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German Pages 232 Year 2022
Dmitrij Fedorovic Markov
Zur Genesis des sozialistischen Realismus
Literatur und Gesellschaft Herausgegeben von der Akademie der Wissenschaften der DDR Zentralinstitut für Literaturgeschichte
Dmitrij Fedorovic Markov
Zur Genesis des sozialistischen Realismus Erfahrungen und Leistungen süd- und westslawischer Literaturen in den %wan%iger und dreißiger Jahren
Akademie-Verlag • Berlin 1975
Übersetzt von: Günther Jarosch Fachwissenschaftliche Redaktion: Ludwig Richter und Heinrich Olschowsky Titel des russischen Originals: Genezis socialistiieskogo realizma Moskau 1970
Erschienen im Akademie-Verlag, 108 Berlin, Leipziger Str. 3—4 Copyright 1975 by Akademie-Verlag, Berlin Lizenznummer: 202 • 100/185/75 Gesamtherstellung :IV/2/14VEB Druckerei »Gottfried Wilhelm Leibniz«, 445 Gräfenhainichen • 4475 Bestellnummer: 752 653 6 (2150/29) • LSV 8001 Printed in GDR EVP 7,50
Inhalt
Vorwort
7
Einleitung
11
Grundzüge der proletarisch-revolutionären Literaturen .
29
Anfänge des sozialistischen Realismus
45
Das Verhältnis des kritischen Realismus und anderer Strömungen zum sozialistischen Realismus im 20. Jahrhundert
81
Revolutionäre Romantik und sozialistischer Realismus
123
Sozialistische Literaturen der zwanziger und dreißiger Jahre und der weltliterarische Prozeß
151
Vergleichende Erforschung der 20. Jahrhunderts Vielfalt und Synthese Typologie künstlerischer Formen
Literaturen
des 151 158 164
Sozialistische Literatur — Genesis und Probleme der Gegenwart
184
Anmerkungen
209
Personenregister
226
Vorwort
Die vorliegende deutsche Ausgabe meiner Arbeit über die Genesis des sozialistischen Realismus ist eine gekürzte Fassung meines im Jahre 1970 in Moskau erschienenen gleichnamigen Buches. Ich möchte ihr ein paar Worte mit auf den Weg geben. Meine Ausführungen stützen sich auf die Analyse von Fakten aus der Geschichte der slawischen, insbesondere der westund südslawischen Literaturen. Aber das Phänomen, von dem hier die Rede ist — der sozialistische Realismus —, hat sich natürlich auch in vielen anderen Nationalliteraturen entwickelt, es ist eine internationale Erscheinung. Der Prozeß der Formierung des neuen Literaturtypus wird in den einzelnen Ländern von den jeweiligen konkreten nationalen Bedingungen geprägt, aber gleichzeitig treten in seinem Verlauf unausbleiblich — natürlich in verschiedenem Grade — übereinstimmende typologische Tendenzen aüf, die Ausdruck der allgemeinen Gesetzmäßigkeit der literarischen Entwicklung sind. Die vergleichende typologische Erforschung der sozialistischen Literaturen führt uns zur Feststellung gerade dieser unabweisbaren Tendenz der Weltliteratur. Sie zu erkennen bemühen sich zur Zeit viele marxistische Literaturforscher in verschiedenen Ländern. Die Rolle der deutschen Literatur ist hierbei bedeutend. Ihr klassisches Erbe gehört zu den größten Schätzen der Weltliteratur, und es ist daher durchaus logisch, daß die Literaturforscher in der DDR alle Anstrengungen unternehmen, die Verbindungen zwischen dem Erbe der Künstler der Vergangenheit und der sozialistischen Gegenwart allseitig zu erforschen und die Bedeutung der fortschrittlichen Traditionen herauszuarbeiten. 7
Wenn wir von der Formierung und der Entwicklung des sozialistischen Realismus als einer neuen Erscheinung der Weltliteratur sprechen, wenden wir unser Augenmerk natürlich auch ihren Quellen zu, die bis ins 19. Jahrhundert zurückreichen. Und dabei sehen wir, daß am Anfang des weiten Weges eine Plejade bedeutender Dichter gestanden hat, so Georg Herwegh, Ferdinand Freiligrath und Georg Weerth. Diese Dichter, die sich unmittelbar in der durch das Wirken von Karl Marx und Friedrich Engels geprägten Ideenwelt entwickelten, schufen neue Werke, die zweifellos eng mit der späteren Entwicklung der sozialistischen Weltliteratur verbunden sind. Besonders wichtig ist der Beitrag Weerths, der von Engels als „der erste und bedeutendste Dichter des deutschen Proletariats" bezeichnet wurde. Die sozialistischen Ideen beeinflußten sowohl die schöne Literatur als auch die Entwicklung einer marxistischen Literaturkritik und Ästhetik. Das ist für viele Länder charakteristisch. Bekanntlich trat auch in Deutschland am Ausgang des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts auf diesem Gebiet eine Reihe bedeutender Männer an die Öffentlichkeit; unter ihnen ragt Franz Mehring hervor, der weit über die Grenzen Deutschlands hinaus großen Einfluß auf die Entwicklung der marxistischen Ästhetik ausübte. In den Arbeiten dieser Kritiker und Ästhetiker wurde die Geschichte der Nationalliteraturen von den Positionen des Marxismus aus beleuchtet, und es wurden die Prinzipien der Literatur des neuen Typus dargelegt. Bei aller Mannigfaltigkeit der nationalen Fakten und Erscheinungen vereinte diese Kritiker — nach einem Ausspruch des Begründers der marxistischen Literaturkritik in Bulgarien Dimitär Blagoev — „das Bestreben, an die verschiedenen gesellschaftlich-literarischen Fragen vom Standpunkt des Sozialismus aus heranzugehen und sie unter diesem Gesichtspunkt zu erklären". Die Prozesse, die sich in der deutschen Literatur unter dem Einfluß der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution und der revolutionären Ereignisse in Deutschland vollzogen, stimmen bei aller nationaler Spezifik in gewissen typologischen Zügen mit den Prozessen in anderen, slawischen Literaturen überein, von denen im vorliegenden Buch die Rede sein soll.
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Die Dichtung Erich Mühsams, die links-expressionistische Poesie Johannes R. Bechers, sein Weg zu den großen realistischen Werken der dreißiger Jahre, das Schaffen von Bertold Brecht, Friedrich Wolf, Erich Weinert, Anna Seghers und anderen Schriftstellern sind wichtige Kettenglieder der sozialistischen Weltliteratur. Dieser Verweis auf einzelne hervorstechende Beispiele mag Anlaß sein, konsequent die Dialektik von Allgemeinem und Besonderem zu untersuchen, ohne eine der beiden Komponenten zu verabsolutieren. Die sozialistische Weltliteratur weist eine außerordentliche Vielfalt konkreter nationaler Formen auf, gleichzeitig aber ist sie einheitlich — als ein neuer Typus künstlerischen Bewußtseins. Wenn auch ungleichmäßig und oft nicht synchron verlaufend, hat sich diese Literatur, die eigenen Widersprüche überwindend, in vielen Ländern als ein organischer Bestandteil des geistigen Lebens gefestigt. Die Darlegung dieser Prozesse an Hand des Materials aus den slawischen Literaturen vom Ausgang des 19. und dem Beginn des 20. Jahrhunderts ist der Grundinhalt dieses Buches. D. F. Marko v
Einleitung
Welche Maßstäbe kann man an die Kunst des 20. Jahrhunderts anlegen? Was sind Sinn und Inhalt des künstlerischen Fortschritts in der gegenwärtigen Epoche? Auf diese Fragen werden sehr verschiedene Antworten gegeben — sie sind das Ergebnis einer scharfen ideologischen Auseinandersetzung. In ihrem Mittelpunkt steht der Mensch: Wie ist er, wie sollte er sein, welche Prinzipien gelten für seine Darstellung? Viele bürgerliche Gelehrte versuchen mit großer Beharrlichkeit, den Menschen isoliert vom gesellschaftlichen Leben darzustellen, losgelöst von den sozialen Bindungen an die Gesellschaft. Die einen stellen die gewaltigen Errungenschaften von Wissenschaft und Technik im 20. Jahrhundert in den Vordergrund und sprechen von Veränderungen in der Struktur der Menschheit, die angeblich die sozialen Klassenwidersprüche in der modernen Welt zum Verschwinden bringen, andere wieder versuchen, alle Taten des Menschen ausschließlich aus seiner biologischen Natur oder aus der unzugänglichen Sphäre der „reinen Psyche" zu erklären. Aber es geht dabei nicht nur um den Versuch einer direkten Herauslösung des Menschen aus seinen gesellschaftlichen Bindungen. Manchmal werden diese Bindungen nicht verneint, sondern sogar proklamiert. Wichtig ist dabei jedoch, daß die Verfechter dieser Theorien die Frage des gesellschaftlichen Bewußtseins des Menschen als eines wesentlichen Faktors der geistigen Entwicklung der Persönlichkeit geflissentlich außer acht lassep. Dabei geht es doch darum, diese Entwicklung immer allseitiger darzustellen. Bei ihren Überlegungen über die Stellung des Menschen in der Welt haben die Künstler stets nach Wegen zu einem im11
mer menschenwürdigeren Leben gesucht. In diesem Suchen liegt der humanistische Kern ihres Schaffens. So hat sich auch der Inhalt des Schönen im Laufe der Geschichte in Abhängigkeit vom Charakter der gesellschaftlichen Strukturen und Ideale geändert, je nachdem, wie der einzelne Schriftsteller die objektive Realität begriff. Die Literaturgeschichte ist ein in seiner Art unendlich vielgestaltiger Prozeß der allmählichen Erweiterung der Sphäre der künstlerischen Erkenntnis des Menschen, seiner Psyche, seiner sozialen und gesellschaftlichen Stellung, seines geistigen Wachstums, i n den verschiedenen Perioden bildeten sich unterschiedliche Typen der künstlerischen Erkenntnis heraus, und in ihrer aufsteigenden Folge ist das Wesen der historischen Bewegung von Literatur und Kunst beschlossen. Bei diesem Prozeß ist die Rolle der marxistischen Philosophie, die die wahren Gesetzmäßigkeiten der gesellschaftlichen Entwicklung und die realen Wege zu ihrer Umgestaltung aufzeigt, außerordentlich wichtig. Die unüberwindliche Stärke dieser Philosophie ist ihr ethischer Gehalt, ihr realer Humanismus, nämlich die konsequente Verteidigung des Menschen, mit der sich keine andere philosophische Doktrin messen kann. „Die Philosophen haben die Welt nur unterschiedlich interpretiert, es kommt aber darauf an, sie zu verändern", schrieb Karl Marx in seinen Thesen über FeuerbachDer Mensch ist nicht nur das Objekt, sondern auch das Subjekt der Geschichte, er ist das Agens. Sofern er die Gesetze der gesellschaftlichen Entwicklung beherrscht, kann er die bestehenden Bedingungen verändern, wenn sie antihuman sind, und neue Bedingungen schaffen, sein Leben auf soziale Gerechtigkeit und echte Humanität gründen. Das ist höchster Ausdruck menschlicher Freiheit. Sie bildet den Kern des revolutionären Humanismus der Marxschen Philosophie. Natürlich hat die marxistische Konzeption der menschlichen Persönlichkeit Einfluß auf die Literatur ausgeübt und in ihr neue Tendenzen heranreifen lassen. Der Sozialismus als wissenschaftliche Theorie und dann auch als sozial-revolutionäre Bewegung zog bereits im 19. Jahrhundert die fortschrittliche künstlerische Intelligenz an. Diese Anziehungskraft wuchs nach der Großen Sozialistischen Okto12
berrevolution, durch die die sozialistischen Ideale zur realen Wirklichkeit wurden, in ungeahntem Maße. Der gewaltige Umschwung im gesellschaftlichen Bewußtsein der Völker bewirkte auch im weltweiten Literaturprozeß wesentliche Veränderungen. Eines der bedeutendsten Ergebnisse dieser Veränderungen war die Entwicklung der sozialistischen Literaturen, deren Anfänge noch ins vorige Jahrhundert zurückreichen ; nun wurden sie zum wichtigsten Teil der Weltliteratur des 20. Jahrhunderts, zur zukunftsträchtigsten Tendenz des künstlerischen Fortschritts in unserer Zeit. Die sowjetische Literaturforschung hat große Anstrengungen unternommen, um das Problem der Genesis des sozialistischen Realismus zu erforschen. Man kann Dutzende von Arbeiten anführen, darunter solche über Entstehung und Entwicklung des sozialistischen Realismus in der russischen Literatur (in erster Linie sind hier die Werke der Gorki*-Forscher zu nennen), Untersuchungen des literarischen Prozesses um die Jahrhundertwende sowie Bücher über den Realismus in der Weltliteratur. Viele Arbeiten haben Genesis und Entwicklung des sozialistischen Realismus in den Nationalliteraturen der einzelnen Länder zum Thema. Von der Untersuchung dieser Prozesse an Hand des Materials der Literaturen der slawischen Völker wird später die Rede sein. Hier sollen nur die verallgemeinernden Untersuchungen erwähnt werden, Kollektivarbeiten der letzten Jahre zu methodologischen und theoretischen Fragen. 2 Diese Arbeiten ermöglichen eine komplexe Betrachtung des genannten Problems. Sie ergänzen einander sowohl hinsichtlich des Materials als auch hinsichtlich der Art, die verschiedenen Fragen zu behandeln. Vielseitig und an einem reichen Faktenmaterial wird in diesen Arbeiten der nationale und historische Boden gezeigt, auf dem die Literatur des neuen Typus entstand, ihr Entstehungsprozeß in den einzelnen Ländern * Die Bearbeiter haben sich entschieden, bei grundsätzlicher Beibehaltung der wissenschaftlichen Transkription in den Fällen Ausnahmen zu machen, w o sich eine andere Schreibweise eingebürgert hat. Das betrifft die Namen: Gorki, Majakowski, Puschkin, Tschechow, Scholochow, Fadejew und Dimitroff.
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untersucht und das Schaffen der bedeutendsten Vertreter dieser Literatur charakterisiert. Natürlich sind viele Probleme noch ungelöst. Zu einigen von ihnen äußern die Verfasser unterschiedliche Ansichten, sie stehen im Mittelpunkt eines lebhaften Meinungsstreites. Dennoch ist bereits eine wichtige Etappe erreicht, die die Möglichkeit zu neuen Verallgemeinerungen bietet. Die weitere Forschung auf diesem Gebiet muß sich meines Erachtens stärker vergleichenden Betrachtungen der sozialistischen Nationalliteraturen zuwenden. Ihr Ziel ist es, die unmittelbaren Zusammenhänge klarzulegen, vor allem die typologischen Tendenzen ihrer Entwicklung, die sowohl im Inhalt der Werke als auch in der historischen Entwicklung der Formen, Stile und Genres zum Ausdruck kommen. Noch immer haben wir sehr wenige Arbeiten auf diesem Gebiet, während auf dem der vergleichenden Erforschung der Literaturen weiter zurückliegender Perioden und auf dem der vergleichenden Folkloristik bereits bedeutende Untersuchungen vorliegen. Natürlich lassen sich aus dem literarischen Material jeder Periode theoretische Erkenntnisse ableiten. E s muß jedoch unterstrichen werden, daß die vergleichende Erforschung der Literaturen des 20. Jahrhunderts, besonders der sozialistischen Literaturen seit der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution, nicht nur eine Frage der Ausweitung der chronologischen Grenzen ist, sondern in erster Linie eine Frage der neuen ästhetischen Errungenschaften, deren breit angelegte vergleichende Analyse zweifellos zur Entdeckung neuer wesentlicher Gesetzmäßigkeiten des weltliterarischen Prozesses führen wird. Handelt es sich doch um eine Periode tiefgreifender Veränderungen im gesellschaftlichen Bewußtsein der Menschen, um einen gigantischen Umschwung in der Geschichte der Menschheit. V o n der sozialistischen Bewegung, die sich in den einzelnen Ländern durchaus eigenständig entwickelt hat, wurden gleichzeitig historische Gemeinsamkeiten entwickelt, die gewisse analoge Prozesse in den einzelnen Nationalliteraturen ermöglichten. Dies wieder hat zur Ausprägung eines besonderen internationalen Systems der literarischen Entwicklung geführt, das die wichtigsten Seiten der Weltliteratur bestimmt. Bei der Erforschung dieser — wie übrigens jeder anderen — 14
Literaturepoche ist es sehr wichtig, daß man sich auf die E r fahrungen jener Literaturen stützt, in denen das Neue vielfältig in Erscheinung getreten ist. In dieser Hinsicht sind die E r fahrungen der südslawischen und der westslawischen Literaturen interessant und aussagekräftig. Sie bilden die Grundlage der in diesem Buche niedergelegten Beobachtungen und Aussagen. Auf Grund der besonderen historischen Bedingungen, die wir in den einzelnen Kapiteln dieses Buches darzustellen versuchen, entstanden in diesen Ländern relativ früh revolutionäre und sozialistische Literaturen, die ein klares Bild der neuen Strömungen in der Weltliteratur vermitteln. Freilich ist es zu bedauern, daß diese ungemein wichtigen Prozesse in noch ungenügendem Maße zum Gegenstand breiter vergleichender Untersuchungen geworden sind. Unsere Kollegen in Polen und in Jugoslawien arbeiten zwar die revolutionären nationalliterarischen Traditionen auf, stellten jedoch nicht die Frage nach dem ästhetischen Gehalt des sozialistischen Realismus. So wurde auf dem VI. Internationalen Slawistenkongreß (Prag 1968) aus den genannten Ländern eigentlich kein einziger Beitrag zu dieser Problematik gegeben. Die tschechoslowakischen und die jugoslawischen Literaturforscher, die sich mit dem 20. Jahrhundert beschäftigen, widmeten in den sechziger Jahren ihr Hauptaugenmerk Fragen des Avantgardismus, den sie entweder nur im engen Rahmen dieser Strömung selbst oder aber als direkte Gegenströmung gegen den — meist sehr eng verstandenen — sozialistischen Realismus betrachteten. In Bulgarien sind zur revolutionären Literatur der zwanziger und der dreißiger Jahre viele Aufsätze und Monographien erschienen. Eingehender als in den anderen slawischen Ländern geht man dort den Verbindungen zwischen der eigenen und der Sowjetliteratur nach. Aber vergleichende typologische Untersuchungen, die auf der Analyse einer ganzen Gruppe von sozialistischen Literaturen aufbauen, stehen noch ganz am Anfang. In allgemeiner Form werden diese Fragen in den Arbeiten von E . Georgiev aufgeworfen, beispielsweise in seinem Buch über allgemeine und vergleichende slawische Literaturforschung. Natürlich ist schon die Tatsache, daß diese Problematik überhaupt behandelt wird, sehr wichtig. 15
In der Sowjetunion wendet man sich ebenfalls erst in jüngster Zeit der vergleichenden typologischen Erforschung der sozialistischen Literaturströmungen zu. Freilich finden diese künstlerischen Strömungen — ihre Genesis und ihre Entwicklung in den west- und südslawischen Ländern — in der literarhistorischen Forschung breite Behandlung. Von den sowjetischen Slawisten wurden bereits mehrbändige, recht grundlegende Arbeiten über einzelne Nationalliteraturen vorgelegt, die die Durchführung einer vergleichenden Analyse der typologischen Fakten und Erscheinungen erleichtern. Betrachten wir Charakter und Richtung dieser Arbeiten wenigstens in ihren Grundzügen: Die sowjetische Öffentlichkeit hat schon vor langem, bereits am Ende der zwanziger und in den dreißiger Jahren, ihr Interesse an den revolutionären und sozialistischen Literaturen der süd- und der westslawischen Völker bekundet. Über diese Thematik wurden einzelne Aufsätze, zumeist populärwissenschaftlichen Charakters, veröffentlicht. Aber eine intensive Erforschung dieser Literaturen begann auch in der Sowjetunion im wesentlichen erst nach dem Ende des zweiten Weltkrieges. In den fünfziger Jahren erschienen die ersten großen Arbeiten über die bedeutenden revolutionären Schriftsteller Wladyslaw Broniewski3, Jiri Wolker4, Christo Smirnenskis, Stanislav Kostka Neumann6 und Peter Jilemnicky 7 . Da diese zentrale Gestalten der sozialistischen Nationalliteraturen sind, umfaßte die materialreiche konkrete Analyse ihres Schaffens auch eine breitere, mit der Genesis des sozialistischen Realismus in den einzelnen Ländern verbundene Problematik. Schritt für Schritt wurde die Herausbildung der neuen künstlerischen Methode im nationalliterarischen Prozeß untersucht. Es entstanden Arbeiten über einzelne Perioden der Entwicklung der revolutionären und sozialistischen Literaturen. Charakteristiken dieser Perioden fanden in gedrängter Form Eingang in die Gesamtdarstellungen der Geschichte der Nationalliteraturen.8 1963 erschien die Kollektivarbeit Die Formierung des sozialistischen Realismus in den Literaturen der West- und der Südslarven. Zum Unterschied von vielen anderen, in der Sowjetunion erschienenen Sammelbänden, die zumeist viele Themen behandeln, steht im Mittelpunkt dieses Bandes ein einziges Grund16
problem. Die Verfasser der einzelnen Abhandlungen führen an Hand von Material aus den verschiedenen Nationalliteraturen zielgerichtet auf seine Lösung hin. Die objektiven Resultate der Untersuchungen vermitteln eine Vorstellung sowohl von der Spezifik als auch von der Analogie der Prozesse und damit auch von wesentlichen Gesetzmäßigkeiten der Weltliteratur. In aller Ausführlichkeit werden die in Polen, der Tschechoslowakei, Jugoslawien und Bulgarien vorhandenen gesellschaftlich-historischen und literarischen Voraussetzungen für die Genesis des sozialistischen Realismus sowie seine eigenständige Herausbildung in den verschiedenen Genres vorgestellt. Es wird aber auch eine Reihe weiterer, mit der Bestimmung des Charakters der sich formierenden Literaturen verbundener Fragen aufgeworfen, so die nach dem neuen Helden, nach der kommunistischen Parteilichkeit, nach den Formen der künstlerischen Verallgemeinerung usw. Der Sammelband ist die erste Kollektivarbeit zur Genesis des sozialistischen Realismus nicht nur in den slawischen Literaturen, sondern überhaupt in den Literaturen außerhalb der Sowjetunion. Danach erschienen weitere Arbeiten (einige davon wurden bereits genannt, beispielsweise der Sammelband Die Genesis des sozialistischen Realismus in den Literaturen der Länder des Westens, Moskau 1965), die ihren Beitrag zur Lösung des Problems leisteten.9 Der Sammelband Die Formierung des sozialistischen Realismus in den Literaturen der West- und der Südslawen ist der Erforschung der revolutionären Literaturen der zwanziger Jahre gewidmet. In der Folgezeit führten die sowjetischen Slawisten die Erforschung dieser Periode weiter. Gleichzeitig brachten sie aber eine Reihe von Arbeiten, in denen die Entwicklung der sozialistischen Literaturen in den dreißiger Jahren eine grundlegende Untersuchung erfährt, zum Abschluß.10 Die Verfasser dieser Arbeiten gelangten zu wichtigen Schlußfolgerungen hinsichtlich der neuen Etappe des sozialistischen Realismus, der in dieser Zeit bereits zu einer breiten Strömung innerhalb der Nationalliteraturen geworden war und sich in allen Genres äußerte. Um die Erforschung der Faktoren bemüht, die die Formierung der neuen künstlerischen Methode in den einzelnen Ländern begünstigten, wandten die sowjetischen Wissenschaftler 2
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ihre besondere Aufmerksamkeit der Rolle zu, die die Sowjetliteratur, vor allem Gorki und Majakowski sowie andere sowjetische Schriftsteller, bei diesen Prozessen spielte.11 Das Problem der Genesis des sozialistischen Realismus fand auch noch in jüngster Zeit das Interesse der sowjetischen Slawisten. Ihm sind zwei Sammelbände gewidmet, die zum 50. Jahrestag der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution erschienen: Der Oktober und die slawischen Uteraturen des Auslands (Kiew 1967) und Die Oktoberrevolution und die slawischen Literaturen (Moskau 1967). Die erste erweitert den Rahmen der Erforschung der Nationalliteraturen ; wohl zum erstenmal in der sowjetischen Literaturforschung wird hier das Entstehen der revolutionären Strömungen in der serbischen, der kroatischen und der slowenischen Literatur ausführlich und überzeugend dargelegt. Die Verfasser der Abhandlungen über die bulgarische, die polnische, die tschechische und die slowakische revolutionäre Literatur, deren Entwicklung bereits früher untersucht worden war, brachten neue Tatsachen bei, die unsere Kenntnisse vom literarischen Prozeß in den einzelnen Ländern bereichern. Der zweite Sammelband enthält im wesentlichen Ausführungen von Literaturforschern und Schriftstellern aus den sozialistischen Ländern zum Problemkreis der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution. Die den beiden Büchern vorangestellten Einführungen stützen sich in der Hauptsache auf die Ergebnisse früherer Forschungen, die bereits erwähnt wurden. G. D. Verves baut in seinem Aufsatz Revolution und Literatur12 auf den Arbeiten seiner Vorgänger auf, legt jedoch zum Thema Avantgardismus einige eigene Beobachtungen vor, die ihn später zu einer interessanten Darlegung dieses Problems in seinem auf dem VI. Internationalen Slawistenkongreß in Prag gehaltenen Vortrag inspirierten. (Verves bietet eine Charakteristik der komplizierten Entwicklung mehrerer ukrainischer Dichter der zwanziger Jahre und konfrontiert sie mit analogen Prozessen bei der schöpferischen Entwicklung von Dichtern in anderen Ländern.13) N. I. Kravcov führt in seinem Aufsatz Die Große Sozialistische Oktoberrevolution und die slawischen Literaturen einige wesentliche Fakten zur Entwicklung der slawischen Literaturen 18
nach der Oktoberrevolution an. Mehrere seiner Schlußfolgerungen geben jedoch Anlaß zu ernsthaften Einwänden. Leider läßt Kravcov die neuesten Forschungen unberücksichtigt und bringt überraschenderweise alte, von der Wissenschaft längst verworfene Ansichten vor. So rechnet er beispielsweise Smirnenski zu jenen Dichtern, in deren Schaffen sich „der wichtige Prozeß des Bruchs mit dem Symbolismus" 14 vollziehe, obwohl diese Behauptung bereits vor vielen Jahren und meines Erachtens mit guten Argumenten widerlegt worden ist. Bei den sozialistischen Literaturen am Ende der zwanziger und in den dreißiger Jahren sieht Kravcov das Neue ihrer Entwicklung in dieser Etappe darin, daß „die wichtigsten Prinzipien der Methode des sozialistischen Realismus — Parteilichkeit und Volksverbundenheit — nicht nur zu ideologischen, sondern auch zu ästhetischen Prinzipien" 15 geworden seien. Man könnte meinen, daß beispielsweise Wolker und Smirnenski in der ersten Hälfte der zwanziger Jahre nur Sprachrohre der revolutionären Ideen gewesen wären oder daß sie, wollte man der Behauptung des Artikels Glauben schenken, noch keinen ästhetischen Ausdruck für Parteilichkeit und Volksverbundenheit gefunden hätten. Ohne diese Eigenschaften gibt es aber keinen sozialistischen Realismus. Was meint Kravcov also, wenn er einige Seiten zuvor schreibt, in der ersten Hälfte der zwanziger Jahre seien im Schaffen Wolkers, Smirnenskis und anderer Dichter Werke zu verzeichnen, „in denen sich die neue künstlerische Methode entfaltete" ? 16 Wie man sieht, fehlt es hier an Klarheit und an einer eindeutigen Bestimmung der Position. Dabei sind die angeschnittenen Fragen von zentraler Bedeutung, sie sind mit einer Einschätzung des Schaffens der einzelnen revolutionären Dichter verbunden, ja noch mehr — mit dem Problem der Periodisierung des sozialistischen Realismus in der Weltliteratur. Die sowjetischen Slawisten haben mithin nicht wenige Arbeiten über die revolutionären und sozialistischen Literaturen verfaßt. Diese Arbeiten sind in ihrer Art unterschiedlich, aber durchweg gelungen. Viele bieten unstreitig ein objektives Bild der tiefgreifenden Wandlungen, die sich in den Nationaljiteraturen nach der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution vollzogen haben. 2*
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Es war mir vergönnt, mehrere Jahre an der Erforschung dieser Prozesse unmittelbar teilzuhaben. Die kollektive Forschung erfolgte parallel in sieben Nationalliteraturen (Bulgarisch, Serbisch, Slowenisch, Kroatisch, Polnisch, Tschechisch und Slowakisch). Jeder von uns analysierte auch die Prozesse, die sich in der russischen Sowjetliteratur vollzogen, im Hinblick auf die zwischen ihr und den anderen slawischen Literaturen bestehenden engen Verbindungen. So entstanden komplexe Untersuchungen der sozialistischen Literaturströmungen. Dadurch ergab sich eine günstige Möglichkeit zur Verallgemeinerung der Resultate unserer Forschungen in vergleichendtypologischer Sicht. Letzteres ist eine neue und große Aufgabe, deren allseitige Bewältigung freilich erst eine Sache der Zukunft ist. Im vorliegenden Buch werden nur einige wenige Fragen behandelt. Untersucht werden Entstehung und Entwicklung der revolutionären und sozialistischen Tendenzen in den slawischen Literaturen seit dem Ausgang des 19. und dem Beginn des 20. Jahrhunderts. Das Hauptaugenmerk gilt der Periode der zwanziger Jahre (mit einigen Ausblicken auf die dreißiger Jahre) unseres Jahrhunderts, in der die neuen Prozesse intensiv verliefen und zur Ausbildung solcher qualitativ neuer Erscheinungen führten, die man als Erscheinungen des sozialistischen Realismus charakterisieren kann. Ihre Analyse bietet die Möglichkeit, die Einheit der revolutionären und sozialistischen Literaturen zu zeigen, natürlich nicht losgelöst von ihrer nationalen Spezifik, sprechen wir doch von dem Beitrag jeder Nationalliteratur zum weltliterarischen Prozeß. Ich habe mich um Konkretheit der Darstellung bemüht, soweit das der Charakter dieses Buches erfordert. Es ist so angelegt, daß es Nähe zum konkreten Material gewährleistet, freilich nicht als detaillierte Beschreibung von Fakten, auch nicht von Prozessen im lokalen Rahmen, sondern als Darstellung von Untersuchungsergebnissen. Das Ergebnis selbst ist nicht als nacktes, abstraktes Postulat gegeben, sondern als Schlußfolgerung aus ausgewählten Fakten und Analysen, diese oder jene Erscheinung im literarischen Prozeß der einzelnen Länder genauer zu vermitteln. Literaturgeschichte und Literatur-
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theorie gehen bei einer solchen Analyse Hand in Hand, wirken zusammen und fördern dadurch die Durchführung vergleichender Untersuchungen. Der Sinn derartiger Untersuchungen besteht nicht in der Erforschung voneinander isolierter Fakten in den einzelnen Nationalliteraturen, sondern in einer neuen Synthese, die aus ihrer vergleichenden Analyse hervorgeht und auf ihrer Grundlage allgemeine Gesetzmäßigkeiten der Weltliteratur formuliert. Ein Vergleich der bei der Untersuchung der sozialistischen Literaturen der verschiedenen Länder gewonnenen Erfahrungen bietet die Möglichkeit, die Lösung einer Reihe wichtiger, noch bei weitem nicht geklärter Probleme in Angriff zu nehmen, z. B. die der Quellen des sozialistischen Realismus. Zur Zeit wird vor allem die Frage der sozialen und der historischen Voraussetzungen für das Entstehen der neuen künstlerischen Methode untersucht. Das ist natürlich eine der grundlegenden Fragen, deren Aktualität keinem Zweifel unterliegt. Auch in unseren Tagen müssen wir uns ständig mit Theorien und Anschauungen auseinandersetzen, die die historische Bedingtheit des Entstehens und der Entwicklung der neuen künstlerischen Richtung bestreiten. Deshalb benötigen wir dringend Arbeiten, die derartige Ansichten widerlegen. Aber unsere Aufgabe besteht darin, nicht nur die Attacken der bürgerlichen Literaturwissenschaftler abzuschlagen, sondern eine breite planmäßige Durcharbeitung des Problems der Genesis des sozialistischen Realismus zu gewährleisten. Über seine Quellen ist auf dem Gebiet der Ästhetik bisher noch sehr wenig ausgesagt worden. Die von uns allen proklamierte These: Der sozialistische Realismus tritt das Erbe all dessen an, was es in der Vergangenheit an Fortschrittlichem gegeben hat, ist doch etwas zu allgemein. Es ergibt sich die dringende Notwendigkeit, folgende Fragen zu klären: Welche literarischen Strömungen waren an der Herausbildung des Realismus neuen Typus beteiligt, in welcher Weise und in welchem Umfang ? Der Verfasser dieses Buches vertritt die Ansicht, daß die Herausbildung der sozialistischen Literaturen nicht nur mit den proletarisch-revolutionären Literaturströmungen verbunden ist; es gibt vielmehr mehrere Linien, die beim Prozeß ihrer Formierung beteiligt gewesen sind. 21
Natürlich findet die neue, sozialistische Tendenz in den Literaturen der verschiedenen Länder ihren stärksten Ausdruck im Schaffen der proletarisch-revolutionären Schriftsteller (im Hinblick auf Westeuropa und Amerika fallen einem sofort die Namen Henri Barbusse, Martin Andersen Nexö und John Reed ein). Aber bei der Genesis der sozialistischen Literaturen ist nicht nur diese eine Linie des Wirkens der proletarisch-revolutionären Schriftsteller zu beachten, obwohl sie zweifellos einen Hauptweg der sozialistischen Literatur darstellt. Bekanntlich hat der Sozialismus als Ideologie auch viele andere Schriftsteller beeinflußt und ihr neues Verhältnis zur Welt geformt. Die sozialistische Kunst stützte sich von Anfang an auf die Errungenschaften des kritischen Realismus. Andererseits haben sich bedeutende realistische Künstler des 20. Jahrhunderts (so Anatole France, Romain Rolland, Jack London, George Bernard Shaw und andere) stark zum Sozialismus hingezogen gefühlt. Ihr Realismus nahm neue Züge an. Schließlich wurden in den zwanziger Jahren revolutionäre Stimmungen (wenn auch kompliziert und widerspruchsvoll) von Vertretern verschiedener linker Strömungen zum Ausdruck gebracht, die sich in einigen Ländern als „Avantgardisten" bezeichneten. Das Gesagte läßt sich mit überzeugenden Fakten aus verschiedenen Nationalliteraturen belegen. Und doch findet dieser Gesichtspunkt bisher nur die Unterstützung weniger Forscher. Mit Recht schreibt S. M. Petrov: „Der Genesis und dem Werden des sozialistischen Realismus in den verschiedenen Literaturen der Welt wurden bereits zahlreiche Arbeiten gewidmet. Aber den meisten haftet ein wesentlicher Mangel an: Die Untersuchung des Problems geht nicht über den Rahmen der proletarisch-revolutionären Literatur in der betreffenden Nationalliteratur hinaus. Es werden nur jene Quellen des sozialistischen Realismus untersucht, die sozusagen von unten, aus den Tiefen der proletarischen Literaturbewegung selbst, kamen, und nur in allgemeinster Form werden Rolle und Bedeutung der sozialistischen Ideologie in der .großen' Literatur beleuchtet, wird ihre Bewegung zum Sozialismus hin betrachtet..." 1 7 Doch selbst wenn die Fragestellung weiter gefaßt ist, das heißt, wenn nicht nur von der Teilnahme der proletarisch22
revolutionären Schriftsteller an dem neuen Prozeß die Rede ist, sondern auch von der anderer literarischer Strömungen, erfolgt dies meiner Meinung nach nicht immer in vertretbarer Weise, geschieht es meist ohne gebührende Einschätzung ihres eigentlichen Wesens. Die wichtigste Aufgabe besteht jedoch darin, die tatsächlichen Beziehungen (Funktion und Platz) der verschiedenen literarischen Strömungen im Prozeß der Formierung der Literaturen neuen Typus festzustellen, unabhängig von den subjektiven Absichten der Vertreter dieser Strömungen (bekanntlich war jede bemüht, in der Literatur eine avantgardistische Rolle zu spielen, mitunter kam das schon im Namen der Strömung zum Ausdruck, was freilich mit der literarischen Realität durchaus nicht immer übereinstimmen mußte). Diesen Fragen ist ein großer Teil des vorliegenden Buches gewidmet. Allein die Tatsache der Beteiligung mehrerer Strömungen an der Formierung der neuen Literatur wird als Gradmesser für die Breite einer ästhetischen Plattform angesehen, die als Synthese der besten künstlerischen Errungenschaften aus Vergangenheit und Gegenwart verstanden wird. Aber welches sind die Prinzipien dieser Synthese? Die Frage zu beantworten heißt, den Schicksalen der früheren Richtungen und Methoden nachzugehen und den sozialistischen Realismus als eine prinzipiell neue ästhetische Struktur zu zeigen. Zur Lösung dieses Problems erscheint es uns unerläßlich, daß die Anzeichen sektiererischer Enge (die uns in vielen Arbeiten immer noch entgegentreten, wenn auch nicht mehr in so grober Form wie noch vor wenigen Jahren) gänzlich überwunden werden. Eine noch so lautstarke Deklaration der Breite der künstlerischen Plattform der sozialistischen Literatur hat keine reale Bedeutung, wenn ihre Genesis praktisch nur mit den proletarisch-revolutionären Strömungen verbunden wird, wenn der kritische Realismus nur als Tradition gewürdigt wird und wenn jene qualitativen Veränderungen außer acht gelassen werden, die ihn zum unmittelbaren Teilnehmer an der Formierung des Neuen werden ließen. Solche Arbeiten gibt es in der Sowjetunion aber bisher noch in großer Zahl. Fragen wir uns weiter, wie unser Verhältnis zu den anderen künstlerischen Strömungen des 20. Jahrhunderts (außer der proletarischen Literatur und dem kritischen Realismus) zu be23
stimmen ist! Im allgemeinen haben wir die vulgarisierenden Anschauungen über Bord geworfen, die in jüngster Vergangenheit so weit verbreitet waren, als man diese Strömungen ohne jede Differenzierung betrachtete und alle unterschiedslos dem reaktionär-dekadenten Lager zurechnete. Jetzt findet das Prinzip ihrer allseitigen Erforschung immer stärkere Beachtung, das Prinzip der Differenzierung zwischen den verschiedenen, nicht selten sogar widersprüchlichen Tendenzen, die jeweils eine besondere, konkrete historische Einschätzung erfordern. Der Weg ist zweifellos richtig, aber wir stehen erst an seinem Beginn, noch wurde sehr wenig geleistet. Vor allem erhebt sich die Frage: Worin besteht das Wesen eines differenzierten Herangehens an diese Strömungen? Wie ist ihr Verhältnis zum sozialistischen Realismus einzuschätzen? Diese Fragen sind noch lange nicht gelöst, ganz zu schweigen von der Tatsache, daß über einzelnen Aufsätzen und Büchern immer noch der Schatten früherer, von der Wissenschaft inzwischen verworfener Forschungsmethoden liegt. Gleichzeitig gilt es, auch mit anderen, meiner Meinung nach grundfalschen Konzeptionen aufzuräumen. In den letzten Jahren sind in der Sowjetunion und in anderen sozialistischen Ländern Arbeiten erschienen, deren Verfasser (von denen noch die Rede sein wird) bei ihrem mit gutem Grund geführten Kampf gegen die Vulgärsoziologie in das andere Extrem verfallen — sie verzichten völlig auf eine klare soziale Charakterisierung der literarischen Erscheinungen, vermeiden Begriffe wie „Parteilichkeit der Literatur" oder „historische Bedingtheit" und stellen für die Einschätzung der literarischen Fakten völlig unsichere abstrakt-humanistische Kriterien auf. Die Folge ist eine Nivellierung der wesentlichen ideologischpoetologischen Unterschiede zwischen den Schriftstellern. Vor allem wird der Avantgardismus anstelle eines differenzierten Herangehens durchweg apologetisch behandelt. Von solchen Positionen aus läßt sich die ästhetische Funktion der verschiedenartigen künstlerischen Strömungen des 20. Jahrhunderts nicht begreifen, kann man den progressiven Charakter, das Neue der sozialistischen Literatur nicht verstehen. Sie ist zweifellos die Literatur einer bedeutenden Synthese. Aber diese Synthese erfolgt nicht als mechanische Zu-
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sammenfassung der verschiedenen Elemente, sondern ideologisch und ästhetisch zielgerichtet, auf Grund ihres konsequent revolutionären Charakters. Die bürgerliche Literaturwissenschaft bemüht sich auf jede nur mögliche Weise, das Neuerertum der sozialistischen Literatur zu leugnen, und findet sich erst recht nicht bereit, sie als eine neue Etappe in der Entwicklung der Weltliteratur anzuerkennen. E s gibt sowohl offene politische Angriffe auf diese Literatur als auch die versteckten Methoden des „Brückenschlags". So wird von den bürgerlichen Literaturwissenschaftlern beispielsweise die Tatsache, daß viele große sozialistische Künstler zunächst dem Symbolismus, dem Futurismus, dem Expressionismus usw. verhaftet gewesen sind, dazu benutzt, der neuen Literatur die ästhetische Selbständigkeit abzusprechen. Die Sache wird so dargestellt, als hätten alle diese Strömungen auf direktem Wege zur revolutionären Kunst geführt, deren Ufer sich als ausgewaschen erweisen. Derartige Theorien haben auch in den sozialistischen Ländern Eingang gefunden. Der Schaffensweg einer Reihe bedeutender Künstler des 20. Jahrhunderts weist überzeugend darauf hin, daß in diesem Falle nicht von einer fließenden Entwicklung die Rede sein kann, sondern daß man von einem Bruch dieser Künstler mit ihrer früheren Weltanschauung, von einem Übergang von einer Qualität zu einer anderen und folglich von der Formierung eines neuen Typus des künstlerischen Bewußtseins sprechen muß. Das Neue in der sozialistischen Literatur ist durch das geschichtlich Neue bedingt. Gerade das reale Leben bringt die Prinzipien und Formen der Kunst hervor und nicht umgekehrt. Die Bedeutung der neuen Etappe der Weltliteratur erkennen jetzt nicht nur die Marxisten, sondern alle nüchtern Denkenden, wenn sie die Zukunft ernsthaft betrachten. Bei einem Vortrag vor tschechischen Schriftstellern in Dobris Anfang 1964 sagte Jean-Paul Sartre: „ . . . Das Thema unseres Jahrhunderts ist die große Erfahrung des Sozialismus von 1917 bis in unsere Zeit. Und noch darüber hinaus, denn der Sozialismus war schon vor der Oktoberrevolution bestimmend für das Leben der Menschen, und die sozialistische Revolution wird Einfluß auf unser ganzes Jahrhundert ausüben." 1 8 25
Die sozialistischen Literaturen müssen allseitig erforscht werden, und zwar nicht nur im lokalen Rahmen der einzelnen Länder, sondern auch unter dem Gesichtspunkt des weltliterarischen Prozesses. Wir stehen vor der Notwendigkeit, diesen Literaturen den Platz zuzuweisen, den ihnen der objektive Ablauf der Geschichte des 20. Jahrhunderts bestimmt hat. In diesem Zusammenhang erhebt sich vor allem das Problem der neuen literarischen Konzeption der menschlichen Persönlichkeit. In ihr offenbart sich der qualitative Unterschied zwischen der sozialistischen Literatur und allen übrigen literarischen Richtungen. Gemeint sind sowohl die Art und Weise der Wahrnehmung und Widerspiegelung des Lebens unter sozialistischen Gesichtspunkten als auch der neue Held. Der Held ist das wichtigste Maß des Neuerertums in der Literaturbewegung. Das Auftauchen des Helden mit sozialistischen Idealen war Zeichen neuer Prinzipien der Darstellung des Menschen. Es gilt, sie auch im Kontext zu anderen Konzeptionen der menschlichen Persönlichkeit gründlich zu untersuchen. Die Entwicklung der sozialistischen Literatur wird auch von anderen wichtigen ästhetischen Entdeckungen bestimmt, zum Beispiel von der Darstellung der Volksmassen, des revolutionären Kollektivs und der Festigung des neuen Typus des Humanismus. Dabei findet all das seinen Ausdruck in der organischen Verbindung von Allgemeinem und national Besonderem, Individuellem. Der Überblick über die literarischen Erfahrungen verschiedener Länder demonstriert überzeugend sowohl die Gemeinsamkeit der Prinzipien als auch die Vielfalt der Wege zu ihrer Verwirklichung. Das Forschungsobjekt diktiert auch den Charakter der Forschungsmethode. Eine vergleichende Analyse muß notwendigerweise differenzieren, muß verschiedene Aspekte hervorheben, da im lebendigen Fluß der revolutionären Literaturen einzelner Länder verschiedene Linien typologischer Analogien auftauchen. Die Gleichförmigkeit historischer Umstände, die sich mit besonderer Stärke in Zeiten großer gesellschaftlicher Ereignisse von welthistorischer Bedeutung — wie der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution in Rußland — zeigt, führt zur Erkenntnis der Allgemeinheit der Prozesse sowohl in der Sphäre der Ideen als auch in der Sphäre der künstlerischen Formen. 26
Die ganze Vielfalt dieser Prozesse zu erfassen, ist freilich unmöglich. Wir beschränken uns auf einen begrenzten Kreis von Fragen, auf die man bei der Behandlung unseres Themas nicht verzichten kann. Außer den bereits genannten gehören hierher beispielsweise folgende Fragen: Verbindung der revolutionären Schriftsteller mit der Sowjetliteratur; Entwicklung der marxistischen Kritik; Herausbildung der Parteilichkeit der neuen Literaturen als wichtigster Prozeß ihrer Genesis (historischer Charakter der Kategorie Parteilichkeit, Umschlag des sozialistischen Ideengehalts in einen ästhetischen Faktor, die allmähliche Durchsetzung der Leninschen Prinzipien der Parteilichkeit); Wechselbeziehungen zwischen dem Realismus und anderen künstlerischen Richtungen, vor allem der Romantik, im Prozeß der Entstehung der sozialistischen Literaturen (Funktionswandel früherer Methoden, Bestimmung der Strukturelemente des sozialistischen Realismus als eines historisch bedingten neuen künstlerischen Systems). Bei der Entwicklung der revolutionären Literaturen beobachten wir sowohl eine Analogie der Richtungen als auch eine Analogie der Genre- und Stilstrukturen in ihrer Dynamik und ihrem Wandel. Im vorliegenden Buch wird der Versuch unternommen, wenigstens einige allgemeine Stilmerkmale herauszuarbeiten, die infolge der Analogie der gesellschaftlichen Lage in den verschiedenen Ländern entstanden. Alle diese Fragen sind noch sehr wenig bearbeitet, obwohl der Wert einer solchen Bearbeitung keinem Zweifel unterliegt: Ohne Untersuchung der historisch bedingten Entwicklung der künstlerischen Formen des sozialistischen Realismus — seiner in Bewegung befindlichen Poetik — kann man sich auch seine wahre Geschichte in der Weltliteratur nicht vorstellen. Die Aufgabe, eine solche Geschichte zu schreiben, ist schon seit langem herangereift. Natürlich wird eine breite Beleuchtung dieser Probleme erst das Ergebnis der Forschungen vieler Wissenschaftler sein. Bei der Untersuchung der Genesis des sozialistischen Realismus wird man sich leicht davon überzeugen, daß seine Aufarbeitung nicht nur für die Zeit vom Ausgang des 19. bis in das erste Drittel des 20. Jahrhunderts wichtig ist, sondern auch für das Verständnis jener komplizierten Prozesse, die sich auch 27
in unseren Tagen in den sozialistischen Literaturen vollziehen, denn manches kann man sich durch Aufhellung des genetischen Zusammenhangs der Erscheinungen erklären. Nicht selten führen wir bei uns heiße Streitgespräche, ausgehend von A-priori-Sätzen, oder beschäftigen uns mit der Deutung bekannter Formeln, wobei wir mit ihnen wie mit Beschwörungsformeln operieren. Dabei wäre es fruchtbarer, wenn man sich bemühen würde, dem „Leben" einer Erscheinung in seiner Gänze nachzuspüren — zu zeigen, wie sie entstanden ist, welche Etappen sie durchlaufen und welchen Entwicklungsgrad sie bisher erreicht hat. Unter dem Aspekt einer solchen historischen Zusammenschau möchte ich auch einige meiner Meinung nach wesentliche Probleme der Entwicklung der modernen sozialistischen Literaturen betrachten, z. B. ihr Verhältnis zu den Traditionen früherer literarischer Strömungen und Methoden, das Problem der Parteilichkeit als einer sich entwickelnden Kategorie, das Problem der Differenzierung der Formen der künstlerischen Gestalt im sozialistischen Realismus und andere Fragen. Das wird die Aufgabe des letzten Kapitels dieses Buches sein.
Grundzüge der proletarisch-revolutionären Literaturen
Die im 19. Jahrhundert einsetzende Befreiungsbewegung des Proletariats war ein neuer sozialhistorischer und gesellschaftlicher Faktor der Weltgeschichte. Die Verbreitung der sozialistischen Ideen in den verschiedenen Ländern beeinflußte alle Sphären ihres geistigen Lebens. Es kam zur Gründung sozialdemokratischer Parteien und einer sozialistischen Presse. Unter diesen Bedingungen entstand die proletarische Literatur. In ihr vollzog sich mit größter Intensität jener Prozeß, der in der Folgezeit zur Formierung des sozialistischen Realismus führte. Einige Literaturwissenschaftler sind der Ansicht, die Anfänge der proletarischen Literatur fielen mit der Genesis des sozialistischen Realismus zusammen. Sie verlegen die Entstehung der neuen künstlerischen Methode in die Zeit der ersten Äußerungen der marxistischen Ideologie. Die Genesis des sozialistischen Realismus wird mit der Literatur der Revolutionsperiode um das Jahr 1848 bzw. mit dem Schaffen der Dichter der Pariser Kommune angesetzt. Die meisten Forscher aber lehnen diese Anschauung mit voller Berechtigung ab. Zum Beispiel bemerkt Ja. E. El'sberg: „Naiv sind die Versuche, die Genesis des sozialistischen Realismus auf die Entstehung des Marxismus zurückzuschrauben . . . Damals konnte man den künftigen Sieg des Proletariats vorausahnen, aber eine breite und tiefe r e a l i s t i s c h e W i d e r s p i e g e l u n g der R e a l i t ä t zu geben, aus der sich eine solche Schlußfolgerung ableiten ließe, war unmöglich." 19 Aber kennen wir die proletarische Literatur, die der Entstehung des sozialistischen Realismus unmittelbar voranging, in gebührendem Umfang? Welches sind ihre Besonderheiten, und 29
wo ist ihr tatsächlicher Platz im gesamten literarisch-historischen Prozeß? Wir müssen feststellen, daß diese Literatur nur sehr unvollständig erforscht ist. Die Urteile über sie sind durchweg schematisch und flüchtig und deshalb häufig einseitig. El'sberg ist beispielsweise nicht bereit, von einer qualitativen Besonderheit dieser Literatur zu sprechen, er löst sie sozusagen im allgemeinen Strom des kritischen Realismus auf. „Mitunter wird der Gedanke geäußert", schreibt er, „die Literatur, die mehr oder weniger unmittelbar mit den Arbeitern, mit der revolutionären und sozialistischen Bewegung verbunden ist, sei eine besondere Seite des Erbes, das der sozialistische Realismus angetreten hat, eine Strömung, die sich vom Schaffen der klassischen Realisten unterscheidet oder zu ihm gewissermaßen .parallel' verläuft." Nach seiner Meinung können „diese Behauptungen keiner Kritik standhalten". 20 Auch von anderen Literaturforschern werden ähnliche Ansichten geäußert. In anderen Ländern finden wir indessen nicht nur einzelne Werke mit Arbeiterthematik, sondern ganze Gruppen oder sogar Strömungen der proletarischen Literatur, die sich am Ausgang des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts ideologisch und ästhetisch herausgebildet haben. Diese setzen sich scharf von der Dekadenz ab und sind zweifellos eine Literatur, „die sich vom Schaffen der klassischen Realisten unterscheidet oder zu ihm gewissermaßen .parallel' verläuft", wenn sie ihm auch keineswegs feindlich gegenübersteht. Dies ist die erste Phase der Entstehung der neuen literarischen Erscheinung, die sich bereits durch das sozialistische Ideal, durch den neuen Helden, den Proletarier, den Sozialisten, auszeichnet, also durch Züge einer neuen künstlerischen Konzeption vom Menschen. Die Entwicklung der sozialistischen Literatur vom Augenblick ihres Entstehens bis in unsere Tage ist ein einheitlicher Prozeß, während dessen sich der sozialistische Realismus als System ästhetischer Prinzipien keineswegs mit einem Schlage herausbildet; er tritt vielmehr erst auf einer bestimmten Stufe dieser Entwicklung klar zutage, sobald die notwendigen Voraussetzungen gegeben sind. Im Schaffen der ersten proletarischen Schriftsteller beobachten wir lediglich Ansätze zur Herausbildung der neuen Methode. Unsere Aufgabe ist es nun r diese Tendenzen zu erkennen, ihre Besonderheit festzustellen,.
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ihren Erscheinungsformen nach2uspüren und die Ausbildung eines fest umrissenen Systems in ihren einzelnen Etappen zu verfolgen. Unter diesem Gesichtspunkt bestätigen sich die Auffassungen jener Literaturwissenschaftler, die in der proletarischen Literatur das Anfangsstadium einer neuen Erscheinung erblicken, das Aufkommen von Tendenzen, die in entscheidendem Maße die Ausbildung des sozialistischen Realismus vorbereitet haben.21 So verhält es sich mit der proletarischen Literatur des 19. Jahrhunderts in England (die Poesie der Chartistenbewegung, Ernest Charles Jones), in Deutschland (Georg Herwegh, Ferdinand Freiligrath und besonders Georg Weerth) sowie in Frankreich (die Literatur der Pariser Kommune, die Internationale von Eugène Pottier). Mit Recht wird diese Literatur als „unmittelbare Vorgängerin des sozialistischen Realismus" 22 bezeichnet. Was den ästhetischen Charakter der proletarischen Literatur betrifft, so stehen wir noch vor vielen ungelösten Problemen. S. V. Turaev wendet sich scharf gegen diejenigen, die die Bedeutung der proletarischen Literatur zu schmälern suchen. Er läßt ihr jedoch meiner Ansicht nach eine unbegründet hohe Einschätzung zuteil werden, wenn er schreibt, in ihr gehe „der Reichtum der gesellschaftlichen Zusammenhänge und der menschlichen Kontakte nicht verloren", sie sei „vielschichtig" und beinhalte eigentlich bereits die neue künstlerische Methode, wenn sich diese „auch noch nicht in allen ihren charakteristischen Zügen äußert" .23 Leider bietet Turaev in seinen Forschungen keine Analyse der Probleme der Parteilichkeit, des Realismus wie überhaupt der Eigenart künstlerischer Gestaltung, ohne die eine Lösung des Problems der neuen Methode nicht möglich ist. S. M. Petrov dagegen behandelt diese Fragen ausführlich. Er ist der Ansicht, daß die Herausbildung der neuen Methode die Festigung des Realismus in ihr bedeute.24 Überzeugend ist ferner die Feststellung Petrovs, daß „der jungen proletarischen Literatur die realistische Kunst fehlte" und daß der Prozeß der Entwicklung des Neuen im wesentlichen „ein Annäherungsprozeß der realistischen Kunst an die Ideen des Sozialismus war". 25 Der von ihm vorgeschlagene 31
Realismusbegriff ruft jedoch Vorbehalte hervor. Petrov schreibt nämlich: „Realismus ist die künstlerische Widerspiegelung der Wahrheit des Lebens in den Formen des realen Lebens selbst." 26 Dagegen wäre nichts einzuwenden, wenn man unter den „Formen des realen Lebens selbst" die Unabwendbarkeit der Verbindung von Kunst und Realität verstehen würde, denn selbst die wunderlichsten Erfindungen und die exzentrischsten Phantasieprodukte wurzeln letzten Endes in der objektiven Welt, in den Vorstellungen der Menschen von dieser Welt, und finden ihren Ausdruck durch sie. Die Schwierigkeit liegt jedoch darin, daß diese Formulierung eine etwas andere Deutung erhält, die verabsolutiert wird. Sehr kategorisch klingen die Worte: „Ohne Detailtreue gibt es keine realistische Widerspiegelung des Lebens" 27 oder: „In der Regel entstand Konventionalität dort, wo es dem Schriftsteller an klarem und bewußtem Erkennen der Gesetzmäßigkeiten der gesellschaftlichen Entwicklung fehlte." 28 Mir erscheint es schwierig, von solchen Positionen aus den Prozeß der Formierung des sozialistischen Realismus zu erklären. Seine ureigenste Besonderheit ist doch die Breite der ästhetischen Möglichkeiten, die Vielfalt des künstlerischen Ausdrucks, die imstande sind, die ganze Fülle des Lebens wahrheitsgetreu widerzuspiegeln. Der neue Realismus ist eine Kunst der großen Synthese unterschiedlichster Formen der künstlerischen Wahrheit. Die sowjetischen Wissenschaftler schenken der Entstehung des sozialistischen Realismus in der russischen Literatur große Beachtung. 29 Es wurden mehrere Arbeiten über die proletarische Literatur geschrieben, darunter auch Arbeiten synthetischen Charakters, die „das Heranreifen der neuen Methode in der sozialistischen Kunst vor der Oktoberrevolution" 30 untersuchen. Alle Forscher sprechen übereinstimmend von einer äußerst intensiven Entwicklung jener künstlerischen Tendenzen, die zur Herausbildung des sozialistischen Realismus in der russischen Literatur führten. Das hängt sowohl mit der Verlagerung des revolutionären Zentrums von Westeuropa nach Rußland zusammen als auch damit, daß gerade Rußland zur Heimat des Leninismus geworden ist, sowie nicht zuletzt mit einer so hervorragenden Erscheinung wie Gorki. 32
Eine beachtliche Intensität dieser Prozesse läßt sich auch in den süd- und westslawischen Literaturen feststellen. Das Neue entstand und entwickelte sich in ihnen bedeutend schneller und vielgestaltiger als in vielen anderen europäischen Literaturen im ersten Viertel des 20. Jahrhunderts. Im Vergleich zu Rußland verliefen diese Prozesse langsamer, mit starkem eigenem Profil und dennoch in typologischer Verwandtschaft zur russischen Literatur. Eine Untersuchung der proletarischen Literaturen in den süd- und westslawischen Ländern erlaubt es, Erscheinungen zu erkennen, die die Struktur der neuen Methode bestimmen: allmähliche Festigung des Realismus in der neuen Kunst, zunehmend stärkere ästhetische Wirksamkeit der Parteilichkeit und originäre Ausprägung des qualitativen Umschlags von proletarischer Literatur zur Literatur des sozialistischen Realismus. Zunächst wenden wir unsere Aufmerksamkeit dem frühesten Stadium der proletarischen Literatur zu. Die Entstehung der proletarischen Literaturen in den südund westslawischen Ländern fällt in das letzte Viertel des 19. und in den Anfang des 20. Jahrhunderts. In der fortschrittlichen, zumeist sozialdemokratischen Presse tauchten zu jener Zeit Werke auf, die die Ideologie der Arbeiterklasse zum Ausdruck brachten. Es traten Schriftsteller und Kritiker auf, deren Wirken von der neuen, im Entstehen begriffenen literarischen Richtung geprägt war. In Bulgarien waren es Dimitär Blagoev, Georgi Kirkov und Dimitär Poljanov; in Polen Julian Marchlewski, Ludwik Warynski und Rosa Luxemburg; in der tschechischen Literatur Josef Boleslav Pecka, Frantisek Josef Hlaväcek, Antonin Macek, Josef Krapka (Nächodsky); in den südslawischen Literaturen Kosta Abrasevic, Ivan Cankar, Dusan Popovic und andere. Die sozialistische Ideegrundlage ist der hervorstechende Zug im Auftreten dieser Autoren. Sie alle waren auf diese oder jene Weise mit der sozialdemokratischen Bewegung ihres Landes, mit den Arbeiterparteien, verbunden. Viele von ihnen (so Dzierzynski, Marchlewski, Luxemburg, Blägoev und Kirkov) waren führende Funktionäre der Sozialdemokratischen Parteien. Die in der Frühzeit der Arbeiterbewegung — in dieser Zeit 3
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des Kampfes für die Verbreitung des Marxismus, für eine sozialistische Bildung und die Organisation der Arbeiterklasse — entstandene neue Literatur hatte in der ersten Phase ihrer Entwicklung im wesentlichen agitatorisch-propagandistischen Charakter. Daraus resultierte die Wahl ihrer Genres. So finden wir bei den proletarischen Dichtern jener Jahre zumeist agitatorisch akzentuierte Verse. Der Klassen-Antagonismus, die Entlarvung der Bourgeoisie, die Festigung der sozialistischen Ideen und das solidarische Bewußtsein der Arbeiter standen dabei im Mittelpunkt. Zu breiter Entfaltung gelangte in der Frühphase der proletarischen Literatur das revolutionäre Lied. Allgemein bekannt ist, welch großer Popularität sich in der fortschrittlichen polnischen Öffentlichkeit die von den ersten Sozialisten bereits in den achtziger Jahren geschaffenen revolutionären Lieder erfreuten (z. B. Wars%amanka von Waciaw Swi^cicki, Die rote Fahne von Bolestaw Czerwienski oder Die Handschellen-Mazurka von Ludwik Warynski). Populär waren auch die später entstandenen Lieder Auf die Barrikaden, Mai-Marsch und andere. Sie wurden von den Arbeitern rasch aufgegriffen; als revolutionäre Märsche erklangen sie ständig bei Demonstrationen und Massenkundgebungen. Nach den Erinnerungen von Anna Il'icna Ul'janova kannte Lenin diese Lieder gut und war von ihnen begeistert. Lieder, die auf Arbeiterversammlungen und Meetings in Böhmen häufig erklangen, waren unter anderem verfaßt von Ladislav Zäpotocky, Josef Boleslav Pecka und Norbert Zoula. In Bulgarien sind bis heute das in den neunziger Jahren des vorigen Jahrhunderts entstandene Lied der Arbeit und der Marsch der Arbeiter von Georgi Kirkov populär. Erinnern wir uns daran, welch großer Popularität sich in Rußland die revolutionären Lieder Schreitet furchtlos aus, Genossen! von Leonid Petrovic Radin, Wir Schmiede von Filipp Stepanovic Skulev, das Lied der Proletarier von Aleksandr Alekseevic BogdanovVolzskij, Wütet, Tyrannen! von Gleb Maksimilianovic Krzizanövskij erfreuten! Das Lied war ein verbreitetes internationales Genre der proletarischen Literaturen. Seiner Spezifik gemäß spielte es eine besonders wichtige Rolle; es förderte den Zusammenschluß von 34
Menschen gleicher revolutionärer Überzeugung und trug die sozialistischen Ideen unter die Massen der Werktätigen. In den Gedichten und Liedern finden sich häufig Motive des proletarischen Internationalismus. Die Dichter unterstreichen die Solidarität der Werktätigen, wobei sie mitunter die bekannte Losung „Proletarier aller Länder, vereinigt euch!" direkt paraphrasieren, wie es beispielsweise der tschechische Arbeiterdichter Josef Krapka (Nächodsky) tut. Und eines der Lieder des bulgarischen Dichters Georgi Kirkov beginnt mit den Worten: „Arbeiter und Arbeiterinnen aller Länder, vereinigt euch!" Charakteristisch ist die Intonation des Anrufs, das Gefühl der Verbundenheit der Dichter mit der Arbeiterklasse und die Huldigung ihrer Größe. Aufschlußreich ist in dieser Hinsicht das Gedicht von Josef Boleslav Pecka: „Laßt uns das Lied der Brüderschaft anstimmen, damit die Reichen Angst bekommen!" oder die Gedichte von Frantisek Josef Hlavâcek. Erwähnt seien hier die Worte der berühmten Wars^awianka : Wir haben der Freiheit leuchtende Flamme hoch über unseren Häuptern entfacht. Die Fahne des Sieges, der Völkerbefreiung, die sicher uns führt in der letzten Schlacht. Ähnliche Beispiele gibt es viele. Bezeichnend ist auch, daß Anfang des 20. Jahrhunderts die Internationale von Eugène Pottier in zahlreichen Nachdichtungen Verbreitung fand. Von den anderen Genres der frühen Phase der proletarischen Literaturbewegung sind die Skizze, die Erzählung und die künstlerische Publizistik zu nennen. Letztere war die Hauptform der polnischen proletarischen Literatur in den neunziger Jahren des 19. Jahrhunderts und zuBeginn des 20. Jahrhunderts. So geben die Aufsätze, Erinnerungen und Briefe von Feliks Dzierzynski, Julian Marchlewski und Rosa Luxemburg einen lebendigen, emotional-bildhaften Bericht über die ideologische und moralische Standhaftigkeit revolutionärer Kämpfer. In der revolutionären Publizistik kommt ein Wesenszug der proletarischen Literatur besonders zum Ausdruck, nämlich ihre Verbindung mit der Politik der marxistischen Parteien. In 3*
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dieser Hinsicht ist Georgi Kirkovs Entwicklung beispielhaft. Der Mitbegründer der Bulgarischen Sozialdemokratischen Arbeiterpartei wurde 1897 mit der Redaktion des Parteiorgans, der Zeitung Rabotniceski vestnik, betraut. Kirkov bemühte sich, die Agitation und Propaganda lebendig zu gestalten. Deshalb griff er zu anschaulichem und bildhaftem Ausdruck. Dabei erwies sich sein künstlerisches Talent; seine politischen Abhandlungen wurden zu eindrucksvoller künstlerischer Prosa. Die in der Zeitung Rabotniceski vestnik in den Jahren 1897 bis 1900 veröffentlichten Erzählungen und Feuilletons Kirkovs zählen zweifellos zu den bleibenden Leistungen der bulgarischen proletarischen Literatur. Kommen wir nun zu einer weiteren Besonderheit der proletarisch-revolutionären Literatur. Bereits seit ihrer Entstehung war sie in hohem Maße dem romantischen Typus künstlerischer Verallgemeinerung verpflichtet. Diese Erscheinung muß unter zwei Gesichtspunkten erklärt werden — sozialgeschichtlich und ästhetisch —, sonst entgeht ihr Wesen unserer Aufmerksamkeit. Manchmal wird bei der Bestimmung der neuen Züge der Literatur am Ausgang des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts von „Neoromantik" gesprochen. Das stimmt nur in dem allgemeinsten, ündifferenzierten Sinne, insofern die tiefen sozialen Erschütterungen, die angestrengte Suche nach einem neuen gesellschaftlichen Ideal, tatsächlich zur breiten Wiederbelebung romantischer Formen geführt haben. Aber erstens haben sie nicht nur zur Wiederbelebung alter, sondern auch zur Ausbildung neuer romantischer Strukturen geführt, und zweitens unterscheiden sich die Erscheinungsformen der Romantik nach ihrer ideologisch-ästhetischen Orientierung. Alles hängt davon ab, was negiert wird und wie, worauf der Autor abzielt, das heißt, wie sein Ideal beschaffen ist. Eine amorphe Auffassung der „Neoromantik" muß unweigerlich zerfallen, sich differenzieren — man kann nur von verschiedenen Aspekten und Tendenzen der Romantik sprechen. In vielen Arbeiten wird die revolutionäre Romantik der proletarischen Literaturen nur als künstlerisches Erbe, als Weiterführung der Tradition angesehen. Man spricht von ihr nicht als einer Erscheinung, die auf neuem sozialgeschichtlichem Boden erwachsen ist. Unter den in letzter Zeit auf die36
sem Gebiet erschienenen Arbeiten verdient die Abhandlung S. V. Turaevs Beachtung. Hier wird die Rolle der romantischen Tradition bei der Entwicklung der sozialistischen Literaturen in England, Polen und anderen Ländern richtig herausgearbeitet. Aber der Verfasser hat sich nach seinen eigenen Worten die Aufgabe gestellt, „die Bedeutung der frühen proletarischen Literatur des 19. Jahrhunderts für die Herausbildung der entwickelten Formen des sozialistischen Realismus" 3 1 zu untersuchen. Von der Romantik neuen Typus wird hier nicht gesprochen, obwohl der Versuch unternommen wird, die neuen Züge der proletarischen Literatur zu charakterisieren. Dabei ist das eines der zentralen ästhetischen Probleme der Genesis des sozialistischen Realismus. Die revolutionäre Romantik trat als unumgängliche Form der künstlerischen Erkenntnis des Lebens und als eine gesetzmäßige Etappe im allgemeinen Prozeß der Formierung der neuen Schaffensmethode in Erscheinung. Worin besteht denn eigentlich das Neue, der grundlegende Unterschied zwischen den sozialistischen Literaturen und allen anderen literarischen Richtungen? Natürlich nicht in der Kritik an der damaligen Gesellschaftsordnung und auch nicht in der Darstellung des schweren Loses der Arbeiter. All das gab es auch schon früher. Der wichtigste Unterschied ist die Herausarbeitung des neuen, sozialistischen Ideals. Aber die Realisierung dieses Ideals lag damals noch in weiter Ferne. Das Neue trat in allgemeinsten Zügen in Erscheinung — mehr als Idee denn als konkrete Realität. Und deshalb fand das Erlebnis des Menschen — als ästhetische Beziehung zum Ideal — in der Literatur seinen Ausdruck in symbolischen Bildern und in Allegorien sowie in mobilisierender Rhetorik. Diese vermittelten eine Vorstellung vom mächtigen Anwachsen der revolutionären Kräfte, die in der Lage sind, alle Hindernisse hinwegzuspülen. So schrieben beispielsweise der erste proletarische Dichter Serbiens, Kosta Abrasevic, und der Begründer der proletarischen Dichtung Bulgariens, Dimitär Poljanov. Allgemein anerkannt ist der revolutionär-romantische Charakter der Bildsprache in den Gedichten und Liedern der russischen Arbeiterdichter am Ausgang des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Bekannt ist auch, welch bedeutenden Platz die revolutionäre Romantik 37
im frühen Schaffen Gorkis eingenommen hat. Mit weiteren theoretischen Fragen, die mit der ästhetischen Funktion der revolutionären Romantik bei der Herausbildung des sozialistischen Realismus im Zusammenhang stehen, werden wir uns noch gesondert beschäftigen. Der Erkenntnisprozeß des Neuen begann mit seiner romantischen Wahrnehmung. Allmählich gewannen im Schaffen der proletarischen Schriftsteller immer stärker Elemente der historischen Konkretheit, der Analyse, die Oberhand. Die Romantik verflog nicht, sie wuchs nur allmählich in eine neue Qualität hinüber. So wurden bereits im Frühstadium der proletarischen Literatur wichtige Wege zur Entstehung des sozialistischen Realismus markiert. Die Formierung der neuen Literaturen war ein Prozeß der allmählichen, immer umfassenderen Festigung der kommunistischen Parteilichkeit. Das zeigte sich bereits im Wirken der ersten proletarischen Schriftsteller und Kritiker. In dem von Lenin begründeten Prinzip der kommunistischen Parteilichkeit fand ein Höchstmaß an ideologisch-ästhetischer Wahrheit seinen Ausdruck. Lenin zeigte, daß der Klassenkampf unter den Bedingungen der entfalteten Klassenwidersprüche unweigerlich politischen Charakter annimmt. Unter diesen Bedingungen vollzieht sich eine bewußte scharfe Abgrenzung der Klassenpositionen, und in dieser Bewußtheit gerade besteht das Wesen der Parteilichkeit. Nach Lenins Worten ist die Parteilichkeit „das Ergebnis und der politische Ausdruck hochentwickelter Klassengegensätze". 32 Sie setzt voraus, „bei jeder Bewertung eines Ereignisses direkt und offen den Standpunkt einer bestimmten Gesellschaftsgruppe einzunehmen". 33 Die kommunistische Parteilichkeit bezeichnet nach Lenin das Verständnis der Wechselbeziehungen der Klassen und der Perspektiven der gesellschaftlichen Entwicklung. Daraus erklärt sich die entscheidende Rolle der Weltanschauung in der proletarischen Literatur. So, wie das Ideal des Proletariats den Interessen des ganzen Volkes entspricht, verschmilzt die proletarische Parteilichkeit mit der Volksverbundenheit. Diese Einheit ist das Herzstück der Leninschen Auffassung von sozialistischer Literatur.
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Das Prinzip der kommunistischen Parteilichkeit ist unmittelbar mit der leninistischen Revolutionstheorie verbunden. Mehr als andere Prinzipien war und ist es wütenden Angriffen von Seiten der reaktionären bürgerlichen Literaturwissenschaftausgesetzt, die stets aufs neue die absurden Behauptungen wiederholt, Parteilichkeit und Kunst seien miteinander unvereinbar, die Forderung nach Parteilichkeit schränke die Freiheit des Künstlers ein und nivelliere seine individuelle Eigenart; kommunistische Parteilichkeit stehe überhaupt außerhalb der Ästhetik. Leider wird von marxistischer Seite selber der ästhetische Inhalt der kommunistischen Parteilichkeit nicht selten eingeengt. In manchen Arbeiten wird dieser Begriff nur auf den direkten, unmittelbaren Ausdruck kommunistischer Ideologie bezogen. Wir haben noch viel zu wenig getan, um die kommunistische Parteilichkeit als die wichtigste ästhetische Kategorie zu fassen, ihre Breite und Vielfalt zu zeigen, die die Möglichkeiten aller anderen ideologisch-künstlerischen Prinzipien übertrifft. Oft liegt der Fehler bereits in der Art, wie das Problem angepackt wird: Man versucht, die Parteilichkeit isoliert zu verstehen, als eine von vielen Besonderheiten des künstlerischen Schaffens. Sie ist jedoch kein losgelöster Zug, keine Komponente, sondern eine ganzheitliche lebendige Haltung des schöpferisch tätigen Menschen, die alle Seiten seiner Tätigkeit durchdringt. Sie ist die künstlerische Konzeption der Welt und des Menschen, gegründet auf dem Verständnis der Gesetze gesellschaftlicher Entwicklung. In Übereinstimmung mit ihr kämpft der Mensch bewußt und aktiv für die Verwirklichung der Ideale des Fortschritts. Und das ist doch der höchste Ausdruck des menschlichen Wesens, seiner wahren Freiheit, daß es für ihn nichts Höheres gibt als die Erkenntnis und das reale Empfinden, selbst Deuter und Gestalter der Welt zu sein. Somit offenbart sich in der kommunistischen Parteilichkeit wahrer Humanismus. Das Prinzip der Parteilichkeit darf man nicht unhistorisch als ein für allemal gegeben begreifen. Die Parteilichkeit ist eine historische, sich unablässig weiterentwickelnde Erscheinung. Obwohl ein solches Herangehen zweifellos die Konkre39
tisierung des Begriffs „Parteilichkeit" fördert, werden diese Fragen auch bei den in den sozialistischen Ländern angestellten Untersuchungen nicht selten umgangen. So werden beispielsweise in dem 1966 erschienenen, recht breit angelegten Buch Die 'Leninische Parteilichkeit und der Realismus in der Kunst von P. S. Trofimov zwar zahlreiche Äußerungen über die Parteilichkeit angeführt, doch fehlt jeder Hinweis auf ihre historische Dynamik. Die Parteilichkeit erscheint als starre Kategorie; in dem Buch sprechen von ihr Dimitär Blagoev, Georgi Dimitroff, Todor Pavlov, Zdenek Nejedly, Julius Fucik und andere auf gleiche Weise. Ist es gerechtfertigt, von einer historischen Entwicklung der kommunistischen Parteilichkeit in der Literatur zu sprechen? In bezug auf die Volksverbundenheit wird darüber verständlicherweise verhältnismäßig oft geschrieben, denn ihre verschiedenen Erscheinungen in dieser oder jener Periode sind mit der offensichtlichen Aufeinanderfolge der verschiedenen demokratischen Ideale verbunden. Aber ist einem gesellschaftlichen und natürlich auch ästhetischen Ideal nicht eine innere Entwicklung eigen? Das kommunistische Ideal (und die mit ihm verbundene Herausarbeitung neuer Kriterien für das Schöne) ist ein lebendiger und vielgestaltiger Prozeß. Bei konkret-historischer Betrachtung des Fragenkomplexes sieht man, wie das einheitliche allgemeine Prinzip einen neuen Ausdruck findet, der den jeweiligen Bedingungen des gesellschaftlichen und geistigen Lebens entspricht. Die ersten proletarischen Schriftsteller und Kritiker besaßen ein starkes Gefühl des unversöhnlichen Widerspruchs zwischen den Klassen und des revolutionären Glaubens an die historische Mission des Proletariats. Sie begannen, von einem neuen Helden der Geschichte und der Literatur zu sprechen, vom Träger des sozialistischen Bewußtseins. Das war der eigentliche Beginn der neuen Literaturbewegung. Zu jener Zeit hatte sich jedoch die sozialistische Konzeption der Welt und des Menschen kaum durchgesetzt. Der Arbeiter wurde im Schaffen der proletarischen Schriftsteller fast ausschließlich in der sozialistischen Sphäre gezeigt. Die Idee der Klassenwidersprüche wurde nicht selten lediglich deklariert, ohne Untersuchung der Psyche der Menschen und ihres ethi40
sehen Wesens. Allseitige Aneignung der neuen Wirklichkeit und ihre ästhetische Erfassung als individuelles Erlebnis war die künstlerische Aufgabe, deren Lösung gerade erst in Angriff genommen wurde. Die Entwicklung der neuen Literaturen gestaltete sich in den einzelnen Ländern verschieden, zeitweise sehr schwierig und langwierig. Das hing vom Reifegrad der Arbeiterbewegung im jeweiligen Lande ab, und auch davon, wie nahe die Schriftsteller der Arbeiterbewegung standen, sowie von der Ideologie der sozialdemokratischen und Arbeiterparteien, die nicht mit einem Schlage und erst recht nicht in allen Fragen konsequent revolutionär auftraten. In der tschechischen Sozialdemokratie waren bekanntlich am Ausgang des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Tendenzen des Reformismus und des Anarchismus seht stark. Ihrem Einfluß unterlagen in jenen Jahren der Arbeiterklasse nahestehende Schriftsteller wie Stanislav Kostka Neumann und Ivan Olbracht. Ihr Schaffen wies damals widersprüchliche Züge auf — die darin vorherrschende demokratische Linie wurde durch anarchistisch-dekadente Elemente kompliziert und geschwächt. Erst mit der Zeit kristallisierte sich die revolutionäre Weltanschauung heraus, setzten sich die Prinzipien der sozialistischen Ästhetik durch. Die allgemeine Gesetzmäßigkeit der Formierung der proletarischen Literaturen, ihre unauflösliche Verbindung mit der Weltanschauung der sozialdemokratischen und der Arbeiterparteien, wird an der Entwicklung der marxistischen Kritik besonders deutlich. Am Ausgang des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts entstand eine solche Kritik bereits in vielen Ländern. Große Bedeutung für die polnische proletarische Literatur hatte das Wirken von Rosa Luxemburg und Julian Marchlewski, das gegen die bürgerlich-modernistische Ästhetik gerichtet war. Der serbische Kritiker Dusan Popovic verfocht von marxistischen Positionen aus das Prinzip des Klassencharakters der Kunst. In einer Reihe von Aufsätzen verteidigte er die proletarische Literatur und trat gegen die bürgerlichreaktionäre Ideologie auf. In Bulgarien fand die marxistische Ästhetik besonders viele Repräsentanten. Hier äußerten sich führende Funktionäre der 41
Sozialdemokratischen Partei — Dimitär Blagoev, Georgi Kirkov, Georgi Bakalov und andere — zu Fragen von Literatur und Kunst. In den Spalten des Parteiorgans, der Zeitschrift Novo vreme, veröffentlichte Blagoev Aufsätze, die dann im Jahre 1901 gesammelt als Buch mit dem Titel Zu Fragen von Literatur und Gesellschaft herausgegeben wurden. Das Wirken Dimitär Blagoevs am Ausgang des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts war zweifellos eine bedeutende Leistung der internationalen marxistischen Ästhetik und Kritik. Die Klärung des Klassencharakters der Kunst, sein Kampf gegen die dekadenten Literaturtheorien und seine Aussagen über die Rolle der fortschrittlichen Weltanschauung im künstlerischen Schaffen, über die Einheit von Inhalt und Form, über die historische Notwendigkeit der Entstehung und Entwicklung einer neuen, sozialistischen Literatur sind nur ein Bruchteil der von Blagoev aufgegriffenen Probleme, die er einer Lösung zuführte. Worin nun bestanden die Besonderheiten der marxistischen Kritik in jenen Jahren? Für die Entwicklung der proletarischen Literaturen waren die revolutionäre Arbeiterbewegung und die Ideologie der sozialdemokratischen Parteien von ausschlaggebender Bedeutung. In der ersten Etappe, vom Ende des 19. Jahrhunderts bis zur Oktoberrevolution, setzte der grundlegende Prozeß der Verbindung von Sozialismus und Arbeiterbewegung ein, die sozialdemokratischen Parteien hatten den Weg der Umwandlung in Parteien neuen, leninistischen Typs noch nicht angetreten. Die proletarischen Literaturen entfalteten sich unter den komplizierten Bedingungen des Kampfes der revolutionären Sozialdemokratie gegen die reformistischen Einflüsse, die von der II. Internationale ausgingen. Oft erwiesen sich diese Einflüsse als sehr stark, was sich natürlich auch im literarischen Prozeß widerspiegelte. Das Verhältnis der Klassen untereinander wahrheitsgemäß darzustellen und den realen Kampf für den Sozialismus in konkreten Bildern zu zeigen, blieb bis zur Oktoberrevolution in den slawischen Literaturen außerhalb Rußlands eine noch ungelöste Aufgabe, obwohl proletarische Schriftsteller in den einzelnen Ländern starke Gruppierungen darstellten und nachhaltig den literarischen Prozeß beeinflußten. 42
In Bulgarien entstand die proletarische Literatur sehr früh und formierte sich bereits am Ausgang des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts als selbständige Strömung sowohl in der Kritik als auch in der Prosa und in der Lyrik. Sie war eine der am weitesten entwickelten proletarischen Literaturen, deren Leistung zweifellos den nationalen Rahmen Bulgariens überstieg. Die konsequent marxistischen Positionen der Partei der „Engherzigen" in vielen Grundfragen der gesellschaftlichen Entwicklung, ihre Abgrenzung gegen die II. Internationale, ihre Nähe zum Bolschewismus und das Wirken so bedeutender marxistischer Kritiker wie Blagoev und Bakalov beschleunigte die Entwicklung der neuen Literatur. Trotzdem konnte sie sich noch nicht als eine Literatur des sozialistischen Realismus formieren. Das lag an der Schwäche der Arbeiterbewegung. Nur sie konnte aber als Quelle lebensvoller und konkreter Bilder der neuen revolutionären Wirklichkeit dienen. Die Partei war in jener Zeit noch keine Partei leninistischen Typs. In grundlegenden Fragen der Theorie der proletarischen Revolution beging sie nicht unerhebliche Fehler. Die „Engherzigen", die sonst mit aller Entschiedenheit die Ideologie des revolutionären Proletariats vertraten, erkannten jedoch noch nicht die Notwendigkeit des Bündnisses mit anderen demokratischen Schichten und unterschätzten, ja ignorierten die revolutionären Möglichkeiten der Bauern. Blagoev war bekanntlich sowohl auf dem Gebiete der Politik als auch auf dem der Literatur einseitig. Das findet seine Erklärung in den zeitgebundenen Gegebenheiten voller erbitterter ideologischer Auseinandersetzungen. Die Reinheit der Ideologie des Sozialismus mußte bewahrt und deutlich von anderen Theorien abgegrenzt werden. Gerade durch diese exponierten Aufgaben ist die Isolierung zahlreicher Vertreter der proletarischen Bewegung vom allgemein-demokratischen Kampf zu erklären. Nach den Worten Georgi Dimitroffs herrschte in der Partei der „Engherzigen" noch nicht das leninistische Verständnis für die „Beziehung und organische Verbindung zwischen dem Kampf für die Demokratie und dem Kampf für den Sozialismus 34 , für die Rolle des Proletariats als Avantgarde des
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ganzen Volkes. Das führte auch auf dem Gebiete der Literatur zur Abkapselung, zur sektiererischen Isolierung vom allgemein-demokratischen literarischen Lager, zu einer falschen Einstellung zum literarischen Erbe, wie es sich im mangelnden Verständnis für hervorragende kritische Realisten wie Ivan Vazov oder Penco Slavejkov äußerte. Demzufolge erschien die Parteilichkeit in der Ästhetik Blagoevs verengt; es fehlte das Verständnis für die Einheit von Parteilichkeit und Volksverbundenheit. Sektierertum auf dem Gebiete der Literatur ist eine hartnäckige und langwierige Krankheit. Viele Jahre hindurch begleitete sie die proletarische Literaturbewegung, deren Entwicklung sie komplizierte und hemmte. Die Überwindung des Sektierertums war die wichtigste Voraussetzung für die Herausbildung und die Lebensfähigkeit des neuen Typs des Realismus, der sich nur dann erfolgreich entfalten kann, wenn er sich von den künstlerischen Errungenschaften der Vergangenheit und der Gegenwart nicht isoliert, sondern sich auf sie stützt. Das wurde mit verblüffender Überzeugungskraft durch das Schaffen Gorkis bestätigt, der „unbedingt der bedeutendste Vertreter der p r o l e t a r i s c h e n Kunst" 35 war. Sein Werk hat nicht nur national-russische, sondern weltweite Bedeutung — in ihm gelangten die allgemeinen Tendenzen der neuen Literatur zum Durchbruch. Dem großen russischen Schriftsteller war jede Enge der ästhetischen Auffassung fremd. Als Zeitgenosse Tolstojs und Tschechows schätzte Gorki die Errungenschaften der klassischen russischen Literatur und der Weltliteratur. Um seinen Weg als proletarischer Schriftsteller zu gehen, zerriß er nicht die Bande, die ihn mit der Vergangenheit verknüpften; vielmehr verstand er es, das Neuerertum mit der demokratischen Tradition zu vereinbaren. Die künstlerischen Versuche isolierten ihn nicht von den zeitgenössischen literarischen Strömungen. Er war sich der ganzen Breite ästhetischer Möglichkeiten der neuen Literatur bewußt und bestätigte durch sein eigenes Schaffen die Vielfalt ihrer Verfahrensweisen und Mittel.
Anfänge des sozialistischen Realismus
Für die Zeit nach der .Großen Sozialistischen Oktoberrevolution ist die rasche Entfaltung der revolutionären Literaturen in allen Ländern Mittel- und Südosteuropas kennzeichnend. Die Revolution erwies sich als ein wichtiger Faktor der Differenzierung unter den Schriftstellern und förderte das Anwachsen demokratischer Kräfte in der Weltliteratur. Tiefgreifende Wandlungen vollzogen sich im kritischen Realismus — eine Reihe von Schriftstellern näherte sich den Ideen der Revolution. Aber auch Vertreter des Symbolismus, des Expressionismus und anderer Richtungen stießen zur revolutionären Literatur, deren Front sich in den Jahren nach dem ersten Weltkrieg bedeutend erweiterte.36 Besonders intensiv verlief die Entwicklung der revolutionären Literaturen in den süd- und westslawischen Ländern. Das hängt mit der spezifischen geschichtlichen Lage der slawischen Völker zusammen und der starken Wirkung, die die Oktoberrevolution auf sie ausübte. Die Polen, die Tschechen, die Slowaken, die Kroaten und die Slowenen gewannen nach der Oktoberrevolution ihre nationale Unabhängigkeit. Im Leben dieser Völker, die durchweg sehr lange nationaler Unterdrückung ausgesetzt gewesen waren, war dies ein Ereignis von außerordentlicher Bedeutung. Jahrhundertelang hatten sie um ihre Freiheit gekämpft, aber erst nach dem Sieg der Oktoberrevolution entstanden objektive Bedingungen für die Verwirklichung ihrer alten Sehnsucht nach Bildung unabhängiger slawischer Staaten. Die fortschrittliche Öffentlichkeit der befreiten Länder unterhielt unmittelbare Kontakte zu Rußland, dem Land der sozialistischen Revolution. In Bulgarien, das russische 45
Truppen 1878 vom osmanischen Joch befreit hatten, waren diese Kontakte besonders stark. Bekannt sind die Verbindung der bulgarischen revolutionären Bewegung mit der russischen und die Begeisterung, mit der die bulgarischen Revolutionäre die Ideen der Oktoberrevolution aufgriffen. Eine intensive Verbreitung revolutionärer Ideen, ja überhaupt eine Atmosphäre hoher staatsbürgerlicher Verantwortung wurde besonders durch die lebendige Tradition des nationalen Befreiungskampfes gefördert, die unstreitig auch den demokratischen Charakter der Kultur dieser Völker beeinflußte. In den Ländern, von denen hier die Rede ist, entfaltete sich in den Jahren 1918—1923 eine breite revolutionäre Bewegung. Davon 2eugen u. a. die Slowakische Räterepublik (1919), der Wladaja-Aufstand (1918) sowie der Septemberaufstand (1923) in Bulgarien, der Krakauer Aufstand in Polen (1923) und die revolutionären Erhebungen des tschechischen Proletariats (1920). Zu Beginn der zwanziger Jahre vollzog sich ein Prozeß der Leninisierung der kommunistischen und Arbeiterparteien. 37 Das alles spielte natürlich auch eine gewaltige ideologische Rolle im Leben dieser Völker. So wurden die slawischen Länder in die durch die Oktoberrevolution ausgelösten welthistorischen Veränderungen aktiv einbezogen. Freilich darf man die Entwicklung der literarischen Richtungen und noch weniger die einzelner Künstlerpersönlichkeiten nicht in unmittelbarer Abhängigkeit von diesen Prozessen betrachten. Aber wer aus Angst vor der Soziologie an diesem Zusammenhang achtlos vorübergehen wollte, würde einen groben Fehler machen. Schwerlich konnte ein verantwortungsbewußter Schriftsteller den Ereignissen, die sein Land erschütterten, gleichgültig zusehen. So schrieb Geo Milev nach dem Septemberaufstand 1923: „Uns Angehörige der Intelligenz kann und darf es nicht ungerührt lassen, was das Volk im September erlebt hat, nicht einfach nur aus Menschlichkeit, sondern vor allem aus Verantwortung für das Schicksal unseres Volkes. Das vom Volk vergossene Blut fällt auf unsere Herzen wie feuriger T a u . " 3 8 Geo Milev kam vom Expressionismus zur revolutionären Literatur. Dieser Übergang wurde durch die Einsicht in den
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Bankrott individualistischer Haltung und die Unerläßlichkeit eines Bruches mit ihr ausgelöst. Die revolutionären Ereignisse und die sozialistischen Ideen ebneten vielen bürgerlichen Schriftstellern den Weg zum Volk. So zerfiel der bulgarische Symbolismus zu Beginn der zwanziger Jahre als literarische Strömung. Zahlreiche seiner Vertreter (Ljudmil Stojanov, Christo Jasenov und andere) gingen ins Lager der revolutionären Literatur über. Der tschechische Dichter Stänislav Kostka Neumann berichtet in dem Aufsatz Epilog nach einem Jahr, wie er „seinen Weg beschritt, aus dem ideologischen Nebel in die Realität": „Der Sieg Vladimir Il'jics machte meinen Verirrungen bald ein Ende." 39 Der Dichter befreite sich vom Anarchismus und wurde einer der Begründer der tschechischen proletarischen Literatur. Ähnlich war auch der Weg Ivan Olbrachts und zahlreicher anderer Schriftsteller. Diese Tatsachen sprechen von großen Fortschritten in dem ideologischen Bewußtwerden der Intelligenz, davon, daß die neue Weltanschauung die wichtigste Voraussetzung für die neue Kunst ist. Die Oktoberrevolution ist Ausdruck des Sieges der marxistisch-leninistischen Ideologie. Die internationale sozialistische Bewegung trat in eine neue Etappe ein — sie befreite sich immer mehr von den reformistischen Ideen der II. Internationale und wurde nach und nach ganz von den Ideen des Leninismus durchdrungen. Und eben damit war die neue Phase der literarischen Entwicklung verbunden. Als Organisatoren des revolutionären Kampfes in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens erwiesen sich die kommunistischen Parteien, unter deren unmittelbarem Einfluß sich die nationalen sozialistischen Literaturen formierten. Viele proletarische Schriftsteller jener Jahre sind aktive Parteifunktionäre gewesen. Maßgeblich wirkten z. B. Stanislav Kostka Neumann und Ivan Olbracht an der Gründung der Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei mit. In den Reihen der Kommunistischen Partei Bulgariens standen die Dichter Dimitär Poljanov und Christo Smirnenski. Bekannte Parteifunktionäre waren damals auch die polnischen Schriftsteller Stanislaw Ryszard Stande, Witold Wandurski und der Kroate August Cesarec. 47
Dabei ging es keineswegs nur um die organisatorische Bindung, viel wesentlicher war, daß die Schriftsteller mit dem Leninismus vertraut gemacht wurden. Wladyslaw Broniewski gehörte der Kommunistischen Partei nicht als Mitglied an, stand ihre aber nahe. Was für G o r k i galt, daß er nämlich „die wahre revolutionäre K r a f t gerade bei denBolschewiki, in den Abhandlungen Lenins sowie in den Reden und Arbeiten der Angehörigen der Intelligenz, die ihm folgten" 4 0 gespürt habe, galt in jenen Jahren für viele Schriftsteller. Angespannte Aufmerksamkeit für den revolutionären K a m p f ihres Volkes ging bei diesen Schriftstellern Hand in Hand mit ihrer Hinwendung zu den Erfahrungen der siegreichen Oktoberrevolution ; denn, wie Lenin 1920 über die Oktoberrevolution schrieb, zeigt „ d a s russische Vorbild allen Ländern etwas, und zwar etwas überaus Wesentliches, aus ihrer unausweichlichen und nicht fernen Z u k u n f t " . 4 1 Gerade im Aufzeigen einer Welt, der realen Mittel und Wege, sie zu errichten, liegt das Geheimnis der Anziehungskraft Sowjetrußlands. D e r tschechische Dichter Stanislav K o s t k a Neumann schrieb 1922: „ F ü r uns Sozialisten war die russische Revolution die große Schule theoretischer und praktischer Erkenntnisse." 4 2 E i n e unschätzbare Rolle bei der ideologischen Erziehung der Schriftsteller spielten die Arbeiten Lenins. Ihnen wandten sie sich als einer lebendigen und H o f f n u n g verheißenden Quelle zu, denn diese Arbeiten statteten sie mit einem klaren, konsequenten und richtigen Verständnis der gesellschaftlichen Entwicklung und der W e g e zum A u f b a u einer sozialistischen Kultur aus. Eine bibliographische Übersicht zeigt, daß nach der Oktoberrevolution die Zahl der Lenin-Übersetzungen aus dem Russischen in andere slawische Sprachen sprunghaft anwuchs. Z u m Erscheinen der tschechischen A u s g a b e von Lenins Werk Staat und 'Revolution im J a h r e 1920 bemerkte der Literaturkritiker Ladislav Stoll, dieses Buch habe „allen ehrlichen und denkenden Menschen des tschechischen Kulturlebens, der tschechischen Dichtung, neue grenzenlose Horizonte einer realisierbaren glücklichen Zukunft der Menschheit" gezeigt, es habe „die hohe, reine Flamme des historischen Optimismus — oder, wie Neumann sagen würde, eines Optimismus ohne Aberglauben und Illusionen" entzündet, „ohne 48
den eine die Zeiten überdauernde, ideenreiche, große Poesie unmöglich ist". 43 Ähnliche Äußerungen liegen von polnischen Schriftstellern vor. Wtadyslaw Broniewski schrieb 1927: „Meine Lieblingslektüre sind . . . die Werke Lenins (ich habe erst vor kurzem Bekanntschaft mit dem Schaffen dieses großen Poeten der Fakten geschlossen)."44 In dem Bericht über seinen Weg vom futuristischen Experiment zur revolutionären Literatur spricht Bruno Jasienski von der Rolle, die Lenins Werke in seinem ideologischen Reifeprozeß spielten; durch sie habe er „zum erstenmal begonnen, die Gesetze, die die Entwicklung der kapitalistischen Gesellschaft bestimmen, sowie Theorie und Praxis des Klassenkampfes zu studieren".45 Am II. Kongreß der Komintern, der 1920 in Moskau stattfand, nahmen als Delegierte ihrer Länder der tschechische Schriftsteller Ivan Olbracht und der bulgarische Schriftsteller Krum Kjuljavkov teil. Sie sahen und hörten Lenin und schrieben über ihn Artikel und Reportagen. Nach einem Aufenthalt in Sowjetrußland im Jahre 1922 verfaßte der kroatische Schriftsteller August Cesarec begeisterte, von einem herzlichen Gefühl der Hochachtung vor dem Sowjetlande durchdrungene Artikel, die in Jugoslawien mit großem Interesse gelesen wurden. In dem Reportagenband Ivan Olbrachts Bilder aus dem zeitgenössischen Rußland, der 1920 in Prag erschien, wird ein liebevolles Bild von Lenin entworfen. Über Lenins Einfachheit und Genialität, die Einheit von politischem Führer und Volk, schreibt Olbracht in seinem Reportagenband: „Genosse Lenin! Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Ein Mensch, den die Epoche aus Bodenkammern und Museumsbibliotheken der Emigration herausgeführt und in den Mittelpunkt welthistorischer Ereignisse gestellt hat. Er, den die blutüberströmte Masse der Menschen aus ihrer Mitte auf die Schulter gehoben hat, damit er in seinen klaren, harten, wie Glockenschläge klingenden Worten ihrem wilden Schrei Ausdruck gebe, damit er aus dem trüben Chaos ihrer verstreuten Gedanken eine einheitliche Idee schmiede, damit er sie führe, sie zusammenschweiße und zusammen mit ihnen die Welt erobere." 46 In der allgemeinen Atmosphäre des revolutionären Aufschwungs gruppierten sich Vertreter der revolutionären Lite4
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raturen um kommunistische und andere progressive Periodika, deren Zahl sich zu jener Zeit merklich vergrößerte. Und es entstanden — in einigen Ländern früher, in anderen später — verschiedene Gruppen proletarisch-revolutionärer Schriftsteller: Sehr rasch entfaltete sich die tschechische proletarische Literatur. Schon zu Beginn der zwanziger Jahre wurde sie von so bedeutenden Schriftstellerpersönlichkeiten wie Stanislav Kostka Neumann, Jifi Wolker, Ivan Olbracht und Marie Majerovä repräsentiert. Sie sammelten sich um das Organ der Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei Rüde prdvo sowie um die revolutionären Zeitschriften Cerven, Kmen und Proletkult, die in den Jahren 1918—1921 von S. K. Neumann redigiert wurden. Eine wichtige Rolle fiel in der ersten Hälfte der zwanziger Jahre der Vereinigung junger Schriftsteller Devetsi!zu, die kommunistische Ideale verfocht. S. K. Neumann und Jifi Wolker waren nicht nur Dichter, sondern auch hervorragende Theoretiker der proletarischen Kunst. Für die Entwicklung der slowakischen proletarischen Literatur wurden die im Jahre 1924 gegründete Vereinigung DAV und ihre gleichnamige Zeitschrift bestimmend. Ihr gehörten zunächst Eduard Urx, Jan Ponican, Andrej Siräcky, Laco Novomesky, Vladimir Clementis u. a. an. In der Prosa fanden die Prinzipien der neuen Literatur zu Beginn der dreißiger Jahre ihren Ausdruck im Schaffen Peter Jilemnickys. In Bulgarien meldeten sich in den Jahren 1918—1925 in der Zeitung Rabotniceski vestnik und in den Zeitschriften Novovreme und Cerven smjacb neben dem proletarischen Dichter der älteren Generation Dimitär Poljanov die Dichter Christo Smirnenski, Asen Rascvetnikov, Christo Jasenov und Krum Kjuljavkov zu Wort. Um den marxistischen Kritiker Georgi Bakalov und die Zeitschrift Nov pät gruppierten sich talentierte junge Kräfte, die die Positionen der revolutionären Literatur einnahmen. In Polen wurde in den Jahren 1922/23 die gesellschaftspolitisch-literarische Zeitschrift Kultura robotnic^a herausgegeben, die später (1923/24) unter dem Titel Notva Kultura erschien. Sie war das kulturelle Organ der Kommunistischen Partei, und die Redaktion lag in den Händen des marxistischen Kritikers Jan Hempel. Diese Zeitschrift hatte großen Anteil am Zusammen50
Schluß der proletarisch-revolutionären Schriftsteller. 1925 gaben Wiadysiaw Broniewski, Stanislaw Ryszard Stande und Witold Wandurski den Gedichtband Drei Salven heraus. In einer vorangestellten Erklärung heißt es: „Nicht über uns schreiben wir. Wir sind Arbeiter des Wortes. Wir müssen aussprechen, was die Männer von der Werkbank auszusprechen nicht in der Lage sind. Im gnadenlosen Kampf des Proletariats gegen die Bourgeoisie stehen wir entschieden auf der linken Seite der Barrikade. Zorn, Glaube an den Sieg und Freude, — Kampfesfreude heißen uns schreiben. Unsere Worte mögen wie Salven durch die Straßen der City peitschen und als Echo aus den Fabrikvierteln zurückschlagen. Wir kämpfen um eine neue Ordnung der Gesellschaft. Dieser Kampf ist der höchste Inhalt unseres Schaffens." 47 Im Jahre 1919 gaben die kroatischen Schriftsteller August Cesarec und Miroslav Krleisa die linke Zeitschrift P/amen heraus. Um die Zeitschrift Mladina (1924—1927), die sich seit 1925 offen zur sozialistischen Richtung bekannte, sammelte sich eine Gruppe slowenischer Schriftsteller: Strecko Kosovel, Tons Seliskar, Mile Klopcic, Bratko Kreit und andere. Im Jahre 1929 erschien unter dem Titel Das Buch der Genossen ein Almanach sozialer Lyrik von 28 serbischen, kroatischen und slowenischen Dichtern. Damit wurde ein wichtiger Schritt zum Zusammenschluß aller auf gemeinsamen ideologischen Positionen stehenden Schriftsteller getan, was auch in der Einführung zum Ausdruck kam: „Uns bleibt allzeit der Ruf der verlorenen Wanderer im Ohr, wir sehen, hören und fühlen die Leiden der Unterdrückten des ganzen Erdballs. Wir wollen ihre Schreie zu einer machtvollen Anklage vereinen, wollen uns ihren Wünschen und Sehnsüchten nähern . . ., wollen mit ihnen in einer Reihe stehen bei ihrem Protest und ihrer Empörung . . 48 Der Almanach wurde von der Polizei konfisziert, die Dichter wurden eingekerkert und wegen Beteiligung an kommunistischer Propaganda vor Gericht gestellt. Unter den Bedingungen des revolutionären Aufschwungs entstanden also in Bulgarien, in der Tschechoslowakei, in Polen und in Jugoslawien Gruppierungen proletarisch-revolutionärer Schriftsteller, und es formten sich — natürlich in den einzelnen Ländern unterschiedlich und zu verschiedener Zeit — 4*
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Literaturströmungen, was zur Haupttendenz des literarischen Prozesses wurde. Kennzeichnend für die Entwicklung der proletarisch-revolutionären Literaturen sind das Entstehen und das ungemein rasche Anwachsen ihrer internationalen Verbindungen. Die proletarischen Schriftsteller der südslawischen und der westslawischen Länder bekundeten großes Interesse an der revolutionären Literatur Mittel- und Westeuropas sowie Amerikas. In der Sowjetliteratur erblickten die proletarisch-revolutionären Schriftsteller den Wortführer der neuen Epoche. Natürlich galt ihre besondere Aufmerksamkeit Gorki und Wladimir Majakowski. Gorki fesselte durch das romantisch-revolutionäre Pathos seiner früheren Werke, die der Stimmung in der fortschrittlichen Öffentlichkeit der slawischen Länder zur Zeit des revolutionären Aufschwungs in besonderer Weise entsprachen, sowie durch seine tiefgründige künstlerische Sozialanalyse. Ein führender Vertreter des „sozialen Realismus" in Slowenien, Prezikov Voranc, berichtet: „In früher Jugend las ich gern russische Romane,' vor allem Tolstoj, Dostoevskij, meinen Lieblingsschriftsteller Gorki und andere. Ihnen verdanke ich es, daß ich mich selbst erkannt und daß ich gelernt habe, mich umzusehen. Ich begriff, daß sich die Menschheit in zwei Welten teilt — in die der Ausbeuter und die der Ausgebeuteten ; die erste schwelgt in Wollust und Luxus und blickt genüßlich oder zumindest gleichgültig auf den schmutzigen Grund, wo die zweite Welt dahinvegetiert — in Leid, Elend und Trostlosigkeit." 49 Nach der Oktoberrevolution setzte eine qualitativ neue Art der Aneignung von Gorkis ästhetischer Erfahrung ein, jetzt sah man in ihm den Künstler, der als erster in der Weltliteratur die bewußten Kämpfer für die sozialistische Revolution dargestellt hat. So begriffen ihn Stanislav Kostka Neumann, Peter Jilemnicky und Christo Smirnenski. Der bulgarische Dichter Mladen Isaev nannte Gorki „den Vater des echten Arbeiterromans in Rußland." 50 In diesen Worten ist das Wesentliche ausgedrückt: Gorki wirkte vor allem als Begründer der neuen Kunst. Seine Prinzipien wurden zu einem wichtigen Faktor im Ringen um eine Literatur des sozialistischen Realismus. 52
Sehr populär war in den revolutionären Literaturen der slawischen Länder Wladimir Majakowski durch seine revolutionäre Leidenschaft und durch die originäre Kraft seiner Poetik. Und dies um so mehr, als in diesen Literaturen die Poesie vorherrschte, die spezifische Genresituation also die Rezeption seines Werkes förderte. Majakowski übte zweifellos nachhaltigen Einfluß auf Wtadysiaw Broniewski, Bruno Jasienski, Geo Milev und andere aus. Die schöpferische Auseinandersetzung dieser Dichter mit Majakowskis Werk erfolgte zwar individuell verschieden, wies aber auch gemeinsame Züge auf. In diesem Zusammenhang zwei Äußerungen: 1924 schrieb der Pole Wladystaw Broniewski : „ Maj akovski ist der Dichter einer neuen Welt, die den Menschen schafft und vom Menschen gelenkt wird; jeder, der Erbauer dieser Welt ist oder sein will, empfindet, begreift und betrachtet die Ideologie dieses Dichters als seine eigene." 5 1 Im selben Jahr bemerkte der Bulgare Geo Milev: „Majakovski, der Dichter der russischen Revolution, Dichter der millionenfach erregten Straße, bringt in die Weltliteratur neue, bisher unbekannte Töne . . . Er schafft eine neue Poesie, eine neue Kunst, eine Kunst der Dynamik und des Rhythmus. Das ist eine neue Errungenschaft der Literatur, ein neuer Beitrag zur Kultur der Menschheit." 5 2 Unschwer läßt sich in diesen beiden Äußerungen Übereinstimmung feststellen, die die Hauptlinie der MajakowskiRezeption als Poesie der sozialistischen Revolution markiert. Darin sahen die proletarisch-revolutionären Schriftsteller Majakowskis Neuleistung, Anknüpfungsfeld und sichere Orientierung ihrer eigenen Entwicklung. Die schöpferischen Beziehungen der fortschrittlichen ausländischen Schriftsteller mit den sowjetischen waren vielseitig. Hierbei wirkte nicht allein die ideologische Nähe der Schriftsteller, sondern auch die Analogie ihrer individuellen künstlerischen Wege. Der Übergang V. Brjusovs und A. A. Bloks vom Symbolismus zur revolutionären Literatur hatte für viele Schriftsteller, deren Entwicklungsweg dem Symbolismus verpflichtet war, die Bedeutung eines historischen Beispiels. Nicht zufällig bekundeten Geo Milev und Ljudmil Stojanov besonderes Inter53
esse für den Schaffensweg dieser sowjetischen Dichter. In einer Rezension über Brjusovs Buch Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der russischen Dichtung machte Milev seine Leser darauf aufmerksam, mit welch „bewundernswerter Objektivität sich der alte Symbolist Brjusov vom verblendeten Fanatismus seiner Schule gelöst hat", und verwies darauf, daß er „selbst den letzten Zuckungen der letzten Überbleibsel von Symbolismus und Akmeismus eine Absage erteilt". 53 Es gibt auch noch andere Aspekte der Beziehungen zwischen revolutionären Schriftstellern verschiedener Länder und der Sowjetliteratur. Hier interessiert die Tatsache nur als Problem des allgemeinen Entwicklungsprozesses der sozialistischen Literaturen. Die revolutionären Schriftsteller waren immer auch bestrebt, Charakter und» Aufgaben der neuen, sozialistischen Literatur theoretisch zu bestimmen. In Bulgarien, in der Tschechoslowakei und in Polen erfuhr die marxistische Kritik breite Entfaltung. Ihre wichtigsten Repräsentanten waren: Georgi Bakalov, Stanislav Kostka Neumann, Jiri Wolker, Jan Hempel, Eduard Urx und andere. Ihr Wirken ist ein hervorragender Beitrag zur Geschichte der marxistischen Ästhetik überhaupt. Die marxistische Kritik hat wesentlichen Anteil an der Herausbildung der proletarisch-revolutionären Kunst, deren Probleme in den zwanziger und zu Beginn der dreißiger Jahre in der breiten Öffentlichkeit diskutiert wurden. Wir können hier nicht detailliert über die Entwicklung des marxistischen ästhetischen Denkens sprechen, wie sie sich damals in jedem dieser Länder vollzogen hat. Wir wollen nur kurz bei einigen Grundfragen verweilen, die die allgemeinen Züge der neuen Literaturkonzeption hervortreten lassen. Die meisten marxistischen Kritiker blieben vor dem Irrtum bewahrt, eine proletarische Kunst könne es erst nach dem Siege der sozialistischen Revolution geben. Jiri Wolker hielt einen derartigen Schluß für das Ergebnis einer statischen Auffassung von Literaturgeschichte. „Eine proletarische Kunst ist auch heute möglich", schrieb er 1923, denn „zur Revolution gehört nicht nur der Augenblick ihrer Durchführung, sondern auch die Zeit der Vorbereitung auf sie" .54 54
Die Prinzipien der proletarischen Literatur wurden als direkter Gegensatz zum bürgerlichen Ästhetizismus und Individualismus erkannt. Die marxistischen Kritiker deckten den reaktionären Charakter der modernistischen Ästhetik mit ihrem Kult des Irrealen, mit ihrer Propagierung der „reinen" Literatur und der angeblichen Freiheit des Schaffens auf. „Es gibt keine ,reine' Literatur", schrieb Georgi Bakalov 1924, und fügte hinzu: „In der Literatur pulsiert der Klassenkampf, der hier nur auf andere Art ausgedrückt wird als beispielsweise in der politischen P r e s s e . " 55 I n seinen Gesprächen über Kunst wies Bakalov den Klassencharakter der bürgerlichen Kunst nach und schrieb, die Bourgeoisie zwinge die Künstler unter Einsatz der verschiedensten Mittel des Betruges und des Druckes, ihr zu dienen, sie „spannt sie völlig vor den Karren ihrer Politik". 56 Deshalb sei die Parole von einer „klassenindifferenten", „unabhängigen" Kunst nichts anderes als Ausdruck maskierter bürgerlicher Parteinahme. Eine im Geiste dieser Parolen geschaffene Poesie sei fern von den lebendigen Quellen, vom gesellschaftlichen Leben der Volksmassen, sie sei eine Poesie der oberen Zehntausend, die das Verständnis für die wahren geistigen Werte verloren habe. Georgi Canev (B. Borinov) schrieb damals in der Zeitschrift Nov pät: „Eine tote Poesie zwischen Schloß und Friedhof — das ist der Weg dieser Poesie, für die das Lebendige keinen Sinn hat . . ," 57 Wfadyslaw Broniewski sagte gleichsam als Ergänzung zu Canev: „Die wahrnehmbare Wirklichkeit ist für jene Dichter unerträglich. Als Deserteure vor dem Leben irren sie durch die Berge, im ewigen Nebel der Symbole, bedeckt mit den Feigenblättern der Mystik." 58 Die Auseinandersetzung zwischen der marxistischen und der bürgerlichen Ästhetik wurde in den zwanziger Jahren in bisher nicht gekannter Schärfe ausgetragen. Es war ein unerbittlicher Kampf der beiden Lager, von denen das eine, gestützt auf den realen Gang der gesellschaftlichen und literarischen Entwicklung über eine klare Perspektive verfügte, während sich das andere beharrlich am Alten festhielt und mit groben Ausfällen gegen die proletarische Literatur und Kritik den Versuch unternahm, ihnen jegliche Daseinsberechtigung abzusprechen. 55
Im Gegensatz zu den bürgerlichen sahen die proletarischen Schriftsteller und Kritiker die Aufgabe der Kunst im Dienst an den revolutionären Idealen der Gegenwart, die von ihnen als kommunistische Ideale definiert wurden. „Unsere Idee ist die kommunistische, genauso wie unsere Tendenz", schrieb Jiri Wolker. 59 Und Stanislav Kostka Neumann unterstrich 1923: „Heute braucht das Proletariat nur eine solche Kunst, die eine Waffe der Revolution ist." 6 0 Aktives Eindringen der Literatur ins Leben, offene Verteidigung der Interessen des revolutionären Proletariats — forderten alle marxistischen Kritiker. Es war im Grunde das Programm der kommunistischen Parteilichkeit, das sich in der Auseinandersetzung mit der bürgerlichen Ästhetik festigte. Als in Bulgarien der reaktionäre Journalist Dobrijanov die Behauptung aufstellte, bei den proletarischen Schriftstellern sei jegliche Freiheit des Schaffens aufgehoben, sie arbeiteten nur auf Befehl, trug Christo Smirnenski in sein Notizbuch folgende ironische Bemerkung ein: „Wie seltsam, wie konnten wir, die wir an kommunistischen Werken arbeiten, das nicht wissen? Ich habe beispielsweise bis heute noch keinen einzigen Literaturbefehl erhalten. Bei euch ist alles von vornherein gelöst: Der Teufel ist schwarz. Aber wer ihn gesehen hat — danach zu fragen, ist wohl nicht nötig." Als in der Tschechoslowakei Arne Noväk als Verteidiger der „Freiheit des Schaffens" auftrat, erteilte ihm Jiri Wolker die gebührende Antwort: „Wir sehen heute den Kampf zweier Welten, die ganze Welt zittert vor dem Aufeinanderprallen ihrer Weltanschauungen, unser Herz erstarrt vor Angst, der Dichter aber ist voll Hoffnung. Ich sage — blind ist, wer das nicht sieht. Ich sage — herzlos und nicht .innerlich frei' ist, wer nicht begreift, welcher Seite man in dieser Zeit sein Herz zuwenden muß. Die Dichter sind jetzt verpflichtet, die Größe unserer Epoche aufzuzeigen. Uns hat sich diese Größe gerade hier offenbart und nirgends sonst." 6 1 Von derselben Überzeugung getragen sind auch die Worte des polnischen Dichters und Kritikers Stanislaw Ryszard Stande: „Die offene Verbindung mit der Arbeiterklasse, der öffentliche Dienst am Proletariat — das ist die wahre Freiheit des Schaffens." 6 2
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Georgi Bakalov, Jiri Wolker und andere Kritiker erkannten die Spezifik der proletarischen Kunst — ihr Eintreten für den historischen Auftrag der revolutionären Masse, des Kollektivs. Wolker schrieb: „Die Grundzüge der proletarischen Kunst sind den Kennzeichen der bürgerlichen Kunst diametral entgegengesetzt. Anstelle des Individualismus tritt der Kollektivismus in den Vordergrund, anstelle einer Kunst um der Kunst willen (l'art pour l'art) die Tendenz." 63 Aufgeworfen wurde auch die Frage nach dem neuen Helden. Im Gegensatz zu bürgerlich-individualistischen Vorstellungen von der Persönlichkeit sprachen die marxistischen Kritiker von einem neuen Menschen, der sich als Teil eines gesellschaftlichen Kollektivs versteht. Georgi Bakalov, Christo Smirnenski, Jiri Wolker, Stanislav Kostka Neumann und Wladyslaw Broniewski begreifen den Helden der neuen Literatur als aktiven sozialistischen Revolutionär. Die marxistischen Kritiker stellten hohe ästhetische Anforderungen an die neue Literatur. Stanislav Kostka Neumann äußerte zu Recht, das sozialistische Ideengut solle seinen Ausdruck nicht in nackten politischen Deklarationen finden, sondern in lebendiger Bildhaftigkeit. Auch Georgi Bakalov unterstrich 1922: „Proletarische Poesie bedeutet nicht Umsetzung des Parteiprogramms oder einzelner Losungen in Verse, sondern die gesamte neue Gefühls- und Ideenwelt, die das Proletariat bei seinem Kampf begeistert, in Bilder zu fassen." 64 Bei der Erörterung des Charakters und der Entwicklungswege der proletarischen Literatur kam es zu gewissen historisch erklärlichen Einseitigkeiten. Darin zeigte sich, um mit Lenin zu sprechen, die „Kinderkrankheit" des „linken Radikalismus". In der proletarischen Literatur und der proletarischen Kritik entstanden innere Widersprüche, die in erster Linie mit der Festlegung von Kriterien für den Klassencharakter der Kunst und der gesamten Kultur im Zusammenhang standen. Das historische Verdienst der marxistischen Schriftsteller, nämlich ein klar ausgeprägter Klassenstandpunkt und eine revolutionäre Grundhaltung, wurde nicht selten simplifiziert. Die Schaffung einer sozialistischen Literatur wurde von einigen Theoretikern ausschließlich als Angelegenheit des Proletariats bzw. jener Schriftsteller angesehen, die aus seinen Reihen her57
vorgegangen waren. Eine derartige Isolierung hemmte zweifellos die Entwicklung dieser Literatur, denn das Hauptkriterium der Zugehörigkeit zu ihr sollte der Standpunkt des Schriftstellers sein, seine Fähigkeit und sein Wille, der sozialistischen Ideologie Ausdruck zu geben. Die proletarischen Schriftsteller und Kritiker erblickten in den Volksmassen die Haupttriebkraft des historischen Fortschritts; dem bürgerlichen Individualismus stellten sie die Klassensolidarität der Werktätigen und die Größe des revolutionären Kollektivs entgegen. Sie gelangten jedoch nicht mit einem Schlage zu einem richtigen Verständnis der Wechselbeziehung von Allgemeinem und Besonderem. Das Ringen um den sozialistischen Ideengehalt der Literatur stellte sich ihnen mitunter als absolute Orientierung auf die Gestaltung lediglich des politischen Kampfes der Arbeiterklasse dar. Die Absage an den individualistischen Psychologismus verführte proletarische Schriftsteller nicht selten zum anderen Extrem — sie verzichteten auf die psychologische Darstellung des Individuums. In diesem Sinne trat Stanislav Kostka Neumann zu Beginn der zwanziger Jahre mit polemischem Eifer gegen die intime Lyrik auf. Apotheose des einheitlichen Kollektivs bei Vernachlässigung des Individuellen, Aufgehen der Persönlichkeit in der Masse waren charakteristische Züge eines beträchtlichen Teils der Werke Christo Smirnenskis, Jan Ponicans und anderer.65 Diese historisch erklärbare Hypertrophie des Allgemeinen gegenüber dem Individuellen war in gewissem Umfang für die proletarisch-revolutionäre Weltliteratur in der Anfangsetappe ihrer Entwicklung kennzeichnend. Man findet sie auch in der sowjetischen Poesie der ersten Jahre nach der Revolution.66 Majakowski, der selbst diesem einseitigen Enthusiasmus Tribut gezollt hatte (z. B. in seinem Poem 150000000), erkannte früher als andere eine Gefahr und trennte sich davon. Die neuen ästhetischen Anschauungen bildeten sich in einem komplizierten Prozeß heraus, der mit der Aneignung der allgemeinen Gesetzmäßigkeiten der proletarischen Revolution und mit dem Verständnis ihrer Wirkung in der Kunst verbunden war. Das wurde nicht auf Anhieb geleistet. Viele Fehler wurzelten in dem Unvermögen, den dialektischen Zusammen-
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hang zwischen Klasse und Nation zu erkennen. Sektiererische Tendenzen einer völligen Isolierung der „rein proletarischen" Kultur von den anderen demokratischen Strömungen waren in einzelnen Ländern recht verbreitet. Hierher gehören auch die vulgarisierenden Erbe-Theorien der sowjetischen Proletkult-Bewegung. Über proletkultistische Tendenzen in der polnischen Kritik der zwanziger Jahre berichtet V. A. Chorev. Die Formulierung von Antonina Sokolicz, die Kunst sei der reinste Ausdruck der Ideologie der herrschenden Klasse, aufgreifend, schrieb er: „Einige Theoretiker hielten es für unmöglich, die Erfahrungen der Kunst der Vergangenheit beim Aufbau einer neuen sozialistischen Kultur zu nutzen. Ein ähnlicher Standpunkt wird sehr häufig in der linken Presse der zwanziger Jahre vertreten. Stanisiaw Baczynski bezeichnet das Schaffen von Bolesiaw Prus und Stefan 2eromski als .Sentiments der Bourgeoisie' und als .antimarxistische Literatur' und warnt die proletarischen Schriftsteller vor jeder Berührung mit ihr. Seweryn Pollak behauptet in seiner Rezension über das Poem von Lucjan Szenwald ,Szene am Bach', der Dichter habe von den ,Großen' mit der poetischen Technik auch den Klassencharakter ihrer Gedanken und Bilder übernommen." 67 Ähnliche Beispiele gibt es in großer Zahl nicht nur in Polen, sondern auch in Bulgarien, in der Tschechoslowakei und in anderen Ländern. Die Gefährlichkeit der Proletkult-Theorien erhöhte sich noch dadurch, daß sich ihre Anhänger ständig der Phraseologie der Linksrevolutionäre bedienten und dabei so taten, als enthielten die von ihnen proklamierten Thesen die Grundprinzipien der revolutionären Literatur. Was waren das eigentlich für Prinzipien? Wie sollte sich die neue Literatur zu den anderen künstlerischen Strömungen der Vergangenheit und der Gegenwart verhalten? Die Auseinandersetzung darüber nimmt bald ungewöhnliche Schärfe an. Das außerordentliche Gewicht von Lenins Erbeauffassung, die sozialistische Kultur von den kulturellen Errungenschaften der Menschheit nicht zu isolieren, wird in diesem Zusammenhang erst recht begreiflich. Von da her auch ihre weltweite Resonanz. Sie förderte wesentlich die Überwindung sektiererischer Fehler 59
und das Verständnis für die breite ästhetische Plattform der sozialistischen Literatur, die demokratische Künstler nicht nur nicht zurückwies, sondern immer stärker anzog. Somit bietet Lenins Erbeauffassung die theoretische Grundlage für die Konzeption der neuen Literatur als eines integrierenden Systems, das die wahren Errungenschaften der Kunst synthetisiert und weiterentwickelt. Die Entwicklung der marxistischen Kritik in den zwanziger Jahren und später markiert den Prozeß der allmählichen Durchsetzung Leninscher Erbekonzeption. In Bulgarien verfocht Georgi Dimitroff gleich zu Beginn der zwanziger Jahre die Leninsche Kulturtheorie. In seiner Abhandlung Auf welchem Wege? (1923) unterstrich er die Notwendigkeit einer Vereinigung aller aufrechten Kulturschaffenden im Zeichen des Befreiungskampfes des Proletariats. Dabei setzte er sich „für den Weg der Einheit der mit Hammer, Sichel und Feder arbeitenden Werktätigen" 68 ein. Eine derartige Einheit war möglich und historisch höchst aussichtsreich, denn die sozialistische Weltanschauung als Basis einer solchen Einheit engt die schöpferische Freiheit des Künstlers nicht nur nicht ein, sondern gewährt ihr im Gegenteil Raum zu voller Entfaltung. Die Arbeiten Lenins über das kulturelle Erbe stießen auf lebhaftes Interesse. Sie wurden wiederholt — oft mit umfangreichen Anmerkungen — in der fortschrittlichen Presse der slawischen Länder veröffentlicht. So verteidigte beispielsweise der bulgarische Schriftsteller Todor Genov (Meruda Choreli) in der Zeitung Vedrina mit aller Entschiedenheit den Standpunkt Lenins zu den Fragen des kulturellen Erbes und fügte Auszüge aus der von Lenin auf dem III. Kongreß des Komsomol im Jahre 1920 gehaltenen Rede an.69 Bei den in den slawischen Ländern lebenden marxistischen Kritikern erfreute sich A. V. Lunacarskij großer Popularität. Bei all seinen Fehlern war er damals zweifellos der talentierteste Interpret Leninscher Ideen. Die Beziehung zwischen sozialistischer Kunst und anderen künstlerischen Strömungen ist eine höchst komplizierte und damals heiß diskutierte Frage, die übrigens bis heute nicht geringe Schwierigkeiten bereitet. Lenins These von den zwei 60
Kulturen in jeder Nationalkultur der antagonistischen Gesellschaft wurde von einigen Kritikern einseitig interpretiert: Es wurde lediglich der Unterschied zwischen den sozialistischen und den demokratischen Elementen in der Kultur der Vergangenheit akzentuiert, dagegen vergaß man häufig ihren gemeinsamen Gegensatz zur reaktionären Kultur. Herausgestellt wurde der Hauptwiderspruch der Epoche, der Klassenkampf zwischen der Bourgeoisie und dem Proletariat, doch blieben dabei die Vielfalt der verschiedenen Übergangsformen wie auch die tatsächlichen und potentiellen Verbündeten außer Betracht. Mit anderen Worten, immer wieder kam es zu Rückfällen ins Sektierertum. Einige proletarische Kritiker und Schriftsteller sahen zwar die traditionelle Verbindung mit den revolutionären Künstlern der Vergangenheit, verstanden es aber nicht immer, ihr Verhältnis zu den vielen anderen Künstlern richtig zu bestimmen. Im Eifer literarischer Gefechte gegen die Dekadenz vermochten sie oft nicht die demokratische von der reaktionären bürgerlichen Literatur zu scheiden. Hieraus erklärt sich die gewisse Inkonsequenz in Stanislav Kostka Neumanns Anschauungen. Dazu stellt S . A . Serlaimova fest: „Neumann, der punktuell Lenins Auffassung von den zwei Kulturen in der Nationalkultur in Gegenwart und Vergangenheit näher stand, trat häufig gegen die ,Kunst der bürgerlichen Epoche' überhaupt auf, ohne ein Hehl daraus zu machen, worin seiner Meinung nach die .positive Beziehung' der proletarischen Kultur zu den kulturellen Werten der Vergangenheit bestehen solle, und zu welchen ganz besonders. Das war eine schwache Seite in den Anschauungen des Schriftstellers über das klassische Erbe." 70 Ähnliche Inkonsequenz ist in der publizistischen Tätigkeit Georgi Bakalovs festzustellen. Der bulgarische Kritiker übernahm (vor allem aus den Abhandlungen Lunacarskijs) viel Wertvolles und Richtiges. Beispielsweise schrieb er 1924: „Die Schaffung einer proletarischen Kunst vollzieht sich nicht im luftleeren Raum, isoliert von der ganzen Welt. Sie erfolgt in einer bestimmten, historisch ererbten, bereits gegebenen künstlerischen Situation. Was der Prüfung durch das proletarische Bewußtsein standhält, muß bewahrt und in das neue, proletarische Schaffen integriert werden . . . Wer dem Proletariat 61
die Kraft und die Fähigkeit bestreitet, sich die Kunstwerte der Vergangenheit kritisch anzueignen, glaubt nicht an die eigenständige Kraft dieser historischen Klasse." 7 1 Aber diese theoretischen Einsichten des Kritikers wurden in der Praxis durchaus nicht immer umgesetzt. Während Bakalov die Schriftsteller der bulgarischen Wiedergeburt, vor allem die revolutionäre Poesie Christo Botevs und Ljuben Karavelovs schätzte, verhielt er sich in den zwanziger und zu Beginn der dreißiger Jahre gegen Ivan Vazov, Penco Slavejkov und einige andere bedeutende demokratische Schriftsteller ablehnend, da er sie fälschlich dem Lager der bürgerlich-apologetischen Literatur zuzählte. Erst später hat Bakalov, auf die methodischen Prinzipien der Arbeiten Lenins gestützt, viele seiner Fehler überwunden. Die marxistische Kritik entwickelte sich sowohl im Kampf gegen die bürgerliche Ästhetik als auch im Prozeß der Überwindung der eigenen Widersprüche. Je konsequenter sich dabei die Leninschen Prinzipien durchsetzten, desto gesicherter wurden die Ergebnisse. In der objektiven Wissenschaftlichkeit der Analyse literarischer Prozesse übertraf die marxistische Kritik alle zeitgenössischen literarischen Theorien und Anschauungen in diesen Ländern. Ihr besonderes Verdienst besteht darin, daß diese Kritik die Breite der ästhetischen Möglichkeiten der sozialistischen Literatur gesehen und verteidigt hat, was durch Artikel und Bücher vieler Kritiker bewiesen wird. Bakalov, der die „Fülle politischer Elemente in der proletarischen Kunst völlig natürlich" fand, erklärte diese mit der historischen Bedeutung des revolutionären Kampfes des Proletariats. Er verwarf die haltlosen Behauptungen von der Uniformität der proletarischen Kunst: „Als einzigartig erweist sich die Gefühlswelt der proletarischen Kunst. Vor dem Hintergrund dieser Gefühlswelt kann — und wird im Laufe der Zeit — ein ganz verschiedenartiger Inhalt erarbeitet werden." 72 Die sozialistische Literatur setzt der wahrheitsgemäßen Widerspiegelung der Wirklichkeit keine Grenzen, sie reglementiert nicht die Thematik, schreibt die Form nicht vor. Das Leben in seiner Vielfalt zu erfassen und in den unterschiedlichsten Formen widerzuspiegeln wurde von den proletarischen Kri62
tikern und Schriftstellern immer mehr als eine Voraussetzung für die weitere Entwicklung der Literatur erkannt. So korrigierte S. K. Neumann in den dreißiger Jahren seine früheren Ansichten. In dem Buche Anti-Gide oder Optimismus ohne Aberglauben und Illusionen (1937) sprach er davon, daß „vor dem sozialistischen Schriftsteller die ganze objektive Realität liege", und trat entschieden gegen eine Einengung des thematischen Rahmens der sozialistischen Kunst ein: „Es gibt keine Seite des Lebens, die thematisch von der sozialistischen Kunst ausgeschöpft wäre. Selbst der Liebeskonflikt, der allgemeinste in der Welt, wurde noch nicht in sozialistischem Geiste wirklich tiefschürfend und in seiner ganzen Vielfalt behandelt." 73 Für eine breite Darstellungsskala in den revolutionären Literaturen setzten sich auch viele andere Schriftsteller ein, so z. B. in den zwanziger Jahren Josef Hora in der Tschechoslowakei oder Wiadysiaw Broniewski in Polen. Beide Kritiker waren selbst Künstler und gaben nicht nur Urteile über die neue Kunst ab, sondern schufen sie auch. Sowohl in ihrem Werk als auch in ihren literaturkritischen Äußerungen bewiesen sie die Möglichkeit vielfältiger Themen und unterschiedlicher künstlerischer Lösungen. Josef Hora schrieb 1920: „Der soziale Inhalt der Poesie zeigt sich nicht nur dann, wenn man über Arbeiter, Streiks, Hunger und dergleichen schreibt. Auch ein Werk von reinster lyrischer Phantasie, ja manchmal gerade ein solches, vermag eine neue Atmosphäre zu schaffen, die ästhetischen und moralischen Qualitäten der neuen Weltanschauung auszudrücken. Möge sich die neue sozialistische Überzeugung aus einem rein rationalen Faktor in ein entscheidendes Element des inneren Profils des Künstlers verwandeln I" 74 Horas polemische Zuspitzung richtet sich gegen eine zu enge Auffassung der proletarischen Literatur; sie zielt auf die historisch gewordene Spezifik der neuen Kunst. Die bürgerlich-individualistische Literatur hatte das Prinzip des „reinen Psychologismus" hervorgehoben. Als Reaktion darauf hatten einige proletarische Schriftsteller und Kritiker die Widerspiegelung der individuellen Psyche vernachlässigt. Diesen Fehler korrigierend, unterstrich die marxistische Kritik die Notwendigkeit einer Synthese des sozialen und psychologischen 63
Prinzips. Eine solche Synthese erblicken wir sowohl in Horas Werk als auch in der Poesie Wolkers, Smirnenskis und anderer proletarischer Dichter. Darin zeigt sich ein wichtiges Entwicklungsmerkmal der sozialistischen Literatur. Die Breite der philosophisch-ästhetischen Konzeption der neuen Literatur wurde von Wladysfaw Broniewski klar erkannt. Der kommunistische Ideengehalt bedeutete für ihn vor allem die Kraft zur wahren und unbegrenzten Erkenntnis der Welt. Diese innere Überzeugung bewahrte ihn vor dogmatischer Einengung. So stellt er 1928 fest: „Der Dichter ist verpflichtet, in die Problematik des gesellschaftlichen Lebens praktisch einzudringen. Und wenn das der Fall ist, mag er schreiben, worüber er will, denn dann wird alles, was er schafft, zu einem Kulturdokument der Epoche und zu einem Faktor im Kampf für eine neue Kultur." 75 Die Haupttendenz bei der Entwicklung der marxistischen Kritik jener Jahre bestand im Vordringen zu einem immer tieferen Verständnis der Leninschen Konzeption der sozialistischen Literatur. Dieser Weg war uneben und wies manches ernste Hindernis auf, aber nur er bot die reale Möglichkeit, die revolutionär eingestellte künstlerische Intelligenz zusammenzuschließen und demokratische Schriftsteller für den Sozialismus zu gewinnen. Das Wirken der marxistischen Kritiker war also ein wichtiger Beitrag zur Ausarbeitung der Grundlagen der sozialistischen Ästhetik. In dieser Periode entstanden bedeutende Kunstwerke, in denen die Epochenproblematik zum Ausdruck kam. 76 An konkreten Beispielen soll hier die Ausprägung sozialistischer Nationalliteraturen aufgezeigt und ihre gemeinsamen Züge herausgearbeitet werden. Die größte Errungenschaft der proletarischen Literatur dieser frühen zwanziger Jahre war ihr summarisches Bild der revolutionären Masse (charakteristisch dafür sind die Gedichte Die Massen und Wir von Christo Smirnenski, Erwacht, ihr Massen! von Stanislav Kostka Neumann und andere). Sie prägte auch das Bild des revolutionären Kämpfers als des Repräsentanten dieser Masse. 64
Das Neue in der tschechischen Poesie brachten zu Beginn der zwanziger Jahre wohl am stärksten Stanislav Kostka Neumann und Jiri Wolker zum Ausdruck. Die Gedichtbände Die schwere Stunde (1922) von Wolker und Kote Gesänge (1923) von S. K. Neumann sind bedeutsame Erscheinungen nicht nur der tschechischen, sondern der revolutionären Weltpoesie. Der erbitterte Kampf zweier Welten in jener Periode, in der — nach den Worten S. K. Neumanns (Ihr und wir) — . . . im ganzen Land Klasse gegen Klasse zum Kampf aufstand, wurde lebendig. Beide Dichter gestalteten das Leben von den Positionen des revolutionären Proletariats aus, ohne jedoch ihre Individualität preiszugeben. S. K. Neumann neigt zur politischen Analyse, zu publizistischen Verallgemeinerungen. Wolker hingegen betont das Gefühl, legt Wert auf Detailtreue und psychologische Skizzierung. Das Bild des bewußten proletarischen Revolutionärs zeichnete S. K. Neumann in seinem Gedicht Rosa Luxemburg. Konkret stellte auch Jiri Wolker den Helden der neuen Epoche insbesondere in seinen sozialen Balladen dar. Die Ballade vom Traum erzählt vom Leben und von den Wunschträumen des tschechischen Arbeiters Jan. In den Gedankengängen des Helden taucht die Vorstellung vom Kampf für eine revolutionäre Umgestaltung der Welt auf. Jan sah die soziale Ungleichheit in der Gesellschaft und mühte sich ab, ihre Ursachen zu ergründen, er litt und seufzte und wollte doch leben, der ganzen Welt Gerechtigkeit geben. Nachdichtung: F. C. Weiskopf
Jans Entschlossenheit, für die Verwirklichung seines Traums zu kämpfen, kommt am Schluß der Ballade zum Ausdruck: Aus Werken und Hütten die Arbeiter gehn, die Härte des Lebens ist ihnen allen in die erhobenen Arme gefallen. Hatten einst alle funkelnde Träume, 5 Markör
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haben jetzt ihre Schwere erkannt, heben sie hoch in wuchtender Hand, hauen sie tief in die Felsen ein: Menschen sind sie von Fleisch und Bein, ewige Erben im Erdenrund! Wieviel Träume gehen zugrund, wenn sie verwirklicht werden! Nachdichtung: F. C. Weiskopf
Der Held der Ballade von den Augen des Heizers, nämlich der Heizer Anton, wirft, weil das Licht nur aus Blut sich gebiert, stets auch ein Stück seiner Augen mit. In dem erregenden Bild: Und in tausend Drähten über die Straßen huschen die Augen hin und lassen in Sälen, Theatern, Cafés und vielen Stuben, in denen Kinder spielen, das Licht erstrahlen in hellem Schein. Nachdichtung: F. C. Weiskopf
erklingt sowohl eine Verherrlichung der menschlichen Arbeit als auch ein zorniger Protest gegen die ungerechte Weltordnung. Der Dichter fordert auch für jene Menschen, die die materiellen Werte schaffen, das Recht auf Glück. Die Gedichtbände Der arbeitende Tag (1920) von Josef Hora, Stadt in Tränen (1921) von Jaroslav Seifert, Die Brücke (1922) und das Poem Der wunderbare Zauberer (1922) von Vítézslav Nezval zählen zu den bleibenden Leistungen der tschechischen revolutionären Poesie. Sie decken soziale Widersprüche auf und reflektieren revolutionäre Zukunftserwartung. Begeistert darüber, daß im Osten, in dem schönen Land, die Freiheit ward geboren, schrieb Jaroslav Seifert, den Blick auf die kommende Generation gerichtet: 66
Von allen Zielen, die den Weg erhellen, laß uns als wichtigstes in ihre Herzen legen: Revolution! Der hervorragendste bulgarische revolutionäre Dichter jener Jahre war Christo Smirnenski, den GeorgiBakalov den „Sturmvogel der proletarischen Befreiung" 77 nannte. Die Verherrlichung des Kampfes und der revolutionären Tat war das Leitmotiv seiner Poesie, heroisch-romantisches Pathos ihre wichtigste stilistische Spezifik. Smirnenski gestaltete die wachsende Unzufriedenheit der Volksmassen nach dem ersten Weltkrieg. In seinen Gedichten spiegelt sich z. B. im Häuer (1921) der Reifeprozeß des revolutionären Bewußtseins des Volkes wider. Romantisches Pathos drückt sich im Bild des losbrechenden Sturms aus, z. B. in den Gedichten Die Straße, Dem Sturm entgegen, Der Frühling der Sklaven und Der Ausbruch des Vesuvs. Als paradigmatisch in Aufbau und Diktion kann das Gedicht Es werde Tag! (1922) gelten: Nach Luft dürstet die Brust, die Augen verlangen Licht, ein Traum, nur eine Sehnsucht brennt und erfüllt die Seelen, aus Tränen und blutigem Joch, aus dem Grauen der kalten Finsternis dröhnt ein Ruf empor aus aller Munde: „Es werde Tag! Es werde Tag!" Der romantische Zug rückt Smirnenski in die Nähe der sowjetischen Poesie der ersten Jahre nach der Oktoberrevolution, als das romantische Pathos sehr verbreitet war. Großes Interesse verdienen in Smirnenskis Schaffen die Übergänge von romantischen Formen zum Realismus, die sich herausbildenden neuen Wechselbeziehungen zwischen romantischen und realistischen Elementen, die eine der wichtigsten Linien bei der Formierung des sozialistischen Realismus darstellen. War in den Gedichten Poljanovs das sozialistische Ideal noch ein ferner Traum, so ist es bei Smirnenski bereits eine historische 5*
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Realität, seine Helden kämpfen aktiv für den Sozialismus. Der Dichter bemühte sich um realistische Darstellung des Neuen, bewahrte aber gleichzeitig Züge des romantisch gehobenen Stils. Das Darstellungsprinzip vieler seiner Gedichte, in denen psychologisch einfühlsam und erhaben zugleich die Gedanken und Gefühle des proletarischen Revolutionärs dargelegt werden (Johann, Karl Liebknecht, Ein Fräblingsbrief, Der Jüngling), könnte man als „heroischen Realismus" bezeichnen. Smirnenskis Werk offenbart einen Wesenszug aller revolutionärer Dichtung, nämlich die intensive Hinwendung zur Großen Sozialistischen Oktoberrevolution. (Die roten Schwadronen, Moskau, Der russische 'Prometheus u. a.). Unter den revolutionären Dichtern Bulgariens am Anfang der zwanziger Jahre nimmt Geo Milev einen hervorragenden Platz ein. Er legte einen komplizierten Entwicklungsweg zurück, der ihn vom Expressionismus bis zur revolutionären Literatur führte. Sein bedeutendstes Werk, das Poem September (1924), für das der Dichter im Mai 1925 von den Faschisten zu Tode gequält wurde, entwirft das Bild eines in allen seinen Teilen vom antifaschistischen Aufstand ergriffenen Landes, gestaltet Zorn und Hoffnung des Volkes: Tausendfacher Glaube — Glaube an den Aufstieg des Volks, Tausendfacher Wille — Wille zum Leben im Licht, Tausende wilder Herzen — und Feuer in jedem Herzen, Tausende schwarzer Hände . . . des Sturms zornige Frucht: Tausende — Masse — Volk. Bei der Darstellung des tragischen Endes des Aufstandes bringt der Dichter seinen tiefen Glauben an die Lebenskraft der revolutionären Ideen zum Ausdruck: „Der September wird zum Mail" 68
Charakteristisch für das Poem ist der freie Vers — „die Kunst der Dynamik und des Reims" —, wie Milev die Dichtung Majakowskis, dem er nachstrebte, bezeichnete. Mitte der zwanziger Jahre erreichte die revolutionäre Dichtung in Polen eine neue Qualität, vor allem durch Bruno Jasieñski und Wladystaw Broniewski. Im Poem Das Lied vom Hunger (1922) besingt Jasieáski die Größe der Oktoberrevolution. Obwohl der Dichter das Wesen der Ereignisse noch nicht in ihrer ganzen Tiefe zu erfassen vermag, ist er von ihrer Gewalt fasziniert und verneigt sich vor dem Zug der „Legion hungernder Brüder". Später rang sich Jasieñski zu einer konsequent revolutionären Position durch und brach gänzlich mit seinen futuristischen Neigungen. Sein Poem Das Lied von Jakub S%ela (1926), das dem galizischen Bauernaufstand vom Jahre 1846 gewidmet ist, verficht leidenschaftlich die sozialen Rechte der Bauern und macht ihre revolutionäre Kraft in Geschichte und Gegenwart bewußt. Die Gedichtsammlung Broniewskis Windmühlen (1925) ist voll von aufwühlenden Gedanken über das Schicksal des Heimatlandes unter den nach dem ersten Weltkrieg entstandenen Bedingungen. Das darin enthaltene Poem Der letzte Krieg ist vom Pathos des antiimperialistischen Protestes und der schonungslosen Demaskierung der Schuldigen am Untergang von Millionen Menschen geprägt; gewaltig erklingt der heroischromantische Aufruf zur revolutionären Umgestaltung der alten Welt. Der 1926 erschienene Gedichtband Broniewskis Rauch über der Stadt markiert einen wichtigen Schritt in der Entwicklung des Dichters und der Geschichte der polnischen proletarischen Literatur. Das in diesen Band aufgenommene Lied vom Bürgerkrieg bietet ein breites poetisches Programm. An die Menschen auf den Feldern, in den Fabriken und in den Schächten richtet Broniewski seinen Aufruf zum Kampf „für ein neues Leben, ein besseres Leben". Das künstlerische Wort ist für ihn eine Waffe der Revolution: Heut sei mein Wort von Zorn getragen, Und wenn ich spreche, wenn ich singe, Schmied ich den Zorn zur scharfen Klinge, 69
Zum Riesenherzen der Millionen, Um alle Kräfte, die drin wohnen, Durch die Begeisterung zu läutern — und gegen das Geschick zu schleudern. Nachdichtung: M. Zimmering
Broniewskis Entwicklungsweg führte von einer emotionalromantischen Auffassung der Revolution zur allmählichen Festigung der realistischen Prinzipien. Die Themen seinerWerke schöpfte er aus Leben und Kampf der polnischen Arbeiterklasse (Ladz, Das Kohlenrevier von Dqbroivd) sowie aus der Geschichte der internationalen revolutionären Bewegung (Poem über die Pariser Kommune). Hier werden heroisch-revolutionäre Charaktere lebendig. Nicht selten verläßt der Dichter das historisch-konkrete Faktum und gelangt zu weitreichenden Verallgemeinerungen. Dem heroischen Tod des Mitglieds des Polnischen Kommunistischen Jugendverbandes Botwin ist ein Gedicht gewidmet, in dem der unbeugsame Charakter des Kämpfers besungen wird (Auf den Tod eines "Revolutionärs, 1925). Auch in der Gestalt des bekannten Funktionärs der polnischen Arbeiterbewegung Ludwik Warynski sind typische Züge des Menschen der neuen Epoche (Elegie auf den Tod Ludwik Warynskis, 1928) verkörpert. „Broniewski ist ein revolutionärer Lyriker, ein Lyriker von hoher emotionaler Spannung" — kennzeichnete ihn Witold Wandurski. Der nicht näher begründete Vorwurf „übermäßigen Lyrismus"78 ist offensichtlich ein Nachklang noch nicht überwundener Enge in der Auffassung von den Aufgaben der proletarischen Literatur, vor allem eine Unterbewertung psychologischer Darstellungsweisen. Broniewski trat als Neuerer hervor, er öffnete die Grenzen weit für die neue Poesie. Idee und Gefühl verschmolzen in seinem Schaffen zu einer organischen Einheit; Lyriker war er sowohl in seinen intimen Gedichten als auch in seinen politischen Strophen. In seiner Poesie weiß er Gefühl wie Ratio einen ebenso klaren wie starken Ausdruck zu geben. Diese Züge, die Broniewskis Werk charakterisieren, kann man auch bei Wolker, Smirnenski und anderen revolutionären Schriftstellern am Anfang der zwanziger Jahre feststellen. 70
Die sich allmählich herauskristallisierende Einheit von Sozialem und Psychologischem war ein notwendiges Moment der proletarischen Literatur im Prozeß der Festigung des Realismus. Dies läßt sich auch in der proletarisch-revolutionären Literatur der Slowakei beobachten. Laco Novomeskys Gedichtband Sonntag (1927) hebt sich auffallend von der manchmal plakativen, öfter aber emphatisch-romantischen revolutionären Poesie vom Anfang der zwanziger Jahre ab. In ihm finden die konkreten Lebenserfahrungen des Dichters Ausdruck. Der Held vieler seiner Gedichte ist der einfache Werktätige mit seinen Alltagssorgen; ihm gilt des Dichters Mitgefühl. Diese seine Klassensolidarität mit den arbeitenden Menschen bietet sich im Buch als reinste lyrische Empfindung dar. In den einzelnen Nationalliteraturen Jugoslawiens vollzogen sich diese Prozesse zu unterschiedlichen Zeiten. In der serbischen Literatur entwickelte sich zu Beginn der zwanziger Jahre aus mancherlei Gründen noch keine revolutionäre und sozialistische Strömung; hier entstand sie erst am Ende der zwanziger und in den dreißiger Jahren als sogenannter „sozialer Realismus". 79 In der slowenischen und kroatischen Literatur fand der revolutionäre Aufschwung zu Beginn der zwanziger Jahre den stärksten Niederschlag. Der junge slowenische Dichter Strecko Kosovel gestaltete ausdrucksvoll die sozialen Kontraste der Epoche, scharf und kompromißlos verurteilte er die Welt der Bourgeoisie. In seinen Gedichten tritt das Volk als eine Kraft auf, die sich zur revolutionären Aktion anschickt. Die revolutionäre Gärung und die Revolutionserwartung gibt Kosovel oft in symbolischen Bildern wieder, so im Bild des Frühlingssturms (Das Dorf im Tal) zum Tanz auf Feldern und auf Bergeshöhn, die Freiheit und den kühnen Wuchs zu sehn. Die revolutionären Stimmungen der Volksmassen werden auch in den Gedichten Vormitttagssonate, und Wie das Wachsen dumpfer Stimmen in romantischer Verallgemeinerung wiedergegeben. Mit revolutionären Motiven gesättigt ist auch die Dichtung 71
Tone Seliskars. Seine Gedichtsammlung Trbovli (1923) trägt als Titel prononciert den Namen einer Bergbausiedlung. Die Gedichte zeigen die grausame Ausbeutung der Arbeiter, ihren wachsenden Protest und den ausbrechenden Kampf. Das revolutionäre Pathos bricht sich wiederholt in expressionistischen Formen und in romantischen Bildern „von kosmischem Ausmaß" Bahn {Lied der 'Revolutionäre, Sonntag und andere). Eine ähnliche Bildersprache zeigen auch die Gedichte von Mile Klopcic, die zu den Ideen des proletarischen Internationalismus tendieren (Gedichtband 'Flammende Fesseln, 1924). Auch für die revolutionäre slowenische Poesie der zwanziger Jahre sind die revolutionär-romantischen Formen charakteristisch. Dem Ausdruck des neuen Inhalts diente auch die Poetik des Expressionismus, deren Einfluß sich im Schaffen vieler fortschrittlicher südslawischer Künstler zeigt. Die ästhetischen Prinzipien der slowenischen revolutionären Poesie der zwanziger Jahre wurden in den dreißiger Jahren in der Bewegung des „sozialen Realismus" weiterentwickelt, den vor allem die großen Prosaisten Brezichov Voranc und Misko Kranec repräsentieren.80 Wenn auch in der revolutionären Literatur der zwanziger Jahre die lyrischen Genres vorherrschend waren, so entfalteten sich doch gleichzeitig Prosa und Drama, die in einigen Nationalliteraturen von großen Namen repräsentiert wurden. Erwähnung verdient der kroatische Lyriker, Prosaiker und Dramatiker Miroslav Krleza. Die revolutionären Ereignisse schärften sein soziales Bewußtsein. In dem Novellenband Der kroatische Gott Mars (1922) verurteilt Krleza den Krieg und zeichnet die Tragödie der Menschen, die ihr Leben für fremde Interessen opfern müssen. Das antimilitaristische Pathos und die Kritik an der Bourgeoisie gehören zu den hervorstechendsten Seiten von Krlezas Schaffen in den zwanziger Jahren. Krleza bekundete leidenschaftliches Interesse an der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution und an der revolutionären Bewegung in seinem Lande. Freilich entspricht die Darstellung dieser Ereignisse nicht in allem der historischen Wahrheit; zuweilen ist die Empörung des Verfassers mehr anarchistischindividueller Natur; er sieht den Zusammenhang zwischen der 72
revolutionären Persönlichkeit und dem Kollektiv nicht immer. Aber seine Werke der beginnenden zwanziger Jahre, die oft in expressionistischer Manier geschrieben sind, strahlen revolutionären Elan aus und gliedern sich somit organisch in die sozialistische Literatur jener Jahre ein. Besonderes Interesse dürfen Krlezas Dramen beanspruchen, von denen viele unmittelbar nach dem ersten Weltkrieg entstanden sind (Christoph Kolumbus, Gali^ien, Golgatha u. a.). Am bedeutendsten ist sein Drama Golgatha (1918—1920), das sich authentisch auf revolutionäre Aktionen jugoslawischer Matrosen und Arbeiter während des ersten Weltkrieges stützt. Den Kern bildet der Konflikt zwischen revolutionären Arbeitern und opportunistischen Elementen in der Arbeiterbewegung, unter denen sich sogar Polizeiagenten befanden. Der Autor entlarvt jene, die die Reaktion bei der Niederschlagung des Aufstandes unterstützen und zeichnet mit tiefer Anteilnahme die Revolutionäre als unbeugsame Menschen, die — von der Richtigkeit ihrer Idee überzeugt — bereit sind, ihr Leben im Kampf zu opfern. Auf diesem Pathos beruht die Kraft des Dramas; K. S. Stanislavskij, der es 1922 in Zagreb sah, äußerte sich sehr anerkennend darüber. Zur Entwicklung einer sozialistischen Literatur in Jugoslawien trug Anfang der zwan2iger Jahre auch der am Kampf aktiv beteiligte August Cesarec bei. Er hatte 1922 die Sowjetunion besucht und veröffentlichte danach Skizzen und Erzählungen, die das Leben der Sowjetmenschen wahrheitsgemäß darstellen. Der Roman Das Kaiserreich (1925) sowie die Novellen* und Erzählungsbände Richtet mich! (1925) und Auf der Suche nach einem neuen Weg (1926) bieten ein analytisches Bild der kroatischen Gesellschaft im ersten Viertel unseres Jahrhunderts. Cesarec war einer der ersten jugoslawischen Prosaiker, die revolutionäre Kämpfer gestalteten; sein Schaffen weist Züge des sozialistischen Realismus auf. Allerdings verlief in den zwanziger Jahren die Entwicklung revolutionärer Literaturen in Jugoslawien nicht so intensiv und ausgeprägt wie beispielsweise in der Tschechoslowakei oder in Bulgarien. Die sowjetischen Forscher setzen daher das Entstehen der neuen künstlerischen Methode in den Literaturen Jugoslawiens erst mit den dreißiger Jahren an und betrachten 73
den sogenannten „sozialen Realismus", der sich in jenen Jahren in allen Nationalliteraturen des Landes intensiv entwickelte, als „Anfangsetappe des sozialistischen Realismus". 81 Im Unterschied zu manchen anderen Ländern erreichte die tschechische proletarisch-revolutionäre Poesie und Prosa bereits in den zwanziger Jahren ein hohes Niveau. Es entstanden große epische Werke, die den Geist der Epochenwende ausdrücken und vielfältige Entwicklungswege der revolutionären Literatur markieren. Marie Majeroväs literarische Analyse der sozialen Widersprüche in der bürgerlichen Gesellschaft vom Anfang des Jahrhunderts beschränkte sich nicht auf bloße Beschreibung von Rechtlosigkeit und Leid der Arbeiter, sondern gestaltete auch ihr Erwachen zum politischen Kampf. Zu Beginn der zwanziger Jahre nahm sie dann unmittelbar an der revolutionären Volksbewegung teil, wodurch sich ihre gesellschaftspolitischen Anschauungen ausformten. In Reportagen und Skizzen setzt sie sich einerseits mit der Scheinfreiheit der bürgerlichen Welt auseinander — Eindrücke aus Amerika (1920) — andererseits beschreibt sie nach einem Besuch der Sowjetunion das Entstehen neuer, wahrhaft freier Beziehungen unter sozialistischen Bedingungen — Am %weiten Tag nach der Revolution (1925) - . Skizze und Reportage als Genres, welche Literatur und Politik aufs engste miteinander verknüpfen, begünstigten eine intensive Aneignung der revolutionären Problematik (Bilder aus dem zeitgenössischen Kußland von Ivan Olbracht, 1920; Der Weg der Revolution von Jaroslav Kratochvil, 1922, u. a.) und spielten darum im Formierungsprozeß der sozialistischen Literaturen eine nicht geringe Rolle. Im Jahre 1923 erschien Majeroväs Roman Die Schönste aller Welten, dessen Konzeption überraschte, brachte er doch nicht nur eine entschiedene Verurteilung der bürgerlichen Gesellschaft, sondern auch eine offene und leidenschaftliche Proklamation der sozialistischen Ideale. Die Lebensgeschichte der Lenka Bilanskä verdeutlicht das Anliegen der Autorin. Die junge Heldin strebt nach allem Schönen und ist über jede Ungerechtigkeit empört. Anfangs artikuliert sich ihr Protest im Rahmen der Familie — sie lehnt sich gegen die Tyrannei des 74
Vaters auf. Später beginnt sie allmählich die sozialen Konflikte der Zeit zu erkennen. Der erste Weltkrieg, die Oktoberrevolution und die revolutionäre Bewegung im eigenen Lande entdecken der Lenka Bilanskä Die schönste aller Welten, sie wird zur überzeugten Verfechterin der sozialistischen Revolution. Was diesen Roman auszeichnet, ist nicht nur die differenzierte Sicht der sozialen Problematik, sondern auch die Aufhellung der individuellen Psychologie. Der sozialpsychologische Roman sollte in der Literatur der folgenden Jahrzehnte einen wichtigen Platz einnehmen. Innerhalb der tschechischen proletarisch-revolutionären Prosa am Beginn der zwanziger Jahre nimmt Ivan Olbrachts Roman Anna, ein Mädchen vom Lande (erste Redaktion 1924) eine besondere Stellung ein. Geschrieben aus dem Erleben der revolutionären Aktionen des tschechischen Proletariats in den Jahren 1919/20, fängt er die Atmosphäre des Kampfes, der heftigen Klassenauseinandersetzungen ein. Olbracht ging es weniger um die psychologische Zeichnung der Romangestalten als vielmehr um die Erfassung des sozialen Gegensatzes zwischen Bourgeoisie und bürgerlicher Intelligenz auf der einen (der käufliche Abgeordnete Jandäk, der Architekt Rubes) und Vertretern der sozialistischen Welt auf der anderen Seite (Tonik Krousky, Anna). Der Schriftsteller zeichnet Annas Entwicklung vom zaghaften, demütigen Mädchen vom Lande zur aktiven Revolutionärin, die das Kampfziel sehr gut erkannt hat. In der Schlußszene des Romans schreitet Anna an der Spitze einer Arbeiterdemonstration. In dieser Szene offenbart sich die besondere Neuleistung des Romans: die Gestaltung der revolutionären Masse, des kämpfenden Kollektivs. In der Zeit revolutionärer Gärung entstand auch ein Roman, dem einer der ersten Plätze in der Weltliteratur des 20. Jahrhunderts zukommt: Die Abenteuer des braven Soldaten Schwejk. im Weltkrieg von Jaroslav Hasek (1920-1922). Es ist eine Synthese des gesamten vorangegangenen Schaffens des Schriftstellers. Haseks erste literarische Arbeiten fallen in den Anfang unseres Jahrhunderts. Seine Humoresken, Satiren und Feuilletons richteten ihre Spitze gegen die Österreich-Ungarische Monarchie, gegen ihren herrschenden Klüngel. Die Position des Ver75
fassers ist die des einfachen Volkes, dessen Psychologie Hasek vertraut war. Im Volk erzählte Witze und komische Geschichten werden vom Schriftsteller aufgenommen und satirisch zugespitzt; sie bilden öfter den Stoff seiner Erzählungen. Durch scheinbare Harmlosigkeit enthüllt Hasek himmelschreiende Widersprüche (Die Geschichte des Schweines Xaver, Croßvätercben Jancar, Wie der Sparverein einen Verzweifelten rettete usw.). Schon in den frühen Erzählungen und Feuilletons Haseks begegnen wir Schwejk, dem Helden des späteren Romans. In der Sammlung Der hrave Soldat Schwejk und andere 'Erzählungen (1912) finden wir diese Figur mit den bekannten, wenn auch noch recht skizzenhaft angedeuteten Zügen: parodistisch blinder Gehorsam und superloyales Untertanentum demaskierten satirisch die Sinnlosigkeit der reaktionären Ordnung. Nach Ausbruch des ersten Weltkrieges hatte es Hasek nicht eilig, für die Interessen des Habsburgerreiches zu kämpfen; an der Front nutzte er die erste Gelegenheit, um überzulaufen. Haseks Aufenthalt in Rußland (1915-1920), sein Beitritt zur Roten Armee, seine gesamte gesellschaftliche und literarische Tätigkeit in diesen Jahren sind Spiegel seiner gereiften Anschauungen. Als Hasek seinen Schwejk-Roman — die revolutionäre Satire auf den Militarismus, den Staats-, Polizei- und Militärapparat — schrieb, war er bereits ein kommunistischer Schriftsteller. In kompositorischer Hinsicht ist der Roman eine Folge von Episoden, in denen die verschiedenen Lebensumstände und Taten des Haupthelden Josef Schwejk beschrieben werden. Schwejk steht jenem Heldentyp der Volksdichtung nahe, hinter dessen gespielter Einfalt sich gesunder Menschenverstand und Überlegenheit über den Gegner verbergen. Er drückt das Verhältnis des Volkes zum verhaßten herrschenden Gesellschaftssystem aus. Julius Fucik bemerkt hierzu: „Mit seiner Parodie auf den Gehorsam und seinem volkstümlichen Humor untergräbt Schwejk die Stärke jener Macht, die die Reaktionäre so mühevoll aufgebaut haben, höhlt wie ein Käfer die reaktionäre Ordnung aus und hilft insgesamt aktiv — wenn auch nicht immer bewußt —, das Gebäude der Unterdrückung und der Willkür zum Einsturz zu bringen." 82 Schwejk kommt mit zahlreichen Militärs, Beamten und 76
kirchlichen Würdenträgern in Berührung, er wandert gleichsam durch die K. u. K.-Behörden, trifft überall auf Fäulnis und Verrottung. Schwejk läßt keine demaskierenden Tiraden vom Stapel, er hat seine eigene Art des Angriffs: Durch devote Ergebenheit gegenüber dem Kaiser, durch wort-wörtliche Erfüllung der Befehle und Anordnungen seiner Vorgesetzten führt er die offizielle Ideologie und Politik ad absurdum. Die Verfahren komischer Entschleierung in diesem Roman reichen von der Ironie über die Groteske bis zur sarkastischen Verhöhnung. Das Mißverhältnis von äußerem Erscheinungsbild und innerem Wesen, der Konflikt zwischen unhaltbarem Anspruch der Machthaber und dem tatsächlichen Zustand der Gesellschaft ist eine unerschöpfliche Quelle solcher Komik. Haseks sprudelnde Phantasie bringt unglaubliche Situationen hervor. Aber seine Bilder sind keineswegs Produkte reiner Erfindung, schon gar nicht abstrakte Chiffren. Phantastik erwächst hier aus glaubhafter Widerspiegelung einer bestimmten gesellschaftlichen Realität. Dabei tritt lebendig die individuelle Psyche hervor, wie sie nicht nur Schwejk, sondern auch die anderen Gestalten zeigen. Die Abenteuer des braven Soldaten Schwejk sind ein Antikriegsroman, in dem der Krieg als etwas Dummes und Sinnloses erscheint. In der Ablehnung des Krieges offenbart sich der elementare Protest der Volksmassen, der neben Schwejk auch in der Figur des Einjährig-Freiwilligen Marek sowie in zahlreichen Episodengestalten aufleuchtet. Hasek wollte seinen Schwejk bekanntlich auch in russischer Gefangenschaft und später als Kämpfer der Roten Armee zeigen. Obwohl diese Absicht nicht verwirklicht werden konnte, bringt der Roman den Geist der Epoche mit erstaunlicher Kraft zum Ausdruck. Unablässig ist der Kontrast zwischen der brüchigen offiziellen Ideologie und der siegreichen Wahrheit des Volkes spürbar, die historischen Optimismus vermittelt. Man kann den Roman nicht von der revolutionären Literatur am Beginn der zwanziger Jahre trennen. So verlief in den zwanziger Jahren ein intensiver Prozeß der Ausbildung neuer ästhetischer Prinzipien in den Literaturen der slawischen Länder. Dazu trugen viele Faktoren bei: 77
das Anwachsen der revolutionären Bewegung in diesen Ländern, die Gründung kommunistischer Parteien, die Auswirkungen der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution und der Einfluß der Sowjetkultur. Infolgedessen entstanden überall proletarisch-revolutionäre Literaturströmungen und entfaltete sich die marxistische Kritik. Die zwanziger Jahre kann man somit als die Anfangsetappe der Ausprägung des sozialistischen Realismus bezeichnen. Im Vergleich zum ausgehenden 19. Jahrhundert und zur Jahrhundertwende weisen die revolutionären Literaturen der zwanziger Jahre qualitativ neue Züge auf. Die sozialistische Idee der revolutionären Umgestaltung der Welt fand jetzt eine viel tiefere ästhetische Realisierung. Allmählich wurden enge Vorstellungen von der neuen Literatur überwunden, wurde die kommunistische Parteilichkeit dialektischer zur Volksverbundenheit in Beziehung gesetzt. Die Rezeption der Leninschen Kunstauffassung, darunter auch der Literatur, förderte die Entstehung bedeutender revolutionärer Werke, künstlerisches Neuerertum. Charakteristisch für den neuen Stand der sozialistischen Literatur ist die Gestaltung der revolutionären Masse und des proletarischen Revolutionärs, der Einheit von Persönlichkeit und Kollektiv (beispielsweise in Gedichten Smirnenskis, Milevs und S. K. Neumanns sowie in der Prosa Olbrachts). Das erfolgte freilich nicht auf einmal. Anfangs verfielen die Schriftsteller nicht selten dem Schematismus, in ihren Werken verlor sich die Persönlichkeit in der Masse, es fehlten die psychologischen Konturen des Individuums. In dieser Hinsicht blieben die proletarisch-revolutionären Schriftsteller trotz der Neuheit ihrer Problematik hinter dem kritischen Realismus zurück, der hervorragende Beispiele psychologischer Analyse geliefert hatte. Später aber eroberten sich die proletarischen Schriftsteller auch diesen Bereich — die Diskrepanz zwischen dem Sozialen und dem Psychologischen wurde überwunden, und die neue Literatur gestaltete differenziert die Innenwelt des neuen Helden, wie das in der Prosa Marie Majeroväs sowie der Lyrik Jiri Wolkers und Wiadyslaw Broniewskis sichtbar wird. Damit wurde der humanistische Gehalt der sozialistischen Revolution überzeugender artikuliert. 78
Im Herausbildungsprozeß der Literatur neuen Typs spielen revolutionär-romantische Formen der künstlerischen Verallgemeinerung eine bedeutende Rolle. Es handelt sich hierbei nicht so sehr um die Tradition der romantischen Literatur des 19. Jahrhunderts als vielmehr um die Romantik als eine Erscheinung, die auf einer neuen historischen Grundlage entstand und gesetzmäßig eine wichtige ästhetische Funktion erfüllte. In Zusammenhang damit stehen der allmähliche Prozeß künstlerischer Aneignung der sozialistischen Wirklichkeit und die Darstellung des Heroismus. Die Bewegung zur neuen Schaffensmethode hin war unter anderem durch die Logik der gesellschaftlichen Realität jedes einzelnen Landes bedingt; sie repräsentierte also die nationale Tendenz der literarischen Entwicklung. Viele Schriftsteller sprachen in den zwanziger und am Beginn der dreißiger Jahre von einem „neuen Realismus", damit die Entstehung eines neuen ästhetischen Systems andeutend, das später die Bezeichnung „sozialistischer Realismus" erhielt. Auf die nationalen Wurzeln des sozialistischen Realismus in der tschechischen Literatur eingehend, sagte S. K. Neumann, die Bezeichnung „Realismus neuen Typus" sei ausschließlich infolge jener Prinzipien angenommen worden, die viel älter sind als das Wort selbst, jener Prinzipien, für die wir auf eigene Faust kämpften, auf Grund von Anregungen heimischen. Charakters und mit heimischen Mitteln, noch bevor dieses Wort entstand. Die Entwicklung des sozialistischen Realismus verlief in den einzelnen Ländern nicht gleichmäßig und auch nicht gleichzeitig. In einigen zeigten sich die neuen Erscheinungen schon zu Beginn der zwanziger Jahre mit großer Intensität, in anderen erst am Ende der zwanziger bzw. in den dreißiger Jahren. Natürlich muß die Periodisierung des sozialistischen Realismus als einer Erscheinung der Weltliteratur diese Fakten berücksichtigen, sie darf die Prozesse in den einzelnen Literaturen nicht nivellieren, sondern muß ihren Charakter und ihre zeitliche Aufeinanderfolge respektierer. Der Zeitunterschied bei der Formierung der Literaturen neuen Typs beeinträchtigte jedoch nicht die Einheit ihrer Prinzipien. Diese Prinzipien gerade eröffneten Möglichkeiten einer großen Vielfalt der Formen und eines wirksamen Aus79
drucks der künstlerischen Individualität. Denken wir nur an die vier Namen Wolker, Smirnenski, Broniewski und Hasek! Jeder dieser Schriftsteller ist eine höchst eigenständige, national geprägte Individualität, und das Werk eines jeden von ihnen übersteigt zugleich den Rahmen seines Landes. E s sind zweifellos Künstler von Weltbedeutung, herausragende Erscheinungen der sozialistischen Weltliteratur. Wichtig ist festzuhalten, daß sich die proletarischen Schriftsteller selber zunehmend der ästhetischen Breite der neuen Literaturen bewußt wurden. Das zeigte sich sowohl in der Wahl der Ausdrucksmittel als auch in ihrem Verhältnis zu anderen Literaturströmungen. Sie sperrten sich weder gegen die künstlerischen Errungenschaften der Vergangenheit noch gegen die ihrer Gegenwart. So führte Smirnenski die Traditionen der revolutionären Demokraten (vor allem Christo Botevs) ebenso weiter wie die Traditionen der kritischen Realisten (zum Beispiel Ivan Vazovs), er ließ aber auch die Erfahrungen eines so eigenwilligen Dichters des 20. Jahrhunderts wie Pejo Javorov nicht außer acht. Weitverzweigt sind die Verbindungslinien Wiadyslaw Broniewskis sowohl zu der von Adam Mickiewicz und Juliusz SJowacki repräsentierten Tradition als auch zu den ersten proletarischen Dichtern Polens. In der künstlerischen Praxis Wolkers — wie übrigens auch Neumanns, Smirnenskis und Broniewskis — sehen wir den schöpferischen Zusammenhang nicht nur mit der demokratischen Literatur des vorigen Jahrhunderts, sondern auch mit dem Besten, was sich in den literarischen Strömungen des 20. Jahrhunderts fand. Andererseits wurden die Repräsentanten dieser Strömungen nicht selten zu Verkündern der sozialistischen Ideen, nahmen also unmittelbar oder mittelbar am lebendigen Prozeß der Ausbildung einer neuen Literatur teil. Diese Erfahrungen zeigen, daß die sozialistische Literatur nicht als eine isolierte, in sich abgeschlossene Erscheinung entstanden und gewachsen ist, sondern als eine auf sozialistischer Weltanschauung gegründete Synthese aller künstlerischen Errungenschaften. Unserer Meinung nach kann man nur von dieser Ausgangsbasis aus den Entfaltungsprozeß des sozialistischen Realismus richtig verstehen und das Problem seiner literarischen Quellen zutreffend behandeln.
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Das Verhältnis des kritischen Realismus und anderer Strömungen zum sozialistischen Realismus im 20. Jahrhundert
Es giDt heute wohl keinen marxistischen Literaturwissenschaftler, der die Bedeutung des kritischen Realismus für die Formierung des sozialistischen Realismus bestreiten würde. Sie wird aber häufig nur in der Aneignung von Traditionen gesehen, was ganz offensichtlich unzureichend ist. Natürlich stützt sich der sozialistische Realismus auf die Traditionen des kritischen Realismus. Aber fußt er nicht darüber hinaus auf den progressiven literarischen Traditionen der Vergangenheit üb rhaupt? Nicht zu übersehen sind ferner jene Veränderungen, die sich im kritischen Realismus des 20. Jahrhunderts unter dem Einfluß der sozialistischen Ideen und revolutionären Ereignisse vollzogen; sie führten zu Tendenzen innerhalb des kritischen Realismus, die als Brücke zur sozialistischen Kunst dienten. Dies ist bisher nur ungenügend beachtet worden. Im letzten Jahrzehnt wurden von der sowjetischen Literaturwissenschaft mehrere Untersuchungen zur Spezifik des kritischen Realismus im 20. Jahrhundert 84 veröffentlicht. Sie stützen sich vor allem auf die Literaturen Mittel- und Westeuropas sowie der USA und arbeiten wichtige Züge heraus, die den Realismus unseres Jahrhunderts vom Realismus des vorigen Jahrhunderts unterscheiden. Die neuen Spezifika werden in Korrespondenz zum Epocheninhalt dargestellt. Naturgemäß berühren die Autoren dieser Untersuchungen auch den Einfluß des sozialistischen Gedankengutes auf die kritischrealistische Literatur, aber diese Frage wird doch nur kurz gestreift. V. V. Ivaseva gelangt bei einer kritischen Würdigung der genannten Arbeiten u. a. zu der Feststellung: „In der Arbeit V. Dneprovs wird ein wesentliches Problem der gegenwärtigen Erforschung von Literaturen kapitalistischer Länder 6
Markov
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nur angedeutet, aber nicht näher untersucht, nämlich die Entstehung von Übergangserscheinungen im kritischen Realismus, von Werken, in denen sich der Einfluß fortschrittlicher sozialistischer Ideen und der Ästhetik des sozialistischen Realismus nachweisen läßt." 8 5 Dieser Einwand trifft in bestimmtem Umfang auch auf die anderen Bücher zu. Allgemein fehlt es an umfangreichen konkret-analytischen Arbeiten als Grundlage für breitere Verallgemeinerungen. Manchmal wird die Frage, welchen Einfluß sozialistische Ideen auf die Literatur ausgeübt haben (und sogar der Begriff eines solchen Einflusses), zu eng gefaßt. Der bulgarische Literaturwissenschaftler 2 . Avdziev, der hierzu ein recht inhaltsvolles Buch geschrieben hat, begeht unserer Ansicht nach einen wesentlichen Fehler, wenn er die von revolutionären, sozialistischen Ideen beeinflußte Literatur generell mit der sozialistischen Literatur an sich gleichsetzt. Seine Behauptung, die wesentlichen Kriterien der sozialistischen Literatur seien „die Darstellung des neuen positiven Helden, des sozialistischen Arbeiters, sowie die Durchdringung der Werke mit revolutionärem Pathos und revolutionärer Perspektive" 86 , wendet sich gegen „eine Ausweitung der Grenzen des Einflusses des Sozialismus" 8 7 auf solche Schriftsteller, deren Schaffen den genannten Kriterien nicht entspricht. Dabei denkt er nicht nur an Ivan Vazov, sondern sogar an Elin-Pelin, der zweifellos von den Ideen des Sozialismus nachhaltig beeinflußt wurde und Gorki sehr nahe stand. Der bulgarische Literaturwissenschaftler verwirft jenen Gesichtspunkt, der auch in einigen meiner Arbeiten 8 8 Ausdruck gefunden hat, weil er nach seinen Vorstellungen „eine Ausweitung der Grenzen des Einflusses des Sozialismus" bedeute. Überhaupt hält Avdziev „die Suche nach Fakten und Voraussetzungen für Entstehung und Entwicklung sozialistischer Poesie und Prosa im kritischen Realismus für übertrieben". 89 Da er den Einfluß sozialistischer Ideen auf die Literatur an den genannten Kriterien mißt, bemüht er sich nur um die eindeutige Beantwortung der Frage: Kann man diesen oder jenen Schriftsteller zur sozialistischen Literatur rechnen oder nicht? Das eigentliche Problem liegt jedoch in der Erkenntnis des komplizierten und vielseitigen, nicht selten Widersprüche
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liehen Prozesses der Annäherung kritischer Realisten an die sozialistische Literatur. Es gilt zu erforschen, wie sich unter dem Einfluß der neuen gesellschaftlichen Realität im kritischen Realismus neue Tendenzen herausbildeten, wie sich der Humanismus der demokratischen Schriftsteller wandelte, wie diese allmählich zur Darstellung bewußter und aktiver Menschen gelangen und schließlich den Übergang vom kritischen zum sozialistischen Realismus vollzogen. Dieser Seite des Problems wollen wir im folgenden unsere Aufmerksamkeit zuwenden. Untersuchen wir zunächst einige gemeinsame Züge des Realismus in den süd- und westslawischen Literaturen sowie seine historisch bedingten Besonderheiten. Als Strömung etablierte sich der Realismus in diesen Literaturen relativ spät, in den sechziger bis achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts. Seine Blütezeit fällt im Unterschied zu mehreren mittel- und westeuropäischen Literaturen, die dieses Stadium schon früher durchlaufen haben, zeitlich mit der Periode des Imperialismus und der intensiven Entfaltung der sozialistischen Bewegung zusammen. Im Schaffen der realistischen Schriftsteller spiegeln sich die komplizierten gesellschaftlichen Widersprüche des Klassenkampfes und nationalen Befreiungskampfes der Volksmassen wider. Für die meisten südslawischen und westslawischen Völker war die nationale Frage ungelöst geblieben. Die nationale Unabhängigkeitsbewegung erfaßte breiteste Bevölkerungsschichten. So ist es durchaus verständlich, daß sie Widerhall in diesen Literaturen fand, deren Realismus nicht zuletzt vom Pathos des nationalen Befreiungskampfes geprägt war. Petar Kocic stellt in seinen Erzählungen die Willkür der österreichischen Unterdrücker dar und zeichnet voll tiefen Mitgefühls die Rechtlosigkeit der Werktätigen in seiner bosnischen Heimat. Die Lage der geknechteten Slowenen löst bei Oton Zupanöiö Besorgnis, Trauer und stürmischen Protest aus (Gedichtband Monologe, 1908). Unversöhnlichkeit gegenüber Ausbeutung und Tyrannei beherrscht die Verse seines älteren Zeitgenossen Anton Askerc. Dieser Dichter ruft das Volk zum aktiven Kampf auf. Er besingt die heroische Vergangenheit sowohl Sloweniens als auch anderer Länder (inter6*
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essant sind der Gedichtzyklus und die Poeme über den bulgarischen Aprilaufstand gegen das l ü r k e n j o c h ) . D i e nationale Thematik bestimmt weithin das Schaffen des bedeutenden slowakischen Dichters Pavol Orszägh Hviezdoslav; sie nimmt auch einen wichtigen Platz in den Liedern Svatopluk Cechs, in den historischen Romanen Alois Jiräseks und in den Werken anderer tschechischer Schriftsteller ein. Ihre Helden — sowohl Zeitgenossen als auch K ä m p f e r aus ferner Vergangenheit (etwa der ruhmreichen Hussitenzeit) — sind Träger der Befreiungsideale. Die Widerspiegelung des K a m p f e s gegen die Fremdherrschaft ist gleichfalls eine wichtige Komponente im Schaffen vieler polnischer Schriftsteller. Die Entwicklung des historischen Romans in Polen ist zweifellos mit diesen Problemen verknüpft. 9 0 Nach der Befreiung Bulgariens v o m Türkenj och ( E n d e der siebziger und in den achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts) wurde seine Literatur durch den heroisch-patriotischen Realismus geprägt (Ivan Vazov, Zacharij Stojanov), der allerdings auch später noch wirksam blieb (Im Gefängnis von Konstantin Velickov, Das blutige Ued von Penco Slavejkov). N a c h dem Pathos des nationalen Befreiungskampfes zeigten sich in der Literatur auch andere Züge. Der Kapitalismus ließ bald die sozialen Klassenwidersprüche offen zutage treten, die Arbeiterbewegung erstarkte. Demokratische Schriftsteller traten an die Seite der Volksmassen und entlarvten den K l a s senegoismus der Bourgeoisie. D i e Zunahme sozialkritischer Tendenzen erweist sich so als ein weiterer wichtiger Aspekt des Realismus dieser Jahre. D i e sozialen Lebensbedingungen des Volkes finden in der realistischen Literatur vielfältige Gestaltung. In der serbischen und bulgarischen Literatur erreichte die Satire ein hohes Niveau. D i e Serben R a d o g e Domanovic, Stevan Sremac, Branislav Nusic 9 1 und die Bulgaren Aleko Konstantinov, Stojan Michajlovski belegen dies hinreichend. D a s Schaffen solch namhafter polnischer Schriftsteller wie Maria Konopnicka, Wiadysiaw Reymont und Wiadysiaw Orkan weisen wiederum andere Merkmale auf. Man kann also sagen, daß sich die Realisten umfassend mit den sozialen Verhältnissen auseinandersetzten, wodurch die Vielseitigkeit ihrer Poetik bestimmt wurde. 84
Der Roman Wiadyslaw Reymonts „Die 'Bauern" (1902-1908) entwirft ein Bild der sozialen Differenzierung des polnischen Dorfes, der zunehmenden Unsicherheit der Bauern zwischen patriarchalischer Ordnung und wachsender Kapitalisierung. Noch zugespitzter wurde die innere Zerklüftung des galizischen Dorfes von Wiadyslaw Orkan im Roman Die Tagelöhner (1900) beschrieben, der auf die Psychologie des Kulaken und des Landarbeiters, auf das Aufeinanderprallen gegensätzlicher Interessen, Gefühle und Bestrebungen zielt. Diese Problematik bleibt nicht auf die Epik beschränkt, auch die Lyriksammlungen Ivan Vazovs Lieder eines Wanderers (1899) sowie Unter unserem Himmel (1910) und solche Gedichte Pejo Javorovs wie Auf dem Feld und Hagelscblag nehmen sie auf. In der1 offen zutage tretenden sozialen Tendenz erkennen wir eine wesentliche Seite der Entfaltung und Vertiefung des Realismus am Ausgang des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Aber nicht nur in ihr. Die neue Qualität des Realismus dieser Jahre ist wohl darin zu sehen, daß seine bedeutendsten Vertreter allmählich zum Verständnis des objektiven Gangs der gesellschaftlichen Entwicklung, der historischen Perspektive, gelangten. Dies zeichnete sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts bereits klar ab, z. B. im Werk der polnischen Dichterin Maria Konopnicka. Verbundenheit mit dem Volke und Mitgefühl mit seinem sozialen Los führten Maria Konopnicka zur Reflexion darüber, wie das Leben der werktätigen Massen zu verbessern sei. Die revolutionären Ereignisse der Jahre 1905—1907 schärften ihren Blick für soziale Fragen; kämpferische Motive fanden nun Eingang in ihre Dichtung und passives Mitgefühl wandelte sich in einen aktiven, revolutionären Humanismus. Das kommt mit besonderer Kraft im Poem Herr Baiser in Brasilien (1892—1908) zum Ausdruck. Hierin zeigt die Dichterin Auswandererschicksale, Bauern, die auf der Suche nach Brot und Glück in der Fremde scheitern. In dem Maße, wie sie die Ursachen ihrer Tragödie durchschauen, wächst ihr Protesc gegen soziale Ungerechtigkeit und Unterdrückung. Die Dichterin gestaltet den Augenblick, da Zorn und Empörung der Bauern mit dem Aufbegehren der Hafenarbeiter, die sich gegen ihre Herren erhoben, zusammen85
fließen. Der Kampf selbst wird als notwendiger Schritt zur Gerechtigkeit dargestellt („Die Sklaven schütteln ihr Joch ab und fordern Antwort vom Schicksal"). So entsteht ein Bild des aufständischen Volkes („Hunderttausend Augen, hunderttausend Arme erheben sich, hunderttausend Herzen . . . das ist das Volk!"), das im Schlußteil des Abschnitts Im Hafen pathetisch ausklingt: Triumphgeschrei brach aus. Barhäuptig stand das Volk. Und wie die Orgel aufbraust in der Messe, Mit solcher Macht flog Sturmgesang empor, Riß fort die Menge, deckte sie ganz zu. Was man da sang und sang mit welchen Worten, Das wird so leicht nicht zu erraten sein, Nur aus dem Singen strahlte wilde Kraft, Fuhr in die Knochen, schreckte auf das Blut. Ganz abgesehen von dem Unterschied zwischen Konopnickas Werk und der Dichtung der Dekadenten zu Beginn des 20. Jahrhunderts ist dieses Poem auch vor dem Hintergrund der demokratischen Literatur dieser Epoche eine neue Erscheinung. Sein epischer Aufbau, die Figuren revolutionärer Arbeiter und Bauern als Träger der Ideale des Volkes, die lyrisch vermittelte Überzeugung, daß die Welt nach Prinzipien sozialer Gerechtigkeit umgestaltet werden könne, mit all dem eröffnete die Dichterin der literarischen Entwicklung neue Horizonte. Das soziale Engagement beeinflußte die künstlerische Bewältigung auch der nationalen Problematik. Der Gedanke an die Heimat verband sich mit dem Gedanken an das werktätige Volk als realer Kraft im nationalen Befreiungskampf. Deshalb ist die Darstellung national-patriotischer Gefühle fortan mit der Darstellung des sozialen Lebens der Werktätigen verbunden. Dabei wenden sich zahlreiche Schriftsteller spontan der neuen Klasse, dem Proletariat, zu. In der tschechischen Literatur ragen die Romane Antal Staseks (In dunklen Strudeln, 1900; Am Scheideweg, 1908) durch scharfe Kontrastierung der Gestalten hervor: Auf der einen Seite stehen die bourgeoisen Ausbeuter, auf der anderen Seite die Arbeiter, die als moralisch 86
hochstehende Menschen gezeichnet werden. Auch Jan Neruda sah am Ende seines Lebens im Proletariat die wahre Hoffnung der Nation. In der Skizze Der 1. Mai 1890 begrüßte er die Demonstration der tschechischen Arbeiter und beschrieb die Stärke der Volksmassen: „Mit ruhigem, ehernem Schritt marschierten am 1. Mai 1890 die Arbeiterbataillone, zahlreich, unübersehbar, in dicht geschlossenen Blöcken, um fortan allzeit in gleicher Entschlossenheit mit uns anderen für die erhabenen Ziele der Menschheit einzutreten . . . Es war ein gewaltiger Zug, unüberwindbar, wie die Brandung des Ozeans. Wer das gesehen hat, der hat begriffen, was das Wort .elementare Kraft' bedeutet, auch übertragen auf die Sache des Geistes und der Moral!" Svatopluk Cech verband ebenfalls die nationale und soziale Befreiung der Völker mit dem Eintritt des Arbeiters, dieses Helden der Zukunft, in die historische Arena. Wir wollen hier nicht den Kampf der demokratischen Schriftsteller gegen modernistische, naturalistische und andere Tendenzen behandeln, sondern uns auf die allmähliche Ausprägung des Realismus konzentrieren. In den süd- und westslawischen Literaturen entwickelte er sich auf der breiten Grundlage des nationalen Befreiungskampfes und der sozialpolitischen Bewegung der Werktätigen. Sein demokratischer Charakter bewirkte einerseits eine Schwächung dekadenter Positionen und machte andererseits die realistische Literatur empfänglich für die fortschrittlichsten Ideen der Epoche. Unter dem Einfluß der um die Jahrhundertwende verbreiteten sozialistischen Ideen standen mehr oder minder alle bedeutenden demokratischen Schriftsteller. Aus der bulgarischen Literatur seien hier genannt: Pejo Javorov, Elin-Pelin, Anton Strasimirov und Canko Cerkovski. Einige von ihnen waren eng mit der sozial-demokratischen Partei verbunden. Das bedeutet, daß die Ideen des Sozialismus vor allem den sozialkritischen Gehalt des Realismus verstärkten. Durch Darstellung gegensätzlicher, von antagonistischen gesellschaftlichen Kräften geformter Charaktere wurde die Unversöhnlichkeit der Klassengegensätze zum Ausdruck gebracht. Die realistischen Schriftsteller kamen allmählich zu dem Schluß, daß selbst eine entschiedene Ablehnung der bürgerlichen Gesell87
schaftsordnung nicht ausreicht, sondern soziale Umwälzungen unumgänglich sind; es entwickelte sich ein begründeter historischer Optimismus, der in der engen Verbundenheit der Schriftsteller mit dem sozialenBefreiungskampf der Werktätigen wurzelte. Im Mittelpunkt mehrerer Werke steht nun der bäuerliche Rebell, der sich gegen Gewalt, Willkür und Unterdrükkung auflehnt (hierher gehören beispielsweise einige Bauerngestalten in den Erzählungen Elin-Pelins und Strasimirovs). Einzelne demokratische Autoren stoßen auch zur Darstellung des Arbeiters und Sozialisten vor. Die Gestalt des fortschrittlichen Menschen, des Trägers der sozialistischen Ideen, begegnet uns im Schaffen vieler bulgarischer Schriftsteller, so des Dichters Canko Cerkovski (Gedicht Der Ketzer, 1891) und des Prosaisten Anton Strasimirov (Novelle, 1895). In den Versen des kroatischen Dichters Silvije Strahimir Kranjcevic repräsentiert der Arbeiter eine neue gesellschaftliche Macht, die imstande ist, die soziale Gleichheit zu verwirklichen. Unter dem Einfluß der russischen Revolution von 1905 schrieb Kranjcevic mehrere Gedichte, in denen sich entschiedene Ablehnung der Ausbeutung mit dem Aufruf zur Revolution verbindet. Diese Verse wurden in der kroatischen Arbeiterpresse veröffentlicht. Der Proletarier fand auch Eingang in das Schaffen des slowenischen Dichters Oton Zupanöiö. In seinem Poem Die Duma (1908) finden sich Verse, die wie eine Hymne auf die Arbeiterklasse klingen und voll innerer Anteilnahme die Hoffnung auf eine künftige Erneuerung der Menschheit zum Ausdruck bringen. Thematisch und gedanklich sind diesem Poem die Gedichte Ued der Schmiede (1910), Lied der Nagelschmiede (1912) und andere verwandt. 92 Im kritischen Realismus des 20. Jahrhunderts vollzogen sich also symptomatische Veränderungen. Sie fanden ihren Niederschlag sowohl in der Steigerung der sozialen Anklage bis hin zur grundsätzlichen Ablehnung der bürgerlichen Gesellschaftsordnung, als auch in der Gestaltung des wachsenden Protestes der Volksmassen, ferner in der Herausbildung eines sozialheroischen Pathos und schließlich in ersten Versuchen, Menschen mit sozialistischer Überzeugung darzustellen. Diese Veränderungen gehören zum Problemkreis der Genesis des sozialistischen Realismus. Der allmähliche Wandel des Rea88
lismus, die besonderen Übergangsformen zu einer neuen Qualität sind hierbei allerdings möglichst genau zu erfassen und darzulegen. Geradezu als Verkörperung solcher Übergänge kann Petr Bezruc, der Barde der schlesischen Bergleute, gelten. Obwohl er kein Marxist war und sich die Weltanschauung des revolutionären Proletariats keineswegs zu eigen gemacht hat, trat er objektiv als Verkünder der neuen Tendenzen im gesellschaftlichen Leben der Tschechen am Ausgang des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts auf. Seine Scblesiscben Lieder (1909) enthüllen das soziale Elend der Werktätigen und zeigen ihren spontanen Protest und Kampf, was dem Dichter Verfolgungen durch die k.u. k.-Behörden einbrachte. Die Dichtung Bezrucs eröffnete neue ästhetische Dimensionen. Sie steht dem Individualismus der Dekadenzschriftsteller konträr gegenüber. Der Dichter versteht sich als Sprecher der Masse. Diese wird im Prozeß ihres politischen Bewußtwerdens gezeigt. Aus den Gedichten klingt der tiefe Glaube an die revolutionären Möglichkeiten und an die Kraft des Volkes: (Sie und wir) Ach käme, ach käme der Zahltag, verdammt, ein Sturmwind, ein Föhn, der die Heimat entflammt! Noch gelb von dem Feuer, geschwärzt von dem Rauch, so kommen wir endlos hervor aus dem Bauch der Hütten und Schächte, empor in das Licht. Nachdichtung: Wilhelm Tkaczyk
Die Arbeiterthematik, die Motive proletarischer Solidarität, kollektiver Aktion sowie das Empfinden für die Kraft der Klasse, die sich zum Kampf erhebt, machen die Dichtung Bezrucs zu einer neuen Erscheinung in der tschechischen Literatur an der Jahrhundertwende — „sie war gewissermaßen das Bindeglied zwischen der realistischen demokratischen Dichtung des 19. Jahrhunderts und der entstehenden proletarischen Poesie".93 Diese neuen Tendenzen im kritischen Realismus vertieften und komplizierten sich in den folgenden Jahren beträchtlich. Unmittelbar nach dem ersten Weltkrieg idealisierten polnische, tschechische und südslawische Schriftsteller mitunter die eben 89
erst entstandenen Nationalstaaten, während die soziale Problematik in den Hintergrund trat. Bald aber erkannte die fortschrittliche künstlerische Intelligenz, daß die an die Macht gelangte Bourgeoisie an einer Veränderung der sozialen Struktur der Gesellschaft nicht interessiert war. Das Anwachsen der revolutionären Bewegung der Volksmassen führte zur ideologischen Differenzierung der Schriftsteller. Mit aller Deutlichkeit wurden sie vor die Entscheidung gestellt, gesellschaftliche Positionen und damit ihren weiteren Weg zu bestimmen. In vielen Werken wurden die „Ideale" des Krieges sowie die Moral der Bourgeoisie und der bürgerlichen Intelligenz in der Nachkriegszeit erbarmungslos bloßgestellt. Solch kompromißlose Kritik charakterisiert beispielsweise die Romane der Zofia Natkowska (Die Romanze der Therese Hennert, 1923; Die Schranke, 1935), die Erzählungen Georgi Stamatovs (Das kleine Sodom, 1920; Virjanov, 1922), den Roman Janko Jesenskys Demokraten (1934—1937), den Roman Branimir Cosics Das Stoppelfeld (1934) u. a. Der Faschisierungsprozeß der Bourgeoisie enthüllte immer stärker ihr antihumanes Antlitz und rief ganz natürlich den Protest der Volksmassen hervor, der nicht selten in revolutionäre Kämpfe mündete. Der bulgarische Septemberaufstand 1923 war der erste antifaschistische Aufstand in Europa. So erklärt sich auch, daß in Bulgarien bereits in den zwanziger Jahren eine antifaschistische Literatur entstand. Geo Milev verglich die Untaten der bulgarischen Faschisten mit den Exzessen des amerikanischen Ku-Klux-Klan (Poem September, 1925), Nikola Furnadziev schuf das Bild des rasenden Wolfsrudels und prangerte die Bestialität der nach dem faschistischen Umsturz vom Jahre 1923 an die Macht gekommenen Kräfte an (Gedichtband Frühlingswind, 1924). Anton Strasimirov entlarvte die Unmenschlichkeit des Faschismus in seinem Roman Der Reigentanz (1926). Bei der Suche nach einem Ausweg näherten sich die Schriftsteller dem Volke, und in ihrem Schaffen fanden revolutionäre Ideale künstlerische Gestaltung. Der Faschismus verletzte und empörte das Gewissen der Welt. Als er in den dreißiger Jahren zu einer Bedrohung der Menschheit wurde, traten viele Repräsentanten der demokra90
tischen Intelligenz gegen ihn auf. Darunter befanden sich keineswegs nur revolutionäre Schriftsteller, wie das Beispiel Karel Capeks zeigt. Sein Grundanliegen jener Jahre war der Protest gegen die Verunstaltung und Entmenschlichung sozialer Beziehungen. Vom satirischen Angriff auf den Faschismus (Der Krieg mit den Molchen, 1936) gelangte er zur Bejahung des aktiven Kampfes gegen ihn (im Drama Die Mutter, 1938). Das zeugt von den grundlegenden Veränderungen, die sich auch in der künstlerischen Methode des Schriftstellers vollzogen hatten. Ein Capek-Forscher schrieb über die Zukunftsvorstellungen des Schriftstellers: „Er nahm nicht die Ideen des Klassenkampfes, der revolutionären Gewalt und der Diktatur des Proletariats an. Obwohl er mit den .Methoden' nicht einverstanden war und zeitweilig gegen die revolutionären Kräfte des Landes polemisierte, bekannte er, daß er mit dem Sozialismus und dem Kommunismus ,in der Mehrzahl ihrer Ideale' übereinstimme." 94 Wir befassen uns hier ausschließlich mit der sozialen Problematik, denn an ihr lassen sich die neuen Prozesse der Literatur am deutlichsten ablesen und verschiedene Gestaltungsweisen aufzeigen. In unserer Epoche breiter revolutionärer Bewegung wuchs bei den Schriftstellern das Geschichtsbewußtsein außerordentlich. Die Ablehnung der bürgerlichen Wirklichkeit verband sich immer häufiger mit der Darstellung des revolutionären Kampfes der Volksmassen. Gerade in dieser Evolution, im Erstarken des bewußten Historismus, treten wesentliche konzeptionelle Veränderungen im Realismus zutage: Er wendet sich einer solchen Betrachtung der Welt und des Menschen zu, die aus dem Labyrinth der antagonistischen gesellschaftlichen Widersprüche herauszuführen vermag. Natürlich verlief diese Entwicklung bei den einzelnen Schriftstellern unterschiedlich, insgesamt aber handelte es sich um eine äußerst wichtige Tendenz in der realistischen Weltliteratur nach der Oktoberrevolution. Zu Erwägungen über eine bessere soziale Ordnung der Gesellschaft gelangten die Schriftsteller durch ihren Humanismus. So stellt Maria D^browska in dem Novellenband Die Menseben von drüben (1925) sowie im Romanzyklus Nächte und Tage 91
(1932—1934) mit größter Anteilnahme das Leben der einfachen Werktätigen dar. Diese Werke knüpfen an die humanistische Tradition des Realismus im 19. Jahrhundert an. Gleichzeitig zeichnen sie sich durch neue Züge aus. Charakteristisch für den Romanzyklus ist der Historismus, der der Autorin gestattet, ein breites Bild des gesellschaftlichen Lebens in Polen am Ausgang des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts zu zeichnen. Die Geschichte der Niechcic und Ostrzenski ist nicht nur die Geschichte zweier Familien, sondern weit mehr: In die Erzählung ist eine ganze Epoche einbezogen, es werden Schicksale verschiedener Klassen gezeigt, der Niedergang der Schlachta und der Aufstieg der Bourgeoisie sowie das soziale und moralische Antlitz der bürgerlichen Intelligenz. Vor uns liegt nicht eine in sich geschlossene Familienchronik, sondern ein sozialer Roman von großer Verallgemeinerungskraft. Die Ideale der Schriftstellerin orientieren sich an den arbeitenden Menschen; in ihnen erblickt sie die positiven Grundlagen des Lebens. Wann immer Maria D^browska über die Zukunft Polens spricht, bezieht sie sozialistische Ideen in den Kreis ihrer Überlegungen ein; darüber reden und streiten die Helden des Romans. Das ist eine symptomatische Reaktion auf die revolutionäre Atmosphäre der Zeit. Diese Wandlungen innerhalb des kritischen Realismus kann man auch im Schaffen von Zofia Nalkowska beobachten. In ihrem Roman Die Schranke gibt es scharf profilierte Vertreter der Stadtarmut. 1933 trat Zofia Naikowska der literarischen Gruppierung Vorstadt bei, deren ästhetische Grundsätze sich von denen der bürgerlichen Ästhetik deutlich unterschieden. Die Mitglieder dieser Vereinigung schrieben in einer programmatischen Erklärung: „Der Name der Vereinigung hat symbolische Bedeutung. Er meint nicht nur die Peripherie der Stadt, sondern auch all das, was in Polen an der Peripherie der Kultur liegt, nämlich: die nationalen Minderheiten sowie das Proletariat in Stadt und Land." 95 Zofia Nalkowska ging — ebenso wie einige andere Schriftsteller der Vorstadt — nicht über die Grenzen des kritischen Realismus hinaus. Aber ihre Hinwendung zu neuen sozialen und ästhetischen Kriterien ist beachtenswert. Ein sehr anschauliches Beispiel für die Herausbildung neuer 92
Tendenzen im kritischen Realismus ist das Schaffen Stefan Zeromskis. Als hervorragender Romancier beeinflußte er nachhaltig die polnische Literatur. Seine Suche nach gesellschaftlichen Orientierungspunkten ist charakteristisch für das, was sich nach der Großen Sozialisaschen Oktoberrevolution in der Weltliteratur vollzog. Zeromski war ein Schriftsteller mit stark ausgeprägter gesellschaftlicher Verantwortung. Bereits in seinen ersten literarischen Arbeiten bezeugte er innige Anteilnahme am sozialen Schicksal des werktätigen Volkes. Die Revolution der Jahre 1905—1907 übte nachhaltigen Einfluß auf sein Schaffen aus. In den publizistischen und künstlerischen Werken dieser Jahre gestaltete er das Bild der revolutionären Volksmasse, den „heiligen Proletarier", der voll romantischer Zukunftshoffnung in den Kampf zieht (Der Traum vom Degen, 1905). Voll Begeisterung und Bewunderung für den Willen des aufständischen Volkes wird eine Arbeiterdemonstration beschrieben (Die nackte Straße, 1906). Freilich besaß Zeromski nur sehr unklare Vorstellungen von den Wegen und Mitteln des Kampfes und zeigte kein Kampfbewußtsein. Er hegte die Illusion, die besitzenden Klassen würden von selbst die Überlegenheit einer anderen, auf sozialer Gerechtigkeit beruhenden Gesellschaftsordnung einsehen. Der leidenschaftliche Freiheitswille des Volkes verband sich bei ihm mit dem utopischen Glauben an die Möglichkeit einer gesellschaftlichen Veränderung auf friedlichem Wege. Zeromski war ein Mensch von kristallklarer Lauterkeit. Er konnte nicht nur mit anderen, sondern auch mit sich selbst scharf ins Gericht gehen, wenn er glaubte, im Unrecht zu sein. Die Suche nach neuen Wegen in der gesellschaftlichen Entwicklung Polens stand im Mittelpunkt seines geistigen Ringens. Es ist klar, daß sie nach der Oktoberrevolution an Schärfe zunehmen mußte. Zur Klärung setzte er nicht zuletzt publizistische Mittel ein. Die Stellung Zeromskis zur Oktoberrevolution war kompliziert und widerspruchsvoll. Einerseits sah er in ihr ein Ereignis von historischer Tragweite, durch das die Macht der Ausbeuter gebrochen wurde, andererseits eine grausame, zer93
störerische, mit den Prinzipien des Humanismus unvereinbare Kraft. Wie sollte nach seinen Vorstellungen der gesellschaftliche Fortschritt nun aussehen? Vorfrühling (1925) ist ein Roman intensiver Erwägungen und quälender Suche nach gesellschaftlicher Wahrheit. Nicht von ungefähr enthält er so viele Streitgespräche und Diskussionen. Der Verfasser läßt bewußt verschiedene Anschauungen aufeinanderprallen, wobei er bemüht ist, sie objektiv zu interpretieren. Er experimentiert gewissermaßen, ohne ein eigenes Programm auch nur in annähernd festen Umrissen zu formulieren. Aber die objektive Atmosphäre des Romans erlaubt es dennoch, Schlüsse über die Beurteilung der vorgestellten Konzeptionen zu ziehen. Nach den Worten einer Zeromski-Forscherin ist der Vorfrühling „ein Entwicklungsroman, dessen Held nach der Wahrheit des Lebens sucht, auf diesem Wege mit verschiedenen Menschen und Problemen in Berührung kommt und das Leben in seinen verschiedenen Erscheinungsformen beobachtet" 9ß . Die Beobachtungen Cezary Barykas sowie seine daraus resultierenden Handlungen bilden den gedanklichen Kern des Werkes. Der Vater Cezarys entwirft im Bemühen, den Sohn zur Rückkehr nach Polen zu bewegen, in seinen Erzählungen ein phantastisches Bild vom Wohlstand des Landes, in dem angeblich eine herrliche „gläserne Epoche" begonnen hat. Tatsächlich gab es aber nichts dergleichen. Baryka sah nur deprimierende soziale Kontraste. Mit diesen Bildern widerlegte Zeromski die eigenen Illusionen — seine frühere Überzeugung, auch ohne Revolution könne die wunderbare Zeit der „gläsernen Häuser" anbrechen. Gemeinsam mit seinem Helden Baryka sucht er nach anderen Wegen zur Verbesserung der Gesellschaft, die er für unaufschiebbar hält: „Polen braucht so schnell wie möglich, ja unverzüglich eine große Idee. Mag es eine Agrarreform sein oder der Aufbau einer neuen Industrie, auf jeden Fall irgendeine große Sache, die die Menschen in sich einsaugen können wie die Atemluft". Wenn Zeromski die Oktoberrevolution auch nicht in allem verstand, empfand er ihre objektiven Ergebnisse doch als einen 94
Akt historischer Gerechtigkeit. Er "bezeichnete sie als „einen grandiosen Versuch zur Verbesserung der Menschheit". Sie erschien ihm als jene „große Sache, die die Menschen in sich einsaugen können wie die Atemluft". Zu derartigen Schlußfolgerungen führt uns die objektive Logik der Handlung und die Entwicklung der Gestalten. Wenn Baryka auch zweifelt und schwankt, neigt er doch immer stärker der Wahrheit der Kommunisten zu, und am Schluß des Buches sehen wir ihn als Teilnehmer einer Arbeiterdemonstration. Ungeachtet gelegentlicher Inkonsequenz und Widersprüchlichkeit hat Zeromski doch die gewaltige Bedeutung der Ideen der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution für den gesellschaftlichen Fortschritt im 20. Jahrhundert bezeugt. Darin liegt die Stärke seines Realismus. Mehr noch — darin zeigten sich schon damals die neuen Tendenzen der demokratischen Literatur, die sich der sozialistischen Weltanschauung näherte. Der serbische Dichter Aleksa Santic gestaltete bereits am Ausgang des vorigen und zu Beginn dieses Jahrhunderts die soziale Rechtlosigkeit der Volksmassen. Als erster unter den kritischen Realisten seines Landes wandte er sich der Thematik der Arbeiterklasse zu. In seinem Gedicht Die Koblekumpel (1912) ist vom schweren Los der Proletarier die Rede. Freilich sah der Dichter noch keinen Ausweg aus dieser Situation. Mitleid verbindet sich mit Ohnmacht angesichts der bestehenden Gesellschaftsordnung. Als 1918 der gemeinsame Staat der Serben, der Kroaten und der Slowenen gegründet wurde, hegte Santic zunächst die Hoffnung, daß im Lande die wahre Freiheit zum Siege gelangen würde. Aber die Realität zerstörte schon bald seine Illusionen — die auf soziale Ungleichheit gegründete Gesellschaftsordnung wurde nicht verändert. Der Dichter sah sich erneut vor die Frage nach den Wegen und den Möglichkeiten für die Verwirklichung wahrhaft humanistischer Ideale gestellt. Wieder erstand in seiner Dichtung das Bild des Arbeiters {Liedunter Tage, 1920). Aber jetzt beschränkte sich der Dichter nicht mehr darauf, Mitleid mit seinem Helden auszudrücken. Er erkannte im Arbeiter die Kraft, die imstande ist, die Welt zu verändern. Das Gedicht ist durchdrungen von dem Glauben, daß die hoch erhobene Fahne den Brüdern „mit den Strahlen des Sieges leuchtet".97 95
In der zweiten Hälfte der zwanziger Jahre suchte Anton Strasimirov, erschüttert von der Grausamkeit der Faschisten und ihrer barbarischen Moral, nach einer Kraft, die ihnen Widerstand entgegenzusetzen vermag und erkannte diese Kraft in den Kommunisten. Gestalten von Kommunisten treffen wir in seinem Roman Der Reigentanz an. So schrieb Georgi Canev: „Damit, daß Strasimirov in seinem Roman kommunistische Helden zeichnet, wenn auch nicht richtig, führte er in den kritischen Realismus der Nachkriegszeit ein neues Moment ein: den Glauben an einen revolutionären Ausweg aus dem historischen Klassenkampf in der kapitalistischen Gesellschaft, einen Ausweg, dessen Träger die kommunistischen Kämpfer sind." 98 Diese sich im Realismus vollziehenden Veränderungen stehen im Zusammenhang mit den Veränderungen seiner ideologischen Grundlage. Einige Schriftsteller nahmen die neue Weltanschauung nur zum Teil an, andere drangen so tief in sie ein, daß ihr Realismus eine neue Qualität erreichte — er wuchs hinüber in den sozialistischen Realismus. Ein anschauliches Beispiel dafür bietet der Schaffensweg der Marie Pujmanovä. Er begann im zweiten Jahrzehnt unseres Jahrhunderts. Ihre ersten Erzählungen sowie die Novelle Unter den Fittieben (1917) zeichnen sich durch feine psychologische Beobachtung aus, worin sich eine Besonderheit ihres Talents ausdrückt. Die psychologische Analyse ist in ihren Frühwerken jedoch auf das Privatleben der Helden beschränkt. Dabei geht die Verfasserin von den abstrakten moralischen Kriterien Gut und Böse aus, während ihr die sozialen Beziehungen innerhalb der Gesellschaft fernbleiben. Später erweitert sich ihre Weltsicht. Im Roman Die 'Patientin des Dr. Hegel (1931) wird die Heldin, Karla Janotovä, als unabhängige Frau gezeichnet, die im Gegensatz zu den Traditionen der bürgerlichen Moral frei über ihre Liebe entscheidet. Karla hat die Tragödie betrogener Liebe durchlebt, ist vereinsamt, aber nicht zerbrochen. Natürlich wendet sich Pujmanovä hier objektiv gegen die bürgerliche Moral, aber es ist doch ein begrenzter Protest, weil sie die Ursachen menschlicher Tragödien nicht in den gesellschaftlichen Bedingungen sucht, sondern im individual-ethischen Bereich verharrt. In96
folgedessen ordnet sich die äußerst feinfühlige psychologische Analyse nicht in das Gesamtbild der Wirklichkeit ein. Das Werk behält kameralen Charakter. Die Pujmanovä-Forschung" führt zahlreiche Belege für das Bemühen der Schriftstellerin an, die in der Welt und in ihrer Heimat vor sich gehenden Ereignisse tiefer zu erfassen. Die revolutionären Aktionen der Werktätigen in der Tschechoslowakei wirkten nachhaltig auf die Formung ihrer Persönlichkeit. Die Begegnungen mit Julius Fucik sowie die im Jahre 1932 unternommene Reise in die Sowjetunion — ihr Ergebnis ist die Reportage Blick in ein neues Land, die begeistert vom Aufbauelan und dem schöpferischen Enthusiasmus der Sowjetmenschen berichtet — erschlossen ihr eine neue Weltsicht. Sie trat dem Kreis der revolutionären Schriftsteller bei und publizierte in der kommunistischen Presse. Die neuen Anschauungen veränderten auch ihre künstlerische Methode. Was bisher als Summe verschiedenartiger, oft tiefschürfender Beobachtungen hervorgetreten war, wurde jetzt durch eine klare Konzeption der Wirklichkeit bestimmt. Die Schriftstellerin erkannte Notwendigkeit und Möglichkeiten der Darstellung des gesellschaftlichen Lebens in seiner ganzen Breite und Komplexität. Ihr Roman Menseben am Kreuzweg (1937) war unstreitig bereits ein hervorragendes Werk des sozialistischen Realismus. Das Neue an diesem Roman ist vor allem die breite Erfassung der Wirklichkeit. Marie Pujmanovä zeichnet verschiedene soziale Schichten — Arbeiter, Bürger und Angehörige der Intelligenz und stellt sie in ihren realen Wechselbeziehungen dar. Der Leser hat ständig das Gefühl, den objektiven Ablauf der Geschichte zu verfolgen. Obwohl im Roman die Schicksale zweier Familien — Gamza und Urban — einen großen Raum einnehmen, haben wir keine Familienchronik vor uns, die sich auf die Darstellung des Privatlebens der Romanhelden beschränkt, sondern einen vielschichtigen sozialen Roman, in dem sich die persönlichen Schicksale der Menschen in der wechselseitigen Verflechtung mit ihrem gesellschaftlichen Sein entwickeln. Nie zuvor hatte Marie Pujmanovä eine solche Einheit in der Darstellung des individuell Unwiederholbaren und des Allgemeinen erzielt 7
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wie in diesem Roman. Jede Gestalt ist konkret individualisiert und trägt doch zugleich Züge bestimmter allgemeiner sozialer Erscheinungen. Das gilt beispielsweise für die Gestalten des Industriemagnaten Kazmar, des Rechtsanwalts Gamza und der Arbeiter Ondrej und Frantisek. Pujmanoväs psychologische Analyse hat hier an Kraft gewonnen, weil die in der objektiven Welt wurzelnden Ursachen der psychischen Bewegung in ihr Blickfeld rückten. Sie sah den Zusammenhang zwischen der Psyche des Individuums und seinem sozialen Bewußtsein, und dieser wurde für sie zum Prinzip der Darstellung menschlicher Charaktere. So zeichnet sie die geistige Entwicklung des Arbeiters Ondrej Urban — von einem naiven Glauben an der Herren Vernunft und Güte bis zur Erkenntnis der Unausweichlichkeit des revolutionären Kampfes gegen sie — als wachsenden Strom seelischer Erlebnisse. Erinnern wir uns nur an den Augenblick, als Ondrej Zeuge wird, wie in Nechleby auf streikende Arbeiter geschossen wird! Er ist erregt und erschüttert. Seine Überlegungen verfolgen wir in Form eines inneren Monologs, worin sich unruhige, mitunter qualvolle Suche nach der Wahrheit spiegelt. So wird die Veränderung des ganzen Wesens eines Menschen überzeugend dargestellt, der sich von Illusionen freimacht und den Weg des revolutionären Kampfes beschreitet. Marie Pujmanovä schildert, wie das revolutionäre Bewußtsein der Arbeiter wächst. Sie überwand die abstrakten humanistischen Kriterien ihrer Frühwerke und verfolgte jetzt, den Weg zur revolutionären Veränderung der Gesellschaft zeigend, eine klare ideologische Linie. Auf diesem Geschichtsverständnis basiert ihr sozialistischer Humanismus. Die Herausbildung neuer Züge im Realismus des 20. Jahrhunderts, die sich unter dem Einfluß der sozialistischen Ideen vollzog, ist charakteristisch für viele Nationalliteraturen. Bei nüchterner Analyse des gesellschaftlichen Lebens bemühten sich die demokratischen Schriftsteller, die neuen Entwicklungen zu erfassen und näherten sich in vieler Hinsicht der sozialistischen Literatur, an deren Aufbau sie objektiv teilhaben. Diese Entwicklung des kritischen Realismus demonstriert die Bewegungsrichtung des künstlerischen Fortschritts 98
im 20. Jahrhundert, Neuleistung und Perspektive weltliterarischer Entwicklung. In welcher Beziehung stehen die anderen literarischen Strömungen des 20. Jahrhunderts zum sozialistischen Realismus? Das ist eine komplizierte Frage. Wir stellen uns hier nicht die Aufgabe, die ganze Vielfalt dieser Strömungen darzustellen. Jede einzelne würde eine konkret-historische Betrachtung erfordern. Aber es erscheint uns möglich und notwendig, zwei Entwicklungslinien herauszuarbeiten, deren jede mehrere Erscheinungen miteinander verbindet. Das Unterscheidungskriterium ist die Frage nach dem Verhältnis der Kunst zur Wirklichkeit. Angesichts der zugespitzten gesellschaftlichen Widersprüche gerieten viele Schriftsteller bekanntlich unter den Einfluß der verschiedensten idealistischen Konzeptionen. Für ihr Schaffen sind die Flucht in den Subjektivismus sowie die Abkehr von der künstlerischen Erkenntnis der objektiven Welt charakteristisch. Darin wird die Krise der bürgerlichen Kultur offenbar, für deren Kennzeichnung in der sowjetischen Literaturwissenschaft der Terminus „Modernismus" üblich ist. Das ist freilich eine konventionelle Bezeichnung. Die Literaturwissenschaftler verwenden sie nicht selten unter Vorbehalt, um die Notwendigkeit eines differenzierten Herangehens an die unterschiedlichen Erscheinungen zu unterstreichen, die gewöhnlich unter dem Begriff „Modernismus" zusammengefaßt werden. Wenn M. B. Chrapcenko sagt, die Genesis der sozialistischen Literatur habe sich in Rußland und in anderen Ländern „in einer Zeit starker literarischer Gärung, in einer Zeit der Blüte des Modernismus und der Dekadenz" vollzogen, so unterstreicht er mit vollem Recht die Notwendigkeit, die extrem reaktionäre Literatur — Erscheinungen „der Zersetzung, der Apologie des Kolonialismus, des Kults des rücksichtslosen Zivilisators" — von solchen Erscheinungen zu unterscheiden, wie sie der Symbolismus mit seinen inneren Widersprüchen darstellt. Es handelt sich um innere Widersprüche im Schaffen von Schriftstellern, die die Krise der bürgerlichen Kultur empfanden. Einige verharrten in den Grenzen des symbolistischen Systems, andere bemühten sich um T
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Überwindung seiner Prinzipien.100 Diese Prinzipien werden als Gegensatz zur demokratischen und sozialistischen Literatur betrachtet 101 , und man muß annehmen, daß sie die Grenzen des oben erörterten Begriffs „Modernismus" nicht überschreiten. In diesem Sinne verwenden auch wir den Terminus „Modernismus", denn ohne ihn kommt man bei der Verallgemeinerung bestimmter literarischer Erscheinungen offensichtlich nicht aus, deren Repräsentanten einen Ausweg aus der Krise der bürgerlichen Kunst im Subjektivismus, abseits der objektiven künstlerischen Erkenntnis des Menschen und der Welt, gesucht haben. Es gibt jedoch auch Erscheinungen, die man nicht mit dem „Modernismus" in einen Topf werfen darf. Das sind die „linken" oder, wie sie in einigen Ländern heißen, „avantgardistischen" Strömungen der zwanziger und der dreißiger Jahre. Sie werden nicht immer klar von den anderen Strömungen getrennt. Zur Bezeichnung nicht nur dieser, sondern ganz allgemein all jener literarischen Strömungen des 20. Jahrhunderts, die sich vom kritischen und vom sozialistischen Realismus unterscheiden, verwenden einige Literaturwissenschaftler in den sozialistischen Ländern den allgemeinen Terminus „Moderne" („Modernität") in der eindeutigen Bedeutung: „gegenwärtig", „neu". Das Kriterium für die Zugehörigkeit zur „Moderne" ist die Neuheit der Gestaltungsmittel (manchmal spricht man von einer „Revolution der Form") im Gegensatz zu allem Traditionellen. Ein ähnlicher Inhalt wird manchmal auch in den Begriff „Avantgardismus" hineingelegt. Ein derartiges Kriterium für die Einschätzung dieser Strömungen bedeutet jedoch keinen Beitrag zur Bestimmung ihres eigentlichen Wesens. Das Fehlen eines konkret-historischen Herangehens sowie das Abstrahieren vom Kriterium der künstlerischen Erkenntnis der Welt führen zu einer Nivellierung von Strömungen unterschiedlicher ideologisch-ästhetischer Zielsetzung, machen es unmöglich, sie richtig zu erkennen und das Spezifische der linken literarischen Strömungen zu bestimmen, in denen sich — wenn auch nicht konsequent, sondern widersprüchlich — die revolutionären Gesellschaftsideale der Epoche spiegelten. 100
Wenn noch vor einiger Zeit Anschauungen weit verbreitet waren, deren Verfechter die komplizierten Prozesse vulgarisierten und alle diese Strömungen in Bausch und Bogen der bürgerlich-reaktionären Literatur zurechneten, so gibt es jetzt nicht selten Versuche, diese Strömungen zu nivellieren, sie miteinander zu vermengen und alle (wieder in Bausch und Bogen) für ausgesprochen neu, avantgardistisch und revolutionär zu erklären. Nur eine konsequent historische Methode ermöglicht es, zu einem objektiven Verständnis des Charakters der verschiedenen literarischen Strömungen zu gelangen. Ein wirklich künstlerisches Neuerertum ist nicht zu trennen von den fortschrittlichen Idealen der Zeit, von der Darstellung des neuen Menschen, vom revolutionären Humanismus. Das ist das entscheidende Kriterium für die wahrhaft avantgardistische Kunst des 20. Jahrhunderts. Um die verschiedenen literarischen Erscheinungen aber auf Grund dieser Kriterien bewerten zu können, muß man äußerst differenziert vorgehen. Die Unterscheidung von zwei Entwicklungslinien im oben dargelegten Sinne — der modernistischen und der links-avantgardistischen — ist eine wichtige methodologische Voraussetzung für präzise Untersuchungen sowohl des literarischen Prozesses im 20. Jahrhundert insgesamt als auch der konkreten ästhetischen Funktion einzelner Erscheinungen innerhalb dieses Prozesses. Betrachten wir unter diesem Gesichtspunkt einige Züge des Modernismus und der linken Strömungen in ihrem Verhältnis zum sozialistischen Realismus! Auf dem VI. Internationalen Slawistenkongreß in Prag analysierte D. D. Blagoj in einem interessanten Referat einige Entwicklungsprobleme der Sowjetliteratur in den Jahren 1917 bis 1920. In seiner eigenwilligen Einleitung stellte er eine „scheinbar völlig paradoxe" 102 Tatsache fest. Er analysierte nämlich den russischen Modernismus am Ausgang des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts als eine „aggressiv-individualistische, gesellschaftsfeindliche Erscheinung" und führte weiter aus: „Um so verwunderlicher mag es erscheinen, daß unter der doch äußerst geringen Zahl von Schriftstellern, die sich sofort entschieden auf die Seite der Oktoberrevolution stellten und die ersten unzerstörbaren Fundamente für das Gebäude der 101
entstehenden Sowjetliteratur legten, die größten und bedeutendsten Vertreter gerade dieses russischen Modernismus zu finden sind." Die Geschichte der Weltliteratur kennt nicht wenige Fälle, daß ehemalige Vertreter des Modernismus zu Verkündern der sozialistischen Revolution wurden. Natürlich erhebt sich die Frage: Wie ist das zu erklären? War der Übergang vom Modernismus zur sozialistischen Kunst ein einheitlicher Prozeß, eine Evolution oder der Umschlag von einer Qualität in eine andere infolge eines ideologisch-ästhetischen Bruchs im Schaffen der Schriftsteller? Bei der Suche nach einer Antwort auf diese Fragen war Blagoj geneigt, „von einer gewissen inneren Gesetzmäßigkeit" zu sprechen, die in der Philosophie und der Ästhetik des Modernismus begründet sei. In diesem Zusammenhang sagte er: „Die philosophische und ästhetische Grundlage des russischen Symbolismus ist die romantische Weltsicht. . . Der charakteristische Zug dieser Weltsicht, ihre starke Seite, war die entschiedene Ablehnung der zeitgenössischen Realität mit all ihrer Kleinlichkeit, ihrer Nichtigkeit, dem Fehlen großer Persönlichkeiten und dem Mangel an heroischen Taten, die des Menschen würdig wären." m Unbestreitbar geht es hier um gewisse Gesetzmäßigkeiten, doch sind sie nicht klar genug charakterisiert. Die „romantische Weltsicht" kann nämlich verschiedene Zielsetzungen haben, und unter den Bedingungen tiefer sozialer Widersprüche kann die „entschiedene Ablehnung der zeitgenössischen Realität" von ganz unterschiedlichen Positionen aus erfolgen. Das war auch beim Modernismus der Fall — darin bestand seine Mannigfaltigkeit, die verschiedene Künstler in verschiedene Beziehungen zur Welt stellte. Diese Unterschiede treten in Zeiten gesellschaftlicher Erschütterungen klar zutage; davon zeugt beispielsweise der tiefgreifende ideologische und ästhetische Differenzierungsprozeß in den Reihen der russischen Symbolisten unmittelbar nach der Oktoberrevolution. Will man die Annäherung der Symbolisten an die Revolution ergründen, wäre es also richtiger, von dieser Mannigfaltigkeit innerhalb des Modernismus zu sprechen und nicht von einer Fortschrittlichkeit des ganzen Systems oder seiner philosophischen und ästheti102
sehen Prinzipien. Unter Mannigfaltigkeit verstehen wir dabei die Besonderheiten der subjektiven, individuellen Position der Schriftsteller, die unterschiedlichen Auffassungen dieser oder jener modernistischen Schule. Der Symbolismus wurde auch als eine Form des Protestes gegen die damalige Gesellschaftsordnung und zugleich als eine Form des Kampfes für die Erneuerung der künstlerischen Ausdrucksmittel verstanden. Obwohl die ästhetischen Prinzipien des Modernismus die Verwirklichung solcher subjektiven Bestrebungen nicht förderten, sondern im Gegenteil in eine Sackgasse führten, spielte diese Haltung doch eine nicht unwichtige Rolle — sie ließ die Dichter den tragischen Zwiespalt ihrer Lage erkennen, veranlaßte sie, nach einem Ausweg zu suchen, und war letztlich die Voraussetzung für ihren Bruch mit den philosophisch-ästhetischen Prinzipien des Modernismus. Das künstlerische Ergebnis dieser Haltung war eine tragische Lyrik, die sich vom flachen Pessimismus der Dekadenz grundlegend unterscheidet und als ein bedeutender Beitrag zur fortschrittlichen Kunst des 20. Jahrhunderts anzusehen ist. In diesem Zusammenhang ist das Verhältnis Gorkis zu den Vertretern des westlichen und des russischen Modernismus von grundsätzlicher Bedeutung. Gorki verhielt sich äußerst ablehnend gegen Werke, aus denen Hoffnungslosigkeit und Unglaube an den Menschen sprachen; er wollte ihn nicht als beklagenswertes und nichtiges Wesen dargestellt sehen. Hingegen schätzte er Werke, aus deren Tragik Unzufriedenheit mit dem Bestehen und Streben nach Erhabenem zu vernehmen war. So schrieb er über Paul Verlaine: „In seinen stets melancholischen und von tiefem Schmerz erfüllten Versen ist immer das Schluchzen der Verzweiflung zu hören, ist der Schmerz einer zarten, feinen Seele zu spüren, die nach Licht und Reinheit verlangt, die Gott sucht und nicht findet, die die Menschen lieben will und es nicht vermag." 105 Er würdigte auch die Dichtung Charles Baudelaires, vor allem seine Blumen des Bösen, denn er sah in ihm einen Dichter, der „im Bösen lebend das Gute liebte" 106 . Mit aller Entschiedenheit lehnte er dagegen Fedor Sologub und Dmitrij Sergeevic Merezkovskij wegen ihres Antihumanismus und ihres Kampfes gegen den sozialen Fortschritt ab, während er sich noch vor der Oktoberrevolu103
tion aufmerksam und mitfühlend Valerij Jakovlevic Brjusov und später auch Aleksandr Aleksandrovic Blok zuwandte. Blok und Brjusov ihrerseits näherten sich Gorki bei ihrer gesellschaftlichen und künstlerischen Wahrheitssuche. Mit anderen Worten, Gorki erkannte bei Schriftstellern, die auf diese oder jene Weise mit dem Modernismus verbunden waren, durchaus verschiedene Positionen und Tendenzen ihres Schaffens. Bei der Frage nach dem Verhältnis von Modernismus und sozialistischer Literatur ist es außerordentlich wichtig, den individuellen Entwicklungsweg der Künstler zu verfolgen, ihren besonderen Platz innerhalb der modernistischen Strömungen sowie den Grad ihrer Beeinflussung durch die revolutionären Ideen zu bestimmen, die ihre ästhetischen Positionen radikal zu verändern vermochten. All das zeigt Blagoj überzeugend an Hand des Werkes von Brjusov und von Blok. Seine Analyse unterstreicht Brjusovs Worte: „Die großen Ereignisse im zweiten Jahrzehnt dieses Jahrhunderts, der europäische Krieg und die Oktoberrevolution, haben mich angeregt, meine ganze Weltanschauung in ihrer Basis und in ihrem Wesen zu revidieren. Der Umbruch des Jahres 1917 war auch für mich persönlich ein tiefgreifender Umbruch: Auf jeden Fall sehe ich mich vor und nach diesem Wendepunkt völlig anders." 107 In diesem Zusammenhang ist der Schaffensweg Ljudmil Stojanovs, sein Weg vom Symbolismus zum sozialistischen Realismus, von großem Interesse. Der Schriftsteller hat jeden seiner Schritte im wahrsten Sinne des Wortes durchlitten. Wie kam er zur revolutionären Literatur? Zu Beginn unseres Jahrhunderts begann Stojanov als Symbolist. In einem seiner Aussprüche heißt es, die für den Symbolismus charakteristische „Flucht aus dem Leben" sei „ein ungeschriebener Protest, ein stummer Fluch gegen die grausame Verknöcherung eines Lebens, in dem Wohlstand und Glück der einen und das Elend der anderen als ewig erscheinen" 108. Das waren die subjektiven Vorstellungen des Dichters, aber die von ihm angenommenen Prinzipien des Symbolismus spielten objektiv eine andere Rolle. Stojanov trat damals gegen den Realismus auf und verkündete als Urgrund der Kunst den 104
Kult der „reinen Schönheit". Infolgedessen geriet er in eine Sackgasse, was ihm allmählich klar wurde. Schon in seinem frühen Schaffen klang tragisch das Gefühl der Einsamkeit an: Dem Dichter fiel es schwer, „im Elfenbeinturm des Schmerzes" zu leben {Mein Schmerz), und er wünschte, sein „trügerisches, unirdisches Entzücken" zu Grabe zu tragen (Einsamkeit). Die Balkankriege und der erste Weltkrieg trugen zur Entwicklung des gesellschaftlichen Bewußtseins des Dichters bei. Er war selbst an der Front und stand dem Völkermorden Auge in Auge gegenüber. Der „Elfenbeinturm des Schmerzes" zerbarst, und in Stojanovs Poesie hielt fortan das Volk mit seinen irdischen Sorgen Einzug (Gedicht Die Mutter u. a.). Oktoberrevolution, Septemberaufstand 1923 und Sowjetkultur waren die entscheidenden Faktoren, die einen Umbruch in Stojanovs ideologisch-künstlerischer Entwicklung bewirkten. Seine Hinwendung zur revolutionären Literatur bedeutete eine Absage an den Symbolismus und Aufbau einer neuen künstlerischen Weltsicht. 1935 sagte er über sein Schaffen der Jahre 1918—1923: „Damals habe ich begonnen, die Dinge zu vereinfachen, eine trügerische Maske der .Kultur* nach der anderen abzulegen, das verschlissene Gewand des .Idealismus' und der .göttlichen Begeisterung' abzuwerfen, um dafür etwas Positives und Dauerhaftes zu erlangen — die Wahrheit." 109 In den zwanziger Jahren suchte Stojanov fieberhaft nach neuen Wegen in der Kunst, aber nicht in isoliert formalen Experimenten, sondern in der Lösung des Problems Kunst und Wirklichkeit. Immer häufiger wandte er sich der Publizistik zu. Begierig verfolgte er die Ereignisse in der Welt und in seinem Heimatland und stellte Betrachtungen über den neuen Menschen an. Im Jahre 1923 schrieb er in einem Artikel: „Dieser neue Mensch und seine neue Weltanschauung gehen von Rußland aus. Dort hat der Mensch zwischen den Bränden und Schrecken der Revolution die Verbundenheit mit dem Urgrund des Seins am stärksten empfunden . . . , hat sich dem Herzen des Lebens, dem Urgrund aller Dinge genähert." 110 Rationales Denken und schonungslose Selbstanalyse kennzeichnen viele Gedichte Stojanovs. In der Reflexion seines früheren Schaffens bedauert er „das Vierteljahrhundert ziellosen Herumirrens im Lande der Chimären und Windmühlen. . . 105
die leere Jagd nach toten Illusionen" (Beichte). Sein neues Bewußtsein erscheint ihm daher als „das Ende des Kerkers", als „Neugeburt" ( M e t a p h y s i k ) . In Stojanovs Werken entfaltete sich die soziale Anklage — ein dem Symbolismus völlig fremder Zug. Die Symbolisten lehnten bekanntlich den kritischen Realismus und den Realismus überhaupt zugunsten irrationaler „Visionen" ab. Wem es aber gelang, zu einem objektiven Verständnis des gesellschaftlichen Lebens vorzustoßen, der kam unweigerlich mit dem Realismus in Kontakt, und dieser formte allmählich sein Schaffen um. Ebenfalls 1923 erschien Stojanovs Erzählband Die Barmherzigkeit des Mars, in dem die Willkür militärischer Macht gegen die Zivilbevölkerung angeprangert wird. Am Ausgang der zwanziger und zu Beginn der dreißiger Jahre vertiefte sich seine Kritik an der Bourgeoisie und ihrer Intelligenz (Erzählung Die Silberhochzeit des Obersten Matov, 1929). Er wurde zum aktiven Streiter in der antifaschistischen Bewegung, und es festigte sich seine revolutionäre Weltanschauung. Stojanovs Humanismus wandelte sich von Grund auf. Ihn befriedigten nicht mehr die Kritik an der Bourgeoisie und ein lediglich passives Mitleid mit dem Volke. Er suchte einen Weg zur Veränderung der sozialen Verhältnisse. In seinen Werken tauchten Motive des revolutionären Aufbegehrens und des Kampfes auf. Der Glaube an die Kraft des Volkes spricht aus seinem Gedicht Die Armut (Gedichtsammlung Die JJrmutter, 1923—1925). Stojanov wandte sich der heroischen Seite in der Geschichte seines Landes zu (so im Roman Mechmed Sinap, 1936). Im Sammelband Cholera schuf er ein synthetisches Bild der Masse der Soldaten, die im revolutionären Kampf einen Ausweg aus dem Krieg suchen. Ein zentrales Motiv des Lyrikbandes Das irdische Leben, der Gedichte aus den Jahren 1928 bis 1939 enthält, ist der soziale Protest. Stojanovs Weg zu revolutionär-humanistischen Ideen war im wesentlichen ein Prozeß der Festigung sozialistisch-realistischer Positionen. Bei dieser Entwicklung war der Symbolismus als Weltanschauung kein beschleunigender Faktor, kein integrierender Bestandteil dieses Prozesses und konnte es auch nicht sein. Stojanov empfand die Krise des bürgerlichen Ge106
sellschaftssystems und seiner Kultur. Und das war an sich schon eine wichtige Stufe seiner Entwicklung. Das tragische Empfinden der Widersprüche schloß sowohl das Unbehagen am Alten als auch den Drang nach Neuem ein. Aber innerhalb des Symbolismus war kein Ausweg aus der Krise zu finden. Dazu bedurfte es einer realen Stütze, eines neuen Menschenbildes. Bei der Suche nach ihm gelangte Stojanov zur revolutionären Weltanschauung, die auch seine künstlerische Methode von Grund auf veränderte. Es wäre ein Fehler zu meinen, daß alles, was Stojanov in seiner symbolistischen Schaffensperiode geschrieben hat, für uns heute wertlos wäre. Ein wesentlicher Beitrag zur Literatur des 20. Jahrhunderts ist die damals entstandene tragische Lyrik mit ihrer Sehnsucht nach erhabenen, wenn auch noch abstrakten Idealen. Viele formale Mittel und poetologische Eigenheiten seiner Frühzeit gingen als Erfahrungen in sein weiteres Schaffen ein. Die revolutionäre Weltanschauung ist der wichtigste Faktor bei der Herausbildung einer Literatur neuen Typus, der sozialistischen Literatur. Die Schaffensmethode eines Künstlers hängt ja in erster Linie mit seiner Art, das Leben zu betrachten, mit seinem Weltbild, zusammen. Deshalb bedeutet der Übergang vom Symbolismus oder Expressionismus zur Methode des sozialistischen Realismus stets einen Bruch mit dem früheren ästhetischen System. Dafür sei noch ein typisches Beispiel angeführt. Geo Milevs Übergang vom Expressionismus zur revolutionären Literatur war durchaus kein fließender, nur das Ästhetische berührender Vorgang. Es war im Gegenteil ein Prozeß heftiger Verneinung der Vergangenheit, die von einer neuen Weltsicht verdrängt wurde. Unter dem Eindruck revolutionärer Ereignisse schrieb Milev: „Aus dem Staub der Illusionen, den Trümmern der Phantasie tritt der Dichter hervor — aufgeschreckt aus seinen rosafarbenen Träumen und azurblauen Sehnsüchten, bestürzt, entsetzt, geheilt von seiner Blindheit —, und sieht vor sich das blutige Antlitz seines Volkes . . . Wir können bei dieser Tragödie des Volkes nicht stumme Zuschauer bleiben, entrückt in unirdische Visionen und versunken in eitle Gefühle." i " 107
Milevs Weltsicht hatte sich gewandelt, und ebenso rasch wandelte sich sein Gestaltungssystem. Damit ist nicht etwas Äußerliches gemeint, sondern der Wandel der künstlerischen Position des Dichters, die Veränderung seines Konzepts bildhafter Weltaneignung. Früher hatte Milev als Kennzeichen einer großen Kunst die Absenz von Logik und klarem Sinn proklamiert. Kunst hatte er als „subjektive Fügung von Symbolen" definiert, das geheimnisvolle Bild sollte „auf Grund ferner psychologischer Assoziationen" 112 entstehen. Eine solche Bildhaftigkeit weist beispielsweise die Sammlung Der grausame Ring (1920) auf. Wenn Geo Milev aber — „bestürzt, entsetzt, geheilt von seiner Blindheit" — zu der Überzeugung gelangt, der Platz des Dichters sei „in der brodelnden Arena des Lebens, inmitten des Volkes" 113 , so gewinnt er Sinn für die reale Geschichte, und eine neue Konzeption der Wirklichkeit bestimmt fortan seine Bildstruktur. Der Positionswechsel des Dichters erfolgte nicht plötzlich, sondern war ein komplizierter, anfänglich höchst widersprüchlich verlaufender Prozeß. In einigen Aufsätzen und Werken (in den Erzählungs-Zyklen Expressionistischer Kaknder und Schreckliche Prosa sowie im Poem Tag des Zorns und in dem unvollendeten Poem Hölle) bleibt die revolutionäre Weltanschauung noch inkonsequent, die Poetik weitgehend expressionistisch. Dennoch wird deutlich, daß Milevs Expressionismus die Züge einer Methode verloren hat, und sein Schaffen immer mehr von der neuen Weltsicht bestimmt wurde. (In unserem Falle kann man wohl von einem linken Expressionismus sprechen, der zweifellos zur revolutionären Literatur zu rechnen ist.) In der Folgezeit bewegte sich Milev rasch auf den sozialistischen Realismus zu. Mit voller Deutlichkeit offenbart dies sein Poem September (1925), das bedeutendste Werk der bulgarischen Literatur der zwanziger Jahre über den antifaschistischen Aufstand von 1923. Das Poem schildert den Zusammenstoß zweier sozialer Kräfte — des Faschismus und der Volksmassen. Heroisch-romantisches Pathos verbindet sich hier mit der schmerzlichen Intonation der nationalen Tragödie. Milev gibt den Stimmungen der fortschrittlichen Öffentlichkeit seines Landes Ausdruck, wird zu einem Dichter von nationaler Bedeutung. Dabei ordnete sich die neue Konzeption Elemente 108
seiner früheren — der expressionistischen — Poetik unter, sie werden zielgerichtet in das Gesamtsystem der Gestaltungsmittel integriert. Ähnliche Übergänge von modernistischen Strömungen zur revolutionären Literatur lassen sich auch bei anderen Schriftstellern beobachten. Versuchen wir nun, das Verhältnis der sogenannten linken literarischen Strömungen zum sozialistischen Realismus zu bestimmen ! Wir haben bereits gesagt, daß in einzelnen Ländern dafür der Terminus „Avantgarde" üblich ist. D a dies (zieht man auch noch seine Anwendung auf gegenwärtige Erscheinungen in Betracht) ein dehnbarer Begriff ist, so sei angemerkt, daß wir ihn hier im konventionellen Sinne gebrauchen, wie er bereits seit den zwanziger Jahren in der Literaturwissenschaft üblich ist. Gemeint sind damit jene linken literarischen Strömungen, die vor allem im ersten Jahrzehnt nach der Oktoberrevolution entstanden sind. Wir stellen uns hier nicht die Aufgabe, diese Strömungen oder das Wirken ihrer Repräsentanten auch nur einigermaßen erschöpfend zu charakterisieren, es sollen nur einige methodologische Fragen aufgeworfen werden. Die links-avantgardistischen Strömungen spiegelten zweifellos die Atmosphäre der Revolutionsepoche wider, sie taten das aber nicht konsequent. In den Auffassungen und im Werk ihrer Repräsentanten lassen sich unterschiedliche Tendenzen feststellen — sowohl echt revolutionäre als auch subjektivistisch gefärbte, formalistische Tendenzen. Eine Analyse muß beide Seiten berücksichtigen und zu erklären versuchen. Die links-avantgardistischen Strömungen stellen eine widersprüchliche Erscheinung innerhalb der sozialistischen Literaturen dar. Diese Auffassung, die sich in der sowjetischen Literaturforschung der letzten Jahre abzeichnet, erscheint uns richtig. Man kann nur bedauern, daß einige unserer Kollegen aus den sozialistischen Ländern, vor allem aus der Tschechoslowakei und aus Jugoslawien, diesen in der sowjetischen Literaturforschung inzwischen allgemein anerkannten Gesichtspunkt offensichtlich nicht zur Kenntnis nehmen und uns weiterhin 109
ein negatives Verhältnis zur Avantgarde, ja ihre vulgär-dogmatische Interpretation vorwerfen. So schrieb der tschechische Literaturwissenschaftler J . Franek: „Die Avantgarde ist nicht mit dem politischen Fortschritt verbunden — das ist die geläufige sowjetische Interpretation . . . In der Sowjetunion wurde von einer bestimmten Zeit an jegliche avantgardistische Kunst, vielleicht nur Majakowski und Eisenstein ausgenommen, für sozialismus-feindlich gehalten . . . Die Avantgarde wurde in Acht und Bann getan und dieser Bann ist bisher nicht aufgehoben worden." 1 1 4 Franeks Artikel ist für jene ausländischen Literaturwissenschaftler kennzeichnend, die für gewöhnlich den sowjetischen Forschern Dogmatismus vorwerfen. Natürlich gab es in der sowjetischen Literaturforschung (und gibt es wohl zum Teil noch heute) gewisse vulgarisierende Einschätzungen der Avantgarde. Aber es gibt auch andere Bewertungen, die wir bereits weiter oben erläutert haben. Daneben werden Anschauungen vertreten, die anscheinend denen Franeks nahestehen. Einige sowjetische Literaturwissenschaftler betrachten, wie noch zu zeigen sein wird, die avantgardistischen Strömungen der zwanziger und dreißiger Jahre in Polen und in der Tschechoslowakei als die bedeutendsten der revolutionären Literatur dieser Länder. Wie wir sehen, finden sich also in der Sowjetunion sehr unterschiedliche Auffassungen. Eine andere Frage ist, welche dieser Auffassungen anzunehmen oder zurückzuweisen sind. An der Diskussion darüber kann sich jeder beteiligen. Unserer Meinung nach fordert Franeks Charakteristik der links-avantgardistischen Strömungen in der sowjetischen und der tschechischen Literatur zu ernsthaftem Widerspruch heraus, weil sie nicht auf einer objektiven Analyse der literarischen Prozesse beruht. Bei der Behandlung der Sowjetliteratur der zwanziger und der dreißiger Jahre behauptet Franek, die linken Strömungen (die „sowjetische Avantgarde") seien vom bürokratischen Machtapparat gewaltsam liquidiert worden. Seiner Meinung nach entstand der zu Beginn der dreißiger Jahre gegründete Sowjetische Schriftstellerverband „als Ausdruck des stalinschen Primitivismus . . . In einer solchen Situation war es nicht denkbar, daß die komplizierten Avant110
garde-Theorien siegten. Früher oder später mußten mit zwingender Logik die Theoretiker des Primitivismus an die Spitze gelangen, oft diejenigen, die schon in der Russischen Vereinigung proletarischer Schriftsteller RAPP versuchten, die Herrschaft über die Literatur zu erlangen. Sobald sie an die Macht kamen, folgte die Liquidierung der Avantgarde." 1 1 5 „Und dennoch", setzt Franek fort, „führte die Entwicklung in der Sowjetunion von der Avantgarde zu neuen Erscheinungsformen des Realismus, der später als sozialistischer Realismus bezeichnet wurde und in den dreißiger Jahren offiziellen Charakter annahm, während die Avantgarde als Begriff und als dichterische Praxis in Acht und Bann getan wurde."! 1 6 Diese Ausführungen versuchen, die Avantgarde in der Sowjetliteratur der zwanziger und dreißiger Jahre an die erste Stelle zu rücken. Der Verfasser scheint die große revolutionäre Literatur jener Jahre vergessen zu haben, die von Namen wie Gorki, Aleksandr Serafimovic, Demjan Bednyj, Alexander Fadejew, Michail Scholochow oder Leonid Leonov repräsentiert wird. Die Entwicklung zu neuen Formen des Realismus verbindet er lediglich mit der Avantgarde, die er den genannten revolutionären Schriftstellern entgegenstellt. Nach seinen Vorstellungen war die Avantgarde die höchste Stufe, wenn nicht gar der einzig richtige Weg für die Entwicklung der revolutionären Kunst. Zu dieser Behauptung gelangt Franek auf Grund der tschechischen Entwicklung. Dort verdrängte nach seinen Worten „die Avantgarde die proletarische Poesie, und ihre Entwicklung hielt in den dreißiger Jahren ungestört an" 117 . Es handelt sich also nicht um die einfache Feststellung der Tatsache, daß sich seit der zweiten Hälfte der zwanziger Jahre die Spannweite der proletarischen Poesie tatsächlich verengte (was seine Ursachen hatte), sondern um die Gegenüberstellung von proletarischer Poesie und Avantgarde in ästhetischer Hinsicht. In Franeks Ansichten zeigt sich eine mehr oder minder für viele zeitgenössische Kritiker und Kunsttheoretiker kennzeichnende Tendenz. Bekanntlich besteht bei einem Teil der Literaturforscher in den sozialistischen Ländern besonderes Interesse für die links-avantgardistischen Strömungen der zwanziger
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Jahre. Ein solches Interesse ist an sich begreiflich, hat doch die vulgär-soziologische Kritik der jüngsten Vergangenheit die Bedeutung dieser Strömungen für den Gesamtprozeß der Formierung der sozialistischen Literaturen grundlos verneint. Natürlich sind derartige einseitig negative Urteile abzulehnen. Aber an die Stelle des einen Extrems trat ein anderes — es kam zu einer einseitigen Hervorhebung, ja manchmal sogar zur Apologie der avantgardistischen Strömungen, die es nun wiederum unmöglich machte, ein Bild von der tatsächlichen literarischen Entwicklung zu erhalten. Ein solcher Gesichtspunkt begegnet uns mitunter auch in Arbeiten sowjetischer Wissenschaftler. Einige von ihnen betrachten die Avantgarde als die in den zwanziger und dreißiger Jahren führende Strömung der revolutionären Kunst in Polen und in der Tschechoslowakei. 1 1 8 So muß der Eindruck entstehen, die wahren Verkünder der sozialistischen Literatur jener Zeit seien die Vertreter der avantgardistischen Strömungen gewesen. Das ist in vieler Hinsicht unrichtig. Erstens deshalb, weil ihre Autoren trotz der von ihnen zu Recht erhobenen Forderung, die nationale Spezifik der revolutionären Literatur jedes Landes zu beachten, das in der Praxis selber nicht tun (die tschechische und die polnische Avantgarde waren sehr unterschiedliche Erscheinungen). Andererseits fehlt in ihren Arbeiten die proletarisch-revolutionäre Literaturbewegung entweder völlig, oder sie erfährt nur eine untergeordnete Behandlung, da diese Forscher ja die avantgardistischen Strömungen als die „führende Richtung" bezeichnen. Man kann sich aber die tschechische revolutionäre Literatur der zwanziger und dreißiger Jahre schwerlich ohne Wolker, Neumann, Hasek, Olbracht, Majerovä, Fucik u. a., die polnische revolutionäre Literatur ohne solche zentrale Gestalten wie Broniewski oder auch Jasienski vorstellen, den in den dreißiger Jahren mit der Avantgarde in Verbindung zu bringen gewiß falsch wäre. Drittens fassen diese Autoren meiner Meinung nach das ästhetische Wesen der Avantgarde schematisch auf. Sie stellen nur eine Seite der Sache dar und geben den Teil für das Ganze aus. Dieses Ganze ist jedoch sehr kompliziert und erfordert eine differenzierte Betrachtung. Der höchst wichtige Prozeß der Formierung des sozialisti112
sehen Realismus erfährt auf diese Weise nicht die erforderliche objektive Beleuchtung. Die links-avantgardistischen Gruppen und Strömungen, die nach der Oktoberrevolution entstanden, unterlagen natürlich ihrem Einfluß und hatten zweifellos Anteil an dem allgemeinen Entfaltungsprozeß revolutionärer Literaturen. Deshalb darf man sie keineswegs, wie das in der Vergangenheit oft geschah, mit der bürgerlich-reaktionären Literatur vermengen oder gar mit ihr gleichsetzen. Ihre geistig-ästhetische Plattform war freilich nicht konsequent revolutionär — zweifellos zeigten sich in ihr subjektivistische und modernistische Einflüsse. Die Verflechtung unterschiedlicher Tendenzen in diesen Strömungen bedingt auch das methodische Herangehen an sie. Schwerlich kann darum jenen Literaturwissenschaftlern zugestimmt werden, die die links-avantgardistischen Strömungen prinzipiell von der revolutionären Literatur trennen oder sie gar in Gegensatz zu ihr bringen. So neigt beispielsweise G. D. Verves in seinen Arbeiten zu der Ansicht, die Vertreter der links-avantgardistischen Strömungen hätten subjektiv in Opposition zur bürgerlichen Gesellschaft gestanden, objektiv aber seien sie im Rahmen ihrer Ideologie verblieben und hätten einen Gegenpol zur revolutionären Literatur gebildet. 119 Diese Ansicht kommt auch in Verves' Referat auf dem VI. Internationalen Slawistenkongreß zum Ausdruck. Bei der Behandlung der verschiedenen Gruppierungen innerhalb der Sowjetliteratur in den ersten Jahren nach der Oktoberrevolution sagte er: „Es experimentierte nicht nur die revolutionäre Literatur, die eine neue schöpferische Methode ausbildete, nämlich den sozialistischen Realismus. Auch zahlreiche Manifeste und Aufrufe verschiedener Schulen und Gruppierungen in der Sowjetunion, aber auch in anderen slawischen Ländern, vor allem nach der Oktoberrevolution und in den zwanziger Jahren zeugten davon, daß die Entdeckung .neuer dichterischer Kontinente' einfach zur Mode geworden war." 120 Die links-avantgardistischen Strömungen setzt er im wesentlichen mit dem Modernismus gleich (der Autor benutzt dafür den Terminus „Neue Moderne"). Wenn Verves von dem „grundlegenden Unterschied" spricht, „der zwischen 8
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den Avantgardisten und den Vertretern der revolutionären und sozialistischen Literatur bestand und besteht"121, so ist hier, wie in anderen Fällen, schon das Prinzip solcher Unterscheidung (genauer gesagt, solch undifferenzierter Gegenüberstellung) falsch. Tatsächlich war in den zwanziger Jahren noch nicht jene ästhetische Synthese vollzogen worden, auf deren Grundlage die gesamte revolutionäre Literatur später zu ihrer einheitlichen künstlerischen Methode, dem sozialistischen Realismus, fand. Damals bestanden verschiedene proletarisch-revolutionäre Strömungen, die die Grundeigenschaften der neuen Methode am deutlichsten und konsequentesten zum Ausdruck brachten. Daneben gab es aber auch noch andere Strömungen, die an diesem Prozeß zweifellos Anteil hatten, und es ist nicht richtig, diese bei der Behandlung der sozialistischen Literatur, die breiter ist als irgendeine Gruppierung, auszuklammern. In der Resolution des ZK der KPR (Bolschewiki) Über die Politik der Partei auf dem Gebiete der künstlerischen Literatur (1925), die auf einer gründlichen Analyse der literarischen Situation in der Sowjetunion beruhte, ist die Rede sowohl von der führenden Rolle der proletarischen Schriftsteller als auch von der Notwendigkeit des freien Wettbewerbs der verschiedenen Gruppierungen und Strömungen, die sich prinzipiell auf die Seite der sozialistischen Revolution gestellt hatten. In Sowjetrußland gab es in den ersten Jahren nach der Oktoberrevolution bekanntlich eine Vielzahl literarischer Gruppierungen, allein in Moskau mehr als 30. Was trieb die Schriftsteller zur Gruppenbildung und wie vollzog sich die Gesamtentwicklung der Sowjetliteratur? Eine Antwort darauf findet sich z. B. in der Einleitung zum ersten Band der Geschichte der russischen Sowjetliteratur. Der Verfasser L. I. Timofeev bemüht sich um eine konkret-historische Analyse des komplizierten literarischen Prozesses. Er verweist auf die sozialen Bedingungen für das Entstehen verschiedener Gruppierungen und erkennt in ihrer Tätigkeit subjektiv-idealistische und formalistische Einflüsse. Zugleich hebt er aber die revolutionäre Einstellung der Schriftsteller hervor, die diesen Gruppen angehörten, und zeigt, daß sie die Ausgangsbasis für ihre ideologisch-ästhetische Entwicklung bildete: 114
„Die Entstehung der literarischen Gruppierungen zu Beginn der zwanziger Jahre erklärt sich aus den allgemeinen Wachstumsschwierigkeiten der sozialistischen Kultur, die Lenin so klar gezeichnet hat. Die Bedeutung dieser Gruppen bestand vor allem darin, daß sie Schriftsteller vereinten, die den ersten und entscheidenden Schritt getan, sich dem Lager der Revolution angeschlossen hatten. Innerhalb dieses Lagers suchten sie nun nach ihrem Weg, am Aufbau einer neuen Kultur und eines neuen Lebens teilzuhaben. Zwar besteht kein Grund, diese Gruppen als einen einheitlichen Strom anzusehen und die realen Widersprüche innerhalb dieses Prozesses zu verwischen, doch muß man auch begreifen, daß der Entwicklungsprozeß der Sowjetliteratur viele Möglichkeiten für eine allmähliche Überwindung dieser Widersprüche bot und zugleich die Ursachen beseitigte, die diese Gruppen ins Leben gerufen hatten." 1 2 2 Der Entwicklungsweg vieler sowjetischer Schriftsteller, die sich linken Gruppen angeschlossen hatten, ist dadurch gekennzeichnet, daß sie sich einerseits allmählich von formalistischen und anderen Einflüssen freimachten, andererseits immer tiefer in die sozialistische Weltanschauung eindrangen und nach gemäßen Darstellungsprinzipien suchten. So wurde der Zusammenschluß der Schriftsteller vorbereitet, der schließlich zur Gründung eines einzigen Sowjetischen Schriftstellerverbandes führte. Unter den Bedingungen der siegreichen sozialistischen Revolution vollzog sich auf dem Territorium der UdSSR der Zusammenschluß linker Künstler intensiver als in anderen Ländern. Dennoch weisen die Schicksale der linken Strömungen in den einzelnen Ländern übereinstimmende Züge auf. Eine wichtige Eigenschaft vereinte die Schriftsteller linker Strömungen und unterschied sie zugleich von den Vertretern der reaktionären modernistischen Literatur: In allen ihren Bestrebungen, selbst noch in ihren Einseitigkeiten und Irrtümern, lebten sie in dem Glauben, mit ihrer Tätigkeit der Revolution zu dienen. Und das machtedieLogik ihres Kampfes aus, sicherte den Zusammenhang widersprüchlicher Tendenzen in ihrem Schaffen, worin der Ablösungsprozeß vom For8»
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malismus und von anderen Einflüssen mit der zunehmenden Festigung sozialistischer Kunstpositionen einherging. In dieser Hinsicht ist Bruno Jasienskis geistiger und künstlerischer Entwicklungsweg charakteristisch. Sowjetische Wissenschaftler123 haben überzeugend nachgewiesen, daß bereits seinen Frühwerken ein starker antibürgerlicher Protest innewohnt. Von daher ist die Bahn seiner weiteren Entwicklung vorgezeichnet. Wie bei den russischen Futuristen äußerte sich dieser Protest des polnischen Dichters zunächst in exzentrischen Bildern, die den Geschmack des Bürgers reizen und schockieren sollten, wie im Gedichtband Stiefel im Knopfloch (1921). Aber bereits das Lied vom Hunger (1922) ist von großer sozialkritischer Kraft. Die Kritik an der kapitalistischen Stadt verbindet sich hier mit der Darstellung „einer Legion hungernder Brüder aller Hautfarben und Stämme". Jasienski reinigte seine Poetik allmählich von formalistischen Spielereien. Es wurde ihm immer klarer, daß nicht allein sprachliche Neubildungen den ästhetischen Wert eines Werkes ausmachen, sondern der Weltsicht des Dichters gemäßes bildhaftes Denken. Die Annäherung des Dichters an die revolutionäre Wirklichkeit verstärkte nicht nur die soziale Problematik seines Schaffens, sie führte ihn auch zur realistischen Darstellungsweise. Das Poem Ued von Jakub S^ela (1926) ist ein herausragendes Werk der polnischen revolutionären Literatur. Es zeichnet sich durch konsequenten Historismus in der Darstellung der Ereignisse — des Wachstums bäuerlichen Klassenbewußtseins in Polen — aus. Bezeichnend ist die Hinwendung zu den schlichten und klangreichen Gestaltungsmitteln des Volksliedes. Jasienskis frühere Neigung zu stark metaphorischem und lautmalerischem Vers geht nicht verloren, erhält aber durch eine klare geistig-ästhetische Konzeption konkreten Realitätsbezug. Die polnische Avantgarde repräsentierten verschiedene Gruppen von Schriftstellern. Durchaus nicht bei allen entwickelte sich das soziale und das gesellschaftliche Bewußtsein so stark wie bei Bruno Jasienski. Denken wir beispielsweise an jene Dichter, die sich um die Zeitschrift Zwrotnica (Die Weiche, Zeitschrift der „Avantgarde" von Krakow) gruppierten: Tadeusz Peiper, Julian Przybos, Adam Wazyk u. a. Ihre Ausrichtung auf technische Verfahren und ihr Kult der 116
„reinen Form" engten die schöpferischen Möglichkeiten dieser Dichter ein und verführten sie nicht selten zu formalistischen Lösungen. Die begabtesten Dichter — so Przybos — empfanden aber die Enge ausschließlich formaler Prinzipien und wandten sich der sozialen Problematik zu, was den Horizont ihrer Poesie weitete und sie der revolutionären Literatur annäherte. Entschieden abzulehnen sind Versuche, bei der Einschätzung der avantgardistischen Strömungen ihren Zusammenhang mit der gesamtgesellschaftlichen Bewegung der Epoche zu umgehen. In der zeitgenössischen bürgerlichen Literaturwissenschaft werden unter dem Begriff „Avantgardismus" die verschiedensten Strömungen subsumiert. So schreibt A. L. Grigor'ev, der die vielfältigen Aspekte dieser Frage gründlich untersucht hat: „Große Verwirrung bringt in die Geschichte des Modernismus der Gebrauch des verschwommenen Begriffs .Avantgarde', worunter man jene künstlerischen Strömungen faßt, die gegen den Realismus auftraten." 124 Der Avantgardismus wird als Neuerertum in der formalen Sphäre interpretiert und als größte ästhetische Errungenschaft des 20. Jahrhunderts ausgegeben. Zu ihm werden Futurismus, Expressionismus, Surrealismus, Symbolismus und andere literarische Strömungen gleichermaßen gerechnet. Dadurch ist ein historisch konkretes Herangehen an die verschiedenen literarischen Erscheinungen ausgeschlossen. In eine Reihe mit der tschechischen Avantgarde, die tatsächlich viel Neues in die revolutionäre Literatur gebracht hat, werden hier auch Strömungen wie der Symbolismus gestellt, die sich zur revolutionären und sozialistischen Literatur eher gegensätzlich verhalten, als sich ihr annähern. Eine solche Vermengung unterschiedlichster Erscheinungen ist unhistorisch. Tschechische Avantgarde und Symbolismus sind strikt voneinander zu unterscheiden. Erscheinungen der ersten genannten Art sind mit dem Terminus „linke Strömungen" viel treffender bestimmt als mit dem prätentiösen und recht verschwommenen Begriff „Avantgardismus", zumal dieser heute auch in anderem Sinne gebraucht wird. Der Terminus „linke Strömungen", der sich in der sowjetischen Literaturwissenschaft eingebürgert hat, weist auf die ideologische 117
Grundtendenz dieser Strömungen hin, auch wenn ihre Vertreter selbst die Positionen nicht eindeutig festlegten und unterschiedliche ästhetische Konzepte verfolgten. Daher scheiden wir heute ihre Errungenschaften von ihren Irrtümern, von denen sie sich später übrigens selber nicht selten distanziert haben. Die tschechische Avantgarde war in den zwanziger und dreißiger Jahren wohl die am weitesten links orientierte Strömung der europäischen Avantgarde in den kapitalistischen Ländern. Viele ihrer führenden Vertreter waren Kommunisten, überzeugte Kämpfer für die Ideen der Revolution. Ihre charakteristischste Erscheinungsform war der Poetismus — eine Strömung, die viele Schriftsteller und Kritiker vereinte, u. a. Vitezslav Nezval, Jaroslav Seifert, Konstantin Biebl, Karel Teige und Bedrich Väclavek. Der Streit um die links-avantgardistischen Strömungen, nicht zuletzt auch um die tschechische Avantgarde, entzündet sich an ihren Widersprüchen. Wir teilen nicht den bereits erwähnten Standpunkt Franeks, der nur zwei Positionen in der Diskussion kennt: Vorbehaltlose Bejahung oder strikte Ablehnung der Avantgarde, wobei er selbst sich der ersten anschließt. Unserer Meinung nach sind beide Positionen falsch. Nebenbei gesagt, kennen wir auch Urteile tschechischer Literaturwissenschaftler, die keinen dieser Standpunkte beziehen. In einigen Arbeiten wird die Kompliziertheit der avantgardistischen Strömungen und Verschiedenartigkeit ihrer Tendenzen hervorgehoben.125 Man muß aber vor allem von ihrem widersprüchlichen Charakter sprechen. So wird beispielsweise im Sammelband Die 'Formierung des sozialistischen Realismus in den Literaturen der West- und der Südslawen verfahren, der am Vorabend des V. Internationalen Slawistenkongresses (1963) erschien. Wir zitieren daraus einen längeren Ausschnitt, dessen Aussage im großen und ganzen noch heute gültig ist: „ . . . Die Avantgardisten sind zweifellos mit der fortschrittlichen Literatur der Epoche verbunden. Den proletarischen Schriftstellern stehen sie nahe in der Kritik der bürgerlichen Realität, mit ihnen teilen sie die politischen Sympathien und das schöpferische Suchen nach Gestaltung der neuen revolutionären Epoche. Aufschlußreich ist dabei, daß sich die Avant118
gardisten ungeachtet scharfer Differenzen in „rein" ästhetischen Fragen objektiv im Kampf gegen die Literatur des offiziellen, bürgerlich-reaktionären Lagers mit den proletarisch-revolutionären Schriftstellern verbunden haben. Bedeutende marxistische Kritiker der zwanziger Jahre wie Hempel und Stawar in Polen, Urx und Fucik in der Tschechoslowakei sahen schon damals bei den avantgardistischen Strömungen nicht nur die negativen Erscheinungen, sondern auch die fortschrittlichen Tendenzen, die in diesem oder jenem Maße zur Entfaltung der sozialistischen Kunst beitrugen. Die Avantgardisten schufen echte und erregende Bilder des Lebens mit humanistischem Pathos und revolutionärer Motivik. ,Für die Revolution habe ich meine Stimme erhoben', schrieb Vitezslav Nezval 1925 (Motto). 1928 erschien sein Poem Edison, eine Verherrlichung der schöpferischen Arbeit des Menschen. In der zweiten Hälfte der zwanziger Jahre schrieb Nezval auch großartige Gedichte über die Natur seines Heimatlandes. Lebensnahe Werke schufen auch andere Dichter in ihrer sogenannten avantgardistischen Periode. Und das alles mündete zweifellos als lebendiger Strom in die revolutionäre Literatur der Epoche ein. Wenn wir bedenken, daß bei vielen proletarisch-revolutionären Schriftstellern jener Zeit die politischen Motive überwogen und die individuelle Psychologie nur einen relativ geringen Raum einnahm, können wir uns klarer die Bedeutung des Beitrages vor Augen führen, den so namhafte Künstler wie Vladislav Vancura und Vitezslav Nezval zur Literaturentwicklung geleistet haben. Sie eröffneten der fortschrittlichen Kunst gleichsam neue Wege und Möglichkeiten und förderten praktisch die Vielfalt ihrer ästhetischen Prinzipien. Bei der unablässigen Suche nach neuen Formen entwickelten und festigten die Avantgardisten zahlreiche interessante Verfahren, die die individuelle Eigenart dieser Künstler auch in späteren Etappen ihrer Entwicklung ausmachen. Es läßt sich nicht bestreiten, daß eine solche, die Entwicklung prägende Persönlichkeit wie Vitezslav Nezval nicht begriffen werden kann, blickt man nur darauf, was er von seinem früheren Schaffen überwunden hat, und nicht auch darauf, was er von 119
seinen früheren Erfahrungen bewahrt und in sein reifes Werk eingebracht hat . . . " 1 2 6 Freilich unterliefen den Avantgardisten auch ernst zu nehmende Irrtümer und Fehler; es wurden Anschauungen vertreten, die sich mit den Grundprinzipien sozialistischer Kunst nicht vereinbaren lassen. Dazu gehört beispielsweise die Vorstellung von der Kunst als einer von der Politik und vom gesellschaftlichen Leben isolierten Tätigkeitssphäre. Sogar Bedrich Väclavek zog eine Trennungslinie zwischen Kunst und Revolution. Karel Teige forderte die völlige Ausklammerung sozialer Motive aus der Dichtung und rief nach einer Literatur „reiner Emotionen." In den Forschungsarbeiten der sowjetischen Bohemisten der sechziger Jahre wurde der widersprüchliche Charakter des tschechischen Poetismus grundlegend erhellt. Verwiesen wurde sowohl auf seinen nicht unerheblichen Beitrag zur revolutionären Literatur als auch auf die Züge, durch die er sich von der sozialistischen Ästhetik entfernte oder ihr sogar widersprach. *27 Zwar wird in der Forschung noch um manche Frage gestritten — die Ansichten der Autoren bei der Beurteilung dieser oder jener Erscheinung gehen mitunter weit auseinander —, doch ist mit den vorliegenden Ergebnissen eine wichtige Etappe in der Erforschung dieses höchst komplizierten Problems markiert. Ein wesentlicher Vorzug dieser Forschungen besteht darin, daß die Avantgarde von den allgemeinen Prinzipien sozialistischer Ästhetik her untersucht wird. Auf diese Weise wird nicht nur vorgeführt, was die Avantgardisten von den proletarisch-revolutionären Schriftstellern unterschied, sondern auch das, was sie mit ihnen verband, was den einheitlichen Prozeß der Herausbildung sozialistischer Kunst ausmachte. Eine besondere Rolle in diesem Prozeß kommt Vitezslav Nezval zu, in dessen Werk die wirklichen ästhetischen Errungenschaften der Epoche in wunderbarer Klarheit eine Synthese gefunden haben. Nezval schätzte vieles an der proletarisch-revolutionären Literatur, vor allem die Poesie Jiri Wolkers. „Nezvals Poetik", schrieb S . A . Serlaimova, „ließ selbst in der Blütezeit des Poetismus den genetischen Zusammenhang mit der proletarischen, von Wolker beeinflußten Poesie nicht abreißen."* 28 120
Nezval sah aber auch die bekannten Einseitigkeiten der proletarisch-revolutionären Schriftsteller, die der individuellen Psychologie und der intimen Lyrik nicht genügend Aufmerksamkeit zollten. Er bemühte sich, diese Lücke zu schließen, ja er sah darin die Hauptaufgabe des Poetismus, den er allzeit als eine Strömung der sozialistischen Literatur auffaßte. Sobald es ihm schien, der Poetismus hemme in irgendeiner Hinsicht die Entwicklung der sozialistischen Literatur, brachte er seine Bedenken vor — nicht so sehr theoretisch als vielmehr im Gedicht. „Sein Werk realisierte die Entdeckungen und Leistungen der poetistischen Theorie, solange sie objektive Kunstbedürfnisse widerspiegelte; es löste sich vom Poetismus, ja stellte sich sogar gegen ihn, sobald dieser die Kunstentwicklung zu hemmen begann." 129 Nezvals künstlerische Erfahrungen belegen eindeutig, daß eine Synthese der ästhetischen Errungenschaften des 20. Jahrhunderts in der sozialistischen Kunst nicht dadurch erreicht werden kann, daß ihre ideologischen Prinzipien nivelliert werden, sondern im Gegenteil durch ihre Festigung. Bekanntlich wurde im Jahre 1934 unter Führung Nezvals eine Gruppe des tschechischen Surrealismus gebildet. Aber der Dichter bekannte sich nach wie vor begeistert zum Marxismus. Der Surrealismus zog ihn durch das Bestreben an, tiefer in die innere Welt des Menschen einzudringen. Nezval leistete in dieser Hinsicht einen bedeutenden Beitrag und bereicherte sowohl die tschechische Lyrik als auch die Lyrik der Welt. Aber die Prinzipien dieser Schule — die faktische Loslösung der Kunst von der revolutionären Ideologie und ihr Irrationalismus — schlugen sein Talent in Fesseln und drückten manchem seiner Werke das Siegel eines toten Schemas, eines formalistischen Experiments auf. Mit der Sensibilität eines großen Künstlers suchte Nezval ständig Kontakt zum realen Leben, zur gesellschaftlichen Bewegung. Das Buch Zweiundfünf^ig bittere Balladen des ewigen Studenten Kobert David (1936), das soziale Probleme der Epoche wahrheitsgetreu wiedergab, sowie die Auflösung der Gruppe der Surrealisten im Jahre 1938 waren Meilensteine auf Nezvals Weg zur Bestimmung seiner gesellschaftlichen Position. Der Dichter bekannte sich offen zur Verbindung von Kunst und revolutionärer Ideologie, und gerade dadurch 121
wurde er in die Lage versetzt, seine schöpferischen Möglichkeiten umfassend und frei zu entfalten. Nezvals Werk verkörpert die synthetisierende Kraft der sozialistischen Kunst. Sein Schaffensweg bezeugt ebenso wie der des scharfsinnigen Kritikers Bedrich Vaclavek, der in den dreißiger Jahren zu einem bedeutenden Theoretiker des sozialistischen Realismus wurde, daß die Avantgarde unbestritten Eingang in die revolutionäre Kunst gefunden hat. Sie ging allerdings nicht als etwas Ganzes in sie ein. Nur einige ihrer Tendenzen verschmolzen mit der revolutionären Kunst, andere standen ihr entgegen. Der Weg der Avantgardisten zum sozialistischen Realimus bedeutete sowohl Festigung ihrer echten ästhetischen Errungenschaften als auch Befreiung von verschiedenen subjektiven-idealistischen und formalistischen Einflüssen, die natürlich nicht zu einem Strukturelement der neuen künstlerischen Methode werden konnten.
Revolutionäre Romantik und sozialistischer Realismus
Dieser Fragenkomplex berührt die revolutionär-romantischen Traditionen des 19. Jahrhunderts ebenso wie die revolutionäre Romantik im Schaffen jener Künstler, die von anderen literarischen Strömungen zum sozialistischen Realismus fanden. Hier soll revolutionäre Romantik als eine Erscheinung untersucht werden, die auf neuer sozialer Grundlage entstand und eine Besonderheit der frühen sozialistischen Literatur darstellt. Ist es überhaupt gerechtfertigt, von einer revolutionären Romantik der sozialistischen Literatur im Anfangsstadium ihrer Entwicklung zu sprechen? Und wenn ja, welche Bedeutung hatte sie für die Herausbildung des sozialistischen Realismus? Dazu gibt es unterschiedliche Meinungen. In Bulgarien sind ebenso wie in der Sowjetunion mehrere Aufsätze zur Entstehung und Entwicklung des sozialistischen Realismus in der bulgarischen Literatur erschienen. Strittig ist dabei die Frage nach den charakteristischen Besonderheiten der Anfangsetappe proletarisch-revolutionärer Literatur in Bulgarien, wie sie sich im Werk Dimitär Poljanovs, Georgi Kirkovs und Christo Smirnenskis abzeichnen. Der Streit um die Romantik zu Beginn des 20. Jahrhunderts begann mit dem Streit um den Charakter der künstlerischen Verallgemeinerung in der proletarisch-revolutionären Literatur. Einige bulgarische Literaturwissenschaftler (T. Pavlov 13°, G. Canev 131 u. a.) sehen Poljanovs Schaffen als realistisch an und bestreiten entschieden, daß es Formen revolutionärromantischer Verallgemeinerung enthalte. Sie sprechen von der revolutionären Romantik als einem besonderen Zug des Realismus; für andere (S. Rusakiev 132 , K. Genov 1 3 3 ) hingegen ist die revolutionäre Romantik eine charakteristische Erschei123
nung der frühen sozialistischen Dichtung Bulgariens. Die sowjetischenLiteraturwissenschaftler nehmen in diesem Meinungsstreit eine eindeutige Position ein, sie sprechen von revolutionärer Romantik im Schaffen Poljanovs. 134 Wir haben die unterschiedlichen Ansichten zu diesem wichtigen Problem bereits an anderer Stelle eingehend dargelegt. 135 Es geht hier um die Deutung ästhetischer Aneignung der neuen sozialistischen Realität in der proletarischen Literatur. Das war kein plötzlicher Vorgang, sondern ein allmählicher Prozeß, bei dem der Übergang von der Romantik zum Realismus eine wesentliche Rolle spielte. Deshalb trägt unser Streit auch keineswegs nur lokalen Charakter. Er berührt wichtige Prinzipien der Herausbildung des sozialistischen Realismus. Was wir in der bulgarischen Literatur beobachten, ist ein konkreter Ausdruck allgemeiner Gesetzmäßigkeiten, und darin liegt die theoretische Begründung für eine Analyse. Sowjetische Literaturwissenschaftler haben die Unhaltbarkeit und den reaktionären Charakter bürgerlicher Theorien, die das Wesen der Romantik verfälschen, nachgewiesen, und sie haben die allgemeinen ästhetischen Prinzipien der Romantik überzeugend dargestellt. Am anschaulichsten geschah das für die Zeit des 19. Jahrhunderts, als die Romantik eine breite literarische Richtung war, und zwar am Material der russischen wie auch der mittel- und westeuropäischen Literaturen. Es entstanden auch mehrere grundlegende Arbeiten, in denen der Zusammenhang von Romantik und sozialistischem Realismus untersucht wird. Erwähnung verdienen die Forschungen von B. V. Michajlovskij 136 , L. I. Timofeev 137 , A. S. M j a s n i k o v m , V. R. Scerbina 139 , I. Volkov 1 4 0 u. a. In diesen Publikationen, die vor allem von einer Gorki-Analyse ausgehen, wird von einer revolutionären Romantik neuen Typus gesprochen, einige Forscher führen sogar den Terminus „proletarische Romantik" 1 4 1 ein. Andere Autoren decken dagegen nicht die historischen Bedingungen und Besonderheiten der revolutionären Romantik in den einzelnen Epochen auf. Damit aber ist die Herausbildung des sozialistischen Realismus auf engste verknüpft. In seinem scharfsinnigen und allgemein interessierenden 124
Aufsatz Das Erbe Maxim Gorkis und die Gegenwart wendet sich V. R. Scerbina gegen jene Kritiker und Literaturwissenschaftler, die jegliche Züge revolutionärer Romantik in Gorkis Schaffen bestreiten: „Längst haben sich alle Versuche als unhaltbar erwiesen, von Gorkis Schaffen zu behaupten, es enthalte keine romantischen Züge, alle seine Werke seien gleichermaßen realistisch." 142 Worin besteht nun aber die historische Grundlage von Gorkis Romantik? Scerbina geht davon aus, daß die Romantik, ebenso wie der Realismus, allen großen Künstlern eigen sei und sich deshalb ganz gesetzmäßig auch bei Gorki zeige. Seiner Meinung nach stellt die revolutionäre Romantik im Gesamtwerk Gorkis eine Stillinie innerhalb des sozialistischen Realismus dar, eine Qualität, die nicht an die Evolution des Schriftstellers hinsichtlich seiner ästhetischen Aneignung der neuen Realität geknüpft ist: Realismus und Romantik werden außerhalb ihrer historischen Bindung und Konsequenz verstanden. Nach Scerbinas Worten kann man „nur von einem Vorherrschen dieser oder jener Stillinie in diesem oder jenem Augenblick sprechen . . . " 1 4 3 Natürlich ist die revolutionär-romantische Form der Darstellung des Lebens, wie sie sich in den Werken der bedeutendsten Künstler der Welt offenbart, eine Errungenschaft der gesamten progressiven Literatur; sie ist auch der zeitgenössischen sozialistischen Kunst nicht fremd. Man muß jedoch die historischen Voraussetzungen für Gorkis Romantik zu verschiedenen Zeiten im Auge behalten, das Verhältnis zwischen Romantik und Realismus, in dem sich der lebendige Prozeß der künstlerischen Erkenntnis des Lebens vollzog. Die Geburt der sozialistischen Literaturen und die Entstehung des sozialistischen Realismus sind zwei keineswegs identische Etappen eines einheitlichen Prozesses. Man darf sie nicht miteinander vermengen. In jeder dieser Etappen ist das Verhältnis zwischen Realismus und Romantik anders. Scerbina hat das Verhältnis zwischen Realismus und Romantik nicht in seiner historischen Dynamik untersucht; er zeigt die Herausbildung des sozialistischen Realismus nicht als einen Prozeß, in dem sich der Realismus als grundlegende Form der künstlerischen Widerspiegelung festigt. 125
Auf dem richtigen Wege befindet sich unserer Meinung nach Michajlovskij, der von einem langen Prozeß der Herausbildung sozialistischer Literatur spricht, wobei er verschiedene Etappen dieses Prozesses unterscheidet und die Rolle der revolutionären Romantik in diesem Prozeß historisch-konkret zu beleuchten sucht. Das Frühschaffen Gorkis sieht er als eine Vorstufe der neuen Kunst, aber noch nicht als die Kunst des sozialistischen Realismus selber an.144 Die historischen Voraussetzungen für Gorkis Romantik haben bereits Vorovskij und Lunacarskij klar erkannt. Nach ihrer Auffassung spiegeln die romantischen Erzählungen Gorkis die neue gesellschaftliche Atmosphäre wider, die mit dem Einzug einer jungen Klasse, des Proletariats, in die Arena der Weltgeschichte verbunden war. Es war die Zeit, als der neue Held der Geschichte eben erst seine Schwingen ausbreitete und zu gigantischem Höhenflug ansetzte. Lunacarskij beschrieb das mit folgendem Bild: „Verschwunden ist die graue Dämmerung der achtziger Jahre, und das erfrischende Gewitter der neunziger Jahre hat sich entladen. Ein neuer Held hat die Szene betreten — das Proletariat. Offenkundig geworden ist sein machtvolles Drängen, verschärft hat sich sein Protest, gewachsen sind seine Hoffnungen. Gorki war der erste Schriftsteller, der die Größe der bevorstehenden Ereignisse empfand. Er war erregt und erregte andere. Und diese Erregung, diese Brücke von ihm zu den anderen, formte sich zu erhabenen Bildern — denn vor allem mußte den Menschen gesagt werden, daß eine außergewöhnliche Zeit angebrochen sei, daß man sich nicht länger mit dem Alltag abfinden dürfe, daß nun das große Fest und blutige Tage des Kampfes bevorstünden, daß Tage des Schreckens und des Lichtes gekommen seien, kein trister, unbedeutender Alltag." 145 Vorovskij sieht eine Verbindung zwischen der revolutionären Romantik Gorkis und der Zeit, „in der sich die ersten Kader der künftigen kämpferischen Klasse eben erst zu formieren begannen . . ." 146 In diesen Äußerungen erscheint die revolutionäre Romantik als die Kunst der großen, erregenden Wahrheit. Zugleich ergibt sich daraus der Schluß, daß die Romantik eine Etappe auf dem Wege zu einer breiten realistischen Widerspiegelung der 126
revolutionären Wirklichkeit darstellt, ohne die eine Festigung des sozialistischen Realismus undenkbar ist. Seinerzeit haben die Vertreter der RAPP, der Russischen Association proletarischer Schriftsteller, jegliche Romantik und alle fortschrittliche nichtrealistische Kunst entschieden abgelehnt. Sie deuteten die bekannte Äußerung von Karl Marx (in seinem Brief an Ferdinand Lassalle vom 19. 4. 1859)147 über die Notwendigkeit, mehr zu „shakespearisieren" und weniger zu „schillern", in vulgarisierender Weise und proklamierten sogar die Losung: „Nieder mit Schiller!" In Wirklichkeit haben aber weder Marx noch Engels zu einer Absage an die ästhetischen Werte aufgefordert, die durch das Werk Schillers, Byrons oder Shelleys in die Schatzkammer der Weltkultur eingebracht worden sind. Zweifellos sind jene Literaturkritiker im Recht, die den Nihilismus der RAPP hinsichtlich ihrer Einstellung zu den nichtrealistischen und folglich auch zu den progressiv-romantischen Kunstformen entschieden ablehnen. Es ist jedoch festzuhalten, daß der Sinn des Marxschen Appells, mehr zu „shakespearisieren", eine Hervorhebung der entscheidenden Rolle des Realismus in der Kunstentwicklung bedeutet, seine Anerkennung als grundlegende Form künstlerischer Aneignung von Welt. Denselben Gedanken äußerte auch Friedrich Engels, der die Zukunft des Dramas in einer „vollen Verschmelzung der größeren Gedankentiefe, des bewußten historischen Inhalts . . . mit der Shakespeareschen Lebendigkeit und Fülle der Handlung"148 sah. Die Entwicklung der neuen Literatur vollzog sich von Anfang an in mannigfaltigen Formen, die noch bei weitem nicht vollständig erforscht sind. Wir behandeln hier nur die revolutionär-romantische Verallgemeinerung. Uns scheint, daß die revolutionäre Romantik im Anfangsstadium der sozialistischen Literaturentwicklung durchaus keine zufällige, sondern eine historisch begründete und erklärbare Erscheinung gewesen und als Ausdruck des Verhältnisses von sozialistischem Ideal und seiner realen Verkörperung im Leben zu betrachten ist. Damit hängt die Darstellung des neuen positiven Helden zusammen, die in den verschiedenen Etappen der historischen Entwicklung Unterschiede aufweist. Die Bildsprache in der 127
Gestaltung des Heldentums spiegelt folgerichtig die Dynamik der revolutionären Wirklichkeit. Im Anfangsstadium der Arbeiterbewegung konnte das sozialistische Ideal noch nicht in realistische Formen gefaßt werden. Die wichtigste Form war damals gesetzmäßig die revolutionäre Romantik, die das freudige Empfinden gewaltiger, aber noch verborgener Energien der jungen geschichtlichen Kräfte wiedergab. Natürlich war das eine Romantik neuen Typus. Die revolutionären Romantiker der vorangegangenen Epoche hatten die Gesetzmäßigkeiten der gesellschaftlichen Entwicklung nicht erkannt. In ihren Zukunftsbildern verbanden sich geniale Voraussicht und unvermeidliche Utopie. Der positive Held, wie wir ihn aus den Werken der west- und mitteleuropäischen fortschrittlichen Romantik kennen, ist eine protestierende, oft ungewöhnliche, herausragende Persönlichkeit, losgelöst von den Massen, ein Empörer und Einzelgänger. In der revolutionären Romantik der proletarischen Literatur gibt es dagegen keine Illusionen, keine Utopien. Die marxistische Weltanschauung ermöglicht es den proletarischen Schriftstellern, die Gesetze der gesellschaftlichen Entwicklung zu erkennen; ihre Romantik ist eine revolutionäre Romantik sozialistischer Prägung. Ihr lag ein Traum von der Zukunft zugrunde, eine lichte, verlockende, mitreißende Vision der sozialistischen Revolution. Im selben Augenblick, da die neuen weltverändernden sozialen Kräfte auf den Plan traten, rüttelte diese Literatur die Werktätigen auf, stärkte ihren Glauben an den Sozialismus und revolutionierte die Massen. Berücksichtigt man diese Besonderheiten der revolutionären Romantik in der Anfangsetappe der proletarischen Literatur nicht, versteht man auch nicht, warum die revolutionäre Romantik in der Folgezeit zum festen Bestandteil des sozialistischen Realismus geworden ist. Hier gibt es nichts Zufälliges. Es war ein lebendiger und langandauernder Prozeß, der nicht allein als Entwicklung ausschließlich literarischer Ordnung, nämlich als Verschmelzung von revolutionärer Romantik und kritischem Realismus, zu begreifen ist, aus der dann der sozialistische Realismus mit Notwendigkeit hervorgegangen wäre. Diese Theorie wurde 128
schon längst und zu Recht verworfen. Der erwähnte Prozeß war vielmehr eine Widerspiegelung des Wachstums sozialistischer Wirklichkeit, angefangen von den ersten Agitationsversuchen bis zur Verschmelzung von wissenschaftlichem Sozialismus und Arbeiterbewegung. J e größer die revolutionären Kampferfahrungen des Proletariats und sein Klassenbewußtsein waren, je deutlicher sich das sozialistische Ideal und die Züge des neuen Helden im realen Leben zeigten, um so mehr setzte sich in der sozialistischen Literatur das Prinzip historisch-konkreter Widerspiegelung, das Prinzip des Realismus durch. Lenin sah den Entwicklungsweg proletarischer Literatur in enger Verbundenheit mit der Praxis des revolutionären Kampfes der Arbeiterklasse: „Das wird eine freie Literatur sein, die das letzte Wort des revolutionären Denkens der Menschheit durch die Erfahrung und die lebendige Arbeit des sozialistischen Proletariats befruchten und zwischen der E r fahrung der Vergangenheit (dem wissenschaftlichen Sozialismus, der die Entwicklung des Sozialismus, von seinen primitiven, utopischen Formen an, vollendet hat) und der Erfahrung der Gegenwart (dem heutigen Kampf der Genossen Arbeiter) eine ständige Wechselwirkung schaffen wird." 1 4 9 Der Prozeß künstlerischer Konkretisierung des sozialistischen Ideals auf Grund wachsender revolutionärer Erfahrungen der Massen ist die wichtigste Besonderheit bei der Herausbildung proletarischer Kunst. Dies wissen nur jene nicht zu respektieren, die, statt lebendige Fakten zu analysieren, mit fertigen Formeln operieren, ohne in ihren historischen Sinn einzudringen. Somit besteht zwischen Realismus und revolutionärer Romantik keine unüberwindliche Grenze: Die allmähliche Erweiterung des Realismus schloß Romantik nicht aus, sondern vielmehr ein und stellt damit gewissermaßen den künstlerischen Reflex des realen Ganges der Dinge dar — vom revolutionären Traum zur revolutionären Tat, von der Vorahnung zum realen Vollzug der Ereignisse. Die revolutionäre Romantik verfügt über spezifische Möglichkeiten, das Leben wahrheitsgemäß widerzuspiegeln, wenngleich die Möglichkeiten des Realismus bedeutend größer sind. Im weitesten Sinne stellen fortschrittliche Romantik 9
Markov
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und Realismus zwei aufeinanderfolgende Stufen im Gesamtprozeß künstlerischer Aneignung von Welt dar, wobei der Realismus als höchste und reichste Stufe dieses Prozesses erscheint. Davon zeugt die aufsteigende Linie von der Romantik zum Realismus im 19. Jahrhundert. (Diese Linie ist übrigens nicht nur eine Abfolge literarischer Richtungen, sondern auch in der individuellen Entwicklung vieler Schriftsteller verschiedener Länder feststellbar. 150 *) Die Entstehung der sozialistischen Literatur, die Konstituierung neuer ästhetischer Prinzipien deckt sich also in den allgemeinsten Zügen mit Gesetzmäßigkeiten literarischer Entwicklung in der Vergangenheit. Diese Logik der Entwicklung wird durch zahlreiche Fakten bestätigt. Es wurde bereits gesagt, daß die europäische sozialistische Poesie des 19. Jahrhunderts noch nicht zur realistischen Gestaltung der neuen sozialen Kräfte in der Lage gewesen war. Sie stellt gleichsam den Prolog zum sozialistischen Realismus dar. Aufschlußreich in dieser Hinsicht ist Gorkis Schaffensweg. A m Ausgang des 19. und noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts faßte Gorki das Heldentum in konventionelle romantische Bilder des Sturmvogels, des Falken und Dankos. Später, in der Zeit des revolutionären Aufschwungs, fand er eine realistische, historisch konkrete Darstellungsform in der Gestalt des bewußten proletarischen Revolutionärs. Die gleiche Entwicklung ist auch im Werk solcher russischer Arbeiterdichter der Jahrhundertwende wie L. Radin, A. K o c , E . Necaev, F. Skulev u. a. zu beobachten. 151 Proletarische Schriftsteller verschiedener Länder griffen immer wieder auf revolutionäre Romantiker des 19. Jahrhunderts zurück, deren schroffe Ablehnung der Ausbeutergesellschaft und leidenschaftliche Suche nach einem revolutionären Ideal ihnen nahe war, und entwickelten diese Traditionen weiter, indem sie die sozialen Erscheinungen konkretisieren. Diese Bindungen an das Erbe lassen sich nicht nur in der russischen, sondern beispielsweise auch in der englischen und in der polnischen Literatur beobachten, in denen die revolutionäre Romantik im 19. Jahrhundert eine hohe Entwicklungsstufe erreicht hat. Dieses Verhältnis von Realismus und revolutionärer Romantik wird durch die Entwicklung der bulgarischen sozialisti130
sehen Literatur überzeugend bestätigt. Die Bedeutung der dort gewonnenen Erfahrungen geht unserer Überzeugung nach über den Rahmen eines Landes hinaus. In der Entwicklung der bulgarischen sozialistischen Literatur sind zwei Etappen zu unterscheiden: eine erste, eigentlich vorbereitende Etappe (sie reicht von den neunziger Jahren des vorigen Jahrhunderts bis etwa zum Ende des ersten Weltkrieges), und eine zweite, die Etappe der Herausbildung des sozialistischen Realismus (ihre Anfänge fallen in die Zeit des revolutionären Aufschwungs, der unter dem Einfluß der Oktoberrevolution einsetzte). Die bedeutendsten Repräsentanten der ersten Etappe waren Dimitär Poljanov und Georgi Kirkov. Beide waren Sozialisten und führende Mitglieder der Sozialdemokratischen Partei Bulgariens. Ungeachtet gemeinsamer ideologischer Positionen vertraten sie als Schriftsteller jeweils ein eigenes, individuelles ästhetisches Konzept. Kirkovs Feuilletons und Erzählungen sind ein Beispiel dafür, wie sich innerhalb des kritischen Realismus neue Züge entwickelten. Die Kritik an der bürgerlichen Gesellschaftsordnung vereinte kritische Realisten und proletarisch-revolutionäre Schriftsteller. Die proletarisch-revolutionäre Literatur ist also nicht als Absage an den kritischen Realismus zu verstehen, sondern als seine Weiterentwicklung und Bereicherung auf der Grundlage des sozialistischen Ideengehaltes. Kirkov ist vor allem Satiriker. Das macht seine Bedeutung in der bulgarischen Literaturgeschichte aus. Poljanovs Aufmerksamkeit konzentrierte sich dagegen hauptsächlich auf die Darstellung der sozialistischen Zukunft. Ihr Kontrast zur bürgerlichen Gegenwart bedingte die romantische Struktur seiner Bilder. Poljanovs revolutionär-romantische Vision und Kirkovs realistische Sozialkritik erscheinen als zwei Seiten eines Prozesses. Die Wechselbeziehungen zwischen Realismus und revolutionärer Romantik in den beiden Entwicklungsetappen werden im folgenden am Werk Poljanovs und Christo Smirnenskis, des Begründers des sozialistischen Realismus in Bulgarien, gezeigt. Die Anfänge der sozialistischen Bewegung, der Verbreitung marxistischer Ideen, fielen in Bulgarien in die Zeit der Jahr9*
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hundertwende. Ihr Endziel — die sozialistische Revolution — lag noch in weiter Ferne. Der damals debütierende Poljanov suchte Schönheit und Größe der Zukunft zu gestalten. Das sozialistische Ideal, das Bild der proletarischen Revolution — herrlich, aber noch fern und verschwommen — zeichnete er auf romantische Weise. Unzweifelhaft hat der bulgarische Literaturforscher P. Zarev recht, wenn er bei seiner Poljanov-Analyse vom Epochencharakter ausgeht. Nach seinen Worten träumte Poljanov „bald optimistisch, bald mit quälendem Schmerz vom aktiven Kampf, von der Zukunft. Nach dem Gebot der Realität seiner Zeit war er nur Propagandist und Träumer. Vor seinem geistigem Auge zeichnete sich das Streben nach Umgestaltung der Welt noch kaum ab, es fehlte ihm noch die aktuelle historische Praxis" 152 . Leider ist Zarevs zwingende Logik dort zu Ende, wo Schlußfolgerungen zu ziehen sind, wo der Platz des Dichters in der bulgarischen Literaturgeschichte zu bestimmen ist: Er bezeichnet Poljanov als einen „nicht vollwertigen Schriftsteller des sozialistischen Realismus" 153 . Diese Schlußfolgerung Zarevs ist zu ungenau, wenngleich uns sein Gedankengang durchaus richtig erscheint. Poljanov schloß sich frühzeitig der sozialistischen Bewegung an. Schon als Gymnasiast (1889—1894) stand er den Sozialisten nahe, 1892 trat er in eine der ersten sozialdemokratischen Gruppen ein. Er sah im Arbeiter den neuen Helden der Geschichte, den künftigen Gestalter der Gesellschaft; von ihm vor allem sprach er in seinen Gedichten. Dabei war er sich bewußt, daß der neue Held eben erst die Arena der Geschichte betrat, daß der Kampf noch vor ihm lag und daß es Aufgabe des Dichters ist, diesen Kampf mit herbeizuführen. Seine Poesie war gleichsam Weggefährte des politischen Reifeprozesses des Proletariats. Über die sozialistische Literatur in Bulgarien sagte Poljanov 1921: „Die ersten Parteifunktionäre, vorwiegend Intellektuelle und Lehrer, scheuten keine Mühe, um neben ihrer eigentlichen Tätigkeit als Sozialdemokraten, nämlich das Klassenbewußtsein des Proletariats zu wecken, auch die Herzen der Unterdrückten und Leidenden zu ermuntern und ihre Köpfe zu erhellen." Kl* 132
Diese Aufgabe stellte sich auch Poljanovs Dichtung. Sie nahm die revolutionäre Stimmung der Massen zu einer Zeit auf, als der Sozialismus noch ein ersehnter Traum war. Daher findet der Dichter auch noch keine realistischen Bilder vom Kampf für die sozialistische Umgestaltung der Welt. Er bevorzugt eher Ausnahmesituationen und konventionelle Bilder. Gerade darin sehen wir Eigenart und Wesen seiner revolutionären Romantik. Die individuelle Empörung vieler Romantiker war Poljanov fremd. Er besang die Kraft des Kollektivs, zeigte dessen geistiges Wachstum. Diese Idee liegt dem Gedicht Gestürmte Göthen (1895) zugrunde, das als eigenständiges Manifest der bulgarischen proletarischen Poesie gilt. Der lyrische Held erzählt von seinem Leben, von seinen Irrtümern und ihrer Überwindung. Es ist aber keine konkrete Person, die hier spricht, und es wird auch kein individuelles Schicksal gezeigt. Der Held ist die Klasse, und die Geschichte des Helden ist die Geschichte der sozialen Existenz des Proletariats überhaupt. Die drei großen Abschnitte im Leben des Menschen — Kindheit, Jugend und Reife — werden als symbolische Parallele zu den drei Etappen der politischen Entwicklung der Arbeiterklasse gefaßt, die konsequent daran geht, die drei Götzen der Ausbeutergesellschaft Gott, Zar und Kapital zu stürzen. Die Unausweichlichkeit des revolutionären Kampfes erscheint hier auf romantische Weise im Bild des über die Felsen jagenden Sturmes und des Gewittergrollens. Viele Gedichte Poljanovs kreisen um die Antithese Hell und Dunkel, Winterfrost und Frühlingssonne. Das Tauen des Schnees unter den Strahlen der Frühlingssonne ist ein zuversichtliches Bild der bevorstehenden Befreiung des Volkes (Schneeschmelze, 1901). Unzufriedenheit mit der Welt und Glaube an die Zukunft gerinnen zum Bild „ lebendiger Worte", die in das Arbeitszimmer des Dichters eindringen. Es ist „ein tausendstimmig erregter unterirdischer Chor, der düsteren Beichte ergreifende Symphonie, die heult, flucht, schluchzt, jubelt, singt und hallt". In diesen „lebendigen Worten" ist die Wahrheit des Lebens beschlossen, sie sind berufen, „zu siegen über Bosheit und Finsternis . . . alle zum ruhmreichen Kampf" aufzurufen. 133
Noch bleibt die Darstellung des Kampfes selbst aus. Die Grundidee wird zumeist allegorisch, symbolisch, in überlieferter Metaphorik dargeboten. So wird die historische Berechtigung, die Ausbeuterwelt zu zerschlagen, in folgendes Symbol gefaßt: Hoch über der Erde, zum Himmel emporragend, reckt sich der schwarze unheilverkündende Baum des Todes. Er breitet seine Äste wie Flügel eines Dämons aus, und mit seinen Wurzeln saugt er am Körper des Volkes. Seine roten Blüten sind die zermalmten Herzen der Geknechteten; das Rascheln seiner Blätter ist das dumpfe Stöhnen der Sklaven. Nachdem der Dichter so das soziale Übel gezeichnet hat, ruft er zum Kampf auf, „damit der Baum des Todes in Staub und Asche sinkt" (Der Baum des Todes, 1905). Wie wir sehen, verwendet dieses Gedicht ein bestimmtes System symbolisch-romantischer Bilder, wodurch die künstlerische Verallgemeinerung erreicht wird. Die historische Sendung der Arbeiterklasse wird im Gedicht Geburt des Proletariers (1905) mit weit ausgreifender Parallele ausgemalt. Die Geburt des Proletariers erscheint als Ergebnis des jahrhundertelangen Kampfes der ganzen Menschheit für eine bessere Welt. Poljanov sagt, in der Vergangenheit hätten „Hunderte von Philosophen, Gelehrten und Märtyrern . . . vergebens danach gestrebt, die Tür zum irdischen Glück aufzustoßen", und stimmt einen Hymnus auf die neue Kraft an, die imstande ist, die Welt der Ausbeuter hinwegzufegen und die sozialistische Gesellschaft aufzubauen. Das Proletariat wird in Gestalt des großen legendären Sohnes der Epoche symbolisiert. Er kommt an einem ungewöhnlichen Tag zur Welt, unter unaufhörlichem Geläut der Glocken, „als die Christen Christi Geburt feiern". Der Kontrast soll hier die Geburt des tatsächlichen Erlösers des Volkes unterstreichen. In die ärmliche Hütte tritt strahlend die Verkörperung der Geschichte und „trägt das Neugeborene mit riesigen Lettern in ihr Buch ein", sie erklärt: „In dieser Nacht ward der Retter der Menschheit geboren." Der neue Held ward noch nicht im revolutionären Wirken gefaßt, sondern als geahnte titanische Kraft. Der Weichensteller (1906) ist ebenfalls eine symbolische Gestalt — er ist der Weichensteller der Geschichte, der mit trium134
phierender Geste den Zug des Lebens auf neue Geleise lenkt. Ein Bild von starker emotionaler Kraft. Romantische Elemente finden sich auch in Poljanovs Prosabänden Meerestropfen (1907) und Von Ost nach West (1909). Erzählungen, Legenden sowie Poeme in Prosa sind hier die bevorzugten Genres. Bezeichnend sind bereits Titel wie Ein Spaziergang in die Zukunft, Im Reich der Utopien, Drei Visionen und andere. Poljanov setzt das Ideal des Sozialismus ins Bild einer strahlenden Zukunft. Es besitzt universellen Charakter, faßt allgemeine Gesetze der Menschheitsentwicklung zusammen. (Einige Motive seiner Erzählungen sind von Werken utopischer Sozialisten inspiriert, beispielsweise die Idee vom herrlichen Land, von der wunderbaren Stadt, in der das Ideal des Sozialismus verwirklicht wird.. . .) Mit Blitzesschnelle jagt der Märchenzug duich die Geschichte des Menschengeschlechts. Haltestellen sind die besonderen „Stationen der Geschichte", Höhepunkte menschlicher Vorstellungen vom Ideal, vom Glück: die Republik Piatons, der Sonnenstaat des Tommaso Campanella, die Homekolonien Robert Owens, die Phalanstère Charles Fouriers usw. An jeder Station werden neue Wagen angehängt, ihre Zahl wächst ins Unendliche. Die ideologische Wirkungsabsicht der Erzählung ist offensichtlich, und dem dient auch die Form der „Wanderungen" in die Vergangenheit und Zukunft. Auf den Stationen erläutert der Zugbegleiter den neugierigen Reisenden, was sie sehen. Diese Erläuterungen sind publizistische Intermezzi eigener Art, originelle politische Lektionen. In der unaufhaltsamen Bewegung der Menschheit zum Sozialismus hin erscheint die neue Gesellschaft als Triumph wahrer Gerechtigkeit: „Der Zug ist in das endlose Reich der Zukunft eingefahren . . . in das Reich der Ordnung und der Harmonie", wo „die Hand des Menschen alles verschönt hat", dank „des Schaffens freier Bürger", wo „die Arbeit nicht mehr eine Last, sondern Vergnügen, Freude und Pflicht" ist (Im Reich der Utopien, Ein Spaziergang in die Zukunft, 1906). Ähnliche Allegorien treten uns auch in den Drei Visionen (1909) entgegen. Die Völker durchlaufen die Epoche der Sklaverei, dann erheben sie sich zum Kampf für die Freiheit, und 135
schließlich werfen sie die Ketten der Ausbeutergesellschaft ab. In der dritten „Vision" wird der Triumphzug zur „Stadt des Glücks" dargestellt, die an Campanellas Sonnenstaat erinnert. Diese Menschheitsentwicklung wird — nach einer treffenden Charakteristik von K. Genov — „wie ein romantisches Panorama als .endloser' und ständig weiter anwachsender ,Zug der Stämme und Völker' dargestellt, die aus einer Epoche in die nächste, fortgeschrittenere, hinüberwechseln. Auch hier, wie in Poljanovs Gedichten, ist real nur die allgemeine Idee (Vorstellung) vom gesellschaftlichen Fortschritt, nicht aber das gezeichnete Bild vom Leben. Einem ähnlichen romantischen Panorama begegnen wir auch in anderen Märchen und Legenden Poljanovs" 155 . Oft entlehnt der Dichter Sujets und Bilder aus der Geschichte des alten Orients, aus Hellas, aus der Mythologie und aus den Evangelien (beispielsweise die Gestalten des Sokrates, der Kleopatra, des Herostrates, Christi u. a.). Das Verhältnis zu den historischen Fakten und Geschehnissen ist für ihn durchaus typisch: er versucht nicht, sich an die geschichtliche Wahrheit zu halten, sondern verfährt frei mit dem historischen Material und verarbeitet es im Sinne seiner künstlerischen Ziele. In den Anmerkungen zur Legende Die dritte Nacht der Kleopatra (im Sammelband Von Ost nach West, 1909) sagt Poljanov: „Ich habe mir nicht die Aufgabe gestellt, Geschichte zu schreiben — die Geschichte ist für mich nur ein dunkler Untergrund, auf den mit leuchtenden Farben die mannigfaltigsten Muster gestickt werden." 156 Das sozialistische Ideal erscheint auch im allegorischen Streit zwischen dem Menschen und den Personifikationen von Liebe, Lüge, Interessen und Ausbeutung. Der Mensch besiegt die Mächte der Finsternis und begrüßt das Licht auf Erden (Die große Geste, 1906). Im Zyklus 'Erzählungen vom proletarischen Teufel wird ein synthetisches Bild vom Proletariat als einem dämonischen, allgegenwärtigen, alles besiegenden Wesen gezeichnet, „Das Gesicht wie aus Bronze gegossen, der Wuchs gigantisch, die Augen wie Blüten in allen Regenbogenfarben . . . , die Mütze wie eine Gewitterwolke über dem Scheitel eines Berges" — so sieht das Porträt dieses Märchenhelden aus. Natürlich wäre es falsch, in Poljanovs Schaffen bis zum 136
Ende des ersten Weltkrieges nicht auch realistische Züge zu erkennen. Sie kommen vorwiegend in der Kritik an der bürgerlichen Ordnung und an der sozialen Ungleichheit zur Geltung. Man wird sie unschwer im Gedicht Gestürmte Göthen sowie in der lyrischen Dichtung Meine Jugend (1909) feststellen, die Erinnerungen des Dichters an Kindheit und Jugend, seine Reflexionen über die gesellschaftlichen Pflichten des Bürgers lebendig widerspiegelt. Aber in bezug auf die Darstellung des Ideals war Poljanov ein Romantiker. Interessant ist jedoch, wie sich in seinem Schaffen mit der Zeit, parallel zur Entfaltung der eigenen und allgemeinen revolutionären Praxis, auch das Verhältnis von Romantik und Realismus veränderte. Dabei scheint die revolutionäre Romantik in den Realismus hinüberzuwachsen, frei und organisch in eine neue Qualität umzuschlagen. Die ersten Anzeichen dieses Prozesses können wir schon sehr frühzeitig in einigen Gedichten, die unter dem Einfluß der russischen Revolution von 1905—1907 entstanden, beobachten {Am Puls des Lebens, 1906). Noch klarer zeichnete sich dieser Prozeß nach dem ersten Weltkrieg auf Grund der neuen historischen Bedingungen ab, und zwar nicht ausschließlich bei Poljanov, sondern vor allem bei der jungen Dichtergeneration. Das Thema der Oktoberrevolution, das sich breit ausgearbeitet weltweit durch die revolutionäre Literatur zieht, wurde auch für viele bulgarische Dichter — z. B. für Poljanov, Smirnenski und Jasenov — zu einem Angelpunkt ihres Schaffens. Das Anwachsen der revolutionären Bewegung der bulgarischen Werktätigen nach 1917 ist ein historischer Beleg des Kampfes um die Verwirklichung sozialistischer Ideale. Im Jahre 1918 schrieb Dimitär Poljanov das Gedicht Die Utopisten, das nicht so sehr aus künstlerischen als aus literarhistorischen Gründen interessant ist. Der Dichter spricht von der Lebenskraft der sozialistischen Ideen, die er viele Jahre hindurch — als „Utopist" verhöhnt und verspottet — unentwegt propagiert hat. Nun nehmen seine Träume reale Gestalt an. Er ist stolz auf jene, die vor einem Viertel]'ahrhundert begonnen haben, „das erlösende Wort zu verbreiten", die „dem Volke den wahren Weg zu Wohlstand und Freiheit zeigten", die „überall den proletarischen Arbeiter erweckt haben", damit er 137
kämpfe. Diese Worte unterstreichen den historischen Zusammenhang von revolutionärer Vergangenheit und neuer Kampfepoche. Poljanov nahm aktiv an der ideologischen Arbeit der Kommunistischen Partei Bulgariens teil. Im Jahre 1920 betraute ihn die Partei mit der Redaktion der satirischen Zeitschrift Cerven smjacb, um die sich die proletarischen Schriftsteller scharten. „Der stürmischen Zeit ein stürmisches Lied", so definierte der Dichter seine Aufgabe. Zur realistischen Verallgemeinerung gelangte er anfangs über die Beschreibung 'einzelner Tatbestände. Er war bemüht, sich zu allen bedeutenden politischen Ereignissen zu äußern. Deshalb verfaßte er — oft auf Wunsch von Zeitungs- und Zeitschriftredaktionen — eine große Zahl von Agitationsversen (Cervenuski). In den Anmerkungen zu seinen Werken sagt er selbst: „Diese Art politischer Tagesdichtung hatte großen Erfolg, und das Wort .Cervenuski' wurde zur allgemeinen Bezeichnung für politische Gedichte." 157 Das aktuelle Agitationsgedicht ist für die gesamte bulgarische revolutionäre Poesie jener Jahre ein charakteristisches Genre, z. B. auch für Christo Smirnenski. In seiner Operativität repräsentierte es eine bestimmte Etappe ästhetischer Aneignung der neuen Wirklichkeit, die künstlerische Akkumulation von Lebens- und Schaffenserfahrungen. Poljanov erkannte den Sinn der Ereignisse und versuchte ihn zu gestalten. Im besten Gedicht jener Jahre — Der alte Bergmann (1922) — zeigt er das Wachsen des politischen Bewußtseins des Arbeiters. In der Gestalt des Bergmanns sind zweifellos konkret-historische Züge des proletarischen Revolutionärs erfaßt. Wohl zum ersten Mal in Poljanovs Dichtung ist der Held nicht nur Sprachrohr der neuen Ideen, sondern eine lebensvolle Individualität, wenngleich noch bestimmte Elemente von Schematismus und illustrativem Manierismus anzutreffen sind. So bildete sich ein realistisches Bild vom neuen Menschen heraus. Einige Cervenuski und Gedichte wie Der alte Bergmann weisen Züge eines neuen Realismus, des sozialistischen Realismus, auf. Poljanovs Entwicklung verlief allerdings nicht geradlinig. Er hatte sektiererische Fehler und Irrwege zu überwinden. Sein ideologischer Horizont weitete sich in dem Maße, wie sich 138
die Kommunistische Partei Bulgariens zu einer leninistischen Partei entwickelte. Hier geht es jedoch nur um einen Aspekt, um den Charakter der künstlerischen Verallgemeinerung. Aus einer Reihe von Gründen fügten sich die neuen Elemente nicht zu einem Ganzen, zu keinem geschlossenen System. Dem Dichter gelang keine Gestaltung, in der die Parteilichkeit in die Darstellungsweise integriert wäre. In vielen Cervenuski Poljanovs wird das Bild durch publizistische Rhetorik ersetzt, an anderen Stellen dominiert die versifizierte politische Losung. Der neue Held wird fast ausschließlich unter ideologisch-politischem Aspekt gesehen, ohne daß seine moralische Welt beachtet wird. In der proletarischen Literatur nach 1918 spielte Poljanov keine führende Rolle mehr. Neue, junge Kräfte traten auf den Plan. Der erste Platz gebührt sicher Christo Smirnenski. Er übernahm gewissermaßen den Stab aus Poljanovs Händen und führte das Beste seines Werkes fort. Mit seiner Poesie beginnt die Literatur des sozialistischen Realismus in Bulgarien. In Bulgarien und in der Sowjetunion gibt es reiche Sekundärliteratur zu Christo Smirnenski. Einig sind die Forscher darin, daß Smirnenski rasch von allgemein-demokratischen Positionen zur kommunistischen Weltanschauung gefunden hat. Smirnenski war der größte bulgarische Dichter in der Phase des revolutionären Aufschwungs nach dem ersten Weltkrieg, ein parteilicher Gestalter des gewachsenen sozialistischen Bewußtseins der Volksmassen. Er hat die Grundlagen für den sozialistischen Realismus in Bulgarien geschaffen. Zwischen einzelnen Literaturwissenschaftlern bestehen aber Meinungsverschiedenheiten über den Charakter der künstlerischen Verallgemeinerung bei Smirnenski. Wir sehen bei ihm zwei Grundtypen der Bildsprache, die revolutionärromantische und die realistische Form künstlerischer Verallgemeinerung. , 5 8 * In Smirnenskis Werk stehen diese beiden Erscheinungen nicht im Widerspruch zueinander, sondern im logischen Zusammenhang. Der Übergang der einen Form in die andere vollzieht sich organisch. Verfolgen wir diesen Prozeß und stellen wir die Veränderungen im Charakter der Bildstruktur fest! 139
Bereits um die Jahrhundertwende entstand in der bulgarischen Literatur eine neue Menschen- und Gesellschaftsauffassung, die dem Konzept der bürgerlich-dekadenten Kunst diametral entgegengesetzt war und sich zugleich auch vom kritischen Realismus insofern unterschied, als sie auf dem Wissen um die historische Rolle der neuen sozialen Kräfte beruhte. Mit der neuen Auffassung war auch Smirnenski verbunden, er entfaltete sie zu einem System ästhetischer Prinzipien. Im folgenden sollen nicht nur die Unterschiede zwischen Smirnenski und Vertretern anderer literarischer Strömungen, sondern auch der Unterschied zwischen ihm und den ersten proletarisch-revolutionären Schriftstellern herausgearbeitet werden. Nur so bekommt man einen Begriff von den qualitativ neuen Zügen der bulgarischen sozialistischen Literatur in der zweiten Etappe ihrer Entwicklung. Wie gelangte Smirnenski zu Verständnis und Gestaltung der revolutionären Wirklichkeit? Der Dichter begann seine literarische Laufbahn während des ersten Weltkrieges. Anfangs überwog seine Kritik an der bürgerlichen Gesellschaft. Noch sah er keinen Ausweg aus der „Welt der Hast, der Finsternis und des Lasters", er suchte nach einem Ideal, für das es sich lohnte, „voll Stolz zu sterben" (.In den heutigen Tag geblickt, 1917). Der Vladaja-Aufstand der Soldaten im September 1918 übte auf Smirnenski nachhaltigen Einfluß aus. Nach eigenem Zeugnis machte dieser Aufstand den „blutigen Riß im Gehirn" offenbar (Die Augen, 1919). Der Dichter empfand die Kraft des revolutionären Volkes, er sah es im Kampf und verstand dessen Haß gegen die Anstifter zum Krieg, wie das Gedicht Vom Erhabenen %um Lächerlichen (1918) deutlich ausweist. Seit 1919 beteiligte sich Smirnenski aktiv am gesellschaftlichen Leben seines Landes und arbeitete an kommunistischen Publikationsorganen mit. Unter dem Einfluß der Oktoberrevolution und mit dem Anwachsen der revolutionären Bewegung in Bulgarien, an dem die Kommunistische Partei entscheidenden Anteil hatte, formte sich die kommunistische Weltanschauung des Dichters. Immer klarer wurden ihm die Gesetzmäßigkeiten der geschichtlichen Entwicklung, und er erkannte Stellung und Aufgabe der Kunst im gesellschaftlichen Leben. 140
Im Unterschied zu ästhetisierenden Prinzipien trat Smirnenski für eine enge Verknüpfung von Kunst und Politik ein. E r war bemüht, seine Poesie voll in den allgemeinen revolutionären Kampf einzugliedern. Die Position eines unbeteiligten Zuschauers war ihm fremd, er stand mitten im Leben. Mit aktuellen Agitationsgedichten reagierte er auf die politischen Zeitereignisse. Der Smirnenski-Herausgeber T . Borov bemerkte hierzu: „In den aktuellen Strophen Smirnenskis wird unsere politische Wirklichkeit der Jahre 1918—1920, vor allem aber der Jahre 1921, 1922 und 1923, Woche um Woche fixiert. Diese Gedichte eingehend zu kommentieren, hieße eine politische Geschichte jener Jahre schreiben." 1 5 9 In dieser Hinsicht steht Smirnenski Majakowski, Bednyj und anderen sowjetischen Dichtern der Revolution und des Bürgerkrieges nahe. Zweifellos war diese Aktualität ein gemeinsames Merkmal der frühen sozialistischen Literatur überhaupt. Die Arbeit an den Agitationsgedichten lehrte ihn Fakten zu erfassen, erweiterte seine Erfahrungen als Künstler und festigte seine kämpferische Parteilichkeit. Seit 1920 rückte die heroische Thematik in den Vordergrund, die der Dichter sowohl auf revolutionär-romantische als auch auf realistische Weise gestaltete. Natürlich liegt hier keine streng chronologische Abfolge vor, aber eine gewisse Tendenz zur immer breiteren Erfassung der Wirklichkeit, zu einer vielseitigeren realistischen Darstellung ist recht klar zu erkennen. Man kann die Poesie Christo Smirnenskis nicht begreifen, ohne sich die ideologische und emotionale Atmosphäre jener Jahre zu vergegenwärtigen. Der Sieg der Oktoberrevolution in Rußland, die Novemberrevolution in Deutschland, die Ungarische Räterepublik und der revolutionäre Aufschwung in Bulgarien — all das weckte Begeisterung, förderte den Internationalismus, festigte den Glauben an den Sieg der sozialistischen Ideen und rief allgemein eine revolutionär-pathetische Stimmung hervor. So konnte 1925 G. Bakalov feststellen: „In Christo Smirnenskis Dichtung spiegelt sich der großartige Elan der proletarischen Bewegung . . . Und deshalb schäumt sie über vor Bewegung und Leben." 1 6 0 Dies war für die gesamte revolutionäre Literatur jener Jahre, für die Poesie Poljanovs, 141
Jasenovs, Asen Rascvetnikovs, Krum Kjuljavkovs u. a. charakteristisch. Das Neue erscheint hier zumeist noch allgemein und undifferenziert. Inspiriert vom Sieg in Rußland, wurde das Verlangen nach revolutionärem Aufbruch und Sieg im eigenen Lande zum Leitmotiv vieler Gedichte, die revolutionärromantische Züge tragen. Die revolutionäre Romantik jener Jahre erlangte im Vergleich zur Romantik der ersten proletarisch-revolutionären Schriftsteller eine neue Qualität. Sie erwuchs aus dem realen Kampf der Volksmassen und aus dem Glauben an die baldige Verwirklichung des Sozialismus. Es war eine Romantik vor dem Sturm, eine Romantik begeisterten und erregten Wartens auf den Entscheidungskampf der beiden Welten und seinen günstigen Ausgang. „Ich warte vor dem geöffneten Vorhang, über mir schlägt es zwölf", schrieb Christo Jasenov 1919 in Erwartung freudvoller Tage, der „strahlenden Hoffnung der Sklaven" (Zum neuen Jabr). Krum Kjuljavkov verwendet das Bild der Flamme, die Rußlands Steppen rötet und die Völker der Welt zu Kampf und Heldentum ruft (Russische Steppen, 1919). Er spürt das Erwachen der Straße, die Revolutionierung des Volkes: „Ich erwarte den Aufstand der Massen, den Rauch auf den Barrikaden . . ." (Die Straße, 1922). „. . . In den Herzen erhebt sich eine Welle überschäumender Pein", schrieb Asen Rascvetnikov im Gedicht Den roten Kämpfern (1921). Ähnlich wie Kjuljavkov greift er zum Symbol der „hell lodernden Flamme, die er mit feurigen Worten beschwört und herbeiruft" (Die Flamme, 1921). Von dieser Grundstimmung war auch Christo Smirnenski ergriffen. In vielen seiner Gedichte dominiert das Bild des heraufziehenden revolutionären Sturms: „Die Stadt ist in Erregung, in ihr schäumt der Geist der blutigen Empörung" (Der morgige Tag), „Über die Mutter Erde jagt drohend der Hurrikan" (Wir). Im Gedicht Daj- rote Lachen erwarten die Menschen voll Zorn „das Erschallen der Trompete, die zum heiligen Kampf ruft"; die Straße im gleichnamigen Gedicht „lauert drohend . . ., beim ersten Ton der Festtagsglocke ihre Lava zu verströmen . . ." usw. Smirnenski verstand es, den Zustand revolutionärer Spannung in Bulgarien zu vermitteln. 142
Nach Luft dürstet die Brust, die Augen verlangen Licht, ein Traum, nur eine Sehnsucht brennt und erfüllt die Seelen, aus Tränen und blutigem Joch, aus dem Grauen der kalten Finsternis dröhnt ein Ruf empor aus aller Munde: „Es werde Tag! Es werde Tag!" Zentrales Motiv wird die Masse, das Volk. Der Dichter besingt „die ewigen Schöpfer der Güter des Lebens" {Wir). Wie eine triumphale Hympe klingt das Gedicht Die Volksmassen: In der Masse schlummert gewaltiger Sturm, die Sonne ist darin verschmolzen . . . Zur Tat hat die Erde die Masse geboren, zur Heldentat kühn und groß . . . Noch stehen sich Bourgeoisie und Volk in gespannter Erwartung des bevorstehenden Kampfes gegenüber: „. . . es mehren sich die Scharen, weil der Morgen des heiligen Festtages anbricht", und jeder Unterdrückte sehnt sich danach, „in die rote Flut des morgigen Sturmtages zu tauchen". Der Dichter ist zuversichtlich: Es schwindet das Dunkel der Nacht, „und auf dem steinigen Pfad des jahrhundertelangen Kampfes schreitet das menschliche Geschlecht zum Tor des neuen Lebens" (Der morgige Tag). Smirnenski kündet die nahende Revolution. Diese stellt er nicht selten in weltweiten Dimensionen und abstrakt verschlüsselt dar. An die Welt der Unterdrücker gewandt, sagt er im Gedicht Der Zorn der Sklaven: Der schwarze Schatten stürmischer Jahre naht sich mit drohender Macht seltsam gefahrvoll schimmert der Erste Mai die Erde bebt, raucht, und vor Euch, unterm schweren Grabstein hervor dringt schreckliche Drohung. 143
Der Widerstand zwischen Arbeit und Kapital, der Kampf des russischen Volkes in der Revolution und sein Sieg finden symbolischen Ausdruck im Ringen des Prometheus mit Zeus (Der russische Prometheus). In der Erzählung Die Erbauer erscheint die Welt der Ausbeuter als „düsteres Gebäude". Millionen Hände haben unter großen Opfern das steinerne Ungetüm beharrlich zu stützen versucht, bis es im revolutionären Sturm „mit Donnern und Krachen, in Wolken von Staub und Rauch", zusammenstürzt. An seiner Stelle beginnen die Menschen ein neues Gebäude zu errichten. Die Gedichte und Erzählungen Christo Smirnenskis offenbaren poetisch Macht und Größe des revolutionären Volkes. Dabei allerdings geht oft die Individualität verloren, verschwindet die Persönlichkeit in der großen Masse. Gewiß, darin lag Auflehnung gegen den bürgerlich-individualistischen Psychologismus, gegen das Auseinanderreißen von Persönlichkeit und Kollektiv, aber seine extreme Haltung schwächt das Verständnis für den konkreten Menschen, für seine Innenwelt. Leistung und Grenze bei der Darstellung des kollektiven Helden, der Masse, erkennen wir auch in anderen Werken Smirnenskis, in deren Mittelpunkt der Arbeiter steht. In vielen Gedichten wird der Mensch nicht konkret als Individuum von der sozialen und moralisch-psychologischen Seite her gefaßt. Smirnenski stellte sich eine andere Aufgabe, nämlich den neuen historischen Helden märchenhaft zu poetisieren. Dies bestimmte die Struktur seiner Gedichte, ihren pathetisch-romantischen Charakter. Den Helden „gebären Orkane, küssen Blitze", er ist nicht Individuum, sondern Vertreter einer Mehrzahl, selbst die Erzählung von einem einzelnen Menschen geht in eine Erzählung von der Volksmasse über. Es ist das Titanische, das in den Vordergrund rückt: „Viele Jahrhunderte flogen über ihn hinweg, ein Meer von Not und Elend wiegte ihn"; er war es, der die ägyptischen Pyramiden errichtete, in Roms Arenen starb, der die Sträflingsarbeit auf den Feldern und in den Fabriken ertrug, und nun hat er sich in seiner ganzen gewaltigen Größe erhoben, „gleicht den Gipfeln der Berge", in seinem Anblick mischt sich „das zarte Rauschen blühender Pfirsichbäume mit dem tödlichen Dröhnen ausbrechender Lava" (Der Sklave). 144
Vor dem Leser ersteht ein romantisches Bild des Helden der Weltgeschichte, der Masse — Mensch, des Volkes. Im Gedicht Der Arbeiter heißt es: „Unter seinen schweren Schritten erwacht die zornige Stadt"; der Dichter nennt den Arbeiter den „neuen Prometheus, befreit vom Fluch der Götter": Mit kühnen Schritten geht er einher dem Frührot des Lebens entgegen und streut über das Menschengeschlecht, das dunkel umhüllte, sein Feuer der Rubinen. Der Proletarier ist der unüberwindliche Titan, das Symbol der Kraft des Volkes: Um Mitternacht stehe ich vor verschlossenen Türen ungerufen und unbekannt, in meinen erzürnten Händen zittert der schicksalshafte zornige Hammer. Das romantische Bild des Titanen bestimmt Spezifik und Pathos solcher Gedichte, folglich auch den Charakter ihrer künstlerischen Verallgemeinerung. Dies trifft auch auf das bemerkenswerte Gedicht Die Empörung des Vesuvs zu. Der Vulkan erscheint als lebendiges titanisches Wesen: Er teilt den Gram der Wolken, die über ihm erstarrt sind, und beobachtet erbittert das zügellose Treiben in Pompeji, das Echo seines schweren Atems hallt furchterregend durch die Nacht. Das Bild des „erzürnten Riesen", der feurige Lava auf jene schleudert, die ihr Leben „in sinnlosen Orgien" verbringen, drückt die Kraft des Volkes aus. Dieses Pathos entsprach dem Geist jener bewegten Zeit. In Smirnenskis Gedichten, wie übrigens auch in den Gedichten Poljanovs, erkennt man unschwer symbolistische Verfahren. Sie haben hier freilich eine ästhetische, eine revolutionäre Funktion, wie sie sich aus des Dichters Parteilichkeit erklärt. In dieser Umbruchzeit kennzeichnete eine romantische Auffassung die gesamte revolutionäre Dichtung in der Welt. 10
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Für viele Künstler war es ein Suchen nach Formen, die geeignet wären, die Größe des Neuen im Leben des Volkes auszudrücken, eine Etappe in der Aneignung der heroischen Thematik, ein Ausdruck tiefen Glaubens an diebevorstehenden revolutionären Veränderungen in ihren Ländern. Solche Züge finden sich auch in der Poesie Jiri Wolkers, Wtadysiaw Broniewskis u. a. L. I. Timofeev betrachtet die revolutionäre Romantik als eine charakteristische Eigenschaft der Sowjetliteratur in den ersten Jahren nach der Revolution und erläutert ihre spezifischen historischen Voraussetzungen: „In der romantischen Gestaltung der Revolution trat der Respekt der Schriftsteller vor der Kraft und Größe der revolutionären Masse, der revolutionären Bewegung insgesamt, in den Vordergrund. Dieses Pathos der revolutionären Masse war natürlich durch den heroischen Charakter des Volkskämpfes, durch den welthistorischen Aufschwung der proletarischen Revolution bestimmt, die in der revolutionären Bewegung der Arbeiter und der Werktätigen anderer Länder Widerhall fand . . . " 1 6 1 Bei der Charakterisierung der „Kuznica" als einer Entwicklungsetappe der Sowjetliteratur spricht Timofeev auch über Majakowskis Weg vom Mysterium Buffo und den 150000000 zum Poem Vladimir Wie Lenin, von der verschlüsselt romantischen Bildsprache zur konkreten Darstellung des proletarischen Revolutionärs. Smirnenski stand der sowjetischen Poesie jener Jahre sehr nahe.162 Darin kommen zweifellos allgemeine Entwicklungstendenzen der proletarisch-revolutionären Literatur und vor allem die Tendenz von der pathetisch-romantischen zur realistischen Erfassung der revolutionären Wirklichkeit, des neuen, positiven Helden, zum Ausdruck. In vielen Werken setzt sich Smirnenski kritisch mit der bürgerlichen Welt auseinander, zeichnet die unerträglichen Lebensbedingungen der Werktätigen. Hierher gehören die Gedichte Die Brüder Gavrocbes und Das Blumenmädchen, in denen die sozialen Kontraste in einer kapitalistischen Großstadt aufscheinen, sowie die Poeme Winterabende und Der gelbe Gast. Mit ihnen setzt der Dichter die Tradition des sozialen Engagements der demokratischen Poesie fort. 146
Aber Smirnenski stellte nicht nur das Elend des Volkes und die soziale Ungleichheit dar, sondern sah auch die historische Perspektive der gesellschaftlichen Entwicklung, den revolutionären Elan der Volksmassen, die sich zum Kampf für die sozialistische Umgestaltung der Gesellschaft erhoben. In dieser künstlerischen Sicht der Wirklichkeit, in der Konzeption des neuen positiven Helden, besteht Smirnenskis Neuleistung innerhalb der bulgarischen Literatur. Der Traum von der sozialistischen Revolution im eigenen Lande lenkte Smirnenskis Aufmerksamkeit auf weltgeschichtliche Ereignisse. Viele Gedichte widmete er der Oktoberrevolution und dem revolutionären Kampf des deutschen Proletariats. Tiefer als in anderen Arbeiten bewährten sich darin die realistischen Prinzipien der Darstellung. Hatte Poljanov den neuen Menschen, den sozialistischen Kämpfer lediglich erahnt, so vermochte Smirnenski nun ein historisch konkretes Bild vom proletarischen Revolutionär zu zeichnen, z. B. im Gedicht Karl Uebknecht. Hier wird Liebknecht an der Spitze einer Antikriegsdemonstration in Berlin und während der Januar-Kämpfe 1919 gezeigt, wird schließlich seine Ermordung durch konterrevolutionäre Militärs beklagt. Liebknecht starb für die Befreiung des Volkes, das macht ihn unsterblich. Das Gedicht ist durchdrungen vom Glauben an die Lebenskraft der revolutionären Ideen: Auch weiterhin wird Berlin Karl Liebknecht an der Spitze der neuen Kämpfer sehen, wird es seine Stimme hören: Berlin, Berlin, vergebens nur die Hoffnung hegtest Du! Umsonst ist Dein Frohlocken, denn das Fest ist nur ein Nu — hier bin ich jederzeit! Umsonst begrubst Du mich in der unheimlichen Allee, in Deinen Straßen lebe ich auch heute, so wie je, den Tod ich überwand! Die Masse werde wieder ich zum letzten Sturm erwecken, damit sie ihren Fahnenmast mit Siegesrufen strecken hinein ins schwarze Land! (Entnommen aus: Bulgarien erzählt, Berlin 1959, S. 104) 10*
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Der proletarische Revolutionär findet seine Verkörperung auch in dem kleinen Poem Jobann, das ebenfalls den JanuarEreignissen des Jahres 1919 in Deutschland gewidmet ist. Hier dominieren realistische Züge. Smirnenski erfaßt die Gesamtsituation jener Jahre, die Atmosphäre angespannten Kampfes. Die einzelnen Kämpfer sind untrennbar mit den Volksmassen verbunden, aber doch individualisiert, es sind ausgeprägte Persönlichkeiten. Johann steht hier für Tausende unbekannter Helden. In dieser Gestaltung offenbart sich die Parteilichkeit des Dichters. Wurde in den Gedichten Poljanovs die Idee des sozialistischen Kampfes lediglich als Parole, als Aufruf verkündet, so wird sie hier vom Helden verwirklicht. Johann bleibt auch angesichts des unabwendbaren Untergangs standhaft. In dem Zusammenstoß mit dem Husaren, der seinen Tod herbeiführt, ist er im Bewußtsein des unverbrüchlichen Bündnisses mit dem kämpfenden Volk der Überlegene. Dem Feind schleudert Johann die Worte ins Gesicht: Wahnwitzigel Aus jedem Tropfen Blut wachsen tausend neue Kämpfer auf. Der politische Kampf bleibt die bestimmende Sphäre, in der sich der Charakter enthüllt, obwohl der Dichter partiell auch die persönliche Seite im Leben des Helden berührt. Die dramatische Szene des Abschiedes der Frau von ihrem Mann, der Schmerz der jungen Mutter, die am Schluß des Poems vergeblich auf seine Rückkehr wartet — in all dem spiegeln sich Größe und Tragik des Kampfes. Smirnenski bemühte sich auch weiterhin um die Gestaltung der Innenwelt des proletarischen Revolutionärs. Der lyrische Held vieler seiner Gedichte (Fräblingsbrief, Dem Sturm entgegen ur}d einige andere) ist eine lebensvolle Individualität. Im Unterschied zur subjektivistischen Lyrik der Dekadenz, in der sich die Persönlichkeit gleichsam in sich selbst verschließt, stellt Smirnenski das Gesellschaftliche und das Persönliche, das Denken und das Fühlen in organischer Einheit dar. Er schafft eine Lyrik neuen Typus, eine revolutionäre, sozialistische Lyrik. Das Gedicht Dem Sturm entgegen ist ein Beispiel solcher 148
Einheit. Der rauhe Atem der Revolution verbindet sich hier mit der Herzlichkeit des Gefühls: Und du, teure Freundin - du, mein letzter Trost, setz deinen Weg unbeirrt mutig fort der Sonne des Frühlings entgegen. Dein helles Gewand und den Morgen unseres Festes küss ich mit warmen Tropfen meines Blutes. Im Schaffen Smirnenskis haben sich die Prinzipien realistischer Darstellung der neuen revolutionären Wirklichkeit konstituiert. Grundlegend geändert hat sich das einstige Verhältnis von Realismus und revolutionärer Romantik. In Werken wie Jobann und Karl Liebknecht beherrscht die revolutionäre Romantik nicht mehr die künstlerische Verallgemeinerung, sie wird vielmehr zu einer Qualität, einer Spezifik des Realismus. Für die gesamte revolutionäre Lyrik Christo Smirnenskis ist das heroische Pathos, die emphatische Erhabenheit des Stils, kennzeichnend. Das muß man im Auge behalten, will man die Spezifik seines Realismus bestimmen. Bei der Darstellung der revolutionären Wirklichkeit deckt sich sein Realismus in gewissem Sinne mit dem Realismus der Literatur der nationalen Wiedergeburt. Als seine charakteristische Besonderheit erscheint das heroische Pathos der revolutionären Romantik. So sehen wir am Beispiel von Poljanov und Smirnenski deutlich die Funktion der revolutionären Romantik in den verschiedenen Entwicklungsetappen der sozialistischen Literatur. Die revolutionäre Romantik hat eine gewaltige Rolle im Herausbildungsprozeß der neuen künstlerischen Methode gespielt. Im Frühstadium der sozialistischen Literatur trat sie als eine der wichtigsten Ausdrucksformen des neuen Ideals, seines heroisch-revolutionären Pathos und der historischen Perspektive auf. Im Prozeß der künstlerischen Aneignung von Welt war die revolutionäre Romantik eine Übergangsetappe auf dem Wege zum Realismus. In jenem Stadium aber, in dem sich die neue schöpferische Methode bereits konstituiert hatte, trat 149
die Romantik auch als Eigenschaft, als neue Qualität des Realismus auf sowie als selbständige, sich herauslösende Form der künstlerischen Verallgemeinerung innerhalb des neuen ästhetischen Systems. Diese Veränderung der Funktion der Romantik bestätigen, wie im folgenden Kapitel zu zeigen sein wird, auch die Erfahrungen anderer Nationalliteraturen. In ihr liegt unserer Meinung nach die Erklärung für die Eigenart und den Platz der Romantik auch in den zeitgenössischen sozialistischen Literaturen.
Sozialistische Literaturen der zwanziger und dreißiger Jahre und der weltliterarische Prozeß Vergleichende Erforschung der Literaturen des 20. Jahrhunderts Die Erforschung der sozialistischen Literaturen erfolgt in der Sowjetunion unter verschiedenen Aspekten. Große Bedeutung erlangt zur Zeit der bisher zu wenig beachtete vergleichendtypologische Aspekt, die Analyse analoger, sich unter spezifischen nationalen Bedingungen vollziehender Prozesse. Die marxistische Literaturwissenschaft hat eine Reihe methodologischer Fragen der vergleichenden Literaturforschung recht gründlich untersucht. Dabei wurde die Methodologie der bürgerlichen Komparatistik in ihren verschiedenen Richtungen einer wissenschaftlichen Kritik unterzogen.163 Im allgemeinen sind die einzelnen vergleichenden Forschungsverfahren klar gegeneinander abgegrenzt.164 Die Möglichkeiten und der beste Einsatz der jeweiligen Verfahren werden zumeist ausführlich erörtert. Dennoch konzentriert sich die Aufmerksamkeit vieler Autoren lediglich auf die literarischen Einflüsse. Charakteristisch für eine derartige Einengung der vergleichenden Literaturforschung ist beispielsweise B. Reizovs allgemein-theoretische Abhandlung Vergleichende Literaturwissenschaft165. Im Grunde ist hier nur von literarischen Einflüssen die Rede. Diese werden zwar vorwiegend inhaltsbezogen vorgeführt, doch erschöpft sich darin natürlich nicht der Gegenstand der vergleichenden Literaturforschung. Die meisten Spezialuntersuchungen sind bislang den Kontaktbeziehungen zwischen einzelnen Nationalliteraturen oder einzelnen Schriftstellern, weniger jedoch den unabhängig voneinander entstandenen analogen Erscheinungen gewidmet. Es sei noch auf eine Besonderheit der komparatistischen Untersuchungen verwiesen. In ihnen dominiert entschieden 151
das literarhistorische Material der Vergangenheit bis zum 19. Jahrhundert. Davon zeugt beispielsweise der Ende August 1966 in Sofia veranstaltete Erste Internationale Balkanistenkongreß, der die Problematik der vergleichenden Erforschung der Literaturen des 20. Jahrhunderts nahezu völlig außer acht gelassen hat. Diese Feststellung enthält nicht den geringsten Vorwurf gegen Autoren, die sich mit der Erforschung zeitlich zurückliegender Perioden der literarischen Entwicklung befassen. Natürlich bieten auch diese reiches, noch bei weitem nicht erschöpfend ausgewertetes Material für Verallgemeinerungen, auf Grund dessen in verschiedenen Ländern bedeutende Untersuchungen entstanden sind, die nicht selten zu interessanten Schlußfolgerungen theoretischen Charakters kommen. Trotzdem verdient die vergleichende Erforschung der Literaturen des 20. Jahrhunderts stärkere Beachtung. Es gilt, ästhetische Errungenschaften herauszuarbeiten, die für die neuen Gesetzmäßigkeiten des künstlerischen Fortschritts in unserer Zeit charakteristisch sind. Und dies um so mehr, als nicht wenige Literaturwissenschaftler des Westens die Prozesse, die sich seit der Oktoberrevolution vollzogen haben, entweder völlig vernachlässigen oder ihre Bedeutung herabsetzen.166 Dafür sei ein charakteristisches Beispiel angeführt. Auf dem bereits erwähnten Internationalen Balkanistenkongreß hielt Prof. A. Mirambelle einen Vortrag über Die Entwicklung der Uteraturen Südosteuropas im Verhältnis anderen Literaturen vom Anfang des 18. Jahrhunderts bis in unsere Tage. Bei der Behandlung der Länder Südosteuropas in diesem großen Zeitraum stellte der Autor die Behauptung auf, daß „unabhängig von gewissen Unterschieden die Geschichte der neuen Literaturen in diesen Ländern eine Wiederholung der Geschichte der westlichen Literaturen" sei. Seiner Meinung nach sind Bedeutung und Niveau der Entwicklung der Literaturen Südosteuropas am Grad ihrer „Integration in die europäische Literatur" zu messen.167 Natürlich ist die gewichtige Rolle bekannt, die die westeuropäischen Literaturen bei der Entwicklung auch der südosteuropäischen Literaturen gespielt haben. Aber Prof. Mirambelle übersieht völlig, daß hier seit einigen Jahrzehnten 152
Literatuten neuen Typs, sozialistische Literaturen bestehen und übergeht rundweg die gegenwärtigen sozialen und künstlerischen Errungenschaften, ohne die der Inhalt literarischer Entwicklung im 20. Jahrhundert objektiv nicht zu bestimmen ist. In den letzten Jahren sind besonders in den sozialistischen Ländern zahlreiche Aufsätze und Bücher zur Literaturentwicklung nach der Oktoberrevolution erschienen. Im Zentrum ihrer Aufmerksamkeit stehen literarische Beziehungen und Einflüsse, zum Beispiel Beziehungen zur Sowjetliteratur, zu Schriftstellern wie Gorki, Majakowski und Scholochow. Es gibt aber auch Analysen historisch-typologischer Erscheinungen zweier oder mehrerer sozialistischer Nationalliteraturen.168* Das sind freilich nur erste Schritte zur Untersuchung der allgemeinen Gesetzmäßigkeiten literarischer Prozesse. In diesem Zusammenhang verdienen zwei Arbeiten unser Interesse — Probleme der Wechselbeziehung der modernen Literaturen von I. G. Neupokoeva (1963) und Allgemeine und vergleichende slawische Literaturwissenschaft von E. Georgiev (1965). Diese, ihrer Aufgabenstellung und ihrem Charakter nach unterschiedlichen Werke bieten — im Gegensatz zu vielen anderen Arbeiten — eine historisch-typologische Analyse literarischer Prozesse im 20. Jahrhundert. Georgiev, der die Literatur in der Epoche der nationalen Wiedergeburt relativ ausführlich behandelt, geht auf die neueste Periode leider nur sehr flüchtig ein, wobei er über eine allgemeine Konstatierung bekannter Tatsachen nicht hinausgelangt. So müßte sich wohl an die Feststellung der Tatsache, daß sich der sozialistische Realismus in den slawischen Literaturen herausbilde, eine Untersuchung seiner inneren Gesetzmäßigkeiten anschließen, doch eine derartige Aufgabe stellt sich dem Verfasser offensichtlich nicht. Mit der Entwicklung des sozialistischen Realismus in der Weltliteratur während der letzten fünfzig Jahre befaßt sich die Arbeit von I. G. Neupokoeva. Die breite Anlage dieser Untersuchung ließ kaum Möglichkeiten, einzelne ästhetische Erscheinungen oder bestimmte Literaturperioden konkreter zu analysieren, zumal sich die Verfasserin auf die Erforschung von Wechselbeziehungen, und zwar auf Verfahrensfragen konzentriert. Aber sie weist Analogien in verschiedenen revo153
lutionären Literaturen klar aus. Das kann bei einem marxistischen Herangehen auch gar nicht anders sein, da literarische Wechselbeziehungen und Einflüsse außerhalb historisch bedingter Analogien nationalliterarischer Prozesse undenkbar sind. Bei der Untersuchung sozialistischer Literaturen slawischer Länder in den zwanziger und dreißiger Jahren konzentrieren wir uns auf analoge Erscheinungen, die häufig außerhalb der unmittelbaren literarischen Kontakte zu finden sind. Natürlich gibt es hier keine absolute Grenze. Die Nationalliteraturen sind keine voneinander isolierten Inseln, die revolutionären Literaturen mit ihrem Streben nach internationalen Verbindungen schon gar nicht. Das Problem der literarischen Typologie ist mit dem Problem der literarischen Beziehungen und Einflüsse eng verflochten. So wie man einerseits bei der Untersuchung spezifisch-typologischer Erscheinungen die unmittelbaren Kontakte der Literaturen und die literarischen Einflüsse nicht ignorieren darf, so wäre es andererseits noch unrichtiger, letztere losgelöst von den historisch-typologischen Tendenzen der miteinander verglichenen Literaturen zu betrachten. Und wenn Arbeiten zur Typologie mitunter an übermäßiger Abstraktheit leiden, so ist andererseits zahlreichen Aufsätzen und Büchern über literarische Beziehungen ihr deskriptiver Charakter, das Fehlen nötiger Verallgemeinerungen anzulasten. Bei aller Untrennbarkeit beider grundlegender Aspekte der vergleichenden Literaturforschung — der Kontaktbeziehungen und der typologischen Analogien — darf man nicht die Unterschiede zwischen ihnen übersehen. Natürlich hat jeder Literaturforscher das Recht, je nach Problemlage den einen oder den anderen Aspekt zu betonen. Der Fehler vieler Komparatisten besteht — nebenbei gesagt — nicht darin, daß sie zwischen der sogenannten vergleichenden und der allgemeinen Literaturwissenschaft unterscheiden, sondern daß sie die eine der anderen gegenüberstellen, und — was das wichtigste ist — das historische Herangehen ignorieren. Die Blickrichtung auf das Allgemeine schwächt die Charakteristik des Konkret-Nationalen, weil eine solche Analyse von national-spezifischen Details und Unterschieden abstrahieren 154
muß, was fast immer eine unvollständige Erfassung des Faktenmaterials in sich schließt. Ein derartiger Vorwurf ist jedoch nur dann berechtigt, wenn er die Unhaltbarkeit der allgemeinen Schlußfolgerungen nachweist, nicht aber, wenn er lediglich auf eine Aufzählung unerwähnt gebliebener Beispiele und Fakten zielt. Natürlich schließt kein Gesetz den ganzen Reichtum der Erscheinungen des Lebens ein. Aber das Wesen der Erkenntnis besteht nicht in der empirischen Beschreibung von Fakten, sondern in der Aufdeckung des ihnen innewohnenden Sinns, der nur über eine Abstraktion zu gewinnen ist: „Das Denken, das vom Konkreten zum Abstrakten aufsteigt, entfernt sich nicht — wenn es richtig ist . . . — von der Wahrheit, sondern nähert sich ihr." 1 6 9 Das Nationale in den Literaturen bezieht sich nicht nur auf Erscheinungen, die keine Analogien in anderen Ländern haben. Unwiederholbarkeit schließt Allgemein-Menschliches nicht aus, in echter Kunst sind beide Komponenten immer dialektisch miteinander verbunden. 170 Das National-Spezifische verliert nichts an Bedeutung, wenn in ihm allgemeine Züge enthalten sind. Auch bei der Analyse analoger Erscheinungen ist stets das Nationale unbedingt zu berücksichtigen, sofern sie konkret-historisch betrachtet werden, also als Erscheinungen einer bestimmten Periode in einem bestimmten Land und mithin auch als nationaler Beitrag zur Weltliteratur. Wie ist der Begriff „Weltliteratur" zu fassen? Wie ist der Beitrag einer Nationalliteratur zur internationalen literarischen Entwicklung zu bestimmen? Sehr häufig wird die Weltliteratur einfach als Summe der Nationalliteraturen verstanden. Eine solche Auffassung ist theoretisch nicht haltbar. Das durchaus natürliche Bestreben mancher Verfasser von Aufsätzen und Büchern zur Geschichte der Weltliteratur oder einzelner ihrer Zonen, die nationale Eigenart jeder Literatur aufzudecken, mündet oft in endloser Aufzählung isolierter Merkmale dieser Literaturen, die durch keine integrierende Konzeption verbunden sind. Noch immer nämlich gibt es keine exakten Kriterien für die Auswahl und Einschätzung literarischer Erscheinungen unter dem Gesichtspunkt weltliterarischer Prozesse. Oft wird als ein solches Kriterium die Popularität, 155
die
Berühmtheit dieses oder jenes Schriftstellers, dieses oder jenes Werkes nicht nur im nationalen, sondern auch im internationalen Maßstab genannt. Natürlich ist das ein wichtiges Kennzeichen. Aber es kann nicht als das entscheidende und noch weniger als das einzige gelten, denn die Popularität des Namens und der Werke eines Schriftstellers fallen nicht immer mit seiner objektiven Bedeutung zusammen,. Mit Recht schrieb A. I. Beleckij in einer Abhandlung über die Poesie Sevcenkos: „Die historische Bedeutung eines Schriftstellers läßt sich natürlich nicht an einer Statistik seiner Übersetzungen in andere Sprachen oder an seiner Popularität beim Publikum in der Welt ablesen. Der Verfasser der .Drei Musketiere' und des ,Grafen von Monte Christo' oder, sagen wir, der Autor von Sherlock Holmes Abenteuern, d. h. Dumas d. Ä. und Conan Doyle, sind bis heute populär, und ihre Werke werden in fast allen Sprachen der Welt gelesen. Aber die Popularität sagt noch nichts über ihren objektiven Wert aus. Um die Weltbedeutung von Sevcenkos Schaffen zu bestimmen, muß man es auf der Waage der Geschichte wägen." 1 7 1 E s gibt da schreiende Mißverhältnisse. Die Werke Jan Lancaster Flemings beispielsweise kommen im Westen in Millionen-Auflagen heraus, obwohl sie objektiv wohl kaum als hohe künstlerische Leistungen ihrer Epoche einzuschätzen sind. Puschkin aber war zu Lebzeiten jenseits der Grenzen Rußlands kaum breiteren Kreisen bekannt. Gibt es dennoch objektive Kriterien für die Bestimmung des Begriffs „Weltliteratur" ? Augenscheinlich muß man hier von der fortschreitenden künstlerischen Entwicklung der Menschheit, vom allgemeinen Fortschritt der Weltliteratur und vom Anteil der jeweiligen Nationalliteraturen an ihm ausgehen. Der künstlerische Fortschritt ist unstreitig mit der Entwicklung der Völker zu immer vollkommeneren Formen des gesellschaftlichen und geistigen Lebens verbunden, denn es gibt keinen großen Künstler, in dessen Schaffen sich diese Prozesse nicht widerspiegelten. In ihrer bildhaften Wiedergabe ist auch das Wesen dessen enthalten, was wir künstlerischen Fortschritt nennen. Die Vorstellung vom künstlerischen Fortschritt beruht keineswegs nur auf der einfachen Chronologie verschiedener künstlerischer Erscheinungen. Erstens können 156
solche Erscheinungen dem objektiven Fortschritt in der Geschichte zuwiderlaufen, zweitens sind sie in ihrem künstlerischen Wert nicht gleich, denn dieser ist nicht nur von einem Faktor, sondern von der Gesamtheit aller Faktoren abhängig: sowohl von der Breite des Weltbildes als auch vom Talent des Schriftstellers, der nationalen Tradition usw. Man kann nicht sagen, daß originelle Kunstschöpfungen verschiedener Epochen einander „ablösen", ihr ästhetischer Wert ist unvergänglich. Aber gerade als Schöpfungen bestimmter Epochen tragen sie unwiederholbare Züge eines Augenblicks der historischen Bewegung, folglich sind sie an dem Neuen zu messen, das in die künstlerische Aneignung der sich unaufhörlich wandelnden Wirklichkeit eingebracht wird. Wichtig in diesem Zusammenhang erscheinen Kampf und Ablösung der literarischen Richtungen, die Weltanschauung ihrer Vertreter, ihre philosophische Position sowie das gesellschaftliche und ästhetische Ideal. Ein greifbares Kriterium des künstlerischen Fortschritts ist die Darstellungsweise des Menschen in seinem Verhältnis zur Welt. Sie fällt unterschiedlich aus, und durchaus nicht alle Lösungen gründen sich auf humanistische Vorstellungen. Aber der künstlerische Fortschritt ist gerade mit der humanistischen Mission der Kunst verbunden, mit den besten Bestrebungen des Menschen nach sozialer Freiheit, sittlicher Vollkommenheit, Vorurteilslosigkeit und nach Erkenntnis der Welt und ihrer inneren Logik. Das setzt sowohl Aufdeckung all dessen voraus, was der Verwirklichung des wahren menschlichen Wesens entgegensteht, als auch die Darstellung des Menschen in seinem geistigen Wachstum, in der allmählichen Formung seiner schöpferischen Wesenskräfte. Das unwiederholbare Erfassen all dessen — stets von einer anderen Seite und mit neuen Ausdrucksmitteln — bildet den Hauptstrang künstlerischen Fortschritts, bestimmt die Größe des Beitrages der einzelnen Nationalliteraturen zum weltliterarischen Prozeß. Ein solches Herangehen sichert den Nationalliteraturen Gleichheit : Jede geht in die Weltliteratur vor allem mit jenen bedeutenden Leistungen ein, in denen die Züge der fortschreitenden künstlerischen Entwicklung relativ klar ausgeprägt sind. So stellt sich eine Geschichte der Weltliteratur nicht als mecha157
nische Zusammenfassung von Literaturen einzelner Nationen und Nationalitäten, sondern als einheitlicher Prozeß dar. Brennpunkt solcher Einheit ist die Analogie nationalliterarischer Erscheinungen, in der sich auf künstlerische Weise die Logik der historischen Prozesse in den einzelnen Ländern reflektiert. In bezug auf die Sozialgeschichte hat Lenin von einem „allgemeinwissenschaftlichen Kriterium der Wiederholbarkeit" 172 gesprochen. Das bezieht sich als Prinzip auch auf die Literaturgeschichte. Die Wiederholbarkeit ist keineswegs als absolute Identität von Erscheinungen verstanden, sondern nur als Analogie, als Entsprechung allgemeiner unabhängig voneinander entstehender und sich in unterschiedlichen Formen äußernder Tendenzen. Sie können in verschiedenen Literaturen zeitlich parallel oder auch mit beträchtlichem zeitlichem Abstand entstehen. Das hängt vom Stand der gesellschaftlichen und literarischen Entwicklung in den einzelnen Ländern ab. Auf Grund ihrer Bindung an die historische Entwicklung können typologische literarische Erscheinungen als Exponent allgemeiner weltliterarischer Gesetzmäßigkeiten gelten. Und gerade darin sollte der Sinn ihrer Erforschung gesehen werden. In der Entwicklung der einzelnen Nationalliteraturen gibt es Perioden* in denen sich typologische Analogien häufen. Eine solche Periode war vor allem die Zeit nach der Oktoberrevolution. Und das ist verständlich. Die Oktoberrevolution übte nachhaltigen Einfluß auf die weltrevolutionäre Bewegung aus. Die politische Aktivierung der Völker und das Erkennen gemeinsamer Kampfaufgaben weckten das Gefühl revolutionärer Solidarität, ließen die internationalen Verbindungen auf gesellschaftlichem und kulturellem Gebiet rasch anwachsen. Überall entstanden Literaturen neuen Typus, sozialistische Literaturen. In ihnen zeigen sich bei aller nationalen Eigenart wesentliche gemeinsame Tendenzen, die die neuen Dimensionen des künstlerischen Fortschritts bestimmen.
Vielfalt und Synthese Von Gesetzmäßigkeiten bei der Herausbildung sozialistischer Literaturen kann man erst sprechen, wenn man sich auf die Fakten literarischer Prozesse in verschiedenen Ländern 158
stützt. Hier sind es in erster Linie die Erfahrungen der südund westslawischen Literaturen, die in dieser oder jener Hinsicht auch mit denen der Sowjetliteratur korrespondieren. Diese Erfahrungen werden bis heute in ihrer weltliterarischen Relevanz unterschätzt. In den Arbeiten zahlreicher westlicher Literaturwissenschaftler zur Geschichte der Weltliteratur fehlt das slawische Material entweder völlig, oder es wird nur sporadisch, unorganisch angeführt.173 Dafür gibt es viqle Gründe: schlichte Unkenntnis der Fakten, Verharren in traditionellen Abendland-Konzeptionen, bewußte Ignorierung solcher ästhetischer Leistungen, deren Entstehung mit den revolutionären Umwälzungen des 20. Jahrhunderts verbunden ist. Die marxistische Literaturwissenschaft hat bisher der typologischen Erforschung nationalliterarischer Erscheinungen nach dem ersten Weltkrieg zu wenig Beachtung geschenkt. Dabei entwickelten sich gerade damals in den slawischen Ländern sehr intensiv die sozialistischen Literaturen. Die Entstehung der Literaturen neuen Typus reicht bis ins 19. Jahrhundert zurück, das neue ästhetische System, d.: h. die Methode hat sich jedoch wesentlich später herausgebildet 1 Die Entwicklung der revolutionären sozialistischen Literaturen verlief in den einzelnen Ländern ungleichmäßig, zu verschiedener Zeit und mit unterschiedlicher Intensität. Dennoch können die zwanziger Jahre als Entstehungszeit des sozialistischen Realismus in Literaturen kapitalistischer Länder gelten, wobei sich die Periode des revolutionären Aufschwungs nach der Oktoberrevolution besonders abhebt. In jenen Jahrerl wird die revolutionäre, sozialistische Literatur schon von hervorragenden Dichtern mit weltliterarischem Format — Wolker, Smirnenski, Hasek, Broniewski u. a. — repräsentiert. Die bei den süd- und westslawischen Literaturen gewonnenen Erfahrungen erlauben eine Reihe übergreifender Schlußfolgerungen. So hat sich in diesen Literaturen die neue ästhetische Konzeption nach und nach in ihrer Breite gefestigt. Unter dem Einfluß der sozialistischen Ideen standen nicht nur die proletarischen Schriftsteller, sondern auch Vertreter anderer literarischer Strömungen, die auf diese Weise zu Mitgestaltern des sozialistischen Realismus wurden. 159
Für die Herausbildung sozialistischer Literaturen sind Entstehung und Entfaltung proletarisch-revolutionärer Literaturen kennzeichnend. In den slawischen Ländern wurden sie in den zwanziger Jahren nicht durch einzelne Schriftsteller, sondern durch ganze Gruppen, ja Strömungen repräsentiert — eine damals nicht allzu häufige Erscheinung. Diese Strömungen entstanden nicht gleichzeitig, am frühesten (gleich zu Beginn der zwanziger Jahre) in der tschechischen und in der bulgarischen Literatur, dann (etwa seit der Mitte der zwanziger Jahre) in der polnischen (die Autoren des Bandes Drei Salven) und in der slowakischen Literatur (Gruppe um die Zeitschrift DAV^). Ende der zwanziger Jahre vollzog sich schließlich der Zusammenschluß der revolutionären Schriftsteller Jugoslawiens, die sich mit dem Buch der Genossen (1928) an die Öffentlichkeit wandten. Zur selben Zeit trat eine Reihe bedeutender marxistischer Kritiker auf den Plan. In den Aufsätzen und Büchern von Bakalov, Wolker und Neumann wurden wesentliche Probleme der neuen Ästhetik behandelt. In den proletarisch-revolutionären Strömungen sind also die charakteristischen Züge der Literaturen neuen Typus relativ deutlich zum Ausdruck gekommen. Vor allem ragt ihr Internationalismus hervor, wobei die Thematik der Oktoberrevolution und die Erfahrungen der Sowjetliteratur eine wichtige Rolle spielten. Die neue Ästhetik entstand im Kampf gegen die Ästhetik des bürgerlichen Individualismus, als eine Alternative zu ihr. Zum entscheidenden Prinzip des neuen Typus künstlerischer Erkenntnis wurde die Kollektivität. Charakteristisch für die sozialistische Literaturbewegung ist auch die Tatsache, daß der neue Held vielseitiger dargestellt, auch stärker in seiner inneren Welt erfaßt wird. Die proletarischen Schriftsteller und Kritiker überwanden zunehmend sektiererische Enge und schöpften nach und nach die Möglichkeiten der neuen ästhetischen Konzeption aus. Ihre Weite zog auch Künstler anderer Richtungen an. Bei vielen demokratischen Schriftstellern in den slawischen Ländern vertiefte sich unter dem Einfluß der sozialistischen Ideen die Kritik an der bürgerlichen Gesellschaftsordnung und ihren Normen. Ins Zentrum ihrer Werke rückten die verschärften 160
sozialen Widersprüche. Das ist die wichtigste Besonderheit des Schaffens vieler demokratischer Schriftsteller des 20. Jahrhunderts, einer der neuen Züge des kritischen Realismus. In den Werken jener Künstler, die sich im Einflußbereich der sozialistischen Ideen befanden, tauchten auch sozial-heroische Motive auf. Die kritische Auseinandersetzung mit der bürgerlichen Welt verband sich allmählich mit dem Glauben an das Vermögen des Volkes, sich gegen die Mächte dieser Welt aufzulehnen. Die Literatur der Narodniki hatte bekanntlich die Rückkehr zur patriarchalischen Vergangenheit verfochten. Im Vergleich zu ihr traten die neuen realistischen Züge besonders klar hervor. Elin Pelin schuf markante Volksgestalten, die die Freiheit lieben und ihre Rechte verteidigen. Nach den Ursachen der sozialen Rechtlosigkeit des Volkes suchend, gelangten demokratische Schriftsteller zur Erkenntnis, daß Protest unausweichlich sei. Dieses Motiv klingt in den Werken P. Javorovs ([Sisypbus), S. Michajlovskis (Poem über das bulgarische Volk) und der M. Konopnicka (Herr Baiser in Brasilien) an. Im kritischen Realismus sind also bedeutende Veränderungen zu beobachten: An die Stelle des verschüchterten, resignierenden, Mitleid erweckenden Menschen tritt der spontane Kämpfer gegen soziales Unrecht. Die Wandlung des Bildes vom werktätigen Menschen entspricht der inneren Evolution der kritischen Realismus. Diese neue Qualität der demokratischen Literatur drückte sich auch darin aus, daß sie den Proletarier und Sozialisten entdeckte. Bereits am Ausgang des vorigen Jahrhunderts gestaltete C. Cerkovski solche Menschen (Der Häretiker). Im Feuilleton Der 1. Mai 1890 begrüßte Jan Neruda die Demonstration tschechischer Arbeiter. Am Ende seines Lebens erblickte er im Proletariat Hoffnung und Zukunft der Nation. Die Werke von I. Cankar, S. Kranjcevic und O. Zupancic, insbesondere aber die Poesie von P. Bezruc, dem Barden der schlesischen Bergarbeiter, markieren den Übergang von der allgemein-demokratischen zur sozialistischen Literatur. Die neuen Tendenzen im kritischen Realismus bedeuteten Vorankündigung und Bestätigung sozialistischer Literaturentwicklung. 11 Maikov
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Kompliziert war die Situation nach dem ersten Weltkrieg. Viele Schriftsteller verband eine entschiedene Ablehnung des Krieges. Der Alpdruck des Durchlebten wirkte auf sie ernüchternd und zwang zur Suche neuer Wege. Die Wahl des richtigen war zum brennenden Problem geworden. Im Grunde war es das alte und doch ewig neue Problem der Humanität — die Künstler suchten den Platz des Menschen in ihrer Zeit und Welt, suchten nach realen Wegen zum menschlichen Glück. Es ist bezeichnend, daß selbst einige modernistische Schriftsteller sich zur Empörung über die widerwärtigen Erscheinungen des Lebens aufschwangen, wenn sie auch nicht imstande waren, diese zu erklären, und dazu neigten, die Natur des Menschen selbst als Quelle alles Elends und alles Bösen anzusehen. Dahinter stand eine Philosophie, die den Menschen hauptsächlich in seiner Ohnmacht sah. Die kritischen Realisten setzten in ihrem Nachkriegsschaffen die Traditionen sozialer Verallgemeinerung fort. Trotz der Aufdeckung des antihumanen Charakters des Krieges erkannten viele nicht die historische Perspektive der gesellschaftlichen Entwicklung, sie empfanden lediglich den Zusammenbruch der bürgerlichen Ideale. Charakteristisch sind in dieser Hinsicht die Werke von Schriftstellern der sogenannten „verlorenen Generationen". Andere vertraten abstrakt-humanistische Ideale. Es gab jedoch immer wieder auch Autoren, die sich in widersprüchlichen, manchmal qualvollen Versuchen den Ideen der sozialistischen Revolution näherten. Stefan Zeromski z. B. gelangte zur Erkenntnis des antihumanen Charakters der bürgerlichen Gesellschaftsordnung und der Unerläßlichkeit ihrer radikalen Veränderung. „Polen braucht eine große Idee" — diese Worte aus dem Roman Vorfrühling (1925) bestimmen die allgemeine Richtung der Versuche Zeromskis. Dazu kam er aber keineswegs auf direktem Wege, bis zu seinem Lebensende war er von Vorbehalten und Irrtümern nicht frei, und doch gewann die Bereitschaft zur Revolution die Oberhand. Nicht von ungefähr tritt am Schluß des Romans sein Held, Cezary Baryka, an die Seite der demonstrierenden Arbeiter. In diese Zusammenhänge gehören auch der Roman Der Reigentanz von A. Strasimirov, Erzählungen G. Stamatovs und 162
Gedichte von A. Santic (Das unterirdische Liedu. a.), die Romane 2 . Nalkowskas und M. Pujmanoväs. Darin zeichnet sich eine Entwicklung von abstrakt-humanistischen Idealen zum sozialistischen Humanismus ab. Diese gewandelte Weltsicht korrespondierte mit ästhetischen Neuleistungen in Struktur und Stil. In der Prosa — beispielsweise in Pujmanoväs Romanen — wird die Familienchronik eingesetzt, um einen breiten Ausschnitt des gesellschaftlichen Lebens zu erfassen und die intime Lebenssphäre der Helden mit der sozialen Psychologie zu verbinden. Im kritischen Realismus wurden zunehmend die falschen Vorstellungen von der Unvereinbarkeit von Revolution und Humanität überwunden. Es war ja gerade das humanistische Streben, das Künstler zur Revolution führte. So war es in den slawischen Ländern, und auch in anderen Ländern der Welt. Darin kann man eine charakteristische Tendenz weltliterarischer Entwicklung in den zwanziger und den dreißiger Jahren erblicken. Die Hinwendung der Schriftsteller zum Neuen war im Grunde auch ein Prozeß der Gestaltung dieses Neuen, einer der Wege sozialistischer Literaturentwicklung. Infolgedessen ist der kritische Realismus im Verhältnis zur sozialistischen Kunst nicht nur literarisches Erbe, nicht nur Tradition, sondern Bestandteil jener Prozesse, die diese Kunst hervorbringen. An der Ausbildung einer ästhetischen Konzeption, die auf der revolutionären Weltanschauung beruht, waren auch sogenannte linke bzw. avantgardistische Strömungen der zwanziger Jahre beteiligt. Besonderes Interesse verdient in diesem Zusammenhang die tschechische Avantgarde. Die Zeit ist überwunden, da ihre Bedeutung völlig negiert wurde. Freilich kann man heute das andere Extrem finden: eine maßlos überhöhte, manchmal geradezu apologetische Wertschätzung dieser Strömung. Vermutlich haben jene Literaturwissenschaftler recht, die die Widersprüchlichkeit von Theorie und Praxis der Avantgarde sehen und dies bei der Einschätzung ihres Stellenwerts im Literaturprozeß berücksichtigen. Die avantgardistischen Künstler haben einen nicht geringen Beitrag zur Konzeption der sozialistischen Literatur geleistet. Allerdings waren sie 11*
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nicht frei von Irrtümern und Fehlern, von denen viele in der Folgezeit überwunden wurden, wie ihre weiteren Schaffenswege zeigen. Das Problem der tschechischen Avantgarde ist nicht nur von nationaler Bedeutung. Es ist methodisch wichtig, denn hier fanden die allgemeinen Prinzipien analoger nationalliterarischer Erscheinungen der zwanziger Jahre ihren prägnantesten Ausdruck. Die hier behandelten Strömungen — proletarische Literatur, kritischer Realismus und Avantgardismus — gerieten nicht selten ihrer wesentlichen Unterschiede wegen miteinander in Konflikt. Mitunter hinderte die Schärfe der Auseinandersetzung ihre Vertreter daran, das Allgemeine, das sie als Mitwirkende an ein und demselben Prozeß verband, klar zu erfassen. Ihre gemeinsame Basis war die neue ästhetische Konzeption der Welt, die freilich unterschiedlich zum Tragen kam. Daher ist der Anteil eines jeden Schriftstellers an der Herausbildung der sozialistischen Literatur nicht von seiner klassenmäßigen Herkunft aus oder von seiner Zugehörigkeit zu dieser oder jener literarischen Strömung, sondern danach zu bestimmen, inwieweit ein Schriftsteller diese Konzeption tatsächlich gefestigt hat. Auf solcher Grundlage formte sich die neue Literatur als Synthese der ästhetischen Errungenschaften verschiedener literarischer Strömungen. Der kritische Realismus und die Avantgarde wurden zu Strukturelementen der neuen Kunst, freilich nicht als ein geschlossenes Ganzes, sondern insoweit sie den Ausdruck der neuen ideologisch-ästhetischen Prinzipien förderten. Die revolutionäre, sozialistische Weltanschauung verband viele progressive Künstler, denn sie eröffnete vielfältige Möglichkeiten zur Erkenntnis des realen Lebens, zu Reichtum und Vielgestaltigkeit der literarischen Entwicklung.
Typologie künstlerischer Formen Für einen marxistischen Literaturwissenschaftler sind die künstlerischen Formen und Stile historische Kategorien. So besteht ein Zusammenhang zwischen der Problematik der 164
Werke und ihrer Poetik, zwischen der Weltsicht des Künstlers und dem Charakter seiner Bildsprache. Inhalt der Literatur sind vor allem das geistige und moralische Leben des Menschen, bestimmte menschliche Stimmungen, für die der Künstler bildliche Entsprechungen sucht. Als spezifisches künstlerisches Modell der Gefühlsströme und Geisteshaltungen erscheint der Stil. Künstlerische Widerspiegelung des Lebens vollendet sich somit in der Einheit von Inhalt und Form. Deshalb sind Formen und Stile in ständiger Bewegung, sind historisch veränderlich. Die Logik dieser Veränderungen und ihre Besonderheiten zu erfassen, ist eine Hauptaufgabe der Literaturforschung. Mit Recht schreibt V. V. Vinogradov: „Eine allgemeine, vollständige Geschichte dieser oder jener Nationalliteratur muß — und sei es auch nur in knapper Form, in einem gedrängten Überblick — die historische Poetik der verschiedenen literarischen Genres in ihrer Aufeinanderfolge, ihrer Wechselbeziehung und ihrer gegenseitigen Durchdringung einschließen." 174 All das gilt sowohl im Rahmen einer Nationalliteratur als auch für die vergleichende Erforschung verschiedener Literaturen. Im lebendigen Literaturstrom ist eine Vielstufigkeit der Stile zu beobachten. Innerhalb der literarischen Richtungen bilden sich in einzelnen Ländern in einer bestimmten Periode sowohl individuelle Stile als auch Stilrichtungen, genremäßige und sonstige Gemeinsamkeiten heraus. Analoge Richtungen in verschiedenen Nationalliteraturen führen zwangsläufig zu internationalen typologischen Formentwicklungen. An der Abfolge und dem Wechsel analoger, von der Dynamik der historischen Realitäten bedingter Tendenzen lassen sich verschiedene Etappen der Weltliteratur ablesen. Betrachten wir in diesem Zusammenhang einige Erscheinungen in den sozialistischen Literaturen der zwanziger und dreißiger Jahre 1 Vor einigen Jahren fragte mich bei einer freundschaftlichen Begegnung in Sofia die alte Kommunistin Rada Todorova unvermittelt: „Welcher Dichter gefällt Ihnen besser — Smirnenski oder Vapcarov?" Ohne meine Antwort abzuwarten, fuhr sie fort: „Mir Smirnenski!" Frage und Antwort waren solcherart, daß ich eine literatur165
wissenschaftliche Einschätzung nicht als angezeigt empfand, denn beide Dichter sind gute Dichter, jeder auf seine Weise. Es ging ja auch gar nicht um Ablehnung des einen zugunsten des andern, sondern im Grunde darum, daß die Genannten Vertreter verschiedener historischer Epochen sind. Rada Todorova beschwor die zwanziger Jahre, den revolutionären Elan von damals. Die Begeisterung riß sie mit, und sie streute in ihre Worte ganze Strophen von Smirnenski, dem poetischen Abgott jener Jahre, ein. Dieses Gespräch kommt mir in den Sinn, wenn ich die verschiedenen Etappen der revolutionären Literatur Bulgariens betrachte. Smirnenski und Vapcarov stehen in ihrer ideologischen Haltung einander nahe, unterscheiden sich aber in Motivwahl und Bildsprache. In diesen Unterschieden offenbart sich nicht allein Individualität, sondern die Dynamik der literarischen Richtung, die in den zwanziger Jahren andere Merkmale aufweist als in den dreißiger Jahren. Dies ist ein Prozeß, der, typologisch betrachtet, nicht allein auf die bulgarische, sondern auch auf andere sozialistische Literaturen zutrifft. Die Repräsentanten der sozialistischen Literaturen erfaßten nach dem ersten Weltkrieg feinfühlig den Pulsschlag der Zeit. Klarer als Schriftsteller anderer Richtungen empfanden und gestalteten sie die Bedeutung jener Etappe der Weltgeschichte, deren Meilensteine der Sieg der Oktoberrevolution in Rußland und der Aufschwung der revolutionären Bewegung in anderen Ländern waren. Das Gefühl, in einer bedeutenden historischen Zeit zu leben, beeinflußte ihr Schaffen und bestimmte ihre ästhetische Zielstellung. In den Werken dieser Schriftsteller spielt die Auseinandersetzung mit dem Krieg eine wichtige Rolle, sie führt zur kompromißlosen Absage an jegliche gesellschaftliche Ordnung, die Kriege hervorbringt. Es ist bezeichnend, daß ein solches Werk der Weltliteratur wie Jaroslav Haseks berühmter Roman Die Abenteuer des braven Soldaten Scbtvejk, worin bekanntlich der k. u. k. Polizeiapparat und die Beamtenbürokratie ebenso verspottet werden wie die imperialistische Armee und das militärische System überhaupt, von einem revolutionären Schriftsteller verfaßt worden ist. Die Absurdität des Krieges und seine Unmenschlichkeit 166
werden in stark zugespitzten, gleichermaßen komischen wie grotesken Bildern veranschaulicht, und doch bleibt die Zeichnung konkreter Lebenssituationen glaubhaft. Der Roman vereinigt verschiedene Verfahrensweisen zu dem einen Zweck, in den Abenteuern den Krieg zu entlarven. Diese Synthese der Ausdrucksmittel macht die Neuleistung des Realisten Hasek in der Weltliteratur des 20. Jahrhunderts aus. Gleichzeitig haben die sozialistischen Schriftsteller das Anwachsen des revolutionären Bewußtseins der Volksmassen im Kriege dargestellt. Henri Barbusse war wohl der erste, der diese Prozesse bahnbrechend gestaltete (Das Feuer, 1916). Diese von Barbusse vorgezeichnete Linie wurde (nicht so sehr durch den Einfluß des französischen Schriftstellers, sondern kraft der konkreten Lebensverhältnisse) zu einem wichtigen internationalen Charakteristikum revolutionärer Literatur. Im Jahre 1918 veröffentlichte Smirnenski das Poem Vom Erhabenen ?um Lächerlichen. Darin entlarvte er die Kriegsschuldigen und spiegelte gleichzeitig die Empörung des Volkes wider. Das Poem schließt mit dem Bild des wachsenden revolutionären Sturms. Das Poem Broniewskis Der letzte Krieg (1925) ist eine Widerspiegelung des antiimperialistischen Protestes der Volksmassen. Hier wird ein der Form nach phantastisches Bild der Auferstehung der im Kriege gefallenen Soldaten entworfen. Der Zug der aus den Gräbern Erstandenen ist eine grauenhafte Vision des Krieges und zugleich ein Racheschrei, der in den Ruf mündet: „Wir selbst werden die Welt aufs neue erschaffen"! In diesen Worten, die an eine Wendung des proletarischen Kampfliedes Die Internationale („Diese Welt muß unser sein!") erinnern, kommt der Glaube an die revolutionäre Umgestaltung der Gesellschaft zum Ausdruck. So wird der Brand, dessen Flammenschein das weite Rund erhellt, als Symbol der Revolution verstanden. Die Ablehnung des Krieges und der Glaube an einen revolutionären Ausweg bestimmten auch die Stilelemente; das kritische Pathos verband sich in ihnen mit dem immer stärker werdenden heroisch-romantischen Pathos. Der scharf ausgeprägte Kontrast beider sich überschneidender Stillinien charakterisiert die revolutionäre Literatur zu Beginn der zwanziger 167
Jahre, die die Zerrissenheit der Welt, die Schärfe des offenen Konflikts und den unmittelbaren Zusammenstoß der antagonistischen sozialen Kräfte deutlich erkennt. Den Geist der neuen Epoche prägte zunächst besonders stark die Poesie. So dominierten in den ersten Jahren der Oktoberrevolution in der russischen wie in der belorussischen und in der ukrainischen Literatur die poetischen Genres. Ähnliches finden wir zu Beginn der zwanziger Jahre in der bulgarischen, der polnischen, der slowakischen und der slowenischen revolutionären Literatur. Die tschechische sozialistische Literatur hatte in jenen Jahren auch bedeutende Epiker aufzuweisen (Majerovä, Hasek), die kroatische Literatur Epiker und Dramatiker (Krleza, Cesarec), wiewohl auch in diesen beiden Literaturen die poetischen Genres offensichtlich überwiegen. Hierbei spielte nicht nur der Umstand eine Rolle, daß die Poesie infolge des geringen Umfangs der Werke operativer eingesetzt werden kann als die Prosa; wichtiger ist wohl, daß der revolutionäre Kampf des Proletariats eine erhabene, feierliche Atmosphäre erzeugte. Gewaltige revolutionäre Ereignisse erschütterten die Menschen, lösten in ihnen vor allem emotionale Reaktionen aus. Die Poesie gab diese Stimmungen am ehesten wieder; damit entsprach sie dem Geist des Augenblicks. Im Schaffen der revolutionären Dichter läßt sich eine genremäßige Verwandtschaft beobachten. Häufig waren satirische oder heroisch-pathetische Gedichte sowie tagespolitisch-agitatorische Verse anzutreffen. Diese Verwandtschaft greift über nationalliterarische Grenzen hinaus. Man denke nur an Majakowskis ROSTA-Fenster. Die politische Satire dieses Dichters, seine Agitationslyrik stellten nach seinen eigenen Worten „eine zweite Ausgabe der gesammelten Werke" dar. Erinnert sei ferner an die Agitationslyrik D. Bednyjs, in erster Linie an seine Castuski, die aus aktuellen Anlässen entstanden. Auch die polnischen Dichter Stanislaw R. Stande und Witold Wandurski *75 schrieben zu Beginn der zwanziger Jahre hauptsächlich Agitationslyrik, ähnlich wie der tschechische Dichter S. K. Neumann 176 , die Bulgaren Poljanov (Die Gimpel)) und Smirnenski. Diese internationale genremäßige Verwandtschaft ist in der 168
Regel nicht die Folge unmittelbarer literarischer Einflüsse. Sie erklärt sich aus der Analogie der historischen Situation und der Aufgaben, die sich die Dichter angesichts dieser Situation stellten. Alle waren Mitarbeiter revolutionärer Zeitungen und Zeitschriften. Die Agitationslyrik war auf aktuell eingreifende Wirkung angelegt. Ihren Zeugnischarakter hat sie bis auf den heutigen Tag bewahrt, da in ihr die Züge der revolutionären Epoche imponierend eingeprägt sind. Zugleich stellt sie einen Übergang zu weiterreichenden Verallgemeinerungen der neuen Erscheinungen des Lebens dar. In dieser Lyrik offenbarte sich — dem Wesen und der Funktion nach — ein allgemeiner Zug sozialistischer Literaturentwicklung. 177 * Parallel dazu entfaltete sich die Poesie eines ganz anderen Typs, nämlich die heroisch-pathetische Dichtung. Sie beschwor den Elan des revolutionären Aufschwungs. Ihre hervorstechendste Leistung war die Darstellung der Volksmassen, das Bild des revolutionären Kollektivs. Das war eine echte ästhetische Entdeckung der revolutionären Literatur nach dem ersten Weltkrieg. Im Unterschied zu Barbusse konnten die Dichter sich nun, nach dem Kriege, bereits auf reale Erfahrungen der revolutionären Bewegung stützen. Erstaunen über die Stärke der Volksmassen, Bewunderung ihrer Größe und der Nachweis ihres gewachsenen Bewußtseins bestimmen die Darstellung. Es ist bekannt, welch weite Verbreitung diese Motive in der sowjetischen Poesie unmittelbar nach der Oktoberrevolution gefunden haben. Man denke nur an die romantisch-enthusiastischen, „planetarischen" Bilder, wie sie in der Dichtergruppe Ku^nica verwendet wurden. A. Blok zeichnete in dem Poem Die Zwölf (1918) auf eigenwillige Weise die gleich einem Sturmwind unaufhaltsame Bewegung der Volksmassen. Das Bild des revolutionären Volkes in seiner Schrecklichkeit und seiner Größe wird im Poem D. Bednyjs Die Hauptstraße (1922) und in den pathetischen Versen V. J. Brjusovs entworfen. Majakowski schließlich gab seinem Poem prononciert den Titel 150000000 (1920). Ähnliche Motive klingen im Schaffen vieler europäischer Dichter an, natürlich besonders stark bei Dichtern, deren Länder eine starke revolutionäre Bewegung aufwiesen. In 169
Frankreich entstanden die revolutionär-heroischen Strophen P. Vaillant-Couturiers Rote Züge (1922). Von heroischem Pathos durchdrungen ist die Dichtung E. Mühsams, eines Teilnehmers der Kämpfe um die Bayerische Räterepublik. Der revolutionäre Umsturz in Ungarn, die Ungarische Räterepublik, stimulierten Gyula Juhâsz und György Somlyô zu romantischpathetischen Gedichten über den heroischen Kampf der Volksmassen. Die Revolution erschien als eine neue Quelle der Schönheit. So sahen die Dichter das Leben, und so suchten sie es zu gestalten. In ihren Gedichten erschien die revolutionäre Masse als ein Kollektiv aus einem Guß, fähig zu „gigantischer Heldentat" (Smirnenski, Die Massen). Bezeichnend dafür sind auch Epitheta, die Neumann wählt: „Die eisernen, lichten, lauttönenden Massen" ( Wacht auf, ihr Massen!). Charakteristische Merkmale sind ferner Losung, revolutionärer Aufruf und Marschrhythmus. Dies gilt für das Poem September von Geo Milev ebenso wie für Smirnenskis Gedichte. Von ihnen sagte G. Bakalov: „Begeisterung, Kampfesmut, Tatendrang und Selbstaufopferung, Elan, Auflehnung und Bewegung, Bewegung, Bewegung — das ist der Inhalt von Smirnenskis Dichtung. Und ihre Form ist eine Feerie feuriger Figuren und Bilder". 178 Smirnenski sah, wie unter dem Einfluß der Oktoberrevolution „die Kinder der Sklaven zu Riesen werden" (Das Nordlicht); die „Straße" erkannte in seinen Versen „die Not der Volksmassen und den Sturm des morgigen Kampfes" (Die Straße). Im Aufzeigen dieses Bewußtseinsprozesses der Volksmassen besteht das Neuerertum des Dichters. Die Darstellung der Volksmassen ist untrennbar mit der Darstellung des neuen Helden verbunden, dem wichtigsten Problem bei der Herausbildung sozialistischer Literaturen. Die proletarischen Schriftsteller hellten allmählich die neuen Beziehungen des Menschen zur Geschichte auf, die untrennbare Verbindung von Persönlichkeit und Kollektiv. Dieser wichtige prinzipielle Zusammenhang wurde zunächst generalisierend, allgemein gefaßt, war mehr leidenschaftliche Deklaration denn differenzierte Einsicht. Bei der Gestaltung des Helden beschritten die Dichter nicht den Weg der Individua170
lisierung, sondern verliehen der Persönlichkeit Züge der Masse, wodurch das Individuelle im Allgemeinen aufging. Es entstanden hyperbolische Heldenfiguren, die über die Kräfte legendärer Recken in den russischen Bylinen verfügten. Ganz Rußland ist ein einziger Iwan, schrieb Majakowski in dem Poem 150000000, und darin spiegelt sich seine Konzeption wider: Die Persönlichkeit war für iBn die symbolische Verkörperung des Allgemeinen, das „Ich" verschmolz unmittelbar mit dem „Wir". Auch in einigen Gedichten Smirnenskis trägt der Arbeiter keine individuellen Züge. Seine titanische Figur erhebt sich „gleich den Gipfeln der Berge" (Der Sklave). Titanische Züge tragen die Arbeiter auch bei Broniewski und Neumann, bei Vaillant-Couturier, beim jungen Becher oder bei Varnalis. In all dem ist ein bestimmter Typ künstlerischer Verallgemeinerung zu sehen, der sich im Anfangsstadium sozialistischer Literaturentwicklung gesetzmäßig herausbildete. Es waren die ersten Schritte bei der Aneignung der neuen, revolutionären Wirklichkeit. Die Dialektik der Wechselbeziehungen zwischen Volk und Held war noch weitgehend unklar. Im Pathos des Allgemeinen verlor sich häufig das Individuelle. In der scharfen Kritik am bürgerlich-individualistischen Psychologismus, der die Persönlichkeit von ihren sozialen und gesellschaftlichen Beziehungen isolierte, fielen die proletarischen Schriftsteller mitunter ins andere Extrem — sie verzichteten auf die Darstellung der Innenwelt des Menschen. Solche Extreme dürfen nicht verallgemeinert werden, wie das einige Literarhistoriker in den zwanziger Jahren taten, die folglich die proletarische Literatur als künstlerisch minderwertig, lediglich als ideologische Strömung betrachteten. Diesen Kritikern fehlte ihrerseits das Verständnis für die Einheit von Persönlichem und Gesellschaftlichem. Gesellschaftliche Ideen und Motive lagen ihnen fern, sie brachten damit ihre enge, ledigliche „private" Auffassung von der menschlichen Innenwelt zum Ausdruck. Das Verhältnis von Mensch und Gesellschaft, die Rolle der 171
Persönlichkeit in der Geschichte ist die Kardinalfrage der Literatur, der Kunst überhaupt. Das Verdienst der proletarischen Schriftsteller besteht darin, daß sie den Helden der neuen Epoche erkannten und die Einheit von Persönlichkeit und revolutionärem Kollektiv zu zeigen bemüht waren. Die dichterische Meisterung dieser Einheit gelang jedoch nicht sofort, sondern erst in einem komplizierten, nicht selten widersprüchlichen Prozeß. Es kann kaum verwundern, daß in der revolutionären Weltliteratur jener Jahre gesellschaftliche, politische Motive eindeutig überwogen. Die Dichter legten bewußt den Akzeht auf den revolutionären Kampf, dem sie das Persönliche völlig unterordneten. So gelangte S. K. Neumann bei seiner scharfen Kritik an der individualistischen Dichtung zeitweilig zur Negierung der intimen Lyrik. Abgesehen von den Dichtern des sowjetischen „Proletkults" und denen der „Kuznica" ist das Problem der Gegenüberstellung von Persönlichem und Gesellschaftlichem auch für Majakowski relevant. Bei all dem handelte es sich aber keinesfalls um geistlose Negierung des Persönlichen, Intimen, sondern lediglich um Akzentuierung des aktuell Wichtigsten, um revolutionäre Zielstrebigkeit, die Selbstbeschränkung erfordert. Christo Smirnenski richtet in seinem Gedicht Ein Brief im Frühling folgende Worte an seine Geliebte. Er möchte ihr die ersten Blumen schenken, sich mit ihr über den Frühling freuen, Ein Traum bewegt uns heute in der Stadt, von einer Sehnsucht sind wir in der Stadt gepackt: In granit'ne Vasen einzutauchen des Aufstands feueratmende Rosen. Der Gegensatz zwischen Persönlichem und Gesellschaftlichem wurde mit der Zeit überwunden. Das ist historisch zu erklären. Natürlich engte die Unterschätzung der moralischen Problematik die ästhetische Grundlage der proletarischen Literatur jener Jahre ein. Doch stimmt es einfach nicht, daß die Darstellung der Innenwelt des Menschen ihr völlig fremd gewesen sei. Erstens finden sich durchaus intime Motive, wenn sie auch in der Tat nicht sehr häufig auftraten. Zweitens ist 172
die Sphäre des sozialen und des gesellschaftlichen Lebens sowie des revolutionären Kampfes eine der wichtigsten Sphären, in denen sich menschliches Erleben offenbart. Die Innenwelt des Menschen bildet sich unter dem Einfluß der objektiven Realität, in ununterbrochener Reaktion auf sie. Die Entwicklung der Persönlichkeit und damit auch das Kriterium ihrer Bewertung hängen davon ab, welche Erscheinungen des Lebens den Menschen bewegen und wie der Prozeß seiner Erkenntnis verläuft. Es muß betont werden, daß zu Beginn der zwanziger Jahre die proletarischen Schriftsteller zweifellos die Avantgarde ihrer Nationalliteraturen bildeten: Sie stellten in ihren Werken den fortschrittlichsten Menschen der Epoche dar, den Menschen der revolutionären Tat mit seiner neuen geistigen Welt. In die Periode des revolutionären Aufschwungs fällt das Schaffen zweier bedeutender proletarischer Dichter, Wolker und Smirnenski. Jeder von ihnen hat seine besondere poetische Sicht und eine durchaus individuelle Handschrift, doch zugleich haben sie vieles gemeinsam. Jiri Wolker ist ein Dichter der moralisch-ethischen Problematik ; auch soziale Ideen brechen sich bei ihm im Prisma subtilen seelischen Erlebens (Frühling, Ralla.de vom ungeborenen Kind, Verse über die Liebe). In seinen sozialen Balladen offenbart sich das sozialistische Ideal nicht in abstrakten Losungen, sondern in den Empfindungen der Helden, in ihren Vorstellungen vom menschlichen Glück. So auch in den Wünschen und Hoffnungen des einfachen Arbeiters Jan (Ballade vom Traum) oder im Schicksal des Heizers, der „beim Heizen, damit das Licht nicht verlösche, einen Teil seiner menschlichen Augen verbrennt" (Ballade von den Augen des Heiners). Wolkers Gedichte zeichnet gegenständliche Bildhaftigkeit aus, die Vorstellungskraft des Dichters gewinnt dem Alltäglichen unerwartete Assoziationen ab. Seine Lyrik vermittelt eine reiche Vielfalt menschlicher Gefühle (Der Postkasten, Das Gesiebt hinter der Fensterscheibe und andere). Von einigen proletarischen Schriftstellern wurde die moralische Problematik — wie bereits angedeutet — nur ungenügend beachtet. Schon zu Wolkers Lebzeiten, aber auch danach wand173
ten sich die tschechischen Avantgardisten mit vollem Recht gegen diesen Mangel. Ihr Schaffen übte zweifellos einen starken Einfluß auf die Herausbildung der sozialistischen Literaturkonzeption aus, vor allem erweiterten sie die Möglichkeiten psychologischer Analyse. Aber sie unterschätzten nicht selten die Rolle der sozial-gesellschaftlichen Motive in der Literatur. Wolker waren beide Extreme fremd. Schon in der ersten Hälfte der zwanziger Jahre fand er kraft seines großen Talents einen Weg, die Persönlichkeit allseitig darzustellen. So gelang es ihm, die moralisch-psychische und soziale Seite des Menschen künstlerisch als Einheit zu fassen. Daraus erklärt sich zum großen Teil seine bedeutende Stellung in der tschechischen Literatur der zwanziger Jahre, und nicht nur in der tschechischen. Er trug wesentlich dazu bei, daß sich diese Einheit damals in der sozialistischen Weltliteratur als allgemeine Tendenz durchsetzte. Christo Smimenski ist ein Dichter anderer Art, ihn charakterisieren der pathetische Stil und die heroische Romantik. Er schuf eindrucksvolle Gestalten revolutionärer Kämpfer. Vom titanischen Menschen war bereits die Rede. Im Gedicht Jobann findet sich dagegen eine Gestalt von lebensvoller Individualität: Der Dichter zeichnet nicht nur die Handlungen und die Taten des Revolutionärs nach, sondern auch seine inneren Regungen, seine Gedanken und Gefühle. Smirnenski, der hier gewisse Einseitigkeiten in der Zeichnung des Helden überwand, war auch vom anderen Extrem weit entfernt — er isolierte den Menschen nicht vom gesellschaftlichen Leben, sein Held verlor nicht den Kontakt zur revolutionären Masse — aus der Einheit mit ihr schöpfte er die Impulse für sein individuelles Sein. Damit realisierte Smirnenski eines der wichtigsten ästhetischen Prinzipien der revolutionären Literatur überhaupt: das harmonische Verhältnis von Persönlichkeit und Kollektiv. Dem lyrischen Helden erscheint die Revolution als Akt echter Humanität, er sehnt sie herbei, denn im Dienst an der Revolution sieht er den höchsten Sinn seines Lebens (Dem Sturm entgegen, Der Jüngling). Die beginnenden zwanziger Jahre stellen also eine besondere Entwicklungsetappe der sozialistischen Literaturen dar. Sie zeichnen sich historisch durch den revolutionären Aufschwung 174
der Volksmassen in verschiedenen Ländern aus, ästhetisch sind sie geprägt durch die Analogie der Probleme und Strukturen. Das Gefühl für die Größe der Epoche weckte bei den Schriftstellern das Streben nach dem Außergewöhnlichen, nach „kosmischen" Maßstäben. Ihre Poetik kennzeichnen Hyperbolismus und revolutionäre Symbolik. Man kann sagen: Der heroisch-romantische Stil ist die charakteristische Besonderheit der sozialistischen Literaturen jener Jahre. Zugleich vollzog sich damals eine Bewegung zur künstlerischen Konkretisierung der Lebenserscheinungen, zur psychologisch vertieften Darstellung des neuen Helden. Diese Tendenz ist nach mehreren Richtungen hin zu verfolgen. In ihr spiegelt sich ein Prozeß, der in den revolutionären Literaturen zur Entwicklung einer neuen künstlerischen Methode geführt hat. Wie bereits erwähnt, bilden analoge historische Perioden analoge künstlerische Strukturen aus. Der Übergang von einer Struktur zu einer anderen macht die historische Dynamik der Poetik dieser oder jener literarischen Richtung aus. In unserem Fall ist es wichtig, die Entwicklung des neuen Helden zu beachten, den folgerichtigen Übergang von bestimmten Dominanten des Genres und des Stils zu anderen. Auch in den slawischen Literaturen drücken sich diese allgemeinen Gesetzmäßigkeiten der revolutionären Weltliteratur aus. Verglichen mit den beginnenden zwanziger Jahren erweiterten die sozialistischen Literaturen in den folgenden Jahren ihre Themenskala und ihre Problematik bedeutend. Das ist keineswegs eine Frage der Quantität, die künstlerische Weltauffassung selber gewann an Weite. Früher hatten sich sektiererische Irrtümer bemerkbar gemacht, der Begriff des Klassencharakters der Kunst war mitunter zu eng, ausschließlich auf den sozialen Kampf der Arbeiterklasse bezogen, interpretiert worden. Die Auseinandersetzung mit der bürgerlichen Ideologie wurde nicht selten vulgarisiert, was zur Mißachtung der ästhetischen Leistungen der Vergangenheit führte. Am Ausgang der zwanziger Jahre und in den dreißiger Jahren konnten diese Extreme überwunden werden. Die neuen Möglichkeiten der Kunst wurden von S. K. Neumann klar erkannt und in seiner Dichtung hervorragend genutzt. Eigene, 175
frühere Fehler korrigierend, schrieb er 1937: „Natürlich verlangt der Sozialismus vom sozialistischen Schriftsteller Disziplin. Aber der reife Sozialismus wird bei all dem nicht die Persönlichkeit des Schriftstellers vergewaltigen und seine Problematik einschränken. Das ist kein Widerspruch. Ich würde es kurz so ausdrücken: ,In jedem schöpferischen Werk eines sozialistischen Schriftstellers wollen wir den starken Willen erkennen, das Bild des wahren sozialistischen Menschen zu gestalten.' Das ist für uns das Grundproblem . . ." 179 Die Wege und Methoden für die Darstellung des neuen Helden wurden reicher und vielfältiger. Er wurde nicht nur in der Sphäre des sozialen Lebens gezeigt. Majakowskis Poem V. I. Lenin (1924) war in dieser Hinsicht ein Meilenstein. Für den Dichter selber bedeutete es eine Wende von der Poetik des „einzigen Iwans" zur Darstellung des Revolutionärs in seiner ganzen Lebensfülle. Hatte in seinem früheren Schaffen (im Drama Mysterium Buffo oder im Poem 150000000) die symbolisch-romantische Gestaltung die Grundlage gebildet, so reproduzierte der Dichter nun (in den Poemen V. I. Lenin und Gut und schön) die realen historischen Ereignisse und zeichnete die Menschen in einer konkreten Lebenssituation. In der Gestalt Lenins werden Größe und Schlichtheit, Heldentum und Menschlichkeit in untrennbarer Einheit gezeigt. Aufschlußreich ist auch die künstlerische Entwicklung W. Broniewskis. Vom Poem Der letzte Krieg mit seinen phantastischen Visionen gelangte der Dichter zur Darstellung realistischer Figuren. Ein Beispiel dafür bietet die Elegie auf den Tod Ludwig Warjnskis (1928). Im Mittelpunkt der Ballade Der Mond der Pfauengasse (1932) stehen ein psychologisch vertieftes Porträt des arbeitenden Menschen, seine geistige Entwicklung und sein revolutionäres Bewußtwerden. Die künstlerische Erfahrung Broniewskis — der sektiererische Enge energisch von sich wies und begriff, daß das Wichtigste für einen sozialistischen Künstler die revolutionäre Weltanschauung ist, die sich auf verschiedene Weise manifestieren kann — bestätigte die allgemeine Hinwendung zur Erweiterung der künstlerischen Weltauffassung: Weg von einer emotionalen oder äußerlichen Wahrnehmung, hin zur umfassenden Erkundung der 176
Wirklichkeit. Wir wollen im folgenden noch einige weitere Fakten anführen, um die Grenzen zwischen den verschiedenen Entwicklungsetappen der Poetik des sozialistischen Realismus abzustecken. Das Streben nach künstlerischer Konkretisierung ist im allgemeinen sowohl für die slowakische als auch für die tschechische Dichtung charakteristisch. Das zeigt sich, wenn man J. Ponicans Gedichtsammlung Ich denke, fühle und sehe, liebe alles und hasse nur die Finsternis (1923) L. Novomeskys Sammlung Sonntag (1927) gegenüberstellt. Ponicans Werk zeichnet sich durch pathetisch-romantische Bildhaftigkeit aus, bleibt aber häufig im Deklarieren stecken. Novomeskys Sammlung wendet sich dem Alltag zu, sie deckt subtilste Nuancen der Innenwelt des Menschen auf. Eine Spannung, wie zwischen diesen beiden Dichtern, zeigt sich in S. K. Neumanns Entwicklungsweg. Im Unterschied zu den Roten Gesängen (1923) weisen spätere Bände des Dichters (Von der Einsamkeit, 1927;
Trauer, 1931; Herz und Wolken, 1935; Sonate des horizontalen Lebens, 1936, u. a.) ein wesentlich breiteres Spektrum von Motiven auf und stellen lyrisch zart die Innenwelt des Menschen dar. In der Poesie der jugoslawischen Literaturen sind die Grenzen zwischen den beiden Etappen wohl am deutlichsten in Slowenien ausgeprägt. Die Bildsprache S. Kosovels und anderer Dichter der zwanziger Jahre unterscheidet sich beträchtlich von der Bildsprache der nachfolgenden Periode. Es genügt, T. Seliskars Gedichtband Trbovli (1923) mit seinem späteren Band Lieder der Erwartung (1937) oder die Sammlung von M. Klopcic Flammende Ketten (1924) mit seinen späteren Schlichten Gesängen (1934) zu vergleichen, um die symptomatischen Veränderungen im System der Ausdrucksmittel zu erfassen. In den Werken der zwanziger Jahre wird die Kraft der revolutionären Bewegung in „weltweiten" Bildern, Allegorien und Symbolen zum Ausdruck gebracht. Später herrschen Historismus und Konkretheit vor, der Mensch wird nun sowohl im gesellschaftlichen als auch im persönlichen Leben dargestellt. In der bulgarischen Poesie kann man die Züge der neuen Etappe am Schaffen vieler Dichter der dreißiger Jahre beob12
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achten. M. Isaev, Ch. Radevski und N. Vapcarov verstanden sich zwar als Fortsetzer der von Ch. Smirnenski begründeten Tradition, verharrten aber nicht in deren Bannkreis. Ihre Leistung liegt nicht nur darin, daß sie sich den neuen Themen zuwandten, die durch die neue Etappe des gesellschaftlichen Lebens in den Vordergrund gerückt wurden (in allen revolutionären Literaturen der dreißiger Jahre nimmt beispielsweise das Thema des antifaschistischen Kampfes breiten Raum ein). Das Wesentliche ihrer Leistung besteht in der vertieften dichterischen Sicht der Welt, des Menschen und der Geschichte. Die Palette des dichterischen Schaffens wird um die intime Lyrik und die Naturlyrik reicher. Auch bei der heroischen Thematik vollzieht sich ein Prozeß eigentümlicher Transformation: Die Dichter suchen gewissermaßen einen inneren Zugang zu ihr, sie bemühen sich, die moralische Grundlage des Heldentums zu zeigen. Das Heroische wird unpathetisch gestaltet, insbesondere bei Vapcarov, dessen Verse die Tonart des unmittelbaren Gesprächs oder der schlichten Erzählung bevorzugen. Das wachsende Bemühen um ein analytisches Herangehen an die Wirklichkeit führte in den revolutionären Literaturen zu einer Veränderung im Gattungsgefüge. Waren in der vorangegangenen Etappe die lyrischen Genres vorherrschend, so erlebte nun auch die Prosa breite Entfaltung. Diese Tendenz hat freilich ihre Grenzen; sie erfaßt nicht alle Erscheinungen der sozialistischen Weltliteratur. Außerhalb der slawischen Länder gibt es relativ früh bedeutende Prosaiker des sozialistischen Realismus: H. Barbusse, M. Andersen Nexö und J. Reed. Aber auch unter den slawischen Schriftstellern finden sich zu dieser Zeit große Erzähler wie J . Hasek und M. Majerovä. Dennoch bleibt für die Entwicklung vieler revolutionärer Literaturen in den zwanziger und dreißiger Jahren, besonders hinsichtlich der Thematik des revolutionären Kampfes, dieser Übergang von der Poesie zur Prosa charakteristisch. Das gilt auch für die Sowjetliteratur. Hier setzte die „Prosaetappe" allerdings schon früh ein; zwischen 1923 und 1928 erschienen bedeutende Prosawerke von Gorki, Furmanov, Serafimovic, Fadejew, Scholochow u. a. In Polen entfaltete sich die sozialistische Prosa in den dreißi178
ger Jahren (L. Kruczkowski, W. Wasilewska u. a.). In Bulgarien erschienen die ersten bedeutenden Prosawerke des sozialistischen Realismus 1932/1933 (der Erzählband G. Karaslavovs Auf Posten und seine Novelle DerDorfkorrespondent sowie der Roman Das Dorf Borovo von K. Veliökov). Der „soziale Realismus" bestimmte in allen Nationalliteraturen Jugoslawiens die Entwicklung von Roman und Novelle. In der Slowakei vertraten um die gleiche Zeit P. Jilemnicky und F. Kral' die sozialistische Prosa. Selbst in der tschechischen sozialistischen Prosa, die bereits in der ersten Hälfte der zwanziger Jahre bedeutende Leistungen aufwies, ist in den dreißiger Jahren ein weiterer Aufschwung zu verzeichnen. Sie wird nun neben Majerovä und Olbracht von M. Pujmanovä, V. Vancura, J. Kratochvil, K. Novy, J. Fucik, H. Malirovä u. a. repräsentiert. Dies mag genügen, um die Schwerpunktverlagerungen im Gattungsgefüge zu veranschaulichen. Den Entwicklungsweg sozialistischer Literaturen in ihren einzelnen Etappen verfolgend, haben wir den Übergang von den romantischen zu den realistischen Formen besonders hervorgehoben. Wie ging dies vor sich, welche Besonderheiten sind dabei aufgetreten? Im 19. Jahrhundert vollzog sich der Übergang von der Romantik zum Realismus als Kampf und als schließliche Ablösung der einen Erscheinung durch die andere. Sowohl die Romantik als auch der Realismus waren historisch gewachsene literarische Strömungen — jede fußte auf einem eigenen philosophischen und ästhetischen System. In den sozialistischen Literaturen verhält sich dies anders. Sowohl die romantischen als auch die realistischen Schaffensformen entstanden auf der Grundlage derselben Philosophie, deshalb sind die Kriterien früherer Methoden auf sie nicht anwendbar. Der Übergang von der einen künstlerischen Form zur anderen vollzog sich nicht in einem antagonistischen Prozeß, sondern durch gegenseitiges Durchdringen. Das Verhältnis zwischen Romantik und Realismus in den sozialistischen Literaturen wurde in den letzten Jahren am Material slawischer Literaturen untersucht.180 Die Ergebnisse dieser Untersuchungen und ihre Gegenüberstellung führen 12»
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zu wichtigen Schlußfolgerungen, die Beachtung verdienen. Revolutionär-romantische Formen waren bei vielen Wegbereitern der proletarischen Literatur verbreitet. Nach dem Sieg der Oktoberrevolution und während des Aufschwungs der revolutionären Bewegung in den slawischen Nachbarländern prägte die revolutionäre Romantik das Schaffen der jungen Generation proletarischer Dichter (Ch. Smirnenski, W. Broniewski, J . Ponican, J . Wolker, S. Kosovel u. a.). Eines der romantischen Hauptmotive dieser Dichter war das Motiv des heraufziehenden Sturms. Revolutionäre Symbolik macht die Besonderheit ihrer Bildsprache aus, sie wurde eingesetzt, die Größe der revolutionären Ereignisse wiederzugeben. Nicht selten wandten sich die Dichter Fakten und Gestalten der Weltgeschichte, der Mythologie oder religiösbiblischen Motiven zu, denen sie einen neuen Sinn gaben. Die revolutionäre Romantik der proletarischen Literatur war eine historische Erscheinung von neuer Qualität und deutlich von der Romantik des 19. Jahrhunderts unterschieden, die in mehreren westeuropäischen Literaturen zumeist das Aufbegehren eines stolzen Individuums ausdrückte, das mit den bestehenden Verhältnissen unzufrieden war und einem unbestimmten, utopischen Traum von der Zukunft nachhing. Die Romantik der proletarischen Schriftsteller hingegen war Ausdruck des Wollens der Volksmassen, des kampfbereiten revolutionären Kollektivs. Von daher erklärt sich ihre Nähe zur Romantik des 19. Jahrhunderts, wie sie in einigen slawischen Ländern auf dem Boden der antifeudalen nationalen Befreiungsbewegung entstand. 181 Die proletarische Romantik unterscheidet sich von jener aber durch ihre neue soziale Grundlage, die ihr eigenständige Züge verleiht: Sie spiegelt den Eintritt der Arbeiterklasse in die Geschichte wider, den Aufschwung der proletarischen revolutionären Bewegung. Das heroisch-romantische Pathos und der historische Optimismus waren wichtige Faktoren bei der Herausbildung der Literatur neuen Typs. Nun vollzog sich ein Prozeß allmählicher ästhetischer Aneignung der neuen sozialen Realität. Die revolutionäre Romantik ist lediglich eine Erscheinungsform dieses Prozesses. Zu180
nächst erfaßten und gestalteten die Schriftsteller nur ganz allgemein den revolutionären Kampf, die Kraft der Bewegung, den Kollektivgeist. Je mehr sie sich aber mit den realen Fakten der revolutionären Wirklichkeit auseinandersetzten, um so konkreter wurde die Darstellung, um so realistischer die Gestaltung des neuen Ideals, des neuen positiven Helden. Dabei wurde mit der Ausweitung des Realismusbegriffs die Romantik nicht negiert, sondern aufgenommen. Alle diese Probleme werden in dem oben erwähnten Sammelband Die Formierung des sozialistischen Realismus in den Literaturen der West- und der Südslawen ausführlich erörtert. Hier wurde lediglich versucht, die Beobachtungen und Erkenntnisse der Einzelbeiträge zusammenzufassen. Es handelt sich, wie angenommen werden darf, um eine allgemeine Besonderheit der Herausbildung sozialistischer Nationalliteraturen. Das Gesagte bedeutet natürlich keineswegs, daß die revolutionäre Romantik ihre ästhetischen Möglichkeiten erschöpft hätte. Die romantischen Formen, die in mehreren Literaturen in der Frühphase vorherrschten, verschwanden in der Folgezeit nicht spurlos: Sie drückten zum einen der realistischen Darstellungsweise ihren Stempel auf und bewahrten zum anderen häufig auch ihre ästhetische Selbständigkeit, gewissermaßen in reiner Form. 182 Wir wollen das an Hand einiger Beispiele näher erläutern. Von der realistischen Grundlage von Smirnenkis Poem Jobann war bereits die Rede, dennoch zeichnet sich das Gedicht offensichtlich durch ein romantisches Pathos aus, das in der Lexik und auch in der Intonation zum Ausdruck kommt. Gedichte aber wie Der Aufstand des Vesuvs oder Der russische Prometheus tragen durch und durch romantische Züge. Ähnlich scheute Broniewski vor romantischen Formen nicht zurück, wenn ihm sein Gefühl sagte, daß ihre Anwendung ästhetisch zweckmäßig sei. Eine derartige „Koexistenz" verschiedener Formen ist der neuen künstlerischen Methode eigen, die — immer klarer — nicht als abgeschlossener Kodex von Ausdrucksmitteln verstanden wird, sondern als Verfahren, das sich in erster Linie auf die sozialistische Weltauffassung gründet. Produktiv blieb nach wie vor die realistische Tradition des 181
19. Jahrhunderts, die sowohl Detailtreue als auch typische Charaktere in typischen Umständen fordert. Zugleich nutzte die neue Literatur aber auch groteske, phantastische Ausdrucksmittel, die anderen ästhetischen Prinzipien verpflichtet sind. Viele Schriftsteller kamen von anderen literarischen Richtungen zur sozialistischen Literatur. Ihre früheren Erfahrungen gingen in gewisser Weise in ihr neues Schaffen ein. Christo Jasenov gelangte vom Symbolismus, GeoMilev vom Expressionismus und Bruno Jasienski vom Futurismus zur sozialistischen Literatur. Die revolutionäre Weltanschauung veränderte das frühere ästhetische System dieser Dichter. Symbolismus, Expressionismus und Futurismus hörten auf, für sie Methoden der künstlerischen Weltaneignung zu sein. Aber die Ausdrucksmittel, die Verfahrensweisen der früheren Poetik blieben bei ihnen in vieler Hinsicht erhalten, wenn sie jetzt auch eine andere Funktion ausübten. Mit der expressionistischen Poetik ist das Werk zahlreicher revolutionärer Schriftsteller Jugoslawiens verbunden (Krleza, Cesarec, Kosovel u. a.), mit der Poetik des Surrealismus das Schaffen mehrerer tschechischer revolutionärer Dichter, beispielsweise V. Nezvals. Dies bestimmte das individuelle Profil, die stilistische Eigenart, der Künstler. Einen ähnlichen Entwicklungsweg legten viele europäische Dichter zurück. Es genügt hier der Hinweis auf Becher oder Aragon. Die Erfahrungen der revolutionären Schriftsteller der zwanziger und dreißiger Jahre zeigen, daß die neue Kunst, der die Bezeichnung „sozialistischer Realismus" gegeben wurde, viele Quellen besaß, daß sie sich als eine Kunst verschiedenartiger Formen und Stile entwickelte. Aus diesem Grunde darf der Terminus „Realismus", den diese Kunst in ihrem Namen führt, nicht im traditionellen Sinne verstanden werden. Man darf ihn nicht verabsolutieren, ihn nicht auf die Darstellung des Lebens in den Formen des realen Lebens selbst reduzieren. Ein so verstandener Realismus ist nicht identisch mit dem Begriff des sozialistischen Realismus, der ein vielschichtiges System von Formen der künstlerischen Verallgemeinerung darstellt. Die sozialistischen Literaturen legen durch ihre eigene Praxis Zeugnis für die Weite der neuen ästhetischen Konzeption ab. 182
Immer deutlicher wurde erkannt, daß die Philosophie des Marxismus den Schlüssel zur konsequenten Erkenntnis der Welt und zu ihrer künstlerischen Aneignung bildet. Gerade wegen dieser breiten Erkenntnismöglichkeiten ist die Existenz verschiedenartiger Darstellungsformen der natürliche Ausgangspunkt des allmählichen Entwicklungsprozesses der neuen Kunst. Kein Künstler strebt danach, einem andern zu gleichen, im Gegenteil, jeder ist um seine Eigenart bemüht. Die Unwiederholbarkeit ist eine unabdingbare Eigenschaft echter Kunstwerke. Weiter gefaßt heißt das: Jede Nationalliteratur besitzt ihr eigenes Gepräge, ihre Spezifik. Die Festlegung der Unterschiede zwischen den einzelnen Erscheinungen ist der Schlüssel zum Verständnis ihrer Besonderheit. Aber die Unterschiede schließen gemeinsame Züge keineswegs aus. Die Dialektik ist hier so geartet, daß in der Regel gerade die am deutlichsten ausgeprägten individuellen Züge zugleich der klarste Ausdruck des Allgemeinen sind. Ähnlich wie innerhalb einer bestimmten Nationalliteratur stets diese oder jene allgemeinen Tendenzen des literarischen Prozesses zum Tragen kommen, entstehen unter analogen historischen Bedingungen auch internationale literarische Gemeinsamkeiten. Dabei handelt es sich in erster Linie um eine Analogie der Methoden und der Richtungen, die sich keineswegs nur auf ideologisch-philosophische Gemeinsamkeiten zurückführen läßt. Die Darstellung der Volksmassen und der Rolle des neuen Menschen in der Geschichte wies, obwohl sie in den einzelnen sozialistischen Literaturen unterschiedlich war, durchaus analoge Züge auf, weil die Aufgaben, die sich die Schriftsteller stellten, analog waren. Bei der Aneignung der neuen Wirklichkeit bildeten sich in den verschiedenen Etappen verwandte Tendenzen heraus. Wir haben über Analogien des Stils und des Genres sowie über die Evolution der Formen bildlicher Verallgemeinerung, der künstlerischen Widerspiegelung des Lebens gesprochen. Es gibt gute Gründe, auch von analogen künstlerischen Strukturen zu sprechen, in denen sich die Entwicklung der Poetik des sozialistischen Realismus vollzogen hat. 183
Sozialistische Literatur Genesis und Probleme der Gegenwart
Immer wieder sind das ästhetische Wesen des sozialistischen Realismus, seine Strukturelemente, sein Verhältnis zu anderen künstlerischen Methoden und sein synthetisierender Charakter Gegenstand heftiger Diskussionen. Hier werden diese Fragen unter dem Aspekt ihrer geschichtlichen Entwicklung erörtert. Es wurde bereits gesagt, daß sich der sozialistische Realismus als neues, weites künstlerisches System bildete, das sich nicht von anderen demokratischen Literaturströmungen isolierte, sondern sich ihnen näherte. Diese Annäherung war jedoch nie eine mechanische Vereinigung verschiedener Methoden. Wie verhält sich beispielsweise der kritische zum sozialistischen Realismus? Hervorgehoben sei die Rolle des kritischen Realismus als Traditionsfeld der neuen Literatur. Aber das ist noch nicht alles. Unter dem Einfluß der revolutionären Bewegung kristallisierten sich im kritischen Realismus neue Elemente heraus, oft nur ansatzweise, in anderen Fällen wie z. B. bei Marie Pujmanovä, jedoch bis zum Übergang auf einen Realismus neuen Typs. Von hier aus erschließt sich uns das Verständnis für das Verhältnis von kritischem und sozialistischem Realismus. Im Jahre 1966 fand im Gorki-Institut für Weltliteratur in Moskau eine Diskussion über aktuelle Probleme des sozialistischen Realismus statt, wo es darüber zu einem Meinungsstreit kam. 1 8 3 Uns scheinen die Beobachtungen und Schlußfolgerungen jener Literaturwissenschaftler grundlegend zu sein, die von Erscheinungen des kritischen Realismus in den frühen Etappen der Sowjetliteratur sprechen. Diese sind historisch zu erklären, denn einige Schriftsteller nahmen die neue 184
Weltanschauung nicht sofort an, sondern verharrten noch gewisse Zeit auf den alten ästhetischen Positionen. Das bedeutet aber nicht, daß der kritische Realismus als eine Methode der Widerspiegelung des Lebens neben dem sozialistischen Realismus zu einem Bestandteil der neuen Literatur geworden wäre. In der veränderten Situation vollzog sich im Schaffen der kritischen Realisten der Übergang vom Alten zum Neuen — ein typologischer Prozeß, der im 20. Jahrhundert in vielen Nationalliteraturen der Welt zu beobachten ist. Wir finden ihn in allen Literaturen der sozialistischen Länder Europas, und zwar jeweils nach der Revolution in diesen Ländern. Betrachten wir unter diesem Aspekt den Schaffensweg der bulgarischen Schriftsteller Emilian Stanev, Elisaveta Begrjana und Angel Karalijcev, die vor der Revolution vom 9. September 1944 kritische Realisten gewesen waren. Unter den neuen Bedingungen wandelten sich ihre Lebensanschauungen, und sie bezogen die Positionen des revolutionären Humanismus. Das bewirkte auch eine Änderung ihrer künstlerischen Methode. Die Sehnsucht nach dem Schönen im Menschen ist eines der zentralen Motive im Werk des bedeutenden Epikers Emilian Stanev, der in den dreißiger Jahren debütierte. Dieses Motiv durchzieht die Novelle Der Pfirsicbdieb (1947), die die dramatischen Schicksale der Menschen am Vorabend der Revolution vom 9. September 1944 darstellt. Es ist die traurige Geschichte vom Untergang menschlicher Güte in der bedrükkenden Atmosphäre des bürgerlichen Bulgariens. Der Schriftsteller artikuliert die Erwartung gesellschaftlicher Umwälzungen, von denen er sich ehrliche und edle Beziehungen zwischen den von Ausbeutung freien Menschen erhofft. In der Erzählung An einem stillen Abend (1948) taucht bei Stanev erstmals die Figur eines Revolutionärs auf. Das Schöne erschloß sich dem Autor in des Revolutionärs Hingabe an die Ideale des Volkskampfes. Es führte zu sozialpsychologischer Gestaltung, zur Enthüllung der Klassenbeziehungen innerhalb der Gesellschaft. Der Übergang vom kritischen zum sozialistischen Realismus bedeutete für die Schriftsteller keinen Bruch mit ihrem früheren ästhetischen System. Der Historismus demokratischer 185
Schriftsteller, ihre Wahrheitssuche und ihr tiefer Humanismus waren die objektiven Voraussetzungen für diesen Übergang, der innerhalb der alten Methode begann; das Neue stützte sich auf diese Methode und veränderte sie gleichzeitig qualitativ. Freilich gibt es auch den Fall, daß ein Schriftsteller eines sozialistischen Landes aus mancherlei (zumeist subjektiven) Gründen lange Zeit im kritischen Realismus verharrte. Auch seine Werke repräsentieren natürlich einen großen Wert, aber es wäre unlogisch, wollte man daraus den Schluß ziehen, der kritische Realismus hätte neben dem sozialistischen Realismus bestanden, bzw. er wäre als ästhetische Zielsetzung innerhalb der sozialistischen Kunst aufgetreten. Eine solche Meinung wurde ebenfalls in der Diskussion am Gorki-Institut für Weltliteratur geäußert. Diese Ansichten gehen an der wirklichen Lage der Dinge vorbei. Der Weg vieler kritischer Realisten zeigt, daß sie bereits bei ihren ersten Versuchen, die sozialistische Realität zu gestalten, die Grenzen der alten Methode überschritten. Jeder fühlte und erkannte die Notwendigkeit, seine ästhetischen Prinzipien zu überprüfen. Somit stellt der kritische Realismus eine Übergangsphase dar und nicht eine Methode der sozialistischen Kunst neben anderen. Wie bereits ausgeführt wurde, ist die kommunistische Parteilichkeit das wichtigste qualitative Merkmal der neuen Literaturen. Es war auch schon die Rede von der allmählichen Umwandlung des sozialistischen Ideengehalts in einen ästhetischen Faktor. J e intensiver und vielseitiger dieser Prozeß verlief, desto vielfältiger wurden die Möglichkeiten, die sich der Literatur neuen Typs eröffneten, desto deutlicher wurde, daß die kommunistische Parteilichkeit als ästhetisches Bewußtsein ihren Möglichkeiten nach alle anderen künstlerischen Konzeptionen übertrifft: Indem sie den Weg für eine tiefgründige Welterkenntnis öffnet, fördert sie echte Schaffensfreiheit. Dieses Problem ist auch heute aktuell und bei weitem noch nicht erschöpfend behandelt. Vor mehreren Jahren haben manche Literaten aus einigen sozialistischen Ländern den Begriff der kommunistischen Parteilichkeit in der Literatur umgangen, und das festigte natürlich keineswegs ihre ästhetischen 186
Positionen. Derartige Tendenzen entwickelten sich als Reaktion auf die Vulgarisierung der Parteilichkeit und anderer ästhetischer Kategorien. Es ist daher eine wichtige Aufgabe, diese Begriffe völlig von dogmatischen Ablagerungen zu befreien. Wie die Erfahrungen der sozialistischen Literaturen in Vergangenheit und Gegenwart zeigen, stellt die kommunistische Parteilichkeit eine breite ästhetische Plattform dar, die viele demokratische Künstler anzuziehen vermag. Damit wird freilich einer prinzipienlosen Uferlosigkeit nicht das Wort geredet. Das Herzstück sozialistischer Literaturkonzeption bildet die Einheit zwischen revolutionären, humanistischen Idealen und einem weiten System künstlerischer Ausdrucksmittel. Mangelndes Verständnis für diese Wechselbeziehung oder gar Zerstörung dieser Einheit führen — ebenso wie die Vernachlässigung einer der beiden Seiten — stets zu schwerwiegenden künstlerischen Brüchen oder gar in die Sackgasse. Bekanntlich waren in jüngster Vergangenheit vulgärsoziologische, dogmatische Ansichten und Vorstellungen von der sozialistischen Kunst verbreitet, die von der Spezifik des künstlerischen Schaffens wegführten und den Begriff des sozialistischen Realismus in enge Schemata preßten. Das war eine ernsthafte Verletzung des Leninschen Prinzips der Parteilichkeit. Dessen wahren Inhalt möglichst vollständig wiederherzustellen, ist das Anliegen des Prozesses, der nach 1956 begann und sich noch heute fortsetzt. Er vollzieht sich unter den Bedingungen eines scharfen ideologischen Kampfes. Die westliche bürgerliche Kritik unternimmt große Anstrengungen, gerade die Grundlagen der sozialistischen Literaturen zu kompromittieren — die Parteilichkeit, die gesellschaftliche Determiniertheit der Kunst schlechthin —, um sie auf abstrakt-irrationale Abwege zu führen. Äußerlich wird das alles recht anziehend etikettiert — als Kampf um die Freiheit der menschlichen Persönlichkeit. Diese Freiheit sieht man in der Isolierung des Menschen von der Gesellschaft, wodurch angeblich seine Unabhängigkeit garantiert werde. Nach diesen Rezepten verfahren auch die neuesten existentialistischen Theorien. Aber die Ausgliederung der Persönlichkeit aus den realen Zusammenhängen der Welt als Weg zur inneren Freiheit des Menschen an187
geboten, verwandelt ihn in Wahrheit in ein Wesen, das unfähig wird, diese Zusammenhänge zu erklären, das jeglicher schöpferischer Individualität beraubt ist. Es verhält sich gerade umgekehrt, das Eindringen ins Leben, die Erkenntnis seiner Entwicklungsgesetze, bereichert den Menschen geistig und entfaltet schöpferische Kräfte des Künstlers. Die Kunst spiegelt ja die Welt nicht einfach wider, sondern interpretiert sie auf eigene Weise, spielt eine aktive, verändernde Rolle. Die Parteilichkeit ist der höchste Ausdruck ästhetischer Aktivität. Ihre Stärke liegt in der organischen Verbindung objektiver und subjektiver Faktoren. Sie läßt keine Verabsolutierung des „Diktats der Realität" zu, keine Reduktion der Kunst auf eine passiv widerspiegelnde Funktion. Fremd ist ihr auch die Verabsolutierung schöpferischer, aber vom realen Lebensprozeß losgelöster Individualität, denn das führt unweigerlich zu subjektivistischer Willkür. Ein Teil der heuti'gen Kritiker und Schriftsteller in den sozialistischen Ländern bezog in gerechtfertigter Empörung gegen die vulgärsoziologischen und dogmatischen Deformierungen eine grobe, fehlerhafte Position, verfiel sozusagen ins entgegengesetzte Extrem. Sie ließen das Kriterium des Historismus fallen und setzten an seine Stelle die schwankenden Kriterien eines abstrakten Humanismus, die falsche Konstruktion eines allgemeinen „modernen" Lebensgefühls. Damit bewiesen sie ungeachtet lautstark angemeldeter Ansprüche ihre Unfähigkeit, den wahren Charakter des künstlerischen Schaffens zu begreifen. Davon zeugen in der zweiten Hälfte der sechziger Jahre besonders anschaulich die subjektivistischen und sonstigen Fehler einiger tschechischer Literaten. In gewissem Maße hat die Welle des Subjektivismus auch einige Kritiker in anderen sozialistischen Ländern erfaßt. Auch bei einem Teil der sowjetischen Literaturwissenschaftler zeige sich, wie A. S.Busmin richtig feststellte, eine „merklich verminderte Aufmerksamkeit für die soziologische Betrachtung der Literatur". 184 In Bulgarien trat eine Gruppe auf, die sich als Verteidiger einer „artistischen" Kritik bezeichnete (sie unterstreicht besonders solche Momente wie Selbstdarstellung und Einfühlung). In dem Bestreben, die Psychologie des Schaffens zu erhellen, den komplizierten Prozeß des künstlerischen Schaffens 188
voll zu erkennen, liegt gewiß viel Wertvolles. Aber hier wurde alles verabsolutiert. Diese Kritiker vernachlässigten häufig die Verbindung von Literatur und gesellschaftlichem Leben. In ihren Arbeiten zeigte sich die Tendenz, die Wechselwirkung von Sozialem und Psychologischem, Konkret-Historischem und Allgemein-Menschlichem aufzulösen und ihre Elemente gegeneinander zu stellen. Bei der Werkanalyse war für sie nicht die Logik der im Werk abgebildeten Realität das Wichtigste, sondern das Sichtbarmachen der eigenen Persönlichkeit, des Kritikers. Der Kritiker Kujumdziev sagte sogar: „Würde jemand ein kritisches Buch über einen nicht existenten Dichter schreiben, so glaube ich, dies wäre das interessanteste kritische Buch." Allerdings ist festzuhalten, daß andere Kritiker dieser Gruppe beim Überdenken ihrer Positionen selbst deren Unhaltbarkeit zu erkennen beginnen. Zdravko Petrov z. B. meint in seinem Artikel Zum Ausweg aus dem Teufelskreis, die einseitige Hinwendung zum Psychologismus könne zu intuitiver Willkür führen, und fordert dazu auf, „nicht das klassenmäßige und parteiliche Herangehen an die Kunst außer acht zu lassen, denn es ist ein wertvoller Kompaß, der uns aus dem Labyrinth der komplizierten ästhetischen Situation herauszuführen vermag, wie er es in der Vergangenheit oft getan hat".186 Dieser Ausspruch ist, unabhängig von anderen unklaren oder anfechtbaren Aussagen des Autors, symptomatisch. Zugang zu den sozialistischen Literaturen der Gegenwart ist nicht zu finden, wenn man von der Parteilichkeit absieht, sondern nur, wenn man ihr neues Terrain erschließt. Das bedeutet ausdrucksvolle Darstellung der wahren geistigen Freiheit des Menschen, wachsendes Verständnis für seine innere Welt, für seine Psychologie. Das kommunistische Ideal offenbart sich mehr und mehr in seinem allgemein-menschlichen Wesen, und das bestimmt die Entwicklungslinie der gegenwärtigen sozialistischen Literaturen. Verweilen wir noch bei der international lebhaft diskutierten Frage nach den Formen der künstlerischen Verallgemeinerung in der Literatur des sozialistischen Realismus. Sie bestimmt weithin die theoretische Auseinandersetzung. Unter den mar189
xistischen Literaturwissenschaftlern ist ein heftiger Meinungsstreit um die Begriffe „sozialistischer Realismus" und „sozialistische Kunst" entbrannt. Die einen wollen am Unterschied zwischen beiden Begriffen festhalten, den anderen erscheinen sie als identisch. Strittig ist gleichermaßen der Platz der revolutionären Romantik in der modernen Literatur. Die einen halten die Romantik für eine selbständige künstlerische Methode innerhalb der sozialistischen Kunst, die anderen weisen eine solche Behauptung kategorisch zurück. Den Verfechtern einer Abgrenzung der Begriffe wird gewöhnlich eine zu enge Auslegung des sozialistischen Realismus vorgeworfen, obwohl sie sich — und das ist keineswegs paradox — ebenfalls gegen eine zu enge Auffassung unserer künstlerischen Methode wenden und für die Weite ihrer ästhetischen Plattform — freilich ihrem Verständnis gemäß — einsetzen. E s sei nur darauf verwiesen, daß beide Parteien einander vorhalten, die Vielfalt der sozialistischen Kunst zu unterschätzen. Folglich liegt der Kern des Streites nicht in der Frage, ob diese Vielfalt anerkannt wird oder nicht. Wer sich darauf beschränkt, fördert keineswegs die Lösung des Problems. Das Wesentliche besteht hier offensichtlich in der inneren Differenzierung der unterschiedlichen Elemente, die diese Vielfalt ausmachen. Die Elemente zu differenzieren, bedeutet aber, ihr Wesen zu erkennen, ihren Charakter zu bestimmen. Die Frage nach den Formen der künstlerischen Verallgemeinerung ist eine Schlüsselfrage der ästhetischen Struktur des sozialistischen Realismus. Um sie richtig anzupacken, ist es unerläßlich, zunächst das eigene Verhältnis zu einigen anderen Erscheinungen zu klären, die eng mit ihr verbunden sind. Das ist vor allem der Begriff der Methode. In ihr drückt sich bekanntlich das Verhältnis des Künstlers zur Wirklichkeit aus. Auszugehen ist dabei davon, daß jede Methode so oder so an ein 'bestimmtes philosophisches System gebunden ist, das spontan oder bewußt zum Ausdruck gebracht wird. E s formt die Einstellung des Schriftstellers zur Welt und sein Verständnis des Menschen. Literatur ist die künstlerische Erkenntnis der Wirklichkeit, und der Charakter dieser Erkenntnis prägt die Methode. Unterschiedliche Stufen der künstlerischen Erkenntnis bringen unterschiedliche Methoden hervor. Darauf 190
beruhen Kampf und Ablösung der Methoden und Richtungen in der Literaturgeschichte. Der sozialistische Realismus ist ein neuer Typus künstlerischer Erkenntnis. Daß er das Erbe aller progressiven Literatur angetreten hat, wird in der marxistischen Literaturwissenschaft allgemein akzeptiert. E s stellt sich aber die Frage: Wie erfolgt die Rezeption des Erbes? Wie verhalten sich hierbei frühere künstlerische Methoden zum sozialistischen Realismus? Was verändert sich radikal, was bleibt erhalten? Unseres Erachtens verlieren sie die Funktion selbständiger Methoden, indem sie in den Kreis einer anderen Weltanschauung eintreten. Gleichzeitig bewahren sie mitunter wesentliche „angestammte" formale Züge, die eine relative ästhetische Autonomie besitzen. Ihre Spezifik und ihre Grenzen gilt es zu bestimmen. Die bei der Lösung dieser Fragen immer wieder auftretenden Schwierigkeiten sind vermutlich darauf zurückzuführen, daß die ästhetische Struktur des sozialistischen Realismus noch unzureichend untersucht ist. Bei aller Ablehnung der dogmatischen Formeln der jüngsten Vergangenheit bleibt der Hinweis auf den Reichtum des sozialistischen Realismus leider oft bloße Deklaration. Wenig, viel zu wenig ist bisher für die Lösung des Problems konkret getan worden. Hier wirkt noch ein gewisser Konservatismus unseres Bewußtseins, der sich an alte Vorstellungen und Ansichten über den Realismus klammert. Derartigen Ansichten begegnet man heute noch häufig in der Presse. Wenn freilich der Realismus in unseren Tagen lediglich als Widerspiegelung des Lebens in den Formen des Lebens selbst aufgefaßt wird, dann hat er keinen Raum für andere Formen, und zwangsläufig wird die Diskussion über die künstlerischen Methoden provoziert, die angeblich neben dem sozialistischen Realismus bestehen. E s wird vorgeschlagen, den Begriff „sozialistische Literatur" einzuführen, der nicht mit dem Begriff „sozialistischer Realismus" identisch sein soll. (Der sozialistische Realismus wird nur als eine Richtung innerhalb der sozialistischen Literatur behandelt.) Zur Lösung dieser Fragen muß stärker als bisher der Herausbildungsprozeß der neuen künstlerischen Methode herangezogen werden. Was wir benötigen, ist nicht die spekulative Konstruktion eines Begriffs, sondern die Ermittlung des rea191
len Inhalts einer Erscheinung und ihrer Elemente zum Zeitpunkt ihrer Entstehung und der sich anschließenden Entwicklung. Die kollektive Erfahrung der sowjetischen Literaturwissenschaft führte uns schon vor längerer Zeit zur Einsicht in das historisch-dynamische Wesen des Realismus, zur Erkenntnis seiner verschiedenen Etappen der historisch sich wandelnden Prinzipien. Dieser allgemeine Schluß ist von besonderer Bedeutung für jene Umbruchperiode der Weltgeschichte, in der der Sozialismus als Ideologie und als revolutionäre Praxis zum wichtigsten Faktor des gesellschaftlichen und des geistigen Lebens der Menschen geworden ist. Die neue Qualität der sozialistischen Literatur beruht vor allem auf der Weltsicht und ihren weiten Möglichkeiten künstlerischer Welterkenntnis. Dadurch, daß zahlreiche Schriftsteller anderer Richtungen auf die Positionen der sozialistischen Literatur einschwenkten, waren sie auch an ihrer Formierung beteiligt. Sie brachten Züge früherer Methoden in die neue künstlerische Methode ein. Züge, die transformiert und als Verfahrensweise der neuen ästhetischen Funktion untergeordnet wurden. Ohne Berücksichtigung eines solchen dialektischen Übergangs von einer Qualität zur andern ist die Spezifik des Werkes solcher Künstler wie Geo Milev, Bruno Jasienski, Ljudmil Stojanov u. a. nicht zu fassen. Es ist aufschlußreich, wie frei die proletarisch-revolutionären Schriftsteller bereits im Anfangsstadium der sozialistischen Literaturen mit verschiedenen Formen und Verfahrensweisen umgingen. Im Schaffen ihrer bedeutendsten Vertreter findet man organische Übergänge von einer Form der künstlerischen Verallgemeinerung zur andern. Bei Smirnenski lassen sich unschwer ein romantischer und phantastischer Typus der Verallgemeinerung sowie die Widerspiegelung des Lebens in den Formen des Lebens selbst feststellen. Im PoemWiadysiaw Broniewskis Der letzte Krieg und in der Ballade Der Mond der Pfauenstraße sind die Prinzipien der Typisierung völlig unterschiedlich. Im ersten Falle handelt es sich um eine romantischphantastische Vision, im zweiten um die konkret-historische Darstellung der Lebensbedingungen des Arbeiters. Die romantischen Formen der Verallgemeinerung begleiten Bro192
niew ski auf seinem gesamten Schaffensweg. Durch außerordentlichen Reichtum der Formen der künstlerischen Verallgemeinerung zeichnet sich das Schaffen Jaroslav Haseks aus. In seinem Roman Die Abenteuer des braven Soldaten Schwejk grenzt das Unwahrscheinlichste an das Alltäglichste, die satirische Groteske an die authentische Wiedergabe konkreter Lebenssituationen. Manche Literaturwissenschaftler erblicken darin verschiedene Methoden und fordern, sie gegeneinander abzugrenzen. Äußerlich entstand der Eindruck chaotischer Vermengung von Formen, ja es sah aus, als löse sich der Realismusbegriff auf. In Wirklichkeit vollzog sich jedoch ein tiefgreifender Erneuerungsprozeß — es wurde eine neue Erscheinung geboren. Sie erhielt in den zwanziger und zu Beginn der dreißiger Jahre den Namen „synthetischer Realismus". Zweifellos ist von einem neuen Typus des Realismus zu sprechen, in dem die Frage nach dem Verhältnis von Kunst und Realität, gestützt auf die marxistische Philosophie, das sich ständig bereichernde System künstlerischer Formen organisiert und lenkt. Deshalb unterscheiden sich die Begriffe „sozialistischer Realismus" und „sozialistische Kunst" nicht voneinander, sondern sind völlig identisch. Wir schließen damit die Möglichkeit nicht aus, diese Begriffe zur Kennzeichnung zeitlicher Abstufungen zu verwenden.187* Wir wenden uns jedoch gegen eine Unterscheidung der erwähnten Begriffe, wenn sie aus anderen Motiven vorgenommen wird. Einige Literaturforscher verbinden den sozialistischen Realismus lediglich mit einer Form der künstlerischen Verallgemeinerung und erheben von daher die Forderung nach einem „breiteren" Begriff der „sozialistischen Kunst".188* Die Aufgabe besteht jedoch in einer klaren und konsequenten Differenzierung der Formen innerhalb des sozialistischen Realismus. Viele Forscher sind heute der Meinung, der sozialistische Realismus stelle eine breite ideologisch-ästhetische Plattform dar, auf der praktisch eine unbegrenzte Vielfalt sowohl ererbter als auch neu geschaffener künstlerischer Ausdrucksformen möglich sei. Die bloße Feststellung einer solchen Vielfalt allein ruft bei den sowjetischen Literaturforschern keinen Widerspruch hervor. Es ist aber durchaus keine leichte Auf13 Markov
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gäbe, die Prinzipien für die Wechselbeziehungen zwischen den Formen zu finden. Gerade hierbei gibt es die größten Schwierigkeiten und die unterschiedlichsten Ansichten. Unseres Erachtens kommt es in manchen literaturwissenschaftlichen Arbeiten mitunter zur Vermengung des Begriffs Methode des sozialistischen Realismus mit Zügen der realistischen Poetik — das zweite wird mit dem ersten identifiziert. Infolgedessen werden entweder Barrieren gegen andere Formen der künstlerischen Verallgemeinerung aufgerichtet, oder der sozialistische Realismus wird nur als eine Form oder nur als eine Methode unter anderen angesehen. Deshalb gewinnt das Problem der Wechselbeziehung von Methode und Stil, von allgemeiner Richtung und Strukturelementen besondere Schärfe. Ausdruck dessen war in den letzten Jahren die Diskussion über die Romantik in den sozialistischen Literaturen. Allgemein wird diese Frage in der sowjetischen Literaturwissenschaft schon seit langem behandelt, für die frühesten Etappen der sozialistischen Literaturen sind inzwischen auch bestimmte Ergebnisse erzielt worden. Aber worin bestehen Funktion und Spezifik der revolutionären Romantik in der Gegenwart? Darüber hat in letzter Zeit A. I. Ovcarenko ausführlich geschrieben. In seinem Werk über den sozialistischen Realismus in der Gegenwart findet sich speziell ein Kapitel Die Romantik in der Sowjetliteratur, und auch in anderen Kapiteln des Buches befaßt er sich damit. Die Arbeiten A. I. Ovcarenkos zeichnen sich durch beharrliche Suche nach einer Antwort auf diese Fragen aus. Anhand einer Analyse sowjetischer Arbeiten weist A. I. Ovcarenko überzeugend nach, daß die meisten Forscher die Romantik in der Sowjetliteratur, aber auch in anderen sozialistischen Literaturen als ästhetisch selbständige Erscheinung fassen. Seine wichtigste Schlußfolgerung lautet: „In der sowjetischen Literaturwissenschaft zeichnet sich eine interessante Lösung eines schwierigen Problems ab. Ausgehend von der allgemein anerkannten Einheit von Inhalt und Form, von der Wechselbeziehung zwischen Methode und Stil, gelangen die Literaturwissenschaftler und -kritiker zu dem Schluß, daß metaphysische Ansichten über die Romantik in den Literaturen 194
der sozialistischen Welt überwunden, werden müssen. Offenkundig geworden ist die (durch unzählige Verleumdungen und traditionelle Formen komplizierte) Tendenz, die vielfältigen Erscheinungen der Romantik in der Sowjetliteratur differenziert zu untersuchen, die Romantik nicht nur als Bestandteil des sozialistischen Realismus, sondern auch als ästhetisch selbständige, beziehungsweise mit beträchtlicher Autonomie ausgestattete Erscheinung zu begreifen." 189 Dieser Feststellung muß man zustimmen, entspricht sie doch dem tatsächlichen Stand der Dinge. Leider läßt sie der Verfasser selbst außer acht, wenn er an anderer Stelle vielen Literaturwissenschaftlern (nicht immer zu Recht) vorwirft, sie würden die Existenz der Romantik in der Literatur des 20. Jahrhunderts im allgemeinen und .in den sozialistischen Literaturen im besonderen nicht anerkennen.190 Natürlich gibt es Forscher, die überhaupt bestreiten, daß es in den modernen Literaturen so etwas wie Romantik gäbe, aber derzeit bestimmen nicht sie die wissenschaftliche Meinungsbildung. Ovcarenko hat das wesentlichste Forschungsergebnis formuliert: Die revolutionäre Romantik ist eine ästhetisch unabhängige, qualitativ selbständige Erscheinung der zeitgenössischen sozialistischen Literaturen. Das ist unsere gemeinsame Schlußfolgerung, auf sie gründet sich unser Versuch, weitere Aspekte des Problems zu beleuchten. Zunächst geht es um die Bestimmung der ästhetischen Funktion der Romantik in den zeitgenössischen sozialistischen Literaturen. Was ist sie — ein Stil, eine Methode oder noch etwas anderes? Ovcarenko hat diese Fragen wohl entschiedener als andere Literaturwissenschaftler angepackt, deswegen verdient sein Forschungseifer Anerkennung, wenn auch sein Lösungsvorschlag nicht zu akzeptieren ist. Er schreibt: „Die historische Erfahrung bei der Herausbildung der neuen Literatur läßt folgende Behauptung zu: Die Romantik existiert in ihr als künstlerische Methode in den frühen Etappen ihrer Entwicklung, aber bei weitem nicht nur in ihnen. Neben strengstem Realismus erblüht auch erhabenste Romantik, und dazwischen gibt es eine große Zahl von Übergangs- und Mischformen." 191 In den vorangegangenen Kapiteln haben wir zu zeigen versucht, daß die revolutionäre Romantik sowohl als eine Eigen13»
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schaft des Realismus auftritt als auch als autonome Art künstlerischer Verallgemeinerung. In dieser Funktion tritt sie uns auch heute noch entgegen. Auf keinen Fall darf man eine Nivellierung ihrer Eigenart zulassen. Aber man wird wohl kaum einer Erklärung zustimmen können, wie sie Ovcarenkos Arbeit gibt. Sie vernachlässigt die tiefgreifenden Veränderungen der künstlerischen Weltsicht, auf Grund derer das neue ästhetische System geschaffen wurde. Nach allem zu urteilen, reduziert der Kritiker die künstlerische Methode auf die Summe der Gestaltungsmittel. (Hier kommt es zu der oben erwähnten Vermengung der Begriffe Methode und bestimmter Typen der Poetik.) Der sozialistische Realismus wird von ihm nicht als eine neue ästhetische Struktur betrachtet, sondern lediglich mit dem konkret-historischen, gegenständlich-analytischen Charakter des Schaffens verbunden. Seine Grenzen erscheinen eingeengt, und deshalb tritt Ovcarenko, wie bereits gesagt, für eine „breitere Kategorie der sozialistischen Kunst" ein. 192 Ähnlichen Ansichten begegnet man recht häufig. Mitunter machen ihre Verfechter die Vorstellung von den angeblich begrenzten Möglichkeiten des sozialistischen Realismus zu ihrem Ausgangspunkt. So behauptete der jugoslawische Wissenschaftler Fran Petre in seinem Vortrag auf dem IV. Internationalen Slawistenkongreß, der sozialistische Realismus als Methode sei lediglich durch die traditionell-realistische Poetik, durch beschreibende und gegenständliche Darstellung bestimmt, dagegen seien ihm verschlüsselt-symbolische Formen fremd. Diese Auffassung bezeichnet er als die gängige Theorie des sozialistischen Realismus und meinte, sie gebe das Wesen der neuen künstlerischen Methode richtig wieder. Natürlich ist es leicht, von einer solchen Plattform aus die angebliche Enge des sozialistischen Realismus zu kritisieren, und es läßt sich dann auch beweisen, daß es zahlreiche revolutionäre Schriftsteller gibt, deren Schaffen durch intensive Symbolik, ja durch antimimetische Metaphorik charakterisiert ist (was im Vortrag am Beispiel Ivan Cankars und anderer slowenischer Schriftsteller gezeigt wurde). 193 Wie man sieht, geben wir mitunter selber Anlaß zu derartigen Auslegungen des sozialistischen Realismus, wenn wir ihn nicht als neues ästhetisches System begreifen, sondern nach 196
weiteren parallel mit ihm existierenden künstlerischen Methoden suchen. Der Entwicklungsweg des sozialistischen Realismus zeigt überzeugend, daß wir es mit einem Aufbauprozeß einer grundlegend neuen ästhetischen Struktur zu tun haben, die Leistungen früherer Methoden und Richtungen in sich aufnahm, wobei diese die Merkmale selbständiger Methoden verloren. Sie bewahrten hingegen die Spezifik der Poetik, der Formen künstlerischer Verallgemeinerung, und fanden so Eingang in die neue Struktur. Es versteht sich, daß keine dieser Formen mit dem Begriff der neuen Methode identisch ist, dessen Grundlage die sozialistische Konzeption der Welt und des Menschen bildet. Diese Auffassung hat ihre Gegner, deren Einwände darauf hinauslaufen, daß eine solche Fragestellung den Begriff des Realismus zerfließen lasse und letzten Endes auf eine Wiederbelebung der Realismus-Antirealismus-Theorie hinauslaufe. Auf den ersten Blick treffen diese Einwände durchaus etwas Richtiges. Ihnenfehlt jedoch das historische Herangehen. Unterzieht man die Realismus-Antirealismus-Theorie einer kritischen Betrachtung, so stellt sichheraus, daß die Verfechter dieser Theorie den Realismus mit den allgemeinen Eigenschaften der Kunst überhaupt identifizieren, aber ein solches Ineinanderfließen gab es in der Vergangenheit nie und konnte es auch nicht geben. Der Realismus war ja nur eine Strömung unter anderen. Bei allem Reichtum seiner Möglichkeiten, das Leben zu erfassen und zu loten, konnte er doch vieles noch nicht erklären. Die Gesetze der revolutionären Umgestaltung der Welt nach sozialistischen Prinzipien blieben ihm verschlossen. Sowjetische Literaturwissenschaftler haben wiederholt festgestellt, daß im 20. Jahrhundert die ideologische Unzulänglichkeit des kritischen Realismus mit aller Schärfe zutage getreten ist. Natürlich wäre es falsch, daraus zu folgern, der kritische Realismus hätte grundsätzlich und überall seine Möglichkeiten erschöpft. In der antagonistischen Gesellschaft entwickelte er sich weiter, veränderte seinen Charakter und bezog neue Probleme in sein Blickfeld ein. Das alles vermag aber nicht die These von der historisch erklärbaren, ideologischen Begrenztheit des kritischen Realismus zu widerlegen. Neben dem Realismus 197
und auch vor seiner Ausbildung gab es Strömungen anderer philosophisch-ideologischer Orientierungen, und es wäre unlogisch, ihnen nur deshalb pauschal jede künstlerische Wahrhaftigkeit abzusprechen, weil sie nicht realistisch gewesen waren. Hinzu kommt, daß der Begriff des Realismus mitunter nur als Indikator der sozialen Analyse betrachtet und auf die bloße Widerspiegelung der gegenständlichen Welt reduziert wurde. So gesehen hat die Realismus-Antirealismus-Theorie den literarischen Prozeß nicht nur schematisiert, sondern auch eine völlig falsche Vorstellung von ihm vermittelt. Die philosophische Grundlage der sozialistischen Kunst unterscheidet sie prinzipiell von allen anderen künstlerischen Richtungen; erstmals ergaben sich Möglichkeiten einer tiefen und konsequenten Erkenntnis der gesellschaftlichen Wirklichkeit. Dies erweiterte den Umfang künstlerischer Weltaneignung und folglich auch die Skala der unterschiedlichsten Ausdrucksformen. Die neue Kunst stützt sich auf die gesamte progressive künstlerische Erfahrung der Vergangenheit. Da in der Vergangenheit gerade der Realismus die größten Errungenschaften gebracht hatte, wurde er zum Mittelpunkt der neuen Kunst und blieb auch in ihrer Bezeichnung erhalten. Aber es war bereits ein neuer Realismus, der die unterschiedlichsten Formen der künstlerischen Verallgemeinerung umfaßte, soweit sie imstande waren, die Wahrheit des Lebens zu gestalten. Deshalb unterscheidet er sich nicht von den allgemeinen Eigenschaften jeder echten Kunst, ist seinem Inhalt nach gleichwertig. Mit anderen Worten: Die frühere Auffassung des Realismus entspricht nicht dem neuen Begriffsinhalt eines weitverzweigten Systems unterschiedlicher künstlerischer Formen, das durch eine einheitliche Weltanschauung organisiert ist. Es handelt sich also darum, daß nicht eine einzelne Seite der Poetik des Realismus zur allgemeinen Eigenschaft jeder wahren Kunst wird, sondern das gesamte neue System künstlerischer Formen. Ein solches Verschmelzen zeigt sich dann, wenn die Grundprinzipien der neuen künstlerischen Methode gefestigt sind, und ist der entscheidende Gradmesser dafür, inwieweit die neue Struktur bereits ausgeprägt ist. Davon kann also nicht gesprochen werden, wenn man die frühe sozialistische 198
Literatur im Auge hat. Freilich werden auch Ansichten geäußert, wonach die Herausbildung des sozialistischen Realismus als Methode mit den ersten Äußerungen der sozialistischen Ideologie in der Literatur gleichzusetzen sei, aber wir haben gesehen, daß ihre Durchsetzung ein langwieriger Prozeß gewesen ist. Eine Ursache der Meinungsverschiedenheiten über den Realismus neuen Typs ist die ungenügende Klärung der Spezifik künstlerischer Erkenntnis. In den letzten Jahren gab es in Bulgarien eine Diskussion über den Gegenstand der Kunst, über das Wesen des Ästhetischen. Dabei wurden dort — ebenso wie in der Sowjetunion und in anderen Ländern — von den Vertretern der marxistischen Ästhetik unterschiedliche Standpunkte dargelegt. In einigen Äußerungen wird die Erkenntnisfunktion der Kunst unterschätzt, in anderen wird die Leninsche Widerspiegelungstheorie eng und wohl auch etwas vulgär behandelt, als ein passiv-kontemplativer Akt, als lediglich äußere Entsprechung von Abbild und Wirklichkeit. Am objektivsten erscheint ein dritter Standpunkt, der diese Extreme vermeidet. Seine Anhänger, deren Zahl ständig wächst, sprechen vom Erkenntniswert der Kunst und sehen darin eine aktive Umgestaltungspotenz. Sie unterstreichen die Rolle der künstlerischen Subjektivität. Die Entsprechung von Abbild und Wirklichkeit wird von ihnen als Übereinstimmung mit der Logik der Lebenserscheinungen gedeutet, die keinesfalls zu einer äußerlichen Übereinstimmung führt und deshalb Raum für schöpferische Suche nach unterschiedlichsten Verfahren der künstlerischen Umsetzung schafft. Das eingeengte Verständnis der Widerspiegelungstheorie in bezug auf die Kunst drückt sich vor allem darin aus, daß der breite Prozeß der künstlerischen Erkenntnis durch einzelne seiner Formen ersetzt wird, die dann verabsolutiert werden. Dadurch werden die Grenzen der sozialistischen Kunst enger, sie wird auf eine einzige Gestaltungsweise reduziert. In den Arbeiten mehrerer Literaturwissenschaftler stoßen wir auf folgenden Widerspruch: In ihren allgemeinen Erklärungen wird der sozialistische Realismus als ästhetische Plattform anerkannt, die eine Vielfalt von Formen umfaßt, in der Praxis aber wird er lediglich auf die Widerspiegelung des Lebens in 199
den Formen des Lebens selbst begrenzt, und diese Begrenzung bestimmt die Einschätzung einzelner literarischer Erscheinungen. Derartige Ansichten werden von einigen unserer bedeutendsten Wissenschaftler vertreten, deren Untersuchungen im übrigen einen bedeutenden Beitrag zur sowjetischen Literaturwissenschaft darstellen. Das ist zweifellos ein Beweis für die Kompliziertheit der Materie. Im Jahre 1963 wurde ein Artikel von A. S. Busmin über den sozialistischen Realismus veröffentlicht, mit dem Untertitel Zur Frage seiner Auslegung,194 Dieser polemisch gehaltene Artikel verdient in vielerlei Hinsicht Beachtung. Er wendet sich entschieden gegen die reaktionäre modernistische Ästhetik und vor allem gegen den Einfluß formalistischer Konzeptionen auf die sowjetische Literaturforschung. Besonders wichtig ist die Stellungnahme des Verfassers gegen die Vermengung verschiedener Formen der künstlerischen Verallgemeinerung in der sozialistischen Kunst sowie für eine differenzierte Untersuchung dieser Formen, für eine Unterscheidung und Bewertung ihres selbständigen ästhetischen Wesens. Doch dadurch, daß Busmin den Realismus als „Widerspiegelung des Lebens in den Formen des realen Lebens selbst" definierte, schlug er die Tür für andere Formen der künstlerischen Verallgemeinerung zu. Von anderen Formen zu sprechen, würde nachBusmin bedeuten, „das zweite Glied der zweiteiligen Bezeichnung .sozialistischer Realismus* in ein rein formales Anhängsel" zu verwandeln. 195 * Daher rührt die Forderung nach Normativität in den Grenzen der oben erwähnten Widerspiegelungsart. Daher auch die Unterschätzung metaphorisch-vermittelter und anderer Formen. Ähnliche Ansichten über den Realismus vertritt — wie bereits erwähnt — auch S. M. Petrov. Aber die Äußerungen dieser Wissenschaftler enthalten unseres Erachtens auch Beobachtungen und Schlußfolgerungen, die von grundlegender Bedeutung sind, z.B., daß in der Geschichte der Literatur der Realismus die bedeutendste Richtung gewesen ist und daß seine Leistungen unstreitig die jeder anderen Richtung übertreffen. Es sei nur logisch, daß der Gestaltungstypus, der mit 200
dieser Richtung genetisch verbunden ist, auch in der zeitgenössischen sozialistischen Literatur eine führende Stellung inne hat. Dieser Gestaltungstypus werde nicht selten als Widerspiegelung des Lebens in den Formen des Lebens selbst charakterisiert. Man sollte wohl genauer von einem konkrethistorischen Herangehen an die Wirklichkeit sprechen, dessen Wesen die von Friedrich Engels gegebene Definition „Wiedergabe typischer Charaktere unter typischen Umständen" am besten erfaßt. Diese Schlußfolgerungen Busmins und Petrovs 1 9 6 sind unseres Erachtens überzeugend und von großer Aktualität. E s ist ja bekannt, daß in den letzten Jahren nicht nur im Westen, sondern auch in der Literaturwissenschaft mehrerer sozialistischer Länder Arbeiten erschienen sind, deren Verfasser bei der Behandlung der Literatur des 20. Jahrhunderts geflissentlich die avantgardistischen Strömungen, das formale Experimentieren und die metaphorisch-vermittelten Formen in den Vordergrund schieben. All das wird zur wichtigsten Neuleistung der Literatur unserer Epoche erklärt, folgerichtig erscheint selbst Gorki als Traditionalist, als ein Schriftsteller, der außerhalb der künstlerischen Neuleistungen des 20. Jahrhunderts steht. Unter dem Deckmantel einer „rein ästhetischen" Polemik wird ein ideologischer Kampf ausgetragen, bei dem das Bestreben deutlich wird, die Aufmerksamkeit der Künstler von der Offenlegung der realen Gesetzmäßigkeiten der gesellschaftlichen Entwicklung abzulenken. Aus diesem Grunde gewinnt die Hervorhebung der Weise literarischer Widerspiegelung, welche jene Gesetzmäßigkeiten in größter Vollständigkeit hervortreten läßt, besondere Bedeutung. Das Hauptproblem bleibt jedoch, keinen der möglichen Wege bildlicher Gestaltung von Welt zu verabsolutieren. In diesem Sinne ist die einseitige Hervorhebung der Forderung von Friedrich Engels nach „Treue der Details" in der Darstellung falsch. Auch die These „Wiedergabe typischer Charaktere unter typischen Umständen" wird mitunter vulgarisiert — sie wird lediglich als Abhängigkeit des Menschen von der Umwelt gedeutet, während Engels natürlich die Einheit des menschlichen Charakters und der Umstände im Auge hatte und die 201
Möglichkeit einer Einwirkung des Menschen auf die Umstände nicht ausschloß. Die Hauptaufgabe des Künstlers ist es, die wirklichen Zusammenhänge der Welt wahrheitsgetreu wiederzugeben. Da die Formen dieser Zusammenhänge im Leben selber unterschiedlich sind, gibt es natürlich auch eine Vielfalt von Formen in der Kunst, insbesondere im sozialistischen Realismus, dessen Möglichkeiten künstlerischer Welterkenntnis praktisch unbegrenzt sind. Deshalb wächst in ihm die Rolle der Subjektivität, immer stärker zeigt sich die Freiheit des schöpferischen Bewußtseins, das auf die Entdeckung neuer Formen künstlerischer Gestaltung gerichtet ist. Nur unter Berücksichtigung der Einheit von Erkenntnis und Ausdrucksfunktion der Literatur ist die Spezifik künstlerischer Formen auszumachen. Alle Erkenntnis schließt bekanntlich Abstraktion ein. Ohne sie gibt es keine Verallgemeinerung der Erscheinungen der realen Welt. (Der Begriff „reale Welt" umfaßt natürlich auch die innere Welt des Menschen, seine Empfindungen und Ideale.) Das bestimmende Kriterium in der Kunst muß die Treue zum objektiven Gang der Dinge sein. Das läßt sich nicht nur in Form der konkret-historischen Widerspiegelung ausdrücken, sondern auch in romantischer, grotesk-satirischer oder phantastischer, kurz in verschiedenen künstlerischen Formen, von denen jede ihre besonderen Mittel besitzt, sich Wirklichkeit anzueignen. Die konkret-historische Widerspiegelung bietet ein Bild, in dem die realen Umstände die Bewegung der Abbilder bedingen. In der metaphorisch-vermittelten Widerspiegelung beobachten wir gewissermaßen eine entgegengesetzte Abhängigkeit: Die Ideen, die Reaktion auf reale gesellschaftliche Prozesse sind, unterwerfen sich die Situation, die des Künstlers Einbildungskraft erfindet. Die Situation ist in diesem Falle die Hülle der Ideen, die Realisierung des Einfalls. J e gelungener diese Form erfunden worden ist, um so bedeutender und unverwechselbarer ist das Werk. Daraus folgt, daß man den Sinn metaphorisch-vermittelter Bilder und Gestalten nicht in ihrer äußeren Entsprechung zu Formen der realen Wirklichkeit der konkret-historischen Umstände zu suchen hat, die, geschaffen durch das freie Spiel der Phantasie, hier oftmals
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als außerordentliche erscheinen, sondern darin, wie überzeugend sie zur Darstellung jener Ideen und Empfindungen beitragen, die so oder so mit dem gesellschaftlichen Leben der Epoche verbunden sind. Folglich gründet sich auch das phantastischste Werk, wenn es wahr ist, auf der Erfahrung des Lebens. Der Grad der Entsprechung eines metaphorisch-vermittelten Bildes zum objektiven Gang der Dinge entscheidet über seinen Erkenntniswert. Im Erkenntnisprozeß kann die Abstraktion die Rolle der objektiven Verallgemeinerung übernehmen, sie kann aber auch so weit getrieben werden, daß alle Zusammenhänge mit der realen Wirklichkeit zerstört werden und subjektive Willkür Platz greift. Das wichtigste bei der Bewertung jedes künstlerischen Bildes ist sein Verhältnis zur realen Welt. Wird in einem Werk die reale Entwicklung verzerrt — ob nun in lebensähnlicher Form (z. B. im Naturalismus) oder in metaphorischvermittelter Form (z. B. im Symbolismus) —, so fehlt ihm die Wahrheit, und wir lehnen es ab. Und umgekehrt: Eine metaphorisch-vermittelte Gestaltung, die die Wahrheit des Lebens zur Sprache bringt, erscheint dann als eine spezifische und unumgängliche Form künstlerischer Weltaneignung. Die Lebensfähigkeit verschiedener verschlüsselter, also auch romantischer Formen im sozialistischen Realismus wird durch reiches Faktenmaterial aus jeder beliebigen Nationalliteratur belegt. N. N. Kuznecov zeigt das am Beispiel von J. I. Janovskij, A. P. Dovzenko, K. G. Paustovskij und anderen sowjetischen Schriftstellern.197 Metaphorisch-vermittelte Gestaltung tritt deutlich im Werk Nazim Hikmets hervor, wie auch, worüber wiederholt und überzeugend geschrieben wurde, in der Bildsprache Bertolt Brechts.198 Das Werk vieler sozialistischer Künstler beweist immer wieder die Wirksamkeit jener Formen, die ihren eigenen Stellenwert besitzen und durch andere Formen nicht zu ersetzen sind. Es ist bezeichnend, daß der bedeutende Repräsentant des sozialistischen Realismus Vitezslav Nezval in seinem letzten Werk, dem Drama Heute noch gebt die Sonne über Antlantis unter (1955), zu verschlüsselt-phantastischen Ausdrucksmitteln griff. Das Drama gehört zu jenen Werken unseres Jahrhunderts, die am stärksten vom Geist des Humanismus geprägt wurden. 203
Nezval, der besonders sensibel auf die Nöte seiner Zeit reagierte, erkannte die Gefahr eines Atomkrieges und wandte sich darum an die Menschheit mit der Mahnung, den Mächten der Zerstörung den Weg zu verlegen. Das ist der Grundgedanke des Dramas, in dessen Mittelpunkt die Auseinandersetzung zwischen Tyrannei und Demokratie, grausamer Willkür und menschlicher Vernunft steht. Für die künstlerische Gestaltung dieser Idee wurden außergewöhnliche Situationen gewählt: Die Handlung spielt im mythischen Erdteil Atlantis. Dessen Herrscher besitzt „ . . . ein Metall, das birgt unendliche Kräfte, wie der Schlund des Vulkans . . . " Der militärische Konflikt zwischen Athen, dem Land, in dem „Kein böser Herrscher befiehlt, das Volk in Freiheit entscheidet", und Atlantis, dessen Herrscher im Anfall blinder Wut damit droht, die Feinde zu vernichten, ihre Asche in alle Winde zu zerstreuen, und somit das Schrekkensbild vom Untergang des Erdteils Atlantis heraufbeschwörte — „Das Meer hat das Land überflutet, Berge bersten auseinander, die Erde dröhnt, ganze Städte versinken in Erdspalten . . . " — bildet die Achse des Stückes. Das Drama Nezvals wendet sich mit seiner gedanklich-emotionalen Welt an die Gegenwart: Mit dem Bild vom Untergang des sagenhaften Atlantis warnt der Dichter die Welt vor der ihr drohenden Gefahr. Kräftig und unüberhörbar klingt im Drama der Glaube an den Menschen. Gadeiros, der das helle, humanistische Prinzip verkörpert, wendet sich im Schlußmonolog an die künftigen Geschlechter: „Zweite Menschheit, ich seh' dich! Oh, mögst du niemals es dulden, Daß ein Tyrann mißbraucht, daß ein Wuch'rer verkauft aus Profitgier, Was uns so teuer gewesen!" Die von Nezval gewählte verschlüsselt-phantastische Form erwies sich als höchst wirksam: Der Dichter „reproduziert" einer thermonukleare Katastrophe — die Fiktion eines tatsächlichen Geschehens steigert die Wirkung des künstlerischen Anliegens, die Tragödie jenes Augenblickes zu erfassen. Um
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so stärker wird dadurch die humanistische Idee akzentuiert — die Verantwortung für das Schicksal der Menschheit, der Aufruf zum Kampf für den Frieden, gegen die Gefahr der Zerstörung von Kultur und Zivilisation. Noch ein Beispiel sei angeführt, das die Quellen metaphorisch-vermittelter Bildsprache zeigen soll. Der zeitgenössische bulgarische Dichter Veselin Chancev ist ein bedeutender realistischer Schriftsteller. Ein Meister des Details und der psychologischen Analyse, finden sich bei ihm auch Gedichte, deren Bildsprache von Symbolik und Phantastik geprägt sind, wie Der Apfelbaum auf der Insel, Die Rebstöcke vom Montmartre, Pariser Regen, von einer Drehorgel besungen. Die metaphorisch-vermittelte Bildsprache in den Gedichten Chancevs steht der volkstümlichliedhaften Lyrik sehr nahe. Das ist zweifellos ein allgemeiner Zusammenhang, der unbedingt hervorgehoben zu werden verdient. Spricht man von den metaphorisch-vermittelten Formen, so ordnet man sie meist ins 20. Jahrhundert ein. Das ist begreiflich, denn in dieser Periode erfuhren sie eine beträchtliche Ausweitung sowohl in der progressiven als auch in der reaktionärmodernistischen Literatur. Es dürfte aber wohl nicht überflüssig sein zu bemerken, daß das metaphorisch-vermittelte Verfahren bildhafter Verallgemeinerung bereits vor langer Zeit entstanden ist und seinem Wesen nach eine Tradition der Volkskunst darstellt, welche die einen voll Dankbarkeit weiterentwickeln, andere dagegen entstellen. Dieses System der Bildhaftigkeit wurde jahrhundertelang in der Volksdichtung gepflegt; Symbolik, Phantastik und andere verschlüsselte Verfahrensweisen begegnen uns dort immer wieder. Zahlreiche bedeutende Schriftsteller übernahmen sie von da an und prägten ihre Funktion durch den reichen lebendigen Inhalt ihrer Werke. Die Stellung der Modernisten zum Leben verlieh jenen Verfahren dagegen eine andere Funktion. Ihrem gebrochenen Verhältnis zur Realität entsprechend, entleerten sie die metaphorisch-vermittelte Bildfügung ihres objektiven Inhalts und verwandelten sie in eine Laune subjektivistischer Willkür. In der sozialistischen Kunst ist das Hauptkriterium das der künstlerischen Wahrheit. Fadejew schrieb darüber: „DieWirklichkeit braucht nicht beschönigt zu werden, man muß ihren 205
morgigen Tag sehen. Das ist eine der wesentlichsten Seiten des sozialistischen Realismus. Ausdrücken läßt sich das sowohl in einer Form, die den klassischen realistischen Romanen nahesteht (also auf der Grundlage der Milieu treue), als auch in einer Form, die dem .Faust' oder dem .Dämon* verwandt ist, in romantischer oder märchenhafter oder verschlüsselter Form, kurz, in jeder beliebigen Form, die es gestattet, die Wahrheit auszudrücken." 199 Zur Zeit wird in der sowjetischen Literaturwissenschaft nahezu allgemein von verschiedenen Stiltendenzen im sozialistischen Realismus gesprochen, und das ist im allgemeinen recht fruchtbar. Vieles hat in dieser Richtung L. N. Novicenko unternommen, dessen Vortrag auf dem IV. Internationalen Slawistenkongreß in diesem Zusammenhang interessant ist. 200 Sein Stilbegriff ist allerdings noch immer recht weit gefaßt. Unseres Erachtens muß man eine stärkere Differenzierung innerhalb unserer Methode ins Auge fassen. 201 Stil ist die durch den Charakter des Inhalts bedingte Einheit der formalen Elemente. Die objektive Vielfalt des Inhalts bewirkt eine Vielfalt der Formen. Der Stilbegriff umfaßt alle formalen Elemente, die es ermöglichen, einen bestimmten Inhalt zu individualisieren. Somit ist der Stil nicht die Spezifik schlechthin, die Manier der künstlerischen Wiedergabe, nicht die mechanische Summe formaler Elemente, sondern ganz allgemein die Konzeption der Form. Das Fehlen einer solchen Konzeption bedeutet im wesentlichen das Fehlen eines Stils. All das äußert sich nicht als ein Monolith: Die Einheit der Formkomponenten führt nicht zu ihrer Nivellierung. Jedes der Formelemente existiert sowohl allein für sich als auch als Teil eines Ganzen, wie einzelne Teile in einem architektonischen Ensemble, wie die verschiedenen Instrumente in einem eingespielten Orchester. Stil ist eine komplizierte, vielschichtige Struktur, in der essowohl eine einheitliche Konzeption des Ganzen als auch innerhalb dieser Gesamtkonzeption die Selbständigkeit der einzelnen Teile gibt. Der Stil äußert sich auf mannigfaltige Weise: im Typ der künstlerischen Verallgemeinerung, in der Komposition, im Genre, im sprachlichen Bau usw. Es ergibt sich die Notwendigkeit, einzelne Komponenten herauszulösen, beson-206
ders solche, die von allgemeinerer Bedeutung sind. Wir waren bemüht, an einigen Beispielen zu zeigen, daß in der lebendigen Praxis künstlerische Erscheinungen anhand solcher wesentlichen Merkmale wie des Charakters der Verallgemeinerung, der Art der Typisierung und folglich der Struktur des Bildes zu spezifizieren sind. In jeder sozialistischen Nationalliteratur lassen sich sowohl konkret-historische als auch romantische, verschlüsselt-phantastische und andere Darstellungsweisen unterscheiden. Deshalb erscheint es logisch, von verschiedenen Formen der künstlerischen Verallgemeinerung als einem bestimmten Begriff zu sprechen, dies um so mehr, als diese Formen eine relative ästhetische Selbständigkeit besitzen und auf Grund ihrer Spezifik charakterisiert werden müssen. Es ist als sicher anzunehmen, daß eine vertiefte Untersuchung der Formen künstlerischer Verallgemeinerung sowie der Kriterien ihrer Unterscheidung zur weiteren Erhellung des ästhetischen Wesens des sozialistischen Realismus beitragen wird.
Anmerkungen
1 MEW, Bd. 3, S. 7. 2 Vgl. die Sammelbände: Socialistiéeskij realizm v literaturach narodov SSSR (Der sozialistische Realismus in den Literaturen der Völker der UdSSR). Hg. v. G. I. Lomidze, M. I. Fetisov und V. M. Piskunöv. Moskau 1962; Formirovanie socialisticeskogo realizma v literaturach zapadnych i juznych slavjan (Die Herausbildung des sozialistischen Realismus in den Literaturen der West- und Südslawen). Hg. v. D. F. Markov, V. A. Chorev und S. A. Serlaimova. Moskau 1963; Genezis socialisticeskogo realizma v literaturach stran Zapada (Die Genesis des sozialistischen Realismus in den Literaturen der westlichen Länder). Hg. v. T. V. Balasova, F. S. Narkir'er, R. M. Samarin und S. V. Turaev. Moskau 1965; Nacional'nye tradicii i genezis socialisticeskogo realizma (Die nationalen Traditionen und die Genesis des sozialistischen Realismus). Hg. v. N. I. Balasov, I. A. Bernstejn und Ju. A. Kozevnikov. Moskau 1965; Socialistiieskij realizm i chudozestvennoe razvitie celoveöestva (Der sozialistische Realismus und die künstlerische Entwicklung der Menschheit). Hg. v. N. K. Gej, V. V. Ermilov, A. S. Mjasnikov, V. M. Piskunov, I. Ju. Podgaeckaja, L. I. Timofeev und V. R. Scerbina, Moskau 1966. 3 M. V. Zivov: Bronevskij — poét pol'skoj revoljucii (Broniewski, Dichter der polnischen Revolution). In: Sovremennaja pol'skaja literatura (Die zeitgenössische polnische Literatur). Moskau 1953. 4 S. V. Nikol'skij: Irzi Vol'ker (Jiri Wolker). In: Ucenye zapiski Instituía slavjanovedenija AN SSSR (Wissenschaftliche Abhandlungen des Instituts für Slawistik an der Akademie der Wissenschaften der UdSSR), Bd. 8. Moskau 1954. 5 D. F. Markov: Novatorskie certy poézii Christo Smirnenskogo (Die neuen Züge in der Poesie Christo Smirnenskis). In: Ucenye zapiski Instituta slavjanovedenija AN SSR (Wissenschaftliche Abhandlungen des Instituts für Slawistik an der Akademie der Wissenschaften der UdSSR), Bd. 8. Moskau 1954. 6 S. A. Serlaimova: Stanislav Kostka Nejman (Stanislav Kostka Neumann). Moskau 1959. 14
Markov
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7 Ju. V. Bogdanov. K voprosu o formirovanii ésteticeskich vzgljadov i tvorceskogo metoda Petra Ilemnickogo (Zur Herausbildung der ästhetischen Ansichten und der Schaffensmethode Peter Jilemnickys). In: Literatura slavjanskich narodov (Die Literatur der slawischen Völker) Bd. 4. Moskau 1959. 8 Ocerki istorii bolgarskoj literatury X I X — X X vekov (Grundriß einer Geschichte der bulgarischen Literatur des 19. und des 20. Jahrhunderts). Moskau 1959; Ocerki istorii cesskoj literatury XIX— X X vekov (Grundriß einer Geschichte der tschechischen Literatur des 19. und des 20. Jahrhunderts). Moskau 1963. 9 Vgl. besonders den Aufsatz von R. S. Samarin: Sovetskoe literaturovedenie o socialisticeskom realizme v zarubeznych stranach (Die sowjetische Literaturforschung über den sozialistischen Realismus im Ausland). In: Sovetskoe literaturovedenie za pjat'desjat let (50 Jahre sowjetische Literaturwissenschaft). Moskau 1967. — Leider wird in diesem Aufsatz, der offensichtlich eine Übersicht über die Forschungsergebnisse und eine historiographische Einführung bieten sollte, im Grunde genommen die Bedeutung der südslawischen und der westslawischen Literaturen und folglich auch die Verallgemeinerung der dort gewonnenen Erfahrungen in den Arbeiten der sowjetischen Slawisten — einschließlich des erwähnten Sammelbandes — außer acht gelassen. Infolgedessen erscheint die Charakteristik dieses Forschungsproblems zu eng und einseitig. 10 Vgl. die Abhandlungen von V. A. Chorev, Ju. V. Bogdanov, L. N . Budagova, S. A. Serlaimova und G. Ja. Il'ina im Sammelband: Razvitie zarubeznych Slavjanskich literatur v X X veke (Die Entwicklung der ausländischen slawischen Literaturen im 20. Jahrhundert). Moskau 1964; ferner die Abhandlungen von I. A. Bernstejn, A. G. Piotrovska, Ja. V. Stanjukovic, R. L. Filipcikova, N . B. Jakovleva, É . M. Olonova und G. B. Rabinovic im Sammelband: Nacional'nye tradicii i genezis socialisticeskogo realizma (Die nationalen Traditionen und die Genesis des sozialistischen Realismus). Moskau 1965; Puti realizma v literaturach stran narodnoj demokratii (Die Wege des Realismus in den Literaturen der volksdemokratischen Länder). Moskau 1965; schließlich die entsprechenden Abschnitte in dem Buch I. K . Gorskijs: Pol'skij istoriceskij roman (Der polnische historische Roman). Moskau 1963, u. a. 11 Von der Sowjetliteratur ist in allen Arbeiten über die Genesis des sozialistischen Realismus die Rede. Außerdem gibt es auch Spezialuntersuchungen, z. B . : M. Gor'kij v slavjanskich stranach narodnoj demokratii (Maksim Gor'kij in den slawischen volksdemokratischen Ländern). In: Kratkie soobscenija Instituta slavjanovedenija A N SSSR (Kurzinformationen des Instituts für Slawistik an der Akademie der
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Wissenschaften der UdSSR). N r . 1 nd 6/1951 ; V. Majakovskij v slavjanskich stranach narodnoj demokratii (Vladimir Majakovskij in den slawischen volksdemokratischen Ländern), ebenda; s. ferner die Abhandlungen: A. Aleksandrov: M. Gor'kij i slavjanskie literatury (Maksim Gor'kij und die slawischen Literaturen). In: Ucenye zapiski Leningradskogo gosudarstvennogo pedagogiceskogo instituta imeni Gercena (Wissenschaftliche Abhandlungen des Leningrader Staatlichen Pädagogischen Instituts „ A . I . H e r z e n " ) . Bd. 87, Leningrad 1949; A. Grigor'ev: Gor'kij i bolgarskaja literatura (Gor'kij und die bulgarische Literatur). In: Doklady i soobscenija filologiceskogo fakul'teta L G U (Vorträge und Informationen der Philologischen Fakultät der Leningrader Staatlichen Universität). 3/1951; s. auch das Buch von L. Fejgel'man: Majakovskij v stranach narodnoj demokratii (Majakovskij in den volksdemokratischen Ländern). Moskau 1952; V. I. Zlydnev: Russko-bolgarskie literaturnye svjazi X X veka (Russischbulgarische Literaturbeziehungen im 20. Jahrhundert). Moskau 1964; u. a. 12 Zovten' i zarubizni slov'jans'ki literatury (Der Oktober und die slawischen Literaturen des Auslands). Kiew 1967, S. 3—56. 13 G. D . Verves: Pro tradicijne i novators'ke v slov'jans'kij poezii X X st. (Über Tradition und Neurertum in der slawischen Poesie des 20. Jahrhunderts). Kiew 1968. 14 In: Oktjabr'skaja revoljucija i slavjanskie literatury (Die Oktoberrevolution und die slawischen Literaturen). Moskau 1967, S. 37. [Sammelband] 15 Ebenda, S. 38. 16 Ebenda, S. 3 6 - 3 7 . 17 In: Oktjabr' (Oktober), Nr. 7/1967, S. 196. 18 In: Inostrannaja literatura (Ausländische Literatur), H . 5/1964, S. 235. 19 Ja. Él'sberg: O besspornom i spornom (Uber Unstritiges und Strittiges). Moskau 1959, S. 8 3 - 8 4 . 20 Ebenda, S. 82. 21 Vgl. beispielsweise die Arbeiten: S. M. Petrov: Realizm (Realismus). Moskau 1964; S. V. Turaev: Genezis socialisticeskogo realizma i problema tradicii (Die Genesis des sozialistischen Realismus und das Problem der Tradition). In : Genezis socialisticeskogo realizma v literaturach stran Zapada (Die Genesis des sozialistischen Realismus in den Literaturen der westlichen Länder). Moskau 1965. 22 S. M. Petrov: Realizm (Realismus). Moskau 1964, S. 333. 23 S . V . Turaev: Genezis socialisticeskogo realizma i problema tradicii (Die Genesis des sozialistischen Realismus und das Problem der Tradition) [vgl. Anm. 21], S. 12-13. 24 S. M. Petrov: Realizm (Realismus). Moskau 1964, S. 332. 14*
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Ebenda, S. 334-335. Ebenda, S. 184. Ebenda, S. 173. Ebenda, S. 190. Eine der bedeutendsten Forschungsarbeiten der letzten Zeit ist das Buch von K. D. Muratova: Vozniknovenie socialisticeskogo realizma v russkoj literature (Die Entstehung des sozialistischen Realismus in der russischen Literatur). Moskau-Leningrad 1966. 30 V. A. Keldys: Problemy dooktjabr'skoj proletarskoj literatury (Probleme der proletarischen Literatur vor der Oktoberrevolution). Moskau 1964, S. 8. 31 Genezis socialisticeskogo realizma v literaturach stran Zapada (Die Genesis des sozialistischen Realismus in Literaturen der westlichen Länder). Moskau 1965, S. 9. 32 Wladimir Hjitsch Lenin: Falsche Betrachtungen „parteiloser" Boykottisten. In: Lenin, Werke, Bd. 11, Berlin 1958, S. 63. 33 Wladimir Iljitsch Lenin: Der ökonomische Inhalt der Volkstümlerrichtung und die Kritik an ihr in dem Buch des Herrn Struve. In: Lenin, Werke, Bd. 1, Berlin 1961, S. 414. 34 Georgi Dimitrov: Izbrannye proizvedenija (Ausgewählte Werke), Bd. 2, Moskau 1957, S. 583. 35 Wladimir Iljitsch Lenin: Notizen eines Publizisten. In: Lenin, Werke, Bd. 16, Berlin 1971, S. 205. 36 1.1. Anisimov schrieb: „Nach der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution beginnt die Sammlung der Kräfte einer neuen Literaturepoche . . . Auf der Seite der Oktoberrevolution konzentrierte sich weiterhin alles Fortschrittliche, alles höchst Bedeutsame in der Weltliteratur." 1.1. Anisimov: Novaja epocha vsemirnoj literatury (Eine neue Epoche der Weltliteratur). Moskau 1966, S. 58. 37 Genaueres dazu s. bei M. A. Birman, A. Ch. Klevanskij, A. Ja. Manusevic und G. M. Slavin: V. I. Lenin i obrazovanie kommunisticeskich partij v zarubeznych slavjanskich stranach (Lenin und die Bildung kommunistischer Parteien in den slawischen Ländern außerhalb der Sowjetunion). In: Kratkie soobs£enija Instituta slavjanovedenija AN SSSR (Kurzinformationen des Instituts für Slawistik an der Akademie der Wissenschaften der UdSSR), Bd. 31, Moskau 1964, S. 3 - 4 9 . 38 Plamäk (Die Hamme), Nr. 1/1924, S. 45. 39 Stanislav Kostka Neumann: Ceskoslovenskä cesta. Dennik cesty kolem republiky od 28. dubna do 28. rijna 1933 (Tschechoslowakische Reise. Tagebuch einer Reise rund um die Republik vom 28. April bis zum 28. Oktober 1933). Prag 1952, S. 331-332 ( = Spisy [Schriften] XV). 40 Gor'kij: Publicisticeskie stat'i (Publizistische Artikel). Leningrad 1933, S. 31.
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41 Wladimir Hjitsch Lenin: Der „linke Radikalismus", die Kinderkrankheit im Kommunismus. In : Lenin, Werke, Bd. 31, Berlin 1959, S. 6. 42 Stanislav Kostka Neumann: S. mcstem za zâdy (Die Stadt im Rücken). Prag 1950, S. 10 ( = Spisy [Schriften] V). 43 Ladislav Stoll: Dreißig Jahre Kampf um eine tschechische sozialistische Poesie. Ubersetzt von Lotte Fürnberg. Berlin 1953, S. 25. 44 Wladyslaw Broniewski : Antwort auf die Enquête „Was verdanken die polnischen Schriftsteller den ausländischen Literaturen?" In: Wiadomosci Literackie (Literarische Nachrichten), Nr. 47/1927. 45 Bruno Jasienski: Cos w rodzaju autobiografii. In: Utwory poetyckie, Manifesty, Szkice. (Statt einer Autobiographie. In: Poetische Werke, Manifeste, Skizzen). Bearb. v. E. Balcerzan, Wroctaw-Warszawa 1972, S. 249. 46 Ivan Olbracht: Obrazy ze soudobého Ruska (Bilder aus dem zeitgenössischen Rußland). Prag 1920/21. 47 W. Broniewski, St. R. Stande, W. Wandurski, Trzy Salwy. Biuletyn poetycki. Warszawa 1967, S. 5. Vgl. dazu H. Olschowsky, Revolutionäre Poesie zwischen Tradition und Alltag, in: Weimarer Beiträge H. 10/1972, S. 95. 48 Kniga drugova (Das Buch der Genossen). Novi Sad 1957, S. 9. 49 Zitiert nach E. I. Rjabova: K charakteristike „social'nogo realizma" v slovenskoj proze (Zur Charakteristik des „sozialen Realismus" in der slowenischen Prosa). In: Formirovanie socialisti£eskogo realizma v literaturach zapadnych i juznych slavjan (Die Herausbildung des sozialistischen Realismus in den Literaturen der West- und Südslawen). Sammelband, Moskau 1963, S. 402-403. 50 Perepiska A. M. Gor'kogo s zarubeznymi literatorami (Die Korrespondenz A. M. Gor'kijs mit ausländischen Schriftstellern). Moskau 1960, S. 152. 51 In: Nowa Kultura (Die neue Kultur), Nr. 3/1924, S. 69. 52 In: Plamäk (Die Flamme), Nr. 1/1924, S. 46. 53 In: Ebenda, Nr. 4/1924, S. 141. 54 Jiri Wolker: Proletârské umëni. Z prednâsky v kruhu „Varu" (Proletarische Kunst. Aus einem Vortrag im Kreis um die Zeitschrift „Var"). In : Jiri Wolker, Vybor z dila (Auswahl aus seinem Werk). Prag 1950, S. 198. 55 Georgi Bakalov: Izbrani proizvedenija (Ausgewählte Werke). Sofia 1953, S. 335-386. 56 Georgi Bakalov: Besedi po izkustvoto (Gespräche über die Kunst). Sofia 1924, S. 29. 57 In: Nov pät (Neuer Weg), Nr. 1/1923, S. 16. 58 In: Wiadomosci Literackie (Literarische Nachrichten), Nr. 10/1925. 59 Jiri Wolker : Ochrânci umëlecké svobody (Die Verteidiger der künst-
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krischen Freiheit). In: Jiri Wolker: Vybor z dila (Auswahl aus seinem Werk). Prag 1950, S. 202. 60 Stanislav Kostka Neumann: O umeni (Über die Kunst). Prag 1958, S. 206. 61 Jiri Wolker: Ochrânci umëlecké svobody (Die Verteidiger der künstlerischen Freiheit). In : Jiri Wolker : Vybor z dila (Auswahl aus seinem Werk). Prag 1950, S. 202. 62 Miesiçcznik Literacki (Literarisches Monatsheft), Nr. 5/1930. 63 Jiri Wolker: Ochrânci umélecké svobody (Die Verteidiger der künstlerischen Freiheit). In : Jiri Wolker : Vybor z dila (Auswahl aus seinem Werk). Prag 1950, S. 196. 64 Georgi Bakalov: Izbrani proizvedenija (Ausgewählte Werke). Sofia 1963, Bd. 2, S. 11. 65 Vgl. die Abhandlungen zur bulgarischen und zur slowakischen Literatur im Sammelband : Formirovanie socialisticeskogo realizma v literaturach zapadnych i juznych slavjan (Die Formierung des sozialistischen Realismus in den Literaturen der West- und Südslawen). Moskau 1963. 66 Vgl. dazu beispielsweise die von L. I. Timofeev verfaßte Einführung zu dem W e r k : Istorija russkoj sovetskoj literatury (Geschichte derrussischen Sowjetliteratur). Moskau 1967, Bd. 1. 67 IV. Mczdunarodnyj s-ezd slavistov. Sbornik otvetov na voprosy po literaturovedeniju (IV. Internationaler Slawistenkongreß. Sammelband zu Fragen der Literaturwissenschaft). Moskau 1958 S. 226. 68 Georgi Dimitrov: Säbrani säcinenija (Gesammelte Werke), Bd. 7, S. 140. 69 In: Vedrina (Klarheit) v. 2. 3. 1927. 70 S. A. Serlaimova: S. K. Nejman (Stanislav Kostka Neumann). Moskau 1959, S. 95. 71 Georgi Bakalov: Besedi po izkustvoto (Gespräche über die Kunst). Sofia 1924, S. 94. 72 Ebenda, S. 77. 73 Stanislav Kostka Neumann: Anti-Gide neboli Optimismus bez povër a ilusi (Anti-Gide oder Optimismus ohne Aberglauben und Illusionen). Prag 1951, S. 122. 74 Josef Hora: Poezie a zivot (Poesie und Leben). Prag 1959, S. 20. 75 Zit. nach V. A. Chorevs Aufsatz im Sammelband : Formirovanie socialisticeskogo realizma v literaturach zapadnych i juznych slavjan (Die Herausbildung des sozialistischen Realismus in den Literaturen der West- und Südslawen). Moskau 1963, S. 228. 76 Vgl. die Charakterisierung vieler dieser Werke im Sammelband : Formirovanie socialisticeskogo realizma v literaturach zapadnych i juznych slavjan (Die Herausbildung des sozialistischen Realismus in den Literaturen der West- und Südslawen). Moskau 1963.
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77 Georgi Bakalov: Izbrani proizvedenija (Ausgewählte Werke), Bd. 2. Sofia 1963, S. 19. 78 Witold Wandurski: Ot legionov k revoljucii (Von den Legionen zur Revolution). Vorwort zur russischen Ausgabe von Wladyslaw Broniewski (Bronevskij): Izbrannye stichi (Ausgewählte Gedichte). Moskau 1932, S. 3. 79 Näheres dazu im Artikel von M. B. Bogdanov: Vid buntars'kogo protestu do spravzn'oi revoljucijnosti. Rozvitok revoljucijnoi tecii v serbs'kij literaturi miz dvoma svitovymi vijnami (Von der Empörung zur wahren revolutionären Haltung. Die Entwicklung der revolutionären Strömungen in der serbischen Literatur zwischen den beiden Weltkriegen). In: Zovten' i zarubizni slov'janski literatury (Der Oktober und die slawischen Literaturen des Auslands). Kiew 1967. 80 Über den „sozialen Realismus" in Slowenien sowie über die Literatur neuen Typus vgl. die Abhandlungen von E. I. Rjabova im Sammelband: Formirovanie socialisticeskogo realizma v literaturach zapadnych i juznych slavjan (Die Herausbildung des sozialistischen Realismus in den Literaturen der West- und Südslawen). Moskau 1963. 81 G. Ja. Il'ina: Stanovlenie revoljucionnoj chorvatskoj literatury v 20-e gody (Die Formierung der revolutionären kroatischen Literatur in den zwanziger Jahren). In: Zovten' i zarubizni slov'jans'ki literatury (Der Oktober und die slawischen Literaturen des Auslands). Kiew 1967, S. 487. 82 Julius Fucik: Sehona und Schwejk. Zwei Typen aus der tschechischen Literatur und dem tschechischen Leben. In: Julius Fucik: Wir lieben unser Volk. Letzte Artikel und Betrachtungen. Berlin 1956, S. 102. 83 Stanislav Kostka Neumann: O socialistickem realismu (Über sozialistischen Realismus). In: Stanislav Kostka Neumann: Umeni a politika (Kunst und Politik). Prag 1953, S. 114 ( = Spisy [Schriften] XIX). 84 Siehe z. B. V. Dneprov: Problemy realizma (Probleme des Realismus). Leningrad 1961; D. Zatonskij: Vek dvadcatyj. Zametki o literaturnoj forme na Zapade (Das 20. Jahrhundert. Bemerkungen zur literarischen Form im Westen). Kiew 1961; A. Ivascenko: Zametki o sovremennom realizme (Bemerkungen über den zeitgenössischen Realismus). Moskau 1961; T. Motyleva: Inostrannaja literatura i sovremennost' (Die ausländische Literatur und die Gegenwart). Moskau 1961; T. Motyleva: Zarubeznyj roman segodnja (Der ausländische Roman der Gegenwart). Moskau 1966; S. M. Petrov: Realizme (Realismus). Moskau 1964; B. Suckov: Historische Schicksale des Realismus. Berlin 1972. 85 V. V. Ivaseva: Sovetskoe literaturovedenie o kriticeskom realizme v
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zarubeznych literaturach XX v. (Die sowjetische Literaturforschung über den sozialistischen Realismus in den ausländischen Literaturen des 20. Jahrhunderts). In: Sovetskoe literaturovedenie za pjat'desjat let (50 Jahre sowjetische Literaturwissenschaft). Moskau 1967, S. 452. Zelju Avdziev: Vlijanieto na socialisticeskite idei värchu bälgarskata literatura (Der Einfluß der sozialistischen Ideen auf die bulgarische Literatur). Sofia 1968, S. 9. Ebenda, S. 10. Vgl. meinen Aufsatz: Socialisticeskoe ucenie i literatura bolgarskogo kriticeskogo realizma konca XIX—nacala X X vv. (Die Lehre des Sozialismus und die Literatur des bulgarischen kritischen Realismus am Ausgang des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts). In: Literaturna misäl (Literarisches Denken), Nr. 2/1958. Zelju Avdziev: Vlijanieto na socialisticeskite idei värchu bälgarskata literatura (Der Einfluß der sozialistischen Ideen auf die bulgarische Literatur). Sofia 1968. S. 11. Vgl. I. K. Gorskij: Pol'skij istoriceskij roman (Der polnische historische Roman). Moskau 1963. Vgl. M. B. Bogdanov: Serbskaja satiriceskaja proza konca XIX— nacala X X veka (Die serbische satirische Prosa am Ausgang des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts). Moskau 1962. Vgl. den Aufsatz von M. I. Ryzovaja in: Razvitie zarubeznych slavjanskich literatur v XX veke (Die Entwicklung der slawischen Literaturen des Auslandes im 20. Jahrhundert). Moskau 1964. A. P. Solov'eva: Petr Bezruc. In: Ocerki istorii cesskoj literatury XIX— XX vekov (Grundriß einer Geschichte der tschechischen Literatur des 19. und des 20. Jahrhunderts). Moskau 1963, S. 332. S. Nikol'skij: Roman K. Capeka „Vojna s salamandrami" (Karel Capeks Roman „Der Krieg mit den Molchen"). Moskau 1968, S. 17. Przedmiescie (Vorstadt). Warschau 1959. S. 469. [Sammelband] V. V. Vitt: Stefan Zeromskij (Stefan Zeromski). Moskau 1961, S. 327. Genaueres über den Schaffensweg des Dichters im Aufsatz von R. F. Doroninaja: Aleksa Santic i serbskaja demokraticeskaja poezija konca XIX—pervych dvuch desjatiletij XX v. (Aleksa Santic und die serbische demokratische Dichtung am Ende des 19. und in den beiden ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts). In: Literatura slavjanskich narodov (Die Literatur der slawischen Völker), Folge 8/1963. G. Canev: Po pätja na realizma (Auf dem Weg zum Realismus). Sofia 1960, S. 93. Vgl. beispielsweise I. A. Bemstejn: Tvorceskij put' Marii Pujmanovoj (Der Schaffensweg der Marie Pujmanovä). Moskau 1961.
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100 M. B. Chrapcenko: Oktjabr'skaja revoljucija i tvorceskie principy socialisticeskoj literatury (Die Oktoberrevolution und die schöpferischen Prinzipien der sozialistischen Literatur). In: Materialy jubilejno j naucnoj sessii „Velikaja Oktjabr'skaja socialisticeskaja revoljucija i mirovaja literatura" (Materialien der wissenschaftlichen Jubiläumssitzung „Die Große Sozialistische Oktoberrevolution und die Weltliteratur"). Moskau 1967, S. 6 - 7 . 101 Ebenda, S. 12, heißt es: „Verwirklichung der hohen gesellschaftlichen Ziele der Kunst oder Absage an ihren sozialen Inhalt, Verbundenheit des künstlerischen Schaffens mit dem Volk oder eine Kunst nur für Auserwählte, irrationale ,Prophetie' oder künstlerische Erfassung der Wirklichkeit — das ist die Wasserscheide, die in der Zeit der Herausbildung der sozialistischen Literatur zwischen ihr und dem Symbolismus, den Dekadenten und den verschiedenen antirealistischen Literaturströmungen des 20. Jahrhunderts klar zutage trat." 102 D. D. Blagoj: U istokov sovetskoj literatury (1917—1920). K Probleme zakonomernostej literaturnogo processa (An den Quellen der Sowjetliteratur [1917—1920]. Zum Problem der Gesetzmäßigkeiten des literarischen Prozesses). In: Slavjanskie literatury (Slawische Literaturen). Moskau 1968, S. 450. 103 Ebenda, S. 451. 104 Ebenda, S. 457. 105 Maksim Gor'kij: O literature. Literaturno-kriticeskie stat'i (Über Literatur. Literaturkritische Abhandlungen). Moskau 1953, S. 3. 106 Ebenda, S. 7. 107 V. Brjusov: Izbrannye socinenija v dvuch tomach (Ausgewählte Werke in zwei Bänden). Moskau 1955. Bd. I, S. 25. 108 Nacionalna konferencija na bälgarskite pisateli (Nationale Konferenz der bulgarischen Schriftsteller). Sofia 1946, S. 133. [Sammelband] 109 Ljudmil Stojanov: Stastie za vsicki (Glück für alle). In: Izbrani proizvedenija (Ausgewählte Werke), Bd. 6. Sofia 1955, S. 31. 110 Chiperion (Hyperion), H. 1/1923, S. 54. 111 „I svet vo tme svetitsja . . ." In: Plamäk (Die Flamme), H. 1/1924, S. 24, 45. 112 In: Vezni (Die Waage), H. 4/1919, S. 96, 97. 113 Geo Milev: Otkrytoe pis'mo k g. Borisu Vazovu (Offener Brief an Herrn Boris Vazov), 1925. In: Izbrani proizvedenija (Ausgewählte Werke). Sofia 1955, S. 154. 114 J. Franék: Prolegomena: k vzájemnosti ceskoslovenské a sovetské avantgardy, (Prolegomena: Zu den Wechselbeziehungen der tschechoslowakischen und sowjetischen Avantgarde). In: Slavica Pragensia, filología (Philologie), Bd. IX, Prag 1967, S. 103, 104, 109. 115 Ebenda, S. 109.
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116 Ebenda, S. 111. 117 Ebenda, S. 112. 118 N. I. Balasov u. I. A. Bernstejn: Razvitie realizma v literaturach evropejskich stran na sovremennom étape (Die Entwicklung des Realismus in den Literaturen der europäischen Länder in der gegenwärtigen Etappe). In: Materialy naucnoj konferencii „Aktual'nye problemy socialisticeskogo realizma" (Materialien der wissenschaftlichen Konferenz „Aktuelle Probleme des sozialistischen Realismus"). Moskau 1966, S. 7. 119 2ovten' i zarubizni slov'jans'ki literatury (Der Oktober und die slawischen Literaturen des Auslands). Kiew 1967, S. 16. 120 G. D. Verves: Pro tradicijne i novators'ke v slov'jans'kij poezii X X st. (Über Tradition und Neuerertum in der slawischen Poesie des 20. Jahrhunderts). Kiew 1968, S. 13. 121 Ebenda, S. 22. 122 Istorija russkoj sovetskoj literatury (Geschichte der russischen Sowjetliteratur). Moskau 1967, S. 47. 123 V. A. Chorev: Pol'skaja proletarskaja poézija 20-ch godov (Die polnische proletarische Poesie der zwanziger Jahre). In: Formirovanie socialisticeskogo realizma v literaturach zapadnych i juznych slavjan (Die Herausbildung des sozialistischen Realismus in denLiteraturen der West- und Südslawen). Moskau 1963 ; G. D. Verves : Sljach Bruno Jasen'skogo do socialisticnogo realizmu (Der Weg Bruno Jasienskis zum sozialistischen Realismus). In: Zovten' i zarubizni slov'jans'ki literatury (Der Oktober und die slawischen Literaturen des Auslands). Kiew 1967. 124 A. L. Grigor'ev: Russkij modernizm v zarubeznom literaturovedenii (Der russische Modernismus in der Literaturwissenschaft des Auslands). In: Russkaja literatura (Russische Literatur), H. 3/1968, S. 199. 125 A. Jelinek: Vxtëzslav Nezval. Prag 1961; Zdenëk Mathauser: Umëni poezie (Die Kunst der Poesie). Prag 1964. 126 Formirovanie socialisticeskogo realizma v literaturach zapadnych i juznych slavjan (Die Herausbildung des sozialistischen Realismus in den Literaturen der West- und Südslawen). Moskau 1963, S. 16/17. 127 L. N. Budagova: O nekotorych protivorecijach cesskogo poétizma (Über einige Widersprüche im tschechischen Poetismus). In: Razvitie zarubeznych slavjanskich literatur v X X veke (Die Entwicklung der ausländischen slawischen Literaturen im 20. Jahrhundert). Moskau 1964; L. N. Budagova: Vitezslav Nezval (Vitëzslav) Nezval. Moskau 1967; S. A. Serlaimova : Poéticeskaja dilogija Nezvala „Édison" i „Signal vremeni" (Nezvals dichterisches Doppelwerk „Edison" und „Signal der Zeit"). In: Ebenda; S. A. Serlaimova: Vitezslav Nezval
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(Vitezslav Nezval). Moskau 1968; R. L. Filipdikova: Put' Bedrzicha Vaclaveka k socialisticeskomu realizmu (Der Weg Bedrich Va'claveks zum sozialistischen Realismus). In: Puti realizma v literaturach stran narodnoij demokratii (Die Wege des Realismus in den Literaturen der volksdemokratischen Länder). Moskau 1965. S. A. Serlaimova: Vitezslav Nezval (Vitezslav Nezval). Moskau 1968, S. 25. L. N. Budagova: Vitezslav Nezval (Vitezslav Nezval). Moskau 1967, S. 75. T. Pavlov: K voprosu o realizme i romantizme (Zur Frage von Realismus und Romantik). In: Tvorceskij metod (Schaffensmethode). Moskau 1960, S. 61-92. G. Canev: Chudozestvenijat metod na Christo Smirnenski (Die künstlerische Methode Christo Smirnenskis). In: G. Canev: Po päta na realizma (Auf dem Wege zum Realismus). Sofia 1960, S. 103-132. IV Mezdunarodnyj s-ezd slavistov. Materialy diskussii (IV. Internationaler Slawistenkongreß. Diskussionsmaterialien), Bd. I. Moskau 1962, S. 396/397. In: Literaturna misäl (Literarisches Denken), H. 1/1961, S. 29—53. V. I. Zlydnev: Sbornik statej o socialisticeskom realizme (Sammelband über den sozialistischen Realismus). In: Voprosy literatury (Fragen der Literatur), H. 6/1960, S. 222/223, A. L. Grigor'ev: Bolgarskaja poezija nacala XX v. (Die bulgarische Dichtung zu Beginn des 20. Jahrhunderts). In: Ebenda, H. 7/1960, S. 238. Vgl. D. F. Markov: O principe istorizma v izucenii nacal'nogo perioda bolgarskoj socialisticeskoj literatury (Über die Anwendung des historischen Prinzips bei der Erforschung der Anfangsphase der bulgarischen sozialistischen Literatur). In: Literaturna misäl (Literarisches Denken), H. 5/1959. B. Michajlovskij: Tvorceskie iskanija molodogo Gor'kogo (Schöpferische Versuche des jungen Gor'kij). In: B. Michajlovskij u. E .Tager: Tvorcestvo M. Gor'kogo (Das Schaffen Maksim Gor'kijs). Moskau 1954. Vgl. einige Kapitel des Buches von L. I. Timofeev: Osnovy teorii literatury (Grundlagen der Literaturtheorie). Moskau 1959 u. a. A. S. Mjasnikov: Chudozestvennye osobennosti rannich rasskazov Gor'kogo (Die künstlerischen Besonderheiten der frühen Erzählungen Gor'kijs). In: Problemy socialisticeskogo realizma (Probleme des sozialistischen Realismus). Moskau 1959. V. R. Scerbina: Nasledie M. Gor'kogo i sovremennost' (Das Erbe Maksim Gor'kijs und die Gegenwart). In: Aktual'nye problemy sovremennogo literaturovedenija (Aktuelle Probleme der zeitgenössischen Literaturwissenschaft). Moskau 1961.
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140 I. Volkov: Romantizm (Romantik). In: Tvorceskij metod (Schaffensmethode). Moskau 1960. 141 A. I. Revjakin: Problema tipiceskogo v chudozestvennoj literature (Das Problem des Typischen in der Literatur). Moskau 1959, S. 257. 142 V. R. Scerbina. In: Aktual 'nye problemy sovremennogo literaturovedenija (Aktuelle Probleme der zeitgenössischen Literaturwissenschaft). Moskau 1961, S. 427. 143 Ebenda, S. 432. 144 B. Michajlovskij: Tvorceskie iskanija molodogo Gor'kogo (Schöpferische Versuche des jungen Gor'kij). In: B. Michajlovskij u. E . Tager: Tvorcestvo M. Gor'kogo (Das Schaffen Maksim Gor'kijs). Moskau 1954. 145 A. Lunacarskij: Stat'i o Gor'kom (Gor'kij-Studien). Moskau 1957, 1957, S. 25. 146 V. V. Vorovskij: Literaturno-kriticeskie stat'i (Literaturkritische Studien). Moskau 1956, S. 255. 147 Karl Marx: Brief an Ferdinand Lassalle vom 19. 4. 1859. In: MEW, Bd. 29. S. 592. 148 Friedrich Engels: Brief an Ferdinand Lassalle vom 18. 5. 1859. In: MWE, Bd. 29, S. 601. 149 Wladimir Iljitsch Lenin: Parteiorganisation und Parteiliteratur. In: Lenin: Werke, Bd. 10, S. 34. 150 Natürlich lassen sich Beispiele dafür anführen, daß nicht der Realismus der Romantik folgt, sondern daß sich im Gegenteil erst nach dem Realismus oder gleichzeitig mit ihm romantische Formen entwickeln. Das hängt von vielerlei Faktoren ab. Aber da uns die revolutionäre Romantik als künstlerische und gleichzeitig sozialhistorische Erscheinung oft in Übergangsperioden des gesellschaftlichen Lebens — in Zeiten qualvollen Suchens nach einem neuen gesellschaftlichen Ideal — entgegentritt, als eine Kunst des Tastens und Erratens, einer subjektiv-emotionalen „Umgestaltung" des Lebens, geht sie in der Regel der Kunst der Analyse, dem Realismus, voraus. 151 Vgl. z, B . : Istorija russkoj literatury (Geschichte der russischen Literatur). Moskau/Leningrad 1954. Bd. X, S. 740-754. 152 P. Zarev: Bogatstvoto na literaturnija proces i socialisticeskijat realizäm (Der Reichtum des literarischen Prozesses und der sozialistische Realismus). Sofia 1960, S. 78. 153 Ebenda, S. 78, 81 u. a. 154 Nationalbibliothek „Vasil Kolarov", Bulgarisches Historisches Archiv, Fonds D . I. Poljanov, N o . 380, A.-Z. 73. Man kann nur bedauern, daß diese Aussage keinen Eingang in die neue sechsbändige Ausgabe der Werke Poljanovs (Sofia 1960/61) gefunden hat. 155 K. Genov: Voprosät za chudozestvenija metod na Dimitär Poljanov
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(Die Frage nach der künstlerischen Methode Dimitär Poljanovs). In: Literaturna misäl (Literarisches Denken), H. 1/1961, S. 47. 156 D. Poljanov: Säbrani säcinenija (Gesammelte Werke), Bd. 4. Sofia 1961, S. 369. 157 Ebenda, Bd. 1. Sofia 1960, S. 430. 158 Dieser Gesichtspunkt wird von vielen bulgarischen Literaturhistorikern und Ästhetikern abgelehnt. Einzelne Wissenschaftler äußern aber auch ähnliche Auffassungen. So spricht beispielsweise P. Zarev sehr überzeugend von den beiden Formen der Verallgemeinerung bei Smirnenski, s. P. Zarev : Klasikaisävremenost(Klassik und Gegenwart). Sofia 1961, S. 174-206. 159 Christo Smirnenski: Säcinenija (Werke), Bd. 2. Sofia 1946, S. 248/249. 160 G. Bakalov: Izbrani proizvedenija (Ausgewählte Werke). Sofia 1953, S. 344. 161 Istorija russkoj sovetskoj literatury (Geschichte der russischen Sowjetliteratur), Bd. I. Moskau 1967, S. 20. 162 Vgl. dazu N. N. Ponomareva: Christo Smirnenskij i sovjetskaja literatura (Christo Smirnenski und die Sowjetliteratur). In: Formirovanie socialisticeskogo realizma v literaturach zapadnych i juznych slavjan (Die Herausbildung des sozialistischen Realismus in den Literaturen der West- und Südslawen). Moskau 1963. 163 Vgl. folgende Arbeiten: R. M. Samarin: Sovremennoe sostojanie sravnitel'nogo izucenija literatur v zarubeznoj nauke (Der gegenwärtige Stand der vergleichenden Literaturforschung in der Wissenschaft des Auslands). In: Izvestija AN SSSR OL Ja (Mitteilungen der Akademie der Wissenschaften der UdSSR, Abteilung für Literatur und Sprache), Bd. XVIII/4. Moskau 1959; I. G. Neupokoeva: Metodologija komparativizma SSA i ee svjaz' s reakcionnoj sociologiej i éstetikoj (Die Methodologie der Komparatistik in den USA und ihre Verbindung mit der reaktionären Soziologie und Ästhetik). In: Problemy vzaimodejstvija sovremennych literatur (Probleme der Wechselbeziehung der zeitgenössischen Literaturen). Moskau 1963, u. a. 164 Darüber sprach V. M. Zirmunskij in seinem Referat auf dem IV. Internationalen Slawistenkongreß, Moskau 1958. Vgl. V. M. Zirmunskij : Épiceskoe tvorrestvo slavjanskich narodov i problemy sravnitel'nogo izucenija éposa (Das epische Schaffen der slawischen Völker und die Probleme des vergleichenden Studiums des Epos). In: Issledovanija po slavjanskomu literaturovedeniju i fol'kloristike (Forschungen auf dem Gebiet der slawischen Literaturwissenschaft und Folkloristik). Moskau 1960, S. 253 u. a. 165 Voprosy metodologii literaturovedenija (Fragen der Methodologie der Literaturwissenschaft). Moskau, Leningrad 1966, S. 170—217. 166 Vgl. dazu R. M. Samarin: Koncepcii sovremennogo literaturnogo
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processa (Konzeptionen des zeitgenössischen literarischen Prozesses). In: Sovremennye burzuaznye koncepcii istorii vsemirnoj literatury (Zeitgenössische bürgerliche Konzeptionen für eine Geschichte der Weltliteratur). Moskau 1967, S. 63-80. 167 Le développement des littératures du Sud-Est Européen en relation avec les autres littératures de fin du XVIII e siècle à nos jours. Rapport pour la séance plénière (Die Entwicklung der Literaturen Südosteuropas im Verhältnis zu anderen Literaturen vom Ausgang des 18. Jahrhunderts bis in unsere Tage. Referat für die Plenarsitzung). Sofia 1966, S. 8 u. 9. 168 Der VI. Internationale Slawistenkongreß brachte auf diesem Gebiet einen wesentlichen Aufschwung. Von dem gewachsenen Interesse für dieses Problem zeugen folgende Vorträge: S. Boikov u. Ch. Dudesvki: Tipologiceskie osobennosti i problema vzaimootnosenij meüdu sovetskoj i bolgarskoj literaturoj (Die typologischen Besonderheiten und das Problem der Wechselbeziehungen zwischen der sowjetischen und der bulgarischen Literatur); S. A. Serlaimova: Nekotorye osobennosti ceskoj poézii XX v. v sopostavlenii s russkoj (Einige Besonderheiten der tschechischen Poesie des 20. Jahrhunderts im Vergleich zur russischen Dichtung); P. Zarev: Razvitie bolgarskoj literatury v 20-ch godach v sopostavlenii s razvitiem sovetskoj literatury (Die Entwicklung der bulgarischen Literatur in den zwanziger Jahren im Vergleich zur Sowjetliteratur); M. N. Parchomenko: Zakonomernosti perechoda ot kriticeskogo realizma k socialisticeskqmu v slavjanskich literaturach SSSR (Gesetzmäßigkeiten des Übergangs vom kritischen Realismus zum sozialistischen Realismus in den slawischen Literaturen der UdSSR); G. D. Verves: O tradicionnom i novatorskom v slavjanskoj poézii XX v. (Tradition und Neuerertum in der slawischen Poesie des 20. Jahrhunderts); Ju. L. Bulachovskaja, I. E. Zuravskaja u. V. A. Zacharzevskaja : Mnogoobrazie form literaturnych vzaimosvjazej v sovremennoj slavjanskoj poézii (Die Vielfalt literarischer Wechselbeziehungen in der zeitgenössischen slawischen Poesie); E. S. Sabliovskij u. S. Rusakiev: Stanovlenie i razvitie socialisticeskogo realiszma v nacional'nych literaturach (Die Genesis und die Entwicklung des sozialistischen Realismus in den nationalen Literaturen) u. a. — Der Verfasser dieser Zeilen hielt einen Vortrag, der die Grundlage für das vorliegende Kapitel des Buches bildet. 169 Lenin: Philosophische Hefte. Berlin 1971, S 160. 170 Interessant war die Behandlung des Problems der spezifisch nationalen Bildhaftigkeit in dem Vortrag L. S. Kiskins auf dem VI. Internationalen Slawistenkongreß: Problema national'nogo obraznogo myslenija i metodologija izucenija mezslavjanskich svjazej (Das Pro-
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blem des nationalen Bilddenkens und die Methodologie des Studiums der interslawischen Beziehungen). In: Slavjanskie literatury. Doklady sovetskoj delegacii (Die slawischen Literaturen. Vorträge der sowjetischen Delegation). Moskau 1968. 171 Taras Sevcenko [Sammelband]. Moskau 1962, S. 19, 20. 172 Lenin: Was sind die „Volksfreunde" und w i e kämpfen sie gegen die Sozialdemokraten? In: Lenin, Werke, Bd. 1, S. 130. 173 Vgl. dazu N. I. Kravcov: Koncepcii istorii slavjanskich literatur v rabotach zarubeznych literaturov edov (Konzeptionen für eine Geschichte der slawischen Literaturen in den Arbeiten ausländischeLiteraturwissenschaftler). In: Sovremennye burzuaznye koncepcii istorii vsemirnoj literatury (Zeitgenössische bürgerliche Konzeptionen für eine Geschichte der Weltliteratur). Moskau 1967. 174 V. V. Vinogradov: Sjuzet i Stil' (Sujet und Stil). Moskau 1963, S. 5. 175 Vgl. dazu den Aufsatz von V. A. Chorev: Pol'skaja proletarskäja poézija 20-ch godov (Die polnische proletarische Poesie der zwanziger Jahre). In: Formirovanie socialisticeskogo realizma v literaturach zapadnych i juznych slavjan (Die Herausbildung des sozialistischen Realismus in den Literaturen der West- und Südslawen). Moskau 1963. 176 Vgl. den Aufsatz von S. A. Serlaimova: Cesskaja revoljucionnaja poézija nacala 20-x godov (Die tschechische revolutionäre Poesie zu Beginn der zwanziger Jahre). In: Ebenda. 177 Der Geist der Zeit äußerte sich auch in anderen Genres. Hinwendung zu den Fakten des Lebens, politische Zuspitzung, Streben nach dokumentarischer Wiedergabe der Ereignisse und Benutzung direkter Zeugnisse sind auch für die junge sozialistische Prosa der zwanziger Jahre charakteristisch, bei deren Entwicklung Skizze, Reportage und künstlerische Publizistik eine wesentliche Rolle gespielt haben. 178 G. Bakalov: Izbrani proizvedenija (Ausgewählte Werke), Bd. 2. Sofia 1963, S. 25. 179 Stanislav Kostka Neumann: Anti-Gide neboli Optimismus bez povêr a liusi (Anti-Gide oder Optimismus ohne Aberglauben und Illusionen. Prag 1951, S. 121 ( = Spisy [Schriften] XVII). 180 V g l . den Sammelband: Formirovanie socialisticeskogo realizma v literaturach zapadnych i juznych slavjan (Die Herausbildung des sozialistischen Realismus in den Literaturen der West- und Südslawen). Moskau 1963. 181 Genaueres hierzu bieten die Aufsätze von S. A. Serlaimova, Ju. V. Bogdanov, V. A. Chorev und D. F. Markov in dem oben erwähnten Sammelband. 182 Eine Charakterisierung dieses Typus der Romantik findet sich in den Vorträgen von S. V. Nikol'skij, A. N. Sokolov und B. F. Stacheev auf dem IV. Internationalen Slawistenkongreß, vgl. S. B. Nikol'skij/
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A. N. Sokolov/B. F. Stacheev: Nekotorye osobennosti romantizma v slavjanskich literaturach (Einige Besonderheiten der Romantik in den slawischen Literaturen). Moskau 1958; Issledovanija po slavjanskomu literaturovedeniju i stilistike (Forschungen auf dem Gebiet der slawischen Literaturwissenschaft und der Stilistik). Moskau 1960; P. Dinekov: Problemät za romantizma v bilgarskata literatura do Osvobozdenieto (Das Problem der Romantik in der bulgarischen Literatur bis zur Befreiung). In: Slavisticen sbornik (Slawistisches Jahrbuch), Bd. II. Sofia 1958. 183 Vgl. den ausführlichen Überblick über die Diskussionsbeiträge in der Zeitschrift Voprosy literatury (Fragen der Literatur), H. 5/1967. 184 In: Russkaja literatura (Russische Literatur), H. 4/1963, S. 4. 185 In: Septemvri (September), H. 3/1965, S. 209. 186 In: Literaturen front (Literaturfront), Nr. 33 v. 10. 8. 1967. 187 Man kann A. I. Metcenko zustimmen, wenn er diese beiden Begriffe bei der Behandlung von Übergangserscheinungen in verschiedenen Etappen der Sowjetliteratur auseinanderhält. Vgl. seine Abhandlung: O socialisticeskom realizme i socialisticeskom iskusstve (Über den sozialistischen Realismus und die sozialistische Kunst). In: Oktjabr' (Oktober), H. 6/1967. 188 Eine derartige Betrachtungsweise, die in einigen sozialistischen Ländern weit verbreitet ist, ist in jüngster Zeit auch in der Sowjetunion recht kategorisch vertreten worden, vgl. A. I. Ovcarenko: Socialisticeskij realizm i sovremennyj literaturnyj process (Der sozialistische Realismus und der gegenwärtige literarische Prozeß). Moskau 1968, S. 8 2 - 8 7 . 189 190 191 192 193
Ebenda, S. 217. Ebenda, S. 173/174. Ebenda, S. 229. Ebenda, S. 82. Vgl. Fran Petré: Sta si pojma „moderno" in „napredno" v knjizevnosti nasprotna? (Sind die Begriffe „modern" und „fortschrittlich" in der Literatur identisch?). In: Rradovi zavoda za slavensku filologiju (Jahrbücherfür slawische Philologie), Bd. X. Zagreb 1968, S. 131-143. 194 In: Russkaja literatura (Russische Literatur), H. 4/1963. 195 Ebenda, S. 13, 19. — Die gleiche Position vertritt A. S. Busmin auch in dem kürzlich erschienenen Buch: Metodologiceskie voprosy literaturovetsceskich issledovanij (Methodologische Fragen 4er Literaturwissenschaft). Leningrad 1969. Man vergleiche vor allem das letzte Kapitel: Problema mnogoobrazija chudozestvennych form v literature socialisticeskogo realizma (Das Problem der Mannigfaltigkeit der künstlerischen Formen in der Literatur des sozialistischen Realismus).
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196 S. M. Petrov unterstreicht das auch in seinen neuesten Arbeiten, v g l . Oktjabr' (Oktober), H 8/1967, S. 195, u. a. ^ 197 Realizm i ego sootnosenija s drugimi tvorceskimi metodami (Der Realismus und sein Verhältnis zu den anderen Schaffensmethoden). Moskau 1962. 198 Vgl. dazu beispielsweise I. Fradkin: Literatura novoj Germanii (Die Literatur des neuen Deutschlands). Moskau 1961; derselbe: Bertol'd Brecht. Put' i metod (Bertolt Brecht. W e g und Methode). Moskau 1965. 199 A. Fadeev: Za tridcat' let (Im Laufe von dreißig Jahren). Moskau 1957, S. 897. 200 L. N. Novicenko: Problemi stil'ovoi diferenciacii v sucasnich schidnoslov'janskych literaturach (Probleme der Stil-Differenzierung in den zeitgenössischen ostslawischen Literaturen). Kiew 1968. 201 M. B. Chrapcenko ist geneigt, von verschiedenen individuellen Methoden der Schriftsteller zu sprechen, wobei er im wesentlichen die Un Wiederholbarkeit des Schaffens großer Künstler, den Charakter ihres Stils, im Auge hat. Eine solche Meinung ist als Versuch, die Mannigfaltigkeit der Erscheinungen zeitgenössischer sozialistischer Literaturen zu erklären, verständlich, wobei man über den Terminus „individuelle Methode" streiten kann. — Vgl. M. Chrapcenko: Realisticeskij metod i tvorceskaja individual'nost' pisatelej (Die realistische Methode und die schöpferische Individualität der Schriftsteller). In: Problemy realizma v mirovoj literatute (Probleme des Realismus in der Weltliteratur). Moskau 1959. — In deutscher Übersetzung: Chraptschenko: Schriftsteller, Weltanschauung, Kunstfortschritt; Literatur und Gesellschaft, S. 57 Berlin 1975.
Personenregister
Abrasevic, K. 33 37 Andersen Nexö, Martin Aragon, Louis 182 Askerc, A. 83 Avdziev, 2 . 82
Byron, Georg Gordon, Lord
127
22 178
Baczynski, St. 59 Bagrjana, E. 185 Bakalov, G. 42 43 50 54 55 57 61-62 67 141 160 170 Barbusse, Henri 22 167 169 178 Baudelaire, Charles 103 Becher, Johannes R. 171, 182 Bednyj, D. (d. i. Efim Alekseevic Pridvorov) 111 141 168 169 Beleckij, A. I. 156 Bezruc, P. 89, 161 Biebl, K. 118 Blagoev, D. 8 33 40 42 43 44 Blagoj, D. D. 101-102 104 Blok, A. A. 53 104 169 Bogdanov-Voliskij, A. A. 34 Borov, T. 141 Botev, Ch. 62, 80 Brecht, Bertolt 9 203 Brjusov, V. Ja. 53 54 104 169 Broniewski, W. 16 48 49 51 52 53 55 57 63 64 69-70 78 80 112 146 159 167 171 176 180 181 192 Busmin, A. S. 188 200-201
Campanella, Tommaso 135 136 Canev. G. (B. Borinov) 55 96 123 Cankar, I. 33 161 196 Capek, K. 91 Cech, S. 84 87 Cerkovski, C. 87 88 161 Cesaree, A. 47 49 51 73 168 182 Chanéev, V. 205 Chorev, V. A. 59 Chrapcenko, M. B. 99 Clementis, V. 50 Cosid, B. 90 Czerwienski, B. 34 D^browska, M. 91-92 Dimitroff, G. 40 43 60 Dneprov, V. D. 81 Dobrijanov, S. 56 Domanovié, R. 84 Dostoevskij, F. M. 52 Dov2enko, A. P. 203 Doyle, Conan 156 Dumas, Alexandre d. À. 156 Dzierzynski, F. 33 35 Eisenstein, S. M. 110 Elin-Pelin 82 87 88 161 El'sberg, Ja. E. 29-30 Engels, Friedrich 8 127 201
226
Fadejew, A. A. I l l 178 20 Feuerbach, Ludwig 12 Fleming, Jan Lancaster 156 Fourier, François-Marie-Charles 135 France, Anatole 22 Franék, J . 110-111 118 Freiligrath, Ferdinand 8 31 Fucik, J . 40 76 97 112 119 179 Furmanov, D. A. 178 Furnadziev, N. 90 Genov, K. 123 136 Genov, T. 60 Georgiev, E. 15 153 Gorki, M. 18 32 38 44 48 52 82 103 104 111 125-126 130 153 178 201 Grigor'ev, A. L. 117 Hempel, J . 50 54 119 Hasek, J. 75-77 80 112 166-167 168 178 193 Herostrates 136 Herwegh, Georg 8 31 Hikmet, Nazim 203 Hlaväcek, F. J. 33 35 Hora, J . 63 64 66 Hviezdoslav, P. O. 84
159
Isaev, M. 52 178 Ivaseva, V. V. 81 Janovskij, J. I. 203 Jasenov, Ch. 47 50 137 142 182 Jasienski, B. 49 53 69 112 116 182 192 Javorov, P. 80 85 87 161 Jesensky, J. 90 Jilemnicky, P. 16 50 52 179 Jirâsek, A. 84 Jones, Ernest Charles 31 Juhâsz, Gyula 170 15*
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Karalijiev, A. 185 Karaslavov, G. 179 Karavelov, L. 62 Kirkov, G. 33 34 35 36 42 123 131 Kjuljavkov, K. 49 50 142 Kleopatra 136 Klopii