzept einer "transversalen Vernunft" entfaltet Welsch im zweiten Teil seiner Studie. In seinem Kapitel über Transversalität skizziert er folgendes Modell. Da es ihm darum geht, nicht hinter neuzeitliche Vernunftkritik zurückzufallen, sondern über sie hinauszugelangen, geht er davon aus, daß die Aufgabe der Vernunft darin besteht, den unterschiedlichen Ansprüchen verschiedener Rationalitätsformen/Diskursarten Geltung zu verschaffen und Vereinseitigungen zu kritisieren. Die Bewegungsform dieser Vernunft ist wesentlich der Übergang. "Die Übergänge der Vernunft sind erstens Übergänge zwischen Heterogenem. Zweitens sind sie dialektischer, nicht linearer Natur" (ebd., 749). Diese Übergänge sind ein Hin- und Hergehen und nicht ein Fortgang im Sinne eines dialektischen Aufhebens. Wenn es sich bei solchen Übergängen um solche zwischen Heterogenem handelt, darf nicht die Logik des einen zum Maßstab gemacht werden. In den Übergängen, wollen sie nicht unterdrückend sein, ist ein Vermögen am Werk, das darin besteht, sich die diversen rationalen Komplexe in der Unterschiedlichkeit ihrer Logik vor Augen zu führen, sie gesondert zu analysieren und dann zu vergleichen. Im Übergang wird eine Relation zwischen beiden hergestellt. Aber es läuft dabei nicht auf eine Synthese hinaus, der Weg hin und zurück ist nicht derselbe, dabei können partielle Verschiebungen auftreten. So werden durch das Operieren der Vernunft in der Heterogenität neue

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Verbindungen hergestellt. Diese Vernunft versucht, die einzelnen Rationalitäten ins rechte Verhältnis zueinander zu setzen. "Die Rationalitäten werden in einen Raum der Gleichzeitigkeit überführt, in dem sie verhältnisrichtig zu stehen kommen" (ebd., 758). Transversale Vernunft steht für Welsch als die überlegene Vollzugsform des reflexiven Gesamtvermögens. Allerdings dürfen ihre Übergänge nicht zu Metapositionen gerinnen. Mit dem Terminus >transversale Vernunft< bezeichnet Welsch einen Operationsmodus, der "Heterogenität und Verflechtung, Pluralität und Übergang zusammendenken (kann)" (ebd., 762). Sie folgt keiner Axiomatik oder Systematik. Sie ist jedoch nicht strukturlos, ihre Strukturen sind rein formaler Art. Prägnant bringt es Welsch auf den Punkt: "Vernunft ist nicht, sie geschieht" (ebd., 764). Zwischenbetrachtung Aus der knappen Darstellung postmoderner Kritik an der "Form des Objekts des Bildungsdiskurses" ist diese nur ex negativo deutlich geworden, in dem Maße nämlich, wie Wissensformen in eine einheitliche Ordnung gezwungen werden. Foucault kennzeichnet das klassische oder neuzeitliche episteme durch den Versuch, alles Wissen enzyklopädisch auf einem einheitlich strukturierten tableau anzuordnen. Für die Moderne stellt er hingegen fest, daß sie die Lücken dieses Repräsentationsmodells, nämlich die Nicht-Darstellbarkeit des Subjekts, dahingehend löst, daß sie einerseits die Empirizität des Menschen erkennt und ihn andererseits zur transzendentalen Bedingung aller Erkenntnis macht. Das sind die Konstitutionsbedingungen für das >autonome Subjekt< der Moderne. Lyotard hingegen wirft nochmals einen Blick auf die Strukturen des Objekts in der Moderne. Er entdeckt trotz des Zerfalls eines enzyklopädischen Modells erneut Tendenzen, das Wissen in ein einheitliches Modell zu bringen. So bildet sich die für die Moderne typische Subjekt-Objekt-Anordnung der Bewußtseinsphilosophie heraus, die die Grundstruktur moderner Bildungstheorie kennzeichnet. Diese Subjekt-Objekt-Anordnung bezeichnet W.F. Haug als Teil der "Camera obscura der Ideologie" (1984). Sie schafft sowohl in der Auseinandersetzung der Philosophie als auch innerhalb marxistischer Theoriebildung sowie in der Erziehungswissenschaft und Bildungstheorie falsche Fronten. Die Kritik an dieser Anordnung ist aber nicht gleichbedeutend mit der Absage an jede Form dialektischen Denkens, sondern eine Kritik an jeder Form der Universaldialektik. Aus dieser Anordnung erklingen die gegensätzlichsten Reden. "Im Objektivismus läßt die Innenwelt sich vermeintlich gebieten von der Außenwelt, im Subjektivismus gebietet sie vermeintlich über diese" (ebd., 86). Das Subjekt selbst ist aber als Charaktermaske, zu erkennen, hinter der die handlungsfähigen Individuen hervortreten können. Die Welt ist nicht als

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3. Kapitel

Ensemble isolierbarer Bedingungen zu begreifen, das zum Objekt gerinnt, sondern als umfassende Wirklichkeit, die immer ein >unganzes Ganzes< bleibt. Der Versuch, philosophisch diese Gegensätze aufzuheben, scheitert, weil er stets durch diese Anordnung bestimmt bleibt. Auch ein Marxismus, der in dieser Anordnung denkt und sie zu allgemeinen Lehrsätzen ausarbeitet, wird zur Orthodoxie der heiligen Texte und ihrer Exegeten. "Was für ein Selbstbetrug war es, die Dialektik mit der >Dialektik von Subjekt und Objekt< gleichzusetzen! Die wirkliche Dialektik von Subjekt und Objekt ist die Dialektik des gesellschaftlichen Dispositivs, in dem über die Elemente des gesellschaftlichen Lebens in diesen Formen disponiert ist, um sie in ihnen zur Ordnung zu rufen" (ebd., 88f). Im folgenden Teilkapitel soll gezeigt werden, daß Bildungstheorie bisher in dieser Anordnung gefangen geblieben ist. Bereits diese ersten metatheoretischen Überlegungen erlauben jedoch einen differenzierteren Blick auf erziehungswissenschaftliche Theoriebildung. Foucaults Analysen zufolge ist das Wissen in der Klassik enzyklopädisch, tableauartig angeordnet, folglich wird das angeleitete Aufwachsen des Menschen als Wissens-, Kenntnis- und Fähigkeitserwerb aufgefaßt. Der Mensch wird in die tableauartige Ordnung der Kultur eingeführt. So ist die Schule der Aufklärung wesentlich eine Lernschule. Zu ähnlichen Ergebnissen kommen N. Luhmann und E. Schorr, wenn sie für diese Epoche die "Humane Perfektion" (1979,63ff) als Reflexionsform auf die Gesamtheit des Geschehens im Erziehungssystem herausarbeiten. Die für die moderne Pädagogik grundlegende Frage, wie aus Heteronomie Autonomie werden soll, kann in diesem Rahmen nicht gestellt werden. Erst mit der Konstituierung des Subjekts wird eine Bildungstheorie möglich und nötig. Dieses Subjekt bedarf einer eigenen Entwicklungstheorie, die die Aporien des Erziehungssystems des 18.Jahrhunderts überwindet. Es muß der Prozeß von Heteronomie zu Autonomie in der Erziehung neu konzeptualisiert werden. Das Subjekt muß als autonomes, seine Zwecke setzendes und handelndes gedacht werden, um seine Subjektivität gegenüber der Objektivität zu behaupten. Folglich tritt an die Stelle von Erziehung Bildung als Theorie der Selbstwerdung des Subjekts. Doch vor dem Hintergrund der Foucaultschen Kritik wird Bildung, als Prozeß der Selbsterschaffung und -werdung des Subjekts, problematisch und verkehrt sich in ihr Gegenteil. Forneck faßt Foucaults Absage an jegliche Bildungstheorie folgendermaßen zusammen: "In dem Versuch, in der rationalen Auseinandersetzung mit der Welt sich selbst hervorzubringen, muß sich der Mensch in einer Metaphysik verlieren. In dem Versuch qua radikaler Formalisierung der ihn bedingenden Voraussetzungen sich selbst als unbedingtes zu konstituieren, muß er sich zugleich in seiner Spezifität verfehlen. In dem Versuch, sich selbst als ursprüngliche Identität zu setzen, verliert der Mensch sich selbst in der Nichtidentität" (1992, 84). Diese

Die Archäologie des modernen Bildungsdiskurses

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von Forneck skizzierten Versuche sind gleichsam die Übertragung der aporetischen Strukturen der Moderne auf die Bildungstheorie. Ihre Konkretisierung soll nun an verschiedenen pädagogischen Entwürfen einer Theorie der Bildung exemplifiziert werden.

1.2. Bildungstheorien in der episteme der Moderne Nachdem einleitend die aporetische Struktur der episteme der Moderne in seiner Anordnung von Subjekt und Objekt entfaltet worden ist, geht es jetzt darum, bildungstheoretische Positionen in diesem Rahmen abzutragen. Obwohl Hegel nicht als Zentralfigur moderner Bildungstheorie zu bezeichnen ist, zumindest aus pädagogischer Perspektive, ist meiner Meinung nach einerseits sein System die umfassendste Entfaltung der von Foucault skizzierten Struktur und andererseits gelingt es den ihm folgenden Bildungtheorien im Grunde nicht, seinem Denken zu entkommen. Daher beginnt diese Darstellung moderner Bildungstheorien mit der Bildungsphilosophie Hegels. Ihm folgt der für die deutsche Bildungstheorie wohl grundlegendste Denker W.v.Humboldt, da sich seine Überlegungen nicht nur im Bereich der Theorie bewegen, sondern gleichzeitig grundlegend für seine Bildungsreform waren. Obwohl diese zwar schon in ihren Anfängen gescheitert ist, markiert sie gleichwohl den Übergang zu einem modernen Bildungssystem. Nach einem Exkurs über Nietzsches Kritik am Bildungsdenken soll die geisteswissenschaftliche Neuformulierung des Bildungsbegriffs durch W. Dilthey dargestellt werden. Sie ist Ausgangspunkt für die geisteswissenschaftliche Pädagogik und ihre Differenzierung durch H. Nohl, W. Flitner und Th. Litt. Ihre letzte bedeutende Ausarbeitung erhielt sie im Werk F.Fischers. Im Anschluß an einen Exkurs über T.W. Adornos Theorie der Halbbildung sollen auch die Verflechtungen der Kritischen Erziehungswissenschaft von H.-J. Heydorn in die bewußtseinsphilosophische Anordnung verdeutlicht werden.^ a) G.W.F.Hegel Hegel als Bildungstheoretiker zu behandeln, ist ein gewagtes Unterfangen, bedeutet es doch, gleichsam einen philosophischen Systementwurf zu einem pädagogischen Programm zurechtzustutzen. Dennoch gibt es nicht wenige - Die Auswahl dieser Bildlingstheoretiker scheint auf den ersten Blick sehr eingeschränkt. Auf die Klassiker zurückzugehen ist immer sinnvoll, aber warum der geisteswissenschaftlichen Pädagogik soviel Raum gelassen wird, mag verwundern. Der Bildungsbegriff galt und gilt zwar immer noch als erziehungswissenschaftliche Grundkategorie, hat aber mehr oder weniger nur in diesen Ansätzen seine volle theoretische Ausarbeitung erfahren. Auch in dem Versuch, diesen Begriff nach seiner Krise in den 80er Jahren wieder zu beleben (Hansmann/Marotzki 1988/9), sind die hier verhandelten Theoretiker Hauptreferenzpunkte. Gleichwohl bleibt es eine Auswahl, die nicht Repräsentativität beansprucht, weil ihr dieser Begriff selbst problematisch ist.

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3. Kapitel

Versuche, seine Theorie als Bildungstheorie zu interpretieren (vgl. Soll 1972, Marotzki 1984, Pleines 1989a). So spricht er in der "Phänomenologie des Geistes" (1970 Bd.3) davon, daß "die Reihe seiner Gestaltungen, welche das Bewußtsein auf diesem Wege durchläuft, (...) vielmehr die ausführliche Geschichte der Bildung des Bewußtseins selbst zur Wissenschaft" (ebd., 73) ist. Allein dieses Zitat erlaubt schon eine doppelte Interpretation; einerseits spricht er hier von Bildung als eines gattungs- und entwicklungsgeschichtlichen Prozesses, andererseits kann man dies auch als entwicklungspsychologischen und pädagogischen Prozeß begreifen. In dieser doppeldeutigen Formulierung offenbart sich eine Grundstruktur Hegeischen Denkens. Seine Kritik gilt Kants formalem Verständnis von Erkenntnis als Werkzeug oder Medium, durch das hindurch Welt erkannt werden kann und das gleichzeitig die Bedingungen der Möglichkeit dieser Erkenntnis bestimmt. Er versucht diesen dahingehend zu überwinden, daß so verstandene Erkenntnis nicht zur Welt vordringen kann, sondern dies nur einer Erkenntnis vorbehalten ist, die der dialektischen Bewegung des Geistes folgt. "Diese dialektische Bewegung , welche das Bewußtsein an ihm selbst, sowohl an seinem Wissen als an seinem Gegenstände ausübt, insofern ihm der neue wahre Gegenstand daraus entspringt, ist eigentlich dasjenige, was Erfahrung genannt wird" (ebd., 78). Diese Bewegung und auch Entwicklung des Geistes ist für Hegel sowohl die Entwicklung des objektiven Geistes als auch die des subjektiven Geistes. An einer anderen Stelle wird dies noch deutlicher: "Der Einzelne muß auch dem Inhalte nach die Bildungsstufen des allgemeinen Geistes durchlaufen, aber als vom Geiste schon abgelegte Gestalten, als Stufen eines Weges, der ausgearbeitet und geebnet ist; so sehen wir in Ansehung der Kenntnisse das, was in früheren Zeiten den reifen Geist der Männer beschäftigte, zu Kenntnissen, Übungen und selbst Spielen des Knabenalters herabgesunken und werden in dem pädagogischen Fortschreiten die wie im Schattenrisse nachgezeichnete Geschichte der Bildung der Welt erkennen" (ebd., 32). Der individuelle Bildungsprozeß erscheint als eine kurze Rekapitulation der Geistesgeschichte der Menschheit. Diese komplette Verflechtung von subjektivem und objektivem Geist, wie sie aus diesem Zitat hervorgeht, paßt sich hervorragend in die Struktur der Bewußtseinsphilosophie ein, d.h. Hegel bringt Bewegung in diese Anordnung und diese Anordnung in Bewegung. Er gründet die Wahrheit des Menschen in seiner Geschichte. Er will das Empirische auf der Ebene des Transzendentalen zur Geltung bringen. Dies zwingt ihn, will er nicht positivistisch werden, zu einer eschatologisehen Konzeption. Der Mensch erscheint so als eine gleichzeitig reduzierte und verheißene Wahrheit. "Die präkritische Naivität herrscht darin ungeteilt" (Foucault, 1971, 387). Die Welt des objektiven Geistes selbst unterliegt einer ähnlichen Dynamik. Den Nachweis zu führen, daß Hegel in der Geschichte der Entwicklung des Geistes eine große Erzählung des Wissens entworfen hat,

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scheint mir nicht weiter begründungspflichtig. Ein Blick in seine Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften zeugt davon. Dort versucht er in einem Dreischritt sämtliches Wissen seiner Zeit aus Logik, Natur- und >Geistessinnlichen Gewißheit< zum >absoluten Wissenc. "Das Tun und Werden aber, wodurch die Substanz wirklich wird, ist die Entfremdung der Persönlichkeit, denn das unmittelbar, d.h. ohne Entfremdung an und für sich geltende Selbst ist ohne Substanz und das Spiel jener tobenden Elemente; seine Substanz ist also seine Entäußerung selbst, und die Entäußerung ist die Substanz oder die zu einer Welt sich ordnenden und sich dadurch erhaltenden geistigen Mächte" (Hegel Bd. 3, 360). Diese Formulierung verdeutlicht noch einmal, inwiefern Hegel Philosoph der Stabilisierung herrschender Verhältnisse ist. Der Geist, als allgemeiner, entäußert sich, um zu sich zu kommen. Um nicht der Partikularität zum Opfer zu fallen,

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müssen die einzelnen, damit sie nicht unmittelbar und substanzlos bleiben, sich entfremden und sich den geistigen Mächten unterordnen, um damit für den Erhalt des Ganzen zu sorgen. "Der Geist verdoppelt sich zum Großen Geist des Ganzen, zur Macht der Mächte, und zum kleinen Geist des individuellen Bewußtseins, dem Ausgangspunkt" (W.F.Haug 1984, 33). Diese am Beispiel Hegels skizzierte ideologische Funktionsweise der Bewußtseinsphilosophie und Bildungstheorie wird sich in den meisten folgenden Bildungstlieorien auf die eine oder andere Art wiederfinden, soll aber umfassend erst im dritten Kapitel im Rahmen der Reflexion über subjektwissenschaftliches Bildungsdenken diskutiert werden. b) W.v.Humboldt Humboldts durchschlagende Bedeutung im Bereich der Bildungstheorie ist durchaus nicht zwangsläufig. Seine Theorie kann als Reaktion auf die gesellschaftliche Situation seiner Zeit verstanden werden (vgl. Menze 1974, 9ff). Mit der Auflösung der ständischen Gesellschaft und der rasanten Entwicklung in Wissenschaft und Technik scheinen die Bedingungen des Erziehungssystems im 18.Jahrhundert als veraltet. Es ist das gebrochene Verhältnis zu seiner Zeit, dieses Auseinanderklaffen von rasantem Erkenntiszuwachs in allen Bereichen der Wissenschaft und der Verwissenschaftlichung aller Lebensbereiche, das ihn zur Entwicklung seiner Bildungstheorie treibt. Das alte Modell der Erziehung als Einführung in die überlieferte Werteordnung durch Bibel- und Katechismuslektüre wird dieser Situation nicht mehr gerecht. Individualität, Freiheit und Menschenbildung sind Leitgedanken seiner Theorie, bei deren Entwicklung er sich stark am antiken Griechenland orientiert. Ein Ausgangspunkt seiner bildungstheoretischen Überlegungen ist die Überbrückung der Kluft, die zwischen der Vermehrung der einzelwissenschaftlichen Erkenntnisse und dem moralischen Fortschritt der Menschheit klafft, zwischen Verstand und Vernunft. Da diese Kluft nicht von den Einzelwissenschaften her überwunden werden kann, erfordert dies eine neue Wissenschaft, nämlich die der Theorie der Bildung. Ihr vorzüglicher Gegenstand ist die Bildung des Menschen. "Nur auf eine philosophische und empirische Menschenkenntnis lässt sich die Hofnung gründen, mit der Zeit auch eine philosophische Theorie der Menschenbildung zu erhalten" (Humboldt Bd. II, 118). Doch bei dem Versuch der terminologischen Erfassung des Menschen stößt Humboldt auf Schwierigkeiten, die Eigentümlichkeit des Menschen entzieht sich dem kategorialen Zugriff. "Wie tief man eindringen, wie nah man zur Wahrheit gelangen möchte, so bleibt doch immer noch eine unbekannte Größe zurück: die primitive Kraft, das ursprüngliche Ich, die mit dem Leben zugleich gegebne Persönlichkeit. Auf ihr beruht die Freiheit des Menschen, und sie ist daher sein eigentlicher Charakter" (ebd., 90). So steht

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eine Theorie der Individualität im Zentrum der Humboldtschen Bildungstheorie, deren Kernproblem die Selbstverwirklichung ist, die aber auch die Mitmenschen und die Welt mit einbezieht. Die Erkenntnisse der Bildungstheorie sollen den Menschen vor Schäden bewahren, die sich aus Normierungen und Zwängen ergeben. So soll die Bildungstheorie für Humboldt keine normierende Instanz werden, mit deren Hilfe der Mensch unter letzte Wahrheiten unterworfen wird. Ist es nun einerseits die Welt, die die Individualität bedroht, so stellt sich die Frage, wie Humboldt ein positives Verhältnis zur Welt denkt. Da für Humboldt diese Welt auch als von Menschen geschaffene begriffen wird, ist sie für das Subjekt nicht nur das Fremde, sondern dieses steht mit ihr in einem Wechselverhältnis. Der Mensch verändert durch seine Vermögen die Welt und diese veränderte Welt wirkt auf den Menschen zurück. Diese Vermögen sind nicht fertig, sondern entwickeln und bilden sich in der Auseinandersetzung mit der Welt. "Es ist deshalb eine für die Bildungstheorie Humboldts sehr entscheidende Frage, inwiefern dem jeweiligen Weltbezug eine bildende Bedeutung beizumessen ist" (Menze 1974, 29). Daraus schließt er, daß nur das von bildender Bedeutung ist, was der Form nach der Individualität am nächsten kommt. Für Humboldt spielt hier die Kunst eine zentrale Rolle. War die Kunst bisher nie in ihrer Eigenständigkeit erkannt worden, so eröffnet Kants "Kritik der Urteilskraft" einen neuen Zugang. Im Anschluß an diesen begreift Humboldt das Wesen der Kunst nicht "in der Beschaffenheit ihres Gegenstandes, sondern in der Stimmung der Phantasie" (Humboldt Bd.II, 132). Indem der Künstler von Zufälligkeiten absieht, bringt er die reine Form zum Vorschein. So sieht Humboldt in der Auseinandersetzung mit der Kunst die Möglichkeit, sich von dieser inspirieren zu lassen, sein Gemüt zu verfeinern und so zu Bildung als Selbstbildung zu gelangen. Diese ästhetische Bildung ist Voraussetzung für eine moralische Bildung. Eine ähnliche Bedeutung mißt er der Sprache bei, als Organ des Menschen, als "der einzige Schlüssel zum Gegenstande selbst" (ebd., 159). Bildung bedeutet für Humboldt letztlich das Ausbilden einer menschlichen Individualität, die sich in ihrer Menschheit darstellt. Dies begreift er als Prozeß, in dem eine individuelle Idee zunehmend in Erscheinung tritt. "Der größte Mensch ist daher der, welcher den Begriff der Menschheit in der höchsten Stärke und in der größten Ausdehnung darstellt" (ebd., 332). Die Frage, die sich bei einer archäologischen Analyse der Humboldtschen Bildungstheorie stellt, ist, wie er die aporetische Struktur der bewußtseinsphilosophischen Anordnung zu lösen versucht. Das Subjekt scheint ihm ganz im Sinne eines Kantischen "ich denke" als eine unhintergehbare Größe. Seine Transzendentalität versucht er weder wie Hegel in der Menschheitsgeschichte, noch einfach der Kantischen transzendentalen Ästhetik folgend, in den Formen der Sinneswahrnehmung zu begründen. Seine Bildungstheorie soll auf einer

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empirisch-philosophischen Theorie des Menschen fußen. Doch ist das Ich erstmal gesetzt als ursprüngliches, wird es zugleich zur "primitiven Kraft." Ist sein Zentralkonzept zunächst subjektivistisch, muß er es doch in gewisserweise mit dem Objekt, der Welt, vermitteln. Wie kann er einerseits an einer individualistischen Fassung menschlicher Subjektivität festhalten und andererseits eine Verbindung zur Welt herstellen? Hier folgt er der Kantischen Fassung der Urteilskraft. Sie ermöglicht esKant, einen Übergang von Verstand und Vernunft zu denken. Dieser hatte das Geschmacksurteil in das betrachtende Subjekt verlagert und so der Einbildungskraft einen systematischen Ort verschafft. Die Wirkung der Kunst bestimmt sich so über die "allgemeine Natur des Gemüths" (ebd., 127). Diese gliedert sich in Verstand, Vernunft und die Einbildungskraft. Letztere erlaubt eben jenen Übergang zwischen den Vermögen. "Wir leben mitten in der beschränkten und endlichen Wirklichkeit, aber so, als wäre sie für uns unbeschränkt und unendlich" (ebd.). Zu wirklicher Bildung gelangt der Mensch nur in der Auseinandersetzung mit Kunst und Literatur. Alleinige Schulung des Verstandes versteht Humboldt als Ausbildung.^ Hier erkennt er zwar wie Kant die Heterogenität der unterschiedlichen Diskursarten/ Rationalitätsformen (Verstand und Vernunft), träumt aber von ihrer Vermittlung im Bildungsprozeß. Doch schon Kant kann sein eigenes Unterfangen nicht durchhalten. Will er die Verwirklichung der Freiheit denken, muß er Verstand und Vernunft vermitteln, ohne das eine dem anderen unterzuordnen. Die Vollziehung der Freiheit in der Sinnenwelt impliziert eine ursprüngliche synthetische Handlung des Menschen: die Geschichte ist diese Vollziehung, deswegen darf sie nicht mit einer einfachen Entwicklung der Natur gleichgesetzt werden. Die List Kants besteht nun darin, der sinnlichen Natur als Phänomen das Übersinnliche zum Substrat zu geben. Da Geschichte aber offensichtlich widersprüchlich abläuft, kann dieses Substrat sich nicht automatisch entfalten, da in der Handlung der Individuen deren sinnliche Natur ihren eigenen Gesetzen unterworfen bleibt. Deshalb greift Kant auf eine zweite List zurück, indem er sagt, daß Geschichte vom Standpunkt der Gattung aus beurteilt werden muß (vgl. Kant 1913, 7). "Nach dieser zweiten List hat die übersinnliche Natur gewollt, daß selbst im Menschen das Sinnliche nach seinen eigenen Gesetzen vorgeht, um in der Lage zu sein, endlich die Wirkung des Übersinnlichen zu erhalten" (Deleuze 1990, 151). Wenn Humboldt nun hofft, über die Auseinandersetzung mit Kunst eben jenen Übergang von Verstand und Vernunft als Bedingung von Individualität und Freiheit zu ermöglichen, bleibt das Problem, daß es sich dabei um eine "freie und unbestimmte Übereinstimmung" (ebd., 138) handelt. Bildung ist somit zum einen kontingenter Prozeß und bleibt unbestimmt, zum anderen ist sie in den Aporien der epistemologischen Figur des Menschen verhaftet. Einerseits ist das 3 Die für W. v. Humboldt noch vorhandene innere Verbindung von Lerngegenstand und bildendem Gehalt erstarrt in seiner Nachfolge zu kanonischem Wissen in Form humanistischer Bildung.

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Subjekt transzendentale Bedingung aller Erkenntnis, andererseits als empirisches der Endlichkeit verfallen, die Vermittlung im Bildungsprozeß ist kategorial nicht zu leisten. Ein letzter Blick auf das Bildungsdenken Humboldts verdeutlicht nochmals, wie sehr dieses Denken dem abstrakten bürgerlichen Subjekt als Produkt des Bildungsprozesses verhaftet ist. Erst das Studium der Dichter und Denker und die Auseinandersetzung mit der Kunst erlauben es, daß der Mensch sich zu vollendeter Individualität entwickelt. Zu glauben, daß dies erst die Bedingungen für gesellschaftlich-politisches Handeln schafft (vgl. Menze 1974, 37), erscheint naiv. Auch wenn Benner (1989, 11 Iff.) ausführlich nachweist, daß Humboldts Konzeptionierung eines Bildungswesens auf einer "dialektischen" Fassung von Bildung und Politik fußt und Bildung Freiheit voraussetzt, bleiben diese Forderungen abstrakt, weil Humboldt selbst durch seine Befangenheit in der bewußtseinphilosphischen Anordnung nicht in der Lage ist, die Widersprüchlichkeiten dieses Verhältnisses als gesellschaftliche selbst zu denken. Sein gebildetes Subjekt bleibt ein bürgerlicher Dichter und Denker, der im Zweifel im Hauptberuf Beamter geworden ist. Inwieweit gerade die modernisierte Organisation eines Bildungssystems nicht mit Befreiung gleichzusetzen ist, sondern eher als zeitgemäße Form der Regulation und Unterwerfung, soll Gegenstand des zweiten Kapitels werden. Exkurs zu F. Nietzsches Bildungskritik Einen Exkurs über Nietzsche im Zusammenhang einer archäologischen Analyse des Bildungsdiskurses scheint zunächst unbegründet, da Nietzsche sich nicht als Vertreter pädagogischer oder bildungsphilosophischer Theorie hervorgetan hat. Andererseits ist er einer der zentralen Kritiker der Bildungsphilosophie und des Bildungssystems im neunzehnten Jahrhundert; zudem bildet seine Kritik an der Bewußtseinsphilosophie einen Ausgangspunkt der Überlegungen Foucaults. Nietzsches philosophisches Denken richtet sich durchgehend gegen jede Form der Systembildung und gegen die einheitsstiftende Funktion eines transzendentalen Subjekts. So polemisiert er u.a. gegen Kant und Hegel als ">unbewußte< Falschmünzer" und "blosse Schleiermacher" (Nietzsche zit. nach KS A 6, 361). Für Nietzsche ist die Voraussetzung für Bildung, der sich bildende Mensch, fragwürdig. "Wir sind uns unbekannt, wir Erkennenden, wir selbst uns selbst" (KSA 5, 247). Mit dieser These stellt er auch das Selbst jener Forderung nach Selbstbildung in Frage. Die Bildungstheorie seiner Zeit ist zentral an die neuhumanistische Theorie Humboldts geknüpft. Zwar zerfällt in dieser Fassung der Prozeß und das Ergebnis von Bildung, dennoch wird >der Mensch< als bildungsfähig vorausgesetzt und ebenso ein Gegenüber als Welt. An dieser bewußtseinsphilosophischen Problemkonstellation entfaltet sich Bildungstheorie:

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Wie wird aus Äußerlichem Inneres, wie aus Fremdem Eigenes. In seinem Frühwerk dominiert die Bildungskritik in Form einer Kulturkritik, erst später verbindet sich diese Kritik mit positiven Entwürfen, die über die bewußtseinsphilosophische Anordnung hinaus Bildung selbst wieder denkbar werden lassen, aber als offenen, zu gestaltenden Prozeß. Nietzsche kritisiert in seinem Frühwerk das Selbstverständnis der Menschen entweder Vernunft und Geist oder Trieb und Auflösung zu sein. Der Kunst weist Nietzsche die Möglichkeit zu, diesen Zwiespalt produktiv zu nutzen. Sie hat keine Funktion des Übergangs zwischen Verstand und Vernunft, sondern sie dient der Überschreitung. "Somit ist unser Kunstwissen ein völlig illusorisches, weil wir als Wissende mit jenem Wesen nicht eins und identisch sind, das sich, als einziger Schöpfer und Zuschauer jener Kunstkömodie, einen ewigen Genuß bereitet" (KSA 1, 47). Diese "Metaphysik" der Kunst fragt nicht nach ihren moralischen Quellen, sondern nach ihrer ästhetischen Lust. Die Kunst soll den wahnhaften Glauben, daß das Sein über das Denken am Leitfaden der Kausalität zu erkennen sei, korrigieren (vgl. ebd., 99). Die Endlichkeit des Menschen wird nicht zum transzendentalen Ausgangspunkt aller Erkenntnis, sondern die Einsicht in diese Endlichkeit ist Ausgangspunkt menschlicher Aktivität, nur nicht in der Selbstverkennung als Krone der Schöpfung. In dieser metaphysisch-moralischen Leere muß der Mensch Bildung als seine Aufgabe begreifen, damit sie das unverwechselbar Eigene wird. So folgert er in "Schopenhauer als Erzieher": "Niemand kann dir die Brücke bauen, auf der gerade du über den Fluß des Lebens schreiten musst, niemand außer dir allein. Zwar giebt es zahllose Pfade und Brücken und Halbgötter, die dich durch den Fluss tragen wollen; aber nur um den Preis deiner selbst; du würdest dich verpfänden und verlieren" (KSA 1,340). Aber dieses Selbst ist kein Fundament, es gibt keinen Kern, von dem man sagen könnte, das sei man wirklich selbst (vgl. ebd.). Der Mensch ist durch diese Fundamentalkritik nicht nur befreit von auferlegten Zwängen, sondern sie ist zugleich eine Aufforderung zu neuer Gestaltung. Hebel und Porath schließen daraus, daß "Bildung (bei Nietzsche; A.d.A.) zweifach negativ (ist): ihr Ziel ist unaussprechbar und ihr Wirken nicht vollends bestimmbar einerseits und andererseits, soweit sie beschreibbar ist, bewirkt sie nicht etwas direkt, sondern sorgt allein für eine Ermöglichung, eine Hilfestellung" (1989, 226). Die Aufgaben, die den Erziehern daraus erwachsen, sind vielmehr "Befreier" zu sein, indem sie alles Unkraut, Schuttwerk und Gewürm beiseiteräumen (vgl. KSA 1,341). Bildung als Selbstgestaltung bedeutet daher zunächst Abgrenzung von allen Vorgaben, die in gesellschaftlichen Traditionen und Werten bereitgestellt werden. Diese Abgrenzung unternimmt Nietzsche vor allem in seinen Vorträgen "Ueber die Zukunft unserer Bildungsanstalten" (KSA 1), in denen er an dem Zustand dieser Anstalten kaum ein gutes Haar läßt. So wird für ihn z.B. gerade die "sogenannte deutsche Arbeit" zur "pädagogischen Ursünde wider den

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Geist" (ebd., 6780, weil in dieser Arbeit der Schüler erstmalig aufgefordert wird, etwas persönlich zu gestalten. Er wird in dieser Arbeit zum Subjekt des Formulierens und Denkens, aber in einer Weise, daß die "uniformierte Mittelmäßigkeit" lobend hervorgehoben wird, während alle noch so fraglichen Exzesse des Denkens gerügt und verworfen werden (ebd., 680). Auch was an den Universitäten gelehrt und gelernt wird, kommt über eine Mittelmäßigkeit nicht hinaus. Die doppelte Selbständigkeit von Lehrenden und Lernenden wird dann als "akademische Freiheit" (ebd., 740) gepriesen. Allerdings sieht Nietzsche hinter diesen beiden Gruppen in bescheidener Entfernung "den Staat mit einer gewissen gespannten Aufsehermiene" (ebd.) stehen. Wie keiner vor ihm sieht Nietzsche deutlich die reglementierenden Formen des modernen Bildungsdenkens und Handelns, die nicht zuletzt im Arrangement der Bewußtseinsphilosophie verankert sind. So gilt seine Kritik einem transzendentalen Subjekt genauso wie einem philosophischen System. Beide sind für ihn nur zwei Seiten einer Medaille, die dazu dienen, den Menschen festzustellen, ihm "künstliche Gliedmaßen" und "bebrillte Augen" (KSA 1,341) zu verleihen. Die Aufgabe, die er der Erziehung und Bildung zuweist, wäre, einen Menschen weder in ein Zentrum zu zwingen, noch ihn in eine Peripherie aufzulösen, sondern "den ganzen Menschen zu einem lebendig bewegten Sonnen- und Planetensystem umzubilden" (ebd., 343). Damit versucht Nietzsche dieser Subjekt-Objekt-Anordnung zu entkommen, indem er die Einheitlichkeit der einen Seite genauso zerschlägt, wie die der anderen, und er die Endlichkeit des einzelnen Menschen nicht theoretisch zu überwinden versucht, sondern selbst zum Ausgangspunkt eines neuen Bildungsdenkens macht. Nietzsche unterscheidet einen passiven Nihilismus als ein schicksalsergebenes Dahinsterbenwollen von einem aktiven Nihilismus, in dem der Mensch angesichts einer Sinnleere frei vom moralisch-metaphysischen Gängelband sein eigener Bildner werden will (vgl. KSA 12, 350f). Diese Konzeption korrespondiert mit seinen anthropologischen Thesen von der grundlegenden Faulheit des Menschen, die es zu überwinden gälte (vgl. KSA 1, 337ff), wolle man sich aus der verachtenswerten Masse abheben. Dieser Prozeß folgt der Aufforderung: "Sei du selbst!" (ebd.), aber nicht, indem du vorgegebene Modelle übernimmst, sondern als deren Fortsetzung. So ist Bildung für Nietzsche keine creatio ex nihilo, sondern eine Transformation des Bestehenden in einem beständigen Wandlungsprozeß. Jeder Bildungsprozeß weist schon über sich hinaus. "Dem Werden den Charakter des Seins aufzuprägen - das ist der höchste Wille zur Macht" (KSA 12, 312), ohne daß dies letztlich gelingt. Aber es bedeutet nicht, daß ein selbstmächtiges Subjekt sich alles gleich macht. Es gibt nicht den Dualismus von Innen und Außen, sondern das Außen konstituiert immer schon ein Innen mit. Das Außen liegt in den Abgründen, über denen sich das Denken und die Sprache errichtet hat. Es gibt für Nietzsche kein Letztes und

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Eigentliches. Für ihn liegt ein "Abgrund hinter jedem Grunde, unter jeder >BegründungBildungsgutBildungswertBildungsziel< meint ordnen zu sollen, der beweist dadurch, daß sein Sehnsuchtsblick auch heute noch an dem Kunstwerk der zur Harmonie durchgedrungenen Persönlichkeit haftet und daß er es versäumt hat, sich von der Unabweisbarkeit der Gegenmacht zu überzeugen" (1955, 111). Bildung bedeutet nicht mehr eine Entfaltung von sich heraus, sondern die Auseinandersetzung mit dem Anderen, dem Fremden, das Aushalten von Widersprüchlichkeiten und das Leben in Antinomien. Im Prozeß der Bildung soll sich der einzelne mit der Welt kritisch auseinandersetzen, sie sich aneignen. Ziel dieser von Litt als vorsichtig zu übernehmenden Bildungsauffassung und des für sie konstitutiven Mensch-Welt-Verhältnisses ist, daß der Mensch in der Lage ist, "sowohl sich selbst als auch sein Verhältnis zur Welt >in Ordnung zu bringenc" (1959, 11). Litts Konzeptualisierung des Bildungsbegriffs im Anschluß an eine Neuinterpretation von Hegel, versucht zwar die Widersprüchlichkeit menschlichen Lebens und die Widersprüchlichkeit der Welt zu denken, aber sein Ziel ist wieder die Rückkehr zur Ordnung, sowohl des Subjekts als auch des Objekts. Er bleibt der bewußtseinsphilosophischen Anordnung weiterhin verhaftet, selbst wenn er die Einheitlichkeit nicht supponiert, sondern als Ergebnis formuliert. f ) F.Fischer Franz Fischer ist eine der schillernderen Figuren in der Tradition geisteswissenschaftlicher Pädagogik. Institutionell nie wirklich arriviert, gelten seine Überlegungen zur "Darstellung der Bildungskategorien im System der Wissenschaften" (1975)4 für die aktuelle Bildungstheorie als brillanter wie um4

Diese Schrift ist nicht von Fischer selbst veröffentlicht worden, sondern posthum von D.Benner und W.Schmied-Kowarzik herausgegeben worden. Grundlage dieser Veröffentlichung sind Zwischenberichte Fischers für die DFG und Mitschnitte aus Seininaren.

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strittener Versuch, über Kant und Hegel hinauszugehen. Er ist einer der letzten Bildungstheoretiker, der eine umfassende positive Bestimmung des Bildungsbegriffs vorgenommen hat, mit all der Problematik, die in diesem Systembegriff steckt. Fischer nimmt eine horizontale und eine vertikale Gliederung der Wissenschaften vor. In ersterer versucht er, die allgemeine Struktur des Erkenntnisprozesses zu analysieren und in letzterer geht es ihm um eine Hierarchisierung der Wissenschaften in ihrem systematischen Zusammenhang. In seiner horizontalen Gliederung unterscheidet er fünf Stufen des Erkenntnisprozesses: 1. das Unmittel bar-Allgemeine, worunter er Aussagen über die Gewißheit des Gegebenen faßt (vgl. ebd., 81), 2. das PrädikativAllgemeine; darunter versteht er das In-Beziehung setzen unmittelbarallgemeiner Aussagen, durch Hypothesen u.ä. (vgl. ebd., 81ff), 3. dieses Prädikativ-Allgemeine steht immer im Verhältnis zum Selbst des Menschen und zu seinem Gewissen, seinem Motivationshorizont, dem Positiv-Allgemeinen, 4. das Gewissen fungiert aber nicht als reine Norminstanz, sondern wird durch konkrete Motive mit der Handlung vermittelt, dem Unmittelbar-Konkreten, 5. die Voraussetzung, oder die Bedingung der Möglichkeit für das Handeln nach Motiven, die Grenze der Reflexion bildet der Glauben, das Positiv-Konkrete. Diese fünf Stufen sind Fischers Überlegung zufolge Ergebnis eines transzendentalen Frageprozesses, sind Bedingungen des Menschseins des Menschen und sind in ihren Sinnverhältnissen zueinander Bildungskategorien. Diese horizontale Gliederung wird durch eine vertikale Gliederung ergänzt, die Fischer auf einem systematischen Weg entwickelt hat. In einer philosophiegeschichtlichen Rekonstruktion der Dialektik von Sagen und Meinen unternimmt er den ersten Schritt zu dieser vertikalen Gliederung der Bildungskategorien. Auch hier folgt er jenem Fünfschritt seiner ersten Reflexion und führt diese zusammen. Er beginnt mit der Wirklichkeit, die als Gemeintes jedem Denken vorausgeht, sie entspricht dem Kantischen Ding an sich. Die Korrespondenz zwischen dem Denken und Erkennen zum Gegenstand setzt wiederum die Bedeutungsintuition und den Sinn von Erkennen und Gegenstand voraus. Die transzendentale Frage Kants rückt das Erkennen in einem nächsten Schritt selbst wieder in Frage. Der naiven Reflexion folgt die transzendentale und dieser in einem nächsten Schritt die dialektische Reflexion Hegels, als Reflexion der Reflexion. Fischer entdeckt in der philosophisch-historischen Entwicklung eine Aufstufung des Sinnes von Unmittelbarkeit und Gegenständlichkeit. Auf jeder Stufe stellt sich das Affinitätsproblem neu, zunächst die Affinität von Gegenstand und Denken, dann von transzendentalem Selbstbewußtsein und Ding an sich und schließlich der Reflexion zu sich selbst. So kommt man schließlich mit Notwendigkeit zur Dialektik des Sinnes von Sinn, die in der beschriebenen horizontalen Gliederung der Wissenschaften mündet und aus der die vertikale Gliederung der Wissenschaften folgt. Jede

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dieser Wissenschaften, von der Semantik bis zur Theologie, explizieren auf jeder neuen Stufe das Gemeinte der vorhergehenden. Die ausführliche Aufstufung der Wissenschaften (ebd., 112-130) an dieser Stelle zu referieren, führte zu weit, aber Fischer entdeckt in ihnen eine notwendige Stufenfolge. Dabei gibt er jedoch zu bedenken, daß sobald eine dieser Stufen hypostasiert wird, sie ihrem Anspruch- und Aufgegebenheitscharakter nicht mehr gerecht wird. Bildung ist für Fischer demzufolge die reflektierende Vermittlung von Sinngehalten. Sildungskategorien sind die Sinnverhältnisse, die sich aus der reflektierend vermittelten Unmittelbarkeit der horizontalen und vertikalen Gliederung der Wissenschaften ergeben. Horizontale und vertikale Gliederung müssen immer zusammengedacht werden. Fischer hat diese Überlegungen für die Didaktik konkretisiert und leitet daraus die Notwendigkeit fachübergreifenden Unterrichts und die Forderung ab, die bloße Kognition auf Gewissen und Glauben hin zu überschreiten. Benner formuliert in seiner "Allgemeinen Pädagogik" (1987) folgende zentrale Kritik: " Der größte von Fischer selbst bemerkte Mangel seiner Auslegung der Bildungskategorien in einem System positiver Einzelwissenschaften ist jedoch, daß auf diese Weise der Zusammenhang der Wirklichkeitsansprüche und Gewissenshorizonte gar nicht in den Blick kommen kann" (ebd., 244f). Neben der Frage, wie der Sinn aus sich selbst, den die Religion zur Verfügung stellt, Relevanz für andere Wissenschaften gewinnen kann, ist es verwunderlich, noch im 20. Jahrhundert eine Hierarchie aufsteigender Wissenschaften von der Semantik bis zur Theologie theoretisch zu formulieren. Auch A.Warzeis Verweis, daß jeder spezifische Platz einer Wissenschaft außerhalb des Gesamtzusammenhangs der Theorie sinnlos wäre (vgl., 1989, 431), erklärt, daß zwar die folgende Wissenschaft immer das Gemeinte ihrer Vorgängerin aussagt, es aber auf der philosophischen Ebene nie zu einer völligen Versöhnung zwischen Wissen und Wirklichkeit kommen kann, sondern letztlich in seiner versuchsweisen Annäherung nur einen proflexiven und empiristischen Charakter haben kann. Gegen Benners Konsequenz, daß in einer praxisphilosophischen Ebene, als letzte Möglichkeit einer Bildungstheorie, reflexiv nochmals das menschliche Handeln auf eine gesellschaftliche Gesamtpraxis hin bezogen werden muß, wendet er ein, daß bei Fischer mit seinem letzten Verweis auf Glaube, Liebe und Hoffnung die Aufgabe des Menschen zur Entfaltung seiner Möglichkeiten besser fundiert ist (vgl. ebd., 433). Welcher Erkenntnisgewinn nun aber in einer Flucht in die Religion liegt, scheint mir höchst fragwürdig. Insgesamt atmet diese Theorie die geistige Luft des neunzehnten Jahrhunderts mit ihrem Versuch, der faktischen Tendenz der Ausdifferenzierung positiver Wissenschaften und der mit ihr einhergehenden endgültigen Trennung von Verstand und Vernunft oder Wissen und Gewissen durch eine geisteswissenschaftliche Denkanstrengung entgegenzutreten und beide auseinandergetretenen Pole im Bildungsprozeß des Subjekts wieder zu

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verbinden. Auch bei Fischer tritt dem Subjekt die Welt als Objekt entgegen und es ist seine Aufgabe, in diese hineinentwickelt zu werden. "Der Mensch ist, sofern er als Mensch begriffen ist, als homo educandus zu deuten" (Fischer 1975, 21). Zwar ist die Bestimmung des Menschen sein Aufgegebenheitscharakter, der Umstand, an dieser Bestimmung zu arbeiten, aber die Wege dahin sind für Fischer philosophiegeschichtlich vorstrukturiert. - Als ob es nach Kant und Hegel nur noch Fischer gegeben hätte.- Dieses Argumentationsmuster findet sich bei Hegel selbst in dem Versuch, seine Philosophie zu begründen, indem er seine Philosophie als den Endpunkt der Entwicklung des Geistes begreift. Auch Hegels zweiter Versuch, seine Universal-Dialektik durch die theologische Figur der Selbsentäußerung Gottes in seinem Sohn und dessen Auferstehung zu begründen (vgl. Puder 1969), wird von Fischer implizit zu Hilfe gezogen. Aber jede Christologie ist daran gescheitert, daß sie nicht begreifbar machen kann, warum die Menschen trotz Erlösung wie eh und je leiden. Fischer folgert zwar aus seiner systematischen Gliederung der Wissenschaften die Notwendigkeit fächerübergreifenden Denkens, aber bleibt dabei im Vermittlungsdenken Hegels gefangen und kann die Spezifizität des besonderen Wissens nur im bestimmten Vermittlungszusammenhang seiner Universaldialektik denken. Vielheit verkommt darin zur Einheit. Die bewußtseinsphilosophische Anordnung erfährt im Denken Fischers noch einmal eine späte Blüte und mit ihr die geisteswissenschaftliche Bildungstheorie, die aber als umfassende Grundlegung einer allgemeinen Erziehungswissenschaft ihren Geltungsanspruch verliert. Exkurs zu Th.W.Adornos >Theorie der Halbbildung< Adornos Text "Theorie der Halbbildung" (1972, 93ff) ist im Rahmen der vermehrten Rezeption Kritischer Theorie durch die Studentenbewegung zu einem Grundlagentext kritischer Erziehungswissenschaft geworden. Seine Argumentation entspricht der für die Kritische Theorie typischen Denkbewegung. Ein Begriff tritt mit einem bestimmten Anspruch auf und erfährt im Prozeß der Dialektik der Aufklärung seinen Niedergang. Am Ende gilt es aber, in der Reflexion über diesen Prozeß an ihm festzuhalten, auch da, wo ihm die Grundlage schon entzogen ist. "Was aus Bildung wurde und nun als eine Art negativen objektiven Geistes, keineswegs bloß in Deutschland, sich sedimentiert, wäre selber aus gesellschaftlichen Bewegungsgesetzen, ja aus dem Begriff von Bildung abzuleiten. Sie ist zu sozialisierter Halbbildung geworden, der Allgegenwart des entfremdeten Geistes" (ebd., 93). Für Adorno kann Bildung nicht jenseits der gesellschaftlichen Verhältnisse betrachtet werden. Die philosophische Bildungsidee wollte das natürliche Ideal bewahrend formen. Es geht um die Bändigung der zerstö-

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rerischen Kräfte des Menschen und der Bewahrung des Natürlichen vor dem Druck der von Menschen gemachten Ordnung (ebd., 95). Die Spannung zwischen diesen beiden Momenten wird schon durch Hegels Bildungslehre in Anpassung transformiert. Anpassung ist aber das Kennzeichen fortschreitender Herrschaft. Die Dynamik der Entwicklung der bürgerlichen Gesellschaft erfaßt den Bildungsbegriff mit. Bildung soll wie Freiheit und Gleichheit in der bürgerlichen Gesellschaft verwirklicht werden, aber, indem sie sich von ihrer Zweckgebundenheit zu einem Wert an sich lossagt, wird sie zur Ideologie. Bildung soll durch die Erleuchtung der einzelnen zu einer erleuchteten Gesellschaft führen. "Je weniger die gesellschaftlichen Verhältnisse, zumal die ökonomischen Differenzen dies Versprechen einlösen, um so strenger wird der Gedanke an die Zweckbestimmung verpönt" (ebd., 98). Die Bildung ist das Zeichen der Emanzipation des Bürgertums und wird ihr Privileg. Die Besitzenden verfügen über das Bildungsmonopol. Der Widerspruch zwischen Bildung und Gesellschaft resultiert aber nicht nur aus der Unbildung der einen. Im Rahmen der zunehmenden gesellschaftlichen Integration der vormals Unterprivilegierten dient Bildung als Versorgung mit Bildungsgütern dazu, die Menschen bei der Stange zu halten. Deshalb müssen jene spezifisch bildenden Erfahrungen selbst aus der Bildung getilgt werden, weil sie die Bedingungen der materiellen Produktion bedrohen. Bildung stirbt ab und es kommt zur massenhaften Sozialisierung von Halbbildung, die sich zur Totalität aufschwingt. "Halbbildung ; st der vom Fetischcharakter der Ware ergriffene Geist" (ebd., 108).

Nun ist für Adorno der Bildungsbegriff nicht einfach obsolet geworden. Geist ist weder als frei von jedem gesellschaftlichen Bezug zu denken, noch voll aus ihm abzuleiten. Es ist nicht nur seine Unwahrheit, daß der Geist in Form von Bildung sich von den gesellschaftlichen Verhältnissen gelöst hat, sondern auch seine Wahrheit (ebd., 121): unwahr durch seine Trennung, wahr in dem Maße, wie er in integerer Gestalt eines Kulturellen sich realisiert und auf die Gesellschaft jenseits ihrer Gebote der Anpassung zurückwirkt. Die Kraft dazu wächst ihm aus dem zu, was früher Bildung genannt wurde. So endet Adorno mit der Forderung, "an Bildung festzuhalten, nachdem die Gesellschaft ihr die Basis entzog. Sie hat aber keine andere Möglichkeit des Überlebens als die kritische Selbstreflexion auf die Halbbildung, zu der sie notwendig wurde" (ebd.). Mit dieser Rückbindung des Bildungsbegriffs an den gesellschaftlichen Prozeß eröffnet Adorno einen systematischen Zugang zu den Problemen des Bildungsdenkens in unserer Zeit. Es bleibt jedoch zu fragen, ob er aus der bewußtseinsphilosophischen Anordnung herauskommt. So sieht er selbst, daß seine pessimistischen Gegenwartsdiagnosen über ihr Ziel hinausschießen, aber "ohne jenes Sich-zu-weit-Vorwagen der Spekulation jedoch, ohne das unvermeidliche Moment von Unwahrheit in der Theorie wäre diese überhaupt nicht möglich" (ebd., 101). In seiner Analyse gerinnt Gesellschaft zu einem unwahren

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Ganzen, das vom Fetischcharakter der Ware vollkommen verstellt ist und dem die Subjekte ohnmächtig ausgeliefert sind. Subjekt und Objekt stehen sich in ihrer Verfallsform gegenüber, die Halbbildung der Warenwelt und nur Kultur in integerer Gestalt vermag diesen Bann zu brcchen. Diese Anordnung ist nur die Negation der Bewußtseinsphilosophie, aber letztendlich nur ihre Abstrakte und kommt deshalb nicht über sie hinaus, gleichwohl beinhaltet sie bestimmte Negationen, die quer zu dieser Anordnung stehen. g) H.-J.Heydorn Heydorns Studie "Über den Widerspruch von Bildung und Herrschaft" (1979) steht für den Versuch, Bildungstheorie im Rahmen einer marxistischen Gesellschaftstheorie zu plazieren und ihre Bedeutung für einen, die bürgerliche Gesellschaft revolutionierenden, Prozeß auszuloten. Die Analysen Heydorns sind einerseits als materiale Ausführungen von Adornos Theorie der Halbbildung zu verstehen, andererseits versuchen sie, über diese hinauszukommen. Ob hingegen Heydorn sich aus der bewußtseinsphilosophischen Anordnung einer Subjekt-Objekt-Dialektik befreien kann, bleibt fraglich. Darauf, daß sich Darstellung und Kritik nicht trennen lassen, hat schon Adorno (1957, 162) hingewiesen, deshalb hängt die Art und Weise, wie ich im folgenden die Konstruktion von Heydorns Bildungsdenken entfalte, eng mit meiner Kritik an ihm zusammen, daß seine Theorie hingegen nicht in dieser aufgeht, bleibt festzuhalten. Heydorns Bildungstheorie läßt sich in eine jungheglianische Tradition der Auslegung des Verhältnisses von Vernunft und Wirklichkeit stellen (vgl. Benner 1995, Bd. 2, 95). In dieser Tradition ist die Realität eines Begriffs nicht gegeben, sondern aufgegeben. Das immanente Ziel der Gattungsgeschichte ist demzufolge die Auflösung des Widerspruches zwischen Bildung und Herrschaft. Es geht um das Schaffen einer menschenwürdigen Zukunft. Die Geschichte menschlicher Arbeit als der Befreiung von der Herrschaft der Natur, zeugt von der Möglichkeit, auch die Herrschaft des Menschen über den Menschen zu überwinden. Die Verklammerung von Bildung und Arbeit verweist auf die hegel-marxschen Wurzeln seiner Bildungstheorie. "Die Entwicklung der menschlichen Arbeit ist die Entwicklungsgeschichte des menschlichen Bewußtseins" (Heydorn 1979 II, 141). Eine Rekonstruktion der Geschichte von Arbeit und Bildung erhellt den Widerspruch von Bildung und Herrschaft und verweist auf die Möglichkeit seiner historischen Überwindung. So sind die wesentlichen Entwicklungsstufen des Bildungsdenkens für Heydorn die griechische Aufklärung, die Aufklärungspädagogik, der deutsche Idealismus und seine materialistische Wende. Nach dieser von Marx vollzogenen Wende setzt die Verfallsgeschichte des Bildungsdenkens an, die bis in die Gegenwart reicht. Jede Stufe des Befreiungsganges enthält schon einen Verweis auf eine befreite Menschheit,

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kann dieses Versprechen aber nur partikular einlösen. Die Entwicklung des Widerspruchs zwischen Bildung und Herrschaft ist ein dialektisch fortschreitender Prozeß. Deshalb ist es notwendig, diesen Prozeß vollständig durchzuarbeiten, um über ihn hinauszukommen. "Die Natur des Menschen (...) ist seine Geschichte" (ebd., 269). Veränderndes Handeln darf sich nicht auf Teilbereiche gesellschaftlicher Praxis beziehen, wie dies in der Verfallsperiode seit Marx geschieht, sondern muß die geschichtliche Totalität und die gesellschaftliche Gesamtpraxis der Menschheit umfassen. "Das neue revolutionäre Subjekt, um das es alleine geht, ist wissendes Subjekt" (ebd., 334). Vor dem Hintergrund dieser Logik des Bildungsbegriffs entfaltet Heydorn seine historische Untersuchung von der griechischen Aufklärung bis zur Gegenwart. Mit der im antiken Griechenland aufkommenden philosophischen Frage nach der Wahrheit wendet sich einfache Wissensproduktion und Weitergabe gegen ihre Erzeuger. In ihr scheint das Ganze der Vernunft erstmalig auf. Sie kann aber die historische Dimension des Verhältnisses von Bildung und Herrschaft noch nicht denken. Die Aufklärungspädagogik verbindet dann die griechische Aufklärung mit historischem Denken. Sie setzt zwar mit der Forderung nach gleicher Bildung für alle an und erkennt die progressive Bedeutung des Staates für diesen Prozeß, allerdings führt diese Anerkennung des Staates dazu, ihn als positives Allgemeines zu setzen und damit den Widerspruch von Bildung und Herrschaft nur auf einer höheren Ebene weiterzuführen. Allgemeine Bildung wird durch die Maßgabe der Arbeitsteilung zersplittert. Der deutsche Idealismus kann im Anschluß daran mit Kant die Vergänglichkeit des Staates erstmals denken. Fichte vermag dann die Widersprüche von Ökonomie und Bildung, sowie Staat und Gesellschaft in einem historischen Prozeß in Selbsttätigkeit und eine universale Menschheitsgesellschaft in einem Erziehungsprozeß der nachkommenden Generationen auflösen. Dies institutionalisiert Humboldt mit seiner Trennung von Bildung und Ökonomie, in der diese Separation zunächst bewahrenden Charakter hat. Zunächst mit Hegel und dann mit Marx läßt sich die Aufhebung des Widerspruches zwischen Bildung und Herrschaft als Aufhebung der Klassengeschichte denken. In der Verfallsgeschichte kommt es dann zur zunehmenden Anpassung von Bildung an die Erfordernisse des Industriekapitals. Mit Benner läßt sich sagen: "Die geschichtlichen Stufen des Bildungsgedankens, die Heydorn in streckenweise atemberaubenden Tempo durchdekliniert, erzeugen zuweilen den Eindruck einer hermetischen Geschichtsdialektik, aus der, sobald man sich auf sie eingelassen hat, ein Ausweg kaum noch möglich ist" (1995 Bd. 2, 117). Die historische Entwicklung des Bildungsbegriffs wird von Heydorn als die dialektische Einheit von Bewußtsein und Geschichte begriffen. "Geschichte ist die vor uns gestellte Dialektik der Vernunft" (Heydorn 1980b, 240), obgleich eine solches

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Geschichtsverständnis jenen Gegensatz von Fortschritts- und Verfallsgeschichte nicht zu erklären vermag. Nach dieser historisch-systematischen Skizze geht es jetzt um die Bestimmung der Funktion, die Bildung im historischen Prozeß zukommt. Die Aufgabe von Bildung ist es, als Theorie handlungsorientierende Kraft für eine aufgegebene Praxis zu sein. Sie macht eine Reflexion über die Zukunft der Menschheit überhaupt erst möglich, da sie sich von den Gegebenheiten eines Status quo zu lösen vermag. Heydorn bestimmt Bildung als "rational(e) Spontaneität" (1979II, 316), weil sie einerseits die Frage nach der Vernunft weiterreicht, andererseits nicht vorgibt, die Lösung der Frage nach der Bestimmung des Menschen zu kennen. So unterscheidet Heydorn strikt zwischen Erziehung, die Unterwerfung unter die gegebenen Verhältnisse bedeutet, und Bildung, die über Erziehung hinausgeht, weil sie als entbundene Selbsttätigkeit schon vollzogene Emanzipation ist (vgl. ebd., 10). In dieser Fassung des Gegensatzes von Bildung und Erziehung liegt die Gefahr, daß einstmals Bildendes, das über den Erziehungsprozeß hinausgewiesen hat, selbst zum Gegenstand von Erziehung gerinnt. Bildung vollzieht sich zwar für Heydorn im Nachvollzug der Bildungsgeschichte, darf aber nicht darin stecken bleiben. Sie ist nicht vollzogene Emanzipation sondern deren permanenter Vollzug. Im Rahmen ihrer Fortschrittsgeschichte bis Marx weist Bildung stets über den Status quo hinaus, ist seitdem aber auf Erziehung reduziert. Da die Hoffnung von Marx, die Produktivkräfte würden dereinst die Produktionsverhältnisse sprengen, nicht eingetreten ist, kann sich Heydorn im gesellschaftsverändernden Prozeß nicht mehr auf jene stützen und sieht sich, will er nicht in einer negativen Geschichtsphilosophie verharren, gezwungen, eine Quelle neuen revolutionären Potentials auszumachen. Da für ihn das revolutionäre Subjekt ein Wissendes ist, wächst der Rolle des Lehrers die Generierung dieses Potentials zu. "Der gebildete Lehrer, der sich nicht zu dem machen läßt, wozu er gemacht werden soll, sondern sich zu dem macht, wozu er sich selber machen will, tritt in die vorderste Reihe des Kampfes um Befreiung" (II, 318). Doch die emanzipatorische Arbeit des Lehrers kann sich für Heydorn nur in einer Arbeit mit den klassischen Inhalten humanistischer Bildung realisieren, da in ihnen die Herausnahme des Menschen aus der Verfügbarkeit und damit die Möglichkeit der eigenen geistigen Artikulation geschaffen ist (vgl., I, 242). Auch Heydorn bleibt in der Subjekt-Objekt-Artikulation moderner Bildungstheorie gefangen. Die hegel-marxsche Perspektive auf eine Geschichte des Widerspruchs von Bildung und Herrschaft, in der mit dem ereignishaften Auftauchen des Bildungsgedankens in der griechischen Aufklärung ein Denken möglich wird, das über die gegebenen Verhältnisse hinausweist, sucht er die Wahrheit des Menschen in seiner Geschichte. "Der Mensch erscheint darin als eine gleichzeitig reduzierte und verheißene Wahrheit. Die präkritische Naivität herrscht darin vor" (Foucault 1971, 387). Die Wahrheit von Heydorns

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Diskurs konstituiert sich während ihrer Formierung, es bleibt eine eschatologische Begründung. In dem Maße, wie Heydorn durch die Rekonstruktion der Bildungsgeschichte den Menschen in einer rationalen Auseinandersetzung hervorbringen will, verliert er sich in Metaphysik. Dennoch geht Heydorns Werk in dieser Kritik nicht auf. So verweist H.Sünker (1989,447ff) darauf, daß durch eine hermetische Rekonstruktion der Heydornschen Schriften jene Differenz verschwindet, "die in der radikalen Historisierung menschlicher Geschichte ihren Fokus hat und dabei gerade hinsichtlich des Problems der Differenzierung im Begriff des Fortschritts geschichtstheoretisch angeleitete Erkenntnisse produziert" (ebd., 454). In dem Maße, wie bei der Rezeption Heydorns seine Geschichtsmetaphysik aus dem Zentrum der Analyse gerückt und die Kategorie der Totalität der bestimmten Negation untergeordnet wird, ist es möglich, konkrete Verflechtungen von Gesellschaftsverfassung und Bildungsinstitution aufzuschlüsseln, die gesellschaftliche Formbestimmtheit von Bildungsprozessen und ihre Realisierung in empirischen Individuen herauszuarbeiten. Inwieweit sich eine solche Analyse von dem metaphysischen Charakter einer Universaldialektik freimachen kann, muß sich bei der Arbeit und ihrer Reflexion zeigen. Heydorns Analysen stehen zwar einerseits immer in einer solchen Dialektik, aber sind ähnlich wie bei Adorno in ihren bestimmten Negationen für eine Kritik des Bildungsbegriffs unentbehrlich.

1.3. Grenzen der bewußtseinsphilosophischen Anordnung des Bildungsbegriffs Der Bildungsbegriff ist bis in die sechziger Jahre dieses Jahrhunderts die Zentralkategorie der Erziehungswissenschaft gewesen. Bildung ist zwar, wie im vorhergehenden Abschnitt ausgeführt, unterschiedlich bestimmt worden, sowohl was ihre Ziele, als auch ihre Inhalte angeht, dennoch wird unter Bildung ein komplexer Prozeß verstanden, in dem es um die Ausbildung einer als wünschenswert ausgegebenen Persönlichkeitsstruktur geht. Bildung ist die normative Basis zur pädagogischen Steuerung der Entwicklung dieser Persönlichkeitsstruktur. Der Bildungsbegriff gerät in den Sechzigern im Zuge des Aufkommens einer kritischen Erziehungswissenschaft in Verruf und zwar in doppelter Hinsicht: Zum einen fällt er der Wende der Pädagogik zur empirischen Sozialwissenschaft zum Opfer, weil er kaum die Möglichkeit zu bieten scheint, Bildungsprozesse empirisch zu erforschen; zum anderen gerät er im Rahmen der gesellschaftstheoretisch gegründeten Kritik an der geisteswissenschaftlichen Pädagogik unter Ideologieverdacht, weil man in ihm die blinde Affirmation bürgerlichen Denkens und seine enge Verflechtung mit bürgerlicher Herrschaft sieht.

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3. Kapitel

In den Siebzigern versucht man dann den Bildungsbegriff durch "sogenannte theoretische Äquivalente" (Hansmann 1989, 21ff) zu ersetzen. Mit einem Fokus auf die Wissenschaftsorientierung in Anlehnung an den Kritischen Rationalismus geht es darum, einen kritischen Zugang zu den Wissensinhalten und ihren Aneignungsprozessen zu ermöglichen, anstatt sie als Wahrheiten auszugeben. Dies sorgt einerseits für eine notwendige Verwissenschaftlichung der Wissensvermittlung, andererseits bleibt eine Verbindung zu alltäglichem Wissen und zu Fragen der Moralität verstellt. Mit dem Versuch, den Sozialisationsbegriff an die Stelle des Bildungsbegriffs zu setzen, wird erstmals der Blick auf die gesellschaftlichen Strukturen im Allgemeinen und auf die des Bildungssystems im Besonderen geworfen. Die daran anschließenden Analysen offenbaren die Funktion des Bildungssystems bei der Reproduktion sozialer Ungleichheit. Die Abstraktheit des alten Bildungsbegriffs hat diese Perspektive erschwert, allerdings bleibt der Sozialisationsbegriff in der Frage nach den Formen des Wissenserwerbs und seiner Verarbeitung jede Antwort schuldig. Auch der Versuch im Qualifikationsbegriff den alten Dualismus von Bildung und Ausbildung und damit die Weltferne des alten Bildungsbegriffs zu überwinden, scheitert letztlich an den sich permanent revolutionierenden Qualifikationsprofilen im Rahmen der Produktivkraftentwicklung (z.B. Informatisierung der Arbeitswelt). Luhmann und Schorr sprechen deshalb dem Bildungsbegriff in der gegenwärtigen Gesellschaft die Möglichkeit ab, die Gesamtheit aller Prozesse im Erziehungssystem zu reflektieren. Sie ersetzen ihn durch den Begriff der "Lernfähigkeit" (1979, 84ff). Im 3.Kapitel wird im Anschluß an die lerntheoretischen Überlegungen Holzkamps (1993) deutlich, daß dieser Begriff dazu genausowenig geeignet ist. An dieser Stelle sei nur angemerkt, daß im Begriff der Lernfähigkeit der operative Aspekt des Lernens dem thematischen Aspekt vorgeordnet wird, daß beispielsweise das Lernen logischen Denkens, das ich in der Auseinandersetzung mit der Mathematik lerne, ein anderes ist, als das logische Denken beim Erlernen der lateinischen Sprache. Lernfähigkeit kann also nicht jenseits der Lerngegenstände erworben werden, sie ist umgekehrt durch sie bestimmt. Darauf hat schon Blankertz (1974, 67) hingewiesen. So erwächst gerade aus diesem Umstand die Möglichkeit und Notwendigkeit einer neugefaßten Wiederaufnahme des Bildungsbegriffs in die Erziehungswissenschaft. Die Kritik, die sich in den "theoretischen Äquivalenten" am Bildungsbegriff ausdrückt, läßt sich allerdings nicht nur auf dieser unmittelbaren Ebene verstehen, sondern erhält vor dem Hintergrund der Analyse der Subjekt-ObjektArtikulationen des Bildungsbegriffs eine andere Wendung. Versucht der Bildungsbegriff zum einen die auseinanderfallenden Momente von Wissensentwicklung und Moralität (Verstand und Vernunft) im Allgemeinen zu verbinden, so gilt seine konkrete Fassung der Frage der individuellen Entwicklung zwischen Wissensaneignung und Persönlichkeitsentwicklung.

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Die Versuche, den Bildungsbegriff theoretisch zu ersetzen, fallen in die Teile der bewußtseinsphilosophischen Subjekt-Objekt-Anordnung auseinander. Entweder man versucht, das Feld des Wissens kritisch-rationalistisch neu zu ordnen oder das Subjekt sozialisatorisch zu erfassen. Die von Hansmann formulierte Kritik an diesen sogenannten theoretischen Äqui valenten dient nicht ihrer Verwerfung, sondern dazu, sie als Aspekte eines gegenwartsangemessenen Bildungsbegriffs zu begreifen und für diesen fruchtbar zu machen. Zwar geht es Hansmann, sowie einer Reihe namhafter Erziehungswissenschaftler (vgl. Hansmann, Marotzki 1988, 1989), um eine fundamentale Neufassung des Bildungsbegriffs. Jeder Versuch, seine Vielschichtigkeit vorschnell zu vermitteln, wird von ihnen kritisiert, aber die Kritik bleibt in gewissem Sinne jener bewußtseinsphilosophischen Anordnung verhaftet, denn das Auseinanderfallende wird erneut jeweils als Aspekt eines Ganzen gedacht. An dieser Stelle stellt sich nun die Frage, wie ein solcher Bildungsbegriff den Widersprüchen der bewußtseinsphilosophischen Anordnung entkommen oder ob es einen Bildungsbegriff in der Leere des verschwundenen Menschen überhaupt geben kann. Der Bildungsbegriff erhält in seiner modernen Fassung in dem Moment eine zentrale Bedeutung, als die klassische episteme mit ihrer Vorstellung einer enzyklopädischen Repräsentation nicht mehr tragfähig ist und der Mensch selbst als empirisch-transzendentales Doppelwesen in Erscheinung tritt. Einerseits verschwindet er hinter den Massen empirischer Erkenntnis, andererseits wird er zur transzendentalen Bedingung der Möglichkeit von Erkenntnis überhaupt. Die auseinandergefallene Ordnung des Wissens wird um das erkennende Subjekt neu strukturiert. Dieses Subjekt soll in seinem Bildungsprozeß die Vermittlung zwischen Verstand und Vernunft, sich selbst und der Welt leisten. Aber jeder Versuch, das Subjekt zu begründen, verliert sich in Metaphysik oder wird normativ und verfehlt die Subjekthaftigkeit des Menschen. Andererseits gelingt es ebensowenig, das Feld des Wissens einer einheitlichen Ordnung zu unterwerfen, ohne die dabei auftretenden Legitimationsprobleme gewaltsam zu unterdrücken. Erblickt mit Kant jenes empirisch-transzendentale Doppelwesen das Licht der theoretischen Erkenntnis und treten bei Kant systematisch getrennt die Rationalitätsformen von Verstand und Vernunft nebeneinander auf, so ist es W.v.Humboldt der in Anlehnung an Kants "Kritik der Urteilskraft" in einer Theorie der Bildung die Verbindung von Verstand und Vernunft zu ermöglichen versucht. Diese Verbindung ist in seiner Theorie nur mit spezifischen Lerngegenständen möglich, Kunst und Literatur, die von ihrer Form her die Einbildungskraft ansprechen und die diesen Übergang von Verstand und Vernunft ermöglichen sollen. Doch auch Humboldt scheitert, ähnlich wie Kant, an der Unmöglichkeit, in dieser Anordnung eine Vermittlung zu leisten. Bildung bleibt ein kontingenter und kategorial nicht zu erfassender Prozeß. Erst mit Hegel kann sich der Bildungsbegriff voll entfalten. Bildung des Geistes heißt

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3. Kapitel

für Hegel sowohl die Entwicklung des Weltgeistes als auch die kurze Rekapitulation durch das Individuum. Das große Subjekt des Weltgeistes entäußert sich zu Beginn der Geschichte und kommt in ihrem Verlauf wieder zu sich, dem kleinen Subjekt bleibt nur die Möglichkeit, sich der jeweiligen Konfiguration des Weltgeistes zu beugen. Auf der anderen Seite versucht Hegel mit dieser Konstruktion, das sich immer weiter ausdifferenzierende Wissen in einer großen Erzählung zusammenzubinden. Dieses Modell findet seinen Ausdruck u.a. in der Humboldtschen Universität. Doch die Wissensentwicklung schreitet immer weiter voran, und dieses Modell verliert an Tragfähigkeit. So ist eine Neuformulierung des Bildungsgedankens philosophisch durch Dilthey, pädagogisch durch Nohl, Flitner und später Litt und Fischer ein erneuter Versuch, ein verbindendes Band um dieses Wissen zu schnüren und eine Verbindung von Verstand und Vernunft, von Subjekt und Objekt^ erneut zu versuchen. Bei Dilthey kommt diese Aufgabe den Geisteswissenschaften zu, die durch die reflexive Struktur ihres Wissens und ihren historischen Zugang einen übergeordneten Standpunkt ermöglichen. Dilthey und die gesamte geisteswissenschaftliche Pädagogik stellen einerseits kulturkritisch den Zerfall eines einigenden Bandes der modernen Gesellschaft fest, aber sie setzen dieser Entwicklung einen emphatischen Begriff von Bildung entgegen, der den gesamten pädagogischen Prozeß leiten soll. Erkennt Litt in seiner Neufassung des Bildungsbegriffs nach 1945 die schier unüberwindliche Zerrissenheit, in der der moderne Mensch steckt, so versucht Fischer erneut durch seine philosophiegeschichtlichen und systematischen Reflexionen über den Sinn von Sinn einen Bildungsbegriff positiv zu formulieren. Ihre Versuche, einen Bildungsbegriff zu begründen, verlieren sich in Metaphysik oder reiner Affirmation. Sie erkennen die zunehmende Zerrissenheit der modernen Welt, aber, anstatt sie in ihrer Heterogenität zu denken, versuchen sie sie über einen Zentralbegriff zu vereinheitlichen. Dadurch gerinnt ihnen ihre vielschichtige Reflexion zu einem normativen Konzept, das den Menschen als solches gegenübertritt, ihnen von oben übergestülpt wird. Dies wird dadurch verstärkt, daß sie zwar einerseits ihren Bildungsbegriff historisch-hermeneutisch zu begründen versuchen, aber anstatt ihn dann jeweils spezifisch im Ensemble der gesellschaftlichen Verhältnisse zu denken, wird er wieder zu einem Begriff, dessen Wesen noch zur Erscheinung gebracht werden muß. Auch die am kritisch-marxistischen Denken orientierten Theoretiker Heydorn und Adorno stehen permanent in dieser Gefahr. Für sie taucht der Bildungsgedanke historisch auf, harrt seiner Erfüllung und verkommt in dem Maße zur Halbbildung, wie die bürgerliche Gesellschaft ihren emanzipatorischen Impetus einbüßt. 5

Die in dieser Formulierung nahegelegte Gleichsetzung der Gegensatzpaare Verstand-Vernunft, SubjektObjekt wäre fraglos verkürzt und falsch. Gleichwohl markiert die Differenz von Verstand und Vernunft, den Übergang vom transzendentalen Subjekt in die soziale Dimension einer Gesellschaftlichkeit in Form moralischer Kategorien. Insofern handelt es sich hierbei zumindest um eine Strukturähnlichkeit, die dem Argumentationsgang in diesem Kapitel nicht entgegensteht.

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Es gilt für den Bildungsbegriff Ähnliches, was Foucault über die jüngere Philosophiegeschichte gesagt hat, "daß unsere gesamte Epoche, sei es in der Logik oder in der Epistemologie, sei es mit Marx oder mit Nietzsche, Hegel zu entkommen trachtet. (..) Aber um Hegel wirklich zu entrinnen, muß man ermessen, was es kostet, sich von ihm loszusagen; muß man wissen, wieweit uns Hegel insgeheim vielleicht nachgeschlichen ist; und was in unserem Denken gegen Hegel vielleicht noch von Hegel stammt; " (1974, 45). Diese Formulierung Foucaults ist höchst ambivalent. Einerseits gilt es, Hegel zu entkommen, d.h. für eine Bildungstheorie, jeder universalen Dialektik zu entsagen, die jenen fatalen Fehler macht, das Ende jeder dialektischen Bewegung schon vorher zu setzen, anstatt sich auf den im Zweifel endlosen Prozeß des Denkens einzulassen. Andererseits sind laut Foucault auch immer die Kosten in Rechnung zu stellen, die entstehen, wenn man Hegel zu entkommen versucht. Der Verzicht auf einen Bildungsbegriff führt dazu, sich im Detail der Erziehungs- und Lernprozesse zu verlieren und den Blick auf größere Zusammenhänge nicht mehr wagen zu können. Wenn Sünker (1989, 454) für eine geschichtstheoretische Interpretation Heydorns plädiert, dann geht es ihm um eine radikale Historisierung menschlicher Geschichte, die konkrete historische Erkenntnisse produziert und diese nicht in einer geschichtsphilosophischen Gesamtkonstruktion nivelliert. Daraus folgt weiter, sich des Identitätszwanges dialektischen Denkens stets bewußt zu sein. "Dialektik bedeutet objektiv, den Identitätszwang durch die in ihm aufgespeicherte, in seinen Vergegenständlichungen geronnene Energie zu brechen. Das hat partiell in Hegel gegen diesen sich durchgesetzt, der freilich das Unwahre des Identitätszwanges nicht zugestehen kann" (Adorno 1966, 159). Doch bei Adorno verharrt diese Kritik an der Dialektik im Negativen, weil er nicht von der Möglichkeit der Versöhnung lassen will. Doch mit Lyotard und Welsch gilt es, dieses Kreisen um den Identitätszwang gänzlich durch ein Plädoyer für das Heterogene aufzugeben. Bildung findet hier nur noch im Widerstreit (vgl. Koller, 1993, 80ff) oder im Übergang statt. Bildung wird nun zu einem Prozeß des Hin- und Hergehens im heterogenen Feld des Wissens. Doch die Kritik am Identitätszwang dialektischen Denkens bezieht sich auch auf das Subjekt. Die Leere des verschwundenen Menschen muß nicht zwangsläufig den Verzicht auf jede Vorstellung von Subjektivität bedeuten, es heißt zunächst nur seine Einheitlichkeit als vorgegebenes Ergebnis des Bildungsprozesses zu bestreiten. Nietzsches Plädoyer für einen aktiven Nihilismus und die Aufforderung zur permanenten Neuerschaffung des Menschen jenseits aller vorgefertigten Muster kann, bei all der Problematik, die mit seinem elitären Denken verbunden ist, als Beispiel für ein Denken in der Leere des verschwundenen Menschen verstanden werden. Welche Elemente einen subjektwissenschaftlichen Bildungsbegriff ausmachen, der der bewußtseinsphilosophischen Subjekt-Objekt-Anordnung des tra-

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3. Kapitel

ditionellen Bildungsbegriffs zu entgehen versucht, soll Gegenstand des dritten Kapitels sein. Doch um tragfähige analytische Bestimmungsmomente eines solchen Bildungsbegriffs zu entwickeln, bedarf es zunächst einer Analyse der institutionellen Praxen, die der Bildungsdiskurs bevölkert. Es gilt also im folgenden Kapitel, zunächst geschichtstheoretisch die konkreten Verflechtungen von Wissen, Macht und Herrschaft im Bildungssystem transparent zu machen und ihre Effekte aufzudecken.

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2.Kapitel: Die Genealogie des gebildeten Subjekts "Das Leben ist eine ungeheure mimetische Anstrengung" (R.Menasse, 1996,94)

Die Form der Problematisierung des Subjekts im Bildungsdiskurs, wie sie im ersten Kapitel herausgearbeitet worden ist, betrachtet dieses in seiner synchronen Gestalt. Damit ist seine Spezifik in der diskursiven Formation der Moderne allerdings noch nicht erfaßt. Erst durch eine ergänzende genealogische Analyse, die die "Formierung der Problematisierungen" (Foucault 1986, 19) des Subjekts zum Gegenstand hat und somit die diachrone Entstehung dieser Gestalt nachzeichnet, ist sein vollständiges Begreifen möglich. Zunächst wird deshalb die genealogische Methode Foucaults im Anschluß an Nietzsche genauer bestimmt, um anschließend Foucaults Kritik an den Formen moderner Subjektivität herauszuarbeiten. Diese Kritik bleibt für eine individualwissenschaftliche Perspektive auf Prozesse der Unterwerfung des Menschen als Subjekt zu unscharf und bedarf der Ergänzung durch die Analysen Althussers zur ideologischen Anrufung des Subjekts. Althusser geht in seiner Theorie aber noch einen Schritt weiter und begreift die Formen ideologischer Subjektion in ihren jeweils spezifischen gesellschaftlichen Praxen. Da es in diesem Kapitel um die "Genealogie des gebildeten Subjekts" geht, muß die Praxis des Bildungssystems in seinen Bezügen zu entscheidenden diskursiven und nichtdiskursiven Praxen innerhalb der je spezifischen diskursiven Formation der Moderne herausgearbeitet werden. Sünker et.al. (1994) schlagen für eine differenzierte bildungssoziologische Analyse der Bildungsinstitutionen und ihrer Funktionsweise die Einbeziehung der sozialen Struktur des ökonomischen Systems, der Struktur des Staates, der Struktur institutionalisierter Bildung und der Ebene des Handelns vor. Anhand der diskursiven Formation der frühbürgerlichen Gesellschaft zu Zeiten Humboldts und der bundesrepublikanischen Gesellschaft werden in diesem Kapitel systematisch die unterschiedlichen Formen der Produktion gebildeter Subjekte untersucht, um abschließend deren Veränderungen in der sogenannten Postmoderne zu skizzieren.

2.1. Genealogie des modernen Subjekts Wenn in diesem Teilkapitel von der Genealogie des modernen Subjekts die Rede ist, so geht es nicht darum, seine Geschichte zu schreiben. Dies bedeutete vor allem in der deutschen Theorietradition, eine Begriffsgeschichte nachzuzeichnen, die ihren Gegenstand in seinen Bedeutungswandlungen darstellt. Die Genealogie setzt gegen diese "metahistorische Entfaltung der idealen Bedeutungen und unbegrenzten Teleologien" (Foucault, 1974, 69) und der

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3. Kapitel

Suche nach dem Ursprung der Dinge die Frage nach der Herkunft und Entstehung eines Gegenstandes. Foucault entwickelt diese genealogische Methode in Anlehnung an Nietzsche, der in seiner "Genealogie der Moral" (Nietzsche, KSA 1988, Bd. 5) das genealogische Vorgehen so charakterisiert, daß es nicht um das Aufzeigen des einen Sinnes gehe, sondern um die Analyse einer Synthesis von Sinnen (ebd., 317). Ausgehend von dem quasi grundlegenden Axiom genealogischer Operationen, "dass nämlich die Ursache der Entstehung eines Dinges und dessen schließliche Nützlichkeit, dessen thatsächliche Verwendung und Einordnung in ein System von Zwecken toto coelo auseinander liegen" (ebd., 313), läßt sich die genealogische Methode Nietzsches als eine nicht-teleologische, polysensuelle und dezentrierend nicht-dialektische bezeichnen (vgl. ebd., 313ff und Gamm, 1985, 144f). Gemeint ist damit, daß Nietzsches genealogischer Diskurs über Moral, Strafe etc. diese nicht als in ihren historischen Bedeutungen konstant begreift, sondern entdeckt, daß die verschiedenen Gegenstände dieses Diskurses immer wieder in neue Sinnsysteme gezwungen werden. Der je aktuelle Sinn ist nur Zeichen seiner Zurichtung in das jeweilige System. Seine Entwicklung ist nicht als ein Fortschritt zu denken. In den verschiedenen Gegenständen des Diskurses überlagern sich eine Vielzahl von Sinnbedeutungen. "Der Gesamtcharakter genealogischer Diskursivität besteht demgemäß in reflektierter Zerstreuung von Moral, Geschichte und Sinn/Subjektivität" (ebd., 145). In diesem Sinne ist die Genealogie antidialektisch und dezentrierend. Foucault greift dieses Vorgehen in gewisser Weise auf. Im Zurückweisen des Gedankens eines Ursprungs, an dem sich die reine Möglichkeit, die erste Identität offenbarte, als Ort der Wahrheit, entdeckt der Genealoge die "Unstimmigkeit des Anderen" (Foucault, 1974, 71). Gegen diesen Begriff des Ursprungs setzt Foucault die Entstehung oder Herkunft als Gegenstand der Genealogie. Die Analyse der Herkunft eines Gegenstandes führt zu seiner Auflösung. Dort, wo die Kohärenz behauptet wird, lauern zahllose Ereignisse. "Die Erforschung der Herkunft liefert kein Fundament; sie beunruhigt, was man für unbeweglich hielt; sie zerteilt, was man für eins hielt; sie zeigt die Heterogenität dessen, was man für kohärent hielt" (ebd., 74). Neben diesen Begriff der Herkunft stellt Foucault den der Entstehung. Ist die transhistorische Entität einer Moral, eines Subjekts, eines Ichs bestritten, so läßt sich ihre Existenz im jeweils gegenwärtigen Diskurs dennoch nicht leugnen. Hier gewinnen seine Überlegungen zum Entstehungsbegriff an Bedeutung. Die Entstehung eines Gegenstandes denkt Foucault als Produkt von Kräfteverhältnissen. "Die Entstehung ist also das Heraustreten der Kräfte auf die Szene, ihr Sprung aus den Kulissen auf die offene Bühne" (ebd., 76), wo sie ihre scheinbar geschlossene Gestalt erhalten. Diese Entstehung geht auf kein schaffendes Subjekt zurück, sie entsteht im "leeren Zwischen" (ebd., 77).

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Eine Genealogie des gebildeten Subjekts zu schreiben, heißt demzufolge, seine Herkünfte offenzulegen, es in diesem Sinne zu zerstreuen, es aufzulösen und andererseits seine Entstehung als Effekt von veränderten Kräfteverhältnissen zu denken, es in einem System von Machtverhältnissen zu begreifen, es nicht für das zu nehmen, als das es sich ausgibt. Doch wie ist dieser Gegenstandsbereich genealogisch aufschließbar? Schon bei Nietzsche spielte der menschliche Leib als genealogisches Konzept eine entscheidende Rolle und auch Foucault interessiert gerade diese Seite an Nietzsche. In seiner ersten genealogischen Studie "Überwachen und Strafen" (1975) richtet sich Foucaults Blick bei der Analyse des Strafsystems auf den Körper im Feld des Politischen. Dieser ist Gegenstand vielfältiger Machtpraktiken, die Hand an ihn legen, um ihn zu formen. Trotz der Kohärenz der Resultate dieser Machtpraktiken ist der Formungsprozeß, in dem der menschliche Körper zu einem nützlichen Körper umgebaut wird, ein vielfältiger. "Man kann sie (die Machtpraktiken; A.d.A.) auch weder an bestimmten Institutionen noch im Staatsapparat festmachen. Diese greifen auf sie zurück; ...Es handelt sich gewissermaßen um eine Mikrophysik der Macht, die von den Apparaten und Institutionen eingesetzt wird" (ebd., 37f). Es geht Foucault in seiner genealogischen Analyse folglich um jenen Zwischenraum zwischen dem biologischen Körper und seinem Eingebettetsein in institutionelle Zwangsapparate. Diese Lücke wird über ein Wissen vom Körper geschlossen, das nicht dem Verständnis seiner biologischen Funktionen dient, sondern der Meisterung seiner Kräfte. Es ist dieser Macht-Wissens-Komplex, um den es Foucault in seinen genealogischen Analysen geht. So gilt es, für die Untersuchung der Herkunft und Entstehung des gebildeten Subjekts zunächst den institutionellen Rahmen, aus dem es quasi als Effekt hervorgegangen ist, genauer zu betrachten, um dann das Wissen, das diese Institutionen bevölkert, mit in die Analyse einzubeziehen. Die Betrachtung des Systems von Bildungsinstitutionen in seiner differenzierten Form und seiner differenzierenden Funktion erschließt die Genealogie des bildungsbürgerlichen Subjekts von seiner objektivierenden Seite. Die Analyse des Diskurses über die Bildung ergänzt diese genealogische Untersuchung um ihre subjektivierende Seite. Foucault versucht, diesen Prozeß der Subjektivierung als Prozeß der Unterwerfung am Beispiel des Diskurses über die Sexualität in seiner Studie "Sexualität und Wahrheit" zu verdeutlichen.1 Er unterscheidet dort zwischen der Sexualität als einem als Dispositiv angeordneten Wissensgeflecht, das sich über den menschlichen Individual- und Bevölkerungskörper legt und diesen organisiert, und dem Sex als einem in diesem Geflecht liegenden imaginären Punkt, der sich unter starken Vorbehalten als Standpunkt des Subjekts bezeich^ b die Sexualität für seine Analyse nur Beispielcharakter hat, wie Foucault es im Vorwort zur deutschen Ausgabe von "Der Wille zum Wissen; Sexualität und Wahrheit Bd 1" behauptet (1976,8), ist für die meisten in diesem Werk formulierten Thesen fraglich, für den Zusammenhang dieser Arbeit aber durchaus richtig.

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3. Kapitel

nen läßt. Die Wirkungsweise dieses Begriffspaares beschreibt er wie folgt: "Jeder Mensch soll nämlich durch den vom Sexualitätsdispositiv fixierten imaginären Punkt Zugang zu seiner Selbsterkennung haben (weil er zugleich das verborgene Element und das sinnproduzierende Prinzip ist), zur Totalität seines Körpers (weil er ein wirklicher und bedrohter Teil davon ist und überdies sein ganzes symbolisch darstellt), zu seiner Identität (weil er an die Kraft eines Triebes die Einzigartigkeit einer Geschichte knüpft)" (ders., 1976, 185). Der in dem Wissensnetz des Sexualitätsdispositivs eingeschlossene Mensch ist permanent damit beschäftigt sich selbst, seinen Körper und seine Identität nach diesem dort bereitgestellten Wissen zu organisieren. Foucault beendet dieses Buch mit dem Satz "Ironie eines Dispositivs: es macht uns glauben, daß es darin um unsere >Befreiung< ginge" (ebd., 190). Im Glauben, daß sich das Subjekt als sexuelles befreien könne, hat eine viel tiefer liegende Unterwerfung stattgefunden. Diese Überlegungen Foucaults sind zwar in gewisser Weise psychologischer Natur, bleiben aber für ein genaues Verständnis der psychischen Wirkungsweise solcher Unterwerfungsprozeduren einerseits und ihrer gesellschaftlichen Bedeutung andererseits undeutlich. Einen Versuch, den Subjektivierungsprozeß als einen ideologischen Unterwerfungsprozeß zu denken, hat L.Althusser in seinen Studien zur Ideologietheorie unternommen (z.B., 1977). Die Pointe sowohl Foucaults als auch Althussers ist die der Freiwilligkeit der Unterwerfung der Subjekte. Althusser geht in seinen ideologietheoretischen Untersuchungen von der Frage aus, wie sich die bürgerliche Gesellschaft reproduziert, genauer gesagt, wie sich einmal die Produktivkräfte und zum anderen die Produktionsverhältnisse reproduzieren. Zur Reproduktion der Produktivkräfte gehört neben die der Produktionsmitteln auch die der Arbeitskraft. Doch "die Reproduktion der Arbeitskraft (erfordert) nicht nur die Reproduktion ihrer (Q) Oulifikationen (i.O. orthographisch falsch), sondern auch gleichzeitig eine Reproduktion ihrer Unterwerfung unter die Regeln der etablierten Ordnung" (ebd., 112). Diese Aufgabe übernehmen in der bürgerlichen Gesellschaft die verschiedenen Staatsapparate (Schule, Kirche, Armee etc.). Mit der Einführung der Kategorie ideologische Staatsapparate< versucht Althusser das soziale Ganze, im Unterschied zu einer heglianischen Totalität, als gegliedertes Ganzes neu zu konzeptualisieren. Dazu verabschiedet er sich von der traditionellen marxistischen Metapher von Basis und Überbau, da die meisten ideologietheoretischen Untersuchungen auf der Grundlage dieser Metapher vorschnell die Spezifik unterschiedlicher gesellschaftlicher Praxen durch einen ökonomischen Reduktionismus auf die Determination gesellschaftlicher Verhältnisse durch die Ökonomie in letzter Instanz zurückführen. Althusser hält zwar einerseits an der Determination in letzter Instanz fest, aber er konstatiert andererseits: "Die einsame Stunde der >letzten Instanz< schlägt nie, weder im ersten noch im letzten

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Augenblick" (1968, 81). Allgemein bestimmt Althusser Ideologie als "eine >Vorstellung< des imaginären Verhältnisses der Individuen zu ihren realen Existenzbedingungen" (ebd., 133). Der Fokus dieser Bestimmung liegt nicht auf der Vorstellung der Individuen von diesen Bedingungen, sondern auf ihrem Verhältnis zu diesen, das in der Ideologie vorgestellt wird. Diese Ideologie ist als materielle zu denken. Ihn interessiert nun, wie sich ideologische Prozesse in den Individuen verankern. So geht er von der Feststellung aus, daß ein Individuum beispielsweise an Gott, an eine Pflicht, die Gerechtigkeit oder eben auch die Bildung glaubt. Dieser Glaube hängt von den in seinem Bewußtsein vorfindlichen Ideen ab, aus denen sich sein Handeln ableitet. Dieses Handeln findet in je spezifischen gesellschaftlichen Praxen mit ihren Regeln statt. Bereits diese Anordnung des mit einem Bewußtsein ausgestatteten Subjekts kennzeichnet die Funktionsweise der Ideologie. Die unterschiedlichen gesellschaftlichen Praxen rufen die Individuen als konkrete Subjekte an. Das angerufene Subjekt erkennt in der Anrufung die in seinem >Bewußtsein< vorfindlichen Glaubensinhalte, Gedanken usw. wieder und konstituiert sich in der An- und Wiedererkennung als unterworfenes Subjekt. Am Beispiel der religiösen Anrufung des Subjektes Moses durch das SUBJEKT Gott, versucht er diesen freiwilligen Unterwerfungsprozeß nachzuzeichnen. Jener ist diesem Rechenschaft schuldig, während dieser sagt: "Ich bin, der ich bin" (ebd. 146). Das angerufene Subjekt unterwirft sich dem SUBJEKT. Die so vollzogene Identitätsfindung stabilisiert sich durch ihre permanente Wiederholung. Im französischen Original heißt es: "la reconnaissance mutuelle entre le sujet et le Sujet, et entre les sujets eux-meme, et finalement la reconnaissance par lui-meme" (1976, 132). Der Begriff >Reconnaissance< läßt sich sowohl mit Wiedererkennung als auch mit Anerkennung übersetzen.^ So formiert sich im Prozeß der An- und Wiedererkennung das unterworfene Subjekt und sorgt dafür, "daß alles in Ordnung ist" (ders. 1977, 148). Übertragen auf die Formierung des gebildeten Subjekts bedeutet dies, daß die Struktur des Bildungssystems und der Diskurs über Bildung, die im >Bewußtsein< jedes Individuums vorfindlich sind, die Funktion des SUBJEKTS übernehmen, das >unhinterfragbares< Wissen zur Verfügung stellt und die Subjekte permanent auffordert, sich gemäß diesen Wissens zu verhalten und zu organisieren. So formiert sich in einem aktiven Prozeß das >freiwillig unterworfene< Subjekt, das sich als bildungbürgerliches emanzipatorisch dünkt. Nicht zuletzt bezeichnet Althusser die Schule als den gegenwärtig bedeutendsten ideologischen Staatsapparat (ebd., 128). Im bürgerlichen Zeitalter durchläuft jeder diesen Apparat über Jahre und wird dort zu einem treuen Staatsbürger geformt. Die genaue Arbeitsweise dieses Systems soll -Die Obersetzung: "die wechselseitige Wieder/Anerkennung zwischen den Subjekten und dem SUBJEKT sowie der Subjekte 'untereinander und schließlich die Wieder Anerkennung des Subjekts durch sich selbst."

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später untersucht werden, als These ist festzuhalten, daß das, was bei Foucault noch einfacher Effekt von diskursiven und nicht-diskursiven Praxen der Macht und des Wissens war, bei Althusser eingeordnet ist in ein ideologisches System, das der Reproduktion des herrschenden Systems dient. Aus heuristischen Gründen versuche ich diese Überlegungen zunächst einfach für die Analyse des Bildungssystems und des Bildungsdiskurses zu übernehmen, obgleich mir ihre Grenzen bewußt sind. So gilt für beide Theoretiker, daß sie das Subjekt immer nur als schon unterworfenes denken können. Bei aller Differenzierung, die sie bezüglich ihrer Analyse von Machtpraktiken und der Wirkungsweisen ideologischer Staatsapparate an den Tag legen, sind doch "in der Nacht des Subjekt-Effektes (...) alle Praxen grau" (PIT, 1979, 128). Mit Althusser soll deshalb die ideologische Struktur des Bildungssystems mit seinen spezifischen Formen der Anrufung der Individuen als gebildete Subjekte analysiert werden. Allerdings kann Althusser diese Praxen nur als fertige Phänomene denken. Foucaults Überlegungen zur Genese des Subjekts lassen diesen Unterwerfungsprozeß in seiner Formierung und seiner Formationsspezifik begreifen. Ein zentrales Problem beider Ansätze bleibt die Unfähigkeit, zwischen Ideologischem und Nicht-Ideologischem zu unterscheiden. Wie hingegen >nicht-ideologische< Bildungsprozesse aussehen könnten, soll Gegenstand des 3.Kapitels werden.

2.2. Das Bildungssystem in den diskursiven Formationen der Modertie Die allgemeinen Bestimmungen zur Genealogie des modernen Subjekts sind jetzt hinsichtlich der Analyse des gebildeten Subjekts zu konkretisieren. Die zentrale Struktur für seine Genese ist das moderne Bildungssystem, dessen Funktion in den diskursiven Formationen der Moderne genauer zu bestimmen ist. Die Reproduktion der gesellschaftlichen Ordnung ist in der Vormoderne noch durch die festgefügte Ständeordnung gewährleistet. Im Übergang zur Moderne mit ihrer Durchsetzung der kapitalistischen Produktionsweise als dominanter Produktionsform und der Artikulation der bürgerlichen Forderungen nach Freiheit und Gleichheit findet ein enormer Freisetzungsprozeß in den Gesellschaften mit grundlegenden Konsequenzen für die Menschen statt. "In der Feudalgesellschaft war das Mitglied eines Standes vollständig bestimmt durch die sozialen Lebensbedingungen des Standes. Mit der Geburt war bereits die spätere Lebenstätigkeit vorgezeichnet. Die beginnende Mobilität zwischen den Ständen zerreißt die Konzeption solcher außenbestimmten sozialen Identität" (Jäger/Staeuble 1978, 78). Dieser Übergang von der feudalen zur bürgerlichen Gesellschaft verläuft nicht problemlos und führt zu einer Thematisierung des >Menschen< als frei handelndem Subjekt unter diesen

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neuen Bedingungen. Jäger/Staeuble greifen bei der Analyse dieses Prozesses auf die Kategorie der >Individualitätsform< (Seve 1972) zurück. Individualitätsformen sind als Vermittlungsinstanz zwischen der notwendigen gesellschaftlichen Produktion/Reproduktion und den Notwendigkeiten der individuellen Lebenserhaltung gedacht, sie sind >notwendige< Aktivitätsmatrizen. Sie bestimmen als gesellschaftliche Definitionen betimmte Handlungsanforderungen und Haltungen einschließlich bestimmter gesellschaftlicher Denkformen und Ideologien gegenüber den einzelnen Individuen. Jäger/ Staeuble rekonstruieren in ihrer Untersuchung die Herausbildung der Individualitätsformen des Lohnarbeiters und des Bürgers/Kapitalisten aus den diskursiven und nicht-diskursiven Praxen dieser Zeit. Vor dem Hintergrund poststrukturalistischer Theorie ist die Problematik dieses Begriffs nochmals hervorzuheben. Der mit ihm begriffene Prozeß ist gleichsam als Disziplinierungsprozeß zu entschlüsseln. Parallel zum Freisetzungsprozeß im Übergang zur modernen Gesellschaft findet ein neuer Festschreibungsprozeß statt. Individualitätsform ist einerseits ein analytischer Verhältnisbegriff (HolzkampOsterkamp 1975, 318), aber er beschreibt auch eine gesellschaftlich bereitgestellte Form, durch die die freigesetzten Menschen in die neuen Verhältnisse eingepaßt werden. In diesem Einpassungsprozeß kommt dem Bildungssystem eine zentrale Funktion zu. Seine Aufgabe besteht in der Verteilung der >formal gleichen und freien Menschen< auf die unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereiche. Der Systemtheoretiker Luhmann hat als >unfreiwilliger< Ideologietheoretiker (vgl., PTT 1979, 165ff) dazu einige zentrale Verschiebungen im pädagogischen Diskurs und seinen Selbstverständlichkeiten vorgenommen. Entgegen dem Allgemeinplatz in der Erziehungswissenschaft, Bildung sei ihre zentrale Kategorie, weist er Bildungstheorien im Bildungssystem eine nebengeordnete Funktion zu. In seiner systemtheoretischen Fassung von Gesellschaft begreift er diese als funktional differenzierte, entgegen einer stratifizierten, feudalen Gesellschaft. Die funktional differenzierte ist in einzelne Systeme gegliedert, die sich funktional aufeinander beziehen. Dem Bildungs/Erziehungssystem kommt nun nicht die Aufgabe zu, allen eine möglichst umfassende Bildung zu ermöglichen, sondern »hre Aufgabe ist die Selektion, d.h. die Zuweisung von Plätzen im Beschäftigungssystem. So unterscheidet er zur Strukturierung der Operationen dieses Systems (1986, 154ff) zwischen dem notwendigerweise binären Code der Bewertung positiv/negativ (erfolgreich/nicht-erfolgreich) und dem Programm, das in Form von Lehr- und Lernplänen gefaßt wird. Neben dieser Funktion dient die Erziehungswissenschaft der Reflexion auf die Einheit dieser Prozesse, die auf der Ebene des Codes über die individuelle Karriere gefaßt und auf der Ebene der Programmierung durch Bildungstheorien geleistet wird (vgl., ebd., 173). In ihrer großen Studie über die "Reflexionsprobleme des Erziehungssystems" haben Luhmann und Schorr (1979) bereits eine weitere Differen-

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zierung vorgenommen. Dort fungiert Bildung als "Kontingenzformel", mit der die Kontingenz der einzelnen Operationen innerhalb dieses Systems vereinheitlicht wird^. Die Systemtheorie bleibt hingegen blind für die Spezifik dieses Selektionsprozesses. Erst in der Verbindung mit den Analysen von Jäger/Staeuble fügt sich das Analyseraster zusammen. Dem Bildungssystem kommt in der modernen Gesellschaft die Aufgabe der Reproduktion sozialer Ungleichheit zu. Dazu werden im Bildungssystem unterschiedliche Formen bereitgestellt, in die sich die Individuen hineinvergesellschaften können und müssen. Diese Formen sollen in Anlehnung an den Individualitätsformbegriff Bildungsformen genannt werden. Eine wichtige Differenz zum Individualitätsformbegriff besteht darin, daß nicht nur ökonomische, sondern auch soziale und kulturelle Aspekte mit in diesen Begriff eingehen. Als Vergesellschaftungsform bietet er Denk-, Handlungs- und Beurteilungsschemata an, die den Individuen klassenspezifische Handlungskompetenzen verleihen. Gleichzeitig kittet er den Riß zwischen dem Staatsbürgersubjekt und dem den Verhältnissen ausgelieferten Privatmenschen. Dieser Begriff unterscheidet sich zudem vom Karrierebegriff der Systemtheorie, weil mit ihm einmal soziale Ungleichheiten erfaßt werden sollen und zum anderen seine historische Spezifik betont wird. Um die in diesem Begriff zusammengefaßten Handlungsanforderungen und Muster vollständig zu begreifen, bedarf es einer genaueren Analyse der jeweiligen gesellschaftlichen Formationen. Dazu haben Sünker et.al. in ihrem Sammelband "Bildung, Gesellschaft und soziale Ungleichheit" (1994) ein Modell des Zusammenhangs von "Reproduktion, sozialer Ungleichheit und Handeln" skizziert, das vier lose miteinander verknüpfte Strukturen enthält: die soziale Struktur des ökonomischen Systems, die Struktur institutionalisierter Bildung, die Struktur des Staates und die Struktur der Lebenswelt der Individuen (vgl. ebd., 23). Dieses Modell scheint mir, gerade weil die Autoren versuchen, die neueren bildungssoziologischen Theoriediskussionen darzustellen und zu reflektieren, um so zu einer differenzierten Theorie institutionalisierter Bildung zu kommen, für meine weiteren Überlegungen als hilfreich. Der Aspekt des Handelns soll in diesem Kapitel jedoch nur mit Blick auf Handlungsstrukturen als Bildungsformen betrachtet werden. Diese Bildungsformen ergeben sich aus den institutionalisierten Praxen des Bildungssystems und der sozialen Struktur der Gesellschaft. Diese beiden Praxen werden zu verschiedenen Zeiten unterschiedlich verknüpft. Einmal spielt der staatlich-politische Diskurs dabei eine maßgebliche Rolle, zudem gewinnt der mediale Diskurs in diesem Bereich zunehmend an Bedeutung. In diesen Artikulationen kommt der >wissenschaftlichen Bildungstheorie< eine zen3

Interessant ist liier die Parallele zu den in 1.3 .d herausgearbeiteten Bestimmungen des BildungsbegrilTes durch Nolil und Ritner. Diese versuchen umgekehrt den BildungsbegriiT aus den "kontingenten" pädagogischen Bewegungen ihrer Zeit als einheitsstiftendes Moment herauszuarbeiten und als solches zu propagieren.

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trale legitimatorische Funktion zu. Sie stellt Modelle bereit, wie das Verhältnis von Individuum und Gesellschaft/sozialer Wirklichkeit im Bildungs- und Erziehungssystem gedacht werden kann. Diese Modelle gehen als Vorstellungen in den politischen und medialen Diskurs ein, werden dort übernommen und transformiert und verdichten sich zu unterschiedlichen Bildungsformen. Die Art und Weise, wie diese Bildungsformen individuell mit >Leben< gefüllt werden, vollzieht sich als Erzählung des eigenen Lebens. Material dafür findet sich z.B. in der Literatur und anderen Formen von (auto-) biographischen Erzählungen. Die obengenannten Strukturen haben sich in den beiden zu untersuchenden Zeiträumen, der frühbürgerlichen Gesellschaft in der ersten Hälfte des 19. Jahrhundert und der bundesrepublikanischen Gesellschaft, zu Formationen verdichtet. Erst diese Perspektive von relativer Autonomie und artikulatorischer Verknüpfung schafft die Möglichkeit, statt historische Wahrheiten zu formulieren, die Spezifik der Funktionsweise der Unterwerfung der Menschen als Subjekte zu unterschiedlichen Zeitpunkten in der Moderne zu begreifen.

2.2.1. Eine bildungssoziologische Perspektive auf die Humboldtsche Bildungsreform Der Humbcldtschen Bildungsreform kommt historisch gesehen deswegen eine derart zentrale Bedeutung zu, weil sie im Übergang von einer ständisch gegliederten in eine moderne, bürgerliche Gesellschaft das Bildungswesen zu einem geschlossenen, funktional ausdifferenzierten System zusammenfügt. Zur Analyse seiner Funktionsweise bedarf es eines Blickes auf die gesellschaftlichen, d.h. ökonomischen, politischen, sozialen und ideologischen Veränderungen in dieser Übergangszeit. a) Die soziale Struktur des ökonomischen Systems Noch um 1800 ist die Gesellschaft in den Deutschen Landen durch das starre Gehäuse der feudalen Struktur geprägt. Der Großteil der Bevölkerung (80%) lebt auf dem Land, wo die Grund- Leib- und Gerichtsherrschaft noch in den Händen des Adels liegen. In den Städten dominiert die traditionelle Bürgerschaft aus Handwerkern und Händlern das Geschehen. Doch verschiedene Entwicklungen im 18.Jahrhundert bedrohen dieses System zusehends. Einmal wächst die Bevölkerung von 1750- 1800 um rund ein Drittel. Dies führt auch bedingt durch einen aufkommenden Agrarkapitalismus zu einer enormen Freisetzung der ländlichen Bevölkerung, von der rund 10% in dieser Zeit ohne feste Bleibe sind. Gleichzeitig entwickelt sich auf dem Lande mit dem Ausbau des Verlagswesens eine Protoindustrie, die die Existenzgrundlage des traditio-

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nellen Handwerks bedroht. Beide Entwicklungen führen zu einer Veränderung in der Sozial struktur, sowohl auf dem Land als auch in der Stadt. Dort kommt es zu einer Verarmung breiter Bevölkerungsschichten und hier breiten sich neben dem traditionellen Bürgertum das aufstrebende Bildungsbürgertum und eine neureiche Bourgeoisie aus. Politische Einschnitte, wie der Reichsdeputationshauptschluß (1803), mit seiner Forderung nach Mediatisierung und Säkularisierung, und den umfassenden Reformwerken im Anschluß an die weiteren Niederlagen gegen Napoleon, in Preußen die Stein- Hardenbergschen Reformen von 1807/8, zwingen gesellschaftlich zu einer Neueinteilung der Gesellschaftsstruktur. Die Abschaffung der Erbuntertänigkeit und der Gewerbefreiheit führen auf dem Land zu einem Anstieg der Zahl der Kleinbauern, aber gleichzeitig begünstigen die Reformen eine Ausbreitung der agrarkapitalistischen Produktionsweise. Die Gewerbefreiheit führt das Zunfthandwerk in die Krise und schafft eine frühe Form der Industrialisierung. Diese veränderte Produktionsweise bedingt die Überlagerung alter Standesgrenzen durch neue marktbedingte Klassengrenzen. In dieser Phase der Restauration kommt es zwar zu einer teilweisen Wiedereinführung der Ständegesellschaft, die aber innerlich durch die kapitalistische Markwirtschaft umstrukturiert wird. In den Städten führt dies zu einem Niedergang des alten Stadtbürgertums und der weiteren Ausbreitung der Bourgeoisie als neuem Unternehmertum und dem Bildungsbürgertum als Träger des sich ausbreitenden Staatswesens. b) Die Struktur des Staates Im ausgehenden 18.Jahrhundert hat sich in den Territorialstaaten eine aufgeklärte absolutistische Herrschaftsform etabliert. Dennoch bleibt diese Herrschaft "nach unten offen" (Wehler, Bd. 1, 228) und in den ländlichen Regionen hält sich noch ein fürstlich- ständisch- patrizisches Kondominat. Ein Zentralkonflikt besteht zwischen der Zentralgewalt und der Macht des Adels und der Städte. Die Gruppe derjenigen, die nicht mehr dem Adel, den Städten oder Klöstern unterstellt und somit direkte Staatsuntertanen sind, wächst stetig. Auch die Form der Machtausübung wechselt von der direkten Herrschaft und Kontrolle zu einer bürokratischen Verwaltung und Überwachung. Die politische Krise im Zuge der Kriege gegen Napoleon führt grundlegend nicht zu einer Veränderung der Staatsstruktur. Statt einer Revolution von unten gibt es eine defensive Modernisierung von oben mit monarchisch, adeliger, bürokratischer Vorherrschaft, d.h. der Einfluß der Zentralgewalt in alle Gebiete des Landes nimmt zu. Das Reformwerk schafft zwar einen modernen Staat, dessen Struktur aber die Herrschaft der alten Eliten sichert, zu denen neue hinzutreten.

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c) Die Struktur institutionalisierter Bildung Eine grundlegende Umstrukturierung des Bildungssystems wird in Preußen im Zuge der Stein-Hardenbergschen Reformen durch W.v.Humboldt durchgeführt. Die Humboldtsche Bildungsreform von 1809 ist für die Entwicklung des modernen Bildungswesens in Deutschland grundlegend gewesen, ist aber in ihrem Charakter nur vor dem Hintergrund der historischen Situation voll verständlich. Schon mit dem Reichsdeputationshauptschluß von 1803 war der Grundstein zur Mediatisierung und Säkularisierung in >Deutschland< gelegt und wird nach dem Frieden von Tilsit (1807) und die ihm folgenden SteinHardenbergschen Reformen in Preußen weiter durchgesetzt. Entstanden ist die Schule in Deutschland im Mittelalter als Stätte der Bildung des Priesternachwuchses. Ihr folgen die Universitäten, die alle zunächst kirchlicher Obhut unterstanden. Mit der Ausweitung der landesherrlichen Macht bei der Entfaltung der modernen Territorial Staaten kommt es zur ersten Säkularisierung der Elementarschulen. Im 18. Jahrhundert wächst das Schulsystem im Zuge der Aufklärung und des Humanismus und dem folgt die Einführung der Schulpflicht. Dem Staat soll die Schule, entgegen der Auffassung vieler Reformpädagogen, zur Vermittlung nützlicher Kenntnisse an die Jugend dienen und die Aufteilung in ein ständisch gegliedertes Schulsystem die Festigung der Ordnung gewährleisten (so das Preußische Landrecht von 1794). Nach der Niederlage gegen Napoleon ist auch in Preußen der Druck für Reformen übermächtig. Diese richten sich zentral gegen die ständische Struktur der Gesellschaft, dabei sind die Befreiung der Bauern und die Freigabe des Gewerbes von zentraler Bedeutung. Für das Bildungswesen bekommt der Begriff der Nationalerziehung einen hohen programmatischen und legitimatorischen Rang. Die gesellschaftliche Situation läßt sogar zunächst solchen Vorstellungen wie einer allgemeinen und gleichmäßigen Volksbildung Raum. Als Kopf dieses Unternehmens schlägt Freiherr v.Stein W.v.Humboldt vor, der als Leiter der Sektion für Kultus und Unterricht die entscheidenden Reformen vorbereiten und durchführen soll. Mit dem Ziel einer gleichmäßigen Nationalerziehung entwickelt die Sektion, wie der Litauische und der Königsberger Schulplan, sowie der Sektionsbericht an den König ausweisen, eine umfassende Reform des Schulwesens. Leitende Idee ist hierbei die neuhumanistische Idee allgemeiner Menschenbildung und nicht das Postulat der Menschenrechte. Humboldt plädiert für ein einheitliches Bildungssystem: "Die Frage über die Zulässigkeit abgesonderter Bürger oder Realschulen scheint weitläufig und schwierig zu erörtern. Sie hat zwei verschiedene Systeme hervorgebracht, wovon man das realistische neulich, in Baiern, soweit getrieben hat, dass man beinahe Real Universitäten aufstellt. Alle Schulen aber, deren sich nicht ein einzelner Stand, sondern die ganze Nation, oder der Staat für diese annimmt, müssen nur allgemeine Menschenbildung bezwecken.- Was das

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Bedürfnis des Lebens oder eines einzelnen seiner Gewerbe erheischt, muss abgesondert, und nach vollendetem allgemeinen Unterricht erworben werden. Wird beides vermischt, so wird die Bildung unrein, und man erhält weder vollständige Menschen, noch vollständige Bürger einzelner Klassen" (Humboldt, Bd. XIII, 276). So umfaßt Humboldts Plan, sowohl theoretisch begründet als auch praktisch angelegt, drei aufeinanderfolgende Stadien des Unterrichts: den Elementar-, Gymnasial- und Universitätsunterricht, die "natürlich" aufeinanderfolgen sollen. Der Übergang von einer Stufe zur nächsten ist nicht an den Stand gebunden sondern allein an die Fähigkeiten, die jeweils einer ausführlichen Prüfung unterzogen werden sollen. In einem Brief schreibt er: "Ich hatte einen Plan gemacht, der von der kleinsten Schule an bis zur Universität alles umfaßte und in dem alles ineinandergriff" (ders., 1952,323). Das vielschichtige und radikale Reformwerk Humboldts fußt, so behauptet es C.Menze in seinem Werk über Humboldt (1975), auf vier Grundsätzen: der strikten Trennung von Allgemein- und Berufsbildung, der daraus folgenden Einheitlichkeit des Erziehungssystems, dem Rückzug des Staates aus allen Bildungsfragen (dieser sollte nur Möglichkeiten schaffen, daß der Bürger im Stande sei, sich selbst zu erziehen) und der Tilgung der Untertanenmentalität in der Schule (ebd., 12Iff). Sind die ersten beiden Grundsätze in der Literatur unumstritten, so scheiden sich bei der politischen Einschätzung Humboldts die Geister. Hier bestätigt sich die eingangs erwähnte Einschätzung Nietzsches, daß jedes Interpretieren ein zurichten für die eigenen Zwecke sei. So sieht v. Friedeburg in Humboldts Sektionsbericht für den König eine überzeugende Formulierung der Idee der Gesamtschule (ders., 1992, 65) und C.Menze kann Humboldt zu einem Theoretiker des schwachen Staates machen (ders., 1975, 134f). Unabhängig davon, wie das Werk Humboldts nun eingeschätzt wird, läßt sich feststellen, daß es einen Übergang von einer stratifizierten, ständischen zu einer funktional differenzierten, frühbürgerlich-modernen Gesellschaft markiert. Humboldt liefert mit seinen Reformplänen den ersten Entwurf für ein funktional differenziertes Bildungssystem, in dem "alles ineinandergreift" (s.o.). Er versucht die Spuren der ständischen Gesellschaft zu verwischen, ohne das durchgängig zu schaffen, so spricht er in einem Verwaltungsbericht von 1809 über das Ziel allgemeiner Bildung, das nur derjenige gut in seinem Berufe sein könne, der "ohne Hinsicht auf seinen besonderen Beruf ein guter, anständiger, seinem Stand nach aufgeklärter Mensch und Bürger ist" (der., Bd. 10, 205). Am Fortgang und Scheitern dieser Reformen zeigt sich, daß der Übergang in die moderne Form der Gesellschaftsordnung nicht bruchlos und per Akklamation vonstattengeht. So gelingt es der Sektion nicht, ihren Bildungsplan in ein Unterrichtsgesetz umzusetzen. Erst Süvern erarbeitet in einer Kommission des Kultusministeriums bis 1819 einen "Entwurf eines allgemeinen Gesetzes über die Verfassung des Schulwesens im preußischen Staate"

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(Froese, Krawietz, 1968, 143 ff). Dieser setzt die grundlegenden Vorstellungen Humboldts vom Vorrang allgemeiner Bildung und einer einheitlichen Nationalerziehung in ein Gesetzeswerk um. Dieser Entwurf kommt nie über seinen Status hinaus, und so bleibt es im Zuge der Restauration bei den Formalien des Landrechts für die gemeinen Schulen, was eben besonders die Volksschule treffen muß. Statt >unnötiger< Vielwisserei sollen Religion und Sittlichkeit wieder Einzug in die Schulen halten. In den Karlsbader Beschlüssen verpflichten sich die Bundesregierungen, Universitäts- und andere Lehrer ihrer Ämter zu entheben, sollten sie "durch Verbreitung verderblicher, der öffentlichen Ordnung und Ruhe feindseliger oder die Grundlagen der bestehenden Staatseinrichtungen untergrabender Lehren" (Quellen zum Staatsrecht, 1949, 39f) auffallen. Jede Organisierung der Volksschullehrer wird unterbunden. Die Volksschule wird von den mittleren und höheren Schulen abgesondert und dient der religiös-sittlichen Erziehung der Landbevölkerung und der städtischen Unterschichten. Ihr Erziehungsziel ist der rechtgläubige Untertan (vgl., v.Friedeburg, 1992, 99). Ob sie im Vormärz tatsächlich durch ihre Modernität gegenüber der traditionellen Gesellschaftsordnung eine "revolutionäre Disposition" (vgl., Nipperdey 1968, 135f) geschaffen habe, ist deshalb fraglich. Zwar hat sich mit dem Scheitern des Süvernschen Entwurfs zur Verfassung des Schulwesens dieses nicht als einheitliches formiert, und die Idee einer allgemeinen Elementarbildung wird zur volkstümlichen Bildung verkehrt, dem eine höhere Bildung unverbunden gegenübersteht, aber es läßt sich die These weiterhin aufrechterhalten, daß auch im Zeitalter der Restauration ein Übergang zu einem funktional differenzierten Bildungssystem stattgefunden hat, das allerdings noch stark ständisch geprägt ist. So sehr nämlich die politische Emanzipation des dritten Standes verhindert wird, so sehr öffnen sich die Türen zum sozialen Aufstieg des Bildungsbürgertums. Systemfunktional läßt sich so eine disziplinierende, kontoliierende Volksschule von einer die Verwaltung und Wissenschaft bedienenden mittleren und höheren Schule unterscheiden. Das alte städtische Bürgertum (Handwerker und Kaufleute) wird durch ein neues Staatsbürgertum, das bildungsabhängig ist, abgelöst. Dieses stellt das Rekrutierungspersonal für den sich stark verbreiternden Staatsapparat. So kommt es zu einer Verstaatlichung des höheren Bildungswesens mit Fachverwaltung, staatlicher Schulaufsicht, staatlichem Gymnasium mit eigenen Vorbereitungsklassen und einem Oberlehrer als Staatsbeamten. Ist für Humboldt das Gymnasium noch Menschheitsschule, so entwickelt es sich im Zuge des 19. Jahrhunderts zur >ständischen< Schule, nicht mehr als geburtsständisch, sondern als bildungsständisch. So schreibt U.Wehler in seiner Gesellschaftsgeschichte (1987): "Denn von der Qualität der Bildungsabschlüsse sollte fortan für eine von Jahrzehnt zu Jahrzehnt steigende Zahl von Menschen ihre

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Position im System der sozialen Ungleichheiten dauerhaft abhängen" (ebd., Bd. 1,303). An diesem Punkt der Entwicklung des Bildungswesens hat sich dieses als relativ unabhängiges System etabliert, das nun die verschiedenen Funktionen wahrnehmen kann, die ihm in einer sozial differenzierten Gesellschaft zuwachsen: den Erhalt der sozialen Differenzierung, die berufliche Qualifikation, die politische Sozialisation/Sozialdisziplinierung, der Umschlagsplatz für kulturelles Erbe zu sein und als Ort der Forschung. d) Bildungsformen Dem von Sünker et.al. (1994) entworfenen Modell institutionalisierter Bildung folgend, müßte jetzt ein Blick auf die Lebenswelt der Menschen in jener Zeit folgen, um die Dimension ihres Handelns für einen Begriff intsitutionalisierter Bildung zu entwickeln. Einem diskursanalytischen Vorgehen hingegen ist es möglich, sich die Thematisierung dieser Handlungsräume in der pädagogischen Literatur dieser Zeit anzuschauen. Erst in dem Moment, in dem es gesellschaftlich ein Problem in diesem Bereich gibt, ist es notwendig, darüber zu reflektieren. Jäger/Staeuble (1978) haben dies allgemein für den Übergang von der feudalen in die frühbürgerliche Gesellschaft getan. In dem Maße, wie es Schwierigkeiten bei der Realisierung der Individualitätsformen im Übergang zur kapitalistischen Produtionsweise gibt, entsteht ein Diskurs in diesem Problemfeld. Diese diskursanalytische Perspektive erlaubt keinen direkten Blick in die Lebenswirklichkeit der Menschen, aber erfaßt die Handlungsräume der Individuen mit ihren spezifischen Vergesellschaftungsmodi. Wie aus der Gesellschaftsstruktur und der Struktur instituionalisierter Bildung hervorgegangen ist, lassen sich zwei Handlungsräume unterscheiden. Eine sich langsam zu einer Klasse zusammenfügende große Bevölkerungsschicht der mittellosen Arbeiter steht einer sich aus Adel, Unternehmertum und Bildungsbürgern zusammenschließenden Klasse der Bürger gegenüber. Die Mobilität zwischen diesen beiden gesellschaftlichen Gruppen ist gering. Mit dem Begriff der Bildungsform sollen diese Handlungs- und Möglichkeitsräume als Gestalten wahrnehmbar gemacht werden. In Anlehnung an L.Seves (1973) Begriff der Individualitätsform, der die gesellschaftliche Position und Lebenslage des Individuums genauer bestimmen soll, geht es hier allerdings nicht nur um jenen Raum objektiver Lebensbedingungen, sondern, mit diesem verknüpft, um ein Ensemble diskursiver Strukturen, die Formen der Vergesellschaftung im Bildungsprozeß bereitstellen, die von den Subjekten aktiv angeeignet werden und gleichzeitig dazu dienen, diese in die Verhältnisse einzupassen. So stelle ich für diese Zeit dem bildungsbürgerlichen Subjekt den verwalteten Untertan gegenüber.

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Das bildungsbürgerliche Subjekt als eine solche Vergesellschaftungsform ist in dieser komplexen, geschlossenen Form, in der es uns am Anfang des 19.Jahrhunderts entgegentritt, einerseits als Effekt dieser zusammengeschlossenen Bildungspraktiken zu begreifen, es verdankt seine Entstehung dem "Heraustreten der Kräfte auf die Szene, ihr Sprung aus den Kulissen auf die Bühne" (Foucault, 1974, 76). Aber, wie dieses Zitat nahelegt, sind es andererseits Kräfte, die sich zwar in diesem Moment verdichten, die aber schon vorher am Wirken sind. Verfolgt man nun die Spuren dieser Kräfte, so weisen sie in ganz verschiedene Richtungen. Die geschlossene biographische Gestalt des bildungsbürgerlichen Subjekts findet seinen ersten Ausdruck im frühen Entwicklungsroman, beispielsweise dem Roman "Anton Reiser", von K.-Ph. Moritz (1987) oder der umfangreichen Tagebuch- Literatur des 18.Jahrhunderts. Hier finden sich literarisch verdichtet langfristige, individualgeschichtliche Prozesse verarbeitet, die als Zeichen für eine sich entwickelnde biographische Perspektive privilegierter Kreise verstanden werden können. Diese Form der generalisierten Lebensbetrachtung wiederum ist als säkulare Form des protestantischen Beicht- und Heilsverständnisses zu begreifen. Mit Luthers Kritik am mittelalterlichen Beichtverständnis, das nur einzelne Taten und Motive als Gegenstand der Beichte kennt und die Heilserwartung an die Beichte knüpft, rückt die gesamte Biographie, die Gestaltung des Lebens als Maßstab oder Ausdruck, ins Zentrum religiösen Lebens. Nur wenn das ganze Leben gottgefällig ist, kann Heil erhofft werden (vgl. dazu Hahn 1985, 1987). Diese Wurzeln des bildungsbürgerlichen Subjekts zeigen seine enge Verknüpfung mit sozialen Kontrollprozessen. Die von seiten der Bildungstheorie bereitgestellte Bildungsform, wie im ersten Kapitel dargestellt, ist die des allgemeingebildeten Subjekts. Die von Humboldt und Hegel vorgestellte Form des bildungsbürgerlichen Subjekts, trotz ihrer unterschiedlichen theoretischen Begründungen, ist als affirmativer Reflex auf die herrschenden kulturellen Praxen des Bürgertums ihrer Zeit zu verstehen. Bei Humboldt sind es allein Kunst und Literatur, denen bildende Kraft zugesprochen wird, während Hegel der/seiner Philosophie den zentralen Platz zuweist. So läßt sich beispielsweise die "Phänomenologie des Geistes", in der das allgemeine Individuum den selbstbewußten Geist in seiner Bildung betrachtet, als der Prototyp einer solchen Form begreifen. Mit der sinnlichen Gewißheit ansetzend und dem Übergang zum Schreiben bezeichnet er das Lernziel der Elementarschule, um im Fortgang alle Wissensgestalten poetischer und philosophischer Natur als gymnasiale Inhalte durchzuarbeiten (z.B. Antigone, Faust) und schließlich im universitären Studium der Hegeischen Philosophie des Geistes zu münden. Seine Nürnberger Schriften (Hegel Bd. 4) zeugen von der Praxisrelevanz seines Denkens. So reflektiert er in seinen Gymnasialreden nochmals die Einheit des schulischen Bildungsprozesses und

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weist den weiteren vorgestellten Weg in Staat und GesellschaftA Nur ein pflichtbewußtes Verfolgen dieses Weges gewährt einen sicheren Platz in der Gesellschaft. An einem Gutachtentext Humboldts wird deutlich, daß diese Bildungsform beim preußischen Staatsbeamten endet: "nichts (ist) so wichtig bei einem höheren Staatsbeamten, als welchen Begriff er eigentlich nach allen Richtungen hin von der Menschheit hat, worin er ihre Würde und ihr Ideal hat" (zit. nach Kittler 1988,414). Die Vorstellungen des gebildeten Subjekts und des Staatsbeamten konvergieren in hohem Maße. So schreibt Wehler in seiner Gesellschaftsgeschichte für den Beginn des 19. Jahrhunderts: "Der Zusammenhang zwischen Bildungssystem und ökonomischer Entwicklung ist bei weitem nicht so eng, wie das öfter voreilig angenommen wird. (..) Nicht zuletzt war aber auch zu erkennen, daß die Bindung des deutschen Bildungsbürgertums an Karrieren im Staatsdienst außerordentlich eng war. Der verstaatlichten Intelligenz stand gegen den Preis der politischen Loyalität, das Tor zu materieller Sicherheit, Machtposition und sozialer Geltung offen. Das Examensdiplom wurde der begehrte Schlüssel, der den Eintritt in die >höheren Kreise< verschaffte" (ders. 1987, Bd.l, 302f). Der Prozeß, durch den diese Form charakterisiert ist, fußt zwar einerseits auf objektivierenden Praktiken der Disziplin, wie sie für die Volksschule typisch sind (s.u.), aber ihre besondere Note erhalten sie durch jene subjektivierenden Praxen, die Nietzsche, ein halbes Jahrhundert später, in seiner Kritik an der "deutschen Arbeit" so brillant auf den Punkt gebracht hat. Mit dieser "pädagogischen Ursünde wider den Geist" bezeichnet er jenen zentralen Akt der Selbstunterwerfung des Schülers, in dem dieser aufgefordert wird, sein eigenes Denken zu entfalten, das selbstverständlich nur ein hineindenken in das herrschende Ordnungssystem ist. Die Subtilität dieses Prozesses ist nicht zu unterschätzen und kennzeichnet noch heute das pädagogische Handeln an deutschen Gymnasien: kritisch seine Meinung in den vorgegebenen Denkformen selbständig zu bilden. Es ist genau diese Kompetenz-Inkompetenz-Struktur, die W.F. Haug als zentralen Bestandteil des ideologischen Subjektionsprozesses charakterisiert hat (u.a. 1987, 98). Diese Struktur verändert selbstverständlich je nach Position des Individuums im Ensemble der gesellschaftlichen Verhältnisse ihre Bedeutung. Dem bildungsbürgerlichen Subjekt steht als Bildungsform der verwaltete Untertan gegenüber, obgleich dessen Charakterisierung als Bildungsform problematisch bleibt. In der neuhumanistischen Bildungstradition taucht diese Form selbstverständlich nicht direkt auf, sie ist nur als ihr Schatten zu begreifen. 4

Solche Reden können als Form ideolgischer Anrufung verstanden werden. In ihnen findet Ideologieproduktion statt, in dem Maße, wie in ihnen ein imaginäres Verhältnis der Subjekte zur ihren realen Existenzbedingungen vorgestellt wird, sie ihre Selbst- und Weltsicht danach ordnen und sie sich dadurch zur Ordnimg rufen.

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Bildung für alle je nach ihren Fähigkeiten ist die zentrale Forderung Humboldts. Sein einheitliches Bildungssystem legt davon Zeugnis ab. Allerdings verkennt er, wie die meisten Bildungstheoretiker nach ihm, die Selektionsfunktion des Erziehungssystems. Doch schaut man sich Humboldts Reflexionen über die ständische Struktur der Gesellschaft seiner Zeit an, so muten seine Vorstellungen etwas weltfern an. Ist die zentrale Forderung gleiche Bildungsmöglichkeiten für alle und das heißt für Humboldt zunächst gleiche allgemeine Menschenbildung, so ist die nur an den von Humboldt dafür vorgesehenen Gegenständen möglich. "Auch Griechisch gelernt zu haben könnte auf diese Weise dem Tischler ebensowenig unnütz seyn, als Tische zu machen dem Gelehrten. Indess lässt kleine Verschiedenheiten allerdings die Wahl des Stoffes, da jede Form nur an einem Stoffe geübt werden kann, zu und auf diese wird in Folge auch Rücksicht genommen werden.(...) und es braucht nie dahin zu kommen, dass ein Handwerker Griechisch, kaum Lateinisch gelernt habe" (GS XIII, 278). An dieser Stelle betont Humboldt, daß es in der Schule ausschließlich um die Bildung des Menschen geht, ohne sogleich zweckgerichtet zu sein. Auf diese Weise wird Gleichheit erzielt. Aber diese Gleichheit ist keine Uniformität. Das Beispiel soll einen Grenzfall markieren, daß allgemeine Menschbildung den Vorrang vor einer Zweckgerichtetheit behält. Humboldt fordert nicht seine Umsetzung. Einerseits geht Humboldt grundsätzlich davon aus, daß allgemeine Menschenbildung vorzüglich nur durch das Studium der Antike zu erreichen ist, andererseits erkennt er eine gesellschaftliche Realität, die diese Vorstellung abwegig erscheinen läßt. Im Hintergrund dieses Denkens steht die alte ständische Struktur, die irgendwie durch dieses System hindurch reproduziert werden muß. Hegel spricht eine deutlichere Sprache, wenn er die vollzogene Vervollkommnung der deutschen Volksschulen als Grundlage allgemeiner Bürgerbildung so charakterisiert: "Es werden dadurch allen die Mittel verschafft, das ihnen als Menschen Wesentliche und für ihren Stand nützliche zu erwerben" (Bd. 4, 316). Der Ort, an dem der verwaltete Untertan gebildet wird und sich gebildet hat, ist die Volksschule. Die Reform der Elementarschule erscheint Humboldt als eines der dringlichsten, weil grundlegenden Probleme. Inspiriert durch die pädagogischen Überlegungen Pestalozzis verfolgt Humboldt die Durchsetzung eines neuen Lehr- und Lernkonzepts, durch das eine umfassende Grundbildung von Herz und Hand erreicht werden soll. Doch im Zuge des Scheiterns seiner Bildungsreform werden diese Überlegungen zurückgedrängt zugunsten einer an Bibel, Katechismus und Gesangbuch orientierten Erziehung religiöser Untertanen. Dieses religiöse Wissen entfaltet seine unterwerfende Wirkung dadurch, daß die Schüler die Kompetenz erwerben, sich in der ideologischen Macht< der Religion zu bewegen. Diese Kompetenz ist Voraussetzung dafür, daß sich die Menschen dieser Macht freiwillig unterstellen.

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Mit der Einführung eines >einheitlichen< Bildungssystem löst Humboldt im Bereich der >Bildung< der Unterschichten die Industrieschulen auf. Die Industrieschulbewegung ist Teil der Aufklärungspädagogik gewesen, hat diesen Anspruch aber bald zugunsten eines Utilitarismus aufgegeben. Ihre Protagonisten J.H.Campe und H.Ph.Sextro thematisieren erstmals Momente der Individualitätsform des zukünftigen Lohnarbeiters (vgl. Jäger/Staeuble 1978, 124ff). Ihre Thematisierung der Reproduktion der Arbeitskraft der einfachen Arbeiter fußt auf einem Ausbildungsbegriff der sich auf den unmittelbaren Erfahrungsbereich unter dem Aspekt der Nützlichkeit bzw. der Zeit- und Kraftökonomie beschränkt. "Mit der Abtrennung der geistigen Potenzen des Produktionsprozesses von den unmittelbaren Produzenten erübrigt sich die Herausführung aus der Unmündigkeit als Ausbildungsziel; sie wird ersetzt durch das Ziel einer klassenspezifisch begrenzten Ausbildung von Arbeitskraft" (ebd., 128). Der gehorsame und gläubige Untertan hat bereits außerhalb des neuhumanistischen Bildungstheorie eine diskursive Form angenommen. Er wird als kompetenter Produzent bestimmt. Durch den Fokus auf diese Kompetenz wird die politische Dimension produktiver Kompetenzen abgeschnitten (vgl. Nemitz 1981, 59). Dieser diskursiven Form des gehorsamen, gläubigen Untertans entspricht die nicht-diskursive Praxis der Disziplin. Dazu hat Foucault in seiner Studie "Überwachen und Strafen, Die Geburt des Gefängnisses" (1975, 173ff) umfassendes Material zusammengetragen. Die Praxis der Disziplin entsteht nun nicht nur in der Schule, sondern in einer Vielzahl verschiedener Institutionen. Mit ihr wird auf eine andere Art auf die Freisetzungsprozesse breiter Bevölkerungsschichten reagiert. Ist der Schulraum noch im frühen 18.Jahrhundert ein unstrukturierter Ort, so wird er mit dem Aufkommen der Disziplin nach und nach geordnet. Minutiös wird der einzelne Schüler erfaßt und zu einem gelehrigen Individuum gemacht. Jedem Individuum wird ein Platz zugewiesen, der in einer Rangfolge angeordnet wird. Der Stundentakt wird eingeführt und auch die Staffelung in aufsteigende Klassen. Es findet eine "Organisation von Entwicklungen" (ebd. 201) statt. Die Dynamik erhält diese analytische Erfassung der Individuen durch die "Mittel der guten Ablichtung." Die hierarchische Überwachung und die normierende Sanktion schließen sich in der Prüfung als zentralem Regulationsinstrument zusammen mit objektivierenden und subjektivierenden Effekten. Die Schule ist im Leben jedes Individuums die erste gesellschaftliche Institution, die es durchläuft und in der es geformt wird. Der zugewiesene Platz wird als derjenige erlebt, für den der oder die einzelne "vorgesehen" ist. Foucault begreift den Prozeß der Ausbreitung der Disziplin als eng verflochten mit der Entwicklung der Arbeitsteilung und des Kapitalismus. Die Disziplinarmacht wirkt nicht unterdrückend und abschöpfend, sondern produktiv und effizient. Ihr gelingt es auf >unsichtbare< Weise, den Widerstand zu

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brechen. "Die Aufklärung, welche die Freiheiten entdeckt hat, hat auch die Disziplinen erfunden" (ebd., 285). Unterhalb des vertragsfähigen Staatsbürgersubjekts breitet sich die Disziplin aus, die den Einzelnen kontrolliert und reguliert. Die Normalisierungspraxen greifen in der Klasse der Unterprivilegierten sehr viel direktiver ein durch ihre objektivierenden Verfahren. Die pädagogischen Schriften dieser Zeit, die sich direkt an den Volksschullehrer wenden, sind durch starke Rigidität gekennzeichnet. Jedes politische Engagement dieser Gruppe wird staatlicherseits stark sanktioniert. So schreibt Bischof Eylert 1819 in einem Promemoria: In den Volksschulen "hat die intellektuelle Bildung oder die sogenannte Aufklärung eine höchst verderbliche Richtung genommen. Durch ein unaufhörliches Abändern und Vervielfachen der Lehrobjekte; durch eine mit jedem Jahre größer werdende Flut von Schul- und Lehrbüchern ist eine heterogene Masse Wissens in das Volk gekommen, wodurch es mit seinem Berufe entzweiet, flach und räsoniersüchtig, zwar schlauer und pfiffiger, aber moralisch schlechter geworden ist." Wenig später sagt er dann, daß "4. die Basis des ganzen Unterrichts in Volksschulen christliche Frömmigkeit sei, nach den unverfälschten Grundsätzen des biblischen Christentums" (zit. nach Menze 1974, 377). 5 Die Schule wird schließlich auch zum Einfalltor der Regulationsinstrumente der Wohlfahrt in die Geschlossenheit der Kleinfamilie, hier vorzüglich der Arbeiterfamilie (vgl., Donzelot 1980, 1994). Der restaurative Obrigkeitsstaat nutzt die Bildungsinstitutionen zu seiner Reproduktion. Begreift man das Verhältnis von Bildung und Herrschaft im Sinne Heydorns, verkehrt sich die noch von Humboldt und dem deutschen Idealismus verfolgte Verbindung von Bildung und menschlicher Emanzipation in ihr Gegenteil. Der genealogische Blick auf dieses Verhältnis unter Einbeziehung der vier Analyseebenen der Funktionsweise des Bildungssystems zeigt, daß die Unterwerfungsprozesse viel tiefer liegen, als die klare Fortschrittsgeschichte des Bildungsdenkens bis Marx es erscheinen läßt. "Der Mensch, von dem man uns spricht und zu dessen Befreiung man einlädt, ist bereits in sich das Resultat einer Unterwerfung, die viel tiefer ist als er. Eine >Seele< wohnt in ihm und schafft ihm eine Existenz, die selber ein Stück der Herrschaft ist, welche die Macht über den Körper ausübt. Die Seele: Effekt und Instrument einer politischen Anatomie. Die Seele: Gefängnis des Körpers" (Foucault 1975, 42). Der Mensch ist in dieser Foucaultschen Formulierung allerdings zu abstrakt. Die Bildungsformanalysen lassen zwei Formen der Unterwerfung erkennen. Das gebildete Subjekt Humboldts mit seinem Prototyp des preußischen Staatsbeamten stellt einen differenzierten Subjektionsmechanismus dar. Form ^ W eit bedeutender und deutlicher, aber zeitlich später, sind in diesem Zusammenhang die sog. >Stiehlschen Regulative< (vgl. Froese, Krawitz 1968), die keinen Hehl aus dem Grundsatz machen, daß Bildungsbeschränkung das Grundprinzip der Volksbildung sei.

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und Inhalt seiner Produktion sind elementar für die gesellschaftliche Kraft, mit der sie wirken. Der verwaltete Untertan ais Bildungsform ist demgegenüber eher Produkt objektivierender Praxen. Seine Kompetenzen beschränken sich auf den Produktionsbereich und die ideologische Macht der Religion. Beide Bildungsformen verfestigen sich im Laufe des 19.Jahrhunderts zunehmend und sind Aspekte der von Jäger/Staeuble herausgearbeiteten Individualitätsformen. Die in ihnen angelegten Vergesellschaftungsmodi sind eine Bedingung für die Festigkeit der heraufziehenden Klassengesellschaft im 19.Jahrhundert. Die Subjekt-Objekt-Artikulation der Bildungstheorie paßt sich in diese ideologischen Subjektionsmechanismen ein. Dem Subjekt tritt das Objekt gegenüber, sie bilden die Struktur eines binären Kodes, um den sich herum die für den bewußtseinsphilosophischen Diskurs typischen polaren Paare anordnen: Person/Sache, innen/außen, Bewußtsein/Sein, Wesen/Erscheinung. Obgleich sie auf verschiedenen Ebenen liegen bilden sie ein geschlossenes Spiegel system. Innen ist nicht außen, aber es spiegelt sich in seinem Gegenteil. Eine subjektwissenschaftliche Reflexion der Bildungstheorie und des Bildungssystems muß diese Anordnung selbst zum Gegenstand der Analyse machen. In ihr werden die Individuen aber nicht zu passiven Objekten des Ideologischen. "Das Gegenteil ist der Fall. Unter der Charaktermaske des Subjekts und des Objekts müssen erst die handelnden Individuen, ihre Vergesellschaftungsformen und ihre materiellen Lebensbedingungen - naturale wie produzierte - auftauchen" (W.F. Haug 1987, 82). Die Bildungstheorie dieser Zeit schließt die Individuen ein, bzw. macht sie zu bildungsbürgerlichen Subjekten und auf deren Schattenseite zu verwalteten Untertanen. Mit ihren Normalisierungspraxen versucht sie den Riß zwischen dem vertragsfähigen Staatsbürgersubjekt und dem den Verhältnissen ausgelieferten Privatmenschen zu kitten. Die herausgearbeiteten Bildungsformen sind so als Formen der Festschreibung zu begreifen, die durch die Individuen als Subjekte hindurchgehen, in dem diese die ihnen nahegelegten Formen der Vergesellschaftung aufgreifen und aktiv aneignen. Zwischenbetrachtung Der historische Prozeß in den deutschen Landen in der Phase der Restauration, über die Reichsgründung bis hin zum ersten Weltkrieg läßt sich als defensive Modernisierung begreifen (Wehler 1987). Sie ist auf individueller Seite gekennzeichnet von einer Revolution von oben durch die staatliche Förderung der ökonomischen und die Restriktion der politischen Dimension der Individualitätsformen (vgl. Jäger/Staeuble 1978). Die industrielle Revolution wird nicht von einer politischen begleitet, sondern führt durch das Verbot der sozialdemokratischen Partei einerseits und der Einführung der Bismarckschen Sozialgesetzgebung andererseits zu einem Versuch, die Kräfte

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der Arbeiterbewegung an den Staat zu binden. Das Bildungssystem erfährt nur eine langsame Transformation behält aber seine grundlegende Zweiteilung bei. Lediglich der Ausbau der Oberrealschulen und der Realgymnasien, sowie die Gründung technischer Universitäten trägt den veränderten Produktionsformen Rechnung. Die Bildungstheorien dieser Zeit versuchen dieser Entwicklung einerseits nachzukommen und andererseits an der neuhumanistischen Bildungstradition festzuhalten. Wie in Kapitel 1.2. an den Theoriekonstruktion Diltheys deutlich geworden ist, beklagt die geisteswissenschaftliche Philosophie die Situation ihrer Zeit in der Wissenschaft und im Bildungssystem. Die Einheit des wissenschaftlichen Wissens ist seit dem Zerbrechen des Hegeischen Paradigmas nicht mehr herzustellen, es zerfällt in positivistische Einzelwissenschaften mit wachsender Dominanz der Naturwissenschaften und ihrem empiristischen Wissenschaftsverständnis. Helmuth Plessner spricht von dieser Zeit als einer Phase der "Industrialisierung der Wissenschaft" (1974, 130). Wissenschaft wird zu einer zentralen Produktivkraft und durch ihre Professionalisierung kommt es zu einer Transformation, die durch den Übergang von einer Bildung durch Wissenschaft zu einer Wissenschaft als Beruf gekennzeichnet ist. Die Philosophie verliert ihre zentrale Legitimationsfunktion und wird selbst zumindest bei Dilthey zu einer historischen Wissenschaft. "Als Philosophiegeschichte nimmt die Philosophie an der Wendung der Hegelschen Philosophie des Geistes zur Geisteswissenschaft teil und versteht sich, sofern sie sich als wissenschaftliche versteht, selbst als Geisteswissenschaff (Schnädelbach 1983, 121). Die geisteswissenschaftliche Pädagogik versucht dann im zwanzigsten Jahrhundert dieser Entwicklung einerseits Rechnung zu tragen, andererseits will sie nicht von einem emphatischen Bildungsbegriff lassen. Zwar stützen sich Nohls Versuche einer Begründung des Bildungsbegriffs auf die avancierten pädagogischen Bewegungen seiner Zeit, doch diskurstheoretisch kann man zum einen von einem theoretischen Ausgrenzungsdiskurs der geisteswissenschaftlichen Pädagogik gegenüber alternativen Ansätzen sprechen (vgl., Koring 1987, 323). Zum anderen führt ihre Institutionalisierung gerade zu einer Abtrennung der Erziehungs-Wissenschaft von pädagogischen Bewegungen (vgl., Tenorth 1985, 58). Sie bekommt mehr und mehr Kontrollfunktion gegenüber diesen Bewegungen (ebd., 62). Aus genealogischer Perspektive bestätigt sich der disziplinierende Charakter dieser bildungstheoretischen Ansätze. Ihrem Gestus nach beanspruchen sie, den einzig wahren Anspruch auf Erziehung formulieren zu können und die Erzieher durch die Vermittlung der geistigen Einheit im Bildungsbegriff in ihrer Arbeit zu stärken. Ein an der Basis entwickeltes pädagogisches Denken wird den Praktikern aus der Hand genommen und von oben in veränderter Form wieder zurückgegeben. An dieser ideologischen Kompetenz-Inkompetenz-Transformation läßt sich der konservative Gehalt geisteswissenschaftlicher Pädagogik ablesen.

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Institutionell hält sich dieser Theorieansatz in Deutschland bis in die Zeit nach 1945. Diese unglaubliche Konstanz dieses Paradigmas verdankt sich an zentraler Stelle der Reproduktionsform der Wissenschaften an den deutschen Universitäten (vgl. Kuhn 1967), aber auch seiner politischen Vereinbarkeit mit konservativen gesellschaftlichen Kräften, die sich auch der Erziehungswissenschaften bedienen, um die Bildungsreformkräfte der Arbeiterbewegung und der Sozialdemokratischen Partei abzuwehren. Zudem gilt die Berufung auf die deutsche humanistische Tradition nach 1945 als Versuch, den anstehenden theoretischen und praktischen Konsequenzen der Lehren des deutschen Faschismus zu entgehen. Diese skizzierte Entwicklung dient nur als Übergang zum zweiten Teil der bildungssoziologischen Analyse der Funktionsweise des Bildungssystems in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts in der Bundesrepublik Deutschland. Hat sich in dieser Zeit das ökonomische System komplett revolutioniert, die Staatsform mehrfach transformiert und das Bildungssystem weiter ausdifferenziert, so ist die Lebensdauer der diskursiven Struktur der geisteswissenschaftlichen Pädagogik und ihrer im institutionellen Geflecht produzierten Bildungsform des bildungsbürgerlichen Subjekts enorm lang, nicht zuletzt sahen die Alliierten im deutschen Bildungssystem noch Relikte der ständischen Gesellschaft (vgl. Bungenstab 1970, 51).

2.2.2. Eine bildungssoziologische Analyse des bundesrepublikanischen Bildungssystems Eine bildungssoziologische Analyse der gesellschaftlichen Verhältnisse in der Bundesrepublik zu versuchen, ist ein gewagtes Unterfangen. Gesellschaftliche Wirklichkeit hat sich in den letzten zweihundert Jahren derart ausdifferenziert, daß eine umfassende Analyse unmöglich und eine angemessene schwierig erscheint. Mit Foucault läßt sich sagen, daß seit Kant eine neue Form der Reflexion über die Wirklichkeit begonnen hat. "In dem Text über Aufklärung fragt er (Kant, A.d.A.) nach der reinen Aktualität" (1990, 37). Diese Frage haben immer mehr Wissenschaftler gestellt. Heute gibt es eine Theorienkonkurrenz ohne gleichen. Deshalb soll in den folgenden Analysen eine Position durch eine Bearbeitung einer Auswahl eben jener konkurrenten Theorien entwickelt werden, mit der die Funktionsweise des gegenwärtigen Bildungssystems begreifbar ist. a) Die soziale Struktur des ökonomischen Systems Die kategoriale Analyse der Sozialstruktur ist stets ein Feld heftiger soziologischer und polit-ökonomischer Auseinandersetzungen gewesen und ist es bis

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heute. Um es mit Bourdieu zu sagen: "Der Kampf um Klassifikationen ist eine grundlegende Dimension des Klassenkampfes" (1992, 153). Die Rede von Schichten hat eher deskriptiven Charakter und bezieht bei der Kategorisierung neben ökonomischen auch soziale und kulturelle Ressourcen des einzelnen mit ein. Faßt man die Gesellschaft als Klassengesellschaft bezieht man sich mehr oder weniger auf die marxistische Theorie. Klasse wird dort zunächst über die Stellung des einzelnen zu den Produktionsmitteln gefaßt. Mit dem Begriff Klassenbewußtsein bezieht diese Theorie eine politische Positionierung des einzelnen zu den Produktionsverhältnissen mit ein (vgl. Balibar 1992, 190ff). Doch marxistische Klassentheorie konnte und kann diesen Übergang von analytischem Klassenbegriff und politischem Klassenstandpunkt kategorial nicht leisten. Klassen sind eher als artikulatorische Praxen zu begreifen. Sie beziehen sich zwar auf eine Wirklichkeit, die aber nicht in einem traditionellen dialektischen Sinne auf den Begriff zu bringen ist und damit realitätsmächtig wird, sondern sie gewinnen ihre Kraft erst im Kampffeld der Diskurse. Bourdieu schreibt dazu, daß die Konstruktion von Gruppen kein Akt ex nihilo ist. "Die Chance ihres (die Konstruktion von Gruppen; A.d.A.) Gelingens ist um so höher, je stärker sie sich auf die Wirklichkeit, das heißt wie bereits gesagt, auf objektive Affinitäten zwischen den Menschen, die zu einer Gruppe zusammengefügt werden sollen, gründen kann. Der Theorie-Effekt ist um so größer, je realitätsgerechter die Theorie ist" (ebd., 152f). So läßt sich das neunzehnte Jahrhundert mit dem Übergang von einer ständischen in eine Klassengesellschaft gut begreifen. Ist die traditionale, ständische Gesellschaft in Deutschland nach den Siegen Napoleons aufgelöst worden und hat im Zuge der Reformen >Gesetzescharakter< erlangt, so wird mit der Restauration das alte System unter veränderten Vorzeichen wieder durchgesetzt. Für Deutschland läßt sich die historische Entwicklung des 19.Jahrhunderts treffend mit Wehlers Begriff der "defensiven Modernisierung" (1987, Bd.2) beschreiben. Mit der Industrialisierung vollzieht sich dann eine Transformation der ständischen Gesellschaft in eine Klassengesellschaft. Diese Klassengesellschaft ist keine durch einen klaren Antagonismus getrennte. Eine Einheitlichkeit der Arbeiterklasse herzustellen, gelingt nur in Ansätzen durch die Gründung von Arbeiterparteien und Gewerkschaften. Dem entgegen stehen die heterogenen Strömungen innerhalb der Gruppe der Lohnabhängigen selbst, die maßgeblich aus dem Fortwirken ständischer Strukturen resultieren. Die Marxsche Klassentheorie bestimmt für das 19.Jahrhundert zwar die neuen Spezifika der gesellschaftlichen Verhältnisse, aber die von ihm prognostizierten Entwicklungen, bezogen auf die Gesellschaftsorganisation, haben sich nicht eingestellt. Sowohl die Entwicklung der Produktivkräfte als auch die >objektive< Polarisierung des Klassengegensatzes führen nicht zu revolutionären Umwälzungen, ebensowenig wie die Umwälzungs- und Verelendungs-

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theorien der Zweiten und Dritten Internationale. So läßt sich mit Blick auf die historische Entwicklung der letzten 150 Jahre feststellen, daß der Kapitalismus verschiedene Formationen ausgebildet hat, "die zwar auf dem sich durchhaltenden ökonomischen Grundverhältnis der bürgerlichen Gesellschaft Privateigentum an Produktionsmitteln und warentauschvermittelte Ausbeutung von >freier< Lohnarbeit - beruhen, jedoch durch sehr unterschiedliche Formen der Ausbeutung, der sozialen Strukturierung, der politischen Regulierung und der Vergesellschaftung geprägt sind" (Hirsch/Roth, 1986,42). Die Durchsetzung der Massenproduktion am Ende des 19.Jahrhunderts und die Einführung der tayloristischen Produktionsweise um die Jahrhundertwende führt zu einem Wechsel von extensiver zu intensiver Arbeitsorganisation. Es findet ein Wechsel der Akkumulationstrategie zu Massenproduktion und Massenkonsumtion statt. Ist die Verbindung der Produktionssphäre von der Reproduktion bis dahin eher lose und greift auf die agrarisch geprägten Sozialbeziehungen und Lebensformen zurück, so gerät diese Akkumulationsstrategie und ihr Regulationsmodell in den zwanziger Jahren in eine Krise. Erst die aufkommende, im folgenden als fordistische Akkumulationsstrategie bezeichnete Gesellschaftsformation geht an die Wurzeln der noch stark ständisch geprägten Gesellschaftsstruktur. Für das erste Drittel des zwanzigsten Jahrhunderts kann man folglich von einer sich in binnendifferenzierende, sozial-moralische Milieus aufgliedernden Klassengesellschaft sprechen. Es bleiben weiterhin intergenerative Mobilitätsbarrieren bestehen mit milieuspezifischen Kollektiverfahrungen. Soweit diese nicht schon während der Naziherrschaft gezielt aufgehoben werden (wie beispielsweise die Arbeiterklasse), gilt diese Analyse der Sozial struktur bis in die fünfziger Jahre hinein. Die sozialen Ungleichheiten bleiben zwar auch danach noch bestehen, aber erhalten durch die Struktur des Wohlfahrtsstaates eine veränderte Bedeutung, in dem die von der Sozialdemokratie in der Weimarer Republik verfolgte integrative Tendenz nochmals verstärkt wird. Mit der Durchsetzung des Wohlfahrtsstaates mit seinem Versuch der Entschärfung des Klassengegensatzes verschiebt sich auch der Schwerpunkt der Sozialstrukturanalysen. Während marxistische Theoretiker versuchen, die traditionelle Klassenanalyse zu differenzieren, richtet sich die empirisch-positivistische Soziologie in ihren Arbeiten an den jeweiligen aktuellen gesellschaftlichen Veränderungen aus. Je stärker man sich der Gegenwart in Bezug auf die Analyse der Sozial struktur nähert, desto schwieriger wird es, klare Aussagen zu treffen, die über die unbestreitbare Tatsache hinausgehen, daß es nach wie vor ein System großer sozialer Ungleichheit gibt. Folgt man einer Schematik H.P.Müllers (1992, 57ff), so stehen die Sozialstrukturanalysen der 50er Jahre noch ganz im Zeichen des Wiederaufbaus und beschäftigen sich mit Fragen des Lebensstandards, in den 60er Jahren wechselt der Schwerpunkt im Zuge der lauter werdenden kritischen Stimmen zu Fragen der Lebensbedingungen und

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Lebenschancen. Die Sozialstrukturanalysen der 70er Jahre stehen im Zeichen der Lebensqualität, während in den 80er Jahren der Lebensstil Zentrum soziologischer Analysen wird. Allgemein läßt sich dennoch sagen daß sich der Frageschwerpunkt von solchen Globalanalysen hin zu Lebenswelt-Analysen mit dem Interesse, die Reproduktion der gesellschaftlichen Struktur in diesem Mikrobereich besser zu begreifen (vgl. Hradil 1992), verschiebt. Diese verschiedenen, einander widersprechenden Analysen und Deutungen abschließend gegeneinander zu diskutieren, ist nicht Ziel dieses Teilkapitels, sondern es geht vielmehr darum, einen tragfähigen Begriff der gegenwärtigen Sozialstruktur und ihrer Reproduktionsbedingungen zu entwickeln. Einer der meistdiskutiertesten Analyseversuche ist der von U.Beck in seinem Buch "Risikogesellschaft, Auf dem Weg in eine andere Moderne" (1986). Sein Erfolg verdankt sich im Zweifel dem Umstand, daß die traditionelle Sozialstrukturforschung Anfang der 80er Jahre nicht in der Lage war, die Frage zu beantworten, welchen Effekt der enorme Zuwachs an Lebenschancen für weite Teile der Bevölkerung, wenn auch in ungleichem Maße, gehabt hat. Ursachen dieser veränderten Situation sind eine allgemeine ökonomische Reichtumssteigerung und parallel dazu mehr Freizeit, wachsende Mobilität, abgeschwächte Alltagsnormen usw. Ist die Verknüpfung klassischer Sozial Strukturanalysen, seien es Klassen- oder Schichtungskonzepte, von objektivem Sein und subjektivem Bewußtsein noch relativ eng und als Determinationsverhältnis gedacht, so versucht Beck, diese beiden Aspekte voneinander zu entkoppeln. Deren verengter Blick auf den Umstand sozialer und ökonomischer Ungleichheit kann und konnte die sich verändernden Handlungsbedingungen, -mittel, -ziele und -muster nicht erfassen. Mit seiner Individualisierungsthese will Beck das veränderte Verhältnis von Individuum und Gesellschaft auf den Punkt bringen. "Auf dem Hintergrund eines vergleichsweise hohen materiellen Lebensstandards und weit vorangetriebenen sozialen Sicherheiten wurden die Menschen in einem historischen Kontinuitätsbruch aus traditionalen Klassenbedingungen und Versorgungsbezügen der Familie herausgelöst und verstärkt auf sich selbst und ihr individuelles Arbeitsmarktschicksal mit allen Risiken, Chancen und Widersprüchen verwiesen" (1986, 116). Diese Entwicklung führt auch zur Individualisierung und Personalisierung von Arbeitslosigkeit und Armut, die nicht mehr als kollektive Klassenerfahrung verarbeitet werden. Zwar ist das grundlegende Merkmal des Klassencharakters generalisiert, denn ein Großteil der Bevölkerung teilt die Lohnarbeiterrisiken, aber dies führt nicht zur Solidarisierung, sondern zu politischem Privatismus. Das Problem des Beckschen Textes ist die faszinierende und verführerische Mischung aus einer Fülle von Daten, sprachlich eingängigen Beschreibungen und, davon unscharf getrennt, analytischen Konsequenzen. So bleibt der/die Leserin letztendlich im Unklaren, welche Konsequenzen aus diesen

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Überlegungen zu ziehen sind. Zwar entwirft Beck zu verschiedenen Problemfeldern jeweils verschieden Szenarien, skizziert somit ein Feld politischer Auseinandersetzung, ohne aber dabei seine Theorie explizit in diesem Feld "klassifizierender Klassenkämpfe" zu verorten. Es gilt, die deskriptiven Momente der Individualisierungsthese selbst noch mal in ihrem Verhältnis zu den ökonomischen Verhältnissen in der bundesrepublikanischen Gesellschaft des ausgehenden zwanzigsten Jahrhunderts zu bestimmen. Neben den Analysen Becks gewinnt die Theorie P. Bourdieus mit seinem Konzept von Habitus und Feld gegenwärtig stark an Bedeutung. Sein Interesse richtet sich, ähnlich wie Beck und Hradil, auch auf den Lebensstil (1982). Er versucht aber nicht objektives Sein und subjektives Bewußtsein zu trennen, sondern beides in seiner Theorie neu zu verknüpfen. Bourdieu weist in seinen Überlegungen objektivistisch-ökonomistische, ebenso wie subjektivistische Entscheidungstheorien zurück. Mit seinem Habitus-Konzept versucht er die Lösung des Paradoxons zwischen "objektivem Sinn ohne subjektive Absicht" (1981, 170) auf den Begriff zu bringen. Gemeint ist damit der Umstand, daß Individuen mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit in ihrer sozialen Klasse bleiben und ^war auf Grund subjektiver Entscheidungen. "So repräsentiert der Habitus das Beharrungsvermögen der Gruppe, jedem Organismus eingeprägt in Form von Wahrnehmungs-, Beurteilungs- und Handlungsschemata, die, sicherer als alle (...) expliziten Normen, die Gleichförmigkeit von Praxen über mehrere Generationen hinweg zu gewährleisten vermögen" (ebd. 195f). Bourdieu geht davon aus, daß jede gesellschaftliche Gruppe über ein bestimmtes Reservoir ökonomischen, kulturellen und sozialen Kapitals verfügt. Diese unterliegen jeweils gruppenspezifischen Kalkulationsformen und -Strategien, die im Habitus angelegt und auf das jeweilige gesellschaftliche Feld abgestimmt sind, in dem sich diese Gruppen bewegen. An den "feinen Unterschieden" (1982) entscheidet sich gesellschaftlicher Aufstieg und daran scheitert er. Lebensstile sind also nicht bloß deskriptiv zu unterscheiden, sondern selbst wieder auf ihre objektive Bestimmtheit hin zu untersuchen. Damit ist zwar einerseits die Analyse Becks konkretisiert und auch der euphorische Anteil seiner Individualisierungsthese relativiert, gleichwohl ist sie damit nicht vollständig obsolet. Die Auflösung traditioneller Sozialstrukturen bezieht sich maßgeblich auf die gesellschaftlichen Felder, so daß die Sicherheiten sozialen Handelns, die durch einen spezifischen Habitus gewährleistet worden sind, ins Wanken geraten. Soziale Ungleichheiten werden sich deshalb nicht auflösen, sie werden kategorial nur immer schwerer faßbar, will man nicht auf alte ökonomistisch-reduktionistische Konzepte zurückfallen. Eine angemessene Sozialstrukturanalyse darf gleichwohl das Ökonomische nicht dethematisieren, sondern muß es in seinem Verhältnis zu anderen gesellschaftlichen Praxen denken. Es gilt also einerseits, die Kontinuität in der Reproduktion gesellschaftliche Ungleichheit auch durch

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die Individualisierung von Lebenslagen hindurch zu begreifen, als auch andererseits den durch diese Individualisierung markierten Bruch. b) Die Struktur des Staates Die Demokratisierung in den deutschen Landen verläuft im 19.Jahrhundert sehr schleppend. Können zwar durch die Revolution von 1848 in Preußen, das für die deutsche Entwicklung entscheidendste Land, erste Formen bürgerlicher Mitbestimmung über eine oktroyierte Verfassung durchgesetzt werden, so schneidet das Dreiklassenwahlrecht den Großteil der Bevölkerung von politischer Einflußnahme weitgehend ab. Die Reichsgründung von 1871 verfestigt dieses System und führt eher noch zu einer Schwächung der demokratischen Kräfte gegenüber dem Kaiser und dem Kanzler. Erst die sog. Deutsche Revolution von 1918/19 führt zur Einführung einer vollendeten bürgerlichen Demokratie in Deutschland, die mit der Machtübernahme Hitlers letztlich scheitert. Nach dem Zweiten Weltkrieg und der Befreiung vom Faschismus etabliert sich 1949 im Mai die Bundesrepublik Deutschland und im Oktober die Deutsche Demokratische Republik. Wenn es im weiteren um die Struktur des Staates geht, wird nur die Bundesrepublik Thema sein, da für die folgenden Bildungsformanalysen Überlegungen zur DDR zwar spannend wären, es aber meinem Kenntnisstand zufolge noch keine tragfähige Gesellschaftsanalyse der DDR gibt und dies den Rahmen dieser Überlegungen endgültig sprengen würde. Die in den zwanziger Jahren aufkommende fordistische Akkumulationsstrategie scheitert zunächst an den politisch-institutionellen Strukturen und ihren überkommenen politischen Regulierungsformen. Entscheidend für die tragfähige Durchsetzung der fordistischen Produktionsweise ist die Herausbildung des modernen Sozialstaats. In dem Maße, wie die Durchkapitalisierung der Produktion traditionale soziale Zusammenhänge auflöst, übernimmt der Staat die Regulierung der Arbeitskraftreproduktion. Hier spielt der Ausbau des Bildungssystems eine entscheidende Rolle, sowie die grundlegenden Formen sozialer Absicherung. Mit dieser Etatisierung entwickelt sich neben einer zunehmenden Individualisierung (s. 2.2.2.a) ein bürokratischer Wohlfahrts- und Überwachungsstaat. Auch die politischen Parteien werden zu zentralisierten, bürokratisierten Maschinen. Die Verflechtungen von Staat, Verwaltung und Parteien erleichtern deren Kontrollierbarkeit. "Damit konnte sich im politischen Willensbildungsprozeß der generelle Vorrang von >Systemsteuerung< gegenüber >Interessenberücksichtigung< festigen" (Hirsch/Roth 1986, 70). Ähnlichen Veränderungen sind die Gewerkschaften unterworfen, die sich durch ihre Etatisierung zu massenintegrativen Apparaten entwickeln. Neben diesen Prozessen der

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Etatisierung und der traditionell hoch organisierten deutschen Wirtschaft entwickelt sich der fordistische Wohlfahrtsstaat zu einer funktionsfähigen korporativen Regulierungsform auf zentral staatlicher Ebene. Staatliche Entscheidungsprozesse spielen sich im wesentlichen in diesem institutionellen Dreieck ab. Der sich in der Bundesrepublik formierende >historische Block< läßt sich auch als >keynsianischer Wohlfahrtsstaate bezeichnen. Er beruht auf der Vorstellung einer umfassenden, bürokratisch-technokratisehen Machbarkeit gesellschaftlicher Verhältnisse. Seit Mitte der siebziger Jahre ist diese Gesellschaftsformation in eine Krise geraten. Die Akkumulationsstrategie von Massenproduktion und Massenkonsumtion ist erlahmt, die Vergesellschaftungsformen der individualisierten, fordistischen Subjekte weisen zunehmend Bruchstellen auf (vgl. Lüscher 1983), die staatliche Regulierungsform aus Parteien, Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden gerät in eine Krise. Es zeichnet sich eine neue "postfordistische" Gesellschaftsformation ab, die durch eine nachtayloristische an der Mikroelektronik orientierten Arbeitsorganisation gekennzeichnet ist. Diese entwickelt zwischen einer Dienstleistungsgesellschaft und einer Hyperindustrialisierung neue Konsummodelle. Gesellschaftliche Spaltungen werden immer tiefer (vgl. Hirsch/Roth 1986, 104ff). Der Zusammenbruch des Realsozialismus als >Systemalternative< und die deutsche Vereinigung haben in den frühen Neunzigern diesem Entwicklungsprozeß nochmals eine neue Richtung gegeben, deren Endpunkt noch nicht absehbar ist und weiterhin der Ort gesellschaftlicher Konflikte werden wird. Daß wir an der Schwelle ins einundzwanzigtse Jahrhundert Zeugen einer Transformation der gesellschaftlichen Formation sind, bleibt unbestritten, als Sozialwissenschaftler bleibt nur der Versuch, die Kontinuitäten und Brüche immer wieder erneut wahrzunehmen und Eingriffsmöglichkeiten zu entdecken. c) Die Struktur institutionalisierter Bildung Mit der Humboldtschen Bildungsreform hat sich zwar das Bildungssystem als eigenständiges System formiert, aber die mit ihr verknüpften Intentionen sind auf ihrem theoretischen Hintergrund nicht durchgesetzt worden. Stattdessen formiert sich ein zweigeteiltes Bildungssystem, das neben der Volksschule als Ort volkstümlicher Bildung für das Gros der Bevölkerung das höhere Bildungswesen stellt. Letzteres differenziert sich im Zuge des 19.Jahrhunderts aus. Die erste grundlegende Reform des Bildungssystems erfolgt in der Weimarer Republik. Mit dem Versuch der Einbeziehung der Arbeiterklasse in den Staat geht auch die Vereinheitlichung des Bildungssystems einher. Allerdings etabliert sich nach der einheitlichen Grundschule ein dreigliedriges Schulsystem, das seinem Charakter nach seine ständische Herkunft nicht verleugnen kann.

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Nach der Befreiung 1945 kommt es in den drei Westzonen zu einem Wiederaufbau des Schulsystems in seiner alten Form, wobei in einigen Ländern die Bekenntnisschule wieder verstärkten Einzug hält. Die Bildungspolitik der Länder gerät dabei in Konflikt mit den Besatzungsmächten. So richten die Amerikaner eine Bildungskommission mit Beteiligung deutscher Reformädagogen ein, die jenen Widerspruch konstatieren, daß einerseits eine Bildungsreform unerläßlich, diese aber andererseits nur unter deutscher Regie möglich sei und dort auf großen Widerstand stoße. So stellt die Kommission fest, daß ein Schulsystem wieder hergestellt worden sei, das die Züge einer "aristokratisch-militärischen Tradition" trüge und in dem "Klassenunterschiede durch die bloße Organisation der Schule betont werden und in dem autoritäres Einpauken von Stoff noch eine weitverbreitete Lernmethode (sei)" (Bungenstab, 1970, 51). Sie schlägt ein Gesamtschulsystem mit gemeinsamer Grundstufe und gemeinsamer Sekundarstufe vor, die sich in aufeinanderfolgende Abschnitte gliedern soll. Diese als Richtlinien weitergegebenen Direktiven werden je nach Land mehr oder weniger befolgt. In den Ländern wird jedoch grundsätzlich an der Dreigliedrigkeit des Schulsystems festgehalten mit der Begründung, es sei die Umsetzung einer biologischen Tatsache (vgl., v.Friedeburg, 1992,307 ff). Nach der Gründung der Bundesrepublik wird im >Düsseldorfer Abkommen< (1955) eine Vereinheitlichung des Schulsystems bundesweit vorgenommen, die neben einem gemeinsamen Schuljahresbeginn die Dreigliedrigkeit ohne wenn und aber festschreibt, Modellversuche ausgenommen. Dennoch kommt es, wie schon in den Jahren der Weimarer Republik, zu einer Bildungsexpansion, die das nach berufsständischen Gesichtspunkten gegliederte System aus den Angeln zu heben droht. Mit dem >Bremer Plan< (1962) versucht die GEW, grundlegende Thesen für eine Bildungsreform zu formulieren. Zentral ist die Forderung, das Bildungswesen als organische Gesamtheit zu begreifen, das auch werktätiges Handeln mit einschließen soll. Seine Kritik richtet sich gegen die statische Aufteilung der Schule, die Trennung von wissenschaftlichen und nicht-wissenschaftlichen Lehrern und der Unterscheidung von allgemeiner Bildung und Berufsbildung (vgl. Fink 1960, 5ff). Gegen den Bremer Plan ziehen der Philologen-Verband und andere konservative Kräfte zu Felde. So scheitert zunächst jede weitere Schulreform. Im Zuge des Wirtschaftswachstums und des sog. Sputnikschocks erhält die Diskussion um die Reform des Bildungssystems wieder Aufschwung. Die Landschulreform führt in der sechziger Jahren durch die Einrichtung von Mittelpunktschulen zu einer Verbesserung der Bildungsversorgung in den ländlichen Regionen. Doch erst 1969 mit der Grundgesetzänderung, die dem Bund Kompetenzen im Bildungsbereich verschafft, kommt es zu einer grundlegenden Bildungsreform in der Bundesrepublik, die eine Reform des Mittel- und Oberschulwesens, eine Hochschulreform und Veränderungen in der Lehrer-

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bildung mit sich bringt. So löst die Gruppenuniversität die Ordinarienuniversität ab und leistet der Demokratisierung des Hochschulwesens Vorschub. Mit der Einführung von Gesamtschulen soll die Dreigliedrigkeit in der Mittelstufe überwunden werden, um so eine größere Durchlässigkeit des Schulsystems zu ermöglichen. Dies wird jedoch je nach Bundesland mehr oder weniger durchgesetzt, so daß sich gegen Ende der siebziger Jahre die Gesamtschule quasi als viertes Glied neben die traditionelle Haupt- und Realschule, sowie das Gymnasium stellt. Im Bereich der Berufsbildung beginnt ein weiterer Ausbau der Kapazitäten von Berufs- und Fachschulen. Durch Kollegschulen soll eine doppelte, d.h. sowohl schulische als auch berufliche Qualifikation, ermöglicht werden. Insgesamt kann von einer starken Ausdifferenzierung des Bildungssystems gesprochen werden. Die Bildungsexpansion der sechziger und siebziger Jahre wird theoretisch durch bildungsökonomische Ansätze dieser Zeit untermauert. So folgert Dahrendorf mit seiner Forderung "Bildung ist Bürgerrecht" (1965) dem socialdemand-approach folgend, daß aus der allgemeinen Reichtumssteigerung in der Bevölkerung eine größere Forderung nach Bildung resultiere. Der man-powerapproach hingegen sieht in Bildung und Wissenschaft den dritten Faktor für wirtschaftliches Wachstum und versucht durch eine Extrapolation der Wirtschaftsentwicklung zukünftige Qualifikationsprofile herauszuarbeiten. Doch mit der Wirtschaftskrise in den siebziger Jahren und dem Ende der Vollbeschäftigung verlieren diese Ansätze an Bedeutung. Das zentrale Manko dieser bildungsökonomischen Ansätze ist, daß sie nicht in der Lage sind, die Formseite ökonomischer Prozesse in den Blick zu nehmen. Die Vorstellung, das Bildungssystem liefere dem Beschäftigungssystem die entsprechende Berufsstruktur, ist ein systemfunktionaler Kurzschluß. Bildungs- und Beschäftigungssystem unterliegen unterschiedlichen Logiken. Es gibt keine Garantie, daß der Arbeitsmarkt zwischen beiden alles problemlos reguliert. Gerade die Dauer von Bildungsprozessen läßt jede Kalkulation scheitern (vgl. Altvaters Ausführungen zum "Hanauer-Schweinezyklus", 1989, 80). Entgegen dieser Erkenntnis entwickelt sich das Bildungssystem mit seiner Vorstellung, Zulieferer von Qualifikationsprofilen für das Beschäftigungssystem zu sein, zu einem sich immer weiter ausdifferenzierenden System formaler Bildungsqualifikationen. Seien es nun die permanenten Überarbeitungen von Studien- und Prüfungsordnungen und die Entwicklung neuer Ergänzungsstudiengänge, die schon nach ihrer institutionellen Vorlaufzeit und ihrer Verabschiedung veraltet sind, seien es immer neue Ausbildungsgänge, deren Berufsprofil keiner mehr kennt oder sei es das Meer von Weiterbildungsmaßnahmen, die die Reservearmee der Arbeitslosen bei der Stange halten sollen, um sie wieder in den Arbeitsprozeß zu integrieren. Wie ein stark formalisiertes Bildungssystem auf ein sich zunehmend deformalisierendes Beschäftigungssystem sinnvollerweise reagieren sollte und welche Rolle dabei ein subjektwis-

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senschaftliches Verständnis von Bildungsprozessen beitragen kann, soll Gegenstand des dritten und sechsten Kapitels werden. d) Bildungsformen Betrachtet man nun die Ebene des Handelns mit ihren in Bildungsformen verfestigten Handlungsräumen, so scheint sich eine Nivellierung der noch im neunzehnten Jahrhundert ausgemachten Formen des bildungsbürgerlichen Subjekts und des verwalteten Untertans abzuzeichnen. Mit der Durchsetzung der fordistischen Gesellschaftsformation findet oberflächlich betrachtet eine Individualisierung und Vereinheitlichung der Lebensformen statt. In dem Maße, wie sich traditionale Klassenbindungen auflösen, treten staatlich organisierte Vergesellschaftungsformen an ihre Stelle. Der Prozeß der Institutionalisierung des Lebenslaufes (vgl. Kohli 1986) und einer damit einhergehenden standardisierten Normalbiographie ist durch die Dreiteilung (Aus-) Bildung, Arbeit und Rente bestimmt und gesellschaftlich damit scheinbar abgeschlossen. Psychologisch wird dieses Modell paradigmatisch in Eriksons Konzept der Identitätsentwicklung artikuliert (1973). Die Forderung bürgerlicher Emanzipation nach gleichen Bildungsmöglichkeiten für alle und einer an den Fähigkeiten des Individuums orientierten Zuweisung von Lebensmöglichkeiten scheint erfüllt. Ein Blick hinter die Kulissen dieses Theaters offenbart das Gegenteil. Zwar hat die Durchlässigkeit des Bildungssystems seit der Weimarer Republik beständig zugenommen, aber bildungssoziologische Analysen von P.Bourdieu und Mitarbeitern (1981) haben für die französische Gesellschaft der sechziger und siebziger Jahre und von H.Ditton (1992) hat für die späten achtziger Jahre in der Bundesrepublik hochsignifikante Daten über die Reproduktion sozialer Ungleichheit durch das Bildungssystem erhoben. Die Grundlage ihrer Überlegungen zu Bildungsentscheidungen bildet eine differenzierte Theorie subjektiver Rationalität. So arbeitet Bourdieu mit seinen Instrumenten von Habitus und Feld (vgl. 2.2.2.a) heraus, daß Bildungsentscheidungen stark durch den gruppenspezifischen Habitus bestimmt sind und damit für ein Beharren der Menschen in ihrer sozialen Position sorgen. In seiner Studie operationalisiert Ditton diese Überlegungen für Bildungsentscheidungen in mehrere Variablen. Neben sozialer Herkunft versucht er statistische Zusammenhänge zwischen Anstrengungsbereitschaft, Schülereistungen, Zensuren, Bildungsaspirationen und der Zusammensetzung des sozialen Kontextes herzustellen.^ Mit unterschiedlichen aber doch eindeutigen Signifikanzen zeigt sich, daß nicht nur ökonomische Möglichkeiten sondern 6

Aus subjektwissenschaftlicher Perspektive erscheint diese Operationalisierung als höchst problematisch, dennoch sind die Ergebnisse dieser Studie aufschlußreich für den Zusammenhang der Reproduktion sozialer Ungleichheit im Bildungssystem, die auch über eine Kritik am methodischen Vorgehen Bestand haben.

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auch gruppenspezifische Bildungspraxen für die mangelnde Mobilität und damit verbundene Aufstiegschancen verantwortlich sind. Becks Analysen zur Individualisierung sind vor diesem Hintergrund Oberflächenphänomene, die in einer vielschichtigeren Theoriebildung erneut reflektiert werden müssen. Mit der Ausdifferenzierung der sozialen Struktur des ökonomischen Systems und des Bildungssystems gibt es somit auch eine Vervielfältigung von Bildungsformen. Bourdieus Sozialcharakteranalysen des Bürgers, des Kleinbürgers und des einfachen Volkes (1981, 191f) und den ihnen inhärenten Vergesellschaftungsformen sind in mancher Hinsicht nach wie vor bestechend, aber reichen für die Analyse der gegenwärtigen Gesellschaft nicht mehr aus. So unterscheidet er zwischen einem in seiner Klasse bescheiden beharrendem "einfachen Volk", dem aufstrebenden "Kleinbürger" und dem selbstsicheren "Bürger" (1981, 191f). Interessant für Fragen der sozialen Mobilität sind seine Überlegungen zum Aufstiegsverhalten des "Kleinbürgers", der, sobald er sich auf die >Spielregeln der höheren Spielklasse< eingelassen hat, schon sicher dieses Spiel verloren hat. In diesen Aufstiegskämpfen kommt es eben auf die >feinen Unterschiede< an, deren Wahrnehmung allein schon den Habitus des Bürgers ausmacht. Bildungsformen ergeben sich, wie schon in der Analyse des Humboldtschen Bildungssystems herausgearbeitet, nicht allein aus den institutionalisierten Praxen des Bildungssystems und der gesellschaftlichen Grundstruktur, sondern aus ihrer Verknüpfung in staatlich-politischen und medialen Artikulationen, deren Referenzdiskurs die allgemeine Bildungstheorie ist. In der entstehenden Bundesrepublik nach 1945 findet entgegen den Maßgaben der Alliierten der Wiederaufbau des gegliederten Schulsystems der Weimarer Republik statt. In der sozialen Struktur der Gesellschaft ändert sich wenig. Allein das Projekt einer Etablierung eines Wohlfahrtsstaates verhindert die Polarisierung der Gesellschaft. Diese Kontinuität findet sich auch in der Bildungstheorie mit ihrer geisteswissenschaftlichen Dominanz wieder. Das umfassend (humanistisch-) gebildete Subjekt bleibt auch in der Nachkriegszeit die dominante Bildungsform in der entstehenden Bundesrepublik. Erst die allgemeine Reichtumssteigerung während des >Wirtschaftswundersc, der Sputnikschock und die erstarkende Kritik an sozialer Ungleichheit und der unbearbeiteten faschistischen Vergangenheit in den 60er Jahren führen zu einem gesellschaftlichen Umbruch. Bildung als Bürgerrecht oder Bildung als Produktivkraft sind entscheidende Motive bei der nun einsetzender Bildungsexpansion. Hierbei liefern die Theorien Adornos und Heydorns wichtige Impulse für eine Kritik des Bildungsbegriffs, der als bürgerlich-ideologischer Begriff für die Konstanz der Ungleichheiten im Bildungssystem steht. Die an seine Stelle tretenden sog. theoretischen Äquivalente wie Wissenschaftsorientierung, Sozialisation, Identität oder Qualifikation, sowie die umfangreichen Diskussionen um Erziehung, Unterricht

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und Curriculumsrevisionen, sorgen für das Verschwinden der traditionellen Form des bildungsbürgerlichen Subjekts aus dem bildungstheoretischen Diskurs. Die weitere Reichtumssteigerung einerseits und die staatlichen Fördermaßnahmen für >Unterprivilegierte< andererseits in den 70er Jahren lassen in der pädagogischen Theorie die Tatsache der sozialen Ungleichheit als bewältigbares Problem erscheinen. Der Bildungsbegriff als Reflexionsform über die Gesamtheit der Prozesse im Erziehungssystem verliert an Bedeutung und wird in verschiedene Aspekte aufgelöst. An die Stelle des bildungsbürgerlichen Subjekts als Bildungsform treten diese Aspekte als umfangreiche Anforderungsstrukturen dem einzelnen Subjekt gegenüber, ohne in einem Begriff vermittelt zu werden. U.Oevermann bringt dieses vielschichtige Anforderungsprofil folgendermaßen auf den Punkt: gebildet ist "eine Person (...), die der logischen und moralischen Urteilsfähigkeit, des kumulativen Lernens und synthetischen Erfahrungsurteils, der Selbstreflexion und Normenkritik, der Artikulation eigener Bedürfnisse, des strategischen Handelns und des adäquaten Ausdrucks unmittelbarer Affektionen fähig ist" (1976, 37). Verfolgt man den gegenwärtigen Diskurs in der Politik und den Medien^, dann verdichtet sich dieses Anforderungsprofil zu einer neuen Bildungsform einer Funktionselite. Diese neue Funktionselite zeichnet sich durch ein Ensemble z.T. widersprüchlicher Anforderungen aus. Der "gebildete" Mensch muß fachkompetent sein, aber er muß neben seiner sozialen Kompetenz und Kooperationsfähigkeit auch Durchsetzungsvermögen besitzen, er muß diverse Fremdsprachen sprechen und multikulturell denken, aber sich auch seiner deutschen Traditionen bewußt sein, schließlich sind Flexibilität und Mobilität grundlegende Voraussetzung. Diese widerstreitenden Eigenschaften sollen schließlich in einer harmonischen Persönlichkeit verbunden sein. (So oder ähnlich ließe sich der unartikulierte Bildungsbegriff beispielsweise der Studienstiftung des deutschen Volkes beschreiben.) Diese vielschichtige Struktur reproduziert und verändert sich in einem öffentlichen Diskurs über Bildung, der immer weniger im Bereich der erziehungswissenschaftlichen Theorie, sondern zunehmend in den Medien und in der umfangreichen Beratungsliteratur stattfindet.^ In dem Maße, wie Gleichberechtigung als gesellschaftliche Forderung dethematisiert wird, gerät alles, was diesem Anforderungsprofil nicht entspricht, ins Abseits. Diese Entwicklung hängt eng zusammen mit dem kontinuierlichen Abbau des Sozial- oder Wohlfahrtsstaates und der Polarisierung der 7 Eine ausführliche Analyse dieser Diskurse wird exemplarisch in Kap. 6.1. an der Rede des Bundespräsidenten R.Herzog vom 5.11.1997 und der medialen Resonanz darauf geleistet. Die liier nur süchpunktartig genannten Anforderungen an ein "gebildetes Subjekt" beziehen sich maßgeblich auf diese Untersuchung. 8 Vor diesem Hintergrund ist auch der Erfolg der Autobiographien erfolgreicher Self-made-men verständlich. Hier finden sich >literarische< Formen, in denen diese unterschiedlichen Aspekte scheinbar erfolgreich verbunden sind.

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Gesellschaft. Gleichwohl handelt es sich bei diesen Entwicklungen um keine faits accomplis, sondern um Tendenzen einer sich neu herausbildenden diskursiven Formation der Gesellschaft. Die Veränderungen im Bildungssystem sind in vollem Gange, aber auch hier hat sich noch keine hegemoniale Position herausgebildet. Die Vervielfältigung der Aus- und Weiterbildungsgänge, die Forderung nach >lebenslänglichem< Lernen und Weiterbilden erlauben letztlich keine geschlossene Bildungsform. U.Beck spricht in diesem Zusammenhang von einer "Individualisierung, Institutionalisierung und Standardisierung von Lebenslagen und Biographiemustern" (1986, 205). Allen diesen Entwicklungen gemeinsam ist eben jene Tendenz einer zunehmenden Individualisierung, die dem einzelnen die alleinige Verantwortung für sein Leben aufbürdet, und er sich gezwungen sieht, seinen Bildungsprozeß immer wieder neu zu schreiben und in eine Form zu bringen. Zusammenfassend läßt sich die gegenwärtige Situation als Übergangsphase bezeichnen, deren Konsequenzen schwer abzusehen sind. Einerseits kristallisiert sich die Bildungsform einer neuen Funktionselite heraus, andererseits zerfällt diese Form immer wieder in ihre einzelnen Aspekte und wird in neuen Artikulationen verbunden. Die Struktur dieser verschiedenartigen Artikulationen soll Gegenstand des letzten Teilkapitels sein.

2.3. Vom Bildungsbürger zur Patch-Work-Identität In diesem letzten Teilkapitel geht es um eine Zusammenfassung der Ergebnisse der Analysen zur Genealogie des gebildeten Subjekts. Begreift man das gebildete Subjekt nicht als eine vorgegebene Entität, sondern als Effekt der Macht-Wissens-Strukturen des Bildungssystems, dann ergibt sich für das moderne Bildungssystem eine Veränderung seiner dominanten Bildungsform von der Vorstellung eines bildungsbürgerlichen Subjekts zur multifunktionalen Patch-Work-Identität. Foucault unterscheidet zwei unterschiedliche Prozesse der Produktion von Subjekten: einmal die objektivierenden Praxen der Disziplin und zum anderen die subjektivierenden Praxen des Geständnisses. Diese sind diskursiver jene nicht-diskursiver Natur. Erst in dem Moment, in dem man sie als Ensemble begreift, entfalten sie ihre volle analytische Schärfe und erlauben einen Blick auf den unterwerfenden Charakter moderner Vergesellschaftungsformen. Ein Blick auf die diskursiven und nicht-diskursiven Praxen des Humboldtschen Bildungssystems und seine Entwicklung in der ersten Hälfte des ^ J a h r hunderts läßt den Bildungsbürger als Ergebnis einer solchen Unterwerfung begreifen. Versuche, auf den emanzipatori sehen Anspruch des Humboldtschen Bildungssystems zu verweisen, verkennen meistens diesen Zusammenhang. Eine solche Perspektive verstellt jene genealogische Erkenntnis, nach der

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diskursive Praxen immer nur im Zusammenhang mit den nicht-diskursiven Praxen zu begreifen sind. In diesem Ensemble gerinnt der emanzipatorische Anspruch schnell zu einer schönen Erzählung des gebildeten Subjekts, die vom bildungsbürgerlichen Vater an den Sohn weitererzählt wird. Der Umstand, daß gerade dort Unterwerfung stattfindet, wo man von Befreiung spricht, ist nicht begreifbar. Die Bildungstheorie selbst bildet jeweils nur den theoretischen Rahmen für diese Erzählungen, deren Inhalte sich in einem öffentlichen Diskurs formieren. Dieser ist im 19.Jahrhundert zum größten Teil ein literarischer. Für Lukäcs ist "die Form des Romans, wie keine andere, Ausdruck der transzendentalen Obdachlosigkeit" (1994, 32). Der Held des Romans ist ein suchender, sich bildender, die äußere Form des Romans eine biographische. "Der Prozeß, als welcher die innere Form des Romans begriffen wurde, ist die Wanderung des problematischen Individuums zu sich selbst, der Weg von der trüben Befangenheit in der einfach daseienden, in sich heterogenen, für das Individuum sinnlosen Wirklichkeit zur klaren Selbsterkenntnis" (ebd., 70). Sein Pendant findet das bildungsbürgerliche Subjekt im verwalteten Untertan. Er ist mehr als Produkt der objektivierenden Disziplinarpraxen zu begreifen, sein individuelles Selbstverständnis ist in dieser Zeit noch stärker religiös überformt. Die umfangreiche Erbauungsliteratur im Zusammenhang mit den Strategien zur Moralisierung der Arbeiterschaft und der sich verbreitende Trivialroman werden diese Normalisierungs- und Disziplinierungstendenzen weiter unterstützt haben. Aber die moderne Gesellschaft verändert permanent ihre Struktur und so beginnen, kaum daß sich eine Bildungsform gesellschaftlich durchgesetzt hat, sich diese Arten der Selbstverständigung aufzulösen. Diese Formen dienen als Deutungsmuster der Stabilisierung der Subjekte in Zeiten transzendentaler Obdachlosigkeit. Die Individualisierungs- und Subjektivierungsprozesse, die Foucault historisch für das letzte Jahrhundert herausgearbeitet hat, intensivieren sich zunehmend. Nicht umsonst meint Foucault von sich, er schreibe die Geschichte der Gegenwart (1976, 43). Das >autobiographische< Individualisierungs-Dispositiv stellt das Individuum in eine institutionalisierte Biographieorganisation, die sich mit der Dreiteilung des Lebens in (Aus-)Bildung, Arbeit und Rente durchgesetzt hat und zwingt es, seine individuelle Geschichte in diesem Rahmen zu erzählen. Die narrative Psychologie versucht dieser Entwicklung Rechnung zu tragen. Ihr Defizit besteht aber gerade in dem Umstand, daß sie lediglich von folgender Annahme ausgehen: "Erzählungen und Geschichten waren und bleiben die einzigartige menschliche Form, das eigene Leben zu ordnen, zu bearbeiten und zu begreifen. Erst in einer Geschichte, in einer geordneten Sequenz von Ereignissen und deren Interpretation gewinnt das Chaos von Eindrücken und Erfahrungen, dem jeder Mensch täglich unterworfen ist, eine gewisse Struktur, vielleicht sogar einen Sinn" (Ernst 1996, 202). Damit nehmen sie jene ideologi-

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sehe Verkehrung von Sein und Bewußtsein vor, indem sie unterstellen, biographische Prozesse seien je individuell erzählerisch zu gestalten, ohne den Rahmen, in dem diese Erzählung überhaupt nur stattfinden kann, mit in ihre Überlegungen einzubeziehen. In seinem Aufsatz "Wer erzählt mir, wer ich bin?" (1996) versucht H.Keupp unterschiedliche "Lebensskripte" (ebd., 41), die gegenwärtig diskursiv bereitgestellt werden, herauszuarbeiten. Er unterscheidet das "protheische Selbst" vom "fundamentalistischen und reflexiv-kommunitären Selbst" und einem Gegendiskurs vom "beschädigten Leben" (ebd., 42). Innerhalb dieser Selbstentwürfe gibt es noch spezifische Differenzierungen, ihnen gemein ist, daß sie auf unterschiedliche Weise dem Individuum eine sein Welt- und Selbst Verhältnis ordnende Erzählung anbieten. Spannend ist das sehr vielschichtig zugrundegelegte diskursanalytische Material seiner Überlegungen, das für eine immense Erweiterung jener diskursiven Praxen spricht (neben Ratgeberliteratur bezieht er Zeitungs- und Zeitschriftenartikel und Marktforschungsliteratur mit ein und stellt sie als gleichwertige Momente nebeneinander). Keupp beklagt zwar die mangelnde Reflexion der meisten Ansätze auf die interindividuellen sozialen Differenzen und die damit verbundenen unterschiedlichen Gestaltungsmöglichkeiten, aber bezieht diese Kritik nicht systematisch in seine Überlegungen mit ein.9 Für die Fragen der Bildungsformen des Bildungssystems ergeben sich aus diesen Überlegungen, daß es keine eindeutig bestimmbaren mehr gibt. Neben kulturkonserativen fundamentalistischen Renaissancen des bildungsbürgerlichen Subjekts tritt das multiphrene komplexitätsfähige Ich. Ein einheitliches Ich, eine geschlossene Identität scheint nicht mehr möglich zu sein. Galt das Identitätsentwicklungsmodell von Erikson (1973) in einer stabilen fordistischen Gesellschaftsformation noch als paradigmatisch, hat es gegenwärtig an Bedeutung verloren. Ein einheitliches Ich läßt sich kaum mehr herstellen, einen Zusammenhang der heterogenen Teilidentitäten läßt sich vielleicht nur noch mit einem Modell der "Patch-Work-Identität" (Keupp 1988, 141) denken. Mit dieser Absage an die Möglichkeit eines einheitliches Ichs oder Subjekts fällt auch jede Bildungstheorie, die Bildungsprozesse in einer Subjekt-Objekt-Dialektik zu artikulieren versucht. Sie unterstellt immer schon ein ursprüngliches Ich, daß der Welt gegenübertritt und sich in der Auseinandersetzung mit ihr formt und gestaltet. Im Diskurs der Post-Theorien der Moderne geht es um die Dekonstruktion dieses Subjekts und die Kritik an theoretischen Ansätzen, die meinen, die Wiederherstellung dieses Subjekts diene der Emanzipation. Deleuze/Guattari (1974) ebenso wie Lyotard (1978, 7ff) versuchen jenen mit der Durchsetzung 9

Soziologische Lebenstilanalysen (z.B. Schulze 1992) kömien selbst als solche Erzählungen begriffen werden. In dem Maße, wie sie Eingang in den öffentlichen Diskurs finden, dienen sie wiederum als Modelle für das Selbst Verständnis der Subjekte.

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der kapitalistischen Produktionsweise verbundenen Freisetzungs- oder Deterritorialisierungsprozeß nicht als Entfremdungsprozeß zu begreifen, sondern als Prozeß der Intensivierung. Ihre Kritik richtet sich deshalb zentral gegen jene Prozesse der Festsetzung oder Reterritorialisierung, in denen Menschen zu identischen Subjekten gemacht werden sollen. Die archäologisch-genealogischen Analysen der ersten beiden Kapitel verstehen sich als ein Beitrag, um diese Prozesse der Reterritorialisierung im und durch das Bildungssystem aufzudecken. Kritik an dieser Art >dekonstruktiver Theoriebildung< ist in den 80er Jahren zentral von J.Habermas (1985) geübt worden: "In dem Maße, wie sie (die Genealogie; A.d.A.) sich in die reflexionslose Objektivität einer teilnahmslos asketischen Beschreibung von kaleidoskopisch wechselnden Praktiken der Macht zurückzieht, entpuppt sich die genealogische Geschichtsschreibung als genau die präsentisitsche, relativistische und kryptonormative Scheinwissenschaft, die sie nicht sein will" (324). Präsentistisch soll sie sein, weil sie gegen jede Geschichtshermeneutik nicht nach den Handlungsgründen der geschichtlichen Akteure fragt, sondern mit einem vergegenständlichenden Blick von weit her auf die Geschichte blickt. Relativistisch soll sie sein, weil sie ihre eigene Geltungsgrundlage konsequenterweise mit auflösen muß und kryptonormativ, weil sie zwar einerseits jedes politische Eingreifen verhöhnt, aber im Gestus der Theoriebildung doch an der Möglichkeit von begründetem Widerstand festhält. Das Beharren dieser Kritik auf den Kategorien Bedeutung, Geltung und Wert, die sie durch die genealogische Analyse gefährdet sieht, hat etwas von einem Spiegelgefecht. "Das hat etwas Komisches: immer am Anderen das zu bemerken, worunter man selbst am meisten leidet, wovor man die meiste Angst hat" (Kamper 1987, 40). Gleichwohl bleibt dies ein Problem einer archäologisch-genealogischen Kritik des Subjekts. Diese permanente Freisetzung des Menschen im Zuge der Durchsetzung des Kapitalismus, ohne dabei eine Verfallsgeschichte der Entfremdung zu schreiben, macht es notwendig, die Frage menschlicher Vergesellschaftung erneut aufzurollen. Geht man aber von deren Formbestimmtheit aus, bleibt es nicht bei einer einfachen Darstellung unterschiedlicher >Lebensskripte.< Diese werden in ihren Bezügen zu anderen diskursiven und nicht-diskursiven Praxen erkennbar. Gleichzeitig wird der analytische Blick nicht auf das Innere gelenkt, um dort in der Bestimmung eines menschlichen Wesens einen festen Ansatzpunkt zu gewinnen, von dem aus Theoriebildung entwickelt wird. Andererseits kommt man um diese >anthropologischen Grundfragen< nicht herum, will man irgendein Kriterium in der Hand haben, von dem aus sich die unterschiedlichen Formen kritisieren lassen. Um die Frage nach der Bedeutung der Subjektivität in Bildungsprozessen, die sich in diesem theoretischen Spannungsfeld bewegt, zu analysieren, versuche ich, durch einen Rekurs auf den subjektwissenschaftlichen Ansatz der

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3.

Kapitel

Kritischen Psychologie die >Entwicklungsperspektive< und das >Handlungsinteresse< des Subjekts mit in diese Untersuchungen einzubeziehen. Damit sollen aber keinesfalls die Kritiken der ersten beiden Kapitel über Bord geworfen werden. Jeder Versuch eine Wissenschaft von dem >Subjekt< zu begründen, steht permanent in der Gefahr jenes ideologische Subjekt der Bewußtseinsphilosophie, der Moral, des Rechts, der Bildung usw. (vgl. W.F. Haug 1987, 8 Iff) zu rekonstituieren, das mit Foucault zu Recht als Effekt von Macht-Wissens-Dispositiven erkannt und kritisiert worden ist. Eine Subjektwissenschaft, deren Ziel menschliche Emanzipation ist oder, vielleicht weniger pathetisch, die als kritische Wissenschaft den Subjekten helfen will, "nicht dermaßen regiert zu werden" (Foucault 1992, 12), muß sich der genealogisch-archäologischen Kritik stellen, wenn sie sich nicht in den Aporien der Bewußtseinsphilosophie verstricken will und von einer befreienden Subjektivität spricht, wo es um weitaus subtilere Unterwerfungsformen geht. Ein fundamentaler Unterschied zu diskursanalytischen Ansätzen besteht darin, daß eine kritische Subjektwissenschaft immer noch am befreienden Gehalt einer kooperativen Selbstvergesellschaftung der Subjekte festhält auch da, wo diese Möglichkeit zunehmend verstellt ist.

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3. Kapitel: Elemente eines subjektwissenschaftlich Bildungsbegriffs 1.Schritt: die alten Begriffe wild durch die Gegend schleudern, weil man es satt hatt hat. Revolution - Willkür - Freiheit 2. Schritt: die Begriffe erweitern = verlebendigen (J.Beuys)

In diesem Kapitel versuche ich die archäologisch-genealogischen Analysen der vorangehenden Kapitel für eine psychologische Analyse von Bildungsprozessen fruchtbar zu machen.Es scheint ein unüberwindlicher Widerspruch zu sein, im ersten Kapitel die Verhaftetheit traditioneller Bildungstheorie in der bewußtseinsphilosophischen Subjekt-Objekt-Anordnung zu kritisieren und ein bildungstheoretisches Denken in der >Leere des verschwundenen Menschen< zu avisieren, im zweiten Kapitel dann die Produktion gebildeter Subjekte einer genealogischen Analyse zu unterziehen und so ihren normierenden und regulierenden Charakter aufzudecken, und nun im dritten Kapitel die Erarbeitung von Elementen einer subjektwissenschaftlichen Bildungsbegriffs anzukündigen. Die Frage ist, wie einerseits das Subjekt als Effekt der Anordnung von Wissen und Macht in der Moderne herausgearbeitet und kritisiert, andererseits eine Wissenschaft gerade von der Position dieses Subjekts aus positiv für möglich gehalten werden kann. Um diesen Widerspruch zu überwinden, ist es zunächst notwendig, die Spezifik subjektwissenschaftlicher Theoriebildung zu skizzieren. Daran anschließend stelle ich die von K.Holzkamp (1993) entwickelte subjektwissenschaftliche Lerntheorie kurz dar, da sie als psychologische Theorie für eine Analyse von Bildungsprozessen im Verhältnis zu einzelnen Lernprozessen wichtige Ansatzpunkte liefert, die es erlauben, nicht in der bewußtseinsphilosophischen Anordnung traditioneller Bildungstheorie zu verharren. In einem dritten Schritt entfalte ich dann, anknüpfend an D.Benners Überlegungen zu einer "nicht-affirmativen Theorie der Bildung" (vgl. 1995), Elemente eines subjektwissenschaftlichen Bildungsbegriffs. Dazu versuche ich, einige Differenzierungen in der Konzeptualisierung von Subjektivität in der Kritischen Psychologie vorzunehmen und einige grundlegende Verschiebungen ihres >Weltverständnisses< durchzuführen. Für beide Schritte folge ich zunächst Holzkamps Vorstellungen soweit wie möglich, um an ihren Unbestimmtheiten an entscheidenden Stellen Korrekturen anzubringen, die sich wiederum auf theoretische Analysen poststrukturalistisch inspirierter Ideologietheorie und Diskursanalyse stützen und damit den Bogen zu den ersten beiden Kapiteln ermöglichen. Im abschließenden vierten Teilkapitel bestimme ich dann diejenigen Kategorien genauer, mit denen ich in der aktualempirischen Untersuchung dieser Arbeit versucht habe, Bildungsbiographien zu analysieren.

3. Kapitel

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Theoriebildung

In seinem Aufsatz "Was heißt >Psychologie vom Subjektstandpunkt